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Werner Heisenberg
2. Auflage
Mit 39 Abbildungen und 6 Tabellen
III
Gebiet der Physik. Freilich hat dieses Verfahrefr seine natür-
lichen Grenzen, und für ein tieferes Verständnis der Zusammen-
hänge ist ihre mathematische Darstellung unerläßlich. Für ein
in dieser Weise gründliches Studium der Kernphysik gibt es
aber bereits andere, sehr gute Darstellungen in Buchform. Erst
der vorletzte Vortrag schildert die technischen Hilfsmittel der
Kernphysik, und der letzte gibt eine Ubersicht über die bis-
herigen praktischen Anwendungen. Es braucht wohl kaum her-
vorgehoben zu werden, daß hier erst der Anfang einer viel-
leicht einmal sehr bedeutenden technischen Entwicklung ge-
schildert wird.
Mein Dank gebührt in erster Linie Herrn Professor Westphal
für die große Mühe, die er mit der Ausarbeitung des Textes
auf sich genummen hat, ferner Frau Dr. Jörges für die unermüd-
liche Hilfe bei den allgemeinen Vorarbeiten, bei der Herstellung
der Tabellen, der Abbildungen usw. und schließlich dem Verlag
für die - bei aller Ungunst der Zeiten - schnelle, sorgfältige
und verständnisvolle Mitarbeit.
Be r I i n - D a h I e m , Juni 1943.
W. Heisenberg.
Vor wo r t zur z w e i te n Au fl a ge
Gegenüber der ersten Auflage sind nur. wenige Anderungen
vergenommen worden. Herrn O. Hahn bin ich für einige Ver·
besserungsvorschläge zu großem Dank verpflichtet.
Be tl i n - D a h I e m, September 1944.
W. Heisenberg.
IV
Inhal tsverzeichnis
Seite
E r s t e r Vor t rag: Die Atomtheorie vom Altertum bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts 1
1. Materie und Atome in der antiken Philosophie. 1
2. Die neuzeitliche Atomlehre bis zum Ende des 19. Jahr-
hunderts' . 4
v
Sie ben t e r Vor t rag: Die technischen Hilfsmittel der Kern-
physik . . . . . 133
1. Die Nacllweisverfahren. . . 133
2. Die Verfahren zur Kernumwandlung. 141
TabellelJ. J. Tl V . 169-175
Tab elle n HI, IVa, IVb am Schluß des Buches
Namenverzeichnis 178
Sachverzeichnis. 179
VI
Erster Vortrag
Die Atomtheorie
vom Altertum bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
1. Materie und Atome in der antiken Philosophie
Die Physik der Atomkerne ist eines der jüngsten Gebiete
der Physik. Vor gut dreißig Jahren ist das Wort Atomkern
zum ersten Male durch Rutherford ausgesprochen worden, und
eine eingehende Kenntnis von den Atomkernen besitzt man erst
seit etwa einem Jahrzehnt. Aber die Vorstellung vom atomaren
Aufbau der Materie selbst, also die Annahme, daß es kleinste
unteilbare Bausteine geben müsse, aus denen alle Materie zu-
sammengesetzt sei, geht schon auf die antike Philosophie zu-
rück; sie ist vor zweieinhalb Jahrtausenden von griechischen
Philosophen gewagt worden. Wer die moderne Atomtheorie
verstehen will, der tut gut daran, einen Blick zu werfen auf die
Geschichte der Atomvorstellung, um in ihr die Wurzeln jener
Gedanken kennenzulernen, die in der modernen Physik zur Ent-
faltung gekommen sind~ Deshalb soll den folgenden Vorträgen,
die sich die Schilderung der Physik der Atomkerne zum Ziel
setzen, eine kurze Ubersicht über die Geschichte der Atomlehte
vorangestellt werden.
Der Gedanke an unteilbare kleinste Grundeinheiten alles
Stofflichen ist entstanden im Zusammenhang mit der Entwick-
lung der Begriffe Materie, Sein. und Werden, die der ersten
Epoche der griechischen Philosophie das Gepräge gegeben hat.
Am Anfang der antiken Philosophie steht das merkwürdige
Wort des Thales, der im 6. Jahrhundert VE>r der Zeitwende in
Milet gelebt hat, daß das Wasser der Ursprung aller Dinge sei.
In diesem Satz stecken, wie Friedrich Nietzsche ausgeführt hat,
drei entscheidende Grundgedanken der Philosophie: Erstens die
Frage nach dem Ursprung aller Dinge; dann die Forderung, daß
diese Frage verstandesmäßig, also ohne 'Mythos, beantwortet
werden solle - es war für das damalige Denken keine nahe-
liegende Vorstellung, daß der Ursprung der Dinge in etwas
Materiellem, dem Wasser, und nicht im Leben gesucht werden
sone - ; drittens die Erkenntnis, daß es möglich sein müsse, die
Welt letzten Endes aus einem einheitlichen Prinzip zu ver-
stehen. In dem Satz des Thales klingt zum erstenmal der Ge-
danke an einen einheitlichen Grundstoff an, aus dem die Welt
besteht, wenn auch das Wort Stoff hier sicher nicht den rein
materiellen Sinn hat, den wir ihm ~ute allein beilegen.
In der Philosophie des Anaximander, der als Schüler des
Thales auch in Milet lebte und lehrte, tritt an die Stelle des
einen Urstoffes eine grundlegende Polarität, der Gegensatz von
Sein und Werden. Wenn es nur einen Urstoff gäbe, so müßte
eine unendliche einförmige Substanz das All erfüllen; die bunte
Mannigfaltigkeit der ·Welt wäre dann nicht verständlich. Des-
halb erhebt sich aus jenem unbestimmten Urgrund der Dinge
die Veränderung, das Werden. Bei Anaximander erscheint das
Werden gleichsam als eine Verschlechterung jenes wesenlosen
Seins, als ein Fluch, der schließlich wieder gesühnt wird durch
die Rückkehr in das Wesenlose.
In der Philosophie des Heraklit tritt der Begriff des Werdens
ganz in den Vordergrund, das Grundelement ist für ihn das
Bewegende, das Feuer, und bei Parmenides steht wieder eine
grundlegende Polarität, der Gegensatz von Sein und Nichtsein
im Mittelpunkt der Lehre. Auch für ihn entsteht die bunte Fülle
der Erscheinungen aus dem Zusammenwirken zweier entgegen-
ge gesetzter Prinzipien.
Einen deutlichen Wandel in Richtung auf eine mehr materül-
listische Weltanscnauung hat diese ganze Vorstellungswelt
dann durch Anaxagoras erfahren, der etwa 100 Jahre jünger
als Thales und wahrscheinlich um das Jahr 500 vor der Zeit-
wende geboreI1 ist. Anaxagoräs nimmt unendlich viele Grund-
stoffe .an, durch deren Mischung und Trennung die bunte Viel-
falt der Vorgänge in der Welt hervorgebracht wird; dabei haben
diese Grundstoffe schon viel mehr den Charakter von materiel-
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len Substanzen; sie sind für sich als ewig und unzerstörbar ge-
dacht, und erst ihre Mischung in der Bewegung, die sie durch-
einanderwürfelt, bringt den Wechsel der Erscheinungen hervor.
Der etwa zehn Jahre jüngere Empedokles erkennt die vier
Elemente: Erde, Wasser, Luft und Feuer als die "Stammwurzeln"
aller Dinge; der Urzustand ist für ihn die unterschiedlose gleich-
förmige Mischm1g tier Elemente, die von der Liebe zu einer
ewigen Glückseligkeit verbunden werden, während der Haß
die Elemente trennt und aus ihnen das bunte Spiel des Lebens
gestaltet.
Die entscheidende Hinwendung zum Materialismus wird
dann vollzogen durch die Philosophen Leukipp und Demokrit,
von denen der erste wohl ein Zeitgenosse des Empedokles war.
Demokrit war ein Schüler des Leukipp. Der Gegensatz von
Sein und Nichtsein wird in der Lehre des Leukipp verweltlicht
zum Gegensatz des Vollen und Leeren. Es gibt das "Volle",
das sind die kleinsten unteilbaren Bausteine der Welt, die
"Atome", und zwischen ihnen ist der leere Raum. Das Atom
ist das reine Sein, ewig und unzerstörbar, aber es gibt unend-
lich viele Atome, das reine Sein kann gewissermaßen beliebig
oft wiederholt werden. Hier ist also zum ersten Male in der
Geschichte der Gedanke ausgesprochen worden, daß es unteil-
bare kleinste Bausteine gebe, aus denen alles Stoffliche zu-
sammengesetzt sei, die Atome. Dabei wird der Begriff Stoff
eigentlich in zwei Begriffe aufgespalten: in die Atome und den
leeren Raum, in dem sich die Atome bewegen. Bis dahin er-
schien. ja der Raum als das von Materie erfüllte., er war vom
Stofflichen gewissermaßen aufgespannt, und ein absolut leerer
Raum war nicht denkbar. Jetzt hatte der leere Raum eine wich-
tige Funktion übernommen, er war der Träger der Geometrie
und der Kinematik geworden, denn er ermöglichte die ver-
schiedene Anordnung und Bewegung der Atome.
Das Atom hatte zwar eine bestimmte. Lage im Raum, hatte
eine Gestalt und führte bestimmte Bewegungen, aus, aber an-
dere Qualitäten als diese geometrischen wurden ihm nicht zu-
geschrieben. Das Atom hatte weder Farbe noch Geruch oder
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Geschmack, und die sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten im
großen und ihr Wechsel sollten zustande kommen durch die
verschiedenartige Lagerung und Bewegung der Atome im Raum.
"So wie etwa die Tragödie und die Komödie mit den gleichen
Buchstaben niedergeschrieben werden können, so kann auch
sehr verschiedenartiges Geschehen in der Welt durch die glei-
chen Atome verwirklicht werden, sofern sie nur verschie-
dene Stellungen einnehmen und verschiedene Bewegungen aus-
führen." Demokrit sagt: "Nur scheinbar hat ein Ding eine
Faree, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit
gibt es nur Atome und den leeren Raum."
Die Grundgedanken der Atomlehre sind von der späteren
griechischen Philosophie zum Teil übernommen und ausgestal-
tet worden. Im Dialog "Timaios" bringt Plata diese. Vorstel-
lungen in Verbindung mit der Pythagoräischen Lehre von den
Zahlenharmonien und identifiziert die Atome der Elemente
Erde, Wasser, Luft und Feuer mit den regulären Körpern, Wür-
feln, Oktaeder, Ikosaeder, Tetraeder. Die Epikureer haben sich
ebenfalls die Atomlehre im wesentlichen zu eigen gemacht
und einen Gedanken hinzugefügt, der in der späteren Natur-
wissenschaft eine entscheidende Rolle gespielt hat, den Ge-
danken der Naturnotwendigkeit. Die Atome werden nicht nach
Willkür durcheinandergewürfelt oder durch Kräfte wie Liebe
und Haß bewegt, sondern ihre Bahnen werden durch Natur-
gesetz, durch die blinde Notwendigkeit bestimmt.
Damit ist die antike Atomlehre im wesentlichen abgeschlos-
sen; eine weitere, größere Ausgestaltung hat sie in der Philo-
sophie oder in der Naturwissenschaft des Altertums nicht er-
fahren.
4
nahm und fruchtbar verwandelte. Das spätere Altertum und
vor allem das ganze Mittelalter nahm die Philosophie des Ari-
stoteles als unantastbare Grundlage hin, und für das christliche
Denken hatte sich die Wirklichkeit so stark verwandelt, daß
der Blick der Menschen für lange Zeit nicht mehr auf das Ge-
schehen in der materiellen Natur fiel.
Der erste Forscher, der wieder an die früheren Gedanken
anknüpfte, war der Franzose Gasse,ndi. Er ist 1592 in der Pro-
vence geboren, war Theologe und Philosoph und starb in Paris
im Jahre 1655. Er war also ein Zeitgenosse von Galilei und
Kepler, und als .solcher wußte er vop den ersten Erfolgen der
neu erwachenden Naturwissenschaft. Um diese Zeit war nach
einer Pause von fast 2000 Jahren der Boden wieder fruchtbar
geworden für die Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse.
Die ersten Vertreter dieser neuen Naturwissenschaft, so
auch Gassendi, erheben sich gegen die Autorität des Aristoteles
und greifen auf andere Denker des klassischen Altertums zu-
rück. So knüpft Gassendi an die Lehre des Demokrit an und
gibt ihr sofort eine ausgesprochen materialistische Gestalt.
Auch für ihn besteht die Welt aus letzten, unteilbaren Bau-
steinen, den Atomen, die unsichtbar klein sind. Wie bei Demo-
krit beruht die Vielfalt der Erscheinungen auch bei ihm auf der
Mischung, der verschiedenen Anordnung und der Bewegung
der Atome. Es klingt auch schon der Gedanke an, daß man die
physikalischen Erscheinungen in einer viel konkreteren, man
kann sagen banaleren Weise mit der Atomtheorie verständlich
machen könne. So könne man eine Mischung von Wasser und
Wein mit einer Mischung von zwei Arten von Sand vergleichen,
die derart miteinander vermengt werden, daß schließlich die
beiden Arten von Körnchen in statistischer Weise, rein nach
dem Zufall verteilt, durcheinanderliegen. So entsprechen den
Sandkörnchen die Atome des Wassers und des Weines in ihrer
regellosen und unentwirrbaren Mischung. Es klingt ferner
schon die Vorstellung an, daß man auch die Aggregatzustände
der Materie mit Hilfe der Atomtheorie deuten könne, wenn auch
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noch nicht so klar, wie es uns heute geläufig ist. Man weiß
heute, daß im festen Wasser, also im Eis, die Atome in regel-
mäßiger Anordnung, sozusagen in Reih' und Glied, ganz dicht
nebeneinqnderliegerr. Im flüssigen Wasser liegen sie auch dicht
gepackt, aber ungeordnet, und bewegen sich in dieser Unord-
nung. Im Wasserdampf schließlich bewegen sich die Atome
(oder richtiger: gewisse Atomgruppen, die wir Moleküle
nennen), einem Mückenschwarm vergleichbar, in großen gegen-
seitigen Abständen.
Auch andere Forscher greifen dieses Bild auf, undin Riesen-
schritten vollzieht sich seine völlige Verweltlichung. Für die
Griechen war der Atombegriff noch das Mittel, um die Welt im
ganzen zu verstehen, um sich Recbenschaft von allem und jedem
abzulegen, was in der Wirklichkeit überhaupt wahrgenommen
werden kann. Nunmehr wird er das Mittel, um das Verhalten
der groben, leblosen Materie zu verstehen.
Der nächste, von dem wir zU sprechen haben, ist der Eng-
länder Robert Boyle, der von 1627 bis 1691 lebte. Er ist eigent-
lich schon kein Naturphilosoph mehr, sondern ein Chemiker
und Physiker. Seine wichtigsten Arbeiten liegen auf dem Ge-
biet der Gastheorie. Von ihm stammt das Gesetz, daß das Pro-
dukt aus' Druck und Volumen eines Gases bei gegebener Tem-
peratur konstant ist. Auch die Chemie verdankt Boyle wichtige
Fortschritte, vor allem die Einführung des Begriffs der chemi-
schen Elemente im heutigen Sinne. Bei den alten Griechen war
der Begriff des Elements noch an die Grunderscheinungen ge-
knüpft, die uns in der Natur begegnen, an das Ruhende, das
Bewegende, an Erde und Feuer. Bei Boyl!:: ist er in ganz
materialistischer Weise an den chemischen Prozeß geknüpft,
Die Chemie vermag ja Stoffe ineinander zu verwandeln, und
Boyle stellte schon ganz konkret die Frage: Aus welchen Stof-
fen kann man die unendliche Vielfalt einheitlicher Stoffe auf-
bauen, die es in der Natur gibt? Welches sind die Grundstoffe,
die man nicht weiter verwandeln kann, und aus denen alle
Stoffe irgend wie aufgebaut sind? Diese AufgabensteIlung er-
wuchs aus dem ursprünglich andersartigen Grundproblem der
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Alchemie der Jahrhunderte vor Boyle. Diese war ja von dem
Grundgedanken ausgegangen, daß alle Stoffe letzten Endes auf
einen einzigen Grundstoff zurückgeführt werden könnten, und
daß es grundsätzlich möglich sein müsse, jeden Stoff in jeden
anderen zu verwandeln, etwa auch Quecksilber in Gold. Aber
das Ergebnis aller Bemühungen war immer wieder negativ -ge-
wesen; eine Verwandlung mit den Hilfsmitteln der Chemie war
nicht gelungen. Offenbar war die Materie doch nicht in di-esem
Sinne - das heißt für chemische Mittel - einheitliCh, sondern
es mußte Grundstoffe geben, die durch keine Art voh chemi-
sch'er Umsetzung ineinander verwandelt werden können. Seit
BoyJe weiß man, daß es eine ganze Reihe von Grundstoffen im
Sinne der Chemie gibt, denen heute rund eine halbe Million
einheitlicher Stoffe- wir sagen·: chemische Verbindungen -
gegenübergestellt werden kann. Es gibt also außerordentlich
viel mehr chemische Verbindungen als Grundstoffe. Immerhin
ist die Zahl der Grundstoffe noch so groß, daß es schwer fällt,
in ihnen schon die letztep, unteilbaren Grundelemente der Ma-
terie sehen zu wollen. Von den 92 Grundstoffen, die man heute
kennt, hat Boyle allerdings erst ziemlich wenige gekannt.
Dennoch formuliert er schon ganz klar die Aufgabe der Chemie:
"Es kommt darauf an, festzustellen, in welche Grundstoffe die
Materie mit chemischen Mitteln zerlegt werden kann, und
welches diese Grundstoffe sind." Mit den Elementen Demo-
laits, mit Erde, Wasser, Luft und Feuer haben also seine chemi-
schen Elemente nichts mehr Zu tun.
Wenn wir jetzt ein Jahrhundert überspringen, so kommen
wir zu dem eigentlichen Begründer der modernen Chemie, zu
Lavoisier. Er ist 1743 geboren und 1794 als Opfer der französi-
schen Revolution gestorben. Sein bleibendes Verdienst ist die
Begründung der quantitativen Chemie. Er hat als erster den
Akt der Verbrennung richtig gedeutet. Bis dahin glaubte man,
daß bei der Verbrennung eines Körpers ein Stoff, das Phlo-
giston, aus ihm entweiche. Daraus mußte man schließen, daß
alle Körper bei der Verbrennung leishter werden müßten. Dem-
gegenüber vertrat Lavolsier den Standpunkt, die Verbrennung
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sei die Verbindung eines Elements mit Sauerstoff, und dabei
müßter. die Körper schwerer werden. Durch den experimen-
tellen Beweis dieser Behauptung hat er seine Theorie zum
Siege geführt. Gleichzeitig erreichte er damit etwas ungemein
Wichtiges: Er veranlaßte die Chemiker, die Massenverände-
rungen bei chemischen Umsetzungen zu untersuchen.
Damit kommen wir zu einem Gesetz, das eigentlich schon
1174 bei Lavoisier steht, aber erst einige Jahre später zum Ge-
meingut d~r Chemiker wurde, zum Gesetz von der Konstanz
der Masse. Schon Lavoisier behauptete: Bei jeder chemischen
Umsetzung bleibt die Gesamtmasse der beteiligten Stoffe un-
verändert; die gesamte umgesetzte Materie wiegt nach der
Umsetzung genau so viel wie vorher. Mit diesem Gesetz be-
ginnt eigentlich erst die moderne Chemie, und in wenigen
Jahren stellte es die Verbindung her zwischen der Chemie von
Boyle und der Atomlehre von Gassendi.
Im Jahre 1792 entdeckte der Deutsche Richter, daß sich die
chemischen Elemente stets in ganz bestimmten Mengenver-
hältnissen zu .chemischen Verbindungen zusammenfügen. Nicht
eine beliebige Menge Wasserstoff kann mit einer beliebigen
Menge Sauerstoff zu Wasser verbrennen, sondern sie müssen
stets in einem Gewichtsverhältnis 1 : 8 stehen, um Wasser zu
ergeben. Andernfalls bleibt entweder ein Rest Sauerstoff oder
ein Rest Wasserstoff übrig, der nicht umgesetzt wird. Dieses
Gesetz der multiplen Proportionen hat dann DaIton zum Grund-
prinzip der Chemie erhoben, ul'ld es führte in kurzer Zeit zur
Verbindung der Chemie mit der Atomlehre. DaIton hat das
Gesetz schärfer gefaßt und ihm eine geometrische Deutung
gegeben.
Auf diese geometrische Deutung kommt es an. Sie möge
durch folgendes Beispiel verdeutlicht werden. Wenn sich etwa
Wasserstoff mit Sauerstoff verbindet, um Wasser zu ergeben,
SQ muß man sich das so vorstellen, daß sich die kleinsten Teile,
die Atome des Elements Sauerstoff und des Elements Wasser-
stoff miteinander verbinden, um eine höhere Einheit - man
sagt heute: ein Molekül Wasser - zu bilden. Man stellt sich
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also heute ein Molekül ganz anschaulich als ein geometrisches
Gebilde aus einzelnen Atomen vor, so das Molekül des Wassers
als ein Gebilde .aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom
Sauel'stoff. Damit wird das Gesetz der konstanten multiplen
Proportionen unmittelbar verständlich. Die Verbindung Wasser
ist eben charakterisiert durch das Verhältnis: 1 Atom Sauer-
stoff: 2 Atomen Wasserstoff.
Diese Lehre Daltons aus dem Jahre 1803 von den Atomen,
die sich in einer geometrisch anschaulichen Weise zu Mole-
külen vereinigen, wurde wenige Jahre darauf zu einer klaren
wissenschaftlichen Hypothese erhoben. Schon 1811 legte Avo-
gadro durch eine kühne Annahme eigentlich den Grundstein
für das, was wir heute die Atomtheorie der Chemie nennen.
Er behauptete. daß alle Gase bei gleichem Druck und gleicher
Temperatur in gleichen Raumteilen stets gleich viele Moleküle
enthalten. Diese Annahme bedurfte zwar noch der Bestätigung
durch die Erfahrung, erwies sich aber bald als der Schlüssel
zur Bestimmung der Atomgewichte und gab der Atomlehre
Daltons eine feste, bleibende Grundlage. Wenn man weiß, wie
viele Atome oder Moleküle in einer bestimmten Gasmenge
enthalten sind, so kann man auch genau angeben, wie ein
einzelnes Molekül zusammengesetzt ist, ob etwa ein Molekül
Wasser wirklich aus 1 Atom Sauerstoff und 2 Atomen Wasser-
stoff besteht.
Damit war der Weg frei für eine quantitative Feststellung
der Gewichts- oder Massenverhältnisse der Atome. Die abso-
lute Zahl der jeweils vorhandenen Moleküle oder Atome kannte
man zwar damals noch nicht, wohl aber wußte man, daß in
gleichen Raumteilen bei gleicher Temperatur stets die gleiche
Anzahl von Molekülen enthalten ist, und das genügte; denn es
gab Auskunft über die Massenverhältnisse der Atome und der
Moleküle.
Bald darauf bestimmte der Schwede Berzelius die Atom-
gewichte zahlreicher Elemente und entwickelte auch schon
recht deutliche Vorstellungen vom Aufbau der Moleküle aus
einzelnen Atomen. Auch die Frage nach der Kraft, die die
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Atome zu Molekülen verbindet, taucht schon bei Berze.lius auf,
und er führt den Begriff der Valenz kraft ein, die das Atom
des einen Elements an ein bestimmtes anderes AtQm bindet. Er
machte sich auch schon Gedanken über die Natur dieser
Valenzkraft und vermutete, daß es sich um elektrische Kräfte
handeln müsse.
Der Stand der Atomlehre vor nunmehr etwa 120 Jahren war
also, kurz zusammengefaßt, der folgende: Man wußte, daß sich
die ungeheure Zahl der chemischen Verbindungen auf eine
nicht allzugroße Zahl von chemischen Grundstoffen zurück-
führen läßt, von denen damals zwar noch nicht alle 92 be-
kannt waren, aber doch schon ein erheblicher Teil. Auch die
Massenverhältnisse der Atome dieser Elemente kannte man
schon einigermaßen genau. Man wußte also etwa, daß ein
Atom Sauerstoff rund 16mal, ein Atom Stickstoff rund 14mal
so schwer ist wie ein Atom Wasserstoff. Diesen genauen
Kenntnissen standen aber große Lücken gegenüber. Völlig
unbekannt war immer noch die absolute Größe der Atome
und die Größenordnung ihrer Anzahl in einem bestimmten
Raumteil. Nur daß ihrer bei gleicher Temperatur und gleichem
Druck im gasförmigen: Zustand gleich viele sind, war bekannt.
Ein Atom konnte immer noch, wie Demokril glaubte, etwa sO
groß sein wie jene Stäubchen, die im Sonnenlicht tanzen, oder
iluch außerordentlich viel kleiner. Genau so wenig wußte
man von der Gestalt der Atome und von den zwischen ihnen
obwaltenden Kräften. Man konnte sich von diesen höchstens
sehr hypothetische Vor"ltellungen bilden. Weiter war zwar be-
kannt, daß es sich bei den Atomen um die letzten, unteilbaren
Bausteine der Materie im Sinne del' Chemie - nämlich be-
urteilt nach den Hilfsmitteln der Chemie - handelt. Aber
niemand konnte wissen, ob diese Atome der Chemie nicht
doch mit anderen Mitteln noch weiter zerlegt und ineinander
umgewandelt werden können.
Ein Befund, aus dem zuerst Praul im Jahre 1815 Schlüsse
gezogen hat, sprach. eigentlich gegen die Annahme der abso-
luten Unteilbarkeit der Atome. Proul, der von 1785 bis 1850
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lebte, berief sich auf die Tatsache, daß die damals bekannten
Atomgewichte - es handelte sich hauptsächlich erst um die
leichteren Elemente - durchweg recht genau ganzzahlige Viel-
fache des Atomgewichtes des Wasserstoffs sind, und er grün-
dete darauf die Hypothese, daß alle Atome aus Wasserstoff
aufgebaut seien. Da ein Atom Helium ungefähr 4mal, ein
Atom Sauerstoff etwa 16mal so schwer ist wie ein Atom
Wasserstoff, so müßte das Heliumatom aus 4, das Sauerstoff-
atom aus 16 Wasserstoffatomen bestehen. Das Wasserstoff-
atom wäre also der einzige und letzte Baustein der Materie.
Die Annahme von 92 verschiedenen Grundstoffen war sicher
schon immer als eine Härte empfunden worden. Wenn man
überhaupt an eine Einheitlichkeit in der Natur glaubt, wird
man es zum mindesten lieber sehen, wenn ihre Anzahl erhebe
lieh kleiner ist.
So bestechend Prouts Hypothese ist, so geriet sie dennoch
über mehr als 100 Jahre völlig in Vergessenheit, nachdem
man in der Fol!:Te fand, daß sich die angenäherte GanzzahUg-
keit der Atomgewichte bei den schwereren Atomen nicht be-
stii.tigte. Dennoch steckt in ihr ein wichtiger Kern von Wahr-
heit. Es wird sich später zeigen, daß sie in gewandelter Ge-
stalt in deJ' heutigen Physik der Atomkerne eine grundlegende
Rolle spielt.
Ein neuer Abschnitt der Atomlehre nahm seinen Anfang
mit Faraday, der die Atomlehre mit der Lehre von der Elektrizi-
tät verknüpfte. Faraday lebte von 1791 bis 1867. Die Atomistik
verdankt ihm ein Gesetz von grundlegender Bedeutung: Bei
chemischen Umsetzungen, die auf elektrischem Wege, näm-
lich durch Elektrolyse, erfolgen, ist eine bestimmte Menge des
umgewandelten Stoffes stets mit einer bestimmten Elektrizi-
tätsmenge verknüpft. Ferner fand Faraday, daß die Massen der
Stoffe, die mit einer bestimmten Elektrizitätsmenge umgesetzt
werden, sich verhalten wie die sogenannten "Äquivalent-
gewichte", also im einfachsten Fall, bei einwertigen Stoffen,
wie die Atomgewichte der betreffenden Stoffe. Dieser Befund
deutete darauf hin, daß auch die Elektrizität eine atomistische
2 Heisenberg •. Atomkerne
11
Struktur besitzt, derart, daß jedes Atom oder jedes Molekül
einer chemischen Verbindung stets mit einem oder auch
mehreren Atomen der Elektrizität verbunden ist, wenn auch
auf eine damals noch unklare Weise. Darauf hat bereits 1846
Wilhelm Weber hingewiesen. Auf diese Weise wird zwang-
los verständlich, weshalb mit der gleichen Menge, also mit
der gleichen Zahl von Atomen, eines Stoffes stets die gleiche
Menge Elektrizität verbunden ist. Man legt heute als Normal-
menge in der Regel ein "Mol" oder ein "Grammatom" zu-
grunde. Ein Mol eines Stoffes ist diejenige Menge, welche
soviel Gramm wiegt, wie sein Molekulargewicht angibt, ein
Grammatom eines Elements diejenige Menge desselben, die
soviel Gramm wiegt, wie sein Atomgewicht angibt. So ist
ein Mol Sauerstoffgas 02 (Molekulargewicht 32) 32 Gramm
Sauerstoffgas, ein Grammatom Sauerstoff 0 (Atomgewicht 16)
16 Gramm Sauerstoff. Mit jedem Mol oder Grammatom eines
einwertigen Stoffes ist bei der Elektrolyse stets eine Elek-
trizitätsmenge von 96521 Coulomb verbunden, mit einem Mol
oder Grammatom eines mehrwertigen Stoffes das ent-
sprechende Vielfache dieser Elektrizitätsmenge.
Die nächsten Fortschritte lagen auf dem Gebiet der Gas-
theorie. Ihren entscheidenden Ausbau zu einer exakten
Wissenschaft verdankt man Maxwell, Boltzmann und vor allem
Clausius. Durch die Arbeiten dieser Forscher hat die Vor-
stellung, nach der ein Gas aus schnellbewegten Molekülen be-
steht und in gewissem Sinne mit einem Mückenschwarm ver-
.glichen werden kann, eine feste, auch mathematisch streng
durchgeführte Grundlage erhalten.
Dann kam im Jahre 1865 ein neuer, großer Fortschritt,
nämlich die erste noch ungenaue Bestimmun"g der Atomgröße
und damit der Zahl der in einem bestimmten Raumteil vor-
handenen Gasmoleküle durch Loschmidt. Wie schon vor ihm
Robert Mayer, beschäftigte sich Loschmidt mit der inneren
Reibung der Gase, und er gewann aus seinen Untersuchungen
den ersten Anhaltspunkt für die Größe eines Atoms. Sein Er-
gebnis ist noch recht ungenau, aber die Größenordnung ist
12
richtig. Genau kennt man die Atomgröße erst seit etwa
40 Jahren. Eine Vorstellung von ihr liefert die Angabe, daß
auf der Strecke eines Millimeters ungefähr 10 Millionen Atome
nebeneinanderliegen können. Die Atome sind also für sich
allein völlig unsichtbar und entziehen sich jeder unmittelbaren
Beobachtung. Sie sind außerordentlich viel kleiner als jene
Sonnenstäubchen, die Demokrit als vergleichbar mit den
Atomen ansah.
In der Folgezeit vollzog sich wieder eine wichtige Entwick-
lung auf dem Gebiet der Elektrizität. Durch Faradays Ent-
deckungen war die Existenz von Atomen der Elektrizität
wahrscheinlich geworden, aber man kannte sie bisher nur in
Verbindung mit Atomen der chemischen Elemente, nicht in
freiem Zustande. Die Entdeckung freier, nicht an Atome der
gewöhnlichen Materie gebundener Elektrizitätsatome gelang
Hittorff in den Kathodenstrahlen, wie ·sie bei elektrischen Ent-
ladungen in hochverdünnten Gasen auftreten. Hittorfi hat von
1824 bis 1914 gelebt. Er beobachtete die Ablenkung der
Kathodenstrahlen in magnetischen Feldern, und aus der Größe
dieser Ablenkung konnte man das Verhältnis der Ladung zur
Masse der in den Kathodenstrahlen bewegten Teilchen be-
rechnen. Nachdem man seit Loschmidt auch die Masse der
einzelnen Atome und damit auf Grund der Entdeckungen
Faradays auch die Größe des Elektrizitätsatoms ungefähr
kannte, -ergab sich daraus im Verein mit dem genannten Ver-
hältnis auch die Größe der Masse, mit denen das Elektrizitäts-
atom in freiem Zustande - in den Kathodenstrahlen - ver-
knüpft ist. Auf Grund neuerer Messungen weiß man, daß sie
etwa 1840mal kleiner ist als die Masse des leichtesten Atoms,
des Wasserstoffatoms.
Nach einem Vorschlag von Stoney bezeichnet man die
ireien Elektrizitätsatome heute als Elektronen.
Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß die Vielfalt
der Massen, wie sie bei den Atomen der Elemente auftritt, bei
den Atomen der Elektrizität fehlt. Die Elektronen sind stets
2"
13
mit der gleichen Masse verknüpft, eine Tatsache, die vortreff-
lich zu der Forderung der Einheitlichkeit in der Natur paßt.
In der Folgezeit entwickelte sich allmählich die Vor-
stellung, daß Elektronen auf irgend eine Weise Bestandteile
der Atome sein könnten. Merkwürdig war, daß man immer
nur die negative Elektrizität in freiem Zustande, als Elek-
tronen, beobachtete, während die positive Elektrizität stets in
Verbindung mit Atomen der Materie auftrat. Das deutete
darauf hin, daß die Atome tatsächlich negative Elektronen als
Bestandteile enthalten. Freie negative Elektrizität kann also
nur auftreten, wenn einem Atom ein Elektron entrissen wird,
wobei ein gleicher Betrag positiver Elektrizität am Rest des
Atoms gebunden zurückbleibt. Aber zu einer klaren Vor-
stellung konnte man damals, vor etwa 50 Jahren, noch nicht
kommen. Man wußte zwar ungefähr, wie schwer die Atome
sind, und welchen Raum sie einnehmen; man wußte, daß sie
elektrische Eigenschaften haben und ein oder mehrere Elek-
tronen enthalten. Aber vom Bau der Atome wußte man noch
so gut wie nichts, und die Frage nach ihrer Gestalt konnte
man überh~upt noch nicht stellen.
Die Lösung dieser Aufgabe war dem 20. Jahrhundert vor-
behalten, dessen Schwelle wir uns in unserer Darstellung der
Geschichte der Atomlehre jetzt nähern. Die Fortsetzung
dieser Geschichte hängt so eng mit dem eigentlichen Thema
dieses guches zusammen, daß sie in den folgenden Kapiteln
nUr im Zusammenhang mit ihm dargestellt werden kann.
14
Zweiter Vortrag
15
atom wird mit dem Symbol 0 bezeichnet. Mit Hilfe dieser
Symbole wird das Wassermolekül durch folgende Formel an-
schaulich dargestellt:
H H
"'-0/ '
Aus bestimmten Gründen, die wir hier nicht erörtern können,
wird das Wassermolekül als ein dreieckiges Gebilde vor-
gestellt, dessen schematische Darstellung die Abb . 1 zeigt. Die
To
o; z 3 ~ S.Ä()NlL oa
Abb. I. Abb . 2.
Schema des .Wassermoleküls Modell des Sleinsalzkrislalls
16
linischen festen Stoff liegen die Atome bzw. Moleküle eben-
falls dichtgepackt, aber in einer ganz regelmäßigen Anord-
nung. Die Abb. 2 zeigt ein Modell eines Steinsalzkristalls.
Steinsalz ist eine chemische Verbindung der Elemente Chlor
und Natrium. Die schwarzen Punkte bedeuten Chloratome,
die weißen Natriumatome. Diese wechseln also im Kristall in
ganz regelmäßiger Folge ab. In Wirklichkeit sind auch diese
Atome, je nach der Temperatur des Kristalls, mehr oder
weniger heftig bewegt, und zwar führen sie Schwingungen um
ihre Ruhelagen aus. Das Modell entspricht auch insofern der
Wirklichkeit nicht ganz, indem tatsächlich die Atome dicht,
also ohne Zwischenräume, nebeneinanderliegen.
Nun erhebt sich aber die Frage, was solche anschaulichen
Modelle eigentlich bedeuten, und ob wir nicht Grund haben,
einigermaßen mißtrauisch gegen sie zu sein. Denn da die
Atome zu den kleinsten Einheiten der Materie gehören sollen,
so darf man nicht ohne weiteres erwarten, daß sie sich in
jeder Hinsicht noch so verhalten wie die anschaulichen Dinge
unserer alltäglichen Erfahrung, also etwa wie richtige schwarze
oder weiße Kugeln in einem. räumlichen Kristallmodell. Man
kann mit Recht argwöhnen, daß da, wo wir uns den letzten
Bestandteilen der Materie annähern, auch in irgendeiner Weise
unserem Anschauungsvermögen eine Grenze gesetzt sei. Wir
müssen also erstens fragen, wie groß die Atome wirklich sind,
eine wie starke Vergrößerung man anwenden müßte, um ein
Molekül beispielsweise etwa so groß zu machen wie eine
Billardkugel. Zweitens müssen wir aber fragen, in welchem
Umfange man ein solches anschauliches Modell überhaupt be-
gründen kann, was man mit ihm meint. Hat es einen so un-
mittelbar anschaulichen Sinn, daß man erwarten kann, ein
höchst vollkommenes Mikroskop werde uns in Zukunft einmal
ein solches Bild eines Moleküls tatsächlich enthüllen?
Zunächst zur Frage der Größe der Atome. Natürlich sind
nicht alle Atome gleich groß, aber doch fast alle von der
gleichen Größenordnung. Die Vergrößerung, die man an-
wenden müßte, um ein Atom als ein Gebilde mit einem Durch-
11
messer von etwa t 0 cm zu sehen, ist etwa die gleiche, die man
mit einer Kugel von 1 cm Durchmesser vornehmen müßte, da-
mit sie in der Größe der Erdkugel erscheint. Das gibt einen
ungefähren Begriff von der außerordentlichen Kleinheit der
Moleküle.
Nun zur zweiten Frage nach der Bedeutung eines Molekül-
modells. In den letzten Jahren hat man ein ganz neuartiges
Mikroskop entwickelt, das Elektronenmikroskop, das nicht,
wie das gewöhnliche Mikroskop, mit Lichtstrahlen, sondern
mit Elektronenstrahlen arbeitet. Mit ihm kann man eine sehr
viel größere Auflösung und daher auch eine sehr viel stärkere
Vergrößerung erreichen als mit dem Lichtmikroskop, uml mit
ihm kann man heute schon besonders große Moleküle als
einzelne Teilchen erkennen. Sollte es einmal gelingen, die
Vergrößerung noch um einen Faktor 20 bis 30 zu erhöhen
- allerdings wird das sehr schwierig sein -, so ist es denk-
bar, daß man mit diesem Mikroskop tatsächlich auch ein ein-
zelnes Wassermolekül sichtbar machen kann.
Die Frage ist aber, ob man dann tatsächlich etwas Ähn-
liches sehen würde wie das in der Abb. 1 dargestellte Modell.
Allerdings ist ein Molekül nicht in Ruhe. Es bewegt sich als
Ganzes unter der Wirkung der Temperatur, und seine Be-
standteile führen Schwingungen gegeneinander aus. Man
müßte also schon kinematographische Aufnahmen der Mole-
küle machen. Dann aber würde man als Momentaufnahme tat-
sächlich ein Bild von der Art der Abb. 1 sehen. Daran kann
man nach allem, was wir heute von der Atomphysik wissen,
nicht zweifeln, und diese Feststellung enthält den anschau-
lichen Sinn eines Modells der Art von Abb. 1. Aber das Bild
wäre weg-en der Wärmebewegung dauernden kleinen Ver-
änderungen unterworfen.
vVoher weiß die Physik, daß ein Wassermolekül gerade
aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom besteht, bei-
spielsweise nicht etwa aus 4 Wasserstoffatomen und 2 Sauer-
stoffatomen, was dem gleichen Massenverhältnis beider ent-
sprechen würde? Zur Beantwortung dieser Frage muß man die
18
Gastheorie heranziehen, insbesondere Avogadros bereits er-
wähnte Hypothese, daß die Gase bei gegebenem Druck und
gegebener Temperatur in gleichen Raumteilen stets gleich
viele Moleküle enthalten. Man kann diese Annahme sehr ge-
nau begründen; hier beschränken wir uns darauf, sie ein-
leuchtend zu machen. Der Druck auf die Wände eines mit Gas
gefüllten Gefäßes kommt ja dadurch zustande, daß die Gas-
moleküle wie ein Regen gegen sie prasseln und an ihnen
zurückgeworfen werden. Die Summe dieser Stöße ergibt einen
Druck gegen die Wand. Dieser hängt also offenbar von der
Bewegungsenergie der Moleküle ab. Diese wiederum hängt
von der Temperatur des Gases ab. Seit BoItzmann weiß man,
daß die Moleküle aller Gase bei gleicher Temperatul' stets die
gleiche durchschnittliche Bewegungsenergie haben. Enthalten
sie nun in gleichen Raumteilen gleich viele Moleküle, so muß
bei gleicher Temperatur auch ihr Druck der gleiche sein. Das
ist der eigentliche Inhalt der Avogadroschen Hypothese.
Ferner muß man die chemischen Tatsachen zu Rate ziehen.
Die bereits erwähnte Tatsache, daß sich je 2 g "Wasserstoffgas
un!;l 16 g Sauerstoffgas zu 18 g Wasserdampf verbinden, kann
man durch die folgende Formel darstellen:
19
den Massen ihrer Moleküle proportional sind. Auf diese
Weise ergibt sich:
20
ist. Ganz analog wird der Begriff 1 Grammatom definiert als
diejenige Menge eines Elements, welche soviel Gramm wiegt,
wie das Atomgewicht des Elements angibt. Es ist also
1 Grammatom Wasserstoff (H) 1 g, 1 Grammatom Sauer-
stoff (0) 16 g. Offensichtlich enthält auch 1 Grammatom jedes
beliebigen Elements stets die gleiche Zahl von Atomen, und
zwar ebensoviele, wie Moleküle in 1 Mol enthalten sind. Die
Einführung dieser Begriffe ist von großer Bedeutung, weil sie
uns erlaubt, Moleküle oder Atome sozusagen durch Wägung
abzuzählen, und daher ist es in höchstem Maße wichtig, die
Zahl der Moleküle in 1 Mol genau zu kennen. Diese Zahl hat,
wie schon erwähnt, zuerst Loschmidt 1865 wenigstens der
Größenordnung nach richtig berechnet. Die erste recht zu-
verlässige Berechnung erfolgte aber erst im Jahre 1900 auf
Grund des Planckschen Strahlungsgesetzes. Der zuverlässigste
Wert dieser wichtigen Loschmidtschen Zahl beträgt heute
L = 6,024' 1023 •
Die Zahl der Moleküle in. 1 Mol eines Stoffes, zum Beispiel in
32 g Sauerstoffgas, beträgt also fast 1 Quadrillion.
Die Kenntnis der Loschmidtschen Zahl vermittelt auch eine
genaue Kenntnis der Massen der einzelnen Atome und Mole-
küle in der üblichen Einheit 1 g. Da z. B. 1 Mol Wasserstoffgas
2 g wiegt, so ergibt sich durch Division mit der Loschmidt-
schen Zahl ohne weiteres, daß die Masse eines Wasserstoff-
moleküls (H2) 3,34' 10-24 g, also diejenige eines Wasserstoff-
atoms (H) 1,61' 10-24 g beträgt. Entsprechend kann man die
Masse aller anderen Atome und - bei Kenntnis ihrer Zu-
sammensetzung aus Atomen - aller Molekülarten berechnen.
Nunmehr wenden wir uns zu der Größe der Ladung, die
bei der Elektrolyse mit einem Atom oder Molekül verbunden
ist, also zum Elektrizitätsatom, dem Elektron. Wir haben
schon berichtet, daß mit 1 Mol oder 1 Grammatom eines ein-
wertigen Stoffes stets eine Elektrizitätsmenge von
F = 96 520 Coulomb
21
verbunden ist. Von der Größe dieser Ladung kann man sich
schwer eine anschauliche Vorstellung machen. Sie ist viel
größer als jede Ladung, die im Laboratorium auf einem ein-
zelnen Körper vereinigt werden kann. Trügen die Erde und
der Mond je eine solche Ladung, so würden sie sich auf ihren
riesigen Abstand doch noch mit einer Kraft anziehen oder ab-
stoßen, die dem Gewicht von einigen Zentnern entspricht.
Das also ist die Ladung von 1 Mol oder 1 Grammatom eines
einwertigen Stoffes. Da aber 1 Mol oder Grammatom stets
gleich viele Moleküle oder Atome enthält, und zwar so viele,
wie die Loschmidtsche Zahl angibt, so erhält man die Ladung
eines einzelnen einwertigen Moleküls oder Atoms, wenn man
die Äquivalentladung F durch die Loschmidtsche Zahl dividiert,
also F/L bildet. Sie beträgt e = 1,6' 10-19 Coulomb oder
4,8 . 10--10 elektrostatische Einheiten, ist also eine überaus·
kleine Ladung. Man nennt diese Ladung des Elektrizitätsatoms
das elektrische Elementarquantum, da eine elektrische Ladung
immer nur in ganzzahligen - positiven oder negativen - Be-
trägen desselben vorkommen kann. Diese Zahl sowie mehrere
weitere wichtige Größen der Atomphysik; sind in der Tabelle I
am Schluß des Buches zusammengestellt.
Schon früher wurde erwähnt, daß man aus der Ablenkung-
von Kathodenstrahlen, also von Elektronen, in magnetischen
und elektrischen Feldern das Verhältnis der Ladung zur Masse
der Elektronen ermittelt hat. Nachdem man den Betrag ihrer
Ladung kenrit, kann man auch die Masse der Elektronen be-
rechnen. Sie beträgt nur etwa 111840 der Masse des Wasserstoff-
atoms, nämlich 9,1 . 10-28 g. (Sie ist in der Tabelle I als Ruhe-
masse bezeichnet, weil die Masse der Körper bei großen
Geschwindigkeiten wächst.)
Bis vor nicht langer Zeit hatte man nur Elektronen mit
negativer Ladung gefunden, ihr positives Gegenstück wurde
erst im letzten J ahrzehni entdeckt. Es ist unter normalen Be-
dingungen überaus kurzlebig und verschwindet im allgemeinen
kurz nach seiner Entstehung. Hiervon abgesehen, tritt also eine
positive Ladung - lind zwar ebenfalls stets nur in Beträgen
22
eines oder mehrerer Elementarquanten - immer nur gebunden
an Massen von atomarer Größenordnung auf. Schon diese Er-
fahrung legt den Gedanken nahe, daß die Masse des Atoms an
positive Ladung geknüpft ist, die durch negative Elektronen
neutralisiert wird, und daß die Bildung von Ionen durch die
Abspaltung oder Anlagerung von Elektronen zustande kommt.
Von dieser Vermutung bis zur Begründung eines richtigen
Atommodells war aber noch ein weiter Weg.
24
Das radioaktive Präparat steht im unteren Teil der Kammer.
Die Spuren der einzelnen Alphateilchen, also von Gebilden
atomarer 'Größe, sind deutlich erkennbar. Im allgemeinen sind
ihre Bahnen in Luft 6 bis 8 cm lang und nehmen dann ein plötz-
liches Ende. Die Länge der Bahn nenrit man die Reichweite der
Alphastrahlen.
Es ist im Grunde sehr merkwürdig, daß die Alphateilchen
so weite Strecken überhaupt geradlinig zurückzulegen ver-
mögen. Man kann leicht berechnen, daß sie auf ihrem Wege
mit außerordentlich vielen Atomen zusammenstoßen müssen.
Das folgt ja auch schoJ;l aus der großen Zahl der gebildeten
Wassertröpfchen. Danach scheint es, als seien die Atome für
solche Teilchen nicht undurchlässig, als könnten diese viel-
mehr im allgemeinen ziemlich ungestört durch die Atome hin-
durchgehen. Offenbar finden sie auf ihrem Wege nur ganz
selten ein wirkliches Hindernis.
Schon früher hatte Lenard den Durchgang schneller Elek-
tronen durch Materie untersucht und gefunden, daß die Elek-
tronen merkwürdig dicke Materieschichten zu durchdringen
vermögen. Er war dadurch zu der Vorstellung gekommen, daß
25
offenbar der von einem Atom eingenommene Raum zum
größten Teil leer ist, und daß nur einzelne Kraftzentren, die
Lenard Dynamiden nannte, den Lauf der Elektronen stark'be-
einflussen. Den entscheidenden Schritt von ähnlichen Unter-
suchungen zum ersten Atommodell hat Rutherford getan. Er
untersuchte den Durchgang von Alphateilchen durch dünne
Metallfolien und zog aus der großen Seltenheit merklicher Ab-
lenkungen den Schluß, daß nur ein ganz kleiner Teil des
Atoms den Alphateilc-hen einen Widerstand bietet, und daß
dieser ganz kleine Teil fast die ganze Masse des Atoms in sich
vereinigt. Wem'l es sich nicht so verhielte, wären auch so
große Ablenkungen, wie man sie gelegentlich beobachtet, nach
den Gesetzen des elastischen Stoßes gar nicht möglich. Die
Größe des tatsächlich von Masse erfüllten Raumteils konnte
Rutherford aus seinen Messungen berechnen. Der ganze, über-
wiegende Rest des von dem Atom eingenommenen Raumes
muß praktisch so gut wie leer sein. Rutherfords Mitarbeiter
Geiger und Malsden konnten weiter feststellen, daß die Ab-
lenkungen der - ja positiv geladenen - Alphateilchen von
elektrischen Kräften herrühren und durch eine ebenfalls posi-
tive Ladung des zentralen Teiles des Atoms zustande kommen.
Dieser und das Alphateilchen stoßen sich offenbar nach dem
bekannten Coulombschen Gesetz ab.
Rutherford entwickelte aus diesen Ansätzen das folgende
Atommodell. Ein Atom besteht aus einem positiv geladenen
Atomkern, der fast die gesamte Masse des Atoms in sich ver-
einigt, der aber nur einen winzigen Bruchteil des ganzen Atom-
volumens einnimmt. Die positive Ladung des Kerns wird nach
außen kompensiert durch Elektronen, welche - durch die An-
ziehung des Kerns festgehalten - in relativ großen Abständen
um den Atomkern kreisen. Die Gesamtheit dieser Elektronen
bezeichnet man als die Atomhülle. Man steIlt sich also das
Atom wie ein Planetensystem im winzig Kleinen vor. Die An-
zahl der Elektronen wird durch die Ladung des Kerns bestimmt.
Da jedes Elektron ein negatives Elementarquantum trägt, so
26
muß ihre Anzahl ebenso groß sein wie die Zahl der vom Kern
getragenen positiven Elementarquanten, um insgesamt ein
elektrisch neutrales Atom zu ergeben. Diese Anzahl der Elek-
tronen ist offenbar maßgebend für alle äußeren Eigenschaften
des Atoms, so vor allem auch für die Kräfte, die es auf andere
Atome auszuüben vermag, das heißt für sein chemisches Ver-
halten, welches also letzten Endes durch die Ladung des Atom-
kerns bestimmt wird.
Um einen Begriff von den Größenverhältnissen im Atom
zu erhalten, stelle man sich ein Atom nebst seiner Hülle von
Elektronen als eine Kugel mit .einem Durchmesser von 10 cm
vor. In dieses Bild könnte man die Elektronen und den Kern
überhaupt kaum maßstabgerecht einzeichnen. Dazu sind sie
zu klein. Der Atomkern wäre ein winziges
Stäubchen mit einem Durchmesser von etwa
1/100 mm, und die Elektronen wären etwa ebenso
groß.
Das leichteste Atom, das Wasserstoffatom,
besteht aus einem Kern mit einem einzigen
Elementarquantum und besitzt daher in seiner Abb.4.
Schema des
Hülle auch nur ein einziges Elektron. Man Wasserstoffatoms
sagt, der Kern hat die Ladung 1. Wenn man
sich von diesem Atom eine anschauliche Vorstellung machen
will, so muß man bedenken, daß das Elektron sich um den
Kern herum bewegen muß - wie ein Planet um die
. Sonne -, sonst würde es in den Kern hineinstürzen. Man
muß also die Bahn des Elektrons zeichnen, und wir wollen mit
Bohr zunächst als Arbeitshypothese voraussetzen, sie sei eine
Kreisbahn (Abb.4).
Das Wasserstoffatom ist das einfachste Atom. Ihm folgt als
nächstes das Heliumatom mit der Ladung 2, also mit zwei posi-
tiven Elementarquanten im Kern und mit zwei Elektronen in
der Hülle. Und so geht es weiter bis zum schwersten Atom,
dem Uran atom, das die Kernladung 92 hat. In der Tabelle 11
am Schluß des Buches sind die entsprechenden Angaben zu
finden.
3 Heisenberg, Atomkerne
27
Wiederum erhebt sich hier die Frage, inwieweit die durch
'das Atommodell von Rutherford gelieferte anschauliche Vor-
stellung wörtlich genommen werden darf. Kann man wohl er-
warten, daß man mit einem idealen Ubermikroskop die Elek-
tronen wirklich einmal um den Kern herumlaufen sehen wird?
Auch jetzt müßte man wegen der Bewegung des Elektrons auf
jeden Fall Momentaufnahmen machen. Nach unserer -heutigen
Kenntnis kann man nicht daran zweifeln, daß eine solche Mo-
mentaufnahme des Wasserstoffatoms uns tatsächlich ein Bild
eines Atoms von der Art geben würde, wie wir es eben be-
schrieben haben: zwei Punktladungen in einem Abstand der
Größenordnung ein zehnmillionstel Millimeter. Das ist der an-
schauliche Sinn des Rutherfordschen Atommodells. Natürlich
wäre das kein Bild in bestimmten Farben; Unsere Aufnahme
wird ja auch gar nicht mit Lichtstrahlen, sondern mit Elek-
tronenstrahlen gemacht. Aber zweifellos würde eine solche Mo-
mentaufnahme eines Wasserstoffatoms zwei Teilchen zeigen,
den Atomkern und ein Elektron.
Wenn man aber aus dem Elektronenmikroskop eine Art
von Kinematographen machen würde, könnte man dann wohl
auch die Bewegung des Elektrons um den Atomkern verfolgen,
die Bahn bestimUJ,en? Hier stoßen wir auf eine grundsätzliche
Schwierigkeit, die deutlich macht, daß wir bei unserem Atom-
modell bereits an den Grenzen der Anschaulichkeit angekom-
men sind. Nachdem wir nämlich die erste Aufnahme unseres
Films gemacht haben, sind wir gar nicht mehr in der Lage,
eine zweite Aufnahme des gleichen Atoms zu machen, denn
wir finden es nicht zum zweitenmal ungestört vor. Durch die
Elektronen, welche die erste Aufnahme bewirkten, wird das
Atom bereits zerstört. Der Anprall der zur Abbildung benutz-
ten Elektronen reißt das eigene Elektron des Atoms aus dem
Atomverband heraus, und das, was die zweite Aufnahme
zeigen würde, wäre jedenfalls nicht mehr das gleiche, unver-
änderte Atom. Bestenfalls würden wir das Elektron bei der
zweiten Aufnahme irgendwo weit draußen, fern vom Atom-
kern, vorfinden.
28
Es ist also offenbar grundsätzlich unmöglich, die Bahn eines
Elektrons im Atom zu beobachten. Das liegt aber nicht an
irgendeiner - vielleicht noch behebbaren - Unzulänglichkeit
unseres idealen Mikroskops, das als so günstig angenommen
wurde, wie die Naturgesetze es irgend zulassen. Es liegt viel-
mehr an den Naturgesetzen selbst. Eine scharfe Aufnahme
eines Atoms ist naturgesetzlieh nur möglich, wenn es mit sehr
gewaltsamen Mitteln angegriffen wird, also etwa mit einem
Elektronenmikroskop, in dem die Elektronen durch eine sehr
hohe Spannung beschleunigt werden. Dann aber ist es unver-
meidlich, daß das Elektron des Atoms aus seiner Bahn ge-
rissen wird.
Es kann uns daher nicht wundern, wenn wir hier an die
Grenzen der Anschaulichkeit kommen und wenn die Vorstel-
lung von den um den Kern kreisenden Elektronen nicht mehr
in dem gleichen Sinne wörtlich genommen werden darf wie
die Vorstellung, daß eirt Wassermolekül aus zwei Wasserstoff-
atomen und einem Sauerstoffatom besteht, die in Form eines
Dreiecks angeordnet sind.
Die Grenze, die hier der Anschaulichkeit gesetzt ist, kann
durch eine Beziehung, die "Unbestimmtheitsrelation", die aus
der Quantentheorie folgt, genauer formuliert werden. Sie läßt
sich am einfachsten etwa in folgender Form ausdrücken: Man
kann nie die beiden für die Bewegung entscheidenden Bestim-
mungsstücke eines solchen kleinsten Teilchens - etwa seinen
Ort und seine Geschwindigkeit - gleichzeitig genau kennen.
Man kann nie gleichzeitig wissen, wo es ist und wie sChnell
und in welcher Richtung es sich bewegt. Wel'lD man ein Ex-
periment macht, das genau angibt, wo es sich im Augenblick
befindet, so wird die Bewegung in solchem Grade gestört, daß
man das Teilchen nachher gar nicht mehr wied~rfinden kann.
Umgekehrt wird bei einer genauen Messung der Geschwindig-
keit das Bild des Ortes völlig verwischt.
Damit habe ich aber schon vorgegriffen und das Ende einer
Entwicklung geschildert, die ich nunmehr von Anfang an skiz-
zieren muß.
3*
29
Das Atommodell hat - ganz abgesehen von der Schwie-
rigkeit der anschaulichen Vorstellung - auch sonst noch
einige Züge, die gar nicht in die Erfahrung zu passen scheinen.
Ein um einen Atomkern kreisendes Elektron sollte nach
unserem ganzen früheren Wissen gar nicht beliebig lange in
einer Kreis- oder Ellipsenbahn um einen Atomkern kreisen
können. Es ist ja erstens elektrisch geladen, und zweitens
führt es Schwingungen um den Kern aus. Genau wie die
Schwingungen von Elektronen in einer Rundfunkantenne eine
elektrische Welle erzeugen, so sollte auch von dem am Atom
schwingenden Elektron eine StrahlunlJswelle ausgehen, -die
wir in diesem Fall als ultraviolettes I,.icht beobachten würden.
Das wäre aber mit der Ausstrahlung von Energie verbunden,
die auf Kosten der Bewegungsenergie des kreisenden Elek-
trons gehen müßte, und das hätte zur Folge, daß das Elektron
nach einiger Zeit in den Kern stürzen und zur Ruhe kommen
müßte. Also ganz anders, als es uns das Atommodell mit
seinen unveränderlich kreisenden Elektronen darstellt. Und
selbst wenn man dieser Strahlung auf irgendeine Weise ent-
gehen könnte, so wird doch die ganze Stabilität der che-
mischen Eigenschaften der Atome aus dem Rutheriordschen
Modell in keiner Weise verständlich.
Die Aufgabe, die Stabilität der Atome mit dem Atommodell
von Rutherford in Einklang zu bringen, hat der Däne Niels
Bohr im Jahre 1913 gelöst, und zwar dadurch, daß er die von
Max Planck begründete Quantentheorie zur Grundlage seiner
Betrachtungen machte. Planck hatte im Jahre 1900 - zunächst
rein empirisch - sein Strahlungs gesetz aufgestellt, das die
Wärmestrahlung des sogenannten schwarzen Körpers (das
heißt eines Körpers, der so beschaffen ist, daß er jegliche auf
ihn fallende Strahlung absorbiert und deshalb nach einem von
Kirchhoit stammenden Gesetz auch am stärksten von allen
Körpern strahlt) in Ubereinstimmung mit der Erfahrung wieder-
gibt. Bei dem Versuch, diesem Gesetz nachträglich eine phy-
sikalische Deutung zu geben, war Planck auf eine höchst
eigentümliche Unstetigkeit im Naturgeschehen gestoßen. Er
30
konnte sein Strahlungsgesetz nur mit Hilfe der merkwürdigen
Annahme begründen, daß die kleinsten strahlenden Teilchen,
also doch wohl die Atome, nicht - wie es nach dem bis-
herigen Wissen hätte sein sollen - die stetige Folge aller
möglichen Energiewerte ihrer Schwingungen annehmen kön-
nen, sondern nur eine Folge ganz bestimmter, verschiedener
Energiewerte. Es schien sogar so - wie spätere Forschungen
gezeigt haben -, als komme auch der ausgesandten Strahlung
dieser Zug von Diskontinuität, von Unstetigkeit, zu, als be-
stehe das Licht, das man sich bis dahin als einen Wellenvor-
gang vorgestellt hatte, aus einzelnen Energiequanten. Planck
erkannie, daß Licht von der Schwingungszahl v in Energie-
quanten ausgesandt und absorbiert werden müsse, deren Größe
der Schwingungszahl proportional ist, und setzte ihre Energie
gleich h v. Die hier auftretende Konstante h, das Plancksche
Wirkungs quantum, ist auch in der Tabelle I verzeichnet. Im
Zeichen dieser Naturkonstanten steht seit einigen Jahrzehnten
die Entwicklung der gesamten Physik.
Mit der Aufstellung des Begriffs der Energiequanten des
Lichtes, der Lichtquanten, trat eine sehr sonderbare Lage ein.
Es steht einerseits fest, daß man gewisse Erscheinungen beim
Licht, nämlich die Interferenzerscheinungen, auf keine andere
Weise anschaulich verstehen kann, als dadurch, daß man sich
das Licht als einen Wellenvorgang vorstellt. Für das Ver-
ständnis anderer Erscheinungen dagegen ist die Vorstellung
von den Lichtquanten ebenso zwingend. In diesem Bilde aber
erscheint da.s Licht nicht als eine Welle, die sich rings im
Raum ausbreitet, sondern wie eine Menge von Teilchen, die
geradlinig durch den Raum fliegen. Man kommt also nicht ohne
zwei völlig verschiedene anschauliche Vorstellungen vom
Lichte aus. Man kann von einem Dualismus von Wellen und
Teilchen sprechen, von einem Wellenbild und einem Teilchen-
bild des Lichtes.
Bohr knüpfte nun an das soeben erwähnte Moment von
Unstetigkeit im atomaren Geschehen an und machte die An-
nahme, daß die Atome nur in ganz bestimmten Zuständen, die
31
durch bestimmte Elektronenbahnen, d. h. ganz bestimmte Ener-
giestufen ihrer Elektronen gekennzeichnet sind, längere Zeit
existieren können und daß sie in diesen stationären Zuständen
nicht strahlen. Diese Hypothese erklärte die Stabilität der
Atome; aber es war noch ein weiter Weg von ihr .bis zur
Kenntnis der Naturgesetze, nach denen sich die Hülle eines
Atoms aufbaut.
Im ersten Jahrzehnt der Bohrschen Theorie wurde das Ver-
ständnis der chemischen Eigenschaften der Elemente auf Grund
32
trachten wir noch einmal die Bahnen der Alphateilchen in der
Abb.3. Hier tritt. uns ihre Teilchennatur auf das handgreif-
lichste vor Augen. Man kann beim Anblick dieser Bahnen
schlechterdings nicht zweifeln, daß hier wirklich sehr kleine
Teilchen durch den Raum geflogen sind und gelegentlich eine
Ablenkung erfahren haben.
Andererseits gibt es aber Experimente, die mit genau der
gierehen Sicherheit darauf deuten, daß es sich bei den Alpha-
strahlen nicht um Teilchen, sondern um Wellen handelt, -die
35
pendele auf einer Geraden um den Atomkern herum. Man
stellt sich dann also das Atom so vor, wie die Abb. Ta zeigt.
Andererseits kann man den Zustand der Elektronenmaterie
im Wasserstoffatom auch als Wellenvorgang auffassen
(Abb. Tb). Würde man Tausende von Momentaufnahmen des
Atoms im Grundzustand machen und sie alle übereinander
kopieren, so würde man eine Dichteverteilung oder Wahr-
scheinlichkeitsverteilung bekommen, wie sie die Abl:1. Tb dar"
stellt. Sie ist aus Schrödingers Wellenmechanik berechnet.
. .. ..
7a
• ". I
1S 2p 2 s
7b
1s 2p 2s
Abb. 7 a u. 7b. Wasserstoffato.m im Grundzustand und in angereglen Zuständen
36
ist wieder nur ein Bild, ein Modell, ein Hilfsmittel unserer An-
schauung, und erhält seinen konkreten Inhalt erst durch
Tausende von Momentaufnahmen. Wln man die gleichen
stationären Zustände im Teilchenbild zeichnen, so kommt man
zum Bilde einer Kreisbahn, wie in der ursprünglichen Bohrsehen
Theorie. Diese Bahn kann aber verschiedene Lagen im Raume
annehmen, und die Uberlagerung aller dieser möglichen Zu-
stände ergibt eine Wahrscheinlichkeits- oder Dichteverteilung,
bei der diejenige Knotenebene auftritt, die im Wellenbild
sichtbar ist.
Für einen höher angeregten Zustand (2 s) erhält man in der
Mitte eine hohe Dichte und außen einen dünn belegten Ring.
Es besteht dann immer eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür,
das Elektron auch einmal außen in der Gegend des Ringes
anzutreffen.
Auf die Einzelheiten soll hier nicht weiter eingegangen
werden. Es lag mir nur daran, einEm ungefähren Eindruck
davon zu vermitteln, mit welchen Bildern die heutige Physik
arbeitet, um den Bau der Atome auf irgendeine Weise an-
schaulich zu machen. Warum ein solches anschauliches Bild
niemals alie Züge des Atombaus gleichzeitig erfassen kann,
wurde schon besprochen.
37
seit etwa 100 Jahren, daß sich in dieser Folge die chemischen
Eigenschaften in ihren großen Zügen bis zu einem gewissen
Grade periodisch wiederholen (Tab. III). Bricht man die Folge
jeweils am Ende einer solchen Periode ab und beginnt von da
ab wieder mit einer neuen Zeile, so erhält man das bekannte
periodische System der Elemente von Mendelejew und Lothar
Meyer. Diese Periodizität der chemischen Eigenschaften wird
nach Bohr auf Grund der Atomtheorie folgendermaßen ver-
ständlich:
Nach einem von Pauli aufgestellten Prinzip kann die gleiche
Elektronenbahn nicht von mehreren Elektronen besetzt sein.
Vielmehr hat in einer Bahn (oder: einer stehenden Schwingung
mit einer bestimmten Knotenzahl) jeweils nur ein einziges
Elektron Platz. Dieses Prinzip muß hier ohne Begründung an-
geführt werden. Besitzt also ein Atom mehrere Elektronen, so
müssen die zum ersten Elektron hinzukommenden Elektronen
in immer neuen und immer weiter außenliegenden Bahnen
angelagert werden. Es ist bei solchen Dberlegungen nützlich,
wenn man sich nicht von vornherein das fertige Atom vorstellt,
sondern zunächst vom nackten Kern ausgeht und sich vorstellt,
daß ein Elektron nach dem anderen von innen nach außen an-
gelagert wird, bis schließlich die für das betreffende Element
charakteristische Elektronenzahl erreicht ist.
Wenn man nach diesem Aufbauprinzip die Anlag~rung der
einzelnen Elektronen verfolgt, so ergibt sich, daß jeweils nach
der Anlagerung einer bestimmten Anzahl von Elektronen ein
gewisser Abschluß erfolgt, indem die außen angelagerten Elek-
tronen gleich in einem erheblich größeren Abstand vom Kern
eingebaut werden müssen. Man spricht davon, daß die Atom-
hülle aus einzelnen Schalen aufgebaut sei. Eine besondere
Stellung nehmen diejenigen Elemente ein, deren Atomhülle mit
vollendetem Aufbau einer solchen Schale ebenfalls vollendet
ist. Das sind die sogenannten Edelgase. Das erste derselben,
das Helium, kann man sich im Teilchenbilde vorstellen als
einen Kern, der in ungefähr gleichem Abstande von zwei Elek-
tronen umkreist wird (Abb. 8a). Die erste Schale ist also bereits
38
mit zwei Elektronen abgeschlossen. Das folgende Element, das
Lithium, hat ein Elektron mehr, und dieses dritte Elektron läuft
in einer viel weiter außenliegenden Bahn, als einziges Elektron
einer neuen Schale (Abb. 8b). Es leuchtet ein, daß dieses Atom
besonders leicht ein Elektron abgeben kann, also besonders
häufig als positives Ion vorkommt. Damit wird der elektro-
positive Charakter des Lithiums, also der wichtigste Zug im
chemischen Verhalten dieses Elements, verständlich.
a b
39
vorkommen. Es ist klar, daß die Elemente, die am Anfang
jeder Periode stehen (der Wasserstoff und die Alkalien) und
deshalb gern ein Elektron abgeben, sich besonders leicht mit
einem der vorletzten Elemente jeder Periode· - den Halogenen
- vereinigen, welche gern ein Elektron aufnehm.en. Beispiele
sind der Fluorwasserstoff (HF) und das Natriumchlorid, unser
Kochsalz (NaCl).
Die 3. Periode, welche mit dem Natrium beginnt und mit
dem Argon endet, enthält wiederum 8 Elemente. In der Folge
wird das periodische System etwas verwickelter. Die 4. Periode
- vom Kalium bis zum Krypton - und die 5. Periode vom
Rubidium bis zum Xenon - enthalten je 18, die 6. Periode
- vom Caesium bis zum Edelgas Emanation - 32 Elemente.
Den Abschluß bildet eine offensichtlich unvoHständige Periode,
die mit dem Uran endet. Die Besetzungszahlen der Perioden,
2, 8, 18, 32 oder 2 . 12 , 2' 22 , 2 . 32 , 2 . 42 , gehorchen, wie man
sieht, einer einfachen mathematischen Beziehung. Sie läßt sich
aus den Knotenzahlen der einzelnen Schwingungszustände ab-
leiten, von denen schon die Rede war, doch kann hier auf
diese Ab'leitung nicht eingegangen werden.
Wir haben damit einen allgemeinen, allerdings nur ober-
flächlichen Uberblick über unser heutiges Wissen vom Bau
der Atomhüllen gegeben. Dieses Wissen versetzt die Physik
in die Lage, die chemischen Eigenschaften der einzelnen Ele-
mente wenigstens in ihren großen Zügen zu verstehen. Grund-
sätzlich könnte man mit Hilfe der Quantenmechanik alle
chemischen Größen, wie Wärmetönungen, Affinitäten usw.
quantitativ berechnen. Aber die mathematischen Schwierig-
keiten sind im allgemeinen so groß, daß solche Rechnungen
bisher nur in einigen einfachsten Fällen tatsächlich durch-
geführt worden sind.
Damit schließen wir unsere Betrachtungen über die Atom-
hülle und wenden uns zu unserem Hauptthema, den Atom-
kernen.
40
Dritter Vortrag
Die Radioaktivität
und die Bausteine der Atomkerne
1. Die Radioaktivität
42
Änderung der Kernladungszahl verknüpft. Da nun die che-
mischen Eigenschaften der Elemente durch die Kernladung
ihrer Atome bestimmt werden, so folgt, daß mit einer Alpha-
oder Betastrahlung eine Elementumwandlung einhergehen muß.
Am Beispiel des Radiums sei dieser Sachverhalt näher er-
läutert. Das Radium hat die Masse 226 lInd die Kernladnng 88,
wird also durch das Symbol ~Ra dargestellt. Seine Atomhülle
enthält dementsprechend 88 Elektronen, und da 86 Elektronen
eine abgeschlossene Schale bilden, wird sein chemisches Ver-
halten weitgehend durch die zwei Elektronen bestimmt, die
außerhalb dieser Schale den Atomkern umkreisen; Radium
verhält sich also chemisch wie eine Erde, wie Barium oder
Strontium. Der Radiumatomkern sendet Alphastrahlen aus und
dadurch sinkt seine Masse auf 222, seine Ladung auf 86. Es ent-
steht ein neues Element, das - ebenfalls radioaktive - Edel-
gas Radium-Emanation mit dem Symbol 2~~ RaEm. Dieses Atom
enthält wegen seiner Kernladung nur 86 Elektronen in der Atom-
hülle, die gerade eine abgeschlossene Schale bilden. Das Atom
ist daher chemisch inaktiv, das Element ist ein Edelgas. Der
Prozeß der Aussendung eines Alphateilchens durch ein Radium-
atom und der Entstehung eines Emanationsatoms wird also
durch folgende Formel beschrieben:
226 Ra -+ 222
~ ~
Ra Em +2
4 He
'
Links steht das Ausgangsatom, rechts das, was aus ihm ge-
worden ist. In einer solchen Formel muß stets die Summe der
oberen Indizes auf beiden Seiten gleich groß sein, in unserem
Fall 226 = 222 + 4. Das folgt aus dem Gesetz. von der Erhaltung
der Masse. Das gleiche gilt für die unteren Indizes, hier
88 = 86 + 2, und folgt aus dem Satz von der Erhaltung der
elektrischen Ladung. Entsprechende Gleichungen gelten für
Prozesse, bei denen eine Betastrahlung auftritt.
Die Alphateilchen, die aus einem einheitlichen radioaktiven
Stoff herauskommen, haben alle - oder wenigstens fast alle
- sehr gen au die gleiche Reichweite. Man sieht das sehr schön
4 Heisenberg, Atomkerne
43
in der Nebelkammeraufnahme der Abb. 3. Dort handelt es sich
um den aufeinanderfolgenden Zerfall zweier radioaktiver
Elemente, man erhält also zwei Gruppen von Alphastrahlen.
Die Reichweite beträgt bei den verschiedenen radioaktiven
Stoffen in Luft zwischen. 1 und 8 cm und ist offenbar abhängig
von der Energie, mit der die Teilchen den Atomkern verlassen.
Je größer die Energie, um so größer auch die Reichweite.
Eine große Verschiedenheit zeigen die einzelnen radioaktiven
Stoffe in der Geschwindigkeit, mit der sie sich umwandeln.
Manche sind sehr kurzlebig, andere wieder sehr langlebig und
zeigen über lange Zeiten keine merkliche Abnahme ihrer Radio-
aktivität. Es besteht offenbar für die Atome der verschiedenen
radioaktiven Stoffe eine sehr verschiedene, aber für jeden Stoff
charakteristische Wahrscheinlichkeit ihres radioaktiven Zer-
falls. Genauer gesagt, es gibt für jeden Stoff eine zahlenmäßig
angebbare Wahrscheinlichkeit dafür, daß irgend ein bestimmtes
seiner Atome gerade in der auf diesen Augenblick folgenden
Sekunde zerfallen wird. Der Kehrwert dieser Wahrscheinlich-
. keit ist die mittlere Lebensdauer des Stoffes. Die Wahrschein-
lichkeit, also auch die mittlere Lebensdauer, ist unabhängig
davon, wie viele Atome bereits zerfallen sind. Daraus folgt,
daß pro Zeiteinheit stets der gleiche Bruchteil der noch unzer-
fallenen Atome zerfällt. Dieses Gesetz drückt sich durch die
Gleichung aus
44
N = No· e- In 2 = 1/2 NO.} Das vorstehende Gesetz gilt für die
Alphastrahlung wie für die Betastrahlung.
Ein einheitlicher Stoff ist also in seinen radioaktiven Eigen-
schaften vor allem durch zweierlei bestimmt: Die Art der aus-
geschleuderten Teilchen und die Lebensdauer oder die Halb-
wertzeit.
Eine etwas andere Rolle spielen die Gammastrahlen. Zu-
nächst sei erwähnt, daß sie bei der natürlichen Radioaktivität
niemals für sich allein, sondern nur in Verbindung mit einer
der beiden anderen Strahlenarten auftreten. Die Gammastrahlen
sind noch durchdringender als die mit ihnen im übrigen wesens-
gleichen Röntgenstrahlen und als die Alpha- und Betastrahlen.
Zur ungefähren Kennzeichnung kann man sagen, daß eine
Alphastrahlung schon durch ein Blatt Papier, eine Betastrahlung
durch etwa 100 Blätter absorbiert wird, eine Gammastrahlung
aber erst durch einige dicke Bände. Wie schon gesagt sind die
Gammastrahlen nicht ablenkbar, auch können sie Iücht, wie die
Alpha- und Betastrahlen, in der Nebelkammer sichtbar gemacht
werden. Zwar ionisieren auch sie die Luft, aber nicht direkt,
sondern nur indirekt auf dem Umwege über die von ihnen aus-
geschleuderten Elektronen; in der Nebelkammer sieht man
immer nur die Bahnen der durch sie erzeugten Sekundär-
teilchen. Die Bahnen der Gammastrahlen selbst sind nicht
sichtbar. Diese beiden Tatsachen passen gut zusammen, denn
sie finden ihre Deutung beide in der fehlenden elektrischen
Ladung der Gammastrahlen.
Tatsächlich unterscheiden sich die Gammastrahlen von den
Röntgenstrahlen oder gar vom sichbaren Licht grundsätzlich
nur durch ihre sehr viel kleinere Wellenlänge. Sie gehören also
in das Gebiet der elektromagnetischen Wellen, deren lang-
weIligste Vertreter die Rundfunkwellen sind. Allerdings wissen
wir, daß für alle diese Strahlungen der schon erwähnte Dualis-
mus von Wellen und Teilchen besteht. Wenn wir also soeben
von den Gammastrahlen gesprochen haben als von einer elek-
tromagnetischen Welle, die den Atomkern verläßt, so können
wir andererseits im Teilch.enbild von einem Teilchen, einem
4*
45
sehr energiereichen Lichtquant, sprechen, das vom Atomkern
ausgeschleudert wird und sich mit Lichtgeschwindigkeit durch
den Raum bewegt.
Die Tatsache, daß Atomkerne unter Umständen Gamma-
strahlen aussenden können, ist durchaus verständlich. Wir
wissen ja, daß die Atomhülle Licht aussenden kann, wenn die
Atome etwa durch eine Gasentladung angeregt werden, oder
auch Röntgenstrahlen, wenn ihnen durch sehr schnelle Elek-
tronen Teilchen aus den inneren Schalen der Atomhülle her-
ausgeschlagen werden. Das ist verständlich, denn die Atom-
hülle ist ein elektrisches System, und bei jeder Störung eines
solchen werden elektromagnetische Wellen ausgesandt. Aber
auch der Atomkern ist, wie seine Ladung zeigt, ein elektrisches
System, und daher muß man erwarten, daß auch er bei be-
stimmten inneren Vorgängen_ elektromagnetische Wellen, näm-
lich die Gammastrahlen, aussendet.
Bei der natürlichen Radioaktivität treten BetateilChen
immer nur mit negativer Ladung, also als negaJ:ive Elektronen,
auf. Wir wollen schon hier vorwegnehmen, daß bei künstlich
erzeugten radioaktiven Stoffen auch positive Elektronen vor-
kommen, also Teilchen mit gleicher Masse wie die negativen
Elektronen, aber mit einem positiven Elementarquantum. Man
nennt sie heute Positronen und versteht unter Elektronen
schlechthin meist nur die negative Spielart. Es erhebt sich die
Frage, warum man Positronen nicht schon längst beobachtet
hat, und warum sie nicht auch in den Atomhüllen vorkommen.
Die Antwort ergibt sich aus der Erfahrung, daß die Positronen
sehr kurzlebig sind. Sobald sie in die Nähe eines Elektrons
kommen, was in der Regel nach sehr kurzer Zeit geschieht, so
vereinigen sie sich mit ihm zu einem elektrisch neutralen Ge-
bilde; es entstehen ein oder zwei Gammaquanten, d. h. sehr
kurzweIlige Lichtquanten. Man bezeiehnet diesen Vorgang als
Zerstrahlung. Die Existenz von Positronen sowie die Zerstrah-
lung wurden bereits vor ihrer Entdeckung von Dirae vorher-
gesagt, und diese Voraussage hat sich dann nachträglich be-
stätigt. Die Zerstrahlung hat auch ihr Gegenstück, es kann sich
46
ein Lichtquant in ein Elektron und ein Positron verwandeln,
wenn es in das starke Feld in nächster Nähe eines Atomkerns
gerät. Man kann eine solche Paarerzeugung durch ein Licht-
quant in der Nebelkammer beobachten. Die Abb. 9 zeigt eine
solche Aufnahme. In der Kammer herrscht ein starkes magne-
tisches Feld, welches Elektronen nach der einen, Positronen
nach der anderen Seite ablenkt, so daß sie Kreisbahnen be-
47
und einem Positron zusammengesetzt sei. Ein Lichtquant
oder, wie man sagt, ein Photon, ist sicher im eigentlichsten
Sinne ein echtes Elementarteilchen. Es ist aber einer Ver-
wandlung fähig, wenn es mit anderen Elementarteilchen oder
mit starken Feldern in Wechselwirkung tritt. Ganz allgemein
hat der Begriff "Elementarteilchen" in der modernen Physik
eine Wandlung durchgemacht. Nur mit einer gewissen Ein-
,schränkung kann man die Elementarteilchen als die "letzten
unteilbaren Bausteine der Materie" bezeichnen. Denn es hat
sich gezeigt, daß die Elementarteilchen sich fast beliebig inein-
ander umwandeln können, sofern <las nur unter den gegebenen
Bedingungen mit den Erhaltungssätzen vereinbar ist. Aber
eben deswegen hat es auch keinen Sinn, das eine als aus
anderen zusammengesetzt zu bezeichnen.
Die Betateilchen haben eine sehr viel größere Reichweite
als die Alphastrahlen. Das liegt nicht etwa dar an, daß sie eine
größere Energie hätten, sondern vor allem dar an, daß sie wegen
ihrer kleineren Ladung und ihrer größeren Geschwindigkeit
sehr viel weniger ionisieren und deshalb längs ihres Weges
ihre Energie viel langsamer verlieren.
Zwischen den Alpha- und Betastrahlen besteht ab~r noch
ein weiterer, sehr charakteristischer Untersc.hied. Die Alpha-
strahlen eines einheitlichen radioaktiven Stoffes haben sehr
genau die gleithe Reichweite, also auch die gleiche Energie.
Das ist ja eigentlich auch zu erwarten. Denn ebenso wie die
bei einer chemischen Reaktion frei werdende Energie durch
den Anfangs- und den Endzustand des Systems bestimmt ist, so
sollte die bei einem radioaktiven Zerfall frei werdende Energie,
also im wesentlichen die Energie des Alphateilchens, nur von
dem Anfangs- und Endzustand des Atomkerns abhängen. Alle
Atomkerne der gleichen Art haben im allgemeinen auch die
gleiche Energie. Bei den Betastrahlen verhält es sich aber
anders als bei den Alphastrahlen. Aus einem einheitlichen
radioaktiven Stoff kommen Betateilchen aller möglichen Ge-
schwindigkeiten heraus, von einem oberen Grenzwert bis zu
beliebig kleinen Werten. Es scheint, daß die dem oberen Grenz-
48
wert entsprechende Energie mit der Differenz der Energien des
Atoms im Anfangs- und Endzustand identisch ist. Das Auf-
treten von langsameren Teilchen würde uns aber in einen
Widerspruch mit dem Energieprinzip führen, wenn die den
einzelnen Betateilchen fehlende Energie nicht auf irgendeine
andere Weise dem Atomkern en.tzogen würde. Man gelangt
daher zu der von Pauli begründeten Vorstellung, daß gleich-
zeitig mit jedem Betateilchen noch ein weiteres Teilchen den
Kern verläßt, das den Energieüberschuß mit sich führt. Die
stets in gleichem Betrage verfügbare Energie verteilt sich dann
nach bestimmten statistischen Regeln auf das Betateilchen und
das neue Teilchen.
Dieses Teilchen muß ungeladen sein, da andernfalls die
durch die Erfahrung ausnahmslos bestätigte Tatsache nicht ver-
ständlich wäre, daß bei einer Betastrahlung die Kernladung um
eine Einheit wächst. Das Fehlen einer Ladung ergibt sich auch
daraus, daß die Teilchen nicht in der Nebelkammer beobachtet
werden. Weil dieses Teilchen also elektrisch neutral ist, und
weil überdies seine Masse sicher sehr klein ist, bezeichnet
man es als Neutrino. Die Masse ist nach den vorliegenden
experimentellen Erfahrungen kleiner als diejenige der Elek-
tronen. Ob sie gleich Null ist, wie die Ruhmasse der licht-
quanten, kann noch nicht mit Sicherheit. entschieden werden.
2. Künstliche Kernumwandlungen
Damit haben wir diejenigen Vorgänge erörtert, bei denen
uns Atome von selbst Hinweise auf die Beschaffenheit ihrer
Kerne geben. Wir gehen nun zu den Versuchen über, durch
gewaltsamen Eingriff nähere Einzelheiten über den Atomkern
zu erfahren. Wieder ist es Rutherford gewesen,. dem der erste
Schritt in dieser Entwicklung gelang. Er fand das rechte W~rk
zeug zur künstlichen Umwandlung eines Atoms in ein anderes,
und zwar dadurch, daß er Atome mit Alphateilchen beschoß.
Im Jahre 1919- gelang ihm auf diese Weise die erste künstliche
Veränderung eines Elements, und zwar die Umwandlung von
49
Stickstoff in Sauerstoff. Man darf allerdings nicht glauben, daß
man auf diese Weise wägbare Mengen von Stoffen überführen
könnte. Es handelt sich immer nur um eine sehr kleine Zahl
von umgewandelten Atomen. Das schmälert aber nicht die
grundsätzliche Bedeutung dieser Entdeckung.
Rutherford fand, daß beim Beschuß von Stickstoffatomen
mit Alphastrahlen eine StrahleIiart auftritt, die aus positiv
geladen.en Wasserstoffatomen, also aus Wasserstoff-Atom-
kernen besteht. Der Wasserstoffatomkern ist ein Elementar-
teilchen und, wie nbch besprochen werden wird, einer der
wichtigsten Grundbausteine der Materie. Er hat daher den
Namen Proton erhalten. Beim Beschuß von Stickstoffatomeil
mit Alphateilchen, das heißt mit Heliumkernen, wird also ge-
legentlich ein Proton aus dem Stickstoffkern herausgeschlagen.
Statt dessen bleibt das Alphateilchen im Kern stecken. Die
Sätze von der Erhaltung der Masse und der Energie erlauben
zu berechnen, was dabei aus dem Kern wird. Der Stickstoffkern
hat die Masse 14 und die Ladung 1; sein Symbol ist also l~N.
Beim Alphateilchen betragen diese Zahlen 4 und 2; sein Sym-
bol, ~ He, wurde schon erwähnt. Das Symbol des Protons ist
entsprechend ~H. Bezüglich der Masse geht also mit dem
Stickstoffkern bei der Aufnahme eines Alphateilchens und der
Abgabe eines Protons eine Umwandlung nach der Gleichung
14 + 4 -1 = 11
vor sich. Bezüglich seiner Ladung muß aber die Gleichung
1+2~1=8
gelten. Es entsteht also ein Kern mit der Masse 11 und der
Kernladung 8. Aus der letzteren entnimmt man, daß es sich
um ein Sauerstoffatom handeln muß. Die Masse 11 entspricht
aber nicht der Masse 16 des gewöhnlichen Sauerstoffatoms.
Tatsächlich handelt es sich um ein seltenes sogenanntes Isotop
des Sauerstoffs. Mit solchen Isotopen werden wir uns später
noch beschäftigen. Diese Umwandlung von l~ N in l~O ist das
berühmte erste Beispiel einer künstlichen Verwandlung eines
Elements in ein anderes.
50
Solche Kernreaktionen kann man durch Formeln darstell~n.
In dem obigen Falle sieht sie so aus:
I~N+~He-+ l~O +:H.
Man kann derartige Kernumwandlungen in der Nebel-
kammer beobachten. Da es sich dabei aber um einen sehr
51
Anfangspunkt der schrägen Bahn aus nach links oben geht. An
dieser Stelle hat sich eine Kernumwandlung durch ein Alpha-
teilchen ereignet. Die beiden Spuren sind erstens die Bahn des
aus dem Kern herausgeschlagenen Protons und zweitens die
des umgewandelten Kerns, der bei diesem Vorgang einen hef-
tigen, Stoß erlitten hat.
Diese Versuche deuten darauf hin, daß wahrscheinlich Pro-
tonen Bausteine der Atomkerne -sind, und wir erinnern uns der
Proutschen Hypothese, daß alle Atome aus Wasserstoff auf-
gebaut seien.
Im Jahre 1932 wurde indessen eine weitere und bis dahin
völlig unbekannte Art von Teilchen entdeckt, die man auf
entsprechende Weise aus Atomkernen herausschlagen kann.
Diese Entdeckung gelang den Forschern Joliot, Curie und Chad-
wick in Verfolgung eines zuerst in Deutschland von Bothe be-
schrittenen Weges. Es handelt sich um ein Teilchen, das fast
genau die gleiche Masse hat wie das Proton, aber keine elek-
trische Ladung trägt, das daher auch in der Nebelkammer
keine sichtbare Spur hinter läßt. Man nannte es das Neutron.
Die erste Kernreaktion, bei der die Aussendung eines Neutrons
beobachtet wurde, ist d,ie Umwandlung von Beryllium. Man
beschießt Berylliumatome der Masse 9 und der Ladung 4 (~Be)
mit Alphateilchen ~ He. Dabei entsteht ein Kohlenstoffk~rn mit
der Masse 12 und der Ladung 6. Für die Massen und die
Ladungen der beteiligten Gebilde gelten die Gleichungen
9 + 4- 12 = 1 und 4 + 2- 6 = O.
Bei diesem Vorgang wird also ein Teilchen mit der Masse 1 und
der Ladung 0 ausgeschleudert, eben ein "Neutron". Wir be-
zeichnen es mit dem Symbol ~n und können diese Kernreaktion,
wie man einen solchen Vorgang nennt, ebenso wie die schon
besprochene in einer Formel darstellen. Dabei berücksichtigen
wir noch, daß außer dem Neutron häufig auch noch ein Gamma-
quant ausgestrahlt wird, das wir mit dem Symbol y bezeichnen.
Dann laUtet die Formel
~Be +iHe ...... l~C + Ön + y.
52
Sehr häufig eritstehen bei solchen Kernreaktionen keine
stabilen, sondern instabile, radioaktive Atome, die sonst in der
Natur nicht vorkommen, und die sich dann erst im Laufe der
Zeit in irgend eine stabile Atomart umwandeln. Dabei werden
in den bisher bekannten Fällen nur Elektronen oder Positronen
ausgeschleudert. Damit haben wir eine Dbersicht über die
Teilchen, die - sei es von selbst, sei es bei äußerem Eingriff
- aus einem Atomkern herauskommen können.
53
verhalten. Bei den schwereren Teilchen mißt man dieses ma-
gnetische Moment in einer Einheit, die man als 1 Kernmagne-
ton (K. M.) bezeichnet, bei den leichten Teilchen in der größe--
ren Einheit 1 Bohrsches Magneton (B. M.) (v gl. die Tabelle I).
Schließlich müssen wir noch ein weiteres Elementarteilchen
erwähnen, das den Namen Meson trägt. Es wird bei der kos-
mischen Ultrastrahlung beobachtet (Anders on) , spielt aber vor-
läufig in der Kernphysik nur eine hypothetische Rolle. Seine
Masse ist 150- bis 200m al so groß wie die des Elektrons, es
trägt ein Elementarquantum und kommt als positives und als
negatives Meson vor. Im übrigen ist über seine Eigenschaften
noch nicht allzu viel bekannt.
In der Tabelle I c sind alle genannten Elementarteilchen
mit ihren Eigenschaften aufgeführt. Wenn wir sie als Elemen-
tarteilchen bezeichnen, so meinen wir damit, daß sie - im
Gegensatz zu den offenbar zerlegbaren chemischen Atomen -
nicht mehr aus kleineren Partikeln zusammengesetzt sind. Das
bedeutet aber keineswegs, daß sie nicht verwandelbar wären.
Vielmehr ist die Verwandelbarkeit geradezu ein charakte-
ristisches Merkmal eines Elementarteilchens. Ein Lichtq.uant
l<:ann sich in ein Elektron und ein Positron verwandeln, und
umgekehrt kann ein Lichtquant aus einem Elektron und einem
Positron entstehen. Es wäre aber falsch, oder zum mindesten
unzweckmäßig, wenn man deshalb sagen wollte, ein Lichtquant
sei ein aus einem Positron und einem Elektron zusammen-
gesetztes Gebilde. Denn es kann ja auch umgekehrt ein licht-
quant aus einem Elektron, z. B. beim Ubergang von einem zu
einem anderen Zustand entstehen. Es kann sich auch ein
Proton in Neutron und Positron oder ein Neutron in Proton und
Elektron verwandeln. Aber es ist nicht zweckmäßig, zu sagen,
daß etwa ein Proton aus einem Neutron und einem Positron
oder ein Neutron aus einem Proton und einem Elektron bestehe.
Es handelt sich vielmehr um echte Elementarteilchen, zu deren
Eigenschaften eben die Verwandelbarkeit gehört.
Bei der Musterung dieser Elementarteilchen müssen wir
uns nun nach Merkmalen umsehen, die uns einen Hinweis
54
geben, welche von ihnen alsethte Bausteine der Atomkerne
anzusehen sind, und welche eine andere Rolle spielen. Die
Tatsache nämlich, daß ein Teilchen aus dem Kern heraus-
kommen kann, ist noch keineswegs ein Beweis dafür, daß es
auch als ein Baustein des Kerns anzusprechen ist. Das zeigt
schon eine Betrachtung der Atomhülle. Sie besteht aus Elek-
tronen. Dennoch kommen gelegentlich andere Teilchen aus ihr
heraus, nämlich Lichtquanten. Wir bezeichnen sie aber nicht
als Bestandteile der Hülle, weil sie ja erst bei geWissen Zu-
standsänderungen der Hülle entstehen. Wir unterscheiden also
zwischen Teilchen, die stets in der Hülle vorhanden sind, und
die wir ihre eigentlichen Bausteine nennen, und solchen, die
nur gelegentlich infolge von Zustandsänderungen in ihr ent-
stehen und sie dann verlassen. Ersteres sind bei der Atomhülle
die Elektronen, letzteres die Lichtquanten. In gewissem Sinne
könnte man allerdings auch sagen, die Lichtquanten seien
bereits vorher in der Hülle vorhanden gewesen. Der Raum
innerhalb der Hülle zwischen den Elektronen ist zwar leer -
schnelle Teilchen können ihn ohne Schwierigkeit durch-
dringen -, aber dennoch enthält er etwas, nämlich das elek-
trische Feld, das wie ein Mörtel die Bausteine der Atom-
hülle an den Kern bindet; im Wellenbilde ist das ausgesandte
Licht eine elektromagnetische Welle, deren Energie eben auf
Kosten dieses Feldes geht. Im Grunde ist es ja nur eine Frage
der Bezeichnung, ob man sagt, das Feld sei auch eine Art von
Substanz, oder ob man sagt, es sei eine Eigenschaft des Raumes;
und insofern kann man auch behaupten, die Lichtquanten
seien als Feld schon vorher in der Hülle gewesen. Es ist aber
doch zweckmäßig, einen Unterschied zwischen den eigent-
lichen Kernbausteinen und dem bindenden Feld zu machen, ob-
gleich es kein grundsätzlicher Unterschied sein kann. Bei der
Atomhülle jedenfalls hat es einen guten Sinn, nur von den
Elektronen als den Bausteinen zu sprechen, während das Feld
die Funktion hat, die Elektronen an den Kern zu binden und
der Hülle die Fähigkeit zu verleihen,. gelegentlich Lichtquanten
zu erzeugen. Zwischen den beiden Arten von Teilchen besteht
55
nämlich noch folgender Unters'thied: Wenn an der Elektronen-
hülle irgendein gewaltsamer Eingriff vorgenommen wird, etwa
indem man sie mit Elektronen oder mit Lichtquanten beschießt,
so kann dabei entweder ein Hüllenelektron abgerissen werden
und aus dem Atom herausfliegen, oder die Hülle kann in einem
angeregten Zustande zurückbleiben, aus dem sie erst unter
Aussendung eines Lichtquants in den Ausgangszustand zurück-
kehrt. Während aber das Elektron unmittelbar im Augenblick
des Eingriffs ausgeschleudert wird, führt das Auftreten eines
angeregten Zustandes nicht sofort zur Bildung und Aussendung
des Lichtquants, sondern es vergeht bis dahin immer eine
gewisse Zeit, die zwar absolut genommen sehr klein, aber ver-
glichen mit der Umlaufszeit des Elektrons in der Hülle sehr
lang ist. Wir können hierin ein charakteristisches Unterschei-
dungsmerkmal zwischen den echten Bausteinen und den erst
sekundär gebildeten Teilchen erblicken.
Nach den gleichen Gesichtspunkten wollen wir nun die
Elementarteilchen mustern, die zunächst als Bausteine des
AtomkerRs in Frage kommen könnten. Auch bei ihm können
wir gewaltsame Eingriffe vornehmen, indem wir ihn etwa mit
Alphateilchen oder auch mit anderen Elementarteilchen be-
schießen. Wie wir schon wissen, können dann Kernumwand-
lungen eintreten, bei denen ein Proton oder ein Neutron aus-
geschleudert wird. Es gibt auch Fälle, in denen Alphateilchen
aus geschleudert werden. Diese sind ja aber sicher keine eigent-
lichen Elementarteilchen. Die Ausschleuderung eines Protons
oder Neutrons erfolgt nun in del'Regel im Augenblick des Ein-
griffs, genau wie die eines Elektrons in der Hülle. Es kann aber
bei einer solchen Kernumwandlung zunächst ein instabiles,
radioaktives Atom entstehen, das sich alsdann durch einen
radioaktiven Prozeß weiter verwandelt. Dabei werden immer
nur Elektronen oder Positronen, sowie Neutrinos ausgesandt.
Diese radioaktiven Atome haben genau wie bei der natürlichen
Radioaktivität eine bestimmte, von Fall zu Fall verschiedene
Zerfallswahrscheinlichkeit oder Lebensdauer. Es vergeht also
immer erst eine mehr oder weniger lange Zeit, bis das Elektron
56
oder Positron nebst dem Neutrino ausgeschleudert wird, ganz
ähnlich wie bei den Lichtquanten in der Atomhülle. Daneben
gibt es noch Fälle, bei denen ein gewaltsamer Eingriff auch
die Emission eines Gammastrahlquants hervorruft. Im all-
gemeinen vergeht auch bis dahin eine, gemessen an Kern-
frequenzen, lange, aber absolut genommen überaus kurze Zeit,
die man nicht unmittelbar messen, sondern nur aus anderen
Daten ermitteln kann. Es kommt freilich gelegentlich auch
vor, daß ein Gammaquant sogleich im Augenblick des Ein-
griffs ausgeschleudert wird.
Aus diesen Befunden kann man schließen, daß als eigent-
liche Bausteine der Atomkerne nur die Protonen und die Neu-
tronen anzusehen sind. Dieses Ergebnis kommt der alten
Proutschen Hypothese sehr nahe. Die Masse des Neutrons ist
ja von der des Protons nur sehr wenig verschieden.
Die folgende Tabelle soll die eben besprochenen Gedanken
durch eine vergleichende Ubersicht über die Verhältnisse in
der Atomhülle einerseits, im Atomkern andererseits erläutern.
,
Atomhülle ! Atomkern
Bausteine Neutronen
Elektronen
Protonen
I
Kraftfeld Elektr. Feld Elektr. Feld I Kernfeld
_ .. I
57
den Zusammenhalt der Kerne zu erklären - schon deswegen
nicht, weil die größten elektrischen Wirkungen von den
Ladungen der Protonen stammen, und das sind abstoßende
Kräfte. Es muß also noch eine weitere Art von Feld in den
Kernen geben. Mangels irgendeiner genaueren Kenntnis von
diesem Felde wollen wir ihm zunächst einen Namen geben und
es als Kernfeld bezeichnen. Daneben gibt es in den Kernen
natürlich auch ein elektrisches Feld, da ja die Protonen elek-
trisch geladen sind.
In der Atomhülle entstehen bei Zustandsänderungen aus
der Energie des elektrischen Feldes Teilchen, die Lichtquanten.
Entsprechend werden wir beim Kern nach Teilchen fragen,
die bei Zustandsänderungen aus der Energie seiner beiden
Feldarten entstehen, sich also gelegentlich in angeregten Zu-
ständen ablösen und emittiert werden. Dem elektrischen Felde
können wieder nur die Lichtquanten entsprechen, und in der
Tat wurde besprochen, daß bei Kernumwandlungen häufig
Gammaquanten ausgesandt werden, die ja nichts anderes als
sehr kurzweIlige Lichtquanten sind. Das Kernfeld muß dann
offenbar den anderen Teilchen zugeordnet werden, die bei
Kernumwandlungen immer erst nach einer gewissen Zeit auS-
gesandt werden, den Elektronen, Positronen und Neutrinos.
Durch diesen Anologieschluß von der Hülle auf den Kern ent-
steht ein verhältnismäßig einfaches Bild des Atomkerns:
Ein Atomkern ist aus Protonen und Neutronen aufgebaut.
Seine Bausteine wirken aufeinander erstens durch ein elek-
trisches Feld, das von der Ladung der Protonen herrührt, und
zweitens durch ein Kernfeld, welches auf irgendeine noch
näher zu untersuchende Weise den Zusammenhalt des Kerns
sicherstellt. Das elektrische Feld. ist verantwortlich für die
Aussendung von Gammaquanten, das Kernfeld für die Aus-
sendung von Elektronen, Positronen und Neutrinos.
Ob allerdings der Zusammenhang zwischen dem Kernfeld
und den ihm hier zugeschriebenen Teilchen ebenso einfach ist
wie derjenige zwischen dem elektrischen Felde und den Licht-
quanten, ist fraglich. Wahrscheinlich ist er, wie wir sehen
58
werden, verwickelter. Aber in großen Zügen dürfen wir die
Analogie so benutzen, wie wir sie hingeschrieben haben.
Damit ist ein recht anschauliches Bild von einem Atomkern
entstanden, und dieses Bild ist wieder so gemeint, daß mit
einem Ubermikroskop von ausreichender Leistungsfähigkeit
tatsächlich die Atomkerne so zu erkennen wären, wie sie hier
beschrieben wurden, nämlich als aus nur zwei Arten von
Bausteinen, aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt.
Jeder Atomkern kann also auf eine höchst einfache Weise
durch Angabe von nur zwei Zahlen gekennzeichnet werden,
die Zahl seiner Protonen und die Zahl seiner Neutronen.
Die Masse eines Kerns ist (- allerdings nicht genau -)
gleich der Massensumme seiner Protonen und Neutronen, die
beide ungefähr die Masse 1 haben. Hingegen rührt die Kern-
ladung nur von seinen Protonen her, die die Ladung 1 tragen.
Aus dem geschilderten einfachen Bild des Kernes folgt auch
sofort, daß zu einer gegebenen Kernladung im allgemeinen
noch verschiedene Kernmassen gehören können. Es gibt also
verschiedene Sorten von Atomkernen für ein und dasselbe
chemische Element, und diese Sorten unterscheidet man als
verschiedene "Isotope" des gleichen Elements.
Die Massenzahl des Kerns gibt die Summe der Anzahl der
Protonen und Neutronen, die Kernladungszahl aber die Anzahl
der Protonen allein an. Folglich ist die Zahl der Neutronen
einfach gleich der Differenz der Massenzahl und der Kern-
ladungszahl. Diese beiden Zahlen wurden schon früher als die
zwei wesentlichen Bestimmungsstücke des Atoms als oberer
und unterer Index zur Kennzeichnung neben die Element-
symbole geschrieben, z. B. l~N. Wir lesen daraus ab, daß ein
solcher Stickstoffkern aus 1 Protonen und 14 - 1 1 Neu-
tronen besteht.
Wir wollen nun einige der einfachsten Kerne genauer be-
trachten. Wenn wir vom Neutron absehen, das man nicht im
eigentlichen Sinne zu den Elementen zu rechnen pflegt, so ist
der einfachste Atomkern eines Elements das Proton selbst. Es
5 Heisenberg, Atomkerne
59
ist identisch mit dem Kern des Elements Wasserstoff. Sein
Symbol ist I H, entsprechend der Tatsache, daß dieser aus
1 Proton und 1 - 1 = 0 Neutronen besteht. In der nächsten
Tabelle geben wir ein Schema der einfachsten Kerne und be-
Wasserstoff Helium
o..0
0
• • • •• 0
0
•
• •
0 00 0 0·0 0
0
60
Neutronen, auf. Der leichteste Heliumkern ist aus 2 Protonen
und 1 Neutron aufgebaut, hat also das Symbol ~ He und ist in
erster Linie als das Produkt der radioaktiven Umwandlung des
Tritons f T bekannt, kommt aber in ganz geringer Menge wohl
in natürl,ichem Helium vor. Dieser und die übrigen Heliüm-
kerne sind ebenfalls in der Tabelle dargestellt. Es folgt der
Kern des gewöhnlichen Heliums, der aus 2 Protonen und 2 Neu-
tronen besteht, alS( J ~He, wie wir schon wissen. Er ist ein be-
sonders stabiles Gebilde. Dann gibt es noch zwei weitere
Heliumkerne, die beide nicht stabil sind. Sie enthalten 3 bzw.
4 Neutronen, haben also die Symbole ~He und ~He. Im natür-
lichen Heliumgas sind sie nicht enthalten.
Indem man nun immer weitere Protonen und Neutronen hin-
zufügt, kommt man zu immer komplizierter aufgebauten Kernen.
Man könnte alle existierenden Kerne in einer Tabelle derart
anordnen, daß man auf der Abszisse etwa ihre Ladung, also die
Zahl Z ihrer Proton'en, auf der Ordinate die Zahl N ihrer Neu-
tronen aufträgt. Es ist für den Druck zweckmäßiger, wenn man
etwas anders verfährt und auf der Abszisse die Protonenzahl Z
und auf der Ordinate den Neutronenüberschuß N-Z aufträtft.
Das ist in den Tabellen IVa und IVb geschehen. Die Folge der
einzelnen Elemente entspricht auch ihrer Folge im periodischen
System. In der Tabelle werden die Kerne noch durch ihre
Stabilitätseigenschaften unterschieden. Stabile Kerne sind durch
einen schwarzen Punkt dargestellt. Ein solcher ist z. B. ~ He, der
an der Stelle Z = 2, N-Z = 0 steht. Dreiecke bedeuten beta-
strahlende radioaktive Kerne. Weist die Spitze nach oben, so
handelt es sich um einen Kern, der Elektronen aussendet. Weist
sie nach unten, so sendet er Positronen aus. Erstere finden sich
stets am oberen Rande, z. B. g He und ~Li, letztere meist am
unteren Rande, z. B. 1~C. Diejenigen radioaktiven Kerne, die
Alphateilchen aussenden, sind als Vierecke eingezeichnet. End-
lich gibt es noch labile Atomkerne, die sich dadurch umwan-
deln, daß sie aus der innersten Schale der Atomhülle ein Elek-
tron einfangen und so ihre Ladung um eine Einheit erniedrigen.
Sie sind durch leere Kreise dargestellt: Kerne, die sowohl Elek-
5*
61
tronen wie Positronen aussenden können, erscheinen in der
Tabelle durch Uberlagerung zweier Dreiecke als Sterne. Auf
diese Weise gibt die Tabelle eine einfache Ubersicht über alle
existierenden Kerne, ihre Zusammensetzung und ihre Eigen-
schaften.
Wie man sieht, ist der Neutronenüberschuß N-Z nur bei
einigen wenigen Atomarten negativ, sonst stets positiv und
niemals sehr groß. Die Kerne der leichteren Elemente enthalten
durchweg ungefähr ebensoviele Neutronen wie Protonen, und
erst bei den schwereren Elementen wird .der Neutronenüber-
schuß einigermaßen erheblich.
Damit ist der Aufbau der einzelnen Atomkerne in großen
Zügen beschrieben, und es erheben sich im Anschluß daran
viele weitere Fragen: Warum hält ein solcher aus Protonen und
Neutronen aufgebauter Kern zusammen? Was für Kräfte sind
es, die sie aneinander binden? Warum enthiilten die leichteren
Kerne ungefähr gleich viele Protonen und Neutronen, die
schwereren aber etwas. mehr Neutronen; also warum wächst
der Neutronenüberschuß mit wachsender -Kernladung? Warum
gibt es nur eine beschränkte Zahl von Kernen? Warum sind
viele von ihnen radioaktiv, und warum senden sie gerade die-
jenigen Teilchen aus, die wir an ihnen beobachten? Von diesen
Problemen soll in den folgenden Vorträgen die Rede sein.
62
Vierter Vortrag
63
diese Arbeit, diese zugeführte Energie, ganz unabhängig von
der Art und Weise, in der man das Teilchen entfernt. Jedes
Teilchen ist also im Kern mit einer ganz bestimmten Energie
gebunden, und diese Energie kann berechnet werden, wenn es
auf irgendeine Weise gelingt, die Energie des Systems vor und
nach der Abtrennung des TeilChens zu ermitteln. Wir definieren
nun den Begriff: Bindungsenergie eines Kerns. Darunter sei die
Energieänderung des Kerns verstanden, die eintritt, wenn seine
- zunächst weit voneinander entfernten - Bestandteile zum
Kern zusammengefügt werden. Da beim umgekehrten Vorgang,
der Zerstörung des Kerns, Energie aufzuwenden, also dem Kern
zuzuführen ist, so verliert der Kern bei seiner Bildung Energie.
Gemäß ihrer Definition ist also die Bindungsenergie der Kerne
stets eine negative Größe. Nun ist natürlich ein Kern um so
stabiler, je schwerer es ist, ihn in seine Bestandteile zu zer-
legen, je größer die hierzu aufzuwendende Arbeit ist. Die
Stabilität wächst also mit dem absoluten Betrage der - nega-
tiven - Bindungsenergie, sie ist also im strengen mathemati-
schen Sinne um so größer, je kleiner die Bindungsenergie ist.
Darum ist es üblich, wenn man von großer oder kleiner
Bindungsenergie eines Kerns spricht, darunter ihren absoluten
Betrag. zu verstehen. In diesem Sinne ist also ein Kern um so
stabiler, je größer seine Bindungsenergie ist.
Da vorläufig die Einzelheiten des Aufbaus der Kerne noch
unbekannt sind, können die Bindungsenergien nicht aus ihren
Eigenschaften berechnet werden. Man muß also umgekehrt
versuchen, die Bindungsenergien auf andere Weise zu er-
mitteln, um daraus Rückschlüsse auf die Eigenschaften des
Kerns zu ziehen.
Das einfachste Beispiel eines zusammengesetzten Kerns ist
das Deuteron, der Kern des Wasserstoffs mit der Masse 2, der
aus 1 Proton und 1 Neutron besteht. Wenn sich ein solcher
Kern aus seinen beiden Bestandteilen bildet, so muß dabei die
gleiche Energie frei werden, wie zu seiner Zerstörung auf-
gewendet werden muß. Wir gehen also von einem Zustand aus,
bei dem das Proton und das Neutron noch in großem Abstande
64
voneinander ruhen und praktisch noch keine Kraft aufeinander
ausüben. Der Energie, die das aus diesen beiden Teilchen be-
stehende System in dieser Lage besitzt, sei der Betrag 0 zU-
geschrieben. (Die Wahl des Nullpunktes der Energie der Lage
oder der potentiellen Energie eines Systems ist willkürlich und
kann stets so geschehen, wie es am zweckmäßigsten ist.) Nach-
dem die Teilchen sich zum Deuteron vereinigt haben, ist die
Energie des Systems kleiner geworden, und zwar um den ab-
soluten Betrag seiner Bindungsenergie. Wenn es nun gelingt,
auf irgendeine Weise den Energiegehalt eines Deuterons zu
messen, so kann man aus der Differenz der Energien vor und
nach der Vereinigung seiner Teile seine Bindungsenergie er-
mitteln und daraus einen Schluß auf die Stabilität dieses Kernes
ziehen.
Auf die gleiche Weise kann man fortfahren und etwa ein
weiteres Proton hinzufügen. Dann erhält man die Bindungs-
energie des Heliumkerns ~ He. Und so könnte man .schritt für
Schritt die Bindungsenergien sämtlicher Atomkerne ermitteln.
Der Physiker pflegt Energien in der Einheit des CGS-
Systems, 1 erg, zu messen, der Ingenieur in der Einheit 1 Meter-
kilogramm oder 1 Kilowattstunde. Wärmeenergien mißt er in
der Einheit 1 Kalorie. So benutzt man in den verschiedenen
Gebieten der Physik und der Technik verschiedene Einheiten,
die für dieses Gebiet besonders zweckmäßig sind, weil sie in
der Größenordnung derjenigen Energiebeträge liegen, die auf
diesem Gebiet durchschnittlich vorkommen. Auf diese Weise
erhält man Maßzahlen der Energie, die weder unbequem groß,
noch unbequem klein sind. Nach dem gleichen Gesichtspunkt
vedährt man in der Atomphysik. In der Physik der Atomhülle
benutzt man zur Messung der Bindungsenergien der Elektronen
häufig geladene Teilchen - Elektronen -, welche durch eine
elektrische Spannung beschleunigt werden. Daher dient als
Energieeinheit hier meist diejenige Energie, die ein Elektron
oder überhaupt jedes mit 1 Elementarquantum geladene Teil-
chen gewinnt, wenn es eine Spannung von 1 Volt durchlaufen
hat. Man nennt diese Energieeinheit 1 Elektronenvolt (1 eV).
65
Sie ist sehr zweckmäßig für die Atomhülle, da dies etwa die
Größenordnung der Bindungsenergien in der Hülle ist. Die
Bindungsenergie der Teilchen in den Kernen ist aber rund
1 Million mal größer. Deshalb benutzt die Kernphysik das
Millionenfache dieser Einheit, 1 Million eV = 1 MeV. Das ist
die Energie, die ein mit 1 Elementarquantum geladenes Teilchen
beim Durchlaufen einer Spannung von 1 Million Volt gewinnt.
V ergli~hen mit 1 erg ist das immer noch ein sehr kleiner
Energiebetrag. Es ist
66
verbunden ist, dessen Energie E mit seiner Frequenz y durch
die Plancksche Beziehung
E = hy
67
Das heißt: Jedes System mit dem Energieinhalt E besitzt eine
diesem Energieinhalt entsprechende Masse m vom Betrage EI c-
Daraus ergeben sich merkwürdig anmutende Konsequenzen. So
muß eine Uhr beim Aufziehen etwas schwerer werden, weil
dabei in ihrer Feder Energie aufgespeichert wird. Aber dabei
handelt es sich um so kleine Energiebeträge, daß der Massen-
zuwachs der Uhr viel zu gering ist, um je nachgewiesen wer-
den zu können. Die Masse Elc~ ist allzu klein, verglichen mit
der Masse der Uhr selbst.
Diese Beziehung zwischen Energie und Masse kann aber in
der Kernphysik, in der die aufgespeicherten Energien, gemessen
an den Massen der Atomkerne, schon recht groß sind, prak-
tisch ausgenutzt werden. In der Form
E = mc 2
gestattet diese Beziehung den wichtigen Schluß, daß die
Masse m eines Systems die Berechnung seines Energieinhalts E
ermöglicht. Die Lichtgeschwindigkeit ist bekannt. Sie beträgt
fast genau 300000 km' sec-I oder.::I· 10 10 cm . sec-I. Bei den
Atomkernen liegen die Größenordnungsverhältnisse anders als
bei jener aufgezogenen Uhr. Ihre Bindungsenergien sind zwar
sehr klein, aber auch ihre Massen sind klein. Die Masse
m = Elc2 ist daher bei ihnen nicht mehr verschwindend klein
gegen die Massen der Kerne selbst, so daß die mit Änderungen
des Energieinhaltes verbundenen Massenänderungen recht ge-
nau meßbar sind. Die Anwendung der obigen Gleichung auf
die Atomkerne' liefert gleichzeitig eine Bestätigung dieser wich-
tigen Beziehung selbst.
Da bei der Bildung eines Deuterons aus einem Proton und
einem Neutron Energie frei wird, so muß die Masse eines
Deuterons kleiner sein als die Summe der Massen des Protons
und des Neutrons, solange sie noch getrennt existieren. Ent-
sprechendes muß für jeden Kern gelten, der aus N Neutronen
und Z Protonen besteht. Wir können das in Form einer
Gleichung schreiben:
m
I
=Nm Neutron +Zm Proton ~_I
E'
Kern C2 •
68
Dabei bedeutet I E I den positiv genommenen Betrag der Bin-
dungsenergie des Kerns, die z. B. im Falle des Deuterons als
Lichtquant abwandert.
Es ist zweckmäßig, die vorstehende Gleichung in einer
etwas anderen Form zu verwenden, indem man sie nicht auf
die Kerne, sondern auf die neutralen Atome, also die Kerne
und die Atomhüllen gemeinsam, bezieht. Dann muß auch an
die Stelle des Protons das Wasserstoffatom von der Masse 1
mit seinem einen Elektron gesetzt werden. Dadurch erhöhen
sich die Massen auf beiden Seiten um die Massen der Z Elek-
tronen, welche einerseits das ganze Atom, andererseits die
Z Protonen besitzen. Dann lautet die Gleichung:
69
Auf diese Weise verfügt die Physik über zwei ganz un-
abhängige Verfahren, um die Bindungsenergien zu bestimmen,
einmal indem sie sie unmittelbar mißt, dann indem sie sie aus
den Massendefekten berechnet. Im zweiten Fall muß man
allerdings die Massen der Atome sehr genau bestimmen kön-
nen, um aus ihnen die Bindungsenergie zu ermitteln, da es sich
nur um Differenzen in der Größenordnung von I/tOOO der Massen
handelt. Ich will hier nur kurz darauf hinweisen, daß das mit
Hilfe des zuerst von Aston entwickelten Massenspektrographen
geschieht. In ihm läßt man geladene Atome durch elektrische
und magnetische Felder laufen, in denen sie Ablenkungen er-
fahren, die, wie schon erwähnt, vom Verhältnis ihrer Ladung e
zu ihrer Masse m abhängen, ferner auch von ihrer Geschwindig-
keit. Der Massenspektrograph ist so eingerichtet, daß nur Teil-
chen von einer bestimmten Geschwindigkeit ausgesiebt werden
und zur Beobachtung gelangen. Dann kann man das Ver-
hältnis e/m und - da die Ladung e der Teilchen. bekannt ist -
die Masse m der Teilchen aus den Ablenkungen berechnen,
oder genauer gesagt, man kann sie - unmittelbar oder mittel-
bar - mit der Masse eines Sauerstoffatoms vergleichen, dessen
Masse ja definitionsgemäß genau 16 ME beträgt .. Für die Be-
rechnung der Bindungsenergien braucht man noch die genauen
Massen des Wasserstoffatoms und des Neutrons. Sie betragen
7\
seiner Bindungsenergie, also seines in Energie umgerechneten
Massendefektes. Ein Atomkern wäre nicht stabil, wenn eine
solche Zerlegung ohne Arbeitsleistung möglich wäre. Aller-
dings muß man dabei noch eine Einschränkung machen, indem
man auch die anderen Erhaltungssätze beachtet. Der Erhaltungs-
satz der Ladung besagt, daß sich ein Atom nicht so umwandeln
kann, daß sich dabei die Gesamtladung des Systems ändert.
Ohne Kompensation kann sich also nicht ein Proton im Kern
in ein Neutron verwandeln oder umgekehrt. Andernfalls wären
viele Atome; die tatsächlich als stabil angesehen werden, in-
stabil. Es gibt z. B. einen Borkern von der (ungenauen) Masse 12
und einen Kohlenstoffkern von der Masse 12. Der Borkern be-
~teht aus 7 Neutronen und 5 Protonen, de.r Kohlenstoffkern aus
6 Neutronen und 6 Protonen. Ihre Symbole sind l~B und l~C.
Die Masse des Borkerns ist aber doch etwas größer als die des
Kohlenstoffkerns. Der Unterschied beträgt 13 TME, der Unter-
schied in der Bindungsenergie also etwa 12 MeV. Der Kohlen-
stoffkern hat einen größeren Massendefekt als der Borkern,
seine Bestandteile sind also erheblich fester aneinander ge-
bunden als diejenigen des Borkerns. Man kann daher ver-
muten, daß der Borkern ipstäbil ist und sich von selbst in den
Kohlenstoffkern umwandelt. Dabei würde die Energie von
12 MeV frei werden. Das. kann abe't nur so geschehen, daß sich
ein Neutron des Borkerns in ein Proton verwandelt. Ein solcher
Prozeß ist aber wegen des Erhaltungssatzes der Ladung nur
möglich, wenn das dabei neu auftretende positive Elementar-
quantum durch ein gleichzeitig entstehendes negatives EIe-
mentarquantum kompensiert und letzteres aus dem Kern ent-
fernt wird. Das könnte dadurch geschehen, daß gleichzeitig
mit der Umwandlung des Neutrons in ein Proton ein Elektron
ausgeschleudert wird. Tatsächlich ist dieser Borkern kein
stabiles Gebilde, sondern radioaktiv. Er sendet Elektronen, also
negative Betastrahlen, aus und wandelt sich in den Kohlen-
stoffkern um.
Aber dennoch wäre diese Umwandlung nicht möglich, wenn
nicht auch noch der Erhaltungssatz des Drehimpulses erfüllt
72
wäre. Der Drehimpuls eines Protons und eines Neutrons be-
trägt je h/2. wie schon besprochen wurde. und zwar ist er je
nach der räumlichen Orientierung der Drehachse des Teilchens
positiv oder negativ zu rechnen. Daher ist der Drehimpuls
eines Kerns. der aus einer geraden Zahl von Teilchen besteht.
immer ein geradzahliges Vielfaches von n/2. derjenige eines
Kerns mit ungerader Teilchenzahl ein ungerades Vielfaches
von rt/2. Sowohl der Kohlenstoffkern wie der Borkern bestehen
aber aus 12 Teilchen; ihre Drehimpulse müssen also gerad-
zahlige Vielfache von h./2 sein Bei der Umwandlung muß aber
wegen des Erhaltungssatzes der Ladung ein Elektron ausgesandt
werden. und ein solches besitzt ebenfalls einen Drehimpuls rt/2.
Demnach müßte der Kohlenstoffkern mit einem ungeradzahligen
Drehimpuls zurückbleiben. die Dreh impulsbilanz würde also
nicht stimmen In dieser Verlegenheit ennnern wir uns aber
daran. daß schon bei den natürlichen Betastrahlern die Schwie-
rigkeiten der Energiebilanz auf die Existenz des Neutrinos hin-
gewiesen haben. das gleichzeitig mIt dem Elektron ausgeschleu-
dert wird Das Neutrino sorgt offenbar auch für die Erhaltung
des Drehimpulses Denn auch die vom Borkern ausgesandten
Elektronen zeigen eine stetige Folge von Energiewerten. 50 daß
wir auch hier auf die gleichzeitige Aussendung eines Neutrinos
schließen müssen Aus der Tatsache, daß der.Borkern wirklich
instabil ist. daß seine Umwandlung in den Kohlenstoff schließ-
lich erfolgt, und zwar unter Aussendung eines Elektrons und
eines Neutr-inos. können wir den xhluß ziehen, daß das Neu-
trino ebenfalls einen Drehimpu1s vom Betrage nl2 mit sich
trägt. der dem Drehimpuls des Elektrons entgegengerichtet ist
und ihn kompensiert.
Damit ist eine Ubersicht über dIe Schlüsse gewonnen. die
bezüglich der Stabilität von Atomkernen aus den drei 'Er-
haltungssätzen zu ziehen sind. Das Ergebnis kann kurz so
formuliert werden: Ein Atomkern wird sich stets spontan in
einen anderen Kern umwandeln, wenn bei dieser Umwandlung
erstens Energie frei wird, und wenn diese Umwandlung mit den
Erhaltungssätzen der Ladung und des Drehimpulses verträglich
13
ist. Allerdings kann die spontane Umwandlung eventuell erst
nach sehr langen Zeiten, d. h. mit sehr geringer Wahrschein-
lichkeit, erfolgen. Ist aber auch nur eine der genannten Be-
dingungen nicht erfüllt, so handelt es sich um einen stabilen
Kern.
74
nicht mehr durch Einflüsse des ,äußeren elektrischen Feldes des
Kerns, sondern nur durch unmittelbare Zusammenstöße mit
dem Kern erklärt werden können. Je größer der Kern ist, um
so häufiger müssen ja solche Zusammenstöße sein. Durch
solche Versuche ergibt sich nun, daß z. B. der Durchmesser des
aus 238 Teilchen bestehenden Urankerns etwa viermal so groß
ist wie derjenige des aus 4 Teilchen bestehenden Heliumkerns.
Die Volumina verhalten sich also wie 1 : 43 , das heißt der Uran-
kern ist dem Volumen nach etwa 64mal so groß wie der
Heliumkern. Die Teilchenzahl des Urankerns ist aber rund
60mal so groß wie diejenige des Heliumkerns.
Aus diesen beiden Tatsachen: der etwa gleichen Bindungs-
energie der einzelnen Teilchen und der ungefähren Propor-
tionalität der Teilchenzahl mit dem Kernvolumen, kann man
schließen, daß die Protonen und Neutronen im Kern überall
ungefähr mit gleicher Dichte verteilt sind, denn andernfalls
wären ihre Bindungsenergien in den einzelnen Teilen des Kerns
und dann auch für verschiedene Kerne verschieden groß.
Zweitens folgt aus dieser Tatsache und der Proportionalität
der Teilchenzahl und des Volumens, daß diese Dichte in allen
Kernen gleich groß ist, wobei wieder nur die allerleichtesten
Atome auszunehmen sind. Wir können also von einer in allen
Kernen einheitlichen Kernmaterie sprechen, die aus einer
Mischung von Protonen und Neutronen von stets ungefähr
gleicher Dichte besteht. Ein Unterschied besteht bei den ein-
zelnen Atomarten nur bis zu einem gewissen Grade in dem
Verhältnis der Zahl der Neutronen zu der Zahl der Protonen.
Demnach ergibt sich ein zutreffendes Modell eines Kerns,
wenn man ihn mit einem Flüssigkeitstropfen vergleicht. EbenSo
wie sich aus Wassermolekülen Wassertropfen von verschie-
dener Größe bilden können, so können aus Protonen und Neu-
tronen verschieden große Tropfen von Kernmaterie, eben die
verschiedenen Atomkerne, gebildet werden. Dieses Flüssigkeits-
modell hat gerade die Eigenschaften, die am Atomkern be-
obachtet werden. Denn in einem Flüssigkeitstropfen liegen die
Moleküle auch üb~rall gleich dicht gepackt, und die in seinem
6 Heisenberg. Atomkerne
75
Inneren befindlichen Moleküle sind auch alle mit der gleichen
Energie im Tropfen gebunden. Die Erkenntnis 'von der Existenz
einer universellen, einheitlichen Kernmaterie bedeutet eine
große Erleichterung für das Verständnis der Einzelheiten des
Kernbaues.
Das Bild eines Flüssigkeitstropfens enthält aber noch feinere
Züge, und es muß untersucht werden, ob'auch sie ihre Analogie
bei den Kernen haben. Tatsächlich sind in einem Flüssigkeits-
tropfen nicht alle Moleküle gleich fest gebunden. Die Moleküle
an der Oberfläche sind an die übrigen Moleküle nur einseitig
und daher im ganzen schwächer gebunden als die übrigen
Moleküle. Darauf beruht die Erscheinung der Oberflächen-
spawlUng. Energetische Uberlegungen, die denen durchaus
entsprechen, die wir bei den Atomkernen angestellt haben,
geben die Erklärung dafür, daß Tropfen unter der Wirkung der
Oberflächenspannung Kugelgestalt annehmen. Denn die Ober-
flächenenergie eines Tropfens iSt der Größe der Oberfläche
proportional und sucht daher die Oberfläche möglichst klein
zu machen. Eine solche Oberflächenspannung muß man auch
bei den Kernen annehmen. Wegen der geringeren Bindung der
an der Oberfläche liegenden Teilchen muß sie eine Verminde-
rung der gesamten Bindungsenergie, also auch der durch-
schnittlichen Energie pro Teilchen, bewirken. Wie bei einer
Flüssigkeit, so wird die Oberflächenspannung auch bei den
Kernen Kugelgestalt herbeiführen.
Es besteht aber doch ein wesentlicher Unterschied zwischen
der Kernmaterie und einer Flüssigkeit. Diese besteht aus elek-
trisch neutralen Molekülen, jene aber enthält außer Neutronen
elektrisch geladene Protonen. Wir müssen also die Kerne mit
Flüssigkeitstropfen vergleichen, die elektrisch geladene Mole-
küle enthalten, zwischen denen abstoßende Kräfte wirken. In
den Kernen tritt noch eine elektrische Abstoßungskraft auf.
76
die von den Kernkräften herrührende Energie, die den Zu-
sammenhalt des Kerns überhaupt ermöglicht. Diese Energie
wird modifiziert durch die Oberflächenspannung. Schließlich
rührt ~in Energieanteil von der elektrischen Abstoßung her.
Diese Anteile sollen einzeln betrachtet und im Anschluß an
eine Arbeit von v. Weizsäcker in Beziehung zur Zahl der im
Kern vorhandenen Protonen und Neutronen gesetzt werden.
Wir beginnen mit den K~rrrkräften. Sie sind die Kräfte,
welche die Protonen und Neutronen aneinander binden, und
sie hängen, wie wir schon wissen, mit der Tatsache zusammen,
daß die Kerne Elektronen und Positronen zu emittieren ver-
mögen. Dieses Phij.nomen ist offenbar zwischen Protonen und
Neutronen völlig symmetrisch. Ein Neutron kann sich in ein
Proton verwandeln, wobei ein Elektron emittiert wird, und ein
Proton in ein Neutron, wobei ein Positron entsteht. Wir
schließen daraus, daß in bezug auf die Kernkräfte oder das
"Kernfeld" kein Untersch'ied zwischen Protonen und Neutronen
besteht. Der von den Kernkräften herrührende Anteil der
Bindungsenergie muß siCh daher durch irgendeine symmetrische
Funktion d~r Neutronen- und Protonenzahl darstellen lassen.
Wenn wir diese Funktion zunächst in allgemeiner Form hin-
schreiben und dann' in der Nähe der Stelle, wo die Neutronen-
zahl gleich der Protonenzahl ist, entwickeln und mit dem
zweiten Glied abbrechen, so erhalten wir eine einfache
Gleichung für die Bindungsenergie pro' Teilchen (soweit sie
vom Kernfeld herrührt). Sie lautet
E" (N- ZF
+
N' Z = - A +B (N+ Z)2'
78
bewegen wir uns auf dem bekannten Boden der Elektrostatik.
Die Ladung des Kerns beträgt Z e, wobei e das elektrische
Elementarquantum ist. Genau wie die elektrische Energie eines
Kondensators dem Quadrat seiner Ladung proportional ist, so
ist auch die elektrische Energie eines Kerns dem Quadrat
seiner Ladung, also (Z e)2, proportional. Sie ist ferner um-
gekehrt proportional dem Radius 1 des Kerns. Dazu kommt
noch ein Zahlenfaktor, der bei einer homogen geladenen Kugel
:1/5 beträgt. Wenn die Ladung ein wenig in Richtung auf die
Oberfläche verdrängt ist, wird er kleiner und nähert sich dem
Wert 1/%. Da aber der Radius ohnehin nicht sehr genau bekannt
ist, so können wir es bei dem Faktor 3/5 bewenden lassen, ob-
gleich sicher eine gewisse Verdrängung der Ladung gegen' die
Oberfläche besteht. Wir können diesen Energieanteil also
schreiben
3 (Z e)%
Ec = 5-'--'
Da nun aber der Radius 1 der dritten Wurzel aus dem Volumen,
also auch aus der Teilchenzahl, proportional ist, so können wir
schreiben 1 = 10 (N + Z) 1/,. Dabei ist 10 eine Konstante, die
sozusagen dem Radius eines Kerns mit der Teilchenzahl 1 ent-
sprechen würde, aber natürlich nicht mit dem Radius des Pw-
tons oder Neutrons identifiziert werden darf. Bezogen auf je
ein Teilchen beträgt also dieser Anteil rler Bindungsenergie
Ec 3 (Zer
N +-i = 5 (N + Z)'" 10 •
Auch dieses Glied ist unserer Gleichung mit positivem Vor-
zeichen hinzuzufügen, da die elektrische Abstoßung den Betrag
der gesamten BIndungsenergie verkleinert. Der vollständige
Ausdruck für die Bindungsenergie pro Teilchen lautet
schIießlich
~_ _ +B (N-Z)2 C +3 (Ze)2
N +Z - - A (N + ZJ2 + (N + Z)'13 5- (N + Z)'i;-:;:-~'
In diese Gleichung gehen vier Konstanten, A, B, C und 1 0 , ein,
von denen zunächst nur 10 aus den Abmessungen der Atom-
kerne, allerdings nur recht ungenau, bekannt ist.
79
Um diese Gleichung anzuwenden, muß man die vier Kon·
stanten genau kennen. Wüßten wir vom Innern des Kerns
und insbesondere von den Kernkräften mehr, als es tatsächlich
der Fall ist, so könnten wir sie theoretisch berechnen .. So aber
bleibt nur der umgekehrte Weg, daß man sie auf Grund des
vorliegenden Materials über die Bindungsenergien der Kerne,
alsQ über die Massendefekte, empirisch bestimmt. Auf diese
Weise hat sich z. B. nach einer Arbeit von Flügge und v. Droste
ergeben
3 e2
A 15,74, B = 22, C = 16,5, = 0,646 (in TME).
5 IO
Damit lassen sich tatsächlich die Bindungsenergien der Kerne
recht gut in Ubereinstimmung mit der Erfahrung darstellen.
In der Abb. 11 entspricht die ausgezogene Kurve unserer
Ei!
:
N+Z
~ ..
..........~-.--:-.--..,...-_.~----->~'--
1°0 50 100 N 150 200
+Z-
Abb, 11. Bindungsenergien der Kerne je Teilchen als Funktion von N +Z
80
durch das größte Glied unserer Gleichung, also durch - A, be-
stimmt. Der Anstieg b1:!i kleinen Werten des Atomgewichts
rührt von der Oberflächenspannung her die natürlich bei leich-
ten Kernen die größte Rolle spielt. pen Arrstieg bei schweren
Kernen bewirkt die elektrische Abstoßung der Protonen.
Man kann ferner aus der angeschriebenen Gleichung ent-
nehmen, warum die leichteren Kerne meist ungefähr gleich
viele Protonen und Neutronen enthalten. Das von der Ab-
stoßungskraft herrührende letzte Glied wächst ja mit wachsen-
dem Wert von Z und spielt bei den leichten Atomen, bei
denen Z klein ist, noch keine wesentliche Rolle. Man kann
es daher hier außer acht lassen. Das dritte Glied hängt nur von
der Summe, nicht vom Verhältnis der Teilchenzahlen ab, wohl
aber das zweite Glied. Es verschwindet für N = Z, also bei
gleicher Protonen- und Neutronenzahl, und dann ist der Betrag
der Bindungsenergie am größten. Das also ist der energetisch
günstigste Zustand. Bei den schwereren Atomen aber, bei denen
das letzte Glied. schon eine merkliche Abnahme des Betrages
der Bindungsenergie bewirkt, ist das nicht der Fall. Es ist ener-
getisch günstiger, wenn man eine geringfügige Erhöhung des
'Zweiten Gliedes durch ein von 1 etwas nach oben abweichendes
Verhältnis NIZ in den Kauf nimmt, um dafür eine erh~blich
größere Verkleinerung des vierten Gliedes zu erreichen.
Tatsächlich ist ja die Bindungsenergie eine Funktion von N
und von Z, und wir können sie als solche in einem räumlichen
Koordinatensystem darstellen, indem wir etwa nach rechts die
Zah1 der ProtonenJ nach hinten die Zahl der Neutronen und
nach oben die Bindungsenerg-ie abtragen. Dann liefert unsere
Gleichung eine Fläche, da ja zu jedem Wertepaar (N, Z) ein
bestimmter Energiewert gehört. Aus der Gestalt dieser Energie-
fläche kann man alle Angaben entnehmen, die für die Beurtei-
lung der Stabilität eines Kerns erforderlich sind. In der Abb. 12
ist diese Fläche nach Art einer Landkarte mit Höhenlinien,
welche gleichen Bindungsenergien entsprechen, dargestellt. Als
Einheit der Energie ist 1 TME benutzt. Die Fläche liegt, da die
Bindungsenergien negativ sind, unter der Zeichnungsebene
81
und bildet sozusagen eine von links vorne nach rechts hinten
(also in "nordöstlicher" Richtung) abfallende Schlucht. In ihrer
Sohle liegen, wie die Häuser an einer etwas gewundenen
Straße, die stabilen Kerne. Kerne mit gleicher Teilchenzahl
liegen jeweils auf Geraden, dIe unter 45° von links oben nach
rechts unten streichen. Von ihnen ist stets der am tiefsten
liegende der stabilste. SO-
150
fern es die Erhaltungssätze
zulassen, sollte es möglich
sein, daß sich ein weniger
stabiler Kern in einen sta-
bileren umwandelt. Die
Kerne, die auf der linken
Seite der Sohle liegen,haben
-7200 zu viele Neutronen, müßten
sich also unter Emission
eines EIektrons umwandeln.
50
-800 Die auf der recht.en Seite
haben zu viele Protonen und
N müßten sich unter Emission
eines Positrons umwandeln..
Wir sehen aber, daß das
sehr häufig nicht geschieht,
Abb. 12. Lage der stabilen Kerne und und daß es oft zwei oder
Kurven konstanter Bindungsenergie
drei stabile Kerne mit glei-
cher Teilchenzahl N + Z, sogenannte isobare Kerne, gibt.
Dieser Sachverhalt kann erst aus den Feinheiten im Verlauf
der Talsohle erklärt werden, die unsere aus sehr allgemeinen
Annahmen abgeleitete Gleichung zunächst· nicht wiedergibt.
In Wirklichkeit zeigt die Talsohle kleine Windungen und auch
noch andere Feinheiten, über die uns die gemessenen Bin-
dungsenergien Auskunft geben. Immerhin kann man schon
jetzt sagen, daß jedenfails die stabilen Kerne alle in der Tal-
sohle oder in ihrer nächsten Nähe liegen, und man kann an-
geben, welcher Kern bei gegebernh Teilchenzahl der sta-
bilste ist.
82
Eine andere Darstellung der Verhältnisse gibt die Abb. 13.
Abszisse ist hier die Teilchensumme N + Z, Ordinate das
Teilchenverhältnis N/Z. Die ausgezogene Gerade entspricht
den Punkten in der Talsohle, und die Punkte steHen die Lage
der einzelnen stabilen Kerne dar. Man erkennt, wie sie sich
über die Talsohle und ihre nächste Umgebung verteilen.
In den Abb. 11, 12 und 13 sind nur die stabilen Kerne
berücksichtigt. Einen vollständigen Uberblick geben die Ta-
bellen IVa und IVb am Schluß des Buches, in die auch die
1,6
1.5
r~
N 1.3
Z
1.2
'. .
1,1
..
1,°0 50 100 150 200 2/10
N"Z-
Abb. 13. NIZ als Funktion von N + Z bei den stabilen Kernen
83
einfangen. Diese Kerne sind als "K-Strahler" durch einen Ring
gekennzeichnet. Hauptsächlich am Ende der Tabelle ist auch
eine Anzahl von Quadraten eingezeichnet, welche die alpha-
strahlenden Kerne darstellen.
Bisher wurde von der Stabilität gegenüber eitler Umwand-
lung unter Aussendung von Elektronen oder Positronen ge-
sprochen, jetzt soll aber auch' kurz von der Stabilität gegenüber
einer Umwandlung unter Aussendung von Alphastrahlen die
Rede sein. Aus der Abb. 11 erkennen wir an dem anfänglichen
Abfall und nachherigen Anstieg von EI (N + Zj, daß die Stabi-
lität der Kerne mit wachsender Teilchenzahl zunächst - etwa
bis Z + N = 40 - beträchtlich zunimmt, dann aber allmählich
wieder geringer wird, letzteres wegen des wachsenden Ein-
flusses der elektrischen Abstoßung. Dennoch ist auch hier
immer noch Arbeit zu leisten, um ein einzelnes Teilchen aus
dem Kern zu entfernen. Wir können uns nun aber· vorstellen,
daß wir 2 Neutronen und 2 Protonen gleichzeitig unter Leistung
der dazu nötigen Arbeit aus dem Kern herausnehmen und sie
außen zu einem Heliumkern vereinigen, wobei die sehr große
Energie von 30 MeV wieder frei wird. Ist diese Energie größer
als diejenige, die für die Abtrennung von vier einzelnen Teil-
chen erforderlich ist, so wird bei einem solchen Prozeß tat-
sächlich insgesamt Energie gewonnen, und er ist de:;halb
energetisch günstig und sollte spontan eintreten, und zwar
auf die Weise, daß sich im Kern ein Alphateilchen bildet und
alsbald emittiert wird. Die Aussichten dafür, daß dies zutrifft,
müssen mit wachsender Teilchenzahl wachsen, da ja gleich-
zeitig die Bindungsenergie pro Teilchen abnimmt. Man wird.
also, in Ubereinstimmung mit der Erfahrung, die Alphastrahler
unter den schwersten Kernen zu suchen haben. Tatsächlich
sinkt ja auch der Betrag der Bindungsenergie pro Teilchen bei
Annäherung an die schwersten Kerne wenigstens ungefähr auf
den Wert 6 bis 7 MeV, also auf ungefähr ein Viertel der Bin-
dungsenergie eines Heliumkerns.
Bei hoher Teilchenzahl ist auch in vielen fällen eine Auf-
spaltung eines Kerns in zwei nicht sehr verschieden große
84
Kerne energetisch günstig; etwa ein Kern der Masse 230 kann
in zwei Kerne von den Massen 100 und 130 zerfallen. Denn
die Summe der Beträge der Bindungsenergien dieser beiden
Kerne ist größer als der Betrag der Bindungsenergie des Kerns
mit der Masse 230. Derartige Atomspaltungen sind in der Tat
1938 von Hahn und Strassmann beobachtet worden.
Eigentlich muß man sich wundern; daß nicht alle schwereren
Elemente Alphastrahler sind oder in zwei etwa gleich große
Kerne aufspalten, sondern erfahrungsgemäß zum mindesten
außerordentlich lange zusammenhalten. Die Lebensdauern von
Alphastrahlern können viele Millionen Jahre betragen. Bezüg-
lich der Spaltungen sind die Lebensdauern noch viel größer.
Mit dieser Frage werden wir uns im 6. Vortrag beschäftigen.
8S
Fünfter Vortrag
Die Kernkräfte
1. Die allgemeinen Eigenschaften des Kernfeldes
Der Zusammenhalt der Protonen und Neutronen in den
Atomkernen wird durch Kräfte gewährleistet, die wir als Kern-
kräfte bezeichnet haben, und über deren Natur noch nicht ge-
sprochen wurde. Die außer ihnen wirksame elektrische Ab-
stoßungskraft hat im Kern nur eine auflockernde Wirkung.
Was kann nun über das Wesen dieser Kernkräfte schon heute
aus den Experiment.en entnommen werden? Zu Beginn soU
kurz erörtert werden, wie eine Antwort auf diese Frage über-
haupt aussehen kann. Wenn wir noch nicht wüßten, was elek-
trische Kräfte sind, wie könnte man dann ihr Wesen erklären?
Zunächst könnte man feststellen, daß elektrische Ladungen sich
mit einer Kraft abstoßen, die umgekehrt proportional mit dem
Quadrat ihres Abstandes abnimmt, Nach den Erfahrungen des
beginnenden 19. Jahrhunderts kann man hinzufügen, daß es
eine grundsätzliche Verbindung zwischen elektrischen und
magnetischen Kräften gibt derart, daß zeitlich veränderliche
elektrische Kräfte stets magnetische Kräfte hervorrufen und
umgekehrt. Man könnte ferner feststellen, daß· die Lichterschei-
nungen, die man früher als etwas Besonderes angesehen hatte,
zu diesen elektromagnetischen Erscheinungen gehören und
nichts anderes als elektromagnetische Wellen sind. Der nächste
Schritt wäre, daß das Licht in bestimmten Versuchen sich
nicht wie eine Welle, sondern wie fliegende Teilchen verhält,
also in Gestalt von Lichtquanten auftritt, und so würde man
auf eine Beziehung zwischen dem elektromagnetischen Feld
und den Lichtquanten stoßen. Eine wirklich erschöpfende Be-
schreibung der elektromagnetischen Kräfte aber wird erst
erreicht, wenn die mathematischen Gleichungen angegeben
86
werden können, nach denen die elektromagnetischen Kräfte
sich ändern und ausbreiten. Ein vollständiges Bild vom
"Wesen" dieser Erscheinungen geben erst die Maxwellsehen
Gleichungen im Verein mit den Gleichungen der Quanten-
theorie.
Soweit sind wir mit den Kernkräften noch nicht. Immerhin
kann man schon jetzt ein Bild zeichnen, das wohl qualitativ
richtig ist, und das etwa soviel enthält wie jenes von den
elektromagnetischen .Kräften - mit Ausnahme der exakten
mathematischen Formulierung.
Zunächst entsteht die Frage: Wie hängt die Ktaft zwischen
zwei Teilchen in einem Kern von ihrem Abstande ab? Ist sie
etwa auch umgekehrt proportional dem Quadrat dieses Ab-
• P-Proflln
o N-N~ufron
Abb. 14. Ablenkung eines Neutrons in der Nähe eines Protons
88
und verhält sich in dieser Hinsicht völlig anders als eine elek-
trische Kraft.
Statt der Kraft kann man auch die potentielle Energie be-
trachten, die ein Neutron im Felde eines Protons (oder um-
gekehrt) besitzt. Dieser Energie schreiben wir willkürlich in
sehr großem Abstande den Wert 0 zu. Bei endlichem Abstande
ist sie dann negativ. Wegen der geringen Reichweite ist die
potentielle Energie bereits oberhalb eines recht kleinen Ab-
standes praktisch glerch O. Der ungefähre Verlauf der poten-
tiellen Energie als Funktion des Abstandes I ist in der Abb. 15
dargestellt. Sie steigt von hohen negativen Werten schnell bis
nahe an den Wert 0, dem sie sich dann weiter asymptotisch
nähert. Der Verlauf der potentiellen Energie für kleine Ab-
stände kann aus dem Massendefekt des Deuterons indirekt
erschlossen werden. Das System besitzt ja außer seiner poten-
tiellen Energie auch kinetische Energie, indem das Proton und
Neutron Schwingungen gegeneinander ausführen, wobei eine
dauernde Umwandlung von kinetischer Energie in potentielle
Energie und umgekehrt stattfindet. Die Summe dieser Energien
ist dann stets gleich der Bindungsenergie von 2,3 MeV, die in
der Abb. 15 als waagerechter Strich eingezeichnet ist. Die Größe
der mittleren kinetischen Energie kann man z. B. nach den
Unbestimmtheitsrelationen aus dem Durchmesser des Deuterons
abschätzen. Denn dieser endliche Durchmesser hat als Ge-
nauigkeit einet Ortskenntnis eine entsprechende Ungenauig-
keit der Geschwindigkeitskenntnis zur Folge, und die letztere
gibt quadriert und mit der halben Masse multipliziert ein Maß
für die mittlere kinetische Energie. Wenn man die kinetische
Energie und die Gesamtenergie kennt, kann man daraus die
potentielle Energie berechnen. Durch Betrachtungen dieser
Art ist AbI>. 15 entstanden.
Kräfte von kleiner Reichweite sind auch sonst in der
Natur bekannt; das wichtigste Beispiel sind die chemischen
Kräfte, die sogenannten Valenzkräfte (soweit es sich nicht
um die sogenannte "polare" Bindung handelt), also jene Kräfte,
die etwa in einem Wassermolekül zwei Wasserstoffatome an
89
ein Sauerstoffa.tom binden. Auch das sind Kräfte von kleiner
Reichweite, die praktisch nur bei unmittelbarer Berührung der
Atome wirken, bei größerem Abstande aber sofort verschwin-
dend klein werden.
Die sehr geringe Reichweite ist auch der Grund, weshalb
man weder die chemischen, noch die Kernkräfte an groben,
makroskopischen Gebilden wahrnehmen kann, was doch bei
elektrischen und magnetischen Kräften ohne weiteres möglich
ist. Die Kraft zwischen zwei Magnetpolen fühlen wir un-
mittelbar mit der Hand, mit der wir die Pole halten, und wenn
-2,J /'1r;Y
-27.J
90
besteht, zu erklären. Denn wenn eine Kraft nur zwischen
Proton und NeutroFl wirkt, so ist ja die Symmetrie von vorn-
herein gesichert. Erfahrungen über die Ablenkung von Pro-
tonen durch Protonen beweisen aber, daß auch zwischen
gleichartigen Teilchen, also nicht nur zwischen Protonen, son-
dern .auch zwischen Neutronen, Anziehungskräfte von ungefähr
der gleichen Größe wirksam sind, wie zwischen Proton und
Neutron. Bei zwei Protonen ist die Lage nur verwickelter, weil
sich der anziehenden Kernkraft noch die abstoßende elektrische
Kraft überlagert. Diese ist zwar bei sehr kleinem Abstande sehr
viel schwächer als die Kernkraft, so daß dann praktisch diese
allein wirksam ist. Aber wegen ihrer großen Reichweite ist sie
auch bei solchen Abständen noch merklich, bei denen die
Kernkraft schon längst unwirksam geworden ist. Wenn man
wieder ein Bild der potentiellen Energie eines Protons in den
verschiedenen Abständen von einem zweiten Proton zeichnet,
so erhält man etwa das in der' Abb. 16 dargestellte Bild. Bis
zu einem Abstande von der Größenordnung 5 . 10-13 cm ist das
Bild praktisch das gleiche wie in der Abb. 15. Aber die poten-
tielle Energie gehl von hier ab zunächst nicht asymptotisch
auf den Wert 0, sondern geht durch 0, erhebt sich zu positiven
Werten, um erst dann asymptotisch auf 0 abzufallen. Zwischen
zwei Protonen besteht ein sogenannter Potentialwall, und von
einem solchen wird später noch mehrfach die Rede sein.
Man könnte hiernach vermuten, daß es einen ZUstand gäbe,
bei dem zwei einzelne Protonen aneinander gebunden sind,
wenn nämlich ihr Abstand so klein wäre, daß die anziehende
Kernkraft die abstoßende elektrische Kraft überwiegt. Das ist'
aber wahrscheinlich nicht der Fall. Wie schon gesagt, führen
zwei aneinander gebundene Teilchen auch in ihrem normalen
oder Grundzustand - dem Zustand kleinster Energie - immer
noch Schwingungen gegeneinander aus, und dies,e sogenannte
Nullpunktschwingung ist wahrs~heinlich so heftig, daß sie eine
dauernde Bindung zweier einzelner Protonen nicht zuläßt. In
den komplizierteren Kernen spielt aber die Anziehung zwischen
den Protonen sicher eine wichtige Rolle.
7 Heisenberg, Atomkerne
91
Damit haben wir einen ersten Uberblick über die Kernkräfte
gewonnen. Die wichtigste Kraft ist die Anziehungskraft
zwischen Neutron und Proton. Es gibt ferner eine Kraft von
ähnlicher Größenordnung zwischen zwei Protonen oder zwei
Neutronen. Die Kernkräfte nehmen schnell mit dem Abstande
ab und ähneln darin den chemischen Valenz kräften, die auch
eine sehr kleine Reichweite haben.
92
verknüpft ist wie die Aussendung der Lichtquanten in der Hülle
mit dem elektrischen Felde. Diese Analogie aber wür.de be-
deuten, daß die Kraft zwischen Neutron und Proton vermöge
der Elektronen, Positronen und Neutrinos übertragen wird.
Wenn wir einem Felde auf diese Weise gewisse Teilchen zu-
ordnen, so darf das aber nicht dahin mißverstanden werden,
als bestehe das Feld aus solchen Teilchen. Der Ausdruck
"besteht aus" täuscht immer vor, als könne das Feld gewisser-
maßen durch solche Teilchen ersetzt gedacht werden. Tat-
sächlich sind aber Feld und Teilchen sozusagen nur ver-
schiedene Seiten des gleichen physikalischen Sachverhalts,
ähnlich, wie dies früher bei den Atomhüllen besprochen wurde.
Am richtigsten drücken wir uns aus, wenn wir sagen: Es
gibt ein Kernfeld, und dieses Kernfeld erscheint uns bei den
stationären Zuständen als ein kontinuierlich mit kurzer Reich-
weite nach außen abfallendes Feld, oder es erscheint uns bei
nichtstationären Vorgängen als Wellensti'ahlung. Letztere kann
man je nach der Beobachtungsmethode als eine Wellenstrah-
lung oder als Teilchen beobachten. Es hängt von der Art des
betreffenden Versuchs ab, ob die Strahlung sich in der einen
oder der anderen Gestalt offenbart. Wir wollen uns das an den
vertrauteren Verhältnissen eines elektrischen Feldes zu ver-
deutlichen suchen, indem wir die Kraft, die ein Elektron auf ein
anderes ausübt, in zwei Sprachen beschreiben, einmal in. der
Wellensprache und dann in der Teilchensprache.
Wir können erstens sagen, daß ein Elektron um sich herum
ein elektrisches Feld erzeugt, das sich nach den Maxwellsehen
Gleichungen ausbreitet, und dieses elektrische Feld wirkt dann
auf ein zweites Elektron und erze.ugt an ihm eine Kraft. Im
anderen Bilde heißt es: Das eine Elektron erzeugt ein Teilchen,
ein 'Lichtquant, und dieses Lichtquant wird dann von einem
anderen Elektron absorbiert. Im einen Fall sagen wir also
"Erzeugung eines Feldes", im anderen "Erzeugung eines Teil-
chens"; im einen sagen wir "Wirkung eines Feldes auf das
Teilchen", im anderen "Absorption des Lichtquants durch das
1*
93
Teilchen". Schematisch läßt sich dieser Sachverhalt so aus-
drücken:
Wellenbild: Elektron erzeugt Feld; Feld wirkt auf zweites
Elektron.
Tei1chenbild: Elektron emittiert Lichtquant; Lichtquant wird
absorbiert durch zweites Elektron.
In beiden Fällen handelt es sich um -eine Beschreibung des
gleichen Sachverhalts. Die erste Art ist jedem geläufig, der es
einmal mit elektrischen Feldern zu tun gehabt hat. Die zweite
Art ist den meisten ungeläufig, weil es in der Technik und in
der makroskopischen Physik überflüssig wäre, wenn man sich
das .elektrische Feld immer als mit Lichtquanten verknüpft vor-
stellen wollte. Aber unter atomaren Verhältnissen ist es ge-
legentlich· zweckmäßig. Bei der Strahlung von Atomen ist es
häufig zweckmäßiger, von Lichtquanten als von Kugelwellen zu
sprechen.
Nun wollen wir genau die gleiche Formulierung bei den
Kräften zwischen Protonen und Neutronen verwenden. Wir
können erstens sagen: Das Neutron erzeugt ein Kernfeld, und
dieses Feld wirkt auf das Proton. Das ist die Formulierung in
der Wellensprache. In der Teilchensprache dagegen heißt es:
Das Neutron erzeugt Teilchen, und diese Teilchen werden vom
Proton absorbiert. Wir 'Wollen das wieder schematisch hin-
schreiben:
Wellenbild: Neutron erzeugt Feld; Feld wirkt auf Proton.
Teilchenbild: Neutron emittiert Elektron + Neutrin~; Elek-
tron und Neutrino werden absorbiert durch
Proton.
Wenn wir die Kraft zwischen Neutron und Proton auf diese
Weise interpretieren, so erkennen wir, daß mit der Kraft-
wirkung ein Ladungsaustausch verbunden ist. Wenn nämlich
ein Neutron, um die Kraft auszuüben, ein Elektron und ein
Neutrino emittieren muß; so ändert es dabei seine Ladung; es
verwandelt sich in ein Proton. Und umgekehrt verwandelt sich
das Proton durch die Absorption des Elektrons und des Neu-
94
trinos in ein Neutron. Eine ganz entsprechende Umwandlung
kann aber auch dadurch geschehen, daß ein Proton ein Positron
und ein Neutrino emittiert, die dann vom Neutron absorbiert
werden.
Dte Kernkräfte sind also mit einem Austausch von ge-
ladenen Teilchen verbunden, und man bezeichnet daher Kräfte
von diesem Typus als Austauschkräfte. Sie sind von einer sehr
eigentümlichEm Art, und es ist für sie kennzeichnend, daß mit
G-'
ihrer Wirkung eine Vertauschung, ein Rollenwechsel der beiden
Partner verknüpft ist. Sie unterscheiden sich also in dieser Hin-
sicht durchaus von den elektrischen Kräften. Aber es zeigt
sich wieder eine enge Verwandtschaft
e
mit den chemischen Kräften. Die
Quantentheorie hat klargestellt, daß I \
auch sie im allgemeinen als Austausch- • I • \
kräfte anzusprechen sind. Auch bei \ I
ihnen erfolgt ein solcher Ladungsaus- - ./
tausch. Den einfachsten Fall bildet das Wasserstoff·Molekülion
Abb. 17.
95
dauernden Bewegungen der Elektronen eine in den Raum aus-
tretende Wellen strahlung erzeugt. Im Teilchenbild dagegen
besteht in jedem Augenblick eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für die Emission eines Lichtquants. Diese beiden Darstellungen
sind dadurch miteinander verknüpft, daß diese Wahrscheinlich-
keit durch die Stärke der ausgesandten Welle gegeben ist. Je
stärker die Welle, um so größer ist auch die Strahlungswahr-
scheinlichkeit, um so kurzlebiger der angeregte Zustand. Seine
Lebensdauer hängt also von der Schwingungsweite der Elek-
tronen ab.
Ganz entsprechend müßte die Lebensdauer eines gegen
Betazerfall labilen Kerns von der Intensität der Wellen-
strahlung abhängen, die den Kern verläßt. Wenn man diese
Rechnung aber im Anschluß an die oben geschilderten Dber-
legungen durchführt, so kommt man zu sehr viel kleineren
Lebensdauern, als man sie in Wirklichkeit beobachtet. Hier
besteht noch eine Unstimmigkeit. Sie hat den Japaner Yukawa
zu einer etwas abgeänderten Theorie geführt. Yukawa nimmt
an, daß sich zwischen das Kernfeld und die Elektronen, Posi-
tronen und Neutrinos noch eine andere Teilchenart einschaltet,
die sogenannten Mesonen. Wir haben von ihnen bereits früher
gesprochen. Nach der Theorie von Yukawa sollte bei einer
Kernumwandlung eigentlich ein Meson ausgesandt werden. Es
wird nur deshalb nicht ausgesandt, weil es eine zu große Ruh-
masse hat, so daß die Energie m c2 für seine Erzeugung nicht
zur Verfügung steht. Ein Meson hat aber die Möglichkeit, spon-
tan in ein Elektron oder Positron und ein Neutrino zu zerfallen,
und das geschieht im Augenblick seiner Entstehung, so daß es
genügt, die Energie zur Erzeugung der leichten Teilchen, Elek-
tron und Neutrino, aufzubringen. In dieser Theorie wird also
ein Kernumwandlungsvorgang in zwei Schritte zerlegt. Zu-
nächst Wird aus dem Kernfeld ein Meson geschaffen oder rich-
tiger, das Kernfeld ist mit dem Meson identisch, das sich nur
mangels Energie für seine Erzeugung nicht als reelles Teilchen
manifestieren kann. Dieses Meson aber kann in ein Elektron
oder Positron und ein Neutrino zerfallen.
96
Dieses Bild wird durch manche Erfahrungen gestützt.
Erstens hat man, und zwar erst nach der Aufstellung der Theorie
von Yukawa, Teilchen mit der für die Mesonen in Frage kom-
menden Masse von 150 bis 200 Elektrohenmassen wirklich in
der kosmischen Strahlung beobachtet. Sie entstehen wahr-
scheinlich beim Zusammenstoß sehr energie reicher Protonen
und Neutronen. Es gibt also wirklich solche "halbschweren"
Teilchen, die man seit ihrer Entdeckung durch Anderson
"Mesonen" (oder "Mesotronen'·) nennt. Daß man sie beim
Betazerfall nie beobachtet, wird ja durch ihre allzu große Ruh-
masse erklärt. Und schließlich sind die in der kosmischen
Strahlung beobachteten Mesonen tatsächlich instabil und zer-
fallen in sehr kurzer Zeit in ein Elektron oder Positron und -
wahrscheinlich - ein Neutrino.
Es sieht demnach so aus, als ob zum Kernfeld tatsächlich
die Mesonen gehören, die ihrerseits die Möglichkeit haben, zu
zerfallen und dadurch eine Betastrahlung hervorzurufen. Man
kann zeigen, daß sich auf diese Weise die richtige Größen-
ordnung für die Lebensdauer betalabiler Kerne ergeben kann.
Man muß daher die letzte Zeile des oben angeschriebenen
Schemas abändern und dafür setzen: Das Neutron emittiert ein
Meson, und das Meson wird vom Proton absorbiert und um-
gekehrt. Dazu ist noch zu bemerken, daß es - analog zu den
Elektronen und Positronen - negative und positive Mesonen
gibt. Man kann natürlich noch nicht sagen, daß diese Theorie
heute schon experimentell gesichert sei. Dazu ist das vor-
liegende Versuchsmaterial noch zu klein. Sicherheit wird man
erst erlangen, wenn die Verhältnisse in der kosmischen Strah-
lung besser geklärt sein werden, und vor allem, wenn man
besser über die Umwandlungs- und Teilchenerzeugungsvor-
gänge Bescheid wissen wird, die beim Zusammentreffen sehr
energiereicher Teilchen vor sich gehen.
98
trischen Kraft -, und zweitens kann es sich wegen der Ab-
sättigung der Kräfte auch nur mit zweien von ihnen verbinden.
Damit wird der Vergleich der Kernmaterie mit einer Flüssig-
keit no!:h sehr viel besser gerechtfertigt. Denn mit den Atomen
in einer Flüssigkeit verhält eS.sich auf Grund der sehr ähnlichen
Eigenschaften der für ihren Zusammenhalt verantwortlichen
Kräfte grundsätzlich ebenso.
99
nicht mehr als zwei. Neutronen oder Protonen geben. Es ist
jedenfal~energetisch am günstigsten, wenn die dadurch ge-
gebene Möglichkeit auch voll ausgenutzt ist. Diese Tatsache.
führt wieder zu einer Bevorzugung von Kernen mit geraden
Neutronen- und Protonenzahlen ..
Besonders deutlich zeigt sich diese Bevorzugung der Zahl 2
beim Kern des .gewöhnlichen Heliums ~He, der aus 2 Neutronen
und 2 Protonen besteht. Er ist ein besonders stabiles Gebilde,
und das gleiche gilt für· seine aus 2 Elektronen bestehende
Hüne. Das letztere erkennt man daran, daß Helium ein Edelgas
ist und keine chemischen Verbindungen eingeht. Tatsächlich
ist die Bindungsenergie des Heliumkerns außerordentlich groß,
nämlich 30 MeV. Dagegen beträgt diejenige des Deuterons,
das aus 1 Neutron und 1 Proton besteht, nur 2,3 MeV, wie schon
besprochen wurde. In ihm ist nur je eine Valenz des Protons
und des Neutrons ausgenutzt, während im Heliumkern sämt-
liche Valenzen abgesättigt sind.
Es ist also allgemein zu erwarten, daß sich die Bevorzugung
gerader Zahlen durch eine besonders große Stabilität der Kerne
mit gerader Protonen- und gerader Neutroneooahl, dei: "doppelt
geraden" Kerne, kundtun wird. Kerne, bei denen eine der beiden
Zahlen, N oder 2, .gerade, dje andere ungerade ist,· werden
weniger stabil, solche, bei denen beide Zahlen ungerade sind,
noch weniger stabil sein. Dafür gibt es zunächst einen empi~
rischen Beweis im großen. Man wird erwarten dürfen, daß eine
bestimmte Kernart in der Natur um so häufiger vertreten ist,
je stabiler sie ist. Denn schon bei der ersten Bildung der Kerne
aus ihren Bausteinen werden sich die stabilsten Kerne auch am
häufigsten bilden und in der Folge auch bevorzugt ernalten
bleiben. Nun hat schon vor vielen Jahren Harkins versucht,
empirische Beziehungen zwischen der Geradzahligkeit und Un-
geradzahligkeit einerseits und der Häufigkeit der Elemente
andererseits festzustellen. Er fand, daß tatsächlich diejenigen
Atomarten die weitaus häufigsten sind, von denen wir heute
wissen, daß sie "doppelt gerade" Kerne haben. Kerne, bei denen
eine der beiden Zahlen· ungerade ist, die "ungeraden" Kerne,
100
sind sehr viel seltener, und am seltensten sind Kerne mit zwei
ungeraden Zahlen, die "doppelt ungeraden" Kerne.
Zu den häufigsten Elementen gehört der doppelt gerade
Sauerstoff l~O. Erheblich seltener ist z. B. das ungerade
Lithium ~Li. . Doppelt ungerade stabile Kerne schließlich gibt
es nur -ganz wenige., Der einfachste von: ihnen ist der Kern des
Deuteriums 2 D, das Deuteron. Außerdem gibt es von dieser Art
hUF noch die Atomarten Lithium gLi, Bor 19 B, Stickstoff l~ N.
Diese vier einfachsten
doppelt ungeraden Kerne
sind aber auch die ein-
zigen stabilen Kerne
dieser ArL Alle übrigen
sind radioaktiv und wan-
deln sich durch Emission
von Elektronen oder Po-
sitronen um.
Auf Grund dieser ~~-~_ _~.....L.---J'--_-'-_ _-,--
Dberlegungen soll die
Frage der Stabilität von 11=91
Kernen noch genauer Abb. 18. Bindungsenergie ungerader Kerne
erörtert werden. Die
Energiefläche wurde schon früher beschrieben (Abb. 12). Sie
ist eine stark abschüssige Fläche mit einer Rinne, in deren
Grund die stabilen Kerne, liegen. Wir legen nun durch die
Fläche einen Schnitt, der von links oben nach rechts unten
unter 45° gegen die Achsen quer zur Rinne verläuft und uns
einen Querschnitt durch die Ebene gibt (Abb. 18). Durch die
Art der Schnittführung erreichen wir, daß auf diesem Quer-
schnitt lauter Kerne mit gleicher Summe N + Zr also mit
gleicher Massenzahl, liegen. Wie legen ihn zunächst so, daß
N + Z ungerade ist. Es ergibt sich eine Kurve mit einem
Minimum in der Talsohle. Auf der Kurve liegen lauter Kerne,
die durch Aussendung eines Elektrons oder eines Positrons
ineinander übergehen können; nur der am tiefsten liegende
Kern, der Kern mit dem größten Betrage der Bindungsenergie,
101
sollte stabil sein. In die Zeichnung haben wir auf der Abszisse
wachsende Neutronenzahlen (auf deren Beträge es hier nicht
ankommt), auf der Ordinate die Bindungsenergie eingetragen.
Da N + Z konstant ist, bedeutet wachsendes N - Z zunehmen-
des N und abnehmendes Z. Die rechts vom Minimum liegenden
Kerne haben also eine größere Neutronenzahl und eine kleinere
Protonenzahl als der stabile Kern und werden sich durch ein-
oder mehrmalige AlJ.s-
E sendung eines Elek-
trons schrittweise in
den stabilen Kern um-
wandeln. Die links-
liegenden Kerne da-
gegen, die eine größere
Protonenzahl und eine
kleinere Neutronenzahl
als der stabile Kern
haben, werden das
gleiche durch Aussen-
5 8 10 12 14 15
dung von Positronen
N-Z -
J/=92
oder durch Einfangung
Abb. 19. Bindungsenergien der geraden Kerne
eines Elektrons aus der
Atomhülle (rrK-Strah-
lung") bewirken, wie es die Pfeile in der Abb. 18 andeuten. Das
entspricht auch völlig der experimentellen Erfahrung. Die
Abb. 18 und 19 geben die Verhältnisse bei den speziellen
Massenzahlen 91 und 92 wieder.
Bei den geraden Atomen, bei denen also N + Z gerade ist,
verhält es sich erheblich anders. Hier macht sich eine der
Feinheiten der Energiefläche bemerkbar, die von unserer im
vierten Kapitel aufgestellten Gleichung nicht wiedergegeben
wird. Es besteht eben der besprochene Unterschied in der Sta-
bilität, also in der Bindungsenergie, der doppelt geraden
und der doppelt ungeraden Kerne. Die ·ersteren haben, wie
schon gesagt, einen erheblich größeren Grad von Stabilität als
die letzteren. Wir müssen deshalb für die beiden Arten von
102
Kernen zwei verschiedene Kurven zeichnen, von denen die-
jenige der doppelt geraden, also stabileren Kerne, tiefer liegt
als diejenige der doppelt ungeraden (Abb. 19). Die Umwandlung
eines Kerns in eiqen anderen kann immer nur in einzelnen
Schritten, also nur unter Aussendung eines Elektrons oder
Positrons (und des zugehörigen Neutrinos) erfolgen, niemals
unter gleichzeitiger Aussendung zweier Elektronen oder Posi.
tronen. Nun ist zwar z. B. noch die Umwandlung des Kerns
mit N - Z = 6, d. h. N = 49, Z = 43, also eines doppelt un-
geraden Kerns, in den doppelt geraden Kern Mo mit N - Z = 8
unter Aussendung eines Positrons möglich, wie es durch den
Pfe'il angedeutet ist, denn dabei wird Energie frei. Damit aber
eine weitere Umwandlung in den stabilsten Kern Zr mit
N - Z = 12, d. h. N = 52, Z = 40 erfolgte, müßte sich der
Kern Mo mit N - Z = 8 zunächst unter Aussendung eines
weiteren PositroFlS in den Kern Nb mit N - Z = 10, also
wieder in einen doppelt ungeraden Kern verwandeln. Das aber
ist energetisch nicht möglich, weil dazu ein Aufwand an
Energie nötig wäre. Vielmehr kann sich umgekehrt der
Kern Nb mit N - Z = 10 durch Aussendung eines Elektrons
in den Kern Mo mit N - Z = 8, oder aber unter Aussendung
eines Positrons in den stabilsten Kern Zr mit N - Z = 12 um-
wandeln. So liest man aus der Abb. 19 ab, daß außer dem
stabilsten Kern Zr in der Talsohle auch noch andere, etwas
höherliegende doppelt gerade Kerne von gleicher Massenzahl
stabil sein können, während die auf der oberen Kurve liegen-
den doppelt ungeraden Kerne sämtlich instabil sind. In der
Abb. 19 sind die Umwandlungsmöglichkeiten wieder durch
Pfeile angedeutet. Pfeile, die nach rechts unten weisen, ent-
sprechen der Aussendung von Positronen (evtl. K-Strahlung),
solche, die nach links weisen, der Aussendung 'Von Elektronen.
Die instabilen Kerne der oberen Kurve können also, soweit
entsprechende stabile Kerne auf der unteren Kurve liegen, auf
beide Weisen. zerfallen. Ein Beispiel ist der Kaliumkern tgK,
der sich durch ElektronenstrahlUllg in den Calciumkern ~ Ca
103
oder durch Positronenstrahlung in den Argonkern 19Ar um-
wandeln kann.
Wir entnehmen unseren Kurven also folgende, an der Er-
fahrung zu prüfende Vdraussagen:
1. Bei ungerader Massenzahl, also bei den ungeraden Ker-
nen, gibt es zu jeder Massenzahl nur einen einzigen stabilen
Kern. Die übrigen sind entweder elektronen- oder positronen
(oder K-Strahlungs-) labil.
2. Bei gerader Massenzahl und gerader Neutronen- und
Protonenzahl, also bei den doppelt geraden Kerrien, gibt es
im allgemeinen mehrere, aber nicht viele, etwa zwei oder drei
stabile Kerne mit gleicher Massenzahl.
3. Stabile Kerne mit gerader Massenzahl und ungerader
Neutronen- und Protonenzahl, also doppelt ungerade Kerne,
wird es im allgemeinen überhaupt nicht geben.
Von der letzteren Regel gibt es aber einige Ausnahmen
bei den leichtesten Kernen. Sie erklären sich durch eine be-
sonders starke Krümmung der beiden Kurven, die bewirkt,
daß der stabilste Kern, der dann etwa im Minimum der oberen
Kurve liegt, tiefer liegt als die benachbarten Kerne der
unteren Kurve.
Im übrigen findet man aber diese Voraussagen in der
Erfahrung fast durchweg bestätigt, wie ein Blick auf die
Tabelle IV zeigt, in der ja die stabilen Kerne als schwarze
. Punkte, die labilen Kerne als aufrechte Dreiecke (Elektronen-
strahler) oder nach unten gerichtete Dreiecke (Positronen-
strahler) eingetragen sind. Bei genauerer Betrachtung stellt
man fest, daß tatsächlich mit ganz wenigen Ausnahmen zu
einer ungeraden Massenzahl nie mehr als ein stabiler Kern
gehört. Das ist die Mattauchsche Regel. Atome mit gleicher
Massenzahl liegen auch hier auf einer unter 45° gegen die
Abszisse nach links oben ansteigenden Geraden. Auf einer
solchen Geraden liegen z. B. der Palladiumkern li~Pd, der Silber-
kern l~Ag, der Cadmiumkern 11~Cd und der Indillmkern l!pn.
Nur der Kern l!~Cd ist stabil, die beiden Kerne ll~l'd, ll~Ag
104
senden Elektronen aus, der Kern l!~In emittiert: Positronen. So
findet man in der Tabelle durchweg bestätigt, daß neben einem
stabilen Kern von ungerader Massenzahl auf der gleichen
Geraden immer nur instabile Kerne von gleicher Massenzahl
liegen. Eine Ausnahme findet sich bei der Massenzahl 113. Es
gibt sowohl den stabilen Indiumkernl!~In als auch den stabilen
Cadmiumkern ll~ Cd. Sie dürfte sich dadurch erklären, daß diese
beiden Kerne zufällig ungefähr gleich hoch zu beiden Seiten
des Minimums der Energiefläche liegen, und daß ihre Energie-
differenz zu gering ist, um ein Elektron und ein Neutrino ent-
stehen oder mit meßbarer Wahrscheinlichkeit ein Elektron
einfangen zu lassen, so daß eine Umwandlung des einen in den
anderen nicht möglich ist. Es gibt vielleicht noch einige weitere
Ausnahmen, aber das ist experimentell noch nicht ganz sicher-
gestellt.
Bei gerader Massenzahl ist das Auftreten mehrerer stabiler
Keme mit gleicher Massenzahl die Regel. Man nennt solche
Kerne isobare Kerne. Wegen dieser Bevorzugung der geraden
Zahlen gibt es auch zu jed~m Kern mit gerader Protonenzahl
(oder Kernladung) immer. eine mehr oder weniger große Zahl
von stabilen Isotopen, also von stabilen Kernen mit gleicher
Ladung, deren Atome sich chemisch identisch verhalten und
alle dem gleichen Element angehören. Die Elemente ungerader
Kernladung besitzen dagegen viel weniger stabile Isotope. So
gehören zum Element Titan mit der geraden Protonenzahl 22
nicht weniger als 5 stabile Isotope; dagegen hat das benach-
barte Vanadium mit der Protonenzahl 23 nur ein einziges
stabiles Isotop. Das darauffolgende Chrom besitzt wiederum
5 Isotope, das darauffolgende Mangan wieder nur ein einziges.
Das Cadmium mit der Protonenzahl 48 hat sogar 8 stabile Iso-
tope, während es von dem ihm vorangehenden Silber (Z = 41)
nur 2 stabile Isotope gibt. So geht es durch das ganze
periodische System.
Die besprochenen Annahmen über die Natur der Kern-
kräfte, insbesondere ihre geringe Reichweite und ihre Fähigkeit
zur Absättigung finden also in den aus ihnen für die Häufig-
105
keit und die Stabilität der einzelnen Kernarten gezogenen
Folgerungen eine sichere Stütze an der Erfahrung.
Wir wollen an die Existenz von Isotopen der einzelnen
Elemente hier die Erklärung dafür anknüpfen, weshalb die
wenigstens bis zu einem gewissen Grade auf das Richtige
zielende Proutsche Hypothese, die auf der Ganzzahligkeit
der damals bekannten Atomgewichte fußte, fast 100 Jahre lang
in Vergessenheit geraten konnte. Die Mehrzahl der in der
Folge gemessenen Atomgewichte der schwereren Elemente
erwiesen sich in keiner Weise als ganzzahlig oder auch nur
als angenähert ganzzahlig. Das aber hat seinen einfachen Grund
in der Existenz der Isotope. Jedes mit chemischen Mitteln rein
dargestellte Element ist, sofern es mehrere Isotope besitzt, ein
Isotopengemisch. Die Massen der einzelnen ISQtope sind in
der. Tat stets angenähert ganzzahlig. Aber die chemischen
Verfahren können immer nur die durchschnittliche Masse der
Atome des Isotopengemischs erfassen, die vom jeweiligen
Mischungsverhältnis abhängt und natürlich alle möglichen
nicht ganzzahligen Werte annehmen kann.
106
Sechster Vortrag
Die Kernprozesse
1. Die Alphastrahlung
108
wurde schon verhältnismäßig früh von Geiger und Nut/all ent-
deckt. Diese Forscher fanden, daß im großen und ganzen der
Logarithmus der Zerfalls wahrscheinlichkeit (der Kehrwert der
mittleren Lebensdauer eines Atoms) linear mit der Energie der
Alphateilchen anwächsf. Diese ist ja, wie man aus der gleichen
Reichweite etkennt (Abb.3), eine für jeden radioaktiven Stoff
charakteristische Größe. Je mehr Energie also für den Zerfalls-
prozeß zur Verfügung steht, je energiereicher das Teilchen ist,
um so schneller .findet im Durchschnitt der Zerfall statt. Be-
zeichnet man die schon im 2. Kapitel eingeführte Zerfallswahr-
scheinlichkeit wieder mit A, die Energie der Alphateilchen
mit E, so 'kann man die Geiger-Nuttallsche Beziehung in fol-
gender Form schreiben:
Ig A = A + BE.
Dabei sind A und B K::mstanten, die man durch Versuche er-
mittelt hat. Die Zerfallskonstante A kann nach der von uns
schon erwähnten Gleichung
N = No e- At
berechnet werden, die die Abnahme der Zahl der noch unzer-
fallenen Atome mit der Zeit t darstellt. Die Energie E kann
etwa aus der Reichweite ermittelt werden, und zwar nach
einem ebenfalls von Geiger und Nuttall gefundenen Gesetz.
In der Abb.20 ist der Zusammenhang zwischen 19 A und E
für alle Alphastrahler auf Grund von Messungen graphisch dar-
gestellt. Es ergeben sich drei. nahe 'benachbarte Kurven, je. eine
für jede der drei Zerfallsreihen, die Uranreihe, die Thorium-
reihe und die Actiniumreihe, die zwar nicht genau - wie es die
Geiger-Nuttallsche Beziehung verlangt - aber doch angenähert
gerade sind. Daß sich drei verschiedene, ungefähr parallele
Kurv~n ergeben, zeigt, daß für die drei Zerfallsreihen zwar äie
gleiche Konstante B, aber etwas verschiedene Werte der Kon-
stanten A gelten. Ganz unten findet man das Uran mit der
kleinsten, ganz oben Radium C' mit der größten Zerfallswahr-
scheinlichkei t.
8*
109
Es handelt sich nuri darum, diese Gesetzmäßigkeit zu er-
klären, vor allem die zunächst überraschende Tatsache, daß eine
kleine Änderung der Energie E eine so große Änderung der
Zerfalls wahrscheinlichkeit A hervorruft. Die Energie ändert
sich ja im ganzen Bereich nur etwa von 6' 10-6 erg auf
13 . 10-6 erg, also etwa um einen Faktor 2. Die Zerfallswahr-
IgA
t RaC'
+5
0
AcEm
AcC
ThC
-5
AcX
RaAc
Ra'Th
- 10
• 'Thorium-Familie
o Uran-Rad/um- 11
Je Aktinium _ 11
-15
U
-20
5 7 9 11 13 15
-+ E',0 6erg.
Abb. 20. Zum Gei ger - Nut a 11 sehen Gesetz
110
und einem Neutron (Abb. 15). Solange das Alphateilchen sich
in größerer Entfernurrg vom Kern befindet, steht es lediglich
unter der Wirkung des Feldes von dessen positiver Ladung,
wird also abgestoßen. Wir müssen an dem Teilchen Arbeit
leisten, um es dem Kern zu nähern. Das bedeutet, daß seine
potentielle Energie bei der Annäherung an den Kern zunächst
wächst. Wenn das Teilchen aber dem Kern genügend nahe-
gekommen ist, so fangen auch die anziehenden Kernkräfte von
kleiner Reichweite an, zu wirken und überwiegen schließlich
die elektrische Abstoßung. Nach Dberwindung einer gewissen
I
,,
t
, \
\
Ea (ThC)
111
sie also schon dort besessen haben. Wir setzen also die Gerade
heim Uran bis in das Kerninnere fort. Im Inneren des Kerns war
offenbar die kinetische Energie noch größer, ihr Betrag ist ja
an jeder Stelle durch die Differenz der h(Hizontalen Geraden
gegen die Kurve der potentiellen Energie gegeben. Die Abbil-
dung führt zu der Vorstellung, daß das Teilchen sich im Innern
hin und her bewegt und sozusagen an den Wänden des "Poten-
tialtopfes" hin und her reflektiert wird. Die durch die Gerade
im Innern dargestellte Energie ist stets die Summe seiner kine-
tischen und potentiellen Energie.
In diesem Bilde ist es aber zunächst unverständlich, wie
das Teilchen überhaupt je aus dem Kern herauskommen kann.
Es ist ja nach den Vorstellungen der gewöhnlichen Mechanik
gar nicht in der Lage, sich weiter nach außen zu bewegen als
bis an die Wände des Potentialtopfes; denn dort, wo die Gerade
die Potentialkurve schneidet, verschwindet die kinetische
Energie, d. h. das Teilchen kommt wr Ruhe. Es kann mit der
ihm zur Verfügung stehenden Energie den Potentialwall, der
das Innere vom Außenraum trennt, gar nicht überschreiten.
Nach dem Standpunkt der klassischen Mechanik wäre also ein
Zerfall überhaupt unmöglich. Der Potentialwall müßte die Sta-
bilität des Kerns garantieren. Es könnte allerdings daraIi
gedacht werden, daß noch andere Teilchen im Kern sind, die
sich ebenfalls bewegen, und daß diese vielleicht gelegentlich
Energie auf das Alphateilchen übertragen könnten, die es über
den Potentialberg hinwegheben könnten. Das kann aber nur in
solchen Fällen vorkommen, wo sich ein Kern in einem an-
geregten Zustand befindet, also einen Energieüberschuß besitzt.
Im normalen Zustand des Atoms gibt es keine solche frei ver-
fügbare Energie. Denn die Energie, die die Teilchen dann noch
besitzen, ist Nullpunktsenergie, wie sie sich aus der sogenann-
ten Unbestimmtheitsrelation ergibt, und diese ist nicht verwert-
bar und kann nicht auf andere Teilchen Übertragen werden.
Hier kommt uns nun die Wellenmechanik zur Hilfe. Die
Bewegung der Alphateilchen wird ja durch die Gesetze der
Wellen- oder Quantenmechanik, nicht durch die der gewöhn-
112
lichen Mechanik bestimmt. Auf Grund des schon mehrfach
erwähnten Dualismus von Wellen und Teilchen können wir
uns statt des im Kern hin und her schwingenden Teilchens auch
eine Welle vorstellen, die an den Wänden des Potentialtopfes
hin und her reflektiert wird, und zwar als eine stehende Welle.
Dann muß zunächst erklärt werden, wieso eine solche Welle
denn überhaupt an diesen Wänden zurückgeworfen wird. Offen-
bar beruht das auf einem Vorgang, für den wir eine Analogie
in der Totalreflexion von Licht an der Grenzfläche zweier
durchsichtiger, brechender Stoffe finden, also etwa an der
Grenze zwischen Glas und Luft. Eine solche findet z. B. in den
Prismen in einem Zeiss-Feldstecher statt. Fällt Licht in ein
ID
dieses durchgesickerte Licht in das zweite Prisma eindringen
und sich nunmehr auf die gewöhnliche Weise weiter fort-
pflanzen. Je dichter beieinander die beiden Flächen sind, um
so mehr Licht tritt hindurch, und wenn sie ganz fest aufein-
andergepreßt werden, so findet überhaupt keine Totalreflexion
mehr statt.
Etwas ganz entsprechendes findet bei den Materiewellen
der Alphateilchen statt. Wir müssen den Innenraum mit dem
einen Prisma, den Außenraum mit dem anderen vergleichen,
den Potentialwall, der beide trennt, mit der Luftschicht zwischen
den beiden Prismen. Es sickert immer etwas von den Wellen
durch den Wall, und es tritt ein um so größerer Teil von ihnen
in den Außenraum aus, je schmaler der Wall ist. Dabei haben
wir unter dem Wall dasjenige Stück der Potentialkurve zu ver-
stehen, welches das horizontale Energieniveau des Teilchens
überragt. Hieraus folgt ohne weiteres, daß das Innere des Kerns
für die Wellen eines Alphateilchens um so "undichter" sein
wird, je höher dieses Niveau liegt, je größer also seine Energie
ist; denn um so schmaler ist der zu überwindende Potential-
wall. Wenn wir uns also vorstellen, daß die Wellen anfänglich
nur im Inneren vorhanden sind, so werden wir mit fortschreiten-
der Zeit einen immer größeren Bruchteil von ihnen auch im
Außenraum antreffen, und zwar wird dieser Bruchteil um so
schneller anwachsen, je größeJ die Energie des Teilchens ist.
Dieses Wellenbild muß nun noch in das Teilchenbild zu-
rückübersetzt werden. Dabei erinnern wir uns daran, daß bei
der Besprechung der Verhältnisse in der Atomhülle gesagt
wurde, die örtliche Dichte der Materiewellen sei ein Maß für
die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen an dem betreffenden Ort
anzutreffen. Diese Dichte außerhalb des Atomkerns aber, also
auch die Wahrscheinlichkeit, das Alphateilchen außen anzu-
treffen, nimmt bei einem energiereichen Alphateilchen schnell,
bei einem weniger energiereichen langsamer zu. Je energie-
reicher ein Teilchen ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß es
bald nicht mehr im Innenraum, sondern im Außenraum an-
getroffen wird, mit anderen Worten, daß es in kurzer Zeit
114
aus geschleudert wird. Damit haben wir die Erklärung dafür
gefunden, daß die Zerfallswahrscheinlichkeit für energiereiche
Alphateilchen sehr viel größer ist als für weniger energiereiche.
Die exakte mathematische Durchführung dieses Gedankens
führt zu einer sehr befriedigenden Ubereinstimmung mit dem
Geiger-Nutallschen Gesetz.
Wenn man den beschriebenen Effekt ganz summarisch und
nur im Teilchenbild darstellen will, so kann man sagen, daß
das Teilchen - entgegen allen Erwartungen aus dem Energie-
prinzip - fähig ist, nach mehr oder weniger langer, durch den
Zufall bestimmter Zeit den Potentialwall wie durch einen
Tunnel zu durchstoßen. Man spricht daher auch von einem
Tunneleffekt' .
Schon früher wurde besprochen, daß man an sich vermute!).
könnte, daß alle E~emente etwa oberhalb von Zinn labil gegen
Alphazerfall seien, während der Zerfall doch nur bei den aller-
schwersten Elementen beobachtet wird. Es liegt nahe, anzu-
nehmen, daß man zwischen den bekannten Alphastrahlern und
solchen Elementen, bei denen man eine Alphastrahlung zwar
für energetisch möglich halten, aber nicht beobachten kann,
keine scharfe Grenze ziehen darf. Es kann sehr wohl sein, daß
tatsächlich eine größere Zahl von Elementen oberhalb von Zinn
Alphastrahler sind, daß aber die Energie und die Reichweite
ihrer Alphastrahlen sehr klein ist. Aus beiden Gründen schon
würden die Alphastrahlen der Beobachtung schwer zugänglich
sein. Vor allem aber wäre eine solche Radioaktivität deshalb
kaum beobachtbar, weil der geringen Energie auch eine über-
aus geringe Zerfallswahrscheinlichkeit entspricht. Mag ein
solches Element auch ganz selten einmal einen Alphastrahl aus-
senden, es ist dennoch - sogar in kosmischen Zeitmaßen ge-
messen - praktisch stabil.
2. Die Betastrahler
Nunmehr wenden wir uns zu der zweiten Art von spontanen
Kernumwandlungen, die unter Aussendung einer Betastrahlung,
also von Elektronen oder Positronen in Begleitung eines Neu-
115
trinos erfolgt. Eine solche Umwandlung findet dann statt,
wenn sie mit den Erhaltungssätzen verträglich ist, wenn also
insbesondere bei ihr Energie aus dem Kern frei wird. Auch
hier entsteht die Frage, warum denn ein Kern, der an sich alle
Vorbedingungen für eine Umwandlung erfüllt, sich nicht sofort
umwandelt.
Bei den Betastrahlern sind die Unterschiede in der Lebens-
dauer geringer als bei den Alphastrahlern. Ihre Halbwertzeiten
liegen größenordnungsmäßig zwischen einigen Sekunden und
einigen Jahren. Nur einige wenige haben eine viel größere
Halbwertzeit.
Auf die Betastrahler sind die Uberlegungen, die das Ver-
halten der Alphastrahler erklärten, nicht anwendbar; jedenfalls
nicht für die Elektronenstrahler, da ja ein Elektron wegen seiner
negativen Ladung im Außenraum vom Kern angezogen wird.
Hier gibt es also keinen Potentialwall. Da aber kein grundsätz-
licher Unterschied im Verhalten von Elektronen- und Posi-
tronenstrahlern besteht, so können auch diese nicht jn Analogie
zu den Alphastrahlern gesetzt werden. Es kommt noch hinzu,
daß ja die Elektronen und Positronen nebst ihrem Neutrino gar
nicht, wie ein Alphateilchen, einen Bestandteil des Kerns
bilden, sondern erst im Augenblick der Kernulnwandlung aus
dem Kernfeld erzeugt werden. Viel näher liegt ein Vergleich
mit der Aussendung von Lichtquanten aus der Atomhülle.
Empirisch gilt im großen und ganzen, daß auch bei den Beta-
strahlern die Zerfallswahrscheinlichkeit um so größer ist, je
größer die Energie der Betateilchen ist. Dabei ist zu beachten,
daß jedes Elektron oder Positron von einem Neutrino be-
gleitet ist, und daß sich die Zerfallsenergie, wie schon be-
spr6chen wurde, nach statistischen Gesetzen auf beide verteilt.
Maßgebend für die Zerfallsenergie ist also die Energie der
jeweils schnellsten Betateilchen, deren Neutrino zufällig nichts
von der Zerfallsenergie mitbekommen hat.
Um nun den Zusammenhang zwischen Zerfallswahrschein-
lichkeit und Energie wenigstens qualitativ zu verstehen, machen
wir eine Anleihe bei der Theorie der elektrischen Wellen.
116
Denn die Betastrahlung soll ja in Analogie zur Aussendung
von Licht aus der Atomhülle gesetzt werden. Wir gehen also
jetzt vom Wellenbild aus und reden von einem Elektron oder
Positron nebst Neutrino als einer den Atomkern verlas!renden
Welle. Diese Welle vergleichen wir mit der von einer Antenne
ausgesandten elektrischen Welle.
Auch für diese Mater.iewellen gilt die Plancksche Beziehung
E, = h Y, die -ihre Energie E mit ihrer Frequenz Y in Zusammen-
hang bringt. Dabei ist E die Energie des Betateilchens, oder
genauer der auf das Elektron entfallende Teil der Zerfalls-
energie. Wenn also die Zerfallswahrscheinlichkeit mit der
Energie wächst, so bedeutet das, daß die Zerfallswahtschein-
lichkeit um so größer ist, je größer Y', also je kurzweIliger die
Materiestrahlung ist. Etwas Entsprechendes gilt auch bei der
Aussendung elektrischer Wellen. Wenn man bei einer schwin-
genden Antenne das Dipolmoment konstant hält, was etwa
dadurch geschehen kann, daß man den Scheitelwert der Span-
nung am Kondensator des Schwingungskreises konstant hält,
so ist die Ausstrahlung um SQ stärker, je größer die Frequenz
des Schwiogungskreises ist. Die Intensität der WeHen ist
dort der 4. Potenz der Frequenz proporti'onal. Ganz ähnlich
verhält es sich bei den Materiewellen der Betastrahlung, nur
ist ihre Intensität nicht der 4., sondern, wie eine genauere
theoretische Untersuchung von Fermi gezeigt hat, der 6. Potenz
der Frequenz proportional. Dann ergibt sich, daß die Zerfalls-
wahrscheinlichkeit (die pro sec ausgesandte Energ~e geteilt
durch die Energie des einzelnen Zerfalls) der 5. Potenz der
Energie proportional ist, die für den Zerfallsprozeß zur Ver-
fügung steht.
Diese Uberlegung gibt die wirklichen Verhältniss.e zwar in
großen Zügen, aber nicht quantitativ richtig wieder. Zum voll-
ständigen Verständnis muß noch ein weiterer Gedanke hinzu-
kommen. Wir hatten vorausgesetzt, daß das Dipolmoment der
Antenne konstant sei. Es ist aber gar nicht zu erwarten, daß
dSlS Entsprechende auch für die verschiedenen Atomkerne zu-
trifft. Vielmehr sind da große individuelle Unterschiede zu
117
erwarten und auch wirklich vorhanden. Man wird also er-
warten, daß die Zerfallswahrscheinlichkeit ein Produkt von
zwei Faktoren ist. Der erste wird bestimmt durch das Dipol-
IgT,
t
18 o
o
76
14
12
10
4
o
-2L---~----~--~--~~~----~1~~2~--
0.1 ((2 45 1.0 20 1040 ---E max (Me V)
flog Skolo)
Abb. 23. Lebensdauer und Energie der natürlichen und künstlich erzeugten
Betastrahler (Sargellt-Diagramm)
1 Hl
dauer und damit die Zerfallswahrscheinlichkeit und Energie
deI: Betastrahler. Werin eine Größe irgendeiner Potenz einer
zweiten proportional sein soll, so tut man gut, nicht die Größen
selbst, sondern ihre Logarithmen auf den Achsen aufzutragen,
da zwischen diesen dann eine lineare Beziehung bestehen muß.
So ist auch in der Abb. 23 der Ig T der Lebensdauer T (in sec)
als Funktion des log E aufgetragen, wobei sich noch die Maß-
stäbe auf den beiden Achsen um einen Faktor 5 unterscheiden.
Dann sollten bei Gültigkeit des 5. Pötenzgesetzes alle Beta-
strahler auf einer unter 1350 gegen die Achsen geneigten
Geraden liegen. Tatsächlich liegen die empirischen Punkte
zum größten Teil zwischen zwei solchen Geraden; der Abstand
der Geraden gibt ein Maß für die Schwankung des Dipol-
moments von Kern zu Kern.
Bevor weitere Zerfallsprozesse besprochen werden, sollen
noch einige Prozesse, bei denen Alpha- oder Betastrahlen auf-
treten, in der schon bekannten Formelsprache angeschrieben
werden. Ein Uranatom 2g~U zerfällt unter Aussendung eines
Alphateilchens ~ He. Dann entsteht aus ihm ein Atom von der
Masse 234 und der Ladung 90, das Uran Xl 2~ÖUX1. Wir schrei-
ben also
7 Be
4
+ -10 e --+ 3i Li + o'
0 V
120
Solche Prozesse sind gar nicht so selten. Es treten bei ihnen
oft ziemlich große Halbwertzeiten auf. Die des JBe für diesen
Prozeß beträgt etwa 53 Tage. In der Tabelle IV sind die
Atomkerne, die sich durch K-Strahlung umwandeln, durch
einen Ring gekennzeichnet.
Es gibt schließlich noch einen weiteren Prozeß, den Hahn
und Strassmann 1938 entdeckt haben, die schon erwähnte Spal-
tung von Kernen in zwei Teile von etwa gleicher Größe, der
auch gelegentlich spontan eintreten kann. Doch soll er erst bei
den künstlichen Kernumwandlungen behandelt werden.
4. Künstliche Kernumwandlungen
Wie zuerst Rutherford gezeigt hat, kann man eine Kern-
umwandlung künstlich dadurch bewirken, daß man irgendein
Teilchen in den Kern hineinschießt. Das Teilchen wird dann
im allgemeinen im Kern steckenbleiben. Dabei kann es sein
• Protonen
o Neutronen
121
Von außen nähert sich ihm ein Neutron. Die weißen und
schwarzen Kreise sind die Neutronen und Protonen des Kerns
(die, wie die Pfeile andeuten, vom Neutron angestoßen werden
und selbst wiedeJ' andere Teilchen anstoßen). Wenn nun das
Teilchen eingedrungen ist, und seine Energie sich alsbald auf
alle Teilchen des Kerns verteilt, so kann man das am ein-
fachsten mit den Worten ausdrücken: Das Atom wird erhitzt.
Ganz ähnlich wiJ:d ja auch ein Sandhaufen erhitzt, in den man
eine Kugel schießt. Das, was hier geschieht, ist also einer Er-
hitzung eines mikroskopischen Gebildes ganz analog, wenn
man daran denkt, daß eine Erhöhung der kinetischen Energie
der Moleküle einer Erhöhung seiner Temperatur entspricht. Im
Kern treten an die Stelle der Moleküle die Neutronen und
Protonen. Ihrer kinetischen Energie entspricht auch eine be-
stimmte Temperatur des Kerns.
Die Temperatur, welche ein Kern auf diese Weise erlangt,
'l. B. wenn ein Teilchen mit einer Energie von etwa 8 MeV in
122
Gammastrahl, als Lichtquant ab. Es handelt sich gewissermaßen
um einen glühenden Flüssigkeitstropfen, der infolge seiner
hohen Temperatur auch Licht aussendet.
Der Vorgang, der eben beschrieben wurde, wird nur dann
ungehindert vor sich gehen, wenn das Teilchen, mit dem der
Kern beschossen wird, ungeladen, also ein Neutron oder ein
Lichtquant ist. Ist aber das Teilchen ein Proton oder ein
Alphateilchen, so muß es bei der Annäherung an den Kern
gegen den Potentialwall anlaufen, der um so höher ist, je
größer die Ladung des beschossenen Kerns ist. Das Geschoß
würde beim Anlaufen gegen den Kern verlangsamt und würde
in vielen Fällen, insbesondere bei schweren Kernen, schon in
einigem Abstand vom Atomkern zur Ruhe kommen oder so weit
abgelenkt werden, daß es den Atomkern nicht mehr trifft. Bei
den schwereren Kernen müßte man .daher das geladene Teil-
chen durch außerordentlich hohe Spannungen beschleunigen,
wie sie uns heute noch nicht zur Verfügung stehen, um den
Kern wirklich zu treffen. Eine Umwandlung mit geladenen
Teilchen ist daher vorläufig nur bei verhältnismäßig leichten
Atomarten möglich.
Für die ungeladenen Teilchen dagegen existi.ert der Poten-
tialwall nicht, und mit ihnen kann man Atome von beliebiger
Masse umwandeln. Umwandlungen schwerer Atomkerne mit
Lichtquanten, d. h. mit "("Strahlen sind von Bothe und seinen
Mitarbeitern beobachtet worden, die Umwandlung mit Neu-
tronen hat zuerst Fermi nachgewiesen. Allerdihgs wird sich
das Neutron in vielen Fällen einfach an den Kern anlagern,
wobei dann ein oder mehrere Gam:\Ilaquanten die überschüssige
Energie abführen.
Das bedeutet zwar eine Veränderung des Kerns, aber keine
Veränderung der chemischen. Eigenschaften des Atoms. Eine
solche tritt in diesem Fall nur dann ein, wenn der so gebildete
Kern instabil ist, weil er 'Zu viele Neutronen hat. Dann wird
sicb. in einem Folgeprozeß ein Neutron unter Aussendung eines
Elektrons in ein Proton verwandeln, so daß der Kern in den-
jenigen des nächsthöheren Elements übeTgeht.
9 Heisenberg, At9mkeme
123
Da sich ein Neutron gan'z ungehindert einem Kern nähern
kann, so spielt die Geschwindigkeit - im Gegensatz zu ge-
ladenen Teilchen - keine wesentliche Rolle. Im Gegenteil
sind in vielen Fällen langsame Neutronen vorteilhafter als
schnelle, denn sie halten sich länger in der Umgebung des
Kerns auf, und daher ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie
von den Kernkräften eingefangen werden, größer als bei
schnellen Neutronen. Nach den Experimenten kann es vor-
kommen, daß sie für Neutronen von einer bestimmten, nicht
sehr großen Energie ganz besonders groß ist. Das wi:t:d nach
Reihe verständlich, wenp man das Neutron im Wellenbild, also
als eine in den Kern einfallende Welle betrachtet. Der Kern
ist ein schwingungsfähiges Gebilde und kann als solches mit
einer Welle, die ihn trifft, in Resonanz geraten, wenn die
Frequenz der Welle mit einer seinel: Eigenfre~uenzen über-
einstimmt. In diesem Fall findet eine ganz besonders starke,
selektive Absorption der Welle statt, ein Vorgang, der uns
bei der ABsorption von Licht sehr geläufig ist. Nun ist die
Wellenfrequenz eine Funktion der Geschwindigkeit des Neu-
trons, und es gibt daher eine ganz bestimmte Geschwindigkeit,
bei der diese Resonanzbedingung erfüllt ist und die Welle ganz
besonders stark vom Kern absorbiert wird. In das Teilchen-
bild zurückübersetzt heißt das aber, daß dann die Wahrschein-
lichkeit für die Einfangung des Neutrons durch den Kern
besonders groß ist. Man beschreibt diese Abhängigkeit von
der Geschwindigkeit oft durch einen bestimmten "Wirkungs-
querschnitt" des Kerns. Man denke sich, die Kerne seien
Kugeln, die Neutronen punktförmig und es wirke zwischen
ihnen überhaupt keine Kraft. Dann wäre die Wahrscheinlich-
keit, mit blindlings geschossenen Neutronen einen Kern zu
treffen, um so größer, je größer der Querschnitt der Kugeln ist.
In diesem Bilde hätten die Kerne für Neutronen verschiedener
Geschwindigkeit scheinbar verschieden große Querschnitte.
Unter besonders günstigen Bedingungen kann dieser Wirkungs-
querschnitt eines Kerns etwa 10000mal größer sein als sein
wirklicher, geometrischer Querschnitt. Dann besteht also eine
124
außerordentlich große Einfangwahrscheinlichkeit. Aus diesem
Grunde hat Fermi, der diesen Umstand entdeckt hat, zuerst den
schon erwähnten Kunstgriff angewandt, die bei ihrer Erzeugung
immer ziemlich schnellen Neutronen auf 'thermische Geschwin-
digkeit abzubremsen, indem er sie zunächst durch irgendeinen
wasserstoffhaItigen Stoff, wie Wasser oder Paraffin, treten
ließ. Wasserstoff ist deshalb am günstigsten, weil die Protonen
ungefähr die gleiche Masse haben wie die Neutronen, und weil
die Bedingungen für einen schnellen Energieaustausch nach
den Gesetzen des elastischen Stoßes in diesem Fall am gün-
stigsten sind. Wenn solche langsamen Neutronen von einem
Kern eingefangen werden, so werden sie innerhalb des An-
ziehungsbereichs der Kernkräfte genügend beschleunigt, um
die schon beschriebene Erhitzung des Kerns zU bewirken.
Aus einem solchen erhitzten Kern wird nun natürlich
wiederum ein Neutron leichter austreten als ein geladenes
Teilchen. Denn dieses muß den Potentialwall von innen her
überwinden, der für jenes nicht existiert. Darum sind auch bei
schweren Kernen, deren Potentialwall hoch ist, Umwandlungen,
bei denen ein Proton oder ein Alphateilchen ausgesandt wird,
verhältnismäßig selten.
Wenn man allerdings einen Kern sehr hoch erhitzt, so kann,
wie bei der Verdampfung eines Flüssigkeitstropfens, eine
größere Zahl von geladenen und ungeladenen Teilchen aus
ihm herauskommen. Mit unseren heutigen Laboratoriumsmitteln
ist die Ubertragung so hoher Energien an den Atomkern einst-
weilen nicht möglich. Dagegen kommen in der kosmischen
Strahlung Teilchen mit der ungeheuren Energie von etwa
1000 MeV oder noch viel mehr vor. Wenn es der Zufall will,
daß ein solches Teilchen auf einen Kern trifft, so tritt eine
solche extreme Erhitzu.p.g ein, und der Kern entsendet zahl-
reiche Proton€n und Neutronen. Ge&chieht eine solche Kern-
zertrümmerung in der Schicht einer photographischen Platte,
so hinterlassen die Protonen in der Schicht Spuren. die beim
Entwickeln sichtbar werden. Die Abb. 25 a zeigt eine solche
Aufnahme. Sie ist stark vergrößert; in Wirklichkeit beträgt
9'
125
I • die Reichweite der Protonen in der
Schicht nUT etwa 1 mm, Hier hat
also eine wirkliche Atomzertrüm-
merung stattgefunden, bei der
o· •
sicher reichlich 10 Teilchen aus
dem Kern verdampft sind, Denn
außer den geladenen Teilchen sind
sicher noch etwa ebenso viele Neu-
tronen freigeworden. Die Abb. 2Sb
zeigt einen ähnlichen Vorgang.
Die verschiedene Dichte der Silber-
körner in den einzelnen Spuren
"
.,, beruht auf der verschiedenen Ge-
schwindigkeit der Protonen. Je
schneller sie sind, um so dünner
.' belegt und um so länger ist ihre
Spur. Natürlich verlaufen die
Spuren tatsächlich nach allen
... , .
:: • • po • Richtungen des Raumes, und da-
.,..~
her sieht man die meisten von
.
'
.. 1"
merung ist die Spaltung von
Atomkernen, die 1938 von Hahn
. 1 '.
..;.--- .... und Strassmann in Berlin ent-
.
deckt wurde. Dabei spielt sich
.. ; . folgendes ab. Es kann vorkommen,
daß ein erhitzter Atomkern zu-
i, ' nächst keine einzelnen Teilchen
abstößt, sondern als Ganzes in
, Schwingungen gerät, indem die
"
zugeführte Energie ganz oder teil-
/
•
/ ,
Abb. 25... Kernzertrümmerung durch ein sehr
schnelles 'teilchen. (Nach S c h 0 P per)
126
Abb. 25 b. Kernzertrümmerung durch ein sehr schnelles Teilchen
127
sich der Kern, etwa wie ein Eisenstab vor dem Zerreißen, un-
gefähr in der Mitte einschnürt und schließlich in zwei etwa
gleich große Teile auseinanderbricht. Dabei fallen auch meist
noch Späne, indem einige Neutronen ausgestoßen werden.
Daß eine solche Spaltung grundsätzlich möglich und vor
allem bei den schwersten Kernen am ehesten zu erwarten ist,
kann man leicht verstehen. Den Kernkräften, die die Stabilität
eines Kerns gewährleisten, steht ja die elektrische Abstoßurlg
gegenüber, die mit der Masse der Kerne wächst, weil, im ganzen
gesehen, auch die Ladung mit der Masse zunimmt. Sie bewirkt
eine Verkleinerung der Bindungsenergie pro Teilchen, also
eine Minderung der Stabilität mit wachsender Masse. Ist nun
die Stabilität des Kernes noch obendrein durch seine Schwin-
gung gefährdet, so hat die elektrische Abstoßung leichteres
Spiel. Von einer bestimmten Schwingungsweite an vermag sie
die einmal eingeleitete Schwingung weiter aufzuschaukeln und
schließlich den Kern zu zerreißen.
Diese Spaltung eines Kerns kann auf sehr verschiedene
Weise erfolgen. Im allgemeinen sind die beiden Spaltstücke
nicht gerade gleich groß. So kann z. B. das seltenere Uran-
isotop ~U bei Aufnahme eines Neutrons in das Strontium-
atom ~~Sr und das Xenonatom l~!Xe und zwei Neutronen auf-
spalten, also:
235U
92
+ 01 n ~ 3890Sr + 14454 Xe + 2' O'
In
128
solchen Spaltungen die Erzeugung einer recht beträchtlichen
Zahl verschiedener Elemente. Die Stelle, an der der Urankern
zerbricht, ist also bis zu einem gewissen Grade dem Zufall an-
heimgestellt.
Damit haben wir einen lJberblick über die verschiedenen
Möglichkeiten von künstlichen Kernumwandlungen gewonnen.
Mit Neutronen können alle Kerne verändert werden; die ge-
ladenen Teilchen eignen siGh in erster Linie zur Umwandlung
der leichteren Atomkerne. Als geladene Teilchen kommen in
Frage Protonen und Deuteronen, die in elektrischen Feldern
genügend beschleunigt werden, und natürliche lind künstlich~
Alphateilchen, welch letzteJ!e man erzeugt, indem man Helium-
kez:ne im elektrischen Felde stctrk bescbleunigt. Schließlich
kann man manche Kerne auch schon durch ein genügend
energie reiches Gammaquant so hoch erhitzen, daß sie etwa ein
Neutron aussenden, wodurch sich dann allerdin~s nur ihre
Masse verändert, aber nicht das chemische Verhalten des be-
treffenden Atoms.
Abschließend sollen noch einige Beispiele besprochen
werden, die in der Entwicklung der Kernphysik eine besondere
Rolle gespielt haben, und zwar in ihrer historischen Reihenfolge.
Die erste künstliche Kernumwandlung gelang 1919 Ruther-
lard, indem er Stickstoffatome durch Beschuß mit Alphateilchen
in Sauerstoffatome v2rwandelte. Dabei wird ein Proton frei,
das als Wasserstoffkern mit dem Symbol ~H bezeichnet wird.
,Es spielt sich also folgender Prozeß ab:
liN +~He-+ I~O +iH.
129
Als dritte wichtige Reaktion sei die erste Umwandlung er-
wähnt, die durch künstlich beschleunigte geladene Teilchen,
nämlich von Cockcroit und WaIton durch Protonen hervor-
gerufen wurde; ebenfalls im Jahre 1932. Die Protonen wurden
durch eine Hochspannungsanlage von600 000 Volt beschleunigt.
Trifft ein solches Proton auf einen Lithiumkern ~Li, so spielt sich
folgender Prozeß ab:
1~ B + ~H + 3 . ~ He.
Abb. 28. Umwandlung eines Botkerns in drei Heliumkerne durch ein Proton
131
einen Quecksilberkern anlagert, so muß der sonst unbekannte
Kern mit der Masse 197 entstehen. Er ist zweifellos instabil,
da er sonst beobachtet worden wäre. Er wird sich also unter
Aussendung eines Positrons oder unter K-Strahlung in den
stabilen Goldkern von gleicher Masse umwandeln. Es treten
dann nacheinander die beiden folgenden Prozesse ein:
132
Siebenter Vortrag
1. Die Nachweisverfahren
Die folgenden Abschnitte sollen sich mit den Hilfsmitteln
beschäftigen, die der Kernphysik zur Verfügung stehen, um
die in den früheren Vorträgen beschriebenen Erscheinungen
hervorzurufen und nachzuweisen. Zu ihrer experimentellen
Verwirklichung braucht man einerseits sehr große Energien,
für die man (iie stärksten Hilfsmittel der Technik heranziehen
muß. Andererseits erzielt man mit diesen großen Energien
doch nur außerordentlich kleine Ausbeuten. Deshalb sind zum
Nachweis äußerst empfindliche Hilfsmittel erforderlich. Denn
es handelt sich ja darum, Erscheinungen nachzuweisen, die
sich jeweils an einem einzigen oder an einigen wenigen
Atomen abspielen, also an Gebilden von einer für gewöhnliche
Begriffe unvorstellbaren Kleinheit.
Wir beginnen mit den Nachweismitteln. Das älteste Ver-
fahren ist das Szintillationsverfahren. Wenn ein sehr schnelles,
geladenes Teilchen, etwa ein Alphateilchen, auf einen Zink-
sulfidschirm trifft, so spielt sich dort ein Prozeß ab, der mit
einem schwachen Lichtblitz, einer Szintillation, verknüpft ist.
Man kann also das Aufprallen jedes einzelnen atomaren Teil-
chens beobachten, ähnlich wie das Einschlagen von Gewehr-
kugeln in eine getünchte Wand, und auf diese Weise die
Teilchen nachweisen und auch zählen. Es ist aber mißlich, daß
man dazu das Auge zu Hilfe nehmen muß, das beim Zählen
allmählich ermüdet. Heute wird dieses Verfahren daher kaum
noch verwendet.
Das Grundprinzip der. heute am meisten benutzten Nach-
weisverfahren wird durch die Ionisationskammer gegeben. Es
soll in einer ganz primitiven Form veranschaulicht werden:
133
Ein Blättchenelektroskop besteht aus einem mit der Erde ver-
bundenen Metallgehäuse, in das isoliert ein Metallstab mit
zwei Blättchen eingeführt ist, die sich spreizen, wenn eine
Ladung auf den Stab gelang.t (Abb.29). Ul;>er das Elektroskop,
von ihm isoliert, sei eine Metallhaube gestülpt, die durch eine
Batterie auf eine Spannung vQn einigen 100 Volt gegen Erde
gelitden wird. Wenn nun ein geladenes Teilchen, etwa ein
Alpha- oder Betateilchen oder auch ein Gammaquant, in den
Raum zwischen Elektroskop und Haube dringt so reißt es von
den Luftmolekülen Elektronen ab, die sich dann an andere
einfoliendes Elekfron
+~f""~
--==- Erde
Abb. 29. Prinzip der Ionisationskammer
134
also - je nach dem kernphysikalischen Verwendungszweck -
noch auf verschiedene Weisen erheblich verbessert worden.
Das erste vielseitig verwendbare Gerät (zum Nachweis
einzelner Teilchen) ist der Spitzenzähler von Geiger (Abb.30).
Im Grunde ist er nur eine erheblich verbesserte Ionisations-
kammer. Der' Metallstab ist zu einer feinen Spitze ausgezogen,
und an der Kammer liegt eine ziemlich hohe Spannung, so daß
in der Nähe der Spitze ein sehr starkes elektrisches Feld ent-
steht. Wenn nun ein geladenes Teilchen oder ein Gamma-
quant nahe bei der Spitze vorbeifliegt und dort Elek'tronen
auslöst, so werden diese dUFch das starke Feld so sehr be-
schleunigt, daß sie ihrerseits
--
wieder Elektronen von den zum Elekfro- f.},.,..,,-----,
Luftmolekülen abzureißen meIer
__ .,..-~~r---
135
steht. Diesen Bereich nennt man den Auslösebereich. In diesem
Fall ist die Aufladung von der Zahl der primär gebildeten Elek-
tronen unabhängig. Die Verstärkung g.eht immer gerade bis
zum Einsetzen einer Glimmentladung.
Vor etwa 15 Jahren hat der Spitzenzähler durch Geiger und
Müller noch eine wesentliche Verbesserung in Gestalt des
Zählrohrs erfahren, und dieses ist heute das weitaus wichtigste
Meßgerät der Kernphysik. Im Prinzip ist es dem Spitzenzähler
recht ähnlich, nur ist in seiner Mitte nicht eine Spitze, sondern
ein dünner Draht angebracht (Abb.31). Es ist meist nicht mit
C zum
~~------t~-r--;I--Verslörker
Luft gefüllt, sondern mit einer Mischung aus Argon von einem
Druck zwischen 60 und 80 mm Hg und Alkoholdampf von einem
Druck von etwa 10mm Hg. Aber es gibt da lahlreiche Varianten.
Die Außenhaut besteht aus Metall. Der Draht liegt über einen
sehr großen Widerstand an Erde, die Außenhaut an einer Span-
nung von 1000 bis 1200 Volt gegen Erde.
Die Verhältnisse sind hier ähnlich wie beim Spitzenzähler.
Bei kleinerer Spannung tritt Proportionalverstärkung ein, und
zwar um einen Faktor von der Größenordnung 1000. Bei höherer
Spannung setzt eine Glimmentladung ein; das Zählrohr arbeitet
im Auslösebereich. Im Augenblick des Einsetzens der Entladung
lädt sich der Draht, der etwa an einem Kondensator liegt, nebst
dem Kondensator hoch auf, da die Ladung durch den sehr großen
Widerstand erst nach einer gewissen Zeit zur Erde abfließt.
Der Draht und ein mit ihm verbundener Kondensator C sind
also während dieser Zeit· auf einer gewissen Spannung, die mit
den auch in der Rundfunktechnik üblichen Mitteln verstärkt
136
werden kann. Auf diese Weise kann man, wie das bei solchen
Messungen meist üblich ist, ein Zählwerk nach Art der Telefon-
zähler betreiben oder die Spannung auf einen Lautsprecher über.
tragen und jedes einzelne Teilchen, das durch das Zählwerk
tritt, zählen und registrieren.
Die Zahl der von Beta- und Gammastrahlen erzeugten Ionen
ist gering. Deshalb braucht man hier eine große Verstärkung
und arbeitet in der Regel im Auslösebereich. Da die Beta&,trahlen
nur dünne Schichten durchdringen, benutzt man für sie dünn-
wandige Zählrohre, dagegen für den Nachweis von Gamma-
quanten dickwandige Rohre, um andere Strahlungsarten mög-
lichst fernzuhalten. Bei den Alphastrahlen, die viel mehr Elek-
tronen erzeugen, kann man auf eine große Verstärkung ver-
zichten und im Proportionalitätsbereich arbeiten. Das hat den
Vorteil, daß die Zählvorrichtung dann bei geeigneter Schaltung
nicht auf andere Strahlenarten anspricht. Letztere erzeugen ja
nur schwache Spannungsstöße. Mit Hilfe einer besonderen
Verstärkerröhre, eines Thyratrons, das nur Impulse oberhalb
eines bestimmten Schwellenwertes weiterleitet, kann man die
schwachen Stöße ausmerzen, so daß nur die von Alphastrahlen
herrührenden Stöße gezählt werden. Das ist vor allem deshalb
wichtig, weil außer der zu untersuchenden Strahlung stets auch
alle möglichen anderen durchdringenden Strahlenarten im
Raume vagabundieren. Erstens löst die auf keine Weise ge-
nügend abschirmbare kosmische Strahlung überall, so auch im
Zählrohr, Elektronen aus. Zweitens gibt es keinen Stoff, der
ganz frei von radioaktiven Verunreinigungen wäre, so daß auch
das Material des Zählrohres selbst immer gelegentliche Span-
nungsstöße auslöst. Ein solcher Nulleffekt ist bei diesen Meß-
geräten nicht zu vermeiden. Bei der Zählung von Alpha-
teilchen muß man das Zählrohr mit einem dünnen Glimmer-
fenster für ihren Eintritt versehen, da sie durch dickere
Schichten nicht mehr hindurchgehen.
Ein weiteres, sehr wichtiges Hilfsmittel der Kernphysik ist
die Nebelkammer von Wilson, deren Wirkungsweise bereits im
zweiten Vortrag beschrieben worden ist. Ihr Vorteil besteht
137
hauptsächlich darin, daß sie ein anschauliches Bild des Kern-
prozesses vermittelt, also sehr viele Einzelheiten des Prozesses
auf einmal wiedergibt.
Ein einfaches Schema der Nebelkammer zeigt die Abb.32.
Der obere Raum enthält die mit Wasserdampf gesättigte Luft.
Er ist oben mit einer Glasplatte zur Beobachtung verschlossen
und unten durch einen beweglichen Kolben begrenzt, der mit
einer feuchten Gelatineschicht bedeckt ist, so daß die darüber
befindliche Luft stets mit Wasserdampf gesättigt ist. Durch
ein seitliches Fenster fällt das zur Beobachtung der Nebel-
~ Beo6achl/Jng
a'assc/JeitJe
L________________________ J
spuren nötige Licht ein. Der Kolben wird nun auf irgend eine
Weise plötzlich nach unten bewegt, so daß sich die Luft adia"
batisch ausdehnt und abkühlt. Dadurch wird der in ihr befind-
liche, nunmehr übersättigte Wasserdampf in den konaensations-
bereiten Zustand versetzt, in dem jedes Teilchen, da'S in die
Kammer eintritt, durch Ionisation eine Kondensation längs
seiner Bahn auszulösen vermag, so claß die bekannten Nebel-
spuren entstehen.
Manche Er:;cheinungen, die man in der NebeJkammer zu
beobachten wünscht, vor allem bei der kosmischen Strahlung,
sind äußerst selten, und es können Stunden vergehen, bis sie
einmal eintreten. Die Chance, bei einer Expansion gerade einen
solchen Prozeß zu finden, ist äußerst gering. Wäre man also
138
für die Beobachtung solcher seltener Effekte auf den Zufall
angewiesen, so wären derartige Untersuchungen höchst zeit-
raubend. Hier hilft man sich durch eine geschickte Verbindung
der Nebelkammer mit einem Zählrohr, das sozusagen als Alarm-
posten neben der Nebelkammer steht. Es wird so eingerichtet,
daß es gerade auf denjenigen Prozeß reagiert, den man in der
Nebelkammer beobachten will. Findet nun ein solcher statt, so
betätigt das Zählrohr alsbald über eine Verstärkereinrichtung
die Expansion. Das geht so schnell, daß die in der Kammer
gebildeten Ionen noch nicht aus den Teilchenbahnen wegdiffun-
diert sind, so daß diese als Nebelspuren sichtbar werden. Die
wichtigsten Aufschlüsse über die Natur der kosmischen Strah-
lung hat man in den letzten zehn Jahren auf diese Weise ge-
wonnen.
Schließlich kann auch die photographische Platte zum
Nachweis geladener Teilchen dienen. Ein Beispiel ist schon
in der Abb. 25 gegeben worden.
Auf diese Arten kann man alle in der Kernphysik vor-
kommenden geladenen Strahlenarten - Alpha- und Beta-
strahlen und alle sonstigen Arten von geladenen Kern-
trümmern -, ferner auch Gammaquanten zählen oder nach-
weisen, und es bleibt nur noch die Frage des Nachweises von
Neutronen zu erörtern. Da sie selbst, als ungeladene Teilchen,
nicht ionisieren, muß man zu ihrem Nachweis eine von ihnen
hervorgerufene sekundäre Wirkung benutzen. Am einfachsten
geschieht das mit Hilfe eines Bor-Zählrohrs. Seine Innenwand
ist mit Bor oder irgendeiner Borverbindung ausgekleidet, und
das Rohr wird im Proportionalbereich verwendet, so daß es nur
Alphateilchen zählt. Wenn nun Neutronen auf die Borschicht
treffen, so lösen sie dort die Kernreaktion
lOB
5
+ 0In -+ 3iLi + 24He
aus, bei der schnelle Heliumkerne, also künstliche Alpha-
strahlen, erzeugt werden, und zwar auf jedes Neutron ein
Alphateilchen. Das Zählrohr reagiert also auf ein Neutron, das
eine Kernreaktion auslöst, mit einem Impuls, an dem übrigens
10 Heisenberg, Atomkerne
139
auch der gleichzeitig entstehende Lithiumkern beteiligt ist. Es
lös€n aber längst nicht alle Neutronen, die das Zählrohr treffen,
eine Kernreaktion aus, sondern viele von ihnen gehen wir-
kungslos durch das Rohr hindurch. Immerhin zählt das Rohr
eine Neutronenz-ahl, die der wirklichen Zahl bis auf einen zu·
nächst unbekannten, konstanten Faktor proportional ist.
Ein anderes, häufig angewandtes Verfahren besteht darin,
daß man an eine Stelle, an der man Neutronen vermutet, einen
sogenannten Indikator bringt. Das ist ein Stoff, der durch eine
Kernreaktion mit Neutronen radioaktiv wird, etwa ein Stück
Silberblech. Es spielen sich dann nacheinander die beiden fol-
genden Kernreaktionen ab:
1. l~fAg + Ön-+ l~~ Ag, 2. l~~Ag-+ l~~Cd + _?e.
Aus einem Silberisotop von der Masse 107 bildet sich also zu-
nächst ein Silberisotop von der Masse 108. Dieses ist instabil
und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 22 Sekunden unter Aus-
sendung eines Elektrons in ein isobares Cadmiumatom. Das
Atom l~~Ag mit 61 Neutronen und 47 Protonen muß instabil
sein, weil es einen "doppelt ungeraden" Kern besitzt.
Da, wie wir schon gesehen haben, langsame Neutronen sich
im allgemeinen leichter an einen Kern anlagern als schnelle,
so spricht ein Bor-Zählrohr bei langsamen Neutronen auf einen
größeren Bruchteil derselben an als bei schnellen. Bringt man
ein solches Zählrohr in die Nähe einer Quelle schneller Neu-
tronen, so kann man mit einem Lautsprecher die einzelnen Im-
pulse mit einer gewissen durchschnittlichen Häufigkeit, sagen
wir durchschnittlich je einen in jeder Sekunde, hören. Nun
kann man, wie wir schon wissen, Neutronen dadurch verlang-
sam('!n, daß man sie durch einen wasserstoffhaltigen Stoff hin-
durchtreten läßt, etwa durch Paraffin. Umgibt man also das
Zählrohr mit Paraffin, so vermehren Sich die Impulse sehr stark,
und man hört jetzL ein prasselndes Rauschen. Es findet also,
entgegen der naiven Vermutung, daß die Einschaltung des
Paraffins den Effekt schwächen müßte, im Gegenteil eine sehr
140
beträchtliche Verstärkung statt. Dieses Verfahren zur Erhöhung
der Ausbeute bei Kernumwandlungen durch Verlangsamung
der Neutronen wird in der Kernphysik häufig verwendet.
142
Teile sind die Ventile; die Kugeln entsprechen den Punkten e,
e, i der Abb. 33.
Mit der so gewonnenen hohen Spannung müssen nun die
geladenen Teilchen beschleunigt werden. Diese werden zu-
nächst als Kanalstrahlen in einer gewöhnlichen Gasentladung
in einem Entladungsrohr erzeugt und treten dann in das hoch-
evakuierte Beschleunigungsrohr ein, an dem die hohe Spannung
143
aus einem isolierenden Stoff, etwa aus Seide, läuft. Dieses wird
außerhalb des Konduktors mittels einer Gleichrichteranlage
und eines Spitzenkammes mit elektrischer Ladung besprüht
und wandert mit dieser Ladung in den Konduktor, wo die
Ladung durch einen zweiten Spitzenkamm wieder abgesaugt
und auf den Konduktor übertragen wird. Dieser könnte auf
diese Weise auf eine beliebig hohe Spannung aufgeladen wer-
den. Dabei ist aber durch die Abmessnngen des Raumes, in
dem der Generator aufgestellt ist, eine Grenze gesetzt, da bei
einer besti.mmten Spannung, die
A
von den Abmessungen des Raumes,
sowie von denen des Konduktors
+ abhängt, ein Funkenüberschlag
auf die Wände stattfindet, der den
Konduktor entlädt. Im Jahre 1939
war wohl noch keine Anlage in
Betrieb, mit der man mehr als
2 Millionen Volt erreicht hätte.
In der Abb. 36 ist die größte der-
artige Anlage dargestellt, die in
den Vereinigten Staaten von
Amerika schon vor einigen Jahren
im Bau war, von der ich aber
Abb. 35. Hochspannungsgenerator
von v an· d e G raa r f
nicht weiß, ob sie in Betrieb ge-
nommen worden ist. Sie ist für
eine Spannung von 5 Millionen Volt geplant und deshalb in
einem sehr großen Raum, einer alten Luftschiffhalle, unter-
gebracht. Sie besitzt zwei Konduktoren, die entgegengesetzt
aufgeladen werden sollen, um so fÜr das Entladungsrohr die
doppelte Spannung zu erhalten.
Die weitaus wirksamste Anlage zur Erzeugung schneller
Teilchen ist aber das von dem Amerikaner Lawrence erdachte
Cyclotron. Es beruht auf einem sehr interessanten Prinzip,
nämlich der sehr oft wiederholten Beschleunigung durch die
gleiche, nicht sehr hohe Spannung, und hat dAher unter anderem
den großen Vorteil, die so schwer zu erzeugenden und zu
144
bändigenden hohen Spannungen zu vermeiden. Das Cyclotron
besteht zunächst aus einem sehr großen Elektromagneten, der
zwischen seinen auf kleinem Abstand voneinander stehenden
Polflächen ein starkes, sehr homogenes magnetisches Feld von
10000 bis 15000 Gauß von großer Ausdehnung erzeugt. Der
Raum zwischen den Polschuhen ist gut evakuiert. Wenn ein
bewegtes, geladenes Teilchen in ein solches Feld gelangt, so
beschreibt es eine
Kreisbahn, deren Ra-
dius der Teilchen-
geschwindigkeit pro-
portional ist (Abb.37).
Daher ist auch der
Kreisumfang der Teil-
chen - Geschwindigkeit
proportional, und das
hat zur Folge, daß
gleichartige Teilchen
gänzlich verschiedener
Geschwindigkeit für
einen vollen Umlauf
genau die gleiche Zeit
brauchen. Nun sind
in dem Raum zwischen
den Polschuhen zwei
voneinander isolierte
halbkreisförmige Büch- Abb.36.
sen angebracht, zwi- Hochspannungsanlage nach va n d e G raa f f
145
vom elektrischen Felde erfaßt, erhalten eine gewisse Ge-
schwindigkeit und bewegen sich infolgedessen in dem - im
übrigen von elektrischen Feldern freien - Raum auf einem
Halbkreis. Sie erreichen so den Schlitz zwischen den Büchsen
in einem Augenblick, in dem dort die elektrische Spannung
ebenso groß, aber entgegengesetzt gerichtet ist wie bei ihrer
ersten Beschleunigung. Da sich inzwischen auch ihre Be-
wegungsrichtung umgekehrt hat,
so erfahren sie eine erneute Be-
schleunigung; und so wiederholt
sich das Spiel immer wieder, und
die Geschwindigkeit der Teilchen
wächst immer mehr. Sie laufen
also auf einer aus lauter Halb-
kreisen zusammengesetzten, un-
gefähr spiralförmigen Bahn immer
weiter nach außen und werden
schließlich durch ein für sie durch-
lässiges Fenster (T) ihrer Verwen-
dung zur Erzeugung von Kern-
8
umwandlungen zugeführt.
Zur Justierung einer solchen
H6chjreqUtlnz-
rv generator
Anlage gehört ein großes tech-
Abb. 37. CycIotron
nisches Können. Dberdies ist ein
Cyclotron eine Maschine von Ab-
messungen, die bei physikalischen Geräten ungewöhnlich sind.
Als Beispiel seien einige Zahlen genannt. Ein Cyclotron, das
in den Vereinigten Staaten schon längere Zeit in Betrieb ist, be-
sitzt Polschuhe mit einem Durchmesser von 95 cm, sein Magnet
enthält 60 t Eisen und lOt Kupfer und erzeugt ein magnetisches
Feld von 14000 Gauß. Die dafür nötige Leistung beträgt 30 kW.
Wenn man dieses Cyclotron mit Deuteronen beschickt, so
treten sie mit einer Energie von 9 MeV aus, d. h. so, als hätten
sie eine Spannung von- 9 Millionen Volt durchlaufen. Sie
repräsentieren einen Strom von 0,1 mA. Mit den Strömen der
Technik verglichen ist das zwar nur ein sehr schwacher Strom,
146
aber angesichts der hohen Spannung entspricht ihm immerhin
eine Leistung von fast 1 kW. Da jedes Teilchen ein Elementar-
quantum von 1,6' 10-19 Coulomb mit sich trägt, kann man
leicht berechnen, daß ihm eine T~ülchenzahl von rund 6' 1014
pro Sekunde entspricht.
Die Abb. 38 zeigt die Außenansicht eines derartigen Cyclo-
trons. Man erkennt die Wicklungen des Magneten, zwischen
147
17,8 m (Abb. 39). Das Fundament enthält 1200 t Beton, der
Magnet 3700 t Eisen und 300 t Kupfer, das als Band von 10,2 cm
Breite und 6 mm Dicke gewickelt ist. Das Magnet joch wird von
36 Stahlplatten von 5,5 mm Dicke gebildet. Die magnetische
Feldstärke beträgt 10000 Gauß; die Frequenz des elektrischen
Wechselfeldes entspricht einer Wellenlänge von 39 m. Lawrence
hofft, mit diesem Cyclotron Deuteronen mit einer Energie von
100 MeV zu erzeugen, also einer Energie, für die man auf dem
direkten Wege eine Spannung von 100 Millionen Volt brauchen
würde.
Ein Cyclotron ist also eine außerordentlich kostspielige
und komplizierte Einrichtung. Aber dafür ist es auch einst-
weilen allen anderen, dem gleichen Zweck dienenden Einrich-
tungen weit überlegen. Mit seiner Hilfe hat man in den
Vereinigten Staaten schon Kernumwandlungen in einem Maß-
stabe durchgeführt, wie sie mit anderen Mitteln sonst nitgends
erreicht worden sind.
148
Achter Vortrag
149
dargestellt werden, die auch die dabei gewonnene Energie be
rücksichtigt:
C + 02+ C02 + 96 kcal.
Diese Formel bezieht sich auf 1 Mol und sagt aus: Bei der Ver-
brennung von 1 Mol (oder Grammatom) = 12 g Kohlenstoff mit
1 Mol = 32 g Sauerstoffgas entsteht 1 Mol = 44 g Kohlen-
dioxyd, und es wird eine Wärmemenge von 96 Kilokalorien
frei. Ein anderes Beispiel ist die Verbrennung von Wasserstoff
mit Sauerstoff zu Wasser. Die entsprechende Gleichung, wieder
auf Mole bezogen, lautet:
150
stabe durchzuführen, schon dann, wenn auch nur Stoffmengen
von der Größe eines Mols umgesetzt werden könnten. Im
gleichen Augenblick wäre die Ausnutzung chemischer Prozesse
zur Energiegewinnung völlig überflüssig. Denn die Energie-
ausbeute der Kernprozesse ist rund 1 Million mal größer als
diejenige der chemischen Prozesse, und man würde, verglichen
mit den zur Zeit erforderlichen Stoffrnengen, mit geradezu
winzigen Stoffmengen -auskommen. Aber bisher ist eine Um-
wandlung wägbarer Substanzmengen nirgends gelungen.
Kernprozesse dieser Art spielen sich allgemein in kleinem
Maßstab in der Natur überall ab, nämlich unter der Wirkung
der kosmischen Strahlung und der Strahlen radioaktiver Stoffe.
Daß die Energie, die sie liefern, nicht in Erscheinung tritt, liegt
daran, daß es sich um allzu geringe und allzu zerstreute Men-
gen handelt.
Es ist trotzdem nicht ganz richtig, zu sagen, daß die Energie
von Kernprozessen einstweilen keine Rolle spielt. Tatsächlich
kann man sogar umgekehrt behaupten, daß wir solchen Pro-
zessen letzten Endes unser ganzes irdisches Dasein verdanken.
Denn ihnen verdanken wir es, daß die Sonne die Erde be-
scheint und alles irdische Leben erhält.
Diese Prozesse spielen sich nämlich in großem Maßstab im
Inneren der Sterne ab. Wir wissen heute, daß die Energie, die
die Sterne, also auch die Sonne, dauernd in den Raum hinaus-
strahlen, eben aus solchen Kernprozessen stammt. Der Ur-
sprung dieser Energie war lange ein ungelöstes Problem, auf das
man viel Scharfsinn verwendet hat. Man weiß, daß die Sonne
sicher seit mindestens 2 Milliarden Jahren ungefähr mit der
gleichen Intensität auf die Erde scheint, und man konnte früher
nicht verstehen, daß sie sich nicht schon längst verausgabt hat.
Die Lösung dieses Problems blieb der Kernphysik vorbehalten,
und man kann heute sogar genau angeben, um welchen Prozeß
es sich dabei allein handeln kann. Die Lösung wurde durch
drei Arbeiten von Atkinson und Houtermans, von v. Weizsäcker
und von Bethe gegeben. Den Weg zu ihr können wir hier nicht
beschreiben, sondern nur das Ergebnis mitteilen. Es handelt
151
sich· um eine bestimmte Folge von Kernreaktionen, die wir zu-
nächst einmal hinschreiben wollen:
1. l~C + i H -+ l~N, 4. 1~ N + { H -+ 1~ 0,
2. 137 N -+ 136 C + °1 e ' 5. 158 0 -+ 15N
7
+ Oe
l'
3. I~C + ~H-+ I~N, 7 +11 H -+ 12C
6. 15N 6 + 24He .
152
stoffkern l~ C, an den sich schrittweise 4 Protonen anlagern. Am
Schluß bleibt der gleiche Kern l~ C und ein Heliumkern ~He
übrig, sowie die beiden im 2. und 5. Prozeß ausgesandten Posi-
tronen. Summarisch lautet also die Bilanz: Aus 4 Protonen sind
1 Heliumkern und 2 Positronen entstanden. Rein bilanzmäßig
hat sich also folgende Reaktion abgespielt:
l
4. H ->- ~ He + 2 . ~e.
Der Heliumkern besteht aus 2 Neutronen und 2 Protonen, seine
Ladung ist also um zwei Einheiten kleiner als diejenige der
4 Protonen. Diese Differenz ist mit den beiden Positronen ab-
gegangen. Dadurch haben sich 2 von den 4- Protonen in NeU-
tronen verwandelt.
Die letzte Gleichung erlaubt auch die Energiebilanz des
Vorganges zu ziehen, da die Massen der Protonen und der
Heliumkerne sehr genau bekannt sind. Die bei einem solchen
Prozeß freiwerdende Energie betragt 25,5 Me V oder, auf 1 Mol
bezogen und in kcal umgerechnet, 600 Millionen kcal pro Mol.
Sie ist also noch sechsmal größer als bei dem oben erwähnten
Prozeß.
Das, was sich hier abspielt, kann man etwa ih die Worte
fassen: In den Sternen wird Wasserstoff kernphysikalisch zu
Helium verbrannt, und dadurch werden die ungeheuren Ener-
gien frei, die die Sonne und die Sterne ständig ausstrahlen. Man
hat scherznaft gelegentlich gesagt, daß die Sonne mit Kohle
geheizt wird. Das ist aber nicht ganz richtig. Die Kohle spielt
hier ja nur die Rolle eines Katalysators und wird bei der Reak-
tion nicht verbraucht.
Dieses Beispiel möge genügen, um zu zeigen, daß bei Kern-
umwandlungen - sofern sie sich nur an genügend großen Stoff-
rnengen abspielen - ungeheure Energien frei werden. Wir
wollen noch hinzufügen, daß tatsächlich Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß ältere Sterne wasserstoffärmer sind als jüngere,
was auf einen allmählichen Verbrauch des Wasserstoffs hin-
weist.
153
Warum können nun im Laboratorium keine ähnlichen Ener-
gien erzeugt werden? Gesetzt etwa, wir verfügten über eine
sehr starke Neutronenquelle, die aus 100 g Radium, vermischt
mit Beryllium, besteht. Das wäre schon eine sehr starke Quell~,
verglichen mit denen, die uns tatsächlich auf diese Weise zur
Verfügung stehen. Wenn man mit Hilfe dieser Strahlungsquelle
Kochsalz, also Natriumchlorid, einen Tag lang bestrahlen
würde, d.ann kann man abschätzen, daß sich etwa 20 Milliarden
Chloratome in radioaktive Schwefelatome umwandeln würden.
Das ist eine große Zahl, und der gebildete Schwefel wäre tat-
sächlich sehr stark radioaktiv. Aber leider ist die Stoffmenge
ungeheuer klein, nämlich nur etwa 1. milliardstel. Milligramm
Schwefel. Entsprechend klein ist auch die gewonnene Energie,
nämlich nur 6 millionstel kcal.
Allerdings kann man mit Hilfe des größten zur Zeit in Be-
trieb befindlichen Cydotrons die Intensität der Neutronen noch
ungefahr tausendmal größer machen, als es eben angenommen
wurde. Sie entspricht etwa der Intensität einer Neutronenquelle
aus 100 kg Radium, gemischt mit Beryllium. Dann erhöhen sich
auch die Stoffmenge und die Energie auf das Tausendfache,
bleiben aber doch noch außerordentlich klein. In jedem Fall
ist die gewonnene Energie nur ein verschwindender Bruchteil
der Energie, die man dafür in das Cydotron hineinstecken muß.
Einstweilen ist also die technische Energiegewinnung aus Kern-
prozessen noch nicht möglich, und man muß die weitere Ent-
wicklung abwarten.
154
wertvollen Stoffe, die schon in minimalen Mengen einen erheb-
lichen Wert darstellen, sind die radioaktiven Stoffe. Ihren
Wert haben sie durch ihre vielfach verwendbare Strahlung, die
auch dann schon beträchtlich ist, wenn es sich nur um sehr
geringe Mengen handelt. Daher besteht die wichtigste derzeitige
Anwendung der Kernphysik in der künstlichen Erzeugung
radioaktiver Stoffe.
Radioaktive Substanzen können zu mannigfachen Zwecken
verwendet werden. Schon seit Jahrzehnten verwendet die
Medizin solche Stoffe zur Bestrahlung bösartiger Geschwülste,
die erfahrungsgemäß durch radioaktive Strahlen sehr viel mehr
geschädigt werden als gesundes Gewebe. Meist verwendet
man allerdings Röntgenstrahlen. Wo es aber schwierig ist, an
die erkrankte Stelle heranzukommen, ohne anderes Gewebe
in' Mitleidenschaft zu ziehen, benutzt man mit Vorteil radio-
aktive Präparate. Da aber die Menge der der Medizin zur Ver-
fügung stehenden natürlichen radioaktiven Stoffe sehr begrenzt
ist - außer dem Radium kommt noch das von O. Hahn ent-
deckte Mesothorium in Frage - so sind von der Herstellung
größerer Mengen künstlicher radioaktiver Stoffe, insbesondere
solcher, die andere chemische Eigenschaften haben als die
natürlichen, w~chtige medizirrische Fortschritte zu erhoffen.
Eine weitere Verwendung finden radioaktive Stoffe, indem
man sie in ganz geringen Mengen Leuchtstoffen beimengt, die
unter der Wirkung der Strahlung ständig leuchten. Besonders
bekannt ist ihre Verwendung für die Leuchtzifferblätter und
Leuchtzeiger von Uhren.
Auch zur Untersuchung von Werkstoffen auf innere Fehl-
stellen, für die man im allgemeinen Röntgenstrahlen verwendet,
benutzt man die Strahlen radioaktiver Präparate, und zwar ihre
Gammastrahlung. Man tut das vor allem bei dickeren Stücken,
durch die die Röntgenstrahlen nicht mehr, wohl aber noch die
Gammastrahlen hindurchzudringen vermögen. Diese Art der
Werkstoffprüfung hat den großen Vorteil vor anderen Ver-
fahren, daß sie keine Zerstörung des Werkstücks erfordert.
11 Hejsenberg, Atomkerne
155
Die Herstellung und Verwendung künstlicher radioaktiver
Substanzen soll nun etwas ausführlicher besprochen werden.
Zur Herstellung künstlicher radioaktiver Stoffe bestrahlt
man einen geeigneten Stoff mittels einer Hochspannungsanlage
oder eines Cyclotrons mit Protonen oder Deuteronen. Dabei
entsteht eine gewisse praktische Schwierigkeit dadurch, daß
der zu gewinnende Stoff im Ausgangsmaterial immer nur in
unwägbar kleinen Mengen vorhanden ist. Er kann vom Aus-
gangsmaterial chemisch verschieden, aber auch mit ihm iden-
tisch, ein instabiles Isotop desselben sein. Bei chemischer Ver-
schiedenheit und wägbaren Stoffmengen ist eine chemische
Trennung stets ohne weiteres möglich, anders aber bei den un-
wägbaren Mengen, um die es sich hier handelt. Bei solchen
treten häufig Adsorptionserscheinungen auf. die die Anwendung
der üblichen chemischen Trennungsverfahren vereiteln. Man
kann sich oft helfen, indem man dem Ausgangsstoff von vorn-
herein eine größere Menge eines inaktiven Isotops des zu er-
zeugenden Stoffes zusetzt. Dann spielen die Adsorptions-
erscheinungen nur eine geringe Rolle, und der radioaktive
Stoff wird zugleich mit den stabilen Isotopen abgeschieden.
Die chemischen Verfahren, die beim Arbeiten mit kurz-
lebigen radioaktiven Substanzen verwendet werden können,
sind insbesondere von O. Hahn und seinen Mitarbeitern ent-
wickelt und zu einet hohen Vollkommenheit ausgearbeitet
worden.
Einer der wichtigsten künstlichen radioaktiven Stoffe ist der
radioaktive Phosphor. In der Hochspannungsanlage bestrahlt
man etwa Schwefelkohlenstoff (CSt) mit Neutronen. Dann spielt
sich an den Schwefelatomen die folgende Reaktion ab:
156
praktische Anwendung günstig ist, und zerfällt nach der
Gleichung-
3~p-+32S+ oe
b 16 -1
158
durch Adsorption des Giftstoffes angenommen haben. So erhält
man Aufschluß über die Wirksamkeit der einzelnen Teile des
Filters. Ebenso kann man prüfen, ob die Gummihaut der Gas-
maske für den Giftstoff tatsächlich undurchlässig ist, indem
man den Giftstoff auf die eine Seite der Gummihaut bringt und
feststellt, ob sich auf der anderen Seite eine Aktivität zeigt.
Das wäre ein Beweis dafür, daß die Gummihaut sich nicht für
eine Gasmaske eignet. Solche Prüfverfahren sind in der lite-
ratur von Born und Zimmer beschrieben worden und werden
praktisch verwendet.
160
Af(}fT)umwoildlungtn und ihrr Vtrwendung in der Chemie
I
HfiChsponnungsonlo9tn
pho/ogruph. PlotIP
Ihr, V,rwtndung
onofY}on Ch. onalyf"ch. Ch. proporullv. C1!. physIkai Ch. ftchnische eh. Kolloidchtmi. Biochemie
C9wuchoffrn nrurt· 'offrlUamlltltch9m Enlflfdwng und f'tQltflQm.9i'Sdlwll7d(f~ H()/MQlpriilllng ~ N«/Iw~s kolloid"" u sro~r/~
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lÄJll"'''",30"t QlJQnfifQHw fWllyw &rfI/gI-u Ob#rlllJC/lffl rrJdiOOkl!w lIud'll- AlfrrulIgl"OfI JoItn H,nJ(h.
1t#"3ft'h/fionsNsr zr,stiirungsl,.." Ondlfungi" un# GI/IIJ KnoCl'ltrl und lal1l1"
G,If".,lnbov A11Q'!I~ lIiffuJionJrwgong,' Prüfu"J l1In Gau/ullh lJi'fdung
RllJ/dlo,,;, I'm frmn JIJ"igki,""" Hrflmllftlpriifilng
lu*nd
161
es zu den seltenen Erden gehört und sich deshalb chemiscl1 fast
genau so verhält wie die UJ.m benachbarten Elemente.
Wir kommen dann zur ~räparativen Chemie, der Her-
stellung neuer chemischer Verbindungen. Ein Beispiel ist der
Wismut-Wasserstoff. Aus chemischen Analogien konnte man
schließen, daß es möglich sein müsse, ihn herzustellen. Aber
der Nachweis dieses Gases ist außerordentlich schwierig, so
daß er früher nicht einwandfrei geliefert werden konnte. Er
glückte aber durch Verwendung von radioaktivem Wismut als
Indikator.
Erwähnt sei noch, daß sich in der Kolloidchemie Anwen-
dungen beim Nachweis kolloid er und kristalloider Lösungen
und der Alterung von Solen und Gelen ergeben.
162
uns ein Mittel, um die mit Absicht eingeführten Atome von den
schon vorher vorhandenen zu unterscheiden.
So haben Born, Lang, Schramm und Zimmer Tabakpflanzen
auf einem Nährboden gezüchtet, der eine Substanz mit radio-
aktivem Phosphor enthielt, der von den Pflanzen aufgenommen
wurde, da Phospho1" ja zu den für das organische Leben not-
wendigen Stoffen gehört. Man konnte verfolgen, wie der
Phosphor in die Pflanzen wanderte und an welchen Stellen er
sich am stärksten anreicherte. Der meiste radioaktive Phosphor
ging in die obersten, jüngsten, noch im stärksten Wachstum
befindlichen Blätter, in die darunterstehenden weniger, noch
weniger in die schon fertig ausgebildeten Blätter, und eines,
in dem die Saftzirkulation schon erloschen war, hatte überhaupt
keinen Phosphor aufgenommen. In einer ähnlichen Arbeit
konnte die Wanderungsgeschwindigkeit des Phosphors in der
Pflanze ermittelt werden. Sie betrug etwa 10 cm in der Stunde.
Auch an Tieren hat man Stoffwechseluntersuchungen mit
künstlichen radioaktiven Stoffen, insbesondere wieder mit
Phosphor, durchgeführt, die ihnen mit der Nahrung oder durch
Injektion zugeführt wurden (Hevesy). Man kann dann nach
einiger Zeit feststellen, in welchen Teilen des Organismus der
Phosphor bevorzugt abgelagert und mit welcher Geschwindig-
~eit er wieder abgeschieden wird, so daß man den Stoffwechsel
nicht nur bilanzmäßig, sondern in seinen Einz€lheiten ermitteln
kann. Man findet unter anderem, daß sich der Phosphor nach
einiger Zeit vor allem in den Knochen und der Leber vorfindet,
daß er nach einer gewissen Zeit auch in den Zähnen auf-
tritt usw. Auf diese Weise kann man in der Biologie viele
wichtige Aufschlüsse gewiImen.
Dabei sind die für solche Versuche erforderlichen Mengen
an radioaktiven Stoffen so gering, daß sie keine Schädigung
des Organismus herbeiführen können.
Ein anderes wichtiges Problem, das mit diesem Indikator-
verfahTen angegriffen werden konnte, ist die Kohlensäure-
assimilation der Pflanzen. Bekanntlich assimilieren die grünen
Pflanzen unter der Wirkung des Sonnenlichtes, also durch einen
163
photochemischen Prozeß, Kohlensäure aus der Luft und ver-
wandeln sie in Kohlenwasserstoffe. Auf diese Weise speichern
sie Sonnenenergie. Man wußte aber nur wenig über die Einzel-
heiten dieses Mechanismus, und es gab darüber verschiedene
Theorien. Man wußte zwar, daß die Pflanze etwa je 4 Licht-
quanten aufnehmen muß, um ein Kohlensäuremolekül zu assi-
milieren. Es war aber unklar, wie die Pflanze diese 4 Licht-
quanten vorübergehend aufspeichert, um mit Hilfe ihrer Energie
nachträglich die chemische Reaktion durchzuführen. Zur
Klärung dieser Frage benutzten die amerikanischen Forscher
Ruben, Hassid und Kamen Kohlensäure mit radio'aktivem
Kohlenstoff von der Masse 11, der eine Halbwertzeit von
20 Minuten hat. Sie fanden, daß zur Vorbereitung der Assimi-
lation zunächst im Dunkeln eine Reaktion vor sich geht, bei
der der Kohlenstoff und Sauerstoff der Kohlensäure (C02) unter
Anlagerung von Wasserstoff in Gestalt der Karboxylgruppe
(des Restes COOH) an ein organisches Riesenmolekül gebunden
werden. Nachträglich bildet sich dann aus den Karboxyl-
gruppen, vielleicht auf dem Umweg über größere Zuckermole-
küle, Glukose (Traubenzucker, C6 H 12 0 6 ). Es ergab sich also die
wichtige Tatsache, daß der Assimilationsprozeß sich in
mehreren Schritten voilzieht. Auf die Einzelheiten soll aber
hier nicht weiter eingegangen werden.
164
Veränderungen des Blutbildes unter der Wirkung der Strahlung
untersuchten. Sie fanden interessante Veränderungen und ver-
glichen sie mit denjenigen, die man mit Röntgenstrahlen her-
vorrufen kann. Im Blut sind bekanntlich verschiedene Arten
von Blutkörperchen enthalten, die roten und die weißen.
Letztere zerfallen wieder in mehrere Gruppen, darunter die
Lymphozyten, dann die Leukozyten, insbesondere die poly-
morphkernigen, die eosinophilen und die basophilen Leul.wzyten
als die wichtigsten. Sie unterscheiden sich durch ihre Größe,
ihre innere Struktur und ihre Färbbarkeit durch verschiederte
Stoffe. Durch Röntgenstrahlen wird bewirkt, daß die Lympho-
zyten zunächst zugunsten der polymorphkernigen Leukozyten
stark abnehmen. Doch geht diese Zunahme der Leukozyten
nach kurzer Zeit wieder zurück. Hingegen bewirkt die Strah-
lung radioaktiven Phosphors, der dem Körper zugeführt wird,
keine wesentliche Beeinflussung der Lymphozyten, dagegen
eine starke und bleibende Abnahme der polymorphkernigen
Leukozyten. Ferner werden die sogenannten Monozyten und
die eosinophilen Leukozyten ein wenig, aber nicht stark, be-
einflußt. Bei den eosinophilen Leukozyten und den roten Blut-
körperchen zeigt sich eine leichte Zunahme.
Diese spezifische Wirkung hat die amerikanischen Forscher
zu dem Versuch veranlaßt, bestimmte Formen der Leukämie
- bei der das Krankheitsbild in einer starken Veränderung
des Blutbildes besteht - durch Gaben von radioaktivem Phos-
phor zu beeinflussen. Der Phosphor wird ja bevorzugt in den
Knochen abgelagert, und es ist bekannt, daß die roten Blut-
körperchen im Knochenmark gebildet werden, so daß der
radioaktive Phosphor dort ihre Bildung zu beeinflussen vermag.
Durch diese Vorstellung wird der Unterschied in der Wirkung
gegenüber den Röntgenstrahlen verständlich, die alle Gewebe
gleichmäßig durchdringen. Die ersten Versuche sollen erfolg-
versprechend verlaufen sein. Uber den weiteren Erfolg ist hier
infolge des Krieges nichts bekanntgeworden. Ahnliche Ver-
suche über die Beeinflussung des Blutbildes sind j'etzt auch in
Deutschland ausgeführt worden,
165
Ferner hat man - einerseits im Hinblick auf die gelegent-
lich auftretenden gewerblichen Bleivergiftungen, andererseits
in der Hoffnung auf die Möglichkeit einer therapeutischen
Ausnutzung - Versuche mit der Einspritzung von radioaktivem
Blei angestellt. Dabei hat sich herausgestellt, daß das Blei zum
größten Teil schnell wi-eder aus dem Organismus ausgeschieden
und nur ein kleiner Rest in Leber und Niere abgelagert wird.
Auch in krebsartigen Geweben wird kein Blei abgelagert, so
daß ein Versuch, etwa Krebsgewebe auf diese Weise zu beein-
flussen, keine Wirkung haben kann. Hingegen wird Wismut
bevorzugt in krankhaftem Gewebe abgelagert. Ein Versuch,
Krebsgewebe mittels radioaktivem Wismut zu beeinflussen,
würde daher grundsätzlich eher Erfolg versprechen.
Aber alle diese Versuche stehen erst in ihren ersten An-
fängen, und es können noch Jahrzehnte vergehen, bevor die
neuen Verfahren aus den Händen der reinen Forschung in die-
jenigen der praktischen Therapie übergehen können. Es wäre
leichtsinnig, wenn man sich mit noch nicht genügend erprobten
Verfahren zu früh an den menschlichen Organismus heran-
wagen wollte.
Eine weitere Möglichkeit zur Anwendung' künstlicher radio-
aktiver Stoffe besteht in der Untersuchung von Funktions-
störungen der Organe. Viele Organe des menschlichen und
tierischen Körpers haben nicht nur eine, sondern manchm~l
mehrere verschiedene Funktionen zU erfüllen. Ist ein solches
Organ geschädigt, so ist es oft schwierig, zu erkennen, welche
von seinen Funktionen gestört und welche nicht gestört sind.
Da nun jede solche Funktion mit einer anderen Art des Stoff-
wechsels verknüpft ist, so kann man etwa dem Organismus
radioaktive Stoffe einverleiben, die für die einzelnen Funk-
tionen jeweils spezifisch sind, und zusehen, ob der Organismus
mit ihnen das tut, was er soll, oder nicht. Auf diese Weise
kann man die gestörten von den ungestörten Funktionen unter-
scheiden. Vielleicht entwickelt sich hier der medizinischen
Diagnostik ein neues Hilfsmittel.
166
7. Die Verwendung stabiler Isotope
Unter den selteneren Isotopen der verschiedenen Elemente
spielt das Deuterium, der Wasserstoff von der Masse 2, eine
besondere Rolle, weil das Verhältnis seiner Masse zu der des
gewöhnlichen Wasserstoffisotops von der Masse 1 sehr viel
größer ist, als es bei den Isotopen irgendeines anderen Stoffes
vorkommt. Daher bestehen auch merkliche Unterschiede im
chemischen Verhalten dieser beiden Isotope, so daß man sie
besonders leicht nebeneinander nachweisen kann. Daher kann
man auch den schweren Wasserstoff als Indikator benutzen.
So baute man z. B. Fettsäuren statt mit gewöhnlichem Wasser-
stoff mit schwerem Wasserstoff auf, verleibte sie einem Or-
ganismus ein und untersuchte dann, wo und wie dieser die
Fettsäuren verwendet hat. Es ergab sich, daß die langkettigen
Fettsäuren in der Leber und in den fetthaitigen Geweben ab-
gesetzt werden, während die kurzkettigen Fettsäuren sofort
verbrannt werden. Mit gewöhnlichem Wasserstoff hätte man
diesen Versuch nicht anstellen können, weil solche Fettsäuren
im Organismus immer vorhanden sind und man deshalb die
absichtlich mit der Nahrung verabreichten Fettsäuren von den
schon vorhandenen nicht hätte unterscheiden können. Ähnliche
Untersuchungen hat man mit dem Stickstoff von der Masse 15
und dem Sauerstoff von der Masse 18 ausgeführt.
Schließlich sei noch eine Anwendung einer kernphysikali-
schen Reaktion in der Physik selbst, nämlich in der Optik, er-
wähnt. Man hat mit Hilfe eines Cyclotrons - in Umkehrung
des alten Althimistenproblems - nicht Gold aus Quecksilber,
sondern Quecksilber aus Gold gemacht. Gold besitzt nur ein
einziges stabiles Isotop, nämlich 1~~ Au. Bewirkt man an Gold
durch Nelitronenbestrahlung eine Kernreaktion nach der
Gleichung
197 Au + 1 n -+ 198Au -+198Hg + Oe
79 ° 79 80 -1 '
168
Tabelle I a. Konstanten der Kernphysik
Faradaysche Aquivalentladung F = 96521 eoul Mol-I.
Lichtgeschwindigkeit c = 2.99776' 10 10 cm' sec-I.
Ladung des Elektrons e = - 4,803' 10- 10 e!. stal. E.
= - 1.602 ·1cr- 19 eou!.
Ruhemasse des Elektrons mo = 9.109' 1O-~R g.
Spezifische Ladung des Elektrons eJm" = - 1,759' 10R eoul' g-I.
Loschmidtsche Zahl (Zahl der Moleklile pro Mol) L = 6,024' 1023 •
Plancksches Wirkungsquantum h = 6,626' 10-27 erg' sec
h = hl2 ,,=
1,0546' I cr-~7 erg' sec.
Rydbergkonstante R = 2rr 2 e 4 m/(c h 3 ) = 109737 ern-I.
Atomgewicht des Elektrons 5.487' 10-4 .
Atomgewicht des Protons 1,007 58.
Atomgewicht des Wasserstoffatoms 1,00813.
Atomgewicht des Neutrons 1,00895
MassenverhältnisWasserstoffatom zu Elektron M/mo Iß37,3.
Tabelle I b. Maßeinheiten
I Millioll Elektronenvolt: I MeV = 1,59' 10-6 erg = 3,79' 1cr-14 ca!.
Energieäquivalent von I Masseneinheit (I M. E.) = 1,49' 10-3 erg.
Ruhenergie des Elektrons mo c 2 =.
0,51 MeV = '0,8185' 10-6 erg.
Klassischer Elektronenradius: Te = e21m c 2 = 2,81' 1cr- 13 cm.
Tabelle I c. Elementarteilchen
I Mecha-
nis(her Magnetisches
Teilchen Masse Ladung Eigen- Moment
dreh-
impuls
Es bedeute!:
I K. M. = I Kernmagneton = 5,05' 10-24 Gauß· cm 3,
1 B. M. = 1 B'ohrsches Magneton = 9,27' 1cr-21 Gauß' cm s = 1836,3 K M.
169
TabeUe H. Tafel der chemischen Elemente und mittlere Atomgewichte
Kern- I
Element ladungs- Atomgewicht
zahl
H Wasserstoff 1 1,0080
He Helium 2 4,003
Li Lithium 3 6,94
Be Beryllium 4 9,02
B Bor 5 10,82
C Kohlenstoff ti 12,01
N Stickstoff 7 14,008
0 Sauerstoff 8 16,0000
F fluor. 9 19,00
Ne Neon. 10 20,18
Na Natrium 11 22,997
Mg Magnesium 12 24,32
Al Aluminium 13 26,97
Si Silicium. 14 28,06
P Phosphor 15 30,97
S Schwefel 16 32,06
Cl Chlor. 17 35,457
A Argon 18 39,94
K Kalium .. 19 39,096
Ca Calcium. 20 40,08
Sc Scandium 21 45,10
Ti Titan. 22 47,90
V Vanadium 23 50,95
Cr Chrom 24 52,01
Mn Mangan. 25 54,93
Fe Eisen. 26 55,85
Co Cobalt 27 58,94
Ni Nickel 28 58,69
Cu Kupfer 29 63,57
Zn Zink 30 I 65,38
Ga Gallium 31 69,72
Ge Germanium 32 72,60
As Arsen 33 74,91
Se Selen. 34 78,96
Br Brom 35 79,916
Kr Krypton 36 83,7
Rb Rubidium 37 85,48
Sr Strontium 38 87,63
110
Tabelle II (Fortsetzung)
Kern-
Element ladungs- Atomgewicht
zahl
Y Yttrium 39 88,93
Zr Zirkon 40 91,22
Nb Niobium 41 92,9
Mo Molybdän 42 96,0
- - 43 -
Ru Ruthenium. 44 101,7
Rh Rhodium 45 102,9
Pd Palladium 46 106,7
Ag SUber 47 107,880
Cd Cadmium 48 112,41
In Indium 49 114,8
Sn Zinn 50 118,70
Sb Antimon 51 121,76
Te Tellur 52 127,6
J Jod 53 126,93
X Xenon 54 131,3
Cs Caesium. 55 132,91
Ba Barium 56 137,36
La Lanthan. 57 138,90
Ce Cer 58 140,13
Pr Praseodym. 59 140,92
Nd Neodym. 60 144,27
- - 61 -
Sm Samarium 62 150,43
Eu Europium 63 152,0
Gd Gadolinium 64 156,9
Tb Terbiiun . 65 159,2
Dy Dysprosium 66 162,46
Ho Holmium 67 163,5
Er Erbium 68 167,2
Tu Thulium 69 169,4
Yb Ytterbium 70 173,0
Cp Cassiopeium 71 175,0
Hf Hafnium. 72 178,6
Ta Tantal 73 180,9
W WoUram 74 183,9
Re Rhenium 75 186,31
Os Osmium. 76 190,2
12 Helsenberg, Atomkerne
171
Tabelle· II (Fortsetzung)
Kern-
Element ladungs- AtomgewiCht
zahl
Ir ITidium 17 193,1
Pt Platin. 78 195,23
Au Gold 79 197,2
Hg Quecksilber 80 200,61
Tl Tallium 81 204,39
Pb Blei 82 207,21
Bi 'Wismut 83 209,00
Po Polonium 84 210
- -. 85 -
Ern Emanation 86 222
- - 87 -
Ra Radium 88 226,0
Ac Actinium 89 "'" 227
Th Thorium. 90 232,12
Pa Protactinium 91 "'" 231
U Uran 92 238.07
172
Tabelle V. Massendefekte, relative Häufigkeit und Aktivität
der leichten Elemente 1)
Z Zaht der Protonen, N = Zahl der Neutronen eines Atoms,
T Halbwertszeit, Angabe der relativen Häufigkeit in Prozent
I
Z Z+ N Atomgewicht Relative Art der
Element I
N Häufigkeit
T
Aktivität
n
° 1 1 1,008945 -
- -
-
H
D
T
1
°
1
2
1
2
1,008131
2,014725
99,98
0,02
-
-
-
31 + 8a
-
ß-
3 3,017004
He 2 1 3 3,016988 10- 5 - -
.2 4 4,003860 100 - -
3 5 5,0137 - Irv 6' 10-20 s a+n
4 6 6,0209 - 0,8 s ß-
Li S 3 6 6,016917 7,9 - -
4 7 7,018163 92,1 - -
5 8 8,024967 --- 0,9 s ß- a
Be 4 3 7 7,019089 - 53 d Kr
4 8 8,007807 -- < 1s 2a
5 9 9,014958 100 - -
6 10 10,016622 - 10r. a ß-
B 5 4 9 9,016104 - instabil 2,-, +P
5 10 10,016169 20 - -
6 11 11,012901 80 - -
7 12 12,0168 - 0,022 s ß-
e 6 4 10 10,02086 - 8,8 s ß+ r
5 11 11,015017 - 21 m ß+
6 12 12,003880 98,9 - -
7 13 13.007561 1,1 - -
~ 14 14,007741 - 103 bis 10 5 a ß-
N 7 6 13 13,009904 - 9,93m ß+ r
7 14 14,007530 99,62 - -
8 15 15,004870 0,38 -- -
9 16 16.00645 - 8,4 s p-
O 8 7 15 15,0078 - 125 s ß+
8
) 16 16,-Stand. 99,76 - -
') Die Tabelle V ist im wesentlichen dem Werk M a t tau c h - F 1 ü g g e,
Kernphysikalische Tabellen. Berlin 1942, entnomffien. Bei der Angabe der Halbwerts-
zeiten bedeutet S SEkunden, m Minuten, d Tage, a Jahre.
12'
Tabelle V (Fortsetzung)
174
Tabelle V (Fortsetzung)
S 16 15 31 30,98965 - 3,18 s ß+
16 32 31,98252 95,1 - -
17, 33 32,9819 0,74 - -
18 34 33,97981 4,2 - -
19 35 - - - -
20 36 - 0,016 - -
21 37. - - 88 d ß-
Cl 17 16 33 - - 2,4 s ß+
17 34 - - 32 m P+
18
!
35 34,97884 75,4 - -
19 36 35,97803 - (> 1 a) P+, K, ß-
20 37 36,97770 246 - -
21 38 37,97999 - 37;5m ß~ r
A 17 35 - - 188 S ß+
118 18 36 35,97728 0,31 - -
20 38 37,97463 0,06 - -
22
23
40
41
39,97549
40,97740
99)63
- 110m
-
-
ß-r
K 19 19 38 - - 7,65 m P+
20 39 38,970 93,44 - -
21 40 - 0,012 14,2' 108 a P-
22 41 - 6,55 - -
23 42 - - 12,4 h P-
24 43 - -
}18 m ß~
25 44 - -
175
Literatur über Kernphysik
I. Kurze allgemeinverständliche Darstellungen
1. P. D e b y e, Kernphysik, Leipzig, Hirzel, 1935.
2. L. Me i t n e rund M. D e 1 b r ü c k, Der Aufbau der Atom-
kerne, Berlin, Springer-Yerlag, 1935.
176
Bildquellennachweise
Abb. 2: G r i m s eh I s Lehrbuch der Physik, 7. Aufl. bearb. von T horn a s c h e k ,
Bd. I, Abb. 305, S. 264. Verlag G. B. Teubner, Leipzig.
Abb. 3: Me i t n e r - F r e i tag, ZS, f. Phys. 37,481, 1926, Tafel I (S. 634), Bild' 2.
Abb. 5 und 6: "Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie" von Wer n e r
He i sen b erg, Abb. I, Tafel 1. Verlag S. Hirzel, Leipzig.
Abb. 9, 10 und 28, "Atlas typischer Nebelkammerbilder' von Gen t n er, Mai e r -
Lei b n i t z , Bot he , Abb. 26 alb, S. 74; Abb. 30, S. 78; Abb. 17, S. 40.
Springer-Verlag, Berlln.
Abb. 25 a, b: Physikalische Z"itschrift, Bd. 40, 1939,. "Energiereiche Kernprozesse der
Ultrastrahlung" von E. M. und E. S c h p P per (Abb. 2 und 3 der Tafel IV).
Verlag S. Hirzel, L"ipzig.
Abb.27: Die Naturwissenschaften, Bd. 21, S. 477, Abb. 3, Jahrg. 1933, "Atomzertrüm-
merung durch Wasserstoffkanalstrahlen" von K i'r c h n e r. Springer-Verlag,
Berlin.
Abb.34, 35, 36, 37 und 38: "Elektrische Höcllstspannungen" von A. B 0 u wer s ,
Abb. 46, S. 52; Abb. 49, S. 58; Abb. 53, S. 62; Abb. 56, S. 68; Abb. 60, S. 71.
Springer-Verlag, Berlin.
\77
Namenverzeichnis
Anderson 54, 97. Faraday 11. Maxwell 12.
Aston 70. Fermi 117, 12,3, 125. Mayer, Robert 12.
Atkinson und Houter- Flügge und von Droste Mendelejeff 38.
mans 151. 80. Meyer, Lothar 38.
Avogadro 9.
Gamow 110. Nuttal s. Geiger.
Becquerel 23. Gassendi 5.
Geiger 135. Pauli 38, 49.
Berzelius 9.
- und Marsden 26. Philipp s. Erbacher
Bethe 124, 151.
- - Müller 136. Planck 30.
Bohr 30, 121.
- - Nuttal 109. Prout 10;
Boltzmann 12.
Born, Lang, Schramm van de Graaff 143.
Greinacher 141. Richter 8.
und Zimmer 163.
Gurney s. Condon. Röntgen 23.
- und Zimmer 159.
Ruben, Hassid und
Bothe 52, 123.
Hahn 155, 156. Kamen 164.
Boyle 6.
- und .Strassmann Rutherford 1, 23, 41,
de Broglie 32.
85, 121, 126. 49, 121, 129.
Chadwi<Ok 52, 129. Harkins 100.
Hasenöhrl 67. Sargent 118.
Chalmers 157.
von Hevesy 162, 163. Schrödinger 35.
Clausius 12.
Hittorf 13. Scott und Cook 164.
Cockkroft und Warton
Houtermans s. Atkin- Soddy 41.
130.
son. Stoney 13.
Condon und Gurney
Joliot-Curie 52, 129. Strassmann s. Hahn
110.
Kirchhoff 30. Szilard 157.
Cook s. Scott.
Curie 23. Kirchner 130.
Urey 60.
- s. Joliot.
Lang s. Born.
Walton s. Cockkroft.
DaIton 8. Lavoisier 7.
Weber 12.
Dirac 46. Lawrence 144.
von Weizsäcker77, 151.
Döpel 150. Lenard 25.
Wilson 24, 137.
von Droste s. Flügge. Loschmidt 12.
Yukawa 96.
Erbacher 157. Marsden s. Geiger.
- und Philipp 159. Mattauch 104. Zimmer s. Born.
178
Sachverzeichnis
Absättigung der Kernkräfte 97. Elektronen 13, 21.
Alphastrahlen 24, 107. Elektronenmikroskop 18.
Anschaulichkeit, Grenzen der Elektronenvolt 65.
19, 34. Elementarteilchen 48.
Antineutrino 53. Elemente, chemische 15.
Anwendungen der Kernphysik 149. Energie, atomare, Nutzbar-
Äquivalenz Masse-Energie 67. machung 149.
Atomgröße 18. - der Fixsterne 151.
Atomkerne 27. Energiefläche der Kerne 82.
-, Aufbau 53. Energiequanten 31.
Atomlehre im Altertum 1.
- in der Neuzeit 4. Faradaysche Gesetze 11.
Atommodell von Rutherford23, 26. Fiüssigkeitsmodell der Kerne 75.
Atomspaltungen 85, 126.
Aufbauprinzip 38. Gammastrahlen 24.
Austauschkräfte 92. Gasmaskenprüfung 158.
Austauschvorgänge 160. Geiger-Nuttallsches Gesetz 109.
Avogadrosche Hypothese 9. van de Graaffscher Generator 143.
Greinacher-Schaltung 141.
Bausteine der Atome 57. Grundstoffe 7.
- der. Materie 48.
Betastrahlen 24, 11~. Halbwertzeit 45.
Bindungsenergie der Atomkerne
Harkinssche Regel 100.
63, 74.
Heliumatom 60.
Biologische Anwendungen der
Hilfsmittel der Kernphysik 133.
Kernphysik 162.
Hochspannungsgeneratoren 142.
Blutkörper, rotE! und weiße 165.
Brownsche Bewegung 16.
Indikatoren 140, 157.
Interferenzen von Betastrahlen 34.
Cyelotron 144.
- - Röntgenstrahlen 33.
Deuterium, Deuteron 60. Ionisationskammer 133.
Diffusion von Blei in Blei 158. Isotope 59.
Drall der Elementarteilchen 53.
Dualismus Welle-Teilchen 32. Kathodenstrahlen 13.
Kernenergie 76.
Einfangprozesse 120. Kernfeld 58, 77, 86.
Elektrizitätsatome 13. Kernkräfte 86.
179
Kernladungszahl 59. Radioaktivität 23, 42.
Kernmagneton 54. Reichweite der Alphastrahlen
Kernprozesse, Kernreaktionen 25, 44.
49, 107. Röntgenstrahlen 23.
Kerntemperatur 122.
Sargent-Diagramm 118.
Kernumwandlungen, künstliche Spitzenzähler 135.
49, 121, 141. Stabilität der Atomkerne 64, 83,
Kohlensäure-Assimilation 163. 99.
Konstarrz der Masse 8. Stoffveredelung durch Kern-
prozesse 154.
Lebensdauer, mittlere 44. Stoffwechsel 162.
Lichtquanten 31. Szintillationsverfahren 133.
Loschmidtsche Zahl 13, 21.
Therapie mit radioaktiven Stoffen
Magneton 54. 155.
Massendefekte 69. Totalreflexion 113.
Masseneinheit, atomare 69. Triton 60.
Massenspektrograph 70. Tropfenmodell der Kerne 75.
Materiewellen 32. Tunneleffekt 115.
Mattauchsche Regel 104. Ultrastrahlung, kosmische 54.
Meson 54. Unbestimmtheitsrelation 29.
Molekülbau lS
Valenzkräfte 10, 90.
Volumen der Atomkerne 75.
Nebelkammer 24, 137.
Neutrino 49. Wärmetönungen bei Kern-
Neutron 52. reaktionen 150.
Neutronenquellen 66. Wasserstoff, schwerer 60.
Wasserstoffatom 27.
Paarerzeugung 47. Wellenmechanik 32.
Pauli-Prinzip 38, 97. Werkstoffprüfung 155.
Periodisches System der Elemente Wirkungsquantum, Plancksches
37. 31.
Wirkungsquerschnitt von Kernen
Positronen 46.
124.
Potentialwall 91, 111.
Proportionalzähler 135. Zählrohr 136.
Protonen 52. Zerfallskonstante 109.
Proutsche Hypothese 11, 106. Zerfallsreihen 108.
Zerfallswahrscheinlichkeit 44. 95.
Quantenmechanik 32. Zerstrahlung 46.
180
Tabelle III
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