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DIE WISSENSCHAFT

HERAUSGEBER PROF. DR. WILHELM WESTPHAL


BAND 100

Werner Heisenberg

Die Physik der Atomkerne

Acht Vorträge, gehalten auf Veranlas-


sung des Verbandes Deutscher Elektro-
techniker, ausgearbeitet unter Mit-
wirkung von Frau Dr. J ö r g e s von
Prof. Dr. W i I h e I m W e s t p h a I

2. Auflage
Mit 39 Abbildungen und 6 Tabellen

Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH


1947
ISBN 978-3-663-03142-0 ISBN 978-3-663-04331-7 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-663-04331-7
Alle Rechte vorbehalten
Vorwort
Im Frühjahr des Jahres 1942 hatte ich auf Einladung des
Verbandes Deutscher Elektrotechniker in der Technischen Hoch-
schule Charlottenburg acht Vorträge über die Physik der Atom-
kerne zu halten. Zu einer nachträglichen genaueren Ausarbei-
tung ließen mir andere dringende Aufgaben keine Zeit. Da erbot
sich freundlicherweise der Herausgeber dieser Sammlung, Pro-
fessor Westphal, den Text der Vorträge nach dem aufgenom-
menen Stenogramm und auf Grund der Vorarbeiten von Frau
Dr. Jörges auszuarbeiten und seine groß.e Erfahrung in der all-
gemeinverständlichen Darstellung physikalischer Gedanken-
gänge in den Dienst dieses Buches zu stellen.
Das so entstandene Büchlein ist, ebenso wie die acht Vor-
träge, für naturwissenschaftlich interessierte Leser bestimmt,
die keine theoretisch-physikalische Fachausbildung hinter sich
haben, die aber doch ein gewisses Verständnis für physikalische
Begriffsbildungen mitbringen. Auf den Wunsch des Verbandes
Deutscher Elektrotechniker ist eine kurze Geschichte der Atom-
physik und eine allgemeine Ubersicht über die heutigen Kennt-
nisse vom Atombau der eigentlichen Kernphysik vorangestellt
worden. Ein wirkliches Verständnis der Atomphysik ist aUs
einer derartigen Ubersicht natürlich nicht zu gewinnen, aber
vielleicht genügt der Uberblick doch als Grundlage für ein Ver-
ständnis der folgenden Vorträge über Kernphysik. Bei der Dar-
stellung der Kernphysik bin ich von anderen allgemeinverständ-
lichen Darstellungen dieses Gebietes insofern abgewichen, als ich
mich bemüht habe, die Theorie der Vorgänge im Atomkern in
den Vordergrund zu stellen und die praktischen Anwendungen
erst am Schluß zu besprechen. Dabei sollte die Theorie ohne
den Gebrauch von Mathematik mit anschaulichen Modellen
oder durch Analogieschlüsse von verwandten bekannteren Er-
scheinungen her verständlich gemacht werden. Die Kernphysik
eignet sich für ein solches Vorgehen mehr als manches andere

III
Gebiet der Physik. Freilich hat dieses Verfahrefr seine natür-
lichen Grenzen, und für ein tieferes Verständnis der Zusammen-
hänge ist ihre mathematische Darstellung unerläßlich. Für ein
in dieser Weise gründliches Studium der Kernphysik gibt es
aber bereits andere, sehr gute Darstellungen in Buchform. Erst
der vorletzte Vortrag schildert die technischen Hilfsmittel der
Kernphysik, und der letzte gibt eine Ubersicht über die bis-
herigen praktischen Anwendungen. Es braucht wohl kaum her-
vorgehoben zu werden, daß hier erst der Anfang einer viel-
leicht einmal sehr bedeutenden technischen Entwicklung ge-
schildert wird.
Mein Dank gebührt in erster Linie Herrn Professor Westphal
für die große Mühe, die er mit der Ausarbeitung des Textes
auf sich genummen hat, ferner Frau Dr. Jörges für die unermüd-
liche Hilfe bei den allgemeinen Vorarbeiten, bei der Herstellung
der Tabellen, der Abbildungen usw. und schließlich dem Verlag
für die - bei aller Ungunst der Zeiten - schnelle, sorgfältige
und verständnisvolle Mitarbeit.
Be r I i n - D a h I e m , Juni 1943.
W. Heisenberg.

Vor wo r t zur z w e i te n Au fl a ge
Gegenüber der ersten Auflage sind nur. wenige Anderungen
vergenommen worden. Herrn O. Hahn bin ich für einige Ver·
besserungsvorschläge zu großem Dank verpflichtet.
Be tl i n - D a h I e m, September 1944.
W. Heisenberg.

IV
Inhal tsverzeichnis

Seite
E r s t e r Vor t rag: Die Atomtheorie vom Altertum bis zum
Ende des 19. Jahrhunderts 1
1. Materie und Atome in der antiken Philosophie. 1
2. Die neuzeitliche Atomlehre bis zum Ende des 19. Jahr-
hunderts' . 4

Z w e ~ t e r Vor t rag: Moleküle und Atome 15


1. Der Bau der Moleküle . 15
2. Das Atommodell von Ru/herlord 28
3. Das periodische System der Elemente 37

D r 1 t t e r Vor t rag: Die Radioaktivität und die Bausteine


der Atomkerne 41
1. Die Radioaktivität 41
2. Künstliche Kernumwandlungen 49
3. Die Bausteine der Atomkerne . 53

Vierter V 0 1 t rag: Die normalen Zustände der Atomkerne 63


1. Die Bindungsenergie der Atomkerne . 63
2. ~r Aufbau der Atomkerne. 74
3. Die drei Arten der Kernenergie. . 76

F ü n f t e r Vor t rag: Die Kernkräfte 86


1. Die allgemeinen Eigenschaften des KernfelQes 86
2. Die Kernkräfte als Austauschkräfte 92
3. Die Absättigung der Kernkräfte 97
4. Die Stabilifät der Atomkerne. 99

Sec h s t e r Vor t rag: Die Kernprozesse 107


1. Die Alphastrahlung 107
-2. Die Betastrahler 115
3. Andere Arten von spontanen Kernumwandlungen. 120
4. Künstliche Kernumwandlungen. . 124

v
Sie ben t e r Vor t rag: Die technischen Hilfsmittel der Kern-
physik . . . . . 133
1. Die Nacllweisverfahren. . . 133
2. Die Verfahren zur Kernumwandlung. 141

Ach t e r Vor t rag: Die praktischen Anwendungen der Kern-


physik . . . . . 149
1. D1e Nutzbarmachung atomarer Energie. 149
2. Stoffveredelung durch Kernprozesse . 154
3. Künstliche radioaktive Stoffe als Indikatoren. 157
4. Künstliche radioaktive Stoffe in der Chemie. 159
5. Künstliche radioaktive Stoffe in der Biologie und Biochemie 162
6. Künstliche radioaktive Stoffe in der Medizin. 164
7. Die Verwendung stabiler Isotope. . 167

TabellelJ. J. Tl V . 169-175
Tab elle n HI, IVa, IVb am Schluß des Buches

Literatur übe,! Kernphysik. 176

Namenverzeichnis 178

Sachverzeichnis. 179

VI
Erster Vortrag

Die Atomtheorie
vom Altertum bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
1. Materie und Atome in der antiken Philosophie
Die Physik der Atomkerne ist eines der jüngsten Gebiete
der Physik. Vor gut dreißig Jahren ist das Wort Atomkern
zum ersten Male durch Rutherford ausgesprochen worden, und
eine eingehende Kenntnis von den Atomkernen besitzt man erst
seit etwa einem Jahrzehnt. Aber die Vorstellung vom atomaren
Aufbau der Materie selbst, also die Annahme, daß es kleinste
unteilbare Bausteine geben müsse, aus denen alle Materie zu-
sammengesetzt sei, geht schon auf die antike Philosophie zu-
rück; sie ist vor zweieinhalb Jahrtausenden von griechischen
Philosophen gewagt worden. Wer die moderne Atomtheorie
verstehen will, der tut gut daran, einen Blick zu werfen auf die
Geschichte der Atomvorstellung, um in ihr die Wurzeln jener
Gedanken kennenzulernen, die in der modernen Physik zur Ent-
faltung gekommen sind~ Deshalb soll den folgenden Vorträgen,
die sich die Schilderung der Physik der Atomkerne zum Ziel
setzen, eine kurze Ubersicht über die Geschichte der Atomlehte
vorangestellt werden.
Der Gedanke an unteilbare kleinste Grundeinheiten alles
Stofflichen ist entstanden im Zusammenhang mit der Entwick-
lung der Begriffe Materie, Sein. und Werden, die der ersten
Epoche der griechischen Philosophie das Gepräge gegeben hat.
Am Anfang der antiken Philosophie steht das merkwürdige
Wort des Thales, der im 6. Jahrhundert VE>r der Zeitwende in
Milet gelebt hat, daß das Wasser der Ursprung aller Dinge sei.
In diesem Satz stecken, wie Friedrich Nietzsche ausgeführt hat,
drei entscheidende Grundgedanken der Philosophie: Erstens die
Frage nach dem Ursprung aller Dinge; dann die Forderung, daß
diese Frage verstandesmäßig, also ohne 'Mythos, beantwortet
werden solle - es war für das damalige Denken keine nahe-
liegende Vorstellung, daß der Ursprung der Dinge in etwas
Materiellem, dem Wasser, und nicht im Leben gesucht werden
sone - ; drittens die Erkenntnis, daß es möglich sein müsse, die
Welt letzten Endes aus einem einheitlichen Prinzip zu ver-
stehen. In dem Satz des Thales klingt zum erstenmal der Ge-
danke an einen einheitlichen Grundstoff an, aus dem die Welt
besteht, wenn auch das Wort Stoff hier sicher nicht den rein
materiellen Sinn hat, den wir ihm ~ute allein beilegen.
In der Philosophie des Anaximander, der als Schüler des
Thales auch in Milet lebte und lehrte, tritt an die Stelle des
einen Urstoffes eine grundlegende Polarität, der Gegensatz von
Sein und Werden. Wenn es nur einen Urstoff gäbe, so müßte
eine unendliche einförmige Substanz das All erfüllen; die bunte
Mannigfaltigkeit der ·Welt wäre dann nicht verständlich. Des-
halb erhebt sich aus jenem unbestimmten Urgrund der Dinge
die Veränderung, das Werden. Bei Anaximander erscheint das
Werden gleichsam als eine Verschlechterung jenes wesenlosen
Seins, als ein Fluch, der schließlich wieder gesühnt wird durch
die Rückkehr in das Wesenlose.
In der Philosophie des Heraklit tritt der Begriff des Werdens
ganz in den Vordergrund, das Grundelement ist für ihn das
Bewegende, das Feuer, und bei Parmenides steht wieder eine
grundlegende Polarität, der Gegensatz von Sein und Nichtsein
im Mittelpunkt der Lehre. Auch für ihn entsteht die bunte Fülle
der Erscheinungen aus dem Zusammenwirken zweier entgegen-
ge gesetzter Prinzipien.
Einen deutlichen Wandel in Richtung auf eine mehr materül-
listische Weltanscnauung hat diese ganze Vorstellungswelt
dann durch Anaxagoras erfahren, der etwa 100 Jahre jünger
als Thales und wahrscheinlich um das Jahr 500 vor der Zeit-
wende geboreI1 ist. Anaxagoräs nimmt unendlich viele Grund-
stoffe .an, durch deren Mischung und Trennung die bunte Viel-
falt der Vorgänge in der Welt hervorgebracht wird; dabei haben
diese Grundstoffe schon viel mehr den Charakter von materiel-

2
len Substanzen; sie sind für sich als ewig und unzerstörbar ge-
dacht, und erst ihre Mischung in der Bewegung, die sie durch-
einanderwürfelt, bringt den Wechsel der Erscheinungen hervor.
Der etwa zehn Jahre jüngere Empedokles erkennt die vier
Elemente: Erde, Wasser, Luft und Feuer als die "Stammwurzeln"
aller Dinge; der Urzustand ist für ihn die unterschiedlose gleich-
förmige Mischm1g tier Elemente, die von der Liebe zu einer
ewigen Glückseligkeit verbunden werden, während der Haß
die Elemente trennt und aus ihnen das bunte Spiel des Lebens
gestaltet.
Die entscheidende Hinwendung zum Materialismus wird
dann vollzogen durch die Philosophen Leukipp und Demokrit,
von denen der erste wohl ein Zeitgenosse des Empedokles war.
Demokrit war ein Schüler des Leukipp. Der Gegensatz von
Sein und Nichtsein wird in der Lehre des Leukipp verweltlicht
zum Gegensatz des Vollen und Leeren. Es gibt das "Volle",
das sind die kleinsten unteilbaren Bausteine der Welt, die
"Atome", und zwischen ihnen ist der leere Raum. Das Atom
ist das reine Sein, ewig und unzerstörbar, aber es gibt unend-
lich viele Atome, das reine Sein kann gewissermaßen beliebig
oft wiederholt werden. Hier ist also zum ersten Male in der
Geschichte der Gedanke ausgesprochen worden, daß es unteil-
bare kleinste Bausteine gebe, aus denen alles Stoffliche zu-
sammengesetzt sei, die Atome. Dabei wird der Begriff Stoff
eigentlich in zwei Begriffe aufgespalten: in die Atome und den
leeren Raum, in dem sich die Atome bewegen. Bis dahin er-
schien. ja der Raum als das von Materie erfüllte., er war vom
Stofflichen gewissermaßen aufgespannt, und ein absolut leerer
Raum war nicht denkbar. Jetzt hatte der leere Raum eine wich-
tige Funktion übernommen, er war der Träger der Geometrie
und der Kinematik geworden, denn er ermöglichte die ver-
schiedene Anordnung und Bewegung der Atome.
Das Atom hatte zwar eine bestimmte. Lage im Raum, hatte
eine Gestalt und führte bestimmte Bewegungen, aus, aber an-
dere Qualitäten als diese geometrischen wurden ihm nicht zu-
geschrieben. Das Atom hatte weder Farbe noch Geruch oder

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Geschmack, und die sinnlich wahrnehmbaren Qualitäten im
großen und ihr Wechsel sollten zustande kommen durch die
verschiedenartige Lagerung und Bewegung der Atome im Raum.
"So wie etwa die Tragödie und die Komödie mit den gleichen
Buchstaben niedergeschrieben werden können, so kann auch
sehr verschiedenartiges Geschehen in der Welt durch die glei-
chen Atome verwirklicht werden, sofern sie nur verschie-
dene Stellungen einnehmen und verschiedene Bewegungen aus-
führen." Demokrit sagt: "Nur scheinbar hat ein Ding eine
Faree, nur scheinbar ist es süß oder bitter. In Wirklichkeit
gibt es nur Atome und den leeren Raum."
Die Grundgedanken der Atomlehre sind von der späteren
griechischen Philosophie zum Teil übernommen und ausgestal-
tet worden. Im Dialog "Timaios" bringt Plata diese. Vorstel-
lungen in Verbindung mit der Pythagoräischen Lehre von den
Zahlenharmonien und identifiziert die Atome der Elemente
Erde, Wasser, Luft und Feuer mit den regulären Körpern, Wür-
feln, Oktaeder, Ikosaeder, Tetraeder. Die Epikureer haben sich
ebenfalls die Atomlehre im wesentlichen zu eigen gemacht
und einen Gedanken hinzugefügt, der in der späteren Natur-
wissenschaft eine entscheidende Rolle gespielt hat, den Ge-
danken der Naturnotwendigkeit. Die Atome werden nicht nach
Willkür durcheinandergewürfelt oder durch Kräfte wie Liebe
und Haß bewegt, sondern ihre Bahnen werden durch Natur-
gesetz, durch die blinde Notwendigkeit bestimmt.
Damit ist die antike Atomlehre im wesentlichen abgeschlos-
sen; eine weitere, größere Ausgestaltung hat sie in der Philo-
sophie oder in der Naturwissenschaft des Altertums nicht er-
fahren.

2. Die neuzeitliche Atomlehre


bis zum Ende des 19. Jahrhunderts
Die Fortschritte, von denen bisher berichtet wurde, spiel-
ten sich im Laufe weniger Jahrhunderte ab. Dann sind fast
zwei Jahrtausende vergangen, bis man sich wieder ihrer er-
innerte, und bis wieder ein Forscher die alten Gedanken auf-

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nahm und fruchtbar verwandelte. Das spätere Altertum und
vor allem das ganze Mittelalter nahm die Philosophie des Ari-
stoteles als unantastbare Grundlage hin, und für das christliche
Denken hatte sich die Wirklichkeit so stark verwandelt, daß
der Blick der Menschen für lange Zeit nicht mehr auf das Ge-
schehen in der materiellen Natur fiel.
Der erste Forscher, der wieder an die früheren Gedanken
anknüpfte, war der Franzose Gasse,ndi. Er ist 1592 in der Pro-
vence geboren, war Theologe und Philosoph und starb in Paris
im Jahre 1655. Er war also ein Zeitgenosse von Galilei und
Kepler, und als .solcher wußte er vop den ersten Erfolgen der
neu erwachenden Naturwissenschaft. Um diese Zeit war nach
einer Pause von fast 2000 Jahren der Boden wieder fruchtbar
geworden für die Weiterentwicklung naturwissenschaftlicher
Erkenntnisse.
Die ersten Vertreter dieser neuen Naturwissenschaft, so
auch Gassendi, erheben sich gegen die Autorität des Aristoteles
und greifen auf andere Denker des klassischen Altertums zu-
rück. So knüpft Gassendi an die Lehre des Demokrit an und
gibt ihr sofort eine ausgesprochen materialistische Gestalt.
Auch für ihn besteht die Welt aus letzten, unteilbaren Bau-
steinen, den Atomen, die unsichtbar klein sind. Wie bei Demo-
krit beruht die Vielfalt der Erscheinungen auch bei ihm auf der
Mischung, der verschiedenen Anordnung und der Bewegung
der Atome. Es klingt auch schon der Gedanke an, daß man die
physikalischen Erscheinungen in einer viel konkreteren, man
kann sagen banaleren Weise mit der Atomtheorie verständlich
machen könne. So könne man eine Mischung von Wasser und
Wein mit einer Mischung von zwei Arten von Sand vergleichen,
die derart miteinander vermengt werden, daß schließlich die
beiden Arten von Körnchen in statistischer Weise, rein nach
dem Zufall verteilt, durcheinanderliegen. So entsprechen den
Sandkörnchen die Atome des Wassers und des Weines in ihrer
regellosen und unentwirrbaren Mischung. Es klingt ferner
schon die Vorstellung an, daß man auch die Aggregatzustände
der Materie mit Hilfe der Atomtheorie deuten könne, wenn auch
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noch nicht so klar, wie es uns heute geläufig ist. Man weiß
heute, daß im festen Wasser, also im Eis, die Atome in regel-
mäßiger Anordnung, sozusagen in Reih' und Glied, ganz dicht
nebeneinqnderliegerr. Im flüssigen Wasser liegen sie auch dicht
gepackt, aber ungeordnet, und bewegen sich in dieser Unord-
nung. Im Wasserdampf schließlich bewegen sich die Atome
(oder richtiger: gewisse Atomgruppen, die wir Moleküle
nennen), einem Mückenschwarm vergleichbar, in großen gegen-
seitigen Abständen.
Auch andere Forscher greifen dieses Bild auf, undin Riesen-
schritten vollzieht sich seine völlige Verweltlichung. Für die
Griechen war der Atombegriff noch das Mittel, um die Welt im
ganzen zu verstehen, um sich Recbenschaft von allem und jedem
abzulegen, was in der Wirklichkeit überhaupt wahrgenommen
werden kann. Nunmehr wird er das Mittel, um das Verhalten
der groben, leblosen Materie zu verstehen.
Der nächste, von dem wir zU sprechen haben, ist der Eng-
länder Robert Boyle, der von 1627 bis 1691 lebte. Er ist eigent-
lich schon kein Naturphilosoph mehr, sondern ein Chemiker
und Physiker. Seine wichtigsten Arbeiten liegen auf dem Ge-
biet der Gastheorie. Von ihm stammt das Gesetz, daß das Pro-
dukt aus' Druck und Volumen eines Gases bei gegebener Tem-
peratur konstant ist. Auch die Chemie verdankt Boyle wichtige
Fortschritte, vor allem die Einführung des Begriffs der chemi-
schen Elemente im heutigen Sinne. Bei den alten Griechen war
der Begriff des Elements noch an die Grunderscheinungen ge-
knüpft, die uns in der Natur begegnen, an das Ruhende, das
Bewegende, an Erde und Feuer. Bei Boyl!:: ist er in ganz
materialistischer Weise an den chemischen Prozeß geknüpft,
Die Chemie vermag ja Stoffe ineinander zu verwandeln, und
Boyle stellte schon ganz konkret die Frage: Aus welchen Stof-
fen kann man die unendliche Vielfalt einheitlicher Stoffe auf-
bauen, die es in der Natur gibt? Welches sind die Grundstoffe,
die man nicht weiter verwandeln kann, und aus denen alle
Stoffe irgend wie aufgebaut sind? Diese AufgabensteIlung er-
wuchs aus dem ursprünglich andersartigen Grundproblem der

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Alchemie der Jahrhunderte vor Boyle. Diese war ja von dem
Grundgedanken ausgegangen, daß alle Stoffe letzten Endes auf
einen einzigen Grundstoff zurückgeführt werden könnten, und
daß es grundsätzlich möglich sein müsse, jeden Stoff in jeden
anderen zu verwandeln, etwa auch Quecksilber in Gold. Aber
das Ergebnis aller Bemühungen war immer wieder negativ -ge-
wesen; eine Verwandlung mit den Hilfsmitteln der Chemie war
nicht gelungen. Offenbar war die Materie doch nicht in di-esem
Sinne - das heißt für chemische Mittel - einheitliCh, sondern
es mußte Grundstoffe geben, die durch keine Art voh chemi-
sch'er Umsetzung ineinander verwandelt werden können. Seit
BoyJe weiß man, daß es eine ganze Reihe von Grundstoffen im
Sinne der Chemie gibt, denen heute rund eine halbe Million
einheitlicher Stoffe- wir sagen·: chemische Verbindungen -
gegenübergestellt werden kann. Es gibt also außerordentlich
viel mehr chemische Verbindungen als Grundstoffe. Immerhin
ist die Zahl der Grundstoffe noch so groß, daß es schwer fällt,
in ihnen schon die letztep, unteilbaren Grundelemente der Ma-
terie sehen zu wollen. Von den 92 Grundstoffen, die man heute
kennt, hat Boyle allerdings erst ziemlich wenige gekannt.
Dennoch formuliert er schon ganz klar die Aufgabe der Chemie:
"Es kommt darauf an, festzustellen, in welche Grundstoffe die
Materie mit chemischen Mitteln zerlegt werden kann, und
welches diese Grundstoffe sind." Mit den Elementen Demo-
laits, mit Erde, Wasser, Luft und Feuer haben also seine chemi-
schen Elemente nichts mehr Zu tun.
Wenn wir jetzt ein Jahrhundert überspringen, so kommen
wir zu dem eigentlichen Begründer der modernen Chemie, zu
Lavoisier. Er ist 1743 geboren und 1794 als Opfer der französi-
schen Revolution gestorben. Sein bleibendes Verdienst ist die
Begründung der quantitativen Chemie. Er hat als erster den
Akt der Verbrennung richtig gedeutet. Bis dahin glaubte man,
daß bei der Verbrennung eines Körpers ein Stoff, das Phlo-
giston, aus ihm entweiche. Daraus mußte man schließen, daß
alle Körper bei der Verbrennung leishter werden müßten. Dem-
gegenüber vertrat Lavolsier den Standpunkt, die Verbrennung

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sei die Verbindung eines Elements mit Sauerstoff, und dabei
müßter. die Körper schwerer werden. Durch den experimen-
tellen Beweis dieser Behauptung hat er seine Theorie zum
Siege geführt. Gleichzeitig erreichte er damit etwas ungemein
Wichtiges: Er veranlaßte die Chemiker, die Massenverände-
rungen bei chemischen Umsetzungen zu untersuchen.
Damit kommen wir zu einem Gesetz, das eigentlich schon
1174 bei Lavoisier steht, aber erst einige Jahre später zum Ge-
meingut d~r Chemiker wurde, zum Gesetz von der Konstanz
der Masse. Schon Lavoisier behauptete: Bei jeder chemischen
Umsetzung bleibt die Gesamtmasse der beteiligten Stoffe un-
verändert; die gesamte umgesetzte Materie wiegt nach der
Umsetzung genau so viel wie vorher. Mit diesem Gesetz be-
ginnt eigentlich erst die moderne Chemie, und in wenigen
Jahren stellte es die Verbindung her zwischen der Chemie von
Boyle und der Atomlehre von Gassendi.
Im Jahre 1792 entdeckte der Deutsche Richter, daß sich die
chemischen Elemente stets in ganz bestimmten Mengenver-
hältnissen zu .chemischen Verbindungen zusammenfügen. Nicht
eine beliebige Menge Wasserstoff kann mit einer beliebigen
Menge Sauerstoff zu Wasser verbrennen, sondern sie müssen
stets in einem Gewichtsverhältnis 1 : 8 stehen, um Wasser zu
ergeben. Andernfalls bleibt entweder ein Rest Sauerstoff oder
ein Rest Wasserstoff übrig, der nicht umgesetzt wird. Dieses
Gesetz der multiplen Proportionen hat dann DaIton zum Grund-
prinzip der Chemie erhoben, ul'ld es führte in kurzer Zeit zur
Verbindung der Chemie mit der Atomlehre. DaIton hat das
Gesetz schärfer gefaßt und ihm eine geometrische Deutung
gegeben.
Auf diese geometrische Deutung kommt es an. Sie möge
durch folgendes Beispiel verdeutlicht werden. Wenn sich etwa
Wasserstoff mit Sauerstoff verbindet, um Wasser zu ergeben,
SQ muß man sich das so vorstellen, daß sich die kleinsten Teile,
die Atome des Elements Sauerstoff und des Elements Wasser-
stoff miteinander verbinden, um eine höhere Einheit - man
sagt heute: ein Molekül Wasser - zu bilden. Man stellt sich

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also heute ein Molekül ganz anschaulich als ein geometrisches
Gebilde aus einzelnen Atomen vor, so das Molekül des Wassers
als ein Gebilde .aus zwei Atomen Wasserstoff und einem Atom
Sauel'stoff. Damit wird das Gesetz der konstanten multiplen
Proportionen unmittelbar verständlich. Die Verbindung Wasser
ist eben charakterisiert durch das Verhältnis: 1 Atom Sauer-
stoff: 2 Atomen Wasserstoff.
Diese Lehre Daltons aus dem Jahre 1803 von den Atomen,
die sich in einer geometrisch anschaulichen Weise zu Mole-
külen vereinigen, wurde wenige Jahre darauf zu einer klaren
wissenschaftlichen Hypothese erhoben. Schon 1811 legte Avo-
gadro durch eine kühne Annahme eigentlich den Grundstein
für das, was wir heute die Atomtheorie der Chemie nennen.
Er behauptete. daß alle Gase bei gleichem Druck und gleicher
Temperatur in gleichen Raumteilen stets gleich viele Moleküle
enthalten. Diese Annahme bedurfte zwar noch der Bestätigung
durch die Erfahrung, erwies sich aber bald als der Schlüssel
zur Bestimmung der Atomgewichte und gab der Atomlehre
Daltons eine feste, bleibende Grundlage. Wenn man weiß, wie
viele Atome oder Moleküle in einer bestimmten Gasmenge
enthalten sind, so kann man auch genau angeben, wie ein
einzelnes Molekül zusammengesetzt ist, ob etwa ein Molekül
Wasser wirklich aus 1 Atom Sauerstoff und 2 Atomen Wasser-
stoff besteht.
Damit war der Weg frei für eine quantitative Feststellung
der Gewichts- oder Massenverhältnisse der Atome. Die abso-
lute Zahl der jeweils vorhandenen Moleküle oder Atome kannte
man zwar damals noch nicht, wohl aber wußte man, daß in
gleichen Raumteilen bei gleicher Temperatur stets die gleiche
Anzahl von Molekülen enthalten ist, und das genügte; denn es
gab Auskunft über die Massenverhältnisse der Atome und der
Moleküle.
Bald darauf bestimmte der Schwede Berzelius die Atom-
gewichte zahlreicher Elemente und entwickelte auch schon
recht deutliche Vorstellungen vom Aufbau der Moleküle aus
einzelnen Atomen. Auch die Frage nach der Kraft, die die

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Atome zu Molekülen verbindet, taucht schon bei Berze.lius auf,
und er führt den Begriff der Valenz kraft ein, die das Atom
des einen Elements an ein bestimmtes anderes AtQm bindet. Er
machte sich auch schon Gedanken über die Natur dieser
Valenzkraft und vermutete, daß es sich um elektrische Kräfte
handeln müsse.
Der Stand der Atomlehre vor nunmehr etwa 120 Jahren war
also, kurz zusammengefaßt, der folgende: Man wußte, daß sich
die ungeheure Zahl der chemischen Verbindungen auf eine
nicht allzugroße Zahl von chemischen Grundstoffen zurück-
führen läßt, von denen damals zwar noch nicht alle 92 be-
kannt waren, aber doch schon ein erheblicher Teil. Auch die
Massenverhältnisse der Atome dieser Elemente kannte man
schon einigermaßen genau. Man wußte also etwa, daß ein
Atom Sauerstoff rund 16mal, ein Atom Stickstoff rund 14mal
so schwer ist wie ein Atom Wasserstoff. Diesen genauen
Kenntnissen standen aber große Lücken gegenüber. Völlig
unbekannt war immer noch die absolute Größe der Atome
und die Größenordnung ihrer Anzahl in einem bestimmten
Raumteil. Nur daß ihrer bei gleicher Temperatur und gleichem
Druck im gasförmigen: Zustand gleich viele sind, war bekannt.
Ein Atom konnte immer noch, wie Demokril glaubte, etwa sO
groß sein wie jene Stäubchen, die im Sonnenlicht tanzen, oder
iluch außerordentlich viel kleiner. Genau so wenig wußte
man von der Gestalt der Atome und von den zwischen ihnen
obwaltenden Kräften. Man konnte sich von diesen höchstens
sehr hypothetische Vor"ltellungen bilden. Weiter war zwar be-
kannt, daß es sich bei den Atomen um die letzten, unteilbaren
Bausteine der Materie im Sinne del' Chemie - nämlich be-
urteilt nach den Hilfsmitteln der Chemie - handelt. Aber
niemand konnte wissen, ob diese Atome der Chemie nicht
doch mit anderen Mitteln noch weiter zerlegt und ineinander
umgewandelt werden können.
Ein Befund, aus dem zuerst Praul im Jahre 1815 Schlüsse
gezogen hat, sprach. eigentlich gegen die Annahme der abso-
luten Unteilbarkeit der Atome. Proul, der von 1785 bis 1850

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lebte, berief sich auf die Tatsache, daß die damals bekannten
Atomgewichte - es handelte sich hauptsächlich erst um die
leichteren Elemente - durchweg recht genau ganzzahlige Viel-
fache des Atomgewichtes des Wasserstoffs sind, und er grün-
dete darauf die Hypothese, daß alle Atome aus Wasserstoff
aufgebaut seien. Da ein Atom Helium ungefähr 4mal, ein
Atom Sauerstoff etwa 16mal so schwer ist wie ein Atom
Wasserstoff, so müßte das Heliumatom aus 4, das Sauerstoff-
atom aus 16 Wasserstoffatomen bestehen. Das Wasserstoff-
atom wäre also der einzige und letzte Baustein der Materie.
Die Annahme von 92 verschiedenen Grundstoffen war sicher
schon immer als eine Härte empfunden worden. Wenn man
überhaupt an eine Einheitlichkeit in der Natur glaubt, wird
man es zum mindesten lieber sehen, wenn ihre Anzahl erhebe
lieh kleiner ist.
So bestechend Prouts Hypothese ist, so geriet sie dennoch
über mehr als 100 Jahre völlig in Vergessenheit, nachdem
man in der Fol!:Te fand, daß sich die angenäherte GanzzahUg-
keit der Atomgewichte bei den schwereren Atomen nicht be-
stii.tigte. Dennoch steckt in ihr ein wichtiger Kern von Wahr-
heit. Es wird sich später zeigen, daß sie in gewandelter Ge-
stalt in deJ' heutigen Physik der Atomkerne eine grundlegende
Rolle spielt.
Ein neuer Abschnitt der Atomlehre nahm seinen Anfang
mit Faraday, der die Atomlehre mit der Lehre von der Elektrizi-
tät verknüpfte. Faraday lebte von 1791 bis 1867. Die Atomistik
verdankt ihm ein Gesetz von grundlegender Bedeutung: Bei
chemischen Umsetzungen, die auf elektrischem Wege, näm-
lich durch Elektrolyse, erfolgen, ist eine bestimmte Menge des
umgewandelten Stoffes stets mit einer bestimmten Elektrizi-
tätsmenge verknüpft. Ferner fand Faraday, daß die Massen der
Stoffe, die mit einer bestimmten Elektrizitätsmenge umgesetzt
werden, sich verhalten wie die sogenannten "Äquivalent-
gewichte", also im einfachsten Fall, bei einwertigen Stoffen,
wie die Atomgewichte der betreffenden Stoffe. Dieser Befund
deutete darauf hin, daß auch die Elektrizität eine atomistische
2 Heisenberg •. Atomkerne
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Struktur besitzt, derart, daß jedes Atom oder jedes Molekül
einer chemischen Verbindung stets mit einem oder auch
mehreren Atomen der Elektrizität verbunden ist, wenn auch
auf eine damals noch unklare Weise. Darauf hat bereits 1846
Wilhelm Weber hingewiesen. Auf diese Weise wird zwang-
los verständlich, weshalb mit der gleichen Menge, also mit
der gleichen Zahl von Atomen, eines Stoffes stets die gleiche
Menge Elektrizität verbunden ist. Man legt heute als Normal-
menge in der Regel ein "Mol" oder ein "Grammatom" zu-
grunde. Ein Mol eines Stoffes ist diejenige Menge, welche
soviel Gramm wiegt, wie sein Molekulargewicht angibt, ein
Grammatom eines Elements diejenige Menge desselben, die
soviel Gramm wiegt, wie sein Atomgewicht angibt. So ist
ein Mol Sauerstoffgas 02 (Molekulargewicht 32) 32 Gramm
Sauerstoffgas, ein Grammatom Sauerstoff 0 (Atomgewicht 16)
16 Gramm Sauerstoff. Mit jedem Mol oder Grammatom eines
einwertigen Stoffes ist bei der Elektrolyse stets eine Elek-
trizitätsmenge von 96521 Coulomb verbunden, mit einem Mol
oder Grammatom eines mehrwertigen Stoffes das ent-
sprechende Vielfache dieser Elektrizitätsmenge.
Die nächsten Fortschritte lagen auf dem Gebiet der Gas-
theorie. Ihren entscheidenden Ausbau zu einer exakten
Wissenschaft verdankt man Maxwell, Boltzmann und vor allem
Clausius. Durch die Arbeiten dieser Forscher hat die Vor-
stellung, nach der ein Gas aus schnellbewegten Molekülen be-
steht und in gewissem Sinne mit einem Mückenschwarm ver-
.glichen werden kann, eine feste, auch mathematisch streng
durchgeführte Grundlage erhalten.
Dann kam im Jahre 1865 ein neuer, großer Fortschritt,
nämlich die erste noch ungenaue Bestimmun"g der Atomgröße
und damit der Zahl der in einem bestimmten Raumteil vor-
handenen Gasmoleküle durch Loschmidt. Wie schon vor ihm
Robert Mayer, beschäftigte sich Loschmidt mit der inneren
Reibung der Gase, und er gewann aus seinen Untersuchungen
den ersten Anhaltspunkt für die Größe eines Atoms. Sein Er-
gebnis ist noch recht ungenau, aber die Größenordnung ist

12
richtig. Genau kennt man die Atomgröße erst seit etwa
40 Jahren. Eine Vorstellung von ihr liefert die Angabe, daß
auf der Strecke eines Millimeters ungefähr 10 Millionen Atome
nebeneinanderliegen können. Die Atome sind also für sich
allein völlig unsichtbar und entziehen sich jeder unmittelbaren
Beobachtung. Sie sind außerordentlich viel kleiner als jene
Sonnenstäubchen, die Demokrit als vergleichbar mit den
Atomen ansah.
In der Folgezeit vollzog sich wieder eine wichtige Entwick-
lung auf dem Gebiet der Elektrizität. Durch Faradays Ent-
deckungen war die Existenz von Atomen der Elektrizität
wahrscheinlich geworden, aber man kannte sie bisher nur in
Verbindung mit Atomen der chemischen Elemente, nicht in
freiem Zustande. Die Entdeckung freier, nicht an Atome der
gewöhnlichen Materie gebundener Elektrizitätsatome gelang
Hittorff in den Kathodenstrahlen, wie ·sie bei elektrischen Ent-
ladungen in hochverdünnten Gasen auftreten. Hittorfi hat von
1824 bis 1914 gelebt. Er beobachtete die Ablenkung der
Kathodenstrahlen in magnetischen Feldern, und aus der Größe
dieser Ablenkung konnte man das Verhältnis der Ladung zur
Masse der in den Kathodenstrahlen bewegten Teilchen be-
rechnen. Nachdem man seit Loschmidt auch die Masse der
einzelnen Atome und damit auf Grund der Entdeckungen
Faradays auch die Größe des Elektrizitätsatoms ungefähr
kannte, -ergab sich daraus im Verein mit dem genannten Ver-
hältnis auch die Größe der Masse, mit denen das Elektrizitäts-
atom in freiem Zustande - in den Kathodenstrahlen - ver-
knüpft ist. Auf Grund neuerer Messungen weiß man, daß sie
etwa 1840mal kleiner ist als die Masse des leichtesten Atoms,
des Wasserstoffatoms.
Nach einem Vorschlag von Stoney bezeichnet man die
ireien Elektrizitätsatome heute als Elektronen.
Von großer Bedeutung ist die Tatsache, daß die Vielfalt
der Massen, wie sie bei den Atomen der Elemente auftritt, bei
den Atomen der Elektrizität fehlt. Die Elektronen sind stets
2"
13
mit der gleichen Masse verknüpft, eine Tatsache, die vortreff-
lich zu der Forderung der Einheitlichkeit in der Natur paßt.
In der Folgezeit entwickelte sich allmählich die Vor-
stellung, daß Elektronen auf irgend eine Weise Bestandteile
der Atome sein könnten. Merkwürdig war, daß man immer
nur die negative Elektrizität in freiem Zustande, als Elek-
tronen, beobachtete, während die positive Elektrizität stets in
Verbindung mit Atomen der Materie auftrat. Das deutete
darauf hin, daß die Atome tatsächlich negative Elektronen als
Bestandteile enthalten. Freie negative Elektrizität kann also
nur auftreten, wenn einem Atom ein Elektron entrissen wird,
wobei ein gleicher Betrag positiver Elektrizität am Rest des
Atoms gebunden zurückbleibt. Aber zu einer klaren Vor-
stellung konnte man damals, vor etwa 50 Jahren, noch nicht
kommen. Man wußte zwar ungefähr, wie schwer die Atome
sind, und welchen Raum sie einnehmen; man wußte, daß sie
elektrische Eigenschaften haben und ein oder mehrere Elek-
tronen enthalten. Aber vom Bau der Atome wußte man noch
so gut wie nichts, und die Frage nach ihrer Gestalt konnte
man überh~upt noch nicht stellen.
Die Lösung dieser Aufgabe war dem 20. Jahrhundert vor-
behalten, dessen Schwelle wir uns in unserer Darstellung der
Geschichte der Atomlehre jetzt nähern. Die Fortsetzung
dieser Geschichte hängt so eng mit dem eigentlichen Thema
dieses guches zusammen, daß sie in den folgenden Kapiteln
nUr im Zusammenhang mit ihm dargestellt werden kann.

14
Zweiter Vortrag

Moleküle und Atome


1. Der Bau der Moleküle

Zur Vorbereitung des eigentlichen Themas soll in diesem


zweiten Vortrag zunächst über den Bau der Moleküle, dann
über den Bau der Atome gesprochen werden.
Denken wir uns ein Stück Silber. Man -kann es zunächst
mit yrobmechanischen Hilfsmitteln unterteilen, etwa in kleine
Stücke zersägen; man kann weiter mit einer Feile ganz kleine,
fast unsichtbare Stäubchen aus ihm machen. Damit ist man
aber noch lange nicht bei den kleinsten Teilchen angelangt.
Wir wischen mit der Hand über das Stück Silber, und dabei
wird eine winzige Menge des Metalls an unserer Hand hängen-
bleiben. Aber auch diese Menge, obwohl kaum oder gar nicht
mehr sichtbar, enthält immer noch außerordentlich viele
Silberatome. Schließlich kann man das Silber erhitzen, so daß
es zum Schmelzen und endlich zum Verdampfen kommt, also
zu einem Gase wird. Dabei wird es sich wohl in seine letzten,
kleinsten Teilchen, seine Atome, zerlegen. Jedenfalls läßt es
sich dann mit mechanischen und chemischen Mitteln nicht
weiter teilen. Silber ist ein reines Element.
Zerlegt man jedoch einen Tropfen Wasser, indem man ihn
verdampft, so kommt man nicht zu einer Aufteilung in Atome
des Wassers. Denn die kleinsten Teilchen, die man auf diese
Weise erhält, die Wassermoleküle, können mit chemischen
Mitteln noch weiter zerlegt werden. Das Wassermolekül ist
noch aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom zu-
sammengesetzt. Wasser ist kein Element.
Von dem Bau eines solchen Moleküls macht sich die
heutige Physik eine ganz bestimmte geometrische Vorstellung.
Das Wasserstoffatom wird mit dem Symbol H, das Sauerstoff-

15
atom wird mit dem Symbol 0 bezeichnet. Mit Hilfe dieser
Symbole wird das Wassermolekül durch folgende Formel an-
schaulich dargestellt:
H H
"'-0/ '
Aus bestimmten Gründen, die wir hier nicht erörtern können,
wird das Wassermolekül als ein dreieckiges Gebilde vor-
gestellt, dessen schematische Darstellung die Abb . 1 zeigt. Die

To
o; z 3 ~ S.Ä()NlL oa
Abb. I. Abb . 2.
Schema des .Wassermoleküls Modell des Sleinsalzkrislalls

Schraffierung deutet die mittlere Verteilung elektrischer La-


dung in den Atomen an.
Geht man vom einzelnen Molekül. zur Substanz über, also
etwa vom Wassermolekül zum Wasserdampf, zum Wasser und
zum Eis, so erweitert sich diese anschauliche Vorstellung in
folgender Weise. Im Wasserdampf schwüren die Moleküle
etwa wie in einem Mückenschwarm in großem, gegenseitigem
Abstande, völlig ungeordnet, hin und her. Ihre Bewegung
hängt auf das engste mit der Temperatur des Dampfes zu-
sammen. Denn Wärme ist stets verknüpft mit einer ungeord-
neten Bewegung der Moleküle. An sehr großen Teilchen kann
man diese sogenannte Brownsche Bewegung, die um so
stärker wird, je heißer der betreffende Stoff wird, bereits mit
einem guten Mikroskop beobachten. In den Flüssigkeiten
liegen die Moleküle ebenfalls ungeordnet, aber dichtgepackt
beieinander und bewegen sich, etwa einem Kasten voll
Ameisen vergleichbar, zwischeneinander hindurch. Im kris tal-

16
linischen festen Stoff liegen die Atome bzw. Moleküle eben-
falls dichtgepackt, aber in einer ganz regelmäßigen Anord-
nung. Die Abb. 2 zeigt ein Modell eines Steinsalzkristalls.
Steinsalz ist eine chemische Verbindung der Elemente Chlor
und Natrium. Die schwarzen Punkte bedeuten Chloratome,
die weißen Natriumatome. Diese wechseln also im Kristall in
ganz regelmäßiger Folge ab. In Wirklichkeit sind auch diese
Atome, je nach der Temperatur des Kristalls, mehr oder
weniger heftig bewegt, und zwar führen sie Schwingungen um
ihre Ruhelagen aus. Das Modell entspricht auch insofern der
Wirklichkeit nicht ganz, indem tatsächlich die Atome dicht,
also ohne Zwischenräume, nebeneinanderliegen.
Nun erhebt sich aber die Frage, was solche anschaulichen
Modelle eigentlich bedeuten, und ob wir nicht Grund haben,
einigermaßen mißtrauisch gegen sie zu sein. Denn da die
Atome zu den kleinsten Einheiten der Materie gehören sollen,
so darf man nicht ohne weiteres erwarten, daß sie sich in
jeder Hinsicht noch so verhalten wie die anschaulichen Dinge
unserer alltäglichen Erfahrung, also etwa wie richtige schwarze
oder weiße Kugeln in einem. räumlichen Kristallmodell. Man
kann mit Recht argwöhnen, daß da, wo wir uns den letzten
Bestandteilen der Materie annähern, auch in irgendeiner Weise
unserem Anschauungsvermögen eine Grenze gesetzt sei. Wir
müssen also erstens fragen, wie groß die Atome wirklich sind,
eine wie starke Vergrößerung man anwenden müßte, um ein
Molekül beispielsweise etwa so groß zu machen wie eine
Billardkugel. Zweitens müssen wir aber fragen, in welchem
Umfange man ein solches anschauliches Modell überhaupt be-
gründen kann, was man mit ihm meint. Hat es einen so un-
mittelbar anschaulichen Sinn, daß man erwarten kann, ein
höchst vollkommenes Mikroskop werde uns in Zukunft einmal
ein solches Bild eines Moleküls tatsächlich enthüllen?
Zunächst zur Frage der Größe der Atome. Natürlich sind
nicht alle Atome gleich groß, aber doch fast alle von der
gleichen Größenordnung. Die Vergrößerung, die man an-
wenden müßte, um ein Atom als ein Gebilde mit einem Durch-

11
messer von etwa t 0 cm zu sehen, ist etwa die gleiche, die man
mit einer Kugel von 1 cm Durchmesser vornehmen müßte, da-
mit sie in der Größe der Erdkugel erscheint. Das gibt einen
ungefähren Begriff von der außerordentlichen Kleinheit der
Moleküle.
Nun zur zweiten Frage nach der Bedeutung eines Molekül-
modells. In den letzten Jahren hat man ein ganz neuartiges
Mikroskop entwickelt, das Elektronenmikroskop, das nicht,
wie das gewöhnliche Mikroskop, mit Lichtstrahlen, sondern
mit Elektronenstrahlen arbeitet. Mit ihm kann man eine sehr
viel größere Auflösung und daher auch eine sehr viel stärkere
Vergrößerung erreichen als mit dem Lichtmikroskop, uml mit
ihm kann man heute schon besonders große Moleküle als
einzelne Teilchen erkennen. Sollte es einmal gelingen, die
Vergrößerung noch um einen Faktor 20 bis 30 zu erhöhen
- allerdings wird das sehr schwierig sein -, so ist es denk-
bar, daß man mit diesem Mikroskop tatsächlich auch ein ein-
zelnes Wassermolekül sichtbar machen kann.
Die Frage ist aber, ob man dann tatsächlich etwas Ähn-
liches sehen würde wie das in der Abb. 1 dargestellte Modell.
Allerdings ist ein Molekül nicht in Ruhe. Es bewegt sich als
Ganzes unter der Wirkung der Temperatur, und seine Be-
standteile führen Schwingungen gegeneinander aus. Man
müßte also schon kinematographische Aufnahmen der Mole-
küle machen. Dann aber würde man als Momentaufnahme tat-
sächlich ein Bild von der Art der Abb. 1 sehen. Daran kann
man nach allem, was wir heute von der Atomphysik wissen,
nicht zweifeln, und diese Feststellung enthält den anschau-
lichen Sinn eines Modells der Art von Abb. 1. Aber das Bild
wäre weg-en der Wärmebewegung dauernden kleinen Ver-
änderungen unterworfen.
vVoher weiß die Physik, daß ein Wassermolekül gerade
aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom besteht, bei-
spielsweise nicht etwa aus 4 Wasserstoffatomen und 2 Sauer-
stoffatomen, was dem gleichen Massenverhältnis beider ent-
sprechen würde? Zur Beantwortung dieser Frage muß man die

18
Gastheorie heranziehen, insbesondere Avogadros bereits er-
wähnte Hypothese, daß die Gase bei gegebenem Druck und
gegebener Temperatur in gleichen Raumteilen stets gleich
viele Moleküle enthalten. Man kann diese Annahme sehr ge-
nau begründen; hier beschränken wir uns darauf, sie ein-
leuchtend zu machen. Der Druck auf die Wände eines mit Gas
gefüllten Gefäßes kommt ja dadurch zustande, daß die Gas-
moleküle wie ein Regen gegen sie prasseln und an ihnen
zurückgeworfen werden. Die Summe dieser Stöße ergibt einen
Druck gegen die Wand. Dieser hängt also offenbar von der
Bewegungsenergie der Moleküle ab. Diese wiederum hängt
von der Temperatur des Gases ab. Seit BoItzmann weiß man,
daß die Moleküle aller Gase bei gleicher Temperatul' stets die
gleiche durchschnittliche Bewegungsenergie haben. Enthalten
sie nun in gleichen Raumteilen gleich viele Moleküle, so muß
bei gleicher Temperatur auch ihr Druck der gleiche sein. Das
ist der eigentliche Inhalt der Avogadroschen Hypothese.
Ferner muß man die chemischen Tatsachen zu Rate ziehen.
Die bereits erwähnte Tatsache, daß sich je 2 g "Wasserstoffgas
un!;l 16 g Sauerstoffgas zu 18 g Wasserdampf verbinden, kann
man durch die folgende Formel darstellen:

2 g Wasserstoff + 16 g Sauerstoff = 18 g Wasserdampf.

Statt des Massenverhältnisses kann man auch das Volum-


verhältnis untersuchen, in dem sich Wasserstoff und Sauer-
stoff bei gleicher Temperatur verbinden. Die Experimente zei-
gen, daß sich z. B. 1 Liter Wasserstoff und 1/2 Liter Sauerstoff
zu 1 Liter Wasserdampf vereinigen. Das ergibt die Formel:

1 Liter Wasserstoff + 1/2 Liter Sauerstoff = 1 Liter


Wasserdampf.

Aus diesen beiden Formeln kann man ohne weiteres einen


Schluß auf das Massenverhältnis der drei Molekülarten ziehen.
Da 1 Liter stets gleich viele Gasmoleküle enthält, so ist für
jedes der drei Gase nur das Verhältnis ihrer obengenannten
Massen und Volumina zu bilden, und man erhält Zahlen, die

19
den Massen ihrer Moleküle proportional sind. Auf diese
Weise ergibt sich:

Wasserstoffgas 2 g/Liter, Sauerstoffgas 32 g/Liter,


Wasserdampf 18 g/Liter.

Demnach sind die Massenverhältnisse der drei Molekülarten:


Wasserstoffgas : Sauerstoff: Wasserdampf = 2: 32 : 18.

Diesem Tatbestand entspricht am einfachsten die auch


durch andere Erfahrungen bestätigte Annahme, daß ein
Wasserstoffmolekül aus zwei Atomen vom Atomgewicht 1 be-
steht, also das Molekulargewicht 2 hat. Entsprechend besteht
ein Sauerstoffmolekül auch aus zwei Atomen Sauerstoff vom
Atomgewicht 16 und hat das Molekulargewicht 32. Das
Wassermolekül schließlich besteht aus 2 Atomen Wasserstoff
und 1 Atom Sauerstoff und hat daher das Molekulargewicht
2' 1 + 16 = 18. Die Verbindung kann man durch folgende
Formel b~schreiben'

Auf entsprechende Weise lassen sich die Atomgewichte aller


Elemente und die Molekulargewichte aller chemischen Ver-
bindungen ermitteln. Dabei ist die Einheit des Atomgewichts
so festgesetzt, daß sie genau 1116 des Atomgewichts des Sauer-
stoffs sein soll, dieser also das genaue Atomgewicht 16,0000
haben soll. Ebenso ist das Molekulargewicht ein Maß für die
Masse eines Moleküls, gemessen in der gleichen Einheit.
Schon früher wurde über den Begriff Mol gesprochen.
Ein Mol ist die Menge eines Stoffes, welche so viele Gramm
wiegt, wie das Molekulargewicht des Stoffes angibt. So ist
1 Mol Wasserstoffgas (H2) 2 g, 1 Mol Sauerstoffgas (02) 32 g,
1 Mol Wasser (H20) 18 g. Die Massen von 1 Mol verschie-
dener Stoffe verhalten sich also stets genau wie ihre Mole-
kulargewichte, demnach auch wie die Massen ihrer einzelnen
Moleküle. Daraus folgt ohne weiteres, daß in 1 Mol jedes be-
liebigen Stoffes stets die gleiche Zahl von Molekülen enthalten

20
ist. Ganz analog wird der Begriff 1 Grammatom definiert als
diejenige Menge eines Elements, welche soviel Gramm wiegt,
wie das Atomgewicht des Elements angibt. Es ist also
1 Grammatom Wasserstoff (H) 1 g, 1 Grammatom Sauer-
stoff (0) 16 g. Offensichtlich enthält auch 1 Grammatom jedes
beliebigen Elements stets die gleiche Zahl von Atomen, und
zwar ebensoviele, wie Moleküle in 1 Mol enthalten sind. Die
Einführung dieser Begriffe ist von großer Bedeutung, weil sie
uns erlaubt, Moleküle oder Atome sozusagen durch Wägung
abzuzählen, und daher ist es in höchstem Maße wichtig, die
Zahl der Moleküle in 1 Mol genau zu kennen. Diese Zahl hat,
wie schon erwähnt, zuerst Loschmidt 1865 wenigstens der
Größenordnung nach richtig berechnet. Die erste recht zu-
verlässige Berechnung erfolgte aber erst im Jahre 1900 auf
Grund des Planckschen Strahlungsgesetzes. Der zuverlässigste
Wert dieser wichtigen Loschmidtschen Zahl beträgt heute

L = 6,024' 1023 •

Die Zahl der Moleküle in. 1 Mol eines Stoffes, zum Beispiel in
32 g Sauerstoffgas, beträgt also fast 1 Quadrillion.
Die Kenntnis der Loschmidtschen Zahl vermittelt auch eine
genaue Kenntnis der Massen der einzelnen Atome und Mole-
küle in der üblichen Einheit 1 g. Da z. B. 1 Mol Wasserstoffgas
2 g wiegt, so ergibt sich durch Division mit der Loschmidt-
schen Zahl ohne weiteres, daß die Masse eines Wasserstoff-
moleküls (H2) 3,34' 10-24 g, also diejenige eines Wasserstoff-
atoms (H) 1,61' 10-24 g beträgt. Entsprechend kann man die
Masse aller anderen Atome und - bei Kenntnis ihrer Zu-
sammensetzung aus Atomen - aller Molekülarten berechnen.
Nunmehr wenden wir uns zu der Größe der Ladung, die
bei der Elektrolyse mit einem Atom oder Molekül verbunden
ist, also zum Elektrizitätsatom, dem Elektron. Wir haben
schon berichtet, daß mit 1 Mol oder 1 Grammatom eines ein-
wertigen Stoffes stets eine Elektrizitätsmenge von

F = 96 520 Coulomb

21
verbunden ist. Von der Größe dieser Ladung kann man sich
schwer eine anschauliche Vorstellung machen. Sie ist viel
größer als jede Ladung, die im Laboratorium auf einem ein-
zelnen Körper vereinigt werden kann. Trügen die Erde und
der Mond je eine solche Ladung, so würden sie sich auf ihren
riesigen Abstand doch noch mit einer Kraft anziehen oder ab-
stoßen, die dem Gewicht von einigen Zentnern entspricht.
Das also ist die Ladung von 1 Mol oder 1 Grammatom eines
einwertigen Stoffes. Da aber 1 Mol oder Grammatom stets
gleich viele Moleküle oder Atome enthält, und zwar so viele,
wie die Loschmidtsche Zahl angibt, so erhält man die Ladung
eines einzelnen einwertigen Moleküls oder Atoms, wenn man
die Äquivalentladung F durch die Loschmidtsche Zahl dividiert,
also F/L bildet. Sie beträgt e = 1,6' 10-19 Coulomb oder
4,8 . 10--10 elektrostatische Einheiten, ist also eine überaus·
kleine Ladung. Man nennt diese Ladung des Elektrizitätsatoms
das elektrische Elementarquantum, da eine elektrische Ladung
immer nur in ganzzahligen - positiven oder negativen - Be-
trägen desselben vorkommen kann. Diese Zahl sowie mehrere
weitere wichtige Größen der Atomphysik; sind in der Tabelle I
am Schluß des Buches zusammengestellt.
Schon früher wurde erwähnt, daß man aus der Ablenkung-
von Kathodenstrahlen, also von Elektronen, in magnetischen
und elektrischen Feldern das Verhältnis der Ladung zur Masse
der Elektronen ermittelt hat. Nachdem man den Betrag ihrer
Ladung kenrit, kann man auch die Masse der Elektronen be-
rechnen. Sie beträgt nur etwa 111840 der Masse des Wasserstoff-
atoms, nämlich 9,1 . 10-28 g. (Sie ist in der Tabelle I als Ruhe-
masse bezeichnet, weil die Masse der Körper bei großen
Geschwindigkeiten wächst.)
Bis vor nicht langer Zeit hatte man nur Elektronen mit
negativer Ladung gefunden, ihr positives Gegenstück wurde
erst im letzten J ahrzehni entdeckt. Es ist unter normalen Be-
dingungen überaus kurzlebig und verschwindet im allgemeinen
kurz nach seiner Entstehung. Hiervon abgesehen, tritt also eine
positive Ladung - lind zwar ebenfalls stets nur in Beträgen

22
eines oder mehrerer Elementarquanten - immer nur gebunden
an Massen von atomarer Größenordnung auf. Schon diese Er-
fahrung legt den Gedanken nahe, daß die Masse des Atoms an
positive Ladung geknüpft ist, die durch negative Elektronen
neutralisiert wird, und daß die Bildung von Ionen durch die
Abspaltung oder Anlagerung von Elektronen zustande kommt.
Von dieser Vermutung bis zur Begründung eines richtigen
Atommodells war aber noch ein weiter Weg.

2. Das Atommodell von Rutherford


Erst kurz vor der Jahrhundertwende bahnte sich die neue
entscheidende Entwicklung auf dem Gebiet der Atomphysik
an. Sie begann mit einer Entdeckung, die eigentlich gar nicht
unmittelbar mit der Atomphysik zu tun hatte, nämlich mit der
Entdeckung der Röntgenstrahlen durch' Wilhelm Röntgen im
Jahre 1895. Sie hat uns zunächst nur mit einer neuen Strahlen-
art bekanntgemacht, die wir zwar nicht unmittelbar mit unseren
Sinnen wahrnehmen können, die aber der physikalischen Mes-
sung zugänglich ist, und die das Erstaunen der Welt durch ihre
Fähigkeit erregte, dicke StoffschichteR zu durchsetzen.
Bei der Suche nach anderen, ähnlichen Strahlen entdeckte
bereits im folgenden Jahre der Franzose Becquerel, daß be-
stimmte Stoffe, insbesondere die Verbindungen des Urans, ganz
von selbst, ohne äußere Beeinflussung, Strahlen von ähnlicher
Durchdringungsfähigkeit aussenden. Man nannte diese Er-
scheinung Radioaktivität. Aus ihrer Entdeckung ist die heutige
Atomtheorie erwachsen. Ihr folgte schnell eine Reihe weiterer,
wichtiger Fund'e. Schon 1898 gelang es dem Ehepaar Curie, aus
Uranerzen einen viel stärker radioaktiven Stoff abzutrennen,
den sie wegen seiner ungeheuer starken Radioaktivität Radium
- das Strahlende - nannten.
In diesem Zeitpunkt griff der eigentliche Begründer der
modernen Atomtheorie, EInest Rutherford, zum erstenmAl in
die Entwicklung der Phys-ik ein. Rutherford ist 1871 in Nelson
auf Neuseeland geboren und 1937 in Cambridge (England) ge-
storben. Er entdeckte damals, kurz nach dem Bekanntwerden
23
der Radioaktivität, daß von den radioaktiven Stoffen ver-
schiedene Strahlenarten ausgesandt werden, die sich durch
ihre verschiedene Fähigkeit, Stoffe zu durchdringen, unter-
scheiden. Man nennt sie Alpha-, Beta- und Gammastrahlen.
Die Alpha- und Betastrahlen werden von magnetischen Feldern
abgelenkt, sind also elektrisch geladen, die Alphastrahlen posi-
tiv, die Betastrahlen negativ. Die Gammastrahlen sind nicht
ablenkbar; also jedenfalls nicht geladen.
Die genauere Untersuchung der Alphastrahlen ergab, daß
es sich um schnellbewegte Teilchen handelt, welche mit zwei
positiven Elementarquanten geladen sind, und deren Masse der
eines Heliumatoms (Atomgewicht 4) entspricht. Die Teilchen
der Betastrahlen tragen nur ein einziges, negatives Elementar-
quantum und ihre Masse ist gleich der Masse der Elektronen.
Die Betastrahlen bestehen also aus schnellbewegten negativen
Elektronen. Die Gammastrahlen schließlich stimmen in ihren
allgemeinen Eigenschaften mit den Röntgenstrahlen überein.
Es gibt ein sehr schönes Verfahren, um diese Strahlen sicht-
bar zu machen. Es ist von Wilson entwickelt worden. In einer
Kammer, der sogenannten Nebelkammer, welche mit Wasser-
dampf gesättigte Luft enthält, wird eine plötzliche Ausdehnung
der Luft vorgenommen. Dabei kühlt sich die Luft ab, und der
Wasserdampf wird übersättigt. Er neigt dann zur Konden-
sation, kann sich aber noch eine Zeitlang im übersättigten Zu-
stande halten. Wenn sich in diesem Augenblick ein Alpha-
teilchen durch die Kammer bewegt, so reißt es längs seiner
Bahn von den Luftatomen Elektronen ab, so daß die Luftmole-
küle positiv geladen zurückbleiben. In diesem geladenen Zu-
stand nennt man sie positive Ionen. Diese Ionen begünstigen
die Kondensation des übersättigten Wasserdampfs; sie bilden
sogenannte Kondensationskerne, an denen sich der Wasser-
dampf zu kleinen Tröpfchen verdichtet. So entsteht längs der
ganzen Bahn des Teilchens eine feine Spur von Wasser-
tröpfchen und liefert ein Bild dieser Bahn. Das a-Teilchen
hinterläßt also einen Kondensstreifen, ähnlich wie ein flug-
zeug in großer Höhe. Ein solches Bild zeigt die Abb. 3.

24
Das radioaktive Präparat steht im unteren Teil der Kammer.
Die Spuren der einzelnen Alphateilchen, also von Gebilden
atomarer 'Größe, sind deutlich erkennbar. Im allgemeinen sind

Abb, 3. Alphastrahlen in der Nebelkammer

ihre Bahnen in Luft 6 bis 8 cm lang und nehmen dann ein plötz-
liches Ende. Die Länge der Bahn nenrit man die Reichweite der
Alphastrahlen.
Es ist im Grunde sehr merkwürdig, daß die Alphateilchen
so weite Strecken überhaupt geradlinig zurückzulegen ver-
mögen. Man kann leicht berechnen, daß sie auf ihrem Wege
mit außerordentlich vielen Atomen zusammenstoßen müssen.
Das folgt ja auch schoJ;l aus der großen Zahl der gebildeten
Wassertröpfchen. Danach scheint es, als seien die Atome für
solche Teilchen nicht undurchlässig, als könnten diese viel-
mehr im allgemeinen ziemlich ungestört durch die Atome hin-
durchgehen. Offenbar finden sie auf ihrem Wege nur ganz
selten ein wirkliches Hindernis.
Schon früher hatte Lenard den Durchgang schneller Elek-
tronen durch Materie untersucht und gefunden, daß die Elek-
tronen merkwürdig dicke Materieschichten zu durchdringen
vermögen. Er war dadurch zu der Vorstellung gekommen, daß

25
offenbar der von einem Atom eingenommene Raum zum
größten Teil leer ist, und daß nur einzelne Kraftzentren, die
Lenard Dynamiden nannte, den Lauf der Elektronen stark'be-
einflussen. Den entscheidenden Schritt von ähnlichen Unter-
suchungen zum ersten Atommodell hat Rutherford getan. Er
untersuchte den Durchgang von Alphateilchen durch dünne
Metallfolien und zog aus der großen Seltenheit merklicher Ab-
lenkungen den Schluß, daß nur ein ganz kleiner Teil des
Atoms den Alphateilc-hen einen Widerstand bietet, und daß
dieser ganz kleine Teil fast die ganze Masse des Atoms in sich
vereinigt. Wem'l es sich nicht so verhielte, wären auch so
große Ablenkungen, wie man sie gelegentlich beobachtet, nach
den Gesetzen des elastischen Stoßes gar nicht möglich. Die
Größe des tatsächlich von Masse erfüllten Raumteils konnte
Rutherford aus seinen Messungen berechnen. Der ganze, über-
wiegende Rest des von dem Atom eingenommenen Raumes
muß praktisch so gut wie leer sein. Rutherfords Mitarbeiter
Geiger und Malsden konnten weiter feststellen, daß die Ab-
lenkungen der - ja positiv geladenen - Alphateilchen von
elektrischen Kräften herrühren und durch eine ebenfalls posi-
tive Ladung des zentralen Teiles des Atoms zustande kommen.
Dieser und das Alphateilchen stoßen sich offenbar nach dem
bekannten Coulombschen Gesetz ab.
Rutherford entwickelte aus diesen Ansätzen das folgende
Atommodell. Ein Atom besteht aus einem positiv geladenen
Atomkern, der fast die gesamte Masse des Atoms in sich ver-
einigt, der aber nur einen winzigen Bruchteil des ganzen Atom-
volumens einnimmt. Die positive Ladung des Kerns wird nach
außen kompensiert durch Elektronen, welche - durch die An-
ziehung des Kerns festgehalten - in relativ großen Abständen
um den Atomkern kreisen. Die Gesamtheit dieser Elektronen
bezeichnet man als die Atomhülle. Man steIlt sich also das
Atom wie ein Planetensystem im winzig Kleinen vor. Die An-
zahl der Elektronen wird durch die Ladung des Kerns bestimmt.
Da jedes Elektron ein negatives Elementarquantum trägt, so

26
muß ihre Anzahl ebenso groß sein wie die Zahl der vom Kern
getragenen positiven Elementarquanten, um insgesamt ein
elektrisch neutrales Atom zu ergeben. Diese Anzahl der Elek-
tronen ist offenbar maßgebend für alle äußeren Eigenschaften
des Atoms, so vor allem auch für die Kräfte, die es auf andere
Atome auszuüben vermag, das heißt für sein chemisches Ver-
halten, welches also letzten Endes durch die Ladung des Atom-
kerns bestimmt wird.
Um einen Begriff von den Größenverhältnissen im Atom
zu erhalten, stelle man sich ein Atom nebst seiner Hülle von
Elektronen als eine Kugel mit .einem Durchmesser von 10 cm
vor. In dieses Bild könnte man die Elektronen und den Kern
überhaupt kaum maßstabgerecht einzeichnen. Dazu sind sie
zu klein. Der Atomkern wäre ein winziges
Stäubchen mit einem Durchmesser von etwa
1/100 mm, und die Elektronen wären etwa ebenso

groß.
Das leichteste Atom, das Wasserstoffatom,
besteht aus einem Kern mit einem einzigen
Elementarquantum und besitzt daher in seiner Abb.4.
Schema des
Hülle auch nur ein einziges Elektron. Man Wasserstoffatoms
sagt, der Kern hat die Ladung 1. Wenn man
sich von diesem Atom eine anschauliche Vorstellung machen
will, so muß man bedenken, daß das Elektron sich um den
Kern herum bewegen muß - wie ein Planet um die
. Sonne -, sonst würde es in den Kern hineinstürzen. Man
muß also die Bahn des Elektrons zeichnen, und wir wollen mit
Bohr zunächst als Arbeitshypothese voraussetzen, sie sei eine
Kreisbahn (Abb.4).
Das Wasserstoffatom ist das einfachste Atom. Ihm folgt als
nächstes das Heliumatom mit der Ladung 2, also mit zwei posi-
tiven Elementarquanten im Kern und mit zwei Elektronen in
der Hülle. Und so geht es weiter bis zum schwersten Atom,
dem Uran atom, das die Kernladung 92 hat. In der Tabelle 11
am Schluß des Buches sind die entsprechenden Angaben zu
finden.
3 Heisenberg, Atomkerne
27
Wiederum erhebt sich hier die Frage, inwieweit die durch
'das Atommodell von Rutherford gelieferte anschauliche Vor-
stellung wörtlich genommen werden darf. Kann man wohl er-
warten, daß man mit einem idealen Ubermikroskop die Elek-
tronen wirklich einmal um den Kern herumlaufen sehen wird?
Auch jetzt müßte man wegen der Bewegung des Elektrons auf
jeden Fall Momentaufnahmen machen. Nach unserer -heutigen
Kenntnis kann man nicht daran zweifeln, daß eine solche Mo-
mentaufnahme des Wasserstoffatoms uns tatsächlich ein Bild
eines Atoms von der Art geben würde, wie wir es eben be-
schrieben haben: zwei Punktladungen in einem Abstand der
Größenordnung ein zehnmillionstel Millimeter. Das ist der an-
schauliche Sinn des Rutherfordschen Atommodells. Natürlich
wäre das kein Bild in bestimmten Farben; Unsere Aufnahme
wird ja auch gar nicht mit Lichtstrahlen, sondern mit Elek-
tronenstrahlen gemacht. Aber zweifellos würde eine solche Mo-
mentaufnahme eines Wasserstoffatoms zwei Teilchen zeigen,
den Atomkern und ein Elektron.
Wenn man aber aus dem Elektronenmikroskop eine Art
von Kinematographen machen würde, könnte man dann wohl
auch die Bewegung des Elektrons um den Atomkern verfolgen,
die Bahn bestimUJ,en? Hier stoßen wir auf eine grundsätzliche
Schwierigkeit, die deutlich macht, daß wir bei unserem Atom-
modell bereits an den Grenzen der Anschaulichkeit angekom-
men sind. Nachdem wir nämlich die erste Aufnahme unseres
Films gemacht haben, sind wir gar nicht mehr in der Lage,
eine zweite Aufnahme des gleichen Atoms zu machen, denn
wir finden es nicht zum zweitenmal ungestört vor. Durch die
Elektronen, welche die erste Aufnahme bewirkten, wird das
Atom bereits zerstört. Der Anprall der zur Abbildung benutz-
ten Elektronen reißt das eigene Elektron des Atoms aus dem
Atomverband heraus, und das, was die zweite Aufnahme
zeigen würde, wäre jedenfalls nicht mehr das gleiche, unver-
änderte Atom. Bestenfalls würden wir das Elektron bei der
zweiten Aufnahme irgendwo weit draußen, fern vom Atom-
kern, vorfinden.

28
Es ist also offenbar grundsätzlich unmöglich, die Bahn eines
Elektrons im Atom zu beobachten. Das liegt aber nicht an
irgendeiner - vielleicht noch behebbaren - Unzulänglichkeit
unseres idealen Mikroskops, das als so günstig angenommen
wurde, wie die Naturgesetze es irgend zulassen. Es liegt viel-
mehr an den Naturgesetzen selbst. Eine scharfe Aufnahme
eines Atoms ist naturgesetzlieh nur möglich, wenn es mit sehr
gewaltsamen Mitteln angegriffen wird, also etwa mit einem
Elektronenmikroskop, in dem die Elektronen durch eine sehr
hohe Spannung beschleunigt werden. Dann aber ist es unver-
meidlich, daß das Elektron des Atoms aus seiner Bahn ge-
rissen wird.
Es kann uns daher nicht wundern, wenn wir hier an die
Grenzen der Anschaulichkeit kommen und wenn die Vorstel-
lung von den um den Kern kreisenden Elektronen nicht mehr
in dem gleichen Sinne wörtlich genommen werden darf wie
die Vorstellung, daß eirt Wassermolekül aus zwei Wasserstoff-
atomen und einem Sauerstoffatom besteht, die in Form eines
Dreiecks angeordnet sind.
Die Grenze, die hier der Anschaulichkeit gesetzt ist, kann
durch eine Beziehung, die "Unbestimmtheitsrelation", die aus
der Quantentheorie folgt, genauer formuliert werden. Sie läßt
sich am einfachsten etwa in folgender Form ausdrücken: Man
kann nie die beiden für die Bewegung entscheidenden Bestim-
mungsstücke eines solchen kleinsten Teilchens - etwa seinen
Ort und seine Geschwindigkeit - gleichzeitig genau kennen.
Man kann nie gleichzeitig wissen, wo es ist und wie sChnell
und in welcher Richtung es sich bewegt. Wel'lD man ein Ex-
periment macht, das genau angibt, wo es sich im Augenblick
befindet, so wird die Bewegung in solchem Grade gestört, daß
man das Teilchen nachher gar nicht mehr wied~rfinden kann.
Umgekehrt wird bei einer genauen Messung der Geschwindig-
keit das Bild des Ortes völlig verwischt.
Damit habe ich aber schon vorgegriffen und das Ende einer
Entwicklung geschildert, die ich nunmehr von Anfang an skiz-
zieren muß.
3*
29
Das Atommodell hat - ganz abgesehen von der Schwie-
rigkeit der anschaulichen Vorstellung - auch sonst noch
einige Züge, die gar nicht in die Erfahrung zu passen scheinen.
Ein um einen Atomkern kreisendes Elektron sollte nach
unserem ganzen früheren Wissen gar nicht beliebig lange in
einer Kreis- oder Ellipsenbahn um einen Atomkern kreisen
können. Es ist ja erstens elektrisch geladen, und zweitens
führt es Schwingungen um den Kern aus. Genau wie die
Schwingungen von Elektronen in einer Rundfunkantenne eine
elektrische Welle erzeugen, so sollte auch von dem am Atom
schwingenden Elektron eine StrahlunlJswelle ausgehen, -die
wir in diesem Fall als ultraviolettes I,.icht beobachten würden.
Das wäre aber mit der Ausstrahlung von Energie verbunden,
die auf Kosten der Bewegungsenergie des kreisenden Elek-
trons gehen müßte, und das hätte zur Folge, daß das Elektron
nach einiger Zeit in den Kern stürzen und zur Ruhe kommen
müßte. Also ganz anders, als es uns das Atommodell mit
seinen unveränderlich kreisenden Elektronen darstellt. Und
selbst wenn man dieser Strahlung auf irgendeine Weise ent-
gehen könnte, so wird doch die ganze Stabilität der che-
mischen Eigenschaften der Atome aus dem Rutheriordschen
Modell in keiner Weise verständlich.
Die Aufgabe, die Stabilität der Atome mit dem Atommodell
von Rutherford in Einklang zu bringen, hat der Däne Niels
Bohr im Jahre 1913 gelöst, und zwar dadurch, daß er die von
Max Planck begründete Quantentheorie zur Grundlage seiner
Betrachtungen machte. Planck hatte im Jahre 1900 - zunächst
rein empirisch - sein Strahlungs gesetz aufgestellt, das die
Wärmestrahlung des sogenannten schwarzen Körpers (das
heißt eines Körpers, der so beschaffen ist, daß er jegliche auf
ihn fallende Strahlung absorbiert und deshalb nach einem von
Kirchhoit stammenden Gesetz auch am stärksten von allen
Körpern strahlt) in Ubereinstimmung mit der Erfahrung wieder-
gibt. Bei dem Versuch, diesem Gesetz nachträglich eine phy-
sikalische Deutung zu geben, war Planck auf eine höchst
eigentümliche Unstetigkeit im Naturgeschehen gestoßen. Er

30
konnte sein Strahlungsgesetz nur mit Hilfe der merkwürdigen
Annahme begründen, daß die kleinsten strahlenden Teilchen,
also doch wohl die Atome, nicht - wie es nach dem bis-
herigen Wissen hätte sein sollen - die stetige Folge aller
möglichen Energiewerte ihrer Schwingungen annehmen kön-
nen, sondern nur eine Folge ganz bestimmter, verschiedener
Energiewerte. Es schien sogar so - wie spätere Forschungen
gezeigt haben -, als komme auch der ausgesandten Strahlung
dieser Zug von Diskontinuität, von Unstetigkeit, zu, als be-
stehe das Licht, das man sich bis dahin als einen Wellenvor-
gang vorgestellt hatte, aus einzelnen Energiequanten. Planck
erkannie, daß Licht von der Schwingungszahl v in Energie-
quanten ausgesandt und absorbiert werden müsse, deren Größe
der Schwingungszahl proportional ist, und setzte ihre Energie
gleich h v. Die hier auftretende Konstante h, das Plancksche
Wirkungs quantum, ist auch in der Tabelle I verzeichnet. Im
Zeichen dieser Naturkonstanten steht seit einigen Jahrzehnten
die Entwicklung der gesamten Physik.
Mit der Aufstellung des Begriffs der Energiequanten des
Lichtes, der Lichtquanten, trat eine sehr sonderbare Lage ein.
Es steht einerseits fest, daß man gewisse Erscheinungen beim
Licht, nämlich die Interferenzerscheinungen, auf keine andere
Weise anschaulich verstehen kann, als dadurch, daß man sich
das Licht als einen Wellenvorgang vorstellt. Für das Ver-
ständnis anderer Erscheinungen dagegen ist die Vorstellung
von den Lichtquanten ebenso zwingend. In diesem Bilde aber
erscheint da.s Licht nicht als eine Welle, die sich rings im
Raum ausbreitet, sondern wie eine Menge von Teilchen, die
geradlinig durch den Raum fliegen. Man kommt also nicht ohne
zwei völlig verschiedene anschauliche Vorstellungen vom
Lichte aus. Man kann von einem Dualismus von Wellen und
Teilchen sprechen, von einem Wellenbild und einem Teilchen-
bild des Lichtes.
Bohr knüpfte nun an das soeben erwähnte Moment von
Unstetigkeit im atomaren Geschehen an und machte die An-
nahme, daß die Atome nur in ganz bestimmten Zuständen, die
31
durch bestimmte Elektronenbahnen, d. h. ganz bestimmte Ener-
giestufen ihrer Elektronen gekennzeichnet sind, längere Zeit
existieren können und daß sie in diesen stationären Zuständen
nicht strahlen. Diese Hypothese erklärte die Stabilität der
Atome; aber es war noch ein weiter Weg von ihr .bis zur
Kenntnis der Naturgesetze, nach denen sich die Hülle eines
Atoms aufbaut.
Im ersten Jahrzehnt der Bohrschen Theorie wurde das Ver-
ständnis der chemischen Eigenschaften der Elemente auf Grund

Abb. 5. Interferenzringe von Röntgenstrahlen

der Quantentheorie erschlossen. Ein weiterer entscheidender


Schritt gelang dem Franzosen de Bro!!lie, der im Jahre 1924
erkannte, daß der merkwürdige Dualismus, der das Licht ein-
mal als Welle, ein anderes Mal als einen Schwarm von Teil-
chen erscheinen läßt, nicht nur dem Licht, sondern genau so
auch der Materie zukommt. Dieser Entdeckung folgte schließ-
lich die Aufstellung der Wellen- oder Quantenmechanik, durch
die die Theorie der Atomhülle einen gewissen Abschluß fand.
Den genannten Dualismus, die Doppelnatur der Materie,
wollen wir uns an zwei Bildern deutlich machen. Zunächst be-

32
trachten wir noch einmal die Bahnen der Alphateilchen in der
Abb.3. Hier tritt. uns ihre Teilchennatur auf das handgreif-
lichste vor Augen. Man kann beim Anblick dieser Bahnen
schlechterdings nicht zweifeln, daß hier wirklich sehr kleine
Teilchen durch den Raum geflogen sind und gelegentlich eine
Ablenkung erfahren haben.
Andererseits gibt es aber Experimente, die mit genau der
gierehen Sicherheit darauf deuten, daß es sich bei den Alpha-
strahlen nicht um Teilchen, sondern um Wellen handelt, -die

Abb. 6. Interferenzringe von Betastrahlen

von derStrahlenquelle ausgehen. Den Nachweis will ich nicht


an Alphastrahlen erbringen, sondern an Betastrahlen, deren
Teilchennatur sich ebenfalls in zahlreichen Versuchen enthüllt,
genau wie diejenige der Alphastrahlen. Läßt man Betastrahlen
durch dünne Materieschichtenhindurchtreten, so zeigen sie
genau die gleiche Art von Inferenzerscheinungen, wie man sie
unter entsprechenden Verhältnissen auch bei den Röntgen-
strahlen beobachtet, die man gewohnt ist, als eine typische
Wellenstrahlung anzusehen. Die Interferenzerscheinung besteht
darin, daß ein zentraler Strahl, der durch die Materieschicht
dringt, von Interferenzringen umgeben ist, die man anschaulich
nur durch eine Uberlagerung abgebeugter Wellen deuten kann.
Zum Vergleich bringen wir zwei Aufnahmerl, eine (Abb. 5), die
Röntgenstrahlen und eine (Abb. 6), die mit Betastrahlen gemacht
ist, und zwar eine der ersten Aufnahmen dieser Art. Sie unter-
scheiden sich höchstens durch ihre Güte.
33
Man kann also gar nicht daran zweifeln, daß die Elektronen
eine merkwürdige Doppelnatur haben. Einerseits kann man sie
einwandfrei als Teilchen beobachten, und man darf auch über-
zeugt sein, daß eine Momentaufnahme eines Atoms ein Bild von
der Art der Abb. 4 liefern würde. Aber andererseits erscheinen
sie auch als Wellen, und auch diese Wellennatur kann man be-
nutzen, um ein Bild vom Atom zu gewinnen; das sieht dann aber
erheblich anders aus.
Die heutige Physik benutzt das Wellenbild und das Teil-
chenbild gleichberechtigt nebeneinander. Denn wir wissen, in
welchem Fall das eine oder das andere Bild anzuwenden ist, und
daß keines von beiden den ganzen Sachverhalt in sich be-
greift.
Mit der anschaulichen Vorstellung vom Atom ist es also
recht schwierig bestellt; wir sind hier offenbar an der Grenze
der Anschaulichkeit angekommen. Das ist aber auch verständ-
lich. Was man bestenfalls vom Atom beobachten kann, ist, wie
wir gesehen hal;>en, das Ergebnis einer einzigen Momentauf-
nahme. Eine solche liefert aber nie die Bahn des Elektrons, son-
dern nur zwei Punkte: den Kern und das Elektron an seinem
momentanen Ort. Wenn man nun sehr viele solche Aufnahmen
nacheinander an verschiedenen Atomen der gleichen Art macht,
so wird man das Elektron bald hier, bald dort, in größeren oder
kleineren Abständen vom Kern vorfinden, hier häufiger, dort
seltener. Dadurch ergibt sich insgesamt ein Bild von der Wahr-
scheinlichkeit, das Elektron an diesem oder jenem Ort in der
Umgebung des Kerns anzutreffen, eine sogenannte Wahrschein-
lichkeitsverteilung des Elektrons. Die Gesamtheit solcher Auf-
nahmen können wir aber auch - indem wir sie sozusagen in
einen einzigen Augenblick zusammenraffen - als ein Bild der
durchschnittlichen Dichteverteilung der Elektrizität in der Um-
gebung des Kerns ansehen. Eine solche Dichteverteilung hat
dann schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem Wellenvor-
gang, nämlich mit einer stehenden Welle. Stellen wir uns ste-
hende Wellen negativ elektrischer Materie vor, die um den
Atomkern schwing~m, so würden auch sie einer bestimmten
34
Dichteverteilung dieser Materie entsprechen. Tatsächlich kann
man die de Broglieschen Materiewellen so deuten, daß das Qua-
drat der Wellenamplitude an einem bestimmten Ort die Materie-
dichte an jener Stelle angibt. Man kann aber ebensogut sagen,
daß sie die Wahrscheinlichkeit dafür angibt, daß bei einer Mo-
mentaufnahme das Elektron gerade an jenem Ort angetroffen
wird. Diese stehenden Wellen in der Umgebung des Atomkerns
hat Schrödinger untersucht, sie bilden den Gegenstand seiner
Wellenmechanik. Auf Grund dieser stehenden Wellen ergibt
sich eine stationäre Verteilung der Elektrizität in der Umgebung
des Atomkerns, und damit wird es verständlich, daß es strah-
lungslose, stationäre Zustände des Atoms gibt. Eine der oben-
erwähnten Schwierigkeiten des Atommodells ist damit behoben.
Die einzelnen an einem Atom möglichen stehenden Materie-
wellen bilden keine kontinuierliche Folge, ebensowenig wie die
einzelnen Eigenschwingungen einer Saite. Eine Saite kann
in ihrer Grundschwingung schwingen; dann besitzt sie keinen
Schwingungsknoten. Sie kann aber auch eine Oberschwingung
ausführen, dann besitzt sie einen oder mehrere Schwingungs-
knoten. Genau so kann ein Atom in seinem Grundzustand
"schwingen"; dann hat es keinen "Knoten", d. h. keine Flächen,
auf denen die Materiedichte verschwindet. Es kann aber auch
in einer Oberschwingung - in einer angeregten Schwingung,
wie man sagt - schwingen, dann gibt es einen oder mehrere
Knotenflächen mit .der Ladung O. Diesen verschiedenen stehen-
den Schwingungen entsprechen die verschiedenen stationären
Zustände, die ein Atom einzunehmen vermag.
Diese Verhältnisse sollen bei dem einfachsten Atom, dem
Wasserstoffatom, durch Bilder veranschaulicht werden. Der
Grundzustand des Wasserstoffatoms (mit dem Symbol 1 s be-
zeiehnet) ist von Bohr 1913 als eine Kreisbahn des Elektrons
um den Kern beschrieben worden (Abb. 4). Das ist eine an-
schauliche Vorstellung im TeiIchenbiId. Das Elektron besitzt in
diesem Bilde einen Drehimpuls um den Kern. Heute weiß man,
daß es einen solchen tatsächlich nicht hat. Darum sagt man
heute - im Teilchenbild bleibend - besser, das Elektron

35
pendele auf einer Geraden um den Atomkern herum. Man
stellt sich dann also das Atom so vor, wie die Abb. Ta zeigt.
Andererseits kann man den Zustand der Elektronenmaterie
im Wasserstoffatom auch als Wellenvorgang auffassen
(Abb. Tb). Würde man Tausende von Momentaufnahmen des
Atoms im Grundzustand machen und sie alle übereinander
kopieren, so würde man eine Dichteverteilung oder Wahr-
scheinlichkeitsverteilung bekommen, wie sie die Abl:1. Tb dar"
stellt. Sie ist aus Schrödingers Wellenmechanik berechnet.

. .. ..
7a

• ". I

1S 2p 2 s

7b

1s 2p 2s
Abb. 7 a u. 7b. Wasserstoffato.m im Grundzustand und in angereglen Zuständen

Aber es gibt auch Oberschwingungen - angeregte Zu-


stände - in die ein Atom etwa dadurch kommen kann, daß es
durch ein fremdes Elektron angestoßen wird. In einem solchen
angeregten Zustand ist das Atom fähig zu leuchten, ein Energie-
quant Licht auszusenden. Das vollzieht sich so, daß das Atom
aus dem angeregten 'Zustand wieder in seinen Grundzustand
(oder in einen anderen angeregten Zustand von kleinerer
Energie) übergeht. In den Abb. Ta und b sind auch solche an-
geregte Zustände (mit den Symbolen 2p, 2s) dargestellt. Der
dem Grundzustand nächste angeregte Zustand ist im Wellen-
bild eine stehende Welle mit einer Knotenebene, die senkrecht
zur Zeichnungsebene liegt. Aber auch diese Dichteverteilung

36
ist wieder nur ein Bild, ein Modell, ein Hilfsmittel unserer An-
schauung, und erhält seinen konkreten Inhalt erst durch
Tausende von Momentaufnahmen. Wln man die gleichen
stationären Zustände im Teilchenbild zeichnen, so kommt man
zum Bilde einer Kreisbahn, wie in der ursprünglichen Bohrsehen
Theorie. Diese Bahn kann aber verschiedene Lagen im Raume
annehmen, und die Uberlagerung aller dieser möglichen Zu-
stände ergibt eine Wahrscheinlichkeits- oder Dichteverteilung,
bei der diejenige Knotenebene auftritt, die im Wellenbild
sichtbar ist.
Für einen höher angeregten Zustand (2 s) erhält man in der
Mitte eine hohe Dichte und außen einen dünn belegten Ring.
Es besteht dann immer eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür,
das Elektron auch einmal außen in der Gegend des Ringes
anzutreffen.
Auf die Einzelheiten soll hier nicht weiter eingegangen
werden. Es lag mir nur daran, einEm ungefähren Eindruck
davon zu vermitteln, mit welchen Bildern die heutige Physik
arbeitet, um den Bau der Atome auf irgendeine Weise an-
schaulich zu machen. Warum ein solches anschauliches Bild
niemals alie Züge des Atombaus gleichzeitig erfassen kann,
wurde schon besprochen.

3. Das periodische System der Elemente


Wir kommen schließlich zur Frage nach dem Zusammen-
hang der chemischen Eigenschaften der Elemente mit dem Bau
der Elektronenhüllen ihrer Atome, mit der Anzahl der in
ihnen vorhandenen Elektronen, also letztlich mit der Ladung
ihrer Atomkerne. Das Verständnis dieses Zusammenhangs ver-
dankt man der Bohrsehen Theorie. Man übersieht ihn am ein-
fachsten, Wenn man die Elemente nach der Größe ihrer Kern-
ladungen, ihrer Kernladungszahl, d. h. der Zahl der im Kern
vorhandenen positiven Elementarquanten, ordnet (Tabelle 11).
Man beginnt also mit Wasserstoff (1); es folgen Helium (2),
Lithium (3) usw. bis zum Uran (92). Die Chemiker wissen schon

37
seit etwa 100 Jahren, daß sich in dieser Folge die chemischen
Eigenschaften in ihren großen Zügen bis zu einem gewissen
Grade periodisch wiederholen (Tab. III). Bricht man die Folge
jeweils am Ende einer solchen Periode ab und beginnt von da
ab wieder mit einer neuen Zeile, so erhält man das bekannte
periodische System der Elemente von Mendelejew und Lothar
Meyer. Diese Periodizität der chemischen Eigenschaften wird
nach Bohr auf Grund der Atomtheorie folgendermaßen ver-
ständlich:
Nach einem von Pauli aufgestellten Prinzip kann die gleiche
Elektronenbahn nicht von mehreren Elektronen besetzt sein.
Vielmehr hat in einer Bahn (oder: einer stehenden Schwingung
mit einer bestimmten Knotenzahl) jeweils nur ein einziges
Elektron Platz. Dieses Prinzip muß hier ohne Begründung an-
geführt werden. Besitzt also ein Atom mehrere Elektronen, so
müssen die zum ersten Elektron hinzukommenden Elektronen
in immer neuen und immer weiter außenliegenden Bahnen
angelagert werden. Es ist bei solchen Dberlegungen nützlich,
wenn man sich nicht von vornherein das fertige Atom vorstellt,
sondern zunächst vom nackten Kern ausgeht und sich vorstellt,
daß ein Elektron nach dem anderen von innen nach außen an-
gelagert wird, bis schließlich die für das betreffende Element
charakteristische Elektronenzahl erreicht ist.
Wenn man nach diesem Aufbauprinzip die Anlag~rung der
einzelnen Elektronen verfolgt, so ergibt sich, daß jeweils nach
der Anlagerung einer bestimmten Anzahl von Elektronen ein
gewisser Abschluß erfolgt, indem die außen angelagerten Elek-
tronen gleich in einem erheblich größeren Abstand vom Kern
eingebaut werden müssen. Man spricht davon, daß die Atom-
hülle aus einzelnen Schalen aufgebaut sei. Eine besondere
Stellung nehmen diejenigen Elemente ein, deren Atomhülle mit
vollendetem Aufbau einer solchen Schale ebenfalls vollendet
ist. Das sind die sogenannten Edelgase. Das erste derselben,
das Helium, kann man sich im Teilchenbilde vorstellen als
einen Kern, der in ungefähr gleichem Abstande von zwei Elek-
tronen umkreist wird (Abb. 8a). Die erste Schale ist also bereits

38
mit zwei Elektronen abgeschlossen. Das folgende Element, das
Lithium, hat ein Elektron mehr, und dieses dritte Elektron läuft
in einer viel weiter außenliegenden Bahn, als einziges Elektron
einer neuen Schale (Abb. 8b). Es leuchtet ein, daß dieses Atom
besonders leicht ein Elektron abgeben kann, also besonders
häufig als positives Ion vorkommt. Damit wird der elektro-
positive Charakter des Lithiums, also der wichtigste Zug im
chemischen Verhalten dieses Elements, verständlich.

a b

Abb. 8. Schema a) des Heliumatoms, b) des Lithiumatoms

Entsprechend geht es weiter. Nach einer bestimmten An-


zahl vön Elementen kommt man immer wieder, wie beim
Helium, zu einer abgeschlossenen Schale. Im chemischen Ver-
halten äußert sich das darin, daß die betreffenden Elemente
chemisch überhaupt nicht reagieren; es sind die Edelgase
Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon. Sie bilden immer den
Abschluß einer Periode, wie die Tabelle III zeigt.
Wie bereits gesagt, enthält die 1. Periode nur 2 Elemente,
Wasserstoff und Helium. Die 2. Periode besteht aus 8 Ele-
menten: Lithium, Beryllium, Bor, Kohlenstoff, Stickstoff,
Sauerstoff, Fluor und Neon. Das Element Fluor hat in seiner
äußeren Schale 7 Elektronen, so daß eines zum Abschluß der
Schale fehlt. Daraus kann man aUf die chemischen Eigen-
schaften des Elements Fluor schließen. Das Fluoratom wird
besonders dazu neigen, diese Schale noch durch Aufnahme
eines 8. Elektrons abzuschließen, also elektronegativen Cha-
rakter haben und in Lösungen in der Regel negativ geladen

39
vorkommen. Es ist klar, daß die Elemente, die am Anfang
jeder Periode stehen (der Wasserstoff und die Alkalien) und
deshalb gern ein Elektron abgeben, sich besonders leicht mit
einem der vorletzten Elemente jeder Periode· - den Halogenen
- vereinigen, welche gern ein Elektron aufnehm.en. Beispiele
sind der Fluorwasserstoff (HF) und das Natriumchlorid, unser
Kochsalz (NaCl).
Die 3. Periode, welche mit dem Natrium beginnt und mit
dem Argon endet, enthält wiederum 8 Elemente. In der Folge
wird das periodische System etwas verwickelter. Die 4. Periode
- vom Kalium bis zum Krypton - und die 5. Periode vom
Rubidium bis zum Xenon - enthalten je 18, die 6. Periode
- vom Caesium bis zum Edelgas Emanation - 32 Elemente.
Den Abschluß bildet eine offensichtlich unvoHständige Periode,
die mit dem Uran endet. Die Besetzungszahlen der Perioden,
2, 8, 18, 32 oder 2 . 12 , 2' 22 , 2 . 32 , 2 . 42 , gehorchen, wie man
sieht, einer einfachen mathematischen Beziehung. Sie läßt sich
aus den Knotenzahlen der einzelnen Schwingungszustände ab-
leiten, von denen schon die Rede war, doch kann hier auf
diese Ab'leitung nicht eingegangen werden.
Wir haben damit einen allgemeinen, allerdings nur ober-
flächlichen Uberblick über unser heutiges Wissen vom Bau
der Atomhüllen gegeben. Dieses Wissen versetzt die Physik
in die Lage, die chemischen Eigenschaften der einzelnen Ele-
mente wenigstens in ihren großen Zügen zu verstehen. Grund-
sätzlich könnte man mit Hilfe der Quantenmechanik alle
chemischen Größen, wie Wärmetönungen, Affinitäten usw.
quantitativ berechnen. Aber die mathematischen Schwierig-
keiten sind im allgemeinen so groß, daß solche Rechnungen
bisher nur in einigen einfachsten Fällen tatsächlich durch-
geführt worden sind.
Damit schließen wir unsere Betrachtungen über die Atom-
hülle und wenden uns zu unserem Hauptthema, den Atom-
kernen.

40
Dritter Vortrag

Die Radioaktivität
und die Bausteine der Atomkerne
1. Die Radioaktivität

Wenn man die innere physikalische Beschaffenheit irgend-


eines Gebildes ergründen will, so muß man einerseits den
Wirkungen nachgehen, die es von selbst nach außen ausübt,
und andererseits versuchen, es in irgendeiner Weise anzu-
greifen, um zu sehen, wie es sich dabei verhält; man muß es
eventuell durch äußeren Eingriff in seine Teile zerlegen; Das
gilt auch für die Atomkerne. Daher entsteht die Frage, ob es
irgendwelche Äußerungen der Atomkerne gibt, durch die sie
schon ganz ohne Eingriff Aufschlüsse über ihre innere Be-
schaffenheit geben. Eine solche Äußerung liegt tatsächlich in
der schon erwähnten Radioaktivität gewisser schwerer Ele-
mente vor, und deshalb soll von ihr zunächst die Rede sein.
Es wurde bereits erwähnt, daß bel der Radioaktivität drei
verschiedene Strahlenarten auftreten, die Alpha-, Beta- und
Gammastrahlen. Schon wenige Jahre nach der ersten Be-
obachtung der Radioaktivität machten Rutheriord und Soddy
die für die Entwicklung der Atomtheorie entscheidende Ent-
deckung, daß mit der AusS'endung von Alpha- und Beta-
strahlen eine Verwandlung der chemischen Elemente verknüpft
ist. Ein Atom, das einen solchen Strahl ausgesandt hat, ist
nicht mehr ein Atom des ursprünglichen Elements.
Diese Erkenntnis hatte eine ganz außerordentliche Be-
deutung für die Atomlehre. Mit einem Male war der Atom-
begriff der Chemie entthront; die Atome der Chemie waren
offenbar nicht mehr die letzten unteilbaren Bausteine der
Materie. Chemische Mittel vermochten zwar nicht, ein Element
in ein anderes zu verwandeln; aber es gab in der Natur doch
41
einen Vorgang, bei dem das ganz von selbst vor sich ging. Da-
mit erneuerten sich die Hoffnungen der alten Alchemisten.
Denn wenn die Natur selbst an einer Stelle eine Verwandlung
von Elementen zuläßt, so mußte es wohl möglich sein, eine
solche auch künstlich zu erzwingen, sofern man nur das rich-
tige Werkzeug dafür finden kann. Man müßte dann grundsätz-
lich auch - um das berühmte Beispiel zu wählen - aus Queck-
silber Gold machen können.
Da heute bekannt ist, daß erstens die Alpha- und Beta-
teilchen elektrische Ladungen tragen, und daß zweitens die
chemischen Eigenschaften der Atome von der Größe ihrer Kern-
ladungen abhängen, kann man die Entdeckung von Rutherford
und Soddy nachträglich leicht verstehen. Die Alpha- und Beta-
teilchen kommen Ja aus de~ Atomkern, nicht etwa aus der
Atomhülle. Die Alphateilchen sind Heliumkerne und sind als
solche gekennzeichnet durch ihre Masse und ihre Ladung. Ihre
Masse beträgt 4 Atomgewichtseinheiten, ihre Ladung 2 Elemen-
tarquanten. Wir sagen kurz, daß sie die Masse 4 und die Kern-
ladung 2 haben, und nennen diese beiden Zahlen die Massen-
zahl und die Kernladungszahl. Das Heliumatom bezeichnet man
dementsprechend mit dem Symbol tHe. Dabei entspricht der
obere Index der Massenzahl, der untere der Kernladungszahl.
Ebenso verfahren wir bei allen anderen Atomarten. Wenn nun
ein Alphateilchen einen Atomkern vei'läßt, so trägt es nicht nur
seine Masse, sondern auch seine Ladung mit sich fort. Diese
Masse und diese Ladung gehen dem Kern verloren, seine Kern-
ladungszahl sinkt um 2 Einheiten, seine Massenzahl um 4 Ein-
heiten. Ein Betateilchen hingegen ist ein negatives Elektron.
Seine Massenzahl ist praktisch 0, seine Kernladungszahl - 1.
Wenn man ein Elektron allgemein durch das Symbol e kenn-
zeichnet, so kann man entsprechend schreiben _~ e. Bei der
Aussendung eines Elektrons ändert sich also die Masse des
Kerns praktisch nicht, hingegen erhöht sich seine positive
Ladung durch den Verlust eines nege.tiven Elementarquantums
um eine Einheit. Sowohl mit der Aussendung eines Alpha-
teilchens wie mit derjenigen eines Betateilchens ist also eine

42
Änderung der Kernladungszahl verknüpft. Da nun die che-
mischen Eigenschaften der Elemente durch die Kernladung
ihrer Atome bestimmt werden, so folgt, daß mit einer Alpha-
oder Betastrahlung eine Elementumwandlung einhergehen muß.
Am Beispiel des Radiums sei dieser Sachverhalt näher er-
läutert. Das Radium hat die Masse 226 lInd die Kernladnng 88,
wird also durch das Symbol ~Ra dargestellt. Seine Atomhülle
enthält dementsprechend 88 Elektronen, und da 86 Elektronen
eine abgeschlossene Schale bilden, wird sein chemisches Ver-
halten weitgehend durch die zwei Elektronen bestimmt, die
außerhalb dieser Schale den Atomkern umkreisen; Radium
verhält sich also chemisch wie eine Erde, wie Barium oder
Strontium. Der Radiumatomkern sendet Alphastrahlen aus und
dadurch sinkt seine Masse auf 222, seine Ladung auf 86. Es ent-
steht ein neues Element, das - ebenfalls radioaktive - Edel-
gas Radium-Emanation mit dem Symbol 2~~ RaEm. Dieses Atom
enthält wegen seiner Kernladung nur 86 Elektronen in der Atom-
hülle, die gerade eine abgeschlossene Schale bilden. Das Atom
ist daher chemisch inaktiv, das Element ist ein Edelgas. Der
Prozeß der Aussendung eines Alphateilchens durch ein Radium-
atom und der Entstehung eines Emanationsatoms wird also
durch folgende Formel beschrieben:

226 Ra -+ 222
~ ~
Ra Em +2
4 He
'

Links steht das Ausgangsatom, rechts das, was aus ihm ge-
worden ist. In einer solchen Formel muß stets die Summe der
oberen Indizes auf beiden Seiten gleich groß sein, in unserem
Fall 226 = 222 + 4. Das folgt aus dem Gesetz. von der Erhaltung
der Masse. Das gleiche gilt für die unteren Indizes, hier
88 = 86 + 2, und folgt aus dem Satz von der Erhaltung der
elektrischen Ladung. Entsprechende Gleichungen gelten für
Prozesse, bei denen eine Betastrahlung auftritt.
Die Alphateilchen, die aus einem einheitlichen radioaktiven
Stoff herauskommen, haben alle - oder wenigstens fast alle
- sehr gen au die gleiche Reichweite. Man sieht das sehr schön
4 Heisenberg, Atomkerne
43
in der Nebelkammeraufnahme der Abb. 3. Dort handelt es sich
um den aufeinanderfolgenden Zerfall zweier radioaktiver
Elemente, man erhält also zwei Gruppen von Alphastrahlen.
Die Reichweite beträgt bei den verschiedenen radioaktiven
Stoffen in Luft zwischen. 1 und 8 cm und ist offenbar abhängig
von der Energie, mit der die Teilchen den Atomkern verlassen.
Je größer die Energie, um so größer auch die Reichweite.
Eine große Verschiedenheit zeigen die einzelnen radioaktiven
Stoffe in der Geschwindigkeit, mit der sie sich umwandeln.
Manche sind sehr kurzlebig, andere wieder sehr langlebig und
zeigen über lange Zeiten keine merkliche Abnahme ihrer Radio-
aktivität. Es besteht offenbar für die Atome der verschiedenen
radioaktiven Stoffe eine sehr verschiedene, aber für jeden Stoff
charakteristische Wahrscheinlichkeit ihres radioaktiven Zer-
falls. Genauer gesagt, es gibt für jeden Stoff eine zahlenmäßig
angebbare Wahrscheinlichkeit dafür, daß irgend ein bestimmtes
seiner Atome gerade in der auf diesen Augenblick folgenden
Sekunde zerfallen wird. Der Kehrwert dieser Wahrscheinlich-
. keit ist die mittlere Lebensdauer des Stoffes. Die Wahrschein-
lichkeit, also auch die mittlere Lebensdauer, ist unabhängig
davon, wie viele Atome bereits zerfallen sind. Daraus folgt,
daß pro Zeiteinheit stets der gleiche Bruchteil der noch unzer-
fallenen Atome zerfällt. Dieses Gesetz drückt sich durch die
Gleichung aus

dN =-ANdt, mit der Lösung N=Noe- Af •

Dabei ist No die zur Zeit t = 0 vorhandene Zahl unzerfallener


Atome, N ihre Zahl zur Zeit t, e die Basis des natürlichen Loga-
rithmensystems und). eben jene Zerfallswahrscheinlichkeit, also
1!A die mittlere Lebensdauer. Statt ihrer benutzt man häufig
auch die Halbwertzeit T, nämlich diejenige Zeit, innerhalb
derer gerade die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Atome
zerfällt. Sie ist etwas kleiner als die mittlere Lebensdauer und
unterscheidet sich von ihr um den Faktor In 2, den natür-
lichen Logarithmus von 2. {Setzt man t = In 2/A, so wird

44
N = No· e- In 2 = 1/2 NO.} Das vorstehende Gesetz gilt für die
Alphastrahlung wie für die Betastrahlung.
Ein einheitlicher Stoff ist also in seinen radioaktiven Eigen-
schaften vor allem durch zweierlei bestimmt: Die Art der aus-
geschleuderten Teilchen und die Lebensdauer oder die Halb-
wertzeit.
Eine etwas andere Rolle spielen die Gammastrahlen. Zu-
nächst sei erwähnt, daß sie bei der natürlichen Radioaktivität
niemals für sich allein, sondern nur in Verbindung mit einer
der beiden anderen Strahlenarten auftreten. Die Gammastrahlen
sind noch durchdringender als die mit ihnen im übrigen wesens-
gleichen Röntgenstrahlen und als die Alpha- und Betastrahlen.
Zur ungefähren Kennzeichnung kann man sagen, daß eine
Alphastrahlung schon durch ein Blatt Papier, eine Betastrahlung
durch etwa 100 Blätter absorbiert wird, eine Gammastrahlung
aber erst durch einige dicke Bände. Wie schon gesagt sind die
Gammastrahlen nicht ablenkbar, auch können sie Iücht, wie die
Alpha- und Betastrahlen, in der Nebelkammer sichtbar gemacht
werden. Zwar ionisieren auch sie die Luft, aber nicht direkt,
sondern nur indirekt auf dem Umwege über die von ihnen aus-
geschleuderten Elektronen; in der Nebelkammer sieht man
immer nur die Bahnen der durch sie erzeugten Sekundär-
teilchen. Die Bahnen der Gammastrahlen selbst sind nicht
sichtbar. Diese beiden Tatsachen passen gut zusammen, denn
sie finden ihre Deutung beide in der fehlenden elektrischen
Ladung der Gammastrahlen.
Tatsächlich unterscheiden sich die Gammastrahlen von den
Röntgenstrahlen oder gar vom sichbaren Licht grundsätzlich
nur durch ihre sehr viel kleinere Wellenlänge. Sie gehören also
in das Gebiet der elektromagnetischen Wellen, deren lang-
weIligste Vertreter die Rundfunkwellen sind. Allerdings wissen
wir, daß für alle diese Strahlungen der schon erwähnte Dualis-
mus von Wellen und Teilchen besteht. Wenn wir also soeben
von den Gammastrahlen gesprochen haben als von einer elek-
tromagnetischen Welle, die den Atomkern verläßt, so können
wir andererseits im Teilch.enbild von einem Teilchen, einem
4*
45
sehr energiereichen Lichtquant, sprechen, das vom Atomkern
ausgeschleudert wird und sich mit Lichtgeschwindigkeit durch
den Raum bewegt.
Die Tatsache, daß Atomkerne unter Umständen Gamma-
strahlen aussenden können, ist durchaus verständlich. Wir
wissen ja, daß die Atomhülle Licht aussenden kann, wenn die
Atome etwa durch eine Gasentladung angeregt werden, oder
auch Röntgenstrahlen, wenn ihnen durch sehr schnelle Elek-
tronen Teilchen aus den inneren Schalen der Atomhülle her-
ausgeschlagen werden. Das ist verständlich, denn die Atom-
hülle ist ein elektrisches System, und bei jeder Störung eines
solchen werden elektromagnetische Wellen ausgesandt. Aber
auch der Atomkern ist, wie seine Ladung zeigt, ein elektrisches
System, und daher muß man erwarten, daß auch er bei be-
stimmten inneren Vorgängen_ elektromagnetische Wellen, näm-
lich die Gammastrahlen, aussendet.
Bei der natürlichen Radioaktivität treten BetateilChen
immer nur mit negativer Ladung, also als negaJ:ive Elektronen,
auf. Wir wollen schon hier vorwegnehmen, daß bei künstlich
erzeugten radioaktiven Stoffen auch positive Elektronen vor-
kommen, also Teilchen mit gleicher Masse wie die negativen
Elektronen, aber mit einem positiven Elementarquantum. Man
nennt sie heute Positronen und versteht unter Elektronen
schlechthin meist nur die negative Spielart. Es erhebt sich die
Frage, warum man Positronen nicht schon längst beobachtet
hat, und warum sie nicht auch in den Atomhüllen vorkommen.
Die Antwort ergibt sich aus der Erfahrung, daß die Positronen
sehr kurzlebig sind. Sobald sie in die Nähe eines Elektrons
kommen, was in der Regel nach sehr kurzer Zeit geschieht, so
vereinigen sie sich mit ihm zu einem elektrisch neutralen Ge-
bilde; es entstehen ein oder zwei Gammaquanten, d. h. sehr
kurzweIlige Lichtquanten. Man bezeiehnet diesen Vorgang als
Zerstrahlung. Die Existenz von Positronen sowie die Zerstrah-
lung wurden bereits vor ihrer Entdeckung von Dirae vorher-
gesagt, und diese Voraussage hat sich dann nachträglich be-
stätigt. Die Zerstrahlung hat auch ihr Gegenstück, es kann sich
46
ein Lichtquant in ein Elektron und ein Positron verwandeln,
wenn es in das starke Feld in nächster Nähe eines Atomkerns
gerät. Man kann eine solche Paarerzeugung durch ein Licht-
quant in der Nebelkammer beobachten. Die Abb. 9 zeigt eine
solche Aufnahme. In der Kammer herrscht ein starkes magne-
tisches Feld, welches Elektronen nach der einen, Positronen
nach der anderen Seite ablenkt, so daß sie Kreisbahnen be-

Abb. 9. Paarer~eugung in der Nebelkammer

schreiben. Im oberen Teil des Bildes hat sich eine Paarerzeu-


gung ereignet, und man sieht deutlich die Doppelspur des
erzeugten Elektrons und des Positrons. Da das Bild ziemlich
stark vergrößert ist, so erkennt man längs der Bahnen auch
die einzelnen Nebeltröpfchen. Es ist auch noch ein weiteres
Elektron zu sehen, dessen Bahn schon etwas verwischt ist.
Die übrigen Tröpfchen rühren zum Teil von Verunreini-
gungen her.
Man darf allerdings aus der Tatsache der Paarerzeugung
nicht schließen, daß etwa ein Lichtquant aus einem Elektron

47
und einem Positron zusammengesetzt sei. Ein Lichtquant
oder, wie man sagt, ein Photon, ist sicher im eigentlichsten
Sinne ein echtes Elementarteilchen. Es ist aber einer Ver-
wandlung fähig, wenn es mit anderen Elementarteilchen oder
mit starken Feldern in Wechselwirkung tritt. Ganz allgemein
hat der Begriff "Elementarteilchen" in der modernen Physik
eine Wandlung durchgemacht. Nur mit einer gewissen Ein-
,schränkung kann man die Elementarteilchen als die "letzten
unteilbaren Bausteine der Materie" bezeichnen. Denn es hat
sich gezeigt, daß die Elementarteilchen sich fast beliebig inein-
ander umwandeln können, sofern <las nur unter den gegebenen
Bedingungen mit den Erhaltungssätzen vereinbar ist. Aber
eben deswegen hat es auch keinen Sinn, das eine als aus
anderen zusammengesetzt zu bezeichnen.
Die Betateilchen haben eine sehr viel größere Reichweite
als die Alphastrahlen. Das liegt nicht etwa dar an, daß sie eine
größere Energie hätten, sondern vor allem dar an, daß sie wegen
ihrer kleineren Ladung und ihrer größeren Geschwindigkeit
sehr viel weniger ionisieren und deshalb längs ihres Weges
ihre Energie viel langsamer verlieren.
Zwischen den Alpha- und Betastrahlen besteht ab~r noch
ein weiterer, sehr charakteristischer Untersc.hied. Die Alpha-
strahlen eines einheitlichen radioaktiven Stoffes haben sehr
genau die gleithe Reichweite, also auch die gleiche Energie.
Das ist ja eigentlich auch zu erwarten. Denn ebenso wie die
bei einer chemischen Reaktion frei werdende Energie durch
den Anfangs- und den Endzustand des Systems bestimmt ist, so
sollte die bei einem radioaktiven Zerfall frei werdende Energie,
also im wesentlichen die Energie des Alphateilchens, nur von
dem Anfangs- und Endzustand des Atomkerns abhängen. Alle
Atomkerne der gleichen Art haben im allgemeinen auch die
gleiche Energie. Bei den Betastrahlen verhält es sich aber
anders als bei den Alphastrahlen. Aus einem einheitlichen
radioaktiven Stoff kommen Betateilchen aller möglichen Ge-
schwindigkeiten heraus, von einem oberen Grenzwert bis zu
beliebig kleinen Werten. Es scheint, daß die dem oberen Grenz-
48
wert entsprechende Energie mit der Differenz der Energien des
Atoms im Anfangs- und Endzustand identisch ist. Das Auf-
treten von langsameren Teilchen würde uns aber in einen
Widerspruch mit dem Energieprinzip führen, wenn die den
einzelnen Betateilchen fehlende Energie nicht auf irgendeine
andere Weise dem Atomkern en.tzogen würde. Man gelangt
daher zu der von Pauli begründeten Vorstellung, daß gleich-
zeitig mit jedem Betateilchen noch ein weiteres Teilchen den
Kern verläßt, das den Energieüberschuß mit sich führt. Die
stets in gleichem Betrage verfügbare Energie verteilt sich dann
nach bestimmten statistischen Regeln auf das Betateilchen und
das neue Teilchen.
Dieses Teilchen muß ungeladen sein, da andernfalls die
durch die Erfahrung ausnahmslos bestätigte Tatsache nicht ver-
ständlich wäre, daß bei einer Betastrahlung die Kernladung um
eine Einheit wächst. Das Fehlen einer Ladung ergibt sich auch
daraus, daß die Teilchen nicht in der Nebelkammer beobachtet
werden. Weil dieses Teilchen also elektrisch neutral ist, und
weil überdies seine Masse sicher sehr klein ist, bezeichnet
man es als Neutrino. Die Masse ist nach den vorliegenden
experimentellen Erfahrungen kleiner als diejenige der Elek-
tronen. Ob sie gleich Null ist, wie die Ruhmasse der licht-
quanten, kann noch nicht mit Sicherheit. entschieden werden.

2. Künstliche Kernumwandlungen
Damit haben wir diejenigen Vorgänge erörtert, bei denen
uns Atome von selbst Hinweise auf die Beschaffenheit ihrer
Kerne geben. Wir gehen nun zu den Versuchen über, durch
gewaltsamen Eingriff nähere Einzelheiten über den Atomkern
zu erfahren. Wieder ist es Rutherford gewesen,. dem der erste
Schritt in dieser Entwicklung gelang. Er fand das rechte W~rk­
zeug zur künstlichen Umwandlung eines Atoms in ein anderes,
und zwar dadurch, daß er Atome mit Alphateilchen beschoß.
Im Jahre 1919- gelang ihm auf diese Weise die erste künstliche
Veränderung eines Elements, und zwar die Umwandlung von
49
Stickstoff in Sauerstoff. Man darf allerdings nicht glauben, daß
man auf diese Weise wägbare Mengen von Stoffen überführen
könnte. Es handelt sich immer nur um eine sehr kleine Zahl
von umgewandelten Atomen. Das schmälert aber nicht die
grundsätzliche Bedeutung dieser Entdeckung.
Rutherford fand, daß beim Beschuß von Stickstoffatomen
mit Alphastrahlen eine StrahleIiart auftritt, die aus positiv
geladen.en Wasserstoffatomen, also aus Wasserstoff-Atom-
kernen besteht. Der Wasserstoffatomkern ist ein Elementar-
teilchen und, wie nbch besprochen werden wird, einer der
wichtigsten Grundbausteine der Materie. Er hat daher den
Namen Proton erhalten. Beim Beschuß von Stickstoffatomeil
mit Alphateilchen, das heißt mit Heliumkernen, wird also ge-
legentlich ein Proton aus dem Stickstoffkern herausgeschlagen.
Statt dessen bleibt das Alphateilchen im Kern stecken. Die
Sätze von der Erhaltung der Masse und der Energie erlauben
zu berechnen, was dabei aus dem Kern wird. Der Stickstoffkern
hat die Masse 14 und die Ladung 1; sein Symbol ist also l~N.
Beim Alphateilchen betragen diese Zahlen 4 und 2; sein Sym-
bol, ~ He, wurde schon erwähnt. Das Symbol des Protons ist
entsprechend ~H. Bezüglich der Masse geht also mit dem
Stickstoffkern bei der Aufnahme eines Alphateilchens und der
Abgabe eines Protons eine Umwandlung nach der Gleichung
14 + 4 -1 = 11
vor sich. Bezüglich seiner Ladung muß aber die Gleichung
1+2~1=8

gelten. Es entsteht also ein Kern mit der Masse 11 und der
Kernladung 8. Aus der letzteren entnimmt man, daß es sich
um ein Sauerstoffatom handeln muß. Die Masse 11 entspricht
aber nicht der Masse 16 des gewöhnlichen Sauerstoffatoms.
Tatsächlich handelt es sich um ein seltenes sogenanntes Isotop
des Sauerstoffs. Mit solchen Isotopen werden wir uns später
noch beschäftigen. Diese Umwandlung von l~ N in l~O ist das
berühmte erste Beispiel einer künstlichen Verwandlung eines
Elements in ein anderes.

50
Solche Kernreaktionen kann man durch Formeln darstell~n.
In dem obigen Falle sieht sie so aus:
I~N+~He-+ l~O +:H.
Man kann derartige Kernumwandlungen in der Nebel-
kammer beobachten. Da es sich dabei aber um einen sehr

Abb. 10. Verwandlung eine. Stickstolfkerns in einen Sauerstoffkern

seltenen Vorgang handelt, so muß man schon viele Tausende


von Aufnahmen machen, um einmal das Glück zu haben, gerade
eine Kernumwandlung zu sehen.
In der Abb. 10 sieht man sehr viele Bahnen von Alpha-
teilchen, die von unten nach oben verlaufen. An einer Stelle
aber läuft eine einzelne Bahn quer zur Richtung der Alpha-
teilchen schräg nach unten. Wenn man genauer hinsieht, so
erkennt man auch noch eine zweite, sehr dichte Spur, die vom

51
Anfangspunkt der schrägen Bahn aus nach links oben geht. An
dieser Stelle hat sich eine Kernumwandlung durch ein Alpha-
teilchen ereignet. Die beiden Spuren sind erstens die Bahn des
aus dem Kern herausgeschlagenen Protons und zweitens die
des umgewandelten Kerns, der bei diesem Vorgang einen hef-
tigen, Stoß erlitten hat.
Diese Versuche deuten darauf hin, daß wahrscheinlich Pro-
tonen Bausteine der Atomkerne -sind, und wir erinnern uns der
Proutschen Hypothese, daß alle Atome aus Wasserstoff auf-
gebaut seien.
Im Jahre 1932 wurde indessen eine weitere und bis dahin
völlig unbekannte Art von Teilchen entdeckt, die man auf
entsprechende Weise aus Atomkernen herausschlagen kann.
Diese Entdeckung gelang den Forschern Joliot, Curie und Chad-
wick in Verfolgung eines zuerst in Deutschland von Bothe be-
schrittenen Weges. Es handelt sich um ein Teilchen, das fast
genau die gleiche Masse hat wie das Proton, aber keine elek-
trische Ladung trägt, das daher auch in der Nebelkammer
keine sichtbare Spur hinter läßt. Man nannte es das Neutron.
Die erste Kernreaktion, bei der die Aussendung eines Neutrons
beobachtet wurde, ist d,ie Umwandlung von Beryllium. Man
beschießt Berylliumatome der Masse 9 und der Ladung 4 (~Be)
mit Alphateilchen ~ He. Dabei entsteht ein Kohlenstoffk~rn mit
der Masse 12 und der Ladung 6. Für die Massen und die
Ladungen der beteiligten Gebilde gelten die Gleichungen
9 + 4- 12 = 1 und 4 + 2- 6 = O.
Bei diesem Vorgang wird also ein Teilchen mit der Masse 1 und
der Ladung 0 ausgeschleudert, eben ein "Neutron". Wir be-
zeichnen es mit dem Symbol ~n und können diese Kernreaktion,
wie man einen solchen Vorgang nennt, ebenso wie die schon
besprochene in einer Formel darstellen. Dabei berücksichtigen
wir noch, daß außer dem Neutron häufig auch noch ein Gamma-
quant ausgestrahlt wird, das wir mit dem Symbol y bezeichnen.
Dann laUtet die Formel
~Be +iHe ...... l~C + Ön + y.
52
Sehr häufig eritstehen bei solchen Kernreaktionen keine
stabilen, sondern instabile, radioaktive Atome, die sonst in der
Natur nicht vorkommen, und die sich dann erst im Laufe der
Zeit in irgend eine stabile Atomart umwandeln. Dabei werden
in den bisher bekannten Fällen nur Elektronen oder Positronen
ausgeschleudert. Damit haben wir eine Dbersicht über die
Teilchen, die - sei es von selbst, sei es bei äußerem Eingriff
- aus einem Atomkern herauskommen können.

3. Die Bausteine der Atomkerne


Mit diesen Kenntnissen kann man an die Beantwortung der
Frage herangehen, welche von den Elementarteilchen als Bau-
steirle der Atomkerne in Betracht kommen. Wir wollen sie zu-
nächst noch einmal aufzählen: 'das Proton und das Neutron,
das Elektron und gas Positron, das Neutrino und das Gamma-
quant. Dazu kämen noch die Alphateilchen. Von ihnen aber
können wir wegen ihrer Ladung und Masse annehmen, daß
sie keine Elementarteilchen, sondern selbst noch zusammen-
gesetzt sind. Die Liste der Elementarteilchen ist damit aber
noch nicht ganz vollständig. Zunächst fehlt noch das Anti-
neutrino, das in ähnlicher Weise dem Neutrino entspricht, wie
das Positron dem Elektron. Es hat jedenfalls die gleiche ver-
schwindend kleine Masse und besitzt keine Ladung, unter-
scheidet sich aber von ihm hinsichtlich einer Eigenschaft, die
allen Elementarteilchen zukommt, die wir aber bisher noch
nicht erwähnt haben, nämlich .durch entgegengesetzten Dreh-
impuls (oder, wie der Techniker sagt, Drall) bei gegebener
Richtung des magnetischen Moments. Die meisten Elementar-
teilchen verhalten sich mechanisch wie kleine Kreisel. Ihr
Drehimpuls kann nur ganz bestimmte Beträge annehmen, von
denen die Quantenmechanik Rechenschaft gibt. Bei den hier
in Frage kommenden Teilchen beträgt er allgemein n/2 oder h,
wobei h eine abgekürzte Schreibweise für h/2 n und h das
Plancksche Wirkungs quantum ist. Sofern die Teilchen elek-
trisch geladen sind, bewirkt dieses Drehmoment, daß sie ein
magnetisches Moment besitzen, sich also wie kleine Magnete

53
verhalten. Bei den schwereren Teilchen mißt man dieses ma-
gnetische Moment in einer Einheit, die man als 1 Kernmagne-
ton (K. M.) bezeichnet, bei den leichten Teilchen in der größe--
ren Einheit 1 Bohrsches Magneton (B. M.) (v gl. die Tabelle I).
Schließlich müssen wir noch ein weiteres Elementarteilchen
erwähnen, das den Namen Meson trägt. Es wird bei der kos-
mischen Ultrastrahlung beobachtet (Anders on) , spielt aber vor-
läufig in der Kernphysik nur eine hypothetische Rolle. Seine
Masse ist 150- bis 200m al so groß wie die des Elektrons, es
trägt ein Elementarquantum und kommt als positives und als
negatives Meson vor. Im übrigen ist über seine Eigenschaften
noch nicht allzu viel bekannt.
In der Tabelle I c sind alle genannten Elementarteilchen
mit ihren Eigenschaften aufgeführt. Wenn wir sie als Elemen-
tarteilchen bezeichnen, so meinen wir damit, daß sie - im
Gegensatz zu den offenbar zerlegbaren chemischen Atomen -
nicht mehr aus kleineren Partikeln zusammengesetzt sind. Das
bedeutet aber keineswegs, daß sie nicht verwandelbar wären.
Vielmehr ist die Verwandelbarkeit geradezu ein charakte-
ristisches Merkmal eines Elementarteilchens. Ein Lichtq.uant
l<:ann sich in ein Elektron und ein Positron verwandeln, und
umgekehrt kann ein Lichtquant aus einem Elektron und einem
Positron entstehen. Es wäre aber falsch, oder zum mindesten
unzweckmäßig, wenn man deshalb sagen wollte, ein Lichtquant
sei ein aus einem Positron und einem Elektron zusammen-
gesetztes Gebilde. Denn es kann ja auch umgekehrt ein licht-
quant aus einem Elektron, z. B. beim Ubergang von einem zu
einem anderen Zustand entstehen. Es kann sich auch ein
Proton in Neutron und Positron oder ein Neutron in Proton und
Elektron verwandeln. Aber es ist nicht zweckmäßig, zu sagen,
daß etwa ein Proton aus einem Neutron und einem Positron
oder ein Neutron aus einem Proton und einem Elektron bestehe.
Es handelt sich vielmehr um echte Elementarteilchen, zu deren
Eigenschaften eben die Verwandelbarkeit gehört.
Bei der Musterung dieser Elementarteilchen müssen wir
uns nun nach Merkmalen umsehen, die uns einen Hinweis

54
geben, welche von ihnen alsethte Bausteine der Atomkerne
anzusehen sind, und welche eine andere Rolle spielen. Die
Tatsache nämlich, daß ein Teilchen aus dem Kern heraus-
kommen kann, ist noch keineswegs ein Beweis dafür, daß es
auch als ein Baustein des Kerns anzusprechen ist. Das zeigt
schon eine Betrachtung der Atomhülle. Sie besteht aus Elek-
tronen. Dennoch kommen gelegentlich andere Teilchen aus ihr
heraus, nämlich Lichtquanten. Wir bezeichnen sie aber nicht
als Bestandteile der Hülle, weil sie ja erst bei geWissen Zu-
standsänderungen der Hülle entstehen. Wir unterscheiden also
zwischen Teilchen, die stets in der Hülle vorhanden sind, und
die wir ihre eigentlichen Bausteine nennen, und solchen, die
nur gelegentlich infolge von Zustandsänderungen in ihr ent-
stehen und sie dann verlassen. Ersteres sind bei der Atomhülle
die Elektronen, letzteres die Lichtquanten. In gewissem Sinne
könnte man allerdings auch sagen, die Lichtquanten seien
bereits vorher in der Hülle vorhanden gewesen. Der Raum
innerhalb der Hülle zwischen den Elektronen ist zwar leer -
schnelle Teilchen können ihn ohne Schwierigkeit durch-
dringen -, aber dennoch enthält er etwas, nämlich das elek-
trische Feld, das wie ein Mörtel die Bausteine der Atom-
hülle an den Kern bindet; im Wellenbilde ist das ausgesandte
Licht eine elektromagnetische Welle, deren Energie eben auf
Kosten dieses Feldes geht. Im Grunde ist es ja nur eine Frage
der Bezeichnung, ob man sagt, das Feld sei auch eine Art von
Substanz, oder ob man sagt, es sei eine Eigenschaft des Raumes;
und insofern kann man auch behaupten, die Lichtquanten
seien als Feld schon vorher in der Hülle gewesen. Es ist aber
doch zweckmäßig, einen Unterschied zwischen den eigent-
lichen Kernbausteinen und dem bindenden Feld zu machen, ob-
gleich es kein grundsätzlicher Unterschied sein kann. Bei der
Atomhülle jedenfalls hat es einen guten Sinn, nur von den
Elektronen als den Bausteinen zu sprechen, während das Feld
die Funktion hat, die Elektronen an den Kern zu binden und
der Hülle die Fähigkeit zu verleihen,. gelegentlich Lichtquanten
zu erzeugen. Zwischen den beiden Arten von Teilchen besteht

55
nämlich noch folgender Unters'thied: Wenn an der Elektronen-
hülle irgendein gewaltsamer Eingriff vorgenommen wird, etwa
indem man sie mit Elektronen oder mit Lichtquanten beschießt,
so kann dabei entweder ein Hüllenelektron abgerissen werden
und aus dem Atom herausfliegen, oder die Hülle kann in einem
angeregten Zustande zurückbleiben, aus dem sie erst unter
Aussendung eines Lichtquants in den Ausgangszustand zurück-
kehrt. Während aber das Elektron unmittelbar im Augenblick
des Eingriffs ausgeschleudert wird, führt das Auftreten eines
angeregten Zustandes nicht sofort zur Bildung und Aussendung
des Lichtquants, sondern es vergeht bis dahin immer eine
gewisse Zeit, die zwar absolut genommen sehr klein, aber ver-
glichen mit der Umlaufszeit des Elektrons in der Hülle sehr
lang ist. Wir können hierin ein charakteristisches Unterschei-
dungsmerkmal zwischen den echten Bausteinen und den erst
sekundär gebildeten Teilchen erblicken.
Nach den gleichen Gesichtspunkten wollen wir nun die
Elementarteilchen mustern, die zunächst als Bausteine des
AtomkerRs in Frage kommen könnten. Auch bei ihm können
wir gewaltsame Eingriffe vornehmen, indem wir ihn etwa mit
Alphateilchen oder auch mit anderen Elementarteilchen be-
schießen. Wie wir schon wissen, können dann Kernumwand-
lungen eintreten, bei denen ein Proton oder ein Neutron aus-
geschleudert wird. Es gibt auch Fälle, in denen Alphateilchen
aus geschleudert werden. Diese sind ja aber sicher keine eigent-
lichen Elementarteilchen. Die Ausschleuderung eines Protons
oder Neutrons erfolgt nun in del'Regel im Augenblick des Ein-
griffs, genau wie die eines Elektrons in der Hülle. Es kann aber
bei einer solchen Kernumwandlung zunächst ein instabiles,
radioaktives Atom entstehen, das sich alsdann durch einen
radioaktiven Prozeß weiter verwandelt. Dabei werden immer
nur Elektronen oder Positronen, sowie Neutrinos ausgesandt.
Diese radioaktiven Atome haben genau wie bei der natürlichen
Radioaktivität eine bestimmte, von Fall zu Fall verschiedene
Zerfallswahrscheinlichkeit oder Lebensdauer. Es vergeht also
immer erst eine mehr oder weniger lange Zeit, bis das Elektron

56
oder Positron nebst dem Neutrino ausgeschleudert wird, ganz
ähnlich wie bei den Lichtquanten in der Atomhülle. Daneben
gibt es noch Fälle, bei denen ein gewaltsamer Eingriff auch
die Emission eines Gammastrahlquants hervorruft. Im all-
gemeinen vergeht auch bis dahin eine, gemessen an Kern-
frequenzen, lange, aber absolut genommen überaus kurze Zeit,
die man nicht unmittelbar messen, sondern nur aus anderen
Daten ermitteln kann. Es kommt freilich gelegentlich auch
vor, daß ein Gammaquant sogleich im Augenblick des Ein-
griffs ausgeschleudert wird.
Aus diesen Befunden kann man schließen, daß als eigent-
liche Bausteine der Atomkerne nur die Protonen und die Neu-
tronen anzusehen sind. Dieses Ergebnis kommt der alten
Proutschen Hypothese sehr nahe. Die Masse des Neutrons ist
ja von der des Protons nur sehr wenig verschieden.
Die folgende Tabelle soll die eben besprochenen Gedanken
durch eine vergleichende Ubersicht über die Verhältnisse in
der Atomhülle einerseits, im Atomkern andererseits erläutern.
,
Atomhülle ! Atomkern

Bausteine Neutronen
Elektronen
Protonen
I
Kraftfeld Elektr. Feld Elektr. Feld I Kernfeld
_ .. I

Bei Zustands- Elektronen


änderungen I
Lichtquanten Lichtquanten I Positronen
ausgesandte
I
Neutdnos
Teilchen I I
Die erste Zeile enthält, die Bausteine, die zweite das zwischen
ihnen herrschende Feld, die dritte die bei gelegentlichen Zu-
standsänderungen ausgesandten Teilchen.
Wir haben also weiter die Frage nach dem Kraftfeld zu
stellen, das die Kernbausteine aneinander bindet. Es läge zu-
nächst nahe, anzunehmen, daß es - wie das Feld in der Hülle
- elektrischer Natur sei. Man kann aber sehr leicht nach-
weisen, daß elektrische Kräfte nicht ausreichen würden, um

57
den Zusammenhalt der Kerne zu erklären - schon deswegen
nicht, weil die größten elektrischen Wirkungen von den
Ladungen der Protonen stammen, und das sind abstoßende
Kräfte. Es muß also noch eine weitere Art von Feld in den
Kernen geben. Mangels irgendeiner genaueren Kenntnis von
diesem Felde wollen wir ihm zunächst einen Namen geben und
es als Kernfeld bezeichnen. Daneben gibt es in den Kernen
natürlich auch ein elektrisches Feld, da ja die Protonen elek-
trisch geladen sind.
In der Atomhülle entstehen bei Zustandsänderungen aus
der Energie des elektrischen Feldes Teilchen, die Lichtquanten.
Entsprechend werden wir beim Kern nach Teilchen fragen,
die bei Zustandsänderungen aus der Energie seiner beiden
Feldarten entstehen, sich also gelegentlich in angeregten Zu-
ständen ablösen und emittiert werden. Dem elektrischen Felde
können wieder nur die Lichtquanten entsprechen, und in der
Tat wurde besprochen, daß bei Kernumwandlungen häufig
Gammaquanten ausgesandt werden, die ja nichts anderes als
sehr kurzweIlige Lichtquanten sind. Das Kernfeld muß dann
offenbar den anderen Teilchen zugeordnet werden, die bei
Kernumwandlungen immer erst nach einer gewissen Zeit auS-
gesandt werden, den Elektronen, Positronen und Neutrinos.
Durch diesen Anologieschluß von der Hülle auf den Kern ent-
steht ein verhältnismäßig einfaches Bild des Atomkerns:
Ein Atomkern ist aus Protonen und Neutronen aufgebaut.
Seine Bausteine wirken aufeinander erstens durch ein elek-
trisches Feld, das von der Ladung der Protonen herrührt, und
zweitens durch ein Kernfeld, welches auf irgendeine noch
näher zu untersuchende Weise den Zusammenhalt des Kerns
sicherstellt. Das elektrische Feld. ist verantwortlich für die
Aussendung von Gammaquanten, das Kernfeld für die Aus-
sendung von Elektronen, Positronen und Neutrinos.
Ob allerdings der Zusammenhang zwischen dem Kernfeld
und den ihm hier zugeschriebenen Teilchen ebenso einfach ist
wie derjenige zwischen dem elektrischen Felde und den Licht-
quanten, ist fraglich. Wahrscheinlich ist er, wie wir sehen

58
werden, verwickelter. Aber in großen Zügen dürfen wir die
Analogie so benutzen, wie wir sie hingeschrieben haben.
Damit ist ein recht anschauliches Bild von einem Atomkern
entstanden, und dieses Bild ist wieder so gemeint, daß mit
einem Ubermikroskop von ausreichender Leistungsfähigkeit
tatsächlich die Atomkerne so zu erkennen wären, wie sie hier
beschrieben wurden, nämlich als aus nur zwei Arten von
Bausteinen, aus Protonen und Neutronen zusammengesetzt.
Jeder Atomkern kann also auf eine höchst einfache Weise
durch Angabe von nur zwei Zahlen gekennzeichnet werden,
die Zahl seiner Protonen und die Zahl seiner Neutronen.
Die Masse eines Kerns ist (- allerdings nicht genau -)
gleich der Massensumme seiner Protonen und Neutronen, die
beide ungefähr die Masse 1 haben. Hingegen rührt die Kern-
ladung nur von seinen Protonen her, die die Ladung 1 tragen.
Aus dem geschilderten einfachen Bild des Kernes folgt auch
sofort, daß zu einer gegebenen Kernladung im allgemeinen
noch verschiedene Kernmassen gehören können. Es gibt also
verschiedene Sorten von Atomkernen für ein und dasselbe
chemische Element, und diese Sorten unterscheidet man als
verschiedene "Isotope" des gleichen Elements.
Die Massenzahl des Kerns gibt die Summe der Anzahl der
Protonen und Neutronen, die Kernladungszahl aber die Anzahl
der Protonen allein an. Folglich ist die Zahl der Neutronen
einfach gleich der Differenz der Massenzahl und der Kern-
ladungszahl. Diese beiden Zahlen wurden schon früher als die
zwei wesentlichen Bestimmungsstücke des Atoms als oberer
und unterer Index zur Kennzeichnung neben die Element-
symbole geschrieben, z. B. l~N. Wir lesen daraus ab, daß ein
solcher Stickstoffkern aus 1 Protonen und 14 - 1 1 Neu-
tronen besteht.
Wir wollen nun einige der einfachsten Kerne genauer be-
trachten. Wenn wir vom Neutron absehen, das man nicht im
eigentlichen Sinne zu den Elementen zu rechnen pflegt, so ist
der einfachste Atomkern eines Elements das Proton selbst. Es
5 Heisenberg, Atomkerne
59
ist identisch mit dem Kern des Elements Wasserstoff. Sein
Symbol ist I H, entsprechend der Tatsache, daß dieser aus
1 Proton und 1 - 1 = 0 Neutronen besteht. In der nächsten
Tabelle geben wir ein Schema der einfachsten Kerne und be-

Wasserstoff Helium

o..0
0

• • • •• 0
0

• •
0 00 0 0·0 0
0

IH fD IT iHe IHe ~He ~He

J.>roton Deuteron Triton _p(O,8 see)


99,8% 0,02% _(J(31 Jahre) "" 10-& % 100% ?

zeichnen darin ein Proton mit einem vollen schwarzen, ein


Neutron mit einem leeren Kreis. Der Wasserstoffkern ~ H wird
also einfach durch einen vollen schwarzen Kreis dargestellt.
Es gibt aber, wie Urey im Jahre 1932 entdeckte, noch einen
zweiten Atomkern, ein schwereres Isotop des Wasserstoffs, der
aus 1 Proton und 1 Neutron besteht. Er ist im Wasserstoff in der
sehr geringen Konzentration von 0,02 % enthalten. Man nennt
diesen Wasserstoff Deuterium, seinen Kern Deuteron. Da er sich
vom gewöhnlichen Wasserstoff chemisch in mancher Beziehung
unterscheidet, bezeichnet man ihn meist mit dem Symbol D,
genauer mit iD. Doch kann man statt dessen auch iH schrei-
ben. Das ist der sogenannte schwere Wasseistoff. Später hat
man dann noch eine dritte Art von Wasserstoff gefunden, deren
Kern aus 1 Proton und 2 Neutronen besteht, und der als Triton
bezeichnet wird. Sein Symbol ist ~T oder auch ~ H. Dieser Kern
ist aber nicht stabil, sondern radioaktiv mit einer sehr langen
Halbwertzeit (wahrscheinlich etwa 31 Jahre) und sendet Elek-
tronen aus. In der Natur kommt das Triton daher nicht vor,
sondern nur als Produkt von Kernumwandlungen.
Als näch'steinfaches Element folgt das Element Helium, das
durch 2 Protonen im Kern gekennzeichnet ist. Auch das Helium
tritt in mehreren Isotopen, mit einer verschiedenen Zahl von

60
Neutronen, auf. Der leichteste Heliumkern ist aus 2 Protonen
und 1 Neutron aufgebaut, hat also das Symbol ~ He und ist in
erster Linie als das Produkt der radioaktiven Umwandlung des
Tritons f T bekannt, kommt aber in ganz geringer Menge wohl
in natürl,ichem Helium vor. Dieser und die übrigen Heliüm-
kerne sind ebenfalls in der Tabelle dargestellt. Es folgt der
Kern des gewöhnlichen Heliums, der aus 2 Protonen und 2 Neu-
tronen besteht, alS( J ~He, wie wir schon wissen. Er ist ein be-
sonders stabiles Gebilde. Dann gibt es noch zwei weitere
Heliumkerne, die beide nicht stabil sind. Sie enthalten 3 bzw.
4 Neutronen, haben also die Symbole ~He und ~He. Im natür-
lichen Heliumgas sind sie nicht enthalten.
Indem man nun immer weitere Protonen und Neutronen hin-
zufügt, kommt man zu immer komplizierter aufgebauten Kernen.
Man könnte alle existierenden Kerne in einer Tabelle derart
anordnen, daß man auf der Abszisse etwa ihre Ladung, also die
Zahl Z ihrer Proton'en, auf der Ordinate die Zahl N ihrer Neu-
tronen aufträgt. Es ist für den Druck zweckmäßiger, wenn man
etwas anders verfährt und auf der Abszisse die Protonenzahl Z
und auf der Ordinate den Neutronenüberschuß N-Z aufträtft.
Das ist in den Tabellen IVa und IVb geschehen. Die Folge der
einzelnen Elemente entspricht auch ihrer Folge im periodischen
System. In der Tabelle werden die Kerne noch durch ihre
Stabilitätseigenschaften unterschieden. Stabile Kerne sind durch
einen schwarzen Punkt dargestellt. Ein solcher ist z. B. ~ He, der
an der Stelle Z = 2, N-Z = 0 steht. Dreiecke bedeuten beta-
strahlende radioaktive Kerne. Weist die Spitze nach oben, so
handelt es sich um einen Kern, der Elektronen aussendet. Weist
sie nach unten, so sendet er Positronen aus. Erstere finden sich
stets am oberen Rande, z. B. g He und ~Li, letztere meist am
unteren Rande, z. B. 1~C. Diejenigen radioaktiven Kerne, die
Alphateilchen aussenden, sind als Vierecke eingezeichnet. End-
lich gibt es noch labile Atomkerne, die sich dadurch umwan-
deln, daß sie aus der innersten Schale der Atomhülle ein Elek-
tron einfangen und so ihre Ladung um eine Einheit erniedrigen.
Sie sind durch leere Kreise dargestellt: Kerne, die sowohl Elek-
5*
61
tronen wie Positronen aussenden können, erscheinen in der
Tabelle durch Uberlagerung zweier Dreiecke als Sterne. Auf
diese Weise gibt die Tabelle eine einfache Ubersicht über alle
existierenden Kerne, ihre Zusammensetzung und ihre Eigen-
schaften.
Wie man sieht, ist der Neutronenüberschuß N-Z nur bei
einigen wenigen Atomarten negativ, sonst stets positiv und
niemals sehr groß. Die Kerne der leichteren Elemente enthalten
durchweg ungefähr ebensoviele Neutronen wie Protonen, und
erst bei den schwereren Elementen wird .der Neutronenüber-
schuß einigermaßen erheblich.
Damit ist der Aufbau der einzelnen Atomkerne in großen
Zügen beschrieben, und es erheben sich im Anschluß daran
viele weitere Fragen: Warum hält ein solcher aus Protonen und
Neutronen aufgebauter Kern zusammen? Was für Kräfte sind
es, die sie aneinander binden? Warum enthiilten die leichteren
Kerne ungefähr gleich viele Protonen und Neutronen, die
schwereren aber etwas. mehr Neutronen; also warum wächst
der Neutronenüberschuß mit wachsender -Kernladung? Warum
gibt es nur eine beschränkte Zahl von Kernen? Warum sind
viele von ihnen radioaktiv, und warum senden sie gerade die-
jenigen Teilchen aus, die wir an ihnen beobachten? Von diesen
Problemen soll in den folgenden Vorträgen die Rede sein.

62
Vierter Vortrag

Die normalen Zustände der Atomkerne


1. Die Bindungsenergie der Atomkerne

Von den soeben aufgeworfenen Fragen soll zuerst diejenige


nach den Kräften behandelt werden, die zwischen den Bau-
steinen des Kerns wifken und sie zusammenhalten. Diese Frage
kann in der Form ausgesprochen werden: Von welcher physi-
kalischen Größe oder von welcher Eigenschaft des Atoms hängt
seine Stabilität ab? Man könnte zunächst meinen, daß die Ant-
wort schwierig sei, und daß es dazu nötig sei, das ganze von
einern Atomkern dargestellte mechanische System in seinen
Einzelheiten zu kennen. Das ist aber glücklicherweise nicht
der Fall. Es gibt einige grundlegende Gesetze, die uns gestatten,
über die Stabilität und andere allgemeine Eigenschaften eines
Systems auch dann etwas auszusagen,. wenn wir von der Art
der in ihm wirkenden Kräfte und von den Einzelheiten seiner
Beschaffenheit noch gar nichts wissen. Das sind die bekannten
Erhaltungssätze, die aussagen, daß bestimmte Größen weder
aus nichts geschaffen, noch vernichtet werden können. Hier
kommen vor allem die Erhaltungssätze der Energie, der Ladung
und des Drehimpulses in Betracht.
Wir beginnen mit dem Erhaltungssatz der Energie, dem
Energieprinzip, und denken uns, es sei möglich, durch irgend-,
welche Kräfte aus einern aus Protonen und Neutronen bestehen-
den Kern ein Teilchen herauszunehmen. Wir können uns das
zunächst ganz naiv so vorstellen, als könnten wir das Teilchen
anfassen und bis in einen sehr großen Abstand aus dem Kern
entfernen. Da das Teilchen ja anfänglich fest an den Kern ge-
bunden ist, so wird es von ihm angezogen, und es muß Arbeit
aufgewendet werden, um es zu entfernen; dem System muß
Energie zugeführt werden. Nach dem Energieprinzip ist nun

63
diese Arbeit, diese zugeführte Energie, ganz unabhängig von
der Art und Weise, in der man das Teilchen entfernt. Jedes
Teilchen ist also im Kern mit einer ganz bestimmten Energie
gebunden, und diese Energie kann berechnet werden, wenn es
auf irgendeine Weise gelingt, die Energie des Systems vor und
nach der Abtrennung des TeilChens zu ermitteln. Wir definieren
nun den Begriff: Bindungsenergie eines Kerns. Darunter sei die
Energieänderung des Kerns verstanden, die eintritt, wenn seine
- zunächst weit voneinander entfernten - Bestandteile zum
Kern zusammengefügt werden. Da beim umgekehrten Vorgang,
der Zerstörung des Kerns, Energie aufzuwenden, also dem Kern
zuzuführen ist, so verliert der Kern bei seiner Bildung Energie.
Gemäß ihrer Definition ist also die Bindungsenergie der Kerne
stets eine negative Größe. Nun ist natürlich ein Kern um so
stabiler, je schwerer es ist, ihn in seine Bestandteile zu zer-
legen, je größer die hierzu aufzuwendende Arbeit ist. Die
Stabilität wächst also mit dem absoluten Betrage der - nega-
tiven - Bindungsenergie, sie ist also im strengen mathemati-
schen Sinne um so größer, je kleiner die Bindungsenergie ist.
Darum ist es üblich, wenn man von großer oder kleiner
Bindungsenergie eines Kerns spricht, darunter ihren absoluten
Betrag. zu verstehen. In diesem Sinne ist also ein Kern um so
stabiler, je größer seine Bindungsenergie ist.
Da vorläufig die Einzelheiten des Aufbaus der Kerne noch
unbekannt sind, können die Bindungsenergien nicht aus ihren
Eigenschaften berechnet werden. Man muß also umgekehrt
versuchen, die Bindungsenergien auf andere Weise zu er-
mitteln, um daraus Rückschlüsse auf die Eigenschaften des
Kerns zu ziehen.
Das einfachste Beispiel eines zusammengesetzten Kerns ist
das Deuteron, der Kern des Wasserstoffs mit der Masse 2, der
aus 1 Proton und 1 Neutron besteht. Wenn sich ein solcher
Kern aus seinen beiden Bestandteilen bildet, so muß dabei die
gleiche Energie frei werden, wie zu seiner Zerstörung auf-
gewendet werden muß. Wir gehen also von einem Zustand aus,
bei dem das Proton und das Neutron noch in großem Abstande

64
voneinander ruhen und praktisch noch keine Kraft aufeinander
ausüben. Der Energie, die das aus diesen beiden Teilchen be-
stehende System in dieser Lage besitzt, sei der Betrag 0 zU-
geschrieben. (Die Wahl des Nullpunktes der Energie der Lage
oder der potentiellen Energie eines Systems ist willkürlich und
kann stets so geschehen, wie es am zweckmäßigsten ist.) Nach-
dem die Teilchen sich zum Deuteron vereinigt haben, ist die
Energie des Systems kleiner geworden, und zwar um den ab-
soluten Betrag seiner Bindungsenergie. Wenn es nun gelingt,
auf irgendeine Weise den Energiegehalt eines Deuterons zu
messen, so kann man aus der Differenz der Energien vor und
nach der Vereinigung seiner Teile seine Bindungsenergie er-
mitteln und daraus einen Schluß auf die Stabilität dieses Kernes
ziehen.
Auf die gleiche Weise kann man fortfahren und etwa ein
weiteres Proton hinzufügen. Dann erhält man die Bindungs-
energie des Heliumkerns ~ He. Und so könnte man .schritt für
Schritt die Bindungsenergien sämtlicher Atomkerne ermitteln.
Der Physiker pflegt Energien in der Einheit des CGS-
Systems, 1 erg, zu messen, der Ingenieur in der Einheit 1 Meter-
kilogramm oder 1 Kilowattstunde. Wärmeenergien mißt er in
der Einheit 1 Kalorie. So benutzt man in den verschiedenen
Gebieten der Physik und der Technik verschiedene Einheiten,
die für dieses Gebiet besonders zweckmäßig sind, weil sie in
der Größenordnung derjenigen Energiebeträge liegen, die auf
diesem Gebiet durchschnittlich vorkommen. Auf diese Weise
erhält man Maßzahlen der Energie, die weder unbequem groß,
noch unbequem klein sind. Nach dem gleichen Gesichtspunkt
vedährt man in der Atomphysik. In der Physik der Atomhülle
benutzt man zur Messung der Bindungsenergien der Elektronen
häufig geladene Teilchen - Elektronen -, welche durch eine
elektrische Spannung beschleunigt werden. Daher dient als
Energieeinheit hier meist diejenige Energie, die ein Elektron
oder überhaupt jedes mit 1 Elementarquantum geladene Teil-
chen gewinnt, wenn es eine Spannung von 1 Volt durchlaufen
hat. Man nennt diese Energieeinheit 1 Elektronenvolt (1 eV).

65
Sie ist sehr zweckmäßig für die Atomhülle, da dies etwa die
Größenordnung der Bindungsenergien in der Hülle ist. Die
Bindungsenergie der Teilchen in den Kernen ist aber rund
1 Million mal größer. Deshalb benutzt die Kernphysik das
Millionenfache dieser Einheit, 1 Million eV = 1 MeV. Das ist
die Energie, die ein mit 1 Elementarquantum geladenes Teilchen
beim Durchlaufen einer Spannung von 1 Million Volt gewinnt.
V ergli~hen mit 1 erg ist das immer noch ein sehr kleiner
Energiebetrag. Es ist

1 MeV = 1,60· 10~ erg.


Soeb~n wurde von der Energie gesprochen, die frei wird,
wenn ein Proton und ein Neutron sich zu einem Deuteron zu-
sammenfügen. Diese Energie kann man tatsächlich sehr gut
messen, indem man diesen Versuch wirklich durchführt. Man
braucht dazu nur eine Quelle von Neutronen, und über solche
Quellen verfügt die heutige experimentelle Physik. Die Neu-
tronen haben allerdings bei ihrer Entstehung eine sehr große
Geschwindigkeit, und sie müssen erst abgebremst werden, da-
mit sie einigermaßen zur Ruhe kommen und sich aus dem Ruhe-
zustand heraus mit Wasserstoffatomen vereinigen körinen. Man
schickt sie deshalb zunächst durch irgendeinen Stoff. der
Wasserstoff enthält. Dann erfahren sie sehr viele Zusammen-
stöße mit Wasserstoffatomen und verlieren dabei allmählich
ihre kinetische Energie bis auf den sehr geringen Betrag, der
der Temperatur dieses Stoffes entspricht. Sie haben dann nur
noch, wie man sagt, thermische Geschwindigkeit. In diesem
Zustande bringt man sie zur Vereinigung mit Protonen.
Hierbei wird die Bindungsenergie .des Deuterons frei, und
nach dem Energieprinzip muß sie irgendwo bleiben, also in
irgendeiner Form abgeführt werden. Die nächstliegende An-
nahme ist, daß das in Form einer elektromagnetischen Strqh-
lung, und zwar einer sehr kurzweIligen Gammastrahlung, ge-
schieht. Man wird also erwarten, daß mit jeder Bildung eines
Deuterons aus einem Proton und einem Neutron die Aussendung
eines Gammaquants, d. h. eines sehr energiereichen Lichtquants

66
verbunden ist, dessen Energie E mit seiner Frequenz y durch
die Plancksche Beziehung

E = hy

verknüpft ist, wobei h das Plcincksche Wirkungs quantum ist.


Die Energie E ist dann identisch mit dem Betrag der Bindungs-
energie des Deuterons. Diese Gammastrahlung wird auch wirk-
lich beobachtet. Da es Verfahren gibt, um die Frequenz y zu
messen, so ist darilit tatsächlich die Möglichkeit gegeben, die
Bindungsenergie des Deuterons zu messen. Sie beträgt 2,3 MeV.
Man könnte allerdings daran denken, daß die Energie nicht in
Gestalt eines einzigen, sondern· mehrerer Lichtquanten ab-
geführt wird. Es läßt sich aber beweisen, daß ein solcher Vor-
gang sehr viel unwahrscheinlicher ist als die Aussendung eines
einzigen Quants.
Es gibt aber einen zweiten, noch einfacheren Weg, um
etwas über die Bindungsenergie der Atomkerne zu erfahren.
Nach der Relativitätstheorie besteht nämlich ein eindeutiger
Zusammenhang zwischen der Masse eines Körpers und seinem
Energieinhalt. In speziellerer Form kannte man einen Zu-
sammenhang dieser Art schon vor der Relativitätstheorie, da
er sich bereits aus der Elektrodynamik bewegter Körper ergibt.
So hatte schon Hasenöhrl darauf hingewiesen, daß eine in
einen Hohlraum eingeschlossene Strahlung eine scheinbare
träge Masse m besitzt, die dem Energieinhalt des Systems pro-
portional ist, und zwar so, daß m prop. E/c2 ist, wobei c die
Lichtgeschwindigkeit ist. Nur den Proportionalitätsfaktor hatte
er noch nicht richtig berechnet. Der Zusammenhang zwischen
Energie und Masse wurde dann in der Relativitätstheorie ganz
klargestellt und, was das Entscheidende ist, als ein allgemeines
Naturgesetz erkannt, das nicht nur für die Strahlungstheorie,
sondern für alle Zweige der Physik gilt. Der Proportionalitäts-
faktor ergibt sich einfach gleich 1. Ganz allgemein gilt also die
Gleichung
E
m

67
Das heißt: Jedes System mit dem Energieinhalt E besitzt eine
diesem Energieinhalt entsprechende Masse m vom Betrage EI c-
Daraus ergeben sich merkwürdig anmutende Konsequenzen. So
muß eine Uhr beim Aufziehen etwas schwerer werden, weil
dabei in ihrer Feder Energie aufgespeichert wird. Aber dabei
handelt es sich um so kleine Energiebeträge, daß der Massen-
zuwachs der Uhr viel zu gering ist, um je nachgewiesen wer-
den zu können. Die Masse Elc~ ist allzu klein, verglichen mit
der Masse der Uhr selbst.
Diese Beziehung zwischen Energie und Masse kann aber in
der Kernphysik, in der die aufgespeicherten Energien, gemessen
an den Massen der Atomkerne, schon recht groß sind, prak-
tisch ausgenutzt werden. In der Form
E = mc 2
gestattet diese Beziehung den wichtigen Schluß, daß die
Masse m eines Systems die Berechnung seines Energieinhalts E
ermöglicht. Die Lichtgeschwindigkeit ist bekannt. Sie beträgt
fast genau 300000 km' sec-I oder.::I· 10 10 cm . sec-I. Bei den
Atomkernen liegen die Größenordnungsverhältnisse anders als
bei jener aufgezogenen Uhr. Ihre Bindungsenergien sind zwar
sehr klein, aber auch ihre Massen sind klein. Die Masse
m = Elc2 ist daher bei ihnen nicht mehr verschwindend klein
gegen die Massen der Kerne selbst, so daß die mit Änderungen
des Energieinhaltes verbundenen Massenänderungen recht ge-
nau meßbar sind. Die Anwendung der obigen Gleichung auf
die Atomkerne' liefert gleichzeitig eine Bestätigung dieser wich-
tigen Beziehung selbst.
Da bei der Bildung eines Deuterons aus einem Proton und
einem Neutron Energie frei wird, so muß die Masse eines
Deuterons kleiner sein als die Summe der Massen des Protons
und des Neutrons, solange sie noch getrennt existieren. Ent-
sprechendes muß für jeden Kern gelten, der aus N Neutronen
und Z Protonen besteht. Wir können das in Form einer
Gleichung schreiben:
m
I
=Nm Neutron +Zm Proton ~_I
E'
Kern C2 •

68
Dabei bedeutet I E I den positiv genommenen Betrag der Bin-
dungsenergie des Kerns, die z. B. im Falle des Deuterons als
Lichtquant abwandert.
Es ist zweckmäßig, die vorstehende Gleichung in einer
etwas anderen Form zu verwenden, indem man sie nicht auf
die Kerne, sondern auf die neutralen Atome, also die Kerne
und die Atomhüllen gemeinsam, bezieht. Dann muß auch an
die Stelle des Protons das Wasserstoffatom von der Masse 1
mit seinem einen Elektron gesetzt werden. Dadurch erhöhen
sich die Massen auf beiden Seiten um die Massen der Z Elek-
tronen, welche einerseits das ganze Atom, andererseits die
Z Protonen besitzen. Dann lautet die Gleichung:

m Atom =Nm Neutron +Zm H-Atom -~


C2·

Hiernach kann man die Bindungsenergie eines Atomkerns be-


rechnen, wenn man die genauen Massen des betreffenden
Atoms, des Neutrons und des H-Atoms kennt.
Die Masse eines Atoms ist also durchweg um den Be-
trag I E I /c 2 kleiner als die Massensumme seiner Bestandteile.
Diese Massendifferenz bezeichnet man als den Massendefekt
des Kerns. Er ist gleich IE I /c 2 , also

Massendefekt = !! I = Nm Neutron + Z mH-Atom - m Atom .

Atomare Massen werden meist in der üblichen Atom-


gewichtseinheit (1 ME) angegeben, die ungefähr gleich der
Masse eines Wasserstoffatoms oder eines Neutrons (genau
gleich 1/16 der Masse des Sauerstoffatoms) ist. Die Massen-
defekte betragen der Größenordnung nach 1/1000 ME. Es ist
deshalb üblich, sie in der Einheit "ein Tausendstel Massen-
einheit" 1 TME = l/iooo ME anzugeben. Der Zufall will, daß
die zu 1 TME äquivalente Energie 1 TME . c2 nicht sehr ver-
schieden von der Energieeinheit 1 MeV ist. Genau ist
1 TME äquivalent zu 0,93 MeV.
Demnach sind auch die Bindungsenergien der Kerne von der
Größenordnung 1 MeV.

69
Auf diese Weise verfügt die Physik über zwei ganz un-
abhängige Verfahren, um die Bindungsenergien zu bestimmen,
einmal indem sie sie unmittelbar mißt, dann indem sie sie aus
den Massendefekten berechnet. Im zweiten Fall muß man
allerdings die Massen der Atome sehr genau bestimmen kön-
nen, um aus ihnen die Bindungsenergie zu ermitteln, da es sich
nur um Differenzen in der Größenordnung von I/tOOO der Massen
handelt. Ich will hier nur kurz darauf hinweisen, daß das mit
Hilfe des zuerst von Aston entwickelten Massenspektrographen
geschieht. In ihm läßt man geladene Atome durch elektrische
und magnetische Felder laufen, in denen sie Ablenkungen er-
fahren, die, wie schon erwähnt, vom Verhältnis ihrer Ladung e
zu ihrer Masse m abhängen, ferner auch von ihrer Geschwindig-
keit. Der Massenspektrograph ist so eingerichtet, daß nur Teil-
chen von einer bestimmten Geschwindigkeit ausgesiebt werden
und zur Beobachtung gelangen. Dann kann man das Ver-
hältnis e/m und - da die Ladung e der Teilchen. bekannt ist -
die Masse m der Teilchen aus den Ablenkungen berechnen,
oder genauer gesagt, man kann sie - unmittelbar oder mittel-
bar - mit der Masse eines Sauerstoffatoms vergleichen, dessen
Masse ja definitionsgemäß genau 16 ME beträgt .. Für die Be-
rechnung der Bindungsenergien braucht man noch die genauen
Massen des Wasserstoffatoms und des Neutrons. Sie betragen

mH-Atom = 1,00813 ME, mNeutron = 1,00895 ME.


Die Massenbilanz bei der Bildung eines Deuteriumatoms
soll nun noch einmal quantitativ vorgenommen werden. Vor
der Bildung haben wir ein einzelnes Wasserstoffatom und \H
ein einzelnes Neutron~n, nachher ein Deuteriumatom I D und
das frei gewordene Lichtquant h Y. Man kann also folgende
Formel anschreiben:
1lH + on-jD+hy.
I "

Nun beträgt die Masse eines Deuteriumatoms 2,0147 ME, wäh-


rend die Massensumme von Wasserstoffato~ und Neutron
1,00813 + 1,00895~ 2,0171 beträgt. Die Masse des Deuterium-
70
atoms ist also tatsächlich um einen Massendefekt von
0,0024 ME = 2,4 TME kleiner als die Massensumme seiner Be-
standteile. In Energie umgerechnet ergibt das aber eine Bin-
dungsenergie von etwa 2,3 MeV, und das entspricht gen au
derjenigen Energie, die, wie besprochen wurde, bei der Bildung
eines Deuterons in Gestalt eines Lichtquants abgeführt wird.
Es führen also zwei ganz unabhängige Wege zum gleichen Be-
trage der Bindungsenergie und bestätigen auf das beste den
Satz von der Äquivalenz von Energie und Masse. Das ist be-
sonders wichtig, weil es sich hier nicht um elektrische Felder
handelt, für die dieser Satz bereits vor den allgemeinen Uber-
legungen der Relativitätstheorie bekannt war, sondern um
Felder ganz anderer Art.
Die besprochenen Beziehungen zeigen auch, weshalb die
Atomgewichte nicht genau ganzzahlige Vielfache einer Grund-
einheit sind, wie es damals Prout vermutet hatte. Zunächst
sind ja schon die Massen der Protonen und Neutronen ein
wenig verschieden. Aber außerdem geht bei ihrer Vereinigung
von ihrer Massensumme immer noch ein Bruchteil ab, der
ihrer Bindungsenergie entspricht. So wären die Atomgewichte
auch dann nicht ganzzahlige Vielfache einer Grundeinheit,
wenn die Massen des Protons und des Neutrons einander ge-
nau gleich wären. Hierdurch werden die kleinen Abweichungen
des Atomgewichts der leichteren Elemente von der strengen
Ganzzahligkeit verständlich. Die ganz groben Abweichungen,
die bei den meisten schwereren Elementen auftreten, haben
aber einen anderen Grund, sie werden dadurch hervorgerufen
- oder richtiger: vorgetäuscht -, daß die natürlichen Ele-
mente meist Mischungen verschiedener Isotope sind. Jedes
Isotop besteht aus Atomen einer bestimmten Kernsorte, deren
Masse nahezu ganzzahlig ist. Aber die Mischung dieser Kern-
sorten gibt im Mittel keine ganzzahlige Masse.
Damit ist das erwünschte Kriterium für die Stabilität eines
Atomkerns gewonnen. Ein Atomkern hält deshalb zusammen,
weil Arbeit aufgewendet werden müßte, um ihn in seine Be-
standteile zu zerlegen. Diese Arbeit ist gleich dem Betrage

7\
seiner Bindungsenergie, also seines in Energie umgerechneten
Massendefektes. Ein Atomkern wäre nicht stabil, wenn eine
solche Zerlegung ohne Arbeitsleistung möglich wäre. Aller-
dings muß man dabei noch eine Einschränkung machen, indem
man auch die anderen Erhaltungssätze beachtet. Der Erhaltungs-
satz der Ladung besagt, daß sich ein Atom nicht so umwandeln
kann, daß sich dabei die Gesamtladung des Systems ändert.
Ohne Kompensation kann sich also nicht ein Proton im Kern
in ein Neutron verwandeln oder umgekehrt. Andernfalls wären
viele Atome; die tatsächlich als stabil angesehen werden, in-
stabil. Es gibt z. B. einen Borkern von der (ungenauen) Masse 12
und einen Kohlenstoffkern von der Masse 12. Der Borkern be-
~teht aus 7 Neutronen und 5 Protonen, de.r Kohlenstoffkern aus
6 Neutronen und 6 Protonen. Ihre Symbole sind l~B und l~C.
Die Masse des Borkerns ist aber doch etwas größer als die des
Kohlenstoffkerns. Der Unterschied beträgt 13 TME, der Unter-
schied in der Bindungsenergie also etwa 12 MeV. Der Kohlen-
stoffkern hat einen größeren Massendefekt als der Borkern,
seine Bestandteile sind also erheblich fester aneinander ge-
bunden als diejenigen des Borkerns. Man kann daher ver-
muten, daß der Borkern ipstäbil ist und sich von selbst in den
Kohlenstoffkern umwandelt. Dabei würde die Energie von
12 MeV frei werden. Das. kann abe't nur so geschehen, daß sich
ein Neutron des Borkerns in ein Proton verwandelt. Ein solcher
Prozeß ist aber wegen des Erhaltungssatzes der Ladung nur
möglich, wenn das dabei neu auftretende positive Elementar-
quantum durch ein gleichzeitig entstehendes negatives EIe-
mentarquantum kompensiert und letzteres aus dem Kern ent-
fernt wird. Das könnte dadurch geschehen, daß gleichzeitig
mit der Umwandlung des Neutrons in ein Proton ein Elektron
ausgeschleudert wird. Tatsächlich ist dieser Borkern kein
stabiles Gebilde, sondern radioaktiv. Er sendet Elektronen, also
negative Betastrahlen, aus und wandelt sich in den Kohlen-
stoffkern um.
Aber dennoch wäre diese Umwandlung nicht möglich, wenn
nicht auch noch der Erhaltungssatz des Drehimpulses erfüllt
72
wäre. Der Drehimpuls eines Protons und eines Neutrons be-
trägt je h/2. wie schon besprochen wurde. und zwar ist er je
nach der räumlichen Orientierung der Drehachse des Teilchens
positiv oder negativ zu rechnen. Daher ist der Drehimpuls
eines Kerns. der aus einer geraden Zahl von Teilchen besteht.
immer ein geradzahliges Vielfaches von n/2. derjenige eines
Kerns mit ungerader Teilchenzahl ein ungerades Vielfaches
von rt/2. Sowohl der Kohlenstoffkern wie der Borkern bestehen
aber aus 12 Teilchen; ihre Drehimpulse müssen also gerad-
zahlige Vielfache von h./2 sein Bei der Umwandlung muß aber
wegen des Erhaltungssatzes der Ladung ein Elektron ausgesandt
werden. und ein solches besitzt ebenfalls einen Drehimpuls rt/2.
Demnach müßte der Kohlenstoffkern mit einem ungeradzahligen
Drehimpuls zurückbleiben. die Dreh impulsbilanz würde also
nicht stimmen In dieser Verlegenheit ennnern wir uns aber
daran. daß schon bei den natürlichen Betastrahlern die Schwie-
rigkeiten der Energiebilanz auf die Existenz des Neutrinos hin-
gewiesen haben. das gleichzeitig mIt dem Elektron ausgeschleu-
dert wird Das Neutrino sorgt offenbar auch für die Erhaltung
des Drehimpulses Denn auch die vom Borkern ausgesandten
Elektronen zeigen eine stetige Folge von Energiewerten. 50 daß
wir auch hier auf die gleichzeitige Aussendung eines Neutrinos
schließen müssen Aus der Tatsache, daß der.Borkern wirklich
instabil ist. daß seine Umwandlung in den Kohlenstoff schließ-
lich erfolgt, und zwar unter Aussendung eines Elektrons und
eines Neutr-inos. können wir den xhluß ziehen, daß das Neu-
trino ebenfalls einen Drehimpu1s vom Betrage nl2 mit sich
trägt. der dem Drehimpuls des Elektrons entgegengerichtet ist
und ihn kompensiert.
Damit ist eine Ubersicht über dIe Schlüsse gewonnen. die
bezüglich der Stabilität von Atomkernen aus den drei 'Er-
haltungssätzen zu ziehen sind. Das Ergebnis kann kurz so
formuliert werden: Ein Atomkern wird sich stets spontan in
einen anderen Kern umwandeln, wenn bei dieser Umwandlung
erstens Energie frei wird, und wenn diese Umwandlung mit den
Erhaltungssätzen der Ladung und des Drehimpulses verträglich

13
ist. Allerdings kann die spontane Umwandlung eventuell erst
nach sehr langen Zeiten, d. h. mit sehr geringer Wahrschein-
lichkeit, erfolgen. Ist aber auch nur eine der genannten Be-
dingungen nicht erfüllt, so handelt es sich um einen stabilen
Kern.

2. Der Aufbau der Atomkerne

Die Erhaltungssätze haben recht weitgehende Schlüsse über


die Stabilität der Atome erlaubt, ohne daß über die inneren
Verhältnisse der Atomkerne und die in ihnen wirkenden Kräfte
irgendwelche Voraussetzungen hätten gemacht werden müssen.
Nun soll versucht werden, auch über die innere Struktur der
Kerne aus den Experimenten Schlüsse zU ziehen, die nicht von
besonderen Annahmen über die Kräfte im Inneren abhängen.
Wie sind die Protonen und Neutronen im Kern verteilt? Kann
man einen Kern etwa mit einem Flüssigkeitstropfen vergleichen,
in dem die Moleküle überall gleich dicht gepackt nebenein-
anderliegen? Oder ist ein Kern etwa mehr einem Kugelhaufen
von Sternen vergleichbar, in dem die Dichte der Sterne in der
Mitte ungeheuer groß ist und nach außen hin mehr und mehr
abnimmt?
Hier leisten die Massendefekte einen höchst wichtigen
Dienst. Wir können aus ihnen ja die Bindungsenergie be-
rechnen, und dann ergibt sich, daß diese, berechnet für jedes
einzelne Teilchen im Atom, bei allen Atomen ungefähr den
gleichen Betrag hat. Eine Ausnahme bilden nur die leichteren
Atome etwa bis zum Zinn, wo ihr Absolutbetrag kleiner ist.
Im übrigen beträgt die Bindungsenergie für jedes in den Atom-
kern eingebaute Teilchen durchweg 6 bis 9 MeV. Es scheint
also, daß alle Teilchen in den Atomkernen ungefähr gleich fest
gebunden sind.
Einen weiteren Schluß kann man aus der Größe der Atom-
kerne ziehen. Man kann den Durchmesser des Kerns aus der
Ablenkung von Alphateilchen in dem betreffenden Stoff un-
gefähr ermitteln, indem man feststellt, welcher Bruchteil von
ihnen Ablenkungen von ungewöhnlicher Größe erfährt, die

74
nicht mehr durch Einflüsse des ,äußeren elektrischen Feldes des
Kerns, sondern nur durch unmittelbare Zusammenstöße mit
dem Kern erklärt werden können. Je größer der Kern ist, um
so häufiger müssen ja solche Zusammenstöße sein. Durch
solche Versuche ergibt sich nun, daß z. B. der Durchmesser des
aus 238 Teilchen bestehenden Urankerns etwa viermal so groß
ist wie derjenige des aus 4 Teilchen bestehenden Heliumkerns.
Die Volumina verhalten sich also wie 1 : 43 , das heißt der Uran-
kern ist dem Volumen nach etwa 64mal so groß wie der
Heliumkern. Die Teilchenzahl des Urankerns ist aber rund
60mal so groß wie diejenige des Heliumkerns.
Aus diesen beiden Tatsachen: der etwa gleichen Bindungs-
energie der einzelnen Teilchen und der ungefähren Propor-
tionalität der Teilchenzahl mit dem Kernvolumen, kann man
schließen, daß die Protonen und Neutronen im Kern überall
ungefähr mit gleicher Dichte verteilt sind, denn andernfalls
wären ihre Bindungsenergien in den einzelnen Teilen des Kerns
und dann auch für verschiedene Kerne verschieden groß.
Zweitens folgt aus dieser Tatsache und der Proportionalität
der Teilchenzahl und des Volumens, daß diese Dichte in allen
Kernen gleich groß ist, wobei wieder nur die allerleichtesten
Atome auszunehmen sind. Wir können also von einer in allen
Kernen einheitlichen Kernmaterie sprechen, die aus einer
Mischung von Protonen und Neutronen von stets ungefähr
gleicher Dichte besteht. Ein Unterschied besteht bei den ein-
zelnen Atomarten nur bis zu einem gewissen Grade in dem
Verhältnis der Zahl der Neutronen zu der Zahl der Protonen.
Demnach ergibt sich ein zutreffendes Modell eines Kerns,
wenn man ihn mit einem Flüssigkeitstropfen vergleicht. EbenSo
wie sich aus Wassermolekülen Wassertropfen von verschie-
dener Größe bilden können, so können aus Protonen und Neu-
tronen verschieden große Tropfen von Kernmaterie, eben die
verschiedenen Atomkerne, gebildet werden. Dieses Flüssigkeits-
modell hat gerade die Eigenschaften, die am Atomkern be-
obachtet werden. Denn in einem Flüssigkeitstropfen liegen die
Moleküle auch üb~rall gleich dicht gepackt, und die in seinem
6 Heisenberg. Atomkerne
75
Inneren befindlichen Moleküle sind auch alle mit der gleichen
Energie im Tropfen gebunden. Die Erkenntnis 'von der Existenz
einer universellen, einheitlichen Kernmaterie bedeutet eine
große Erleichterung für das Verständnis der Einzelheiten des
Kernbaues.
Das Bild eines Flüssigkeitstropfens enthält aber noch feinere
Züge, und es muß untersucht werden, ob'auch sie ihre Analogie
bei den Kernen haben. Tatsächlich sind in einem Flüssigkeits-
tropfen nicht alle Moleküle gleich fest gebunden. Die Moleküle
an der Oberfläche sind an die übrigen Moleküle nur einseitig
und daher im ganzen schwächer gebunden als die übrigen
Moleküle. Darauf beruht die Erscheinung der Oberflächen-
spawlUng. Energetische Uberlegungen, die denen durchaus
entsprechen, die wir bei den Atomkernen angestellt haben,
geben die Erklärung dafür, daß Tropfen unter der Wirkung der
Oberflächenspannung Kugelgestalt annehmen. Denn die Ober-
flächenenergie eines Tropfens iSt der Größe der Oberfläche
proportional und sucht daher die Oberfläche möglichst klein
zu machen. Eine solche Oberflächenspannung muß man auch
bei den Kernen annehmen. Wegen der geringeren Bindung der
an der Oberfläche liegenden Teilchen muß sie eine Verminde-
rung der gesamten Bindungsenergie, also auch der durch-
schnittlichen Energie pro Teilchen, bewirken. Wie bei einer
Flüssigkeit, so wird die Oberflächenspannung auch bei den
Kernen Kugelgestalt herbeiführen.
Es besteht aber doch ein wesentlicher Unterschied zwischen
der Kernmaterie und einer Flüssigkeit. Diese besteht aus elek-
trisch neutralen Molekülen, jene aber enthält außer Neutronen
elektrisch geladene Protonen. Wir müssen also die Kerne mit
Flüssigkeitstropfen vergleichen, die elektrisch geladene Mole-
küle enthalten, zwischen denen abstoßende Kräfte wirken. In
den Kernen tritt noch eine elektrische Abstoßungskraft auf.

3. Die drei Arten der Kernenergie


Ma"n kann daher die in einem Atomkern enthaltene Energie
als Summe dreier Anteile auffassen. Den größten Beitrag liefert

76
die von den Kernkräften herrührende Energie, die den Zu-
sammenhalt des Kerns überhaupt ermöglicht. Diese Energie
wird modifiziert durch die Oberflächenspannung. Schließlich
rührt ~in Energieanteil von der elektrischen Abstoßung her.
Diese Anteile sollen einzeln betrachtet und im Anschluß an
eine Arbeit von v. Weizsäcker in Beziehung zur Zahl der im
Kern vorhandenen Protonen und Neutronen gesetzt werden.
Wir beginnen mit den K~rrrkräften. Sie sind die Kräfte,
welche die Protonen und Neutronen aneinander binden, und
sie hängen, wie wir schon wissen, mit der Tatsache zusammen,
daß die Kerne Elektronen und Positronen zu emittieren ver-
mögen. Dieses Phij.nomen ist offenbar zwischen Protonen und
Neutronen völlig symmetrisch. Ein Neutron kann sich in ein
Proton verwandeln, wobei ein Elektron emittiert wird, und ein
Proton in ein Neutron, wobei ein Positron entsteht. Wir
schließen daraus, daß in bezug auf die Kernkräfte oder das
"Kernfeld" kein Untersch'ied zwischen Protonen und Neutronen
besteht. Der von den Kernkräften herrührende Anteil der
Bindungsenergie muß siCh daher durch irgendeine symmetrische
Funktion d~r Neutronen- und Protonenzahl darstellen lassen.
Wenn wir diese Funktion zunächst in allgemeiner Form hin-
schreiben und dann' in der Nähe der Stelle, wo die Neutronen-
zahl gleich der Protonenzahl ist, entwickeln und mit dem
zweiten Glied abbrechen, so erhalten wir eine einfache
Gleichung für die Bindungsenergie pro' Teilchen (soweit sie
vom Kernfeld herrührt). Sie lautet
E" (N- ZF
+
N' Z = - A +B (N+ Z)2'

Dabei ist E v der vom Kernfeld herrührende und dem Volumen


proportionale Anteil der gesamten Bindungsenergie, A und B
sind Konstante. E J (N + Z), die Bindungsenergie pro Teilchen,
ist also zunächst gleich einer Konstanten - A, wenn N = Z
ist, d. h. bei gleicher Protonen- und Neutronenzahl. Sind aber
. diese Zahlen N und Z verschieden groß, so treten kleine Ab-
weichungen auf, und in diesem Fall ist die einfachste sym·
metrische Funktion von N und Z der Ausdruck (N - ZJ2. Da
6*
abN die Kernmaterie einheitlich ist, so darf die Bindungsener-
gie pro Teilchen nur vom Verhältnis N/Z abhängen, und das
erreichen wir, indem wir noch durch (N + Z)2 dividieren. Die
allgemeinste symmetrische Funktion wäre natürlich kom-
plizierter. Wenn sie aber nach steigenden Potenzen von
(N - Z) in eine Taylorsche Reihe entwickelt und nach dem
zweiten Gliede abgebrochen wird, so erhält man gerade die
obige Gleichung. Diese Näherung genügt, weil bei den be-
obachteten Kernen N und Z nicht sehr verschieden sind.
Das erste Glied der Gleichung ist negativ, wie es bei einer
Bindungsenergie sein muß. Das - erheblich kleinere - zweite
Glied dagegen ist positiv. Es bewirkt also eine Verringerung
des absoluten Betrages der negativen Bindungsenergie. Dieser
sinkt, wenn N und Z verschieden groß sind. Dariach scheint es
zunächst energetisch am günstigsten, wenn ein Kern gleich
viele Protonen und Neutronen enthält.
Aber hierzu kommt noch eine Korrektur wegen der Ober-
flächenspannung. Die an der Oberfläche liegenden Teilchen
sind schwächer gebunden als die im Inneren befindlichen Teil-
chen, und das erfordert die Hinzufügung eines weiteren posi-
tiven Gliedes zur recht.en Seite unserer Gleichung. Denn sie
ist ja wegen des Hauptgliedes - A wesentlich negativ, und
daher muß etwas Positives hinzukommen, um ihren Betrag zu
verkleinern. Die durch die Oberflächenspannung bewirkte
Änderung der Bindungsenergie ist jedenfalls proportional der
Zahl der in der Oberfläche liegenden Teilchen, also au~h der
Größe der Oberfläche. Diese aber ist der 2/aten Potenz des
Kernvolumens (oder der gesamten Teilchenzahl) proportional.
Man kann also diesen Anteil der Bindungsenergie durch die
Gleichung Bo = C (N + Z) 2/3 darstellen. Den Anteil pro Teil-
chen findet man durch Division mit N + Z, also
~_o _ =
N +- Z
C (N + Z)-'".
eist wietlerum eine Konstante.
Schließlich muß noch ein Glied hinzugefügt werden, das
von der elektrischen Abstoßung der Protonen herrührt. Hier

78
bewegen wir uns auf dem bekannten Boden der Elektrostatik.
Die Ladung des Kerns beträgt Z e, wobei e das elektrische
Elementarquantum ist. Genau wie die elektrische Energie eines
Kondensators dem Quadrat seiner Ladung proportional ist, so
ist auch die elektrische Energie eines Kerns dem Quadrat
seiner Ladung, also (Z e)2, proportional. Sie ist ferner um-
gekehrt proportional dem Radius 1 des Kerns. Dazu kommt
noch ein Zahlenfaktor, der bei einer homogen geladenen Kugel
:1/5 beträgt. Wenn die Ladung ein wenig in Richtung auf die
Oberfläche verdrängt ist, wird er kleiner und nähert sich dem
Wert 1/%. Da aber der Radius ohnehin nicht sehr genau bekannt
ist, so können wir es bei dem Faktor 3/5 bewenden lassen, ob-
gleich sicher eine gewisse Verdrängung der Ladung gegen' die
Oberfläche besteht. Wir können diesen Energieanteil also
schreiben
3 (Z e)%
Ec = 5-'--'
Da nun aber der Radius 1 der dritten Wurzel aus dem Volumen,
also auch aus der Teilchenzahl, proportional ist, so können wir
schreiben 1 = 10 (N + Z) 1/,. Dabei ist 10 eine Konstante, die
sozusagen dem Radius eines Kerns mit der Teilchenzahl 1 ent-
sprechen würde, aber natürlich nicht mit dem Radius des Pw-
tons oder Neutrons identifiziert werden darf. Bezogen auf je
ein Teilchen beträgt also dieser Anteil rler Bindungsenergie
Ec 3 (Zer
N +-i = 5 (N + Z)'" 10 •
Auch dieses Glied ist unserer Gleichung mit positivem Vor-
zeichen hinzuzufügen, da die elektrische Abstoßung den Betrag
der gesamten BIndungsenergie verkleinert. Der vollständige
Ausdruck für die Bindungsenergie pro Teilchen lautet
schIießlich
~_ _ +B (N-Z)2 C +3 (Ze)2
N +Z - - A (N + ZJ2 + (N + Z)'13 5- (N + Z)'i;-:;:-~'
In diese Gleichung gehen vier Konstanten, A, B, C und 1 0 , ein,
von denen zunächst nur 10 aus den Abmessungen der Atom-
kerne, allerdings nur recht ungenau, bekannt ist.

79
Um diese Gleichung anzuwenden, muß man die vier Kon·
stanten genau kennen. Wüßten wir vom Innern des Kerns
und insbesondere von den Kernkräften mehr, als es tatsächlich
der Fall ist, so könnten wir sie theoretisch berechnen .. So aber
bleibt nur der umgekehrte Weg, daß man sie auf Grund des
vorliegenden Materials über die Bindungsenergien der Kerne,
alsQ über die Massendefekte, empirisch bestimmt. Auf diese
Weise hat sich z. B. nach einer Arbeit von Flügge und v. Droste
ergeben
3 e2
A 15,74, B = 22, C = 16,5, = 0,646 (in TME).
5 IO
Damit lassen sich tatsächlich die Bindungsenergien der Kerne
recht gut in Ubereinstimmung mit der Erfahrung darstellen.
In der Abb. 11 entspricht die ausgezogene Kurve unserer

Ei!

:
N+Z

~ ..
..........~-.--:-.--..,...-_.~----->~'--
1°0 50 100 N 150 200
+Z-
Abb, 11. Bindungsenergien der Kerne je Teilchen als Funktion von N +Z

Gleichung ungefähr den vorstehenden Werten der Konstanten.


und zwar stellt sie die Energie des für das betreffende Atom-
gewicht stabilsten. Elementes dar. Die Bindungsenergie ist, da
sie ja negativ ist, mit nach unten steigenden Beträgen auf-
getragen. Die eingetragenen Punkte sind die tatsächlich aus
den Massendefekten berechneten Bindungsenergien pro Teil-
chen. Die Dbereinstimmung ist, wie man sieht, sehr be-
friedigend.
Wir wollen diese Kurve nun im einzelnen diskutieren. Die
Lage ihres tiefsten Punktes ist jedenfalls ganz überwiegend

80
durch das größte Glied unserer Gleichung, also durch - A, be-
stimmt. Der Anstieg b1:!i kleinen Werten des Atomgewichts
rührt von der Oberflächenspannung her die natürlich bei leich-
ten Kernen die größte Rolle spielt. pen Arrstieg bei schweren
Kernen bewirkt die elektrische Abstoßung der Protonen.
Man kann ferner aus der angeschriebenen Gleichung ent-
nehmen, warum die leichteren Kerne meist ungefähr gleich
viele Protonen und Neutronen enthalten. Das von der Ab-
stoßungskraft herrührende letzte Glied wächst ja mit wachsen-
dem Wert von Z und spielt bei den leichten Atomen, bei
denen Z klein ist, noch keine wesentliche Rolle. Man kann
es daher hier außer acht lassen. Das dritte Glied hängt nur von
der Summe, nicht vom Verhältnis der Teilchenzahlen ab, wohl
aber das zweite Glied. Es verschwindet für N = Z, also bei
gleicher Protonen- und Neutronenzahl, und dann ist der Betrag
der Bindungsenergie am größten. Das also ist der energetisch
günstigste Zustand. Bei den schwereren Atomen aber, bei denen
das letzte Glied. schon eine merkliche Abnahme des Betrages
der Bindungsenergie bewirkt, ist das nicht der Fall. Es ist ener-
getisch günstiger, wenn man eine geringfügige Erhöhung des
'Zweiten Gliedes durch ein von 1 etwas nach oben abweichendes
Verhältnis NIZ in den Kauf nimmt, um dafür eine erh~blich
größere Verkleinerung des vierten Gliedes zu erreichen.
Tatsächlich ist ja die Bindungsenergie eine Funktion von N
und von Z, und wir können sie als solche in einem räumlichen
Koordinatensystem darstellen, indem wir etwa nach rechts die
Zah1 der ProtonenJ nach hinten die Zahl der Neutronen und
nach oben die Bindungsenerg-ie abtragen. Dann liefert unsere
Gleichung eine Fläche, da ja zu jedem Wertepaar (N, Z) ein
bestimmter Energiewert gehört. Aus der Gestalt dieser Energie-
fläche kann man alle Angaben entnehmen, die für die Beurtei-
lung der Stabilität eines Kerns erforderlich sind. In der Abb. 12
ist diese Fläche nach Art einer Landkarte mit Höhenlinien,
welche gleichen Bindungsenergien entsprechen, dargestellt. Als
Einheit der Energie ist 1 TME benutzt. Die Fläche liegt, da die
Bindungsenergien negativ sind, unter der Zeichnungsebene

81
und bildet sozusagen eine von links vorne nach rechts hinten
(also in "nordöstlicher" Richtung) abfallende Schlucht. In ihrer
Sohle liegen, wie die Häuser an einer etwas gewundenen
Straße, die stabilen Kerne. Kerne mit gleicher Teilchenzahl
liegen jeweils auf Geraden, dIe unter 45° von links oben nach
rechts unten streichen. Von ihnen ist stets der am tiefsten
liegende der stabilste. SO-
150
fern es die Erhaltungssätze
zulassen, sollte es möglich
sein, daß sich ein weniger
stabiler Kern in einen sta-
bileren umwandelt. Die
Kerne, die auf der linken
Seite der Sohle liegen,haben
-7200 zu viele Neutronen, müßten
sich also unter Emission
eines EIektrons umwandeln.
50
-800 Die auf der recht.en Seite
haben zu viele Protonen und
N müßten sich unter Emission
eines Positrons umwandeln..
Wir sehen aber, daß das
sehr häufig nicht geschieht,
Abb. 12. Lage der stabilen Kerne und und daß es oft zwei oder
Kurven konstanter Bindungsenergie
drei stabile Kerne mit glei-
cher Teilchenzahl N + Z, sogenannte isobare Kerne, gibt.
Dieser Sachverhalt kann erst aus den Feinheiten im Verlauf
der Talsohle erklärt werden, die unsere aus sehr allgemeinen
Annahmen abgeleitete Gleichung zunächst· nicht wiedergibt.
In Wirklichkeit zeigt die Talsohle kleine Windungen und auch
noch andere Feinheiten, über die uns die gemessenen Bin-
dungsenergien Auskunft geben. Immerhin kann man schon
jetzt sagen, daß jedenfails die stabilen Kerne alle in der Tal-
sohle oder in ihrer nächsten Nähe liegen, und man kann an-
geben, welcher Kern bei gegebernh Teilchenzahl der sta-
bilste ist.

82
Eine andere Darstellung der Verhältnisse gibt die Abb. 13.
Abszisse ist hier die Teilchensumme N + Z, Ordinate das
Teilchenverhältnis N/Z. Die ausgezogene Gerade entspricht
den Punkten in der Talsohle, und die Punkte steHen die Lage
der einzelnen stabilen Kerne dar. Man erkennt, wie sie sich
über die Talsohle und ihre nächste Umgebung verteilen.
In den Abb. 11, 12 und 13 sind nur die stabilen Kerne
berücksichtigt. Einen vollständigen Uberblick geben die Ta-
bellen IVa und IVb am Schluß des Buches, in die auch die

1,6

1.5

r~
N 1.3
Z
1.2
'. .
1,1
..
1,°0 50 100 150 200 2/10
N"Z-

Abb. 13. NIZ als Funktion von N + Z bei den stabilen Kernen

bekannten instabilen Kerne aufgenommen sind. Abszisse ist


die Protonenzahl Z, Ordinate die Teilchendifferenz l'{ - Z.
Stabile Kerne sind als schwarze Kreise, elektronenlabiie als
-aufrechte, positronenlabile durch auf dem Kopf stehende Drei-
ecke gekennzeichnet. Da erstere ein Zuviel, letztere ein Zu-
wenig an Neutronen besitzen, so liegen erstere bevorzugt bei
den größeren Werten von N - Z, also am oberen Rande der
Kernschar, letztere bevorzugt bei kleineren Werten von N - Z,
also am unteren Rande. Auffällig ist, daß sich vielfach auch
noch instabile Kerne zwischen die stabilen einschieben. Auf
die Gründe hierfür soll später eingegangen werden. Einige
Kerne wandeln sich auch dadurch um, daß sie ein Elektron
aus der innersten Schale der Atomhülle (der sog. K-Schale)

83
einfangen. Diese Kerne sind als "K-Strahler" durch einen Ring
gekennzeichnet. Hauptsächlich am Ende der Tabelle ist auch
eine Anzahl von Quadraten eingezeichnet, welche die alpha-
strahlenden Kerne darstellen.
Bisher wurde von der Stabilität gegenüber eitler Umwand-
lung unter Aussendung von Elektronen oder Positronen ge-
sprochen, jetzt soll aber auch' kurz von der Stabilität gegenüber
einer Umwandlung unter Aussendung von Alphastrahlen die
Rede sein. Aus der Abb. 11 erkennen wir an dem anfänglichen
Abfall und nachherigen Anstieg von EI (N + Zj, daß die Stabi-
lität der Kerne mit wachsender Teilchenzahl zunächst - etwa
bis Z + N = 40 - beträchtlich zunimmt, dann aber allmählich
wieder geringer wird, letzteres wegen des wachsenden Ein-
flusses der elektrischen Abstoßung. Dennoch ist auch hier
immer noch Arbeit zu leisten, um ein einzelnes Teilchen aus
dem Kern zu entfernen. Wir können uns nun aber· vorstellen,
daß wir 2 Neutronen und 2 Protonen gleichzeitig unter Leistung
der dazu nötigen Arbeit aus dem Kern herausnehmen und sie
außen zu einem Heliumkern vereinigen, wobei die sehr große
Energie von 30 MeV wieder frei wird. Ist diese Energie größer
als diejenige, die für die Abtrennung von vier einzelnen Teil-
chen erforderlich ist, so wird bei einem solchen Prozeß tat-
sächlich insgesamt Energie gewonnen, und er ist de:;halb
energetisch günstig und sollte spontan eintreten, und zwar
auf die Weise, daß sich im Kern ein Alphateilchen bildet und
alsbald emittiert wird. Die Aussichten dafür, daß dies zutrifft,
müssen mit wachsender Teilchenzahl wachsen, da ja gleich-
zeitig die Bindungsenergie pro Teilchen abnimmt. Man wird.
also, in Ubereinstimmung mit der Erfahrung, die Alphastrahler
unter den schwersten Kernen zu suchen haben. Tatsächlich
sinkt ja auch der Betrag der Bindungsenergie pro Teilchen bei
Annäherung an die schwersten Kerne wenigstens ungefähr auf
den Wert 6 bis 7 MeV, also auf ungefähr ein Viertel der Bin-
dungsenergie eines Heliumkerns.
Bei hoher Teilchenzahl ist auch in vielen fällen eine Auf-
spaltung eines Kerns in zwei nicht sehr verschieden große

84
Kerne energetisch günstig; etwa ein Kern der Masse 230 kann
in zwei Kerne von den Massen 100 und 130 zerfallen. Denn
die Summe der Beträge der Bindungsenergien dieser beiden
Kerne ist größer als der Betrag der Bindungsenergie des Kerns
mit der Masse 230. Derartige Atomspaltungen sind in der Tat
1938 von Hahn und Strassmann beobachtet worden.
Eigentlich muß man sich wundern; daß nicht alle schwereren
Elemente Alphastrahler sind oder in zwei etwa gleich große
Kerne aufspalten, sondern erfahrungsgemäß zum mindesten
außerordentlich lange zusammenhalten. Die Lebensdauern von
Alphastrahlern können viele Millionen Jahre betragen. Bezüg-
lich der Spaltungen sind die Lebensdauern noch viel größer.
Mit dieser Frage werden wir uns im 6. Vortrag beschäftigen.

8S
Fünfter Vortrag

Die Kernkräfte
1. Die allgemeinen Eigenschaften des Kernfeldes
Der Zusammenhalt der Protonen und Neutronen in den
Atomkernen wird durch Kräfte gewährleistet, die wir als Kern-
kräfte bezeichnet haben, und über deren Natur noch nicht ge-
sprochen wurde. Die außer ihnen wirksame elektrische Ab-
stoßungskraft hat im Kern nur eine auflockernde Wirkung.
Was kann nun über das Wesen dieser Kernkräfte schon heute
aus den Experiment.en entnommen werden? Zu Beginn soU
kurz erörtert werden, wie eine Antwort auf diese Frage über-
haupt aussehen kann. Wenn wir noch nicht wüßten, was elek-
trische Kräfte sind, wie könnte man dann ihr Wesen erklären?
Zunächst könnte man feststellen, daß elektrische Ladungen sich
mit einer Kraft abstoßen, die umgekehrt proportional mit dem
Quadrat ihres Abstandes abnimmt, Nach den Erfahrungen des
beginnenden 19. Jahrhunderts kann man hinzufügen, daß es
eine grundsätzliche Verbindung zwischen elektrischen und
magnetischen Kräften gibt derart, daß zeitlich veränderliche
elektrische Kräfte stets magnetische Kräfte hervorrufen und
umgekehrt. Man könnte ferner feststellen, daß· die Lichterschei-
nungen, die man früher als etwas Besonderes angesehen hatte,
zu diesen elektromagnetischen Erscheinungen gehören und
nichts anderes als elektromagnetische Wellen sind. Der nächste
Schritt wäre, daß das Licht in bestimmten Versuchen sich
nicht wie eine Welle, sondern wie fliegende Teilchen verhält,
also in Gestalt von Lichtquanten auftritt, und so würde man
auf eine Beziehung zwischen dem elektromagnetischen Feld
und den Lichtquanten stoßen. Eine wirklich erschöpfende Be-
schreibung der elektromagnetischen Kräfte aber wird erst
erreicht, wenn die mathematischen Gleichungen angegeben
86
werden können, nach denen die elektromagnetischen Kräfte
sich ändern und ausbreiten. Ein vollständiges Bild vom
"Wesen" dieser Erscheinungen geben erst die Maxwellsehen
Gleichungen im Verein mit den Gleichungen der Quanten-
theorie.
Soweit sind wir mit den Kernkräften noch nicht. Immerhin
kann man schon jetzt ein Bild zeichnen, das wohl qualitativ
richtig ist, und das etwa soviel enthält wie jenes von den
elektromagnetischen .Kräften - mit Ausnahme der exakten
mathematischen Formulierung.
Zunächst entsteht die Frage: Wie hängt die Ktaft zwischen
zwei Teilchen in einem Kern von ihrem Abstande ab? Ist sie
etwa auch umgekehrt proportional dem Quadrat dieses Ab-

• P-Proflln

o N-N~ufron
Abb. 14. Ablenkung eines Neutrons in der Nähe eines Protons

standes? Das einfachste Objekt zum Studium dieser Frage ist


das Deuteron; wir fragen nach der Kraft, die ein Proton und
ein Neutron zu einem Deuteron zusammenbindet. Wenn sie
bekannt ist, dann besteht gute Aussicht, auch den Zusammen-
halt anderer Kerpe zu begreifen. Die Kraft kann nicht elek-
trischer Natur sein; schon deshalb nicht, weil das Neutron un-
geladen ist. Dberdies wären elektrische Kräfte viel zu schwach,
um für die großen Energien aufkommen zu können, die aus
den Massendefekten foigen.
Es wurde bereits erwähnt, daß bei der Bildung eines Deu-
terons aus einem Proton und ~inem Neutron die Bindungs-
energie in Gestalt eines Lichtquants mit einer Energie von
2,3 MeV, also als elektromagnetische Energie, frei wird. Hier
spielt sicn daher ein Prozeß ab, bei dem sich Energie in eine
andere Form umwandelt, nämlich die nicht elektromagnetische
87
Energie des Kernfeldes in elektromagnetische Energie der
Strahlung. Die Energie des Kernfeldes hat also die Fähigkeit
zur Verwandhrng in andere Energieformen mit allen anderen
Energiearten gemein.
Ober die Abhängigkeit der Kernkräfte vom Abstand kann
man etwas erfahren, wenn man die Ablenknng untersucht, die
fliegende Neutrbnen erleiden, wenn sie in der Nähe eines
Protons vorbeikommen (Abb.14). Ober Neutronenquellen ver-
fügt die heutige Physik. Man braucht also die Neutronen nur
durch irgendeinen Stoff zu schicken, der Wasserstoff enthält,
also etwa ir'gendeinen Kohlenwasserstoff, wie Paraffin, oder
durch Wasser. Dann werden die Neutronen aus ihrer geraden
Bahn abgelenkt. Die Größe der Ablenkung eines Neutrons
hängt natürlich von dem Abstande ab, in dem es am Proton
vorbeifliegt. Es wird sehr viel häufiger vorkommen, daß dieser
Abstand groß ist, als daß er klein ist. Nahe Vorübergänge sind
sehr selten. Wenn die Kraft verhältnismäßig langsam mit dem
Abstande abnimmt, wie. etwa bei elektrischen Ladungen, dann
werden die Neutronen auch bei größerem Abstande immer
noch kleine Ablenkungen erfahren. Man wird dann feststellen,
daß sehr viele Neutronen Ablenkungen erfahren, die aber fast
alle nur gering sind,; große Ablenkungen werden demgegen-
über sehr selten sein. Wenn dagegen die Kraft mit dem Ab-
stande sehr schnell abnimmt, so werden die meisten Neutronen
überhaupt nicht merklich abgelenkt - werden. Bei den abge-
lenkten Neutronen, also bei den wenigen, die dem Proton ge-
nügend nahekamen, wird man jedoch kleine und große Ab-
lenkungen in vergleichbarer Häufigkeit beobachten.
Versu<;::he dieser Art haben ergeben, daß die Kraft zwischen
Neutron und Proton sehr viel schneller mit dem Abstande ab-
nimmt, als es bei der elektrischen Anziehung und Abstoßung
der Fall ist. Für eine genaue Ermittlung des Abstandsgesetzes
genügt zwar die Genauigkeit der Messungen noch nicht. Aber
man kann doch sagen, daß die Kraft schon bei einem Abstande
von 5 . 10-13 cm sehr klein geworden ist. Die Kraft zwischen
Proton und Neutron hat also eine sehr geringe Reichweite

88
und verhält sich in dieser Hinsicht völlig anders als eine elek-
trische Kraft.
Statt der Kraft kann man auch die potentielle Energie be-
trachten, die ein Neutron im Felde eines Protons (oder um-
gekehrt) besitzt. Dieser Energie schreiben wir willkürlich in
sehr großem Abstande den Wert 0 zu. Bei endlichem Abstande
ist sie dann negativ. Wegen der geringen Reichweite ist die
potentielle Energie bereits oberhalb eines recht kleinen Ab-
standes praktisch glerch O. Der ungefähre Verlauf der poten-
tiellen Energie als Funktion des Abstandes I ist in der Abb. 15
dargestellt. Sie steigt von hohen negativen Werten schnell bis
nahe an den Wert 0, dem sie sich dann weiter asymptotisch
nähert. Der Verlauf der potentiellen Energie für kleine Ab-
stände kann aus dem Massendefekt des Deuterons indirekt
erschlossen werden. Das System besitzt ja außer seiner poten-
tiellen Energie auch kinetische Energie, indem das Proton und
Neutron Schwingungen gegeneinander ausführen, wobei eine
dauernde Umwandlung von kinetischer Energie in potentielle
Energie und umgekehrt stattfindet. Die Summe dieser Energien
ist dann stets gleich der Bindungsenergie von 2,3 MeV, die in
der Abb. 15 als waagerechter Strich eingezeichnet ist. Die Größe
der mittleren kinetischen Energie kann man z. B. nach den
Unbestimmtheitsrelationen aus dem Durchmesser des Deuterons
abschätzen. Denn dieser endliche Durchmesser hat als Ge-
nauigkeit einet Ortskenntnis eine entsprechende Ungenauig-
keit der Geschwindigkeitskenntnis zur Folge, und die letztere
gibt quadriert und mit der halben Masse multipliziert ein Maß
für die mittlere kinetische Energie. Wenn man die kinetische
Energie und die Gesamtenergie kennt, kann man daraus die
potentielle Energie berechnen. Durch Betrachtungen dieser
Art ist AbI>. 15 entstanden.
Kräfte von kleiner Reichweite sind auch sonst in der
Natur bekannt; das wichtigste Beispiel sind die chemischen
Kräfte, die sogenannten Valenzkräfte (soweit es sich nicht
um die sogenannte "polare" Bindung handelt), also jene Kräfte,
die etwa in einem Wassermolekül zwei Wasserstoffatome an

89
ein Sauerstoffa.tom binden. Auch das sind Kräfte von kleiner
Reichweite, die praktisch nur bei unmittelbarer Berührung der
Atome wirken, bei größerem Abstande aber sofort verschwin-
dend klein werden.
Die sehr geringe Reichweite ist auch der Grund, weshalb
man weder die chemischen, noch die Kernkräfte an groben,
makroskopischen Gebilden wahrnehmen kann, was doch bei
elektrischen und magnetischen Kräften ohne weiteres möglich
ist. Die Kraft zwischen zwei Magnetpolen fühlen wir un-
mittelbar mit der Hand, mit der wir die Pole halten, und wenn

-2,J /'1r;Y

-27.J

Abb. 15. Abb. 16.


Potential der Kraft Neutron-Proton Potential der Kraft Proton-Proton

wir uns einer elektrischen Hochspannungsanlage näqenf, so


sträuben sich unsere Haare. Chemische Kräfte kann man nie
auf diese unmittelbare Weise fühlen. Sie wirken nur auf mole-
kulare Abstände. Genau so verhält es sich mit Kernkräften.
Sie sind nir.,gends wahrzunehmen als an den Kernerscheinungen
selbst.
Damit ist schon ein gewisser Uberblick gewonnen über die
Kraft zwischen einem Proton und einem Neutron. Wie steht
es aber mit der Kraft zwischen zwei Protonen? Man könnte zu-
nächst vermuten, daß zwischen ihnen lediglich die elektrische
Abstoßung wirksam wäre, da die Kraft zwischen Proton und
Neutron an sich genügen würde, um den Zusammenhalt der
Kerne und die Tatsache, daß die Kernmaterie im stabilen Zu-
stand aus ungefähr gleich vielen Protonen und Neutronen

90
besteht, zu erklären. Denn wenn eine Kraft nur zwischen
Proton und NeutroFl wirkt, so ist ja die Symmetrie von vorn-
herein gesichert. Erfahrungen über die Ablenkung von Pro-
tonen durch Protonen beweisen aber, daß auch zwischen
gleichartigen Teilchen, also nicht nur zwischen Protonen, son-
dern .auch zwischen Neutronen, Anziehungskräfte von ungefähr
der gleichen Größe wirksam sind, wie zwischen Proton und
Neutron. Bei zwei Protonen ist die Lage nur verwickelter, weil
sich der anziehenden Kernkraft noch die abstoßende elektrische
Kraft überlagert. Diese ist zwar bei sehr kleinem Abstande sehr
viel schwächer als die Kernkraft, so daß dann praktisch diese
allein wirksam ist. Aber wegen ihrer großen Reichweite ist sie
auch bei solchen Abständen noch merklich, bei denen die
Kernkraft schon längst unwirksam geworden ist. Wenn man
wieder ein Bild der potentiellen Energie eines Protons in den
verschiedenen Abständen von einem zweiten Proton zeichnet,
so erhält man etwa das in der' Abb. 16 dargestellte Bild. Bis
zu einem Abstande von der Größenordnung 5 . 10-13 cm ist das
Bild praktisch das gleiche wie in der Abb. 15. Aber die poten-
tielle Energie gehl von hier ab zunächst nicht asymptotisch
auf den Wert 0, sondern geht durch 0, erhebt sich zu positiven
Werten, um erst dann asymptotisch auf 0 abzufallen. Zwischen
zwei Protonen besteht ein sogenannter Potentialwall, und von
einem solchen wird später noch mehrfach die Rede sein.
Man könnte hiernach vermuten, daß es einen ZUstand gäbe,
bei dem zwei einzelne Protonen aneinander gebunden sind,
wenn nämlich ihr Abstand so klein wäre, daß die anziehende
Kernkraft die abstoßende elektrische Kraft überwiegt. Das ist'
aber wahrscheinlich nicht der Fall. Wie schon gesagt, führen
zwei aneinander gebundene Teilchen auch in ihrem normalen
oder Grundzustand - dem Zustand kleinster Energie - immer
noch Schwingungen gegeneinander aus, und dies,e sogenannte
Nullpunktschwingung ist wahrs~heinlich so heftig, daß sie eine
dauernde Bindung zweier einzelner Protonen nicht zuläßt. In
den komplizierteren Kernen spielt aber die Anziehung zwischen
den Protonen sicher eine wichtige Rolle.
7 Heisenberg, Atomkerne
91
Damit haben wir einen ersten Uberblick über die Kernkräfte
gewonnen. Die wichtigste Kraft ist die Anziehungskraft
zwischen Neutron und Proton. Es gibt ferner eine Kraft von
ähnlicher Größenordnung zwischen zwei Protonen oder zwei
Neutronen. Die Kernkräfte nehmen schnell mit dem Abstande
ab und ähneln darin den chemischen Valenz kräften, die auch
eine sehr kleine Reichweite haben.

2. Die Kernkräfte als Austauschkräfte

Wir wollen nun in der Fragestellung ebenso fortfahren, wie


wir es oben bei den elektrischen Kräften getan haben. Wir
fragen also, ob es etwa ein Analogon zu der Verknüpfung der
elektrischen Kräfte mit den Lichtquanten gibt. Zu diesem Zweck
soll noch einmal das in der Tabelle auf S. 57 dargestellte
Schema betrachtet werden. Die Bausteine der Atomhülle sind
die Elektronen, die durch das elektrische Feld an den Kern
gebund€n werden; das elektrische Feld ist mit den Lichtquanten
verknüpft, die das Atom bei gewissen Zustandsänderungen der
Hülle aussendet. Bausteine des Atomkerns sind die Neutronen
und Protonen, die durch das Kernfeld :zrusammengehalten
werden, während hier das elektrische Feld keine verbindende,
sondern eine auflockernde Rolle spielt. Auch hier gibt es Teil-
chen, die der Atomkern bei Zustandsänderungen aussendet,
und zwar müssen hier verschiedene Arten von Teilchen unter-
schieden werden. Da gibt es zunächst die Gammastrahlen oder
Lichtquanten. Diese sind als solche - ebenso wie die aus der
Atomhülle kommenden Lichtquanten - mit dem elektrischen
Feld im Kern verknüpft. Außerdem gibt es aber noch die bei
Kernumwandlungen ausgesandten Elektronen und Positronen
nebst den sie stets begleitenden Neutrinos. Letztere ähneln in
mancher Hinsicht den Lichtquanten; Sie unterscheiden sich von
ihnen dadurch, daß sie den Drehimpuls h/2 haben, während der
Drehimpuls der Lichtquanten 0 oder 11 ist.
Es liegt nahe, anzunehmen, daß die Aussendung dieser
Teilchen in einer analogen Weise mit dem Feld der Kernkräfte

92
verknüpft ist wie die Aussendung der Lichtquanten in der Hülle
mit dem elektrischen Felde. Diese Analogie aber wür.de be-
deuten, daß die Kraft zwischen Neutron und Proton vermöge
der Elektronen, Positronen und Neutrinos übertragen wird.
Wenn wir einem Felde auf diese Weise gewisse Teilchen zu-
ordnen, so darf das aber nicht dahin mißverstanden werden,
als bestehe das Feld aus solchen Teilchen. Der Ausdruck
"besteht aus" täuscht immer vor, als könne das Feld gewisser-
maßen durch solche Teilchen ersetzt gedacht werden. Tat-
sächlich sind aber Feld und Teilchen sozusagen nur ver-
schiedene Seiten des gleichen physikalischen Sachverhalts,
ähnlich, wie dies früher bei den Atomhüllen besprochen wurde.
Am richtigsten drücken wir uns aus, wenn wir sagen: Es
gibt ein Kernfeld, und dieses Kernfeld erscheint uns bei den
stationären Zuständen als ein kontinuierlich mit kurzer Reich-
weite nach außen abfallendes Feld, oder es erscheint uns bei
nichtstationären Vorgängen als Wellensti'ahlung. Letztere kann
man je nach der Beobachtungsmethode als eine Wellenstrah-
lung oder als Teilchen beobachten. Es hängt von der Art des
betreffenden Versuchs ab, ob die Strahlung sich in der einen
oder der anderen Gestalt offenbart. Wir wollen uns das an den
vertrauteren Verhältnissen eines elektrischen Feldes zu ver-
deutlichen suchen, indem wir die Kraft, die ein Elektron auf ein
anderes ausübt, in zwei Sprachen beschreiben, einmal in. der
Wellensprache und dann in der Teilchensprache.
Wir können erstens sagen, daß ein Elektron um sich herum
ein elektrisches Feld erzeugt, das sich nach den Maxwellsehen
Gleichungen ausbreitet, und dieses elektrische Feld wirkt dann
auf ein zweites Elektron und erze.ugt an ihm eine Kraft. Im
anderen Bilde heißt es: Das eine Elektron erzeugt ein Teilchen,
ein 'Lichtquant, und dieses Lichtquant wird dann von einem
anderen Elektron absorbiert. Im einen Fall sagen wir also
"Erzeugung eines Feldes", im anderen "Erzeugung eines Teil-
chens"; im einen sagen wir "Wirkung eines Feldes auf das
Teilchen", im anderen "Absorption des Lichtquants durch das
1*
93
Teilchen". Schematisch läßt sich dieser Sachverhalt so aus-
drücken:
Wellenbild: Elektron erzeugt Feld; Feld wirkt auf zweites
Elektron.
Tei1chenbild: Elektron emittiert Lichtquant; Lichtquant wird
absorbiert durch zweites Elektron.
In beiden Fällen handelt es sich um -eine Beschreibung des
gleichen Sachverhalts. Die erste Art ist jedem geläufig, der es
einmal mit elektrischen Feldern zu tun gehabt hat. Die zweite
Art ist den meisten ungeläufig, weil es in der Technik und in
der makroskopischen Physik überflüssig wäre, wenn man sich
das .elektrische Feld immer als mit Lichtquanten verknüpft vor-
stellen wollte. Aber unter atomaren Verhältnissen ist es ge-
legentlich· zweckmäßig. Bei der Strahlung von Atomen ist es
häufig zweckmäßiger, von Lichtquanten als von Kugelwellen zu
sprechen.
Nun wollen wir genau die gleiche Formulierung bei den
Kräften zwischen Protonen und Neutronen verwenden. Wir
können erstens sagen: Das Neutron erzeugt ein Kernfeld, und
dieses Feld wirkt auf das Proton. Das ist die Formulierung in
der Wellensprache. In der Teilchensprache dagegen heißt es:
Das Neutron erzeugt Teilchen, und diese Teilchen werden vom
Proton absorbiert. Wir 'Wollen das wieder schematisch hin-
schreiben:
Wellenbild: Neutron erzeugt Feld; Feld wirkt auf Proton.
Teilchenbild: Neutron emittiert Elektron + Neutrin~; Elek-
tron und Neutrino werden absorbiert durch
Proton.
Wenn wir die Kraft zwischen Neutron und Proton auf diese
Weise interpretieren, so erkennen wir, daß mit der Kraft-
wirkung ein Ladungsaustausch verbunden ist. Wenn nämlich
ein Neutron, um die Kraft auszuüben, ein Elektron und ein
Neutrino emittieren muß; so ändert es dabei seine Ladung; es
verwandelt sich in ein Proton. Und umgekehrt verwandelt sich
das Proton durch die Absorption des Elektrons und des Neu-

94
trinos in ein Neutron. Eine ganz entsprechende Umwandlung
kann aber auch dadurch geschehen, daß ein Proton ein Positron
und ein Neutrino emittiert, die dann vom Neutron absorbiert
werden.
Dte Kernkräfte sind also mit einem Austausch von ge-
ladenen Teilchen verbunden, und man bezeichnet daher Kräfte
von diesem Typus als Austauschkräfte. Sie sind von einer sehr
eigentümlichEm Art, und es ist für sie kennzeichnend, daß mit

G-'
ihrer Wirkung eine Vertauschung, ein Rollenwechsel der beiden
Partner verknüpft ist. Sie unterscheiden sich also in dieser Hin-
sicht durchaus von den elektrischen Kräften. Aber es zeigt
sich wieder eine enge Verwandtschaft
e
mit den chemischen Kräften. Die
Quantentheorie hat klargestellt, daß I \
auch sie im allgemeinen als Austausch- • I • \
kräfte anzusprechen sind. Auch bei \ I
ihnen erfolgt ein solcher Ladungsaus- - ./
tausch. Den einfachsten Fall bildet das Wasserstoff·Molekülion
Abb. 17.

Wasserstoff-Molekülion, das aus einem


Wasserstoffatom und einem Wasserstoffkern besteht (Abb. 17).
Es handelt sich also um zwei Protonen, um die ein Elektron
kreist. Dieses Ion ist ein recht stabiles Geb-ilde, und die Kraft,
die es zusammenhält, rührt davon her, daß das eine Elektron
bald um das eine, bald um das andere Proton kreist. Also auch
hier ist die Kraft mit einem Austausch von Ladung - Dbergang
des Elektrons von einem zum anderen Proton - verknüpft.
Ganz so einfach, wie wü es bisher dargestellt haben, verhält
es sich allerdings in Wirklichkeit noch nicht. Wenn die Ana-
logie so zuträfe, wie sie besprochen wurde, müßte man in ähn-
licher Weise auf die Häufigkeit eines Betazerfalls schließen
können, wie man in der Atomhülle .die Häufigkeit der Emission
eines Lichtquants berechnet. In einer Atomhülle, die sich in
einem angeregten Zustande befindet, besteht ja in jedem Augen-
blick eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Aussendung einer
Lichtstrahlung. Mit den Worten "eine gewisse Wahrscheinlich-
keit" ist folgendes gemeint: Im Wellenbild wird infolge der

95
dauernden Bewegungen der Elektronen eine in den Raum aus-
tretende Wellen strahlung erzeugt. Im Teilchenbild dagegen
besteht in jedem Augenblick eine gewisse Wahrscheinlichkeit
für die Emission eines Lichtquants. Diese beiden Darstellungen
sind dadurch miteinander verknüpft, daß diese Wahrscheinlich-
keit durch die Stärke der ausgesandten Welle gegeben ist. Je
stärker die Welle, um so größer ist auch die Strahlungswahr-
scheinlichkeit, um so kurzlebiger der angeregte Zustand. Seine
Lebensdauer hängt also von der Schwingungsweite der Elek-
tronen ab.
Ganz entsprechend müßte die Lebensdauer eines gegen
Betazerfall labilen Kerns von der Intensität der Wellen-
strahlung abhängen, die den Kern verläßt. Wenn man diese
Rechnung aber im Anschluß an die oben geschilderten Dber-
legungen durchführt, so kommt man zu sehr viel kleineren
Lebensdauern, als man sie in Wirklichkeit beobachtet. Hier
besteht noch eine Unstimmigkeit. Sie hat den Japaner Yukawa
zu einer etwas abgeänderten Theorie geführt. Yukawa nimmt
an, daß sich zwischen das Kernfeld und die Elektronen, Posi-
tronen und Neutrinos noch eine andere Teilchenart einschaltet,
die sogenannten Mesonen. Wir haben von ihnen bereits früher
gesprochen. Nach der Theorie von Yukawa sollte bei einer
Kernumwandlung eigentlich ein Meson ausgesandt werden. Es
wird nur deshalb nicht ausgesandt, weil es eine zu große Ruh-
masse hat, so daß die Energie m c2 für seine Erzeugung nicht
zur Verfügung steht. Ein Meson hat aber die Möglichkeit, spon-
tan in ein Elektron oder Positron und ein Neutrino zu zerfallen,
und das geschieht im Augenblick seiner Entstehung, so daß es
genügt, die Energie zur Erzeugung der leichten Teilchen, Elek-
tron und Neutrino, aufzubringen. In dieser Theorie wird also
ein Kernumwandlungsvorgang in zwei Schritte zerlegt. Zu-
nächst Wird aus dem Kernfeld ein Meson geschaffen oder rich-
tiger, das Kernfeld ist mit dem Meson identisch, das sich nur
mangels Energie für seine Erzeugung nicht als reelles Teilchen
manifestieren kann. Dieses Meson aber kann in ein Elektron
oder Positron und ein Neutrino zerfallen.

96
Dieses Bild wird durch manche Erfahrungen gestützt.
Erstens hat man, und zwar erst nach der Aufstellung der Theorie
von Yukawa, Teilchen mit der für die Mesonen in Frage kom-
menden Masse von 150 bis 200 Elektrohenmassen wirklich in
der kosmischen Strahlung beobachtet. Sie entstehen wahr-
scheinlich beim Zusammenstoß sehr energie reicher Protonen
und Neutronen. Es gibt also wirklich solche "halbschweren"
Teilchen, die man seit ihrer Entdeckung durch Anderson
"Mesonen" (oder "Mesotronen'·) nennt. Daß man sie beim
Betazerfall nie beobachtet, wird ja durch ihre allzu große Ruh-
masse erklärt. Und schließlich sind die in der kosmischen
Strahlung beobachteten Mesonen tatsächlich instabil und zer-
fallen in sehr kurzer Zeit in ein Elektron oder Positron und -
wahrscheinlich - ein Neutrino.
Es sieht demnach so aus, als ob zum Kernfeld tatsächlich
die Mesonen gehören, die ihrerseits die Möglichkeit haben, zu
zerfallen und dadurch eine Betastrahlung hervorzurufen. Man
kann zeigen, daß sich auf diese Weise die richtige Größen-
ordnung für die Lebensdauer betalabiler Kerne ergeben kann.
Man muß daher die letzte Zeile des oben angeschriebenen
Schemas abändern und dafür setzen: Das Neutron emittiert ein
Meson, und das Meson wird vom Proton absorbiert und um-
gekehrt. Dazu ist noch zu bemerken, daß es - analog zu den
Elektronen und Positronen - negative und positive Mesonen
gibt. Man kann natürlich noch nicht sagen, daß diese Theorie
heute schon experimentell gesichert sei. Dazu ist das vor-
liegende Versuchsmaterial noch zu klein. Sicherheit wird man
erst erlangen, wenn die Verhältnisse in der kosmischen Strah-
lung besser geklärt sein werden, und vor allem, wenn man
besser über die Umwandlungs- und Teilchenerzeugungsvor-
gänge Bescheid wissen wird, die beim Zusammentreffen sehr
energiereicher Teilchen vor sich gehen.

3. Die Absättigung der Kernkräfte


Die schon erwähnte Analogie mit den Valenzkräften legt
nun eine Folgerung nahe, die wir hier zwar nicht begründen,
97
aber wenigstens plausibel machen ·können. Ein wesentlicher
Unterschied der Valenzkräfte gegenüber den elektrischen
Kräften ist - neben allen übrigen Unterschieden - daß sie
abgesättigt werden können. Der Chemiker versieht das Sym-
bol jedes Atoms mit einer bestimmten Zahl von Valenzstrichen,
deren Anzahl seiner Wertigkeit entspricht. In der Formel einer
abgesättigten chemischen Verbindung endet jeder solche
Valenzstrich, der von dem Symbol eines Atoms ausgeht, am
Symbol eines anderen Atoms, von dem wiederum ebenso viele
Striche ausgehen, wie seiner Wertigkeit entspricht. Ein Bei-
spiel ist das Kohlendioxyd O=C=O, die Verbindung des vier-
wer ti gen Kohlenstoffatoms mit zwei zweiwertigen Sauerstoff-
atomen. Das Charakteristische hierbei ist, daß ein Atom, dessen
Valenzstriehe sämtlich besetzt sind, abgesättigt ist, d. h. seine
Valenzkraft aufgebraucht hat. So sind z. B. im Wassermolekül
H-O-H die heiden Valenzen des O-Atoms durch H-Atome
ab gesättigt, und weitere H-Atome können nicht gebunden
werden. Es gibt kein einigermaßen normales Molekül etwa vom
Typus OH 3 .
Einen ganz ähnlichen Absättigungscharakter haben nun
auch die Kernkräfte. Ein Neutron kann höchstens zwei Pro-
tonen und ein Proton höchstens zwei Neutronen an sich binden.
Wenn man dies durch Valenzstriehe andeuten will, so müßte
man einem Proton zwei Valenzstriche geben, die nur auf Neu-
tronen gerichtet sein können, und einem Neutron entsprechend
zwei Valenzstriche, die nur auf Protonen gerichtet sein können.
Das ist allerdings noch nicht ganz richtig, weil dabei die Kräfte
vernachlässigt sind, die zwischen je zwei Protonen oder je zwei
Neutronen wirksam sind. Aber es ist eine· erste Näherung an
die richtigen Verhältnisse. Dieser Absättigungscharakter der
Kernkräfte bewirkt nun auch, daß - wie schon besprochen
wurde - die Bindungsenergie der einzelnen Kernbausteine
nicht von der Größe des Kerns abhängt. Wenn sich ein Teilchen
an einen Kern anlagert, so tritt es schon wegen der sehr kleinen
Reichweite der Kernkräfte nur mit seinen unmittelbaren Nach-
barn in Wechselwirkung - ganz anders als bei einer elek-

98
trischen Kraft -, und zweitens kann es sich wegen der Ab-
sättigung der Kräfte auch nur mit zweien von ihnen verbinden.
Damit wird der Vergleich der Kernmaterie mit einer Flüssig-
keit no!:h sehr viel besser gerechtfertigt. Denn mit den Atomen
in einer Flüssigkeit verhält eS.sich auf Grund der sehr ähnlichen
Eigenschaften der für ihren Zusammenhalt verantwortlichen
Kräfte grundsätzlich ebenso.

4. Die Stabilität der Atomkerne


Aus dieser Erkenntnis läßt sich der wichtige Schluß ziehen,
daß in den Kernen die Zahl 2, überhaupt die geraden Zahlen,
eine bevorzugte Rolle spielen müssen. Man kann erwarten, daß
Kerne, die eine gerade Zahl sowohl von Protonen als auch von
Neutronen besitzen, besonders stabil sind. Denn da jedes Pro-
ton zwei Neutronen. und jedes Neutron zwei Protonen zu binden
vermag, so können in diesem Fall - und nur in diesem - alle
Valenzen ausgenutzt werden. Das ist natürlich energetisch
günstiger, als wenn bei ungerader Zahl die Valenz eines Protons
oder Neutrons nicht ausgenutzt wird.
Aber es gibt noch einen zweiten Grund, der die Zahl 2 aus-
zeichnet, nämlich das Paulische Ausschließungsprinzip, das
schon bei der Atomhülle erörtert wurde. Es besagt, grob gesagt,
daß in einem stationären Zustand - in der Atomhülle ist das
eine bestimmte Elektronenbahn oder, im Wellenbild aus-
gedrückt, eine bestimmte stehende Schwingung mit .einer vor-
gegebenen Richtung des Elektronenspins - immer nur ein eiR-
ziges Teilchen Platz hat. Wenn man berücksichtigt, daß der
Drehimpuls des Elektrons entweder positiv oder negativ, das
heißt im einen oder im entgegengesetzten Sinne gerichtet sein
kann, so kann der letzte Satz auch in der Form ausgesprochen
werden, daß es in der gleichen stationären Bahn der Atomhülle
nicht mehr als zwei Elektronen (mit entgegengesetztem Dreh-
impuls) geben kann. Das gleiche gilt für die Neutronen und
Protonen in den Kernen, die ebenfalls einen Drehimpuls haben.
Daher kann es auch in jeder stationären Bahn in einem Kern

99
nicht mehr als zwei. Neutronen oder Protonen geben. Es ist
jedenfal~energetisch am günstigsten, wenn die dadurch ge-
gebene Möglichkeit auch voll ausgenutzt ist. Diese Tatsache.
führt wieder zu einer Bevorzugung von Kernen mit geraden
Neutronen- und Protonenzahlen ..
Besonders deutlich zeigt sich diese Bevorzugung der Zahl 2
beim Kern des .gewöhnlichen Heliums ~He, der aus 2 Neutronen
und 2 Protonen besteht. Er ist ein besonders stabiles Gebilde,
und das gleiche gilt für· seine aus 2 Elektronen bestehende
Hüne. Das letztere erkennt man daran, daß Helium ein Edelgas
ist und keine chemischen Verbindungen eingeht. Tatsächlich
ist die Bindungsenergie des Heliumkerns außerordentlich groß,
nämlich 30 MeV. Dagegen beträgt diejenige des Deuterons,
das aus 1 Neutron und 1 Proton besteht, nur 2,3 MeV, wie schon
besprochen wurde. In ihm ist nur je eine Valenz des Protons
und des Neutrons ausgenutzt, während im Heliumkern sämt-
liche Valenzen abgesättigt sind.
Es ist also allgemein zu erwarten, daß sich die Bevorzugung
gerader Zahlen durch eine besonders große Stabilität der Kerne
mit gerader Protonen- und gerader Neutroneooahl, dei: "doppelt
geraden" Kerne, kundtun wird. Kerne, bei denen eine der beiden
Zahlen, N oder 2, .gerade, dje andere ungerade ist,· werden
weniger stabil, solche, bei denen beide Zahlen ungerade sind,
noch weniger stabil sein. Dafür gibt es zunächst einen empi~
rischen Beweis im großen. Man wird erwarten dürfen, daß eine
bestimmte Kernart in der Natur um so häufiger vertreten ist,
je stabiler sie ist. Denn schon bei der ersten Bildung der Kerne
aus ihren Bausteinen werden sich die stabilsten Kerne auch am
häufigsten bilden und in der Folge auch bevorzugt ernalten
bleiben. Nun hat schon vor vielen Jahren Harkins versucht,
empirische Beziehungen zwischen der Geradzahligkeit und Un-
geradzahligkeit einerseits und der Häufigkeit der Elemente
andererseits festzustellen. Er fand, daß tatsächlich diejenigen
Atomarten die weitaus häufigsten sind, von denen wir heute
wissen, daß sie "doppelt gerade" Kerne haben. Kerne, bei denen
eine der beiden Zahlen· ungerade ist, die "ungeraden" Kerne,

100
sind sehr viel seltener, und am seltensten sind Kerne mit zwei
ungeraden Zahlen, die "doppelt ungeraden" Kerne.
Zu den häufigsten Elementen gehört der doppelt gerade
Sauerstoff l~O. Erheblich seltener ist z. B. das ungerade
Lithium ~Li. . Doppelt ungerade stabile Kerne schließlich gibt
es nur -ganz wenige., Der einfachste von: ihnen ist der Kern des
Deuteriums 2 D, das Deuteron. Außerdem gibt es von dieser Art
hUF noch die Atomarten Lithium gLi, Bor 19 B, Stickstoff l~ N.
Diese vier einfachsten
doppelt ungeraden Kerne
sind aber auch die ein-
zigen stabilen Kerne
dieser ArL Alle übrigen
sind radioaktiv und wan-
deln sich durch Emission
von Elektronen oder Po-
sitronen um.
Auf Grund dieser ~~-~_ _~.....L.---J'--_-'-_ _-,--
Dberlegungen soll die
Frage der Stabilität von 11=91
Kernen noch genauer Abb. 18. Bindungsenergie ungerader Kerne
erörtert werden. Die
Energiefläche wurde schon früher beschrieben (Abb. 12). Sie
ist eine stark abschüssige Fläche mit einer Rinne, in deren
Grund die stabilen Kerne, liegen. Wir legen nun durch die
Fläche einen Schnitt, der von links oben nach rechts unten
unter 45° gegen die Achsen quer zur Rinne verläuft und uns
einen Querschnitt durch die Ebene gibt (Abb. 18). Durch die
Art der Schnittführung erreichen wir, daß auf diesem Quer-
schnitt lauter Kerne mit gleicher Summe N + Zr also mit
gleicher Massenzahl, liegen. Wie legen ihn zunächst so, daß
N + Z ungerade ist. Es ergibt sich eine Kurve mit einem
Minimum in der Talsohle. Auf der Kurve liegen lauter Kerne,
die durch Aussendung eines Elektrons oder eines Positrons
ineinander übergehen können; nur der am tiefsten liegende
Kern, der Kern mit dem größten Betrage der Bindungsenergie,

101
sollte stabil sein. In die Zeichnung haben wir auf der Abszisse
wachsende Neutronenzahlen (auf deren Beträge es hier nicht
ankommt), auf der Ordinate die Bindungsenergie eingetragen.
Da N + Z konstant ist, bedeutet wachsendes N - Z zunehmen-
des N und abnehmendes Z. Die rechts vom Minimum liegenden
Kerne haben also eine größere Neutronenzahl und eine kleinere
Protonenzahl als der stabile Kern und werden sich durch ein-
oder mehrmalige AlJ.s-
E sendung eines Elek-
trons schrittweise in
den stabilen Kern um-
wandeln. Die links-
liegenden Kerne da-
gegen, die eine größere
Protonenzahl und eine
kleinere Neutronenzahl
als der stabile Kern
haben, werden das
gleiche durch Aussen-
5 8 10 12 14 15
dung von Positronen
N-Z -
J/=92
oder durch Einfangung
Abb. 19. Bindungsenergien der geraden Kerne
eines Elektrons aus der
Atomhülle (rrK-Strah-
lung") bewirken, wie es die Pfeile in der Abb. 18 andeuten. Das
entspricht auch völlig der experimentellen Erfahrung. Die
Abb. 18 und 19 geben die Verhältnisse bei den speziellen
Massenzahlen 91 und 92 wieder.
Bei den geraden Atomen, bei denen also N + Z gerade ist,
verhält es sich erheblich anders. Hier macht sich eine der
Feinheiten der Energiefläche bemerkbar, die von unserer im
vierten Kapitel aufgestellten Gleichung nicht wiedergegeben
wird. Es besteht eben der besprochene Unterschied in der Sta-
bilität, also in der Bindungsenergie, der doppelt geraden
und der doppelt ungeraden Kerne. Die ·ersteren haben, wie
schon gesagt, einen erheblich größeren Grad von Stabilität als
die letzteren. Wir müssen deshalb für die beiden Arten von

102
Kernen zwei verschiedene Kurven zeichnen, von denen die-
jenige der doppelt geraden, also stabileren Kerne, tiefer liegt
als diejenige der doppelt ungeraden (Abb. 19). Die Umwandlung
eines Kerns in eiqen anderen kann immer nur in einzelnen
Schritten, also nur unter Aussendung eines Elektrons oder
Positrons (und des zugehörigen Neutrinos) erfolgen, niemals
unter gleichzeitiger Aussendung zweier Elektronen oder Posi.
tronen. Nun ist zwar z. B. noch die Umwandlung des Kerns
mit N - Z = 6, d. h. N = 49, Z = 43, also eines doppelt un-
geraden Kerns, in den doppelt geraden Kern Mo mit N - Z = 8
unter Aussendung eines Positrons möglich, wie es durch den
Pfe'il angedeutet ist, denn dabei wird Energie frei. Damit aber
eine weitere Umwandlung in den stabilsten Kern Zr mit
N - Z = 12, d. h. N = 52, Z = 40 erfolgte, müßte sich der
Kern Mo mit N - Z = 8 zunächst unter Aussendung eines
weiteren PositroFlS in den Kern Nb mit N - Z = 10, also
wieder in einen doppelt ungeraden Kern verwandeln. Das aber
ist energetisch nicht möglich, weil dazu ein Aufwand an
Energie nötig wäre. Vielmehr kann sich umgekehrt der
Kern Nb mit N - Z = 10 durch Aussendung eines Elektrons
in den Kern Mo mit N - Z = 8, oder aber unter Aussendung
eines Positrons in den stabilsten Kern Zr mit N - Z = 12 um-
wandeln. So liest man aus der Abb. 19 ab, daß außer dem
stabilsten Kern Zr in der Talsohle auch noch andere, etwas
höherliegende doppelt gerade Kerne von gleicher Massenzahl
stabil sein können, während die auf der oberen Kurve liegen-
den doppelt ungeraden Kerne sämtlich instabil sind. In der
Abb. 19 sind die Umwandlungsmöglichkeiten wieder durch
Pfeile angedeutet. Pfeile, die nach rechts unten weisen, ent-
sprechen der Aussendung von Positronen (evtl. K-Strahlung),
solche, die nach links weisen, der Aussendung 'Von Elektronen.
Die instabilen Kerne der oberen Kurve können also, soweit
entsprechende stabile Kerne auf der unteren Kurve liegen, auf
beide Weisen. zerfallen. Ein Beispiel ist der Kaliumkern tgK,
der sich durch ElektronenstrahlUllg in den Calciumkern ~ Ca

103
oder durch Positronenstrahlung in den Argonkern 19Ar um-
wandeln kann.
Wir entnehmen unseren Kurven also folgende, an der Er-
fahrung zu prüfende Vdraussagen:
1. Bei ungerader Massenzahl, also bei den ungeraden Ker-
nen, gibt es zu jeder Massenzahl nur einen einzigen stabilen
Kern. Die übrigen sind entweder elektronen- oder positronen
(oder K-Strahlungs-) labil.
2. Bei gerader Massenzahl und gerader Neutronen- und
Protonenzahl, also bei den doppelt geraden Kerrien, gibt es
im allgemeinen mehrere, aber nicht viele, etwa zwei oder drei
stabile Kerne mit gleicher Massenzahl.
3. Stabile Kerne mit gerader Massenzahl und ungerader
Neutronen- und Protonenzahl, also doppelt ungerade Kerne,
wird es im allgemeinen überhaupt nicht geben.
Von der letzteren Regel gibt es aber einige Ausnahmen
bei den leichtesten Kernen. Sie erklären sich durch eine be-
sonders starke Krümmung der beiden Kurven, die bewirkt,
daß der stabilste Kern, der dann etwa im Minimum der oberen
Kurve liegt, tiefer liegt als die benachbarten Kerne der
unteren Kurve.
Im übrigen findet man aber diese Voraussagen in der
Erfahrung fast durchweg bestätigt, wie ein Blick auf die
Tabelle IV zeigt, in der ja die stabilen Kerne als schwarze
. Punkte, die labilen Kerne als aufrechte Dreiecke (Elektronen-
strahler) oder nach unten gerichtete Dreiecke (Positronen-
strahler) eingetragen sind. Bei genauerer Betrachtung stellt
man fest, daß tatsächlich mit ganz wenigen Ausnahmen zu
einer ungeraden Massenzahl nie mehr als ein stabiler Kern
gehört. Das ist die Mattauchsche Regel. Atome mit gleicher
Massenzahl liegen auch hier auf einer unter 45° gegen die
Abszisse nach links oben ansteigenden Geraden. Auf einer
solchen Geraden liegen z. B. der Palladiumkern li~Pd, der Silber-
kern l~Ag, der Cadmiumkern 11~Cd und der Indillmkern l!pn.
Nur der Kern l!~Cd ist stabil, die beiden Kerne ll~l'd, ll~Ag

104
senden Elektronen aus, der Kern l!~In emittiert: Positronen. So
findet man in der Tabelle durchweg bestätigt, daß neben einem
stabilen Kern von ungerader Massenzahl auf der gleichen
Geraden immer nur instabile Kerne von gleicher Massenzahl
liegen. Eine Ausnahme findet sich bei der Massenzahl 113. Es
gibt sowohl den stabilen Indiumkernl!~In als auch den stabilen
Cadmiumkern ll~ Cd. Sie dürfte sich dadurch erklären, daß diese
beiden Kerne zufällig ungefähr gleich hoch zu beiden Seiten
des Minimums der Energiefläche liegen, und daß ihre Energie-
differenz zu gering ist, um ein Elektron und ein Neutrino ent-
stehen oder mit meßbarer Wahrscheinlichkeit ein Elektron
einfangen zu lassen, so daß eine Umwandlung des einen in den
anderen nicht möglich ist. Es gibt vielleicht noch einige weitere
Ausnahmen, aber das ist experimentell noch nicht ganz sicher-
gestellt.
Bei gerader Massenzahl ist das Auftreten mehrerer stabiler
Keme mit gleicher Massenzahl die Regel. Man nennt solche
Kerne isobare Kerne. Wegen dieser Bevorzugung der geraden
Zahlen gibt es auch zu jed~m Kern mit gerader Protonenzahl
(oder Kernladung) immer. eine mehr oder weniger große Zahl
von stabilen Isotopen, also von stabilen Kernen mit gleicher
Ladung, deren Atome sich chemisch identisch verhalten und
alle dem gleichen Element angehören. Die Elemente ungerader
Kernladung besitzen dagegen viel weniger stabile Isotope. So
gehören zum Element Titan mit der geraden Protonenzahl 22
nicht weniger als 5 stabile Isotope; dagegen hat das benach-
barte Vanadium mit der Protonenzahl 23 nur ein einziges
stabiles Isotop. Das darauffolgende Chrom besitzt wiederum
5 Isotope, das darauffolgende Mangan wieder nur ein einziges.
Das Cadmium mit der Protonenzahl 48 hat sogar 8 stabile Iso-
tope, während es von dem ihm vorangehenden Silber (Z = 41)
nur 2 stabile Isotope gibt. So geht es durch das ganze
periodische System.
Die besprochenen Annahmen über die Natur der Kern-
kräfte, insbesondere ihre geringe Reichweite und ihre Fähigkeit
zur Absättigung finden also in den aus ihnen für die Häufig-

105
keit und die Stabilität der einzelnen Kernarten gezogenen
Folgerungen eine sichere Stütze an der Erfahrung.
Wir wollen an die Existenz von Isotopen der einzelnen
Elemente hier die Erklärung dafür anknüpfen, weshalb die
wenigstens bis zu einem gewissen Grade auf das Richtige
zielende Proutsche Hypothese, die auf der Ganzzahligkeit
der damals bekannten Atomgewichte fußte, fast 100 Jahre lang
in Vergessenheit geraten konnte. Die Mehrzahl der in der
Folge gemessenen Atomgewichte der schwereren Elemente
erwiesen sich in keiner Weise als ganzzahlig oder auch nur
als angenähert ganzzahlig. Das aber hat seinen einfachen Grund
in der Existenz der Isotope. Jedes mit chemischen Mitteln rein
dargestellte Element ist, sofern es mehrere Isotope besitzt, ein
Isotopengemisch. Die Massen der einzelnen ISQtope sind in
der. Tat stets angenähert ganzzahlig. Aber die chemischen
Verfahren können immer nur die durchschnittliche Masse der
Atome des Isotopengemischs erfassen, die vom jeweiligen
Mischungsverhältnis abhängt und natürlich alle möglichen
nicht ganzzahligen Werte annehmen kann.

106
Sechster Vortrag

Die Kernprozesse
1. Die Alphastrahlung

In den vorhergehenden Vorträgen wurde vielfach von Um-


wandlungen von Atomkernen gesprochen. Bei einer solchen
Umwandlung verwandelt sich ein chemisches Element in ein
anderes, und so hat die heutige Kernphysik in gewisser Weise
die Hoffnungen erfüllt, mit denen einst die alten Alchemisten
an ihre Arbeit gegang-en sind. Diese Umwandlungen solten nun
genauer betrachtet werden. Dabei erheben sich zwei Fragen:
Welche Elemente können ineinander verwandelt werden?
Unter welchen Bedingungen ist eine Umwandlung überhaupt
möglich? Bei ihrer Beantwortung teilen wir die Umwandlungs-
prozesse in zwei Gruppen ein, in solche, die von selbst ein-
treten, und solche, die durch eine äußere Einwirkunq hervor-
gerufen werden.
Die Eigenschaft eines Elements, sich von selbst, spontan,
verwandeln zu können, bezeicqnet man, weil dabei eine Strah-
lung ausgesandt wird, als Radioaktivität. Die radioaktiven
Elemente kann man in zwei Arten einteilen: Bei der einen
werden Alphastrahlen; bei der anderen Betastrahlen, also Elek-
tronen oder Positronen, ausgesandt. Gleichzeitig können auch
noch Gammastrahlen auftreten. Daneben gibt es noch einige
andere Prozesse, von denen später gesprochen werden wird.
Wir beginnen mit den Umwandlungsprozessen, bei denen
Alphastrahlen, also Heliumkerne, ausgeschleudert werden, die
aus 2 Neutronen und 2 Protonen bestehen. Die Frage, wann
eine Emission von Alphastrahlen überhaupt zu erwarten ist,
wurde bereits behandelt. Etwa vom Zinn an nimmt die Bin-
dungsenergie pro Teilchen mit wachsender Teilchenzahl ab,
8 Heisenberg. Atomkerne
1-07
und zwar als Folge der zunehmenden elektrostatischen Ab-
stoßungskraft, und deshalb kann es bei den schwereren Ele-
menten unter Umständen energetisch günstig sein, wenn sie ein
Alphateilchen ausschleudern. Tatsächlich finden sich solche
alphaI-abilen Elemente hauptsäChlich am Ende des. periodischen
Systems, unter ihnen sind das Uran und das Radium die be-
kanntesten.
Man könnte nun glauben, daß ein Kern, bei dem energetisch
die Möglichkeit für einen Alphazerfall besteht, doch eigentlich
sofort oder wenigstens nach einer sehr kurzen Zeit zerfallen
müßte. Dein widersprechen die beträchtlichen Uranmengen,
die es noch auf der Erde gibt und die tatsächlich nur sehr lang-
sam zerfallen. Ihre Atome leben in unveränderter Form schon
mehrere 1000 Millionen Jahre. Das gleiche gilt für das Thorium
und für das Aktino-Uran. Wenn es allerdings diese drei überaus
langlebigen radioaktiven Elemente nicht gäbe, so wäre die
natürliche Radioaktivität bis auf einige Ausnahmen bei leichten
Elementen auf der Erde längst ausgestorben. Denn die meisten
anderen natürlichen radioaktiven Stoffe stammen von ihnen
ab und sind viel kurzlebiger. Die Folgeprodukte einer Aus-
gangssubstanz faßt' man als "Zerfallsreihe" zusammen. Man
unterscheidet dementsprechend drei natürliche Zerfallsreihen:
Die Uranreihe, die Thoriumreihe und die Actiniumreihe.
Es wurde schon erwähnt, daß man als Maß für die Lebens-
dauer eines radioaktiven Stoffes seine Halbwertzeit benutzt,
also die Zeit, innerhalb derer jeweils die Hälfte der anfänglich
vorhandenen Atome zerfällt. Sie ist bei den einzelnen Alpha-
strahlern außerordentlich verschieden. Beim Uran beträgt sie
4,6 Milliarden Jahre, dagegen bei einem seiner Folgeprodukte,
dem Radium C, nur etwa 1 millionstel Sekunde. Dazwischen
gibt es alle möglichen Zwischenstufen, so beim Radium
1580 Jahre. Es erhebt sich die Frage nach der Ursache dieser
ungeheuren Unterschiede.
In diesem Zusammenhange ist es sehr wichtig, daß ein ein-
facher Zusammenhang zwischen der Energie der Alphateilchen
und der Halbwertszeit des betreffenden Stoffes besteht. Er

108
wurde schon verhältnismäßig früh von Geiger und Nut/all ent-
deckt. Diese Forscher fanden, daß im großen und ganzen der
Logarithmus der Zerfalls wahrscheinlichkeit (der Kehrwert der
mittleren Lebensdauer eines Atoms) linear mit der Energie der
Alphateilchen anwächsf. Diese ist ja, wie man aus der gleichen
Reichweite etkennt (Abb.3), eine für jeden radioaktiven Stoff
charakteristische Größe. Je mehr Energie also für den Zerfalls-
prozeß zur Verfügung steht, je energiereicher das Teilchen ist,
um so schneller .findet im Durchschnitt der Zerfall statt. Be-
zeichnet man die schon im 2. Kapitel eingeführte Zerfallswahr-
scheinlichkeit wieder mit A, die Energie der Alphateilchen
mit E, so 'kann man die Geiger-Nuttallsche Beziehung in fol-
gender Form schreiben:

Ig A = A + BE.
Dabei sind A und B K::mstanten, die man durch Versuche er-
mittelt hat. Die Zerfallskonstante A kann nach der von uns
schon erwähnten Gleichung

N = No e- At

berechnet werden, die die Abnahme der Zahl der noch unzer-
fallenen Atome mit der Zeit t darstellt. Die Energie E kann
etwa aus der Reichweite ermittelt werden, und zwar nach
einem ebenfalls von Geiger und Nuttall gefundenen Gesetz.
In der Abb.20 ist der Zusammenhang zwischen 19 A und E
für alle Alphastrahler auf Grund von Messungen graphisch dar-
gestellt. Es ergeben sich drei. nahe 'benachbarte Kurven, je. eine
für jede der drei Zerfallsreihen, die Uranreihe, die Thorium-
reihe und die Actiniumreihe, die zwar nicht genau - wie es die
Geiger-Nuttallsche Beziehung verlangt - aber doch angenähert
gerade sind. Daß sich drei verschiedene, ungefähr parallele
Kurv~n ergeben, zeigt, daß für die drei Zerfallsreihen zwar äie
gleiche Konstante B, aber etwas verschiedene Werte der Kon-
stanten A gelten. Ganz unten findet man das Uran mit der
kleinsten, ganz oben Radium C' mit der größten Zerfallswahr-
scheinlichkei t.
8*
109
Es handelt sich nuri darum, diese Gesetzmäßigkeit zu er-
klären, vor allem die zunächst überraschende Tatsache, daß eine
kleine Änderung der Energie E eine so große Änderung der
Zerfalls wahrscheinlichkeit A hervorruft. Die Energie ändert
sich ja im ganzen Bereich nur etwa von 6' 10-6 erg auf
13 . 10-6 erg, also etwa um einen Faktor 2. Die Zerfallswahr-
IgA
t RaC'
+5

0
AcEm
AcC
ThC
-5
AcX
RaAc
Ra'Th
- 10
• 'Thorium-Familie
o Uran-Rad/um- 11
Je Aktinium _ 11
-15
U
-20
5 7 9 11 13 15

-+ E',0 6erg.
Abb. 20. Zum Gei ger - Nut a 11 sehen Gesetz

scheinlichkeit dagegen bewegt sich zwischen den Größenord-


nungen 10-18 und 106 sec-I, was einem Verhältnis 1 : 1024 ent-
spricht.
Die Erklärung für diese Tatsache haben im Jahre 1928
Gamow und Condon und Gurney gegeben. Zum Verständnis
dieser Theorie sei ein Gedankenexperiment besprochen. Wir
fangen uns ein soeben aus einem Kern "herausgekommenes
Alphateilchen ein, bringen es wieder an seinen früheren Ort
und untersuchen, welche Kräfte dabei auf das Alphateilchen
wirken, und welche Arbeit dabei geleistet werden muß. Dabei
ergeben sich ganz ähnliche Verhältnisse wie bei einem Proton

110
und einem Neutron (Abb. 15). Solange das Alphateilchen sich
in größerer Entfernurrg vom Kern befindet, steht es lediglich
unter der Wirkung des Feldes von dessen positiver Ladung,
wird also abgestoßen. Wir müssen an dem Teilchen Arbeit
leisten, um es dem Kern zu nähern. Das bedeutet, daß seine
potentielle Energie bei der Annäherung an den Kern zunächst
wächst. Wenn das Teilchen aber dem Kern genügend nahe-
gekommen ist, so fangen auch die anziehenden Kernkräfte von
kleiner Reichweite an, zu wirken und überwiegen schließlich
die elektrische Abstoßung. Nach Dberwindung einer gewissen
I
,,
t

, \
\

Ea (ThC)

Abb. 21. Potential zwisch'\?n schwerem Kern und Alphateilchen

Potentialschwelle verwandelt sich also die Abstoßung in eine


Anziehung, und von hier ab fällt das Potential steil nach dem
Kerninneren hin ab. Dieser Verlauf des Potentials ist in der
Abb.21 durch die Kurve dargestellt.
Durch diesen Potentialbereich bewegt sich nun - von innen
nach außen - auch das Alphateilchen, wenn es vom Kern aus-
geschleudert wird. Und da es in einer weiten Entfernung vom
Kern mit einer beträchtlichen kinetischen Energie ankommt, so
ist dort, da die potentielle Energie verschwindet, seine Gesamt-
energie positiv. Wir deuten sie in der Abb.21 durch eine hori-
zontale Gerade an, und zwar je eine für die langsamen Alpha-
teilchen des langlebigen Urans und für die schnelleren Alpha-
teilchen des außerordentlich viel kurzlebigeren Thorium C'.
Diese Energie hringt das Alphateilchen aus dem Kern mit, muß

111
sie also schon dort besessen haben. Wir setzen also die Gerade
heim Uran bis in das Kerninnere fort. Im Inneren des Kerns war
offenbar die kinetische Energie noch größer, ihr Betrag ist ja
an jeder Stelle durch die Differenz der h(Hizontalen Geraden
gegen die Kurve der potentiellen Energie gegeben. Die Abbil-
dung führt zu der Vorstellung, daß das Teilchen sich im Innern
hin und her bewegt und sozusagen an den Wänden des "Poten-
tialtopfes" hin und her reflektiert wird. Die durch die Gerade
im Innern dargestellte Energie ist stets die Summe seiner kine-
tischen und potentiellen Energie.
In diesem Bilde ist es aber zunächst unverständlich, wie
das Teilchen überhaupt je aus dem Kern herauskommen kann.
Es ist ja nach den Vorstellungen der gewöhnlichen Mechanik
gar nicht in der Lage, sich weiter nach außen zu bewegen als
bis an die Wände des Potentialtopfes; denn dort, wo die Gerade
die Potentialkurve schneidet, verschwindet die kinetische
Energie, d. h. das Teilchen kommt wr Ruhe. Es kann mit der
ihm zur Verfügung stehenden Energie den Potentialwall, der
das Innere vom Außenraum trennt, gar nicht überschreiten.
Nach dem Standpunkt der klassischen Mechanik wäre also ein
Zerfall überhaupt unmöglich. Der Potentialwall müßte die Sta-
bilität des Kerns garantieren. Es könnte allerdings daraIi
gedacht werden, daß noch andere Teilchen im Kern sind, die
sich ebenfalls bewegen, und daß diese vielleicht gelegentlich
Energie auf das Alphateilchen übertragen könnten, die es über
den Potentialberg hinwegheben könnten. Das kann aber nur in
solchen Fällen vorkommen, wo sich ein Kern in einem an-
geregten Zustand befindet, also einen Energieüberschuß besitzt.
Im normalen Zustand des Atoms gibt es keine solche frei ver-
fügbare Energie. Denn die Energie, die die Teilchen dann noch
besitzen, ist Nullpunktsenergie, wie sie sich aus der sogenann-
ten Unbestimmtheitsrelation ergibt, und diese ist nicht verwert-
bar und kann nicht auf andere Teilchen Übertragen werden.
Hier kommt uns nun die Wellenmechanik zur Hilfe. Die
Bewegung der Alphateilchen wird ja durch die Gesetze der
Wellen- oder Quantenmechanik, nicht durch die der gewöhn-

112
lichen Mechanik bestimmt. Auf Grund des schon mehrfach
erwähnten Dualismus von Wellen und Teilchen können wir
uns statt des im Kern hin und her schwingenden Teilchens auch
eine Welle vorstellen, die an den Wänden des Potentialtopfes
hin und her reflektiert wird, und zwar als eine stehende Welle.
Dann muß zunächst erklärt werden, wieso eine solche Welle
denn überhaupt an diesen Wänden zurückgeworfen wird. Offen-
bar beruht das auf einem Vorgang, für den wir eine Analogie
in der Totalreflexion von Licht an der Grenzfläche zweier
durchsichtiger, brechender Stoffe finden, also etwa an der
Grenze zwischen Glas und Luft. Eine solche findet z. B. in den
Prismen in einem Zeiss-Feldstecher statt. Fällt Licht in ein

Abb. 22. Totalreflexion in einem Glasprisma

rechtwinkliges Glasprisma senkrecht durch eine Kathetenfläche


ein, so fällt-es unter 45° auf die Hypothenusenfläche. Aus dieser
kann es aber auf Grund des Brechungsgesetzes nicht unter
Brechung austreten, sondern es wird wie an einem Spiegel
reflektiert (Abb. 22 a).
Bringt man nun in die Nähe des Prismas ein zweites Prisma
(Abb. 22 b), so ändert sich bei größerem Abstande zunächst
nichts. Wenn aber der Abstand sehr klein wird, so kann ein
wenig Licht auch in das zweite Prisma übertreten. Denn bei der
Totalreflexion sickert doch immer ein wenig Lichtenergie durch
die reflektierende Fläche hindurch, aber nur bis auf einen sehr
kleinen Abstand von der Größenordnung der Lichtwellenlänge
von ihr. Bringt man das zweite Prisma genügend nahe, so kaIln

ID
dieses durchgesickerte Licht in das zweite Prisma eindringen
und sich nunmehr auf die gewöhnliche Weise weiter fort-
pflanzen. Je dichter beieinander die beiden Flächen sind, um
so mehr Licht tritt hindurch, und wenn sie ganz fest aufein-
andergepreßt werden, so findet überhaupt keine Totalreflexion
mehr statt.
Etwas ganz entsprechendes findet bei den Materiewellen
der Alphateilchen statt. Wir müssen den Innenraum mit dem
einen Prisma, den Außenraum mit dem anderen vergleichen,
den Potentialwall, der beide trennt, mit der Luftschicht zwischen
den beiden Prismen. Es sickert immer etwas von den Wellen
durch den Wall, und es tritt ein um so größerer Teil von ihnen
in den Außenraum aus, je schmaler der Wall ist. Dabei haben
wir unter dem Wall dasjenige Stück der Potentialkurve zu ver-
stehen, welches das horizontale Energieniveau des Teilchens
überragt. Hieraus folgt ohne weiteres, daß das Innere des Kerns
für die Wellen eines Alphateilchens um so "undichter" sein
wird, je höher dieses Niveau liegt, je größer also seine Energie
ist; denn um so schmaler ist der zu überwindende Potential-
wall. Wenn wir uns also vorstellen, daß die Wellen anfänglich
nur im Inneren vorhanden sind, so werden wir mit fortschreiten-
der Zeit einen immer größeren Bruchteil von ihnen auch im
Außenraum antreffen, und zwar wird dieser Bruchteil um so
schneller anwachsen, je größeJ die Energie des Teilchens ist.
Dieses Wellenbild muß nun noch in das Teilchenbild zu-
rückübersetzt werden. Dabei erinnern wir uns daran, daß bei
der Besprechung der Verhältnisse in der Atomhülle gesagt
wurde, die örtliche Dichte der Materiewellen sei ein Maß für
die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen an dem betreffenden Ort
anzutreffen. Diese Dichte außerhalb des Atomkerns aber, also
auch die Wahrscheinlichkeit, das Alphateilchen außen anzu-
treffen, nimmt bei einem energiereichen Alphateilchen schnell,
bei einem weniger energiereichen langsamer zu. Je energie-
reicher ein Teilchen ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß es
bald nicht mehr im Innenraum, sondern im Außenraum an-
getroffen wird, mit anderen Worten, daß es in kurzer Zeit

114
aus geschleudert wird. Damit haben wir die Erklärung dafür
gefunden, daß die Zerfallswahrscheinlichkeit für energiereiche
Alphateilchen sehr viel größer ist als für weniger energiereiche.
Die exakte mathematische Durchführung dieses Gedankens
führt zu einer sehr befriedigenden Ubereinstimmung mit dem
Geiger-Nutallschen Gesetz.
Wenn man den beschriebenen Effekt ganz summarisch und
nur im Teilchenbild darstellen will, so kann man sagen, daß
das Teilchen - entgegen allen Erwartungen aus dem Energie-
prinzip - fähig ist, nach mehr oder weniger langer, durch den
Zufall bestimmter Zeit den Potentialwall wie durch einen
Tunnel zu durchstoßen. Man spricht daher auch von einem
Tunneleffekt' .
Schon früher wurde besprochen, daß man an sich vermute!).
könnte, daß alle E~emente etwa oberhalb von Zinn labil gegen
Alphazerfall seien, während der Zerfall doch nur bei den aller-
schwersten Elementen beobachtet wird. Es liegt nahe, anzu-
nehmen, daß man zwischen den bekannten Alphastrahlern und
solchen Elementen, bei denen man eine Alphastrahlung zwar
für energetisch möglich halten, aber nicht beobachten kann,
keine scharfe Grenze ziehen darf. Es kann sehr wohl sein, daß
tatsächlich eine größere Zahl von Elementen oberhalb von Zinn
Alphastrahler sind, daß aber die Energie und die Reichweite
ihrer Alphastrahlen sehr klein ist. Aus beiden Gründen schon
würden die Alphastrahlen der Beobachtung schwer zugänglich
sein. Vor allem aber wäre eine solche Radioaktivität deshalb
kaum beobachtbar, weil der geringen Energie auch eine über-
aus geringe Zerfallswahrscheinlichkeit entspricht. Mag ein
solches Element auch ganz selten einmal einen Alphastrahl aus-
senden, es ist dennoch - sogar in kosmischen Zeitmaßen ge-
messen - praktisch stabil.

2. Die Betastrahler
Nunmehr wenden wir uns zu der zweiten Art von spontanen
Kernumwandlungen, die unter Aussendung einer Betastrahlung,
also von Elektronen oder Positronen in Begleitung eines Neu-

115
trinos erfolgt. Eine solche Umwandlung findet dann statt,
wenn sie mit den Erhaltungssätzen verträglich ist, wenn also
insbesondere bei ihr Energie aus dem Kern frei wird. Auch
hier entsteht die Frage, warum denn ein Kern, der an sich alle
Vorbedingungen für eine Umwandlung erfüllt, sich nicht sofort
umwandelt.
Bei den Betastrahlern sind die Unterschiede in der Lebens-
dauer geringer als bei den Alphastrahlern. Ihre Halbwertzeiten
liegen größenordnungsmäßig zwischen einigen Sekunden und
einigen Jahren. Nur einige wenige haben eine viel größere
Halbwertzeit.
Auf die Betastrahler sind die Uberlegungen, die das Ver-
halten der Alphastrahler erklärten, nicht anwendbar; jedenfalls
nicht für die Elektronenstrahler, da ja ein Elektron wegen seiner
negativen Ladung im Außenraum vom Kern angezogen wird.
Hier gibt es also keinen Potentialwall. Da aber kein grundsätz-
licher Unterschied im Verhalten von Elektronen- und Posi-
tronenstrahlern besteht, so können auch diese nicht jn Analogie
zu den Alphastrahlern gesetzt werden. Es kommt noch hinzu,
daß ja die Elektronen und Positronen nebst ihrem Neutrino gar
nicht, wie ein Alphateilchen, einen Bestandteil des Kerns
bilden, sondern erst im Augenblick der Kernulnwandlung aus
dem Kernfeld erzeugt werden. Viel näher liegt ein Vergleich
mit der Aussendung von Lichtquanten aus der Atomhülle.
Empirisch gilt im großen und ganzen, daß auch bei den Beta-
strahlern die Zerfallswahrscheinlichkeit um so größer ist, je
größer die Energie der Betateilchen ist. Dabei ist zu beachten,
daß jedes Elektron oder Positron von einem Neutrino be-
gleitet ist, und daß sich die Zerfallsenergie, wie schon be-
spr6chen wurde, nach statistischen Gesetzen auf beide verteilt.
Maßgebend für die Zerfallsenergie ist also die Energie der
jeweils schnellsten Betateilchen, deren Neutrino zufällig nichts
von der Zerfallsenergie mitbekommen hat.
Um nun den Zusammenhang zwischen Zerfallswahrschein-
lichkeit und Energie wenigstens qualitativ zu verstehen, machen
wir eine Anleihe bei der Theorie der elektrischen Wellen.

116
Denn die Betastrahlung soll ja in Analogie zur Aussendung
von Licht aus der Atomhülle gesetzt werden. Wir gehen also
jetzt vom Wellenbild aus und reden von einem Elektron oder
Positron nebst Neutrino als einer den Atomkern verlas!renden
Welle. Diese Welle vergleichen wir mit der von einer Antenne
ausgesandten elektrischen Welle.
Auch für diese Mater.iewellen gilt die Plancksche Beziehung
E, = h Y, die -ihre Energie E mit ihrer Frequenz Y in Zusammen-
hang bringt. Dabei ist E die Energie des Betateilchens, oder
genauer der auf das Elektron entfallende Teil der Zerfalls-
energie. Wenn also die Zerfallswahrscheinlichkeit mit der
Energie wächst, so bedeutet das, daß die Zerfallswahtschein-
lichkeit um so größer ist, je größer Y', also je kurzweIliger die
Materiestrahlung ist. Etwas Entsprechendes gilt auch bei der
Aussendung elektrischer Wellen. Wenn man bei einer schwin-
genden Antenne das Dipolmoment konstant hält, was etwa
dadurch geschehen kann, daß man den Scheitelwert der Span-
nung am Kondensator des Schwingungskreises konstant hält,
so ist die Ausstrahlung um SQ stärker, je größer die Frequenz
des Schwiogungskreises ist. Die Intensität der WeHen ist
dort der 4. Potenz der Frequenz proporti'onal. Ganz ähnlich
verhält es sich bei den Materiewellen der Betastrahlung, nur
ist ihre Intensität nicht der 4., sondern, wie eine genauere
theoretische Untersuchung von Fermi gezeigt hat, der 6. Potenz
der Frequenz proportional. Dann ergibt sich, daß die Zerfalls-
wahrscheinlichkeit (die pro sec ausgesandte Energ~e geteilt
durch die Energie des einzelnen Zerfalls) der 5. Potenz der
Energie proportional ist, die für den Zerfallsprozeß zur Ver-
fügung steht.
Diese Uberlegung gibt die wirklichen Verhältniss.e zwar in
großen Zügen, aber nicht quantitativ richtig wieder. Zum voll-
ständigen Verständnis muß noch ein weiterer Gedanke hinzu-
kommen. Wir hatten vorausgesetzt, daß das Dipolmoment der
Antenne konstant sei. Es ist aber gar nicht zu erwarten, daß
dSlS Entsprechende auch für die verschiedenen Atomkerne zu-
trifft. Vielmehr sind da große individuelle Unterschiede zu

117
erwarten und auch wirklich vorhanden. Man wird also er-
warten, daß die Zerfallswahrscheinlichkeit ein Produkt von
zwei Faktoren ist. Der erste wird bestimmt durch das Dipol-

IgT,
t
18 o

o
76

14

12

10

4
o

-2L---~----~--~--~~~----~1~~2~--
0.1 ((2 45 1.0 20 1040 ---E max (Me V)
flog Skolo)

Abb. 23. Lebensdauer und Energie der natürlichen und künstlich erzeugten
Betastrahler (Sargellt-Diagramm)

moment, das zwar durch die Größe des Atomkerns qualitativ


festgelegt ist, aber von Kern zu Kern noch sehr stark schwan-
ken kann, der zweite ist der 5. Potenz der Zerfallsener,gie
proportional. Die Abb. 23 gibt eine Dbersicht über die Lebens-

1 Hl
dauer und damit die Zerfallswahrscheinlichkeit und Energie
deI: Betastrahler. Werin eine Größe irgendeiner Potenz einer
zweiten proportional sein soll, so tut man gut, nicht die Größen
selbst, sondern ihre Logarithmen auf den Achsen aufzutragen,
da zwischen diesen dann eine lineare Beziehung bestehen muß.
So ist auch in der Abb. 23 der Ig T der Lebensdauer T (in sec)
als Funktion des log E aufgetragen, wobei sich noch die Maß-
stäbe auf den beiden Achsen um einen Faktor 5 unterscheiden.
Dann sollten bei Gültigkeit des 5. Pötenzgesetzes alle Beta-
strahler auf einer unter 1350 gegen die Achsen geneigten
Geraden liegen. Tatsächlich liegen die empirischen Punkte
zum größten Teil zwischen zwei solchen Geraden; der Abstand
der Geraden gibt ein Maß für die Schwankung des Dipol-
moments von Kern zu Kern.
Bevor weitere Zerfallsprozesse besprochen werden, sollen
noch einige Prozesse, bei denen Alpha- oder Betastrahlen auf-
treten, in der schon bekannten Formelsprache angeschrieben
werden. Ein Uranatom 2g~U zerfällt unter Aussendung eines
Alphateilchens ~ He. Dann entsteht aus ihm ein Atom von der
Masse 234 und der Ladung 90, das Uran Xl 2~ÖUX1. Wir schrei-
ben also

Wie stets, so muß auch hier die Massen- und Ladungsbilanz


(obere und untere Indizes) rechts und links stimmen.
Eine Elektronenstrahlung liefert z. B. das Boratom l~B, wo-
bei es sich in das Kohlenstoffatom l~C verwandelt. Gleichzeitig
wird ein Neutrino ausgesandt, dessen Ruhmasse und Ladung
beide 0 sind, so daß wir es mit dem Symbol gy bezeichnen. Das
Elektron hat das Symbol_?e. Wir können also schreiben

l~B -..I~C + _? e + gv.


Ein Beispiel für einen Positronenstrahler ist das Stickstoff-
atom l~, N, das sich unter Aussendung eineS Positrons 0 e und
eines Neutrinos in das Kohlenstoffatom l~ C verwandelt, also

l~N->- l~C + ?e + 811.


119
3. Andere Arten von spontanen Kernumwandlungen
Alpha- und ßetastrahlung sind die weitaus häufigsten
Formen einer radioaktiven Umwandlung. Es gibt aber noch
einen dritten Prozeß, der schon gelegentlich erwähnt wurde
und der sozusagen die Umkehrung der Emission von Elek-
tronen ist. In den Fällen, wo es energetisch günstig ist, daß
sich ein Proton im Kern in ein Neutron verwandelt, kann diese
Umwandlung auf zwei Weisen vor sich gehen. Der eine Fall,
die Aussendung eines Positrons, wurde schon besprochen. Der
gleiche Erfolg wird aber auch erreicht, wenn der Kern ein
Elektron aus seiner eigenen Atomhülle aufnimmt, welches dann
natürlich verschwindet (genau wie ein absorbiertes lichtquant
verschwindet), indem seine Ladung die Ladung des Protons
kompensiert und es in ein Neutron verwandelt. Man nennt
das einen Einfangprozeß. Da hier kein Teilchen ausgesandt
wird, so macht er sich nach außen lediglich dadurch bemerk-
bar, daß eine Röntgenstrahlung auftritt, und zwar eine so-
genannte K-Strahlung, da das verschluckte Elektron in der
Regel aus der innersten, der K-Schale, stammt. Da sich bei
diesem Prozeß die Kernladung um eine Einheit verringert hat,
so genügt die in der Hülle noch vorhandene, um ein Elektron
verminderte Elektronehzahl auch genau für das neue Atom.
Nur müssen die Hüllenelektronen sich neu ordnen, indem ein
weiter außenliegendes Elektron auf den verwaisten Platz des
eingefangenen Elektrons fällt. Das ist die Ursache für die auf.
tretende Röntgenstrahlung. Es ist die für das betreffende Ele-
ment charakteristische K-Strahlung Gleichzeitig muß - zwetks
Erhaltung des Drehimpulses des Atoms, dehn das eingefangene
Elektron hatte einen Drehimpuls 1/2 h - ein Neutrino emittiert
werden, das man aber nicht beobachten kann.
Einen solchen Prozeß gibt es z. B. beim Berylliumkern ~ Be,
den man künstlich herstellen kann. Er verwandelt sich unter
Einfangung eines Elektrons in. den Lithiumkern ~ Li. Die ent-
sprechende Gleichung lautet also

7 Be
4
+ -10 e --+ 3i Li + o'
0 V

120
Solche Prozesse sind gar nicht so selten. Es treten bei ihnen
oft ziemlich große Halbwertzeiten auf. Die des JBe für diesen
Prozeß beträgt etwa 53 Tage. In der Tabelle IV sind die
Atomkerne, die sich durch K-Strahlung umwandeln, durch
einen Ring gekennzeichnet.
Es gibt schließlich noch einen weiteren Prozeß, den Hahn
und Strassmann 1938 entdeckt haben, die schon erwähnte Spal-
tung von Kernen in zwei Teile von etwa gleicher Größe, der
auch gelegentlich spontan eintreten kann. Doch soll er erst bei
den künstlichen Kernumwandlungen behandelt werden.

4. Künstliche Kernumwandlungen
Wie zuerst Rutherford gezeigt hat, kann man eine Kern-
umwandlung künstlich dadurch bewirken, daß man irgendein
Teilchen in den Kern hineinschießt. Das Teilchen wird dann
im allgemeinen im Kern steckenbleiben. Dabei kann es sein

• Protonen

o Neutronen

Abb. 24. Schema eines Kerns mit eindringendem Neutron

Bewenden haben; es kann aber irgendein Teilchen wieder emit-


tiert werden. Sofern das nicht gerade ein Teilchen von gleicher
Art wie das erste ist, so ist hiermit in jedem Fall eine Umwand-
lung des betroffenen Kerns verbunden.
Von einem solchen Vorgang hat Bohr etwa das folgende
Bild entwickelt. Wenn ein Teilchen auf einen Kern geschossen
wird und ihn auch wirklich trifft, so bleibt es im allgemeinen
in ihm stecken, weil die sehr großen Kernkräfte das Teilchen
festhalten. Infolgedessen verteilt sich seine Energie sehr schnell
auf andere Teilchen des Kerns und schließlich auf den ganzen
Kern. In der Abb. 24 ist ganz schematisch ein Kern dargestellt.

121
Von außen nähert sich ihm ein Neutron. Die weißen und
schwarzen Kreise sind die Neutronen und Protonen des Kerns
(die, wie die Pfeile andeuten, vom Neutron angestoßen werden
und selbst wiedeJ' andere Teilchen anstoßen). Wenn nun das
Teilchen eingedrungen ist, und seine Energie sich alsbald auf
alle Teilchen des Kerns verteilt, so kann man das am ein-
fachsten mit den Worten ausdrücken: Das Atom wird erhitzt.
Ganz ähnlich wiJ:d ja auch ein Sandhaufen erhitzt, in den man
eine Kugel schießt. Das, was hier geschieht, ist also einer Er-
hitzung eines mikroskopischen Gebildes ganz analog, wenn
man daran denkt, daß eine Erhöhung der kinetischen Energie
der Moleküle einer Erhöhung seiner Temperatur entspricht. Im
Kern treten an die Stelle der Moleküle die Neutronen und
Protonen. Ihrer kinetischen Energie entspricht auch eine be-
stimmte Temperatur des Kerns.
Die Temperatur, welche ein Kern auf diese Weise erlangt,
'l. B. wenn ein Teilchen mit einer Energie von etwa 8 MeV in

ihn hineingeschossen wird, ergibt sich nach den Gesetzen der


kinetischen Gastheorie in der Größenordnung von 10 Mil-
liarden Grad. Si~ ist rund 1000mal größer als die höchsten
Temperaturen, die sonst im Weltall vorkommen, die Tempe-
raturen im Inneren der Fixsterne. Allerdings erstrecken sich
diese hohen Temperaturen hier immer nur auf den winzig
kleinen Bereich des einen Atomkerns.
Wenn man sich den Atomkern in diesem Zustande als
einen hocherhitzten Flüssigkeitstropfen vorstellt, so kommt
man auch von selbst zu der Folgerung, daß der Kern als Folge
der hohen Temperatur verdampfen wird. Das bedeutet, es wird
nach kurzer Zeit irgendein Teilchen aus dem Kern heraus-
kommen, und zwar im allgemeinen dasjenige, dessen Austritt
energetisch am günstigsten ist, also am wenigsten Energie be-
ansprucht. Die benötigte Energie entspricht der Verdampfungs-
wärme bei einer wirklichen Flüssigkeit. Durch ihre Abgabe
kühlt sich der Kern ab. Vielleicht kommt gelegentlich auch
noch ein zweites Teilchen heraus. Oder der für die Emission
eines weiteren Teilchens nicht ausreichende Rest geht als

122
Gammastrahl, als Lichtquant ab. Es handelt sich gewissermaßen
um einen glühenden Flüssigkeitstropfen, der infolge seiner
hohen Temperatur auch Licht aussendet.
Der Vorgang, der eben beschrieben wurde, wird nur dann
ungehindert vor sich gehen, wenn das Teilchen, mit dem der
Kern beschossen wird, ungeladen, also ein Neutron oder ein
Lichtquant ist. Ist aber das Teilchen ein Proton oder ein
Alphateilchen, so muß es bei der Annäherung an den Kern
gegen den Potentialwall anlaufen, der um so höher ist, je
größer die Ladung des beschossenen Kerns ist. Das Geschoß
würde beim Anlaufen gegen den Kern verlangsamt und würde
in vielen Fällen, insbesondere bei schweren Kernen, schon in
einigem Abstand vom Atomkern zur Ruhe kommen oder so weit
abgelenkt werden, daß es den Atomkern nicht mehr trifft. Bei
den schwereren Kernen müßte man .daher das geladene Teil-
chen durch außerordentlich hohe Spannungen beschleunigen,
wie sie uns heute noch nicht zur Verfügung stehen, um den
Kern wirklich zu treffen. Eine Umwandlung mit geladenen
Teilchen ist daher vorläufig nur bei verhältnismäßig leichten
Atomarten möglich.
Für die ungeladenen Teilchen dagegen existi.ert der Poten-
tialwall nicht, und mit ihnen kann man Atome von beliebiger
Masse umwandeln. Umwandlungen schwerer Atomkerne mit
Lichtquanten, d. h. mit "("Strahlen sind von Bothe und seinen
Mitarbeitern beobachtet worden, die Umwandlung mit Neu-
tronen hat zuerst Fermi nachgewiesen. Allerdihgs wird sich
das Neutron in vielen Fällen einfach an den Kern anlagern,
wobei dann ein oder mehrere Gam:\Ilaquanten die überschüssige
Energie abführen.
Das bedeutet zwar eine Veränderung des Kerns, aber keine
Veränderung der chemischen. Eigenschaften des Atoms. Eine
solche tritt in diesem Fall nur dann ein, wenn der so gebildete
Kern instabil ist, weil er 'Zu viele Neutronen hat. Dann wird
sicb. in einem Folgeprozeß ein Neutron unter Aussendung eines
Elektrons in ein Proton verwandeln, so daß der Kern in den-
jenigen des nächsthöheren Elements übeTgeht.
9 Heisenberg, At9mkeme
123
Da sich ein Neutron gan'z ungehindert einem Kern nähern
kann, so spielt die Geschwindigkeit - im Gegensatz zu ge-
ladenen Teilchen - keine wesentliche Rolle. Im Gegenteil
sind in vielen Fällen langsame Neutronen vorteilhafter als
schnelle, denn sie halten sich länger in der Umgebung des
Kerns auf, und daher ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie
von den Kernkräften eingefangen werden, größer als bei
schnellen Neutronen. Nach den Experimenten kann es vor-
kommen, daß sie für Neutronen von einer bestimmten, nicht
sehr großen Energie ganz besonders groß ist. Das wi:t:d nach
Reihe verständlich, wenp man das Neutron im Wellenbild, also
als eine in den Kern einfallende Welle betrachtet. Der Kern
ist ein schwingungsfähiges Gebilde und kann als solches mit
einer Welle, die ihn trifft, in Resonanz geraten, wenn die
Frequenz der Welle mit einer seinel: Eigenfre~uenzen über-
einstimmt. In diesem Fall findet eine ganz besonders starke,
selektive Absorption der Welle statt, ein Vorgang, der uns
bei der ABsorption von Licht sehr geläufig ist. Nun ist die
Wellenfrequenz eine Funktion der Geschwindigkeit des Neu-
trons, und es gibt daher eine ganz bestimmte Geschwindigkeit,
bei der diese Resonanzbedingung erfüllt ist und die Welle ganz
besonders stark vom Kern absorbiert wird. In das Teilchen-
bild zurückübersetzt heißt das aber, daß dann die Wahrschein-
lichkeit für die Einfangung des Neutrons durch den Kern
besonders groß ist. Man beschreibt diese Abhängigkeit von
der Geschwindigkeit oft durch einen bestimmten "Wirkungs-
querschnitt" des Kerns. Man denke sich, die Kerne seien
Kugeln, die Neutronen punktförmig und es wirke zwischen
ihnen überhaupt keine Kraft. Dann wäre die Wahrscheinlich-
keit, mit blindlings geschossenen Neutronen einen Kern zu
treffen, um so größer, je größer der Querschnitt der Kugeln ist.
In diesem Bilde hätten die Kerne für Neutronen verschiedener
Geschwindigkeit scheinbar verschieden große Querschnitte.
Unter besonders günstigen Bedingungen kann dieser Wirkungs-
querschnitt eines Kerns etwa 10000mal größer sein als sein
wirklicher, geometrischer Querschnitt. Dann besteht also eine

124
außerordentlich große Einfangwahrscheinlichkeit. Aus diesem
Grunde hat Fermi, der diesen Umstand entdeckt hat, zuerst den
schon erwähnten Kunstgriff angewandt, die bei ihrer Erzeugung
immer ziemlich schnellen Neutronen auf 'thermische Geschwin-
digkeit abzubremsen, indem er sie zunächst durch irgendeinen
wasserstoffhaItigen Stoff, wie Wasser oder Paraffin, treten
ließ. Wasserstoff ist deshalb am günstigsten, weil die Protonen
ungefähr die gleiche Masse haben wie die Neutronen, und weil
die Bedingungen für einen schnellen Energieaustausch nach
den Gesetzen des elastischen Stoßes in diesem Fall am gün-
stigsten sind. Wenn solche langsamen Neutronen von einem
Kern eingefangen werden, so werden sie innerhalb des An-
ziehungsbereichs der Kernkräfte genügend beschleunigt, um
die schon beschriebene Erhitzung des Kerns zU bewirken.
Aus einem solchen erhitzten Kern wird nun natürlich
wiederum ein Neutron leichter austreten als ein geladenes
Teilchen. Denn dieses muß den Potentialwall von innen her
überwinden, der für jenes nicht existiert. Darum sind auch bei
schweren Kernen, deren Potentialwall hoch ist, Umwandlungen,
bei denen ein Proton oder ein Alphateilchen ausgesandt wird,
verhältnismäßig selten.
Wenn man allerdings einen Kern sehr hoch erhitzt, so kann,
wie bei der Verdampfung eines Flüssigkeitstropfens, eine
größere Zahl von geladenen und ungeladenen Teilchen aus
ihm herauskommen. Mit unseren heutigen Laboratoriumsmitteln
ist die Ubertragung so hoher Energien an den Atomkern einst-
weilen nicht möglich. Dagegen kommen in der kosmischen
Strahlung Teilchen mit der ungeheuren Energie von etwa
1000 MeV oder noch viel mehr vor. Wenn es der Zufall will,
daß ein solches Teilchen auf einen Kern trifft, so tritt eine
solche extreme Erhitzu.p.g ein, und der Kern entsendet zahl-
reiche Proton€n und Neutronen. Ge&chieht eine solche Kern-
zertrümmerung in der Schicht einer photographischen Platte,
so hinterlassen die Protonen in der Schicht Spuren. die beim
Entwickeln sichtbar werden. Die Abb. 25 a zeigt eine solche
Aufnahme. Sie ist stark vergrößert; in Wirklichkeit beträgt
9'
125
I • die Reichweite der Protonen in der
Schicht nUT etwa 1 mm, Hier hat
also eine wirkliche Atomzertrüm-
merung stattgefunden, bei der
o· •
sicher reichlich 10 Teilchen aus
dem Kern verdampft sind, Denn
außer den geladenen Teilchen sind
sicher noch etwa ebenso viele Neu-
tronen freigeworden. Die Abb. 2Sb
zeigt einen ähnlichen Vorgang.
Die verschiedene Dichte der Silber-
körner in den einzelnen Spuren
"
.,, beruht auf der verschiedenen Ge-
schwindigkeit der Protonen. Je
schneller sie sind, um so dünner
.' belegt und um so länger ist ihre
Spur. Natürlich verlaufen die
Spuren tatsächlich nach allen

... , .
:: • • po • Richtungen des Raumes, und da-
.,..~
her sieht man die meisten von
.
'

ihnen mehr oder weniger ver-


2 kürzt.
Ein letzter, ganz besonders
"
• wichtiger Fall von Atomzertrüm-

.. 1"
merung ist die Spaltung von
Atomkernen, die 1938 von Hahn
. 1 '.
..;.--- .... und Strassmann in Berlin ent-

.
deckt wurde. Dabei spielt sich
.. ; . folgendes ab. Es kann vorkommen,
daß ein erhitzter Atomkern zu-
i, ' nächst keine einzelnen Teilchen
abstößt, sondern als Ganzes in
, Schwingungen gerät, indem die
"
zugeführte Energie ganz oder teil-
/

/ ,
Abb. 25... Kernzertrümmerung durch ein sehr
schnelles 'teilchen. (Nach S c h 0 P per)

126
Abb. 25 b. Kernzertrümmerung durch ein sehr schnelles Teilchen

weise zur Erregung dieser Schwingungen dient. Dieser Fal~ tritt


häufig beim Beschuß eines Urankerns mit einem Neutron ein.
Dabei spielt sich ein Vorgang ab, wie er s.chematisch in der
Abb. 2.6 dargestellt ist. Der vorher ungefähr kugelförmige Kern
wird zunächst derart schwingen, daß er abwechselnd eine läng-
liche und eine abgeplattete elliptische Gestalt annimmt. Nun
kann die Längsdeformation einen solchen Grad erreichen, daß

127
sich der Kern, etwa wie ein Eisenstab vor dem Zerreißen, un-
gefähr in der Mitte einschnürt und schließlich in zwei etwa
gleich große Teile auseinanderbricht. Dabei fallen auch meist
noch Späne, indem einige Neutronen ausgestoßen werden.
Daß eine solche Spaltung grundsätzlich möglich und vor
allem bei den schwersten Kernen am ehesten zu erwarten ist,
kann man leicht verstehen. Den Kernkräften, die die Stabilität
eines Kerns gewährleisten, steht ja die elektrische Abstoßurlg
gegenüber, die mit der Masse der Kerne wächst, weil, im ganzen

Abb. 26. Schema der Spaltung eines Kerns

gesehen, auch die Ladung mit der Masse zunimmt. Sie bewirkt
eine Verkleinerung der Bindungsenergie pro Teilchen, also
eine Minderung der Stabilität mit wachsender Masse. Ist nun
die Stabilität des Kernes noch obendrein durch seine Schwin-
gung gefährdet, so hat die elektrische Abstoßung leichteres
Spiel. Von einer bestimmten Schwingungsweite an vermag sie
die einmal eingeleitete Schwingung weiter aufzuschaukeln und
schließlich den Kern zu zerreißen.
Diese Spaltung eines Kerns kann auf sehr verschiedene
Weise erfolgen. Im allgemeinen sind die beiden Spaltstücke
nicht gerade gleich groß. So kann z. B. das seltenere Uran-
isotop ~U bei Aufnahme eines Neutrons in das Strontium-
atom ~~Sr und das Xenonatom l~!Xe und zwei Neutronen auf-
spalten, also:
235U
92
+ 01 n ~ 3890Sr + 14454 Xe + 2' O'
In

Wiederum muß natürlich die Ladungsbilanz und die Massen-


bilanz rechts und links aufgehen. Es können aber ebensogut
auch statt dessen etwa die Atomarten ~Sr und l~~Xe und zwei
Neutronen oder auch Atome anderer Elemente und eine andere
Zahl von Neutronen entstehen. Tatsächlich beobachtet man bei

128
solchen Spaltungen die Erzeugung einer recht beträchtlichen
Zahl verschiedener Elemente. Die Stelle, an der der Urankern
zerbricht, ist also bis zu einem gewissen Grade dem Zufall an-
heimgestellt.
Damit haben wir einen lJberblick über die verschiedenen
Möglichkeiten von künstlichen Kernumwandlungen gewonnen.
Mit Neutronen können alle Kerne verändert werden; die ge-
ladenen Teilchen eignen siGh in erster Linie zur Umwandlung
der leichteren Atomkerne. Als geladene Teilchen kommen in
Frage Protonen und Deuteronen, die in elektrischen Feldern
genügend beschleunigt werden, und natürliche lind künstlich~
Alphateilchen, welch letzteJ!e man erzeugt, indem man Helium-
kez:ne im elektrischen Felde stctrk bescbleunigt. Schließlich
kann man manche Kerne auch schon durch ein genügend
energie reiches Gammaquant so hoch erhitzen, daß sie etwa ein
Neutron aussenden, wodurch sich dann allerdin~s nur ihre
Masse verändert, aber nicht das chemische Verhalten des be-
treffenden Atoms.
Abschließend sollen noch einige Beispiele besprochen
werden, die in der Entwicklung der Kernphysik eine besondere
Rolle gespielt haben, und zwar in ihrer historischen Reihenfolge.
Die erste künstliche Kernumwandlung gelang 1919 Ruther-
lard, indem er Stickstoffatome durch Beschuß mit Alphateilchen
in Sauerstoffatome v2rwandelte. Dabei wird ein Proton frei,
das als Wasserstoffkern mit dem Symbol ~H bezeichnet wird.
,Es spielt sich also folgender Prozeß ab:
liN +~He-+ I~O +iH.

Dabei entsteht das seltene Sauerstoffisotop von der Masse 17.


Die Abb. 10 zeigt einen solchen Prozeß in der Wilson-Kammer.
Ein anderer wichtiger Umwandlungsprozeß hat i.m Jahre
1932 zur Entdeckung des Neutrons durch Jaliot-Curie und
Chadwick geführt. Ein Berylliumkern ~Be wird mit einem
Alphateilchen beschossen, und es entsteht ein Kohlenstoff-
kern 162 C und ein Nelltron, also:
9 Be
4
+ 4
2
He -'>- 12C
6
+ O'
1n

129
Als dritte wichtige Reaktion sei die erste Umwandlung er-
wähnt, die durch künstlich beschleunigte geladene Teilchen,
nämlich von Cockcroit und WaIton durch Protonen hervor-
gerufen wurde; ebenfalls im Jahre 1932. Die Protonen wurden
durch eine Hochspannungsanlage von600 000 Volt beschleunigt.
Trifft ein solches Proton auf einen Lithiumkern ~Li, so spielt sich
folgender Prozeß ab:

Es entstehen also zwei Heliumkerne oder Alphateilchen. Die


Abb. 27 zeigt diesen Prozeß in der Wilson·Kammer nach einer
Aufnahme von Kirchner. In der Mitte sieht man das Ende des
Entladungsrohrs, in dem die Protonen beschleunigt werden.
Sie treffen von dort auf ein Stück Lithiummetall. Man erkennt,
wie von dort die
Spuren zweier
Alphateilchen
nach entgegen-
gesetzten Rich-
tungen ausgehen.
~Die außerdem
noch sichtbare
Spur gehört nicht
zu diesem Pro-
zeß.) Einen ähn-
lichen· Prozeß
zeigt die Abb. 28.
Abb.21. Umwandlung eines Lithiumkerns in zwei Helium-
kerne durch ein Proton. (Nach K i "r c h n e r) Hier verwandelt
sich ein Borkern
j~B durch Aufnahme eines schnellen Protons in d;rei Helium-
kerne, also:

1~ B + ~H + 3 . ~ He.

(Auch hier ist noch ein Alphateilchen zu sehen, das nicht zu


diesem Prozeß gehört.)
130
Zum Schiuß sei, im Hinblick auf die alte Geschichte dieser
Probleme, die Frage gestellt, ob wir heute imstande sind, aus
Quecksilber Gold zu machen, wie es die Alchemisten früher
erstrebten, und auf welche Weise das möglich wäre. Zur Be-
antwortung dieser Frage genügt ein Blick auf die Tabelle IV.

Abb. 28. Umwandlung eines Botkerns in drei Heliumkerne durch ein Proton

Da sehen wir, daß Quecksilber und Gold unmittelbare Na.chbarn


sind, so daß eine Umwandlung des einen in das andere nur
einen einzigen Schritt erfordert. Die alten Alchemisten haben
also ganz zufällig schon das Richtige getroffen, wenn sie gerade
aus Quetksilber Gold machen wollten. Das Quecksilber bat,
soweit wir heute wissen, 7 stabile Isotope mit Massen zwischen
196 und 204, das Gold hingegen nur ein einziges mit der
Masse 197, die unter den stabilen Isot-Open des Quecksilbers
nicht beobachtet wird. Wenn man nun das Quecksilber der
Masse 196 mit Neutronen bestrahlt, so daß sich ein Neutron an

131
einen Quecksilberkern anlagert, so muß der sonst unbekannte
Kern mit der Masse 197 entstehen. Er ist zweifellos instabil,
da er sonst beobachtet worden wäre. Er wird sich also unter
Aussendung eines Positrons oder unter K-Strahlung in den
stabilen Goldkern von gleicher Masse umwandeln. Es treten
dann nacheinander die beiden folgenden Prozesse ein:

1. l~gHg + An -+ l~ZHg, 2. l~~ Hg -+ 1~~ Au + ?e.


Aus dem Quecksilberkern l~Hg ist der Goldkern l~~Au ge-
worden. Es wäre also für den Kernphysiker grundsätzlich nicht.
schwierig, Gold aus Quecksilber zu machen. Allerdings hat
man diese Umwandlung bisher noch nicht beobachtet.
Man wird sich vielleicht wundern, warum das noch nicht
geschehen ist. Der Grund ist die allzu geringe Ausbeute.
Leider ist das Quecksilberisotop l~ Hg a.ußerordentlich selten;
es macht nur etwa 0,1 % der natürlichen Isotopenmischung des
Quecksilbers aus. Wenn wir Quecksilber mit Neutronen be-
schießen, so wird sich unter JOOO Fällen ein Neutron nur ein-
mal gerade an einen solchen Kern anlagern. Aus den häufigeren
Isotopen erhalten wir aber kein Gold, sondern entweder wieder
Quecksilber oder Thallium. Allerdings ist es denkbar, daß man
durch Beschießung mit sehr schnellen Neutronen doch noch
leichter zum Ziel kommen könnte. Das Isotop 1~~'Hg ist im
Quecksilber etwa 100mal häufiger als das Isotop l~Hg. Wenn
es gelin!]t, einen solchen Kern dutch Beschuß mit einem
Neutron so hoch zu erhitzen, daß er gleich zwei Neutronen
abgibt, so gelangt man auch auf diesem Wege zum Goldkern
l~~Au, also:
198Hg
80
+ 01 n -+ 19780 Hg + 2 . 01n·' 197
80
Hg -+ 197
79 Au + le'
I)

Um aber unnötigen Hoffnungen sogleich vorzubeugen, will ich


hinzufügen, daß dieses Verfahren sicher viele Millionen mal
teurer wäre als das übliche Verfahren zur Goldgewinnung.

132
Siebenter Vortrag

Die technischen Hilfsmittel der Kernphysik

1. Die Nachweisverfahren
Die folgenden Abschnitte sollen sich mit den Hilfsmitteln
beschäftigen, die der Kernphysik zur Verfügung stehen, um
die in den früheren Vorträgen beschriebenen Erscheinungen
hervorzurufen und nachzuweisen. Zu ihrer experimentellen
Verwirklichung braucht man einerseits sehr große Energien,
für die man (iie stärksten Hilfsmittel der Technik heranziehen
muß. Andererseits erzielt man mit diesen großen Energien
doch nur außerordentlich kleine Ausbeuten. Deshalb sind zum
Nachweis äußerst empfindliche Hilfsmittel erforderlich. Denn
es handelt sich ja darum, Erscheinungen nachzuweisen, die
sich jeweils an einem einzigen oder an einigen wenigen
Atomen abspielen, also an Gebilden von einer für gewöhnliche
Begriffe unvorstellbaren Kleinheit.
Wir beginnen mit den Nachweismitteln. Das älteste Ver-
fahren ist das Szintillationsverfahren. Wenn ein sehr schnelles,
geladenes Teilchen, etwa ein Alphateilchen, auf einen Zink-
sulfidschirm trifft, so spielt sich dort ein Prozeß ab, der mit
einem schwachen Lichtblitz, einer Szintillation, verknüpft ist.
Man kann also das Aufprallen jedes einzelnen atomaren Teil-
chens beobachten, ähnlich wie das Einschlagen von Gewehr-
kugeln in eine getünchte Wand, und auf diese Weise die
Teilchen nachweisen und auch zählen. Es ist aber mißlich, daß
man dazu das Auge zu Hilfe nehmen muß, das beim Zählen
allmählich ermüdet. Heute wird dieses Verfahren daher kaum
noch verwendet.
Das Grundprinzip der. heute am meisten benutzten Nach-
weisverfahren wird durch die Ionisationskammer gegeben. Es
soll in einer ganz primitiven Form veranschaulicht werden:

133
Ein Blättchenelektroskop besteht aus einem mit der Erde ver-
bundenen Metallgehäuse, in das isoliert ein Metallstab mit
zwei Blättchen eingeführt ist, die sich spreizen, wenn eine
Ladung auf den Stab gelang.t (Abb.29). Ul;>er das Elektroskop,
von ihm isoliert, sei eine Metallhaube gestülpt, die durch eine
Batterie auf eine Spannung vQn einigen 100 Volt gegen Erde
gelitden wird. Wenn nun ein geladenes Teilchen, etwa ein
Alpha- oder Betateilchen oder auch ein Gammaquant, in den
Raum zwischen Elektroskop und Haube dringt so reißt es von
den Luftmolekülen Elektronen ab, die sich dann an andere

einfoliendes Elekfron

+~f""~
--==- Erde
Abb. 29. Prinzip der Ionisationskammer

Moleküle anlagern und negative Ionen bilden, während die


des Elektrons beraubten Moleküle als positive Ionen zurück-
bleiben. Solche lOBen werden so, wie es in der Abb. 29 an-
gedeutet ist, längs der ganzen Bahn des Teilchens gebildet.
Ist nu.n die Haube etwa positiv geladen, so wandern die posi-
tiven Ionen an den Stab des Elektroskops, die negativen an die
Haube. Auf diese Weise wird das Elektroskop aufgeladen, und
seine Blättchen spreizen sich. In dieser primitiven Form ist die
Anordnung allerdings viel zu unempfindlich zum Nachweis
einzelner Teilchen. Aber auch wenn man ein viel empfind-
licheres Meßgerät, etwa ein Fadenelektrometer, verwendet, ist
auf diese Weise zwar schon der Nachweis einer ziemlich
schwachen Strahlung; aber immer noch nicht einzelner Teilchen
möglich. Das Verfahren zum Nachweis geringer Ladungen ist

134
also - je nach dem kernphysikalischen Verwendungszweck -
noch auf verschiedene Weisen erheblich verbessert worden.
Das erste vielseitig verwendbare Gerät (zum Nachweis
einzelner Teilchen) ist der Spitzenzähler von Geiger (Abb.30).
Im Grunde ist er nur eine erheblich verbesserte Ionisations-
kammer. Der' Metallstab ist zu einer feinen Spitze ausgezogen,
und an der Kammer liegt eine ziemlich hohe Spannung, so daß
in der Nähe der Spitze ein sehr starkes elektrisches Feld ent-
steht. Wenn nun ein geladenes Teilchen oder ein Gamma-
quant nahe bei der Spitze vorbeifliegt und dort Elek'tronen
auslöst, so werden diese dUFch das starke Feld so sehr be-
schleunigt, daß sie ihrerseits

--
wieder Elektronen von den zum Elekfro- f.},.,..,,-----,
Luftmolekülen abzureißen meIer
__ .,..-~~r---

vermögen; diese können


wiederum das gleiche tun, "'10 ' °.52
und so erfolgt eine lawinen-
artige Vermehrung der Elek-
tronenzahl, die erst dort auf-
hört, wo das Feld schwächer Abb. 30< Spitzenzähler -nach Gei ger
ist. Damit erhält man aber so
starke Aufladungen schon durch die Wirkung eines einzelnen
Teilchens oder Quantes, daß man sie mit den uns zur Verfügung
stehenden Mitteln nachweisen kann.
Unter bestimmten Bedingungen tritt bei nicht zu hoher
Spannung immer eine Vermehrung um den gleichen Faktor auf.
Man spricht daher von einem Proportionalitäts bereich des
Zählers und von Proportionalzählung. Dieser Faktor kann von
der Größenordnung 1000 oder noch größer sein. Steigert man
aber die am Zähler liegende Spannung über einen bestimmten
Betrag hinaus, so verläßt man den Proportionalitätsbereich.
Dann lösen die von dem Teilchen gebildeten Elektronen eine
richtige Glimmentladung aus, und es tritt eine Vermehrung um
das 10- oder 100millionenfache ein. Man muß dann dafür
sorgen, daß diese Entladung alsbaltl wieder abreißt, damit der
Zähler gleich wieder für ein neues Teilchen zur Verfügung

135
steht. Diesen Bereich nennt man den Auslösebereich. In diesem
Fall ist die Aufladung von der Zahl der primär gebildeten Elek-
tronen unabhängig. Die Verstärkung g.eht immer gerade bis
zum Einsetzen einer Glimmentladung.
Vor etwa 15 Jahren hat der Spitzenzähler durch Geiger und
Müller noch eine wesentliche Verbesserung in Gestalt des
Zählrohrs erfahren, und dieses ist heute das weitaus wichtigste
Meßgerät der Kernphysik. Im Prinzip ist es dem Spitzenzähler
recht ähnlich, nur ist in seiner Mitte nicht eine Spitze, sondern
ein dünner Draht angebracht (Abb.31). Es ist meist nicht mit

C zum
~~------t~-r--;I--Verslörker

Abb. 31. Zählrohr nach· Gei ger und Müll e r

Luft gefüllt, sondern mit einer Mischung aus Argon von einem
Druck zwischen 60 und 80 mm Hg und Alkoholdampf von einem
Druck von etwa 10mm Hg. Aber es gibt da lahlreiche Varianten.
Die Außenhaut besteht aus Metall. Der Draht liegt über einen
sehr großen Widerstand an Erde, die Außenhaut an einer Span-
nung von 1000 bis 1200 Volt gegen Erde.
Die Verhältnisse sind hier ähnlich wie beim Spitzenzähler.
Bei kleinerer Spannung tritt Proportionalverstärkung ein, und
zwar um einen Faktor von der Größenordnung 1000. Bei höherer
Spannung setzt eine Glimmentladung ein; das Zählrohr arbeitet
im Auslösebereich. Im Augenblick des Einsetzens der Entladung
lädt sich der Draht, der etwa an einem Kondensator liegt, nebst
dem Kondensator hoch auf, da die Ladung durch den sehr großen
Widerstand erst nach einer gewissen Zeit zur Erde abfließt.
Der Draht und ein mit ihm verbundener Kondensator C sind
also während dieser Zeit· auf einer gewissen Spannung, die mit
den auch in der Rundfunktechnik üblichen Mitteln verstärkt

136
werden kann. Auf diese Weise kann man, wie das bei solchen
Messungen meist üblich ist, ein Zählwerk nach Art der Telefon-
zähler betreiben oder die Spannung auf einen Lautsprecher über.
tragen und jedes einzelne Teilchen, das durch das Zählwerk
tritt, zählen und registrieren.
Die Zahl der von Beta- und Gammastrahlen erzeugten Ionen
ist gering. Deshalb braucht man hier eine große Verstärkung
und arbeitet in der Regel im Auslösebereich. Da die Beta&,trahlen
nur dünne Schichten durchdringen, benutzt man für sie dünn-
wandige Zählrohre, dagegen für den Nachweis von Gamma-
quanten dickwandige Rohre, um andere Strahlungsarten mög-
lichst fernzuhalten. Bei den Alphastrahlen, die viel mehr Elek-
tronen erzeugen, kann man auf eine große Verstärkung ver-
zichten und im Proportionalitätsbereich arbeiten. Das hat den
Vorteil, daß die Zählvorrichtung dann bei geeigneter Schaltung
nicht auf andere Strahlenarten anspricht. Letztere erzeugen ja
nur schwache Spannungsstöße. Mit Hilfe einer besonderen
Verstärkerröhre, eines Thyratrons, das nur Impulse oberhalb
eines bestimmten Schwellenwertes weiterleitet, kann man die
schwachen Stöße ausmerzen, so daß nur die von Alphastrahlen
herrührenden Stöße gezählt werden. Das ist vor allem deshalb
wichtig, weil außer der zu untersuchenden Strahlung stets auch
alle möglichen anderen durchdringenden Strahlenarten im
Raume vagabundieren. Erstens löst die auf keine Weise ge-
nügend abschirmbare kosmische Strahlung überall, so auch im
Zählrohr, Elektronen aus. Zweitens gibt es keinen Stoff, der
ganz frei von radioaktiven Verunreinigungen wäre, so daß auch
das Material des Zählrohres selbst immer gelegentliche Span-
nungsstöße auslöst. Ein solcher Nulleffekt ist bei diesen Meß-
geräten nicht zu vermeiden. Bei der Zählung von Alpha-
teilchen muß man das Zählrohr mit einem dünnen Glimmer-
fenster für ihren Eintritt versehen, da sie durch dickere
Schichten nicht mehr hindurchgehen.
Ein weiteres, sehr wichtiges Hilfsmittel der Kernphysik ist
die Nebelkammer von Wilson, deren Wirkungsweise bereits im
zweiten Vortrag beschrieben worden ist. Ihr Vorteil besteht
137
hauptsächlich darin, daß sie ein anschauliches Bild des Kern-
prozesses vermittelt, also sehr viele Einzelheiten des Prozesses
auf einmal wiedergibt.
Ein einfaches Schema der Nebelkammer zeigt die Abb.32.
Der obere Raum enthält die mit Wasserdampf gesättigte Luft.
Er ist oben mit einer Glasplatte zur Beobachtung verschlossen
und unten durch einen beweglichen Kolben begrenzt, der mit
einer feuchten Gelatineschicht bedeckt ist, so daß die darüber
befindliche Luft stets mit Wasserdampf gesättigt ist. Durch
ein seitliches Fenster fällt das zur Beobachtung der Nebel-

~ Beo6achl/Jng
a'assc/JeitJe

L________________________ J

Abb, 32, Einfaches Schema der. Nebelkammer von W i 1 5 0 n

spuren nötige Licht ein. Der Kolben wird nun auf irgend eine
Weise plötzlich nach unten bewegt, so daß sich die Luft adia"
batisch ausdehnt und abkühlt. Dadurch wird der in ihr befind-
liche, nunmehr übersättigte Wasserdampf in den konaensations-
bereiten Zustand versetzt, in dem jedes Teilchen, da'S in die
Kammer eintritt, durch Ionisation eine Kondensation längs
seiner Bahn auszulösen vermag, so claß die bekannten Nebel-
spuren entstehen.
Manche Er:;cheinungen, die man in der NebeJkammer zu
beobachten wünscht, vor allem bei der kosmischen Strahlung,
sind äußerst selten, und es können Stunden vergehen, bis sie
einmal eintreten. Die Chance, bei einer Expansion gerade einen
solchen Prozeß zu finden, ist äußerst gering. Wäre man also

138
für die Beobachtung solcher seltener Effekte auf den Zufall
angewiesen, so wären derartige Untersuchungen höchst zeit-
raubend. Hier hilft man sich durch eine geschickte Verbindung
der Nebelkammer mit einem Zählrohr, das sozusagen als Alarm-
posten neben der Nebelkammer steht. Es wird so eingerichtet,
daß es gerade auf denjenigen Prozeß reagiert, den man in der
Nebelkammer beobachten will. Findet nun ein solcher statt, so
betätigt das Zählrohr alsbald über eine Verstärkereinrichtung
die Expansion. Das geht so schnell, daß die in der Kammer
gebildeten Ionen noch nicht aus den Teilchenbahnen wegdiffun-
diert sind, so daß diese als Nebelspuren sichtbar werden. Die
wichtigsten Aufschlüsse über die Natur der kosmischen Strah-
lung hat man in den letzten zehn Jahren auf diese Weise ge-
wonnen.
Schließlich kann auch die photographische Platte zum
Nachweis geladener Teilchen dienen. Ein Beispiel ist schon
in der Abb. 25 gegeben worden.
Auf diese Arten kann man alle in der Kernphysik vor-
kommenden geladenen Strahlenarten - Alpha- und Beta-
strahlen und alle sonstigen Arten von geladenen Kern-
trümmern -, ferner auch Gammaquanten zählen oder nach-
weisen, und es bleibt nur noch die Frage des Nachweises von
Neutronen zu erörtern. Da sie selbst, als ungeladene Teilchen,
nicht ionisieren, muß man zu ihrem Nachweis eine von ihnen
hervorgerufene sekundäre Wirkung benutzen. Am einfachsten
geschieht das mit Hilfe eines Bor-Zählrohrs. Seine Innenwand
ist mit Bor oder irgendeiner Borverbindung ausgekleidet, und
das Rohr wird im Proportionalbereich verwendet, so daß es nur
Alphateilchen zählt. Wenn nun Neutronen auf die Borschicht
treffen, so lösen sie dort die Kernreaktion
lOB
5
+ 0In -+ 3iLi + 24He
aus, bei der schnelle Heliumkerne, also künstliche Alpha-
strahlen, erzeugt werden, und zwar auf jedes Neutron ein
Alphateilchen. Das Zählrohr reagiert also auf ein Neutron, das
eine Kernreaktion auslöst, mit einem Impuls, an dem übrigens
10 Heisenberg, Atomkerne
139
auch der gleichzeitig entstehende Lithiumkern beteiligt ist. Es
lös€n aber längst nicht alle Neutronen, die das Zählrohr treffen,
eine Kernreaktion aus, sondern viele von ihnen gehen wir-
kungslos durch das Rohr hindurch. Immerhin zählt das Rohr
eine Neutronenz-ahl, die der wirklichen Zahl bis auf einen zu·
nächst unbekannten, konstanten Faktor proportional ist.
Ein anderes, häufig angewandtes Verfahren besteht darin,
daß man an eine Stelle, an der man Neutronen vermutet, einen
sogenannten Indikator bringt. Das ist ein Stoff, der durch eine
Kernreaktion mit Neutronen radioaktiv wird, etwa ein Stück
Silberblech. Es spielen sich dann nacheinander die beiden fol-
genden Kernreaktionen ab:
1. l~fAg + Ön-+ l~~ Ag, 2. l~~Ag-+ l~~Cd + _?e.
Aus einem Silberisotop von der Masse 107 bildet sich also zu-
nächst ein Silberisotop von der Masse 108. Dieses ist instabil
und zerfällt mit einer Halbwertszeit von 22 Sekunden unter Aus-
sendung eines Elektrons in ein isobares Cadmiumatom. Das
Atom l~~Ag mit 61 Neutronen und 47 Protonen muß instabil
sein, weil es einen "doppelt ungeraden" Kern besitzt.
Da, wie wir schon gesehen haben, langsame Neutronen sich
im allgemeinen leichter an einen Kern anlagern als schnelle,
so spricht ein Bor-Zählrohr bei langsamen Neutronen auf einen
größeren Bruchteil derselben an als bei schnellen. Bringt man
ein solches Zählrohr in die Nähe einer Quelle schneller Neu-
tronen, so kann man mit einem Lautsprecher die einzelnen Im-
pulse mit einer gewissen durchschnittlichen Häufigkeit, sagen
wir durchschnittlich je einen in jeder Sekunde, hören. Nun
kann man, wie wir schon wissen, Neutronen dadurch verlang-
sam('!n, daß man sie durch einen wasserstoffhaltigen Stoff hin-
durchtreten läßt, etwa durch Paraffin. Umgibt man also das
Zählrohr mit Paraffin, so vermehren Sich die Impulse sehr stark,
und man hört jetzL ein prasselndes Rauschen. Es findet also,
entgegen der naiven Vermutung, daß die Einschaltung des
Paraffins den Effekt schwächen müßte, im Gegenteil eine sehr

140
beträchtliche Verstärkung statt. Dieses Verfahren zur Erhöhung
der Ausbeute bei Kernumwandlungen durch Verlangsamung
der Neutronen wird in der Kernphysik häufig verwendet.

2. Die Verfahren zur Kernumwandlung


Zur Umwandlung von Kernen braucht man im allgemeinen
sehr energiereiche Teilchen; nur bei den Umwandlungen durch
Neutronen wird man die Energie im Gegenteil häufig möglichst
klein machen. Aber Neutronen entstehen auch wieder erst
durch eine Kernumwandlung mit schnellen Teilchen, etwa
durch Beschuß von Beryllium mit Alphateilchen.
Die handlichste Quelle energiereicher Teilchen liefert uns
die Natur selbst in den natürlichen Alp'hastrahlern. Allerdings
ist die Strahlung auch der stärksten radioaktiven Präparate, die
es gibt, immer noch verhältnismäßig schwach und geriügt nur
zur Umwandlung einer kleinen Zahl von Atomen-. Andererseits
benötigt man außer den Alphateilchan auch noch andere
Teilchenarten, nämlich schnelle Protonen und Deuteronen, um
alle möglichen Arten von- Kernumwandlungen herbeizuführen.
Das nächstliegende Verfahren zur Erzeugung energiereicher
Teilchen besteht darin, daß man die geladenen Teilchen durch
eine sehr hohe Spannung - wenn möglich 1 Million Volt und
mehr - sehr stark be:schleunigt. Natürlich muß das eine
Gleichspannung sein. Allerdings kann man so hohe Gleich-
spannungen viel weniger leicht erzeugen als eine entsprechende
Wechselspannung.
Ein heute bei vielen Hochspannungseinrichtungen ver-
wendetes Verfahren ist die Greinacher-Schaltung (Abb. 33).
Zwei Säulen mit Kondensatoren C werden durch ein System
von Ventilröhren V verbunden, von denen jede einen Strom
von Elektronen nur in einer Richtung, etwa in der des Pfeils,
durchläßt. Die Anordnung ist so gewählt, daß etwa der Punkt d
positiv (aber nicht negativ) gegen den geerdeten Punkt a auf-
geladen sein kann, ohne sich zu entladen; desgleichen xann c
positiv aufgeladen sein gegen d, i gegen c, e gegen f usw. Wird
10'
141
nun durch einen Transformator T eine Wechselspannung (meist
von etwa 200 bis 300 k;V) zwischen die beiden Säulen gelegt,
so laden sich zunächst durch die Ventilröhren hindurch die
Punkte d, C, J usw. solange positiv auf, bis die wechselnde
Spannung etwa des Punktes d während der ganzen Periode
niemals kleiner als die von a
ist, die man gleich Null setzen
kann i denn sonst würde durch
das Ventilrohr VI noch Strom
fließen. Wenn also die Scheitel-
spannung des Transformators
± E ist, so schwankt im statio-
nären Betrieb die Spannung
des Punktes d zwischen 0 und
2 E, und der Punkt c hat die
konstante Spannung 2 E. Durch
die Ventilröhren fließt dann
kein Strem. In der gleichen
Weise erkennt man, daß im
stationären Betrieb die Punkte e,
~ T Hochspannungs- g, i auf den konstanten Span-
transformator nungen 4 E, 6 E, 8 E liegen,
V/J/tJhvenlJle während die Spannungen der
C Kapazitäfen Punkte J, h, k zwischen 2 E und
Abb. 33. Greinacher-Schaltung
4 E, bzw. 4 E und 6 E, bzw. 6 E
und 8 E schwanken. Wenn etwa
an der Stelle i Strom entnommen wird, so erniedrigt sich dort
die Spannung ein wenig, und durch die Ventilröhren wandern
nun in der Pfeilrichtung Elektronen, die für den Ladungs-
transport sorgen, so daß die Spannung bei i nicht wesentlich
unter 8 E sinken kann. Man erhält .also bei Verwendung von
n Stufen das 2 n-fache der Scheitelspannung des Transformators,
so bei einer Ausgangsspannung E von 200 kV und drei Stufen
eine Gleichspannung von 1,2 Millionen Volt. Die Abb. 34 zeigt
die Außenansicht der Hochspannungsanlage des Kaiser
Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin-Dahlem. Die schrägen

142
Teile sind die Ventile; die Kugeln entsprechen den Punkten e,
e, i der Abb. 33.
Mit der so gewonnenen hohen Spannung müssen nun die
geladenen Teilchen beschleunigt werden. Diese werden zu-
nächst als Kanalstrahlen in einer gewöhnlichen Gasentladung
in einem Entladungsrohr erzeugt und treten dann in das hoch-
evakuierte Beschleunigungsrohr ein, an dem die hohe Spannung

Abb.34 Hochspannungsgeneratordes Kai.er Wilhelm-In;tituts für PhysIk


(Max-Planck-Institut) in Berlin-Dahlem

liegt. Am Ende des Beschleunigungsrohres treffen sie dann auf


die umzuwandelnde Substanz.
Diese Einrichtung hat den Nachteil, recht kostspielig zu
sein. Man hat daher versucht, mit einfacheren Mitteln das
gleiche zu erreichen. Hier ist besonders der Hochspannungs-
gen€rator von van de Graaff zu nennen, der im Grunde auf dem
alten und sonst heute kaum no€h verwendeten Prinzip der
Influenzmaschine beruht. Er besteht aus einem großen, kugel-
förmigen oder auch zylindrischen, metallischen Hohlkörper
(Abb.35). Im Inneren dieses Konduktors und unterhalb des-
selben liegt je eine Achse, über die ein breites, endloses Band

143
aus einem isolierenden Stoff, etwa aus Seide, läuft. Dieses wird
außerhalb des Konduktors mittels einer Gleichrichteranlage
und eines Spitzenkammes mit elektrischer Ladung besprüht
und wandert mit dieser Ladung in den Konduktor, wo die
Ladung durch einen zweiten Spitzenkamm wieder abgesaugt
und auf den Konduktor übertragen wird. Dieser könnte auf
diese Weise auf eine beliebig hohe Spannung aufgeladen wer-
den. Dabei ist aber durch die Abmessnngen des Raumes, in
dem der Generator aufgestellt ist, eine Grenze gesetzt, da bei
einer besti.mmten Spannung, die
A
von den Abmessungen des Raumes,
sowie von denen des Konduktors
+ abhängt, ein Funkenüberschlag
auf die Wände stattfindet, der den
Konduktor entlädt. Im Jahre 1939
war wohl noch keine Anlage in
Betrieb, mit der man mehr als
2 Millionen Volt erreicht hätte.
In der Abb. 36 ist die größte der-
artige Anlage dargestellt, die in
den Vereinigten Staaten von
Amerika schon vor einigen Jahren
im Bau war, von der ich aber
Abb. 35. Hochspannungsgenerator
von v an· d e G raa r f
nicht weiß, ob sie in Betrieb ge-
nommen worden ist. Sie ist für
eine Spannung von 5 Millionen Volt geplant und deshalb in
einem sehr großen Raum, einer alten Luftschiffhalle, unter-
gebracht. Sie besitzt zwei Konduktoren, die entgegengesetzt
aufgeladen werden sollen, um so fÜr das Entladungsrohr die
doppelte Spannung zu erhalten.
Die weitaus wirksamste Anlage zur Erzeugung schneller
Teilchen ist aber das von dem Amerikaner Lawrence erdachte
Cyclotron. Es beruht auf einem sehr interessanten Prinzip,
nämlich der sehr oft wiederholten Beschleunigung durch die
gleiche, nicht sehr hohe Spannung, und hat dAher unter anderem
den großen Vorteil, die so schwer zu erzeugenden und zu

144
bändigenden hohen Spannungen zu vermeiden. Das Cyclotron
besteht zunächst aus einem sehr großen Elektromagneten, der
zwischen seinen auf kleinem Abstand voneinander stehenden
Polflächen ein starkes, sehr homogenes magnetisches Feld von
10000 bis 15000 Gauß von großer Ausdehnung erzeugt. Der
Raum zwischen den Polschuhen ist gut evakuiert. Wenn ein
bewegtes, geladenes Teilchen in ein solches Feld gelangt, so
beschreibt es eine
Kreisbahn, deren Ra-
dius der Teilchen-
geschwindigkeit pro-
portional ist (Abb.37).
Daher ist auch der
Kreisumfang der Teil-
chen - Geschwindigkeit
proportional, und das
hat zur Folge, daß
gleichartige Teilchen
gänzlich verschiedener
Geschwindigkeit für
einen vollen Umlauf
genau die gleiche Zeit
brauchen. Nun sind
in dem Raum zwischen
den Polschuhen zwei
voneinander isolierte
halbkreisförmige Büch- Abb.36.
sen angebracht, zwi- Hochspannungsanlage nach va n d e G raa f f

schen denen eine Wechselspannung von 30 bis 100 kV liegt,


die von einem Hochfrequenzsender geliefert wird. Infolge-
dessen besteht in dem S€hmalen Raum zwischen den Büchsen
ein hochfrequentes Wechselfeld. Die Frequenz dieses Wechsel-
feldes wird nun so bemessen, daß sie genau der Umlaufszeit
der Teilchen im magnetischen Felde entspricht. Man läßt dann
die geladenen Teilchen in der Nähe des Mittelpunktes (Z) in
den Raum z'wischen den Polschuhen eintreten. Dort werden sie

145
vom elektrischen Felde erfaßt, erhalten eine gewisse Ge-
schwindigkeit und bewegen sich infolgedessen in dem - im
übrigen von elektrischen Feldern freien - Raum auf einem
Halbkreis. Sie erreichen so den Schlitz zwischen den Büchsen
in einem Augenblick, in dem dort die elektrische Spannung
ebenso groß, aber entgegengesetzt gerichtet ist wie bei ihrer
ersten Beschleunigung. Da sich inzwischen auch ihre Be-
wegungsrichtung umgekehrt hat,
so erfahren sie eine erneute Be-
schleunigung; und so wiederholt
sich das Spiel immer wieder, und
die Geschwindigkeit der Teilchen
wächst immer mehr. Sie laufen
also auf einer aus lauter Halb-
kreisen zusammengesetzten, un-
gefähr spiralförmigen Bahn immer
weiter nach außen und werden
schließlich durch ein für sie durch-
lässiges Fenster (T) ihrer Verwen-
dung zur Erzeugung von Kern-

8
umwandlungen zugeführt.
Zur Justierung einer solchen
H6chjreqUtlnz-
rv generator
Anlage gehört ein großes tech-
Abb. 37. CycIotron
nisches Können. Dberdies ist ein
Cyclotron eine Maschine von Ab-
messungen, die bei physikalischen Geräten ungewöhnlich sind.
Als Beispiel seien einige Zahlen genannt. Ein Cyclotron, das
in den Vereinigten Staaten schon längere Zeit in Betrieb ist, be-
sitzt Polschuhe mit einem Durchmesser von 95 cm, sein Magnet
enthält 60 t Eisen und lOt Kupfer und erzeugt ein magnetisches
Feld von 14000 Gauß. Die dafür nötige Leistung beträgt 30 kW.
Wenn man dieses Cyclotron mit Deuteronen beschickt, so
treten sie mit einer Energie von 9 MeV aus, d. h. so, als hätten
sie eine Spannung von- 9 Millionen Volt durchlaufen. Sie
repräsentieren einen Strom von 0,1 mA. Mit den Strömen der
Technik verglichen ist das zwar nur ein sehr schwacher Strom,

146
aber angesichts der hohen Spannung entspricht ihm immerhin
eine Leistung von fast 1 kW. Da jedes Teilchen ein Elementar-
quantum von 1,6' 10-19 Coulomb mit sich trägt, kann man
leicht berechnen, daß ihm eine T~ülchenzahl von rund 6' 1014
pro Sekunde entspricht.
Die Abb. 38 zeigt die Außenansicht eines derartigen Cyclo-
trons. Man erkennt die Wicklungen des Magneten, zwischen

Ab6. 38. Cyclotron

dessen Polschuhen die Büchsen liegen, in denen die Teilchen


anlaufen. Man sieht ferner den aus dem Cyclotron austretenden
Strahl.
In den Vereinigten Staaten sind bereits zahlreiche Exem-
plare des Cyclotrons in Betrieb. Auch in Europa gibt es deren
schon einige, aber noch nicht in Deutschland. Welche Bedeu-
tung dem Cyclotron beigemessen wird, zeigen die Aufwendun-
gen, die dafür in den Vereinigten Staaten gemacht werden. Im
Jahre 1940 war dort ein Riesencyclotron im Rohbau fertig, das
seiner Größe nach eher einem Kriegsschiff als einem physikali-
schen Gerät verglichen werden kann. Der Durchmesser seiner
Polschuhe beträgt 4,7 m, und der Magnet hat eirre Länge von

147
17,8 m (Abb. 39). Das Fundament enthält 1200 t Beton, der
Magnet 3700 t Eisen und 300 t Kupfer, das als Band von 10,2 cm
Breite und 6 mm Dicke gewickelt ist. Das Magnet joch wird von
36 Stahlplatten von 5,5 mm Dicke gebildet. Die magnetische
Feldstärke beträgt 10000 Gauß; die Frequenz des elektrischen
Wechselfeldes entspricht einer Wellenlänge von 39 m. Lawrence
hofft, mit diesem Cyclotron Deuteronen mit einer Energie von

Abb. 39. Mdgnet des Riesencyclotrons

100 MeV zu erzeugen, also einer Energie, für die man auf dem
direkten Wege eine Spannung von 100 Millionen Volt brauchen
würde.
Ein Cyclotron ist also eine außerordentlich kostspielige
und komplizierte Einrichtung. Aber dafür ist es auch einst-
weilen allen anderen, dem gleichen Zweck dienenden Einrich-
tungen weit überlegen. Mit seiner Hilfe hat man in den
Vereinigten Staaten schon Kernumwandlungen in einem Maß-
stabe durchgeführt, wie sie mit anderen Mitteln sonst nitgends
erreicht worden sind.

148
Achter Vortrag

Die praktischen Anwendungen der Kernphysik

1. Pie Nutzbarmachung atomarer Energie


Wenn man die praktischen Anwendungen der Kernphysik
betrachten will, so ist es nützlich, zunächst einmal einen Ver-
gleich mit der Chemie zu ziehen. In der Chemie handelt es sich
um die Zusammensetzung verschiedener Elemente zu kompli-
zierteren Stoffen, den chemischen Verbindungen, oder um-
gekehrt um die Abtrennung von Elementen aus ihren Verbin-
dungen, in der Kernphysik dagegen um die Verwandlung eines
Elements in ein anderes Element. Chemische Prozesse dienen
nun zwei grundsätzlich verschiedenen-Zwecken. Erstens können
sie dazu verwehdet werden, weniger wertvolle Stoffe in wert-
vollere zu verwandeln, so, wenn man Kohle und Wa'ssetstoff
zu Benzol verbindet. Zweitens kann eine chemische Umsetzung
zur Energiegewinnung dienen, so, wenn man etwa Kohle mit
Sauerstoff zu Kohlendioxyd verbrennt, um Wärme zu ge-
winnen. Diese beiden Anwendungen sind natürlich nicht un-
abhängig voneinander. Oft wird man irgendeinen Stoff nur
herstellen, um ihn aIsdann zur Energiegewinnung zu verwenden,
wie das BenzoL
Das gleiche kann grundsätzlich für die Kernphysik gelten.
Sie kann erstens dazu dienen, aus weniger wertvollen Stoffen
wertvollere zu machen, und zweitens kann man mit ihrer Hilfe
Energie gewinnen. Bei der Energiegewinnung handelt es sich
aber vorläufig um Zukunftsmusik, und deshalb soll diese Frage
kurz vorweg behandelt werden.
Um einen Begriff von den. Energien zu erhalten, die uns
Kernumwandlungen liefern könnten, wollen wir wieder einen
Vergleich mit der Chemie ziehen. Die Verbrennung von Kohle
mit Sauerstoff zu Kohlendioxyd kann durch eine Gleichung

149
dargestellt werden, die auch die dabei gewonnene Energie be
rücksichtigt:
C + 02+ C02 + 96 kcal.

Diese Formel bezieht sich auf 1 Mol und sagt aus: Bei der Ver-
brennung von 1 Mol (oder Grammatom) = 12 g Kohlenstoff mit
1 Mol = 32 g Sauerstoffgas entsteht 1 Mol = 44 g Kohlen-
dioxyd, und es wird eine Wärmemenge von 96 Kilokalorien
frei. Ein anderes Beispiel ist die Verbrennung von Wasserstoff
mit Sauerstoff zu Wasser. Die entsprechende Gleichung, wieder
auf Mole bezogen, lautet:

H2 + 102 + H20 + 68,4 kcal.


Es werden also pro Mol gebildeten Wassers 68,4 kcal frei. Ganz
allgemein kann man sagen, daß sich diese sogenannten Wärme-
tönungen chemischer Prozesse durchweg in der Größenordnung
bis zu etwa 100 kcal pro Mol bewegen.
Nun soll eine entsprechende Gleichung für eine Kern-
reaktion hingeschrieben werden, und zwar für eine solche, die
in der heutigen Kernphysik sehr oft verwendet wird und die
nach Döpel schon mit gewöhnlichen Kanalstrahlen einer Energie
von 5-10 Kilovolt ausgelöst werden kann: die Reaktion zweier
Deuteronen miteinander, bei der ein Wasserstoffkern von der
Masse 1 und ein Wasserstoffkern von der Masse 3 entstehen.
Wieder auf 1 Mol bezogen, lautet diese Gleichung:

2' rD ~ iH + ~H + 100 Millioneh kcal.


Hierbei vereinigen sich also die beiden Deuteronen zunächst,
aber dieser zusammengesetzte Kern spaltet alsdann sofort
- weil es energetischer günstiger ist - in die beiden ge-
nannten Kerne auf. Daß dieser Prozeß in der Tat energetisch
günstig ist, erkennt man an der ungeheuren Wärmetönung von
100 Millionen kcal pro Mol. Ahnlich ist die Größenordnung
der Wärmetönungen der meistens anderen Kernreaktionen.
Man sieht, wie wichtig die Kernreaktionen in dem Augenblick
werden würden, wo es gelänge, sie wirklich in großem Mab-

150
stabe durchzuführen, schon dann, wenn auch nur Stoffmengen
von der Größe eines Mols umgesetzt werden könnten. Im
gleichen Augenblick wäre die Ausnutzung chemischer Prozesse
zur Energiegewinnung völlig überflüssig. Denn die Energie-
ausbeute der Kernprozesse ist rund 1 Million mal größer als
diejenige der chemischen Prozesse, und man würde, verglichen
mit den zur Zeit erforderlichen Stoffrnengen, mit geradezu
winzigen Stoffmengen -auskommen. Aber bisher ist eine Um-
wandlung wägbarer Substanzmengen nirgends gelungen.
Kernprozesse dieser Art spielen sich allgemein in kleinem
Maßstab in der Natur überall ab, nämlich unter der Wirkung
der kosmischen Strahlung und der Strahlen radioaktiver Stoffe.
Daß die Energie, die sie liefern, nicht in Erscheinung tritt, liegt
daran, daß es sich um allzu geringe und allzu zerstreute Men-
gen handelt.
Es ist trotzdem nicht ganz richtig, zu sagen, daß die Energie
von Kernprozessen einstweilen keine Rolle spielt. Tatsächlich
kann man sogar umgekehrt behaupten, daß wir solchen Pro-
zessen letzten Endes unser ganzes irdisches Dasein verdanken.
Denn ihnen verdanken wir es, daß die Sonne die Erde be-
scheint und alles irdische Leben erhält.
Diese Prozesse spielen sich nämlich in großem Maßstab im
Inneren der Sterne ab. Wir wissen heute, daß die Energie, die
die Sterne, also auch die Sonne, dauernd in den Raum hinaus-
strahlen, eben aus solchen Kernprozessen stammt. Der Ur-
sprung dieser Energie war lange ein ungelöstes Problem, auf das
man viel Scharfsinn verwendet hat. Man weiß, daß die Sonne
sicher seit mindestens 2 Milliarden Jahren ungefähr mit der
gleichen Intensität auf die Erde scheint, und man konnte früher
nicht verstehen, daß sie sich nicht schon längst verausgabt hat.
Die Lösung dieses Problems blieb der Kernphysik vorbehalten,
und man kann heute sogar genau angeben, um welchen Prozeß
es sich dabei allein handeln kann. Die Lösung wurde durch
drei Arbeiten von Atkinson und Houtermans, von v. Weizsäcker
und von Bethe gegeben. Den Weg zu ihr können wir hier nicht
beschreiben, sondern nur das Ergebnis mitteilen. Es handelt
151
sich· um eine bestimmte Folge von Kernreaktionen, die wir zu-
nächst einmal hinschreiben wollen:

1. l~C + i H -+ l~N, 4. 1~ N + { H -+ 1~ 0,
2. 137 N -+ 136 C + °1 e ' 5. 158 0 -+ 15N
7
+ Oe
l'
3. I~C + ~H-+ I~N, 7 +11 H -+ 12C
6. 15N 6 + 24He .

Diese Folge besteht teils aus Reaktionen mit Protonen H, teils I


aus Zerfallsprozessen unter Aussendung eines Positrons. Das
Ausgangsmaterial ist Kohlenstoff von der Masse 12 und Wasser-
stoff. Daß die Sterne zu einem beträchtlichen Bruchteil aus
Wasserstoff bestehen, ist bekannt, und auch Kohlenstoff ist,
wenn auch in kleineren Mengen, vorhanden. Der Wasserstoff
liegt bereits in Form von Protonen vor, da die Wasserstoff-
atome ihr eines Elektron bei den hohen Geschwindigkeiten, die
sie der hohen Temperatur von 10 bis 20 Millionen Grad im
Sterninnern verdanken, schon sämtlich eingebüßt haben. Diese
große Geschwindigkeit ermöglicht es den Protonen auch, in die
anderen- Kerne. einzudringen.
Zunächst bildet sich also aus einem Kern des gewöhnlichen
Kohlenstoffs und einem Proton ein Stic.kstoffkern (1), der in-
stabil ist und sich unter Aussendung eines Positrons in einen
Kohlenstoffkern verwandelt (2), der ein schwereres Isotop des
Ausgangskerns ist. Dieser Prozeß ist auch aus Laboratoriums-
versuchen wohlbekannt. Ein erneuter Beschuß mit einem Proton
läßt aus dem neuen Kohlenstoffkern einen Kern des gewöhn-
lichen Stickstoffs entstehen (3). Aus diesem entsteht durch
Anlagerung eines weiteren Protons ein instabiler Sauerstoff-
kern (4), der sich alsdann unter Aussendung eines Positrons in
ein schwereres Isotop des ersten Stickstoffkerns umwandelt (5).
Den Abschluß bildet die erneute Anlagerung eines Protons, wo-
bei sich unter Aussendung eines Heliumkerns, also eines
Alphateilchens wiederum ein Kern des gewöhnlichen Kohlen-
stoffs bildet.
Wenn man die Bilanz dieser Folge von Reaktionen zieht, so
ergibt sich folgendes Resultat: Am Anfang steht ein Kohlen-

152
stoffkern l~ C, an den sich schrittweise 4 Protonen anlagern. Am
Schluß bleibt der gleiche Kern l~ C und ein Heliumkern ~He
übrig, sowie die beiden im 2. und 5. Prozeß ausgesandten Posi-
tronen. Summarisch lautet also die Bilanz: Aus 4 Protonen sind
1 Heliumkern und 2 Positronen entstanden. Rein bilanzmäßig
hat sich also folgende Reaktion abgespielt:

l
4. H ->- ~ He + 2 . ~e.
Der Heliumkern besteht aus 2 Neutronen und 2 Protonen, seine
Ladung ist also um zwei Einheiten kleiner als diejenige der
4 Protonen. Diese Differenz ist mit den beiden Positronen ab-
gegangen. Dadurch haben sich 2 von den 4- Protonen in NeU-
tronen verwandelt.
Die letzte Gleichung erlaubt auch die Energiebilanz des
Vorganges zu ziehen, da die Massen der Protonen und der
Heliumkerne sehr genau bekannt sind. Die bei einem solchen
Prozeß freiwerdende Energie betragt 25,5 Me V oder, auf 1 Mol
bezogen und in kcal umgerechnet, 600 Millionen kcal pro Mol.
Sie ist also noch sechsmal größer als bei dem oben erwähnten
Prozeß.
Das, was sich hier abspielt, kann man etwa ih die Worte
fassen: In den Sternen wird Wasserstoff kernphysikalisch zu
Helium verbrannt, und dadurch werden die ungeheuren Ener-
gien frei, die die Sonne und die Sterne ständig ausstrahlen. Man
hat scherznaft gelegentlich gesagt, daß die Sonne mit Kohle
geheizt wird. Das ist aber nicht ganz richtig. Die Kohle spielt
hier ja nur die Rolle eines Katalysators und wird bei der Reak-
tion nicht verbraucht.
Dieses Beispiel möge genügen, um zu zeigen, daß bei Kern-
umwandlungen - sofern sie sich nur an genügend großen Stoff-
rnengen abspielen - ungeheure Energien frei werden. Wir
wollen noch hinzufügen, daß tatsächlich Anhaltspunkte dafür
bestehen, daß ältere Sterne wasserstoffärmer sind als jüngere,
was auf einen allmählichen Verbrauch des Wasserstoffs hin-
weist.

153
Warum können nun im Laboratorium keine ähnlichen Ener-
gien erzeugt werden? Gesetzt etwa, wir verfügten über eine
sehr starke Neutronenquelle, die aus 100 g Radium, vermischt
mit Beryllium, besteht. Das wäre schon eine sehr starke Quell~,
verglichen mit denen, die uns tatsächlich auf diese Weise zur
Verfügung stehen. Wenn man mit Hilfe dieser Strahlungsquelle
Kochsalz, also Natriumchlorid, einen Tag lang bestrahlen
würde, d.ann kann man abschätzen, daß sich etwa 20 Milliarden
Chloratome in radioaktive Schwefelatome umwandeln würden.
Das ist eine große Zahl, und der gebildete Schwefel wäre tat-
sächlich sehr stark radioaktiv. Aber leider ist die Stoffmenge
ungeheuer klein, nämlich nur etwa 1. milliardstel. Milligramm
Schwefel. Entsprechend klein ist auch die gewonnene Energie,
nämlich nur 6 millionstel kcal.
Allerdings kann man mit Hilfe des größten zur Zeit in Be-
trieb befindlichen Cydotrons die Intensität der Neutronen noch
ungefahr tausendmal größer machen, als es eben angenommen
wurde. Sie entspricht etwa der Intensität einer Neutronenquelle
aus 100 kg Radium, gemischt mit Beryllium. Dann erhöhen sich
auch die Stoffmenge und die Energie auf das Tausendfache,
bleiben aber doch noch außerordentlich klein. In jedem Fall
ist die gewonnene Energie nur ein verschwindender Bruchteil
der Energie, die man dafür in das Cydotron hineinstecken muß.
Einstweilen ist also die technische Energiegewinnung aus Kern-
prozessen noch nicht möglich, und man muß die weitere Ent-
wicklung abwarten.

2. Stofiveredelung durch Kernprozesse


Die zweite praktische Verwendungsmöglichkeit von Kern-
prozessen kann man mit dem Schlagwort "Stoffveredelung"
bezeichnen. Es sollen wertvollere Stoffe aus weniger wertvollen
erzeugt werden. Neue Stoffe können durch Kernprozesse ja
nur in ganz verschwindenden Mengen hergestellt werden. Des-
halb wird sich ihre Erzeugung nur dann lohnen, wenn es sich
um ganz besonders wertvolle Stoffe handelt. Solche besonders

154
wertvollen Stoffe, die schon in minimalen Mengen einen erheb-
lichen Wert darstellen, sind die radioaktiven Stoffe. Ihren
Wert haben sie durch ihre vielfach verwendbare Strahlung, die
auch dann schon beträchtlich ist, wenn es sich nur um sehr
geringe Mengen handelt. Daher besteht die wichtigste derzeitige
Anwendung der Kernphysik in der künstlichen Erzeugung
radioaktiver Stoffe.
Radioaktive Substanzen können zu mannigfachen Zwecken
verwendet werden. Schon seit Jahrzehnten verwendet die
Medizin solche Stoffe zur Bestrahlung bösartiger Geschwülste,
die erfahrungsgemäß durch radioaktive Strahlen sehr viel mehr
geschädigt werden als gesundes Gewebe. Meist verwendet
man allerdings Röntgenstrahlen. Wo es aber schwierig ist, an
die erkrankte Stelle heranzukommen, ohne anderes Gewebe
in' Mitleidenschaft zu ziehen, benutzt man mit Vorteil radio-
aktive Präparate. Da aber die Menge der der Medizin zur Ver-
fügung stehenden natürlichen radioaktiven Stoffe sehr begrenzt
ist - außer dem Radium kommt noch das von O. Hahn ent-
deckte Mesothorium in Frage - so sind von der Herstellung
größerer Mengen künstlicher radioaktiver Stoffe, insbesondere
solcher, die andere chemische Eigenschaften haben als die
natürlichen, w~chtige medizirrische Fortschritte zu erhoffen.
Eine weitere Verwendung finden radioaktive Stoffe, indem
man sie in ganz geringen Mengen Leuchtstoffen beimengt, die
unter der Wirkung der Strahlung ständig leuchten. Besonders
bekannt ist ihre Verwendung für die Leuchtzifferblätter und
Leuchtzeiger von Uhren.
Auch zur Untersuchung von Werkstoffen auf innere Fehl-
stellen, für die man im allgemeinen Röntgenstrahlen verwendet,
benutzt man die Strahlen radioaktiver Präparate, und zwar ihre
Gammastrahlung. Man tut das vor allem bei dickeren Stücken,
durch die die Röntgenstrahlen nicht mehr, wohl aber noch die
Gammastrahlen hindurchzudringen vermögen. Diese Art der
Werkstoffprüfung hat den großen Vorteil vor anderen Ver-
fahren, daß sie keine Zerstörung des Werkstücks erfordert.
11 Hejsenberg, Atomkerne
155
Die Herstellung und Verwendung künstlicher radioaktiver
Substanzen soll nun etwas ausführlicher besprochen werden.
Zur Herstellung künstlicher radioaktiver Stoffe bestrahlt
man einen geeigneten Stoff mittels einer Hochspannungsanlage
oder eines Cyclotrons mit Protonen oder Deuteronen. Dabei
entsteht eine gewisse praktische Schwierigkeit dadurch, daß
der zu gewinnende Stoff im Ausgangsmaterial immer nur in
unwägbar kleinen Mengen vorhanden ist. Er kann vom Aus-
gangsmaterial chemisch verschieden, aber auch mit ihm iden-
tisch, ein instabiles Isotop desselben sein. Bei chemischer Ver-
schiedenheit und wägbaren Stoffmengen ist eine chemische
Trennung stets ohne weiteres möglich, anders aber bei den un-
wägbaren Mengen, um die es sich hier handelt. Bei solchen
treten häufig Adsorptionserscheinungen auf. die die Anwendung
der üblichen chemischen Trennungsverfahren vereiteln. Man
kann sich oft helfen, indem man dem Ausgangsstoff von vorn-
herein eine größere Menge eines inaktiven Isotops des zu er-
zeugenden Stoffes zusetzt. Dann spielen die Adsorptions-
erscheinungen nur eine geringe Rolle, und der radioaktive
Stoff wird zugleich mit den stabilen Isotopen abgeschieden.
Die chemischen Verfahren, die beim Arbeiten mit kurz-
lebigen radioaktiven Substanzen verwendet werden können,
sind insbesondere von O. Hahn und seinen Mitarbeitern ent-
wickelt und zu einet hohen Vollkommenheit ausgearbeitet
worden.
Einer der wichtigsten künstlichen radioaktiven Stoffe ist der
radioaktive Phosphor. In der Hochspannungsanlage bestrahlt
man etwa Schwefelkohlenstoff (CSt) mit Neutronen. Dann spielt
sich an den Schwefelatomen die folgende Reaktion ab:

~~S +Ön--+r~P + tH.


Aus dem Schwefelatom von der Masse 32, das im gewöhnlichen
Schwefel zu etwa 32 % enthalten ist, und dem Neutron bildet
sich ein radioaktives Phosphoratom von gleicher Masse und
ein Proton. Der radioaktive Phosphor hat eine verhältnismäßig
große Halbwertszeit, nämlich 14,5 Tage, was natürlich für seine

156
praktische Anwendung günstig ist, und zerfällt nach der
Gleichung-
3~p-+32S+ oe
b 16 -1

in das ursprüngliche Schwefelalom und ein Elektron. Die


Gewinnung des radioaktiven Phosphors geschieht nach einem
Vorschlag von Erbacher einfach so, daß man den bestrahlten
Schwefelkohlenstoff mit Wasser versetzt. Dann löst sich der
radioaktive Phosphor als Ionen im Wasser, das man dann auf
irgend eine Weise wieder von dem Schwefelkohlenstoff trennt.
Schwieriger liegen die Verhältoisse, wenn der radioaktive
Stoff mit dem Ausgangsstoff chemisch identisch ist. Man sollte
meinen, daß dann eine Trennung überhaupt unmöglich sei. In
gewissen Fällen läßt sie sich aber doch durchführen. Wenn
es sich nämlich einfach um die Anlagerung eines Neutrons
handelt, so wird die Anregungsenergie in Gestalt eines licht-
quants, als Gammastrahlung, ausgesandt. Dieses aber erzeugt
an dem Kern einen Rückstoß, und der kann zur Folge haben,
daß das Atom nachträglich elektrisch geladen ist oder aus
seiner chemischen Bindung herausgerissen wird. In diesem
Fall kann man dann die radioaktiven Atome durch geschickte
chemische Maßnahmen von den anderen Atomen abtrennen.
Solche Verfahren sind von Szilard und Chalmers und anderen
entwickelt worden.

3. Künstliche radioaktive Stoffe als Indikatoren


Einige Verwendungs arten künstlicher radioaktiver Stoffe
wurden bereits erwähnt. Es gibt aber eine weitere Anwendung,
die in den letzten Jahren große Verbreitung gefunden hat und
jetzt wohl schon als die wichtigste bezeichnet werden kann.
Sie besteht in der Verwendung der radioaktiven Atome als
Indikatoren. Damit ist folgendes gemeint. Man konnte früher
einzelne Atome des gleichen Elementes niemals nachträglich
wieder identifizieren und deshalb bei chemischen oder bio-
logischen Reaktionen den Weg, den ein Stoff nimmt, nicht im
einzelnen verfolgen, weil im allgemeinen das gleiche Element
11'
157
bereits vorher in dem betreffenden Stoff oder Organismus vor-
handen war. Nunmehr aber kann man einem Element, das man
einem Stoff hinzufügt oder einem Organismus einverleibt, so-
zusagen ein Schild umhängen, es - ähnlich wie man Zugvögel
beringt - markieren, nämlich durch seine Radioaktivität, und,
von ihr geleitet, den Weg dieses Elements im einzelnen ver-
folgen.
Ein einfaches Beispiel soll diese Methode erläutern. Es möge
sich darum handeln, in einem festen Stoff die Diffusion seiner
eigenen Atome zu untersuchen, also etwa die Diffusion von
Bleiatomen in Blei. Das war vor der Entdeckung der Radio-
aktivität unmöglich, weil man ja ein bestimmtes Bleiatom nie
wiedererkennen und von anderen Bleiatomen unterscheiden
konnte. Nunmehr bringt man ein Stück Blei, das radioaktive
Bleiatome enthält, in enge Berührung mit einem anderen, das
von solchen Atomen frei ist. Dann werden durch Diffusion
Bleiatome zwischen den beiden Stücken ausgetauscht, und man
wird auf der anfänglich nicht radioaktiven Seite allmählich in
steigender Zahl auch radioaktive Atome vorfinden. So erhält
man Aufschluß über die Geschwindigkeit, mit der Bleiatome
in festem Blei diffundieren.
Oder ein anderes Beispiel, dessen große praktische Bedeu-
tung vielleicht noch mehr einleuchtet. Bei der Prüfung des
Filters einer Gasmaske handelt es sich darum, festzustellen, wie
vollständig es die Giftstoffe, gegen die es wirken soll, adsor-
biert. Das kann einfach auf folgende Weise geschehen. Man
gibt den betreffenden Giftstoffen radioaktive Atome eines in
ihnen enthaltenen Elements bei, welche die gleichen chemischen
'Prozesse durchmachen wie die nicht aktiven, und schickt sie so
durch das Filter. Man braucht dann nur festzustellen, ob sich
auf der anderen Seite des Filters eine Radioaktivität zeigt, und
gegebenenfalls kann man aus ihrer Stärke feststellen, welcher
Bruchteil des Giftstoffes durch das Filter hindurchgegangen ist.
Man kann aber auch die einzelnen Teile des Filters unter-
suchen, indem man nach dem Durchblasen des Giftstoffes fest-
stellt, in welchem Verhältnis die Aktivitäten stehen, die sie

158
durch Adsorption des Giftstoffes angenommen haben. So erhält
man Aufschluß über die Wirksamkeit der einzelnen Teile des
Filters. Ebenso kann man prüfen, ob die Gummihaut der Gas-
maske für den Giftstoff tatsächlich undurchlässig ist, indem
man den Giftstoff auf die eine Seite der Gummihaut bringt und
feststellt, ob sich auf der anderen Seite eine Aktivität zeigt.
Das wäre ein Beweis dafür, daß die Gummihaut sich nicht für
eine Gasmaske eignet. Solche Prüfverfahren sind in der lite-
ratur von Born und Zimmer beschrieben worden und werden
praktisch verwendet.

4. Künstliche .radioaktive Stoffe in der Chemie


In der Chemie finden künstliche radioaktive Stoffe als Indi-
katoren eine steig~nde Verwendung. Zunächst ein Beispiel
aus der quantitativen. Analyse. Erbacher und PhiJipp hatten
versucht, ein Gemisch von Gold, Iridium und Platin quantitativ
in seine Bestandteile zu zerlegen. Das Gold wurde nach Reduk-
tion mit Wasserstoffsuperoxyd als Metall ausgeschieden, und
durch die Auswage sollte festgestellt werden, ob die al:>-
geschiedene Menge mit genügender Genauigkeit der Einwage
entsprach, ob das Gold also wirklich quantitativ abgetrennt
war. Das schien tatsächlich der Fall, die Trennung vollständig
gelungen zu sein. Zur Prüfung wurde dann aber dem Gold ein
wenig radioaktives Gold zugesetzt. Daraufhin ergab sich, daß
die Aktivität der abgetrennten Menge merklich g&inger war
als die der ursprünglichen Menge. Das war ein Beweis dafür,
daß das Gold nicht quantitativ abgeschieden wurde, und daß
das anscheinend richtige Ergebnis dadurch vorgetäuscht wurde,
daß dem abgeschiedenen Golde eine dem fehlenden G(')ldanteil
zufällig recht genau entsprechende Menge Platin und Iridium
beigemengt war.
An diesem Beispiel erkennt man, worauf es bei der Ver-
wendung radioaktiver Stoffe bei der quantitativen Analyse an-
kommt. Man gibt zu einem Stoff ein wenig seines radioaktiven
Isotops als Indikator, sozusagen als Marke, hinzu. Auf Grund
159
der Aktivität kann man den Weg des Stoffes durch die ganze
Reaktion hindurch verfolgen, und man braucht nur die Halb-
wertzeit des radioaktiven Isotops zu kennen, um jederzeit fest-
zustellen, in welcher Menge er jeweils vorhanden ist. Die
Messung der Aktivität ist genau so gut wie eine Wägung des
Stoffes selbst, in vielen Fällen, wie das obige Beispiel zeigt,
sogar besser, weil sie untrüglich anzeigt, ob es sich auch wirk-
lich gerade um den gesuchten Stoff handelt.
Zweitens kann es in der Chemie darauf ankommen, Aus-
tauschvorgänge zu untersuchen, die sich bisher jeder Unter-
suchung entzogen haben, vor allem llm den Austausch gleich-
artiger Elemente zwischen verschiedenen Stoffen. Man kann
etwa di€ Frage stellen, ob Schwefelatome in den Ionen der
Schwefelsäure und der schwefligen Säure zwischen diesen
Stoffen ausgetauscht werden, wenn man sie zusammenbringt.
Die Schwierigkeit bestand bisher darin, daß man die Atome des
einen Stoffes nicht durch irgend eine Markierung von denen des
anderen unterscheiden konnte. In Gestalt der Radioaktivität
aber kann man wenigstens einigen, aber genügend vielen
Atomen eines der beiden Stoffe sozusagen einen Zettel an-
hängen. Finden sich nun derartig markierte Atome nach nach-
träglicher Trennung der beiden Stoffe in dem anderen Stoff, so
beweist dal:i, daß Atome ausgetauscht wurden. Dmch derartige
Versuche ist nachgewiesen worden, daß ein solcher Austausch
von Schwefelatomen zwischen den Ionen SO'4 und S06 tat-
sächlich stattfindet. (Die beiden Striche bezeichnen die doppelte
negative Ladung dieser Ionen.)
Auf weitere Anwendungen in der Chemie will ich nur kurz
eingehen. Die folgende Tabelle gibt eine Ubersicht über die
verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten. Wir beginnen mit
der anorganischen Chemie, und zwar mit der Untersuchung
neuer chemischer Elemente.
Es gibt ja einige Elemente, d~ren Platz im periodischen
System noch leer ist, die man - wie man zu sagen pflegt -
noch nicht entdeckt hat, von denen man aber zunächst an-
nehmen sollte, daß sie in der Natur vorkommen. Die bekann-

160
Af(}fT)umwoildlungtn und ihrr Vtrwendung in der Chemie

Oie Subs!onZtn !!!tJiss!J!:I!i


nOIÜrH'htROIJio.,,",;;;;-~nSllicht
HfrJfrJlung auJ Uron-
vnd ThDrmintralltn
HtrJft/lung dur~
~frQhlt" nafürllr:IJer
Radlotltmtnf,

He;;;;;;"'g durch die


Strahlen künsf/iclftr
I
Btklraskop
Geigu·HÜlltr.zihitr
Rod/otlem,nf, Sfrohlenqurlltn Wi/lonkammw

I
HfiChsponnungsonlo9tn
pho/ogruph. PlotIP

von dt Grooff Gmtrafrirfn


Ojdotran

Ihr, V,rwtndung
onofY}on Ch. onalyf"ch. Ch. proporullv. C1!. physIkai Ch. ftchnische eh. Kolloidchtmi. Biochemie
C9wuchoffrn nrurt· 'offrlUamlltltch9m Enlflfdwng und f'tQltflQm.9i'Sdlwll7d(f~ H()/MQlpriilllng ~ N«/Iw~s kolloid"" u sro~r/~
Orm,,,,, Tf'tnfIu""n Hfr_J~.oI8IHJ DbsdIutr Obttfl8chtn, (-$flaMM. knStaIItJMfrJ4sungrn ilr1'flanu,7Ttr-ulII/
lÄJll"'''",30"t QlJQnfifQHw fWllyw &rfI/gI-u Ob#rlllJC/lffl rrJdiOOkl!w lIud'll- AlfrrulIgl"OfI JoItn H,nJ(h.
1t#"3ft'h/fionsNsr zr,stiirungsl,.." Ondlfungi" un# GI/IIJ KnoCl'ltrl und lal1l1"
G,If".,lnbov A11Q'!I~ lIiffuJionJrwgong,' Prüfu"J l1In Gau/ullh lJi'fdung
RllJ/dlo,,;, I'm frmn JIJ"igki,""" Hrflmllftlpriifilng
lu*nd

testen von ihnen sind die Elemente mit den Ordnungszahlen


(d. h. den Kernladungen) 43 und 61. Eine Zeitlang glaubte·man,
daß das Element 43 in der Natur gefunden sei, und man gab
ihm den Namen Masurium. Wir haben aber heute allen Grund,
anzunehmen, daß hier ein Irrtum vorgelegen hat, und daß es
dieses Element in stabiler Form gar nicht geben kann. Man hat
nämlich inzwischen alle überhaupt in Betracht kommenden Iso-
tope diese Elements künstlich hergestellt und gefunden, daß sie
alle radioaktiv sind und sich in kurzer Zeit wieder umwandeln.
Daher wird das Element 43 in der Natur nicht in wägbaren
Mengen vorkommen. Genau so liegt es beim Element 61. Auch
hier glaubte man, das Element in gewissen Mineralien gefunden
zu haben und gab ihm den Namen Illinium. Aber auch diese Ent-
deckung hat sich nicht bestätigt. Es ist vielmehr sehr wahrschein-
lich, daß es diese beiden Elemente in stabiler Form nicht gibt.
Da es aber möglich ist, diese Elemente wenigstens in radio-
aktiver Form herzustellen, so kann man mit ihnen auch che-
mische Reaktionen durchführen. Die Radioaktivität stört dabei
ja nicht. Auf diese Weise sind die chemischen Eigenschaften
des Elements 43 schon in einer Reihe von Arbeiten untersucht
worden. Die Untersuchung des Elements 61 ist schwieriger, da

161
es zu den seltenen Erden gehört und sich deshalb chemiscl1 fast
genau so verhält wie die UJ.m benachbarten Elemente.
Wir kommen dann zur ~räparativen Chemie, der Her-
stellung neuer chemischer Verbindungen. Ein Beispiel ist der
Wismut-Wasserstoff. Aus chemischen Analogien konnte man
schließen, daß es möglich sein müsse, ihn herzustellen. Aber
der Nachweis dieses Gases ist außerordentlich schwierig, so
daß er früher nicht einwandfrei geliefert werden konnte. Er
glückte aber durch Verwendung von radioaktivem Wismut als
Indikator.
Erwähnt sei noch, daß sich in der Kolloidchemie Anwen-
dungen beim Nachweis kolloid er und kristalloider Lösungen
und der Alterung von Solen und Gelen ergeben.

5. Künstliche radioaktive Stoffe in der Biologie


und Biochemie
Auch in der Biologie hat man sich künstlicher radioaktiver
Stoffe schon mit großem Nutzen als Indikatoren bedient. In
der lebenden Substanz verlaufen die Veränderungen oft sehr
viel langsamer als im Reagenzglas. Darum ist man hier vor·
allem auf die radioaktiven Stoffe von größerer Lebensdauer
q,ngewiesen.
Ein-es der wichtigsten Anwendungsgebiete sind die Stoff-
wechseluntersuchungen, die von Hevesy und anderen durch-
geführt worden sind. Bisher konnte man immer nur die Gesamt-
bilanz eines Stoffwechsels ziehen, indem man feststellte, in
welchen Mengen ein bestimmter Stoff, den man dem Organis-
mus zuführt, sich nach einiger Zeit in dessen einzelnen Teilen
vorfindet. Aber es bestand keine Möglichkeit, zwischen ihm
und den ihm chemisch gleichen Stoffmengen zu unterscheiden,
die schon vorher im OrganiS'mus vorhanden waren. Daher
bestand Unklarheit vor allem über die Geschwindigkeit der
Verteilung eingeführter Stoffe auf die verschiedenen Organe.
Mit der Markierung der Atome durch ihre Radioaktivität war
diese Schwierigkeit mit einem Schlage beseitigt. Sie liefert

162
uns ein Mittel, um die mit Absicht eingeführten Atome von den
schon vorher vorhandenen zu unterscheiden.
So haben Born, Lang, Schramm und Zimmer Tabakpflanzen
auf einem Nährboden gezüchtet, der eine Substanz mit radio-
aktivem Phosphor enthielt, der von den Pflanzen aufgenommen
wurde, da Phospho1" ja zu den für das organische Leben not-
wendigen Stoffen gehört. Man konnte verfolgen, wie der
Phosphor in die Pflanzen wanderte und an welchen Stellen er
sich am stärksten anreicherte. Der meiste radioaktive Phosphor
ging in die obersten, jüngsten, noch im stärksten Wachstum
befindlichen Blätter, in die darunterstehenden weniger, noch
weniger in die schon fertig ausgebildeten Blätter, und eines,
in dem die Saftzirkulation schon erloschen war, hatte überhaupt
keinen Phosphor aufgenommen. In einer ähnlichen Arbeit
konnte die Wanderungsgeschwindigkeit des Phosphors in der
Pflanze ermittelt werden. Sie betrug etwa 10 cm in der Stunde.
Auch an Tieren hat man Stoffwechseluntersuchungen mit
künstlichen radioaktiven Stoffen, insbesondere wieder mit
Phosphor, durchgeführt, die ihnen mit der Nahrung oder durch
Injektion zugeführt wurden (Hevesy). Man kann dann nach
einiger Zeit feststellen, in welchen Teilen des Organismus der
Phosphor bevorzugt abgelagert und mit welcher Geschwindig-
~eit er wieder abgeschieden wird, so daß man den Stoffwechsel
nicht nur bilanzmäßig, sondern in seinen Einz€lheiten ermitteln
kann. Man findet unter anderem, daß sich der Phosphor nach
einiger Zeit vor allem in den Knochen und der Leber vorfindet,
daß er nach einer gewissen Zeit auch in den Zähnen auf-
tritt usw. Auf diese Weise kann man in der Biologie viele
wichtige Aufschlüsse gewiImen.
Dabei sind die für solche Versuche erforderlichen Mengen
an radioaktiven Stoffen so gering, daß sie keine Schädigung
des Organismus herbeiführen können.
Ein anderes wichtiges Problem, das mit diesem Indikator-
verfahTen angegriffen werden konnte, ist die Kohlensäure-
assimilation der Pflanzen. Bekanntlich assimilieren die grünen
Pflanzen unter der Wirkung des Sonnenlichtes, also durch einen
163
photochemischen Prozeß, Kohlensäure aus der Luft und ver-
wandeln sie in Kohlenwasserstoffe. Auf diese Weise speichern
sie Sonnenenergie. Man wußte aber nur wenig über die Einzel-
heiten dieses Mechanismus, und es gab darüber verschiedene
Theorien. Man wußte zwar, daß die Pflanze etwa je 4 Licht-
quanten aufnehmen muß, um ein Kohlensäuremolekül zu assi-
milieren. Es war aber unklar, wie die Pflanze diese 4 Licht-
quanten vorübergehend aufspeichert, um mit Hilfe ihrer Energie
nachträglich die chemische Reaktion durchzuführen. Zur
Klärung dieser Frage benutzten die amerikanischen Forscher
Ruben, Hassid und Kamen Kohlensäure mit radio'aktivem
Kohlenstoff von der Masse 11, der eine Halbwertzeit von
20 Minuten hat. Sie fanden, daß zur Vorbereitung der Assimi-
lation zunächst im Dunkeln eine Reaktion vor sich geht, bei
der der Kohlenstoff und Sauerstoff der Kohlensäure (C02) unter
Anlagerung von Wasserstoff in Gestalt der Karboxylgruppe
(des Restes COOH) an ein organisches Riesenmolekül gebunden
werden. Nachträglich bildet sich dann aus den Karboxyl-
gruppen, vielleicht auf dem Umweg über größere Zuckermole-
küle, Glukose (Traubenzucker, C6 H 12 0 6 ). Es ergab sich also die
wichtige Tatsache, daß der Assimilationsprozeß sich in
mehreren Schritten voilzieht. Auf die Einzelheiten soll aber
hier nicht weiter eingegangen werden.

6. Künstliche radioaktive Stoffe in der Medizin


Auch in der Medizin werden künstliche radioaktive Stoffe
vielleicht später wertvolle Dienste leisten. Im Gegensatz zu
den beschriebenen Versuchen, bei denen es darauf ankommt,
den normalen, ungestörten Organismus mit kleinen Mengen
radioaktiver Stoffe zu untersuchen, kann man z. B. den Einfluß
prüfen, den größere Mengen von ihnen infolge ihrer Strahhmg
auf den Organismus ausüben. So liegt eine ausführliche Arbeit
von Scott und Cook vor, die radioaktiven Phosphor, der mit
dem in Berkeley in Kalifornien aufgestellten Cyclotron her-
gestellt war, der Nahrung junger Hühner zusetzten und die

164
Veränderungen des Blutbildes unter der Wirkung der Strahlung
untersuchten. Sie fanden interessante Veränderungen und ver-
glichen sie mit denjenigen, die man mit Röntgenstrahlen her-
vorrufen kann. Im Blut sind bekanntlich verschiedene Arten
von Blutkörperchen enthalten, die roten und die weißen.
Letztere zerfallen wieder in mehrere Gruppen, darunter die
Lymphozyten, dann die Leukozyten, insbesondere die poly-
morphkernigen, die eosinophilen und die basophilen Leul.wzyten
als die wichtigsten. Sie unterscheiden sich durch ihre Größe,
ihre innere Struktur und ihre Färbbarkeit durch verschiederte
Stoffe. Durch Röntgenstrahlen wird bewirkt, daß die Lympho-
zyten zunächst zugunsten der polymorphkernigen Leukozyten
stark abnehmen. Doch geht diese Zunahme der Leukozyten
nach kurzer Zeit wieder zurück. Hingegen bewirkt die Strah-
lung radioaktiven Phosphors, der dem Körper zugeführt wird,
keine wesentliche Beeinflussung der Lymphozyten, dagegen
eine starke und bleibende Abnahme der polymorphkernigen
Leukozyten. Ferner werden die sogenannten Monozyten und
die eosinophilen Leukozyten ein wenig, aber nicht stark, be-
einflußt. Bei den eosinophilen Leukozyten und den roten Blut-
körperchen zeigt sich eine leichte Zunahme.
Diese spezifische Wirkung hat die amerikanischen Forscher
zu dem Versuch veranlaßt, bestimmte Formen der Leukämie
- bei der das Krankheitsbild in einer starken Veränderung
des Blutbildes besteht - durch Gaben von radioaktivem Phos-
phor zu beeinflussen. Der Phosphor wird ja bevorzugt in den
Knochen abgelagert, und es ist bekannt, daß die roten Blut-
körperchen im Knochenmark gebildet werden, so daß der
radioaktive Phosphor dort ihre Bildung zu beeinflussen vermag.
Durch diese Vorstellung wird der Unterschied in der Wirkung
gegenüber den Röntgenstrahlen verständlich, die alle Gewebe
gleichmäßig durchdringen. Die ersten Versuche sollen erfolg-
versprechend verlaufen sein. Uber den weiteren Erfolg ist hier
infolge des Krieges nichts bekanntgeworden. Ahnliche Ver-
suche über die Beeinflussung des Blutbildes sind j'etzt auch in
Deutschland ausgeführt worden,

165
Ferner hat man - einerseits im Hinblick auf die gelegent-
lich auftretenden gewerblichen Bleivergiftungen, andererseits
in der Hoffnung auf die Möglichkeit einer therapeutischen
Ausnutzung - Versuche mit der Einspritzung von radioaktivem
Blei angestellt. Dabei hat sich herausgestellt, daß das Blei zum
größten Teil schnell wi-eder aus dem Organismus ausgeschieden
und nur ein kleiner Rest in Leber und Niere abgelagert wird.
Auch in krebsartigen Geweben wird kein Blei abgelagert, so
daß ein Versuch, etwa Krebsgewebe auf diese Weise zu beein-
flussen, keine Wirkung haben kann. Hingegen wird Wismut
bevorzugt in krankhaftem Gewebe abgelagert. Ein Versuch,
Krebsgewebe mittels radioaktivem Wismut zu beeinflussen,
würde daher grundsätzlich eher Erfolg versprechen.
Aber alle diese Versuche stehen erst in ihren ersten An-
fängen, und es können noch Jahrzehnte vergehen, bevor die
neuen Verfahren aus den Händen der reinen Forschung in die-
jenigen der praktischen Therapie übergehen können. Es wäre
leichtsinnig, wenn man sich mit noch nicht genügend erprobten
Verfahren zu früh an den menschlichen Organismus heran-
wagen wollte.
Eine weitere Möglichkeit zur Anwendung' künstlicher radio-
aktiver Stoffe besteht in der Untersuchung von Funktions-
störungen der Organe. Viele Organe des menschlichen und
tierischen Körpers haben nicht nur eine, sondern manchm~l
mehrere verschiedene Funktionen zU erfüllen. Ist ein solches
Organ geschädigt, so ist es oft schwierig, zu erkennen, welche
von seinen Funktionen gestört und welche nicht gestört sind.
Da nun jede solche Funktion mit einer anderen Art des Stoff-
wechsels verknüpft ist, so kann man etwa dem Organismus
radioaktive Stoffe einverleiben, die für die einzelnen Funk-
tionen jeweils spezifisch sind, und zusehen, ob der Organismus
mit ihnen das tut, was er soll, oder nicht. Auf diese Weise
kann man die gestörten von den ungestörten Funktionen unter-
scheiden. Vielleicht entwickelt sich hier der medizinischen
Diagnostik ein neues Hilfsmittel.

166
7. Die Verwendung stabiler Isotope
Unter den selteneren Isotopen der verschiedenen Elemente
spielt das Deuterium, der Wasserstoff von der Masse 2, eine
besondere Rolle, weil das Verhältnis seiner Masse zu der des
gewöhnlichen Wasserstoffisotops von der Masse 1 sehr viel
größer ist, als es bei den Isotopen irgendeines anderen Stoffes
vorkommt. Daher bestehen auch merkliche Unterschiede im
chemischen Verhalten dieser beiden Isotope, so daß man sie
besonders leicht nebeneinander nachweisen kann. Daher kann
man auch den schweren Wasserstoff als Indikator benutzen.
So baute man z. B. Fettsäuren statt mit gewöhnlichem Wasser-
stoff mit schwerem Wasserstoff auf, verleibte sie einem Or-
ganismus ein und untersuchte dann, wo und wie dieser die
Fettsäuren verwendet hat. Es ergab sich, daß die langkettigen
Fettsäuren in der Leber und in den fetthaitigen Geweben ab-
gesetzt werden, während die kurzkettigen Fettsäuren sofort
verbrannt werden. Mit gewöhnlichem Wasserstoff hätte man
diesen Versuch nicht anstellen können, weil solche Fettsäuren
im Organismus immer vorhanden sind und man deshalb die
absichtlich mit der Nahrung verabreichten Fettsäuren von den
schon vorhandenen nicht hätte unterscheiden können. Ähnliche
Untersuchungen hat man mit dem Stickstoff von der Masse 15
und dem Sauerstoff von der Masse 18 ausgeführt.
Schließlich sei noch eine Anwendung einer kernphysikali-
schen Reaktion in der Physik selbst, nämlich in der Optik, er-
wähnt. Man hat mit Hilfe eines Cyclotrons - in Umkehrung
des alten Althimistenproblems - nicht Gold aus Quecksilber,
sondern Quecksilber aus Gold gemacht. Gold besitzt nur ein
einziges stabiles Isotop, nämlich 1~~ Au. Bewirkt man an Gold
durch Nelitronenbestrahlung eine Kernreaktion nach der
Gleichung
197 Au + 1 n -+ 198Au -+198Hg + Oe
79 ° 79 80 -1 '

wobei ein Elektron ausgesandt wird, so erhält man nur ein


einziges von den 7 stabilen Isotopen des Quecksilbers, von
denen im gewöhnlichen Quecksilber 6 in nahezu vergleich-
167
barer Konzentration enthalten sind. Dieses Quecksilber eignet
sich vorzüglich für gewisse optische Untersuchungen. Wenn
man nämlich gewöhnlichen Quecksilberdampf, also das natür-
liche Isotopengemisch, durch eine elektrische Entladung zum
Leuchten bringt, so sind die Spektren der einzelnen Isotope
ein klein wenig verschieden, und ihre Spektrallinien überlagern
sich zu einer sogenannten Feinstruktur. Diese Feinstruktur
fehlt bei dem aus Gold hergestellten Quecksilber, und daher
eignet es sich besonders gut für spektroskopische Standard-
messungen, in denen es auf möglichst scharfe, einfache Linien
ankommt. Wenn wir hier an das eingangs erwähnte Programm:
Wertvollere Stoffe aus weniger wertvollen herzustellen, denken,
so ist es ein interessanter Hinweis auf den Wandel der Dinge,
daß in diesem besonderen Fall nicht Gold wertvoller als Queck-
silber, sondern Quecksilber wertvoller als Gold ist.
Damit soll diese Ubersicht über die praktischen Anwen-
dungen der Kernphysik abgeschlossen werden. Was beschrieben
wurde, waren die ersten Anfänge einer Entwicklung, deren
zukünftiges Ausmaß noch nicht übersehen werden kann. Aber
die praktischen Anwendungen sind nicht der wichtigste Teil
der Kernphysik und sind deshalb auch in diesen Vorträgen nur
kurz besprochen worden; wozu die Kenntnis der Naturerschei-
nungen gut ist, sei eine spätere Sorge. Zunächst sollte es sich
hier darum handeln, den Bau der Atomkerne zu verstehen; was
dabei bisher erreicht worden ist und was noch zu tun übrig
bleibt, sollte in diesen Vorträgen beschrieben werden; und das
Beschriebene sollte einen Eindruck vermitteln von dem Zauber,
den die schwer zugänglichen Naturerscheinungen auf uns aus-
üben gerade dort, wo wir ihre inneren Gesetzmäßigkeiten noch
nicht ganz verstanden haberl.

168
Tabelle I a. Konstanten der Kernphysik
Faradaysche Aquivalentladung F = 96521 eoul Mol-I.
Lichtgeschwindigkeit c = 2.99776' 10 10 cm' sec-I.
Ladung des Elektrons e = - 4,803' 10- 10 e!. stal. E.
= - 1.602 ·1cr- 19 eou!.
Ruhemasse des Elektrons mo = 9.109' 1O-~R g.
Spezifische Ladung des Elektrons eJm" = - 1,759' 10R eoul' g-I.
Loschmidtsche Zahl (Zahl der Moleklile pro Mol) L = 6,024' 1023 •
Plancksches Wirkungsquantum h = 6,626' 10-27 erg' sec
h = hl2 ,,=
1,0546' I cr-~7 erg' sec.
Rydbergkonstante R = 2rr 2 e 4 m/(c h 3 ) = 109737 ern-I.
Atomgewicht des Elektrons 5.487' 10-4 .
Atomgewicht des Protons 1,007 58.
Atomgewicht des Wasserstoffatoms 1,00813.
Atomgewicht des Neutrons 1,00895
MassenverhältnisWasserstoffatom zu Elektron M/mo Iß37,3.

Tabelle I b. Maßeinheiten
I Millioll Elektronenvolt: I MeV = 1,59' 10-6 erg = 3,79' 1cr-14 ca!.
Energieäquivalent von I Masseneinheit (I M. E.) = 1,49' 10-3 erg.
Ruhenergie des Elektrons mo c 2 =.
0,51 MeV = '0,8185' 10-6 erg.
Klassischer Elektronenradius: Te = e21m c 2 = 2,81' 1cr- 13 cm.

Tabelle I c. Elementarteilchen

I Mecha-
nis(her Magnetisches
Teilchen Masse Ladung Eigen- Moment
dreh-
impuls

Neutron 1,6749' 1cr-24 g 0 1/2 , h -1,935K M.


Proton. 1,6727' 10-24 g 1,602' 1cr- 19 eoul '1 2 ' h 2,785K. M.
ElektTGn 9,109 '1cr-28 g - 1,602' 10-19 eoul 1/ 2 , h - I B.M.
Positron 9,109 . 1cr-28 g 1,602 . 10-19 eou] '/2: h I B.M.
Neutrino -0 0 1/2 , h I ?
Antineutrino -0 0 1/ 2 , h ?
Positives Meson 150-200 Elek· 1,602' 10- 19 eou]
nicht sicher bekannt
Negativ. Meson tronenmassen - 1,602' 10-19CouJ
Lichtquant
o oder I 0
(Photon) 0 0 I' h

Es bedeute!:
I K. M. = I Kernmagneton = 5,05' 10-24 Gauß· cm 3,
1 B. M. = 1 B'ohrsches Magneton = 9,27' 1cr-21 Gauß' cm s = 1836,3 K M.

169
TabeUe H. Tafel der chemischen Elemente und mittlere Atomgewichte
Kern- I
Element ladungs- Atomgewicht
zahl

H Wasserstoff 1 1,0080
He Helium 2 4,003
Li Lithium 3 6,94
Be Beryllium 4 9,02
B Bor 5 10,82
C Kohlenstoff ti 12,01
N Stickstoff 7 14,008
0 Sauerstoff 8 16,0000
F fluor. 9 19,00
Ne Neon. 10 20,18
Na Natrium 11 22,997
Mg Magnesium 12 24,32
Al Aluminium 13 26,97
Si Silicium. 14 28,06
P Phosphor 15 30,97
S Schwefel 16 32,06
Cl Chlor. 17 35,457
A Argon 18 39,94
K Kalium .. 19 39,096
Ca Calcium. 20 40,08
Sc Scandium 21 45,10
Ti Titan. 22 47,90
V Vanadium 23 50,95
Cr Chrom 24 52,01
Mn Mangan. 25 54,93
Fe Eisen. 26 55,85
Co Cobalt 27 58,94
Ni Nickel 28 58,69
Cu Kupfer 29 63,57
Zn Zink 30 I 65,38
Ga Gallium 31 69,72
Ge Germanium 32 72,60
As Arsen 33 74,91
Se Selen. 34 78,96
Br Brom 35 79,916
Kr Krypton 36 83,7
Rb Rubidium 37 85,48
Sr Strontium 38 87,63

110
Tabelle II (Fortsetzung)
Kern-
Element ladungs- Atomgewicht
zahl

Y Yttrium 39 88,93
Zr Zirkon 40 91,22
Nb Niobium 41 92,9
Mo Molybdän 42 96,0
- - 43 -
Ru Ruthenium. 44 101,7
Rh Rhodium 45 102,9
Pd Palladium 46 106,7
Ag SUber 47 107,880
Cd Cadmium 48 112,41
In Indium 49 114,8
Sn Zinn 50 118,70
Sb Antimon 51 121,76
Te Tellur 52 127,6
J Jod 53 126,93
X Xenon 54 131,3
Cs Caesium. 55 132,91
Ba Barium 56 137,36
La Lanthan. 57 138,90
Ce Cer 58 140,13
Pr Praseodym. 59 140,92
Nd Neodym. 60 144,27
- - 61 -
Sm Samarium 62 150,43
Eu Europium 63 152,0
Gd Gadolinium 64 156,9
Tb Terbiiun . 65 159,2
Dy Dysprosium 66 162,46
Ho Holmium 67 163,5
Er Erbium 68 167,2
Tu Thulium 69 169,4
Yb Ytterbium 70 173,0
Cp Cassiopeium 71 175,0
Hf Hafnium. 72 178,6
Ta Tantal 73 180,9
W WoUram 74 183,9
Re Rhenium 75 186,31
Os Osmium. 76 190,2

12 Helsenberg, Atomkerne
171
Tabelle· II (Fortsetzung)
Kern-
Element ladungs- AtomgewiCht
zahl

Ir ITidium 17 193,1
Pt Platin. 78 195,23
Au Gold 79 197,2
Hg Quecksilber 80 200,61
Tl Tallium 81 204,39
Pb Blei 82 207,21
Bi 'Wismut 83 209,00
Po Polonium 84 210
- -. 85 -
Ern Emanation 86 222
- - 87 -
Ra Radium 88 226,0
Ac Actinium 89 "'" 227
Th Thorium. 90 232,12
Pa Protactinium 91 "'" 231
U Uran 92 238.07

Die Tabellen III, IV a und IV b


befinden sich am Schluß des Buches

172
Tabelle V. Massendefekte, relative Häufigkeit und Aktivität
der leichten Elemente 1)
Z Zaht der Protonen, N = Zahl der Neutronen eines Atoms,
T Halbwertszeit, Angabe der relativen Häufigkeit in Prozent
I
Z Z+ N Atomgewicht Relative Art der
Element I
N Häufigkeit
T
Aktivität

n
° 1 1 1,008945 -
- -

-
H
D
T
1
°
1
2
1
2
1,008131
2,014725
99,98
0,02
-
-
-
31 + 8a
-
ß-
3 3,017004
He 2 1 3 3,016988 10- 5 - -
.2 4 4,003860 100 - -
3 5 5,0137 - Irv 6' 10-20 s a+n
4 6 6,0209 - 0,8 s ß-
Li S 3 6 6,016917 7,9 - -
4 7 7,018163 92,1 - -
5 8 8,024967 --- 0,9 s ß- a
Be 4 3 7 7,019089 - 53 d Kr
4 8 8,007807 -- < 1s 2a
5 9 9,014958 100 - -
6 10 10,016622 - 10r. a ß-
B 5 4 9 9,016104 - instabil 2,-, +P
5 10 10,016169 20 - -
6 11 11,012901 80 - -
7 12 12,0168 - 0,022 s ß-
e 6 4 10 10,02086 - 8,8 s ß+ r
5 11 11,015017 - 21 m ß+
6 12 12,003880 98,9 - -
7 13 13.007561 1,1 - -
~ 14 14,007741 - 103 bis 10 5 a ß-
N 7 6 13 13,009904 - 9,93m ß+ r
7 14 14,007530 99,62 - -
8 15 15,004870 0,38 -- -
9 16 16.00645 - 8,4 s p-
O 8 7 15 15,0078 - 125 s ß+
8
) 16 16,-Stand. 99,76 - -
') Die Tabelle V ist im wesentlichen dem Werk M a t tau c h - F 1 ü g g e,
Kernphysikalische Tabellen. Berlin 1942, entnomffien. Bei der Angabe der Halbwerts-
zeiten bedeutet S SEkunden, m Minuten, d Tage, a Jahre.
12'
Tabelle V (Fortsetzung)

Element Z N Z+N Atomgewicht Relative


Häufigkeit T Art der
Aktivität
I
0 8 9 17 17,00450 0,04 - I -
10 18 18,00485 0,20 -- -
11 19 - - 31 s ß-
F 9 8 17 17,00758 - 1,23 m ß+
9 18 18,00670 - 107 m ß+
10 19 19,00454 100 - -
11 20 20,00654 - 12 s ß- )'
Ne 10 9 19 19,00798 - 20,3 s -
10 20 19,998895 90,00 - ß+
11 21 21,00002 0,27 - -
12 22 21,99858 9,73 - -
13 23 23,00084 - 43 s ß-
Na 11 10 21 - -
I
23 s ß+
11 22 22,00032 - I 3,0 a ßt y
12 23 22,99644 100 - -
13 24 23,99774 - 14,8 h ß- )'
Mg 12 11 23 23,OQO 55 - 11,6 s ß+
12 24 23,99300 77,4 - -
13 25 24,99462 11,5 - -
14 26 25,96012 11,1 - -
15 27 26,99256 - 10,Om ß- )'
Al 13 13 26 25,99443 - 7,0 s ß+
14 27 26,99069 100 - --
15 28 27,99077 - 2,3m ß- )'
16 29 28,9892 - 6,7m ß-
Si 14 13 27 26,99611 - 4,92 s ß+
14 28 27,98723 89,6 - -
15 29 28,98651 6,2 -
-
16 30 29,98399 4,2 - -
17 31 30,9866 - 157,3 m ß-
p 15 14 29 28,99151 - 4,6 s ß+
15 30 28,9885 - 130,6 s ß+
16 31 30,98441 100 - -
17 32 31,98437 - 14,295 d ß-
> 16 >31 - - 12,7 s ß-

174
Tabelle V (Fortsetzung)

Element Z N Z +N Atomgewicht I R€lative T


Art der
I Häufigkeit Aktivität

S 16 15 31 30,98965 - 3,18 s ß+
16 32 31,98252 95,1 - -
17, 33 32,9819 0,74 - -
18 34 33,97981 4,2 - -
19 35 - - - -
20 36 - 0,016 - -
21 37. - - 88 d ß-
Cl 17 16 33 - - 2,4 s ß+
17 34 - - 32 m P+
18
!
35 34,97884 75,4 - -
19 36 35,97803 - (> 1 a) P+, K, ß-
20 37 36,97770 246 - -
21 38 37,97999 - 37;5m ß~ r
A 17 35 - - 188 S ß+
118 18 36 35,97728 0,31 - -
20 38 37,97463 0,06 - -
22
23
40
41
39,97549
40,97740
99)63
- 110m
-
-
ß-r
K 19 19 38 - - 7,65 m P+
20 39 38,970 93,44 - -
21 40 - 0,012 14,2' 108 a P-
22 41 - 6,55 - -
23 42 - - 12,4 h P-
24 43 - -
}18 m ß~
25 44 - -

Ca 20 (19) (39) - - 4,5 m P+


20 40 - 96,95 - -
21 41 - - 8,5 d Kr
22 42 - 0,64 - -
23 43 - 0,15 - -
24 44 - 2,07 - -
25 45 44,97075 - 180 d ß- r
26 46 - 0,003 - -
28 48 - 0,185 - -
29 49 - - 2,5 h P-r
(isomer) - - 30m ß-

175
Literatur über Kernphysik
I. Kurze allgemeinverständliche Darstellungen
1. P. D e b y e, Kernphysik, Leipzig, Hirzel, 1935.
2. L. Me i t n e rund M. D e 1 b r ü c k, Der Aufbau der Atom-
kerne, Berlin, Springer-Yerlag, 1935.

11. Lehrbücher zur Einführung


1. G. Ga m 0 w, Der Bau des Atomkerns und die Radioaktivität,
Leipzig, Hirz~l, 1932.
2. W. R i e z 1 er, Einführung in die Kernphysik, Leipzig, BibI.
Inst.. 2. AufI., 1942.
3 F. Ras e 1.1 i, Elements of Nuclear Physics, London, Blackie
u. Sons. 1937.
4. W. Ha nIe, Künstliche Radioaktivität, Jena, G. Fischer, 1939.

111. Monographien über spezielle Gebiete der Kerhphysik


1. K. F. v. W e i z s ä c k er, Die Atomkerne, Leipzig, Akad. Yerl.-
Ges., 1937.
2. I. T h i bau d, L. C art 11 n und P. Co m par a t, Quelques
techniques actuelles en Physique nucleaire, Paris, Gauthiers-
Yillards, 1938.
3. H. K 0 P f e r man n, Kernmomente, Leipzig, Akad. YerI.-Ges.
1940.
4. I. M a t tau c hund S. F 1 ü g () e, Kernphysikalische Tabellen
Berlin. Springer. t942.

176
Bildquellennachweise
Abb. 2: G r i m s eh I s Lehrbuch der Physik, 7. Aufl. bearb. von T horn a s c h e k ,
Bd. I, Abb. 305, S. 264. Verlag G. B. Teubner, Leipzig.
Abb. 3: Me i t n e r - F r e i tag, ZS, f. Phys. 37,481, 1926, Tafel I (S. 634), Bild' 2.
Abb. 5 und 6: "Die physikalischen Prinzipien der Quantentheorie" von Wer n e r
He i sen b erg, Abb. I, Tafel 1. Verlag S. Hirzel, Leipzig.
Abb. 9, 10 und 28, "Atlas typischer Nebelkammerbilder' von Gen t n er, Mai e r -
Lei b n i t z , Bot he , Abb. 26 alb, S. 74; Abb. 30, S. 78; Abb. 17, S. 40.
Springer-Verlag, Berlln.
Abb. 25 a, b: Physikalische Z"itschrift, Bd. 40, 1939,. "Energiereiche Kernprozesse der
Ultrastrahlung" von E. M. und E. S c h p P per (Abb. 2 und 3 der Tafel IV).
Verlag S. Hirzel, L"ipzig.
Abb.27: Die Naturwissenschaften, Bd. 21, S. 477, Abb. 3, Jahrg. 1933, "Atomzertrüm-
merung durch Wasserstoffkanalstrahlen" von K i'r c h n e r. Springer-Verlag,
Berlin.
Abb.34, 35, 36, 37 und 38: "Elektrische Höcllstspannungen" von A. B 0 u wer s ,
Abb. 46, S. 52; Abb. 49, S. 58; Abb. 53, S. 62; Abb. 56, S. 68; Abb. 60, S. 71.
Springer-Verlag, Berlin.

\77
Namenverzeichnis
Anderson 54, 97. Faraday 11. Maxwell 12.
Aston 70. Fermi 117, 12,3, 125. Mayer, Robert 12.
Atkinson und Houter- Flügge und von Droste Mendelejeff 38.
mans 151. 80. Meyer, Lothar 38.
Avogadro 9.
Gamow 110. Nuttal s. Geiger.
Becquerel 23. Gassendi 5.
Geiger 135. Pauli 38, 49.
Berzelius 9.
- und Marsden 26. Philipp s. Erbacher
Bethe 124, 151.
- - Müller 136. Planck 30.
Bohr 30, 121.
- - Nuttal 109. Prout 10;
Boltzmann 12.
Born, Lang, Schramm van de Graaff 143.
Greinacher 141. Richter 8.
und Zimmer 163.
Gurney s. Condon. Röntgen 23.
- und Zimmer 159.
Ruben, Hassid und
Bothe 52, 123.
Hahn 155, 156. Kamen 164.
Boyle 6.
- und .Strassmann Rutherford 1, 23, 41,
de Broglie 32.
85, 121, 126. 49, 121, 129.
Chadwi<Ok 52, 129. Harkins 100.
Hasenöhrl 67. Sargent 118.
Chalmers 157.
von Hevesy 162, 163. Schrödinger 35.
Clausius 12.
Hittorf 13. Scott und Cook 164.
Cockkroft und Warton
Houtermans s. Atkin- Soddy 41.
130.
son. Stoney 13.
Condon und Gurney
Joliot-Curie 52, 129. Strassmann s. Hahn
110.
Kirchhoff 30. Szilard 157.
Cook s. Scott.
Curie 23. Kirchner 130.
Urey 60.
- s. Joliot.
Lang s. Born.
Walton s. Cockkroft.
DaIton 8. Lavoisier 7.
Weber 12.
Dirac 46. Lawrence 144.
von Weizsäcker77, 151.
Döpel 150. Lenard 25.
Wilson 24, 137.
von Droste s. Flügge. Loschmidt 12.
Yukawa 96.
Erbacher 157. Marsden s. Geiger.
- und Philipp 159. Mattauch 104. Zimmer s. Born.

178
Sachverzeichnis
Absättigung der Kernkräfte 97. Elektronen 13, 21.
Alphastrahlen 24, 107. Elektronenmikroskop 18.
Anschaulichkeit, Grenzen der Elektronenvolt 65.
19, 34. Elementarteilchen 48.
Antineutrino 53. Elemente, chemische 15.
Anwendungen der Kernphysik 149. Energie, atomare, Nutzbar-
Äquivalenz Masse-Energie 67. machung 149.
Atomgröße 18. - der Fixsterne 151.
Atomkerne 27. Energiefläche der Kerne 82.
-, Aufbau 53. Energiequanten 31.
Atomlehre im Altertum 1.
- in der Neuzeit 4. Faradaysche Gesetze 11.
Atommodell von Rutherford23, 26. Fiüssigkeitsmodell der Kerne 75.
Atomspaltungen 85, 126.
Aufbauprinzip 38. Gammastrahlen 24.
Austauschkräfte 92. Gasmaskenprüfung 158.
Austauschvorgänge 160. Geiger-Nuttallsches Gesetz 109.
Avogadrosche Hypothese 9. van de Graaffscher Generator 143.
Greinacher-Schaltung 141.
Bausteine der Atome 57. Grundstoffe 7.
- der. Materie 48.
Betastrahlen 24, 11~. Halbwertzeit 45.
Bindungsenergie der Atomkerne
Harkinssche Regel 100.
63, 74.
Heliumatom 60.
Biologische Anwendungen der
Hilfsmittel der Kernphysik 133.
Kernphysik 162.
Hochspannungsgeneratoren 142.
Blutkörper, rotE! und weiße 165.
Brownsche Bewegung 16.
Indikatoren 140, 157.
Interferenzen von Betastrahlen 34.
Cyelotron 144.
- - Röntgenstrahlen 33.
Deuterium, Deuteron 60. Ionisationskammer 133.
Diffusion von Blei in Blei 158. Isotope 59.
Drall der Elementarteilchen 53.
Dualismus Welle-Teilchen 32. Kathodenstrahlen 13.
Kernenergie 76.
Einfangprozesse 120. Kernfeld 58, 77, 86.
Elektrizitätsatome 13. Kernkräfte 86.

179
Kernladungszahl 59. Radioaktivität 23, 42.
Kernmagneton 54. Reichweite der Alphastrahlen
Kernprozesse, Kernreaktionen 25, 44.
49, 107. Röntgenstrahlen 23.
Kerntemperatur 122.
Sargent-Diagramm 118.
Kernumwandlungen, künstliche Spitzenzähler 135.
49, 121, 141. Stabilität der Atomkerne 64, 83,
Kohlensäure-Assimilation 163. 99.
Konstarrz der Masse 8. Stoffveredelung durch Kern-
prozesse 154.
Lebensdauer, mittlere 44. Stoffwechsel 162.
Lichtquanten 31. Szintillationsverfahren 133.
Loschmidtsche Zahl 13, 21.
Therapie mit radioaktiven Stoffen
Magneton 54. 155.
Massendefekte 69. Totalreflexion 113.
Masseneinheit, atomare 69. Triton 60.
Massenspektrograph 70. Tropfenmodell der Kerne 75.
Materiewellen 32. Tunneleffekt 115.
Mattauchsche Regel 104. Ultrastrahlung, kosmische 54.
Meson 54. Unbestimmtheitsrelation 29.
Molekülbau lS
Valenzkräfte 10, 90.
Volumen der Atomkerne 75.
Nebelkammer 24, 137.
Neutrino 49. Wärmetönungen bei Kern-
Neutron 52. reaktionen 150.
Neutronenquellen 66. Wasserstoff, schwerer 60.
Wasserstoffatom 27.
Paarerzeugung 47. Wellenmechanik 32.
Pauli-Prinzip 38, 97. Werkstoffprüfung 155.
Periodisches System der Elemente Wirkungsquantum, Plancksches
37. 31.
Wirkungsquerschnitt von Kernen
Positronen 46.
124.
Potentialwall 91, 111.
Proportionalzähler 135. Zählrohr 136.
Protonen 52. Zerfallskonstante 109.
Proutsche Hypothese 11, 106. Zerfallsreihen 108.
Zerfallswahrscheinlichkeit 44. 95.
Quantenmechanik 32. Zerstrahlung 46.

180
Tabelle III

81
__ -:"-,---88 Ra
89 IIc
90 Th
f}f Pa
92 I'

Periodisches System der Elemente


Tabelle IVa

56

52 Neufronen-Obel'schuss Ni' ols funk//fJf1 deI' Kel'nlodungszoh/ 2


für die bekonnfen /(f!rn8
48

44
ß+K
40 • slaMe Kerne
a~_ b. ß~okllveKef'ne
'Q ß"t.akl,ve/(erne
36
o Ci-akliveKerne
32
o K-Sfrah/ef'
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n H He Li Be B C N 0 F NeNa!1gAI Si P 5 ClA KCa Sc Ti V Cr!1nfe Co Ni Cu Zn 5a EeAs Se Bf'Kf' Rb Sf' Y z"NbMoMoRuRhPdAg Cd In Sn Sb Te
-+Z
Tabelle IVb

I
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