Sie sind auf Seite 1von 179

Aventurische Regionen

Die Wüste Khom und die Echsensümpfe


Redaktion: Ulrich Kiesow, Hadmar Wieser
Lektorat: Norbert Venzke u.a.
Übersetzung der Gedichte aus dem Tulamidischen: Mirhiban Saba al Kashbah
Umschlagillustration und Boxcover: Ugurcan Yüce
Umschlaggestaltung: Ralf Berszuck
Farbkarten der Region: Ina Kramer
Stadtplan von Khunchom: Ralf Hlawatsch
` '
Historische Karten von Jörg Raddatz
Innenillustrationen: Nicolas Bau, Horus und Ina Kramer
Satz und Herstellung: Fantasy Productions
Druck und Aufbindung: Bayerlein, Neusäß

DAS SCHWARZE AUGE und AVENTURIEN


sind eingetragene Warenzeichen von Fantasy Productions GmbH.
Copyright © 1997, 1999 by Fantasy Productions GmbH.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,
oder Verarbeitung und Verbreitung des Werkes in jedweder Form,
insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf photomechanischem
oder ähnlichem Wege nur mit schriftlicher Genehmigung von
Fantasy Productions GmbH, Erkrath.

Zweite, inhaltlich unveränderte Ausgabe 1999


Printed in Germany 1999
ISBN 3-89064-262-4
Die Illustrationen im Text wurden gezeichnet
von Nicolas Bau (S.30,31) Horus und Ina Kramer
"Historische" Karten von Jörg Raddatz
Stadtplan von Khunchom von Ralf Hlawatsch
Farbige Landkarten der Region von Ina Kramer
Übersetzungen der Gedichte aus dem Tulamidya von Mirhiban Saba al Kashbah

©1990 by Schmidt Spiel & Freizeit GmbH. Eching


Redaktion: Ulrich Kiesow, Hadmar Wieser
Lektorat: Norbert Venzke u. a.
Umschlagillustration: Ugurcan Yüce
Satz und Herstellung: Fantasy Productions GmbH, Düsseldorf
Druck und Aufbindung: Bayerlein, Augsburg
Printed in Germany
Die Wüste Khom
und die Echsensümpfe
von
Jörg Raddatz und Hadmar Freiherr von Wieser

mit Beiträgen von


Ina Kramer und Thomas Römer

Ein DSA-Regionalband
Die Wüste Khom
und die
Echsensümpfe
von
Jörg Raddatz und Hadmar Wieser

mit Beiträgen von


Ina Kramer und Thomas Römer

Eine Spielhilfe aus der Serie


"Das Land des Schwarzen Auges"
Inhalt

Das Unbekannte Aventurien ......................................................................................................... 6


Das Land der Ersten Sonne ........................................................................................................... 7
Regenzeit und Raschtuls Atem ........................................................................................... 8
Die tulamidischen Völker .................................................................................................. 9
Schlange, Skorpion und Saphirpfau .................................................................................. 10
Dattelpalme und Distelrose .............................................................................................. 12
Führer durch das Land der Ersten Sonne ..................................................................................... 13
Reisen im Land der Ersten Sonne ..................................................................................... 13
Die Sprache der Tulamiden .............................................................................................. 14
Münzen ........................................................................................................................... 15
Fremde im Land der Ersten Sonne ................................................................................... 16
Die Tage, die da waren ............................................................................................................... 17
Die Tulamiden ............................................................................................................................ 25
Die Novadis ............................................................................................................................... 43
Der Staat des Kalifen ....................................................................................................... 58
Die Ferkinas ............................................................................................................................... 61
Länder und Leute ....................................................................................................................... 66
Wege durch das Land der Tulamiden ............................................................................... 66
Thalusien ........................................................................................................................ 66
Die Große Khom-Wüste .................................................................................................. 67
Die Oase Achan ............................................................................................................... 70
Die Oase Virinlassih .........................................................................................................7l
Arratistan und Chababien ................................................................................................. 71
Der Cichanebi-See ............................................................................................................7l
Das Shadif ....................................................................................................................... 72
Amhalassih ...................................................................................................................... 73
Das Szinto-Tal ................................................................................................................. 74
Gorien ............................................................................................................................. 74
Die Gorische Wüste ......................................................................................................... 74
Das Perlenmeer ............................................................................................................... 76
Der altehrwürdige Mhanadi ............................................................................................. 77
Die Echsensümpfe ............................................................................................................8l
Khunchom ................................................................................................................................. 84
Weitere große Städte .................................................................................................................. 94
Rashdul ........................................................................................................................... 94
Mherwed ......................................................................................................................... 97
Unau ............................................................................................................................. 100
Keft ............................................................................................................................... 103
Thalusa ......................................................................................................................... 104
Anhang .................................................................................................................................... 105
Der Tulamide ................................................................................................................ 105
Die Tänzerin .................................................................................................................. 106
Der Khomgepard ........................................................................................................... 109
Der Bidenhöcker ............................................................................................................ 110
Das unbekannte Aventurien

Wenn es darum geht, welchen Teil Aventuriens unsere nen ihre Heimat nicht zu unrecht "Das Land der Ersten
Gelehrten im Hesinde-Tempel zu Kuslik und in der Redak- Sonne":
tion des Aventurischen Boten unseren Lesern als erstes Hier finden sich die Zeugnisse einer Hochkultur, die über ein
beschreiben sollen, dann wird sehr oft die Khom-Wüste Jahrtausend länger besteht als die der güldenländischen
genannt. Und wenn unsere Geografen dann ein wenig Einwanderer, und wilde Stämme der Wüste und der Berge,
nachfragen, was in etwa der geneigte Leser genau meine, deren barbarische Kultur sich über Jahrtausende unverändert
dann zeigt sich oft, daß eigentlich vom gesamten Südosten erhalten hat. Hier finden sich Ruinen von Städten, deren
Aventuriens die Rede ist. Namen im Dunkel der Zeiten verschwunden ist, und Tempel
Gleichzeitig sind die Erwartungen und Vorstellungen oft von Sterbenden Göttern, deren Macht kein Sterblicher mehr
recht einseitig. Auch viele gebildete Aventurier stellen sich kennt.
im Wesentlichen eine riesige Sandwüste mit mächtigen Hier lassen sich Zeiträume erahnen, die zu messen Jahrhun-
Dünen vor, in der nur einige fanatische Wüstenreiter leben. derte einfach zu unbedeutend sind. Die Magier-Mogule vom
Aber auch jene, die dem Gebiet eine eigene Hochkultur Gadang waren nur die unwissenden Erben einer viel älteren
zugestehen, können sich dabei nur auf wenige märchenhafte vergessenen Macht, und wer kennt heute noch die Magier-
Beschreibungen stützen: Der Mittelländer kennt "Das Land Mogule? Und das Reich der Diamantenen Sultane brauchte
der Ersten Sonne" nur aus der romantischen Perspektive der länger um unterzugehen als das stolze Neue Reich oder jeder
"Geschichten von 1001 Rausch" oder aus so verklärenden - andere Staat der güldenländischen Einwanderer existiert.
um nicht zu sagen, kitschigen - Darstellungen wie der Vin-
salter Oper "Der Kalif von Unau". Welche Vielfalt der Völker und Rassen, Kulturen und Bräu-
Sogar in unserem Kreis mußten wir große Wissenslücken ehe hat sich doch in diesen Jahrtausenden entwickelt - und
feststellen: Wie kommt es, daß das Gebiet zwischen Fasar wurde und wird von uns Mittelländern ignoriert. Es ist
und Selem auch in unseren Publikationen meist stillschwei- verständlich, daß man eine fremde Kultur stets eher als
gend übergangen oder einfach gemeinsam mit Aranien oder einheitlich betrachtet, obwohl sie eine mindestens ebenso
Al'Anfa abgehandelt wird ? Wie recht hatte der berühmte große Vielfalt bietet wie die eigene: Denn ein Novadi aus der
Geograph Rateral Sanin XII., als er zu Beginn seiner Expe- tiefsten Khom hat mit einem Ferkina aus den Schluchten des
dition in die Weiten des Perlenmeeres von Gebieten sprach, Raschtulswalls so viel gemeinsam wie ein Sklavenhalter aus
"die nie zuvor ein kaiserliches Schiff gesehen hat" ? Wie Al'Anfa mit einem bornländischen Händler. Und zwischen
konnten wir ein Fünftel Aventuriens so lange einfach einem Mawdli aus den Zelten Mhanadistans und einem
ignorieren ? echten tulamidischen Zauberer, der den Djinnis befiehlt,
besteht ein ebenso gewaltiger Unterschied wie zwischen
Vielleicht liegt es am Hochmut des mittelländischen Erobe- einem thalusischen Gutsbesitzer mit seinen mohischen Skla-
rers, der jede unterworfene Kultur stets als unbedeutend oder ven und einem giftbrauenden Echsenmagier aus den Ruinen
sogar nicht vorhanden betrachtet. Aber die Tulamiden nen- von Selem.

6
Das Land der Ersten Sonne

Der durchschnittliche Mittelländer weiß über den Südosten davon schließt eine Halbinsel, die Elburische Küste, an.
Aventuriens praktisch nichts, und auch der Gebildete muß oft (Wegen seiner eigenständigen Kultur wird der heutige Staat
seine Unkenntnis eingestehen, selbst wenn es um grund- Aranien in einem eigenen Regionalmodul beschrieben.)
sätzlichstes Wissen geht. Obwohl das Land der Ersten Sonne,
wie es seine Bewohner in ihrer blumigen Sprache nennen, Mhanadistan ist das Hochland zwischen dem Oberlauf des
flächen- wie bevölkerungsmäßig etwa ein Fünftel des Kon- Mhanadi, der sich mit dem Yaquir um den Titel des zweit-
tinentes ausmacht, und obwohl ein Großteil des Gebietes seit größten Stroms Aventuriens streitet, und seinem kleineren
der Entstehung des Neuen Reiches zu diesem gehörte, wurde Bruder, dem Gadang. Dieses Zweistromland ist das Ur-
es jahrhundertelang von den Geographen wie auch den Herr- sprungsgebiet der Alt-Tulamiden und damit der ersten
schern selbst vernachlässigt. menschlichen Hochkultur Aventuriens. Das hügelige Land,
Erst im Jahre 5 Hal entsandte der Kaiser eine Expedition von zahllosen kleinen Seen und Bächen bewässert, eignet
unter Admiral Rateral Sanin XII., um die Perlenmeerküste zu sich vor allem zur Viehzucht, so finden sich hier denn auch
kartographieren und endlich den auf Westaventurien kon- die größten Herden des Kontinentes. Aber auch der Ertrag der
zentrierten `Großen aventurischen Atlas' zu ergänzen. Nach Getreidefelder ist nicht unbedeutend und reicht aus, um die
vier Jahren, die den Admiral und seine Hesinde-Geweihten riesige Stadt Fasar in den Ausläufern des Raschtulswalles im
und Geographen in alle Hafenstädte, zuweilen auch ins Norden zu ernähren.
Landesinnere geführt hatten, lieferte die Expedition ihr (Auch Fasar, dem Schmelztiegel der Völker, widmen wir ein
berühmt gewordenes Logbuch ab, an dessen Auswertung und eigenes Regionalmodul.)
Umsetzung bis heute gearbeitet wird.
Von diesem Mammutwerk abgesehen, können und müssen Das Khoram-Gebirge trennt im Süden Mhanadistan von der
wir uns auf den großen Bastan Munter, den Reisenden Kara Khom-Wüste. Dieses, neben den Unau-Bergen das einzige
ben Yngerymm und auf die Familie Stoerrebrandt (Vater Sandsteingebirge Aventuriens, gehört mit seinen Dreitau-
Ardo als Autor, Sohn Stover als Herausgeber), sowie natür- sendern zu den niedrigeren Bergketten. Inmitten der
lich zahllose Einzeldokumente von Hesinde-Geweihten, Rei- merkwürdigen Schluchten, Schlote und Säulen, die Wind und
senden und Abenteurern stützen, wollen wir ein halbwegs Wetter aus den Sandsteinblöcken geformt haben, wächst
korrektes Bild der Region zeichnen. kaum etwas außer kargem Berggras, gerade genug, um den
kleinen Herden einiger barbarischer Stämme Nahrung zu
Lassen wir zunächst unseren Blick wie vom Rücken eines geben. An den Nordabhängen erstrecken sich dichte Eiben-
Fliegenden Teppichs aus über die einzelnen Landschaften wälder, die ebenfalls von wilden Ureinwohnern beherrscht
schweifen, die sich vor allem durch ihre extremen Gegensät- werden.
ze auszeichnen: Die höchsten Berggipfel, die wasserärmsten
Wüsten und einige der fruchtbarsten Flußtäler finden sich Gorien, selten auch nach dem Hauptfluß Chalukistan ge-
hier auf engstem Raum. nannt, geht direkt in die Steppen Araniens im Norden über
und unterscheidet sich in seiner Kargheit wenig von diesen.
Der Raschtulswall ist bis heute, von Wanderungen einzelner Inmitten der Südhälfte Goriens liegt - wie ein Brandmal auf
Stämme abgesehen, die Nordwestgrenze des tulamidischen Sumus blühendem Leib - die Gorische Wüste, schlechthin
Lebensraumes geblieben. Vom ehernen Schwert abgesehen, ist das lebensfeindlichste Gebiet Aventuriens. Obwohl diese
diese Bergkette die höchste Aventuriens; ein halbes Dutzend extreme Wüste nur etwa 60 Meilen durchmißt, ist kaum
Achttausender und viele `kleinere' Berggiganten stehen hier jemand bekannt, der sie durchquert hätte oder auch nur eine
im Herzen des Kontinentes. Im Südwesten bricht die Kette größere Strecke in sie vorgedrungen wäre.
kurz ab, um sich noch einmal zum Einzelmassiv des
Raschtulsturms zu erheben. Dichte und fremdartige Wälder Direkt südlich der Gorischen Wüste schließt der Balash an,
aus Eiben, Zypressen und Zedern reichen in die hintersten die `Fruchtbare Sichel' des unteren Mhanaditales. Zwischen
Bergtäler und bis zur Baumgrenze in zweieinhalb-tausend dem Zusammenfluß von Mhanadi und Gadang und dem
Schritt Höhe. Es gibt zwar keine großen, aktiven Vulkane großen Mündungsdelta des Mhanadi bei Khunchom, vor
mehr, aber viele abgründige Schlote, aus denen die allem aber an der Einmündung des Mhalik, liegt das bestkul-
Lavadämpfe steigen. `Der Schlund' an der Nordseite des tivierte Ackerland der ganzen Region. Zwischen den weni-
Walles ist nur der berühmteste unter ihnen. Der graue und gen großen Städten schließen die Acker eines Gehöftes an
grüne Marmor des Raschtulswalles ist Baumaterial der die Felder des nächsten an, und viele Tausende von Reisbau-
Mächtigen aller Länder. ern mit Strohhut, Sichel und ihren fleißigen Gadangstieren
bringen jedes Jahr mehrere Ernten ein. Zugleich verhindern
Aranien, das Hügelland am Barun-Ulah, dessen Quellflüsse jedoch die halbjährlichen Überschwemmungen seit Jahrtau-
im Raschtulswall entspringen, umfaßt einerseits fruchtbare senden, daß am unteren Mhanadi ab Rashdul Straßen und
Tiefebenen, andererseits aber auch weite Steppen. Östlich feste Siedlungen entstehen.

7
Östlich des Balash und Goriens läßt sich das Yalaiad als nennen, sind selbst ihnen unbekannt. Am Südrand der Khom
eigene Landschaft erkennen, eine knapp über Meereshöhe liegt der Cichanebi-Salzsee (oder Chichanebi; Schreibweise
liegende Halbinsel, deren Schätze an Obst, Getreide und und Aussprache sind keineswegs eindeutig), durch den Chaneb,
Fisch seit Jahrtausenden der Hauptstadt im Mhanadidelta der ebenfalls ungenießbares Wasser führt, mit einem kleinen
zugute kommen. Meeresarm, der Tränenbucht, verbunden.

Zwei steile Gebirgszüge, von schroffen Hügeln umgeben, die Das Shadif ist eine tiefliegende Steppe, von welligen Rippen
Khunchomer Berge im Osten und die Ongalo-Berge im durchzogen. Zwischen dem salzigen Chaneb, den
Südwesten, grenzen den Balash im Süden ab. Die ständigen Echsensümpfen im Süden und dem großen Szinto gelegen,
Winde aus Nordost regnen hier ihre Wasserlast ab, und verfügt das Shadif über keine nennenswerten Wasserläufe.
Dutzende kleiner Flüsse nähren den Mhanadi und die Süm- Dank seiner geringen Seehöhe und den Nordost-Winden
pfe zwischen den Gebirgszügen, wobei sie die Berge zu einer vom Perlenmeer her verfügt das Gebiet aber über
wildromantischen, rostroten Schluchtenlandschaft ausgewa- ausreichend Grundwasser und Regen. So ist das Shadif denn
schen haben. Mit Ausnahme der Betreiber einiger auch der ideale Lebensraum für die wilden und zahmen
Erzbergwerke in den Khunchomer Bergen findet sich Pferde, die seinen Namen tragen.
zwischen den kargen Klippen wenig Leben, wohl aber
zahlreiche Flecken struppiger Hartholzgewächse. Das Szinto-Tal ist die zweite Kornkammer des Südostens.
Der träge dahinfließende Schlangenfluß (so die Bedeutung
Noch weiter südlich, im eigentlichen Südosten, liegt seines uralten Namens) entspringt in einem Randgebirge der
Thalusien. Größtenteils ein zerklüftetes Hochland, haben sich Khomwüste, wird aber vor allem aus den Ausläufern der
Thalusim, Ongalo und einige weitere Flüsse tief eingeschnit- Eternen gespeist, und sein heller Schlamm bildet den perfek-
ten, ehe sie inmitten einer steilen Felsküste ins Perlenmeer ten Boden für weitgestreckte Reisfelder. Im Süden des Tales
münden. Die Hochplateaus sind von dichten Wäldern zeigt sich bereits die Nähe der Echsensümpfe: Die Luft-
bedeckt, und in den schroffen Schluchten finden sich feuchtigkeit wird geradezu beklemmend, dem brackigen
unzählige Höhlen. Diese Gegend ist berüchtigt für ihre wilden Wasser entströmt ein unangenehmer Modergeruch, und die
Tiere und Ungeheuer wie für die vielen Räuber, die den auf der linken Seite des Flusses wuchernden Mangrovenwäl-
Gutsbesitzern das Leben schwer machen. Die Trogtäler der der verhindern jeden intensiveren Ackerbau.
großen Flüsse selbst sind nämlich sehr fruchtbar, auch hier
fangen sich die Ostwinde und sorgen für starke Arratistan, das waldige Bergland am Arrati (zuweilen auch
Niederschläge, die das Schwemmgut zu einem Osdask), wird durch den Bogen der Eternen von den übrigen
hervorragenden Ackerboden, teils aber auch sehr morastig bisher beschriebenen Landschaften abgetrennt. So wird es
machen. auch eher nur von den Tulamiden als ihnen zugehörig emp-
funden. Klimatisch und geographisch gehört es bereits zu den
Westlich Thalusiens und der Unauer Berge liegt die Große subtropischen Gebieten der Regenwälder.
Khom - außer der nördlichen Tundra die größte einheitliche
Landschaft Aventuriens. Trotzdem wechseln auch hier Ge-
röllwüste nahe den vier Randgebirgen und in der Nähe Süd-Elem schließlich, ehemals von Tulamiden teilweise
einzelner Felsmassive im Zentrum mit den typischen Sand- kultiviert, gehört heute wieder ganz dem Regenwald, dessen
dünen, die der Mittelländer erwartet. Im Inneren der Khom Ausläufer sich über die ganze Halbinsel erstrecken. Auch auf
finden sich auch heute noch unerforschte Zonen - weiße den offenen Grasländern dazwischen machen sich das mör-
Flecken auf den führenden aventurischen Karten - , und die derische Klima und die üppige Tierwelt des Dschungels
wenigen Gebiete, die die Novadis die "Wüste in der Wüste" bemerkbar.

Regenzeit und Raschtuls Atem


Das Klima im Land der Ersten Sonne ist bereits deutlich nach Norden treiben, wenn sie den Golf von Tuzak und den
südländisch geprägt. Die Temperaturen liegen stets über dem Maraskan-Sund hochtoben. In Mhanadistan führt das regel-
aventurischen Durchschnitt: Im Landesinneren (Mhanadistan mäßig zu längeren Dürreperioden. Ganz selten spürt man
und Khom) ist es trocken, sogar sengend heiß, entlang den `Raschtuls Atem' glühend heiß nach Osten wehen. Der Wind
Küsten treibt die Luftfeuchtigkeit dem Mensch den Schweiß ist eher sanft, aber die Hitze raubt einem den Atem. Dazu
aus den Poren. kommt der feine Staub, den der Atem von der Khom
Niederschläge sind in Meeresnähe und an den Abhängen des herbringt, und der in Kleidung, Haare, Augen und Mund
Raschtulswalles häufig, massieren sich aber vor allem im eindringt. Die Menschen werden je nach Temperament
späten Winter und Ende Sommer. Auch die Wassermassen lethargisch und ziehen sich in die Meditation zurück, oder
des Mhanadi reichen schon aus, um gelegentliche lokale sie werden gereizt und aggressiv; wer bei `Raschtuls Atem'
Regenfälle zu verursachen. einen Bewaffneten ärgert, ist selber schuld!
Die Winde sind eher stetig und mild: Die meiste Zeit treiben Im Landesinneren, vor allem natürlich in der Großen Khom,
leichte Nordost- und Ostwinde vom Perlenmeer her weiße wird der Jahresrhythmus durch die zwei Regenzeiten des
Bauschwolken bis zu den Gebirgen im Inneren. Im Frühjahr Jahres gebildet: Am Ende des (mittelländischen) Winters, in
herrschen die Altoum-Winde, die sturmartig schwarze Wolken dem Monden Tsa und Phex, finden die Niederschläge selbst

8
in die Wüste, und das Wasser läßt versteckte Keime aufge- lassen die typischen Sommergewitter selbst die bis dahin
hen, wo zuerst kein Leben zu existieren schien. Die Bauern kargen Felder aufblühen; zumindest am 1.Tag des Efferd,
in den fruchtbaren Gebieten warten bis zur letzten Woche mit dem Fest des Wassers, sorgen die Priester fast immer für ein
der Aussaat, "bis der Boden die ganze Kraft des Himmels in Regenwunder.
sich hat". Traditionellerweise brechen Karawanen und In den fruchtbarsten Gebieten wie dem Balash und dem
Kriegszüge erst im folgenden Perainemond auf. Zum Szinto-Tal erlauben diese zwei Regenzeiten auch zumindest
Sommerende, während der Monde von Rondra und Efferd, zwei Ernten in jedem Jahr.

Die tulamidischen Völker


Die Hauptbevölkerung des Südostens sind auch heute noch Balashiden des unteren Mhanaditales. Die Stadtstaaten Rash-
die Tulamiden. Den Märchen zufolge leitet sich ihr Name dul und Khunchom waren die ersten Blüten tulamidischer
von Zulhamid und Zulhamin her, den ersten Menschen. An- Zivilisation und gehören bis heute zu ihren wichtigsten
dere verweisen auf den Djer Tulam, den höchsten Berg des Städten.
Raschtulswalles. Die Gorier als eigenständige Volksgruppe sind fast erlo-
Zu Zeiten ihrer Hochblüte lebten etwa eineinhalb Millionen schen. Ehemals beherrschten sie von ihrer Hauptstadt An-
Tulamiden in ihrem Reich, dem Diamantenen Sultanat. Ge- chopal aus das Tal des Chaluks bis zur Hafenstadt Aimar
stützt auf die letzten Volkszählungen - tulamidische Poten- Gor, zeitweise sogar Khunchom. Heute gehört ihr Stammge-
taten sind da sehr genau - kann man heute wohl mit etwa biet zu Aranien, und ihr Sultanat ist praktisch auf die
800.000 Menschen tulamidischer Herkunft rechnen. Palaststadt AI'Ahabad - bereits südlich der Gorischen Wüste -
reduziert.
Im engeren Sinne sind die Tulamiden nur die zivilisierten Die Thalushim bewohnen die abgeschlossenen, aber
Bewohner der fruchtbaren Flußtäler, im Gegensatz zu den ertragreichen Schluchtentäler von Ongalo, Thalusim und
Ferkinas der Hoch- und Bergländer und den Bewohnern der ihren Nebenflüssen. Hier haben sich viele alttulamidische
Khomwüste. Traditionen erhalten, trotz der Eroberung Thalusas durch die
Die größte und reichste tulamidische Volksgruppe sind die Mittelländer. Die Thalushim werden allgemein als
Reisbauern und

9
Banditen am Rande des Kulturkreises abgetan, sind aber Beni Novad bezeichnend, umfaßte der Begriff Novadis bald
auch für ihre besonders herrschaftlichen Gutsbesitzer be- nach Rastullahs Erscheinen alle Stämme der Khom-Wüste.
kannt. Nach den Ereignissen der jüngeren Geschichte, in denen die
Die Szintauis, zuweilen auch Elemiten genannt, bewohnen rastullahgläubigen Bewohner des Kalifats große Teile des
im Szintotal ein Gebiet großer Fruchtbarkeit. Das Sultanat tulamidischen Siedlungsgebietes ihrem Einfluß unterworfen
Elem war stets ein gleichermaßen wichtiger wie unabhängi- haben, mag es sein, daß das Vorurteil des Mittelländers, der
ger Machtfaktor tulamidischer Geschichte, nicht zuletzt wegen jeden Südost-Aventurier als Novadi und zuweilen sogar die
des unheiligen Einflußes dämonischer Schlangen- und Ech- tulamidische Sprache als Novadisch bezeichnet, bald von
senkulte. Seit der Katastrophe, die Elem zerstörte, haben die der Entwicklung bestätigt wird.
Szintauis jeden politischen Einfluß verloren, stellten aber für
wechselnde Machthaber eine willkommene Kornkammer. Die Ferkinas sind barbarische Bergvölker, bei denen sich
Die Oronis oder Aranier, ehemals ein Volk geringer Bedeu- die ursprüngliche Lebensweise der Tulamiden über Jahrtau-
tung am Nordrand des tulamidischen Siedlungsraumes, haben sende erhalten hat. Sie sind die Nachkommen jener
durch den frühen Kontakt mit den Mittelländern deutlich an Menschen, die ihre karge Kultur in den unzugänglichen
Einfluß gewonnen, vor allem nachdem das Volk des unterge- Bergtälern und Hochländern aufbauten, die die kaltblütigen
gangenen Sultanates Nebachot in ihnen aufging. Zugleich Ungeheuer der Vorzeit nicht erreichen konnten.
haben sie aber eine völlig eigenständige Kultur gebildet. Die Hauptstämme der Ferkinas sind die Shai 'Aian des Rasch-
Noch mehr gilt dies für die Almadaner, die während der tulswalles und die Merech des Khoram-Gebirges, die jeweils
Dunklen Zeiten vor dem Terror aus den Echsensümpfen etwa 10000 Menschen umfassen. In den erwähnten und
flohen und sich am Yaquir ansiedelten. Sie wurden im Zuge anderen Gebirgszügen leben aber noch über ein Dutzend
der Rückgewinnung der Provinz durch Bosparan und Gareth kleinerer Stämme.
assimiliert und gelten heute als Mittelländer, wenn auch ihr In den Trollzackern hat sich bis heute ein Stamm erhalten,
Stolz und ihre Heißblütigkeit noch immer ihr Erbe verraten. Überbleibsel der ersten tulamidischen Wanderungen, dessen
Zweifellos geht etwa der lokale Brauch des Schlangenab- Mitglieder sich durch besondere Wildheit, Grausamkeit und
schlachtens am Basiliskentag auf diese Einwanderer und ihre Körpergröße auszeichnen - Eigenschaften, die unerläßlich
düsteren Erfahrungen mit den Echsischen zurück. waren zum Überleben in fast 3000 Schritt Höhe, von Trollen
In den ehemaligen tulamidischen Kolonien finden sich auch und Drachen bis in die äußersten Randgebiete gedrängt.
heute noch fast unvermischte Bevölkerungsteile. So wird Die Mhanadistanis, die entlang des oberen Mhanadis und des
etwa die tulamidische Gründung Sylla bis in unsere Tage von Gadangs leben und den Großteil der Bevölkerung Fasars
einer Harani (weiblich von Hairan = Häuptling) regiert. ausmachen, sind schon deutlich zivilisierter und von tulami-
dischen und sogar von mittelländischen Einflüssen berührt.
Trotzdem sind sie heute noch größtenteils halb-nomadisie-
Die Novadis sind heute nicht mehr ganz eindeutig als Stamm rende Viehzüchter, die ausschließlich von ihren Herden, vor
oder Volk zu identifizieren. Ehemals nur den Stamm der allem Pferde, aber auch Rinder und Schafe, leben.*

Schlange, Skorpion und Saphirpfau


Der Besucher stellt fest, daß vor allem die Vögel und die Krikrali, Schwalbe, Nachtigall, Wachtel und Ikanaria-Schmet-
Schlangen die tulamidische Tierwelt prägen. Beide Tierarten terling (aventurische Tierkunde!) sind wegen ihrer Anmut
sind Gegenstand umfassender Tradition und großen bekannt. Allgemein gelten dem Tulamiden Vögel als Tiere
Aberglaubens und gelten als erbitterte Feinde; alte Märchen des Himmels, die an der Tafel der Götter speisen. Am
berichten sogar von mythologischen Kriegen zwischen den heiligsten sind jene Vögel, die gegen die Schlangen, die
beiden Tierarten. Tiere des Bösen, kämpfen, wie der Streifenmeister, ein
Die Vögel zeichnen sich durch besondere Farbenpracht aus, großer Rabenvogel, und der Gorische Ibis, der hierzulande
denen selbst so schöne Namen wie Regenbogenfasan, Sa- anstelle des Storches als heiliges Tier der Peraine angesehen
phirpfau, Flamingo, Goldkranich, Wüstengalan und Lotosstar wird.
kaum gerecht werden. Auch andere häufige Vögel, wie Auch der Gelbe Steppenfuchs, der Schakal und die Ratte
* Im weitesten Sinne gehören zu der Volksgruppe der Tu- schen Einwanderung, zuerst während der 'Friedenskai- Rhorwed-Gebirge), wenn auch viele Begriffe aus dem
lamiden auch jene Stämme, die in früheren Zeiten aus- ser', dann unter den `Klugen Kaisern', wurden sie nach Nivesischen übernommen wurden. Die unterschiedliche
gewandert sind und deren Nachfahren heute eigenstän- und nach bis ins Bornland verdrängt. gesellschaftliche Stellung von Mann und Frau hat sich
dige Kulturen bilden. Dies sind vor allem die Beni Nurbad Beiden Stämmen gelang es nie mehr, ganz Fuß zu wie bei den Araniern in ein Matriarchat umgekehrt, und
und die Al' Hani, die vorzweieinhalb Jahrtausenden nach fassen. Sofern sie nicht einfach in anderen ihre Sippenheirat erinnert an die Vielweiberei der Tulami-
Norden wanderten. Völkerschaften aufgingen, kehrten sie zum den. Die Norbarden sind auffällig gute Reiter, wenn auch
Die Beni Nurbad, genau gesagt die drei Sippen der ursprünglichen Nomadenleben zurück und beschränkten nur mit Ponys, und pflegen einige Schlangenkulte. Sogar
Serach, Nunnur und Gajha, durchwanderten unter un- sich auf ihr angeborenes Händlertalent. Heute kennen die Kennzeichnung ihrer Besitztümer durch Siegel und
glaublichen Strapazen die Gebiete der Elfen, Goblins wir ihre Nachfahren als Norbarden (offensichtlich eine die Bandurria als Hauptinstrument haben sich erhalten.
und Orks und erreichten das Meer zwischen den heuti- Verballhornung von Beni Nurbad). Auch die Beni Rurech, die 719 v.H. nach der Offenbarung
gen Städten Thorwal und Lowangen. Auch wenn sie eine eigene Kulturbilden, sind selbst nach der Göttlichen Zwillinge auf das "verfluchte" Maraskan
Die Al'Hani siedelten sich in den Trollzacken und Tobrien 2600 Jahren noch Gemeinsamkeiten mit den Tulamiden auswanderten, sind schon an ihrem dualistischen Glau-
an, wo sie zeitweise ein recht mächtiges Reich bildeten. zu entdecken. Ihre Sprache, das Alaanii (von Al'Hani), ist ben als Ferkinas erkennbar. Auch heute noch hat sich vor
Reste ihrer Hügelstädte können noch an Radrom und deutlich mit dem Tulamidya verwandt (man denke an allem bei den Bergbewohnern der Maraskan-Kette die
Tobimora gefunden werden. Im Zug der güldenländi- viele Landschaftsnamen wie den Al'Avi-See und das typische, halb steinzeitliche Kultur erhalten.

10
werden als Tiere des mächtigen Phex geachtet, weil sie gerne benden den Leib zu zerfetzen. Was mag es Schrecklicheres
Schlangennester ausräubern. Denn Schlangen gibt es zu geben, als, dem Verdursten nahe und unfähig zur Verteidi-
Abertausenden und in hundert Arten, viele haben nicht einmal gung, bei lebendigem Leib zerhackt zu werden ?
einen Namen. Wenn auch kaum die Hälfte giftige Vipern Die Gelbe Heuschrecke gar unterscheidet nicht zwischen
sind, so sind sie dem Tulamiden doch alle unheimlich. Zu den Totem und Lebendem. In Schwärmen von Tausenden und
verrufensten gehören die Klapperschlange und die Blutotter Myriaden erwachen sie, erheben sich in die Lüfte und
der Khom-Wüste, die Speikobra Mhanadistans und die bedecken das Land. Ernte, Nutztier und Bauer versinken
tulamidische Palmviper. unter ihren gefräßigen Leibern, und sie weichen erst, wenn
nur noch Sand, Stein und Knochen geblieben sind. Stets
Die zwei tulamidischen `Symboltiere' sind wohl der Löwe, munkelt man von bösen Beschwörern, die diese Schwärme
das heilige Tier der Rondra und auch für die Novadis Sinn- alle paar Jahre erwecken und lenken, und in alten Märchen
bild von Kraft und Mut, und die Gazelle, falb oder schnee- wird berichtet, daß ganze Reiche kahlgefressen wurden.
weiß, die als Inbegriff von Geschmeidigkeit, aber auch Der Nachtwind schließlich bedroht nur jenen, der Magie
Unschuld gilt. Im dualistischen Weltbild der Tulamiden sind nutzt. Mit feinem Sinn erkennt der schwarze Raubvogel, wem
diese beiden Tiere Symbol der Gegensätze von Nehmen und die Sphärenkraft innewohnt, und mit großer Wut greift er an.
Geben, auf denen die Welt beruht. Vor allem im Schwarm kann sich der Haß des Magiefeindes
Etwa ebenso unvermeidlich, wenn auch keineswegs so zur völligen Besinnungslosigkeit steigern, bis er oder das
beliebt, ist der Khomgeier, dessen kreisende Mißgestalt hier Opfer tot ist. Es heißt, man kann den Nachtwind abrichten,
wie überall Zeichen des nahen Todes ist. wenn man ihn schon als Küken mit Magie umgibt. Dann wird
sein Instinkt stets vor astralen Kräften warnen, aber seine
"Wohl droht Reisendem wie Einheimischem manch Tier, Wut gemäßigt sein. Und tatsächlich hört man zuweilen von
einzeln schon gefährlich, in großen Mengen aber eine tödli- Potentaten, die solch einen Wächter bei Hofe halten."
che Gefahr. Die Khoramsbestie ähnelt teils Hund, teils (Aus einem Almanach des Hesinde-Tempels zu Baburin,
Schakal, ist aber von einer Blutrunst, wie man sie sonst nur noch nicht fertiggestellt)
vom Piranha weiß. Einzeln oder in großen Rudeln fällt die
Bestie über Mensch und Tier her - bis zu hundert haben Die Spinnentiere des Südostens, v.a. die Skorpione, sind
Überlebende gezählt, und selbst große Karawanen wurden weithin berüchtigt. Die mächtige Vogelspinne wird deutlich
von ihnen zerrissen. überschätzt. 'Viel gefährlicher, häufig tödlich, sind der Gelb-
Der aggressive Gorische Schwarzgeier hingegen stellt nur schwanzskorpion, dessen Gift Gonede entsetzliche Krämpfe
den Schwachen nach. Doch nicht zu Unrecht wird er `Ghul auslöst, und der Geringelte Wüstenskorpion, dessen Gift
der Lüfte' genannt: Wo andere Geier genügsam kreisen, Omrais den Körper des Opfers scheinbar in Flammen stehen
stößt der Schwarzgeier selbstbewußt hinab, um einem Ster- läßt. Stiefel, Helme und ledergefütterte Rüstungen sollte man
morgens genau untersuchen oder sicherheitshalber an einem
Pfosten aufhängen. Die meistern der giftigen und
riesenhaften Insekten sollen den Märchen zufolge erst wäh-
rend der `Skorpionkriege' (im 24. Jahrhundert vor Hal) durch
Magie entstanden sein.

Unter den Haus- und Nutztieren muß man zu allererst die


Pferde erwähnen, genau gesagt die schlanken und feurigen
Shadif der Novadis, die für ihre Treue hochgelobt werden.
Da gibt es die falben und gefleckten Tiere Mhanadistans, die
Goldfelser, deren Fell zuweilen ins Rötliche schlägt, und die
echten Shadif aus der gleichnamigen Provinz um Unau,
erkennbar an ihrer reinweißen oder tiefschwarzen Farbe.
Dabei haben Tulamiden wie Novadis das Pferd erst durch die
Mittelländer kennengelernt. Vorher gab es hier nur die auch
heute noch unvermeidlichen Esel, ob Schwarze Thaluser
oder graue Mherwati. Selbst die Bergland-Ponys der Ferki-
nas wurden erst vor 800 Jahren von Maraskan importiert.
Rinder gelten allgemein als die tulamidischen Haustiere.
Die weißen Gadangstiere weiden vor allem im Hochland
Mhanadistans, aber auch im oberen Szinto-Tal (wo sie für
ihren Mut gegenüber Schlangen gepriesen werden).
Gadangstiere halten sich gerne im Wasser auf und können
recht gut schwimmen. Das Fehlen jeglicher Wasserscheu
macht sie zu idealen Tieren zum Pflügen der Reisfelder.
Fleisch und Milch geben sie nur wenig her. Wegen ihres
Kampfgeistes läßt man sie zur Volksbelustigung
gegeneinander kämpfen. Die Rashduler Drehhörner,
blauschwarze, halbwilde Rinder mit imposanten Hörnern,
sind noch tiefer im Bergland zu finden. Mächtige Herden
dieser urwüchsigen Tiere werden von

11
Ferkinas, Mhanadistanis und Thalusiern getrieben. unerfreulichen Wasserbewohnern, für die vor allem das
Die Bedeutung des Kameles schließlich wird - zumindest südliche Perlenmeer berüchtigt ist.
was die Tulamiden angeht - deutlich überschätzt. In der
Khom und den angrenzenden Gebieten ist es dagegen der Große Drachen sind im Südosten Aventuriens relativ häu-
unverzichtbare Begleiter des Wüstennomaden, Händlers und fig, ihr Abbild wird oft als Wappen des Landes der Ersten
Kriegers. Sonne gezeigt. Vor allem in den Gebirgen am Rande der
Khom leben etwa ein Dutzend der rotgoldenen Kaiserdra-
Das Perlenmeer ist reich an giftigen Fischarten, von denen chen, zuweilen kommen auch Riesenlindwürmer vor. Im
die meisten kaum bekannt sind, bietet aber nur erstaunlich Raschtulswall lebt der Großteil der Purpurwürmer, ebenfalls
wenige Speisefische. Heringe und Haie gibt es wie in allen etwa ein Dutzend. Die meisten dieser Drachen ernähren sich
Meeren, und so bilden sie auch den Hauptfang der Fischer. von den großen Herden der Ferkinas und Novadis; in den
Die Produkte der Silberauster und der Perlmuschel haben fruchtbaren Ackerbaugebieten erhalten dagegen manche
dem Perlenmeer sogar seinen Namen gegeben. Der vier Drachen regelmäßige Tribute. In der dreitausendjährigen
Schritt lange Perlbeißer mit seinem mörderischen Kiefer Geschichte der Tulamiden ist es den Menschen immerhin
dagegen gehört ebenso wie Muränen und Rochen zu den dreimal gelungen, so einen Drachen zu töten!

Dattelpalme und Distelrose


Unter den Bäumen ist wohl die Palme jene, die selbst der
Mittelländer am ehesten mit dem Land der Tulamiden ver-
bindet, und unter den zahlreichen Arten ist die Große Dattel-
palme ob ihrer Früchte - aus denen man auch Dattelwein und
Palmöl gewinnt - die weitestverbreitete. Im Norden
herrschen jedoch eher Zypressen vor, teils auch Pinien und
Zedern.
Unter den Blumen sind die wilde Rose, von den Tulamiden
Azila genannt, und die Distel am bekanntesten. Aber die
Artenvielfalt und Farbenpracht wird stets unterschätzt: Blü-
ten wie die von Hibiskus und Pfirsich, Mandelbaum und
wildem Wein bilden mit Teerose und Purpurfarn fast das
ganze Jahr hindurch ein Farbgemälde unvergleichlicher
Schönheit. Selbst in der Wüste erscheinen nach den kürze-
sten Regenfällen Blüten von seltener Pracht.
Fast überall findet man natürlich auch den Reis, lange
Getreidehalme mit sehr dünnen Ähren, die nur im wadentie-
fen Wasser gedeihen. Vor allem in den Oasen der Khom wird
dagegen die genügsame Hirse angebaut.
In der mhanadischen Steppe und an den Abhängen der
Ongalo-Berge stößt man unvermeidlich auf Dornbüsche und
andere Hartholzgewächse, und im Inneren Mhanadistans
wachsen große Flächen Winselgras, die im Dunkeln die
unheimlichsten Geräusche von sich geben.
Unter all den geheimnisvollen und oft gefährlichen Vertre-
tern der tulamidischen Flora sei nur einer stellvertretend
erwähnt:
`In den höher liegenden Wäldern der gesamten Gegend
gedeiht der Merach-Strauch und auf ihm eine kleine, apfel-
artige Frucht von blauer Farbe. Jene ist ausgesprochen köst-
lich, sofern sie sich nicht im Leib mit Alkohol zusammenfin-
det: Drei Tage vorher oder nachher ist die Frucht noch
tödlich, wessenthalben sie auch der `Süße Tod' geheißen
wird."
(Aus dem Herbarium Kuslikum- Enzyklopädie der Flora
Aventuriens, Band 8, 12 Hal)

12
Führer durch das Land
der Ersten Sonne
Reisen im Land der Ersten Sonne

Fast alle guten Ratschläge, die wir hier anführen können, nicht verbrenne den Scheythel undt die Awgen. Kannst du
beruhen letztlich auf denen des großen Bastan Munter, der ab deshalben deyn Geist verliern und fressest Sand fuerderhin!
360 v.H. als erster Geograph alle Teile Aventuriens, die er In der Nacht werd es jedoch - oh Wunder - bitterlich kalt,
beschrieb, auch tatsächlich bereist hatte. Zitieren wir daher eynmal wollt mir gar das Waszer im Schlauche gefrieren.
das Original: Sollest du deyn Peltz mit dir haben.
Kurtz, es sey eyn Platz da keyn kluger Mensch gehet ohne
"Im gantzen Lande sey Praios groszmächtig, und seyn glu- Noth!"
hendtAuwge lasset das Fleysch schwitzen. Kriegest du darob (Aus: "SAND, SALTZ UND SONNE - Die toedliche Khom",
eyn tüchtigen Brand und sollest trincken viel und stetich. ca. 360 v.H.)
Doch sey auch Efferd dem Tulamid nit wolgesunnen, und
machet ihm das Waszer brackig und sunder. Darumb sollest "Von den Straßen der Tulamiden: Die Straßen oder Pisten im
du deyn Wasser sieden eh du es trünckest, auff dasz du dir Lande der Tulamiden sind von minderer Art, doch wohl die
nicht eyn `wuesten Durchmarsch' holest oder die 'Unauer sicherste Art des Reisens. Wohl zehn, zwanzig, gar hundert
Jagd' oder was der Namen mehrene sindt für jenes Ubel. Schritt breit, zumalen in Steppe und Wüste, sind sie aus
Oder erwürbest dir eyn Wassermelon, dero es selbsten in der nichts denn Sand und Lehm, den Generationen von Kamel-
Wüsten in dero Oasen gebet. und Eseltreibern festgetreten haben. Doch findt man im
Dar aber das Fleysch schwitzet, werd auch das todte Fleysch Fruchtbaren alle 15 Meilen eine Karawanserei, welchselbe
übel. Darumb sollest du deyn Speis gedorret kauffen, als da stets gut befestigt ist. In Steppe und Wüste muß der Reisige oft
sey vom Bidenhocker, vom Schweyn unt von dem Bocke. tagelang mit dem Sternenzelt als Unterkunft vorliebnehmen,
Schier nicht genuglich kann ich verweysen darauff, dasz man eh er in eine Stadt oder Oase gelangt."
zur mittaglichen Hitz der Ruh pfleget! Sehet man Tulamid, (Aus: "Von Weg und Steg", von Dhara Tuzirim, Obristin der
Bidenhocker und Rindviech gleycherhalben drunter der Beilunker Reiter, 37 v.H.)
Palmbaumb liegen als wie todt, und jene wiszent woll, was
sie thun. Wer die zwey Stund zur Mittag wandert oder gar "Die beliebteste Karawanenstraße führt von Punin über die
sich plaget anderthalben, den haut um Grosz Praios als wie nordseitige Oase Terekh nach Fasar. Von dort kann man ins
ein Baumb. Uns Wolffhart, eyn Recke zu Angbar und Huen aranische Baburin gelangen ebenso wie nach Khunchom.
von eynem Mannsbild, hat es darob umgehawn und war Letzteres erreicht man auf der Hauptstrecke, die den Läufen
dumb im Haupte als wie eyn Bidenhocker für zwey Tag. von Gadang und Mhanadi folgt. Auf halbem Wege erreicht
Habent sie eyn heiszen Windt, genennet des Raschtuls Odem, man Samra, von wo man auch durch die Steppe um Anchopal
der gehet nur wenich Tag im Jahr gen Sonnaufgang, aber ist nach Khunchom reisen kann.
der schlimmbsten eyner. Der rothe Sand von der Wüsten Von Mherwed verläuft eine Karawanenstraße in die Wüste
steyget dir in die Auwgen und zwischen die Zähnt, und die hinein, auf der man über Keft die gesamte Khom bis ins
Hitz machet deyn Blut kochen. Sey solch Raschtuls Odem für Liebliche Feld durchreisen kann. Die Karawanenstraße von
den Tulamid wie - Praios solls wehren - die Tag des Ohne Unau nach Keft und weiter bis Terekh ist eigentlich die
Namen für unsereynen. Habent sie keynerlei Lust an gar einzige, auf der man die Khomwüste in Nord-Süd-Richtung
nischt, und sindt grantig und kampfflustig als wie eyn alter durchmessen kann.
Hundt. Von Khunchom nach Thalusa reist man zur See, während der
Was aber angehet die Khom selberhalben zu durchwandern, Altoum-Winde muß man zwei Landrouten, die Uferstraße und
sollest du es dreymal bedencken! Findt sich kaumb eyn eine durch die Gebirge, beide gleichermaßen von Räubern
Reisiger auch bei den Tulamiden, und geheut sie nur in heimgesucht, benutzen.
groszen Scharen, Karawansen genennet, darob sie oft Wo- Selem schließlich und den Südwesten kann man - auf dem
chen warten. Landweg - nur über die Sandpiste bis Unau erreichen. " (Aus
Soll man genau erwiegen, was man mit sich trage und am dem "Groszen aventuerischen Atlas - Neue Kunde und
Corpus fuehre. Wappen von Metall moegen dir wohl bren- getreulicher Bericht von allen Völkern und Ländereien von
nert werden und die Haut versengen. Grad dero groszen Ifirns Ozean bis zu den Inseln der Feuerberge", Kuslik, 1004
Pferdt verrecken gar grauslich, dieweil manch Esel sich n.BF.)
bewaehret. Sollst du dir gewisz seyn, dasz du 5 Rohalsche
Masz Waszer habest für jeden Tag, und noch eynmal so viel
zur Abhut dasz dir eyn Unheil widerfahre. "Eyne gar schroeckliche Strapatzen ist das Reisen hiezulandt.
Deyn Haubt sollest du bedaecket halten, darob dir die Sonn Wohl darfst du keyne Kaiserstraszen erwarthen wie im
schönen Mittelreiche, denn obgleich ihre Wege von groszen

13
Karawanen benutzet seyn seit Urzeithen, geben ihre Fürsten
keynen Taler für die Straszen.
So fahrest du denn mit dem Flusze, obzwar moegest du das
denn auch bereuen. Auf dem gelben Gadangflusze hat es gar
Fluszpiraten, wohl fanden wir eyn Bot, dasz jene geplündert,
und keyn lebendich Mensch. Phexen sey ihnen gnädig! Da wir
nach Khunchom gekommen, satzte der Stürmann das Boot auf
eyne Sandbank, und es standen an die hundert Menschen und
ruehrten keine Hand, hielten aber wohl Maul-affen feil. Ein
nichtsnutzichtes Pack allesamt!
In Khunchom bestieg ich denn eine Thalukken, wie die Kutter
hier genennet, sintemalen mir die drachenflügeligen Kasten-
schiffe, Zedrakken genennet, gar zu absunderlich schienen.
Piraten hat es auf dem Meere wie andernorts Fischer. Eynmal
kamen wir zu eynem Kampffe, da eyn Zedrakken sich erwehret
dreyer Piratenboote, doch wollt der Stürmann Einsicht haben
und schiffte dran vurbei.
Die Thalusaner sirrt Beutelschneyder ohne Zahl. Wohl mag
eyn Amtmann in Kuslik ein Handgeld wuenschen, dasz er
schneller tu, was seyne Pflicht. Aber da du hier nicht schmie-
rest die Hand dem Hafenmeister, dem Wachtmeister und dem
Stadtmeister, sie lassen dich am Hafen stehen für vier Tage,
so mir geschehen, eh mir eine bereiste Dame aus Festum
geraten, was zu tun sey.
So kehrt ich denn um. Was mag erst in Selem werden, davon
man viel wunderlich Ding hoeret ? Wohl rat ich dir, tu
fuerderhin dein Handwerck im Bornlandt, mag dir das schon
beschwerlich sein!"
(Aus: "Meyne gefaehrlichsten Handelszuege", von Sluiter
Broenster, ca. 203 v.H.)

Die Sprache der Tulamiden


"Wer zum ersten Mal das `Baburinische Sprachgewirr' auf (selten auch `El- '), die meist mit `der, die, das' übersetzt
einem tulamidischen Basar hört, die rauhen Kehllaute und wird, aber eher `Inbegriff von' oder `besonders ausgeprägt'
die genäselten Vokale, der fühlt sich in eine andere Welt bedeutet. Ein bekanntes Beispiel: `bastra' bedeutet `edel,
versetzt. Dabei sind das Tulamidische und sogar das Ur- rein' (z.B. im Eigennamen des Volkshelden Bastrabun); `M-
Tulamidya für einen Mittelländer durchaus erlernbar, Bastra' benennt den Inbegriff des reinweißen Edelgesteines,
sobald er sie als eigenständige und in jeder Hinsicht den Alabaster. Ebenso werden Ehren- und Beinamen - wie
vollwertige Sprache akzeptiert und sich an einige sie viele Potentaten und Helden tragen - mit `al-' gebildet.
Besonderheiten gewöhnt hat." Auch in der Geographie wird die Silbe zur Beschreibung
(Aus: "Kamele und Kalifen. Meine Reisen durch die Khom besonders typischer Merkmale verwendet: Die Insel Al'-
in den Jahren 982 bis 988", von Ardo Stoerrebrandt) Toum, die königliche Provinz Al 'Mada, die Städte El'Burum
und El'Lanka..
Wichtigstes Merkmal des Tulamidya ist, daß es eine Konso- Sogar im Sprachgebrauch der mittelländischen Magier ha-
nantensprache ist: Vokale innerhalb eines Wortes können fast ben sich wichtige Ausdrücke durchgesetzt wie Al'Chimie
willkürlich verändert werden, ohne daß sich der Sinn ändert. und AI'Manach.. Aber auch die Vorstellung der Gefilde des
Die Ableitung der Münze `Maravedi' von der Stadt Zwölfgötter beruht auf einem tulamidischen Begriff: Al'Ve-
`Mherwed' ist ein typisches Beispiel. ran. Und selbst der beliebteste aventurische Männername
Auch `A' wird oft durch ein stummes 'h1' ersetzt oder ganz Al'Rik stammt von einem Kaiser der Almadaner Dynastie!
weggelassen. `Achmed' ('Kämpfer', `Streiter' oder `Rächer» Um diese Besonderheiten noch einmal an einem weitver-
breiteten Beispiel zu schildern: Die Wortwurzel `mhanach'
etwa, einer der beliebtesten Eigennamen, kann ebenso als
bedeutet `altehrwürdig' und wird auch als Eigenname
`Ahmad', `Amed' oder jede beliebige andere Kombination
verwendet. So nannten etwa die Sklavenjäger während der
verwendet werden. Mohaaufstände ihren unbekannten, aber offensichtlich zau-
Welche Abwandlungen möglich sind, hängt vom jeweiligen bermächtigen Gegner (verschliffen zu Manak). Der große
Dialekt ab, und im gesamten tulamidischen Sprachraum und Strom der Tulamiden trägt den Namen Mhanadi. Al 'Manach
über die vielen Jahrtausende seines Bestehens gibt es Dut- ist ein ursprüngliches Buch mit gesammeltem Wissen (als
zende solcher Unterarten; der heute zweifellos wichtigste Lehnwort im Garethi wird es nur noch als Zauberbuch
Dialekt ist der der Novadis der inneren Khom. verstanden).
Das typischste tulamidische Wort ist wohl die Vorsilbe `Al'

14
Die Namen der Tulamiden gen kaum, so daß die allen Tulamiden zumindest ansatzweise
bekannten Gesten keine echte Zeichensprache darstellen.
Eigennamen: Die Tulamiden kennen keine Unterscheidung Diese Aufgabe erfüllt dagegen das Atak, das aus diesen
von Berufsbezeichnung und Eigennamen; viele Menschen Gesten hervorgegangen ist und sich heute noch ihrer bedient.
werden einfach mit der Bezeichnung für ihre Tätigkeit Es dient den Anhängern des Phex zur Verständigung - ob nun
angesprochen und empfinden dies keineswegs als unpersön- Händler im ohrenbetäubenden Lärm eines Basares wild
lich. Zum Beispiel kann etwa Haimamud (= Erzähler, Histo- gestikulierend feilschen, Diebe sich in der Schenke über
riker) durchaus als Vorname verwendet werden. Auch fast lohnende Objekte unterhalten oder Meuchler sich im Einsatz
alle Herrschertitel wie Hairan (Harani), Shejk (Shanja), Bey lautlos verständigen.
(Beysa) und Emir werden in männlicher und weiblicher Form
als Vorname verwendet.
Die beigestellte Liste enthält die wichtigsten original tulami- Gebräuchliche tulamidische Vornamen
dischen und novadischen Namen. Bei den Ferkinas sind ur-
tümlichere Versionen häufig. In den Randgebieten werden Männlich: Abdul (Abidalluh), Abu, Achmad (Ahmed), Achtev, Ak-
natürlich auch viele mittelländische Namen verwendet. kub, Alev, Ali (Yali), Alrik, Amir, Assaf, Aytan, Azzan (Hassan),
Interessanterweise gibt es einige Herrschaftsnamen, die nur Benayman, Chadim, Chanan, Charef, Cherek, Dajin, Deniz,
großen Herrschern überlassen bleiben und bei der Thronbe- Deviech, Dilhaban, Dschadir, Dschelef, Dscherid, Dscherman,
steigung angenommen werden. Im Tulamidya werden sie Dunchaban, Erkhaban, Eslam, Faizal (Feisal), Faramud, Feruzef,
meist mit der Nachsilbe `-bil, -bal' (= `Herr» gebildet, z.B. Feyhach, Fetaihif, Gaftar, Ghantabir, Gulshev, Habled, Hadjiin,
Sheranbil oder Hasrabal, auch im novadischen Dialekt kennt Hairan (Harun), Hamadi, Hamar, Hamed (Hahmud), Hamil,
man Nachsilben von ähnlicher Bedeutung. Haschabnah, Hailif, Hilal, Husami, kam, Ismeth, Jachman, Jahlif,
Der sogenannte Vatername wird mit `ibn' bzw. im Novadi- Jassafer, Jedrech, Jenecheth, Jikhbar, Kasim, Kazan, Keshban,
Dialekt mit `ben' gebildet; beides bedeutet einfach `Sohn'. Für Khalid, Kharmal (Kemal), Kheriman, Khorim, Khusrau (Qushrah),
die wenigen Frauen, die weder von Vater, Ehemann noch Mahmud (Moumad), Marwan, Melekh (Malik), Melahath, Mezzek,
Bruder abhängig sind, wird der Vatername mit `saba' gebildet Mhanach, Mhukkadin, Muammar, Mustafa, Nareb, Nasreddin,
- zuweilen auch durch ein nachgestelltes `suni' oder `sunya'. Nazir, Nebahath, Neriman, Nezahet, Omar, Omjaid, Pakhizal,
Der Ehrgeiz vieler Herrscher und Krieger ist es, einen Perhiman, Rafim, Raschid, Rashman, Rastafan, Rechan,
Ehrennamen zu erwerben - also als Personifikation einer Rezzan, Rhayad, Rhuban, Rohal, Ruchan, Rukeyev, Sahil
Eigenschaft (wie erwähnt mit `al-' gebildet) betrachtet zu (Zahir), Said (Saajd), Saiman, Sanshied, Sarhidi, Sedef, Selo
werden. Besonders beliebt etwa ist al- Yeshinna (al-Hashinnah), (Selim), Seyshaban, Shabob, Shafir, Sulman (Soli-man,
was `Der Tapfere' bedeutet. Suleiman), Surkan, Tulachim, Tulef, Tuleyman, Ukhraban, Umran,
Die letzte Art der Beinamensbildung, unter mittelländischem Yakuban, Yelmiz, Yussuf, Zachan, Zachaban, Zelhiman, Zuhal,
Einfluß entstanden, sind Herkunftsnamen, die mit `ay' oder Zulhamid
`
ai' (etwa: `von» gebildet werden.
Weiblich: Abrizah, Aischa, Aishulibeth, Allhina, Asheibith, Ayla,
Ayrina, Ayshal, Azila (Azizel), Belima, Belizeth, Beychaliban,
Birshen, Chaliba, Delilah (Dalilah), Demeya, Dilhabeth, Djamilla
Gesten und Gebärden (Dschamila), Dunja, Erichan, Erzibeth, Emiramis, Esmalda,
Fadime (Fatimah, Fathamah), Fahimja, Fayrishe, Ferushan,
Was das Verständnis eines Gespräches unter Tulamiden oft Halima, Heyeshan, Hidayibeth, 1shar, lzmahban, Jamilha, Jushibi,
etwas schwierig macht, ist die große Rolle, die die Gebärden- Josmabith, Kerime (Karhima), Kemillja, Laila (Leyla), Milhibeth,
sprache bei ihnen spielt. Im Verlauf der Jahrtausende hat sich Mirhiban (Meriban), Mirshan, Nahema, Nassiban, Nazmeya,
ein Repertoire von Handbewegungen entwickelt, denen Nedime, Neraida, Neslihan, Nurhan, Oyan, Oymira, Onchabeth,
jeweils eine bestimmte Bedeutung zukommt. So gibt es Palmeya, Perishan, Perizel, Ranchel, Renahban, Riftah, Sefira
Gesten der Zustimmung, der Ehrerbietung, des Zweifels, des (Safyrja, Zafira), Selime, Semirhija, Shahane, Shenny (Shanja),
Widerspruchs, der Freude, der Trauer oder der Beleidigung. Sherizeth (Sherezad, Sharaseth), Sheydan, Shila (Eshila,
Diese Gesten sind vielfältig und nuancenreich und deshalb Sheyla), Shuhejla, Shulam, Sulibeth, Tulameth, Tulmyrja,
gut geeignet zur Mitteilung von abstrakten Dingen - Begriffe Yashmia, Yasine, Yezemin, Zechiban, Zulhamin
für Gegenstände, Lebewesen oder Tätigkeiten gibt es dage-

Münzen
Die Tulamiden kennen die Geldwirtschaft schon seit Im Kalifat ist hingegen auch beim Münzverkehr zu berück-
Jahrtausenden. Nach dem Wegfall der zentralen Macht des sichtigen, daß man es mit einer unabhängigen Kultur und
Diamantenen Sultanates artete das Münzrecht hier noch Nation zu tun hat. Dort werden ausländische Münzen kaum
mehr aus als überall sonst. Bis zum heutigen Tag nimmt jeder angenommen, vielleicht von Dukaten neueren Datums abge-
Mächtige Fasars und manch thalusischer Gutsherr das Recht sehen. Geldwechsel (und der damit verbundene Geldverlust)
für sich in Anspruch, eigene Münzen zu prägen. Praktisch ist fast immer unumgänglich.
gesehen haben sich deshalb die Münzen des Neuen Reiches In den Städten der Novadis gelten also nur die Münzen der
als allgemeine Währung durchgesetzt. Kalifen - strittig ist oft nur, welche das sind. Offensichtlich

15
hat jeder Monarch den Drang, sich zu verewigen - und da das Eigentlich ist der Piaster längst ungültig, das heißt, nicht
nicht wie im Mittelreich durch die Chronologie geschehen einmal mehr seinen ganzen Goldgehalt wert. Dhelrumuns
kann, muß eben die Währung herhalten. Fast jeder Kalif hat Nachfolger schuf statt dessen den nach seinem Regierungs-
bislang versucht, das Geldsystem zu reformieren, oft reichte sitz Mherwed benannten Marawedi: Diese Goldmünze wiegt
es allerdings nur zur Umprägung und Neubenennung der genau 50 Skrupel und ist demnach 10 Zechinen wert.
Münzen.
Das wichtigste Geldstück ist dabei die Silbermünze von 10 Umrechnungstabelle:
Skrupel Silber. Ihr Wert beträgt zwei Silbertaler - ihre Namen 1 Zechine = 2 Silbertaler
allerdings sind vielfältig: Unter Chamallah nannte man sie 1 Marawedi = 10 Zechinen = 2 Dukaten
Denar, in Unau ist noch der aus Haschabnahs Zeiten
stammende Ausdruck Shekel im Schwange; heute, unter dem Bei den Wüstenbewohnern - wie bei den einfachen Leuten in
neuen Kalifen heißt sie offiziell Zechine. anderen Ländern - hat sich das System der festen Rechenein-
"Dem Kalifen Abu Dhelrumun ist ein Streich zuzuschreiben, heit bis heute nicht recht durchgesetzt. Hier wird weiterhin
der die Wirtschaft des Kalifates nachhaltig traf In einem munter getauscht: ein Schwert gegen ein Schaf, ein Kamel
reichlich naiven Versuch, seine Geldmittel zu vermehren, gegen fünf Frauen. Münzen werden hier nur von dem ange-
schuf er eine Goldmünze namens Piaster - die Folgen sind nommen, der am Material selbst interessiert ist.
nur mit denen der Gratenfels 'schen Gießmünzenpolitik
vergleichbar: "Bedenket, daß es für den echten Tulamiden Ehrenpflicht ist,
Offiziell betrug der Wert des Piasters nämlich 100 Denare, über Preise zu feilschen. Wo manch ein zivilisierter
also 50 Taler - er enthielt aber nur für 12 Taler Gold! Nordländer schon nur noch mit Festpreisen handelt, ist der
Geschickte Falschmünzer brauchen nur Mittelreichische Tulamid beleidigt, wenn man ihm nicht Gelegenheit gibt,
Dukaten ummünzen und können so den Wert vervierfachen. seine blumige Beredsamkeit zu zeigen.
Heute findet man denn so manche verborgene Falschmün- "Oh, ihr Bruder der Hartherzigkeit!" heißt es dann, und: "So
zerwerkstatt, in der man aus guten Batzen oder Dukaten muß ich denn Zulhamin, mein geliebtes drittes Weib, dem
unechte Piaster herstellt, um sie in entlegenen Gebieten Hungertode preisgeben!" Ebenso sollte der kluge Reisende
einzutauschen." sprechen, und - glaubt mir - er wird einen guten Abschluß
(Aus dem "Wohlfeilen Brevier für den reisigen Kauffmann", machen."
Festum, 4 v.H.) (Aus dem "Wohlfeilen Brevier", Festum, 4 v.H.)

Fremde im Land der Ersten Sonne


Die Kultur des Landes der Ersten Sonne ist auch für einen Zugang zur Mentalität der Tulamiden finden. Selbst der
welterfahrenen Mittelländer fremdartig und teils unverständ- berühmte nivesische Oberst Erm Sen konnte hierzulande in
lich. Umso mehr gilt das für die reiselustigen Angehörigen der Wüstenlegion wohl nur zu hohen Würden gelangen, weil
noch entfernterer Völker. er - nach Rastullahs Erscheinen - kaum noch mit tulamidi-
schen oder novadischen Soldaten zu tun hatte.
"Als Frau (und wohl auch als Moha) muß man sich auf eine
Kultur gefaßt machen, in der man üblicherweise als Besitz Nichtmenschen sollten sich im Land der Ersten Sonne auf
seiner Begleiter betrachtet wird. Mehr als einmal hat man einige Vorurteile einstellen, denn Zwerge, Elfen und Orks
Bolle, dem Greifenfurter, den ich zu meinem Schutz anheuer- sind ausgesprochen selten. Auf 1000 Einwohner (also eine
te, wegen meiner roten Haare (die hier als besonders glücks- mittlere Stadt oder der Umkreis einer Tagesreise) kommen
bringend gelten) eine runde Summe geboten. Die Tulamiden höchstens 1 Elf, 2 Zwerge und 2 Orks - der Durchschnitts-
achten genauestens auf die unterschiedlichen Privilegien und Tulamide sieht also alle Monate einmal so ein Wesen.
Rechte der beiden Geschlechter: Frauen werden besungen Daher werden Elfen oft für Dschinnis oder andere fleischge-
und beschützt, haben aber in der Öffentlichkeit und in praller wordene Geister gehalten (die der Bauer auf dem Reisfeld
Sonne nichts zu suchen. Auf Widerworte oder das Tragen von natürlich normalerweise auch nie zu Gesicht bekommt) und
Waffen bei Frauen sind tulamidische Männer überhaupt nicht dementsprechend respektvoll behandelt, zugleich aber stän-
vorbereitet." dig mit Wünschen bestürmt. Da für die Tulamiden im Nor-
(Aus dem Reisetagebuch der Kerry ui Brioghan, Geografin den das Reich der Toten liegt, halten viele die Elfen für
aus Honingen, 6 Hal) unsterbliche Sendboten aus dem besseren Jenseits.
Außerdem sollen ihre Gewänder unverwundbar machen -
Thorwaler, Nivesen und andere Nordländer haben nicht nur vermutlich eine Abart des auch im Mittelland verbreiteten
unter der Hitze zu leiden, sondern werden auch schwer Aberglaubens über "Bausch und Bogen".

16
Die Tage, die da waren
Das "Land der Ersten Sonne" und seine Geschichte

Es ist äußerst schwierig, eine Geschichte des `Landes der Ersten Sonne' zu schreiben,
denn vieles ist nur spärlich durch mündliche Tradition überliefert und durch die langen
Jahre mehr oder weniger entstellt. Dazu kommt noch, daß für einen novadischen
Gelehrten die Geschichtsschreibung nicht von der Religion zu trennen ist und deshalb
seit mehr als zweihundert Jahren alte Überlieferungen behutsam an die Glaubenslehre
angepaßt werden...

Was die Vorzeit vor etwa dreieinhalb bis vier Jahrtausenden angeht, können wir
überhaupt nur auf tulamidische Märchen zurückgreifen.

"Am Anfang gab es noch keine Menschen. Die Welt war ein einziger Garten, und es
gab noch keine Wüste. Schlangen und Schildkröten bevölkerten das Land. Die
machtvollsten unter ihnen waren die Sultansechsen, denn sie waren von gewaltiger
Stärke, unmenschlicher Schläue und unbegreiflichen magischen Kräften. Am Rande
des grünen Meeres lag ihre Stadt, die sie Zze Tha nannten wie auch ihr Reich. Über
alles aber herrschte der Drachenkaiser, und seine Macht war gottgleich. Vor seinem
goldgeschuppten Leib lagen alle Echsischen auf dem Bauch. Fremde Götter hatten
sie, die schlangenleibig waren wie sie selbst. "
(Aus dem Märchen `Die Gründung von Fasar' )

"Dereinst beschloß der weise und starke Riese A'Dawati, die Menschen zu erschaffen.
Aus dem Lehm des Gadang und aus seinem Blut formte er Zulhamid, den ersten
Mann, und Zulhamin, die erste Frau. (...)
Die Nachkommen von Zulhamid und Zulhamin lebten in den unzugänglichen Schluch-
ten des hohen Gebirgszuges, den man das `Rückgrat der Welt' nannte. Sie kannten
weder feste Städte noch das Feuer, weder die Schrift noch den Ackerbau. Des Tages
verbargen sie sich, und nur nächtens im Lichte des Madamals stiegen sie ins Tal hinab,
um Nahrung zu stehlen.
Denn die Menschen galten den Kaltblütern wenig: Wann immer sie ihren Fuß in die
fruchtbaren Täler setzten, wurden sie von den Echsenfürsten auf ihren grausamen
Reittieren verfolgt und vernichtet."
(Aus dem Märchen `Zulhamid und Zulhamin')

"Dann jedoch erhob sich die Schöpfung selbst: Tag und Nacht wurde der Boden
Etwa 3100 v.H.: Jahre des Chaos
erschüttert, die Himmelslichter folgten nicht mehr ihrer richtigen Bahn, Flammenzun- herrschen in Aventurien.
gen leckten über Himmel und Erde, Tiere und Menschen wurden wahnsinnig. Viele Auch elfische und zwergische Quellen
Jahre dauerte dieses Chaos, doch schließlich kehrte wieder Ruhe ein, und ein neues bestätigen dieses Ereignis.
Zeitalter hatte begonnen.
Denn der Goldene Drache von Zze Tha war verschwunden, seine Leviatanim aber
zerfleischten sich in ihrem Wahnsinn gegenseitig. Die Menschen dagegen wuchsen an
Zahl und Macht. Zum ersten Mal konnten sie es wagen, im Schutz von Dunkelheit und ab 3050 v.H.: In Mhanadistan siedeln
Kälte gegen die gewaltigen Echsenwesen vorzugehen - und List und Geschicklichkeit erstmals Tulamiden. Zwerge im Rasch-
besiegten Stärke und Gewalt. tulswall lehren Tulamiden die
Immer tiefer drangen die Menschen in die Ebene vor und nahmen das Land in Besitz. Schmiedekunst.
Ihre erste feste Siedlung am Rande der `Liegestatt der Götter' nannten sie Fasar. Hier
3042 v.H.: Gründung von Fasar
wählten sie den klügsten der Ihren zum Scheik-al-Scheik, zum Herrscher aller
Tulamiden, sein Name aber war Rashtul."
(Aus dem Märchen `Rashtul' )

Aus der Zeit Rashtuls sind die ersten Schriftrollen erhalten, die man als zeitgenössi- ab 3000 v.H.: Einigung der tulamidischen
sche Dokumente bezeichnen kann. Dieser Rashtul muß nun fürwahr ein bemerkens- Sippen unter einem Scheik-al-Scheik. Die
werter Mann gewesen sein: Er schlug am Mhanadi zum ersten Mal in einer offenen Tulamiden besiedeln das untere Mhanadital.
Schlacht ein Heer aus Marus und Echsenmenschen, er zähmte nach alten Märchen das
erste Kamel, er führte sein Volk in das fruchtreiche Tal des unteren Mhanadi und

17
angeblich 2984 v.H.: Gründung von gründete die Stadt, die seinen Namen trägt. Vor allem aber schloß er einen Vertrag mit
Rashdul den Echsenmenschen aus der Stadt Yash'hualay an der Mündung des Mhanadi und
schwor ihnen Frieden. Und so lebten die Menschen zusammen mit den friedfertigen
Echsenmenschen und lernten von ihnen die Künste des Reisanbaus, der Heilung und
noch manches andere.
Die Märchen geben für Rashtul eine Lebenszeit von 306 Jahren an und erwähnen in
diesem Zusammenhang immer wieder geheime, lebensverlängernde Riten, deren
Kenntnis der Tulamide von den Echsenmenschen aus Yash'hualay erlangt habe. Unter
seiner Herrschaft waren die armen Berghirten und Räuber zu reichen Feldbauern
geworden.
Die Scheik-al-Scheiks der Tulamiden: Rashtuls Sohn Bastrabun aber war es, der die Vertreibung der echsischen H'ranga-
3002-2772 Rashtul al-Scheik Diener vollendete. Er lebte und herrschte in der Stadt Mherwed am Tor zur Khom. Wo
2772-2750 Bastrabun ibn Rashtul
sich einst blühende Gärten und dampfende Sümpfe ausgebreitet haben sollen, herrschte
nun Trockenheit, die Wüste breitete sich aus, statt einer großen Meeresbucht fand sich
nur ein trockener See voll Salz. Die Leviatanim waren so wild und aggressiv wie eh und
je, doch ihre Raserei richtete sich nun in sinnlosen Machtkämpfen gegeneinander.
So konnte Bastrabun nach langen und verlustreichen Kämpfen den Sieg erringen.
Gestützt auf eine Armee aus tulamidischen Kamelreitern vernichtete er die meisten
Echsischen und vertrieb die Überlebenden: Im Westen bis zum Harodrol, im Süden bis
nach H'Rabaal und in die Sümpfe des Mysob. Entlang der Echsensümpfe bei Selem
zog er eine magische Linie, die uns bis heute als Bastrabuns Bann bekannt ist. Die
uralten Grenzsteine, die die Echsensümpfe abtrennen, tragen seinen Namen in kaum
noch lesbaren Bildzeichen. Bastrabun war es auch, der den letzten Echsenwesen von
Mhanadi, Ongalo und Thalusim die menschenleere Insel im Osten als geschützte
Siedlung zuwies und gebot, daß künftig kein Tulamide die Insel mehr betreten dürfe, ja
es heißt, daß er die Schiffahrt ursprünglich ganz verboten habe. Und so zogen die
Echsenmenschen, Krakonier und Marus der Stadt Yash'hualay über das Meer zu ihrer
neuen Heimat, die den Namen Marustan erhielt.
Bastrabun aber wurde von den Tulamiden mit dem Titel Sultan geehrt und begründete
als seine Residenz die neue Stadt Khunchom auf den Trümmern des verlassenen
2750 v.H.: Gründung von Khunchom Yash'hualay. Hier herrschte er lang und weise, und als er starb, erstreckte sich das
Die Sultane von Khunchom : Reich der Tulamiden vom äußersten Süden bis Anchopal im Norden.
2750-2731 Bastrabun ibn Rashtul In den folgenden Jahrhunderten blühte das Reich der Tulamiden auf: Zahlreiche
2730-2709 Perhiman ibn Bastrabun Familien verließen ihre Heimat Mhanadistan und besiedelten das zuvor unterworfene
2709-2674 Yadda ibn Perhiman Land. Viele zogen nach Norden und gründeten die Orte Zorgan, El Burum, Baburin
2673-2631 Nabatil al-Waqih und Nebachot. Die Sultane drängten auch südwärts und gründeten Elem und die
2631-2599 Manoyla saba Nabatil Grenzposten Mirham und Al'Anfa. Die Kultur erreichte eine erste Blüte, und es ist
2599-2576 Ifriqis ibn Omeid traurig, daß nur so wenige der damals entstandenen Statuen und Keramiken, Gedichte
2576-2536 Waddif al-Sadiq
und Heldenepen überliefert sind. Zugleich aber berichten die Sagen von einem
Wandel der Sitten: Galt das Echsische dereinst als feindlich, deutete man es nun als
2536-2505 Waddif al-Retef
Inbegriff der Macht. Die Herrscher in Khunchom folgten den Herren Yash'hualays in
2504-2458 Waddif al-Nabti
vielen Dingen, und es wurde Mode, allerlei Bräuche der Echsen bis hin zu ihrer Schrift
2458-2423 Waddif al-Karibi
zu übernehmen. Das Verbot, die Insel Marustan (heute: Maraskan) anzufahren, blieb
2423-2398 Waddif al-Yarush bestehen, doch es wurde mehr und mehr als Beweis gesehen, daß die Insel ein Land
2398 Moqtah saba Shanatir der Freuden und zu angenehm für einfache Menschen sei.
2398-2358 Waddif al-Wakiah Wie so oft wuchs mit dem Reich der Machthunger einzelner Herrscher. Bald gab es
2358-2317 Sulman al-Nassori eigenständige Sultanate in Elem und Fasar, und auch Nebachot ging eigene Wege. Um
die Mitte des Jahrtausends gelangten in Fasar gar Zauberer an die Macht, die sich die
ab 2600 v.H.: Die Stämme der Beni Magiermogule vom Gadang nannten und einen tulamidischen Kleinstaat nach dem
Nurbad und Al'Hani wandern nach Nor- anderen unterwarfen: Gorien, Oron und Nebachot zählten schon zu den Vasallen des
den aus. Reiches, die Statuen ihrer Stadtgötter standen im Tempel von Fasar in Ketten, als die
Magiermogule auch die fruchtbare Ebene des Mhanadi in ihre Gewalt bringen
ca. 2400 v.H.: Erste Zedrakkenflotten wollten. Aber auch Sulman, der Sultan von Khunchom, hatte Zugang zu längst
erwähnt vergessenen arkanen Geheimnissen, und keiner der Kontrahenten scheute sich, seine
Macht einzusetzen. Die Skorpionkriege verbreiteten Tod und Verderben, Riesen-
ameisen und gigantische Heuschreckenschwärme verheerten das Land.
2334-2319 v.H.: Die `Skorpionkriege'
Letztlich triumphierte Sulman und unterwarf das Reich der Magiermogule, die
Mauern von Fasar wurden geschleift und sind nie wieder erneuert worden. Die stolze
ca.2325 v.H.: Der Große Schwarm Stadt Zhamorrah am Zusammenfluß von Mhanadi und Gadang versank für immer in
verwandelt Gorien in eine Wüste. Schutt und Asche.
Sulman al-Nassori (= "Der Erneuerer") herrschte nun von den Trollzacken im

18
Norden bis zum Lauf des Hanfla im Süden und nahm den Titel Diamantener Sultan Die Diamantenen Sultane, 1. Dynastie:
an, nach einem riesenhaften Juwel, das noch von Bastrabun von seinen Kriegszügen 2317-2306 Sulman al-Nassori
mitgebracht worden war und das nun zum Symbol des unzerstörbaren Reiches wurde. 2306-2278 Rhukeyef ibn Sulman
Das alte Hofzeremoniell von Zze Tha wurde jetzt offiziell eingeführt: Der Sultan lebte 2278-2249 Omar Shadif
als halbgöttliches Wesen abgeschirmt vom Volk in seinem Palast und verkehrte mit 2248-2216 Gassir al-Tarifa
2216-2168 Amr al-Dhubb
der Außenwelt nur durch Hofbeamte, die zugleich als Priester sein Lob verkündeten.
2168-2125 Toba al-Akran
Das Volk war den Diamantenen Sultanen treu ergeben und verehrte sie - allein die 2124-2085 Kharibet I.
wilden Stämme der Khom machten eine Ausnahme: Sie hatten zu hart gegen die 2085-2053 Qasran Yanuf
Leviatanim gekämpft, um nun an alten Echsenbräuchen Freude zu empfinden.
Die Überlieferung berichtet allerdings nur von einem Akt des offenen Widerstandes: 2003-1995 v.H.: "Mahwads Krieg"
Etwa 2000 v.H. forderte der Krieger Mahwad al-Rasul aus Mherwed die Aufgabe des erschüttert das Sultanat.
Diamantenkultes. Mahwad und seine Anhänger brachten das Sultanat in ernste
Gefahr. Allein ein knapper Sieg auf dem Schlachtfeld vor Rashdul rettete die
bestehende Staatsform, die überlebenden Gefolgsleute Mahwads wurden in die Khom
verbannt, fanden aber bei den Nomadenstämmen freundliche Aufnahme. Mahwad
selbst starb in einer kleinen Oasenstadt.
Die Sultane in Khunchom sonnten sich im Glanz ihrer Macht, da sie außer einigen Go-
blins am Yaquir keine Feinde kannten und ihre Untertanen im Norden wie im Süden in
immer neue Länder vorstießen: Hinter dem Gebirge der Trolle entstand das
untertänige Reich von Al'Hani, noch jenseits von Al'Anfa betraten Tulamiden die
Inseln Souram und Al'Toum, im fernen Osten weit hinter Maraskan fanden kühne
Zedrakkenfahrer aus Khunchom neues Land.
Daß dagegen jenseits der Wüste im äußersten Westen Siedler aus fernen Ländern
landeten und bald mächtige und prachtvolle Städte gegründet hatten, nahmen sie in
ihrem Stolz kaum wahr.
Die Diamantenen Sultane,
II. Dynastie: Erst als 1874 v.H. ein Heer aus Bosparan die 1874 v.H.: Schlacht von Punin
2053-2011 Rufis Riyyam al-Muktar Goblins am Oberen Yaquir vertrieb, bemerkte 1865 v.H.: Schlacht am Darpatbogen.
Nebachot geht verloren und wird in Per-
2011-1967 Sheranbil 1. al-Yakrub der Diamantene Sultan Mordai ihn Dhuri die ricum umbenannt.
1967-1963 Sheranbil II. Güldenländer und hoffte auf leichte Beute -
1859 v.H.: Schlacht bei Anchopal
1963-1902 Sheranbil III. statt dessen erlitt die Streitmacht trotz Einsatz
1902-1685 Mordai ibn Dhuri von Kamelreitern und Kriegselefanten eine 1846 v.H.: Admiral Sanin III. erreicht auf
1865-1832 Yasmail ibn Mordai schwere Niederlage, die härteste seit Jahrhun- dem Seeweg Perricum.
1832-1795 Kharibet II. derten. Das Volk war erschüttert.
Als es wenige Jahre darauf am Darpat zu neu- 1804 v.H.: Das Sultanat Al'Hani zerstört
1795-1781 Sheranbil IV. al-Wazzif
erlichem Krieg mit dem Kaiserreich kam, in das neu gegründete Rommilys (erst 1695
1781-1729 Shahr Halel dessen Verlauf die reiche Stadt Nebachot ver- v.H. wiederaufgebaut) und kann die Ost-
1729-1687 Haidan ibn Shahr Halel lorenging, gab sich Mordai rituell selbst den Ausdehnung der Friedenskaiser etwa 100
1687-1635 Abu Shadad Tod, wie es noch manche Sultane nach ihm tun Jahre aufhalten.
III. Dynastie: sollten.
1635-1579 Hasrabal al-Milta In den folgenden Jahrzehnten schrumpfte das bis 1795 v.H.: Weitere Perlenmeer-Ex-
1578-1553 Hailif ibn Sinhedi Sultanat ständig: Kaiser Yulag erzwang die peditionen Admiral Sanins III.
1553-1536 Khorim ibn Hailif Unabhängigkeit Orons unter der Emirin Dolo-
1536-1529 Erkhaban ibn Hailif 1702 v.H.: Dolopia III. proklamiert das
pia, die sich zur Königin von Aranien ausrief. Königreich Aranien.
1528-1502 Alef-Faizal Nach einer Drohgebärde der Kaiserin Svelinya
1502-1408 Sheranbil V. al-Shahr wurde das Land östlich des Regengebirges 1634 v.H.: Al'Anfa wird geräumt.
geräumt, die Einwohner der nunmehr verfallenden Vorposten Al'Anfa und Mirham
zurückgerufen. Lange sollte es dauern, bis hier wieder Siedler heimisch wurden. 1502-1408 v.H.: Sultan Sheranbil V. regiert
Zugleich wurde im Inneren die Herrschaft immer härter ausgeübt: Immer mehr fast einhundert Jahre lang. Gerüchte spre-
Verschuldete oder sonst schwache Bürger sanken in die Rechtlosigkeit der Sklaverei chen von seltsamen echsischen Riten,
hinab, die Lebensweise der Reichen wurde von einer Vielzahl von persönlichen und mit deren Hilfe er sein Leben verlängere.
Sein überraschender Tod führt zu Wir-
Arbeitssklaven bestimmt, die vor allem dem Volk der Waldmenschen im Süden ren, die über ein Jahrhundert anhalten.
entstammten. Wohl mögen jene Recht haben, die die "Erfindung" der Mohaverskla-
vung für die schlimmste Tat des Diamantenen Sultanats halten. 1408-1297 v.H.: Interregnum
Während der Dunklen Jahre ließ der Druck der Güldenländer nach. Doch interne
Machtkämpfe wie ein über 100 Jahre währender Thronfolgekrieg, die Machtübernah- ca. 1400-1300 v.H.: Einwanderung von
me einer Gorischen Dynastie und die zeitweise Hegemonie des Sultanats Elem Tulamiden nach Ober-Yaquirien
verhinderten, daß die Diamantenen Sultane Gewinn aus der Schwäche des Alten
Reiches ziehen konnten. Eine Ausnahme aber ist zu verzeichnen: Die Reichsprovinz 1324 v.H.: Ausrufung des Emirats Al'-
Ober-Yaquirien wurde allmählich auf friedlichem Wege von Tulamiden aus der Mada
Shadifsteppe und vom Rand der Echsensümpfe besiedelt, die ihre Heimat ob der
steten Bedrohung durch marodierende Marus und Echsenmenschen verließen. Nach 1301-1297 v.H.: Sultan Mustafa von
einigen Jahrzehnten stellten sie die Mehrheit der Bevölkerung, der neue Name Gorien erobert Khunchom.

20
1260-1178 v.H.: Das Großsultanat von begann sich schnell durchzusetzen. Erst Kaiser Obra-Horas stellte die volle Hoheit
Eiern erobert die Emirate Mirham und des bosparanischen Reiches über diesen Landstrich wieder her, ohne aber die
Thalusa sowie Mengbilla (seither Groß- Neusiedler zu vertreiben. Die Diamantenen Sultane,
emirat). Nachdem bereits Silem-Horas an der Spitze IV. Dynastie:
einer Flotte die Städte Elem und Thalusa besetzen 1297-1263 Mustafa ibn Abu Nuwas
1099 v.H.: Ein fallender Stern zerstört konnte, blies sein Enkel Murak zum endgültigen 1263-1248 Nahema saba Mustafa
Eiern. Sturm auf den Rest des Diamantenen Sultanats.
1082 v.H.: Eiern und Thalusa werden
Die Urheimat der Tulamiden, das hügelige V. Dynastie:
durch die kaiserliche Flotte besetzt. Mhanadistan mit der großen Stadt Fasar, war 1248-1205 Yadail al-Musaf
bereits in seiner Hand, als sich die Truppen des 1204-1183 Kalkarib ibn Yadail
1010 v.H.: Die Schlacht am Gadang. Die Reiches einer gewaltigen Übermacht von Reiter- 1183-1106 Interregnum
Kaiserlichen behaupten das Feld. Mher- kriegern am Gadang gegenübersahen. Der tula- 1106-1051 Bheraimi ibn Shahr
wed und Khunchom werden genommen, midische Heerführer Schaddai al-Schichem zögerte 1045-1010 Najara ibn Bheraimi
Sultan Najara stirbt. lange, wollte die Eindringlinge besonders hart Ende des diamantenen Sultanats
treffen - mit dem Ergebnis, daß die eigenen Verluste so hoch waren wie die der
Kaiserlichen. Völlig konfus befahl er den Rückzug, wo ein Ausharren das Blatt
vielleicht noch hätte wenden können. Und so ist "Schaddai" unter Tulamiden und
Novadis bis auf den heutigen Tag ein beleidigendes Schimpfwort für einen Zögernden
oder Mutlosen.
Die Kaiserlichen hatten kaum Rashdul erreicht, als die Reichsflotte aus Thalusa in den
Hafen von Khunchom eindrang. Mit dem Freitod des letzten Sultans Najara ibn
Bheraimi und der kampflosen Einnahme der Residenz endete das Reich der Tulami-
den nach fast zweitausendjähriger Existenz.
Doch auch sein Bezwinger hatte nicht mehr lange zu leben: Noch im selben Jahr starb
Kaiser Murak an einer Speerwunde aus der Schlacht am Gadang.
Unter seiner Tochter und Nachfolgerin, Hela-Horas, begann eine Zeit des Schreckens
1010-993 v.H.: Hela-Horas regiert in für das Volk der Tulamiden. Anscheinend wollte die Kaiserin den Tod ihres Vaters am
Bosparan. Blutige Unterdrückung der ganzen Volk rächen, denn sie ließ die meisten der alten Aufzeichnungen verbrennen,
Tulamiden.
viele Kunstwerke zerschlagen und fast die gesamte Oberschicht hinrichten, um auf
diese Weise die Tradition zu zerstören.
Im ganzen Reich wurde die Bevölkerung zu Frondiensten gezwungen, doch an
Mhanadi und Thalusim ging es besonders hart und grausam zu. Die alten Götter
ab 993 v.H.: Die meisten Stämme wurden verboten, während der Kult der Zwölfgötter nur langsam eingeführt wurde:
schicken Truppen zur Unterstützung der Schon vor ihrer Vergöttlichung mochte Hela keine unnötige Konkurrenz...
Garether Rebellen. Besondere Berühmtheit Kein Wunder, daß alle Tulamiden gegen die Truppen der Kaiserin aufbegehrten, als
erlangt der Stammeskrieger Pakhizal al- erst die Meldungen von der Schlacht bei Brig-Lo zu ihnen gelangt waren. Kurz und
Marfun, der einer der zwölf Gründer des blutig war der Kampf, in dem sie die bosparanischen Unterdrücker abschüttelten.
Theaterordens wird.
E d d D S l

Die Tulamiden unter Garether Herrschaft


Es kann als eine der größten Leistungen Rauls von Gareth gelten, daß er ohne Krieg
und Gewalt die erneute, diesmal freiwillige Unterstellung der Tulamiden unter den
Kaiser erreichte - er versprach viel, vor allem weitgehende Beachtung der alten
Bräuche. Unter den Klugen Kaisern allerdings wurden die Städte Thalusa, Khunchom
und Mherwed voll in das neue Reich einbezogen und entwickelten sich zu wichtigen
und wohlhabenden Handelsstützpunkten zwischen Nord und Süd.
Zugleich wurde die Verwaltung an die neuen Prinzipien angepaßt, es entstanden die
Markgrafschaft Mhanadistan und die Herzogtümer Thalusien und Balasch. Gorien im
Norden mit der Handelsstadt Anchopal wurde Teil der neuen Provinz Aranien. Allein
821-780 v.H.: Regierungszeit Gerbalds. das Gebiet der Khomwüste blieb bis zur Gründung der Stadt Unau ausgespart und ohne
Maraskan wird besiedelt, die Sklaverei direkte Herrschaft.
kurzfristig verboten. Kulturell fiel die Tradition der Garether auf fruchtbaren Boden. Viele Künste und
Wissenschaften wurden rasch übernommen; auch der Kult der Zwölfgötter konnte
801 v.H.: Gründung der Garnisonsstadt sich ohne Probleme durchsetzen. Einige wichtige Veränderungen ereigneten sich
Unau an der Stelle eines alten tulamidi- unter der Herrschaft Kaiser Gerbalds: Er leitete die Eroberung und Besiedlung der
schen Dorfes. Insel Maraskan, die in kurzer Zeit viele Siedler tulamidischer Herkunft aufnahm. Sie
suchten hier das gesegnete neue Land, doch sie fanden vor allem Entbehrungen und
719 v.H.: Fast der gesamte Stamm der
Feinde, von denen der gigantische Tuzakwurm nur der bekannteste ist.
Beni Rurech, ob seines Glaubens an
Göttliche Zwillinge vom Kaiserreich Zugleich erließ Gerbald ein allgemeines Verbot der Sklaverei - doch schon sein
verfolgt, schifft sich in Khunchom ein und Nachfolger Menzel setzt es für von Tulamiden bewohnte Gebiete außer Kraft.
siedelt nach Maraskan über. Die Herrschaft der Priesterkaiser, ein Jahrhundert später, unterschied sich hier im

22
Südosten nur wenig von der im übrigen Aventurien. Allein die altehrwürdige Stadt 595 v.H.: Erste Schlacht am Cichanebi-
Rashdul setzte sich zur Wehr und erklärte schließlich ihre Unabhängigkeit - und dank See. Ein Heer der Priesterkaiser wird von
ihrer List und Schlauheit konnten die Rashduler auch frei bleiben und so als die ersten Wüstenreitern vernichtet.
Aventurier gelten, die das Joch der Priesterkaiser abgeschüttelt hatten.
Wie um diese Schmach vergessen zu machen, versuchte man in Gareth nun, endgültig 593 v.H.: Rashdul erklärt seine Unab-
die Khom zu unterwerfen. Doch die Nomaden der Wüste leisteten dem Praioskult hängigkeit.
erfolgreich Widerstand: Sie vernichteten 538 v.H. ein priesterkaiserliches Heer, das
von Mherwed aus in die Khom vordrang, und töteten dabei die Priesterkaiserin Amel-
thona. Die Geweihten in Gareth erklärten ihr Verschwinden in der Khom mit einer
Entrückung durch Praios selbst und tasteten die alten Bräuche der Wüstensöhne fortan
nicht mehr an.
Die übrige Zeit bis zum Erscheinen Rastullahs ist rasch abgehandelt: Die Küstenstädte
Khunchom und Thalusa wurden von immer mehr Auswanderern mittelländischer
Herkunft besiedelt, die Kultur der Tulamiden geriet mancherorts beinahe in Verges-
senheit. Der Magier Borbarad konnte während der Magierkriege kurzzeitig eine ca. 333 v.H.: Moha-Aufstand unter
bedeutende Anhängerschar um sich versammeln, wurde aber geschlagen, seine Manak gegen tulamidische und
"Residenz" in der Gorischen Wüste vernichtet. alanfanische Sklavenhändler
Während in Gareth der unbedeutende Kaiser Eslam IV. "herrschte", geschah in der
kleinen Oase Keft ein Ereignis von ungeheurer Tragweite: Am 23. Boron des Jahres
233 v.H. sank eine Wolke von der Form eines Zeltes zu Boden, und aus dem Zelt trat 233 v.H.: Rastullah offenbart sich den
eine Lichtgestalt von unfaßlicher Kraft und Schönheit, die zu den ehrfürchtig Beni Novad.
Lauschenden sprach; die Erscheinung offenbarte, daß die Beni Novad von ihrem Gott
Rastullah auserwählt worden waren.
Angespornt durch diese Göttererscheinung begannen die Beni Novad mit der Bekeh-
rung der übrigen Wüstensöhne mit Wort und Säbel. Nach einem Jahr waren die nahen
Oasen Schebah, Birscha und AI'Rifat in der Hand der Novadis, im Jahr darauf drangen
die Reitertruppen Kefts bis in die Randgebiete der Wüste vor, worauf der Hof in 230 v.H.: Kaiser Eslam erkennt die
Gareth - vorsichtig geworden - der Khom offiziell die Unabhängigkeit zugestand. Unabhängigkeit der Khom an. Die Wü-
Im folgenden Jahrzehnt kam es zu heftigen innernovadischen Streitigkeiten über die stenlegion in Unau kann weiteres
Art und Weise, wie die unterworfenen Wüstenstämme zu behandeln seien. Vorerst Vordringen der Novadis verhindern.
setzte sich jene Richtung durch, die auf harter Unterdrückung der Stammesfremden
bestand. Der neunköpfige "Rat der Worthüter", gebildet aus den ältesten Familien der
ursprünglichen Beni Novad, erklärte das Scheitern eines Angriffes auf das Liebliche
Feld mit der Unzuverlässigkeit der Hilfstruppen und schickte den politischen Gegner 226 v.H.: Der Angriff auf Neetha schei-
tert.
Malkillah ibn Hairadan, einen eifrigen Verfechter der Gleichheit aller
Rastullahgläubigen, quasi in die Verbannung als Grenzposten in die Oase Manesh.
Anstatt gemäß dem Willen seiner Gegner in der abgelegenen Siedlung in Vergessen-
heit zu geraten, scharte der charismatische Malkillah - vor seiner Bekehrung Rittmeister 222 v.H.: Das Kamelkorps der Wüstenle-
der Kaiserlichen Kavallerie - zahlreiche Krieger der Beni Novad und anderer Stämme gion stößt in einer blutigen `Vergeltungs-
um sich und begann einen Kriegszug szintoabwärts. Als die Stadt Selem in die Hände aktion' in die Khom vor.
der Novadis fiel, versuchte der junge Kaiser Bodar, der neuen Bedrohung mit einem
Schlag Herr zu werden: Er entsandte Reichstruppen aus der Festung Unau nach 219 v.H.: Malkillah erobert Selem.
Norden, um das geistige Zentrum des Feindes zu besetzen. Die Eroberung Kefts gelang
nach langen Gefechten, allein das Feld der Offenbarung konnte von den Novadis
unter hohen Blutopfern gehalten werden. Die neun "Worthüter" wurden öffentlich
hingerichtet.
Als Malkillah in Selem die Neuigkeiten erfuhr, setzte er seine Truppen sofort in
218 v.H.: Eroberung Unaus. Der Heer-
Richtung Unau in Bewegung. In Gewaltmärschen, die zum Teil dicht am Nordrand führer Malkillah wird Kalif.
der Echsensümpfe vorbeiführten, erreichte er die Stadt und vernichtete die Garnison,
die er von früher nur zu gut kannte. Die aus Keft eilig zurückkehrenden Kaiserlichen Die Kalifen der Novadis:
gerieten vor Unau in einen Zangenangriff der Novadis - die Zweite Schlacht am 218-207 Malkillah ibn Hairadan
Chichanebisee war ein noch größeres Desaster für die Mittelländer als die erste. 207-201 Omar al-Karim
Nach diesem Sieg war Malkillah der unbestrittene Herrscher aller Rastullahgläubi- 201-179 Mukkarib al-Kafur
gen. Er nahm den Titel Kalif an, Herrscher aller Wüstennomaden, und beendete die 179-174 Sahir-Ilram
inneren Streitigkeiten: In einer großartigen Zeremonie vor den Toren seiner neuen 174-173 Abu Marwan
Residenz Unau löste er sein altes Versprechen ein und nahm all jene Wüstenstämme,
173-161 Yerdawan al-Nadab
die ihn unterstützt hatten, in die Reihen der Novadis auf.
161-140 Khusrau ibn Schiram
Malkillahs Nachfolger bemühten sich nach Kräften, dem Herrschaftsgebiet Rastul-
140-100 Haschabnah `al-Schaddai'
lahs weitere Landstriche hinzuzufügen. Vor allem aber ging es ihnen um innere
Festigung des neuen, noch instabilen Staates mit seinen großen Unterschieden 100- 36 Malkillah II. al-Yanuf
zwischen unsteten Nomaden, seßhaften Reisbauern und listigen Handelsleuten. 36 -12 Chamallah al-Ghatar
Besonders die Kalifen Omar und Mukkarib haben sich um die ergänzende Gesetzge- 12 -16 Hal Abu Dhelrumun ibn
Chamallah
seit 17 Hal Malkillah III. (Mustafa ib
Khalid ibn Rusaimi)

23
198-193 v.H.: Unterwerfung der Ferkinas bung zu den 99 Göttlichen Gesetzen verdient gemacht.
am Erkin und im westlichen Khoram- Die zunehmende Schwäche des Kaiserreichs machte sich vor allem darin bemerkbar,
Gebirge daß es dem steten Vordringen der Novadis durch einfache Wanderung kaum jemals
effektiv etwas entgegensetzen konnte. Auf das Risiko eines neuerlichen großen
Eroberungskrieges verzichteten die Kalifen allerdings vorerst - statt dessen
verbrauchten sie ihre Kraft lieber in Kriegen gegeneinander: So gab sich etwa im
Jahre 174 v.H. der Kalif Sahir-Ilram selbst den Tod, nachdem die Truppen seines
aufständischen Bruders und Nachfolgers Abu Marwan schon seinen Unauer Palast
besetzt hatten. Doch der Thronräuber vermochte sich seines Sieges nicht lange zu
freuen: Im Jahr darauf wurde er bereits von seinem Vetter Yerdawan al-Nadab
gestürzt und ermordet - und auch dieser starb nicht auf friedliche Art und Weise.
134 v.H.: Eroberung Mherweds Diese Selbstzerfleischung der Novadis endete erst, nachdem im Jahre 100 v.H. der
greise Kalif Haschabnah von seinem Großwesir Rafim al-Maugir `abgelöst' worden
war. Der kluge Politiker hatte die wachsende Ungeduld unter den jungen Novadis
erkannt, denn mit der Eroberung der altehrwürdigen Stadt Mherwed hatte Haschabnah
Geister gerufen, deren er nicht mehr Herr wurde.
Rafim nahm den bedeutungsschweren Thronnamen Malkillah II. an und leitete den
Aufbau einer Schweren Reiterei ein, die die bisherigen berittenen Speerwerfer
ergänzen sollte. Als dann im Jahre 91 v.H. die Wirren der Erbfolgekriege das Neue
Reich erschütterten, befahl er den Angriff und eroberte nach mehreren Schlachten den
Süden der Provinz Almada bis zum Yaquir, die heute das Emirat Amahlassih bildet.
72-67 v.H.: Eroberung Süd-Almadas
Nach diesem Sieg verzichtete er allerdings weitsichtig auf weitere Verstrickung in die
Bürgerkriege, die kurzfristige Unterstützung eines Gegenkaisers in Punin blieb
65-54 v.H.: Interne Religionskriege um Episode. Ein neues Ziel fand der Kalif in den reichen Städten am Mhanadi, die er
das 16.Gesetz: Die Beni Avad und andere mehrfach mit Krieg überzog. Sein Herz verlor der stolze Novadi schließlich an eine
Stämme erheben sich gegen ihre tulamidische Adlige aus Mherwed, die er noch in hohem Alter ehelichte und zur
Nachbarn. Hauptfrau erhob.
Sein Sohn Chamallah eiferte dem Vater nach und wählte sich den Westen als Erobe-
rungsziel. Sein erster Vorstoß, der schlecht vorbereitete Angriff auf das Liebliche
Feld, scheiterte allerdings: Zwar konnte der junge Kalif seine Reiter aus der Khom bis
vor Methumis führen, dann jedoch, in der Schlacht von Olbris 34 v.H., scheiterte der
Angriff an den Vinsalter Pikenieren, die hier eine undurchdringliche Mauer von
Speerspitzen bildeten - und so verzichtete der Herr der Novadis auf weitere
selbstmörderische Angriffe und wandte sich nach Süden, vorbei an Neetha und Drol.
Tatsächlich gelang ihm Anfang 32 v.H. der Vorstoß bis Chorhop, auch konnte er die
Stadt einige Jahre in seiner Gewalt behalten und eine novadische Siedlung gründen -
32 v.H.: Eroberung Chorhops dann aber, im Jahre 27 v.H., einigte er sich mit der einheimischen Sippe der
Zeforikas, übertrug ihnen die Herrschaft über die Stadt bei nomineller Zugehörigkeit
zum Kalifat und zog sich eilig von seiner exponierten Stellung zurück. Und das
keinen Tag zu früh: In seiner ungeliebten Hauptstadt Unau konnte er gerade noch eine
26 v.H.: Die "Unauer Revolte" wird von Revolte zerschlagen, die sein Oheim und einige Höflinge angezettelt hatten. Ergrimmt
Chamallah niedergeschlagen. überließ er die Stadt seinem jüngeren Bruder Rusaimi und zog in seinen Geburtsort
Mherwed, den er 25 v.H. zur neuen Kapitale erhob.
25 v.H.: Mherwed wird zur neuen Haupt- Um der Familientradition zu folgen, versuchte auch sein einziger Sohn und Nachfol-
stadt erklärt. ger Abu Dhelrumun sein Glück mit Eroberungen - doch ohne Erfolg. Hart an die
Grenze zur Lächerlichkeit geriet der Kalif, als er die Eroberung Araniens anstrebte
und von seinem Verhandlungspartner Sultan Hasrabal von Gorien böse betrogen
wurde: Des Sultans Unterhändler raubten des Kalifen einziges Kind, die schöne
Nedime, und es bedurfte eines Ungläubigen, um die Schöne zu befreien.
2 Hal: Khunchom wird vom Reich und Traurig und makaber zugleich war auch das Ende des Glücklosen:
von Aranien unabhängig. Nach dem Debakel der aranischen Affäre wandte sich Abu Dhelrumun dem Meer zu
und versuchte, eine Seemacht aufzubauen. Teile dieses Planes waren die Nutzung
Selems als Kriegshafen und der Aufbau einer Flotte, deren Kern er in den
Piratenschiffen des El Harkir zu finden glaubte. Dabei übersah er jedoch die
Interessen Al'Anfas... So kam auch der Überfall durch die Truppen Tar Honaks im
Jahre 15 Hal für den Kalifen völlig überraschend: Selem fiel sofort in die Hände der
Al'Anfaner, in der Schlacht am Szinto wurde das Heer der Novadis zersprengt, das
15 Hal: Die Schlacht am Szinto fast menschenleere Unau war rasch eine Beute der Boronis.

24
Die Tulamiden

Zur Sprachgruppe der Tulamiden gehören viele Völker von kenner mittelreichischer Herkunft arge Schwierigkeiten
den Städten am Perlenmeer bis zu den Norbardendörfern des bekommen, wenn es um einen Einheimischen im Land der
hohen Nordens - heute kennt man aber unter der Sammelbe- Ersten Sonne geht. Und umgekehrt ? Für einen Tulamiden ist
zeichnung `Tulamiden' vor allem jene, deren Lebensweise auf der Name seines Volkes gleichbedeutend mit "Menschen" .Und
die Zeiten des Diamantenen Sultanats zurückgeht und die sich tatsächlich empfinden sich die Tulamiden auch als die wahren
als Erben dieses vergangenen Imperiums sehen. Menschen, im Gegensatz zu den `Güldenländern' mit ihrer
Die Mehrheit der Tulamiden lebt heute in den fruchtbaren barbarischen Unhöflichkeit, ihrer Kriegslust, aber der Unfä-
Flußtälern an Mhanadi und Mhalik, Gadang, Ongalo, Thalu- higkeit, die schönen Dinge des Lebens zu genießen, und was
sim, Szinto und Arrati. Überwiegend tulamidisch ist die der Vorurteile mehr sind.
Bevölkerung der Städte Fasar, Khunchom, Thalusa und
Rashdul, einen nennenswerten Anteil stellen sie außerdem in
Mherwed, Selem, Punin, Anchopal, Sylla und Altaia. Aussehen
Anders als bei den Novadis kann man bei den Tulamiden
Charakter kaum von einem einheitlichen Erscheinungsbild sprechen.
Zwar herrschen auch bei ihnen hochgewachsene Menschen
Die Mentalität der Tulamiden ist für viele Auswärtige rätsel- mit hellbrauner Haut, schwarzem Haar, glutvollen Augen und
haft und seltsam zwiespältig. scharfen Gesichtszügen vor, aber im Aussehen vieler
So sind die meisten Tulamiden von auffallender Freundlich- Tulamiden machen sich auch die Jahrtausende der Haltung
keit und Sanftmut und dafür bekannt, daß sie kaum zu von Mohasklaven bemerkbar: Gerade unter den vornehmeren
Eiferertum und Rechthaberei neigen. Wie schreibt doch der Familien gibt es eigentlich keine, die nicht etwas Wald-
`Lehrer der Fürsten' Dilhaban al-Turgu in seiner "Belehrung menschenblut in den Adern hat. Zu Nachteilen in Ruf und
des Prinzen": Ansehen führt das allerdings nicht, solange die väterliche
"Vergeude keine Zeit damit, den anderen bekehren zu wollen. Abkunft von den alten Sippen der Urtulamiden ununterbro-
Hat er recht, so kannst du von ihm lernen, hat er unrecht, chen besteht. Äußerliche Kennzeichen einer Abkunft von
kannst du seine Schwächen besser erkennen und nutzen." Waldmenschen sind der etwas kleinere Wuchs, hohe Wan-
Diese Haltung prägte auch die tulamidischen Potentaten: genknochen und rundere Gesichtszüge und vor allem die
Kaum einem Fürsten wäre es eingefallen, einen bestimmten dunklere, kupferne Tönung der Haut.
Glauben mit Zwang durchzusetzen. - von den Untertanen Im Einflußgebiet der mittelländischen Eroberer dagegen sind
wird nur eines verlangt: Gehorsam gegenüber den weltlichen hellhäutigere Mischlinge häufig, selbst blonde und rothaarige,
Anordnungen. blau- oder grünäugige Tulamiden kann man hier finden.
Andererseits streben Tulamiden stark nach dem eigenen
Vorteil, wenn es um Geschäfte geht. Denn hier wissen sie
genau, was sie wollen, und der Fremde sollte sich nicht von
ihrer Freundlichkeit täuschen lassen. Wer nicht gut zuhört,
scharf beobachtet und rasch denkt, ist schnell übervorteilt. Turban und Kaftan
Die tulamidische Geschicklichkeit im Umgang mit Wörtern Die Kleidung der Tulamiden
und Zahlen ist so groß wie ihre Fingerfertigkeit. Eine tulamidische Kleidung in dem strengen Sinne, wie man
Wie um diese Züge auszugleichen, können Tulamiden ge- von novadischer oder thorwalscher Tracht sprechen kann, gibt
nauso von überraschender Freigiebigkeit sein. Selbst die es nicht; zu sehr und zu lange schon ist die tulamidische
weniger wohlhabenden Landleute neigen dazu, rauschende Kultur fremden Einflüssen ausgesetzt, als daß sich eine
Feste zu veranstalten, zu denen sie das ganze Dorf und alle weitgehend einheitliche Mode hätte erhalten können. Östlich
Durchreisenden einladen und noch dazu beschenken. Auch des Mhanadi und der Unau-Berge liebt man die Pumphosen
ihre Neigung, großzügig Almosen an die Bedürftigen zu der Novadis genauso wie nach mittelländischem Vorbild
verteilen, entspringt diesem Wunsch, andere am eigenen knapp geschnittene Beinkleider. Kurze Westen, wallende
Glück teilhaben zu lassen. Kaftane, ausladende Spitzenkragen, knappe Tuniken,
Kurzum, in der Brust des Tulamiden scheinen zwei Seelen zu Turbane, Kopftücher und flache Strohhüte - all dies wird man
wohnen: Die eine ist friedfertig, lebensfroh und freigiebig, auf den Straßen Fasars, Rashduls oder Khunchoms finden.
die andere dagegen gewinnstrebend, gerissen, zynisch und Gemeinsam ist den Tulamiden allerdings die Vorliebe für
wie von einer dunklen Flamme befeuert. Die bekannte Toll- zarte, farbenfrohe Gewebe, die sie gern mit schwerem Damast
kühnheit vieler tulamidischer Diebe und Kämpfer trägt die kombinieren - kostbare Seidenstoffe, mit Metallfäden
Züge eines bewußten "Anbändelns mit Marbo", wie manche durchwirkt, ähnlich dem Brokat des Lieblichen Feldes. Bei
es nennen. den reichsten Gewändern finden sich auch Accessoires wie
So ist es denn kein Wunder, daß selbst gewiefte Menschen- ara-

25
nische und mhanadistanische Straußenfedern und selbst
Edelsteine. Einfachere Kleidung wird relativ häufig aus
Kamelhaartuch geschneidert; das sogenannte Tulamidentuch
aus Flachs stammt aus Aranien. Leder wird meist als
barbarisch abgelehnt; nur die halbwilden Mhanadistanis
kleiden sich in Rindsleder.
Einzig in Thalusa hat sich die ursprüngliche tulamidische
Tracht relativ rein erhalten. Sie ist gekennzeichnet durch
knappe Kniehosen aus Seide, über denen bisweilen kompli-
ziert gewickelte und geschlitzte, vielfarbige Röcke getragen
werden. Der Oberkörper ist entweder unbedeckt oder mit
einem gewickelten Wams verhüllt, wobei es recht unter-
schiedliche Wickeltechniken gibt. Adelige jedoch tragen stets
lange Jacken mit brokatenem Schulterschmuck und
gefältetem Stehkragen. Die Schärpe mit Spangenschließe ist
ebenso charakteristisch für die Thaluser Tracht wie die
seltsam geformten Strohhüte der Männer mit vorn und hinten
hochgebogener Krempe und die am Hinterkopf befestigten
weißen Kopftücher der Frauen.
Die Schminkkunst der Tulamiden ist weitberühmt. Nicht nur
die Frauen, sondern auch viele Männer betonen durch rußge-
schwärzte Lider das Helle der Augen, verfeinern mit Umbra
aus den Khunchomer Bergen die Konturen des Gesichtes und
röten mit Rosenstaub die Wangen und Lippen.

Die Gesellschaft der Tulamiden


Auffälligstes Merkmal der tulamidischen Gesellschaftsord-
nung ist, daß sozialer Status mit Macht und Reichtum iden-
tisch ist. Eine Situation wie im Bornland, wo Hunderte von
armen Schluckern Adelsprivilegien genießen, während die
reichen Festumer als einfache Bürger gelten, ist für die Kefter und Thaluser Tracht
Tulamiden unvorstellbar. Genau besehen gibt es gar keinen
tulamidischen Adel: Fürst oder Sultan könnte man eher als Mhanadi und Szinto verfügen dabei oft über sorgsam ausge-
Beruf bezeichnen. Der tulamidische Potentat herrscht kraft klügelte Bewässerungssysteme, deren einfache, aber wirksa-
seines Vermögens und Ansehens, nicht weil er einer me Vorrichtungen wie Schleusen und Pumpen sich seit
erlesenen Schicht angehört. Jahrtausenden bewähren. Der hier erzeugte Reis dient als
Daher sind die Mächtigen im Land der Ersten Sonne fast Nahrungsgrundlage für fast alle Tulamiden.
durchweg im Handel tätig, in dem sie ihren Reichtum meh-
ren, zuweilen aber auch schlagartig verlieren. Märchen wie Auf den saftigen Wiesen weiter abseits der Ströme weiden
Geschichte der Tulamiden liefern hunderte Beispiele von mancherlei Tiere, vor allem aber Rinder. Besonders beliebt
Armen und Gestrandeten, die durch die Fügung des Schick- sind die hellen Gadangstiere und die Rashduler Drehhörner.
sals oder das Wohlwollen eines Mächtigen zu höchsten Beide Rassen werden als kräftige Tiere für allerlei Arbeiten
Ämtern aufsteigen. Ebenso kann ein Höfling aber - etwa genutzt wie etwa das Drehen der großen Pumpenräder und
beim Tod des Sultans - alle Ehren verlieren. Getreidemühlen oder das Ziehen von Pflügen.
Wo keine Adelsprivilegien die Ordnung stützen, kann selbst Zu seinen Rindern hat der Tulamide eine besondere Einstel-
ein erfolgreicher Räuber zum angesehenen Mann werden, lung: Er schmückt sie sogar bei der Arbeit oft mit bunten
sein ehemals reiches Opfer aber zum Ausgestoßenen. So tobt Bändern und gibt ihnen Kosenamen. Viele Märchen berich-
denn in den tulamidischen Stammlanden, besonders in Tha- ten von der Kraft der großen Tiere, die mit ihren mächtigen
lusien, der ewige Kampf der Besitzenden gegen die Besitz- Hörnern sich und ihre Herren vor allerlei wilden Tieren
losen ungewöhnlich offen, große Räuberbanden überfallen verteidigen. In ländlichen Gegenden sieht man noch von Zeit
Gutshöfe und Paläste, die wie Festungen verteidigt werden. zu Zeit, daß sich ein Bauer von seinem Ochsen auf das Feld
tragen läßt oder gar auf ihm ins nächste Dorf reitet...
Das Pferd hat bei den Tulamiden nicht ganz die Bedeutung
Rinderherden und Reisfelder erlangt, die es bei ihren Verwandten in der Khom und in
Aranien hat, denn weder in den Flußtälern noch in den hohen
Die meisten Tulamiden leben heutzutage von der Landwirt- Bergen läßt sich diese Tierart so gut einsetzen wie in den
schaft. Von den verschiedenen Zweigen des Bauernlebens weiten Ebenen der Wüsten und Steppen im Norden und
sind dabei drei besonders wichtig. An erster Stelle steht Westen. So ist auch bezeichnend, daß die `Tulamiden'
eindeutig der Reisanbau in den Uferzonen der Flüsse oder auf genannte Unterrasse der Shadif in Wirklichkeit vom Nord-
künstlich überschwemmten Feldern. Die Tulamiden an rand der Khom stammt und von Novadis gezüchtet wird.

26
Man kann die Bemerkung eines Wüstensohnes verstehen, die Grundriß, der für alle größeren Gebäude, ob Palast, Kara-
Tulamiden nutzten Pferde fast nur zum Wetten auf wanserei, Gutshof oder Stadthaus, annähernd quadratisch ist.
Rennergebnisse. Die Häuser sind um einen großen Innenhof erbaut, in dem sich
Bei den ärmeren Tulamiden, die sich keine Rinder - den Stolz oft ein Brunnen befindet und wo schattige Obstbäume zum
jedes Bauern - leisten können, sieht man vor allem Esel, wie Verweilen einladen. Zuweilen findet man auch Dachgärten
sie um Mherwed und am Ongalo gezüchtet werden. Neben auf den flachen Dächern der Gebäude. Vor allem bei den
dem hier seltenen Kamel sind sie die wichtigsten Tragtiere befestigten Höfen Thalusiens zeigt sich auch der Vorteil
im Südwesten Aventuriens und für ihre Genügsamkeit dieser Bauweise, wenn es gilt, das Anwesen gegen Räuber
ebenso berühmt wie für ihren Starrsinn. und aufständische Sklaven zu verteidigen.
Gleichfalls bekannt sind die tulamidischen Maultiere, deren Die kleinen Häuser der Bauern und Städter sind einfache,
Eltern meist Mherwatihengste und Warunker Stuten sind. weiße Quaderbauten mit einem Flachdach. Schmale Fen-
Viele Züchter haben übrigens große Scheu davor, eine edle steröffnungen sorgen für Licht, Matten aus Palmbast halten
Shadifstute von einem gemeinen Esel bespringen zu lassen, Hitze und Ungeziefer draußen. Vor allem in Städten führt der
fürchten sie doch, daß künftig all ihre Fohlen - auch solche Platzmangel zu einer labyrinthischen, teils sogar übereinan-
von Shadifhengsten - eselähnliche Eigenschaften aufweisen der geschachtelten Bauweise, die Gassen sind endlos
werden. verwinkelt, Zugangswege verlaufen über Dächer und
Neben Rindern und Pferden halten die Tulamiden natürlich Balustraden anderer Häuser.
auch Schafe, Ziegen und vor allem Schweine. Letztere Als Baumaterial dienen vor allem weiße Ziegel aus dem
gehören fast ausschließlich zur Rasse der Selemferkel und Lehm der großen Flüsse, im Fall der Fasarer Lehmtürme der
sind als fast verwildert zu bezeichnen. Die Bauern halten sie gelbe Gadanglehm, doch sieht man auch Gebäude aus dem
ohne großen Eifer und lassen sie einfach so lange im Schlamm hellen Sandstein der Unauer Berge und des Khoram-Gebir-
der Flußufer herumwühlen und Futter suchen, bis es an der ges. Sehr selten wird aranisches Zypressenholz für kunstvolle
Zeit ist, hinauszugehen und einmal wieder eines der Schwei- Einbauten verwendet.
ne zu schlachten. Die wahre Baukunst der Tulamiden entfaltet sich aber erst bei
den Palästen. Viele werden denn auch, um voll zur Wirkung
zu kommen, vor der Stadt gebaut (wo sie in Kriegszeiten
Die dritte Nahrungsquelle neben Reisbau und Viehzucht
häufig als erste gestürmt und zerstört werden), sogar ganze
stellen die Obstgärten dar, die die Tulamiden an trockeneren
Palaststädte wie AI'Ahabad oder Mherwed entstanden aus
und sonnigen Stellen anlegen. Hier findet man Datteln und
dieser Prunklust. Denn nur inmitten seiner eigenen Gar-
Feigen, große, grüne Wassermelonen und kleine, gelbe
Zuckermelonen, Trauben, Aprikosen und Pfirsiche von
vielgerühmter Süße und Saftigkeit, aber auch Bohnen und
Gurken. An den Hängen der Berge gibt es schließlich noch
Weingärten und Teeplantagen, deren Erträge den Durst der
Tulamiden stillen.

Paläste und Karawansereien


Die Architektur der Tulamiden
"Oh Wunder, eyne Stadt hie zu schauhen. Welch Pracht und
Zier! Gewaltich Cuppeln erheben sich von schierem Guelde,
gen Himmel strebend Tuerm von edlichem Metall besatzt.
Mauwern und Waendt von strahlent Weisz, dasz es eyne
Froid ist. Verspielt Tuermschen, Erker und Zierath allent-
halben! Luftich Ballustraden und Arcaden, da zu wandeln in
mittaglich Hitzen. Und haben gar Glas im Uibermasz, dasz
sie machen alle Fenster davon und nit nur im Tempel!"
(Aus: "SAND, SALTZ UND SONNE - Die toedliche Khom",
Bastan Munter, ca. 360 v.H.)

Die Architektur im Land der Ersten Sonne ist meist mehr


vom Streben nach Schönheit als von Nützlichkeit bestimmt:
So gelingt es den meisten Baumeistern, auch die eher funk-
tionalen Teile eines Gebäudes noch ansehnlich zu gestalten,
als seien sie nur der Zierde wegen vorhanden. Ein gutes
Beispiel sind etwa die kleinen Türmchen und Erker, die mit
ihren bunten Kuppeln und Verzierungen das Bild einer
Tulamidenstadt prägen: Wer käme schon auf die Idee, daß
sie eigentlich Kamine zum Auffangen kühler Luftströmun-
gen sind?
Das Bedürfnis nach Schatten und Schutz prägt schon den

27
tenanlagen kommt ein Palast voll zur Geltung. Die Oberstadt, Natürlich sind diese Kanäle nicht die einzigen geheimen
das hochgelegene Zentrum alter tulamidischer Städte, wird Einbauten. Holzböden und -täfelungen - beliebte Einbauorte
denn auch oft nur von zwei oder drei Palastanlagen gebildet. von Geheimfächern - wird man jedoch keine finden; die
Die zwei wesentlichen Bauelemente, die prunkvolle Kuppel gorischen und selemitischen Termiten sind unersättlich!
und der schlanke Zierturm haben unter den Almadaner
Kaisern auch im Mittelreich als Eslamidischer Stil
Verbreitung gefunden. H e i r a t und H a r e m
Ursprünglich entstanden die selbsttragenden Kuppeldächer
vielleicht nur, um teures Bauholz zu sparen, nun aber haben
Für zwei Sitten ist das Land der Ersten Sonne weithin
die tulamidischen Baumeister ihren Ehrgeiz darin gesetzt,
bekannt: die Vielehe und den Brautkauf. Über beide wird
möglichst große Kuppelkonstruktionen zu entwerfen. Den
viel romantischer Unsinn erzählt, doch wie so oft verbirgt
berühmten Praios-Tempel zu Beilunk mit seiner gewaltigen,
sich hinter den Vorurteilen eine sinnvolle Einrichtung, die
freitragenden Kuppel etwa entwarf der Khunchomer Mathe-
aber keineswegs nur Vorteile hat.
matiker Zulhamid al Adawadt, als Khunchom noch mittel-
Die Hochzeit eines Tulamiden ist immer ein farbenprächti-
reichisch war. Auch im Land der Ersten Sonne werden die
ges Ereignis: Sein ganzes Haus wird mit bunten Wimpeln
Turmkuppeln sehr selten mit Gold und Silber überzogen,
und Blumen geschmückt, eine üppige Tafel gerichtet, Mu-
meist handelt es sich "nur" um halbedle Metalle wie Messing
sikanten werden angeworben. Die eigentliche Eheschließung
oder Kupfer.
wird meist in Anwesenheit eines Geweihten vollzogen, der die
Die schlanken Zwiebeltürme mit ihren feinen Verzierungen,
Göttin - an der Küste meist Tsa, im Landesinneren eher
darauf die typischen Standfahnen, prägen das Bild der Palä-
Rahja - in freier Rede um Segen und Fruchtbarkeit für das
ste ebenso wie die Kuppeln. Fast immer sind sie reiner
Paar bittet und die beiden mit geweihter Stutenmilch
Schmuck, häufig - ob hohl oder massiv - gar nicht zugäng-
besprenkelt.
lich. Die höchsten der heute noch stehenden Ziertürme ragen
Unter dem Einfluß der Novadis hat sich übrigens in letzter
über 30 Schritt auf, in den Märchen werden noch höhere
Zeit eine Variante dieser Zeremonie entwickelt. Nun
beschrieben.
vollzieht der Mawdli des Ortes die Trauung, bei der die
Als Baumaterial dient häufig der weiße Marmor aus den
beiden Brautleute eine Art Blutsverbindung eingehen. Der
Eternen; der grüne und graue Marmor aus dem Raschtulswall
Mawdli ritzt ihnen mit seinen Waqqif die Fingerkuppen an
wird eigentlich nur für Inneneinrichtungen verwendet. Tula-
und preßt sie gegeneinander. Für die Novadis ist dies oft die
midische Paläste müssen weiß sein! Daher wird selten auch
einzig gültige Form der Eheschließung, während sie
Alabaster benützt, der einerseits als Inbegriff der Reinheit,
Trauungen durch Tsa-Geweihte nicht anerkennen.
andererseits aber wegen seines maraskanischen Ursprunges
Auch die Tulamiden kennen übrigens die Sitte, bereits kleine
als unheilbringend gilt. Zum Weiß mischt sich stets das
Kinder einander zu versprechen - manchmal sogar die nicht
glänzende Messing aus Khoram und Eternen, das tulamidi-
einmal geborenen: So hat etwa Großfürst Selo von Khun-
sche Schmuckmetall schlechthin. Weiterhin werden die
chom von Kalif Malkillah die Zusage erhalten, daß der
Bauten mit Fenstern aus echtem Glas und mit Figurinen und
kleine Prinz Stipen einmal eine noch zu zeugende Tochter
Arabesken aus Altimont-Jade und sogar Porzellan verziert.
des Kalifen zur Frau bekommen wird.
Die Mauern der schönsten Paläste sind mit eingelegten Hal-
Wo sich die alten Sitten noch erhalten haben, besonders in
bedelsteinen geschmückt. All diese Herrlichkeit wird einge-
Thalusien, ist es Brauch unter dem Adel, daß sich die
rahmt vom Grün der blühenden Gärten, deren Anlage wie
Versprochenen bis zur Vermählung nicht sehen dürfen. Sie
Bewässerung als eigene Kunstwerke gelten können.
werden sorgfältig voneinander ferngehalten und sogar wäh-
Nun fragt man sich natürlich: Kann es mit rechten Dingen
rend der Trauung mit schwarzen Gewändern verhüllt. Erst
zugehen, wenn in jeder Stadt ein halbes Dutzend solcher
danach können die beiden Vermählten ihre bodenlangen
Wunderpaläste steht ? Nein, natürlich nicht. Denn was dem
Schleier ablegen und sich zum ersten Mal in ihrem Leben
Mittelländer sein Zwergenbaumeister, das ist dem Tulamiden
sehen - für einige ein Moment der Freude, für andere des
sein Djinn. Mag es auch nur alle hundert Jahre geschehen,
Entsetzens. In letzter Zeit scheint dieser Brauch - dem das
daß ein wirklich mächtiger Djinn einen Palast über Nacht aus
einfache Volk in den kleinen Dörfern ohnehin kaum folgen
dem Boden stampft, manche der riesenhaften Kuppeln und
konnte - jedoch im Abnehmen begriffen zu sein: Der kühne
hohen Türme können jedenfalls nur mit Hilfe dienstbarer
Streich des Selo von Khunchom ist in aller Munde, und man
Djinnis entstanden sein.
lacht viel darüber, wie er sich schon vor der Hochzeit ins
Selbst einfache Bauern glauben, daß beim Hausbau Magie im
Schlafgemach seiner Braut schlich.
Spiel sein muß. Nach der Überlieferung muß in den
Fundamenten ein lebendes Wesen eingemauert oder vergra-
ben werden; meist ist es ein Selemferkel, aber zuweilen Ein tulamidischer Mann darf so viele Frauen haben, wie er zu
sollen auch noch Kinder diesem grausigen Aberglauben ernähren vermag, eine besondere Rolle spielt aber auf jeden
geopfert werden! Fall die Hauptfrau: Eine seiner Frauen muß er zur Ersten
Erwähnt werden müssen auch noch die Feggagir (Einzahl: Gemahlin ernennen. Schon ihr Name deutet ihre wichtige
Foggara), die teils natürlichen, teils künstlichen Bewässe- Stellung an. Zu Zeiten des Diamantenen Sultanats lautete er
rungs- und Kanalisationsanlagen tulamidischer Städte, die Scheika (von `Scheik'), heute sagt man an den meisten Orten
sich da und dort meilenweit erstrecken. Da sie oft die einzige Shanja, wenn man die Frau bezeichnen will, die die Leitung
Zugangsmöglichkeit zu den gut bewachten Oberstädten der eines tulamidischen Haushaltes innehat und allen Dienern,
Reichen sind, bilden sie einen beliebten Zugang für Diebe, Sklaven und Nebenfrauen vorsteht.
Verschwörer und zuweilen auch Eroberer. Die Geschichte verzeichnet nicht wenige Beispiele, wo eine
Erste Gemahlin derartige Macht erlangte, daß sie in der

28
Praxis die Führung einer Provinz oder gar eines Reiches häufig als Gemahlinnen reicher Herren zu finden. Die Kinder
innehatte: Die Scheikas von Oron, die bis zu Fürstinnen und einer Moha schlechter zu behandeln als die einer Tulamidin,
Königinnen von Aranien aufstiegen, zeugen davon ebenso käme übrigens keinem in den Sinn. Solange der Vater ein
wie die Shanja des letzten Fürsten von Rashdul, die heute Tulamide war, gelten auch seine Kinder als solche und sind
nach seinem Tod die Regierungsgeschäfte führt. In den freie Menschen.
wenigen Fällen politischer Heiraten enthält der
Brautkaufvertrag denn auch die Vereinbarung, daß die Braut Bemerkenswert ist auch die Erbteilung der Tulamiden. Sie
als Erste Gemahlin angenommen wird. erfolgt nicht beim Tod des Vaters, sondern wenn der Erbe ein
Davon abgesehen unterscheidet sich die Situation eines tula- gewisses Alter erreicht. Es zählt zum Stolz eines jeden
midischen Potentaten mit seiner Hauptfrau und etlichen reichen Tulamiden, seinem Sohn sein Erbteil bereits bei der
Konkubinen keineswegs so sehr von der einer mittelländi- Geburt geben zu können - üblicherweise bekommt der `Prinz'
schen Adeligen, die sich neben ihrem Gatten einige geheime ihn an seinem sechzehnten Geburtstag zur freien Verfügung
oder halb-offizielle Geliebte hält. ausgehändigt.
Unter einer gerechten Erbteilung versteht der Tulamide, daß
jeder Erbe die Hälfte des väterlichen Besitzes bekommt. Der
Kinder und Erbrecht Älteste erhält zur Volljährigkeit die Hälfte, der Zweitgebo-
rene einige Jahre darauf die Hälfte dessen, was dem Vater
Durch die tulamidische Sitte der Vielehe macht man allge- verblieben ist (also ein Viertel des ursprünglichen Besitzes),
mein keinen Unterschied zwischen Voll- und Halbbrüdern. auch der Drittgeborene erhält wieder die Hälfte (also ein
Wichtig ist allein die Vaterschaft: Alle Kinder eines Mannes Achtel) und so fort.
sind Geschwister, ganz gleich, welche Mutter sie geboren hat. Was beim Tod des Vaters überbleibt, wird üblicherweise
So erklärt sich auch, weshalb reiche Tulamiden ihre Harems unter den minderjährigen Söhnen verteilt - die im übrigen
so streng von Eunuchen bewachen lassen... Das Tulamidya sehen können, wo sie bleiben!
kennt als verwandtschaftliche Begriffe nur Vater, Bruder Die tulamidischen Prinzen, deren Erbteil "zu wenig zum
(was auch Vettern aller Grade einschließt) oder Oheim (einen Leben, aber zu viel zum Sterben" ist, oder die in jugendli-
`Bruder' des Vaters). chem Übermut ihren Besitz in kürzester Zeit mit rauschenden
Diese Vaterschaftsregelung führt auch dazu, daß viele Festen und luxuriösem Leben durchgebracht haben, sind
vornehme Familien reichlich Waldmenschenblut in sich dadurch so häufig, daß es zahlreiche Märchen über ihr
haben, denn die schlanken und gewandten Mohafrauen sind Schicksal gibt: Von den falschen Freunden verlassen, mit der
recht

29
Erziehung eines Edelmannes, aber völlig leeren Taschen, eine Schmiedewerkstatt, da solches Muster einfach durch
muß sich der Prinz aufmachen, sein Glück im Abenteurerle- Ätzung mit scharfer Säure nachgeahmet wird, was die Halt-
ben zu suchen. barkeit der Waffe mindert, ihren Handelswert aber erheblich
Aber auch für den Vater ist das Erbe jedes Sohnes eine echte steigert..."
Existenzbedrohung: Kein Wunder, daß er sich die Verheira- (Aus: "Die edle Kunst des Fechtens", ca. 200 v.H.)
tung seiner Töchter gut bezahlen läßt, und davon abgesehen
bis an sein Lebensende versucht, seinen Reichtum durch Säbel
geschickten Handel wieder zu nähren.
Die typischste tulamidische Waffe ist der breite, zweischnei-
dige Krummsäbel, Khunchomer genannt. An der ganzen
tulamidischen Ostküste und in Aranien kann man
Krummschwert und Ringelpanzer Säbelschmiede finden, die das Eisen aus den alten
Khunchomer Bergwerken verarbeiten. In Gareth kosten
Die Waffen der Tulamiden Originale schon deutlich mehr, und an der Westküste muß
In einer gefährlichen Welt wie Aventurien zeigt sich natür- man das Doppelte bis Dreifache bezahlen. Man hüte sich vor
lich besonders bei der Bewaffnung, daß die Tulamiden eine Imitationen, in der Form an den tulamidischen Krummsäbel
eigenständige, Jahrtausende alte Kultur sind, den güldenlän- angelehnt, aber in der Struktur und Fältelung ein einfaches
dischen Einwanderern in fast jeder Hinsicht ebenbürtig. Brotmesser - was sich empfindlich auf Bruchfestigkeit und
Die Tulamiden sind allgemein für ihre gekrümmten, extrem Schärfe auswirkt. Der bekannteste Khunchomer ist
scharfen Klingen berühmt, die nur von den besten mittellän- sicherlich `Esravun', das Richtschwert des Mautabans.
dischen Langschwertern übertroffen werden. Die tulamidi- Der zweihändige Krummsäbel - der Doppelkhunchomer -
schen Waffenschmiede können auf eine uralte Tradition ist die typische Waffe von Leibgarden, Elitetruppen und
zurückblicken (angeblich lernten sie es zu einer Zeit von den Henkern, bei denen die Waffe auch beeindruckend wirken
Zwergen, als sie sich noch im Raschtulswall vor den soll oder sogar eine rituelle Bedeutung hat, z.B. beim `Tau-
Echsenkriegern verbargen), wenn auch der echte Höhepunkt sendjährigen Zweihänder' von Thalusa.
erst durch die Besiedelung Maraskans mit seinen Diese Waffe sollte man selbstverständlich bei einem guten
hochwertigen Erzen und dem dabei unvermeidlichen (und teuren) Schmied erwerben, aber die typischen Träger
Austausch mit mittelländischem Wissen entstanden ist. eines Doppelkhunchomers zahlen gerne vor Ort das
Ihre großen Erfolge für das Reich hatten die Mannen der Eineinhalbfache, um eine wirklich schöne Waffe zu haben.
Diamantenen Sultane nicht zuletzt ihren Säbeln zu Besondere Verzierungen, Blattbeläge aus Edelmetall,
verdanken, denen damals niemand etwas Gleichwertiges Gravuren und eingesetzte Edelsteine - bei diesen wie bei
entgegen setzen konnte. In den Tagen des Sultanats allen schweren Waffen besonders häufig - können den Wert
wurde in Khunchom die Technik des Mehr- leicht vervielfachen. An der Westküste ist der zweihändige
fachschmiedens gepflegt, bei der man Stahl- Säbel nur als Rarität zu bewundern.
bänder verschiedener Härte und Festigkeit Der Krummdolch schließlich, ob leicht oder schwer, ist
so oft aufeinanderschmiedet, faltet, dreht sicherlich die bekannteste Waffe dieses Kulturraumes. Er
und neu verschmiedet, bis der Stahl ein unterscheidet sich in Handhabung und Effekt wenig von mit-
wahres Flammenmuster unterschiedlicher telländischen Dolchen, aber allein der exotischen Form
Metalltöne zeigt. Bei diesen Klingen wird wegen gilt er als besonders rondrianisch.
dann noch vor dem letzten Härten alles Von diesen drei Klingen abgesehen, gibt es Dutzende älterer
außer den Schneiden mit Lehm abgedeckt, Formen von gekrümmten Säbeln, Schwertern, Entermessern
so daß beim abschließenden Erhitzen und und Dolchen, auch viele Mischformen, die während des fast
Abschrecken (meist in Stierblut) die Schnei- zwei Jahrtausende währenden Kontaktes mit den Mittellän-
den überaus hart und scharf werden, wäh- dern entstanden sind. Berühmte Beispiele sind etwa die
rend der Körper der Klinge biegsam und schlanken Amazonensäbel und die tulamidischen Krumm-
geschmeidig bleibt. Die Ursache für diese schwerter. Letztere sind wegen des Fehlens echter Stichwaf-
komplizierte Prozedur - die echte Khun- fen entstanden; der tulamidische Säbel hat zwar eine Spitze,
chomer Klingen so teuer macht - liegt bei zeigt aber beim Stoß nur geringe Wirkung.
den unbefriedigenden Schmiedeeigenschaf- Der Gipfel maraskanischer Schwertschmiedekunst und eine
ten, die das Eisen aus den Khunchomer eigenständige Weiterentwicklung ist das Tuzakmesser, ein
Bergen zeigt. einschneidiges, leicht gebogenes Zweihandschwert mit
"So war die Aufnahme des Handels mit einer tödlichen Idealkombination aus Gewicht und Schärfe.
Maraskanien fürwahr ein zweischneidiches Diese Waffe wird fast nur in Einzelstücken hergestellt und ist
Schwert: Der Maraskanstahl ist von so schon auf dem tulamidischen Festland eine Besonderheit.
hoher Güte, dasz es der altehrwürdigen Veteranen aus dem Maraskankrieg tragen am Knauf des
Schmiedekünste nicht mehr bedarf um Tuzakmessers gerne ein kleines Glöckchen, das während des
scharfe und doch biegsame Schwertklingen Kampfes fröhlich klingelt; dennoch kommt selten Heiterkeit
zu fertigen - und so droht das Wissen der auf, wenn diese Waffe von einem echten Schwertmeister
Jahrtausende in Vergessenheit zu geraten. geführt wird.
Nicht vergessen wurde hingegen die
eigentümliche Flammenzeichnung der Andere Waffen
echten alten Khunchomer - und so findt Neben dem gekrümmten Säbel, wie gesagt einer reinen
man in ganz Aventuria immerwiedermanch Hiebwaffe, bevorzugt der Tulamide nur noch zwei Stichwaf-

30
fen: Einerseits den nadelspitzen Meucheldolch, teils gerad- das Fehlen unterschiedlicher gesellschaftlicher Ränge aus.
klingig, teils gekrümmt, fast immer mit einer Längsvertie- Die Übergänge von der schlichten Waffe über leichte Ver-
fung oder Kanüle, um die Waffe vergiften zu können. Diese zierungen bis zur überladenen Prunkausführung sind fließend.
Waffe - fast möchte man sie als politisches Instrument In alle Waffen und Rüstungen sind jedoch die Siegel des
bezeichnen - ist in den Händen von Abduls Assassinen, den Besitzers eingeprägt: bis zu handtellergroße Rosetten und
Maraskanischen Meuchlern und in Mengbilla berüchtigt andere Gravuren oder Ziselierungen.
geworden. "Ein wohlhabender tulamidischer Recke sieht denn ungefähr
Als zweites ist die kurze, schlanke Stoßlanze, Dschadra, zu wie folgt aus: Auf dem Kopf trägt er einen spitzzulaufenden
nennen, in Verbindung mit einem guten Pferd eine tödliche Helm, oft von einer Feder oder einem Roßschweif gekrönt,
Waffe. Die Lanze ist meist nur mannshoch, so daß sie auch mit Nasenschutz, Ohrenklappen und einem eisernen Netz als
im dichtesten Getümmel und zu Fuß geführt oder notfalls Nackenschutz. Der Körper ist geschützt mit einem
sogar geworfen werden kann. Im Vergleich zur mittelländi- Kettenhemd, bei dem kleine ziselierte Platten wichtige Stellen
schen Reiterlanze hat sie weniger Durchschlagskraft, ist aber wie Brustkorb, Ellenbogen, Knie und Schienbein besonders
leichter zu handhaben. schützen.
Bei Elitetruppen können diese Lanzen bis zu dreieinhalb Die Rüstung ist reich verziert mit Sonnen, Gesichtern, Blüten
Schritt lang sein. Der Einsatz dieser Waffe braucht lebens- und Ranken. Der Preis einer solchen Rüstung liegt etwa bei
lange Übung und wird meist auch mit ritterlichem Ehrenko- 200 Dukaten oder 100 Maravedis.
dex verbunden. Die berühmten `Tulamidischen Reiter', in Solche Preise zeigen schon, was eigentlich für alle seßhaften
kaiserlichem Sold in Punin stationiert, weigerten sich be- Tulamiden gilt: Der Krieg ist hier eine Freizeitbeschäftigung
kanntlich im Unabhängigkeitskrieg des Lieblichen Feldes, der Reichen und Adligen, die sich kostbare Rüstungen und
die Lanzen gegen die schlecht bewaffneten, aufständischen Waffen leisten können - der normale Bauer und Bürger
Bauern einzusetzen; bei der einzigen Reiterschlacht zu Beginn dagegen ist weit weniger wehrhaft oder kämpferisch als ein
des Krieges jedoch forderten sie unter dem altreichischen Mittelreicher."
Adel einen hohen Blutzoll. (Aus dem geheimen Armorium Ardariticum, Ordensburg
Arivor, 883 n.BF.)
Rüstungen
Beim Leibesschutz tendieren die Tulamiden eindeutig zu
schweren, metallenen Rüstungen; sie sind noch mehr als im
Mittelreich Statussymbol des Wohlhabenden, der es sich
leisten kann zu kämpfen. Neben dem Schuppenpanzer, meist
aus stahlblau polierten, großen, viereckigen Schuppen, ist der
häufigste Schutz der Ringelpanzer, vermutlich eine ver-
einfachte Übernahme zwergischer Rüstungen.
Im Gegensatz zum Kettenhemd menschlicher Machart
werden beim Ringelpanzer die Ringe nicht einzeln auf einem
festen Tuchgewand befestigt. Die Ringe sind ausschließlich
untereinander verbunden, die Rüstung wirkt, in der Hand
getragen, wie ein eisernes Netz. Dieser Panzer ist - im heißen
Klima wichtig - leichter und etwas luftdurchlässiger, aller-
dings natürlich auch teurer als ein Schuppenpanzer. In der
Wirkung ist er dem mittelländischen Kettenhemd mindestens
ebenbürtig; nur gegen schwere Stoßwaffen zeigt sich
zuweilen der Nachteil des fehlenden Unterfutters.
Plattenpanzer oder gar die Ritterrüstung haben sich nie
durchgesetzt. Eine Spezialität der Tulamiden scheint dage-
gen die Einarbeitung von kleinen Metallplatten in den Rin-
gelpanzer zu sein. Schilde sind selten - der Tulamide will
beim Kampf beide Hände frei haben: Die wenigen Exempla-
re sind fast immer rund, meist aus Schilfgeflecht oder
Hanfschnüren, zuweilen auch mit Gadangstier-Leder
überzogen. Nur sehr selten sind sie aus Zedernholz und mit
Eisen beschlagen.

Waffenschmuck
Im Tulamidischen kann man nicht ohne weiteres zwischen
dem einfachen Plattenpanzer des Niederadels und der Prunk-
rüstung des Hochadels unterscheiden. Wie überall wirkt sich

31
Ausbildung wird. Die Geschichte weiß von Hadjiinim, die jahrzehnte-
Die Ausbildung eines tulamidischen Kriegers ist stets lang, zuweilen bis zu ihrem Tod, einen Ort, eine Person oder
eine persönliche Lehre bei einem Fechtmeister. einen Gegenstand bewachten, ohne in ihrer Pflichterfüllung
Kriegerakademien finden sich nur im Bereich zu schwanken und ohne daß irgendwelchen
mittelländischen Einflußes. Auch konnte sich der Außenstehenden, selbst der bewachten Person, jemals der
Kriegerbrief nie durchsetzen: Einem Grund für die Mission bekannt geworden wäre.
echten Krieger sieht man - nach tulamidischer Überzeugung Sein Stolz verbietet es einem Hadjiin, bei kleineren Versa-
- an, daß er einer ist; wer dagegen mit einem Dokument her- gen unbestraft zu bleiben (bei größeren bricht er ohnehin zu
umwedeln muß... einer selbstgewählten Selbstmord-Mission auf); sollte der
Wesentliches Element der Ausbildung ist der Haidamal, der Ordensmeister es unterlassen, so erlegt er sich selbst eine
Schattenkampf, der gewisse Bewegungsabläufe geradezu Strafe auf.
instinktives Wissen werden läßt. Interessanterweise lehren Natürlich sind auch die Hadjiinim weder unfehlbar noch
gute Fechtmeister - obwohl die Tulamiden sonst über wenig Heilige: Im Laufe dreier Jahrtausende gab es etliche Fälle,
anatomische Kenntnisse verfügen - ihre Schüler, besonders wo sich einzelne Hadjiinim, Ordensmeister oder der ganze
empfindliche Körperzonen zu treffen: Sie kennen den Pal- Orden durch falsche Einschätzungen oder aus reiner
menkranz, den Sonnenpunkt, die Armbeuge und andere Machtgier in die Geschichte einmischten, und mehr als
Nervenzonen, und welche Wirkung deren Neutralisierung einmal fungierten Hadjiinim im Prinzip nur als hervorragend
hat. ausgebildete Söldner. Mindestens drei Ordensburgen sind im
Einer uralten Tradition des Sultanats Nebachot folgend, Zuge derartiger Verstöße zerstört worden oder haben sich
schließen die Schüler ihre Ausbildung zum Schwertfest (15. durch Abänderung ihres Kodex in weltliche Organisationen
und 16. Rondra) mit einem Schaukampf gegen ihren Fecht- unter-schiedlichster Art verwandelt. Im Großen und Ganzen
meister ab, üblicherweise vor den prüfenden Augen des hat der Hauptorden aber über die Jahrtausende seine Ideale
wohlhabenden Vaters, der den Fechtmeister viele Jahre lang bewahrt und genießt im Land der Ersten Sonne einen beinahe
bezahlte. Die Rollen bei diesem Kampf sind vorgegeben: heiligen Respekt.
Alle Schläge und Hiebe werden hautnah angedeutet (mit Der Nachwuchs der Hadjiinim wird meist mit einer seltsa-
scharfen Waffen!), und traditionsgemäß verliert der Fecht- men `Veronkelung' gesichert: Ein erwachsener Hadjiin sucht
meister den Kampf gegen seinen Zögling. Dann erklärt er in seinen Bruder auf und bittet ihn um seinen Erstgeborenen.
alttulamidischen Formeln, daß er dem Schüler nun nichts Kein Tulamide würde diese Ehre ablehnen. Der Oheim
mehr beibringen könne, und dieser preist ebenso artig die fungiert von nun als Pate und Lehrmeister seines Neffen.
Unnachahmlichkeit seines Lehrers. Die ganze Zeremonie Auch dieser wird später den Sohn eines Bruders berufen. Da
kann - je nach Traditionsbewußtsein der Beteiligten - ein Hadjiinim meist aus angesehenen Familien stammen, hat
belangloses Geplänkel sein oder ein beeindruckendes fast jeder von ihnen - über den Harem des Vaters - einen oder
Schauspiel, das alle Anwesenden mit Stolz und Ehrfurcht mehrere Brüder, und da der Hadjiin auf Erstgeburt und Erbe
erfüllt. verzichtet, verfügt so ein Bruder meist seinerseits über einen
Harem und Söhne. Die meisten Hadjiinim können ihre indi-
Kriegerorden
rekte Abstammungslinie über viele Jahrhunderte verfolgen,
Auch im Land der Ersten Sonne kennt man Vereinigungen
und in jeder Ordensburg gibt es eine Bibliothek, in der diese
gottgeweihter Elitekrieger, die durch unglaubliche Selbst-
Linien für jedes Mitglied aufgezeichnet werden. Oft ist diese
disziplin dem höchsten Ideal entgegenstreben. Die Mitglie-
Onkellinie sogar zuverlässiger als Vaterschaft: Wenn ein
der solcher Kriegerorden werden Hadjiinim (Einzahl: Had-
Hadjiin stirbt, ehe sein Neffe geboren wurde, kann stets ein
jiin) genannt; die Bezeichnung ist wohl an die Wortwurzel
anderes Ordensmitglied die Ausbildung dieses Neffen
`djiin' (= mächtig) angelehnt und wird zuweilen hoffnungs-
übernehmen.
voll als Eigenname verwendet.
Die Hadjiinim sind für ihren umfassenden Ehrenkodex
berühmt, der Gehorsam, Treue, Wahrheitsliebe, Keuschheit,
Verzicht auf Rauschmittel und Gifte aller Art, Härte gegen
sich und den Gegner, aber Milde gegenüber dem Flaschengeister und Fliegende Teppiche
Unterlegenen, und zahlreiche andere Tugenden umfaßt. Einen Die Magie der Tulamiden
Hadjiin zu verderben, gilt in den Märchen als äußerste
Schandtat, zu der nur Djinnis und Dämonen imstande sind. Für viele Aventurier gilt das Land der Ersten Sonne
Ihre Ordensburgen bauten die Hadjiinim möglichst abseits schlechthin als das Land der Magie. Das Bild des
der Welt mit ihren Versuchungen und Verstrickungen. Man tulamidischen Zauberers, in prächtige Gewänder gehüllt,
weiß von zweien im Raschtulswall, einer in den Ongalo- eindrucksvoll und unheimlich, der in seinem Palast den
Bergen und einer inmitten der Khomwüste. Der Orden lebt Djinnis und seinen Sklaven gleichermaßen befiehlt und aus
also ähnlich versteckt wie die Amazonen. (Manche Roman- den Sternen die Zukunft liest, ist weit verbreitet - und gar
tiker sehen in den Hadjiinim ohnehin ein älteres Gegenstück nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Für die Tulamiden
jenes Bundes und behaupten, daß am Ende der Zeit aus der ist Magie die edelste Form der Machtausübung, fast jedem
Vereinigung der beiden Orden das ideale Kriegertum ihrer Potentaten wird Beschäftigung mit Magie in der einen
hervorgehen werde.) oder anderen Form nachgesagt. Die Ideale der weißen Magier
Das Eingreifen der Hadjiinim in den Lauf der Welt Mittel- und Nordaventuriens finden hierzulande nur wenig
beschränkt sich auf seltene Feldzüge, wenn kein Zweifel an Anerkennung.
deren Notwendigkeit besteht (so etwa während der `Skor- Obwohl - anders als im Mittelland - kaum ein Drittel aller
pionkriege' und im `Krieg der Magier», und persönliche tulamidischen Zauberkundigen den Akademien angehört,
Missionen, mit denen jeder Hadjiin irgendwann beauftragt bestimmen deren Spezialgebiete doch die vorherrschenden
Richtungen.

32
"Rashdul aber und garwohl seine Pentagramm-Akademie Weitere Bereiche, die dem Charakter der Tulamiden ent-
sind der Nabel der Beschwörungskunst in ihrer reinsten sprechen, sind einerseits die Illusionistik, die aber heutzutage
Form. Dieweil man sich jedoch andernorts immer verwerfli- eher in Aranien gelehrt wird, besonders aber andererseits die
cheren Daimonen widmet, ersehen die Rashduler als Krone Verwandlung von Lebewesen.
ihrer Kunst die Beschwörung jener Elementargeister, die sie In diesem Spezialgebiet fällt vor allem die Chimären-Magie
die Djinnen nennen. ins Auge: Bereits die Magier-Mogule vom Gadang setzten
Denn siehe: Kobolde sind im Tulamidischen fürwahr rar. zahlreiche Insektenmonster in die Welt, von denen nur die
Was man hiezuland damit zu erklären sucht, daß die Riesenameisen bis heute überlebt haben. Auch Borbarad
Göttinnen Tsa und Hesinde die Kobolde erschufen, auf daß verwirklichte die meisten seiner krankhaften Fantasien im
die Sphärenkraft, so bei allen Zaubern frei wird, gebunden Land der Ersten Sonne. Fast alle Mantikore und Harpyien
sei. Hier jedoch in ihren Stammlanden, da diese Kräfte wurden von Tulamiden mit der Formel MUTABILI HYBRI-
deutlich stärker seien, da hätten die Göttinnen die viel DIL erschaffen, die den mittelländischen Akademien größ-
edleren Djinnen erschaffen können. Jene erscheinen stets als tenteils verloren gegangen ist.
Abgesandter eines der sechs Elemente, ihre untere Schließlich sei auch noch die Verjüngungsmagie erwähnt, die
Körperhälfte nimmt wohl meist gar keine andere als die über Sultan Sheranbil V. bis auf den legendären Sheik-al-
elementare Erscheinungsform an. So muß sich auch ein jeder Sheik Rashtul zurückgeht - und vielleicht sogar noch weiter
Djinnen-Beschwörer besonders einem Elemente widmen, so zu den sich scheinbar in ewiger Jugend häutenden Echsen.
er ihm befehlen möcht'. Nahema und Rohal gehören zu jenen, die wohl im Land der
Die Kräfte der Djinnen aber sind vielerlei, seien es der Tulamiden die Geheimnisse der ewigen Jugend entdeckt
Palastbau der irdenen Djinnen, das Goldmachen der erze- haben. Und auch heute noch berufen sich alle, die mit der
nen Djinnen, die Reisen auf den Schultern der luftigen und Unsterblichkeit handeln, ob die Betrügerin, der Kaiserin Alara
wässrigen Djinnen, und die Kampfeswut der feurigen Djin- aufgesessen ist, oder Verrückte wie der Fasarer Prophet
nen. Wer jener Geister Herr ist, kann fürwahr zu großer Berengar auf die Geheimnisse des Landes der Ersten Sonne.
Macht gelangen."
(Aus dem Großen Elementarium, übersetzt aus dem Neu-
Bosparano, Gareth, ca. 830 v.H.)
Ein bedeutender Teil der tulamidischen Magie wird durch
alchimistische Essenzen vollzogen. Für Schlaftrünke braucht
"Zu Kunschom aber hath man eyne grauwe Academia, man feinen Khomsand, für Verwandlungselixiere noch viel
genennet `Des Draken Ei'. Da lehret man wohl dero klas- exotischere Ingredienzien, und Selemer Meteoreisen ist die
sisch Zauberey, oder so der Fachmann saget, die Wandlung klassische Basis für Unsichtbarkeitselixiere und Zaubertränke
des Unbelebeten. Und wandlen sie alles, was du moigest zur Steigerung der astralen Kraft.
sehen.
Dero haben sie eyne Legenden, wo mag es wohl eyn halbes Besonders wenig scheinen sich die Tulamiden auf die Anti-
Millenium seyn, so ein Archemagicus zu Kunschom sey magie und die magische Heilung zu verstehen. Die Aufhe-
gegangen und habe die Stadt Yasra, am Ongalstrome gele- bung von Zaubern bleibt den Verursachern selbst überlassen,
gen, getilget vom Antlitzen Deres. Das mag ich Magia ein wesentlicher Grund für Einfluß und Charisma der tulami-
nennen! (...) dischen Zauberer. Als Schutz gelten die ohnehin allseits
Und haben sie Weber, die knupfen ein spinnwebichtes Netzen beliebten Talismane.
drunt eyne Tapisterie, so mag es Sumu trotzen, die da halt
ihre Kindlein fest, und fliegeth mit allem da darauf und Magische Aufzeichnungen werden hierzulande schon aus
haben sie solch Tapisterien zuhauf Traditionsbewußtsein nicht in Büchern, sondern auf Papyrus-
Dero Academia Archemagicus aber sey Tuleyman ibn Dun- Rollen getätigt. Auch was ihr Äußeres angeht, sind
chaban, so auch Rohal besuchet zu disputieren. Und als tulamidische Zauberer eigen: Sie legen noch mehr als mittel-
kürtzlich jene Academie eyn Raub der Flammen geworden, ländische Magier Wert auf gleichermaßen korrekte wie
da habt er sie neuw gemachet in eynem Tage. Das nenn ich prächtige Kleidung und kennen für jede Art der Magie ein
wohl getan!" rituelles Gewand. Und schließlich haben tulamidische Magier
(Aus dem Almanach der Wandlungen, von Mondrazar vom oft ebenso viele Frauen wie andere Mächtige. Im Gegensatz
Goldfelsen, ca. 500 v.H.) zu Mittelländern glauben sie nämlich nicht, daß die Liebe die
astrale Kraft trübt, sondern daß beides Ausdruck persönlicher
"In Fasar findet man die schwarze Akademia der Geistigen Macht ist.
Kraft, an welcher man die Beherrschung studiert und lehrt.
Die Kunst geht zurück bis auf die Magiermogule vom
Gadang, die die Skorpionkriege (siehe diese) auslösten und Himmlische Zweiheit
Gorien durch den Großen Schwarm verheeren ließen.
Seither sind mehrfach Fasarer Doktoren im Tulamidenland Die Religion der Tulamiden
zu beträchtlicher Macht gelangt. Wissenschaftliche Publika- Die meisten Tulamiden gehören zur großen Gemeinschaft der
tionen liegen kaum vor, doch wurden mehrfach Untersu- Zwölfgöttergläubigen - jedoch mit einigen Einschränkungen:
chungen wegen Verstößen gegen den Codex Albyricus einge- Die uralte Weltsicht der Tulamiden ist keineswegs verdrängt
leitet." worden, sie wurde lediglich angepaßt.
(Aus der Encyclopaedia Magica, Band 1, Kuslik, Auflage "Die Ältesten glaubten garwohl an einen Schöpfergott, der
von 186 v.H.) gütig und schrecklich zugleich ist - allwie es die Zwerge mit
Ingrim und die Waldmenschen mit Kamaluq heute noch tun.

33
Da aber die Zeit fortschritt und sie an Weisheit gewannen, Puniner Kult des Boron; nicht umsonst steht dessen Haupt-
begannen sie die Welt im Dualismus zu sehen: Hie das tempel in der Hauptstadt Almadas. Es ist typisch für die
Prinzip, das alles gibt - Leben, Fruchtbarkeit, Glück -, da das Denkweise der Tulamiden, daß sie auch den Gott des Verge-
Prinzip des Vergehens, das alles nimmt. In jenen Tagen hens mit ihrer Aufmerksamkeit bedenken und ihn vielfältig
sahen die ersten Menschen jene Prinzipien verkörpert in den ehren - einen Tulamiden, der ausschließlich zu Boron betet,
beiden Geschlechtern der schwarzen Rinder Mhanadistans, wird man allerdings kaum finden. Statt dessen scheinen die
nämlich der mütterlichen Kuh Adschaja und dem kämpferi- Verehrung von Tsa und Boron einander zu bedingen: Nicht
schen Stier Ras'Ragh mit seinen tödlichen Hörnern. nur in Punin stehen sich die Häuser von Anfang und Ende
Von solchen Göttern ist heute nichts mehr zu finden - die symbolhaft gegenüber.
Ehrfurcht dem Rinde gegenüber in unserer Kultur ist offen-
sichtlich, und die zahlreichen Milchweihen und Stierkämpfe Neben der eher philosophisch-kosmischen Zweiheit von Tsa
legen davon Zeugnis ab." und Boron findet sich im Land der Ersten Sonne ein weiteres,
(Aus: "Die Sieben Wahrheiten des menschlichen Geistes", den Menschen näheres Götterpaar:
von Rashman Ali, übersetzt aus dem frühen Tulamidya, ca. Phex, der Herr der Nacht, ist der Dieb der Götter. Er lehrt den
1300 v.H.)
Menschen das Nehmen, sei es als geschickter Dieb oder
gerissener Kaufmann. Vor allem unterweist er den Sterbli-
Geblieben ist bis heute die Einteilung der Götter in "Geber" chen im richtigen Gebrauch seiner Geisteskräfte, denn mit
und "Nehmer", sie ist jedoch keineswegs einheitlich: Wer hier dem nötigen Witz stehen dem Menschen alle Türen offen.
als positiv und mild verehrt wird, gilt andernorts vielleicht als Doch wenn sich jemand seiner Errungenschaften zu sicher
Verkörperung des Vergehens. Allgemein verbreitet ist jedoch fühlt, dann schlägt Phex zu und nimmt ihm alles.
der Gedanke, daß nur die Anwesenheit beider Hälften ein Die Verehrung des Fuchsgottes scheint bei den Tulamiden
Ganzes bildet - Al'Veran genannt. bis in die allerälteste Zeit zurückzureichen: Schon damals,
als sie sich in den Bergen vor den Echsenkriegern verbergen
Die unbestritten eindeutigste Gebergottheit ist die ewig mußten, kannten die Menschen einen fuchsgestaltigen Gott,
jugendliche Tsa - sie ist es, die das Neue werden läßt und für der über zahlreiche Fuchs-, Frettchen- und Mungogeister
stetige Veränderung sorgt, zu ihr beten - meist gegen Süden gebot, die gegen Schlangen und Echsen kämpften.
gewandt - die Frauen um Kinder und die Bauern um Gedei- Wichtiger aber noch war der Gott als Herr der Nacht, in deren
hen der Saat. Vor allem aber erscheint Tsa als die reinste Schutz die Menschen ihre List und Geschicklichkeit nutzen
Verkörperung des Lebens - auf sie wird alles Belebte in der und heimliche Attacken gegen die Kaltblüter führen konnten.
reichen Natur zurückgeführt. Auch heute noch finden sich Diebesgilden, die wie die
Doch im Land der Ersten Sonne hat die Göttin auch unge- Schatten der Nacht agieren und fast alle Beutestücke dem
wohnte Aspekte: Mancherorts verehrt man sie geradezu als Phex opfern. Im übrigen ist Phex eindeutig ein aventurischer
Verkörperung des (schöpferischen) Chaos und betont das Gott: Das Licht des güldenländischen Eroberergottes Praios
Fehlen jeder festen Form und Hierarchie. meidet er wie eh und je.
Die Verehrung der Göttin der Jugend scheint im
Tulamidenland wahrhaft uralt zu sein - die ältesten Als Spenderin wird dagegen Rahja verehrt, die Göttin der
Kultstätten gehen bis vor das Diamantene Sultanat zurück. Lust. Allerdings wird der Name im Tulamidischen `Rad-
Die Verfolgung der `Regenbogenechsen' hat allerdings viele scha' ausgesprochen (die Aussprache `Raia' ist güldenländi-
feste Kultstätten zerstört, und so findet sich außer in schen Ursprunges).
Khunchom, das von vielen als ideelles Zentrum zumindest Rahja gilt vor allem als Göttin des Rausches, der dem
des tulamidischen Kultes gesehen wird, nur noch in Fasar ein Menschen Freude und Genuß schenkt. Denn das Leben ist
Tempel - andernorts ziehen die Geweihten alle Monde von vergänglich, und ohne Freude sinnlos. So stehen die Feste
Haus zu Haus, ganz wie es der Göttin genehm ist. und Feiern der Tulamiden, vor allem natürlich das Fest der
Freuden, im Zeichen der Rahja. Doch man ehrt sie nicht nur
Tsa direkt gegenüber steht der offensichtlichste Nehmer: durch lustige Musik, Tanz und Schauspiel, vor allem der
Boron, der Gott des Todes. Er holt letztendlich alle Wesen Genuß der ungehemmten Liebe erfreut Rahja und ihre
zu sich in sein Reich der Toten, das im Norden liegen soll. Es Anhänger.
ist die Tat eines väterlichen Freundes am Ende eines Lebens Der Kult der Rahja stammt wohl schon aus den Tagen der
voll Mühsal. Boron ist das personifizierte Ende: Zuverlässig güldenländischen Einwanderung und wurde zusammen mit
und unbestechlich sorgt er dafür, daß nichts von Ewigkeit ist dem Pferd schnell übernommen (Stutenmilch wird als Frucht-
und alles einmal vergeht. Die güldenländische Vorstellung barkeitssymbol bei allen Hochzeiten verwendet) - und so
von einem zweiten Leben nach dem Tod ist den Tulamiden bildete sich das Gegensatz-Paar von Phex und Rahja.
fremd geblieben. So bereitet jeder Tulamide sein Grab schon Neben der Verehrung der Rahja als der Göttin der Lebens-
zu Lebzeiten: Der Bauer schachtet es nach und nach selbst freude gibt es jedoch auch düstere Kultformen. Vor allem in
aus, der Potentat läßt jahrelang daran bauen. Als letztes Mhanadistan kennt man sie als wilde Gottheit des Rausches
Zeugnis soll es eindrucksvoll und beständig sein. Solche und der Raserei und verehrt sie mit wüsten Bräuchen. Der
Katakomben und Grüfte sind an der ganzen Perlenmeerküste Genuß von Wein und Rauschkraut bis zur völligen Besin-
über Tobrien bis ins Bornland zu finden. Alle zwei Monate nungslosigkeit ist nur einer davon.
ist Uthar, die Pforte in Borons Reich, für zwei Wochen ge-
schlossen; eine Gnadenfrist für die Säumigen, um ihre Die schlangenhafte Hesinde, Göttin der Weisheit und
Angelegenheiten zu regeln. Wandlung, spielt schließlich eine ganz besondere Rolle: Sie
Im Wesentlichen handelt sich bei dieser Vorstellung um den taucht sowohl als Göttin des Nehmens wie des Gebens auf,

34
denn bei ihr tritt vor allem die Idee des reifen, urteilenden
Geistes in den Vordergrund.
Nach tulamidischer Ansicht kommen von Hesinde die Ideen
des Menschen, sich die Dinge nach seinen Bedürfnissen
selbst zu formen und zu verändern - auch und gerade unter
dem Aspekt der Kunst: Wohl nirgendwo ist die Vorstellung
von Hesinde so eng mit dem Begriff der Schönheit verbun-
den wie bei den Tulamiden. Auf die Göttin berufen sich auch
viele, die nach tieferem Wissen und neuen Dingen suchen
und forschen und dabei alte Vorstellungen und Ideen verän-
dern müssen.
Wie es einem gesetzten, ruhigen Kult gebührt, verfügen die
Priester der Hesinde natürlich über feste Tempel und
Kulträume, die aufgrund der großen Schatzkammern
bisweilen bedeutende Ausmaße annehmen: Wenn die
normalen Tulamiden schon an Juwelen interessiert sind, so
schätzen die Geweihten sie als Opfergabe besonders; ihre
Klarheit symbolisiert das Licht des Geistes, ihr ebenmäßiger
Schliff steht für die Genauigkeit der Wissenschaft, ihr
angenehmer Anblick für die Freuden der Kunst.

Die übrigen Mitglieder des Zwölfgötterpantheons werden,


sofern sie überhaupt verehrt werden, ebenfalls in das duali-
stische Weltbild eingepaßt. Immerhin gilt der Wassergott
Efferd als Spender des Trinkwassers und der Feldfrüchte,
wie es sich für eine Reisesserkultur gehört. Abgesehen von
Thalusien, wo er als Hauptgott verehrt wird, läßt sich
feststellen, daß ihn eigentlich nur die Seeleute verehren - und
in der Khom wird natürlich manch ein durstiger Tulamide
efferdgläubig.
Zum großen Leidwesen seiner Kirche wird Praios konse-
quent mit dem Prinzip des Zerstörens und Vergehens verbun-
den. In der alten Zeit war der Tag nun einmal die Zeit, in der
die Echsen kamen. Und was danach geschah, konnte die
ihnen, Metall zu bearbeiten und Webstühle, aber auch Fallen
Tulamiden auch nicht von der Freundlichkeit des
zu bauen.
Sonnengottes überzeugen: Weder die ersten eifernden
Bis heute wird fast alles Wissen stets von einzelnen Lehrern
Missionare aus Bosparan noch die Priesterkaiser in Gareth
weitergegeben, die ihre Schüler um sich scharen; Akademien
haben Praios viel Sympathie eingebracht.
oder vergleichbare Institutionen, die nicht von der Person
Rondra, die Löwin des Krieges, galt als Verkörperung des
eines Meisters getragen werden, sind selten. So nennt der
wilden Kampfes und wurde durchaus geschätzt - die hohe
tulamidische Gelehrte, ob Sterndeuter, Philosoph oder
Zahl der Tulamidinnen unter den ersten Amazonen ist nur ein
Magier, meist stolz den Namen seines Lehrers - im
Beispiel. Besonders bei den wilden Stämmen der Wüste hatte
Bewußtsein, dessen Erbe zu sein - statt des Ortes, an dem er
die Löwengöttin zahlreiche Anhänger; dann aber kam der
studiert hat. Auch gibt es viele Mietlehrer, die die Söhne der
ebenso kriegerische Rastullah, der in den Augen der Novadis
Reichen und Mächtigen unterweisen, häufig in so
einen entscheidenden Vorteil hat: Er ist ein Mann...
unterschiedlichen Bereichen wie Sternkunde, Brettspiel und
Schwertkampf.
Die bedeutendste tulamidische Wissenschaft ist zweifellos
Sterndeuter und Weise die Astrologie oder Sterndeuterei, für den Tulamiden gleich-
Die tulamidischen Wissenschaften bedeutend mit dem Vorhersagen der Zukunft. Da alle Ele-
mente, die das Schicksal bestimmen, durch Symbole am
Das Land der Ersten Sonne ist die Heimat einiger großer Himmel (Sterne, Sternbilder und Planeten) vertreten werden,
Gelehrter Aventuriens, und bedeutende Wissensgebiete wur- kann man statt der unübersichtlichen irdischen Vorgänge die
den zuerst von Tulamiden erschlossen. - gleichbedeutenden - Bewegungen der Himmelskörper zu
Vieles von dem, was sie wissen, wurde offenbar von der berechnen suchen.
untergegangenen Zivilisation der Drachenfürsten übernom- Besonders intensiv widmen sich die Tulamiden dem riesigen
men. Zudem vermengen sich für den Tulamiden Wissen, Sternbild Drache und seinem Gegner, dem Sternbild Held,
Magie und Herrschaft zu einem Inbegriff der Macht; die das zu Neujahr genau über dem Raschtulswall steht. Bei der
strenge Unterteilung einzelner Wissensgebiete erscheint ihm Berechnung von Konjunktionen (scheinbaren Berührungen
unnatürlich. zweier Planeten) sind die Tulamiden unerreicht.
Viele der praktischeren Kenntnisse gehen ursprünglich wohl Die bekannteste tulamidische Sterndeuterin war Niobara aus
auf die Zwerge zurück. Schon die Ur-Tulamiden lernten von Anchopal, die lange Zeit mit Rohal zusammenarbeitete. Im

35
Jahre 467 v.H. veröffentliche sie ihr Buch "Astrale Geheim- Aventuriens ist bekannt, daß die Götter sich den Sterblichen
nisse ", bis heute das Standardwerk, wenn es um die Zusam- bevorzugt im Traum mitteilen, wenn auch oft in unverständ-
menhänge von Sternen, Kometen, Schwarzen Augen, Zu- liche Symbole gekleidet; aber vor allem die Tulamiden
kunft und Vergangenheit geht. Außerdem legte sie mit ihren können auf eine uralte Tradition der "Übersetzung" dieser
Schülern jene Sammlung von Sternkarten an, die - einfach Symbole zurückgreifen.
als "Der Foliant" bezeichnet - bis heute wichtigstes Utensil Der Vogelflug wird vor allem bei den Wüstenbewohnern als
jedes Schiffsnavigators ist. Nach Niobaras Tod - den sie auf besonders bedeutungsschwanger erachtet, aber auch in den
den Tag genau vorhergesagt hatte - veröffentlichten ihre An- Tälern und an der Küste gelten Vögel allgemein als Boten
chopaler Schüler das Werk "Am Fünfzigsten Tor", das die des Himmels, deren Flug seinem Willen folgt.
Probleme weitreichender Vorhersagen behandelt. Niemand
scheint imstande zu sein, weiter als etwa 50 Tage in die
Zukunft zu blicken (daher der Titel); jede Nacht bildet ein Die Philosophie sei als letzte Wissenschaft genannt: Tula-
neues, fast unüberwindliches Hindernis. Das einzigartige miden können sich stunden- und tagelang, zuweilen sogar ein
Horoskop, mit dem Niobara für 58 Tage die Bewegung aller ganzes Leben mit Fragen auseinandersetzen wie dem
acht Planeten vorhersagte, wurde nie wieder auch nur ansatz- Prinzip, daß alles ein Gegenteil hat, dem weisen Wort, daß
weise erreicht. nichts von Dauer ist, denn der Wandel, dem Problem der
Vorbestimmtheit des menschlichen Schicksals und wie man
Bekanntlich liegen die aventurischen Sternbilder auf den
ihm trotzdem entflieht, oder - wie ein böser Witz meint - der
verschiedenen Sphären, die um Dere rotieren, weswegen Frage, ob der Tee vom Zucker süß wird oder vom Umrühren.
manche Sternbilder in vier Tagen das Himmelszelt Geradezu sprichwörtlich sind die Propheten und Philosophen
durchqueren, andere in sieben Jahren. In Anchopal gelang es von Fasar, der bekannteste Vertreter tulamidischer
erstmals, ein Modell dieser gegeneinander verschiebbaren Philosophie war wohl Rashman Ali mit seinem Werk "Die
Sphären zu bauen, ein sogenanntes Astrolabium. Sieben Wahrheiten des menschlichen Geistes".
Die tulamidischen Sterndeuter haben errechnet, daß es genau
2808 Jahre dauert, bis alle aventurischen Sternbilder wieder die
gleiche Stellung einnehmen. Diese Zeit wird als Äon
bezeichnet, von den Novadis als ein Tag Rastullahs Seide, Glas und Porzellan
verstanden. Die Sterndeuter können sich ungeheuer dafür Die Erfindungen der Tulamiden
begeistern, daß 2808 das Produkt der heiligen Zahlen 2, 9, 12 Auch für gebildete Forscher und Hesinde-Geweihte ist es
und 13 ist, und daß Rastullahs Erscheinen tatsächlich ungefähr immer wieder verblüffend, wie viele vermeintlich neue
ein Äon nach den Lebzeiten Rashtuls erfolgte. Errungenschaften eigentlich auf viel älterem Wissen der
Tulamiden beruhen - und oft übernahmen die Mittelländer
Eng mit der Astronomie verbunden ist die Algebra, die das Wissen auch keineswegs zum ersten Mal, weil es näm-
Rechenkunst. Während die Kusliker und Festumer Mathe- lich zwischendurch, während der Zeit der Priesterkaiser oder
matiker erst 130 v.H. bereit waren, die Null als Zahl anzuer- während den Dunklen Zeiten, in Vergessenheit geraten war.
kennen (wie so vieles war die Mathematik unter den Priester-
kaisern "abgeschafft" worden), kann die tulamidische Algebra So waren die Tulamiden etwa die ersten, die die Seide, den
auf eine ungebrochene Tradition zurückblicken. Neben der Schatz der Regenwälder, zum edelsten aller Stoffe wirkten.
Sternkunde sind die Volkszählung und die Architektur die In Aventurien gibt es keine Seidenraupen, die - wie im
wichtigsten Anwendungsgebiete. Als wesentlichstes Hilfs- Güldenland - in Maulbeerhainen gezüchtet werden. Statt
mittel steht den Rechnern aber noch immer nur der Abakus dessen bedient man sich der zwei Spannen großen
zu Verfügung, ein Rechenbrett mit sieben Stangen, auf denen Seidenspinnen, die ihre Beute in Seidenkokons einspinnen.
je neun Spindeln umhergeschoben werden können; die Diese Kokons werden von freien und versklavten Mohas in
höchste Zahl, die man mit dem Abakus darstellen, und auch mühsamer Handarbeit gesucht und abgehaspelt. Mit feinen
die größte, die sich hierzulande selbst ein Meister der Gold- und Silberfäden durchwirkt, erhält man wertvollen
Algebra vorstellen kann - ist 10.000.000 (zehn Millionen). Damast - im Garethi Brokat genannt. Heute konzentriert
sich die Seidenspinnerei jedoch auf Al'Anfa, sehr feine
Stoffe werden auch im Lieblichen Feld gewoben.
Die Kunst der Prophezeiungen erstreckt sich im Land der
Ähnlich verhält es sich mit dem Glas, das mindestens
Ersten Sonne auch noch auf andere Gebiete.
dreimal in Zeiten tulamidischer Hochkultur von ihren
Besondere Bedeutung hat die Trankdeuterei. Nach tulami-
Alchimisten erfunden wurde, dann jedoch wieder verloren
discher Überzeugung kann man aus der Art, wie ein Mensch
ging. Schon seit Urzeiten kennen die Tulamiden kleine
trinkt, viel über ihn erfahren. Es ist bei jedem Empfang
Kristalle als Schmuck, das Gießen und Blasen reinen
üblich, mit dem Besucher zur Begrüßung eine Schale Tee,
Glases hat sich aber erst (wieder) im Lauf der letzten
Dattelwein oder wenigstens Ziegenmilch zu trinken. Viele
fünfhundert Jahre vor allem in Unau, Al'Anfa und dem
Hausherren bauen ihre Menschenkenntnis auf diesen Be-
Lieblichen Feld zur hohen Kunst entwickelt.
obachtungen auf. Das auch im Mittelland bekannte Deuten
Das Porzellan schließlich ist eine der jüngsten Erfindungen
aus den Resten eines Getränkes ist nur der zweite Teil des
Unauer Alchimisten. Wie das Glas ist es ein "Abfallpro-
Rituals. Vor allem die zurückbleibenden Teeblätter eignen
dukt" der Suche nach Gefäßen, die auch schärfsten Säuren
sich gut, aber auch die Gewürze, mit denen der Wein serviert
und ätzendsten Laugen widerstehen können. Und wie beim
wird.
Glas, für das Eternenkalk und Khomsand ideale Rohstoffe
Auch die Traumdeuterei ist bei den Tulamiden zu besonde-
sind, bot sich die weiße Tonerde des nahen Szintotales
rer Blüte gediehen, und ihre Weisen werden an allen aventu-
geradezu an. Die Endprodukte, zartes Geschirr und filigrane
rischen Fürstenhöfen gerne konsultiert. Allen Bewohnern

36
Figurinen, wurden von den tulamidischen Händler schnell in strabun in Khunchom gezeigt, seine Hände dagegen in Fasar,
die reichsten Städte Aventuriens verkauft; vor allem ins Mherwed und Samra (!).
Liebliche Feld ziehen ganze Karawanen voll Unauer Porzel- Besonders bei der Bekämpfung von unglückbringenden
lanwaren. Geistern und Dämonen werden Dinge verwendet, die in
Die Schiffe der Tulamiden gehören zu den seltsamsten und irgendeiner Beziehung zu anderen Mächten stehen - sei der
exotischsten Zeugnissen ihrer fremdartigen Kultur. Die dra- Zusammenhang auch noch so vage. "Böse Geister treten nicht
chen-flügeligen Zedrakken mit ihren kiellosen, kastenför- in den Lichtschein einer Lampe, deren 01 von dem
migen Rümpfen und den hochaufragenden Hütten am Heck Olivenbaum stammt, der auf dem Grab des großen Zauberers
befahren seit zweieinhalb Jahrtausenden das Perlenmeer ohne Alfaran wächst", ist eine Aussage, der viele Tulamiden sofort
wesentliche Veränderungen. Die stabile Konstruktion der Glauben schenken würden.
Segel aus Binsenflechtwerk, mit Latten verstärkt, läßt das So kann man auf fast jedem Basar Krämer finden, die nur mit
Schiff auch die plötzlichen Sturmböen der Altoum-Winde solchen `Reliquien' handeln: Fläschchen mit Schweißtropfen
überstehen, die schon mancher Festumer Kogge die Segel des Sultans, Fäden vom Gewand eines Hohen Geweihten,
zerfetzt haben - umso beeindruckender, da die Seile und Taue Salböl von der Krönung des Kalifen und vieles mehr.
fast nie aus Hanf, sondern aus der Mirhamer Seidenliane
gedreht werden. Die mächtigen Rümpfe - abgedichtet mit
Schließlich ist noch die Zahlenmagie zu erwähnen. Die Tu-
Teer aus den Asphalttümpeln der Gorischen Wüste und den
lamiden messen Zahlen seit eh und je große Bedeutung bei
Selemer Sümpfen - sind zwar nicht sehr windschnittig, aber
(wie sie ja auch Meister der Rechenkunst und damit der Na-
dank der trennenden Schotten kann eine Zedrakke selbst mit
vigation und Sternkunde sind) und haben auch fast allen
großen Lecks noch seetüchtig bleiben.
Zahlen eine bestimmte Bedeutung zugelegt: So nennt man die
Einem typischen Problem der Perlenmeerschiffahrt konnte
"magische" Fünf, die "elementare" Sechs, die "dämonische"
jedoch auch die Zedrakke nicht begegnen: Der beständige
Sieben, die "heilige" Neun, die "mächtige" Zwölf und die
Wind aus Nordost und Ost macht es häufig unmöglich,
"glücksbringende" Dreizehn. Die Zwei schließlich gilt als
überhaupt in See zu stechen oder zumindest weit auf hohe
Inbegriff der Vollkommenheit, eine überaus mächtige Zahl,
See vorzudringen. Nur mit dem Dreieckssegel ist es möglich,
die sowohl Glück wie Unglück bringt. Viele Tulamiden
selbst im Perlenmeer gegen die Windrichtung zu kreuzen.
neigen dazu, Fehler ein zweites Mal zu begehen, um die
Die Thalukken, kleine schnittige Kutter, benützen das Drei-
unangenehme Wirkung wieder aufzuheben.
eckssegel ebenfalls seit frühesten Zeiten. Erst in diesem
Jahrtausend hat diese tulamidische Erfindung als
Havenasegel auch den mittelländischen Schiffbau
revolutioniert. Schleiertänze und Herzenslieder
Die Schönen Künste
Talismane und Zahlenmystik
Die tulamidische Musik kann man schwer beschreiben - man
Der Aberglaube der Tulamiden ist sprichwörtlich: Der ist muß sie erlebt haben. Der fremdartig südländische Klang
kein echter Tulamide, der nicht mindestens zehn Amulette für wirkt faszinierend und teilweise geradezu wollüstig. Die
und wider alle möglichen Dinge mit sich führt. Besonders Musik der Tulamiden wird vor allem von drei traditionellen
beliebt sind das geschlossene Schwarze Auge, das vor den Instrumenten geprägt, die üblicherweise auch zusammen
Widrigkeiten der Zukunft schützen soll, sowie Talismane gespielt werden. Die Kabasflöte ist ein ellenlanges
aller Art aus echtem Elfenbein. Blasinstrument, meist aus Schilf, zuweilen aus Ton oder Bein,
Tulamiden neigen dazu, allen Dingen der Natur bestimmte das mit voller Kraft geblasen und mit flinken Fingerbe-
Qualitäten zuzuschreiben: So soll etwa Pferdehaar besonders wegungen gespielt wird. Ihr durchdringendes Quengeln gibt
schnell, die Schwanzquaste eines Löwen dagegen besonders der tulamidischen Musik ihren unverkennbaren Klang. Die
mutig machen; die Locke eines Rothaarigen bringt Glück; ein Dabla ist eine kleine Trommel, meist ein schlankes Tongefäß,
Diamant gibt Ausdauer und Festigkeit, während das Dattel- mit Kamelleder bespannt, die zwischen den Beinen gehalten
Essen vor künftigen Hungersnöten schützt. Eine Folge dieses und mit Handballen und Fingerkuppen geschlagen wird,
Glaubens ist der Eifer, mit dem Tulamiden Amulette und wobei sie ein stetiges Dröhnen erzeugt. Die Bandurria ist ein
Talismane aus zahlreichen Einzelteilen verfertigen - stets für Saiteninstrument, ein Stab oder Brett aus Bein oder Holz, mit
Freunde oder Kunden, denn für sich selbst kann man keine einer oder bis zu zwölf Saiten aus Kamel-, Pferde- oder
erzeugen. Am besten bastelt man die Glücksbringer bei Frauenhaar bespannt, und mit einem Tongefäß als
Mondlicht. Und natürlich darf der Träger die Beutelchen Resonanzkörper. Die Bandurria wird eher geschlagen als
niemals öffnen und den Inhalt untersuchen: Wenn man die gezupft und erzeugt einen eigentümlich dumpf-surrenden
Einzelteile kennt, ist der Zauber verflogen. Klang.
Besondere Wirksamkeit scheinen übrigens die sterblichen Einige uralte Instrumente finden sich wegen ihres hohen
Überreste von Lebewesen zu haben: Zwar fertigen die Tula- Wertes meist nur an den Höfen tulamidischer Potentaten. Die
miden keine Schrumpfköpfe - doch für das Tragen von Zitar ist eine Art Harfe, jedoch mit waagerecht gespannten
glückbringenden Fuchspfotenknöchlein und manneskraft- Saiten auf einem teils metallischen Rahmen. Ihre sirrenden,
steigernden Stierhornstücken sind sie immer zu haben. Vor gleißenden Töne beherrschen jede Vorführung. Als
allem aber pflegen sie einen seltsamen Kult mit den Körpern Soloinstrument und in der Hand eines Meisters kann sie ge-
bedeutender Verstorbener. Wie anderswo erhalten sie diese radezu überirdische Sphärenklänge erzeugen. Der mächtige
durch Einbalsamierung, aber auch die Aufteilung "zauber- Gong, eine frei hängende Scheibe aus poliertem Kupfer oder
kräftiger" Körper kommt vor: So wird der Schädel des Ba- Messing, hat eine ähnlich beeindruckende Wirkung. Einer

37
der letzten Meister dieses Instrumentes, Rhayad ibn Tuliman, gut, und für den `Haimamud' (= Erzähler) sind Unterhal-
gehört dem `Rollenden Donner', der berühmtesten Mu- tungswert und künstlerische Ausgestaltung mindestens
sikertruppe des Lieblichen Feldes, an. Die Gangas schließlich ebenso wichtig. Mit den Jahrtausende alten mündlichen
sind kleinere Metallplatten, deren Spiel wie aufeinander Überlieferungen wie dem berühmten `Märchen vom kühnen
reibende Schwerter klingt. Dschadir' informiert, belehrt, unterhält und erregt der
Gesangsvorführungen sind seltener. Die Tulamiden schätzen Haimamud sein Publikum gleichermaßen, ob am Hof des
die weibliche Stimme wie die männliche, Wechselgesänge Kalifen oder auf dem Basar.
zwischen Mann und Frau sind sehr beliebt, und bisweilen
werden sogar kecke kleine Singspiele aufgeführt. Die
meisten Lieder jedoch sind für den Rauschkrautraucher Spiele der Tulamiden
gedacht; sie beschreiben kurze Sinneseindrücke, jedoch in
rauschhafter Ausführlichkeit.
Rote und Weiße Kamele
Das Spiel der Karawanen, im Mittelländischen einfach als
Die typische Tulamiden-Kapelle besteht aus einer Bandurria, Kamelspiel bekannt, ist weit mehr als das Nationalspiel der
ein oder zwei Dablas und bis zu vier Kabasflöten. Der Tulamiden. In ihrer Kultur nimmt es einen festen Platz ein,
Vortrag ist eine beeindruckende Mischung aus stundenlan- als geradezu kultische Selbstdarstellung tulamidischer Tu-
gem hypnotischem Gemurmel und Gewinsel, das sich dann genden wie Handel, Risikofreudigkeit und Listigkeit, als
spontan zur völligen Ekstase steigert. traditionelles Mittel, einen fremden Gast kennenzulernen,
Fast immer treten mit den männlichen Musikern weibliche und als einzig erträgliche Beschäftigung während der Mit-
Tänzer auf: Die tulamidischen Schleiertänze haben die Ent- tagshitze. Rote und Weiße Kamele zu spielen, gilt in keiner
kleidung zur Kunst gemacht und sich in alle Hafenstädte Hinsicht als unmännlich oder Zeitverschwendung - oder
Aventuriens verbreitet. Den echten Tanz der Sieben Schleier welche Vorurteile sonst mit Spielen verbunden sein mögen.
(oder der Neun Schleier, wenn es sich um eine Novadi Sultane und Magier versuchen in ihren Palästen, "ihre wei-
handelt), kann man aber selbst im Tulamidenland nur an ßen Kamele ins Kühle zu bringen", ebenso wie Streuner und
Fürstenhöfen bewundern. Auch der Rashduler Bauchtanz, Diebe im Straßenstaub der Basare; und in den Harems der
die Syllanischen Säbeltänze und der Fackeltanz der Fasarer Reichen verbirgt sich hinter manchem Schleier eine geheime
Rahjapriester werden mit Musik untermalt. Die Schlangen- Großmeisterin des Kamelspiels. Selbst in den Oasen der
tänze schließlich werden mit Kobras, Riesenschlangen, tiefsten Khom kann man Novadis beobachten, die beisam-
Skorpionen und ähnlichem Gewürm veranstaltet und sind men hocken, vor sich einige Linien und Gruben im Sand, und
eine faszinierende Mischung aus Zirkus, Hypnose, Steinchen herumschubsen, größere, bunte für die Kamele
Mutprobe, Kunst und Religion. und farblose, kleine für die Lasten.
Überhaupt haben tulamidische Musikvorführungen immer
erotische und religiöse Elemente - eine tiefgreifende Verbin- "Schon das Auspacken des Zubehörs wird geradezu zele-
dung, die der Mittelländer schwer versteht. Nach einer Nacht briert: Der kunstvoll gewobene Teppich mit den wabenför-
voll Musik sind Musiker, Tänzer und Zuhörer am Rande der mig angeordneten Spielfeldern wird ausgerollt, meist liegt
körperlichen, seelischen und geistigen Erschöpfung. darin die elfenbeinerne Schachtel mit den anderen Teilchen.
Aber auch die Ärmsten, die ihr Spielfeld in den Sand zeich-
Die Magie der Tulamiden findet sich auch in den Schlangen- nen müssen, tun dies mit andächtiger Vorfreude. Die roten,
beschwörern vor allem aus Gorien und dem Balash, die mit weißen und grauen Spielsteine werden säuberlich auf dem
ihrer Kabasflöte giftige Schlangen zu eigentümlichsten Tänzen Teppich verteilt - nach einer von Hunderten von lokalen
animieren. Möglicherweise geht auch der `Tanz der Mada', Varianten, über die sich alte Meister mit wenigen, gemur-
der vor allem an der Akademie von Punin zur geistigen und melten Worten, die meisten Spieler aber in halbstündigen,
körperlichen Vervollkommnung der Magier gelehrt wird, auf lustvollem Palaver einigen. Die 40 roten Kamele sind meist
tulamidische Traditionen zurück. kunstvoll aus kleinen Brocken Sandstein oder Khunchomer
Umbra geformt, die wertvolleren 28 weißen Kamele aus
Dichtkunst: Geradezu sprichwörtlich ist die tulamidische Kalk, hellem Sandstein oder - allen Tabus zum Trotz -
Liebeslyrik. `Von Aylas heißem Kuß', `Sterne über der Wüste' maraskanischem Alabaster. Die Ballaststäbchen sind meist
und die 'Herzenslieder' sind in ganz Aventurien als Klassiker einfache Kiesel - auf der verborgenen Unterseite jedoch
bekannt, wenn auch bei der Übersetzung ins Garethi viel von finden sich die traditionellen Symbole, die den Wert der
der Anmut, Sinnlichkeit und Glut des Tulamidischen verloren Ware bestimmen.
geht. "Schön wie der Lotos" ist ein wunderbares Kompliment, Dann werden die kleine Pyramiden aus Eternen-Quarz oder
aber in "Sherazadja dai al-mandas" schwingt die ganze wertvolleren Kristallen, mit einer oder mehreren Gravuren
tulamidische Seele mit. an der Spitze, ergriffen, geschüttelt und - unter Anrufung
Die fantastischen und erotischen `Geschichten von 1001 sämtlicher Glücksmächte von Phex und Rahja über Simia bis
Rausch' haben bei Generationen romantischer Jugendlicher zu den Djinnis- geworfen, um die Steine zu bewegen. So
unauslöschbar das Bild des `Landes der Ersten Sonne' ge- beginnen die Wettläufe mit immer gewagteren und raffinier-
prägt, wo jeder Mann ein verarmter Prinz und jede Frau eine teren Zügen, die von den Umsitzenden voll Begeisterung
verführerische Tempeltänzerin ist. Den Märchen kommt im begrüßt oder bemängelt werden. Man braucht eine gehörige
Land der Ersten Sonne eine besondere Rolle zu. Während die Portion Scharfsinn und Heimtücke, um den Gegner in die
mittelländische Geschichtsschreibung den Gebildeten vor- falschen Oasen zu locken und ihm zu verhehlen, welche
behalten bleibt und im Wesentlichen eine objektive Darstel- wertvollen Waren man selbst transportiert, und einigen
lung anstrebt, ist bei den Tulamiden Geschichte Allgemein- Beistand der Glücksgötter, damit die eigenen Pläne aufge-

38
Schatzkisten umherbewegen können; Hal I. ist jedoch der
erste mittelreichische Kaiser, der ein solch pompöse Spiel-
ausführung als Geschenk erhielt.

Andere Brettspiele
Die Tulamiden sind schlechthin die Erfinder der Brettspiele
und kennen noch viele weitere. Mit dem Spielzeug für Rote &
Weiße Kamele kann man auch eine einfachere Variante
spielen, 40 Kamele genannt, die eher ein reines Würfelspiel
ist und meist als erste Übung für Kinder dient.
Das Inrah-Spiel dagegen, im Neuen Reich vor allem durch
Rohal den Weisen bekannt geworden, ist ein typisch tulami-
disches Machtspiel: Der ewige Kampf zwischen dem Wind-
König, dem Herrn der Djinns, einem unverbesserlichen
Ränkeschmied, und dem mächtigen, aber etwas behäbigen
Sultan und seinen Kriegern. Beide versuchen, in den Palast
des Gegners einzudringen, jeder auf seine unnachahmliche
Weise. Das Kräftemessen dieser ungleichen, aber ebenbürti-
gen Temperamente ist für die Tulamiden geradezu
sprichwörtlich geworden, schätzen sie doch die Tugenden
beider Seiten.
Auch Urdas, "das Spiel der überquellenden Schalen", und
Garadan, bei dem man die gegnerische Schlachtlinie
durchbrechen muß, sind Spiele, bei denen nur die Klugheit
hen. Da muß man zuweilen schon das Gegenüber bei einem der Kontrahenten entscheidet. Über die Jahrhunderte sind
etwas zu fantasievollen Umgehungszug auffordern, mit sei- dafür umfangreiche Strategien entwickelt worden. Bei beiden
nen Steinen "auf dem Teppich zu bleiben". Spielen benötigt man nichts außer einigen gleichaussehenden
Gegen Ende - nach etwa einer Stunde - haben die Erregung Spielsteinen. Sogar von dem Kaiserdrachen Shafir dem
der Gegner und Zuschauer dann den Höhepunkt erreicht: Prächtigen in den Goldfelsen weiß man, daß er durchreisende.
Die Einsätze werden immer wieder erhöht und bis ins Fanta- Magier und andere Weise zu einer Partie Urdas oder Garadan
stische getrieben; ganze Harems und echte Karawanen dro- "auffordert" - sein Spielzeug besteht allerdings aus goldenen
hen den Besitzer zu wechseln. Nur das Spielzeug selbst würde Pokalen und einer (Drachen-)Handvoll Edelsteinen!
der Tulamide nie einsetzen - oder zumindest nur im
Augenblick der höchsten Not, wenn ihm der genialste Zug von Pferde- und Kamelrennen
allen in den Sinn kommt (wie es denn auch in allen Märchen Eine große Leidenschaft der Tulamiden wie auch der
von verarmten Prinzen als letzter Schritt ins Unglück erzählt Novadis sind Rennen aller Art. Manche Herren der großen
wird). Bis zum Auszählen des letzten Steines weiß keiner, wer Landgüter halten sich Geparden, die sie zur Jagd abrichten,
die wertvollere Ware heimgebracht hat, wem Ruhm und aber auch in Arenen um die Wette rennen lassen. Das
Einsatz gehören, oder ob man eines der seltenen Remis Rennen zwischen diesen `Jagdpardeln' ist meist eine
erreicht hat - oft Grund genug für die ebenbürtigen Gegner, Angelegenheit zwischen wenigen Reichen. Eine Attraktion
zwei ihrer Kinder zu verloben oder Blutsbrüderschaft zu für alt und jung dagegen sind die Rennen mit Pferden und
schließen. Nach diesem letzten glutvollen Augenblick, wie ihn Kamelen, teils auch mit Wagen. Die größten Spektakel finden
nur Tulamiden empfinden können, kehren Ruhe und alljährlich zu verschiedenen Feiertagen statt, wie etwa die
Besonnenheit unter der Palme oder dem Baldachin ein, und winterlichen Kamelrennen von Unau im Firun oder die
das murmelnde Zweigespräch mit den Glücksmächten, was Veranstaltung in der Arena von Fasar zum Frühlingsbeginn.
auch immer sie dem Spieler gewährt haben mögen." Viel öfter aber entstehen aus dem prahlerischen Vorführen
(Aus einem Reisebericht des Kusliker Hesinde-Geweihten oder dem Bewundern eines Tieres spontane Herausforderun-
Alexandrian Arivorer, 14 Hai) gen zu Wettläufen. Fast jeder Besitzer eines Reittieres fühlt
sich irgendwann bemüßigt, dessen Qualitäten all seinen
Kurz: Der Teppich und das Kästchen mit den Steinen mag für Freunde und Feinden (und von beiden hat der Tulamide
viele Tulamiden ihr wichtigster Besitz sein, und keiner wird viele) vorzuführen. Und ebenso stolz ist jeder von ihnen
sich davon trennen, wenn er es irgendwie vermeiden kann. darauf, sich als guter Reiter beweisen zu können. Fast über-
Auf den Basaren kann man sich binnen einiger Stunden und flüssig, daß die Ablehnung einer solchen Herausforderung
für etwa 10 Silbertaler ein Spiel anfertigen lassen. Nach oben als schwere Beleidigung aufgefaßt wird.
sind Luxus und Preis der Ausführung aber keine Grenzen "Wenn also Euer Gastgeber mitten im Gespräch plötzlich
gesetzt: Die Inventarlisten mancher Paläste sprechen von aufspringt mit den Worten: "Man sagt, ihr Nordländer habt
goldgewirkten Teppichen und Spielsteinen aus Rubinen und eine besondere Art zu reiten!" - dann macht ihm die Freude.
Diamanten, die Märchen erzählen von magischem Spielzeug, Und gebt Euer Bestes, denn der Tulamide hat nichts dage-
auf dem sich die Steine auf ein Wort des Zauberers bewegen. gen, zu verlieren, wohl aber, um den Kampf betrogen zu
Und viele Sultane und Kalifen konnten nicht ohne ihr werden..."
lebensgroßes Kamelspiel sein, mit einem marmornen (Aus: "Kamele und Kalifen. Meine Reisen durch die Khom
Innenhof, auf dem sich lebende Kamele und Sklaven echte in den Jahren 982 bis 988", von Ardo Stoerrebrandt)

39
Kampfspiele nehmer, gegen den man gewettet hat. Vielmehr schätzen sie
Die mächtigen Gadangstiere und Rashduler Drehhörner der es sogar, Fremde - möglicherweise mit ungewöhnlichem Stil
Bauern werden auch zu einem recht urtümlichen Sport, dem oder durch unbekannte Talente - gewinnen zu sehen. Für die
Stierkampf der Ferkinas, gehalten: Je zwei Kampfstiere Tulamiden ist der Unterhaltungswert eines Wettbewerbes
werden auf den Dorfplätzen oder in großen Arenen weit wichtiger als die Sympathie für einzelne Teilnehmer.
gegeneinander geschickt. Wenn die gewaltigen Tiere dann Aber natürlich weinen sie dem Unterlegenen, selbst wenn er
mit den Schädeln und Hörnern gegeneinander anrennen, zu Tode kommt, keine Träne nach.
scheint selbst der Erdboden zu beben. Auch auf den Ausgang
so eines Stierkampfes hat schon mancher Tulamide sein Hab
und Gut verwettet. Adamanten und Emeralde
Während in den Gegenden um Rashdul und Khunchom die
gefährlichen Spitzen der Hörner heutzutage meist mit höl- "Mit Schmuckgegenständen sind die Schatzkammern der
zernen Kugeln abgedeckt werden, läßt man die Stiere vor Tulamiden wohlgefüllt: Man hat den Eindruck, im Land der
allem in Mhanadistan (wo das Spiel ursprünglich herstammt), Ersten Sonne müßten selbst das Gold und die Juwelen, die in
aber auch in Thalusien, oft bis aufs Blut kämpfen. Wenn dann Truhen und dunklen Kammern liegen, kostbar gestaltet und
der siegreiche Bulle mit rot schimmernden Hörnern sein fein verziert sein. Besonders fällt dabei die Bedeutung auf die
Siegesgebrüll ausstößt, fühlt man sich an jene uralten die Tulamiden Edelsteinen beimessen. Natürlich ist der Wert
Märchen erinnert, wo die urgewaltigen Tiere angeblich selbst edler Metalle wie Gold und Silber bekannt. Ohne
gegen Drachen und Krokodile anstürmten. In der Provinz Juwelenschmuck werden aber auch die sorgfältigst verzierten
dagegen artet die Vorführung zuweilen eher in ein Ringe und Ketten gering geachtet, während andererseits ein
`Stierscheuchen' aus, bis man zwei alte Gadangstiere aufein- nur einfach gefaßtes Juwel einen Tulamiden höchlichst
ander gehetzt hat. entzücken kann.
Fast ausgestorben ist das alte Jagdspiel der Edlen des Dia- So kennen die Märchen auch auch allerlei prächtige und
mantenen Sultanates, bei denen jeder Bewerber mit seinem strahlende Edelsteine, die den Wert ganzer Dörfer und Städte
Falken und seinem Gepard versucht, möglichst schnell eine haben: Klare, feuerfunkelnde Adamanten, blutigrote
Taube, einen Fuchs und eine Gazelle zu töten. Eigentlich hat es Almandine, Korunde so blau wie der Himmel und das Meer,
sich nur in Aranien erhalten, wo heute jedoch Tuzaker-Hunde und Emeralde grün wie frische Blätter im Frühling."
statt der Geparden verwendet werden. (Aus dem Codex Emeraldus, von Alaar Zhavino, Kuslik, 880
Auch eine Art des ritterlichen Turniers ist bei den Recken des n.BF., Übersetzung aus dem Bosparano)
Landes der Ersten Sonne bekannt. Im Alten und Neuen Reich
ist diese Variante als Tulamidisches Treffen bekannt: In
einer relativ kleinen, kreisförmigen Arena treten zunächst In der Bearbeitung der Edelsteine sind die Tulamiden wahre
zwei Reiter gegeneinander an, auf einen Gongschlag hin Meister und zuweilen gar den Zwergen überlegen, hinter
(bzw. ein Signal des Herolds) stößt jeweils ein weiterer Reiter denen sie bei der Goldschmiedekunst - wie alle Menschen -
hinzu. Alle Kontrahenten kämpfen gegeneinander, so lange deutlich zurückstehen müssen. Vor allem beherrschen die
bis nur noch einer im Sattel ist. Für den Mittelländer mit tulamidischen Juweliere die Kunst, das natürliche Feuer der
seiner Gerechtigkeitsvorstellung klingen diese Turnierregeln Steine durch geschickten Schliff zu unterstützen, so daß sie
recht willkürlich, aber die Tulamiden haben eben andere im Sonnenschein im Lichte aller Farben sprühen. Die hohe
Vorstellungen: Wo nicht nur Kraft, sondern auch Geschick Kunst der Mathematik führte nicht nur zur Entwicklung
und List entscheiden, wird sich der richtige Mann stets nautischer Instrumente, sondern auch zu genauen Regeln für
durchsetzen. die Form der Juwelen: Neben Prismen und Brillanten finden
Kämpfe anderer Art zwischen Menschen sind eigentlich nicht sich auch viele Edelsteine, die von vier, sechs, acht, zwölf
üblich. Tulamiden ziehen ihre Khunchomer nur, wenn sie oder zwanzig gleichen Seiten begrenzt werden. So reich war
wirklich töten wollen. Weit verbreitet sind jedoch das Sultanat in alten Tagen, daß seine Fürsten der
Schaukämpfe mit feststehendem Verlauf, die aber eigentlich Überlieferung nach mit adamantenen Würfeln gespielt
schon zum großen Bereich der tulamidischen Tänze gehören. haben.
Neben solchen sorgsam geschliffenen Steinen findet man
auch immer wieder Juwelen aus urältester Zeit, die einfach
Wie überall finden auch im Land der Ersten Sonne die als Kugeln oder Tropfen geformt und poliert wurden. Zu
meisten Wettkämpfe zu religiösen Feiertagen statt: So ist es sehen sind edle Juwelen meist auf Broschen und Knöpfen, die
meist üblich, daß der Sieger eines Rennens oder Turnieres sowohl Männer wie Frauen an ihren Kleidern tragen.
anläßlich des Feiertages als erster - zuweilen sogar noch vor Gleichfalls beliebt sind juwelenbestickte Westen oder edel-
dem Landesherren - den Göttern opfern darf. Weiter wird der steingeschmückte Spangen am Turban. Zum tulamidischen
Sieger - zumindest bis zum nächsten Jahr - als Held geehrt. Stil gehört es auch, der Fassung entweder exakt geometri-
Einladungen zu Tee, Spiel und Speisen bei den wichtigsten sche Formen zu geben oder aber sie als Teil der Natur
Bürgern ergeben sich, zuweilen sogar eine Verlobung mit der darzustellen - der Edelstein ist dann die blätterumschlossene
Tochter eines reichen Hauses. Frucht eines Juwelenbaumes oder das blitzende Auge im
Antlitz eines Tieres.
Ein verbreitetes Schmuckstück mit praktischem Nutzen ist
Als Publikum von Wettkämpfen aller Art sind die Tulamiden
das Rollsiegel, ein Zylinder von etwa zwei Fingern Dicke
von auffallender Fairneß. Lokalpatriotismus oder Bevorzu-
und fünf Fingern Länge. Die kreisförmige Unterseite trägt
gung einzelner Teilnehmer wegen Rasse oder Religion kom-
eine mehr oder minder kunstvolle Gravur und dient, in
men selten vor - sofern es sich nicht um Mitglieder einer
Tusche oder Wachs getaucht, als Siegelstempel für alltägli-
verhaßten Besatzungsmacht handelt oder gerade den Teil-
che Schriftstücke, während man bei besonders wichtigen

40
Urkunden die gleichfalls reich gravierte Seitenfläche des Für die vom Glück Begünstigten, die es sich leisten können,
Stabes ausrollt. gibt es zum Reis ein Fleischragout, Pilaw genannt, aus
Diese Rollsiegel bestehen oft aus Halbedelstein, vor allem frischem Schweine- oder Hühnerfleisch oder zumindest Dörr-
Opal oder Blutstein, manchmal aber auch aus Koralle oder oder Reibefleisch. Manchmal wird das Pilaw scharf gewürzt,
Elfenbein. Sie werden meist als Anhänger an Ketten getra- mit vielerlei Kräutern und Gewürzen wie dem berüchtigt
gen und deuten die wichtige Stellung des Besitzers an. scharfen Khunchomer Pfeffer und Paprika, aber auch
Ingrimpulver, Nelkenöl und vielleicht Safran, den reiche
Besonders große Edelsteine werden durch einen eigenen Tulamiden zu hohen Preisen bei Stoerrebrandt kaufen;
Namen von der Masse der anderen Steine unterschieden. Zu manchmal wird es süß-sauer bereitet durch die Verwendung
diesen berühmten Juwelen zählt etwa der Stern von Selem, von Dattelsaft und Wein, immer schmeckt es aber recht
ein taubeneigroßer Almandin (Rubin), in dem zahllose fremdartig für den Gaumen des Mittelländers.
Flammen wie von der versinkenden Sonne funkeln. Er wurde Da die Tulamiden besonderen Wert auf zartes Fleisch legen,
nach der Flutwelle, die Elem zerstörte, in den Ruinen der wird es oft für einen Tag in Ziegenmilch-Yoghurt gelegt, was
Stadt gefunden und in Form eines Zwölfflächners geschliffen. gleichfalls für eine besondere Zartheit und einen eigenen
Gegen guten Rat trugen ihn die letzten Diamantenen Sultane Geschmack sorgt.
an ihrem Turban, obwohl es damals schon hieß, das Funkeln Echte Austern sind eine Spezialität des Perlenmeeres und so
seien die Seelen der toten Elemer. Sultan Najara hielt in der auch der tulamidischen Küche. Fisch ist dagegen eher selten
Linken, als er sich den Tod gab, auch Kaiserin Hela-Horas und - mit Ausnahme von Hai und Hering, die als Arme-
trug ihn an ihrem Todestag in ihrer Krone. Über Jahrhunderte Leute-Essen gelten - schwer erhältlich.
lag er in der Schatzkammer in Gareth, bis ihn vor knapp Auch verwenden die tulamidischen Köche sehr viel Obst aus
hundert Jahren einer der vielen Kaiseranwärter der den sonnigen Gärten. Das Hinzufügen von Aprikosen-, Me-
Erbfolgekriege raubte und prompt von seinem Rivalen Perval lonen- oder Tomatenstücken zu Fleischspeisen ist eine Be-
erschlagen wurde. Später trug ihn Kaiserin Cella, ehe sie vom sonderheit des aventurischen Südwestens, auf die der Fremde
Thron gestoßen wurde. Kürzlich wurde das kostbare Stück zuerst mit Erstaunen reagiert.
dem bornländischen Adelsmarschall anläßlich seiner Wie- Dies sind nur die Besonderheiten, die auf den Zutaten beru-
derwahl zum Geschenk gemacht. Wie es heißt, soll hen - ein tulamidisches Festmahl gewinnt seinen eigenen
Großherzog Jucho mit dem Gedanken spielen, den edlen Stein Charakter aber auch aus anderen Eigenschaften.
in seinen Marschallshelm einarbeiten zu lassen... So werden nicht nur bei den Wohlhabenden bei einem Essen
Das Eidechsenauge ist ein klarer grüner Emerald von der mehrere Gänge gereicht. Einen Gast mit weniger als einer
Größe einer Aprikose. Seit er vor 1700 Jahren bei Khunchom Suppe, einem Pilaw und einigem Obst als Nachtisch abzu-
gefunden wurde, ist er der größte und einzige Schatz des speisen, gilt als überaus unhöflich (oder Zeichen großer
dortigen Tsatempels. Sein stilles grünes Feuer hat eine Armut, was in etwa das gleiche ist).
beruhigende Wirkung auf den Betrachter und scheint die Märchen zufolge wurde bei den Gelagen der Diamantenen
Besucher zu stärken. Sultane bis zu 300 Gänge gereicht, die dann natürlich in nicht
Obwohl keine Wache den Edelstein schützt, ist er bisher mehr als einigen Happen bestanden. Noch heute pflegen die
niemals gestohlen worden: Bei allen, die es versuchen, tritt besonders Vornehmen (oder Eingebildeten) eine Vielzahl von
ein derartig gründlicher Sinneswandel ein, daß viele dies für einzelnen Speisen zu reichen, von denen sich der Gast jeweils
das Wirken der Göttin der Erneuerung halten. etwa eine Messerspitze voll nimmt. Und wenn dann ein
Kronschatz und Symbol des Reiches war allerdings das Gesandter aus dem Mittelreich sich in Unkenntnis dieser Sitte
Drachenei, ein mehr als faustgroßer Diamant, den Bastrabun, eine der kleinen Schüsseln nimmt und deren Inhalt allein
der Sieger über die Echsischen, aus deren zerstörter verzehrt, ist das natürlich ein hochwillkommener Anlaß für
Hauptstadt nach Khunchom brachte. Der Edelstein gab dem Spott über die barbarischen Nordleute, die in ihrer Heimat
Diamantenen Sultanat seinen Namen und stand Pate bei der anscheinend auch immer aus Trögen fressen...
Benennung der alten Khunchomer Prachtstraße, der Drache-
nei-Allee, von der auch die dortige Akademie ihren Namen
hat. Solange das Diamantene Sultanat bestand, lag das Juwel Bei den Getränken ist die Auswahl der Tulamiden fast ebenso
an seinem Platz im Sultanspalast - bei der Eroberung aber groß: Wasser wird allerdings kaum getrunken, nicht einmal
verschwand es und wurde bis heute nicht wiedergefunden. vom einfachen Volk, da das Wasser der Flüsse meistens recht
Viele sagen, es sei zusammen mit dem alten Imperium schlammig ist und schon viele nach seinem Genuß schwer
dahingegangen. erkrankten - statt dessen trinkt man das Wasser als Tee mit
Milch und viel Zucker. Schon vor Jahrtausenden haben die
Leute im Land der Ersten Sonne erkannt, daß Tee beim
Kochen das Wasser reinigt und Gifte vernichtet, weshalb ihn
Datteln, Reis und süßer Tee das Volk auch gegen alle möglichen Krankheiten trinkt.
Allgemein bevorzugt man leichte und fruchtige Teesorten
Wenn sich die novadische Küche durch Schlichtheit gegenüber den kräftigen, wie sie auf Maraskan angebaut
auszeichnet, so ist die tulamidische reich an Rezepten, werden. Eine Mischung der Tees der thalusischen Höhenzüge
Gewürzen und Zubereitungen. wird unter dem Namen `Tulamidengold' bis hinauf ins
Die Basis der tulamidischen Ernährung stellt der Reis dar, der Bornland verkauft. Die kostbarste Sorte ist aber wohl die
entweder gekocht oder in Palmöl gebraten wird. Dazu essen `Ongalo-Hochland-Erste-Ernte-Blattspitzen-Auswahl' - der
auch die Ärmsten Datteln und Feigen, frisch, gedörrt, Kalif von Mherwed trinkt sie ebenso wie die Herrscher in
geschmort oder eingelegt, sowie kleine gelbe Zuckermelonen Vinsalt und Gareth.
und große grüne Wassermelonen.

41
Beim Tee kommt auch die Freude des Tulamiden am Würzen Tulamidenteppiche aus Fasar sind berühmt, aber fast jede
zur Geltung. Die mit Blütenblättern aromatisierte `Rose von Siedlung und jede Landschaft hat ihre typischen Symbole
Fasar' zeugt davon ebenso wie die zahllosen Tees mit und Ornamente, die von Hand in den Teppich geknüpft,
Melonen-, Pfirsich-, Nelken- oder Bitterorangen-Aroma. diesen zu einem einzigartigen Kunstwerk machen. Das Blau
Daneben mögen die Tulamiden vor allem Fruchtsäfte und der Kamelwolle wird mit echtem Hesindigo von den Waldin-
Milch von Ziegen und Rindern, die oft der besseren Haltbar- seln erzeugt, das Gelb aus einer Lotosart.
keit halber leicht angesäuert ist.
An Alkohol schätzt man im Tulamidenland vor allem den
Zum Bild des tulamidischen Potentaten gehört auch das
schweren roten Raschtulswaller und den süßen, starken Dat-
Rassepferd, das er sich und seinen Gästen regelmäßig
telwein. Der fast geschmacklose Reiswein wird auch getrun-
vorführen läßt - selbst wenn er zu beleibt ist, um es zu
ken, von den meisten jedoch zuvor reichlich aufgezuckert und
besteigen. Die Pferdezucht ist hierzulande eine rare Kunst,
mit verschieden Duftölen parfümiert - oder aber zum
deren einziges Ziel es ist, über Generationen hinweg ein Tier
heimlichen Strecken von anderen Weinsorten benutzt...
von überwältigender Schönheit, Anmut und Grazie zu
Mit der Kunst des Brennens wurden die Tulamiden erst durch
züchten. Schon die erste Begegnung der Tulamiden mit dem
die Güldenländer bekannt gemacht - durchgesetzt haben sich
Pferd war von abergläubischer Bewunderung geprägt: 881
Spirituosen jedoch nie so recht. So kommt es auch, daß
v.BF. trafen tulamidische Fußtruppen auf ein mittelländisches
Tulamiden, die Abende lang Wein trinken können, schon
Reiterheer.
nach den ersten Schlucken Branntwein eine schwere Zunge
Die wenigen Überlebenden schilderten das Pferd als
bekommen.
Fabeltier, das den Reiter durch die Luft trüge und dessen
Seit Generationen wird allerdings bemerkt, daß die "jungen
erzene Hufe Stein und Bein zermalmten. Nach den weiteren
Städter" mit Vorliebe maraskanischen Zuckerrohr-Rum im
Schlachten gegen die Mittelländer und der Besetzung
Übermaß trinken, auch wenn sie ihn nicht vertragen. Daß er
Nebachots gelangten tulamidische Reisende mit dem ihnen
eigentlich für sie tabu sein sollte, scheint dabei einen beson-
eigenen Handelsgeschick in den Besitz wertvoller Zuchttiere,
deren Reiz auszumachen.
und in wenigen Jahrzehnten glaubte kein Fürstenhof, mehr
ohne ein Roß bestehen zu können.
Daß die Tulamiden allerlei Rauschkräuter konsumieren, ist Neben der Pferdezucht sind die Tulamiden auch für ihre
allgemein bekannt. Ein ganz besonderes Rauschkraut aber ist Kunstfertigkeit im Abrichten ihrer Tiere bekannt; die hohe
jenes, dessen verbreitetster Name Zitabhar lautet: ein Schule der Reitkunst jedoch ist sicherlich eine Domäne der
pflanzliches Pulver, das meist in der Wasserpfeife geraucht Novadis. Nur die Tulamiden dagegen beherrschen die uralte
wird. Es hat die bemerkenswerte Eigenschaft, nur dann seine Kunst, Elefanten zum Reiten und für den Krieg abzurichten.
Wirkung zu entfalten - wundersame, farbenprächtige Trug- Vergangen sind zwar die Zeiten, als zehn, zwanzig oder gar
bilder zu erzeugen -, wenn die seltsam winselnden Weisen auf hundert dieser imposanten Kolosse in einer Schlacht einge-
der Kabasflöte erklingen - und so hallen die Festsäle und setzt wurden. aber auch heute verstehen sich noch einige
Zitabhar-Hallen im Tulamidenland auch stets wider von wenige, meist mohastämmige Tierbändiger darauf, Brabaker
fremdartiger Musik, die an das Heulen der Wüstenwölfe und Waldelefanten aus dem Regenwald in den Balash und nach
das Pfeifen der Winde über den Sand erinnert und wohl schon Gorien zu schaffen, ihnen ihre Wildheit und Scheu zu
seit Jahrtausenden überliefert wird. nehmen, und sie zu gutmütigen Reittieren für die mächtigsten
Sultane und Fürsten zu machen.
Hunde sind im Land der Ersten Sonne eher selten. Ein Tier
Andere Künste der Tulamiden dagegen, das bei tulamidischen Potentaten fast schon kulti-
sche Verehrung genießt, ist die Edelkatze, insbesondere die
Die Teppiche der Tulamiden sind einer ihrer häufigsten getigerte Aranierkatze. Sie gilt als die klügste, friedlichste
Handelsgüter; fast in jedem mittelländischen Palast finden und zugleich wehrhafteste aller Katzen - eine echte
sich einige der blau-goldenen Prachtstücke. Vor allem die Tulamidin eben!

42
Die Novadis

Nach Einschätzung der Völkerkundler zählen zu den lich in Zelten. Diese Zelte (novadisch `Arm» werden von den
Novadis all jene Stämme, die in und um die Khomwüste Novadis meist aus dem Filz ihrer Schafe und Ziegen
leben und sich zum Glauben an den Eingott Rastullah hergestellt, es finden sich aber auch Stämme, die Lederzelte
bekehrt haben. Aus ihren Reihen kommt die herrschende bevorzugen. Ein echtes novadisches Zelt ist fast immer groß
Klasse um den Kalifen, sie sind das Rückgrat seiner Macht. genug für zwanzig Leute und wird von einem Mittelpfosten
Aber auch 250 Jahre nach dem Erscheinen ihres Gottes lebt und vier Seitenpfählen getragen. Diese Pfosten sind reich mit
ein wesentlicher Teil der Novadis noch als Nomaden in oder Schnitzereien oder Bemalungen verziert und neben den
im Umland der Khom. Die einzigen Städte mit fast rein Kriegslanzen meist die einzigen größeren Holzgebilde, die
novadischer Bevölkerung sind Unau und Mherwed; auch am die Wüstenreiter mit sich führen. Viele Bewohner der Khom
Erkin (West-Mhanadistan) und am Mhalik (Balash) leben vererben diese Zeltpfähle über Generationen, da sich das Holz
größere Gruppen halb-seßhafter Novadis. in der trockenen Wüstenluft gut hält, und verehren sie als
Den alten Märchen zufolge besiedelten die Vorfahren der Wohnsitz der Ahnengeister. Deshalb verwenden sie die alten
Novadis die Khom auf das Geheiß Rastullahs, um die Ge- Pfosten, bis das Zelt jeden Moment über ihnen einzustürzen
heimnisse der Wüste zu hüten, während er sich zur Großen droht - und muß ein Pfosten doch einmal erneuert werden,
Ruhe legte. wird der alte wie ein menschlicher Toter ehrenvoll bestattet.
Der Novadi gebraucht den Begriff `Aram' oft auch, um seine
Familie zu bezeichnen - das tulamidische Wort "Harem" hat
Ein Leben auf Wanderschaft sicherlich dieselbe Wurzel.

Etwa die Hälfte der Novadis - ungefähr 20000 an der Zahl - In der Zeit der Regenfälle beenden die Novadis allerdings ihr
führt auch heute noch ein nomadisches Leben in Wüste und Wanderleben und suchen meist ihre heimatliche Oase auf.
Steppe. Die Sippen ziehen mit ihren Pferden und ihrem Vieh Dort versuchen sie, dem kargen Boden Früchte zu entlocken,
auf uralten Routen durch die Wüste, von Wasserloch zu die für die restliche Zeit reichen müssen. Vor allem Hirse,
Wasserloch. Der größte Reichtum der Novadis liegt denn zuweilen auch Melonen werden auf den Feldern angebaut,
auch in ihren Tieren. Das Pferd, oft in Märchen hochgerühmt dazu werden die Haine mit den Obstbäumen und Dattelpal-
und als treuester Freund des Menschen gepriesen, ermöglicht men gepflegt und abgeerntet.
ihm die rasche Fortbewegung; das anspruchslose und kräftige Die meisten Sippen leben auch in dieser Zeit in ihrem `Arm',
Kamel ist unersetzlich bei der Durchquerung trockenster manche der reicheren Stämme haben aber auch feste Bauten,
Wüsteneien; die Schafe und Ziegen schließlich liefern die die sie aus großen Lehmziegeln errichten. Aus dem gleichen
Milch, die - neben Hirse - der Hauptbestandteil der Material besteht auch der Funduq, den fast jede Oase besitzt:
novadischen Ernährung ist. Diesen Besitz zu schützen, ist ein großes Gebäude in der Mitte des Oasendorfes, das sowohl
dem Novadi das Wichtigste, und so kennt er für Viehdiebe als Speicher für die Vorräte wie auch als Fluchtburg dient, in
auch nur eine Strafe: den Tod. die sich Frauen und Kinder während eines Stammeskrieges
Neben der Viehhaltung gibt es nur wenige Erwerbsquellen zurückziehen können.
für die Nomaden der Khom - außer dem Raub. Denn das Während der Funduq in den meisten Oasen in Friedenszeiten
Berauben der Handelskarawanen ist allgemeiner Brauch in unbewohnt ist und nur zahlreiche Räume für Hirse, Räucher-
der Wüste und gilt keineswegs als unehrenhaft. Doch hat man fleisch und Datteln sowie einzelne Lagerkammern für die
sich hier unter einem Überfall nicht vorzustellen, daß die Habseligkeiten jeder Sippe enthält, gibt es in manchen Oasen
Novadis sämtliche Begleiter der Karawane niedermachen und auch Funduqim mit prächtigen Wohnräumen für den Scheich
mit allen Waren verschwinden - zu unangenehm wären die des Stammes, der dort wie ein Monarch regiert. Stämme, die
unausbleiblichen Folgen, nämlich daß die Händler das Gebiet sich so behandeln lassen, sind allerdings selten unter den
des Stammes künftig meiden. Nein, bei einem echt Novadis und werden von den übrigen Wüstenreitern mit
novadischen Überfall ist es meist so, daß eine Horde von Verachtung behandelt.
Berittenen laut schreiend heranstürmt, ziellos Pfeile abfeuert
und die Karawane zum Halten zwingt. Danach führt der
Hairan ein langes Gespräch voll wilder Gesten und Drohge- Aussehen
bärden mit dem Karawanenführer, bis sie sich auf eine
angemessene Zahlung geeinigt haben: Die Wüstensöhne Bei den Novadis gibt es eine Vielzahl von Kriterien, die über
erhalten kostbaren Tee, Zucker, Eisen und anderes, für das die Schönheit eines Menschen entscheiden:
sie sonst teuer mit Tieren bezahlen müßten, die Kaufleute So soll der Novadi sein "von schlankem Wuchs wie die
aber haben ihren "Wegzoll" entrichtet und werden auch beim Dattelpalme, mit tiefschwarzem Haar und langem Bart, kühn
nächsten (oder zumindest übernächsten) Mal wieder die Piste blickenden Augen wie die des Falken, kräftiger, scharfer
nehmen. Nase als wie der Schnabel des Adlers und glatter Haut von
In der Zeit der Wanderschaft leben die Novadis ausschließ- der Farbe milchigen Tees." Natürlich erfüllen nicht alle

43
Novadis diesen Anspruch, doch sie hören es gern, wenn man die Verwaltung hat der Hof zu Mherwed die Khom in sechs
sie so beschreibt. Sultanate eingeteilt, deren Grenzen denen der Weidegebiete
Für den Fremden ist vielleicht am auffälligsten, welche Be- der Großstämme entsprechen. So ist es auch der Sultan, der
deutung die Novadis der glatten und hellen Haut beimessen: im Kriegsfall das Heer sammeln und dem Kalifen zuführen
Zwar herrscht der Typ des sonnengegerbten Wüstenreiters mit muß.
unzähligen Fältchen eindeutig vor - als schön gilt er den
Novadis jedoch nicht. Daher legen bei manchen Sippen auch
Wenn früher, vor dem Erscheinen Rastullahs, die Gesamtheit
die Männer einen Schleier an, um so beim Ausritt vor Sonne,
der Wüstennomaden bedroht war, schlossen sich die
Wind und Nachtfrost geschützt zu sein - doch andere Stämme
Stammesverbände manchmal unter einem gewählten Anfüh-
verspotten sie dann wegen ihrer Eitelkeit.
rer zusammen, dem Kalif, der dann die oberste militärische
Bei den Frauen legen jedoch alle Novadis größten Wert auf
Gewalt besaß und die Unternehmungen der einzelnen Stäm-
ungebräunte, fast milchweiße Haut, langes, tiefschwarzes
me und Sippen zu koordinieren versuchte. Aus der Geschich-
Haar und runde, weiche Formen - Zeichen für den Wohlstand
te kennen wir den unglücklichen Ghaftar ibn Keshban, der
eines Mannes, der seine Frauen nicht im Sonnenlicht arbeiten
den Widerstand gegen Hela-Horas zu formen versuchte, und
lassen muß. Um die Helligkeit der Haut zu betonen, ziehen
Khariman al-Rik, der das Heer der Priesterkaiserin Ameltho-
die Frauen mancher Stämme mit Kohlenruß dunkle Linien
na am Salzsee schlug. Nach Ende der jeweiligen Krise
unter die Augen.
erlosch allerdings auch das Amt des Kalifen - bis der nova-
dische Heerführer Malkillah den Titel annahm und erblich
machte.
Sippen und Stämme
Die grundlegende Einheit aller wandernden Novadis ist die Waffen und Rüstungen
Sippe: die Gemeinschaft von etwa 40 bis 60 verwandten
Männern, Frauen und Kindern. Die Sippenzugehörigkeit Die Novadis können sich ein Gefecht eigentlich nur als
spielt im Leben des Novadi eine überaus wichtige Rolle. In Aufeinandertreffen von Berittenen vorstellen, die mit lautem
Notzeiten muß er der Sippe stets unter Einsatz seines Lebens Kampfgeschrei gegeneinander anrennen. So ist denn auch
helfen, doch kommt er selbst in Not, kann er sich auch auf die die Lanze die Hauptwaffe der Novadis. Der Krieger fertigt
Unterstützung seiner Sippenbrüder verlassen. Eine logische sie oft selbst aus dem biegsamen und zugleich festen Holz
Konsequenz aus dieser Haltung ist das eherne Gesetz der der Khoramszeder und verziert sie mit allerlei Wimpeln,
Blutrache, das von jedem Sippenmitglied befolgt werden bunten Bändern und Bemalungen.
muß. Wer dagegen einen Sippenbruder verletzt oder auch nur Die Wimpel dienen zum einen beim Sturmangriff als eine
übervorteilt, wird bei den meisten Stämmen seiner Stam- Art Flügel der Lanze und sorgen für leichtere Tragbarkeit,
meszeichen beraubt - die Schmucknarben werden ausge- zum Zweiten verhindern sie das allzutiefe Eindringen der
brannt! - und für immer verbannt. Lanze in die Wunde des Gegners. Vor allem dienen die
Geführt wird die Sippe von einem Hairan, dessen Wort verschiedenen Anhängsel aber als persönliches Erkennungs-
Gesetz ist über Leben und Tod. Denn in der tödlichen Khom zeichen des Kriegers und sind insofern vergleichbar mit den
ist wenig Zeit zum Debattieren, und die kleinste Streitigkeit Wappen der mittelländischen Ritter.
kann die ganze Sippe das Leben kosten. Die Mehrzahl der Zusätzlich zur Lanze verwenden die Novadis die leicht
Stämme kennt allerdings die Möglichkeit, daß die Gesamt- gekrümmten Reitersäbel im Khunchomer Stil, die sie auch
heit der übrigen Männer der Sippe einen tyrannischen Hairan benutzen, wenn sie aus irgendeinem Grunde - z.B. in einem
seines Amtes enthebt. Ein neuer Hairan wird stets am letzten Duell - zu Fuß kämpfen müssen. Auch Leibgarden hoher
Tag des novadischen Jahres gewählt. Herren (etwa des Sultans) tragen den Khunchomer. Die Of-
Eine besondere Rolle spielt der Hairan für die Töchter der fiziere der Garde bevorzugen allerdings den Doppelkhun-
Sippe: Er ist es, der über die korrekte Behandlung jener chomer, der zweihändig geführt wird.
Frauen wacht, die in andere Sippen eingeheiratet haben. Heutzutage stammen die meisten metallenen Waffenteile
Etwa zehn bis fünfzehn Sippen bilden jeweils einen Stamm, wie Khunchomerklingen und Lanzenspitzen aus tulamidi-
der sich allerdings nur während der Zeit der Regenfälle in der scher Fertigung und werden von den Novadis nur mit Griffen
Oase, dem gemeinsamen Besitz aller Sippen, versammelt. und Schäften im eigenen Stil versehen.
Dann steht über den Hairani noch der Scheich, der die Eine Ausnahme bilden nur die Klingen der berühmten Zier-
Oberherrschaft über Stamm und Oase hat und alle Streitig- dolche namens Waqqif, zu denen ein Novadi eine besondere
keiten zwischen den Sippen regeln muß, soll keine mörderi- Beziehung hat: Sein Dolch, den er bei der Mannwerdung
sche Blutrache ausbrechen. erhält und den er bis zu seinem Tod trägt, muß von einem
Oft wird der Scheich von den Hairani der Sippen gewählt, Schmied der eigenen Sippe oder zumindest des Stammes
manchmal auf Lebenszeit, manchmal auch nur für ein Jahr hergestellt sein. Ein Waqqif wird vor allem beim Essen, als
(auch hier stets am Fünften Rastullahellah). Werkzeug und im Zweikampf eingesetzt - und um
Gemäß den alten Überlieferungen gehören jeweils zwei bis sterbenden Gegnern den Gnadenstoß zu versetzen.
vier Stämme wiederum enger zusammen und bilden damit Wer seinen Waqqif verkauft oder anders fortgibt, gilt als un-
einen der sechs Stammesverbände, die es bei den Novadis ehrenhaft und wird bei manchen wilden Stämmen gar aus der
gibt. Ein solcher Verband umfaßt mehrere Oasen und steht Sippe ausgestoßen. Eine Ausnahme bildet nur die Zeremonie
unter der Herrschaft eines Sultans. Ein Sultan fungiert bei der Blutsbrüderschaft, bei der die beiden Novadis auch
den freien Novadis in erster Linie als Schiedsrichter bei feierlich ihre Waqqifim austauschen.
Streitigkeiten sowie als Verbindung zum Kalifen: Denn für Neben Lanze, Khunchomer und Waqqif benutzen viele
Novadis

44
innere Angelegenheiten der freien Wüstenstämme mischt sich
auch ein Kalif nicht ein!
Etwas anders verhält sich das natürlich in den größeren
Oasensiedlungen und Städten: Hier hat des Kalifen Wort
durchaus hohes Gewicht. Ansonsten aber halten die Novadis
auch hier an ihrer alten Lebensweise fest: Auch die großen
Oasen und selbst Unau sind in der Trockenzeit fast unbe-
wohnt.

Heirat
Wie schon angedeutet, spielt der Heiratsmarkt für den Novadi
eine große Rolle. Wenn sich für eine junge Frau bis zu ihrem
achtzehnten Lebensjahr keine Interessenten gefunden haben,
wird sie von ihrem Vater laut schreiend angepriesen, wobei er
ihre echten oder angeblichen Vorzüge wie Gehorsam,
Arbeitswilligkeit und Schönheit hervorhebt.
Für die meisten Mädchen sieht es allerdings so aus, daß sich
die Brauteltern irgendwann einmal zusammenfinden und die
Ehe und die damit verbundenen Zahlungen von Sippe zu
Sippe aushandeln. Die Beteiligung des Brautpaares an dieser
Abmachung ist von Stamm zu Stamm unterschiedlich: Bei
manchen Stämmen muß die Braut zustimmen, bei anderen
noch Pfeil und Bogen - doch manche unter den Wüstenkrie- nur der Bräutigam, vielerorts aber ist es nur eine Abmachung
gern erachten diese Waffen als unwürdig und wenig der Eltern. Kein Wunder also, daß die Verabreichung von
ehrenhaft. Liebeselixieren aller Art zum festen Programm einer Nova-
Als Schutz verwenden Novadis hauptsächlich den spitz dihochzeit gehört - und kann sich gar ein Stamm glücklich
zulaufenden und oft von einem Pferdeschwanz gekrönten schätzen, einen echten alchimistischen Liebestrunk zu besit-
Helm, den sie zusätzlich noch mit einem Turbantuch zen, zählen seine jungen Leute zu den meistgesuchten Hei-
umwickeln. Manche Novadis tragen auch kleine ratskandidaten.
Reiterschilde, während andere sich vor allem auf ihre Andere wichtige Elemente einer Hochzeitsfeier neben reich-
Geschicklichkeit und Rastullahs Hilfe verlassen. haltigen Gelagen sind der Austausch der Geschenke, das
Der Gebrauch von Rüstungen schließlich ist unter den Überreichen des Brautpreises durch den Bräutigam, das der
Novadis nicht besonders verbreitet - schon allein, weil sich Mitgift durch den Hairan der Braut und das Zusammenbinden
viele ein spezielles, kostspieliges Kleidungsstück für Kriege der Hände des Brautpaares mit einem reichbestickten Tuch
kaum leisten können. Deshalb trägt der normale novadische aus goldgelber Phraischaf-Wolle. Dieses Akkharid genannte
Kämpfer nur seine gewohnte Kleidung und darunter allenfalls Tuch wird später im Zelt des Paares aufbewahrt. Es wird beim
ein leichtes Lederkoller, das Brust, Unterleib und Tod eines der Ehegatten oder bei einer Trennung zerschnitten
Oberschenkel bedeckt. Nur die wohlhabenderen Krieger oder zerrissen, so daß der Ausdruck "unser Akkharid ist
können manchmal auch ein Kettenhemd tulamidischer zerrissen" zum festen Bestandteil der novadischen Sprache
Fertigung aufweisen. Ein Plattenpanzer oder gar eine wurde.
Ritterrüstung wäre in der Khom etwa so sinnvoll wie eine Die Möglichkeiten, eine Ehe aufzulösen, sind übrigens recht
Kamelquadriga auf Yeti-Land! beschränkt: Ein Mann kann seine Frau nur verstoßen, wenn
sie unfruchtbar ist oder ihn zugunsten ihrer Sippe bestiehlt.
Die Frau darf den Mann verlassen, falls er ihr eine andere
Stammestreffen Gemahlin deutlich vorzieht, Streitigkeiten unter seinen
Gattinnen nicht schlichten kann, oder wenn ihre Sippe mit der
seinen eine Fehde beginnt.
Die wichtigste Zeit im Jahr ist für den Novadi die Stammes-
Was die Zahl der Frauen angeht, reicht die erlaubte Anzahl
versammlung (Chorbash) in der heimatlichen Oase. Dies ist
bis zu acht Frauen; neun Frauen darf nur Rastullah haben,
der richtige Termin für Viehhandel, Pferdemarkt und das
denn den Menschen ist der geschlechtliche Umgang am
Verabreden von Eheverbindungen zwischen den Stämmen.
achten Tag untersagt. In der Praxis haben allerdings nur die
Dann ist die Oase erfüllt mit der Musik der Dablas, Bandur-
Wenigsten mehr als drei Frauen, denn der Mann muß
rias und Kabasflöten. Ziegen, Schafe und Kamele werden
jederzeit vor den Hairani seiner Frauen nachweisen können,
geschlachtet und über großen Feuern gebraten, der Dattelwein
daß er alle Gemahlinnen auch ernähren kann. Ansonsten darf
aus dem Vorjahr ist gerade reif. Will man ein Chorbashfest
ihn die jüngst erworbene Gattin verlassen und gilt als
wirklich loben, so sagt man, es habe nichts anderes gegeben
verwitwet. Selbst diese Verteilung der Frauen führt aber noch
als "Fleisch, Tanz und Wein".
dazu, daß viele Männer ledig bleiben müssen. Kein Wunder,
In dieser Zeit werden auch die Tribute zusammengestellt, die
daß sie sich kopfüber in Stammesfehden und Rastullahs
man dem Kalif im fernen Mherwed schuldet. Die Besteue-
Kriege stürzen: Ein Leben ohne Familie gilt als Unglück und
rung ist neben dem Ausheben von Kämpfern in Kriegszeiten
Zeichen für Rastullahs fehlende Gunst!
das einzige Recht, das man dem Monarchen zugesteht: In

45
Geburt und Kindheit Bei den meisten Stämmen gelten die Jungen danach bereits
als Männer, bei anderen kommt es noch zur Einritzung der
Wenn eine Novadi ein Kind erwartet, kommen alle Frauen rituellen Stammeszeichen auf Stirn und Wangen.
der Sippe zusammen und warten vor dem Zelt, bis das
Geschlecht des Neugeborenen bekannt ist: Ist es ein Mäd-
chen, feiern sie im kleinen Kreis mit der Mutter, ist es aber Blutsbrüderschaft
ein Junge, wird rasch der Vater herbeigeholt, der (nach seinen
Möglichkeiten) ein rauschendes Fest für die ganze Sippe gibt. Von zumindest gleicher Wichtigkeit wie seine Hochzeit ist es
Bei dieser Feier darf dann auch die Mutter mit den Männern im Leben eines Novadi, wenn er mit einem Freund
zusammen speisen, denn sie muß ja dafür belohnt werden, Blutsbrüderschaft schließt; für viele ledige junge Männer
daß sie einen Sohn geboren hat - so jedenfalls sehen es die bleibt letztere Zeremonie ohnehin die einzige. Bei der Zulquh
Novadis. mischen die beiden Novadis ihr Blut und schwören sich
Bei der Namensgebung nehmen die Novadis entweder Bezug lebenslange Treue. Danach gelten sie als Brüder, mit allen
auf Eigenschaften, die sie dem Kind wünschen, oder sie Folgen: So wird der Wüstenreiter auch Mitglied der Sippe
verwenden den Namen eines bekannten Vorfahren (oft den seines Blutsbruders und unterliegt all deren Verpflichtungen.
des Urgroßvaters), so daß sich die Namen in einer Sippe alle Zahllose Märchen erzählen von Heldentaten, die ein Novadi
paar Generationen wiederholen. Gleichzeitig mit der Na- für seinen Blutsbruder verrichtete oder schildern die
mensgebung wird ein Neugeborener in die Sippenrolle ein- Tragödien, wenn beider Sippen in eine Fehde gerieten. Sehr
getragen: eine Kamelhaut, eine Zeltbahn oder ein Zeltpfosten, häufig versprechen die Blutsbrüder einander auch, ihre oft
in dem der Name in einfache Bilder übersetzt wird. (Lesen noch zu zeugenden Kinder miteinander zu vermählen, falls
können die meisten Novadis natürlich nicht.) sie verschiedenen Geschlechts sein werden.
Übrigens, so patriarchalisch die Novadis sonst sind: Wenn es
um die die Stammesangehörigkeit eines Mischlings geht,
entscheidet nur die Mutterschaft. Der Sohn eines Novadi- Bestattung
Mannes mit einer Fremden bleibt ein Fremder, selbst wenn er
im Zelt eines Scheichs zur Welt kommt; eine Blutsbrüder- Der Tote wird in einer Art bestattet, die ihn dem Himmel
schaft mit seinem leiblichen Vater und dessen Söhnen, sobald besonders nahe bringen soll. Er wird auf natürlichen
er mannbar geworden ist, ist die einzige Möglichkeit, seine Felstürmen, wie man sie häufig in der Khom findet, oder
Geburtsrechte zu nutzen. Das Kind einer Novadi-Frau auch auf von Hand aufgeschichteten Steinhaufen
dagegen gehört, falls ihr Gatte die Vaterschaft leugnet oder niedergelegt. Diese berüchtigten 'Türme des Schweigens'
falls sie ledig oder mit einem Ungläubigen verheiratet ist, zu haben also nur in der unwissenden Beschreibung durch
ihrem Stamm. Fremde Ähnlichkeit mit der Baumbestattung der Elfen.
Normalerweise lebt das Kind in seinen ersten neun Allerdings mag ein ähnlicher Hintergedanke mitspielen: Bei
Lebensjahren bei seiner Mutter und lernt all die Dinge, die für dieser Bestattungsform ist es nicht nur unvermeidlich,
das Leben in der Wüste wichtig sind. In den folgenden fünf sondern sogar erwünscht, daß der Tote den Tieren des
Jahren werden die Mädchen auf die Ehe vorbereitet, während Himmels - Geiern, Raben und anderen Vögeln - als Nahrung
die Jungen unter die Obhut des Vaters oder eines Oheims dient. Das Aufgehen des Leichnams in diesen Tieren wird
kommen und in den Kriegerkünsten unterwiesen werden. als Weg zu Rastullah verstanden.
Ein besonderes Ereignis im Leben eines Mädchens ist der Tag Grabbeigaben sind ausgesprochen selten und beschränken
des Schmucks nach Ablauf des fünften Lebensjahres: In
sich meist auf Kleinigkeiten - wie sollte sie der Tote bei der
einem feierlichen Ritual werden der Kleinen im Beisein des beschriebenen Fahrt ins Jenseits auch mitnehmen? Waffen
Vaters und Stammesältesten von der Mutter oder einer älteren und Pferde werden traditionsgemäß den Söhnen übergeben,
Schwester die Ohren und der linke Nasenflügel durchstochen üblicherweise wird der Erbe durch ein Wettrennen oder
und der erste Schmuck angelegt. Erweist sie sich bei der einen Zweikampf ausgewählt. Frauen werden gar nicht sel-
schmerzhaften Prozedur als besonders stolz und tapfer, so ten in der Sippe weiterverheiratet, besonders wenn sie von
wird sie, wenn sie neun geworden ist, wie ein Knabe in die einer anderen Sippe stammen; der Brautpreis wurde bezahlt,
kriegerischen Künste eingeführt, um vielleicht später einmal warum sollte man sie also zurückgeben?
als Achmad'sunni die Ehre der Familie verteidigen zu können.
Mädchen gelten nach ihrem vierzehnten Geburtstag als
ehefähig, die Jungen des Stammes müssen sich noch einer Kriegsführung
längeren Zeremonie unterziehen: Bei der alljährlich zur Zeit
der Stammesversammlung abgehaltenen `Amadah' kommt es Ein Kriegszug der Sippen und Stämme der Novadis ist ein
zu Reitwettbewerben und fingierten Überfällen auf andere farbenprächtiges Schauspiel von Mut, Stolz und reiterischem
Sippen, bei denen die Kinder ihr Talent und ihre Tapferkeit Können, denn fast alle Gefechte zwischen Novadis sind
unter Beweis stellen müssen. Reiterschlachten.
Wer sich dabei als Mann bewährt hat, bekommt zum ersten Ein novadischer Angriff sieht in der Regel so aus, daß nach
Mal in seinem Leben eine Portion des visionenerzeugenden dem anfänglichen Pfeilhagel eine breite Reihe von
Rauschkrautes Cheriacha. In dem nun folgenden Traum schreienden Reitern mit eingelegter Lanze heranprescht. Wer
erfahren die Jungmänner ihre wahre Berufung und - nach dem als Gegner nach dem ersten Ansturm noch auf seinem Pferd
Glauben mancher Stämme - ihren wahren Namen, unter dem sitzt oder auf seinen Beinen steht, wird entweder erneut mit
Rastullah sie kennt. der Lanze oder mit dem Khunchomer angegriffen.
Es gehört übrigens zum Brauchtum vieler Novadistämme,
Fremde mit einem inszenierten Sturmangriff zu begrüßen.

46
Verhalten sich die Neuankömmlinge ruhig und gelassen, Seite ihres Herren im Sand vergraben, wenn es Sandsturm,
werden sie hoch in der Achtung der Gastgeber stehen, Hitze oder die Nähe von Feinden verlangen. Und natürlich
während solche, die feige zu fliehen versuchen, verspottet gibt es zahllose Märchen von verletzten oder gefangenen
und mancherorts wirklich tätlich angegriffen werden. Novadi-Helden, die ihr Roß ins väterliche Lager schickten,
Für einen Novadi ist es im Übrigen keineswegs unehrenhaft, um Hilfe zu holen .
als Reiter einen Fußkämpfer anzugreifen: Kann er etwas Besonders die echten Shadif aus der Gegend von Unau gelten
dafür, wenn der Feind zu dumm ist, sich ein Pferd zu als wertvollster Besitz des Novadi. Sie sind bekannt schwer
besorgen? abzurichten, doch wem es gelingt, zu dem stehen sie in
Für die Kämpfer der Wüstenstämme gibt es kaum ein Rang- unverbrüchlicher Treue.
system: Die Kämpfer einer Sippe werden vom Hairan in den Die Novadis können sich vor allem bei den Stammestreffen
Kampf geführt, über dem noch der Scheich oder gar der tagelang mit Reiterspielen beschäftigen. Jede Sippe kennt
Sultan Befehle geben - doch letztendlich kämpft ohnehin ihre eigenen Spiele. Eines der bekanntesten wird Sindaqa (in
jeder auf eigene Faust und ohne sich um eine Schlachtord- etwa "Schlangenstechen") genannt: Dabei werden mehrere
nung zu scheren. konzentrische Kreise in den Sand gezogen, häufig in die
Mitte eine Schlange gezeichnet. Die Teilnehmer müssen in
vollem Galopp daran vorbeisprengen und dabei einen Dolch
Reitkunst möglichst in die Mitte der Kreise schleudern.

Die Beziehung der Novadis zu ihren Pferden ist geradezu


sprichwörtlich: In weniger als zweitausend Jahren sind die Rastullah
Wüstennomaden mit ihren Reittieren zu einer Einheit zu-
sammengewachsen. Wer einen Novadi bewundert, wenn er Beherrschendes Element im Leben eines Novadi ist der
vorbeigaloppiert, sich halsbrecherisch vom Pferd stürzt, auf Glaube an den Gott Rastullah, der sich selbst offenbart hat.
es aufspringt oder säbelschwingend vom Sattel hängt, denkt Daß der in Keft herabgestiegene Gott fürwahr der mächtigste
kaum daran, wieviel Disziplin das Pferd dabei mitbringen aller Götter und Herr und Schöpfer der Welt ist, wird von
muß. Darüber hinaus lassen sich die meisten Tiere durch keinem Novadi bezweifelt. Ebensowenig bestreitet jemand
Pfiffe herbeirufen oder in andere Richtungen dirigieren. Sie die absolute Verbindlichkeit der 99 Gesetze, die Rastullah
können stundenlang reglos ausharren, zuweilen sogar an der den Beni Novad gab.

47
Alles darüber Hinausgehende ist allerdings umstritten - und Somit sind auch die wichtigsten Feiertage - und wie viele
wenn ein Novadi streiten sagt, meint er streiten: Schon oft Novadis meinen, auch die einzigen, die sie feiern dürfen -
kam es zu blutiger Fehde zwischen verschiedenen Stämmen, festgelegt.
die sich nicht auf die Auslegung eines Nebensatzes in einem Der `Erste Rastullahellah' findet am 5.Tsa statt. Getreu dem
der Gesetze einigen konnten... 6. Gesetz versuchen die Novadis, ihrem Gott nahe zu kom-
men. Es ist ein allgemeiner Fasttag, oft verschärft durch
Basis der Religion sind also die 99 Gesetze, die den Großteil freiwilligen Aufenthalt in der Wüste. Manche lassen sich gar
von Rastullahs Offenbarung an jenem schicksalhaften Tag bis zum Hals eingraben oder entleiben sich selbst, um ihrem
ausmachten. Leider enthält die einzige Aufzeichnung, das Gott nahe zu sein.
Heilige Buch "Rastullah in Keft" von Hahmud Dhach'gamin, Der `Zweite Rastullahellah' am 18. Peraine legt besondere
keine Angaben über die Gesetze. Die ersten schriftlichen Betonung auf Treue, Loyalität und Schwüre. Novadis schwö-
Niederlegungen wurden - was Wunder bei einem ren, indem sie einfach Rastullahs Namen ausrufen. Zumin-
Nomadenvolk - erst Jahre später gemacht. Das Buch, das dest für ein Jahr sind sie dann an ihren Schwur gebunden.
heute (größtenteils) als verbindlich angesehen wird, "Also Traditionellerweise findet - kurz nach Ende der Regenzeit
spricht Rastullah", wurde erst ab 130 v.H. von dem Erstem und der Aussaat - der Aufbruch der Karawanen aus dem
Mawdli ar Yerhani in Unau diktiert und wurde auch als erstes Winterlager statt.
in den 19 Geheiligten Glyphen geschrieben, die heute im Der `Dritte Rastullahellah' am 1.Tag des Namenlosen ist eher
Kalifat, in Rashdul und in Fasar statt der Kusliker Zeichen unbedeutend. Er wird jedoch gerne als Tag der Blutrache
verwendet werden. genützt. In der mörderischen Sommerhitze brechen junge
Hier nun ein Überblick über die bekannteren der 99 Gesetze: Männer auf, um das Ziel der Blutrache oder Ungläubige zu
Im 1. bis 10. Gesetz wird der besondere Kalender der einem Zweikampf zu fordern.
Rastullah-Gläubigen niedergelegt, mit der neuntägigen Woche Der `Vierte Rastullahellah' am 9.Efferd fällt in die schwere
(Gottesname genannt), und der Einführung der fünf Rastul- Arbeit der zweiten Regenzeit. Er ist ein willkommener
lahellahs, um die 365 Tage des Jahres abzudecken. Ruhetag, an dem sich die Männer bei stillen Gebeten und
Das 14. bis 20. Gesetz sind die berühmten und vieh- einer Pfeife Cheriacha entspannen; vor allem die letzte Pfeife
belächelten Nahrungsvorschriften, an denen vor allem sich bei Sonnenuntergang wird traditionellerweise besonders
die Geister der Novadis scheiden; laut dem 24. Gesetz dürfen zelebriert.
die Novadis nur reines Geschirr verwenden. Der `Fünfte Rastullahellah' am 22.Boron schließlich ist der
Dann folgen fast zwei Dutzend Gesetze zu Charakter und höchste Feiertag. Meist wird vom Jahresende über Rastullahs
Verhalten, von denen das 41. und 42. Gesetz - die Verteidi- Erscheinen bis zum zweiten Tag des Neuen Jahres
gung der Ehre - besonders gerne zitiert werden. durchgefeiert - der einzige Zeitpunkt, bei dem man Novadis
Das 50. bis 55. Gesetz befiehlt die Mehrung von Rastullahs ausgelassen und fröhlich sehen kann. Bei Tanz- und Ge-
Ruhm und Macht. Im Gegensatz zu einem beliebten Vorurteil sangsvorführungen, Reiterspielen und - für ihre Verhältnisse
schützt den erobernden Novadi keine besondere Jenseits- - üppigen Gelagen vergnügen sich auch die härtesten Wü-
verheißung. Der Novadi muß die Angst vor dem Tod über- stenräuber. Auch die Hairan-Wahl findet traditionell an
winden und bereit sein, seinem Gott das größte Opfer zu diesem Feiertag statt.
bringen.
Ab dem 62. Gesetz wird in göttlicher Voraussicht der
Bekanntlich kennen die Rastullah-Gläubigen keine Priester,
Umgang mit Ungläubigen geregelt, insbesondere der Umgang
jeder Novadi ist aufgerufen, das Wort seines Gottes zu
mit den Frauen der Ungläubigen (bis heute ist das berühmte
verkünden und neue Gebiete für ihn zu erobern. Dennoch
`Haus Keft' in Gareth Sonderfall eines eigenen Bordells für
kennen sie religiöse Autoritäten in Gestalt der Mawdliyat und
Novadis geblieben). Das 67. und 68. Gesetz behandelt aus-
der Heiligen Männer.
drücklich die Anbeter der Gottechse, die dereinst das Stamm-
Die Heiligen Männer sind Eremiten, die sich meist in die
Gebiet der Novadis beherrschten.
Wildnis - sehr häufig in Höhlen - zurückziehen, um dort ein
Ab dem 77. Gesetz widmet sich die Offenbarung fast
Leben zu führen, bei dem sie gegen keines der 99 Gesetze
ausschließlich der körperlichen und geistigen Ertüchtigung
verstoßen. Sie werden üblicherweise am `Fünften
des Novadis, wie etwa durch den Ringkampf (80. bis 83.
Rastullahellah' besucht und um Rat gefragt. Dies geschieht
Gesetz), das Gebet, das Meiden jeder Magie, oder das
stets in ritualisierter Form: Die Fragen werden eingeleitet mit
Bemühen, stets alle Gesetze im Geiste zu haben (99.Gesetz).
"Meister, oh sage uns .." - der Heilige Mann antwortet ebenso
Interessanterweise gibt es kein Gesetz, das dem Novadi das
salbungsvoll: "Höret meine unbedeutenden Worte..."
Lügen, in welcher Form auch immer, verbietet.
Die Novadis haben eine gewisse Scheu davor, diese Männer
auch zu anderen Zeiten aufzusuchen, wissen sie doch, daß sie
Allgemeines Einverständnis herrscht auch über den novadischen damit deren Bemühungen um Abgeschiedenheit zunichte
Kalender, wie er in den ersten fünf Gesetzen niedergelegt ist. machen. Es ist jedoch üblich, daß die Frauen des nächsten
Für den Ungläubigen sorgt der Kalender leicht für große Stammes Nahrung und zuweilen auch Kleidung in der Nähe
Verwirrung, da er sich weder mit den 30-Tage-Monaten der des Wohnortes des Heiligen Mannes deponieren, um ihm so
Mittelländer noch mit der Rechnung nach Monden und sein Leben zu ermöglichen.
Wochen verträgt. Neujahrstag ist der 23.Boron, an dem sich Die Mawdliyat dagegen sind Religionslehrer, die sich mit der
Rastullahs Erscheinen jährt. Das Jahr wird eingeteilt in 40 mündlichen und schriftlichen Auslegung der Gesetze
Gottesnamen zu je 9 Tagen. Die verbleibenden fünf der 365 beschäftigen. Der Titel eines Mawdli ist aber keineswegs ein
Tage werden als besondere Feiertage, Rastullahellah genannt, offizielles Amt. So gibt es durchaus Gelehrte, die "zur Be-
nach jedem achten Gottesnamen eingefügt.

48
lehrung, Schriftauslegung und Erbauung" berufen werden - Nach den ersten Eroberungen bildete sich aus den Beratern
häufig sogar für Geld oder zumindest angemessene Kost, der Kalifen die Unauer Schule mit ihrem Hauptwerk "Also
Unterkunft und Kleidung. Gerade reiche Novadi-Händler sprach Rastullah". Ihr Kennzeichen ist der frühe Versuch, die
haben im Ausland oft solch einen Lehrer oder gar einen Zwölfgötter d unterworfenen Szintaui in das Glaubens-
Mawdli in ihrer Begleitung, um sie in der verwirrenden und gebäude einzufügen, indem man sie zu niederen Geistwesen
sündigen Fremde auf dem rechten Weg zu führen. erklärt und Rastullah in die Nähe Los' rückt. Bekannt wurde
sie auch durch die großzügige Auslegung des 16. Gesetzes,
Die Bedeutung der Mawdliyat ist aus den bereits erwähnten das den Verzehr von allem verbietet, "was lange Ohren und
Zwistigkeiten über religiöse Inhalte entstanden. Diese be- eine Schuppenhaut trägt und was im Wasser ist". In jüngerer
ginnen nämlich bereits bei der Auslegung der 99 Gesetze, die Zeit hat die Unauer Schule entschieden, daß man Ungläubi-
teilweise sehr unterschiedlich überliefert sind und vor allem gen direkt ins Gesicht blicken darf, wenn auch mit der
das Leben der zurückgezogenen Wüstennomaden regeln, die nötigen Mimik: `Strafend blicken wie ein Novadi' ist zum
es damals in Keft gab. Um die Gesetze an die sich rasch geflügelten Wort geworden.
ändernde Lage anzupassen, bedarf es sorgfältiger Auslegung Prominentester Vertreter der Mherweder Schule ist der Erste
- und deshalb entstanden schon bald Rechtsschulen, in denen Mawdli des Kalifen, Sheranbil ibn Amullah.
man sich der Zusammenstellung der Überlieferungen sowie
dem Streben nach korrekter Anwendung der Vorschriften Neben diesen zwei "offiziellen Schulen" gibt es auch solche,
auf neue Ereignisse widmete. die eher abwegige Ideen vertreten und nur wenig weltlichen
Je größer das Reich des Kalifen wurde und je mehr Ungläu- Einfluß genießen; man findet sie vor allem am Rande des
bige es umfaßte, desto mehr gewann die richtige Interpreta- Kalifats.
tion an Bedeutung, und desto deutlicher traten die Extrem urtümliche Ansichten hegen die Vertreter der Schule
Unterschiede zwischen den führenden Rechtsschulen hervor. von Fasar: Dort, in der ältesten Siedlung der Tulamiden,
Die älteste ist naturgemäß die Schule von Keft, die stets für glaubt man an die Identität Rastullahs mit dem uralten
ihre strenge Auslegung der Gesetze bekannt war: Stammesheros Rashtul!
"Und fragt ihr, weshalb uns der Herr Rastullah seine Gesetze "Ist es nicht offenbar, daß Rastullah Seine Hand über das
gab? Er tat es, um uns abzugrenzen von jenem unwürdigen ganze Volk der Tulamiden hält? Hat Er nicht bereits die
Gewimmel der Gottlosen und Ungläubigen, die vor Geistern meisten seiner Glieder unter der Führung der Kalifen
und Dämonen auf dem Bauche liegen und den Dreck des versammelt?
Bodens schlucken. All ihr Gerede von zwölf Göttern und So lehre ich Euch: Schon vor Äonen lebte Rastullah unter
urzeitigen Götterkämpfen ist wie das Stammeln des den Menschen und schützte die Beni Tulam vor allen
Wahnsinnigen, der die Schwingen der Wüstenfledermaus Feinden. Hat Er damals nicht den gebirgigen Schutzwall
spürt - denn außer dem Herrn Rastullah gibt es keinerlei aufgeschüttet, der Seinen Namen trägt? Hat Er nicht Seine
Götter, sondern alles ist Dämonengezücht und Söhne hinabgeführt in das Tal des Mhanadi, auf daß sie gut
Menschengespinst. Wir sind die Beni Novad und dienen leben konnten?
dem Herrn der Schöpfung, der uns zu seinen Dienern Als alles wohlgeraten war, legte Er sich hin und verließ
erwählte, um all jene zu strafen, die seinen Willen mißachten Seinen irdischen Körper, um Seinen Geist über alle Beni
und seine Herrschaft leugnen. Tulam zu ergießen. Und schützte Er nicht weiterhin Sein
Wenn wir nach seinen Gesetzen leben, wie er sie uns wörtlich Volk?
übermittelte, wird uns zuteil werden der Sieg über die Gott- Hat Er nicht Seinen eigenen Sohn Bastrabun geschickt, die
losen, wenn wir aber jenen Sündhaften folgen, die Anpas- Echsen zu zerschmettern?
sung und Überarbeitung der göttlichen Offenbarung predi- Doch zuvor hatte Er verheißen, in Stunden der Not werde Er
gen, wird uns der Herr Rastullah davonwischen von seiner zurückkommen. Und ist er nicht einem Stamm der Beni
Schöpfung wie der Sturm hinwegfegt den Grünen Heukäfer. Tulam erschienen, angetan mit Seiner ganzen göttlichen
Deshalb wisset: Als der Herr Rastullah seine Gesetze formu- Würde? Hat Er Seine Verheißung nicht eingehalten?
lierte, gab er bei jedem Wort seine göttliche Gnade hinzu, auf So sage ich Euch: Der Tag der göttlichen Herrschaft auf Dere
daß es in seiner göttlichen Gewalt nicht den Menschen wird anbrechen, wenn alle Tulamiden vereint sind in einem
zerschmettere. So wisset denn auch, daß man diese Gesetze Reiche und alle Eindringlinge zurückgeworfen in das Meer,
wörtlich zu befolgen hat und keine Aufweichung durch aus dem sie kamen - dies ist die einzige Aufgabe dessen, der
Menschengeist zulassen darf. Denn bleiben wir streng zu uns sich Kalif nennt, denn Herrscher ist allein Rastullah!"
und unseren Pferden, unseren Sklaven, unserem Vieh und (Der Fasarer Prophet Aytan)
unseren Frauen, wird uns der Herr die Ungläubigen auslie-
fern, auf daß wir sie hinabschicken in die Niederhöllen - dort
aber wird man sie verbrennen, erwürgen, neunteilen, schin- Vorgebracht in einem der Machtzentren des Kalifats, hätte
den... " (Es folgen 23 weitere Hinrichtungsarten.) eine solche Predigt gewiß Aufruhr und den raschen Tod des
(Ruhollah Marwan al-Hendj, Hoher Mawdli zu Keft) Redners zur Folge - in Fasar aber, der Stadt ohne Herrscher,
darf man auch solcherlei predigen und sogar auf einigen
Erfolg hoffen.
Heute ist die Kefter Schule nicht mehr so mächtig wie
ehedem, was ihren Einfluß auf höchste Stellen im Kalifat Zuletzt könnte man noch die Selemer Schule erwähnen -
angeht - wenn auch keiner wagen würde, das offen auszu- auch wenn dieser Ausdruck mehr zum allgemeinen Synonym
sprechen. In der Khom allerdings folgen auch heutzutage für "verrückt" geworden ist. Gelehrt wird nämlich ein
noch viele der fanatischen und strengen Auslegung der 99 Konzept, das allen gültigen Ansichten über die Natur der
Gesetze. Welt widerspricht:

49
"Nun mag es vielleicht stimmen, daß dieser Rastullah einst lung von den Neun Frauen Rastullahs, auch wenn keine
die Welt erschuf. Wer kann das wissen, schließlich ist das Überlieferung der göttlichen Offenbarung sie erwähnt. (Warum
lange her und es gibt keine Unterlagen. Daß er sich dann aber auch sollte ein Gott von so etwas Unwichtigem wie Frauen
zurückzog, stimmt sicher, denn es ist keine Ordnung mehr in reden?) Die verbreitetste Liste der Neun liest sich
der Welt. So konnte es auch geschehen, daß einige Dämonen folgendermaßen:
die Welt betraten und sich als Götter verehren ließen... Das "Hellah ist die erste Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er
heißt, vielleicht haben die Menschen sie auch gerufen, oder Umgang am Ersten Tag. Sie war vor langer, langer Zeit eine
die Elfen - wer weiß? sehr mächtige Herrscherin und Magierin in den Ländern des
Ich vermute, daß schließlich ein Hohes Wesen in unsere Westens, doch auch die Länder der Ersten Sonne suchte sie
Sphäre kam, kein ordentliches Volk mehr fand und keinen heim mit Gewalt und Zauberei.
Platz bei den anderen Göttern und sich deshalb zum Eingott Schließlich aber wurde es dem Herrn zuviel und er sandte
erklärte - ja genau, damals in diesem Wüstennest Keft. seine Diener Sonne und Sturm, Feuer und Wasser, die böse
Ob man Rastullahs Gesetze halten soll? Nun, da bin ich Hellah zu fangen. So geschah es, und nun ist die einstige
entschieden dafür: Wenn man sich anschaut, wie sich seine Sultani die Dienerin Rastullahs, der sie straft für ihre Taten,
Jünger über die halbe Welt ausgedehnt haben - das macht wenn er zu ihr kommt mit Ungestüm und all seiner Kraft.
einen schon betroffen. Also muß er wohl sehr mächtig sein, So ist sie denn ständig ergrimmt und schickt dem Novadi
und wenn er Freude hat, Gesetze zu erlassen... Das machen nichts Gutes.
die Fürsten anderswo auch immer gern." Orhima ist die zweite Frau Rastullahs, mit ihr hat er
(Abudar ibn Dhersa, "Mawdli" zu Selem) Umgang am Zweiten Tag. Sie ist gerecht und ehrbar und
dem Herrn eine gute Hilfe beim Fällen der Göttlichen Urteile.
Vor Zeiten war Orhima eine kluge Wesirin, so berühmt und
An jedem anderen Ort in Aventurien wäre ein derartiger glänzend wie die Sonne. Ihre Urteile gingen dank der Gnade
"Gelehrter" ohne Federlesens unverzüglich als Ketzer des Herrn niemals fehl und belohnten stets den Unschuldigen
verbrannt worden - doch in der verrückten Stadt Selem kann und straften den Sünder. So beschloß der Herr, die weise und
man anscheinend selbst die Götter zutiefst lästern und der gerechte Beraterin der Fürsten zu seiner Gemahlin zu ma-
Strafe entgehen. chen. Orhima lebt heute im Göttlichen Palast und erwartet
den Herrn, um nach langem Liebesspiel mit ihm die wichti-
Auch die Orte der Verehrung Rastullahs unterscheiden sich gen Streitigkeiten der Welt zu beraten und ihm beim Urteilen
von denen der Zwölfgötter. Bethäuser des Eingottes sind zur Hand zu gehen.
keine Institutionen, die von einer Priesterschaft geführt und Orhima genießt großen Einfluß auf den Herrn und hilft all
von tributpflichtiger Bevölkerung erhalten werden. jenen, die stets für Ehrlichkeit und das Recht eintreten.
Vielmehr sind sie einfach Gebäude, die von reichen und Shimja ist die dritte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er
mächtigen Novadis gestiftet wurden, damit sie auch anderen Umgang am Dritten Tag. Sie ist eine gewitzte Frau und steckt
als Bethaus dienen. Für die meisten Bethäuser wird ein voller neuer Einfälle. Shimja war einst eine Sterbliche, jung
Verwalter bestellt, manchmal sogar ein Mawdli; ab und zu und von kleiner Gestalt, doch überaus erfindungsreich - sie
finden sich auch gläubige Söldner, die Bewachung und ersann viele Dinge, die dem Menschen das Leben erleichter-
Schutz des Bethauses übernehmen. Die Erhaltung des Hauses ten und ihn stolz gegenüber den Mächtigeren machten. So
und seiner Insassen bleibt stets dem Stifter überlassen. Nur mußte der Herr Shimja zu sich holen, doch auch für ihn
die wenigsten Novadis würden so ein Bethaus durch eigene ersann sie allerlei Spielereien, die sein Auge erfreuten. Nun,
Opfergaben unterstützen. als seine Frau, kann sie vieles erfinden und sendet allerlei
Auch Rastullah selbst wird keineswegs mit Geschenken Neues hinab zu den Sterblichen - am meisten aber sinnt sie
überschüttet: Was sollte er mit all den Dingen anfangen, die auf neue Spielzeuge, die ihr die Zeit vertreiben bis zum Tag
er selbst erschaffen hat? Häufig sind jedoch Votivtafeln, der Lust, wenn der Herr wieder zu ihr kommt.
Statuen und ähnliche Widmungen, mit denen Novadis Ra- Shimja liebt all jene Novadis, die gerne Neues ersinnen und
stullahs Gunst in der Stunde der Not oder während ihres neuen Wegen folgen, ihnen sendet sie Hilfe und gute
ganzen Lebens preisen. Einfälle.
In den Bethäusern findet sich auch fast immer ein heiliges Rhondara ist die vierte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er
Bild Rastullahs, das vom Stifter aufgestellt wurde. Typisch Umgang am Vierten Tag. Sie hat ein gar wildes Gemüt und
für die Darstellung Rastullahs ist es, daß der Gott niemals in ist streitlustig wider die anderen acht, dem Herrn aber begeg-
seiner Gesamtheit gezeigt wird (die der Mensch in seiner net sie mit Liebe und Demut. Rhondara war einstens eine
Erdgebundenheit nicht begreifen kann), sondern sich nur die tapfere Kriegerin in dem Sultanat, das man Nebachot nennt,
Abbildungen einzelner Körperteile finden. So findet man in und kämpfte gegen viele Feinde. Den Herrn erfreute der
einem Bethaus eine goldene, spendend geöffnete Hand, in Anblick ihres schönen Körpers und ihrer Muskeln, so
einem anderen eine mit Edelsteinen besetzte Spirale, die eine erschien er ihr als löwenhäuptiger Drache und holte sie auf
Locke von Rastullahs Haupt darstellt, in einem anderen dem Rücken einer Löwin zu sich. Auch heute noch, so heißt
einen tropfenförmigen Diamant, der als eine Träne des es, tollen der Herr und seine Gemahlin als Löwe und Löwin
Eingottes betrachtet wird. Seit den ersten Kalifen nehmen durch die Himmlische Wüste.
diese in Anspruch, daß nur in ihrem Bethaus ein Standbild Rhondara ist dem tapferen Krieger wohlgesonnen und schickt
stehen darf, welches das Antlitz Rastullahs zeigt. ihm Stärke und Wagemut.
Heschinja ist die fünfte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er
Neben der hochtheologischen Diskussion über das Wesen Umgang am Fünften Tag. Sie ist eine weise Frau und klug
Rastullahs findet sich noch allerlei Volksgut rund um den und bedächtig und versteht dem Herrn gar wohl zu raten.
"Gott der Götter". Unausrottbar hält sich etwa die Vorstel-

50
Heschinja war einst eine wissensreiche Magierin und verstand Andere Zusammenstellungen erwähnen noch bekannte Sa-
sich auf alle Künste der Zauberei. Soviel wußte sie über die gengestalten wie Kaiserin Svelinya oder die Magierin
Magie, daß sie unsterblich und übermächtig zu werden Nahema.
drohte, hätte der Herr sie nicht rechtzeitig zu sich geholt. So
lebt sie denn im Palast Rastullahs und hat Gesellschaft an Aufmerksame Aventurier werden sicherlich bemerkt haben,
ihrer zahmen Schlange und unzähligen Schriftrollen über das daß in der Aufzählung von Rastullahs Frauen etliche
Wesen der Welt, doch viel mehr Freude, Befriedigung und Göttinnen aufgenommen wurden. Auch die Unauer Schule
Erfüllung gewährt ihr der Herr, wenn er zu ihr kommt. erlaubt es durchaus, andere Götter als existent zu akzeptieren;
Heschinja schätzt jene, die bereits großes Wissen haben, und bei sehr großzügiger Auslegung spricht sogar nichts dagegen,
sendet ihnen Weisheit und neue Kunde. auch diese Gottheiten zu verehren - solange man Rastullah als
Dschella ist die sechste Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er Schöpfergott anerkennt, der so weit über jedem anderen Gott
Umgang am Sechsten Tag. Sie ist die jüngste der Neun und steht wie dieser über einem Menschen.
wankelmütig - stets gehorcht sie ihrem Gefühl und wenig der Die Verehrung Rondras etwa vertrug sich von Anfang an
Einsicht. Einst gewann sie die Gunst des Herrn durch ihr bemerkenswert gut mit der Rastullahs. Auch unsere verläß-
frohes und offenes Wesen, mit dem sie alle zu verzaubern lichste Quelle über Rastullahs Erscheinung stammt von einem
verstand. Sie tanzte überall im Land der Ersten Sonne und Rondragläubigen. Gerade in Fasar und Mhanadistan sehen
selbst an heiligen Stätten, so fröhlich war ihr Sinn - der Herr viele Krieger nichts Verwerfliches darin, Rondra, wenn nicht
lohnte es ihr, indem er sie zu sich holte, auf daß sie sein als Göttin, so doch als Schutzherrin der Kriegerehre zu
Gemüt erfreue. huldigen, und zuweilen wird sie eben als eine der neun
Dschella mag all jene, deren Geist auch den Wert der Frauen des `Löwen des Himmels' betrachtet.
Heiterkeit kennt, ihnen schickt sie Freude und Genuß. Die meisten anderen Gottheiten jedoch werden höchstens als
Marhibo ist die siebte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er mächtige Geister verstanden. So kennen die Novadis den
Umgang am Siebten Tag. Sie ist still und ernst und denkt viel bockleibigen Lev'tan als den Dämon der Versuchung, der den
an die Tage, die da vergangen sind - denn sie war einst die Gottgefälligen am achten Tage zur Unzucht anstiften will.
Tochter eines Fürsten des Landes der Morgenröte, doch der
Herr sandte ihr den Tod. Erst als sie auch den Boten des
Todes mit ihrem stillen Liebreiz erfreute, nahm der Herr sie
zu sich und machte sie zu seiner Gemahlin. So wohnt sie Die Novadis glauben fest daran, daß ihr Gott ihnen auch in
denn in seinem Serail und gedenkt der längst dahingegange- alltäglichen Fragen Fingerzeige gibt - zum einen durch die
nen Verwandten und Freunde, die meiste Freude aber Worte seiner 99 Gesetze, zum anderen durch natürliche
beschert ihr der Herr, wenn seine Liebe sie alles vergessen Erscheinungen, die nur noch richtig gedeutet werden müssen.
macht außer der Gegenwart seiner starken Arme. So existiert ein vielfältiges Wahrsagerwesen, teils durch die
Marhibo achtet jene, deren Sinn gerichtet ist auf die Vergan- Heiligen Männer des Rastullah, teils durch andere Weise. Sehr
genheit, doch sie liebt niemanden denn den Herrn und sendet häufig ist etwa die Vogelschau: Alle Novadis achten auf den
keinem ihre Gunst. Flug bestimmter Vogelarten - vor allem natürlich jener, die
Khabla ist die achte Frau Rastullahs, mit ihr pflegt er durch die Speisegebote ausgezeichnet sind - und versuchen,
Umgang am Achten Tag. Sie ist lüstern und liebestoll und den Willen des Gottes herauszulesen. Einer der bekanntesten
versteht den Herrn stets mit ihrem Können zu entzücken. Sie Weissprüche etwa ist: "Wenn der Geier gen Keft fliegt, so
war einst eine Hirtin im Lande der Khom und überaus schön bereite alles für deinen Sohn, wenn der Geier von Keft
von Angesicht und Gestalt, so daß alle Männer und viele kommt, so folge dem Willen deines Vaters." Solche Sätze
Frauen nach ihr verlangten. Eines Tages verfolgte die Pfer- eignen sich natürlich besonders, einen geheimen Sinn darin
dedämonin Rasha die junge Hirtin und bedrängte sie mit ihrer zu suchen - und ihn nachträglich sogar bestätigt zu sehen.
Gunst - der Herr rettete die junge Hüterin der Tiere und nahm Die novadische Sterndeuterei ist eng mit dem Rastullah-
sie zu sich, doch seitdem ist ihr Verlangen nach heißem Fleisch Glauben verbunden. Die Hauptrolle spielen die acht Planeten
geblieben und der Herr bereitet ihr großes Entzücken, wenn und die Sonne, die alle einem der neun Tage eines
er sich ihr naht. Gottesnamens zugeordnet sind. Auch mit den neun Frauen
Khabla ist allen hübschen und jungen Männern und Frauen Rastullahs bestehen deutliche Querverbindungen: Der Planet
wohlgesinnt und schickt ihnen Schönheit, auf daß die anderen Kor wird mit dem vierten Tag verbunden - als Mutter des
Völker sie beneiden und begehren. Söldnergottes Kor wird Rondra, die vierte Frau Rastullahs,
Amm el-Thona ist die neunte Frau Rastullahs, mit ihr hat er verehrt.
Umgang am Neunten Tag. Sie ist der Abglanz seiner Herr- Ebenso beliebt ist das Lesen in den Schlieren auf dem Boden
lichkeit und so schön und grausam wie die Sonne. Einst war eines Dattelweinbechers, wenn man etwas über den
Amm el-Thona eine gewaltige Sultanin im kalten Norden, Trinkenden herausfinden will. Genauso vertritt man die
doch ihr Herz verzehrte sich nach der Wärme der Sonne. So Ansicht, daß das Leben eines Menschen in den Adern seines
zog sie denn mit ihrem ganzen Hofstaat in die Khom und Augapfels vorgezeichnet ist.
brachte sich selbst als Opfer - und der Herr erhörte sie und
machte sie zu seiner Frau. Nun lebt sie in seinen Gemächern
und erfreut sich der Wärme des Herrn, wenn er sich ihr Kleidung
huldvoll zugesellt.
Amm el-Thona ist hochmütig und hart und behandelt alle An einem so lebensfeindlichen Ort wie der Wüste kommt der
Sterblichen mit dem Gleichmut der Sonne." `Hof-Almanach Kleidung natürlich eine besondere Schutzfunktion zu:
unseres Gottes Rastullah', Mherwed 5 v.H. Tagsüber brennt die Sonne so unbarmherzig, daß es
lebensgefährlich sein kann, sich ohne Kopfbedeckung im
Freien aufzu-

51
halten, die Nächte hingegen sind oft bitterkalt. Dazu kommt daß er das Gesicht der Trägerin kaum verhüllt, aber ihren
der fast ständige Wind, der feinen Sandstaub mit sich führt Zügen den Zauber des Geheimnisvollen verleiht. Trifft man
und es notwendig macht, Nase und Mund zu schützen und zu außerhalb der Khom auf dicht verschleierte Novadis, so
bedecken. handelt es sich hierbei um besonders strenge und glaubens-
Auch bringt die Wüste nicht viele Fasern hervor, aus denen starke Männer und Frauen, die keinem Ungläubigen gestatten
man Stoffe fertigen kann, und darum ist bei den Nomaden- würden, ihr Antlitz zu betrachten.
stämmen Wolle, meist Kamelhaartuch, die Hauptgrundlage Schmuck wird bei den Novadis fast nur von Frauen getragen -
der Kleidung. zumeist aus Gold gefertigt, seltener aus Silber, bisweilen aus
Wohl ähneln sich die Gewänder aller Novadis in Art und einfachen Glasperlen, aber immer aufs Feinste verarbeitet:
Schnitt, was aber die Stoffe und die Verarbeitung angeht, so zierliche Finger- und Nasenringlein, Fußkettchen mit
gibt es schon große Unterschiede zwischen den Kleidern der klimpernden Münzen daran, klirrende Arm- und Halsreifen
Wüstennomaden und denen ihrer Glaubensbrüder, die als und prächtige Spangen und Ohrgehänge aus Filigran.
Händler, Handwerker oder Lehrer in den Städten am Rande Bei den Männern schmücken nur der Hairan und solche, die
der Khom, in Mhanadistan und Thalusien leben. Feines über ihm stehen, ihren Turban mit einem in Gold gefaßten
Linnen aus Kuslik, kostbare Seide aus Al'Anfa und schim- Stein als Zeichen ihres Ranges. Goldene Fingerringe mit
mernder Samt aus Gareth sind den Festgewändern der reich- Adamanten oder anderen kostbaren Steinen tragen nur Sul-
sten Wüstensöhne und -töchter vorbehalten, in Mherwed und tane oder Kalifen.
Unau sieht man Leinenkleider weit häufiger als solche aus Erwähnt sei in diesem Zusammenhang noch die Sitte man-
Wolle, und wer es sich dort leisten kann, trägt Seide und cher Stämme, Zaumzeug und Brustgurt ihrer Pferde mit
Damast vom ersten bis zum neunten Tag. Schmuck zu behängen. Meist sind dies geometrische Figuren
Was den Schnitt der novadischen Kleidung betrifft, so wollen aus gestanztem Goldblech, Kreise, Halbkreise, Dreiecke,
wir als Beispiel die sogenannte Kefter Tracht beschreiben: Rauten und dergleichen, denen eine schwer verständliche
Über einer einfach geschnittenen Bluse werden weite Zahlensymbolik zugrunde liegt, basierend auf denjenigen der
Beinkleider getragen - bei den Männern unterhalb des Knies 99 Gesetze, in welchen Pferde erwähnt werden. Zudem:
gerafft, bei den Frauen hingegen bis zu den Fesseln reichend. "Pferde und Frauen sind der kostbarste Besitz eines Novadis,
Die Leibesmitte ist mit einer verzierten Schärpe umwunden, und beide sollen gehorsam, fruchtbar, schön und mit
unter die auch die Dolche und Krummsäbel geschoben Schmuck behängt sein." (Aus dem Kommentar des Shabob
werden. Die Frauen tragen diese Schärpe gern ein wenig al-Hillhil zum 42. Gesetz, 92 v.H.)
tiefer, so daß sie die Üppigkeit der Hüften betont und den Ist die novadische Alltagstracht eher schlicht und zweckent-
wiegenden Gang aufs Köstlichste unterstreicht. sprechend - wenn sie auch bei manchen reicheren Stämmen
Sein Haupt schmückt der Novadi mit einem zum Turban durch eingewebte Muster, Stickereien, Fransen, Troddeln und
gewundenen Tuche, wobei seine gesellschaftliche Stellung dergleichen des Hübschen und Schmucken durchaus nicht
über die Länge der Stoffbahn entscheidet. Frauen dürfen entbehrt - so suchen die Festgewänder der Wüstenkrieger an
keinen Turban tragen; sie putzen sich statt dessen mit bunten Farbigkeit und Pracht ihresgleichen. Wir wollen hierzu ein
Kopftüchern heraus, welche vorn mit Glasperlen oder Gold- paar Verse aus dem "Lied von der schönen Braut", einem
plättchen verziert sind. Eine kurze, ärmellose oder langär- achtzehnstrophigen Kinderlied, zitieren. Nach etlichen
melige Weste rundet die Kefter Tracht ab; auf diese Weise Versen, in denen die Schönheit der Braut gepriesen wird -
sind die meisten Novadis gekleidet, wenn sie sich innerhalb ihre helle Haut, die Üppigkeit ihrer Formen, die
ihrer Zelte oder Häuser befinden. Geschmeidigkeit ihrer Glieder, die kuhäugige Sanftmut ihres
Im Freien tragen sowohl Männer als auch Frauen häufig Blickes - folgt eine ausführliche und wortreiche Be-
einen Gesichtsschleier, der Mund und Nase vor dem sandigen schreibung ihrer Untergewänder - weiß wie Salz - die wir
Wüstenwind schützt. Um Kopf und Schultern wird ein großes getrost übergehen können. Dann heißt es:
Tuch geschlungen, dem bei den Männern ein kleiner Turban
Halt verleiht, wohingegen die Frauen ein besticktes Käppchen
von der Form eines flachen Zylinders darüberstülpen. Bei Ihr Beinkleid ist aus Seidentaft
Ausritten in die Wüste schließlich wird der Silham getragen, von üppig weitem Schnitt,
der den ganzen Körper bedeckt, und dessen Kapuze - Turban und an den Fesseln ist's gerafft,
und Wickeltuch werden noch darüber getragen - auch im und rauscht bei jedem Schritt.
Sandsturm schützt.
Ist der Kleidung aller Novadis eine gewisse Üppigkeit und Die Bluse aus Thaluser Seide
Fülle und der lockere Sitz gemeinsam, so unterscheiden sich ist fein wie Flor gesponnen
die Gewänder der einzelnen Stämme doch voneinander: Am und golddurchwirkt, und wie Geschmeide,
Rand der Amhallassih-Kuppen bevorzugen die Männer sich so glänzt sie in der Sonnen.
nach unten verjüngende Beinkleider, in Birscha und Schebah
tragen die Frauen knielange, weitschwingende Röcke über Die Weste ist von Kefter Samt,
ihren Pluderhosen, und die Krieger des Shadifs kleiden sich mit Stickerei verziert.
in wattierte, längs oder rautenförmig gesteppte Jacken, um Die Schärpe, die aus Khunchom stammt,
nur einige Beispiele zu nennen. den schlanken Leib umschnürt.
Den Gesichtsschleier findet man gelegentlich auch bei den
Novadifrauen in Mhanadistan und Thalusien und selbst bei Und blaue Schuhchen zieht sie an
Tulamidinnen. Hier hat er sich jedoch, seiner Schutzfunktion mit eingerollten Spitzen,
enthoben, zum reinen Zierat gewandelt: So fein ist der Stoff, mit Bommelchen und Perlchen dran,
die in der Sonne blitzen.

52
Nun folgen einige Verse über das Kämmen und Frisieren der der Dürre, ihre Lippen werden mit blutbetauten Säbeln
Braut - wie ihr rabenschwarzes Haar zu einem kunstvoll verglichen und ihre Zähne mit Perlen auf der Schnur oder
verschlungenen Zopf geflochten wird. Über den Schmuck Zicklein auf der Weide.
heißt es weiter: Während nun aber bei den Tulamiden die Liebeslieder immer
von heiterer Sinnlichkeit durchdrungen sind und zumeist mit
Die Krone setzt sie auf den Kopf-ein einer Lobpreisung Rahjas und ihrer Gaben enden, so
reich geschmückter Reifen. Und versetzen die novadischen Liebesgesänge die Zuhörer oft in
Sulibeths blauschwarzen Zopf zier' n einen Gemütszustand, bei dem Leidenschaft und Sehnsucht,
gold' ne Bänderschleifen. Trauer und Gier aufs Seltsamste vermischt sind.
Dies rührt aber gewiß nicht nur von den Worten her, sondern
Und ihre Ringe sind von Gold, hängt ganz entschieden mit der Art des Vortrages zusammen.
und golden ihre Spangen, Bei den Novadis steht dem Sänger häufig nur ein Dabla-
und an den zarten Öhrchen hold Trommler zur Seite, der den Vortrag rhythmisch unterlegt
gold'ne. Geschmeide prangen. und akzentuiert. Und wie seltsam ist doch der Gesang! Dem
Fremden mag er näselnd und monoton erscheinen, kunstlos
womöglich, da er nicht viele Töne umspannt, die hohen und
Die nächsten Strophen handeln von den Sorgen der Braut, ob
die tiefen meidet und die wenigen in der Mitte aufs
sie wohl ihrem zukünftigen Eheherrn gefallen werde. Durch
Sonderbarste zum Schluchzen und Vibrieren bringt. Aber je
sorgfältiges Schminken versucht sie ihre Schönheit zu
länger er zuhört, desto weniger wird er sich dem Bann des
verstärken; in dieser Kunst werden bei den Novadis schon die
Gesanges entziehen können, und falls er schon einmal eine
kleinen Mädchen unterwiesen. Besonderes Augenmerk legt
Kabasflöte gehört hat, so wird er vielleicht finden, daß die
sie auf das Färben der Zehen, der Fingerspitzen und des
Stimme des Sängers dem Klang dieser Flöte gleicht und eine
Nabels mit rotem Hannilsud. Das Lied endet:
hypnotische Kraft hat, die ihn Stimmung und Gefühle des
Liedes begreifen läßt, auch wenn er die Worte nicht versteht.
Die Kohlenaugen schwarz umrandet, So nimmt es denn nicht Wunder, daß gute und hochgeschätz-
das Mündchen wie Korallen - te Sänger bei den Novadis nicht sehr häufig sind, denn diese
so schön geschmückt und schön gewandet Art des Singens kann nicht jeder lernen, und auch wer die
wird dem Gemahl sie wohl gefallen. Gabe dazu hat, muß lange Jahre üben, um seine Stimme zu
vervollkommnen.
Das folgende Lied gehört eigentlich zu der Gruppe der geist-
Poesie und Musik lichen Gesänge, wird aber, da kein Gebet im strengen Sinne,
selten in einem Bethaus vorgetragen; in den Zelten der From-
Da die novadische und tulamidische Poesie, ihre Lieder und men ist es jedoch an manchem Rastullahellah zu hören.
Tänze gleichen Ursprungs sind, haben sich bis heute viele
Gemeinsamkeiten erhalten. Aber der unterschiedliche Glaube
dieser beiden Volksgruppen hat ihre Lebenseinstellung, ihr
Naturell, ja selbst ihr Seelenleben so stark geprägt, daß Das Lied der Dünen
Wirkung und Bedeutung ihrer Künste recht verschieden Sehet das Band der Dünen im Schimmer der sinkenden
voneinander sind. Sonne,
Im Gegensatz zum lebensbejahenden und sinnenfrohen Naturell rötlich beschienen die eine, und bläulich die andere Seite.
des Tulamiden ist der Novadi ernst und streng. Sein Glaube Labsal sind sie dem Auge, Trost dem Herzen und Wonne, wie
und das harte Leben als Wüstennomade lassen wenig Raum sie wie leuchtende Wellen sich hinzieh'n in endloser Weite.
für Scherz, Leichtigkeit und Frohsinn. Löst er sich aber aus Aber der nächtliche Sturm verändert die lieblichen Hügel:
dem Alltag, sei es beim Feiern, im Rausch oder bei Gebet und Fahlgraue Ketten erheben sich dräuend im Frühlicht; und
Meditation, so kann sich sein Empfinden von tiefer Hingabe der Pilger nach Keft ergreift verzweifelt den Zügel, wenn der
oder verzehrender Leidenschaft bis zu Raserei und Ekstase Huf seines Pferdes hilflos in treibenden Sand bricht.
steigern. Und diese seelische Veranlagung findet ihren Nie-
derschlag auch in den künstlerischen Hervorbringungen des
Wüstenvolkes.
Balladen und Heldenepen sind allen Völkern im Land der Sehet den Wüstengalan in der Pracht seiner goldbunten
Ersten Sonne fremd. Bei den Liedern der Novadis nehmen Federn,
geistliche Gesänge einen breiten Raum ein, aber auch welt- wie er sich putzt und stolziert als ein schöner und brünstiger
lichen Liedern lauscht man gern und mit Hingabe (Wiegen- Freier,
und Kinderlieder wollen wir hier vernachlässigen). Sie han- wie er die Blutotter jagt im schützenden Schatten der Zedern,
deln zumeist von allgemeinen Themen: dem Lauf des Lebens, wie er ein Nest scharrt im Sande für die gesprenkelten Eier.
des Jahres oder Tages, der Beschreibung eines Pferdes, einer Aber die grausame Glut der Sonne versengt das Gelege, und
Landschaft oder Blume, und vor allem von der Liebe. von den wolligen Küken wird keines das Tageslicht schauen.
Gerade bei dem letzten Thema entfaltet sich die Lust der Sinnlos des Vogels Bemühen, all seine Hege und Pflege,
Novadis an wortreichen Beschreibungen und an blumiger doch er wird Jahr über Jahr wieder die Nestmulde bauen.
Sprache voller Bilder und Vergleiche in besonderem Maße:
Da werden der Nabel der Geliebten als Kelch voller Süße
beschrieben und ihre Brüste als leuchtende Kuppeln, ihre
Die nächste Strophe handelt von einem edlen Pferde, dem
Augen gleichen Brunnen, die nach Regen dürsten in der Zeit
Stolz des Novadi: mutig, klug und folgsam - so wird es

53
beschrieben; aber der Vers endet so traurig, daß er nur selten
gesungen wird.
Die vierte Strophe preist ein schönes Mädchen, die Blume
der Oase; aber nur einen Wimpernschlag später sehen wir
sie, wie sie als zahnlose Bettlerin in der Fischerstadt von
Unau die dürre Hand ausstreckt nach einem Almosen.
Die letzte Strophe besingt Dünen, Pferde, Mädchen, preist
die Schönheit, die ach so vergänglich ist, wie Sand in
Rastullahs Hand, und endet mit einer Lobpreisung des Schöp-
fergottes, der alles so weise ersonnen und sinnreich
beschlossen hat.

War bisher immer von novadischen Sängern die Rede, so


heißt dies nicht, daß es keine Sängerinnen gibt in der Khom.
Aber die Wüstenkrieger scheinen der männlichen Stimme
den Vorzug zu geben, auch sind Frauen starken Beschrän-
kungen unterworfen, was die Wahl der Themen ihrer Lieder
betrifft, so daß die Zahl der berühmten Sängerinnen geringer
ist als die Tage zweier Gottesnamen.
Außer den üblichen tulamidischen Instrumenten kennen die
Novadis noch die Nasenflöte, die es dem Spieler erlaubt, mit
der Kehle einen zusätzlichen Ton zu erzeugen - ein höchst
seltsamer Effekt. Dient bei den Tulamiden die
Instrumentalmusik als Begleitung von Gesang, zur
Verstärkung des Rauschkrautgenusses oder als Tanzmusik,
so kennen die Novadis sie fast nur in der letzteren Form.

Tanz
Der Tanz spielt im Leben der Novadis eine wichtige Rolle,
Schautänze zur Ergötzung des Publikums genauso wie die
wilden Volks- und seltsamen Trancetänze der Männer und
Frauen. Bei den Tänzen sind die Geschlechter stets getrennt; kriegerischer Tanz; er wird mit dem Khunchomer oder Säbel
Paartänze oder gemischte Gruppen sind beiden Völkern getanzt, einzeln, zu zweit oder in der Gruppe, und imitiert auf
fremd. Reigentänze, bei denen die unverheirateten Mädchen tänzerische Weise einen Kampf - ein gefährliches Vergnü-
die jungen Männer mit ihren Reizen necken, und jene, im gen, denn die Waffen sind scharf, und bei den zahlreichen
Gegenzug, mit ihrer Kraft und Geschicklichkeit prunken, rituellen Figuren, wie dem wirbelnden Sonnenrad, kann es
kann man auf fast jedem novadischen Fest beobachten. durchaus zu Verletzungen kommen.
Von den Trancetänzen seien der Shefteli als Männertanz und
der Mouzmazar als Frauentanz erwähnt. Diese rituellen Tänze Der Frauentänze aber gibt es so viele, daß wir sie unmöglich
werden meist nur von Dabla und Nasenflöte begleitet und alle benennen und beschreiben können; da gibt es Tänze mit
können sich über Stunden hinziehen, wobei sich das Tempo Schlangen, mit Fingerschellen, verzierten Stäben, bunten
immer mehr steigert, die stampfenden Schritte immer Bändern und zarten Schleiern, auch werden bisweilen Ge-
schneller werden, bis die Tänzer einen Zustand der Entrückt- genstände auf dem Kopfe balanciert, z.B. Amphoren, Säbel
heit erreicht haben. Die Frauen erlangen die Trance, indem sie und Leuchter. Charakteristisch für den Tanz der Frauen sind
sich am Ende des Mouzmazar bis zu einer Stunde lang die weichen, anmutigen Bewegungen der Arme, das Wiegen
schneller und immer schneller um sich selber drehen und und Kreisen der Hüften, die kleinen, trippelnden Schritte, die
dabei den Kopf im Kreise pendeln lassen. Diesen Tänzen lebendige Mimik, die Schmerz und Sehnsucht, Zaudern, Sieg
werden reinigende und erneuernde Kräfte zugeschrieben, sie und Unterwerfung gleichermaßen auszudrücken vermag.
sollen Krankheiten der Seele vertreiben und den Tänzer seiner Auch verstehen es die Tänzerinnen, auf erregende Weise das
Gottheit näherbringen. Fleisch ihres Bauches und ihrer Hüften zum Schwingen und
Lauschen die Novadis auch meist lieber einem Sänger als Vibrieren zu bringen. Bei manchen Tänzen winden sie sich
einer Sängerin, so scheinen sie, was tänzerische Darbietungen gleich Schlangen am Boden, biegen ihren Körper zu
betrifft, dem weiblichen Geschlecht den Vorzug zu geben, ungeahnten Posen, fremd und sinnlich, aber niemals ohne
und das haben sie mit den Tulamiden gemeinsam. Uns sind Grazie, und es gibt Tänze mit der Waffe, die dem
nur zwei Männertänze bekannt: der Bel-Dechi, was Schattenkampf der Krieger gleichen, und viel Kraft,
"Schwirrende Dolche" bedeutet, bei dem die Tänzer während Geschick und Mut von der Tänzerin verlangen.
der komplizierten Schritte, Sprünge und Drehungen, Schön herausgeputzt sind sie, die tulamidischen und
Wurfdolche zwischen die Füße ihrer Gefährten in den Boden novadischen Tänzerinnen, über und über mit klirrendem
schnellen lassen und der Khunchalla, zuweilen auch Tanz der Schmuck behängt, aber die kostbaren, zarten Stoffe ihrer
Assinati genannt, ist ein ebenso wild-akrobatischer, Gewänder verhüllen nur wenig von den biegsamen Körpern.

54
Eine gute Tanzdarbietung ruft bei Tulamiden und Novadis ohne jede Kunstfertigkeit - jedenfalls in den Augen der
oft solche Begeisterung hervor, daß sie der Tänzerin stam- städtischen Tulamiden und Mittelreicher. Vor allem die Hirse
pfend und johlend Beifall spenden und ihr mit einem wahren gilt außerhalb der Khom als mindere Speise. Dabei läßt sich
Hagel von Münzen, edlen Steinen oder Schmuck danken. allerdings feststellen, daß die Novadis mit den wenigen
Auch scheint es, daß manchen Tänzen eine Magie vorhandenen Zutaten Gerichte herstellen, die eines gewissen
innewohnt, die das Publikum verzaubern kann bis zur Reizes nicht entbehren: Es ist erstaunlich, wie sehr sich
völligen Selbstvergessenheit. Wasser, Hirse und Milch - und manchmal Fleisch - variieren
Vom Kalifen Haschabnah wird berichtet, daß oft düstere lassen. In der Regel wird die Hirse auf dem Kamelmistfeuer zu
Stimmungen seinen Geist umwölkten; auch wurde er von einem dicken Milchbrei gekocht, der sich auch trocknen und
Schmerzen an Kopf und Gliedern heimgesucht, die keine später kalt essen oder, zu schuhsohlenförmigen Fladen
Medizin vertreiben und kein Heiler lindern konnte. Die geformt, mit etwas Schmalz braten läßt. Geschmackliche
Kunde von den Leiden des Kalifen erreichte die Tänzerin Variationen werden durch getrocknete Datteln Feigen und
Riftah Saba al Assiaban, die größte ihrer Zeit, und sie bat, vor einige wenige Würzkräuter erzeugt. Unter den Gewürzen sei
dem Kalifen tanzen zu dürfen. Mit nur einem Tanz heilte sie besonders erwähnt das Feuerkraut, dessen Schärfe, die dem
ihn von seiner rätselhaften Krankheit, und er belohnte sie Fremden das Wasser in die Augen treibt, zugleich eine
reich mit Gold und Adamanten. konservierende Wirkung hat.
Tatsächlich gibt es im Land der Ersten Sonne Tänzerinnen, Datteln zählen zur wichtigsten Nahrung der Novadis - sie
die über arkane Kräfte verfügen; zwar können sie nicht essen sie frisch oder trocknen sie und verwenden sie während
zaubern wie Magierinnen oder Hexen, denn ihre magische der Wanderungen als nahrhafte Speise für sich und auch ihre
Begabung ist völlig anderer Natur, aber sie sind doch Pferde und Kamele. Die verschiedenen Dialekte kennen bis
machtvolle und hochangesehene Frauen. Nur diese wenigen, zu elf Namen für verschiedene Süße, Reifegrade und Ver-
von Rastullah (oder Rahja oder Hesinde) Ausgezeichneten, wendungszwecke der nahrhaften Früchte.
sind in der Lage, magische Tänze aufzuführen. Sieben dieser Die Milch der Schafe, Ziegen und Kamele kann in der Wüste
Tänze sind den Tulamiden bekannt, aber einige novadische kaum länger als einen Tag aufbewahrt werden - deshalb
Tänzerinnen beherrschen deren neun. kennen die Novadis die Sitte, die überschüssige Milch mit
Natürlich können auch solche Tänzerinnen, die keine arkane Lab zu versetzen und zu säuern und so dickflüssigen Quark
Gabe besitzen, das Publikum mit ihrer Kunst verzaubern, es und Yoghurt zu erhalten, der in vielen Speisen Verwendung
fesseln, zu Tränen rühren oder in sinnliche Leidenschaft findet und auch gern einfach mit viel Zucker gegessen wird.
versetzen. Die magischen Tänze aber können sie niemals
erlernen.
Die Kunstfertigkeit einer novadischen Tänzerin wird in neun Die novadische Vorstellung von einem Festmahl läßt sich in
Stufen eingeteilt, von denen die erste als leichte, und die wenigen Worten skizzieren: "Fett, salzig und süß" muß das
neunte und höchste als gnadenreiche Kunst bezeichnet wird. sein, was einem Hairan als edel erscheinen soll. So türmen
Nur die erste Stufe der Tanzkunst kann ein Mädchen in den sich denn bei einem der seltenen Festessen gebratene Ziegen,
Zelten der Frauen lernen - die Namen der Tänze und Stile, Schafe und Hühner auf gekochter Hirse und Reis, übergossen
wie den zögernden, den herrischen oder den verlangenden, mit süßen, würzigen und vor allem scharfen Soßen. Das
die Bewegungen des Körpers, die Schrittfolgen und Tanzfi- starke Salzen ist vor allem in Unau verbreitet.
guren. Erweist sie sich als gelehrig, und äußert sie den Dazu trinkt man dann teuren Raschtulswaller oder einheimi-
Wunsch, Tänzerin zu werden, so wird diese Entscheidung in schen Dattelwein in großen Mengen, so daß am nächsten
der Regel von der Familie respektiert, und man wird sie bei Morgen die Köpfe dick und die Zungen pelzig sind - ein
einer der berühmten Frauen in die Lehre schicken; Novadi hat nun einmal selten Gelegenheit zu einem Rausch.
Tänzerinnen sind bei den Novadis hochgeachtet; man glaubt, Dafür wissen sie das Wasser sehr zu schätzen. Wohl kein
daß sie unter dem besonderen Schutz von Rastullahs Nichtnovadi wird die Gefühle verstehen können, die aus den
Gemahlin Dschella stehen. Unter den Frauen können nur sie Versen des novadischen Dichters Abu ibn Surkan sprechen:
und die Achmad'sunni ein wirklich freies und unabhängiges
Leben führen und mit den Jahren viel Ruhm und große "Langsam trinke ich das Wasser -
Reichtümer anhäufen. sanft spiegelt es die Höhe des Himmels.
Übrigens scheint es, daß die Novadis einer reifen Tänzerin Doch sein Geschmack ist gleich dem der tiefsten Erde,
den Vorzug geben vor einer jungen - die berühmteste derzei- kraftvoll und weich in einem.
tige Tänzerin, Nereida el Khallili, zählt dreiundvierzig Lenze. Süßer als Dattelsaft
Dies liegt nicht nur daran, daß der weibliche Körper mit den berauschender als Wein
Jahren oft üppiger wird und dem novadischen Schönheits- erregender als die Liebe
ideal besser entspricht - erst die Erfahrung des Lebens, die - die Gabe des Herrn
Kenntnis seiner Leidenschaften und Sehnsüchte, Freuden und
nach neun Tagen der Dürre und Sonne."
Leiden, verleiht in den Augen der Novadis dem Tanz die Kraft
und Wahrhaftigkeit des Ausdrucks. Wenn Novadis allerdings einmal einer Karawane begegnen,
kaufen (oder rauben) sie Tee und vor allem aranischen
Zucker, mit dem sie den starken Teesud so sehr süßen, daß es
für einen Mittelländer ein Graus ist.
Essen und Trinken Ein anderes verbreitetes Getränk ist das Khalaff: Man bereitet
es, indem die Milch der Ziegen oder Kamelstuten langsam
Die ursprüngliche novadische Küche ist ein Produkt der über einem Feuer oder durch die Wüstensonne getrocknet
harten Umweltbedingungen: Sie ist einfach, nahrhaft und wird. Die sich bildenden Brocken bewahrt man auf

55
und wirft sie am Morgen in einen Wasserschlauch, um nach durch Gebet und Kampf, Rastullah zum Wohlgefallen und
einem Tag des Reitens einen nahrhaften und süßlichen Seim sich selbst zum Frommen, gemäß der Forderung des 77. Ge-
zu haben. setzes, wo es heißt: der Gottgefällige stärkt Geist und Körper
durch Gebet und Kampf' wollen wir uns berufen.
Interessant sind auch die Eßmanieren der Novadis: Einerseits Wie aus dem Titel der Denkschrift deutlich wird und wie
essen sie selbstverständlich mit der bloßen Hand, der Sarhidi auch über etliche Seiten erläutert, geht es beim
Gastgeber stopft dem Gast gar die besten Brocken in den Schattenkampf nicht nur um die Stählung des Körpers; er ist
Mund. Andererseits darf der gläubige Novadi nur Geschirr durchaus auch eine religiöse Übun g, und vom gottesfürchti-
verwenden, das nicht von Ungläubigen berührt wurde. Selbst gen Krieger wird erwartet, daß er ihn so oft wie möglich
feinste Töpferwaren dürfen daher nur aus Mherwed oder ausführe, "mindestens aber einmal während eines Gottesna-
Unau stammen und werden versiegelt an ihren Bestim- mens, außer er befindet sich im Kriege, um das Reich der
mungsort geschafft. Rechtgläubigen zu vergrößern. In diesem Falle bereite er sich
auf den Krieg vor, indem er an allen Tagen eines Gottes-
Namens, außer am achten, den Schattenkampf übe."
Rauschmittel und Gifte Den Schattenkampf zu beschreiben, ist nicht einfach, denn es
gibt auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares. Und überdies
An Rauschkräutern kennen die Novadi nur einen Bruchteil wird er meist im Verborgenen ausgeführt. Dabei ist er doch
der Fülle, die von den Tulamiden verwendet wird. In der
ein genauso fester Bestandteil der kriegerischen Ausbildung,
Praxis hat nur Cheriacha größere Bedeutung wegen seiner
kultischen Verwendung. Das getrocknete Fleisch eines wie die religiöse und moralische Unterweisung oder die
Wüstenkaktus raucht man, allein oder vermischt mit Tabak, Vermittlung der 27 erlaubten Griffe beim Ringkampf.
in einer Wasserpfeife, um Visionen zu suchen. Die Kraft des Der Schattenkampf wird immer mit der Waffe - dem Säbel,
Krautes führt den Raucher bis in die Nähe Rastullahs und Khunchomer oder Doppelkhunchomer - durchgeführt, und er
sorgt so für göttliche Offenbarungen. Von allen bedeutenden ähnelt über Strecken dem Gefecht mit einem unsichtbaren,
Anführern der Novadis weiß man, daß sie Cheriacha rauchten verbissen kämpfenden Gegner: Wilde Attacken mit wuchti-
- der jetzige Kalif ist da keine Ausnahme. gen Hieben gegen Kopf, Brust oder Beine des Unsichtbaren,
Interessant ist, daß die Stacheln des Cheria-Kaktus ein relativ schnelle Drehungen, um dessen Schlägen auszuweichen,
gefährliches Gift enthalten: Eine Stichverletzung reicht oft, Sprünge und Paraden wechseln einander ab. Wundem muß
um das Opfer in einen Rausch zu schicken, von dem es - man s i c h , daß die heftigen Hiebe, die doch nur Luft
zumal in der Wüste - keinen Rückweg findet. Andererseits durchschneiden, dem Schattenkämpfer niemals das Gleichge-
benutzt auch die Bruderschaft der Salzgänger getrocknete wicht rauben; auch wird man nicht beobachten, daß seine
Cheriastacheln bei der Anbringung der rituellen Klinge jemals den Boden berührt, selbst wenn er den imagi-
Schmucknarben auf Stirn und Wangen... Viele schreiben nären Gegner vom Scheitel bis zur Sohle zu spalten scheint.
diesem Brauch die geradezu elfische Fähigkeit der
Und der entrückte Ausdruck seines Gesichtes mit den halb-
Salzgänger zu, sichere Wege über den trügerischen und
launischen Cichanebi-Salzsee zu finden. geschlossenen Augen hat so gar nichts gemein mit der
Der Menchal-Kaktus dagegen wird vor allem geschätzt, weil grimmig-wilden Miene eines novadischen Kriegers beim
sein Saft gegen Gifte fast jeder Art wirkt; der tulamidische echten Kampf.
Aberglaube sagt deswegen Novadis wie Ferkinas nach, gegen Aber die Bewegungen des Schattenkämpfers sind nicht nur
Gifte immun zu sein. schnell: Schien er gerade noch mit wirbelndem Schwung eine
ganze Schar von Gegnern zu enthaupten, so wirkt es, nur einen
Wimpernschlag später, als habe er Macht über die Zeit und
könne ihren Fluß verlangsamen. So seltsam gedehnt sind seine
Schattenkampf Bewegungen, daß sie kaum noch an einen Kampf gemahnen -
eher gleichen sie einem unendlich langsamen Tanz oder,
Vom novadischen Schattenkampf haben schon viele Krieger
wenn man so will, dem behaglichen Räkeln und Strecken
außerhalb der Khom gehört, aber selbst an den bedeutenden
einer Raubkatze - und wiederum muß man sich wundern, daß
Akademien wird viel Falsches und Verzerrendes über diese
der Krieger dabei nicht das Gleichgewicht verliert.
eigentümliche Kampfübung berichtet. Und so wollen wir ihn
Nun, solches wird man beobachten können, wenn man einen
hier etwas ausführlicher behandeln, damit sich der Leser
novadischen Krieger beim Schattenkampf beobachtet.
selbst ein Urteil bilden möge.
Freiwillig wird kein frommer Novadi diese Übung einem Un-
Zunächst einmal: Der Schattenkampf ist nicht, wie oft be-
gläubigen vorführen; er würde damit gleich gegen zwei der
hauptet wird, "so alt wie der Rastullahglaube", und er wird
achtzehn diamantenen Regeln verstoßen, die Sarhidi für den
auch nicht - wie es ebenfalls heißt - "in einigen der 99
Schattenkampf aufgestellt hat.
Gesetze genau beschrieben". Richtig ist vielmehr, daß er erst
Regel 1: Der Krieger ziehe sich zurück von allen Menschen
seit der Denkschrift des berühmten novadischen Ring- und
und suche einen Platz auf, wo er einsam ist und nicht gesehen
Säbelkämpfers Sarhidi el Sardanap aus dem Jahre 156 v. H. in
werden kann, wenn er den Schattenkampf übt.
der heutigen Form durchgeführt wird. (Jedoch beruht er
natürlich auf uralten Traditionen, wie man sie etwa bei den
Hadjiinim beobachten kann.) Und auf diese Denkschrift mit
dem Titel "Wie der Gottgefällige Geist und Körper stärkt

56
Regel 12: Der Krieger betreibe den Schattenkampf niemals ruhigsten, was wohl durch ihren beträchtlichen Reichtum aus
zur Ergötzung anderer, oder um mit seiner Geschicklichkeit dem Karawanenhandel verursacht wurde. Die wilderen und
zu prunken. Dies ist eine Sünde. ärmeren Stämme betrachten sie mit leisem Spott, da sie ihren
Wir wollen noch einige weitere, wichtige Regeln aus Sarhi- Scheichen und ihrem Sultan große Macht einräumen und nur
dis Denkschrift zitieren, weil wir glauben, daß in ihnen der selten einmal Fehde unter den Sippen herrscht.
eigentümlich religiöse Charakter dieser Kampfübung gut
zum Ausdruck kommt. Den Stamm der Beni Schebt kennt man vor allem aufgrund
Regel 7: Der Krieger entledige sich , bis auf den Schurz, aller des skurrilen Heiratsbrauches, den sie in ihrer Oase Schebah
Gewänder, die den Körper beengen, wenn er den pflegen. Bei der großen Chorbash in der Regenzeit kommt es
Schattenkampf übt. bei ihnen zu einer regelrechten Frauenversteigerung: Der
Regel 9: Der Krieger befreie sein Herz von Zorn und Grimm, eigens gewählte Versteigerer beginnt mit dem schönsten der
wenn er sich anschickt, den Schattenkampf zu üben, und sein bis zu zwanzig Mädchen und versucht, möglichst hohe
Geist soll frei sein von schweifenden Gedanken. Brautpreise in Form von Schafen, Kamelen, Pferden und
Regel 2: Der Krieger verlasse sein Zelt und übe den Teppichen zu erzielen. Beim nächsten Mädchen sind es dann
schon weniger, dann noch weniger und so weiter. Der nun
Schattenkampf im Freien, und zwar vor Aufgang der Sonne
erreichte Gewinn wird benutzt, die Mitgift der weniger
oder nachdem sie untergegangen ist. ansehnlichen Mädchen aufzustocken, auf daß auch sie noch
Regel 3: Der Krieger wende den Kopf zur Seite und gehe einen Gatten bekommen.
seiner Wege, wenn er einen anderen sieht, der den So sind auch gerade die weniger ansehnlichen Frauen der
Schattenkampf übt. Beni Schebt von auffallender Selbstständigkeit, da sie eige-
Regel 8: Der Krieger reinige seinen Körper mit Wasser, nen Besitz haben, über den sie auch frei verfügen können.
bevor er sich anschickt den Schattenkampf zu üben; dann übe
er so lange, bis das Wasser getrocknet und er wieder in Die Beni Habled sind wegen ihrer militaristischen
Schweiß geraten ist. Danach reinige er seinen Körper aber- Lebensweise bei den übrigen Stämmen der Khom bekannt
mals. und gefürchtet, denn sie sehen sich als die eigentlichen
Natürlich werden nicht alle achtzehn Regeln immer und Herren der Wüste und erkennen keine fremden Besitztümer
überall ganz streng befolgt: Der bekannte Männertanz Khun- an. Die erfolgreiche Teilnahme an einem Raubzug ist die
challa zum Beispiel ist im Grunde nichts anderes als ein Voraussetzung zur Durchführung des Mannbarkeitsrituals, bei
Schattenkampf mit Musikbegleitung; und ein Novadi in dem der Hairan dem Jungen Schnitte im Gesicht zufügt. Die
Mherwed oder Rashdul wird nicht immer ein einsames dabei entstehenden Narben gelten als Zierde, der Besitz des
Plätzchen außerhalb der Stadt aufsuchen, sondern daheim im Mannes gründet sich auf all jene Kamele seines Vaters, deren
stillen Kämmerlein seine Übungen machen, denn schließlich Namen er während dieser Zeremonie trotz des Schmerzes
ist in der zweiten Regel von Zelten und nicht von Häusern die noch verständlich ausrufen konnte. Dem Vernehmen nach
Rede. Und was das Reinigen des Körpers betrifft, so begnügt kennen manche Sippen der Habled gar die Sitte, sich für
man sich in den langen Zeiten der Dürre mit einer symboli- jeden erschlagenen Mann eine Brandnarbe zuzufügen, so daß
die Tapfersten auch die Häßlichsten sind.
schen Reinigung. Aber im großen und ganzen nehmen die
Die Beni Habled besitzen keine. Oase, sondern nur einige
novadischen Krieger Sarhidis Regeln ernst, denn wer dies Wasserlöcher in der innersten Khom - sie sind keinem Stam-
tut, "den belohnt Rastullah mit einem klaren Geist und einem mesverband zugehörig und keinem Sultan untertan. Selbst
geschmeidigen Körper". die Treueschwüre gegenüber dem Kalifen und Rastullah
scheinen eher Lippenbekenntnisse zu sein, denn ihr blutiger
Kult eines grausamen Herrschergottes und Völkerschlächters
hat selbst mit den extremen Ansichten der Mawdlis in Keft
wenig gemein.
Besondere Stämme der Novadis Manche weiter entfernt lebenden Stämme glauben übrigens
nicht an die wirkliche Existenz der Beni Habled, und für die
Die kulturelle Vielfalt der Novadis ist kaum in einem Kapitel städtischen Novadis und Tulamiden stehen sie erst recht in
abzuhandeln - dazu kommen noch die zahlreichen einer Reihe mit Fabelwesen und Dämonen.
Unterschiede zwischen den zahllosen Stämmen der Khom.
Im folgenden sollen einige der bekannteren Einzelstämme
kurz beschrieben werden. Ähnliches gilt für die stets verschleierten Beni Geraut Schie
der nordwestlichen Khom, von denen manche
Nachbarstämme behaupten, daß sie gar keine Menschen,
Der Stammesverband der Beni Kharram lebt in der Berg-
sondern böse Dämonen seien. Tatsächlich hat man noch nie
oase El'Karram am Rand des Khoramgebirges, wo die
einen von ihnen lebend gefangen oder auch nur seinen
Menschen besonders unter den kalten nächtlichen
Leichnam in die Hände bekommen, so daß sogar ihr Name
Nordwinden leiden.
nur jener ist, den ihnen ihre Nachbarn gegeben haben; er
Aus diesem Grunde haben sie auch eine vielgerühmte Schaf-
bedeutet in etwa "Söhne derer ohne Gesicht".
zucht entwickelt und stellen schweren und dicken Filz her,
den sie weithin verkaufen und der in Fasar und Punin als
"Wüstenloden" bekannt ist und ob seiner Wasserdichtheit Den Beni Terkui gehört die Oase Terekh in der zentralen
gern gekauft wird. Khom - nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Oase an
Unter den Novadis der Khom sind sie die seßhaftesten und der Nordseite der Wüste (das Wort bedeutet einfach "frucht-
barer Boden"). Sie gehören bis heute zu den typischen

57
Vertretern der Khombewohner. Sie unterwarfen sich Rastul- So ist es kein Wunder, daß `Khibera' im Kalifat zum allge-
lah schon sehr früh, betrieben aber noch jahrzehntelang meinen Ausdruck für Büttel und Wächter geworden ist und
intensive Blutfehden gegen die Beni Novad, um ihrer Ehre auch viele so bezeichnet werden, die gar nicht dem
Genüge zu tun. Lange verhinderten ihre Überfälle fast jeden Wüstenstamm angehören.
organisierten Handel durch die Khom. Als die Handelsroute
zwischen Keft und dem ebenfalls unabhängigen Lieblichen Die Beni Avad sind Zeltnomaden in der Steppe Südgoriens.
Feld immer bedeutender wurde, gelang es einer jungen Sie drangen als einer der ersten Stämme nach Rastullahs
Vertreterin des Handelshauses Tiorakis in Kuslik, einige Offenbarung aus der Khom hervor und zogen mehrmals
Hairans so zu beeindrucken, daß das Haus seither freie plündernd durch den Balash. Unter Kalif Malkillah II. führten
Passage hatte. Nach und nach entdeckten die Beni Terkui die sie einen längeren Religionskrieg gegen die Bewohner der
Vorzüge ihrer Lage an der wichtigsten West-Ost-Straße Nachbaroasen. Dann erwählten sie sich das heutige
zwischen Punin und Brabak, und so konnten auch andere Stammesgebiet, in dem sie ihrer alten Lebensweise nachge-
Händler die Strecke nutzen. Die Verbindungen zum Liebli- hen konnten.
chen Feld sind indes noch besser geworden. Eine Heilerin aus Die Beni Avad gehören zu den eifrigsten Flußpiraten des
den Zelten der Beni Terkui, Zulhamin Mairechi, ist sogar zur unteren Mhanadi und kassieren auch von allen Karawanen,
Leibärztin von Königin Amene aufgestiegen. die auf der einzigen Straße nach Goriens Hauptstadt AI'Aha-
bad ziehen, Wegzoll. Trotzdem sind sie durch die bloße Nähe
Ein weiterer sehr kriegerischer Stamm sind die Beni der tulamidischen Zivilisation nach und nach ruhiger und
Khibera, die - wie die Beni Tarasch und die Uled Djebasch - friedfertiger geworden, und viele vom Stamm der Beni Avad
zur Gruppe der Beni Shadif gezählt werden. Deshalb waren sind heute Händler, Söldner und andere zivilisierte
sie auch stets treue Anhänger des jeweils herrschenden "Halsabschneider".
Kalifen oder Sultans von Unau und stellten schon früh
Soldaten für seine Leibwache. Die Khibera stehen in dem Übrigens: Reinrassige Vertreter der Beni Novad gibt es heute
Ruf, absolut loyal und gehorsam zu sein und ihre Waffen - kaum noch. Schon während der Unterwerfung der anderen
Lanze und Doppelkhunchomer - mit tödlicher Perfektion zu Stämme und der Befreiung der Khom wurden ihre Männer
beherrschen. Ihr Diensteifer und die von anderen Stämmen stark dezimiert. In den folgenden Jahren, als sie zur
belächelte Untertänigkeit führten dazu, daß sie heute auch als herrschenden Schicht aufgestiegen waren, holten sich die
Stadtwachen und Büttel in Mherwed und Unau eingesetzt Beni Novad Frauen aus den Zelten aller Stämme, und so floß
werden - auch die gefürchteten "Gelbherzen" des Sultans von in den Adern ihrer Söhne immer weniger vom Blut der
Unau stammten größtenteils aus dem Stamm der Beni Vorväter. Heute können fast alle Novadis behaupten, dem
Khibera. "Ersten aller Stämme" anzugehören.

Der Staat des Kalifen

Dem neuen Kalifen Malkillah III. Mustafa ist es gelungen, nehmliche Haltung gegenüber den zwölfgöttergläubigen
durch einschneidende Reformen eine Verwaltunkstruktur für Untertanen des Kalifen bemüht.
sein Reich zu schaffen, bei der einige alte Fehler vermieden Als die "zweite Säule" des Kalifates wird der Khedive
werden: Einen fast allmächtigen Beamten - den Großwesir - betrachtet - sein Titel bedeutet eigentlich "Unterkönig", und
gibt es nicht mehr. Zum ersten Mal herrscht eine Aufteilung so er ist er auch zuständig für die alltägliche Verwaltung des
nach Fachbereichen, wie sie im Neuen Reich bereits seit Reiches und den Kontakt mit den verschiedenen kleinen
einiger Zeit gang und gäbe ist. Adligen und Amtsinhabern draußen im Lande und den Ge-
sandten und Botschaftern im Ausland. Dem Khediven
unterstehen die Emire und Sultane des Kalifats, die `Stube
Die Verwaltung des Kalifats - das "Große Zelt" für Briefwechsel', das Archiv des Reiches, er ist zuständig
für alle Dinge, die die Grenzen der Emirate überschreiten -
Die allgemein übliche Bezeichnung für den Palast in Mher- so etwa die Förderung der Künste und Wissenschaften - und
wed ist "das Große Zelt" - ein Name, der auch oft für den fungiert auch als Berater des Kalifen in Fragen der allgemei-
Kalifen und seine obersten Beamten verwendet wird. nen Politik.
So gibt es, abgeleitet von den Tragpfosten eines Zeltes, auch Von sehr großer Bedeutung ist die kalifische Schatzkammer -
die häufig zu hörende Bezeichnung "die vier Säulen des sie untersteht dem Almosar, der ursprünglich nur für die
Staates" für die vier höchsten Minister, deren Zuständigkeiten Verteilung der mildtätigen Gaben zuständig war. Seit der
im folgenden näher erläutert werden: Abschaffung des allmächtigen Großwesiramtes ist er auch in
In der Hierarchie an erster Stelle steht der Hohe Mawdli, der anderen Fragen der Finanzen die oberste Instanz: Er gebietet
oberste Glaubensgelehrte bei Hofe. Seine Aufgabe ist sowohl über die Münzpräger ebenso wie über die Steuereinnehmer,
die Anfertigung von Gutachten in Glaubensfragen wie auch über die Zöllner wie über die Händler, die im Auftrage des
die Rechtssprechung. Gleichfalls dem Hohen Mawdli Kalifen arbeiten, auch ist er verantwortlich für die Führung
unterstehen die übrigen Mawdlis bei Hofe sowie die Mher- der Steuerlisten. Vor allem aber ist er ein Handelsmann, denn
weder Rechts- und Hochschule. Derzeitiger Hoher Mawdli ist anders als der Kaiser im Mittelreich zieht der Kalif nicht nur
Shanatir ibn Amullah, der vor allem für eine recht liberale Steuern ein, sondern läßt auch mit seinem Geld wie ein
Auslegung der Schriften bekannt ist, die sich um einver- normaler Kaufherr Karawanen laufen. So war Kalif Malkil-

58
Iah III. auch gut beraten, mit Nadan ibn Yazdegird einen Einen wichtigen Unterschied zur feudalen Struktur etwa des
erfahrenen Rashduler zu seinem Almosar zu machen - und Mittelreiches hat diese Regelung: So bekommt ein Emir oder
seine tulamidischen Untertanen schätzen ihn darob. Bey kein Lehen, sondern eine feste Summe aus der Schatz-
Schließlich wäre noch der Mautaban zu nennen: der "Voll- kammer. Diese Variante mag den oft krisengeschüttelten
strecker" vollzieht beileibe nicht nur Todesurteile - er gebie- Baronen des Nordens wie ein Segen erscheinen, muß man
tet auch über die Gesamtheit der Bewaffneten, die in Krieg doch so keine Angst mehr haben vor geringem Steuerauf-
und Frieden den Willen des Kalifen vertreten, also über alle kommen und schlechten Ernten - doch andererseits sind die
Reiterkrieger und Fußsoldaten, Hilfstruppen und Büttel. Emire und Beys dadurch auch nicht die Herren ihres Landes
Denn neben der Führung des Heeres im Krieg obliegt dem und eher Beamte als Adlige. Eine direkte Vererbung des
Mautaban auch die Sicherung der Wege und Straßen im Amtes ist eher die Ausnahme: Zuerst muß der Sohn seine
Frieden und die Durchsetzung der Urteile, die von den Tauglichkeit beweisen, dann erhält er vielleicht auch ein Amt
Mawdliyat gefällt wurden. Besonders der jetzige Mautaban - doch selten das des Vaters.
ist von einer Aura der Macht und Bedeutung umgeben - ist er So ist es kein Wunder, daß viele Verwalter bis zu den
doch derjenige, der entscheidend in den Krieg gegen die höchsten Rängen danach streben, sich rechtzeitig persönli-
Al'Anfaner eingriff und das Verhängnis vom Reich der ches Vermögen zu erwerben und habgierig oder gar
Ersten Sonne abwendete. bestechlich sind.

Der Aufbau des Kalifates Die Armeen des Kalifats

Unzweifelhaft steht an der Spitze des Reiches der Kalif, der Wie es bei einem Volk von Wüstenbewohnern kaum
"Beherrscher der Gottgefälligen": Malkillah III. Mustafa. Das verwundern wird, lag das völlige Übergewicht in der Armee
Wort des Kalifen ist oberstes weltliches Gesetz, gegen seinen der Novadis bislang auf der Reiterei. Von einer Armee nach
Willen zu handeln, ist Hochverrat. Ihm gegenüber sind die mittelreichischem Verständnis konnte man jedoch kaum
höchsten Würdenträger nur Berater und Befehlsempfänger. sprechen: Eine einheitliche Organisation und Befehlsstruktur
waren zumeist nicht einmal in Ansätzen vorhanden. Die
Emire und Sultane ritten im Kriegsfall einfach an der Spitze
Ein Sultan war einst ein selbstständiger Herrscher von ihrer jeweiligen Gefolgsleute ins Gefecht, und der Kalif (oder
beträchtlicher Macht - auch heute noch ist er ein novadischer der jeweilige Oberbefehlshaber) hatte Mühe, den ta-
oder tulamidischer Herrscher, der noch relativ viel Eigen- tendurstigen Kämpfern seinen Schlachtplan nahezubringen.
ständigkeit besitzt, da sich seine Macht auf die Gefolgschaft So erwies es sich fast immer als unmöglich, einen Teil der
eines ganzen Stammesverbandes gründet. Sultanate existie- Truppen als Reserve zurückzuhalten. Für die undankbare
ren heutzutage vor allem in Gebieten mit wenig seßhafter Aufgabe der Versorgung ließen sich kaum Männer finden -
Bevölkerung und ohne große Städte; sie kennen daher auch die Krieger ernährten sich von dem, das sie Freund und Feind
weitere Unterteilung, da ihre Untertanen nicht nach Gebieten, abnehmen konnten.
sondern nach Sippen organisiert sind. Nach den Erfahrungen aus dem alanfanischen Krieg hat der
So gibt es nördlich des Mhanadi die drei Sultanate von Erkin, Kalif jedoch mit einer Heeresreform begonnen: Bislang wur-
Gadang und Gorien, in der Khom die sechs Stammessultana- den die Soldaten nur im Kriegsfall zusammengerufen, so daß
te, dazu kommt noch das Sultanat Shadif in der gleichnami- die einzigen stehenden Heere in der Regel aus den zahlenmä-
gen Steppe. Auch der Herrscher von Unau führt traditionell ßig schwachen Gardetrupps bestanden, die die Herren von
den Titel Sultan, da zu seiner Stadt auch die weiten Gebiete Mherwed und Unau um sich scharten, doch nun hat man sich
gehören, die von den nomadischen Beni Shadif bewohnt in Mherwed zur Schaffung ständiger Heere entschlossen, die
werden und selbst seine städtischen Untertanen oft zum sich dank der Überschüsse aus den fruchtbaren Flußtälern
Salzbrechen auf den See ziehen. auch hinreichend ernähren lassen. Die Krieger dieser Berufs-
Die eher bäuerlichen Gebiete sind dagegen in Einheiten von heere sind häufig ärmere junge Novadis und Tulamiden, für
etwa Grafschaftsgröße eingeteilt: die Emirate. Ein Emir die buchstäblich keine Frau mehr übrig war und die nun die
verwaltet sein Gebiet, treibt die Steuern ein, hebt im Armee als ihre Familie gewählt haben.
Kriegsfalle Truppen aus und führt sie in die Schlacht. Er ist
dem Kalifen - oder seinem Vertreter, dem Khediven - weit Organisation
stärker unterstellt als ein Sultan. Schon aus diesem Grund Die Organisation des kalifischen Heeres ist zugleich einfach
haben alle Kalifen versucht, möglichst viele Sultanate in und exotisch. Vor allem die Bezeichnungen der Einheiten und
Emirate umzuwandeln. Ränge klingen zuerst fremdartig: Grundsätzlich wird
unterschieden zwischen den Gattungen Spahija (Reiterei) und
Zur Zeit gibt es sieben Emirate: Askarija (Fußvolk). Beide sind eingeteilt in Einheiten zu je 50
Balash, Mhanadistan, Ongalo, Thalusien, El Dhena, Malkil- Kämpfern, die nach der traditionellen Hauptwaffe der
labad und Amhalassih. Eine Sonderstellung nimmt die Stadt Novadis Lanze heißen.
Mherwed ein, die direkt dem Kalifen untersteht und vom Je nach Herkunft und Temperament sind für die Spahis
Khediven verwaltet wird. verschiedene Waffengattungen vorgesehen: Leichte Lan-
Eine weitere Unterteilung der Emirate sind die Sandschaks. zenreiter, die wie die Wüstenkrieger fast ohne Rüstung und
Ein Sandschak hat etwa Baroniegröße und untersteht einem ohne Schild kämpfen und ihre beidhändig geführte Lanze
Bey, der für die konkrete Umsetzung der Befehle des Kalifen noch beim Ansturm für allerlei Finten und Tricks nutzen,
vor Ort zuständig ist. Schwere Lanzenreiter, die mit Stoßlanze und plattenver-

59
stärktem Ringelpanzer den mittelreichischen Rittern ähneln, Sold mehr gezahlt - die Krieger bekommen statt dessen je
die langsamen, aber wirkungsvollen Armbrustschützen auf nach Rang und Leistung bestimmte Anteile an der
ihren Kamelen und schließlich noch Botenreiter, die oft nicht Kriegsbeute. Auf diese Weise soll erreicht werden, daß alle
mit mehr als Bogen und Dolch bewaffnet sind. Kämpfer zu raschen und kühnen Attacken motiviert werden.
Ebenfalls zu den berittenen Einheiten werden auch die Die große Bedeutung, die die Beute für die Entlohnung der
wenigen Streitwagenfahrer meist tulamidischer Herkunft Krieger hat, stellt vielleicht auch die größte Schwäche des
gerechnet. Unter den Askarim (Fußtruppen) ist eine aus- Kalifischen Heeres dar: Denn so ist kaum ein Heerführer zu
drückliche Einteilung nach Waffengattungen noch unüblich - taktisch sinnvollem Abwarten zu bewegen - seine an rasche
man achtet allenfalls darauf, Nah- und Fernkämpfer in Angriffe gewöhnten Soldaten würden schnell die Geduld und
getrennte Einheiten zu stecken. Kommandiert wird eine die Disziplin verlieren und auf eigene Faust Attacken reiten.
Lanze - sowohl bei der Infanterie als auch der Kavallerie -
von einem Agha.
(Es muß aber betont werden, daß diese Einheiten und Ränge
nur für die stehenden Heere des Kalifen gelten: Die Aufge- Die Elite des Kalifen
bote, die die Wüstenstämme im Krieg oder bei Stammesfeh- Eine besondere Rolle spielen noch die Murawidun, eine
den ausheben, kennen nur in den seltensten Fällen andere Waffengattung, die bereits von Malkillah II. geschaffen
`Offiziere' als eben die heimatlichen Hairani, Scheiche und wurde. Murawidun sind Kämpfer, die bereits als Kinder auf
den Sultan.) Schulen ähnlich den mittelländischen Kriegerakademien
Der Oberbefehl über das gesamte Heer liegt beim Mautaban, kamen - teils als Waisen aufgelesen, teils als Sklavenkinder
gekauft und freigelassen.
der natürlich auch an Befehle des Kalifen gebunden ist.
Die Jungen wachsen dann mit ständigen Waffenübungen auf
und werden als "Mündel des Kalifen" zu Stolz und Gehor-
Die Besoldung der Krieger des Kalifen ist recht unterschied- sam gegenüber dem Herrscher erzogen. Bis zu ihrem acht-
lich: Die einfachen Soldaten erhalten neben der Verpflegung zehnten Jahr werden sie so gedrillt und danach einem der drei
9 Zechinen pro Gottesnamen, Ein Agha dagegen bekommt neuen Batalyuni zugeteilt, die die der Kalif Malkillah III
bereits 27 Zechinen und hat dazu Anspruch auf eine regelmä- ausgehoben hat und die durchaus mit den Elitegarderegi-
ßige Zuwendung aus der Schatzkammer des Kalifen, wenn er mentern des Mittelreichs vergleichbar sind - denn ein Mura-
einmal zu alt zum Kämpfen ist. wid ist erfahren mit Roß und Waffen und vor allem absolut
Diese Regelung gilt allerdings nur für die Zeit des Friedens: loyal gegenüber dem Kalifen, da er keine Bindung an eine
Ist eine Einheit irgendwo im Krieg, wird automatisch kein Sippe kennt.

60
Die Ferkinas

"Wie eine gigantische Mauer aus dunklem Marmor, die zwei Charakter
Welten trennt, erhebt sich im Zentrum Aventuriens der Rasch-
tulswall. Hier stehen einige der mächtigsten Berggipfel des Die Ferkinas leben noch immer so wie alle Tulamiden vor
ganzen Kontinentes, bedeckt mit Schnee, der niemals schmilzt. dreitausend Jahren, als die Täler für Warmblütige tabu waren.
Der größte dieser Berge, bestimmt über acht Meilen hoch, ist In der Kälte des unwirtlichen Berglandes waren sie sicher vor
der himmelstürmende Djer Tulam. Von ihm aus muß man jenen Schrecknissen der Vergangenheit, und dafür nahmen sie
einen überwältigenden Blick auf die Berge und Täler, Flüße ein Leben in Kauf, das nur den Zähesten und Härtesten eine
und Ebenen aller Länder haben;aber dieser Anblick bleibt Überlebenschance bot.
wohl den Göttern vorbehalten. Heute richtet sich ihre entsetzliche Wildheit nicht mehr gegen
Gen Südwesten, auf die Khomwüste zu, werden die Bergrie- die Urechsen, sondern gegen die "Blutlosen im Tal", die das
sen `kleiner' , hier stehen nur noch einige Sechstausender. Leben der "Wahren Menschen" aufgegeben haben. Der Fürst
Dann jedoch schwingt sich die Kette noch einmal zu einem von Fasar und der Sultan von Erkin beanspruchen ihr Gebiet,
mächtigen Felsstock auf, dessen Fuß weit über hundert aber sie wagen sich selbst nicht dort hinauf, wo nur ein
Meilen durchmißt - dem Turm des Raschtul. Ferkina überleben kann.
Die Abhänge des Raschtulswalles mit ihrem Braun, Grün und Die gesamte Kultur der Ferkinas wird vom Kampf und von
Grau unterscheiden sich deutlich von den helleren und ihrer Jenseitsvorstellung bestimmt. Nach ihrer Meinung ist das
kleineren Erhebungen des Khoram-Gebirges. Beide werden Leben nach dem Tod das direkte Gegenteil dessen, das man
jedoch von urtümlichen Wäldern bedeckt, die so hoch hin- auf Dere geführt hat. Für die Berglandbewohner, ständig
aufreichen, wie ihnen Atem bleibt. Zwischen den uralten frierend und von Tausenden Gefahren bedroht, wird das
Eiben und den mächtigen Zedern scheint es nicht geheuer: Jenseits ein Paradies mit unerschöpflichen Quellen der Labsal.
Nebelschwaden ziehen aus den hinteren Bergtälern, die Für den aber, der sich vom Blut und Schweiß der Anderen ein
dumpfe, fast greifbare Stille wird zuweilen von Schreien schönes Leben macht, wird das nächste Leben zu ewiger Pein.
zerrissen, die nicht von Tier noch Mensch zu stammen Und den Feigling erwarten Gefahren, denen nichts gleicht,
scheinen. Zuweilen hastet ein erschreckter Hirsch vorbei, wovor er sich hier gefürchtet hat.
oder eine Trappe fliegt laut purrend auf Es gibt keine Herausforderung, vor der sich ein Ferkina
Es scheint, daß diese Berge und Wälder nicht für Menschen fürchtet. Schon als Kind läuft er barfuß durch den Schnee der
gemacht sind. Dennoch leben hier Wesen, die zumindest Berggipfel und durch das Messergras des Hochlandes. Als
menschliche Gestalt haben. Doch du, Reisender, dessen Junge muß er einen Feind töten, um überhaupt Krieger zu
Interesse nun geweckt ist, du wirst bereuen, sie gesehen zu werden. Das kann der Krieger eines Nachbarstammes sein,
haben. oder das Mitglied einer Karawane oder - wie in ältesten Zeiten
Urplötzlich sind sie da: Ferkinas! Drahtige Krieger mit - eine jener Echsen, die heute kaum noch zu finden sind. Sein
dunkler Haut, durch zahllose Narben entstellt, in engen gesamter Besitz besteht aus den Ponys, Herden, Pelzen und
Kleidern aus' ungegerbtem Leder, mit bunten Stickereien, die Frauen, die er rauben kann.
grausige Marterszenen zeigen. Ihre Gesichter sind mit blut- Gemeinsam mit seinen Brüdern nimmt er es mit jedem
roten Tüchern verhüllt, nur glühende Augenpaare starren Gegner auf. Ob es die Jagd auf einen Höhlendrachen - im
dich an. Ihre Sprache ist ein dumpfes, tierhaftes Knurren - Khoramgebirge sind sie recht häufig - in seiner Höhle ist, oder
kaum erahnt man einige tulamidische Worte. die Begegnung mit einem Rudel Khoramsbestien, der Ferkina
Ehe du dich noch umblickst, bist du von allen Seiten umzin- stellt sich zum Kampf!
gelt. Einer tritt auf dich zu, ein messerscharfes Steinbeil Denn eigentlich gibt es nur eines, vor dem er Angst hat: den
drohend erhoben. Die anderen bleiben stehen, doch er greift Tod eines Feiglings oder alten Mannes zu sterben. Die
ohne Vorwarnung an. Ein Zweikampf/ Deine einzige Chance. wildesten von allen Ferkinas, die Bewohner der Trollzacken,
Aber auch wenn du siegst - du wirst nicht mehr der gleiche flehen ihren siegreichen Gegner um einen Foltertod an; nur
sein .. dann können sie das Jenseits ertragen!
(Aus: "Durchs wilde Mhanadistan", von Kara ben Ynge-
rymm, erschienen in Angbar, 1 Hal)
Lebensweise
Kara ben Yngerymm, der unbekannte Abenteurer aus Ang-
bar, dessen tulamidischer Ehrenname einfach "Reisender Fast alle Ferkinastämme führen das Leben eines Bergnoma-
Sohn des Feuergottes" bedeutet, hat seine Begegnung den, Jägers und Räubers. Auf dem Rücken ihrer Bergponys,
überlebt; mehr noch, er hat mit den Ferkinas gelebt. Nur dank die genauso zäh und ausdauernd wie sie sind, treiben sie ihre
ihm wissen wir heute etwas mehr über dieses urwüchsige Herden von Bergweide zu Bergweide: Ziegen und Schafe,
Bergvolk, als was die wenigen Überlebenden ihrer Überfälle zuweilen auch Esel, in den größeren Bergtälern und am Rand
berichteten, die kaum sagen konnten, ob Menschen oder des mhanadistanischen Hochlandes auch Rashduler Dreh-
Khoramsbestien sie so zugerichtet hatten. hörner, blauschwarze, halbwilde Rinder mit mächtigen

61
Hörnern. Diese und andere Arbeiten sind ausschließlich den Handelszug, so fechten die Ferkinas meist wie im Blutrausch,
Frauen und Kindern vorbehalten. Die Männer sind für die bis keiner mehr lebt, und sie erwarten und gewähren keine
Jagd zuständig und - viel wichtiger - für die Fehden mit Gnade - ja, selbst die Kamele werden nicht selten nie-
Nachbarstämmen und Überfälle auf Eindringlinge aller Art. dergehauen.
Der Stamm selbst lebt recht seßhaft in einem Zeltlager, Ist es dagegen eine kleinere Gruppe oder gar ein Einzelner,
dessen Ort nur selten verändert wird. Manche Stämme - können sie ihre Götzen daher nicht mit einem großen Gemet-
wiederum im Hochland - errichten auch einfache Bauten in zel erfreuen, werden die Reisenden einfach gefangengenom-
der Art der Fasarer Lehmtürme, und andere haben sogar die men und in die Berge geführt. Ach, wieviel besser wäre es, sie
Höhlen bezogen, die der Zwergenstamm des Curoban auf würden niedergehauen, so aber warten blutige Opfer, lange
seiner Wanderung in die Trollzacken ausgebaut hatte, ehe er Foltern und grausame Spiele auf sie, und kein Gefangener
in die Beilunker Berge weiterzog. der Ferkinas ist jemals wiedergekehrt."
Dieses Lager wird aber dennoch sofort aufgegeben, wenn die (Aus: "In Rastullahs Hand", Fasar, ca. 50 v.H.)
Lebensgrundlage des ganzen Stammes bedroht ist, weil die
kargen Grasmatten abgeweidet sind oder das Jagdglück
Die Stammesstrukturen sind ähnlich denen der Novadis: Den
monatelang ausbleibt, weil sich ein benachbarter Stamm in
etwa fünfzigköpfigen Sippen steht ein Haran vor, an der
einer Fehde als überlegen erweist oder die Söldner eines
Spitze eines Stammes steht ein sogenannter Shâhr (sicherlich
reichen tulamidischen Händlers die Lagerstätte
verwandt mit Shejk). Bei den größeren Stämmen gibt es
niederbrennen.
natürlich mehrere Shâhrim, und zuweilen schwingt sich einer
Die Überfälle auf die Karawanen stellen ein wichtiges Ele-
zum Shâhrim-Shâhr auf.
ment der Ferkinakultur dar: Bei solchen Ereignissen zeigt der
Die Shai'Aian im Raschtulswall und die Merech im
Mann seine Befähigung, erwirbt seinen Besitz und macht vor
Khoram-Gebirge sind mit etwa 10000 Menschen bei weitem
allem seine Gefangenen, um sie den Göttern zu opfern.
die größten Völker und nehmen das Hauptsiedlungsgebiet der
Ferkinas ein.
"Wenn für die Wüstenreiter die Räuberei ein ehrliches Mittel Aber auch in den anderen Gebirgszügen wie Trollzacken,
zum Broterwerbe ist, so stellt sie für die Ferkinas viel mehr Ongalo-Bergen und selbst Thalusien leben kleinere Stämme,
dar: Für sie scheint der Sinn des Lebens im Überfallen der die selten mehr als ein Dutzend Sippen umfassen.
Reisenden und Händler zu bestehen, und nichts schützt selbst
die größte Karawane davor, daß die wilden Reiter aus den Natürlich sind nicht alle Ferkinas so traditionsbewußt wie die,
Gebirgsschluchten hervorbrechen. Ist es ein großer die heute noch immer in den Stammgebieten leben. Schon vor
dreitausend Jahren wanderten die ersten Stämme der
Tulamiden in die Täler, und auch seitdem sind immer wieder
Ferkinas in die fruchtbareren Gebiete vorgedrungen. Viele
wurden von den reicheren und mächtigeren Völkern
vertrieben oder zerschlagen, aber mancherorts haben die
Ferkinas Fuß gefaßt. Die mhanadistanischen Viehzüchter
etwa mit ihren Pferden und Rindern sind deutlich beeinflußt
(Ferkinas wurden immer schon als Viehtreiber eingesetzt),
und auch in Mhanadistans Hauptstadt Fasar, diesem Schmelz-
tiegel aller Völker, lassen sich viele Ferkinas finden.
Nicht immer handelt es sich dabei um eingewanderte Sippen,
sehr oft sind es auch Nachkommen einzelner Abenteurer, die
als Viehtreiber oder Söldner halbwegs seßhaft geworden sind.
Besonders bei den verschiedenen Botendiensten, ob den
Beilunker Reitern oder den regionalen Kurierdiensten,
werden Ferkina-Reiter geschätzt.
Generell läßt sich jedoch sagen, daß die Ferkinas den
Umgang mit Fremden weitgehend vermeiden (wenn man
einmal von Überfällen absieht): Da die meisten Stämme
schon Schwierigkeiten haben, Gemeinsamkeiten mit den
Nachbarn im nächsten Tal zu sehen, darf man getrost daran
zweifeln, daß sie die "Blutlosen im Tal" überhaupt als
Menschen anerkennen...
Wenn sich einmal tatsächlich eine Gruppe Ferkinas in die
Ferne - etwa die Stadt Fasar - begibt, behalten sie auch dort
die meisten ihrer Bräuche bei und scheren sich nicht um
Recht und Gesetz ihrer Gastgeber.

Kleidung und Schmuck


Bei dieser Gelegenheit kann man die Ferkinas auch - relativ
gefahrlos - in ihrer bunten Tracht bewundern. Sie sind ge-

62
kleidet, wie es einem Bergvolk angemessen ist: Enge Hosen Eibenwälder Speere und Pfeile, die, im Feuer gehärtet,
aus Lederflecken verschiedener Herkunft und Farben durchaus ihre Wirkung zeigen.
umschließen die Beine. Der Oberkörper dagegen wird fest in Metallwaffen sind auch heute noch eine Kostbarkeit. Viburn
Wolldecken oder Felle gewickelt, die tags vor der Sonne und von Hengisfort, heute Oberster Rondra-Geweihter in Perri-
nachts vor dem kalten Bergwind schützen. Die Füße stecken cum, der vor 40 Jahren im Bosquirtal gegen die Shai'Aian
in festen ledernen Schuhen, die ebenfalls aus so unterschied- kämpfte, erzählt gerne von den jungen Ferkinas, die absicht-
lichen Ledersorten wie dem von Ziege, Esel und Höhlendra- lich vor seine Bögen ritten, um die wertvollen Eisenpfeilspit-
che gefertigt sind. zen zu erbeuten; selbst wenn sie sie aus dem eigenen Schen-
Als zusätzliche Zier sind Pelztrophäen sehr beliebt, wie etwa kel ziehen mußten - so hätten Gefangene behauptet - lohnte
das gelb-graue Fell des Raschtulsluchses oder die charakte- sich der `Tauschhandel' noch.
ristische Schultermähne der Khoramsbestie. Leder wie Wolle Alle Ferkinas, aber besonders die Merech sind für die Ver-
sind farbenprächtig bestickt, die Wollfäden werden mit wendung mineralischer, pflanzlicher und tierischer Gifte
zahlreichen mineralischen Stoffen gefärbt, in deren Verar- berüchtigt. Besonders bei Karawanenüberfällen wird Gonede,
beitung die Ferkinas große Kunst erlangt haben. Jeder Stamm das Gift des im Khoram heimischen Gelbschwanzskorpions,
und jede Sippe hat seine eigenen Farben und Muster, mit auf die Waffenspitzen aufgetragen; die Krämpfe schalten das
denen die Kleidung unverwechselbar gekennzeichnet wird. Opfer fast sofort aus und erlauben es, viele Gefangene zu
Ein Ferkina-Krieger erkennt mit dem ersten Blick, zu wel- machen. Ebenfalls nur im Khoram findet man die mine-
cher Gruppe ein anderer Ferkina gehört, und welche ralischen Knollen, aus denen Tulmadron gewonnen wird.
Blutfehden mit ihm auszutragen sind. Während die Merech diese Waffengifte auch zuweilen
Alle Ferkinas tragen jedoch die gleichen berüchtigten; blu- untereinander einsetzen, sind die Shai'Aian als fast giftresi-
troten Schleier um den Kopf, die oft das ganze Gesicht bis auf stent bekannt. Nur sie kennen die Olginwurz, eine ausgespro-
die Augenpartie verdecken. Dies geschieht allerdings nur, chen seltene Pflanze, die eine Woche lang gegen alle Gifte
wenn der Ferkina sein Opfer nicht als Gegner betrachtet - wie schützt. Hochbegehrt in der Steppe Mhanadistans ist auch die
es bei allen Angriffen auf Nichtferkinas üblich ist. Für die Hiradwurz gegen die vielfältigen Schlangengifte der Gegend.
blutrote Farbe der Kopftücher ist als einziges keine minera- Und natürlich benützen auch die Ferkinas das wundheilende
lische Grundlage bekannt, und so behaupten die Märchen seit Wirselkraut aus ihren Grasländern. Gar nicht selten kommt
eh und je, sie würden mit dem Blut der Opfer eines Atmon in den Hochländern der beiden Gebirge vor. Die
Raubüberfalls gefärbt - und da derlei Tönung bekannterma- Blätter dieses Steppengrases werden zu einem Brei gekocht,
ßen schnell braun wird, müssen die Ferkinas eben oft genug der die Körperbeherrschung enorm verbessert.
Überfälle veranstalten... Das Pferd, genau gesagt das Maraskanische Gebirgspony
(andernorts auch als Zwergen- oder Seemannspony bekannt),
spielt keine so wichtige Rolle im Kampf, wie man anhand der
Als wären die Stickereien nicht Kennzeichen genug, wird bei Berichte über Karawanenüberfälle vermuten könnte. Es wird in
allen Ferkinas auch noch der alte Brauch der Gesichtszeich- erster Linie eingesetzt, wenn es darum geht, vor dem Kampf
nung geübt, den man sonst nur noch von den wildesten längere Strecken zurückzulegen und danach umfangreiche
Stämmen der Khom kennt. Die Stammes-, Sippen- und Beute zu transportieren. Auf den Bergweiden ist es
individuellen Ehrenzeichen werden rituell mit Obsidian oder unersetzlich, aber bei den Blutfehden im Gebirge wäre oft
Eis in die Haut geritzt oder mit glühenden Steinchen einge- selbst ein so geschicktes Tier im Wege.
brannt. Die Ehrenmale werden für getötete Feinde und
besondere Heldentaten erweitert. Der Ferkina legt großen
Wert darauf, daß sein Gegner an seinem Gesicht erkennt, wie
gefährlich er ist, und dieser hat ein Anrecht auf dieses Religion
Wissen. Die Male im Kampf zu verhüllen, wie es bei Kara-
wanenüberfällen geschieht, gilt unter Ferkinas als ungeheu- Finstere Götter werden von alters her bei den Ferkinas
erliche Beleidigung. verehrt, und kein Prediger hat je etwas daran ändern können:
Sie scheinen noch stets die gleichen Götter wie vor Jahrtau-
Talismane sind bei den Ferkinas ähnlich selten wie bei den senden zu sein, allein die Namen haben sich geändert.
Novadis, Leibschmuck dagegen genauso häufig. Männer Für die Ferkinas sind die Götter unglaublich mächtige Wesen,
tragen in Ohrläppchen, Nasenflügeln und sogar Lippen Ringe denen aber keinerlei moralische Qualitäten zugewiesen werden:
mit kleinen Stücken der gedrehten Rashdulstier-Hörner. Bei Vielleicht haben die Götter die Welt erschaffen, vielleicht
den Frauen sind kleine Quarze und ähnliche Halbedelsteine nicht (die Meinung darüber wechselt von Sippe zu Sippe), auf
sehr beliebt. jeden Fall aber kümmern sie sich kaum um die Menschen, die
ihnen reichlich gleichgültig sind.
Deshalb bemühen sich die meisten Ferkinas stets, für einen
Gift und Stein kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Götter zu erhaschen,
sei es durch halsbrecherische Ritte, tollkühne Taten im
Alle Ferkinas bedienen sich in erster Linie steinzeitlicher Kampf oder blutige Opfergaben. Am nächsten aber kommt
Waffen: Bei den Shai'Aian ist es vor allem der Obsidian des man ihnen im Rausch, und so kennen die Ferkinas viele
Raschtulswalles, der zu mörderisch scharfen Steinbeilen, - Wege, diesen Zustand zu erreichen: Durch tagelanges Fasten,
messern und -speeren geschliffen wird, die auch die Haut gefährliche Zweikämpfe oder unmäßigen Genuß von Wein,
eines Höhlendrachen durchdringen können. Die Merech Rauschkraut und Cheriacha steigern sie sich in eine Raserei,
können mit dem weicheren Sandstein des Khoram-Gebirges die Fremden als Irrsinn erschiene, von ihnen aber als Weg zu
wenig anfangen, fertigen aber aus dem Holz der großen den Göttern angesehen wird.

63
An höchster Stelle steht bei ihnen das göttliche Paar, Mann als durch ihren Tod, kann sich kein Ferkina vorstellen.) Als
und Frau, deren verbreitetste Namensform Raschtula und Raschtula sah, daß keiner seiner Krieger zurückkam, ging er
Rascha lautet. selbst, um Adawadt zu erschlagen. Sie rangen viele Tage
Raschtula ist der machtvolle Gott der Gewalt und der Kraft, miteinander, doch keiner konnte den anderen bezwingen.
Herr über Sonne und Tod. Zu ihm betet man um Stärke, ihm Jede Sippe kennt andere Einzelheiten der Schlacht: Ganze
sind auch die Zweikämpfe der Männer geweiht, bei denen die Berge und Täler entstanden, wo die Gegner hintraten und wo
Gegner sich in wahre Raserei steigern. Raschtulas heiliges ihre Wurfsteine hinfielen. Da Raschtula solange kämpfte,
Tier ist der Hengst oder der Stier, auf dem er durch die Berge geriet die Welt in Unordnung. Auch dieser Aspekt erklärt
reitet und nur durch seine Anwesenheit Kämpfe anstachelt. viele Dinge in der Welt, wie das Überhandnehmen der
Die ihm gefallen, deren Anblick genießt er; die anderen "Blutlosen im Tal" oder der Echsen. Manch eine Sippe
zermalmt er achtlos unter den Hufen seines Reittieres, und es behauptet gar, daß Raschtula bis heute mit Adawadt kämpft,
schert ihn nicht. weswegen die Welt seit vielen Menschenleben im Argen
Er ist ein grimmiger Herr, der sich wenig um seine Diener liegt. In den meisten Versionen erkannten die Gegner aber,
kümmert und nur Freude hat an Krieg und Gewalt. Oft daß Raschtula wieder herrschen mußte - meist war es der
machen die Ferkinas besonders jähzornige Stammesbrüder zu weise Adawadt, der den tobenden Raschtula beruhigte. Sie
seinen Priestern und binden sie so in die Gesellschaft ein. brachen den Kampf ab, und Raschtula verschwand mit dem
Vielerorts scheint die Veranlagung zu plötzlicher Wut die Versprechen, wiederzukommen. Seither lebt Adawadt, und da
einzige Qualifikation zu sein, die man von einem Raschtula- er nicht gestorben ist, wächst er und wächst er und ist heute
Priester verlangt - und die Tobsüchtigen, die durch die Berge so groß, daß sein Scheitel den Himmel berührt.
ziehen und alles erschlagen, was sich ihnen naht, gelten als
seine Heiligen Männer.
Dem Raschtula bringt man Menschenopfer, sobald man Da die Götter so unendlich weit entfernt vom Menschen sind
Gefangene gemacht hat oder einen Stammesbruder entbehren und ihm wenig Beachtung schenken, verehren die Ferkinas
zu können glaubt - und letztere sind nicht selten freiwillig auch jene Kräfte der Natur, die ihnen am nächsten sind. Der
bereit, sich der langwierigen Zeremonie von Folterungen zu Mond gilt seit Urzeiten als Schutzgeist, in dessen Licht -
unterwerfen, die nach einigen Stunden bis Tagen mit dem oberhalb der Wolkengrenzen besonders hell - man die
Tod des Opfers enden. größten Wagnisse eingehen kann. Die Ferkinas verwenden
auch, wie alle Urvölker, einen einfachen Mondkalender. Den
Polar- oder Losstern nennen sie Geburtsstern; er soll der
Raschtulas Frau ist Rascha, die Göttin der wilden Lust und Schöpfer der Welt sein. (Dieser Mythos findet sich auch bei
Raserei. Ihrer gedenkt man durch Wein-, Rauschkraut-, und den Beni Rurech auf Maraskan, die im Losstern ihren Schöp-
Liebesgenuß, und die Märchen der Ferkinas ehren das fergott Rur sehen.)
Andenken jener, die im Verlauf solcher tagelanger Feiern an Der Raschtulswall ist vor allem für die Shai'Aian kein
Erschöpfung gestorben sind. Bei diesen großen Feiern kommen Gebirge, sondern ein lebendes Wesen, das nur die Ferkinas
die Ferkinas, Männer w i e Frauen, oft in besonderen Zelten auf seinem schützenden Rücken duldet, häufig mit Raschtula
zusammen, wo sie denn beieinanderliegen, Wein trinken und gleichgesetzt.
Rauschkraut auf glühende Steine werfen, bis alle vor Lust Eine besondere Beziehung besteht besteht bei fast allen
wild schreiend durch das ganze Lager stürmen. Wehe aber Ferkinas zu heiligen Quellen. Die meisten Sippen hüten eine
den Gefangenen, die vor solchen Feiern gemacht wurden. Die geheime Quelle, eine Grotte oder einen Teich, der oder dem
Ferkinas kennen dann in ihrem Rausch nicht Mann noch Frau sie besondere Eigenschaften zuschreiben, sei es daß die
und fallen über alle her. Am Ende aber werden die meisten Ahnen darin eingehen oder daß besondere Heilkräfte davon
Gefangenen durch die entfesselte Menge erschlagen oder von ausgehen. Auch Fasar, die erste Stadt der Tulamiden, wurde
aufgepeitschten Pferden zertrampelt - denn die brünstige ja an den Quellen des Gadang gegründet.
Stute (zuweilen auch die Kuh) ist der Rascha geweiht. Schließlich werden auch noch die Steppenbrände des mha-
nadistanischen Hochlandes als mächtige - ein Magier würde
sagen: elementare - Wesen personifiziert, die die Welt in
Besondere Verehrung bei den Shai'Aian genießt auch ein gewissen Abständen mit jener grausamen Gleichgültigkeit
Urriese, den sie Adawadt nennen; der Name ist kaum über- heimsuchen, die Geistern und Göttern zueigen ist - und
setzbar, bedeutet aber wohl ungefähr "Der, den die Zeit dennoch blüht stets die Steppe noch schöner auf.
fürchtet". Adawadt, der leibhaftig im Raschtulswall umgehen
soll, ist der ewige Beobachter der Welt. Er ist unglaublich
weise, aber wer ihn stört, wird mit bloßen Händen zerrissen. Ernährung
Warum Adawadt unsterblich ist und was sein Name bedeutet,
erklären die Shai'Aian so: Die Ferkinas verwenden nicht allzuviel Zeit auf die Erfindung
Als die Zeit gekommen war, da der Krieger Adawadt wie neuer Kochrezepte, und so ist ihre Ernährung seit
alles Lebende sterben sollte, sandte Raschtula seine wildesten Jahrtausenden weitgehend unverändert geblieben. Das wohl
Krieger aus, ihn zu erschlagen. Zunächst gingen sie einzeln, auffälligste ist, daß die meisten Ferkinas den Verzehr von
dann, als keiner zurückkehrte, alle auf einmal. (Übrigens pflanzlicher Kost strikt ablehnen ("Kraut kann man nur
bezeichnend für das einfache Götterbild der Ferkinas: Ein rauchen!") und nur den Wein ausnehmen: Ihn trinken sie gern
Gott ist ein Häuptling, der über so viele Krieger befiehlt, daß und in Mengen, die andere um den Verstand brächten. Vor
sie niemals alle sterben können. Daher kann er alles allem leben die Ferkinas von ihren Mherwedböcken,
erreichen, und tun und lassen, was er will. Daß Krieger aus Langohrschafen, Eseln, Ponys und Rashduler Drehhörnern:
anderen Gründen scheitern oder gar aufgeben könnten Die Milch wird euterwarm getrunken, oder mit Wein oder

64
Tierblut gemischt, oft auch zu halbranzigem Käsequark vom Lager erheben, wenn eine Buskurdh gefeiert wird. Wie
vergoren. Das Fleisch wird sofort nach dem Schlachten bis kaum anders zu erwarten, geht ein solches Spiel sehr blutig
auf den letzten Fetzen vertilgt. ab: Zwei Mannschaften auf ihren Gebirgsponys stehen sich
Außerdem schätzen die Ferkinas Wild in jeder Form - und gegenüber, das Spielfeld ist eine kurvenreiche Wegstrecke im
dabei scheint für sie ein Tier um so delikater zu sein, je Gebirge von mehreren Meilen Länge mit je einer Markierung
gefährlicher es dem Jäger werden kann. Warum sollten sie am Ende. Als Spielmaterial wird am liebsten ein Gefangener,
sonst den kleinen, aber wehrhaften gelbpelzigen Maulwurf mit Lederstricken gefesselt, genommen, in dessen
des Khoramgebirges verzehren (übrigens genau jenen, den Ermangelung auch eine Ziege. Den simplen Regeln zufolge
das 20. Gesetz den Novadis verbietet) ? Von vielen Stämmen hat die Mannschaft, die den Gefangenen - oder dessen
weiß man gar, daß sie Sandlöwe, Raschtulsluchs, Sandwolf größten Teil - in ihr Zielfeld am Ende des Feldes bringt,
und gar Khoramsbestie verspeisen, so sie diese erlegt haben. gewonnen; gespielt wird, bis die Nacht hereinbricht oder kein
Die Zubereitung des Fleisches ist stets sehr simpel: Was Gefangener mehr da ist.
nicht noch roh und körperwarm gegessen wird, wandert in Kaum scheinen die Reiter bei Sinnen zu sein, wenn sie so
den großen Kessel im Zeltlager, der ständig auf dem Feuer halsbrecherisch über schmale Pfade jagen, in der Faust den
steht und voll siedendem Schmalz ist. In diesem Fett wird Schopf eines schreienden Gefangenen, nach dem unzählige
eigentlich alles gesotten, was die Ferkinas essen. Beim Verfolger greifen, um ihn der gegnerischen Mannschaft zu
Erneuern des Fettes, das jährlich zur Sommersonnenwende entreißen. Erlaubt ist bei der Buskurdh förmlich alles: Der
mit einer großen Zeremonie begangen wird, wird zuerst ein Gebrauch von (waffenloser) Gewalt gegen Pferd und Reiter
lebendes Opfertier ins neue, heiße Öl geworfen, während das ebenso wie das Abdrängen in Schluchten oder der geschickte
alte Fett in allerlei Zaubertränken und -salben Verwendung Gebrauch von Abhängen am Wegesrand. Selten geht eine der
findet. etwa jährlich abgehaltenen Buskurdhi mit unter einem halben
Dutzend Toten ab (die Gefangenen nicht einmal
eingerechnet), doch sie gelten als Opfer für die Götter - und
so können auch Sippen und Stämme gegeneinander antreten,
Die Buskurdh ohne sich auf ewig in tödliche Blutrache zu verstricken.
Besonders bei der Buskurdh zeigen die Ferkinas den ihnen
Die meisten Spiele der Ferkinas sind wilde Wett- und Staf- eigentümlichen Respekt vor Mut und Kraft auch der Frem-
felläufe über Stock und Stein, zu Fuß und zu Pferd. Immer den. Man sollte annehmen, daß ein Gefangener, der ihr
geht es darum, ein Beutestück oder eine Trophäe ans Ziel zu heiligstes Spiel stört, indem er entkommt oder gar einen
bringen, entweder im Wettbewerb oder in gemeinschaftlicher Spieler tötet, ihre tobsüchtige Wut zu spüren bekommt. Das
Anstrengung (das bekannteste Spiel letzterer Art ist die Gegenteil ist der Fall: Sobald sich ein "Blutloser" als "Wahrer
Diskusstafette von Maraskan). Mensch" erwiesen hat, wird er akzeptiert wie jeder Ferkina.
Eine Variante dieses Kampfspieles, dem eigentlich alle Und da mit seiner Sippe (mit welcher auch ?) keine Blutfehde
Stämme der Ferkinas ihre große Liebe schenken, nennen sie besteht, gibt es keinen Grund, ihn nicht als Gast zu behandeln.
Buskurdh. Es steht unter dem Segen des Götterpaares und es
heißt, Raschtula und Rascha selbst würden sich interessiert

65
Länder und Leute
Wege durch das Land der Tulamiden

"Die bestgenutzte Karawanenstraße führt von Punin über Zwischen Khunchom und Thalusa benützt man möglichst den
Fasar nach Baburin. Sie umgeht in weitem Bogen südwärts Seeweg. Vor den Winden aus Ost und Nordost können die
den Raschtulsturm, wo man in der Oase Alam-Terekh am örtlichen Thalukken recht schnittig segeln. Nur im Frühjahr,
Nordrand der Khom Rast hält. Dann führt sie den Mhanadi wenn die Altoum-Winde Südfahrten verhindern, muß man den
abwärts bis zur Mündung des Erkin und durch Mhanadistan Landweg nehmen, der durch Sümpfe führt und ungewöhnlich
nach Fasar. Von dem direkten Weg über den Paß von Punin stark von Räubern heimgesucht wird.
zum Erkin kann man nur abraten: Über zweitausend Schritt Sowohl von Mherwed wie auch von Thalusa aus kann man
hoch liegt der Paß, manch ein Tier stürzt in die Abgründe, den Landweg über Unau nach Selem wählen. Hier ist die
und die Bergbarbaren sind hier so gierig wie nirgends. Piste durch die Khom am Fuß der Unauer Berge unvermeid-
Von Fasar nach Khunchom bieten sich zwei Wege an: Den lich: Zwar wird sie verhältnismäßig viel benützt, doch muß
Gadang hinab bis Samra, wo er in den Mhanadi mündet, man sich auf eine echte Wüstendurchquerung einstellen.
kann man zu Lande reisen, auf der zweiten Hälfte des Weges Die Reise das Szinto-Tal abwärts ist meist wenig beschwer-
auch zu Wasser. Auf beiden Wegen lauern die Flußpiraten lich, der Aufenthalt in Selem selbst wenig zu empfehlen. Ab
wie auch andere Räuber. Ab Samra führt eine Piste durch die Port Corrad führt eine hervorragend ausgebaute alte Straße
Steppe Goriens, mit Anchopal als einzigem Lichtblick. Die durch Arratistan und die Sümpfe vom Loch Harodrol bis
Balash-Route den Mhanadi abwärts - ob zu Wasser oder zu nach Neetha ins Königreich zurück."
Lande - ist länger, aber sicherer und belebter. Ab Rashdul (Groszer aventuerischer Atlas - Neue Kunde und getreulicher
schlängelt sich die Straße dann durch die Berge, während die Bericht von allen Völkern und Ländereien von Ifirns Ozean
Schiffahrt durch das Überschwemmungsgebiet meist recht bis zu den Inseln der Feuerberge, Capitel XIX; jüngste
ereignislos abläuft. Auflage: Kuslik, 1004 n.BF.)

Thalusien
Thalusien wird zuweilen scherzhaft "der Südosten des andere Gebiete: Der milde Reiswein, die Tomaten, die fast
Südostens" genannt, und das ist nicht nur geographisch zu nur hier gedeihen, die rosafarbenen Perlenmeerschnecken,
verstehen: Hier sind viele ur-tulamidische Eigenheiten zu aus deren gemahlenen Gehäusen ein rosa Farbstoff gewonnen
beobachten, die andernorts durch die Einwanderung der wird, Schildpatt und vor allem natürlich Perlen aus dem Golf
Mittelländer verwischt wurden. von Tuzak. Den Armen (und wer hier nicht reich ist, der ist
Vor allem sind die Thalusier für ihre herrschaftlichen Ver- arm) bleibt der Reis und zuweilen Muscheln, Krabben und die
hältnisse bekannt: Am deutlichsten hat sich hier die tulami- Brühe aus Heringen und Haien.
dische Vorstellung erhalten, daß Diener und Sklaven Zeichen
gesellschaftlichen Erfolges sind. Die meisten Thalusier Aber die Flucht eines Ausgebeuteten führt stets in die Arme
würden lieber hungern als an ihren Dienern sparen. Eine der Banditen - in der einen oder anderen Art. Wer auf den
Fülle von Überlieferungen ("Wer mit Erdnüssen zahlt, darf zwei Straßen links und rechts des Thalusim wandert, kann sie
sich nicht wundern, wenn Affen für ihn arbeiten.") beschäf- nicht verfehlen, ob er sich ihnen anschließen will oder ob er
tigt sich nur damit, wie man als Herr mit den Nachbarn, den unbehelligt bleiben will. Und ausweichen ist wegen der
Dienern und den Banditen umgeht - andere Personen kennt Sümpfe auch unmöglich: Thalusim ist eigentlich ein
der echte Thalusier nicht. Pluralwort und bedeutet in etwa "die Marschen".
So sind die befestigten Gutshöfe Thalusiens geradezu als Die gefährlichsten Banden werden von lokalen Berühmthei-
symbolhaft für das Lebensgefühl in dieser Region zu ten angeführt wie jenem Moha, den man den "Stummen
betrachten: Der Besitzende befindet sich in einem unaufhörli- Marum" nennt; dem ehemaligen Scharfrichter des Sultans
chen Kampf gegen Räuber, Plünderer, Entrechtete und Skla- von Unau wurde, um seine Diskretion zu sichern, die Zunge
ven, die sich das ganze Jahr hindurch im zerklüfteten herausgeschnitten. Aber die meisten Gruppen sind Banden
Hochland versteckt halten und die fruchtbaren Täler nur bei von Krüppeln und Veteranen, die, dem Verhungern nahe,
ihren Überfällen betreten. versuchen, ihre Opfer durch ihrer schiere Zahl zur Aufgabe
Die meisten der Reisbauern mit ihren topfartigen Strohhüten zu zwingen.
arbeiten auf den Höfen reicher Gutsherren; unabhängige Es besteht eine derartige Tradition, daß man die Verluste
Bauern sind dem vereinten Terror von Potentaten und Ban- durch Banditen, Wegelagerer und Piraten in Thalusien fast als
diten ausgesetzt. Für die Fischer und Taucher an der Küste eine Art Abgaben betrachten kann. Gerade in den verlas-
gilt das gleiche. So wandern die örtlichen Produkte in die seneren Gegenden, wo nur selten Beute vorbeikommt und die
Lagerhäuser von vielleicht hundert Familien, und von dort in Gefahr einer Entdeckung gering ist, wo also Grausamkeit

66
unnötig und sogar geschäftsschädigend ist, sind die Banditen geschenkt bekamen, die gerade dem Händler daneben abge-
und Piraten von verblüffender Gutmütigkeit. Immer wieder nommen wurden. Kurz: Die Thalusischen Banditen sind
hört man Geschichten von Kindern, die einen der Silbertaler schon beinahe sprichwörtlich!

Die Große Khom-Wüste


Über die romantische Schönheit der Wüste, die Nächte unter Um solche gefährlichen Stellen zu erkennen, kann der
dem Zelt der Sterne, die heilige Stille, und die Freuden des Meister von den Spielern Talentproben für Wildnisleben
einfachen Lebens haben uns Dichter wie Novadis ausführlich verlangen, jeweils erschwert um die doppelte Stufe des
berichtet. Aber die einen sind nie in der Wüste gewesen, die Treibsandgebietes. Wenn die Helden ein solches Gebiet
anderen nie woanders. Wir wollen uns daher mit dem durchqueren, sind (je nach Größe des Areals) mehrere GE-
befassen, was den Reisenden tatsächlich in erster Linie in der Proben+doppelter Sumpfstufe abzulegen, um sich aus
Wüste erwartet: Mühsal und Gefahren. Die hier getroffenen plötzlich auftuenden Treibsandlöchern selbst zu befreien.
Aussagen gelten ausschließlich für die einzige große Wüste Wem dies nicht gelingt, der ist auf die Hilfe seiner Kame-
Aventuriens, die Khom. Die Gorische Wüste fällt nicht in raden angewiesen, die ihn mit einer KK-Probe, erschwert
diese Kategorie. um die dreifache Stufe des Treibsandes, aus der Gefahr
retten können (Natürlich ist es möglich, daß sich mehrere
Gelände Helden - mittels eines Seiles - an der Rettungsaktion
Zuerst wollen wir uns mit den Terrainarten beschäftigen: Ein beteiligen. In diesem Fall wird der Zuschlag auf alle
großer Teil der Khom besteht aus Geröllfeldern und endlosen Beteiligten verteilt). Wie lange es dauert, bis ein Held
Steinflächen, die je nach Wind und Temperatur verschieden versunken ist, bleibt Ihrer Meistergnade überlassen, etwa
stark erodiert sind und Füßen wie Hufen unterschiedlichen eine Minute Zeit bleibt den Helfern aber allemal. Selbst
Halt gewähren. Auch umherliegende Felsblöcke und tief wenn in solcher Zwischenfall nicht zum Tod des unglück-
eingeschnittene trockene Flußbetten (Wadis) können die lichen Helden führt, so wird zumindestens die Ausrüstung
Bewegung hemmen. beschädigt werden - und in der Wüste kann der Verlust von
Sehr häufig, und unser Bild der Wüste prägend, sind die zwei Litern Wasser schon ein sicheres Todesurteil
schier endlos erscheinenden Dünenfelder aus feinstem Sand, bedeuten...
die sich wie ein träges Meer vor dem Wind bewegen. Da gibt
es leicht gerippte, brettebene und harte Sandflächen, auf Orientierung
denen ein Pferd oder Kamel höchste Geschwindigkeiten Gar nicht gefährlich genug kann die Gefahr eingeschätzt
erreichen kann und auch Sanddünen von bis zu hundert werden, sich in der offenen Wüste zu verirren: Schon nach
Schritt Höhe, die man nur im Schrittempo und in spitzem den ersten Stunden sieht eine Düne wie die andere aus,
Winkel besteigen kann. Am gefährlichsten, aber glückli- scheinbar sichere Landmarken verschwinden im gleißenden
cherweise sehr selten, sind die Treibsandfelder, deren Ort Sonnenlicht am Horizont. Nicht ohne Grund ist die Große
man nie vorhersagen kann, da sie sich häufig unter Wander- Khom selbst auf vielen führenden aventurischen Karten noch
dünen verbergen oder Spalten in Geröllfeldern ausfüllen und als weißer Fleck eingezeichnet.
dann mit einer dünnen Kruste überzogen sind. Es geht ja nicht nur darum, auf ein bestimmtes Ziel zuzuwan-
Eine weitere interessante - und gefährliche - Geländeforma- dern, sondern die Marschroute auch entlang der lebensret-
tion sind die ausgetrockneten Flußbetten, die Wadis. Zwar tenden Wasserlöcher zu legen. Wenn eine Quelle sich
eignen sie sich meist ideal als Reiseroute (zumal man in aufgrund mangelhafter Informationen wie etwa der Chaneb
ihnen nicht gesehen werden kann und relativ unbelästigt von als salzig-trübe Brühe entpuppt oder mehrere Wasserlöcher
Flugstaub ist), im Falle eines plötzlichen Gewitters allerdings einfach ausgetrocknet sind, kann das schnell ganze
können sie sich als Todesfallen erweisen: Eine Wasserwand Karawanen in den Tod treiben.
von mehreren Schritt Höhe wälzt sich heran und reißt alles Schließlich gibt es noch jene Teile der Khom, die die
mit sich, was in ihre Bahn gerät; eine Flucht ist wegen der Novadis das `Tote Land' oder `die Wüste in der Wüste'
steilen Wände der Wadis meist unmöglich... nennen: Gebiete, die derart wasserlos und ohne Landmarken
Wenn Sie also ein Wadi als Weg wählen, sind Sie gut sind, daß selbst unter den Novadis in jeder Generation nur
beraten, nur an Stellen mit Aufstiegsmöglichkeiten zu kam- einer lebt, der so ein Gebiet durchquert hat.
pieren und stets einen wetterkundigen Begleiter zu haben.
Klima
Meisterinformationen: Einer der häufigsten Fehler, die Wüstenreisende begehen, ist,
Im Durchschnitt kann man in Steinwüste 90% der gewohn- sich nicht genügend auf die Nachtkälte in der Wüste
ten Tagesstrecke zurücklegen, in Geröllwüste 75%. vorzubereiten. Allgemein wird angenommen, im Herzen der
Da in der Sandwüste feste Flächen und nachgiebige Dünen Khom sei es immer und ständig heiß.
häufig zusammen vorkommen, gilt hier eine Tagesge- In der Tat, die Tagestemperaturen können - je nach Jahreszeit
schwindigkeit von 50%. - ohne weiteres fünfzig Grad im Schatten erreichen. Dies
Treibsandfelder sollte der Meister genauer ausarbeiten, da stimmt umso mehr in den Sommermonaten von Rahja bis
sie für reisende Helden eine ernste Gefahr darstellen. Re- Rondra. Ansonsten ist es mit etwa vierzig Grad zwar immer
geltechnisch sind sie so zu behandeln wie Sumpf der noch unangenehm heiß, aber für den Wüstenkundigen dennoch
Stufen 3 bis 5: erträglich. In den Randgebieten der Khom kommt es wäh-

67
rend der Wintermonate Firun und Tsa sogar zu Regenfällen, den aufgeschlagen. Der Tod tritt ein, wenn die Lebense-
wobei es "für die Region zu kalt" ist - zwischen fünfund- nergie auf 0 sinkt; bereits zuvor kann aber der
zwanzig und dreißig Grad. Zusammenbruch erfolgen, wenn GE oder KK (Koma) oder
Ganz anders verhält es sich mit den Nachttemperaturen. Da KL (Wahnsinn) auf 0 fallen. Alle Verluste können nur
der Wüstenboden die Hitze des Tages nicht speichern kann, durch regelmäßige und ausreichende Wasserversorgung
wird es schon bald nach Sonnenuntergang empfindlich kalt - regeneriert werden, was mit der gleichen Geschwindigkeit
selbst Nachtfröste sind in höhergelegenen Regionen keine wie die Senkung erfolgt.
Seltenheit. Zur Grundausrüstung für eine Reise durch die
Wüste sollten also stets ein paar warme Decken gehören; Hitzschlag
auch die Mitnahme von Feuerholz kann nur angeraten Ein weiterer gefährlicher Gegner des Menschen ist der
werden, da sich selbiges in der Khom nur selten findet - und Hitzschlag, unter dem all diejenigen zu leiden haben, die ihr
der Geruch schwelenden Kameldungs nicht jedermanns Haupt nicht vor der gleißenden Sonne schützen. Sie sollten
Sache ist. baldmöglichst im. Schatten gelagert und mit genügend Wasser
versorgt werden. Dann verschwinden die Folgen eines Hitz-
Wasser schlags binnen einer Nacht geruhsamen Schlafes.
Die Tageshitze fordert ihren Tribut von den Reisenden. Das
Wichtigste, was jeder beachten muß, der überleben will, ist Meisterinformationen:
der tägliche Wasserbedarf: Südländer und Zwerge benötigen 5 Wer mehr als sechs Stunden barhäuptig durch die Hitze
Maß Wasser pro Tag, Nordländer, Elfen, Nivesen, Norbar- läuft, muß eine KK-Probe ablegen. Mißlingt diese, so
den und Thorwaler 6 Maß pro Tag, und nur Novadis 4 Maß erleidet er einen Hitzschlag. Jede weitere Stunde in praller
pro Tag. Sonne wird diese Probe um 1 Punkt erschwert. Hitzschlag-
Auch Reittiere benötigen bestimmte Mindestmengen: Wa- opfer erleiden pro Tag 2WSP, fallen zuerst in ein leichtes
runker saufen bei den beschriebenen Bedingungen 35 Maß Delirium (KL, GE, AT und PA jeweils -3) und können
pro Tag, Elenviner 40 Maß, Shadif 30 Maß, Zwergenponys keine Anstrengungen wie Eilmärsche und Kämpfe mehr
20 Maß, Thaluser Esel oder Maultiere 30 Maß und Mherwati durchführen (AU sinkt auf 0).
15 Maß. Trallopper und Svelltaler sind für die Wüste nicht
geeignet und sollten nicht einmal durch die Wüste geführt, Sandstürme
geschweige denn geritten werden. Auch Ochsen eignen sich Alle bisher erwähnten Gefahren sind aber vermeidbar - im
nicht als Zugtiere in der Khom. Gegensatz zum Khomra, Ghibli oder Ras, dem plötzlich
Alle diese Werte gelten bei normaler Belastung, bei Maxi- auftretenden Sandsturm, der selbst die wüstenerfahrenen
mallast benötigen die Tiere etwa 20% mehr. Wenn den Novadis in arge Gefahr bringt. Dann bleiben jedoch nur noch
Tieren Wasser vorenthalten wird, erleiden sie Schaden wie Minuten, um die Kamele anzupflocken und Schutz zu suchen.
Menschen auch. Tiere, die unter Wasserentzug leiden, kön- Der Wind treibt mit Geschwindigkeiten von fast 200 Meilen
nen nicht mehr galoppieren und legen nur noch 60% ihrer pro Stunde Sand und feinsten Staub vor sich her. Der Staub
üblichen Tagesstrecke zurück. dringt durch die feinsten Ritzen, ja selbst in verschlossene
Hieraus läßt sich leicht ersehen, daß das am besten für die Gefäße, während der fliegende Sand binnen Minuten ganze
Wüste geeignete Tier das Kamel ist. Zwar benötigen auch Wagenburgen verschütten kann.
diese Tiere 40 bis 50 Maß Wasser am Tag, sie können aber Wer in einem solchen Sturm alleine unterwegs ist, der ist auf
auch ohne weiteres bis zu fünf Tage ohne Wasser und mit immer verloren. Nur gemeinsame Anstrengung, ständiges
einer Handvoll Dattelkerne oder Dornranken als Futter Schaufeln, Beruhigen der Kamele und das Zusammenhalten
auskommen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, als Gruppe bieten überhaupt erst eine Chance auf Überleben
daß Kamele angeblich in der Lage sind, verborgene in diesen entfesselten Naturgewalten.
Wasseradern zu spüren. So manches novadische Märchen
rankt sich um Kamele, die durch diese Leistungen ihre Reiter Meisterinformationen:
retteten. Einigermaßen plausibel scheint, daß dieses Gespür Erahnt werden kann das Nahen eines Sandsturmes nur mit
sich auf einen Umkreis von höchstens 500 Schritt erstreckt. einer Talentprobe auf Wettervorhersage (mit einem Malus
Wenn von dieser Seite keine Rettung zu erwarten ist, kann von 5 außer für Novadis).
man zuweilen auf die wenigen Gewächse der Wüste
zurückgreifen. Aus einem mannshohen Kaktus kann man Kleidung und Gepäck
binnen einer Stunde etwa ein Maß Wasser gewinnen, wenn Alle bisher aufgezählten Umweltbedingungen erfordern, daß
man ihn zerstört, sogar einen ganze Tagesbedarf. Selbst aus der Mensch sich der Wüste anpaßt. Wer auch nur versucht,
den Wurzeln der Akazien lassen sich noch einige Tropfen sich diesen Bedingungen zu widersetzen, hat schon verloren.
herauspressen. Die zweckmäßigste Kleidung ist die, die von den Bewohnern
der Wüste bereits seit Jahrhunderten getragen wird: Helle,
Meisterinformationen: luftige Stoffe, wenn möglich weit geschnitten, üblicherweise
Werden die angegebenen Mindestmengen unterschritten, eben Pluderhose, Burnus und Silham. Ebenfalls fast notwen-
so drohen für Mensch und Tier ernste Folgen: 5 Schaden- dig sind Turbane oder helle Schleier, die den Kopf vor dem
spunkte am ersten Tag und 15 SP am zweiten Tag. Ab dem gefährlichen Hitzschlag und Mund und Nase vor Flugsand
dritten Tag fällt das Opfer zusehends ins Delirium: Es schützen, sowie enganliegende, hohe Stiefel, die Schlangen
verliert jede Tagesstunde 1 LP und jede zweite Tagesstun- und Skorpione abhalten. Von solchem Unfug wie dem Tragen
de 1 Punkt von jeder Eigenschaft; auf alle Talentproben metallener Rüstungen kann dem Wüstenunerfahrenen nur
wird ein Malus entsprechend den verstrichenen Tagesstun- strengstens abgeraten werden.

68
Meisterinformationen: Man sollte bereit sein, gewisse Unannehmlichkeiten in Kauf
Auch als Gepäck im Rucksack ist eine Rüstung in der zu nehmen, wenn man in einer Karawanserei nächtigt - aber
Wüste hochgradig hinderlich. Als Faustregel für die Bela- selbst ein hartes Lager im Schlafsaal ist viel besser als eine
stung gilt, daß man sich nicht mehr als AUx10 Unzen Nacht in der Wüste.
Gewicht (inklusive Kleidung) aufpacken sollte. Bei einer Die hier vorgestellte Karawanserei Ai-es-Djalud liegt am
Belastung zwischen AUx10 und AUx20 Unzen kann der Rande der Oase Kireh, also nicht im Herzen der Khom,
Körper des Nachts keine Kräfte sammeln, die nächtliche sondern an den Abhängen des Khoram-Gebirges. Wasser ist
Regeneration von Lebens- und Astralenergie fällt hier noch genügend vorhanden, da die Oase an einem kleinen
vollkommen aus. Bei einer Belastung von mehr als AUx20 Bach liegt, der in seinem späteren Verlauf ein Salzfeld
Unzen erleidet der Träger zusätzlich noch 1W6 durchfließt, ungenießbar wird und schließlich versickert,
Schadenspunkte pro Tag. Diese Regel gilt auch für ohne eine Spur zu hinterlassen.
Novadis und andere wüstenerfahrene Helden. Die Karawanserei ist ein großes, rechteckiges Gebäude von
drei Stockwerken Höhe, mit flachem Dach und einem großen
Innenhof, der nur durch die ständig bewachte Tordurchfahrt
Karawanen
oder vom Gebäude selbst aus betreten werden kann. An das
Nur Verrückte und selbsternannte Heilige sowie erfahrene Gebäude schließt sich im Norden ein großer, ummauerter Hof
Ortskundige in Zeiten höchster Not reisen alleine durch die an, in dem sich Ställe und Scheunen, eine Schmiede und eine
Wüste. Jeder Mensch, der bei klarem Verstand ist, wird sich Sattlerei befinden. In diesem Hof - dessen Mauer 4 Schritt
angesichts der oben geschilderten Gefahren einer Karawane hoch und an der Krone mit Tonscherben gespickt ist - können
anschließen, der üblichen Form einer Reisegruppe in der bis zu 100 Kamele, in den Ställen bis zu 30 Pferde
Großen Khom. untergebracht werden. Das Futter für die Tiere muß mit
Karawanen dienen in erster Linie dem Transport von Gütern eigenen Karawanen nach Ain-es-Djalud gebracht werden,
aller Art, vorzugsweise aber solchen, bei denen der Wasser gibt es jedoch dank des Baches und einer Zisterne zur
gefahrvolle Weg durch die Wüste erheblich zur Genüge - wenn Efferd so will. Selbige Zisterne befindet sich
Vergrößerung des Gewinnes beiträgt: Seide, Porzellan, Salz, unter der Karawanserei und ist neben dem Kühlkeller der
Schmuck, Gewürze, alchimistische Stoffe. Eine Karawane einzige unterirdische Raum. Sie wird von Regenwasser
besteht üblicherweise aus zwei bis drei Dutzend gespeist, das auf dem Flachdach zusammenläuft.
Lastkamelen und ihren Führern, den Fernhändlern, denen die Das Flachdach ist übrigens von einer Brüstung umgeben,
Ladung gehört, oder ihren Beauftragten, einigen berittenen hinter der sich Speerwerfer und Bogenschützen in Deckung
Aufklärern und - je nach Wert der Ladung und Vermögen begeben können, wenn die Karawanserei angegriffen wird.
des Auftraggebers - einigen Söldnern. Meistens schließen Im obersten Geschoß des Gebäudes finden sich 36 Doppel-
sich diesen Karawanen Einzelreisende (mit oder ohne und vier Einzelzimmer, im zweiten Geschoß vier Einzel-, 10
Reittier) an. Karawanen wie die gerade beschriebenen Doppel- und vier Sechserzimmer. Das Erdgeschoß beherbergt
bestreiten den Großteil des Verkehrs durch die Khom - der neben der Schankstube, der Küche und den Wohnräumen der
Rest wird von wesentlich größeren Zügen bestritten: Die Bediensteten auch eine Badestube (ein Luxus, der durchaus
größte jemals registrierte Karawane umfaßte mehr als 600 nicht in jeder Karawanserei zu finden ist), ein großer
Lasttiere und fast 1000 Menschen - verteilt auf eine Länge Schlafsaal und mehrere Lagerhallen, in denen Güter
von sieben Meilen! zwischengelagert werden können, die von der nächsten
Die Verwendung anderer Tiere als dem Kamel stehen für Karawane befördert werden sollen. Zum Innenhof hin befin-
Novadis nicht zur Diskussion. Selbst die genügsamen Esel det sich ein säulengestützter Wandelgang, in dem tagsüber
Mhanadistans - ganz zu schweigen von Pferden oder gar fliegende Händler ihre Stände aufschlagen und dem
Wagen - sind für diese Strapazen ganz und gar nicht Reisenden ihre Waren beredt anpreisen. Bei
geeignet. Sonnenuntergang müssen sie jedoch ihre Plätze verlassen
Eine Karawane marschiert täglich etwa 8 Stunden: die ersten 4 haben, denn dann werden im Innenhof Reittiere
Stunden nach Sonnenaufgang und - nach mindestens vier- untergebracht, die keinen Platz im großen Hof gefunden
stündiger Mittagspause während der heißesten Zeit des Tages haben.
- noch 4 Stunden bis in die Dunkelheit hinein; sie legt dabei Da Überfälle auf Karawanen - auch im Schutz einer Kara-
zwischen 20 und 30 Meilen pro Tag zurück. Außer der wanserei - keine Seltenheit sind, patrouillieren stets je eine
Mittagsrast gibt es keine Pausen, was für den Wandernden Wache auf dem Dach, im Innenhof, im großen Hof und um
eine extreme Tagesbelastung bedeutet. Die abendlichen das Gebäude. Die Bediensteten wissen zumindest mit Knüp-
Lagerfeuer dienen der Pflege gesellschaftlicher Kontakte und pel und Dolch umzugehen - und die meisten mußten dieses
dem Informationsaustausch, da während der Tageshitze fast Wissen bereits einsetzen. Die Karawanserei wird übrigens,
alle Gespräche verstummen. Auch dauert dieses abendliche wie häufig in der Wüste, mit Mist beheizt. Zu diesem Zwecke
Beisammensein meist nicht lange, denn der Weg zur werden sowohl die Latrinen als auch die Ställe ständig
nächsten Karawanserei ist weit und anstrengend... entleert und der überriechende Inhalt mit Strohresten,
Eine typische Karawanserei Häcksel, Holzspänen und dergleichen gemischt und in der
Was für den Reisenden in nördlichen Gefilden die Herberge Sonne getrocknet. Diese Heizmethode wird aber selten
ist, das ist für den Wüstenreisenden die Karawanserei. Und benötigt, da die dicken Lehmwände die Tageshitze bis spät in
genau wie bei diesen Herbergen gibt es zwischen den Kara- die Nacht speichern. Diese Bauweise, verbunden mit kleinen
wansereien oft gravierende Unterschiede, sowohl was ihre Fensteröffnungen und einer weißen Außentünche, macht es
Größe als auch ihre Qualität angeht, ganz davon abgesehen, übrigens auch mittags in den Innenräumen erträglich kühl.
daß Karawansereien in der Khom wesentlich dünner gesät Die Preise in einer Karawanserei sind meistens gesalzen - so
sind als Herbergen entlang einer Reichsstraße.

69
auch in Ain-es-Djalud: Ein Einzelzimmer kostet 10 Zechinen Doppelten bis Dreifachen des gewohnten Preises. Die Unter-
(2 Dukaten) pro Nacht, ein Doppelzimmer 15 Zechinen (3 bringung eines Pferdes oder Kamels kostet (inklusive Futter
Dukaten), ein Sechserzimmer 25 Zechinen (5 Dukaten) und und Wasser) 5 Zechinen (1 Dukaten) pro Nacht, während ein
selbst ein Platz im Schlafsaal noch eine ganze Zechine (2 einfaches Bad als wirkliches Luxusgut mit 25 Zechinen (5
Silbertaler). Dukaten) bezahlt werden muß. Aber was ist schon Gold
Alle Speisen müssen extra bezahlt werden - zu etwa dem gegen Sicherheit in der Wüste?

Die Oase Achan


Achan ist eine Bilderbuchoase, wie sie sich der Fremde kaum erkennt. Ein beliebtes Spiel in Achan besteht auch
vorstellt, und für die meisten Reisenden aus dem Lieblichen darin, einem Krieger einen gelbbraunen Wüstenskorpion auf
Feld auch die erste, die sie sehen. Denn Achan ist eine der den Bauch zu setzen. Während der Spieler die 99 Gesetze zu
wichtigsten Angelpunkte des Khomhandels: Hier beginnt die rezitieren beginnt, wird der Skorpion durch die atmenden
große Strecke, die über Keft und Mherwed bis Khunchom Bewegungen immer gereizter. Es gibt nur wenige, die sich
führt; umgekehrt können die Güter von dort über Achan ins weiter als bis zum 13. Gesetz wagen...
Liebliche Feld oder über Almada ins westliche Mittelreich Ein harmloseres Vergnügen ist das hier sehr beliebte Ilmen-
geschafft werden. blatt, dessen Blüten und Blattspitzen zusammen mit den
Mit etwa einer Meile Durchmesser gehört die Oase eigentlich harzigen Stengeln geraucht werden. Wegen der
zu den kleineren, aber auf der engen Fläche steht eine Palme beruhigenden Wirkung schätzen die Bewohner Achans das
neben der nächsten, ein Feld schließt an das nächste an. Wie Rauschkraut schon seit Jahrhunderten. Oft wird es auch
künstlich abgetrennt wirkt der Rand der Oase: Blühen hier zusammen mit Pfeifenkraut von den Hängen der Hohen
noch Dattelpalmen und Feigenbäume, beginnt schon drei Eternen geraucht.
Schritt daneben die Khom in ihrer ganzen Härte. Während Wegen des relativ großen Reichtums der Oase kommt es
der Chorbash zeigt sich, daß Achan Heimat eines der größten häufig dazu, daß Auseinandersetzungen durch Geschenke an
Stämme der Khom ist. Dann quillt die Oase über von Shejks oder Mawdlis `entschieden' werden. Da aber die
braunhäutigen Reitern, die nur bei ihren fremdartigen Spielen rechtsprechenden Novadis neben der Bestrafung durch Ver-
aus sich herausgehen. Für die Sindaqa ist im Zentrum der stümmelung vor allem die Verbannung als Strafe verhängen,
Oase, gleich neben dem Funduq, ein festes Spielfeld angelegt, sind in vergangener Zeit etliche verbannte Mitglieder und
wenn auch man außerhalb der Chorbash den Zweck der Sippen des ständig wachsenden Stammes in Richtung auf
konzentrischen Kreise mit der züngelnden Schlange Loch Harodrol oder das Liebliche Feld vorgedrungen.

70
Die Oase Virinlassih

Eine der fruchtbarsten Oasen liegt am nordwestlichen Rand Familien das ganze Jahr hindurch bewohnt. Nach der
der Khomwüste, in Sichtweite der Goldfelsen und der Regenzeit werden hier im Zuge der Chorbash die Tribute für
Amhallasih-Kuppen. Der Beleman aus dem Yaquirtal bläst den Kalifen gesammelt und dann mit der ersten Karawane ins
die Regenwolken zuweilen bis hierher und läßt stattliche ferne Mherwed geschafft. Zu den wichtigsten Abgaben gehört
Melonen- und Hirsefelder gedeihen. In der Umgebung der Töpferwaren aus dem geschmeidigen Ton Virinlassihs, das
Oase Virinlassih gibt es mehr Wasserlöcher als anderswo. auch an andere gottgefällige Oasen verkauft wird.
Das novadische Brunnenrecht wird denn auch nicht so hart Bekannt ist die Oase Virinlassih auch für ihren Mawdli Amir
ausgeübt: Fremde an einem Wasserloch werden meist nicht ben Yakuban ben Yelmiz, von dem man sagt, daß er alle
getötet, sondern nur zu haarsträubenden Zahlungen gezwun- Gesetze kennt. Wie alle Novadis tendieren die Bewohner
gen. Virinlassihs zu umfassenden Sammlungen von Einzelgeset-
Daß man sich der Huld des Himmels bewußt ist, zeigt auch zen, die wortwörtlich befolgt werden.
ein Schrein des "Großen Wassergeistes Efferd", an dem fast Für Mawdli Amir sind die 99 Gesetze Rastullahs oder die
alle Reisenden Wein- und Blutopfer bringen. Der Teich in `Siebenundzwanzig erlaubten Griffe von Unau' nur die
der Mitte der Oase trocknet nur etwa einmal im Jahrhundert wichtigsten Beispiele; angeblich kennt er 97 weitere
aus, und so wird auch der Funduq im Zentrum von einigen Gesetzessammlungen.

Arratistan und Chababien - die kämpfenden Sultanate


Vom übrigen Gebiet der Novadis getrennt durch die hohen Heute sehen sich die Beni Brachtar als die Elite der Novadis
Gipfel der Eternen, breiten sich die grünen Hochlande von an, den westlichen Außenposten des Kalifats, der unentwegt
Arratistan und Chababien am Oberlauf der Ströme Arrati und gegen die Ungläubigen zu fechten habe. So brechen auch
Chabab. immer wieder einzelne Sippen zu Raubzügen in die reichere
Nur wenige Weiler, Dörfer und zwei kleine Städtchen finden Ebene auf und überschreiten die Grenzen des Lieblichen
sich hier, denn es gibt nichts, was den Bauern anlockt. Die Feldes, wo sie für einige Zeit die Karawanenwege unsicher
grüne Farbe der Landschaft täuscht: Statt fruchtbarer Felder machen und dann wieder vertrieben werden - denn weder die
und Acker gibt es hier nur steinige Heidesteppen mit dichtem Hochlandpferde noch die alten ererbten Waffen sind eine
Bewuchs aus Kraut, Dornsträuchern und Messergras. Im Bedrohung für die wohlberittenen und gut gerüsteten Krieger
Frühsommer ist die ganze Landschaft zwar in ein Meer von des Königreiches. Bei einer Strafexpedition des Lieblichen
purpurnen Blüten getaucht, und die seltenen Reisenden Feldes, angeführt vom heutigen Oberkommandierenden,
genießen den Duft der blühenden Sträucher, doch zu anderen Marschall Folnor Sirensteen zu Irendor, wurde gar mehrere
Zeiten ist das Gestrüpp wie geschaffen, sich um die Fesseln Sippen des Stammes fast vollständig getötet. Doch die Beni
der Pferde zu schlingen und die Tiere zum Straucheln zu Brachtar sind stolz auf ihre Märtyrer. die als einzige dem
bringen. Die einzigen, denen es hier gutgeht, scheinen dann Vorbild jener Fünfhundert folgen, die einst in der Thalion-
die Sandwölfe und die Löwen zu sein, von denen man melfurt durch "eine unheilige Katastrophe" zu Tode kamen.
stattliche Rudel findet. Die Beni Arrat aber machen sich in den Augen ihrer alten
Heute sind Chababien und Arratistan die Heimat zweier Feinde eines der schlimmsten Verbrechen schuldig: des
Stammesverbände der Novadis, die jeweils unter der Herr- Verstoßes gegen das 67. Gesetz Rastullahs, das den Umgang
schaft eines Sultans stehen. Seit Generationen liegen die mit den Anhängern der Gott-Echse verbietet. Denn die
Beni Brachtar und die Beni Arrat miteinander in blutiger Männer Arratistans pflegen den Kontakt mit den
Fehde, und nicht selten erfolgen mörderische Kriegszüge Echsenmenschen am nahen Loch Harodrol und handeln mit
über den Harotrud hinweg, der beider Stämme Weidegebiete ihnen. Für Eisen und Fleisch bekommen sie den begehrten
voneinander trennt. Quinjabrannt, der ihre Kräfte erhöht und der Mittelpunkt
Die Ursachen dieses Streites sind alt und scheinen noch vor wahnwitziger Besäufnisse ist, bei denen die berauschten
die Zeit zurückzureichen, in der beide Stämme aus der Khom Stammesbrüder zum blutigen Wettkampf gegeneinander
einwanderten. Kaum trafen sie sich, die Beni Brachtar von antreten. In ihren Städten kann man zuweilen sogar seßhafte
Osten über die Eternen, die Beni Arrat von Süden kommend, Echsenmenschen antreffen. Ja, von manchen Sippen heißt es
brachen sofort blutige Kämpfe aus, bei denen jeweils die gar, sie hätten Rastullah ganz abgeschworen und sich dem
Anführer erschlagen wurden - seitdem herrschen Blutfehden H'Ranga zugewandt - schlechthin den größten Frevel, den
ohne Zahl zwischen den Gefolgsleuten des Kalifen. sich ein Novadi vorstellen kann!

Der Cichanebi-See
"Denke nun nicht, Fremder, der Salzsee, sei eine ebene das dem Menschen nach dem Leben trachtet.
Wasserfläche, wie ihr im Norden sie habt! Viele Mittel kennt der Cichanebi, um dem Sohn der Wüste den
Oh nein, der Salzsee ist weder naß noch spiegelglatt, er ist Atem zu stehlen: Mal erscheint er als gleißende Schönheit,
eine Bestie, ein trockenes, rauhes und zerklüftetes Untier, leuchtend und strahlend im Lichte der Sonne als wie ein

71
Adamant, dann wieder tritt er vor des Betrachters Auge als splitter graben Narben in Hände und Antlitz. Das Wasser in
unförmige graue Wüste, ohne einen festen Punkt als Ruhe- den Schläuchen ist brackig, ja manchmal faulig, und doch
stätte für den erschöpften Blick. das kostbarste, was es gibt. Wenig ist hier das Leben eines
Schon freut sich der Wanderer über eine Abwechslung im Menschen wert - wen schert's, wenn einer auf immer
öden Trott seiner Füße, ist doch ein Wasserlauf auf dem See verschwindet? Wie seinen Augapfel aber hütet man die Esel
in Sicht - doch der Bach ist ein Riß in der sonnengebackenen und Maultiere, die gerade vor Einsetzen der Regenzeit das
Kruste, der Unselige wird hinabgezogen in den alles erstik- Salz nach Unau tragen müssen. Wehe aber denen, die zu
kenden Schlamm aus Salz, Wasser und Sand. gierig waren und sich während der Regenfälle noch auf dem
Denn furchtbarer noch als Treibsand ist der Salzschlick des Cichanebi befinden: Dann brechen alle Salzkrusten auf aus
Cichanebi: Nicht einmal eine schöne Frau packt einen Mann festem Boden wird weicher Schlamm, es gibt nicht mehr Weg
so fest und unabwendbar wie diese bleiche Masse. Und die, noch Pfad hinaus aus dem Reich des beißenden Todes.
die da versunken und vergangen sind im Elend des Salzes, Wenn dann aber die Sonne zurückkehrt, ist die Oberfläche im
geben von Zeit zu Zeit das Vorbild für eines der Monumente, Nu wieder hart gebacken, neue Routen über das Salz müssen
wie sie das Wasser und der Wind aus Salzfelsen erschaffen: gesucht und gefunden werden, sollen nicht alle Arbeiter und
Seltsam verbogene, mißgestaltete Formen, die ihre Arme Karawanen ins sichere Verderben laufen.
hochrecken zum Himmel wie in einer Bitte um Erlösung von Dies ist die Aufgabe der Salzgänger, dieser tapfren und
ihrem Dasein. gläubigen Männer, die sich mit dem Abstecken neuer Wege
Kein Leben zeigt sich auf der gleißenden Weite des Salzes, auf dem See besser auskennen als irgendein anderes Ge-
keine Pflanze streckt ihr Grün empor, kein Tier huscht mit schöpf Rastullahs. Von klein auf studieren sie den See und
wunden Füßen über die rauhen und beißenden Salzbrocken - seine Tücken und sind bestrebt, all seine Listen und Finten
ja selbst die Geier fliegen nur selten über den Cichanebi, kennenzulernen, um ihnen begegnen zu können. Dabei sche-
denn hier gibt es nichts zu holen: Der törichte Reisende wird ren sie sich nicht um Nordweiser, Dreikreuz und derlei
auf dem Salz nicht verdursten noch an Hitze sterben, zuvor Instrumente, sondern suchen den Pfad nur mit ihrem Wissen,
hat ihn schon der Salzschlamm verschluckt. ihrem Gefühl und ihrem Vertrauen auf Rastullahs Güte.
Wenn aber einmal der Schrei eines verirrten Raubvogels Erkennbar sind diese kühnen Männer an ihren bunten
über das Salz hallt, scheint es, als kreischten die Seelen von Schmucknarben auf Stirn und Wangen, die ihnen während
Tausenden Verdammter im Höllenfeuer - denn der See einer geheimnisvollen Zeremonie zuteil werden. Diese und
verschluckt sonst jedes Geräusch, das Tappen der Füße andere Rituale bilden das einigende Band unter den Salzgän-
ebenso wie das Klappern der Hufe. gern, die ansonsten Einzelgänger sind und kaum Zusammen-
Selbst die Weiten des Cichanebi sind nicht völlig arbeit kennen - und das ist so vom Herrn gut eingerichtet,
menschenleer: Im Süden, zu seinem einzigen Ausfluß hin, denn sprächen die Salzgänger mit einer Stimme, wären sie
ziehen die Unauer von Zeit zu Zeit auf die Kruste des Sees, bald die wirklichen Herren des Salzsees und nicht unser
um das reichtumbringende Salz abzubauen. Eine gefährliche geliebter Sultan von Unau."
und anstrengende Arbeit ist dies, die Haut brennt unter (Aus dem Epos `Der Sturz des neunmal rastullahverfluchten
Sonne und Salz, die Lippen schwellen, platzen auf winzige Ketzersultans', Unau 14 n.H.)
Salz-

Das Shadif
"Unendliche Weiten breiten sich aus vor dem Auge des Die anderen Wildpferde kümmert's nicht, sie scheinen gar
Betrachters - sanft ansteigende Hügel, bewachsen mit harten froh, daß die Raubtiere ihre Speise hatten und nun harmlos
Gräsern, dornigen Büschen, vereinzelt auch dürren Akazien, sind. So fressen denn die Pferde gemächlich das harte Gras
die ihre dünnblättrigen Zweige schirmartig ausbreiten und und scheren sich nicht um die ruhenden Löwen in ein paar
so ein wenig Schutz gewähren vor der brennenden Hitze der Schritt Entfernung.
Sonne. So haben sich denn auch die Tiere in der Nähe dieser Doch was ist das ? Ein gefleckter Schatten schleicht durch
seltenen Bäume eingefunden: Hie ein Rudel Khomlöwen, die das hohe Gras, kaum erkennbar mit seinem gelb-schwarzen
Alten dösend, nur gelegentlich mit der Schwanzquaste eine Pelz: Ein Gepard ist's, und seine schlanken, hohen Beine und
aufdringliche Fliege vertreibend, die Jungtiere munter der schmale Leib verraten die Geschwindigkeit, die in der
umhertollend, spielend, teils miteinander, teils auf dem Rücken Katze steckt. Nun haben auch die Pferde seine Witterung
der Eltern. aufgenommen, ein Hengst wiehert, alles Schleichen war
Die Alten lassen's sich wohl gefallen, denn sie haben gut vergebens, denn jetzt scheint ein Beben die Erde zu erschüt-
gespeist und sind zufrieden. Eine Shadifstute war ihr letztes tern: Die aufgeschreckten Rosse stürmen los, die unbeschla-
Mahl, ein trächtiges Tier aus einer der Wildpferdherden, wie genen Hufe zermalmen achtlos Gräser und Lehmklumpen,
sie in großer Zahl durch die Savanne ziehen. Jetzt streiten unter glänzenden Fellen arbeiten die schwellenden Muskeln,
sich die Steppenwölfe um die Reste der Löwenmahlzeit. Ein die schnellen Beine fliegen über die Steppe und scheinen sie
wildes Gekreische liegt in der Luft, doch die Geier und kaum zu berühren.
Wolfsratten schreckt das nicht, die in der zweiten Reihe auf Doch auch die Katze hat zum Spurt angesetzt - fliegen die
ihren Anteil warten. Was sie übriglassen, werden die Amei- Pferde dahin wie Vögel, so ist der Gepard wie ein von der
sen fressen, die in den tönernen Hügeln in der Nähe wohnen, Sehne schnellender Pfeil. Kaum kann ihm das Auge folgen, so
so daß am Schluß in ein, zwei Stunden ein blankes Gerippe rasch rast er dahin. Schon hat er die flüchtenden Tiere
auf der zertrampelten Grasfläche liegen wird. eingeholt, nun heißt es, schnell Beute machen, denn nur kurz

72
kann der Pardel diese Schnelligkeit beibehalten, dann muß Stärkerer aufmerkt und ihn vertreibt - denn so ist das Gesetz
er nachlassen und die Pferde ziehenlassen. Aber das Glück des Lebens.
ist ihm hold, schon hat er die Läufe am Hals eines jungen So hat eine jede Art ihr Auskommen im wildreichen Gras-
Füllens. Das kleine Tier strauchelt, die noch unerprobten meer des Shadif, und nur selten einmal kommen Menschen
langen Beine scheinen sich zu verheddern, mit einem hierher - Händler sind es meist, auf dem Weg von Unau zum
klagenden Laut sinkt das Fohlen zu Boden. Szinto, oder Pferdefänger, die aus den großen Herden der
Wenn die Mutter helfen wollte, sie kann es nicht, der Strom wilden Shadif einige herausholen. Doch selbst, wenn öfter
der Artgenossen reißt sie mit sich, und so versenkt der einmal die Herren in Unau oder Malkillabad ihre Jagden
Gepard seine Fänge in den zitternden Hals des Füllens, ein veranstalten täten, dem Wildleben im Shadif täte dies keinen
letzter Schrei, es ist dahingegangen in die unendlichen Abbruch."
Weidegründe des Jenseits. Der Gepard aber hat seine Fres- (Aus den Lebenserinnerungen des Missionars Firunil
sen, und rasch schlingt er die besten Teile hinunter, ehe ein Gareslaw)

Amhalassih
"'Sag' mir, Freund, welch' Land ist es, des' Wälder grün Geschehn'. Aber sag', du erwecktest mein Neugier und
und Bäche blau ich dorten vor mir liegen seh'? Gar schön ließest frei den Wissensdurst, auf daß er rumore in meinen
ist's und lieblich, will mir scheinen.' Sinnen wie das trunkene Kamel in der Karawanserei: Gar
`Dies' Gebiet, o Effendi, trägt den wohlklingenden Namen offenbar scheint mir, daß dies' Landstrich reich ist gesegnet
Amhalassih. Reich gesegnet mit Frucht und Schatten sind mit fleißigen Hirten, arbeitsamen Bauern und fähigen Reb-
seine Felder und Haine, die Brunnen sprudeln voll des nerv und Winzern - hat es denn dazu noch weise Gelehrte und
kühlen Naß', dicht bestockt sind die Hänge der sanft anstei- machtvolle Magier?'
genden Hügel mit Reben, aus denen quillt der glutvolle `Nun, o Effendi, das spracht Ihr wohl: Gar reich ist Amhalas-
Wein.' sih an geschickten Fellachen, die da ernten Reis und Weizen,
`
Gar wundersam deucht mich dies' - ritten wir nicht ehge- Apfel und Birnen, Kürbisse und die Woll' der Bäume; zu-
stern noch durch die karge Wüst', so menschenleer und öd? gleich aber leben hier kühne Männer, die sich verstehen auf
Schritten uns'rer treuen Rösser schlanke Beine nicht des den Umgang mit den Worten Rastullahs und den Verkündun-
vergang'nen Tags über eine Bergkette geborstener Felsen gen der Mawdlis.
und trockener Täler, kaum bewachsen mit dornichtem Ge- Denn weniger froh klänge das Lied meines Herzens, wäre
strüpp?' dieses angenehme Land noch in der Hand der Götzendie-
`Gewiß, o Effendi, das unerfreuliche Gebirge ist wenig ner... Doch unsere Sinne frohlocken, die Luft schmeckt
einladend und schroff zu allen, die es durchschreiten - doch reiner, das Wasser frischer und die Speisen süßer in Amha-
der weise Mawdli spricht: `Achte niemanden zu gering: lassih, seit der Landstrich ward erobert von Kalif Malkillah,
Selbst die gelbe Wüstenratte mag dereinst ihren Nutzen dem Zweiten seines Namens. Er betrat mit Heeresmacht dies
erweisen.' Gebiet, das damals ward geheißen Süd-Almada, unterwarf
So verhält es sich auch mit den Kuppen, die den Namen es von den Bergen bis an die Fluten des Yaquir und gab ihm
Amhalassihs tragen: Schirmen sie doch das fruchtbare Land seinen heutigen Namen.'
vor den Unbilden der Wüste.' `Wahrlich, wohl tat daran der heldenhafte Kalif Wohlan
`
Du sprichst wahr, Freund. Gar dankbar haben wir zu sein denn, Freund, lang ist der Weg, doch die Pferde schreiten
dem Schöpfer - gepriesen sein Name -, daß seine weise Tat ruhig aus und bedürfen nicht uns'rer Achtung - erzähl mir
dies erfreulich' Stück grünen Landes so wirksam bewahrt vor drum mehr von den Wundern dieses Landes.'
`
Sand, Sturm und Ungetier.' Da Ihr, o Effendi, erwähntet die Pferde, des Menschens
`Wie recht Ihr habt, o Effendi. Allein die Bewohner dies' treueste Diener: In Amhalassih findet sich gar manche vor-
Landes kennen auch eine Mär, folgend der einstens eine treffliche Zucht edler Rösser, die man zur Blutlinie der Tula-
riesenhafte Schar gieriger Heuschrecken hervorstürmte aus miden zählt. Sandbraun ist ihr Fell, mit schwarzen Tupfen als
der kargen Wüste. Weit drangen sie vor, vertilgend Gras- wie das Gefieder der Wüstendommel oder der Oasenammer -
halm um Grashalm, Blatt um Blatt, Blüte um Blüte. Doch die und schnell wie dieser Vögel Flug ist ihr Lauf ohn' daß der
Männer einer Stadt im Norden waren weise Zauberer und Reiter mehr muß tun denn ihnen die Fersen gegen die
suchten lange in ihren Schriften, bis daß sie fanden eine Flanken zu drücken: Denn - das merket wohl, o Effendi - wie
Weis' herbeizuholen einen gar mächt'gen Dschinn des Ge- alle Pferde der großen Sippe der Shadif leiden die Tulamiden
steins. Und dieser Dschinn sprach einen Bann auf die nicht Sporen noch Reitpeitsche, sondern werfen jeden ab,
Schrecken und ließ sie wie steinichten Hagel hinabfallen der derlei zu verwenden wagt.
auf die Erde - dorten aber liegen sie noch des heutigen Zwei Orte sind es insbesondre, die berühmt sind unter den
Tags und bilden das Gebirg', über das wir ritten und auf Städten und Dörfern des Kalifats:
dessen höchstem Passe wir nun steten. Amhallah ist der Platz, an dem Malkillah zuerst die reichen
Wenn Ihr einen dieser losen Steine aufhebt, o Effendi, werdet Fluten des Yaquir liegen sah, hier erbaut' er eine Festung für
ihr ohn' viel Gemüh' und Phantasterei erkennen, daß Ihr in die tapfren Krieger, die allzeit fechten gegen die Gottlosen
Händen haltet ein steinern Heuschreck, etwas zerbröselt aus dem Norden und Westen, denn nahe an am alten und am
durch die Zahl der Jahre.' mittleren Reiche liegt hier das neu errichtete Reich des
`Wahrlich, Freund, itzo erkenn' auch ich dies' wundersame Herrn Rastullah, und vor Zeiten gab es viele Kämpfe.

73
Ein Ort des friedvollen Lebens ist dagegen das schöne und an aus dem ganzen Kalifat, die ihre Gebrechen und Blessuren
Wundern reiche Eslamabad. Zwar trägt es auch heut'gen heilen durch warmes Wasser am und glutvollen Wein im
Tags noch den Namen des heidnischen Kaisers, der es Leibe. Auch hört man, daß manche das heiße Wasser erset-
einstens gegründet, doch suchen es auch viele Rechtgläubige zen durch eine nicht minder wärmende glutäugige Frau, wie
und Gottgefällige auf: Denn durch Rastullahs Gnade ent- man sie oft sieht unter den Töchtern Amhalassihs.
springen hier warme Quellen, dem Kranken zur Heilung, Doch werdet Ihr all diese Wunder gewiß in Kürze noch
dem Bresthaften zur Genesung, dem Müden zur Erquickung erfahren - denn nun kommen wir ja in dieses Land, mit
und dem Erschöpften zur Entspannung. So findet man in eigenen Augen zu schauen und eigenen Händen zu fassen."'
Eslamabad auch Heiler ohne Zahl, doch mehr noch Gäste (Dialog aus dem Drama "Tochter des Yaquir")

Das Szintotal
"Szinto, du Verfluchter, du falscher Schlangenfluß. Aus diesen Zeilen spricht die zwiespältige Haltung, mit der
Der Herr schuf dich als Schmuck seiner Länder, doch du viele Novadis dem Szintotal gegenüberstehen: Ihnen ist
verrietest ihn. bewußt, daß diese Gegend vor der Eroberung des Balash die
Wir priesen dich ob deiner Fruchtbarkeit, doch du führtest einzige wirklich fruchtbare Landschaft ihres Reiches war -
die Scharen der Völker hinauf gegen uns. doch zugleich trennt tiefes Mißtrauen und Unverständnis die
Der Herr segnete deine Gestade mit reichen Reisfeldern, an kühnen, vorwärtsstrebenden Wüstensöhne und die schwer-
denen die starken Stiere durch deine Fluten wateten, doch du fälligen, ruhigen Reisbauern des Schlangenflusses.
entbotest dein Wasser den verschlagenen Horden des Gott- Die feuchten Gestade am Szinto erlauben den Bauern meh-
losen. rere Ernten im Jahr, ohne daß sie sich recht anzustrengen
Der Herr setzte stolze und reiche Städte an deine Ufer, brauchen: Die Zuflüsse aus den Eternen bringen viel des
prächtig wie das hehre Khunchom, doch du buhltest mit den fruchtbaren weißen Schlammes mit, der die nassen Reisfelder
Scharen Tar Honaks." reiche Frucht tragen läßt.

Gorien

Es gibt in Aventurien einige Zwergreiche, die auf eine verschleppt, die Nennung des Namens Zornbrecht löst heute
ruhmreiche und machtvolle Geschichte zurückblicken kön- noch Volksaufstände aus.
nen, aber wohl keines läßt sich vergleichen mit dem Sultanat Heute jedoch gibt es wieder einen Sultan der Gorier: Hasra-
Gorien. bal ben Yakuban residiert in der Palaststadt AI'Ahabad an der
Ehedem eines der ersten fruchtbaren Siedlungsgebiete der Südwestseite der Gorischen Wüste, einem derart unwirtlichen
Tulamiden, ist Gorien eine karge Steppe, seit es vom Großen Landstreifen, daß sich selbst die aranischen Fürsten mit
Schwarm verheert wurde. einem schriftlichen Treueschwur zufrieden gaben. Da Sultan
Trotzdem gehörten die Gorier noch lange Zeit zu den mäch- Hasrabal offen für den Eingottglauben Rastullahs eintritt,
tigsten Völkern. Einem Sultan Mustafa gelang es gar, Khun- wird seine Kleinstadt mit den etwa 600 Einwohnern auch von
chom zu erobern und eine Gorische Dynastie zu begründen. den Novadis aus dem Balash nicht allzusehr bedrängt.
Zumindest seit ihre Hauptstadt Anchopal und die Hafenstadt Trotzdem verlangen die Steppenreiter der Beni Avad von den
Aimar Gor unter den Klugen Kaisern an Aranien gefallen Händlern auf der einzigen Straße derart unverschämte und
sind, existiert Gorien aber eigentlich nicht mehr. Die Bewoh- willkürliche Tribute, daß man sich fragen muß, ob es nicht
ner des Chaluk-Tales wurden zudem durch alanfanische mit Borbarad zugeht, daß Sultan Hasrabal seine Untertanen
Überfälle dezimiert: Ganze Dörfer wurden in die Sklaverei noch immer ernähren kann.

Die Gorische Wüste


Die vielleicht unheimlichste Landschaftsformation Aventu- ten entsprechen. Da es sich bei Geometer Shahrach jedoch
riens ist jener leblose Fleck, den man die Gorische Wüste um den einzigen Reisenden handelt, der die Gorische Wüste
nennt. Die Anbeter der Sumu und ihrer Kinder behaupten, seit den Magierkriegen erkundet hat, stellen seine Aufzeich-
daß die Gorische Wüste die Wunde ist, an der Los tödlicher nungen ein wertvolles Detail in der aventurischen Geogra-
Hieb traf - die einzige Stelle am Leib der Urriesin, die phie dar, das wir dem geschätzten Leser nicht vorenthalten
wirklich tot ist. Selbst die angrenzende Landschaft, die wollen. Transskription und Herausgabe des Manuskripts
Steppe Goriens um Anchopal, ist seit den Skorpionkriegen durch den Tempel der Hesinde zu Khunchom, welchselbiger
keine besonders anheimelnde Gegend mehr. das Manuskript auch bewahrt und zur Einsicht hält.
Der folgende Bericht des hochgeschätzten Geometers Barra-
do Shahrach stammt aus dem Jahre 79 vor Hal, mag also in "Gegeben im Jahre 12 der Kaiserlosen Zeit zu Khunchom
einigen Einzelheiten nicht mehr den heutigen Gegebenhei- durch Barrado Shahrach, Geometer Ihrer Durchlaucht der

74
Fürstin von Aranien, Mitglied der Kaiserlich Geographischen Marschieren ist schwieriger, als es der erste Blick verheißt,
Gesellschaft, Edler zu Anchopal, Hauptmann i.R. des II. denn wir legen kaum eine Meile pro Stunde zurück (was ich
Fürstlich Aranischen Reiterregiments..." aber nicht beschwören will, denn es ist schwierig, eindeutige
Landmarken festzulegen). Was wie flaches Land aussieht, sind
"9. Rondra: Von Anchopal, welches durch Peraines Hain vor trügerische Staubsümpfe, die Mulden von einem und mehr
der unbarmherzigen Wüste geschützt wird, brachen wir auf Schritt Tiefe ausfüllen. Darüber strömt noch feinerer, roter
mit sechsunddreißig Gelehrten und Waffenknechten, einem Staub wie ein träger Fluß, getrieben von jenem Winde.
Magus, einem wüstenerfahrenen Rastullah-Anbeter, einer Gelegentlich senkt sich der Grund auch mehr denn zehn
Geweihten der Hesinde, vierzig Kamelen, und Wasser und Schritt. Als wir eine solche Senke erkundeten, fanden wir unter
Proviant für vier Wochen." dem Staube relativ klare, eindeutig wärmere Luft, die
abgestanden und leicht nach Schwefel roch. Im Vergleich zu
"11. Rondra: Einen halben Tag südlich von Anchopal begann den Temperaturen der Nacht (die unser Wasser sogar gefrie-
das Land sanft anzusteigen. Dornbüsche und hohes, wenn ren ließen) schien es uns fast heiß.
auch oft gelbes Gras wachsen hier noch zuhauf und auch ein Der erste Monolith, den wir erreichten, hatte eine Höhe von
Bächlein fanden wir, das sich von den Hügeln im Osten fast dreißig Schritt, war annähernd von sechseckiger Grund-
heranschlängelte und an dem wir unsere Kamele tränkten." fläche und bestand aus verwittertem Basalt, so daß er an eine
Säule aus einem ürtümlichen, längst vergessenen Borontempel
gemahnte. Das Land scheint weiterhin leicht anzusteigen..."
"13. Rondra: Seit heute scheint es uns, als würde die Luft
merklich kälter. Der Wind weht ständig von Südsüdost und
treibt gelegentlich rollende Büsche und Staubfahnen vor sich "20. Rondra: Die letzte Nacht war ein grausiges Erlebnis.
her. Am Boden wächst nur noch karges, kurzes Gras, und wo Nicht nur, daß es bitterkalt war, so daß unserem Waffenknecht
es den Grund nicht bedeckt, schimmert jener in rostigem Rot Germon zwei Zehen abfroren, nein, auch die Kamele fanden
und stumpfem Gelbbraun. Wenn wir uns gen Norden wenden, keine Ruhe, so als schleiche ständig ein Raubtier um das Lager
können wir am Horizont noch die Mauern Anchopals unter herum. Dazu kommt das Heulen und Singen des Windes - wie
uns erkennen. Im Süden steigt das Land jetzt stärker an, wobei ein Chor der Verdammten. Zu allem Überfluß fand der
sich der Grund in wirren Formationen bricht, als sei hier Wachhabende auf seinem Rundgang auch noch ein Skelett,
früher Wasser geflossen oder als hätte der Wind die Felsen dessen Knochen von Wind und Staub blankpoliert waren, so
angenagt. Hin und wieder finden wir auch einzelne daß sie fast im Mondlicht zu leuchten schienen. In der Nähe
Felsblöcke, wild in der Landschaft verstreut, als habe sie ein fanden wir auch ein Helm in selbigem Zustand. Selbst den
zorniger Zyklop geschleudert und dann vergessen..." erfahrensten Veteranen war nicht wohl zumute, so daß wir den
Rest der Nacht gemeinsam am Feuer verbrachten.
"13. Rondra: Wir kommen nur langsam vorwärts. Viele der Unser Feuerholz ist aufgebraucht und auch unsere Wasser-
ansteigenden Schluchten winden sich wie eine irre gewordene vorräte stehen nicht zum Besten. Beides ist hier oben nicht zu
Schlange und enden dann im Nichts. Neben uns erheben sich finden, so daß wir nun Kamelmist verfeuern und trotz des
bizarre rote Türme, mächtig wie ein Bergfried, aber zernarbt Staubes unsere Trinkgewohnheiten einschränken müssen. Ich
wie nach schwerem Bombardement. Fast hätten wir ein Kamel habe mich entschieden, trotzdem weiterzumarschieren und im
durch einen Steinschlag verloren. Seit gestern haben wir kein Süden den Abstieg zu versuchen.
einziges Lebewesen außer uns mehr gesehen und auch der Etwa um die Mittagsstunde erreichten wir eine Basaltforma-
Bewuchs wird immer spärlicher. Wasser scheint es keines zu tion, die einer aus dem Boden ragenden, geballten Faust
geben (auch keines, das die Kamele aufspüren). Neben ähnelte. Am Rande jenes Gebildes konnten wir Spuren
Sandstein finden wir gelegentlich auch Felsrippen und Türme mächtiger Bauwerke - ebenfalls aus Basalt - entdecken,
aus dunklem Basalt, die dem Zahn der Zeit besser offensichtlich die Fundamente eines Turmes und mehrerer
widerstanden haben..." Nebengebäude, die von roher Gewalt bis auf die Grundmauern
geschleift waren. An einigen Stellen fanden wir behauene
"16. Rondra: Am frühen Nachmittag fanden wir endlich den Quader, die seltsame Zauberrunen trugen. Unser Magus ist der
Weg nach oben. Auf einer natürlichen Brücke aus rotem festen Überzeugung, daß wir vor den Resten von Borbarads
Sandstein haben wir zwei unserer Kamele mit all ihren Festung stehen und er befindet sich gerade in einem heftigen
Vorräten verloren, als sie von der Brücke in eine finstere Streitgespräch mit Schwester Callyana, die zum sofortigen
Klamm stürzten, die wohl hundert Schritt tief sein muß. Wir Verlassen dieses unheiligen Ortes mahnt. Der Wind kommt
befinden uns jetzt am Rande einer Hochebene, wohl jetzt übrigens fast direkt von oben und ist auch stärker als
dreihundert Schritt über dem Umland. Die Luft ist klar und bisher.
seltsamerweise eiskalt, was unseren Wüstensohn sehr Später: Wir sind bis zum Einbruch der Dunkelheit noch eine
erstaunte. Das Land ist eben bis zum Horizont, nur Meile weit marschiert, um den grausigen Fund hinter uns zu
gelegentlich ragen basaltene Monolithe in die Höhe wie lassen. Bei Nacht will ich nicht weiterziehen lassen, da wir
Finger oder verdorrte Hände . Der Wind weht jetzt von gestern bereits ein Kamel in den Staubsümpfen verloren haben.
Südost - und, wenn uns unsere Sinne nicht trügen, von schräg Das Heulen des Windes zehrt an unseren Nerven und wir
oben. Wir können keine Anzeichen von Leben erblicken und vernehmen Modulationen, die sich wie Sprache anhören, auch
schlagen unser Lager auf .." ein An- und Abschwellen. Im Südwesten kann man einen
sanften Hügel erkennen, der anscheinend von innen pulsiert
und leuchtet. Die Sterne sind fast zum Greifen nahe.
"18. Rondra: Wir sind dem Wind entgegenmarschiert, der
uns in der Nacht ein unheimliches Lied gesungen hat. Das

75
Noch später: Eins unsrer Kamele hat sich losgerissen und ist in "26. Rondra: Vor uns erhebt sich ein gigantisches Tor aus
wilder Panik davongestürmt. Auch alle anderen Tiere sind Basalt, offensichtlich natürlichen Ursprungs, aber bestimmt
kaum zu beruhigen. Und das schlimmste von allem: Unser fünfzig Schritt hoch. Darunter beginnt eine Klamm. Wir
Magus ist verschwunden, offensichtlich, um die Ruinen von steigen hinunter...
Borbarads Turm auf eigene Faust zu erkunden. Mögen die Später: Nach etwa vierzig Höhenmetern Abstieg haben wir
Götter ihm gnädig sein. Etwa drei Stunden nach Mitternacht einen Talkessel erreicht, an dessen Ostwand sich ein polier-
verstummte übrigens das Heulen des Windes, nachdem es sich tes, doppelflügliges Basalttor erhebt, das in den Berg führt.
vorher zu einem wahren Crescendo gesteigert hatte. Der Wind Beide Flügel tragen das Symbol des Raben. In Abwesenheit
beginnt aber jetzt langsam wieder einzusetzen, wobei er der Geweihten habe ich die Rituale durchgeführt. Die Klamm
große Mengen von Staub aufwirbelt, der uns Sicht und Atem führt weiter nach unten...
nimmt..." Später: Ich glaube, wir haben es geschafft, wenn wir auch mit
den Nerven am Ende sind. In der Klamm heult der Wind wie
eine mißgestimmte Orgel oder ein waidwundes Tier. Auch
"19.Rondra: Wir haben unseren Magus wiedergefunden, oder
gibt es dort Geister, viele Gespenster und Erscheinungen, wie
besser: seine Reste; sein Gesicht wie von Todesangst verzerrt,
die Reste einer großen Armee. Bosik und Ferlana sind
seine Hände verkrampft - und ohne einen einzigen Tropfen
schreiend davongerannt. Jetzt sind wir unten, nach bestimmt
Blut in seinen Adern, obwohl wir keine Wunde entdecken
zweihundert Mannshöhen. Das letzte Stück müssen wir klet-
konnten..."
tern. Wir werden die Kamele zurücklassen. Unter uns erken-
"Der Hügel, den wir letzte Nacht gesehen haben, bleibt
nen wir ein breites Tal mit bewachsenen Hügeln am anderen
verschwunden, also haben wir uns entschlossen, direkt nach
Ende..."
Süden vorzustoßen, dem ewigen Wind und dem Staubstrom
folgend."
"27. Rondra: Allen Göttern sei Dank. In der Hügeln haben
"21. Rondra: Häufige Basaltformationen. Westlich von uns wir eine Quelle gefunden. Nördlich von uns dräut noch
ein Gebilde, das an eine Kralle erinnert, fast genau südlich immer die steile Wand des gorischen Tafelberges, an deren
davon ein gigantischer Turm, wohl eine halbe Meile im Fuß Basaltsäulen wie ein Gatter oder Korsett. Immer wieder
Durchmesser und sicherlich ebenso hoch. Stoßen immer die sechseckigen Formen. Tiere haben wir noch keine gese-
häufiger auf Skelette. Der Staub hat unsere Stiefel blankpo- hen, das Heulen des Windes dauert an und ich werde es wohl
liert und durchlöchert. Zwei Kamele wildgeworden und mit bis an mein Lebensende nicht aus meinen Ohren verlieren..."
der Ausrüstung am hellichten Tag verschwunden. Unser
Wasser reicht noch für sechs Tage..."
"5. Efferd: Wir 19 haben Mherwed erreicht, wo man uns
"23. Rondra: Haben den Südrand erreicht. Unter uns kön- zuerst für Räuber und Wegelagerer hielt. Selten erschien mir
nen wir in einiger Entfernung den Mhanadi erkennen. In der eine solche Anhäufung von Lehmhütten und Kameldung so
Nähe des dämonisch drohenden Turmes eine riesige Spalte, lieblich. Wir werden mit einem Treidelkahn nach Khunchom
die uns Schwester Callyana und zwei Kamele gefordert hat. fahren und niemand wird mich mehr dazu bewegen, auch nur
Wir haben zwei Waffenknechte abgeseilt, die berichteten, einen Schritt in diese götterverlassene Gegend zu setzen!"
daß es unter dem Staub wohl mehrere hundert Schritt in die
Tiefe ginge. Kein Abstieg zu erblicken. Wir machen uns gen (Meister Barrado Shahrach rüstete übrigens 13 Jahr später
Westen auf zur Umkehr haben wir nicht mehr genügend eine weitere Expedition in. die Gorische Wüste aus und ist
Wasser..." seitdem verschollen.)

Das Perlenmeer
Das Perlenmeer hatte für die Tulamiden nie jene große Für diese Unternehmungen waren die Thalukken und Ze-
Bedeutung wie das Meer der Sieben Winde für die Gülden- drakken mehr als ausreichend, sie boten sogar so viel Sicher-
länder oder gar die Thorwaler, aber die Bewohner des Landes heit und Bequemlichkeit, daß ein Großteil des Handels und
des Ersten Sonne sind auch nicht gerade wasser-scheu. Verkehrs besonders zwischen Khunchom und Elem zur See
Natürlich war und ist in Städten wie Khunchom, Thalusa und abgewickelt wurde. Alle paar Jahrhunderte wurden auch
Selem Fischfang und Sammeln von Meeresfrüchten eine kleinere und größere Flotten entsandt, um Riesland und den
wichtige Nahrungsquelle. Allerdings bietet das Perlenmeer nur sagenhaften Ostkontinent zu erreichen. Über die genauen
wenige genießbare Fischarten, nur die unvermeidlichen Erfolge ist uns wenig bekannt, die meisten der kühnen
Heringe und Haie sowie Muscheln und Krabben gibt es hier Seefahrer dürften jedoch ums Leben gekommen sein. Auch
in rauhen Mengen. Ruban der Rieslandfahrer, der berühmteste tulamidische
Interessanterweise haben die berühmten Perlen des östlichen Seefahrer, hat seinen Beinamen von seinen Bemühungen,
Meeres bei den Tulamiden nur geringe Bedeutung erlangt. nicht seinen Erfolgen.
Erst unter den mittelländischen Eroberern wurden die Silber-
auster und die Perlmuschel geradezu zum Symboltier dieses "Mittelreichische wie tulamidische Maraskan-Fahrer fürch-
Meeres. ten den glühend-heißen Westwind, der - interessanterweise
Die Seefahrt beschränkte sich größtenteils auf Küstenfahrten schon seit den Zeiten vor Rastullahs Erscheinen - als Rasch-
sowie Versuche, daß geheimnisvolle Maraskan zu erreichen. tuls Atem bezeichnet wird und die Schiffe weit ins Perlen-

76
meer hinaus bläst, oft an Maraskan vorbei aufs offene Eiserne Maske und El Harkir, konnten auch sie nicht stellen."
Meer."
(Von den Küsten und Häfen des Perlenmeeres, ihren Vortei- (Aus_ " Über Piraten", Dalman Severin, ehemals Admiral der
len und Widrigkeiten; 11 Hal) Kaiserlichen Marine)

"Im Perlenmeer, besonders zwischen Khunchom und Selem, "Wie mir ein gewisser Alrik glaubhaft versicherte, ist das
gibt es manche Stadt, die dem Kaiser die Seehoheit streitig `Perricumer Anheuern', auch Pressen genannt, - trotz inten-
macht, aber kaum eine, die etwas gegen die Piraten siver Gegenbemühungen Kaiser Retos - noch immer nicht
unternimmt. Die Khunchomer haben wohl einige stolze und ausgerottet: Skrupellose Kapitäne schicken ihre Schläger in
wehrhafte Schiffe, doch sie kämpfen nur, wenn es um ihre jedem Hafen los, um die Mannschaft aufzustocken. Manche
Waren an Bord geht. Die Flagge Thalusas mit dem machen sich die Mühe, ihre Opfer betrunken zu machen,
schwarzen Ongalobullen sieht man auf See kaum. Und manche greifen gleich zum Belegnagel. Wenn das Opfer
Selem - nun, jedes Wort wäre verschwendet. dann mit einem Eimer Salzwasser geweckt wird, ist das Schiff
So müssen die großen Nationen zur Selbsthilfe greifen: schon auf hoher See, und nicht jeder ist so abenteuerlustig,
Schiffe wie die Kusliker `Fürchtenichts' und die bornländi- in einem Hafen wie Selem oder Brabak zu desertieren - wo
sche `Admiral von Seweritz' haben in den letzten Jahren ihn vermutlich noch Schlimmeres erwartet."
mindestens zwei Dutzend Thalukken aufgebracht oder (Aus einem Reisebericht des Kusliker Hesinde-Geweihten
versenkt. Die zwei schlimmsten Piraten von allen aber, die Alexandrian Arivorer, 14 Hal)

Der altehrwürdige Mhanadi


"Wer von Mhanadistan spricht, denkt unvermeidlich an die mens) zeigen, daß das Völkergemisch schon seit Jahrhunderten
Rinder dieses Hochlandes: Da gibt es die wilden blauschwar- besteht.
zen Ongalobullen mit ihren gedrehten Hörner und ihre zahme
Bruderrasse, die Rashduler Drehhörner, die in großen Herden Die Gehöfte wie auch die größeren Siedlungen sind meist gut
getrieben werden. Da gibt es die frei lebenden Grunzochsen bewehrt und imstande, sich einige Zeit selbst zu verteidigen.
und die prächtigen Weißen Gadangstiere auf den Reisfeldern. Durch das Hochland verlaufen unzählige Pisten, größtenteils
Man kann wirklich sagen, daß es hier mehr Rinderrassen gibt durch Tausende von Rinderhufen in den Lehm getrampelt und
als andernorts Nutztierarten überhaupt. daher erstaunlich breit. Auch über die beiden Flüsse führen
Auch andere typische Steppenbewohner fallen in Mhanadi- diese Wege, selten über Brücken. Der bekannteste Übergang
stan auf: Speikobra und Stinktier kommt man wegen ihrer ist die `Furt der Klagen', wo die Schlacht am Gadang
Sekrete lieber nicht zu nahe. Die prächtigen Strauße, die zwischen den Mittelländern und den Tulamiden stattfand.
Quadan, eine Wildeselart, und die Warzenschweine, süda- Viele Furten können nur im Frühjahr benutzt werden, wenn die
venturische Verwandte der Wildschweine, laufen unentwegt Flüsse wegen der beginnenden Dürre Niedrigwasser führen.
über die Hochebene und scheinen gar keine Ruhe zu kennen.
Den Grund dafür sieht man bald: Unter fast jeder Baumgrup-
pe findet sich ein Löwenrudel, meist gemütlich dösend - aber Erst ab dem Zusammenfluß von Mhanadi und Gadang, also
wehe den anderen Kreaturen, wenn sich die königlichen Tiere eigentlich außerhalb Mhanadistans, wird der Strom zum
in Bewegung setzen. Hauptverkehrsweg. Sein Name ist übrigens keineswegs geklärt:
Die Mittelländer bestimmen stets den längeren von zwei
Die Menschen sind hier keineswegs die häufigsten Lebewe- Flüssen zum Hauptstrom; zumindest die Bewohner Fasars
sen, obwohl das Hochland zu den dichter besiedelten Regio- bestehen jedoch darauf, daß jener Strom, an dem die wichtig-
nen Aventuriens zählt. Die Hirten ziehen meist halb-noma- sten Städte liegen, also der Gadang, der Hauptfluß ist. So
disierend mit ihren Herden. Ihre temperamentvollen Shadif kommt es, daß man zwar von Lauf und Mündung des
sind fast immer weiß oder falb, zuweilen kommen auch Ap- Mhanadi, aber vom Gadangdelta oder von den Flußpiraten
felschimmel vor. vom Gadang spricht.
Entlang der beiden mächtigen Ströme, die Mhanadistans
Grenzen und Lebensadern bilden, wird meist Ackerbau Durch die vielen Zuflüsse aus den Rashduler und Khunchomer
betrieben. Bergen wächst der Mhanadi im letzten Drittel unverhält-
Der Mhanadi und der Gadang treten hier allerdings selten nismäßig an. An vielen Stellen ist er fast eine halbe Meile breit,
über die Ufer. Daher wird kaum Reis angebaut, hauptsächlich während der Regenzeiten überschwemmt er noch Felder, die
karge Weizenarten und Mengbillaner Hirse. Diese Ernten zehn Meilen entfernt liegen. Im späten Frühjahr und Herbst
reichen aus, um das Hochland und die große Stadt Fasar zu dagegen treten Schlick- und Sandbänke hervor, die die
ernähren, aber die Region verläßt dieses Korn fast nie. Schiffahrt selbst für erfahrene Lotsen zu einem gefährlichen
Die Menschen gehören fast allen Völkern der umliegenden Hindernislauf machen.
Reiche an: Die Hirten sind Mhanadistanis, teils auch Ferkinas
und Novadis, die Bauern dagegen zivilisierte Tulamiden und ...In Mherwed bestieg ich dann, gemäß dem Rat meiner
Mittelländer. Ortsnamen wie Erkenstein (nach dem Freunde das prächtigste aller Flußschiffe, die `Mhanadisultan',
tulamidisch benannten Fluß Erkin) und El' Trutz (offensicht- die mich flußabwärts nach Khunchom bringen sollte. Der
lich die Tulamidisierung eines mittelländischen Burgna- Hafen der Kalifenstadt ist nur klein und liegt direkt

77
neben der alten steinernen Brücke, die den Namen des wann mit ihren langen Riemen ins Wasser - niemand an Bord
Volkshelden Bastrabun trägt. der `Mhanadisultan' hatte es eilig. Fast niemand:
Die `Mhanadisultan' war ein Schiff, wie ich es noch nie zuvor Bei einer der Mahlzeiten sah ich, wie einer der Gäste an den
sah: Auf dem niedrigen Deck eines Flußbootes schien sich Tisch des Kapitäns trat und sich als Mechanicus aus Havena
mehrere Stockwerke zu erheben - und auch sonst glich das vorstellte. Er habe das ganze Schiff eine Weile untersucht und
Fahrzeug in manchem mehr einem schwimmenden Haus denn sei zum Schluß gekommen, daß sich die Geschwindigkeit der
einem Schiff: Der eigentliche Rumpf lag so tief im Wasser, `Mhanadisultan' mit einigen technischen Verbesserungen doch
daß man von der Reling aus mühelos die Oberfläche des erheblich erhöhen lasse. Sprachs und zählte gleich eine ganze
Mhanadi berühren konnte. Auf dieser Ebene standen meist die Reihe von Mitteln auf - von Segelbäumen war da die Rede,
wenigen Matrosen, die die `Mhanadisultan' hatte, und blickten von Ruderständen, gar von Schaufelrudern, die von Sklaven
gedankenschwer auf die lehmiggelben Mhanadiwellen; hier in Laufrädern bewegt würden. Der Kapitän jedoch, ein
war im Inneren auch die Ladung untergebracht: Ballen mit würdiger Tulamide namens Omjaid ibn Rafim, strich sich nur
Baumwolle und Palmbast, Tulamidenteppiche, Kameltuch, geduldig lächelnd den stattlichen Schnurrbart und hörte
Fässer mit Raschtulswaller und Dattelwein, Säcke mit höflich zu - verwirklicht oder auch nur erwogen wurde keiner
getrockneten Feigen und Aprikosen. dieser Pläne. Warum sollte man auch schnell am Ziel sein
Auf den Decks - fast möchte ich sagen Stockwerken - darüber wollen, wenn man auf einem Schiff wie der `Mhanadisultan'
aber befanden sich die Räume für die zahlenden Gäste, zu reisen kann ?
denen auch ich zählte. Hier fand man kostbar ausgestattete So glitt das große Flußboot langsam und majestätisch dahin,
Säle und Zimmer: Die Räume wurden erhellt von kristallenen eine wahre Königin des Mhanadi - und auch versehen mit
Leuchtern, deren Licht auf seidene Polster und Mobiliar aus einer Eskorte, wie sie sie allerdings kaum verdient hatte:
Ebenholz und Mohagoni fiel, durch Holzblenden, zuweilen Alligatoren waren es, die baumstammgleich neben dem
sogar gläserne Fensterscheiben blickte man geschützt vor Schiffsrumpf trieben und nur dann erwachten, wenn einer der
Wind und Sonne auf die Ufer - oder man begab sich hinaus Köche die Reste einer Mahlzeit über Bord warf. Dann schien
auf die von bunt bemalten Säulen gestützten verandagleichen das vorher so glatte Wasser zu kochen, wenn die gewaltigen
Wandelgänge, die sich auf jedem Deck rund um das ganze Echsen miteinander um die Knochen und Happen balgten, bis
Schiff zogen. alles in ihren nimmersatten Mägen verschwunden war.
Auf dem obersten, dem Sonnendeck, aber befand sich gar Während sich nun die Reichen in den oberen Salons ohne
eine Art Garten: Der Reisende konnte zwischen duftenden Unterlaß dem Spiel und dem Rausch hingaben, führte ich
Blumen unter weiten Schirmen liegen und sich von den interessante Gespräche mit den Schiffern an Bord der
uniformierten Mohas Kühlung zufächeln oder Getränke brin- `Mhanadisultan'. Die waren ein ganz besonderer
gen lassen. Menschenschlag: Aufgewachsen gleichsam im Wasser, meist
Die ersten Tage nach unserer Abfahrt verbrachte ich nur mit unentwirrbare Völkermischlinge mit Tulamidenvätern und
diesem Wohlleben, das ich nach dem anstrengenden Ritt Sklavenmüttern, bildeten sie eine feste Gemeinschaft. Die
durch die Khom wohl verdient haben mochte. Mal lag ich meisten Flußschiffer genossen beträchtliche Rechte, doch in
dösend im kühlen Schatten, mal begab ich mich hinunter in ihrem Herzen fühlten sie oft noch mit ihren versklavten
den großen Saal, um einen Trunk aus Wein und Saft zu Mohavettern verwandt, wie mir ihre Geschichten bewiesen:
genießen und den Spielern zuzuschauen. Fast immer drehten sie sich um die List geflohener Sklaven,
An Bord der `Mhanadisultan' frönte man nämlich hem- die ihre ehemaligen Herren übertölpeln und lächerlich ma-
mungslos dem Glücksspiel: Die Würfel wurden geworfen, chen.
die Karten verteilt, die Glücksscheibe wurde gedreht. Um die Wenn sie denn nicht so einander Geschichten vortrugen,
Spieltisch herum saßen die reichen Herren in ihren seidenen saßen sie oft beisammen und spielten mal heitere, mal
Röcken, mit perlenbesetzten Handschuhen, juwelenge- schwermütige Musik auf fremdartigen Instrumenten, die sich
schmückte Turbane auf ihren Köpfen. Einen reichen Scheik vorzüglich dem Takt der Arbeit anglich: Die Bewegungen der
sah ich, an dessen linke Seite sich eine starke Pardelkatze und Ruderer und Staker wurden ebenso mit Melodien untermalt
an dessen rechte sich eine bildschöne Sklavin schmiegte - wie die des Mannes am Bug, der in gleichmäßigen Abständen
doch er hatte nur Augen für die sich drehende Glücksscheibe. die Lotleine auswarf und einholte - eine langweilige und doch
Doch mit der Zeit kannte ich den Anblick dieser reichen lebenswichtige Arbeit, denn der Mhanadi ist voller tückischer
Männer zur Genüge - ich war wohl auch die einzige Frau, die Untiefen, und rasch hat sich ein Schiff mit auf einer Sandbank
sich frei bewegte - und ich wandte mich mehr der Umgebung festgefahren.
zu. Wahrlich, von Bord der `Mhanadisultan' aus hatte man So gingen denn die Tage wie im Rausch dahin - zu tun war
einen vorzüglichen Blick auf die fruchtbare Landschaft, wenig, Ablenkung und Zerstreuung gab es viel. Einmal
durch die wir langsam glitten. So sah ich die grün glitzernden landeten wir bei einem kleinen Dorf und nahmen frisches
Reisfelder am Rand des Flusses, die Hütten der Bauern, die Obst an Bord, darunter auch köstliche frische Saftmelonen,
prächtigen weißen Herrenhäuser mit ihren Türmchen, Säu- gekühlt mit dem Schnee von den am südlichen Horizont
lengängen und überhängenden Dächern, die Herren mit ihren leuchtenden Rashduler Bergen. Ein anderes Mal fuhren wir an
Familien auf Schaukelliegen und Diwanen und die der Stadt selbst vorbei: Rashdul grüßte uns mit seinen
arbeitsamen Bauern mit ihren daherstapfenden Buckelrin- goldenen Kuppeln und den hohen Türmen, leise klang das
dern, die langsam den Wagen zogen und uns doch manches Geräusch der zum Gebet rufenden Gongs durch die abendli-
Mal überholten: Auf dem träg dahinströmenden Mhanadi che Stille, die Öllampen hinter den offenen Fenstern wurden
schien das Schiff nur zu treiben, so wenig kamen wir voran. entzündet und warfen einen warmen Schein.
Tatsächlich ließen auch die wenigen Ruderer am Heck sich Die meiste Zeit aber gab es wenig zu sehen, ein Herrenhaus,
die Arbeit nicht zur Mühe werden und stachen nur dann und

78
ein Reisfeld glich dein anderen, die Genüsse an Bord der Strahlen der Sonne abmilderte zu einem sanften Halbdunkel.
'Mhanadisultan' hingegen hielten uns in ihrem Bann - fast war Ich war auf Deck geblieben, und so streifte von Zeit zu Zeit
es, als führen wir gemächlich durch eine andere Sphäre, ganz etwas mein Gesicht - eine sanfte, keineswegs unangenehme
losgelöst von Raum und Zeit um uns. Berührung, leicht wie ein Traum. So spähte ich denn ins
Schließlich allerdings gelangten wir ins Delta des Mhanadi. Gründunkel und erblickte schließlich die "Schuldigen":
Hier verteilt der große Strom sein Wasser noch einmal auf Goldene Moosfäden waren es, die herabhingen von den sich
eine Vielzahl von Armen, ehe er sich ins Perlenmeer ergießt. neigenden Asten der Bäume. Als ich einen der Arbeiter nach
Wie man mir sagte, hat es schon manchen Versuch gegeben, ihrem Namen fragte, erklärte er mir, es seien Sonnenstrahlen,
die Zahl der Flußarme zu bestimmen, doch waren all diese die sich im Blättergewirr verfangen hätten und nun nicht mehr
Bemühungen zum Scheitern verurteilt: Zu dicht sei das zurückfänden zu ihrem himmlischen Ursprung. Die Berührung
Gewirr der Bächlein und Flüßchen, zu eng lägen Wasser und dieser Fäden aber brächte Glück und Gesundheit - möge der
Land beieinander, und oftmals wurzelten die Pflanzen zu- alte Baumwollschlepper recht haben!
gleich im lehmigen Mhanadiwasser und in der nur wenig Ein anderes aber in diesem Smaragdentunnel habe ich lieber
trockeneren Erde. nicht berührt: Ich war mir nicht sicher, doch vermeinte ich in
Solcherart vorbereitet, erwartete ich schon ein interessantes den Bäumen nicht nur kleine Vögel, sondern auch Fleder-
Spiel der Natur, als das Schiff sich dem Küstensumpfe näher- mäuse einherfliegen zu sehen - auf Nahrungsfang am vollen
te - auf eine dermaßen fremde Welt, wie ich sie nie zuvor sah, Tage, flatterten sie geschickte durch die Zweige und
war ich hingegen nicht gefaßt: schnappten nach den Mücken und Moskitos, die es hier
Langsam glitt die `Mhanadisultan' über das gelbe Wasser, das allerdings fürwahr reichlich gab: Wohl jeder ungezielte Griff
sich still, wie schlafend, unter ihrem Rumpf breitete. Rechts ins Leere brachte eine Handvoll von nicht unter zwanzig dieser
und links am nahen Ufer sah ich die dornigen Sträucher, die Untiere ein.
uns schon die ganze Fahrt begleiteten. Aber auch Doch nun will ich lieber von Schönerem sprechen: Als wir
hochragende Sumpfzypressen - zuerst einzelne Bäume, mit nach einer Stunde der Fahrt den schmalen Mhanadiarm
ihren grünen Bärten aus Flechtwerk wie alte Riesen wirkend, verließen und auf einen See, eine Lichtung im Wald des
dann immer mehr von ihnen. Zugleich verließen des öfteren Sumpfes, gelangten, entbot sich unseren Augen ein unbe-
Abzweigungen unseren Mhanadiarm, so daß die `Mhanadi- schreiblicher Anblick: Unter dem tiefblauen, wolkenlosen
sultan' schließlich wie durch einen Tunnel aus Smaragden Mittagshimmel breiteten sich wahre Wiesen von Lotos und
glitt, neben und über uns die alles beschattenden Blätter der Seerosen, ihre goldenen, purpurnen oder azurblauen Blüten-
Zypressen wie ein schützendes Dach, das die sengenden kelche weit geöffnet inmitten der dunkelgrünen Blätter,

79
wetteiferten sie spielerisch um das Sonnenlicht, das Praios' ich auf diesem viel befahrenen Stück des Sumpfes sah an
Gestirn so reichlich spendete. So fruchtbar war das gelbe Tieren aus alter Zeit, bin ich auch gar nicht traurig darum.
Wasser, so üppig der Sonnenschein, daß die Blumen des
Wasser dessen Oberfläche fast völlig bedeckten und kaum Als wir uns dann immer mehr unserem Ziele Khunchom
mehr Platz war für die gute alte `Mhanadisultan'. Darob hörte nähern, beginnt sich auch der Sumpf zu verwandeln in eine
ich denn Kapitän Omjaid kräftig fluchen, und seine rauhen gleichfalls feuchte Landschaft, in der statt Seerosen der im
Laute vermischten sich mit dem kehligen Gequake der Balash allgegenwärtige Reis gedeiht. Doch noch kämpft die
Ochsenfrösche, die in Scharen auf dem Lotosteppich saßen, Wildnis um jeden Schritt Boden, und nicht selten sieht man
zu einer Symphonie des Trotzes. Schließlich blieb dem aufgegebene oder verwahrloste Felder, auf denen der wilde
Steuermann nichts übrig, als das Schiff näher an das Ufer Reis die fruchtbaren Bodenschlämme brüderlich mit den
heranzulenken, wo sich die `Mhanadisultan' nun mit leuchtenden Schwimmblüten des Wasserlotos teilt. Diese
überraschender Eleganz ihren Weg bahnte im Gewirr der offene Landschaft ist die Heimat allerlei bunter Stelzvögel:
Luftwurzeln, Wasserrosen und herabhängenden Zweige. In der kurzen Zeit unseres Vorübergleitens machte ich wohl
Wie im Traum griff ich hoch zu einem der Aste, ließ ihn an die tausend rosenfiedrige Flammenreiher, gelbe Lang-
spielerisch durch meine Hand gleiten - um sofort mit einem bein-Ibisse, schneeweiße Eisstörche und Rubin- und Kaiser-
herben Schock zurückgerissen zu werden in die Gegenwart: kraniche aus, die friedlich beieinander standen und sich
Eine Schlange ringelte sich an ihm entlang und fiel, durch nichts um uns scherten, sondern ruhig weiter nach Fischen
meine Hand gestört, geradewegs auf meinen Kopf und dann und Fröschen schnappten - was müssen diese Tiere für
hinab ins Boot. Augen haben, daß sie selbst durch das gelblehmige Mhana-
Zum Glück stand ein erfahrener Flußschiffer dabei, der das diwasser schauen können ?
Tier flink aufhob, ehe unter den Mitreisenden Panik ausbre- Mit einem Mal aber flogen all diese prachtvollen
chen konnte, und unter Gebeten zu Hesinde zurückwarf ans Gefiederten auf, und es schien, als würde der Himmel
Ufer. Wie er mir danach versicherte, hatte es sich um eine verdunkelt. Selbst die unentwegten Spieler stürzten aus den
harmlose Baumnatter gehandelt, die nur auf der Suche nach Salons auf das Deck, um mit erschreckten Mienen nach dem
Vogelnestern durch die Krone der Sumpfweide geklettert sei. Grund der Verfinsterung zu fragen. Den aber erblickten wir
Und doch bin ich von Herzen froh, daß mir das Tier nicht etwa erst, als einige der treibenden Baumstämme nach den Vögeln
in den Kragen gefallen ist... So schärfte ich mir selbst denn schnappten, die zu fliehen versäumt hatten: Die Alligatoren
ein, künftig die Zweige schärfer zu beobachten ist, denn wer waren der `Mhanadisultan' getreulich gefolgt...
weiß, ob es nicht auch Giftvipern nach Eiern und Küken Nun aber taten sie gut daran, umzukehren zu ihren Höhlen im
gelüstet? Flußschlamm, denn jetzt konnten wir bereits die hohen Kup-
In dieser Welt, durch die die `Mhanadisultan' wie ein Fremd- peltürme des hehren Khunchom am Horizont erkennen.
ling trieb, in der die Zeit stehengeblieben zu sein scheint, Tatsächlich ruderten und stakten uns auch schon Bauern in
haben sich denn auch andere Wesen wie aus alten Märchen flachen Kähnen entgegen, um uns mit lautem Rufen ihre
erhalten. Ein Mitreisender machte mich auf einen Hügel auf- Waren anzubieten: Reiswein, Melonen, Kürbisse und andere
merksam, auf dessen sanfter Wölbung die farbenprächtigsten Dinge wechselten den Besitzer, danach wendeten die Bauern
Orgaleen, Miralinthen und Terabaten wuchsen - ein ihre Gefährte und folgten uns in die Stadt - ein uralter Brauch,
Flammenspiel goldener, roter und zartblauer Töne. Doch wie wie man mir versicherte, dessen Ursprünge keiner mehr
staunten wir erst, als der Hügel auf einmal, bei des Schiffes kennt.
Annäherung, sanft unter Wasser glitt, um wenig später wieder In Khunchom fuhr die `Mhanadisultan' dann auf ihrem
aufzutauchen und uns aus gelben Echsenaugen mißtrauisch zu Flußarm - es war der Tiefe Mhanadi, wie ich später erfuhr -
betrachten. Eine Diamantschildkröte hatten wir aufgestört, mitten durch die Stadt zum Hafen. Das war ein seltsamer
eines jener angeblich unsterblichen Wesen, das hier als Anblick: Tief mochte der Mhanadi ja sein, breit aber war er
kleines Abbild der Erdriesin gilt. Und wirklich schloß das nicht, und so konnte man mancherorts fast in die Fenster der
undenklich alte Geschöpf nach kurzem Betrachten müde die Häuser an der Wasserseite hineingreifen. Ein Matrose
Augen und schwamm mit majestätischer Gelassenheit von schnappte sich so einen wohl zum Auskühlen abgestellten
uns. Kürbiskuchen, und auch ich bekam einen Teil - wohl nie hat
Mit sicherer Hand steuert Kapitän Omjaid die `Mhanadisul- mir ein Gebäck besser geschmeckt. Des weiteren sah ich ein
tan' durch das Netz der Wasserstraßen. Die erfahrenen interessantes Geschehen in einem Harem, dessen Herr die
Flußschiffer sprachen miteinander über den Kurs und von Fenster zu verdunkeln vergessen hatte, doch will ich mit
anderen Mündungsarmen: Vom Grünen Mhanadi, vom Rücksicht auf die Leserschaft darüber schweigen.
Brennenden, vom Toten, von namenlosen Flüssen und Seen, Die Mannschaft hatte natürlich längst ihre Instrumente
die nur die Fischer und Federsammler kennen. Hier, genau herausgeholt, und so fuhren wir mit lustiger Musik in den
hier, so hörte man das Wispern der Besatzung, müßte man Hafen ein. Hier aber endete meine Reise mit der stolzen und
abbiegen, um die alte Stadt Jaschalei mit ihren Schätzen zu schönen `Mhanadisultan' - was ich aber in der Stadt erfuhr,
finden. Doch die `Mhanadisultan' glitt unbeirrt auch an dieser soll Thema einer anderen Schrift sein."
Abzweigung - oder war es eine Einmündung, ich vermochte
es nicht mehr zu unterscheiden vorbei und setzt ihren Weg
fort nach Khunchom. Und wenn ich bedenke, was (Aus den Reiseerinnerungen der Larona Hochstatter,
Efferdgeweihte zu Havena, heute Hüterin des Zirkels, 7 Hal)

80
Die Echsensümpfe

"Bei dieser Gelegenheit besichtigte ich auch das Monument, gehindert, die Schutzzauber zu erneuern, und so sei der Wall
daß die Eingeborenen als `Bastrabuns Bann' kennen: Eine langsam zerfallen. Seitdem könnten die Echsen wieder die
gewaltige und uralte Wallanlage, die sich auf der ganzen Länder verheeren, was sie auch hin und wieder täten. Als
Länge von Selem nach Kannemünde hinzieht. Heute stehen Beweis wurde mir von den Bauern ein gewaltiger Schädel
von diesem Bauwerk nur noch einige Reste in Form von
Mauerstücken und Grenzsteinen, und doch liegt etwas mit einem Kiefer voll spitzer Zähne gezeigt, wie er wohl
Kraftvolles, ja Erhabenes über den Ruinen, und die alten, einem gewaltigen Krokodil gehört haben muß.
von Wind und Regen fast abgeschliffenen Reliefs und Die Bauern erzählten mir denn auch die wirre Geschichte
Hieroglyphen gemahnen an die Tage, als die Menschheit von einen zweibeinigen Krokodil, daß vor gut drei Genera-
noch jung war. tionen ins Dorf gestapft sei und alle Rinder und viele
Die wenigen Bauern hier sind ein abergläubischer Men- Menschen getötet hätte, bis es in einer kalten Nacht von den
schenschlag und sehr verschwiegen. Mir scheint, sie haben überlebenden Männern gefesselt und erschlagen werden
mich für einen bösen Zauberer gehalten, denn viele sah ich konnte. Seitdem sich nun der mit allerlei Zauberzeichen
die alten Schutzgesten des Tulamidenvolkes machen oder bemalte Schädel im Dorf befinde, habe niemehr ein solches
Amulette hervorzerren, kaum daß ich in Sicht kam. Erst Echsentier die Menschen angegriffen."
nachdem ich den kranken Hairan des Dorfes mit einer (Aus einem Reisebericht des Kusliker Hesinde-Geweihten
kleinen Menge Atanax vom Sumpffieber heilen konnte, wur- Alexandrian Arivorer, 16 Hal)
den sie zugänglicher und antworteten auf meine Fragen.
Dieser Bastrabun, dessen Namen das Bauwerk trägt, scheint
ein Heerführer und Zauberer gewesen zu sein, der vor un- "Die Echsenmenschen, die ich sah, erwiesen sich als extrem
denklicher Zeit lebte und einen Wall errichten ließ, um die friedfertig und absolut harmlos für einen wohlgerüsteten
Echsensümpfe vom Land der Menschen zu scheiden. In Reisenden - freilich, wäre ich ein solcher Schwächling, wie
späteren Jahren aber hätten innere Kriege die Sultane daran dieser selemitische Dorfälteste, hätte ich die gutgemeinten
Warnungen ernst nehmen müssen.
So aber, gestützt auf das Schwert in meiner starken Faust,

81
konnte ich den Echsischen frei heraus begegnen und mußte schwindigkeit festlegen, aber wenn ein Wanderer 10 Meilen
nichts bangen. am Tag zurücklegt, kann das bereits als überdurchschnittlich
Wie ich nach und nach erfuhr (die unkultivierten Wesen angesehen werden. Wahrscheinlicher ist es, Tagesdurch-
sprachen kaum Garethi), sind die Echsenmenschen dem schnitte von 5 bis 7 Meilen anzunehmen - alle Umwege
Kampf sogar in besonderer Weise abhold: Sie kennen weder eingerechnet.
den edlen Wettstreit der Männer noch den Krieg zur Vergrö- Prinzipiell gilt, daß in Sümpfen das Reiten unmöglich ist -
ßerung ihres Besitzes oder Landes - so wundert mich nicht, schon allein aus Rücksicht auf die Pferde. In den Echsensüm-
daß sie dem Aussterben entgegengehen. pfen gibt es auch keine Knüppeldämme oder gar Straßen und
Wege, nur vereinzelte Wildpfade und gelegentlich einmal
Wie man hört, zollen die Echsenmenschen im Süden dem
eine schwankende Hängebrücke über einen kleinen Bach.
König von Brabak Tribut. Ich denke, auch hier ließe sich Man lasse seine Reittiere also besser zu Hause.
manch ein Batzen einholen - so man nur in die Sümpfe Auch der Versuch, auf dem Seeweg in die Sümpfe einzudrin-
vordringen könnte..." gen, ist lebensgefährlich. Es gibt kaum klare Küstenlinien,
(Jahresbericht von Boleslaw von Salderkeim-Schwertbergen, überall drohen Inselchen und Sandbänke. Der Bewuchs mit
Obrist der Stadtgarde von Kannemünde, an den Alten Rat von Mangrovenwäldern und Seetang verbirgt noch zusätzlich
Festum, 11 Hal) Untiefen, und auch manches schlafende Riesenkrokodil kann
sich als unüberwindliches Hindernis erweisen.
Neben Gebirgen und Wüsten sind Sümpfe sicherlich die
gefährlichste Umgebung, die sich ein Reisender aussuchen
kann. Dabei muß man unterscheiden zwischen Mooren und Meisterinformationen:
Hochmooren einerseits, wie sie vor allem im Norden des Spieltechnisch kann ein Sumpf am besten in fünf verschie-
Kontinents vorkommen, Küstensümpfen und feuchten Fluß- dene Gefährlichkeitsstufen eingeordnet werden, wobei
niederungen andererseits (als Beispiel mag hier die Umge- Stufe 1 für sehr feuchte Flußauen steht, in denen man
bung von Havena dienen), und schließlich den echten Süm- gelegentlich mit dem Stiefel steckenbleibt, und Stufe 5
pfen. tückische Sumpflöcher darstellt, in denen ein Mensch
Für die beiden letzteren Arten sind die Gebiete südöstlich binnen einer Minute vollständig versinken kann.
von Selem ein extremes Beispiel, teilweise auch die Umge- Größere Sumpfgebiete, die die Helden durchqueren, sollte
bung von Loch Harodrol. Der Boden ist von trügerischer der Meister genauer ausarbeiten, da sie für Reisende eine
Sicherheit, umgestürzte, vermodernde Baumriesen blockie- ernste Gefahr darstellen; am Besten mit einer Detailkarte
ren den Weg, triefnasse Lianen hängen wie ein Vorhang in des Gebietes, in der die verschiedenen Sumpfstufen, feste
spiegelglatten Prielen und blubbernden Teichen. In größeren Wege und eventuell vorhandene weitere Gefahren einge-
Wassergebieten sind schwimmende Inseln aus Tang, zeichnet sind.
Astwerk und Moder der einzige annähernd feste Halt. Die Um gefährliche Stellen im Sumpf zu erkennen, kann der
Luftfeuchtigkeit der dampfenden Mangrovenwälder treibt Meister von den Spielern Talentproben auf Wildnisleben
dem kühnen Eindringling den Schweiß aus allen Poren, und verlangen, jeweils erschwert um die doppelte `Sumpfstufe'
aus allen Richtungen sind die Geräusche von fliegenden, . Wenn die Helden ein solches Gebiet durchqueren, sind (je
summenden Kleintieren, das Raunzen der Frösche, die trägen nach Größe des Areals) mehrere GE-Proben+doppelter
Schwanzschläge der Alligatoren und das Brüllen urweltlicher Stufe abzulegen, um sich aus plötzlich auftuenden
Echsen zu hören. Sumpflöchern selbst zu befreien. Wem dies nicht gelingt,
der ist auf die Hilfe seiner Kameraden angewiesen, die ihn
Vorbereitung mit einer KK-Probe, erschwert um die dreifache
Wenn unter den Helden nicht jeweils zumindest einer die Gefährlichkeitsstufe, aus der Gefahr retten können.
Meisterschaft (TaW 10+) in den Talenten Gefahreninstinkt, (Natürlich ist es möglich, daß sich mehrere Helden - etwa
Orientierung, Wildnisleben und Schwimmen erreicht hat, mittels eines Seiles - an der Rettungsaktion beteiligen. In
sollte man auf eine Expedition in die beschriebenen Gebiete diesem Fall wird der Zuschlag auf alle Beteiligten verteilt.)
verzichten. Die Notwendigkeit herausragender Kampffähig- Wie lange es dauert, bis ein Held versunken ist, bleibt der
keiten versteht sich selbst, wenn man tagelang in hüfthohem Meister-Gnade überlassen, etwa eine Minute Zeit bleibt den
Wasser, in Schlamm und in anderen Extremsituationen um Helfern aber meistens.
sein Leben kämpfen muß. Selbst wenn ein solcher Zwischenfall nicht zum Tod des
Kenntnisse in der Heilkunde von Giften und Krankheiten, im unglücklichen Helden führt, so wird häufig die Ausrüstung
Fischen und Angeln, und selbst im Rudern und Segeln beschädigt werden, was langfristig ebenfalls recht unange-
könnten schneller nötig werden als einem lieb ist. Wenn es nehme Folgen nach sich zieht.
irgend möglich ist, versuche man, an eine magische
Lichtquelle wie einen Zauberstab oder Druidendolch (natür- Klima
lich mitsamt Besitzer) heranzukommen, wie Magie überhaupt In den hier beschriebenen Sümpfen ist es ständig feucht;
überaus von Nutzen sein wird. Eigentümlicherweise dürfte genau gesagt, heiß und feucht während des Tages und kalt
sich gerade die Firnelfenmagie mit ihren magischen Brücken und feucht in den Nachtstunden. Frühmorgens steigt Nebel
und sicheren Pfaden über gefährliches Terrain als unschätzbar aus den Sümpfen und bleibt in geisterhaften Fahnen an den
erweisen. ausladenden Asten abgestorbener Bäume hängen. Auch
tagsüber ist kaum einmal die Sonne durch den immerwäh-
Bewegung renden Dunst zu erkennen. Personen oder Gegenstände, die
Wenden wir uns zunächst dem Terrain zu. Es lassen sich diese Feuchtigkeit nicht vertragen, haben in den Sümpfen
keine generellen Regeln über die durchschnittliche Tagesge- nichts verloren.

82
Meisterinformationen: Ausrüstung
Vor allem Elfen und Zwerge tun sich hier schwer; ihre Auch wenn es im Sumpf ständig feucht ist, sollte man nie
nächtliche Regeneration von Lebens- und Astralenergie ist vergessen, gut gefüllte Wasserschläuche mitzunehmen, denn
um je 2 Punkte vermindert. Alle anderen Helden, die das Brackwasser, das man in dieser Umgebung findet, ist
dieses Klima nicht gewohnt sind, regenerieren je 1 Punkt häufig kaum zu genießen. Mindestens ebenso wichtig sind ein
weniger. gutes Haumesser, mit dem man sich einen Weg bahnen, und
Zu den Gegenständen, die im Sumpf innerhalb weniger etliche Schrittlängen Seil, mit dem man sich aneinander
Tage unbrauchbar werden, gehören vor allem Papier, al- anseilen kann.
chimistische Pülverchen und Bogensehnen. Bögen und Armbrüste als Jagdwaffen sind getrost zu verges-
sen. Durch die andauernde Feuchtigkeit werden auch die
Tiere und Krankheiten besten Sehnen und selbst das Holz unbrauchbar. Außerdem
Die größte Bedrohung im Sumpf stellen Lebewesen aller ist das Unterholz häufig so dicht, daß Pfeile und
Arten dar. Gefährliche Schlangen wie die Boronsotter oder Armbrustbolzen abgelenkt werden, lange bevor sie ihr Ziel
die Mysobviper, Kaimane und andere fleischfressende Rie- erreichen. Besser geeignet sind stabile Speere, vor allem
senechsen, Schleimgetier wie die giftverschießenden Mor- solche, mit denen man auch Schlangen und Krokodile auf
fus, und vor allem die unvermeidlichen Moskitos und Egel Distanz halten kann.
können und werden dem Abenteurer das Leben im Sumpf zur Man stelle sich auf kalte Nahrung ein, da es kaum gelingen
Hölle machen. wird, im Sumpf ein Feuer zu entzünden. Und schließlich
Vor allem die letzteren Untiere sind - zusammen mit den sollte man seinen Beutel mit Heilkräutern füllen, denn in
Sumpfratten - gefürchtete Überträger von Krankheiten, jedem der vielen kleinen, unscheinbaren Tieren und Pflanzen
namentlich von Blutigem Rotz und Brabaker Schweiß. Wer kann der Tod lauern.
mitten im undurchdringlichsten Sumpf von diesen Krankhei- Besonders Donf hilft gegen manche Krankheit, die das
ten befallen wird, ist meist des Todes, sofern er nicht durch Schlangengezücht mit sich bringt. Und wenn man schon allen
Zauberei oder gar ein Wunder geheilt werden kann. Auch die Warnungen zum Trotze im Spätsommer unterwegs ist, dann
penetranten Ausdünstungen der Sümpfe werden nicht zu nützen man wenigstens diese Jahreszeit, um Egel-Schreck zu
Unrecht gefürchtet, da sie selbst kräftige und gesunde Aben- ernten und eine Paste gegen kleine Blutsauger aller Art zu
teurer plötzlich ohnmächtig werden oder wirr faseln lassen. bereiten.

83
Khunchom
Stadt und Großfürstentum

Einwohner: 13100 in der Stadt, weitere 4000 in Bauern- chung im geschäftigen Durcheinander der Kutschen, Karren
dörfern im Mhanadidelta und Sänften auf den Uferstraßen.
Garnisonen: 600 Khunchomer Gardisten, 200 Matrosen Zwischen den Wasserläufen erstreckt sich überraschend
und Seesoldaten der Khunchomer Flotte sicherer Baugrund, und so ist jeder Fremde erstaunt, wenn er
Tempel: Tempel aller Zwölfgötter (außer Firun), feststellt, wie viele prächtige Gebäude der feuchte Boden
Rastullah, Rur & Gror tragen kann. Es ist gerade das Nebeneinander von Bauwerken
der unterschiedlichsten Epochen von urältester Vergan-
Besonders geprägt wird das Erscheinungsbild der Hafenstadt genheit bis zur Gegenwart, das das Stadtbild so reizvoll
durch ihre zahlreichen Brücken und ihre Weitläufigkeit: macht: An den großen Alleen stehen noch viele der erhabe-
Khunchom wurde im Delta des Mhanadi errichtet, und die nen, marmornen Prachtbauten, die Hela Horas, die schöne
breiten Arme des Flusses durchteilen die Stadt mit ihren Kaiserin, einst hier errichten ließ. Dazwischen haben sich
schimmernden Wasserflächen, in denen sich die weißen elegante Stadthäuser in späteren Jahren zugewanderter Mit-
Mauern und goldenen Kuppeln prachtvoller Bauwerke spie- telreicher geschoben, aber auch die schlichten Hütten und
geln. Behäbig, fast träge, wälzen sich die Wasser des Mhana- offenen Stände der Straßenhändler werden an den prächtig-
di durch nicht weniger als neun Mündungsarme, von denen sten Straßen geduldet. Hinter jenen Häuserzeilen ragen hier
der Grüne und der Tiefe Mhanadi direkt durch das Stadtge- und da viergeschossige, seltsam abweisende, fast fensterlose
biet fließen. Lehmbauten auf, Zeugnisse einer heute fast vergessenen
Entlang der Gewässer ziehen sich mit hellem Stein gepfla- Baukunst längst vergangener Tage.
sterte Palmenalleen, und das bunte Gewimmel der Segel- und In den Straßen der einstigen Hauptstadt der Tulamiden bietet
Ruderboote auf den Flußarmen findet seine Entspre- sich dem Reisenden ein Bild, wie es farbenprächtiger und

84
abwechslungsreicher nicht sein kann: So sieht man stolze "freien Stadt Khunchom" sprechen, dann ist in ihren Augen zu
Wüstenkrieger hoch zu Roß, kleine Karawanen hochnäsig lesen, daß sie jederzeit bereit sind, diese Freiheit mit der Waffe
blickender Trampeltiere, Ochsengespanne, geschmückt mit in der Faust zu verteidigen.
dem typischen, leuchtend rot gefärbten mhanadischen Joch,
Händlerkarren, bespannt mit riesigen, gelben, ewig Stadt und Land
hechelnden Hunden, vornehme tulamidische Herren und Khunchom, dessen Gebiet das gesamte Mhanadidelta und
Damen, die sich in verschleierten Rädersänften von Sklaven etliche kleine Bauerndörfer umfaßt, wird auch nach vierzehn
ziehen lassen, hochgewachsene, gelassen durch das Gedränge Jahren der Unabhängigkeit von Aranien noch als Teil jenes
schreitende nordländische Krieger mit glänzenden Rüstungen, Fürstentums betrachtet - und da Aranien wiederum vom Neuen
Seefahrer aus aller Herren Länder und Bauern von der Reich beansprucht wird, erhebt man auch in Gareth Anspruch
Halbinsel Yalaiad mit breitkrempigen Reisstrohhüten, die ihre auf die uralte Stadt im Mhanadidelta.
Ware in großen Tragen auf dem Rücken befördern. Die Khunchomer selbst sehen ihre Stadt als freien Staat. Um
"Khunchom ist eine schöne Herrin: Besuche sie am Tag, und die Unabhängigkeit zu schützen, mußte der neue Großfürst
sie raubt dir den Atem - begegne ihr in der Nacht, sie nimmt Selo Kulibin allerdings einen Bündnisvertrag schließen, der
dich für immer gefangen!" Wer tatsächlich einmal eine dem Kalifat erheblichen Einfluß auf die Geschicke der Stadt
Sommernacht in der Stadt, "die niemals schläft", verbrachte, zugesteht.
kann durchaus für immer sein Herz an Khunchom verlieren: Die offizielle Regierung liegt weiterhin beim Großfürsten und
Eine feine, duftende Brise vom Perlenmeer zieht durch die seinen Wesiren, doch wenig geschieht ohne das Wissen der
Straßen und streichelt zärtlich deine Haut. Entlang der großen Gesandten aus Mherwed. Auch die Botschafter Gareths,
Alleen werden Fackeln aufgesteckt, mit roten Laternen Zorgans, Festums und selbst Al'Anfas kennen Mittel und
bestückte Prachtkaleschen rollen vorüber, an den Ständen der Wege, ihre Interessen zu vertreten...
Händler flackern die 011ämpchen, glimmt purpurn das So ist denn die Hafenstadt zum Tummelplatz der Diplomaten
Räucherwerk, Schwärme von grünen Leuchtkäferchen aus geworden: Wohl jede Macht am Perlenmeer versucht, mit List,
den nahen Deltasümpfen tanzen um die Häuser, im Geld und Gewalt Einfluß auf die strategisch wichtige Stadt zu
lackschwarzen Wasser des Hafens spiegeln sich die kleinen, erhalten.
in gelbem Licht strahlenden Kajütenfenster zahlloser Schiffe.
Khunchom beginnt zu funkeln wie ein Adamant.
Die Straßen sind nicht weniger belebt als am Tag, es scheint Die Wirtschaft
nur, daß die Hektik des Tages von den Menschen abgefallen Für den Stolz der Khunchomer mag auch die schwunghafte
ist. Gelassen schreiten glutäugige Tulamidinnen unter dem Entwicklung des Handels verantwortlich sein. Während diese
Fackelschein, dunkel und lockend klingt ihr Lachen. Aus Zeilen geschrieben werden, tobt zwischen Al'Anfa und dem
manchem Haus wehen Trommelklang und Gesang heran, Kalifat ein wütender Kampf, doch der Perlenmeerkrieg hat sich
dazwischen klirren fein die Fußringe einer Tänzerin. Nacht- den Khunchomern bisher nur von einer angenehmen Seite
vögel streichen mit wehmütigem Ruf dicht über die Dächer gezeigt: Ihre Stadt hat noch keinen feindlichen Bewaffneten
dahin. Gaukler und Traumdeuter laden den Wanderer mit gesehen, statt dessen gehen bei den Werftbesitzern und
verheißungsvoller Geste in ihr Zelt. Es ist eine Nacht wie Waffenschmieden ständig neue Aufträge ein. Die Wirte
Brabaker Seide, ein Traum, aus dem du niemals erwachen profitieren von der Verpflegung der hier stationierten Matrosen
willst... und Seesoldaten, die Bauern können mit dem Liefern von
Lebensmitteln gegen gute Maravedis, Dukaten und Batzen
kaum nachkommen.
Es soll allerdings nicht verhehlt werden, daß es auch in
Die Geschichte Khunchom Viertel gibt, in denen bitterste Armut deutlich
Anders als bei den meisten aventurischen Städten kann man sichtbar wird. Nur ein paar Schritte abseits der reichen Alleen
für Khunchom kein genaues Alter angeben: Zu lange ist es kann man auf Ansammlungen von Hütten aus Segeltuchfetzen,
her, daß die ersten intelligenten Zweibeiner aus dem Volk der Holzlatten und Ziegenfellen stoßen, elende Behausungen, über
Echsenmenschen flußabwärts wanderten und am Meer eine denen der Geruch von Unrat, Elend und Krankheit liegt.
blühende Stadt der Echsischen schufen. Die Mehrheit der Bevölkerung empfindet dafür allerdings
Sicher ist allerdings, daß Khunchom vor gut drei Jahrtausen- wenig Mitleid: Wer es in solch günstigen Zeiten nicht versteht,
den aufstieg zur Hauptstadt des menschlichen Großreiches sein Glück zu machen, den haben die Götter zu Recht gestraft,
der Tulamiden: Hier stand der Thron des Diamantenen ist die gängige Meinung - ein Beispiel unter vielen für die
Sultans, der zeitweise die Geschicke aller Menschen zwi- herablassende Selbstsicherheit des "typischen Khunchomers".
schen Radrom, Yaquir und Hanfla lenkte, hierher brachte
man die Tribute aus den untertänigen Städten Elem und Ne-
bachot, Mirham und Beylunkh.
Seit der Eroberung der Stadt durch den letzten Kaiser von Die Bürger
Bosparan ist Khunchom allerdings fast immer Teil eines Der "Schmelztiegel am Mhanadi" hat eine gemischte Be-
fremden Reiches gewesen: erst des Mittelreiches, dann Araniens völkerung, die die wechselhafte Stadtgeschichte widerspiegelt.
- stets legte ein Herr aus fernen Landen die Hand auf die Die älteste und zahlenmäßig größte Bevölkerungsgruppe ist die
reiche Hafenstadt. Was Wunder, daß die stolzen Khuncho- der Tulamiden. Unter ihnen finden sich hochangesehene
mer ihre vor 14 Jahren erlangte Unabhängigkeit über alles Dynastien ebenso wie einfache Deltabauern aus dem Umland.
schätzen. Vielen Bürgern ist es nicht einmal recht, daß Die zweitgrößte Gruppe ist die der Siedler mittelreichischer
Großfürst Selo sich durch einen gegenseitigen Beistandspakt Herkunft. Sie kamen meist schon in den ersten Jahrhunderten
mit dem Kalifen arrangiert hat. Wenn die Bürger von der des Garether Kaisertums und haben sich hier

85
gut eingelebt: Bei alltäglichen Dingen wie Hausbau oder Die Attraktionen
Bekleidung folgen sehr viele tulamidischem Vorbild. Auch Daß Khunchom dem Kunst- oder Geschichtsbegeisterten
ihr Garethi hat derartig zahlreich Begriffe und Wendungen vieles bieten kann, wurde bereits angesprochen - die meisten
aus dem Tulamidya übernommen und wird mit so harten Ra- Besucher kommen jedoch aus anderen Gründen: So lockt
chenlauten gesprochen, daß es für einen Wehrheimer oder viele die Aussicht auf Heilung zum Tempel der Tsa mit
Tralloper beinahe unverständlich ist. seinen Heilquellen - doch auch andere Heiler haben sich in
In jüngster Zeit hinzugekommen sind zwei seiner Nähe niedergelassen. Diese und andere Gäste müssen in
Bevölkerungsgruppen die beide eine gewisse Verwandtschaft Khunchom nicht unter Langeweile leiden. Es locken
mit den Khunchomern vorweisen können: Zum einen die Rennbahnen, Arenen und zahlreiche Lokale. Die
maraskanischen Exilanten, die sich vor der kaiserlichen Tulamiden, für ihre verfeinerten Genüsse bekannt, lehnen
Herrschaft hierher flüchteten - und dabei der Stadt nicht nur kaum etwas ab, das Freude bringt: So findet man hier in
neue Bürger, sondern auch neue Kenntnisse gerade auf dem besten Häusern Gelegenheit zu ungestörtem Glücksspiel.
Gebiet der Schmiedekunst brachten. Die andere Gruppe ist Rauschkrautgenuß und anderen Vergnügen, für die man
selbst-verständlich die der Novadis. Der Perlenmeerkrieg hat andernorts verschwiegene Hinterzimmer aufsuchen müßte.
dazu geführt, daß sich viele Wüstensöhne in der Stadt der Eine regelmäßig wiederkehrende Attraktion besonderen
Neun Flüsse ansiedelten; erst als Flüchtlinge vor den Ranges stellt natürlich das Khunchomer Gaukelfest dar, das
Al'Anfaner Horden, nun als Hilfstruppen und vom Kalifen Anfang Boron eines jeden Jahres unzählige Neugierige in die
gesandte Händler und Diplomaten. Eine dritte, weit Stadt lockt. Bei dieser Veranstaltung präsentieren Schaustel-
zahlreichere Gruppe wäre hier noch zu nennen: Neben all ler und Artisten ein letztes Mal im Jahr ihre Künste, ehe sie
diesen Freien wird Khunchom noch von einer großen Zahl sich ins Winterlager begeben. Die Einwohner Khunchoms
Sklaven, meistenteils Waldmenschen, bewohnt. legen in diesen Tagen alle Zurückhaltung ab: Wenn die
Für die Fremden, die heutzutage Khunchom besuchen, hat Gaukler am 8.Boron ihre große Begrüßungsparade durch
der Name der Stadt nichts von seinem geheimnisvollen Klang Khunchom veranstalten, folgen ihnen viele bunt ausstaffierte
verloren: Noch immer gilt Khunchom als das Eingangstor in Khunchomer unter der Führung eines Gauklersultans. Für eine
die fremde Welt der Tulamiden mit ihren farbenprächtigen Woche "herrscht" dieser maskierte Monarch voll heiterer
Basaren, sagenumwobenen Schätzen und verschleierten Willkür über die Stadt. In dieser Zeit ist alles auf den Kopf
Schönheiten. gestellt, und selbst die Sklaven gelten als freie Leute.

1 Hafen- oder Fürstenpalast (H13) meer verfolgen, aber es ist fraglich, ob Selo, Andererseits sehen die Khunchomer auch
Der Palast ist ein imposantes Gebäude aus dem man eine gewisse Abneigung gegen die darüber hinweg, daß in der Botschaft mit
glasierten gelben Backsteinen, die ihn bei Seefahrt nachsagt, diesen wunderschönen dreißig erfahrenen Novadikriegern weit mehr
Sonnenaufgang aussehen lassen, als wäre er Ausblick zu schätzen weiß. Zu Zeiten von Bewaffnete untergebracht sind, als zum
aus purem Gold erbaut. Die Architektur zeigt Großfürst Selos Abwesenheit ist Palastwesir einfachen Schutz des Gebäudes notwendig
starke mittelländische Einflüsse, und so ist Khorim ibn Tulachim der wahre Herr über wären.
der Palast vielleicht das einzige Bauwerk in der die Residenz. Besonderen Gesprächsstoff für die
Stadt, das typisch garethische Stufengiebel Khunchomer Gesellschaft bietet eine andere
und Ziegeldächer mit glänzenden 2 Botschaft des Kalifates (H12) Direkt dem Einrichtung des Hauses: Es gilt als sicher,
Messingkuppeln und hohen tulamidischen Fürstenpalast gegenüber liegt das Gebäude, in daß sich in den weiten Räumen der Botschaft
Zwiebeltürmen verbindet. In der von hohen, dem die Gesandtschaft des Kalifen ein Harem mit sechs schönen Frauen verbirgt
zinnenbewehrten Mauern umgebenen Pa- untergebracht ist. So verbinden die meisten - exklusiv für die Beysa.
lastanlage residiert Großfürst Selo Kulibin auswärtigen Herren die Audienz beim
mit seiner Gemahlin Shenny, hier befinden Großfürsten mit einer Visite bei ihrer 3 Bethaus des Rastullah (I11)
sich auch die Schatzkammer und Münze der Exzellenz Beysa Riftah saba Althufir - und Der noch junge Tempel des Wüstengottes ist
Stadt Khunchom. Die in Seitenflügeln und das wohl nicht nur, um die Genüsse eines eine Stiftung des Kalifen. Malkillah III.
Anbauten wohnende zahlreiche Dienerschaft der prächtigen tulamidischen Feste weihte das schmuckvolle, strahlend weiße
hat allerdings unter Selo weniger zu tun als kennenlernen zu können, für deren Gebäude bei seinem ersten Staatsbesuch in
zu Zeiten seines Vaters Istav: Zwar liebt der Veranstaltung die Botschafterin bekannt ist. Khunchom ein.
junge Großfürst den Luxus ebenso wie sein Angesichts der politischen Lage ist jedem Mit seiner günstigen Lage unweit der
Vorgänger, doch die großfürstliche Familie klar, daß die Beysa durchaus einen gewissen Residenz der kalifischen Botschafterin stellt
weilt einen großen Teil des Jahres als Gäste Einfluß auf die Khunchomer Außenpolitik das Bethaus den geistigen Mittelpunkt der in
des gleichaltrigen Kalifen in Mherwed, mit nehmen kann. Khunchom lebenden Nova-
dem Selo eine persönliche Freundschaft Dabei wahrt die Novadi allerdings sorgfältig dis Hier kommen sie zusammen, um im
verbindet. die Formen und unterläßt alles, was die Gespräch Neuigkeiten von Krieg und
Von den Fenstern der fürstlichen Gemächer Khunchomer aufbringen könnte. So kleidet Frieden auszutauschen und zu ihrem Gott zu
hat man einen eindrucksvollen Blick über den sie ihre Anweisungen stets in die Form von beten.
Hafen und kann die geblähten Segel der Ratschlägen und vermeidet jede unnötige Als Verwalter des Bethauses wurde der
auslaufenden Koggen und Zedrakken bis Einmischung in die inneren Angelegenheiten Mawdli Ukhraban ibn Melahath bestellt. Mit
weit hinaus aufs Perlen- ihrer Gastgeber. ihm hat der Kalif wohl eine gute Wahl
getroffen, denn seine zu Toleranz aufru-

86
fenden Predigten sorgen für eine maßvolle 6 Hafengarnison (GK) den Mhanadiarme wie als den Gebieter des
Zurückhaltung der Wüstensöhne, die für den In diesem Gebäudekomplex sind mehre- Meeres - dementsprechend groß ist auch
Stadtfrieden Khunchoms mit seinen vielen re Einheiten untergebracht, darunter die 25 seine Anhängerschaft in Khunchom und
Tempeln und Glaubensbünden Hafengardisten, die für die Sicherheit des prachtvoll die Kultstätte:
lebensnotwendig ist. Hafengebietes zuständig sind. In Vor vielen hundert Jahren wurde das
ihren weißen Gewändern, mit dem blauen Haus des Efferd aus weißestem Alabaster
Säbelwappen der Stadt auf der Brust, bieten erbaut - angeblich aus den allerersten
4 Flottenmeisterei (Groß-Khunchom GK) sie einen imposanten Anblick. Viele Blöcken, die von Maraskan auf das
Das im tulamidischen Stil errichtete betrunkene Seeleute verzichten schon beim aventurische Festland gelangten. Wenn das
Bauwerk in Hafennähe ist relativ bloßen Erscheinen der Gardisten auf die wahr ist, muß der Gott wohl beim Tempelbau
unscheinbar und offenbart seine Fortsetzung ihrer Prügelei. ebenfalls seine Hand mit im Spiel gehabt
Besonderheiten erst beim zweiten Hinsehen: haben, denn das schwierig zu bearbeitende
Welche anderen Häuser in Khunchom haben Material ist derart dünn und durchscheinend
schon auf den Flachdächern schwere Rotzen 7 Hotel "Erhabener Mhanadi" (I7) Das geschliffen, daß die große Bethalle auch ohne
montiert, mit denen sich jeder Punkt im "Erhabener Mhanadi" spielt für Khunchom Feuer stets angenehm erleuchtet ist. Wenig
Hafen erreichen läßt? eine ähnliche Rolle wie das "Haus Garetien" gern hört es die Hochgeweihte Asheibith
Hier in den alten Mauern ist die Admiralität für das Neue Reich: Hier ziehen die saba Perhiman, wenn man sie auf ein altes
der gesamten Khunchomer Flotte Botschafter all jener Staaten ein, die sich und anscheinend unausrottbares Gerücht
untergebracht. Die zahlreichen Räume angesichts der noch jungen Unabhängigkeit anspricht: Demnach soll der Tempel genau
enthalten neben Soldlisten, Schiffsbauplänen Khunchoms bisher noch nicht für eine über der geschleiften Kultstätte eines
und Manöverberichten auch eine Sammlung ständige Vertretung entscheiden konnten - echsischen Wassergottes stehen. Ihre
von Seekarten, die man zu den genauesten in und viele Gesandte ziehen die kostbar Hochwürden bestreitet das kategorisch, auch
Aventurien zählen kann, auch wenn sie fast eingerichteten Säle mit seidenen wenn ein großes Relief im Tempelinneren
nur die Küsten des Perlenmeeres zeigen. Wandbehängen Mobiliar aus edelsten einen ungewohnt kriegerischen Efferd zeigt,
Hinzu kommt ein besonderer Schatz: In Hölzern und eifrigen, dienstbaren Geistern der eine riesige Schlange mit Dämonenfratze
sorgsam versiegelten Gefäßen bewahrt man einem eigenen Haus bei weitem vor. erwürgt. Wohl wegen dieses Bildes haben
hier uralte Karten auf, auf denen in So wohnen in den luxuriösen Suiten des auch einige Thorwaler dem Swafnir in einer
Aventurien unbekannte Küstenlinien "Erhabener Mhanadi" zur Zeit Gillia ya Ecke der Halle einen Altar errichtet.
abgebildet sind, die wohl zu dem Mornicala, die Botschafterin des Alten
sagenumwobenen Ostkontinent gehören. Reiches, und Josho Ylampeter, der Bot-
Herr im Hause ist Flottenwesir Achmad schafter Brabaks, ebenso die Abgesandten
AI'Ibarda. Der erfahrene tulamidische aus Gareth und Zorgan, Baron Reck-hart von
Seemann hat sein verantwortungsvolles Amt Spogelsen und Reuthra Yhra von Elburum,
schon seit zwei Jahrzehnten inne, doch er die sich natürlich nicht als Botschafter 10 Schule der Kapitäne (G6)
füllt es noch immer mit jugendlicher Frische verstehen, sondern als "Gouverneure von Unter gemeinsamer Obhut von Efferd- und
aus. Zur Zeit stellt sich ihm mit dem Kampf Khunchom" firmieren. Hesindetempel steht die Khunchomer
gegen Al'Anfa eine gewaltige Aufgabe, die Navigationsschule. Auf die Lehren dieser
seinen Ehrgeiz anstachelt. Institution berufen sich alle Navigatoren und
Seelotsen, die sich bei ihren
Kursbestimmungen mehr von wissen-
schaftlichen Berechnungen als von lntuition
8 Tempel des Gesetzes (J6)
leiten lassen.
Der Khunchomer Praiostempel hat schon
Tatsächlich haben die Sternkundigen und
5 Botschaft des Bornlandes (H9) bessere Zeiten gesehen: In den Jahren
Rechenkünstler der Schule in der
Die Gesandten aus dem Norden haben das der Priesterkaiser war die Verehrung des
Vergangenheit so gute Ergebnisse erzielt, daß
Haus mittelländischer Bauart erst vor Gottes der Herrschaft Pflicht in Khunchom -
die Öffentlichkeit sogar milde über einige
kurzem bezogen: Seit Beginn des heutzutage suchen allenfalls Gäste aus dem
verschrobene Ansichten hinwegsieht: So
Perlenmeerkrieges baute Festum seine Mittelreich das prachtvolle Bauwerk mit der
findet sich in der Eingangshalle gar eine
Anwesenheit in Khunchom durch einen glänzenden Dachkuppel aus Messing auf.
Kugel (!), die angeblich unsere Heimat Dere
Der Kult des Praios ist nicht mehr allzu
ständigen Vertreter deutlich aus. So fiel denn
darstellen soll...
die Wahl des Botschafters auf ein populär, seit er offen gegen die
Der Leiter der Schule, Mathematicus
repräsentatives Gebäude, das manUnabhängigkeit Khunchoms auftritt: Die
Zulhamid al-Adawadt, empfindet die
kurzerhand dem Handelshaus Klande aus Lossagung vom seinerseits schon
Lehrtätigkeit eher als eine lästige Pflicht. Er
Perricum abkaufte. abtrünnigen Aranien ist gar zuviel für die
würde sich am liebsten ganz der
Besonderer Wert wurde dabei auf die Praioni, die allerorten die "freiwillige
Wissenschaft widmen und unterhält deshalb
Hafennähe gelegt, denn der Botschafter, Rückkehr unter den Schutz des Kaisers"
auch Kontakte mit Gelehrten in ganz
seine Exzellenz Arpad Grigori Graf von propagieren - oder um es mit den Worten des
Aventurien, von Meister Leonardo in Havena
Niemitz zu Waldsee, ist sozusagen Hochgeweihten Sonnfried
über Sorp Sanderwik in Festum bis zu den
'hauptberuflich' Flottenadmiral von Gründeln zu sagen: "Wer einen Dieb
und
Sternkundlern des Vinsalter Hesindetempels.
Kommandant der Bornländischen Flotte, bestiehlt, ist noch lange kein ehrbarer Meister Zulhamid zur Seite steht der
soweit sie am Perlenmeerkrieg teilnimmt. Mann." erfahrene Seelotse Salim al-Rufar, dem die
Als ausländischer Gast genießt der Admiral
praktische Ausbildung der Seekadetten
große Freiheiten und ist nach der Gesandten
obliegt: Zu diesem Zweck verfügt die Schule
des Kalifen eine der einflußreicheren 9 Tempel der Neun Flüsse (L13)
der
Personen in der Stadt. Hier im Efferdtempel verehrt man den Gott
ebenso als Herrn der fruchtbringen-

87
Kapitäne über ein eigenes Schulschiff das Ramsch oder glatter Ausschuß einzustufen. worden - ob zum Guten oder Schlechten, ist
allerdings von der Regierung bezahlt wurde. Dennoch kann keine andere Schule eine alte Streitfrage...
Aventuriens so gut die Kassen dadurch Heute kann der Besucher für nur zwei Taler
aufbessern, daß sie die Übungsstücke der Eintritt die historischen Räume bewundern,
Studenten weiterverkauft. in denen einst Ahnfrau Nadeshda Kulibin
11 Fürst-Istav-Allee Der Akademieleiter Khadil Okharim, der lebte. Eine ständige Ausstellung zeigt ihren
Der nach dem Vater des Großfürsten sich seine Künste selbst gerne gut bezahlen Briefwechsel mit den bornländischen
benannte, breite Boulevard im Herzen der läßt, hat nichts gegen diesen Nebenerwerb Verwandten und beschreibt, wie ihre
Stadt ist heute wie in alten Zeiten die seiner Zöglinge einzuwenden. So geht es Nachkommen zu Handelsmagnaten
Prachtstraße Khunchoms: Hier, im Schatten der denn auf dem Drachenei-Platz vor dem aufstiegen und öffentliche Ämter erlangten -
Palmen und Ölbäume, zu beiden Seiten des Schulgebäude mit sei- bis hin zur Grafen-, Fürsten- und
Tiefen Mhanadi, flanieren die vornehmen nen zahllosen Erkern und Türmchen Großfürstenwürde. Alles ist liebevoll
Khunchomer mit ihren Familien, gekleidet in einmal im Jahr (am 30. Hesinde) zu wie auf illustriert durch zeitgenössische Schriften
seidene Mäntel, geschmückt mit bunten dem Basar: Auf umgedrehten leeren und Exponate aus alten Tagen.
Turbanen und leuchtenden Juwelen. Bottichen stehen dann die Schuldiener und Seltsam ist nur, daß das Museum trotz seiner
M a n c h m a l r e i t e t a u c h ein Trupp preisen die Erzeugnisse der Adepten an. packenden und lehrreichen Schaustücke so
Bewaffneter vorbei, den blitzenden Über Mangel an Nachfrage ha-ben sie nicht wenig Besucher hat, daß es seit seiner
Khunchomer Krummsäbel an der Seite; oder zu klagen: Irgendeine Wirkung hat fast jedes Gründung aus der fürstlichen Privatschatulle
man erblickt kurz das märchenhaft schöne Artefakt, und die meisten Käufer sind bezuschußt werden muß - allein um die
Antlitz einer Haremsdame hinter den ohnehin damit zufrieden, eines der Instandsetzungsarbeiten ausführen zu
Schleiern einer Radsänfte gezogen von berühmten "Drachenei-Examensstücke" zu können.
kräftigen Sklaven. Am Rande der Straße sieht besitzen. Häufig verzichten sie ein Leben
man allerdings auch die weniger lang darauf, ihr Artefakt einer magischen
wohlhabenden Bürger hocken: Bettler, die Verwendung zuzuführen.
mit dünner Stimme dem Vorübergehenden 15 Maraskankontor (M11)
den Segen der Himmlischen versprechen, Das große Backsteinhaus an der Fürst-Istav-
müde, alte Geschichtenerzähler, die lau- Allee beherbergt das einzige Kontor
schenden Kindern ihre Berichte von kühnen 13 "Tempel der magischen außerhalb des Neuen Reiches, das sich eines
Heldentaten junger Prinzen vortragen, Schlange" (I10) nennenswerten Handels mit der Insel im
erschöpfte Lastträger, die über einer Pfeife Perlenmeer rühmen kann: Hier werden die
Ishrar zusammengesunken sind - und Der Hesindetempel mit seinem in den vielfältigen Waren Maraskans - als
zwischen ihnen eilig umherhuschende Diebe, weichen Boden eingesunkenen und daher Wertvollstes das hochwertige Schmiedeeisen
die die Armen noch um ihre wenigen schiefstehenden "Sternenturm" ist trotz - umgeschlagen: Das Maraskankontor ist
Habseligkeiten erleichtern. Der alte Name der seines verwitterten Äußeren 'erst' 400 Jahre einer der Hauptlieferanten der
Straße, unter dem die meisten Khunchomer alt. Bedeutend ist vor allem die Sammlung Waffenschmiede und Schwertfeger
alttulamidischer Schriftrollen, die, sorgfältig Khunchoms.
sie kennen, ist übrigens 'Diamantene Allee' -
in Tonröhren gelagert, für interessierte Bei dieser Warenart kann man sich
doch die Benennung nach dem Reichskleinod
Historiker bereit gehalten werden. vorstellen, daß das Haus auf gute Kontakte
des Diamantenen Sultanats mußte bei der
Die Beziehung zwischen Magierakademie zum Kaiserreich angewiesen ist: Eisen läßt
Unabhängigkeit dem Namen des Fürsten und Hesindetempel ist als gespannt zu
weichen. sich nun einmal nur sehr schlecht
bezeichnen: Tajka von Eichenstetten, schmuggeln. So gehört das Kontor zu den
Erzwissensbewahrerin der gesamten Region, lautesten Verfechtern der These, daß
paßt die "würdelose Geschäftemacherei" der Khunchom noch immer Teil des Reiches sei:
Zauberkundigen ganz und gar nicht. Und Schließlich darf nur von dort aus mit
auch an die Eigenarten des tulamidischen Maraskan Handel getrieben werden... Inhaber
12 Magierakademie "Drachenei" (C8)
Hesindekultes ("obskure sind die Handelsleute Dhachmani,
Seit Großmeister Tuleyman ibn Dunchaban
Schlangengötzendienerei") kann sie sich nicht Gerbelstein, Warrlinger und Stoerrebrandt -
vor gut 500 Jahren die niedergebrannte
gewöhnen. Tajka empfindet ihre im Verlauf der Jahre hat sich zwischen ihnen
Akademie binnen einer Nacht wiedererschuf,
Beförderung vom heimatlichen Honingen eine gut funktionierende Arbeitsteilung
gehört die Schule zu den angesehensten in
nach Khunchom eher als Strafe. Vergeblich hat eingespielt: Für die Beschaffung der nötigen
Aventurien und zieht seitdem Lehrmeister
die hochgelehrte Geweihte bisher versucht, Gelder sorgen die wohlhabenden Häuser
und Studenten aus den fernsten Ländern an.
ihrer neue Wirkungsstätte den vornehmeren Gerbelstein und Stoerrebrandt in Festum und
Auch die legendäre Nahema, als deren
Namen "Heimstatt des unvergänglichen Mengbilla, das Haus Warrlinger übernimmt
Geburtsort Khunchom gilt, soll der
Wissens" zu geben: Die Tulamiden und vor einen guten Teil der offiziellen Transporte,
Akademie einige Zeit lang angehört haben.
allem die Khunchomer sehen Hesinde nun während das Khunchomer Haus Dhachmani
Hier hat man sich bis in unsere Tage ganz
einmal in erster Linie als schlangenhafte für jenen inoffiziellen Teil der Geschäfte
dem Studium der unbelebten Materie und
Göttin der Veränderung. zuständig ist, der mehr auf dem
ihrer Verwandlung verschrieben - mit beson-
derer Betonung auf der Schaffung magischer Abenteurertum der einzelnen Kapitäne
Artefakte. Selbst in dieser "Hochburg der beruht allen voran Ruban ibn Dhachmani
Artefaktenmagie" sind aber die meisten der selbst, der noch immer mit seiner Zedrakke
etwa 50 Stücke, die jedes Jahr erzeugt "Diamant" nach Tuzak ausfährt und schon so
werden , als unzuverlässiger, magischer 14 "Museum im Kulibinhaus" (G8) manchem kaiser-
Das ehemalige Kaufmannshaus ist in den
letzten Jahrzehnten durch allerlei
Bemalungen und Stückwerk verändert

88
lichen Zollschiff ein Schnippchen geschlagen Im Inneren des Haupthauses befindet sich 18 Tempel des Todes (GK)
hat. der große Andachtsraum: Er wird erhellt von Das aus schwarzem Basalt errichtete Haus
Offizieller Leiter des Kontors ist Stoerre- dem Licht, das die beiden Edelsteinaugen des des Boron liegt inmitten des Toten angers im
brandts Vertreter Iselaff "Exzellenz" Götterbildes und das berühmte Süden der Stadt. Hier kommen die
Dagorski, der aber nur selten hier 'Eidechsenauge', ein wunderschöner Khunchomer zusammen, die den Gott der
anzutreffen ist - er hängt lieber im Smaragd in seinen Händen, ausstrahlen, und Toten um Milde beim Urteil über die
"Füllhorn" herum und klagt jedem sein Leid dem man eine heilkräftige Wirkung Verstorbenen bitten wollen - oder die
darüber, daß man nicht ihn zum zuschreibt. Hier beten viele zur Göttin des Priesterschaft um die Bestattung eines Toten.
bornländischen Gesandten ernannt hat. Lebens und erbitten ihren Segen für neue Der feuchte Boden im Delta erlaubt keine
Bislang hat selbst der Krieg zwischen Unternehmungen - oder sie bitten um Gräber unter der Erde - und so liegen die
Mengbilla und Festum der Zusammenarbeit Nachwuchs für sich selbst oder ihr Vieh. Verstorbenen für einige Jahre in
der Häuser Gerbelstein und Stoerrebrandt in Auf dem Tempelgelände sprudeln auch häuserähnlichen Grabkammern, bis sie dann
Khunchom nicht viel anhaben können. einige Quellen aus dem feuchten Boden, aus Platzmangel auf das Gebeinfeld südlich
deren heilsames Wasser dem Badenden des Deltas verbracht oder gar verbrannt
Lebenskraft zurückgibt, so daß sich dieser werden. Die wirklich Reichen dagegen
Ort und mit ihm ganz Khunchom zum verfügen über Grüfte, die oft wahren
16 Nordlandbank (M8) 'Kurort' Aventuriens entwickelt hat: Hier Palästen ähneln. Hier muß die Familie nicht
Die Filiale in dem kleinen Haus im beim Tsatempel treffen sich die vornehmen fürchten, daß der Ahn einmal seinen Platz
frühhelaischen Stil ist noch jung - das sie Vertreter verschiedenster Mächte beim Bad räumen muß - umso größer hingegen ist die
beherbergende Gebäude um so älter: Man und bei Gesprächen. So kann man selbst die Bedrohung durch die allgegenwärtigen
spottet in Khunchom gerne darüber daß sich Vertreter Andergasts und Nostrias Grabräuber.
die Bank ausgerechnet eine noch unter Hela- miteinander plaudern sehen oder Beauftragte
Horas errichtete Steuereintreiberei des Mittelreichs und Borans beim
ausgesucht hat... Gedankenaustausch beobachten.
Die Kunden der Bank scheint das aber nicht Angeblich weiß man im Tsatempel auch um
eine Quelle der Ewigen Jugend, die irgendwo 19 Kamelmarkt / Sklavenmarkt (GK)
zu stören - die einheimischen Kaufleute
im Mhanadi-Delta sprudeln soll - doch bisher Alle 18 Tage (am 1. Tag eines jeden zweiten
beginnen Geschmack an der neuen der
wurde dieses Wissen nur wenigen zuteil, und Gottesnamens - auf dem Kamelmarkt wird
Geldaufbewahrung zu finden. Die allerdings
keiner konnte es mit Gewalt erzwingen: In die Zeit novadisch gez ä h l t ) schaffen Züchter
bereitet Direktorin Yasminde Togelin
Khunchom spricht man noch heute darüber, von nah und fern ihre Tiere in die Stadt am
Sorgen: Die Schatzkammer nicht besonders
wie Kaiser Perval ob seiner Untaten die Delta, um sie auf dem großen Marktplatz zu
gut geschützt, und schon munkelt man von
Gabe der Verjüngung verwehrt wurde und all präsentieren und möglichst gewinnbringend
Racheakten der erzürnten einheimischen
seine Drohungen erfolglos blieben. zu verkaufen. Riesige Hochlandkamele sind
Geldverleiher.
zu sehen, gelbe Wüstentiere und selten
Angeblich hat sich die Bankleitung deshalb
einmal (und darum vielbestaunt) ein
bereits an die Drachenei-Akademie gewandt,
Rennkamel mit fahlem, fast weißem Fell.
um Hilfe beim Einbau von abschreckenden,
Viele Tiere tragen Kränze, in die bunte
magischen Fallen zu erhalten…

17 Tempel des Lebens (A9)


Der hiesige Tempel der Tsa zählt eindeutig
zu den wichtigsten Gotteshäusern der Stadt.
Schon die schiere Größe der Anlage am
Nordrand Khunchoms beeindruckt den
Besucher. So zählt man nicht weniger denn
neun Haupt- und Nebengebäude, deren
Äußeres schon Zeugnis ablegt von ihrem
gewaltigen Alter. Die wenigen steinernen
Erker und Verzierungen, die herausragen aus
dem dichten Bewuchs aus wildem Wein und
Schlingwurz, weisen Ähnlichkeit auf mit
den Relikten der Echsenstadt im Norden.
Schon oft wurde überlegt, ob man nicht alle
Gebäude niederreißen und zu Ehren der
Göttin der Jugend neu errichten solle - doch
die damit verbundene Vernichtung der
blühenden Schlingpflanzen führte stets zu
Beklommenheit und Unruhe bei den
Arbeitern und hat für die rasche Einstellung
der Arbeiten gesorgt.

89
Bänder geflochten sind, auf dem Kopf. Man So ist denn der Palast unter den Besuchern Naturgemäß dient der Feterdhin-Platz auch
muß schon ein echter Kenner und Liebhaber der Stad zu einem beliebten Ziel geworden den alljährlich nach Khunchom kommenden
des Bidenhockers sein, um beim Anblick und tatsächlich kann man heute unter der Gauklern als Festwiese, wo sie ihre Wagen
eines solchen lorbeergekränzten Führung des Gelehrten Alef al-Morgub abstellen und ihre Kunststücke vorführen
Kamelhauptes nicht in prustendes Gelächter einige Flügel der Residenz besichtigen: Drei können. Vielen Gauklern wäre es lieb, wenn
auszubrechen. der zwölf Thronsäle mit den kostbaren sie hier überwintern - doch da der Platz auch
Sehr ernst geht es auf jeden Fall bei den Mosaiken und Wandmalereien, einige der für andere Dinge da ist, muß das fahrende
Kaufverhandlungen zu, wenn die Händler privaten Schlaf-, Wohn-, Ankleide- und Volk nach dem großen Abschlußumzug am
dem aufmerksamen Zuschauer Lektionen in Lustkammern der Sultane ebenso wie ein letzten Tag (der den Namen Feterdhinstag
der Kunst des Feilschens und der Schauspielerei paar der Frauengemächer sowie die Kam- trägt) fortziehen zu den offenen Feldern im
erteilen. Da hallen dann echte mern der vornehmen Adligen. Besonders Süden der Stadt.
Entsetzensschreie über den Platz, wenn ein beliebt ist allerdings der in einem "Herr im Hause" ist übrigens Mhukkadin al-
Käufer mit seinem ersten Gebot allzu niedrig Seitenflügel gelegene und viele tausend Ghunar, der Wesir für Spiele. Seine
ansetzte, und bevor ein Verkäufer die frisch Rechtschritt große Künstliche Wald, dessen wichtigste Aufgabe ist neben der
erworbenen Dukaten zählt, läßt er schon Bäume und Sträucher aus kunstvoll bemalten Überwachung der Regeltreue vor allem die
einmal ein paar dicke Tränen fließen, weil Schnitzereien bestehen und dessen Gras durch Organisation der Wetten: Die wettfreudigen
ihm der Abschied von seinem geliebten langhaarige Teppiche aus gefärbter Seide Khunchomer steuern auf diese Weise beinahe
"Kalifen unter den Bidenhockern" gar zu dargestellt wird. Hier pflegten die Sultane die mehr zur Füllung der Schatz- kammer bei als
schwer fällt. Jagd auf freigelassene Hirsche und Antilopen durch ihre Steuern.
Auf dem Kamelplatz findet auch - etwa alle aus den Gehegen, wenn draußen der Regen
14 Tage - der Sklavenmarkt statt. Zu diesem prasselte. 22 Tempel der Geschenkten Freude (L2)
Zweck werden mehrere Flachwagen Der Fremdenführer Alef sorgt sich vor Nahe beim Feterdhin-Platz liegt die par-
aufgestellt, die als Bühne für die Verkäufer allem darum, daß niemand in die übrigen kähnliche Anlage des Rahjatempels. Die in
und ihre "Ware" dienen, welche meist Teile des Palastes vordringt. Neben den Khunchom verehrte Rahja gilt beileibe nicht
gefesselt und höchstens mit einem möglichen Schäden, die Unbefugte anrichten nur als Göttin der Fleischeslust - sie ist die
Lendentuch bekleidet, präsentiert wird. können, fürchtet er auch um die Neugierigen Schirmherrin vieler Dinge, die dem
Menschen vieler Länder werden hier den selbst: In den letzten Jahrhunderten sind Menschen Freude bereiten. So hält man sie
Käufern gezeigt, die meisten aber sind immer wieder Schatzsucher in den dunklen auch für die Gottheit, die den Menschen das
Waldmenschen, die normalerweise schon in Kammern des leeren Palastes verschwunden Geben lehrt, das Schenken materieller und
Sklaverei geboren wurden. Die niedrigsten - und nur von wenigen hat man die Leichen sinnlicher Gaben.
Preise erzielen "zahme" Goblins, die meisten finden können. Aus diesem Grund spielen die
Dukaten muß man für Menschen aus Rahjageweihten der Stadt auch eine wichtige
nördlichen Gebieten bezahlen; es gilt als 21 Feterdhin-Platz (GK) Rolle bei der Ausgestaltung der Spiele und
Zeichen besonderen Wohlstandes, einen blon- Viele große, öffentliche Veranstaltungen Feste, für die Khunchom bekannt ist. In der
den Tobrier oder gar eine Nivesin unter den finden auf dem Fetherdin-Platz statt. Dieses Mitte der Anlage erhebt sich der runde, aus
Haussklaven zu halten. weite Areal - das den Namen des legendären rotem Sandstein errichtete Tempel hier kann
Es steht jedem Khunchomer frei, selbst als Gauklers trägt, der die Liebe der Tochter man fast Tag und Nacht Khunchomer Bürger
Verkäufer auf dem Markt aufzutreten, Sultan Sheranbils gewann - dient dann als antreffen, die die Göttin um Liebesglück oder
normalerweise aber werden berufsmäßige Austragungsort für Wettkämpfe aller Art: das Gelingen einer Feier bitten. Zahlreichen
Händler und Auktionatoren mit dem Verkauf Mal werden hier Wagenrennen veranstaltet, Besuch erhält auch der in einem Seitenflügel
betraut. dann wieder Reitwettbewerbe oder zu findende, kostbare Schrein des fröhlichen
Bisweilen begeht ein wohlmeinender Hunderennen. Die meisten Zuschauer finden Halbgottes Aves.
Mittelländer den tödlichen Fehler, einen oder sich aber ein, wenn Stierkämpfe gezeigt In den Gärten, die das Hauptgebäude
mehrere Sklaven zu kaufen, um ihnen gleich werden: Dann schicken ehrgeizige umgeben, werden auch die meisten der
auf dem Markt die Freiheit zu schenken. Ein Rinderzüchter ihre herausgeschmückten Pflanzen gezogen, die die Liturgie benötigt:
solches Verhalten ist ein schwerer Verstoß Kampfstiere gegeneinander, und das Von den roten und goldenen Blüten für den
gegen
die ungeschriebenen Gesetze des Marktes Publikum hofft und bangt mit, wenn die Tempelschmuck über verschiedene
und hat schon in mehreren Fällen dazu ge- Ungetüme krachend mit den Schädeln Rauschkräuter bis zu jedem bekannten
führt, daß sich die Sklavenhändler und ihre aufeinanderprallen, bis endlich der Verlierer Rahjaikum reicht die Palette.
Schergen als Lynchmob auf den ermattet in die Knie bricht. Die Leitung des Tempels obliegt der erst
unvorsichtigen Fremden stürzten. Von Zeit zu Zeit finden hier auch 28jährigen Raschanna dar Moralan. Sie ist
Immanspiele statt. Doch die beiden von atemberaubender Schönheit, scheint aber
20 Alter Sultanspalast (GK) Mannschaften - die "Khunchomer Klingen" nur wenig von dem Verwaltungstalent zu
Die frühere Residenz der Diamantenen und die "Mhanadi-Haie" - sind erbärmlich besitzen, das für die Führung eines so großen
Sultane liegt heute zum Teil in Trümmern: schlecht und haben noch nie am Kampf um Tempels eigentlich erforderlich wäre. So ist
Seit das bosparanische Kaiserreich von den Kaiser-Reto-Pokal teilgenommen. Imman sie wohl dafür verantwortlich, daß im Tempel
Khunchom Besitz ergriff, hat kein Monarch scheint keine Zukunft bei den Tulamiden ein heiteres Chaos regiert, aber die zwölf Ge-
mehr in den weitläufigen Räumen gewohnt. zu haben. weihten verstehen es, für sich selbst zu

90
sorgen, und die Spenden der Khunchomer wie aufeinander hetzen läßt: Ratten, eine Unbekannte die Bühne des Palastes.
für ihre "fröhliche Rahja" fallen meist sehr Sandfüchse, Hähne und sogar eine blinde, Während sie unter dem andächtigen Raunen
großzügig aus. aber wehrhafte Maulwurfsart. Silimhas Haus der Zuschauer nach und nach ihren
ist ein Treffpunkt der wettbesessenen atemberaubend schönen Körper von den
kleinen Leute. Hier haben sie Gelegenheit, sieben Schleiern befreit, bleibt ihr Gesicht -
23 Sandoras Rahjas
ihre wenige Habe in einer Nacht zu bis auf ein funkelnd blaues Augenpaar - bis
Vor dem Tor zum Rahja-Park findet sich in
verspielen. Nicht selten hat ein Spieler im zum Schluß von einem Seidentuch verhüllt.
unregelmäßigen Abständen (etwa alle 6
Wettrausch Söhne und Töchter in die Schon munkelt man, die blonde Unbekannte
Wochen) eine grauhaarige, gebeugte Frau
Sklaverei gegeben, um seine Schulden stamme aus der Fremde, dem Lieblichen
ein, die einen Bauchladen vor den Leib
abzulösen. Feld, und gehöre dort zu einer der
geschnallt trägt. In der Lade, auf ein wenig
angesehensten Familien. Wie dem auch sei -
verschlissenem rotem Samt, bietet sie immer
die Magie ihres Tanzes ist stark, und es
jeweils ein halbes Dutzend fingerlanger, aus
25 Nerida Shirinhas Schule der Fecht- erscheint wenig wahrscheinlich, daß eine
Rosenquarz geschnittener Rahja-Figuren feil,
kunst (D1) Nicht-Tulamidin über eine solche Gabe
Miniaturen von einer unglaublichen
Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten, dem verfügen könnte.
Filigranität und vollendeter Gestaltung.
nordmärkischen Edelmann Dexter von der Leider reicht der Platz in diesem Reise-
Den Figuren sagt man nach, daß sie in
Schanz betreibt Nerida eine kleine Akademie, führer nicht aus, alle Attraktionen des
manchen Nächten des Rahja-Mondes für
an der vorzugsweise reiche, junge Palastes zu nennen, einige können auch aus
ein, zwei Stunden zum Leben erwachen. Es
Tulamiden im vollendeten Umgang mit Gründen der Schicklichkeit nicht beschrieben
hat jedoch wohl noch niemand einen solchen
Khunchomer und Doppelkhunchomer werden. Am teuersten und begehrtesten aber
Vorgang beobachtet. Erwiesen ist dagegen,
ausgebildet werden. ist eine Nacht mit der rothaarigen Jeshinna
daß die Figürchen im Laufe der Zeit hin und
Die Schule ist sehr teuer (30 D. Schulgeld persönlich, ein Vergnügen, das die schöne
wieder ihre Haltung verändern und
pro Monat), ihre Anforderungen sind Hausherrin jedem Gast nur einmal gewährt
allmählich noch an Schönheit gewinnen.
außerordentlich hoch: Von den ca. 10 und das ihre Verehrer wie einen kostbaren
Sandoras Rahjas kosten einen Dukaten das
Zöglingen, die Nerida und Dexter in jedem Schatz in ihrer Erinnerung bewahren.
Stück, aber die alte Händlerin verkauft sie
Jahr neu aufnehmen, steht nur etwa die Hälfte
nur an Kunden, die sie selber auswählt. So
die dreijährige Ausbildung durch.
ist es noch nie jemandem gelungen, ein
Figürchen im Auftrag für eine andere
Person, z.B. einen Händler, zu erwerben.
26 Palast der Sinnesfreuden (GK)
Der wahre Wert einer einzelnen Figur ist Seit fast hundert Jahren stellt der Palast der
27 Tempel der Ewigen Flamme (J9)
kaum zu schätzen; es wurden schon mehr Familie Gahamud eine der größten
In einem unscheinbaren Haus ist der
als 500 Dukaten geboten. Dennoch kann ein Attraktionen der ohnehin an Sehenswür-
Khunchomer Tempel der Travia unter-
Figürchen nur dann den Besitzer wechseln, digkeiten reichen Stadt dar. Jeshinna
gebracht - und es sieht nicht so aus, als wenn
wenn es als Liebesgabe verschenkt wird. Gahamud, ihre Geschwister und die mehr als
der Kult in absehbarer Zeit größere
Sobald eine von Sandoras Rahjas von einem dreißig Bediensteten kennen nur ein Ziel:
Bedeutung erlangen wird: Zu seinen
Besitzer weiterverkauft werden soll, zerfällt dem Gast einen unvergeßlichen Aufenthalt
Anhängern zählen in Khunchom fast
sie in rosafarbenen Staub. zu bereiten, so daß er in seiner Zufriedenheit ausschließlich die Einwanderer aus dem
Sandoras Figuren werden in Khunchom und Verzückung kaum darauf achtet, wie
Norden, die die Göttin der sicheren Heimstatt
natürlich vielfach kopiert; es gibt sie zum viele seiner Marawedis und Dukaten in
auch in der Fremde verehren wollen.
Beispiel aus rosigem Speckstein an manchem dieser Nacht seinen Beutel verlassen.
So hat Mutter Haldigrid Tarlif, die einzige
Händlerstand zu kaufen - auch diese kosten in Normalerweise beginnt man eine Nacht im
Geweihte, wenig zu tun. Da sich in Khun-
der Regel einen Dukaten. Palast in einem der duftenden Badebecken. chom der Tsakult der Armen annimmt,
Anschließend begibt man sich in den von kümmert sie sich um die Veteranen und
Säulengängen gesäumten Innenhof, speist Kriegsversehrten, von denen jedes Jahr
dort in heiterer Runde vom Feinsten, das die Dutzende nach Khunchom - wie in jede
tulamidische Küche zu bieten hat, und sieht große Stadt - kommen.
dabei den Akrobaten, Gauklern und
Illusionisten zu. Vor allem letztere sind
Meister ihres Faches und übertreffen mit
24 Abu Silimhas Haus der Spiele (G2) ihren rauschhaft farbenprächtigen 28 Ordenshaus der Therbûniten (H5)
Unweit vom Feterdhin Platz kann man auch Trugbildern von Reiterkämpfen, Gleich am Markt, wo die häufigsten `Unfälle'
auf ein unscheinbares, einstöckiges vergessenen Echsenreichen und wilden geschehen, steht, nur durch die grüne Fahne
Lehmziegelhaus stoßen, aus dem fast jeden Orgien die Illusionsmagie manch eines über dem offenen Eingang gekennzeichnet,
Abend ein mörderisches Geschrei schallt. magischen Akademikers. Wer mag, kann das örtliche Haus der "Gesegneten
Wenn man dem Lärm nachgeht, stellt man später der Aufführung einer Wanderbühne Heilerschaft der Peraine-Gläubigen". Die
erleichtert fest, daß hier nicht etwa zwei zusehen oder allerlei bisweilen drolligen, Aranier waren mit ihrer Peraine-Mission bei
Novadi-Stämme in ein Gemetzel auf Leben bisweilen haar-sträubenden Tierdressuren. den Bewohnern Khunchoms nie sehr
und Tod verstrickt sind, sondern daß sich alle Auf keinen Fall sollte man den - meist in den erfolgreich, aber die kostenlose Versorgung
Anwesenden um eine winzige, nur zwei frühen Morgenstunden stattfindenden - der Kranken und Verwundeten wird vor
Schritt durchmessende Arena drängen, um ir- Auftritt der Schleieränzerin versäumen. Seit allem von den Ärmsten sehr geschätzt.
gendwelchen kleinen Tieren bei einem mehr als zwei Jahren beherrscht Bruder Pelion Acriados stellt immer wieder
blutigen Kampf zuzusehen. Hier tritt alles fest, daß die Anwohner und viele seiner
gegeneinander an, was sich irgend- Patienten ihn und seine Ordensbrüder nicht
ver-

91
gessen und ihm mit kleinen Spenden und Geschriebenes auf: Neben Sold- und 33 Tempel der Weltenscheibe (L9)
Diensten bei seiner schweren Aufgabe helfen. Mitgliederlisten vor allem die Urschrift des Einer der wenigen auf dem Festland, ist
Von den Mächtigen der Stadt hat er dagegen Khunchomer Kodex, der in allen dieser Tempel von Rur und Gror zweifellos
wenig zu erwarten: Während im Mittelreich Einzelheiten Rechte und Pflichten von eine bauliche Attraktion: Mit seinen vier
TherbûnitenHäuser auch vom Adel großzügig Söldnern und Auftraggebern regelt. Heute Kegeldächern übereinander ragt er aus den
unterstützt werden, hat ihm hier schon manch beruhen viele in Aventurien abgeschlossene umliegenden Gebäuden hervor wie ein
ein Mächtiger, den er um eine Spende bat, Söldnerverträge auf diesem Werk, das vor Kamel unter Maultieren.
klipp und klar erklärt, was er vom vielen Jahrhunderten vom Rondrageweihten Der Tempel dient auch außerhalb der
"Durchfüttern alter Versager" hält. Ghorio Dorgulawend verfaßt wurde - Gottesdienste als Treffpunkt der
angeblich nach einer Vision der Götter Exilmaraskaner in Khunchom: Hier kann
Praios und Rondra, die Gesetz und Ehre in man fast immer eine Anzahl aufgeregt
das wütige Toben der Söldnerbanden debattierender Auswanderer vorfinden, die
29 Tempel der Frucht (GK) bringen wollten. über die rechten Mittel und Wege zur Befrei-
In Khunchom hat die altehrwürdige Gottheit Selbstverständlich hängt man heutzutage im ung ihrer Heimat streiten.
Peraine einen schweren Stand: Als Göttin der Haus des Kodex nicht nur solchen Die Leitung des Tempels und Abhaltung der
Heilung hat sie Tsa nie verdrängen können, Erinnerungen nach: Auf den Innenhöfen Gottesdienste obliegt traditionsgemäß einem
und auch die lebensspendende Kraft wird finden ständig Waffenübungen statt, auf daß Bruderpaar: Den bedächtigen Zwillingen
eher der Jungen Göttin zugeschrieben. So die hier stationierten 300 Söldner (sechs der Kardin und Garumin sieht man kaum an, daß
bleibt Rigbald Blomster, dem sieben Banner der Khunchomer Garde) nicht sie in ihrer Jugend berühmte Kämpfer mit
Tempelvorsteher, nicht viel mehr zu tun, als ihre Kampfkraft und Geschicklichkeit Tuzakmesser und Wurfscheibe waren, die
gelegentlich die Felder der mittelreichischen verlieren. nach der Niederschlagung des Tuzaker
Bauern zu segnen und den tempeleigenen Kommandant der Söldner ist der erfahrene Aufstandes nach Khunchom fliehen mußten.
Heilkräutergarten zu pflegen. Margahan Pascha - doch von mindestens
gleicher Autorität ist die 'Hüterin des Kodex',
Yorgaine al-Samandra: Sie fungiert als
oberste Instanz bei der Auslegung des Kodex
30 Feuersturm-Tempel (D10) - und nicht nur in Khunchom folgt man 34 Schenke "Zum Füllhorn" (I6)
Diese Kultstätte stellt eine wohl in ganz ihrem Wort: Auch so ferne Söldnereinheiten Erst seit kurzer Zeit gibt es dieses Wirtshaus
Aventurien einzigartige Besonderheit dar: Seit wie die Uhdenberger Breitäxte oder die im Hafenviertel: Es wurde nach Verlegung
der Grundsteinlegung vor mehr als tausend Kusliker Seesöldner wenden sich an die der bornländischen Seesoldaten nach
Jahren verehren die Gläubigen von Rondra Hüterin, wenn es zu Streitfragen gekommen Khunchom vom Festumer Kaufmann Alatzer
und Ingerimm ihre Gottheiten hier ist. eingerichtet. Hier treffen sich nun diejenigen
gemeinschaftlich. Bornländer, die auch in der Ferne der Heimat
Heute besuchen vor allem die Soldaten des treu bleiben wollen: So bekommt man hier
Fürsten und insbesondere die zahlreichen die einzigen echt bornischen
Waffenschmiede der Stadt den Tempel - eine Kartoffelspeisen, den Honigschnaps
32 Schmiedeviertel (L8)
kleine, aber durchaus spendenfreudige Meskines und sogar Elchbraten, der nach
Die Neigung der Tulamiden zu Wettstreit und
Gruppe, so daß sich Schwertschwester Charia dem langen Transport über See gerade den
Gefeilsche hat dazu geführt, daß sich die
ay Narmila und Meister der Esse lngerolf richtigen Haut-gout hat.
Waffenschmiede der Stadt fast alle in
Golzbad keine Sorgen um die Erhaltung des Die Gesprächsthemen sind dementsprechend
derselben Gegend ansiedelten: Hier können
Bauwerks machen müssen. Festum. Festum und Festum ein
sie ihre Kunst vergleichen, einander auf die
In einer der vielen Nischen im Tempelinneren Einheimischer verirrt sich nur selten einmal
Finger schauen und sich im Wettstreit mit
findet man auch einen Schrein des ins 'Füllhorn'. Mit leichten Mädchen, Spielen
Hammer und Amboß messen. Neben den
Rondrasohnes Kor, des Gottes der Söldner. und Rauschkraut hat der Wirt Ralke
Schmieden, die hochwertige Schwerter 'von
Die Hochgeweihte Charia predigt übrigens Wullenwewer schon gar nichts im Sinn,
der Stange' herstellen, finden sich auch
eine sehr eigenwillige, von der Wildheit Kors jedenfalls nicht für seine Gäste...
etliche Meister des heißen Eisens, die nur
beeinflußte Sicht Rondras als Göttin der
Auftragsarbeiten für reiche Adlige oder
Kampfeswut und des Todes, was ihr schon
fremde Mächte erledigen.
manchen Konflikt mit ihren Oberen
Zwar gibt es kein Gesetz, daß einem
eingebracht hat. 35 Bordell "Haus der aufgehenden Sonne"
Schmied die Ansiedlung im Schmiede-
viertel befiehlt - doch die aus Tuzak stam- (GK)
menden Schwertfeger mußten rasch Das Etablissement in Meeresnähe macht von
feststellen, daß fast alle Kaufwilligen das außen einen höchst vornehmen Eindruck: Die
31 Haus des Kodex (GK) Schmiedeviertel aufsuchten und andernorts Mauern sind goldgelb gestrichen, das Dach
Das in lichtem Ocker getünchte Gebäude wohnende Schmiede einfach keine Kunden mit den vielen Türmchen mit glänzenden
mit den schweren grünen Blenden birgt nicht fanden. So kann man denn auf einer relativ Messingplatten gedeckt. Die Khunchomer
etwa - wie man angesichts des eigentümlichen kleinen Fläche die Werkstätten von 41 kennen eine Anekdote, nach der einst ein
Namens denken könnte - eine Bibliothek, Waffen- und Werkzeugschmieden sehen und fremder Praiosgeweihter - von Namen und
erbaut zur Belehrung der Bürger, oder eine den Lärm ihrer Hämmer hören - und kaum Aussehen getäuscht - das Bordell für den
Rechtschule, die die Kenntnis der ein Fremder ahnt, daß nicht wenige dieser örtlichen Tempel des Sonnengottes hielt.
Gesetzesschriften vermitteln soll, sondern Meisterschmiede die stolzen Besitzer großer Ein Blick ins Innere hätte ihn aber rasch
eine Söldnergarnison! Paläste am Rande der Stadt sind. eines Besseren belehrt: Bereits die Ein-
In den starken Mauern der Garnison bewahrt gangshalle - in der die Gäste diskret auf
man in der Tat nur sehr wenig

92
Wohlstand abgeschätzt werden und ihre ganzes Leben ruiniert hat. zu Serailen wie im Palast eines Sultans reicht
Waffen ablegen können (müssen!) - ist Diese abschreckende Beschreibung hindert die Palette. Der Zutritt zu letzteren ist aber
reichlich mit plüschenen Möbeln und die Besucher Khunchoms jedoch keinesfalls vor allem eine Frage der Einschätzung durch
Vorhängen in Sonnenaufgangs-Rosa daran, das Haus auch einmal sehen zu wollen den Türsteher Ghantabir Lankalud - nur
ausgestattet. Dieselbe Farbe prägt dann auch - dementsprechend sind die meisten Kunden wenige wissen, daß der diensteifrige
die gesamte übrige Einrichtung: die auswärtige Gäste aus dem Mittelreich oder Tulamide gleichzeitig der Besitzer des
bequemen Diwane des Schankraums ebenso dem Bornland. Der Wirt Elgor Mharkad hat Hauses ist.
wie die geräumigen Kuppelbetten der sich darauf eingestellt und verlangt extrem Ob die legendäre Khunchomer Magierin sich
Schlafkammern und die Spieltische in den hohe Preise: Die Gäste werden ohnehin kaum durch den Namens dieses Etablissements
Hinterzimmern. zu Stammkunden. geehrt oder beleidigt fühlt, war nicht in
Wenn auch nicht die beste, so ist das Bordell Erfahrung zu bringen. Ghantabir zumindest
doch sicherlich die bekannteste Einrichtung wird nicht müde zu behaupten, Nahema
seiner Art in Khunchom: Um das `Haus der selbst habe dem Haus einmal einen Besuch
aufgehenden Sonne' ranken sich zahlreiche 36 Bordell Sultani Nahema (L11) abgestattet und sei sehr angetan gewesen.
Legenden und Anekdoten - und ein Eine Besonderheit des Hauses ist die (Ganz im Vertrauen: In diesem Punkt halten
populäres Lied schildert das Schicksal eines Einteilung in verschiedene, streng wir Ghantabir für einen schlechten, aber
jungen Mannes, der durch die hier offerierten voneinander getrennte Bereiche: Von einfa- mutigen Lügner.)
Genüsse sein chen Räumlichkeiten, wie sie auch in
anderen Bordellen zu finden sind, bis hin

Name Q P B A Schlafpl. Erläuterungen:


Hotel "Erhabener Mhanadi" 8 9 6 15 32 Qualität (Q): Güte der angebotenen Waren,
Hotel "Haus Khunchom"* 7 7 4 9 26 Dienstleistungen. Die Skala reicht von 1
Hotel "Tulamidya"* 6 7 4 5 12 (erbärmlich) bis 10 (fantastisch) Preise (P):
Die Skala reicht ebenfalls von 1 (sehr billig)
Palast der Sinnesfreuden 10 10 6 32
bis 10 (sehr teuer). Der Wert 5 entspricht etwa
Haus der Spiele ? ? 2 8
dem Grundpreis (laut Preisliste)
Schenke "Zum Füllhorn" 5 5 7 2 Bewohner (B): Anzahl der ständig im Haus
Schenke "Sold und Säbel"* 4 6 4 4 wohnenden Personen
Schenke "1001 Rausch"* 4 8 6 - Angestellte (A): Anzahl der Beschäftigten, die
Schenke "Islabejas Tee und Kräuter"* 6 6 5 1 nur zeitweise im Hause anzutreffen sind.
Bordell "Haus der Aufgehenden Sonne" 5 8 14 4
Bordell "Sultani Nahema" 6 7 9 3
*nicht näher im Stadtführer beschrieben

93
Weitere große Städte
Rashdul

Einwohner: 7250 Nach deren Ende bewährte sich wieder die Lage in den
Garnisonen: 300 Rashduler Reiter, 30 Stadtgardisten, Bergen am Rand des Balash: Während mächtige Städte wie
200 novadische Reiter Khunchom und Fasar nach und nach von den Mittelländern
Tempel: Phex, Rahja, Rastullah, Boron (Puniner Ri- überschwemmt wurden, erhielt sich in Rashdul das tulamidi-
tus), Boron (Al'Anfaner Ritus), Hesinde sche Erbe in reinster Form. Schon 593 v.H. sagte sich die
Stadt vom Reich der Priesterkaiser los und konnte seine
Wenn es eine tulamidische Stadt gibt, die tatsächlich den Unabhängigkeit im Wesentlichen bis heute wahren.
ganzen Charme der Märchen aus 1001 Rausch hat und die Vor etwa 110 Jahren riß General Rashijd ben Surkan aus den
auch den übertriebensten romantischen Vorstellungen des Zelten der Beni Avad den Fürstenthron an sich, und seither
Mittelländers entspricht, dann ist das Rashdul, genannt `Die regieren seine Nachkommen die Stadt. Dank dieser
unschätzbar Alte' : eine Stadt des Handels und der Magie, mit novadischen Vorfahren kann sich auch die derzeitige Herrin,
prachtvollen weißen Palästen von Djinnihand, schlanken die Shanja des letzten Fürsten Kasim, in unmittelbarer Nähe
gelben Zwiebeltürmen und roten Mauern, an einem mächti- des Kalifats von Mherwed behaupten.
gen Strom gelegen und dennoch teilweise verborgen in den
Schluchten eines Gebirges, mit echten tulamidischen Zaube- Entlang den Ufern des Mhanadi liegen terassenförmig die
rern und einer geheimnisvollen und wunderschönen Reis- und Kornfelder, und im Osten liegt, an die Flanken der
Herrscherin! hochaufragenden düsterroten Berge geschmiegt, die Stadt.
Vorbei an schweren Flußseglern, die halb an Land gezogen
Wer die blühende Stadt Rashdul inmitten jener schroffen wurden, und an mächtigen, von Ochsen gedrehten Getreide-
Hügel erblickt, die die Ebene des Balash begrenzen, fragt mühlen nähert man sich der Unterstadt. Nur eine alte Mauer
sich, warum die Stadt hier bei den Schluchten errichtet wurde aus Lehm und Felsbruch umgibt die niedrigen, gelben Häu-
und nicht im Zentrum der Fruchtbaren Sichel. Der Erklärung ser, in der die meisten der über 7000 Einwohner leben.
ist in der fernen Vergangenheit zu suchen: Als `Die unschätz- Gleich hinter dem einfachen Tor erstreckt sich der Basar, auf
bar Alte' gegründet wurde, war der Balash noch fest im Besitz dem sich auf engstem Raum stets an die tausend Leute
der schrecklichen Echsenfürsten, und die kleine Hügelstadt drängen. Eine gepflasterte Allee mit prächtigen Zypressen
weit und breit einziger Zufluchtsort der Menschen. Nur den und Pinien schlängelt sich, vorbei am Hesinde-Tempel,
umliegenden Felsen verdankt die Stadt es überhaupt, daß sie bergan bis zum Madamaltor, hinter dem die berühmte
wenigstens etwas Land am Mhanadi nützen kann. Oberstadt liegt.
Diese natürliche Barriere führte aber auch dazu, daß Rashdul Hier spätestens beginnt das typische Straßenlabyrinth alter
nur Bedeutung erlangte als die älteste durchgehend besiedelte Städte; jeder Fremde - ob Besucher oder Angreifer - muß
Stadt der Tulamiden. Schon unter Bastrabun, Sohn des lange, oft vergeblich suchen, eher er eine der wenigen
Stadtgründers Rashtul al-Scheik, wurde Khunchom neue direkten Verbindungen zum obersten Teil der Stadt finden
Hauptstadt, und in den folgenden zwei Jahrtausenden blieb kann. Auch ist es fraglich, ob man durch die immer engeren
Rashdul stets die kleine Schwester, die, von wenigen Thron- Durchgänge, an immer mehr Wächtern und Söldner vorbei
folgekriegen abgesehen, stets den Diamantenen Sultanen die die obersten Paläste erreicht, wo die Fürsten und Zauberer
Treue hielt. leben. Diese Gebäude nehmen fast die Hälfte der Oberstadt
ein, obwohl hier höchstens 500 Leute leben.

Reiterlager Almut ben Saajd - den Städtebund mit mehr zu tun als dann und wann eine
Noch außerhalb der niedrigen Stadtmauern Khunchom, Fasar und Thalusa zu lockern Karawane nach Thalusien oder den Mhanadi
sind ein Dutzend der typischen und die Khunchomer Söldner durch entlang zu begleiten (wo die Flußpiraten
Nomadenzelte der Wüstenreiter aufgebaut, novadische zu ersetzen. ohnehin häufig Verwandte sind) - und
und entlang der Straße stehen die Söldner, Die etwa 200 Reiter, die hier für etliche natürlich bezahlt jeder kluge Kaufmann die
die ihre Klingen wirbeln lassen und ihre Jahre ihr Lager aufgeschlagen haben, Novadis zusätzlich, obwohl sie ihren Sold
Reiterkunststückchen zeigen, in der gehören denn auch größtenteils zu den Beni von der Fürstin bekommen.
Hoffnung, einen reichen Kaufmann Avad, aber auch Vertreter der Beni Khibera
beeindrucken zu können. aus der Umgebung des Kalifen verdienen
Aufgrund des novadisch-alanfanischen sich hier ihr leichtes Geld. Mag das
Krieges hielt die Fürstin es für klüger - Söldnerleben üblicherweise hart und blutig Bazar
natürlich auf Anraten ihres Oheims, Sheik sein, so hat man hier nicht viel Verglichen mit anderen Marktplätzen eher
klein, präsentiert sich der Bazar von

94
Rashdul dem Besucher als eine einzige Reit- und Zugtiere und Wagen abgestellt Heldentat - ihr unverschleiertes Antlitz
wogende Menschenmasse. Hier scheint sich werden. Die Siegel im Türstock verraten dem erblicken konnten.
in drei Jahrtausenden wenig geändert zu Wissenden, daß der Besitzer Mahmud ibn
haben, hier kann man die tulamidische Welt Dajin heißt, der breitgetretene Kamelmist in Q:5 P:5 B:8 A:- Schlafplätze: 80
in ihrer ganzen bunten Dichte auf sich der ganzen Straße, daß die Herberge schon seit
einstürmen lassen: Die unablässig Jahren gut besucht ist.
salbadernden Händler, die ihre Teppiche und Hier kehren alle Fremden ein, die nicht das Madamaltor
Karaffen. Obst und Wein anpreisen, die Gastrecht der Mächtigen Rashduls genießen: Die gesamte Oberstadt wird sichelförmig von
Schlangenbeschwörer mit ihren winselnden Ob Kaufleute aus Khunchom, ob Weinhändler einer mächtigen Mauer aus rotbraunem Fels
Kabasflöten, die schwer-bewaffneten Söldner aus Baburin, ob Sklavenhändler aus der geschützt, dessen einzelne Brocken so fein
mit Krummsäbel und Lanze, und die Khom, ob Reisbauern aus dem Balash, ob aneinandergefügt sind, daß man keine
unvermeidlichen Diebe, die einen Fremden Hehler aus Thalusien - sie leben alle davon, Dolchspitze dazwischen treiben könnte. Das
während eines einzigen Gespräches bis aufs wertvolle Güter von einer Hand zur anderen Madamaltor, ein mächtiger Bogen mit zwei
Hemd ausplündern können. Mittelländer, gehen zu lassen. Neben den Händlern sind die kupfernen Torflügeln, überragt mit fünf
meist ohnehin aus Khunchom, sind hier Söldner die größte Gruppe, sowohl solche, Schritt Höhe selbst noch diese Mauer. Die
schon selten, und ein bornländischer Krämer die bereits irgendwelche Karawanen Schrammen und Dellen im Kupfer, manche
oder thorwalscher Seefahrer verirrt sich nur begleiten, als auch jene, die besonders jahrhundertealt, verraten, daß das Tor als der
rondrianisch auf und ab marschieren, um einzige Zugang zur Oberstadt oft heiß
gelegentlich in das Gewühl.
einen Auftraggeber zu finden. Und umkämpft wurde.
unweigerlich findet man hier auch mehrere Auch heute halten hier stets vier Rashduler
Haimamuds oder Barden, die die Schönheit
Reiter Wache, zwei vor dem Tor, zwei
der Shanja besingen und von dem jenseits der Mauer, wobei sie der Tradition
Karawanserei gemäß niemals von ihren Shadifhengsten
einzigartigen Augenblick berichten als sie
Das große, aber namenlose Gebäude am steigen dürfen.
oder ein anderer - stets heimlich und nach
Bazar ist eine der typischen tulamidischen Der Name des Madamaltores weist übrigens
einer unglaublichen
Karawansereien, von denen es auch mehrere auf die Zeiten der Echsenfürsten hin, als die
in Rashdul gibt, in der üblichen Bauweise mit Menschen - den Märchen
fester Wehrmauer und einem Innenhof mit
Brunnen, wo

Die Shanja von Rashdul

95
zufolge - nur nächtens beim Licht des ragt und buchstäblich in den Schatten stellt, goldenen Ketten. Die Inschrift im Sockel (in
Madamals ausziehen konnten, wenn sie vor ist die berühmte graue Schule der Rashdul werden wie im Kalifat die 19
den kaltblütigen Echsen sicher sein wollten. Beschwörung. Die riesige Anlage mit dem Geheiligten Glyphen verwendet) bedeutet in
fünfseitigen Grundriß ist nicht nur eine der etwa: "Der Genuß ist der einzige Besitz des
ältesten Akademien Aventuriens, sondern Sklaven - und sind wir nicht alle Sklaven ?"
auch eine der flächenmäßig größten. Das Fest der Freuden vom 1. bis zum 7. Tag
Palast des Fürsten Zweihundertundelf Rashduler Großmeister - des ersten Sommermonats muß man hier
Über der Stadt, an ihrer höchsten Stelle, erhebt eine ununterbrochene Linie, die bis in die einfach erlebt haben: Tausende ekstatisch
sich der prunkvolle, weiße Fürstenpalast, ein Zeiten Rashtul al-Scheiks reicht - jubelnde Menschen tanzen durch die Straßen,
Wunderwerk mit vier Zwiebeltürmen und betrachteten es jeweils als Höhepunkt ihrer ausgelassene Prozessionen führen riesige
einer großen Messingkuppel über dem Karriere, den Djinnis den Aus- oder Umbau Fruchtbarkeitssymbole mit sich, Sulvo, der
Hauptbau, mit Arabesken vor allen Fenstern der Akademie zu befehlen, und kein halbes hellste Stern im Sternbild der Stute, steht
und friedvollen Gartenanlagen - kurz: ein Dutzend hat diese Tradition ignoriert. So direkt im Zenit und wird lustvoll besungen.
Palast, wie ihn nur ein mächtiger Djinn aus kann man mit Fug und Recht behaupten, daß Auf wundersame Weise wirken alle Männer
dem Boden stampfen kann. nicht eines Menschen Hand am Bau der und Frauen, ob jung oder alt, ungemein
Die Lage ist ideal gewählt: Von hier aus dreizehn Kuppeln, neun Hallen, fünfzehn verführerisch mit ihrer dunklen Haut, den
überblickt man die ganze Stadt und das Tal Türme, drei Höfe, einundzwanzig Arkaden, glutvollen Augen und den gazellengleichen
des Mhanadi bis zu den Schluchtwänden, zweihundertundneun Erker und Bewegungen, und keiner hat während dieser
gleichzeitig ist das Gebäude nach hinten dreihundertachtzehn Zwiebeltürmchen - so Woche einen anderen Gedanken als sich den
durch die steile Felswand geschützt. Nicht die letzte Beschreibung - mitgewirkt hat. Freuden der Liebe zu widmen. Und Rahjas
einmal ein Ferkina könnte entlang dieser Auch der greise Dschelef ibn Jassafer, seit Wunder wirkt jedes Jahr wieder: Man sollte
Wand kletternd von hinten in den Palast Jahren im magischen Duell der Beschwörer nicht glauben, wieviele Rashduler im
eindringen. Ein kleiner Wasserfall, dessen ungeschlagen und daher anerkannter Phexmond, neun Monate später, geboren
Kaskaden fast 120 Schritt tief herabfallen,
,Großmeister der Akademie, grübelt schon sind...
speist Garten und Brunnen der Anlage. lange, wo und wie er noch eine Baulichkeit
Zwanglos rings um den Palast verteilt sind hinzufügen kann, ohne die fantastische, aber
kleine weiße Wachpavillions, in denen die dennoch ausgewogene Architektur zu
Rashduler Reiter, erkennbar an ihren weißen zerstören.
Mänteln und den regenbogenfarbigen Möglicherweise könnte er ja einen Eingang
Turbanen, Wache halten. Zwischen den anlegen: An jenem Tag, als die Göttliches Haus der Vergänglichkeit
Büschen, Bäumchen und Teichen stolzieren Tempelwachen des ersten Priesterkaisers in Direkt gegenüber dem Gotteshaus der Rahja
einige Saphirpfaue, und in einem kunstvollen Rashdul einmarschierten, um die "Stätte - im Norden, wo die Toten hin gehen - steht
Stallgebäude stehen einige reinrassige Shadif ketzerischen Hexenwerks" aufzulösen, ließ einer der wenigen großen Phex-Tempel
bereit. Hier regiert Eshila, die Shanja und der damalige Großmeister nämlich alle fünf Aventuriens. Hier präsentiert sich wie in
noch junge Witwe des alten Fürsten. Der Portale von Djinnis ver- schließen, als wären kaum einer anderen Stadt die himmlische
Volksmund nennt sie die schönste Frau im sie nie da gewesen. Seither hat kein Zweiheit der beiden Gottheiten. Von seinem
`Land der Ersten Sonne' Zauberer. Novize oder Besucher mehr die ersten Atemzug an, da Rahja wie eben
Nur wenige Mächtige erhalten bei einer Pentagramm-Akademie anders betreten oder erwähnt - den Menschen in Phex Hände gibt,
Audienz die Gelegenheit, sich selbst vom verlassen als mit der Hilfe einer Formel der lebt der Rashduler im Bewußtsein seiner
Wahrheitsgehalt dieser Mär zu überzeugen. magischen Bewegung oder gar auf dem Rüc- Sterblichkeit. Und dem Vogtvikar Achmad
Das Volk sieht die Shanja nur selten, wenn ken eines fliegenden Djinns! ibn Hamadi gelingt es tatsächlich, daß seine
sie sich in ihrer Sänfte durch die Stadt tragen Gemeinde Phex gerade für die
läßt - selbst dann ist sie hinter Vorhängen und Vergänglichkeit des Lebens und alles
Schleiern verborgen. Dabei würde manch Erworbenen lobt, die dessen Wert und den
junger Mann, der dennoch einen kurzen des Glücks erst erzeugt. So sind denn auch
Blick auf ihr ebenmäßiges Antlitz erhascht die wohlhabenden Rashduler Kaufleute die
hat, seine Seele dafür hergeben, um ihr nahe wichtigsten Besucher des Tempels; typische
zu sein. Diebe kommen durch das Madamaltor
Alles in allem schätzen und respektieren die Himmlischer Schrein der Hingabe ohnehin kaum in die Oberstadt. Fast schon
meisten Rashduler Bürger - von den Sklaven Auf der Südseite des Hauptplatzes steht, zum Inventar des Tempels gehören die
und Dieben abgesehen - ihre geheimnisvolle unverkennbar durch den klassischen Krämer, die bis wenige Schritte vor der
Fürstin, auch wenn allgemein bekannt ist, rosafarbenen Eternenmarmor und die grauen Marmorstatue des Fuchsköpfigen
daß nicht sie, sondern ihr Oheim, Sheik Bauweise voll Rundungen und Windungen, halblaut ihre Talismane und Amulette
Almut ben Saajd, die Stadt regiert. der Rahja-Tempel. Selbst die Kuppel und die anbieten, und da die Priester Händler wie
Türme sind in Rosa gehalten und ihr ihrer Glücksbringer regelmäßig segnen, muß man
Form eindeutige Symbole der Liebeslust. eigentlich von der Wirkung letzterer
Gleich hinter dem verführerisch lockenden überzeugt sein.
Portal liegt das heilige Becken, das hier alle
Gläubigen durchwaten müssen; das Innere
des Tempels darf man nur nackt betreten.
Auch die Gotteshalle ist nicht mit der
dezenten Erotik anderer Tempel gestaltet, Rashtuls Wehrhaus
sondern schwelgt in tulamidischer Die gesamte Ostseite des deutlich westwärts
Pentagramm-Akademie Sinnlichkeit. Die weiße Statue zeigt die geneigten Hauptplatzes wird von einer
Das einzige Bauwerk, das in seiner schieren Göttin in imposanten Festung aus rostrotem
Größe auch den Fürstenpalast über- Rashdulstein eingenommen. Sie ist ei-

96
nes der wenigen Beispiele tulamidischen Während der alte Borontempel an der Erste Mawdli des Kalifats, einer schon länger
Festungsbaus und nimmt für sich in Nordseite aus rostrotem Rashdulstein ansässigen Novadi-Familie entstammt. Noch
Anspruch, noch nie erobert worden zu sein - errichtet und nur nachträglich - unter immer wird das Gebäude aber hauptsächlich
was angesichts der 3000-jährigen Geschichte mittelländischem Einfluß - mit schwarzen von der Familie des Stifters und ihren Gästen
sicherlich gelogen ist. Die meisten Zugänge Basaltplatten verkleidet wurde, ist der verwendet, ärmere Novadis beten wie
zu den großen Palästen führen durch die alanfanische Tempel tatsächlich aus ehedem auf der Allee.
Festung, und man kann sie eigentlich nur als massivem Basalt, der viele hundert Meilen Ungläubigen wird der Eintritt selbstver-
Gast oder Diener passieren. weit aus den Zwergengebirgen hergeschafft ständlich verwehrt. Diese würde der Anblick
Nicht für jeden der 300 Rashduler Reiter, wurde. des Heiligsten vielleicht auch zu
die hier für die Sicherheit der Stadt, genauer Während des jüngsten Vormarsches der unangemessener Heiterkeit verleiten - aber
gesagt ihrer Herren, sorgen, steht tatsächlich Al'Anfaner kam es zu heftigen Tumulten auf das juwelenbesetzte Standbild, das Rastullahs
ein Pferd bereit, aber traditionsgemäß dem Platz, aber zu einer Tempelschändung Ohr zeigt, wurde in einer Stunde höchster Not
verlassen die Soldaten - außer in Kriegzeiten ließen sich die Novadis Rashduls doch nicht gestiftet, als hier Hunderte novadischer
- die Oberstadt nur zu Pferde: Wenn das hinreißen. Inzwischen herrscht wieder der Flüchtlinge um den Beistand ihres Gottes
Volk sie über das sandsteinerne Pflaster übliche Betrieb auf dem Schwarzen Platz. flehten.
talwärts galoppieren hört, soll es wissen, wer Den meisten Platz nehmen die Händler ein,
die Herren der Stadt sind. Dieser Brauch bei denen man lebende Opfertiere in großen
wurde von jedem der vielen Herrscher und Mengen kaufen kann; von Zicklein und
Eroberer Rashduls für seine eigenen Böcken bis zu ausgewachsenen Stieren gibt es Die Felsengräber
Truppen immer wieder übernommen, hier alle rituell erlaubten Tiere, für die Die Grabanlagen von Rashdul sind weithin
ebenso wie die Uniformen der Stadtgarde: Ärmeren auch Weihrauch vielerlei Sorten. bekannt als Inbegriff von Prunk und
Der Ursprung der weißen Mäntel und der Und wie immer man Boron und Phex in Beständigkeit - jener Attribute also, auf die
regenbogenfarbigen Turbane, der eher zu anderen Städten huldigt: Wenn man in Tulamiden bei einer Bestattung besonders
Tempelwachen der Tsa passen würde, ist Rashdul den Tempel besucht, fällt man eher Wert legen. Viele Generationen haben die
jedoch in Vergessenheit geraten. unliebsam auf, wenn man goldene Münzen in Schächte immer tiefer in den dunkelroten
die Schalen wirft; hier gelten eben Blut- oder
Fels der Rashduler Berge getrieben. Die
zumindest Räucheropfer als üblich. meisten Sippen verfügen über gemeinsame
Grabanlagen, ein Siegel am einzigen Eingang
verrät die Besitzer, uralte Glyphen dienen zur
Abwehr von Grabräubern.
Die Grabanlagen der Mächtigen sind
Schwarzer Platz zusätzlich geschützt, weil sie nur von der
Recht bekannt ist auch der Schwarze Platz Bethaus des Rastullah Oberstadt aus erreicht werden können. Die
von Rashdul, auf dem sich die zwei Tempel Dem schmucken, aber einfachen weißen weniger Wohlhabenden dagegen müssen sich
des Boron gegenüberstehen. Aus alten Lehmgebäude sieht man kaum an, mit kleinen Kammern in den Ausläufern des
Schriften ist bekannt, daß sich hier früher die daß es der neu eingerichtete Rastullah- Gebirges begnügen, die Ärmsten bestatten
Häuser von Boron und Tsa Tempel der Stadt ist. Das Bethaus wurde erst ihre Toten wie eh und je im Schlamm des
gegenüberstanden, aber seit etwa einem nach der Schlacht am Szinto von dem Mhanadi.
Jahrhundert tritt hier der Al'Anfaner Kult Kaufmann Yakuban ibn Amullah gestiftet,
dem von Punin offen entgegen. der ebenso wie sein Bruder, der

Mherwed - Stadt des Kalifen

Einwohner: 5500 (75 % Novadis, 20 % Tulamiden) ben an Rustullah und brachten dadurch dem Volk der
Garnisonen: 500 Kalifengarde, 40 Stadtgardisten Novadis händlerischen Geist, der den Wüstenreitern so sehr
Tempel: Rastullah fehlt. Der nächste Kalif, Malkillah II., ehelichte bereits eine
Mherweder Händlerstochter, sein Sohn Chamallah (nicht von
Mherwed wurde vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden dieser Ehefrau) erhob Mherwed zur Hauptstadt aller Novadis.
gegründet und war die erste Residenz des heldenmütigen Noch heute reden die Alten von rauschenden Festen und
Bastrabun ibn Raschdul, der das Reich der Echsen von Zze bunten Paraden, die den Umzug des Hofstaates von Unau
Tha zerschmetterte und die Macht der Tulamiden ausdehnte nach Mherwed begleiteten.
bis Mirham und Al'Anfa. In späteren Jahren trat die Stadt Auf so großen Glanz folgte allerdings vor kurzer Zeit auch
allerdings immer mehr hinter die reichere ältere Schwester ein Tag unaussprechlicher Schande: Die Stadt geriet während
Rashdul zurück, und wenig besonderes wissen die Annalen des ¬Krieges gegen Al'Anfa in die Hände des Feindes. Doch
zu vermelden Mherwed führte ein Dasein als kleine heute sind die Schäden des Kriegs und die Spuren der
Marktstadt im Schatten der Geschichte. Besatzung getilgt und so präsentiert sich Mherwed dem
Das änderte sich erst mit jenem Tag vor mehr als 150 Jahren, Besucher wie ehedem als Stadt mit prachtvollen weißen
an dem das wachsende Reich der Novadis seinen ersten Bauten aus Sandstein oder Lehmziegeln, die mit Kuppel und
Vorstoß hinab ins Mhanadital unternahm und dabei Mher- Minaretten emporstreben zum Himmel oder auf deren fla-
wed eroberte. Die Bürger bekehrten sich schnell zum Glau-

97
chen Dächern grüne und blühende Gärten angelegt sind. Von die durch ihre marmorne Pracht den Betrachter beeindruckt
den Bauten der urältesten Zeit haben dagegen nur einige den und zugleich der alten Zahlenmystik der Novadis entspricht:
Hörnern Satinavs zu trotzen vermocht, doch die wenigen In der Mitte der Anlage liegt die eigentliche Kalifenresidenz,
Übriggebliebenen wirken heute noch, als wären sie erst für den Novadi gleichsam die Mitte der Welt. Um sie herum
gerade errichtet worden. reihen sich die vier Paläste der "Stützen des Reichs", der
Eine besondere Stelle im Stadtbild nimmt schließlich die Minister - so wie die vier Stützpfosten des Zeltes die mittlere
gewaltige Palastanlage ein: In ihren größten Teilen erst nach Tragsäule umgeben. Vier weitere Paläste anderer hoher
dem Al'Anfaner Krieg entstanden, wuchs sie förmlich aus Würdenträger erhöhen die Anzahl der Paläste auf die heilige
dem Boden - so rasch, daß man allerorten von der Mitarbeit Zahl Neun. Hinzu kommen einige palastähnliche Residenzen
einiger Djinnis spricht. und Verwaltungsgebäude, deren Anzahl sich aber nicht recht
Das Kalifat verfügt damit über eine repräsentative Zentrale, in die Zahlenmystik fügen will.

Der Palast des Kalifen seiner Arbeit unterbringen (Denn die kammer des Reiches: Die Pracht der
Im Herzen der gesamten Anlage findet man Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz schützenden Ebenholztüren mit ihren goldenen
das weißmarmorne Schloß, das der Kalif mit kennen Novadis und Tulamiden kaum), und Beschlägen ist nichts gegen die
seinem engsten Hofstaat bewohnt: Hier leben so liegen in vielen Kammern die Kostbarkeiten, die sich hinter ihnen
Malkillah III. Mustafa und seine Konkubinen, Rechtsgutachten der Hofmawdlis, die auftürmen: Neben unbearbeiteten Barren aus
seine Leibdiener und die fünfzig Mann der Korrespondenz mit anderen Rechtsschulen Gold und Silber liegen Berge von blitzenden
Engsten Leibgarde in unvorstellbarem und die Unterlagen über alte Fälle verstreut. Adamanten, leuchtenden Almandinen,
Luxus: Die wenigen, denen ein Empfang im Ferner beherbergt der Palast die Räume der gleißenden Emeralden und strahlenden
Allerheiligsten zuteil wurde, berichteten von Mherweder Rechtsschule: In sorgsam vom Karfunkeln den Gesamtwert der Schätze
goldenen Möbeln mit Polstern aus Elfenhaar, Wohnflügel des Ersten Mawdlis getrennten kennt nicht einmal der Almosar selbst.
adamantenen Mosaiken an Böden und Räumen wohnen und arbeiten die Novizen, Das Eindringen in die Kammer ist übrigens
Wänden sowie von Brunnen und die sich mit seiner Hilfe und Unterweisung auf nahezu unmöglich, denn außer tödlichen
Badebecken, deren Fontänen angenehm das anspruchsvolle Amt des Rechtsgelehrten Fallen, unbestechlichen Elitekriegern und
temperiertes Wasser emporsprudeln lassen - vorbereiten. antimagischen Schutzvorrichtungen wacht -
machmal aber auch Wein, Milch oder Saft, so sagt man noch ein überaus übellauniger,
wenn der Kalif seine Gäste verblüffen will. ganz aus Gold und Juwelen bestehender
Während die Gespielinnen des Kalifen in erzener Djinn über die Schätze - und nur
seiner Nähe wohnen, gibt es für die offi- wenige kennen die rechte Art, ihn zu
ziellen Gemahlinnen eigene Suiten, in denen Der Palast des Khediven besänftigen.
sie mit ihren Dienern und Leibwächtern Auch der Palast des "Verwaltungschefs" des
leben. In weiteren Gemächern und Fluchten Kalifates dient zugleich als Ministerium: Wer
wohnen diejenigen Würdenräger, die den die marmornen Hallen und Gänge mit ihren
Titel eines Leibherren haben: Sie gelten als Wandgemälden, seidenen Vorhängen und Der Palast des Mautaban
so wichtig für das Wohlbefinden des Der Vollzieher des Kalifischen Willens hat
kostbaren Kristallleuchtern durchschreitet,
Kalifen, daß sie jederzeit zu ihm gerufen kommt kaum auf die Idee, daß hinter seine Residenz langsam aber sicher zum
werden können und stets in seiner Nähe sein Übungsplatz für Kampftechniken umgestaltet:
manchen dieser Türen eifrige Bedienstete
müssen. Es sind dies die Leibärzte, die Denn während dem "Herrn der Heerscharen"
über den Berichten aus fernen Provinzen
Schutzmagier. die Hofsterndeuter sowie die brüten und Antwortbriefe oder Erlasse körperliche Annehmlichkeiten weitgehend
Mundschenke und Vorkoster - all diese einerlei sind, legt er großen Wert darauf, seine
ausarbeiten - räumlich sorgsam getrennt von
Herren werden hochgeehrt, solange der Kalif Gewandtheit
den eigentlichen Wohnräumen des Khediven zu erhalten und seine
lebt - doch bei seinem Tode verlieren sie allen kämpferischen Tugenden auch an andere zu
Shna Utsefholl die er nur geladenen Gästen
Besitz und werden in Verbannung geschickt: öffnet. vermitteln. So finden sich in den Räumen des
Ein alter Brauch, der ihren Arbeitseifer nicht Palastes große Säle mit Gerätschaften zur
Besondere Bedeutung genießt dieser Palast
unerheblich steigert... Körperertüchtigung, wie man sie eher in einer
auch, weil dem Khediven die Aufbewahrung
Kriegerakademie
aller wichtigen Urkunden und Schriftstücke oder auch einer
Gaukelschule vermuten würde. Hier übt der
obliegt, die nicht direkt die göttlichen Dinge
mohastämmige
betreffen: daher findet sich in den weiten Mautaban seine
Räumen des Khedivenpalastes auch das Geschicklichkeit, den Umgang mit vielerlei
Waffen und unterweist auch einige Vertraute
Staatsarchiv des Kalifates mit fast allen
in tödlichen Kampftechniken.
Stammlisten der ehrwürdigen Novadisippen
und -stämme. Daß er aus Statusgründen über einen eigenen
Der Palast des Ersten Mawdli
Shanatir ibn Amullah, der oberste geistliche Harem verfügt kümmert den Eunuchen nur
und weltliche Richter des Kalifats bewohnt wenig, daher bleiben weite Teile des
einen Palast unweit dem des Herrschers - und Wohntraktes ungenutzt, und die Konkubinen
gleich dem Kalifenpalast ist auch dieser Ort und Odalisken vertreiben sich die Zeit beim
voller Annehmlichkeiten und Rangsymbolen, Der Palast des Almosar Brettspiel gegen die Haremswächter.
zu denen der Harem mit 99 Konkubinen Unter anderem ist hier auch ein Kusliker Meister
Neben dem eigentlichen Kalifenpalast ist der Belagerungstechnik zu Gast,
ebenso gehört wie eine persönliche Leibgarde. die Residenz des Almosar der vielleicht
Doch anders als der Kalif muß der Mawdli in bestbewachte Ort im ganzen Kalifat, findetsich
seinem Palast auch die Werkzeuge hier doch, in Reichweite des kalifischen
Finanzministers, die Schatz-

98
den Fürstin Kusmina - ohne Wissen ihrer Der Palast des Liobhun Pascha Privat ist der Gesandte ein Kunstliebhaber
Königin - an den Hof des Kalifen entsandt Die Aufgabe des Liobhun Pascha ("Herr der und deshalb von seiner Residenz hin und
hat. Tiere") erstreckt sich auf vielerlei Dinge: So hergerissen: Zum einen bewundert er die
hat er ebenso die Oberaufsicht über die zahlreichen Kunstgegenstände der
Kalifischen Pferdeställe wie über die Meuten Einrichtung, zum anderen empfindet er das
Der Palast des Haimamud Pascha der Jagdgeparden oder die Gehege, in denen ganze jedoch als furchtbar protzig und
Ebenfalls zu den Großen des Reiches
Antilopen und Hirsche gehalten werden. überladen. In seinen persönlichen
zählen die Besitzer der äußeren Pala-
Denn wenn der Kalif jagen will, so soll er Wohnräumen hat Yorgos daher schon alle
stanlagen - so auch der Haimamud Pascha,
auch etwas fangen - notfalls läßt man Kunstschätze außer einigen wenigen
der nicht nur der `Oberste Ge-
deshalb eben ein Stück zahmes Wild frei, Blickfängern forträumen lassen.
schichtenerzähler' des Kalifats ist, sondern
wenn sich partout kein wildlebender Braten
generell die Aufsicht hat über alle Künstler,
zeigen will.
die zum Ergötzen des Kalifen da sind: In
Die meiste Zeit allerdings sind die Tiere eine Bastrabuns Brücke
Seitenflügeln des Palastes wohnen die ihm Der Überlieferung nach soll über diese
Attraktion für die Damen der verschiedenen
unterstellten Hofmusikmeister, Tänzer, Brück bereits das Heer des Helden Ba-
Harems: Unter den strengen Augen eines
Artisten und Geschichtenerzähler. strabun geschritten sein, als er aufbrach zum
Eunuchen brechen die Schönen auf zu den
Die Aufgabe des Haimamud Pascha besteht letzten Gefecht gegen die Echsischen. Nun,
Gehegen und Gattern, wo sie die zahmen
vor allem darin, immer die Art der die gedrungenen schwarzen Pfeiler aus
Hirsche mit Zucker füttern, die Kraft der
Unterhaltung parat zu haben, die der Basalt sehen tatsächlich so aus, als stünden
edlen Shadifrösser bewundern oder munter
momentanen Stimmungslage des Kalifen sie seit Jahrtausenden unerschütterlich in der
mit den jungen Geparden herumtollen.
angemessen ist. Flut.
Daher findet man in den Kammern seines Seitdem sind unnennbar viele Generationen
Palastes die Dichter von heroischen über die Brücke geschritten und haben die
Kriegsgesängen ebenso wie die Meister seltsamen Reliefs bestaunt, die unbekannte
melancholicher Weisen oder die Kompo- Fabelwesen darstellen und der Phantasie
nisten lustiger Trinklieder, zu denen die Die Residenz des Kaiserlichen Bot- eines verwirrten Künstlers entstammen
Tänzerinnen ihre reich geschmückten schafters mögen. Seit Jahrtausenden schon erklingt
Hüften schwingen. Hauptaufgabe seiner Exzellenz Rauwulf vom das Klappern von Esel- und Pferdehufen auf
Doch auch Turgai al-Selamluk, der Hai- Berg ist die Schaffung guter Beziehungen der Brücke, das Rattern der Fuhrwerke und
mamud Pascha selbst, ist ein Meister der zwischen dem Kalifat und dem Kaiserreich. Streitwagen und das Tappen nackter
Erzählkunst: Wenn er die düsteren Tatsächlich geht das dem ehemaligen Fußsohlen, wenn Sklaven eine Sänfte mit
Schauermärchen seiner Selemer Heimat Soldaten nicht leicht von der Hand, denn es einem hohen Herrn vorbeitragen.
erzählt, kriecht jedem ein Schauer über den gibt viele Reibungspunkte zwischen den Heutzutage, nachdem die Residenz des
Rücken und die Zuhörer freuen sich ihrer beiden großen Reichen. Baron Rauwulf müht Sultans und die Stadt auf unterschiedlichen
Sicherheit im Palast des Kalifen. sich nach Kräften. Er setzt auf das Gespräch Ufern liegen, erweist sich die alte Brücke
unter vier Augen und ist bestrebt, den allerdings als zu schmal für den enorm
Kalifen möglichst auf dessen Ausritten zu angestiegenen Verkehr: Spahis reiten hin
begleiten. Was die beiden bei solchen und her, Waren müssen angeliefert werden,
Gelegenheiten alles besprechen, wissen nicht Gäste statten dem Herrn der Gottgefälligen
einmal die mitreitenden Wächter: Denn der ihren Besuch ab. Da kann es schon rasch
Der Palast des Serailik Pascha Kalif wählt zu seinen Treffen mit dem einmal passieren, daß sich vor der Brücke
Dem Haushofmeister des Palastes obliegt mittelreichischen Gesandten nur solche
Stauungen bilden und nur der rasch
nicht nur die Führung des eigenen Gardisten aus, die gewißlich kein Garethi
vorankommt, der rücksichtslos Gebrauch
Haushaltes, sondern die Organisation der beherrschen.
macht von Name, Rang und Reitpeitsche.
gesamten Palastanlage: Er ist zu-ständig für
die Beschaffung von Speisen und Getränken
für alle Bewohner der Paläste und für die
Beaufsichtigung der Palastwerkstätten mit
Die Residenz des Vinsalter Botschafters
all ihren Bedien-steten. Das Inganghalten
Der Gesandte des Alten Reiches hat nach
eines so gewaltigen Organismus wie des
Anweisung Königin Amenes vor allem Bethaus des Haschabnah
Kalifenpalastes ist schon eine Aufgabe, die
darauf zu sehen, daß Frieden herrscht Während für den Hofstaat des Kalifen zu
den ganzen Mann fordert - und so steckt
zwischen dem Kalifat und dem Vinsalter diesem Zweck auf dem Palastgelände
Maimud ibn Shurin auch Tag und Nacht in
Königreich. Denn schon zweimal haben verschiedene prachtvolle Gemächer exi-
Arbeit und hat kaum einmal Zeit, die
Novadis das Liebliche Feld überfallen, und stieren, dient den Bürgern Mherweds das
Annehmlichkeiten seiner Position aus-
beide Male konnten sie nur mit Mühe Bethaus inmitten der Stadt als An-
zunutzen: Deshalb kommt es auch zu der
abgewehrt werden. So versucht seine dachtsraum. Das kostbar geschmückte
skurilen Situation, daß der Haushalt des
Exzellenz Yorgos ya Ciolonya auch Bauwerk stammt noch aus der Zeit des
haushofmeisterlichen Palastes der bei
angestrengt, jede sich anbahnende Einigung Kalifen, der als erster Mherwed eroberte und
weitem am nachlässigsten geführte bei Hofe
zwischen dem Kalifat und dem Kaiserreich das damals einzige Bethaus des Rastullah in
ist. Maimud lebt ständig in Angst, etwas zu
zu hintertreiben: Die Schreckensvision eines einer Stadt des Mhanaditales stiftete.
versäumen und kümmert sich weit mehr um
Paktes, der seine Heimat zwischen Gareth Mit seinen unzähligen Türmchen, Erkern und
jene, die sich über seine Fehler beschweren
und Mherwed aufteilt, ist seine persönliche Kuppeldächern bietet das Gebäude schon
können, als um sich selbst.
fixe Idee geworden. von weitem einen prachtvollen Anblick, und
schnell sieht der Betrachter

99
hinweg über die Spuren der Al'Anfaner sen wenig später die Parfümhändler, von die wegkundigen Wüstenkenner werden
Besetzung: Hier und da sind noch denen es die Zuckerbäcker hören, damit es entlohnt und füllen die Schankstube, um ihr
Brandspuren zu erkennen, die von dem auch die Juweliere mitbekommen... Doch Geld sogleich in flüssigen Reichtum zu
vergeblichen Versuch der Boroni herrühren, man kann im Basar nicht nur leicht zu verwandeln.
das Bauwerk niederzubrennen. Im Inneren Neuigkeiten kommen - ebenso rasch
des Bethauses sieht man eine große Büste des verbreitet sich die Kunde, daß schon wieder
Rastullah, die vom jetzigen Kalifen gestiftet ein gerissener Beutelschneider einen Die Maultierzucht des Amul al-Hinnj
wurde. Sie folgt ganz der Beschreibung des Berühmt wurde Mherwed für seine ge-
ungeschickten Nordländer übertölpelt hat...
Gottes, wie sie in den Berichten über die nügsamen und ausdauernden Esel, die
Kefter Offenbarung erscheint und zeigt einen Mherwati, die man heutzutage wohl im
ansehnlichen Mann in der Blüte seiner Jahre, ganzen Land der Morgenröte finden kann. Die
dessen schimmernde Lockenpracht bis auf Chamallah-Karawanserei Aufzucht dieser Tiere macht kaum Probleme,
Die größte Karawanserei östlich der Khom denn ihre Fruchtbarkeit ist sprichwörtlich
seine Schultern fällt.
trägt den Namen des Kalifen, der Mherwed und die Futterkosten sind äußerst gering: Die
zu seiner Hauptstadt machte und damit über Tiere fressen beinahe alles.
alle Städte des Kalifats erhob. Erbaut wurde Anders ist das schon mit der Zucht von
die Karawanserei vor einigen Jahrzehnten von Maultieren: Die Sprößlinge von Eselhengst und
Basar Pferdestute haben fast die Größe der Mutter,
Inmitten des Mherweder Stadtgebietes liegt, Chamallahs Sohn Abu Dhelrumun, der auf aber die Ausdauer des Vaters, was sie zu sehr
dicht zusammen gedrängt, das Basarviertel: diese Weise der Nachwelt wenigstens eine begehrten Transport- und Reittieren macht.
Hier haben die Händler ihren Sitz, die Glanzleistung hinterließ, denn die aus Normalerweise aber sind Maultiere
Krämer und Geldwechsler, die Handwerker weißem Sandstein errichtete Anlage ist unfruchtbar... So ist es fürwahr eine
und Künstler der Stadt. Denn nach altem fürwahr ein Meisterstück der Baukunst. Besonderheit, daß der reiche Tierzüchter
Erlaß darf nur innerhalb der Mauern des Hohe Säulen tragen schattige Wandelgänge, Amul al-Hinnj offensichtlich ein Mittel
Basars Kleinhandel und Gewerbe betrieben die sich zum weiten Innenhof mit seinen kennt, durch das seine Maultierstuten munter
werden, darum haben die Handwerker sogar zahlreichen Brunnenbecken öffnen, wo Fohlen werfen, die ihm natürlich enorme
schon die oberen Stockwerken der Mensch und Tier ihren Durst löschen Gewinne bescheren und seinen Namen in
Lehmbauten bezogen, und manche Läden können. Dattelpalmen und Obstbäume ganz Südostaventurien bekannt gemacht
sind nur über Treppen oder Leitern zu spenden Schatten und saftige Früchte, von haben. Was Wunder, daß die Konkurrenten
erreichen. Im Basar haben sich die denen der Gast gerne zehrt, ehe er des nachts des Tulamiden vor Neid kaum schlafen
Gewerbetreibenden nach Berufen getrennt zur Ruhe geht in einem der vielen Zimmer können und alles versuchen, hinter sein
angesiedelt: So hat man die Konkurrenz gut für müde Reisende - während Esel, Pferd und Geheimnis zu kommen. Doch bisher hat
im Auge, der Kunde kann die Preise verglei- Kamel untergebracht sind in den geräumigen Amul al-Hinnj es noch gut hüten können,
chen und weiß sofort, wo er eine Ware zu Stallungen, die Tag und Nacht bewacht und er behauptet, daß seinen Neidern die
suchen hat. werden.
Kenntnis seiner Methoden auch nichts nützen
Neben Ladengeschäften und Ständen findet Doch der Innenhof dient nicht nur zum würde - das aber vermag nur wenige
man aber auch immer wieder kleine Ergötzen der Reisenden - hier werden auch abzuschrekken.
Gaststätten, in denen Tee, Wein und Saft die größeren Lieferungen sogleich aufgeteilt Heute verfügt der reiche Züchter über
feilgeboten wird hier treffen sich die und weiterverkauft, ehe sie ihren Weg finden mehrere Stallanlagen und Weiden rund um
Handwerker mit ihren Kunden zum kleinen zu den Krämern des Basars. Aus diesem ganz Mherwed - sein Wohnsitz ist aber
Plausch, wenn die Sonne gar zu heiß vom Grund herrscht nach der Ankunft einer weiterhin in der inneren Stadt, wo er auch
Himmel brennt und niemandem die Arbeit so Karawane immer reges Treiben im Garten seine besten Hengste und Stuten in einem
recht von der Hand gehen will. Dabei werden der Karawanserei: Kaufleute und
geschützen Garten vor Feinden abschirmt.
natürlich auch Neuigkeiten ausgetauscht, die Warenprüfer laufen hin und her,
dann in Windeseile die Runde machen: Was Karawanenführer feilschen mit Aufkäufern
eben noch Gespräch der Schmiede war, wis- um Zechinen und Maravedis,

Unau
Einwohner: 7800 senden Geistern der Toten, die dieser Triumph auf beiden
Garnisonen: 50 Truppen des Sultans ('Gelbherzen'), zudem Seiten gekostet hat.
sind fast alle Männer kriegsfähig Tempel: 3 801 v.H. wurde hier von den Klugen Kaisern eine Garnison
Bethäuser des Rastullah gegründet, um die Khom zu erschließen (man war damals
überzeugt, daß sich im Inneren der Wüste fruchtbarste Ge-
Bis heute ist Unau eigentlich die einzige echte novadische biete, vielleicht sogar eine heilige Stadt des Praios befän-
Stadt und damit - neben Keft - ein Zentrum ihrer Geschichte. den). Das erste, was die Soldaten jedoch fanden, war der
Insbesondere ist sie ein Symbol ihres unaufhörlichen Trium- Wurm von Unau, der die halbe Garnison ausrottete. Da sich
phes über die ungläubigen Mittelländer: Statt einem Trittstein die abergläubischen Tulamidischen Reiter weigerten, gegen
zur Eroberung der Khom wurde Unau zum Grundstein des das riesige Ungetüm vorzugehen, mußte der Kaiser Elite-
Kalifats. Der Cichanebi-Salzsee wimmelt von den tau- Truppen aus Perricum schicken, die den Wurm schließlich

100
stellten und in einer regelrechten Schlacht töteten. von Gärten und Hainen mit eigens gepflanzten Palmen und
Erst zwei Jahrhunderte später versuchten die Priesterkaiser Mandelbäumen umgeben sind.
erneut, die Khom zu erobern. Der Ausgang war fatal: In der
Ersten Schlacht am Cichanebi-See wurden 1000 Tempelwa- Jenseits des Kreises, der anzeigt, wie weit das Wasser der
chen von den Wüstenreitern in die Salzschlünde des Cichanebi Feggagir aus den Unauer Bergen geschöpft und getragen
getrieben. werden kann, beginnt die gnadenlose Khom: Im Südosten
Auch in der folgenden Zeit endeten kleinere Vorstöße der ockerfarbene Geröllwüste, die sich bis zu den Unauer Bergen
Mittelländer meist blutig für beide Seiten. 229 v.H. wurde in hinzieht; im Norden der feine gelbe Sand der `echten' Khom;
Unau die Wüstenlegion gegründet: Nordländer ersetzten die und im Westen die mörderische, weiß glitzernde Salzwüste,
Söldner aus der Khom und der übrigen Region, denen man der niemand ansieht, wo sie wirklich in den Salzsee übergeht.
nach Rastullahs Erscheinen nicht mehr traute. Der nivesische Selbst bei Tage meint man die Rufe der verlorenen Seelen zu
Oberst Erm Sen erlangte Berühmtheit, spätestens als er sich hören und jene Wüstengeister huschen zu sehen, die wie
223 v.H. im Zuge einer Strafexpedition mit dem Kamel-Korps andernorts Irrlichter oder Seeteufel aus dem Aufein-
durch die Khom kämpfte - und die Novadis zu ihrem andertreffen der Elemente entstehen.
Ausbruch aus der Khom provozierte.
Zwar eroberte die Unauer Wüstenlegion Keft, aber Unau Aber inmitten dieser Öde ist tatsächlich Leben: Unau ist die
seinerseits wurde von dem zurückeilenden Malkillah erobert. größte Oase der Khom! Die 7800 Unauer der letzten Volks-
Schließlich wurde vor Unau die gesamte Wüstenlegion zählung sind jedoch ein Höchstwert. Während der
vernichtet - wieder wurde eine gesamte Armee von den Trockenzeit leben hier viel weniger: Ein Großteil der ärmeren
schweigenden Tiefen des Sees verschlungen. Bevölkerung sind halb-nomadische Hirten, die nur während
Die Mittelländer hatten genug Tote erlitten, aber um Unau der Regenzeiten zur Bestellung der Felder da sind.
wurde weiter gekämpft. Ein Kalif nach dem anderen starb Einen wesentlichen Anteil machen auch die Händler aus:
durch seinen Nachfolger, noch viel mehr Thronräuber schei- Über Unau verläuft die einzige Landverbindung der beiden
terten bei ihren Versuchen - und stets kamen ihre fanatisch tulamidischen Kornkammern, dem Balash und dem Szinto-
kämpfenden Gefolgsleute in Massen ums Leben. Tal. Auch die Karawanenstraße nach Keft und Terekh ist
Auch bei der jüngsten Erstürmung Unaus durch die Truppen bedeutend, wo man auf die Hauptstrecken in ost-westlicher
Al'Anfas mehrten sich die Reihen der Geister von Unau: 50 Richtung trifft.
Gelbherzen - zuvor unter dem Thronräuber Abu Tarfidem in Gehandelt wird mit Reis von Mhanadi und Szinto, Rosenholz
Verruf geraten - hielten mit 100 weiteren Kriegern der Beni aus den Eternen, Mohagoni aus dem Süden und Sklaven aus
Khibera die Festung heldenhaft zwei Tage lang, ehe sie von den Nachbargebieten der Khom und aus dem Regenwald;
der vieltausendfachen Übermacht niedergemacht wurden. besonders aber mit jenen Gütern, für die Unau bekannt ist:
Der Salzsee ist neben den Salzsiedereien des Lieblichen
Hinter so vielen Märchen von Opfermut und heldenhaftem Feldes und den Bergwerken der Zwerge die wichtigste Quelle
Tod muß eine wirklich existierende Stadt einfach verblassen. Aventuriens. Das Porzellan wurde in Unau wegen seiner
Selbst bis ins ferne Vinsalt ist das Bild einer Stadt der Helden Resistenz gegen alchimistische Stoffe erfunden und ist bis
gedrungen, hundertfach überzeichnet in der pompösen Oper heute eher auf den tulamidischen Bereich beschränkt. Unau ist
`Der Kalif von Unau'. die Hauptstadt des Shadif, und praktisch alle echten Shadif
Der Fremde wie der Gottgefällige muß einfach enttäuscht sein, (im Gegensatz zu den Tulamiden Mhanadistans und den
wenn er die Stadt im Shadif am Südostrand der Khom zum Goldfelsern) werden hier zum ersten Mal verkauft. Ingrim, ein
ersten Mal sieht. Auf einem der halbverwitterten Felsplateaus herbes Gewürz, und Mandeln kommen fast nur in den Unauer
der Khom, einem Ausläufer der nahen Unauer Berge, liegt die Bergen vor, für Tee sind diese - wenn auch auf der
Oberstadt, im Osten durch 15 Schritt Steilwand geschützt, thalusischen Seite - das Hauptanbaugebiet. Auch der starke,
während die übrige Stadt zum Seeufer nach Westen hin leicht süße Dattelwein der Gegend ist bekannt.
abfällt. Die meisten Händler sind Novadis, den Löwenanteil kontrol-
Auch die Unterstadt ist von einer fünf Schritt hohen weißen lieren die neun oberen Familien Unaus. Ungläubige sieht man
Mauer umgeben. Ringsherum erstrecken sich die Baracken der in der Stadt ungern, manch ein Sultan hat ihre Einreise
Ärmsten und während der Regenzeit karge Felder und ein überhaupt verboten; vor allem die Bornländischen Krämer aus
unübersehbarer Wald von Zelten. Echte Bäume gibt es fast nur Kannemünde gelten als Inbegriff der gefühllosen, heidnischen
innerhalb der Mauern, wo die Paläste der neun Familien Unterdrücker.

AI'Shabaoth Wesir Jikhbar ibn Tamrikat ist ein treuer die Mauer aus dem hellen Sandstein der
Zwischen den Palästen der Oberstadt sticht Diener seines Herren, nach mehreren Jahren Unauer Berge durchbrochen ist. Die
einer besonders hervor: Al'Shabaoth, die Kerkerhaft unter Mustafas Vorgänger und Gelbherzen haben ihren Namen vom
Residenz der Kalifen bis vor etwa 40 Jahren. unter den Al'Anfanern aber ein harter und traditionellen Symbol Unaus, dem ge-
Heute dient sie als Palast des Sultans, ist aber schweigsamer Mann. spaltenen Schädel eines Echsenmenschen;
meist verwaist: Sultan Mustafa weilt fast ehemals ein Schimpfwort, wird er heute sehr
immer in Mherwed, und da er (derzeit noch) respektvoll benutzt. Die Gelbherzen sind
der letzte seiner Familie ist, wird der Palast Garnison der Gelbherzen meist Angehörige der Stämme des Shadif
nur von seinem Wesir, einer ehemaligen An der Westseite der Oberstadt bewacht die und werden größtenteils von Mitgliedern der
Konkubine und zwei Dutzend Sklaven Garde des Sultans die zwei Zugänge über den neun oberen Familien kommandiert.
bewohnt. Rastullahtempel und die `Pforte der Waren',
die einzigen Steilen, wo

101
Paläste Hirten; wer hier Wasser schöpfen will, Mawdlis reichlich gemäßigt wirken. Die
Im Wesentlichen wird die Oberstadt von muß meist fast eine Stunde warten. Die Kasimiten legen ihre Schleier niemals
den Palästen der neun Familien einge- Feggagir sind teils unterirdische Was- ab, heiraten nur untereinander und leh-
nommen, die die Stadt beherrschen. Einer serkanäle, die bis in die Unauer Berge nen f a s a l l e Güter ab, die nicht aus der
davon ist der Sultanspalast, aber auch führen, wo die thalusischen Winde Khom stammen, ihr ansehnlicher Tem-
die anderen sind eines tulamidischen abregnen. Kein Unauer wird das pelschatz umfaßt eine Kupferplatte mit
Fürsten würdig. Die Gebäude bestehen zugeben, aber ohne die von den Rastullahs Fußabdruck ("Der
aus dem Sandstein der nahen Berge; mittelländischen Eindringlingen gebaute Gottgefällige ist nicht würdig, auch nur
während die Palastwände mit weißen Wasserleitung könnte Unau nicht ein Haar von Rastullahs Leib
Kalkplatten verkleidet und die Kuppeln existieren. Vielleicht gelten die anzubeten.") und das 1300 Jahre alte
mit Quarzsand besetzt sind, erscheinen unterirdischen Anlagen deswegen als Original des von den Philosophen
die Türme im natürlichen Ocker. Die üp- verflucht und werden von jedem Aventuriens hochgeschätzte Werkes
pigen Gartenanlagen sind mit fruchtba- Gottgefälligen gemieden. "Die sieben Wahrheiten des
rem Schlamm aus dem Balash menschlichen Geistes".
aufgeschüttet und mit Mandel-, Öl- und Funduq
Obstbäumen bepflanzt; alle werden Wie in jeder Oase liegt auch in Unau eine Tor der Eroberer
jeweils durch eine eigene Foggara große Karawanserei im Stadtzentrum. Dieses zweiflügelige Portal aus
bewässert. Die neun Familien haben bei Allerdings ist dieser Funduq der größte massivem Zedernholz, zuweilen auch
der Salbung eines neuen Sultans seiner Art, mit einem eigenen Basar in Kannemünder Tor genannt, ist der
abzustimmen und stellen so wichtige der Mitte und sogar einer kargen Weide südliche Zugang zur mauerumwehrten
Amter wie das des Wesir-el-Bir, der für für die Kamele und Shadifs. Im Hof steht Stadt. Die Einlegearbeiten des Tores
die Trinkwasserversorgung eine der typischen Unauer Zisternen, in zeigen Szenen aus dem Leben des
verantwortlich ist, oder des denen das Regenwasser gesammelt und Kalifen Omar, sind allerdings durch
Kommandanten der Gelbherzen. Die mit einem Klappdeckel gegen Verdun- zahlreiche Kämpfe und Erneuerungen
Abwesenheit des regierenden Sultans stung und Staub geschützt wird. des Torholzes schwer in Mitleidenschaft
führt bei diesen Mächtigen zu Schlafräume und Stallungen sind fast gezogen. Das Tor wird zwar immer von
allgemeinem Unmut, und es mag sein, immer voll mit Kaufleuten aus allen einem Krieger bewacht, jedoch nur in
daß bald eine neue Palastrevolte ansteht Teilen des Kalifates. Hier gibt es auch Kriegszeiten geschlossen.
- zumindest wäre dies die erste, die nicht eine Schmiede, in der man sowohl
innerhalb der Familie des Monarchen seinen frisch erworbenen Shadif Salzlagerhäuser
ausgetragen wird. beschlagen als auch seinen neuen Sklaven Am westlichen Rand der Stadt,
mit Armreifen aus Kupfer oder Messing außerhalb der Mauern, liegen die
ausstatten lassen kann. Der Besitzer des Lagerhäuser in der Bauweise eines
Erster Rastullahtempel Funduq, Hairan Ahmed ben Jedrech, Funduq, in denen die Salzhacker die
Das Bethaus der Kalifen war bis zur gehört nach den Oberen zu den Produkte des Sees lagern, ehe sie über
Übersiedelung nach Mherwed der größte wichtigsten Männern Unaus. den ganzen Kontinent verkauft werden.
Tempel des Rastullah. Auch heute wirkt Q:5 P:7 B:13 A:- Schlafplätze:10 Die Salzgewinnung wird von einigen
das Gebäude mit seinen sandsteinernen wenigen Sippen geradezu kastenartig
Mauern und den massiven kontrolliert: Sie haben ihre Privilegien
Zedernstämme, die das Vordach und im und Pflichten der Stadt gegenüber und
Schänke "Der Lotusgarten" hüten beiderlei eifersüchtig und
Inneren die Decke tragen, noch Diese Gaststätte ist eine der wenigen
ehrfurchtgebietend. Trotzdem steht das traditionsbewußt. Die Besten unter
von Novadis geführte, die nicht zu einer ihnen gehören der Bruderschaft der
Haus nur den neun Familien und Karawanserei gehört. Zwarwird hier gegen
wenigen Auserwählten der Unterstadt Salzgänger an, die mit geradezu
Geld der berühmte Blaue Punsch, ein elfischer Sicherheit Wege über den
zur Verfügung. Da der Tempel zudem Gemisch aus maraskanischem Rum, Tee
den üblichen Zugang zur Oberstadt Salzsee finden können und an ihren Ri-
und Zucker, ausgeschenkt, aber sonst tualnarben im Gesicht erkennbar sind.
bildet, wird er ständig von einigen erinnert das Lokal wenig an eine mittel-
Gelbherzen bewacht. Der Hohe Mawdli ländische Taverne. Fremde werden sich
Unaus Abidalluh ibn Hamadi, selbst Brennerhäuser
eher unwohl fühlen. Zudem haben sich
Angehöriger der Oberen, verwaltet Im Norden Unaus erstreckt sich ein ganzes
die fremdenfeindlichen Unauer darauf
diesen Tempel mit dem heiligen Viertel von niedrigen Lehmbauten und
spezialisiert, Ungläubige zu berauschen
Standbild, das Rastullahs Augen zeigt. Der Zelten, in denen die Alchimisten, Glas-
und auszurauben. Eine Anzeige bei den
größte Schatz des Tempels, Rastullahs gießer und -bläser und Porzellanbrenner
Gelbherzen verspricht natürlich wenig
Antlitz, wurde natürlich von Chamallah tätig sind.
Erfolg: Die können nämlich auch keine
nach Mherwed mitgenommen. Unter den Novadis, die ja Magier und
Ungläubigen leiden...
Zauberkundige eher ablehnen, sind
Q:5 P:5 B:7 A:- Schlafplätze:-
diese Gelehrten und Handwerker
Hain der Gnade
sicherlich so etwas wie zauberkundige
Auf halbem Weg zwischen der Oberstadt
Weise. Noch unter tulamidischem Einfluß
und dem Funduq, dem Zentrum der Bethaus der Kasimiten wurde Unau zu einem Zentrum der
Unterstadt, liegt der Hain aus Man- Dieses Bethaus wurde vor etwa 120
Glasproduktion, und später wurde hier -
delbäumen und Dattelpalmen, in dem der Jahren von Mawdli Kasim ben Ilram
fast irrtümlich - das Porzellan erfunden.
einzige öffentliche Brunnen aus einer gestiftet, einem der schärfsten Gegner
Neben dem wertvollen Geschirr, das vor
Foggara gespeist wird. Hier herrscht ein der Unauer Seine Nachfahren und Jün-
allem von reichen Novadis geschätzt
ständiges Kommen und Gehen der Bau- ger, die Kasimiten, bilden heute eine or -
wird, weil es Gottgefälligkeit mit Luxus
ern, Weiber, Wasserträger, Sklaven und thodoxe Sekte, neben der selbst die
verbinden läßt,
Kefter

102
ist Glasschmuck das wichtigste Gut der sich mit ihren Sultanen in der größten den Ruinen den Klang eines riesigen
Brennerhäuser. Zulquh aller Zeiten zu Blutsbrüdern novadischen Festes vernehmen kann, das
erklärte. Am 25.Firun findet hier ein schließlich im Wehklagen einer ein-
großes Kamelrennen statt, und auch samen Seele endet.
Fischerstadt
sonst tragen hier manche Reiter
Im Südwesten Unaus erstrecken sich die
Wettkämpfe aus, die sich in der Taverne
Elendsviertel, natürlich ebenfalls Djer AI'Melachim
"Die Peitsche" ergeben haben.
außerhalb der schützenden Mauern. Die Im Osten Unaus, durch einige hundert
Regelmäßig in jedem Gottesnamen
brüchigen Lehmbauten, Zelte und Schritt Geröllwüste getrennt, liegt die
findet hier ein Pferde- und Sklavenmarkt
Palmwedelbauten werden von den Ruine der kaiserlichen Zwingfeste, die
statt, auf dem frisch gefangene
Bewohnern innerhalb der Mauern als dort 600 Jahre stand, ehe sie von Malkil-
Wildpferde aus dem Shadif ebenso wie
Fischerstadt bezeichnet. Dieser lah erobert und geschleift wurde. Auch
die Opfer der Karawanenüberfälle der
beleidigende Name für das heute noch kann man die Reste einer
letzten Zeit verkauft werden.
Armenviertel beruht auf der Un- typischen alten Festung aus der Zeit der
Übrigens ist Quad AI'Zulquh der einzige
terstellung, daß die Bewohner aus Armut Klugen Kaiser erkennen, mit vierecki-
Ort außerhalb der Mauern Unaus, wo
Fisch ässen (strenggläubige Novadis gem Grundriß, Ecktürmen und innerem
zuverlässig keine Geister umgehen.
dürfen nichts essen, was aus dem Was- Wehrbau. Nichts davon erhebt sich
ser kommt). Dieser Stadtteil ist aber jedoch noch höher als einen halben
trotzdem nicht mit den verwahrlosten Schritt. Da und dort kann man auch die
Vierteln einer tulamidischen oder Djer-es-Sahiri unterirdischen Feggagir erkennen, die
mittelländischen Großstadt zu Auf einem eigenen Felssockel am Ost- von den Bergen durch die Festung bis
vergleichen: Auch bei den armen rand des Quad AI'Zulquh, Djer-es-Sahiri nach Unau verlaufen. Natürlich spuken
Novadis bestehen noch die sozialen genannt, liegt der halbverfallene Palast auch in diesen Ruinen die Seelen der
Bindungen der Khom-Nomaden; sie sind des unglückseligen Kalifen Sahir-Ilram. unglückseligen tulamidischen Reiter, die
arm, aber keineswegs Der genußsüchtige Kalif ließ hier eine Art von ihrem ehemaligen Gefährten,
heruntergekommen. Lustschloß errichten, an dem er sich aber Rittmeister Malkillah ibn Hairadan,
nicht lange freuen konnte. Als sein verraten und getötet wurden. Mag die
Quad AI'Zulquh
Im Norden der Stadt liegt Quad AI'Zul- Bruders Abu Marwan Unau eroberte, Ansicht der Verlierer in Aventurien sonst
quh, das Feld der Verbrüderung, wo der beging Sahir-liram hier mit allen Sklaven unmaßgeblich sein - in Unau kehren sie
erste Kalif Malkillah alle seine Mitstreiter und Freunden Selbstmord. Die Märchen immer wieder zurück, um ihr Leid zu
formell zu Novadis ernannte, indem er erzählen, daß man noch heute zwischen klagen..

Keft - Heimat der Novadis


Einwohner: 1200 (und zusätzlich immer ca. 500 bis 700 in späteren Zeiten als "un-novadisch" größtenteils wieder
Pilger) niedergerissen.
Garnisonen: 150 Gardisten des Kalifen, 20 Tempelgardisten Die äußere Schönheit Kefts ist es also keineswegs, die jedes
Tempel: Rastullah Jahr zahlreiche Pilger anlockt - es ist der geweihte Boden, auf
dem sie stehen wollen, der Boden, über den einst Rastullah
selbst schritt. So ist auch nicht ungewöhnlich, daß sich das
Vor dreihundert Jahren war Keft wenig mehr als ein Haufen ansehnlichste Bauwerk Kefts am Ort der göttlichen Erschei-
niedriger Lehmhütten, die sich um das einzige Wasserloch nung befindet: Der Handelsherr Jala ibn Hiachmjani stiftete
der Oase drängten; Heim des kleinen Wüstenstammes der vor siebzig Jahren den großen Gebetsplatz, der an eine Arena
Beni Novad. erinnert, wie der Weitgereiste sie wohl im Lieblichen Feld
Vor genau 250 Jahren allerdings geschah hier etwas, das den oder in Fasar gesehen haben mag. Inmitten eines Ringes von
Namen dieses Stammes und seiner Heimatoase hinaustrug in treppenartig ansteigenden Sitzplätzen erhebt sich das aus
alle Welt: Gerade den von allen Menschen und Göttern weißem Marmor geschaffene Abbild eines novadischen Zeltes :
vergessenen Novadis offenbarte sich Rastullah, Herr und des Zeltes, in dem damals Rastullah erschienen ist.
Schöpfer all dessen, das existiert. Daß sich zwischen den Sitzplätzen eine hervorgehobene
Unter seinem Banner scharten die Novadis die übrigen Empore für den Kalifen befindet, falls dieser einmal in Keft
Wüstenstämme um sich und begannen einen Siegeszug, der weilt, findet nicht nur Zustimmung: Denn in Keft steht man
trotz einiger Rückschläge bis heute unvermindert anhält. Die dem Kalifenamt mit größerer Skepsis gegenüber als sonst an
meisten Kefter sind der festen Überzeugung, daß jede einem Ort im Kalifat, und so kommt es nicht selten zu einem
Veränderung von übel ist. Hätte Rastullah Städter als Diener Handgemenge zwischen den Pilgern und Einheimischen.
gewollt, wäre er damals doch in einer Stadt erschienen, lautet Doch auch untereinander sind die Pilger keineswegs unbe-
ein beliebtes Argument derjenigen, die auf der Beibehaltung dingt friedlich: Wenn sie die Zeit in der engen Karawanserei
der alten Lebensweise beharren. So findet man in Keft auch verbringen, werden die Nerven der Wüstensöhne arg strapa-
heute noch nur wenig Bauten, die aus anderem Material ziert. Schnell flammen alte Stammesfehden wieder auf,
ausgeführt sind als aus Lehmziegeln, und kaum ein Haus hat Unterschiede der Gesetztesauslegung führen zu blutigen
mehr als ein Geschoß. Kein Kuppeldach, kein Zwiebelturm Gefechten, manchmal gehen die heißblütigen Pilger sogar
erhebt sich über diese flachen Lehmhäuser, selbst die ohne erkennbaren Anlaß aufeinander los. Wahrlich, die
Stadtmauer, mit der die frühen Kalifen Keft versahen, wurde Soldaten des Kalifen haben allerhand zu tun, um das Ausbre-

103
chen allgemeiner Stammeskriege zu unterbinden. Einwohnern Kefts feststellen: Tatsächlich sind es meistens
Scharf abgegrenzt vom Viertel der Pilger mit seinen die "Fremden", die Herbergen und Karawansereien führen
Herbergen und Karawansereien liegt das Gebiet, in dem die oder Handel und Gewerbe treiben (auch wenn die letzten
wirklich Fremden die Urgroßeltern aus der Nachbaroase
Rechtschule ihren Platz hat: Hier, bei den Häusern der alten waren) - die Nachkommen der Äcker Kefter Sippen bestellen
Familien Kefts, lehren und arbeiten die Mawdliyat, deren auch heute noch die kargen Acker oder wandern mit den
Kennzeichen die besonders strenge Auslegung aller Gebote Schafen und Ziegen umher wie ihre Vorväter und kümmern
ist. Unter der Führung des alten Ruhollah Moswi al-Hendi sich kaum darum, daß ihre Oase zum Ziel von Gläubigen aus
predigen manche den unaufhörlichen Krieg gegen alle Göt- d e m ganzen Land der Morgenröte geworden ist.
zendiener, bis die Zwölfgötter aus Aventurien getilgt sind: Fast hat man das Gefühl, die Zeit sei stehengeblieben in Keft
Lehren, die bei vielen Wüstensöhnen auf fruchtbaren Boden und die Menschen noch die gleichen wie vor urdenklicher
fallen. Zeit - nur die Götter haben sich gewandelt...
Eine ähnliche Zweiteilung kann man im übrigen auch bei den

Thalusa
Einwohner: 3500 Einwohner ner, die aufgrund des Städtebundes mit Khunchom hier
Garnisonen: 250 Thalusimer, 50 Khunchomer, (300 Löwen stationiert sind, und die Absolventen der thalusischen Kriege-
von Thalusa) rakademie `Ehre und Stahl', an der die Söhne der Reichen
Tempel: Rastullah, Praios, Efferd ihre Standesdünkel noch weiter aufpolieren können.
Doch dies ist keineswegs alles, das für die Sicherheit der
Im breiten Tal des Thalusim mit seinen Reisfeldern und Reichen getan wird: Fürst Ras Kasan ist für seinen Verfol-
Sümpfen liegt Thalusa, die Stadt, "wo Sonne und Wasser gungswahn bekannt, aber er befindet sich in Thalusien in
Hochzeit halten", wie ein örtliches Sprichwort sagt. Über- guter Gesellschaft. Emir Savak al-Mossad, Hafenmeister und
haupt ist Thalusa eine Stadt eigenartiger Gegensätze: Einer- Kommandant der Thalusimer, ist ebenso voll beschäftigt wie
seits haben sich gerade hier viele der ältesten tulamidischen Dolguruk, der schwarz maskierte Henker, der allein den
Traditionen erhalten, andererseits ist der Einfluß der Mittel- `Tausendjährigen Zweihänder' benutzen darf. Besonders
länder und in jüngster Zeit der Novadis enorm. häufig werden Fremde verhaftet, sofern es nicht Händler mit
Die Stadt wurde schon von Kaiser Silem-Horas erobert, und direkten Verbindungen oder Bewaffnete sind, die sich direkt
von hier aus brach die Flotte nach Khunchom auf, die dem bei den `Löwen' bewerben wollen. Die verhafteten und damit
Diamantenen Sultanat den Todesstoß versetzte. Lange Zeit meist schon verurteilten Übeltäter kann man im `Loch', einem
war Thalusa Hauptstadt einer der zwei tulamidischen Her- Schaukerker vor dem Fürstenpalast, besichtigen.
zogtümer. Seit Fürst Ras Kasan vor fast 40 Jahren zum Der Hafen Thalusas scheint dennoch gut besucht. Meist
Rastullahglauben übergetreten ist, hält auch das Novadische liegen hier ein Dutzend größere Schiffe, in erster Linie alte
immer mehr Einzug. Trotz all der neuen Elemente hat sich drachenflügelige Zedrakken, aber auch dreimastige Perlen-
jedoch nichts an dem eigentümlichen Hauch stolzer Rück- meer-Karavellen. In Wirklichkeit sind nur drei bis vier dieser
ständigkeit und barbarischer Traditionsbewußtseins geändert, Schiffe seetüchtig; die meisten Zedrakken werden als Wohn-
der der ganzen Stadt anhaftet. stätten verwendet. Die fürstliche Kriegsflotte, erkennbar an
Das Neujahrsfest der Sommersonnenwende, der 1.Praios, den Flaggen mit dem schwarzen oder blauen Bullenkopf auf
wird hier recht urtümlich gefeiert; manch vornehmer Gast aus weißem Grund, umfaßt zwar einige pompöse Zedrakken,
Gareth mußte noch bis vor wenigen Jahren schockiert erleben, läuft aber so gut wie nie aus. Dabei hausen in den Sümpfen
daß man dem Sonnengott einen Sklaven opferte. Die und Inselchen zwischen Thalusa und Selem unzählige Pira-
Schlachtung etlicher Stiere, Wappentiere der Stadt, ist auch ten. Aber die Schiffe der wirklichen Reichen, der Thaluser,
heute noch Statussymbol der reichsten Familien. Der Tag des Festumer oder der Fürstlich Aranische Handelscompagnie,
Wasser am 1.Efferd ist vielleicht das höchste Fest Thalusas. fahren ohnehin mit genügend Geleitschutz.
Es wird ähnlich wie in Perricum begangen, wenn der Meister Kein Wunder, daß jeder Thaluser fast alles versucht, um zu
des Flußes den Thalusim und die Reisfelder segnet und jenen Reichen aufzusteigen. Die Beamten betrachten es als
Taucher und Fischer im Meer Spiele veranstalten. Auch bei ihr Recht, sich für jede Tätigkeit bestechen zu lassen. Selbst
diesem Fest ist es Bemühen der Reichen, durch verschwen- die Priester erhalten hier Geschenke, ehe sie eine Hochzeit
derische Opfer, die von Zedrakken ins Meer geworfen oder Schiffsweihe durchführen.
werden, ihren Glauben wie ihren Reichtum zu beweisen. Den Großteil der Stadt bewohnen aber jene, die kein so
Denn in Thalusa zählen nur die Reichen, allen voran Fürst einträgliches Amt haben und sich auch nicht leisten könnten,
Ras Kasan. Mit ihrer prunkvollen Kleidung, kurzer Hose und einen solchen Beamten zu bezahlen. Sie leben von einer
langen Wickelkleidern mit Stehkragen, wirken sie wie exo- Handvoll Reis und einer Schale dünner Fischsuppe am Tag;
tische Vögel, besonders im Vergleich zu den zerlumpten die strenggläubigen Novadis dürfen noch nicht einmal den
Reisbauern, die ihren Reichtum begründen. Darum ist auch Fisch essen. Die Selemferkel, die mitten in der Stadt im
ein jeder von ihnen ständig von seinen Leibwachen umgeben. Schlamm der Straßen wühlen, sind oft Gemeinschaftsbesitz
Die berühmten Löwen von Thalusa stellen kleine Söld- ganzer Sippen, und auch sie landen öfter auf den Altären als
nertrupps für die Gutsherren der Stadt und der Umgebung. im Magen der Thaluser, denn selbst die Ärmsten versuchen
Die offizielle Stadtgarde sind die Thalusimer, die ihre weiß- durch üppige Opfergaben, ihren Nachbarn gegenüber ihr
blaue Uniform vom Stadtwappen und nicht von dem Fluß Gesicht zu wahren und vor allem die Gunst ihrer drei grim-
haben, nach dem sie benannt sind. Dazu kommen die Söld- migen Götter Rastullah, Praios und Efferd zu gewinnen.

104
Anhang: Neue Heldentypen, Tiere

Der Tulamide Der Tulamide im Spiel:


Wenn ihr Held mit Mittelländern zu tun, lassen Sie ihn
Einen Heldentyp namens "Tulamide" gibt es ebensowenig zuweilen die höfliche Verachtung hervorkehren, die typisch
wie den "Mittelreicher" - dazu ist die Kultur der Tulamiden für von Barbaren unterworfene Hochkulturen ist. Scherzhaft
zu facettenreich. Es ist jedoch ohne Probleme möglich, einige ausgedrückt: "Wir haben schon mehr über die feine Lebensart
der bereits bestehenden Heldentypen auf tulamidische vergessen, als ihr je wissen werdet."
Herkunft umzuarbeiten - es sind lediglich geringe Verände- Bedenken Sie auch, daß Tulamiden (von ganz wenigen
rungen der Ausgangstalentwerte notwendig. Ausnahmen abgesehen) überzeugte Vertreter der Sklaverei
sind - sicherlich Gelegenheit für reizvolle rollenspielerische
Die Heldentypen im einzelnen: Darstellung. "...aber den Wilden geht es doch bei uns viel
besser als im Urwald." "Noch immer menschlicher, als jemand
Der Gaukler paßt ausgezeichnet zu den Tulamiden - im - wie sie's im Lieblichen Feld machen - im Kerker verrotten zu
Reich des Kalifen hat man große Freude an den Darbietun- lassen!
gen der geschickten Mitglieder des fahrenden Volkes, und
Kartenlesen, Schlangenbändigen und Feuertänze sind
beliebte Unterhaltung für Groß und Klein. Das Äußere des Tulamiden:
Der Händler ist der tulamidische Heldentyp - fast jeder
Tulamide hat gesunden Geschäftsgeist und handelt gern - in Größe: 1,56m +2W20 (158 - 196 cm)
jeder Bedeutung: Spielen Sie einen tulamidischen Kaufmann
mit besonderem Unternehmungsgeist und Drang nach dem
Unbekannten. Haarfarbe:
Der Krieger ist im Land der Tulamiden eher ein kühner und
wagemutiger Schwertfechter als ein vorsichtiger und taktisch W20:
versierter Stratege - deshalb sollten sie besonderen Wert auf
die Steigerung der AT-Werte legen. 1-17: schwarz
Der Streuner hat bei den Tulamiden die Grenze zum Dieb 18: braun
schon beinahe überschritten - doch er ist der dreiste und freche 19: blond
Taschendieb und Beutelschneider, kein eiskalt planender 20: rot
Verbrecher. Dementsprechend ist sein Wesen auch sehr offen
und weniger heimlichtuerisch, als man erwarten könnte. (Für Schelme bitte herkömmliche Tabelle verwenden)
Der Magier tulamidischer Herkunft hat seine Ausbildung fast
immer auf einer einheimischen Akademie absolviert und ist
damit auf die Klassen Zauberer (Khunchom), Beschwörer
Modifikationen der Talentwerte:
(Rashdul) oder Beherrscher (Fasar) festgelegt.
Die folgende Tabelle zeigt, wie die tulamidische Herkunft die
Weiße Magier sind unter den Tulamiden selten - die meisten
Talente eines Helden beeinflußt.
sind grau gesinnt mit Hang zum Individualismus.
Achtung! Bei den Zahlen handelt es sich nicht um
Der Schelm mit seinen roten Haaren gilt bei Tulamiden als
Talentwerte, sondern um herkunftstypische Boni und Mali, die
echtes Glückskind - und so sieht er sich auch selbst. Und wie
mit den Ausgangswerten des gewünschten Heldentyps zu
das Glück ist auch er unstet und kaum in der Lage, länger an
verrechnen sind.
einem Ort zu verweilen - immer strebt er nach Neuem.
Die tulamidische Hexe unterscheidet sich kaum von ihren
nördlichen Schwestern. Es heißt, sie sei noch hübscher als Kampf:
jene, aber das ist sicher Geschmacksache. Als Vertrauten Boxen-2, Ringen +2, Hruruzat +1, Äxte -2
bevorzugt sie den aranischen Kater. Natur:
Der Druide ist unter den Tulamiden sehr selten - rollenge- Fischen/Angeln -1, Tierkunde -1, Wettervorhersage -3
recht gespielt, müßte er daher ein derartiger Außenseiter sein, Körperbeherrschung:
daß wir von seiner Verwendung abraten. Fliegen +2, Klettern -1, Reiten +1, Schwimmen -1
Gesellschaft:
Die Geweihten schließlich zeigen zum Teil sehr deutliche
Abrichten +2, Alchimie +1, Bergbau -2, Betören +1, Fahrzeug
Unterschiede zu ihrem Idealbild: lenken -2, Holzbearbeitung -1, Mechanik-2, Prophezeien +1,
Während die streng hierarchischen Kulte wie die von Praios Rüstungsbau -1, Zwergennase -1
und Rondra kaum Probleme haben, blühen bei anderen oft Optionale:
Ideen, die andernorts als Ketzerei verfolgt würden. Selbstbeherrschung -2, Geschichte +1, Sternkunde +1, Lede-
rarbeiten -1, Etikette +1, Alte Sprachen +1

105
Die Tänzerin (Sharisad)

Bei den Tulamiden gehört der Auftritt einer guten Sharisad Waffe greifen. Aber sie ist keine Kriegerin, und wenn die
zum Repertoire einer jeden Feier und jedes festlichen Ereig- Situation es erlaubt, wird sie ihren Charme einsetzen, um
nisses - und anders als die oft etwas anrüchigen Amüsierda- einen Kampf zu vermeiden.
men des Mittelreichs ist die Tänzerin höchst angesehen: Man Etwa ein Zehntel der tulamidischen Tänzerinnen besitzt ar-
schätzt ihre Schönheit und Eleganz, aber auch ihre Intelli- kane Kräfte. Wenn Sie die magische Veranlagung auswürfeln
genz und Begabung zu geistvollen Gesprächen. wollen, dann wäre bei 1- 18 auf dem W20 Ihre Heldin eine
Ihre Fähigkeiten sind weitgespannt: eine gute Sharisad "ganz normale" Tänzerin, bei 19 - 20 wäre sie eine
beherrscht Säbel-, Schlangen- und Schleiertanz ebenso wie magiebegabte Tänzerin, und beherrschte als solche die sieben
das Vortragen alter Helden- und Liebeslieder, das Führen magischen Tänze.
geistreicher Gespräche und die ungeschriebenen Regeln der Für alle Tänzerinnen gilt: Eine erststufige Tänzerin (16 - 18
Festkultur wie die Künste der Schönheit und ihrer kunstvol- Jahre alt) ist einige Jahre in die Lehre gegangen und
len Hervorhebung durch Kleidung, Schmuck und Kosmetik. beherrscht alle tulamidischen Frauentänze; sie hat schon vor
Dementsprechend ist die Ausbildung fürwahr nicht einfach: Publikum getanzt und ein wenig eigenes Geld verdient. Nach
sie beginnt schon im zarten Kindesalter, wenn eine erfahrene novadischem Maßstab hat sie die vierte Stufe der Vollendung
Tänzerin ein junges Mädchen als Schülerin kauft oder bei erreicht.
sich aufnimmt. Die besten Schülerinnen bringen es nach der
Lehrzeit allerdings auch oft bis zur
angesehen und reich belohnten Unter- Die Tänzerin bei Spielbeginn
halterin von Sultanen und Kalifen.
Doch auch die nicht ganz so berühmten Voraussetzungen:
Tänzerinnen werden mit dem Respekt CHARISMA: 13
behandelt, den ein Tulamide einem GESCHICKLICHKEIT: 12
Künstler entgegenbringt: Eine Tänzerin GOLDGIER: mindestens 4
besitzt weit mehr Handlungsfreiheit und
Selbstständigkeit als eine Ehefrau im
Serail. Ähnliches gilt für die
novadischen Tänzerinnen. Zwar Herkunft, Vermögen:
genießen sie in der Regel keine ge-
sangliche Ausbildung, dafür sagt man
W20:
ihren Darbietungen nach, daß sie noch
1-4 Moha-Sklaven 10 S
leidenschaftlicher und sinnverwirrender
seien als die ihrer tulamidischen 5-7 andere Sklaven 10 S
Kolleginnen. 8-14 Handwerker 5D
15-19 Händler 5D
20 Sharisad 10 D

Haarfarbe:
Die Rolle der Tänzerin
Es kann für eine Sharisad verschiedene
W20:
Gründe geben, ein umherziehendes
Leben zu führen: Vielleicht zieht sie 1-15 schwarz
das freie Umherziehen und viele wech- 16-18 braun
selnde Engagements an verschiedenen 19 blond
Orten der festen Anstellung bei einem 20 rot
einzelnen Mann vor, vielleicht ist sie
ständig auf der Suche nach Körpergröße:
Meisterinnen ihrer Kunst, um sich zu 155cm + 3W6 (158 - 173cm)
perfektionieren, vielleicht ist sie aber
auch auf der Flucht: Viele Lebensenergie: 30
Schülerinnen wurden Eltern
abgekauft und müssen eigentlich erst die Kaufsumme im Kleidung und Waffen:
Dienst der Lehrmeisterin abarbeiten. Neben ihrer tulamidischen, bzw.
Wenn Sie eine Tänzerin rollengerecht spielen wollen, dann novadischen Kleidung besitzt die Tänzerin mindestens ein
mischen Sie Mut, Stolz und hitziges Temperament der Tula- spezielles Tanzgewand, meist in hellen Farben, am liebsten
midin mit dem fröhlichen und etwas flatterhaften Wesen aus roter, goldgelber oder grüner Seide. Sie führt
einer Gauklerin. Die Tänzerin ist höflich und verfügt über Fingerschellen oder ein Tambourin mit sich, um ihre Tänze
gute Umgangsformen. rhythmisch begleiten zu können, wenn keine Musiker zur
Bei einer schweren Beleidigung, in Bedrängnis oder um Stelle sind. Eine Tänzerin bevorzugt als Waffen den eigenen
ihren Gefährten zu helfen, wird sie durchaus beherzt zur Körper (Ringen) sowie den schnellen und unauffälligen
Dolch,

106
ist aber auch häufig geübt im Umgang mit Säbel oder Khun- Die sieben magischen Tänze
chomer und trägt eine dieser beiden Waffen.
1. Tanz der Liebe
Talente Alle Zuschauer verfallen der Tänzerin in blinder, leiden-
Kampf . schaftlicher Liebe (das kann durchaus lästig sein).
Boxen 0, Ringen 3, Hruruzat -3, Äxte -2, Hiebwaffen, scharf Einen Tag lang werden sie versuchen, der Heldin jeden
3, Hiebwaffen, stumpf 2, Schwerter 1, Stichwaffen 2, Wunsch von den Augen abzulesen und ihr gefällig zu sein.
Schußwaffen 0, Wurfwaffen 0 So lange sie unter dem Bann dieses Zaubers stehen, verlieren
Natur: sie einen Klugheitspunkt.
Fährtensuchen -4, Fallenstellen -3, Fischen, Angeln -6, Fes- Probe: CH, CH, CH
seln, Entfesseln 2, Gefahreninstinkt 0, Pflanzenkunde 1, Kosten: 7 ASP
Orientierung 1, Tierkunde 1, Wettervorhersage -3, Wirkungsdauer: ein Tag
Wildnisleben -3
Körperbeherrschung: 2. Tanz der Freude
Akrobatik 4, Fliegen 0, Klettern 0, Reiten 4, Rudern, Segeln - Mit diesem Tanz werden Schmerzen gelindert, Wunden,
5, Schleichen 3, Schwimmen 0, Sich Verstecken 2, Vergiftungen und Krankheiten des Körpers und der Seele
Sinnenschärfe 2, Springen 4 geheilt. Alle Zuschauer des Tanzes erhalten einen Schadens-
Gesellschaft: punkt zurück. Will die Tänzerin einen bestimmten Menschen
Abrichten 2, Alchimie -3, Bekehren -3, Bergbau -8, Betören heilen, so tanzt sie nur vor diesem allein und kann bis zu 10
6, Bogenbau -3, Fahrzeug lenken -1, Falschspiel 2, Schadenspunkte heilen.
Feilschen 3, Gassenwissen 2, Glücksspiel 3, Heilkunde, Gift Probe: CH, CH, KL
1, Heilkunde, Krankheiten 1, Heilkunde, Seele 3, Heilkun- Kosten: 7 ASP
de, Wunden 2, Holzbearbeitung -3, Kochen 2, Lesen/Schrei- Wirkungsdauer: permanent
ben 2, Lügen 4, Malen, Zeichnen 1, Mechanik 0, Menschen-
kenntnis 4, Musizieren 3, Prophezeien 1, Rechnen 1, Rü- 3. Tanz der Ermutigung
stungsbau -6, Schätzen 2, Sich verkleiden 4, Sprachen ken- Dieser Tanz stärkt Mut und Selbstvertrauen und erhöht den
nen 2, Tanzen 7, Taschendiebstahl 0, Waffenschmieden -6, Mutwert aller Zuschauer um einen Punkt oder, bei einer
Zechen 4, Zwergennase 0 Gruppe von bis zu 5 Zuschauern, um 2 Punkte.
Optionale: Probe: CH, MU, GE
Gaukeleien 1, Selbstbeherrschung 1, Stimmen imitieren 1, Kosten: 8 ASP
Lehren 2, Kriegskunst -8, Staatskunst -4, Sternkunde 0, Wirkungsdauer: ein Tag
Geschichtswissen 3, Lederarbeiten 1, Stoffarbeiten 4, Tö-
pfern -4, Geografie 1, Alte Sprachen -1, Etikette 3 4. Tanz der Wahrheit
Die Tänzerin erhält während des Tanzes einen kurzen
Einblick in die Gedankengänge und Gefühle von bis zu drei
Die magiebegabte Tänzerin Zuschauern.
Probe: CH, CH, GE
Spielen Sie die Magie ihrer Heldin behutsam und stim- Kosten: 7 ASP pro Person
mungsvoll aus. Tanzmagie unterscheidet sich völlig von Wirkungsdauer: 10 Sekunden pro Person
aller anderen aventurischen Magie - sie wirkt nur auf
Menschen, und sie ist keine Kampfmagie. Außerdem sind die 5. Tanz der Erlösung
Gelegenheiten begrenzt, wo eine magische Tanzvorführung Mit diesem Tanz kann eine Person von allen leidvollen,
angebracht wäre. Das Besondere an dieser Form der Magie beängstigenden oder Haß auslösenden Beherrschungszau-
ist, daß bei einigen Tänzen eine große Anzahl Menschen bern befreit werden.
erreicht werden kann, nämlich alle, die den Tanz aus nicht zu Probe: CH, MU, KK
großer Entfernung beobachten. Kosten: 12 ASP
Wenn Sie Ihre Heldin einen magischen Tanz aufführen Wirkungsdauer: permanent, aber der Beherrschungszauber
lassen, so gestalten Sie dies zu einem kleinen Fest für Meister kann wiederholt werden
und Mitspieler. Überlegen Sie sich, wie die Tänze aussehen
könnten, und beschreiben sie Mimik und Gebärden Ihrer 6. Tanz der Bilder
Heldin. Alle Zuschauer sehen während des Tanzes eine rasche Folge
sich ständig verändernder Farben und Bilder, die, nach dem
Die Astralenergie einer erststufigen Tänzerin beträgt 15ASP. Willen der Tänzerin, beruhigend, wohltuend, erquickend
Bei Stufenanstieg kann entweder die Lebensenergie oder die oder aber bestürzend, erschreckend und grausam sein kön-
Astralenergie erhöht werden, letztere aber nicht über 30 nen.
hinaus. Probe: CH, KK, KK
Die magischen Tänze dauern alle 15 - 20 Minuten Kosten: 9 ASP
Die Reichweite beträgt ca 7m im Radius um die Tänzerin Wirkungsdauer: Dauer des Tanzes

107
7. Tanz ohne Ende gefälliges Leben führt oder gar vom Glauben abfällt, wird sie
gegen Ende des Tanzes fallen alle Zuschauer in einen trance- die Fähigkeit verlieren, die beiden magischen Novadi-Tänze
artigen Zustand, in dem sie glauben, der Tanz dauere immer aufzuführen.
weiter fort. Sie sind nicht ansprechbar und können sich nicht
bewegen. 8. Tanz der Weisheit
Probe: CH, KL, KK Dieser Tanz erhöht den Klugheitswert aller Zuschauer um
Kosten: 13 ASP einen Punkt. Nach Ende der Vorführung sind sie sogar für die
Wirkungsdauer: 2 Stunden Dauer einer Stunde so scharfsinnig, daß sie wahre von
lügenhafter Rede unterscheiden können.
Auch wenn die Probe auf einen Tanz mißlingt und er seine Probe: CH, KL, GE
spezifische Magie nicht entfaltet, so wohnt doch allen Tänzen Kosten: 15 ASP
stets folgender Zauber inne: Die Zuschauer glauben, während Wirkungsdauer: eine Stunde/ein Tag
des Tanzes Musik zu hören und haben im Anschluß das
Gefühl, einem seltenen und wundersamen Schauspiel 9. Tanz der Unantastbarkeit
beigewohnt zu haben. Während des Tanzes baut die Tänzerin ein magisches Schutz-
schild um sich auf, das bis zu 8 TP abfangen kann. Dieser
Die Zauberfertigkeit beträgt bei allen Tänzen 3 und kann bei Tanz ähnelt einem Gebet - sie tanzt ihn nur für Rastullah
Stufenanstieg mit insgesamt 21 Würfelwürfen um jeweils 2 allein und duldet keine Zuschauer.
Punkte erhöht werden. Probe: MU, CH, CH
Kosten: 2 ASP pro RS-Punkt
Die bisher genannten sind die sieben magischen Tänze, die Wirkungsdauer: eine Stunde
einer nicht rastullahgläubigen (aber magiebegabten) tulami-
dischen Tänzerin zur Verfügung stehen. Ist Ihre Heldin aber Für die Zusatztänze beträgt die Zauberfertigkeit 3 und kann
eine fromme Novadi, so kann sie noch zwei weitere Tänze bei Stufenanstieg um 2 Punkte erhöht werden. Der
lernen. Jedoch nur solch ausgewählten Frauen wird diese novadischen Tänzerin stehen für die Steigerung ihrer
Gabe zuteil, "auf die Rastullahs strahlendes Auge mit Wohl- Fertigkeit in allen neun Tänzen insgesamt 27 Würfelwürfe
gefallen blickt". Das bedeutet: Wenn Ihre Heldin kein gott- zur Verfügung.

108
Der Khomgepard

"Vom Jagdpardel oder Gepperdt: Mögen die Siedler des (Sie sehen, die Aufzucht eines jungen Geparden unterschei-
Mittelreichs auch vielerlei Hunderassen kennen, die Tulamiden det sich wenig von der eines Hundes - mit einer Ausnahme:
des Südens dagegen halten sich Katzenwesen, wie man sie Die Katzen sind so eigenwillige `Persönlichkeiten', daß ein
andernorts nicht als Haustiere hat. Das größte unter ihnen ist Held mit einem Abrichten-Wert unter 5 keine Chance hat,
der Jagdpardel, der wohl einen Schritt Höhe erreicht. Die das Tier richtig zu behandeln.)
Alten schreiben, er sei entstanden aus einer
schwarzmagischen Kreuzung von Pardel und Windhund, Die Frage nach dem "Nutzen" eines halbzahmen Geparden
denn er hat von beiden etwas: Vom Pardel das Haupt und das erübrigt sich eigentlich: Das Tier ist nicht nur ein vorzügli-
gefleckte Fell, vom Windhund aber den schlanken Wuchs, die cher Renner und Hetzjäger, der sich (ab der zweiten Stufe)
Läufe - denn er kann wie dieser seine Krallen nicht einziehen auch auf Menschen hetzen läßt, auch der bloße Anblick eines
- und die Schnelligkeit. Helden, der von einem Jagdpardel mit Perlenhalsband
Mag das wahr sein oder falsch - heute ist der Jagdpardel ein begleitet wird, ist beeindruckend genug.
beliebtes Haustier bei den Reichen im Tulamidenland: Sie Für die Erfüllung von Aufgaben wie Fährtensuche, Appor-
richten ihn ab wie einen Jagdhund und verwenden ihn bei der tieren oder "Wachdienst" sind die flinken Katzen naturgemäß
Hatz auf Hirsche und Gazellen, aber auch gar als Schoßtier, nicht geeignet, da sie viel zu eigenwillig und neugierig sind.
denn außer bei der Jagd ist er sanft und anschmiegsam als Ihren Begleiter verteidigen sie nur, wenn ihnen eine
wie eine Katze. Ist schon der gewöhnliche gefleckte Pardel Mutprobe gelingt.
überaus wertvoll, so erzielen die sehr seltenen reinweißen
Tiere schier unvorstellbare Preise. Die Vornehmen schätzen Regeltechnisch werden Geparden wie Hunde behandelt; das
sie ob ihrer schönen Farbe, obwohl sie für die Jagd viel zu heißt, sie haben ebenso Eigenschaftswerte und müssen von
auffällig sind." Zeit zu Zeit Proben ablegen - und können auch Stufenanstie-
ge erleben:
Der Gepard im Spiel: Die zweite Stufe erreicht der Gepard automatisch nach dem
Anders als die übrigen Raubkatzen Aventuriens stellt der Ge- ersten längeren Abenteuer, zum Aufstieg in die dritte Stufe
pard keine Gefahr für den Reisenden dar, denn es ist kein Fall benötigt er 300 AP.
bekannt, daß Geparden einen Menschen angegriffen hätten.
Seine Bedeutung für das Spiel gewinnt dieses Tier deshalb,
weil es nicht selten noch als Jungtier gefangen und von
Menschen aufgezogen wird - eine Behandlung, die aus der
wilden Katze ein sanftes Haustier macht, das seine Kraft und
Schnelligkeit nur noch zeigt, wenn des Herren Befehl es
freigibt. Daher kann man im Tulamidenland nicht nur sehen,
wie vornehme Herren ihre `Jagdpardel' auf flinkes Wild
hetzen, es gibt sogar Arenen, wo diese pfeilschnellen Tiere
zur allgemeinen Freude in Wettrennen gegeneinander ge-
schickt werden.

Wenn sich ein Held einen Geparden als Begleiter zulegen


will, ist das durchaus möglich. Als ausgewachsene Tiere
kann man diese Raubkatzen allerdings so gut wie gar nicht
kaufen - und dann taugen die wilden Geparde auch allenfalls
für Tierschauen.
Der an einem Begleiter Interessierte muß schon die Augen
offen halten nach einem Gepardenjungtier, wie sie hin und
wieder auf den Basaren in Unau, Mherwed, Rashdul und
Fasar feilgeboten werden. Diese Jungtiere heißt es nun
aufzuziehen und ihnen eine gehörige Portion seiner Zeit zu
widmen.

MU GE KK NG* HA RA LE RS AT PA TP GS AU MK
1W 1W+2 1W 1W+3 1W3 1W+3 1W 0 6 0 1W-4 15 20 2 1 . Stufe
+6 +7 +5 -1 +0 -2 +8 +1 +7 +3 +4 +5 +20 +6 2.Stufe
+3 +4 +2 +0 -1 -2 +7 +0 +2 +1 +1 +2 +20 +5 3.Stufe
Fährtensuche: 0; Tragkraft: 0 *
* NG: Neugier

109
Der Bidenhocker

Lobpreisung des Kamels: Solche Gewaltmärsche dürften sicherlich Extremwerte sein,


Zum Bild der Khomwüste gehören in den Augen aller was aber die Leistungen der "gewöhnlichen" Kamele nicht im
Reiseerzähler auch die Reittiere der Wüstenstämme, die Geringsten schmälert. Reitkamele erreichen durchschnittliche
stolzen und eigenwilligen Kamele. In kaum einer Geschich- Tagesgeschwindigkeiten von etwa 60 Meilen und können
te, die man in Fasar oder Unau erzählt bekommt, fehlt der einen Eilmarsch von 90 Meilen pro Tag drei Tage lang
Teil, in dem der Held auf seinem Reittier extremste Strecken durchhalten, wenn ihnen danach ein kompletter Tag Rast
zurückgelegt hat, um zu seiner Liebsten zu eilen oder in dem gewährt wird. Extreme Leistungen liegen bei 120 Meilen/
ein Kamel seinem Herrn Dienste bis in den Tod geleistet hat. Tag (ein Tag, zwei Tage Rast) und 150 Meilen maximal.
Unser Bild des aventurischen Südostens ist untrennbar mit Danach benötigen die Kamele allerdings eine Woche Rast -
dem des Bidenhockers verbunden - und das zu Recht. sofern sie diesen Gewaltritt überlebt haben.
Den aventurischen Tierkundigen sind drei Unterarten der Lastkamele sind natürlich etwas langsamer, aber auch sie
Gattung Kamel bekannt: Urahn aller Tiere scheint das Hoch- legen im Durchschnitt gute 40 Meilen pro Tag zurück und
landkamel Qaimuyan zu sein, ein graues, zotteliges Tier von halten einen Eilmarsch von 70 Meilen/Tag maximal vier Tage
etwa 2,30 Schulterhöhe, das durch seine Zähigkeit und hohe lang durch, wonach sie zwei Tage Rast benötigen. Eine
Tragkraft den Stämmen des Raschdulswalls und der Kho- Karawane legt am Tag etwa 30 Meilen zurück, wobei die
ramberge als Last- und Reittier dient. Zum Kampf läßt es Tiere allerdings schwer beladen sind und sich natürlich auch
sich jedoch nicht ausbilden. Fußgänger im Troß befinden.
Die bekannteste Art ist zweifelsohne das Wüstenkamel Alles hier Gesagte gilt für die Qai'Chelar. Qaimuyan errei-
Qai' Chelar: Von hellgelber Farbe, mit kurzem Fell, sehr chen zwar nicht so hohe Tagesgeschwindigkeiten, sind aber
ausdauernd und an Hitze und Wassermangel gewöhnt, ist in der Lage, um einiges länger zu marschieren, während
dieses Kamel der ständige Begleiter der Novadis und ein Qai'Ahjan schneller, aber nicht so ausdauernd sind (Wenn
unentbehrliches Transportmittel in der großen Khom. man einer alten Geschichte aus Mherwed glauben darf, dann
Aus dieser Art hat man in Unau besonders schnelle Tiere legte ein Bote des Kalifen einmal auf seinem "weißen Kamel"
herausgezüchtet, die Qai'Ahjan-Rennkamele (auch Mehari 197 Meilen "von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang"
genannt). Sie fallen vor allem durch ihr fast weißes Fell, ihre zurück, um seinen Herrn vor einem heimtückischen Anschlag
flachen Höcker und die Grazie ihrer Bewegungen auf. Nur zu warnen. Sowohl Reiter als auch das Mehari waren eine
die Stuten werden als Reit- und Renntiere verwendet, die halbe Stunde nach Ankunft tot).
Hengste sind (wie bei den anderen Kamelarten übrigens Ein interessantes Detail ist übrigens, daß selten einmal
auch) in erster Linie als Last- und Zuchttiere in Gebrauch. Angriffe vom Kamelrücken aus durchgeführt werden. Trotz
wegen ihrer großen Nervosität lassen sich die Qai'Ahjan hoher Geschwindigkeit und Ausdauer eignen sich die
nicht zu Schlachtrössern ausbilden. Bidenhocker denkbar schlecht für Kavallerieattacken, da der
Reiter seinen Gegner fast nur mit einer langen Lanze
erreichen kann. Die berühmten Reiterheere der Novadis legen
Von der Geschwindigkeit und der Ausdauer ihrer Kamele zwar große Strecken auf ihren Kamelen zurück, für Überfälle
wissen die Novadis wahre Wunderdinge zu erzählen. So führt jeder Reiter aber stets ein Pferd mit sich. Andere
sollen im Jahre 219 v.H. Kundschafter aus Unau das Heer Einheiten sind sogar am ehesten als berittene Infanterie
Malkillahs bei Selem vom Abzug der Kaiserlichen Truppen anzusehen.
benachrichtigt haben, wobei sie die Strecke von mehr als 250 Auch die Genügsamkeit des Kamels ist Gegenstand vieler
Meilen binnen zweier Tage zurücklegten. Bei der Eroberung Erzählungen. Vor allem die Fähigkeit, tagelang ohne Wasser
Chorhops sollen die Kamele der Novadis an einem Tag sogar auszukommen, hat für seine Berühmtheit gesorgt - wenn sie
eine Strecke von 162 Meilen bewältigt haben, während man auch oftmals übertrieben wird. Auch Kamele ernähren sich
von Leomar von Almada weiß, daß seine Entsatztruppen nicht von klarer Wüstenluft. Für gewöhnlich benötigen sie 15
einmal in einer Woche 640 Meilen durch die Wüste zurück- bis 20 Stein Nahrung und 40 bis 50 Maß Wasser am Tag,
gelegt haben.

MU LE RS AT PA TP GS AU Tragkraft Preis
18 50 1 9 8 1W+3 8/12 8/3 6000 65 D Qaimuyan, unerf.
20 65 1 10 8 1W+4 8/12 10/4 9500 220 D Qaimuyan, erprobt
22 45 1 10 8 1W+5 8/13 7/3 5500 70 D Qai Chelar, unerf.
26 55 1 11 9 2W+2 9/13 8/4 8000 250 D Qai'Chelar, erf.
28 65 12 9 2W+3 10/14 9/4 9000 550 D Qai'Chelar, Streitr.
1W+2 Angriff durch Beißen (AT10)
20 45 1 10 1W+4 9/13 9/4 4000 120 D Qai' Ahjan, unerf.
22 50 11 1W+4 12/16 9/4 6000 600 D+ Qai' Ahjan, Rennk.

110
sie können aber in der Tat bis zu fünf Tage gänzlich ohne
Wasser und mit einer Handvoll Dattelkerne, Dornranken oder
ähnlich kargem Futter auskommen. Wenn das Tier dann
allerdings am Wasserloch steht, kann es vorkommen, daß es
einhundert bis einhundertfünfzig Maß Wasser in einer ein-
stündigen Schluckerei vertilgt.
Tulamidische Berichte sprechen allerdings auch davon, daß
ein Kamel bei genügend feuchter Nahrung bis zu zwanzig
Tage ohne Wasser auskommt, was aber auch übertrieben sein
mag. Nach einer anstrengenden Reise von etwa sechs
Wochen benötigt aber auch das beste Kamel gut und gerne
ein Vierteljahr auf einer saftigen Wiese, um sich zu erholen.
Gänzlich falsch ist die Annahme, daß das Kamel sein Wasser
in einer großen Blase unter seinen Höckern speichert,
welchselbige man nur anzustechen brauche, um an das
kostbare Naß zu gelangen. Die Höcker bestehen fast nur aus
Fett und zähem Gewebe, das den Reisenden nur wenig nährt
und kaum erfrischt. In höchster Verzweiflung sollte man sich
also eher in einem innigen Gebet an die Götter wenden,
anstatt das arme Tier zu schlachten.

Aber das Kamel dient nicht nur als Reit- oder Lasttier (Wie
schon erwähnt, werden vor allem die Stuten geritten). Die
Stämme der Wüste sind dem Kamel auf Leben und Tod
verbunden: Sie trinken die Milch der Stuten, heizen mit seinem
Dung, machen aus Haut und Haaren Zelte und Kleidung und
aus dem Urin allerlei Wundermedizin- ja, wenn sie nicht den
99 Gesetzen folgen, dann essen sie auch sein Fleisch.
Vielleicht ist mehr als nur ein Körnchen Wahrheit an der
Behauptung, daß der Mensch ein Schmarotzer des Kamels sei.
Ohne diese Tiere hätten sich wohl nie Siedlungen in der
großen Khom gründen können und nie hätten sich Nachrichten
in Windeseile über den glühenden Sand verbreitet.
Eigensinnig, stur und verbockt, wie es Art der Kamele ist, sind
sie wohl nie ein "Freund" des Menschen - wie Pferd und Hund Wenn der Löwe der König der Wüste ist, dann ist das Kamel
- gewesen und werden es auch nie werden, wer aber kalte der Kalif - und der Mensch hat sich dem Willen Seiner
Bergplateaus und enldose Sandweiten durchqueren will oder Majestät unterzuordnen, wenn er in solch lebensfeindlicher
muß, für den ist das Kamel ein verläßlicher Gefährte. Umgebung überleben will. Das Kamel, sei es nun Qaimuyan,
Qai'Chelar oder Qai'Ahjan, ist de facto unersetzlich.

111
Aventurische Regionen

Die Wüste Khom und die Echsensümpfe


- Meisterinformationen -
Redaktion: Ulrich Kiesow, Hadmar Wieser
Lektorat: Norbert Venzke u.a.
Umschlagillustration und Boxcover: Ugurcan Yüce
Umschlaggestaltung: Ralf Berszuck
Farbkarten der Region: Ina Kramer
Stadtplan von Khunchom: Ralf Hlawatsch
Innenillustrationen: Horus, Ina Kramer
Satz und Herstellung: Fantasy Productions
Druck und Aufbindung: Bayerlein, Neusäß

DAS SCHWARZE AUGE und AVENTURIEN


sind eingetragene Warenzeichen von Fantasy Productions GmbH.
Copyright 0 1997, 1999 by Fantasy Productions GmbH.
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,
oder Verarbeitung und Verbreitung des Werkes in jedweder Form,
insbesondere zu Zwecken der Vervielfältigung auf photomechanischem
oder ähnlichem Wege nur mit schriftlicher Genehmigung von
Fantasy Productions GmbH, Erkrath.

Zweite, inhaltlich unveränderte Ausgabe 1999


Printed in Germany 1999
ISBN 3-89064-262-4
Die Illustrationen im Text wurden gezeichnet
von Horus und Ina Kramer
Stadtplan von Khunchom von Ralf Hlawatsch

©1990 by Schmidt Spiel & Freizeit GmbH. Eching


Redaktion: Ulrich Kiesow, Hadmar Wieser
Lektorat: Norbert Venzke u. a.
Umschlagillustration: Ugurcan Yüce
Satz und Herstellung: Fantasy Productions GmbH, Düsseldorf
Druck und Aufbindung: Bayerlein, Augsburg
Printed in Germany
Die Wüste Khom
und die
Echsensümpfe
- Meisterinformationen -
von
Jörg Raddatz und Hadmar Wieser

mit Beiträgen von Thomas Römer

Eine Spielhilfe aus der Serie


"Das Land des Schwarzen Auges"
Geheimnisse
unter Sand und Sumpf
Meisterinformationen zur Box
Die Wüste Khom und die Echsensümpfe'

von
Jörg Raddatz und Hadmar Freiherr von Wieser

mit Beiträgen von Thomas Römer

Eine DSA-Spielhilfe
Inhalt

Selem - Ruinen der Vergangenheit .................................................................................................... 5


Persönlichkeiten im Land der Ersten Sonne ...................................................................................... 9
Mancherlei Geheimnisse und Meisterinformationen ....................................................................... 17
Abenteuer im Land der Ersten Sonne .................................................................................. 18
Ein Märchen ......................................................................................................................... 22
Die sterbenden Götter ...................................................................................................................... 23
Quellen und Sagen ............................................................................................................... 23
Götter .............................................................................................................................................................................................. 24
Echsenvölker......................................................................................................................... 27
Seltsame Orte und Bauwerke ............................................................................................... 29

In der Heftmitte: Stadtplan von Khunchom für den Spielleiter


Selem - Ruinen der Vergangenheit

Einwohner: 1900, davon 100 Novadis und 300 Stadtteil Königsgärten, linkerhand, nahe den Sümpfen, liegt
Echsenmenschen das von Echsen bewohnte Ch'rys Szinth, und in der Mitte, auf
Garnisonen: nur einzelne Leibgarden einer Insel, die durch den Hauptarm des Szinto und einen
Tempel: H'Ranga (mehrfach), Efferd, Peraine/Tsa, ehemaligen Kanal begrenzt wird, liegen Khajramar und die
Boron (AI'Anfaner Ritus), Satuaria & Satinav, Unterstadt. Um all diese Viertel herum zieht sich ein Gürtel
verschiedene geheime Tempel verlassener Villen und Landhäuser, die die Wildnis teilweise
zurückerobert hat und in denen bisweilen seltsame Gestalten
"Dumpf brütend liegt sie da, die vor Zeiten hehre und reiche hausen: Alt-Elem, ein Gebiet, in dem wohl weit über zehn-
Stadt Selern - doch heute hausen nur noch wenige Menschen tausend Menschen wohnen könnten.
in ihren Ruinen, zusammengedrängt an einigen Plätzen, die
doch nur trügerische Sicherheit versprechen: Auch hier gehen Königsgärten
Schrecken um, und nicht selten verlieren Männer und Frauen Dieser etwa höher liegende Stadtteil war einst das Herz von
auf offener Straße den Verstand und laufen schreiend davon Selem. Die Straßen und Plätze sind gepflastert, der ständig
oder sinken wimmernd zu Boden - scheinbar ohne jeden wehende Siral verweht auch die ekligen Ausdünstungen des
Anlaß. Schlangenflußes und der Sümpfe. Auf einem niedrigen Hügel
Wen wundert's da, daß sich die meisten Selemer dein Trunke erhebt sich der Palast des Großkönigs, umgeben von ausge-
oder dem Rauschkraut ergeben haben und die meiste Zeit nur dehnten, verwilderten Gärten. Auch die anderen Häuser
trübe starrend in ihren Hütten oder auf den schmalen Gassen dieses Stadtteils lassen auf einstige Größe schließen. Fast alle
hocken. Eine Ausnahme machen da nur die Echsenmenschen, besitzen große Gärten und sind von hohen Mauern umgeben.
denen weder der Wahnsinn noch die Sucht etwas anhaben Hier wohnen die Alten Familien und die letzten verbliebenen
kann und die sich ungehindert in der ganzen Stadt bewegen - Edelleute und Würdenträger der Stadt. Am Nordende des
fast scheint es, als hätten sie die wahre Macht über Viertels liegt an der Szintostraße der Tempel der Peraine (hier
Selem..."
wird der Name nach alanfanischem Vorbild 'Perän'
(Aus: "Kamele und Kalifen. Meine Reisen durch die Khom in ausgesprochen). Bis zum Ufer des Szinto schließt an den
den Jahren 982 bis 988", von Ardo Stoerrebrandt) Tempel ein großer Kräutergarten an, wenn auch der Kult sonst
deutlich an die Verehrung der Tsa erinnert. Nach Westen
Schon früh wurde der tulamidische Hafen Elem reich durch gehen die Königsgärten unmerklich in Alt-Selem über: Die
den Seidenhandel und als Hauptumschlagplatz für die Güter Gärten sind dichter verwachsen, das Pflaster ist zerbrochen
aus den Regenwäldern. Zu Zeiten seiner größten Macht hatte und unkrautüberwuchert, und die Dächer der Villen sind
Elem an die 20000 Einwohner und wegen der Bauweise im teilweise eingestürzt. Dennoch wohnen hier noch vereinzelt
Sumpf enorme Ausdehnung. In allen Dokumenten und Märchen Leute, vor allem solche, die man nicht nach ihrem woher und
wird der Edelsteinkult erwähnt, der zu jenen Zeiten enorme wohin fragt.
Bedeutung hatte: Die Mächtigen tranken aus diamantenen
Kelchen und besudelten heilige Steine mit Blutopfern. Das Hafenviertel
Ein Jahrhundert vor Ende der Dunklen Zeiten stürzte ein Zum Hafenviertel gehören sowohl der Uferstreifen rechts des
gigantischer Komet in den Selem-Grund; bis heute verrät ein Szinto (von der Landseite aus) als auch sämtliche der
mächtiger Strudel die Stelle, wo das himmlische Geschoß ein Flußmündung vorgelagerten Inseln und Inselchen. Auf
geheimnisvolles Unterwasserreich echsischer Wesen diesen Inseln befinden sich fast ausschließlich Lagerhäuser,
vernichtete. Die Flutwelle war so gewaltig, daß das Szinzo- Tavernen und einige Wohnhäuser. Dazwischen ankern aber
Tal auf seiner halben Länge überschwemmt wurde und das auch mehrere Zedrakken, die als Wohnstätte dienen.
Meer in eine Niederung einbrach, wo heute die Bucht von Mehr aus Gewohnheit denn aus rechtlicher Einteilung haben
Port Corrad liegt. sich die hier anlegenden Händler jeweils nach Hafenstädten
Seither wurden die Selemiten zunehmend zum Symbol von getrennt niedergelassen und ihre jeweiligen kulturellen Ei-
Elend und Wahnsinn. Es heißt, daß sie sich von Fischschnaps genheiten in Selem angesiedelt. So gibt es die Inseln Klein-
und Rauschkraut, unreinem Fisch wie dem Zitterrochen und Havena, Klein-Festum, Klein-Grangor, Klein-Zorgan und
einem mürben Reisbrot ernähren - letzteres hat sogar in den Klein-Perricum und bis vor kurzem auch noch Klein-Al'An-
Sprachschatz Einzug gehalten ("dumm wie Selemer Sauer- fa. Die Inseln sind untereinander durch Brücken und Floß-
brot"). Es gibt nur noch wenig, weswegen es sich lohnt, den verkehr verbunden.
Hafen anzulaufen. Selbst das Echsen- und Schlangenleder, Auf Klein-Grangor steht das Haus der Lotsen. Zwar kann
das häufig zur Feuerfestigkeit im Sumpf gesäuert und als man den Hafen auch ohne ihre Hilfe anlaufen, aber der
Iryanleder verkauft wird, ist nicht jedermanns Sache. Über Schlangenfluß führt soviel Schlamm mit, daß zuweilen in
der ganzen Stadt liegt der Geruch von Verfall und Fäulnis: wenigen Wochen Sandbänke entstehen. Und es empfiehlt
Was nicht die Termiten fressen, beginnt in der feuchten Luft sich nicht, das Hafengesindel anzuheuern, um das Schiff
zu modern, und selbst Steingebäude versinken zuweilen im wieder flottzumachen; erfahrungsgemäß fehlt nachher alles,
Uferschlamm. was leicht verkäuflich ist..
Die Gerichtsbarkeit liegt bei den jeweiligen Hafenmeistern,
Die Stadt Selem läßt sich grob in sechs Viertel aufteilen: die sich auch zu einem losen Rat zusammengeschlossen haben.
Rechterhand des Szinto liegen das Hafenviertel und der Dieser vertritt die Interessen der Händler gegenüber dem

5
Großkönig und regelt untereinander auftretende Streitigkei- werden auch gelegentlich wegen ihrer Heilkünste aufgesucht.
ten. Aber auch der Rat kann nur einige Büttel aufbieten, wenn Im Wesentlichen kommt es nur mit Novadis zu Reibereien,
einmal einige Piraten einlaufen, um ihre Beute zu verkaufen. denn immer häufiger versuchen die Diener des Rastullah, ihre
Und als El Harkir 11 Hal den Hafen plünderte, zogen es die angeblichen Erzfeinde zu provozieren, so daß sie Grund für
Räte wie alle vor, ihm das Viertel zu überlassen. Immerhin deren Bekämpfung oder Vertreibung finden. Allerdings
führt die Selbstständigkeit dazu, daß das Hafen-viertel, in kommt es auch zuweilen von ihrer Seite zu Übergriffen
dem sich auch der Efferdtempel befindet, beinahe in einer gegen Händler, die ausschließlich mit echsischen Produkten
anderen Welt liegt als das übrige Selem: Selten einmal wie Iryanleder und Schildpatt handeln.
betreten die Seeleute die Stadt, da es kaum Vergnügungen
gibt, die einen Weitgereisten anlocken könnten. Und über die
Alt-Elem
Auswärtigen, die sich in die Geheimnisse und Mysterien der
Unter dieser Bezeichnung faßt man all die verlassenen Gebäude
Stadt eingemischt haben, hört man die schrecklichsten Dinge...
zusammen, die sich wie ein Gürtel um die ganze Stadt
ziehen, von den Ruinen auf den Sandbänken und
Sumpfinseln im Süden des Hafens bis zu den verlassenen
Khajramar Villen und Herrenhäusern im Dschungel östlich und westlich
Khajramar liegt auf der Nordhälfte jener Insel, die durch den der Kernstadt. Diese Häuser künden von der einstigen Größe
Schlangenfluß und den Kanal gebildet wird. Ein armer Selems und bezeugen, daß hier früher einmal wohl insgesamt
Stadtteil, in dem in erster Linie Reisbauern, Flußfischer und zehn-tausend Menschen gewohnt haben. Jene Gestalten, die
Perlentaucher leben, im südlichen Teil auch einige Krämer jetzt hier wohnen, haben oft den übelsten Leumund:
und Zugereiste aus dem Balash und Thalusien. Stinkende Se- Geächtete und Verbrecher aus allen Teilen Aventuriens
lemferkel suhlen sich in Löchern in der Mitte der Hauptstra- sollen sich hier verbergen, Schwarzmagier und
ße. Von dieser ausgehend wird die Bebauung nach Norden Dämonenanbeter, Meuchlerbanden und Diener des
hin immer lichter und geht schließlich in die großen, durch Namenlosen. Selbst viele hartgesottene Selemer wagen sich
Bewässerungskanäle voneinander getrennten Reisfelder über, nicht tief in diese Ruinen der Vergangenheit, von denen es
die sich szintoaufwärts ziehen und wie ein Keil in die verlas- heißt, sie seien untereinander und mit der eigentlichen Stadt
senen Landhäuser von Alt-Selem schneiden. An der Stelle, an durch ein weitverzweigtes Tunnelnetz verbunden. Nahe der
der die Hauptstraße den Stichkanal überquert, findet sich eine Stadt kann man solche Skurrilitäten entdecken wie einen
große Karawanserei, die auch häufig als Garnison für die Tempel, in dem die Zweiheit von Welt und Zeit in Gestalt
Truppen eines Eroberers - seien es Al'Anfaner oder Novadis - Satuarias, der Erdtochter, und Satinavs, des Wächters der
verwendet wird. Zeit, verehrt wird.

Die Unterstadt Der Palast des Großkönigs


Hier ist Selem genau so, wie Klein-Alrik es sich immer Die großzügige Anlage in den Königsgärten ist noch immer
vorstellt: Von der Hauptstraße aus nach Süden wird dieser eines der prächtigsten Gebäude in ganz Selem, erbaut im Stil
Stadtteil immer verfallener, gelegentlich unterbrochen von tulamidischer Potentaten aus weißem und rosafarbenem
ausgebrannten Ruinen und vereinzelten schäbigen Hütten. Eternenmarmor, mit Springbrunnen, Wandelgängen, hohen
Am Ufer stehen die Reste der alten Hafenanlagen, verfallene Ecktürmen und großen Gärten. Wenn auch die Anlage bereits
Lagerhäuser und schiefe Kräne, halb versunken im Morast. leichte Spuren des Verfalls zeigt, so kann sie doch immer
Die Luft ist erfüllt von den üblen Ausdünstungen von Betrun- noch als äußerst gepflegt gelten. Woher Seine Groß-
kenen und Kadavern, von Sumpfgas, süßlichen Rausch- königliche Majestät die Dukaten (oder sollte man sagen: die
krautdämpfen und verrottendem Holz. Der örtliche H'Ranga- Selemer Kupferschillinge?) zum Erhalt des Palastes nimmt,
Tempel ist eher eine Rauschkrauthöhle. In der Unterstadt ist ungewiß, aber er besitzt auch noch genügend Geld, um
geschehen die meisten Verbrechen, hier sitzen Verrückte wild sich einen ansehnlichen Hofstaat zu halten.
kichernd oder apathisch an die Hauswände gelehnt, hier treibt
fast täglich eine Leiche kopfunter im Brackwasser zwischen Die Silem-Horas-Bibliothek
den eingestürzten Kais. Den Fremden wird vom Besuch Inmitten des Selemer Stadtteils Königsgärten liegt ein altes
dieses Viertels stets abgeraten, und nur die Kühnsten (oder Bauwerk, dessen einst rosenfarbener Marmor stumpf und
Leichtsinnigsten?) schlagen diese Empfehlung aus. grau scheint durch die langen Jahre, in denen sich die
Ausdünstungen der Sümpfe und kleine Moosflecken auf den
einst wunderschön anzusehenden Reliefs und Statuen abge-
Ch'Rys Szinth lagert haben. Mit Mühe erkennt man das Bild der hehren
Selem ist wie Brabak eine der wenigen Städte, in der eine Hesinde, doch ihr Gesicht ist zerstört, und den Standbildern
eigene echsische Gemeinschaft lebt. Die Hütten der der anderen Götter erging es ähnlich oder schlechter: Von
Echsenmenschen liegen im Osten der Stadt, teilweise auf Praios vergoldetem Leib stehen nurmehr die Füße, dort, wo
Pfählen ins Wasser gebaut, teilweise auch als schwimmende Rondra und Phex zu suchen wären, gähnen leere
Häuser. Die wenigen Steingebäude in diesem Viertel sind der Mauerlücken.
größte Tempel des H'Ranga (der zwar offiziell geschlossen, Selten einmal findet ein Besucher hierher, in dieses
aber nichtsdestoweniger gut besucht ist) und einige ehemalige Gebäude, das einst der Stolz der Selemiten hatte werden
Lagerhäuser und Hotels auf der Schlangeninsel, der östlich- sollen: Als Kaiser Silem die Ruinen der Stadt besetzte und
sten der Hafeninseln. Die Echsenmenschen vom Stamme der einige Aufbaumaßnahmen einleitete, zählte zu den ersten
Chriaz Imxxiu haben mit den übrigen Bewohnern der Stadt errichte-ten Gebäuden auch eine prächtige Bibliothek, die
wenig zu tun, sind aber auch nicht ungelitten. Sie verkaufen alles Wissenswerte der Zeit enthielt. Doch die Zeiten
Kräuter und selbstgefertigte Lederwaren auf dem Markt und vergingen, die neuen Gebäude verfielen, die ganze Stadt
geriet bei den

6
Garether Kaisern fast in Vergessenheit, und dieses Schicksal Die Residenz des Sultans
traf auch die Bibliothek. Der Sultan von Selem - eigentlich der Sultan des Stammes
Heute stehen nur noch fünf Gelehrte bereit, und auch sie der Beni Szelemjati - residiert in einer prächtigen Zeltstadt in
müssen sich selbst ernähren. Daher können sie nicht einmal den Szintoauen einen halben Tagesmarsch flußaufwärts von
die wenigen Schriften erhalten, die noch nicht dem Moder Selem. Nach dem Kampf gegen die Al'Anfaner wurde hier
und der Fäulnis zum Opfer gefallen sind. Und so nisten Zer- der Anbau von Reis, Oliven, Obst und Wein wiederaufge-
störung und Verfall in den Regalen der Bibliothek, ein ekliger nommen, den die Invasion so jäh unterbrochen hatte.
Geruch nach verrottendem Papyrus, verschimmelndem Mittlerweile wohnen bereits mehr als fünfhundert Menschen
Pergament und Mäusekot hängt unauslöschlich in der Luft. in den Zelten, großteils das Gefolge und die Krieger des
Das Papier alter bosparanischer Geschichtswerke und Sultans, aber auch immer mehr Bauern und Händler, die hier
Kaiserurkunden dient den Ratten und Eidechsen als Nistma- ihr Glück und einen Neuanfang versuchen wollen. Die
terial, in uralten Liturgien vergessener Götter und Legenden Anlage ist, von einigen wenigen Mauern um die neuen Felder
verschwundener Helden brüten Fliegen und Schnaken, um abgesehen, unbefestigt, und außer den Ställen und einem
die wohlige Wärme der faulenden Folianten zu genießen. Wachturm findet sich auch kein Gebäude aus Stein oder
Der jetzige Bibliothekar Heshdan al-Azzar ist ein gebrochner Lehm.
Mann: Vor acht Jahren veröffentlichte er eine Auswahl der Der Sultan lebt in Luxus und Verschwendung und schert sich
spektakulärsten Schriften der Bibliothek, um so Geldgeber wenig um die eigentliche Stadt Selem, die er erst einmal zu
für die nötigen Kopierarbeiten und Reparaturen am Gebäude Gesicht bekommen hat. Es heißt, daß er hochfliegende Pläne
zu finden - doch alles, was ihm diese Aktion einbrachte, war mit dem unteren Szintotal hat und sich auch bereits mit
der Ruf eines verrückten Selemers, der seine Hirngespinste Baumeistern in Verhandlungen über eine Palaststadt befindet.
niedergeschrieben hat.
So hat auch er sich dem Trunke ergeben und sucht im Rausch
Vergessen, dabei aber gleitet ihm die Kontrolle über die Reste
der Bücher mehr und mehr aus der Hand. Schon besuch-ten Die Alten Familien
ihn einige merkwürdige Leute, die auffälliges Interesse an Die Nachkommen der ersten tulamidischen Siedler, die einst
alten verbotenen Büchern an den Tag legten. Denn zwischen im noch jungen Elem Fuß faßten, haben noch immer großen
Schatzkarten, die angeblich von dem legendären Käpt'n Einfluß auf die Geschicke der Stadt. Man sieht sie jedoch
Brabacciano stammen, finden sich uralte Manuskripte in selten außerhalb ihrer Villen und wenn, dann nur tief ver-
Zhajad, die dank einer Art von OBJEKTUM FIX nicht schleiert. Man sagt, daß sich unter ihnen einige befinden, die
entfernt werden können. Noch hat Meister Feruzef die obs- der unheiligen Verbindung von Menschen und Echsen ent-
kuren Besucher abweisen können... stammen sollen. Wer es als Fremder wagt, das Geheimnis
dieser Familien lüften zu wollen, muß damit rechnen, alsbald
wie so viele vor ihm tot im Hafenbecken zu treiben.
Das Kloster der Noioniten
Etwa drei Stunden szinzoaufwärts, auf halbem Weg zwischen Die Floßleute
der Residenz des Sultans und der eigentlichen Stadt Selem, In Selem sieht man gelegentlich auch die seltsamen
liegt das Kloster der Noioniten. Dieser Orden, der sich der Schilfboote der Floßleute: kreisrunde Gefährte aus
Pflege und Heilung geistig Verwirrter gewidmet hat, wurde Schilfbündeln, mit etwa acht Schritt Durchmesser, einem
376 v.H. von der Heiligen Noiona gegründet. Das mächtige kleinen Mast und als Besatzung einer Familie der
Gebäude aus dunklem Granit erhebt sich wie eine Festung `Tocamuyac', wie sie sich selbst nennen.
aus den Gärten und Feldern am Hang einer der Schleifen des Unvermittelt tauchen diese Boote im Hafen auf, zwei oder
Schlangenflusses. Hier betreuen etwa dreißig Angehörige des drei kleinwüchsige, braunhäutige Männer und Frauen, nur
Ordens und ein Dutzend Laien fast die dreifache Anzahl von mit Lendenschurzen aus Fell bekleidet, gehen an Land und
Personen, die unter Wahnvorstellungen, tauschen Trockenfisch und Kaninchenfelle gegen Mehl,
Persönlichkeitsverlust und Besessenheit leiden. Das Gebäude Werkzeuge und Perlen.
besitzt vier oberirdische und drei unterirdische Geschosse und Von Kultur und Sitten dieses Volkes weiß man sehr wenig,
einen großen Innenhof. Während in den Kammern im da seine Mitglieder außer bei solchen Besuchen ihr ganzes
Untergeschoß die hoffnungslosen Fälle verwahrt werden, Leben auf See verbringen und über eine völlig eigene Spra-
finden sich in den Geschossen darüber die fortschreitenden che verfügen, die nur ganz schwache Anklänge an das alte
Stufen der Heilung. Dies ist unter anderem an der Größe der Tulamidya besitzt. So weiß man denn nur, daß sie sich zu
Fenster zu erkennen, die von unten nach oben zunimmt. gewissen Zeiten im Jahr draußen vor den Echsensümpfen
Die Noioniten sind wegen ihres Glaubens in den Verdacht treffen, um Baumaterial für neue Boote zu schneiden, Hoch-
geraten, Spione Al'Anfas zu sein, weswegen sich neuerdings zeiten zu vereinbaren und Feste zu feiern. Allein diese
ständig ein Trupp Novadis innerhalb der Mauern aufhält. Tatsache reichte in der Vergangenheit schon aus, um die
Dieser Wachdienst ist aber für die meisten Wüstensöhne so kleinen Leute als Echsenfreunde zu diffamieren - doch derlei
nervenzerrüttend, daß kaum einer länger als einen Monat hier Beschuldigungen entziehen sie sich durch rasche Flucht in
verbleibt. ihren fast unsinkbaren Booten, um die betreffende Hafen-
stadt künftig (oft jahrzehntelang) zu meiden.

7
8
Persönlichkeiten im Land der Ersten
Sonne
Was er in der Zeit der Entbehrung an Reife erworben hatte,
Kalif Malkillah III. Mustafa ibn Khalid ibn kam dem jungen Sultan zugute, als ihn erneut ein Feind der
Rusaimi Herrschaft über Unau beraubte: Diesmal waren es die Al'An-
faner, die seine Stadt eroberten, als Mustafa gerade in Mher-
wed beim Kalifen weilte. Mustafa hatte keine Wahl, als sich
erneut in die Weiten der Khom zurückzuziehen, wo er die
versprengten Truppen des Kalifen sammelte. In mehreren
Kriegszügen glückte es dem jungen Heerführer, die Al'An-
faner zu schlagen und zurückzutreiben.
Als es um die Wahl eines neuen Kalifen ging, konnte sich
Mustafa dank seiner Verdienste und einflußreicher Verbün-
deter durchsetzen. Mustafa, zuvor schon von seinen Anhän-
gern als "neuer Malkillah" gefeiert, nahm bei seiner Thron-
besteigung diesen Namen auch offiziell an. Der "Retter des
Kalifates und Bezwinger Al'Anfas" steht damit als Dritter in
einer Reihe mit dem ersten Kalifen und Eroberer Selems wie
auch mit seinem eigenen Urgroßvater, dem Eroberer Süd-
Almadas.
Malkillah III. hat sich bisher als fähiger und toleranter
Herrscher erwiesen. Es ist ein erklärtes Ziel des neuen
Kalifen, auch seinen zwölfgöttergläubigen Untertanen ein
gerechter Herrscher zu sein und den Verstand und das Wissen
der Tulamiden mit Kühnheit und Stärke der Novadis zu
vereinen.
Zu Malkillahs liebsten Freizeitbeschäftigungen zählt die Jagd:
Bei der Hatz auf Gazelle und Löwe verschmilzt er gleichsam
mit seinem Pferd, und es geschieht nicht selten, daß der
schnelle Reiter selbst seinen berittenen Leibgardisten
davonsprengt. Zuweilen zeigt er hierbei auch eine gewisse
Grausamkeit, die wohl von den Ereignissen seines jungen
Lebens herrührt.
Wie jeder Monarch im Land der Ersten Sonne hat auch
Mustafa eine ganze Reihe von Konkubinen, jedoch noch
keine offiziell angetraute Ehefrau. Angesichts der Tatsache,
daß Novadis acht Frauen nehmen dürfen, spekuliert man an
den verschiedenen Fürstenhöfen bereits über seine Auser-
Der neue Herrscher der Novadis bestieg erst vor einigen wählten.
Monden den Kalifenthron in Mherwed. Wenn man ihn heute Wie auch immer, Malkillah kann zufrieden sein: Trotz der
ausreiten sieht, gewandet in Damast und Seide, auf dem entsetzlichen Niederlage am Szinto war das Kalifat selten
Haupt den juwelengeschmückten Turban, wie er seinen zuvor so reich, seine Herden so groß und seine Sklaven so
Untertanen huldvoll zuwinkt vom Rücken seines edlen zahlreich.
Shadifhengstes Asram, scheint er wie geboren für sein hohes
Amt. Doch in Wirklichkeit war der Werdegang des Kalifen
voller Höhen und Tiefen. MU:14 AG: 3 Stufe: 8 Alter: 24
Geboren und aufgewachsen ist er als Kronprinz Mustafa von KL: 13 HA: 4 MR: 5 Größe: 1,72
Unau, wo er als Erbe eines novadischen Sultanates erzogen CH: 13 RA: 4 LE: 56 Haarfarbe: schwarz
wurde. Doch jugendliche Unerfahrenheit, Aberglaube und GE: 12 GG: 5 AE/KE: Augenfarbe: schwarz
finstere Ränke brachten ihn um den Thron, und er mußte vor KK: 12 TA: 3 AT/PA: 14/13 (Khunchomer)
seinen Feinden über den mörderischen Cichanebi-Salzsee
nach Keft flüchten. Nur dank der Kefter Novadis, der Unauer Herausragende Talente: Reiten 15, Sinnesschärfe 10,
Salzgänger und vor allem einiger tapferer Recken aus dem Abrichten 13, Betören 12, Glücksspiel 11, Kriegskunst 12,
Norden konnte er den Sultansthron zurückgewinnen. Sternkunde 11

9
Der Mautaban (Die folgenden Werte für El Harkir ersetzen die in der
Enzyklopaedia Aventurica und der Thorwal-Box angege-
Im Kalifat ist das Amt des Scharfrichters bei weitem nicht so benen.)
verrufen wie im Mittelreich: Der `Vollstrecker des Willen des
Kalifen' zählt zu den geachtetsten und meistgeehrten MU 15 AG: 3 Stufe: 15 Alter: 40
Personen bei Hofe. KL: 15 HA: 2 MR: 8 Größe: 1,80
Im Besonderen gilt dies natürlich für den derzeitigen Inhaber CH:13 RA: 7 LE: 85 Haarfarbe: schwarz
dieses Amtes. Durch seine Erfolge und heldenhaften Taten im GE: 15 GG: 7 AE/KE: Augenfarbe: schwarz
Kampf gegen Al'Anfa verdiente sich der kräftige Eunuch, KK 15 TA: 5 AT/PA: 18/14 (Säbel)
dessen Eltern noch im Regenwald lebten, zahlreiche Aus-
zeichnungen. Er führt selbst den Oberbefehl über das Heer Herausragende Talente: Wurfwaffen 14, Gefahreninstinkt
des Kalifen - denn in der Tradition gibt es keinen Unterschied 11, Orientierung 15, Akrobatik 12, Rudern/Segeln 16, Sprin-
zwischen Verbrechern und äußeren Feinden des Kalifats. Sie gen 14, Glücksspiel 10, Zechen 11, Kriegskunst 10
alle werden Esravun, dem Sternenschwert des Mautaban, zum
Opfer fallen.
Bei der Jagd nach Feinden seines Herrn kommen dem Moha
seine Gewandtheit und Körperkraft sehr zu gute. Der ehema- Arachnor von Shoy'Rina
lige Sklave ist nicht nur ein fähiger Heerführer, sondern auch
ein begabter Einzelkämpfer mit dem Khunchomer. Seltsame Wendungen des Schicksals sind nötig, wenn sich
Seine Loyalität gehört uneingeschränkt dem Kalifat, und ein fanatischer Novadi und ein Schwarzmagier zusammentun
davon wird auch sein Kampfstil geprägt. Begriffe wie sollen: Im Fall El Harkirs und Arachnors war das Überfallen
Kriegerehre und Ritterlichkeit sind dem Moha fremd, für ihn alanfanischer Schiffe das einigende Band.
sind alle Gegner des Kalifen Schurken, die es auszumerzen Denn der jüngere Bruder des Königs von Mirham rebellierte
gilt: Zu diesem Zweck benutzt er auch bereitwillig Finten, schon während seiner Zeit als Adept an der Magierakademie
Tricks und unehrenhafte Mittel wie den Einsatz von gegen die erdrückende Vorherrschaft der mächtigen Nach-
Meuchelmördern oder Gift, wenn sich kein anderer Weg barstadt und stellte seine Forschungen ganz unter das Ziel,
finden will. dereinst die verhaßten Al'Anfaner zu vertreiben und Mirham
zur alten Größe zurückzuführen. Doch seine Pläne wurden
MU 13 AG: 5 Stufe: 14 Alter: 42 verraten, und nur seine hohe Herkunft rettete den
KL: 14 HA: 4 MR: 1 Größe: 1,81 Schwarzmagier vor dem Beil des Henkers: Doch die
CH: 13 RA: 4 LE: 69 Haarfarbe: schwarz Gesandte des Patriarchen war unerbittlich, und der Prinz
GE: 15 GG: 2 AE/KE: Augenfarbe:dkl.braun mußte - aller Thronrechte beraubt - den Weg ins Exil
KK 16 TA: 3 AT/PA: (Khunchomer) nehmen.
Seitdem versucht Arachnor mit allen Mitteln, die Feinde zu
Herausragende Talente: Hruruzat 14, Fährtensuche 10, Fes- vernichten. Gute Dienste leistet ihm dabei die alleinige
seln/Entfesseln 11, Gefahreninstinkt 12, Akrobatik 13, Schlei- Kenntnis jener Formel, mit der sich die `Sieben magischen
chen 13, Sich verstecken 10, Heilkunde, Wunden 10, Persön- Winde' beschwören lassen.
liche Waffe (Esravun) 13, Selbstbeherrschung 15
Ruhollah Marwan al-Hendj, Hoher Mawdli
zu Keft
El Harkir
Der greise Ruhollah ist seit bald vierzig Jahren der Inbegriff
Einen langen Weg hat der "Fluch des Perlenmeeres" vom gottgefälliger Gesetzestreue. Wenn der kleingewachsene
einsamen Piraten bis zum hohen Würdenträger des Kalifats Novadi mit dem wallenden weißen Bart und den eisgrauen,
zurückgelegt. Nur wenige Seeleute können von jenen Tagen buschigen Augenbrauen seine donnernde Stimme erschallen
berichten, als El Harkir mit einer einzelnen Thalukke mit läßt, merkt man ihm seine 78 Jahre nicht an, wohl aber seine
blutroten Segeln den Kampf selbst gegen schwer bewaffnete unerschütterliche Ehrfurcht vor jeder Silbe aus Rastullahs
Handelsschiffe aufnahm. An der Kühnheit des Freibeuters hat Offenbarung und seine vernichtende Verachtung für alle
sich nicht viel geändert - doch heute ist der Novadi der Sünder, die sich um die 99 Gesetze drücken wollen - mit
`Kapudan Pascha', ein offizieller Korsar, dem gar ein kleiner `echten' Ungläubigen gibt der Hohe Mawdli sich ohnehin
Teil der Flotte des Kalifen unterstellt ist. In dieser Funktion nicht ab.
soll er den Seekrieg des Kalifats gegen den verhaßten alan- Ruhollah leitet seine Abstammung direkt von `Unserem
fanischen Feind führen. Viel lieber aber ist es ihm, wenn er Ersten Mawdli ar Yerhani' ab, der die 19 Geheiligten Gly-
selbst an Bord seiner Thalukke `Rastullahs Zorn' eine der phen Rastullahs einführte, einer der Begründer der Unauer
Schwarzen Galeeren entern kann - oder ein Schiff beliebiger Schule war und seit einer Pilgerfahrt in die Khom verschol-
anderer Herkunft. Denn wenig bedeutet ihm sein Palast in len ist. Im Gegensatz zu seinem eher gemäßigten Vorfahren
Mherwed oder der Titel eines `Sultans von Souram und war Ruhollah stets ein Verfechter der strengen Kefter Schu-
Al'Toum', den er dank seiner Piratenverstecke auf diesen le.
Inseln erhalten hat. Vermutlich betrachtet er es als viel höhere Schon zu Regierungszeiten Kalif Chamallas galt er als Auto-
Auszeichnung, daß bisher niemand die 200 Dublonen oder rität, und später wurde Ruhollah zum Wortführer jener, die
die 1000 Dukaten einstreichen konnte, die Al'Anfa und Kalif Abu Dhelrumun wegen seines Zauderns und seiner
Brabak auf seinen Kopf ausgesetzt haben. Mißerfolge schalten und mahnten. Nach der Entführung der

10
Kalifentochter kam es beinahe dazu, daß Ruhollah alle ten hat, den Kleinen nach dem achten Geburtstag am Hofe in
Novadis zum Sturz des Kalifen aufgerufen hätte: "Wie soll Mherwed erziehen zu lassen...
einer Rastullahs Reich verwalten, der nicht einmal in seinem
Zelte für die Seinen sorgt ?"
Nur durch eine barfüßige Pilgerfahrt nach Keft und Abbitte MU:13 AG: 5 Stufe: 4 Alter: 24
vor Ruhollah konnte Abu Dhelrumun den Hohen Mawdli und KL: 11 HA: 4 MR: -1 Größe: 1,76
damit alle Strenggläubigen versöhnen. Seit einigen Monaten CH: 13 RA: 2 LE: 41 Haarfarbe: dkl.-blond
nun schweigt Ruhollah Marwan al-Hendj; doch alle wissen, GE: 12 GG: 3 AE/KE: Augenfarbe: blau
daß sein strenger Blick auf dem jungen Kalifen ruht, stets KK:13 TA: 5 AT/PA: 12/10 (Schwert)
bereit, ihn auf den Weg des Gottgefälligen zurückzuweisen.
Herausragende Talente: Rudern/Segeln -6, Tanzen 10, Be-
tören 11

Sheranbil ibn Amullah, Erster Mawdli des Die Shanja von Rashdul
Kalifats
Wer sich auch nur für einige Stunden in Rashdul, der
Der oberste Gelehrte für göttliches Recht hat eine reichlich "Unschätzbar Alten", aufhält, wird hören, wie sich die
bewegte Vergangenheit: Als Sohn einer novadischen Familie Menschen schwärmerisch über die Schönheit der Shanja
wuchs er im überwiegend zwölfgöttergläubigen Rashdul auf unterhalten. Man nennt sie die schönste Frau im Land der
und pflegt auch heute noch recht enge Kontakte zu den Ersten Sonne, vergleicht sie mit Nahema oder Rahja, oder
Freunden seiner Jugend - auch wenn sie nicht dem Glauben an behauptet gar, die Fürstin wäre mit einer jener überirdischen
Rastullah anhängen. Gestalten identisch, zumindest eine Tochter derselben, oder
Seine Ausbildung zum Rechtsgelehrten erhielt der junge Mann gar ein weiblicher Djinn - jedenfalls wisse keiner, was Glück
bei den Mawdlis in Unau und Mherwed, während er die hohe sei, der sie noch nicht gesehen habe; das aber sei keinem
Schule in Keft nur bei kurzen Besuchen beehrte. Als wäre dies Sterblichen vergönnt. Erst nach diesem Redeschwall der Be-
noch nicht genug, um die konservativen Mawdliyat in Keft geisterung stellt sich meist heraus, daß die Shanja als die
gegen ihn einzunehmen, wählte Sheranbil für sich noch rechtmäßige Fürstin Rashduls angesehen werde, wenn auch
freiwillig die wenig angesehene Aufgabe eines wandernden ihr Oheim der tatsächliche Regent sei.
Mawdlis und zog so einige Jahre lang durch alle fernen
Ansiedlungen von Söhnen Rastullahs, um Streitigkeiten zu
Der Hintergrund dieser märchenhaften Geschichte konnte
schlichten und Probleme der Rechtsauslegung zu beseitigen:
sicherlich nur im Land der Tulamiden wirklich werden: Der
Von Khunchom über Zorgan nach Gareth und weiter nach
letzte Fürst Rashduls war Kasim ben Rhayad, Nachfahre und
Vinsalt und Chorhop führte ihn sein Weg, ehe er in das Kalifat
Thronerbe General Rashijds. Da ihm seine sechs tulamidi-
zurückkehrte.
schen Ehefrauen samt und sonders keine Kinder geboren
Hier stieg er dank seiner Kenntnisse anderer Länder rasch auf
hatten, heiratete er im Alter von 74 Jahren die blutjunge
und erreichte immer höhere Ämter bei Hofe, bis ihn Kalif
Eshila, die wie er aus einer seßhaften Sippe der Beni Avad
Malkillah III. schließlich als seinen Ersten Mawdli des
stammte. Binnen weniger Monate stand der greise Fürst
Reiches berief - und so versucht der inzwischen 48jährige
völlig im Bann der wunderschönen Siebzehnjährigen. Als
Sheranbil, die Novadis zu größerer Toleranz den andersgläu-
Eshila ihm mitteilte, daß sie ihm einen Sohn gebären würde,
bigen Untertanen des Kalifen und Nachbarn gegenüber
aufzurufen. ernannte er sie selbstverständlich zu seiner Shanja; doch
Eshila forderte ihn zudem auf, seine anderen Ehefrauen zu
verstoßen. Ohne Zögern zerriß Kasim die sechs Akkharid-
Tücher und schickte die Frauen zu ihren Familien zurück.
Selo Kulibin, Fürst von Khunchom Das Hofzeremoniell der Fürsten Rashduls hatte diese schon
immer von ihren Untertanen abgeschirmt, aber dank Eshila
Schon vor einigen Jahren hat man den damaligen Kronprin- bekam von nun an praktisch niemand mehr Fürst Kasim zu
zen als "nett, aber etwas nichtssagend" beschrieben - daran sehen. Wann genau in den folgenden Jahren er starb, läßt sich
hat sich bis auf den heutigen Tag nicht viel geändert. Groß- daher nicht ermitteln. Es wäre ungerecht, Eshila einen Gat-
fürst Selos Wunsch ist es offenbar, zu allen Leuten freundlich ten- und Fürstenmord zu unterstellen; man kann sicherlich
zu sein und keinem Kummer zu bereiten: Es paßt zu dieser davon ausgehen, daß der alte Herr einen sehr angenehmen
Einstellung, daß er dem Hohen Rat Al'Anfas zum Tode des Tod in den Armen seiner geliebten Gemahlin hatte.
Patriarchen Tar Honak ein Beileidsschreiben schickte... Zu diesem Zeitpunkt gab es kaum einen Höfling, der etwas
Eigentlich gibt es nur eines, das der junge Monarch verab- gegen Eshilas weitere Herrschaft einzuwenden gehabt hätte:
scheut: die Seefahrt in all ihren Formen, denn sein vom Meer Ihr Oheim, Sheik Almut ben Saajd, war fürstlicher Wesir, die
begeisterter Vater Istav Kulibin nahm ihn selbst bei wildesten Rashduler Reiter wurden fast ausschließlich von Offizieren
Stürmen mit auf hohe See. Dadurch entwickelte Selo eine der Beni Avad kommandiert. Übrigens: Von einer Schwan-
tiefe Abneigung gegen Schiffe und hätte - so spottet man am gerschaft Eshilas ist bis heute nichts zu bemerken, und sie
Hafen - die Khunchomer Kriegsflotte beinahe an seinen regiert nun schon seit etwa 17 Jahren!
neuen Freund Kalif Mustafa verschenkt. Aber der ebenso klugen wie schönen Herrscherin ist klar, daß
Selos größte Liebe sind seine Frau Shenny und sein kleiner sie in der tulamidischen Männerwelt mit dem Feuer spielt.
Sohn - und er ist sehr stolz darauf, daß ihm Mustafa angebo- Daher tut sie alles, um das Geheimnis um die wahre Herr-
schaft von Rashdul zu wahren und die Zuneigung ihrer

11
Untertanen zu fördern - und eine märchenhafte Fürstin hat
dazu die besten Voraussetzungen. Zudem fördert die Shanja
das Gerücht, sie stehe vollständig unter dem Einfluß ihres
Oheims, dessen Erbansprüche auf den Rashijden-Thron noch
geringer sind, der aber wenigstens ein Mann ist. (In Wirk-
lichkeit ist Sheik Almut ihrem Liebreiz gegenüber genauso
hilflos wie jeder andere Mann.)
Bei den wenigen Mächtigen, die bis zu ihr vordringen, haben
der Mythos um Eshilas Person und ihr märchenhafter Palast
meist schon Wirkung gezeigt, und ihrer Schönheit, ihrem
Charme und ihrem - buchstäblich - bezaubernden Wesen
konnte bisher noch kein Mann völlig widerstehen. Und was
die wenigen Unerschütterlichen angeht: Eshila hat auch
gelernt, daraus Vorteile zu ziehen, daß sie als Frau stets
unterschätzt wird - eine sehr tulamidische Einstellung, die
aber auch gegen die Mächtigen dieses Volkes immer wieder
wirkt.
Auch sonst ist Eshila eine typische Angehörige tulamidischer
Hochkultur. Sie ist eine begabte Zitarspielerin und Tänzerin
und besitzt eine umfangreiche Sammlung kunstvoller
Talismane, von denen sie stets ein halbes Dutzend mit sich
führt. Sie versteht sich auf Sternkunde, Trankdeuterei und
manchen Hexenzauber und beherrscht einige magische
Tänze. In Rashdul ließ die Shanja zwar in weiser Voraussicht
von novadischen Verwandten einen Rastullah-Tempel
einrichten. Sie selbst ist jedoch überzeugte Anhängerin von
Phex und Rahja, und es geht das Gerücht, daß sie sich beim
Fest der Freuden unerkannt unter die Feiernden mischen soll.
Obwohl dieses Gerücht wie so viele von ihren eigenen
Handlangern verbreitet wurde, suchen jedes Jahr wieder
Tausende junger Männer im Gewühl nach ihr - in der
Hoffnung, etwas mehr zu erhaschen von ihr als nur einen
Blick. fruchtete nichts, Abu Dhelrumun konnte sich zu keinem Er-
oberungskrieg durchringen, die Befreiung der Kalifentochter
bedeutete nur den Abschluß, nicht das Scheitern von
MU 13 AG: 5 Stufe: 10 Alter: 34 Hasrabals Versuch.
KL: 15 HA: 2 MR: 5 Größe: 1,71 Seither hat der Sultan in seinen Bemühungen keineswegs
CH: 18 RA: 2 LE: 58 Haarfarbe: schwarz nachgelassen, seine Agenten, teils menschlicher, teils
GE: 12 GG: 5 AE/KE: 20 Augenfarbe: schwarz magischer Natur, sind im ganzen Land der Ersten Sonne
KK:8 TA: 4 AT/PA: 10/8 (Krummdolch) unterwegs. Auch in jüngster Zeit, als der Kalif als verschollen
galt, stand Hasrabal bereit, um jede Gelegenheit zu nützen. Er
Herausragende Talente: Bekehren 10, Betören 16, Heilkun- ist, wie die Tulamiden sagen, der Wind-König des Inrah-
de, Seele 10, Lügen 14, Musizieren 13, Prophezeien 12, Spieles, der seine Augen und Hände überall hat.
Tanzen 14, Staatskunst 10 Dabei ist Sultan Hasrabal ein religiöser Mensch: Er opfert
dem neuen Gott Rastullah, und dies keineswegs aus reiner
Berechnung. Die Wenigen, die ihn kennen, beschreiben
Sultan Hasrabal als Mann in den besten Jahren, von beste-
Sultan Hasrabal chender Intelligenz und mit enormer Ausstrahlung; vor allem
seine faszinierenden grauen Augen werden immer erwähnt.
Seit einigen Jahrzehnten regiert Hasrabal ben Yakuban, der
Sein Charakter ist der eines geborenen Monarchen:
sich Sultan der Gorier nennt, in seinem berüchtigten unein-
feinsinnig in seinen Äußerungen, rücksichtslos gegenüber
nehmbaren Palast Al'Ahabad. Er träumt von der Erneuerung
seinen Untergebenen, gnadenlos gegenüber seinen Feinden.
des Gorischen Großreiches, mit seinen Städten Anchopal und
Auch sonst ist er vom Scheitel bis zur Sohle ein tulamidi-
Aimar Gor, vielleicht sogar Khunchom. Alles, was der
scher Potentat: Sein Harem ist weithin für seine schönen
Sultan tut und denkt, auch seine Meisterschaft als Illusionist
Frauen berühmt - berüchtigt jedoch für die Art, wie sie
und Beschwörer, ist auf dieses eine Ziel gerichtet.
dorthin gelangt sind. Sein Koch, ein verwachsener Zwerg, ist
Schon vor fast 15 Jahren schickte Hasrabal seine Unterhänd-
ein Meister seines Faches, mit Nareb ibn Yussuf dient ihm
ler zu Kalif Abu Dhelrumun, um ihn zu einem gottgefälligen
einer der besten Zitarspieler aller Länder. Hasrabals luxuriö-
Vorstoß ins heidnische Aranien zu bewegen, im Zuge dessen
se Menagerie umfaßt Jagdfalken, Geparden und Sandwölfe,
Sultan Hasrabal dann Gorien hätte übernehmen können. Da
sein Stall einige der Tulamiden-Shadif, die für ihre Neigung
der Kalif sein Zaudern nicht aufgeben wollte, ließ Hasrabal
zu magiebegabten Reitern bekannt sind, und einen Reitele-
seine Unterhändler beim nächsten Besuch die einzige Toch-
fanten.
ter des Kalifen entführen. Doch selbst dieses Druckmittel

12
Am beeindruckendsten ist jedoch sicherlich seine Palaststadt
Al'Ahabad, die von einem seiner Vorfahren erbaut wurde und
heute in erster Linie durch Hasrabals eigene magische
Fähigkeiten erhalten wird. Mehrere Djinnen des Wassers und
der Luft sorgen für die Versorgung der Bewohner, die
Bewässerung der Anlagen, und die Sicherheit des Palastes.
Die Spione des Kalifen, von denen einige viele Monate im
Palast eingekerkert waren, berichteten über unheimliche Ge-
fahren von vielerlei Art, und es gilt allgemein als ausgespro-
chen selbstmörderisch, in diesen Palast einzudringen - zumal
der Sultan in den letzten zehn Jahren, in denen kein Spion
mehr zurückgekehrt ist, deutlich an arkaner Macht gewonnen
hat!

MU 16 AG: 3 Stufe: 13 Alter: 56


KL: 17 HA: 4 MR: 11 Größe: 1,67
CH: 18 RA: 2 LE: 28 Haarfarbe: schwarz
GE: 10 GG: 7 AE/KE: 91 Augenfarbe: grau
KK 11 TA: 2 AT/PA: 12/10 (Krummdolch)

Herausragende Talente: Lügen 12, Lesen/Schreiben 13,


Menschenkenntnis 12, Sternkunde 11
Zauberfertigkeiten: Spezialgebiete Beschwörung, Illusion;
Bannbaladin 11, Respondami 10, Meister minderer Geister
12, Transversalis 10, Duplicatus Doppelpein 15, Erleuchten
10, Paralü 14, Salander Mutanderer 12, Elementare
beschwören (Wasser) 7

Nedime, die Tochter des Kalifen


Als Nedime geboren wurde, herrschte in Mherwed und der
ganzen Khomwüste neun Tage eitel Freude: Das erste Kind lebte glücklich und zufrieden, bis der junge Recke eines
des jungen Kalifen Abu Dhelrumun, wenn auch kein Sohn! Tages aufstand mit den Worten: "Ich treff' mich mal kurz mit
In den folgenden Jahren jedoch zeigte sich zur allgemeinen meinen alten Kumpels..."
Beunruhigung, daß Nedime auch das einzige Kind des Kali- Zur Ehrenrettung des jungen Ehemannes muß gesagt werden,
fen blieb. Abu Dhelrumun erwies ihr all seine Liebe - kein daß er in den folgenden Jahren noch zweimal bei Nedime
Wunder, wie man bei Hofe murrte, war sie doch das einzige, vorbeischaute und daß er wirklich wichtige Dinge zu
was er je vollbracht hatte. erledigen hatte.
Im Jahr 2 Hal wurde die gerade Siebzehnjährige von Sultan Nedime jedenfalls ernährt seither sich und ihre drei rothaari-
Hasrabals Handlangern nach Gorien verschleppt. An eine gen Kinder Alrik (12), Hagen (10) und Harika (7), indem sie
militärische Aktion, um die Geisel zu befreien, war natürlich die Märchen ihrer Heimat erzählt und vom Leben am Hofe des
nicht zu denken. Der Kalif sandte daher zunächst rudelweise Kalifen berichtet. Wenn ihr auch nicht jeder Mittelländer
Agenten aus, und griff dann auf den tulamidischen Brauch glaubt, daß sie selbst all das erlebt hat, wird doch besonders
zurück, daß der Retter eines Reiches auch sein Erbe werden oft ein Märchen gewünscht: Das von "Nedime, der Tochter
soll. Aber alle, ob Agenten oder Brautwerber, scheiterten des Kalifen".
kläglich an Hasrabals verzaubertem Palast Al'Ahabad. Erst
einem Ungläubigen - sogar nicht einmal ein Tulamide - MU:13 AG: 7 Stufe: 5 Alter: 31
gelang es schließlich, Nedime zu retten. KL: 11 HA: 5 MR: -6 Größe: 1,69
Die ganze Affäre wurde natürlich totgeschwiegen: Der Sul- CH: 14 RA: 4 LE: 40 Haarfarbe: schwarz
tan war nicht daran interessiert, daß seine Pläne bekannt GE: 12 GG: 2 AE/KE: Augenfarbe: schwarz
wurden, und dem Kalifen war es ungemein peinlich, daß
KK: 8 TA: 6 AT/PA: 8/8 (Dolch)
ausgerechnet ein Ungläubiger seine einzige Tochter befreit
und - seinem Versprechen gemäß - zur Frau erhalten hatte.
Herausragende Talente.. Etikette 11
Da damit auch keine Möglichkeit mehr bestand, durch die
Verheiratung Nedimes den zukünftigen Kalifen zu bestim-
men, nahm der gebrochene Abu Dhelrumun es hin, daß
Nedime an der Seite eines vielversprechenden, aber dennoch Abu Terfas Ysasser Shenesach
ungläubigen Glücksritters in den Sonnenuntergang - sprich:
nach Westen - ritt. Im Land der Ersten Sonne erscheinen von alters her immer
Natürlich kam es, wie es kommen mußte: Das junge Paar wieder Harpyien, Mantikoren und andere Mischwesen. Heute
gibt es jedoch nur noch einen einzigen Magier, der die Macht

13
Die einzigen `normalen' Lebewesen in Abu Terfas' Palast sind
eigentlich seine drei Frauen und einige Diener, die allesamt in
der Nähe des uralten und unheimlichen Zauberers etwas
seltsam geworden sind.

MU 17 AG: 5 Stufe: 17 Alter: 126


KL: 18 HA: 2 MR: 9 Größe: 1,58
CH:14 RA: 2 LE: 46 Haarfarbe: grau
GE: 14 GG: 4 AE/KE: 73 Augenfarbe: schwarz
KK 13 TA: 1 AT/PA: 13/16 (Klaue)

Herausragende Talente: Tierkunde 14, Fliegen 11, Reiten 11,


Abrichten 13, Alchimie 14, Heilkunde, Gift 10, Lesen/
Schreiben 10, Rechnen 12
Zauberfertigkeiten: Spezialgebiet Verwandlung von
Lebewesen; Band und Fessel 10, Herr über das Tierreich 11,
Somnigravis 12, Salander 10, Mutabili Hybridil 16

Adawadt
Manche erfahrene Ferkinajäger, die sich alleine ins ewige Eis
des Raschtulswalles gewagt haben, erzählen, daß sie ihn
schon gesehen haben: Auf einem Gipfel sitzend, unbeweglich
zum Himmel oder ins Tal starrend, acht Schritt groß und
selbst wie ein verwitterter Granitblock wirkend, mit zotteli-
gem, im Bergwind flatternden Haar.
Adawadt ist ein echter Riese, vielleicht der größte und älteste
der wenigen, die heute noch existieren. Entstanden aus einer
unfaßbaren Naturgewalt, älter als alles, was die Menschen
kennen.
Für die meisten Menschen ist Adawadt nur eine Märchenge-
stalt. Zu unheimlich ist ihnen die Vorstellung, es könne diesen
und den Charakter hat, ständig neue Chimären zu erschaffen: lebenden Berg tatsächlich geben, dennoch ranken sich viele
Der Magier Abu Terfas Ysasser Shenesach empfindet sich Gerüchte um ihn. Manche Leute sagen, daß er sich nur einmal
selbst als Künstler auf der ewigen Suche nach der vollkom- in einem Menschenleben erhebt, und auch dann nur, um auf
menen Form und als rechtmäßiger Erbe der Magier-Mogule einen anderen Gipfel des Raschtulswalles zu steigen. Manche
vom Gadang. Denn er als einziger kennt jenes Elixier, das die sagen, daß er von seinem Berg aus alles sieht und sich alles
Kreuzung fast beliebiger Tierarten ermöglicht. Zudem hat merkt, und da er das seit Anbeginn der Zeit tut, muß er das
Abu Terfas sich ausführlich mit Hexen- und Druidenzaubern weiseste Wesen der Welt sein. Die Novadis der nördlichen
zur Beeinflussung der Tierwelt beschäftigt. Khom behaupten gar, daß er der älteste Sohn Rastullahs sei.
Dennoch hat der auffällig klein gewachsene Tulamide bei Alle Jahrzehnte bricht wieder einer der Sterblichen auf, um
einem mißglückten Versuch mit einer Khoramsbestie seinen den Riesen zu suchen und ihm eine jener großen Fragen zu
linken Unterarm verloren. Seither trägt er eine kunstvoll stellen.
geschnitzte Klaue aus versilbertem Elfenbein, mit der er recht Adawadt ist nicht besonders intelligent, aber vermutlich der
geschickt Angreifer abwehren kann. klügste der heute noch lebenden Riesen; vor allem hat er im
In der Umgebung von Abu Terfas' Palast in den Ausläufern Lauf der Jahrtausende eine gewisse abgeklärte Weisheit
des Khoram-Gebirges nahe Samra wimmelt es von erlangt. Was immer im ewigen Lauf der Welt wiederkehrt, ob
Mischwesen aus Wüstenskorpion und Klapperschlange, "die es die Wege der Sterne, des Wetters oder des Schicksals sind,
an beiden Enden giftig sind" - wie er gerne voll Schöpferstolz kennt der alte Riese.
erklärt. Diese Monster sind als einzige bedingt fruchtbar und
haben bisher noch jeden Fremden abgehalten; Abu Terfas
selbst verläßt seinen Palast nur noch auf dem Luftweg. Im
Palast sähe ein Eindringling sich dann mehreren Kreuzungen MU 20 AG: 1 Stufe: ?? Alter: uralt
aus Schakal und Schlange, vor allem der Blutotter, und KL:10 HA: 0 MR: 19 Größe: 8,02
einigen Sandlöwen-Chimären gegenüber. Abu Terfas' er- CH:15 RA:12 LE: 193 Haarfarbe: grau
folgreichste Schöpfung ist die Kreuzung eines Gorischen GE:6 GG: 5 AE/KE: Augenfarbe: rot
Schwarzgeiers mit einem Quadan. Der geflügelte Wildesel KK 38 TA: 1 AT/PA: 8/6 (junge Zeder)
mit Kopf und Krallen eines Raubvogels dient ihm als Reittier
und ernährt sich von den Kadavern weniger erfolgreicher Herausragende Talente: Wettervorhersage 18, Prophezeien
Versuche. 15, Sternkunde 18

14
15
Khadil Okharim - Leiter der Riftah saba Althufir, Botschafterin des
Akademie "Drachenei" Kalifen in Khunchom
Der 46-jährige, wohlbeleibte Magier ist als Lehrer ein Erst seit kurzer Zeit hat die Kriegerin vom Stamm der Beni
Naturtalent und versteht es, seine Studenten durch seine Terkui ihr Amt und den Titel einer Beysa inne - davor lag ein
heiteren Vorträge auch an schwierigste Stoffe heranzuführen. wechselvolles und abenteuerliches Kriegerleben.
Daß hübsche weibliche Adepten seine besondere Denn Riftah ist eine Amachd'sunni: Nachdem ihr Vater und
Aufmerksamkeit genießen, hat seiner Beliebtheit in der ihre Brüder in einer Stammesfehde starben, nahm die junge
Akademie bisher kaum geschadet - zu sehr bewundern die Novadi entsprechend der Tradition die Blutrache auf und
Schüler Khadils verblüffende Fähigkeiten. Speziell mit den führte sie zu einem siegreichen Ende für ihre Sippe. Dadurch
vielfältigen Facetten des `ARCANOVI' kann er umgehen wie wurde sie allerdings nach dem Recht ihres Stammes zum
sonst kein zweiter der Zunft. "Mann" - ohne Aussicht auf eine Heirat zog sie daher als
Khadils viel bestaunte Spezialität ist es, durch geschickte Kämpferin durch die Lande.
Variationen klassischer Formeln neue Wirkungen zu erzielen, Nachdem sie bereits einige Jahre in Khunchom als Söldnerin
so daß er fast jeden Wunsch erfüllen kann, der an ihn gedient hatte, quittierte sie den Dienst, um gegen Al'Anfa zu
herangetragen wird: Ganz gleich ob es ein Schwert mit einem kämpfen. Ihr jetziges Amt erhielt sie unter anderem, weil sie -
purpurn leuchtenden `FLIM-FLAM' oder ein goldener Pokal als Novadi der zentralen Khom - fließend Garethi spricht. Bei
mit einem alkoholvernichtenden `ABVENENUM' sein soll - ihrer ersten Begegnung mit dem neuen Kalifen stellte sich
Meister Khadil gelingt es, fast jeden Auftraggeber zufrie- eine kuriose Verbindung zu diesem heraus: Durch Zufall kennt
denzustellen. auch Riftah jene mittelländischen Helden, die Mustafa zu
Das ist nämlich seine zweite Seite: Der stets gut gelaunte seinem rechtmäßigen Unauer Thron verholfen haben.
Magier hängt sehr an den Annehmlichkeiten des Lebens - Von ihrem vielbemunkelten Harem macht die Kriegerin
seidene Roben, edle Weine, schmackhaftes Essen - und übrigens keinen Gebrauch - er ist einfach das Statussymbol,
nimmt deshalb auch Aufträge an, die er sich natürlich teuer das einem novadischen Würdenträger zusteht.
bezahlen läßt...
Daß er mit dieser Praxis nicht überall auf Gegenliebe stößt, ist
klar: "Unser Xeraan" nennen ihn seine Adepten halb MU 15 AG: 3 Stufe: 9 Alter: 31
KL:13 HA: 4 MR: 5 Größe: 1,69
spöttisch, halb liebevoll - und die Kollegen von anderen CH:13 RA: 5 LE: 85 Haarfarbe: schwarz
Instituten finden noch weit härtere Namen für ihn. GE:15 GG: 1 AE/KE: Augenfarbe: schwarz
Seine Spectabilität lassen solche Schmähungen kalt. Er ist seit KK 14 TA: 3 AT/PA: 15/13 (Doppelkhunchomer)
langem der Meinung, in der akademischen Magie herrsche
allgemein eine zu große Verbissenheit und Humorlosigkeit. Herausragende Talente: Orientierung 10, Reiten 13, Abrich-
ten 10, Glücksspiel 10, Stimmen imitieren 11

16
Mancherlei Geheimnisse und
Meisterinformationen
Die Wüstenelfen in der Hauptstadt des Kalifates einige Probleme verursachen
"Gar nicht toth zu machen scheynt die Mär von dero Wü- könnte, ist dem Tulamiden bewußt, doch das verborgene
steneiben, so seyen ein verluren vierthes Volck. Gar manche Heiligtum im Keller seines Hauses pflegt er weiterhin mit
Seltsamlichkeyt schreybbt man ienen zu, und grad die mira- Hingabe und Gottesfurcht.
culösen Ding darunt erscheynen mir (bey einem Elbenvolck)
viel glaublicher denn manch Behauptnis, so eher zu einem Die Ruinen von Zhamorrah
unbekannten Stamm der Wüsten passet: Dasz sie keyn Spu- Am Zusammenfluß der zwei großen Ströme des Landes der
ren im Sand hintherlaszen und gar invisibel seyn, lasset wohl Ersten Sonne, dem Mhanadi und dem Gadang, liegt heute
auf echte Elben dencken. Auch dasz sie das Geheymnus eine kleine Stadt namens Samra, die nicht mehr als regionale
ewger Jugend haben täthen, mag ich noch als Unverständnis Bedeutung hat. Die Märchen und Überlieferungen der alten
von elbischer Langlebigkeit verstehn. Doch dasz sie eyne Tulamiden verraten uns aber, daß hier dereinst Zhamorrah,
alte Stadt bewachen sullen und dasz sie gar zu irgendwelchen eine Stadt der Magier-Mogule vom Gadang, lag. Am Ende
Göttern bethen, das lasset mir eher vermuten, dasz es doch der Skorpion-Kriege wurde Zhamorrah von dem zauber-
verluren Kinder des Menschengeschlechtes seyn. Und so es mächtigen Sultan Sulman al-Nassori zerstört.
doch wahr seyn mag, dann musz ich wohl sagen, dasz sie Kaum jemand jedoch weiß, daß die Geschichte Zhamorrahs
noch mehre denn die Auelben von ihrem überirdschen Er- noch viel weiter zurückreicht. In den Zeiten, als die Leviata-
btheil verloren haben, sodasz sie heut wohl nit mehr denn nim das Zweistromland beherrschten, war Zhamorrah - wie
zauberkundich, spitzohriche Wüstenmenschen seyn." immer man es damals ausgesprochen haben mag - eine ihrer
(Aus: "Menschen und Nichtmenschen - Ein phänotypischer wichtigsten Städte. Die Eroberung dieser Stadt muß der
Vergleich", Silas, ca. 475 v.H.) entscheidende Wendepunkt im Kampf der Menschen gegen
die Echsenfürsten gewesen sein.
Das Drachenei Es muß wohl Rashtul al-Sheik gewesen sein, der dies erkannte.
Nur wenigen Eingeweihten ist bekannt, daß die Khunchomer Damals müssen mindestens hundert der entsetzlichen
Drachenei-Akademie ihren Namen nicht einfach daher hat, Leviatanim hier gelebt haben, und viele tausend Angehöriger
daß sie in der gleichnamigen Gasse liegt. Vielmehr wird das ihrer echsischen Dienervölker. Wahrscheinlich wählte der
`Drachenei', der bei der Eroberung der Stadt angeblich Sheik-al-Sheik eine Nacht in jenem Monat aus, den wir heute
verschollene Reichsdiamant der Sultane, in den weiten Kel- Firun nennen, während dem auch im Land der Ersten Sonne
lergewölben der Akademie aufbewahrt. die niedrigsten Temperaturen herrschen. In jener besonders
Die Beweggründe der Magier haben dabei wenig mit dem kalten Nacht müssen die Echsenwesen fast wehrlos gewesen
materiellen Wert des Edelsteines zu tun. Vielmehr hat sich sein. Ein vieltausendköpfiges Heer der Ur-Tulamiden, bereit
gezeigt, daß die Anwesenheit des Diamanten bestimmte zu sterben oder zu siegen, fiel damals in Zhamorrah ein. Die
Zauber der Verwandlung von Unbelebtem leichter und ra- Tapfersten unter ihnen müssen jene gewesen sein, die sich auf
scher geschehen läßt (wie man es ja auch von anderen die Wachen stürzten - Leviatanim, die durch ihre Magie vor
Juwelen wie dem Polardiamanten glaubt). Auch haben die der Kälte geschützt waren. Sie müssen gewußt haben, daß
forschenden Magier manchmal eine Eingebung über die auch der Angriff einer dreißigfachen Übermacht auf einen
Lösung schwieriger Probleme erfahren, nachdem sie eine aktiven Leviatan den sicheren Tod bedeutet. Aber nur durch
Weile über dem Funkenspiel des Diamanten meditiert ha-ben. ihr Opfer konnte es den Anderen gelingen, die schlafenden
Aus diesem Grund kann man das Drachenei fürwahr als den Tyrannen zu töten. Es hat sicherlich ein entsetzliches Blutbad
`Grundstein' der Akademie bezeichnen, und die Hohen auf beiden Seiten gegeben, aber wie wir wissen, setzten die
Magister hüten es wohl. Denn dränge etwas von der Existenz Menschen ihren Siegeszug fort, während für die mächtige,
dieses Juwels an die Öffentlichkeit, müßten sie nicht nur die aber zahlenmäßig geringe Rasse der Leviatanim der Verlust
besten Diebe Aventuriens fürchten (andere sind kaum eine von hundert Angehörigen letztlich vernichtend war.
Gefahr für erfahrene Magier), sondern auch die Ansprüche In Zhamorrah entdeckten die Menschen Geheimnisse, die wir
diverser Gruppen abwehren, die das Reichssymbol des alten uns heute nicht mehr vorstellen können, und sowohl die
Diamantenen Sultanats für sich beanspruchen würden. Magier-Mogule als auch die Diamantenen Sultane begrün-
deten ihre Macht auf jenen Entdeckungen. Selbst die endgül-
tige Zerstörung Zhamorrahs kann nicht alle diese Geheim-
nisse vernichtet haben.
Wunderbare Maultiervermehrung Heute sind die Ruinen der alten Stadt rings um Samra kaum
Die Wege der Götter sind wunderbar: Der Mherweder noch zu sehen. Über die Jahrhunderte haben der Schlamm der
Maultierzüchter Amul al-Hinnj ist fest überzeugt (mit eini- zwei Ströme, der Staub der Gorischen Steppe, Dornen und
gem Recht), daß seine Maultierstuten nur deshalb mit Frucht- Gras die Mauerreste bedeckt.
barkeit gesegnet sind, weil in seiner Familie seit Generatio-
nen treu die Göttin Tsa verehrt wird. Daß diese Tatsache ihm

17
Aber kann eine Stadt von dieser Macht in Aventurien völlig Schlangen und Skorpione auf den warmen Steinen? Was
vergehen? Können die Geister von Wesen mit der astralen bedeuten die kaum sichtbaren Schriftzeichen auf jedem
Kraft eines Leviatanim oder eines Magier-Mogules völlig Brocken der Ebene, so klein oder so groß er auch sein mag?
verbannt werden? Welche Bewandtnis hat es mit jenen Und warum erscheinen die fremdartigen Schriftzeichen sogar
Schatten, die selbst an flirrend heißend Sommertagen zwi- auf Lehmziegeln und Felsen, die heutzutage in die Hügel
schen den Hügeln huschen, die einst die Mauern Zhamorrahs gebracht werden? Was haben uns die Ruinen von Zhamorrah
waren? Warum sonnen sich so auffällig viele Eidechsen, zu erzählen?

Abenteuer im Land der Ersten Sonne


Die Länder der Tulamiden und die Große Khom waren bisher chen ungewöhnlich und gelten unter `Profis' als unzuverläs-
schon Schauplatz mehrerer offizieller DSA-Abenteuer. Am sig.) Kämpfer aller Art und Magier werden gewohnheitsge-
Besten läßt sich jedoch der ganze Zauber des Unbekannten mäß angeworben. Geweihte hingegen, sofern nicht von Phex
Aventuriens einfangen, wenn der Meister eine Kampagne - oder Rondra, die derart weltlich agieren, irritieren die meisten
eine Serie aufeinanderfolgender Abenteuer - gestaltet. Auftraggeber. Nivesen, Mohas und Elfen sowie Angehörige
Zunächst kennen die Helden nur die Lage der größten Städte niedriger Berufe wie Gaukler werden höchstens als dienstbare
und beherrschen nicht einmal die Sprache. Nach und nach - Geister und Sklaven betrachtet; ihre Beteiligung an
wenn sie durch den ersten Stufenanstieg Talentpunkte in Verhandlungen löst Befremden aus: "Eure Pferde fragt ihr
Sprachen kennen und Geographie investiert haben - werden wohl auch um ihre Meinung?"
sie vertrauter mit dieser fremden Welt werden. Aber wenn Typische Zahlungen sind 2 Silbertaler pro Tag für Anfänger,
Sie es überzeugend darstellen, sollten auch mittelländische 3 Silbertaler für Männer mit entsprechender Ausrüstung, und 5
Helden, die sich als erfahrene Söldner und große Zauberer Silbertaler für einen Offizier oder erfahrenen Spezialisten.
einen Namen gemacht haben, niemals das Gefühl verlieren, Dazu kommen häufig Beuteanteile, Erfolgsprämien und
sich in einer faszinierend fremden Hochkultur zu bewegen, Sterbegelder - wenn die Truppe Verluste hat, erhalten die
viel barbarischer hier, so viel zivilisierter da, und in so vieler Überlebenden genug Geld für eine anständige Bestattung.
Hinsicht noch immer unverständlich. Um so eine Kampagne Machen Sie sich den Spaß, Ihre Meisterperson derartige
zu gestalten, seien hier einige Abenteuervorschläge und Vertragspunkte knochentrocken und routinemäßig behandeln
einige wichtige Elemente für Abenteuer beschrieben. zu lassen; das Söldnerleben ist kein Vergnügen: "Punkt 5: 1
Dukaten für jeden Totalverlust, gar nichts, wenn die ganze
Truppe aufgerieben wird, einverstanden?"
Der Khunchomer Kodex Sobald sich die Helden einen Namen als seriöse und organi-
Viele Aufträge Ihrer Helden werden im Land der Ersten sierte Truppe gemacht haben (was nur im Zuge einer mehr-
Sonne nach jenen Söldnergesetzen geregelt werden, die als jährigen Kampagne in der Region möglich ist und natürlich
der Khunchomer Kodex bekannt geworden sind: Eine Art auch alle Nachteile der Bekanntheit mitbringt), haben sie
beispielhafter und allgemeingültiger Kollektiv- oder Anrecht auf Ablösezahlungen von etwa 10 Dukaten; nun
Tarifvertrag, der vorschreibt, welche Pflichten und Rechte können sie als die knallharten Verhandler auftreten: "Zuerst
Söldner, Söldnerführer und Soldherr in ihrem individuellen das Gold, Effendi. Unter 10 Dukaten sprechen wir überhaupt
Vertrag übernehmen. Dank diesem findet die Rekrutierung nicht über einen Wechsel unseres Auftraggebers!"
heute im Wesentlichen durch die Söldnertruppe selbst statt, Es kann der Glaubwürdigkeit eines Abenteuers nie schaden,
der Dienstgeber schließt seinen Vertrag mit einem wenn die Spieler bemerken, daß sie nur Teil einer
Hauptmann oder gar einer Organisation wie den ablaufenden Geschichte sind und daß ihre Umwelt ebenfalls
Tulamidischen Reitern in Fasar (mit 1000 Mann die größte auf die auftretenden Probleme reagiert. Und zeigen Sie ihnen,
Truppe dieser Art in Aventurien) oder den Löwen von daß `Held zum Mieten' letztlich ein ungewöhnlicher Beruf ist,
Thalusa (immerhin noch 300 Mann). nicht besonders angesehen, aber mit einem gewissen Respekt
Häufig werden die Helden, besonders niedrigstufige, ihren verbunden, gefährlich und anstrengend, und keineswegs der
Auftraggeber gar nicht kennenlernen oder auch nur seine Inbegriff der Freiheit, von dem Klein-Alrik träumt - aber
Identität erfahren. Stattdessen werden sie mit einem Vetera- dafür mit der Möglichkeit, Karriere zu machen.
nen verhandeln, der gewohnt ist, nicht nur Kämpfe, sondern
auch Verhandlungen zu führen. Üblicherweise wird eine Die Rückkehr des Großen Schwarms
typische Heldengruppe angeworben, weil ein Auftrag nicht In diesem Abenteuer beauftragt einer jener typischen tulami-
nur einfache Krieger erfordert, weil man sich aber auch nicht dischen Zauberer, beeindruckend und unheimlich zugleich,
gleich an einen echten Zauberer, die Hadjiniim, die Schat- die Helden damit, ihm drei bestimmte Papyrus-Rollen zu
tenkrieger oder die Assassinen wenden will - machen Sie aber beschaffen. Er bezahlt großzügig, stellt ausreichend Infor-
klar, daß solche kostspieligen, aber gefährlichen Alter- mationen zur Verfügung, und gibt zudem eine plausible
nativen durchaus erwogen werden: "Nun, was können deine Begründung und einen guten Zweck für den Auftrag an -
Männer, Fremder? Wir brauchen einige unauffällige und kurz: ein erfreulicher Durchschnittsauftrag, besonders gut
lautlose Experten, die ..." geeignet als Einstiegsabenteuer im Land der Ersten Sonne.
Üblicherweise wird erwartet, daß einer der Helden als An- Wählen Sie einen Potentaten aus, in dessen Besitz die Schrif-
führer die Verhandlungen und später die Truppe führt. trollen sind, oder einen verborgenen Aufbewahrungsort, den
(Demokratisch organisierte Heldengruppen sind ausgespro- ein edler Magier nicht, eine Abenteurergruppe dagegen ohne

18
weiteres besuchen würde. In jedem Fall werden die Schrif- Der Erste Nickel
trollen gut bewacht: Sie stammen aus dem Nachlaß der Von Jassia, dem legendären Spieler Khunchoms, wird
Magier-Mogule vom Gadang, die Beschreibungen der Skor- berichtet, daß er mit einem Nickel (einer kleinen Münze aus
pionkriege werden Sie sicherlich zu einschlägigen der Zeit der `Klugen Kaiser', etwa einen halben Heller wert)
Schutzzaubern und Monstern inspirieren. bestattet wurde, der ihm sein gesamtes Vermögen gebracht
Wichtig ist, daß die Neugier der Helden insofern geweckt hatte. Allgemein gilt die Münze als Glücksbringer der ersten
wird, als sie einige Symbole auf den Schriftrollen entdecken, Güteklasse. Das Auftauchen dieser Münze (oder einer, die
insbesondere eine Glyphe, die Zhamorrah bedeutet, und die dafür gehalten wird) könnte bei den wettfreudigen und
Illustration einer Heuschrecke. Falls die Helden kein Tula- talisman-sammelnden Khunchomern zu interessantesten
midisch sprechen, lernen sie auch noch einige auffällige, aber Tumulten führen.
unverständliche Worte kennen. Die Übergabe der Papyrus- Spielen Sie einem Helden die Münze zu: "Ihr habt doch
Rollen erfolgt wie erwartet, und der Auftrag scheint beendet. nichts dagegen, wenn ich euch statt eines Kreuzers diesen
Beim klassischen Verprassen des Soldes haben die Helden alten Nickel herausgebe?"
Gelegenheit zu einem Treffen mit einem alten Mawdli oder Setzen Sie einige Diebesbanden und Bettlergilden auf diese
einem anderen Weisen, der ihnen einschlägige Hintergrun- Spur, dazu die Agenten eines abergläubischen Potentaten.
dinformationen gibt und vielleicht Übersetzen hilft. In den Lassen Sie den Helden überraschend viel Geld gewinnen.
folgenden Tagen beschweren sich immer mehr Einwohner Rauben Sie ihm Gewinn und Nickel. Lassen Sie einen
über auftauchende Heuschrecken, und die Stimmung gegen anderen Helden fast zufällig über die Münze 'stolpern'. Jagen
die Ungläubigen bzw. Fremden nimmt immer mehr zu, bis Sie sie ihm wieder ab. Erzählen Sie nun der Gruppe das
sie den alten Traditionen gemäß verbrannt werden sollen, um Märchen von Jassia dem Spieler. Der Rest - eine unterhalt-
die Heuschreckenplage einzudämmen. sam-tumulthafte Erfolgungsjagd - ergibt sich von selbst und
Spätestens nun sollten die Helden begriffen haben, daß sie gibt Ihnen die Gelegenheit, Khunchoms Nachtleben und
einem gefährlichen Zauberer die Mittel in die Hand gegeben Schattenseiten vorzustellen.
haben, wie in den Skorpionkriegen einen Großen Schwarm
loszulassen. Wenn den Helden dann noch bekannt wird, daß
sich das Sultanat Gorien bis heute nicht von den Verwüstun- Drei Wünsche
gen erholt hat, sollte ihr Eingreifen wohl gesichert sein. Wenn in Ihrer Gruppe ein Elf ist, spielen Sie die tulamidi-
Das Abenteuer präsentiert als Einstieg gleich mehrere Ei- schen Vorurteile gegen ihn aus. In einem kleinen Dorf wird er
genheiten des Landes der Ersten Sonne: Die enorme Bedeu- von der Gruppe getrennt (oder eine elfische Meisterperson
tung seiner Vergangenheit und der Gefahren, die daraus gerät in Bedrängnis). Die Nachricht von dem `Dschinn'
drohen; die Probleme eines Fremden in einer unbekannten verbreitet sich wie Steppenfeuer, und in kürzester Zeit wird er
Kultur; und die Eigenarten tulamidischer Potentaten, insbe- von hilfesuchenden Bauern belagert: Der Eine wünscht sich
sondere den Lehrsatz: "Trau keinem tulamidischen Zaube- einen Fliegenden Teppich nach Fasar, der Andere einen Korb
rer!" voll Geld, der Nächste gar einen kleinen Palast.
Bis die Freunde auftauchen, sind etwa hundert Leute versam-
melt, und die Stimmung beginnt umzuschlagen. Man wirft
dem `Dschinn' Betrug vor und verdächtigt ihn übler Zauberei.
Rettet den Stier Die Helden sollten - natürlich ohne Blutvergießen - den Elf
In den ärmeren Gebieten des Landes der Ersten Sonne ist oft aus seiner Misere befreien.
ein einzelner Gadangstier der ganze Stolz eines Dorfes und
für das Decken aller Kühe vor Ort zuständig. Der Raub - oder
besser: die Entführung - so eines Bullen ist gerade für Wertvolle Spiele
unerfahrene oder schlecht ausgerüstete Räuber (und das sind Die Bedeutung tulamidischer Spiele wurd ausführlich
die meisten) eine einträgliche Möglichkeit, ihre Karriere zu beschrieben. Fast bei jedem Herrscher oder anderen reichen
beginnen. Die verzweifelte Dorfgemeinschaft setzt in so Tulamiden kann man die luxuriösen Spielzeuge ausgestellt
einem Fall natürlich eine (für ihre Verhältnisse) hohe Beloh- sehen - und zuweilen wird man sogar aufgefordert, damit zu
nung aus: Etwa 10 Dukaten bzw. 5 Maravedis, größtenteils in spielen. Für viele etwas abenteuerlustige Gäste kann das eine
kleinsten Münzen und in Naturalien. unwiderstehliche Versuchung sein.
Die breite Spur des Bullen zu verfolgen und die unerfahrenen Natürlich können Sie ihre Helden hinter dem Dieb eines
Räuber zu überwältigen, dürften dabei die geringeren Pro- wertvollen Satzes Rote und Weiße Kamele (vielleicht sogar
bleme sein. Aber was fangen einige kampferprobte, aber einem der legendären magisch belebten) herschicken. Aber
ohne jegliche Grundkenntnisse der Viehzucht ausgestattete sicherlich haben auch Sie in Ihrer Gruppe einen Helden, der
Helden mit einem Ungetüm an, das ein Gewicht von 15 aus- in dieser Situation selbst schwach werden könnte. Machen
gewachsenen Männern hat und eine Angriffslust, die seiner Sie ihm die Freude. Laden Sie ihn bei einem Potentaten zu
`Männlichkeit' würdig ist? einer Partie ein, geben Sie ihm die Gelegenheit, das
Als noch etwas fröhlichere Variante bieten sich die reicheren Spielzeug an sich zu bringen, und zeigen Sie ihm dann, was
Gebiete an, wo das Stehlen des Prachtbullen eher ein Volks- es heißt, einem mächtigen Tulamiden sein Lieblingsspielzeug
sport unter Nachbardörfern ist. Üblicherweise müssen die zu stehlen: Verfolgung durch Sklaven und Reiter, Meuchler
einheimischen Burschen hier ihre Ehre verteidigen, indem sie und Magie - vielleicht sogar einen niederen Dschinn!
den Bullen zurückholen. Möglicherweise beteiligen sich die Wenn der Held ebenso wie seine Freunde all die Überfälle
Helden als Gäste - vielleicht leiden aber auch alle jungen und Attentate übersteht, dann hat er sich seine Trophäe
Männer des Dorfes am Mhanadi an der `Unauer Jagd', und ehrlich verdient.
die Helden werden gebeten, für sie einzuspringen.

19
Thalusische Räuber wenn sich ein Held unter Einsatz seiner ganzen Beredsamkeit
Die Räuber Thalusiens eignen sich hervorragend sowohl für und unter Opferung seines Drachenhortes vor einer sicheren
Zufallsbegegnungen wie auch als Hauptgegner, die es auszu- Hinrichtung rettet.
schalten gilt. Übrigens geht es den Opfern meistens "an den Kragen": Die
Wenn Sie lieber auch moralische (und damit rollenspieleri- Tulamiden betrachten den Kopf als Sitz des Lebens, Köpfen
sche) Entscheidungen Ihrer Helden fördern wollen, können und Erdrosseln sind die Standardhinrichtungsmethoden. Viele
Sie sie auch mit einer der thalusischen Krüppelbanden kon- tulamidische Potentaten betrachten es aber als ihre Pflicht,
frontieren. Wie reagieren junge Helden, die Taschen voll Geld sich und ihre Untergebenen durch besonders einfallsreiche
und den Kopf voll Illusionen, auf eine Horde abgerissener Bestrafungen zu unterhalten. Immer wieder hört man vom
Wegelagerer, Einbeiniger, Lahmer und Blinder, für die einige Einmauern, Steinigen oder Aussetzen in der Wüste - allesamt
Münzen das Überleben bedeuten, angeführt von einem grausige Todesarten, denen ein weitgereister Abenteurer aber
heruntergekommenen Veteranen, der ohne weiteres einer der gerade durch Mut, Glück oder sonstige Fügungen
Helden in vierzig Jahren sein könnte? entkommen kann!

Buskurdh Herausforderungen
Natürlich lädt die Beschreibung einer Buskurdh förmlich Tulamiden und Novadis lieben es, ihre Kräfte mit ihren
dazu ein, einige Helden in die Hände eines Ferkina-Stammes Gästen zu messen, und seien wir ehrlich: die meisten Helden
fallen zu lassen. Die originellste Lösung - die Sie durchaus lechzen auch danach. Aber es müssen ja nicht immer Kusliker
durch die Beschreibung der richtigen Stimmung anregen Ehrenhändel oder Thorwalsche Tavernenholzereien sein.
können - ist die, mit der sich Kara ben Yngerymm gerettet Jeder berittene Held wird unweigerlich zum Wettrennen
hat: Bei der Buskurdh gelang es ihm, sich zu befreien und gefordert, manch einem Anderen - etwa wenn er aus Lowan-
einen Ferkina-Spieler, der nach ihm (dem Spielball) griff, zu gen oder Weiden kommt - wird man aufgrund unvermeidli-
Fall zu bringen und zu töten. Sodann sprang er geistesgegen- cher Vorurteile sogar das Reittier zur Verfügung stellen. Auch
wärtig auf das Pony seines Gegners und schleppte ihn über Garether können stundenlang beteuern, daß sie das
die Ziellinie. Als Spielsieger wurde er nicht nur als Ferkina Hippodrom noch nie von innen gesehen haben - ein Tulamide
akzeptiert, sondern sogar in den Stamm aufgenommen. kann sich nicht vorstellen, daß man nicht in der größten Arena
(Primitive Sippen sind stets daran interessiert, ihre Reihen Aventuriens antreten würde, wenn man "daneben" lebt.
durch gute Krieger zu stärken.) Allerdings brauchte er über Auch Ihre klugen, aber weniger kräftigen oder trinkfesten
ein halbes Jahr, während dem er "mit den Khoramsbestien Helden haben im Land der Ersten Sonne endlich Gelegenheit,
heulen" mußte, ehe er es wagte, nächtens durch das Gebirge ihre Fähigkeiten zu beweisen. Vor allem Magier, Geweihte und
(!) aus dem Stammesgebiet zu fliehen. andere Gebildete werden bevorzugt zu Rote und Weiße
Kamele, Inrah, Urdas und Garadan eingeladen - oder
Adawadt herausgefordert.
Der uralte Riese im Raschtulswall ist die ideale Meisterper- Vergeben Sie für jeden gewonnenen Kampf Abenteuerpunkte
son, wenn die Helden einen Weisen aufsuchen müssen. Er wie gewohnt - immerhin hat man den Gegner "besiegt".
verbindet alle klassischen Elemente einer solchen Queste:
Die Reise ist lang und gefährlich. Das Ziel ist nur ungenau
bestimmt, aber hier können die Eingeborenen helfen. Der Skorpion im Stiefel
Besuch selbst erfordert einigen Mut, vielleicht sogar über- Daß Skorpione und anderes Geziefer sich gerne in warmen
legtes Vorgehen. Und die ersehnte Antwort wird (da der Stiefeln einnisten, ist allgemein bekannt. Es kann viel zum
Riese keineswegs allwissend ist) die Form eines jener Bewußtsein, sich in einer gefährlichen Welt aufzuhalten und
klassischen vieldeutigen Orakelsprüche annehmen. zudem in einem unbekannten Teil derselben, beitragen, wenn
die Spieler die Notwendigkeit erkennen, ihre Helden nach
Der lange Arm des Gesetzes einer Rast ihre Ausrüstung nicht zu lässig anziehen zu lassen.
Wegen der Willkür und Rechtsunsicherheit, die im Land der Natürlich sollte man es nicht übertreiben: Wenn die Spieler
Ersten Sonne herrscht, bieten sich viele Möglichkeiten, einige Abende nach einander erwähnt haben, daß ihre Helden
Helden mit dem Gesetz zu konfrontieren. Bereits Eindringen aufpassen, kann man annehmen, daß sie es auch in Zukunft
und Einbruch (wie wir wissen eine Standardbeschäftigung tun.
der meisten Helden) werden, wenn man gestellt wird, mit Zudem sollte man Helden, die aus rollenspielerischen Über-
öffentlicher Enthauptung durch den Hausherrn bestraft. In legungen darauf verzichten, schwere Rüstungen zu tragen,
den Gebieten, wo die thalusischen Banditen ihr Unwesen dann und wann ein wenig bevorzugen. Abgesehen von dem
treiben, kann es schon gefährlich sein, als Fremder bewaffnet mörderischen Klima bietet sich auch hierdurch eine schöne
und mit Beute behängt herumzuwandern. Dazu kommen alle Gelegenheit: Welcher abgerissene Streuner oder halbnackte
Mißverständnisse und Probleme, die sich aus dem Aufeinan- Moha freut sich nicht, wenn der protzige Krieger panisch jede
derprallen fremder Kulturen ergeben. Wie erwähnt ist es Öse seiner Rüstung durchsuchen muß?
etwa in vielen Gebieten heute noch üblich, beim massenwei-
sen Auftreten der Gelben Heuschrecke jeden Ungläubigen zu Magische Artefakte
ergreifen und zu verbrennen! Die Städte und Basare der Tulamiden eignen sich hervorra-
Gleichzeitig bieten sich für reiche Helden interessante gend, um den Helden einige magische Gegenstände abzu-
Möglichkeiten: Es ist fast selbstverständlich, daß man einen luchsen, die Ihnen, geschätzter Meister, schon seit längerem
tulamidischen Richter, selbst eine Mawdli, beschenken oder ein Stachel im Fleisch ihrer Abenteuer sind. Auf den Basaren
bezahlen muß. Es ist immer eine sehr ergreifende Szene, wird allerhand halb-magisches Gerümpel angeboten, für das

20
der Händler oft seinerseits nur Artefakte von offensichtlicher örtlicher Orts- und Eigennamen: "Nein, nicht Kuun-Chom!
Wirkung annimmt. Kunschom!" Sie brauchen dabei nicht konsequent sein: Wer
Außerdem haben sich viele Diebe geradezu auf magische eine Sprache nicht gut beherrscht, glaubt stets, daß er ein
Gegenstände spezialisiert; ein unabhängiger Magier als Wort genau so nachgesprochen hat wie sein Gegenüber - für
Abnehmer finden sich immer (viele arbeiten sogar direkt im diesen können die feinsten Unterschiede haarsträubend sein! -
Auftrag). Und viele Djinnen sind stets auf der Suche nach Üben Sie das gerollte R; unerläßlich für Novadis, vor allem
neuen Stücken für ihre Privatsammlung. wenn es um Fanatiker geht, die eines der 99 Gesetze zitieren.
Und begleiten Sie die meisten ihrer Taten - zumindest in
Geldwechsel Gegenwart ungläubiger Helden - mit der Formel: "Ich habe
Wenn wir schon beim Ausrauben der Helden sind: Das gesündigt und bitte um Vergebung!"
unvermeidliche Geldwechseln bei der Ankunft im Tulamidi-
schen bietet erstklassige Gelegenheiten, auch die riesigsten
Schätze zu verramschen. Drehen Sie ihnen einige alte Münzen
an, vor allem die ungültigen Piaster des Kalifen Abu Dhelru- Regel-Ergänzungen
mun, aber auch Messingmünzen aus der Zeit längstvergesse-
ner Diamantener Sultane oder einige Selemer Kupferschil-
linge. Sie können Sie damit auch durchaus einige Erwerbun- Im. folgenden finden Sie einige Hinweise, mit deren Hilfe Sie das
gen machen lassen: Alle Münzen haben einen gewissen DSA-Regelwerk aktualisieren und an die Erfordernisse der jüngsten
Edelmetallwert, und auch unter den Tulamiden wissen nicht Spielhilfe "Die Wüste Khom..." anpassen können.
alle Bescheid. Aber irgendwann, möglichst beim Erwerb des
ersehnten Tuzakmessers oder der wertvollen Öllampe auf In vielen älteren Tabellen ist der Heldentyp Novadi aufgeführt,
dem Bazar, bekommen die Helden es dann mit einem echten wenn alle tulamidischen Heldentypen gemeint sind, z.B. bei der
tulamidischen Händler zu tun... Magieresistenz in der MAGIE DES SCHWARZEN AUGES. Set-
zen Sie also für `Ihren' Tulamiden jeweils die novadischen Werte
ein.
Schätze
Zum Besitz reicher und mächtiger Tulamiden gehört fast Talent: Sprachen kennen
immer eine kleinere Bibliothek. Bücher sind extrem selten, Um Novadisch/Tulamidya zu erlernen, muß man bekanntlich 4
aber 2W20 Schriftrollen sind ein plausibler Schatz. Meist Talentpunkte in diese Sprache investieren. Das heißt keineswegs,
beschäftigen sie sich mit Sternkunde, Mathematik, Religion, daß es vorher unmöglich ist, die Sprache zu sprechen. Ein
Märchen (Informationen?) - oder bürokratischen Details. Für Talentwert von 1 bedeutet, daß man einfachste Wörter formulieren
gut gespielte Gelehrte unter den Helden sind sie ein echter kann, 2 bedeutet die Bildung einfacher Sätze, 3 die Führung eines
Schatz, für klügere Helden durchaus verkäuflich, und für jene einfachen Gespräches. Falls Zweifel bestehen, entscheidet eine
`Verliesbewohner', für die aus unerfindlichen Gründen jede Talentprobe: Um einen Einheimischen zu verstehen, genügt eine
einfache Probe, um selber zu sprechen, eine Probe mit einem Malus
Schriftrolle einen Zauberspruch enthält, eine Aufforderung, von 1 bis 10.
sich mit dem `realen' Aventurien zu beschäftigen. Die Erlernung einer fremden Schrift hängt vom Talentwert Lesen/
Schreiben ab. Wer seine Muttersprache schreiben kann, wird auch
Fremdsprachen schriftlich erlernen. Im Kalifat sowie in Rashdul
Beute und Fasar werden die 19 Geheiligten Glyphen Rastullahs verwen-
Im Land der Ersten Sonne ist es nicht wie im Mittelreich det. In Khunchom und Thalusa werden noch die 31 Zeichen von
Kuslik verwendet.
üblich, daß man von Schatzfunden und Beute eine Steuer an Versuchen Sie es: Das `Baburinische Sprachgewirr' in einer unter-
den Landesherren entrichten muß. Aber selbstverständlich schiedlich gebildeten Heldengruppe kann sehr reizvolles
erwarten die Potentaten einer Stadt Geschenke von einem Rollenspiel ermöglichen.
reichen Fremden, der sich länger in der Stadt aufhält: Dazu
gehören alle schwerbewaffneten Söldnerführer, imposante
Magier, reich gekleidete Emporkömmlinge - ebenso wie alle
Personen, die sich teure Zimmer mieten und ganze Bazare Talent: Geschichtswissen
Das Optionale Talent "Geschichtswissen" (KL/KL/CH): kann pro
leerkaufen. Stufe um 2 Punkte gesteigert werden.
Gaukler -4; Händler 2; Krieger 2; Moha -6; Nivese -5; Novadi -2;
Meisterpersonen Streuner -3; Thorwaler 0; Zwerg 3; Bürger 2; Magier 3; Auelf 1;
Einige einfache Tips, um überzeugende Tulamiden und Waldelf -1; Firnelf -2; Hexe 0; Schelm -6; Druide 2; Hesinde-
Novadis darzustellen: Geweihter 6; Boron-Geweihter 4; Travia-, Tsa-, Peraine-Geweihter
− Mischen Sie oft blumige Redewendungen in die 2; Firun-, Phex-Geweihter 0; andere Geweihte 3;
ausgespielten Texte: Ein "Sohn der Einfalt" und "Vater des Tänzerin 2;
Edelmutes" am richtigen Ort macht aus einer farblosen
Gestalt einen typischen Tulamiden.
− Legen Sie sich ein wenig tulamidische Philosophie zu. Die Talent: Sternkunde
Sprüche müssen lyrisch und inhaltsschwer klingen - verste- Das Optionale Talent "Sternkunde" (KL/KL/CH): kann pro Stufe
hen muß sie keiner! "Die Einfalt des Abends ist die Weisheit um 2 Punkte gesteigert werden.
des Morgens!" "Die Wahrheit ist ein flüchtiger Schmetter- Gaukler -1; Händler -2; Krieger -4; Moha -7; Nivese -1; Novadi 1;
ling!" "Geize mit dem Augenblick, aber verschenke dein Streuner -4; Thorwaler 0; Zwerg -6; Bürger -4; Magier 3; Auelf 1;
Leben!" Waldelf 1; Firnelf 2; Hexe 3; Schelm -4; Druide 3; Praios-Geweih-
ter 3; Efferd-, Boron-Geweihter 1; Hesinde-, Tsa-, Phex-Geweihter 2;
- Korrigieren Sie (als Meisterperson) ständig die Aussprache andere Geweihte 0; Tänzerin 1

21
Ein Märchen

Das Wort "Märchen" hat bei Tulamiden und Novadis eine Um den Scheik der Nomaden friedfertig zu stimmen, spendete
andere Bedeutung als z.B. im Mittelreich. Im Land der Ersten Sarhidi reichlich Pfeifenkraut aus seinem Beutel, das stark mit
Sonne versteht man unter einem Märchen vor allem eine Ilmenblatt durchmischt war. Der Scheik pries das Kraut mit
interessante Geschichte. Diese kann sowohl wahr als auch allerlei lobenden Worten, und es verlangte ihn stark nach dem
ausgedacht sein - oder eine Kombination von beidem. Was restlichen Beutelinhalt - Sarhidi ibn Nebahath aber schlug vor,
zählt, ist nur eines: Kann das Märchen die Zuhörer in seinen man solle um die Wette reiten: Wer zuerst die Gäste des
Bann schlagen...? Stammes umrundet habe, solle den Beutel besitzen. Eifrig
stimmte der Scheik zu, und so ritten sie los - doch statt seine
Der Zug der Zehntausend acht Begleiter zu umkreisen, ritt Sarhidi geradewegs fort in
Vor vielen, vielen Jahren lebten am Szinto und in der die Wüste. Ohne viel zu überlegen, folgte ihm der Scheik.
Shadifsteppe tapfere Söhne schöner Mütter, und sie bestellten Sarhidi aber trieb sein Pferd an und ritt einmal rings um das
ihre fruchtbaren Felder und hüteten ihre Rinder. Sie konnten Lager der Auswanderer, das Pferd des Scheik folgt auf den
in Frieden leben, denn der weise und kluge Sultan Sheranbil Fersen und holte das seine schließlich ein, überholte es gar.
in Khunchom schützte sie. So gediehen ihre Besitztümer, und Als sie dann zu den Zelten der Wüstenreiter zurückgekehrt
es war jederzeit und überall ein Singen und Musizieren: Die waren, triumphierte der siegreiche Scheik. Der schlaue
Bauern auf den Feldern sangen im Takt der Arbeit, die Sarhidi aber sprach: "Oh erhabener Scheik, gewonnen haben
Hütejungen auf dem Rücken der mächtigen Büffel bliesen wir beide: Denn da du mir gefolgt bist, hast du auch mein
munter ihre Kabasflöten, die fahrenden Sänger schlugen die ganzes Volk als Gäste deines Stammes anerkannt."
Zitar zur Begleitung ihrer Heldensagen und Tanzlieder, die Der Scheik der Wüstenreiter zürnte zuerst, doch die Aussicht
sie dem Volk vortrugen. Sie sangen von Rashtul, der sein auf den Tabaksbeutel stimmte ihn milde. So stand er zu
Volk hinabgeführt hatte aus den Bergen, und von seinem Sohn seinem Wort und befahl seinem Stamm, die Auswanderer mit
Bastrabun dem Großen, der die Echsen vertrieben hatte in Nahrung, Wasser und Waffen zu unterstützen.
ferne Gegenden, wo sie dem Menschen nicht mehr gefährlich Daher gelang es den Zehntausend, nach langem Marsch durch
werden konnten, und eine Bannlinie gezogen hatte, um sie zu die furchterregende Khom wieder in fruchtbares Gebiet zu
bewahren vor dem Echsengewimmel aus den südlichen gelangen, und sie machten Rast an einem breiten Fluß. Laut
Sümpfen. dankten sie Tsa, und Phex für ihren Beistand und beschlossen,
Doch eines Tages war der gute Sultan Sheranbil verschwun- sich an den Ufern des Flusses anzusiedeln.
den. Unruhe und Wirrnis befielen das Reich, und Stamm Dieses Land nämlich, so erfuhren sie, war einst Teil eines
wandte sich gegen Stamm, Sippe gegen Sippe. machtvollen Reiches im Westen gewesen, nun aber sei dessen
Das schlimmste aber war, daß ohne einen Sultan in Khun- Herrschaft zerfallen und dahin, die Menschen zurück-
chom auch niemand mehr die Sprüche an Bastrabuns Bann geflüchtet zu ihrer Herkunft. So konnten die Kinder Tulams
erneuerte - und so verließen die Echsen ihre Sümpfe und dieses Gebiet besiedeln, daß sie Al Mada nannten.
begannen das Menschenland zu verheeren. In der reichen Am Oberlauf des Flusses, der Yaquir hieß, stießen sie auf eine
Stadt Elem aber verzagten die Händler und wagten keinen reiche Stadt, in der nur noch wenig Menschen wohnten. Punin
Widerstand, sondern versuchten die Echsischen mit pracht- war ihr Name. Noch zögerten die Kinder Tulams, sich in der
vollen Geschenken gnädig zu stimmen. fremden Stadt niederzulassen, um nicht die Geister der
Die Bauern und Hirten aber hatten nichts, was sie hätten vormaligen Bewohner zu stören - doch als der kühne Sarhidi
anbieten können, denn mit den Geschenken wuchs auch die eines Tages über ein Feld vor der Stadt ging, stieß er sich den
Gier der Echsen, und bald forderten sie Geschmeide und Fuß an einem spitzen Ding, das aus der Erde ragte. Er bückte
Juwelen. Tapfer waren die Menschen, doch ohne Gold und sich und grub es aus, und siehe, es war der goldenen Helm
ohne Eisen konnten sie den Echsischen nicht widerstehen - eines Heerführers der Kinder Tulams. So erfuhren die Aus-
und so kam der Tag, da ihnen kein anderer Ausweg blieb, als wanderer, daß sie auf altem Land ihres Volkes standen und
das Land ihrer Vorväter zu verlassen. zogen frohgemut in die Häuser und Paläste ein, der Tsa
So beteten sie denn zu Tsa und baten sie um ihren Segen für errichteten sie einen gewaltigen Tempel zur Dank für das
das große Vorhaben. Dann nahmen sie all ihren Besitz und neue Land, Sarhidi aber hielten sie stets in hohen Ehren.
zogen fort nach Norden - zehntausend Männer, Frauen und Später wollten sie ihn gar zum großmächtigen Herrscher
Kinder. Zu ihrem Anführer wählten sie den kühnen Sarhidi machen, doch der alte Sarhidi dankte nur und wies auf seinen
ibn Nebahath. Sohn Aslam. Den erhob das Volk dann zum Sultan von Al
Lang wurde den furchtlosen Auswanderern ihr Weg und viele Mada und er regierte lange weise, klug und gerecht. In seiner
Schrecken hielt die Khom für sie bereit: Es mangelte an Zeit begannen die Almadani mit den Kleinen Menschen der
Nahrung für die Menschen, Futter für das Vieh und an Wasser Berge um Eisen und Gold zu handeln, und einige der Kinder
für alle Lebewesen. Am schlimmsten aber waren die Tulams zogen gar nach jenseits der nördlichen Berge und
Überfälle der Wüstennomaden. Hätte nicht Sarhidi acht starke erreichten einen anderen großen Fluß, wo sie die Städte Al
Männer um sich geschart und furchtlos das Lager der Benush und El Envina gründeten.
Beduinen aufgesucht, hätten wohl alle Wanderer sterben Die Bürger der Stadt Elem aber wurden für ihr Geschachere
müssen. So jedoch bewunderten die Wüstenreiter den Mut des von den Göttern bestraft, die ihre Stadt mit Feuer und Wasser
unerschrockenen Mannes - genauso sollten sie aber seine List vernichteten.
kennenlernen:

22
Die Sterbenden Götter

Diese Informationen sind dem Meister vorbehalten und jenen Aus diesem Grund haben wir uns auch dafür entschieden, in
Meisterpersonen, die die verschollensten und grausigsten diesem Heft fast ausschließlich aventurische Originalquellen
aller Geheimnisse zu lüften begonnen haben: Beim Lesen in zu zitieren, um den Hintergrund solcher Abenteuer
den hier zusammengefaßten Texten werden Sie, lieber darzustellen: Sie werden bei aufmerksamem Lesen die wahren
Spielleiter, den Sinn dieses Heftes rasch erkennen: Es ist eine Hintergründe rasch erkennen, ohne daß trockene Werteta-
Beschreibung abgründiger Mysterien, wie sie dem heutigen bellen, Zeitleisten und Beschreibungen die Stimmung zer-
Aventurier zumeist völlig unbekannt sind. Wenn Sie und Ihre stören.
Spieler also Freude haben an Abenteuern, die abseits der
gewohnten Orte spielen, Abenteuern, in denen das Element Auch wenn einige der Quellentexte ihren Spielern zugänglich
des Horrors einen nicht geringen Stellenwert einnimmt, gemacht werden können, so sind es dennoch Informationen,
stellen `Die sterbenden Götter' für Sie genau das Richtige an die aventurische Helden nur mit einigen Recherchen
dar. Hier finden sie Hinweise auf geheimnisvolle Kulte, gelangen können. Entscheiden Sie also selbst, wann Sie eines
äonenalte Schrecken und machtvolle Unwesen, von denen dieser "Dokumente" einem Ihrer Helden zukommen lassen
heute nur noch Gerüchte existieren. wollen.

Quellen und Sagen

"In den Tagen, da die Menschen nach Aventurien kamen, ten, der gar herrlich leuchtete. Den nahmen sie mit sich und
waren die Lande voll Ungeziefer und Ungeheuer, und sie ließen ihn von ihren Dienern schleifen und hießen ihn des
stellten den Menschen nach den ganzen Tag. Da erschuf der Drachen Ei.
Lichtgott eine Waffe ohnegleichen und tat kund, daß da nur Später aber kam der starke und weise Bastrabun mit seinen
ein Wesen in der Welt war, daß mehr denn sieben Streiche Männern, zerstörte die Stadt der Herrenechsen und nahm den
dieser Waffe ertrüge. Und er gab das Schwert, Siebenstreich Diamanten mit sich, auf daß er sein Schmuck werde." (Aus
genannt, dem Helden Geron dem Einhändigen, der ein Sohn dem Märchen vom Güldenen Drachenkönig)
der Götter war, das Schlangengezücht zu bezwingen.
So ging Geron hin und erschlug die Große Schlange vom "Seyet nicht allem Ecksischem gemeyn, dasz sie hintherfoz-
Sikram mit einem Hieb, und den Chimärischen Oger mit zich und dem Menschen feyntlich seyn? Erwuerget nicht der
zwei Hieben und die Schlangenleibigen Schwestern mit drei guthen Peraine Thier, der Stork, die Vypern, allwo er sie
Hieben. Und da er weiter zog, tat er vier Hiebe, um die Bestie findt? Seyet nicht Hesinderei - magest du auch Hexerei sagen -
Harodia zu töten, fünf Hiebe, um den Wurm von Kababien zu widernathyrlich Herumthun und Zauberwerck mit Schlang
töten, und sechs Hiebe, um den Basiliskenkönig zu töten. Ob unt Kroithe? Waren es nicht jene Gotzendiener der Ecksen-
dieser Taten war sein Name in aller Munde, aber er mußte herrin Tsa, die dem Sterblichen geben wollten die Ewigkeyt,
sieben Schläge führen, um den Ewigen Drachen von Pheca- die dem Himmel alleyn gehoireth? Seyent nicht die uibelsten
dien zu bezwingen. Endlich ging er hin, das letzte Untier zu von allen Unthieren der schlangichten Art, als da seyen
stellen, und er fand sein Schicksal, das keiner zu nennen Basilisk und Drach? Seyent nicht dero Sumpff und Oidlande
vermag. in Aventuria, da keyner gehet, so verderbt er auch sey? Wer
Das Schwert Siebenstreich aber führten noch andere Helden wisse, was Jurten alles wechst und echst? Und seyet nicht all
nach ihm, solange es Halbgötter auf Erden gab. Und da die Ecksischem der trygerisch Schlaf zu eigen, dasz der Guthe
Menschen sahen, daß keiner die Waffe mehr zu führen nimmer wisse, ob es toth sey oder nur im Schlafe? Und
vermochte, erstürmten sie die verborgene Stadt Rabal und erhebeth sie sich nicht noch wieder nach dem sibenten
zerschmolzen die Götzen und mit ihnen Siebenstreich, damit Hiebe?"
es nicht in die Hände der Menschenfeinde falle." (Aus: DER ECHSENHAMMER - `Drither Annexus zur
(Aus den ANNALEN DES GÖTTERALTERS oder `Vom Inquisitorischen Halsgerichtsordnung', Priesterkaiser Gurvan,
Anbeginn der Zeiten', gekürzt; Sammlung der bekanntesten Neu-Gareth, 572 v.H.)
aventurischen Götter- und Heldensagen, Kuslik 4 Hal)
" 13. lngerimm:
"Und als der himmlische Löwendrache den güldenen Pyrda- Haben eine Stunde vor Sonnenuntergang etwa 40 Meilen vor
cor vernichtet hatte, breitete sich an der Stelle seines Todes der Maraskanischen Küste ein Schwarzes Schiff ausgemacht.
eine öde Wüstenei, wo schier gar nichts wollt wachsen. Magister Rakorium, Leiter der Expedition, erklärte: Fahrzeug
Allein die Herrenechsen zogen doch dorthin, den Tod ihres aus den verfluchten Unterwasserreichen nahe Selem, besatzt
Gottes zu beweinen, und fanden gar einen großen Diaman- mit schuppigen Kreaturen und unheiligen Wesen

23
aller Art. Schiff tatsächlich von geradezu widernatürlicher beibringen konnten, das in dem dürren und ausgezehrten
Form - muß mit dem Namenlosen zugehen, daß der Klotz Körper dann auch rasch wirkte.
überhaupt über Wasser bleibt. Führt an der Galion irgendei- 11. Praios: Die Frau erwachte heute nach langem Schlaf. Ihr
nen Echsengötzen. Hörte weiter, wie Rakorium seinen Leuten Körper scheint sich auf dem Weg der Heilung zu befinden,
von einem Diamant erzählte, einer Art Schlangenei, aus dem die Schrammen und Brüche sind in beruhigendem Zustand.
gräßliche Ungeheuer kröchen, wenn es erst an Land Ihr Verstand jedoch scheint sie ganz verlassen zu haben, denn
ausgebrütet werde. Die Männer und Frauen - alles tapfere wiederum erzählte sie zusammenhanglose Dinge über
Leute - ruderten wild entschlossen hinüber. Echsengötter und Dämonen und war um nichts zu bewegen,
14. Ingerimm: ihre Portion Fleisch zu essen. `Sie wisse, von welchen Wesen
Kurz nach Mitternacht Expedition wieder aufgenommen. es stamme!' Ein sehr interessanter Fall.
Einige schwer verwundet, manche redeten im Fieber. Fasel- 18. Praios: Heute konnte unsere Patientin - ihr Name scheint
ten von Echsengöttern und Fallen. Auf einem Schiff ?! Harika zu sein - zum ersten Mal aufstehen und umhergehen,
Rakorium erklärte: Unerwarteterweise auch Untote und natürlich geführt von einem kräftigen Pfleger. Als sie im Hof
Dämonen an Bord. Diamant-Ei aber trotzdem zerstört. Wollen des Klosters den Bruder Chriazzl sah, brach sie voller Angst
weiterhin diese Tempelpyramide im Dschungel suchen. Bat zusammen und flehte ihren Pfleger an, `das Untier zu
den Magister, bis Brabak unter Deck zu bleiben. Machen mir erschlagen'.
mit ihren Geschichten die Matrosen verrückt. Bin froh, wenn 22. Praios: Harika hielt heute unvermittelt eine feurige
ich wieder normale Passagiere aufnehmen kann." Ansprache, in der sie zum Kampf gegen die Götter des Bösen
(Aus dem Logbuch der `Königin von Festum', 3-5 Hal) und ihre geschuppten Diener aufrief und dadurch einige
Unruhe unter den Kranken hervorrief. Schließlich mußte ich
entscheiden, daß sie künftig fernab der anderen Kranken in
"9. Praios: Die Frau, die wir am zweiten der Namenlosen einem einzelnen Raum untergebracht wird, den sie nicht mehr
Tage fanden, schlug heut das erste Mal ihre Augen auf. Nicht verlassen darf.
sehend, daß sie in Sicherheit sei, begann sie wild um sich zu Die Frau verstand wirklich überzeugend zu sprechen, und
schlagen und griff den Bruder Mepoldus an, doch er befände sie sich nicht in der Obhut erfahrener Seelenheiler,
vermochte sie zu beruhigen. Sie erzählte ihm dann eine wirre könnte sie allerlei Unheil anrichten."
Geschichte von Ungöttern und kriechenden Schrecken, die (Aus den Akten des Noionitenklosters in Selem)
sie im Sumpf gesehen habe, bis wir ihr ein Schlafmittel

Götter

Die folgenden Ausführungen und Enthüllungen widerspre- "Ist es nicht so, daß die Diener der Tsa wissen, wie man die
chen zutiefst der allgemein anerkannten aventurischen Kos- Ewige Jugend erlangt? Gewiß doch, weshalb sonst sollten sie
mologie. Das universale Konzept sieht die Zwölfgötter als all die unsinnigen Regeln ihres Kultes freiwillig auf sich
einzige Quelle göttlicher Macht, die meisten gebildeten nehmen!
Aventurier sind höchstens bereit, die Existenz einiger unbe- Aber wollen sie es mit uns teilen? Sie denken gar nicht daran!
deutender Rassengottheiten zu akzeptieren. Schon die Be- Was sind denn ihre Beweggründe? Neid und Mißgunst, sie
hauptung, daß die herrschenden Götter nicht absolut ewig gönnen all jenen die Ewige Jugend nicht, die nicht auch vor
und unveränderlich in ihrer Macht und Position seien, ist also der Bunten Echse kriechen.
für einen gewöhnlichen Aventurier kaum zu erfassen. Was gilt es also zu tun? Gleiches mit Gleichem zu vergelten
und die Jünger der Tsa für ihren üblen Willen gebührend zu
"Die Echslinge aber und die Selemiten kennen die Gottechse strafen!"
H'Ranga, die sie selberhalben fürchten. Wohl sind sie sich aber ("Vier Fragen zur Göttin Tsa", Flugschrift eines Praiosge-
selbst nicht klar über ihre Gestalt: Bald sei sie eine monströse weihten ca. 600 v.H.)
Seeschlange, die die Matrosen von den Schiffen holt, bald sei
sie eine riesenhafte Kobra, deren Gift selbst Götter töten "Es ist vor zuvörderst zu bedenken, daß die Kirche der jungen
kann. Mal sei sie eine formlos schuppichte Mißgeburt, mal Göttin keinerlei Hierarchie kennt: es gibt keinen
der donnernden Tyrannenechse gleich, dem größten aller aventurischen Höchsten Geweihten, ja selbst das Amt des
Untiere, die Aventurien verwüsten." Tempelvorstehes wird oft von Jahr zu Jahr neu besetzt - nicht
(Aus: WAS GLAUBT DAS VOLK ? Von Errik Dannike, selten sogar durch Wahl innerhalb der Priester oder aber der
Wehrheim, 5 v.H.) gesamten Gemeinde. Das höchste Gremium aber ist der
jährliche Konvent, der allgemeine Richtlinien festlegt - doch
Die ewig junge Zsahh sind diese Entschlüsse oft so vage und kompromißhaft, daß
"Die Echsischen aber, die hier ihr Heimstatt haben, sind ohne ein jeder Priester nach eigenem Gutdünken vorgehen mag."
Zweifel vor vielen Jahren schon von Geweihten der Jungen "So finden sich in dieser Kirche auch allerlei Gruppen, die
Göttin besucht und auf den rechten Weg geführt worden: Wie sich so gar nicht mit dem Bild der friedfertig-stillen Anbeter
sonst wäre es zu erklären, daß ich eine Kultstätte fand, in der des Lebens vertragen, daß man gemeinhin hat: Sekten, deren
die Echsenmenschen eine fruchtbarkeitsspendende Göttin Ziele so dunkel sind, daß man sich nur wundern kann."
verehrten, die von ihrer Gestalt ist und die sie abwechselnd "Von diesen heißt es auch, die Göttin habe ihnen besondere
Zzahh und H'ranga nannten." Kenntnisse vermacht: So sollen manche ihres Ordens fähig
(Aus DER SCHUPPENTRAEGER, Reiseerzählung von sein, die Gestalt zu wandeln und nach freiem Willen die Züge
Alexon Hundertsilber, Punin 89 v.H.) eines jeden Menschen anzunehmen.

24
Ihre große Beschäftigung aber ist das Studium des Lebens Schlange würdig: Schlägst du ihr den Kopf ab, so wächst er
und des Todes: So geht die Rede, sie seien mit Hilfe geweih- nach; verbrennst du ihr Nest, so findest du sie in deinem Bett
ter Gegenstände und bestimmter Rituale in der Lage, aus dem wieder; jagst du sie aus dem Stall, deiner Hühner Eier zu
Fleisch unlängst Verstorbener neue Menschen nach deren retten, so stellt sie den Ratten im Kornspeicher nach, und du
Ebenbild zu schaffen, denen Gestalt, Stimme und Verstand mußt ihr gar danken!
der Toten zuteil sei - allein die Seele und die Erinnerungen Wer wider den Hesinde-Kult spricht, wird mit dem Raschen
halte der Herr des Todes zurück." Wahn geschlagen; die Tobenden sind nicht mehr Herr ihrer
"Eine weitere Gemeinschaft aber beschäftigt sich mit jenen Sinne und verdummen zusehends; und obwohl die Krankheit
Dingen, die auch durch Tsas Kreide berührt werden: Sie sonst nicht ansteckend ist, erkranken doch die, die die Opfer
hoffen, durch besondere Zeremonien nicht nur das Ge- pflegen.
schlecht, sondern alle Eigenschaften des noch Ungeborenen Während der späten Priesterkaiser-Zeit, als mehrere geheime
festlegen zu können. Zu diesem Zweck beobachten sie Hesindetempel und -sekten zerschlagen wurden, nahm der
sorgfältig das Leben der Eltern, und manche behaupten, sie Rasche Wahn unter den Inquisitionstruppen sogar überhand."
kauften geeignet erscheinende Sklaven, um aus ihnen den (Aus: WAHN DER VERFOLGUNG - Der Al'Anfa-Kom-
vollkommenen Menschen zu züchten." plex, von Maffia Vellia)
(Aus: WAHN DER VERFOLGUNG - Der Al'Anfa-Kom-
plex, von Maffia Vellia)
Bei genauerer Betrachtung ist Hesinde ohnehin eher die
"Glaube vor allem nicht, die Göttin verabscheue die Künste Göttin des Wandels denn der Magie: Ihr Sternbild, die
der kreativen Former des Lebens - ist doch die stete Umbil- Schlange, gilt als Symbol der Synthese - das alchimistische
dung des Alten ihr liebstes Vergnügen; so genießt sie auch Gesetz von der Einheit der Gegensätze. Das berühmte Gleich-
den Anblick jener neuen Geschöpfe, die man gemeinhin nis vom Edelsteinschleifer, der den Kristall zerstören muß,
Chimären nennt - und nur die feigen Memmen behaupten ein um den Brilliant zu schaffen, beweist überdeutlich, daß sie
anderes." jeden Dualismus von Gut und Böse ablehnt.
"Denke nicht, die Göttin sei entweder gut oder böse - sie ist
das Leben und kennt solche Einteilungen nicht: Ist denn das Sad'huarr (Satuaria)
lebendige Gewimmel der Maden im toten Fleisch gut? Nein, "Nun ists aber die Sitten der Krötischen, dasz sie ihm Laich
die erhabene Tsa lebt und spielt und schert sich nicht um eynfach innes Wasser thun und abwarten, bis iemand davon
Moral, und viel halte ich von jenem Bericht, im Fernen Meer trincket.
gebe es eine Insel der Tsa, wo sie nichts täte als ständig neue So diesz nun einer thut, nisten sich die kleynen Kröten in
Kreaturen zu erschaffen, dem schöpferischen Chaos gleich." seinem Bavche ein und wachsen gar langsam heran, sich von
(Kommentar zu zwei in Zhayad verfaßten Schriftrollen seiner Speisz nährend. Nach ein'ger Zeit, in der der Unglück-
unbekannter Herkunft - aus der ENZYKLOPAEDIA SAU- liche mehr und mehr abmagert - werden die Kröten den
RIA, Übersetzung aus dem Bosparano, von Bewahrer Cor- Versuch machen, ans Freie zu gelangen.
dovan Puriadin, Fasar, ca. 1000 v.H.) Du weyszt ja: Kröten haben starke Kiefer, doch keinerlei
Zähn - iedoch für das weyche Gedärm reicht es, es brauchet
Die Vielgestaltige H'Szint nur sein Zeit. Wenn dann aber der Mensch niedergestürzt ist
"Es heißt in einer alten Schrift, die Schlangenmenschen und verendt unter Qualen, so krauchen die kleyn Krötten zu
verehrten eine Göttin des Wandels, H'Szint mit Namen. Es Aberdutzenden ausz ihm herfür und hüppsen gar munter
braucht wenig Phantasie, aber einigen Mut, um sich zu davon."
vergegenwärtigen, um welche von uns allen so geliebte (Aus: DAS MONSTER-HANDBUCH. Von Gargi, Sohn des
Gottheit es sich hierbei nur handeln kann. Das schlangenhaft- Gax, etwa 1300 v.H.)
zischende ihres Namens mag der stillen Weisheit der
heutigen Namensform gewichen sein, doch die Identität ist "Vernichtet die Hexen und ihren Anhang, wann immer ihr
unverwechselbar. Doch warum sollte solch Entdeckung ihrer habhaft werdet. Denn ist's nicht ein offenbar
unserer weisen Göttin zur Schande gereichen ? Wissen wir Gleichklang, zu sagen Echsen - Hexen? Soll euch sagen: Die
denn nicht, daß die Götter ewiglich und uralt sind ? Wissen bösen Frauen sind ebenso verabscheuungswürdig wie das
wir denn nicht, daß die minderen Echsenwesen erschaffen Schuppengezücht. Und ihr wißt alle, liebe Leut', daß auch die
wurden lange vor den die Schöpfung krönenden Menschen ? Geschuppten nur Böses wollen: Die Schlangen mit ihren
Wissen wir denn nicht, daß auch sie in aller urtümlichen Giftzähnen, die Eidechsen mit ihrem kalten Blick, sie alle
Einfalt die Ehrfurcht vor den Wahren Mächten kennen ? Was streben nur das Verderben der Menschen an.
legt näher denn die Vermutung, daß sich die Wandelbare Die schlimmsten aber ist das Krötengesipp: Ihr wißt wohl,
schon ehedem jenen Unwissenden offenbarte, zumal - dies Kröten sind so feist, weil sie die Seelen von kleinen Kindern
darf nicht unerwähnt bleiben - ihr und unser heiliges Tier ja verschlingen. Wer aber eine Kröte berührt, bekommt Warzen,
doch jenem Echsengeschlechte entlehnt ist und nahe steht ?" und wenn man sie tötet, ohne auf Praios Schutz zu vertrauen,
(Aus den CHRONIKEN VON ILARIS oder `Mensch, sei dem läßt die Krötendämonen Satuaria die Hand abfaulen.
nicht so ängstlich! ' Kompilation einer ketzerischen Hesinde- Wird nicht auch der Basilisk, jenes allesvernichtende Unwe-
Sekte in Zorgan, ca. 190 v.H.) sen, von einer Kröte ausgebrütet? Ihr seht, meine Freunde, die
schwarzen Mächte schlafen nicht und spinnen ihre Netze, uns
"Der wandlungsfähigste von allen Kulten aber ist der der zu verderben.
Hesinde. Selbst ihren erbittertsten Feinden ist es nie gelun- Was aber hilft gegen die Ränke der Dunkelheit? Nun, Feuer,
gen, ihn wahrhaft zu schädigen. Dies ist in jeder Hinsicht der

25
dessen Licht die Finsternis vertreibt. Lasset und darum jede einen der höchsten Götter und Herrn der Elemente verehren.
entdeckte Hexe ergreifen und den Flammen aussetzen, auf Noch heute findet man unter den Echsischen einige, die vor
daß sie geläutert werde vom Bösen und uns nicht länger den Altären des Ppyrr zu Boden fallen und ihn um die
behelligen kann." Verwandlung von Elementen bitten - doch der Gott antwortet
(Ansprache des Wanderpredigers Prayadan ay Sanyalara, und reagiert nicht."
590 v.H.) (Kommentar zu zwei in Zhayad verfaßten Schriftrollen
unbekannter Herkunft - aus der ENZYKLOPAEDIA SAU-
Der Unaufhaltsame Ssad'Navv RIA, Übersetzung aus dem Bosparano, von Bewahrer Cor-
"Wohl wiszen auch die Ecksischen von dero Zweyheith dovan Puriadin, Fasar, ca. 1000 v.H.)
Universi. Denn scheyneth mir dero Zwist ob der Gestalt jenes
Goitzen H'Ranga unnutzich. Gebeth es doch dero Zweye: "Als zu Anbeginn der Welt die zwölf Alten Drachen entstan-
Item Sad'Huarr, welches sey Sumu, das Weybliche, die den, lebten sie zuerst einige Ewigkeiten auf Sumus Leib - aber
Endlichkeyt und alles, was werde. Item Sad'Navv, welches schließlich fiel der Blick der mächtigen Wesen auf die
sey Los, das Mannische, die Unendlichkeyt und alles, was himmlischen Sphären, und sie beschlossen, dort ihr Lager zu
ist." suchen.
(Aus der OBJEKTIVITÄTSTHEORIE, von Magister No- Doch Alveran bot nur für die Hälfte der ihren Platz. So erging
leander Kupferstein, Gareth, 540 v.H.) der Ratschluß, daß die mächtigeren Sechs sich dort nieder-
lassen sollten - und derart geschah es: Darador, Branibor,
"Dieser Satinav aber ist uns heute noch bekannt, ruft man Yalsicor, Menacor und Varsinor stiegen auf zum Himmel,
den Unerbittlichen doch an bei den `Sieben Formeln der Fuldigor, Aldinor, Nosulgor, Umbracor und Teclador
Zeit', von denen das machtvolle INFINITUM IMMERDAR verblieben auf Dere.
nur das Geringste ist. Er gilt uns als der vielgehörnte Dämon Es waren aber zweie unter den Drachen, die an Macht gleich
der Zeit, der und das Einzige, das den ewigen Fluß der Zeit waren: Der hochgemute Pyrdacor und der kühne Famerlor.
verzögern, anhalten, umkehren und durchbrechen mag. Doch Doch der güldenschuppige Pyrdacor verspottete seinen Bruder
selbst er ist nur ein Wächter, und dem, was er bewacht, ob seines mischgestaltigen Aussehens, denn Famerlor trug
unterworfen." den Kopf eines Löwen. So erscholl das höhnische Lachen
(Aus: AM FÜNFZIGSTEN TOR ca. 440 v.H. Schule der
Pyrdacors durch alle Sphären, als er den anderen zurückstieß
Niobara)
und Einzug hielt in Alveran.
Famerlor jedoch setzte ihm nach und
zwang ihn hinaus vor die Tore Alve-
rans und forderte ihn zum Gefecht.
Viele Lebensspannen der Sterblichen
dauerte der Kampf, und alle Sphären
durchtobte er. Ein jeder kämpfte mit
allem, was er an Kräften besaß:
Pyrdacor mit all seinen Zaubern
verwandelte Luft in Fels und Feuer in
Schnee, wenn er auf den Gegner
einstürmte, Famerlor dagegen verließ
sich auf seinen Mut und die
Kampfeswut, die in ihm raste. Doch
das Duell war ohne Sieger und ohne
Besiegten, denn beider Drachen
Kräfte waren verschieden, aber gleich
groß.
Die Frage wäre wohl nie entschie-
den worden, hätten die Götter nicht
ein Ende der Schlachten gefordert -
denn die Drachen in ihrem Zorn hatten
"Sein heiliges Tier ist die Hornechse, die ein wenig Stier und zahllose Katastrophen über die Welt gebracht, vernichtet lag
Rhinozeros gleicht, mit einem Hornkragen von zehn Zacken, das Erste Reich der Menschen im Staub und das Leben
so daß sie insgesamt dreizehn Hörner trägt. Über die genann- glomm nur noch als zarter Funke.
ten Tiere erhebt sie, daß sie zwar behäbig und langsam ist, Rondra war es, die die Entscheidung fällte, denn sie bewun-
aber einmal in Bewegung durch keine Macht der Welt mehr derte den kühnen und kräftigen Famerlor. So zog der Löwen-
aufzuhalten." köpfige ein in die Gefilde der Götter und wurde der Gemahl
(Aus der ENZYKLOPAEDIA SAURIA, Cordovan Puriadin, der Göttin, Pyrdacor aber mußte bei Sumu verbleiben - der
Fasar, ca. 1000 v.H.) Erste Krieg der Drachen hatte ein Ende.
In Pyrdacor aber war der Wunsch nach Göttlichkeit erwacht.
Ppyrr, der Gott der vier Elemente Als der mächtigste der Unteren Sechs glaubte er, auf Sumus
"Wohl zu den rätselhaftesten Göttern zählt der drachenge- Leib nach Belieben schalten und walten zu können - so zog er
staltige Ppyrr, den die Echsen - und manche anderen - als umher und ließ seinen Blick schweifen. Da bemerkte er

26
weit im Süden das Volk der Echsen, schuppig am Leibe wie Am Ende aber hatte Famerlor den "Gott" Pyrdacor
er selbst; und Pyrdacor beschloß, sich zu ihrem Gott aufzu- niedergeworfen, denn Rondras Geist war mit ihrem Gemahl.
werfen. So kam wieder Ordnung in das Gefüge der Welt und die
So erschien er ihnen, der goldene Drache, und sprach von Bedrohung der Götter selbst fand ein Ende."
Macht und Göttlichkeit - und als er zu Ende war, knieten alle (Verbotene Überlieferung der Druiden, alle Niederschriften
Echsischen vor ihm im Schlamm und ließen sich willig um 700 v. H. vernichtet, heute manchmal als Märchen
hinführen nach Aventurien. getarnt)
Pyrdacor blieb bei ihnen und nährte sich von ihren Opfern,
vor allem aber begann er, sie die Geheimnisse der Elemente
Der Todbringende Chr'Ssir'Ssr
zu lehren, denn die Verwandlung des Unbelebten war seine
"Magst du auch glauben, der schieren Gewalt trotzen zu
größte Fähigkeit.
können, eines ist noch furchtbarer: Die lautlose Tücke, die
All dies tat er in langer Zeit und seine Untertanen dankten es
Hinterlist. Ihn hörst du nicht, der ohn Geräusch heran-
ihm. Doch die sechs Oberen Alten Drachen merkten auf und
schwebt hinter, über dir, der dich packt mit einem Griff und
sprachen entsetzt über das, was sich in der Sphäre Sumus
hinaufhebt in die Welt der Lüfte -. doch nicht dich zu
ereignete, und sie kamen überein, daß der Anmaßende ver-
zerfetzen mit seinen Klauen ist sein Wille, nein, er hebt dich
nichtet werden müsse - und Famerlor bat um den Auftrag,
immer höher und läßt dann unvermittelt los. Wie die Katz die
dieses zu tun.
gefangene Maus umkreist er dich dann, in steilen Schrauben,
Pyrdacor aber hatte zu lehren, als sein Bruder hinabstieg und
während du hinabfällst, unaufhaltsam, unabwendbar, voller
wider ihn focht. Der Zweite Krieg der Drachen währte ein
Angst, doch unversehrt bis zum Moment des Aufpralls. Das
Jahrhundert und ein halbes und erschütterte die Sphären von
Grauen in deinem Gesicht - das ist seine Freude."
Grund auf. Viele Tore zu den Höllen der Dämonen wurde
(Aus: ANGST - DAS MENSCHLICHE PHÄNOMEN, von
geöffnet und allerlei Übel kam heran.
dem Druiden Wassilaw Junkhoff, Bornland, 56 v.H.)

Echsenvölker
Die Leviatanim Heute sind die Leviatanim unvorsichtigerweise fast völlig in
"Unser erster Eindruck war der eines drei Schritt hohen, Vergessenheit geraten. Nur noch die dunkelsten Mythen der
aufrecht gehenden Riesenfrosches mit schuppiger Haut. Sobald aventurischen Ureinwohner berichten von den mächtigen
der Leviatan jedoch aus seiner behäbig-stumpfsinnigen Herrenechsen. Nun aber haben es die Schrecken der Vergan-
Lethargie erwachte, erwies er sich als Raubechse, die höch- genheit an sich, daß sie niemals gänzlich ruhen. Erst vor
stens einem Schlinger weichen müßte. Das Maul starrte von kurzem gelang es dem gleichermaßen skrupellosen wie
über vierhundert messerscharfen Zähnen, jeder eine Spanne wahnsinnigen Magier Abu Tarfidem, mehrere Dutzend
lang. Dank der mächtigen Beine bewegte sich der Leviatan Leviatanim aus der Vergangenheit zu beschwören. Die
mit riesenhaften Laufschritten fort. Bei seinem direkten Herrenechsen waren durch die Strapazen der Transition nur
Angriff legte er mit einem einzigen, beidbeinigen Sprung 15 ein Schatten ihrer selbst, und die meisten von ihnen fast
Schritt zurück! Uns, denen der Leviatan als blutgieriges völlig bewegungs- und handlungsunfähig, aber selbst diese
Raubtier erschien, stand die schlimmste Überraschung Monstren kosteten den Beschwörer beinahe das Leben.
jedoch erst bevor: Der Leviatan war von einer geradezu
dämonischen Intelligenz, verbunden mit der bösartigen Die Ssrkhrsechim
Arroganz eines Wesens, daß keine Feinde, sondern nur Opfer Betrachtet man die Leviatanim als den Adel der Echsenkul-
kennt. Und der letzte Schlag in das Antlitz von Los' tur, so waren die Ssrkhrsechim wohl die Magier-Elite. Ihre
ausgewogener Schöpfung: Der Leviatan verfügte über Gestalt ist die einer Schlange mit einem grob menschenähn-
magische Fähigkeiten, die denen eines Drachen in Nichts lichen Oberkörper und einem Schlangenhaupte.
nachstanden. Kein Wunder, daß diese Wesen Jahrtausende Wir wissen, daß Geron der Einhändige drei von ihnen tötete,
lang Aventurien unangefochten beherrschten!" die als die Schlangenleibigen Schwestern bezeichnet und als
(Aus dem Tagebuch des Magiers Rakorium, Festum, 3 v.H.) besonders zaubermächtig beschrieben wurden.

"Es will mir sogar scheinen, als waren die Leviatanim wie "Als Sultan Sheranbil weise regierte, lebte in der Oase
von einem Zwang getrieben auf der Suche nach ebenbürtigen Terekh ein böser Zauberer mit dem Leib einer Schlange, der
Gegnern: Arenakämpfe gegen ausgewachsene Sultansechsen hatte mehr Menschen getötet als die Zorgan-Pocken. Wen er
- mit `bloßen Klauen' - dienten der Selbstbestätigung, ebenso mit seinen giftigen Fingern berührte, der zerfiel zu Staub, und
wie eine ausgesprochene Duellwut untereinander, die mit wen er mit seinen gelben Augen anblickte, der mußte
Zähne, Klauen, Waffen und Magie ausgetragen wurde. Ihre sterben."
Aggressivität machte also auch vor ihnen selbst nicht halt - (Aus dem `Märchen vom kühnen Dschadir', wie es in den
vielleicht ein letzter Kunstgriff des allweisen Los (sofern ihm Basaren Rashduls erzählt wird)
diese Ungeheuer überhaupt unterstanden), damit diese Rasse
nicht völlig ungehemmt wuchern konnte." Die Echsenmenschen
(Aus der ENZYKLOPAEDIA SAURIA, Cordovan Puriadin, "Die Echsenmenschen, die ich sah, erwiesen sich als extrem
Fasar, ca. 1000 v.H.) friedfertig und absolut harmlos für einen wohlgerüsteten

27
Reisenden - freilich, wäre ich ein solcher Schwächling, wie mir aber kein anderer Zusammenhang zu sein als die gren-
dieser selemitische Dorfälteste, hätte ich die gutgemeinten zenlose Machtgier der Borbaradianer, die selbst solche ver-
Warnungen ernst nehmen müssen. So aber, gestützt auf das dammmungswürdigen Echsenzauber erforschen und sich
Schwert in meiner starken Faust, konnte ich den Echsischen aneignen.
frei heraus begegnen und mußte nichts bangen. Dabei sei auch verwiesen auf die Verwendung von Diaman-
Wie ich nach und nach erfuhr - die unkultivierten Wesen ten in den Ritualen der Linken Hand, was offenbar den
sprachen kaum Garethi -, waren die Echsenmenschen dem Echsenbräuchen nachempfunden ist."
Kampf sogar in besonderer Weise abhold: Sie kannten weder (Aus einem unveröffentlichten Manuskript des Magiers
die edlen Wettstreite der Männer noch den Krieg zur Vergrö- Rakorium, Festum ca. 13 Hal)
ßerung ihres Besitzes oder Landes - so wunderte mich nicht,
daß sie kaum Macht besitzen." "Die größte Gefahr aber besteht in der Verlockung, die von
(Aus DER SCHUPPENTRAEGER, Reiseerzählung von den echsischen Dingen ausgeht: Ich selbst befand mich
Alexon Hundertsilber, Punin 89 v.H.) mehrmals in Versuchung, alle Vorsicht hintanzustellen und
mich mit Haut und Haaren auf eine der alten Zeremonien
"So unterschiedlich wie die Kulturen der Warmblüter schei- einzulassen. So hätte ich vielleicht zunächst meinen
nen auch die Echsenmenschen zu sein: Was beim einen bohrenden Forscherdrang befriedigt und gar mit diesem
Stamm gang und gäbe ist, kennen die Nachbarn vielleicht Wissen der Menschheit Gutes getan, auf Dauer aber wäre ich
schon gar nicht mehr. Das gilt besonders im Gebiet des zweifellos dem Bösen verfallen und hätte meine Seele
Handwerks und der Künste - die verwendeten Stoffe, die verloren.
Feinheit der Arbeit und die Muster und Verzierungen sind Dies ist denn auch das Schicksal so manchen edlen Magiers
von Dorf zu Dorf so verschieden, daß es dem Beschreiber ein aus Tulamidengeblüt: Sie, die so ungleich näher den echsi-
Graus ist: Wenn der eine Stamm seine Speere mit den schen Dingen stehen, sind auch in höchster Gefahr, der
Hornspitzen von Herrenechsen besteckt und kostbar mit Faszination zu verfallen - wo immer man das Schuppenge-
Schnitzereien verziert, so verwenden ihre nächsten Nachbarn zücht erbittert verfolgt, finden sich auch solche, die sich ihm
grob bearbeitete Eisenspitzen und binden die bunten Federn anschließen und ganz seine Sklaven werden.
von Sumpfhühnern daran. Ach, wie beneide ich doch die Ignoranten im Mittelreich, die
Deshalb kann dieser Text auch nur die wenigen Züge aufzäh- nichts von alledem ahnen und mich lächelnd als Wirrkopf
len, die zumindest die Mehrheit der Echsenmenschen ge- abtun!"
meinsam hat: So verehren sie eigentlich alle eine Göttin, die (Aus den persönlichen Aufzeichnungen des Magiers Rako-
von ihrer Gestalt ist und die sie H'Ranga nennen. Der rium)
Überlieferung nach handelt es sich um eine fruchtbarkeits-
"In jener Zeit las ich auch viel in den alten, verbotenen
spendende Göttin der Erneuerung, so daß nicht wenige
Büchern, die sich in der Bibliothek meines Onkels fanden, Da
vermuten, die ewig junge Tsa habe sich den Echsischen
standen furchtbare, unaussprechliche Werke, geschrieben mit
offenbart.
brauner Tinte auf seltsam grünes Pergament, und allmählich
Denn wie die Geweihten jener Göttin kennen auch die
begann ich die Umstände zu begreifen, die zu meines Onkels
meisten Stämme keine feste Ordnung, sondern wählen ihre
seltsamen Verschwinden geführt hatten. Von finsteren Kulten
Herrscher von Zeit zu Zeit neu. Manche meinen auch, so
war da die Rede, von den Opferungen junger Seelen an
käme es, daß heute friedliche Stämme alsbald, durch neue
entlegenen Plätzen im Moor, daß sich direkt hinter dem Haus
Häuptlinge aufgehetzt, in wilde Raserei verfallen und ihre
ausbreitete. Am meisten erschreckte mich aber ein Manuskript,
Nachbarn attackieren - doch dies muß fraglich erscheinen wo
in dem beschrieben wurde, wie unnennbar böse Wesen aus
doch auch einzeln lebende Echsenmenschen nachweislich
ihrem Bann zu lösen seien, der sie dank der gütigen Götter
abrupten Stimmungswandeln unterworfen sind."
fernab unsere Welt gefangenhielt.
(Aus "Menschen und Nichtmenschen - ein phänotypischer
So wuchsen meine Kenntnisse von jenen Schrecken in dem
Vergleich", Silas 488 v.H.)
selben Maße wie mein Abscheu vor ihnen, und als ich
schließlich das letzte Buch gelesen hatte (jedenfalls so weit,
Magie und Rituale wie ich es mir ohne Verlust meines Verstandes zutraute), ging
ich hinab vor die Tür und verbrannte einen der Folianten auch
"Die Magie der Echsischen scheint nun ganz fremdartig zu dem anderen, und es war, als stiegen dabei die geretteten
sein: Kaum etwas gleicht dem, was wir als Schulweisheit der Seelen in der hellweißen Rauchwolke zum Himmel empor."
arkanen Künste kennen und .anerkennen, vielmehr scheint die
Echsenmagie ihren eigenen Regeln zu folgen.
So steht zu vermuten, daß sich die Zauber der Leviatanim vor "lszt avch kaum nogh kentlygh, dasz bey der Toetungh oder
allem auf zwei Gebiete richten: Zum einen haben sie die dem Toodt eynsz Drackensz oder eyner Ekcsen der Carbunc-
Fähigkeit, gleich wie sie Schlange einen Warmblüter in Bann kelsteyn kan fallen in die Erdt unnd dorten keymen. Soo disz
zu tun und können ihn dann allerlei Qualen erleben lassen, aber geschihet, waeschet daravsz ein gaar groszer Demant,
zum anderen aber vermögen sie auch die Körper und Dinge in den man sott nenen eyn Dracken-Ey.
ihrem Bestand selbst anzugreifen: So können sie nicht Feuer Eyn sulch Dracken-Ey iedogh kan lygen auff vile Jare unnd
speien, wohl aber Flammen aus einem menschlichen Leib Zehentjare ohn Enderung, dan aber truebt es sich in eynem
schlagen lassen... Tage. Unnd bricht herfür eyn Dracken oder Ekcs, dem
Der Gelehrte bemerkt dabei Ähnlichkeiten mit den Zaubern, inwohnt die Seel unnd Macht des Vaters, alleyn er sigh nogh
wie sie den Jüngern Borbarads zugeschrieben werden, scheint naeren musz mit menschem Fleysch, auff dasz er wueckse."

28
Seltsame Orte und Bauwerke

Bastrabuns Bann hole: Alte Glyphen sieht man da, wie sie in den Schriften des
"Bei dieser Gelegenheit besichtigte ich auch das Monument, Diamantenen Sultanats verwendet wurden, Zauberrunen,
daß die Eingeborenen als 'Bastrabuns Bann' kennen: Eine deren Kenntnis längst vergangen ist, kultische Symbole wie
gewaltige und uralte Wallanlage, die sich auf der ganzen das Sechseck der Elemente oder die unheilbannende Son-
Länge von Selem nach Kannemünde hinzieht. Heute stehen nenscheibe des Praios. Doch manche dieser Zeichen sind
von diesem Bauwerk nur noch einige Reste in Form von zerstört, mit groben Schlägen beschädigt oder mit Blut und
Mauerstücken und Grenzsteinen, und doch liegt etwas Schlamm besudelt.
Kraftvolles, ja Erhabenes über den Ruinen, und die alten, von Keine Fenster findet sich in diesem Ring, keine Tür noch
Wind und Regen fast abgeschliffenen Reliefs und Hierogly- irgendeine andere Öffnung, wohl abgeschirmt ist das, was
phen gemahnen an die Tage, als die Menschheit noch jung von ihr umschlossen wird und nicht hinauskommen kann, es
war. hätte denn Flügel.
Die wenigen Bauern hier sind ein abergläubischer Men- Wagt man es aber, den Mauerring zu erklimmen, steht einem
schenschlag und sehr verschwiegen. Mir scheint, sie haben eine harte Mühe bevor: Wohl kann man sich mit Fingern und
mich für einen bösen Zauberer gehalten, denn viele sah ich Zehen an Sprünge und Risse im Gestein klammem, doch
die alten Schutzgesten des Tulamidenvolkes machen oder wenn die Kräfte auch nur einmal nachlassen, die Hand einen
Amulette hervorzerren, kaum daß ich in Sicht kam. Erst Vorsprung verfehlt oder die schweißfeuchten Fingerkuppen
nachdem ich den kranken Hairan des Dorfes mit einer kleinen abrutschen, ist es um einen geschehen, und man stürzt
Menge Atanax vom Sumpffieber heilen konnte, wurden sie unabwendbar in die Tiefe, um zu Füßen der Mauer zu
zugänglicher und antworteten auf meine Fragen. Dieser zerschellen. Noch heute liegen die Leichen und Skelette
Bastrabun, dessen Namen das Bauwerk trägt, scheint ein solcher Neugieriger an den weißen, blutbefleckten Steinen,
Heerführer und Zauberer gewesen zu sein, der vor un- die Köpfe und Schädel aber sind gestohlen...
denklicher Zeit lebte und einen Wall errichten ließ, um die Gelingt aber der Aufstieg, so kann man von Rand der Mauer
Echsensümpfe vom Land der Menschen zu scheiden. In einen Blick werfen auf das, was von ihr eingeschlossen wird -
späteren Jahren aber hätten innere Kriege die Sultane daran. und manche stürzten erst jetzt hinab in die Tiefe, unfähig, die
gehindert, die Schutzzauber zu erneuern, und so sei der Wall Sinne zu bewahren. Gleich einem Berg liegt hier ein Wesen,
langsam zerfallen. Seitdem könnten die Echsen wieder die größer als sonst ein Tier, das die Welt trägt: Bedeckt mit
Länder verheeren, was sie auch hin und wieder täten. Als Schuppen, stumpf durch die Zahl der Jahrhunderte,
Beweis wurde mir von den Bauern ein gar gewaltiger Schädel überzogen mit Staub und Sand, doch unverkennbar in ihren
voller spitzer Zähne gezeigt, wie er wohl einem gewaltigen Formen, ruht hier eine Schreckensechse wie tot: Gegen dieses
Krokodil gehört haben muß. Die Bauern erzählten mir denn Wesen scheinen Hornechsen wie Käfer zu sein, und heißen
auch die wirre Geschichte von einen zweibeinigen Krokodil, manchen Riesenechsen Schlinger, so trifft für diesen Wesen
daß vor gut neunzig Jahren ins Dorf gestapft sei und alle allein der Name Zermalmer zu: Kein Baum findet sich, dick
Rinder und viele Menschen getötet hätte, bis es in einer genug, um mit den Beinen des Tieres verglichen zu werden,
kalten Nacht von den überlebenden Männern gefesselt und kein Sterblicher wird je eine Klinge schmieden, wert, mit
erschlagen werden konnte. Seit sich nun der mit allerlei diesen Klauen in einem Atemzug genannt zu werden. Steine
Zauberzeichen bemalte Schädel im Dorf befinde, habe nie sind wie Sand im Maul dieses Ungeschöpfs, der Glanz der im
mehr ein solches Echsentier die Menschen angegriffen." Schlaf trüben Augen reichte noch aus, um vorbeihuschende
(Reiseerzählung des Kara ben Yngerymm) kleine Tiere - es mögen wohl Schakale gewesen sein - in
Brand zu setzen und als Asche niederfallen zu lassen.
Und langsam zieht im Geist des Betrachters der Wahnsinn
Zze Tha herauf, gepaart mit der Erkenntnis, daß die Mauer nicht
"Inmitten dieser zerstörten Stadt mit all ihren Ruinen aber ist errichtet wurde, um das Urwesen einzusperren - denn ein
gelegen ein Kreis aus Mauerwerk, das jüngeren Datums zu Hieb seiner Klauen fegte wie Felsquader hinweg wie Sand-
sein scheint: Sind die rissigen, gesprungen Felsblöcke der körner -, sondern um die Priester abgründiger Götzen zu
Ruinenhäuser aus poliertem, fast schleimig glänzenden Basalt, hindern, es wiederzuerwecken."
so besteht diese Mauer aus hellweißem Sandstein, hineinge-
meißelt in die Quader aber sind allerlei merkwürdige Sym-

29
Anhang
Politische Geschehnisse in Aventurien
Tar Honaks Feldzug gegen das Kalifat

Aventuriens Geschichte ist in Bewegung geraten: Kriege alanfanische Flaggschiff, die `Golgari', entführen im
werden geführt, Intrigen gesponnen und Monarchen gestürzt. Handstreich den Hochadmiral Darion Paligan, zerstören (eher
Diese kurze Zusammenfassung enthält die wichtigsten Er- irrtümlich) die Schiffskapelle des Boron und entkommen mit
eignisse der Sommer- und Herbstmonate des Jahres 15 Hal ihrem Gefangenen...
bis etwa zum Handlungszeitpunkt dieses Abenteuers. Zu- Ein gefangengenommener Pirat gesteht wenig später auf der
gleich ist sie eine Übersicht über die diesbezüglichen, Folter, Kalif Abu Dhelrumun habe El Harkir zu dem Überfall
detailreicheren Veröffentlichungen im `Aventurischen Boten' angestiftet, um in Rastullahs Namen Borons Macht zu ver-
bis Anfang 1991. ringern.
Patriarch Tar Honak droht darauf dem "Feind der Zwölfgöt-
ter" mit gnadenloser Vergeltung.
Alles begann mit den Umtrieben des alanfanischen Patriar- Tatsächlich bleiben diese Worte keine leere Drohung: Tar
chen Tar Honak: Kurz nach der Unabhängigkeit des kleinen Honak begibt sich höchstpersönlich an Bord der Golgari und
Gebietes Trahelien im äußersten Süden Aventuriens erhob der befiehlt den Aufbruch ins Land der Ersten Sonne. Die Inva-
machthungrige Despot bereits eindeutige Ansprüche auf das sion stößt in Selem auf geringen Widerstand, das Heer des
junge Königreich - doch sie wurden zurückgewiesen. Patriarchen zieht szintoaufwärts gegen Unau. In aller Eile
Diese unerwartete Weigerung dient nun dem Herrn der schickt ihm der Kalif Truppen entgegen...
größten Hafenstadt am Perlenmeer als willkommener Anlaß, Am Szinto treffen die Armeen aufeinander: hier das gefürch-
eine der größten Flotten zusammenzuziehen, die man in tete alanfanische Expeditionskorps aus Dukatengarde, Schwar-
jüngster Zeit in Aventurien gesehen hat. zem Bund des Kor' und Stadttruppen, dort die Übermacht der
Befehlshaber über die gewaltige Armada wird der Patrizier berittenen und fanatischen Wüstensöhne. Der Angriff der
Darion Paligan, der Bruder der Alara Paligan und damit Novadis beginnt - doch Tar Honak hebt die Hände, ruft
Schwager des Kaisers. Aufgabe der Flotte soll es sein, das seltsame Worte in der Rabensprache... Und Totenstille senkt
schwache Trahelien zu erobern und seine Bewohner zu sich über das Schlachtfeld, schwarze Nebel wehen zwischen
versklaven - zum Ruhme Borons und Al'Anfas. den Novadis. Niemand weiß mehr seinen Namen oder seine
Während das Kaiserreich und andere bedeutende Staaten sich Aufgabe, das große Vergessen ist über die Wüstensöhne ge-
abwartend verhalten, findet der Patriarch unter den Bo- kommen.
ronpriestern und Handelsherren Mengbillas frühzeitig Ver- Die darauffolgende Schlacht ist mehr ein Gemetzel: Wer von
bündete, und Brabak schlägt sich hoffnungsvoll auf die Seite den Novadis nicht erschlagen wird oder im Fluß ertrinkt, wird
des alten Feindes. Lediglich Stoerrebrandt und die Nord- gefangengenommen und als Sklave verkauft. Nur einige
landbank sorgen sich um ihre eigenen Interessen auf den Veteranen und erfahrene Helden können entkommen. Die
Waldinseln, worauf der gerade wiedergewählte Adelsmar- Al'Anfaner haben kaum Verluste zu beklagen.
schall Jucho von Dallenthin den verstärkten Ausbau der Zur selben Zeit setzt Mengbilla ein Heer nach Port Corrad in
bornländischen Kriegsflotte verkündet. Marsch, um das dortige Kontor der Gerbelsteins "vor der
Als ein weitereres mögliches Opfer der Al'Anfaner Armada bornischen Habgier Stoerrebrandts zu schützen".
wird der novadische Pirat El Harkir genannt - angeblich ein Unau wird kurze Zeit tapfer von einer kleinen Schar der
Korsar des Kalifates. Der Hof des Kalifen in Mherwed 'Gelbherzen' gehalten, fällt aber schließlich den vereinigten
leugnet jedoch jeden Kontakt mit dem Freibeuter. Truppen Al'Anfas und Mengbillas in die Hände. Ein kleine-
Doch dann geschieht etwas, das die Menschen im Süden res Heer belagert Kannemünde, in Festum macht sich die
Aventuriens derart bewegt, daß sich sofort die Geschichten- Flotte bereit. Ein Vorstoß nördlich der Unau-Berge bringt das
erzähler auf den Märkten der großen Städte dieses Themas Heer des Patriarchen bis nach Mherwed, der Kalif ist
annehmen. Erzählt wird von einem waghalsigen geflohen, vielleicht sogar tot.
Korsarenstück El Harkirs: Während Al'Anfa sich auf die Auch der Widerstand der tapferen Trahelier ist schnell ge-
großen Boronfeierlichkeiten vorbereitet, schleppt eine brochen, da es Tar Honak gelingt, die beiden Töchter der
Schwarze Galeere eine geentertes Piratenschiff in den trahelischen Königin nach Al'Anfa verschleppen zu lassen.
Kriegshafen, wo die Armada kurz vor dem Auslaufen steht - Königin Peri III. wird gezwungen, ihr Land unter Al'Anfas
doch in Wirklichkeit wurde die Galeere ein Opfer der Herrschaft zu stellen und sich selbst als Gefangene zu Tar
Freibeuter. Nachts verlassen die Piraten ihr Versteck und Honak zu begeben.
schleichen auf das

30
Thalusa beteuert eilig seine Freundschaft mit Al'Anfa; im Fasar nach Punin, um den konkurrierenden Boronkult dort
ganzen Süden Aventuriens versuchen nun alle, sich möglichst auszulöschen.
gut mit Tar Honak zu stellen, der sich im Palast des In Punin jedenfalls setzen sich Freischärler unter Führung
Kalifen zum Imperator des Südens ausruft. Aus seiner von Hauptmann Leomar und der Geweihten Borondria in
Erklärung geht hervor, daß Boron ihm ein wahrhaft göttliches Bewegung, um das scheinbar herrenlose Land südlich des
Geschenk gemacht hat: Macht über Schlaf und Vergessen Yaquir sichern und einen Angriff Tar Honaks frühzeitig
sowie - wie es scheint - völlige Unverwundbarkeit. abzufangen.
Währenddessen fliehen» die geschlagenen Novadis in die Auf den Meeren schließlich ist der Krieg zwischen dem
Khom zurück. In den angrenzenden Gebieten fragt man sich Bornland und Al'Anfa in vollem Gange: Stoerrebrandt und
sorgenvoll, wohin sich Tar Honak nun wenden wird: Ziehen Festum haben zuviel im Kalifat und im Süden investiert, um
die Schwarzen Truppen demnächst mhanadiabwärts nach Tar Honak zum Imperator aufsteigen zu lassen.
Rashdul und weiter nach Khunchom ? Oder aber marschieren
sie nordwärts nach Gorien, Anchopal und weiter nach
Zorgan? Manche befürchten gar, die neue Route der Truppen Es besteht also kein Zweifel: Für tapfere Recken und Kämp-
aus Al'Anfa und Mengbilla führe mhanadiaufwärts über fer, die sich ihr Brot mit der blanken Waffe verdienen, gibt es
künftig viel zu tun im Süden Aventuriens.

31

Das könnte Ihnen auch gefallen