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ABHANDLUNGEN

DER IC~NIGLICHEN GESELLSCIW~!'T DER WISSENSCIS~TEN ZU G~TTINGEN.


PIIILOLOGISCII - IIISTORISCI-IE KLASSE.
NEUE FOLGE BAND IV. Nro. 5.

Der Gelegenlieitsdichter

Venantins Fortunatus,

Von

Wilhelm Meyer Speyer


Professor i n Clöttingen.

Berlin.
Weidmannsche Buchhandlung.
1901.
Der Gelegenheitsdichter Venantius Fortunatus.
Von

Wilhelm Dleyer aus Speyer


I'rofessor in Göttingen.

I
Vorgelegt in der Sitzung vom 12. Januar 1901.

Am Eingange des IIittelalters stehen in Frankreich zwei Nänner , welcIie


Nachbarschaft des Ortes, gleiche Lebenszeit, ähnliche Sinnesart und Freund-
scliaft verbunden hat, der Historiker Gregor in Tours und der Dichter Venan-
tius Fortunatus in Poitiers. Gregor war ein echter Sohn des Bodens, auf dem
er lebte: ausser 5 waren alle andern friihcren Bischöfe von Tours aus seinem
Geschlechte hervorgegangen. Fortunat, wie er sich selbst, nennt, war im Friaul
geboren und in Ravenna unterrichtet; erst 566 Iiam er ins Franlcenreich, doch
lebte er hier sich so ein, dass 2.B. sein Abschiedsgcficht vom austrasischen Hof
(vom Jahre 588, X 8) an frünkischem Pstriotismus niclits zu wiinschen lüsst.
So ist Fortunat der iilteste mittelalterliche Dichter Franlcreichs , auf welchen
seine zweite Heimatli stolz sein kann. Zu den mittelalterlichen Schriftstellern
sind Fortunat wie Gregor zu reclinen, nicht nur weil sie merowingische, d. h.
echt mittelalterliche Verliältnisse und 1Ienschen dargestellt haben, sondern auch
desshalb, weil sie die Stoffe und Darstell~ngskiin~te des Alterthums mit Absicht
nicht beniitzt haben. Fortunat sclircibt nicht, wie 2.B. Ennodius, Gedichte über
erfundene Tliemata; er lässt nur von wirklichen Ilenschcn und von Vorgingen
seiner Umgebung sich bestimmen, ein Gedicht zu schreiben; den Plan entwirft
cr nach menschlichen Gefiihlen und fiihrt diesen Plan aus ohne Anwendung der
rhetorisclien Künste des Altcrthums, welche damals noch viele Schulen be-
Iierrscliten. Dcn Stoffen und dcn Gedanken nach ist an Fortunat nichts Antikes ;
nocli weniger natiirlich an Grcgor von Toiirs. Darauf beruhte sein Einfluss.
Die Scliriftstcller der IKarolingerzeit , welclie möglichst antik sein sollten und
wollten, stelicn doch im Bann dcs Fortunat. Sie müssen cbcn doch zumeist Dinge
ilirer Zeit und ihrer Umgebung besingen: dafiir fanden sie bei Fortunat die
1*
4 IVILHELX IIEPER,

lluster ; bei der Antike konnten sie nur viele Phrasen und einige Kunstgriffe
entlehnen.
Das Studium des Fortiinat liegt sehr im Argen. Durcli dic von Leo fiir
die nfonumenta Bermaniac besorgte Ausgabe sind jetzt ausreichende Griindlagcn
fiir andere Forschungen beschafft. Was über den Dichter oder iibcr den
~ n h a l tseiner Gedichte bis jetzt gearbeitet ist, geniigt durchaus nicht. Ich habe
bemiiht, die Erlrlärung und das VerstZndniss der Gedichte zu fördern, und
werde mich freuen, wenn meine Arbeit eine gründliche Erltlärung der Gcdichte
veranlasst. Der Geist Ruinarts und I\.labillons ist ja bei ihren Landsleuten nicht

Von der S p r a c h e des Fortunat werde ich nicht handeln, da hier viclleiclit
weit gehende Untersuchungen nothwendig sind. Die Textesiibcrlieferung der
~ e d i c h t cdes Fortiinat ist schlecht (und die vieler Vitae ist vielleicht nicht viel
besser, da hier die rythmisclien Schlüsse oft falsch sind); die ganze Sammlung
ist iiberarbeitet; da die Handschriften aus der I<arolingcrzeit stammcn, SO kann
mancher Barbarismus geglättet worden sein. Merowinger-Latein hat man ja bei
dem geborenen Italiener nicht zu erwarten: allein wenn man nur die Formen
~consiilcas' oder 'consuliturns' liest, welcllc durch den Vers vcrbiirgt sind, so
wird man i r r über die Ansichten des Fortunat von Spraclircinhcit ; e r wusste
genau, was von diesen Formen zu halten sei, und schrieb sie doch. Urngel~ellrt
steht es freilich beim Gregor. Ich bezweifle, ob der jetzige Text auf ein fcrtig
parbeitetes nlanuscript zurücbgcht ; ein SO Mann kann seine Ge-
danlren nicht SO bunt durcheinander werfen, wie z. B. in der ~haralctcristilc
des Chilperich (V1 46) durch einander : hier wie oft waren nur Sätze mit
Notizen einzeln hingeschrieben, welche noch zusammen gearbeitet werden sollten.
Auch die Scheusslichlreitcn der I\.lerowinger Orthographie und der grammatischen
Barbarismen legt man nach meiner Ucberzeugung mit Unrecht dem Gregor selbst
zur Schuld; in den neuesten A1isgaben kann nur ein tiichtiger Sach- und Sprach-
kenner den Sinn erratlien; ja man gibt als Scllulausgabe ohne jede Bemerkung
den A.bdruck einer Handschrift, wo z. B. IV 26 der Name des Königs Sigbort
steht, während es Charibert heissen muss. Aber allerdings drückt Gregor selbst
seinen sehr geringen Respekt vor der Grammatil< aus.
DenIren wir nun weitcr an Leute, wie den Grammatilrer Virgilius n k 0 ,
i n dem 6. Jahrhundert in Siidfranlireicli lebte und den ich in dem Ludus dc An-
t i c h r i s t ~ (nfiinchner Sitzungsbcr. 1882 8. 74-79) charsLkterisirt habe, oder a n
jene Schulmeister und Schriftsteller in Südengland im G. Jahrhundert, welche
unter Anderm die Hisperica famina geschaffen haben und welche jctzt von Zimmer
in den Göttinger Nachrichten 1890 S. 117-165 charalrtcrisirt sind, so eröffnet
sich ein neuer Ausblick. Diese Leute wollen nichts von ~ ~ ~ l g g ~ allerdings l ~ t ~ i n ;
sahen sie, dass die lfenschen ihres Landes, soweit sie in der Romania wohnten,
mit ihrem Vulgärlatein, das natürlich in jedem Gau anders w a r , ganz g u t sich
ausdrücken konnten. Diese Schulmeister wollten nur scliriftsprache ; aber siß
hatten das Bewusstsein, dass die Zeiten und die Verhältnisse sich gewaltig I;e-
DER GELEQENHEITSDICHTER FORTUXAT. 5
Iiatten ; so kam der Gedanlre , dann das Prinzip auf, dass auch die latei-
nische Schriftsprache weiter- und umgebildet werden diirfe. Das versuchten sie,
jeder auf seine \JTeisc : behutsam Fortunat, derber Gregor, ganz wunderlich und
fast niirrisch Virgiliiis Mnro und jene Fabrikanten der Hisperica famina. Sie
haben nicht gesiegt ; allein diese Schulmeister und Schriftsteller, welche viel
galten und zum Thcil nocli mehr sich einbildeten - der Virgiliiis Mare wurdo
ziemlich viel abgeschrieben - können auf die damals beginnende Schriftstellerei
;1den Nationalsprachcn beträclitlichen Einfluss gehabt haben. Gerade in solchen
Dingen schafft der Scliulmcistcr lciclitcr einc Node als das Genic. Wenn wir
Z. B. bei diesen Lciitcn in latcinischcr Prosa wie Poesie die Alliteration oft und

mitunter massenliaft angewendet finden, sie also bci ihnen offcnbar zur Schul-
lehre geliörtc, so muss man CS als möglicli erlilärcn, dass durch solclic lateini-
sclicn Scliulmeister die angelsüclisiscl.ien Dichter sich bewegcn licssen, die Alli-
teration als Regel in dcn angclsiiclisisclien Versbau ciiiziifiihrcn , ebenso wic in
der IKarolingerzeit der Reiin und der Achtsilber aus der lateinischcn Dichtung
i n die dciitsclie anfgenomincn wurden und dann in der dcutsclien Dichtung eine
Macl~twnrden, wie sic es in der lateinisclicn nicm:tls warcii.
Jcdenfalls liat solclien Weitcrbildiingcn in der latcinisclien Sprache Kar1
d. Gr. cin Ende gemacht ; e r vcrlangtc möglicliste Eiiclikehr zum latcinischcn
Altcrthum. Dicsc Renaissance sv~irde fiir dic latcinisclie Dichtiing allerdings
eine Z\vangsjacl~e,in dcr sie viellciclit verlriimmcrt wäre; docli uni 900 hat die
Sequenzendichtung in der lateinisclicii Diclitung ein fröliliches freies Schaffen
geweclit, das dann die nationalen Diclitiingen ergriff und so die wundervolle
Blütlie der mittelaltcrliclien Diclitung entstehen liess.
Doch hier will ich, wie gesagt, von spracliliclien Untersucliungen micli fern
halten und nur mit dem Inhalt und mit den Formen der Dichtungen des For-
t u n a t mich beschäftigen.

Fortunat's Leben im Frankenreich.


Die Geschiclie Fortunat's in1 Franlicnreicli sind mit denen der Radegunde
und denen der friinliisclicn Theilreiclie eng verbunden; all diese entbehren aber
selir des clironologischen Gerippes, und man kann nur durch umstiindliche Com-
binationen zu vcrstiindlichcn und etwas sicheren Anschsulingen der Verhiiltnisse
und der Rcilicnfolgc der Ereignisse kommcn. Gregor von Tours kümmert sich
bis zu dem Tode des Rönig Sigbert von Aiistrasien (Ende 675) oder wenigstens
bis zum Antritt seines Bistliums Toiirs (573) wenig Zeitfolge oder Zeit-
bestimmungcn. Oft sehnt man sich ziirück nach deii r~misclien Consulsdaten!
Icli will später, vor Duc11 V I I I , das Lcbcn der R a d e g u n d e und vor Buch Ci.
die Pcrsönliclilicit des C l i i l p e r i c h eingehend besprechen; hier will ich auf diese
uncrfrculiclicn Untcrsnchungen nur so wcit eingehen, als fiir die Erlienntniss
d e r Lcbensgcschichte des Fortunat nothwendig ist.
Tours und Poitiers gehörten mit Aquitanien seit 561 zum Reiche Chariberts,
dessen Residenz Paris war. Nach Chariberts Tod fielen diese Stiidte mit einem
Theil Aquitaniens an Sigbert von Austrasien. Allein schon in den letzten Jaliren
Sigberts, der Ende 575 ermordet wurde, richtete Chilperich von Neustrien seine
Angriffe besonders auf diese Gegenden und hatte sie 1Hngere Zeit im Besitze; vgl.
Gregor I V 45. 47. 48. 49 und V 48l). Nach Sigberts Tod griff Chilpcrich wie-
derum besonders diese Gegenden an und hat von Ende 577 ab Tours und
Poitiers dauernd im Besitz; vgl. Gregor V 2. 4. 1 4 (S. 202, 13. 20G, 8). ') 17
(S. 214,21).-24 ; dann 2G usw.
1) Schon in den Icriegsjahren 574 und 575 waren die Verbindungen Poiticr's
mit Austrasien schwierige ; von 575-584 finden sich bei Fortunat lieine Spuren
brieflichen Verkehrs dorthin. Wenn nun Fortunat aus Poitiers an Lupus, den
in Reims residirenden dux Campaniae, schreibt V11 9,7
exul ab It,alia nono, puto, volvor in anno litoris Oceani contiguantc salo,
SO ergibt das von 57415 riiclcwärts gerechnet, etwa 56516 als die Zeit seines
Auf bruclies aus Italien. Seine Reise durch Baiern, Rlicin- und lloselgegenden,
über Reims und Paris nach Tours und Poiticrs ging offenbar sehr langsam.
Wann ist er nun in P o i t i e r s in engere Beziehiingen zu Radcgnnde getreten
und dort geblieben (VIII 1,1 3 und 21 : Pictavis rcsidens zi~zd voto Radcgundis
adhaesi) ?
2) Fortunnt liat, wie ich nachweisen werde, den Tag der Einsegnung d e r
Agnes besungen in dem Gediclitc V111 3. Vor diese Einsegnung fällt das Ge-
dicht V I I I l , das ja als Eintrittsgediclit in Radegundcns Dienst auftritt ; nach
dieser Einsegnung wurde das Schreibcn der Radegundc an die Bischöfe geschrieben
(Gregor H. Fr. I X 42), welches noch zu Lebzeiten des Charibert abgefasst ist.
Also war Fortunat bei Chariberts Tod einige Zeit, mindestens l / ~ - - ~ / 1Jahre in
I'oitiers.
3) Gclcsuintha erhielt als &lorgengabc, also bei der Hochzeit, 5 aquitanische
Städte von Chilperich (Gregor I X 20), also muss Chnribert mindestens schon
SO lange todt gewesen sein, dass sein Reich unter seine 3 Briidcr schon getlieilt
war.
4) Fortanat hat nach V1 5 , 223 die Gelcsuintha auf silbernem Wagen a n
Poitiers vorbeifahren sehen; und er war damals N e u l i n g in Poitiers: lianc ego

1) Grcgor V 48 S. 230 sind dic Zcilcn SC,-42 an dcn Rand gescliricl~cncZiisätzc, dic lliclit
ordcntlicli cingcfugt sind. Der erste Satz <Scd hic, dum Sigibertus diios anrios Tiiroiius tenuit, llic
i11 Urittannia latuitl sollte, wie mir sclieint, niclit Z.27 nach <clirepta suritl cingefiigt wcrdcll, SOri-
dem nach Lrevocarct' in Z.34; 573 waren in Tours beisammen der Eiscliof Grcgor, der COnics
Leildast und der Iiönigssoliri Tlieodcbcrt (S. 239, 29); danri kam CS ~ ~ i c d caiir Siglpcrt (S. 1 8 4 18)-
Der andere Satz Z. 37-42 Qui adsumpto- possit sollte in Z.J5 nacll acccdit cingescliobcn Jvcrdcn-
2) Leider sind die IIistoriltcr niclit zii der vernünftigen Al>thciliing in I'nragra~licn fort@-
scllritten, sondern lialtcn an der altcn Tlicilung in Kapitel fest, \\.obci man nur zu oft ill ein marc
magnum gerath. So sind die Vitac dcs Fortunat in der Fortunatausgabe in l'aragraplicn gcthcilt,
in den Scriptorcs rcrum RIcroving. I1 sind dic Paragraplicn wieder wcggclasscn.
nempe novus conspexi praetereuntem molliter argenti turre rotante vehil). Also
w'ar Fortunat noch nicht lange in Poitiers, als Charibert starb und als Gele-
suintha auf der Fahrt zur Hochzeit an Poitiers vorbeikam.
5) Charibert lebte noch am 17. Nov. 567, als die Akten des Concils von
Tours unterschriebe11 wurden (nfansi, Collectio IX 806). Also ist Gelesuintha
jedenfalls nach dem November 567 bei Poitiers vorbeigekolnmen und Fortunat
ist friihestens im Priilijahr 5G7 nach Poitiers gekommen.
6) Charibert ist allerdings rasch und unerwartet gestorben (s. Gregor V. T.,
Gloria confessorum 10); nach der gewöhnlichen Ansetzung ist er 568 gestorben.
7) Sigbert hat an Ostern geheirathet (V1 1, 1-15). Da Ende 575 sein
Sohn Childebert 'vix lustro actatis uno iam peracto' zur Regierung lram, so ist
dieser Sohn Ostern (vgl. Gregor 8, 6) 570 oder 569 geboren; vorher schon hatte
ihm I3runliilile die Tochter Ingunde (nach Sigberts Mutter benannt) geboren".
Also 570 muss Sigbert mindestens 2 Jahre verheirathet sein.
8) Fortunat hat Sigberts Hochzeit an Ostern mitgemacht und dann noch
Brnnhildens Aufnahme in die lratholische Kirche; er hat auch eine Moselreise
gemacht und 'sich an der Mosel aufgehalten; dann hat er sich offenbar längere
Zeit in Paris aufgehalten.

d
1) Die folgenden Verse:
226 materno voluit pia quam Radegundis amore cernere ferventer, si daret ullus opem.
saepe tamcn missis dulci sibi diilcis adhaesit et placide coluit, quod modo triste dolet
~cheincnnicht verstanden 211 werden; wenigstens kann man vielfach lesen, Gelesuintha und Rade-
gundc h&ttcii sicli kenncn gelernt. Im Gcgenthcil; Itadegunde durfte nach ihrer Klosterregel bis
zum Tode die bIaiicrn des Iilosters nicht verlassen und Gelesiiintlia wurde nicht angetrieben, Rade-
gunde zu besuchen. Radegunde ist zwar iiacliher durch etliclie Boten mit Gelesiiintlia in freund-
liche Bezicliiingcn getreten (vgl. das officiellc 'adliaesit' aucli in VIII 1, 21 und 'missis' in App.
3, 37); aber dass es nicht mehr geworden ist, thut ihr jetzt leid. Jvie Fortunat sich hier deut-
lich ausgcdrficlit hat, SO müssen auch die viel besprochenen Verse 241 ' u t ~ efidelis ei sit gens W-
mata per arma iurat iure suo sc quoque lege ligat7 eine iins sonst nicht belianiiteSitte scliildern,
wie Waitz Verfassungsgeschich 11 1, 210 (3. Aufl.) erkaiint hat. Dahn's Erklarung, wie Chilpe-
rich bei der Werbung um Gelesuintlia versprochen habe <sc alias usores relictiiruni', so habe Ge-
lesuintlia auch von den Grosscn iles Reiclis sich dasselbe eidlicli bekri~ftigenlassen, ist niclit einmal
ein guter Einfall.
2) Ingnnde, mit dem spanisclicn Iiönigsohn IIcrmenigild yerheirathct, floh ~iaclilbngcren Strei-
tigkeiten zwischen ihrem Manne und dessen Vater zii deii Griechen, sollte cum filio parriilo iiach
l<onstantinopel zum Kaiser gebracht werden, starb aber auf der Reise in Afrilrs 585; vgl. über den
Tod Grcgor 11. Fr. VlII 21 und 28. Wenn sie aucli noch so jung gelicirathet hatte, SO muss sie
docli vor Childcbcrt geboren sein. Ihre Schwester ChlodosinJa, bellariiit ilach ihres Vaters fhhwester
(Grcgor IV 3), ist nach Cliildebert, also 570 oder spStcr geboren; sie wiirdc lach dem Vertrag von
Andclot, d s o Anfang 586, mit Ileccared, dem spanischen I(önigc, der zuerst mit Rigiintlie,
der l'ocliter des Chilpcrich und der Prcdegundc verlobt gewesen war. Diese Verlobung der Chlot-
sinda mit lteccared War o f f ~ n b a eine
r 1Icrzenssache der Briinhilde; denn Fortunat spriclit in den
Gedichten des 10. Buches vicl von diesem I-ainiliengl~ck (7, 59. 8,25. Append. no. G ) und Gregor
orzählt IX 28 von einern lrostbareri Scliild uiid 2 Trinkschal~u, welche 580 Briinhildc dem spani-
schen König als Gcschcnl~cschiclrte.
8 W I L I I E L ~ IN E P E R ,

9) Gelesuintha lebte kurze Zeit mit Chilperich zusammen; dann brach der
Zank aus 1 der nach Gregors Schilderung (IV 28) einige Zeit sich hinzog; endlich
fand man sie todt. Ein Jahr ist für die Entwicklung dieser Dinge wohl zu
wenig gerechnet.
10) Dieser Tod Gelesuinthas erfolgte (was man bis jetzt nicht beachtet hat),
als ~hildebcrtbereits geboren war. Das lehrt Fortuna+,. E r adrcssirt ja sein,
jedenfalls fiir Brunhilde bestimmtes I<lagelied zum Schein scliliesslich an deren
Mutter Goisuinta, die Frau des spanischen Königs, mit den Worten V. 367
t u quoque, mater, habes consultum dote tonantis
de nata et gcnero nepte nepote viro,
d. h. du kannst fiir die verstorbene Gelesuintha dir Trost suclien bei den über-
lebenden Angehörigen, bei deinem Manne, dem König, bei Tochter und Scliwie-
gersohn = Brunhilde und Sigbert, bei Enkelin und Enkel = Ingund und Chil-
debert. Denn das ist ja selbstverstiindlich, dass dies Gedicht nur kurze Zeit
nach Gelesuinthsls Tod gedichtet ist. Gelesuintha's Tod fiillt also in das ~ a h r
570 oder in das Jahr 560.
Nach diesen Anhaltspunkten scheinen mir folgende Ansätze am meisten gc-
rechtfertigt zu sein :
5 6 5 bricht Fortunat auf und gelangt durch die Alpen und Siiddeutschlanrl
bis zum Herbste an die nIose1, wo er überwintert.
566 Ostern findet Sigberts Hochzeit, dann der Religionswechsel der Brunhild
statt; Fortunat macht Beidcs mit und zieht dann in Chariberts Reich bis Paris,
wo e r überwintert.
567 kommt Fortunat nach Tours, dann nach Poitiers. Hier schliesst er sich
an Radegunde a n , schreibt zuerst das Gedicht V111 I , dann macht er die Ein-
segnung der Agnes mit (V111 3) und erlebt den Erlass von Radegundens Rund-
schreiben an Bischöfe und Kiinige. Im Winter (nach dem 17. Nov. 567) stirbt
.Charibert und sein Reich wird getheilt.
568 gegen Wintersende kommt Gelesuintha an Poitiers vorbei, heirathet und
erhalt 5 aquitanische Stiidte, aus Chariberts Erbe, von Chilperich zur Morgen-
gabe. Bald beginnt sie sich mit Chilperich zu zanken.
569 oder wahrscheinliclier 570 zu Ostern wird Sigberts Sohn Childebert ge-
boren. Nachher findet man Gelesuintha todt. Sigbert iiberzieht Chilpcrich mit
Krieg und besiegt ihn; Guntram fallt den Sehiedspruch, dass die Norgengabc
Gelesuintha's, die 5 aquitanischen Stadte, Eigenthum Brunliildcns werden sollten.
Während des Krieges, also 569 oder 570 wird das Gedicht iibcr Gelesiiinthas
Tod (V1 5) von Fortunat geschrieben I).
1) Wenn Sigbert 568 1Iex-r von I'oitiers wird und Radcgundc bald begann mit seiner Uiitcr-
stützung von dem griecliischcn Kaiser Justin sicli die ICr~iizpa~ti]<~l zll crbitten, dann Iiat CS Sinn,
dass Fortunat in dem 1)anlrgedicht dafür (App no. 2, ) J ~ i s t i ~IIerrscliaft
'~ als nocli neu 'nova
purpura' bezeichnet ; die EIcrrscliaft Jtistinians Iiattc ja ungewölinlicli lange gedauert. Würc aber,
-wie manche annehmen, Charibert erst 570 gestorben, so könntc nacli 6-7 ~egieriiiigsjalironvon
%Ova purpura' nicht mehr gcsproclicn werden.
i DER OELEGENIIEITSDICIITER FORTUNAT (LEUEN).

Chilperich leugnete natürlich jede Schuld an dem Tode Gelesuinthas und


, empfand die Wegnahme der G aquitanischen Städte als Schmach. Sobald er
lronnte, begann er die Kriege, um Aquitanien wieder zu gewinnen, welche sich
I dann immer ungiinstiger für ihn gestalteten, bis Ende 575 Sigbert ermordet
I
I wurde.
Jj'ortunat~ Reise. Die Abreise Fortunats aus Ravenna würde also
565, seine Ankunft in Poitiers etwa Mitte 567 anzusetzen sein. Halten wir nun
I
I Umschau, welcllc Gedichte in diese lteisezeit fallcn, so müssen wir diejenigen,
in Aquitanien liegende Orte bctrcffen, sehr vorsichtig behandeln. Zu
Leontius in Bordeaux, zu T-clix in Naiitcs ist Portunat oft von Poitiers gereist;
wenn unter den Westfranlireich betreffenden Gedichten wirklich einige sind,
welche Fortunat auf jener Reise von SGG, noch ehe er an Poiticrs gefesselt war,
h a t , so wird es schwierig sein, sic als solche zu bestimmen. So
I lange Cliaribert lebte, konnten Angclegenlieiten des IClosters Fortunat sogar
nach Paris fiihren; doch scheinen die Gedichte 11 9 und 10 andere deutliche
Blerlimale an sich zu tragen. Anders steht es mit den Gedichten, welche Pcr-
goncn und Ocrtliclikeiten A U s t r R s i e n s betreffen. Dies Land hat Fortunat
5(35/6 langsam als Fremdling durchzogen und spiiter, wie es scheint 588, noch
einmal als hocbgeachtetcr Nann besucht. Wenn wir nun in den Biicliern I-VII
oder vereinzelt in den spatern Büchern Gedichte finden, welche an den betref-
fenden Ortcn Austrasiens entstanden sind, so müssen sie den Jahren 66516 zu-
pschrieben werden. Der A r t sind viele Gedichte an Bischöfe Austrasiens. Die
Bischöfe scheinen in Hospizen und fiir Vornehmere in ihren eigenen Bischofs-
hausein damals in sehr weitgehender Weise Gastfreundschaft geübt zu haben.
Zu ihren stehende11 Lobestitcln gehört niclit nur Freigebigkeit gegcn Arme, son-
dern Pflege der Kranlreii und freundliclie Aufnahme der exules und der advenae.
So I11 11, 13 hic habet cxul opem, oder I11 15, 29. 30. 32:
qui venit hic exul tristis defessus egenus,
hic recipit patriam t e refovente suam.
cxiIium rcmoves, reddis amore lnres.
I11 14, 5 si vidcas aliquos quacumquc ex gente creatos,
quamvis ignotos mox facis esse tuos,
quos semel adfectu adstringis pietate paterna,
ulteriiis numquam dissociare potes.
Fortunat war cxul und genoss die Gastfreundschaft mancher Biscliöfe, dann
auch mancher vornehmen Herren. E s gehörte zum guten Ton, fiir diese Gast-
freundschaft zu danken und z w a r , wenn man mit der Dichtkunst befreundet
w a r , durcli cin Gediclit. Das war in der Regel ein Lobgedicht. 'Compellor
amore parato 1a U d i b U s i n v e s t r i s prodere pauca favens' : so leitet Fortunat
selbst ein derartiges Gedicht ein. Spiiter in Poitiers hatte natürlich Fortunat
wenig Gclegcnlieit, die in Austrasien angeknüpften Freundschaften fortzusetzen,
am wenigsten die mit den Bischöfen. Etwas anders stand es dann mit dcn
Iiollen Hofbcamtcn. So lange Poitiers zu Austrasicn gehörte, war der Verkehr
A b h u b . d. I{. (ios. d. IViss. zu Qottingen. Phi1.-hist. lil. N. P. Beud 4,s. 2
10 , TVILIiELaI NEYER,

mit dem königlichen Hofe natiirlich ziemlich lebhaft, und so bot sich auch Por-
tunat manche Gelegenheit zum briefliclien Verkehr mit einigen Hofbeamten
Austrasiens, der fast ebenso lebhaft w a r , wie sein brieflicher Verkehr mit ei-
nigen Bischöfen Westfrankreichs, z. B. mit Leontiiis oder Felix.
Fortunat hat selbst seine Rciseroute von 56516 geschildert in der Vorrede
vor dem I. Buche der Gedichte und sie wenigstens angedeutet im Schlusse rlcs
4. Buchs über Nartin. Darnach können wir die auf dieser Reise entstandenen
Gedichte mustern I).
( F o r t u n a t i n S i g b e r t s R e i c h 5G5/G M a i n z ) . I n 1 1 1 1 wird der Bau
einer Taufkirche und I1 12 der Basilika St. Georgi in Uainz (lIagantiae)
kurz besungen; in beiden wird Bischof Sidonius nur lrurz als Bauherr genannt;
dagegen wird in I1 11 mit mehr Worten die eigentliche Stifterin, die sonst nicht
genannte Bertlloara gepriesen und ihr frommer Vater Thcndebert, der 547 ver-
storbene Köriig Austrasiens. Das eigentliche Bischofslob , was dem Fortiinat
bei der Herausgabe der Bücher I-V111 nicht zur Hand war, hat e r erst spster
wieder aufgefunden und im IX. Bnche als 9. Gedicht eingcreiht. Dies ist ein
Loblied, wie es einem Bischof gebührt; dazu werden Einzelheiten erwahnt, wie
V. 1 und 27:
Reddita ne dolcas, felix IiIagantia, Casus.
ut plebem foveas, et Rheni congruis amnes.
Diese Verse können nicht in Westfrankrcich gedichtet sein; cla nun vor der
Herausgabe des 9. Buclis Fortunat nicht zum 2. Male nach Austrasien gekom-
men i s t , so muss auch dies Gedicht 565/6 entstanden sein. E s ist das allge-
meine Lobgedicht auf Sidonius, das uns sonst zu den 2 Gedichten 1111 und 1 2
fehlen wiirde. 1.

@ ö 1n) 111 1 4 De pontifice Carentino Coloniae. Hier wird mit den oben
(S. 9) citirten Versen die ungemeine Gastfreundschaft des Bischofs geschildert;
dann wird, nach dem gewöhnlicben Bischofslob, von seiner Bauthätigkeit gesagt:
23 maioris numeri quo templa capacia constent,
alter in excelso pendulus ordo datur:
das muss doch hcissen: damit die Kirche eine grössere Xenschenzahl fassen kann,

1) Geographischen Blick hat Fortunat nicht besessen. Das zeigt seine Vergleichuns der grösseren
Flüsse, welche er auf dieser Reise gesehen hatte, in dem vor 676 geschriebenen Gedicht I 15:
73 Iiifcriora velut sunt flumina cuncta Garon~iae,
non alitcr vobis subiacet omnis apex.
Rhcnus ab Alpe means nequc tantis spumat habenis,
Fortior IIadriacas nec Padus intrat aquas;
Daniivius par est, quia longius cgerit undas.
haec ego transccndi; iudico nota mihi.
Dem Leontius zn Liebe, in dcssen Landhaus am Ufer der Garonnc er dies schreibt, darf cr j a Ge
Garonne übertreibend loben, aber doch nicht den Rhcin, den er bis Köln befahren, unter
Donau stellen, die er höchstens bei Rcgensburg oder Passau überschritten hat.
wird eine Empore, eine Gallerie eingebaut (vgl. unten zu 111 7 'Architektur1).
Solche Einzcllieiten können nur a n O r t und Stelle gesehen sein.
(T r i c r) I11 12 Item dc castello eiusdcin super 3Iosella. E s wird ein
Schloss an der nIosel mit grossartiger Gutswirtlischaft gescliildert. Dies liat
also Fortunat 56516 gesellen und gcscliilclcrt. Den Bischof Nicetius , welcher
dies Schlossgut cingcrichtet hat, besingt das vorangclicnde Gedicllt 11111, ~vel-
cbes das gcmölinliclie Eiscboislob enthält. Bcide Gcdicllte sind also zu glciclier
Zeit cntstanden. Ihn ~veiss niclit sicher, wann Nicetius starb. Aus der
Vita Nagncrici ist, bei Leo S. 201 Appendix no 34, ein Lobgedicht gedruclrt auf
Nagnericus, den Nachfolger dcs Nicctiiis. Die Frage ist nun, ob Fortunat dies
Gediclit auf der Durclircisc 5GG oder auf seiner zweiten Reise in diese Ge-
genden 588 gedichtet hat. Das letzte Distichon entlililt nicht denselben Glück-
wunsch, wje der Schluss der bislierigcn Bischofslobgcdiclitc; aber im Biscliofslob
selbst ist sehr viel die Rede von dem Vorgiingcr Nicctius, und auch die Er-
mahnung
haec faciens i n t c n d e m a g i s, venerande saccrdos,
u t commissa tibi dupla talcnta ferns,
deutet doch darauf, dass llngnericus nocli Neuling iin Amte ist; 588 liätte For-
tunat weder von dcm lüngst verstorbenen Amtsvorgiingcr so viel spreclicn
liönnen noch den seit 22 Jahren wirltendcn Bischof mahnen liönnen, nocli mehr
zu leisten. Also hat Fortiinat das Gcdicllt 5GG verfasst. Dann muss noch wäh-
rend des Aufenthaltes rlcs Fdrtiinat in Trier 56G Nicctius gestorben sein und
nlagnericus gewählt worden sein. Eortiiiiat lint sich aber gewiss in Trier und
Umgegend liinger aiifgclialten; er liat die Burg dcs Nicctiiis besucht lind be-
sungen (I11 12) uiia liat die 3Ioscl abwärts bcfaliren (V1 8).
(IIetz) Bei einer nloselfabrt (V1 8, 22) leistete in Netz der Bischof
Vilicus dem Fortiinat einen Dienst. Die lebhafte Schilderung der Stadt Netz
(111 13) ist an Ort und Stelle entstanden; das sich anschlicssende Bischofslob
ist das gewöhnliche, docli wird die Beliag1ichl:cit seines gastfreundlichen Hauses
besonders betont :
29 si poscnt novns hospes opem, t u porrigis escas;
invenit c t prolirios ad tua tecta lares.
dum satias querulum, magis obliviscitur illas,
quas habet in patriis finibus cxiil opes.
~ a t ü r l i c hsind auch die Spielereien I11 13 a.b.c d. in nfetz entstanden.
~ l o s e l f a l i r t ,N e t z , N a u r i a c i l m , K ö n i g , G o g o , c o m e s P a p u l u s .
V1 8 Dc coco qui ipsi navem tiilit. Fortunat genoss bci seiner Reise 5GG
einige Hilfe des IGjnigs Sigbcrt. Deli Sigoald, der erst um 587 als Comes (wohl
nach Tours) crnannt wurde, erinnert Portuiiat (X 1G) daran, dass einst (566):
Finibiis Italinc cum primiim ad regna vcnirem,
t e milli constituit rex Sigibcrcthus Opern,
tutior iit gradcrer tecum comitnndo viator
atque pnraretur hinc cquirs, inde cibus.
So hat Fortunat zn einer F a h r t auf der Biosel ein gedecktes ~Ioselscliiff(ratis;
i n manchen Gegenden nennt man ein solches Flussschiff auch einen Kahn) er-
halten. Da er ];eine besondere Respelrtspcrson i s t , so nimmt in Netz der
n~undkochdes Königs, der den Flussliahn wohl fiir Dienstztveclce brauchte, den-
selben weg. Da schafft der Bischof Vilicns dem Fortnnat einen linter , einen
schmalen, oben offenen Nachen. I n diesem hatten ausser Fortiinat nur sehr
wenige Platz; die Andern musstcn am Ufer nachlaufen. I n Nauriacum trifft
Fortnnat den König Sigbert und klagt ihm seine Noth. Der befahl, dem For-
tunat einen Flusslcahn zu scliaffcn; doch keiner war zu finden. Als der ganze
Hof abgefahren war, wendet sich Fortunat an Gogo, einen der höchsten Hof-
beamten; der gibt dem Papulus , dem Comes der Gegend, den Auftrag, einen
Flussliahn fiir Fortunat aufzutreiben; doch der fand nur einen Nachen, der das
Gepäck Fortunats nicht fasste. So musste Fortunat still liegen; der Comes
schafft ihm Essen und Wein, so g u t es ging (der Feinschmeclter Fortunat sagt,
der Wille sei besser als die Waa,re): da setzt sicli Fortunat hin und vertreibt
sicli dic Langeweile des Wartcns durch diese Scliildernng seines Erlcbnisses.
Das Gedicht soll humoristiscli sein. Daher das Wortspiel V. 4 , dass e r
bei seinem ohnedies schweren Gepuck durch die Sorge weiter zu kommen, dop-
pelt belastet werde; daher der iibertreibende Vergleich seiner Flussfahrt mit
den Irrfahrten des Apollonius von Tyrus in dem beriihmten Roman; daher der
lange Erguss gegen den Koch; daher die Wortspiele V. 26 fn. (wenn sie alle
eingestiegen wären, so wären sie alle ertrunken ; auch e r allein war der Ge-
fahr nahe genug).
(V1 1 und la:) De domno Sigiberctho rege e t Brunichilde regina Schon
im Gedichte V1 8 sahen wir den Fortunat in Verbindung mit dem Hofe. I n
jener Zeit feierte Sigbert seine Vermählung mit Brunhilde, der westgothischen
Königstochter, welche nach V11 1, 41 'nuper ab Hispanis per m u h pcricula
terris egregio regi gaudia summa vehis' Gogo auf der weiten Reise von To-
losa nach Reims oder Metz geleitet hatte. Die Verse V 1 1, 113 'pcr hiemes
validasque nives Alpenque Pyrenen, pcrque truces populos vecta est ducc rege
sereno' sind nicht blosse Uebertreibung; denn die Hochzeit fand im Frühjahr
(also wohl Ostern 566) statt I). Zu dieser Hochzeit verfasste Fortunat das
Festgedicht V1 1. Die metrische Form, eiiie Einleitung in 12 Distichen, dann
das eigentliche Festgedicht in 119 Hexametern, ist nach den alten nlustern z. B.
des Claudian gemacht. Die sachliche Form, ein Gespräch der Venus und des
Cupido am Hochzeitsbett , das sie schmücken, hat man theilweise unrichtig auf-

1) Der Zwisclienraum von etwa 2 Jahren zwischen dcn IIochzeiten dcs Sigbcrt und des Chil-
perich entspricht den Verliältnisscn. V. 114 Iieisst (duco rege sercno' natürlich nur 'indcm
der König Sigbert sie anzog, dcr Gedanlre an ilin ihr Führcr war7; vgl. V11 14, C> voto duccnto
trahebar. Ch. Nisard, le poEte Fortunat, S. 123, meint Gogo werde rex genannt und vcrwcbt das
in seinen phantastisclicn Roman Gogo-Sristan, dessen Basis, die Stelle d c ~Frcdcgar 111 5'3, umge-
stürzt wird durcli dio Tliatsachc, dass Gogo erst 581 starb.
DER ~ELEGENIIEITSDICIITER FORTUNAT (LEBEN). 13
gefasst. Fortunat war sonst stets so vernünftig, den ganzen Apparat der alten
Nythologie abzuwerfen; diesen grossen Schritt muss man ihm hoch anrechnen ;
denn er musste damit eine nierige alter Delrorationsstiicke aufgeben, mit denen
die andcrn Dichter einiger Wirkung sicher gewesen waren. Nur bei diesem
~ochzeitsgedichtgestattete er sich 2 mythologische Figuren oline besonderes
Beiwerk. Das ist nicht zu tadeln, auch nicht vom christlichen Standpunkte.
Dann war CS überhaiil3t eine missliche Sache, bei einer grossartigen Ger-
m a n e n h ~ ~ l i ~ eWO
i t , es recht sinnlich herging, Heilige oder gar Personen der
Trinität erscheinen ZU lassen. Dazu liam hier noch ein besonderer Umstand.
E h e n m i t H r'ir e t ilt r n waren ja canonisch verboten; allein in den damaligen
~iirstenhäusern tvarcn sie nicht selten. Als Brunhildc den Sigbcrt, als Gele-
suintlia den Chilperich heirathetc, waren sie beide Arianerinncn, also Häretiker
und fast schlimmer als Heiden; freilich sie licssen sich beide bald taufen und
werden dafür gelobt (Gregor I V 27. 28). Umgelichrt lieiratliete s p a e r Sigberts
Tocliter Ingiind den westgothisclicn I<önigssohn Herminigild; dessen Mutter,
ihre eigene Sticf-Grossmutter, Goisiiinta meinte nun, jetzt miisse hinwiederum
auch Ingund die Religion ihres Jlaiines annehmen d. 11. Arianerin werden. Al-
lein Ingund wird von Gregorpselir gelobt, dass sie das niclit that, sondern im
Gegentbeil ihren Mann bercdctc, sich liatlioliscl~ taufen zu lassen, in Folge
dessen Vater und Sohn sich entzweiten, lind Ingund selbst wie ihr Jiann elend
ZU Grunde gingen (Grcgor V 38. V1 43. V I I I 28). Immcrliin mochte die Kirche
solche gemischten Ehen mitanselicn, in der Hoffnung, das fremde Schaf tverde
bald der grossen Gla~ibcnsheerdeanscliliessen, mit der es leben musste.
Allein von einer kirchlichen Einsegnung konnte hier lieinc Rede sein. Die Be-
theiligung des Priesters oder eine kirchliche Trauung war zu jenen Zeiten über-
haupt nicht nothwendig; sie unterblieb gewiss hier, wo die Braut eine Ketzerin
war. Weder Gregor noch Fortunat deuten eine kirchliche Feier an: Gregor
(IV 27) : Sigibertus congregatis senioribus (seigncurs) secum, pracparatis epulis,
cum inmensa laetitia atque iocunditate Briznichildem accepit uxorem. For-
tunat V1 1, 15-22:
sic modo cuncta favent, dnm prosperitate superna
regia Caesareo proficit aiila iugo.
ordine multiplici feliccm in saccula regem
undique cinxerunt lumina tanta ducum.
culmina t o t procerum concurrunt culmcn ad unum :
Mars habet ecce duccs, P a x habet ecce decus.
cunctorum adventu festiva palatia fervent,
coniugio regis gens sua vota videt.
Hier gicbt es nur eine Civiltrauung , eine grossartige Germanenhochzeit viel-
leicht mit manchen alten Vollisbr5uchen. Ganz klug meidet Fortunat in seinem
Festgediclit jede Berührung der katholischen Lehre (divina in V. 117 und 119
heisst 'iiberirdisch') ; dagegen war bei der Schilderung der I<etzerhochzeit das
bischen römische JIythologie vortrefflich am Platze.
14 WILZIELN XEYER,

(V1 la) De Sigiberctho rege et Brunichilde regina Bald liess Brun-


bilde sich als Xatholikin taufen: auch dieser Feierlichkeit weihte Fortunat 21
Distichen, von denen er allerdings die meisten auf Sigbert verwendet, wobei e r
eine Episode aus dem Kriege der Franken mit den Sachsen und Tliiiringern 555
(Gregor I V 10 und I V 16 Ende) crzählt: 13 'tunc antc aciem pcdibus Prior
Omnibus isti'. Dass der damals 20jährige Sigbert an jenem Krieg gegen Sachsen
und Thiiringer Theil genommeii habe und zwar in so hervorragendem lifasse,
wie auch das erste Gediclit zeigt: 75 'virtns, qaam Nablis (2) ecce probat,
Toringia victa fatetiir, proficiens iinum geinina de gente triumphum', das be-
richtet keine andere Gescliichtsquclle.
So werden wir uns nicht wundern, wenn wir den Fortunat 566 an hervor-
ragende Leute des H o f c s in Netz oder in Reims Gedichte richten sehen. So
sind die Gedichte an G o g o V11 1 und 2 und das iinklarc 3 sicher OGG in der
austrasischen Rcsidenz gedichtet, wiihrend no 4 spütcr ails Poiticrs an ihn ge-
sendet ist. I n der anstrasischen Residenz ist 566 entstanden auch das Gedicht
auf Conda, den alten treuen Diencr aller aiistrasisclien Icönige und jetzigen
Conviva des ICönigs Sighert, welclier auch im Sachscnlrrieg mitgetlian hat (V11 1G);
wahrscheinlich ebenfalls das unltlare Gedicht (V11 14) auf tlen dux 19 u m m o-
l e n i i s, wahrend V11 17 auf Gundnarius, cten Patrimonial-Verwalter der Icönigin,
in Poitiers entstanden sein kann, da Brnnhilde spatcr in Aqiiitanien das grosse
Heiratlisgut der Gelesnintlia besass.
Das Lobgedicht auf den beredten Staatsmann uncl tiichtigcn Icriegsmann
L u p u s V11 7, worin gerühmt wird, wie er die halbe Armee an der Bordaa
lind Langona gegen die Sachsen commandirt habe, ist eher in der Residenz
Reims als in der Residenz Jletz entstanden, da Lupus dux Campaniae Remensis
war, also mehr in Reims zu suclien ist, während die andern Gedichte auf Lupus
und auf seinen Bruder Jfapulfus (V11 8 B 10) erst aiis Poitiers nach Austrasicn
gesendet sind.
( V e r d un) Auf der Reise nach Reims war Fortiinat 566 in Vcrdiln
der Gast des Bischofs Agericus, dem e r zwei kleine Gedichte widmete I11 23 ;
das zweite ist das gewöhnliche Bischofslob; das erste knüpft an seine Bnii-
thätigkeit an, besonders an den Bai1 einer Taufkirche, der cbcn im Gang war.
(Reims) Wie oben gesagt, mag manches der an Hofbeamte gericliteten
Gedichte in der Residenz Reims cntatanden sein; sicher ist in Reims 566 ge-
dichtet I11 1 5 De Aegidio episcopo Rcmorum. E s ist das g e ~ ö l i n l i c h13ischofs-
~
lob ; hätte Fortunat geahnt, dass dieser Bischof im Jnhrc 573 scincn Freund
und Gönner, den Gregor von Tours, zum Bischof von Tours weihen werde, so
hätte er molil grellere Farben gewühlt.
All die Gedichte der Biiclicr I-VII, welche austrasisclie Bischöfe bctrcffen,
haben sich als gleichartig gezeigt, und die in ihncn genannten Orte licgcn alle
an dem Wege, den Fortunat 565/G zuriiclrlegen musste. Ebenso steht CS mit
den an austrasisc~ieBeamte oder Grosse gerichteten Gcdichteii, wclclie nicht
offenbar erst später aus Poitiers geschicl<t sind. Natiirlicli wurdc Fortunat 566
DER GELEGENUEITSDICIITER FORTUNAT (LEDEB). 15
in Austrasicn auch mit vielen andern Herren bekannt; allcin entweder hat er
damals lteine Gedichte an sie gerichtet, oder sie sind verloren. So wurde er
damals auch bekannt mit Dynamiiis (V1 10, 35), wahrscheinlich mit
Sigismund und Alagislus ( V n 211 9). Die sehr gute Aufnahme, die Fortunat
in Austrasicn fand, ~berraschen und allerdings zu der Annalime führen,
„ doch aus beträchtlich vornehmerem Geschlechte gewesen als man gewöhn-
lich meint; allcin das ist nicht nothwendig. Die Bischöfe und viele liiheren
Beamten im Frankenland waren Gönncr der höhern Bildung oder wollten es
wcnigsten~zu scin scheinen. Solche geistreichen Gelegenheitsdichter For-
tunst sind stets und iiberall willlrommen, und, hatte einmal Fortunat bei Sif;-
bcrt's Hoclizcit scin Festgedicht vor der vornehmen Gcsellscliaft mit begei-
sterter Stimme vorgetragen, so war er in Austrasien ein bedeutender nIann
,qcworden.
( F o r t u n a t i n Cliariberts Reich) Von Reims ging die Reise rnohl
direkt nacli Paris in Cliariberts Reich. E s ist frcilich möglich, dass Fortunat
schon 5GG den Umweg iiber S o i s s o n s machte iind dort das Grab des M e-
d a r d U s bcsucliend, das Lobgedicht auf diesen Heiligen I1 16 verfasste. Allein
es liegen hier zu viele Unklarheiten vor, als dass Siclicrheit möglich wiirc.
Unser Gedicht V. 161 bestatigt zunächst, was Grcgor I V 10 (und 51) sagt
inle<2ardum Clilotharius rex cum summo honore apud Sessionas civitatem sepe-
livit ct basilicam super eum fabricare coepit , quam postea S i g i b e r t U s filius
eius explevit atque compos~iit'.
TVar Sigbert wirklich seit 5G2 im Besitze von Soissons (s. zu IX I), so
könnte Fortunat 566 in Soissons dem Sigbcrt zu Ehr und zu Gefallen dies Ge-
dicht verfasst haben. Aber sehr auffallend ist dessen Form. Es ist eine in
Verse gebrachte Reihe von Wundern, in dersclbcn Eintlicilung wie die pro-
saische Vita: zuerst V. 1-24 Veniges iiber das Wesen und Wirken des Ne-
dardus ; dann V. 25-G4 die Wunder, die er wirkte, 'dum fuit . humano in .
corpore vital; dann V. 60-160 die Wunder, die er wirkte, cum raptus ab orbe
fuisset; endlich IGI-1GG Schluss. In den vcrmischtcn Gedichten findet sich
eine ahnliche Erziihlung nicht inehr; vergleichen lassen sich nur die 4 Biicher
iiber den h. BIartin , welche cbenso die vorliegende Prosa -Erzählung in Verse
umsetzen.
Der Schluss sagt nur, dass Sigbert noch mit dem Bau beschäftigt ist:
en tua templa colit nimio Sigebercthus amore,
insistcns opcri promptus amore tui.
Diese Worte zwingen aber nicht zur Annahme, dass Fortunat selbst in Soissons
den Bau besucht hat, und auffallend wiirc jedenfalls, dass lrein Gedicht an den
Bischof von Soissons sich findct.
(Paris) Dcr h. Gormanus, der 576 als Bischof von Paris starb, bat im
Leben der Radegunde eine ziemliche Rolle gespielt. Fortunat ist später in
Poiticrs oder von Poitiers aus gcwiss öftcr mit Gcrmaniis zusarnmengebommen
wie das Gedicht V111 2 zeigt; das kann aber auch auf Synoden oder bei der
Einweihung von Kirchen geschehen sein. Wir haben keinen Beweis, dass wah-
rend der Regierung des Charibert und des Sigibert, also 567-576 Fortunat
von Poitiers nach Paris gereist ist. (V1 2) De C h a r i b e r C t h o rege. Dies
57 Distichen umfassende Gedicht, welches doch für die Charalrteristilr dieses
Königs hübsche Züge beisteuert, ist natiirlich vor dem Tode des Icönigs, also
wohl vor 568, verfasst. Von Poitiers ist keine Rede, auch nicht von Rade-
gunde; dagegen wird die Residenz Paris V. 9 so angesprochen, dass man den
Dichter sich in Paris denlren muss. Alles spricht dafür, dass Fortunat, welcher
in Austrasien durch die Festgedichte auf König und Icönigin sich deren Gunst
erworben hatte, auch in Paris nach seiner Ankunft 566 eine festliche Gelcgen-
heit benützte, um den Charibert in ähnlicher Weise zu feiern. Bemerlrenswerth
ist die längere Schilderung des 558 gestorbenen Oheims Childebert und der
Giite, welche Charibert dessen Wittwe Ultrogotho und deren 2 Töchtern
erweist.
Denn so ergibt sich einfach der Zusammenhang mit dem @dichte V 1 G
D e h o r t o U1 t r o g o t h o n i s : die von Chlothar verbannte Wittwc Childeberts
ist von Cliaribert zurückgerufen und bewohnt samt ihren Töchtern ihre friiherc
Wohnung mit einem Garten, den ihr Gemahl Childebert einst selbst angelegt
und gepflegt hat.
Die beiden Gedichte I1 9 und I1 10, A d c l e r u m P a r i s i a C U m, eine werth-
volle Schilderung der prisek Dorngeistlichlreit unter Germanus und ihrer Kir-
chen-19ilsilr, und D e e C c l e s i a P a r i s i a c s, über den Bau der Kirche und über
den Erbauer, Icönig Childebert, hangen offenbar unter sich eng zusammen. An-
derseits wird durch das ausführliche Lob Childebert des I. das Gedicht in Ver-
bindung gesetzt mit V1 2 und V1 6. Die Einleitung des 9. Gedichtes ist son-
derbar : Gegen die Aufforderung der pariser Domgeistlichkeit, ihnen ein Gedicht
zu machen, wehrt sich Fortunat mit der Begründung, schon so lange habe e r
kein Gedicht gemacht, dass er des Diclitens ganz entwöhnt sei; SO z. B.
3 iam dudum obliti desucto carmine plectri
cogitis antiquam me renovarc lyram.
Später, als von Poitiers aus sein Dichtername weit durch Gallien gedrungen
w a r , hatte er das nicht schreiben können. Schrieb e r dies 566, als cr wenig
gekannt eben in Chariberts Hauptstadt angekommen und im Domhospiz einge-
kehrt w a r , so ist die Uebertreibiing denkbar. BIan vergleiche auch die feier-
liche Weise, in der hier von Germanus gesprochen wird, mit der herzlichen
Weise in V I I I 2. D a auch sonst nichts auf spiitere Entstehung oder auf brief-
liche Uebersendung deutet, so miissen wir annehmen, dass Fortunat diese beiden
Lobesgedichte bei seiner ersten Ankunft in Paris 566 verfasst hat.
F o r t u n a t i n P o i t i e r s 567-576. Fortunat wird 566 auf der Reise
nach Tours und Poitiers noch von manchem Bischof gastfrcundlicli aufgenom-
men worden sein ; in T o u r s war damals seit 556 ~ u fo rn i u s Bischof: mit
ihm musste Fortunat s p a e r schon des I(losters der Radcgiindc halber ijftcr
verkehren; in diese spatere Zeit fallen sicher die 2 Briefe 111 no 1 und 2.
Aber in die Zeit seiner ersten Ankunft a n dem lang ersehnten Ziele seiner
ganzen Reise, in das Jahr 566, passt sehr gut I11 3. Dies Gedicht ist nicht
von auswärts nach Tours gerichtet ; es gedenkt nicht früheren Verkehrs, son-
dern es ist nur das gewöhnliche Bischofslob mit besonderer, ganz auf Fortunat
passender Hervorhebung der Gastfreundschaft:
19 a d v e n a si veniat, patriam t u reddis amatam
et per t e proprias hic habet e x u l opes.
~ l s odürfen wir dies Gedicht mit ziemlicher Sicherheit in die Zeit der ersten
Begegnung mit Eufronius d. h. in das J a h r 566 versetzen.
I n P o i t i e r s t r a t nach dem Beginn dcs Jahres 567 Fortunat in Bezie-
hungen zu R a d e g u n d e und deren Pflegetochter Agnes und blieb bei ihnen
bis zu ihrem Tod 587. Sein elastischer Geist fand hier reiche Tlliitiglroit. In
dem Kloster befanden sich bisweilen um 200 Jungfrauen, manche aus Icönig-
lichem, viele aus vornehmem Geschlechte. Die ganze Correspondenz lag in den
Händen der Kloster-Vorsteherinnen. Dann stand Radegunde in Correspondenz
mit ihren Stiefsöhnen, den Theillcönigen, und mit Vornehmen in den verschie-
denen Reichen (Baudonivia I(. 10). Die Angelegenheiten des I<losters verur-
sachten Schreiben an Bischöfe, besonders an den vorgesetzten Bischof von
Tonrs, da Radegunde und Fortunat bald mit dem raiihen Bischof von Poitiers
Maroveus zerfielen und in Uneinigkcit blieben. Da Fortunat die beiden Damen
schwärmerisch verehrte, so begleitete e r viele Ereignisse des täglichen Verkehrs
mit Icleinen Gedichten, noch mehr wichtigere Ereignisse, wie die Einweihung
der Agnes als Aebtissin; die von Radegunde erworbene Kreuzpartikel rief
die Hymnen und Gedichte auf dieselbe liervor (im 11. Buch); e r schrieb in
Radegundens Namen an ihre Verwandten Amalafred und Artachis (Appendix 1
und 3) und dankte in ihrem Namen dem griechischen ISaiserpaar für die Rreuz-
(App. 2).
Natürlich ergab auch der Verkehr in Poitiers sonst manche Verpflichtiing und
Gelegenheit zu Gedichten. So ist doch wohl der comes Berulf, von dem For-
tunat vergeblich eine Einladung erwartet hat (V11 15), wie er um 580 ctux in
Tours und Poitiers war, so schon vor 576 dort comes gewesen. Besonders viele
der nieder stehenden Personen, welche die Epitaphien des 4. Buchs betreffen,
Leute aus Poitiers gewesen sein; so kann der Proculus, dessen Sohn
Ncctarius das Epitaphium im App. 8 nennt, leicht der von Baudonivia K. 7 er-
wghnte 'agens' der Radegunde, also ein Bürger von Poitiers, gewesen sein.
Um solche Gedichte wurde Fortunat oft gebeten, wie er I V 18, 3 sagt: con-
iugis affectu cogor dare pauca sepulto. Allein andere dichtete e r wohl aus
]fitgcfülll. So ist das Epitaphium auf Vilithute (IV 26) so herzlich, dass man
~ u r c h f ü l ~ ldieses
t, pr"htige friinlrische Ehepaar, jung, scliön und vornehm, hat
Fortunat selbst in Poitiers gesehen und geliebt; nachdem die liebliclie Ehefrau,
a n deren Tisch Fortunat vielleicht öfter gesessen hatte, im ersten Wochenbett
samt dem Rind gestorben ist, .schreibt er a n den befreundcten jungen l v i t t w e r
dies Trostgedicht, in dem er sein ganzes Talent zeigt.
Abhdlgn. d. R. Qos. d. Wiss. rn Gättingon. Phi].-bist. U1. N. F. Band 4, s. 3
18 IVILIIELN N E P E R ,

Sein reiches Dichtertalent und seine vornehme Stellung bei der Königin
Wittwe fiihrten dem Fortunat natürlich auch viele Bekanntschaften a U s s e r-
h a l b P o i t i e r s zu, woraus dann wieder Gelegenheiten zu Dichtungeri er-
wuchsen. Doch sind die Weltlichen, an welche Gedichte gerichtet werden,
hauptsächlich nur die alten Bel-iannten ans Austrasien. Daran schliesst sich
nur ein FreiindesIrreis in der Provence (V1 10, 67-69; dazu V11 11 und 12);
allein auch dieser lrniipft an Dynamius an, einen alten BeI~anntenaus Austrasien.
Die austrasischen Besitzungen in Aquitanien waren wohl zu lrlein als dass viele
vornehme Beamte dahin gekommen wären.
Von Beziehungen des Fortunat mit König und Icönigin ist in dieser Zeit
von 567-576 nichts zu merken, wenn nicht vielleicht das oben besprochene Ge-
dicht auf n i e d a r d I1 16 eine in dieser Zeit entstandene Gabe fiir König Sig-
bert ist, und vielleicht das grosse Gedicht über G e 1e s U i n t h a V 1 5 eine 569
odei* 570 entstandene, ähnliche Gabe fiir Brunliilde. E s ist schwierig, cinc
andere Gelegenheit fiir dies Gedicht zu erlrennen. Auf Gelesuinthas Tod folgte
der Icrieg, in welchem Sigbert und Guntram (?) den Chilperich zwang.cn , die
der Gelesuintha gegebenen Städte der Brunhilde abzutreten. Der Stoff lag fiir
das Talent Fortunats prachtig und so malte er mit all seinen Gaben das Trauer-
gemälde, fiir die Icönigin Brunhilde eine bedeutiingsvoll~Erinnerung an ihre
Schwester. Radegunde hätte natürlich gewiinscht , dass e r ganz geschwiegen
hätte; immerhin wurde ihrer Aengstlichkeit halber jede Nennung. Chilperichs
oder seines Staates unterdriickt und die Vorgänge in Neiistrien so kurz und so
wenig, i~viemöglich beliandelt; ausser Gclesiiintha t,reten nur illre JIiitter, ihre
spanische Dienerin und Brunhilde selbst auf; aber eben aus jenen Rüclrsichten
wird am Schlusse nicht Brunhilde, sondern die niutter in ToIosa angesprochen,
obwohl nicht sie die Adressatin gewesen sein kann, sondern nur Brunhilde.
Weit leichter gelangte Fortunat, der selbst schon Presbyter war (VIII 1 2
conservus meus presbyter), zu einem ausgedehnten Verlrelir mit der hohen
G e i s t l i c h k e i t I V c s t f r a n l c r e i c h s . Er traf mit ihnen zusainmcn bei
Synoden, wurde zii hohen Pesten, wie z. B. zum Jahrestag des h. Martin nach
Tours, oder zum Jahrestag ihres Amtsantritts (V111 11. V 0) eingeladen; aber
ganz besonders haben ihn mit den geistlichen Würdenträgern jene hohen Fest-
tage des kirchlichen Lebens, die Einweihungen neuer Icirclien, zusammengcfiihrt,
mit welchen ja oft gleich Synoden verbunden wurden. Ein prächtiges Bcispiel
für die Sitte und für das, was Fortunat dabei leisten musste, ist die Iiirch-
weihe des Bischofs Felix von Nantes: I11 G und 7 Bischof Fclix 'convocat
egregios saera ad sollemnia patrcs'; seinem Rufe folgen 5 Bischöfe (darunter 4
der Erzdiöcesc), und Fortunat dichtet zur Feier ein Lobgedicht auf Fclix von
27 und ein Festgedicht iiber den Bau der dreiscliiffigen ICirclie lind über die
Reliquien in ihr von 29 Distichen. Manche Gedichte des Fortunat sind bei
solchen Gelegenheiten entstanden. Galt es das Andcn]-ien an Bischöfe, selbst an
längst verstorbene, durch Ehreninschriften zu verewigen, so wcndetc man sich
an Fortunat; s. den Anfangstheil des IV. Buches.
Besonders nahe befreundet wurde Fortunat mit Leontins, dein Bischof in
Bordeaux, der Stadt an der Garonne, mit Pelix, dem Bischof von Nantes a n
der llüiidung der Loire, und mit Gregor , dein Bischof des ihm benachbarten
Tours. Der Bischof von Bordeaux L e o n t i u s liebte es ebenso sehr Kirchen in
Stgdten und Dörfern zu bauen wie Landhäuser mit liiibschen Gärten an den
Ufern der Garonne anziilegen. E r lud J-ortunat oft ein und dieser besang dann
die cinzuwciliendc Kirche oder die Schönliciten eines Landhauses, orier auch
andere Erlebnisse, wie I 21 die Fisclimenge , welche ein rasch austrocknender
Bach liefert. Aiich F c l i x von Narites lud den Fortunat nicht nur ein zu
hohen Festlichlieiten, zur ersehnten Vollendung eines lnngjährigcn ICirchenbaus
und zur ijsterliclien Taufe von wilden Heidcnhaufen (111O), sondern auch zum
Aufenthalt auf einem Landhaus an der Loire (V 7) oder zur Besiclitigunp einer
Stromcoirection , welche Portunat (111 10) humoristiscli iibertreibend schildert.
TVeitaiis den bcdcutcndsten Einfluss auf Fortiinat Iiat G r e g o r aiisgeiibt,
der Bischof von Tours (573-594). Gregor liat als Bischof stets fleissig ge-
scllriftstcllert und, trotzdem er selbst sicli entscliiildigt 'si aut in litteris aut in
sillabis grammaticam artem exccssero, de qua adplcnc non sam imbutus (ob
= non sum adplenc imbiitus?), und in den iinverständlichen neuesten Aiisgaben
seiner Schriften alle Scliciissliclil~eitcnmerowingischer Abschreiber ihiii auf die
Rechnung gesetzt sind, so darf niaii docli bei ilim jene Entschiildigung nicht viel
liöhcr anschlagen als bei so vielen Andcrn. Er war jedenfalls des Werthes
schijner Darstellung in Prosa wie in Vers sie11 sehr bewusst. E r liat aucli das
grosse Talent dcs ihn1 halb nntcrgebeiien Fortunat erlrannt lind anerkannt und
liat es vielfach beniitzt. Das zeigen inanclic Stellen des Fortiinat z. B. 1 5 , ge-
schrieben 'rogantc Gregorio', V. 23 imljcriis parwe tuis, pie carc sacerdos,
quantiim passe valet, plus milii vcllc placet. Noch deutliclier spricht das grosse
Gedicht V 5 : Grcgor hört, driss einige liundcrt Juden, um nicht todt geschlagen
zu werden, sich von dem Bischof Avitus haben taufen lassen. Der aber war
ihm ein liochvcrelirter Gönner. Sofort schreibt e r den Sachverllalt auf und
schiclrt einen Boten an Fortunat, er solle das Alles zum Ruhm des Avitus in
Distichen iimgiessen, aber iiatürlicli rasch; der Bote werde auf das Gedicht
warten; wirltlich fertigt Fortunat in 2 Tagen gcnau 150 Verse an. F ü r solche
Gefälligltcjten wai: Gregor dankbar ; . die Gedichte im Schlusse des 5. und 8.
Buches sprcchcn von kleinen und grossen Geschenken Gregors.
Die bciden NZnncr standen in regem geistigen Verlcelir (vgl. V 8" I X G .
IX 7, 33), welcher durch die Nähe ilirer Wohnstiitten, Tours und Poitiers, sehr
begünstigt wurde ; sicher hat Grcgor den Fortiinat veranlasst, die Sammlung
scincr lrleinen Gcdichte lieraiiszngcben und tvahrscheinlicli ist auch e r es ge-
wescil, der dcn Fortunat veranlasst hat, die Prosa. des Sulpicius in Hexameter
umzngiessen (die Vita Nartini). Die Gcsclilif'tc des IClosters der Radegunde
fiillrten sie oft ziisammen: so schcinen die beiden einander so unähnlichen Cha-
raktere durcli eine Frciindscliaft verbunden wortlen zu scin, die bis zii Gregors
Tod dauerte.
3"
20 F'ILIIELU X E Y ER,

Das sind die grösseren Verhältnisse, welche dem D i C h t e r t a 1 e n t des


Fortunat in Poitiers eine Fiille von Anlässen zu Dichtungen boten. Fortiinat
aber liess sich fast nur durch solche, von aussen an ihn kommenden Gelegen-
heiten zum Dichten bewegen. Dann aber liebte er es auch ganz auf diese Ge-
legenheit sich einzulassen, mitunter so weit, dass wir jetzt dicse Gelegenheit
nur schwer wieder erkennen. So mögen wir aus 111 29 wohl wieder erlrennen,
dass der Diacon, bei welchem Fortunat Gast gewesen ist, jetzt fest schläft und
dass Fortunat sich entfernend ihm dies Gedicht hinterlasst ; oder aus XI E;, dass
Fortunat, als er an seinem Geburtstag ins Kloster kommt, nnr von Radcgunde
ein Geschenk empfängt, nicht von Agnes, welche dieses 3fal verschlafen hat,
und dass nun Fortunat auf Radegundens neckischen Befehl der Agnes dies Ge-
dicht schreibt als Gruss beim endlichen Erwachen. Allein in andern Gedichten
wie I 17, V 7, V11 3, (V11 14), V111 1 und 4, App. no 9 ist es bis jetzt kaum
gelungen, die Gelegenheit zu errathen, der diese Gedichte ihre Entstehung ver-
danken. Vielleicht sind erklärende Stücke der Ueberschriften verloren ge-
gangen oder daneben stehende und sie beleuchtende andere Gedichte.
Liess Fortunnt sich fast nur von besondern Gelegenheiten zum Dichten be-
stimmen, so besass er anderseits eine erstaunliche Gewandheit diese Gelegen-
heiten dichterisch auszugestalten. Hat man die Gelegenheit erkannt, dann findet
man auch den verständigen Plan des Ganzen und erlrennt, dass auch die ein-
zelnen Theile wohl überdacht sind. Fortunat macht nur da Phrasen, wo sie
erlaubt oder gefordert waren, wie in Lobgedichten. I n der Regel wird man
hinter seinen Worten einen guten Sinn finden. Doch bringt es eben das Wcsen
des Gelegenheitsgedichtes mit sich, dass wir uns oft mühen müssen, die nähern
Umstände zu reconstruiren.
Anderseits liegt die U e b e r l i e f e r U n g im Argen. W i r haben die 11
Bücher der Gedichte in ziemlich vielen und alten Handschriften iiberliefert; und
doch zeigt uns die an und für sich bescheidene Auslese von Gedichten, welche
in der Pariser Handschrift 13048 enthalten ist, dass alle die andern Hand-
schriften auf eine Handschrift zuriickgehen, in welcher nicht nur viele Gedichte
weggelassen waren, sondern auch der Wortlaut vieler Stellen gefälscht war.
I n Wahrheit ist der Wortlaut der Gedichte des Fortunat heute noch an vielen
Stellen unverständlich. E s wäre ein Unrecht, dem Dichter die SinnlosigBcitcn
aufzurechnen, welche die Abschreiber verschuldet haben.
Die g e s t a 1 t e n d e K r a f t des Dichters kann man wiirdigen, wenn man
bedenkt, dass dcr ganze Aufbau der langen Gedichte, welche eine Gelegcnlieit
behandeln, wie die Heidentaufe des Felix I11 0 , den Tod der ViIithuta I V 26,
den Tod der Gelesuintha V1 5, den Appell an den verschollenen Vcttcr App. 1,
nur im Geiste des Dichters entstanden ist, und dass er, der die römische My-
thologie und die meisten Kunststiicke der Rhctorilr, wie Pcrsonificationcn U. s. W.
aufgegeben hatte, einen Ersatz dafür erst rnülisam sich erfinden miisstc.
Ein besonderes Geschick besass 'er, traurige Verhliltnisoe riihrend aliszil-
malen. Da schiessen ihm die packendsten Gedanlrcn in Fülle zu, fast mehr als
DER GELEGENHEITSDICETER FORTUNAT ( L E ~ E X ) . 21

dem Ovid. Daneben ist sein Natursinn bemerkenswerth. Gern schildert er das
Erwachen der Natur im Frühjahr; e r hat es wohl oft beobachtet, wenn e r den
Fastenmonat vor Ostern, während dessen Radegunde und Agnes gar nicht zu
sprechen waren (V111 6 ; zum grossen Osterfestessen kehrte e r heim App.29,14;
X 18), zum Aufenthalt auf den schönen Landgiitern seiner Freunde benützte;
~ ~ die1 Schilderungen
. V1 1, 1-10; 111 9, 1-30; dazu die hiibsche Schilderung
des ~ommersonnenbrandesim freien Felde und des erquickenden Borns im schat-
tigen Walde V11 8, 1-30. Trefflich schildert er den nordischen Winter X I 26;
besondern Eindruck scheint aiif ihn der Strand des Oceans gemacht zu haben;
g u t schildert e r ihn App. 29 und wciss I11 2G die Eindriiclre des Strandlebens
geschickt in seinen Brief zu verflechten; auch auf dem Meere scheint e r , nach
X I 25 und der Vorrede zum I. Buch der Vita lilartini zu schliessen, Einiges
erlebt zu haben.
Fortunats Leben seit 575.
(676-584, u n t e r C h i l p e r i c h ' s H e r r s c h a f t ) Ichliabecinigeall-
gemeine Bemerlrungen jiber Fortunat an die I1 Jahre seines Lebens von 565-57G
gelcniipft, weil aus dieser Zeit viele Gedichte vorliegen und weil in dieser Zeit
die Verhältnisse sich gebildet haben, in denen er fortan bleibt. Nach Sig-
berts Tod, Ende 575, besetzt Chilpericli Soissons und Paris, hauptsächlich aber
sucht e r Chariberts aquitanischcs Reich, den alten Zankapfel, zu gewinnen.
Der Kampf iim Toiirs und Poitiers wogt anfangs hin und h e r , doch seit 577
bleiben Gregor in Toiirs wie Fortunat in Poitiers Unterthanen Chilperichs.
080 wurde Gregor angeklagt, er Labe verbreitet, dass Bertram, der sportlie-
llcnde und schöngeistige (Fortnnat I11 17 und 18) Erzbischof von Bordeaux, mit
der Königin Predegunde Ehebruch begangen habe. Um über Gregor zu richten,
wurden die Bischöfe in die Villa Brinnaco bei Soissons berufen: auf dieser
Synode verlas in Gegenwart der Bischöfe und des Hofes Fortiinat ein grosses
Lobgediclit auf Chilperich und Fredegunde (IX 1 ) ; e r liatte also wohl seinen
Freund Gregor begleitet. Die damals herrschende Seuche raffte aucli die beiden
Söhne Fredegundens hin: Fortunat schrieb ein grosscs Trostgedicht, worin e r
Chilperich ermalint sich Z U fassen und F r a u und Tochter zu trösten, dann 2
Grabschriften für die beiden Verstorbenen (IX 2.4. 5). Da die beiden Rinder
20 Tage nach der Synode schon todt waren, so können diese 3 Gediclite noch
iii Soissons oder in Paris geschrieben sein. Wie gut diese Gedichte aiifgenom-
men wurden, zeigt das Gedicht I X 3, worin e r im niichsteii Frühjahr das
f<önigspaar ermahnte , ihre Trauer aufzugeben und der ganzen Hofgesellscliaft
ein fröhliches Osterfest Z U gönnen. Bei dieser Reise kam e r iii die Residenz
Paris und hat wohl damals alte Freundschaft erneuert oder nenc gesclilosscn.
So sind gerichtet die Gedichte I X 10 an Ragnemodus den damaligen Bischof in
Paris, 1X 11 und 13 den Abt und an nIöriche eines Klosters (S. Vincenz P)
in Paris und aiich der in 12 angeredete, bei der königlichen Familie wei-
lende referendariils Faramoilus ist wohl der bei Gregor X 26 genannte Fara-
modus presbiter, der Bruder des Bischofs Ragncmodus, welcher nach seines
Bruders Tod 591 sich um den Pariser Biscliofsstiihl bewarb.
( F o r t n n a t s L e b e n s e i t 585 u n t e r C h i l d e b c r t d c s 1 1 . u n d
Brunliildcns Herrschaft). Chilperich Iiinterlicss n u r ein lrleines Kind.
Um die Landstriche Chariberts stritten sich nun öfter Gnntrarn und die Au-
strasicr. Tours und Poitiers sind zeitweise in verscliiedencn Hlinden. Docli m i t
dem Jahre 587 lrommen die beiden Stsclte f ü r lange Zeit wieder zii Austrasien,
zur Freude Gregor's wie Fortunat's. I h r König und H e r r w a r d e r um 570
geborene Cliildebcrt 11.;als 580 Wandalenus, der bisherige nutritor Cliildcl)erts,
starb, übernahm es Brunhilde, selbst hinfort zum Nothwcndi$en zu sehen. Dem
Cliildebcrt gebar seine Gemahlin Faileiiba 585 den Theodcbcrt, 587 den 'I'lieode-
ricus ; im Anfang des Jahres 588 wnrde Childebert's Scliwestcr Cliloclosinda m i t
dem ~ ~ e s t g o t l i c n k ö n iReccared
g verlobt; diese Brautschaft, aus der freilicli zu-
letzt keine Hochzeit wurde, bestand i etliche Zeit. 587 s t a r b Fortunat's
Freundin und Herrin, Radcgunde, und auch Agnes muss vor ilir oder kurz nach
ihr gestorben sein; bei dem Tocle und Begräbniss d e r It,adegundc, das Gregor ,

(Gloria confessoriirn 104) lind Baiidoiiivia (Kap. 21-24) ausfiilirlich bcsprecllen,


ist von Agncs keine Rede, und 589 ist>Leubovera Aebtissin (Gregor I X 39).
So war Fortunat jedenfalls etwas:/freier geworden. Gregor, der bei dem Hofe
jetzt vortrefflich angeschricben war und öfter, auch 588, dorthin reiste, scheint
den Fortunat bestimmt zu haben, mit ihm zu reisen.
Jectenfalls ist Eortiinat mitten wülirend des Familienglückes, als Childebert
2 Söhne hatte und als seine Schwester nach Spanien verlobt war, also eben 588,
nach Austrasien geliommcn. Dieses Mal wnrde e r anrlers aufgenommen als 5651~.
Damals war seine Moselreise eine Reise mit Hindernissen (V1 8) ; jetzt fi~lire r
als Gast zusammen mit clcr Irönigliclicn Familie, wahrend die königliclie Nusik-
lrapelle das schöne Tlinl mit Klang erfiillte, den Fluss hinab bis ICoblcnz iind
auf dem Rhein bis Andernach (X 9). Auf dieser Reise fciert e r den Festtag des
h. Martin mit der königlichen Familie (X 7); in einem herzliclicn Lobspruch
iind Segenswunsch nimmt e r Abschied vom Hofe, mit der Hoffnung wieder
zu kommen (X 8). Dann finden wir ihn wieder in Tours und Poitiers. Als
589 die neue Steuerveranlagung d e r Kirche in Tours Sorgen machte, bcgriisst
Fortunat die betreffenden austrasischen Finanzbcczmten auf einem d e r Kirclic
gehörigen Landgut bei Tours a n Stelle des abwesenden Gregor (X 11; dazu 12) ;
als Gregor 590 den Umbau der Iiathcdrale in Tours vollendet Iiattc, besang
Forturiat die Vollendung des Werkes (X 6). Als dcr Iiiirrlropf IIaroveus ge-
storben war, wnrde 591 Plato, der bisherige Archidiacon des Grcgor, zum Bischof
von Poitiers geweiht, in Gegenwart Gregor's; auch dieses P e s t besingt Fortunat,
lierzlich, aber kurz (X 14). Dies ist von den datirbaren Gedichten Fortunats
das letzte.
Baudonivia bezeichnet die von Fortunat verfasste Vita der Radegiindc mit
den Worten 'quac vir a p o s t o 1i C ii s Fortunatiis C p i s C o p U s composiiit' ; 1':iuliis
Diaconus, der allerdings mehr als 150 Jahre spiitcr a n sein Grab Iram iinrl eine
DER GELEGEKIIEITSDICEITPR FORTUNAT (HERAUSGABE
DER SCHRIFTES). 23
Inscllrift für dasselbe dichtete, sagt 'primum presbiter , deinde e p i s C o p u s
ordinatus est', und in einem Verzeichniss der Bischöfe von Poitiers aus dem
12. Jallrhundert wird Fortunat nach Plato als Bischof aufgefiihrt : es ist also
kein Grund zu zweifeln, dass Fortunat noch um 600 B i s C h o f V o n P o i t i e r s
geworden ist. Gedichte scheinen aus dieser spätesten Zeit nicht erhalten zu
sein. Gestorben ist er, ellc Baudonivia ihr Büchlein über Radegundc schrieb.
L i t e r a r i s c h e Veröffentlichungen d e s Fortunat.
Die Herausgabe der Schriften sollte eigentlich in die Darstellung des
Lebens verflocliten sein, da ein solcher Schritt im Leben und in der Entwick-
lung eines Schriftstellers oft wichtige Wirkungen hat. Allein die Frage, wann
Fortiinnt die vcrscliiedenen erhaltenen Schriften veröffentlicht h a t , ist nicht
immer glatt zii beantworten und bedarf eine besondere Untersuchung.
(Heiligenleben). Bei manchem der im 2. Bande gedrucktcn
genleben , welche dem Fortunat zugeschrieben werden, ist es fraglich, ob
wirklich von ihm verfasst sind. Fiir manche derselben wird die Untersuchung,
ob und wie in ihnen der rythmische Satzschlnss angewendet i s t , Entscheidung
bringen Irönnen. Hier geniigt es, die sicheren zu erwähnen. Bei ihnen fällt
natürlich die Abfassnng zusammen mit der Herausgabe.
Die Vita A l b i n i ist veranlasst von dem Bischof von Angers Domitian,
der höchst ~vahrscheinlich vor 572 gestorben ist (s. I<riiscli's Note zu Grcgor
S. 808); dies Zusammentreffen mit Domitian schildert Fortunat in der Einleitung
S. 27 und im Gedichte X I 25, 7. Aus den Worten des Fortunat, e r sei in
solcher Arbeit noch ungeübt (S. 28, 31)) scllliesst Krusch, dass diese Schrift die
friihcste sei. Die Vita und die Virtutes des H i l a r i u s sind dem Biseliof
P a s c e n t i u s von Poitiers gewidmet und von ilim veranlasst, also sicher sehr
früh in Poitiers entstanden. Denn der erwiihnte Bischof Probianus war 573
schon todt, und Pascentius war in Poitiers schon durch einen Nachfolger er-
s e t z t , als Radegnnde die Iireuzpartilrel aus Konstantinopel erhielt, was mahr-
scheinlieh Ti69 oder 570 gesclielien ist. Die Vita ]I a r C e 11i ist veranlasst
von dem am 28. n2ai 576 gestorbenen Bischof Germanus von Paris; ein Exem-
plar wiirde mit dem Gedicht App. 22 der Radegundc übersendet. Die Vita
des G e r m a n u s ( t 576) und der R a cl e g ii n d e (1- 587) sind natürlich lrurze
Zeit naeli dem Tode der beiden, von Fortunat hochgeehrten Personen verfasst.
Die Vita des P a t er11u s , des Bischofs von Avranehes, lässt sich nicht
datiren, ebenso wenig die Vita des D1 e d a r d u s.
(Eposiiberdenh.i\Iartin,zwischen573-576). AlsGregorschon
Bischof von Toiirs geworden 'war und Bischof Germanus in Paris noch lebte,
also z~viscken 573 iind dem 28. Mai 676, hat Fortunat seine grösste Schrift
vollendet, die Vita Nartini, 4 Büelier mit 2243 Hexametern. E s ist nur ein
Zwittercling: die Prosa des Sulpicius Severiis ist in wohllrlingende Verse um-
gesetzt: dichterisclie Aiisgestaltung wird vermieden, damit nicht die Wahrhaf-
tigkeit zii Schaden komme: also wahrer Inhalt und schöne Form. Das ist
eine ganz achtbare Gattung unter dcn vielen Gattungen der Heiligenleben.
Deren ist ja eine hohe Tonleiter, von den Gerichtsakten oder dem schlichtesten
sachlichen Bericht der Genossen, wie über das lIartyrinm des Ignatius, liinauf
zu den frei ausgestalteten Dichtungen des Prudentius oder dem fein erfundenen
untl ebenso fein ausgefiihrten philosophischen Roman über die Caecilia, dem
hohen Liede von dem andern Leben, oder bis zu den wundertrunlrenen Phaiita-
siegebilden, wie z. B. dem Nartyrium des puer Quirinus , eine Gattung, die,
vielleicht von Heiden, parodirt worden ist in Stiiclren, wie in dem Martyrium
der Julitta und des Cirycus. Eine solche Umsetzung der Prosa ist also kein
Werk der Dichtkunst, aber immerhin des guten Geschmacks; man hat doch noch
Sinn für schöne Form.
Die Verse der Widmung an Radegunde 27 - 30
ego de modicis minimus, venerabilis Agnes cumRadegunde sacra, quas colo sorte pia,
tendcre pollicitum quia cogor ad ardua gressum, imperiis tantis viribus impar agor.
scheinen mir nicht zu besagen, dass Fortunat mit dicscr Dichtung ein altes
Geliibde erfiille. Aber auch wenn dies dcr Fall wäre, so hat doch auch zu
dieser Erfüllung des Gelübdes Gregor ihn getrieben. Denn dessen grösstes
Lebensziel war ja die Verherrlichung seines Stadtpatrons, des h. JIartin.
Gregor hat sofort nach seinem Amtsantritt begonnen, die ain Grabe des h.
Martin geschehenen Wunder aufzuzeichnen, und er hat liöclist wahrscheinlich
auch den Fortunat zu dieser Versificirung des Sulpicius angetrieben; denn wie
e r hört, dass Fortunat damit fcrtig sei, schickt er ihm Pergament, damit e r
ihm einc Abschrift darauf fertigen lasse, und verlangt, dass Fortunat seine
eigene prosaische Aufzeichnung der an JIartins Grab geschehenen Wunder (Vir-
tutes), ebenfalls in Verse umgiesse. Das beweist die Antwort des Fortunat,
welche man meistens vor dem 1. Buche der Dichtung druckt: cum iusseritis u t
opus illud . ., quod de suis virtutibus explicuistis, versibus debeat digeri, id apito
ut mihi ipsum relatum (d. h. Gregor's prosaische Aufzeichnung) iubeatis transmitti.
Diese Arbeit Gregors zog sich aber so lange hin, dass Fortunat von dieser
Versificirung verschont blieb. Immerhin erhellt auch hier, welchen Werth Gre-
gor von Toiirs auf schöne Darstellung legte.
Die Sammlung der Gedichte.
Fiir uns ist die wichtigste Einwirltung des Gregor auf Fortunat die, dass
e r ihn bestimmte, seinc Gedichte zu sammeln ~zndzu veröffentlichen. Das be-
sagt das scliwülstige Vorwort vor dem I. Buche (zum grösstcn Thcil übersetzt
von Leo in der Deutschen Rundschau 32, 1882, S. 415) : papa Grcgori, qiiia
viritim flagitas, u t quaedam ex opusculis inpcritiac mcae tibi transfcrbnda pro-
f¿rrem, nugarnm mearum admiror t e amGre sediici, quac cum prolatac fuerint
nec mirari p6terunt nec amari. Wenn aber Eortiinat weiterhin ausführlich
seine grosse Reisc aus Italien durch Deutschland und Franlircicli bis a n die
Pyrenaeen schildert und sich entschuldigt, im Sattel oder in dcn Herbergen,
fern von kunstverständigen Leuten oder gar umgeben von zcclicndcn und sin-
genden Barbaren, habe er eben nichts Anderes schaffen können als das S ~ l i l ~ c l i t c ,
was er hier bictc : so ist Irlar, dass dies Vorwort nicht auf die g a n z c erlial-
tcne Sammlung in I1 Biichern sich beziehen Iiann, in welcher noch Gedichte
aus dem Jahr 591 sich finden. Jene Entschuldigung wäre einfach Thorheit,
naclidern er 24 Jalire in J?oitiers und Umgebung mit den vornehmen und gebil-
deten Geistlichen lind MTcltlichen verkehrt und gedichtet hatte. Dics Vorwort
muss also auf eine frühcr als 591 abgesclilossene Sammlung der Gedichte sich
bcziehcn; jedenfalls ist es nicht vor 573 geschrieben, da Gregor hier bereits
Bischof gcnannt wird, was er erst 573 gcworden ist.
(D i C B ü C h e r I-VlIl). Betrachten wir die vorliegende Sammlung, so
cntliält das 4. Buch nur Gedichte auf Todte; diese sclbst sind nach Geschlecht
und Stellung geordnet; no 1-24 RZänner, no 28-28 Prauen; wiederum no 1-15
Geistliche, und zwar no 1-10 Bischöfe, no 11-15 Achte Presbyter Diacone;
dann TVeltliche no 1G-23. Diese lclare Ordnung zeigt, dass bei der Ordnung
der Gediclitc dic Hand des Portunat ,selbst gewaltet hat. Snchen wir weiter,
so zeigt sich iiberliaupt in den Büchern I-V111 dieselbe ordnende Hand. Ent-
liiilt das 4. Buch Gcdiclite an Todtc, so entlialtcn die Biicher 1-111 V-V111
Gcdichtc an Lebende, und zwar an Personen der Art, wie es dem oben geschil-
derten IKreis seiner Belranntschaft entspricht.
Nach A r t des 4. Biichcs sind gescliicdcn: Geistliche in Buch 1-111 und in
V, Weltliche in Buch V1 und VII, die Klosterdamen und der damit verknüpfte
Vogt dcs IKlostcrs, Gregor von Tours , in Biich VIII. Wicdcrum sind bei
den Geistlichen geschieden die Hciligen und Bischöfe, in Buch I-IU: 23 und
V 1-18, von den nicdcrern Geistlichen, in I11 24-30 und V 19. Auch in der
Abtheilung der Weltliclien stehen die Personen des königlichen Hauses voran :
V 1 1-6.
Bei dieser Scheidung ist nicht angstlicli verfahren. Bei den Heiligen wer-
den die ihnen geweihten IKirchen geschildert ; bei den Bischöfen stehen die Ge-
d i c h t ~auf ihre Frauen und auf die ihnen gehörigen Landgiiter; ja das humori-
stische Gedicht I 21 auf ein Nebcnflüsschen der Garonne lrann nur desshalb in
dies Bucli gerathcn sein, weil das grosse Fischessen, welches der Ausgangspunkt
des Gedichtes ist, auf einem Landgut des B i s c h o f s Leontius stattfand.
XTenn fcrner das Klagelied um Gclesuintlia (V1 5) bei den weltlichen Gedichten
steht, sollte auch das Iilagclied um Vilithute (IV 2G) bci denselben stehen.
Dann ware es rationeller, dass Buch V (Geistliche) nach Buch III (Geistliche)
so dass Bucll I V auf todtc Geistliche und TVeltliche in die Nitte zwi-
schen die lebenden Geistlichen (1-111 und V) und die lcbenden Weltlichen
( ~und 1 VII) gelrommen wäre; allein dies Buch V scheint Fortunat iiberhaupt erst
mch ~ b s c h l u s sder andern Biicher I-IV und VI-V111 formirt und dann ver-
lEehrt eingeheftet zu haben. Aber das sind Einzelheiten: im Ganzen bilden
die Bücher I-V111 ein Ganzcs, das mit Verstandniss in deutlich erkennbare
Theile gegliedert ist.
(B U c h IX u n d B u c h X). Buch I X enthält Gedichte auf Lebende und
auf Todte, an IKönige , Bischöfe , niedere Geistliche und weltliche Grosse.
Die Gedichte dcs X. Buches betreffen Lebende und Todte, und sind gerichtet
Abhdlgn. d K. Goa. d. Wiss. zn G6tthgon. Phi].-hist. hl. X. F. Band 4,s. 4
an Nänner und Frauen, an Könige, Bischöfe und hohe Ecamtc. I s t also Buch
I-VIII ein i\Ialrrokosmus, so sind Bnch I X und Buch X , jedes flir sich, cin
Milcrokosmus ganz des gleichen Inhaltes wic Bncli I-VIII. Das 11. Buch linci
die sicher an dessen Schluss gchörigcn no 10-31 des Anliariges sind alle an
Radegunde oder Agnes gerichtet; sie scheinen also zunächst eine Bcigabc zu
Buch IX oder Bnch X gewesen zu sein, da in diesen Büchern kein Gedicht an
Radcgundc vorliommt I).
Drei gleicliartigc Nassen liegen also in den 11 Büchern vor uns. Wie ist
diese seltsamc Thatsache zu erlilarcn 2 Einfach durch folgende Bcobaclitung :
die 3 Massen umfassen drei v e r s c l i i e d c n c Z c i t r i i u m e . Die e r s t e
Masse, die Bücher I-VIII, umfasst Gcdichte bis ins Jalir 576, also aus den
Jahren 56S/G, wo Fortunat durch Sigbert's uni1 Charibert's Land ritt, und aus
den Jaliren 567-576, in welchen cr in Poiticrs zuerst unter Cliaribert's, dann
unter Sigbcrt's Herrschaft lcbte: da die lClenge dieser Gedichte gross war, so
scliied sie Fortunat fiir die Ausgabe nacli den oben bezeichneten Riibriltcn in
8 Bücher. Die ;iw e i t c JIasse, Buch I X , iimfasst Gediclitc aus dcn Jalircn
677-584, in welchcn Poitiers unter der Herrschaft des Chilperich von Nciistricn
stand. Die d r i t t e Nasse, Buch X, umfasst Gedichte aus der Zeit, in wcl-
cher Poiticrs wieder zu Austrasicn gehörte, also seit 585 odcr 587; das lctzte
sicherc Datum ist 591. Dazu gesellt ist eine grossc Sammlung von Gcdichtcn
a n Radcgunde und Agnes, Buch X I und Appendix 10-31.
Sicher ist also, dass der Unterschied der 3 BIasscn in der verschiedenen
Zeit besteht, in welcher die Gedichte der 3 Massen entstanden sind. Nun bc-
stehen zwei llögliclikeiten: entwedcr hat Fortunat im Jahre 591 oder spatcr
dic ganze Masse dcr Gedichte' vor sich gehabt, hat sie dann zuniichst nach jenen
Zeitperioden in 3 Nassen geschieden lind dann dic besonders grossc crstc Jlasse
noch sachlich in Bücher gegliedert, odcr Fortunat hat bald nacli 576 dic crste
JYIasse, bald nach 584 die zweite Masse und in oder nach 591 die dritte Masse
herausgegeben. I s t das letztcre dcr F a l l , dann können wir auch dic Bezcich-
niing 1. 2. 3. Sammliing gebrauchen odcr von einer Hauptsammlung und von
zwei Nachtragsammlungen sprechen.
Wie bemerkt, kann die Vorrede nicht mindestens 25 Jahre nach Fortiinats
erster Reisc geschrieben sein. Ferner würe es iinnatiirlich, dass Fortunat von
567 ab Heiligenleben, um 574 die Vita Martini Iieraiisgcgcbcn, dass abcr bis
591 wcder Fortunat noch seine Freunde daran gedacht hüttcn, dic völlig ver-
steckten Gelcgenheitsgcdiclitc hcrauszngcben , obwohl doch dicsc Iinuptsüclilich
seinen Ruhm begründeten. Entscheidend ist die folgende Tliatsachc : wenn For-
tunat erst 591 die drei JIassen nacli den Zeitriiurricn schied, wic ligtte er dann
Gedichte, welche frülier gcscllrieben waren, in einen spiitcrn Zcitrauni scliicbcn

1) Sclion in Tcuffcl-Schwabe, Gcscliiclitc dcr riimisclicn Littcratur, 5. A ~ f l$. 491, 7 ist ljc-
mcrlct 'hlit 13iicli 8 scheint die Sammlung ursprünglicli abgcsclilossen gcwcScnj Ij~lcl~ SI)$-
tcrer Nachtrag zu sein'.
aiirfen ? Wie obcn (S. 10) bemerkt muss das Gedicht IS E) an Sidonius
sclion in den Jalircn 5G516 geschrieben scin, und doch stclit CS in der zweiten
IIasse (von 577-584). Das ist nur begrciflicli, wenn die ISassen zu verschie-
dencii Zeiten hcrausgegcbcn sind. Bci I-Teransgabe der crstcn Sammlung war
dem Fortnnat das Gedicht niclit zur Hand; später, vor 584, lram es in seine
Hand und er setzte cs nun in die 2. Sammlung.
Ich werde spiiter beweisen, dass überhaupt BiiEIi X lind samt den einst
dazu gehörigen Gedichten des Anhangcs (Appcndix no 10-31) nicllt von For-
tuna+, sondern erst nach scinem Tode von seincn prcunden ~11sseinem Nach-
l a s s ~ziisammengcstellt und herausgegeben sind. So begreift sich die Eillfiigung
der beidcn tlieologischcn Abhandlungen X 1 und X I I, so die TJnordnung im
Buch X (dcnn in Bucli I X herrscht noch Ordnung: zuerst IKönige, dann Geist-
liclic no 6-14, dann \3~cltlichcs no 15 und 1G) ; SO ciiillicli wird man die in-
timen Billcts in Bncli X I und im Anhang richtiger benrtheilen; insbesondere
begreift sich so aucli dic A r t , mic die Gedichte an Itadegunde und Agnes ver-
tlicilt sind. Jetzt steht ein kleiner Theil im 8. Buclie, cine Menge derselben
fiillt Buch X I und dazu gehören Appendix no 10-31. TJnter der letzten ~ I ~ S S C
steht z. B. X I 25, das vor 572, und App. no 22, das vor 576 geschrieben scin
muss. Diese vcrschiedcnen Sainmlungen von Gcdiclitcn an Radegunde und Agnes
sind also niclit nach dcr Zeit gcscliiedcn, aber sic sind doch zu ~rerscliiedcnen
Zeiten herausgegeben. Bei Herausgabe der ersten Sammlung 576 wollte
Fortiinat natiirlich Radegunde und Agnes niclit fehlen lassen; aber sein Ver-
hältniss zii dcn zwei Damen war ein so eigenartiges , dass e r , aus eigenem
wollen oder von Radcgiinde dazu bestimmt, fiir dicsc erste Sammlung nur we-
nigc Gedichte auslas (Buch VIII), die grosse BIenge der übrigen auf giinstigere
Zeit zuriicklegte. Diese günstige Zeit war bei der Ausgabe der zweiten Snmm-
lung (Buch IX) um 585 noch niclit gekommen. Aufgehoben liatte er sich, schon
der Erinnerung halber, jene Billets a n seine Freundinnen; nach seinem Tode
fanden sie die Freunde und, während sie aus clen iibrigen noch iinedirten Ge-
diclitcn das 10. Buch bildeten, stellten sie diese in cin umfangreiches ll. Buch
zusammcn (Bucli X I + Appendix no 10-31). E s ist also begreiflich, wenn
friiher entstandene Gedichte in den spüter veiöffentliclitcn Sammlungen vor-
kommen; in Bucli IX und X scheint das allerdings nur sehr selten der Fall zu
scin ; aber von den Radcgunde-Gedichten in Buch X I uiici in der Appendix wird
die iiberwiegcnde Masse vor 584, ja schon vor 576 entstanden scin.
Wichtiger ist die umgckclirtc Folgerung : wenn die 3 Sammlungen in ver-
schiedenen Zeiten herausgegeben sind, so liann in ilcn Biicliern I-V111 kein
Gedicht stehen, welches erst nach b7G verfasst ist, und in Bucli I X keines,
welches nach 58-2 verfasst ist. Bci der Untersuchung dieses Satzes ist scharf
zu bcaclitcn der Zustand der handscliriftliehcn Uebcrlieferung. Viele und alte
H:indschriftcn geben den Bcstand der 11 Biiclicr , wie sie Leo gedruckt hat :
aber offenbar ist dcr XTortlaut an vielen Stcllcn gefälscht. I n dcr P,zriser
Handschrift 13048 (E) steht cine l)l,znlosc, fliiclitig gemachte Auslese von Ge-
4"
28 J\'ILIIELJI BIEYER,

dichten des Fortunat : diese bietet niclit nur an vielen Stellcn einen besscrn und
reichhaltigcrn Text, sondern sie bietet aucli eine Aiizalil Gedichte, wclche in den
11 Büchern fehlen, welche aber unzweifelhaft echt sind und cinst mitten in
jenen Biichern gestanden haben niiissen. Lco hat daraus mit aller Siclierheit
gefolgert, dass alle jene jetzt erhaltenen Handschriften dcr 11 Biicl~erauf eine
Nutter - Handschrift zurückgehen , dass aber schon diese X u t t e r l a n d in
einem bösen Zustand sich befand; es war niclit nur der TVortlaut an vielen
Stellen gefälsclit, sondern CS waren auch zahlreiclic Gcdichte aus der Vorlage
iiberhaupt niclit heriibcrgcsclirieben worden. Abgesehen von den Fällen, wo die
oben genaiinte Pariser Handschrift uns Iiilft, leidet das Verstandniss des
Dichters scliwer unter diesem Unlieil. W o aber solches Unheil angerichtet
worden ist, müssen wir auch nocli auf anderes gefasst sein.
Von dem Gedichtc I1 15 cle s a n c t o H i l a r i o hat Leo behauptet, dass es
iibcrhaupt nicllt von Fortunat gesclirieben sei, und ich werde später nocli weitere
Griinde dafiir bringen. I n dcr Sammlung der 11 ßüchcr scheinen also sogar
fremde Gedichte fälschlich zugesetzt zu sein.
Es wird also nichts Unbegreifliches sein, wenn cin Gedicht fälsclilich von
einem Bilche weg an ein anderes geschoben ist. Das Gedicht V11 25 a d
G a l a C t o r i U m C o m i t e m erwälint Bordeaux, den König Guntram und den
Bischof Gundegisil. Bordeaux fiel nach Cliariberts Tod, wo111 Anfanjs 5G8, a n
Chilpcrich von Neustrien, der es kurz darauf der Gclcsuintha als 3Iorgengabe
verlieh, nach cleren Tod aber an Brnnhilde abtreten musste; so gehörte es bis
575 zu Anstrasien; dann fiel es an Chilperich; erst nach dessen Tod (534) kam
es unter die Herrschaft Guntrams, der es bis zu seinem Tode 593 behielt.
Darnach muss dies Gediclit nach 584 geschrieben sein. Anderseits schreibt
Gregor (VIII 22) zum J a h r 585 'rex (Guntram) data praeceptione iussit Gundc-
gisilum Sanctonicum comitcm cognomento Dodonem episcopilm (in Bordcnztx)
ordinari; gestumque est ita'. Bis iiber 590 hinaus war dann Gundegisil Bischof
von Bordeaux; auch hiernach muss dies Gedicht nach 584 geschrieben sein.
Also steht hier in der nach meiner Behauptung etwa 576 herausgegebenen I.
Sammlung ein Gedicht, das niclit vor 585 verfasst sein kann.
Allein schon die Stellung des Gedichtes V11 25 gibt einen Fingerzeig: es
ist das letzte des Buches. Das Gedicht muss in der viclfach verderbten Hand-
schrift, auf welche die Handschriften der 11 Biieher zuriickgelien , von einer
andern Stelle weggenommen und hier an dem Ende des 7. Buclies angeflielit
worden sein. Zunächst möclite auch auf die vorangehenden Gedichte no 23 und
24 hinzuweisen sein. NO 24 entliält 7 hübsclie Inschriften auf Prunkschüsseln,
zu je 4 Zeilen. Sie passen eigentlich in licincs der Biicher I-VIII, da sie nicht
an bestimmte Personen gerichtet sind ; immerhin passen die meisten dieser Sinn-
sprüche nur für weltliche Gäste und so passt no 24 noch am eliesten in Buch
V1 und VII. Bedenlrliclier ist no 23 a d P a t e r n u m ; dies ist doch offenbar
ein Geistlicher. Vielleicht ist es derselbe, an welchen gerichtet ist I11 25 a(1
DER GELECESREITSDICIITER FORTUSAT (UERAUSGAI~E
DER SCIIRIFTEN). 29
P a t e r n u m a b b a t c m (V. 1 vencrande sacerdos) d e c o d i c e c m e n d a t o l ) ;
doch es gab damals Viele dieses Namens. Aber dies ist sicher: ein Gedicht an
ciiien Geistlichen ist Cs, lind ein solches darf in Buch V1 und V11 nicht stehen,
sondern innerhalb der 1. Sammlung niir in der 2. Hälfte des 111. Buclies oder
höchstens im Schluss~des V. Dagcgcn können sowohl no 23 und 24 wie no 25
w&edenlrlich in der 2. oder in der 3. Sammlung (Buch IX oder X) gestanden
haben, wcil in diesen kurzen Sammliingen Gedichte aller A r t gemischt sind.
So werden wir in den Bezirk gefiilirt, wo V11 28 ad Galactorium comitem an
seinem richtigen I'latzc ist.
Vergleichen wir das lctzte Gedicht des X. Buches, no 19 a d G a 1a C t o-
r i u m C o m i t c m. Dies Geciicht wiinscht also demselben Galactorius Glück
dazu, dass er zum Comes von Bordcaux ernannt worden ist, V. 1:
Venisti tandem ad quod dclsebaris, amicc, ante comcs mcrito quanl dntus esset honor.
Dies siclicr nach 584 vcifasste Gedicht befindet sich also in der richtigen Schicht;
das X. Buch enthält fast nur Gcdiclitc dcr Jalire 585-591. Das oben bespro-
clienc Gedicht V11 25 ist noch spiitcr gcschricben als dicses X 1 9 ; denn in dem
Gediclrite V11 26 ist Galactoriiis bereits comes, hier wird er es. Allerdings
wird V11 25 nicht lange nach X 19 gcschricben sein. Denn der dem Glück-
wiinsch eirigefloclitcnc IViinscli auf weitere Beförderung zum dux :
X 19, 7 debet e t ipsc potcns, u t adliuc bcne crescere possis,
praestet u t arma d u c i s, qiii tibi restat apex,
wicderliolt sich nocli in dem Gedichtc V11 25:
22 vive C O m e s, cni sint inra rcgenda d ii c i s 2).
Ich habe also die Ucberzeiigiing, dass das Gedicht V11 25 in den' ältesten
Handschriften der 11 Biichcr am Schlusse des X. Buclies nach X 19 gestanden
liat , dass es aber nachher von demjenigen, welchcr in der Handschrift, aus
welcher alle jetzt erhaltenen Handschriften der 11 Bücher abgesclirieben sind,
so viel andercs Unhcil angerichtet liat, vom Ende des X. Buches an das Ende
des VII. I3uchcs vcrsetzt worclen ist. Iilöglicli ist: dass derselbe liann auch die
bciden Gedichtc V11 23 lind 24 von 2 vcrschieilenen andern Stellen oder beide
aus dem X. Buch a n dasselbe Endc des VII. Buches versetzt liat.
Dicsc Priifung der ~~crschicdenen Indicicn bestätigt also den Satz : Fortunat
11at im Jahre 5'76 oder bald nachher die erste Sammlung seiner vcrmischten
Gediclite in 8 Biichern Iicraiisgegeben, und hat diese 8 Biiclicr mit dem Schrei-
ben an Bischof Grcgor von Tours begleitet. Damals, etwa 10 Jahre nach dem
grossen Ritte diircli Deiitschland und Frankrcicli ging es noch einigermassen,

1) IiIiiss CS nidit licissell dc codicc 'iion cmcndato' 1 Die r e r s c supplico, cedc (verzeihe)
tarnen, si quid mc fortc fcfcllit: narn solct iste nieas crror liaberc nianLis' zeigen, dass Fortiinat
selbst ilini eine Absclirift angefertigt hat (vicllciclit cincs seiner eigenen Gedichtc), dass aber ihm,
den1 lebhaften Geistc, bei dem langweiligen Copircii oft Fcliler iinterlaufcn; iini diese bittet er
iin Voraus um Eiitscliuldigiiiig.
2) Zii vcrglciclien ist dcrsclbc Wunscli für Sigonicl X 16, 12 : qiii modo dat C O m i t i s det
tibi dona d u c i s .
die ~iäufigcWendung der Dichter, ihre Saclien seien eigentlich zu sclilcclit, niit
den ongiinstigen Verhilltnissen jener Reise zu entscIluldigen. Nacli 584 liat
dann Fortunat die Nachtragsammlung (Buch IX) vcrüffentliclit, und nach seinem
!l?odc sind aus seinen hinterlassenen Papieren das 10. Bucli iInd d i ~ s11. Biiclr
mit den dazu geliürigen Gedichten Appendix no 10-31 veröffentliclit worden.

Verschiedene Arten von Gedichten, besonders Redegedichte.


G r O r von Tours ist Uns so werthvoll, weil er voll Eifer Vieles gesam-
melt und frisch niedergeschrieben hat, ohne sich zu liiirnmern um beriillmtc
Jfuster der Geschic~tscllreibcliunst. Fortunat steht als Dichter denn
Gregor als C*eschichtschrciber : aber natiirlicll unCl unmittelbar ist Eortnnat
cbenso wie Gregor. Niilisam ersonnene Vorwürfe oder gar jene juristischcn
Strcitfslle, mit denen die Zöglinge dcr Rhetorenscliulen in den Auditorien sicIi
abplagten und mit deren Bearbeitung dcr abgeschmackte Ennodius , einer d e r
grössten Plirascnmacher aller Zeiten, prunkt und uns langweilt: von all dcm
ist bei Fortunat keine Rcde. Er dichtet nur, wenn eine greifbare TVirlrliclikcit
ihn dazu veranlasst.
Natürlich hat auch er in dcr S C h U 1e gelernt ; vor allem die Sprachc und
die mctrisclie Form. Docli die mctrischcn Formen sinrl bcsclieidcn: 2 Nalc am-
brosianische Strophen I 16 und I1 6, 1 Mal troc2iCische Scptcnnrc 11 2, 1 1Ial
als Kunststück sapphische Strophen IX 7 ; dann in dem Epos iibcr Nartin und
in clem Iiochzcitslied V1 I Hexameter nach altem Brauch und in dcn Carmina
figurata II 4 und 5 und V G aus Noth (war vielleicht auch das Rruclistiiclr V 7
ein carrnen figuratum?): sonst aber immer Distichen, ncbcn dcm Hexameter
die Lieblingsform des spaten Altertliums, der Karolingcrzeit lind des ganzen
Jlittelalters. Aus der Schule stammt auch die F o r m , in welcher Fortunat
in den zwei grossen Todtcnlrlagen, in I V 26 auf die im Icindbett verstorbene
schöne und vornehme junge Frau Vilit2iuta und in V 1 5 auf dic ermordete
Königin Gelesuintha, seine iibcrquellendcn Gedanlcen ordnet : Exordium, Tlicme,
Narratio, Tractatio und Epilogus, wobei jedocli die eingeschobcncn Excursc seine
Erfindung zu sein scheinen ; auch jene Eintheilung der bciden grossen Trostgc-
dichte, V11 12 Trost fiir cinen abgesetzten Statthalter der Provcncc und
IX 2 Trost für König Chilpericli nach dem plötzliclicn Tode der cinzigcn Sölinc,
wo dem cigentliclien Troste cinc lange Rcihc von Beispielen ühnliclicn Ungliiclts
wird, mag auf Schullchrc bcrnhen I); und man kann vicllciclit noch
1) Nach dcm Grundsatze 'maxirniim solatium cst cogitarc id sibi accidissc, quod nntc sc passi
siirit omnes orn1icstlue passuri7 (Scncca, Consolatio nd 1)olybiam) spiclcn dic E x c m 1) 1 a in dcu
Consolationcs stets eine grossc Rollo. Sclioii Cicero liattc iii scillcr Consolatio cinc AIcngc gc-
biiuft: so sagt er selbst (dc Divin. I1 22) Cclarissimorum Ilominilm nostrnc civitatis gruvissimos
oxitus in Consolatioiic colicginiiis7. Ob Fortunat cinc 1,cliro Cin Gcdiclit vor sicll llattc, wcl-
ciics den Satz des Scncca (ad llarciam dc consolatioilc 11 1) bcfo]&tc (scio a praccc1)tis inci1)crc
omnes, qui moiierc aliclucm volunt ct in C m 1 i s dcsilicrc . m 11t a r i Iilinc i~itcrirnlriorcrri
cxpedi t7?
DER GELEGESHEITSDICBT~FOIXUNAT (FORNDER GEDICIITE, IIYlISE'iT, GRADSCIIRIFTES).
31
hie und da ähnliche Icunstgrifle nachweisen: allein das sind keine I(iinsteleiei1,
sondern natiirliclie Hilfsmittel, deren selbst das Genie sich oft bedient, wie
wann Rafael in grossen Bildern die Gestalten nach einfachen geometrisclien Fi-
guren gruppirt.
von der ~ c l i u l l c l ~ rhat
c Fortunat meggeworfcn, was ihm nicht passte, die
heidnische n'lythologic, die allegorischen Figuren, und fast all die rhetorisclicn
~ ~ ~ t l ~ i i n s t c l c er
i e nninlmt
; dafür, was ihn lind seine Ncbenmenscllen
die Trinitlit, die Hciligen nnd leibhaftige nfenschen; die Todtenklagc
nm ~ e l e s n i n t h ahat eine nlengc ltcden; diese hiilt aber nicht die C+allia, Gotllia,
p a t r i a , auch niclit die Fidcs, Pietxs oder lihnliclie beliebte Figiircn: sondern
n h t t e r und Tocliter und Schwester und Amme. Wohl spricht er Ilie ilnd da
von bcriilimten Scliriftstcllcrn dcr Griechen und Römer, doch nicht mcllr als
man CS gclegcntlicli im Gespräche tliun mochte. nlan liat noch lieinen Dicliter
nachweisen liönncn, desscn Scliatz an Wortcn und TATendiingcn Fortunat besoli-
ders 1)cnützt hiittc ; ich kann auch lceincn V o r g n g c r finden, desscn Gedichte
einen iilinliclien Bereich von Stoffen aufzcigten, wie ich aucli lrcinen iinrlc, der
seille Gcdiclibc nach ühnlicbcn Gesiclitspunliten gcordnet liüttc, wie dies For-
tuna+in dcn Büclicrn I-V111 gethan Iiat. Im Ganzen diirfeii wir sagen:
Jj'ortunat schildert nur, was wirklich um ihn ist, und das mit Gedanken, wclclic
den nlenschen seincs Gleichen nahe liegen.
Die Form eines Gediclltes liängt wcscntlicli von dcsscn B C s t i m m i i n g ab.
Rein lyrische Gediclitc 7 unmittelbare Ausbriiclie des Gcfiilils , finden sich nicht
Fortiinat. Ursprung und Zwccli der ~<rcnzcsgcdichteI1 1 2 4-G ist 1;lar;
dabei ist wolil zu hcacbtcn (las fiir die Gcscliichte dcr Hyinnendichtiing wichtige
Zugeständniss, welches wenige Jahre vorlicr die Synode in Tours den modernen
Dichtern gemacht hattc. Denn während viclc Eifcrcr niclit einmal dic Hymnen
des Ambrosius oder des Hilariiis in der Rirchc dulden wolltcii, gcstatteten dic
im Novembcr FG7 in Tonrs vcrsammeltcn Bischöfc (n'lansi I S S. 803 no 23):
Licct hymnos Ambrosianos habccimus in ctinonc, tamen qnoniam rcliquGrum siint
;iliqui, qui cligni sunt fGrma cantari , volumus libentcr amplecti 60s practerea,
qiloriim auctoriim nomina fucrint in limine l~rncnotata: quoniam qiiac fide con-
stiterint , diccndi ratiGnc non obstant. Das gab Kinncrn wie Fortunat freie
Balin. Der Name 'hymnus' bei I G I (I1 2) I1 G bedeutet übrigcns wolil nur,
dass das Gedicht mit nI~isikbcglcitung singend vorgetragen wurde ; dcsswegen
sclieint auch für dic Gcdiclitc I1 2 und G, sowic fiir I 1 6 die rythmisclic, glciclie
Silbcnzalil dcr Zeilen crgebcndc Form gew%hlt zu sein. Abcr w21ircnd jene
1,cidcn Gediclitc scliwnngvoll gcscliricbcn sind und offenbar zum Vortrag beim
Gottesdienst bestimmt waren, ist I 1G in der G e s c h ä f t ~ ~ ~ r n cgebildeter
he Geist-
lichen gcscliricben und konntc es nie in der I<irchc gesungen werden; freilich
Iiiilt dicsc Erziihliing sich auch cbenso fcrn vom burleslccn Tone wie von der
Spraclic des ge~vGinliclicnVolkcs. Jcne so viclgcstaltigen und so oft getadelten
Vortriigc der mimi an den Tafeln der wcltliclien Herrcn sollten hier ein Ge-
genstiicli erlialtcn, das an der Tafel gcistlichcr Hcrrcii gesuiigcn mardc dem ,
V. 77 'renite, civcs, plaudite e t vota votis additel niclit widerspricht.
Der Versuch war lrühn; daher wird angstlich jeder keclre TJTitz iind jede schcrz-
hafte ~ u s m a l u n gvermieden, trot.zdern der Stoff dazu reichlich Gelegenheit bot
Fortunat dazu Talent hatte, und CS wird im Gegentheil viel gepredigt und
moralisirt.
Einfach liegt die Sache bei den 30 G r a b s c h r i f t C n (IV 1bis 25, - I V 26
ist keine Grabschrift - I V 27 und 28; dann I X 4 und 5 ; Appendix 8); ob sie
nun wirlrlich in Stein gemeisselt wurden oder nicht, ihre Formwar die gleiche.
Le Blant hat gemeint, alle Epitaphien des Fortunat seicn dem Grabstein
gemcisselt odcr gemalt worden (V@. I V 28, 1 scribere . . hic pro pictnra); aber
in keinem dieser Epitaphien ist vom lector odcr Iegcrc die Rede, was docli
sonst oft geschieht, und bedenklich ist, dass von den von LC BIant aufgenom-
menen 20 Epitaphien noch kein Fragment sich wieder gefunden h a t ; ja im Ge-
gentheil auf dem Grabe des in I V 7 besungenen Chalactcrius hat sich cine an-
dere Inschrift gefunden ( r ~ eBlant I 304 no 211), und ebenso muss doch die i n
Sens wirklich gefundene Inschrift (Le Blant I 313 no 216), wo es hcisst 'Theii-
Childis Corpus nunc hoc in antro clauditur', das Epitaphium des Fortunat I V 25,
wo es auch heisst 'hic . . T'heodichilde iacet', in Verdacht Vieler Bc-
gräbnis~ sollte 'ciim hmentatione et laiidibus Iionorari'; diese laiides waren
in der Regel prosaische Grabreden; wenn man aber cine poetische laus am
Grabe vortragen konnte, that man es gewiss gern. Dazu passt Form und In-
halt vieler Epitaphien des Fortunat trefflich, und wir miissen uns fast bei jedem
die Frage offen hssen, ob es eine Inschrift oder ein poetischer Grabspruch
sein sollte.
\Veitans die meisten Gedichte des Fortunat sind B r i e f e. Bei Horaz sind
Briefe nur Gebäude dichterischer Gedanken, welche dann an Jemand
adressirt werden: Fortunat schreibt nur ~virlrlichcBriefe; deren Form ist also
die belrannte: der Adressat wird mit 'Du' '(selten mit 'Ihr1) die
Wörter Pagina, carta, mandare, salutare, commendare, auch versus carmina und
ähnliche kennzeichnen sofort die meisten Briefgedichtc. Einzelne Ausnahmen
sind naturgemäss : in den kleinen Billets an Radegiinde fehlt sehr oft der Gruss ;
in Billets, welche ihm gebrachte Geschcnlie preisen, spricht er die SehenIrer
nicht an (XI 10. 22"); ja einmal (XI 11)' als Xadegunde und Agnes sein Zim-
mer schön mit Blumen haben schmücken lassen, hält e r Zwiegespräch mit sich
selbst, dem 'felix conviva'. und bredenlct nur in der dritten Person jener, deren
freundichcn Sinnen und Händen e r den Schmuck verdanlrt. Doch das sind feinc
dichterische Wendungen, welche das Wesen der Briefform nicht verletzen.
(R e d e - G c d i C h t C). Ich möchte hier hauptsiichlich eine andere A r t von
Gedichten besprechen, deren Zahl gross ist I). I n diesen fclllen die I<cnnzeichen
1) Wie wenig z. B. Augustin Thicrry, welcher dcn Portiinat gcringscliiitzig bcurtlieilt, ilin
studirt und wie wenig cr ihn verstanden hat, erhellt schon daraus, dass er alle Gcdiclitc des For-
tunat für Bricfc ansieht und sogar die panegyrischen Redcn an die Fiirsten bricflicli iibcrscndct
werden lasst; vgl. die Rdcits des Tcmps NErovingiens z. B. 11 S. 2.12 275.
DER GELEOENEIEITSDICHTEIl . FORTUKBT (REDEGCIIICHTE). 33
der Briefe ; hier wird nicht gesprochen von pagina, carta, scribere, mandare, salu-
tare, wohl aber von sermo, vox, loqui, silentium, tacere; oft werden Personen
angesprochen; die meisten Gedichte bewegen sich im Präsens und gebrauchen oft
niinc oder Formen von hic. Briefe sind es nicht, sondern eine A r t Reden, so
dass ich sie R c d e g e d i C 11 t e nenne. DIanche geben sich offen als Reden, wie
die Lobrede an Cllilperich IX 1 und die an Cliaribert V1 2. Aber wieder bei
alldern sticht man vergeblich nach der Scerierie: wenn z. B. ein Landhaus an der
Garonne oder an der nlosel eingehend beschrieben iincl der Besitzer clarin in der
3. Pcrson genannt wird, so fragt man, an wen das Gedicht gerichtet ist. Jene
Gedichte, welche ich oben Bischofslob genannt habe, welclie dem Fortunat vielen
Tadel eingebracht haben, sind immer a n den gelobten Bischof gericlitet, allein
Briefe sind es nicht; vorgelesen wurden sie auch nicht, denn nie ist darin von
carmina nostra oder versus iisw. die Rede, sondern nur von vox sermo und loqui;
es miissen wirl~liclie Reden sein: aber w o und w a n n wurden sie gehalten?
I<ijnilcn wir iins dies lebendig vorstellen, nur dann können wir den Werth oder
Unwerth dieser Lobgedichte richtig würdigen. Dasselbe ist in anderer A r t bei
einer JIenge von Gedichten nothwendig.
I n der Icaiserzeit hatte allmählich aus den früheren massenhaften Recitationen
das Unwesen der A u d i t o r i a sich entwickelt ; in jenen mit Schulen verbundenen
Sälen konnten Scliöngeister ihre neusten Produlite vorlesen. F ü r solche dictiones
Tvaren die in geistreichen Wortspielen ui d Antithesen sich bewegenden Streit-
reden, iiberhaupt alles Redeartige am meisten geeignet. So mag es gelrommen
sein, dass auch in Fortunats Zeit der Geschmack noch Redegedichte besonders
liebte und dass die Lebenscinriclitungen dazu vielfach Anlass und zri ihrem
Vortrag Raum boten. Aber die Aiiditoria selbst waren gliiclilicher Weise in
Forttinats Zeiten und Aiifenthaltsorten samt den I~hetorenschulenverschwunden,
wenn auch in Ravenna vielleicht erst seit Kurzem. So blieb fiir literarische
Unterhaltung und fiir den Vortrag eigener oder fremder Gedichte die uralte
und natiirliche Gelegenheit, welche ja auch bei den Römern stets benützt worden
war, die M a h l z e i t , besonders deren Schliiss, der Nachtisch. Sidonius (I 2)
schildert, wie der TVestgothenkönig Theodorich beim Frühstiick, convivium, nur
iiber ernste Dinge sprach, dann nach einem kurzen nlittagsschlaf dem Spieltisch
sich widmete, wie aber nach Erledigung der Regieriingssorgen die Abendmahlzeit,
die Cena, mit mimici sales erheitert wurde, wobei die vielfachen musikalischen
Auffiihruiigen, welche Andere sich gestatteten, durch einfaches Saitenspiel ersetzt
wurden; von diesem Vergniigen ging es in das Bett. Ich will nicht von dem
Treibeil in dem Methhaus des Beowulf sprechen, sondern nur eine Scene aus Kar1
des Grossen Dichter-Tafelrunde vorführen, welche Theodulf malt in dem Gedichte
ad Caroliim regem (Poetae aevi Xarolini I 488, vom Jahre 796). Der abwesende
Dichter malt aus, wie es seinem Gedicht an1 Hof ergehen wird; 'mensis dapibus-
yue remotis Per@ laetitia plebs comitante foras'; aber 'Hacque intus remanente
(bei Regen usw.) sonet Theodulfica Musa, Quae foveat reges, mulceat e t
proccres. Audiat hanc forsan membrosus Wibodus lieros, Conciitiat crassum
Abdlilgn. d. R. Gas. d. Wiss. zu Göttingen. P2iil.-hiet. Kl. N. F. Baud 4, s. 5
34 WILHELX NEYER,

.
terque quaterque caput. Haec ita dum fiunt, dum carmina nostra legnntur, Stet
.
Scotellus (eil2 Fcif2d des Theodt~7f3ibi. Nunc ad lectorem nnnc se convertat ad
omnes Adstantes proccres. . E t reprchendcndi studio ferus aestiict liostis. . Rex
sua fulcra petat, habeat sua mansio quemque; Rex bene laetus eat, plebs bene
laeta mect'; also auch hier geht es von diesem literarischen Genuss in das Bett.
Fiir die Zeit und Gegend des Fortunat war also der Hauptort, an welcliem
Gedichte vorgetragen wurden, die A b e n d m ali 1z e i t. Dic Könige und Vor-
nehmen hatten durch ihre Hof- oder Hausgenossen ziemlich viele Tafelgenosscn.
Piir die Geistlichkeit miissen wir bedenken, dass gemeinsames Leben ihnen stets
eingeschärft wurde. Die Domherren speisten mit den Bischöfen zusammen, clie
B i s C h o f s h ä u s e r waren fiir Reisende wie Fortunat die regelmässigeri Her-
bergen. Von Äbten, deren Rlostertafcln später einen hohen Rnlim geniesscn, ist
fast nie die Recle. So mag auch das seltsame ~lissverhiiltniss des Standes dcr
geistlicl-~enAdressaten in den Kichern 1-111, V, I X und X sich crlillircn: f;ist
Alle, dic auftreten, sind Bischöfe. Nicht klar ist I1 9, wo der ganze Clcrus
der pariscr Kirche angesprochen wird; nur in I11 24 scheint ein dem Bischofs-
lob älinliclier Fall vorzuliegen; denn mit dem allgemeinen Lob der Persoii ver-
binden sich die deutlichen Hinweise auf Gnstfrcundscliaft: V. 7 qneincunque no-
vum videas facis esse propinquum, V. 16-18 cui Se coniungit qiiisqilis in urbe
venit; Proflnus humane friigcm vnnientibus offers E t tna fit populis omnibus uiin
domus. Anfion hattc also wolil öfter seinen Gönner, dcn Riscliof Leontius, als
Herbergsvater zu ersetzen. Die F,ra u e n der Bischöfe sollten nach deren
Amtsantritt möglichst getrennt von denselben Icben; so mag sich erliliircn, dass
in dem Lobspruch auf das bischöfliche Ehepaar I 1 5 der Nann rnit 'du' angeredet,
dagegen die Frau nur mit 'sie' erwähnt wird, weil sie eben nicht anwesend war,
dass dagegen der Lobspruch auf das hcrzogliclie Ehepaar, V11 5 und 6, die
Frau so gut wie den Mann mit 'du' anspriclit, weil sic eben Bcide an der Haus-
tafel Sassen.
( T o a s t C.) Ich glaube, dass von den Redcgedichten des Fortunat weitaus
die meisten dazu bestimmt waren, bei oder nach der Tafel vorgctragcn aii werden.
Wiiren die Ucbcrschriftcn in den Handschriften (ai~sscrin 2) niclit so oft ver-
stümmelt, so wiirden wohl mehr schriftliclie Beweise in den von Fortunat selbst
gemachten Ucberschriften vorliegen; doch auch jetzt felilcn sie niclit ganz. Die
36 Verse nmfassende Begrüssung der Gäste des Gregor von Tours X 11 ist in
der Ueberschrift benannt 'Versus facti in mensa' ; der liurzc, aber Iirliftige Gliiclr-
wi~nschfiir den neuen Bischof Gregor V 4 ist nach der Ueberschrift 'in inensa
dictum'. Die lrleinen Spriiche I11 13 a, b, C, d sind natiirlich an der Tafcl des
Vilicus entstanden und vorgetragcn. Das kurze Gedicht X 14 lrann niclit ein
Lobspruch auf Plato, den neuen Bischof von Poitiers, sein, sondern nur ein Toast
auf dessen bisherigen Herrn, den Freund Fortunat's, den in Poitiers wo111 bc-
kannten Gregor von Tonrs, welcher vielleicht das betreffende Fcstmahl gespendet
.
hatte, 'qui modo . sollemncm ecclcsiac hic clcdit csse (licm'. Ein tlcutlicIicr
Tafelspruch ist auch X 18 de prandio defensoris, der beginnt
DER OELEQEKHEITSDICIITER FORTUXAT (TO-ISTE,
FESTGEDICIITE 1 1 U. 2, 111 6 U. 7). 36
'Pacchale bic hodie donum memorabile floret : defensor pascit, quo comes ipse favet',
der dann den König Childebert erwähnt, den comes Sigoald anspricht und
~~atriotisch schliesst :
sit regio felix felicis regis amore, atque boni comitis crescat Iioiiore fides.
Dies sind sichere T a f e l s p r ü c h e ; darunter einer von 36 Zeilen. Diese
dienten zuniichst dem Zweck des Essens; solc21e Toaste sind natiislich unter
Fortunats Gedichten nicht besonders vicle zu erwarten: aber iinmerliin machen
diese Gediclite den Weg oflen. Wo diese Gedichte vorgetragen wurden, da
Ironnten auch zu andcrn Zwecken Gedichte vorgetragen werden, sei es um dem
Hausherrn zu danken, sei es um die Versammelten zu unterhalten.
Die Tafel der Bischiife lind der Iiohen weltlichen Wiirdenträger, sei es die
grosse Tafel im Bischofshaus oder im Palaste in der Stadt und Residenz, sei cs
die lilcine Tafel in Landhsusern, ist die Biihne gewesen, auf welcher die meisten
Redegcdichte des Fortunat vorgetragen wurden, für melclie sie aber natiirlich
auch sclioii beim Entwerfen und Niederschreiben hergericlitet wurden. Bei einem
Briefe Irönnen wir uns begnügen, nach seiner Veranlassung zu fragen, bei solchen
ncdegedicliten miisscn wir weiter fragen: sollten sie vorgetragen werden und wo
iInd von wem? Natiirlich lcönnen wir nur auf diesem Wege dazu gelangen,
solche Gedichte allseitig zu verstehen und richtig ihren Biinstlerischen Werth
abziischiitzen. Um zu zeigen, wie solche Theorien bei Fortunat praktisch
~iutzbarsind, will ich einige Gediclite eingehender besprechen.

P a a r e v o n F e s t g e d i c h t en. Die beiden ältesten, noch in Ravenna


Gedichte des Fortunat I 1 und I 2 behandeln denselben Gegenstand:
eine von Vitalis, dem Bischof von Ravenna, erbaute Kirche des h. Andreas wird
eingeweiht. I11 6 und 1117, welche Gedichte nocli vor dem Jahre 568 in Nantes
abgefasst wurden, behandeln ebenfalls denselben Gegenstand : die von Bischof
Felix mit vieljälirigem Eifer erbaute Kirche wird in Gegenwart von 5 Bischöfen
eingeweiht. Was soll es, dass der Gegenstand auf 2 Gediclite vertheilt ist?
Betrachten wir zuerst das an den Bischof gerichtete Gedicht jedes Paares.
I 1 (28 Zeilen) ad Vitalem episcopiim Ravenncnsem: Du, Vitalis, bist zu preisen,
dass ctti die schöne Kirche vollendet hast, welche die Frömmigkeit des Volkes
fördern wird; schön ist es auch, dass zu deinem Fest die Spitzen des Nilitärs
und der Beamten und viel Volks erschienen ist; dazu der Scliluss
plurima divino celebres sollemnia dono atque dei florens templa locando colas.
Das 54 Vcrse umfassende Gedicht I11 6 ad Felicem episcopum de dedicatione
ecclesiae suae (d. h. seiner Bischofskirche, seiner Icathedrale) : hochansehnliche
Bischöfe sind zur Kirchweih des Felix erschienen; so ist endlich das Ziel da,
fiir wclches Felix so lange gearbeitet hat; (44-54) freue dich, Felix, lange hast
du gerungen: iiiinc domini laudes inter tua classica canta . .
ndde medullata in templis holocausta saccrdos, quo diuturna mices hostia pura deo.
Diese beiden an die Bischöfe gerichteten Gedichte sind sich sehr ähnlich;
5*
36 IVILIIELJI U E Y E R ,

das erste spricht stets den Bischof mit 'du' a n ; im letztern werden zuerst die
Bischofsgäste gefeiert, dann Fclix selbst mit 'dil' angesproclien.
Das 2. Gedicht des crsten Paares, I 2 (28 Verse wie im Partner 1 1 ) : Jeder
'findct Hilfe in diesem Tempel, welchen Bischof Vitnlis erbaut hat und einweiht;
denn er hat hier die Reliquien vieler Heiligen geborgen; Schluss :
haec . . condidit egregio viscera sancta loco.
0 nimium felix, aeternum in liimen iture, cuius vitn suo proficit ista deo.
Es findet sich hier ecce und viele Formen von hic (hacc limina templi, hac
in aul:~etc); der Bischof wird in der 3. Person erwähnt; denn 'iture' in Tl. 27
ist, wcnn ich so sagen darf, ein Vocativ der 3. Person, wie das folgende 'sno
deo' beweist.
Das 2. Gedicht des zweiten Paares, I11 7 (68 Verse): Petrns lind Paulus,
die Leuchten der Erde, hausen jetzt auch in Gallien; denn Felix hat ihnen das
herrliclic Haus erbaut, dessen rechtes Seitenschiff dem Hilarius und Martinus
geweiht ist, wr'ihrcnd Fcrreolus im linlcen haust. Schluss :
obtulit hacc Felix, u t sit magis ipse sacerdos,
Christc, tuum templiim, qui tibi templa dedit.
Die eingehende Schilderung des Gebäudes bewegt sich clurchaus im Präsens.
Formen von hic zeigen, dass das Beschriebene vor Augen steht; der Bischof
wird nur in der 3. Person erwähnt.
Offenbar also behandeln die beiden Gedichtpaare denselben Stoff genau in
derselben Weise und in derselben Theilung. Nicht gebraucht wcrden die Wörter
pagina, scribere, inandare, saliitare, nicht einmal versus oder carmina. Die 4 Ge-
dichte sind Reden ; aber an wen sind sie &richtet und wo sind sie gehalten T
I 1 lind I11 6 sind unzweifelhaft an den Bischof selbst gerichtet; er ist in diesen
Gedichten die Hauptsache. Dagegen die beiden Gedichte I 2 und I11 7 sind
nicht an den Bischof selbst gerichtet, er ist vielmehr dnrin eine Nebcnsachc;
die Hauptsache ist hier die Kirche selbst, nncl da diese mit 'hic' oder 'ccce' ge-
schildert wird, so miissen diese Gedichte in der Kirche selbst vorgetr:igcn sein.
Nan bcderilre, dass damals in der Kirche sogar der Gesang von neu gedichteten
Hymnen erlaubt war, wenn nur der Name des Dichters offenkundig war; wie
viel mehr war in einem solchen Ausnahmefall, wie die I<irchweih'ist, der ein-
malige Vortrag eines Festgedichtes i n d C r K i r C h e s e 1b s t gestattet ; die bei-
den Gedichte 1 2 und I11 7 entsprechen diesem Vortragsort durchaus.
Wo aber wnrden die Gedichte 11 und I11 G vorgetragen? Da ihre I'artner
in der Kirche vorgetragen wurden, so ist das fiir diese Gedichte selbst aus-
geschlossen; jn der oben gedruckte Schluss von I11 6 scheint eine Aufi'orderung
zu sein, sich an einen andcrn Ort, in die Kirche, zu begeben. Der Ort, \iro der
Bischof angesprochen und geriihmt wird, wo auch von den Fcstgiistcn gesprochen
wird, muss einer sein, wo alle beim Bischof waren, dort der diix und pracfectus,
hier die 5 Bischofsg2ste. Vielleicht kann Jemand eine passcnderc Gelegenheit zu
diesen Ansprachen bei der Kirchweih nachweisen: ich weiss lteine bessere als die
Bischofstafel, welche in diesen Tagen natiirlich Viele an sicli aiifnalim. Ds passt
auch I11 G , 47 'clericus ecce choris resonat, plebs inde clioraulis': irn Saale zur
Tafel singen Kircliensänger feierliche Lieder, draussen in den Strassen der Stadt
treibt sich das fröhliche Volk und singt seine Lieder; in dieser Festesfreude
sich Fortiinat und feiert den Helden des Tages.

D a s ~ o ~ p c l g e d i c 1h11t 8 u n d 9. Das Gedicht I11 8 (50 Verse) ist


ein richtiger Lobspruch: Was die Sonne fiir den Orient, das bist du, Felix, für
Gallien; du bist von edelstem Geschleclitc, hast als Beamter noch &hern Ruhm
erworben ; jetzt bist du ein noch trefflicliercr Bischof, geziert mit allenVorziigen
solchen ; S c h l u ~:s
sit tibi fixa salus nnmerosos ampla per anilos, perpetuo Fclix nominernente Gde.
Das Gedicht beginnt 'Inliixit festiva dies'; fragt man, welclies Fest begangen
wird, so kann die Antwort nur etwas rersteclit in V. 35-38 liegen. Unter
den Vorziigen des Bischofs wird aucli liervorgelioben sein Eifer fiir die Kirche,
mit der er sozusagen vcrlicirathet sei (35-38) :
Illa tibi prolcm l~cpcrit,sed corpore virgo,
et populum gremio fudit amata tno.
Ecce tuos natos clivina ex coiiiuge sumptos
e t modo t e gaiident quos patris umbra tegit.
Wer sind diese 'nati', ~velclie den Kern des Festes bilden? Das lehrt das
folgende Gedicht. Ich werde, zum 3. Buch, nacliwciscn, dass das grosse und
schwnngrolle Gedicht 111 9 (110 Verse) die Taufe feiert, welche Felix an einer
Sacliseilschaar vollzieht, deren Eelieliiuiig ihm gelungen ist. Das war damals für
einen Bischof eine sehr riihmliclic Saclie.
E s ist nach meiner Uebcrzcugung siclicr, dass die beiden Gedichte III 8
und I11 9 dieselbe Gelegenlicit, die österliche Sacliseiitaufe durch Bischof Felix
besingen. Halten wir nun die beidcn Gedichte gegen einander. 111 8 ist über-
scliricben 'in laude' und ist wirlilich ein Lobspruch lind zwar ein allgemeiner;
das Ereigniss des Tages wird niir nebenbei ei8wiiliiit; der Bischof wird stets mit
'du' angeredet. Der Ort, W O dies f;escliali, wie die Haiidlung des Lobens müssen
weltlicli sein; denn Fortunat sagt selbst V. 1 'nie gaudia cogunt, rrt, quod plebs
potcrat, solus amorc loquar'. Und verrät11 nicht das ' h i c ' in V. 44
tiiquoquc ieiiinis cibiis es, t u panisegeiiti. quae sibi quisque cnpit, liic sua vota videt
geradezu, dass dies im Eiscliofsliaus gcsproclieii wird? An Ostern fanden grosse
Freudenmahle statt. I n diesem Jahre wurde, dem Felix zu Ehren, das Freuden-
.mahl besonders festlicli begangen; bei diesem Mahle erhob sicli Fortunat und trug
das allgemeine Biscliofslob (111 8) vor, worin das Ereigniss des Tages, die
Snchsentaufe, nur kurz beriihrt wurde, dagegen das ganze Wirlien des Bischofs
nllscitig geschildert und dann mit einem G l i i ~ l i ~ u n ~geschlossen
cli wurde, in den
alle Antveseiiden einstimmten. Das Gecliclit I11 9 ist durchaus schwungvoll;
in gewiihltcn Worten wird das Erwaclieii der Natur im Friihling gefeiert; dann
wird nusfiihrlich das Erliisungswerk besungen : darin sind V. 39-46 an den
Festtag, aber V. 47-90 ilirelrt an Christus mit 'du' gerichtet; in V. 91-102
wird von Felix in der 3. Person gesprochen; nur die Verse 103-110 sprechen
Felix in der zweiten Person an und schliessen das Gedicht:
una corona tibi de te tribuatur ab alto, alters de populo verriet adepta tuo.
Es war hier keine Veranlassung mit Formen von 'hic' die Taufkirche z u
bezeichnen; allein es ist kein Zweifel, dass dies Gedicht da gesprochen worden
ist, wo dann 1000 Jahre lang der aus diesem Gedicht geschnittene Hymnus
'Salve festa dies' zu demselben Feste gesungen wurde. Die Taufliandlung bean-
spruchte dies Mal längere Zeit; um so eher konnte dies liingere Festgedicht
vorgetragen werden. Da der Bischof hier in vollem Glanze (vgl. V 5, 125) die
r1
laufhandlung vollzieht, so ist es nicht unpassend, dass arich er zum Schluss in
einigen Versen angesproclien wird.
I n diesen 3 Paaren, I 1 und 2, 111 6 und 7, I11 8 und 9, haben wir also je
ein Gedicht, das in der Kirche vorgetragen wurde, und je cines, das nicht in der
Kirche vorgetragen wurde. Der beste Ort zum Vortrag dieser weltlicheren
Gcdichte I 1, 111 G und 8 scheint mir das Bischofshaus zu sein lind da wieder
die Bischofstafel. Aber schon die Stellung der 3 Lobgcdichte deutet an, dass
sie friiher als die Icirchengedichte gesprochen wurden. Weiter fiihrt der Anfang
von 1II 8 'Inluxit festiva dies' : diese Worten konnten doch nicht bei der auf
die Feier folgenden, gegen Abend fallenden Festtafel gesprochen werden. Sie
passen am besten, wenn sie am BIorgen vor der Xirchenfeier gesprochen wurden;
dazu wiircle auch die Schilderung der Festversammlring ( I 1, 19-24, dann
111 G, 45) sich fiigen. Ob vor dem Zuge (~ompa)in die Kirche im Bischofshause
eine festliche Versammlung, ein feierlicher Empfang, stattgefunden hat 3
Diese Vertheilung des Stoffes in 2 Gedichte iihnelt in BIanchem jener alten,
besonders von Clandian gepflegten Sitte, dem an eine hohe Person gerichteten
Panegyricus einen an die übrige Festversammlung gerichteten und Acusserlicli-
keiten cles Festtags erwähnenden Prolog voranzuschicken. Diese Sittc befolgt .
ja auch Fortunat in zwei Fällen, vor dcm Hochzeitsgedicht V1 1, wo V. 1-22 a n
die versammelten Spitzen des Heeres und der Verwaltung (Mars und Pax) ge-
richtet sind, und vor dem an Chilperich gerichteten I'anegyricus I X 1, wo
V. 1-4 an die liIitglieder der Synode gerichtet sind. I n diesen Prologen ist
allerdings die Oertlichkeit dieselbe wie in dem folgenden Panegyricus, verschieden
sind nur die Personen.
I 15 D e L eo n t i o e p i S C o p o Ebert I 521 sagt 'man lrann bei Fortunat
zwischen eigentlichen oder direkten und indirekten Panegyrici unterscheiden ..
Zu den ersten gehört z. B. das Lobgedicht auf den Bischof von Bordeaux, Le-
ontius (I 15)'. Doch die Scheidung ist hölzern und gleich das erste Bcispiel ist
falsch. Denn die Causa movens ist auch hier mit dem Stichwort 'ccce' ein-
geführt V. 55-58: ecce beata sacrae fundasti templa Nariac,
und zu ihr kehrt der Schlusswunsch V. 109:
angeat haec vobis vitam, cui templa dedistis, ~ulrninibus~ue suis culminavestra tegat.
Das Gedicht ist also Festgedicht zu der Einweihung einer JIarienkirclic, welche
i
1)Eß OELEUENBEITSDICHTER FORTUNAT (FESTGEDICHT 115, BISCHOFSLOB). 39
Leontius in Bordeaux gebaut hatte. Allerdings ist diese Gelegenheit des
Gedichtes ziemlich versteckt, so dass sie den neueren Lesern als solche nicht
in die Augen fiel. Das wäre bei einem so gewandten Dichter auffallend: aber
diese Eigenthümlichkeit wird klar, sobald wir dies Gedicht mit den obigen Ge-
dichten I l und 111G und besoiiders mit 1118 vergleichen. Auch in diesem
Gcdiclit ist die eigentliclie Veranlassung der festiva dies, die Sachsentaufe, ver-
steckt; dazu kommt, dass jenes Gedicht ebenso angelegt i s t : in beiden Ge-
dichten wird zuerst die vornclime Abkunft und die friiherc Thiitigkeit des melk-
liehen Beamten gcriihmt, vielfach mit älinliclien Ausdrücken; dann wird die
jetzige Wirlrsamkeit des Bischofs gepriesen mit den älinlichcn Ucbergängen
I 15, 31 und I11 8, 25 :
c c c l c s i a e n u n C iura r e gi s, vcnerande sacerdos : alters n o b i 1i t a s additur inde tibi.
s e d q u i t c r r c n a d c n o b i l i t a t e n i t e b a s , e c c l c s i a m n u n c spe nobilioreregis.
Das Bischofslob selbst ist in I11 8 vielseitiger: in I 15 bescliriinlrt es sich auf
clie Bauliebe des Lcontius , welclie fast eine Leidenschaft geweseii sein muss.
3Ian bedenke noch, dass so viele der erhaltenen Gediclite des Fortunat sich mit
Leontius beschäftigen, so dass ein allgemeines Lob, wie man es einem Bischof
beim erstcn Jiale spendet, hier einc abgeschmackte T~TiederIloluiigergeben hätte.
Es werde11 also crwalint die T\~icderlierstellungder Ilaupt1;irclie und der Tanf-
ltirche und der jetzige Bau der DIaricnliirclie, dann die Bauten in andern
Stadten z. B. in Saintes (vgl. I 12 oder 13); so habe er liolieii Ruhm erlangt
und zugleich AiissicEit auf den Himmel; des Bischofs Lob schliesst regelrecht
mit dem Gliiclrwiinscli V. 9112:
ecclcsiac columen per tenipora longa gubcrnes et mercede pia fructus iibiqiie mices.
Die V. 1-92 sprechen den Lcontius mit 'Du' an. Jetzt folgt V. 93-10s das
Lob der F r a u des Leontius, der Placidina; gelobt wird ihr Adel, ihre Scliön-
l~cit,ihr Geist; von ihr wird nur in der 3. Person gesproclien. Dann scl11iesst
der oben gedruckte Scgensw~iiiscliari Beidc (V. 109 und 110).
Das Gedicht entspriclit also in der Anlage dcs Biscliofslobes geiiau den1 Ge-
cliclite I11 8 und im Inhalte deii Gedicliten I l , I11 G lind 8. E s muss also
auch in gleicher Ocrtliclikeit und Gelcgenhcit wie jene vorgetrag.cn sein, bei
welcher Gelegenlicit die Bischofsfraii Placidina nicht anwescnci war und wohl
nicht anwesend sein durfte. E s muss aber auch ein zweites Gedicht vorlianden
gewesen sein, in welchem jene Kirclie der Jiaria, von der das erlialtene Gedicht
nur so lrurz spricht, ausfiihrlicli gerühmt und auch Aiaria gepriesen war. Dies
Gedicht felilt jetzt. Das bei Leo S. 371 gedruclrte grosse Gedicht 'in laudem
~ a n c t a eIIariae' passt durchaus nicht in die Lücke. Aber in unser11 Hand-
scllriften der 11 Biiclicr sind ja viele Gedichte, E;rosse und kleine, ausgefallen.

Die an Bischöfe gerichteten Lobsprüche.


Die Gedichte I1 I 15 I11 G und I11 8 , welche icli untersucht habe, ent-
Iinltcn das Lob eines Biscliofs; da aber Lcontius lind Felix von Fortunat oft
angesungen worden sind, so ist es natiirlicli, dass dercn Lobapriiche nicht alle
möglichen Vorzüge herzählen, sondern eine durch die jeweilige Gelcgenlieit bc-
riihrte Spezialtugend aufsuchen. Anders liegt der Fall mit vielen (+edichten,
welche das g e w ö h n l i c h e B i s c h o f s l o b enthalten: IX 9 ; I11 14. 11; Appen-
dix 34; 11113. 20a. 15. 3. Auf seiner Reise 565/6 wohnte Fortunat in Mainz,
Kijln, Trier, Vcrdun, Reims und Tours in den grossen Herbergen der Priester
und der Armen, in den Bischofhäusern. Unzweifelhaft sind jene Lobpediclite
der Dan11 für die erwiesene Gastfreundschaft. Jfit dem betreffenden Bischof
war Bortunat nur kurze Zeit zusammen: also ist das Lob stets ein allgemeines;
ist in dem einen Gedicht eine Eigenschaft sturlrcr geschildert als in den andern,
so darf man das zur Charakteristik des betreffendeii Bischofs benützen. W a r
in der Stadt geradc etwas Besonderes geschehen, so konnte Fortunat damit
sein Gedicht verzieren, wenn es zum Lobe des Bischofs zu wenden war.
Offenbar ist keines dieser Lobgedichte dem Bischof brieflich zugesendet
vord den; da sogar Wendungen wie vcrsus mei carrnina mca U. s. W. vermieden
erden, so erhellt, dass diese Gedichte als Reden genommen sein wollen; also
~vcrdendie Wörter loqui tacere lingua scrrno vox silentium E;ebrauclit; CS wird
immer die Gastfreundschaft und dabei der exul, advena, erwähnt, dcr hier ein
neues Heim finde; das Lob wird endlicli stets mit einem ~liicktv~inscli (langes
Leben und ewige Seligkeit) geschlossen, der &inDistichon einnimmt. Ein Nuster
dieser Form kann 11115 sein. Reden also h&en wir vor uns. Kann Je-
mand dafür eine passendere Gelegenheit nachweisen, so ists besser : ich finde
als gute Gelegenheit die Bischofstafel oder vielmehr, da von dem Tisch und den
daran Sitzenden selbst nicht direkt gesprochen wird, die an die Tafel sich an-
schlicssende lebendige Unterhaltung, welche zu literarischen Gcniissen be-
stimmt war.
Das älteste Bischofslob (vgl. oben die Reiseroute S. 10 fi.) ist: IX 9 a n
Sidonius, Bischof ~7onITainz ; Einleitung: Jlainz, du wirst dich bald vom Un-
gliick erholen; dann Bischofslo„ und darin 'exulibus domus es' und 'Rlieni con-
gruis amnes'; 31/2 Glückwunsch. I11 14 an Bischof Carcntinus in Köln.
Einleitung: Wortspiel Carentinus und care, Colonia und colone; Bischofslob mit
Schilderung der besonders herzlichen Gastfreundschaft und mit Erwiihnung der
Empore in der Kirche; 2718 Glückwunsch. I11 11 an Nicetius von Tricr :
keine Einleitung, Bischofslob mit 'hic habet exul opcm', 23/4 Gliicliwunscli.
A p p e n d i X 34 an filagnericus , den Nachfolger des Nicetius (s. oben S. 11):
keine Einleitung; Bischofslob (darin 'tectum hospcs habet') mit ofterer Erwäli-
nung des Vorgängers; 2314 Glückwunsch, anders als gewöhnlich. I11 13 a n
Vilicus, Bischof von &letz; Einleitung : Beschreibung der scliönen Lage der
.
Stadt (V. 1-16); Bischofslob, worin 'novus hospes . invenit et proprios ad tua
tecta lares' und mit der ai~ffallend persönlichen Wendung 'commissum V i d e o
non suffodisse talentum; 4314 Glückwunsch. 111238 an Agcricus von Verdun;
Einleitung: 'wie die Sonne die Welt erleuchtet, so du die Seelen' ; dann Biscliofslob ;
darin 'sumit pauper opem' und breite Schilderung der fleissigcn Seelsorge; 3112
Glückwunsch. III 15 an Acgidius in Reims ; Einleitung V. 1-G : Entsclluldigung
subtrahor ingenio, compellor amore parat0 l a u d i b u s i n vestris prodere pauca favens.
namque reus videor tantis existere causis, si solus taceam, quidquid ubique sonet.
sed quamvis nequeam digno Sermone fateri, da veniam voto me voluisse loqui.
(Vgl. zu V. 1: XI 16, 15; zu V. 2 : I 15, 93). Dieselbe Entschuldigung kehrt
wieder in 1113, 1-6 und V11 5 , 15-18, und ist sogar in den Brief (pagina
nostra) V11 17, 1-6, hinüber genommen. Im Bischofslob findet sich 'exul . . hic
recipit patriam' ; 37!8 Gliickwunsch, worin 'atque futura (vita) micet lucidiore
die' vgl. mit 1113, 32 'atque futiira dies lucidiora feratl. 111 3 an Eufro-
nius, Bischof in Tours ; Einleitung: Entschuldigung, ähnlich 111 1 5 ; Bischofslob,
darin 'dem advena und exul ..patriam t u reddis amatam' ; 3112 Gliickwunsch.
Nan sieht : entweder war fiir diese laudes eine feste Form iiberliefert oder
Fortunat hat sich eine solche geschaffen.
I1 9 a d C 1 e r u m P a r i s i a C U m. F ü r Paris findet sich kein besonderer
an den Bischof Germanus gerichteter Lobspruch; dagegen ist das Lob des
Bischofs eingeflochten in das grosse Gedicht (72 Verse) I1 9, V. 31-40. Sollte
das so zu erklaren sein?: die Umstände, sei es das Alter des 70jährigen Bischofs
sei es die Grösse der Stadt oder die Nahe des Hofes, brachten es mit sich, dass
Fortunat in Paris nicht mit dem Bischof, sondern mit den Domherrn (V. 1
coetus, 2 patres) zusammen lebte und speiste; so wurde er auch mit Itagne-
modus bekannt (I11 26), den er nocli spiiter (IX 10), naclidem er 576 der Nach-
folger des Germanus geworden war, an die alte Freundschaft erinnerte. Auch
diese Tiscligesellschaft wollte ihr Gedicht haben (I1 9, 1-16), S t a t t des ein-
zclnen Bischofs galt es jetzt das ganze Domkapitel zu loben. Diese neue Auf-
gabe hat Fortunat trefnich gelöst. An der Spitze des Domkapitels steht der
Bischof; geschickt benützt dies Fortunat und flicht in dies Lob der ganzcn
Domgeistlichkeit das allgemeine Lob ihres Führers, des Bischofs, ein. Der
Scliluss V. 7112:
sub ducc Germano felix exercitus hic est, lloyses, tenae manus e t tun castra iuvas,
ist dem gewöhnlichen S C ~ I U S S - G ~ Ü C I ~dadurch
W U ~ S Czu~ nähern, dass 'iuva' auf-
genommen und vielleicht 'hic sit' s t a t t 'hic cst' geündert wird.
111 24 a d v i r u m v e n e r a b i l e m A n f i o n e m p r e s b y t e r u m Das
Haus und die Tafel des Bischofs waren die gewöhnliche Herberge fiir die
Frcmden von Portunats A r t : d e i n die Verhältnisse konnten dann und wann
eine Ausnahme verursachen. Eine solche muss vorliegen bei Anfion, dem be-
liebten Untergebenen ') des Leontius in Bordeaux. Dies Gedicht ist ein allge-
meines Lob, durchaus mit 'du'; dabei ist Anfion's Thatigkeit als Herberg- Vater
krüftig betont V. 7 und 16-18; besonders V. 1 7
profluu~humane frugem venientibus offers, e t tua fit populis omnibus una domus.
Einleitung und Glückwunsch sind weggelassen.
1) I>rcsl~~.tcr ist wohl gleicli arcliipresl)yter, welcher Beamte Viel mit der Verwaltung zu tliun
hatte; so ist 1112G gcriclitet ail RUCCO (= Ragnemodus) Ldiaconuni,modo (= iiunc) presbyterum' und
bald - 57G - Discliof voii I'aris; mcli der IIilarius (IV 12) 'inter hoiioratos germiiiis altus apes'
ist wolil Archiprcs1)ytcr gewesen.
Abhdlgn. d K. Oes. d. Wies. t n GOttingen. PM.-hiet. M. X. P. Band 4,r. G
42 WILHELM MEYER,

V1 3 und V1 4 So glaube ich auch den richtigen Standpunkt zur Be-


urtheilung der auffallenden Gedichte V1 3 und 4 gefunden zu haben. V 1 3 d e
T h e ii d e C h i 1 d e r e g i n a. Diese sonst fast unbekannte F r a u , welche nach
I V 25 (also vor 576) in hohem Alter gestorben ist und
cui frater, genitor, coniunx, avus atque priores culmine succiduo r e gi U s ordo fuit,
wird hier allseitig gelobt : Herkunft, Geist, Wohlth&tigkeit; endlich schliesst
der Glüclrwunsch 3516. Sie iibte auch grosse Gastfreundschaft, wie V. 1 7 zeigt :
si n 0 v n s a d V e n i a t, recipis sic mente benigna, acsi servitiis iam placuisset avis.
V 1 4 d e B e r t h i c h i l d e . Zuerst meint man, in V.l-16 werde eine
Nonne gelobt; allein schon der Ausdruck 'tua tecta' zeigt, dass sie nicht im
Kloster lebt. E s wird also eine reiche Dame sein, welche nie geheiratliet hatte ;
wie Radegunde zuerst von Medard sich als sponsa Christi einkleiden liess und
doch lebte, wo sie wollte, z. B. in ihrer Villa Suedas, so hatte auch diese Dame
sich einkleiden lassen (mutasti vestem , mutasti gentis honorem) und übte, in
ihrem Hause lebend, Gastfreundschaft und JVohltliätigkeit. Diese rühmt For-
tunat, mit dem gewöhnlichen Gliickwunsch V. 29 schliessend. Diese beiden
Lobsprüche werden klar, wenn wir sie mit den obigen an die Bischöfe gerich-
teten Lobspriichen vergleichen : Fortunat hat in den Häusern dieser beiden vor-
nehmen Damen Gastfreundschaft genossen und bedankt sich, ehe e r scheidet,
vor grösserer Gesellschaft mit dieser1 Ansprachen.
Redegedichte an Weltliche.
E s gibt bei Fortunat eine Anzahl Lobgedichte a n Weltliche, f ü r welche
zunächst keine Ursache zu Tage liegt noch der Ort, wo sie vorgetragen wur-
den. Die Thätigkeit der weltlichen Beamten ist eine viel mannigfachere als die
der geistlichen; daher ist abgesehen von dem Lobe der Herkunft, der treuen
Dienste, der Leutseligkeit, Gerechtigkeit, Klugheit lind Beredsamkeit, der Be-
liebtheit bei König und Volk hier kein fester Typus zu erwarten; die Quint-
cssenz dieses gewöhnlichen Lobes mag V11 14, 9-14 geben:
Inter concives mcrito qui clarior extat quemque super proceres unica palma levat,
nobilitate potens, animo bonus, ore serenus, ingcnio sollers e t probitatc sagax,
cui gcnus a proavis radianti luce coruscat; moribus ipse tamen vicit lionore pntres.
V11 1 a d G o g o n em. Dies in Austrasien 566 verfasste Gedicht (50 Verse)
rühmt die Leutseliglreit, Beredsamkeit, Klugheit und Schönheit des Gogo: 'ornne
genus laudis' ; dann seine Treue gegen den König Sigbcrt und die Gunst, welche
er bei ihm geniesst ; am Schluss V. 49 ein Gliiclrwunsch. Die Rede wird ge-
kennzeichnet durch V. 45-48 'haec bona si t a c e a m, t e nostra s i 1e n t i s
.
laudant, nec v o c e s spectes . ; vera favendo cano . ., teste loqiior popul~'. WO
ist diese Rede gehalten? Die Gastfreundschaft wird nicht ausdriiclclicli gelobt;
allein Gogo wird 'templum pietatis' genannt und 'muneribns sacris fabricnta
domus' und das Eingangsbild von Orpheiis, der alle Geschöpfe bez:tiiborte, wird
überraschender Weise nicht ausgedeutet 'so bezauberst du deine nlitmenschen',
sondern 'so lockst du F r e m d e an', sic ..
longa peregrinu~regna viator (= For-
DER CiELEGIENHEITSDICnTW FORTUNAT (BISCIIOFSLOB ; L05 FRO.\IXEX FRAUEN ; DERRENLOI~). 43

tunat) adit und postquam h u c fatigatus venerit e x U 1, caret quo antea doluit.
Damit ist Ort und Gelegenheit deutlich genug bezeichnet.
VU: 5 d e B o d e g i s i l o d u c e und 6 d e P a l a t i n a f i l i a G a l l i M a g n i
episcopi, u X o r e B o d e g i s i 1i d U c i s. Von diesem dux bcrichtet Gregor von
Tours (VIII 22) nur zum Jahre 585: Obiit Bodygisilus dux plenus dierum, sed
nihil Je facultate eius filiis minutum e s t ; um so werthvoller ist, dass Fortunat
mehr und aus früheren Jahren berichtet: friiher dux in der Provence, ist e r
jetzt (also 5G5/6) dux in Austrasien (21 hic tibi consimili merito Germania 1)
plaudit). Wie in V11 1 geht das Lob aus von der bezaubernden Freundlichkeit,
mit welcher e r Fremde aufnimmt; dann mit V. 15 beginnt das allgemeine Lob
(pondere 1a u d u m) , das 41/42 durch den Glückwunsch besclilossen wird. I n
V11 6 wird nach dem einleitenden Bilde Palatins's Schönheit, Liebenswiirdigkeit,
Adel gerühmt und V. 29 mit einem a n Beide gerichteten Segensw~inschege-
sclilossen. Durcli 'non te sufficerem, dux Bodegisle, loqui' wird die Rede ge-
kennzeichnet. Die gerühmte Liebenswürdigkeit gegen Ankommende (s. 5, 14
horae spatio) und die Verse 6, 21:
coniuge p r v i g i l i nituit magis aula mariti, fioret et egregia d i s p o s i t r i C e domus,
deuten die Veranlassung und den Ort der Rede genügend an. Man könnte einen
offenbaren Hinweis darauf finden wollen in den Versen 5, 37 :
assiduis epulis saturas, venerande, catervas, et repletus abit, qui tua tects petit.
Allein wohin verführen uns dann die folgenden Verse?:
si venis in campos, ibi plebs pascenda recurrit eonsequiturque suas t e comitando dapes.
Nan könnte so den Aiifzug- eines Dux in Stadt und Land schön ausmalen wol-
len; doch diese epulae und dapes sind nur geistig zu verstehen: es sind die
segensvollen Dienste, welche ein geschiclrter, gerechter und eifriger Beamte und
Richter Biirgern wie Bauern unaufhörlich erweist. Mit ähnlichem Wortspiel
nennt Fortunat oft cibus und dapes auch eine geistreiche, liebenswiirdige Unter-
haltung (vgl. V11 5, 7-12 ; dann V11 1, 22 vox cpulanda; V11 7, 78; V11 14, 16).
Das Lob der Placidina V11 G hat eine besondere Einleitung und greift in
keinem Stücke hinüber in das Lob des Bodegisel; es ist also ein völlig selb-
ständiges Gedicht, welches an einem andern Tag, aber bei derselben Gelegenheit
vorgetragen ist.
VII 7 d e L u p o d u c e . Dies grosse Lobgedicht (82 Verse), welches, in
der austrasischen Residenz 5G6 verfasst, den hochangesehenen Lupus allseitig

1) G e r m a n i a bczciclinet bei Fortunat natürlich meistens deil östlichen Thcil des Reiches,
der bald Austrasia genannt wurde; allein wenn iii Spanien Chilpericli's Wcrber drangen: V1 6, 41
instant lcgati Gcrmanica rcgna. reqlliri, und wenn in der l'assio Dionysii ctc. (Band I1 S. 103 Z. 17
und 31) in Paris auch Germani hausen. SO wird offenbar Germania auch fur Franlccnlaiid im All-
gemciiicii gcbrauclit. Allein Uodegisel war ein Beamter des Sigbert ; dessen Reicli Iiattc 3 TIieiie,
den siidliclien, westliclic~i und östliclicii. Der wcstliclie an Garonne lind Loire (Sours u.s.w.) konnte
nur Aquitania, iiiclit Germania genannt werden. Also kann hicr (V11 6 , 21) Gcrmania iiiir Au-
strasien bezeiclinen.
1
44 W I L H E L M YXYER,

lobt, ist eine zu ihm gesprochene Rede: vgl. V. 6 t e dnce nobis h i c modo Roma
redit nnd V. 79 quis tibi digna loqui valeat. Unter dem vielseitigen Lobe -
sogar eine Einzelheit aus dem Kriege gegen Sachsen und Dancn wird in V. 50-60
geschildert - nimmt das Lob der Gastfreundschaft V. 73-76 keinen besonderen
Platz ein; doch würden die Ausdriicke V. 77 'qui satias esCis' und V. 78 'sepo-
sitis epulis' an jedem andern Ort, als an der Tafel, gesprochen sich sonderbar
genug ausnehmen. E s schliesst der Glückwunsch V. 8112:
sit tibi summns apexillo regnante per aevum, vitaque sit praesens atque futura colat.
Hier ist wohl V. 82 s i c (= summus apex) s t a t t sit zu schreiben und zu ver-
gleichen V11 1, 48 haec te vita diu servet e t illa colat.
V11 16 d e Co n d a d o m e s t i C o. Nach Aufstellung des Thema's (V. 1-14)
I
wird die ganze Beamtenlaufbahn des Conda geschildert und beschlossen mit 39
'n U n C etiam placidi Sigibercthi regis amore sunt data servitiis libera dona tuis ;
iussit et egregios inter residere potentes convivam reddens'. Das ist der jetzige
Stand seiner honores. Sehr kurz wird dann gerühmt V. 47 seine virtus, V. 53
seine Freundlichkeit, V. 55 seine Freigebigkeit und mit dem Glückwunsch V. 5718
geschlossen. Ein Brief liegt nicht vor ; Alles entspricht einer Begrüssungs-
Reclc. Da in dem kurzen Lob seines Wesens ausdriicklich gerüllmt wird:
munificus cunctis largiris multa benignus et facis adstrictos per tua dona viros,
so scheint Conda auf seine letzte Ehrung hin ein Gastmalil in seinem Hause
gegeben zu haben, wobei diese Rede gesprochen wurde.
I X 16 a d C h r o d i n u m d u c e m . Dies Gedicht ist ein allseitiges Lob;
der Schluss V. 20 lautet 'felix qui populis semper in ore manes': es fehlt also
der Glückwunsch. Von Briefformen ist nichts zu finden; doch sind auch die
Worte der Einleitung :
non ego praeteream praeconia celsa, Chrodine, ne videar solus magnasilere bonis,
trotz des Hinweises auf die Freigebigkeit des Rlannes in V. 11-14 nicht hin-
reichend zu dern Beweise, dass das Gedicht ein Tischclank i s t ; dies bleibt frei-
lich das wahrscheinlichste.

G e d i C h t e a n K ö n i g e. Zwei Briefe des Fortnnat an den König und


dessen Nutter vom Jahre 588 sind erhalten in A p p e n d i x n o Ei und G ; als
Briefe iibersendet wurden wohl auch die beiden Trostgedichte an Chilperich
IX 2 und 3. Anderseits war es alte Sitte, Hoffeste durch Festgedichte, zu-
meist Ansprachen an den Fürsten, zu verschönern. Hierzu gab es natürlich
auch ausserhalb der Hoftafel Gelegenheiten genug. Das Hochzeitsgcdicht V1 1
ist, wie schon der Prolog zeigt, in der Nittc einer glanzendcn Versammlung
wohl in Gegenwart Sigberts und Brunhildens - beide werden indirekt ange-
sprochen - in der Hauptstadt Austrasiens Ostern (565 oder) 566 vorgetragen,
höchst wahrscheinlich von Fortunat selbst. Auch Gregor von Tours sagt von
dem Feste (H. Fr. I V 27) 'congregatis senioribus pracparatis epnlis cum iminensa
laetitia atque iocunditate'. I X I der Panegyricus auf Cliilperich cnthült keine
Anspielung auf eine bestimmte Gelegenheit. Das Gedicht würe also fiir uns
DER GEI,EOENHEITSDICLITICR FORTUNAT (EIERRENLOU
KOENIGSLOB). 45
ebenso farblos, wie V1 2 lind viele Gedichte es leider für uns noch sind; doch
zum Gliiclce belehrt uns die Ueberschrift a d C h i l p e r i C u m r e g e m q u a n d o
s y n o d u s B r i n n a c o h a b i t a e s t ' wie aiidi der lcurze Prolog, dass dieser
Pangyricus im August oder September 580 bei einer Bischofsynode und zwar,
nach dcm Schlusse 'de Fortnnato paupere verba cape', von Fortunat selbst vor-
getragen i s t ; unentschieden bleibt, ob bei einer Hoftafel oder bei Eröffnung oder
Schluss der Sitzungen. Da Fredegunde nur in der 3. Person erwahnt wird, so
marsienichtziigcgen. VIlaDeSigiberctho rege etBrunichilde
r e g i n a. Der König wird lang und allgemein gelobt (V. 1-28) ; dann wird die
eigentliche Gelegenheit des Gedichtcs, der Uebertritt Brunhildens zum Ratholi-
cismus, genannt und wird Brunhilde gerühmt ; ein Segenswunsch fiir Bei& V. 4112
.
schliesst. Schon die Worte 'me dicere pauca . urgnet amor' zeigen die Rede,
bei ~velcher aber Brunhildc nicht anwesend war. Die passendste Oertlichlceit
fiir diese Rede bleibt noch zu errathen. V1 2 d e C h a r i b e r C t h o r e g e.
Dies grosse Xönigslob (114 Verse) Iiat 566 in P a r i s , nach der persönlichen
TVendiing V. 106 'ut mea dicta probet, Plebs mihi testis adest', Fortunat selbst
vor Charibert vorgetragen. Da lreine freundliche Uebersclirift, wie bei I X 1,
iins hier belehrt, so wissen wir nicht, bei welcher Gelegenheit diese Lobrede
angebracht wurde.
D i e K ö n i g s g e d i c h t e d e s 10. B u c h e s sind scliwierig. Wie ich glaube,
maclite Fortnnat 588, einige Zeit nach Radegundens Tod, eine Reise nach
A ~ i s t ~ a s i e nvicllcicht
, als Reisegcnosse des Grcgor von Tours. Der Anfang
des Gedichtes X 7 gibt scheinbar eine genaue Situation: [rate :
Prnecelsis dominis famiilor diim corde pnsilIus flnminibusque vagis per vada pergo
ecce supervenit vencrandi in saecii1:t civis Martini meritis luce Perenne dies.
Zuerst wird BIartin gepriesen, der im Himmel hoch geehrt sei; mit dem
Uebergange, dass auch die königliclien Holieitcn (regna) hente den Nartin hoch
ehren, beginnt dann eine Kette von 15 Distichen, wie dieses:
knte p81ireferat sua haec sollemnia re?gem, deiitur ut hinc vobis, regna, salutis opes,
d. 11. je eine Zeile scliildert eine Tliiitigkeit Martins im Himmel oder eines seiner
Wunder, je die anderc eine Tliat des h. AIartin bei und fiir die königlichen
Hohcitcn. E s schliesst ein längcrcr Segenswunsch an Brunhildc, das Haupt der
Familie. H a t wirlilich Fortnnat am lllartinstag auf dem Moselschiff dies Ge-
dicht gescliricben? Dann ist CS natiirlicli ein Brief; davon ist aber znnächst
keine Spur vorhanden. Fiir einen solchen Verehrer des h. Nartin ware es ferner
eine starke Sache gewesen, (lies hohe Fest nicht in der Kirche und im Verein
cler Gliiiibigen zu feiern. Endlich ist clocli der Angelpunkt des Gedichtes : 'Da
ihr das Fcst d. 11. Jiartin so feicrlich begeht, möge und wird auch e r euch be-
gliiclicn' ; ditraiif d ~ i i t e tnoch V. 65 'h i C liabcant siia festa fideles'. Wenn For-
tnnat zu Schiff sitzt, kann er doch nicht von den Festlichkeiten sprechen, welche
er gar niclit sielit. Bei dcn Gegensätzen der 15 Distichen können die Formen
von 'liic' ijfter mit 'irdisch' erklärt werden ; aber V. 41 kann 'siia haec sollemnia'
doch nur heissen 'die Festesfeicr hier in euerm Hause', und ebenso ist 'hic' in
V. 65 nur auf den augenbliclrlichen Aufenthaltsort des Königs z u beziehen.
Das 1.Distichon kann also nur allgemein heissen 'während ich, um euch zu sehen,
auf Reisen bin und dabei auch oft auf Wasserstrassen (fluminibus, nicht fliimine !)
fahren muss, i s t heute (V. 36 hodie) der Nartinstag gekommen1. Das F e s t selbst
feierte Fortunat in der Kirche mit der königlichen Familie zusammen. Auch
dies Gedicht wurde der königlichen Familie von ihm selbst vorgetragen; für die
Kirche ist schon die Einleitung zu persönlich; mir scheint der Inhalt passend
f ü r die abendliche Hofgesellschaft.
X 8 a d e o s d e m i n l a U de. Dies Gedicht schildert zuerst i n kraftigen
W o r t e n den glücklichen Zustand Austrasiens unter der jetzigen Regierung,
Y. 1-12. Nit dem Uebergange
hic ego cum populo mea vota e t gaudia iiingo,
quae pius amplificrtns crescere Christus agat,
folgt eine ganz unverhSltnissmässig lange Reihe von Segenswünschen fiir Herr-
scher und Beherrschte, welche schliesst V. 29:
prosperasint regum, populorumgaudiacrescant ; exultet regio, s t e t honor iste diu.
Die Rede ist schon gekennzeichnet durch V. 2 'non inihi sufficeret nocte
dieque loqui'. Der schon in V. 13 'hic ego curn ~ o ~ u lmea o vota e t gaudia
iungo' persönlich stark hervortretende Fortunat zeigt mit V. 27 die ganze Lage:
hic ego promerear rediens dare verba salutis, congaudens dominis parvuliis ipse piis :
offenbar hat Fortunat am Abend vor der Rücl~kehr nach Aquitanien inmitten
der Hofgesellschaft diesen Segenswunsch gesprochen. W i r wissen nicht, ob der
Wunsch, es möge ihm gegönnt sein, wieder einmal in Austrasien die königlichen
Hoheiten zu begriissen, in Erfüllung gegangen ist. Herzlich und schön war
dieser Abschiedsgruss, und wurde von der Hofgesellschaft, so weit sie ihn ver-
stand, gewiss herzlich erwiedert.
V 3 a d cives T u r o n i c o s d e G r e g o r i o episcopo. 573 wurde
Gregor Bischof von Tours und damit auch Vorstand des Klosters der Radcgunde.
Dies Ereigniss begriisst das Gedicht V 3. Nach der Einleitung (V. 1-8) :
Plaudite, felices populi, nova vota tenentcs, praesulis adventu reddite vota deo,
folgt eine kurze Vorgeschichte Gregors (V. 9-16), dann eine lange K e t t e von
Wünschen für Gregor, wo ihm so ziemlich alle Vorzüge gewünscht wcrden,
welche sonst das Bischofslob a n einem Bischof rühmt (V. 17-44); damit schliesst
das Gedicht. Gregor wird nur in der 3. Person erwähnt; angesprochen werden
die Bürger und diese nur in .den ersten Zeilen. E i n Brief i s t dies Gedicht
nicht; es muss bei einer festlichen Gelegenheit gesprochen worden sein, bei wel-
cher nicht nur die Geistlichlrcit, sondern auch viele Gemeindeglieder zugegcn
waren. Das folgende Gediclit V 4 'versus in natalicio Gregori episcopi, cum
antiphona dicere rogaretur, in mensa dictum' ist eine Anspraclic a n Gregor und
zwar, wie es scheint, beim A n t r i t t seines neuen Amtes, nicht am Jahrestag.
Wenn die beiden Gedichte V 3 und 4 an derselben Festtafel gesprochen sind,
s o muss ein besonderer Brauch dagegen gewesen sein, dass die i n V 3 enthal-
tenen Segenswünsche, die halb Ermahnungen gleichen, nicht unmittelbar an der1
neuen Bischof gerichtet wurden, wie es mit dem kurzen Segenswunsch V 4
geschah.
Das Lob kleiner Kirchen.
In ziemlich vielen Gedichten spriclit Fortunat von dem Bau oder Umbau
von Kirchen und nennt die Erbauer: in die Zeit der Reise im Jahre 56516 rechne
ich I1 11 und 12 (nfainz), 111 23 (Verdun). Unter den Gedichten aus der Zeit
von 567-576 bilden die von Leontius, dem Bischof von Bordeaux, gebauten
Kirchen eine Gruppe: I 6. I 8 bis I 1 3 ; von andern erbaute sind genannt:
1: 3. I 4. I 7. I1 13. X 5. X 10. Vielleicht gehören in diese Klasse: I 5. I1 3.
I1 8. I1 10 (566) Paris. I1 14. I1 16. X G.
Der Pfarrer war fiir die Bauern jener Zeiten und Gegenden ausserordentlich
segensvoll. Er verlriindete ihnen nicht nur die Lehren des Glaubens ; sondern
durch Predigt und Gottesdienst richtete e r die Sinne etwas in die Höhe und
lehrte über geistige und mornlischc Dinge nachdenken; e r war aber auch f ü r
jeden Einzelnen Seelsorger und konnte durch Warnungen und durch gute Rath-
schlägt in den Familicn Sclilimmes abstellen und Gutes fördern; e r war auch
Lehrer, Jfedicinmann und gegebenen Falles Notar. Wohl liatte jenes Zeitalter
Gott gegenüber den Grundsatz 'do ut des', (1. h. durch gute Werlie glaubten sie
der Seliglrcit sicherer zu werden; aber nach dem Gesagten war es natiirlich und
sehr verstlindig, dass gerade in der Erbauung oder Erweiterung von Kirchen
ha~i~tsiichliclidie guten WerIre gesucht wurden. Die Griindiing von Kirchen
Tvar damals fiir Bischöfe, Könige, Vornehme, Liebhaberei und Ruhm, noch mehr
als nTildthätiglreit oder Erbauung von Kranlrenliiiusern oder von Pilgerherbergen.
Gregor von Tours z. B. erziililt (H. F r . I X 20 Ende), wie nach dem Gottesdienst
am Osterfest König Guntram ein grosses Osterfreudenmahl gibt und dabei stets
mit den Bischöfen 'de deo, d e a e d i f i c a t i o n e e c c l e s i a r u m , de defensione
pauperum sermonem liabebat'.
Die oben besprochenen Doppelfcstgedichte I 1 und 2, dann I11 6 und 7 be-
trafen die Einweiliung grosser I<irclien; zur Einen Kirchweili erschienen Herzog
und Statthalter, ziir andern 5 aiiswiirtigc Biscliöfe. Die Gedichte, welche ich
hier bcspreclien will, sind fast alle lrlein, lind bei Priifung der Gedichte werden
wir finden, dass sie fast alle lrlcinc Kirchen, Dorfkirclien oder Feldlrirclicn, an-
gellen. Selbst die Hailptkirclicn enthiclten damals vicl Holz und brannten oft
nieder; natiirlich wurden die lrlcinen Kirchen noch leichter gebaut. So war die
Zahl solcher Bauten eine grosse; die hier vorlrommenden Kirchen sind, auch
wenn mnnclie der Gedichte nicht unmittelbar die Einweihung besingen, doch je-
denfalls alle voii den Bekannten des Fortunat in neuester Zeit gebaut oder
umgebaut.

1) Es sollte Ircinc I<irclie gcmcilit merdcn, dercn Pfarrer nicht genügcnd dotirt war. Sonder-
barer Weise ist, so vicl icli sehe, bei Fortunat nur voii dcm ßau der I(irc1ic aber fast nie von der
prosaischen, aber wiclitigcn Dotatioii der Gcistliclicn die Rede; nur vielleicht 1 3 , B : fiindavit,
struxit, d o t a v i t , deinde dicavit ct mcruit tcmpli solverc vota, sui.
E s ist schwierig, das Wesen der hier in Betracht kommenden Gedichte zn
erkennen; desshalb müssen wir ihre ~igenthümlichlreiten prüfen. Briefe sind
sie sicher nicht; kein Ausdruck, ]<eine pormel deutet darauf hin. Hgufig wird
die Geschichte der Mä r t y r e r und Heiligen berührt, denen die Kirclie geweiht
ist oder deren Reliquien darin liegcn; so I 8, 5-12; 1 10, 1-6; I 11, 11-20;
I 31 1-6; I 4, 3 und 4 ; I1 13, 1-10; X 5, 3-8; X 10, 3-24; oder es wird
der ~\veclCder Taufkirche besprocllen: 11 11, 1-43. hleistens betrcffcn mehr
Verse die i r C h e selbst : es wird berichtet : I 10 von dem friihercn Bau, 1 11
und 12 von friiheren Bauherrn, I 1 3 von einer Vision, welclie den Umbau ver-
anlasste, I 12 von einem Wunder bei der Einweihung. Von dem Bau selbst
wird geschildert: I 7 die gef$hrliche Lage am Wasser, I 6 die Lage auf einem
Hügel, I 12 und 1 3 einige Einzelheiten des Bauwerkes.
Stets wird der E r b a U e r oder U m b a u e r angegeben ; stets ist es ein
Bekannter Fortunats; dieser lIann wird selten ausfiilirlicli gelobt : nur I11 23,
1-12 Bischof Sidonius. 11 11 wird nur die Stifterin genannt und gelobt,
sondern ausführlich deren schon 20 Jahre todter Vater, König Theudebert, an-
gesprochen und gerühmt. Diese Gründer oder Umbauer werden in der Regel
nur in der 3. Person genannt mit tcondidit7extulit, effcrt, offcrt, cxplct, struxit,
fundavit ; locavit'; selten werden dieselben in der 2. Person mit 'du' angespro-
chen: ausführlich 111 23 Sidonius, I 12 und 13 Leontins; kurz I1 13 Trasariciis.
I m Schlusse wird meistens die Erwartung ausgesprochen, dass der Erbauer
seinen Lohn im Himmel erlialten werde (auch I1 11, 1314) ; hie und da gcschicht
dies in einem Wunsche; selten fehlt dieser Schluss wie I 6. I 10. I 11. Die
R i r C h selbst wird in sgmmtlichen Gedichten erwuhnt mit Formen des Pro-
nomens h i c (selten 'istel), steht also dem Dichter vor Augen,
11 11 Mainz : 1-6 b a p t i s m a t i s aula coruscat ; 7i8 lianc aulam extulit
Sidonius; 9-14 mit dem Eingang (struxit Berthoarae voto conplente (votum
complendo?) sacerdos' Lob der Berthoara; 15-22 mit dem Uebergang 'filia
digna patri (patris?), te, Theudcbercthe, reformans' Lob des sChon 547 verstor-
benen Königs Theudebert , zunächst zu Ehren des Theudebert , wahrsclieinlich
zur Freude der Berthoara. I1 12 Jiainz: 1-6 mit dem Eingang 'micat aula
Georgi' Ruhm des Märtyrers; 718 Uebergang mit (hic', 9/10 'condidit ista Sido-
nius' und : quae n o v a templa ~roficiantanimac suae. 111 23 V e r d u n ; dics
Gedicht t r i t t am meisten aus den gewöhnlichen Formen des Kirchenlobs heraus;
eigentlich ist es ein richtiges Bischofslob, in welches nur die 4 Verse 13-16 mit
der Erwiihnung der Taufkirche eingeschoben sind; dics ganze Gedicht bewegt
sich in der Anrede 'du'; allein das Gcdicht ist nicht in der I3ischofswohnung1
sondern in der Taufl~irchegesprochen; vg1. 'fontes baptismatis exples . . radiat
h a e C aula . . h i c manet dies'.
(Lob d e r Leontiuskirchen): I 6 Feldlrirche des h. Martin: 1-4
Einleitung; 516 condidit arvis Lcontius; 7-10 llartin's Lob ; 11/12 liacc üedi-
ficata sunt ingenio perito (vgl, I 12, 17 ingenio novo); 13-20 Lagc auf eiiier
Höhe; 2112 Placidina stiftete die sacra vela. I 9 IKircho des, Tinccntius in
Vcrncmetis : 1-4 Einleitung, 516 ecce nitent culmina Vincentii, 7,'s quae Lcon-
tiiis o 1i m condidit. (9-12 Vernemetis = Fannm ingcns Gallica lingua) ; 13 -18
ciim tcmplii praesul de more dicavit, hic qnidam redditnr incolomis de peste ;
19-22 cmicat aula . . spccie loci (die IGrclie scheint einsam und frei zu liegen;
sonst vgl. Longnon S. 551); 2314 praemia metet. Diese Kirche ist also
sc!ion längere Zeit (olim) gebaut nncl geweiht. I 10 Nazariiiskirche :
1-6 Rulirn CS Nazariiis; 718 hncc templa Leontins offert; jcdenfalIs
];]ein; dcnn früher stand liier eine noch Iileinere, jene ist I ~ ~
und von Grund aus diese gebaut (iiaic quac nnnc placcnt). I 11 Diony-
siiisliirche : 1 Einleitung : Qui cupis noscere striictorem tcmpli, tam pia
non patiar tibi latcre; 3- 10 früher war es von liicr (hinc) so weit zur nacllsten
Ii-irclie, dass manche den Weg scheuten ; deshalb baiitc Bischof Amelius Iiier eine
selir lilcinc Kirche, Lcontius Iianc anlam fundavit et obtiilit; 11-20 Lob des
Dionysins; 21-24 die alte I<irclie wurde von Leontins so lange benützt, bis
'Iiacc perficeret, qiiae modo ciilta placent'. Die Einen meinen, dies sei die I<ircIie
St. Dcnis in Paris, die Andern LBnrdcgalae aut in Burdegalensi agro'; da Iiicr
friiher gar keine I<irclie lvttr, die fertige abcr vom Bischof selbst öfter beniitzt
so muss es eine I<irclie auf einer dem Bisthum gehörigen Villa scin, eine
Gllts- oder Dorfliirclie. I 8 Zinlcdacli a u f d e r V i n c e n t i u s l i i r c h e :
1-4 Einleitung, 5-12 Lob des Vincentius. 13-16 liuius amorc nova Leontius,
quo sncra membra iaccnt, stagnea tccta dedit (ornatiim); 1718 Schluss. Die
'stagnea tecta' bezeichnen nach 1117, 37 ein wirltliches Dach; sonst lilingt unserer
Stelle ganz ähnlicli 1 12, 1 3 'sacra sepulchra tegunt Bibiani argentea tecta, quae
PJacidiiia dedit'; liier aber kann es nur ein Baldachin iiber dem Grabe selbst
sein: sollte auch an unserer Stelle nur eine Grabesliapelle von Zinli innerhalb
der TKirchc selbst gemeint sein? I 12 Bibianuslrirclie (in Snintes): 112 Ein-
leitung; 3-12 Baugeschichte: Bischof Emeriiis hat die I<irche nicht rollendet
(cxl~lerct);Emcrius will nicht, du Lcontius liast sie iibernommen. 13-16 sepiil-
cra Bibiani argentea tccta tegiint (silberner und vergoldeter Baldachin), gestiftet
von deiner Fraii; ferner sind hier nach neucr Node an der Bretterdcclie Thiere
(ingcnio perfecta novo tabiilata coriiscant, artificcmque piitas h i c aniinasse
ferns; vgl. 1117, 35-40); 19-22 inögct ihr belohnt werden. Ebenso ist ganz
mit 'dii' durcligefülirt I 13 Eutropiusliirchc in Saintes : 112 Einleitung; 3-10 in
clcr alten I(irclic drang von oben Wasser ein und der lIörtel fiel ab von der
Wand aus Fachwerl-i; da trsumtc cinI<irchendiener, du wiirdest clie Iiirche reno-
vircn; 11-14 das ist gescliehen; 15-18 die Brettcrdeclie ist mit cingclegten
Ornamenten versehen, die Winde sind nicht nur beworfen, sondern sogar benlalt
(hacc modo picta nitent); 19-22 tibi, qui reparas, sanctus vicem reddet.
Von Verschiedenen erbaute Kirchen: I 3 Stcphanusliirche:
1-10 Lob des Stephanus; 11 haec templa Palladius locavit, 12 unde sibi sciat
(fiat, pateat?) non peritura domus. I 4 lIartinsliirclre. Dies Gedicht ist von
dieser ganzen IKlasse das Iiiirzeste, abcr es zeigt die volle richtige Form: Ein-
leitung, Lob des Schutzheiligen, Nennung des Erbauers, Schluss:
Abhdlgn. d. 1C. Qen. d. Wies. zu Göttingen. Phi1.-liist. EI. N. F. Band 4, i. 7
Emicat aula decens venerando in culmine ducta,
nomine lCIartini sanctificata deo :
cui vitae merito fiducia tanta coruscat,
u t populis tribuat, quod pia vota rogant.
extulit hanc Faustus devoto corde sacerdos
reddidit et domino prospera dona suo.
I 7 JIartinskircIie von Basilius und Baudegunde umgebaut und erweitert;
1-6 der Fluss wurde anders geleitet, um fiir den Bau der Iirirche Platz zu ge-
winnen ; 718 Basilius mit Baudeguncie 'hoc priscum opus renovans reddit et auget' ;
9-12 Nartine, redde vicem. I1 1 3 de oratorio Trasarici: 1 und 2 Einleitung
(lucida perspicni nituerunt limina templi, vgl. X 6, 13 fulgida praecipui riituerunt
cnlmina templi); 3-10 Schutzheilige : 3 haec est aula Petri, 5 sedibus liis Paulus
habitat, 7 Martini domus est, 9 ccce micat aula Remedi; 11/12 du Trasaricus,
locasti templum dei; reddet opes: vielleicht SGG in Reims gedichtet.
X 5 und X 1 0 (also nach 584 gedichtet), beide mit der Ueberschrift 'de ora-
torio Artannensi': X 5, 1 Einleitung; 3-8 mit dem Uebergang 'haec coruscant'
Lob des Schutzlieiligen Gabriel ; 9/10 quae novn, templa Gregoriiis effert (vgl.
X G, 11; sonst wird offert ähnlich gebraucht), ut sibi caelestes opes restituantnr.
X 10, 1 Einleitung, die Erde besitzt viele kostbaren Reliquien (denn 'haec
terra' und 'humus' lrann nicht 'dieser Bau' oder 'dies Stücli Land' heissen); dann
folgt ganz iinvermittelt V. 3 pars dextra (rechtes Schiff?) coruscat lionore Ga-
brielis, 7 laeva est parte (linkes Schiff?; wo bleibt das Nittelscliiff?) lapis tumuli
Christi ; 9 hic reliquiis micat Gregorius ; 11sunt etiam (liic?) Cosmas, Damian, 13 Ju-
lian, 15 Martin; 21 additur liic Victor, 23 liic palma Niceti; 28 horum opem
Gregorius orat, u t sine fine Vivat deo. E s ist sicher, dass die beiden Gedichte
dasselbe Oratorium besingen. Dann müssen hier zwei verschiedene Ausarbeitungen
vorliegen, verschieden dadurch, dass in X 5 . nur der Hauptschiitzheilige Gabriel,
in dem unfertigen X 10 ausser Gabriel noch alle andern gelobt werden I).
Die Bestimmung der Lobgedichte auf Kirchen.
D i e M e i n U n g L e B 1a n ts. Wie alle 30 Epitaphien des Fortunat, so
hat Le Blant auch all die Lobspriiclie auf Kirchen und einige ähnliche als
W i r k l i cli e I n s C h r i f t e n angesehen und so weitere 24 Gedichte des Fortunat
in seine Inscriptions chretiennes de la Gaule aufgenommen. E s sind die Gedichte
I 3-13; 11 3 10 11-14; X 5 G 10; dazu sogar I11 7, und als Geratliinschriften
I 14, I11 20 iind V11 24. Weshalb hat er das Lob der L a n dhli 11s e i I 18
und 10, I11 12 und des Gartens V1 6 nicht hinzugenommen? Die Formen sind
dieselben, ebenso der Gebrauch des Praesens und der Formen von 'hic'.
Dass diese Lobsprüche auf Kirchen Inschriften seieil, wird durch Vieles
widerlegt. Fiir eine Inschrift passt niclit der Umfang des ~ciligenlobcs: in
11 14 handeln 2 Zeilen von der Kapelle, 2G von den i-lciligcn; in I 11 handeln
1) Le Blant, Inscriptions chrdticnnes I p. 358, hält die beiden Gedichte fiir In~cliriftCli, 'la
premihre, ii en juger par so11 dcbut, 6tait plscdc ii l1crt¿ricur, la sccoiidc L I1iiit¿ricur dc llora-
torium d7Artanne.
DER GELEGESHEITSDICIITER FORTUSLLT (GIRCIIESLOD). 01
von 24 Zeilen 10 nur über den Heiligen usw. Ob überhaupt Inschriften auf
Bauten den Erbauer in der 2. Person ansprechen, ist mir unbelrannt. Wenn
sich solche finden, dann miissen die Stifter dieser Inschrift, die Ansprechenden,
sich nennen; das geschieht nicht in I 12 und 1 3 und I1 1 3 und doch wird der
Erbauer in der 2. Person angesprochen. Wird in einer solchen Bauinschrift
der Erbaner in der 3. I'ersoa genannt, so stellt er sich selbst vor, darf sich also
nicht loben. Z. B. 1 1 4 de calicc Leonti episcopi:
Silmmus in arce dei pia donaLcontins offcrt, votis iuncta sacris ct Placidina simul.
J'elices, qiiorum labor est altaribiis aptus, tempore qiii parvo non peritura ferunt!
Wenn dies eine Inschrift ist, wer hat sie einschreiben lassen? Bei der
JIninzcr Icirchc I1 11 waren 2 Erbauer, also könnte Sidonius die Berthoara in
eiricr Inschrift loben: aber was soll auf einer Inschrift die 8 Zeilen lange
Anrede an den Vater der Berthoara, der nichts mit diesem Bau zii tliun h a t ?
Ebenso durfte in einer solchen Bauinschrift der Erbaiicr höchstens wiinscllen,
dass ihm als Lohn fiir diesen Bau eine Stätte im Himmel werde; aber nicht
Iiann e r diese Erwartung mit dem Futur aussprechen, wic I 9 talibiis officiis
I)raemia iusta mctet. Was sollen ferner in einer fiir die lange Zukunft bc-
Bauinschrift solche Einzelheiten, wie I 11 die 4 Zeilen lange Angabe,
dass, bis die ncue Kirche fertig war, einstweilen die alte Icapelle fortbenützt
\vurdc, oder I 9 die G Zeilen lange Erzähluiig einer wiiilderbaren Heilung bei
der Einweihung der Kirche? Was soll endlich in einer Bauinschrift von
22 Zeilen (I 6) die 8 Zeilen lange Scliilderung, dass diese Icirclie auf einer An-
hölle stehe, oder in dem 56 Zeilen langen Gedichte 1117 die Schilderung einzelner
Ertutheile, dann wie Sonne und wie Nond abwechselnd von dem JIetalldache
m,icderstrahlen oder durch die Fenster die Balle durchwandern? Besonderes
Gewicht legt Le Blant (I S. 263 und I 296) darauf, dass etwa 100 Jahre nach
Fortiinat Ina, der Icönig von TVessex, aus Stiiclren der beiden Gedichte I1 1 0
und 111 7 eine wirkliche Rircheninsclirift (Cambden, Britannia 1). 165) gemacht
hat. Diese Thatsachc bestätigt nicht, sondern widerlegt Le Blant's Ansicht ;
Fortnnat's Gedicht I1 10 hättc in Paris, I11 7 in Nantes angeschrieben sein
miisscn: wie lronnte dcr König zur Kenntniss dieser bciden inschriften zugleich
lrommen? Aber er hat sie gar nicht gesellen, sondcrn e r oder vielmehr sein
Caplan hat in der Noth eine Abschrift der weit verbreiteten Gedichte des For-
tunst zur Hand genommen und so sehr bequem aus 2 Gedichten des Fortunat
die eigene wirldiche Inschrift fabricirt.
Kann man also bei den von Lc Blant aufgenommenen Epitaphien zweifeln,
ob sie zu wirklichen Steinschriften oder nur zu dichterischen Grabreden bestimmt
waren, so ist es fast sicher, dass die von ihm ziufgenommenen 21 Lobsprüche fiir
Icirchen und 3 Lobsprüche für Gerathe nicht zu Inschriften bestimmt waren.
Ich werde daher Lc Blant's Ansicht nicht weiter beriihren I), sondern meinen
eigenen Wcg suchen.
1) Als ich Le I3lant's Inschriften des Fortuiiat halber durcliflog, snli icli, dass die aus dem
Jahrc G79 stammende wirkliclio Inschrift von Coutarices (Le Blaut I 1). 181 uiid Facsiiiiile auf pl.
7*
All die verzeichneten Gedichte betreffen Neiibanten von Kirchen. Sie ent-
sprechen also jenen zweiten Gedichten (I 2. I11 7) der Doppelgediclite zu Rircll-
weihen. Wie dort, so werden auch hier liaiiptsächlich die Schiitzheiligen gelobt
oder der Baii geschildert; der Bauherr wird in der 3. Person lrurz angegeben;
wie dort, so wird auch hier die Kirche mit Formen des Fürworts 'hic' bezeichnet:
also wollen auch diese Gedichte in der Kirche gesprochen sein. Hier aber
handelt es sich, wie der Umfang dcr Geclichtc lind sehr oft der Inhalt derselben
lehrt, nicht tim die Vollendung grosser Stadtlrirchen wie jener, an welche Felix
viele Jahre lang allen Eifer gesetzt hatte (111 6, 29-40), soizdern um kleine
Dorf- oder Feldlrirchen, zii deren Einweihung nicht Herzog und Statthalter oder
5 Biscliöfe erschienen, sondern ailsser den1 Biscliof und Erbauer und den rieuen
l?farrlrindern geyiss nur wenige Gäste aus der Nachbarschaft. Da war keine
12edc von einer ungewöhnlich grosscn Festtafel; der besondere weltliche Lob-
spruch, welchcr den Gedichten I 1 und 111 6 entspräche, konnte also fehlen;
selbst der Weilicsprucli in der Kirche, den wir vor uns liaben, schwand zu-
sammen bis auf G Verse ; anderseits lroilnten weltliche Dinge, wie die Vorgesclliclite

14 no 61) in rytlimischcn Versen geschrieben ist. Mit IIilfe von Duchcsne, Fastes ('lliscol'aus
11 230, fand ich, dass bereits Ducl~csnodies gesclicii und die Insclirift in Verse abgesetzt in1 11~11-
letin de 1s societC dey antiquaires de Francc 158(; S. 286 gedruckt hat. Dies ist wo111 die eiiizige
rytliniisclic Insclirift ans so alten Zeiten, mclclie in Franltrcicli erlialten ist. Da Ducliesnc's IIcr-
stellung mir niclit in allen Punkten riclitig scheint, so gebe ich die meine. Der Umfang der grossexl
Lücken ist unsiclicr; vielleiclit ist Delisle's roil Lc Blant notirtc Ansiclit richtig; dann felilcll jedes
Na1 gegen 4 Verszeiien.
-iCoiistaiitiniiisis iirbis rectur domniis Frodoinundiis pontifex
2 in Iionorc alme Maria genetricis domini
hoc templum liocqiiae altaro constraxsit fidiliter
4 adquac digne dedicauit minsc Agusto mcdio
ct liic festus cc1el)ratus dies sit per annu singolus
-f Anno 111111 iam rcgnantc Tlieodorico rege in Francia
7 Iioc cinnliiiim cliingxit mur
grosse Liickc, dnriiz citer, d a m zoieder Liickc
0 Abcns curani pasturitlcm in amore dotitini
10 siiarum ouium patrauit caulas qiiam pulclierreme
nec a niorscbiis Zuporum .
et iiora. . grosse Liicke,
clnrin gant ; dunn wieder Lücke
13 ur pascua perpetua
14 choro nexas uirgcnale cum JIaria almissema
cum ipsa iiiuant ct cxsiiltcnt in etcrna sccola. 0
16 Dom dcozn grosse Liicfie, clurigz N., dun?&wieder Lücke;
18 itcm locum rcx concessit ad istum cenubiiim
ipsi etenem (klei~zeLiicke) primus cipit struere
10 liic monistirium demum pontifcx erectus
grosse Liicke, dnrifz semi; dann zaieder Liicl~e
22 plurcmus
33 adqiic citeras par Aleiize Liickc; eptinari norncro
t Sie ba
DER OELEGENnEITSDICIlTER FORTUNAT (KIRCIIEKLOB). 53
des Baus, welche sonst im Tischspruch ihren Platz hatten, in den schlichten
Xirchcnspruch heriiber genommen werden. Den Bischof direkt mit 'du' anzu-
sprecllen, ist gegen die Regel ; docli haben wir schon in dem sicher in der IKirche
vorgetragenen Gedichte 111 9 V. 104-110 diese Ausnahme gefunden: unter den
Gedicliten des lilcinen IKirchenlobes bildet I11 23 an Agericus von Verdnn die
scliiirfstc Ausnahme, indem in ein regelreclitcs Biscliofslob das IKirclienlob nur
in 4-6 Versen eingcsclioben i s t ; aber die Iiirche ist mit 'hacc' uncl 'hicl er-
wähnt, das Gedicht will also in der IKirche gesprochen sein. Leichter ertrHglich
ist die Anrede an den Erbauer in I1 13 uiicl in I 12 und 13 (beide Kirchen in
Saintes, also niclit unniittelbar in der Diöcese cles Leontius).
'1Viclitig ist die Frage, ob diese Gediclite zii der E i n W e i h u n g der eben
fertigen ITirclic bestimmt sind. Klar und clentlicli gesagt ist das in lieiiiem;
in den meisten ist es mehr oder rnindcr dciitlich angedeutet diircli Wcndiingen,
wie nora tcmpla, templa nunc otlcr inodo placent, niodo nitent, reparas, offers
odev cffers oder exples ; dazii sind die Baiiherren iibcrall nocli Lebende. Diese
Gedichte lcönnen also zuin Tag dcr Einweiliiiiig gefertigt worden sein, und bei
der selir grosscn Zalil der damals ncii gebniiten Kirchen wiire es nicht auffa1-
lcnd, den Fortiinat fiir so viele kleinen Iiirclir~eilienbeschiiftigt zu sehen.
Eine sichere A u s n a l i m e bildet I 9. Die iii I 9 erwähnte Kirche 'olim Leon-
tius condidit', und eine wunrlerbarc Hciliing war erfolgt, 'ciim praesul tenipla
de more dicavit' ; aber im Uebrigen wird die Iiirclie mit 'hic, ecce und nunc'
vorgestellt. Hier könnte man an ein anderes IKirchenfest, z. B. an den Jahrestag
der I<ircliweihe, dcnlien. Sclion dics Gcdiclit, noch mehr aber das nachher zu
~nt~rsiicliciide Gedicht I1 10 dc ccclesia Parisiacn, ~.velchcsganz in der Form
des Kirclicnlobes die I<irclie uns vor Augen stellt uncl den längst verstorbenen
Baiilierren lobt, aber dennoch nicht in cler Kirclie vorgetragen sein kann, er-
öffnen die JIöglichkeit, class manches der oben besprochenen I<irchenlob-Gedichte,
wie I 11 (Vcrs 1 und 2!), I 12 und I 13, niclit in der I(irc1ie selbst gesprochen
worclcn ist, aber docli, wie die notirten Einzcllieiteii andeuten, an Ort und Stelle,
wo der Bau stand, verfasst und den1 Leontius da vorgelesen wurde, wo For-
tunat gewöhnlicli seinc iieuen Gecliclite vorlas. Diese IIöglichkeit miissen wir
aucli bei der Priifung dcr folgenden Gediclite in1 Auge belialten.

E s sind rytliinisclic trocliüisclic E'iinfzeliiisil~~cr,wic ich sie genannt liabc in1 Liidiis dc Anti-
e]irist~(RIiiiiclincr Sitzuiigsber. 1882 S. 79-85), und zwar solche niit Silbeiiziisatz ; vielleicht sagt
<lies der S c l i l u ~23 ~ septciiario iiuiriero. 1)ic Sclilusse siiid alle riclitig, in der Cacsnr sinkcud, im
Z c i l c n q c l i l ~steigend;
~~~ BISOist wo111 %. 1 0 zu crgüiizen : crcctus EST. TlTas dic Sill~ciizahlbetrifft,
so sind zuiinclist 3 Zeilcn durch Zusatz ciiies Wortcs gefalscht : in Z. 1 ist dcr Titcl 'domuusr, in
Z. G cbeiifalls dcr Titel ‘rege' und iii %. 5 ist critwcdcr 'festus' oder 'Siics' zii tilgen. In G lTiieo-
dorico' ist 'CO' Dil~htlioiig; 'J Silben zalilt siclier 1 Constnntininsis urbis rectiir; aiicli in 19 ad istum
ccnubiuiii, wo niclit dic Sill)c 'CC' dcn Accent erlialten kariii, stcheii 8 statt 7 Silben; da der IIiatus
in 3 lioc tcmpliim Iiocqiiac altarc frst stellt, so ist siicli Beine Elision, soiidern Silbenzusatz anzu-
ncliincn in: 2 in lioiiorc alnic Nariac, 10 suarum ouium patrauit, 16 ciiiii ipsa uiiiant et exu]teilt;
dann in: 4 iniiisc Agusto niedio, G Slicodorico in Brancia, 15 cum BIaria almisserna.
54 VILHELM NEPER,

Verschiedenartige Lobgedichte auf Kirchen.


1 5 in cellulam llartini, ubi pauperem vestivit: V. 3-20 Lob und Schil-
derung von Wundern, welche der h. lfartin an dieser Stelle gewirkt hat (vgl- z u
X 6) ; in die Oertlichl~eit werden wir lebhaft versetzt : 1 'iter h u c deflecte,
viator' und 'hic locus; hinc; aede sub hac'. Doch schon die Anrede an den
'viator' verräth, dass hierher die Form der Inschrift übertragen ist; dann ist
die Schlussanrede 21/22 'Xartine, pro Fortunato fer pia verba deo' gegen den
Charakter einer öffentlichen Inschrift oder eines öffentlich vorzutragenden Lob-
spruches ; Aufklärung, dass es sich nur um ein bestelltes Kiinstgcdicht handelt,
gibt die Ucbersclirift 'rogantc Grcgorio' und die Begleitverse 23/24 impcriis
Parere tuis, pie care (clare I1 3, 23) saccrdos, quantum posse valet , plus milli
vellc placet. Aelinliche, fiir die Beurtheilung der betreffenden Gedichte wichtige
Beglcitverse an den Besteller oder an den Empfiinger des Gedichtes finden sich
noch: an den Besteller V 5, 137-150; an den Empfänger I1 3, 23/24 (vielleiclit
bestellt) ; 111 12, 43/44; V1 8, 49 lind 50; (VIII 3, 393-4003); X 17, 43/44;
zur Beurtliciliing wichtig sind die Bcgleitverse zu den ~rosabricfenV 1und 1114.
I1 3 versus in honorc sanctac crucis vcl oratorii domus ecclesiae apud
Turonos : 1-12 Lob des IKreiizes ; 13 denique sancts~criici Iiac C tcmpla Gre-
gorilis offert; 14-22 cine diinkle Stelle, wohl Anspielung auf das, was Grebor,
Gloria martyrum K. 5 gegen Ende, erziililt; Gregor wird hier in der 3. Person
erwiihnt. V. 23 und 24 iinrle . . tibi, clarc sacerdos, (dcus) redderc magna valet;
auch dies Schlussdistichon sclieint nur Regleitzettel zu dem gewiinscliten Lob-
geclicht auf die IKirclie zu sein.
11 8 De Laiinebode qiii acdificavit templum S. Saturnini: 1-8 niichterne
Einleitnng: Ich lobe gern die i\Iärtyrer; 9-18 Lob des Saturnin und seines
Todes in Tonlouse ; 19-26 sed locns i 11e , qno sanctiis vinciila sumpsit, nullius
templi honore fultus fuit; Launebodiis, rlum dncatum gcrit, instruxit sancta ciil-
mina, samt seiner Gemahlin Beretliude; 27-36 Lob der Frau, 37-40 Lob des
Xanncs ; 41/42 Segenswunsch ; maneant iiincti. Dies schwierige Gedicht ist
kein Brief. E s ist auch nicht das gewöhnliche Mensclienlob, da Launebod und
Frau in V. 25- 42 niclit angesprochen werden. E s ist aber auch nicht das gc-
tvöhnlicl~e Kirchenlob; denn Fvenn auch die Einleitung iibcr Heiligenlob iin
Allgemeinen und V. 9-18 mit dem Lob des Saturnin im nesondcrn zeigen, dass
das IGrchenlob in V. 19-24 den eigentlichen Kern des Gedichtes bildet, so wird
doch die ICirche lraum erwähnt (locus i l l e . .; instruxit ciilmina sancta loci),
während sonst die Kirche stets mit hic oder istc vor Augen gestellt wird. Von
dem Orte der Rede fern ist also nicht nur der Herzog und seine Frau, sondern
auch die Kirche. Diesen Anzeichen entspricht etwa folgende Annahme: an dcm
Saturninfestc liesscn Laiinebod und Frau in Toulouse ihre neuc Kirche cinweilicn;
der hohe Festtag des Saturnin veranlasste auch in Poitiers cine Festvcrsamm-
lung, und bei dieser hat Eortunat mit diesem Gediclit dcn abwesenden Freund
und die von ihm erballte ICirche gefeiert. So gewinnen wir vielleicht das
richtige Verstandniss von :
I1 7 d e d om n o S a t U r n i n o. Einer kurzen Einleitung (V. 1-4) folgt
das lange Lob und die Geschichte des Dlärtyrers mit dem Schlusse:
ante sepulclira piidantur modo dona salutis et Corpus lacerum Corpora multa fovet.
Dann folgt noch als Schluss des Gedichtes in V. 39-54 eine Variation über
das Thema: dic ubi, mors inimica, iaces? ubi victa recumbis? (vgl. denselben
Gedanlrcn I1 8: 18. I V 2, 2 ; 5, 1 und 4). W a r Fortunat bei dem Lesen der
Geschichte des Satarnin so ergriffen, dass e r dies Gedicht schrieb, um seinen
Gefiihlen der Vereliruilg Ausdruck zu geben? Gewiss nicht. Dies Gedicht ist
ziemlich niiclitcrn, und die Gedichte des Portuilat sind stets für einen bestimmten
Zwecl~gescliaffen. Dies Lob des Saturnin hat Fortunat neben das Gedicht ge-
stellt, in welcheni die Erbnnuiig der Saturninliirche durch den in Poiticrs hoch-
angesehenen Herzog Launebod gefeiert wird. Zum Vortrag in Toulouse selbst
bei der Einweiliung der ncuen Kirche ist unser Heiligenlob nicht geeignet; es
felilen alle lebendigen, hindcntcnden BIcrlrmale. Wohl aber konnte dies Gedicht,
das ja wie eine Predigt zu Eliren des Heiligen klingt (zuerst Erzälilnng, dann
Nutzanwendung), an eben jenem Saturninsfest in Poitiers in der Icirche vorge-
tragen werden, an welchem daselbst das Gedicht 118 in einer Festversammlung
vorgetragen wurde. Diese beiden Gcclichte I1 8 und I1 7 wiirden also eng
zusamniengeliörcn und ein ahnliches Paar bilden, wie I I und 2, I11 G und 7
(und 111 8 und 9).
I 1 1 4 d c s a n c t i s A g a u n e n s i b u s . V. 1-lSLob des mit 'du'ange-
sproclieilen Nauricius und seiner Genossen; V. 19/20 der Kern des Gedichtes:
ecce, triun~pliantumductor fortissime, tecum
quattuor liic procerum pigiiora sancta iacent.
V. 21 bis 29; Lob dieser Reliquien. Dies Gedicht ist nicht an einem Ort
gcsclirieben, wo die 3Iärtyrer gelitten haben, sondern da, wo Reliquien von ihnen
liegen. Dies sind wolil die in Toiirs von Grcgor aufgefundenen Reliquien (vgl.
Gregor H. Fr. I X 31 = Seite 449 Z. 13-22; sie miisstcii also 573-577 aufge-
funden worden sein). Das Ganze wäre also ein, wolil von Gregor gcwünschtes,
Festgedicht auf diese Translatio jener Reliquien. Dann würe der Scliluss:
Fortunatus cnimper fulgida dona tonantis, ne tenebris crucier, quaeso fcratis Opern,
mehr eine Begleitschrift des Fortuiiat, iihnlicli wie I 5, 23/24 (I1 16, 16516).
11 1 G d c s a n C t o 11 e d a r d o : 1-12 Einleitung und Thema; 13-24 Lebens-
lauf; 2 5 4 4 Wunder des lcbcnden, 65-160 JViinder des todtcn Xedardus. Eine
glinliclic Aufzahlung Ton Wunderthaten findet sicli nur nocli in dem Epos über
nIartin. Wocli merlrwiirdiger ist hier clie Form: all dies wird mit 'du' dem
Heiligen selbst vorgetragen, ist also eine ihm gehaltene Rede. Diese Rede ist
vcrl<nüpft mit dem Baii einer Icirche:
en tua templa colit nimio Sigibercthus amore
insistcns opcri promptiis :tnlore tui.
culmina custodi (ei), qui tcmplum in culmine duxit,
protege pro mcritis, qui tibi tecta dcdit.
Das Ganze gibt sich also wie eine Rette elirfiirchtigcr Gedanken und Ge-
dächtnisse, welche den Fortunat erfiillten, als e r die Grabesliirclie des Ii. Iledard
in Soissons betrat, und welche von ihm in Worte gefasst wurden, um das im
Ir'leincn zu thun, was Sigbert im Grossen that:
Iiaec, pie, ppuca ferens ego Fortunatris amore auxilium posco : da milli vota, precor.
I1 1 0 d e e C c l e s i a P a r i s i a C a (so die IIandschriftcn der 11 Bücher vor
den1 Gedichte und im Verzeichniss der Ir'apitula; die Auslese in der Pariser
lateinischen Handschrift 13048, eine wichtige Tcxtesquelle, h a t : Itcm vcrsus i n
ecclesia nova Parisius). Hier muss eine viel bestrittene Fragc bcriilirt tverden:
ob mit 'ecclcsia Parisiaca' gemeint ist die Icathcdrale von Paris oder jciie Kirche,
welche verschiedene Namen hatte: S. Crucis, S. Vincentii, S. Crucis ct S. Vin-
ceiitii, S. Vincentii et domni (spiitcr sancti) Germani, endlich S. Germani in Prntis.
Fortunat in der Vita S. Germani (also bald nach 676) erzälilt ein Wunder,
das der Bischof Germanus übtc, 'cum Parisius ad b a s i 1i C a m s. C r ii C i s procc-
deret7. I n der Urbiinde, in welcher Bischof Germaniis dem Icloster 1)csondcie
E1reiheiten verieilit, heisst es zuerst : der verstorbene König Childebcrt ' b a s i-
1i C a m in honorc sanctc C r U c i s ct doiini V i n cc n t i i vcl reliqriorum sanctorum
in unum membrnm constrnxit (ct sibi scpulturam) inibi collocavit', dann 'basili-
cam superius nunciipatam7; tlie Urkunde ist datirt 'sub die d~iodecima(cnlcndarum
scp)tempris (anno qninto) d(omini) Cliariber(ti regis)' = 21. Aug. 566; sie ist in
der vorliegenden Abschrift dcs 10. Jahrhunderts in ncue Ortliographic iimgcsetzt
worden und dabei mögen ebenfalls manche EinzclIieiten geandcrt worden sein;
allein J. Qiiiclicrat hat in dcr Bihliothbque de l'!hole dcs Cliartcs 20, 1865,
S. 540-554 nachgewiesen, dass die Echtheit der Urkunde selbst nicht anzuzwcifcIn
ist und dass nur die Sitze bei 7 Bischöfen nachträglich (und zwar bei 4 falschl)
zugeschrieben sind I).
G r e g o r von Toiirs crzülilt (A) I11 10, dass Childebert (531) aus Spanien
r-riitcr anderm 1,rächtigc Kirchengerüthe mitbrachte und 'ecclcsiis e t basilicis
sanctorum' schenkte; dann (E) 111 29, dass (542) Childehert Saragossa niclit ein-
nehmen konnte, weil dic Einwohner die Tunica des Vincentius in Procession
cinhcr trugen; deshalb zogen Cliildebert und Chlotar ab (tirnentes sc ab ea civi-
tate removcrunt); endlich (C) 1 V 20: (558) Cliildcbcrtus rex aegrotarc coepit c t
cum diutissime apud Parisius lcctiilo decubasset obiit; nd 1) a s i l i earn b e a ti
V i n c e n t ii, quam ipse constriixerat, cst sepultus. Wciterliin berichtet Grcgor
1) E s iiiitersclirciben am 21. Bug. 666: Gcrrilaniis; hricctiiis Lugdunciisis cp. pctcntc . . Ger-
ui:tno cpiscopo ct donna Ultrogotlia regina atquc doiina G'lirodcsinta nc C1irol)crga . .; I)rnctcstatus
(Cnliillonensis ep.); E'elix (Aurelianciisis ep.); J:ufroriius (Xivcrncnsis ep.); Doii~iciaiiiis(Cari~otcnsi~
ep.) ; Donnolus Ceiiomanncnsis cp.; Calctricus ~ ~ c c c a t oVictririiis
r; pcccator ; J~codcbaiidiispcccator.
Krusch in dcr Notc zu den Scriptores rcriiiri Ncroving. I11 542 (IS'JF) wcist aiif dic Unter-
schriften der Syriodc zu Tours 'sub dic 15. Kai. Dcccnibris aiino Y1 rcgni . . (:1inribcrti7 = 17. Nov. 667
-
(Mansi IS 805) ; da untcrsclirciI,cii : Eilfronius Tiiroriicac civitatis cp. ; I>ractcxtntus . . pcccator .
e1). C C C ~ . nothoniagensis; Gcrmaiius pcccntor ep. C C C ~ . 1)arisiacac; E'elis ] ) C C C ~ ~ C]).
O ~ ccd.
Namncticac ; ~iialctricus pcccator Cl,. ccc~. Carnotcnsis ; Domitiaiiu~ pcccator CI). ecc~.
Andegavcnsis; Victorius pcccator ep. cccl. nliedonicac ; ~)oinnuiiispcccator CI). cccl. Cciionii~iiensis;
Lcudebaudis peccator ep. ecclcs. Sagciisis. BIit Ausnalinic des Nicctius vor1 Lyoil wcrdcii in bcidcn
(V1 4G), dass 584 ein Bischof den ermordeten Chilperich 'in b a s i l i c a sancti
V i n C c n t i , quae est Parisius, sepelivit, Fredegunde rcgina in ecclesia (d. h. in
der Kathcclrale; vgl. V11 4) derelicta'; endlich V111 10, dass die Körper der
ermordeten Söhne des Cliilperich, des Merovech und des Clilodovecli, ad b a s i l i -
c a m sancti V i n c e n t i beigesetzt werden.
Aus Urkunden, welclie Lasteyrie, Cartulaire gdn6ral de Paris I 1887, druckt,
erwähne ich die Bezeiclinungen: S. 8 (a. 615) basilica domni Vincentii; S. 18
(a. 690) ad basilica domne Vinccntc vel domni Gerinani; S. 21 (um '700) baselicae
sancte Crucis vel domni Vincenti; S. 20 und 22 (a. G97 und 703) monasterium
s. Vincentii et s. Crucis, ubi s. Germanus requiescit; S. 29 -in der Urkunde
I h r 1 d. Gr. von 772 findet sich G 3Tal der Titel 'basilica s. Vincenti e t s. Ger-
mnni' und in einer andern S. 33 von 779 zwei JIalc 'basilica S. Viilcenti vel
dorniii Gerniani'. Damit sind wir in die Zeiten gelangt, wo eine andere wichtige
Quelle einsetzt.
Die oben erwühnten 3 Stellen des Gregor von Tours (A B C) sind in den
L i b e r H i s t o r i a C Fr n ii C O r ii m (Script. rer. Blerov. 11) herüber genommen
und zwar A) Gregor 11110 in Kap. .23 S. 279 ohne wesentliclie Aenderiingen ') ;
B) Gregor 111 29 in Kap. 26 S. 284 mit der starlrcn Aenderung, dass Cliildebert
dem Bischof von Saragossa Gesclienlte gibt und dafiir die S t o I a d e s V i n C e n-

Scliriftstüclren dieselben Discliöfe und iii iilinlichcr lieilieiifolge genannt. Es sind eben, ausser
Nicctiiis, Eiscliöfe dcrsclbcii I'roviiiz. ES ist auffallend, abcr weder uiimöglich noch uiimalirschein-
licli, dass iiacli einem Jalire gcnaii dieselben Discliüfe Cliaribert's sich wieder zusamineiifindcn.
Iiruscli scliliesst: actis igitur nuctor cliartiilac USUS cst, quani non multo ante Gislcniariiiii C o n-
f'i c t a in esse putariiri. neccssitudincm haiic cuin non niiiniadvertisset J. Qiiiclicrat (1). 541), docu-
lncnti fideni tueri l~otcrat. Allein wenn der Fälsclicr dieser Urliuiide des Germaiiiis fiir die
~~iterscliriftcn die Akten jener Synode abschricl), mariim siiid dann iiiclit veiiiger als 4 Iliscliofssitze
faiscli abgescliriebeii? Quiclicrat's Erlilärurig llsst die 4 falsclieii Ortsnanieii begreiflicli crsclieinen;
bei I(riiscli7s Aniialinic I)leibt diese vierninligc Versetzung der Ortsnamen unbegreiflicli. Ferner
wenn Jcinaiid iin 9. Jahrliiiiiilert die Untcrscliriftcii jener Synode von Tours fiilschlicli Iiierlicr über-
trug, molicr hat er den sdir wertlivollen Z LI s a t z genonirnen 'petcntc . . U 1t r o g o t 11a regina
atclue donna C l i r od,cs i n t 2 ac C li r o b c r g a l ? Die regina Ultrogotha, coiiiux Childeberti regis,
wird genannt in dem Coiicil von Orleans 549 Kap. 16 (Aiansi IS Sp. 631); von Grcgor Ir. Fr. V 42
und Virt. Martini I 12; und in den Vitae der Ealtliildis, des Lconor und Carilefus; Fortunat spricht
5GG (V1 G, 24) von 'matcr cum gemiiiis natisl und Grcgor von Tours IV 20 sagt, dass 558 'Chlotha-
r-11~ Vltlirogotham et filias cius diias in cxiliuni posuitl. Wo abcr siiid die N a m e n dieser zwei
Töchter zu finden? Icli kaiiii Irciiic antlerc Q~iellc finden als eben diese Urlrunde des Gernianus.
Was in den alten Ausgaben des Aimoiti I1 29 stellt, stamnit aus unserer Urltuiidc, welche cbenda
111 2 abgedruckt ist. Wenn Jemand im 9. Jahrliundert diese Urliunde geniaclit und dazu die
~~nodaliinterschriften von 567 benutzt Iiattc, so wiirc dieser treffliche Zusatz einfach unbegreiflich.
nlso auch dicser Grund spriclit dafür, dass Quiclicrat Recht hat und dass nicht nur der Körper
der Urlimidc, sonder11 auch die Unterschriften echt sind, mit Ausnalimc der später zugesetzten
Ortsaiigabeii.
I) Docli werden die Iiostbarcn Gcrätlic genannt <de vasis Salomonis7; sonderbarerTVeise sagt
sclion l>roltop Goth. I 12, die I'rankeii Iiattcn Carcassonne so cifrig belagert, weil dort der Scliatz
der \Vcstgotlicn gowcsen sei, den einst Alaricli aus Rom mitgenommen Iiabc: Bv ZOG{V X U ~Z&
Zbldpwvoc X E ~ ~ T ~ A L UO, ~ ~ L O ~ ~ UE>s Z &yav
U L'vtar.
Abhdlgn. d. K. Qes. d. Wiss. zu Q6ttingen. Phi].-hiat. KI. N. E. Band 4.r. 8
t i U s erhält; dann nach Paris kommend 'ecclesiam in honore b. Vinccnti martyris
edificavit'; endlich C) Gregor I V 20 ist .in I<. 28 S. 287 ohne besondere Aende-
rangen abgeschrieben. Dagegen ein starker Fortschritt ist gemacht in der
V i t a D r o c t o vei, zuletzt gedruckt in den Scriptores rcriim Xcroving. 111 S.
537-543. G i s I e m a r, der Verfasser, ein Mönch des Klosters, will, da die
Normannen in der Nitte des 9. Jahrhunderts das Kloster öfter zerstört und auch
die ganze Bibliothek verbrannt haben, wenigstens die Biographie des 1. Abtes
(angeblich war das der von Fortunat I X 11 und 13 erwähnte Droctoveus) schreiben
und damit die Geschichte der Griindung des IKlosters und der IKirclie verweben.
Direkte Quellen dafür Iiat er keine; er schreibt besonclers den Libcr historiac
Prancorum und die Schriften des Fortunat aus. Ueber die AnfSnge der Icirche
gibt er nun weit mehr als die andern Q ~ ~ e l l c ndie ; Frage ist, ob er dazu eine
unbekannte schriftliche Quelle oder miindlichc Tradition im Kloster bcniitzt hat,
und wenn wirklich, wie viel er daneben an den andein aiisgeschricbcncn Dingen
verschönert hat.
A) I n Kapitel 13 des Gislemar bringt Childcbert aus Spanien neben dem
übrigen Irostbaren Kirchengerätli ' c r u c e m auream ~ r e t i o s i sgemmis redimitam'.
B) Kap. 11 ist die Bclagcrung Saragossa's, die Xrwerbung der Stola dcs
Vincentius und die Gründung der ecclesia bcati Vincentii in Paris, ebenso erzählt,
wie im Liber historiae Francorum, doch ist hier znnzchst die Ortsangabe I<.12
'in suburbii loco, qni olim nuncupabatur L U C o t i c i U s' zugesetzt, dann X. 13
'gratia igitur vivificac crucis ecclesinm sanctissimi m a r t ~ r i s ,ubi ipsam cum aliis
pretiosissimis ornamentis delegavit, in m o d U m C r U c i s acdificarc disposuit'.
Dann folgt eine Besclireibung der Kirche mit AnIrlängen an unser Gedicht des
Fortunat und vielleicht an das Gcdicht I11 7 ; dann wird als S C 11i l d e r U n g
d e r V i n c e n t i u s - K i r c h e dies ganze Gedicht des Fortunat I1 10 eingcriickt.
Nachdem dann noch I<.15 die Ausstattung der Kirche mit kostbarem Geräth
und mit Grundbesitz erwähnt ist, wird C) der T o (1 und das B e g r ä b n i s s
C h i 1d e b e r t s und die E i n w e i h ii n g der Grabeslrirche geschildert; Iiicr finden
sich die stiirksteii Z u s a t z e zu dem Berichte des Liber Iiistoriac Francornm
I<ap. 28 (bez. Gregor I V 20): des Weilinachtsfestes halber seien viele Bischöfe
in Paris gewesen; deshalb habe Germanus (558) am 23. Dezember zuerst die
IKirche 'in honorem vivificac crucis almique Vincentii' geweiht und dann die
Beisetzung des Icönigs in dieser IKirche vollzogen : beides unter Assistenz von
Ci Bischöfen; deren Namen sind samt den (falschen) Ortsangaben aus dem
Freiheitsbrief des Bischofs Germanus von 566 herübergcschrieben und also aus
dem Jahre 5GG in das Jahr 538 versetzt. I n I<. 1 7 werden von GisIemar die
4 Altäre angegeben; der Hauptaltar als 'ara in honorc sanctac Crucis sanctique
Vincentii m a r t ~ r i s ,ubi ctiam ipsius stolam, quam gloriosus rex CLildebertus
asportaverat ab Hispaniis, recondidit'. I n K. 19 wird bcriclitct, Gcrmanus ]labe
als ersten Abt dcn Droctoveus eingesetzt, und endlich wird der Inhalt des Frei-
heitsbriefes (von 566) vcrwerthet.
Die Uebertragung der Bischöfe aus der Urkunde von SGG zur Kirchweih
DER oELEüENHEITSDICiiTER FORTUXAT (I~IRCIIEXLOI?
11 10. GISLEJ~AR). €8
von 558 ist eine grobe Fälschung; unmöglich ist es, dass die Einweiliung der
Kirche an demselben 23. Dez. 558 stattgefunden habe wie das Begräbniss Chil-
deberts (V$. Quicherat S. 531); demnach ist auch die ganze Schilderung der
Einweihung und des Begräbnisses eine Erfindung des Gislemar; R. 13 und 14
die Schilderung der lcirche, wie sie vor dem Brande und vor den Vermiistungen
der Normannen war, ist ebenfalls ein Phantasiegemlilde, mit Ausdrüclien aus
Fortunat I1 10 und 111 7 aufgeputzt, um die einstige Hcrrlichlteit reclit gross
crsclieinen ZU lassen. Auch die K. 1 3 eingeflickte Nacliricht, dass Childebert 531
das kostbare ICreuz mitgebracht habe, ist Erfindung, um Alles in rechten Zu-
sammenhang zu bringen. Von einigem Werthe wird nur I<. 17, die Aufz%hlung
der Altare, sein; clcnn da schildert Gislemar vcrmiithlicfi die Altare, wie sie zn
seiner Zeit waren; s o n s t s i n d a l l e A n g a b e n d e s G i s l e m a r f i i r u n s
wcrthlos.
Wenn nun Gislemar so Vieles erfunden hat, was ist auf seinc Behauptung
zu geben, dass Fortunat in dem Gcdiclitc I1 1 0 die ICirchc Sancti Vincentii ge-
schildert Iiabe? Gewiss absolut nichts. Und doch haben viele Gelehrte eben
dcslialb das Gcdiclit 11 10 fiir eine Scliilderung der %]testen Kirclie S. Vincentii
erlrlärt. Die unbequeme Ueberschrift 'de ecclesia Parisiaca' will Le B1:tnt (In-
sciqiption~I 295), der noch obendrein dics Gedicht fiir eine Insclirift erklärt,
dadurch beseitigen, dass er sie fiir die Fälschung eines Schreibers erklart; Qui-
cherat dagegen meint 8. 550, es sei iiberliaupt ganz egal; denn 'Ie siege episcopal
cte Paris fut 6tabli non pas dans une dglise unique, mais dans plusieurs hglises
L: lcz fois'. Ich will hier nicht Iiervorheben, dass Germanus selbst auf das Recht
verzichtete, oline Einladung des Abtes Kirche und Kloster des S. Vincenz zu
betreten. Allein CS kommt hier nur auf das G e b ä u d e an; die Kirche des h.
Vincenz ist aber fiir Gregor so gut wio fiir Fortunat nur eine basilica, nicht
eine ecclesia.
Wenn also die Uebersclirift 'de ecclcsia Parisiaca' echt ist, so kann hier die
Vincentiusliirclie nicht gemeint sein, sondern nur die I<a t 11e d r a l e , die eigent-
liche Bischofskirche. Die Anspielungen auf den andern Namen S. Crucis, welche
Andere in dem Gedichte I1 10 zu finden glaubten, sind, wie schon Valesius sah,
nichtig. Valesius stiitzt seinc Behauptung, dass nur die Icatliedrale hier gemeint
sei, besonders auf die Verse :
Iiaec pius egregio rex Childebercthus amore dona suo o P u l o non moritura dedit ;
denn diese Worte passten nicht auf ein B-lönchshloster, Dieser Ansicht des Va-
lesius Iiaben sich Nanche angeschlossen, doch Mehr der Behauptung des Gislemar.
Priifen wir nun ohne Vorurtheil das, was uns Fortunatselbst sagt und lehrt.
Das Gedicht 11 1 0 besingt nicht die Einweihung einer Kirche ; denn der
Erbauer ist seit mindestens 7 Jahren todt und in der I(irche des h. Vincenz
begraben. Was also will eigentlich Fortunat mit dem Gedichte? Zur Antwort
führt der lange Schluss des Gedichtes (V. 17-26), welcher den verstorbenen
König Childebert lobt. Charibcrt hatte nach 561 die von Chlotar verbannte
Wittwc des Cliildebert, die U 1t r o g o t h o l mit ihren 2 Töchterii wieder nach
60 JVILHELX XEYER,

Paris gerufen und behandelte sie mit vieler Huld. Gregor V. Tours (Virt. 1Iar-
tini I 12) und die Vita Balthildis (K. 18 in Script. Cer. Neroving. I1 S. 506)
rühmt sie 'quod consolatrix fuisset pauperiim et servorum dei vcl monachorum
adiutrix', und oben sahen wir, dass sie und ihre beiden, also ermacliserien Töchter
im Jahre 566 mit Eifer Theil nahmen an der Ausstellung des Freibeitsbriefes
fiir die Grabeskirche des Childebert. Diesen 3 Damen muss Fortunat 566 in
Paris nahe getreten sein; denn er riihmt unerwarteter Weise in dem Panegyri- 1
cus V1 2, 13-18, zuerst den Childebert und dann 21-26 Charibert's Giite gegen I
die XTittwe und die Töchter; V1 G schildert er mit hohen Worten clen Garten,
den einst Cliildebert angelegt hatte, den jetzt 'lJltrogotlio mit ihren Tüchtern
besitzt. So ist sicherlich auch in iinserm Gedichte das Lob der ICirclie nur
Nebensache oder vielmehr nur l'iittel zum Zwecke.
Als Fortiinat in der Kirclie stand und an das dachte oder erinnert wiirdc,
was König Childebert fiir diese Kirche gethan hatte, da kam ihm der Gedanlre,
diese Empfindung so in ein Gedicht zii kleiden, wie es die Wittwe und ihre
Töchter am meisten erfreuen und riihrcn werde; dazu wiihlte er die Form des
Eirchenlobs, cl. h. er versetzt sich in die Kirche und spricht im Innern der
Kirche seine Empfindungen aus. I n der Einleitung vergleicht e r die I.irche mit
dem salomonischen Tempel; jener sei wohl praclitiger gewesen; diese Icirclie
stiinde aber höher, weil sie eine christliche sei. Dann lobt er die Marmorsäulen,
die Glasfenster, die getiifelte und (wohl von Vergoldung) scliimmernde Declre.
Mit dem Uebergange 'haec dona rex Childeberctlius suo popnlo dedit' kommt e r I
zum Schlusse, dem Lobe des Cliildcbert selbst. Wenn Fortiinat dies Gedicht 1

der Wittwe und ihren Töchtern vortrug, erreichte e r sicher sein Ziel. 3
I
1
Ist diese Auffassung des Ganzen richtig, dann ist es um so sicherer, dass I

die beschriebene Kirche n i C h t die Graheskirche des Childebert, die Kirche St.
Vincentii, ist. Denn wenn Portiinat sogar beim Lobe des von Cliildebert angc-
legten Gartens (V1 6) es fiir nöthig fand, zu erwähnen, dass in der anstossenden
Kirche der König selbst begraben sei V. 19/20: /
hinc iter eius erat, cum limina sancta petebat, quae modo pro mcritis incolit ille magis,
so hätte er beim Lob der Kirclie (I1 10), wenn dies eben jene Grabeskirche ge-
wesen wäre, natiirlich noch viel deiitlicher ausgemalt, dass gerade hier der fromme
und geliebte Stifter begraben liege. Aber er deutet gerade das Gegcntheil an
mit dem Schlusse V. 2516 :
hinc abicns illic meritorum vivit honorc; hic quoque gestorum laudc perennis erit :
d. h. aus dem Diesseits ging er ins Jenseits, doch wird im Diesseits der Ruhm
seiner edeln Thaten fortleben. Wie in einem Lob der Vincentiuskirche das Grab
des Childebert unbedingt Iiätte erwähnt werden müssen, so warc cla auch eine
Ermahnung des Schutzpatrons Vincentius durchaus zu erwarten.
Nun will man in der Einleitung Anspiclilngen finden aiif den Namen 'sanctae
Crucis'. Allein die Kirche wird verglichen mit dem salomonischen Tempel, d. 11.
die christliche Kirclie wird dcr jüdischen vorgezogen in Hinsicht auf den Inlialt
des Glaubens. Worin lag nun fiir Fortunat der Unterschied des jüdischen
11O ~10).
DER GELEGENHEITSDICIITER FORTUNAT ( I ~ I R C I I E ~ \ ' I ~ ~ 61
und des christlichen Glaubens ? Nicht im Glauben an Gott, sondern eben im
Glauben an Christus und an sein Erlösungswerk. Nur dies bezeichnen die Prä-
dikate iinserer Xirche 'pnlchrior ista fidel, dann
7 clarius liaec Christi sanguine tincta nitet.
B huic venerabilior de cruce fulget honor.
11 haec pretio mundi stat solidata domus 1).
Das sind nur selbstverständliche Pradikate, welche im Gegensatze zu einer
jüdischen I<irclie jeder cliristliclien gegeben werden können.
So tritt also die Ueberschrift 'de ecclesia Parisiaca' in ihr Recht wieder
ein : die P a r i s e r K a t h e d r a l e ist es, welclie Fortunat hier bezeichnet. Auf
das Lol) der Domgeistlichlceit (I1 9 ad elerum Parisiacum) folgt das Lob des
Domes selbst:
splcndida marmoreis attollitrir aiila C O 1u m n i s
12 et quia pura manct, gratia maior inest.
prima cnpit radios V i t 1, c i s oculata f e n e s t r i s
14 artificisqiie manii (manns?) clausit in arce dicm.
cursibus Aurorae vaga lux 1a q u e a r i a conplet,
16 atqiie siiis radiis e t sine solc micat.
Haec pius egiegio rex Childebercthns amore
18 dona suo populo non moritura dedit.
Cliilclebert, der rex Parisiacus, Iiat viele Jahre in Paris regiert; aber den-
noch muss man folgenden Einwand anerlrenncn: aiiffallend bleibt es, dass nir-
gends eine Notiz sicli erhalten hat, die Pariser IKathedrale sei von König Chil-
debert erbaut, iim SO aiiffallcndcr, als diese I<atlicdrale, die Hauptkirche der
Hauptstadt des weiten I'"ranlrenrciclics, ein maclitiger Baii gewesen sein muss.
Freilich Alle nehmen ohne weiteres Besinnen an, dass Fortunat von der Er-
b a u i i n g der Kirche spreclie : allein icli kann das nicht finden. Der Ausdruck
'haec d o n a pius rex popnlo suo dedit' ist allerdings ganz allgemein zu fassen
als das, was der Ncnsch Gott spendet, um dafiir im Himmel Lohn zu gewinnen;
dona lrann also ebenso gut einen vollstandig neuen Bau wie Umbau und Aus-
schmückung bezeichnen; I 11 hat Leontius neben einer zu lcleinen Kirche eine
grössere gebaut: da hcisst es V. 9/10:
fundavitque piam lianc papa Leontiiis aiilam obtulit et domino spleildida d o n a suo.
I 12 hat Lcontius eine neue IKirche gebaut und seine Frau ein silbernes Bal-
dachin iiber dem Grab des Heiligen gestiftet : o n a r i a tanta dedistis' sagt
davon Fortiinat V. 19. I 14 wird ein Calix dargebracht: auch von diesem
Kelche sagt Fortiinat 'pia d o n a Lcontius offert'. Also der Ausdruck 'haec dona
non moritiira' in iinserm Gedichte lrönnte cinc neu gebaute Kirche bezeichnen.
Die ansfiihrlichc Schildcrung der Eirche in Nantcs (1117) will ich nicht

1) Ll'rctiiim miiiidi' ist Cl~risfus;2.11. 11 G , 23 prctiiim pcpcndit sacculi; 112, 38 (0 crux) digna
fcrro prctium sacculi.
vergleichen; denn dort handelte es sich um die höchst feierliche Einweihung
einer eben vollendeten Bischofskirche : hier ist das, was Childebert geleistet hat,
vielleicht schon vor 30 Jahren geschehen. Aber wenn dem Fortunat 566 be-
richtet worden wiire, diese Kirche hat Childebert erbaut, so h%tte e r doch einen
seiner vielen Ausdrüclre, wie fundavit extulit struxit condidit locavit obtulit
haec culmina, gebrauchen miissen; statt dessen nennt er nur Säulcn, Glasfenster
und Deckcngetäfel. Darnach haben wir nur das Recht zu schliessen, dass dem
Fortunat berichtet wordcn i s t , König Childebert habe einst die Kathedrale
n i c h t e r b a u t , aber prüclitig g e s c h m ü c k t . Ebenso wie I 8 Leontius die
Vincentiuskirche nur mit einem Bleidsch vcrsielit :
14 ~ U Osacra membra iacent, s t a g n c a t e C t n dedit
et, licct cniteat meritis venerabilc templum,
attamen o r n a t u m praebuit iste suum,
so hat auch Childebert 'ornatum suum' der ICathedrale in Paris gespendet.
Dieser 'ornatus' betraf das Mittelschiff: die jedenfalls besonders schönen (an-
tiken) S % U 1e n , darüber die mit Glas gesclilossenen F c n s t e r , damals eine
Seltenheit I ) , und endlich die gctüfelte D e C k C , welche bunt bemalt oder ver-
goldet war. H a t Childebert nur diesen glänzenden Schmuck der ICirchc gelic-
fert, dann passt dazu gut der Ausdruck 17 'haec dona', ja die Lobspriiche V. 19
'ecclesiae a m p 1i f i C a v it opes in j affcctu divini cultus' und ' C O m p 1e v i t reli-
gionis opus' passen viel besser zu einer Ausschmiickung als zu ciner Erbauung.
'Lob der einst durch König Childcbcrt ausgeschmiic1;tcn Pariser Kathe-
drale': dies Thema stellte sich Fortunat 566 und es ist zuzugeben, dass e r
dieses Thema geschickt d~irchgeführthat und dass die Zuhörcr, fiir welche For-
tunst zunächst dichtete, Childeberts Wittwe und die beidcn Töchter, durchaus
befriedigt scin konnten.
Gedicht auf die Xathedrale in Tours.
X 6 versus a d ecclesiam Toronicam, quac per Gregoriurn
e p i s C o p U m r e n o V a t a e s t. Diesem sehr schwierigen Gedichte schickt
Leo die Bemerlrung voran : 'cpigrainmatum de templo Martini congeries', dann
zu V. 92 'harum picturarum dcscriptiones esse epigrammata quae secuntur Bro-
werns vidit'. Dagegen druckt J. V. Schlosser, Quellenbuch zur Kunstgeschichte
(Eitelberger-Ilg, Quellenschriften, N. Folge V11 1896 S. 3 7 4 2 ) das ganze Stück
ab, nach dem Vorgange Le Blant's Inscriptions Chretiennes I 247-253 ; Schlos-
ser (Sitzungsber. der JVicner Akademie, Bd. 123, 1891, 2. Abhandlung s. 86)

1) Der Prachtbau desiFelix in Nantcs wie die Kathedrale in Tours, zwei cccclcsiacl d. h. Bi-
schofskirchen, haben nur offene Fenster 'p a t U 1 i s oculata fcncstris' (I11 7, 47 = X 6, 89) d. 11.
die Fensteröffnungen sind nur mit durchbrochenem IIolz- odcr Stcinwerlc gefüllt; über die Selten-
heit des Verschlusses der E'cnster mit Glas in jener Zeit s. Dehio-Bezold, die Icircliliche Ilaulcunst,
I 1892 S. 109. Daselbst S. 107 ist auch Einiges iiber die Decken gesagt. In V. 15 'cursibus
Aurorae vaga lux laqucaria conplct, atquo siiis radiis et sinc solc micat' kann icli 'Aurorac' nur ,
= solis erklären. Die Worte deuten fast siclicr an, dass die Decke bemalt odcr vergoldet war,
so dass sie strahlte.
DER GELEGENIIEITSDICHTEB FORTUNAT (KII:CIIESI,OC
X G). 63
bemerkt : 'fiir die malerische Ausschmiicliiing des Neubaues hat Gregor's Freund
Venantius Fortunatus die Tituli geliefert, welche, noch erhalten, uns genauen
Aufscliliiss iiber die Darstellungen geben'. Dazu citirt er eine Stelle aus der
Vita des Gregor von Tours, welche im 10. Jahrhundert verfasst ist 'matrem
namquc ecclesiam quam domnus n9artinus construxerat, hic nimia vetiistate con-
fcetam arcuato schemate reparavit atque Iiistoriatis parietibus per eiusdem Mar-
tini gcsta decoravit'. Die Angabe 'nIartinus construxerat' ist sicher falsch, uiid
ich fiirchte, dass auch die folgenden Angaben nur ans iinserm Gedicht gezogen
sind, vgl. z. B. 79 victa vetnstatis per tempora culminis arca diruit zatcl 01
Iucidius fabricam pictiirac pompa perornat. Lco hatte zu seiner Bemerkurig
guten Anlass; denn so Vicles ist in clcm Gedichte doppelt gesagt und die ge-
nannten Dinge werden in einem solchen Durcheinander vorgebracht, dass dies
Gedicht als ein Ganzes niclit nur des Fortiinat, sondern iiberhaupt jedes ver-
standigen Menschen unwiirdig wiirc. Dennoch ist Leo's bIeiniing, hier liege ein
buntes Sammelsuriuin vcrschiedcncr Inschriften vor, niclit lialtbar.
Die Ueberschrift bezeichnet eine feste Begebenheit, für welche das Gedicht
bestimmt worden sei : die Vollendung dcr Rcnoviriing dcr ecclcsia Turonensis.
Das ist nicht die bcriihmte Basilica S. 3Iartini, in welcher scin Leib ruhte, son-
dern die Stadtbirclie, iii wclclier JIartin als Bischof regiert hatte. Le Blant
hat I 248 die richtige und wichtige Bemerliiing gemacht, dass bei Grcgor von
Tours e C c 1e s i a und b a s i I i c a vcrscliicdeiie Bccieutung haben und dass die Bi-
schofsliircheii ecclcsia lieissen; dasselbe gilt fiir Fortunat, bei dem I1 10 und
III G ecclesia die Biscliofskiiclie bezeichnet, während die verschiedenen Heiligen
geweihten Rirclien Iiberall bei ihm basilica hcisscn. Da (las Gedicht im 10.
Buche stellt, so muss die liier besungene Gelegenheit nach dem Jtthre 584 vor-
gdlromrnen sein. All dem entspricht trefflich, was Gregor (H. FsiX 31 = s. 448, 9)
selbst von sich erzälilt : ecclesiam urbis Turoiiicae, in qua beatus unrtinus vel
ceteri sacerdotes domini ad pontificatus officium conseciati sunt , ab incendio
dissoliitam dirutamqiie nanctus sum; cluam reacdificatam in ampliori altioriquc
fastigio septimo decimo ordinationis mcae anno (im Jahr 590) dedicavi').
Zu dieser Kathedrale gehörte die sogenannte C c l l u l a S. JIartini, welche For-
tunat zwischen 573 und 5'76 in dem Gediclite 1 5 besungen hat. Zwei Wunder-
tliaten, wclclic nach der Vita ;llartini zu ganz Zeiten passirt sind
(Vita 111 24-73 und I V 305-330 Lviditin urbc'!), lässt Fortunat dagegen 1 5
wie hier X 6 bei derselben Gelcgcnhcit unmittelbar hinter einander in dieser

1) Dann crzillilt Grcgor von vcrscliicdci~ciiwieder gcfuildciien Keliquien iincl schliesst 'hacc in
ccclesia colloc.avi'; Iiieralif spriclit cr nocli von (Icr 'ce 1111 1a s. BIartiiii 0 C 1es i a C ipsi contigiia',
(vgl. Sulpiciiis Scvcrus Vita BIartirii 10, 2 adliacrciis ad ccclcsiam ceilula iind Fortunat 1 5).
Jctzt erst S. 448, 27 bcgiiint er von der Grabcslrircl~cund der dazu geliörig~nTaufkirche : 'B 2-
s i 1 i C a C sanctac ~ ~ a r i c t eadustos
s inccndio rcppcri, rluos in illo nitorc vel pingi vcl exornari, ilt
prius fuerant, artifituni nostrorurri opcrc inil~cravi. Gaptistcrium ad ipsam bssilicam aedificnrc
praccclii'.
Cellula sich ereignen; ja, während er dieselben in I 5 wenigstens :nur einfach
aneinander schiebt, schiebt er sie in X G ineinander ; denn Vita I11 24-73 i s t
= I 5, 7-14 und = X 6, 3-4 und 9-10; dagegen Vita I V 305-330 ist = I 5,
15-20 und = X 6, 5-8 3.
Dies Gedicht betrifft also die im Jalirc 590 vollendete Renovirnng der Ka-
thedrale in Tours. Die 132 Verse bestehen offenbar aus 2 nfassen: die eine
&Tasse schildert den Bau und Umbau V. 1-24 und 73-93; die andere Nasse
schildert einzelne TVunderthaten des nlartin: V. 25-73 und 93-132. Ich will
zunachst die letztere Nasse untersuchen. Der bescliriebenen Wunder sind es im
Ganzen 10 oder 119);von diesen sind 5 sowolll in der ersten Schicht, wie in der
zweitenScliiclitbeschrieben. Damit f ä l l t d a s G e d i c h t a u s e i n a n d e r . Die
eine Schicht ist entweder von einem andern Dicliter geschrieben oder, wenn eben-
falls von Fortunat verfasst, kann sie nur eine andere Bearbeitung derselben
Stoffe scin. Die verschiedenen Schichten mit I und I1 bezeiclinend, will icli die
JV~inderschilderiingendurchgehen.
1) G e t 11e i l t C r M a n t c 1, von Christus getragen : Vita I 50-67, bezeicli-
net als 'p r i m a Iiaec virtiitum fuit arra e t pignus amoris'. I n I (23-30)
wirlrlicli das erste Bild: in I1 (103-106) weiter Iiintenhin geschoben, dabei der
Ortsname Ambianis weggelassen.
2) A u s s ä t z i g e r g e k i i s s t : Vita 1 487-513. I (31-3G) = U.
(07-100) ; I1 mit einem auffallenden persönlichen Zusatze : qui sacer ipse mihi
te, pastor, agente, Gregori, Fortunato adimat tot maculosa reo.
3) T o d t e r K a t e c h u m e n o s u n d E r l i e n k t e r w i e d e r l o b e n -
d i g : Vita I 169-178 und 179-201. I (37-42) mit dem sonderbaren Zu-
satze 'sie v i d u a e genito laqueato, deinde reducto', wälirend nacli der Vita es
ein famulus Lupicini cuiusdam honorati viri w a r ; in 11 (117-120) ganz ver-
fiacht zu den Worten 'duccre qui meruit de morte cadavera vitae'.
4) F a 1 1 e n d C F i C 11 t e : Vita I 240-279. I n I (43-48) ist die Wette
mit den heidnischen Bauern wenigstens noch angedeutet (V. 44 iustum ibi sup-
posuit riistica tnrba premi), während in I1 (121-124) Iceine Rede mclir 'da-
von ist.
1) Sonderbar ist, wie in X G die Erzählung des einen IVunders auseinander gerissen und auf
die Verse 3 U. 4 iiiid 9 U. 10 vcrtheilt ist; um so cigcnthümliclier als Ausdriiclic, wclclic in I fi
nur für das cine Wunder verwendet werden, hier zum Tlieil flir das cine, zum Tlicil für das an-
dere verwendet werden. Denn die Verse I 6, 11 und 12
quitamcnaltaris s a c r s d u m m y s t c r i a t r a c t a t signando calicem s i g n a beata d c d i t
sind in X 6, 4 lind 5 umgedrelit verwendet :
gestorumscriefulgida s i g n a d c d i t . namqueidcmantistcs s a c r a d u m n i y s t o r i a t r a c t a t . .
2) Schlosser (Wiener Sitzungsber. S. 88 zälilt nur 7 und bcmerlrt 911s diesem ansclicinend
nur fragmentarisch crlialtencn Cyclus (von Gemälden) lässt sich ein Schluss auf den gewiss reicli-
haltigeren der Nartinsbasilika ziclieii , der seinerseits wohl jenem zuni Vorbild gediciit Iist'.
Schlosser lasst von meiner Aufzählung no 5 7 8 9 weg: über no 9 Iralin nian ja verscliicdciier
Ansicht sein, allein no 5 7 8 sind so siclier, wie die aiidcrn. Ob es aber sich Iiicr überhaupt um
Gemälde handelt, darüber später.
DER GELEGE?~'HEITSDICHTER FORTUNAT (KIRCHESLOB
X 6). 65

5) S c h l a n g e n b i s s g e h e i l t : VitaIII97-120. 1 4 9 - 5 4 ; felilt in 11.


6) F a 1s C h e r H e i 1i g e r : Vita I 223-234. I (55-60) und I1 (129-132).
7) S c h l a n g e n b a n n : Vita I V 272-283. I (61-66); fehlt in 11.
8) B r i e f h e i l t F i e b e r ; Vita I1 19-37. I(67-72); fehlt in 11.
Die z W c i t e S c h i C h t beginnt no 9 mit V. 93-96 Pannonia misit tibi,
Gallia, JIartinum. Diese 4 Zeilen können sich auf ein B il d n i s s d e s h. 11a r -
t i n beziehen. V. 07-102 und 103-106 enthalten die obigen no 2 und no 1
mit den oben notirten Abänderungen.
Hierauf sind V. 107 und 108 Einleitung zu no 10, A r m m i t E d e l -
s t e i n e n bedeckt, welche Geschichte in den 4 Versen 109-112 erzählt und in
abermals 4 Versen 113-116 glossirt wird; dieses Wunder ist in I nicht geschil-
dert, weil es schon in der Einleitung genannt war (V. 5-8). Hier liegt, wenn
ich mich nicht tausche, ein seltsames Beispiel vor, wie wenig den Leuten der
Zeit an diesen Wundergeschicliten lag. I n der Vita I11 23-73 wird die Ge-
schichte erzühlt, wie Martin seine eigene Tunica vcrschenlrt, dann, da e r zum
Altare muss, eine 'hirsuta bigerrica' anzieht und celebrirt; da 'protinus a capite
emicuit g 1 o b u s ignis amici' Lgesta occulta in lucem mittens'; diese Geschichte
ist in Tours in der Rischofskirchc passirt. Zu ganz anderer Zeit ist gescliehen,
was in der Vita I V 303-330 erzählt wird: der Exprnefect Arboriiis will ge-
sehen haben, als Martin die Hostie segnete, dass seine Hand schimmerte wie
Edelstein, und zugleich will e r den Ton von sich reibenden Edelsteinen gehört
haben ; Fortunat schliesst 'in loco manicae micuit translata smaragdus' ; von einer
Tunica oder von zu kurzem Aermel ist durchaus keine Rede. Diesc beiden Ge-
schichten haben nur das gemeinsam, dass sie beide am Altare passiren. For-
tunat hat I 5 zuerst die erstere (;eschicllte erzälilt, wobei er von v i l i t u n i c a
spricht, dann V. 15 unmittelbar die zweite angeschoben mit dem Anfang 'ac
brevibus manicis, fieret ne iniuria dextrne, qua caro nudn fuit, gemmae texerunt.
Dass die beiden Geschichten bei derselben Altarhandlung passirt seicn, dass
Jfartin zu kurze Aermel geliabt Iiabe, weil e r an Stelle seiner versclienlrten
Tunica eine schlechte trug, das ist hier Erfindung und Zudiclitung des Fortunat.
Auch in unserm Gedichte X G Vers 3-10 sind die beiden Qeschichtcn verbunden
und in einander geschoben.
Nun gibt es aber noch die beriihmte Gescliichte, wie Jlartin als jugendliclicr
Soldat schon Alles verschenkt Iiat und, als er noch einem nackten Armen be-
gegnet, seinen Mantel zerschneidet, dem Armen die eine Hälfte gibt und selbst
mit der ctndcrn verlacht wird, wie ihm aber des Nachts Christus erscheint mit
derselben Hiilftc bekleidet. Diese Gescliiclite Tvird als in Amiens geschehen von
Fortiinat selbst crziililt Vita I 50-67, clann oben V. 23-30 und ohne Ortsan-
gabe V. 103-106. Was soll man nun von unscrn Versen 109--112 sagen?:
deniqiie cum tunicam sacer ipsc d e d i s s e t e g e n t i
ac sibi p a r s t u n i c a e rcddita parva foret,
quod non tcxerunt m a n i c a e per bracliia curtae,
visn tegi g c m m i s cst inanus illa viri.
Abdlilgn. d. Ti. Gos. d. Wiss. zn QBttingoii. Piii1.-bist. Kl. N. F. Band 4, s.
66 WILHELN BIEYER,

V. 112, die Hauptsache, entspricht der eigentlichen Geschichte, nach welcher


der segnende Vorderarm von Edelsteinen iiberzogen i s t ; V. 111 bringt, wie
schon 1 5 , die Zudichtnng des zu kurzen Aermels; V. 109 bringt, wie schon 1 5 ,
die Edelsteingeschichte in falsche Verbindung mit dem Wegschenken seiner
eigenen Tunika; was soll aber V. 110 'ac sibi p a r s tunicae reddita parva foret'?
Hier muss, in kecker und etwas gedankenloser Weise, ein Stück aus der Ge-
schichte vom getheilten Mantel herein gezogen sein. Das zeigt, dass diese
TSTundergeschichten fiir jene Leute noch weiches Wachs waren, das man formen
durfte, wie es Einem am hübschesten schien.
I n den V. 117-120 und 121-124 folgen die beiden Wunder I no 3 und 4,
beide etwas verflacht.
n o 11 G ö t z e n s ä u l e : Vita I V 233-230; hier V. 125-128; f e h l t i n I.
Es schliessen die V. 129-132 = oben I no G 'falscher Heiliger'.
I n diesen 2 Schichten haben wir ofFenbar vor uns z W e i v e r s C h i e d e n e
A u s a r b e i t U n g en desselben Stoffes : Schilderung von Wunderthaten des h.
Martin; der erste Entwurf schildert in 8 scchszeiligen Gruppen 8 Wunder, der
zweite Entwurf schildert, wenn ich die auch sonst anstössigen Distichen 101
und 107 weglasse, in 9 vierzeiligcn Gruppen 8 Wunder. Aehnliclie scchszeilige
Versgruppen finden sich 6 in dem Gedicht V111 3, 281-317; ähnliche vierzeilige
Gruppen finden sich 7 als Inschriften auf Prunkscliüsseln V11 24; anderer A r t
sind die Strophen in dem Gedichte Appendix no 2.
Betrachten wir nun die llasse, welche den B a u schildert : zunächst V. 1-24,
welche der ersten Schicht der Wunderbeschreibungen vorangehen. Die Hand-
schriften theilcn sie durch Item in 3 Schichten : 1-12, Item 13-18, Item 19-24.
Das ist vollkommen richtig ; denn es sind 3 v e r s C h i e d e n e E n t tv ii r f e iiber
denselben Stoff: die E i n l e i t u n g zu dem ganzen Gedichte. Die Anfiinge und
Schlüsse dieser 3 Entwürfe sind also gleich. Die A n f ii n g c lauten :
1 Emicat altithroni cultu venerabile templum.
13 Fulgida praecipni nituerunt culmina templi.
19 Clara supercilio domini delubra nitescunt.
Ebenso ähnlich sind die S c h 1ii s s e:
11 Quae modo templa sacer renovata Gregorius effert
et rediit priscus cultus honorque suus.
17 Martini auxiliis operando Gregorius aedem
reddidit (= factzcs cst) iste novus, quod fuit ille vetns.
23 Quam pastor studuit renovare Gregorins aedem,
nec oecidisse dolet, quae magis aucta favct.
Das sind bei Portunat uns wohl bekannte Formeln; vgl. z. B. mit V. 13
die Verse I1 13, I und I 10, 1:
Lucida perspicui nituerunt limina templi. Culmina conspicui radiant vcncrandaNazari.
Dagegen die N i t t e dieser verschiedenen Entwürfe ist etwas vcrscliiedcn.
Die Mitte des 1. Entwurfes führt in V. 3-10 das häufige Thema 'cgregium me-
ritis' aus, indem sie 2 Wunder erzahlt, welche in dieser Kathedrale geschelien
DER GELEGENHEI~SDICEITE~FORTUNBT ( K I R C ~ U L O DX G ) . 67
seien. Die JIitte des 2. Entwurfes ist die lrahlste ; sie behandelt in V. 14-16
nur das häufige Thema 'in Senium vergens, melius revirescere discensl. Die
>litte des 3. Entwurfes ist etwas interessanter, indem sie in V. 20-21 angibt,
dass Feuchtigkeit von oben die wände geschädigt hatte (vgl. I 13, 5). Diese
verschiedenen Arten des Inlialtes, Wunder des betreffenden Heiligen oder Vor-
geschichte des Kirchenbaues, haben wir friiher in den Lobsprüchen auf I<irchen
oft getroffen (vgl. S. 48).
Betrachten wir endlich die Verse 73-92, welche zwischen den beiden Ent-
würfen der Wunderbeschreibungen stehen, so ist sofort ldar: die G Verse 73-78
sind der Schluss des I. Entwurfes, welcher sich ja durchaus sechszeiliger Vers-
s u p p e n bedient; dagegen die Verse 79-92 enthalten die Einleitung zum 2. Ent-
wurfe der Wunderbcschreibungen. Der sechszeilige S C li 1ri s s des 1. Entwurfcs
hat einen regelrechten Inhalt; Gott wird angerufen, dass e r dem Bischof Gre-
I
gorius dafür, dass e r dies Gotteshaus SO schön erneuert habe, eine Wolinung im
I Himmel biete: 78 haec danti in tcrris culmina redde polis; vgl. z. B. 1 3, 11
llaec templa Palladius locavit, unde sibi sciat (pateat?) non peritura domus;
I 6, 5 condidit delubra Leontius, u t talibus officiis ipse intret polos; I11 7, 57
I
obtulit haec Felix, iit ipsc, Christe, tuum templum sit, qui tibi tcmpla dedit.
Die Verse 79-92 sind die E i n l e i t u n g d e s 2. E n t w u r f e s der Wunder-
boschreibung, also der folgenden Verse 93-132. Diese Einleitung verwerthet
theils Elemente der obigen 3 Einleitungsentwiirfe V. 1-24, theils fiigt sie Neues
hinzu. So entspricht V. 81/82 den Versen 9/10, die Verse 79/80 und 83-86
f
den Versen 13-16 uiid 21-24. Neu zugefügt sind die Gedanken in V. 87-92;
I doch sind auch diese Gedanken uns oft im Icirchenlob begegnet; so ist die aula
decens patulis oculata fenestris quo noctis tenelsris clariditur arte dies' uns schon
I .
vorgebildet in I11 7, 47 patulis oculata fenestris . quo temporc tenebrae re-
deiint, detinet aula diem ugztl I1 10, 1 3 vitreis ocnlata fenestris ..
clausit in arce
d i e n Z L I Z ~ I11 23, 1 G et si so1 fugiat, hic manet arte dies ; ferner 'fabricam pic-
turae pompa perornat ductaque qua fucis vivero mcmbra putes' ist vorgebildet
in 111 7, 35 illic cxpositos fucis animaiitibus artus vivere picturas arte reflante
p t a s Z C I Z ~I 12, I8 artificemque putas hic animasse feras.
Demnach ist klar: die 132 Verse des Gedichtes X G enthalten 2 Skizzen
über ein und denselben Stoff; die erste Skizze bestellt aus der Einleitung in
3 Entwürfen, aus dem Nittcl- und Hauptstück, der Scliilderung der Wunder, V.
25-72, und aus dem Schlusse V. 73-78: die zweite Skizze bcstcht nur aus Ein-
leitung (V. 79-02) uncl dem Hauptstüclre, der TVunderschildcrung, V. 93-132;
der Schluss fehlt. Die 3 Entwürfe zur Einleitung der 1. Sltizze sind in der
Einleitung der 2. Skizze zusammengearbeitet; der Inhalt der TVnnderschilde-
rungen in den V. 25-30, 37-42, 43-48 ist in der 2. Skizze verflaclit: deshalb
ist wa]irsclieinli~h, dass die 2. Sltizze die spätere ist, wie ihr ja auch der Schluss
fohlt. Darnacli wird höchst .tvahrsclieinlicli, dass dies Gedicht überhaupt nie
fertig ist, und siclier, dass die endgiltige Ausfertigung uns nicht cr-
lialten ist.
9.i'
68 VILHELM MEYER,

Zweck de s Gedichtes. Wollen wir jetzt erkennen, was Fortunat


mit dem Gedicht eigentlich gewollt hat, so dürfen wir einen vollständigen Ent-
wurf, wie V. 19-78, dieser Prüfung zu Grunde legen und die andern Eiltwiirfe
nur zur Controle benützen. Die Formen entsprechen jenen des K i r C h e 11 1o b s :
die Kirche wird mit 'haec' vor Augen gestellt, der Bauherr in der 3. Person
und kurz erwühnt (denn in V. 73 ist Gregorius Nominativ, nicht Vocativ). Auch
der Inhalt entspricht dem des Kirchenlobs : Vorgeschichte des Umbaues ; Lob
des IIeiligen; Erwartung, dass der Bauherr im Himmel belohnt werde; man
vergleiche nur das vorangehende kleine Gedicht 'de oratorio Artannensi': 2 Verse
Einleitung; G Verse Lob des Heiligen; 2 Verse Schluss: Nennung des Bauherrn
und Erwartung himmlischen Lohnes fiir ihn. Dieses Gedicht X 6 ist also diirch-
aus dem gewöhnlichen Rirchenlob gleich. Die Schilderungen der einzelnen
W~indersind durchans nicht dazii gedichtet, um unter den betreffenden Gemülden
der Kathedrale eingemeisselt oder angeschrieben zu werden, sie sind k e i n e I n -
s C h r i f t e n ; denn die Einleitiing V. 19-24 und der Abschluss (V. 73-78)
dieser TV~~nderschilderung lüsst sich von ihr nicht trennen ; wo aber sollten diese
V. 19 -24 und 73-78 gestanden haben 3 Wollte demnach Jemand behaupten,
das Gedicht Fortnnats habe iiberhaupt mit den Gemülden der Kathedrale in
Tours nichts zii thun, sondern Fortunat habe nur die Thaten des Heiligen in
sechszeiligen Versgruppen geschildert, wie e r in dem Gedichte V111 3 V. 281-317
die G Tugenden in je sechszeiligen Versgrnppen geschildert hat, ohne irgendwie
an Inschriften zu denken, so kann man kaum feste Gründe dagegen vorbringen.
J a dann wäre einfach zu verstehen, wie die 2 Wunder vom Feuerschein um das
Haupt lind vom Arm voll Edelsteinen in der Einleitung (1. Entwurf = V. 3-10)
abgemacht werden konnten. Diese Wunder waren ja in dieser ICatliedrale ge-
schehen und mussten, wenn iiberhaupt welche, dort gemalt sein; das eine wird
ja auch in der *2. Skizze V. 109-116 einzeln geschi1der.t: liandcltc es sich Iiier
wirltlicli um die Schilderung von Gemälden, so hätten diese beiden vor allen der
Reihe der sechszeiligen Scliilderungen V. 25-72 eingereiht werden müssen.
Sicher scheint, (lass die Ueberschrift richtig i s t : versus ad ecclesiam (~ziclit
ad picturas ecclesiae), quae per Gregorium episcopum renovatu est. Fortunat
wollte oder sollte nur die vollendete Renovirung der Kirche loben ; dies Icirclien-
lob sollte bei der Einweihung vorgetragen werden. Dabei k a n n Fortunat aiif
den Einfall gekommen sein, den wichtigen Bestandtheil des Lobspriiclies, das
Lob des Heiligen, so zu geben, dass er einzelne Wilnder desselben, z u e i n z cl-
n e n G e m ü l d e n i n d e r K i r c h e g e w e n d e t , declamirte; so würde sich die
immerhin auffgllige Thatsache erklären, dass die 1. Skizze der Wiinderscliilderung
sich in sechszeiligen Versgrnppen bewegt, die 2. in vierzeiligcn; es wiirde sich
auch begreifen, dass nur einige lind in beiden Skizzen zum Theil andere Wuniler
geschildert werden. So würden wir uns der oben S. 62 erwähnten Ansicht von
Le Blant und Schlosser, das Gedicht wolle die Gemiilde der ICathedrale be-
schreiben, wenigstens etwas nühern. Doch selbst diese vermittelnde Vermiitliung
ist unsicher und Nebensache; die Hauptsache i s t : wir haben in dem Gcdiclit X (i
DER GELEGESIIEITSDIUHT~FOItTUKAT X G . AUSGABE DES 10.11. 1 1. I~UCIIES).
(~IRCUENLOB 69
ein gewöhnliches, nur zum Vortrag in der Kirche bestimmtes Kirchenlob vor
uns, aber dieses nicht in der endgiltigen Ausfertigung, sondern niir in 2 Skizzen,
welche beide unfertig sind, und von denen die zweite clie spatere und noch an-
fertiger ist, als die erste.').
Die Herausgabe des 10. und 11. Buches,
Das jetzige 6. Gedicht des 10. Buches besteht aus 2 mangelhaften Entwürfen,
welche Fortunat SO nicht herausgegeben hat. Fortunat hat dies Gedicht wohl
nie fertig gemaclit, hatte aber Z U den Abschriften seiner nocli nicht veröffent-
lichten Gedichte auch diese Skizzen gelegt; nach seinem Tode fanden sie seine
Freunde und fiigten sie bei der Heraiisgabc des 10. und 11. Buches den
Gedichten bei. Gibt es weitere Anzeichen, dass die Bücher X und nicht
von Fortunat, sondcrn erst n a C li s e i n e m T o d e zusammengestellt und
h e r a i i s g e g e b e n worden sind?
Wie oben (S. 50) bemerlrt, beliandeln die beiden Gedichte des 10. Buches,
das 5. und das 10., genaii dkselben Stoff in solcher Weise, dass das eine Ge-
dicht das andere ansscliliesst: es miissen 2 Entwiirfe sein, von denen Fortunat
selbst gewiss nur einen veröffentlicht hatte, während die Freunde nichts wollten
verloren gehen lassen.
Die Handschriften der 11 Biicher brechen mit XI 2G Z. 12 ab; nur in der
Pariser Handschrift 13048 stehen clic Zeilcn 13-18 diescs Gcdichtes und folgen
dann unmittelbar alle jene Gedichte, \vclche T~eoals Appendix no 10-31 gibt;
alle diese Gedichte gehiircn also zu dem 11. Biicli. Darunter steht das Gedicht
App. no 11, eine Sammlung poetischer Satzstiicke, die Guerard mit Recht la
rnatibre d'un pokme nennt: aucli dics sind Briichstücke, welche man nach For-
tiinat's Tod nicht umkommcn lassen wollte.
I s t das 10. und 11. Buch nicht mehr von Fortiinat herausgegeben, sondern
habcn erst seine iiberlebenden Freiinde dieselben aus seinen Papieren zusammen-
gestellt, dann begreift man, wie X 1die (unvollständige !) Expositio orationis dominicae
und XI 1 die Expositio symboli zu den Briefen und Gedichten gestellt werden
lionnte; Fortiinats Frciinde wollten sie nicht separat herausgeben und habcn sie
fromm, aber geschmaclilos sognr an rlcn Anfang von Biichern gestellt. SO be-
greift man auch, wie die Königsgediclitc X 7. 8. D mitten in das Buch gerathen
konnten, wiihrcnd Fortunat selbst in 13ncli V1 und IX die Königsgcdiclite den
Anfang hatte bilden lassen. So gewinnen wir endlicli einen andern Gesichtspunkt
Zur Beurt21eilnng der Gedicl~tcdes 11. Buches und seiner Fortsetzung, Appendix
no 10-31. Diese zum Theil sehr intimen, einst an Radegunde und Agncs ge-
richteten Billets hatte sich Fortiinat zur Erinnerung alle aufgehoben; aber e r
hat sie nicht licraiisgegeben lind wir wissen niclit, was er bei der Heraiis-
wabe
b
gelindert oder unterdriickt lihttc. Das ist bei der Beurtheilung dieser
Dichtiingcn iind des Dichters sehr zu beachten.
-
1) Dic Anrcdc aii Grcgor, V. 101/102, und dic Anrcdc an den Leser oder IIörcr, V. 107/8,
wiilcrs~,rcclicn ilcrn Stil des ICirclienlolics und sind Lusiitzc; blcibcn sie weg, so zerfallen die V.
$)3-133 in 9 vicrzciligc Vcrsgruppen.
WILHELU M EYER,

Lobsprüche auf Viilen, Gärten, Flussbauten.


E s gibt noch manche Gedichte dcs Fortunat, welche richtiger gewürdigt
werden, wenn wir uns eine deutlichere Vorstellung machen, ob und wo sie vor-
getragen wurden. So schildern 3 Gedichte je ein L a n d g U t des baulustigen
Bischofs Leontius, I 18. 19. 20, und ein älteres I11 12 ein an der Mosel gele-
genes , burgähnliches Gut des Trierer Bischofs Nicetius. Sind dies poetische
Kunststiicke, welche Fortunat gelegentlich ausarbeitete und diesem oder Jenem
Freund der Dichtkunst gelegentlicli mittheilte, wie ein Maler auf der Reise ge-
sammelte Skizzen zu Haus gelegentlich zu Gemälden ausfiihrt und Andcrn zeigt? .
Gewiss nicht ; Fortunat genoss oft auf solchen Landgiitern Gastfreundschaft und,
wie ein Jlaler, der in einem Landliaus angenehme Gastfreundschaft geniesst, den
lieben Gastlierrn dadurch erfreuen mag, dass er ihm a n Ort iind Stelle ein Bild
seines schönen Besitzthums malt und als Dankeszeichen hinterlässt, so machte
es Fortunat. Diese 4 Schilderungen gehen auf viele Einzelheiten ein; sie be-
wegen sich durchaus im Praesens und in nunc und'in Formen von hic: sie sind
also sicher a n Ort und Stelle entstanden. Wenn dann Fortiinat gegen Schluss
seines Aufenthaltes nach der Abencltafel in dem klcinen ICreise dcm Gutsherrn
die schöne Schilderung des geliebten Besitzthums vortrug, so war das Ziel sei-
nes Dichtens erreicht. Diesen Umständen des Vortrags cntsprcclicn dic Formen.
Die Schilderung des Baues und der Anlagen ist die Haiiptsaclie, die Person des
Besitzers Nebensache. Desshalb wird er I 18 und 19 nur in dcr 3. Person er-
wähnt. Aber die Umstände dcs Vortrags gestatteten auch entweder die ganzc
Schilderung an den Besitzer z u adressiren, wie in I 20 geschieht, welches nach
der Einleitung unmittelbar vor der Abreise vorgetragen ist:
quamvis instet iter retraharque volumine curae,
ad t e pauca ferens carmine flccto viam,
oder zu wechseln wie in I11 12, wo in dcr Schilderung Nicetius in der 3. Per-
son erwühnt wird (V. 19 hoc Nicetius condidit), aber der Segenswunsch am
Schlusse ihn mit 'du' anredet :
haec tibi proficiiint quidquid laudamns in illis,
qui bona tot tribuis, pastor opime gregis;
doch ist hier wohl 'proficiant' zii schreiben, nach I1 12, 1 0 'proficiant animac
quae nova templa suae' ; zu qiiidqiiid mit Plural vgl. 111 10, 1 cedant antiqiii
quidquid meminere poetae.
V1 G de 11 o r t o Ultrogotlionis. Dem Villenlob nahc verwandt ist das
Gartenlob V1 G: mit vielcn Formen von liic wird der scliön angelcgtc Garten
(in Paris) beschrieben und lebhaft hervorf;elioben, dass der vcrstorbcne König
Childebert ihn gepflanzt liabe. Zum Gluck ist der ScliiiisswunscIi da, welcliei
die ganze Lage auflrlärt : die Wittwe Cliildcbert's darf durch ~ b a r i b e r t ' sC*iite
wieder in Paris wohnen und diesen Garten bcsitzcn; war Fortunat bekannt
(s. V1 2 , 21-26)' und er war sichcr , ihr grosse Freude zu maclicn, wenn e r
des Abends im Garten ihr dies Gcdicht selbst vortriig. Auch olinc V. 23/24
i s t das Gedicht abgerundet und hätte vollstündig seine Wirkung getlian: allcill
wie wenig verstünden w i r ohne diesen Schlusswunsch das eigentliche Ziel des
Gedichtes ! I n solch halbem Verstiindniss bleiben wir gewiss bei vielen Ge-
dichten des Fortunat stecken, weil uns geniigende Fingerzeige fehlen. Allein
Fortunat war ein feuriger Dichter und erfreute gern seine Umgebung mit den
Schöpfungen seiner Miise: wir sind im besten Fall nur arbeitsame Gelehrte, die
mit Eifer und Wissen darnach ringen, die Gedichte allseitig zu verstehen und
deren Genuss Andern ZU ermöglichen. Der Einzelne Irann dabei öfter irren;
desshalb ist das Ziel nicht falsch. Im Gcgentheil wird das Ziel, das Fortu&
bei einem Gedichte sich vorstellte, oft viel lebendiger und persönlicher gewesen
sein als wir zu reconstruiren vermögen.
Stellen mir uns eine solche Scene der Hörenden und Sehenden vor, so wer-
den wir auch andern Schilderungen eher gerecht. Zu I11 10 'de domno
Felice Namnetico, cum f l u v i um alibi d e t o r q u e r e t' bemerkt Ebert I 525
'Nerlrwiirdig ist das Gedicht I11 10, welclies die Vollendung eines weltlichen
Bauuntcrnelimens preist und recht zeigt, wie damals die Biscliöfe im Franken-
reiche iim das öffentliche Wohl sich verdient machten : es ist die Rectification
eines Flussbettes, wodurch neues fruclitbares Ackerland gewonnen wurde. Die-
ses nach Fortunats Darstellung grossartige Unternehmen, aus dem man auch
sieht, wie noch die Tradition der antik- römischen Baukunst damals in Gallien
fortlebte, war von dem mehrfach genannten Bischof Felix ausgefiihrt worden1.
Alle Achtung vor den damaligen Bischöfen , die meist schon vorher als hohe
Staatsbeamten Vieles gelernt und gclcistct hatten: aber hier wiirde Fortunat
selbst lachen. Hält denn Ebert siicli die Einleitung für E r n s t ? :
Cedant antiqui quidqnid mcminere poetae ;
includi fluvios si tunc spcctasset Homerus,
indc suum potius diilcc replcsset opus:
cuncti Felicem lcgercnt modo, niillus Achillem I).
Eine Flusscorrcction ist iibrigens such I 7 erwahnt. Fortunat war wohl
bei Tage mit Felix zur Besichtigung dieses Wasserbaus geritten iind, als e r des
Abends diese Einleitung lind die andcrn geistreichen Wendungen wie von der
(alters rle fluvio segcs orta viroriim' den Zuliörern vortrug, welche die Wasser-
anlagc selbst gut Irnnnten, war e r des lieitcren Beifalls sicher.
Besser hat Ebcrt (I 530) den Humor erkannt, welcher das Gedicht I 21
d e E g i r c i o f l i i m i n e geschaffen hat. Fortunat weilte einmal zu Gast auf
einem Landgut des Lconti~is,das da lag, wo in die mächtige Garonne ein Flüss-
cllen Egirciiis mündet. Dies Fliisschcn war fischreicli, aber in heisser Zeit
trocltnctc es siis bis aiif etliche tieferen Stellen; in diesen Becken wurden dann
von den Nachbarn viele Fische gefangen. I n der heissen Zeit machte Fortunat
mit den Hausgenossen morgens einen solchen Fischfang mit. Nach der Abend-

1) Sclbst Scliriftstcllcr aus h'nntes iibcrmindcn den Local~~atriotismi~s


und gcstelieii ZU, dass
Iiier niclit der jctzt an Nantcs vorbei flicssciidc Loirc-Arm gemeint sei, was andere behaupten.
mahlzeit , die zumeist aus jenen Fischen bestand, iiberraschte er die Tafelge-
nossen , welche den Fang miterlebt liatten und alle Verhsltnissc gut kannten,
mit dieser humorvollen, gewaltig iibertreibenden Schilderung des Flüsschens, wo
e r in der Einleitung die zu ihren Fiissen fliessende Garonnc anspricht und mit
dem Flüsschen vergleicht, dann zuerst das austrocknende, hierauf das nach
Regen anschwellende Flüsschen ausmalt; cndlicli zu dem austrocknenden zurüclr-
kehrend in dem letzten Verse die eigentliclie Veranlassung des Gedichtes an-
gibt 'quod tribuit pisces evacuatus aquis'. E s ist Sommer und V. 31 'vidimiis
exiguum de limo surgere piscem' sagt die Wahrheit; Fortunat hat das Aus-
trocknen und Ausfischen des Plüsschens erlebt ; also V. 11-36 und 58-62 geben
übertreibend die gesehene Wirklichkeit wieder; V. 37-56 sind des prächtigen
Gegensatzes wegen Iiinzugefiigt , wohl nacli Erzählung der Hausgcnosscn. Je-
denfalls hat dieser Scherz dem Fortunat Lachen und Beifall genug eingetragen.
I11 17 d e R e r t e C li r a m n o episcopo cum elevarer l) in currum. Einst
strebten Fortunat zu Pferd und der sportliebende Bischof IJertram von Bor-
deaux auf einem hohen Jagdwagen demselben Ziele zu. D a hebt Bcrtram den
Fortunat zu sich in den Wagen und hiilt ihn, da der Sitz sehr eng w a r , mit
dem Arm umschlungen, damit e r nicht herab falle; dann jagt der Wagen daliin.
Dem Fortunat war bei der Fahrt riiclit wohl zii Bluth; (loch sie lief g u t ab,
und des Abends iiberraschte Fortunat den Bertram selbst und die andern mit
dieser Schilderung des seltsamen Fahrerpaars.
Die Erzählungen V1 8. X 9. V11 14.
Wie das Erlebniss mit Bcrtram, so können die Schilderungen anderer ge-
meinsamen Erlebnisse in Gegenwart der Betheiligten vorgetragen worden sein,
um so den Dank auszudrücken. Das Gedicht V1 8 'de coco, qui ipsi navem
tulit' schildert eine Reihe von Missgeschicken, welche dem Fortunat an der
Mosel passiren und damit enden, dass er auf ein tüchtiges 1\i9oselschiff wartend
in Nauriacum bei einem Comes Papulus festliegt: dieser Comes, gratus amicus
genannt, schafft ihm Essen und leidlichen Wein. Da die Einleitung in humori-
stischer Weise klagt, dass zu der schwercn Last des Reisegep%clcs jetzt noch
die Last der Sorgen komme, so möchte man annehmen, bei jcncm langweiligen
Warten sei dies Gedicht gescliricbcn. Der Schluss abcr lautet :
sic mihi iucundam direxti, Papule, proram; felix vive valc, dulcis amice Comes.
Schon der Sinn ist unklar. Heisst 'iucundam proram dirextil 'du hast mir dann
ein angenehmes Schiff gescliafl't' und ist 'vale' ciii wir]rlicller Abschiedsgruss?
Oder ist 'sic iucundam proram direxti' bildlich zu fassen fdu hast mich in L'inem '
beliagliclien Hafen geborgen' ? E r s t wenn dies entscliieclen i s t , liisst sich fest-
stellen, ob 'direxti Papule' nur rlietorisclie Wendung ist 'dircxit Z'apulus'
oder ob hier ein Brief odcr eine wirlclichc Anrede vorliegt. X 9 de nitvigio
suo. Eine andere, 22 Jahre sp%ter geschelicne 1Ioselfahrt schildci't X 9. Die

1) Cum rnc clevaret oder lcvarct (vgl. V11 2 cuin inc rogarct) otler curn clcvsrcr ist zu scl~rei-
ben ; die Hnndscl~rifte?thabe*% cum clevarctur oder cum clcuarct otler ctim ciiiii Icvsrct.
DER GELEGENIiEITSDICIITER FORTUNAT (LOBEINES BACHES, IVAGENFAIiRT, ERZAEHLUNGEN).
73
ganze Fahrt machte Fortunat als Gast des K'önigs, auf dessen Flotille. Wenn
e r nun der reinen Erzählung in V. 79-82 eine Anrede hinzufügt, darin aber
an erzählte Reiseerlebnisse anlrnii~ft:
ista diu dominus (vohis) dominis spectacula praestet,
e t populis dulces detis habere dies,
vultibus ex placidis tribuatis gaudia cunctis,
vester e t ex vestris laetificetur apex,
so waren diese Worte als Begleitbrief sehr mager, sind dagegen als Schluss-
worte beim miindlichen Vortrage der Erzählung durchaus geniigend und passend;
darnach bleibt anzunehmen, dass noch beim Aufenthalt in Andernach d e r in den
allernächsten Tagen Fortunat dies Gedicht geschrieben und selbst der könig-
lichen Familie vorgetragen hat. Auch V11 14 de XummoIeno ist eine Er-
zählung, wie Fortunat in der Residenz Abends spazieren geht, da zur Villa
des dux Mummolenus kommt (der V. 7-14 kurz, aber allseitig gelobt wird),
und bei diesem ein reichliches nfahl geniesst, in Folge dessen er freilich einen
(V. 26-36 ausführlich geschilderten) Aufruhr im Nagen erlebte, wie eine hoch
Schwangere. Bis dahin ist von Nammolenus nur in der 3. Person die Rede.
Jetzt wird er plötzlich angeredet V. 3 7 - 4 0 :
Sit tibi longa salus celsa cum coniuge, rector, e t de natorum prole voceris avus.
laudis honore potens felicia tempora cernas et valeas dulces concelebrare iocos.
Schon der Inhalt dieser 4 Vcrse spricht dafiir, dass sie nur ein begleitendes
Billet sind, womit Fortunat die Schilderung seiner Selbsteinladung und des
Verlaufes derselben dem l\lummolenus am nächsten Tage schriftlich übersendete.
X 17 ad Sigoaldum comitem, quod pauperes pro rege paverit: mir ist
die ganze Situation noch nnlrlar, so dass mir auch unklar bleibt, wie das Schluss-
distichon V. 43/44 sich zu dem Ganzen verhält.

Praefatio: S. 24 29. I 1 Bischofslob zur Kirchweih: S. 35/36. 12


Kirchenlob zur Kirchweih : S. 35/36. I 3 Kirchweih ? ; S. 49, S. 50 (Le Blant
I1 525), 67, und über V. 1-6: S. 48. 1 4 I<irchweih?; s. S. 49 und 50 (Le
Blant I1 412). I 5 IGrchenlob: S. 18 53. 50 (Le Blant I 225). 63 65. 16
~(ircheillob: S. 48. 50 (Le Blant I1 379).
1 7 I n h o n o r e m b a s i l i c a e S. n f a r t i n i , q u a m a e d i f i c a v e r u l i t
B a s i l i u s e t B a u d c g u n d i s . Siel~cS.50, 48 und 50 (Le Blant I1 512).
Dasselbe E h c ~ ~ a at rri t t auf in I V 18 E p i t a p h i u m B a s i l ii. Ruinart meint,
das könne derselbe civis Pectavus gewesen sein, von dem Grcgor H. Fr. I V 45
bericlitet ; als nach Charibert's Tod JIummolus die Stadt Poitiers fiir Sigbert
in Eid nchmcn wollte, 'Basilius ct S i p r i u s Pectavi cives collecta multitudine
sesistere voluerunt'; doch Gregor fährt ja weiter 'quos de diversis partibus
Abhdlgn. d I<. Qoa. d. Wiss. zu G6tLingon. I1liil.-hist. ii1. X'. E'. Band 4,a. 10
circumdatos oppressit, obruit, interimit'. Doch unser Basilius stirbt zwar rasch,
aber eines natiirlichen Todes (cito raptus a b orbe; humana sorte recedens).
Diese beiden Basilii waren wohl Briider. Denn auch der unsere ist inluster,
regis amor und war öfter Gesandter in Spanien; er muss ebenfalls ein civis
Pectavus gewesen sein: das beweist der Schmerz des Fortunat und dessen Be-
kanntschaft mit der Frau. Darnach sollte man die I 7 genannte Basilika S.
Martini in oder bei Poitiers suchen. Sonderbarer Weise finde ich in Poitiers
überhaupt keine Nartinslrirche erwähnt. Die Kirche selbst muss unschwer zu
identificiren sein: sie war auf 3 Seiten von den AbhSingen eines Hügels oder
Berges, auf der 4. Seite von einem fliessenden Wasser eingeschlossen. Sollte
die Kirche von Saint-BIartin-La-Riviere bei Mortemer eine solche Lage haben?
I 8 Kirchenlob: S, 49 48. 50 (Le Blant I1 387). 62 I 9 IGrchenlob : S. 48.
50 (Le Blant I1 385). 51 53 1 10 Kirchenlob: S. 48 49 50 (Le Blant I1 383).
I 11 Kirchenlob (Dach): S. 48 51 61 SO(Lc Blant I1 381). I 12 Kir-
chenlob: S. 49 51 53 61 50 (Le Blant I1 364) I 13 Kirchenlob: s. 49 51 53
50 (Le Blant PI 362) I 1 4 Lob eines Kirchenkelches : S. 51 50 (Le Blant
11 382) I 15 Bischofslob zur Kirchweih: S. 38 34. Vers 61/62 vg1. mit 11,
15/16; zu V. 71-76 s. S. 10 Note.
I 16 Hymnus : S. 31 ; die Umgangssprache der Geistlichcn zeigt sich Z. B.
in A 1 omne saeculum. A 3 praemium (= T 1). C 2 funus edidit (= nuntiavit).
E 3 ut iam sibi conscriberet decreta (empfehlende Beschliisse oder Anstellungs-
patent) vivo antistitc. F 3 superstite (eo) ut praesumcret, post fata (eius) quod
vix debuit. G 1 gravat sacerdos ordinem, qui episcopatum sic petit; praecepta
qni complectitur, fugit honoris ambitum usw. I n Strope K werden als Bei-
spiel für Bischöfe, die zur Annahme der Würde gezwungen werden mussten, ge-
nannt : Karus sacerdos ordin- Hilarius non ambiit ; JIartinus illud effugit,
Gregorius vix sustulit. Mit diesem Gregor soll, wenigstens nach Rrusch's Index,
Gregor von Tours gemeint sein; dann gewännen wir für den Tod des Leontius
ziemliche Sicherheit. Denn da Gregor 573 Bischof geworden ist, Leontius aber
bei der Herausgabe dieser Sammlung, also 576, schon todt war (s. I V 1 0 seino
Grabschrift), so müsste er zwischen 673 und 576 gestorben sein. Allein diese
Erwähnung des eben gewahlten Gregor von Tours war0 iibcrtriebene Sclimei-
chclei. E s kann Gregor von Nazianz sein, ist aber eher der hochberiihmte, etwa
540 gestorbene proavus des Gregor von Tours, der Bischof Gregor von Langres.
I 1 7 A d Placidinam.
llunera parva nimis, pia, snscipe quaeso libenter,
quae magis ipsa decens munus in orbe micas.
fluctibus e mediis nt haec daret insula vobis,
Oceanus tumidas murmure pressit aqnas.
quae loca dum volui properans agnoscere ponti,
a Borea veniens reppulit
-- unda furens;
prosperitas ut vestra tamen se plena probaret,
obtulit in terris, quod peteretur aquis.
DER GELEGWLIEITSDICHTER FORTUNAT (GEDICUTE
I 7 -11 G ) . 75
Die eigentliche Veranlassung dieses Gedichtes ist dunkel. Luchi hat die Para-
graphen 74-81 seiner Vita Fortunati hauptsäclilich an die Erklärung dieses
Gedichtes gewendet; Fortunat habe, wie manche Andere, die Fastenzeit mit
Beten und Fasten am abgeschiedenen Meeresstrand oder g a r auf einer Insel zu-
gebracht; oder: auf den abgeschiedenen Inseln hätten einst heilige Jlänner ge-
lebt und Fortunat habe, um Stoff für seine Heiligenleben zu sammeln, eine
solche Insel besuchen wollen, aber (inde reiectus tempestate e t ad Placidinam
delatus in eius Persona ac vitae ordine id expressum reperit, quod aliis in locis
navigando quaerebat'. Sehr galant, doch schwerlich richtig. Sollte nicht
diese Erklärung den Worten mehr entsprechen?: Bischof Leontius, der Gemahl
der Placidina, hatte wohl nicht nur an der Garonne Landhäuser, in die Fortunat
eingeladen wurde, sondern auch unmittelbar am Strand des Ocean. D a geht
Jj'ortunat spazieren, und sieht auf einer Dünen-Sandbank eine schöne Nuschel
liegen; er will sie greifen, aber in demselben AugenblicIc rollt eine machtige
Woge heran, so dass er znriick springt. Doch siehe, die mächtige Woge hat
auch die erstrebte Jluschel vorwlirts getragen und lässt sie beim Zurückrollen in
Fortunats NZhe liegen. Fortunat schickt die Gabe der Placidina, welche selbst
fiir ihre J'litmenschen eine schöne Gottesgabe ist.
I 18 Villenlob : S. 70 119 Villenlob : S. 70 I 20 Villenlob : S. 70
1 21 Schilderung des Fliisschens Egircius: S. 19 25 U. 71/73.

II 1. 2. 4. 5. G G e d i c h t e a u f C h r i s t i K r e u z Ueber die Verwend-


barkeit solcher Gedichte im Gottesdienste s. S. 31. Diese Kreuzgedichte sind
gewiss erst entstanden, als Radegunde um 569 von dem griechischen Kaiserpaar
sich eine Kreuzpartikel erbeten und diese in ihr Kloster, das spiiter darnach den
Namen erhielt, aufgenommen hatte ; vgl. hieriiber , was vor dem 8. Buche über
Radegundens Leben gesagt ist. Die beiden Hymnen I1 2 Pange lingua und
I1 G Vexilla regis sind die beriihmtesten und oft edirt und commentirt, aber
neuestens mit einer so rührenden Unkenntniss des Versbaues, dass Einer sich
wundert, dass z. B. in Flecte ramos, arbor alta, tensa laxa viscera
die 8. Silbe (ta) lang oder lrurz sein kann, der Andere tenstl für Imperativ an-
sielit oder zu dem Zeilenschluss (morte morsu conruit' bemerkt: 'morsl morte
conruit' sclieint uns den Vorzug zu verdienen. Ueber I1 2 vgl. S. 31. Ich will
hier nur einige Parallelen notiren: I1 2 , 10-12 Quando venit etc. ist umge-
dichtet aus Gal. I V 4 ubi venit plcnitudo temporis, misit deus filium suum
factum cx muliere. 112, 22 und 24 arbor nobilis . . dulce lignum, vgl. I1 1 , 9
0 dulce e t nobile lignilm.
I1 3 I<irclicnlob : S. 54 50 (Le Blant I 255) 11 4 und I1 5 : zwei Carmina
figurata quadrata, d. h. 35 Hexameter von je 35 Buchstaben; s. zu V G.
11 G Hymnus vgl. S. 31. Zu Z. 3 vgl. 11 7, 1 dominus qua carne pe-
pendit. G, 5: vgl. II 1, 7 maniis illa fuit clavis confixa cruentis (manus ve-
stigia: die Wundmale). G, 11 vgl. II 1, 2 cruore suo vulnera nostra Iavat.
G, 1 2 vgl. Joli. 19, 34.
10 *
76 WILHELM MEYER,

6, 13 Inpleta sunt quae concinit David fideli carmine


dicendo nationibus regnavit a ligno deus.
Die Stelle des Psalms 95, 10 lautet in der Vulgata und Editio Gallicana 'Dicite
in gentibiis, quia dominus regnavit'. Dazu notirt man, dass die meisten Kir-
chenväter diese Stelle citiren mit dem Zusatze 'regnavit a ligno' ; man übersieht
aber, dass die Editio Romans des Hieronymus lautet 'dGite i n n a t i o n i b u s,
dominus regnavit a ligno'. Ebenso hat Fortunat die Editio Romana des Psal-
mentextes beniitzt in X I 1 8 29 (Psalm 87, 4) vita mea i n inferno a d p r o-
p i a v i t und 5 32 (PS. 92, 2) parata sedes tua, d o m i n e.
I1 7 Heiligenlob vgl. S. 55.
I1 8 D c L a u n e b o d e q u i a e d i f i c a v i t t e m p l u m S. S a t u r n i n i ;
s. oben S. 54. Gregor I X 39 berichtet nur zum Jahre 589, dass Beretrudis
starb und illre Tochter zur Erbin einsetzte, jcdoch Kirchen und Klöstern Man-
chcs vermachte. Unter den Gütern war eine 'villa infra Pectavnm terminum'.
Fortunat lchrt uns viel liIehr; aber wir lernen doch aus Gregor, dass die Pa-
milic in Poitiers , wenn nicht ihre Heimath, so doch wenigstens eine Wohn-
stätte hatte, und dass also Fortunnt sie dort pcrsönlich kcnnen lernte. Freilich
die Kirche, deren Einweihung gefeiert wird, liegt in dem fernen Toulouse. Der
Herzog Launebod baut diese Kirche während seiner Amtsführung (ducatiim dum
gerit, instruxit culmina sancta loci). Nach dem oben Gesagten war Launebod
gewiss im Dienste des Sigbert, des Herrn von Poitiers. Da muss man doch
schliessen, dass T o u l o u s e , wo Launebod diese Kirche baut, damals zum du-
catus des Launebod gehörte, also auch zum austrasischen Reiche des S i g b e r t
und nicht zu dem neustrischen Reiche des Chilperich; an andern Zeugnissen
fehlt es bis jetzt (s. Longnon, Gdographie de la Gaule, S. 124 und 535; Longnon
rechnet auf V und V I Toulouse zum Eeich des Chilperich).
I1 9 Lob der Pariser Domgeistlichlreit: S. 16 34 41. I1 1 0 I<irchcnlob :
S. 16 51 53, besonders 56-62, G3 SO (Le Blant I 290). I1 11 Icirchenlob :
S. 10 48 51 5O(Le Blant I 456). I1 12 Kirchenlob : S. 1 0 48 60(Lc Blant
I 456). I1 13 Kirchenlob: S. 48 50 53 5O(Le Blant I1 530). I1 1 4 Kir-
chenlob: S. 55 50 (Le Blank 1 203).
Gegen Schluss des 11.Buches zwischen den Gedichten no 1 4 und 16, auf den bei-
ligen Mauritius und auf den heiligen JIedardus, steht LI15 D e s a n C t o H i 1 r i 0.
Leo erklärt, dies Gedicht könne nicht von Fortunat verfasst sein; vgl. S. 28.
Als Grund gibt er zunächst die m e t r i s C h e n Fehler an ; die P ~ n t a m ~ t e r s c h l ü s s e
wie lquia est creatura dei' (quia est = 1 Silbe!), 'Pictavios genitum9 habe For-
tunat nicht geschrieben; dann schliesse e r nahezu immer den Pentameter mit
einem zweisilbigcn Worte: hier aber werden von 10 Pcntamctern nur 4 mit einem
zweisilbigen Worte, dagegen 6 mit einem Worte von mehr als 2 Silben ge-
schlossen: also unter 10 Pentametern SO viel Ausnahmen wie bei Fortunat kaum
unter 1000. Dieser Grund genügt allerdings allein schon zum Beweise, dass
diese 20 Zeilen nicht von Fortunat vcrfasst sind.
Als weitern Grund gibt Leo an 'Contra Venanti morcm nec Causa com1)oncniii
DER OELEGENHEITSDICIITER FORTUHAT (GEDTCUTE
11 7 -11 15). 77
carminis apparet et aridus atque incomptus sermo est in enumerandis rebus viril
quem, u t par erat sanctnm Pictaviensem et Nartini magistrum, luxurianti laude
celebravit V 1 5, 217. 1, 13. Vita Nartini 1123' (fiige hinzu die prosaische
Vita Hilarii Band 11 S. 1-11). Was das L o b d e s H i 1a r i U s betrifft, so
ist es, mit dem des M a r h gemessen, bei Fortunat eigentlich viel zu knrz.
Sollte das nicht einen prosaischen Grund haben? Die von Fortunat geschriebene
Vita des Hilarius fällt in die ersten Jahre des Aufenthalts in Poitiers; das
~ l a g e l i e dum Gelesuintha ebenfalls ; von ilem 1. Gedichte des 8. Buches werde
ich dasselbe nachweisen; die Vita Martini ist um 574 verfasst: sonst schweigt
Fortunat von Bilariiis, der doch dcr weit bcriihmte Patron seiner neuen Heimath
war. Aber man bedenlie: seitdem Radegiinde die Kreuzpartilcel und andere
Reliquien in ihrem Kloster als grosses Heilthum aufbewahrte, waltete heftiger
Streit mit dem Bischof von Poitiers, dem Hohepriester des h. Hilarius. Auch
im 27. ICapitcl der Baudonivia (Vita Radegundis) heisst es hinsichtlich der
Wundcrlrraft der Reliquien des Hilarius und der Radegunde selbst 'hie Hilarins,
hie Radegunde'. Sollte nicht der Gegensatz zwischen Itadegunde und dem Bischof
nlaroveus den Fortunat später bewogen haben für die Kreuzpartikel seine
Hymnen zii dichten, aber dem Bilarius gegcniiber mit Lobesworten sich auf das
Nothwcndigste zu beschriinlcen ? Riclitig ist jedenfalls : die A r t , wie Hilarius
in dem Gedichte I1 1 5 gelobt wird, ist anders als die A r t in der Vita Hi-
larii, anders als die A r t in den Gedichten V1 F, V111 1 und Vita Martini I.
Leo tadelt ilann, dass gegen die A r t des Fortunat nicht die c a u s a C o m -
0 n 0 n d i C a r m i n i s CI.h. dic Gelegenheit lilar gegeben sei, welche den Dichter
zu clcm Gedichte veranlasst habe. E s ist wahr, man scheint nicht hinausge-
kommen zu sein iiber die alte I i ~ h a l t s a n ~ b'Hilarii
c in defendenda adversus
Arianos catholica de filii divinitate doctrin:~et exsilio pro ea tolerando constan-
tiam laudat hoc carmine'. Aber eigentlich soll doch jeder Dichter durch bestimmte
Gelegenheiten zu seinen Dichtiingcn veranlasst werden, und so ist sie auch hier
vorhanden und deutlich. BSan versetze sicli nur vor eine schön geschriebene dicke
Handschrift der 12 Bücher des Hilarius de Trinitate, seines wichtigsten Werkes,
schlage den Deckel um und lese da auf der ersten Seite dicse 10 Distichen, die
beginnen : S i Hilarium qnaeris qui sit cognoscere, lector, Allobrogcs referunt
Pictavios geniturn, dann die folgende Ei~twicl~lui~gsgcschiclite des Hilarius, wie
e r dazu lcam, gegen die Ariancr zii schreiben, und wie er dafür sogar das Exil
ertrug, endlich den Schluss mit (lern Pracsens 'cognoscere natiim insinuat' und :
perpetuum lumcn Cliristum dominumque deiunqiic bis senis populos eclocet esse libris.
Es ist also eine 13 U C 11i n s C h r i f t , einzuschreiben vorn in ein Exemplar der
12 Biiclicr de Trinitate, und für diesen Zweck ist sie nicht übel. Solche Biicli-
inSchriften haben Alcuin und seine Genossen und Nachfolger viele gemacht, die
{lann in jene Prachthandscliriftcn eingescliriebcn wurdcn, welche die Kaiser zum
Verschenken schreiben liessen. Aber allerdings hat Fortunat keine solchen
Buchinscllriften gemacht und die Parallelstelle zu diesem Gedichte lautet in der
Vita Hilarii 'Qualitcr ille indivisae trinitatis libros stilo tumentc contexuit .', .
78 W I L H E L N MEYER,

also ganz anders. Eine Gelegenheit zu dem Gedicht I1 15 ist also zwar vor-
handen, allein auch durch diese wird Leo's Urtheil bestätigt, dass das Gedicht
nicht von Fortunat geschrieben ist. Also ist es von einem Andern in die Samm-
lung der Gedichte des Fortunat zwischen 2 Gedichten auf Heilige fiilschlich ein-
geschoben worden. I1 16 Kirchen- oder Heiligenlob: S. 1 5 (18) 55.

I11 1 und 2 Briefe in Prosa. I11 3 Bischofslob : S. 17 41. I11 4 Brief


in Prosa.
111 5 item ad Felicem episcopum cx nomine suo. 1 0 Zeilen mit dem Alcros-
tichon FORTVNATVS, also ein Brief, nicht ein Toast oder etwas Aehnliches;
vielleicht Begleitbillet zu einer grössern Sendung, z. B. der nachträglichen
Sendung der Reinschriften von 111 6 und 7 oder I11 8 und 9. Streitigkeiten
mit den Bewohnern der Bretagne gab es in Nantes zu allen Zeiten genug, so
dass man V. 7 'iura Britannica vincens' nicht auf die von Gregor H. Fr. V 31
geschilderten Verhältnisse von 579 zu beziehen braucht.
111 6 A d F e l i c e m e p i s c o p u m d e d e d i c a t i o n e e c c l e s i a c s u a e ~ l z d
I11 7 I n h o n o r o e o r u m , q u o r u m i b i r e l i q u i a e c o n t i n c n t u r . Felix
der Bischof von Nantes 549-582 war einer der eifrigsten Gönner des Fortunat.
Gregor von Tours verfeindete sich mit ihm im Laufe des Jahres 576 (also wohl
nach Abschluss der 1. Sammlung der vermischten Gedichte); deshalb bekommen
wir, ausser der Erzählung dieses Streites H. Fr. V 5, von Gregor nicht Vieles
über Felix zu hören. Um so genauer ist zu prüfen, was Fortunat von ihm sagt.
Ueber dies Paar Kirchweihfestgedichte s. S. 18 und besonders S. 35136;
über I11 7 s. S. 50 (Le Blant I S. 261) und über III 7, 1-12 und 17-20 vgl. S. 51
(von den Lesarten der Inschrift sind zu bemerken: 2 geminae. 6 monitis. 7 corda
per hunc. 19 surgunt).
Das J a h r , wann Felix diese lang ersehnte Kirchweih vornahm, ist unge-
fähr zu bestimmen. Jedenfalls zwischen 566 und 573; denn Domitian von An-
gers soll vor 572 gestorben sein; gewiss ist Eufronius von Tours 573 gestorben.
Die Namen der betheiligtcn Bischöfe Eufronius (Felix) Domitian Victorius Dom-
nulus Romacharius (von Angouleme) kehren fast in derselben Ordnung wieder in
den Unterschriften des Concils von Tours, Ende 567 (bei IiTansi IX 805): Eufro-
nius Praetextat Germaniis Chaletricus (von Chartres) Domitian Victorins Dom-
nulus Leudebod (von Seez); dann in einem beigegebenen Brief (Mansi I X 800):
Enfronius Felix Domitian Domnulus, und in einem Scliroibcn an Radegunde,
wohl aus Zhnlicher Zeit, Grcgor H. Fr. I X 39: Eiifronius Praetextat Germanus
Felix Domitian Victorius Domnolus. Man darf aus dieser Uebcrcinstimmung
nicht folgern, dass all diese Stüclte bei derselben VersammIiing geschrieben sind,
sondern nur, dass die Briefe geschrieben sind und die ICirche in Nantcs gcweilit
wurde, als alle diese Biscliofssitze noch zum Rcicli des Charibert gehorten, d. h.
vor Chariberts Tod (vgl. S. 56 Note). Dieser scheint im Ende 567 odcr bald
nachher erfolgt zn sein ; s. oben S. 8. Damit würden wir also eine zicmlich
gcnaue Datirung des Gcdiclites gewinnen.
DER In 6 llnd 7).
aELEQENIIEITSDICHTERFORTUNAT (GEDICHTE 79
Das Gedicht D1 6 ist eine schöne Verherrlichung des Festes der K i r ch-
w e i h selbst (s. S. 18), welches die Wichtigkeit dieser Feste im damaligen kirch-
lichen Leben deutlich zeigt. V. 17/18
quorum vox refluens populo de fonte salutis,
u t bibat aure fidem, porrigit ore salem,
sind etwas anders verwendet in V 2, 49:
cuius vox refluens plebi de fonte salubri,
u t bibat aiire fidem, porrigit ore salern.
Das Gedicht I11 7 feiert die Heiligen, dcrcn Reliquien in der zu weihenden
Kirche aufbewahrt werden, und schildert eingehend den Bau dieser grossen Kirche,
welche schon in der Normannenzeit gänzlich zerstört worden ist. Diese Schilde-
rung ist für die Geschichte des Kirchenbaus wichtig, aber nicht in Allem klar.
E s ist eine dreischiffige Basilika (Vers 27 'aulae forma triformis' und 6, 52 'ma-
china trina'), deren llittelschiff dem Petriis und Paulus, deren rechtes Seitenschiff
dem Hilarius und Martinus, und deren linkes Seitenschiff dem Ferreolus geweiht
ist; so hatte schon 524 Caesarius in Arles eine Kirche gebaut: 'triplicem in una
conclusione basilicam; cuius membrum medium in honore sanctae llariae virginis
cult~ eminentiore construxit, ex iino latere domni Johannis, ex alio sancti Ihr-
tini subiecit' (Caesarii Arel. vita I 37). Die I(irc1ie ist also nicht ein Rundbau,
sondern eine Basilika. Grosse Schwierigkeiten bereiten nun die Zeilen 31/32:
in medium tiirritus apex super ardua tendit, quadratumque levans crista rotundat opus.
'In medium' steht statt 'in medio', wie U: 9, 27 'in medios Germanus adest' s t a t t
'in mediis'. Dann muss ein thurmartiger Aufsatz gemeint sein, der oben aus
dem Viereck in eine Itundung iiberging, also eine Kuppel auf vierseitigem
Unterbau. Aber wo sitzt diese I<iippel? Der Ausdrucl; 'in medium' verweist
sie in die Mitte, aber ein Kuppelbau in der Mitte der beiden Endpunkte des
Dfittelschiffs ware eine grösste Seltenheit; allein nicht viel weniger merkwürdig
wiire es, schon 567 eine thiirmartige ICuppel iiber dem Ende des llittelschiff da
zu finden, wo das Querschiff die spatere Vierung bildet. E s folgen die Verse 33-36 :
altius u t stupeas arce asccndente pcr arcus instar montis agens aedis acumenhabet.
illic expositasl) fucis animantibus artus vivere picturas arte reflante putas.
Die berghohe Höhe (arx), das acumen aedis, ist es die ICuppel oder die Decke
des ganzen llittelschiffes? Die Bogenstellungen, auf denen sich diese arx erhebt,
sind innen; denn die arx wird von Innen betrachtet: 'illic' befinden sich die
Gemälde. I m Folgenden lrann ich keinen Zusammenhang erkennen, wenn nicht
die beiden nächsten Distichen umgestellt werden, so dass zunächst folgt V. 39/40:
ire redire vides radio crispante figuras, atqiie lacunar agit, quodmaris iinda solet.
Dies Distichon schliesst sich g u t an 35/36 an. Auch I1 10, 15 werden die
laquearia von der Sonne beleuchtet (cursibus Aurorae vaga lux laquearia conplet).

1) Die IIandscliriftcn Iiaben expositos ; dic Ausdrucksweise: putas, artus illic fucis animan-
tibus expositos vivere (artc rcflanto picturas) ist richtig und zu vergleiclien niit X G, 01 putes,
membra, fucis diicta vivcrc.
80 \ V I L B E L n l ILIEYER,

Freilich, wenn die Fenster in der Seitenwand des 3Iittelschiffs oberhalb der
Dächer der Seitenschiffe angebracht sind und wenn die Gemälde nicht zwischen
den Fenstern, sondern an der dariiber liegenden Declze angebracht sind, wie kann
denn die Sonne je diese getiifelte Dcckc des 11ittelschiffs beleuchten? Wenn
die Verse 39/40 vorangestellt sind, so geben dann die folgenden eine Scliilderung
der Kirche von A u s s e n , insbesondcrc des Glanzes ihres Bleidaches bei Tag
und bei Nacht und V. 4516 der nachts strahlenden Löcher der Fensterfiillungen:
s o 1 vagus ut dcderit Per s t a g n e a t e C t a colorem,
38 lactea lux resilit, cum rubor inde ferit.
fulgorem a s t r o r u m meditantur tecta meta110
42 et splendore suo culmina sidus habent.
l u n a coronato qiiotiens radiaverit ortu,
44 alter ab aede sacra surgit ad astra inbar.
si nocte inspiciat hanc praetereundo viator,
46 et terram stellas credit habcre suas.
Endlich werden noch 'die bei Tag erleuchtenden Fenster und die des Nachts
taghell leuchtenden Lichter erwiihnt V. 47-50:
tota rapit radios patulis oculata, fenestris
et quod mireris hic foris, intus habcs.
tempore quo redeunt tenebrae, mihi dicere fas sit,
mundus habet noctcm, dctinet aiila diem.
Architectur beiFortunat. Da dieAngabenFortunatsüberden
Bau der Kirchen (und der 4 Villen I 18-20, I11 12) wichtige Einzelheiten ent-
halten, so will ich hier die Stellen verzeichnen: I 1, 10 die stets erleuchtete
.
'aula . solid0 perfecta m e t 8110' zieht Gott an. I 6, 22 Leontius baut die
Kirche, seine Frau 'sacris ornavit culmina V e l i s'. I 8, 14 s t a g n e a t c c t a
= ornatns. I 9 , 19 die Kirche 'divino plena s e r en o' lädt Gott ein (vgl.
3.11 23. I 1). I 12 Die Kirche baut Leontius, aber (sacra s e p u l c r a tcgunt
argentea t e C t a (Baldachin), quo super effusnm rutilans intermicat aurum ; t a-
b U 1a t a novo ingenio perfecta coruscant artificemque putas hic animasse feras'.
I 13 paries vacnatus nudatos trabes habebat, male pressus aquis ; nunc . .
scalptae c a m e r a e dccus i n t e r r a s i l e pendit : quos pictura solet , ligna dc-
dere iocos ; sumpsit imagineas paries simulando figuras ; . . picta nitent. Die
B e s c h r e i b u n g e n d e r V i l l e n an der Garonne enthalten in I 18, 8 und 15,
und I 19, 8-10 (?) Angaben iiber die Bauanlagc. I1 10, 11 (ecclesia Pari-
siaca) : splendida aula marmoreis C o 1umn i s attollitnr (vgl. 111 12, 29); prima
capit radios vitreis oculata f c n e s t r i s (vgl. 111 7, 47); cursibus Aurorae vaga
lux 1a q ri e a r ia conplet. I11 12 Bau eines S C 111o s s e s an der DIoscl mit Be-
festigungen (V. 21-33 einzelne Angaben) ; 31 o r d i n i b u s ternis (= in 3 Stoclr-
werken? vgl. 11114) ist die 'casa', welche fast allein schon ein Castcllum bildet,
aufgebaut. 11114 Damit die Raume der kölner Kirche 'maioris numcri capacia
constent, alter in excelso p e nd u l u s o r d o datur' ; eine Empore (vgl. I11 12,313)
ist in dieser Zeit im Occident ltaum naclizuweiscn. I11 23, 15 candidn sinccro
DER GELEGENHEITSDICEITER FORTUXAT (GEDICIITE
111 7-111 8). 81
radiat haec aula s e r e n 0 ; vgl. I 9, 19. Sonderbar ist das Gedicht I X 15 de
domo lignea, ein mit Schnitzwerli verziertes Haus, das ans Holz allein fester
gefügt ist, als man es aus Stein, Sand, Kalk und Lehm machen kann. X 6
an der Icathedrale von Tours war 'paries liquidis solutus aquis'; jetzt rcparirt
' ~ l a c e taula patulis oculatn f e n c s t r i s ' (= I1 1 0 ; vgl. I11 7, 47) und 'lueidius
fabricam p i C t LI r a e pompa perornat dnctaque qua('?) fucis vivere membra putes9.
B a s i l i C a mit einem Genitiv, z. B. basilica S. Martini, bezeichllct die ge-
wöhnlichen Kirchen ; c C C Ie s i a bezeichnet, wie bei Gregor V. Tours, die Bi-
schofskirchen, die I~athedralen (s. s. G3); so I1 10 ecclesia Parisiaca, I11 6 ad
Felicem episeopum de dedicatione ecclesiae suae, X G ad ecclesinm Toronicam
(in dem noch in Italien gedichteten I 2 scheint 't e m p l u m' dasselbe zii bedeu-
ten); b a p t i s i n a t i s aula findet sich I 15, 53. 11 11 und I11 23; o r a t o r i u m
I1 3, I1 1 3 und X 5 = X 1 0 ; c e l l i i l a 1 5 .
I11 8 a d c u n d e m i n l a u d c und 111 9 a d F c l i c e m c p i s c o p u m d e
p a s C h a ; vgl. oben S. 37/38. Das 8. Gedicht rechnet Ebert (I 521) wiederum
ZLX den 'eigentliclicn Pancgj7rici1, wiederum mit Unrecht. Denn nach der Ein-
leitung (V. 1-10) verd den gcpriesen des Felix edle Abliunft, eigene Tüchtiglieit
und treffliche Führung des Bistliums (vgl. oben S. 39); aus der lctztern ergab
sicli die Gclegenhcit zu diesem Gedicht, welche lrlar ausgesprochen ist in V. 37-40:
c c c e tuos natos divina ex coniuge sumptos,
et modo t e guiident, quos patris umbra tegit.
Damit diese Veranlassung des Pestgediclites nicht zu weit an den Scliliiss ge-
rathe, llst sie Portunat an die Spitze der Bischofsleistungen gestellt; jetzt
andere Bischofstugenden gelobt; deshalb glaube ich, dass die V. 41 ge-
nannten Briten (vgl. I11 5, 7) init den Täuflingen V. 37-40 nichts zu thun
haben. Die eigentliche Veranlassung des Gedichtes ist also kurz abgemacht,
das Lob des Uiscliofs ist breit ansgefiihrt.
Das schöne Gedicht I11 9 (vgl. oben S. 20121) ist in neuerer Zeit nicht
verstanden worden. Frühjahr und Ostern: das soll sein Thema sein. Im Gegen-
theil, das sind nur die Nebensaclien; die Hauptsaclie ist die Taufe einer Heiden-
schaar, welche dem Felix gelingt. Wenn man sieht, wie hoch es (V. 5) dem
Bischof Avitus angerechnet ~vircl,dass einige Hundert Juclen sich lieber von ihm
taufen als von den Biirgern todtschlagen lassen, dann begreift man, wie Fortu-
nat diese Heidentaufe seines Freundes Felix so feiern kann. Ferner war das
Osterfest, damals wolil ein präclitiges Fest, wo G Tage lang keine Iincchtsarbeit
geleistet wurde und auch grosse Freudenmäliler gegeben wurden (X 17; X 18
(Paschale liic hodie donum mcmorabile floret' usw.), eigentlich der einzige Termin,
a n welchem gctauft wurde ; daneben war nur noch Pfingsten erlaubt ; so tauft
Avitus (Grcgor V 11) an Ostern nur 1 Juden; da andere, an Himmelfahrt in
Todcsnoth gerathcn, zustimmen sieh taufen zu lassen, so werden sic an Pfingsten
getauft. Aber Ostern ist damals das eigentliche Tauffest. Wic an dem Char-
samstag Christus die Scelen aus der Hölle befreit liat, so werden an diesem Tage
die Heiden durch die Taufe aus dem Verderben des Unglaubens befreit.
Abhdlgu. d. K. Gen. d. Wiss. zu QOttingen. Plii1.-liist. iil. N. F. Bund 4, 6. 11
Das war das vorliegende Thema: das Gedicht, welches Fortuiiat über dieses
Thema geschrieben Iiat, ist ebenso schön angelegt als schön ausgefiilirt. Zuerst
schildert er prächtig das Erwachen der Natur im Frühjalir (I-30), dann in
begeisterten Worten, sich bald ganz an ~ h r i s t u swendend, das ErlUsungcwerli
(31-88) I), wobei gegen Ende die Befreiung der Seelen mehr ausgemalt um
zum Schluss des Gedichtes hinüberzuführen. Xit V. 90:
rex sacer, ecce tui radiat pars magna triumphi,
cum puras animas s a n C t a 1a V a C r a beant,
wird das Thema, das Taiiffest des F e h , genannt. Da finden sich natiirlich die
Ausdriicl;e, welche auch sonst bei solchen Belcehrungen gebraucht werden. Dei
vestis candida und grex niveus in V. 93/94 entspricht in V 6, 11:) die lacteLz
vestis ; der Aus(1ruclc in V. 96 'clupla t a 1e n t a ' kehrt oft wieder ; der V. 94
'et gregc de niveo gaudia pastor habet' findet sich wörtlich wieder von der
Taufe des Avitus V 5, 136. Wer aber sind die Tiiuflingc? Heiden: das zeigt
V. 97 lad meliora trahens g e n t i 1 i errore vagantes'; weiter kennzeichnen sie
die Ausdriicke: 101 agrestia corda und 102 'de vepre nata seges' ; daran schliesst
sich trefflich die Nennung der Heiden:
103 aspera gens S a x o 3,vivens quasi more ferino,
t e medicante, sacer, beliia reddit ovem (vgl. V. 81/84).
I n der Nähe der Mündungen der Seine und der Leire Sassen einzelne Sachsen-
hanfen; es genügt zu verweisen auf Longnon, G6oprapliie de l a Baiile au G e
sibcle, S. 173. 'belua reddit ovem' heisst : das wilde Sachenvollc (vivcns more
ferino = belua) wird zum frommen Schaf; ebenso X G , 18 'reddidit iste novus
(Gregorius), quod fuit ille vetus (Xartinus). So entwickelt sich das Gedicht
trefflich; die Zugaben des Dichters wirken gilt: die Schilderung des Frühlings
erfreut jedes Melischen Herz, die Schilderung der Erlösiing jeden Christen. So
waren die Hörer freudig erregt und hörten in richtiger Stimmung die Schilde-
rung des eigentlichen Ereignisses, der Heidentaufe. Dies Gedicht des Fortunat
ist vielleicht sein bestes, aber ein Gelegenheitsgedicht ist auch dieses.

1) Alls diesem Theilc hat clie ICirche eine Anzahl .i)isticlicn genommen und daraus den
rülimten Prozessionsliyrnniis gebildet: Salve festa dies, tot0 venerabilis acvo ...
2) T\*eshalb in Leo7s Ausgabe dieser Vers gcschricben ist 'aspcra gens, saxo vivens ~111asi
morc ferino' und der Nanic Saxo im Indcx fehlt, selie icli rlicllt ein. Ob 'saxo vivcnsYstclicn ]ianii
statt Lvivens in saxis, in saxosa regione' und 011 in der Diöccsc von Nantcs sich iiIicrliaiipt solc]ic
Felswüsten findcn, bliebe z11 beweisen; siclicr ist, das nach 'saxo vivcns' der Zusatz <qiiasi7zii
'more fcrino' nahezu falscli ist. Eiiicn Nachfolger Iiat iibrigcns LCO sclion gcfi~ndeiiin .T. L a i r
(Conjectures sur les cliapitres 18 et 10 du Ilivre 11 dc llIiistoria ccclcs. dc Or6goirc dc Toiirs
i7n Annuaire-Bulletin dc la Soci6t6 de llIIistoire do E'rance, )CXXV a. 1698; aucli separat S. 24/25).
Lair übersetzt <Une racc grossibrc vivant ilaiis les rocliers, it la fayon des botes', vcrglciclit gram-
matikalisch mit saxo vivciis IIoraz Epist. I 14, 10 rure ego viventcm und findet nietriscli : De pl~is,
le pobtc de Poitiers a toll.jours considbrß sn dans Saxo (Lair wollte wolil sclireibcn xo, aber aiicli
das wäre falsch), commc unc syllabe brbve: TTII 7, 50 Saxonis ct Dani (Pentnnteter-lIiilfte), IS 1, 73
Jhthio Saxo Britanniis (IIexanaeter-Scl~luss). Sapicnti sat!
I11 1 0 Flusscorrection: S. 71 ; V. 3-6 vgl. mit V1 1a, 516. I11 11
Bischofslob : S. 11 und 40 111 12 Burg an der nlosel: S. 11 und 70 und iiber
V. 43/44 S. 54 111 1 3 Bischofslob: S. 11 und 40 111 13 a, b, C, d Scherz-
gedichte bei Tisch: S. 11 und S. 34 I11 1 4 Bischofslob: S. 10 und 40; zu
V. 5-12 vgl. S. 9, zu V. 24 vgl. S. 80 I11 15 Bischofslob: S. 1 4 und 40;
zu V. 29-32 vgl. S. 9 I11 16 Brief.
111 17 Erziihlung und 11118 Brief: S. 21 und 72. Duchesne, Fastes Epis-
copaux 11 62, schreibt über den Bischof von Bordcaiix R e r t e C h r a rnn u s :
Contemporain de Gregoire dc Tours, cyui parle souvent dc lui. La premiBre fois,
c'est h propos du concil reuni en 577 h Paris ponr juger Pr6textat de Rouen.
Bertram assista en 585 au concile de Macon et mourut peu apres. Dnzu gibt
Duclies~zc die A'ote: C'est peut-Ctre lui, peut-etre aussi & Bertram du lIans, que
sont adress6es cieux pikces de Fortunat I11 17 e t 18. Da Bertram in Le nIans
erst 586 Bischof wurde, so ist derselbe durch die von mir für die Bücher I-V111
aufgestellte Zeitgrenze hier aiisgeschlossen; ja, da wir in Buch I V das Epita-
des Leontius des I1 von Bordeaux lescn, also annehmen diirfcn, dass der-
selbe bei Ausgabe dieses Buches (576) schon todt war, so muss dieser .Bertram
von Bordeaux schon 576 oder vorher Bischof gewesen sein. Die beidcn Ge-
dichte passen auch sehr gut zii dem Charakter dcs Bertram von Bordeaux, den
wir aus Gregor von Tours schliessen kiinncn. 580 wiirile dem Bertram Ehebruch
mit der Königin Fredegunrle nachgesagt und 585 warf ihm sein Schwager Un-
sittliclikeit vor (Gregor V 49. I X 33); Grcgor geht hierauf nicht näher ein.
Eingehender erzahlt er die Slrandalgcschichtc von seiner n9iitter Ingitrude, welche
ein Jungfrauenlrlostcr in Tours (in atrio s. BIartini) gestiftet hatte, und von ihrer
Tochter, also der Scliwester Bertram's, Bcrtcgunde (IX 33. X 12). Ingitrude,
welche 590 im Alter von 80 Jahren starb, hatte nach 573, vielleicht erst 580,
jenes Kloster gestiftet; Bertegunde war 585 schon 30 Jahre Frau, also spiitestens
540 geboren. Gregor lässt den Giintram (IX 33) von der Bertcgunde sagen
'parens mca haec est' und (V111 2) zu dem Bischof Bertram 'sic custodisti fidem
.
generationi tuae! . parens eras nobis ex matre nostra'. Demnach muss Inpi-
tiiide mit Ingunde (Gregor I V 31, der Frau des Chlotar, welche noch 535 den
Sigbcrt als letzten Solin gebar und nach welcher Sigberts Tochter Ingunde be-
nannt wurde, nahe verwandt gewesen sein. Vielleicht war sie die 3. Schwester,
welche dem Schiclrsal der Aregunde entging. Aber sie muss bei Hof sehr genau
belrannt gewesen sein; denn bei Gregor V11 3G erklärt Gundobald: wenn ihr
daran zweifelt, dass ich wirklicher und erbberechtigter Sohn des Chlotar bin,
'ut sciatis vcra esse quae dico, Radegundem Pictavam e t Ingotrudem Toronicam
interrogate; ipsae vobis adfirmabunt certa esse quae loquor'. War Ingitrude
wirklicli die Scliwester der Ingunde, also Bertram der Vetter dcs Charibert
Guntram und Sigbert, dann begreift sich leiclit die CarriBre, die Bildung und
die Moral des Bertram, ebenso das Benehmen der Ingitrude und Bertegnndc.
I11 1 9 Billet I11 20 auf das Salrramenthäuschen: S. 50 (Le Blant I1 319).
111 21. 22. 23: Briefe; 21, 10 absentes praesens tua protegit ala; quo pede non
11%
84 VILIIELM MEYER,

curris, munere totus ades: hier muss 'notus' geschrieben werilen, wie schon das
vorangehende 'absentes praesens' andeutet und die Vel-se I V 9, 30 iind I X 1, 16
beweisen : I V 9, 30 (in donis absens) et quo non fuerat, mnneimenotiis erst ;
I X 1, 16 quo pede non graderis, notus honore vcnis. 111 23 Icirchenlob:
S. 14. 48. 53, und iiber V. 1-12 S. 48 111 23a Bischofslob: S. 40 11124
Lob eines Presbyters: S. 34 lind 41 I11 25 Brief: S. 29 Note; V. 8 = 111
28, 10 I11 26 Brief: S. 21 und S. 41 (Note) 111 27 Brief 11128 Brief;
die Genannten scheinen einer Kirche in Poitiers oder Tours anzugehören ; Aii-
themins = I11 20.; Hilarins = I11 16 oder I V 122 Lc Blant 11 518 bezwei-
felt, ob der I V 12 beklagte Hilarins presbyter iibeshaiipt ein Geistlicher gewesen
sei; doch auf no 1-10 Bischöfe folgen no 11-15 andere Geistliche. Wahs-
seheinlicli hatte dieser Hilarius die hohe Wiircle eines Archipresbyter ; vgl. S. 41
(Note) I11 20 hinterlassenes Billet : S. 20 I11 30 Brief; das Gedicht stellt
in Codex Paris 13048 fol. 51; diese Notiz und etwaige Lesarten vermisse ich
in Leo's Aiisgabe bei dem Gedichte.

IV. B ii C h : E p i t a p 11 i e n. Ueber Le Blant's Ansicht, der alle diese


Epitaphien, ausser no 26, fiir wirlilichc Inschriften ansieht, vgl. S. 32; iiber die
Ordnung der Gedichte vgl. S. 25 iind 18, auch S. 17.
Natiirlich wiederholen sich hier viele Gedanken und manche Aiisdriic1;e der
Gedanken; icli will hier solche parallelen Ausdrücke notiren, zu denen ich
manche bei Le Blant notirten füge, da sie in dessen 2 Bänden zerstreut sind:
1, 5 ahnlieh 9; 3 iincl 10, 5 1, 30: Le Blant vgl. I 11, 8 3, 9: Le Blant
V . 0 , 11 5, G: Le Blant vgl. 8, G 5, 16: Le Blant vgl. 16, 18; 23, 6 ;
27, 18 6, 13: 10, 13 7, 2 : vgl. 28, 1-4, und X I 23, 14 9, 30: I11
21, 10 10, 1: Le Blant vgl. 26, 1. 17, 1 10, 18 : V 5, 127 und App. 1
47/48. Aeneis 11 274 '21, 5 und 6: Le Blant vgl. 23, 12 und Natth. G, 3.
Ueber IV 7 s. S. 32; iiber I V 12 s. zu III 28; iiber I V 18 s. zu I 7 ;
über I V 25 s. S. 32 und V1 3; zu I V 28, wo eine 10jährige Braut beklagt
tvird, vgl. X 2 S 9 ; zur scriptura per lacrimas (V. 1-4) vgl. VIII 3, 222
und 225/6, dann V 6 S 4. Nuss übrigens in V. 15/16
conteriturque socer, cui nata geiierque recedit ; haec letalis obit, ille supcrstes abit,
nicht 'pater' statt 'socer' gesetzt werden 'r'
I V 26 E p i t a p 11i ii m V i 1i t h ii t a e. Die Herzlichlreit des Tones, die ge-
naue Bekanntschaft mit Vilithuta und ilircm Gemahl Dagaulf ('r' = App. IX 15)
zeigen, dass unter 'hac in rcgione' (V. 25) Poitiers zu verstehen ist; s. oben
S. 17. Die Anlage des Gedichtes ist ebenso einfach, als die Aiisfiihriing
empfindungsvoll ist; s. oben S. 30 20. Dem Exordium V. 1-6 'Alles auf' Erden
ist verganglich', folgt das Thema : V. 7-12 Vilitliuta ist tollt; dann die Narratio,
V. 13-68 der Lebenslauf Vilithutens, nach der A r t des Fortunat mit Excurscn
versehen; so V. 29-32 ein Exciirs iiber dcn Nutzen der Wohlthatigkcit und
V. 49-68 ein Excurs dariiber, dass bei der Geburt sowohl Kind wie BIiitter
sterben; hierauf folgt V. 69-136 die Tractatio, die Besprecliung dieses Todes-
DER GELEGEXEIEITSDICHTER FORTUNAT (GED.111 23-V 5). 85
falles: V. 69-78 Vilithiita war wohlthätig; V. 79-00 wohlthätige Nenschen
sammeln Schätze fiir die Ewiglteit; denn wenn das Weltgericht stattfindet
(V. 91-102), so werden die Siinder jammervolle Strafe leiden (V. 103-112),
aber die Gerechten werden zu unsagbaren Tlronnen l) aufgenommen werden (V.
113-136). Es folgt der Epilog (V. 137-160), in welchem der Gatte mit 'du'
angespro~li~n und getröstet wird: dii darfst sie nicht beklagen, da sie Scliglreit
geniesst (V. 131)-146), und da alle 1Ienschen sterben miissen (V. 147-156).
Im Einzelnen ist zu bemerken: V. 1 = I V 10, 1; zu V. 2 IX 5, 4;
zii V. 38 ~ g l I. V 8, 2 8 ; V. 93 = VIII 3, 135; wie in V. 137, so wird aucli in
V 1 5, 367 der Epilogns mit 'Tu qiioque' eingeleitet.

V. B ii C h. Wie S. 29 bemerkt, deckt der Inlialt dieses Buches sich mit


dem Inhalte der Bücher 1-111. Vielleiclit stellte Fortunat noch lturz vor der
Ausgabe der 8 ersten Biiclier dieses Buch ziisammen, so dass hiermit die sclilechte
Ordnung (Biscliöfe, dann 19 ein A b t ; grössere Stiickc: no 1. 2. 3, wozu 4 gehört.
5. 6 ; dann Irleinere: meist Billets an Gregor) zusammen hängen könnte.
V 1: Brief in Prosa V 2: Brief; V. 49/50 vgl. I11 6, 17; V. 52 vgl.
111 9, 96; V. 67-72 die besondere Hervorhebung, dass Radegunde die Regel
<les Cacsariiis eingefiihrt habe, lasst annelimen, dass dieser Brief niclit lange
nachlier gescliriebeii ist. V 3: S. 46. V 4 : S. 34 und 46 2).
V 5 vgl. S. 19 und iiber V. 137-150 S. 54. Dieser Abgesang (d. I1. Vers
137-180) sowohl wie die prosaische Einleitung beweist den Charakter des
Gedichtes: es ist eine auf Wunsch Gregor's sclinell gefertigte
pOmphafte Erzälilung, dazu bestimmt, bei Zusammenliiinften von Geistlichen
zum Riihme des Avitus vorgelesen zu werden. Diese Juilentaufe selbst fällt
Pfingsten 576; lrurz naclil~crist dies Gedicht geschrieben. Die Judentaiife des
Avitus ist ganz ähnlich der Saclisentaufe des Felix I11 8 lind I) : lind doch wie
verschieden ist die Behandlung des Gegenstandes Iiier und dort ! Das liegt eben
in der Verscliiedenlieit der Gelegenlieit: dort soll das Gedicht bei cler Festlich-
keit vorgetragen werden ; hier ist die Festliclilreit schon vorbei.
DenselbenVorgang erzählt Gregor Hist. Fr. V11, welcher Bericht spätestens
592 niedergeschrieben ist. Unser sclion im Soinmer 576 gedichteter Bericht
setzt wiederiim einen Briefbericht des Gregor an Fortunat voraus. Lehrreich
fiir Gregorls Schriftstellerei ist es, die Berichte des Fortunat, also Gregor no 1,
mit der Historia Prancoriim, also Gregor no 2, zu vergleichen. Die iibelriechende
Geschichte von cler Ostertaufe, welche in der Historia Francorum berichtet wird
und welche sicher auch dem Fortunat berichtet war, hat Fortunat weggelassen

1) In jenen Zciten gehörte ziir Iiöclisten Wonnc auch unbcsclircibbarer Wohlgeriich, V. 128-132.
2) Ue)Jerschrift 'vcrsiis in iiatalicio Grcgori episcopi, cum antiphona dicere rogaretur, inmensn
dictiim>: vielleicht ist damit zu vcrglcichen, dass Guntram (bei Gregor 6 , 3) beim coiiviviiirn oder
prandiurn l~clielilt, 'iit oiniies saccrdotcs (cpiscopi) qui adcrailt..
datis ex officio siio singulis
.
clericis coram rcgc iiibercntur cancrc; . qiiisqiic ut potuit in rcgis praesencia psalniiim rcspon-
sorium (lccantavit'.
und sich auf die Hauptsache, auf Himmelfahrt bis Pfingsten, concentrirt. For-
tunat berichtet, dass an Himmelfahrt die Christen die Synagoge stürmten und
dem Boden gleich machten. Dann lässt Fortunat den Avitus eine lange Rede
an die Judcn halten; zuerst belehrt er sie über die Vorzüge des Christenthums
V. 35-64, dann kommt die praktische Spitze zum Vorschein: entweder sollten
sie sich taufen lassen odcr die Stadt verlassen. W i r diirfen iiberzeilgt sein,
der Bischof Avitus hat den Juden von Clermont nur diese letzte Alternative
gestellt , die lange Glauben~~redigt ist nur Zuthat des Fortunat. Die clirist-
liehen Bürger waren praktischer als der Bischof: den in ein Haus geflüchteten
Juden stellten sie die Alternative entweder sich taufen zu lassen oder zii ster-
ben V. 73-78; (las war ja damals eine beliebte Form der Bekehrung zum
. .
Christenthum. Judaea maniis . colligitur . . domo; Christicolae . insiliunt;
si fremerent, gladiis sentirent iusta cadentes: aut fides (d. 11. conversio) arma
daret, quo vivere possent. Die Juden melden dem Bischof, sie wollten sich
taufen lassen; nur solle er schnell liommen, wenn er sie noch am Leben finden
wolle. Das geschieht, iind am Pfingstfeste ist grossartige Taufe.
Es ist kein Grund zii zweifeln, dass dieser Bericlit cles Fortunat (= Gre-
gor no 1) richtig i s t ; der Bischof sagt: Taufenlassen oder Verbannung, die
Bürger: Taufenlassen oder sterben. S b e r als Gregor später das Gedicht des
Fortunat durchlas, sah sein praktischer Blick, dass bei dieser Darstellung das
Verdienst des Avitus fast nur im Taufen, nicht im Bekehren bestand. Desshalb
lasst er die ganze I~clageriing und die Todesgefahr der im Haus eingeschlos-
senen Juden weg; er lässt einfach den Bischof erklären 'si vultis crcdere, estote
unus grex; sin vero aliud, absceclite a loco' ; dann folgt sofort: Illi autem diu
aestiiaiites atque dubitantes , tertia die iit credo optentu pontificis coniuncti in
unum, ad eum mandata remittilnt dicentes 'credimiis Jesum'.
Das ist die historische Kunst des Gregor. Grcgor liebte aber aucli schöne
Ausdruckswcisc. Bei der Niederschrift dieses Kapitels las er das Gedicht seines
Freundes Fortunat wieder durch und nahm daraus einige Redcblumen. For-
tunat lasst die Juden mahnen und spricht dabei (V. 24) von 'convcrsi', von
'umbra caligosi velaminis premens pectora tetra' und (V. 91) von 'velum oculis
cordis tensum' (daher stammt die mittelalterliclie Darstellung der Synagoge :
ein Weib mit verbundenen Augen); hiedurch wurde Gregor erinnert, dieselbe
Bibelstelle zu benützen, aus der Fortunat jene Ausdriiclie genommen; denn nicht
die von Rninart citirten Stellen hat Gregor im Sinne geliabt, als e r S. 200
Z. 1-5 (Arndt) schrieb, sondern 11. Corinth. 3, 13-16, wo vorher in V. G auch
die littera vorkommt. V. 20 sagt Fortunat von der zerstörten Synagoge 'et
Campus patuit quo synagoga fuit': Gregor 'campi planitiac adsimilatur'. For-
tunat lässt den Avitus mit dem Satze von 'unus grex, uniis pastor' operiren;
ebenso Gregor. Bei Fortunat loben die Juden den Bischof, V. 94 qui salc
tam dulci currere cogis oves' : bei Gregor rühmt sich der Bischof 'salem scicntiae
vestris pectoribus trado'. Fortiinat erwähnt einzeln die aqua und das chrismtt
.
der Taufe; dann nennt er 'lux cerea provocat astra . lactcus liinc vestis color
DER GELEG~HEITSDICIITW EORTUNAT (GEDICIITE V 5-V1 In). 87
eat , hinc lampade f~ilgor; nec minus festiva dies fuit quam illa quae dedit
diversis linguis loqui' : Gre~orschZiesst 'ciinctos aqua abluens, crismate Iiniens ..
Flagrabant caerei, lam~adesrefulgebant; albicabat tota civitas de grege candido,
ncc minor fuit urbi gaudi~lm, quam qiiondam spiritu sancto descendente super
apOStolosHicriisalern videre promcruit'.
V G Brief in Prosa lind ein Gedicht: ein carmcn figuratum und 'opns qua-
dratuml. Die Ucl~erschriftdarf nicht mitgczlililt werden ; rlann bleiben 'triginta
tres tarn v6rsns qnam litterae, ad siinilituclinem Christi carn$lis aet$tis ; (Ier
mittclstc Vers, 17 Hac nati, scheidet die Schilderung des Siindenfalls (V. 1-16)
von der Schilderiing dcr Erlösung (V. 18-33). Die 6 Figurverse scheinen sich
so zii folgen: 1 Da, 2 Dalce, 3 Captivos, 4 Cara, 5 Cristiis. I n 11 4 schei-
nen die Eigurversc sich so zu folgcli, dass Dnlce anfängt, I n criicc schliesst;
clazwisclien stclien 2 Paare, Crux und Tu, Vera und arbor, so oder umgekehrt;
nach 'clavo' ist Icomma zu setzen, da 'vcra spes' zii 'paratur' gehört. I n 11 5
das Gedicht zu liestehcn aus den Hexametern 1-6, 18, 35; die Figur-
verse sclicinen sich so zn folgen : 1Erilie, 2 Dulce, 3 Ditans, 4 Dumosi, 5 Dfunere.
V 7 Brief: Item acl Pcliccm episcopnm Namneticum. Dieses Gedicht ist
mir unverstZndli~h. Das Sondeibarste'ist seine Form : in H ex ame t e r n sind sonst
nur geschrieben: das Epithalamium V1 1 und die Carmina figurata I1 4 und I1 5
V 6 ; allein ein Carmen figiiratum kann hier nicht verstecl~t sein, da die
Bnclistabenzahl der Hexameter von 33 bis 39 schwanlrt. Zunachst scheint mir
niir der Anfang eines längeren Gedichtes vorziiliegen; dann scheint der
Text dieses Fragmentes schlecht überliefert zii scin; schon 'Itcm' in der Ueber-
scliiift passt hier nicht. Der Anfang 'Sentio, summe pater' ist wohl zu iindern
in 'Splcildor, s. p.', vgl. 111 11 Splendor, apex fidei, und 111 5 Splendor ponti-
ficum. Dann in V. 5 'cur Iiumilem me, summe, vocas' befremdet das allein ste-
hende 'siimme'; vielleicht ist statt 'cur' (las häufige 'vir' zu setzen.
V 8-19 Idcine Briefe; zu 9, 11 vgl. I X 1, 23; mit no 18 vgl. X 13.

n ii C h V I : hauptsächlich Gedichte an kijnigliche Persönlichkeitcii.


V1 1 Hochzeitsgedicht ; vgl. S. 12/13; dann iiber V. 1-22 S. 38, iiber
V. 1-10 S. 21 und iibcr V. 75 S, 14.
V1 la Festgedicht: S. 14 und 45. Wie in V. 5 die Spitzen der grie-
chischen lind lateinischen Bildung, Homer unrl Virgil , verbunden werdcn, so
aucli bci Dracontius V111 12-29 ; genannt werden sie auch von Fortunat V111 1
uni1 I11 10. V. 10/11 Saxone Thoringo resonat sua damna moventes unius
a(l laudem tot cecidisse viros. Genicint ist wohl der Krieg von 555, von dem
(2regor I V 10 und 16 Endc (vgl. I V 14, wohl nur eine Sagcn-Doiiblette zii V 15)
iIl1d JIarii Chronicon spreclien; diese sprwhcn freilich nicht von einer Theil-
nahme cles 20,jiChrigen Sigbert, also auch niclit von der hier (V. 13) erziihlten
Episode jenes IKricgcs (vgl. V1 1, 75/76). I n dcm obigen Distichon ist wohl das
vorangehende Victoria zii rcsonat als Subjekt zu nehmen und zu schreiben 'mo-
vcnte', wozii Snxonc (ct) Tlioringo Snbjeld sind. Zii V. 10 vgl. I); 1, 145
summus honor regis; zu dem Gedanken von V. 24 vgl. V11 7, 64 und I X 1, 113;
V. 28 ist gleich V1 2, 20 und ähnlich 111 5, 4 ; zu V. 34 rgl. I V 2G, 9 cor-
pore iuncta toro, plus pectore nexa zmd V111 3, 258 iam pridem pectore iuncta.
V1 2 I<önigslob: S. 16 und 45 und 60 Auffallend selten ist die Anrede
mit Titeln, während in I X 1 rex oder princeps oft steht. V1 3 und V1 4
Frauenlob: S. 42. 3, 9/10 sclu-eibc: mens. . benigna cnm sit prole poteiis, gr.
V1 5 Todtenklage; über die Zeit vgl. S. 618; iiber die Veranlassung und
die allgemeine Behandlung des Stoffes vgl. S. 18; iiber die dichterische Aus-
fiihrung S. 20 und S. 31 ; über die Einthciliing S. 30. Was dcn Aiif b a U des
Gedichtes betrifft, so scheiden sich klar : E X o r d i n m V. 1-12 : Unsiclier rollt
das Rad des Schicksals. T h e m a V. 13- 20 : Gelesuinta ist todt ; E p i l o g U s
351- 370 : sie ist selig, also weint nicht. Die Hauptmasse der Verse, V. 23-350,
fasst man wo111 an1 besten so : Fortnnat hat die beiden hier zu behandelnden
Gesiclitspuiilite, die N a r r a t i o und die T r a C t a t i o, in neuer Weise so mit
einander verbunden, dass er immer ein Stücli Erzählung lind dann sofort
die Tractatio des betreffenden Stückes gibt. Dicse Tractationes gibt er nicht
als seine Betrachtungen, sondern in geschiclrter, lebendiger Wendung als Ge-
fühlsausbrüche der bethciligten Personen : der n9uttei1 Tochter, Scliwester,
Amme. Diese Anlage des Ganzen ist vortrefilich. Die Narratio vertlieilt sich
auf die Verse 23-48, 83-96? 123-138, 169-180 und 181-206 und 207-246;
mit einem älinliclien Uebergang wie App. I 121 wird dann das Schlimmste er-
zählt V. 247-254; die Erzählung schreitet fort mit 255-258 und 271-280 ;
dann ~ n i t281 und 282 und 299-308, endlich mit 309-320 und 347-350. Die
Reden der Tractatio bestehen in V. 49-82, 97-122, 139-168, 209-270,
283-298 und 321-346. V. 1 lind 2 vgl. mit X I 25, 1 und 2. iiber die
Verse 233, 225-228, 241 und 242, 251 vgl. S. 7/8. V. 283 hanc mandasti
salutem? scripta tuis digitis hoc mihi charta refert ? dies ist Ironie des höch-
sten Schmerzes: diese Botschaft lrommt zu mir statt eines Grusscs oder eines
von dir gescliriebenen Briefes ; vgl. zu Appendix no 3. 361 pretioso funere
fulget : nlzlss cs qzicltt munere l~eissc~z? vgl. V11 7, 2; V111 3, 395. iibcr V. 3G8
vgl. S. 8 ; zu V. 367 und 370 vgl. I V 26, 137 und 157.
V1 G Gartenlob : S. 16, 57 (Note), GO U. 70. V1 7 Aepfelvergnügen.
Ist 'Vcnimus' die Hauptsaclie, dann könnten diese 10 Vcrsc ein J3illet sein, mit
dem einem Abwesenden die gliickliche Anliunft gemeldet wird; sonst ist es ein
Scherzgedicht, das, dem Aregius vorgetragen, ihm danken sollte. V1 8 Er-
zählung: S. 11/12 und S. 72. V1 9 und 10 Briefe: S. 15 und 18.

B u c h V11 V11 1 Herrenlob: S. 14 lind 42; zu V. 26 vgl. VU: 7, 76;


über V. 41 vgl. S. 12 V11 2 Billet, in der austrasischen Residenz 5GG ge-
schrieben; die Ueberschrift 'cum rne rogaret ad ccnam' beweist, dass diese
Uoberscliriften ursprünglich von Fortunat verfasst sind (vgl. S. 72 Note iiber
111 17); allerdings leiden solclie Ueberscliriften am meisten unter den Händen
der Abschreiber. V11 3 Billet, in der austrasisclien Rcsidenz 5GG geschric-
ben; die Ueberschrift scheint verstiimmelt ; desshalb ist die Beziehung des Ge-
dichtes unklar ; vgl. S. 20. V11 4 Brief: S. 14. V11 5 und 6 Lobreden
auf Mann und F r a u : besonders S. 43 ; dann S. 34; iiber V. 15-18 : S. 41.
V. 34 vgl. V11 7, 35. . V11 7 Herrenlob : S. 43. V11 8 Brief aus Poitiers.
TVeshalb diese hohe Ausdrucksweise und dieses lange Eingangsbild (1--30)?
Fühlte sich Fortunat ciurch ein Schreiben (Gediclit?) des Herzogs so geehrt?
V11 9 und 10 Briefe; no 10 vielleicht mit no 9 abgesendet. V11 11 Brief: S. 18.
V I I 12 Trostbrief : S. 18. Der Inhalt dieses aus Poitiers geschriebenen Briefes
weiclit von dem Inhalt der gewöhnlichen Briefe durcliaus ab ; was soll ferner
die Vermuthung, Joviii verweile wohl bei seinem Vater auf dem Lande, einem
Provinzialstatthalter gegenüber, der da sein muss, wohin ihn sein Amt ruft?
Alles klärt sicli, wcnn wir die Nacliricht des Gregor H. Fr. I V 43 zum Jahre
573 hierher beziehen : r e m o t a b 11o n o r e J o V i n o rectore Provinciac , Al-
binus in loco eius subrogatur; magnam inter eos iniinicitiam haec Causa con-
gessit. Albinus wie Jovinus gehörten bisher zu dcrn Freundeslrreise des For-
tuiiat in der Pronvence; vgl. V1 10, 67-69 I). Wie Forturiat das Unglück
seii~eslioclistchenden Freundes hört, schreibt er diesen Trostbrief. Die lange
Einleitung (V. 1-60) scliildert zuerst, wie unstet das Gliiclr des ~Iensclienist
V. 1-10 ; dann gibt sie Beispiele , wie die liervorragenclsten JIenschen jedes
Standes untergegangen sind V. 11-32 ; nur eine Hilfe gäbe es, das Vertrauen
zu Gott; alles Andere sei Rauch und Dunst (V. 33-GO). Mit V. GI beginnt
der eigentliche Brief; Fortunat spricht da niclit mit dürren Worten sein Bei-
leid am Unglück des Freundes a u s ; sondern in zarter Weise erinnert er ihn
aii ilir einstiges trautes Zusainmcnlcben, versichert ihn seiner unbegrenzten Zu-
neigung iind mahnt ihn wiederholt, ihm doch ja zu schrcibeii; eben weil alles
Irdische so eitel sei, um so mehr müssten Freunde zusammen halten: V. 105
0 quotiens timidis chartis epigrammata inisimus, et tua pagina muta silet. quis
reddet eas horas, quas taciti perdinius? E s ist klar, dass aucli der verschrie-
bene Anfang dieser ganzen Partie V. G 1 'Cur igitur metu traliitur data vita
susiirro ncc Fortunato paiica, Jovine, rcfcrs?' in diesem Sinne richtig gestellt
werden muss zu 'cur igitur m u t o traliitur data vita susurro', wie aiicli Lucan
5, 104 verbindet : t a c i t o mala vota s u s u r r o concipere. Auch die Scliluss-
wendung, e r weile wohl jetzt auf dem Lande bei Vater iind Bruder, wird
wiederum zur dringenden JIaliniing , sich ilim gegenüber frei ausznsprecheii.
Jovin liielt gewiss den Albin fiir einen Verriitlier ; grade deshalb scheint For-
tuiiat seine Freundesliebe um so mehr zu bctlieuern. So weideil die Eigenthüm-

1) 1)as Gcdiclit 10 ist an 1)ynarnius gcriclitct. IIicr 573 wird Albiiiiis dcr Naclifolger des
Joviiius als Stattlialtcr. llei Grcgor 11. Fr. 1'1 7 ist in1 Jalirc 581 Dynamius Stattlialtcr; er setzt
den Albirius als Uiscliof von Uzds cin ; derscll~esoll abgesetzt wcrdcii; da stirbt er iiacli 3 Mo-
iiatcn ; seiii Nachfolger will Joviii wcrdcii. So drclit sicli Alles iirii wenige Iicrrsclicndc E'aiiiilien!
Dic Iliscliöfc voii Tours waren mit Aiisnalimc voll 4 alle Angcliörigeii dcr Faiiiilic des Gregor von
Tours gcwcscn. Das war das eiscriic Gcrustc dcr riixnisclien staatliclicn Einriclitungcii , welclies
auch selbst die wilden Fraiiltcn niclit zerbrcclieii wolltcii oder nicht lconuten.
Ablidlgn. d. 1;. (;OS. d. Wiss. zu UOttingen. Phi].-liist. Iil. N. F. Band 4.6. 12
90 WILHELM NEPER,

lichkeiten dieses langen Briefes k l a r , und das Gedicht selbst macht dem Cha-
rakter, wie der Kunst des Fortunat alle Ehre.
V11 1 3 Billet. V11 1 4 : S. 20 und besonders S. 73; iiber V. 9-14
S. 42. V11 15 Brief: S. 17. V11 1 G Herrenlob : 9. 44. V11 17 Brief:
S. 14; über V. 1-6: S. 41. V11 18 Brief; V. 6 nemo mihi tacite prae-
tweundus abit = praeteriens, wie venerandus (statt venerabundus) = venerans.
Sollte dieser hocligelehrte Flavus identisch sein mit jenem Plavus, der zunächst
referendarins des Giintram war und 580 Bischof von Chalons wurde (Gregor H.
F r . V 45 uncl X 28)? Der Name ist selten und die Stellung eines Referen-
darins verlangte einen Gebildeten; V. 1 verbürgt die Form Flavus; die Hand-
schriften Gregors schwanken. V11 19 Bricf.
Zwisclien V11 18 und V I I 20 steht in der Pariser Handschrift 13048 (2)
Appendix no 4 Versus ad Sigismundum. Dies Gedicht stand also sicher ur-
spriinglich vor V11 20, aber die Vorlage der jetzigen Handschriften der 11
Biicher hat es ausgelassen. V11 20 und 21 Briefe. Sigismiind und Alagislns
sind Soldaten nnd, nach no 20 V. 10 zu schliesscn, keine Franken. 'IVahrsclicinlich
waren es vornehme Sachsen, welche Fortnnat 5GD/G in Xustrasicn kennen ge-
lernt hatte. Der eine, Sigmnnd, blieb in Austrasien; daher die Bricfc Appenclix
no 4 und V11 20 an ihn allcin g-ericlitet sind. Dagegen der Brudcr Alagisliis
zog mit einer grossen Masse seiner Landsleute 668 mit den Langobarden nach
Italien. Wie lange e r dort blieb, das wusste Fortunat nicht; daher die Frage
no 20 V. $1, ob cr noch in Italien bei den Langobarden sci oder schon ins Fran-
kenland d. h. nach Austrasien zurtickgekehrt sci: si gravis hospes arma tenens
terit Italas arenas aut (es territoria) quae Francus habct. Spatestens kehrte
er 572 mit dem grossen Sachsenhaufen zurück (Gregor H. F r . I V 42 und V 15).
I n den Jahren 573-575 führte Sigbert öfter grosse Mengen von Ueberrlicinern
weit in das Rcich des Chilperich hincin, bis an das Neer; ja Gregor I V 51
scheint anzudeuten, dass e r daran dachte, diesen zurückgekclirten , aber jetzt
fast heimathlosen Sachsen (Grcgor V 16) an der Seinemiindung Wohnsitze zu
schenken. I n diesen Kriegsjahren 573-575 (no 21, 11 tempore belligero)
kamen auch die beiden Officicrc Sigmiind und Alagislus so nahe an Poitiers,
dass sie dem alten Freunde Fortunat ihren Bcsuch ansagten. Auf diese An-
sage antwortct Fortunat mit V11 21. I n 20, 5 und 6, ist wohl 'citavit' in
den Text zu nehmcn und (abivit' zu schreiben; in V11 18, 5 und App. 4, 4 steht
das Praesens ; das Futur scheint unmöglich.
V11 22 Brief. V11 23 Brief: S. 28/29. V11 24 Inschriften auf Prunk-
schüsseln; Le Blant 11 533 druckt nur die erste. V11 25 Brief; vgl. S. 28/29.
L e b e n s g e s c h i c h t e d e r h. R a d e g u n d c l ) .
Die Geschichte der Radegunde, der thiiringischen Königstochter und friinki-

1) Vgl. Dümmler, Im ncuen Reich 1871 I S. 641-656, Kruscli in dcn Scriptores rerum hle-
rovingicarum 11, 1888, S. 358; eine Darstellung auch bei Carl Franklin Arnold, Caesarius V. Arles,
DER GELEGENIIEITSDICIITm IIORTUNAT (V11 13-25. LEDEK DER IZ~DEOU.I'DE).
91
schen Königin, ist für Deutsche wie für Franzosen interessant; aber sic ist
voll Dunkelheiten ; Thatsachen wissen wir ziemlich vielc , allein das chrono-
logische Gerüst, in welches diese Thatsachen zu fiigen sind, ist durchaus man-
gelhaft. Die & u e 11 e n dafür sind nicht eben spärlich. Zuniclist melden
nIanclies die Gedichte des F 0 r t u n a t : V 2, G2 - 70 ; V1 3,228-228 ; V I I I 1. 3 ;
3. 4. 7, 25; App. 1. 2. 3. 9. Vieles berichtet die Vita Radcgundis, welclie
Fortunat bald nach 587 verfasst hat (Band 11 S. 38-40 und Scriptorcs reriim
JTeroving. I1 S. 364-377)' und der Nachtrag, welchen bald nach 600 B a u d o-
n i v i a, eine Nonne des Klosters dcr Radegunde, zusammen gestellt hat (Scri1)t.
rer. Jlerov. I1 S. 377- 395). Endlich gibt G r c g o r von Tours manche nütz-
liche Notiz : Historia Francorum 111 4 und 7 dic Geschichte von Thüringen's
Ende und I11 7 kurze Gcschichte der Radegunde; (V1 29 Rlostergescliicliten) ;
IX 39 Brief der Bischöfe an Radegiinde (vor 568) ; I X 40 Gcscliiclite dcs Streites
der Radegunde mit dem Bischof von Poitiers IIarovcus Tvcgen der Icreuzpar-
tikel , etwa 9G9 ; I X 42 Brief der Radegundc iibcr Besitzungen und Rcclite
ilircs Rlostcrs, vor 368. Gloria niartyrum K. 5 : Erwerbung und TViindcr der
K r ~ u z ~ a r t i k e l Gloria
. confessoruin I<. 101 : Schilderung des Bcgriibnisscs der
Radegunde, 587.
nsir scheint es, dass man die A r t nicht ganz erkannt hat, wie Fortunat und
wie Baudonivia illre Schriften e i n g e t h e i l t haben. Besonders ist Iiicbei zu achten
auf die W u n d e r. I n der vorangehenden Zeit sind die vom Heiligen gewirkten
Wunder in manchem Hciligcnlcbcn ein miclitiger, in wenigen der wichtigste Be-
standtlieil; in der nlerowingcrzeit werden sie ein uncntbehrliclier und wichtiger
Bestandtlieil eines jeden Heiligenlebens. F o r t u ii a t gibt nach der Einleitung
(IXap. I) die Geschichte der Rndegunde bis zu ilirer Heirat11 (Kap. 11). Dann
folgt die Gescliiclite der E 11e f r a u (Kap. 111-X) und ein C ' V u n d e r aus dicser
Zeit (Kap. XI). Hierauf die Geschichte der v C 1a t a (Kap. XII-XIX) und Wun-
der aus dieser Zeit (Kap. XX). Endlich die Gcscliiclite iler Radegunde im Icl o-
s t e r, wobei die Zeit, 'priusquam exciperet Arelatensem regiilam', und dic spä-
tcre nicht wcitcr gcscliicdcn wird (Rap. XI-XXVI) : dann folgen die m i r a-
C u 1 a derselben Klostcrzeit. Rap. XXVII muss also beginnen mit dem Ende von
' I<al). XXVI : Hiiic actum est , ut , quod ipsa abdidcrit , hoc m i r : iC u 1 a non ta-
c6rent; diese miracula gehen bis Kap. XXXVIII. Im letzten I<al)itel XXXIX
sind dic Tugenden der Radegiinde 'pictatc parcitate dilectione dulccdine liuini-
litatc honestate fide fervore' nur nach der Alliteration geordnet I), wahrend die
vor dcr Schilderiing des I<losterlcbens genannten Tugendcn IKa1). XXI iciunii
obsequii liumilitatis liaritatis laboris c t cruciatus die E i n t ll e i 1u n g dieser
Schilderung selbst gcbcn; denn Rap. XXI 'Ergo vencrabilem7 bis Ende Kap. XXII
scliildert das ieiunium der ltadegunde; Kap. XXIIi und XSIV scliildern obse-

189.1, S.
418-426. Xiclits liabc icli gclciiit aus C. A . Ilernoulli, Die IIciligenlcben der ~~~~~~~~ingcr,
1900 S. 79-87.
1) Eiii wichtiges Ilcispiel dcr Alliteratioii iii der I'rosa 1 vgl. zu Alilicndix iio 5.
13 "
92 WILBELJI N E P E R ,

quium humilitas karitas und labor I); Kap. XXV und XXVI schildern den cru-
ciatus. Die lliracula der Klosterzeit sind, wie öfter, neben einander gestellt,
ohne Verbindung; je eines oder je 2 haben eine kleine Einleitung. W a s soll
in Kap. XXVITI die Einleitung: Nec illud praetereatur tempns beatac qiiod
praestitit? Nuss es nicht 'Christus' statt 'tempiis' (d. h. xps statt zps) heisscn?
Weder 'quod Christus beatae praestitit' noch 'quod beatae Christus praestitit'
hätte einen rythmischen Schluss ergeben. 'Christus praestitit' ist hier am Platze ;
denn in dieser Vita ist 'deus' fast glinzlicli verdrlingt durch 'Cliristus'.
Im Kopf der Dame B a u d o n i V i a mag es etwas kraus ausgesehen haben,
und manches einzelne kleine Stiick diescr Vita liann seinen Platz liaum recht-
fertigen: allein so schlecht hat sie doch ihre Gedanken nicht vertheilt, wic die
Abschreiber oder die Herausgeber ihr zumutlicn. Wenn ich recht sehe, hat
Baiidonivia die Erzählung dcr T h a t c n der Badegundc scharf von den W uii-
d e r n trennen wollen. Zuerst die Thaten in Kapitel 1-10: Kap. 1 und 2 die
Tliaten cler Ehefrau in Soissons bci den Franci, Kap. 3 und 4 die Tliaten der
vclxta in Sucdas bei l'oitiers ; Kap. 5-10 (gegen Schluss) die Tliaten im ICloster
in Poitiers. Der 2. H a u p t t h e il bcginnt mitten im jetzigen 10. I%apitcl
(gegen Schluss): Undc pro tam inmensis bcneficiis, quae snnt in ca divino mu-
nerc conlata, dominus virtntum largitor cam in m i r a C U 1 i s clariorcm rcdclidit.
I n Francia , iibi , dum regnarc videretnr , sibi rnagis cüeleste cluam terrcnum
praeparavit regnum, fecit sibi oratoriiim, quateniis usw. ; liier, in dcm Oratorium '

in Soissons, passircn dann die in I h p . 11 und 12 crznhltcn Wunder2). Kap. 13


berichtet ein in Suedas, also der vclata vorkommendes Wunder. Mit Kap. 14
beginnen die Wunder, welche geschehen 'postquam i n monasterium est ingrcssa',
wobei die Erwerbungen von Reliquien zu dcn Zeichen göttlicher Gnade ge-
rechnet werden, wie sie- ja aucli mit betrgchtlichen Wundern verknüpft sind.
Kap. 21-25 erzählen das ~vundcrbarcBegräbniss ; Icap. 26-28 Wunder a n dem
Grabe. SO lrommt in dieses Schriftstiicli ziemliche Ordnung.
Ich will die bcliannten Tliatsachen aus Radcguridens Leben aufziihlen und
dann die zweifelhaften Punkte besprechen.
I) Kadegunde war die Tochter des Thiiringerkönigs Bertharius; Hermine-
fredus Berthacharium fratrem siium vi opprimcns intcrfecit (Gregor 111 4).

1) Ende von Rap. XXIV ist anders zu intcrpnngiren: indc pcr acgrotantes inferens ibat non
tbpida . ct, priusquam exciperet Arclatcnsem rcgiilam, cbdomada transacta sufficicnter ail omncs
c:llidam facidbat , Iiumilitatc sarictissima pcdes Iavans ct 6sculans; et adliiic omncs prostrata dc-
precabatur veniam neglcgentia pro commissa. Vgl. Uat~doniviaICap. 10 : totis implcre studebat scr-
vitium, pedes omnium inanil~uspropriis lavans, savano tcrgens ct osculans; ct, si pcrmissum fiiisset,
ad similitudinem Nariae fusis crinibus cxtcrgerc non rcnitcbat.
. ..
2) Uei Icrusch stclit : . rcddidit in Francia; iibi dum . . rcgnuni. Pecit sibi . 1)ic Icapitel-
abtlieilung dieser Vita ist üherliaupt abscliculicli. So listtc das liübsclic lctztc Stüclc der Tliatcn,
die vermittelnde Thatiglrcit bei iliren künigiiclien Sticfsülincn (S. 384, 20 -385, G ) gut ein bcson-
deres Kapitel gebildet; denn S. 385, B-6 gibt nur den Sclilagscliattcn zu dem Liclitc, ltcinc bc-
sondere Sachc.
DER OELEOmI1EITSDICIITER FORTUNAT (IJEI~ENDER RADEGUNDE). 93
2) Nach dcs Vaters Tod lebte Radegiinde einige Zeit im Hause ihres Oheims,
cles Irminfrid, wo sie mit dessen Sohn Amalafrid innig befreundet wurde.
3) Als die Franken die Thüringer unterwarfen (531), fiel Radegunde mit
ihrem Bruder dem Chlotar z u , welcher sie in der Villa Attcias in Neustrien
erziehen liess. Sie .cvurde hier eine sehr fromme Christin.
4) Chlotar heiratliete Radcguncle; doch sclion als Ehefrau gab sie sich in
ausgedelintem Masse frommen Werlren hin.
5) Radegunden's Bruder wurde von den Franken getödtet; da floh sie vom
Hofe weg zii dem Bischof Medardiis und liess sicli wcilien.
6) Dann 1cl)te sie einige Zeit in Suedas, einem Gute bei Poitiers, welches
Chlotar ihr geschenkt lintte.
7) Mit Chlotar's Hilfe baute sie dann in Poitiers das Nonncnliloster, in wel-
chem von da an sie selbst wohnte.
8) Als sie in diesem Iiloster wohnte, wollte Chlotar sie wieder zur Frau
haben; doch Gcrmaiius der Biscliof von Paris vermittelte. So lebte sie lüngere
Zeit bei ihren Nonnen, wie es scheint,- ohne eine bestimmte Klosterregel.
9) Naclidem Radegunde aus' Arles eine Abschrift der Regel des Caesarius
einem Schreiben der caesaria in Arles erlialtcn hatte (JIoniimenta Germ.
])ist. Epistolae I J I 450), fiilirtc sie die Regel des Caesarius ein, wonach z. B.
Nonne lebend das Kloster verlassen durfte; wie Caesarius in Arles, so
b ~ n t eaiicli sie in I'oitiers cine Grabesliirclic S. lfarinc.
10) Biscliijfe ans Charibert's Reich (also vor 568) schreiben der Radegunde,
wie sie gebeten habe, stimmten sic selbst zu, dass l~eineaus ihren Bisthiimern
Nonne, welche dieser Regel des Caesarius sich unterworfen habe, je
das Kloster wieder verlassen dürfe (Gregor 1X 39).
11) Radegunde lässt durch den Bischof Germanus die junge Agnes zur
Aebtissin weilicn.
12) Radegunde zeigt den Bischtöfen wie Königen Frankens an, dass sie das
I<lostcr dotirt und die Agnes als Acbtissin eingesetzt habe, und bittet um Schutz
der Besitzungen und der Rechte des Klosters; vor Cliariberts Tod, also vor 568
geschrieben (Gregor IX 42).
13) Mit Icönig Sigbcrts Vermittelung - d s o 568 oder etwas spüter - er-
bittet und erhült Radegunde von Jus& und Sophia eine Iircuzpartiliel; wegen
deren Unterbringung in ihrem Iiloster entzweit sie sicli mit dem Bischof von
poitiers Maroveus fiir immer ; das ICloster wird dem Bischof von Toiirs unterstellt.
14) Radegiinde stirbt am 13. August 587, Agnes vielleicht schon vor ihr.
Radegunde wird bei den übrigen Nonnen in der Kirche S. niariae bestattet;
uni 600 gibt es in Poitiers cine basilica sanctae Radegundis, wo ihr Leichnam
sich befand.
Bemcrlrungen zu den einzelnen Abschnitten des Lebens d e r
R a d e g u n d e. Z u n o 1 u n d 2 : Dass Radegundens Vater Bertharius schon
616 getödtet wurdc, ist unmöglich; sie und ihr Bruder miissten bei der Gefan-
gennahme 531 mindestens schon 16 Jahre alt gewesen sein. Bertharius kann
in der Schlacht gegcn den Brnder Irminfrid gefallen sein, so dass Wittwe und
Kinder doch in der Residenz, ja im Hause des Irminfrid wohnen konnten, viel-
leicht wohnen mussten. Dass Radegunde in Irininfrid's Haus wohnte, deuten
App. 1, 59-62 an, besonders V. 63/64: anxia vexabar, si non domus una tcge-
b a t ; egrcdicntc i'oris rebar abisse procul; dass das nxcli des Vaters Tod war,
zeigt V. 51 quod pater extinctus l~otcrathabcri . . t u rnilii soliis eras.
Z u n 0 3. Fortnnat, der das siclicr wissen konntc, berichtet (Vita I(. 11) :
fit contontio de c&ptiva, et nisi reddita f~iisset transacto certaminc iii se regcs
Arms movissent. Wahrscheinlich dachte noch Kieniand a n H ~ i r a t ~ l isondern ;
Radegnnclc uncl ihr Bruder galten als Gcisscln fiir den ~insiclic~n Gcliorsam der
Thüringer. Der Aufentlialt in Attlieias soll Lnntriendi causa' gcwcscn sein ; von
dem JIädchen werden nach der Sittc der Zeit Synonyma gcbraiiclit : puella, ado-
lescens, infantula.
zii no 4. Wann die Vermülili~ng mit Chlotar stattfand, ist durcliaus iin-
sicher. Clilotar liatte nicht auf diese Braut sehnsiiclitig gcwartck. Also fördert
uns nicht der Ausdruck Baudonivia's (Kap. 1): in ipso coniiinctionis brcvi tcmporc.
z u n o 5. T o d cl e s B r u d e r s. Die Tödtung des Bruders wird von vor-
tunat wie von Gregor als Grund angegeben, dass Radegunde sicl~ .\-oll Clllotar
trenntc. Fortunat Kap. X I I : ct quoniain frequenter aliqua occasiolic divinitatc
prospcrantc Casus chditur ad saliitem, iit Iiacc religibsins vircrct, fratcr inter-
.
ficitur innochnter. dirccta igitiir a rege . 1T~dardiimsiipplicat, nt ipsam miitata
.
veste dbinino consecr;iret. Grcgor I11 7 : C1ilot;tcliariiis . . Radegunclem . sihi
in matrimonio sociavit; cuius fratrem poste;'. l)er homines iniqiios occidit. illa
quoque ad dciim conversa mutata veste rnoiiasteiium sibi intra Pictavensem
urbem construxit. Gewijlinlich wird dicsc T ö d t iin g des Bruders als blinde
Rohheit des Chlotar angesehen. Radegunde selbst luvst später den J?ortiinat
dem Amalafrid in Griechenland dariiber sagen, Appendix no 1 V. 129 'illc ~ U O S
cupiens properat diim cernere vnltus, ncc suus impletur, dum mcus obstat, amor . .
pcrcutitur iuveriis tenera lanugine bnrbac'. OKcnbrtr wollte Radcgiindcns Uriidcr
nach Griechenland zu Amalafrid. Aber der Bruder wie Itadegundc waren die
einzigen Kinder der Könige von Thiiringeri, wclchc die Franlieii mitnalimen.
Die Thiiringcr waren widerspenstige und gefiihrlichc Untcrthaileii: (las zeigten
noch 565 die lilutipen Icämpfe, als dic Thiiringcr mit den ~ac'hsen,dcn jenseits
des Itlicins empor strcbcndcn Nebenbiihlcrn der Praiilrcn, gcmeirisninc Sache
machten. Der Bruder Radegundcns war also de f'acto und wolil auch dc hure
Geissel. Will er fliehcn, so hat er das Leben verwirlrt. Abcr woliin will c r
fliehen? Nach Griechenland. Von 550-560 gab es fast iinunterbrochcn i n
Italien, besonders in Venetien lind Istricn, Kiimpf'c zwischcn Franlren lind Grie-
clien ; ein Heer Pranlrcn - es sollen 70000 gcweseii seiri - wiirdc 552-553
von Narses in &Iittclitalicn besiegt und ging dann allmiiliIich zu Grunde. Obc11-
drein war Amalafrid, der General in griechischen Dicnsten geworden war, als
der Sohn des Irminfrid der bercchtigstc und gefzlirlichste Priitendent fiir
Thüringen. Wie er den Franken gesinnt war, ist Blas. Wenn nun ein andcrcr
DER GELEGEXIIEITSDICnTEI<FOBTUXAT (LEBEN DER RADEGUNDE). 05
tliiiringischer ICiinigssohn, den die Franlren als Geissel verwahren, zu jenem
Priitcndenten nach Griechenland fliehen will, was miissen seinc WäcIiter thun,
viclleiclit fiir ihn verantwortlich sind? Aber selbst Ivenn die Tödtung
des Bruders der Radegilnde das Staatsrecht nicht verletzte, musstc natiirlich
die Schwester durch seine Tödtung sehr erschiittert werden, und ihr Entschliiss,
diesem weltlichen Treiben zii cntflielien, ist sehr begreiflich. W a n n that sie
diesen Schritt? Darüber Iiann ich nur auf die Combinationcn zu no 8
zu no G Der Aufenthalt in S u e d a s bei Poiticrs lrann mehrere Jahre
haben; denn Fortunat verwendet viele Worte auf dessen Scliilderung
(I<ap. SV-XX); Baudonivia handclt davon in Kap. 3. 4 und 13. Hier taiichts
cler Plan anf, in dem benachbarten Poiticrs ein l'i2dchcnkloster zu baiien; der
Plan wurdc vom IKönig gcneliinigt und der Bau vom Biscliof Picntius und Her-
zog Austrapius, allerdings sclinell, ausgcfiihrt. Schon in dcr Villa Suedas soll
nadegiinde geliöit Iialieri, dass Clilotar 'nisi eam reciperet, pcnitus vivcre non
optaret' (Baudonivia Kap. 4).
no 7 R. Arnold, Caesarius V. Adcs S. 419, meint 'Nichts bcrcclitigt
zii der Annalirne, dass die Nonne eine Zcit lang unter einer andcrn Regcl geleit
liabcl. Das wird schon diircli die Angabe dcs Portunnt Kap. 24 widerlegt,
Radegunde habe ihren Nonnen Samstags warmes Wasser bereitet und sie selbst
gewaschen, 'priusquam exciperct Arelateiiscm regulnm'. Denn die Regula Cae-
sarii gebictet 'lavacra cnius infirmitas cxposcit minime rlenrgentnr; si aiitem
nnlla infirmitnte compcllitiir, cupiditati suae non praebeatur asscnsus' (Migne
Patrol. lat. 67 Sp. 1112 $ 2 0 ; vgl. Gregor H . Fr. X 16 = S. 427 Z. 15 diversae
earilm in balneo lavarentur incongruc, dann Z. 24 - S. 428 Z. 5). Weder For-
tnnat noch Baudonivia liaben bei rlei Darstellung diese IClosterzeit von der
spätern gcscliieden. Allein in diese Zeit muss z. B. die ICranlcenpAege fallen,
welche in Kap. 23 des Fortunat geschildert wird (visitabnt quos fovebat); denn
es waren männliche Kranke darunter.
zu no 8 Als Radegunde schon im Kloster wohnte, lcam Chlotar mit
seinem Sohn nach Tours: nach B:tudonivials Worten, zum Schcin um am Grabe
des Mxrtin zu beten, in Walirlieit um aus dem nahen Poiticrs sich seine Frau
Radegunde wieder zu holen: Baudon. IC:ip. G siciit iam per internuntios cogno-
verat qiiod timebat, praecelsus rex cum filio suo praccellentissimo Sigiberto
Turonis aclvenit quasi dcvotioilis Causa, qua facilius Pictavis accederet, u t suam
reginam acciperct. Radegunde schickt durch einen Eilboten ein Schreiben an
Germanus, den Bischof von Paris, der beim König weilte. Dicser erreicht, dass
der IKönig sogar den Gcrmanus zu Radegunde schiclrt lind sie um Entschuldigung
bitten lässt.
Dieser lctzte Versucli des verliebten Chlotar, Radegunde wieder zur Ehefraii
zu liaben, mag viclleiclit auf Selbsttäuschiing der Radegunde beruhen: aber
möglich muss er gewesen sein, sonst, hätte Germanus sich nicht gerührt. Nun
ist die Frage, ist ein solcher Versuch des Chlotar noch denkbar, wenn schon
eine grossc Reihe von Jahren vergangen sind, seitdem Radegunde ihn verlassen
und den Schleier genommen hat? W i r dürfen mit Sicherheit etwa G Jahre als
,den denkbar grössten Zwischenraum zwischen jener Flucht der Radegundc und
dieser Annäherung des Chlotar annehmen. Diese Annahme ist wichtig; denn
wir könnten auf diese Annahme hin etwas chronologischen Boden gewinnen.
Als jene letzte Anniiherung Clilotars stattfand, war Germanus bereits Bi-
schof von Paris. Leider steht das Jahr, in welchem e r dicsc Wiirde erlangt
hat, nicht ganz fest. Doch da 552 der Bischof Saffaracus abgcsctzt wurde,
dann ein Bischof Libanus folgte, hierauf 'cpiscopo deccdente' Gcrmaniis Bischof
wurde, da sicher 558 Germanus schon Bischof war (Duchesne, Fastes dpiscopaux,
11 466), SO dürfen wir den Amtsantritt des Qermaniis mit Recht auf etwa 555
ansetzen. Dann kann jene Anniiherung des Clilotar nicht vor 555 stattgefunden
haben. Dazu stimmt gut die Angabe der Bandonivia, dass Chlotar 'praccclsus
rex cum filio suo praecellentissimo Sigiberto' nacli Tonrs gclrommen sei: so be-
titelt man nur einen erwachsenen Prinzcn. Sigbert wurde Endc 575 im Alter
von 40 Jahren getödtet (Gregor IV, 51), war also 555, in wclchcm Jahre e r
schon tapfer gegen die Sachsen und Thüringer focht (Fortunat V I 1, 75 und
V1 1a, l l ) , gerade 20 Jalire alt. I n dicscm Alter und nacli solchen Tllaten
passt der Ausdruclc 'filius praecellentissimus', vorlier niclit.
Wenn wir also diesen letzten Vcrsucli Chlotar's, Radcgiinde wicdcr in scincn
Palast zu belcommen, frühestens in das J a h r 555 oder 556 setzen müssen, dann
können wir die Flucht Raclegnndens aus dem Palast in Soissons und ihre WTciliiing
durch IIedard nicht friihcr sls etwa 550 ansetzen. Friihcr, wo man meinte,
Afedard sei schon 545 gestorben, hat man dicsc Weltiiuclit der Radegunde um
543 gesetzt; doch jetzt wisscn wir, dass Medard Fis gegen 555 gelebt hat. Von
dieser Seite besteIit also kein Hinderniss, die Trennung Radegundens von Chlotar
in die Jahre um 550 zu sctzen.
llelir Schwieriglieit bietct der Tod ihres Bruders. Portiinat sagt um 569
in App. 1, 133 pcrcutitiir iuvcnis t e n e r a 1a n n g i n e 1) a r b a e ; diesen Vers
hat Radegunde gelesen und nicht corrigiren lassen; e r muss also ziemlich der
Wahrheit entsprechen. Vom Flaum dcs Bartes ]rann man bei dcm Sohne des
lralten Thüringens etwa um das 20. Lebensjahr sprechen und dem diclitcrisclien
Ausdruck können wir noch einige Jalire auf- oder abwärts zugcbcn. Wenn der
Vater Radegundens und ilires Bruders schon 516 gefallen wiire, dann liörte allc
Bcreclinung auf. Doch jencr Annahme widcrspriclit ja Vieles. Aber ctliclie
Jahre vor 531 muss er geboren sein. Anderseits ist cs an sich walirschcirilicli
und bestätigen es die zu no 5 ansgcschriebenen Stellen des Fortunat und des
Gregor, dass zwischen dem Tode des Bruders und der I-luclit der Iiadegunde
vom Hofe nur ganz wenige Zeit verfloss. Dcmiiacli miisste der Bruder Rade-
gundens um 550 im Alter von über 21 Jahren getödtet worden sein. Der
Ausdruck Baudonivia's Kap. 1 'in ipso coniunctionis b r c v i tcmporc ita se sub
coniugis specie nupta tractavit, ut Christo plus devota scrviret' fiillt hier nicht
ins Gewicht; denn erstcns fasst Baudonivia in ihrem Prologe grosse Zeitrr'iumc
zusammen, zweitens wissen wir niclit, wann Chlotar Radegundc gchcirathct liat ;
da sie bei dem Zusammenleben mit Amalafrid doch mindestens 6 Jahre alt war,
so muss sie um 550 mindestens 25 Jahre alt gewesen sein.
zu no 9 Wie zu no 7 bemerkt, hat Radegunde längere Zeit ihr IKloster
verwaltet, ohne eine bestimmte Regel fiir dasselbe anzunehmen. Wie lange, das
wissen wir nicht; es kann sehr lange gewährt haben. Das zeigen die folgenden
Tliatsachen, welche die E i l l f ü h r u n g d e r R e g e l d e s C a e s a r i u s betreffen.
Erhalten ist uns ein Schreiben der 'Caesaria exigua dominabus Ri-
cllildae et Radegundi' (Nonumenta G. H., Epistolac I11450-453). Diese Richilde
muss eine Vorsteherin des Klosters in Poitiers gewesen sein, welche Radegunde
nach der damaligen Sitte der ein Kloster stiftenden vornehmen Damen sich zu
Hilfe genommen hatte (V$. Grcgor IX 33, wo Ingitrude ihrer Tochter schreibt:
relinque virum tiium e t veni, u t faciam t e abbatissam gregi huic quem congre-
Caesaria, die Achtissin des Jungfrauenklostcrs in Arles, schreibt 'ego feci
qilod praccepistis: transmisi exemplar de regula, quam nobis . Caesarius fecit; .
vos videte, quo modo cam custodiatis'; dann spricht sie zu Radegunde von der
Cregula quam expetisti'. Die Zeit dieses Bricfes lässt sich nur ans dem Folgen-
den schliessen :
z u n o 10 Grcgor IS 39 reiht aus dem Archiv in Tours oder des Klo-
in Poiticrs einen Brief ein, wclchcn etliche Biscliöfe an Radegunde 'in initio
buius congregationis' (d. 11. ilircs Fraiicnklosters) gescliriebcn liattcn. Die Namen
der Bischöfe sind : Eiiplironius, Praetextatus, Germanus, Felix, Domitianus, Vic-
toriiis und Domnulus. Dieselben Bischöfe haben in derselben Reihenfolge hm
17. Nov. 667 die Aktcn der Synode in Tours unterschrieben: nur stehen dort
nocli weiter: nach Felix der Bischof Chaletricus von Cliartres und nach Domnulus
der Bischof Leudcbaud von Seez. Wie oben (S. 57 in der Note) bernerlrt, ist
dies kein strilrter Beweis, dass diescs Schreiben auf der nämlichen Synode ver-
fasst i s t ; aber walirsclieinlich ist es, und jedcnfalls ist der Brief unter der
Regierung Cliariberts und nicht lange vor dem 15. Nov. 567 geschrieben. Die
Bischöfe erklaren der Radegunde, dass sie auf illre Bitte hiermit jede Jungfrau,
~velclicaus ihren Sprengeln in das Kloster eintritt und der Regel des Caesarius
sich unterwirft, dann aber gegen die Regel dennoch das Icloster wieder verlässt,
feierliclist excommuniciren : quia quasdnm comperimus . . de nostris territuriis
ad institutionem vestrac rcgiilae dcsiderabiliter convolksse, inspicientes etiam
vcstrae pctitionis epistulam libentcr a n6bis exc6ptam . . . specidliter definimus,
si qua . . de locis sacerdotaliter nostrae gubernationi domino providdnte com-
rnissis in Pectavina civitato vcstro monastcrio meriierit socikri secundum b. m.
domni Cacsarii lmJatcnsis episcopi constiti~ta,nulli sit ulteriiis disceddndi li-
cbntia. Sonst cntliiilt dieser Brief, den man gewölinlicli als eine Antwort auf
das unter no 12 zu bespreclicndc Sclireibcn ansieht, nichts I).
1) Der Brief ist rythniiscii geschrieben. Die Schlüsse sind frei von IIiatiis. S. 395, 1 ist zu
botoncu, wie oft: scd cum pnenc cadom veiicritis cx Parte. S. 395, 9 ist zu intcrpungircn: rc-
lictis parcritibus te sibi magis cligant, quam matrem facit grfitia non natura (matreni. Facit
lioc gr. d i e n l t e ~ iAusgnbe~z.;matrein; facit gr. Arndt).
Abdtilgii. d. K. Uos. d. Wiss. zu G6ttingou. PM.-bist. K1. N. F. Band 4,a. 13
Gregor sagt ausdriicklich, der Brief sei geschrieben 'in initio huius congre-
gationis' d. h. bei Einfiihrung der Regel von Arles. Dem entspricht auch der
Inhalt. Hicr ist nicht die Rede von der Gründung eines Klosters, dessen Do-
tation usw.; nein, nur von der Bestimmung, (lass keine Nonne das Kloster je
wieder verlassen dürfe1). Diese Bestimmung war wirlrungslos, wenn sie nicht
in allcn benachbarten Bisthiimern anerkannt und durch IKirchenstrafen geschützt
wurde. Waren die Nonnen auf diese Weise ins Icloster eingeschlossen, so war
alles Uebrige Sache der Aebtissin oder des Aufsicht fiihrenden Bischofs. Wie
von den hier antwortenden Bischöfen in Charibert's Reich, so hat aber Rade-
gunde gewiss auch von den Bischöfen der östlicli von Poitiers gelegenen Bis-
tllümer in Guntrams Reich sich eine iihnliche Sanctio erwirkt. Das war fiir ihre
I~lostcrzuclitnach der Regel von Arles wirlilich die erste Bedingung.
Daraus ergibt sich, dass Radegnnde die Rcgel von Arlcs im Jahre SG7 oder
kurz vorher in ihrem Kloster eingefiihrt hat. Viel früher lrann natiirlicli auch
der Brief der Caesaria nicht gcscliricbcn sein. Dies fiir Radegnnde wichtige
Ereigniss würde also zeitlich ziemlich zusammen fallen mit Fortunat's Eintritt
in illre Dienste. I n dieser Zeit ist nach meincr Ansicht aucli das schwierige
1. Gedicht des 8. Buches geschrieben.
z u n o 11. I n dem zu no 12 zu besprechenden, vor SG8 erlassenen Rund-
sclireiben erliliirt Radegiinde: consentientibus beatissimis vel liuius civitatis vel
reliquis pontificibus, electione etiam nostrae congregationis domnam et sororem
meam A g n e t e m quam ab ineunte aetate loco filiae colui et eduxi abbatissam
institui ac me post deum eius ordinationi regulariter oboeditiiram conmisi;
weiterhin bittet sie um Abhilfe, wenn irgendwer (abbatissam aliam, quam
sororem meam Agnetem, quam beatissimi G e r m a n i praesentibus suis fratribiis
benedictio consecr8vit1, aufstellen wolle.
Diese E i n w e i h u n g d e r A g n e s a l s A e b t i s s i n fand also nach der
Einfülirung der Regel von Arlcs und vor Erlass dieses Rundschreibens, d. 11. vor
Cliaribcrt's Tod statt. So ergibt sich von selbst, was ja auch natürlich ist, dass
diese Einweihung der neucn Aebtissin Agnes sehr bald nach und wohl in Folge
der Einfiihrung der neiien Regel geschah. G e r m a n u s, Radegundens alter Gönner
(vgl. zu no 8), erwies der Radegunde die Elirc, sclbst die Agnes einzusegnen,
jedenfalls mit grosser Feierlichkeit und unter Assistenz manches anderri Bischofs
(praesentibus suis fratribus). Dass Gcrmanns, nicht Maroveus der Biscliof von
Poitiers, Agnes einsegnete, geschah nur der Ehre halber; denn damals war
3Taroveus nocEi nicht mit Radegunde verfeindet; das zeigen die Worte in Rade- ,

gundens Rundschreiben IX 42 (S. 401, 18): consentientibus beatissimis vel huius


civitatis vel reliquis pontificibus ..
Agnetem . . abbatissam institui. Um SO
eher wird man mir zustimmen, dass Fortunat in dem grosscn Gedicht V111 3
1) Entfloh doch einmal eine Nonne, so wurde sie an der Stelle wieder ins I<lostcr Iiincingc-
schafft, an der sio herausgestiegen war, als ob das Aussteigen so iingcsclichen gemacht miirdc;
gleichwie das &Iadchen, dem ein Kuss gegeben worden ist, um ilin los zu werden, iliii dem jungen
Mann zurückgibt, nach einer Volksanschauung, der mehrere Faliliaiix derben Ausdriick gegeben haben.
DER QELECiENIIEITSDICIETER FORTUNAT (LEBEN DER RADECIUNDE). 99
eben diesen Tag der Einsegnung der Agnes besingt; für Radegunde war es
wirklich ein grosscr Tag.
z U n o 12. Gregor H. F r . I X 42 gibt den Wortlaut eines R u n d s c h r ei-
b e n s , welches Radegunde einst 'episcopis, qui suo tempore erant, diripi voluitl,
und von welchem die Aebtissin Leubovera 580 wiedeSum Abschriften an die
Bischöfe der benachbarten Städte versendete. Die Adresse lautet bei Gregor
iDominis sanctis e t apostolica sede dignissimis in Christo patribus epis-
copis Radegundis peccAtrixl, und in dem Schreiben werden zunäclist Bischöfe
allein gegen Schluss findet sich doch auch die Wendung 'illud
qiioque vos sanctos pontifices ct praccellcntissimos domnos r e g e s ct uniVersum
populum cl-iristitinum coniuro'. Demnach hat Baudovinia wohl nur eine anders
adrcssirte Abschrift desselben Schreibens im Auge, wenn sie im Schluss des
16. Kapitels schreibt: praecellentissimis dominis regihus et serenissimae dominae
Brunicliildae rcginae, quos caro dilexit affectu et sacrosanctis ecclesiis vel ponti-
ficibiis earum cum contestntione divina suum commendavit monasterinm.
Dies lange Schriftstiicli berichtet zunäclist die Gründung des Jungfrauen-
lrlosters 'institucnte atquc rcmuncrante praecellentissimo domno r6ge C l i l ~ t & ~;i o '
dann 'congregationi . . regulam, sub. qua sancta Casarial) deguit . ascivi ; .
endlicli wird die Einsetzung- der Acbtissin Agnes erwiilint. Jetzt beginnt - die
eigentliche pctitio: wenn irgend Jemand sicli anmassc, die Congregation zu
stören, die Klosterregel aufzuheben, eine andere Aebtissin einzusetzen, neuo
Vorrechte gegen das Icloster zu bcanspruclien, das IKloster zu verlassen, die
Giiter, wclche Chlotar ihr und sie dem IKloster zugeschrieben und deren Genuss
die Iciinige Chaiibert, Guntram, Chilpericli und Sigbert durch Wort und Unter-
schrift bestätigt hRtten, anzutasten, oder die Sclienliungen anderer Personen
oder der Nonnen zu beanspriiclien: so solle der Bischof einschreiten. Nach
Agnes' Tod solle fiir richtige Wahl der Aebtissin gesorgt und Agnes selbst,
so lange sie lebe, gegen Belästigungen geschiitzt werden. Käme ciii Störenfried,
so möge der Bischof entweder selbst in Poitiers einschreiten oder sicli an den
König wenden. Dann werden die Könige iim Schutz gebeten; endlich werden
die Bischöfe, Könige und das Christeiivoll; angesprochen und gebeten, dafiir zu
sorgen, dass Radcgunde einst begraben werde 'in basilica, quam in sanctae
Pllariac dominicac genitricis Iionore coepimus aedificare, ubi etiam multae sorores
nostrae conditac sunt in requie, sive perfccta sivc inperfecta")'.

I ) I)cs Caeswius Schwester, die crstc Acbtissiii in ,irlcs, liicss Casaria, iiiclit Cacsaria (so
llicss illre Nachfolgcrin); vgl. Fortunat V111 3, 39 coniiincta Casaria fulget, 81 veneranda Casaria
pracsciis; Appentl. 13, 13 veneranda Casaria mecuin und 13, 3 hic Cacsaria (= Agncs) et praccelsa
Casaria(= Iladcguiidc) siirgat. Grcgorls IIaiidschriften habcn S. 397, 13 allc Caesariae; S. 401, 16
]lat niir B1 dic riclitigc Form Casaria. 111 dcrn Lcl~ciidcs Caesarius von Arlcs (Script. BIcrov. 111
S. 470 fll.) wird dic Scliwestcr drei Blal genannt, I 36 iind 18, jedes Na1 Caesnria; doch ebcn
Iiicr sclilägt ICriiscli S. 437, auf Fortiinats i\iitorität gestiitzt, dic Form Casaria vor.
2) 'Sive pcrfccta sivc impcrfectal gehört iiatürlicli zu 'basilica', nicht zu 'rcqiiie', was Iiruscli,
Script. rcr. RIcr. ii 359, anzunehmen scheint. Aucli dieses Schreiben s c h l i e s s t in dcn Sinnes-
13*
100 WILDELM M E Y E R ,

Dieses Schreiben sieht man meistens (auch noch Arnold und 1Ialnory 1894
i n ihren Schriften iiber Caesarius von Arles) an als jene petitio, auf welche das
Schreiben der Bischöfe an Radegunde (Gregor I X 39, s. zu no 11) Antwort gäbe.
Das ist unmöglich. Jener ganze Brief der Bischofe hat nur den einen Inhalt,
dass jede Nonne, welche je clas Kloster der Radegunde verlasst, excommunicirt
sein solle: in diesem ~cbreibender Raclegunde handeln davon nur die 7 Worte
'aut extra rcgulam exinde Bgretli quis temptaverit' (sclreibe temptlirit). Die Bi-
schöfe hatten also von den mannigfacl-ien Bitten der 12adegunde nur clic kleiiiste
beantwortet, alle andern todtgeschwiegen? Jene petitio der Radegunde, auf
welche das Schreiben der Bischöfe antwortet, erging wirlrlich 'in iilitio' der
Neiiordnnng des Klosters. J e t z t hat Radegunde die neue Organisation vollendet
und wendet sich an das weiteste Publilrum, um den Schutz ihres vollendeten
Werkes zii erbitten. Agnes ist als Acbtissin eingesetzt; dass es noch nicht
lange geschehen ist, das zeigt die Erwlihnung des unbedeutenden Umstandes,
dass Bischof Germaniis unter Assistenz anderer Biscliöfe sie geweiht habe.
Anderseits ist das Schriftstiick geschrieben noch zu Lebeeitcn Chariberts und
ehe Sigbert Herr von Poitiers wurde: das zeigt schon die Aufzülilung der
Könige : Charibert ~ u n t r a mCliilperich Sigbert. Die Grabeskirche S. I\I:~rine,
~velcheRadegnnde nach dem Muster des Cacsariiis ihrem IKloster beigab (clariil~er
nachher), ist noch im Bau, aber es sind docb scliori manche Nonnen dort begra-
ben; auch dies zeigt, dass seit dem Brief der Caesaria und dem Beginn der
neuen Organisation ein paar Jalire verflossen sein können.
Z u n o 13. Baudonivia Kap. 13 und 14 berichtet, mit welchem Eifer
Radegundc stets Reliquien sammelte. I n Kap. 16 berichtet sie dann ausfiihrlich,
wohl die kürzeren Angaben Giegor's V. Tours (H. Fr. IX 40 und Gloria mart.
Kap. 5) beniitnend, wie Radegunde die I<r e u z a r t i k c 1 erlangte. Nach
Charibert's Tod, als Sigbert von Austrasien Herr in Poitiers war, also 568 oder
spater, liess Radegunde sich von Sigbert ein Empfehlungsschreiben geben, sandte
ihren Boten Reovales, durch den sie schon vorher vom Patriarchen in Jerusalem
einen Finger des h. Mammes erbettelt hatte, an den Kaiser und die Kaiserin
in IConstantinopel, Justin und Sophia, und bat um ein Theilchen dcs Kreuzes.
Die Bitte wurde gewährt; als Dank sendete Radegunde durch Reovales ein ein-
faches Gewand und das von Fortunat verfertigte, kunstreiche Dankgedicht (Ap-
pend. no 2).
Als die Reliquie, der wir Hymnen wie I1 2 Pange lingua gloriosi und I1 G
Vexilla regis prodeunt verdanken, wie herlrijmmlich mit grosser Feierlichkeit

Pausen r y t h m i s C h. IIiatus in dicscm Sclilusse findet sich S. 402, 20 voliintatc incurrat. lfilss
nicht S. 401, 7 geschrieben werden 'patribus .. causli. aliribus traditur, quibus (statt cuius) sdnsi-
bus commendAtur? S. 402, 21 ist wohl zu sclireibcn: sicut .. extra gratiam vdstram liabdntur
(statt liabeantur). 402, 2G ist wohl mit Al zu schreiben 'sanctitktis immfniiat', wcnn nicht hier
ein stärkeres Vcrdcrbniss steckt. S. 403, 2 ct perseciitores: das einzige 5silbigc Schlusswort.
8. 403, 26 ist wohl umzustellen: temptaverit fieri.
DER OELEOENHEITSDICUTER FORTUKAT (LEBEN
DlrR RADEGUNDE). 101
in die Stadt und ins Kloster verbracht werden sollte, da weigerte sich IIaroveus,
der damalige Bischof, und ritt auf sein Landgut. Leider ist der Satz der Bau-
donivia, aus dem mall den Grund dieser Weigerung ersehen sollte, S. 388 Z.
20-25, sehr unklar: es war wohl nlisstrauen gegen die Echtheit der Reliquien,
welche aus Griechenland kamen, das damals Reliquien lieferte, wie heute Italien
Antiquitäten. Vielleicht war auch Eifersucht im Spiele: der Rullm Poitiers
war Hilarius und seiner Grabkirche flossen Gebete und Gabcn zu ; erwarb Rade-
gunden's Kloster wirklich ein Stiick des Kreuzes , so war eine Ableitung des
Gabenstromes zii befürchten. Selbst Gregor V. Tonrs scheint eine Zeit lang
kritisch gestimmt gewesen zu sein, nach dem zu schliessen, was er Gloria Mart.
Kap. 5 crzälilt. Brachte aber der Bischof Maroveus selbst mit grossem Ge-
pränge die Reliquie ins Kloster, so erkannte er ihre Echtheit an.
Radegnnde in Aufregung Kess die Reliquie einstweilen in dem llänncr-
kloster bergen, das sie in Tours gestiftet hatte, und wandte sich direkt an
Sigbert; dieser gewann durch seinen Comes Jiistin den Euplironius, Bischof von
Tours, dnfiir, dass er die feierliclic Verbringnng der Reliquie in Radegundens
Kloster vollzog. Abcr der Bischof l'taroveus blieb der Feind Radegiindens bis
ihrem Tod; ja nicht einmal begraben wollte er sie. Einen geistlichen Vogt
musste aber das I<lostcr haben; es wurde also dem Bischof von Tours iinter-
stellt. Dies VcrhIiltniss hat Grcgor V. Toiirs in so enge Verbindung mit Rade-
gunde und Fortunat gebracht.
Diese Erwerbung der I~reiizpartilrelgeschah also nach Charibert's Tod und
vor dem Tode des Eufronius von Tours, also 568 - iiTitte 573. Nun berichtet
Gregor V. Tours iiber den Anfang des Streites der Radegunde mit Maroveus
H. Fr. I X 40 'Post haec (nachdem Eufronius die Kreuzpartikel ins Kloster ein-
gebracht) cum pontificis sui (des llaroveus in Poitiers) saepius gratiam qnaereret
nec posset adipisci , necessitatc commota cum abbatissa sua quam institiierat
Arelatenscm urbem expetunt. de qua regiila sancti Caesarii atque Casariae
beatae suscepta regis Se tuitione milnieriint, scilicet quia in illo, qui pastor esse
debuerat , nullnm curam defcnsionis suae potuerant repperire. Arnold , welcher
den Brief der Caesaria untersuchte und den Brief der Radegunde sowohl wie
den Brief der Bischöfe an die Radegunde, nach welchem die Regel des Caesarius
im Kloster der Radegunde schon eingefiihrt ist, nach der gewöhnliclien Neinung mit
dem Concil von 567 in engste Verbindung brachte (Caesarius S. 418-421), sah
einl dass damit diese Nachricht sich nicht vereinigen lasse, wornach Radegunde
nach Erwerbung der Kreiizpartikel, also erst unter Sigberts Herrschaft sich selbst
nach Arlcs begeben und die Regel des Caesarius geholt habe. Das ist voll-
kommen richtig. Krusch, welcher in den Scriptores rer. Merov. I1 358 der un-
möglichen Darstellung des Gregor gefolgt war, bemerkt Script. r. DIer. 111 1896
S. 460: reginnm cum Agnete abbatissa ad regulam requirendam Arelate se con-
tulisse Grcgorius rettulit , sed eum falli Arnold P. 421 recte monuisse mihi
videtur, conferens ipsam Radegundis epistulam B. Fr. IX 42 cum ea Caesariae
102 WILiIELItI N E Y E K ,

(MG. Epp. I11 450), dum A. Nalnory 'Saint C6saire' Paris 1894 P. 27G, hanc
falsam esse suspicatus Gregorinm sequitur.
Der Bericht Gregor's ist unzweifelhaft falsch. Aber Arnold thnt dem
Gregor Unrecht, wenn er (S. 418 und 421) meint, Gregor's Bericht trage seine
Tendenz an der Stirne : Verherrlichung der eigenen Familie und des eigenen
Bisthums, und Grcgor habe diesen fiir seinen Zweclr (Schilderung des Sltandals
in Iladcgundens Kloster 589 lind 590) unwichtigen Nebenumstand in die Ein-
leitung zu der Erzälilnng des Nonrienunfugs mit chronologisclier Sorglosiglieit,
wenn auch nicht ohne tondenziöse Absiclit, cingefiigt. Gregor war viele Jahre
defensor des 1I;lostcrs der Radcgnndc und dieses Amt lag auf ihm eben wegen
jener Streitiglreitcn zwischen Radegunde und Nsroveus; wie das Amt, so waren
diese Streitigkeiten für ihn also eine wiclitigo Sachc nnd er kannte deren Ur-
sprung genau und hatte ihn gewiss mit Radegunde wie mit Fortunat oft be-
sprochcn ; ferner war die Annahme der Regel von Arles und der damit ver-
bundenen ewigen Eingcschlossenheit der Nonnen eine sehr wichtige Sache, wie
schon das Schreiben der Bischöfe beweist. Obendrein gibt die Weigerung des
Jlaroveus, defensor des Klosters zu sein, absolut keinen zwingenden Griliid (ne-
cessitatc cominota !) fiir die Annahme der Rcgcl von Arlcs, ja sie kann damit
iiberhaupt nicht in Verbindung gebraclit werden; dagegen war tlurch jene TVci-
gerung des Naroveus allcrdiiigs Badegundc gezwungen, sich nach einem andcrn
Schutze umziisehen, d. h. nccessitate commota regis se tuitione munivit. Jeden-
falls hatte Gregor nur das volllcommen Richtige geschrieben: post liaec cnm
pontificis sui saepius gratiam quaereret nec posset a d i ~ i s c i : necessitate com-
mota regis se tuitione munivit (munierunt), scilicet quia in illo, qui pnstor esse
debucrat, nullam curam defensionis suae potuerat (~otucrant) repperire. Die
dazwischen stehenden Worte 'cum abbatissa sun quam instituerat Aselat ensem
urbem expetunt. dc qua regula snncti Cacsarii atqiie Caesariae beatae sus-
cepta' sind zusammen gestellt aus dem 1X 42 folgenden Briefe der Rade-
gunde, wo sich findet Z. 19 Agnetem . . abbatissam institui, Z. 16 regulam sub
qua sancta Caesaria dcguit, quam sollicitudo bcati Caesarii antistitis Arcla-
tensis ctc.
Nicht Gregor ist es gewesen, der diesen Zusatz ausamnicn gestellt und
hier eingeflickt lint, sondcrn ein gefährlicher Leser. I n der auf S. G erwälinten
Stelle von V 48 sind Zusätze, die von Gregor hcrriihren, an der f;ilschen Stelle
eingesetzt; hier ist der Zusatz selbst nicht von Gregor ; und docli haben Iiicr
wie dort alle Handschriften denselben Fehler. Sie gehen also alle auf eine schon
gefiilsclite Handschrift zuriiclr. Der , wclclicr diese ungescliicliten Zusiitzc ge-
macht oder jene Zusätze ungescliiclrt eingeflickt h a t , Irnnn niclit derselbe auch
einen Theil der entsetzlichen Latinitat auf' dem Gewissen habcn? Keck und
ungeschiclit genug ist er gewesen.
Z u n o 14. Ueber den Toil der Radegunde berichtet Grcgor IX 2 und
mehr Baudonivia Kap. 21; über das Begräbniss mit Hindernissen berichtet ans-
führlich Gregor, Gloria confessornm 104, und, ihn benützend, Baudonivia Unp.
22-25. Wunder, welche an Radegundens Grab geschahen, berichtet Baudonivia
Kap. 23 Ende und Kap. 26-28.
1) O r a t o r i u m i n S o i s s o n s . I n P o i t i e r s : 2) O r a t o r i u m d o m i n a e
Mariae; 3) B a s i l i c a s a n c t a e M a r i a e ; 4) B a s i l i c a d o m i n a e R a -
degundis. (AIonasteriurn s a n c t a e Crucis).
Die genannten Bauliclikciten spielen eine ziemliche Rolle im Leben oder im
Andenken Radegundens, aber in der mir vorliegenden Literatur finde ich sie
nicht lilar bestimmt. Iiruscli z. B. in dem Index zum 2. Bande der Scriptores
rerum llerov. 1888 hat, wie ich glaube, aus 3 oder 4 Gebäuden eines gemacht.
Er citirt dort (S. 544) unter 'S. l I a r i t t e b a s i l i c s P i c t a v . ' S. 382, 24
(= Baiidonivia Kap. 7), wozu er in den Noten citirt die Stelle im Briefe der
Radegunde bei Grcgor von Tours H. P r . I X 42 (S. 403, 23): basilica, qiiam in
sanctae 1Sariae dominicac genetricis honore coepimus aedificare; dann citirt e r
weiter im Text S. 385, 19 = Baud. Icnp. 11; S. 387 = Baud. Kap. 16; S.
393, 9 = Baud. Kap. 23; S. 394 = Baud. Kap. 25. 26. 27.
1) O r a t o r i u m i n S o i s s o n s . Oratorien sind von den Basililren ver-
schieden; jedcr Private kann sich ein solches bauen; soll dort lteine Nesse ge-
lesen werden, so brauclit niclit einmal ein Geistlicher aufgestellt zu werden.
Das von Uaiidonivia Kap. 11 genannte Oratorium liegt überhaupt nicht in
Poitiers , sondern es ist das am Ende von Iiap. 10 genannte Oratorium, das
Radcgundc während ihres Zusammenlebens mit dem König in Francia d. L. in
Soissons sich cingericlitet hatte (vgl. S. 92); dort ~ a s s i r t e n ,noch nach ihrem
Weggange, die von Baudonivia Iinp. 11 und 12 berichteten Wnnder, 'in quo
beneficia dei praestantur ad invocationcm eius nominis , cuius assidna ibi fuit
oratio.
I n dem Kloster der Radegundc in P o i t i e r s waren mehrere Oratorien.
Das Urtheil der Bischöfe gebraucht 590 die Worte 'vulneratis monachabus in
ipsis oratoriis, spoliato monastcrio' (Gregor H. Fr. X 16, S . 429, 16). Rade-
gunde hatte mit grossem Eifer Reliquien gesammelt, unter denen das etwa 569
erworbene Stück des Kreuzes die liostbarste w a r ; diese legte sie alle in einen
silbernen Schrein ('in arca argentea cum ipsa sancta cruce locatas' sagt Gregor
Gloria martyrum 5: S. 490, 3). Solche Reliquien durften aber nicht an einem
abgeschlossenen Orte des Klosters aufbcwalirt werden, sondern sie mussten all-
gemein zug%nglicli in einem Oratorium liegen. Dies Oratorium in Radegundens
Kloster liatte einen Zugang von der Strasse; vgl. Gregor H. Fr. X 15 U. 16,
S. 424, 3. 426, 6. 429, 29. Diese Reliquien haben dem Kloster den Namen
~ I o n a s t e r i i i m s a n c t a e C r u c i s g e g c b e n ; a l l e i n w a n n ? Iclifürchtc, dass
die Annahme, so habe das Kloster schon zu Radegundens Zeit geheissen oder
es sei gar von Radegunden selbst so genannt worden, unrichtig ist I). Weder

1) Mehrere Irrthümer häufen sich bei Fr. Arnold 'Cacsarius' S. 420. Er will beweisen, dass
der Brief der Cacsaria an Radegunde (RIonumenta, Epistolac 111 460) recht alt sein müsse, und
bemerkt: '4) In dem ganzen langen Brief finden wir keinen einzigen Hinweis darauf, dass Rade-
164 WILHELM MEYER,

bei Fortunat, noch bei Gregor, noch bei Baudonivia, obwohl die beiden letzten
das Kloster sehr oft erwähnen, wird es Sanctae Crucis genannt oder auf diesen
Namen angespielt. Wird es fiiichtig erwähnt, so heisst es monasterium Picta-
vense oder mon. Pictavensis urbis; in den officiellen Schreiben der Bischöfe von
590 bei Gregor IX 41 und X 16 (S. 400, 1 und 427, 9) wird CS betitelt 'mona-
stcrium beatae memoriae Radegundis' und 'rnonasterium sanctac recordationis
Radegundis'. Findet sich iibcrliaupt der Name 'Dfonasterium sanctac Crucis'
vor den Urltunden von 825 und 884, welche iin Dictionnaire topographique de
l a France, dep. Vicnne (Paris 1881 S. 388), erwahnt sind?
2) Poitiers: O r a t o r i u m d o m i n a e M a r i a e n o m i n i d e d i c a t u m .
Baudonivia erzahlt K. 7 , der Bischof von Paris 'Germanus Pictavis veniens,
ingressus in monastcrium in oratorium dominae JIariae nomini dedicatum pros-
ternit se ad sanctae rcginae pedes, pro rege (Chlothario) veniam poscens'. Dies
Oratorium s. Mariae lag also i n n e r h a l b des Klosters lind war schon lange
vor Chlotars Tod (561) gebaut. Dann erzahlt Baudonivia Kap. 16: der Vir
inluster Leo nomine sei auf dem Wege zur Synodal-Vcrsamnilnng von eincrn
Bluterguss ins Auge befallen worden , und fährt fort 'Qui ingressiis rnonaste-
rinm beatae, ubi filias suas ei devote tradidit domino servituras, introivit in
oratorium dominae Jfariac nomini dedicatum; . . prosternit se . . supra sanctac
cilicium, . . quousque dolor discessit. Auch hier ist die I<al)elle innerhalb dcs
Klosters gelegen und der beliebte Aufenthaltsort der Radegundc. Da der
Bischof Leontius von Bordeaux bei dieser Synode war, so muss auch diese Ge-
schichte friih, vor 570, passirt sein. Wenn nun Fr. Arnold (Caesarius S. 425)
sagt 'das Gespräch zwischen Radegundis und Germanus . . fand bereits in dem
Kloster s t a t t ; es führte damals noch den Namen der Domina Maria', so i r r t er.
Das Oratorium dominae Nariae nomini dedicatum war nur cine Kapelle des
Klostcrs der Radegunde.
3) Poitiers : B a s i l i c a s a n c t a e N a r i a e. I m Leben des Cacs:~rius von
Arles (157 ; vgl. Monumenta Germ. Hist. , Scriptores rerum J'Ierov. I11 480)
wird erzahlt: (Caesarius a. 524) disposuit fabricavitq~ietriplicem in iina conclu-
sione basilicam, cuius membrum medium in honore sanctae Dlariac virginis cultii
eminentiorc construxit, ex uno laterc domni Johannis, ex alio sancti IIartini
subiecit (vgl. zzc Z~ortutzat 111 7 'aulae forma triforinis'). Et u t auferrct
sacris quas congregaverat virginibus curam necesssriac sepulturae, monobilcs
archas corporibus humandis aptissimas de saxis ingentibus noviter fccit excidi,

gunde durcli Iiaiscr Justinuc ein Stüclr von1 Iircuz Cliristi crlialtcn Iiabc, W c s s 11 s 1 1) s i C d C m
Ii 1 o s t e r d C n N a m e n z u m 11. I i r o u z 1) e i 1 C g t e. Vergl. dsgcgcn iii dein llricfc dcr Raclc-
guiidc an die BiscliOfc bci Gregor 11. Fr. S. 402, 31 dci ct snnctao crucis ct l~catacJIariac iii-
currat iudicium; S. 403, 2G obtincntc cruce Christi ct bcata Rlaria; S. 401, G dc criicc gloriosal.
Dicse Erw5linungen des I<rcuzcs sind allgcmcin lind bcwciscn niclits; sic Iiöiincn sich al)cr ja noch
gar nicht auf die I(reuzpartilrcl bezielicn, da Iladegundcns Ilrief nach Arnold's cigcncr Aiiiialimc,
S. 418, sclion Ende 567 unter Charibcrt gcscliricbcn ist, Radcgundo aber erst riacli Cliaril~crtsTod
durch König Sigbert die Verliandlungcn wegcn der Iireuzpartil<cl begonnen liat.
quas per omne pavimentum basilicae constipatis sterni fecit ordinibus, u t quae-
cumque congregationis illius de hac luce migrasset locum sepulturae paratissi-
mum et. sanctissimum reperiret. Dort wurde nicht viel später seine Schwester
Casaria beerdigt (1 58), dort Caesarius selbst (I1 50 = S. 501: Sepultus itaque
in basilica sanctae Mariae, quam ipse condidit, ubi sacra virginum corpora de
rnonasterio suo conduntur). Die von Krusch citirte Stelle der Regel (5 70, Acta
Sanctorum Boll. Jan. I S. 736) 'cum aliqua de sororibus defuncta fuerit, sancto
e p i s c ~ pin~ notitiam deponatur , ut ipse eam usque ad bssilicam, ubi ponenda
est, psallendo pro sancta dcvotione deducat et clerici de sancta nIaria7 beweist,
dass diese Grabkirche von dem Kloser räumlich getrennt war (s. auch ICrusch
zu S. 470, 9). Franltlin A r n o l d i r r t also, wenn e r (Caesarius S. 415) sagt :
'keine Nonne durfte allein die Kirche betreten. Und in dem Gotteshaus selbst
- es bestand aus drei Schiffen, deren mittelstes der h. Jungfrau 19aria geweiht
war, die zur Rechten und Linlten dem Johannes und dem h. Martinus - stan-
den (d. h. waren in dem Pussboden eingesenkt) in langen Reihen, aus grossen
Felsblöcken gehauen, die Särge'. Abgeselien von allem Andern, hätte also das
Iiloster in Arles bis 524 ohne Basilika sich beholfen, wiihrend diese doch sclion
in der alten Regel crwälint ist.
Die Einrichtung einer solchen Gräberkirche ist allerdings auffallend; denn
von den Synoden dieser Jahrhunderte wird wiederliolt verboten 'corpora dcfunc-
torum iliillo modo intra basilicam sepeliantur; sed si necesse est, foris circa
murum basilicae' ; erst 813 wurde gemildert: 'ICcin Todter darf in der Kirche
begraben werden, ausser die Bischöfe, Aebte, würdige Priester und fideles laicil
(= vornehme gläubige Laien). Freilich zeigt ja schon die Wiederholung jener
Synodalbescliliisse, dass die Regel oft verletzt wurde I).
Die Einrichtung dieser Gräberlrirclie Sanctae Nariae fiir das Nonnenlrloster
in Arles habe ich deshalb dargelegt, weil so Radegundens Nachahmung in Poitiers
lJar wird und so auch die Vorgänge bei ihrem Begräbnisse verständlich werden.
Radegundc schreibt um 667 Illud quoque vos sanctos pontifices et praecel-
lcntissimos domnos reges e t universum populum christianum coniuro per fidem
catliolicam, u t in basilica, quam in sanctae Mariae dominicae genetricis honore
coepimiis aedificare, ubi etiam rnultae sorores iiostrae conditae sunt in requic,
sive perfecta sive inperfecta, . . corpusculum meum ibi debeat sepeliri. . . in loco
ipsius basilicae merear cum sororum congregationc obtinere loculum sepulturae.
Die Nachahmung des Vorbildes in Arles ist k l a r ; an diescr Basilica wurde
scllon mehrere Jahre gearbeitet, da bereits viele Nonnen dort begraben sind.
W a r nun diese Basilica sanctae JIariae mit dem Kloster verbunden oder

1) JIalnory, St. CEsaric 1594, bemerkt: C16tait l'usage que lcs monastbres situ6s intra muros
eussent Iiors dcs murs unc basilique pour leurs morts. Wenn dies richtig und nicht etwa ein
hIissverstiiiidriiss der obigcn Jlrortc 'foris circa milriim basilicael ist, dann wäre auch in I'oitiers
diese Ilasilica ssnctae b1ariae nusscrhalb der Stadt zu suchen. AIalnory fügt nocli die Not0 bei
'nous ral~pelonsici qii'unc ioi des cnlpcrciirs intcrdisait les s6piiitures B l'iiit6rieiir des villes'.
Ablidlgn. d I<. Ges d . Wies. in Gbttiiigen 1'liil.-liist. K1. K. F. Band 4,s. 14
l a g sie getrennt? Darüber gibt uns das Aufschluss, was Gregor von Tonrs,
Gloria confessorum 104 S. 814-816, und Baudonivia K . 23-25 iibcr das Begrüb-
niss der Radegunde erzählen. Als Radegunde am 13. Augiist 587 gestorben
w a r , erhielt sowohl Gregor nach Tours, wie Maroveus der Bischof von Poi-
tiers Nachricht davon. Gregor kam, aber Naroveus war zwei Tage lang nicht
zu finden. E r war nämlich mit Radcgunde und ihrem Kloster schon längst
bitter verfeindet. Radegundc und ihr Kloster waren desshalb schon lange dem
Bischof von Tours unterstellt. Im Kloster konnte also Gregor wohl geistliche
Handlungen vornehmen; dennoch straubte e r sich lange und licss sich von allen
Seiten bitten, bis e r Radegunde im Grab einsegnete. Und selbst so nocli be-
scliriinkt e r sich: facta oratione disccssimus, reservantes episcopo loci, u t ab eo
celebrata missa tegeretiir oPcrcuIo' oder, zvie Uazido~zivias[~.r/t: iibi eam scpelivit,
coopertorium non posuit, anteqnam pontifex loci venirct. Warum dies ? Weil
die Grabcrltirche nicht zum Bezirlr des Klosters gehörte, Grcgor aber in dem
Sprengel eines andern Bischofes keine Amtshandlung vornehmen wollte.
Dass die Kirche n i C h t mit dcm Kloster verbunden w a r , zeigen auch die
andern Umstande. Dcr Leiclienzug beyegt sich am Eiiss dcr Klostermauern
h i n ; aus den Fenstern der Stoclrwcrke der Gebäude und von den Zinnen der
Umfassungsmauern sehen die Nonnen herab, quia institutum erat, u t nnlla vi-
vens foras monasterii ianuam egrederetur; sie sind also im Kloster, die Toctte
aussen. Bei dem Begrübniss selbst ist lreine Nonne in der Nähe; nacli dem Be-
grlibniss nennt sich Gregor 'redcuntcs a d monasterinm'. Es ist also sicher, dass
die Gräberlrirche, die basilica sanctae Jfariae nomine condita (Baudonivia IKap. 23),
getrennt vom Kloster in Poitiers lag. Sie h a t also mit jenem 'Oratorium do-
minae nIariae nomini dedicatum' nichts zu i h m .
4)Poitiers: B n s i l i c a d o m i n a e R a d c g u n d i ~ . Haudonivia spricht
Kap. 1 5 untl 25-27 von der basilicn. dominae Radcgcindis. Wir miissen dabei
uns erinnern. dass Baudonivia noch Lciitc kcnnt, welche zwischen 560 und 570
mit Radegunde verlielirt hatten, dass sie aber anderseits sicher nacli 600, also
mindestens 13 J a h r e nach Radcgundens Tod geschrieben hat. I n jener Ba-
silica befand sich das Grab der Radegunde; vgl. Band. Kap. 25 und 26 =
S. 394 Z. 4 'ibi' und Z. 9-11. D a nun Iiadegunde in der Basilica sanctac
JIariae begraben wurde, welche von ihr selbst gebaut war, so könnte man mci-
ncn, dass in 'basilica dominae Iiadegundis' oder 'basilic:~ bcatac rcginae' dci
Genitiv nur die Urheberschaft bezeiclinc. Allein Kap. 27 zcigt, dass diese Mei-
nung irrig wsrc. Bei einem F e s t in der Basilika des h. Hilarius sind 2 bescs-
sene Frauen nicht geheilt morden. Als um Mitternacht Arnegiselus, abhas basi-
licae beatae rcginac ('S. Nariac' fi'iyt ICruscJb bei), der mit seinen Mönchcn jenem
Feste bcigewolint hatte, in seine Basilika zuriiclrlrchrt, uni den von Rndegiindc
so geliebten Cnrsus zu beten (qncm illa satis dilexcrat), folgcn diese Weiber
laut schreiend: in der Basilika beten sie zu Radcgunde, und siclic, lieidc werden
geheilt. Bandonivia schliesst : Ad 1)asilicam sancti viri (Hilnrii) sunt alii libcrati,
alii vero basilicae dominae Radegundis sunt directi, u t , sicut acqiialis gratiac
eraiit, i t a aequalis e t virtus ostenderetur. Das ist von Baudonivia sehr höflich
gesagt, aber der Sinn ist docli: die Radegunde hat in ihrer Basilika ein Wun-
der vollbracht, welches dem Hilarius in seiner Basilika nicht gelungen war.
Daraus erhellt, dass die Basililra, in der dies geschah, der h. Radegun&
geweiht war, und nicht der h. Maria. Da aber Radegunde in der Basilika der
h. Jfaria bestattet worden i s t , so lag die Sclilussfolgerung nahe, dass die von
Radegunde erbaute Basililra der 11. JIaria in der Zeit von 587-600 umgetauft
der h. Radegunde geweiht worden ist. Dies scheint jetzt die gewölinliclle An-
sicht zu sein.
Allein werin wir annehmen, zwisclien 587 und GO0 sei die Basilica sanctae
Jiariae nmgeweiht wordeii zur Basilica dominae Radegundis, dann verstelle icli
einige Stellen der Baiidonivia nicht. Wenn sie Icap. 11 bei Erziihlung
Wunders die Basilica dominae Radegnndis nennt und ebenso I h p . 26 und 27,
warum nennt sie dazwischen K a p 23 dieselbe Basililra 'sanctae Mariae nomine
condita' (eine Handschrift : nomini dicata) ? Die I<irclie war ja fiir sie sehr
wichtig, denn sie fiigt hinzu : ubi sacra virginum corpora de monasterio suo con-
duntur. Allerdings entlehnt auch hier Bauilonivia die N o r t e aus der Vita des
Caesarius I1 50 'Sepultus itaque in basilica sanctae Jfariae, quam ipse condidit,
ubi sacra virginum corpora de monasterio suo conduntur' (ein Beweis, dass auch
Baudonivia sich bewusst war, die Grabkirche in I l o i t i e ~sei nach dem Vorbild
in Arles errichtet): allein die Worte miisscn natiirlicli den Tliatsacheii in Poi-
tiers entsprechen; mit eincm 'eo tempore' oder 'quondam' ware die Umweihung
leicht anzudeuten gewesen. Ferner : nachdem Baudonivia Kap. 15 eine wun-
derbare Heilung erziihlt Iiat, welclie dern Vir inluster Leo zwischen 5G0 und
570 in dem 'Oratorium dominac Mariae nomini dedicatum' mit Hilfe des groben
Gewandes der Radegunde zu Theil geworden i s t , scliliesst sie: Ipsa ei fecit
derotio fundamentum basilicac dominae iiadeguildis percutere, ubi e t centum
dedit solidos ad fabricam ipsam faciendnm. Der Ausdruck 'fundamentum per-
cutere' i s t mir neu; e r kann aber l ~ i e rnichts Anderes bedeuten als 'terram per-
cutiendo c t effodiendo fundamentum iacere'. Nun liat aber Radegunde nach
illrem oben citirten Brief selbst den Bau der Basilica sanctae JIariae begonnen,
lind das etliclie J a h r e vor 5G7. Wie sind diese beiden Nachrichten zu ver-
einigen ?
Diese Stellen scheinen mir einen andern Sachverhalt anzudeuten: der Vir
inlustcr Leo, der selbst seine Töchter im Kloster der Itadegunde Gott geweiht
h a t t e , verfolgte nach jenem Wunder mit Dankbnrlieit und Bewunderung das
Jvirlten der Radegunde ; einige Jahre nach ihrem Tode, zwischen 690-600,
legte e r sell)st den Grundstein zum Bau einer der Radegunde zu weihenden
I<irche nnd spendete zum Bau 100 Solidi. Ehe diese Icirche geweiht wurde,
wurde der S a r g der h. Radegunde aus der Hasilics dominae JIariae in diese
neue Gediichtnisslrirclie transferirt. Solche T r a n s 1 a t i o n e n waren damals
beliebt; denn sie waren oft von neuen Wundern begleitet und mehrten jeden-
falls den Eifer der Gliiubigen; die Translation der h. Radegunde hatte um so
14"
.
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.
~

108 JVILHELM M E Y E R ,

weniger Bedenken, da ihr Leben in keiner Weise mit der Basilica dominae
Mariae verbunden gewesen war I). E s hätte also nach 600 Baudonivia in
Poitiers 2 verschiedene Kirchen genannt: Kap. 23 die von Radegunde vor 567
erbaute 'basilica sanctae Mariae nomine condita, ubi sacra virginum Corpora de
monasterio suo conduntur, dann Kap. 15 und 25-27 die von dem Vir inluster
nach 587 gestiftete basilica dominae Radegundis. Die Kirche der h. Radegunde
besteht noch heute; der h. Maria geweihte Kirchen hat es in Poitiers früher
viele gegeben.

A Ch t es BUch Die Gedichte dieses Buches sind entweder im Namen


von Radegunde und Agnes geschrieben oder an sie gerichtet; ihnen folgen Bil-
lets, welche an Gregor von Tours gerichtet sind und von denen wenigstens
einige Klosterangelegenheiten betreffen. Von den Gedichten, welche die Pariser
Handschrift 13048 ( E ) allein erhalten Izat, gehen Radegunde an die Nummern
Appendix 1. 2. 3. 9 , dann 10-31. Die Nummern 10-31 waren der Schluss
des 11. Buches, welches ja in den gemöhnlicl~enHandschriften offenbar ver-
stümmelt mit X I 26 Z. 12 abbricht. Von den Gedichten App. 1. 2. 3. 9 ist es
schon nach der Art, wie sie in der Pariser Handschrift zwischen Gedichten des
7. 8. 2. und 10. (App. 5. 6. 7) Buches zerstreut sind, nicht wahrscheinlich, dass
sie erst von den Freunden des Fortunat aus seinem Naclilass in das 11. Rnch
gestellt worden wären. Die 3 Gedichte App. no I. 2. 3 sind um 569 geschrie-
ben und bei allen 4 Gedichten liegt absolut kein Grund vor, wesshalb Fortunat,
als er bei Radegundens Lebzeiten um 576 die ersten 8 Bücher herausgab, sie
hätte zuriickhalten sollen. E s sind weltliche Gedichte; so konnten sie in Buch
V1 oder V11 stehen; da sie aber so sehr sich um Radegunde drehen, bin ich
iiberzeugt, dass Fortunat diese 4 Gedichte in das 8. Buch gestellt hatte; doch
werde ich sie da besprechen, wo sie in Leo's Ausgabe stelzen.
V111 1: Brief. Dieses schwierige und sonderbare Gedicht hat in den
Handschriften den Titel 'ex nomine suo ad diverses', in der Pariser Handschrift
13048 'versus generaliter omnibus'. Jedenfalls ist es ein Rundschreiben: I h r
Freunde der Musen, welche ihr die griechische oder die ältere lateinische oder
nur die christliche Literatur kennt und liebt (V. 1-10), euch begrüsse ich,
Fortunat, mit demüthiger Bitte. Ich, in Italien geboren, weile jetzt in Poitiers
bei Radegunde (V. 11-20). Sie, die Königin aus dem thiiringischen RGnigsge-
schlecht, lebt jetzt nach der Regel des Caesarius in bescheidener Armuth (V.
21-52). V. 53 'cuius sunt epulae, quidquid pia regula pangit', ferner die Schriften

1) In dem Brief bci Gregor 11. Fr. IX 42 beschwört allerdings Radcgunde Alle, dass sie einst
wirklich in der Kirche S. Ilariae beigesetzt merde. Die Bitte ist zunächst siclier erfüllt worden.
Die Iiäufigkcit der Translationen bezeugt dic Urlrunde des Bischofs Bertram von Ile bfans, der der
Kirche S. Vincentii in Paris eine Villa schenkt, weil der Körper seines Lehrers, des 11. Germanus,
dort liege, 'si supersistit in basilica S. Vincentii; si in basilicarn novam transferatur, villa, ipss
semper ibidem deserviat, ubi cius sanctum Corpus fuerit'.
DER GELEGENHEITSDICHTER FORTUNAT (GEDICEITE V111 f lind 2). 109
des Gregor, Basilius, Athanasius, Rilarius, Ambrosius, Hieronymus, Augustinns,
Sedulius und Orosius; V. 60 'regula Caesarii linea nata sibi est. cetera nunc
taceam'. Das ist ja verständlich. Aber was soll der Schluss ? :
cui sua, quisque potest, sanctorum carmina vatum
66 mittat, in exignis munera larga libris.
se putet inde dei dotare manentia templa,
68 quisquis ei votis scripta beata ferat.
haec qrroque gui legitis, rogo, reddite verba salutis ;
70 nam mihi charta levis pondus amoris erit.
Fortunat stellt sich also vor als Anwalt der Radegunde, welche, nach der
Regel des Caesarius lebend, ihr entsprecliend auch viel liest; die genannten
Schriftsteller sind (übersetzte) griechische und lateinische Kirchenschriftsteller,
darnnter der Dichter Sedulius: hinzuzunehmen ist wohl die Regula des Caesarius
selbst. Fortunat stellt sich in V. 1-10 den Freunden der Literatur vor, be-
sonders den Freunden der Dichtkunst: Aonias avide qui Iambitis ore Camenas
Castaliusque quibus sumitur aure liquor. Was soll nun V. 65/66? Ich er-
innere mich gelesen zu haben, Fortunat bitte die Adressaten, Handschriften fiir
die Bibliothelr des Klosters zu schenlcen; dem entsprkhe der Ausdruck 'dotare'
in V. 67. Dann müsste aber V. G5 'srza' heissen 'ihnen gehörige Exemplare7,
Doch was soll 'quisqne potest"? was 'exignis'? Vor Allcm, warum sollen nur
'sanctorum C n r m i n a vatum' gescliickt werden ? Radegiznde selbst liest nur
einen Dichter neben 8 Prosailrern. Ich bin überzeugt, dass hier gar nicht inter-
pungirt werden darf, sondern dass 'cui sua quisque potest sanctorum carmina
vatnm mittat', gleich ist: 'quisqiie sanctorum vatum potest, mittat ei sua car-
rninal, d. h. jeder der V. 1-10 bezeichneten Adressaten, welcher dichten kann,
solle der Radegunde eine Dichtung von sich schiclren; wenn die Dichtungen
auch nur kleinen Umfang haben würden, so sei es doch so gut, als ob sie einem
Gotteshaus einen Dienst erwiesen. Jedenfalls bittet Fortunat selbst um einen
brieflichen Gruss.
Allerdings entsteht die Frage, wozu sollen Gedichte eingesandt werden 3
Es ist nicht leicht, diese Frage zu beanGorten. Jedenfalls sollen diese Gedichte
Radegunde loben; hierzu gibt Fortunat selbst in V. 21-64 Anhaltspunkte genug;
ähnlich soll nach Vita Nartini I V 702-708 seine Dichtung Andern bieten
'materiam, u t ore rotundo Martini gestis florentia carmina pangant'. Die spe-
zielle Gelegenheit, welche diese erbetenen Gedichte besingen sollen, scheint eben
die Einführung der Regula Caesarii im Kloster zu sein. Meine früheren Aus-
fiihrringen haben ja viele Proben gegeben, welche Rolle damals bei allen feier-
lichen Gelegenheiten Gedichte spielten (s. auch zu V111 4). Wenn diese Auf-
fassung des vorliegenden Gedichtes richtig ist, dann ist allerdings dies Antritts-
gedieht des Fortunat ein besonders auffallender Beleg für das Ansehen solcher
Dichtungen.
V111 2 : wohl Abschiedsbillet an Radegunde. Fortunat soll zn Germanus
nach Paris kommen, Radegunde will ihn zurückhalten. Germanns hatte einst
110 W I L H E L M 1IEY E R ,

zwischen Radegunde und ihrem Gemahl Chlotar vermittelt und ihr grosse Dienste
geleistet. Im nächsten Gedichte wird die Einsegnung der Agncs als Aebtissin
gefeiert; diese Einsegnung vollzog Germanns. Da liegt es nahe zu denken, dass
Gcrmanus in Sachen clcs I<losters, vielleicht eben dieser Einsegnung halber, ge-
wiinscht hat, dass Fortunat zu ihm komme, nach Paris oder wo er eben sich
aufhielt; Fortunat geht auch, sendet aber vor der Abreise an Radegunde, wclchc
es niclit fiir notliwcndig hiclt, dies Billet.
V111 3 : Festgedicht. Gewöhnlich nennt man das Gedicht ein Lobgcdicht
auf die Jungfriiulichlreit, was triibsclige Erwartungen auf cin Gedicht nach A r t
des Althelm erweckt; durch die dumme Bemcr1;iing cines Lesers zu V. 237
verfiihrt, lässt Manitius, Geschichte der christ1.-lat. Poesie 1891 S. 460, sogar
niaria Briefe an Cliristiis schreiben und dann durch cincn Bescliluss der Himm-
lischen, darunter des ltartinns (Jy400) und des Hilarius (Jy 3G7), die nIaria in den
Himmel aufnclimen und ihren Namen in das Himmelsalbum eintragen. W o die
Arme seit ihrem Tode bis 400 wohl geblieben w a r ?
Radegunde sagt sclbst 'Agnetem ab incunte aetatc loco filiac colui ct ecluxi'.
Das konnte natiirlich erst nach ihrer Trennung vom TKönig gesclichcn, und ge-
schah naturgemäss erst, als Ttadegundc das Klostcr in Poitiers bezogen hattc,
also wohl nicht vor 553; war Agnes damals 6 Jalire alt, so war sie jctzt, 567,
ctwa 20 Jalire alt. Eine Aebtissin musste nach der Regel des Caesarius (las
Klostcr haben, Radegunde wollte nicht selbst Aebtissin sein, also licss sie Agnes
von der Nonnenschaar dazu wahlen; der Bischof von Poitiers und die andern
Bischöfe (in Chariberts Reich) stimmten zu. Germanus weihte die Agnes unter
Assistenz manches andern Bischofs, also mit grosser Foierlichkeit, wie sie etwa
bei der Einweihung der Kirche des Fclix in Nantes (LI1 6 und 7) vorkam. All
das, was Radegunde selbst berichtet (Gregor IX 42), geschah vor Chariberts
Tod, also wohl 567 I).
Unser Gedicht spricht nur die Agnes an und, wie der Schluss V. 393 zeigt,
ist es der Agnes dargebracht. TVicdcrum zeigen die V. 55-70, dass das Gedicht
der Agnes an dem Tage dargebracht wurde, an wclcliem Radegundens sehnlicher
Wunscli in Erfüllung ging, indem Agnes als Acbtissin, also auch als geistliche
IIutter und Herrin der Radegunde selbst eingeweiht wurde. Vgl. die Worte:
quae filia constas, (58) t e m a t r e m votis optat liabcre suam ;
quamque suis genibus caram nutrivit alumnam,
60 lxaeficit ecce suo constituendo loco.
et quae te sempcr baculi modcraminc rcxit,

1) Ausscrlialb der Gcdichtc des Fortunat Iiört man selten Etwas voii Agncs. I~ortunat,Vita
Itad. I<. 33, erzülilt einige Scherze, wclchc Agncs, die venerabilis cius abl~atissa, mit Radcguiido
gemacht liabe; Grcgor Virtut. Mart. IV 29 und Ilaudoiiivia I<. 10 crwäliiicn sie. Ileim Tod und
Begrabniss der Itadegiiridc 587 wird sie niclit genannt, so ausfülirlicli auch die Erz%liliiiigeii da-
rüber sind; sie war wolil schon gestorben. 589 wird ausdrücl~licli cinc andcrc Acbtissiii genannt.
62 prompta sub i m p e r i o vult magis esse tuo.
poficit illa sibi, cum t u p r a e p o n e r i s illi,
64 illa subit votum t e potiente gradu.
e c c e d i e m f e s t u m t a n d e m pietate tonantis,
66 qiiam precibus genetrix saepe rogabat, h a b e t.
e x p e c t a t a n i m i s oculos a d t e m p o r a tendens
68 semine laetitiae dona superna metit.
Dieser lang ersehnte und endlich erschienene Freudentag schliesst also in
sich, dass Agnes die J'lutter und Herrin, mater et domna, der Radegunde wird,
cl. h. es ist der Tag, an welchem sie zur Aebtissin geweiht wird.
Auf diesem Fundamente baute Portunat das Gedicht auf, einfach und gut.
Eijzleitu~zg (V. 1-42) : Gottes Lob preisen im Himmel viele Schaaren , Engel,
Patriarchen, Apostel, Närtyrer und besonders die Jungfrauen, an deren Spitze
Jlaria steht und zu denen auch Casaria gehört, des Caesarius Scliwester. D U ~ ~ I L
Uebej~lnjzg V. 43-54: diesen beiden strebt jetzt in Arles Liliola (die Aeb-
tissin des dortigen Klosters) und Iiier Radegunde nach, welclie 'lambit, quidquid
Cacsarii regula Iiabet' (vgl. V111 1, 53 eptclac zclztd 60). T l ~ e n z nV. 55--70 : der
von Radegnnde lang erselinte Tag ist d a : lieute wirst du zur Aebtissin geweiht.
Uebeyqalzg zur D n c t a t i o V. 71-74: Radeg~?ndewünscht nur noch, dass du in
den Himmel lrommst ; die Frage ist, wie du (las erreichst. V. 75-84: Folge
nnr der Itadegunde und Casaria nach (und bleibe ltcusch). Christus wollte nur
in einer Jungfrau (Naria) wohnen V. 85-104; jetzt miissen seine sponsae
(Himmelsbräute) auf Erden keusch sein; dann wcrden sie von ihm geschiitzt
(V. 105-124), und wenn cine stirbt, erlangt sie im Himmel durch ihn unbe-
schreibliche Gliickseliglreit V. 125-278. (Dieser Theil ist reich ausgestaltet :
stirbt eine solche Jungfrau (irgend eine, niclit JIaria), so versammeln sich all
die himmlisclien Schaaren - hier wird eine lange Reihe der damals beliebtesten
Heiligen genannt, welche Agnes alle im Himmel treffen I~ann- V. 125-186;
dann halt Christus eine Rede, V. 187-258, zur Empfehlung dieser Jungfrau,
worin er schildert, wie sie aiif Erden in Iiartein Ringen allen Anfechtungen
widerstand V. 189-218, indem sie in glühender Selinsucht inbriinstige Gebete1)
zu Christus emporrichtete V. 219-256; jetzt solle sie in das Himmelreicli auf-
genommen werden V. 207 iind 258. Die ganze Himmelsversa~nmlung ruft Bei-
fall, der Name der Jiingfraii wird in das Buch des Lebens eingesclirieben - V.
260 = V. 38 - und die neiie Himmclsbewoliiierin wird auf das Herrlichste ge-
schmiiclrt, V. 259-278).
Freilicli zur ICeuschheit müssen sich auch die andern Tugenden gesellen (V.
P--

1) Dicsc sehnsiiclitsvollcn ILnfe nach Cliristiis, ihren1 Ilriiiitigam, werden mit einem uns frem-
den Bilde ein zii Cliristiis gescliickter Brief genannt: noctiirnis snepius lloris scripta suis lacrimis
pzgina lecta fiiit u n d cuius al) ore fluens gutta nativo liquorc dedit Iiaec signa in trcmulis notis
relata. Angcdciitct ist dies uns befrerndlichc Ilild in IV 35, 1: Si parentes diira pcr lacrimas
scriberc l~osscnt,Iiic pro pictiira littern fictiis erat, in V 6 § 4 : admirabili modo nqua, qiiae
delcrc solct, pcr iictus scripsit.
279--318; hier werden 6 Tugenden in 6 Gruppen von je 6 Zeilen -vgl. S. 66
zu X 6 - geschildert: 281 patientia, 287 l-iumilitas, 293 Gegensatz der avaritia,
299 sobrietas, 305 gratia = concordia?, 311 constantia?). Hiel-auf folgt eine
2)l-obatio a contrario V. 319-386 : eine keusche Jungfrau geniesst schon auf Erden
auch das Glücli, dass sie vielen Unr~nnehmlichlieiten entgelit : der lastigen
Schwangerschaft, dem schmerzlichen Gebaren, all den Gefahren, Miihseligkeiten
und Aergernissen des Aufziehens von Kindern. Also ist - V. 386-392 - im
Himmel und auf Erden die ICeuscliheit das sicherste und liöchstc Glücli. 4 an
Agnes (haec tibi offero) und 4 an Christus gerichtete Verse (vgl. S. 04) be-
schliessen das (Pedicht, das aus gcnau 400 Versen besteht.
AISOnicht ein abstractes Lehrgedicht, sondern ein wohl überlegtes und gut
ausgeführtes Gelegenheitsgedicht haben wir vor uns. Dass das Gedicht am
Tag der Feier verlesen wurde, daran ist nicht zu zwcifeln; Vieles spricht da-
gegen, dass dies in der I<losterlrirclie bei der Einsegnung selbst geschah. Pas-
sender war das Refectorium, wo an diesem Tage gewiss die Schranken dcr Regel
etwas überschritten wurden. Da Agnes geweiht war, als Radegunde ihr
Rundschreiben erlicss, also vor Chariberts Tod, anderseits Portiinat hier dcn
Tag der Einweihung bcsingt, so muss dieselbe in das Jahr 067 fallen.
V111 4 : Werbebrief. Zuerst Schilderung, wie einc keusche Jungfrau einst
im Himmel geehrt wird (in nuce billt V. 1 und 2 den Inhalt von V111 3, 11-38,
wieder, V. 5-12 den Inhalt von V111 3, 125-278, insbesondere V. 7-12 den
Inhalt von V111 3, 263-276). Dann folgt V. 13-28 die Aufforderung an die
Jungfrau, nacli jenen himmlischen Freuden zu streben, wo die Jungfraucn nur
von Gold und Edelsteinen umgeben seien (auch V. 7-11 sind für weibliche
Herzen berechnet), und die vergängliche Weltlust zu verachten. Dann die Haupt-
sache, die unverhüllte Aufforderung: paupertas t e parva (= das Kloster) rogat
cum divite Christo, u t venias nostro dulcis alumna sinu I). Im Schlusse, 'has
quaecumque piis manibus susceperis a r r a s , non nuptura (sis) homini, sed sis
amata dei' bezeichnet 'arra' wohl nur eben diesen Einladungsbrief. Den Cha-
ralrter dieses merlrwürdigen Stückes, welclies Portunat wohl bald nach der Neu-
ordnung des Klosters für Radegunde schreiben musste, hat Luclii erkannt 'hoc
mihi carmen conscriptum videtur a Fortunato Agnetis ac Radegundis nomine,
quo virgines hortaretur e t invitaret ad Pictaviense rnonastcrium ac profitcndum
in illo monasticae vitae institutum sub regula sancti Caesarii, quod aperte dccla-
rare videtur disticlion 'paupertas ..
sinu'. Also in den wegen ihrer Rolilieit
verrufenen hlerowinger-Zeiten ein poctisclies Circular rnit Auf'fordarung zum Ein-
t r i t t ins Kloster und das in lateinischer Sprache!
V111 5-10: Billets. Dies sind die cinzigcn an Radegunde (no 7 auch an
Agnes) gerichteten kleinen Gedichte, welclie Portunat selbst veröffentlicht hat :

1) Dieselbe Wendung in dem ~~ersönlichen Nonneiifang App. 0, 36 per dominum votis iitracrluo
rogamus utrumque, detur u t i n n o s t r o filia vestra s i n U ; officio vestro nd nos migrct c u r s
parentum, vos generando utero, nos refovendo siiiu.
DER C#ELEC+EIiHEITSDICEITER FORTUNAT (GED.V111 3-21. IX 1 C~ILFERICE). 113
alle im XI. Buche und in Appendix no 10-31 veröffentlichten Stücke aus
seinem Nachlasse von Andern edirt worden. Bei der Beurtheilung oder Verur- '
theilung dieser an die beiden Damen gerichteten Gedichte ist erstlich dies wolll
zu beachten (vgl. S. 60). zweitens aber muss man doch die Verhältnisse kennen,
unter denen die Gedichte entstanden sind, d. 11. vor Allem die Klosterregel,
dass keine Nonne je aus dem Kloster durfte, dass nlänner nur zur bestimmtcn
Stunden des Tages ins Kloster durften, dass JIänncr nie im Kloster speisen
durften usw. Wenn man z. B. Gedichte, wie V111 0 und 10, verstehen will,
so muss man zuniichst wissen, was die Quadragesima ist, und aus FortunatYs
Vita Radeg. Kap. 22, wie streng gerade Radegunde dieselbe gehalten hat ; dann
wird man nicht, wie Loebell, Gregor V. Tours S. 311, in dem 8. Gediehte For-
tunat klagen liören, k l s Radegunde den Entscliluss fasste, sich von der nienscli-
lichen Gesellscliaft ganz zurüclczuzielien und in illre Zelle zu verschliessen7.
V111 11-21: Billets an Gregor V. Toiirs ; V111 11 scliildert liübscli einen
Fieberanfall; V111 12 und 13 betreffen Klosterangelegenheitcn : in diesen spielt
auch Justina, die Niclitc des Grcgor (vgl. IX 7, 81), eine Rolle, welche von
Gregor (X 15) a. 590 als praeposita des I<losters genannt wird; No. 19. 20. 21
danken dem Grcgor für Geschenlce, pro villa (an der Vigenna) praestiti~, pro
agro, pro pellibus transinissis.
N e u n t e s Buch.
Die Gedichte dieses Buclies sind, wie S. 21 bemerkt, zum grosscn Theil um
580 und in Paris entstanden; nur eines, no 0 an den Bischof von iiiainz aus
dem Jahre 56516, ist hicr nachgetragen. Voran stehen 5 I<önigsgedichte, von
deneil no 1. 2. 4 und 5 im Herbst 580, no 3 Ostern 581 gedichtct i s t ; dann
folgen 5 an Bischöfe gerichtete Gedichtc : no 6-10 ; dem letzten an Ragnemodus,
seit 576 Bischof von Paris, gerichteten folgen 3 an pariser Geistliche gerichtete,
welche Portunat wohl 580 bei der Durclireise kennen gelernt Iiatte; nach 2 Ge-
dicliten, no 1 4 iiber ein Wunderholz und no 15 (über einen Holzbau), schliesst
no 16 ein Gedicht, das einen liohen tvcltliclien Wiirdenträger anspricht. Also
sind in diesem einen Buche all dic Stoffe vereint zu findcn, nach welchen die
7 ersten Biiclier gcscliieden sind. Das Buch ist also ein späterer Nachtrag zu
den 8 crsten Bücliern, aber es ist, wie die innere Ordnung beweist, von Fortunat
selbst lierausgcgeben, und zwar um 584.
I X 1 Panegyricus auf Chilperich.
Da dieses Gcdiclit bcniitzt wordcn ist, um den Fortunat auf das Heftigste
anziigreifcn, so will icli zuerst das Gcdiclit slcizziren, dann den Inhalt besprccl~cn.
L)ie Einleitung V. 1-22, weit iiber die Erde verbreitet sci Cliilpericli's Nanle,
ergibt cigentlicli schon das Thema, in V. 23- 26 : Chilpcricli's Vcrdienstc.
Dann wird, wic n:ttiirlich und gewölinlicli, etwas Geschichte durchgenommen,
dass er bei der TaiiCc dcn Namcn Chilpericli = adiutor fortis crhiclt V. 27-30,
dass sein Vatcr ilin mclir licbte als die Sölinc der anderen Frau V. 33-40, dass
c r dann durch Fcindc in die äusserstc Todesgefahr gcrietli, über in der höclistcn
Notli wiindcrbar gcrcttct wurde V. 41-64. Dann folgt das Lob seiner Eigen-
Abhdlgn. d. Ii. Gon. d. Wiss. zu Göttingen. 1'liil.-liist.K1. X. F. Bund 4, I. 15
schaften : die fortitiido, durch welche e r dem Lande murus, porta, turris, scutum,
~ropugnaculaund limes ist, V. 65-84; die institia V. 85-90, clie Beredsamkeit
in allen Sprachen des Landes V. 91-94, die munificentia V. 95-98; endlich die
litcrarische Thlitigkeit, welche Chilperich, wie nie ein Icönig, mit tler Regenten-
thatiglreit verbinde, V. 99-114. E s folgt das Lob der Fredegunde (die niclit
in der 2. Person angcsproclien tvird, also beim Vortrag des Gedichtes nicht an-
~vescndist): sie sei schön, klug, eine tiichtige Hausfraii, freundlich gegen Rade-
gundc V. 117-132. l l i t Segenswiinsclien iind einer Entschuldigung sciner nnge-
nügenclen Leistung V. 133-148 schliesst das Gedicht.
ICl e i n c r e A n m c r lru n gcn. TVährend Cliaribert V1 2 fast keine Titel
erhält, sind sie hier hliufig: 5 inclite rex, 23 rcx bonitate placens (vg1.V 9, l l ) ,
55 rex bone, 109 admirande mihi nimiarn rex, 134 r e x ; princeps 17 65 83. 111
137 'da veniam, v i c t o r, tna me praeconia vincunt' könnte man nur rhetorische
Kiinst suchen; doch V. 72 'nomine V i c t o r i s hic es ct ampla tegis' macht höchst
wahrscheinlich, dass Cfiilperich in seinem officiellen Titel sich aiich 'Victor'
benannte; ebenso beginnt tlcr Lobsprncli des lrriegserfalirenen Sigbcrt V 1 1 a
mit der Anrede V i C t o r, wüllrend bei dem friedliclien Charibert, der nie in den
Krieg gezogen war, von solchem Namen keine Rede ist. Jedenfalls bleibt zu
priifcn, ob nicht inanclic llero~vinger-Könige den Titel V i C t o r angenommen
haben ; (las Vorbild hiczu liefcrtcn die Titcl der römisclien Kaiser : 'Victor ac
Triuniphator semper Augustus'. s. noch Z U V. 145. V. 16 vgl. I11 21, 10
iind I V '3, 30. V. 24 vgl. V1 1, 19. V. G7 nil dolet aniissiim, te rege super-
stite, mundus; dieser Vers ist mindcr verletzend gegen das Andenken Sigbert's
als es scheint; denn er ist formelhaft. So starb 566 in Trier der geliebte
Bischof Nicctius: seinem Schüler und Naclifolger l\.lagnericus wird dennocli ge-
sagt Append. 34, 15: grex alitur per t e vice praccessoris, alumne, nec sua d;iinna
dolct, dum tna lucra tcnet. V. 75 terror (es) extremis Frcsonibiis atqiic Siicbis,
qui nequc bclla pnrant, scd tun frena rozant: Gregor scliiebt H. F r . V 41 zum
Jnhrc 580 die Notiz an 'Lcgati autern Sueboriim post annum deinissi ad propria
recliernnt.'. V. 113/114 : formelhafte TVcndung : vgl. V1 1n, 24 ; V11 7, 64.
V. 122 screna sao fulget ab ore dies: dies Bild wird sonst, etwas aiiflF;illiger,
vom Innern gebraucht; so V11 1, 25-28, uild V11 7, 76. V. 131 t e fructu
prolis honoret : Prctlcgnndc hatte entweder kurz vorlier gcboren odcr die Geburt
war jeden Tag zii erwarten. Das Kind, welches noch nicht 20 Tagen nacli die-
ser Synode in Berny starb, war nur 'ostensus terris', (1. h. es war noch niclit
getauft und erhielt noch schnell die Notlitaiife (Gregor H. F r . V 3.1: nccdum
aqua et spiritu sancto rcnatus aegrotare coepit. quem in extremis vidcntcs bap-
tismo abluerunt). V. 140 H. sind anders zii intcrpungircn, als bisher geschah.
Die V. 141-144 enthalten die in V. 140 genannten 'prospcra vota' iind 'pin
dona'; dies ist durch 'polis: aGra7 anzudeuten. Der Glückwunsch ist mit 'apex'
zu Ende. Im Folgenden ist 'summus honor rcgis' (vgl. V1 I a , 19 est tibi sum-
mus honor) Vocativ, zu dem zunüchst die Relativsiitze gehören 'pcr qiicm donan-
t u r honores' und 'cui longaeva dies constet ot alma fides'; dann folgt der zum
DER OELE~ENBEITSDICEITE~
FORTUNAT (IX 1 CHILPERICH). 115
Vocativ 'summus honor regis' gehörige Imperativ (cape verba de Fortunato
paupere'l welchem der Nebensatz voran gestellt ist 'alii regibus solvant aurum
aut gemmarum miinera'; also ist nach 'apex' Punkt, aber nach 'fides' höchstens
Doppelpunkt zu setzen. So wird dieser Schluss in seinen ganz verschiedenen
Bestandtheilen klar.
(C h i l p e r i c h.) Betrachten wir nun den I n h a 1t , so will ich zuerst die
von Fortunat, dann die von Gregor V1 46 notirten E i g e n s cli a f t e n des Chil-
pericli ansehen, dann erst Chi~pericli'spolitische Laufbahn I). llierbei sind die
Verhältnisse, unter denen Portunat und unter denen Gregor schrie„ im
Auge zu behalten (V@. S. 45). Auf der Synode in Berny im August 680 han-
delte es sich um eine Anlrlage gegen Grcgor selbst, e r habe der I<önigiii Ehe-
brucli vorge~vorfen. Gregor selbst gesteht zu, das gcliört zu haben; es ist nicht
lrlar, ob e r es weiter gesagt hatte (V 49 = S. 241, 25 negavi ego in veritate
haec locutum ; et audisse quidem haec alios, me non excogitassc); jedenfalls ist
Gregor's Situation lieikcl. Die ICönigstochter Riganth betete fiir Gregor.
F o r t u n a t hatte auf der Synodc nichts zu thun und lcain wohl eben nur als
Gregor's Freund. MTenri er in seinem Lobspruch die Farben dick auftrug, so
JKam das hauptsächlich seinem Freund zu Nutzen. Aber, wenn er CS tliat, so
tllat er es mit der Zustimmung Gregor's und der sndern Bischöfe. Denn, wie
clie Einleitung zeigt, spricht Portiinat sozusagen im Namen tler Biscliöfe (opto
loqui regis praeconia: sublevet carmina vester amor) ; was er vorbringt, ist also
die vox populi und muss mindestens mit den Anscliaiiungen iibereinstimmen,
\ve]che iiber Chilperich und sein Verhältniss zum Vater und zu den Brüdern im
Jahre 580 in Chilpericli's Reich officiell waren.
G r e g o r v o n T o u r s, welcher 580 diesem Panegyricus zustimmte, ja viel-
leicht Nutzen davon hatte, schrieb 692 sein Geschiclitswerlr in ganz anderer

1) Wie Sigbert, Gelcsuintha, Radegundc, Fortniiat und Andcrc, welclie in mciner Arbcit
I~aiiptrollciispielen, in den Recits des Tcmps IICrovingiens dcs ilugustiii T l i i c r r y , ]land I 11.
315-35!) und Bd. 11, cbcnfalls Hauptrollen spielen, so ist aucli Cliilpcricli bci 'i'liierry vielleicht dic
miclitig~tcI'crson. Das ziel Tiiierry's ist '1 a 11a r r a t i o 11 C o 1111118 t C, dpiiisant Ics tcxtes, rasscm-
blaiit lcs ddtails 6pars, recuoillant jusqu' aux moindres indiccs dcs faits oii des caractkres, ct, de
tout ccla, formant un Corps, aiiqiicl ~ i c n tle soiifflc de ~ i par c l'iinion ilc la sciencc ct de l'art'.
n i c Iiunst der Darstclliiiig ist allerdings gross ; SIiierrg7sGcniülde höniicn Xculingcii ciii lebendiges
I)ild dcr IiIerowiiigcrzcit geben : allein wisscnscliaftlich ist dicsc Gescliiclitsmalerei nicht. Von
Tliicrry zii Mraltcr Scott ist niir cin Iilcincr Zwisclienrauin. Uii~~issensclisftlicli ist dicse Art der
Darstcllullg, ~vciiCS sclir erschwert ist, Shierry7s eigenc Erfindungen rasch zu crlienncn und gcge-
benell Falles diircii bessorc zu crsetzcii, mcil zweitens diese crfuiide~ieiiI-iiiideglieder riiitiinter siclier
falscli, oft zwcifclliaft sind, und weil es ciidlicli einc narratioii coin1)lktc uberliaupt nicht gibt.
Jvclclie Fiillc von Sceneii Ii0iint~man iiin Sigbert's Ende iind Cliilpericlis Ii0clistc Notli gruppireii!
Abcr immcrliin ist cs interessant zii sclicn, aiif wclclic \lreise ein so gelclirter Forsclicr iiiid geist-
rciclrer Conibiiintor .sie Tliicrry sicli dic n~anclierleiFragen beantwortet liat, welclic Grcgors und
Fortuiiats Ilcriclitc stcllcn, aber niclit dcutlicli beantworten. 1)eii Staiiil1)~iilitund Widerspruclic
in dicscin Tlicilc des Geschiclitswcrl~csdes Grcgor bchandclt bcsondcrs 8 . Ilccoy dc la Alarclie, Dc
l'liutoritc! dc Grbgoirc dc Tours, 1861, 1). 91-1 13.
15"
Stimmung. Gregor hatte 580 jene Anklage wegen Beleidigung der Fredegunde
glüclrlich überstanden; er hasste den Chilperich, weil dieser die Bischöfe nicht
allzu sehr respektirte und das übergrosse Anschwellen des Kirchenvermögens
zu hindern suchtc. Er selbst war Ei73 unter der Herrschaft Sigberts Bischof
geworden; von 584 ab stand Tours wieder unter der Herrschaft der Brunhilde
und ihres Sohnes Childebert 11.; von diesen wurde Gregor öfter an den au-
strasischen Hof berufen, dort hoch geehrt, ja sogar zu diplomatischen Sendungen
benützt. Briinhilde, also auch deren Hof, war im Gedenlren an Gelesuintha
und an Sigbert natiirlich gegen Chil1)erich feindselig gestimmt. So ist es be-
greiflich, dass Gregor im Jahre 592 bei Abfassnng seiner Geschichte von Chil-
perich durchaus feindselig spricht. Also da andere Darstellungen uns fehlen,
müssen wir aiis den Angaben des A n k 1ä g e r s einige Anhaltspunkte iibcr den
wahren Sachverhalt zu gewinnen suchen. Doch da Gregor selbst sagt 'quam
malitiam gesserit, superior lcctio docet', so dürfen wir fiir seine Vorwürfe nach
Belegen in seinem Geschichtswerke fragen. Anderseits h a t , wie ich glaube,
Grcgor viele Jahre lang Notizen gesammelt und aufgeschrieben und hat die-
selben auch 592 nicht völlig zusammen gearbeitet und iiberarbcitet : also diirfen
wir erwarten, dass auch manche unparteiische nackte Thatsaclie stclicn ge-
blieben ist.
F o r t u n a t riihmt V. 65-84 zuerst die IKriegstüchtigkeit des Chilperich :
ein besonderer Liebhaber des Kriegs scheint er nicht gewesen zu sein; auch
Fortunat beruft sich auf jene Kriege, welche Chilperich unter seinem Vater,
also mindestens vor 20 Jahren, mitgemacht hatte. Dem Lobe der Gerech-
tigkeit bci Fortunat V. 85-90 steht die unlrlare Behauptung Gregors V1 46
entgegen : persaepe homines pro facultatibus eorum iniuste punivit ; auffallende
Belege für diese Anklage finde ich nicht in Grcgors Erzählungen. V, 95-98
lobt Portnnat die Freigebigkeit: dagegen ist wohl aus Gregor der Satz 'causas
pauperum exosas habebat' zu stellen ; doch das bctriff't mehr die grossen Ver-
miichtnisse für wohlthiitige Zwecke. Belege fiir schnöde Habsucht des Chil-
perich liefert die Erzählung des Gregor nicht. V. 09-114 lobt Fortiinat
die schriftstellerische ThStiglreit des Chilperich: Gregor macht sicli V 44
V1 46 darüber lustig. Darnach schricb Chilperich eine Abharidlung iiber [fie
Trinität, nach Gregor mit durchaus falschen Ansichten - doch wie Viele haben
da gestrauchelt ! - ; dann 2 Bücher nach A r t des Sedulius, also in Hexsmetcrn,
mit vielen Fehlern gegen die Quantität; dann Hymnen und Messen, die in der
ICirche nicht zu brauchen seien; endlich wollte er 4 neuc Buclistaben
und verordnete, dass dieselben in den Schulen gelehrt und in die frühcren Hand-
schriften durch Rasur hinein corrigirt würden. Der von P. V. Winterfeld
aufgefundene Hymnus des Chilperich auf llcdard ist leider so entsetzlich cnt-
stellt, dass man darnach den Dichter nicht beurtlicilcn lrann. Sonst abCr ist
ein solches literarisches Interesse und Schaffen zum Wenigsten kein Vorwurf
f ü r einen n1erominger-TTönig, ja in dieser Zeit sehr anzuerkennen, wo es sclion
sehr mühselig w a r , sich die nothwendigen Vorkenntnisse i n Sprachc und Vers-
bau zu erwerben. Also ist das, was Fortunat am Chilperich lobt, weder
durch Gregor noch durch berichtete Thatsachen als falsch nachgewiesen.
Betrachten wir nun weiter das Siindenregister bei G r e g o r V1 46, welches
ha~i~tsächlich das allgemeine Verdammungsurtheil über Chilperich hat;
diese Charakteristik besteht aus einer Reihe von Sätzen, deren jeder eine besondere
Eigenschaft des Chilperich bespricht. Die Geistlichen aller Zeiten waren sehr
darin geiibt , die Tugenden und Laster dcs Nenschen zu classificircn : aber
welchen verniinftigen Plan Gregor bei dieser Ordnung seiner Gedanken befolgt haben
liönnte, das zii errathen, ist mir nicht gelungen. Ich glaube, dass Gregor auf
einem Blatt nur einzelne Ziige ausgearbcitet hatte in einzelnen Sätzen; diese
wurden nach seinem Tode von einem Aiichtigen Redactor ohne viel Besinnen
znsnmmengeschoben. Zuniichst Icommt die G r a U s a m k e i t , dass Chilperich
viele Gegenden verwiistete und dariiber keincn Schmerz , sondern eher Ver-
gniigen empfunden habc, eine Eigenschaft, worauf Gregor den Beinamen 'Nero'
griindet. Dieser Vorwurf begreift sich ; denn gerade Tours und Poitiers sind
in den Kriegen zwischen Chilperich und Sigbert, Chilperich und Guntram oder
Childebert 11. der Spielball des Eriegsgliiclis gewesen und oft schwer mitge-
nommen worden. Allein da hat Chilperich sclten selbst commandirt, und wenig
passt zu Grcgors An1;lage das, was e r selbst I V 49 zum Jahr 574 berichtet.
Da gibt Cliilperich von seinem Sohne eroberte Stiidte zurück 'deprecans, ut
niillo casu culparentnr eorum habitatores' ; allertlings erzslilt dann Gregor oft von
Verwiistungen , welche Chilperichs Truppen angerichtet hatten, selten von sol-
chen der andern. Beispiele fiir Cliilpcrich's persönliche Grausamkeit berichtet
Gregor nicht; denn I\.ierovecli und Chlodovech hatten nach Gregors eigenen An-
gaben sich Sclilimmes zu Scliiilden liommen lassen.
Den Vorwurf 'erat gulae deditus, ciiins deus venter fuit' brauche ich nicht
weiter zu erörtern. Der später Iiommende Vorwurf 'iam de libidine atque
luxuria non potest repperiri in cogitatione, quod non perpetrasset in opere' ist
zunachst durch lreine Thatsache aus den Büchern dcs Gregor zu belegen. Ein
llerowinger König braiichte viele Söhne. Wie Cliaribcrt, so hatte auch Chil-
p r i c h 561-567 mclirere Frauen; zunächst die Aiidovera, welche ihm den
Theiidebert, llerovecli und Chlodovech gebar; dann muss er schon vor 568 von
Fredcgunde gehabt hnbcn den Clilodobcrt, der 580 mehr als 15jiihrig starb, und
die Rigunthe, welche 580 schon fiir den angeklagten Gregor betete und 582 an
den spanischen I<önigssohn verlobt wurde I). Da kam Chilperich 567 auf den

1) E s ist liöclist sonderbar, dass Grcgor IV 28 die Erzahlung vom Tode Gclesuintha's be-
sclllicsst mit den Worten: IIabcbat aiitcm t u n ~Cliilpericiis tres filios de Audovera priore regina
siia id est Sheudcbcrtum, cui siipra rncminimiis, Jferovcclium atque Chlodovechum. Sed ad coepta
redcamus; im Anfang dcs Iiapitels hat er doch einfach gesagt <cum iam plures haberet uxores'.
Hat er am Scliliissc des Iiapitels die Frcdcgundc mit iliren mindestens 2 Kindern einfach ver-
gessen, oder absichtlicli weggelassen , vielleicht um anzudeuten, dass sie nicht eine richtige uxor
und rcgina, wie Audovera, gewesen sei? Allein bei Iiönigskindern kam es damals nur auf den
Gedanken, um die altere Schwester der Bruiihilde zu werben. Das schlug
schlecht aus: Gelesuintha war offenbar reizlos und empfing nicht; Chilperich
kehrte 568 zu Fredegunde zuriiclr, und fortan hört man bei Gregor nichts mehr
von irgend welchen gcschlechtlichen Vergeliungen des Chilperich.
E s bleiben liauptsachlich 2 Anlrlagcn , um derentwillen wahrscheinlicli
Gregor dem Cliilperich dcn Beinamen Herodcs gegeben h a t : 1) Der geringe .
Respelit vor Geistlichen iiberhaiipt und vor Bischöfen insbesondere. Dies liängt
wohl zusammen mit dem Vorwurf Lnnllnm sibi adscrebat cssc prudentiorem' und
mit der eigenen schriftstcllerischcn Tliatigkeit. Die Gcistlichen waren damals
fast die einzigen Trager der Bildung und Gelelirsamlieit : ein gelehrter unii
schriftstellernder König ltonnte CS ihnen scliwcrlicli recht maclicn. 2) Die
letzte Anlilage betrifR die Ansicht des Cliilperich vom IGrchenvermögen ; Gre-
gor formulirt sie so : 'ccco panper rcmansit fisciis noster, ecce divitiae nostrae
ad ecclesias (d. 11. episcoporum) snnt translatae'. Damals galt der Satz 'je melir
Gut man der Kirche sclienlit, desto sicherer ist man des Dankes Gottes d. 11.
der Seligkeit'. Viele vermachten ilir Vermögen der ICirche , freilich erst zu
ihrem Tode; so entbehrten sie selbst nichts in ilirem Leben und wurden beim
Stcrbcn selig; illre Kinder oder der Staat moclitcn dann sehen, wie ausltommen.
I n unsern Tagen wiirde man bei lilinlichen Verhältnissen dem Cliilpcricli voll-
kommen Recht geben; damals ging er, tlieoretiscli wenigstens, 211 weit; dcnn
die Kirche hatte fiir die sociale Aiifbcsserung des Vollies Grosses zu leisten
und hat bis zum J a h r 1000 auch Gewaltiges geleistet. Allein in der Praxis
scheint Cliill~ericlinicht so scliliinm gewesen zii sein. Bei der Todesgefahr der
2 Söhne verbrennt zuerst Fredegunde die Steuerlistcn ihrer Giitcr, dann lässt
Chilperich alle Steuerlisten ins Feucr werfen ; die Kinder starben doch, von
den Biirgern wie ihre eigenen beltlagt; Gregor (V 34) scliliesst 'multa postea
Chilpericus rex ecclcsiis sive basilicis vel paupcribus est largitus'. Also
können auch die Anklagen des Gregor den Cliilpericli nicht als ein besonderes
Scheusal überführen.
Chilperich's politisches Leben. Fortunat zeiclinet V. 33-64 die
politische Laufbahn des Chilpcrich. Dieses Lob hat ilim Vorwiirfe jeder A r t
und von jeder Seite eingetragen, deren Blütlie der,jenige , welcher ül~erliaiillt
solche Büclier lesen mag, in Felix Dahn's Urgcscliiclitc der germ. und rom. Vö1-
ker III 162 (= Oncken, Allgem. Geschichte in Eiiizeldarstellungen, 11. Haupt-
ab th.) fixdes lrann. Portunat s1)racli 5 Jalirc nach clem Ereigniss irn Ailgc-
siclit, also gewissermassen im Namen der versammelten Biscliöfe; was e r sagt,
ist also als die officiellc L)arstellung zu betrachten, welche rtm Hofe Cliilperi~li'~

Vater an, niclit auf die PiIiittcr. Walircnd Clilotar mit Ingundc vcrliciratlict war, scliwiingcrtc Cr
deren Schmestcr Aregunde, wclclie dann den Cliilpcricli gcbar (Grcgor IV 3). A l m Grcgor iiciint
dcssliall) doch bcide Mütter mit iliren Söhiicn ncbcii oinaiidcr, und officicll stand C1iill)cricli dcil
andern gleich, da die 4 Tlicilliönigc officiell so nufgcziililt wcrdcii: Clinribcrt Giintrniii Cliilpcricli
Sigbert; s. darüber S. 119 (Notc) Mehr.
DER QELEGENHElTSDICIITER FOBTUNAT (CIIILPERICL~S
POLITISCUE LAUFBA~). 119
galt. Diese neustrische Darstellung d e r Ereignisse, die Vertheidigung des Chil-
eri ich, aufzustellen, ist nicht leicht, d a wir sie aus den Anklagen des Gregor
von Tours gewinnen miissen.
Chlotar hatte zuerst von Ingunde Söhne, darunter Charibert Guntram
Sigbert, dann von Ingunilens Scliwcster den Cliilperich I). Nach Fortunatfs
Bericht, zog Chlotar den geistig lebhaften Chilperich den andern Söhnen vor.
Dafiir musste dieser nach des Vaters Tod biissen. Denn als es zur Theilung
kam, wurde dem Chilpericli der weitaus ldeinste Theil mit Soissons ds Haupt-
stadt zugewiesen (vgl. Longnon , GBographic dc la Gaule, S. 138). Dariiber
empört besetzte Chilperich Paris ; die 3 Stiefbriider trieben ihn zuriick; aber
als im nächsten J a h r e Sigbcrt in einen schweren IKricg mit den neuesten Stö-
renfrieden Europas, den Avaren, verwiclcelt w a r , brach Chilperich von Neuem
vor und besetzte Reims und andcre Stiidtc Austrasiens. Doch Sigbert heim
kehrend trieb den Cliilpericli znriiclr, besetzte sogar Soissons ~inclbehielt es von
da an. Chilperich hatte also nicht niir das lrlcinste Erbtlieil bclrommen, sondern
sogar davon war ihm nocli die Haiiptstadt, jedenfalls ncbst cinem ziemlichen
Stück Landcs, genommen. Dass e r als Nerowing und glcicliberechtjgter Erbe
diese Schmach unwillig ertrug, ist selbstvcrständlich.
Von 562 ab drehen sich die Peindseligkcitcn fast nur um Chilpcrich und
Sigbert; Cliaribert hat nie einen Icrieg gefiilirt und Guntram nicht viele. Da-
gcbcn Sjgbcrt, der ebenfalls den Titel Victor fiihrte, war nicht nur schlaii und
tllatl;riiftig, sondern ofYcnbar ein Liebhaber dcs IKrieges; fast stets befehligt e r

I) Niclit univichtig ist die Frage, ob Cliil~ericlijunger war als die Suline der Ingiinde. Da
iiacli Gregor I V 3 Ingunde die Geinnhlin Clilotar's ancli nach seiner Abirrung zii ilirer Scliwester
.~rcgiinil geblieben ist, so kann Cliil~~ericli vor dein einen oder den1 andern seiner Stiefbruder ge-
boren sein. Icli finde bei iiiiscrn Iiistorilrcr~i liieriibcr keinen Bcriclit und Leine Uiitcrsiichung;
uni1 (locli kann Inan viellciclit einigen Halt gelvinnen. Ilci Gregor IV 3 werden als Soline der
Ingiincle aufgezalilt : Cliaribert Guntraiii Sigbcrt. L)agcgcii das C'liroiiil<on des Blariiis zahlt die
4 Tlieillcuriigc so auf: Clinribcrt Guntrnin Cliil~iericli Sigl~crt;Itadcgundc i11 ilircn~Ruiidsclireiben,
walirsclieiiilicli aus den1 Jalire 567 (s. S. 99), nennt garir: officicll (Grcgor 11. 1j.r. IX 42 Mitte) :
per auctoritatcin praccelle~itissiniorum doiiiinorum rcgurii Cliaribertlii Gunthrnmrii Cliilperici ct
Sigiberti; encilicli Grcgor selbst z,ililt (11. I+. IV 22) auf: Iii quatiior id est Cliaribcrtus Guntli-
rarniins Cliilperirus atrlUC Sigibcrtiis : also in clcii 3 von einander iinal~luiigigciiA~fz~~lilungen (an-
dere gibt CS niclit) stehen die 3 Soliiic der Iiigiindc gciinii in der von Grcgor IV 3 gegebenen
~ ~ ~ i l i e n f o l gaber
c , in deii 3 Stellcri ist vor Sigbert sein Stiefbriider Chilperich eingcsclioben. Da
lluii ~ l i a r i l ~ c \~~irltlicli
rt der altcstc ist, wie k'ortiinat Iciirt Vi 3, 53 'aiitc alios fratres (d. 11. den
jetzt natus, ordiiie seiiior', lind da rnan aiicli aus dieser Stelle sieht, dass bei diesen
4 sonst glcicli stchciidcn Tlieilliunigc~i auf ( 1 ~ sAltcr besonderes Gewicht gelegt wurde, so kann
icIl die Eiiirciliiing des Cliilpcrich vor Sigbert nur dadiircli crklaren, dass C li i 1p e r i C 11 f r U 11 e r
3 1s S i g b e r t g e b o r C n W ar. Dann aber musste Cliilpcrich jene Zurucksetzung, ebenso die sp:\-
tcre llehandlung von Seite des Sigbcrt um so bitterer empfinden, da sein Vorrang ja sogar
in dcn officiclleii Sitcln ancrlrannt war. Da Sigbert 676 im Alter von 40 Jalircn starb, also
etwa 535 geborcn war, so ist Cliilpericli vor 535 geboren, nocli friiher Guntram und um fruliesten
Charibert.
120 W I L B E L M MEY E R ,

selbst das Heer. Chilpericli war viel weniger kriegerisch und meistens sendet
e r Feldherrn aus; seine Kriege sind keine eigcntliclicn Angriffsliriege, sondern
e r will nur das Land besetzen, das er beansprucht; auch damals war eben die
wirkliche Besetzung eines Landes der beste Rechtstitel für seincn Besitz.
,
568 starb Cliaribert; bei der Theilung von dessen Reich kam Chilperich viel-
leicht zu seinem richtigen Drittel, da e r mit Gelesuintha, Brunhildens Schwester,
verlobt w a r , so dass sein Feind Sigbert frenndlicher gestimmt sein mochte.
Doch bald brachen zwischen Chilperich und der reizlosen und unfruchtbaren
Gclesuintlia heftige Streitiglieitcn aus, und nach Gregor's Worten I V 28 'ad
extremum iugulari iussit a pnero mortuamque repperit in strato', wo freilich
der Scliluss fast den Anfang aufhebt. Jedenfalls zeigen die weiteren Worte
Gregor's 'quod factum reputantes ei fratres, quoa sua emissione antedicta regina
fuerit intcrfecta, eum a regno deiciunt', dass officiell von Chilpericli nicht zu-
gestanden wurde, er habe den Befehl zur Tödtung der Gelesuintha gegeben,
sondern dass von einem plötzlichen natürlichen Tode oder von Selbstmord ge-
sprochen wurde. Jedenfalls wurde Chilperich angegriffen und besiegt ; den
Krieg führte wieder der als Scliwagcr der Gclesuintha dazu am meisten be-
rechtigte Sigbert ; Guntram als Schicdsrichtcr entscliied, dass die Stücke Aqui-
taniens , deren Nutzniessung Chilpericli der Gclesuintha als Norgengabc über-
lassen hatte, von Chilperich deren Schwcstcr, der austrasischen Königin Brnn-
hilde, als Eigentlium abgetreten werden müssten. Chilperich hatte an der Er-
mordung der Gelesuintlia, welche ja wahrscheinlich ist, vielleicht keine Schuld;
jedenfalls war sie nicht nachgewiesen und wurde von ihm stets geleugnet: jetzt,
um das J a h r 570, war er nicht nur indirekt für schuldig des Mordes erklärt,
sondern eines beträchtlichen Landes beraubt. Natürlich empfand er das als
neue Schmach und Unrecht.
Die Folge war eine Kette von Icriegcn von 672-575 ; diese drehten sich
meistens um Landstriche in Aquitanicn. Sigbert zankte sich nlit Guntram
wegcn Arlcs und anderer Platzt; in dieser Zeit schon, wie es scheint, hat Chil-
perich's Sohn Chlodovech Tours und Poiticrs bcsctzt ; doch Sigbert und Guntram
zwangen durch den Feldherrn Murnmolns den Clilodovecli nach Bordeaux abzu-
ziehen, wo dann sein Heer schimpflich zerstreut wiirdc. Als der Streit zwischen
Sigbert und Guntrani 573 wicdcr ausbrach, scliiclit~Chilperich seincn tüchtigen
Sohn Theudebert ans ; dieser schlug Sigberts Truppen und besetzte I'oiticrs,
Tours, Limoges, Caliors und andere Gcbictc. F ü r 574 licss nun Sigbert Triip-
pen aus den iiberrheinisclicn Theilcn Austrüsiens kommen, wilde Völker, darunter
wohl jene Sachsen, welche 568 mit den Langobarden nach Italien gezogcn waren,
dann 571 und 572 mühsam durch Guntrams Reich zuriiclilielircnd, ilirc f'riihern
Wohnsitze besetzt fanden. Diesen starken Truppcn Sigberts gcgcniibcr ver-
bündete sieh Cliilpcricli mit Sigbert's Gegner, dem Guntram; als dieser ihn a n
der Seine im Stiche liess, zog er sich zuriicli und, statt es zum cntsclicidcndcn
Kampf kommen zu lassen , gab er alle Eroberungen heraus. Sigberts Trul)pcn
verwüsteten dennoch das eigene Gcbiet.
575 erreichte das Drama Entscheidung und Ende. Der Krieg brach wieder
aus; nach dem Chronicon des Marius begann Sigbert: 'Sigbertus bellum contra
fratrem Hilpericum movet' ; dafür spricht auch der Brief des pariser Bischofs
Germanus an Brunhilde @Ion. G. H., Epistolae I11 122), der sich hinter das
Gerede des Volkes versteckt 'quasi vestro (d. h. Brunhiltlen's) voto, consilio e t
instigatione domnus gloriosissimus Sigibertus rex tam ardue hanc velit perdere
regionem . . Si illi (Chil~ericlb)regnum perdiderint , nec vos nec filii vestri
magnum ~ossidebitistriumplium ..
I n hoc populi restinguite verba, rnitigatis
furorem . . Inhonesta victoria est fratkem vincere'. So schreibt man nicht dem
angegriffenen, sondern dem angreifenden Theile I). Dagegen Gregor I V 49 lässt
den Cliilperich sich mit Guntram gegen Sigbert verbinden und dessen Lan(Z bis
Reims verwüsten. Sigbert schickt einige Truppen nach Tours und Poitiers, um
den Theudebert anzugreifen, der gänzlich besiegt wird und fällt; Sigbert rückt
auf dem nördlichen 1iriegsschauy)latze mit der Hauptmasse seiner Ueberrheiner
gegen Chilpericli selbst. Da auch Guntram wiederum dem siegreichen Sigbert
sich anschliesst, so gibt Chilperich den Kampf auf und flieht nacli Tournai im
nördlichsten Theile seines Reiches, wo e r mit F r a u und Kindern die Belagerung
erwartet. Sigbert unterwirft das Land nach Westen bis ans Meer, dann geht
e r zuriick nach P a r i s , um von d a den letzten Kampf gcgcn Chilpericb zu
eröffnen.
Cliilpericli schien verloren. Seine eigenen Unterthanen fielen von ihm ab:
Franci, clui quondam ad Childebertum aspexerant seniorem (z. B. die Leute von
Beauvais , Amicns , Rouen) , a d Sygibertum legationem mittunt, ut ad eos ve-
niens derelicto Chilperico super se ipsum rcgem stabilirent. Sigbert lässt seinen
Bruder in Tournai einschliessen; dann riickt e r selbst nach. Wie e r Paris ver-
lässt, richtet der Bischof Germanus, dessen Brief a n Brunhilde also nichts ge-
fruchtet h a t t e , an Sigbert die W o r t e 'si abieris e t fratrem tuum interficere
nolueris, vivus e t victor redis; sin autcm aliud cogitaveris, morieris ; sic enim
dominus per Salomonern dixit: Foveam quam fratri tuo parabis, in eam conrues'.
Quod ille peccatis facientibus audire neglexit. Sigbert riickt vor nach V i t r y ;
dort Lcollectus est a d eum omnis exeicitus inpositumquc super clipeum sibi
regem statuunt. Doch ebendort nähern sich ihm 2 Diener Cliilpericli's 'niali-
fificati a Fredegunde regina', als ob sie Etwas mit ihm zu verhandeln Iiätten, und

1) Eiiieii ganz seltsamcii Bericlit liat Frcdcgar (Script. hicrov. I1 112) ; darnacli sind Cliil-
pericli und Sigbert cintr&clitigeii Sinns und wollen den Guiitram 'i~iterficerc regniimque ciiis ad-
smcrc'. Docli zuletzt vcrtragcn sie sicli: die Ilciden sclimörcn dem Guiitrain Frieden iind er den
Dci(lc11. Aller Sigbcrt's Austrasicr wollcn Ilcutc; Sigbert gibt eiidlicli I I ~ C ~und
I will dcn Giintram
übcrfallcn. Abcr, entgegnen die IIaufen, dein hast dii ja eben Fricdeii gcscliaoreii; fallen mir
über Cliilpcricli Iicr. I)as geschiellt, doch Cliiipericii cntrinnt nacli Tournai. L)icsen ncriciit lialt
I$rosieii fnr iiiiindliclic Tradition, fiir dic Erztililuiig eines burgundisclieii Soldatcn. Dieser Frie-
dcnsscliluss und das folgciidc Verlangen der Austrasier, gegen den TVillcil des Sigbert. dennoch
Deute zu maclicn, stimmt sehr mit dem, was Gregor Kap. 49 crzalilt, und niuss dortlier stamineri.
~uffallciidbleibt dic bcstimiiito Angabe voll 4 Stitdtcn bei Fredegar.
Ablidlgn. d. I<. Gas. d. Wiss. zu Gottiiigen 1'hil.-liirt. K1. N. F. Band 4.6. 1G
tödten ihn. 'Chilpericus autem in ancipite casu defixus in dubio habebat, an
evaderet an periret'. I n dieser Lage hatte eben Fredegunde cincn Sohn ge-
boren, 'qucm matcr ob metum mortis a se abicit et perdere voluit; sed, cum
non potuisset obiurgata a rege, eiim baptizare praecipit'. Da lrommen die
Boten, welche Sigbert's Tod melden und damit das Ende aller Gefahr; denn
dessen Sohn Childebert war noch nicht 5 Jahre alt. Das austrasischc Heer
verlief sich, und Chilperich konnte zunüchst sein Land wieder ganz besetzen.
Urtlieil iiber S i g b e r t s E r m o r d u n g . Dies sind nach Grcgor's
Schildernng die Thatsachen, welche der Schilderung des Fortunat V. 41-64 zu
Grunde liegen. JIit Recht sagt Fortunat, dass Chilpericli in der üussersten
Gefahr gescliwebt habe. Aber dass e r die Entscheidung, d. h. den Tod des
Sigbert und die Errettung des Chilpcrich lobt, das soll eine unglaublichc Ge-
meinheit der Gesinnung verratlien. Dabei priift man weder die Worte Gregor's
noch die Tliatsachen selbst. Sigbert zieht aus zum Kampf gegen das Heer
seines Bruders. Wie oft geschah das! Wann abcr stellte sich der Bischof an
das Stadtthor und sagte 'wenn du deinen Bruder nicht tödten willst, so wirst
du siegcn und herrschen; andernfalls wirst du sterben'? Gcschchen war das
allerdings schon, aber, was wohl zu beachten i s t , damals als Clilodomcr den
gefangenen Biirgunderkönig Sigmund samt F r a u und Kindern will tödtcn lassen
und dann wirlrlicli tödtet (Gregor 111 G und V 18 = 210, 18). W a s will es
dann sagen, dass Fredegunde den eben geborenen Sohn 'ob mctiim mortis' will
umkommen lassen ? Hier miissen Dinge vorliegen, welche Gregor nicht deut-
lich ausspricht. Sie ergeben sich abcr aus den Ereignissen.
Unterthanen Chilperich's lrommen zu Sigbert und fordern ihn auf 1 ihr
König zu werden. Es ist schon schlimm, wenn Unterthanen, durch Gcwalt ge-
zwungen, einem andern Fürsten Treue schwören: aber dies freiwillige Vorgehen
der Unterthanen Cliilperich's i s t , so viel ich sehe, nur ein Trcubriich der
schlimmsten Art gewesen. Sigbert nimmt das treubriichische Anerbieten an
iind liisst sich zum Könige wiihlen an Stelle seines Bruders: das war gegcn das
Recht, welches im filcrowingerhause galt. Sigbert wird aber nicht nur von
einem kleinen Theile, etwa den Bewohnern von Amiens Beauvais Rouen, gc-
wiihlt, sondern 'omnis exercitus eum impositum super clipeum sibi regem sta-
tuunt'. Diese Schilderliebung und 2 andere werden so ziemlich von jcdcm
Rcchtshistorilicr als die einzigen (nachweisbaren) in jenen Jahrhunderten cr-
wülint ; einige betonen den 'ausscrordentlichen Charalrtcr' dieses Vorg,znges :
keiner aber scheint sich gefragt zu haben, was denn gerade hier diese ausser-
ordentliche Wahlait wollte, und kciner scheint das, was hier geschah, darauf hin
gepriift zu haben.
Wenn Sigbert sich als König einsetzen lassen wollte, so diirftc kein an-
derer König da sein. Aber diejenigen, welche die Rechtsgeschichte der n 9 ~ 0 -
winger-Zeiten behandeln, besprechen, soviel ich sehe, nicht einmal dic niöglichkeit
der Absetzung eines rechtmlissigen Königs. Ein nlerowingcr König wiirde eben
nur dadurch abgesetzt, dass er getödtet wurde und dazu in der Regel noch
DER f3ELEQENIiEITSDICIITER FORTUNAT (CHILIJ~ICHSPOLIT. LAUFUAIIB U. SIQUERTS ER~IIORDUNG). 123
mindestens seine Söhne. Wenn Sigbert sich an Chilperich's Stelle als König
einsetzen liess, SO musste ZU gleicher Zeit die Tödtung des Chilperich bestimmt
sein. Bei einem SO wichtigen und hier so feierlich vollzogenen Akte lrann eine
so wichtige Vorbedingung nicht bloss im verschwiegenen Herzen in Aussicht
genommen sein, sondern sie muss klar und deutlich officiell bereinigt sein; d. h.
Sigbert konnte sich nicht als König an Chilperichs Stelle einsetzen lassen, ehe
nicht Chilperich geächtet war. Dazu gehörten nach damaliger Anschauung fast
immer auch die Söline, oft Frau und Töchter I). Die wichtige und selbständige
Chronik des Narius berichtet: hoc anno Sigbertus . . bellum contra fratrem
Saum Chilpericum movet, et, cum eum iam inclusum haberet et de eius i n t e r -
f e C t i o n e C O g i t a Y e t, ab hominibus Chilperici per fraudem interfectus est.
Wenn wir annehmen, wozu die ganze Sachlage zwingt, dass Sigbert schon
in Paris iiber Chilperich und seine Familie die Acht ausspreclien liess, so sind
die Worte des Bischofs Germanus durchaus verständlich und berechtigt.
Chilpericli war in Tournai mit seiner Familie eingesclilosseii und Sigbert mit
der Hauptmacht musste bald die Stadt erobern; die Familie war geäclitet: so
begreift sich, dass Fredegunde (ob metum mortis) den eben gebornen Sohn will
umkommen lassen, d. h. sie will ihn lieber gleich umkommen lassen (er ist ja
noch nicht getauft, also ist dic Siinde kleiner) als ihn dann von Sigberts Leuten
misshandelt und getödtet sehcn.
W a r aber der freiwillige Abfall der Untcrthanen von Cliilpericli ein schlim-
mer Treubruch, und war die Annahme eines solchen Angebotes von Sigbert eine
Verletzung des Rechtes, so wurde der Frevel vermehrt durcli die gegen Chil-
+ch ausgesprochene Acht. Die hilflose Lage Chilperich's machte es ja höchst
wahrscheinlich, dass diese Acht vollzogen wurde. E s schien sicher, dass Chil-
perich der Herrschaft beraubt und mit seiner Familie schimpflich getödtet
werden würde. Nach den Anschauungen der Anhänger Chilpcricli's waren es
nur Verratli und Frevel, die diese Gefahr fiir Cliilperich und seine Familie her-
beigeführt hatten. W a r CS da, bei dcn damaligen Anschauungen von Treue,
nicht fast natürlich, dass treue anhängliche Diener sich dem Tode weihten und
- ob von Fredegunde beredet oder nicht, ist fast gleichgiltig - es unter-
nahmen, den Anstifter dieses Frevels und Unheils, den Sigbert, zu tödten, statt
ihren Herrn von jenem tödten zu lassen? Was Sigbert schon gethan hatte und
zu thun vorhatte , war Unrecht; so wurde ihm mit Unrecht vergolten. Chil-
p e r i ~ hund seine Leute durften in dem, was geshah , eine Gerechtigkeit des
~ c l i i c l i ~ asehen.
l~ Fortunat sprach also 5 Jahre nach Chilperichs Errettung
gewiss nur die in Chilperichs Reich gewöhnlichen Ansichten über jene Vorgänge
aus, wenn c r dichtete :

1) TTgl. z. I$. Grcgor 11. Fr. 111 4 'si liiinc iiiterficis, regioiien~ liai~cpari sortc clividcmus' von
Sliiiriiigeii gesagt; daiiii von Spaniel1 gesagt IV 38: inter filios regniim aqualitcr divisit, iiitcrti-
cieris omncs illos, qui (qiios) rcges intcrimerc coiisueverant, non rcliiiqiicns ex cis iniiigentem ad
parictcm.
16 *
WILHELJI NEPER,

45 denique iam c a p i t i valido pendente periclo,


quando ferire habuit, reppulit hora n e cem.
cum retineieris m o r t i s circumdatus armis,
eripuit gladio sors, operante deo.
49 diictus ad extremum remeas de f u n e r e vitae,
u l t i m a quae fuerat, fit tibi prima dies.
noxia dnm cuperent Iiostes tibi bella parare,
pro t e pugnavit fortis in arma fides.
53 prospera iudicium sine te tua Causa peregit,
et rediit proprio celsa cathedra loco.
(In V. 49 ist 'remeas vitae' = redditus es vitae. V. 50 fuerit? V. 52
fides = fidelitas - was in keinen Hexameter oder Pentameter zu )ringen ist -,
nämlich pnerorum).
Man vergleiche jetzt mit diesen Worten des Bortiinat das, was der Sigbert
sonst lobende Gregor 592 iiber die Ermordnng des Sigbert geschrieben hat (IV
51), und man wird Iraum Etwas finden, was den Worten des Fortunat widerspricht.
C h i l p e r i c h s p o l i t i s c h e s V e r h a l t e n n a c h S i g b e r t s Tod. Das,
was Chilpcrich s e i t S i g b e r t s T o d (575) gethan hatte, konnte auch Portunat
nicht abhalten, das zu sagen, was er in dem Panegyricus 580 gesagt h a t ; da
hier doch einmal Chilperichs politisches Verhalten im Allgemeinen zur Sprache
gekommen ist, nehme ich bei der Besprechung die Zeit nach diesem Panegyriciis
bis zur Ermordung Chilperichs, also 580-584, hinzu.
Nachdem der stets von Brunhilde gehetzte Störenfried Sigbert aus dem
Wege war, besetzte Chilperich zuniichst Soissons und Paris, wobei er Brunhilde
noch dimpflich behandelte, dann binnen der niichsten 2 Jahre nach und nach
den ewigen Zankapfel, Aquitanien, wobei er auch einige von Guntram bean-
spruchten Stücke besetzte; er setzte nene Grafen ein iinci nahm das Land in
Verwaltung. Damit war und blieb e r zufrieden. Austrasien und dessen un-
mündigen I<ünig Iiat er auch später nie angegriffen. Wohl aber wurde er zii-
nächst von Austrasien aus angefallen (Brcgor V 3). Guntram liess einen Einfall
in Aquitanien machen (V 13), dann (577) verbündete e r sich mit Austrasien
gegen Chilperich; dem Chilperich wiirde angekündigt, entweder solle e r das be-
setzte Land heraiisgeben oder sich zur Schlacht stellen. Doch Cliilpericli
Irümmerte sich nichts darum und gab den Bewohnern seiner bciden Hauptstädte,
Soissons und Paris, Spiele im Circus (Gregor V 17).
Austrasien und Guntram zankten sich dann um die Hälfte von Btarseille,
welche Guntram besetzt hatte und nicht zurüclrgeben wollte. Schon zur Zeit
unseres Gedichtes, Herbst 580, scheint dieser Zank heftig geworden zii sein
(Gregor V 34 discordantibus regibus et iterum bellum civile parantibus). Nun
hatte ja schon sofort nach Sigberts Tod Briinhild den Sohn dessen gcheirathet,
der ihre Schwester und ihren Mann meuchlerisch sollte haben crmorden lassen
(merkwiirdiger Weise tadelte man dabei nur, dass sie ihren Neffen heirathete
'contra fas legemque canonicam', Gregor V 2): so ist's kein Wunder, dass 581
auch eine austrasische Gesandtschaft und an ihrer Spitze ein Bischof zu diesem
Nero und Herodes kamen, ihm ein Biindniss anboten und sehr freundlich aufge-
nommen wurden; ja Chilperich bezeichnete den Childebert als seinen künftigen
Erben (Gregor 3) ; darauf vertraiiend erklärte nun Austrasien dem Guntram,
entweder müsse e r die Hiilfte von Marseille zuriickgeben oder kämpfen; es kam
„, Kampf und zu schwerer Feindscliaft zwischen Guntram und Austrasien
(Gregor V1 11). Chilperich liess ebenfalls Guntrams Land angreifen; das war
nach dem Biindniss seine Pflicht: aber wie stellt dies der unparteiische Gregor
(vI 12) wieder dar ! : Igitur Chilpericus r e x cernens has discordias inter fratrem
e t ncpotem siium ~ullulare,Desiderinm diicem evocat iubetqne, ut aliquid nequi-
tiae inferat fratri. Im Jahre 582 scheint es nur Streitigkeiten zwischen den
Grenzwachen gegeben zu haben (Gregor V1 19).
Im Jahre 583 kommen wieder, von einem Bischof gefiihrt, austrasische
Gesandte zu Cliilperich lind fordern Rriegshilfe gegen Guntram. Chilperich
thut dann seine Schuldigkeit und zieht ins Feld; gegen ihn riickt Guntrsm,
zwar itotam spem in dci iudicio conlocans', aber doch auch nicht ohnc ein Heer.
Da aber die austrasischen Heerfiihrer nicht licrbei kommen (wie es scheint, nach
der in jenen Zeiten nicht seltenen List, dcn Bundesgenossen allein kämpfen zu
lassen uncl dann doch Tlieil am Gewinn zu beanspruchen), so verträgt sich Chil-
p e r i ~ hmit Giintram (Gregor TI 31, :tiich V11 6). Im Jahre 584 gibt Gilntram
den Austrasiern dic Hälfte von lifarscillc ziiriiclr (Gzcgor V1 33). Natiirlicb ver-
biinden sich die ~ n s t r a s i e rsofort mit Guntram, um dem Chilperich, zuin Dank fiir
die friiher ihnen geleistete Hilfe, Aquitanien wieder zu entreissen. Cllilperich
bringt seinen Schatz nach Cambrai lind sctzt sein Land in Vertheidigungszustand.
Vier Ilonate spiiter wird er ermordet. So schildert Gregor selbst die
nisse von 570-584; natiirlich berichtet e r dabei iiber Pliinderungen der Trup-
pen des Cliilperich, schwcigt von denen der andern. Aber in dieser ganzen Zeit
wird Chilperich zuerst von Guntram angegriffen, nimmt dann ein von Austra-
sien angebotenes Biindniss an, das cr auch hält: e r selbst greift nicht an.
Auch hier ergibt sich also dasselbe: Gregor hat die Schilderung der Per-
sönlichlieit des Chilpericli durchaus entstellt. Gregor von Toiirs mag kein
absichtlicher Fälscher gewesen sein, aber ein bcscliriinliter Kopf war er. Er
nichts Höhcrcs als die Vorrechte der Geistlichkeit und die Recllte der
I<irche und ihres iibergiossen Vermögens. Deswegen hasste er instinlrtiv den
begabten und gcl~ildcten Chilpericli, welcher von den Bischöfen iillum
fcrebat levem, alium snperbum, ill~imabundantem, istum luxuriosum; illum ad-
serebat elatum, hunc tumidiim' lind das nicht ohne Berechtigung; Gregor spricht
„, den Fehlern der Rischöfc zwar mit grosscr Vorsicht: multa . . iniqila . . a
nobis practermittuntiir, 1iC detractorcs fratrum esse videamur (V 5 ) ; allein
V I 2,~ wo es gilt, dic IZilde des frommen Gnntram zu preisen, sind an einer
~ ö ~ i g s t a f gleich
cl 4 armc Siinder von Bischöfen anwesend. Noch mehr hasste
Gregor den Grundsatz des Chilperich, dass der Fiscus regius der Magen des
StaatsBörpers sci lind dass, wenn dieser keine Nahrung empfange, der ganze
Staat schwach werde. Gerade solche einfachen Gemüther, wie das des Gregor,
werden von Abneigung und Hass in ihren Urtheilen viel starlcer beeinflusst.
So hat er, was Chilperich war lind that, mit schwarzen Farben gemalt. In
Wahrheit scheint Chilperich, ebenso wie sein Hauptgegner Sigbert, Fehler wie
Vorziige in ziemlich gleichem Masse besessen zu haben; jedenfalls scheint er
weder als der unbedeutendste noch als der boshafteste unter den Nerowinger-
königen angesellen werden zu dürfen I).
Fortunat hätte also in diesem rascli entstandenen iind für Gregor niitzlichen
Gelegenheitsgedichte den Chilperich ebenso sehr loben diirfen, wie einst den
Charibert oder den Sigbert. Allein in Tours iind Poitiers war man sogar in
den Jahren 575-584 schon für Austrasien mehr eingenommen als für Nenstrien.
Diesen nlangel an Herzlichkeit merlrt man auch in der phrasenhaften Einleitung
und in den phrasenhaften Wendungen V. 77-112 dieses Lobspriiches auf Chil-
perich; warm ist eben nur die Schilderung von Chilperichs ausserster Noth und
wunderbarer Errettung V. 31-64 : also gerade der Theil, welchen man dem
Fortunat a l s niedrigste Schmeichelei angerechnet liat, welcher aber in Wahrheit
nur den wunderbaren Gang des Schiclrsals deutlich malt.

IX 2, wohl als Brief iibersenciet: S. 44 und 21. Der S. 30 angedeutete


Flan ist folgender: i;:i7zZeitu?zg: Durch Adam und Eva lram der Tod auf Erden
V. 1-12; so ist eine Menge gottbegnadeter Jianner gestorben, welche im alten
oder im neuen Testamente geschildert sind (V. 13-34, 35-40), ja Christus selbst
V. 41-44 2); so müssen die JIensc'hen jeden Standes sterben V. 45-52? und wir
selbst, mächtigster König, werden in keiner Weise dem Tod entrinnen lcünnen
V. 53-70. Thenza: also lass dich durch den Tod der beiden Söhne nicht zu
sehr betrüben V. 71/72; Besj1rec7ztcq~:Gott schafft den Nenschen und liisst ihn
sterben, wie es ihm gut scheint V. 73-82. iSlalz~zz~~tc/:
also sei selbst gefasst
und tröste so auch Gattin, Tochter und das Vollr (vgl. Gregor V 34 Ende),
V. 83-98; auch Job und andere haben solche Trauer überwunden V. 99-106.
Trost: ihr seid ja sicher, dass die Icincler selig im Himmel leben V. 107-130.

1) Icli untcrsclieidc also folgende Eigcnscliaften an Grcgors Gcscliiclitswcrk: Etwa seit 673,
den1 Deginn seilies Amtes, liat Gregor Aiifzeicliniingcn gemacht iibcr Ereignisse sciiicr Zcit. Als
Tour$ liingst wieder zum austrasisclicn Iteiclic Cliildcbcrt7s 11 gcliörte, Iiat Grcgor jcric Aiifzcicll-
niirigen ziisammengcschrieben, aber iiicht fertig aiisgcarbeitct, wol~eicr Alles, was Cliilpcrich und
vrcde,nundc betraf, in Scliatten, dsgegcii Sigbert Ilriinliildc Cliildcbcrt I1 und Guntram in Licht
stellte. Seinc Ibcii~scliriftdieses Entwurfes vcrsali Gregor nacli und nacli an den Itinderii iiocli
mit manciierlei lrlcinen (und vielleiclit grösseren) Zusatzen, olinc dicsclbcii stets sogleicli dem Wort-
laiit des Colurnncntcxtcs genau einzuarbeiten. Nacli seinem Tode wurilc das Gcschichtswcrk veröii'ciit-
licht, wobei dicse Randbcmcrkiiiigcn iingescliickt in dcii Coliirnnei~tcxt ciilgcsctzt, aber niclit ciiigc-
passt wurden; bci diesem Umsclircibcn ist aucli ciii gutcr Thcil dcr abscliculiclici~ hIcrowiiigcr-
Orthograpliic in dcn Text gekommen.
2) V. 1-44 Iiat Slieodulf, Consolatio de obitu ciiiiisdam fratris, I'oetac acvi Iiarolini I 477,
nachgeahmt.
DER GELEGENHEITSDICHTER FORTUXAT (IX 2-1 6). 127
ztbfiz Schluss B o f i z z ~ ~ z1b92d
gWu?zsch(V. 131-140) : wie dem Abraham, so kann auch
noch ~achlrommenscliaftwerden (vgl. Gregor V1 23 und 34; V1 41).
I X 3 Brief, vor Ostern 581: S. 21 44.
IX 4 und 5, Grabscliriften: S. 21, 32 (Le Blant I 438 268). no 5 hat als
Akrostichon den Namen Dagobercthus, zahlt also soviel Zeilen als dieser Name
Buchstaben. no 4 zahlt 1 4 Zeilell, zahlt also ebenfalls so viel Zeilen als der
Name Chlodobercthns Buchstaben, aber von Alrro-, Meso- oder Telestichon kann
ich hier keine Spur finden. Zu 5, 4 ostensiis terris vgl. I V 26, 2 monstran-
t u r terris.
I X 6 Begleitbrief zii I X 7, dem bestellten Gedicht in sapphischen Strophen,
das ein Brief ist. I X 7, 50 und die prosaische Nachschrift besagen
wohl, dass Fortunat zuletzt vor etwa 20 Jahren, also um 560, in der Schule in
Ravenna solche griechischen Verse gelesen habe. Welches aber ist das Werk
iiber Netrik, welches Gregor von Toiirs dem Fortunat geliehen hat lind das in
V. 33-62 erwähnt wird? Fortunat nennt es 'codicem farsum tumido cothurno',
V. 41 'disputans multum V a r i a n t e milto quaeque sunt rythmis vel amica me-
tris, Sappliicum quantnm trimetrumve adornet dulcis epodus'; dazu ist's so gross,
dass Fortiinat es nicht Ende liest. Sollte CS das Gedicht des T e r e t i s
11 r ii s de metris gewesen scin ? Der Umfang, der JVeclisel der Blctra, der
miiltu~ anctoriim niimcrns stimmt, aber leider liegen die Verhältnisse zu Be-
weisen iingiinstig. Das iiriss~rst seltene x T o r t miltos findet sicll freilich auch
bei Terentian V. 220 'instai tituli fulgitlula notabo milto7; allein ich verstehe
niclit, was 'variante milto' bei Fortiinat lieisst, wo man 'variante rnetro7 erwar-
t e t ; dann ist das Gedicht des Terentianus jetzt da verstiimmelt, wo unsere
sapphisclie Strophenform (a a a b) behandelt w a r ; von den in 2916-2917 an-
gekiindigten Strophenformen a b , a a b F, a a a b , a a b C, ist in den V. 2920-2981
nicht einmal die erste ganz zu Ende behandelt. I n V. 43/44 'trimetrnm adornet
dLllcis epodus7 scheint Bortunat Metra & la Terentianus 2966 'Nec non trimetro
talem epodum comparat' (vgl. 22G6) zu meinen, nicht jene rythmisclie Strophe,
in $Velcher aiif 3 Senare ein Adonier folgt, ein, so viel mir bekannt ist, erst im
8, ~ ~ h r l i u n d e raiiftaiichendes
t rythmisches Nachbild der sapphiscllen Stroplie;
meinen Ludus de Anticliristo (Bliincliner S i t ~ u n g s b e r i c h t1882)
~ S. 86.
IX 8 Brief. V. 8 = V 12'8 u t velis ore sacro me memor esse tuum : viel-
leicht ist 'memorasse' zu schreiben; vgl. III 26, 8 = I11 28, 1 0 haec qnoque
cnm rclegis, me memorare velis. I X 9 Biscliofslob : S. 10 und 27. IX 10
ßrief: S. 21 und 41. I X 11 12 1 3 Briefe: S. 21. E s ist sellr unsicher, ob
e i i s der 1. Abt von St. Vinccnz gewesen ist, wie seine Vita
~ ~ ~ ~ t o vwirlilich
(soSiPt h1crov 111635) behauptet ; S. oben S. 58. I X 1 4 Erzahlung, jedenfalls
auf Antrieb des Gregor von Tours, dem Fortunat dieses Wunder er-
ziiblt hatte iind welclicr dann wiederum dieses Gedicht citirt in dem 590
Liber in Gloria martyrum 42. I X 15 Lob eines Holzhauses : s. oben
111 7 'Architelrtur bei Fortiinat'.
IX 1 6 wahrscheinlich ein Tisclidanli : S. 44. Gregor V1 20 : eo anno (582)
Chrodinus abiit, vir magnificae bonitatis et pietatis, elimosinarius valde paupe-
rumque refector, profluus ditator ecclesiarum clericoru~n~ue nutritor. Er legte
vollständige Giiter an und schenkte sie armen Bischöfen. 'multa enim et alia
bona de hoc viro audivimus, qune inseqiii longum e s t ; transiit autem aetate
septuagenaria'. Nach 'audivimus' zu schliessen, lebte Chrodin nicht in der Nähe
von Tour% nach Portnnat V. 19 zu schliessen in einer Gcgend, wo Pranlren und
I%otnanell gemischt leben, also z. B. in Paris; denn V. 5 'Itala t e r r a tibi, pariter
(.hrmania ~ l a u d u n t ' kann nur die verschiedenen, sich folgenden Orte seiner
ThätigIreit bezeiclinen (vgl. V11 5, 19-22). Seltsain klingen V. 8-10 :
regibus et patriae qui placituriis eins.
t e t u t o r e m alii n u t r i t o r e m q u e fatentur
et fit certamen de pietate tiia.
Sollten diese niclit zu vcrbindcn sein mit jener selbständigen Nachricht bei
Frcdegar I11 58 und 59: in infantia Sigyberti omnes Austrasii cum elegerint
Chrodinum maiorem domus eo quod esset in cunctis strenuus . ., illc 110c honorem
respuens dicebat 'pacem ego in Auster facere non valeo, maxime omnes primati
ciim liberis in totum Auster mihi consanguinei siint'. . .. Tiinc Chrodini coiisilio
.
nutritum suum . Gogonem rnniorem domus cligunt .. Prospernm haec Gogonem
a d gubernandum fuit, quoadusque Brunecliildem de Spania adduxit. Quem
Brunechildis continuo apud Sigybertiirn fecit odiosum, ipsumque suo instigante
consilio Sigybertus interfecit. Dann I11 88 wird sein Tod nach Gregor berich-
t e t und dazu gefiigt, er habe einst einen grossen Schatz gefunden und diesen
zu seinen Wohlthaten verwendet.
Sigbert war nur 23 Jahre jiinger als Clirodin und brauchte nie einen nutri-
tor. Gogo selbst ist 6 Jahre nach Sigbert gestorben. Aber allerdings hat
Gogo 56516 die Brunhilde aus Spanien geholt und allerdings hat Childebert von
575-584 einen nutritor oder nutritius gehabt, zuerst den Gogo 581, dann den t
Wandalenus. Bei Fredegar sind iifter wcrthvolle Angaben in einem thörichten
Zusammenhang eingeflickt; so diirfen wir hier aus dem gcmeinsamen Zeugniss
des Fortunat und des Prcdegar mit einiger Sicherheit folgcrn, dass Clirodin
wirlilich zuerst 57G der niitritor des fiinfjiihrigen Cliaribert 11. werden sollte
und vielleicht kurze Zcit gewesen ist. V. 17 mitis in alloquio placidus gratus
atqiie modestus: Leo druclrt lgravis', doch eben schon V. 15 hiess es 'nulli gra-
vis'; vielleicht ist 'catus' zu schreiben und zu vgl. V111 21, G pater patriae,
hinc sacer, inde cate (Gregor V. Tours).
Z e h n t e s Ilnch.
Ueber den Inhalt dieses Biichcs, über die Zeit der Heraiisgabe und iiber die
Ordnung oder vielmehr Unordnung der Gcdiclite s. S. 25/2G und S. 69.
X 1 Expositio orationis dominicae: S. 69. X 2 Beileidsbrief in Prosa; 9 vgl.
S. 84 zu I V 28. X 3 Ilrief in Prosa an den austrasischcn Hof in Sachen Rade-
gundens. X 4 Trostbrief in Prosa, im Namen Radegundcns. X 5 ICirchenlob :
S. 50 und 69; dann S. 48 über V. 3-8. X G Rirclienlob: S. G2-G9 ; dann über
V. 89 S. 62 (Note) und S. 81. X 7 Rede an die Fiirsten: S. 22 und G9, beson-
DER GELEGENHEITSDICIITER FORTUXAT (BUCH
IX 16-X 17). 129

ders 8. 45. X 8 Abschiedsrede: S. 22 und 69 und besonders S. 46. X 9


Erzählung: 8. 22 und 69 und besonders 8. 73. X 10 Kirchenlob : S, 50 und 69,
und über V. 3-24 S. 48. X 11 Toast: 8. 22 und 34. X 12 Empfehlungs-
brief: S. 22. X 13 Rundschreiben; vgl. V 18. X 14 Toast: S. 22 und 34.
X 15 Brief. X 16 Brief; V. 12 vgl. X 19, 8.
X17ad S i g o a l d u m comitcm, q u o d p a u p e r e s p r o rege p a v e r i t :
S. 73 und 54.
vielleicht kann ein Verständniss dieses ungemein schwierigen Gedichtcs auf
folgendem Wcge wenigstens angebahnt werden. Dic Bi~zZeitzt~~~ V. 1-20 (18 P)
lobt die ~fildtliätigkeit,welche für das, was sie auf Erden gebe, im Himmel weit
nIebr Die V. (19 ?) 21-42 schildern dcn vorliegenden Fall der llild-
tliätigl;eit, und zwar schcinen die V. (19?) 21-26 :
(Haeanim~tusopc exposccns mcliora tonantis nec dubitante fide, quod deus ist&it,)
pro ~liildcbercthiregis florente salutc, surgat ut in solio, qui fuit altus avo,
fiatut lli:lc iuvcnis validis robustior annis, ceu vigiiit proavns, sic sit in orbc nepos :
ergo famulus Sigoaldus amore fidclis p i t ~ ~ ~ e ~tribiiit,
i b i i s rcgis ut extct apcx
die ~ l ~ g t i g l i edes
i t Sigoald im Allgcrncincn zu schildern: im Namen und lvolil
auf Kosten des Iiönigs Childebert gibt e r dcn Armen Spendeil; so fördert er
das \\rohl des Iiönigs. I n V. 22 scheint nach Charisins (cd. ICcil 11. 552, 18)
solius, ii masc., statt solium gebraucllt sein. Aber Cliildebprt ist 575
I<önig; Iiann da ihm 58617 gewiiilsclit werden (surgat ut in solio'? Fernermag
vorbild ihm Grossvater und Urgrossvater, Clilotar nnd C l ~ l o d ~ i ghingestellt ,
abcr den Vater, den tüclitigen Sigbcrt, dabei nicht zu nennen, Ware eine
~ ~ l ~ i d i g u nSondci.bar
g. ist auch dic Miscliung von p r o a v u s und ilcpos (statt
pronep~~). Unser Gedicht kann nicht vor 587 geschrieben sein ; Faileuba llat
dem Childebcrt vor dem 8. WOV. 587 2 Söhne geboren; das war der Stolz
~ u s t r a s i e n s ,und mit Gliicliwiinscl~cnfiir Cliildcbert werden von Fortunat 7, 61,
8. 21 und 14, 8 Gliiclilviinsclie f ü r die Söhiic verbunden. In ~illnliclicr weise
velit, wie ich glaube, in iinserm, vor dcr Qcburt des 2. Sollncs Theudcricli cnt-
t,
stnndcn~ri,Gcdiclitc X 17 der ~ i c l i t c rvoii dem jetzt regierenden Könige cl1il-
dobert, dem gliiclilicllcn Vater, iibcr auf den liaum 2jiiUrigen Tlleiidericll, den
Solln, dcm gcwiinsclit wird, dass CS dcn Tliron, ilesscn Zierde Sigbert, G ~ ~ ~ ~ -
~ a t e rgcwescn v7ar, erst als I h n in gerciftern Jolircn bcstcigc, indem seincm
~ ~ g r o s s v i ~ tdem e r , lebensltriiftigcn Clilotar, glcicli dessen Enkel d. l1, der
jCtaigc Icünig Clii~dcbcrtsich langcll Lcbcns crfreuc (also: pro Cllildolierti re,.is
a
salute, ut in solio, qui fuit a l t ~ sSigibcrto, surgat Tlieudel>ertus iuvcnis validis
roliustior nnnis: ceu Chlotar v i y i t , sic vigclit in orbo Cliildebertns): um all
(licscn Scgcn fiir die l<öniglicl~eBitmilic zu erreichen, gebe jetzt dessen Comes
sigOn1a den Armcn des 11. Nartiii rciclic Gabcn. Dicscr Sinn, der, von Cliilde-
bcrt nusgcli~nd, über !L'llcudebcrt wicdcr zu Cliildcbert ~ ~ r ü ~ l ~istl ~ ~gc-l ~ ~ t ,
\vinllcn, indcrn statt 'fiat nt' : 'filius' und s t a t t 'liinc hunc liuc liic' : 'lluicl gescllrie-
bcn wird. I s t dicse Erlilärnng richtig, dann ist wohl Sigoald bei der ncuen
I',csctzung Poiticrs als erstcr Comes Austrasiens in dieser Stadt aufgestellt worden,
nl,dlilgii. d. 1.: Oos. d. Wias. zii Göttingen. i'lii1.-List. KI. N. F. Band 4, 6. 17
WILHELM NEPER,

Die folgenden Verse 27-30 schildern eine spezielle Handlung:


Hinc ad DIartini venerandi limina pergens, auxilium domini dum rogat ipse sui,
etdumillucmoderansrex pro regione laborat, ut precibus sanctus liunc iiivet, illiid agit.
Sigoald ist nach Tonrs zur beriihmten Basilica des h. nlartin gezogen und
'illud agit', d. h. panperibus tribiiit, damit der h. Martin bei Gott Fürsprache
für den König einlege, welcher das selbst schon diirch seine fiir jene Gegend
(i 11a pro regione ? = Tours) besonders sorgende Regierung verdient und dessen
Gnade wiederum Sigoald selbst fiir sicli wiinscht (vgl. V. 44). So nur lrann ich
diese Verse verstehen; V. 27 'hinc' ist wohl gleich dem bei Fortunat beliebten
hinc est quod. Nun folgt der lückenhafte Hexameter V. 31:
Deniqne procedens sacra festa tenere pauperibus Christi praebuit ipse dapem.
Die folgenden Ausdrücke 'alimenta refovetur alitnr, catervatim coeuntia milia
paseens' lassen keinen Zweifel, dass es sich jetzt nicht um blosses Almosengeben
handelt, sondern um eine feierliche S p e i s un g von Blinden Lahmen und andern
kranlien Bettlern. In V. 30 erganzte Brower 'procedens cupidns', Leo 'proce-
dens Tnronos'. Mir sind diese Ergänzungen bedenklich; denn was heisst 'sacra
festa t e n e r e ' ? Sonst sagt man 'festa oder sacra agere, celebrare', Fortunat
sagt gern 'colere'. 'Turonos' ist jedenfalls unrichtig ergänzt ; denn Sigoald ist
ja schon mit V. 27 in Toiirs. Wahrscheinlich war ein bestimmtes Pest angege-
ben, wie 'Paschae' oder 'Sancti', womit eben diese Speisung verbundcn wurde.
Wie die Tauben bei S. Dlarco, so haben die Bettler an den beriihmten Wall-
fahrtstätten ihren festen Sitz ; die bleibenden Bettler bildeten eine Genossen-
schaft, deren Nitglieder in eine Liste eingetragen waren (matricula; vgl. auch
Fortiinat, Leben der Radegunde Kap. 17) und einem ~ewohnheitsrecht unter-
standen (vgl. Gregor V. T., Virt. Nart. 1 31). Bei Gregor H. Fr. V11 29 wer-
den die Rechte der Basilika des h. Nartin geschützt von diesen 'matricularii',
dann von 'reliqui pauperes', ferner von den 'energumini ac diversi egeni'. So ist
denlibar, dass der Comes Sigoald im Namen des Königs speziell eine A r t Wall-
fahrt nach Tours macht, dort viel Geld verschenkt und zuletzt, an einem be-
sondern Festtag, die ganze Bettlermasse fcierlichst speist, zu welcher Hauptaction
dies Gedicht bestimmt war. Das 'pasccre' war eine besondere A r t des Almosens ;
so erzählt Gregor Virt. Mart. I1 23 von einem Vinastes, welcher stockblind den-
noch 'habebat in consuetudine adveniens de regione sua ad sancti cellulam (in
Candes bei Tours, wo S. bIartin gestorben war), pauperibus illis alimentum
amplissimum exhiberet vigiliisque devotissime celebratis eos in satictate reficeret,
quorum ipse iuxta possibilitatem tanqnam famulus serviebat'.
In dem ganzen Gedichte wird Sigoald in der 3. Person erwiihnt und nicht
gelobt; also ist es kein an Sigoald gerichteter Brief.
Te Fortunatus, Comes hinc, Sigoalde, salutans, regis ut auxiliiim des melioraprecor.
So lautet der Schluss, V. 43/44, in den Handschriften; docli fehlt in manchen
'ut'. Lco druckte 'regis [ut] auxilio. Das Distichon ist siclicr nur ein Begleit-
billet, sozusagen die Adresse zu dem Packet, welches das Gedicht (V. 1-42) enthielt.
Dazu passt nur der Wunsch, dass des Königs Huld den Sigoald weiter firdcrn
DER GELEGENHEITSDICHTER FORTUNAT (X 17-19, XI und APP. 1). 131

möge. Das geschieht X l G , 11-14, und X 18, G mit andern Worten: hier aber,
in Anlehung an V. 19 'meliora . . dabit' und an V. 28 'auxilium domini dum rogat
ipse sui', mit den Worten V. 44 'regis ut auxilium (tibi) d e t meliora, precor'.
Gerade die abweichende Form dieses Adressen-Distichons zeigt, dass das Gedicht
selbst eigentlich nicht an Sigoald gerichtet ist, sondern irgendwic bei seiner
Arnlenspeisung vorgetragen werden sollte.
X 18 Toast : siehe S. 34; Z U V. 314 vgl. X I 9, 10. X 19 Brief: siehe S. 29.

E l f t e s Buch.
Ueber den Inhalt dieses Buches, über die Zeit der Herausgabe und über die
Ordnung der Gedichte s. S. 27 und G9 und die Bemerliungen zu V I I I 110 5-10.
XI 1 Expositi0 symboli in Prosa : S. 69. X I 2-2G Briefe und Billets.
Zu X I 5 : siclie S. 20. X I 11 S. 32. X I 22a, 1: vgl. V11 14, 27 mox quasi
partiiriens subito me ventre tctendi. X I 25: S. 21 23 27; zu V. 1 und 2
vgl. V1 5, 1 casibus incertis rerum fortuiia rotatur nec figit stabilem pendula
vita graduin. X I 26: S. 21; V. 13-18 vgl. S. G9.

Alq~endix.
I n dem Anliang S. 270-291 liat Lco die Gediclitc zusanimeii gestellt, welche
nur durcli die alte I'nriser lateinisclie Handschrift 13048 erhalten sind (Lco S.
VIII, X V I und XVII ; oben S. 27/28. Diese Gediclitc sind in jener Handsclirift,
einer Auslese, zum Tlieil gcmisclit mit solchen, welclie in den übrigen, die 11
Büclier entlialtenden, Handschriften stehen. Solcher ncuen Gedichte sind es 31;
von diesen standen ursprünglich no 4 siclier iin 7. Buclie zwischen no 19 und 20,
no 5 G 7 siclicr im 10. Buclie, no 10-31 siclicr im Schlusse des 11.Buclies (vgl.
S. 69); no 1 2 3 und 9 standen urspriinglich entweder im G. oder wahrschein-
licher im 8. Buche (vgl. S. 108) ; iio 8 entveder im 4. oder im D. oder 10. Buche.
Als Herausgeber wiirde ich die Gedichte Appendix no 10- 31 da stellen
lassen, wo sie ursprünglich standen und wo sie in der einzigen Handsclirift
stehen, dieselben also als no 27-48 dem 11, Buche beifiigcn; in die Appendix
würde ich nur die Gedichte nclinien, deren urspriingliclie Stellung nicht völlig
sicher ist, d. 11. Appendix no 1-9 (bei Leo). Der Text ist zum Theil noch
recht unsicher.
A p p e n d i x n o 1, gc~vöhnlichgenannt ' d e e x c i d i o T l i o r i i i g i a c ' , das
berühmtestc und bclrannteste Gedicht des Fortunnt ; Brief in Radegundcns Namen :
S. 108. Als 531 das Tliüringer-Reich zerstört wurde, wo Radcgunde mit
ilirem Bruder gefangen ins Fr:inkenl:tnd gefiilirt wurde, sclicint der König Ir-
minfried sieh nocli einige Zeit gehalten zu liaben. Als er dann in Zülpich bei
dem Franlicnlrönig Tlieudcrich nmliam, fioli seine JVittwe Amalabcrga mit iliren
Icindcrn, darunter ein Sohn Amalafrid, zu ilirem Bruder Tlicodaliad, dem König
der Ostgotlieii, nach liavcniia (Prolrop Goth. I 13 7j 6E 'EQELEVE~~QLISOV yvdl &V
zoic n a ~ drpvyoüda n a ~ d@~vfiw'zovzbv d6eAgpbvlXz8wv z~lv~xaüza lip~ovzaqA.21.~).
Als dann 540 Bclisar Ravcnna zur Uebergube zwang, wurde TVittigis mit vielen
17*
132 W I L E I E I A ~NIE P E R ,

vornehmen Gothen und Gothinnen nach Konstantinopel gefiilirt ; unter ihnen be-
fanden sich Amalafrid uni1 seine Schwestern. I n Konstantinopel lebten rlamals
viele gestiirztc Grössen. von denen manche im Circus und sonst mit Siingerinnen
uncl Tänzerinnen wie Tlieodora sich eines pariscr Lebens erfreuten. Amalafrid
aber t r a t in die Fremdtruppen des byzantinischen Reiches ein und genoss offen-
bar Achtung; eine seiner Schwestern wurde die Frau des Gepidenkönigs Aucloin.
Deshalb liam 503 die von Amalafrid befehligte Abtheilung cler Fremdtriippen
dem Langobarclenkönig gegen die Gepiden mirlrlich zu Hilfe, während die andern
Abtheilungen nach der oben S. 125 geschilderten A r t ziiriiclr blieben (Prokop,
(30th. I V 28 ' A p a t a q g i 8 a c , rdt.Soc dvrjp, 'ApailarpgiSqc pEv 9 v y a z p ~ 8 o ü ~z,f g
@svdspiXov Z O ~i ' d t 8 w v ß ~ ( i ~ A idS~Arpljs,~s ' E Q ~ E I ~ 8E ~ Q viOs~ ~ZOGo v@ O Q @ ~ W V
. i j y ~ p ~ ~ ~ p E vOovvm, p B E A L ~ ~ Q~ LE zO' ~ O ~ L Z Z ~ Y2sL ~ LV [ ~ V Z L fOl pV y ~ , ß a ß ~ A & d ~
6b Pwpaiwv Cig~ovzc*!x a t s ß z ~ c i a z o ,lcal z+v adzoü ddeArp+v Azi6ovlv z+ AayyopoiQ8wv
& Q X O V ~ L 1 ~ a t q y y Z ; r p ~ ZOG
. 8E ßtpazoü t 0 6 t o v 0 d 8 ~ i sZ U Q ~ d a y y o ß d p 8 a C ~ @ x E ~ o ,
8th prj 03tos ' A p a A ~ ( r p p i 6Edv ~ ~ zols EZO~E'VOLS).
I n diesen Icriegen ist er nicht nmgclrommen. Denn bei dem ziemlich starken
Verkehr mit Konstantinopel hätte man von einem so angeschcncn Manne, der
nocli dazu der einzige ernsthafte Prätendent für dic Icönigsherrschaft über die
stets nnriihigen Thiiringer war, nntiirlich im Franlrcnlanile F67 schon liingst
Icuilile gehabt, wenn er schon F53 gefallen wiirel). Radegnnde, die vor 531 irn
Hause des Vaters Irminfrid mit ihm gelebt und geliebt hatte, fand als Franken-
königin und clann als Nonnenmutter wohl keine Scliicklichkeit zii einer I<orre-
spondenz; allein sie wciss 567 oder spiiter - denn unser Brief Appendix no 1
ist von F o r t ~ i n a tverfasst, also nicht vor 667 - ganz wohl von dem Feldleben
des Amalafrid :
97 bellica Persidis seu t e Byzantion o ~ t a t
ductor Alexandrac seii regis urbis opcs,
an Hierosolymae resides vicinus ab arte?
I n dem geschiiftlichen Tlieil dieses Briefes bittet Radeguncle den fernen
Vetter, ihr doch zu schreiben. Bitten wirken meisten, wenn der Bittende
ungliicklicli ist ; Bitten um Nachrichten von Andern sind ani besten I,egriindet,
wenn man nach diesen Andern sich heftig sehnt oder auf ihre Thcilna~imcAn-
spruch hat: deshalb lasst Fortunat die Radegiinde ihre Bitte iim Brief lind
Nachricht (V. 157 ffl.) begründen mit der Schilderung ihres Ungliiclics iind ihrer

1) In dem Gcdiclit V111 1 (wo111 ciiies der crstcn, welciics Iiortunat iii I'oiticrs g~scliricljcn
liat s. S. 108) stellt Fortunat sich und dann Radcgunde den Adrcssatcn vor und giht von Iiadc-
gunde an <gcrminc regali pia ricptis IIcrmincfrcdi, cui dc fratrc patris IIamalafrcdus adcst', (1. 11.
Radcgundi dc IIerminefrcdo IIamalafredus adcst. TVeiin 'adcst' die gcwiilinliclic Ilcdciitiing liiittc,
also Arnalafrid 567 im Franlrenland hci Iladcgiindc weilte, dann stüridc das I. (;cdiclit ilcr Appcii-
dix und Alles, was wir von Amalafrid wissen, gcradezii auf dem Ropfc. 'adcst' Iiann Iiicr iiur dic
'
I~edeutuiigdcs cinfaclien lest1 liaben (vgl. Appendix 34, 10) = ~ Z ~ ~ X E Icortiin:it
L . liiinntc aber 5(;7
nicht sagen 'der ltadegundc leljt noch ciii Vctter Amalafrid', wenn man iri I'oiticrs niclit ~iciiilicli
sichere Kunde aiis neuerer Zeit Iiattc, dass Amalafrid wirlclicli nocli in Griccliciilaiid csistirtc.
DhX GELEGENEEITSDICBTER FORTUN AT (APP. 1). 133
Sehnsucht nach ihrem Vetter. Dieses Unglück ist in 3 llassen gegliedert:
1) Heimath und Volli sind mir untergegangen (V. 1-32) ; 2) wir beide, die
wir uns einst so zärtlich liebten (V. 42-64), befinden iins jetzt an entgegen-
gesetzten Theilen der Welt (V. 65-72) und dennoch erhalte ich von dir keiner-
lei Nachricht (V. 73-80), während mich solclies Verlangen nacli dir quiilt, dass
icli über's Neer hin ii'ir in den Orient nachziehen würde, wenn das Kloster mich
nicht einschlösse (V. 81-122); 3) was fast das Schlimmste ist, auch mein
Bruder ist getödtct worden (V. 123-154 I).
Der Inhalt dieses grossen und umfangreichen Tlieiles lag ganz vorzüglich
für das Talent des Fortiinat; Schilderungen des menschlichen Sclimerzes, wie in
I V 26 V1 5 V11 12 I X 2, gelingen ihm sehr gut. Wie die Romanen in Gefiihls-
sachen leicht auf- und iiberwallen, so der echte Romane Fortunat. JVenn der
ruhige Germane Amalafrid dies Gccliclit gelesen liättc, so liättc e r wohl ge-
liicliclt und gedacht, es sei nur gut, dass Radegunde ins Kloster eingeschlossen
sei lind nicht in die Lage- kommen könne, ihre Worte wahr zu machen und iiber
das Neer zu schwimmen oder noch als Leiche sich ihm zu Fiissen zu rollen.
Doch die Schönheiten entschiildigen solche kleinen Excentricitäten.
Wie aber die Romanen nacli starlter Aufregung ungemein rasch wieder
nüchtern und sachlich werden, so folgcn hier kurze, iliircliaiis süchliclie Stiicke:
V. 157 die Ritte, er solle jetzt tndlicli sclircihcn, V. 159 wenn seine Schwestern
noch leben, Griiss und IKiiss fiir sie; dann folgcn clic Verse:
165 iit me commendes Francorum iegibus oro,
qui mc materna sic pietate colunt;
es schliesscn V. lG7 TViinsche, dem Amalafrid möge langes Leben und viel
Ehre beschieden sein lind V. 169 (las Gebct an Cliristus, dass der Brief glück-
lich an sein Ziel komme und eine baldige Antwort erwirke. Was sollen nun
hierzwischen die beiden ausgeschriebenen Verse 165 und 1662 Dass Amalafrid,

1) Icli kailn den Plan des Gcdiclitcs nur so vcrstclicn, dass Fortuiiat 3 Ungliiclrsn~assen ans-
malen lind dic pacl<cndstc und liingstc in clic RIitte nclimen wolltc. Er liiitte auch das Ganze
mehr genctiscli cntwicltcln Iiüiirlen : liättc eucrst ilic cinstigc Liebe scliildcrn können (V. 39-44), dann
das plötzlich einbrcclicndc Verdcrbcii dcr IIeimatli und dcs Volkes V. 1-36; dann den Tod des
I<riiders V. 123-164; endlich liiittc dic Scliildcriing ilcr jetzigen ~vcitciiSrcnriiing und ilirer iinbe-
zmi~igliclicn Sclinsiiclit V. G5-122 cincn gutcn Uebergang zum gcscliiiftliclicn Tlicil V. 157 fn., zii
dcr Bitte um llrief lind Xacliriclit, crgcbcn. Bci (Icr von Fortunat rorgezogcneii Anord~iiingstört
bcsondcrs dic Erwiiliniing des gctöiltctcn Ilruders. Man ahnt gar nicht, dass dicscr Tod schon
l n i n d e ~ t ~ nvor
s 17 Jalircil erfolgt ist, sonilcrii man meint, dies sei das neuestc Ungliiclr, welclies
zunlcist liadcgiindc zu dicscrn Sclircibcii vcraiilasst liabc. Fortuiiat wollte ~valirsclieirilicli die
Scllildcriiiig dcr friiliercn Ilicbe V. 43-44 und der jctzigcn sclin~crzlicheiiTrennung V. 135-128
dcs scli~iien Gcgeilsatzcs Iialbcr niclit trcnnen; dcn Tod des Ilriiders Boiintc er niclit vor der
Scliildcr~ingjcncr einstigen schöncii Zcit bcliandeln ; so ergab sich dic jetzige Ordnung mit ihren
Naclitlicilcii. Ucbrigcns lilngt ILadegiiiidc in iilinliclicr llTcisc Appcndix no 3 V. 5-10 um 'prcs-
sain lianc frincrc gcntcin (= I 1-36), dann 'diilce ruissc gciius' (= I 37-154), doch so dass dic
Zeitfolgc ciiigchaltcri wird: patcr antc cadens, aviiiiculiis indc sccutns (vgl. I 149), dann germanus
npcx (I 123-154), cndlicli ~lInmalafredc,iaccs' (I 37-122).
134 WILIIELDI ~IIEYER,

der griechische Officier und Todfeind der Franken, die seinen Vater getödtet,
sein Reich gestürzt und ihn selbst ins Elend getrieben haben, die Radegunde,
die Franl~enliönigin, ihren eigenen Stiefsöhnen empfelilen soll, ist ein Unsinn.
Leo schlägt vor 'ut t e commendcs': das macht die Saclic nicht besser. Ferner
miisste es doch lieissen 'qui me f i l i a l i pictate colnnt', nicht 'materna'. Ich sellc
nur einen Weg zur Klarheit, dass nämlich 2 Buchstaben gelindert und G r a e -
C O r u m s t a t t Francorum geschrieben werde I). Dann lcommt auch das ganze
Gedicht in einen grössern iind natiirliclien Zusammenhang.
Denn wenn man auch dem aufwallenden Gefühl des Fortunat Vielcs iincli-
sehen mag, so fragt man doch mit Vcrwiinderiing : j a , wenn die Sehnsiicht der
Radegunde nacli ihrem Vetter so gross ist und war, warum hat sie denn in den
mindestens 36 Jahren scit der Trennung oder in clcn mindestens 18 Jahren scit
dem Tode ihres Bruders nie einen ähnliclien ]:rief nach ihm ausgesendet? Liegt
denn jetzt eine besondere Veranlassung vor? Allerdings ergab sich eiiic solche
bald, nachdem Fortunat nacli Poitiers gekommen war. Die reliquiensiichtige
Radegunde machte den Versuch bei Justin und Sophia, dem Kaiserpaar in Ron-
stantinopel, ein Stiiclrclien clcs 11. ICreiizcs zu erlangen. Das war cinc Staats-
action welche besonders die Nonnc Baudonivia Kap. 16 und 17 scliildcrt (oben
S. 100/1). Der Iiijnig Sigbcrt - also begzuin das Unternelimcn bG8 oder spliter -
schrieb selbst nach Konstantinopel Radcguildc nbcr bcstcllte den Abgesandten
Reovales und bestritt die Kosten. Nachdem Jiistin und Sophia die Bitte er-
füllt hatten, scliiclite Radegunde zum 2. Nale den Abgesandten nach Iconstan-
tiilopel mit einem bescheidenen Gegcngcschenlc und mit dem Dankgediclite (Ap-
pendix no 2). Wenn je eine giinstige Gelegenheit w a r , mit il-irem Vetter,
dem General in griechischen Diensten, wieder in Verbindung zu lcommen, so
war es diese, wo der Frankenlcönig und Radegunde in direlite Verhandlungen
mit dem griechischen Hofe traten. So wird zunächst das Distichon
u t me commcndes G r a e c o r i i m r c g i b i i s oro,
qui mc matcrna sic pietatc colunt,
lebendig. Justin und SoPhia werden frcilicli in dcm folgenden, hoch officicllcn
Gedichte mit 'Augusti', auch mit 'princepd und, so weit dcr Vers gestattet, mit
Formen von 'impcro' angeredet: allein hier gciiiigt es, sie mit der Ucbcrsctzung
von ßaß~A.~Lszu bczeiclinen. Iciinig und Iiönigin lieissen aber aiich im 10. Biicllo
iifter rcgcs oder regna. Das Distichon scliliesst also den gcscliiftliclicri Tlicil
des 13ricfes gut a b ; in matern;^ pietate me colunt' ist der Danlt für dies Ge-
sclienk clcr ICreuzpartikel angcdcutet.

1) I~cidcrist der Text dcs Gediclitcs sclilcclit iil~crlicfcrtiiiicl an zicnilicll viclcn Stcllcii noch
unverstiindlicli. So ist z . 11. V. 91 zii sclircil~cii: ast cgo pro vobis inoniciita pcr oniiiin ~)cndciis
vix l l o r a c spatio incntc quictc friior statt vix curnc spntio : qiiictc ist Ad,jcl<tiv, wie l'risciaii 'iiicii-
tem quictcn~'citirt; vgl. noch III 3 8 ncc iiiiiiis Iiorac spntio. V. 131 qiii spcrnis vitnc flctus,
J
lacrirnatus Iiiimarcs: pcohi, vivac fictus. in V. 128 ntquc itcriim pntior, duiii Incrilllaiida iocliior
i s t lacrinianda = lacrimnbunda; vgl. V11 18, 7 l~ractcreundiisabit = l)ractcriciis; 1 10, 10 plcbs
vencranda.
DER QELEQEXIIEITSDICUTM FORTUNAT (APP. 1 und 2). 135
p p e n d i X n o 2 : Dankbrief in Radegundens Namen. Die Gelegenheit
dieses Gedichtes, welches Reovales nach I<onstantinopel brachte, habe ich eben
geschildert. I n Konstantinopel spielte die lateinische Sprache noch eine grosse
Rolle und in denselben Jahren, in denen dies Gedicht entstand, dichtete der
begabte Coripp sein Lob des Justin und der Sophia. Fortunat musste sich also
anstrengen, um in dem damaligen centrum der feinen Bildung mit Ehren auf-
ziltreten. Er suchte diese Kunst merkwiirdiger Weise in der s t r 0 p h i s h e n
A~ 1a g e seines Gedichtes ; solche stropliische Anlage habe ich bei Fortunat
iiberhaupt selten gefunden (s. zu X 6 , S. 66), niemals in solcher Ausbildung.
Von den genau 50 Distichen sind 25 an Justin, 25 an Sophia gerichtet ; wie-
derum zerfitllt jeder der gleichen Haupttheile in die entsprechenden gleichen
Abtheilungen, nemlich a) 5 Distichen f 1 Disticlion (Refrain) ; b) 4 Distichen
+
+ 1 Distichon (Refrain); C) 1 3 Distichen I Distichon (Refrain) : also V. 1-10
+ Refr. = 51-60 4- Refr.; V. 13-20 +
Refr. = 63-70 + Refr.; V. 23-48
+ Refr. = 73-98 + Rcfr. Das Refraindistichon des ersten Haiipttheils auf
Justin ist 3 Mal dasselbe; im zweiten Hauptthcil wicderholt sich der Refrain
fiir Sophia nur 2 Mal, aber der Pentameter des Distichons, welclies diesen Theil
beginnt, ist &ich dem Pentameter des Refrains, also V. 52 = G2 = 72; das
letzte Refraindistichon , welches das Gedicht abschliesst, ist fiir beide Fürst-
lichkeiten eingerichtet.
Der I n 11a l t ist bestimmt durch die Verhültnissc : dic Nonne bedankt sich
fiir ein Reliquiengeschenk. Der Schwestersohn des Justinian war kein Kriegs-
held ; er plagte sich hauptsächlich, die Glaubensstreitigkeiten beizulegen, welche
Justinian noch in seinen alten Tagen in der Christenheit zu erregen fiir gut
befunden hatte. Aus dem 3Ieere der nrianischen germanischen Welt ragte der
Fels der katholischen Franlien so auffallend hervor, dass sie gerade hierdurch
den Byzantinern am meisten empfohlen waren. Dcsshalb ist die Einleitung das
Bckcnntniss des katholischen Trinitäts-Glaubens, worin hauptsächlich die Tren-
nung von den Arianern beruhte1).
V. 25 (reddite vota dco, quoniam n o V a p u r p u r a, quidquid concilium sta-
tuit Calchedonense, tenet' kann doch nur besagen : preiset Gott, weil d e r n e u e
H e r r s C 11 e r ebenfalls festliält an den Beschlüssen des Concils von Chalcedon
(a. h. vielmehr an denen des Concils von Konstantinopel 553; gerade die Gegner
der 3 Icapitel hielten an den Beschlüssen des Concils von Chalcedon fest und
meinten ebenciesswegen die 3 Sätze des Concils von Konstantinopel als nicht
blass eigiinzende ,. sondern widersprechende abweisen zu müssen). Da Justin
Ende 565 zur Regierung kam, so erhellt, dass dies Gedicht möglichst nahe an
568, Jen Beginn der Herrscliaft des Sigbert über Poitiers, heran gerückt wer-
den muss. W i r diirfen also die Erwerbung * der KreuzPartikel und damit die
Gedichte Appendix 1, unser Gedicht und Appendix 3 in das Jahr 569 verlegen.

1) V. 63 Quac loca sancta pia fix0 colit ornat amorc: pio affectii colit? vgl. z. B. I11 14, 7:
qiios scmcl adfcctu adstringis pictatc paterna.
A p p e n d i x n o 3: Brief in Radegundens Namen. Nach dl dem vielen
Leid, das ich a n meinem Volk und meinem Gesclileclite erlcbt Iiabe, wird d e r
letzte Verwandte mir jetzt auch als gestorben gemcldct. Dir, lieber Neffe A r -
trichis, meldc ich das ; sei mit deiner 3Iutter mir in Licbc, was einst jener mir war,
und sende mir oft Botschaft ins Kloster. D e r Anlzündignng des neuesten Un-
glückes : 11 omnibtis extinctis (heu viscera dnra dolcntis),
qui super unus eras, Hamalafredc, iaces,
folgen die auffallenden Vcrse 13-24 :
1 3 sie Raclegnndis enim post tcmpora longa reqniror?
pertulit hacc tristi pagina vcstra loqiii?
15 tale venirc diu cxpcctavi munus amantis
militiaequc tuac lianc milli mittis opcm?
1 7 dirigis ista meo nnnc serica vcllera pcnso,
iit, dum fila traho, soler amore soror ?
19 siccine consuluit valido t u a cura dolori?
primus c t extrcmus nuntius ista darct ?
21 nos aliter lacrimis per vota cucurrimus amplis?
non erat optnnti dulcia amara dari.
23 anxia sollicito torqucbar pectora scnsu:
t a n t a animi fcbris his recrcatur aynis ?
W a s sollen diese 'pagina vestra', 'militiac ops', 'serica vellera' ? : liat Amalafrid
vor seinem Tode noch Gaben fiir scinc Scliwcstcr liergcriclitet ? D a s ist nach
dem ganzen Zusammenllang unmöglich. W i r habcn vielmehr hier eine sehr
kühne Redewendung vor uns, welcller ich micli aus einem andern Schriftsteller
nic]it ähnlicli erinnern kann. In dem Gedicht iiber Gelcsuintha's Tod (VI 5)
kommtdie Todcskunde zu der Schwester 13rnnhilde; dicse lässt Fortunat ihrc
Klage also bcginncn :
283 Hanc, rogo, gcrmanac misisti, cara, saliltcm?
scripta tuis digitis hoc milli carta rcfert?
Das ist bitterste lronic ilcs Schmerzes und will sagcn: liomnit mir dicsc Todcs-
botscliaft stutt eines von dir gesandten Grusses und s t a t t cincs von dcincr Hand
geschriebcncn Briefes, die ic!i liingst erwnrtcn durfte ? Ebenso sind hier die
Verse 13-18 zii rei.stelicn : clicse Todesbotscliaft erhalte ich ctlso s t a t t
J3csuclies eines Briefes von d i r , s t a t t cincs Gcsclicnltcs oder eines Stficlics
aus deiner ICriegsbeutc, s t a t t eines ICnZucls roher Scidc, bei dcrcn Al>liilsl)cliing
jeder Faden mich a n dich erinnert I i ä t t ~ : Iitutci. ( h b c n , W C ~ C ~ich
C (auf mcincn
Brief; App. no 1) von dir erwarten tlnrftc.
Proliol) Goth. I V 17 (Pcrsilta I 20) bcrichtet, wic in Jiistiniaii's Zeitcn
zuerst Ziiclit der Seidcnwiirnicr iiriil dtirnit ilic H6rstellung cicr Rolisciclc
.ciiircli llijnche aus Serinda ins byzantinisclic Itcicli verpflanzt worcicri ist.
I<näuel rolicr, nnvcrarbcitctcr Sciclc \v:trcri also in jcncr Zeit cinc byzantiiiisclle
Spezialität und Ztarität uncl dam:ils, WO s c l b ~ tdic vornclimstcii Damcn sicli m i t
\vcben, Sticl;cri und anilcrn Handarbeiten sclir viel bcscliüftigtcri , ciiic fciiic
DER OELEGENIIEITSDICRTER FORTUNAT (APP. 3 bis 7). 137
Gabe, besonders aber fiir eine Nonne nach der Regel von Arles, welche sehr
viel spinnen musste; als nach dem Begräbniss der Radcgunde die Nonnen die
leere Zelle betreten, ruft die Aebtissin (Gregor, Gloria confessorum 104): ecce
fusa, in quis per longa ieiunia et profluas lacrimas nere erat solita: et almi
sanctitate digiti non cernuntur !
V. 21 flg. miissen den Sinn haben: ganz Anderes habe ich unter vielen Sehn-
suchtsthränen in meinen Wünschen mir ausgemalt; nicht war es mein Wunsch,
dass m i r , die icli Siisses wünschte, Bitteres gegeben werde. Also ist zu inter-
p n g i r e n i a m p l i ~ :non'. V. 42 nunc dominus tribuat vobis felicibus ut sit
praesens larga salns, illa futura decus : es muss wohl licissen 'vita futura, decusl.
Wer ist aber der A r t Ac h i s, an den dieser Brief mit der Trauerbotschaft
gerichtet i s t ? Gewöhnlich sagt man, e r sei ein Sohn einer der Schwestern des
~ ~ a l a f r ioderd gar des Amalafrid selbst gewesen. Das ist unmöglich; denn
dann miisstc er in Grieclienland wohnen. Aber dieser Artachis muss mit seiner
nIutter (cum matre pia) in C*nllien wolinen und zwar nicht sehr weit von Rade-
Er hat sie friilier wohl öfter besucht (care alumne); jetzt soll er als
letzter des Geschlechtes recht oft Boten ins I<loster scnden (37 me monasterio
rnissis saepe requiras) und dem Icloster seincn Beistand angedeihen lassen, man
sielit nicht, ob durcli Tliat oder durch Gebet (38 vestro auxilio stet locns iste
&o). Deutlich nennt ihn Radegunde 'care nepos', d. 11. bei Fortunat in der
Regel 'Neffe, Bruderssohn'. Wenn Artacliis d e r S o h n i h r C s um 550 in Franli-
=eicli getödteten B r u d e r s i s t , dann ist Alles klar. Ich habe frülier (S. 93/04)
Gründe angefiilirt, ~vesslialbdiesem Bruder bei seiner Tödtung doch schon ziem-
liches Jiinplingsalter zugesproclien werden muss; ferner lieiratheten manche
Vornehmen ausserordentlich früli: 075 ist ICönig Childebert 5 Jahre alt und
587 (Gregor IX 4) Iiat e r schon 2 Kinder. E s ist wahr, die Tödtung seines
Vaters würde in V. 9/10 dem Soline gegenüber nur troclren erwälint sein:
9 restitcrat germanns apex, sed Sorte nefanda
me pariter tumulo prcssit liarena suo.
Aber erstlich eilt in dieser Einleitung Radeguride zur B e s ~ ~ r e ~ l ~[lesu n gAmala-
frid; zweitens ist es möglich und ~vahrsclieinlich, dass des Bruders Frau eine
vornehme Frankin war und dass der Sohn sich mit den fräiikischen Verhält-
nissen vollkommen ausgesölint hatte, dass man also in diesem Hause von der
Tödtung des Vaters niclit gern spracli.
A p p e n d i x n o 4 Brief: stand iirspriinglich zwischen VII 19 und V11 20.
A p p e n d i X n o 5 G 7 Empfehlurigsbriefe. Da diese 3 Briefe gerichtet
sind an den Icöiiig Cliildebert nnd :in die Icönigin Brunhilde iind, da dabei die
Verlobung der Clilodosinda mit Reccarcd erwähnt wird, so stehen sie mit den
Gediclitcn no 7 8 und 9 des X. Buclics in ganz engem Zusammenliang und sind
.wnlirsclieinlicli kurz nach jener Reise des Eortunat vom Jalir 588 geschrieben.
Diesc 3 13riefe Iiatten also die Herausgeber des Naclilasses sicher ebenfalls iii
jenes 10. Bucli gestellt.
Z u n o 5: Die ersten 10 Verse sind bis zum Ueberrnass alliterirend, so
Ablidlgn. d. li. (;OS. d. I V l b q . 211 Gdttingen 1'liil.-liist. KI. N. P. Band 4,s. 18
138 WILHELN NEYER,

V. 1 rex regionis apex e t supra regna regimen und noch V. 10 florum flos
florens florea flore fluens; es sind zwar meistens Ableitungen von demselben
Stammwort, aber immerhin ist dies ein festes Beispiel, dass die A 11i t e r a -
t i o n ein anerbannter Schmuck der Poesie war. Sonst finden sich in den Ge-
dichten des Fortunat ausserordentlich viele Falle von Alliteration, von denen
im Index in Leo's Ausgabe unter cumulatio und unter alliteratio wenige er-
wähnt sind. Dazu kommt die P r os a, z. B. der Schluss des Lebens der Rade-
gunde 'qua pietate parcitate, dilectione dulcedine, liumilitate honestate, fide
fervore sic vixerit'. Fortunat war ein Italiener und das noch in Ravenna ver-
fasste Gedieht I 1 hat schon starke Alliterationen : Vitalem voluit vocitare
vetustas, digna deo est aedificata domns, culmen cui culmina condis, dazu viele
einfacheren. Fortunat hat also nicht die Formen einheimischer germanischer
(d. h. ostgothischer) alliterirender Dichtung nachgemacht. Nehmen wir dazn den
Grammatiker Virgilius ATaro, der im 6. Jahrhundert in Südfrankreich lebte,
jedenfalls kein Angelsachse war und folgende Wörter geschrieben h a t , welche
einst richtig emendirt wohl noch mehr Alliteration ergeben werden als jetzt:
Epistol. 8, 2 vatum personet p n t i c u m ponto ex natum riaturo naturum naturam
nataturo: terni terna flumen fontes fronda ex una undatim daturi sepna semper
atur aspirannis perennis rectis r e perque tura toregmatis magna dei decies dena
dilfensum . . . leto lectisque lux oro suis solim in trono trino Uno omni piaesim
potente deo digna regna regnaturo torii per cuncta cunctorum aeterno aevo
efandi secula. Demnach muss zugegeben werden, dass auch in r o ni a n i s C h e n
L ä n d e r n im 6. Jahrhundert die Alliteration als Schmuck der Dichtung wie
der Prosa, also ähnlich wie der Reim, bekannt war und von Blanchen mit vollem
Bewusstsein angewendet worden ist. Die Anwendnng der Alliteration ist also
nicht germanischen Ursprungs und, wenn sie von deutschen Stammen als Zier-
rath oder gesetzmiissige Eigenschaft der Dichtungen verwendet worden i s t , so
haben die deutschen Dichter hierin die ihnen voran gehende lateinische Dichtung
nachgeahmt, wie sie dies nach 800 mit dem Reim und mit dein Achtsilber ge-
than haben. Die lateinischen Dichter der Angelsachsen haben sehr viele Alli-
teration , die Karolingischen Dichter weniger ; nur das Gedicht des jiingern
Hincmar, Poetae aevi Rarol. I11 S. 416 no V11 fällt dadurch auf, dass von den
20 Versen nur einer ohne Alliteration ist. Eine ganz andere Frage ist,
wann zuerst von den Lateinern die Alliteration als regelmässiger Zicrrath der
Dichtung und Prosa angewendet worden ist.
A p p e ri d i x n o 8 : Grabschrift, die einst im 4. oder im 9. oder 10. Bucli
stand. Nectarius , Proculo genitore : vgl. zu Baudoriivia Kap. 7 'I'roculum
sunm (Radegiindis) agentem' die Note I<ruschls : Nectarii, filii Prociili cuiiisdam,
epitaphium Fortunatus App. 8 condidit.
AP P e n d i X n o 9 : Begleitbrief im Namen Radegundens : S. 112 (Note).
Dieses schwierige Gedicht begleitet eine Sendung von Acpfeln und vor1 Austcrii.
Die Einleitung spielt mit dem Gedanlren, dass diese von einem Weibe gcscn-
deten Aepfel nicht scktden, wie der von Eva im Paradiese gcgebenc Urahn
dieser Aepfel. Der Empf:inger N. solle seinem Bruder die Wahl lassen zwi-
schen den Aepfeln oder Austern. Dagaulf solle sein Bier trinken (cervesia
tristis faece turbida: vgl. Vita Radegundis Kap. 15 vini puritatem aut medi
aecoctionem cervisaeque turbidinem) , Dracco mögc Wein trinlren: dies müssen
also nahe Verwandte sein. RIit V. 21 wendet Radegunde sich nun direkter
an den Adressaten N., desscn Frau Papiana und dessen Tochter. Der N. muss
sein, einen wichtigen Schritt zu thun. Wahrscheinlicli will e r
Bischof werden; denn nur dann hat die Afalinung Sinn: 'salutetur Papiana;
capias sic (es ist wohl si zzc scl~reihen)muncra Christi, ne tibi post uxor, sed sit
honest% soror'. Das ist ja der gewöhnliche Ausdruck für Bischofsfrauen; vgl.
Z , B. I 15, 94 'quae tibi tunc coniunx, cst. modo cara soror'. N. wird gemahnt:
constanti voto perfice, quod bcnc placuit 2szd cape caelcstes opes. In einem
Bischofshaus lronnte damals eine Frau gedacht werden, abcr niclit eine heiraths-
fsliige Tochter : diese muss fort. Dem Nädchen wurde also wahrscheinlich von
Radegunde und Agnes eine Absclirift (des Circiilars V111 4 gescliickt, die Eltern
von Radegunde und Agnes gemahnt:
35 per dominum votis utracqiic rogamus utrumqne,
detur u t in nostro filia vcstra sinu.
officio vcstro ad nos migret cura parentum,
vos generando utero, nos refovcndo sinu.
Die hier angesprochene Familie ist also Iiöchst wahrsclleinlich die Familie eines vor-
nelimen höliern Beamten, der wie so viele in scinen spätern Jahren Bischof wer-
den will; diese mit Radegiindc wohl bckannte Familie muss in oder nahe bei Poi-
tiers gewohnt haben; denn Aepfcl und Austern vertrugen damals keinen weiten
Transport; vgl. noch I V 26. Eine Tochter zu Radegunde zii gcbcn, war fiir El-
tern eine ernste Sache, da sie auf immcr eingeschlossen bleiben sollte, während
sonst solche Jiingfrauenklöstcr die Stelle der heutigen Pensionate vertraten.
d p e n d i x n o 10-31, Billcts an Radegiznde und Agnes, waren ursprüng-
lich die Fortsetzung zu XI 26 ; CS gilt also fiir diese Gedichte, wie für das
ganze Buch XI, was S. G9 lind zii V111 no 5-10 gesagt ist, dass man erstens
die Regel des I<lostcrs kennen miiss, um die Gediclite zii verstellen, und dass
man zweitens, um diese Gedichte richtig zii beurtheilen, wissen muss, dass nicht
Jj'ortunat selbst sie vcrijffentlicht liat. App. 11 Br~clistiicl;~eines Gediclites:
S. 69. App. 22: vgl. S. 23 27. App. 23: Gedanlre und einzelne Worte
der Einlcitirng lierührcn sich mit dem Anfang von V1 5. App. 29: vg]. 11126.
Die Situation ist gcgcbcn durch die Versc : 1 Pcrgimiis inclusas 8 giirgite Cer-
ncrc terras, qua Vagus O c e a n u s feitquc refertque vices z t ~ ~ tV. i 13 cernere
.
vos lactas mcrcar, . cunl venit excclsi c c n a bcata dei: also genau dieselben
Vcrh~ltnissc, welche C*rcgor H. F r . V111 43 malt: ersilt Co tempere dies qua-
driigcsirnae sanctae e t c1)iscopus (von Saintes , Palladius) in i n s u l a maris ora-
tionis Causa scccsscrat ; secundiim consuetiidinem autem dum ad dominicae c a e n a e
festn ad ccclcsiam suam populo cxpectante rcdiret . .. Um so lebliafter war in
diescn Zcitcn der Ostcrjubel. App. 34 13ischofslob, nur erlialten in der Vita
BIagncrici des Abtes Elicrwin; s. S. 11 und 40.
140 V I L H E L 11 11 E Y E R , DER GELEGENBEITSDICIITER FORTUNAT (UEDERSICIIT).

Einleitung S. 3-5 (Fortunat's und Gregor's von Tours Textüberlieferang


und Sprache).
IFortunatsLebenimFranlienreichS.6-30: zurChronologie
der Ereignisse im Franlienland 566-570 S. 6-8; Reise aus Italien nach Poitiers
S. 9-16; Leben U. Dichten in Poitiers 567-576 S. 17-21, spiiter S. 21-23;
Veröffentlichung der Heiligenleben S. 23 und die verschicdcnen Sammlungen
und Ausgaben der Gedichte S. 23-30.
11 Die Gattungen der Gedichte (Hymnen Grabschriften Briefe S.31/32), be-
sonders die R c d e g e d i C h t e S. 30-73 : Toaste S. 34; Paare von Festgedichten
S. 35/39, vgl. S. 54/55; Bischofslob S. 39/41 ; Lob fromrncr Prauen S. 42 ; Herren-
lob 8. 42/44; Königslob 8.44146; Kirchcnlob S.47153 U. Aehnlichcs S. 54/71 (bes,
II 10 de ecclesia Parisiaca S. 56/62 U. X C> ad ccclesiam Toronicam S. 62/68; Her-
ausgabe des 10. U. 11.Buches S. G9 ; Lob von Villen, Giirtcn, Wasserban S.70171) ;
Erziihlungen S. 72/73.
I11 Bemerkungen und Riiclmeise zu den e i n z e 1n c n G e'd i C 11t e n : zu
Buch I-V11 S. 73-90. Leben der h. R a d e g u n d e S. 91-108. Bcnier-
kungen und Rüclrwcisc zu Ruch VTII S. 108-1 13. C h i 1 p e r i ch' s Persön-
lichkeit und politische Laufbalin S. 113-126. Bemerltungen und Riicliwcise zu
Buch IX X X I und zur Appendix S. 126-139.
G r e g o r v o n T o u r s : Entstehung und Ueberlieferung seiner Gescliichte
S. 126 (Note); Sprache und Ucberlicferung S. 3-5; Stil S. 1 9 ; politischer Stand-
punkt, besonders gegenüber Chilperich, S. 116 12516. Einzclne Stellen: S. 6
(Note): über Rist. Franc. V 48; S.85: H. Fr. V 1 1 ; 8.97: H. Fr. IX 39;
S. 98-100: H. Fr. IX 42 ; S. 101/2 : H. Fr. IX 40 ; S. 117: H. Fr. V 1 46
(Note : I V 28) ; S. 12113 : H. Fr. I V 51. F r c d e g a r : S. 121. 128. Vita
Radegundis von F o r t U n a t S. 91 (Eintheilung) und von B a n d o n i V i a S. 92
(Eintheilung). G i s 1 e m a r' s Vita ~ r o c t o v e iS: 58/G9. Des Bischofs G C r-
... m s n u s Frciheitsbrief von 566 fiir St. Vinccnz in Paris : S. 56/57 (Note).
Rythniisclic I n s C li r i f t in Coutanccs von C. 680 : S. 52. Tercntianus
de mctris (?): S. 127.
Thaten der Franlicnköxiige 566-570: S. 6-8. Geburt des Cliaribcrt
Guntrürn Chilpeiich U. Sigbert: S. 119 (Note). Cliilperich's politische Laufbahn
S. 119-125. Sigbert's Tod S. 122. Radcgundens Lcben S. 93-102. Thüringer
Königssöhne S. 131/2 und S. 94 11. 137. P o i t i c r s : Oratorium 11. Basilica
s. nlariac, Basilica s. Itadegnndis, Monasterium s. Crucis S. 10317. T o U 1 o U s c (in
Sigbcrt's Reich) : S. 76. Arcliitclitiir (Untcrscliicd von Basilic;~und Ecclesia,
nach Le Blant) S. 79/81 Alliteration S. 138 und 5.

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