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!MINEN?

Bücher von Holger Kalweit im Eminent-Verlag

A UF DER S UCHE NACH D E M ZEITLOSEN AUGENBLICK

TRAUM I NITlATION
Spirituelle Traumdeutung

EINWEIHUNG D E R S EELE I N S J ENSEITS


Orpheus und Dionysos
Ein Buch des Lebens und Sterbens

DVD
HOLG E R KALWEIT
Der Mann der beiden Welten

WWW.EMINENT.CZ
-


H O L G E R K A L W E I T

PL AT O N S T O TE N B UC H
Holger Kalweit

PLATONS
TOTENBUCH

Eros, Seelenenergie
und
Leben nach dem Leben

E M I N E NT 2006
Seite 4: Sokrates. Antike Kopie einer Lysipp
zugeschriebenen Büste. 4. jh. v. Chr., Marmor,
Höhe 55 cm.

© 2006 Holger Kalweit

Edition © 2006 Eminent

ISBN 80-7281-213-0
7

INHALT
Platon und Sokrates 11

1 · DAS TOTENREICH II DER ÄTHERKOSMOS


·

Moderne Die verschwiegene Nachbardimension 46


Feinstoffforschung 14 Die Geburt des materiellen Weltalls 46
Die Erfahrung des Todes 15 Die Lebewesen 46
Universelles Wissen 18 Zeit, welche die Ewigkeit nachahmt 46
Die zwei Quartette 19 Kann der Mensch
Der Plasmafluss 20 die Ätherwelt sehen? 47
Das Plasmalicht 22 Abstammung von den Sternen 48
Das natürliche Licht der Natur 25 Die Seele ist unser Fühlen
Das rote Licht des Inferno 26 und Denken 49
Die Seele erzeugt Äther 49
Kontakte im Nicht-Raum 29 50
Alles „Unbelebte" hat eine Seele
Ein Sterbeerlebnis 30 Entstehung des Astralleibs
und der Astrologie 51
Ein Rückkehrer
Sphärenharmonie, Abstieg
aus dem Totenreich 31
und Aufstieg der Seele 53
Die Geschichte von „Er" 32
Platons sieben Sphären 55
Seelenablösung
Sterne, Milchstraße und Äther 59
und Asphodeloswiese 32
Tartaros, Himmel Der überhimmlische Ort 63
und Sphärenharmonie 34 Die Schicksalsgöttinnen 63
Die Verlosung des Schicksals 38 Erinnerung an den Seelenkosmos 64
Wahl des neuen Lebens 41 Himmel und Hölle 67
Wiedergeburt 43 Das Gericht 68
8

Die Seelenflüsse des Ätheruniversums 71 Die Geburt der Seele 102


Ätherwelt und Stoffwelt 72 Die große Mischung 105
Die Bewegungsart der Ströme 73 Die Geburt des Menschen 1 06
Vier große Seelenströme 75 Der Körper 109
Pyriphlegethon 77 Der Daimon des Sokrates 109
Atmet der Äther? 77
Die Notwendigkeit
Der Tartaros 80
des Wahnsinns 112
Die Guten 81
Das Innere Gericht 81 Wir werden wiedergeboren 113

Schluss 81 Wiedergeburt als Tier 1 14


Wiedergeburt als Gott 1 15
Die Urformen ruhen im Äther 82
Zweck der Wiedergeburt 118
Die ätherische Urform 82
82 Leben heißt Wiedererinnerung
Urformen sind vor der Geburt d a
Gedanken und Begriffe ans Jenseits 1 18

als Abbilder der Urformen 82 Erinnern des Ewigen 1 18

Der Hades - der Reichtum

0
des Äthers 84
Der Körper als Spiegelbild der Seele 84

Die Götter sind die Hirten


der Menschen 85

0
IV DAS LEBEN
·

Die Seele muß sich reinigen


vom Körperlichen 1 22
Gegenseitige Beeinflussung
III DIE SEELE
·
von Seele und Körper 124
Das ewige Leib-Seele Problem 126
Der Stoff, aus dem die Seele ist 88
Die große Suche 127
Die Psyche 91
Wiedererinnerung 130
Erzeugen Seelen Stoff? 92
Das Schöne als Schlüssel
Was ist eine Seele? 93
Die Entwicklung der Seele zum Jenseits 132

auf der Erde 94 Der Gott der Schönheit 1 34

Himmel oder Hölle 94 Das Schöne a n sich 1 34

Der Zwiespalt 95 Weise suchen


Was ist Tod 95 das höchste Gute 137
Die Seele ist unsterblich 98 Selbsterkenntnis 137
Das Schlechte ist das Gute Die Suche nach dem Guten
in anderem Gewand 100 im Irdischen 1 37
Hades: Leben in der selbst Das Gute ist die Einheit
gestrickten Hölle 1 00 und die Vielheit 138
9

0
Das Leben als geheimer jenseitslehrer 1 39
Der Sinn des Lebens 139
Wiedererinnern 140
D e r Staat als Echo des jenseits 1 40
Der Ursprung der Berufe 141
Missglückter V·DAS ENDE
jenseitsaufenthalt 1 42
Der echte Philosoph
Selbstmord 142
Harmonie, Glück,
ist am liebsten tot 158

das Gute und die Urformen 1 44 Weise philosophieren nicht 158


Das Staunen 160
Eros - Liebend gibt der Sterbliche
Der Ursprung der Philosophie 160
vom Besten 145
Die Mittelwelt des Daimonischen 1 45 Sokrates trinkt den Giftbecher 1 60

Der Metaxy 147 Das Daimonion 160

Urei und Eros 147 Rückkehr zu den Göttern 1 61

1 48 Leben heißt Vorbereitung


Psyche
Gaia 149 auf den Tod 16 1

Erotik 153 Verhältnis zum Tod 1 61

Die vorplatonische Eros-Mythologie 153 Geheimlehren und Tod 162

Chaos Gaia Tartaros Eros Erebos


· · · · · Das Ende 162
Nyx · Aither · Hemerea 15 3 Der Gesang des Todes 1 63

0
Literatur 1 64

Alphabetisches Register 165


11

PLATON UND SOKRATES


PLATON Athen gewesen sein. Sokrates führte die induktive
Rede und die begriffliche Bestimmung des Allge­
meinen, der Gottheit, ein. Induktion heißt Hin­
427 v. Chr. wurde Platon als Sohn des Ariston und führung vom Einzelnen zum Allgemeinen. Für
der Periktione geboren. Er sollte Politiker wer­ Sokrates war nur das ethische Problem Gegen­
den, machte aber schlechte Erfahrungen mit der stand des Nachdenkens, die Frage nach dem
Regierung der Dreißig, dann und durch die Verur­ Menschen. Seine Psychologie kann als Eudaimo­
teilung des Sokrates erkannte er, jeder Staat sei in nie beschrieben werden, als in sich ruhender
schlechter Verfassung, allein durch Philosophie Frieden der Seele.
sei es möglich, das Leben zu erkennen. Durch die Angeblich machten Sokrates Hunger und Hitze
Begegnung mit Sokrates wurde er zur Weisheits­ nichts aus, seine Abgehärtetheit war sprichwört­
lehre hingeführt. Er gründete nach einer zwei­ lich. Er war immer der Gleiche, beim Fest wie in
jährigen Reise nach Unteritalien im Hain des der Schlacht, ihn kennzeichneten keinerlei Stim­
Heros Akademos seine Akademie, die er 40 Jahre mungsschwankungen. Seine Rede soll die Men­
lang leitete, unterbrochen nur von zwei Reisen schen wie ein elektrischer Schlag des Zitterro­
nach Syrakus. Platon starb im Jahre 348 v. Chr. In chens getroffen haben, er wirkte auf die Zuhörer
seinen Schriften steht stellvertretend für seine wie ein Schlangenbeschwörer.
Meinung sein Lehrer Sokrates.
Im Jahre 399 v. Chr. gab es in Athen eine poli­
tische Reaktion auf die vorausgegangene Revolu­

SOKRATES tionszeit, man wollte die Altvätersitte wiederher­


stellen. Sokrates wurde angeklagt, er versage den
Göttern des Staates die Verehrung und führe neue
Der Athener Sokrates, Sohn des Bildhauers Sophro­ daimonische Wesen ein, tatsächlich aber bezog er
niskos und der Hebamme Phainarete, wurde etwa sich allein auf seinen eigenen Daimon. Ein Mas­
um 4 70 v. Chr. geboren. Sokrates verließ seine Va­ sengericht von 500 Bürgern entschied über das
terstadt nur als Soldat, sonst nie. Sokrates soll Urteil. 220 waren gegen seinen Tod, die knappe
einen Lehrer namens Archelaos aus Milet gehabt Mehrheit dafür. Im Jahre 300 v. Chr. wurde er ge­
haben und später Schüler des Anaxagoras in zwungen den Giftbecher zu trinken.

Platon in Disputation mit Aristoteles. Detail der Freske Athenische Schule von Raphael (151 1).
Platon. Marmorkopie des griechischen Originals. Etwa Mitte des 4. ]h. v. Chr. Weißer Marmor, Höhe 35 cm.
. 1 .

DAS
TOTENREICH
14

MODERNE
FEIN STO FFFO RSCHUN G

In diesem Kapitel möchte ich meine eigenen For­


schungen auf dem Gebiet der Plasmadimension
und des Todes vorstellen. Ich bin Psychologe und
Ethnologe, und aus dieser Kombination ergab es
sich ganz natürlich, dass ich die Psychologen an­
derer Kulturen näher erforschen wollte. Eigent­
lich drängte es mich über die sattsam bekannte
westliche Psychologie hinaus; genau genommen
war dies eine Blasphemie, denn: andere Kulturen
besitzen angeblich gar keine Psychologie, sie be­
sitzen Magie, Zauberei und allerhand Primitivis­
men, aber keine Psychologie. Ich erinnere mich,
als ich im großen medizinischen Hörsaal den Pro­
fessor fragte, ob man sich auch in transkulturel­
ler Psychologie - angeblich eines seiner Spezial­
gebiete - prüfen lassen könne - das gesamte Au­
ditorium bekam einen Lachanfall. Mir war nicht
sofort klar, was ich falsch gemacht hatte, erst
nach jahrelangem Spießrutenlaufen durch die
engen Gassen der westlichen Psychologie sollte
ich das verstehen lernen. Bestenfalls könne, so
heißt es, der moderne Psychologe diese „Primi­
tiv-Psychologien" erklären, niemals aber von
ihnen lernen. Wir erkennen hier sofort den alten
Tür zur Grabstätte. Links oben Haupt der
erbärmlichen Kolonialismus in Gestalt einer Sau­
Gorgona als Schutz vor Unglück. Marmor, Bronze,
bermann-Wissenschaft, die sich als oberster Rich­ Eisen, vergoldet. 3. jh. v. Chr.
ter über alle anderen Kulturen aufspielt. Mit
meinem Interesse fiel ich ganz und gar aus dem den Schamanismus in Europa ein. Es werden häu­
Rahmen. Ich kehrte daher der kaum 100 Jahre al­ fig Menschen zu Schamanen, die lebensgefähr­
ten Wissenschaft, der so genannten Psychologie, liche und verwirrende Erfahrungen durchlaufen,
den Rücken. Meiner Tätigkeit als Psychothera­ die insbesondere das durchgemacht haben, was
peut jedoch tat das keinen Abbruch, im Gegenteil, wir heute als Todeserfahrung bezeichnen, dies
denn inzwischen war eine Bewegung entstanden, aber überleben und eine Umwälzung ihres Fühlens
die sich jenseits der heiligen Hallen der Wissen­ und Denkens erfahren und als verwandelte
schaft nichtwestlichen und traditionellen Thera­ Menschen daraus hervorgehen. Die Todeser­
piemethoden zuwandte. Ich beschäftigte mich fahrung ist das einschneidendste seelische Erleb­
also mit den Psychologen der Stammeskulturen, nis, das wir kennen. Als ich begann, mir von Scha­
den so genannten Schamanen und führte 1977 manen ihre Initiations-Erlebnisse schildern zu las-
15

sen, entdeckte ich bei den von mir untersuchten Vier Jahre sollte er dort bleiben. Die damalige
Kulturen (Hawaii, Südwesten der USA, Tibet) ein Bestrafungsmethode sah folgendermaßen aus:
immer gleich bleibendes Muster. Man hätte sehr die Gefangenen wurden in zwei Zwangsjacken
persönliche Erfahrungen erwarten sollen, aber gesteckt, und diese wurden mit Wasser befeuch­
die prinzipiellen Wegmarken bei der Todeser­ tet, wodurch sie sich zusammenzogen und zum
fahrung wiederholen sich in vorhersagbarer Gefühl des Erstickens führten. Für Morrell waren
Weise. Allein dieses Wiederholungsmuster macht die Schmerzen so unerträglich, dass er aufgab
die Todeserfahrung so interessant und beweist und sich dem Sterben hingab. Plötzlich befand er
zugleich, dass wir es mit einer überhistorischen, sich außerhalb seines materiellen Körpers und
transkulturellen und unpersönlichen Erfahrung wanderte befreit durch das Gefängnis und über­
zu tun haben, die allen Kulturen gemeinsam ist wand es schließlich. Er spürte keinerlei Schmer­
und zu allen Zeiten auftrat und auftritt. Würde zen mehr. Da er nach der Folter keinerlei Anzei­
jede Person etwas anderes erleben, müssten wir chen von Depression zeigte, setzten ihn seine
von Halluzination und Phantasie ausgehen. Die Folterer immer wieder dieser Methode aus, ein­
Todeserfahrung aber zeigt wirkliche Strukturen mal sogar für 126 Stunden. Morrell aber flüchte­
unserer Psyche, gar der Wirklichkeit auf, aber te jedes Mal aus seinem Körper, dies waren seine
eben andere, als es die konventionelle, westliche angenehmsten Stunden. Im außerkörperlichen
Wissenschaft kennt. Zustand hatte er paranormale Erlebnisse; so sag­

Ich beschäftigte mich neben den schamanischen te er den Tag und die Stunde seiner Entlassung

Todeserfahrungen auch mit den Kosmologien exakt voraus. In seinem anschließend aufgezeich­

der Kulturen und stellte Übereinstimmungen neten Buch „The Twenty Fifth Man" geht er detail­

zwischen persönlicher Erfahrung und der Stammes­ liert auf seine Erlebnisse ein. Der Schriftsteller

kosmologie fest. Ich musste mich nun fragen: Jack London, später ein guter Freund von ihm,

Entstammen die kosmologischen Vorstellungen schrieb eine Romanversion darüber mit dem Ti­

der alten Völker persönlichen Erfahrungen von tel „T he Star Rover".

Menschen in Todesnähe, bei der sie in parallele Eine ähnlich merkwürdige Erfahrung schilderte
Wirklichkeiten oder Welten eingedrungen sind? mir eine Bekannte.
Nun: Die alten Kulturen und Stammesgesellschaf­
ten behaupten eben genau das! Nachdem ich mich

Im Dezember 1980 hatte ich eine Totgeburt; es
mit den Weltentstehungslehren von Stämmen be­ war eine Notoperation. Mir war nicht bewusst;

schäftigt hatte, kehrte ich zurück zur westlichen was da im Endeffekt los war; es herrschte eine wahn­

Welt und untersuchte nun das gleiche bei den sinnige Hektik im Raum, der Professor hat ge­

Germanen und Kelten (siehe mein: Das Toten­ brüllt. Ich habe das Sterben des Kindes miterlebt,

buch der Germanen, Das Totenbuch der Kelten). nur wusste ich das nicht. Dann ging das wahnsin­

In diesem Werk behandle ich eine 2000 Jahre alte, nig schnell, weil man - glaube ich - drei Minu­

alle modernen Theorien in den Schatten stellen­ ten Zeit hat, in dieser Situation das Kind zu holen,

de Jenseitswissenschaft: Platons Totenbuch. und die Zeit war einfach zu knapp. Man schloss
mich, während ich in den OP gefahren wurde, an

DIE ERF AHRUNG DES TODES Schläuche an. Ich bin überhaupt nicht mitgekom­
men, was da vor sich ging, und erst im OP, als sie
Am Anfang des vergangenen Jahrhunderts wurde mir den Katheter setzten, das hat wahnsinnig
Ed Morrell ins Gefängnis von Arizona eingeliefert. weh getan, da habe ich zum ersten Mal gefragt,
---- --- -------

gleichen; es ist weder grell, noch dass man sich


unangenehm fühlt oder man ein bisschen Angst
kriegt, man hat das Gefühl, als wenn einem das
umschlingt und wie zwei Mutterhände umkost;
unheimlich warm, beruhigend. Mein Herzklopfen
hatte total aufgehört. Die Schwester erzählte mir
hinterher, ich hätte so leise vor mich hin geredet
und immer das Wort „toll" gebraucht. - Ich glau­
be, dass sich mein Leben von diesem Zeitpunkt an
geändert hat. Ich lebe bewusster. Ich sauge die
positiven Sachen, die es auf der Erde gibt, auf.

Weitere Erlebnisse:

• Auf dem Weg ins Brigachtal wurde mein (Frau)


nagelneues Auto angefahren. Als ich die Böschung
runter rutschte, hatte ich furchtbare Angst, aber
mehr um mein neues Auto als um mich. Plötzlich
sah ich mich selbst im Wasser neben dem Auto
stehen und hörte, wie sich mir ein unheimlicher

Charon im Boot. Zu ihm herab steigen die Schat­ Schrei entrang. Ich selbst aber befand mich ober­
ten des Aigistos und der Klytaimnestra Detail von halb des Autos. Dieser Schrei klang, als käme er
der linken Seitenwand eines Marmorsarkophags, von ganz weit her, obwohl ich höchstens drei
um 134 u.Z. Meter über dem Auto schwebte. Mein Körper
dort unten war mir ganz fremd. Da dachte ich: So
„Was ist eigentlich los?", dann hat der Professor
ist es, wenn man stirbt. Das war ein Erlebnis, das
gesagt: „Frau Bosel, ihr Baby ist bereits tot, für ihr
ich immer noch auf der „Netzhaut" habe. Ich ver­
Baby können wir nichts mehr tun, wir müssen
suchte verzweifelt, das Auto aus dem Wasser zu
schauen, dass wir Sie retten." Und dann ging al­
ziehen und beobachtete mich bei diesem lächer­
les sehr schnell. Es war auf einmal ein unglaublich
lichen Versuch.
angenehmer Zustand. Ein wunderbar leichtes Ge­
Ich (Frau) hatte nach der Operation eine Eukodal­
fühl; ich habe das Gefühl gehabt, überhaupt

spritze gegen die Schmerzen bekommen. Plötz­


nichts mehr zu wiegen, dahinzuschweben; es war
plötzlich sehr hell, und ich bin neugierig ge­ lich spürte ich: Ich bin kein Körper mehr! Die

worden, was da los war, warum das plötzlich so Schmerzen waren weg, ich fühlte mich ganz

hell ist, wo das herkommt und hinführt. Ich leicht und hell. Ein wunderbares Gefühl, so wach
wollte also sehen, was hinter dem Hellen liegt. Ich zu sein. Dann bin ich eingeschlafen, wodurch,

habe mich angestrengt dorthin zu kommen, aber weiß ich nicht mehr genau.

irgendwie habe ich das Gefühl gehabt, dass das so • Es fand nur ein kleiner Eingriff nach der Geburt
ist, wie wenn ich laufe, und es läuft vor mir her. statt (Frau). Ich fühlte mich plötzlich in einer sehr
Das war also nicht zu greifen. behüteten Umgebung. Ich wusste nicht mehr, wer
Das Licht ging wie ein Kegel nach außen. Es war ich war, wo ich war, ich war reines Gefühl. Die
hell und ist mit keinem Licht auf der Welt zu ver- Rückkehr in unsere Welt war so, als ob ich sie
17

nicht kennen würde. Wahrend des Erlebnisses


sprach ich dauernd mit der Schwester. Ich
fühlte die Schwere der Materie. Das Kissen des
Bettes lag wie ein Stein auf mir. Ich sagte mir:
Ich will nicht! Ich will nicht zurück in diese
Welt!

• Im Winterurlaub stürzte ich (Frau) aus dem


Skilift. Ich überschlug mich und fiel rückwärts
den Hang hinunter. Währenddem war ich
ganz klar im Kopf und sagte mir blitzschnell:
Pass auf, dein Kopf! Doch kam irgendwann -
ich überschlug mich mehrmals und rutschte
immer weiter - Todesangst auf. Ich sah mein
Leben an mir vorbeifliegen. Es begann mit mir
als Kind und endete mit einer Todesanzeige,
über meinen Tod, die ich las. „Durch einen tra­
gischen Unglücksfall verschieden!", hieß es da

• Ich (Frau) befand mich beim Zahnarzt und


erhielt zum Ziehen eines Zahnes Lachgas.
Während der Narkose schwebte ich waage­
recht unter der Decke, ganz unbeteiligt sah ich
zu, wie der Zahnarzt arbeitete. Nachher
erzählte man mir, man habe meine Schreie im
Wartezimmer gehört - doch davon konnte
ich nichts beobachten. Noch heute sehe ich
das Bild vor meinen Augen.

• Vor 40 Jahren erhielt ich bei der Entbindung


eine kurze Narkose. Plötzlich dachte ich, ich
sehe mich im Spiegel. Zwei gleiche Menschen!
Doch ich, ich selbst bin ein ganz normaler
Mensch, während dort mein Körper liegt. Ich
war in beiden Körpern, die gegeneinander
geschaut haben. Anschließend fragte ich den
Arzt, was das war, er sagte, das komme von der
Narkose. Erstjetzt (nach meinem Vortrag über
den Tod) erinnere ich mich wieder an dieses
Erlebnis. Dasselbe geschah mir erneut bei der
Geburt des zweiten Kindes.

• Diesem Erlebnis voraus ging - das muss ich


(Frau) erwähnen, eine Fastenphase. Ich fühlte
18

mich nicht wohl, ging spazieren i n der Stadt, und diese Erfahrung im Gedächtnis geblieben. Wa­
als ich vom Frisör wegging, schwebte ich plötzlich rum? Weil sie so außergewöhnlich war?
oberhalb von mir. Das war eine ganz herrliche • Eine Bekannte lag im Sterben, im Koma Sie hatte
Sache. Das Gefühl zu haben, ich kann überall hin. gar nicht gesprochen, sie war ja im Koma. Dann
Mein Blick fiel nach unten, da sah ich meinen wacht sie mit einem Male auf und sagte zu ihrem
eigenen Leib wie nicht unbedingt zu mir gehörig. Sohn: „Wie siehst du denn aus. Wie von einem
Bin ich das, das dort unten? Dann sagte ich mir: anderen Stern!" Es war, als käme sie aus einer an­
Ich gehöre da unten hin; und dann war das Gefühl deren Welt, wie zwischen zwei Welten gefangen.
mit einem Male weg. Danach überkam mich Dann sagte sie noch - die Konfirmation stand
immer ein herrliches Gefühl, wenn ich nur an das bevor: „Bei der Konfirmation werde ich darüber
Erlebnis dachte. schweben und zuschauen!0
• Sieben Jahre alt war ich (Frau, 69 Jahre) und hatte
eine schwere Vergiftung von unreifem Obst. Ich U NIVERSELLES WISSEN
war dem Tod nahe. Der Arzt glaubte, ich würde
sterben. Auf dem Höhepunkt der Krankheit habe Ich befand mich plötzlich in einer grauen Nebelwelt.
ich mich selbst von außen gesehen. Meine weinen­ In dieser Nebelwelt hatte ich das Gefühl, das darin
de Mutter saß neben mir am Bett. Ich wunderte alles W1Ssen irgendwie in Partikelchen gespeichert sei.
mich, warum sie weinte, obwohl mir sehr wohl Ich wusste einfach alles. jetzt aber - zurückgekehrt -
war. Dann wurden Wechselbäder mit mir ge­ habe ich alles wieder vergessen.
macht, was ich aber nicht mehr mitbekam. Ich Welche Art Wissen in der Nebelzone gespeichert
fühlte mich gelöst und fröhlich. Zeitlebens ist mir ist, bleibt unklar, die Gesetze der Natur oder alles

Nekromanteion in Ephyra Nekromanteia waren Orte, an denen die Menschen mit den Seelen der Verstor­
benen kommunizierten. Sie befanden sich an den Eingängen zur Unterwelt. 4. -3. jh. v. Chr.
19

Wissen über alle Lebewesen oder beides. Aber allein. Hierbei transformieren sich Denken,
nicht nur in der Plasmazone erfährt jeder Plasma­ Fühlen und Ichbewusstsein sowie Raum, Zeit und
naut ein universelles Wissen, Gleiches, aber noch Kausalität weiter.
intensiver, widerfährt ihm nach der zweiten
Vom Geist her betrachtet verhält es sich so: Ein Teil
Abspaltung, der Abspaltung des Geistes von der
des puren Geistfeldes verdichtet sich zu etwas,
Seele, wenn er nur noch reiner Geist ist. Offenbar
das wir Plasma oder Lebensenergie nennen, zu
besitzt jede der drei Ebenen ihre eigene Qualität
geronnener Geistenergie. Ein Teil dieses Plasmas
an Wissen, und auch im Materiellen besitzen wir
verdichtet sich weiter, formt Materie. Im End­
ein Wissen, das aber offensichtlich viel geringer
stadium dieser Kette entsteht etwas, das aus drei
ist als jenes der beiden anderen Dimensionen.
Aggregatzuständen oder Dimensionen zusammen­
gesetzt ist, nämlich Geist, Energie und Materie.
DIE ZWEI QUARTETTE Wohlgemerkt: alle drei sind lediglich verdichtete
Manifestationen eines allerhöchsten Zustandes,
Wie kommt es zu einem Erkennen und Erfahren des ,,Alles-ist-in-Allem". Dies ist das älteste Evolutions­
der drei Welten: Materie, Plasma, Geist? Unsere modell: aus einem uranfänglichen Nicht-Zustand,
materielle Welt besteht - will man ihre Faktoren einer leere, bilden sich stufenweise zwei weitere
benennen - aus Raum, Zeit, Kausalität und Dimensionen. Von oben betrachtet entstehen
Materie und subjektiv aus Sinnen, Gefühlen, sukzessive die acht Quartettfaktoren. Ist z. B. Zeit
Denken und Ichbewusstsein. Ich spreche dies­ in der reinen Geistdimension nicht vorhanden,
bezüglich von zwei Quartetten. In der Plasma­ kristallisiert sie sich via Plasma in der Materie­
dimension verwandeln sich die beiden Quartette dimension zu der uns bekannten Zeit, und so ge­
radikal. Im Plasma sind der Körper und damit die schieht dies auch mit allen anderen Faktoren. Aus
körperlichen Sinnesempfindungen sowie das der leere wird Fülle geboren, aus dem Nichts
gesamte Quartett I von uns abgefallen; erhalten Sein.
bleiben Denken, Fühlen und Ichbewusstsein.
Ich bin der Ansicht, dass diese Kosmologie, die die
Diese verändern sich nun, indem sie sich intensi­
alten Völker und traditionellen Kulturen entwor­
vieren! Mit „intensivieren" meine ich, dass z. B.
fen haben, die moderne Kosmologie sehr wohl
unsere Gefühle farbiger, unser Denken schärfer
einiges lehren kann; ein solchermaßen in sich
werden. Sie intensivieren sich, weil der Körper,
logisches Weltbild gelang es der Modeme bisher
der als Filter vor dem Seelenplasma steht, wegge­
nicht zu entwerfen. übersehen werden darf auch
fallen ist. Raum, Zeit und Kausalität sind wegge­
nie, dass hier Physik und Psychologie, Natur und
fallen, intensivieren sich bzw. kehren sich um zu
Mensch eine Einheit eingehen, etwas, das in der
Nichtraum, Nichtzeit und dem, was ich Superkau­
zeitgenössischen Wissenschaft ganz und gar aus­
salität nenne, nämlich dem Zusammenschrump­
einanderfällt. Es ist aber nicht möglich, Lebe­
fen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
wesen und Natur voneinander zu trennen, beide
nach dem berühmten Satz des Giordano Bruno
gehorchen den gleichen Prinzipien, und dies er­
auf den Punkt gebracht: „Die Linie ist der Punkt!"
kannt und in einer Weltschau vereinigt zu haben,
Mit dem Tod des Körpers existieren reiner Geist hat nur die traditionelle Kosmologie geleistet, in­
und Plasma in einer Symbiose. Erst in der puren dem in den drei Kosmen drei „Körper" paralleli­
Geistdimension, wenn auch der Plasmaleib ab­ siert wurden und damit der Mensch als Wesen
geworfen ist, existiert der Geist ganz für sich aus drei Dimensionen erkannt wurde.
20

DER PLASMAF LUSS anderen Ufer scheint es besser zu sein. Die meis­
ten müssen durch den Fluss hindurch schwim­
Die Transformierten befinden sich nach einer men oder über ihn hinübersetzen. Einige Glück­
Seelenabspaltung sehr häufig nicht nur in Gefilden liche jedoch gelangen blitzschnell hinüber, im All­
aus Dunst, Nebel und grauen Wolken wieder; sie gemeinen jene, die dieser Zone nur einen kurzen
mögen auch am Ufer eines Flusses stehen mit Besuch abstatten.
dem zwingenden Gedanken ihn überschreiten zu In der Dimension der Seelenabspaltung scheint
müssen: Gewässer, Meer, Ozean, See, Teich, unsere Gefühls- und Gedankenwelt nach außen
Lagune oder einfach eine regnerische, feuchte, gekehrt zu sein. Wir sehen jetzt außen, wie wir
wässrige, auch schleimige Atmosphäre können es uns fühlen. Ein recht paradoxer Zustand, so als
sein. Für jene, die einen Fluss erfahren, wird bald seien unsere Gefühle durch einen unheimlichen
klar, dass es sich nicht um einen gewöhnlichen Mechanismus als Film nach außen projiziert. Ver­
Fluss handelt. Es ist der „Bitterfluss", wie die gegenwärtigen wir uns die Situation, kommt dies
Griechen sagten, ein Wasser des Leidens. Und jedoch keineswegs unerwartet. Da wir unseren
auch die wolkenverhangene, zwielichtige Dämmer­ Körper in der Raumzeit zurückgelassen haben,
atmosphäre scheint nur eine Widerspiegelung sind wir jetzt ja nur noch bloße Gefühls- und
des eigenen mentalen Leidens, sprich: unserer Gedankenwesen, und so wie wir im Traum unse­
mentalen Dunkelheit, zu sein. re Träume, also unsere Gefühle, außen sehen, so

Seit Ewigkeiten müssen Menschen diesen Fluss auch jetzt. Die Tibeter vergleichen aus diesem

überqueren; die größten unter ihnen waren jene, Grund unsere Traumphase mit dem Zustand des
Todes. Auf diese Weise lässt sich dieser eigen­
die sich bewusst vorgenommen hatten, in die
Todesdimension zu reisen, um dort Verstorbene artige Zustand leicht verstehen Und so wie wir im

zu treffen oder gar um sie dort wieder herauszu­ Traum all unsere Wünsche und Ängste ausleben

holen: die Helden! Einige der griechischen Hel­ können, so auch in diesem Zustand, denn wir sind

den, Theseus, Odysseus, Dionysos, Orpheus, Hera­ von den einschränkenden Bedingungen des Kör­

kles kennen wir. Bei den Babyloniern waren es Bel pers und des Wachbewusstseins befreit. Diese

und Marduk, bei den Italikern Äneas. In Irland Dimension ist daher eine rein subjektive Phantasie­

Cuchulain, in Britannien Arthur, Gwyion und welt. Wer also nicht gelernt hat, seine Gefühle zu

Amathaon und in der Bretagne Ogier le Danois. beherrschen, wird von ihnen gefoltert werden. In

Auch in den Stammeskulturen gibt es unzählige der Plasmadimension werden wir zu Bildhauern

Erzählungen von Tapferen, die es wagten, in die


benachbarte Dimension vorzudringen.
Der kleine Herakles würgt Schlangen. Detail eines
Es scheint, die Flüsse tragen unsere Leidenschaf­
Kruges. 1. Hälfte des 5. jh. v. Chr.

ten, unsere Leiden. Wobei zunächst unklar bleibt,


warum unsere Leiden sich im Sinnbild des Flus­
ses niederschlagen, denn um einen wirklichen
Fluss kann es sich im Plasma ja nicht handeln. Be­
denken wir: Wasser ist lediglich eine Übersetzung
der Atmosphäre der Plasmadimension. Die Menschen
wollen ganz offensichtlich durch diesen Fluss,
sprich diese Dimension hindurch. Warum? Am
21

möglich, all meine Rachsucht bricht ungehindert


hervor, ich bin wie ein gläserner Turm. Hochstapler­
tum, soziale Lügen und Höflichkeitsfloskeln bieten
ohne Körper keinen Schutzschild mehr. Jeder
steht nackt da und entblößt ungeniert seine
geheimsten peinlichen Gedanken. Ein Land der
Ehrlichkeit! Seelendeuter haben es hier leicht
kann man doch problemlos in der Seele eines jeden
lesen, sie ist ihm auf dem Leib geschrieben.

Wir hörten, dass die Atmosphäre neblig, grau,


wässrig ist. Es ließe sich nun vermuten, man kön­
ne dies als Ausdruck unserer trüben Gefühls­
zustände deuten. In der Tat sind Gefühle nur zu
oft regnerisch, grau, schleimig, trübe, feucht und
zwielichtig. Das wäre die moralische Deutung.
Eine andere soll aber auch genannt werden: Das
Plasma ist von halb-materieller Qualität; könnte
es nicht sein, dass sich uns dieser Feinstoff so
darstellt, dass er am ehesten als Nebel und Dampf
beschrieben werden kann?

Dazu der Fall eines Mannes, der als Kind fast


Orpheus in der Unterwelt spielt Lyra Details aus
einem Krater. ertrunken wäre.

• Ich fand mich wieder in einem fließenden eigen­


unserer eigenen Welt, und so entsteht ein phan­ artigen Strom, der aufwärts in die Unendlichkeit
tastisches Panoptikum, von dem alle alten Über­ floss. Der „Fluss" trieb mich voran. Seine Wasser
lieferungen als Hölle sprechen, unserer psychi­ schienen ebenso wie der Raum und die Sterne
schen Hölle. Hier zählen nicht unsere materiellen eine beruhigende Musik auszusenden, die mein
Erfolge, sondern nur, wie erfolgreich wir gelernt innerstes Wessen erfüllte. Es war unglaublich
haben, negative Gefühle zu vermeiden. Der Heite­ wundervoll und segnete mich mit Glück und
re, Ichlose, Unemotionale und nicht von Frieden.
Gedankenidealen Geplagte wird es im Plasma • Als ich meine Augen öffnete, sah ich: dieser merk­
leichter haben.
würdige „Fluss" war angefüllt mit Menschen aller
Und so wie sich unser Hass, unsere Liebe, im Traum Rassen und Alter. Männer, Frauen und Kinder
in bizarre Episoden umwandeln, denen man schwammen darin und wurden mit mir in Rich­
ihren Ursprung kaum noch ansieht, so passiert tung Sterne gezogen. Alle hatten die Augen ge­
dies auch im Plasma Wir gewärtigen eine Szenerie, schlossen und schienen so wie ich der beruhigen­
die wir meinen, selbst nicht erfinden zu können, den Musik zu lauschen. Ich überlegte mit meinem
und doch ist sie unsere eigene Innenwelt. Kann fünf Jahre alten Geist, ob sie auch ertrunken
ich im Leben meinen Hass und meine Wut hinter wären und wunderte mich ebenso, wohin der
der Körpermaske verstecken und eine freund­ Fluss uns treiben würde. Wir trieben entlang und
liche Miene aufsetzen, so ist dies jetzt nicht mehr ich sah, dass der Fluss eine Küste anlief, wo Leute
22

in Gruppen so wie auf Begrüßungsparties warte­ wundervolles blaues Licht sehen, das emporkam
ten. Das Wasser schwappte an Strände und Buch­ und mich einhüllte. (Michel, S. 62)
ten. Hände streckten sich aus, um einige der Trei­ •
. . . und löste mich schließlich vom Körper. . .
benden aus dem Fluss zu ziehen. Die Wartenden wobei ich langsam aufstieg und mich zur vollen
umarmten und küssten die Herausgefischten, als Menschengestalt ausdehnte. Es erschien mir, als
kämen sie von einer langen gefährlichen Reise sei ich durchsichtig - von bläulichem Farbton.
nach Hause. (Rawlings o.}. 5. 82)
Wie ich das beobachtete, dachte ich an meine

. . . ich schaute desinteressiert auf meinen zurück­
Mutter, die das Jahr zuvor gestorben war und
gebliebenen Körper im Bett. Dann ging ich direkt
fragte mich, ob sie irgendwo auf mich warte. Als
durch die Wand, die offensichtlich kein Hindernis
ich das dachte, trug mich der Fluss zu einer Ecke,
für mich bot. Jenseits war ein unermesslich tief­
wo eine Gruppe von Leuten mir scheinbar
blauer Raum. . . ( Nea/, Y u Yu, 5 . 181)
zuwinkte. Ich erkannte meinen Großvater und
meine Großmutter, auch einige Tanten und Onkel, Blau ist die eigentliche Farbe des Plasmas. Damit

die ich im Familienalbum abgebildet gesehen komme ich zum „blauen Feuer". Doch trifft der

hatte. Und vor ihnen allen stand meine Mutter! Begriff „Licht" nicht ganz zu, denn die Atmo­

Ich berührte fast Mutters Hand, doch plötzlich sphäre hat eine größere Dichte als Licht, was fol­

fühlte ich, wie ich weggezogen wurde. Ich schien gende Schilderungen belegen.

in einem Wasserwirbel zu versinken, und meine •


Das bereits trübe Licht wurde noch fahler bis es
Mutter lächelte traurig und beobachtete, wie ich „eine Geisterausstrahlung bekam".
schnell verschlungen wurde. Sie wurde kleiner (Crookall 1970, S. 190)
und kleiner, bis ihre Figur nur noch ein Punkt war, • Da war ein wirklicher heller Nebel. Nebel ist die
dann verschwand sie. Ein Rauschen drang an beste Beschreibung, aber er war nicht feucht. Er
meine Ohren, und der Strudel erzeugte Konvul­ war wirklich hell, doch war da mehr als nur
sionen in meiner Brust. Licht - es besaß Substanz, und doch nicht.
Als Nächstes erbrach ich das Wasser, das die (Ring/frank/in 1981, 5. 197)
Feuerwehrleute aus mir herauspressten. Später
• . . . grau, so als befände ich mich in grauem Wasser
erfuhr ich, dass sie eine halbe Stunde an mir ge­
oder so. !eh konnte nicht wirklich etwas sehen. Ich
arbeitet hatten, um mich zurückzuholen.
konnte auch nicht mich selbst sehen. Es war so als
(Crookall, Case Book 545-746, 5. 12{)
sei mein Geist dort, aber kein Körper.
(aaO. S. 199)
DAS PLASMALICHT
• Ich erinnere mich, wie ich durch diesen weißen,

Meine Erforschung der Plasmadimension begann gräulichen, sandigen Schleier ging und dann öff­
eigentlich, als ich auf jene eigenartige Lichtquali­ nete es sich und alles war wüstenartiger gräuli­

tät aufmerksam wurde, von der die Reisenden cher Sand. (aaO. S. 201)
nach einer Lysis berichten. Es schien mir, als träten Die Farbe des Lichts ist, wenn nicht bläulich, dann
sie in eine Atmosphäre mit ganz anderer Qualität neblig-grau, h äufig aber auch graublau, vio­
als der unsrigen ein. Hier einige Beispiele. lett-grau, mit blasser phosphoreszierender bläu­


Während der Nacht meinte ich herunterzufallen, licher Atmosphäre.

hinein in einen Brunnen, der sich im Kreis drehte. Viele Berichte erwähnen diese neblige, graue,
Am Ende dieses tiefen Loches konnte ich ein wässrige, nasse, feuchte Atmosphäre. Sie besteht
23

nicht einfach aus Luft, sie weist auch eine gewisse sich kalt anfühlte. An diesem Punkt merkte ich
Stofflichkeit eben wie Nebel oder Rauch auf. wie ich etwa 10 Zentimeter über meinem Körper

Statt von Nebel zu sprechen erwähnen andere schwebte. (Rawlings zit. bei Michel, S. 68)
Schilderungen, um die Halbmaterialität zu beto­ •
. . . ich stand in einiger Entfernung vor dieser bren­
nen, auch die Atmosphäre sei wie „Feuer" oder nenden, wild rollenden Masse aus blauem Feuer„.
„Wasser", die ja auch sehr luftig, doch aber von (ders. S. 68)
einer rechten Konsistenz sind. Im Allgemeinen
erfahren die Nahtod-Reisenden lediglich eine neb­

Das nächste, was ich wusste, war, dass ich nahe

lig-bläuliche Atmosphäre. Für einige, deren Ge­ am Rand eines großen Ozeans aus Feuer stand„.

fühle durch irgendeinen Anlass in Aufruhr sind, Ich stand in einiger Entfernung von dieser bren­

sei es durch Schmerzen, Drogen, Ängste usw„ ver­ nenden, bewegten und schwappenden Masse aus
wandelt sich der Dunst unter ihren Emotionen in blauem Feuer. So weit meine Augen sehen konn­
blaue Feuerflammen, aber auch in rote Flammen, ten, ein See aus Feuer„. (Rawlings o.}. S. 130{)

wenn sich ihr Gefühlsdurcheinander noch ver­ Erinnert sei auch an einen Hinweis in der Bibel,
stärkt. Hier einige Fälle: in der Offenbarung 21, 8 heißt es: „. den See, der

Ich spürte einen inneren Kampf zwischen mir
mit Feuer und Schwefel brennt.
selbst und einer bösen Kraft. Im letzten Augen­ Uns mag an diesen Berichten zunächst verwun­
blick fühlte ich eine innere Explosion und schien dern, dass oft von blauem Wasser gesprochen
eingehüllt zu sein in eine fahle blaue Flamme, die wird, welches jedoch brennt. Wasser kann nicht
24

Goldene Toten­
maske. Mykene,
16. jh. V. Chr.

Feuer fangen, sagen wir. Was aber, wenn diese Wir sind nach der Seelenabspaltung in einen
träge schwappende Masse weder Wasser noch Plasmakörper eingehüllt, das ist es, was von uns
Feuer ist, sondern von den Beobachtern nur mit übrig bleibt, der massive Körper bleibt in der
Worten beschrieben wird, wovon die Begriffe Materienwelt liegen. Mit dem Plasmakörper neh­
Wasser und Feuer dem Phänomen am nächsten men wir nur die Plasmaumwelt wahr, plasma­
kommen? Die Flammen züngeln nicht wie Flam­ tische Strukturen. Diese haben ihren ganz eige­
men, sie bewegen sich eher wie Meereswellen. nen Ausdruck, und es bedarf einer ganz neuen
Zudem wird das Flammenmeer oft als kalt und Sprache, um das Gesehene und Gefühlte in unsere
zugig und nur in bestimmten Fällen als heiß Sprache zu kleiden. Tun wir das, dann kommt es
empfunden. zu widersprüchlichen Beschreibungen; solche Be-
25

griffe wie Flammensee, Feuerwasser, kalte Flam­ Herbst, es fröstele einem leicht, man fühle sich
men sind dafür ein Beleg. Züngelnde Flammen unterkühlt. Hinzu kommt die Sicht, die irgend­
aus bläulich leuchtendem Wasser! Die Ägypter, wie genommen wird durch jenes neblige, dunsti­
die vom Feuersee der Verdammten sprechen, der ge, dampfige oder wässrige Klima Gleichzeitig
die Verstorbenen vernichte, gleichzeitig aber wird das damit verbundene blaue Licht immer be­
erquicke und zur Neugeburt führe, beweisen eine grüßt und als wundervoll empfunden. Erinnert
uralte Kenntnis der Vorgänge jenseits der sei in diesem Zusammenhang an die transzenden­
Raum-Zeitschranke. te Symbolik der Farbe blau (vgl. meine Beschrei­
bung in "Liebe und Tod . . . " über die Symbolik der
Was hier bereits gesagt werden kann, aber erst
Farbe blau). Zum Abschluss eine Überlieferung
später zur Ausführung kommt, ist folgendes Phä­
aus Tibet, die zu denken gibt. Es heißt, jedes Uni­
nomen: Ein positiv eingestellter Mensch wird die­
ses Flammenmeer positiv, ein negativ Eingestell­ versum gründe sich auf "blaue Luft"! Wie wir wis­
sen, schwimmt unsere Materienwelt auf Plasma,
ter negativ empfinden. Für Letzteren wird zudem,
sind wir also eingebettet in blaue Luft?
wie gleich zu zeigen ist, der Feuersee seine blaue
Farbe verlieren und rötlich werden und das Feuer­
wasser nicht kalt, sondern heiß erscheinen. Ich DAS NATÜRLICHE LICHT DER NATUR
erinnere an die Versuche des Chemikers Reichen­
bach, seinen Ausführungen nach fühlt sich blaues Ob es sich um das dämmerungsgleiche grau-bläu­
Licht positiv, kalt und angenehm und rötliches liche Licht, um bläuliche, kalte Wasserflammen
Licht lau und unangenehm an. Zu einem ähn­ oder um den rot glühenden, heißen Lichtschein
lichen Ergebnis gelangte Wilhelm Reich des Minuszustandes - wie ich diesen emotiona­
Damit gelangen wir zu einer dritten Qualität des len Verworrenheitszustand nenne - handelt, es
Plasmalichtes. Das blaue Feuer wird übereinstim­ ist dies alles das natürliche Licht der Natur des
mend als kalt, zugig, kühl, ja nasskalt und feucht Seelenreichs, sagt das tibetische Totenbuch. Un­
beschrieben. Die Atmosphäre sei windig wie im sere wechselnden mentalen Zustände nehmen
26

Dieser Löwenkopf aus gebranntem Ton diente als Wasser­


speier. Er befand sich an einer Ecke des Daches und
leitete das Regenwasser ab.

fassbare dieses geheimnisvollen Lichtes an­


gespielt, welches von uns nämlich so weit
entfernt ist wie die Sterne. Offenbar besaß
die Alchemie lange vor unserer Zeit bereits
ein Wissen über die Vorgänge im Urgrund
der Materie. Auch bei Newton klingt etwas in
dieser Richtung an, wenn er in seinem großen
Werk, der „Optik" sagt: ,,Wäre es nicht denkbar,
dass die Stoffe und das Licht sich ineinander
umwandeln?"

Wir dürfen nicht in den Fehler verfallen


und das Plasmalicht falsch verstehen, wir
dürfen es weder mit unserem materiellen Licht,
noch mit dem Licht des reinen Geistes verwechseln.
jede Dimension besitzt offenbar eine ihr eigene
Lichtart. Wenn z. B. altägyptische Quellen vom
„vollen Licht des Tages" und die Tibeter vom Ein­
tritt ins Urlicht sprechen, ist das Bewusstseins­
das Plasmalicht unter verschiedenen subjektiven
licht gemeint, nicht das Plasmalicht, welches die
Gesichtspunkten wahr. - Halten wir uns kurz
Germanen sehr treffend als „hell" bezeichneten,
beim Begriff „natürliches Licht der Natur" auf.
wofür ihre Bezeichnung für diese Dimension
Das Plasma ist die Grundlage der Natur, der Ma­
stammt: Hel, woraus später die Christen die Hölle
terie. Lassen wir die Materie wegfallen, was bleibt
machten. Auch das „feurige" Licht des parsischen
dann übrig? - Die tibetische Überlieferung
Awesta ist nicht mit dem Plasmalicht zu verwech­
antwortet: Im Bardo-Körper (Plasmakörper) zwi­
seln, dieses Licht ist der oberste „Samen des
schen materieller und rein geistiger Welt fehlt
Lebens", wovon das Plasmalicht nur ein gefilterter
uns ein materielles Nervensystem, weshalb Sonne
und verdünnter Abglanz ist, ebenso wie das mate­
und Mond nicht sichtbar seien, lediglich das „na­
rielle Licht nur ein Abglanz des Plasmalichtes ist.
türliche Licht der Natur" die Plasmanatur werde
Was uns zuallererst beim Wechsel der Dimen­
wahrgenommen.
sionen imponiert, ist verständlicherweise die
Paracelsus benutzt ebenfalls den Begriff „natür­ Veränderung der Lichtqualität.
liches Licht der Natur", er nannte es das side­
rische Licht (Sternlicht); die Alchemie sprach DAS ROTE LICHT DES I NFERNO
gleichfalls vom Astrallicht (ebenfalls Sternlicht);
die ägyptische Überlieferung sprach vom Zodiakal­ Mit dem Eintritt in die Plasmazone sehen alle
licht (Zodiak = Tierkreis der Sterne). Natürlich Reisenden diese Dimension zunächst als grau­
war nicht das vordergründige Licht der Milch­ -neblig oder bläulich-grau. Später aber erkennen
straße gemeint, es wurde damit nur auf das Un- sie einige rote Flammen oder einen roten Feuer-
27

see. War die Erfahrung des Nebelplasmas noch versuchten nach mir zu greifen und mich hinunter­
neutral, so ist das rötliche wie Wasserwellen auf­ zuziehen. Da hörte man auch einen schrecklichen
und abschwappende Feuerplasma vornehmlich heulenden Lärm, voller Verzweiflung. Dann plötz­
mit einem negativen Gemütszustand verbunden. lich wurde ich zurückgezogen durch diesen
Negative Weitsicht oder ungute Gefühle lassen dunklen Tunnel und lag wieder in meinem Körper
uns diese Dimension in heißem, rotem Licht er­ im Krankenhausbett. (Michel, S. 63fJ
strahlen. Unsere eigenen Gefühle setzen sich im
• Ich spürte einen inneren Kampf zwischen mir
Plasma offensichtlich allegorisch um in reale Bil­
und einer bösen Kraft. Im letzten Moment be­
der und Gestalten. Die Ursachen der Negativität
merkte ich eine innere Explosion und schien ein­
können durch einen Unfall hervorgerufen wer­
gehüllt zu sein in eine kühle blaue Flamme. Dann
den, durch Einnahme von Drogen, Selbstmord­
schwebte ich etwa 10 Zentimeter über meinem
versuch oder eine grundsätzlich verneinende, von
Körper. Als nächstes erinnere ich mich, einen
Angst beherrschte Geiste!haltung, die während
weiten schwarzen Vortex hinuntergesaugt zu
der Seelenabspaltung anhält. Besonders Selbst­
werden wie in einem Wasserstrudel und fand
mordabsichten, Angst, Haß, ungelöste Probleme,
mich wieder an einem Ort den ich nur als Dantes
gelegentlich auch Siechtum und körperliche
Inferno beschreiben kann. Ich sah viele andere
Schmerzen werden im Plasma in eine Vision der
Leute, die grau und ausgelaugt schienen und über
Hölle umgesetzt. Erinnert sei daran, das Wort
allem lag ein Geruch von fauligem Verfall. Es
Hölle kommt von hel, dem germanischen Auf­
beherrschte mich das überwältigende Gefühl der
enthaltsort der Verstorbenen und bedeutet soviel
Einsamkeit dieses Ortes.
wie „hell, leuchtend" aber auch hell im Sinne von
(Maurice Rawlings, in Michel, S. 68)
hell tönend also laut. Schauen wir uns nun einige
solche Erlebnisse von Plasmareisenden an. • Ich stand in einiger Entfernung von dieser bren­
nenden, wilden, rollenden Masse aus blauem Feu­
• Ich fand mich wieder an einem Ort umgeben von
er. . . ich sah andere Menschen, von denen ich
Nebel. Ich meinte ich sei in der Hölle. Es gab da ein
wußte, daß sie gestorben waren . . . Wir erkannten
großes Loch aus dem Dampf kam und da ragten
Arme und Hände heraus, die mich zu packen ver­
suchten . . . Ich war voller Angst, diese Hände
könnten mich krallen und mich in das Loch zie­
hen . . . Es war sehr heiß dort unten, der Dampf
war ebenfalls heiß. (Michel, S. 63)
• Ich wunderte mich, daß ich nicht mehr in mei­
nem Körper war und dachte ich muß sterben. Als
Nächstes fand ich mich an einem furchtbaren Ort
wieder, der, ich war mir sicher, die Hölle war. Ich
schaute hinunter in ein großes Loch, das voll von
wirbelnden grauen Nebel war und da waren all
diese Hände und Arme, die heraufreichten und

Eine der Mairen. Fries vom Nordrisalit des


Pergamonaltars. Pergamonmuseum, Berlin.
28

einander, selbst wenn wir nicht sprachen. im „Hades" . . . Wie soll ich diese Dunke­
Ihr Ausdruck war der der Ratlosig­ lheit beschreiben? Sie bedrückt mit
keit und Verwirrung. dem Gewicht von Jahrhunderten: es
(Maurice Rawlings, Michel, S. 68) ist als sei man eingeklemmt zwi­
• Ich bewegte mich durch diesen lan- schen Berge.
(Crookall 1970, S. 190)
ine Füße nicht die Seiten berührten. Ich • Mir wurde ganz elend, und ich
schien zu schweben und es ging recht erinnere mich, dass ich in ein
schnell. Es schien unterirdisch zu schwarzes Loch versank und mich
sein. Vielleicht war es eine Höhle, drehte. Dann sah ich einen leuch­
aber das schrecklichste waren tenden, glühenden Punkt, der
die Töne. Da war ein Geruch Groteske Zwergen­ größer und größer wurde, bis ich
der Verwesung wie von einem figur. Terrakotta, wieder aufrecht stehen konnte.
Krebspatienten. Alles beweg­ Höhe 8 cm. Theben, Alles war glühend heiß und brann­
te sich in Zeitlupe. Ich kann 6. jh. v. Chr.
te. Die Erde war wie dicker Schlamm, der mir
nicht alles wiedergeben, aber ich sah einige der über die Füße lief; so zäh, dass ich mich kaum
Arbeiter dort, die waren halbmenschlich. bewegen konnte. Die Hitze war furchtbar und
(Maurice Rawlings, Michel, S. 68) verursachte mir Atembeschwerden.
• Ich ging hinab, tief hinein in die Erde. Eine Stim­ (Rawlings o. }. 5. 143{)
mung von Haß und furchtbarer Angst lag in der
Luft. Alles wargrau. Der Lärm war fürchterlich, mit Man muss sich klar machen: nicht das Plasma ist
Schnarchen und Donnern wie verrückte wilde Tiere, eine Hölle, sondern das Plasma ist so „plastisch",
die mit ihren Zähnen knirschen. Ohne zu fragen dass jede Gemütsart diesen halbmateriellen, halb
wußte ich wo ich war. Das war die Hölle. Da war das psychischen Stoff in einer ihm ganz eigenen
schreckliche Gefühl, völlig verloren zu sein. Aber es Weise gestalten kann. Im Plasma ist das wahr, was
war nicht alles Feuer und Asche wie man uns wir sind! Angst wird sich als Angstvision manifes­
erzählt. Ich erinnere mich Kälte gespürt zu haben. tieren! Das Plasma selbst hat keine Eigenqualität,
Es gab auch andere Dinge, die herumwirbelten. es ist wie ein Spiegel, in den eingetreten wir das

Und da waren zwei Wesen unbestimmter Art in erkennen, was wir fühlen und denken. Die Plasma-
meiner Nähe. Ich glaube, einer war der Teufel. landschaft ist eine selbst erschaffene, eine hallu­
(Michel, S. 70) zinierte Landschaft und so real wie unsere
• Ich erinnere mich durch dieses schwarze Loch ge­ Emotionen, nämlich sehr real. Dennoch weist es

gangen zu sein. Dann sah ich einen glühenden natürlich eine Eigenqualität auf, nämlich die des

rotheißen Fleck; der immer größer wurde; bis ich Spiegelhaften, des Plasmatischen.

fähig war aufzustehen. Es war alles rot und heiß Die Erfahrungsberichte zeigen folgende immer
und feurig. Die Erde war wie schleimiger Schlamm, wiederkehrende Motive: negativer Gemütszu­
der über meine Füße quoll und es war schwer zu stand, Tunneldurchquerung, Dunkelheit, grauer
atmen. (Maurice Rawlings, Michel, S. 71) Nebel, bläulich kalte Flammen, rötlich kalte Flam­
• Das bereits trübe Licht wurde noch trüber bis „es men, rötlich heiße Flammen, Flammen wie Wasser­
nur noch ein Geisterglanz" war. . . Dort bin ich nun wellen, faulig-ekliger Geruch, Furcht einflößende
gelandet - ich war gestorben und befand mich nun laute Töne, Schlamm, erdig, Matsch, schleimig.
29

Scheinbar verändert sich je nach Intensität des sozusagen selbst in den Aschezustand, nachdem
negativen Gemütszustandes die Atmosphäre von es sich gehörig ausgetobt hat. Der Mensch muss
bläulichem Nebel über bläulich-graue und kalte die Leidenschaftsphase durchlaufen, um sie los zu
Flammen hin zu rötlich-heißen, sich aber immer werden! Erkenntnis bedeutet immer Selbster­
wie Wasser bewegenden Flammen. fahrung. Gereinigt von Begierden ersteht der Ver­

Die Farbe Rot steht im alten Ägypten für Wut, brannte wie Phönix aus der Asche. Wohl in diesem

Erregung, Feuer. Im Buch Amduat ist die unterste Sinne muss man bei einer Seelenabspaltung zu­

Zone der Sokar-Höhle durch rote Wellenlinien an­ nächst die alle Gefühlsverirrungen reinigende Plasma­

gedeutet: das ist der Feuersee, der Bestrafungsort zone durchschreiten, ehe man sich der reinen Be­

für jene, die der Farbe Rot verpflichtet sind, wusstseinsdimension nähert. Im Plasma selbst

sprich der Sinnlichkeit, Erregung, Wut, der Be­ scheinen wir reine Gefühls- und Denkwesen zu sein,

gierde. Die Redensart „rot machen" bedeutete „tö­ und dies bestimmt dort unsere Erfahrungen, die

ten". Seth, den einstigen Gott, der zum Teufel ge­ daher je nach persönlichem Hintergrund

stempelt wurde, stellte man rot dar, weshalb sehr verschieden ausfallen können.

unsere europäische Teufelsgestalt heute ebenfalls


rot ist. Seth sei einer „mit rotem Herzen",
KONTAKTE I M NICHT-RAUM
heißt es, d. h. er befinde sich in einem
dauernden Wutzustand. Die Leidenschaft
gilt uns als rot, so wie Q.ie Ägypter dir Der Schock einer plötzlichen Seelen­
Duat, die Hölle, als rot verstanden. abspaltung verwirrt. Wo sind wir? Was
ist mit uns geschehen? Wir finden uns in
Nun ist die Farbe des Plasmas eigentlich
einer Traumlandschaft wieder und wissen
blau, blaugrün oder grau-bläulich, nicht
doch, es ist kein Traum. Wir merken so-
aber rot; offenbar erfahren nur jene Per­
gleich: das ist kein gewöhnlicher
sonen das Plasma als rot, die unter sub­
Raum mit Ecken und Enden. Dass
jektiver Verblendung und Ichsucht lei­
man sich in einem Nicht-Raum be­
den, so dass es zu einer subjek­
findet, gewebt aus unseren eigenen
tiv-symbolischen Farbtönung des
Gefühlen und Wünschen, davon wis­
Plasmas kommt. Andererseits ist,
sen wir allerdings nichts, aber wir
wie Reichenbachs Versuche zeig­
spüren mit absoluter Gewissheit: dies
ten, die Farberfahrung nicht als
ist kein Traum, sondern eine
rein symbolisch, also bewusst­
Wirklichkeit anderer Art.
-kulturell erzeugt, zu verstehen,
sondern irgendwie biologisch be­ In der Plasmazone finden

dingt. Der Blau-Rot-Gegensatz scheint, wir uns mit einem Doppel-

wie Reichenbach und Reich zeigten, gänger unseres materiellen

eine quasi-physikalische Grundlage zu Körpers wieder; den materiel­

besitzen. Daher ja auch der Ausspruch, len Leib haben wir im Bett oder

wenn wir in Wut sind, „wir sehen rot"! im Krankenhaus zurück-

Das Feuer der Leidenschaften lodert


Kämpfer auf dem Wagen.
aber nicht nur, es verbrennt zugleich
Bronze, Höhe 13,6 cm.
die Leidenschaften, überführt sich Etwa 750 v. Chr.
30

gelassen, und wir konnten sehen, wie er leblos da Fassen wir die Merkmale dieser Plasmaerfa hrung
liegt. Der zweite Körper, in dem wir uns jetzt be­ zusammen.
finden, verunsichert sehr. • Die Individuen tragen eine Art „Gespenster­

Jeder Mensch nimmt nach der Seelenablösung of­ -Kleid", weißlich-grau bis neblig, elastisch,

fenbar all seine mentalen Regungen mit in die Plas­ wehend, flüssig, aber sich wie ein materieller Kör­

mazone hinein, und diese entfalten sich dort als per gestaltend und bewegend, schattenhaft bis

Quasi-Wirklichkeiten. Wtr können uns in der Tat keine substanziell.

phantastischere Szenerie vorstellen, kein größeres • Die Kontakte reichen von einfachen Begegnun­
Kunstwerk als die Macht unserer eigenen Ge­ gen, ein paar Gesten und Worten bis hin zu von
fühle, gegossen in Plasmaskulpturen und Plasma­ Inferno-Qualität geprägten Verhaltensweisen,
landschaften. Die Plasmaszenerie ist keine Traum­ d. h. psychischer Monströsität und alptraum­
landschaft, sie ist konkreter und fester, sie steht haften Szenen, andererseits aber auch spirituel­
in halbmateriellem Format vor uns. Wir schauen len Kontakten mit visionärer Qualität.
gewissermaßen auf eine Leinwand, sehen unsere • Die Reisenden und die Plasmawesen verhalten
Innenwelt als Film ablaufen. Innen ist jetzt außen. sich offenbar entsprechend ihren gegenseitigen
Alle vier existentiellen Grundfaktoren Raum, Zeit, Erwartungen und Sehgewohnheiten; man sieht,
Kausalität und Materie sind aufgehoben und ha­ was man denkt sehen zu müssen. Andererseits
ben sich zu plasmatischer Intensität gesteigert. scheint es sehr wohl eine objektive Wahr­
Materie ist wie Nebel, Raum dehnbar wie Kau­ nehmung zu geben, insofern als mehrere Beo­
gummi, Zeit elastisch und Kausalität so variabel, bachter das gleiche sehen würden.
als hätten sich Gegenwart, Vergangenheit und Zu­
kunft auf einen Punkt zusammengezogen und EIN STER'BEERLEB NIS
man könne selbst frei entscheiden, was vergan­
gen und was Zukunft ist. Im Plasma existiert
• Ich fand mich schwebend in einem eigenartigen
daher kein vollkommenes Spiegelbild des Mate­
Strom, der sich aufwärts in die Unendlichkeit
riellen, eher ein verzerrtes Abbild, dem unsere
bewegte. Diesen „Fluss" triebich entlang. Sein Wasser,
Wünsche und Hoffnungen beigemischt und darüber
der Raum und die Sterne schienen eine beruhigen­
hinaus die acht Faktoren der beiden Quartette
de Musik auszuströmen, die mein innerstes Wesen
durch das Ablegen des Körperlichen enorm inten­
durchdrang. Sie war unglaublich schön und erfüll­
siviert sind. Diese Intensivierung aller Lebens­
te mich mit Wunder und Frieden.
faktoren und ihre subjektiv-emotionale Ausrich­
Als ich meine Augen öffnete, sah ich, dieser un­
tung entsprechend der individuellen Anlage er­
glaubliche „Fluss" war angefüllt mit Leuten aller
schafft jenen Zustand, den ich Plasmazone nenne.
Rassen und Alter. Männer, Frauen und Kinder drifte­
Es treffen die Reisenden in dieser Zone auf ande­ ten entlang und wurden mit mir in Richtung
re Lebewesen. Existenzen, weder Fisch noch Sterne getragen. Alle hatten ihre Augen geschlossen
Fleisch, Zwischenwesen. Diese Begegnungen kön­ und schienen der einlullenden Musik zu lauschen.
nen verschiedenste Intensitätsgrade annehmen, Ich wunderte mich mit meinem fünfjährigen Bewußt­
vom einfachen Kontakt bis hin zu komplexen sein, ob sie ertrunken waren und auch wohin uns
Beziehungen, und zwar je nach Dauer und Stärke der Fluß treiben würde. Als wir so dahintrieben,
der Seelenabspaltung. Zunächst einige Erfahrungs­ sah ich, daß der Fluß einer entfernten "Küste zu­
berichte: trieb, wo Leute in Gruppen standen und warteten
31

Griechisches Weltmodell mit sechs Zonen.

wie Willkommensparties. Das Wasser schwappte Sie wurde kleiner und kleiner bis ihre Figur nur
an die Strände in Lagunen und Teiche. Hände wurden noch ein winziger Punkt war und dann verschwand
gereicht, um einige 'der Treibenden herauszu­ sie und ein Getöse erfüllte meine Ohren und der
ziehen. Die wartenden Leute umarmten und küss­ Strudel zwang meine Brust schwer zu atmen.
ten sie als kämen sie gerade von einer gefährlichen Als nächstes bemerkte ich wie ich das Wasser
Reise nach Hause. ausspie, das die Feuerbrigade aus mir herauspress­
Wie ich das so beobachtete, dachte ich an meine te. Ich erfuhr später, daß sie eine halbe Stunde an
Mutter, die das Jahr zuvor gestorben war, und wun­ mir gearbeitet hatten, um mich zurück ins Leben
derte mich, ob sie irgendwo auf mich wartete. Als ich zu bringen. (Crookal/, Case Book 545-746, S. 12{)
das so dachte, führte mich der Fluss zu einer Kante wo
mir eine Gruppe von Leuten zuzuwinken schien. EIN RÜCKKEHRER
Ich erkannte meinen Großvater und meine Groß­ AUS DEM TOTENREICH
mutter, einige Tanten und Onkel, die ich im Fami­
lienalbum abgebildet gesehen hatte. Und unmittel­ Als Platon, der Vater der abendländischen Philo­
bar vorne vor allen anderen stand meine Mutter! sophie, auf dem Totenbett lag, wurde er von sei­
Ich berührte beinahe Mutters Hand, dann plötzlich nen Schülern gefragt, wie er seine Philosophie in
wurde ich hinweggezogen. Ich schien in einen Stru­ einem Satz zusammenfassen würde. Er hatte sie
del zu sinken, und meine Mutter lächelte traurig als sie bereits vorher bestimmt als phaedros melete
beobachtete wie ich schnell hinuntergezogen wurde. thanatou, sprich als die Praxis und Vorbereitung
32

auf den Tod. Denn durch diese vorbereitende der lebendig und erzählte nun, was er im jenseits
Praxis sei der Tod für den Philosophen weniger gesehen hatte. Nachdem seine Seele aus ihm he­
schrecklich als für den normalen Menschen. jetzt rausgetreten sei, sagte er, habe sie sich mit vielen
aber antwortete er nur: „Übe zu sterben!" - Für anderen auf den Weg gemacht, und sie seien zu
Platon bedeutete Tod soviel wie lysis (Loslösung) einem wunderbaren Orte gelangt, wo sich unmit­
oder chorismos (Abtrennung). Der Tod bei Platon telbar nebeneinander zwei Öffnungen in der Erde
besteht demnach in einer wie auch immer ge­ befanden, und gegenüber am Himmel oben, zwei
arteten Loslösung vom Körper. Was aber trennt andere. Zwischen ihnen aber hätten Richter ge­
sich ab vom Körper? - Die Seele, die Psyche. sessen. Wenn diese ihr Urteil gefällt hatten, so
ließen sie die Gerechten den Weg einschlagen, der
DI E G ESCHICHTE VON „ER" rechts hinauf durch den Himmel führt, nachdem
sie ihnen Zeichen des Urteilsspruches an die
Platon hat in seinem Werk Der Staat im 10. Buch
Brust geheftet hatten. Die Ungerechten aber wie­
eine der ersten antiken Todeserfahrungen wieder­
sen sie nach links und nach unten; auch diese tru­
gegeben, und zwar von einem Soldaten, Er ge­
gen die Zeichen für alle ihre Taten, aber auf dem
nannt, der, obwohl mehrere Tage scheintot, kurz
Rücken. Als nun auch Er hinzutrat, hätten sie ihm
bevor der Scheiterhaufen angezündet wurde, wie­
gesagt, er solle den Menschen von den Dingen im
der zu Bewusstsein kam und seine Erlebnisse im
jenseits Kunde bringen, und hätten ihm befohlen,
jenseits erzählte, eine klassische Nah-Todes­
auf alles zu hören und zu achten, was sich dort
erfahrung, wie sie uns heute geläufig ist. Anderer­
abspielte. Er habe nun also gesehen, wie die See­
seits fügte Platon allgemein bekanntes esoteri­
len, nachdem sie ihr. Urteil empfangen, durch die
sches Wissen über die Plasmastruktur des jens­
eine Öffnung des Himmels und der Erde ver­
eitigen Kosmos ein, so dass der Bericht stark
schwanden. Durch die anderen aber seien Seelen
übertrieben wirkt. Wir können jedoch gut aus­
zurückgekehrt. Die aus der einen von der Erde he­
einander halten, was echte Todeserfahrung und
raufkamen, waren voll Schmutz und Staub; aus
was eingefügte kosmologische Theorie ist.
der anderen aber stiegen andere rein vom Him­

SEELENABLÖSUNG mel herab. Und alle, die jeweils eintrafen, hätten


den Eindruck gemacht, als kämen sie von einer
UND ASPHODELOSWIESE
langen Reise, und sie seien gerne auf jene Wiese
„Ich werde dir indes, s o fuhr ich fort, nicht eine gegangen und hätten dort wie bei einem Volks­
Geschichte erzählen . . . sondern die eines tapferen fest gelagert und sich begrüßt, wenn sie einander
Mannes, des Er, der ein Sohn des Armenis war
und aus Pamphylien stammte. Dieser Er war im
Kriege gefallen. Als man nun nach zehn Tagen die
schon verwesten Leichen aufhob, da fand man ihn
noch unversehrt und brachte ihn nach Hause, um
ihn zu bestatten; doch am zwölften Tage, als er
bereits auf dem Scheiterhaufen lag, wurde er wie-

Zwei Mairen, die Schicksalsgöttin Lachesis mit dem


Globus und Klotho mit der Spindel. Detail eines
römischen Sarkophags. Ende des 2. jh. u.Z.
kannten. Und die aus der Erde kamen, fragten die
anderen nach den Zuständen drüben, und die
vom Himmel kamen, fragten, wie es bei den an­
deren gewesen sei. Und so hätten sie dann einan­
der erzählt; die einen unter jammern und Wei­
nen, wenn sie daran zurückdachten, was sie auf
ihrer Wanderung unter der Erde (die tausend
Jahre dauere) alles erlitten und gesehen hatten,
während die aus dem Himmel von ihrem Wohler­
gehen berichteten, und wie unerhört schön das
gewesen sei, was sie geschaut hätten . . . Die Haupt­
sache aber, sagte er, sei das: Für jedes Unrecht, das
einer je getan, und für jeden Menschen, an dem
er es begangen habe, seien sie der Reihe nach Odysseus sitzt auf einem Felsen und beschwört den
bestraft worden, und zwar für jedes Vergehen Geist des blinden Sehers Teiresias aus Theben aus
der Unterwelt hervor. Süditalienische Vase, Beginn
zehnmal, das heißt, jede Strafe habe hundert
des 4. jh. v. Chr.
Jahre gedauert, weil auch das menschliche Leben
so lang sei, damit sie also für ihr Unrecht die zehn­
fache Buße leisteten. Wer zum Beispiel den Tod DEUWNG: Ich werde nun diese Todeserfahrung,
vieler Menschen verschuldet hatte, indem er gan­ in der reales Erleben ebenso wie hinzugefügte
ze Städte oder Heere verriet, oder wer andere in Philosophie steckt, vornehmen. Der Tod erfolgt
die Sklaverei verkauft hatte oder sonst an einem durch einen Seelenaustritt. Als erstes erfährt der
großen Elend mitschuldig war, der sollte für jede Gestorbene zwei Wege, der eine geht in den
von all diesen Ü beltaten zehnfache Qualen erdul­ Geist-Himmel, der andere in die Erde, sprich die
den. Wer dagegen Gutes getan hatte, wer gerecht Unterwelt des Plasmas. jeder Weg besitzt zwei
und fromm gewesen war, der sollte im selben Öffnungen, einen Ein- und einen Ausgang. Aus der
Maße erhalten, was ihm gebührte. Von denen Erdöffnung (von links unten) kommen jene aus
aber, die gleich nach der Geburt starben oder nur der Unterwelt, aus der anderen jene aus dem
kurze Zeit lebten, erzählte Er wieder Anderes, das Himmel. Beide Gruppen treffen sich und lagern
aber nicht der Erwähnung wert ist. Doch für Ehr­ sich auf der Wiese. Die Wiese ist den Griechen als
furchtslosigkeit oder Ehrfurcht gegen Götter und Asphodeloswiese bekannt und in gleicher Weise der
Eltern und für eigenhändigen Mord seien die Stra­ Todesforschung heute. Viele Nahtodesreisende er­
fen und Belohnungen noch größer, sagte Er. Er sei zählen, sie hätten sich auf einer schönen Blumen­
nämlich gerade dazugekommen, wie einer den wiese erholt. Die Asphodelien sind blassgrau-blaue
anderen fragte, wo der große Ardiaios sei. Dieser Blumen, die am Mittelmeer wachsen, und von
Ardiaios war damals schon vor tausend Jahren in eben dieser Farbe soll die Atmosphäre an dieser
einer Stadt Pampyliens Tyrann gewesen, hatte Wiese sein. Die Wiese liegt, wenn man die Reihen­
seinen greisen Vater und seinen älteren Bruder folge der Todeserlebnisse anschaut, nach dem
ermordet und soll auch sonst viele Greueltaten Durchgang der Seelen durch die Plasmawelt und
begangen haben. Der Gefragte, so erzählte er, am Anfang des Lichtreiches. Diejenigen, die vom
habe nun geantwortet: ,Er ist nicht da und wird Himmel kommen, müssen ebenfalls über die
auch kaum je hierher kommen."' Blumenwiese zurück durch die Plasmawelt, um
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danach wiedergeboren zu werden. Dass jedoch und andere fesselten sie an Händen, Füßen und am
Zurückkehrende erneut auf der Wiese lagern, ist Kopf, warfen sie zu Boden, zogen ihnen die Haut
aus modernen Berichten nicht bekannt. jene aus ab und schleppten sie seitab vom Wege, wo sie sie
dem Plasma Kommenden ruhen sich in der Tat in den Dornensträuchern zerkratzten. Und allen
nach der erschü tternden Höllenerfahrung auf der Vorübergehenden taten sie kund, weshalb dies
Wiese aus, um dann ebenfalls ins Lichtreich ein­ geschah, und sagten, sie führten sie nun ab, um
zutauchen. sie in den Tartaros zu werfen. Von all den vielen
und mannigfachen Schrecken, die sie dort auszu­
TARTAROS, HIM MEL stehen hatten, sagte er, sei das der schlimmste ge­
UND S PHÄRENHARMONIE wesen, dass ein jeder fürchten musste, das Gebrüll
könnte ertönen, wenn er hinaufsteigen wolle, und
Wir sahen nämlich neben manch anderem schreck­ heilfroh sei jeder aufgestiegen, wenn es sich nicht
lichen Schauspiel auch Folgendes: schon waren hören ließ. Solcher Art etwa sind also die Bußen
wir nahe an der Mündung und standen eben im und Strafen, und ebenso die Belohnungen, die
Begriff hinaufzusteigen, nachdem wir alle ande­ jenen entsprechen.
ren Leiden hinter uns hatten. Da sahen wir plötz­ Nachdem dann aber alle sieben Tage auf der Wiese
lich jenen Ardiaios mit einigen anderen; die meis­ verbracht hatten, -hätten sie am achten Tag von
ten davon waren Tyrannen, doch gab es auch eini­ dort aufbrechen und sich auf den Weg machen
ge gewöhnliche Bürger darunter, die aber auch müssen. Nach weiteren vier Tagen seien sie dann
große Verbrechen begangen hatten. an eine Stelle gelangt, von wo aus man ein gerad-
Diese glaubten schon, sie könnten liniges Licht erblickte, das sich
nun hinaufsteigen, aber die Mün­ wie eine Säule von oben he­
dung nahm sie nicht auf, sondern rab durch den ganzen
stieß ein Gebrüll aus, so oft einer die­ Himmel und die Erde
ser unheilbaren Bösewichte oder
sonst einer, der seine Strafe noch
nicht genügend abgebüßt hatte,
hinaufzusteigen versuchte. Da
standen denn, fuhr e r fort, wilde
Männer von feurigem Aussehen be­
reit, die wussten, was dieses Getön
bedeutete. Sie packten die einen und
schleppten sie weg; den Ardiaios aber
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und reiner. Nach einem Tagesmarsch wären sie in der des zweiten und der des fünften seien ein­
dieses hineingelangt und hätten dort, mitten im ander ähnlich, und zwar gelblicher als derjenige
Licht, gesehen, wie am Himmel die Enden seiner der beiden vorigen;
Bänder befestigt waren. Dieses Licht sei nämlich der dritte habe die weißeste Farbe,
das Band des Himmels, das, wie die Gurte der Trie­ der vierte sei rötlich, und der sechste stehe mit
ren, die ganze Wölbung zusammenhalte. An den seinem Weiß an zweiter Stelle.
Enden aber sei die Spindel der Notwendigkeit be­ Die ganze Spindel aber drehe sich in einer
festigt, durch die alle Wölbungen (Himmels­ gleichmäßigen Bewegung im Kreise . . . Es drehe
sphären) in Drehung versetzt werden. Ihr Schaft sich aber die Spindel im Schoße der Notwendig­
und der Spindelhaken beständen aus Erz, der keit. Und oben auf jedem Kreise stehe eine Sire­
Wirtel aber aus einer Mischung von Erz und an­ ne, die sich mit ihm drehe und ihre Stimme hören
deren Stoffen. Die Natur des Wirtels aber sei fol­ lasse, jede einen bestimmten Ton; alle acht Töne
gendermaßen beschaffen: in seiner äußeren aber klängen in einer einzigen Harmonie zusam­
Gestalt sei er gleich wie der unsrige; doch muß men. Rings im Kreise aber, in gleichen Abständen,
man sich ihn nach seinen Worten so vorstellen, sitzen, in weißen Kleidern und mit heiligen Bin­
als ob in einem großen und vollständig aus­ den um das Haupt, drei andere Frauengestalten,
gehöhlten Wirtel, ein kleinerer, von gleicher Art, jede auf einem Thron. Das seien die Töchter der
eingepasst liege, so wie Gefäße, die ineinander Notwendigkeit, die Moiren Lachesis, Klotho und
eingepasst sind; in diesem liegt ein dritter, dann Atropos; sie sängen zur Harmonie der Sirenen,
ein vierter und noch vier weitere. Im Ganzen Lachesis von der Vergangenheit, Klotho von der
seien es acht Wirtel, die einer im anderen liegen Gegenwart und Atropos von der Zukunft. Und
und deren Ränder, von oben her gesehen, als Klotho berühre von Zeit zu Zeit mit der rechten
Kreise erscheinen und rings um die Stange die zu­ Hand die äußere Wölbung der Spindel und helfe
sammenhängende Oberfläche eines einzigen sie umdrehen; Atropos tue dasselbe mit der Lin­
Wirtels bilden; diese aber sei mitten durch den ken an den inneren Kreisen, während Lachesis
achten Wirtel hindurch getrieben. mit ihren beiden Händen abwechselnd den
Der erste und äußerste Wirtel nun habe den brei­ äußeren und die inneren Kreise berühre.
testen Randkreis;
an zweiter Stelle folge der des sechsten Wirtels, DEUTUNG: Er jedoch wird von den Richtern ab­
an dritter der des vierten, . gewiesen, denn Er werde wieder zur Erde gehen,
an vierter der des achten, Er hat also eine Nah-Todeserfahrung. Was die
an fünfter der des siebenten, Richter anbelangt, sind sie aus modernen Berich­
an sechster der des fünften, ten nicht bekannt, jedoch wird von einem Lebens­
an siebenter der des dritten rückblick oder Lebensfi Im berichtet. Man sieht
und an achter Stelle der des zweiten Wirtels. dabei sein gesamtes Leben in den wesentlichen
Und der Kreis des größten Wirtels sei bunt, Stationen vor sich ablaufen und versteht zum er­
der des siebten sei der hellste, sten Mal seinen Sinn, erkennt die Notwenigkeit
der des achten habe seine Farbe vom siebenten, seines Schicksals und akzeptiert es. Danach erst
der ihn beleuchte; kann man das Lichtreich betreten. Anders hier in
unserem Bericht. jeder erhält seine Strafe, und
Links: „Reiter von Grumentum (Basi/icata)" mit zwar 10 Mal soviel, ebenso für seine guten Taten
Helm und Panzer. Bronze, um 550 v. Chr. das Zehnfache. Der Lebensrückblick wird im
Bericht als durch Richter vermittelt vorgeführt. Nun wird das Plasma des Tartaros beschrieben. Er
Nach der Wiese und dem Lebensrückblick, dem Le­ beobachtet die Tartarossituation. Der Tartaros
bensgericht, erfahren bei der modernen Todeser­ wird als Fluss beschrieben, tatsächlich handelt es
fahrung alle das Licht. In der griechischen Schil­ sich um Seelenströmungen oder Seelenenergien,
derung findet nach der Wiese die Trennung statt, und nur dem noch im Physischen gefangenen
Gute in den Himmel, Schlechte in den Tartaros. Auge stellen sie sich als ein Fluss dar. Zusätzlich
Nun muss gesagt werden, dass vermutlich ein Un­ zum hin und her strömenden Gewässer ertönt ein
terschied besteht zwischen jenen, die real tot und Gebrüll, und Feuerwesen lassen die im P/asma­
jenen, die nur ku rzfristig tot sind und lediglich eine strom Treibenden nicht aus dem Fluss heraus­
Nahbegegnung mit dem Tod haben. Wer stirbt, steigen, weil sie ihr schlechtes Denken und Fühlen
gelangt offenbar nur dann in den Lichthimmel, noch nicht genügend gereinigt haben.
wenn seine Seelenstimmung entsprechend ist, in Er beobachtet den Himmel. Da ist ein Licht, glän­
den Tartatros ebenso, wenn seine Stimmung die­ zend und rein, es durchdringt Himmel und Erde.
sem entspricht. Deshalb ist die Beobachtung des Von dort stammen offenbar auch die Gesetze des
Er korrekt. Nach dem Tod sind wir nur das, was Daseins, dargestellt jetzt nach klassischer grie­
wir in unserer Seele sind. chischer Kosmologie. Da ist die Notwendigkeit,
Nemesis, sie dreht die Spindel sprich: sie bewirkt die Seele ganz sie selbst sein lässt. Dieser Sphären­
die Bewegung des Daseins und der Schicksals­ klang hat das furchtbare Grollen des Tartaros
läufe. Sie wird auch als die drei Zeitzustände der zum Antagonisten. Nun drücken sich Töne jedoch
materiellen Welt dargestellt, die so genannten bekanntlich auch als Farben aus, und Platon be­
Moiren, Lachesis die Vergangenheit, Klotho die Ge­ schreibt jene, kann sie jedoch nicht einordnen.
genwart und Atropos die Zukunft. Der Spinde/auf Die Moiren drehten auch die Spindel, und zwar
bau entspricht der Harmonie der Sphären, sprich jede nach ihrer Fähigkeit, sodass also Gegenwart,
der Planeten oder Himmel. Aufjedem dieser Krei­ Vergangenheit und Zukunft sich harmonisch inei­
se stehe eine Sirene und singe, wodurch die acht nander drehen, was in der Nachbarwelt nicht
Töne entstehen, und zwar in vollkommener Har­ schwierig ist, denn Zeit existiert gar nicht, wir be­
monie. Die Planetendrehung erzeuge Töne, und finden uns in einer zeitlosen Zone, die jedoch die
diese Sphären- sprich jenseitsmusik seijene, die die Grundlage für unsere Zeitwelt bildet. Es kommen
Seelen im jenseits hören, denn diese Musik ist nur also hier die Harmonie der Sphären, d. h. der
dort zu hören. Und davon berichten alle mit einer Plasmaformen der Planeten, mit dem Schicksal zu­
Nah-Todeserfahrung, von der wunderschönen sammen, das auch die Menschen anbelangt. Wir
Musik, die sie gefangen nimmt und beruhigt und hatten gezeigt, wie bei der Wiedergeburt der Men-
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durchsichtige Himmels­
kugeln, außen sei der Fix­
sternhimmel, dann kämen
die Planeten. Die Himmels­
achse ziehe sich durch die
feststehende Erde.

DIE VERLOSUNG DES


SCHICKSALS

Als sie dort nun angekommen


seien, hätten sie sogleich vor die
Lachesis treten müssen. Ein Pro­
phet habe sie zuerst geordnet
Albrecht Dürer, aufgestellt. Dann hätte er vom
Nemesis.
Schoße der Lachesis Lose und
Muster von Lebensläufen ge-

sehen die Seele durch die Plasma­ .


_ nommen, sei damit auf eine Art

seelen der Planeten absteigt 'F/ hoher Rednertribüne gestiegen und habe

zur Erde und dadurch die


Eigenschaften dieser Planeten ..__.._
!(/'
. ·�-
gerufen: „Das ist das Wort der Jungfrau La-
chesis, der Tochter der Notwendigkeit! Ihr

absorbiert und zu ihrem Eintagsseelen! Es beginnt ein neuer tod­

Charakter macht, und zwarjeder bringender U mlauf des sterblichen Ge­

entsprechend der Zeit und schlechts. Nicht wird ein Daimon euch erlosen,

Konstellation, in der er diesen sondern ihr werdet euch einen Daimon wählen.

Raum „durchfliegt". Wodurch die individuell ver- Wer das erste Los gezogen hat, der soll sich als

schiedenen Charaktere entstehen. Hier nun wird erster den Lebenslauf wählen, mit dem er dann

gezeigt, wie die Drehung der Planeten zu Tönen notwendig verbunden bleibt. Die Ttichtigkeit aber

und Farben in der Seelenwelt führt und die pla­ ist keinem Herrn zu eigen; je nachdem ein jeder

netare physische Welt mit dem Seefischen des sie ehrt oder gering achtet, erhält er mehr oder

Menschen eine Harmonie und Einheit bildet, der weniger von ihr. Schuld hat, wer gewählt hat;

Mensch also von seinem Planetensystem vollkom­ Gott ist schuldlos."

men eingebunden ist. Mensch und Kosmos sind Nach diesen Worten habe er ihnen allen die Lose
eins, wird mit diesen komplizierten Modell gezeigt, zugeworfen, und ein jeder habe das aufgenom­
das wir aber nicht als reine erdachte Philosophie men, das neben ihm niederfiel, nur der Erzähler
verstehen dürfen, sondern vielleicht doch als nicht; denn jener habe es ihm nicht erlaubt. Wer
Wahrheit, von der aber die Moderne noch nicht es aber aufhob, der hätte gesehen, welchen Platz
gekostet hat. in der Reihenfolge er bekommen habe. Dann
In der Hadesfahrt des Odysseus wird Ä hnliches habe er wiederum die Muster der Lebensläufe vor
beschrieben, da heißt es, das Weltganze sei eine sie hin auf die Erde gestellt, und zwar vielmehr,
Kugel, und um ihre Achse bewegen sich acht als Seelen anwesend waren. Es habe da mannig-
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fache Arten gegeben: Lebensläufe von sämtlichen Natur oder selber erworben hat, für eine Wir­
Tieren und natürlich auch alle menschlichen. Es kung ausüben, wenn sie miteinander vermischt
seien solche von Tyrannen dabei gewesen, zum werden. Hat er sich dann all das überlegt, so sollte
Teil lebenslängliche, zum Teil solche, die mitten­ er imstande sein, im Blick auf die Natur der Seele,
drin unterbrochen wurden und schließlich in Ar­ zwischen der besseren und der schlechteren
mut, Verbannung und Bettlertum endeten. Auch Lebensweise zu wählen, indem er die als die
von angesehenen Männern habe es Lebensläufe schlechtere bezeichnet, die seine Seele dazu
gegeben, die sich entweder durch ihre Gestalt bringt, dass sie ungerechter wird, als die bessere
und ihre Schönheit und zudem durch ihre Stärke aber jede, die sie gerechter macht; auf alles andere
und Kampfkraft ausgezeichnet hatten oder durch aber wird er keine Rücksicht nehmen; denn wir
ihre Herkunft und die Verdienste ihrer Vorfahren, haben gesehen, dass dies für ihn im Leben und
aber auch von solchen, die in dieser Hinsicht un­ nach dem Tode die beste Wahl ist. An dieser Mei­
bedeutend waren, und auch solche von Frauen. nung müssen wir also eisern festhalten, wenn wir
Eine bestimmte Ordnung der Seele habe aber in den Hades hinabsteigen, damit wir uns auch
nicht darin gelegen, weil eine jede, schon durch dort von Reichtümern und derartigen Ü beln
die Wahl eines anderen Lebens, notwendigerwei­ nicht verwirren lassen und damit wir nicht in ein
se auch anders werden musste. Alles Ü brige aber Tyrannenleben und in ähnliche Handlungen ver­
sei durcheinander gemischt und bald mit Reich­ fallen und damit viele heillose Ü bel anrichten und
tum oder Armut, bald mit Krankheit oder Gesund­ noch größere selbst zu leiden haben, sondern
heit verbunden, Anderes wiederum halte da­ dass wir es verstehen, unter diesen Lebensläufen
zwischen die Mitte. den zu wählen, der stets die Mitte hält, und das
Hier, mein Glaukon, liegt nun offenbar für den Ü bermaß nach beiden Seiten zu vermeiden,
Menschen die größte Gefahr, und deshalb muss je­ schon in diesem Leben, soweit das möglich ist, als
der von uns vor allem darum besorgt sein, dass er auch in jedem späteren. Denn so wird der Mensch
alle anderen Lehrstücke zurücksetze und nur die­ am glücklichsten.
ses eine Lehrstück suche und lerne: wie er zu er­
Und daher sprach nun auch, wie jener Bote aus
fahren und herauszufinden imstande ist, wer ihm
dem Jenseits meldete, der Prophet also: Auch für
die Fähigkeit und das Wissen vermittelt, die gute
den letzten, der hinzutritt, liegt noch ein Leben
Lebensweise von der schlechten zu unterscheiden
bereit, mit dem er zufrieden sein kann und das
und nach Möglichkeit stets und überall die bes­
nicht schlecht ist, wenn er nun mit Einsicht
sere zu wählen, indem er bei sich überdenkt, wie
auswählt und sich im Leben dann Mühe gibt. Wer
sich all das, was wir nun gesagt, was wir zusam­
als erster wählt, soll nicht sorglos sein, und der
mengestellt und unterschieden haben, auf die
letzte darf den Mut nicht verlieren.
Tüchtigkeit des Lebens auswirkt, und zu wissen,
was Schönheit, gemischt mit Armut und Reich­ Nach diesen Worten, erzählte er, sei der, der das
tum und verbunden mit dieser oder jener Ver­ erste Los gezogen hatte, rasch hinzugetreten und
fassung der Seele, Schlechtes oder Gutes ausrich­ habe die größte Tyrannis gewählt; aus Unvernunft
tet, und was edle oder geringe Herkunft, was Zu­ und Gier habe er sie gewählt, ohne sich alles recht
rückgezogenheit oder Teilnahme an öffentlichen zu überlegen, und deshalb habe er auch nicht be­
Ämtern, was körperliche Kraft oder Schwäche, merkt, was für ein Geschick damit verbunden
Leichtigkeit im Lernen oder Ungelehrigkeit, und war, dass er nämlich seine eigenen Kinder ver­
was alles andere von dieser Art, das die Seele von zehren werde, und anderes Unheil mehr. Doch als
Hellhaariger Ephebe.
Um 490-480 v. Chr.,
Marmor, Athen.
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er es dann in Muße überdacht hatte, habe er sich dem Moment, i n dem man den zukünftigen
an die Brust geschlagen und über die Wahl gejam­ Lebenslauf erhält, wird er einem auch gezeigt. Eine
mert, ohne dabei die Mahnung des Propheten zu Zukunftsschau also. Diese wird, so die griechische
beachten. Denn nicht sich selbst habe er die Überlieferung, jedoch von jedem wieder vergessen,
Schuld an dem Unheil zugeschrieben, sondern weil er durch den Fluss Lethe, das Vergessen, wa­
dem Schicksal und den Daimonen und allem an­ ten muss, ehe er in die Materiewelt zurückkommt.
deren eher als sich selbst. Er habe aber zu denen Man vergisst also das gesamte jenseits/eben.
gehört, die aus dem Himmel zurückgekommen Die Lose, sprich: Lebensläufe werden gemischt,
waren; in seinem früheren Leben habe er unter d. h. so wie das Leben eben aus guten und schlech­
einer wohlgeordneten Verfassung gelebt und aus ten Ereignissen besteht. Gute und schlechte Er­
Gewohnheit, aber ohne Weisheitsliebe (Philoso­ eignisse kommen im Leben gemischt vor, damit die
phie) an der Tüchtigkeit teilgehabt. O berhaupt Seele so übend erkennen und lernen kann, was
könne man sagen, dass unter den Seelen, die sich eben gut und was schlecht ist. Ein nur gutes oder
durch solche Dinge berücken lassen, nicht die ein nur schlechtes Lebenslos zu ziehen ist nicht
wenigsten aus dem Himmel gekommen seien, weil möglich. Nur durch dauernde Achtsamkeit lerne
diese in den Leiden unerfahren waren, während sie vor jeder Tat zu überprüfen, ob sie zum Guten
die meisten, die aus der Erde kamen, ihre Wahl oder Schlechten führt, daher die komplizierte
nicht aufs Geratewohl trafen, weil sie genug Lei­ Mischung von Gutem und Schlechtem, und in der
den selbst erfahren und auch bei anderen gesehen Tat - so ist unser Leben. Aufgabe des Menschen sei
hatten. Daraus und auch durch den Zufa ll des es nun, unterscheiden zu lernen was gut, was
Loses ergebe sich denn für die meisten Seelen ein schlecht ist, und zwar im Leben wie auch im jenseits.
Wechsel zwischen Schlechtem und Gutem. Denn Gut ist was gerecht, schlecht, was ungerecht ist.
wenn jemand, sooft er in dieses menschliche Offenbar werden erst eindeutige Schicksalsläufe
Leben hier eintrete, auf gesunde Art philosophie­ vorgeführt und diese dann untereinander alle ge­
re, und wenn ihm dann das Los zur Wahl nur nicht mischt, und daraus kann man dann wählen. Nun
unter den Letzten falle, so würde er wohl nach­ wird festgestellt, Seelen, die aus dem Himmel kom­
dem, was aus jener Welt verkündet wird, nicht nur men, würden oft schlechte Lebensläufe wählen,
hier ein glückliches Leben führen, sondern auch weil sie unerfahren seien mit dem Schlechten im
seine Wanderung von hier nach dort und wieder Gegensatz zu jenen, die aus dem Tartaros
hierher nicht auf einem unterirdischen und rauen, kommen, die genauer überlegen würden, ehe sie
sondern auf einem glatten und himmlischen ihre Wahl treffen, weil sie erfahrener mit Schlech­
Wege zurücklegen. tem sind.

DEUTUNG: Nun werden für die Seelen, die aus WAHL DES NEUEN LEBENS
Himmel und Tartaros auf die Wiese gekommen
sind, ihre zukünftigen Lebensläufe ausgelost, denn Das sei ja nun, sagte er, ein sehenswertes Schau­
es findet jetzt Wiedergeburt statt. Man erhält ein spiel gewesen, wie all diese Seelen ihren Lebens­
scheinbar zufälliges Los. lauf wählten, ein zugleich kläglicher und lächerli­
Ob man ein gutes oder schlechtes erhält, dazu cher und wundersamer Anblick. Meist ließen sie
heißt es ,,Schuld hat, wer gewählt hat, Gott ist sich bei ihrer Wahl von den Gewohnheiten ihres
schuldlos. " Also wählt sich jeder seinen Daimon, früheren Lebens leiten. So erzählte er, er habe ge­
sprich seine Seelenqualitäten, selbst aus. Und in sehen, wie die Seele, die einst dem Orpheus gehört
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hatte, das Leben eines Schwans gewählt habe; denn weil Wei­
ber ihn umgebracht hatten, wollte sie aus Hass gegen das
weibliche Geschlechte nicht mehr von einem Weibe geboren
werden. Auch die Seele des Thamyas habe er gesehen, wie sie
das Leben einer Nachtigall wählte, ein Schwan dagegen habe
sich zur Wahl eines menschlichen Lebens gewendet und
ebenso noch andere musisch begabte Tiere. Die Seele hinge­
gen, die das Los als zwanzigste bezeichnet hatte, habe das Le­
ben eines Löwen gewählt; das sei die des Telamoniers Aias
gewesen, die sich in Erinnerung an die Entscheidung im Waf­
fenstreit weigerte, wieder ein Mensch zu werden. Nach ihr
sei die des Agamemnon gekommen; auch sie habe aus Feind­
schaft gegen das Menschengeschlecht wegen der erlittenen
Unbill ihr Leben mit dem eines Adlers vertauscht. Mitten un­
ter den Losenden aber stand die Seele der Atalante; als diese
die großen Ehren sah, die einem Wettkämpfer zuteil werden,
konnte sie nicht widerstehen und wählte dieses Leben. He­
rauf habe er gesehen, wie die Seele des Epeios, des Sohnes des
Panopeus in die Natur eines kunstfertigen Weibes einging,
und weiterhin, wie unter den letzten die des Possenreißers
Thersites die Gestalt eines Affen annahm. Zufällig aber habe
die Seele des Odysseus das allerletzte Los erhalten und sei
nun herangetreten, um zu wählen. Da sie aber in Erinnerung
an ihre früheren Mühsale allen Ehrgeiz aufgegeben hatte, sei
sie lange Zeit herumgegangen und habe das Leben eines
zurückgezogenen, geruhsamen Mannes gesucht und gerade
noch irgendwo eines gefunden, das die anderen unbeachtet
hatten liegenlassen. Und als sie es entdeckt hatte, habe sie
gesagt, sie würde ebenso gehandelt haben, wenn sie das erste
Los bekommen hätte und sie habe es mit Freuden gewählt.
Und ebenso seien manche von den Tieren zu Menschen
geworden, manche zu anderen Tieren, wobei sich ungerechte
Tiere in wilde, gerechte aber in zahme verwandelten. Und so
seien Mischungen aller Art vorgekommen.

DEUTUNG: Offensichtlich wird hier nun, da es sich hier nicht


mehr um die Darstellung des Nah-Todeserlebnisses des Er
handelt, relativ naiv versucht, die Auswirkungen des letzten
Lebens auf die Wahl des neuen darzustellen, ebenso dass
Tiere Menschen und diese Tiere werden können. Wie es sich
tatsächlich verhält, wissen wir nicht, da moderne Todes­
reisende darüber nichts berichten.
43

WIEDERGEBURT intuition, übergibt, Klotho bestätigt das Schicksal


und Atropos macht all das unabänderlich. Dann,
Nachdem nun alle Seelen ihr Leben gewählt hät­ unter dem Thron der Notwendigkeit hindurch
ten, seien sie in der Reihenfolge, wie sie gelost schreitend, das heißt, dass nichts mehr rückgän­
hatten, zur Lachesis getreten. Die habe einem gig gemacht werden kann, kommt man viertens
jeden den Daimon, den er sich gewählt hatte, als zur Ebene der Lethe (ansonsten ein Fluss), des Ver­
Wächter seines Lebens und als Vollstrecker seiner gessens oder dem Fluss Ameles (sorglos), weil man
Wahl mitgegeben. Der Daimon habe die Seele nun ohne Erinnerung, sorglos, befreit von alten Le­
zuerst zu Klotho geführt, unter ihrer Hand und bensgeschichten, ein neues Leben beginnen kann.
unter dem kreisenden Wirtel der Spindel, um so Ohne die Durchquerung des Ameles wären wir
das Geschick zu bestätigen, das sie mit dem Los er­ sorgenbeschwert, voll belastender Erinnerungen
wählt hatte. Und nachdem er diese berührt hatte, und könnten im neuen Leben nichts lernen, weil
habe er die Seele weiter zur spinnenden Atropos wir, gebunden an alte Verhaltensmuster das Neue
geleitet, die das zugesponnene (SchicksaD unabän­ nicht neu sehen könnten. Der Mensch muss also
derlich machte. Von dort aber sei er, ohne sich jedes Mal von vorn anfangen, und es ist darum
umzuwenden, unter den Thron der Notwendigkeit gar nicht sinnvoll, sich wieder an seine alten Leben
getreten und sei unter diesem hindurchgegangen. zu erinnern. Im Ameles oder der Lethe wird alles,
Nachdem auch die anderen hindurchgegangen was im jenseits und letztem Leben erfahren wur­
waren, seien sie alle durch eine furchtbare Hitze de, weggewaschen, vergessen. Einige jedoch trin­
und erstickende Glut zur Ebene der Lethe (Verges­ ken vom Ame/es nicht so viel, sie würden sich dann
senheit) gewandert; diese sei nämlich ohne Bäume im neuen Leben an einiges des alten Lebens und
und ohne alles, was sonst die Erde hervorbringt. des jenseits erinnern können, nämlich wenn sie
Als es bereits Abend war, hätten sie am Flusse nicht so gierig davon getrunken hätten. Aber man
Ameles (Sorgenlos) gelagert, dessen Wasser kein ist durstig, weil die Ebene der Letheja so heiß ist,
Gefäß fassen könne. Von diesem Wasser mussten und der Durst lässt einen dann gierig trinken. Der
nun alle ein bestimmtes Maß trinken, und wen die Fluss heißt, von der irdischen Seite her gesehen,
Besinnung nicht davor bewahrte, der trank über anders, nämlich Mnemosyne, sprich Wiedererinne­
dieses Maß. Wer aber davon getrunken habe, der rung, weil man sich, kaum gestorben und reine
vergesse alles. Als sie sich nun zur Ruhe gelegt Seele, an alles wieder erinnert, was man vor der
hätten und es Mitternacht geworden sei, sei ein Wiedergeburt im jenseits erlebt hat, ebenso wie
Donnern und ein Erdbeben entstanden, und plötz­ auch an das alte Leben.
lich seien sie von dort, rasch wie Sternschnuppen, Dann donnerte es undjeder wurde zu seinem Ort
der eine dahin, der andere dorthin, fortgetragen der Wiedergeburt auf der Erde getragen. Das
worden, hinauf ins Werden. Er selbst aber habe Donnern ist bekannt aus der Nah-Todeserfahrung.
nicht von dem Wasser trinken dürfen; wie und auf Wen n sich die Seele ablöst, entsteht ein Klick­
welchem Wege er wieder in seinen Körper gelangt geräusch, ein Knall oder dergleichen. Wir haben
sei, wisse er nicht, sondern nur, dass er am Mor­ zwar Berichte von Menschen über ihren Wieder­
gen auf einmal die Augen aufgeschlagen und gese­ geburtsprozess, wissen jedoch von einem Donnern,
hen habe, wie er auf dem Scheiterhaufen lag. wenn sich die Seele mit der Materie wieder verbin­
det. Ich habe viele Fälle kennengelernt, bei denen
DEUWNG: Die Wiedergeburt wird eingeleitet, beim Wiedereintritt der Seele in den Körper ein
indem Lachesisjedem seinen Daimon, seine Seelen- Knallgeräusch entsteht.
· II ·

D ER
• •

ATHERKOSMOS
46

DIE VERSCHWIEGENE aber vielleicht, dass wenn das Seiende als kleins­
NACH BARDI MENSION tes Inneres gedacht wird, wie ein Samenkorn, das
nun die Weltseele gebiert und diese aus sich
heraus und um sich den materiellen Kosmos ent­
DIE GEBURT DES MATERIELLEN
faltet, dann regierte die Weltseele in der Tat von
WELTALLS
innen, also aus der Mitte heraus, unsere Welt.

Im Timaios beschreibt Platon die Weltengeburt.


DI E LEBEWESEN
Der materielle Kosmos wird vom Demiurgen
(Schöpfer, Gott) geschaffen, als Abbild des imma­
Vier Arten von Lebewesen sollen i m Kosmos
teriellen Kosmos. Es entsteht also aus Immate­
leben: Götter, Luftwesen, Wasserwesen und Erd­
riellem etwas Materielles, das ist das große Geheim­
wesen. Bei den Göttern ist zu unterscheiden zwi­
nis! Gleichzeitig heißt es, das Materielle ist durch­
schen den Gestirnsgöttern und den Göttern der
drungen und aufgebaut von Immateriellem. Wie
Tradition. Gestirnsgötter sind die Ätherplaneten,
wir später hören werden, ist dieses Immaterielle
Götter sind Wesen, die im Äther wohnen, aber
aber nicht einfach unstofflich, sondern es ist die
von dort auch in die Materiewelt reisen können,
Seelenwelt. Bauen Seelen Körper auf? Der Kos­
sie sind die Schöpfer der Menschen. Die Götter
mos ist ein einziger, es gäbe nicht viele Welten,
schaffen im Äther vermutlich zunächst Äther­
wie sie Demokrit angenommen hat (der aber
seelen und daraus später sterbliche Körperwesen,
viele Planeten und nicht viele Welten meinte).
Tiere (also Luft- und Wasserwesen) sowie Men­
Stoff wird nun bestimmt als aus den vier Elemen­
schen; der Demiurg steuert seinen unsterblichen
ten zusammengesetzt, wie schon Empedokles
Anteil bei, das heißt, das Göttliche ist natürlich
und Anaxagoras gelehrt haben. Der Kosmos sei
Grundlage von allem.
kugelförmig und bewege sich kreisförmig. Der
Kosmos besitze eine Seele, die Weltseele oder den
ZEIT, WELCHE DIE EWI GKEIT
Weltäther, die ja die Stoffwelt aufbaut. Die Welt­
NACHAHMT
seele sei zusammengesetzt aus dem Seienden,
sprich dem höchsten Göttlichen und dem Wer­ Die Seele entstammt dem zeitlosen, raumlosen
denden bzw. Vergehenden. Es gibt demnach das und stofflosen Totenreich. Das Totenreich ist die
Seiende (Gott), die Weltseele zusammengesetzt Ätherwelt. Die Ätherwelt gerinnt zu Materie, und
aus allen Seelen und die Stoffwelt. so entsteht aus Nichtzeit Zeit, aus Nichtraum
Nun wird behauptet, die Weltseele regiere nach Raum, aus Nichtstoff Stoff. Ein Gerinnungs­
den Gesetzen der Gestirne, das heißt ihrer, durch vorgang setzt ein. So erklärt Platon die irdische
die Drehung hervorgerufenen musikalischen Har­ Zeit als Abbild des Zeitlosen und Ewigen des
monik. Dazu muss verstanden werden: zuerst Demiurgen. Unsere Zeit ahme die Ewigkeit nach.
war das Seiende (Gott), das aus sich die Weltsee­ Die Zeit sei ein Abbild der Äther-Zeitlosigkeit. Zeit
le gebar, und diese brachte ihrerseits den Stoff­ sei ein bewegtes Abbild der bewegungslosen
kosmos hervor. Die Weltseele besteht also auch Nicht-Zeit! Damit war Platon lange vor Einstein
aus immateriellen Gestirnen, aus denen materiel­ unserer Zeit voraus.
le Geschwister hervorgehen. Platon vermutet aber auch: Zeit entsteht durch
Die Weltseele regiere den materiellen Weltkörper die Bewegung der Gestirne. Die Gestirne aber
von der Mitte aus. Ich weiß nicht, was das heißt, entspringen ihren Ätherplaneten, auf denen
47

Der mythische Seher Kalchas, der vorhersah, dass


der Trojanische Krieg zehn fahre dauern und
Troja nicht ohne Achilles und den Bogen des
Philoktetos eingenommen werden würde. Ostseite
des Zeus-Tempels in Olympia 4 70-460 v. Chr.

KANN DER MENSCH DIE ÄTHERWELT


SEHEN?

Sokrates vergleicht die Wahrnehmung des Men­


schen, der die Ätherwelt nicht sehen kann, mit
Wesen, die unterm Meer wohnen und sich
irrtümlich auf der Oberfläche des Meeres wäh­
nen.

Und wenn seine (des Menschen) Natur stark


genug wäre, diesen Anblick (der Ätherwelt) aus­
zuhalten, dann würde er erkennen, dass dort
der wahre Himmel ist und das wahrhafte Licht
und die wahre Erde. (Phaidon 91)
Zunächst einmal stellt Sokrates fest: Physische
Augen halten das Ätherlicht nicht aus. Ich frage:
Oder können wir es einfach nur mit Seelenaugen
Nicht-Zeit existiert. Zeit bleibt also nur ein Abbild erkennen? Oder: Erkennen wir es über die Augen
der Ewigkeit der Ätherwelt. Aber die Existenz nur dann, wenn wir uns in einem tiefen Seelen­
materieller Planeten verursacht zusammen mit zustand befinden? Oder erkennen wir die Äther­
der Eigenart ihrer Umdrehung und Geschwindig­ welt nur, ist die Seele losgelöst vom Körper? Oder
keit sehr wohl einen bestimmten Zeitfluss. Zeit sind alle drei Möglichkeiten möglich? Es sei ange­
entsteht also primär durch die Materiegeburt, merkt: Die Erforschung der ätherischen Wahrneh­
zweitens durch die spezifische Eigenart, wie sich mung und die Vielzahl von Erfahrungsberichten
die Materiekörper bewegen. befürwortet alle drei Möglichkeiten. Andererseits
„Die Zeit ist also zusammen mit dem Himmel betont Platon, dass die Augen als Spiegel der
entstanden" (fimaios 38b), weil Tag und Nacht Seele nur sehen können, weil durch sie die Seele
vor den materiellen Planeten nicht existierten. im Vergleich mit den anderen Sinnesorganen am
Wo kein Stoff ist, ist auch keine Zeit. Zeit entsteht stärksten wahrnimmt, weshalb die Augen das
mit dem physischen Planetenhimmel, wie Platon vornehmste Sinnesorgan seien. Die Augen sind
sagt, genauer mit der Materie. Das Vorbild für die das Zentrum der Wesen, in ihnen erkennen wir,
Zeit aber ist das Göttlich-Seiende, die Ewigkeit. was der Mensch denkt und fühlt, und wird der
Die Zeit dagegen zeigt sich durch ein Werden. Blick im Tod gebrochen, also stumpf, wissen wir,
Werden kann nur etwas Stoffliches, also ist Zeit der Tod ist eingetreten, sprich: platonisch ge­
nur da, wo Stoff ist. dacht hat sich die Seele abgelöst.
48

ABSTA M MUNG 1 Vergoldeter Bronzekrater


VON DEN STERNEN aus dem makedonischen
Derven 330 v. Chr. Ihn zieren
idealisierte mytholo·
Im Timaios sagt Platon, gische Gestalten.
die Menschen, sprich ihre Von den Voluten im
Seelen, stammen von den oberen Teil des Gefäßes
Sternen ab oder werden schauen zwei Hera­
im Tod zu Sternen. Es sind kles-Köpfe auf die Hochzeit
des Dionysos mit Ariadne
aber nicht die physischen
herab.
Sterne gemeint, sondern
die Äthersterne. Die Milch­
straße galt ja als Auf­ Seelen werden also keines­
enthaltsort der Seelen oder wegs physische Sterne, was
als Weg ins Totenreich zum absurd wäre, sondern der
Hades. Es wird behauptet: Nachthimmel mit seinen
Tote werden Sterne, was glitzernden Gestalten ähnelt
heißt, sterben wir, gehen wir in dem Totenreich, in dem sich die
die Ätherwelt des Hades ein, und leuchtenden Seelen gleichsam wie
zwar in der Region der Äther­ Sterne am Nachthimmel bewegen.
sterne, denn so wie wir im materiellen Es handelt sich um ein poetisches Bild,
Kosmos zusammen mit materiellen andererseits aber, wie wir sehen wer-
Sternen leben, so leben wir im immate- den, um noch mehr, um eine noch viel tie­
riellen zusammen mit immateriellen Sternen. fere Sicht, als sie der moderne Geist überhaupt zu
Wir erhalten hier einen konkreten Hinweis denken vermag.
darauf, was mit unseren Seelen nach dem Tod
Weiter heißt es, die Menschen wurden, damit der
geschieht, wir werden Bewohner der Ätherwelt,
Kosmos vollkommen werde, in einen Körper ein­
die ein feinstoffliches Duplikat der materiellen
gesenkt, d. h. die Seelen erhielten einen Körper
Welt ist und also auch die Plasmakörper der
und lebten nun auf der Erde in der Materie. Aber
Sterne umfasst.
wozu das? Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob die
Wer von alter Philosophie und Sinnbildlichkeit Seelen bereits immer im Äther lebten oder ob sie
nichts versteht, muss nun annehmen, Platon völlig neu geschaffen wurden, damit physische
dachte ernsthaft, ein Verstorbener werde zu Wesen existieren konnten. Darüber erfahren wir
einem Stern. Natürlich ist dem nicht so. Platon jedoch nichts. Eine Erklärung finden wir, die
verstand wie seine ganze Kultur die Milchstraße, besagt, Menschen wurden von den Göttern, als
den mit Sternen übersäten Nachthimmel, als ein diese auf der Erde weilten, aus Erde geschaffen.
Sinnbild des Totenreichs, des Hades, der Unter­ Es gibt somit zwei Möglichkeiten der Erschaffung
welt. Der Hades wurde nie ernsthaft als unter der der Menschen.
Erde verstanden, das ist eine moderne Miss­
deutung, sondern immer als eine nicht-stoffliche 1. Sie wurden als Seelen im Ätherreich von den
Welt, in der wir als nicht-stoffliche Seelen leben. Göttern geformt (oder waren bereits vorhan­
Unter heißt nicht unterirdisch, sondern trans­ den), und auf nicht näher bekannte Weise wur­
physisch oder subatomar, wenn man so will. Die de aus ihrem Seelenstoff ein Körper geformt.
49

2. Wurden Menschen von physischen Göttern auf leuchtet, wie so viele Phantasten und spirituell
der Erde „genetisch" erschaffen? Da Platon von Hoffende unbegründet und ohne jegliche Logik
einer Seele als Beieber des Körpers ausgeht, annehmen. Im Gegenteil: Wir bleiben nach dem
muss angenommen werden, dass er glaubte, Tod der, der wir auch im Leben sind. Wir bleiben
aus Seelen seien physische Wesen geschaffen ein beschränktes seelisches Wesen. Platon bringt
worden. Während andere Kulturen über den es auf den Punkt: Die Zwietracht in der Seele
„genetischen" Vorgang genauere Kenntnis ha­ bleibt!
ben, scheint Platon darüber nichts zu wissen.
DIE SEELE ERZEUGT ÄTHER
Ein Grund für die Menschenschöpfung allerdings
wird angegeben: Die Menschen wurden in einen
Nun wird weiter behauptet, die „Wahre Erde"
Körper gesteckt, um im irdischen Leben auf
liege im Äther, und dort sei alles klarer, heller,
„Wachposten" zu stehen. Was soll das heißen?
gesünder. Ist nun der Äther gesünder oder ist
Sollten sie für andere, etwa die Götter, wachen
doch plötzlich die Seele gesünder? Um genau zu
oder sollten sie für sich selbst auf Wachposten
sein: Die Seele ist körperlich nun in der Tat frei
stehen, um sich kennenzulernen?
von physischen Ü beln, einfach weil sie keinen
Körper mehr hat. Klarer ist die Atmosphäre eben­
DIE SEELE IST UNSER FÜ H LE N falls, denn es gibt hier keinen Stoff mehr, nur
U ND DENKEN Lichtstoff, sprich: Äther, wodurch auch alles hel­
ler erscheint. Dass es der Seele automatisch bes­
Platon beschreibt im Phaidros den Wohnsitz der ser geht, davon ist also nicht die Rede. Auch lebe
Seelen nach dem Tode als „Wahre Erde", das sei man länger, heißt es, genauer müsste man sagen,
die höchste Sphäre des Seins, dort leben sie man lebt subjektiv seelisch länger in einer Welt
körperlos in Seligkeit, doch seien sie noch nicht ohne Zeit. Die Jahreszeiten seien temperiert, also
vollkommen frei von Zwietracht. Die „Wahre so, wie man es sich wünscht, subjektiv seelisch
Erde" liegt im puren Äther, wo alle Dinge klarer, wünscht. Wir berühren
heller, gesünder und glücklicher sind und wo der hier eines der
Mensch allein seine Seele besitzt. Die Seelen­ größten
wesen leben hier in einer feinstofflichen eben
rein seelischen Seinsweise! Die Jahreszeiten sind
temperiert, es gibt keine Krankheiten, man lebt
viel länger, das Wissen und die Sinne sind den
physischen weit überlegen, so wie die Luft reiner
als Wasser und der Äther feiner als Luft ist.

Die „Wahre Erde" ist das Jenseits und Totenreich,


also keine Erde. Da der Körper gestorben ist, er
allein ist ja vergänglich, überlebt die Seele,
sprich unser Fühlen und Denken, das wir als
Ich, Ego oder Selbst kennen. Offenbar ändert
sich mit dem Tod des Körpers nichts an unse­
rer Seelenverfassung. Wir werden mit dem
Tod nicht augenblicklich besser, Engel oder er-
so

Geheimnisse der seelischen wie materiellen Exis­ und Denken, und diese sind selbst ätherisches
tenz: Was sich die Seele im jenseits, im Äther Material, der Ä ther! Gedanken sind Feinstoff,
wünscht, das wird Wirklichkeit, ebenso das, was Gefühle sind Feinstoff. Der Äther ist keine von
sie sich nicht wünscht, denn ich sagte ja: Der den Seelen unabhängige Substanz, so wie die Luft
Ä ther besteht allein aus den Wünschen und Gefüh­ unabhängig vom Körper ist. Leider ist niemand
len der Seelen, es gibt keine von unseren Seelen­ der weisen Deuter und Erforscher der Nachbar­
zuständen unabhängige jenseitswelt. Das jenseits welt und des Urstoffs bisher darauf gekommen
ist die Wunschwelt der Seelen. Doch besitzt be­ und damit hat niemand das wirkliche Geheimnis
kanntlich jede Seele ihre ureigene Wunschwelt. des Daseins auch nur angetastet, bzw. Platon auch
jede Seele lebt damit in dem von ihr phantasier­ nur annähernd gedeutet.
ten ätherischen Wunschuniversum, das ihr - und Der Äther, das Plasma, der Urstoff, die Energie
das kommt nun hinzu - als vollkommen real, und die Dutzend moderner Namen, die man dem,
nicht anders als die physische Welt - erscheint, was der Materie als Ursprung zugrunde liegt, ge­
weshalb sie oft meint, noch im Irdischen zu geben hat, ist kein Stoff wie die Materie, sondern
leben, was dann zu ihrem größten Irrtum wird - Gedanken- und Gefühlsstoff, der Energiestoff der
sie schließt sich nämlich in einem Gefühls- und Seele. Kurzum: Die Seele ist der Urstoff, nach
Vorstellungs-Gefängnis ein. dessen Maßen sich das Materieweltal/ aufbaut.
Es scheint also so zu sein, dass die Seele, so wie Die innere Gliederung der Seele ist die Gliederung
auf der Erde in der Luft, j etzt im Äther lebt, was des Weltalls.
immer das heißen mag. So wird im Allgemeinen
angenommen, bzw. fehlinterpretiert. Tatsache ALLES „UNBELEBTE" HAT E I NE SEELE
vielmehr ist und das ist gleichzeitig die Lösung
der Phänomene jenseits und Tod und Seele: Mit Soll das nun heißen, die Seelen aller Menschen
dem Körpertod überlebte die Seele, sprich: Fühlen erzeugen das physische Weltall? Nach Platons

Kastalische Quelle in Delphi.


51

Parnass, Gebirge in Phokida, unter seinen steilen Hängen lagen Delphi mit dem Apollo-Tempel, hier feierte
man Orgien zu Ehren des Dionysos.

Auffassung besitzen alle Lebewesen eine Seele, ENTSTEHUNG DES ASTRALLEIBS


sogar die Elemente sind Seelenzustände, kurzum: UND DER ASTROLOGIE
alles Physische ist als ein Seelenzustand zu be­
greifen. Und diese Seelenzustände erzeugen von Es heißt: Beim Abstieg in die Materie müsse die
sich nun einen physischen Zwilling, die Stoffwelt. Seele unsere siebenfache Planetensphäre durch­
Aber offenbar erzeugt nicht jede Seele individuell schreiten - wobei sie den feinstofflichen Anteil,
und eigenmächtig einen Stoffzwilling, sondern - sprich die Seelenzustände des Planeten, die zu
da alle materiellen Dinge ineinander greifen und einer bestimmten Zeit aktiv sind, mit sich nimmt
nur gemeinsam leben können - das Meer der und so gewissermaßen eine Sternen- oder Astral­
Seelen erzeugt gleichsam in einer gemeinsamen seele, sprich die seelischen Eigenschaften dieser
Aktion den Ozean der Stoffdinge, und weil alle Planeten erhält. Die Seele erhält durch die Geburt
Seelen miteinander verbunden sind, ist auch der zu einem bestimmten Zeitpunkt eben jene plane­
Materieozean der Lebensformen miteinander taren Einflüsse, die zur Zeit seiner Durchreise
verbunden, voneinander abhängig und in Aus­ durch unser Sonnensystem aktiv sind und somit
tausch! Die Bewegungsgesetze der Materie, die einen bestimmten Charakter - womit wir plane­
die Naturwissenschaft untersucht, sind daher tar-astral festgelegt werden - und womit die
die Bewegungsgesetze der Seelen, genauer gesagt Astrologie, die Lehre vom Einfluss der Sterne und
die Zusammenfassung all dieser Seelen, der Welt­ Planeten auf die Seele, entsteht. Wie hat man sich
seele. das konkret vorzustellen? Die Seele lebt in der
Hades und Persephone in ihrem Palast in der Unterwelt. Detail einer Vase. Canossa, 330 v. Chr.
53

Ätherwelt, in der sich auch alle Ätherseelen der die pneumatischen Umhüllungen kehren alle zu
Planeten befinden. Wenn sie nun geboren wird, ihren planetaren Ursprungsorten zurück. Genau
reist sie natürlich nicht von Planet zu Planet, genommen reist nicht die Seele in den Himmel,
denn Raum gibt es im Äther nicht, sondern zum sondern sie bleibt in der Ätherwelt zurück, und
Zeitpunkt ihrer Geburt befinden sich alle Stern­ ihr innerster Teil der Geist, nous, befreit sich von
und Planetenseelen in einer bestimmten seeli­ ihr und geht in die ihm gemäße Zone, das Reich
schen Verfassung, und diese beeinflusst die Seele. des Seienden.
Dass sie sie nun besonders beeinflussen und prägen Das Pneuma, Plasma oder der Äther ist also eine
zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Ätherwelt ver­ feinstoffliche Vorstufe zur stofflichen Existenz.
lässt und in einen Leib eingeht, scheint eigenartig. Mit dem Erwerb des „Astralleibs", also einer be­
Zudem ist die Seele ja nur oberflächlich in einem stimmten psychisch-astralen Prägung, wird die
Körper, sie unterliegt als Ätherwesen ja ständig, Seele auf den irdischen Körper vorbereitet. Nun
auch wenn sie im Leib ist, noch dem Einfluss der ist zu fragen: Besaß sie diese Prägung zuvor nicht,
Planeten- und Sternseelen. Warum also ist der besaß sie vielleicht gar keine seelischen Eigen­
Geburtszeitpunkt so prägend für eine Seele? Ist schaften? Wenn nicht, dann war sie als Seele aber
es der Schreck, in einem Leib geboren zu werden, auch nicht da, denn eine Seele ist ein Wesen mit
der sie auf einen Zeitpunkt prägt? psychischen Merkmalen. Wie man sieht, ist die
Auf der Erde müssen sich die Seelen (im Mate­ Darstellung Platons zu weitmaschig, um ein logi­
riellen, in dem sie gefangen sind) behaupten und sches Bild seiner Kosmologie zu erhalten. Da die
unterwerfen, was über ihren weiteren Lebens­ Seele aber bereits oft wiedergeboren ist, muss sie
weg, über Freiheit oder Unfreiheit entscheidet. ein psychisches Kleid besitzen, bekommt aber
Kurzum: Eine Seele, die sich nicht behauptet, jetzt durch den Abstieg durch die Sternenwelt
wird vom Stoff verschluckt, wer sich dagegen eine spezifische psychische Bekleidung. Aber ver­
dem verblendenden Einfluss des Stoffs wider­ färbt das nicht den ursprünglichen Charakter,
setzt, hat eine Chance, daraus wieder freizu­ muss man fragen?
kommen.
SPHÄRENHARMON I E,
Nach dem Tod führt die Reise „abwärts", offenbar
A BSTIEG UND AUFSTIEG DER SEELE
in den Hades und dessen feinstoffliche Sphären,
dabei umhüllt sich die Seele mit einem dünnen
Nach orphischer Lehre sinkt die Seele innerhalb
Pneuma, sprich: Plasma. Natürlich legt sie sich
der Weltseele durch sieben Himmelssphären ins
dieses nicht zu, sondern ist es bereits! Die Seele
Gefängnjs des Körpers. Die sieben Sphären - da­
wird auch als Seelenwagen beschrieben, was aber
mit sind die sieben Ätherschatten der damals
nur sinnbildlich ist. Platon spricht im Timaios
bekannten materiellen Planeten gemeint. Im
vom Gefährt der Seele als dem Pneuma Und Aris­
Sternbild Aiovucou (zwischen Krebs und Löwe
toteles definiert das Pneuma als „Element der
über der Hydra, genauer bei der Himmelspforte
Sterne", gleich dem Äther. Die Seele befindet sich
im Krebs, am Schnittpunkt der Milchstraße des
also im Hades, dem Äther, der Unterwelt. Aber es
Zodiaks und des Wendekreises des Krebses) -
gibt im Tod noch eine zweite Sphäre.
dort genau sinken die Seelen auf die Erde hinab,
Nach dem Hades kann die Seele in ein höheres während sie an der gegenüberliegenden Him­
Reich reisen. Beim Aufstieg der Seele dorthin löst melspforte beim Wendekreis des Widders von
sich das Pneuma bzw. der Seelenwagen auf, und der Erde ins Seelenreich aufsteigen.
54

Platon vergleicht die Geburt in den Leib mit dem


LOGOS Fall einer Sternschnuppe. In ähnlicher Weise
Abstieg durch 7 Planetensphären
sprechen andere Quellen vom Zerplatzen einer
Lichtblase oder einer Sternschnuppe, die das Ei­
dolon (Seele) freigebe. Die Pythagoräer lehrten,
Neugeborene müssten mit Milch aufgezogen
werden, weil Seelen beim Sturz aus der himm­
lisch-ätherischen Heimat zuerst durch die Milch­
straße hinunter in den Stoffleib fallen. Nach an­
deren Quellen liegt die eigentliche Milchstraße,
nämlich die Ätherwelt außerhalb der materiellen
Fixsternsphäre und stellt gewissermaßen den
äußeren Umkreis der physischen H immelskugel
dar. Offensichtlich ist die Ätherwelt gemeint. All
diesen Vorstellungen ist gemeinsam: Die Äther­
seele entspringt der feinstofflichen Nachbar­
dimension und reist dann durch den physischen
Kosmos, sprich: die Sterne und Planeten unseres
Sonnensystems, wobei sie von deren seelischen
Qualitäten jeweils etwas aufnimmt (Astrologie!),
um schließlich auf der Erde als Ätherseele zu
landen, die langsam um sich herum entsprechend
ihren Eigenschaften einen spiegelbildlichen
Körper baut. Die Ätherseele ist gewissermaßen
subatomare Energie, die um sich herum mit Hilfe
des Mutterleibes Materie bildet, und den Körper
erstehen lässt.

Man spricht von der Milchstraße als weiß leuch­


WIEDER­ TRUNKEN­ tendem Grenzstrom der unteren (materiellen)
ERINNERUNG HEIT
Welt, aber auch vom „Fallen in die himmlische
Milch" oder vom „Hinabtauchen unter den Busen
Platons Modell des Abstiegs des Geistes durch der Herrin" und von Hera, der stillenden Göttin,
sieben Plasma- oder Psycheschichten der sofern die Seele bei der Wiedergeburt durch den
Planeten unseres Sonnensystems, bis wir den Materiekosmos reist. Für jene, die bei der Wieder­
Fluss Lethe durchschwimmen, um alles wieder geburt nicht durch die Muttergottesmilch hin­
zu vergessen. Mit dem Erreichen der Erde durchgegangen sind, heißt es, werde beim
entsteht damit Trunkenheit, d.h. wir vergessen Tod der Einstieg in die jenseitsmilchstraße
unsere Evolution. Ziel des Lebens muss daher schwierig, denn es müsse eine Milch­
die Wiedererinnerung an diesen Prozeß sein, straßenverwandtschaft vorhanden sein,
was normalerweise erst mit dem Tod, bei dem was heißt, jeder muss beim Ab- und Auf­
wir die Evolution zurückdrehen, erlebt wird. stieg durch die physische wie die ätherische Milch-
55

straße hindurch. Es herrscht also stets Spiegel­ Sphären dieser Planeten. Nicht der Geist steigt
bildlichkeit von Körper und Seele, vollkommene nämlich in Reinform hinab, dazu ist er viel zu
psychosomatische Symmetrie. Daher beruht Ge­ subtil; er muss hierfür einen „Psychewagen", wie
sundheit auf der Symmetrie von Seele und Kör­ sich Platon ausdrückte, benutzen. Der Geist er­
per. Das uns von der Seele mitgegebene Wissen, zeugt von sich ein gröberes Spiegelbild, die
was Sokrates seinen Daimon nennt, wird ein­ Psyche, bzw. er setzt sich, wie Platon sagt, in den
geschränkt vom Leiblichen einerseits, anderer­ Wagen der Psyche, und lässt sich von ihr durch
seits ist es nach oben hin zum Göttlichen immer die „Planetensphären unseres Sonnensystems", d. h.
offen, zudem bewegt sich die individuelle Seele die Plasmahüllen der Planeten, fahren. Bei dieser
spiegelbildlich zur allgemeinen Sphärenharmo­ Reise nimmt die Psyche mit jeder durchwander­
nie des ätherischen Alls, wobei auch impliziert ten plasmatischen Planetenschicht deren vor­
wird, dass sich der Leib spiegelbildlich zur Har­ materielle, plasmatische Wirkkräfte auf. Das ganze
monie der materiellen Planeten bewegt. Sonnensystem wird so in der Psyche eines jeden
Menschen und jedes Lebewesens gespeichert; die
PLATONS SIEBEN S PHÄREN Psyche ist daher ein mikrokosmisches Sonnen­
system! Daher die Bedeu-
Entsprechend der Philosophie Platons - auf den tung der Astrologie!
Punkt gebracht in seinem Hauptwerk Timaios -
besteht das Sein aus sieben Sphären, den sieben
Dionysos. Ostseite des
damals bekannten Planeten. Unser Geist müsse
Parthenon. Weißer
bei der Abwärts-Evolution vom Logos (Gesetz,
Marmor, 5. jh. v. Chr.
Urnatur) zur Materie durch sieben plasmatische,
astrale bzw. seelische Ebenen hinabsteigen, nämlich
der Ebene der Sonne, der fünf Planeten sowie
des Mondes. Dass Platon das materielle Son­
nensystem meinte, geht aus seinen Schrif­
ten nicht hervor, er be­
zieht sich vielmehr
auf die feinstoffli­
chen, plasmatischen
56

Sieben (heute zehn) verschiedene immaterielle nehmend weniger Psyche, nähert sich dem Logos.
Plasmaprinzipien sowie das der Erde selbst sind Wir legen unser Planetengewand, unser Sternen­
in uns gespeichert und machen uns zu dem, was gewand, unser Seelengewand ab, werden zu­
wir sind, bzw. verunreinigen uns mit ihren seeli­ nehmend unpersönlicher Geist. Das heißt, wir
schen Qualitäten. Bei diesem Abstieg der Seele, tragen allein im Leben einen Astralcharakter mit
der vor jeder Geburt stattfindet, durchläuft jeder uns herum, der dann im jenseits von uns abfällt.
seine eigene planetare Evolution. - Umgekehrt Eine interessante, aber problematische Theorie.
müsste es sich demnach beim Tod verhalten,
wovon Platon jedoch nicht spricht. Die Psyche Beim Hinuntergleiten auf dem „Psychewagen"
verlässt den Körper, befreit sich damit von dessen vergisst sich der Geist um so mehr, je dicker die
Ausstrahlung und durchwandert sukzessive rück­ Mäntel (der Astralhüllen der Planeten) werden,
wärts die Plasmaschichten der Planeten und lässt die sich um ihn lagern; beim Anziehen des letz­
in jeder Schicht die einst aufgenommene plasma­ ten, des materiellen Erdmantels, hat er sich
tische Umhüllung der Planeten wie einen Mantel schließlich ganz vergessen; er glaubt nun, Erde,
zurück und befreit sich dergestalt aus der plasma­ sprich: Körper, ausschließlich Körper zu sein. Pla­
tischen Einflusssphäre der Gestirne, wird so zu- ton spricht diesbezüglich von „Trunkenheit". Der

Eine Legende erzählt, als Persephone von der Erde verschluckt wurde und sich in der Unterwelt wieder­
fand, beobachtete dies der kleine Schweinehirt Eubouleos, einige seiner Schweine verschwanden eben­
falls in der Erde. Später wurde Eubouleos Priester der Demeter-Mysterien in Eleusis. Auch deshalb waren
Schweine das gebräuchlichste Opfertier in den chtonischen Ritualen der Demeter und der Persephone.
An den Tempeln dieser Göttinnen werden
häufig Schweineknochen gefunden.
57

Dieses seltene, auf Holz gemalte Bild beschreibt Evolution. Ziel des Lebens muss daher die Wieder­
eine Opferszene. Es stammt aus dem 6. jh. v. Chr. erinnerung an diesen Prozess sein, was aber nor­
und wurde in hervorragendem Zustand in einer malerweise erst mit dem Tod, bei dem wir die
der Höhlen bei Sikyon im Norden der Halbinsel Evolution zurückdrehen, erlebt wird.
Peloponnes gefunden. In ähnlicher Weise lehrt das chaldäische Orakel
ein Vergessen der so genannten Losungsworte,
Logos, Gott, vergisst sich dann selbst ganz, glaubt der Synthemata. Diese Losungsworte seien im
erst, er sei nur Psyche, dann, er sei nur Körper. Kosmos verstreut; wer sie vergessen habe, könne
Und nicht nur das: der Prozess des Abstiegs selbst nicht zu seiner wahren, ursprünglichen Existenz
wird vergessen, etwa so wie ein Mensch, der seine zurückkehren, denn ihm fehlten die Losungen
Persönlichkeit bei einem Unfall verloren hat und oder Passagierscheine, die in jeder Sphäre oder
nun als Anonymus durch die Welt wandert. Situation gebraucht würden. Damit ist folgendes
Aus dieser Erkenntnis leitet Platon folgendes gemeint: Wir benötigen beim Durchschreiten
Lebensprinzip ab: Wir müssen versuchen, uns einer jeden Existenzzone ein bestimmtes psychi­
wieder an diesen Abstiegsprozess zu erinnern, sches und geistiges Wissen, eine bestimmte in­
um erneut das zu werden, was - von Planeten­ nere Reife, um den Vergessenheitsschleier ab­
mänteln überdeckt - unbewusst in uns schlum­ zuwerfen, den wir beim Abstieg vom Plasma zur
mert, der Logos, reiner Geist, Uranos. Das sei Materie übergeworfen bekommen haben. Der
unser wahres Wesen. Das nennt er Anamnesis - Fluss Lethe, Platons Philosophie des Vergessens
„Wiedererinnern" und darum allein ginge es im sowie die Synthemata des chaldäischen Orakels
Leben. beziehen sich alle auf die gleiche Erscheinung.

Das ist Platons Modell des Abstiegs des Geistes Nach Platon erfährt der reine Geist seine erste
durch sieben Plasma- oder Psycheschichten der Intoxikation oder Trunkenheit, wenn er in die
Planeten unseres Sonnensystems, bis wir den „Sternenschale des Bacchus" oder Dionysos - der
Fluss Lethe durchschwimmen, um alles wieder zu bei den Griechen zunächst als Schöpfergott,
vergessen. Mit dem Erreichen der Erde entsteht später ihn immer mehr verballhornend als Wein­
damit Trunkenheit, d. h. wir vergessen unsere gott gefeiert wurde - hinabsteigt. Die „Sternen-
58

Keramiksplitter mit trauernder


Gestalt, von einer griechischen
Amphore stammend,
gefertigt um
430 v. Chr.
in Athen.

schale des Bacchus" be­


zeichnet das Phänomen sehr genau;
damit wird ausgedrückt, dass wir uns im
plasmatischen Sternenuniversum befinden, eine
Tradition, die wir von den Ägyptern kennen, die
die materielle Sternenwelt ebenfalls als Sinnbild 1. die Evolution rückgängig zu machen,
für das Plasma benutzten. Die Schale (Wasser­ 2. schrittweise die Umhüllungen abzuwerfen,
gefäß, Wasser) bezeichnet das Plasma, und
3. eine Dimension nach der anderen rückwärts
Bacchus oder Dionysos gelten als Herrscher der
zu durchwandern,
Plasma-, nicht der Materiewelt. Diese Schale be­
schreibt Platon auch als „Mischschale", in der sich 4. sich dabei immer mehr an seinen Ursprung zu
die Elemente noch im Urzustand der Ungetrennt­ erinnern.
heit befinden. Die Auswirkung dieses Abstiegs Unser modernes Evolutionsdenken will, dass wir
vom Seienden und das Eindringen in die „Sternen­ ständig Neues erfahren; unser Leben gilt als eine
schale des Bacchus", also ins Plasma und schließ­ Reise in unbekannte Zukünfte. Bei den alten Völ­
lich in den Stoff, führen letztendlich zum totalen kern und bei Platon hingegen sollen wir zurück
Vergessen des Logos. zum Ursprung, in die Vergangenheit der Seele
Wenn die Erinnerung an unseren ursprünglichen, reisen! In dieser Weltsicht gibt es nichts Neues
reinen, nicht von Umhüllungen umgebenen Zu­ unter dem Himmel, das Zukünftige ist das ewig
stand nachlasse, so Platon, entstehe statt Wahr­ Altbekannte. Unser neuzeitliches Denken ver­
heit bloße „Meinung". Der Wahrheit wieder näher spricht uns trügerischer Weise neue Horizonte
zu kommen heißt für Platon: mit neuem Wissen. Für Platon ist das gesamte
59

Wissen, das im Logos ruht, nur vorübergehend STERNE, MILCHSTRAßE UND ÄTHER
verloren gegangen und muss wieder gewonnen
werden. Es liegt nur versteckt unter den Plasma­ „Ist es dann nicht so, dass wir Sterne in der Luft
schleiern verschiedener Planetensphären. Unser werden, wenn wir gestorben sind", lässt Aristo­
heutiges Weltbild besagt, wir müssten mehr wis­ phanes in seinem „Frieden" einen Sklaven fragen.
sen, um weiterzukommen. Die alten Traditionen Woher kommen all die Namen für unsere Stern­
jedoch sagen, wir müssten uns an das Vergessene bilder wie Kastor, Pollux, Herakles? Die Griechen
wiedererinnern. Wir sollen bei der Rückkehr in versetzten ihre verstorbenen Heroen besonders
die Welt den Fluss Lethe nach Möglichkeit gerne unter die Sterne. Denn: Die Heroen sind
meiden. Die Vergangenheit, das alte Denken ist Halbgötter, die in die Unterwelt vorgedrungen
also die Zukunft. sind, genauer gesagt: die zur Hälfte aus ihr
Die Materiedimension ist umgeben von der abstammen, also ihre plasmatisch-psychischen
Plasmadimension; beide sind durch den Plasma­ Kräfte beibehalten haben. Heroen (Heros ist ab­
fluss Lethe, bzw. Mnemosyne, bzw. Okeanos oder geleitet von Eros!) oder Helden (germanisch ab­
Tartaros voneinander getrennt. Reisen wir von geleitet von Hel = hell = Hölle) kämpfen also mit
unserer Dimension aus ins Plasma, dann über­ transphysikalischen, parapsychologischen Waf­
schreiten wir, bildlich gesprochen, den Fluss fen, nicht mit Schwertern. Und da die Sternen­
Mnemosyne und erinnern uns schlagartig an welt, d. h. ihr Plasmateil, identisch ist mit der
unser altes plasmatisches, sprich: psychisches Unterwelt, ist es richtig, die Heroen in die Sterne
Wissen; und wir erinnern uns, wo wir uns befin­ zu versetzen. Platon erwähnt daher im Timaios
den. Kehren wir dagegen aus der Plasmawelt in (41), der Demiurg habe bei der Weltschöpfung
den Körper zurück, überschreiten wir den Lethe­ den Psychen (roten) je einen Stern zugeteilt.
strom, trinken, wie es heißt, den „Trank des Ver­
Er teilte die ganze Mischung in Seelen von der
gessens" und vergessen alles im Plasma Erfahre­
gleichen Anzahl wie die Sterne und verband jede
ne. Dem Trank der Lethe wird von den Griechen
Seele mit einem Stern. (Timaios 41)
eine Antithese im Geistreich, dem Elysion, gegen­
übergestellt: Nektar, der Trank der Götter, der er­ Auch Plutarch glaubte, in den Sternen leuchten
frischt, heilt und bewusst macht; diesen nehmen tatsächlich die Psychen auf. Der Sirius (Hunds­
die Betroffenen zu sich, wenn sie nach dem stern) galt ihm als das Leuchten der Isis und der
Plasma in die höchste Dimension reisen. Orion als Leuchten des Osiris. Und auf einem der

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9* .„
V
orphischen Goldblättchen, die den Toten mit ins Grab gegeben wur­
den, steht auf einem der ältesten Exemplare:

Ich bin ein Sohn der Erde und des gestirnten Himmels.
(Nilsson 1954, S. 1 13)

Orphiker und Pythagoräer glaubten ganz allgemein,


die Sterne seien ein sichtbares Sinnbild für die
Plasmazone. So ruht nach Platon (Timaios) unsere
Welt im Aither, in dem auch die Sterne ruhen. Eben­
so ist bei Aristoteles Aither und Sternenraum gleich­
bedeutend. Die Sterne bewegen sich im Aither, in dem
auch die vorstofflichen Elemente ruhen. Und der Aither
ist auch der Aufenthaltsort der Götter. Die umgekom­
menen griechischen Helden gingen symbolisch ge­
sprochen in die Sterne, sprich: die Unterwelt oder
Plasmazone, ein.

Die sichtbare Sternenzone wurde benutzt, um die un-


sichtbare Plasmazone bildlich und begrifflich dingfest
zu machen. Das Sternenzelt am nachtblauen Himmel
wurde zum Hinweisschild auf die Plasmazone, die
Unterwelt, den Hades, das Land der Psyche. Man
brauchte nur hinzuschauen und wurde daran erin­
nert. Ich finde es eine großartige Idee, das Sichtbare
als Erinnerungszeichen für das Unsichtbare zu
setzen. Wir tun das mit unseren Straßenschildern
und in unserer Sprache nicht anders. Der Mensch
braucht Symbole, um sich in der Welt zurecht­
zufinden. Die räumliche Entfernung und Unbekannt­
heit der Sterne steht für das ganz Andersartige
der Hadesdimension. Aus diesem Grund sollen
die Pythagoräer die Sterne auch die „Hunde der
Persephone" genannt haben. Persephone ist ja
die Gemahlin des Hades. Und Proklos (Kroll: In
remp. ll , S. 129) gibt an, Pythagoras habe ge­
lehrt, die Milchstraße, also alle Sterne, seien in
Wahrheit der Hades, der Aufenthaltsort der
Psychen. Auf alle Fälle ist mit Platons Abstieg
von einem
unbekannten durch die Planetensphären ein Abstieg durch
Künstler. die immateriellen, plasmatischen Sphären ge­
2. jh. v. Chr. meint, also die Todesregion, und nicht die
materiellen Planeten. Macrobius (siehe Sallus­
tius „De diis et mundo", Kap. N, gegen Ende)
61

erwähnt, das Diesseits beginne eigentlich schon Der Satzteil über die Erde wird auch bei uns heute
bei der Milchstraße, weil von dort die Psychen noch beim Begräbnis aufgesagt, der wesentlichere
„herunterfallen", um dann materielle Natur zu er­ Teil über den Aither jedoch verschwiegen, näm­
halten. Porphyrios (De antro Nymph., 28, S. 75N) lich dass von uns etwas übrig bleibt, das
glaubte ebenfalls, die Psychen der Menschen hiel­ woandershin geht als in die Erde! Nach Platons
ten sich in der Milchstraße auf. Alle drei Autoren Ansicht entspricht der Aither der oberen Welt.
erwähnen, die Psychen würden, wenn sie „in die Im Timaios betont er, „die heilige Luft" werde
Geburt fallen", mit „Milch" ernährt. Daher leite­ Aither genannt. Im gleichen Tenor hören wir von
ten die Neuplatoniker den Namen „Milchstraße", Homer, dass die „glänzende Luft" über dem
griechisch Galaxis von gala = Milch ab. In der Kos­ irdisch-nebligen Luftkreis liegt (288).
mologie wird erzählt, Hera (Gemahlin des Welt­ Ich möchte die Analyse kurz und klar angehen.
und Plasmaherrschers Zeus) habe beim Stillen
1. Es gibt die materielle Sternenwelt, in der sich
des H erakles ihre Milch verschüttet, woraus die
die Erde innerhalb der normalen Luft aer be­
Milchstraße entstanden sei. Andererseits wurde
findet, ganz gleich, wie weit von der Erde ent­
die Milchstraße auch als Götterstraße oder Pfad
fernt.
der Psychen verstanden. Im übrigen ist, wie wir
2. Es gibt die höhere, heilige, glänzende Luft,
von Nah-Toderfahrungen wissen, die Atmosphäre
Aither genannt, die keine Luft mehr ist.
des Plasmas in der Tat milchig-neblig, es wird hier
offensichtlich auf die plasmatische, nicht die phy­ 3. Die Sterne sind den Griechen besonders als
sische Milchstraße angespielt. Plasmasterne bedeutsam, weniger als phy­
sische Sterne. Bei der Evolution vom reinen
Wir können vorerst festhalten: die Psyche gelangt
Geist des Elysions hin zur Plasmawelt nehmen
nach dem Tod, bzw. vor der Wiedergeburt in eine
die sich zu Individuen formenden Wesen
Dimension, die im Raum der Milchstraße - aber
Eigenschaften der Sterne und Planeten auf,
deren immateriellem, plasmatischem Spiegel­
werden so ein Mikrokosmos im wahrsten Sin­
bild - liegt oder, nach einer engeren Version, in
ne, und unterliegen dann als materielle Wesen
die Zone zwischen Erde und Mond (der so ge­
dem Einfluss des Kosmos, daher die Wechsel­
nannten sublunaren Region), die ebenfalls als
wirkung Mikro- und Makrokosmos.
Plasmazone, d. h. als Hades, zu deuten ist.
4. Wenn gesagt wird, jede Psyche erhalte nach
Weitere Kommentare zu dieser feinstofflichen
dem Tod einen Stern oder werde ein solcher,
Sternenkunde klären, wo sich diese Sterne befin­
ist das nicht im materiellen Sinne zu ver­
den, in die die Helden verwandelt wurden. Aristo­
stehen; der Stern steht für die Ätherzone, in
phanes sagt in einem Epigramm auf die vor Poti­
die jeder beim Tod notgedrungen eingeht,
daia Gefallenen:
denn jeder Held wie Mensch ist seinem Wesen
Der Aither nahm ihre Psychen, die Erde ihre nach Psyche, reiner Aither, bzw. hat Anteil an
Körper entgegen. (IG l 2) der Plasmainformation der Sterne. Der Plasma­
körper wird dementsprechend Astralleib Oat.
Ebenso sagt Euripides:
astra = Stern) genannt, weil er von den Infor­
Was aus der Erde entstand, kehrt zurück in die mationssamen der Sterne durchtränkt ist.
Erde; was der ätherischen Geburt entsprang, Statt den Begriff Plasma zu verwenden, be­
kehrt zurück zum Himmelsgewölbe. zieht man sich richtigerweise auf die Astral­
(Capel/e 1968, Chrysippos fr 839 N) sphäre, das Astrallicht usw.
Aphrodite fährt vom Meer zum Olymp, gezogen von Zephyros und Iris. Hinten folgt Hermes. Griechische
Terrakota-Plakette, Lk, Süditalien. Um 450 v. Chr.

Nun zu einer etwas komplizierteren Vorstellung. alle Informationen der durchwanderten Sterne
In der platonischen wie hermetischen Tradition und Planeten enthalten sind. Die sieben Sphären
(nachhellenischen Tradition, die sich auf Hermes beziehen sich auf die damals bekannten sieben
[ägypt. Thoth] bezieht) existiert die Vorstellung Himmelskörper unseres Sonnensystems, bzw.
eines Kosmos aus sieben (planetaren) Sphären deren plasmatische Spiegelbilder. Der absteigen­
(sphairos = Kugel). Die Psyche, bestehend aus de Geist saugt sich voll mit deren plasmatischen
Denken und Fühlen, falle wie eine Sternschnuppe Qualitäten und nimmt so die Archetypen dieser
durch diese Zonen hindurch, um schließlich die Planeten in sich auf, und zwar in folgender
Materie zu erreichen. Nous, der Geist, sei durch Reihenfolge:
den Zodiak (Milchstraße, die Sphären) hindurch • Saturn - Verstand (Intelligenz)
gefallen. Durch das Astral-Plasma des Zodiaks fällt • Jupiter - Praxis (des Verstandes)
der Geist hinunter in die Materie, wobei er sich • Mars - Kraft, Energie, Ausdauer
notgedrungen mit einem Plasma- oder „Psyche­ • Sonne - Gefühl, Vorstellung
wagen" verbindet, d. h. in jeder Stufe erhalten wir • Venus - Bewegung, Begierde
eine neue Hülle, die als leuchtende Aura, augoei­ • Merkur - Bewegung, Begierde
des genannt, den Körper überstrahlt und in der • Mond - Aktivität, Wachstum
63

D E R ÜBERHIMMLISCHE ORT
KENNTNIS DER RUNDEN ERDE

Den überhimmlischen Ort aber hat noch nie ein


Der Versuch der Primitivierung der Griechen
Dichter dieser Welt besungen, und es wird ihn
geht heute dahin, ihnen unterzuschieben, sie
auch nie einer würdig besingen.
hätten von der Erde nicht gewusst, dass sie
Phaidros 247
rund sei und im Himmelsraum schwebe. Tat­
Ein altes Wort: ,,Sie kommen von hier und weilen sache ist: alle alten Völker besaßen davon eine
dort und kommen wieder hierher zurück. " genaue Kenntnis, so auch die Griechen. Erst
Phaidon 70 im Mittelalter unter christlicher Verball­
hornung ging das alte Wissen verloren. Sokra­
Der Geist kann nicht beschrieben werden. Und tes sagt:
dennoch versucht der Mensch und ebenso Platon
. . . dass erstlich die Erde, wenn sie rund ist
ein verstandesmäßiges Bild des Oberjenseits zu
und sich in der Mitte des Himmelsraumes . . .
zeichnen, und das mit allen Künsten und Raffines­
befindet, weder der Luft noch einer anderen
sen an Redewendungen und Sinnbildern. Man
Stütze bedarf, um nicht zu fallen, sondern
könnte sagen, die Sprache vermittelt einen zu
dass die allseitige Gleichheit des Himmels
Worten geronnenen Abklatsch der Geistwelt; und
mit sich selbst und das eigene Gleichgewicht
der Mensch will seit Jahrtausenden darüber reden
der Erde genügen, um sie zu halten.
und sucht nach Bildern dieser jedoch unbeschreib­
(Phaidon 108)
lichen Welt. Nicht nur, dass die Sprache die eigen­
Und weiter über die Erde:
artige ätherische Physik nicht in Worte zwingen
kann, auch der Verstand - als Mischwesen zwi­ . . . dass sie etwas gewaltig Großes ist und
schen himmlischer Erfahrung und materieller dass wir vom Phasis bis zu den Säulen des
Körperlogik, wie Platon sagen würde - versagt Herakles nur in einem kleinen Teil von ihr
im Angesicht der Ätherphysik. wohnen, rings um das Meer, so wie Ameisen
Was, fragt Platon, kann im Menschen die jenseits­ und Frösche um einen Tümpel herum,
welt erblicken: während noch viele andere anderswo an
vielen ähnlichen Orten hausen.
Das farblose, formlose und stofflose wahrhaft
(Phaidon 108)
seiende Wesen, das einzig dem Führer der Seele,
Oder:
der Vernunft sichtbar ist. (Phaidros 247)
Die eigentliche Erde aber erhebt sich rein in
Ist wirklich die kausal-logische Vernunft des
den reinen Himmelsraum, wo die Sterne
Gehirns gemeint - nein. Gemeint ist eine geis­
sind und welchen die meisten, die von die­
tig-spirituelle Vernunft, eine Vernunft, die das
sen Dingen reden, Äther nennen.
reine Sein bereits erkannt hat.
(Phaidon 108)

DIE SCHICKSALSGÖTTINNEN
mit den Augen sehen. Seelen jedoch, sagt er, se­
Platons Universum ist sphärisch, sprich rund, hen das stoffliche Universum nicht, sie erfahren
daher kreisen die Fixsterne am Firmament, darin­ nur ein Modell davon. Dieses Modell nun stellt er
nen Planeten, Sonne und Mond. Das kann man sinnbildlich dar, nämlich als eine Spindel an einer
Diese Sphinx stand auf einer
12 Meter hohen Votivsäule auf der
Insel Naxos in der Ägäis und schaute
auf den Apollo-Tempel herab. Sie
stammt aus der Zeit 570-560 v. Chr.

• sensorische Ebene,

• Ätherebene (Astralebene), Reich der


Seelen, Dämonen, Halbgötter und Göt­
ter,

• Welt der Ideen, sie führt zum reinen


Licht, zum Guten.

ERI NNERUNG AN DEN


SEELENKOSMOS

jedes Wesen kennt aus eigener Erfahrung


bereits die Ätherdimension, nur vergisst es
sie, wenn sich seine Seele einen Körper
baut.

Denn wie gesagt, jede Seele eines Men­


schen hat schon von Natur aus das
Seiende geschaut; sonst wäre sie gar
nicht in dieses Lebewesen hineinge-
kommen. (Phaidros 250)
Achse. Diese Spindel ruht auf den Knien der Offenbar verdunkelt die Gehirnstruktur, die
Göttin Notwendigkeit; gedreht werde die Spindel Materiedichte, eine klare seelische Erinnerung an
von den drei Schicksalsgöttinnen: Clotho, Lache­ die Heimat der Seele. Dennoch, geht die Erinne­
sis und Atropos. rung nicht grundsätzlich verloren, sondern ist

Genauer gesagt: Das stoffliche Universum ebenso lediglich durch die Struktur der Materie, d. h.

wie das Ätheruniversum und die Seele gehorchen Festigkeit, Raum und Zeit und Kausalität sozu­

dem Gesetz des Schicksals, mit anderen Worten: sagen verfestigt oder geronnen. Vergessen ist sie

der Notwendigkeit. Das Drehen der Spindel ist nicht, sondern wird jetzt in den Kategorien und

nicht nur die Drehung des physischen Univer­ festen Vorstellungsbildern der Materie symbo­

sums, sondern viel mehr noch die „Drehung" un­ lisch erinnert.

seres Schicksalslaufs. Damit wird gesagt: alles im Denn von Gerechtigkeit und Besonnenheit und
Universum, Physisches, Feinstoffliches und Seeli­ allem, was sonst den Seelen ehrwürdig ist, fin­
sches, sind genauestens festgelegt, es gibt keine det sich in den Abbildern hiernieden kein Glanz;
Beliebigkeit. sondern durch trübe Organe schauen nur weni­
Platons Universum besteht aus drei Ebenen: ge mit Mühe die Herkunft des Nachgebildeten,
65

indem sie auf die Bilder zugehen. Die Schönheit aber war
damals herrlich anzusehen, als wir, zu einem glücklichen
Chor vereint, im Gefolge des Zeus und anderer mit einem
anderen Gotte den seligen und göttlichen Anblick schauten
und mit jener Weihe geweiht wurden, die man als die glück­
seligste bezeichnen darf.
Wer nun nicht neu geweiht oder wer verdorben ist, den zieht es
von hier nicht heftig dorthin, zu der Schönheit selbst. . .
(Phaidros 250)

Hier wird eindeutig bestimmt, dass Veranlagung die Ursache ist für
einen spirituellen Geist und dass diese erworben wurde.

Nicht jeder erkennt die Schönheit, erinnert sich daran. Wer sich
aber nicht erinnert, erkennt die Schönheit auch im Leben nicht.
Daher: Wer das Schöne nicht in den materiellen Formen erkennt,
hat auch keinen Zugang zu seiner eigenen Seele und versteht
auch nicht, dass es eine unabhängige Seele und eine ihr entspre­
chende Seelendimension gibt, er lehnt diese Dinge als Unfug ab,
blockiert so sich selbst.

Wer aber eben wieder geweiht ist und wer die damaligen Dinge
vielfach geschaut hat; wenn der ein gottähnliches Angesicht als ein
vollkommenes Abbild der Schönheit oder die (entsprechende) Er­
scheinung eines Leibes sieht, so erfasst ihn zuerst ein Schauder, und
es befällt ihn etwas von den Ängsten von damals. Dann aber blickt er
es (den schönen Gegenstand) an; er verehrt ihn wie
einen Gott, und wenn er nicht den Ruf eines über­
triebenen Wahnsinns fürchtete, würde er sei­
nem Liebling wie einem Bilde oder einem Gott
Opfer darbringen. Bei seinem Anblick aber be­
fällt ihn, wie nach einem Fieberschauer, eine Ver­
wandlung mit Schweißausbruch und ungewohnter
Hitze. Denn indem er die Ausströmung der Schönheit durch die
Augen aufnimmt, wird er durchwärmt, und dadurch wird das
Gefieder befeuchtet. Die Erwärmung aber bewirkt, dass um den

Oberteil einer Votivsäule, ein viel beachteter Kunstfund.


Diese Säule aus weißem griechischen Marmor war über
13 Meter hoch und wurde von den Athenern 335-325 v. Chr.
gestiftet. Das Werk stellt drei reizende tanzende Karai oben
auf einem breiten Kapitell dar, das mit Akanthusblättern
verziert ist.
66

Keim des Gefieders das wegschmilzt, was sich hemmen dadurch den Wachstumsdrang des Ge­
schon lange in Verhärtung um ihn zusammen­ fieders. Doch dieser, zusammen mit der Sehn­
geschlossen und ihn am Wachstum verhindert sucht eingeschlossen, klopft innen wie die Puls­
hat. Wenn ihm nun aber Nahrung zufließt, adern und stößt gegen den Ausgang, bei dem er
schwillt der Kiel der Federn und drängt, aus der sich gerade befindet, so dass die Seele ringsum
Wurzel hervorzuwachsen, an der ganzen Gestalt überall von den Stichen rasenden Schmerz emp­
der Seele; denn ehemals war sie ganz befiedert. findet; andererseits aber macht die Erinnerung
Dabei wallt und quillt alles an ihr auf, und was an den Schönen sie froh. Die Mischung dieser
für die Zahnenden die Schmerzen an ihren Zäh­ beiden Gefühle bewirkt, dass sich die Seele über
nen sind, wenn diese eben hervorwachsen: ein diesen widersinnigen Zustand quält und in ihrer
jucken und ein Unbehagen, genau dasselbe Hilflosigkeit rasend wird . . . (Phaidros 221)
empfindet die Seele dessen, dem das Gefieder
jeder kennt diesen Zustand von sich selbst, Platon
hervorzuwachsen beginnt: sie wallt auf, empfin­
hat das wunderbar beschrieben. Die Erfahrung
det ein Unbehagen und einen Juckreiz, wenn sie
des Schönen ist also die Pforte zur Erfahrung des
das Gefieder hervorbrechen lässt.
Schönen im jenseits. Wir müssen nur lernen, das
(Phaidros 220f)
Schöne nicht als irgendeinen Ausdruck des Irdi­
Wenn nun die Seele die Schönheit des Knaben schen zu sehen, sondern als Ausdruck des jen­
erblickt und die von dorther einfallenden und seitigen, das die irdischen Formen durchströmt.
herbeiströmenden Teilchen (mere) in sich auf­ Wer aber das Schöne im Dasein nicht erblicken
nimmt und dadurch befeuchtet wird (was man kann, wer keine Liebe spürt, dem verhärtet die
deshalb als Sehnsucht, himeros bezeichnet), so Seele, er stirbt ab, wird Materialist, verkümmert.
erholt sie sich von ihrem Schmerz und ist froh. Aber selbst wenn dieser Zustand eingetreten ist,
Bleibt sie aber einsam und trocknet aus, so ver­ bleibt immer noch die Sehnsucht. Sehnsucht
dorren die Enden der Ausgänge, wo das Gefie­ wird von Platon als das angeborene Wissen um
der durchstößt, schrumpfen zusammen und die Schönheit und Liebe des jenseits definiert. Das

Abbildung eines griechischen Mahls (Symposion) auf einer Kalksteintafel aus dem „Tauchergrab': das 1968
in der südlichen Nekropolis bei Paestum entdeckt wurde. Diese Freske stammt aus der Zeit um 480 v. Chr.
67

kann keine auch noch so verhärtete Seele Diese Skulptur einer Göttin stammt etwa aus
verdrängen. Nun äußert sich aber diese dem 6. jh. v. Chr. Sie wurde in der Nähe des
Sehnsucht nur noch durch dünne Poseidon-Tempe/s in Paestum gefunden.
Kanäle, und heraus kommt ein
spärliches Rinnsal kompensa­ Schöne des Seins als eine Spiegelung der

torischer Sehnsüchte, oft jenseitsschönheit erkennt.

umgedrehter perverser Wenn nun die besseren Kräfteder Seele,


oder kleinkarierter, eng­ die zu einer geordneten Lebensweise und
stirniger Gelüste. Sehnsucht degene­ zur Philosophie hinführen, die Oberhand
riert also zur Lust und zu neurotischen gewinnen, so verbringen sie schon hier
Ersatzhandlungen. Hier betreten wir ein glückseliges und einträchtiges
das dem Modernen bekannte Feld der Leben, da sie sich selbst beherrschen und ge­
Neurosen, die von Platon sicherlich als jenseits­ sittet sind, indem sie das in sich unterworfen haben,
schönheit definiert worden wären, eingeschnürt worin die Schlechtigkeit der Seele, das aber befreit
in enge Schuhe und Gamaschen, sodass nur noch haben, worin ihre Tüchtigkeit wohnte. Sterben sie
die Umkehrung der Sehnsucht in perverse Lüste aber, so haben sie, beflügelt und leicht geworden,
bestehen bleibt. Also: Schauen wir uns unsere in dem einen dieser drei wahrhaft olympischen
Hobbys und Lüste an, inwieweit können sie sich Kämpfe schon gesiegt, und das bedeutet ein Gut,
messen mit den weltmännischen Gesten des gött­ wie es kein größeres, weder menschliche Besonnen­
lichen Eros . . . heit, noch göttlicher Wahnsinn, einem Menschen
zu geben vermag. (Phaidros 228)
H I M M E L U N D H ÖLLE
H IMMEL EIN ZUCHTHAUS UNTER DER E RDE

Es gibt zwei Zustände nach dem Tod: Erstens das . . . wer ohne die Weihen und ungeheiligt in die
Glück des jenseitszustandes, das sich auch schon Unterwelt kommt, im Schlammstrom liegen
im Leben bemerkbar machen kann, sofern die muss, während der, der gereinigt und geweiht
Seele bereits beflügelt ist, sprich: sich jederzeit in dorthin kommt, bei den Göttern wohnen wird.
die Nachbarwelt erheben kann, indem sie das (Phaidon 69)
68

Wahrscheinlich handelt es sich um Herakles, der


in Begleitung des Hermes (links) Alkestis aus der
Unterwelt führt. Attische Vase, etwa 540 v. Chr.

bestimmte Stimmung versetze. Doch verändert


mein Gefühl nicht die materielle Umwelt, ich
sehe sie lediglich rosiger oder trüber. Im Äther
dagegen verändere ich auch meine Umwelt, ich
kann mir meinen Himmel trüb oder sonnig
gestalten, und sie verändert sich automatisch mit
meinen seelischen Einstellungen, weshalb die
Toten alle in ihren selbst gestrickten Welten
leben und lernen müssen, dass sie die Schöpfer
ihrer Umwelt sind.

DAS GERICHT

Der zweite Zustand nach dem Tod ist die Hölle


oder Unterwelt. Dorthin kommen die Guten, die Die anderen dagegen kommen, sobald sie ihr

Philosophen nicht mehr. erstes Leben beendet haben, vor Gericht, und
nach dem Urteilsspruch gehen die einen in die
Denn in die Finsternis und zum Gang unter die Zuchthäuser unter der Erde und verbüßen dort
Erde zu kommen, ist für die, die schon den ihre Strafe, während die anderen durch das Ge­
himmlischen Wandel angetreten haben, durch richt an einen himmlischen Ort erhoben werde n
das Gesetz nicht mehr bestimmt; sondern sie und dort ein Leben verbringen, das dem ent­
dürfen ein lichtes Leben führen und mit den spricht, das sie in der menschlichen Gestalt ge­
anderen selig dahinwandeln. . . (Phaidros 256) führt haben. Aber im tausendsten Jahre kom­

Ein echter Tod würde für die Schlechten viele men diese und jene zur Verlosung und zur Wahl

Vorteile haben. jeder Mensch hat einen Daimon, ihres zweiten Lebens, und da wählt dann ein

der ihn nach dem Tode zur Versammlung der jeder, welches er will. Dabei geht auch etwa eine

Toten führt und dann in den Hades bringt. Haben menschliche Seele in das Leben eines Tieres ein,

sie dort gelebt, bringt sie ein anderer Führer wie­ und aus einem Tier, wer früher ein Mensch

der hierher, aber nach großen Zeitabläufen. Es gewesen ist, wieder in einen Menschen. Aber

gibt viele Wege zum Hades, deshalb braucht man eine Seele, die niemals die Wahrheit geschaut

viele Führer, nicht einen. Die Seele, die an ihrem hat, kann auch nie in diese Gestalt eintreten.

Leib hängt, löst sich nur widerwillig vom Leben (Phaidros 249)
und der Physis, die andere Seele aber ist beruhigt Denn der Mensch muss gemäß dem, was man
und geht zielstrebig ihren Weg im jenseits. Idee nennt, Einsicht gewinnen, indem er von
Es heißt jede Idee hat ein eigenes Sein. jeder Ge­ den zahlreichen Wahrnehmungen zu dem
danke, den ich im jenseits habe, erschafft eine kommt, was durch die Überlegung zu einer Ein­
eigene Ätherwelt, so wie ich mich ja im Irdischen heit zusammengefasst wird. Das aber ist nichts
durch einen Gedanken oder ein Gefühl in eine anderes als die Wiedererinnerung an das, was
69

unsere Seele einst gesehen hat, als sie gemein­ Illustration William Blakes zu Dantes Hölle mit
sam mit dem Gott dahinfuhr, als sie auf das dem Bild des Kerberos.
herabsah, von dem wir nun sagen, dass es sei,
gen, ohne es zu wissen, sondern glauben uns auf
und als sie ihren Blick zu dem wahrhaft Seien­
der Oberfläche der Erde zu befinden, wie wenn
den emporhob. Deshalb ist es auch gerecht, dass
jemand auf dem Meeresgrunde wohnte und
einzig das Denken des Philosophen beflügelt
dabei die Überzeugung hätte, er wohne auf dem
wird; denn mit seiner Erinnerung ist er stets
Meere . . .
nach Kräften bei jenen Dingen, dank denen ein
Gott eben göttlich ist. . . (Phaidros 249) Deutung: Wir sehen, mit welch komplizierten
Metaphern Platon versucht, die Nachbardimen­
PLATONS VERSUCH DAS JENSEITS sion dem sprachorientierten Verstand zugänglich
ZU BESCH REIBEN zu machen - wie wir bemerken, ohne Erfolg. Die
Nachbardimension, der Ä ther, wird verglichen mit
Im Phaidon (108- 1 1 4) gibt Platon eine ausführ­
den Sternen, was nur verwirrt. Die Materiedimen­
liche Schilderung der Struktur des jenseits.
sion wird als eine Vertiefung innerhalb des Ä thers
Die eigentliche Erde aber erhebt sich rein in den beschrieben, was noch mehr verwirrt. Wasser,
reinen Himmelsraum, wo die Sterne sind und Nebel und Luft sollen vom Ä ther stammen, was
welchen die meisten, die von diesen Dingen unglaublich erscheint. Und in diesem Sinne meinte
reden, Äther nennen. Wasser, Nebel und Luft die bisherige Platonforschung diese Aussagen
aber sind der Niederschlag davon und fließen allesamt als mythologische Spielereien abtun zu
fortwährend in den Vertiefungen der Erde zu­ können. Die Tatsachen sehen jedoch anders aus.
sammen. Wir aber wohnen in ihren Vertiefun- Warten wir also ab.
WAH RER HIMMEL, WAH RES LICHT, blicken, und so wie hier die Fische, die aus dem
WAHRE ERDE Meere empor tauchen, unsere Welt sehen, so
würde er jene andere Welt erblicken. Und wenn
Gerade so ergeht es auch uns: wir wohnen in seine Natur stark genug wäre, diesen Anblick
einer der Vertiefungen der Erde und glauben da­ auszuhalten, dann würde er erkennen, dass dort
bei, auf ihrer Oberfläche zu wohnen, und die der wahre Himmel ist und das wahrhafte Licht
Luft nennen wir „Himmel", als wäre sie der und die wahre Erde.
Himmelsraum, durch den die Sterne wandeln.
Und es hat damit ganz dieselbe Bewandtnis; Deutung: Wie soll man die seelische Ä therwelt
wegen unserer Schwerfälligkeit und Schwäche sprachlich beschreiben? Schauen wir uns einmal
sind wir nicht imstande, bis an den äußersten physikalische Versuche an, etwa die Nicht-Zeit zu
Rand der Luft vorzudringen. Denn wenn je­ beschreiben, man versteht das, was dann niemand
mand auf ihre Oberfläche gelangte oder wenn mehr versteht, als höheres physikalisches Denken
er Flügel bekäme und hinauf fliegen könnte, und überlässt es den Eingeweihten. Es hat sich
dann würde er dort auftauchen und hinab- nichts geändert, weder Platon noch die moderne
Physik kann die Nachbarwelt, dieja eine seelische Rhea-Kybele und ihre Gefährten im Kampfmit dem
und keineswegs eine bloß physikalische ist, Giganten. Pergamonaltar, etwa 180- 1 60 v. Chr.
beschreiben.
daher zuerst eine Erklärung, damit wir im Gewirr
der Namen den Kopf sprichwörtlich über Wasser
D I E SEELENFLÜSSE behalten. Im Grunde ist seine Ansicht recht klar,
DES ÄTHE RUNIVERSUMS jedoch übermäßig sinnbildlich vorgeführt. Zu­
dem: Wer die Nah-Toderfahrung nicht außer­
Platon versucht im Phaidon (93-96), die Struk­ gewöhnlich detailliert kennt und nichts vom
tur des jenseits oder Äthers möglichst anschau­ Äther oder Plasma weiß, hat ohnehin keine Chan­
lich und volksnah darzustellen, erreicht aber das ce, Platon nur im Entferntesten zu begreifen.
genaue Gegenteil, wir verstehen rein gar nichts Literaturwissenschaftler, Graecologen etc. erhal­
mehr. Deshalb wurde Platons Schilderung der ten hier nicht die geringste Möglichkeit, Verständ­
Ätherflüsse als mythologische Spielerei abgetan. liches zu äußern - außer zu phantasieren, und
Bevor ich Platon zu Wort kommen lasse, gebe ich das wurde ausnahmslos praktiziert.
72

ÄTH ERWELT UND STOFFWELT

Ich beginne: Es gibt das Materieuniversum, und


dieses geht aus dem Ätheruniversum hervor. Der
Tradition folgend beschreibt Platon die Ätherwelt
als wässrig, nämlich in Gestalt von Flüssen, er
stellt also die altbekannte Überlieferung dar. Das
Wasser wurde in allen Kulturen verwendet, um
die Nachbardimension zu erläutern. Das ist je­
doch nichts Antiquiertes, weil auch alle moder­
nen Nah-Todreisenden den Totenfluss beschrei­
ben, ebenso alle Kulturen auf der ganzen Welt,
weil Wasser eben das ist, was der Beschreibung
des Zustandes im Äther und Totenreich am näch­
sten kommt. Die Charakterisierung des Toten­
reichs ist ja vor allem ein Sprachproblem, denn
wie will man etwas benennen, das es im Mate­
riellen nicht gibt? Die Ätherwelt umgibt die Ma­ Rundbasis der Säule mit eingehauenen Reliefs
terie und durchdringt sie an allen Punkten, ist so­ (etwa 325-300 v. Chr), gefunden an der südwest­
zusagen der subatomare Urstoff, auf dem unser lichen Ecke des Artemis-Tempels in Ephesus. Sie
Stoff schwimmt, modern ausgedrückt die sub­ zeigt den jungen geflügelten Thanatos (Tod), eine
atomare Quantenwelt. Andere Namen für den verhüllte Frau, Hermes Psychopompos (Begleiter
Äther sind Tartaros oder Unterwelt, beide abso­ der Seelen in die Unterwelt), eine stehende Frau
lut mit der Hölle vergleichbar. Der Tartaros wird und einen sitzenden Mann - die Götter der Unter­
als Ozean vorgestellt, als Vater aller Ätherflüsse. welt Persephone und Pluto (Hades). Die nächste
Wir haben genau genommen j etzt bereits vier Gestalt ist scheinbar Alkestis oder Euridike, die
Bezeichnungen für den Urstoff: Äther, Unterwelt, Frau des Orpheus.
Tartaros, Fluss! Der Äther oder Tartaros ist aber
nicht nur der Urstoff, sondern wahrhaft das Seeli­
sere vielen Seelenregungen dar. Man achte also
sche aller Lebewesen und Daseinsformen. In der
bei der Skizzierung der Flüsse auf ihre Strömung
Tat, und das kommt für viele, die darüber bislang
und ihre Namen, sie beziehen sich auf unsere
nicht nachgedacht haben, überraschend: Die
Seelenströmungen. Die Bezeichnungen für unsere
„subatomare" Unterwelt ist unser Seelisches!
Seele sind:
Wenn ich sterbe und sich meine Seele vom Kör­
per löst, bin ich nur meine Seele, ich schwimme Okeanos - Tartaros - Ä ther - Fluss -
also im Tartaros, in meinen Gefühlsflüssen. Platon Wind - Psyche - Unterwelt - Totenreich -
beschreibt demzufolge in Gestalt von Flüssen Hades - Plasma
unsere seelischen Gefühle, jene, die den Leibestod Bevor ich Platon weiter zu Wort kommen lasse,
überleben. Nun soll es aber verschiedene Flüsse zunächst ein kurze und klare Vorführung des In­
geben, Vater aller sei der Tartaros. Wenn der Tar­ halts: Es gibt die Materiewelt, die innerhalb des
taros, ganz allgemein gesprochen, unsere Seele Äthers liegt, so wie ein Ei im Nest. Materie ist das
und er ein Fluss ist, dann stellen viele Flüsse un- Kind des Äthers. Der Äther - das sind Seelen-
73

regungen ätherisch lebender Wesen aller Art. DIE ÄTHERDIMENSION


Äther ist wohlgemerkt Gedanken, Dinge und ERZEUGT DEN MATERIEKOSMOS

Gefühlsstoff, und dieser erschafft durch einen


ungenannten Vorgang die festen so genannten Sternhimmel
physischen Strukturen. Materie ist geronnener als Sinnbild des Äthers
Äther! Wenn Äther aber aus Seelenzuständen be­
steht, dann ist Materie geronnenes Seelengefühl! ÄTHER =

Platon unterscheidet zwischen unsrer Erde und


Tartaros, Hades, Unterwelt,
die Totenflüsse, Psyche
der „Wahren Erde". Wir lebten sinnbildlich ge­
sprochen im Innersten der Erde, sagt er, in der Air,
sprich Luft. Um uns herum befindet sich die
Materie als
äußere Erde, der Äther, die himmlische Luft, die
geronnener
„Wahre Erde". Die Erde besteht also nach Platons Ä ther
Meinung in Wahrheit erstens aus der Ätherhülle,
der besagten „Wahren Erde" und zweitens der „Vertiefung
materiellen Lufthülle und der materiellen Erde. des Ä thers"
Wir schauen demzufolge diesem Beispiel nach
von innen nach außen bzw. durch den Luftgürtel
der Erde hindurch und sehen dann die Innenseite Ä therwelt als Gefühlsstoff
der „Wahren Erde''. Genau gesagt sehen wir den
Sternenhimmel, der deshalb als Symbol für den ÄTHER =

,,Ä ußere Erde", „Wahre Erde",


jenseitshimmel steht. Hier haben wir deutlich den
„Himmlische Luft",
Ursprung unserer Vorstellung, dass der Himmel
jenseits
das Himmelsreich ist, aber dazu muss man eben
Platons verkomplizierte Darstellung genau
studieren. Platon sagt, in dem Versuch, anschau­ DIE SEELE ERZEUGT DEN KÖRPER
lich zu sein, wir lebten in „Vertiefungen" der
„Wahren Erde", des Äthers. Damit wird gesagt, im Gängen der Erde befinde sich ein noch größerer
allgemeinen Ä therfeld bilden sich ähnlich wie Strom, „der größte von allem, der ganz durch sie
Strudel im Wasser Materieverdichtungen. „hindurchgeht", Tartaros genannt. Platon sagt
damit klar, alle verschiedenen Ströme entsprin­
DIE BEWEGUNGSART DER STRÖ ME gen dem „Vater aller Ströme" als Unterspezies. Im
Tartaros fließen alle Ströme zusammen, und ihm
Diese Planeten, sprich: „Vertiefungen" seien unter­ entspringen sie. Sie fließen dann durch verschie­
einander durch Kanäle verbunden, durch diese dene „Vertiefungen", sprich Planeten, und nehmen
flössen Ströme mit Wasser oder Feuer, in anderen deren Eigenarten an. Der Tartaros, sagt Platon,
fließe Schlamm oder etwas wie Lava, mit der sich habe keinen Grund und Boden so wie ein irdischer
die „Vertiefungen", zu denen sie im Kreislauf Fluss, er sei in der Schwebe und bewege sich wie
fließen, füllen. Dieses Strömen der Flüsse unter­ eine Schaukel auf und ab, dadurch allein würden
liege einer Art Schaukelbewegung, die sich in der unsere Wasser und Lüfte bewegt. Es verhalte sich
Erde regelmäßig vollziehe, sie flössen also mal überhaupt wie beim Ein- und Ausatmen. Dadurch
vor-, mal rückwärts. Unter den Schlünden oder würden gewaltige Ströme verursacht.
74

Ich deute nun dieses Szenario: Der Tartaros be­ halte sie am Leben. Im Klartext: Gefühle und Ge­
steht aus den Gefühlen der Lebewesen. Ein ande­ danken erzeugen das materielle Weltall und zer­
rer Name für Tartaros ist Äther, Äther ist der Fein­ stören es auch wieder, dann etwa, wenn etwa die
stoff, aus dem unsere Gefühle und Gedanken be­ Seelen ihren Leib verlassen, der dann verfault. Nun
stehen. Gefühle und Gedanken sind nicht einfach spezifiziert Platon weiter: Die Äthergefühle oder
ein Nichts, sondern ein feinster Stoff, eine Ener­ Plasmagedanken bewegten sich wie Wind oder
gie, würde man heute populistisch sagen. Der Wasserwellen, und zwar wie ein Aus- und Einatmen.
Gefühlsäther, sagt Platon, gehe durch alle Materie Deshalb spricht Platon wie viele Kulturen vom
hindurch, durchdringe sie und baue sie damit auf, Wind. Psyche heißt Luft, Atem, Hauch, Wind. Ein
Vergleich, der dem „Gedankenwind" und der „Ge­
fühlsluft" recht nahe kommt. Unsere Gefühle also unterlägen
einem Rhythmus, einem Ein- und Ausatmen, genauer gesagt,
sie kommen und gehen, entfalten sich und verfallen wieder.

Eine andere Metapher, die Äthergefühle mit bekannten phy­


sischen Bildern darzustellen, ist das Feuer. Das Feuer ist ja so
fein, da und doch nicht da, eben wie der Äther. Das Feuer
steht für das feurige Gefühl, daher steht der Feuerfluss,
unser wildes Gefühl. Der Tartaros wird ja auch als
Ganzes als Ort des Feuers beschrieben, ebenso
wie die uns bekannte Hölle.

Aber auch Lava- oder Schlammflüsse werden


erwähnt. Und fließen unsere negativen Ge-
fühle nicht wie Schlamm dahin? Sind Gedanken
nicht häufig negativ und schmutzig? Platon also be­
schreibt mittels Wasser, Feuer, Luft und Schlamm Gefühle

Es teilt sich, heißt es nun, der Tartaros in vier große Strö­


me, dann schwappt das Wasser wieder in ihn zurück,
oder es schwappt in andere Welten oder andere in­
nere Welten. Wird der Tartaros als Wind oder Luft
beschrieben, dann soll er mal dahin, mal dorthin
wehen. Es gibt daher zwei Arten von Strömen, womit
es nun wieder kompliziert und unnachvollziehbar wird:
Die einen münden (etwas unterhalb, sagt Platon) entweder in
den Tartaros, wo sie ausgepumpt worden sind, oder aber auf
der entgegengesetzten Seite. Die anderen Ströme winden
sich wie Schlangen im Kreis um den Tartaros oder
E�����Dl:;e.,..,. den Äther oder die Wahre Erde. Die kreisför-

Buckliger Bettler, auf einem Felsen hockend.


Kleinbronze, spätes 3. Jahrhundert v. Chr.
75

mig fließenden Flüsse (sprich Gefühle) münden


entweder wieder dort, wo sie ausgetreten sind,
oder an der gegenüberliegenden Stelle tief unter­
halb ihrer Austrittsstelle wieder in den Tartaros.
Damit wird erklärt, dass unsere Gefühle immer
wieder zu sich selbst zurückfließen, bzw. im
Tartaros im allgemeinen Gefühlsfeld bleiben und
sich dort umherschlängeln oder wie der Atem
kommen und gehen, und in der Tat verhält es sich
so mit unseren Emotionen und Gedanken. Tarta­
ros ist kein separater Fluss, sondern ein Ober­
begriff für alle Gefühlsflüsse, ebenso wie Äther
oder der Begriff Hölle.

VIER GROSSE SEELEN STRÖ ME

Die genannten Flüsse beziehen sich auf Seelen­


regungen. Wenn seelische auf physische Flüsse
proj iziert werden, entsteht notgedrungen Ver­
wirrung, und genau das geschieht; Platons Text
ist diesbezüglich als ein Versuch zu sehen, Seelen­
gefühle plastisch zu beschreiben, aber man soll­
te den Ortsangaben und Strömungsrichtungen
Gustave Dort?: Acheron. Illustrative Gravierung zu
etc. eher keine allzu große Bedeutung beimessen.
Dante's Göttlichen Komödie.

ÜKEANOS (DER ALTE) erst durch andere einsame Gegenden zieht,


dann aber unterirdisch in den acherusischen See
Unter den vielen großen und verschiedenartigen mündet, wohin auch die Seelen der meisten
Strömen sind nun aber vier besonders zu nen­ Gestorbenen hingelangen. Dort bleiben diese
nen; der größte von ihnen, der auch am wei­ während einer bestimmten Zeit, die einen län­
testen im Kreise herum fließt, ist der so ge­ ger, die anderen weniger lang, und werden dann
nannte Okeanos. (Phaidon 108- 1 14) wieder zur Geburt neuer Lebewesen empor ge­

Der Okeanos ist das größte Wasser, er fließt im sandt. . . So hat die Natur dies angeordnet. Wenn

weitesten Kreise um die Wahre Erde bzw. ist de­ nun die Gestorbenen an den Ort gelangen,

ren weitester Kreis, bzw. ist Okeanos ein anderes wohin einen jeden sein Daimon führt, dann wird

allgemeines Wort für Tartaros, Äther oder Seele. zuerst Gericht über sie gehalten, über die,

Davon leitet sich unser Begriff Ozean ab. welche gut und fromm, und auch über die,
welche nicht so gelebt haben. Deren Lebens­
ACH E RON QAMMERFLUSS) wandel als mittelmäßig befunden wird, nehmen
ihren Weg zum Acheron, besteigen die Schiffe,
Diesem (dem Okeanos) gegenüber strömt in die für sie bereit sind, und gelangen mit diesem
entgegengesetzter Richtung der Acheron, der zum See. Dort wohnen sie, und wenn sie sich
76

gereinigt und für ihre Sünden gebüßt haben, Totenreich. (Man erinnere: Der Storch als Seelen­
werden sie erlöst, wenn einer etwas Ungerech­ vogel holt nach altem Volksglauben die Kinder
tes begangen hat; für ihre guten Werke aber aus dem Teich; Seele leitet sich ab von See, weil sie
werden sie belohnt, ein jeder nach seinem Ver­ wässrig ist. Und: Beim Tod tauchen die Seelen oft
dienst. (Phaidon 108- 1 14) zurück ins Wasser. Apropos: der keltische Name

Dem Okeanos gegenüber und in entgegengesetz­ für Fluss ist Ach ! Hunderte von Flussnamen im

ter Richtung strömt der Acheron. Der Acheron Deutschen enden auf „ach". Der Ausruf „ach!" be­

mündet im acherusischen See, in den auch die zieht sich auf Kummer und Jammer). Der Acheron

Seelen der Gestorbenen kommen. Aus dieser Be­ gilt als der Fluss seelischen Leidens und Jammers.

merkung ersehen wir erneut, dass es sich bei die­ Die Toten steigen nach griechischer Vorstellung
sen Flüssen und Seen um feinstofflich-ätherische am Acheron in Schiffe, um zum acherusischen
Seelenströmungen und nicht um Flüsse im mate­ See zu gelangen, wo sie dann wohnen. Aber nur
riellen Sinn handelt. Das Wort Strom ist eine jene, die einen mittelmäßigen Lebenslauf hatten.
Metapher für mentale Zustände oder Schwingun­ Dort müssen sie sich von schlechten Taten reini­
gen, denn auch Gefühle strömen. Der acheru­ gen, für die guten werden sie belohnt. Die ganz
sische See ist der Aufenthaltsort der Toten, von Bösen landen im Tartaros. Doch müssen auch sie
dem aus sie wieder auf unserer nicht ewig dort bleiben, die Strömung führt sie
Erde geboren werden, zum acherusischen See, wo Mörder ihre Opfer
sprich: das klassische um Vergebung bitten können. Nur wenn die
Opfer sie erhören, werden sie aus dem Tartaros
erlöst. Sie werden also immer wieder von der
ebbe- und flutartigen Woge hin und her getragen,
bis sie Erlösung finden. Im Totenreich befinden
wir uns also in unseren ureigensten Gefühlen,
denn nur das ist es, was von uns übrig bleibt,
was sonst. Erlöst werden wir offenbar nur
von unseren seelischen Verstrickungen,
wenn wir sie erkennen, sprich: unseren
Feinden vergeben und unseren Opfern
ebenfalls, genauer gesagt, wenn wir den
77

Gesamtplan unseres irdischen Tuns überblicken zwischen den beiden genannten und ergießt sich
und nun einschätzen können, welche Auswirkun­ in ein mit Feuer gefülltes Becken. Ein Feuerstrom
gen unsere Taten und Gedanken hatten. Anderen fürwahr ist das. Oder ein See mit kochendem
verzeihen kann ja nur heißen, dass wir die schick­ Wasser und Schlamm. Er bewegt sich in seiner
salsmäßigen H intergründe unseres einstigen Tuns Bahn auch zum Ende des acherusischen Sees, bil­
verstehen, und das tun wir in der Tat im Toten­ det offenbar eine U mgrenzung des Totenreichs.
reich, denn unsere vergangenen Leben, die Wieder­ Dabei vermischt er sich jedoch nicht mit diesem.
erinnerung, dämmert herauf und damit all unsere Ein wichtiger Hinweis. Der Acheron ist nur für re­
Verbindungen mit und Abhängigkeiten von ande­ lativ milde Seelenleiden zuständig, der Pyriphle­
ren Wesen. Es treffen sich offenbar die Wesen im gethon für schwerwiegende, denn er brennt
Totenreich und besprechen ihre Abhängigkeiten, schon, das Leiden brennt schon! Der Seelenfeuer
genauer gesagt erkennen sie den Gesamtplan, speiende Pyriphlegethon mündet im Leidenssee!
dem sie unterliegen. Ein rein höfliches Vergeben Beide Ströme sind natürlich verbunden.
gibt es im jenseits nicht, alles basiert auf der
Logik der Erkenntnis, der Erkenntnis des Schick­ KOKYfOS
sals! Ursache der Erkenntnis im Totenreich ist die
Wiedererinnerung, die ja Platon deshalb zu seiner Diesem wiederum gegenüber entspringt der

wichtigsten Lehre gemacht hat. vierte Fluss. Er stürzt sich zuerst, erzählt man,
in eine furchtbare und wilde Gegend, die eine

PYRI PH LEGETH O N !azurblaue Farbe hat und die man die stygische
nennt; der See aber, den der einfallende Fluss
Der dritte Fluss aber entspringt mitten zwischen bildet, heißt Styx. Nachdem er aber hier hinein­
diesen beiden und ergießt sich nicht weit von gestürzt und in seinem Wasser gewaltige Kräfte
seinem Ursprung in ein großes, mit Feuer gefüll­ gewonnen hat, versinkt er unter die Erde, fließt
tes Becken und bildet dort einen See, größer als darauf in gewundenem Lauf in umgekehrter
bei uns das Meer, kochend von Wasser und Richtung zum Pyriphlegethon weiter und be­
Schlamm. Von dort setzt er trübe und schlam­ gegnet ihm dann wieder von der entgegen­
mig seinen kreisenden Lauf fort und gelangt in gesetzten Seite her am acherusischen See. Und
seinen Windungen um die Erde da- und dorthin auch sein Wasser vermischt sich mit keinem
und so auch an das äußerste Ende des acherusi­ anderen, sondern er fließt ringsum und mündet
schen Sees, ohne sich aber mit dessen Wasser zu dem Pyriphlegethon gegenüber in den Tartaros.
vermischen. Nach vielen Windungen unter der Sein Name aber ist, wie die Dichter sagen, Ko­
Erde mündet er dann aber weiter unten in den kytos. (Phaidon 108- 1 14)
Tartaros. Diesen Fluss aber nennt man den Pyri­
phlegethon, und wo auf der Erde Lavaströme
ATMET D ER ÄTHER?
ausbrechen, da sprühen sie Stücke von ihm
herauf. (Phaidon 108- 1 14)
Interessant ist nun zu erwägen, warum die Flüs­
se als kreisförmig fließend beschrieben werden
und einer einer Schaukelbewegung vergleichba-

Sterbender Gallier. Römische Marmorkopie eines hellenischen Bronzeoriginals


vom Denkmal Attalo /. Vorbild 230-220 v. Chr.
78

,
/.

Sterbender Kämpfer. Die Eckstatue aus dem östlichen Fronton des Apha­
ios-Tempe/s auf der Insel Aigina Um 490 v. Chr. Gegenüber: Detail des Ge­
sichtes eines anderen Kämpfers.

ren Ebbe und Flut unterliegen. Wird damit auf tiefungen (auf der Oberfläche) rings um sie
unsere Seelenbewegungen hingewiesen, die ja herum zahlreiche Örtlichkeiten. Die einen sind
auch strömen und fließen, immer neu aufwallen tiefer und ausgedehnter als die Höhlung, in der
und sich wieder beruhigen? Es heißt ja auch, diese wir wohnen, die anderen zwar tiefer, aber mit
Bewegung sei wie Ein- und Ausatmen. In der Tat einer engeren Öffnung als unser Ort; schließlich
leben wir nur, weil wir atmen, hört dies auf, ster­ gibt es noch solche, die weniger tief sind als die
ben wir sofort. Die Seele wird also als einem unsrigen, und auch breiter. Diese alle aber sind
Rhythmus gehorchend verstanden, der sich phy­ unter der Erde vielfach durch bald engere, bald
sisch als Atembewegung, seelisch als aktive und weitere Gänge miteinander verbunden und
passive Phase darstellt. Psyche heißt Luft, Atem, haben Durchlässe, durch die von einem zum an­
Hauch. Eigentlich atmet unsere Seele, stellt sich deren viel Wasser fließt, so wie in Mischkrüge.
dies als physische Atmung dar? Ist die Atmung Und gewaltige, nie versiegende Ströme fließen
ein Echo psychischer Atmung? Nun wird in allen unter der Erde, bald mit warmem, bald mit kal­
alten Kulturen der Atem als physisches Spiegel­ tem Wasser, und viel Feuer und mächtige Feuer­
bild plasmatisch-ätherischer Atmung verstanden. ströme. Und in großer Zahl auch solche, die
Atmet also der Äther? Atmet der Feinstoff der flüssigen Schlamm, teils reineren, teils wieder
Seele? schmutzigeren, mit sich führen, wie die
Schlammströme, die in Sizilien der Lava vor­
Hier Platons Text zum atmenden Äther:
angehen, und wie die Lava selbst. Durch diese
So also ist die ganze Erde und das, was um sie werden dann jeweils die Räume ausgefüllt, zu
herum ist, von Natur beschaffen. In ihrem Inne­ welchen sie der Kreislauf gerade bringt. Das
ren aber finden sich, entsprechend ihren Ver- Ganze aber bewegt sich auf und ab, wie wenn
eine Art Schaukel in der Erde wäre. Die Bewegung dieser Schau­
kel beruht ungefähr auf folgender natürlicher Ursache: unter
den Schlünden der Erde ist einer, der größte von allen, der
ganz durch diese hindurchgeht. Diesen meint Homer,
wenn er sagt: Fern, wo der tiefste Schlund sich findet
unter der Erde. An anderer Stelle hat er ihn mit vielen
anderen Dichtern ,Tartaros' genannt. In diesem
Schlund fließen alle Ströme zusammen, und ihm
entströmen sie auch wieder; und alle nehmen die
Beschaffenheit des Erdbodens an, durch den sie
fließen. Dass sie aber alle von dort ausfließen und
nachher wieder dort einströmen, das hat seinen
Grund darin, dass dieses Gewässer keinen Grund
und Boden hat. So bleibt es denn in der Schwebe
und bewegt sich auf und ab, und die Luft und der
Wind um es herum tun dasselbe; denn sie folgen
ihm, ob es sich nach der anderen Seite der Erde
bewegt oder nach der unsrigen hin. Wie beim
Atmen die Luft fortwährend aus- und wieder ein­
strömt, so erregt dort die Luft, die sich mit dem
Wasser auf und ab bewegt, bei ihrem Aus- und Ein­
strömen heftige und ungeheure Stürme. Wenn nun
das Wasser in den Raum zurückströmt, den wir
mit ,unten' bezeichnen, dann fließt es durch die
Erde hindurch in die Gänge der Ströme und füllt
sie aus, wie wenn man Wasser hineinpumpt.
Wenn es aber von dort wieder zurücktritt und
sich zu uns hin bewegt, dann füllt es wieder die
Gänge aus, die sich hier befinden, und strömt durch
die Kanäle und durch die Erde und gelangt an die
Orte, wohin ihm jedes Mal der Weg gebahnt ist,
und bildet Meere und Seen und Flüsse und Quel­
len. Von hier aus dringen dann diese Gewässer
wieder unter die Erde; und nachdem die einen
größere und mehr, die anderen weniger und kür­
zere Räume durchflossen haben, münden sie
wieder in den Tartaros ein, die einen weit, die
anderen aber wenig unterhalb der Stelle, wo sie
herausgepumpt worden waren; doch fließen alle
unterhalb ihrer Austrittsstelle wieder ein. Bei
einem Teil von ihnen geschieht das auf der ent­
gegengesetzten, bei einem anderen Teil aber auf der
80

W ---

Gewalt angewendet, ihr weiteres Leben dann


aber in Reue verbracht haben, oder die auf ähn­
liche Art zu Mördern geworden sind: diese müs­
sen zwar ebenfalls in den Tartaros gestürzt wer­
den; sind sie aber ein Jahr lang dort gewesen,
dann wirft sie die Woge wieder aus, die Mörder
in den Kokytos, wer sich an Vater oder Mutter
vergangen hat, in den Pyriphlegeton. Wenn sie
dann in die Nähe des acherusischen Sees getra­
gen werden, beginnen sie zu schreien und rufen
nach denen, die sie umgebracht oder misshan­
delt haben, und wenn sie dann diese herbei­
gerufen haben, so flehen sie sie an und bitten sie,
sie möchten sie in den See aussteigen lassen und
sie aufnehmen. Wenn sie sie dazu bewegen kön­
nen, so steigen sie heraus und werden von ihren
Uroboros, die Weltschlange, die sich in den
Schwanz beißt. Sinnbild des die Materie um­ Leiden befreit, andernfalls trägt sie die Strömung
gebenden Ä thers. Claude Paradin, Les Devises wieder in den Tartaros und von dort wieder in
Heroiques, 1556. die Flüsse. Und dieses Geschick müssen sie so
lange erleiden, bis sie bei ihren Opfern Erhörung

gleichen Seite, wo sie ausgetreten waren. Doch finden; das ist die Strafe, die ihnen von den Rich­

gibt es auch solche, die rings im Kreise ganz her­ tern auferlegt ist. (Phaidon 108- 1 14).
umziehen und sich ein- oder auch mehrmals wie Sokrates zitiert im Phaidon Homer, der den tief­
Schlangen um die Erde herum winden und dann sten Schlund unter der Erde Tartaros nennt. Dann
möglichst tief unten wieder einströmen. Auf bei­ erwähnt Sokrates einer alten Überlieferung ent­
den Seiten können sie sich aber bis zur Mitte der sprechend die vier besagten Ströme, die ebenfalls
Erde hinabsenken, weiter nicht; denn beider­ „unter der Erde" im Tartaros fließen. Der Begriff
seits geht dann der Weg für die Strömungen Tartaros bezieht sich nicht auf einen Fluss, son­
wieder aufwärts. (Phaidon 1 1 1) dern ist ein Überbegriff für alle Flüsse. Wenn von
„unter der Erde" gesprochen wird, ist, wie wir

DER TARTAROS wissen, nicht unter unseren Füßen gemeint, son­


dern die Ätherwelt. Und offenbar halten sich un­
Doch wer wegen der Größe seiner Verfehlungen sere seelisch negativen Seelenzustände, die sich ja
als unheilbar befunden wird, weil er große Tempel­ dadurch auszeichnen, dass sie sich nicht von der
räubereien oder zahlreiche ungerechte und Materiewelt gelöst haben, in der Ätherwelt
gesetzwidrige Mordtaten oder andere derartige „räumlich" genau dort, auf - also in der Erde. Es
Verbrechen begangen hat - diese wirft das ge­ sind erdgebundene Seelen, würde der Okkultis­
rechte Schicksal in den Tartaros, von wo sie nie mus sagen. Wir können mit Sokrates kategorisch
wieder heraufkommen. Die aber, deren Ver­ behaupten: Negative Äthergefühle leben in der
brechen zwar als groß, aber doch als heilbar be­ Nähe des Irdischen, aber auf feinstofflichem Ni­
funden werden, indem sie zum Beispiel im Zorn veau, nicht wie bisher hohlköpfige Deutungen
gegen ihren Vater oder gegen ihre Mutter annahmen, im physischen Innern der Erde. Diese
81

wurde von Platon doch lediglich als anschauli­ Die Guten erhalten ihre Wohnungen oberhalb der
ches Sinnbild verwendet, aber es kann natürlich Erde, die sich aber durch Philosophie ganz geläu­
keinen Eingang in den Äther durch eine unter­ tert haben, also dem Körperlosen und Ewigen
irdische Höhle, wie so oft dargestellt, geben, was gewidmet haben, kommen zu Wohnsitzen, die
jeder weiß und absurd ist, aber bei den Einwei­ nicht zu beschreiben sind. Das sind die, die sich
hungsmysterien zum Beispiel kann eine echte der Philosophie verschrieben haben, sie kommen
unterirdische Höhle sehr wohl helfen, dass sich in wunderbare, angeblich nicht zu beschreibende
die Seele durch die aufkommende Ruhe und das Orte über der Erde, wie wir heute christlich sagen
Geheimnisvolle vom Körper ablöst und in die würden: in den Himmel.
Ätherwelt „fliegt"!
DAS I NNERE GERICHT
DIE GUTEN
jeder Gestorbene wird nun von seinem Führer
Welche aber in ihrem Lebenswandel als beson­ oder seinem eigenen Daimon (seiner Seele) zum
ders heilig befunden werden, die bleiben von Gericht geführt. Gemeint ist das aus der Todes­
diesen unterirdischen Orten verschont und wie erfahrung hinlänglich bekannte Innere Gericht,
aus Kerkern entlassen; sie fahren auf zu jener der Lebensrückblick oder Schicksalsüberblick.
reinen Stätte und erhalten ihre Wohnungen Die mit mittelmäßigem Lebenswandel gehen
über der Erde. Aber die unter ihnen, die sich zum Acheron, besteigen die Schiffe und gelangen
durch die Philosophie genügend geläutert ha­ zum See und wohnen dort, haben sie sich von
ben, leben körperlos in alle Ewigkeit und bekom­ ihren Sünden gereinigt, werden sie vom Leiden
men noch herrlichere Wohnsitze als jene; die zu erlöst, für die guten Werke werden sie belohnt,
beschreiben ist nicht leicht, und jetzt reicht auch natürlich nicht mit physischen Geschenken, son­
die Zeit nicht mehr dazu. (Phaidon 108- 1 14) dern mit Erkenntnis, eben jenem Gesamtüber­
blick über das eigene Schicksal und seiner Ver­
Modell des Hades. Das Plasma sei feucht und bindung zu anderen Leben, so dass man sich dann
wässrig, sagen alle Traditionen; es wird daher im als viele Male Wiedergeborener erkennt, die
algemeinen als Fluss erfahren, welchen man Wiedergeburten aber verbindet ein Schicksalsfa­
durchqueren muss. Das Plasma ist das Spiegelbild
den, der in jedem Leben neu aufgenommen und
unserer Gefühle. Diese Gefühle personifizierten die
Griechen als Flüsse. Das Plasma umgibt die Erde, an dem weitergestrickt wird. Mit dieser Erkennt­
weshalb die Flüsse die Erde umkreisend dargestellt nis allein beginnt echte Selbsterkenntnis.
wurden.
SCHLUSS

Daß freilich alles genau so sei, wie ich es geschil­


dert habe, das dürfte ein verständiger Mensch
wohl nicht behaupten. Dass sich aber die Sache
mit unseren Seelen und mit ihren Wohnsitzen
so oder doch ähnlich verhält, das dürfte, da ja
unsere Seele ohne allen Zweifel unsterblich ist,
ein berechtigter Glaube sein und wert, dass man
es wagt, sich ihn zu eigen zu machen.
(Phaidon 1 14)
82

DIE URFORMEN RUH E N I M ÄTH E R bemüht, seine philosophische Grundidee dem


Menschen nahe zu bringen, was für zwei Jahrtau­
DIE ÄTHERISCHE URFORM sende Missverständnisse sorgte. Wenn ich eine
Blume betrachte, die ja leicht das Schöne enthüllt,
Alles Schlechte, Böse und Unschöne ist nach Pla­ erfahre ich bei sehr langem Hinschauen etwas, das
ton nur eine mehr oder minder entartete Form über die individuelle Blume hinausgeht, ich erfah­
der „guten Form". Goethe sah Ideen mit den re die Blume an sich, die Urform oder Idee der
Augen. Blume. Wer das nicht erfahren hat, empfindet die­
Die Urformen (Archetypen) erzeugen die mate­ se Aussagen als abstrakt, aber das ist sein Problem.
riellen Formen. Der Äther erzeugt meinen Körper. Die Urformen aber, die nur durch Schau, durch
Die Psyche erzeugt meinen Körper. Es gibt daher künstlerischen Blick, Intuition und Erstaunen,
von jeder materiellen Form eine Ätherurform, von letztendlich durch seltene Lebensaugenblicke, in
Platon Idee genannt. Deshalb gibt es auch eine denen sich das Sein auf einen Punkt zusammen­
Idee des Pferdes, die man natürlich nur seelisch zieht, erlebt werden, sind keine materiellen For­
erfahren kann, nie physisch. Antisthenes Vorwurf men, eigentlich gar keine Formen, sondern ge­
an Platon „Ich sehe nur ein Pferd, keine Pferdheit" dankliche Ideen, Gefühlskomplexe, die ihre Grund­
ist zunächst verständlich, aber dem Schauenden, lage im Ätherfeld haben, denn Gedanken und Ge­
der das Wunder des Seins in allen Dingen und fühl sind Eigenarten des Äthers, nicht des Stoffs.
Erscheinungen erfahren kann, sind Platons Urfor­
men sonnenklar. Allerdings hat sich Platon wenig URFORMEN S I N D VOR DER GEBURT DA

Platon nennt die allgemeinen Begriffe „reine For­


men", Ideai oder Eide, woher der Begriff „Idee"
stammt. Eide sind die Grundformen, was
die Menschen daraus machen, sind un­
vollkommene sinnliche Ab- oder Spiegel­
bilder. Platon schlussfolgert, dass wir sie
schon vor unserer Geburt erhalten haben.
Sie sind ein der Seele angeborenes Wissen,
wohl weil die Seele nur in reinen Formen er­
fahren kann, weil sie nicht vom Körperlichen ver­
dunkelt ist.

GEDA N KE N U N D BEGRIFFE
ALS A B B I LDER DER URFORMEN .

Platon betont die große Bedeutung des Denkens. Denken arbeitet mit
Gedanken oder Ideen, griech. Idea Ein Begriff fasst alles zusammen, was
sich in der Sinneswahrnehmung als vielfältig darstellt. Ein Begriff

Bronzestatue der etruskischen Göttin der Unterwelt Vanth Kampanien,


etwa 400 v. Chr.
83

Die Göttin Demeter ist abgebildet, wie sie sich mit


der Rechten das Kinn stützt. In der griechischen Kunst
war das die traditionelle Geste für Trauer. Sie ist be­
trübt, denn der Gott der Unterwelt, Hades, hat ihre
Tochter Persephone in sein Reich entführt. In der
linken Hand trägt sie eine Fackel, das Symbol der
eleusinischen Mysterien, deren Patronin sie war.

zentriert und führt die Vielfaltswelt der Sinne zur


Einheit. Platon nennt dies eine Idee, womit er aber
nicht einen Gedankeneinfall meint, sondern die
Rückführung vieler Einzelheiten auf einen ge­
meinsamen Ursprung, den inneren Kern, die Ur­
form, den Archetypus einer Sache. In Begriffen ist
all das zusammengefasst, was in den Sinneswahr­
nehmungen enthalten ist.

Verstandesbegriffe sind nach Platon jedoch nicht


reiner Intellekt, wie das heute gerne gedeutet wer­
den möchte, sondern Erinnerungen an das, was
die Seele einst im jenseits schaute, denn im jen­
seits stellen sich einem die Verbindungen und
Gemeinsamkeiten der Erscheinungen deutlicher E RKENNTNIS DER URFORMEN
dar als im Leben, wo jedes Ding und jede Welt­
bewegung für sich alleine zu stehen scheint. I m Platon sagt:
Jenseits besteht also unsere größte Erfahrung da­ Wer. . . jenes Schöne an sich zu schauen beginnt,
rin, die Vielfalt als Einheit zu erkennen. Und wenn der dürfte wohl schlechthin an das Ziel rühren.
wir uns daran im Leben erinnern können, drückt So ist die Aufgabe des Lebens Läuterung und
sich das im Denken in der Entwicklung großer, Vergeistigung. . . (Spätdialoge II)
abstrakter Begriffe aus. Deshalb stehen Begriffe
bei Platon an allerhöchster Stelle. Es geht in allen Tätigkeiten des Lebens allein und
zentral darum, die hinter der Vielfalt stehenden
Es geht im Leben also darum, sich daran zu erin­
Urformen oder Ideen oder ätherischen Gesetze zu
nern, was man im Jenseits gesehen hat, um das
erkennen, allein das ist Wissenschaft nach Platon.
Diesseits richtig einzuschätzen und um richtig
Dies aber ist nur möglich, sofern ich mich an
handeln zu können. Im Phaidon wird dargestellt:
meinen Aufenthalt im Totenreich erinnere. Wieder­
Alles Lernen ist Wiedererinnerung ans jenseits!
erinnerung ist daher der wichtigste Begriff zum
Wiedererinnerung heißt griechisch Anamnesis.
Verständnis der Wahren Welt.
Platon glaubt, die menschliche Seele trage etwas
vom Seienden in sich, sie erkenne hier in der Sin­
DIE U RFORM IST DIE WEISHEIT
neswelt etwas von Wahrheit und Schönheit und
Gerechtigkeit, das ist Anamnesis, Erinnerung an Philosophie ist das Ähnlicherwerden mit Gott,
Früheres, als sie mit dem Göttlichen vereint war. soweit dies möglich ist. (Theaitetos 1 76)
84

Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, und Weisheit noch nicht verwirklicht sind oder sich erst später
heißt, den Urformen des jenseits und dem Demi­ verwirklichen, also alles was in der Vergangenheit
urgen immer näher zu kommen, sie zu verkör­ da war, in der Gegenwart ist und in der Zukunft
pern, zu erkennen, dass ,,Alles mit Allem" verknüpf­ sein wird, einfach deshalb, weil es keine Zeit i m
bar ist, ist der Grundsatz spiritueller Erkenntnis. Ätherreich gibt, d i e dort auf einen Punkt zu­
Das Göttliche ist also das Alles in Allem, was heißt, sammenschnellt. Hinzu kommt das potentiell
es gibt eine Einheit aller Vielfalt, eine höchste Ur­ unendliche Angebot a n Kombinationsmöglich­
form, keine Vielfalt, das ist menschlicher Irrtum. keiten aller Fakten. Während sich im Materiellen
nur wenige Kombinationen erfüllen, ruhen im
DER HADES - DER REICHTUM Äther gleichsam alle denkbaren Kombinationen,
DES ÄTHERS denn alles ist erlaubt und möglich. Es entfaltet
sich - und das ist wichtig zu begreifen - in der
Was ist eigentlich der Hades? Das jenseits! Sokra­ Materie nur eine kleine Zahl der möglichen Wel­
tes beantwortet das und sagt, wer einwal im jen­ ten, die der Äther anzubieten hat. Wer dagegen ins
seits war, wolle nicht mehr zurückkehren, weil es jenseits eintritt, wird überflutet von Vielfalt, von
dort so schön und der Reichtum unendlich sei: plutonischem Reichtum, und das ist der Hades,
das Totenreich!
. . . dass eben aus diesem Grunde niemand aus
dem jenseits wieder zurückkehren will, sogar die
DER KÖRPER ALS S PI EGELBILD
Sirenen nicht, sondern dass sie und auch alle an­
DER S EELE
deren durch einen Zauber dort festgehalten wer­
den: so schöne Reden weiß offenbar Hades zu Sokrates:
halten, und, wie sich aus dieser Beweisführung
ergibt, ist dieser Gott ein vollkommener Sophist . . . Einige Leute behaupten, der Leib sei das Grab­

und ein großer Wohltäter derer, die bei ihm woh­ mal (sema) der Seele, worin sie nun in diesem

nen, der, der ja auch den Menschen hier so große Leben begraben sei. Und weil die Seele anderer­

Güter heraufschickt; solch großen Überfluss hat seits durch den Leib das zum Ausdruck bringt,

er dort, und davon bekam er den Namen Pluton was sie ausdrücken will, werde er auch deshalb

(der Reiche). Und dass er ferner nichts mit den mit Recht Zeichen (sema) genannt . . . Und, wie

Menschen zu tun haben will, die noch über ihren der Name sagt, sei er nun also das Behältnis

Leib verfügen, sondern dass er erst dort mit (soma) der Seele, bis sie die geschuldete Strafe

ihnen zusammenkommen will, wenn die Seele abverdient hat, und man dürfe da gar keinen

von all den leiblichen Übeln und Begierden ge­ Buchstaben verändern. (Kraty/os 400)
reinigt ist. . . (Kratylos 403)
Der Körper ist das Grab der Seele, das ist ein
Hades ist der Reichtum, der ätherische, der zur wahres Bild. Dass nun aber der Körper die indivi­
Vielfalt und zum gigantischen materiellen Ange­ duellen Seeleneigenschaften ganz zum Ausdruck
bot an Möglichkeiten, Lebensformen, Schicksals­ bringen soll, was auf eine Physiognomie und Aus­
läufen führt. Dieser Reichtum ist im jenseits offen­ druckskunde hinausläuft, ist erstaunlich, aber eine
sichtlicher als hier. Es ruhen im Ätherreich der alte Vorstellung. Und wie könnte es anders sein.
Weltseele offenbar nicht nur alle. Urformen der Die ätherische Seele strukturiert unseren Körper,
materiellen Wesen und Dinge, sondern wohl auch sie ist die Matrix (= Mutter) des Materiellen. Wie
alle potentiellen Möglichkeiten, die im materiellen das nun genetisch genau funktioniert, darüber
85

gerückt, wurden gar kritisiert oder lächerlich ge­


macht. Da sie offenbar nicht mehr zu sehen
waren, gerieten sie immer mehr zu philosophi­
schen Konzepten, verkamen zu mythologischen
Gestalten und Naturgesetzen.

Kritias erzählt über die Götter:

Sie zogen uns auf als ihren Besitz und als ihre
Pfleglinge, freilich mit dem Unterschied, dass sie
dabei gegen die Leiber nicht leibliche Gewalt an­
wendeten, so wie die Hirten ihr Vieh mit Schlä­
gen auf die Weide treiben, sondern so, wie sich
ein Lebewesen am besten leiten lässt; ihnen vom
Achterschiff aus die Bahn weisend, indem sie,
nach ihren eigenen Gedanken, mit glücklichem
Marmorrelief des Gottes Helios aus dem Athene­ Zureden wie mit einem Steuerruder die Seele
Tempe/ in Troja Gefertigt nach 300 v. Chr. beeinflussen; durch solche Führung lenkten sie
das ganze menschliche Geschlecht.t
weiß Platon verständlicherweise nichts zu sagen. (Kritias 109)
Der Gesichtsausdruck ist also ein sema, ein Zei­
chen über den Charakter der Ätherseele. Der moderne Mensch des Westens kann diese
Spekulation nicht annehmen, deshalb kann er
Platon und die Antike nicht annehmen und muss
DIE GÖTTER S I N D DIE H I RTEN sie als naive Geisteshaltung mythisch denkender
DER MENSCHEN Menschen lächelnd beiseite schieben. Dazu ist zu
sagen: die Götter - auch als Daimonen bezeich­
net - waren den Griechen und den Völkern der
Wir kommen nun z u einer unheimlichen Frühzeit etwas Reales und keine philosophischen
Spekulation. Diese heißt in einem Wort: Götter Spekulationen, zu denen sie nach Platons Zeit
erschufen die Menschen und lenken sie seitdem immer mehr verkamen. Am Anfang seien die Göt­
insgeheim. ter sichtbar unter den Menschen gewandelt,
Die Existenz von Göttern, die die Menschen ge­ heißt es. Die frühen Zivilisationen seien um die
schaffen haben, ist dem Modemen nur ein Götter und die Paläste zentriert gewesen, die man
Schmunzeln wert, doch den antiken Kulturen ihnen zu Ehren baute. Die ersten Könige waren
war das etwas ganz natürliches. Doch schon zu Gottkönige, später, als die Götter sich zurück­
Platons Zeit waren den Menschen die Götter fern zogen, erhielten Menschen diese Würde.

• Sokrates diskutiert den Ursprung des Wortes Hades und sagt (Kratylos 403): Und der Name Hades ist also weit davon
entfernt. . . vom Unsichtbaren (aeides) herzurühren, sondern er kommt viel eher davon her, dass er alles Gute (eid6s)
weiß: danach ist er vom Gesetzgeber Hades genannt worden."
1 Sechs Könige soll es gegeben haben: Phanes, Nacht, H immel, Saturn, Jupiter und Bacchus. Saturn nahm dem Himmel
die Herrschaft ab und gab sie an Jupiter weiter. Dieser zerschnitt dabei den Saturn. Platon nennt den Saturn die Große
Dianoetische Kraft des intellektuellen Universums, und er würde über den dianoetischen Teil der Seele regieren, er ist
jener, der alles in Teile zerteilt. Er gilt auch als Führer der Tttanenrasse (Phaidon).
Bacchus ist nicht etwa nur eine Weingottheit, sondern verkörpert die Kraft der wilden Seele,
die alles Leben im Übermaß hervorbringt. Das Bildjiff Andr/e's nach Motiven Carravagios, 1983.
· III ·

D IE S EELE
88

Gott des Meeres Okeanos. Mosaikplatte gefunden


in Karthago. Römische Arbeit, 3. jh. u.Z., im 19. jh.,
restauriert. Aus seinem Mund treten zwei Wasser­
strahlen aus; der Wasserabfluss unter ihnen war
mit weißem Gips ausgefüllt.

Wenn also der Tod an den Menschen herantritt,


dann stirbt offenbar nur das, was sterblich ist an
ihm; das Unsterbliche aber entschwindet heil und
unversehrt und entrinnt dem Tode.
Phaidon 106

Der Athener: Über die Seele, lieber Freund,


scheinen doch fast alle Menschen in Unkenntnis
geblieben zu sein, wie beschaffen sie ist und
welche Kraft sie besitzt; nicht nur über ihre
sonstigen Eigenschaften wissen sie nicht Bescheid,
DER STOFF, sondern vor allem auch nicht über ihre Entste-
AUS DEM D I E SEELE I ST hung, dass sie nämlich zu den ersten Wesen
gehört und vor allen Körpern entstanden ist und
dass sie mehr als alles andere jede Veränderung
So sind also unsere Seelen in der Unterwelt? und Umgestaltung der Körper beherrscht. Muss
Phaidon 71 aber, wenn dem so ist, nicht notwendig auch das,
was mit der Seele verwandt ist, früher entstanden
So ist die Seele im Leibe sein als das, was zum Leib gehört, weil sie ja älter
wie die Auster in der Schale. ist als der Leib?
Phaidros 250 Gesetze 10. Buch, 891
Wenn es also ein Wiederaufleben gibt, (. . .) dann
Für den modernen abendländischen Menschen
wäre das wohl das Werden aus den Toten zu den
bedeutet eine Seele zu haben, lediglich Gefühl
Lebenden, dieses Wiederaufleben?
und Verstand zu haben - nicht so für Platon.
Phaidon 72
überhaupt hat nie ein altes Volk je geglaubt, die
In früheren Zeiten war die Seele ganz gefiedert. Seele auf Gefühl und Verstand begrenzen zu kön­
Phaidros 250 nen. Bis zum Mittelalter sowie in allen Bräuchen
bis zur Neuzeit wurde die Seele als etwas vom
Wir sind uns also auch darin einig, dass die
Körper völlig Abgetrenntes verstanden, das den
Lebenden aus den Toten entstanden sind,
Tod überlebt. Die Seele als wir selbst, die ewig
gleichwie die Toten aus den Lebenden.
lebt, wir sind also unsterblich. Die sich mit der
Phaidon 72
industriellen Revolution durchsetzende Ansicht,
. . . was muss dem Leibe innewohnen, allein der Körper sei maßgeblich, und mit ihm
wenn er leben soll? sterbe auch der Mensch als Wesen, ist neueren
Eine Seele. . . Datums, gewissermaßen eine Krankheit, die der
Phaidon 105 industrielle Materialismus, der nur die Körper-
89

arbeit kennt, mit sich gebracht hat. Vielleicht die Inneres eines attischen Pokals. Ritual mit Musik,
naivste und dümmste Ansicht, über das Dasein Tanz und Brandopfer. Etwa 460 v. Chr.
Lebewesen auf ihre Gliedmaßen und Augen be­
schränken zu wollen. Seien wir uns klar darüber: Industrie. Keine Kultur dieses Planeten hat je
Kein einziges altes Volk der Welt ist je davon aus­ einen so tiefen Stand des Wissens über das, was
gegangen, Lebewesen bestünden allein aus einem Leben ist, erreicht. Ich sage es deutlich: Der
Körper. Es ist also nur ein Echo der einseitig ma­ Sprung in den materiellen Fortschritt hat auch
teriellen Arbeitswelt, den Menschen auf Beine, einen Sprung zurück in eine völlige Unkenntnis
Arme und Gehirn zu reduzieren, ein Absurdum dessen, was Leben ist, mit sich gebracht. Die Na­
verlorener Geister verstrickt im physischen Ar­ tur hält sich immer die Waage. Wir besitzen nun
beitsprozess und im Glauben, das Heil liege in der das Telefon, aber das seelische Telefon ist abge-
schaltet worden. Das überleben der Seele in der auch zu Platons Zeit. Daher diskutiert Sokrates
Tat, bestehend aus Gefühlen und Denken, das mit seinen Schülern und Freunden dieses Pro­
überleben dieser feinstofflichen, ätherischen blem immer wieder und stellt fest, dass im Grun­
Struktur nach dem Tod, ist das Grundwissen aller de niemand etwas Genaues darüber weiß und
Stämme, Völker und Nationen gewesen, und wie dass die Seele natürlich vor dem Leib, der nur ihr
es aussieht, wird es das nach dem kurzen Irrweg Echo und Spiegelbild ist, existiert.
der „industriellen Modeme" auch wieder werden.
Platon stellt in dieser ersten Aussage deutlich fest:
Alle Probleme unserer modernen Welt beruhen
grundlegend auf der Leugnung der Unsterblich­

Die Menschen wissen nichts Genaues über die

keit der Seele und der damit einhergehenden Seele.

ewigen Wiedergeburt derselben. • Die Seele ist vor dem Körper da

Dennoch. Da die Seele materiell nicht dingfest zu • Die Seele erzeugt von sich ein materielles
machen ist, bleibt stets ein letzter Zweifel, so Echo, den Körper.
„Gnosis hat es erchaffen. " Gnosis = Erkenntnis. Dieses Epigraph hat der Künstler stolz in das Mosaik mit
dem Motiv einer Löwenjagd eingefügt, das im Hause der Entführung der He/ena entdeckt wurde.

DIE PSYCHE erfrischt (anapsychei). Sobald aber der Leib


nichts mehr hat, was ihn erfrischt, geht er zu­
Das Wort Psyche ist zu übersetzen mit Luft, grunde und stirbt; deshalb erscheint mir,
Atem, Hauch. Sokrates sagt: bezeichnet man sie als psyche. (Kraty/os 399)

. . . ich glaube, diejenigen, die der Seele ihren Psyche ist der Atem, aber nicht der materielle,
Namen (psyche) gegeben haben, dachten sich ebenso wenig wie mit Psyche die materielle Luft
dabei etwa folgendes: ihre Anwesenheit im gemeint ist. Psyche heißt Ätherseele. Der im­
Leibe ist die Ursache dessen, dass er lebt, indem materielle psychische Atem erzeugt jedoch den
sie ihm die Möglichkeit gibt zu atmen und ihn körperlichen Atem.
92

Sokrates: gehalten werden: so schöne Reden weiß offen­

. . . einige Leute behaupten, der Leib sei das Grab­ bar Hades zu halten, und, wie sich aus dieser

mal (sema) der Seele, worin sie nun in diesem Beweisführung ergibt, ist dieser Gott ein voll­

Leben begraben sei. Und weil die Seele anderer­ kommener Sophist und ein großer Wohltäter

seits durch den Leib das zum Ausdruck bringt, derer, die bei ihm wohnen, er, der ja auch den

was sie ausdrücken will, werde es auch deshalb Menschen hier so große Güter heraufschickt;

mit Recht Zeichen (sema) genannt. Doch bin ich solch großen Überfluss hat er dort, und davon

der Meinung, es seien vor allem die Anhänger bekam er den Namen Pluton (der Reiche). Und

des Orpheus, die diesen Namen gesetzt haben, dass er ferner nichts mit den Menschen zu tun

weil die Seele für das Buße tue, wofür sie haben will, die noch über ihren Leib verfügen,

bestraft wird, und dass der Leib sie wie ein sondern dass er erst dort mit ihnen zusammen­

Gefängnis umschlossen halte, damit sie darin kommen will, wenn die Seele von all den leib­

bewahrt bleibt. Und, wie der Name sagt, sei er lichen Übeln und Begierden gereinigt ist. . .

nun also das Behältnis (soma) der Seele, bis sie (Kratylos 403)
die geschuldete Strafe abverdient hat, und man In der Tat wäre ein Leben in Freiheit, unabhängig
dürfte da gar keinen Buchstaben verändern. vom Körper, vorzuziehen, doch warum zieht es
(Kraty/os 400) dann Seelen immer wieder in den Körper, es muss
Die Seele ist - das sollte bisher klar geworden etwas Sinnvolles darin liegen. Es heißt, das jenseits
sein - der immaterielle Samen, der den Körper sei der Überfluss selbst, wohl weil dort das, was
aus sich hervorgehen läßt. Die Seele erzeugt von man denkt, alsgleich Wirklichkeit wird. Man hat
sich ein materielles Abbild, den Körper, der damit dann alles, was man sich denken und erfühlen
ein Spiegelbild der Seele sein muss. Deshalb wohl kann. Dieses Prinzip des kreativ Schöpferischen,
kann man aus allen Körpererscheinungen he­ des vielfältigen Hervorbringens, wird Pluton genannt.
rauslesen, wie der Zustand der Seele beschaffen Das ist das seelische Prinzip schlechthin, denn
ist. Hieraus ergeben sich alle Wahrsagetechniken. wir können vieles fühlen und denken. Und das ist
Die Seele ist nun, obwohl sie den Leib hervor­ letztendlich auch der Ursprung der Materie, die ja
gebracht hat, durch diesen Akt an ihn gebunden aus dem jenseits hervorgeht. Daher betont Sokrates:
und steckt jetzt wie eine Gefangene in ihm. Die
Und der Name des Hades ist also weit davon
Anhänger des Orpheus sehen darin den Hinweis,
entfernt „ . vom Unsichtbaren (aeides) her­
dass mit diesem Akt eine alte Strafe abgebüßt
zurühren, sondern er kommt viel eher davon
werde. Daher heißt es soma sema - Der Körper
her, dass er alles Gute (eidos) weiß„ .
ist ein Grab, denn gefangen darin wird er zum
(Kratylos 404)
Grab der Seele, die sich nun nicht mehr frei be­
wegen kann, denn geheimnisvoll bindet die Kon­
ERZEUGEN SEELEN STOFF?
sistenz des Leibes sie an sich.

Besser wäre man also als Seele beraten, im jen­ Alles, was Seele ist,
seits zu bleiben. Daher sagt Sokrates: sorgt für das gesamte Unbeseelte.
„ . dass eben aus diesem Grunde niemand aus Phaidros 245
dem jenseits wieder hierher zurückkehren will, Ein Zitat, das nicht auf Anhieb verständlich ist,
sogar die Sirenen nicht, sondern dass sie und aber ein ungeheueres Problem aufwirft. Nach Pla­
auch alle anderen durch einen Zauber dort fest- ton erzeugt eine höhere Dimension, ein geistiger
93

Kosmos, das „Alles in Allem", die Welt der Seelen, Siegesgöttin Nike bringt Herakles auf den Olymp.
einen Seelenkosmos, den Äther, und aus diesem Attische Vase, etwa 400 v. Chr.
geht die materielle Welt hervor. Feinstoffliche
Seelenzustände formen um sich herum ein mate­ zwei geflügelten Rossen. Sind bei den Göttern
rielles Kleid, so entstehen Menschen und Tiere, Lenker und Rosse gut, so ist bei den Menschen ein
aber offenbar auch die Elementarzustände, denn Pferd gut, das andere schlecht. Dadurch können
auch diese werden als belebt und als Lebens­ die Rosse abstürzen, insbesondere wenn sie ihre
formen gedacht. So entsteht der materielle Kos­ Beflügelung verlieren und auf der Erde landen,
mos mit seinen Galaxien und Sternen. Die Materie bzw. sich der Körper bildet. Seele und Körper bil­
an sich ist unbelebt, sie ist tot und wird allein von den nun gemeinsam ein Lebewesen. Die Flügel
den Seelen belebt. Deshalb stirbt der Körper, und verweisen auf das Fliegenkönnen der Seele, die
die Seele überlebt. Rosse auf die Geschwindigkeit der Seele im raum­
losen Raum. Die Seelenflügel wachsen am besten,
WAS IST EINE SEELE?
gibt sich die Seele dem Schönen, Weisen und

Wir finden bei Platon folgenden merkwürdigen Guten hin, wie das bei den Göttern ist. Die Göt­

Satz über die Seele: ter ziehen zum „überhimmlischen Ort" des rei­
nen Seins, nur der reine Geist existiert dort, doch
Sie gleicht also der Kraft, die einem befiederten auch die Götter verweilen nicht immer an diesem
Gespann und einem Wagenlenker innewohnt. reinen Ort, sie tauchen bald wieder ins „Innere
(Phaidros 245) des Himmels", das Seelische oder Ätherische ein,
Die Seele wird von Platon verglichen mit einem während der Geist als das äußere des Himmels
Pferdegespann, bestehend aus Wagenlenker und beschrieben wird. Die besten der Menschen kön-
94

nen den Kopf in den überhimmlis chen Ort empor­ die Flügel wieder nachwachsen; doch Philoso­
recken, den zweitbesten gelingt es nur gelegent­ phen gelinge dies bereits nach 3000 Jahren.
lich, weil das schlechtere Pferd sie immer wieder Moderne Interpreten dieses Textes sind im All­
nach unten zieht, der dritten Kategorie gelingt es gemeinen ratlos und werfen Platon Unklarheit
nie. Letztere müssen sich mit den so genannten und Phantasterei vor, was beim Stand der derzei­
Doxa, mit Vermutungen, begnügen. tigen Erkenntnis über die Seele unvermeidlich ist.
Wem es beim Seelenflug (im Plasma) gelingt, ins Tatsächlich jedoch ist die Angelegenheit überaus
Reich des ewig Seienden zu blicken, kann dort bei klar geschildert - für die Wissenden wohlge­
den Göttern im Plasma bleiben. Wem es nicht ge­ merkt. Als Wissende gelten hier nur jene, die sich
lingt oder nur selten, der stürzt wieder auf die Erde, umfangreich und tiefgründig mit der Seelen­
wird Körper, verliert sozusagen die Flügel, sprich: abtrennung und mit dem Sterbeprozess aus­
die Begabung der Ablösung der Seele vom Körper. einandergesetzt, noch besse�de selbst erlebt

Es geht also darum, im Leben seine Seele erstens haben und die uns heute vorliegenden tausenden

als existent zu erkennen, nämlich als Gefühls­ Berichte von Reanimierten durchgesehen haben.

und Denkwesen, zweitens zu verstehen, dass sie Doch auch bei den Belesenen herrscht großer

unabhängig vom Körper ein Eigenleben führt, Mangel, da die entscheidenden Phasen des jen­

sich drittens in einer nicht-stofflichen Welt, in seits nicht erkannt werden. Offensichtlich muss

der sie „fliegt", sich also per Gefühl und Gedanke man selbst tot gewesen sein sowie intellektuell

fortbewegt, und zwar in einem raum- und zeit­ andere Erlebnisberichte verarbeitet haben, um

losen Reich, viertens, dass sie allein aus ihren ei­ sich aus beidem eine umfassende Meinung bilden

genen Gefühlen und Gedanken und denen aller zu können.

anderen Wesen besteht und fünftens, dass sie auf Was Platon in diesem Text sagt, ist lediglich: Hat
der Basis eines Fein- oder Urstoffs, des Äthers, eine Seele einmal um sich einen materiellen Leib
steht, denn die Seele ist gestrickt aus Äther, sie ist geformt, benötigt sie 10 000 Jahre (was wir sinn­
ein Energiefeld. In diesem Zustand „fliegt" also die bildlich als „lange" verstehen dürfen), um zu er­
Seele, sie kann überall in Nullzeit hinreisen, eben kennen, dass sie in Wahrheit kein Körper, son­
dorthin, wohin sie ihre Gedanken lenkt. Tatsäch­ dern eine Seele in einem Körper ist. Aber diese
lich aber fliegt sie nicht. Im Äther scheint es keine Erkenntnis hängt von der individuellen Erkenntnis­
Ausdehnung zu geben, vielmehr findet alles auf fähigkeit ab, Philosophen etwa könnten das in
einem raum- und zeitlosen Punkt statt. Der Äther 3000 Jahren, also in kürzerer Zeit schaffen, einfach
hat keinen Raum, keine Weite, was für den Ver­ weil sie tiefgründiger nachdenken, tiefer fühlen.
stand aber nicht vorstellbar ist. Das Gefühl zu flie­
gen entsteht allein durch die Freiheit vom Körper,
die Seele ist nun schwerelos. HIM MEL ODER HÖLLE

Platon sagt: Normale Seelen erleben nach dem


DIE ENTWICKLUNG DER SEELE
Tod ein Gericht, wo entschieden wird, ob sie nach
AUF DER ERDE
den ersten tausend Jahren über oder unter der
Erde verweilen müssen. Nach 1 000 Jahren be­
Es soll nach Platons Meinung 10 000 Jahre dauern, ginnt ihr zweites Leben, doch dann können sie
bis der Seele - einmal auf der Erde gelandet - auch in liergestalt wiedergeboren werden.
95

Mit der Kenntnis der modernen Todesforschung wissen wir


heute definitiv, dass eine Art inneres Gericht stattfindet, kein
von anderen Wesen veranstaltetes, sondern ein durch die ei­
genen inneren Zustände erzeugtes. Meine eigenen Seelen­
zustände entscheiden darüber, ob ich, wie Platon sagt, „über"
oder „unter" der Erde verweilen werde. „Über" heißt in einem
höheren Himmel, einer seelisch freieren Zone des Äthers, „unter"
heißt in einer Zone, wo uns unsere seelischen Obsessionen beherr­
schen. Das Seelenreich ist ja aufgeteilt in seelische Zustände: Him­
mel und Hölle.

DER ZWI E S PALT

Und dass sich nun der Geist eines Gottes von


unvermischtem Verstand und Wissen nährt, und
ebenso eine jede Seele
Phaidros 247

Die Menschenseele lebt in vermischtem Zustand,


teilweise ist sie reine Seele, teilweise aber durchsetzt
mit den physischen Gesetzen der Materie und damit
der Lust, denn Materie
erzeugt Lust, im Ge­
gensatz zu seeli­
scher Liebe, die
rein seelisch ist. So
ist sie ständig zwi­
schen rein Seelischem und rein Körperlichem hin
und her geworfen, lebt also im Zwiespalt. Im Zwie­
spalt zu leben aber ist das erste Gesetz des Lebens,
denn wir sind nun Seele und Körper.

WAS IST TOD

Ist er nicht die Trennung der Seele vom Leib?


Und ist nicht das Tatsein der Zustand, wo der Leib
getrennt von der Seele für sich allein, die Seele aber
getrennt vom Leib für sich allein ist?
Phaidon 64
Hier wird die zentrale Unterscheidung zwischen Seele
und Leib vorgenommen. Die Seele wird nicht wie in der
modernen Medizin als Produkt des Gehirns miss-
96

verstanden, was in der Tat eine Horrorvision Darin zeigt sich doch vor allem sehr deutlich,
wäre, wenn sich aus biochemischen Reaktionen dass der Philosoph gerne die Seele von der Ge­
des Gehirns ein Lebewesen formen würde, abge­ meinschaft mit dem Leib lösen wird, eher als alle
sehen davon dass dies gänzlich unmöglich ist. anderen Menschen? (Phaidon 64)
Dass die heutige Wissenschaft zu derlei phantas­
Wie aber, fragt sich Sokrates, ist Erkenntnis der
tischen Annahmen neigt und der größte Teil der
Seele überhaupt möglich, scheinen doch alle Sin­
Bevölkerung des westlichen Kulturkreises dem
nesfunktionen körperlicher Natur zu sein.
bewusstlos zustimmt, zeigt, wie sehr wir uns im
Fühlen und Denken heruntergewirtschaftet, ganz Wie verhält es sich nun aber mit dem Erwerb

aufgehört haben, in uns selbst zu fühlen und zu der vernünftigen Einsicht selbst? Ist der Leib ein

denken. Der von außen gesteuerte Mensch, der Hindernis oder nicht, wenn ihm jemand beim

auf ein paar Schlagzeilen seinen Eid schwört, ist Suchen zu Hilfe nehmen will? Ich meine dies so:
heute die Norm! vermittelt uns Menschen etwa das Gesicht oder
das Gehör irgendeine Wahrheit? Oder stimmt
Ist die Seele ein eigenständiges Wesen, unabhän­
das, was auch die Dichter uns immer vorschwat­
gig vom Körper, folgt daraus zwangsläufig, dass
zen, dass wir etwas Genaues weder hören noch
man sich vor allem der Erforschung der Seele
sehen? Wenn aber diese beiden Sinnesemp­
zuwenden muss, und das umso mehr, als davon
findungen ungenau und unzuverlässig sind,
ausgegangen wird, dass die Seele die Schöp-
dann sind es die anderen sicher noch
ferin ihres Leibes, dieser ein Eben­
mehr; sind sie doch alle noch
und Spiegelbild derselben
minderwertiger als sie.
ist, gewissermaßen sie in
(Phaidon 65)
geronnenem Zustand.
Daher sagt Sokrates Wann erfasst denn

über den erkennen­ die Seele überhaupt


den Menschen: die Wahrheit? So­
lange sie mit Hilfe
Glaubst du des Leibes etwas
nicht auch, dass zu erkennen sucht,
er sein ganzes wird sie offenbar
Streben nicht auf von ihm getäuscht.
den Leib richtet, (Phaidon 65)
sondern dass er die­
Es scheint uns doch ein
sen nach Möglichkeit
gewisser Ausweg weiter zu
zurückstellt, um sich ganz
führen: solange wir nämlich
nur seiner Seele zuzuwenden?
beim Forschen neben dem reinen
(Phaidon 64)
Oidipus löst das Rätsel der Denken noch den Leib gebrauchen
Sphinx. 6.-5. jh. v. Chr. Gemäl­
In der Welt Platons galt der Philo­ und solange unsere Seele mit diesem
de auf dem Boden eines Kylix,
soph als der eigentliche Forscher, eines flachen Weinkelches. Übel vermengt ist, werden wir das,
und dieser will den Ursprung des wonach wir begehren - nämlich die
Seins untersuchen, und dazu muss er eben diesen Wahrheit - niemals recht erlangen. Unendlich
aufsuchen, und das ist nicht der Leib, sondern die viele Schwierigkeiten bereitet unser Leib schon
Seele. Sokrates sagt daher: wegen der Notwendigkeit seiner Ernährung;
97

wenn erst noch irgendwelche Krankheiten dazu


kommen, dann hindern auch sie unsere Jagd
nach dem Seienden. Aber auch mit Liebesverlan­
gen, mit Begierden, mit Furcht, mit allerlei Illu­
sionen und mit mancherlei Torheit erfüllt uns
der Leib, so dass man uns, wie man mit Recht zu
sagen pflegt, ja wirklich gar nicht zur Vernunft
kommen lässt. Auch Kriege und Aufstände und
Schlachten haben keine andere Ursache als den
Leib und seine Begierden. Wegen des Gelder­
werbs nämlich entstehen alle Kriege; Geld aber
müssen wir erwerben des Leibes wegen, indem
wir seiner Pflege dienstbar sind; und darum ha­
ben wir aus all diesen Gründen keine Zeit mehr
für die Philosophie.
(Phaidon 66)
Es gibt nur eine Rettung:
Göttin öffnet den Deckel eines geflochtenen Korbes.
Am allerbesten aber kann sie dann vernünftig
Relief aus gebranntem Ton, Kalabrien/Italien.
denken, wenn nichts von diesen Dingen sie
stört, weder das Gehör, noch das Gesicht, weder
. . . das wird uns offenbar erst dann zuteil wer­
Schmerz noch Lust, sondern wenn sie möglichst
den, wenn wir gestorben sind, wie diese Unter­
für sich allein bleibt, den Leib beiseite lässt und,
suchung zeigt, nicht aber im Leben. Denn wenn
soweit dies geht, keine Gemeinschaft mit ihm
es nicht möglich ist, in Verbindung mit dem Leibe
hat und so, von ihm unberührt, nach dem Seien­
irgendetwas rein zu erkennen, so bleibt nur eines
den trachtet. (Phaidon 65)
von beiden: entweder können wir das Wissen
Es bleibt dabei: Der Mensch ist im Zwiespalt, er ist überhaupt nicht erlangen oder erst nach unserem
und bleibt Seele und Körper und jeder Anteil zieht Tode. Dann wird die Seele ganz für sich sein,
in eine Richtung. Der echte Forscher, der Philosoph getrennt vom Leibe, vorher aber nicht. Und so­
sprich der „Weisheitsliebende", versucht, die kör­ lange wir leben, werden wir offenbar in dem
perlichen Bedürfnisse zurückzuhalten. Daher: Maße dem Wissen am nächsten kommen, als
wir mit dem Leibe möglichst wenig verkehren
Vielmehr ist uns in der Tat bewiesen, dass wir
und keine Gemeinschaft mit ihm haben, soweit
uns, wenn wir von irgend etwas die reine Er­
es nicht unbedingt notwendig ist, und uns von
kenntnis erlangen wollen, von ihm losmachen
seiner Natur nicht erfüllen lassen, sondern uns
und allein mit der Seele die Dinge an sich be­
von ihm rein halten, bis Gott selbst uns von ihm
trachten müssen. (Phaidon 66)
löst. Und so, rein und von der Unvernunft des
Tatsächlich können wir uns niemals ganz vom Leibes befreit, werden wir dann wohl unter gleich­
Körper lösen, denn das würde heißen zu sterben. artigen Wesen leben und durch uns selbst die
Also sind der Tod und damit das Alleinsein der ganze reine Wahrheit erkennen; und das ist
Seele der eigentliche Schritt zu echter Erkennt­ dann wohl das wirklich Wahre. Denn ein Unreiner
nis. Daher wird gesagt: darf Reines wohl nicht erfassen. (Phaidon 66)
98

Nun wird deutlich ausgesprochen, was der Mittelpunkt In der modernen westlichen Zivilisation
des Lebens ist. gilt die Psyche als ein biochemisches Ge­
hirnprodukt, eine Art Illusion des Ge­
Die Reinigung besteht aber doch darin, dass wir die
hirns. Das wird immer wieder bestätigt,
Seele, wie ich in meiner Rede schon immer gesagt habe,
da man sonst nichts finden kann, aber
so viel als möglich vom Leibe trennen und sie daran
die Konsequenzen aus dieser eigenarti­
gewöhnen, sich allerseits von ihm zurückzuziehen und
gen Anschauung zieht niemand, denn
sich zu sammeln und sowohl in diesem wie im künftigen
wir wären dann ein sinnloses
Leben möglichst allein für sich zu wohnen, gleichsam
befreit von den Banden des Leibes?
Wie wir aber behaupten, bemühen sich die echten Philo­
sophen jederzeit am meisten und als einzige darum,
ihre Seele loszulösen; gerade das ist doch ihr
Bestreben, die Loslösung und Trennung der
Seele vom Leib, oder nicht? (Phaidon 67)

Das Gespräch findet j a im Gefängnis statt,


kurz bevor Sokrates den Giftbecher trinken
muss. Sokrates:
Produkt der Ner­
Wenn dem so ist, mein Freund, dann besteht doch
ven, ein dauern­
für jeden, der dorthin kommt, wohin ich jetzt gehe, die
der Halluzinations-
große Hoffnung, an jenem Orte, wenn überhaupt
zustand. Wir wür-
irgendwo, das in reichem Maße zu erlangen,
den beliebige Signale
worum wir uns in dem gegenwärtigen Leben
aus den Rezeptoren erfahren,
so sehr bemühen. Dann ist also die Reise, die
die wir willkürlich aufnehmen,
ich jetzt antreten muss, mit einer herrlichen
Liebe, das Gute, das Schöne
Hoffnung verbunden. Und das gilt auch für
wären reine Erfindungen, Krank-
jeden anderen Menschen, der glaubt, dafür
heiten des Gehirns, alles was wir tun,
gesorgt zu haben, dass sein Geist gewissermaßen
wäre beliebige Biochemie. Das Leben hat
gereinigt ist. (Phaidon 67)
damit keinerlei Sinn, es ist zufällig und an­
geblich evolutiv entstanden, und zwar nur
DIE SEELE IST UNSTERBLICH
auf diesem Planeten und nun soll sich das
Gehirn evolutiv weiterentwickeln. Wir wer­
„Was entsteht demnach aus dem Lebenden?"
den also intelligenter, besser, während die
„Das Tote„ . "
Menschen vor uns alle primitiv waren,
„ Und was aus dem Toten?"
daher spricht man von den Primitiven, die
,,Ich muss zugeben, dass es das Lebende ist. "
in Stammesverbänden leben, was angeblich
Phaidon 71
primitiv ist, denn fortgeschritten ist nur die
Ihr Eintritt (der Seele) in den menschlichen Leib war Zivilisation, die in Großstadtkulturen lebt.
für sie der Anfang des Untergangs, Da die Evolution immer weitergeht, sind
gleichsam der Beginn einer Krankheit. wir auch kulturvoller geworden, zivilisier­
Phaidon 95 ter eben, dafür Tatsachen zu finden, ist
99

Goldener Anhänger mit Bienen aus der könig­ Seele, die ja vorher auch schon da war, überlebt. Und von
lichen Grabstätte in Mafia 1 700-1600 v. Chr. dort ist es nur ein kleiner Sprung anzunehmen, diese
Seele würde sich dann einen neuen Leib bauen, was
allerdings unmöglich, denn was soll Kul­ Wiedergeburt hieße.
tur sein - das Kino, Computer, neue
Die Konsequenzen aus dem Gehirnmodell sind so lächer­
Musik? Worin sich Kulturhöhe auszeich­
lich, dass sie nur Ausdruck einer ins Primitive abgestürz­
net, ist nicht festzumachen, und sind wir
ten Kultur sein können, ebenso die Theorie der Evolution,
besser und wirklich intelligenter als
denn Evolution ist nirgendwo zu erkennen, beim Men­
schen nirgends und bei den Tieren und Pflanzen ebenso
wenig, es gibt keine Urformen, aus denen sich diese
entwickelt und dann auch noch höhere entwickelt
haben. Und: Was soll überhaupt höher sein?

Sokrates, mit allem anderen, was du gesagt


hast, bin ich ganz einverstanden; einzig deine
Ansicht über die Seele erweckt bei den Men­
schen Zweifel; denn sie befürchten, dass die
Seele gleich nach ihrer Trennung vom Leib ver­
schwinde und dass sie am selben Tage, wo der Mensch
stirbt, zerstört werde und zugrunde gehe, und dass sie

ton muss also sich, sobald sie sich vom Leib getrennt hat und aus

dümmer gewesen ihm gewichen ist, wie der Atem oder der Rauch

sein als der Büroan­ verflüchtigt und nichts mehr und nirgends mehr

gestellte heute. Es ergeben sich ist. Denn wenn sie irgendwo weiterexistierte, in

aus dem Gehirnmodell und dem sich gesammelt und von den Übeln, die du eben er-

Evolutionsdogma unglaublich bi- wähnt hast, befreit, dann dürfte man allerdings die

zarre Konsequenzen, die allesamt nur große und schöne Hoffnung haben, dass das, was du

tragisch dumm sind und zeigen, dass wir behauptest, Sokrates, auch wahr sei. Doch bedarf es

offenbar einer umgekehrten Evolution wohl noch großer Überredung und eines sicheren

unterliegen, nämlich immer dümmer Beweises, dass die Seele nach dem Tode des Menschen

werden, immer grausamer, betrachten weiterexistiert und dass sie dann noch irgend Vermögen

wir unsere Kriege usw. Oder besteht wirk­ und Einsicht besitzt. (Phaidon 69)
lich ein Unterschied zwischen den New Sokrates antwortet:
Yorkern von heute und den Athenern zu Auf folgende Weise wollen wir prüfen, ob die Seelen der
Zeiten Platons, waren das alles Primitive? Gestorbenen im Hades sind oder nicht. Ich erinnere
Sämtliche Völker der alten Welt gehen von mich an ein altes Wort, das da sagt: sie kommen von hier
einer immateriellen, quasi atomaren und weilen dort und kommen wieder hierher zurück.
Psyche aus, die den materiellen Leib auf­ Wenn dem wirklich so ist, dass von den Toten wiederum
baut. Ich halte dieses Modell allein für die Lebenden erstehen, dann müssen sich doch wohl
wissenschaftlich und realistisch. Damit ein­ unsere Seelen dort befinden; denn wenn sie nicht ein
her geht jedoch die notwendige Vorstel­ Dasein hätten, könnten sie nicht wiedererstehen. Es
lung, dass mit dem Tod des Körpers die wäre also ein überzeugender Beweis, dass dem so ist,
1 00

wenn sich tatsächlich herausstellte, dass die Lebenden nirgend


anderswoher kommen als von den Toten. Ist dies aber nicht der Fall,
dann bedürfte es eines anderen Beweises. (Phaidon 70)

DAS SCHLECHTE IST DAS GUTE I N A N DE RE M GEWAND

Alle Seelen aller Lebewesen sind gut, sagt Platon, weil sie an der Harmo­
nie des Seins und der Weltseele teilhaben. Die Harmonie sei aber immer
vollkommene Harmonie, nie geteilte, weshalb die Seelen nur die ganze
Harmonie mitbekommen können. Das besagt letztendlich, dass es
gar nichts Schlechtes geben kann, und dass das Schlechte
nur das Gute in anderem Gewand ist. Damit sind
sozusagen alle Probleme behoben, und es gilt wie
gesagt nur zu erkennen, dass das Schlechte das Gute
mit anderen Mitteln ist. Darüber hinaus muss er­
kannt werden, was die Harmonie des Daseins ist, das
·-

\
aber überschreitet den menschlichen Horizont, zu­
( mindest ist niemand bisher dorthin vorgedrungen.

HADES: LEBEN I N DER


SELBSTGESTRICKTEN HÖLLE

Doch auch das . . . muss gerechterweise überdacht wer­


den: wenn die Seele unsterblich ist, dann bedarf sie
sorgfältiger Pflege, nicht nur für diese Zeit, die das um­
fasst, was wir „Leben" nennen, sondern für alle Zeit, und
es dürfte sich jetzt gezeigt haben, wie furchtbar die Ge­
fahr ist, wenn sie jemand vernachlässigt. Wäre nämlich
der Tod eine Trennung von allem, dann bedeutete das für
die Schlechten einen unverhofften Vorteil, dass sie im Ster­
ben von ihrem Leib und zugleich von ihrer Seele samt ihrer
Schlechtigkeit getrennt würden. Da die Seele nun aber
offenbar unsterblich ist, gibt es für sie keine andere Zuflucht
und keine andere Rettung vor den Übeln, als dass sie
möglichst gut und vernünftig wird. Denn nichts anderes
kann sie in den Hades mitbringen als ihre Bildung und ihre Er­
ziehung, und das wird, wie man sagt, dem Verstorbenen am meis­
ten nützen oder schaden, schon gleich am Anfang der Reise dorthin.

Der Fährmann Charon aufseinem Boot. Vor ihm erhebt sich ein
schlankes, geflügeltes Geschöpf mit dem Namen Eidolon - das
Bild der Seele eines Verstorbenen. Athenische Lekythos, Mitte.
des 5. jh. v. Chr.
101

Denn es heißt ja, dass einen jeden der eigene


Daimon, der einen fürs Leben erlost hatte, nach
dem Tode an einen bestimmten Ort zu führen
anschickt. Dort müssen sich die Gestorbenen
versammeln, und dann, wenn das Gericht über
sie ergangen ist, mit jenem selben Führer in den
Hades wandern, der schon die Aufgabe hat, sie
von hier dorthin zu bringen. Wenn ihnen aber
dort zuteil geworden ist, was sie verdient haben,
und wenn sie die vorgeschriebene Zeit dort ge­
blieben sind, bringt sie ein anderer Führer nach
vielen und langen Zeitläufen wieder hierher. . .
Die gesittete und verständige Seele folgt nun
und versteht, was sich abspielt. Die Seele aber,
die sich begierig am Leibe festhält, bewegt sich,
wie ich früher erklärt habe, die längste Zeit
angstvoll um ihn und um die sichtbare Stätte
herum, und erst nach langem Sträuben und
vielen Leiden wird sie mühsam und mit Gewalt
von dem ihr zubestimmten Daimon weg­ Schädel eines Athleten mit Obolos und goldenem
geführt. Wenn sie aber dort ankommt, wo die Kranz. Kreta, 1. jh. u.Z.
anderen sind, und ist sie unrein und hat etwas
Derartiges getan, indem sie frevelhafte Mord­ Plasmastoff, der ja aus ihren Gefühlen und ihrem
taten verübt oder andere Verbrechen begangen Denken besteht, abstreifen müssen, womit allein
hat, was damit verwandt oder das Werk ver­ ihr Wesenskern das Seiende, das Göttliche, übrig
wandter Seelen ist, dann meidet sie jeder und bleibt und womit man erstmals wahrhaft man
wendet sich von ihr ab, und niemand will ihr selbst wird - denn ich bin weder mein Körper,
Begleiter oder Führer sein. Sie aber irrt in völliger noch meine persönlichen Seelenstrukturen! Es
Hilflosigkeit umher, bis eine gewisse Zeit vor­ gibt demnach zwei Tode, und das Seelenreich ist
über ist, nach deren Verlauf sie zwangsweise in nicht das letzte Reich - darüber muss man sich
die Behausung gebracht wird, die ihr gebührt. klar werden.
Die Seele aber, die rein und maßvoll ihr Leben Des Weiteren sagt Platon: Die Seele lebe viele
verbracht hat, bekommt Götter zu Begleitern Leben und bleibe dabei die gleiche, sprich: sie sei
und Führern, und jede erhält den Wohnsitz, der unsterblich. Deshalb, wer dieser simplen Logik
ihr zukommt. folgen kann, geht es nicht darum, sich mit dem
(Phaidon 107)
eigenen kleinen Leben, in dem man gerade steckt,
Die Seele sei unsterblich, sagt Platon. Das bezieht zu identifizieren, sondern durch dieses Wieder­
sich auf ihr überleben des Leibestodes. Wenn erinnerung an sämtliche vorangegangene Leben
aber die Seele nicht mehr wiedergeboren wird zu erhellen und daraus das große Gemälde, den
und sich aus dem Seelenreich, dem Hades, gigantischen Schicksalslauf seiner selbst im
herauslöst und in Richtung Göttliches geht, dann Wechsel von Leben und jenseitsaufenthalten zu
wird sie vermutlich auch ihr Seelengewand, ihren erschauen und zu erkennen, nämlich dass hier
102

eine Seele eine Reise durch viele Menschenkörper himmel oder welcher Seelenhölle ich lande.
gemacht hat und dabei doch immer die gleiche Damit ist das für die Menschheit so verwirrende
geblieben ist. Ist dies erkannt, erkennt man auch, Problem der Existenz nach dem Tode gelöst: Es
dass es darum geht, die eigene Seele zu pflegen gibt Himmel und Hölle als Ausdruck unserer
und mit Seidenhandschuhen anzufassen, sprich jeweiligen Fähigkeit, das höchste Sein zu er­
ihr ihren Willen und ihr Schicksal zu lassen und schauen oder nicht. Klar erkannt dabei werden
sie nicht durch gängige Theorien eines Zeitalters, muss, dass es nicht um Gefühlsdifferenzierung
in das man gerade hineingeboren ist, zu vergewal­ geht oder denkerischen Reichtum, sondern ums
tigen oder sie durch modische Verhaltensweisen genaue Gegenteil, um die Erkenntnis, dass höch­
irgendeines Zeitalters zu belästigen, sondern ihr stes Gefühl und höchstes Denken nichts mehr
stets den eigenen daimonischen Willen zu lassen, bedeuten, sondern höchstes Göttliches allein
auch wenn sie damit aus dem zeitgenössischen zählt. Es geht also um die Vergeistigung von Ge­
Kulturrahmen herausfällt. fühl und Denken. Gefühl und Denken, wie wir es

Wäre mit dem Tod in der Tat alles zu Ende, hätten im Alltag kennen, sind lediglich unterste Echos

die Schlechten davon viele Vorteile, und eine von Gottesgefühlen und Gottesdenken. Alles lässt

Moral und Sittlichkeit könnten sich gar nicht sich steigern! Der Fehler der heutigen westlichen

entwickeln. Allein das instinktive Streben des Welt ist anzunehmen, im Fühlen und Denken sei

Menschen nach der besten aller Welten, dem der Höhepunkt menschlicher Kapazität erreicht,

Guten, wenn im Allgemeinen auch mit den wo hier doch gerade begonnen wird.

falschen Mitteln angegangen, hält die Menschheit


einigermaßen im Gleichgewicht. Die Seele mit all
ihren im Leben erworbenen Inhalten, Gefühlen, DIE G E B U RT D E R SEELE
Gedanken und verinnerlichten Taten überlebt den
Tod und ist damit keinen Deut anders als zuvor. Denn als das einzige unter allem Seienden,
Daher landet sie nicht im göttlichen Reich, son­ dem es zusteht, Einsicht zu bekommen,
dern stets im Hades, der Plasmazone, zu deutsch: ist die Seele zu nennen.
der Hölle. Der Hades besitzt nun verschiedene 1imaios 46
Ebenen, gestaffelt nach entsprechenden Erlebnis­
strukturen seiner Bewohner. Die Struktur ent­ Die Seele hat am Göttlichen Anteil und ist behei­

spricht dem Grad der Reinheit oder Unreinheit matet in der Welt der Gestirne, nicht auf der Erde.
der Seelenzustände. Rein heißt frei von seelischen Aus nicht näher genanntem Grund werden von
Regungen, unrein heißt voll von seelischen Re­ den Göttern Seelen in Körper eingepflanzt: Vom
gungen. Wer eine Vielfalt differenzierter Gefühle Körper erhält die Seele Leidenschaften und Sinne.
und Gedanken hat, was manchen erhebend Da die Seele eine „kreisförmige Bewegung" be­
stimmt, stellt sich im jenseits als Verwirrung sitzt, kreuzt sie sich mit den Fließbewegungen
heraus. Verwirrung durch viele Gefühle, Ge­ des Körpers und erzeugt so mannigfache Ver­
danken und Erinnerungen an Taten heißt, das wirrungen. Psychosomatik nennen wir das heute.
Seiende nicht mehr sehen zu können. Psyche Dennoch ist die Seele vollkommen unabhängig
stellt sich, in welchem Grad von Verunreinigung vom Körper, allein sie ist durch falsche Anschauung
auch immer, als Erblinden für das höchste Sein und dadurch, dass Körperinstinkte und Körper­
dar. Das Maß der Erkenntnis des höchsten Seins sinne auf sie einwirken, vollkommen mit dem
nun entscheidet darüber, in welchem Seelen- Körperlichen vermengt.
105

DIE GROSSE M ISCHUNG in einem M ischungsverhältnis, das wir nicht


mehr durchschauen können, und das Platon ver­
Im Timaios beschreibt nun Platon ausführlich, sucht, durch seinen quasimathematischen Teilungs­
wie der Schöpfer alle Merkmale des Lebens mit­ prozess der beiden existenziellen Grundkräfte
einander vermischte. Unteilbar und Teilbar, sprich göttlich und irdisch,

Polarität des Seienden und Werdenden/Verge­ etwas krampfhaft nachvollziehbar zu machen.

henden: Wenn nun die Seele im Leben auf etwas Teilbares


1. Das Seiende-Unteilbare-Identische oder Unteilbares stößt, so echot dies durch ihr
2. Das Vergehende-Teilbare ganzes Sein hindurch und sie kann diesen Reiz
3. Das Seiende und Vergehende dann richtig einordnen, nämlich, ob es ein Teil

Aber die Seele besteht nicht nur aus dieser Drei­ oder etwas Unteilbares ist. Dieses Gefühl nun

heit. Aus dieser machte der Schöpfer nun eines. zeigt an, wie sie darauf zu reagieren hat. So nur

Dieses Eine teilte er dann in viele Teile. Und diese können richtige Meinungen oder Gefühle ent­

mischte er auf eine zufällige Weise, so dass unhar­ stehen. Ein genialer Versuch, dem menschlichen

monische Teilgebilde entstanden, mit Seiendem Mischverhältnis, unserer diffusen Vielfältigkeit,

und Vergehendem so unübersichtlich gemischt, einen klaren Rahmen zu verleihen.

dass wir als Menschen nie genau wissen, woran Nun geht es weiter. Platon versucht, die Ver­
wir eigentlich sind, ob etwas seiend ist oder ver­ bindung des Menschen mit dem Demiurgen-Kos­
gänglich. Mit anderen Worten: wir täuschen uns mos zu begründen. Er beschreibt dies wiederum
ständig über die Erscheinungen, deuten göttlich geometrisch-mathematisch. Der Schöpfer, heißt
Seiendes als vergänglich und umgekehrt etc. Der es bildlich, verband die Mitte der Seele mit der
Mensch ist also verloren, und so wird er fest an Mitte des Kosmos. Die Harmonie des Himmels
die Materie gebunden. und der Seele bilden so eine Harmonie. Das heißt:

Zur weiteren Verkomplizierung und Verwirrung Seele und Kosmos sind eins!

teilte er nun dieses gemischte Seelengebilde er­ Mit dieser Methode erklärt Platon seine Psycho­
neut in zwei Teile. (34-37). Eins ist sicher, damit logie und Kosmologie und verbindet beide. Ein
erklärt Platon unsere Fähigkeit, auf die Welt zu genialer Entwurf, nur sehr abstrakt, weshalb ich
reagieren, in komplexer und differenzierter Weise. ihn, um Verwirrung und Langeweile zu ver­
Man muss sich das genau zu Gemüte führen und meiden, nicht zitiere. Es geht einfach darum zu
sich nicht widerwillig von der scheinbaren Künst­ klären, warum die Seele überhaupt auf die Welt
lichkeit der Darstellung abwenden, die wir in die­ reagieren kann, und die Frage, woraus die Welt
ser Art heute nicht mehr gewöhnt sind. Platon besteht, eben aus Teilbarem und Unteilbarem.
zeichnet hier etwas Grundlegendes auf, das die Das Unteilbare ist die Ganzheit des Seins, der aber
moderne Psychologie noch lange nicht ergrün­ die tausend teilbaren Dinge gegenüberstehen. Die
den wird: Der Mensch ist etwas Zusammen­ Natur des Lebendigen ist von ewiger Dauer, sagt
gesetztes, er besteht aus dem Göttlich-Unteil­ Platon, doch das konnte der Schöpfer nicht auf
baren und einem Irdisch-Teilbaren, oder aus dem den Menschen übertragen. Der Mensch wurde so
ewig Seienden und dem Vergänglichen, und das lediglich als bewegtes Abbild der Ewigkeit gebaut,
er ist also nicht die Ewigkeit selbst, sondern nur
Links: Grabsteinstele der Hegesone, einer reichen ein Echo oder Hologrammteil derselben. So
Athenerin, in Gesellschaft ihrer Dienerin. Platons antike Hologrammtheorie.
106

DIE GEBURT DES M ENSCHEN Gestirns wandern" (42), dem sie einst zugeteilt
worden waren, und dort dann ein seliges und

Über die Entstehung der Götter, wie sie von ihren ihrem Wesen entsprechendes leben führen. Der

Kindern den Menschen berichtet wird, sei nun Schöpfer

erzählt. Alle Götter stammen von Ge (Äther-Erde) und . . . setzte dann dieses All zusammen als ein ein­
Uranos (Äther-HimmeQ ab. Die Götter sind also heitliches lebendiges Wesen, das alle einzelnen
Ätherwesen. Ihre Kinder sind Okeanos und Tethys. Lebewesen, sterbliche und unsterbliche, in sich
Diese wiederum zeugten Phorkys und Kronos einschließt. Bei den göttlichen Lebewesen ist er
und Rhea Und von diesen stammen Zeus und selbst der Schöpfer; das Werden der Sterblichen
Hera und all deren Geschwister ab. ins Werk zu setzen, trug er dagegen denen auf,
Der Schöpfer des Alls sagte nun zu ihnen: die er selbst erzeugt hatte. Diese übernahmen

Dass auch sie nicht unsterblich seien und dass sie von ihm den unsterblichen Ursprung der Seele

auch sterbliche Wesen schaffen sollen, und drechselten darauf, ihn nachahmend, rings
um sie den sterblichen Leib; sie gaben ihr den
. .. so macht euch denn eurer Natur gemäß ganzen Leib als Fahrzeug und bauten in ihm
daran, Lebewesen zu schaffen, und ahmt dabei eine andere Art von Seele auf, die sterbliche, die
mein Wirken nach . . . Im übrigen sollt ihr, mit schreckliche und von der Notwendigkeit ge­
dem Unsterblichen das Sterbliche verwebend, lenkte Empfindungen in sich birgt . . . (69)
die Lebewesen schaffen und erzeugen. (41)
Da am Anfang die Menschen alle Männer waren,
Der Schöpfer stellt nun sein Göttliches für jedes würden nur jene, die im Leben verfehlt lebten, im
Wesen zur Verfügung, und die Götter tun offen­ zweiten leben Weiber werden. Sollten sie dann
bar das Sterbliche hinzu. Zu den Göttern sagt der aber immer noch nicht ablassen von ihrer Fehler­
Schöpfer daher: ,,Im übrigen aber sollt ihr, mit haftigkeit, würden sie alsdann in ein Tier geboren
dem Unsterblichen das Sterbliche verwebend, die werden, und zwar in ein solches, das ihrer
Lebewesen schaffen und erzeugen . . . " (42) die Schlechtigkeit und seelischen Eigenart entsprä­
Götter können also nur das Sterbliche schaffen, che, und so lange solle es in diesem Umlauf krei­
nicht das Unsterbliche. sen, bis es sich gewandelt und wieder in die Er­
Die Wesen werden in einem M ischgefäß geschaf­ scheinungsform des ersten sich zurückverwan­
fen. Zunächst kommt dahinein die Seele des Alls, delt hat. Der Schöpfer streute nun den Samen der
d. h. alle Seelen bekommen jede ein Gestirn zu­ einen auf die Erde, den zweiten auf den Mond,
geordnet, denn für alle sollte der Anfang gleich „den dritten in all die übrigen Werkzeuge der Zeit­
sein, damit keiner benachteiligt würde. Die Seelen rechnung" (42). Den jungen Göttern aber überließ
würden dann in Körper eingepflanzt werden und er es, sterbliche Körper für die unsterblichen See­
Gefühle entwickeln, zuerst die Wahrnehmung, len zu formen und dann die Herrschaft über diese
dann die Liebe, dann Furcht und das Gegenteil auszuüben und die menschlichen Wesen zu len­
davon, denn beides geht miteinander einher. I n ken, und zwar so, dass sie nicht selbst ihre Übel
diesem Spannungsfeld könnten sie dann Meister verschulden würden. Die sterblichen Götter borg-
werden, indem sie ausgewogen bleiben würden,
würden sie sich aber von Gefühlen beherrschen Detail des Sarkophags mit Abbildung von
lassen, würden sie in Ungerechtigkeit fallen. Mit Bestattungsritualen. Bemalte Terracotta Kreta,
dem Tod würden sie wieder in die „Behausung des 15. jh. V. Chr.
1 08

ten sich nun vom Weltganzen Teile des Feuers, des Wassers, der
Luft und fügten sie zusammen, indem sie sie mit vielen Stif­
ten, die so klein waren, dass man sie nicht sah, zu­
sammenhefteten, so formten sie die Leiber. Bei diesem
veranlassten sie ein Zufließen und Abfließen und steck-
ten die Seele in diese Umläufe hinein. Nun kommt es
zum Schicksal des Menschlichen: Die Ströme der
Seele selbst passten jedoch nicht in die Ströme des
Körpers hinein, wurden nun also nicht Meister der­
selben, die seelischen Umläufe wurden von den
körperlichen davongetragen oder umgekehrt,

. . . so dass das ganze Leben in Bewegung geriet


und sich auf wahrhaft ungeordnete Weise und
ohne Vernunft vorwärts bewegte. (43)

Die Seele erleidet nun im Körper die gesamte


Problematik der Gesetze der Materie. Platon stellt
die seelischen Regungen der Seele als Fließkreise
und Umläufe dar, was an sich recht treffend ist,
denn das Seelische fließt und strömt. Die Seele wird
zunächst in alle Richtungen geworfen, dann er­
fährt sie den Zustrom des Essens, dann die Er-
schütterung im Zusammenprall mit anderen mate­
riellen Objekten, was die Seele als Immaterielles gar
nicht gewöhnt ist, überhaupt die materiellen
Eigenarten der Elemente Feuer, Wasser, Erde und
Luft, diese so genannten Wahrnehmungen bringen
sie nun in Bewegung, diese ungewohnten Reize er­
schütterten sie. Der Kontakt mit den Bewegungen der
Materie zerbricht ihre naturgemäßen Fließbewegun­
gen, wodurch ihre Kreise zerbrechen.

infolge all dieser Hindernisse verliert die Seele von


Anfang an, sobald sie an einen sterblichen Leib gefesselt
wird, zunächst ihre Vernunft.
Wenn jedoch der Strom des Wachstums und der
Nahrung weniger reichlich fließt, bekommen die
Umläufe wieder Ruhe und durchlaufen wieder ihre eigene
Bahn . . . und . . . bewirken schließlich, dass der, der sie in
sich trägt, mit Vernunft begabt wird. (44)

Kopf eines trauernden Mädchens, um 500 v. Chr.


109

Um wieder gesund zu werden, kann dem auch zunächst vernunftloser Lust zu dienen, tatsäch-
richtige geistige Bildung nachhelfen. Doch allzu lich aber unterliegen sie der Vernunft und den
Genaues vermag Platon nicht zu sagen, und Musen. Der Rhythmus durch das Gehör ver­
so endet er: mittelt die Harmonie, sie
kommt von den Musen und
Was dem noch
soll uns helfen, Ord­
vorangeht: die
nung, sprich: Har­
Entstehung der
monie herzustellen.
Leiber, Teil um Teil,
Die Weltordnung beruht auf
und die Entstehung der Seele,
Vernunft und Notwendigkeit,
aus welchen Gründen sie entstanden ist;
sprich: der Vereinigung beider.
da müssen wir uns nun an das halten,
was die größte Wahrscheinlichkeit für
sich hat . . . (44) DER DAIMON DES
SOKRATES
Mit anderen Worten: vollkommenes
Wissen darüber existiert nicht!
„ . . denn alles Daimonische steht in
.

der Mitte zwischen Gott und Sterb­


D ER KÖRPER lichem", heißt es im Symposion
(202). Der Begriff Daimon hat
Die Menschen sollen den Umläufen große Verwirrung gestiftet. Für
des Äther-Alls nachempfunden wor­ Sokrates ist das Daimonische le­
den sein. Das All soll rund sein, und diglich das Seelische, und dies
daher schlossen die Götter dieses in wird exakt als zwischen Gott
einem ebenfalls runden Kopf ein, und dem sterblichen Leib ste­
der damit der göttlichste Teil am hend bestimmt. Die Seele ist
ganzen Körper ist. Der Kopf, das noch keineswegs das Göttliche,
Zentrum, bekam dann den Leib Kreta, um 1500 v. Chr. Die wie gelegentlich missverstanden,
gewissermaßen als Wagen mit Armen Große Göttin, Magna das Seelenreich liegt zwischen
und Beinen als Werkzeuge. Am Kopf Mater der Fruchtbarkeit, Materiewelt und Göttlichem, ist
wurden zuerst die Augen gebildet, dargestellt durch freien eine mittlere Dimension! Die
Busen und die Erdschlan­
die das Licht empfangen. Das Seh­ anderen Bedeutungen von Dai-
gen, versinnbildlicht nicht
vermögen nennt Platon als das wich­ nur die Schöpferkraft der mon als bösem Gott oder als
tigste von den Göttern mitgegebene Erde, sondern noch mehr böse Seele kommen bei Platon
Organ, denn ohne Sehen hätte man der Seele, denn die nicht vor.
die Welt nicht wahrnehmen und die Seelendimension bringt das
Für Sokrates und Platon ist ein
Materielle hervor.
Natur des Alls nicht erforschen, ja Daimon die eigene hilfreiche
überhaupt keine Philosophie entwickeln können. Seele, sofern sie sich von den negativen Einflüssen
Der Mensch soll die Umläufe Gottes nachahmen, der Kultur und des Leibes losgelöst hat - also die
die in keiner Weise irregehen und dadurch sein gute Seele. Erinnert sich die Seele ihrer Unab­
lrregeleitetsein berichtigen. Die Harmonie der hängigkeit vom Leib nicht, kann sie auch keine
Umläufe und Bewegungen der Seele scheinen weisen Ratschläge erteilen. So spricht Sokrates
110

vorherzusehen. Der Verstand dagegen arbeitet


allein mit den aus den Materiegesetzen abgeleite­
ten Konzepten von Raum und Zeit und festem
Stoff sowie sozialen Meinungen und festgelegten
kulturellen Übereinkünften und wagt so nicht
mehr, die dauernden leisen Hinweise der daimo­
nischen Seele ernst zu nehmen. Der Grad der geis­
tigen Entwicklung drückt sich jedoch darin aus,
den zarten Zeigefinger der raumzeitlosen Seele
zu trauen und ihnen blindlings zu folgen. Darin
bestand Sokrates' Kunst, deshalb war er Sokrates
und wurde verehrt. Wer ganz Seele ist, also
menschliches Denken abgestreift hat, zu dem
kommt intuitiv oder von selbst richtige Einsicht
und richtige Bewegung; die Seele steuert dann
den Leib. Sokrates sagt, sein Daimon komme
dann, wenn er selbst als sozialer Mensch nichts
weiter wisse. Komme er nicht zu Hilfe, dann laufe
ohnehin alles gut. Nun fragt er sich aber im Ge­
fängnis, warum sein Daimon ihn nicht vor seiner
Hinrichtung gewarnt habe. Er folgert, da nie eine
Warnung von seinem Daimon kam, wenn alles
von selbst in den richtigen Bahnen lief, dass auch
diesmal, so folgert er, seine Hinrichtung für ihn
etwas Gutes bringe, folglich beugt er sich seinem
Schicksal und fügt sich zwanglos in das Ritual des
Trinkens des Giftbechers. Was aber kann das Gute
sein, das ihn erwartet, nun, das ist ihm klar: das
jenseits. So stellt er sich angstlos und mit Vor­
Max Svabinskj: Satyr. freude auf das Kommende ein, leert ohne Angst
den Giftbecher und stirbt.

gelegentlich von seinem Daimon, der ihm Weis­ Damit bestünde die zentrale Aufgabe des Lebens
heiten zuflüstert bzw. ihn im richtigen Moment darin, unsere Seelenunabhängigkeit von der ma­
richtig handeln lässt. Sokrates überlässt sich bei teriellen Welt zunächst gedanklich zu erkennen,
schwierigen Fragen stets seinem Daimon (seiner alsdann der Seele zunehmend die Vorherrschaft
Intuition, würden wir heute sagen), denn: Wer über Stoff und Leib zu übergeben, und das geht
sich ganz in die Arme seiner Seele fallen lässt, die nur, wenn wir ganz Seele werden. Dennoch bleibt
sich nicht durch konzeptuelles Denken und An­ die letzte Frage, wozu wir einen Körper erhalten
passung an die materielle Welt beschränkt und haben und was die materielle Welt ist. Platon
sich die Erinnerung an ihr über Raum und Zeit sagt, wir stehen auf der Erde auf Wachposten!
stehendes ätherisches Wesen erhält dem gelingt Was bewachen wir, oder sollen wir einfach wach
es, die materielle Welt zu überschauen und Dinge werden?
111

Höhle Psychro im Hang des Berges Dikte auf Kreta In der Dikte-Höhle soll einer Legende nach Zeus das
Licht der Welt erblickt haben. Eine andere Legende berichtet, hier habe König Minos mit seinem Vater;
Zeus, über die Gesetze gesprochen, die in seinem Königreich herrschten.
Nyx, Göttin der Nacht
oder der Unterwelt,
Persephone auf dem
nördlichen Fries des
Zeus-Altars in Pergamon.

DIE NOTWENDIGKEIT DES behaupten kann, wo gerade Ansätze zur Gott­


WAHNSINNS begeisterung gleich behandelt werden wie Per­
sönlichkeitsstörungen.
Der Gottbegeisterte und Philosoph verliert die
Oie große Aufgabe des Menschen sei es, sich zu
menschlich-materiellen Werte aus den Augen erinnern, was die Seele bei ihrer Fahrt am Him­
und wird, wie Platon sagt, immer mehr befiedert,
mel im Plasma gesehen hat; echte Philosophen
seine Seele wird leichter, schwebt wie ein Vogel. können das und werden daher von dem allge­
Die Gottbegeisterung ist rein seelisch, dadurch meinen Menschen als Sonderlinge missdeutet.
lebt der Mensch allein das Seelische und vergisst
Der göttliche Wahnsinn wird also als höchste
die Notwendigkeiten des Körpers sowie der Weisheit verstanden, doch dazu ist ein Abwei­
Gesellschaft. Er wird so für Außenstehende wahn­ chen von den menschlichen Normen notwendig!
sinnig. Indem er aber die menschlichen Bestre­
Und dieser Wahnsinn wird nun weiter unterteilt:
bungen aufgibt und mit den göttlichen umgeht,
Wahnsinn der seherischen Inspiration
wird er von der Menge zurechtgewiesen, weil er

verdreht sei; dass er aber gottbegeistert ist, das • Wahnsinn der Einweihung
hat die Menge nicht gemerkt. (Phaidros 249) • Wahnsinn des Dichtens
Und vom Wahnsinn gebe es zwei Arten; die eine, • Liebeswahnsinn
die aus menschlichen Krankheiten entstanden,
Den göttlichen Wahnsinn aber teilten wir nach
die andere aus einer göttlichen Abweichung von
vier Göttern in vier Teile, wobei wir die seheri­
den gewöhnlichen Normen. (Phaidros 265)
sche Inspiration dem Apollon zuschrieben, die
Platon weiß also sehr genau zu unterscheiden, der Weihen dem Dionysos, die dichterische
was man von der modernen Psychiatrie nicht wiederum den Musen, die vierte aber der Aphro-
113

Die "heilige Vermählung" von Zeus und


Hera Zeus hält Hera am Handgelenk, da­
mit sie ihr Gesicht nicht hinter einem
Schleier verbergen kann.

dite und dem Eros, wobei wir die als Liebes­


wahnsinn bezeichneten und sagten, er sei der
beste von allen. (Phaidros 265)

Wahnsinn entsteht durch Wiedererinnerung ans


jenseits, die klare Welt des Äthers. Im Zustand des
Wahnsinns wachsen einem also Flügel, man ist
beseelt, begeistert. Ist jedoch die Begeisterung
nicht groß genug, bleibt man mit der Seele im
Körper. Der Wahnsinn, bei dem die Seele noch im
Körper gefesselt ist, ist ein schwieriger Zwischen­
zustand zwischen reiner Materieorientierung WIR WERDEN WIEDERGEBOREN
und wahrer Seelenabtrennung.

. . . wenn man sich beim Anblick der Schönheit Vielleicht leidet die Seele, wenn sie durch die
hiernieden an jene wahre Schönheit erinnert, so dauernden Wiedergeburten geht und löst sich
bekommt man Flügel, und wenn man dann neu einmal selbst ganz auf. (Phaidon 54)
befiedert ist und auffliegen möchte, dazu aber
Es heißt im Phaidros (248):
nicht imstande ist, sondern wie ein Vogel hinauf­
schaut und sich um die Dinge hier unten nicht jede Seele, die im Gefolge eines Gottes etwas
kümmert, so gibt das Anlass zu der Beschuldi­ von den wahren Dingen geschaut hat, ist un­
gung, man befinde sich im Zustand des Wahn­ gefährdet bis zum nächsten Kreislauf, und wenn
sinns. (Phaidros 250) sie das stets wieder zustande bringt, bleibt sie
allezeit ungeschädigt.

Das heißt: Die Seele, die einmal im höheren Him­


mel geweilt hat, dann wiedergeboren wird, hat
eine Chance, sich im nächsten Leben erneut wie­
derzuerinnern, wie das jenseitsleben war. Erin­
nert sie sich in jeder Wiedergeburt daran - was
zu einer stetigen Verbesserung der Seelenwahr­
nehmung führt - erhält sie sich in allen Kreis­
läufen von Geburt und Tod unbeschadet durch
materielle Absturnpfung ihre Seelen- und jenseits­
wahrnehmung.

Zeus kämpft mit Kronos. Ecke der Westseite des


Artemis-Tempels auf Korfu. Etwa 600 v. Chr.
Der Fries des Thesaurus von Siphos zeigt eine dramatische Kampfszene zwischen Göttern, Tieren und Riesen.

WIEDERGEBURT ALS TIER sich selbst in ihrem vergangenen Leben be­


fleißigt haben. (Phaidon 82)
Wenn sie (die Seele) aber nichts sieht. . . und sie Wer zum Beispiel auf Völlerei und Übermut und
durch irgendein Missgeschick von Vergessen­ Trunksucht bedacht war, ohne sich dabei zu schä­
heit oder Schlechtigkeit erfüllt und davon nieder­ men, der fährt vermutlich in einen Esel oder in
gedrückt wird, und deshalb die Flügel sinken ein Tier ähnlicher Art:
lässt und auf die Erde herab fällt, dann gilt es als
.. . wer aber Ungerechtigkeit und Gewaltherr­
Gesetz, diese Seele bei der ersten Zeugung noch
schaft und Raub über alles geschätzt hat, der
in eine tierische Natur einzupflanzen.
fährt in einen Wolf oder Habicht oder Geier. . .
(Phaidros 248)
Und so ist es doch offenbar auch mit den ande­
Das heißt offenbar: Ein Mensch, der die Seelen­ ren: wohin ein jedes kommt, dorthin kommt es
unabhängigkeit ganz vergessen hat, wird bei der entsprechend der Ähnlichkeit in seiner Lebens­
nächsten Wiedergeburt ein Tier werden. führung.
Die Diskussion kreist nun darum, wie unser Aber die unter ihnen . . . sind doch wohl am
Leben von den Taten vergangener Leben geprägt glücklichsten und kommen an den besten Ort,
wird, so wie ja eine Tat jetzt unser weiteres Leben welche jene gewöhnliche Bürgertugend aus­
bestimmen wird. Von den Wiedergeborenen geübt haben, die man Besonnenheit und Ge­
heißt es: rechtigkeit nennt und die ohne Hilfe der Philo­
Wahrscheinlich aber werden sie in ein Wesen sophie und der Vernunft allein aus der Übung
mit solchen Gewohnheiten gebunden, deren sie und aus der Gewohnheit entsteht.
1 15

Weil sie wahrscheinlich wieder in eine ähnliche Paralleldimension wahr. Sie kommunizieren eher
sozial gesinnte und gesittete Gattung kommen, mit ihren verstorbenen Besitzern und spüren die
entweder in Bienen oder Wespen oder Ameisen Seelenbedürfnisse dieser direkt. Nach Platons De­
oder auch wieder in dieselbe menschliche Gat­ finition wären demnach Tiere weiser als Men­
tung; und dann gibt es aus ihnen wieder ordent­ schen, ja echte Philosophen. Wie passt das nun zu
liche Leute. (Phaidon 82) seiner Ansicht, dass nur die bewusstseinstrüben

Interessant ist die Überlegung, ob Menschen als Seelen in Tiere fahren? Hat er hier nicht richtig

Tiere wiedergeboren werden können. Platon ver­ nachgedacht? Unterscheiden sich Tiere und

mutet nun, dass Menschen mit bestimmten Per­ Menschen tatsächlich dermaßen, wie man heut­

sönlichkeitsmerkmalen in Tieren mit ähnlichem zutage annimmt, wo Tiere als Lebewesen niederer

Charakter wiedergeboren werden. Modeme For­ Art im Vergleich mit Menschen eingestuft wer­

schungen darüber existieren nicht, einfach weil den, oder sind es doch einfach nur Menschen

dies kaum nachprüfbar ist. Wenn dem so ist, anderer Art, mit anderen Körpern? Wer hier vor­

dann wäre eine Seele, die einmal in einem schnell dem gängigen Denkmuster folgt, Tiere

menschlichen Körper war, nicht daran gebunden abwertet und den so genannten Homo sapiens in

und könnte auch ein Tter werden und umgekehrt. die Höhe hält, irrt gewaltig. Oder war Platon ein­

Diese Austauschbarkeit erstaunt zunächst, ist fach kein Tterliebhaber und Tterbeobachter? Diese

aber vielleicht gar nicht so abwegig, haben wir Fragen könnten länger und breiter diskutiert

uns daran gewöhnt und Tiere einmal genauer werden.

beobachtet. Ich vermute, wir sind dieser Vorstel­


lung gegenüber deshalb voreingenommen, weil WIE DERGEBURT
wir bei Tieren keine menschliche Kultur erblicken, ALS GOTT
diese aber unlogischerweise mit dem Menschsein
verbinden. Doch ist eine Seele keineswegs an
In der Götter Geschlecht aber darf keiner ein­
Sprache und Schrift, Architektur und Denken
gehen, der sich nicht der Philosophie ergeben
gebunden. Die meisten Menschen denken ohne­
hat und nicht völlig geläutert von hier weggeht,
hin nur rudimentär, und auch ihr Gefühlsleben ist
sondern nur der Lernbegierige. Deshalb . . . ent­
im Wesentlichen auf körperliche Lüste reduziert,
halten sich die echten Philosophen aller körper­
es kommt also die reine Seele eher selten zum
lichen Begierden und sind standhaft und geben
Tragen. Andererseits anzunehmen, Tiere seien
sich ihnen nicht hin; nicht etwa, weil sie den Ver­
ganz auf körperliche Bedürfnisse hin ausgerich­
lust des Vermögens oder die Armut fürchten
tet, ist ein billige Annahme. Es scheint bei genauer
wie die habgierige Menge, noch auch, dass sie
Tterbeobachtung im Gegenteil so zu sein, dass Tie­
Ehrlosigkeit und Schmach eines niedrigen Stan­
re aller Gattungen sehr wohl ein Seinsgefühl
des scheuen wie die herrschsüchtigen und ehr­
spüren, ja sogar viel mehr als der Mensch im
geizigen, und sich deshalb dieser Dinge enthal­
Seinszustand ruhen, seelisch dem jenseits viel
ten. (Phaidon 82)
näher stehen. Tiere haben viel öfter als Menschen
paranormale Einsichten, was bedeutet, dass sie Die lernbegierigen erkennen nämlich, dass die
der reinen Seele viel näher stehen, denn alle über­ Philosophie ihre Seele, die völlig an den Leib ge­
sinnlichen Erscheinungen sind solche der eigenen bunden und fest in ihn eingefügt ist, zur Erzie­
Seele. Tiere nehmen auch häufiger als Menschen hung übernimmt, nachdem sie gezwungen war,
Gespenster oder Erscheinungen in der jenseitigen durch ihn wie durch einen Käfig hindurch die
1 16

Wirklichkeit zu betrachten und nicht durch Erneut wird auf die Reinigung der Seele verwiesen,
sie selbst, sich in völliger Unwissenheit wäl­ jedoch recht ungenau. Man reinigt sich einfach, in­
zend, und dass die Philosophie dann einsah, dem man von körperlichen Betätigungen und vom
dass die Gewalt dieses Käfigs von den Begier­ Allzumenschlichen Abstand nimmt und sich dem
den herrührt, so dass der Gefesselte selbst philosophischen Denken verschreibt. Mit Philoso­
am meisten zu seiner Fesselung mithilft - phie ist hier aber nicht, wie heute missverstanden,
also, wie gesagt, die lernbegierigen erken­ reines logisches Denken gemeint, sondern darüber
nen, dass die Philosophie ihre Seele in diesem hinaus Weisheitsliebe und Weisheitsschau sowie
Zustande übernahm und dass sie ihr dann die Schau des Schönen und Guten. Das geht also
leise zuspricht und sie zu erlösen sucht, in­ weit über unsere heutige so genannte Logik, die
dem sie ihr klar macht, dass die Wahrneh­ nur ein verkürztes, rudimentäres Denken ist, hi­
mung durch die Augen, durch die Ohren und naus und grenzt gar an Gottesschau.
durch die anderen Sinnesorgane voller
Täuschung ist; sie überredet sie, auf diese zu ZWECK D ER WIE D ERGEBURT
verzichten, soweit sie ihrer nicht unbedingt
bedarf, und sie ermahnt sie, sie möge sich Verlässt die Seele nun den Leib, dann ist sie noch
auf sich selbst zurückziehen und sich sam­ begleitet von Lust und Leid und gelangt so nicht in
meln und nichts anderem Glauben schenken den Hades.
als sich selbst, also dem, was sie selbst durch Die Folge ist, dass sie sogleich wieder einem
eigene Kraft als wirkliches Wesen der Dinge anderen Leibe verfällt und dort wie ein Saatkorn
erkennt. Was sie aber durch andere Mittel in hineinwächst.
dem einen so, in dem anderen anders er­
Phaidon 4 7
kennt, davon möge sie nichts für wahr hal­
ten; denn das sei das mit den Sinnen Wahr­ Quintessenz: Im Todesreich ist die Seele nicht an­
nehmbare und das Sichtbare; was sie aber ders als im Leben. Zu hoffen also, dass wir mit dem
selbst erkenne, das sei das mit dem Denken Tod schlagartig bessere Wesen werden, ist uto­
Fassbare und Unsichtbare. In der Überzeu­ pisch - übrigens nach keiner Vorstellung der Völ­
gung, dass sie sich solcher Erlösung nicht wi­ ker, allein das Christentum beschwört solchen Un­
dersetzen dürfe, hält sich daher die Seele des fug - und das zwingt uns zur Wiedergeburt ins
echten Philosophen von den Lüsten und Be­ Fleisch. Doch warum? Die Logik ist überraschend:
gierden, den Schmerzen und den Ängsten Weil wir im Stoffkleid schneller und besser die
fern, so sehr sie nur kann, weil sie sich be­ Gesetze des Daseins lernen können, denn hier
wusst ist, dassjemand, der heftige Lust oder herrscht, kaum begehe ich einen Fehler, sofortige
Schmerz oder Angst oder Begierde empfin­ Rache und Strafe, so dass ich schneller aus meinen
det, nicht so sehr ein Übel erleidet, das dort­ Fehlern lernen kann. Die Stoffgeburt ist daher eine
her kommt, woher er wohl meint, wie wenn höhere Schule, daher die Wiedergeburt! Das Lernen
er zum Beispiel krank wird oder sein Vermö­ im jenseits scheint langsamer oder schwieriger zu
gen für seine Begierden verbrauchte, son­ sein, da dort j a die äußere Wirklichkeit aus dem
dern ein Übel, das größer und schlimmer ist besteht, was ich denke und fühle, wodurch ich mir
als alle andern - das ihm widerfährt, ohne meine eigene Welt baue, so aber im Gegensatz zur
dass er sich Rechenschaft gibt. Materiewelt, wo die U mwelt weitgehend unabhän­
(Phaidon 83) gig von mir ist, schwer lernen kann.
Eingang in die
Einweihungshöhle
des orphischen KulV:s bei Mezek,
Südbulgarien.
1 18

LEBEN H E ISST kümmert, so gibt das Anlass zu der Beschuldi­


WIEDERE RI NNERUNG ANS gung, man befinde sich im Zustand des Wahn­
JENSEITS sinns. (. . .) Es ist aber nicht fürjede (Seele) leicht,
sich vom Hiesigen aus an jenes zu erinnern,
Neben der gewöhnlichen Erinnerung gibt es nach weder für die, die damals das Jenseitige nur kurz
Platons Ansicht die Wiedererinnerung, Anamne­ geschaut haben, noch für die, die hierher gefal­
sis. Wiedererinnerung ist nichts anders, als dass len sind und dann das Unglück hatten, dass sie
ich mich daran erinnere, dass ich im wesentli­ sich durch irgendwelchen Umgang zur Unge­
chen Seele, mehr noch: reiner Geist, Logos bin rechtigkeit verleiten ließen und das Heilige, das
und nicht nur Körper. In der Wiedererinnerung sie damals geschaut, wieder vergessen haben.
besteht die zentrale Aufgabe des Lebens. Wer sich Nur wenige bleiben also übrig, die über eine
nicht wiedererinnert, dass er Seele ist, verfault genügend starke Erinnerung verfügen. Wenn
gewissermaßen im Körper. Wer sich nicht erin­ diese aber die Abbilder des Jenseitigen sehen,
nert, erkennt sein Leben nicht, verfehlt, verfälscht werden sie erschüttert und sind ihrer selbst
es und schafft sich so ein schlechtes Schicksal, nicht mehr mächtig. Worin aber dieses Erlebnis
nämlich eines, dass sich immer weiter an den besteht, wissen sie nicht, weil sie es nicht ge­
falschen Glauben bindet, nur Körper zu sein. nügend wahrnehmen können.
Trotz dem Vergessensfluss Lethe sei unser Leben Denn von Gerechtigkeit und Besonnenheit und
ein Versuch der Anamnesis, der Wiedererinne­ allem, was sonst den Seelen ehrwürdig ist, fin­
rung, sagt Platon. Das Vergessen sei ein Werk der det sich in den Abbildern hienieden kein Glanz;
Dämonen, glaubte man in Griechenland, während sondern durch trübe Organe schauen nur weni­
die Musen die Menschen lehrten, das Vergessen ge mit Mühe die Herkunft des Nachgebildeten,
zu überwinden. Daher standen die musischen indem sie auf die Bilder zugehen. Die Schönheit
Künste in so hohem Ansehen, denn sie lehrten aber war damals herrlich anzusehen, als wir, zu
das Wiedererinnern, indem sie förmlich die inten­ einem glücklichen Chor vereint, im Gefolge des
sive Welt des Jenseits erklingen lassen. Besonders Zeus und andere mit einem anderen Gotte, den
das Schöne und die Musik, wenn auch nur ein An­ seligen und göttlichen Anblick schauten und mit
klang an das Seelenreich, geben uns doch, so wie jener Weihe geweiht wurden, die man als die
ein Echo im Wald, einen Eindruck von der ur­ glückseligste bezeichnen darf. (Phaidros 250)
sprünglichen Natur des Daseins. Musik und Kunst
ebenso wie die Wissenschaft führen uns nach Pla­ Platons ganze Psychologie beruht auf der Wieder­
ton zur „Wahren Erde", der ätherischen Nach­ erinnerung der Struktur des Jenseits. Einige erin­
bardimension, zurück. nern sich an mehr davon, andere an weniger. Wer
sich an wenig erinnert, kann die materielle Welt
ERINNERN D ES EW IGEN nicht erkennen, er wird ganz den Körper­
instinkten unterliegen. Wer sich a � mehr erin­
„. Wenn man sich beim Anblick der Schönheit nert, weiß nur selten, dass sein Verhalten eine
hienieden an jene wahre Schönheit erinnert, so Erinnerung an das Jenseits ist, was nur sehr we­
bekommt man Flügel, und wenn man dann neu nigen vorbehalten ist. Tiefe Weltsicht, Erfahrung
befiedert ist und auffliegen möchte, dazu aber des Schönen, Guten und Wahren, geistige Erotik,
nicht imstande ist, sondern wie ein Vogel hinauf­ göttliche Erkenntnisse, das alles ist angeboren,
schaut und sich um die Dinge hier unten nicht bzw. davon abhängig, wie viel vom Ewigen wir
119

bereits in anderen Leben erfahren haben und ob Redewendung, Menschen als „Herde der Götter"
wir möglichst wenig Schlechtes getan haben, zu bezeichnen, deutet an, Menschen sind für die
denn schlechte Handlungen gründen auf Un­ Götter das, was Schweine und Ziegen für die
wissen über das Ewige. Haben wir viel erfahren, Menschen sind. Offenbar aber essen Götter keine
erinnern wir uns auch besser, erkennen im Irdi­ Menschen, aber wozu brauchen sie sie dann?
schen das Ätherische wieder. Die, die keine große Wozu machen sie sich die Mühe, sie vom Anfang
Erfahrung haben, erinnern sich an wenig und fal­ bis zum Ende zu leiten, im Guten wie im Bösen?
len unter die Gesetze der Sinne und des Körpers, Wohlgemerkt, die Idee der menschlichen Unab­
ihnen gelingt es auch nicht, sich von diesen zu hängigkeit ist dem Altertum aller Kulturen
läutern, weil es für sie gar nichts anderes geben fremd, sie sahen sich allesamt als Sklaven der Göt­
kann. Damit erhalten wir einen Rahmen für sämt­ ter, und so legten sie ihr Schicksal und ihre Hoff­
liches menschliches Handeln: Entweder erinnern nung in deren allwissende Hände. Für Platon gab
wir uns oder nicht! Was nicht besprochen wird, es nur einen Ausweg aus dieser Abhängigkeit,
ist, warum Einzelseelen überhaupt von den Göt­ nämlich der Abhängigkeit des Körpers zu entrin­
tern einen Körper erhalten haben. Selten wird in nen, wieder Seele zu werden und auch dort nicht
den alten Überlieferungen davon gesprochen, es in die tieferen Seelenbereiche (Hölle), sondern in
scheint ein großes Geheimnis zu sein. Allein die die höheren Himmel zu gelangen.
Gechmücktes Haarband der Göttin Athene, etwa 150 v. Chr.
. N.

DAS
LEBEN
122

DIE SEELE MUSS SICH REINIGEN sie dann in Wahrheit die übrige Zeit mit den
VOM KÖRPERLICHEN Göttern. (Phaidon 8 1)

Darüber, dass die abgespaltene Seele im Tod mit

Wenn du dich hütest, auf feste Namen Wert Göttern zusammenlebt und mit ihnen kommuni­

zu legen, wirst du dich im Alter reicher ziert, berichtet Platon nichts. Die Frage ist also,

an Einsicht erweisen. ob das Reich der Götter oder Titanen tatsächlich


das jenseits ist oder ob es nicht doch, wie die
Politikos
Überlieferung teilweise erkennen lässt, stoffliche
Weil jede Lust und jedes Leid gewissermaßen Wesen einer anderen Galaxis waren, die die Men­
einen Nagel hat und damit die Seele an den Leib schen zeugten und leiteten. Andererseits geht aus
annagelt und sie anheftet und sie körperhaft den alten Überlieferungen hervor, dass die Götter
macht, indem sie das für wahr hält, irgendwie eine Äthertechnologie besaßen und
was auch der Leib als wahr angibt. vielleicht selbst zwischen Äther und Materie hin

Phaidon 47 und her pendelten. Die Frage ist also, ob es We­


sen zweier Welten gab oder gar gibt.

Stirbt die Seele beim Tod oder überlebt sie, eine Zwar sollen Seele und Leib völlig getrennt, doch
uralte Frage. aber durch Gewöhnung und Verblendung voll­
kommen miteinander deckungsgleich geworden
. . . und ihr fürchtet wie die Kinder, dass wahrhaf­
sein.
tig der Wind die Seele bei ihrem Austritt aus
dem Körper verweht und zerstreut. . . Ich glaube vielmehr, sie ist völlig vom Körperli­
(Phaidon 78) chen durchdrungen, weil die Gemeinschaft und
der Umgang mit dem Leibe sie ganz mit diesem
Wenn sie (die Seele) sich in reinem Zustand vom
verwachsen ließ, da sie immer mit ihm zusam­
Leibe trennt und nichts mehr von ihm mit sich
men war und sich mit ihm abgegeben hat.
schleppt, weil sie schon im Leben aus freiem
(Phaidon 8)
Willen nichts mit ihm gemein hatte, sondern ihn
gemieden und sich ganz in sich selbst gesam­ Dies aber, mein Freund, ist doch sicher nie­
melt hat, da das ihr stetes Streben war - das derdrückend und schwer und irdisch und sicht­
bedeutet aber nichts anderes, als dass sie auf bar. Darum wird die Seele, die damit behaftet ist,
richtige Art philosophiert und sich in Wahrheit beschwert und wieder in die sichtbare Welt
um einen leichten Tod bemüht, oder heißt das zurückgezogen, aus Furcht vor dem Unsichtba­
nicht, auf den Tod bedacht sein? (Phaidon 80) ren und dem Hades. So treibt sie sich, wie man
erzählt, um die Denksteine und Gräber herum,
Wenn sie sich also in diesem Stande befindet,
wo man auch schon schattenartige Erscheinun­
dann gelangt sie doch gewiss zu dem, was ihr
gen gesehen hat, welche von solchen Seelen
selber ähnlich ist, dem Unsichtbaren, dem Gött­
stammen, die sich nicht rein getrennt, sondern
lichen und Unsterblichen und Vernünftigen.
noch an der sichtbaren Welt teilhaben und des­
Und wenn sie dorthin gelangt, darf sie glücklich
halb auch gesehen werden. (Phaidon 8)
sein, frei von Irrtum und von Unvernunft und
von Ängsten und wilden Liebesbegierden und Allerdings ist das wahrscheinlich, Kebes, und
den anderen menschlichen Übeln. Und so, wie auch dies, dass es nicht die Seelen der Guten,
man es von den Eingeweihten erzählt, verbringt sondern die der Schlechten sind, die an solchen
Orten umherirren müssen, zur Buße für ihre
frühere schlechte Lebensweise. Und so lange ir­
ren sie umher, bis sie wieder an einen Leib ge­
bunden werden, weil es das Körperliche, das sie
begleitet, so verlangt. (Phaidon 82)

Zunächst einmal wird der klassische Gespenster­


glauben angeführt. Wer sich nicht von seinen
körperlichen Taten im Leben nach dem Tod lösen
kann, bleibt erdgebunden und kann unter
Umständen von Lebenden wahrgenommen wer­
den. Das ist dann ein Gespenst. Das wirft ein Licht
auf die Art des Äthers. Der Tote, sprich: die Seele
ist ein Ätherleib. Da der Äther aber ganz dem
Denken und Fühlen der Seele unterliegt, kann der
Ätherleib in der Materie gesehen werden, dann,
wenn ein starkes seelisches Verlangen vorliegt.
Ebenso kann umgekehrt ein Lebender bei starker
Konzentration und Schreck seine Seele ablösen,
was ja ohnehin dauernd im Traum und Tiefschlaf
wie in Trancezuständen aller Art geschieht. Hier
gibt Platon also altes Volkswissen wieder.

GEGENSEITIGE BEEINFLUSSUNG
VON SEELE UND KÖRPER

Dass die Seele jedes Menschen, sobald sie sich


über etwas heftig freut oder betrübt, zwangs­
läufig glauben muss, dass das, was diese Emp­
findung am meisten auslöst, etwas durchaus
Wirkliches und Wahres sei, während es dies
doch nicht ist. (Phaidon 83)

Weil jede Lust und jedes Leid gewissermaßen ei­


nen Nagel hat und damit die Seelen an den Leib
annagelt und sie anheftet und sie körperhaft
macht, indem sie das für wahr hält, was auch

Der Sagen umwobene Fluss Styx G,Der Verhasste') stürzt sich von einem hohen Felsen in ein dunkles Tal.
Die alten Griechen glaubten, das Wasser sei giftig und zerstöre alle Gefäße, in die es gefüllt würde, aus­
genommen die, die aus dem Hufeisen eines Pferdes oder eines Esels gefertig seien. Eine Legende besagt, Ale­
xander der Große sei durch das Wasser des Flusses vergiftet worden.
Gefangener Titan beißt einen Gott. Detail von
einem Fries des Zeus-Altars von Pergamon.

der Leib als wahr angibt. Sobald sie aber mit ihm
gleicher Meinung ist und sich über dieselben
Dinge freut, muss sie nach meiner Ansicht
zwangsläufig auch dieselben Sitten und Gewohn­
heiten annehmen und kann daher niemals mehr
in reinem Zustande in den Hades gelangen, son­
dern wenn sie den Leib verlässt, ist sie immer
noch voll von ihm. Die Folge ist, dass sie sogleich
wieder einem anderen Leibe verfällt und dort wie
ein Saatkorn hineinwächst. Und so hat sie keinen
Teil an der Gemeinschaft mit dem Göttlichen und
dem Reinen und dem Eingestaltigen.
(Phaidon 83)

Eine der Grundfragen Platons ist unsere Erkennt­


nisunfähigkeit. Erkenntnis kann nur mittels der
Seele erlangt werden, deren Blick ist jedoch ge­
trübt und gestört durch die Bewegungen des Kör­
pers. Offenbar hängen Seele und Körper in einem
Übergangsfeld zusammen, so dass der eine den
anderen Teil beeinflussen und verschatten kann.
Verschattet das Körperliche die Seele, wird diese
halbblind, verschattet die Seele den Körper, wird
dieser z.B. krank (Neurosen, Psychosomatik).
Oder: Hält eine freie, also gestorbene Seele an
ihren körperlichen Erinnerungen fest, wird sie
zum Gespenst bzw. gestaltet ihr Leben im jenseits
in Analogie zum Irdischen und schafft sich so eine
Pseudowelt. Umgekehrt kann sich eine Seele im
Körper einbilden, völlig frei vom Körper und der
sozialen Welt zu sein, was man Psychose nennt.
Die Lebenskunst bestände somit darin, klar unter­
scheiden zu lernen, was seelischer und was kör­
perlicher Natur ist und jedem zu seinem Recht
kommen zu lassen.

Die Diskussion bleibt bei Platon wie gesagt ober­


flächlich, und so müssen wir uns mit spärlichen
Andeutungen, wie Seelisches und Körperliches
auseinander zu halten und zu trennen sind, be­
gnügen.
126

Dieses Fragment einer attischen Votivstele im strengen Stil zeigt einen


nackten Jüngling, vielleicht einen Athleten, der sich
gerade eine Krone oder einen Kranz
aufs Haupt setzt. Die Stele stammt
von Kap Sunion (um 470 v. Chr).

Nun diskutiert Platon, ob Seelen


auch sterben können, und sagt über die
Seele:

. . . dass sie unter diesen vielen Wiedergeburten


nicht leidet und dass sie nicht schließlich bei
einem dieser Tode selbst auch völlig zugrunde vorsteht, fürchten, seine Seele könnte dieses Mal

geht. Niemand aber könnte wissen, so würde bei der Auflösung des Leibes völlig mit zu­

man sagen, welcher Tod und welche Auflösung grunde gehen.

des Leibes die sei, die auch der Seele den Unter­ (Phaidon 88)
gang bringt; denn für jeden von uns wäre es
unmöglich, das voraus zu merken. Wenn dem DAS EWIG E LEI B-SEELE PROBLEM
aber so ist, dann darf sich vernünftigerweise
keiner vor dem Tode sicher fühlen, er könnte . . . der Eintritt in den menschlichen Leib war für
denn nachweisen, dass die Seele ganz und gar sie (die Seele) der Anfang des Untergangs,
unsterblich und unvergänglich ist. Kann er das gleichsam der Beginn einer Krankheit.
nicht, so muss ein jeder, wenn ihm der Tod be- (Phaidon 95)
1 27

Gefragt wird erneut über die Seele: Wahrheit, solange sie mit dem Leib verbunden
ist. Kurzum: Der Leib täuscht die Seele!
Herrscht sie aber, indem sie den Zuständen des
Leibes nachgibt oder indem sie ihnen Wider­ Am allerbesten aber kann sie (die Seele) dann
stand leistet? „. Und können wir nicht in tau­ vernünftig denken, wenn nichts von diesen Din­
send anderen Fällen feststellen, dass sich die gen sie stört, weder das Gehör, noch das Gesicht,
Seele den Wünschen des Leibes widersetzt, oder weder Schmerz noch Lust, sondern wenn sie
nicht? möglichst frei bei sich allein bleibt, den Leib bei­
Wir sind aber doch vorhin übereingekommen, seite lässt und, soweit dies geht, keine Gemein­
dass die Seele, falls sie überhaupt eine Harmo­ schaft mit ihm hat und so, von ihm unberührt,
nie ist, niemals entgegengesetzt tönen kann als nach dem Seienden trachtet. (Phaidon 65)
die Elemente, aus denen sie besteht, je nachdem
diese gespannt oder nachgelassen oder in DIE ZWEITE METHODE
Schwingung versetzt werden, und was sonst
Unsere Jagd nach dem Seienden wird verhindert
mit ihnen geschieht, sondern dass sie diesen
durch Ernährung, Krankheit, Liebesverlangen,
folgt und niemals selbst herrscht? (Phaidon 94)
Begierden aller Art, auch Furcht und Illusionen.
Ja, dem ist so, der Leib beherrscht die Seele, aber Um zur reinen Erkenntnis zu gelangen, müssen
darin besteht ja nun Platons ganzes Werk, näm­ wir uns also vom Leib lösen, weshalb eigentlich
lich nachzuweisen, dass es auch andere Wege direkte Erkenntnis erst mit dem Tod kommt.
gibt.
. . . und solange wir leben, werden wir offenbar

DIE GROSSE SUCHE in dem Maße dem Wissen am nächsten kom­


men, als wir mit dem Leibe möglichst wenig

Platon vermittelt offenbar zwei Methoden der verkehren. (Phaidon 66)


Suche nach dem Guten. Die eine ist die Suche Wie aber kann sich die Seele aus dem Leib
nach Wahrheit, die andere ist die Konzentration herauslösen? Offenbar nur, indem sie stirbt oder
und der Tod. indem sie, wie Sokrates es vorlebte, sich ganz auf
sich besinnt, sprich: sich konzentriert und dabei
DIE ERSTE M ETHODE den Leib vergisst und er sie mit seinen Lüsten und
Bedürfnissen nicht mehr verwirren kann.
Es gilt der Satz:
Und so, rein und von der Unvernunft des Leibes
Die Wahrheit ist die Reinigung von allem Leben.
befreit, werden wir dann wohl unter gleichar­
Das heißt, wer sich ganz der Wahrheitssuche ver­ tigen Wesen leben und durch uns selbst die
schreibt, und das wäre die Suche danach, ob und ganze reine Wahrheit erkennen. (Phaidon 66)
wie sich die Seele vom Körper löst.
Wie wir aber behaupten, bemühen sich die echten
Totsein ist ein Zustand, in dem Seele und Leib
Philosophen jederzeit am meisten und als einzige
getrennt sind. Sokrates sagt: „Der echte Philosoph
darum, ihre Seele loszulösen. (Phaidon 67)
achtet die materiellen Dinge wenig und ist lieber
mit der Seele allein als mit dem Leib" (wo?), er In der Tat bereiten sich die echten Philosophen
will also die Verbindung zum Leib lösen, denn die auf das Sterben vor, und der Tod ist für sie we­
Sinnesempfindungen seien ungewiss und vermit­ niger schrecklich als für alle anderen Menschen.
telten keine Klarheit. Die Seele erfasst nicht die (Phaidon 68)
Einweihungshöhle mit steinernem Totenbett in Kreta
1 30

Platon das Göttliche, das Höchste und daran erin­


nern wir uns wieder beim Anblick von etwas, das
uns an das Höchste erinnert, und dieses ist ins­
besondere das Schöne, das Wahre und Gute und
die Gerechtigkeit. Diese sind ein wenn auch un­
vollkommenes Abbild des Guten. Wir müssen das
Wissen vom höchsten Guten schon vor dem
Leben erfahren haben, nur so können wir es im
Leben erinnern. Doch bei der Wiedererinnerung
an das Göttliche in Gestalt des Irdischen entsteht
immer ein ungutes Gefühl, weil wir das ganze
Göttliche nicht erkennen können, und das ist das
eigentliche Leiden am Leben.

WACHEN ODER TRÄUMEN WIR?

Sokrates:

. . . da man sogar darüber streiten kann, ob wir


wachen oder träumen. (Theaitetos 158)

Die Frage des Sokrates ist nicht rhetorischer oder


poetischer Natur, sondern ernst gemeint - er
meint in der Tat, dass wir im Leben nur träumen.
Wer die Urformen der Ätherwelt nicht in Gestalt
ihrer materiellen Spiegelbilder erblickt, der sieht
Ka/lichoron - Brunnen in Eleusis.
nicht die wahre Welt, ist geprägt von den phy­
sischen Sinnesorganen, die ihm eine Welt der
Will einer nicht sterben, haftet er am Leib, ist
Vielfalt vorgaukeln, zudem sind die Dinge über­
habgierig und ehrgeizig. Echte Tapferkeit da­
schattet von Konzeptionen und kulturellen Theo­
gegen zeigt sich durch Trennung vom Leib und
rien und persönlichen Vorlieben, die aber nicht
durch Besonnenheit. Doch nicht jeder, der tapfer
als ein zusammenhängendes Wesen erkannt wer­
im Krieg stirbt, ist philosophisch tapfer:
den. Die ätherische Weltseele, in der viele Einzel­
Und so ertrugen denn die Tapferen unter ihnen seelen existieren, ist in Wahrheit ein verwobenes
den Tod bloß aus Furcht vor noch größeren Ganzes, eben nur ein Wesen, etwa so wie Blut­
Übeln, wenn sie ihn ertragen? (Phaidon 68) zellen nicht allein existieren, sondern im Verband
und notwendigerweise im großen Körper
WIEDERERI N NERUNG Mensch. Das soll der Mensch erkennen lernen,
das universelle Gewebe im Physischen und im
Das Weltliche strebt nach d e m höchsten Guten. Ätherischen. Da wir das aber nicht tun, träumen
Platon nennt es das Gleiche, weil es letztendlich wir nur. Es geht Platon um universelles Erwachen.
dem Höchsten gleicht. Sokrates spricht vom Glei­ Ein gigantisches Projekt.
chen an sich, womit nicht gemeint ist, dass eine
Sache der anderen gleicht. Das Gleiche ist für Rechts: Dionysos mit Weinbecher und Ei.
132

DAS SCHÖNE ALS SCHLÜSSEL tet, und folgen nicht mehr dem normalen
ZUM JENSEITS Menschenverstand. Das Schöne steht aus diesem
Grund über allem, auch über der Gerechtigkeit
und Weisheit. Durch das Schöne in den Dingen
Das Göttliche aber ist das Schöne, erinnert man sich a n das Schöne des jenseits, was
das Weise und alles Derartige. man von der Weisheit und Gerechtigkeit nicht so
Davon also nährt sich und wächst leicht sagen kann. Daher steht das Schöne an
die Seele am meisten; oberster Stelle. Das Schöne wird erregt durch das
durch das Hässliche aber und Schlechte vornehmste unserer Sinnesorgane, das Auge.
und alles Gegenteilige schwindet sie Daher gilt das Auge am ehesten als Abbild der
und geht zugrunde. Seele.
Phaidros 246 Man geht also den Weg von der irdischen Schön­
heit zur Schönheit „an sich", sprich der überirdi-
Im Phaidros wird über den Eros gespro­ schen Schönheit des Toten- oder wahren Lebens­
chen, womit nicht reichs. Verdorbene Seelen verharren
Sexualität, son­ bei der körperlichen Schönheit,
dern das Schö­ die sich dann in Lust umkehrt,
ne gemeint ist. der sie dann nachjagen.
Wer sich an das
Wer sich aber am irdisch
Schöne erinnert, wohl­
Schönen an das überirdisch
gemerkt das Schöne des
Schöne erinnert, ist ergrif­
jenseitszustandes und dessen
fen, möchte huldigen, erin-
reine Seelenzustände, dem
nert sich an seinen Aufent­
wachsen sinnbildlich gedacht
halt als reine Seele dort,
Flügel. Daher wird Eros gele­
ihm wachsen Flügel. Er
gentlich mit Flügeln dar­
lernt also seelisch fliegen,
gestellt, denn er bezieht
also seelisch frei zu sein
sich auf den schwerelosen
und die Seele tendenziell
Zustand, in dem die Seele
vom Leib abzulösen. Er
„fliegt", oder, um genau zu
wird seelisch frei,
sein, keine Entfernungen
weshalb das Schö­
überwinden muss, da
ne die unmittel­
das jenseits raum- und
barste Seelenhei-
zeitlos ist. Die meisten
lung ist. Eine Heraus­
aus dem jenseits Zurück­
forderung an die mo­
gekommenen, die „Neu­
derne Psychotherapie,
geborenen" erinnern sich
die vom Schönen noch
zwar an nichts, doch kann
nie gehört hat.
der Anblick von etwas
Schönem sie zur Erinnerung
Aphrodite ordnet ihr Haar
zwingen, dann werden sie nach dem Bade. Rhodos,
„wahnsinnig", jenseitserleuch- um 100 v. Chr.
133

Daher die Betonung des Schönen in der griechischen Antike, denn es


erhebt uns in die Ätherwelt der Seele. Daher steht für Platon die Er­
kenntnis des Schönen auch über allen anderen Fähigkeiten. Und
das merkt jeder: Das Schöne erhebt, macht leicht, beflügelt
in der Tat, erzeugt die Liebe, Lebensgenuss, Freude, Glück
wir sind dadurch so beschwingt, dass uns alles leichter
von der Hand geht und Probleme sich in Wohlgefallen
auflösen. Beim Anblick des Schönen bewegt sich in der
Tat die Seele, so dass sie sich etwas außerhalb bewegt,
wir sagen dann, wir waren außer uns vor Freude. Die
Seele bewegt sich dann ein Stück aus dem Körper he­
raus, macht zumindest einen Ansatz dazu. Das hat die
moderne Psychologie noch nicht erkannt. Hier hat Platon
etwas entdeckt, auf das unsere moderne Welt noch nicht
gestoßen ist, eine so einfache wie unglaubliche Tatsache.
Der Anblick des Schönen erhebt, hebt tatsächlich die
Seele ein Stück aus dem Körper. Daher kann man sagen,
sämtliche Hochgefühle, die das Erhabene auslöst, die
Leichtigkeit bei der Freude, die Beschwingtheit im Glück,
sind Vorstufen der Seelenablösung. Die Seele fühlt sich be­
schwert vom Körper, möchte fliegen, schweben. Daher
rühren alle Sehnsüchte der Menschheit zu fliegen. Warum
aber ist das so? Weil die Seele in diesem Augenblick - und in
der Tat geschieht das vor allem durch den Blick durch die Augen,
letztendlich aber durch alle Sinnesorgane - sich ihres natürlichen
Zustandes in der körperfreien Welt erinnert, wo alles schön ist. Das
Schöne hier löst also die Erinnerung ans Schöne im Jenseits aus. Dazu
muss man jedoch wissen, dass es im Jenseits deshalb schön ist, weil die
feinstofflichen Ätherstrukturen, also die Gedankengebilde und Ge­
fühlsformen im Äther, klar und leuchtend sind, durchsichtige Lichter­
scheinungen, und so ihre innere Struktur richtig zum Ausdruck
bringen, anders als wenn die Seele im Körper eingeschlossen ist, da
bleibt lediglich das dünne Rinnsaal Gedanke oder Gefühl übrig, die uns
zwar auch be-flügeln und be-geistern können, aber deren Farben und
Lichtfelder wir nicht sehen, denn das müssen wir wissen, dass ein
Gedanke oder ein Gefühl sich im Äther als Farben, als Lichtschleier,
auch als Tonfolgen und ätherische Musik, als dreidimensionale
Welten aus Feinstoff darstellt, wovon uns bestenfalls Visionen und
psychedelische Erfahrungen künden. Ein Gefühl oder Gedanke
ist eben nicht nur das, sondern eine multidimensionale Welt,

Das Fragment eines Marmorkopfes stellt eine Göttin dar. Um 450 v. Chr.
1 34

in der alle Feinheiten und Abstufungen plastisch Schöne. Man muss daher dem Ross der Lust, das
vorgeführt, sichtbar und erstmals wahrhaft ver­ immer gleich zugreifen will, Zügel anlegen, das
ständlich werden, während, wenn sie im Körper andere edle Ross folgt dagegen willig den leicht
eingeschlossen sind und sich durch das Gehirn zurückgezogenen Zügeln des Wagenlenkers, das
quälen müssen, nur als dünnes Rinnsaal ihrer schlechte muss heftig zurückgerissen werden,
selbst, als Körpergefühl und Gehirndenken, ans denn es will gleich losstürmen. Wer also im An­
Tageslicht treten, Schatten ihrer selbst. gesicht des Schönen die gleichzeitig heraufdäm­
mernde Lust zurückhalten kann, kann sich so des
DER GOTT DER SCHÖNHEIT Schönen im Jenseits erinnern (Phaidros). Platon
unterscheidet im Phaidros zwei Seelenbestrebun­
Jeden Gott begleitet eine Schar menschlicher gen, das höhere Seelengefühl, das das Schöne er­
Seelen. Jede Seele entspricht dem Charakter die­ kennt, und das niedrige Seelengefühl, das mit der
ses Gottes und sucht sich im Irdischen einen Ge­ körperlichen Lust vermengt ist. Körperliche Lust
liebten, der dessen Merkmalen entspricht. Daher will aufs Körperliche hinaus, seelisches Gefühl
die quasi-göttliche Verehrung des Geliebten. Zu­ will allein seelischen Genuss. Dadurch, dass beides
dem bemüht sich die Seele, den Geliebten einem nahe beieinander liegt, sich ähnelt, ist für die
Gotte ähnlich zu machen. Kurzum: Liebt ein meisten Menschen kein Unterschied erkennbar,
Mann eine Frau, versucht er sie seinem Gott-Ideal weshalb sie sich der körperlichen Lust, die ja auch
anzugleichen. Doch wie wir wissen, gelingt das eine seelische ist, ergeben, so aber die größere,
auf Dauer kaum, weil sich die Schöne wehren rein seelische Lust zerstören und zudem auf diese
wird und nicht vergöttlicht werden will, und weil Weise nicht zur Philosophie, sprich: Erkenntnis
Abbild und Urbild sich leider drastisch unterschei­ der materiellen Welt als Abbild des Jenseits gelan­
den. Auch wenn sich der Mensch mit dem Ideal gen können.
nicht messen kann, so erhebt er doch die Liebe Da Körper und Seele miteinander verquickt sind,
zum Göttlichen. Anders die auf den Körper orien­ der Körper ein Echo unserer individuellen Seelen­
tierte, sie jagt beim Anblick des Schönen sofort persönlichkeit ist, ist in der Tat die Unterschei­
der Körperlust hinterher und zerstört so das dung beider nur jenem möglich, der den Unter­
schied erkannt und sich mutig ganz dem Seeli­
Silberner Trinkbecher aus schen, dem Ätherischen verschreibt. Es geht in
einer griechischen Manufak­ der platonischen Wissenschaft immer darum, die
tur. 4. ]h. v. Chr. Existenz einer vom Körper unabhängigen Seele
festzustellen, darin besteht die Reife einer Seele.
Als Hilfsmittel dazu dient der Anblick des
Schönen, denn dadurch erinnert sich meine Seele
an die reine ätherische Ätherwelt, wo alles schön
ist. Das Schöne also als höchste wahrhafte
Psychotherapie.

DAS SCHÖNE AN SICH

Bei Platon heißt es oft, schön sei etwas nur, weil


es am Schönen an sich teilhat oder „dass alles
Kronos nimmt von Rhea einen in Windeln gewickelten Stein entgegen, um ihn in der Annahme, es sei sein
Sohn Zeus, zu verzehren. Römisches Relief vom Piedestal der Skulptur.

Schöne durch das Schöne schön ist" (Phaidon 75). den Gefühlen und Gedanken von Lebewesen aller
Platon beschwört uns, dass es ein Schönes und Gattungen. Diese Gedanken und Gefühle werden
Gutes und Großes an sich gibt. Das „an sich" hat auch dort gelebt, bleiben aber Ätherstrukturen;
Leser immer verwirrt - was soll das sein? Die Lö­ diese versuchen wir, ist unsere Seele verkörpert,
sung ist einfacher als gedacht. Das jenseits ent­ zu wiederholen, nun im Rahmen und mit den
hält als Gefühl und Gedanken - denn das nur Mitteln der Elemente, was, da diese schwer und
sind wir im Todesreich - alle Formen, die es im fest sind, jedoch nicht so einfach gelingt und man
Materiellen gibt. Das jenseits ist das „an sich", der sich dabei den Gesetzen der Materie anpassen
Urzustand für alles, was sich im Diesseits entfal­ muss, den Gesetzen von Druck und Stoß, der Phy­
ten wird. Das Gute an sich ist nur eine Gedan­ sik und Biologie. Allein die Psychologie, die sich
kenidee, ein Gefühlszustand, im materiellen mit der Seele befasst, ist meiner Meinung eine
Leben kann es sich zu Taten konkretisieren, eben­ Wissenschaft der zwei Welten, sie untersucht die
so das Schöne an sich, im Leben kann es sich in Seele, ob sie nun verkörpert oder entkörpert ist,
schöner Architektur konkretisieren, das Wahre spielt keine große Rolle. Allein bei der verkörper­
an sich konkretisiert sich zu gerechtem und ten Seele muss die materielle Umwelt mit ein­
wahrem Verhalten. Das jenseits ist kein festes Ma­ bezogen werden, und bei der freien jenseitsseele
teriereich, sondern es besteht ausschließlich aus die Ätherumwelt und ihre Gesetze.
Gott
Das Gute
Das Wahre
Das Schöne

Eros
Daimonion
Seele
Todesreich
Metexys
„Das M ittelreich"

Das
Materie Schöne
Körper selbst
Werden • Vergehen • Vielfalt
Das
Schöne
der Wissen­
Die drei Dimensionen des Seins schaften

Das Schöne der


kulturellen
Einrichtungen

Das Schöne
der Seelen

Das Schöne
aller Leiber

Das Schöne
einzelner Leiber

Das weite Meer des Schönen


WEISE SUCHEN
DAS HÖCHSTE GUTE

Platon zeigt: Philosophie ist nichts Abstraktes,


sondern entspringt dem täglichen Leben. Philo­
sophie bedarf keiner Fachkenntnis, sie muss je­
dem Menschen zugänglich sein. Philosophie ist
die Gestalterin des Lebens (Laches).

Zentrum platonischer Philosophie ist die „Wis­


senschaft vom Guten" (griech. Agath6n), denn
der Mensch sucht instinktiv das Gute. Der Mensch
weiß jedoch niemals, ob das, was er wünscht, letzten
Endes zu seinem Guten führt. Denn: Was wirklich
gut ist, wissen nur die Götter! Der Weiseste ist
jener, der nicht um irgendein Gut betet, sondern
für das Gute selbst.

SELBSTERKENNTNIS Außer9ewöhnlicher
Bronzekopf des Satyros, um 330 v. Chr.

„Erkenne dich selbst! " ist der Ausgangspunkt weiteres Kleid des Logos, das es auszuziehen gilt.
sokratischen Philosophierens. „Erkenne das Gute" Kurzum: Die Seele muss ebenfalls sterben!
ist der Ausgangspunkt platonischen Philoso­
phierens. Beide Ansätze unterscheiden sich nicht,
denn: Wer sich selbst erkennt, erkennt zunächst DIE SUCHE NACH DEM GUTEN
seine Seele und dass sie die Herrin des Körpers ist. IM IRDISCHEN
Gleiches betrifft die Heilkunst. Die Heilkunst be­
steht darin, den ganzen Körper zu behandeln, In seinem Philebos behandelt Platon die Suche
mehr noch die Seele, die die Gesundheit des Den­ nach der Wissenschaft des Guten. Das Gute ist das
kens - Sophrosyne genannt - erzeugt. Da die Eine, der Logos, Uranos. Das höchste Gute ist mit
Seele den Körper erschafft, können Mängel darin sich selbst überall und immer identisch, was in
letztendlich nur durch Zurückgreifen auf seinen unserer wandelbaren vielfältigen Körperwelt
Schöpfer gelöst werden (Laches). nicht zu finden ist. Das Gute besteht aus dem
Wer noch weitergehen will, erkennt, dass die Reich der ewigen, jenseitigen urbildlichen For­
Psyche aus dem Guten, dem Geist, dem Logos men, Platons sogenannten Ideen. Diese begreifen
hervorgegangen ist, und dorthin richte er seine wir im Leben nicht, erst wenn wir reiner Geist
Suche. Die Psyche unterliegt enormen Schwä­ geworden sind. Für jene nach dem Guten Streben­
chen, eben allen bekannten seelischen Schwä­ den sei weder die Natur, noch die Geschichte des
chen, und stellt keinesfalls ein Endziel für das Menschen von Bedeutung, allein das Gute, Schöne
Suchen dar. Die Psyche ist wie der Körper nur ein und Wahre, sprich das Urbild, die Gottheit.
Die Lust kommt allen, das Denken nur wenigen zu. Lust
bezieht sich auf seelisches Streben, das durch den Körper
gefiltert ist; reines Denken bezieht sich auf das Seelische,
das sich vom Körperlichen befreit hat. Platon unter­
scheidet demnach zwischen unreinen und reinen For­
men der Lust. Die Suche nach dem Guten ist die reinste
Form der Erkenntnissuche.

DAS GUTE IST DIE EI NHEIT


UND DIE VIELHEIT

Alles Seiende ist Eines und Vieles zugleich und enthält


in sich Grenze und Unbegrenztes also Körperliches
und Seelisches. Ziel sollte nicht nur sein, das reine Sein
des Logos zu erfahren, sondern auch zu versuchen,
das körperlich Sichtbare zu ordnen, d. h. in der irdi­
schen Welt die Gesetze des Logos wieder zu erkennen,
um so festzustellen, dass der Logos alles durchdringt,
alles ist! Würde es also reichen, sich ganz auf die
Physik unserer Welt zu konzentrieren, um so das Gute,
den Gott zu entdecken, müssen wir uns vielleicht gar
nicht so weit von der Erde entfernen? Ist das Gute das
Irdische selbst? Das Gute ist auf irdisch-materieller Ebene
nur in der Schönheit, im Ebenmaß und der Wahrheit
fassbar. Mit anderen Worten: das Gute, der Logos (Gott)
scheint doch durch die materielle Welt hindurch, und da
er alles erzeugt hat, kann es auch nicht anders sein.

Das Gute, Agath6n, heißt es, hat drei Eigenschaften, es


ist vollkommen, es ist ich selbst genug, strebt also nicht
nach anderem, weil es nichts anderes als es selbst gibt
und drittens: alle müssen nach ihm streben. Da jedoch
das Gute nur das Ganze sein kann, ist auch der Mensch
nichts anderes als Agath6n, doch scheint sich das Gute
ins Seelische und Materielle verloren zu haben, was
offenbar sein innerstes Gesetz ist und sich so zum höch­
sten Guten, zum mittleren Seelischen und zum schlech­
ten Körperlichen aufsplittert. Bedarf es, muss man nun
fragen, dieser Dreiheit, um die Einheit des Guten zu
gewährleisten?

Göttin in einer andächtigen Pose.


Kreta, Mitte des 7. jh. v. Chr.
139

DAS LEBEN ALS GEHEIMER


JENSEITS LEHRER

Der Satz nämlich, der in den Geheimlehren über


diese Dinge verbreitet wird, dass wir Menschen
hier gewissermaßen auf einem Wachposten
stehen und dass wir uns nicht selbst davon
ablösen oder weglaufen dürfen, dieser Satz
scheint mir etwas wahrhaft Großes zu sein und
gar nicht leicht zu durchschauen.
Phaidon 62

Aber leider degeneriert im Staat auch das Beste


alsbald zum Schlechtesten.
Der Staat
Diese Silbermünze zu 4 Drachmen zeigt die kleine
DER SINN DES LEBENS Eule, die der Athene gewidmet ist, und die Initialen
der Stadt Athen.

In seinem Werk „Der Staat" diskutiert Platon den


ist erreichbar durch Hinschauen, Denken und
Sinn des Lebens in Hinblick auf das Jenseits. Die
Logik, die zudem als Grundlage der Wiedererin­
zentrale Aussage ist: Man hat im Leben den
nerung, also Rückerinnerung an den letzten
Auftrag hinauszublicken ins Jenseits. Das Leben
Jenseitsaufenthalt, dienen. Es gilt, sich zu sagen:
soll nicht so gelebt werden, wie es sich zunächst
darbietet, sondern es muss zuerst als das Jenseits 1. Erinnere dich, wie war dein Leben im Todes­

in geronnener Form erkannt werden, wodurch es reich!

jedoch durch die Langsamkeit der Materiestruk­ 2. Schau hin auf die Natur, erkenne sie als die Ur­
tur fehlerhaft wird. Wer also das Leben als das formen!
Jenseits in geronnener Form entschlüsselt hat, 3. Erkenne das durch Staunen!
wird versuchen, sich im Leben so zu verhalten
4. Erkenne deine Abhängigkeit vom Körper und
wie im Jenseits, und das erkennt er dann als
den Sinnen und schaue dann nur mit den
Auftrag des Lebens eben unter erschwerten Be­
Augen der Seele!
dingungen, dennoch jenseitig, also raumzeitlos,
transkörperlich und rein seelisch zu leben und 5. Ist all das erreicht, lebe das Leben, als sei es das

sich nicht vom Materiellen verführen zu lassen Jenseits!

und nicht dem Körper zu glauben. Übungen, wie Es geht Platon um diese Art von Wahrheitsliebe,
man den Körper läutert, hat Platon nicht ge­ die vor keinem Zusammenstoß mit den herr­
geben, allein durch philosophische Erkenntnis sei schenden Meinungen zurückschreckt. Antrieb
es möglich, durch die Formen der Materie hindurch­ der Wahrheitsliebe ist die Erinnerung an das rei­
zuschauen, hin zu den Urformen, aus denen sie in ne jenseitige Sein. Ein verzweifelter Rückzug da­
Wahrheit besteht, womit ihnen gegenüber dann gegen auf die Eigenmacht ist Schwäche und hilft
ein anderes Verhalten und Denken entsteht. Dies dem Menschen nicht.
140

WIEDERERI NNERN DER STAAT ALS ECHO DES JEN SEITS

Sokrates: Im „Staat" betont Platon, dass es in seinem Staat


um die Seele des Einzelmenschen geht, diese sei
Du glaubst also nicht, dass das, was wir „Lernen"
fundamentaler als der Staat; um den inneren
nennen, ein Sich-Wiedererinnern ist?
Menschen gehe es ihm, erst sekundär um die
(Phaidon 73)
äußere Ordnung.
Sokrates zu den Schülern:
Im Allgemeinen vergisst der Staat die Sorge um
Was sagt ihr denn zu dem Beweis, wo wir be­ die Seele des einzelnen Bürgers, kritisiert er. Zwar
haupten, dass das Lernen ein Sich-Wiedererin­ ist bei Platon der Mensch für den Staat da, aber
nern sei und dass sich deshalb unsere Seele vor die Grundlage bleibt die Einzelseele. Deshalb sol­
der Geburt irgendwo aufhalten müsse, bevor sie len ja im platonischen Staat allein die Philoso­
an den Leib gebunden wird? (Phaidon 9) phen herrschen, die für die innere Gerechtigkeit

So hatten also unsere Seelen schon früher ein verantwortlich sind.

Dasein, bevor sie in menschlicher Gestalt waren, Es geht im physischen Leben darum, die Seele
und zwar ohne Körper, und besaßen Einsicht. auszubilden, sich ihrer als Grundlage des Körpers
(Phaidon 76) bewusst zu werden und sich durch sie an die jen­
seitswelt, aus der sie kommt, wiederzuerinnern,
Denn wenn die Seele früher schon existiert und
und zwar anhand der materiellen Formen, die
wenn sie ferner, um ins Leben einzutreten und
nichts anderes sind als zu Festem geronnene
geboren zu werden, nirgend anderswoher kom­
Echos von Seelen- und Geiststrukturen.
men kann als aus dem Tode und dem Totsein, so
muss sie doch auch nach dem Tode weiter exis­ Lebensweisheit soll die Seelenbildung beherr­

tieren, da sie doch wieder geboren werden soll. schen. Der Weg dazu ist die äußere Welt, die

(Phaidon 70) jedoch den Weg ins Innere der Seele versperrt.
Eros wie Kunst aber helfen, die Seele fürs Schöne
Gibt es ein Leben nach dem Tod, dann gilt Ist im und Wahre und Gute zu öffnen, und dies ist ja in
Leben erkannt worden, dass alles Materielle eine den Strukturen der Welt angelegt. jedoch ist es
Projektion der jenseitsgesetze ist, und das heißt nicht einfach das Schöne im Stoff zu erfahren.
weiter, dass Wissenschaft und Lernen allein dann Dazu verhelfen die Augen, die ja ein Spiegel der
sinnvoll sind, wenn sie das Totenreich und seine
Ordnung ergründen.
Seele sind und durch die die Seele in die Welt
hinaus schaut und alsgleich erkennt, was schön
ist, bzw. die ihr eingeborene jenseitsschönheit
im Stofflichen wiedererkennt. Aber nicht nur
Dinge sind schön, auch alle gesellschaftlichen
Tätigkeiten. Alles Politische wird also auf die
Bildung der Seele zurückgeführt.

Die Verwirklichung des besten Staates - wor­


über Sokrates nachdenkt - ist inmitten des
„Wahnsinns der Menge" unmöglich, daher
bleibt dem Einzelnen nur die Möglichkeit, sich
zurückzuziehen und sich selbst einigermaßen
von Ungerechtigkeiten freizuhalten. Es wird
nun ein Staat, der im Reich des Logos liegt, vor­
gestellt als ein h immlischer Prototyp für die
Erde. Doch Platon resigniert. Hoffnungslos sei
beim Maß der Ungerechtigkeit aber der Aufbau
eines solchen himmlischen Staates auf Erden.
Doch warum ist das nicht möglich? Warum?
Ich meine, das wäre nicht gut, denn die Men­
schen müssen ihr Schicksal ausleben dürfen,
wozu es der Ungerechtigkeiten und Bestra­
fungssituationen bedarf. Allein die Ausrichtung
des Denkens auf das Gute, das so genannte
Reich der Ideen, so wie auf die Sonne in der Sin­
neswelt ruft in uns wesenhaft das wahre Sein
herbei.

DER URSPRUNG DER BERUFE

jene (Seele), die am meisten gesehen hat, geht


ein in den Lebenskeim eines Mannes, der ein
Freund der Weisheit (Philosoph) oder der
Schönheit oder ein Mensch mit musischer Bil­
dung werden soll, oder einer, der sich auf die
Liebe versteht; die zweite in den Keim eines
Königs, der den Gesetzen gehorcht oder ein
guter Krieger ist oder sich wohl auf das Herr­
schen versteht; die dritte in den eines Politi­
kers, eines Wirtschafts- oder Finanzmannes;
die vierte in den eines Wettkämpfers, der an­
strengende Übungen liebt, oder eines, der
142

sich mit der Heilung des Leibes befassen wird. stoßen und jede sich der andern vorzudrängen
Die fünfte wird das Leben eines Sehers oder sucht. So entsteht denn Verwirrung und Streit
sonst eines Priesters führen; zu der sechsten und bitterer Schweiß, wobei infolge der Untüch­
wird das Leben eines Dichters oder eines ande­ tigkeit des Wagenlenkers viele Seelen lahm
ren nachahmenden Künstlers passen, zu der sie­ geschlagen werden und viele sich die federn
benten das eines Handwerkers oder Bauers, zu zerbrechen. (Phaidros 248)
der achten das eines Sophisten oder Volks­ Über die zwei missglückten Erkenntnisversuche
schmeichlers, zu der neunten schließlich das sagt Platon:
eines Tyrannen. (Phaidros 248)
„Sämtliche aber ziehen nach allen Anstrengun­
Auf den ersten Blick wirkt diese Aufzählung naiv gen von dannen, ohne dass ihnen der Anblick
und lächerlich. Wer tiefer hineinzublicken ver­ des Seienden zuteil geworden ist, und nach
mag, erkennt hier das Geheimnis der Berufswahl. ihrem Weggang halten sie sich an eine Nahrung,
Ob diese Reihen- oder Stufenfolge so kompro­ die aus bloßen Meinungen besteht. . .
misslos angenommen werden darf, sei dahinge­ (Phaidros 248)
stellt, denn auch im Bauern kann ein Philosoph Frage nun: Sind alle menschlichen Meinungen
stecken und umgekehrt. Aber Platon wollte hier, über das jenseits und die Seele müßig, weil sie von
scheint mir, eher ein Modell hinstellen, um uns zu Menschen gemacht werden, denen der Aufstieg
zeigen, mit welcher geistigen Kapazität Berufe zum himmlischen Ort missglückt ist, und die nun
ausgestattet sind. Die Berufungen hängen also ihren Misserfolg kompensieren, indem sie be­
davon ab, wie tief ein Mensch ins jenseits liebig darüber schwätzen? - gehört auch Platon
eingedrungen ist, und je tiefer, desto tiefgrün­ dazu, wenn man annimmt, jene, die sprechen
diger wird seine Wiedererinnerung sein und um­ wissen nicht. Oder sind die, die darüber sprechen,
gekehrt. jene, die nur kurz dort waren, aber alsgleich
von ihrem widerspenstigen Seelenpferd zurück­
MISSGLÜCKTER gezogen wurden?
JENSEITSAUFENTHALT

Es gibt nach der überhimmlischen Seinserkennt­ SELBSTMORD


nis auch zwei Grade der missglückten Seinser­
Frei/ich wird er sich vermutlich nicht
kenntnis (Phaidros). Bei der ersten missglückten
selbst Gewalt antun; denn das, sagt man,
Seinserkenntnis erheben sich die Seelen zwar in
ist nicht erlaubt. . .
den überhimmlischen Ort - also den „zweiten"
Himmel, das Gute - werden dann aber „vom un­
Selbstmord ist gegen die Spielregeln des Seins.
gestümen Pferd" der Leidenschaft zurück­
Der Mensch darf sich nicht selbst erlösen, weil ein
gerissen. Eine zweite Kategorie sehnt sich nach
Lernprogramm für ihn festgelegt wurde, dass
oben, doch fehlt ihr die Kraft. Zur zweiten Seins­
damit vorzeitig beendet würde. Sokrates sagte
erkenntnis heißt es bei Platon:
nun aber, der Selbstmord sei schlecht, aber der
Und die übrigen sehnen sich zwar nach oben Philosoph hege den Wunsch, dem Sterbenden zu
und folgen alle; doch fehlt ihnen die Kraft, und folgen, weil er sich zurücksehnt nach den reinen
sie werden unter der Oberfläche herum­ Urformen des jenseits, die er ja im Leben versucht
getrieben, wobei sie einander schlagen und zu erkennen.
143

Diese apulische Hydria stammt Blume, mit der anderen gießt er


aus den Jahren 340-320 v. Chr. aus einem Krug Wein auf das
und zeigt den Totenkult. Grab. Rechts sitzt eine
Neben den Bändern des Frau mit einem Ball und
geschmückten Grabsteins, einem Xylophon, hinter
auf dem ein Ei liegt, steht ihr befindet sich ein
ein nackterJüngling. In Spiegel. Ei und Spiegel
einer Hand hält er eine sind Symbole des jenseits.
1 44

Die berühmte Statue des Zeus vom Kap


Artemision ist eines der Meisterwerke
der protoklasischen Bronzekunst,
das um 470-460 v. Chr. entstand.

In den Geheim­
lehren, sagt Sokra­
tes, werde der Mensch
so dargestellt, als stehe er
hier auf einem Wachposten,
doch davon darf er sich selbst nicht ablösen, denn nicht wir
entscheiden, sondern die Götter, deren Besitz wir sind. Also
ebenso wenig wie das Schaf sich nicht umbringen darf, weil der
Bauer dann einen Verlust hat, so darf sich der Mensch nicht
selbstmächtig des Lebens entledigen, weil dann einem Gott
dann - ein uns nicht näher bekannter - Schaden entsteht.

Dass ein festgelegter Lebensplan, ein Schicksal besteht, welches


einem bestimmten Zweck folgt, und in einer Reihe von Erkennt­
nissen besteht, besagt nur erneut, dass das Leben eine Papierkopie
eines in einem Computer enthaltenen Programms ist. Das jenseits
ist die Software, in der in abstrakten Zeichen das Leben vor­
gegeben ist und das dann als Plan in Gestalt von Schrift zur
festen Form wird.

HARMONIE, GLÜCK,
DAS GUTE UND DIE URFORMEN

Wie erreiche ich Harmonie im Leben? Indem ich die Harmo­


nie des jenseits in geronnener Form im Diesseits wiederer­
kenne. Im jenseits herrscht Harmonie, das heißt die Dinge
erscheinen einem nicht als Vielfalt, sondern als Einheit,
alles verbindet sich zu einem einzigen großen Gemälde.
Es heißt bei Platon daher, „dass die Seele eine Har­
monie sei" (Phaidon 92).

Die Seele, ist sie frei vom Körper, kann im jenseits


eine Harmonie sein, ist es aber nicht grundsätzlich,
denn das negative irdische Leben wirkt ja nach.

Das jenseits besteht aus den Urformen des Seins,


hier herrscht noch keine Vermischung. Die Ver­
mischung aller Urformen oder Archetypen aller
Fähigkeiten scheint erst zu entstehen, wenn
die Seele sich auf den Weg in die Stoff-
1 45

weit macht (Buch 10, Kap 9- 1 0). Diese Urformen tar lag, beilegte. Deshalb ist Eros ein Diener und
gilt es aber bereits im Irdischen zu erkennen. Die Begleiter der Aphrodite, weil er an ihrem Geburts­
Sinneswelt ist das mangelhafte Abbild, der Schat­ tag gezeugt wurde und ist ein Liebhaber des
ten, das Spiegelbild des jenseits. Das Urbild oder Schönen, weil auch Aphrodite schön ist (Phaidon).
Eidos und ruft einen materiellen Schatten hervor.

DEUTUNG: Daimonen sind Wesen, die in der Mit­


te/weit zwischen dem Demiurgen, dem göttlichen
Der Mensch muss Schöpfer, und der materiellen Welt stehen. Die
sich dem Guten, sprich Gott Mitte/weit ist aber die Seelenwelt, weshalb ein
zuwenden. Dies gelingt aber nur mit der ganzen Daimon die eigene Seele ist. Daimonen wissen viel,
Seele, und das sei dann bereits Philosophie, also heißt es, nun, weil die Seele, ist sie in einem Ruhe­
Weisheitsliebe. Da das schwer und nicht jedem zustand und nicht aufgeregt und abgelenkt,
gegeben ist, bleibe für die Masse bestenfalls das immer weiß, was für sie und ihren Körper richtig
philosophische Forschen. Denn nach Platon ist. Eros nun ist der größte Daimon, nämlich das,
wählt sich jede Seele ihr Schicksal; Gott trifft was allen Daimonen zugrunde liegt, die Liebe,
keine Schuld, lediglich den Einzelnen. sprich das Gefühl der Einheit. Nun soll Eros den
Göttern Nachrichten von den Menschen überbrin­
gen, heißt es im Text. Das ist so zu verstehen: Die
EROS - LIEBEND G I BT D E R tiefen Einheitsgefühle der Menschen erreichen die
STERBLIC H E VOM B E STEN Götter, die ja in der gleichen Seelendimension wie
die Seelen der Menschen leben, sofort, weshalb der
Gott weiß, wie es um den oder die Menschen steht.
Durch Eros sucht die sterbliche Natur, nach ihrer Es heißt, die daimonischen Menschen seien die
Möglichkeit ewig und unsterblich zu sein. großen, weil sie das körperlich Menschliche über­
wunden haben und allein ganz seelisch leben,
Sokrates, Symposion 212

DIE MITIELWELT D ES DAIMONISCHEN

Eros ist ein großer Daimon, Sokrates, denn alles


Daimonische steht in der Mitte zwischen Gott
und Sterblichem. (Symposion 135)

Eros überbringt den Göttern Nachrichten von


den Menschen und umgekehrt. Die daimonischen
Menschen sind die großen, die gewöhnlichen sind
ohne Eros. Eros wurde, so die Überlieferung, ge­
zeugt von Potros, dem Sohn der Klugheit und der
Anmut, die sich ihm, als er im Rausche vom Nek-

Diese zwei Säulen, mit riesigen Phalen geschmückt,


sind Reste des Dionysos-Tempels auf der Insel
Delos, errichtet um 300 v. Chr.
Eros und seine
„Gemahlin" Psyche
(röm. Kopie nach
einer hellenischen
Skulptur). Das Eros­
Prinzip und das
Psyche-Prinzip bilden
eine Einheit, sind
Synonyme.
147

ganz ihrem Gefühl der Einheit allen Seins folgen, Samenkorn daraus entwickelt haben. Das Ei steht
also ihrem höchsten Impuls. Eros gilt als Liebhaber bekanntlich für Fruchtbarkeit und Vielfalt. Ge­
des Schönen, das ist es ja, was die Liebe ausmacht. legentlich wird das Ei auch als im Urwasser, dem
Okeanos schwimmend, dargestellt, womit auf die
DER METAXY Identität beider angespielt wird. Weiter heißt es
nun, aus dem Urei sei der berühmte Eros hervor­
Eros und Psyche gehören nach Platon beide dem gegangen. Eros ist demnach nichts weiter als eine
mittleren Bereich des Metaxy an, das sich als Begriffsverdopplung des Wortes Plasma oder
Brücke zwischen dem Göttlichen und dem Irdi­ Äther. Eros beschreibt eine weitere Eigenschaft
schen spannt und das ich als Plasma oder Äther des Plasmas oder Ureis, nämlich die erotische
bezeichne. Eros ist tatsächlich nur ein anderer Be­ Anziehung. Es sei, heißt es, daher auf die Wirkung
griff für Plasma, Hades, Pluton, Unterwelt, jenseits des Eros zurückzuführen, dass sich beide Prinzi­
oder Psyche. Es geht um unsere Nachbardimen­ pien befruchtet hätten: weil beide die Kraft des
sion, deren innere Struktur aber eine erotische ist. Eros in sich trugen. Diese Vereinigung führte zur
Der Begriff Eros bezieht sich auf die Struktur, Geburt des Geschwisterpaars Okeanos/fethys:
nämlich auf das alles Verbindende dieser Dimen­ das Urei ist also nichts anderes als dieses duale
sion, ganz anders als die materielle Welt, in der Paar: Urei, Eros, Okeanos(fethys sind nichts an­
alles voneinander getrennt ist. Diese Dimension ist deres als Doppelbezeichnungen für das Plasma
die Psyche selbst, die Weltpsyche, und diese ver­
bindet ohne Probleme, ohne Zeitverlust alle Fak­ Das Urei alias Eros, Chaos, Ä ther, Okeanos, Tethys
ten sofort zu einem Ganzen, weil sie es erfühlt und ist ein Sinnbild der Plasmadimension - hier
zweigeteilt vorgeführt: die obere Hälfte stellt den
nicht durch mechanische Handwerkskraft vereini­
zum Geist, die untere den zum Materiellen
gen muss. Das Wort Psyche bezieht sich auf die neigenden Aspekt dieser Zwitter- und Zwischen­
Fähigkeit dieser Dimension, alles auf einen Schlag dimension dar. Das Urei entstand ja aus Uranos
durch ausbreitendes Fühlen zu verbinden. Da (HimmeD, dem Geist, und bereitete die Geburt des
Psyche sich aber neben dem Gefühl auch auf das Materiekosmos vor.
Denken bezieht, bedeutet das, ein Gedanke kann URANOS
mit einem Schlag viele Fakten zu einem Gedanken Reiner Geist
verbinden oder in einem Begriff benennen.
i
UREI UND EROS
t
Hier eine weitere Lesart. Die mythoi, die so ge­ GEIST
nannten „wahren Geschichten" (Mythos = wahre
Geschichte!), drücken sich fassbarer aus, als man
auf den ersten Blick annimmt. Sie sagen, oben im
kosmischen Ei ruhe das himmlische (geistige), ÄTHER = UREI = EROS = OKEANOS
unten das irdische (materielle) Prinzip, was fol­
gerichtig ist, denn das Plasma entsteht ja aus Ura­
nos, dem „Himmel" (dem Weltgeist, Gott) und
bringt seinerseits Materieuniversen hervor. Das MATERIE
Urei soll im Himmel geschwebt und sich wie ein
148

Dieser große Omphalos, eingewickelt in ein Netzwerk aus


Wolle, stammt aus römischer Zeit und stellt die Kopie
des Symbols von Delphi, des „Nabels der Welt" dar.
Das Original wurde im Adyton des Apollo-Tempels in
Delphi gefunden.

Zunächst berichtet der vorplatonische Mythos,


Eros sei aus dem Urei entstanden, bzw. sei er
nichts anderes als dieses selbst. Dazu muss er­
wähnt werden, dass Eros als verheiratet gedacht
wurde, und zwar mit Psyche, seiner weiblichen
Seite. Psyche und Eros sind Synonyme; sie ent­
springen dem Urei, bzw. sind Prinzipien des­
selben. Da das Urei wie gesagt als zweigeteilt
galt - oben herrschte eine Tendenz zum Himmli­
schen, unten eine Tendenz zum Irdischen - soll
Durch die verschiedenen Überlieferungsversio­ sich Eros mit seinem weiblichen Doppelgänger
nen kommt es gelegentlich zu scheinbaren Ge­ oder Psyche eben durch die beiden angeborene
gensätzen und Ungereimtheiten. So scheinen Eigenschaft der Anziehung vereinigt haben; da­
Okeanos, Chaos und Urei für oberflächliche Be­ raus wurde Gaia: die erste feinstoffliche Potenz
trachter verschiedene Zustände darzustellen. Die­ des Irdischen geboren. Das Urei wird damit als
ser Missdeutung saßen jedenfalls bisher aus­ Mesokosmos verstanden, als am Irdischen wie am
nahmslos alle Forscher auf. Ich zeige jedoch: Alle Himmlischen Anteil habend; es ist weder dies
bezeichnen das gleiche, den Plasmazustand! Die noch das, es liegt zwischen beiden Dimensionen.
Griechen gingen von einer Dimension aus, die Dass aus dem Urei die Materie, sprich Gaia ent­
zwischen Geist und Materie liegt, und dieser gab stand, wird oft betont. Wie das Urei selbst aus der
man unterschiedliche Namen, doch beziehen sich Himmelsdimension hervorgegangen ist, dazu
diese nur auf jeweils unterschiedliche Eigenarten später mehr. Es ist ein durch ungenaues Lesen
und Gesetze der Plasmadimension. Fast das ge­ entstandener Irrtum der Graecologen, das Urei
samte Pandämonium griechischer Begriffe bezieht stelle den Anfang der Weltentstehung dar. Das
sich auf Wirkungsweisen, sprich: Gesetze des Plas­ Urei gebiert lediglich die Materie, ist selbst aber
mas. Die Mythologie, die „wahre Geschichte", ist Kind der höheren uranischen Dimension, es ent­
eine exakte Beschreibung der Plasmadimension, hält ja einen Anteil Himmlisches, und diesem ist
die exakteste Physik, die uns vorliegt. Warum hat es entsprungen. Was ich hier jedoch vor allem
das noch kein einziger Forscher erkannt? hervorheben will, ist Psyche und Eros sind iden­
tisch! Unsere Psyche ist erotischer Natur, Eros ge­
PSYCHE horcht dem Gesetz des Psychischen! Was also ist
das Psychische? Schauen wir genau in uns hinein:
Die Psyche, die aber noch mit Leiblichem ver­ Meine Psyche folgt dem erotischen Gesetz der
mischt ist und voll davon, sie ist, wie schwerer, Verbindung; Denken und Fühlen verbindet über
nebelhafter Dunst, schwer zu heben. Raum und Zeit hinweg, physische Liebe ist An­
Plutarch !, S. 1 14 ziehung und das letzte Echo des plasmatischen
149

Gesetzes der Vereinigung alles mit


allem! Es bedarf einiger Konzentra­
tion, um sich des Psychischen als
etwas Verbindendem bewusst ZU

werden. Hierin liegt jedoch das


große Geheimnis des Lebens. So
äußern sich Eros und Psyche auf
menschlichem Niveau, eigentlich ge­
meint ist jedoch mehr: Das phy­
sische Leben ist ein Echo und
Spiegelbild des plasmatischen raum­
zeitlosen Lebens. Die oberflächliche
Betrachtung der Natur, wie sie die
moderne Naturwissenschaft pflegt,
kündet lediglich von Gegensätzen,
von Entwicklung, Evolution, tiefe
Forschung jedoch zeigt eine univer­
selle Gegenseitigkeit, Abhängigkeit
und Einheit der Natur, jedoch in
Form von geronnenem Plasma, von
Stoff. In der Materie sind die Plasma­
gesetze gewissermaßen unter dem
Druck der Zeit verlangsamt und un­
ter dem Gesetz des Raums geronnen.
Man könnte sagen: Materie ist Plas­
ma in einer Momentaufnahme.

GAIA

Der Mythos (also die wahre Wissen­


schaft) stellt auch eine Verbindung
zwischen Eros alias Psyche und dem
Chaos her. ln einer Mythenversion
heißt es, Eros habe das Chaos dazu
bewegt, sich mit Gaia zu paaren,
woraus die physische Erde hervor­
ging. Wenn das Chaos identisch ist
mit Eros, dann dürfen wir dies wie
folgt definieren: Chaos ist der Aspekt
des Geordnet-Gemischten, in dem
alles mit allem zusammenhängt.
Das Eros-Chaos ist eine universelle,
150

gigantische Telefonzentrale, in der sich alle Leitungen „erotisch" ver­


binden. Das aber ist kein Chaos im Sinne einer Unordnung, sondern
einer höheren totalen Ordnung. Es heißt, mit der Geburt der Ma­
terie wandle sich das Einheits-Chaos um in eine Vielzahl nicht zusam­
menhängender, einzelner Dinge und Zustände, was, modern aus-
gedrückt, tatsächlich ein Chaos ist. In der Materie sind die
Dinge vereinzelt und individualisiert, im Chaos führen sie
eine kollektivistisch-erotische-mystische Existenz, denn
jedes hat an allem Teil. Die wahre Bedeutung von Chaos
entspricht also genau seinem Gegenteil! Beachten wir:
Das Materielle entspringt durch einen erotischen Akt
zwischen Chaos und Gaia Gaia ist wohlgemerkt noch
nicht die physische Erde, wie der Begriff modern
verballhornt verwendet wird, sondern ihr vormate­
rielles chaotisches Doppel. Aus einem immateriellen
Zustand, in dem über das Eros- und Chaosprinzip alles
durch psychische Liebe miteinander verbunden ist,
verdichtet sich das materielle Universum. Dies
entspricht auch dem wahren Zustand
der Psyche, denn mittels Füh­
len überspringen wir
Raum, Zeit und Materie
und stellen unge­
ahnte Kontakte her
zwischen jedem und
allem!

Während die Griechen


den Begriff Psyche vor allem
als halbmateriellen Ausdruck
ihrer Gefühlswelt, nämlich als
Atem und Hauch oder als Wind
verstanden, so hat sich im Zuge
einer geschichtlichen Psychologi­
sierung und Entmaterialisierung der
Begriff Psyche als eine Art Gefühlsland­
schaft durchgesetzt, die jeglicher Sub-

Römische Kopie eines Originals von


Eubulides zeigt den Philosophen Krisippos
in Gedanken versunken und in ein
schlichtes Gewand gehült.
3. jh. V. Chr.
151

stantialität entbehrt. Sogar Psyche und Geist Sie kann künstlich durch Angst und Schrecken
wurden immer mehr miteinander verbunden. Für ebenso wie durch Ruhe, Kontemplation und
die Griechen galt dagegen die Psyche stets als ein Meditation hervorgebracht werden, aber auch
halbstoffliches Etwas. Bei der Erforschung des durch äußere Mittel wie Wein, Weihrauch, Tanz
Plasmas in allen Kulturen wurde ich immer wie­ und Alkohol. Ziel der Ekstase ist die Abtrennung
der zu dieser griechischen Begriffsbestimmung der Psyche - die als halbmateriell gedacht wur­
zurückgeführt: Was wir Psyche nennen, also Ge­ de - vom Leib, und die genannten Phänomene
fühle und Gedanken, ist nicht etwas rein Ideelles, sind das Resultat dieser Abtrennung. Wenn die
sie weist, so absurd das in unseren heutigen Psyche nämlich frei vom Körper ist, lebt sie in
Ohren klingen mag, eine gewisse Feinstofflichkeit dem ihr eigenen Daseinszustand, und die Fähig­
auf; sie ist in der Tat atem- und hauchartig. Nur keiten wie Prophetie, Vision, Hellsehen sind
durch diese Halbmaterialität gelingt es der nichts anderes als die normalen Sinnesfunktio­
Psyche, den Körper psychosomatisch zu regieren; nen der Psyche in diesem Zustand. Sämtliche in
nur so hält sie überhaupt Verbindung mit ihm. der Menschheitsgeschichte erwähnten paranor­
So abwegig und eines modernen Menschen malen oder „göttlichen" Erfahrungen reduzieren
ganz und gar unwürdig diese Vorstellung auch sich daher auf den Vorgang der Ekstase, jener
scheint - diese Annahme wird mit dem Fort­ Zweiteilung des Menschen in Leib und Psyche.
schreiten des Buches zunehmend an Beweiskraft Diese Erscheinungen sind die eigentlichen Be­
gewinnen. gabungen der Psyche; wenn sie jedoch an den
Leib gebunden ist, dann verringern sich diese auf
Der Begriff Psyche steht in engem Zusammen­ ein materielles Niveau, und Prophetie pervertiert
hang mit dem Begriff Ekstase (griech. ek-stasis, sich zum sattsam bekannten Kurzzeitdenken,
„aus sich herausgestellt sein", modern außer­ Hellsehen zum Sehen, Telepathie zum normalen
körperliche Erfahrung; Ekstase hat also absolut Fühlen und Denken, Vision bestenfalls zur Ah­
nichts zu tun mit einer allgemeinen Verzückung), nung und Intuition. Ich verweise hier kurz auf
womit das Heraustreten der Psyche aus dem Kör­ folgendes: paranormale Phänomene kommen
per gemeint ist. Ekstase, das psychische Verlassen durch die nicht mehr der leiblichen Dreidimen­
des Körpers und damit der Eintritt in die Plasma­ sionalität unterworfene, abgetrennte Psyche zu­
dimension, führt von selbst zu einem Gefühl der stande; da hauchartig und halbmateriell, unter­
Verzückung und Begeisterung oder auch des liegt sie im Zustand der Außerkörperlichkeit, der
Wahnsinns. Ekstase galt für den Wahrsager und Loslösung oder Lysis; wie die Griechen auch sag­
Zauberer als ebenso notwendig wie für den inspi­ ten (griech. Lysis = Abtrennung, Loslösung, Ret­
rierten Dichter. In der Philosophie Platons ist die tung); nicht mehr den normalen materiellen
Ekstase verbunden mit dem Dichten und der Gesetzmäßigkeiten. Ihre Fähigkeiten sind voll­
Kunst. Eins bewirke das andere: Ekstase führe kommen anderer, nämlich raumzeitlich über­
zum Dichten und zur Kunst, Kunst führe von greifender Art. Da ich die Psyche wie die Griechen
selbst zur Ekstase. Enthusiasmus (Gotterfülltsein) als halbmaterielles Plasma bestimme, sind jene
sei das eigentliche Merkmal der Ekstase; dieses vermeintlichen „transzendenten" Erscheinungen
Einssein mit dem höchsten Sein geht auf Plotin für mich Ausdruck der Psyche im körperunab­
zurück. Die Ekstase bringt solche Zustände wie hängigen Zustand. Daher das Gewicht, welches
Vision, Audition, Prophetie, Heilung ebenso wie die alten Völker auf die Ekstase legten: sie wuss­
philosophische Erkenntnis und Kunst mit sich. ten um die Kapazität einer freigesetzten Psyche.
153

E ROTI K Zuerst von allem entstand das Chaos, dann aber


die breitbrüstige Gaia, der ewige, feste Halt für alle
Wer den rechten Weg der Erotik gehen will, der Dinge, und der dunkle Tartaros im Innern der
muss als junger Mensch beginnen, sich schönen breitstraßigen Erde, und Eros, der schönste unter
Leibern zuzuwenden und zuerst „. einen Leib den unsterblichen Göttern, er, der, Glieder lösend,
unter ihnen lieben und in ihm schöne Gedanken in allen Göttern und Menschen den klaren Ver­
zeugen, dann aber bemerken, dass die auf einem stand und vernünftigen Willen in der Brust über­
Leibe ruhende Schönheit der auf einem anderen wältigt. Aus dem Chaos aber wurde Erebos und
verschwistert ist und dass es. . . ganz widersinnig die schwarze Nacht (Nyx) geboren, von der Nacht
ist, die Schönheit auf allen Körpern nicht für ein dann Aither und Hemera, die sie gebar, nachdem
und dieselbe zu halten. Hat er das eingesehen, sie sich dem Erebos in Liebe vermählt hatte.
muss er ein Liebhaber aller schönen Leiber (Hesiod, Theogonie)
werden, und die Spannung der Leidenschaft für
den einen muss nachlassen. . . Danach wird er Es werden hier acht Urprinzipien aufgezählt -

Schönheit in den Seelen für wertvoller als die am Chaos, Gaia, Tartaros, Eros, Erebos, Nacht, Aither

Körper halten . . . Daraufhin wird er gezwungen, und Hemera - die gleichberechtigt nebeneinander

das Schöne in der menschlichen Tätigkeit und den stehen und verschiedene Eigenschaften des Plas­

Gesetzen zu schauen . . . Von den Tätigkeiten muss mas hervorheben. Wenn es so aussieht, als gehe

man ihn zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen hier ein Prinzip aus dem anderen hervor, dann ist

führen, auf dass er auch ihre Schönheit sehe. . . das eine Täuschung; eins bedingt das andere. Hören

nein, zum weiten Meer hingewendet und dorthin wir daher nicht auf die Abfolge der Götter, zumal

schauend, soll er viele schöne, erhabene Worte sie in jedem Überlieferungsbruchstück eine andere

und Gedanken zeugen . . . ist. Alle acht Urprinzipien sind im Grunde ein Prin­
zip jener Dimension, die zwischen Geist und Mate­
Spätdialoge II
rie liegt. Diese acht Urzustände beschreiben Quali­
Es gibt eine Stufenfolge der erotischen Erkennt­ täten der Plasmadimension. Was allerdings irri­
nis, die mit reiner Lust beginnt und damit endet, tiert, ist die Erwähnung von Gaia, der Erde, in die­
dass alles Irdische als schön erkannt wird, ser Aufzählung. Gemeint ist hier, wie bereits dar­
schließlich das Sein als eine Einheit erfahren wird, gestellt, stets die vormaterielle Erdgöttin, das halb­
denn Eros verbindet alles. Worauf Platon hinaus materielle Plasmaprinzip der Erde, und nicht deren
will, darauf verweisen deutlicher seine histori­ uns bekannte physische Ausformung.
schen Vorgänger, deren Eros-Philosophie daher Eine orphische Überlieferung berichtet, am Anfang
kurz angeführt werden soll. der Welt hätte es ein Urei gegeben. Aus dem Urei
trat etwas hervor, das später unter den Menschen
DIE VORPLATONISCHE besondere Verehrung genießen sollte: Eros! Mit
E ROS-MYTHOLOGIE Eros wurde die Entstehung der zweiten Welt­
dimension eingeleitet. Einige Quellen setzen zu
Empedokles sagt, dass unter der Herrschaft der Recht das reine Geist- oder Plasmaprinzip des Ura­
liebe sämtliche Dinge zu einem einzigen Ganzen nos über ihn. Nach Aristophanes, der eine alt­
werden und (so) den Sphairos bilden, der eine orphische Vorstellung benutzte, entsteigt Eros ei­
qualitätslose (Masse) ist . . . nem von der Nyx (Nacht) im Schoß des Erebos
Capelle 1968, Empedokles, 4 8 Philoponos (Dunkelheit, Schlucht, Unterwelt) gezeugten Weltei
Schlafender Eros. Hellenistisches Bronzeoriginal aus Rhodos.

(Nyx und Erebos zeugten gemeinsam wohl­ durch die unsichtbaren Liebesfäden des Eros nicht
gemerkt auch den Aither!). Wir wissen bereits, etwa verbunden - das ist abendländisch-mecha­
Nyx und Erebos sind mit dem Chaos, dem Aither, nistisch gedacht - sondern mit diesem durch
dem Okeanos deckungsgleich und nichts anderes Analogie, Entsprechung, Spiegelung oder Symmet­
als Aspekte der Plasmadimension, und auch Eros rie identisch, wenn auch unterschiedlich, indem
ist nichts weiter als ein Plasmaprinzip. Dieser Ein­ sich die Teile gewissermaßen auf unterschied­
druck verstärkt sich, wenn erzählt wird, die Begat­ lichen Oktaven bewegen. Eros ist aber nicht nur
tung von Chaos und Erde sei zurückzuführen auf das universelle Symmetrieprinzip; Eros ist - da
Eros' Wirkung, was die Geburt der Materiewelt - verheiratet mit Psyche - der Stoff des Psychi­
wohlgemerkt auf der Ebene des feinstofflichen schen, der Gedanken, des Gefühls, der Liebe, die
Ureies - eingeleitet hätte. Eros gehört offensicht­ über Raum und Zeit hinweg alles verbinden. Die
lich ganz zentral zur Sequenz der Plasmaprinzi­ Psyche ist etwas Erotisches, sie ist die Energie der
pien; er ist das Verbindende, der Klebstoff des Plas­ Attraktion, die mit Bedeutungen, dem weiten
mas, der alles zusammenhält. Eros ist das Prinzip, Meer menschlicher Imaginationen, angefüllt ist.
das den Plasma- und Materiestrukturen Zusam­
menhalt verleiht und durch Anziehung verbin­ Anderen Überlieferungen gemäß hüllt sich Eros in
dend wirkt. Das Eros-Prinzip, das wir in unserer „bindendes Feuer"; er sei das U rfeuer selbst, das
abgeflachten und von mythischem Urwissen ent­ sich auf die Materieebene zum „Feuer der Leiden­
seelten abendländischen Kultur auf seine unterste, schaft'' herunter transformiert. Die Beschreibung
nämlich genitale Entsprechung verballhornt haben, des Plasmas als Feuer trifft ebenso zu wie seine
bringt eine gewaltige Physik zum Ausdruck, die Beschreibung als Wasser, als Luft und sogar als
wir erst heute wieder entdecken: das universelle Erde (Gaia). Das verwirrt zunächst, wobei jedoch
Symmetrieprinzip! jedes Teil ist mit jedem anderen zu bedenken ist, dass Eros keines dieser Elemen-
1 55

te ist, sondern sie nur benutzt, um bestimmte


Charaktereigenschaften des Plasmas aufzuzeigen,
bzw. die Urformen der vier Elemente, die ja keim­
haft im Plasma als fünftem, alles zusammenfassen­
den Element ruhen.

Das Erosprinzip verbindet. Plasma ist wie Kleb­


stoff, es hält die Dinge durch ein unsichtbares Netz
von Sympathien und unterschwelligen Identitäten
zusammen. Ich beschreibe diese Art der Verbin­
dung als universelles Symmetrieprinzip. Eros ver­
eint durch Liebe und spiegelbildliche Ähnlichkeit.
Die Fähigkeit, in unterschiedlichen Dingen und
Zuständen grundlegende Wesensgleichheiten auf­
zuspüren, bewirkt die geheime, unheimliche Kraft
des Eros. Eros macht keine Unterschiede, er nivel­
Die Platte eines ionischen Frieses zeigt einigejunge
liert; seine Urnatur zermalmt unsere irdischen
Athener. Sie tragen während der Panathenäen mit
Unterscheidungen unter dem Stiefel universeller Wasser gefüllte hydriai in einer Prozession als
Gleichmacherei. Eingetaucht ins Plasma erfährt Gabe an die Göttin.
man die Erosnatur in ihrem ganzen Glanz: das
Gummiband, das alles zueinander zieht - auf haarig, goldgeflügelt, frühlingshaft, im Glanz
einen Punkt - das ist es, was im Neuling in dieser himmlischer Blitze einher kommend, dem West­
Dimension so unendlichen Schrecken auslöst. Wie wind und dem Regenbogen sohnverwandt, bringe
können ein Stuhl, ein Krokodil und ein Hirsch­ er einem Sturm gleich das Bittere und das Süße
geweih eine Einheit bilden? Wir kennen dafür nur der Liebe mit fataler Gewalt hervor. - Eros und
den Begriff: Schizophrenie! Aber vielleicht ist unsere Psyche stehen sich offenbar nahe, weshalb
Schizophrenie ein erster verwirrter Schritt ins Eros oft als Liebhaber der Psyche abgebildet wur­
Erosprinzip? Wer einmal von den Früchten des de. Im Grunde aber sind beide nur zwei Aspekte
Eros gekostet hat, wird zum Weisen. Unvorberei­ des Plasmas. Die Psyche ist erotisch und Eros ist
tet in diese Dimension einzusteigen, macht aus psychisch. Die Hingabe an Eros bezeichnete in der
uns einen Narren. Der Weise aber unterwirft sich sokratischen Philosophie Platons die Suche nach
vorbereitend einem lebenslangen Exerzitium, bis dem Schönen, Wahren und Guten. Die Philosophie
er den Szenenwechsel wagt. Eros ist das erste und Platons ließe sich unter diesem Aspekt als eine
letzte Geheimnis des Seins, der energetische Aus­ „erotische" begreifen. Für uns bedeutet es eine
druck von Uranos, dem Ureinen. Hinwendung zu den Prinzipien der uns nächstge­
legenen Dimension des Plasmas. Zu untersuchen,
Das plasmatische Prinzip des Eros transformiert inwieweit unsere höchsten menschlichen Bestre­
sich in die Materiedimension hinunter und hält bungen und Hoffnungen mit den Gesetzen des
diese mittels unsichtbarer Gesetzmäßigkeiten Plasmas zusammenfallen, wäre eine lohnende
zusammen, uns allen am bekanntesten in Gestalt Aufgabe, denn: Kann es überhaupt ein anderes Ziel
der Liebe. Deshalb beschrieb ihn Hesiod als einer Spezies geben, als die ihr am nächsten lie­
„Schönsten der Unsterblichen", den Glieder lösen­ gende, ihr übergeordnete Dimension als höchstes
den Bezwinger der Götter und Menschen; gold- Ideal anzustreben?
.V.

DAS ENDE

Links: Sokrates. Eine Kopie der antiken Büste.


158

DER ECHTE P HILOSOPH Sokrates:


I ST AM LIEBSTEN TOT
Von meiner Hebammenkunst gilt zunächst ein­
mal das gleiche wie von der ihren. Sie unterschei­
WEISE PHILOSOPHIEREN NICHT det sich aber dadurch, dass sie Männer entbin­
det und nicht Frauen, und dass sie beim Gebären
. . . kein einziger von den Göttern philosophiert ihre Seelen überwacht und nicht ihre Leiber. Das
oder begehrt, weise zu werden (denn er ist es größte an unserer Kunst ist aber, dass sie in je­
schon), und auch wer sonst weise ist, der dem Fall zu prüfen vermag, ob es etwas Falsches
philosophiert nicht. Die Unwissenden wiederum und Unwahres ist, was das Denken des Jünglings
philosophieren auch nicht„ . hervorbringt, oder etwas Echtes und Wahres. Ja,
Symposion 203 auch darin geht es mir wie den Hebammen: ich
selbst bin nicht imstande, eine Weisheit hervor­
Viele sind Thyrsosträger - so sagen die in die zubringen, und das haben mir auch schon
Mysterien Eingeweihten - wenige aber sind echt manche zum Vorwurf gemacht: dass ich wohl
Begeisterte. Dies sind aber nach meiner Meinung die anderen ausfrage, selbst aber über keinen
keine anderen als die echten Philosophen. Gegenstand eine eigene Meinung vorbringe,
weil ich nämlich nichts
Phaidon 69
159

gen weiß, und diesen Vorwurf machen sie mir


zu Recht. Der Grund davon aber ist der: zu ent­
binden nötigt mich der Gott, zu gebären aber
hat er mir versagt. (fheaitetos 150)

Sokrates' didaktisches Vorgehen ist nicht das des


klassischen Lehrers, der einfach seine Meinung
herausposaunt, und andere müssen ihm lau­
schen. Sokrates weiß angeblich nichts, hat keine
Meinung. Allein durch geschickte Fragen an seine
Schüler stößt er zum Urgrund vor und lässt diese
die Antwort selbst finden, eben indem er immer
wieder nachfragt. Ein sehr zurückhaltender Lehr­
meister, dem es nicht um Selbstdarstellung, son­
dern um die Erkenntnisschulung der Schüler
geht.

Zudem zeigt so eine durch Frage- und Antwort­


spiel geführte Diskussion, dass der Mensch nicht
alles Wissen erringen kann, es bleibt Unsicherheit
über die letzten Fragen zurück und dem ist so,
Altar in Eleusis im westlichen Attika, wo die
der Mensch kann nicht alles wissen. Der sokrati­
ältesten griechischen Mysterien gefeiert wurden.
sche Dialog bescheidet sich also mit Bescheidenheit. Befindet sich auf dem heiligen Weg von Propylon
Dass Sokrates von sich behauptet, nichts zu wis­ nach Telesterion. Eventuell stand hier ursprünglich
sen, erstaunt, aber folgendes Zitat zeigt, was er
der Altar der Demeter und der Persephone (Kore).

wirklich meint
ventionell. Selbsterkenntnis liegt hier in der so
. . . kein einziger von den Göttern philosophiert genannten sokratischen Logik. Deshalb sagt
oder begehrt, weise zu werden (denn er ist es Sokrates:
schon), und auch wer sonst weise ist, der philo­
sophiert nicht. Die Unwissenden wiederum So bin ich denn also selbst durchaus nicht weise,

philosophieren auch nicht . . . (Symposion 203) und es gibt auch keinen weisen Fund, der als
Frucht meiner Seele ans Licht gekommen wäre.
Ich wiederhole: Weise philosophieren nicht - Von denen aber, die mit mir verkehren, erschei­
sind sie nicht weise, müssen sie philosophieren, nen einige am Anfang völlig unbelehrt; je länger
weil sie noch weise werden wollen. Denn: Wie sie aber mit mir zusammen sind, machen alle,
kann einer, der bereits weise ist, noch philoso­ denen es der Gott vergönnt, erstaunliche Fort­
phieren, ist er doch selbst ein lebendiges Beispiel schritte - so kommt es ihnen selbst und auch
der Philosophie, sprich der „Liebe zur Weisheit" den anderen vor; dabei ist es offensichtlich, dass
geworden. sie nie etwas von mir gelernt haben, sondern
Die Schüler lernen, indem sie auf Fragen logisch dass sie selbst und aus sich selbst viel Schönes
antworten müssen, nicht emotional oder kon- gefunden und hervorgebracht haben. Ihre Ent­
bindung freilich verdanken sie dem Gott und
Demeter und Persephone. Marmor, 470-460 v. Chr. mir. (fheaitetos 150)
DAS STAUNEN Warum dem so ist, beantwortet Platon mit seiner
gesamten Philosophie: Das jenseits ist der Ur­
Warum stellt Sokrates so viele Fragen? - Das sprung des Lebens, also muss, um dieses zu er­
Staunen, in der Welt zu sein, etwas, das dem nor­ klären, das jenseits erklärt werden, und dies ist
malen Menschen abgeht, der für alles eine kon­ nur möglich, wenn wir uns an dieses wiedererin­
ventionelle Erklärung bereithält, ist das Standes­ nern, was wiederum nur möglich ist, reinigt sich
merkmal des echten Philosophen. Der echte Phi­ die Seele vom Körper, bzw. verlässt sie ihn, was
losoph weiß nichts, aber er staunt, und aus dem Sterben heißt.
Staunen heraus stellt er Fragen. Nicht-Philoso­
phen staunen nicht und stellen daher auch keine
Fragen, sie beantworten gleich alles, ohne je ge­ SOKRATES TRIN KT
fragt zu haben, sie geben das kulturell anerkannte DEN GIFTBECHER
Wissen wieder. Daher:
. . . dass aber der Philosoph doch den Wunsch
Denn gerade das ist ja das eigentliche Erlebnis
habe, dem Sterbenden nachzufolgen . . .
des Philosophen, das Staunen. Es gibt nämlich
keinen anderen Ursprung der Philosophie als . . . dass nämlich die Philosophen gerne sterben
diesen. . . (Theaitetos 155) möchten . . .
Phaidon 6 1, 62
DER URSPRUNG DER PHILOSOPHIE
DAS DAIMONION
Alle die, welche sich mit der Philosophie richtig
Sokrates kommt wegen Mysterienverrat und
befassen, beschäftigen sich offenbar, ohne dass
Jugendgefährdung vor den Richter und sagt:
es die anderen merken, eigentlich mit nichts
anderem als mit dem Sterben und mit dem Tot­ Die mir vertraute seherische Stimme des Dämo­
sein. (Theaitetos 64) nischen meldete sich in der ganzen vorherigen
161

Zeit . . . aber das Zeichen der Gottheit hat mich Leben nur lebenswert mit dauerndem Blick aufs
weder gewarnt, als ich heute Morgen von zu jenseits. Die vollkommene Erdgebundenheit, der
Hause fort ging, noch als ich hier vor Gericht Glaube an die Erde, kommt bei Platon nicht vor.
auftrat. . . was soll ich dafür als Grund an­ Das Materieuniversum ist nur das Abbild des
nehmen? Ich will's euch sagen. Was mir wider­ Ätheruniversums, nur seine Kenntnis erlaubt die
fahren ist, das muss wohl ein Gut sein, und un­ Erkenntnis des Diesseits. Also muss man zum
möglich haben die von uns Recht, die glauben, Ursprung zurückkehren.
der Tod sei ein Übel. Dafür habe ich einen wichti­
gen Beweis erhalten; denn unbedingt hätte LEBEN HEISST VORBEREITUNG
mich das gewohnte Zeichen gewarnt, wenn mir AUF DEN TOD
nicht etwas Gutes geschehen sollte.
(Apologie des Sokrates 40) Wäre es also nicht lächerlich, wie ich schon an­
Der Daimon der Intuition warnte Sokrates nicht fangs sagte, wenn sich ein Mensch das ganze
vor einer Verurteilung. Er kommt zum Schluss, Leben hindurch bemühte, so zu leben, dass er
das sei deshalb so, weil der Daimon nur vor dem Totsein ganz nahe ist, und er sich dann
Schlechtem, nicht vor Gutem warne, ihm also unwillig gegen den Tod sträuben wollte, wenn er
nun mit dem Tod Gutes bevorstünde. Der Tod ist wirklich an ihn herantritt? (Phaidon 67)
Gutes! Warum? Weil wir nun rein seelisch ohne In der Tat bereiten sich die Philosophen auf das
Körper auf neue Weise lernen können? Die Sterben vor, und der Tod ist für sie weniger
Antwort im Phaidon lautet: Der Philosoph habe schrecklich als für alle anderen Menschen.
schon innerhalb seines Lebens eigentlich kein (Phaidon 68)
anderes Ziel als zu sterben, sterben zu lernen.
Hatte Sokrates das nicht gelernt? Wenn nicht, so Philosophie heißt also: Vorbereitung auf den Tod,

musste er es offenbar nun lernen. das Jenseits, die Götter! Für den Zeitgenossen von
heute ist das unannehmbar, er will das Leben

RÜCKKEHR ZU DEN GÖTTERN jetzt, den Tod möglichst später erleben. Aber er
hat nicht verstanden: Das Leben ist ja nur ein
Sokrates: Abbild, ein Echo des Jenseits. Es gibt gar keinen
Nun aber müsst ihr wissen, dass ich die be­ Unterschied zwischen Lebensreich und Todes­
stimmte Hoffnung habe, zu guten Menschen zu reich. Allein das Leben ist ein zu Raum und Zeit
kommen. Freilich kann ich das nicht ganz sicher und Materie geronnenes Ebenbild des Jenseits.
behaupten; dass ich jedoch zu Göttern kommen Ich lebe im Grunde jetzt im jenseits. Allein durch
werde, die ganz besonders gute Herren sind, das die Materiestruktur entsteht ein Körper um
sollt ihr wissen, möchte ich, wenn irgendetwas meine Seele, und ich bin in den Gesetzen des „ge­
von diesen Dingen, mit Gewissheit behaupten. ronnenen Ätherstoffs" gefangen.
Deshalb bin ich nicht dermaßen unwillig, son­
dern habe die feste Hoffnung, es gebe für die VERHÄLTNIS ZUM TOD
Gestorbenen noch etwas, und zwar, wie man ja
schon lange behauptet, für die Guten etwas viel Siehst du also einen, der unwillig wird, wenn er
Besseres als für die Schlechten. (Phaidon 63) sterben soll, so ist das für dich ein genügender
Die große Hoffnung des Lebens ist das Jenseits, Beweis, dass er nicht die Weisheit lieb hat, son­
ebenso die große Sehnsucht. überhaupt ist das dern seinen Leib. Der ist dann wohl auch hab-
162

süchtig oder ehrgeizig, eines von beiden gewiss, Denn:


oder gar beides zugleich. (Phaidon 68)
Das Wahre aber ist nichts anderes als eine
Wer nicht sterben kann, ist von Natur aus hab­ Reinigung von alledem. . . (Phaidon 69)
süchtig und ehrgeizig. Wer leicht sterben kann,
An sich müsste die Mysterienschulung vollkom­
ist frei und ichlos. Am Verhältnis zum Tod ent­
men von falschen Vorstellungen und Erleben
hüllt sich unser wahres Wesen.
reinigen, doch gelingt das nicht.
Und auch die Besonnenheit, das, was auch die
Menge Besonnenheit nennt, dass man sich näm­
DAS ENDE
lich von seinen Leidenschaften nicht hinreißen
lässt, sondern dass man bescheiden und ordent­
lich lebt - findet sich nicht auch sie allein bei Sokrates sagt in der Gefängniszelle i n der Ver­
denen, die am meisten den Leib gering achten sammlung seiner Schüler und kurz bevor er das
und in der Liebe zur Weisheit leben? Gift trinkt
(Phaidon 68)
. . . dass ich, wenn ich das Gift getrunken habe,
nicht mehr bei euch bleiben, sondern ent­
GEHEIMLEHREN UND TOD
weichen und zum herrlichen Leben der Seligen
eingehen werde . . . (Phaidon 1 15)
So mögen auch die bekannten Stifter der Geheim­
lehren keine geringen Leute gewesen sein, ha­ Und zu Krition gewandt:

ben sie doch in Wirklichkeit schon lange an­ . . . und wenn er sieht, wie mein Leichnam ver­
gedeutet, dass, wer ohne die Weihen und unge­ brannt oder begraben wird. Und er wird bei
heiligt in die Unterwelt kommt, im Schlamm­ meinem Begräbnis dann auch nicht sagen, das
strom liegen muss, während der, der gereinigt sei Sokrates, den er aufbahrt oder hinausträgt
und geweiht dorthin kommt, bei den Göttern oder beerdigt. Denn merke dir wohl, mein bes­
wohnen wird. Viele sind Thyrsosträger - so ter Krition, (. .. ) solche unrichtigen Behauptun­
sagen die in die Mysterien Eingeweihten - we­ gen sind nicht nur an und für sich falsch, son­
nige aber sind echt Begeisterte. (Phaidon 69) dern sie üben auch einen schlechten Einfluss auf
unsere Seelen aus. Du sollst vielmehr guten
Offenbar beschäftigte man sich in den Geheim­
Mutes sein und sagen, es sei ja nur mein Leib,
lehren mit dem Tod und dem überleben des Todes,
den du begräbst. (Phaidon 1 16)
dem jenseits. Wer die Weihen, also das Wissen
über den Tod, nicht erhalten und es nicht verstan­ Wer denkt, so Sokrates, seine Seele könne wirk­
den hat, wird mit dem Tod in die Hölle, den seeli­ lich sterben, beeinflusst seine eigene Seele nega­
schen Schlammstrom, gelangen. Schlamm steht tiv; da er falsch denkt, glaubt und fühlt er auch
hier für Irrationalität und Nichtverständnis. Dann falsch, öffnet sich damit für körperliche und ele­
wird jedoch noch kritisiert, dass zwar viele die mentare Einflüsse und verdunkelt seine Seele. Es
Mysterienschulung durchlaufen, doch bringt das wird gefordert, dass wir selbstsicher den Tod in
offenbar wenig, denn wenige sind echt Begeister­ unseren Gedanken abschaffen und lediglich dem
te, d. h. vom Geist ergriffen. Offenbar gelangte Denken einen reinen Körpertod erlauben. Ich soll
man in den Mysterien über bürokratische Schu­ also vollkommen im Glauben und dem Wissen
lung nicht hinaus. gefestigt sein, dass meine Seele unsterblich ist
163

und niemals untergehen kann, ganz gleich, wie der Weissagung besitzen und daher im voraus
sehr ich im Leben leiden mag. Das ist die zentra­ wissen, was für ein Glück sie im Hades erwartet,
le Therapie, die Sokrates seinen Schülern und uns singen sie und freuen sich an jenem Tage wie nie
vermittelt. Wer sich ganz als Seele fühlt, sekun­ zuvor. Ich meine aber, selbst auch im gleichen
där erst als Körper, und diesen als materielles Dienst zu stehen wie die Schwäne; auch ich bin
Spiegelbild der eigenen Seeleneigenschaften diesem Gotte geweiht und habe nicht weniger
sieht, also eine echte psychosomatische Ver­ als jene Vögel die Gabe der Weissagung von
wandtschaft erkennt, allein der ist frei und hat meinem Herrn bekommen, und ich scheide
sein Leben richtig genutzt. jeder kann sich nun ebenso frohgemut wie sie aus diesem Leben.
fragen, wo er - an diesem Satz gemessen - steht. (Phaidon 85)

Sokrates glaubte, nach dem Tod komme er zu den Hier wird deutlich gesagt, dass die Tiere dem So­
Göttern, daher fürchtet er sich nicht vor dem Tod krates hinsichtlich Paranormalität in nichts nach­
und ist mit seinem Schicksal zufrieden. Es heißt, stehen. Wo ist dann also bitteschön der Unter­
es gäbe dort „für die Guten etwas viel Besseres als schied zwischen Mensch und Tier, wenn die Weis­
für die Schlechten." Er zählt sich offensichtlich zu sagekunst als höchstes menschliches Gut aufge­
den Besseren, warum? fasst wird, die Schwäne es nun aber in besonde­

Alle die, welche sich mit der Philosophie richtig rem Maße besitzen. Sind also Schwäne bessere

befassen, beschäftigen sich offenbar, ohne dass Menschen, oder müssen Menschen erst zu Men­

die anderen es merken, eigentlich mit nichts schen werden, ehe sie Tiere werden dürfen?

anderem als mit dem Sterben und mit dem Tot- Sokrates spricht von sich als einem Seher, der
sein. (Phaidon 13) dem Gotte Apollon geweiht ist, er habe wie die
Schwäne die Gabe der Weissagung erhalten, und
DER G ESANG DES TODES da diese den Tod nicht fürchten, sondern eher
erhoffen, unterliege auch seine Seherkunst nicht
Die Schwäne singen ihre schönsten Lieder vor
der Angst vor dem Tod. Wer stirbt - das wissen
dem Tod aus Vorfreude! Die Menschen aber be­
wir heute - hört einen Sphärenklang, einen
haupten, die Schwäne beklagten den Tod. Sokra­
„Schwanengesang", der so lieblich ist, dass er
tes sagt kurz vor seinem Tod:
einem die Angst vorm Sterben nimmt und man
Aber sie und auch die Schwäne singen meiner sich freiwillig und mit Freude in dieses Tonreich
Ansicht nach nicht vor Kummer; sondern ich begibt. Ist dies die von Platon beschworene tönen­
glaube, weil sie als Vögel des Apollon die Gabe de Sphärenharmonie, der Urton der Schöpfung?
164

LITERATUR
• Crookall, Robert: Case-Book of Astral Projection. N. ]. 1 972.

• Crookall, Robert: Out-of-the-Body Experiences. Secaucus, N. ]. 1 970.



Kalweit, Holger: Das Totenbuch der Germanen. Die Edda - die Wurzeln eines wilden Volkes.
AT-Verlag, Aarau 200 1 .

• Kalweit, Holger: Das Totenbuch der Kelten. Das Bündnis zwischen Anderswelt und Erde.
AT-Verlag, Aarau 2002.
• Kalweit, Holger: Todeserfahrung als Grundlage der Märchenmotive. In: Felix von Bonin Q-lrsg.)
Schamanismus und Märchen, Param Verlag, Ahlerstedt 2003, S. 152-163.

• Kalweit, Holger: Der Stoff aus dem die Seele ist. KOHA-Verlag, Burgrain 2004.

Kalweit, Holger: Naturtherapie. Arun Verlag, Kirchhase! 2004.
• Kalweit, Holger: Erdmutter will Rituale. Arun Verlag, Kirchhase! 2005.

• Kalweit, Holger: Liebe und Tod. KOHA-Verlag, Burgrain 2006.


• Kalweit, Holger: Einweihung der Seele ins jenseits. Orpheus und Dionysos. Ein Buch des Lebens
und Sterbens. Eminent Verlag, Prag 2006
• Neal, James H.: Yu-Yu in my Life. London 1 966.

• Platon. Sämtliche Werke. Hrsg. Walter Rüegg, Artemis-Verlag, Zürich 1 958.


• Rawlings, Maurice: Before Death Comes. Nashville 1 980.

• Rawlings, Maurice: jenseits der Todeslinie. o. 0., o. ].


• Ring, Kenneth und Franklin, Stephen: Da Suicide Survivers Report Near Death Experiences?
Omega 12, No. 3 (1981), S. 1 9 1 -208.
1 65

ALPHABETI SCHE S REG I STER

Bruno, Giordano - 1 9 Eros - 1 1, 5 9 , 66, 1 1 3, 1 32, 147,


A Bulgarien - 1 1 7 155
Eubouleos - 56
Aer - 6 1 Eubulides - 150
Agamemnon - 4 2 c Eudaimonie - 1 1
Acheron - 74, 76, 80 Euridike - 72
Achilles - 46 Canossa - 52 Euripides - 61
Aigina - 78 Carravagio - 86 Evolution - 1 1 , 19, 54, 56-58,
Aigistos - 1 6 Chaos - 147-148- 1 50, 6 1 , 88, 99, 148
Aither - 60, 152, 1 54 1 53 - 1 54
Alighieri, Dante - 27, 69, 75 Charon - 16, 100
Alkestis - 68, 72, 1 5 3 Chorismos - 32 F
Amathaon - 2 0 Cuchulain - 20
Ameles - 4 3 Fluss
Anamnesis - 5 7 , 8 3 , 1 18 Fluss Ameles (sorglos) - 43
Anaxagoras - 1 1 , 46 D Fluss Lethe - 41, 43, 54, 57,
Andrle, Jifi - 86 59, 103
Apollon - 1 10, 163 Daimon - 1 1 , 38, 4 1 , 43, 55, 68, Fluss Mnemosyne - 43, 58
Ardiaios - 34 8 1 , 1 0 1 , 1 36 Jammerfluss - 75
Ariadne - 48 Daimonischer Wille - 102
Aristophanes - 59, 6 1 , 1 5 3 Intuition - 1 5 1
Aristoteles - 1 1 , 53, 6 0 Mittelwelt - 145 G
Artemis - 7 2 , 1 1 3, 144 Daimonion - 1 60
Artemision - 1 23, 144 David, Jacques-Louis - 1 60 Gaia - 149, 1 54
Atalante - 42 Delos - 1 45 Galaxis - 61, 122
Atropos - 35, 37, 43, 64 Delphi - 5 1 , 148 Gerechtigkeit - 64, 83, 1 14, 1 30,
Augoeides - 57 Demeter - 56, 83, 1 5 9 132
Aura - 62 Demiurg - 4 6 , 5 9 , 84, 1 0 5 , 145 Gericht - 68, 75, 81, 94-95,
Ägypt - 26, 29 Dikte - 1 1 1 101, 161
Äther - 44, 47, 49-50, 54, 59, Dionysos - 20, 48, SO, 55, Lebensgericht - 37
6 1 -63, 68, 72-75, 82-93, 57-58, 1 1 2, 1 30, 145 Massengericht - 1 1
106, 1 1 3, 1 1 9, 1 30, 1 33 - 1 3 5 , Dore, Gustave - 75 Germanen - 1 64
147- 1 6 1 Dürer, Albrecht - 38, 42 Giganten - 7 1
Ätherlicht - 49 Glaukon - 3 8
Ätherseele - 5 3 Gnosis - 91
Ätherwelt - 46-48, 53-54, E Gorgona - 14
7 1 -72, 80-81, 1 30, Grumentum - 35
1 3 3 - 1 34 Ephes - 72 Gutes - 33, 39, 41, 43, 1 10, 1 30,
U rform - 82, 84, 99, 1 30, 142, Ephyra - 1 7 - 1 8 1 35, 1 6 1
144-1 45 , 1 5 5 Eide - 1 1 3, 1 15, 1 26, 1 34, 147 Gwyion - 2 0
Eidolon - 54, 100
Eidos - 92, 145
B Einstein, Albert - 46 H
Eleusis - 56, 1 30, 159
Bel und Marduk - 1 8 Elysion - 3 1 , 59, 6 1 Hades - 8, 28, 3 1 , 38, 48, 53,
Bestattungsritual - 106 Empedokles - 1 5 3 60-6 1 , 68, 72-73, 81, 83-84,
Blake, William - 69 Epeios - 42 92, 99-102, 1 1 6, 1 22, 147,
Bouguereau, W.-Adolphe - 1 5 3 Erebos - 1 5 3 163
166

Einweihung - 8 1 , 1 12, 1 17 Körper


Modell - 1 9, 38, 54, 63, 8 1 , 99, Materieller Körper - 1 5 , 29, 47 0
142 Plasmakörper - 24, 26, 48, 6 1
Todeslied - 1 6 3 Kreta -1 0 1 , 106, 1 0 9 , 1 1 1, 1 38 Odysseus - 20, 33, 38, 42
Harmonie - 35, 37-38, 100, Kronos - 106, 1 1 3, 1 3 5 Der Weg zum Hades - 48
109, 1 27, 144 Kybele - siehe Rhea - 7 1 Oidipus - 96
Harmonie des Himmels - 105 Okeanon - 59, 72, 75-76, 88,
Harmonie des Jenseits - 1 44 1 06, 1 47-1 48, 1 54
Harmonie der Umläufe - 109 L Olymp - 62, 93, 140
Sphärenharmonie - 34, 37, Olympia - 47
53, 55, 163 Lachesis - 32, 35, 38, 43, 64, Orpheus - 20, 4 1 , 72, 92
Hemera - 153 1 37 Orphische Lehre - 5 3
Hera - 54, 61, 106, 1 1 3 Le Danois, Ogier - 20 Orphische Goldblättchen 60
-

Herakles - 20, 48, 59, 63, 68, 93 Lehre Orphiker - 60


Hermes Psychopompos - 62, Geheimlehre - 1 39, 144, 162 Orion - 59
68 Weisheitslehre - 1 1 Osiris - 59
Himeros - 60, 66 Lethe - 4 1 , 43, 54, 57, 59, 80,
Himmel - 32-38, 4 1 , 47-48, 1 18
53-54, 60, 6 1-63, 67-69, 73, Logos - 54-59, 1 1 8, 1 37 p
8 1 , 85, 93-95, 102, 1 1 2-1 1 3 , London, Jack - 15
1 1 9, 142, 147-148 Lysis - 22, 3 2 , 1 5 1 Paestum - 67
Hologrammtheorie - 105 Poseidon-Tempel - 67
Homer - 61, 79, 80 Pallas Athena - 1 20, 1 4 1
M Paracelsus - 2 6
Paranormales Phänomen - 1 5 1
1 Macrobius - 60 Parnas - 5 1
Magna mater - 1 09 Parthenon - 55
Idee - 60, 64, 68, 82-83, 1 35, Makrokosmos - 6 1 Peloponnes - 57
141, 1 5 } Malia - 99 Pergamon - 1 25, 1 2 9
Iris - 59, 62 Mars - 54, 62 Pergamonaltar - 2 7 , 7 2 , 1 12
Isis - 59 Merkur - 54, 62 Periktione - 1 1
Mond - 26, 54-55, 6 1-63, 106 Persephone - 53, 56, 60, 72, 1 5 9
Metaxy - 147 Phaedros melete thanatou - 3 1
J Mikrokosmos - 6 1 Phainarete - 1 1
Milos - 60 Philoktetos - 47
jenseits - 14, 22, 25, 32, 39, 4 1 , Minos - 1 1 1 Phokida - 50
4 3 , 49, 50, 5 6 , 63, 67-69, 72, Milchstraße 26, 48, 53-55, 59,
- Phorkys - 106
82-84, 92, 1 0 1 , 1 10, 122, 1 25, 6 1-62 Physiognomie - 84
132-135, 1 39- 1 42 Mnemosyne - 43, 58 Plasma - siehe Äther
Jupiter - 54, 62, 85 Mairen - 27, 32, 35, 37 Plasmaleib - 26
Morrell, Ed - 1 5 Plasmanatur - 26
Mythos 147, 148, 149
- Plutarch - 59, 1 49
K Pluton - 84, 92, 1 47
Pneuma - siehe Äther
Kalabrien - 87, 97 N Pollux - 59
Kalchas, Seher - 47 Poros - 1 30
Kallichoron - 1 3 0 Naxos - 64 Porphyrios - 6 1
Kampanien - 82 Nekromanteion - 1 8 Proklos - 6 0
Karthago - 88 Nemesis - 3 7 , 3 8 Propylon - 159
Kastor - 59 Schoss - 3 5 Psyche - 1 4, 32, 54-56, 59-62,
Kelten - 1 5 , 1 3 5 Kegel - 1 6 72-74, 78, 82, 91, 98-99, 102,
Kerberos - 69 Thron - 35, 4 3 1 37, 1 46- 147, 148- 1 5 1 , 1 54
Klotho - 32, 35, 43 Newton, Isaac - 26 Psychro - 1 1 1
Kokytos - 77, 80, 103 Nike - 93 Pyriphlegeton - 80
Kosmologie - 1 5 , 19, 36, 53, 6 1 , Notwendigkeit, Göttin - 64 Pythagoras -60
105 Nyx - 1 12, 1 53, 154 Pythagoräer - 54, 60
1 67

Sternenhimmel - 73 Urbild - 1 34, 1 37, 145


R Symbolik - 25 Urei - 147-148, 1 53-155
Styx - 77, 80, 125 Urform - 82-84, 99, 1 30,
Raphael - 1 1 Sunion - 1 2 6 1 38-1 39, 142, 144-145, 155
Reichenbach, Karl - 25, 29 Synthemata - 5 7 Urnatur - 54, 1 54
Reich, Wilhelm - 25 Syrakus - 1 1 Urstoff - 50, 72, 94
Rhea - 7 1 , 106, 1 3 5 Svabins!<y, Max - 1 10 Überhimmlischer Ort - 63
Rhodos - 1 32, 154

T V
s
Tartaros - 30-34, 37-38, 4 1 , Vanth - 82
Saturn - 54, 62, 85 5 8 , 72-75, 79, 1 5 3 Venus - 54, 60, 62
Satyr - 1 1 0, 1 37 Teiresias - 3 3
Schizophrenie - 1 55 Telamonier - 42
Schönheit - 39, 65, 83, 1 1 3, 1 18, Telesterion - 1 5 9 w
1 32, 1 38, 153 Tethys - 1 06, 147
jenseitsschönheit - 67, 141 Thanatos - 72 Wahre Erde - 47, 49, 7 1 , 73-75
Wahre Schönheit - 1 1 8 Theben - 28, 3 3 Wahrer Himmel - 70
Seele - 88 Thersites - 42 Wahres Licht - 70
Seelenaufstieg und Theseus - 20 Wendekreis des Krebses - 53
Seelenabstieg - 5 3 Thoth - 62 Wendekreis des Widders - 53
Sema - 84, 92 Tibet - 1 5 , 20, 25
Sikyon - 57 Totenbuch - 15, 25
Sirenen - 84, 92 Troja - 47 z
Sirius - 59 Tyrann - 3 3 -34, 39, 142
Soma - 84, 92 Zeit
Sonne - 62, 64, 67, 1 30, 141 Zeitlosigkeit - 46
Sophist - 84, 92, 142 u Zeus - 47, 60, 65, 106, 1 1 1 , 1 1 3,
Sophroniskos - 1 1 1 1 8, 126, 135, 144
Sophrosyne - 1 3 7 Universelles Zodiak - 26, 53, 62
Sphäre - 49, 5 7 , 60, 62 Symmetrieprinzip - 1 54-155 Zone - 20, 30-31, 53, 60, 62, 95
Sieben Sphären - 55 Unterwelt - siehe Hades Ätherzone - 61, 95
Sphärenharmonie - 34, 37, Uranos - 57, 106, 1 37, 147, 1 5 3 , Existenzzone - 57
53, 55, 163 155 Plasmazone - 19, 26, 60-61,
Sphinx - 64, 96 1 02
Holger Kalweit

Platons Totenbuch
Eros, Seelenenergie und Leben nach dem Leben

Korrektur Walbert Schmirler


Umschlag und Typographie Adam Friedrich
Photo jiff Kuchar und Archiv des Verlags
Druck Finidr, Ceskj Tesfn, CZ

Herausgeber
Eminent-Verlag, P. 0. Box 298, CZ- 1 1 12 1 Prag 1
www.eminent.cz

06/10/06
ISBN 80-7281 -213-0

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