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Bärenreiter

Review
Reviewed Work(s): Die Orgeltabulatur von 1448 des Adam Ileborgh aus Stendal by Gerhard
Most
Review by: Margarete Reimann
Source: Die Musikforschung, 9. Jahrg., H. 1 (1956), pp. 91-93
Published by: Bärenreiter on behalf of Gesellschaft für Musikforschung e.V.
Stable URL: https://www.jstor.org/stable/41113378
Accessed: 29-08-2023 07:31 +00:00

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Berichte und Kleine Beiträge 91

Wert. Daß gegensätzliche Anschauung


wurden, schadete nicht, solange man d
Antrieb zur Auseinandersetzung spürte

z. T. als Beispiel beigab. Unerklärlich ist,


Besprechungen
wie der Verf. der Meinung
sein kann, er
Gerhard Most: lege
Dieauch als Orgeltabulatur
erster die vollständige Faksi- v
milierung der Hs. vor. Diese
1448 des Adam Ileborgh aus ist bereits bei
Stendal. S
derdruck aus Knoche, auf dessen Aufsatz sich
Altmärkisches der Verf.
Museum Sten
dal, Jahresgabe beruft, den er VIII.
1954, also kennen muß, zudem in
JUie Urgeltabulatur des Adam ileborgh von größerem Format und besserer Ausführung
Stendal hat seit der bis heute unvermindert vorhanden. Die Faksimilierung Knoches läßt
grundlegenden Bearbeitung durch W. Apel 1, Systemlinien und Distinktionsstriche weit-
die der Verf. auch in späteren Behandlungen aus genauer erkennen als die Reproduktion
des Stoffes2 nicht überholt hat, wenig weitere M.s, nach der zu übertragen fast unmöglich
Aufhellung seitens der neueren Forschung ist. Die Übertragungen M.s, die den Wert
gefunden. Frotschers Handbuch von 1935 s seiner Arbeit ausmachen, beruhen im we-
ließ die Arbeiten Schrades4 und Apels un- sentlichen auf den Deutungsgrundlagen von
berücksichtigt und stützte sich nur auf die Apel, bei gelegentlichen Besserungen und
geringen und unvollkommenen Angaben von Weiterungen. So liest Apel im zweiten Prä-
Wolf5. Der entsprechende Artikel des Dic- ludium die 2. Baßnote fälschlich U statt d
tionary von Grove 6 basiert wiederum völlig
und berücksichtigt die Länge der ersten
auf den Ergebnissen Apels von 1934, ohne
Brevis nicht; im dritten Präludium ergänzt
das Mögliche zur Biographie Ileborghs, das
Apel eine erste Baßnote, wogegen M. die
Knoche7 in liebevoller Lokalforschung zu-
Oberstimme als ungestützte, frei einschwin-
getragen hatte, einzuarbeiten. Knoches Un-
gende Initiale stehen läßt, wie die Hs. sie
tersuchungen, die sich, dank den mangelnden
bietet; im fünften Präludium legt M. die
Quellen, leider völlig in Hypothesen er-
7. Baßnote gemäß dem Standort unter, den
schöpfen müssen, bildeten bisher den ein-
sie in der Hs. einnimmt; Apels Pausen-
zigen, jüngeren Beitrag. Nun legt Most eine
setzung ist hier tatsächlich nicht recht ein-
knappe, aber sorgsame Zusammenfassung
zusehen. Die rhythmischen Lesungen beider
der bisherigen Forschungsergebnisse vor.
differieren - bei einer so vieldeutigen, drei-
Erstmals ist dem Bändchen eine vollständige
zeitiger Auffassung noch so nahe stehenden
Übertragung des gesamten Inhalts der Hs.
Notation wie der Ileborghs nicht anders
angehängt, d. h., nicht nur der Präludien, zu erwarten- natürlich verschiedentlich. Für
die bereits Apel (und z. T. mehrfach) ge-
boten hatte, sondern auch der Mensurae, die den Einsatz der hohlen Notenköpfe in der
dritten Mensur weiß auch M. keine sichere
Apel seiner ersten Studie, und nur dort bloß
Erklärung - er vermutet inhaltliche Bedeu-
tung -, wie überhaupt alles, was Apel offen
1 W. Apel, Die Tabulator des Adam Ileborgh, ZfMw lassen mußte, die Bedeutung des Dragma
Jg. 16, H. 4.
2 W. Apel, Early german keyboard music, MQ. XXIII, und des Begriffes modernus modus, die unun-
1937. W. Apel, The notation of polyphonic music, terschiedene Verwendung von Majuskeln und
900-1600, Cambridge 1953, 4. Ausg., S. 37 ff. A. Da- Minuskeln für die Unterstimme, das Fehlen
vison and W. Apel, Historical anthology of music,
London 1950, Bd. I. von Oktavzeichen, auch bei M. als Frage
3 G. Frotscher, Geschichte des Orgelspiel« und derstehen bleibt. Die Klärung des Sinninhaltes
Orgelkomposition, Berlin 1935, Bd. I.
des Begriffes modernus modus wird wohl
4 L. Schrade, Die handschriftliche Überlieferung der
ältesten Instrumentalmusik, Lahr 1931. so lange ausstehen müssen, bis sich weitere
5 J. Wolf, Handbuch der Notationskunde Bd. II. Leip- frühe Denkmale zu den wenig bekannten
zig 1919.
6 Grove's Dictionary of music and musicians, 5. und Zwischenglieder hinzufinden lassen.
Ausg., hrsg. von E. Blom, London 1954. Apels wie Frotschers Deutungsversuche dürf-
7 G. Knoche, Der Organist Adam Ileborgh von Sten-
dal, Beitrag zur Erforschung seiner Lebensumstände,
ten sich nur an Vergleichen erhärten. Ob
Franziskanische Studien, Jg. 28, H. 1, Werl 1941. aber das Dragma nicht doch in erster Linie

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92 Besprechungen

- als Zusatz stellt


bers. Möglicherweise aber bietet die Nota- d
kussion -stellenweise
tion eine - man vgl. z. B.frei
die dritte (
auszuführende
Mensura T. 15, 16, 23, 24, 25, 33, 34 - Aus
Apels rhythmische
überhaupt nur Gedächtnisstützen und Aus- D
einzunehmen wäre)
führungshinweise. So könnten sich auch die
sonst nur mit
erheblichen, handw
unmotivierten Abweichungen
zu des Tenors in der dritten Mensura klären. Ton
erklärenden
nehmlich der
Wie sehr Tabulaturen ersten
Gebrauchshandschrif-
gleichfalls in
ten sind, hat sich ja diese
gerade neuerdings selbst
noch für das 17.
sprechende Jahrhundert erwiesen8.
Stellen be
schließlich
Auch sonst aber Apel
scheint uns Apels Deutung zum
liegen zu weit?)
zu hart. Wenn man, verglichen mit den De
Wortes Präludien,
pausa, die größere Ausdehnungaufder
einging, Stücke-bedenkt,M. möch
muß man die Bemühung des
Tenors bei Zeilenkadenzen werten - hat Komponisten um verschiedene Gestaltung
keine andere Bedeutung als die Pausa desder einzelnen Tenorzeilen, Wechsel zwischen
Paumann, deren Ausschmückung dieser japräludienhaft schweifenden und motivge-
nachdrücklich lehrt. Gerade der Umstand, bundenen Abschnitten, die Umgehung allzu
daß M. die Angabe fast ausschließlich beiregelmäßiger Sequenzen (vor allem in der
Zeilenenden des Tenors findet (man vgl. ersten Mensura, vgl. z. B. T. 8) und die
Mensura I, T. 7, 14, 37; Mensura II, 1.6,Ausgestaltung der Finalen anerkennen.
14,22,28, 34 usw.), erweist diese Bedeutung.Hier erhebt sich auch erneut die Frage nach
Sie findet ihre Entsprechung im Begriff des dem Autor. Apel hatte an Hand der im Titel
finale am Ende der Mensuren. Finale perangegebenen Hinweise „pr aeludi a . . . col-
ntodunt praeambuli heißt es bezeichnender-lecta" und mensuris . . . annexis" versucht,
weise zum Finale der ersten Mensura. Da- die Präludien verschiedenen Meistern, die
mit ist auch eine bessere Deutung für dieMensurae Ileborgh selbst zuzusprechen. Wir
Anweisung am Ende des fünften Präludiums möchten dagegen auch M.s Behandlung des
gegeben, die besagt: „in mensuris pausis etProblems unterstreichen, die Schreiber und
finalibus idem est indicium etc...44; idemKomponisten gleichfalls getrennt zu sehen
indicium wäre zu übersetzen mit gleichervorschlägt. Ileborgh kann ebensowohl nur
Aussage, d. h. Pausen und Finalen sind in der Schreiber und Sammler sein und „an-
Hinsicht der Kadenzimprovisitationen gleichnexis" könnte nur die Verschiedenheit bei-
zu behandeln. Das wirkt besonders für die der Gattungen, der Präludien und der Men-
erste Mensura klärend, deren Zeilenendensurae, auseinanderhalten wollen; Anhänge
wenig auskomponiert sind. Sonst bietet Ile-anderer Werkgattungen desselben Meisters
borgh diese Improvisationen, denen diean sonst geschlossene Sammlungen bleiben
Stücke ja überhaupt im Gesamt noch ganzja auch später üblich (man vgl. die Klavier-
nahe stehen, häufig selbst, besonders in den sammlung von d'Anglebert). Andererseits
Finalen. Die Aufforderung pausa gälte dannaber, scheint uns, kann die Sammlung auch
vornehmlich der zu improvisierenden rhyth-das Werk nur eines Meisters bieten, der
mischen Ausführung und weiteren Auszie-sehr wohl mit Ileborgh identisch sein könnte.
rung der betreffenden Stellen. Auskompo-Es lassen sich auch verschiedene Prä-
nierte Glosas sind ja auch in Spanien nicht ludien samt Mensurae eines Meisters sam-
selten. Dieser Deutung ließe sich die von meln. M. weist zudem mit Recht auf Zu-
Most reibungslos einfügen. sammenhänge zwischen dem ersten und vier-
Von dieser Seite her fände sich vielleichtten Präludium, denen wir auch das zweite
auch ein gerechterer Zugang zu den Mensu- Präludium anschließen möchten. Alle drei
ren, die Apel, da er sie nimmt, wie sie ste- Präambeln zeigen Neigung zu gegliedertem
hen, inhaltlich und kompositionstechnisch Bau, das erste und vierte Präludium darüber
als die handwerkliche „Museumsschau" eineshinaus eine Kadenzwendung, die sich auch
„Schülers und Anfängers" abtun mußte. M. in der ersten Mensura (man vgl. I, T. 4, 34)
scheint uns der Deutung etwas näher zu
kommen, wenn er meint, die den Präludien
gegenüber größere Unbeholfenheit der Men- 8 Vgl. M. Reimann, Die Lüneburger Orgeltabulatut
KN 208a im Erbe deutscher Musik (erscheint dem-
surae ginge vielleicht zu Lasten des Schrei-nächst).

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Besprechungen ça

wiederholt und so nicht Zufall sein kann. gelegt ist. Ob diese These nicht eine Stütze
Das dritte und fünfte Präludium dagegen im Tenor der Mensurae „frowe all myn hof-
könnten, mit ihrem völlig freien Schwei- fen an dir lyet" erhält, der geistlich, auf
fen, eher von anderer Hand stammen. Auch Maria umzudeuten wäre? Und zur Frage
Nähe der Mensurae zu den Präludien, auf der Transposition der Präambeln: Apel hat
die M. weist, besteht bei gründlicher Durch- auf die Diskrepanz aufmerksam .ecinacht,
sicht in mehr als einer Beziehung, wie in der die zwischen der Bemerkung zum 3. Prälu-
Behandlung der Finalen, der Sequenzen, der dium, die „omnia pr aeludi a . . . ad omnes
Binnen- (in den Mensurae Zeilen-) kadenzen notas" zu transponieren vorschlägt, und den
und der Motivgruppen. Alles das kann aber Angaben zu einzelnen Präludien besteht,
natürlich wiederum nur hypothetisch zu den die nur bestimmte Tonarten für die Trans-
Hypothesen Apels hinzutreten. position nennen. Da aber immer nur die
Dagegen scheint sich uns Apels pedalische Tonarten d, f, g, a genannt sind und c nur
Auffassung der Unterstimmen, die M. wörtlich bei dem Präludium in d erscheint, wird die
übernimmt, neuerdings durch die von Kast- Erklärung einfach darin zu suchen sein, daß
ner bekannt gegebenen Stücke von Schlick9 bei der damaligen Stimmung der gebräuch-
vollauf zu bestätigen. Wenn 1520 Pedalge- liche Tonartenkreis auf c, d, f, g, a be-
brauch für solche Stimmhäufung möglich schränkt war und diese Tonarten als omnes
war, dann ist Doppelpedal um 1450 eine notae zu verstehen sind.
Selbstverständlichkeit. Wir möchten demzu- Margarete Reimann, Berlin
folge auch für die gelegentlichen Klanger-
weiterungen zur Vier- und Fünfstimmig- Ewald Jammers: Anfänge der abend-
keit, die Apel - und mit ihm M. - trotz ländischen Musik. Collection d'Études Mu-
der Buchstabennotierung dem Manual zu- sicologiques, Sammlung musikwissenschaft-
weisen zu müssen meinen, für Pedal plädie- licher Abhandlungen, Band 31, Librairie
ren. Die erhöhte Schreibung der 3. und 4. Heitz - Strasbourg/Kehl 1955, 187 S.
Note - man vgl. z. B. Mensura I, T. 19 - Aus der Perspektive des Gregorianikers, des
gälte dann wohl der Unterscheidung von musikalischen Paläographen und des um die
Fußspitze und Ferse; die Notation wäre Musikwerke aus den Anfängen der abend-
also höchst logisch. Übrigens folgt aus die- ländischen Musik Besorgten zieht Jammers
ser Stimmverteilung durchaus nicht nur ein- eine Summe seiner jahrzehntelang gewach-
händiges Manualspiel, wie M. deutet. Die senen Einsichten in die Welt der vielver-
Oberstimme wandert oft genug in die Baß- zweigten und -verschlungenen Einzelströme,
region (man vgl. z. B. Mensura I, T. 12 ff., aus deren prüfender Zusammenschau die
II, T. 38 ff., Ill, T. 7, 10 ff.) und wäre hier echten Einsichten des Analytikers gewachsen
sinn- wie spielgemäß von der linken Hand sind. Mit welcher Vehemenz und Überzeu-
zu übernehmen, so daß also beide Hände gungskraft in den einzelnen Lagern Theorien
sich in die Ausführung der Oberstimme teil- erdacht, verworfen und neu formuliert wur-
ten. Die starke Orientierung der Pedal- den, wird dort deutlich, wo der Verf. von
schreibung an der Spielweise (getrennte Auf- der Aussichtslosigkeit einer Verständigung
zeichnung für beide Füße) findet wiederum redet (S. 80), weil die Argumente sich seit
in ähnlichen Praktiken der Lüneburger Ta- 50 Jahren nicht geändert hätten, und gele-
bulaturen (getrennte Notierung für beide gentlich einer Erörterung über die schluß-
Manuale) eine Fortsetzung. Hier scheint ein folgernd-konstruktive Musik andeutet, wie
kontinuierlicher Strom weiter zu fließen und viele dieser Fragenkreise im Dunkeln lie-
die Bedeutung der Tabulatur Ileborghs für gen, wobei die erwähnten Beispiele nur Lich-
die norddeutsche Entwicklung nur immer ter seien, „die notdürftig das Feld der Aus-
mehr zu betonen. einandersetzung abstecken" (134). J. s Einbau
Zum Schluß seien noch zwei Bemerkun-
von Sicherungen gegenüber diesen musikge-
gen erlaubt. Knoche hat wahrscheinlichschichtlichen
zu Demonstrationen empirischer
machen gesucht, daß die Hs. Ileborghs zurEinsichten gipfelt (auf dem Hintergrund sei-
Gelegenheit der Einweihung der Marien- ner Beweisführungen) in der These von Be-
kirche zu Stendal, die 1447 statt hatte, gegnungen
an- („geistige Zeugungen" , 9), wobei
sich als sein Hauptanliegen die Ablehnung
jener Forschung und Praxis herausschält, die
• A. Schlick, Hommage à l'empereur Charles Quint,
hrsg. v. M. S. Kastner, Barcelona 1954. den Choral „gewissermaßen totlaufen und

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