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L.

Hagemann1
S. Berger1 Osteochondrosis dissecans der Hüfte
B. Philipps1
H. Ostertag2
beim Erwachsenen – Differenzialdiagnostik
C. H. Siebert1 freier Gelenkkörper – Fallbeschreibung
Osteochondrosis Dissecans of the Hip in Adults –

Hüftgelenk
Differential Diagnosis of Free Joint Bodies – Case Report

Zusammenfassung Abstract

Hüftschmerzen im Erwachsenenalter können sehr unterschied- The causes of hip pain in adults can vary greatly. We present the

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liche Ursachen haben. Geschildert wird der Fall einer 44-jäh- case of a 44-year-old woman with recurrent hip pain over a peri-
rigen Frau mit unspezifischen rezidivierenden Hüftschmerzen od of years. Medical history and clinical examination did not pro-
seit Jahren bestehend. Nativ-radiologisch zeigt sich ein freier Ge- vide any decisive information. The X-rays revealed a loose body
lenkkörper. In der weiteren MRT-Diagnostik wird differenzial- in the cavity of the hip joint. The MRI scan made the following
diagnostisch neben einer Osteochondrosis dissecans coxae auch differential diagnosis plausible: Osteochondrosis dissecans co-
ein Osteochondrom sowie eine Chondromatose vermutet. Zur xae, osteochondroma and chondromatosis. The final diagnosis
Diagnosesicherung erfolgt die operative Sanierung mittels der of osteochondrosis dissecans coxae was confirmed by surgical
offen-chirurgischen Hüftdislokation modifiziert nach Ganz. Der dislocation of the hip as modified by Ganz and histological
intraoperative und histopathologische Befund sichert die Diag- examination of the loose body. This case supports the impor-
nose einer Osteochondrosis dissecans coxae. Der Fall demons- tance of including rare lesions in the differential diagnostic
triert die Notwendigkeit der differenzialdiagnostischen Ein- work-up of joint pain. The advantages of the offset operation as
beziehung auch seltener Erkrankungen. Vorteile der Offset-Ope- modified by Ganz versus arthroscopy of the hip are outlined. 301
ration modifiziert nach Ganz im Vergleich zur Arthroskopie der
Hüfte werden dargestellt.

Schlüsselwörter Key words


Hüftschmerz · freie Gelenkkörper · Osteochondrosis dissecans Hip pain · free joint bodies · osteochondrosis dissecans coxae ·
coxae · Offset-Operation nach Ganz Ganz offset procedure

Einleitung Im Vergleich dazu sind intraartikuläre freie Gelenkkörper der


Hüfte eher selten [11]. Ein solcher freier Gelenkkörper (Corpus
Eine häufige Ursache für Hüftschmerzen im Erwachsenenalter liberum) besteht meist aus Knochen mit überdeckender Knor-
ist die Arthrose. Eine nativ-radiologische Untersuchung sichert pelschicht, gelegentlich aber auch nur aus Knorpel oder Synovia-
meist die erste Verdachtsdiagnose [13]. lis. Die Entstehung der freien Körper ist verschieden, entweder

Institutsangaben
1
Orthopädisches Fachkrankenhaus Annastift, Klinik I, Hannover
2
Pathologisches Institut, Klinikum Nordstadt, Hannover

Korrespondenzadresse
Dr. med. Lars Hagemann · Orthopädisches Fachkrankenhaus Annastift · Klinik I ·
Anna-von-Borries-Straße 1–7 · 30625 Hannover · Tel.: 0511/5 35 40 · Fax: 0511/5 35 4761 ·
E-mail: lars.hagemann@annastift.de

Bibliografie
Z Orthop 2006; 144: 301–304 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
DOI 10.1055/s-2006-933502
ISSN 0044-3220
handelt es sich um einen Knorpelanteil, der sich im Rahmen ei- Abb. 2 Nativ-
ner Osteochondrosis dissecans abgelöst hat, oder um ein unfall- röntgen
bedingt abgesprengtes Fragment, z. B. im Rahmen einer Hüft- (Hüfte axial li.).
kopffraktur. Häufig sind freie Körper auch nicht sicher zuzuord-
nen und ihre Genese ist nicht bekannt.

Kasuistik

Eine 44-jährige Frau im guten Allgemein- und regelrechten Er-


nährungszustand klagt seit mehreren Jahren über progrediente,
belastungsabhängige Schmerzen im Bereich des linken Hüftge-
lenkes. Die Beschwerden gehen gelegentlich mit einer schmerz-
haften endgradigen Bewegungseinschränkung der linken Hüfte
Hüftgelenk

in allen Ebenen einher. Ein Trauma ist ihr nicht erinnerlich.

Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich ein schmerzbe-


dingt diskret links-hinkendes Gangbild. Palpatorisch findet sich
ein diskreter Druckschmerz in der linken Leiste, kein Klopf-
schmerz über dem Trochanter major links, leichter Zug- und
Stauchungsschmerz der linken Hüfte.

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stellt, differenzialdiagnostisch wurde auf ein Low-grade-Chon-
Bei der Beweglichkeitsprüfung der linken Hüfte zeigt sich eine drosarkom verwiesen (Abb. 3). Eine 3-Phasen-Skelettszintigra-
endgradige schmerzhafte Bewegungseinschränkung mit Exten- phie ergab ebenfalls den Verdacht o. g. Osteochondroms.
sion/Flexion von 0–0–958, Abduktion/Adduktion von 30–0–208
und Außen-/Innenrotation von 20–0–08. Die Untersuchung der Aufgrund der klinischen und radiologischen Befunde wird die
rechten Hüfte ist ohne pathologischen Befund. Indikation zur offen-chirurgischen Sanierung der Knochenver-
änderung unklarer Genese gestellt.
Laborchemisch regelrechte Parameter.
Die Operation wird in der Offset-Technik modifiziert nach Ganz
Auf den nativ-radiologischen Röntgenaufnahmen projiziert sich in Seitenlage durchgeführt [4]. Nach Trochanter-major-Osteo-
auf der Beckenübersicht und der Hüftgelenk-Axialaufnahme tomie erfolgt eine Kapsulotomie und Luxation des Hüftkopfes.
302 links eine scharf begrenzte, wolkig erscheinende, ellipsoide Dadurch ergibt sich ein freier Blick in die Hüftgelenkspfanne,
Raumforderung im Azetabulum von etwa 3 × 2 cm Größe mit als auch auf die Fovea des Hüftkopfes. Hierbei zeigt sich ein frei-
deutlicher Pelottierung des Hüftkopfes im Bereich der Fovea. Es er Gelenkkörper im Azetabulum, der problemlos ohne weitere
liegt keine periostale Reaktion vor, ebenso keine Osteolysen. Im Schädigung des umliegenden Gewebes entfernt werden kann
Seitenvergleich findet sich eine vermehrte subchondrale Sklero- (Abb. 4).
sierung im Pfannenbereich links, sonst keine degenerativen Ver-
änderungen (Abb. 1, 2). Kernspintomographisch wurde bei der Der Gelenkkörper ist von fester Beschaffenheit mit unregelmäßi-
o. g. Lokalisation der Verdacht auf ein Azetabulumchondrom ge- ger Oberfläche und von Knorpel überzogen (Abb. 5).

Abb. 1 Nativröntgen (Beckenübersicht). Abb. 3 MRT, T1-Wichtung a.-p.

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Die Osteochondrosis dissecans ist eine aseptische Knochennek-
rose und bevorzugt das Kniegelenk in etwa 85 % der Fälle. Wei-
tere häufige Lokalisationen sind das Ellenbogen- als auch das
Sprunggelenk. Die Hüfte ist hingegen mit etwa 10 % der Krank-
heitsfälle nur selten betroffen [7, 9]. Die Ätiologie einer asepti-
schen Knochennekrose ist weiterhin nicht geklärt. Postuliert
werden Ischämie, Ossifikationsstörungen, Trauma als auch Fehl-
belastungen [2].

Bei der Osteochondrosis dissecans coxae sind der laterale sowie


der kraniale Bereich des Femurkopfes am häufigsten betroffen,
seltener das Azetabulum [9]. Symptome treten bei Erwachsenen
meist erst nach Lockerung des Dissekates als Belastungsschmerz
mit oder ohne Gelenkblockierungen auf.

Hüftgelenk
Nativ-radiologisch zeigt sich abhängig vom Stadium eine De-
Abb. 4 Femurkopf li. markierung bis zur partiellen Lösung des Dissekates. Zusätz-
liches diagnostisches Verfahren ist die Kernspintomographie, in
Abb. 5 Corpus der sich die Osteonekrose scharf umschrieben darstellt [1].
liberum.
Die Therapie ist stadienabhängig. Vorrangig werden solche Lä-

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sionen operativ offen oder arthroskopisch behandelt [5, 8, 9].

Im vorliegenden Fall wurde u. a. aufgrund der differenzialdiag-


nostischen Abklärung und der anatomischen Lage die chirurgi-
sche Luxation des Hüftgelenks modifiziert nach Ganz gewählt.
Die Indikation hierfür wird wegen einer möglichen Gefährdung
der Hüftkopfdurchblutung meist zurückhaltend gestellt. In Stu-
dien von Ganz et al. sind jedoch keine avaskulären Nekrosen
des Hüftkopfes bei etwa 600 Eingriffen seit 1992 dieser Art be-
In den Defekt der Fovea des Hüftkopfes als auch des Azetabu- schrieben worden [4]. Meist erfolgt diese chirurgische Disloka-
lums mit korrespondierenden Oberflächendefekten werden zu- tion des Hüftgelenkes bei der Behandlung von intra-artikulären
sätzlich Herdanbohrungen nach Pridie durchgeführt [10]. Pathologien wie der Chondromatose, villonodulären Synovitis 303
oder bei intrakapsulären kartilaginären Exostosen [12].
Postoperativ wird die Patientin unter krankengymnastischer An-
leitung mit 5 kg Teilbelastung bis zum Abschluss der 8. postope- Differenzialdiagnostisch sind das Osteochondrom sowie die sy-
rativen Woche geführt mit Vorgabe eines Flexionslimit von 908, noviale Chondromatose zu beachten. Die klinischen Symptome
keiner Außenrotation, Abduktion bis maximal 208 sowie keiner sind jeweils uncharakteristisch.
forcierten Belastung der Hüftabduktoren. Nach knöcherner Kon-
solidierung der Trochanter-Osteotomie ist im Anschluss der Das Osteochondrom ist der häufigste gutartige Tumor (= kartila-
Übergang in die Vollbelastung erfolgt. ginäre Exostose), eine maligne Entartung mit etwa 1 % ist eher
selten. Grundsätzlich können alle Knochen betroffen sein, meist
Bei der abschließenden ambulanten Vorstellung gab die Patien- die Metaphysen der langen Röhrenknochen [3, 6]. Nativ-radio-
tin bei freier Beweglichkeit keine neue Beschwerdesymptomatik logisch erscheint es als pilzartige Vorwölbung, die breitbasig
unter Vollbelastung an. oder gestielt der Knorpeloberfläche aufsitzt.

Die histopathologische Untersuchung ergab folgenden Befund: Bei der Chondromatose handelt es sich um gutartige tumoröse
Corpus liberum von der Fovea centralis; Größe: 33 × 20 × 17 mm Veränderungen der Synovialis mit Bildung von Knorpelgewebe.
mit wulstiger, sonst glatter knorpeliger Oberfläche – gut zu ver- Die Ursache dieser chondroblastischen Metaplasie ist unbe-
einbaren mit einer Osteochondrosis dissecans coxae; keine Neo- kannt. Dabei ist die häufigste Lokalisation das Kniegelenk, die
plasie. Hüfte dagegen ist nur in der Hälfte der Fälle betroffen [3, 6]. Na-
tiv-radiologisch zeigen sich hier meist multiple Gelenkkörper,
die ebenso wie das Osteochondrom kein Mausbett bilden und
Diskussion damit von der Osteochondrosis dissecans abzugrenzen sind.

Die o. g. Befunden des Corpus liberum ausgehend von der Fovea Die jeweiligen Prognosen der drei geschilderten Erkrankungen
centralis sichern die Diagnose einer Osteochondrosis dissecans bei entsprechenden Therapien sind gut, gelten jedoch meist als
coxae. Präarthrosen.

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Der vorliegende Fall zeigt, dass seltenere Erkrankungen der Hüf- Ganz R, Gill TJ, Gautier E, Ganz K, Krügel N, Berlemann U. Surgical dis-
te stets differenzialdiagnostisch in Erwägung gezogen werden location of the adult hip. A technique with full access of the femoral
head and acetabulum without the risk of avascular necrosis. J Bone
müssen. Da die Hüfte in 10 % der Fälle Manifestationsort der Os- Joint Surg [Br] 2001; 83: 1119 – 1124
teochondrosis dissecans ist, stellt sie eine ungewöhnliche Ursa- 5
Ganz R, Parvici J, Beck M, Leuning M, Noetzli H, Siebenrock KA. Femo-
che für Hüftschmerzen dar [7, 9]. ro-acetabular impingement. A cause of early osteoarthritis of the hip.
Clin Orthop Relat Res 2003; 417: 112 – 120
6
Greenspan A, Remagen W. Differential diagnosis of tumors and tu-
Die Offset-Operation modifiziert nach Ganz erlaubt im Gegen- mor-like lesions in relation to age, sex and site. Lippincott-Raven,
satz zur Arthroskopie eine sichere intraartikuläre Diagnostik als Philadelphia 1998
7
auch Therapie. Im Verlauf von 9 Monaten postoperativ konnte Guilleminet M, Barbier JM. Osteochondritis dissecans of the hip. J Bone
keine avaskuläre Störung der Hüftkopfes festgestellt werden. Joint Surg [Br] 1957; 39: 268 – 277
8
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Arthroscopy 1991; 7: 204 – 211
9
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68 – 72
Literatur 10
Pridie KH. A method of resurfacing osteoarthritic knee joints. J Bone
Hüftgelenk

Joint Surg [Br] 1959; 41: 618 – 619


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physiology and current concepts. Clin Orthop 1982; 167: 50 thop Relat Res 2002; 394: 211 – 218
3 13
Dorfman HD, Czerniak B. Bone Tumors. Mosby, St. Louis/Missouri Wirth CJ. Praxis der Orthopädie. Band 1. 3. Auflage. Thieme, Stuttgart
1988 2001

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Hagemann L et al. Osteochondrosis dissecans der … Z Orthop 2006; 144: 301 – 304

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