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60.

Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit

Schoormann, M. / Schlak, T. (2007): Die Inter- sprachenpolitischen Kontext noch immer


aktionshypothese. Überblick und aktueller synonym gebraucht werden, obwohl ein-
Forschungsstand. Fremdsprachen und Hoch- schlägige Forschungsergebnisse seit langem
schule 79/80, 79–114. erwiesen haben, dass sich echte Mehrspra-
chigkeit mit dem Erwerb einer dritten mo-
Frank G. Königs dernen Sprache bzw. mit dem Lernen einer
zweiten Fremdsprache auszuformen beginnt.
Der Begriff Mehrsprachigkeit meint folglich
quantitativ und qualitativ immer etwas an-
deres alsbloße Zweisprachigkeit (vgl.Bausch &
60. Formen von Zwei- und Mehr- Heid 1992; Bausch 2001 sowie Art. 3, 10 und
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sprachigkeit 62).
Die Ursachen für die genannten begriffli-
chen Unklarheiten liegen mit Blick auf den
1. Problemaufriss: allgemein genuinen Wirklichkeitsbereich des Lehrens
Formen der Zwei- und Mehrsprachigkeit und Lernens fremder Sprachen in der Kom-
prägen in unseren modernen Gesellschaften plexität der Sache selbst, wobei die folgenden
die „lebensweltliche“ (Gogolin 2004), die in- Aspekte besonders relevant sind:
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dividuell gelebte und die zwischenmensch-


• Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit wird durch
lich-gesellschaftliche sowie die (sprachen-)
die im menschlichen Individuum angelegte
politische Kommunikation in mannigfacher
Fähigkeit ermöglicht, grundsätzlich „viele
Weise (vgl. bereits in Ansätzen die sog. Trilin-
Sprachen“ (Wandruszka 1979) erwerben,
guismus-Deklaration (Europäische Kommis-
lernen und gebrauchen zu können. Gleich-
sion 1995: 45–51) sowie als aktuellen Über-
wohl liegt das Faktum auf der Hand, dass
blick über die gesamte aktuelle Mehr- und
sog. maximal bilinguals bzw. maximal
Vielsprachigkeitssituation mit Schwerpunkt
multilinguals, die also tatsächlich über vol-
auf den europäischen Sprachenräumen
le Kompetenzen in zwei bzw. mehreren
Christ & Christ 2015).
Sprachen relativ konstant verfügen, in
Wirklichkeit die Ausnahme, keinesfalls je-
doch die Regel bilden. Wenn also von zwei-
2. Problemaufriss: konkret
oder mehrsprachigen Individuen die Rede
Im Kontext des Lehrens und Lernens von ist, dann handelt es sich überwiegend, ge-
fremden Sprachen werden die Begriffe der messen an der jeweils erworbenen mutter-
Zwei- und Mehrsprachigkeit noch immer in oder erstsprachlichen Sprachfähigkeit, um
wenig differenzierter Form gebraucht. Man approximative, individuell unterschiedlich
begegnet nicht selten einer Begriffsverwen- konturierte Kompetenzen (vgl. u. a. die
dung, die implizit davon ausgeht, dass die Be- Selbstzeugnisse von Schweitzer, Buber,
herrschung von zwei oder mehreren Spra- Canetti und Elwert in Wandruszka 1979).
chen stets und selbstverständlich mit der • Zwei- bzw. Mehrsprachigkeit tritt häufig
vollen, in einer Erstsprache erworbenen als individuelles und gleichzeitig als grup-
Kompetenz gleichzusetzen wäre. Hinzu pensoziales bzw. gesellschaftlich-kollekti-
kommt oftmals, dass die Begriffe Zwei- und ves Phänomen in Erscheinung. Die wech-
Mehrsprachigkeit im unterrichtsmethodi- selseitigen Beziehungen zwischen diesen
schen und curricularen sowie v. a. auch im Realitäten sind extrem vielschichtig. Sie

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K.-R. Bausch

lassen deshalb gleichermaßen Zugriffe aus unterrichtsmethodischen Konzepte des bi-


unterschiedlichen Wissenschaftsdiszipli- lingualen Lehrens und Lernens (vgl. Art.
nen, wie z. B. der Linguistik, der Soziolo- 44).
gie, der Psychologie, der Pädagogik und
der Sprachlehrforschung zu.
• Die Determinierung von konkreter Zwei- 3. Konkrete Formen der Zwei- und Mehr-
oder Mehrsprachigkeit hängt prinzipiell sprachigkeit
davon ab, ob diese Fähigkeit überwiegend
In der Vergangenheit wurden unterschiedli-
über Prozesse des Erwerbens oder des Ler-
che Versuche unternommen, Formen der
nens aufgebaut werden (vgl. Art. 59). Dabei
individuellen Zwei- und Mehrsprachigkeit
ist eine real gegebene Zwei- oder Mehr-
mittels konkreter Typologien darzustellen.
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sprachigkeit sowohl auf der individuellen


Diese Formen bzw. Typologien sind für
als auch auf der gesellschaftlich-kollekti-
das Lehren und Lernen fremder Sprachen
ven Ebene durch kontinuierliche Instabi-
insofern relevant, als mit ihrer Hilfe die
lität gekennzeichnet (so steigert sich in der
Lernziele in Unterrichtskonzepten und cur-
Regel z. B. der konkret erworbene ,Be-
ricularen Modellen sowie die dabei jeweils
herrschungsgrad‘ in einer Fremdsprache
angestrebten Zwei- bzw. Mehrsprachigkeits-
durch die Intensivierung von privaten oder
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profile von Adressatengruppen systematisiert


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beruflichen Kontakten mit entsprechen-


werden können.
den Muttersprachlern), wobei gleichzeitig
Im Folgenden werden die wichtigsten
die funktionale Reichweite der jeweiligen
Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen aufge-
fremdsprachlichen Kompetenz in unter-
führt:
schiedlicher Hinsicht eingeschränkt sein
In einer ersten Gruppierung sind die Ty-
kann (so z. B. bei einer sich mehr oder we-
pen zusammengefasst, mit denen sich Zwei-
niger natürlich einstellenden Reduktion
und Mehrsprachigkeitsformen von dem Leit-
der Teilkompetenz Schreiben in einer Si-
kriterium der sog. globalen Sprachfertigkeit
tuation, in der eine bestimmte Herkunfts-
(im Sinne eines jeweils konkret erreichten
sprache in zielsprachlicher Umgebung nur
Sprachstandes) her ausdifferenzieren lassen;
noch mündlich z. B. als sog. Familienspra-
dabei gilt, dass sich diese Kompetenztypen
che benutzt wird).
unter den Bedingungen sowohl von Fremd-
• Der Begriff zweisprachig bzw. bilingual
sprachenerwerbs- als auch von -lernkontex-
wird im Kontext des Lehrens und Lernens
ten entwickeln können.
fremder Sprachen mittlerweile nicht nur
Die wichtigsten dieser Sprachfähigkeits-
mit Blick auf die komplexe Problematik
formen sind die folgenden:
von individuellen bzw. kollektiven Sprach-
fähigkeiten verwendet, sondern zusätzlich a) die minimalen Zwei- und Mehrsprachig-
für die Bezeichnung von unterrichtsme- keitsformen, unter denen man die sog. in-
thodischen Prinzipien herangezogen. Dies cipient bilinguals zusammenzufassen ver-
gilt insbesondere für die nach wie vor kon- sucht, d. h. also Individuen, die in einer
trovers geführte Diskussion über das Un- oder in mehreren Fremdsprachen lediglich
terrichtsprinzip der Einsprachigkeit in Re- rudimentäre, in der Regel nicht satzüber-
lation zu Verfahren der sog. funktionalen greifend kontextualisierbare (Teil)-Kom-
bzw. funktional-zweisprachigen Unter- petenzen aufweisen (meist in Form von
richtsführung (vgl. Königs 1983; Bahr et al. feststehenden Wendungen, Begründungs-
1996 sowie Art. 66 und 67) sowie für die ritualen etc.);

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60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit

b) die maximalen Zwei- und Mehrsprachig- tive und qualitative Defizite aufweisen, so
keitsformen, die sich auf Individuen bezie- dass in der Regel nur rudimentäre, auf
hen, die eine oder mehrere Fremdspra- den alltäglichen Lebensbedarf abgestellte
che(n) native like ,beherrschen‘ und wohl Kommunikationsabläufe stattfinden kön-
eher als idealisierte Zielgrößen denn als nen; die jeweiligen Defizite können nicht
Regelfall verstanden werden müssen. Dies nur alle Sprachebenen (v. a. jedoch Lexi-
gilt insbesondere für Fremdsprachenlern- kon und Morphosyntax), sondern auch die
kontexte, wenngleich sich Curricula und pragmatischen, affektiven und psycholin-
Lehrpläne häufig über den Lernzielbegriff guistischen Planungs- und Realisierungs-
der near nativeness an diese Idealisierung prozeduren betreffen.
anzunähern versuchen;
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c) die ausgewogenen oder symmetrischen Es ist evident, dass sich die aufgeführten Ty-
Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, mit pen nur unter Zugrundelegung eines Konti-
denen Individuen beschrieben werden, die nuums gegeneinander abgrenzen lassen; da-
z. B. für zwei Sprachen, bezogen auf alle bei ist festzuhalten, dass bisher lediglich die
möglichen Kommunikationstexte, einen ausgewogene bzw. symmetrische Zweispra-
(ungefähr) gleichgewichtigen Sprachstand chigkeit intensiver diskutiert worden ist, wo-
erlangt haben und die zusätzlich in der bei v. a. in den 1970er Jahren die Existenz
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Lage sind, diesen ambilingualen bzw. äqui- von tatsächlich ausgewogenen bilingualen
lingualen Sprachfertigkeitsgrad über einen Individuen bezweifelt wird, die ihre beiden
längeren Zeitraum in etwa konstant zu Sprachen in einer Vielzahl von Situationen
halten. Dieses Phänomen ist insbesondere gleichermaßen kompetent einsetzen können.
bei Kleinkindern zu beobachten, die in sog. Vielmehr wird es – ausgehend von empirisch
bilingualen Lebensgemeinschaften nach ermittelten Befunden – für realistisch gehal-
den Prinzipien des doppelten Erstspra- ten, dass die bilingualen Sprachfähigkeiten je
chenerwerbs erzogen werden; nach kommunikativer Intention bzw. Funk-
d) die dominanten oder asymmetrischen tion unterschiedliche Perfektionsstufen und
Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, mit Merkmale aufweisen und dass gleichzeitig
denen Individuen beschrieben werden, die jede der beiden individuellen Sprachkompe-
eine oder mehrere Fremdsprachen ,be- tenzen für sich genommen durch kontinu-
herrschen‘ und bei denen abwechselnd die ierliche Instabilität gekennzeichnet ist.
kommunikative Reichweite einer einzel- In einer zweiten Gruppierung werden Ty-
nen Sprache gegenüber der bzw. den an- pen zusammengefasst, die sich, je nach sozio-
deren größer oder kleiner wird; dabei kann kulturellem Kontext, sowohl auf Erwerbssi-
sich der Dominanzgrad häufig durch sozial tuationen als auch auf Fremdsprachenlern-
oder geographisch bedingte Mobilität ver- kontexte beziehen können, freilich auch auf
ändern. Diese Formen finden sich insbe- wechselseitig funktionierende Mischkontex-
sondere bei Migrantenpopulationen, die te; dabei gilt, dass der Leitbegriff der globalen
einzelne Sprachen erwerben und andere Sprachfertigkeit nunmehr durch sog. indivi-
simultan lernen; dualspezifische Orientierungskriterien (Lern-
e) die Semilingualismusformen, mit denen bzw. Erwerbsumfeld, kommunikative Ab-
Individuen beschrieben werden, die in al- sichten bzw. Ziele, Kommunikationspartner,
len ihren Sprachen – gemessen an jeweils gewählte Sprachenfolge etc.) ersetzt wird, so
monolingual kompetenten Personen – dass sich von hier aus die wichtigsten Typen
über längere Zeiträume hinweg quantita- wie folgt bestimmen lassen:

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K.-R. Bausch

a) die funktionalen Zwei- und Mehrspra- – der kombinierte Zwei- bzw. Mehrspra-
chigkeitsformen, die sich zum einen von chigkeitstyp, dessen Hauptmerkmal darin
den individuellen Kommunikationsinten- liegt, dass für eine gemeinsame Bedeu-
tionen (mit wem, mit welcher Absicht, tungsebene (compound level) zwei verschie-
wann, wo, mit welcher Sprache?) und zum dene sprachliche Kodierungssysteme men-
anderen von den einzusetzenden Sprach- tal gespeichert werden; als Standardtyp
produktions- und -rezeptionsverfahren hierfür wird im Allgemeinen das Lernen
her (welche Teilkompetenzen setze ich von Fremdsprachen in schulischen Situa-
z. B. in welcher Situation, einem bestimm- tionen, und zwar auf der Basis des jewei-
ten Adressaten gegenüber ein?) bestimmen ligen erst- bzw. muttersprachlichen Um-
lassen. Konzepte der funktional ausgeleg- felds angesetzt;
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ten Zwei- und Mehrsprachigkeit haben in – der koordinierte Zwei- bzw. Mehrspra-
der Vergangenheit das Lehren und Lernen chigkeitstyp, dessen Hauptmerkmal darin
fremder Sprachen im Kontext der sog. besteht, dass die jeweiligen Sprachen in ih-
fertigkeitsorientierten Kursentwicklungen rer Gesamtheit völlig voneinander ge-
v. a. im nordamerikanischen Raum erheb- trennt als sog. coordinate systems mental ge-
lich beeinflusst. Hierbei spielt die nach wie speichert sind; die Palette der hierfür in
vor kontrovers geführte Auseinanderset- Frage kommenden Erwerbs- und Lern-
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zung über Vor- und Nachteile der Ausbil- kontexte ist hierbei sehr viel breiter ausge-
dung von funktionalen, kulturellen und legt als beim kombinierten Typus. In jedem
v. a. kritischen Lese- und Schreibfertigkei- Fall wird jedoch davon ausgegangen, dass
ten, d. h. also von biliteracies, eine beson- dieses Bilingualitätskonzept dem sog. true
dere Rolle; dies trifft insbesondere auf den bilingual zugrunde liegt, der z. B. in der
allgemeinen schulischen Fremdsprachen- Lage ist, die eine Sprache (z. B. Türkisch)
unterricht zu. Zusätzlich gehört in diesen mit seinen Eltern und die andere (z. B.
Kontext die für das Lehren und Lernen Deutsch) funktional getrennt im berufli-
fremder Sprachen generell wichtige und chen Umfeld zu benutzen.
unmittelbar einschlägige Diskussion über
c) Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die
produktive Zwei- bzw. Mehrsprachig-
sich ausgehend vom Faktor Alter ausdif-
keitsformen einerseits, bei denen alle Teil-
ferenzieren lassen (vgl. allgemein zum Fak-
kompetenzen in ausgewogener Weise aus-
tor Alter Art. 52). Hierher gehören insbe-
gebildet sind, und über rezeptive Formen
sondere die folgenden Typen:
andererseits, bei denen die Sprachfähigkeit
– die frühkindlichen Bilingualismusformen ,
bewusst und gezielt auf das Hör- und/oder
bei denen in der Regel nach dem ganzheit-
Leseverstehen eingegrenzt wird.
lich ausgelegten Erziehungsprinzip „une
b) Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die personne – une langue ” ein doppelter Erst-
sich von der Art ihrer mentalen Repräsen- sprachenerwerb aufgebaut wird (hierzu
tation, d. h. von der Art ihrer Speicherung exemplarisch Kielhöfer & Jonekeit 1998);
im Gehirn des bi- bzw. multilingualen In- – die konsekutiv-additiven oder sukzessiven
dividuums, her bestimmen lassen. Hierher Zwei- und Mehrsprachigkeitsformen, die
gehören insbesondere die beiden folgen- insbesondere für monokulturelle Erwerbs-
den klassischen Typen, die jedoch lediglich und Lernkontexte die Regel darstellen und
als abstrakte Konstrukte zu betrachten in denen, bedingt durch ministeriell vorge-
sind: gebene Sprachenfolgeregelungen für die

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60. Formen von Zwei- und Mehrsprachigkeit

jeweiligen Schul- und Ausbildungssyste- 4. Perspektiven für eine Didaktik und


me, Zwei- und Mehrsprachigkeitsprofile Methodik der ,echten‘ Mehrsprachigkeit
systematisch strukturiert und festgeschrie-
ben sind (vgl. Art. 61–63). Die Diskussion über die Relevanz von Zwei-
und Mehrsprachigkeitsformen für das Leh-
Unabhängig von den soeben angesproche-
ren und Lernen von Fremd- und Zweitspra-
nen, schulsprachenpolitischen und -organi-
chen hat sich in den letzten Jahren spürbar
satorischen Aspekten, die seit einiger Zeit
intensiviert; dabei ist insbesondere hervor-
wieder intensiven Diskussionen ausgesetzt
zuheben, dass heute aus sprachenpolitischer
sind, werden im Rahmen der konsekutiv-
Sicht immer häufiger trilinguale, also ,ech-
additiven oder sukzessiven Zwei- und Mehr-
te‘ Mehrsprachigkeitsprofile eingefordert
sprachigkeitsformen v. a. die beiden folgen-
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und die ,bloßen‘ Formen der individuellen


den Problembereiche behandelt:
Zweisprachigkeit als nicht mehr ausreichend
• einerseits die Frage nach der Bildung von für den Bau eines sprachenteiligen und -to-
Hypothesen über das ,beste‘ Alter, um eine leranten „Europäischen Sprachenhauses“ zu-
oder mehrere Fremdsprachen optimal und rückgewiesen werden (Landesinstitut für
möglichst ,perfekt‘ auf Dauer lernen zu Schule und Weiterbildung 1997/1998/1999
können. Hierzu wurde – ausgehend von sowie Art. 10). In diesem Zusammenhang
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neuropsychologisch geführten Diskussi- übernehmen die Perspektiven des Europa-


onen über die Critical Period Hypothesis – rats, in denen eine begründete Language policy
eine Reihe von empirisch begründeten, je- for a multilingual and multicultural Europe an-
doch häufig nicht miteinander kompati- gestrebt wird, eine immer stärkere Steue-
blen Thesen vorgelegt, die von der globa- rungskraft.
len, auch alltagssprachlich weit verbreite- Hinzu tritt schließlich die Tatsache, dass
ten Position „je jünger desto besser ” über unsere modernen Gesellschaften – und damit
spezialisierende Thesen wie z. B. „je jünger insbesondere die Lernerpopulationen in allen
desto besser die Aussprache ” oder „je älter schulischen, tertiären und quartären Bil-
desto besser, zumindest am Anfang ” bis hin dungsbereichen – bereits als solche durch
zu der sich immer stärker durchsetzenden komplexe individuell gelebte, lebensweltliche
Position „in jedem Alter mit je spezifischen sowie kollektiv-gesellschaftliche Mehrspra-
Lernwegen möglich ” reichen (vgl. ausführ- chigkeitsrealitäten (Art. 3) gekennzeichnet
lich Grotjahn 2003 und Art. 52); sind.
• andererseits – ausgehend von den soeben Die angeführte Realität stellt insbesondere
angesprochenen Hypothesen – die Frage das Lehren und Lernen von Fremd- und
nach einer immer präziseren Differenzie- Zweitsprachen mit Blick auf den herkömm-
rung des Altersfaktors und nach der damit lichen, seit Jahrzehnten im Wesentlichen un-
verbundenen Begründung einzelner Al- verändert gebliebenen Schulsprachenkatalog
tersperioden; dabei konzentriert sich die vor grundsätzlich neue didaktisch-methodi-
Diskussion aus der Fremdsprachenlehr- sche Probleme (vgl. Art. 10 und 11).
perspektive heraus auf die Entwicklung Die genannten Fakten führen insgesamt
von unterrichtsmethodischen Konzepten, zu der übergeordneten Perspektive, syste-
denen zentral jeweils altersspezifische Ler- matisch eine eigenständige Didaktik und Un-
nerqualitäten und -entwicklungsstände zu- terrichtsmethodik der ,echten‘ Mehrspra-
grunde gelegt werden (vgl. Art. 61–63). chigkeit zu erarbeiten, die Erkenntnisse v. a.
aus der Mehrsprachigkeitsforschung einbe-

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Ingelore Oomen-Welke

zieht und deren genuines Ziel auf die Ausbil- Landesinstitut für Schule und Weiterbildung,
dung von ,echten‘ Mehrsprachigkeitsprofilen Hrsg. (1997/1998/1999): Wege zur Mehrspra-
gerichtet wird (vgl. Meißner & Reinfried chigkeit, Informationen zu Projekten des sprach-
1998; Landesinstitut für Schule und Weiter- lichen und interkulturellen Lernens 1–4. Soest.
bildung 1998; Bausch 2001; Hu 2003; Marti- Landesinstitut für Schule und Weiterbildung,
nez 2015). Hrsg. (1998): Auf der Suche nach dem Sprach-
lernabenteuer. Neue Wege beim Lehren und Ler-
nen der dritten Fremdsprache. Bönen.
Literatur Martinez, H. (2015): Mehrsprachigkeitsdidak-
tik: Aufgaben, Potenziale,und Herausforde-
Bahr, A. / Bausch, K.-R. / Helbig, B. / Kleppin, rungen. Fremdsprachen Lehren und Lernen
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K. / Königs, F. G. / Tönshoff, W. (1996): For- 44/2, 7–19.


schungsgegenstand Tertiärsprachenunterricht. Meißner, F.-J. / Reinfried, M., Hrsg. (1998):
Ergebnisse eines empirischen Projekts. Bochum. Mehrsprachigkeitsdidaktik: Konzepte, Analysen,
Bausch, K.-R. (2001): Glanz und Elend der Mehr- Lehrerfahrungen mit romanischen Fremdspra-
sprachigkeit in unserer Gesellschaft. Ansprache chen. Tübingen.
zur Eröffnung des Europäischen Jahres der Spra- Wandruszka, M. (1979): Die Mehrsprachigkeit der
Menschen. München.
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chen 2001. Manuskript.


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Bausch, K.-R. / Heid, M., Hrsg. (1992): Das Leh-


ren und Lernen von Deutsch als zweiter oder Karl-Richard Bausch
weiterer Fremdsprache: Spezifika, Probleme, Per-
spektiven. Bochum.
Christ, H. (posthum) / Christ, I., Hrsg. (2015):
Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität in
personaler und gesellschaftlicher Perspekti- 61. Formen von Zwei- und Mehr-
ve. Fremdsprachen Lehren und Lernen 44/2, sprachigkeit im Elementar- und
215–229. Primarschulalter
Europäische Kommission, Hrsg. (1995): Weiß-
buch. Strasbourg.
Gogolin, I. (2004): Lebensweltliche Mehrspra- 1. Kinder und Sprachen – Formen des
chigkeit, in: K.-R. Bausch / F. G. Königs / Sprachkontakts
H.-J. Krumm (Hrsg.): Mehrsprachigkeit im Fo-
kus. Tübingen, 55–61. Alle Kinder im amtlich deutschen Sprachge-
Grotjahn, R. (2003): Der Faktor ,Alter‘ beim biet kommen mit mehreren Sprachen in
Fremdsprachenlernen: Mythen, Fakten, di- Kontakt. Die häufigsten Kontaktformen sind
daktisch-methodische Implikationen. Deutsch • das Aufwachsen in einer Familie mit meh-
als Fremdsprache 40/1, 32–41. reren Sprachen oder mit einer Familien-
Hu, A. (2003): Schulischer Fremdsprachenunter- sprache, die nicht Umgebungssprache ist,
richt und migrationsbedingte Mehrsprachigkeit. • in einer zwei- oder mehrsprachigen Regi-
Tübingen. on,
Kielhöfer, B. / Jonekeit, S. (1998): Zweisprachige • Betreuung durch eine anderssprachige
Kindererziehung. Tübingen. Person,
Königs, F. G. (1983): Normenaspekte im Fremd- • eine Fremdsprache in einer elementarpä-
sprachenunterricht. Tübingen. dagogischen Einrichtung,

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