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BRUNO BANDULET

VOM
GOLDSTANDARD
ZUM EURO
Eine deutsche Geldgeschichte am
Vorabend der dritten Währungsreform
1. Auflage September 2012

Copyright ©2012 bei


Kopp Verlag, Pfeiferstraße 52, D-72108 Rottenburg
Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Stefanie Müller


Satz und Layout: opus verum, München
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN: 978-3-86445-044-0

Bildnachweis: Alle Bilder aus dem Archiv des Autors.


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Inhalt

Vorwort 10
Einführung: Geschichte wiederholt sich 15

Münzchaos, Wendezeit und eine Frankfurter


Firmengründung 1843 18
Schon 1843 erkannte Frankfurt
den Vorteil einer Privatisierung 21
Sieben Währungsgebiete und ein Dutzend Münzsysteme
in Deutschland 22
Auch früher versuchte die Obrigkeit zu inflationieren 26

Die beste Währung aller Zeiten 28


Das Geschäft mit den Reichsscheidungen 30
Papiergeld, »ein furchtbarer Ton« 32
Mit der Reichsgründung kam die neue Währung 34
Der rechtliche Rahmen des Goldstandards 37
Private Notenbanken? Warum nicht? 40
Auch mit Metallgeld kann eine Wirtschaft wachsen 42
Wie der Goldstandard funktionierte 43
Die Konjunkturzyklen nach 1871 47
Hartes Geld ist auch heute möglich 49
Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird 52
Die Ruhrbesetzung gab der Mark den Gnadenstoß 56
Der Staat war seine Schulden los,
der Mittelstand verarmte 58
Ende der Hyperinflation 59
Sie gaben Gold für Eisen 61
1939 entließ Hitler die Spitze der Reichsbank 63
Gold schützte am besten vor der Währungsreform 65
Von der ersten zur zweiten Währungsreform 68
Sie staunten über die Inflation
und erschraken über die Steuern 70
Kurzes Glück: Die Goldenen Zwanziger 72
Parallelen zum Euro-Debakel 74
Deutschland unter dem nationalen Sozialismus 76
Devisenkontrollen, Goldablieferung, Kapitalflucht 78
Was 1948 übrig blieb 81

Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg


der Deutschen Mark 84
Der unaufhaltsame Niedergang der Ostmark 87
Schon 1958 hatte Deutschland Großbritannien überholt 89
Die Bundesbank: Eine deutsche Erfolgsgeschichte 91
Inflation und Schulden in der Ära der D-Mark 94
Das Weltwährungssystem und das Ende der Goldbindung ....98
Flexibel und manchmal turbulent:
EWS und ECU 101

Wie Deutschland in die Falle lief 104


Die Deutsche Mark wird nicht abgeschafft,
behauptete Waigel 107
Frankreich missfiel die Dominanz der Bundesbank 109
Wie Kohl, Mitterrand und Delors
gegen die Mark konspirierten 112
Pohl spielte auf Zeit - und verkalkulierte sich 114
Ein war
notwendiger Preis für die Wiedervereinigung
der Euro nicht 116
Die Regierung hat nur billige Reklame gemacht,
schrieb die Süddeutsche Zeitung 119
Das Fiasko war absehbar, gewarnt wurde genug 120

Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf 122


Mai 2010: Als der Vertrag gebrochen wurde 124
Karl Otto Pohl rechnet ab 127
Rettung in Permanenz: Vom EFSF zum ESM 129
Am 10. Juli wurde in Karlsruhe verhandelt 130
Ein Blick in den Vertrag: Es kann noch teurer werden 132
Möglichkeiten des Schuldensozialismus 135
Eine Vermögensvernichtungsmaschine
nennt es Professor Sinn 136
Falsche Diagnose, falsche Therapie 138
Hauptverlierer ist der deutsche Mittelstand 140
Alternativen: Deutschland könnte auch austreten 141
Die Macht der Euro-Lobby 143

Was tun? Rat für den defensiven Investor 148


Vorkehrungen für den Tag des Jüngsten Gerichts 149
Wann Silber billig oder teuer ist 151
Das unverstandene Metall 152
Varianten der Goldanlage 156
Aktien: Risiko mit Dividende 158
Pro und kontra Fonds 160
Wie sicher ist die Entschädigungseinrichtung? 163

Die Rückkehr einer Goldmarke,


die nie verschwunden war 166
Literaturverzeichnis 172
Register 174
Vorwort

Gutes Geld ist unverzichtbar, damit Menschen dauerhaft produktiv


und zu aller Vorteil friedvoll miteinander wirtschaften können.
Schlechtes Geld hingegen zerrüttet Wirtschaft und Moral, sät Zwie-
tracht, Bitterkeit, Unfrieden zwischen den Menschen. Diese Erkennt-
nisse hat die Währungsgeschichte immer wieder zutage gefördert.
Gerade für die Deutschen war die Güte des Geldes immer wieder
eine Schicksalsfrage. Die Zeit des Goldgeldes - von 1871 bis zum
Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 - war für sie im
wahrsten Sinne des Wortes eine goldene Zeit. Mit dem Kriegsende
und den gesellschaftspolitischen Umwälzungen änderte sich das.
Denn mit dem sich ausbreitenden sozialdemokratischen Sozialismus
standen nun unüberwindbare politisch-ideologische Hürden einer
Rückkehr zum Goldgeld entgegen. Schlechtes Geld, Papiergeld, wur-
de zum Normalfall.
Die ungedeckte Mark wurde im November 1923 völlig zerstört,
und auch die Reichsmark ging mit dem Ende des Dritten Reiches un-
ter. Verständlich daher die Hochschätzung der »D-Mark-Zeit« bei vie-
len Deutschen: Sie steht für ungewöhnliche 50 Jahre relativer Wäh-
rungsstabilität. Zur Verklärung besteht jedoch kein Grund. Denn
auch die D-Mark war letztlich beliebig vermehrbares Papiergeld. Und
auch sie beförderte den immer weiter ausufernden Umverteilungs-
und Wohlfahrtsstaat und begünstigte die Verschuldungsneigung.
Im Vergleich mit anderen Papierwährungen hatte die D-Mark je-
doch eine besondere Stärke: Hinter ihr stand der Stabilitätswillen der
deutschen Bevölkerung, ein tief verwurzelter Wunsch nach verlässli-
chem Geld. Letzterer war es auch, der den Missbrauchsspielraum der
deutschen Regierungen mit der D-Mark-Notenpresse einschränkte
und den Deutschen im internationalen Vergleich recht gutes Geld
bescherte.
Vorwort 11

Die D-Mark stand zudem als »Ankerwährung« im Wettbewerb


mit anderen Papierwährungen. Dieser Währungswettbewerb hielt
die Inflationspolitiken der anderen - vor allem europäischen - Wäh-
rungen in relativ engen Grenzen. Gerade deshalb war die Einführung
der Einheitswährung Euro ein so fataler Fehler: Sie hat den diszipli-
nierenden Währungswettbewerb in Europa mit einem Handstreich
ausgeschaltet, und gleichzeitig wurde die deutsche Stabilitätsorientie-
rung als Richtungsmaßstab für das Gemeinschaftsgeld aus dem Weg
geräumt.
Zu einem Zeitpunkt, an dem die Zukunft des Euro höchst unge-
wiss ist und an dem vor allem die Zweifel über seine künftige Wert-
haltigkeit anwachsen, ist der Blick auf die währungshistorische Rolle
des Goldes mehr als zeitgemäß. Denn wer in die Währungsgeschich-
te schaut, der erkennt sofort: Gold ist das ultimative Zahlungsmittel.

Über Jahrhunderte und viele Kulturkreise hinweg war Gold immer


wieder das beste Geld. Das liegt zum einen daran, dass Gold (und in
gewissem Maße auch Silber) die physischen Eigenschaften am relativ
besten erfüllt, die ein Gut haben muss, damit es als Geld funktionie-
ren kann: Es muss knapp, homogen, haltbar, teilbar, prägbar und
auch transportabel sein. Gold und Silber erfüllen das wie kein ande-
res Material.
Goldgeld kann nicht beliebig vermehrt werden - was die Herr-
schenden und die von ihnen begünstigten Gruppen natürlich wollen,
damit sie die Allgemeinheit (still und heimlich) zu ihren Gunsten
ausplündern können. Dazu brauchen sie beliebig vermehrbares Pa-
piergeld. Edelmetallgeld schützt den Einzelnen vor staatlicher Will-
kür, und zwar in einer Weise, wie es auch noch so sorgsam formulier-
te Verfassungsregeln nicht leisten können.
Es sind diese Erkenntnisse, die die währungs- und gesellschaftspo-
litische Bedeutung des Edelmetallgeschäftes der Degussa - der Deut-
12 Vorwort

schen Gold- und Silber-Scheideanstalt, deren Grundstein im Jahr


1843 gelegt wurde - verdeutlichen. Diese Bedeutung wird nur zu
häufig übersehen oder gar ausgeblendet: Schmelz-, Scheide- und Prä-
getätigkeit sind unverzichtbare Arbeitsschritte, um gutes Geld bereit-
zustellen, also Geld, das allen Gesellschaftsmitgliedern gleicherma-
ßen und nicht nur einigen wenigen dient.
Man vergleiche nur einmal die ökonomische und ethische Qualität
des Edelmetallgeschäftes mit den heutigen Geldpolitiken. Staatliche
Zentralbanken schöpfen beliebig Geld sprichwörtlich aus dem Nichts.
Dieses Geld - in Form von bedruckten Papierzetteln und Einträgen
auf Computerfestplatten (»Bits and Bytes«) - ist durch keinerlei Er-
sparnisse gedeckt. Es ist nicht nur inflationär, verursacht Finanz- und
Wirtschaftskrisen und führt letztlich in eine Überschuldungssituati-
on, aus der sich die Betroffenen mit einer Entwertungspolitik des
Geldes zu befreien suchen. Das staatliche Papiergeld ist zudem auch
ethisch defekt: Es dient der Bereicherung einiger weniger auf Kosten
vieler.
Edelmetallgeld - und insbesondere das Goldgeld - ist ökonomisch
und ethisch die überlegene Alternative. Es wird durch den freien
Markt geschaffen - und zwar freiwillig -, es gewährt niemandem ir-
gendwelche Privilegien, es verhindert den politischen Machtmiss-
brauch und schützt so die Freiheit des Einzelnen. Es ist also Geld, das
allen und nicht nur wenigen dient.
Ludwig von Mises (1881-1973) schrieb in seiner 1940 erschiene-
nen Nationalökonomie: »Die Goldwährung macht die Gestaltung der
Kaufkraft von dem Einfluss der Politik und den schwankenden wirt-
schaftspolitischen Anschauungen wechselnder Majoritäten unab-
hängig. Das ist ihr Vorzug.« Gutes Geld, also Edelmetallgeld, braucht
notwendigerweise verlässliche Schmelz-, Scheide- und Prägeanstal-
ten. Letztere sind die guten Alternativen zu den heutigen staatlichen
Zentralbanken und ihrem schlechten Geld.
Vorwort 13

Bruno Bandulet zeichnet in seinem neuen Werk die deutsche Wäh-


rungsgeschichte - von ihren Anfängen in der Zeit vor der Deutschen
Reichsgründung 1871 über die Aufgabe der D-Mark Ende 1998 bis
hin zur Euro-Krise - klar verständlich nach. Doch nicht nur das. Mit
großem Weitblick ordnet er alle Entwicklungsschritte in die (interna-
tionalen (währungs)politischen Geschehnisse seiner Zeit ein.
Bandulet erzählt eine hochspannende und sehr lehrreiche Geldge-
schichte. Schon nach den ersten Zeilen zieht sie den Leser in ihren
Bann, weil er spürt, dass der Autor sein umfangreiches Wissen, sein
Denken und zudem auch seine Zukunftsahnungen offen und groß-
zügig mit ihm teilt. Dr. Bandulet gilt nicht umsonst als einer der re-
nommiertesten Experten für Gold- und Währungsfragen im deutsch-
sprachigen Raum.

Was besonders fasziniert sind Dr. Bandulets tiefgehendes, detaillier-


tes Wissen, sein ausgeprägtes, hochsensibles Verständnis für das Zu-
sammenspiel von Wirtschaft, Politik, Geschichte und vor allem auch
die Klarsicht seiner Analysen, mit denen er zeigt, wie all diese Ele-
mente nicht nur national, sondern auch international ineinander-
greifen und die Entwicklung des Geldes und des Geldwesens beein-
flussen. Es ist das Resultat von jahrzehntelanger Beobachtung,
Analyse und Professionalität.
Und nicht zuletzt besticht das Buch durch die Integrität des Au-
tors, die sich vor allem darin zeigt, wie er die Erkenntnisse seiner
Analysen verständlich mitteilt und ihre Konsequenzen offen und un-
geschminkt benennt. Zum Beispiel lautet seine Antwort auf die heute
vielfach gestellte Frage, wieso Deutschland bei der Einheitswährung
überhaupt mitmachen konnte: »Letzten Endes war es eine Mischung
aus Feigheit, Inkompetenz, Selbsttäuschung und europäischem Illu-
sionismus, welche die deutschen Politiker dazu brachte, in die Wäh-
rungsfalle von Maastricht zu laufen.«
14 Vorwort

Bruno Bandulet richtet in diesem Buch natürlich auch den Blick in


die Zukunft. Er zeigt Szenarien auf, welchen Verlauf die Euro-Krise
nehmen und zu welchem Ergebnis sie führen kann. Darauf aufbau-
end leitet er Ratschläge ab, wie der Sparer sich gemäß seinen persön-
lichen Bedürfnissen auf die kommenden Umbrüche einrichten kann.
Dass dem Gold (und anderen Edelmetallen) bei der Vorsorge der
Vorzug zu geben ist, ist eine folgerichtige Empfehlung, die der Autor
aus den währungshistorischen und -theoretischen Erkenntnissen sei-
ner Analyse ableitet.

Wer Dr. Bandulets Schrift gelesen hat, der weiß nicht nur, dass staat-
liche Papierwährungen kommen und (immer wieder unter)gehen,
sondern dass das Gold bleibt. Der Leser erfährt auch, warum das bis-
her so war, und warum das auch künftig so sein wird. Denn solange
die Regierungen und nicht die freien Märkte bestimmen, was Geld
ist, wird das Geld schlecht sein: Es wird inflationär und ungerecht
sein und mitunter - wie beim Euro - eine kurze Lebensdauer haben.

Das vorliegende Buch ist eine Pflichtlektüre für alle, die danach stre-
ben, der deutschen Währungsgeschichte, die immer wieder so viel
Unheil gebracht hat, auf den Grund zu gehen - und insbesondere
auch das Euro-Debakel, seine Gründe und seine Folgen zu verstehen.
Bruno Bandulets Buch wird ein Klassiker der deutschen Geldge-
schichte werden, in dem Wahrheit, Klarheit und Klugheit zu Wort
kommen und ideologische Verklärung sowie politischer Opportunis-
mus mehr als entzaubert werden.

Thorsten Polleit
Königstein i. T., im August 2012
Einführung:
Geschichte wiederholt sich

Im Sommer 2012, dem dritten Jahr der sogenannten Euro-Krise, lag


eine böse Vorahnung über dem Land. Die Deutschen sorgten sich
um den Wert ihres zur Fremdwährung gewordenen Geldes, verach-
teten die politische Klasse und beobachteten mit einer Mischung aus
Entsetzen und Widerwillen, wie immer aberwitzigere Milliardenbe-
träge mobilisiert wurden, um ein Konstrukt zu retten, das sie nicht
wollten und nie brauchten. Es war, als führe man mit hohem Tempo
in eine Nebelwand.

Wiederholt sich Geschichte? Nein, nicht als Kopie, aber sehr wohl in
ihren Moden, Methoden und Möglichkeiten. Im Verlauf meiner Re-
cherchen war ich erstaunt und fasziniert, wie oft und wie skrupellos
das staatliche Geldmonopol missbraucht wurde, wie wenig sich am
Werkzeugkasten der Geldpolitik verändert hat, wie sehr sich viele
Abläufe ähneln oder zumindest vergleichbar sind. Im Versailler Ver-
trag verpflichtete sich Deutschland unter Androhung von militäri-
scher Gewalt, auf Generationen hinaus zu zahlen - diesmal wird
ohne Not für fremde Schulden gehaftet. 1923 konnte die Unabhän-
gigkeit der Reichsbank die Katastrophe nicht verhindern - 2010
begann auch die Europäische Zentralbank trotz vertraglich veran-
kerter Unabhängigkeit, Staatsanleihen aufzukaufen. 1939 wurde
Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht gefeuert, weil er Hitlers
Kriegsfinanzierung nicht mehr verantworten konnte - 2011 gaben
Axel Weber und Jürgen Stark auf, weil sie die Politisierung der EZB
nicht mittragen wollten. Es ist wenig zu entdecken, das neu erfunden
wurde. Nichts hat sich auch daran geändert, dass es am Ende der
brave Steuerzahler und Sparer ist, dem die Rechnung präsentiert
wird.
16 Einführung

In einer Zeit des regierungsamtlichen Illusionismus gilt es als poli-


tisch unkorrekt, Klartext zu reden. Ein Mann, der es dennoch tat, ist
Ex-Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger, dessen Name wie kein
anderer für eine harte Deutsche Mark stand. In einem Interview mit
der Welt am Sonntag vom 11. März 2012 sagte er: »Wir haben keine
Erfahrungen mit einer derartigen Geldpolitik in Friedenszeiten. Die
Notenbankbilanz hat sich innerhalb kurzer Zeit von einer auf drei
Billionen Euro verdreifacht. Das sind Dimensionen, die eher an die
Kriegsfinanzierung erinnern. Damals hat sich die Bilanzsumme ver-
zehnfacht.« Einen derartigen Geldüberhang habe man in der Ge-
schichte, so Schlesinger weiter, entweder durch Zwangsbewirtschaf-
tung und erhöhte Inflation oder aber durch eine Währungsreform
wegbekommen, »so wie das in Deutschland 1948 der Fall war«.

Eine andere Konstante der vergangenen 100 Jahre konnte ich entde-
cken: Die Währungen kamen und gingen, Gold blieb. Nach 1914
nicht mehr als Geld des Goldstandards, sondern als alternative Pri-
vatwährung, auch als Notenbankreserve und vor allem als Schutz ge-
gen Inflation und Währungsreformen, als gemünzte Freiheit. In ei-
nem Punkt kann ich diejenigen Leser, die ein neues Goldverbot
befürchten, beruhigen: Es war nicht einmal im Dritten Reich mit den
Möglichkeiten einer Diktatur wirklich durchsetzbar.

In einem Nebenstrang unserer Erzählung tritt die Deutsche Gold-


und Silber-Scheideanstalt in Erscheinung, die die Münzreform nach
1871 mit vorbereiten half, die Industrie und Private mehr als ein
Jahrhundert lang mit Edelmetallen belieferte und deren Goldmarke
Degussa seit 2011 nach einem mehrjährigen Zwischenspiel unter
dem Dach einer neuen Firma wieder erhältlich ist. Ich würde mich
freuen, wenn das vorliegende Buch dazu beiträgt, die Gegenwart
durch Kenntnis der Vergangenheit besser zu verstehen, und wenn es
Einführung 17

dabei hilft, Risiken zu minimieren und die notwendigen Vorkehrun-


gen zu treffen.

Wie schrieb doch Philipp Camerarius 1625 in seinem »Historischen


Lustgärtchen«: »Wenn man das Vergangene hinterher denkt und gibt
auf das Gegenwärtige acht, so kann man auf das Zukünftige einen
vermutlichen Schluss machen. Das Künftige ist ein Rätsel, welches
die Zeit auflöst.«

Bruno Bandulet
Bad Kissingen, im August 2012
Münzchaos, Wendezeit
und eine Frankfurter
Firmengründung 1843
Wenn wir auf eineinhalb Jahrhunderte deutsche Geldgeschichte zu-
rückblicken, auf die harten und weichen und wertlosen Währungen,
die kamen und gingen, auf Gold, Silber und Papier, auf zwei Wirt-
schaftswunder und zwei monetäre Katastrophen - dann können wir
das deutsche Drama durchaus am Main beginnen lassen: in Frank-
furt, der alten Furt der Franken.
In Frankfurt, wo Johann Wolfgang von Goethe am 28. August
1749 geboren wurde, wo er aufwuchs und vier Jahre lang eher lustlos
eine kleine Anwaltskanzlei betrieb, bis er nach Weimar ging, wo er
sein Opus magnum Faust verfasste - ein im zweiten Teil propheti-
scher Einblick in den Prozess der Geldschöpfung, der in seiner gan-
zen Dämonie erst im 20. Jahrhundert Realität wurde. Goethe, der
große Realist, lehnte es grundsätzlich ab, sich mit »Zetteln« bezahlen
zu lassen, wie man die Banknoten damals nannte. Er bevorzugte
Gold und Silber.

Aber auch in Frankfurt, dem vor dem Aufstieg Berlins nach der
Reichsgründung 1871 führenden deutschen Börsenplatz, wo am
23. Februar 1744 Mayer Amschel Rothschild geboren wurde, der Be-
gründer einer Dynastie, die mit Edelmetallen handelte, Wechsel an-
nahm und diskontierte, Regierungen und Eisenbahngesellschaften
finanzierte, als Marktmacher im europäischen Anleihegeschäff fun-
gierte und die im Laufe des 19. Jahrhunderts mit ihren von den Söh-
nen des Gründers geleiteten Niederlassungen zum weltgrößten
Bankhaus aufstieg. Die besondere Beziehung der Rothschilds zum
Gold lebte fort in der Londoner Bank N. M. Rothschild & Sons in der
St Swithin's Lane, wo in zwei täglichen Sitzungen unter den Gemäl-
den europäischer Staatsoberhäupter, früherer Kunden von Roth-
schild, der Preis des Goldes bis 2004 fixiert wurde.
Fixiert wurde eine Zeit lang auch in Deutscher Mark in Frankfurt,
dem nach dem Zweiten Weltkrieg wieder größten deutschen Finanz-
20 Münzchaos, Wendezeit

platz, wo die Deutsche Bank in den 1970er-Jahren dem südafrikani-


schen Krügerrand zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte verhalf,
wo die Dresdner Bank das ganz große Goldrad drehte und bei den
IWF-Auktionen das Edelmetall tonnenweise abräumte - in einer
Zeit, als die Frankfurter Großbanken am internationalen Goldmarkt
als maßgebende Marktmacher neben den drei Schweizer Instituten
noch eine maßgebliche Rolle spielten. Dass die Investoren in Deutsch-
land seit 1993 Gold mehrwertsteuerfrei erwerben können, haben sie
übrigens auch Frankfurt zu verdanken. Genauer: dem Chefgold-
händler der Deutschen Bank, Fritz Plass, aber auch Werner Knies,
dem Generalbevollmächtigten der Degussa, die die Befreiung von
der Steuer gemeinsam in langen, zähen Verhandlungen in Brüssel
durchsetzten. Und es war in Frankfurt, dem Sitz der Deutschen Bun-
desbank und später auch der Europäischen Zentralbank, wo am 1. Ja-
nuar 1999 das Management unserer Währung in fremde Hände über-
ging-

Weil sich am Beispiel der Deutschen Gold- und Silber-Scheidean-


stalt, wie die Degussa lange Zeit firmierte, viel über den Goldmarkt
lernen lässt und weil Industriegeschichte immer auch Teil der allge-
meinen Geschichte und in diesem Fall der Geldgeschichte ist, wird
uns das Frankfurter Unternehmen auf unserem Streifzug des Öfteren
begegnen. Dabei interessiert hier nicht der Aufstieg zum weltweit
operierenden Chemiekonzern mit seinen Höhen und Tiefen, son-
dern das Edelmetallgeschäft, das ganz am Beginn stand und das den
ersten großen Umsatzschub brachte, als das Deutsche Kaiserreich zur
Goldwährung überging.
Die Anfänge der Degussa AG, so ist in einer 1993 erschienenen
Firmengeschichte (»Im Zeichen von Sonne und Mond«) zu lesen, rei-
chen in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Genauer: bis
zum 2. Januar 1843, als in Frankfurt am Main die Gold- und Silber-
Schon 1843 erkannte Frankfurt den Vorteil einer Privatisierung 21

Scheideanstalt der Stadt privatisiert wurde. Sie gehörte zu der drei


Jahre vorher wiedereröff neten Münzprägeanstalt der Stadt, und beide
Einrichtungen zusammen sollten Frankfurt nach den Vorstellungen
der Handelskammer und des Senats wieder als Zentrum des Gold-
und Silberhandels etablieren. Denn die Zeiten waren lange vorbei, da
man Frankfurt »des Deutschen Reiches Gold- und Silberloch« ge-
nannt hatte - die Zeiten, in denen die Messe und der Fernhandel
Gold und Silber reichlich in die Frankfurter Kassen fließen ließen.
Als der Senat den Neubau der Münze beschlossen hatte, kontak-
tierte er den großherzoglich-hessischen Münzrat in Darmstadt, Jo-
hann Hector Roessler. Roessler genoss einen hervorragenden Ruf, er
hatte die Darmstädter Münze zu einer der modernsten seiner Zeit
ausgebaut. Für die Aufgabe in Frankfurt schlug er seinen Sohn vor,
den 1813 geborenen Friedrich Ernst. Der hatte schon bei seinem Va-
ter gelernt und gearbeitet, Vorlesungen an der Polytechnischen
Hochschule in München besucht und an der Königlich-Bayerischen
Münze praktiziert, die damals gerade Geld für das neu errichtete Kö-
nigreich Griechenland produzierte. Dasselbe Griechenland übrigens,
das später in der Lateinischen Münzunion betrügen, inflationieren
und den Vertrag brechen würde.

Schon 1843 erkannte Frankfurt den Vorteil


einer Privatisierung

Am 23. März 1841 berief der Rat der Stadt Frankfurt Friedrich Ernst
Roessler zum Münzwardein und beauftragte ihn damit, eine Scheide-
anstalt auf Staatskosten einzurichten. Der Münzwardein, eine auf das
Mittelalter zurückgehende Berufsbezeichnung, hatte in amtlicher
Funktion die Aufgabe, die Legierungen und damit den Feingehalt an
Gold und Silber sowie das Gewicht der Münzen zu kontrollieren. Ein
22 Münzchaos, Wendezeit

Münzwardein war jemand, der dafür sorgte, dass es bei der Geldpro-
duktion mit rechten Dingen zuging und dass die Qualitätsstandards
eingehalten wurden, was im Laufe der deutschen Geldgeschichte seit
Karl dem Großen keineswegs immer selbstverständlich gewesen war.
In der Euro-Zone fehlt bis heute das Amt eines Geldwardeins.
Schon nach zwei Jahren ergriff Friedrich Ernst Roessler die Chan-
ce, sich selbstständig zu machen. Er wollte die Scheideanstalt nicht
mehr als städtischer Beamter, sondern auf eigenes Risiko führen. Die
zuständige Behörde willigte mit dieser Begründung ein: »Solche Fab-
rikate werden immer für Rechnung von Privaten weit schwungvoller
und erfolgreicher betrieben als für Staatsrechnung.« Eine frühe Er-
kenntnis der Vorteile, die Privatisierungen mit sich bringen können!
So wurde die Scheiderei dem Herrn Roessler gegen Pacht und Sicher-
heitsleistung überlassen. Es war ein kapitalintensives Geschäft, für
die zinslosen Vorschüsse bürgte sein Schwiegervater. Am 2. Januar
1843 nahm Roessler mit fünf Mitarbeitern den Betrieb auf. Damit
entstand das, was sich später zum Weltkonzern Degussa entwickeln
sollte.

Sieben Währungsgebiete und ein Dutzend


Münzsysteme in Deutschland

Um das Geschäftsmodell zu verstehen, mit dem Roesslers Firma ins-


besondere nach der Reichsgründung 1871 Umsatz machte, muss
man die chaotischen Währungsverhältnisse kennen, die damals in
Deutschland herrschten. Deutschland, das war der aus 37 souverä-
nen Fürstentümern und vier freien Städten, darunter Frankfurt, be-
stehende Deutsche Bund - ein der EU nicht unähnliches Gebilde, das
1815 aus den Beratungen des Wiener Kongresses hervorgegangen
war, ein schwacher, blutloser Nachfolger des von Napoleon zerschla-
Sieben Währungsgebiete und ein Dutzend Münzsysteme in Deutschland 23

genen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dessen Geburt


1000 Jahre zuvor in eben diesem Gründungsjahr 1843 in Deutsch-
land gefeiert wurde. Die 1830er- und 1840er-Jahre waren eine Zeit
des sich anbahnenden Umbruchs, aber auch der Stagnation, der Aus-
wanderung und des Pauperismus.
Politischer und gesellschaftlicher Aufstieg und Niedergang waren
in der Geschichte schon immer eng mit dem Geldwesen verbunden.
Als sich England schon industrialisierte und zur Weltmacht aufstieg,
als sich die englische Wirtschaft schon auf die Vorteile des Goldstan-
dards stützen konnte, der auf der Insel inoffiziell 1717 und offiziell
1816 eingeführt worden war, herrschte in Deutschland noch Wäh-
rungswirrwarr. In Bernd Spenglers Standardwerk Das Geld der Deut-
schen findet sich eine Übersicht über die vier Währungssysteme, sie-
ben Währungsgebiete und ein Dutzend Münzsysteme in Deutschland
mit Stand vom 1. Januar 1834. Damals kursierte in Preußen und wei-
ten Teilen Norddeutschlands der Taler, der dem amerikanischen Dol-
lar den Namen gegeben hatte, allerdings mit unterschiedlichem Fein-
gehalt. In Mecklenburg-Schwerin zum Beispiel enthielt der Taler
19,5 Gramm Silber, in Hannover, Sachsen und vielen anderen
Fürstentümern 17,5 Gramm und in Preußen 16,7 Gramm.

Weil schlechtes Geld bei festen Wechselkursen gutes Geld verdrängt,


weil man lieber zuerst das schlechte ausgibt und das gute hortet,
konnte sich der Preußische Taler leichter durchsetzen - eben wegen
des niedrigeren Feingehaltes. Nicht genug damit, entsprachen die un-
terschiedlichen Taler auch noch jeweils verschiedenen Mengen an
Pfennigen, Groschen oder auch Schilling.
In Süddeutschland einschließlich Frankfurt lief der Gulden um
mit einem Feingehalt von 9,5 Gramm Silber, er entsprach 60 Kreu-
zern. Bremen setzte auf den Goldtaler mit 1,2 Gramm Gold, und
auch in Preußen und anderen Territorien waren neben den Silber-
24 Münzchaos, Wendezeit

münzen Goldmünzen in Umlauf. Ein bimetallisches Währungswe-


sen also, wobei Silber mit Abstand den größten Teil des Zahlungsver-
kehrs in Deutschland bestritt.
Um Ordnung in das Chaos zu bringen, wurden zwischen den Staa-
ten des Deutschen Bundes schon in den 1830er-Jahren Münzverträge
geschlossen: 1837 der Süddeutsche Münzverein, dem sich auch
Frankfurt anschloss; 1838 der Dresdener Münzvertrag; und dann
1857 der Wiener Münzvertrag, der an der Silberwährung festhielt,
nachdem Preußen den österreichischen Antrag auf Einführung einer
Goldwährung abgelehnt hatte.

Noch 1871, zu Beginn der Währungsreform auf Raten, belief sich der
Metallgeldvorrat in Deutschland nach einer plausiblen Schätzung auf
knapp zwei Milliarden Mark, davon 82 Prozent in- und ausländische
Silbermünzen, zwölf Prozent ausländische Goldmünzen und vier Pro-
zent in Deutschland geprägte Goldmünzen. Der Rest entfiel auf
Scheidemünzen, bei denen der Metallwert - wie bis heute üblich -
keine Rolle spielt. Das vermittelt eine Vorstellung davon, welche Ar-
beit auf die Scheideanstalten zukam, welche Mengen an Metall einzu-
schmelzen waren, nachdem sich das Kaiserreich für den Goldstandard
entschieden hatte.

In der Praxis sah das vor 1871 so aus, dass ein größerer Zahlungsein-
gang aus einem Dutzend ganz verschiedener Silber- und Goldmün-
zen aus dem In- und Ausland bestehen konnte. Dann kam es immer
wieder zum Streit zwischen Zahlenden und Empfängern, wie Spren-
ger in seiner Geldgeschichte schildert. An den großen Finanzplätzen
Frankfurt und Hamburg, aber auch an den kleineren Börsen, wurden
regelmäßig Kurse für Münzen und Papiergeldsorten gestellt. Bei
20 Mitgliedern des Deutschen Bundes befand sich staatliches Papier-
geld als gesetzliches Zahlungsmittel im Umlauf, und noch 1871 emit-
Sieben Währungsgebiete und ein Dutzend Münzsysteme in Deutschland 25

tierten 33 verschiedene Notenbanken eigene Banknoten, die man


»Zettel« nannte.
Beispiel für einen Zahlungseingang in einer Kleinstadt der Provinz
Rheinhessen 1869: Der Betrag bestand aus Doppeltalern, Kronenta-
lern, 21/2-Gulden-Stücken, 2-Gulden-Stücken, 1-Gulden-Stücken,
1/2-Gulden-Stücken, 1/3-, 1/6- und 1/12-Reichstalern, 5-Franken,
2-Franken und 1-Franken. Dazu auch noch Goldmünzen, nämlich
Pistolen, doppelte und einfache Friedrichsdors,1/2-Souvereigns, rus-
sische Imperiais, Dollars, Napoleons, holländische Wilhelmsdors, ös-
terreichische und württembergische Dukaten, hessische 10-Gulden-
Stücke, dänisches Gold und obendrein verschiedene Papiergeldsorten.

Dass sich politisch, wirtschaftlich und monetär etwas ändern würde,


dass der Deutsche Bund in der Verfassung von 1815 ein Auslaufmo-
dell war, lag in der Luft und in der Logik der Geschichte. 1833 wurde
unter der Führung Preußens der Deutsche Zollverein gegründet,
dem die meisten deutschen Staaten, mit Ausnahme Österreichs, bei-
traten. 1835 fuhr die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach
Fürth. 1848 brach die Revolution aus und erschütterte das System
Metternich. In Frankfurt traten ein Vorparlament und schließlich die
frei gewählte Nationalversammlung zusammen. 1849 wurde eine
deutsche Reichsverfassung verabschiedet, bis dann 1851 der demo-
kratische Aufbruch erstickt und der Deutsche Bund und mit ihm die
obsolete alte Ordnung noch einmal wiederhergestellt werden konn-
ten. Es sollte noch 20 Jahre bis zur Gründung des Kaiserreichs und
bis zu einer Währungsordnung dauern, die die Basis für einen unge-
ahnten wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands legte.
Auch früher versuchte die Obrigkeit
zu inflationieren

Dass Metallgeld per se stabile Verhältnisse garantieren könne, ist ein


Irrtum. Der Hang der Obrigkeit zu inflationieren und Schulden zu
machen, ist keineswegs ausschließlich ein Phänomen des Papiergeld-
standards. 1623, exakt 300 Jahre vor der Weimarer Hyperinflation,
kulminierte und endete eine andere verheerende Geldentwertung.
Innerhalb von drei Jahren hatten sich die Preise für Getreide, das
Hauptnahrungsmittel, in Dresden mindestens verfünffacht. Die
Wirtschaft stockte, Unruhen brachen aus. »Von allen Schrecken des
beginnenden Krieges erschien dem Volk keiner so unheimlich wie
die plötzliche Entwertung des Geldes«, schrieb Gustav Freytag in sei-
nen Bildern aus der deutschen Vergangenheit. Nur wer noch gute
Reichstaler oder Goldmünzen besaß, erlitt keinen Verlust an Kauf-
kraft. In Frankfurt konnte man mit Gold sogar mehr Getreide kaufen
als vor Beginn der großen Inflation. Ein früher Beleg für die Wertbe-
ständigkeit des Goldes.

Die Ursachen der Misere waren dieselben wie bei allen früheren und
späteren Inflationen: massive Geldmengenausweitung durch die Re-
gierungen. Nur wurde damals zu diesem Zweck kein Papiergeld ge-
druckt. Die deutschen Fürsten setzten minderwertiges Geld in Um-
lauf, indem sie den vorgeschriebenen Silbergehalt der Münzen auf
die Hälfte oder ein Drittel herabsetzten, manchmal auch auf ein
Sechstel oder auf null. So wurde der Finanzbedarf für den Krieg ge-
deckt - im Prinzip nicht anders als in allen großen Kriegen.
Und nicht anders als unter dem Papiergeldstandard erzeugte die
Geldmengenexplosion des 17. Jahrhunderts zunächst eine kurze, in-
flationäre Scheinblüte, die, so berichtet Sprenger, vor allem zulasten
der Festbesoldeten ging, zulasten der Rentiers, Zinsempfänger, der
Auch früher versuchte die Obrigkeit zu inflationären 27

Lehrer, Pfarrer und der »kleinen Leute«. Der Volksmund sprach von
der Kipper- und Wipperzeit, benannt nach der Geldwaage, die wipp-
te und zu der Seite kippte, auf der die besseren und schwereren Mün-
zen lagen. 1623 beendeten die Münzherren das böse Spiel, prägten
wieder gutes Geld und hielten sich an die Regeln der Reichsmünz-
ordnung.

Etwas anderes muss erwähnt werden, weil es sich bis zum heutigen
Tag unter anderen Umständen immer wieder einmal wiederholt: Die
Leute ließen sich anfangs täuschen und wechselten ihre Ersparnisse
an guten Reichstalern und Goldmünzen in minderwertige Kipper-
münzen ein, »in dem Wahn, dadurch reicher zu werden, da man ja
eine nominal höhere Summe erhielt«, so Sprenger. Gold in solchen
Zeiten loswerden zu wollen und in Nominalwerte zu tauschen, hat
sich noch nie ausgezahlt.
Die beste Währung
aller Zeiten
Bevor wir uns mit der Währungsneuordnung der Siebzigerjahre des
19. Jahrhunderts und dem Goldstandard befassen, dem besten Geld,
das Deutschland jemals hatte, müssen wir uns noch einmal der Fami-
lie Roessler und dem Aufstieg ihrer Scheideanstalt zuwenden. Maß-
geblich für die Firmengeschichte waren damals die großen politi-
schen Umbrüche, insbesondere der Anschluss Frankfurts an Preußen
1866 und die Reichsgründung 1871, auf die eine neue Währungsord-
nung folgte.
Nachdem Frankfurt im innerdeutschen Krieg auf die falsche Karte
gesetzt hatte, nämlich auf Österreich, verlor die Stadt ihre Unabhän-
gigkeit. Per Gesetz vom 20. September 1866 wurde Frankfurt preu-
ßisch. Die »Kriegssteuer« in Höhe von 5,7 Millionen Gulden musste
noch 1866 gezahlt werden. Sie wurde in Form von Silbermünzen in
acht Eisenbahnwaggons nach Berlin geschafft. Als die Preußen zu-
sätzliche 25 Millionen Gulden verlangten, worauf sie später dann
doch verzichteten, nahm sich der Bürgermeister das Leben.

Die politische Wende von 1866 hatte zur Folge, dass aus der Münz-
prägeanstalt der Stadt eine preußische Behörde wurde. Sie wurde
dem Finanzminister in Berlin unterstellt, und der war nicht damit
einverstanden, dass der Münzwardein Friedrich Ernst Roessler in
den Räumen der Münze auch noch seine private Scheideanstalt be-
trieb. Roessler entschied sich dafür, lieber Münzwardein zu bleiben.
1873 schied er mit 60 Jahren aus dem Amt. 1879 wurde die Frankfur-
ter Münze geschlossen.
Die Scheideanstalt musste aus dem Gebäude Münzgasse 20 auszie-
hen, sie wurde am 1. Januar 1868 als privates Unternehmen neu eröff-
net, nachdem die Söhne Heinrich und Hector den Betrieb zunächst
in die Schneidwallgasse umgelagert hatten. Die Firma nannte sich
jetzt »Friedrich Roessler Söhne«. Heinrich (1845-1924) übernahm
die Scheiderei, Hector (1842-1915) schon vorher das Chemikalien-
30 Die beste Währung aller Zelten

geschäft. Neben seinem Amt als Münzwardein engagierte sich der


Vater (1813-1883) weiterhin mit Rat und Tat in der Firma.

Das Geschäft mit den Reichsscheidungen

Mit der Proklamation von Wilhelm I. zum deutschen Kaiser im Spie-


gelsaal von Versailles am 28. Januar 1871 und der nachfolgenden
Währungsreform wurde absehbar, dass das Geschäft der Roesslers
stark expandieren würde. Im Zuge der Einführung der neuen Mark-
Münzen mussten die alten Gulden und Taler und die anderen Mün-
zen der Einzelstaaten des Deutschen Bundes eingeschmolzen und
das Silber vom Gold und anderen Metallen geschieden werden. Um
diese sogenannten Reichsscheidungen zu bewältigen, benötigte das
Unternehmen eine größere Kapitalausstattung. Die Lösung des Pro-
blems: ein Gang an die Börse.
Am 28. Januar 1873, 30 Jahre nach den bescheidenen, alles andere
als einfachen Anfängen, wurde die »Deutsche Gold- und Silber-
Scheideanstalt vormals Roessler« in Frankfurt am Main als Aktienge-
sellschaft gegründet. Die Familie Roessler verkaufte die Firmenge-
bäude, die Grundstücke, die Scheideanstalt und die Chemiefirma an
die AG und erhielt dafür 26 Prozent der Namensaktien.
Großaktionär war außerdem das Metallhandelshaus Philipp Abra-
ham Cohen, die spätere Metallgesellschaft. Im Vorstand der AG, der
damals nur aus zwei Personen bestand, nahmen Heinrich und Hector
Platz. Während der Weimarer Hyperinflation verkauften die Roess-
lers ihre Aktien, weil sie die Finanzpolitik der AG für zu riskant hiel-
ten. Das sollte sich als Fehlentscheidung herausstellen, die Familie
verlor so einen erheblichen Teil ihres Vermögens.
Gemessen an der Kaufkraft der Arbeitnehmer, war Gold in den
Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts weniger erschwinglich als heu-
Das Geschäft mit den Reichsscheidungen 31

te. Die 37 Mitarbeiter der Frankfurter Scheideanstalt verdienten im


Jahr 1000 Mark und damit überdurchschnittlich viel. Ein Kilogramm
Gold kostete 2790 Mark, ein Kilogramm Silber 180 Mark. Das war
ein Silber-Gold-Preisverhältnis von 15,5, welches sich schon bald als
zu tief herausstellen sollte, weil die Silberpreise auf Talfahrt gingen,
während der Goldpreis stabil blieb. Wie auch immer: Die gut bezahl-
ten Mitarbeiter unserer Frankfurter Firma mussten rein rechnerisch
2,79 Jahre arbeiten, um sich ein Kilogramm Gold zu verdienen. Heut-
zutage geht das schneller bei einem durchschnittlichen monatlichen
Nettoeinkommen je Haushalt von 2700 Euro und einem Goldpreis
von 42.722 Euro je Kilo am 29. Juli 2012.

Voll ausgelastet war die Belegschaft in den ersten Jahren nach Grün-
dung der AG mit den bereits erwähnten Reichsscheidungen, das
heißt mit dem Einschmelzen und Scheiden der Landesmünzen im
Auftrag der Reichsregierung. Mit 800 Tonnen war im Geschäftsjahr
1877/78 der Höhepunkt erreicht. 1879 beendete Berlin die Reichs-
scheidungen, und der Frankfurter Betrieb verlor 90 Prozent seiner
Aufträge.
Der lange Zeit mit der Degussa verbundenen Norddeutschen Affi-
nerie, die ebenfalls von der Münzumstellung profitiert hatte, erging
es nicht anders. Dass die Degussa weiterhin gut im Geschäft blieb,
verdankte sie einer auf die Reichsscheidungen folgenden Innovation,
nämlich dem Glanzgold, das zur feuerfesten Dekoration von Porzel-
lan und Glas verwendet wurde - ein fulminanter Erfolg für die Firma
auch in den USA. Das Glanzgold habe das Fortbestehen des Unter-
nehmens für viele Jahre gesichert, urteilt die Firmengeschichte »Im
Zeichen von Sonne und Mond«. Aber dies gehört zusammen mit der
wachsenden Chemiesparte eigentlich nicht mehr zu unserer Erzäh-
lung, die sich im weiteren Verlauf auf das Edelmetallgeschäft im en-
geren Sinne und auf die deutsche Geldgeschichte beschränken wird.
32 Die beste Währung aller Zelten

An dieser Stelle muss zunächst auf einen weitverbreiteten Irrtum


eingegangen werden: auf die falsche Vorstellung nämlich, dass die
heutige Geldordnung alternativlos sei und dass sie etwas vollkommen
Neues geschaffen habe. In Wirklichkeit wurde alles schon einmal aus-
probiert, existierten die verschiedenen Modelle einer Geldordnung
schon im 19. Jahrhundert, fanden auch die damaligen Währungspoli-
tiker keine Tabula rasa vor, als sie sich 1871 mehr oder weniger de fac-
to (und später de jure) für den Goldstandard entschieden.

Papiergeld, »ein furchtbarer Ton«

In den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts, als die Assignaten der


Französischen Revolution und andere inflationäre Exzesse noch in
frischer Erinnerung waren, hatte ungedecktes Geld einen miserablen
Ruf. »Papiergeld ist in vieler Ohren ein so furchtbarer Ton, dass sie
schon bei dem bloßen Namen desselben erschrecken«, stand im
Brockhaus des Jahres 1820.
Zur Finanzierung des Krieges hatte Preußen 1806 sogenannte Tre-
sorscheine herausgegeben, die nur anfangs in Münzen einlösbar wa-
ren und dann - je nach Kriegslage - im Kurs stark schwankten und
zeitweise drastisch abwerteten. Hätte Preußen den Krieg gegen Na-
poleon verloren, wären sie höchstwahrscheinlich wertlos verfallen.
1825 wurden sie durch sogenannte Cassen-Anweisungen ersetzt. Mit
Ausbruch der Revolution von 1848 emittierten auch viele andere
Staaten des Deutschen Bundes große Mengen an Papiergeld, und
dasselbe wiederholte sich 1866 während des Preußisch-österreichi-
schen Krieges. Auch im 19. Jahrhundert florierte das Papiergeld eben
vornehmlich in Kriegszeiten. Dauerhaft durchsetzen konnte es sich
damals nicht. Das Volk blieb misstrauisch. Und nicht nur das Volk.
Als die Habsburger Monarchie in Süditalien Krieg führte, verlangten
Papiergeld, »ein furchtbarer Ton« 33

die Truppen ihren Sold in Hartgeld - und das Bankhaus Rothschild


musste die benötigten Mengen an Münzen auftreiben und nach Nea-
pel schaffen.
Zusätzlich zum Staatsgeld aus Papier kursierten Banknoten, die
von privaten Geldinstituten, den sogenannten Zettelbanken, heraus-
gegeben wurden. Normalerweise sollten sie nicht anders als das
Staatsgeld durch Gold oder Silber gedeckt sein. Normalerweise muss-
ten die Banken ihre Noten auf Verlangen des Besitzers in Münzen
eintauschen. In der Theorie war das keine schlechte Sache, denn die
nicht staatlichen Banknoten brachten ein Stück Wettbewerb und
freie Marktwirtschaft in das Geldwesen. Bekanntlich hat sich Fried-
rich August von Hayek nach den verheerenden Erfahrungen mit dem
staatlichen Geldmonopol im 20. Jahrhundert für einen solchen Geld-
wettbewerb und damit für das Freebanking eingesetzt.

In der Praxis kam es nicht nur beim staatlichen Papiergeld, sondern


auch bei den privaten Banknoten zu Missbräuchen. In der Krise von
1857 geriet eine Reihe von Banken in Schwierigkeiten, manche muss-
ten sogar von den Regierungen gestützt werden. Mit der Neuordnung
der Geldverfassung nach 1871 blieb das Recht zur privaten Bankno-
tenausgabe zwar erhalten, wurde jedoch strengen Regeln unterwor-
fen, die sich dann auch bewährten.
Immerhin hatte sich bis 1870 der Bestand an Banknoten in
Deutschland auf einen Gegenwert von 281 Millionen Talern ausge-
weitet, der Großteil davon ausgegeben von der Preußischen Bank.
Dem standen Reserven der Notenbanken in Form von Silber und
Gold im Gegenwert von 123 Millionen Talern gegenüber - eine De-
ckung, die auch nach der offiziellen Einführung des Goldstandards
als ausreichend erachtet wurde. 1870 bestand die gesamte Geldmenge
in Deutschland zu etwa einem Drittel aus Papiergeld und zu ungefähr
zwei Dritteln aus Münzen. Ein fast ebenso großes Volumen wie auf
34 Die beste Währung aller Zelten

Papier- und Münzgeld zusammengenommen entfiel schon 1870 auf


das Buchgeld, das heißt auf die Bankeinlagen.

Mit der Reichsgründung


kam die neue Währung

Auf dieser Basis baute die Währungsumstellung von 1871 auf, und sie
wurde in mehreren Schritten bedachtsam so weiterentwickelt, dass
sie mit dem Wachstum der Wirtschaft, der Steigerung des Lebens-
standards und der Expansion des Welthandels kompatibel blieb. Der
Goldstandard behinderte die rapide Industrialisierung Deutschlands
und den Aufstieg zur Großmacht nicht nur nicht, er schuf vielmehr
die soliden monetären Vorbedingungen dafür.
Das erste diesbezügliche Gesetz, dem spätere folgten und das nicht
mehr als 13 Paragrafen umfasste (man vergleiche damit die unsägli-
chen Hervorbringungen der EU-Bürokratie), datiert vom 4. Dezem-
ber 1871. Paragraf 1 lautete: »Es wird eine Reichsgoldmünze ausge-
prägt, von welcher aus Einem Pfunde feinen Goldes 139 / Stück1
2

ausgebracht werden.«
Paragraf 2 führte das Dezimalsystem im Reich ein und lautete:
»Der zehnte Theil dieser Goldmünze wird Mark genannt und in hun-
dert Pfennige eingetheilt.«
Paragraf 3 bestimmte, dass außer der Reichsgoldmünze zu
10 Mark eine solche zu 20 Mark ausgeprägt werden sollte, und zwar
aus einem Pfund Feingold 69 % Stück. Paragraf 4 legte das Mi-
schungsverhältnis fest: »900 Tausendtheile Gold und 100 Tausend-
theile Kupfer.«
Somit wog die größere Goldmünze 7,965 Gramm bei einem Fein-
goldgehalt von 7,168 Gramm und die kleinere 3,982 Gramm bei ei-
nem Feingoldgehalt von 3,584 Gramm. (Auch bei den heutzutage be-
Mit der Reichsgründung kam die neue Währung 35

liebten offiziellen und mehrwertsteuerfreien Goldmünzen ist der


Feingoldgehalt entscheidend: Der Krügerrand wiegt wegen seiner
Legierung mehr als zum Beispiel der Maple Leaf, enthält jedoch wie
dieser eine Feinunze Gold.) Später wurde vom Reich auch eine
5-Mark-Goldmünze in Umlauf gebracht, nach einigen Jahren jedoch
wieder außer Kurs gesetzt, weil sie sich nicht bewährte.

Offen gelassen wurde im Münzgesetz vom 4. Dezember 1871 die Rol-


le des Silbers. Silbermünzen sollten »bis auf Weiteres« nicht geprägt
werden. Wie kompliziert das Silberproblem war und wie sehr es die
Öffentlichkeit beschäftigte, lässt sich aus der umfangreichen Begrün-
dung zum Gesetz herauslesen. Zunächst wird dort betont, dass sich
die »reine Silberwährung« nicht aufrechterhalten lasse. Da Silber-
münzen besonders bei größeren Zahlungen »schwer ins Gewicht fal-
len«, habe diese Unbequemlichkeit zu einem »sehr umfangreichen
Umlaufe papierener Zahlungsmittel« geführt und für diese einen
»künstlichen Bedarf« geschaffen.
Andererseits sei es unmöglich, die »Adern des Verkehrs« mit ei-
nem Schlage mit Goldmünzen zu füllen und ebenso plötzlich die Sil-
berkurantmünzen einzuziehen. Die Lösung: eine Art von Doppel-
währung, bei der die bereits umlaufenden Silbermünzen neben den
neuen Goldmünzen als Zahlungsmittel verwendet wurden. In der
Begründung zum Münzgesetz wird jedoch »davon ausgegangen, dass
als Endziel der deutschen Münzreform die reine Goldwährung ins
Auge zu fassen sei«.

Konsequenz: Die Bürger des Kaiserreichs mussten noch für längere


Zeit umrechnen. Die 10-Mark-Münze war so viel wert wie 31/3Nord-
deutsche Taler bzw. wie 5 Gulden und 50 Kreuzer in Süddeutschland.
Dementsprechend belief sich das Wertverhältnis von Gold zu Silber
auf 1 zu 15,5. (In Hamburg, Bremen und Lübeck gestaltete sich die
36 Die beste Währung aller Zelten

Umrechnung von den alten auf die neuen Münzen noch weitaus
komplizierter.)
Erst das Münzgesetz vom 9. Juli 1873 beendete de jure den Bi-
metallismus und bestimmte: »An die Stelle der in Deutschland gel-
tenden Landeswährungen tritt die Reichsgoldwährung.« Zugleich
wurden verschiedene Scheidemünzen eingeführt, deren Material-
wert unter dem Nennwert lag: Kupfermünzen zu 1 und 2 Pfennig,
Nickelmünzen zu 5 und 10 Pfennig und Silbermünzen zu 20 und
50 Pfennig und zu 1, 2 und 5 Mark mit einem Mischungsverhältnis
von 900 Teilen Silber und 100 Teilen Kupfer.
Gesetzliche Zahlungsmittel wurden die neuen Silbermünzen nicht.
Der Gesamtbetrag sollte bis auf Weiteres 10 Mark pro Kopf der Bevöl-
kerung nicht übersteigen. Und sie mussten nur bis zu einer Obergren-
ze von 20 Mark in Zahlung genommen werden. Außerdem blieb ein
Teil der alten silbernen Ländermünzen im Verkehr - auch nachdem
der wertmäßige Anteil der Goldmünzen am Münzgeldumlauf den der
Silbermünzen Ende der 1870er-Jahre deutlich überholt hatte.
Die alten silbernen 1-Taler-Stücke blieben bis zum 1. Oktober
1907 gesetzliches Zahlungsmittel. Erst das Münzgesetz vom 1. Juni
1909 erklärte die Goldwährung als vollständig eingeführt. Damit en-
dete die »hinkende Goldwährung« im Reich.
»Es ist etwas schwierig zu bestimmen, wann eigentlich Deutsch-
land zur Goldwährung übergegangen ist«, schreibt Knut Borchardt
in dem von der Bundesbank herausgegebenen Band Währung und
Wirtschaft in Deutschland 1876-1975. Die Münzgesetze von 1871
und 1873 gaben den Weg vor, 1874 und 1875 wurde die auf Mark lau-
tende Reichswährung nach und nach von allen Bundesstaaten außer
Bayern eingeführt - bis sie dann zum 1. Januar 1876 vom Kaiser im
ganzen Reich in Kraft gesetzt wurde.
Die Reichsbank war bis 1907 berechtigt, ihren Verpflichtungen in
Silber nachzukommen. Sie hätte damit sogar ein gutes Geschäft ge-
Mit der Reichsgründung kam die neue Währung 37

macht, denn die Silberpreise gerieten am freien Markt zunehmend


unter Druck. Die Reichsbank machte von ihrem Recht jedoch kei-
nen Gebrauch und bezahlte ihre Noten von Anfang an auf Verlangen
in Gold. Somit bietet sich als entscheidender Stichtag der 1. Januar
1876 an, an dem die aus der Preußischen Bank hervorgegangene
Reichsbank ihre Arbeit aufnahm, den Geldumlauf im Reich zu re-
geln begann und nach Maßgabe des Bankgesetzes auch bereitstand,
Barrengold jederzeit zum festen Preis von 1392 Mark je Pfund anzu-
kaufen und dafür Banknoten herauszugeben. So wurde Geld durch
Übertragung realen Eigentums geschaffen, und die Bilanz der
Reichsbank blieb sauber und solide. Der Euro hingegen wird in be-
liebigen Mengen aus dem Nichts (ex nihilo) produziert. Er ist in
Nichts einlösbar, und Gleiches gilt für alle anderen wichtigen Wäh-
rungen der Welt.

Der rechtliche Rahmen des Goldstandards

Da die Annahme nahe liegt, dass das schwer angeschlagene Euro-


System irgendwann durch eine bessere Währungsordnung ersetzt
werden muss, wollen wir nun auch auf die Papiergeldreform der Sieb-
ziger-Jahre des 19. Jahrhunderts und auf den rechtlichen Rahmen
eingehen, der im Bankgesetz vom 14. März 1875 verankert wurde.
Vielleicht lässt sich aus den damaligen Erfahrungen die eine oder an-
dere Anregung für den Ablauf einer künftigen Währungsreform ent-
nehmen.
Zunächst einmal musste Ordnung in das Papiergeld gebracht wer-
den, mit dem sich die Einzelstaaten des Deutschen Bundes gerne und
billig finanziert hatten - bzw. sogar kostenlos, solange die Scheine
nicht zur Einlösung präsentiert wurden. Das Geld ersatzlos einzuzie-
hen und zu vernichten, wäre nicht durchsetzbar gewesen, weil dies
38 Die beste Währung aller Zelten

den einen oder anderen deutschen Kleinstaat in größte finanzielle


Schwierigkeiten gestürzt hätte.
Schon das Münzgesetz vom 9. Juli 1873 hatte den 1. Januar 1876 als
Termin festgelegt, ab dem nur noch die Reichswährung in Mark aus-
gegeben werden sollte. Bis dahin mussten alle alten Banknoten und
das Papiergeld der Länder eingezogen werden.
Am 30. April 1874 folgte das »Gesetz, betreffend die Ausgabe von
Reichscassenscheinen«. Sie sollten in einem Gesamtwert von 120 Mil-
lionen Mark an die Bundesstaaten verteilt werden und deren Papier-
geld ersetzen. Diejenigen Länder, die wegen eines höheren Papier-
geldumlaufs nicht vollständig befriedigt werden konnten, erhielten
einen Vorschuss, den sie innerhalb von 15 Jahren tilgen mussten. Da-
mit wurde sichergestellt, dass der Umlauf an Reichskassenscheinen,
obwohl er in den ersten Jahren das Soll überschritt, bis 1891 wieder
auf die eingeplanten 120 Millionen zurückging. Somit war dem Risi-
ko inflationärer Nebenwirkungen ein Riegel vorgeschoben. Die
Reichskassenscheine wurden zwar von den öffentlichen Kassen un-
beschränkt angenommen, waren aber keine gesetzlichen Zahlungs-
mittel. Ihr Anteil an der Geldmenge nahm bis zur Suspendierung des
Goldstandards im Sommer 1914 beständig ab.

Alles andere wurde im Bankgesetz von 14. März 1875, dem wohl be-
deutendsten Rechtsakt der neuen Geldordnung, in 66 Paragrafen ge-
regelt. Dessen Aufbau ist aus heutiger Sicht gewöhnungsbedürftig.
Titel I befasst sich mit den Rechten und Pflichten der Banken im All-
gemeinen, nicht nur der Reichsbank, bei der Ausgabe von Bank-
noten. Titel II widmet sich speziell der Reichsbank, die zum 1. Januar
1876 ihre Arbeit aufnahm. Und Titel III ist den Privatnotenbanken
vorbehalten, deren Befugnisse schon in Titel I angesprochen wurden.
Diese etwas umständliche Gliederung des Gesetzes erklärt sich
daraus, dass ein staatliches Geldmonopol im 19. Jahrhundert keines-
Der rechtliche Rahmen des Goldstandards 39

wegs als selbstverständlich angesehen wurde. In der Öffentlichkeit


und im Reichstag wurde intensiv darüber diskutiert, ob die Grün-
dung einer Reichsbank überhaupt notwendig und ratsam sei. Immer-
hin entschlossen sich die USA erst 1913 zu diesem Schritt. Ludwig
Bamberger, Mitbegründer der Deutschen Bank und führender Geld-
politiker der Nationalliberalen, drängte im Parlament auf die Grün-
dung einer Zentralbank. Eugen Richter von der Fortschrittspartei
profilierte sich als Gegner dieser Idee. Und Otto von Bismarck, der
Reichskanzler, zögerte. Er hätte die Preußische Bank, praktisch eine
Zentralbank mit privaten Anteilseignern, im Interesse Preußens ger-
ne erhalten.
So kam es zu einem Kompromiss, mit dem alle leben konnten. Die
Preußische Bank ging in die Reichsbank auf; die privaten Notenban-
ken behielten ihr Privileg, wurden aber strenger reguliert; und die
Reichsbank erhielt eine dominierende Stellung - aber eben nicht das
alleinige Recht, Banknoten auszugeben.
Einerseits war die Reichsbank keine Aktiengesellschaft, sondern
eine juristische Person öffentlichen Rechts, andererseits wurde ihr
Kapital nicht vom Reich, sondern von mehreren Tausend privaten
Anteilseignern gehalten, darunter einflussreiche Bankiers wie die
Frankfurter Rothschilds. Eine Konstruktion also, nicht unähnlich der
des amerikanischen Federal Reserve Systems.
Die neue Reichsbank war nicht unabhängig, wie es die Europäi-
sche Zentralbank (EZB) de jure, aber nicht de facto ist, sondern un-
terstand ausdrücklich der Aufsicht und Leitung durch den Reichs-
kanzler und den Bundesrat, der drei von vier Mitgliedern des
Kuratoriums ernennen durfte. Dass diese Notenbank dennoch nicht
inflationierte, sondern solide Geldpolitik betrieb, mag verwundern.
Aber das lag an der damals hoch entwickelten Geldkultur und vor al-
lem an dem im Bankgesetz niedergelegten Mechanismus des Gold-
standards.
Private Notenbanken? Warum nicht?

Die Rolle der privaten Notenbanken müssen wir nur kurz streifen.
1875 existierten noch 32 von ihnen. Später ging die Zahl zurück, und
juristisch endete dieses Kapitel der deutschen Geschichte erst unter
der staats- und parteimonopolistischen Hitler-Diktatur. Dabei ist es
bis heute geblieben.
Gefahren für die Geldwertstabilität gingen von den privaten No-
tenbanken zu keiner Zeit aus. Dafür sorgten die Vorkehrungen des
Bankgesetzes. Erstens waren die Banken verpflichtet, »ihre Noten so-
fort auf Präsentation zum vollen Nennwerthe einzulösen«, und zwar
gegen Bargeld - und damit waren nicht etwa eigene Noten oder No-
ten der Reichsbank gemeint, sondern Edelmetall.
Zweitens mussten die Banken eine Steuer von fünf Prozent an die
Reichskasse entrichten, sobald ihr Notenumlauf ihren Barvorrat und
einen Höchstbetrag überstieg, der ihnen in einer Anlage zum Bank-
gesetz zugewiesen wurde. Für die Lübecker Privatbank zum Beispiel
lag die Obergrenze für ungedeckten Notenumlauf bei 500.000 Mark,
für das Institut Bayerische Banken bei 32 Millionen und für die
Reichsbank, die insofern gleich behandelt wurde, bei 250 Millionen.
Die Wirkung dieser Vorschrift: Der noch 1874 weit überhöhte Bank-
notenumlauf der Privatbanken, mit dem sie den Gründerboom ange-
heizt hatten, schrumpfte bis 1876 auf die Hälfte. Danach überschrit-
ten die privaten Notenbanken nie die ihnen zugeteilten Kontingente
und vermieden damit die Steuer von fünf Prozent.
Drittens musste jede Bank viermal im Monat die Höhe des Barvor-
rats und der ausgegebenen Noten feststellen und dies den Aufsichts-
behörden melden.
Und viertens war der Reichskanzler »jederzeit« befugt, die Bücher,
Kassenbestände und Geschäftsräume der Banken überprüfen zu las-
sen. Wenn ein Institut die Vorschriften verletzte oder wenn sich das
Private Notenbanken? Warum nicht? 41

Grundkapital durch Verluste um ein Drittel vermindert hatte, konnte


der Reichskanzler oder die Regierung des zuständigen Bundesstaates
per Gerichtsurteil die Befugnis zur Notenausgabe entziehen lassen.
Alles in allem ein Musterbeispiel für eine klare und einfache Regulie-
rung des Finanzsektors, der gerne aus dem Ruder läuft, wenn es an
der nötigen Aufsicht fehlt.

Beanstanden können Anhänger des Freebanking allerdings, dass ein-


zelne Bestimmungen des Bankgesetzes der Reichsbank Vorteile ver-
schafften und einer echten Konkurrenz der Geldschöpfung im Wege
standen. Es stimmt aber auch, dass in einem ungedeckten Geldsys-
tem ein solcher Wettbewerb notwendiger und heilsamer wäre als un-
ter dem Regime des Goldstandards. Wenn Banknoten gedeckt und
jederzeit in Gold einlösbar sind, macht es keinen großen Unterschied,
ob sie von einer privaten oder einer staatlichen Bank stammen.
Die Reichsbank und die privaten Notenbanken unterlagen densel-
ben Deckungsvorschriften. In Paragraf 17 des Bankgesetzes vom 14.
März 1875 heißt es: »Die Reichsbank ist verpflichtet, für den Betrag
ihrer in Umlauf befindlichen Banknoten jederzeit mindestens ein
Drittheil in coursfähigem Deutschen Gelde, Reichscassenscheinen
oder in Gold in Barren oder ausländischen Münzen, das Pfund fein
zu 1392 Mark gerechnet, und den Rest in diskontierten Wechseln,
welche eine Verfallzeit von höchstens drei Monaten haben und aus
welchen in der Regel drei, mindestens aber zwei als zahlungsfähig be-
kannte Verpflichtete haften, in ihren Cassen als Deckung bereitzu-
halten.«

Der Begriff »coursfähiges Deutsches Geld« bezog sich auf Gold und
Silber, und dementsprechend hätte die Reichsbank ihre Noten auch
in Silber zahlen können. Das hat sie jedoch gegen den Willen der Ein-
reicher nie getan. Schon die Preußische Bank war 1875 vom Reichs-
42 Die beste Währung aller Zelten

kanzler angewiesen worden, ihre Banknoten in Gold einzulösen,


wenn das gewünscht wurde.
Der größere Teil der Deckung des Notenumlaufs konnte, wie man
sieht, aus Handelswechseln bestehen. Da diese einen direkten Bezug
zur realen Wirtschaft hatten und da auf die Bonität größter Wert
gelegt wurde, konnten sie kein inflationäres Potenzial entfalten.
Staatsanleihen und Lombardforderungen waren zur Deckung des
Notenumlaufs nicht zugelassen. Man vergleiche das nur mit den
minderwertigen Papieren, die sich in den Bilanzen der EZB und vie-
ler nationaler Notenbanken des Euro-Systems angesammelt haben.

Auch mit Metallgeld kann eine Wirtschaft


wachsen

Flexibel und kein Hindernis für die bis 1914 stark expandierende
deutsche Volkswirtschaft war der Goldstandard auch deswegen, weil
nur die Banknoten gedeckt sein mussten, nicht aber das Buchgeld.
Letzteres ist bekanntlich auch im Euro-System von geringerer Quali-
tät und weniger sicher als die Banknoten.

Jedenfalls stand der schnellen Zunahme des bargeldlosen Zahlungs-


verkehrs vor 1914 nichts im Wege. Nach Angaben von Bernd Speng-
ler erhöhten sich die Bankeinlagen der Nichtbanken im Zeitraum
1875 bis 1913 von 4,7 auf 38,4 Milliarden Mark. Gleichzeitig lief we-
niger Papiergeld um als Metallgeld. Daran änderte sich bis zum
Kriegsausbruch nichts. 1913 besaßen die Nichtbanken (Unterneh-
men und Private) Metallgeld im Wert von gut drei Milliarden Mark
und Banknoten im Wert von 2,2 Milliarden. Dazu kamen die Kassen-
reserven der Banken, die sich auf 2,17 Milliarden Mark an Metallgeld
beliefen.
Auch mit Metallgeld kann eine Wirtschaft wachsen 43

Die Bürger wurden nicht gerade ermutigt, mit Papier zu zahlen.


Banknoten wurden nur im Betrag von 100 Mark oder höher in den
Verkehr gebracht - kaufkraftbereinigt entsprechen 100 Reichsmark
heute einer Summe irgendwo zwischen 500 und 1000 Euro. Erst nach
der Jahrhundertwende wurden kleinere Banknoten ausgegeben.
Wenn ein Reisender zum Beispiel die Karte für die 40-stündige Zug-
fahrt von Aachen nach Königsberg löste, zahlte er normalerweise in
Gold und mit Scheidemünzen. Wenn er großzügig war, gab er dem
Gepäckträger 20 Pfennige in Silber. Wegen der kleinen Stückelung
waren aber auch die Reichskassenscheine beliebt. Noch 1913, so be-
richtet Spengler, stand jedem Bürger des Kaiserreichs im Durch-
schnitt nur ein Geldschein zur Verfügung.
Dass die Leute relativ wenig Geld in die Hand nahmen, hatte auch
damit zu tun, dass sie beim Metzger, beim Bäcker und im Kolonial-
warenladen gerne anschreiben ließen. Die Geldkultur war eben eine
andere. Ein Pfennig wurde unendlich mehr geschätzt als heute ein
10-Cent-Stück. Die westlichen Gesellschaften haben für die Abkehr
von echtem, ehrlichem Geld einen hohen Preis bezahlt, auch in mo-
ralischer Hinsicht. Die Unterscheidung zwischen Wert und Preis ist
weitgehend verloren gegangen. Die Summen, mit denen die Regie-
rungen spielen und sich verschulden, bewegen sich längst im Milliar-
denbereich. Demnächst wird die Billion der Milliarde Konkurrenz
machen. Wie viele Nullen sie hat, weiß der typische Bundestagsabge-
ordnete nicht, wie sich bei einer Umfrage herausstellte.

Wie der Goldstandard funktionierte

Wie lässt sich der historische Goldstandard am einfachsten definie-


ren? Welche Voraussetzungen müssten erfüllt sein für seine Wieder-
einführung? Im Wesentlichen nur drei: erstens die Einlösepflicht der
44 Die beste Währung aller Zelten

Währung in Gold, zweitens eine vernünftige Deckung des Bankno-


tenumlaufs, wobei das Zweite das Erste bedingt. Denn eingelöst wer-
den kann nur, wenn die Notenbank ausreichende Goldreserven be-
sitzt. Und drittens: Im Goldstandard sind die Wechselkurse zwischen
den Goldwährungen logischerweise fixiert. Wenn eines der am Sys-
tem beteiligten Länder abwerten muss, wird dessen Währung selbst-
verständlich gegen Gold abgewertet.
Das alles war bis 1914 gewährleistet. Zusammengenommen erga-
ben Gold, Silber und Reichskassenscheine 1876 eine Deckung der
Banknoten von 80,3 Prozent. Sie stieg bis in die erste Hälfte der
1890er-Jahre auf mehr als 90 Prozent an und machte 1913 noch
70,6 Prozent aus.

Die Deckung nur durch Goldmünzen und Goldbarren ging nach der
Gründung der Reichsbank von 41,9 Prozent auf ein Tief bei 28 Pro-
zent im Jahre 1882 zurück, stieg dann wieder auf über 60 Prozent und
betrug 1913 noch 44,5 Prozent und damit mehr als 1876. Das war
ausreichend, denn dass alle Besitzer von Banknoten diese einlösen
würden, war schwer vorstellbar.
Dies auch deswegen, weil keine bisherige deutsche Regierung das
Recht so hoch geachtet hat wie die des Kaiserreichs und weil die Bür-
ger dem Einlöseversprechen voll vertrauten - bis es dann 1914 kriegs-
bedingt doch gebrochen wurde.
Nach den Spielregeln des Goldstandards, die hier nicht erschöp-
fend untersucht werden können, mussten die Ansprüche des Auslan-
des ebenso honoriert werden wie die der Inländer. Daran hielt sich
die Reichsbank, freilich mit kleinen Einschränkungen. Ebenso wie
bei der Bank of England und der Banque de France, die auf den größ-
ten Goldreserven überhaupt saß, sah man es in Berlin ungern, wenn
Gold ins Ausland abfloss. Die Französische Zentralbank weigerte
sich gelegentlich schon einmal, Gold abzugeben. Und die Bank of
Wie der Goldstandard funktionierte 45

England irritierte die Zentralbanken auf dem Kontinent, indem sie


etwas höhere Preise für fremdes Gold bot und damit zum Angriff auf
ausländische Goldreserven ansetzte.
Die Reichsbank wiederum zahlte nach Möglichkeit Silber an das
Publikum aus, um ihre Goldreserven zu schonen. Aber sie bestand
nicht darauf. Und mit der Bankgesetznovelle vom 1. Juni 1909 durfte
sie nur noch gegen Goldmünzen einlösen. Damit war der letzte Rest
des Bimetallismus verschwunden.

Die andere wichtige Neuerung durch die Novelle vom 1. Juni 1909
betraf die Reichsbanknoten. Sie wurden jetzt mit der Eigenschaft ei-
nes gesetzlichen Zahlungsmittels ausgestattet. In der Praxis bedeutete
das, dass der Kunde einer Bank Reichsbanknoten nicht mehr ableh-
nen und nicht mehr auf der Zahlung in Goldmünzen bestehen konn-
te - was bei höheren Beträgen von der Bank als Schikane empfunden
wurde. Damit folgte Deutschland dem Beispiel Englands und Frank-
reichs, wo die Noten schon seit 1834 bzw. 1870 gesetzliche Zahlkraft
besaßen. In aller Regel wurden im Reich schon vor 1909 Banknoten
akzeptiert, obgleich die Goldmünzen populärer blieben.
Das Prinzip der Goldwährung wurde durch die Novellierung des
Bankgesetzes nicht angetastet. Es wurde eher noch verschärft, indem
der Begriff des kursfähigen deutschen Geldes durch »deutsche Gold-
münzen« ersetzt wurde. Die Reichsbank war fortan verpflichtet, wie
bereits dargelegt, ihre Noten nur noch gegen Gold einzulösen, nicht
mehr gegen Silber - was sie aber auf Verlangen schon vorher getan
hatte.
Wenn Verdacht auf unerwünschte, größere Exporte von deut-
schem Gold bestand, wurde die Einlösung manchmal behindert oder
verzögert. Dann wurden die eingereichten Noten oder die auszuzah-
lenden Goldmünzen umständlich geprüft, oder man wurde von den
Zweiganstalten der Reichsbank an die Hauptkasse in Berlin verwie-
46 Die beste Währung aller Zelten

sen. Rechtswidrig war das nicht, denn die Filialen mussten Gold nur
nach Lage ihrer Kassenbestände abgeben. Jedenfalls wurde die Einlö-
sepflicht bis 1914 nie aufgehoben, und es wurde auch kein Exportver-
bot für Gold verhängt. Die Mark war so gut wie Gold.
Das war der Amerikanische Dollar - im Außenverhältnis - unter
dem System von Bretton Woods auch, bis Präsident Nixon im August
1971 das Goldfenster schloss und die vertragliche Verpflichtung der
USA einseitig aufkündigte, im Verkehr mit ausländischen Zentral-
banken auf Verlangen Dollars in Gold zum Preis von 35 Dollar je
Feinunze einzutauschen. Damit endete die stark abgespeckte Version
des klassischen Goldstandards - abgespeckt, weil die amerikanischen
Bürger selbst ihre Dollars nicht einlösen durften und weil ihnen
überdies bis 1974 der Besitz von monetärem Gold verboten war.

Selbstverständlich wäre es möglich, zu goldgedeckten Währungen


zurückzukehren - jedenfalls in den USA, in Westeuropa und in den
Ländern, die über substanzielle Goldreserven verfügen. Der politi-
sche Wille dazu fehlt allerdings, und zur Begründung wird auch von-
seiten der Wissenschaft immer wieder behauptet, der Goldstandard
habe schlecht funktioniert und deflationäre Tendenzen begünstigt.
Was daran stimmt und was nicht, soll im Folgenden näher untersucht
werden.
Richtig ist, dass der Goldstandard weder Kredit- noch Börsen-
noch Konjunkturzyklen abgeschafft hat, dass der Gründerboom 1873
mit einer Kreditpanik endete, dass die spekulativ überreizten Aktien-
kurse im Zeitraum 1872 bis 1877 insgesamt 60 Prozent einbüßten
und dass in den 1870er-Jahren zahlreiche neugegründete Firmen zu-
sammenbrachen. Auf die Überinvestition nach der Reichsgründung
folgte die Bereinigung der Exzesse. Nicht betroffen war die erst 1873
gegründete Deutsche Gold- und Silber-Scheideanstalt.
Die Konjunkturzyklen nach 1871

Ganz unabhängig von der Währungsreform der frühen 1870er-Jahre


kulminierte und endete ein Konjunkturzyklus, dessen Anfänge bis in
die 1830er-Jahre zurückreichen. Der Historiker Michael Stürmer
nennt die Zeitspanne von 1850 bis 1873 die »Spurtphase« der indus-
triellen Revolution in Deutschland. Er spricht von einem sich selbst
nährenden Aufschwung mit Zuwächsen bei den Netto-Investitionen
zwischen fünf und zehn Prozent jährlich, der bekanntlich vor allem
durch den Eisenbahnbau angetrieben wurde.
Nach heutigen Maßstäben hätte die Reichsregierung, als der Pro-
duktions- und Beschäftigungsrückschlag einsetzte, nach 1873 mit
massiven, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen eingreifen
müssen. Weil sie es nicht tat und dem natürlichen Ablauf des Kon-
junkturzyklus freien Raum ließ, konnten sich die Selbstheilungskräfte
durchsetzen, und die realen Auswirkungen hielten sich in Grenzen.
Was von Historikern manchmal als Depression eingestuft wird,
hatte nur vorübergehende Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit
und auf den Lebensstandard. Das reale Sozialprodukt stagnierte für
mehrere Jahre, schrumpfte aber nicht, weil gleichzeitig die Preise zu-
rückgingen. Trotz der Krise lag das Nettosozialprodukt 1879 um gut
40 Prozent über dem des Jahres 1869. Danach ging das reale Nettoso-
zialprodukt nur 1891 und 1901 im Vergleich zum Vorjahr zurück.
Erst stiegen die Preise, dann fielen sie, dann zogen sie wieder an.
1875 lag der Index der Lebenshaltungskosten in Deutschland (1895 =
100) bei 112,7,1885 bei 98,6 und 1905 wieder bei 112,4, bis sich dann
der Preisauftrieb beschleunigte und der Index 1913 einen Stand von
129,8 erreichte. Immer inflationsfrei war der Goldstandard also nicht,
weil er nicht ganz strikt befolgt wurde, weil wegen der fehlenden De-
ckung des Buchgeldes Geld geschöpft und damit die Geldmenge aus-
geweitet werden konnte.
48 Die beste Währung aller Zelten

Die Arbeitslosigkeit, über die nur Schätzungen anhand der Mel-


dungen der Gewerkschaftsverbände vorliegen, überstieg nach 1895
lediglich 1901 und 1902 die Grenze von drei Prozent und ging in den
Boomjahren dann wieder in die Nähe von einem Prozent zurück und
damit auf das Tief der 1880er-Jahre. Und dies bei einer stark wach-
senden Bevölkerung!
»Die Einbrüche waren seit der Gründerkrise meist relativ kurzfris-
tig«, konstatiert die bereits zitierte Währungsgeschichte der Bundes-
bank. »So wurde vor dem I. Weltkrieg in Deutschland konjunkturelle
Arbeitslosigkeit noch nicht als wirtschafts- und sozialpolitisches
Hauptproblem gesehen, welches staatlicher Gegenmaßnahmen drin-
gend bedurft hätte.«

Keine Währungsordnung ist perfekt, auch der Goldstandard nicht.


Auch vor 1914 wurde über Währungsfragen kontrovers diskutiert.
Fakt ist, dass es in den vier Jahrzehnten des Goldstandards - vergleich-
bar mit dem Wirtschaftswunder nach 1948 - allen im Trend ständig
besser ging und dass sich kaum jemand vorstellen konnte, dass es sei-
nen Kindern schlechter gehen würde. In Preisen von 1895 belief sich
der Jahresverdienst der Arbeitnehmer in Industrie, Handel und Ver-
kehr 1871 auf 466 Mark, 1880 auf 524 Mark, 1890 auf 636 Mark, 1900
auf 737 Mark und 1913 auf 834 Mark. Nur in der zweiten Hälfte der
1870er-Jahre, nach dem Platzen des Gründerbooms, ist ein vorüber-
gehender realer Rückgang zu verzeichnen.
Auch der Blick auf das gesamte 19. Jahrhundert bestätigt, dass die
dauerhafte, systemimmanente Inflation ein Phänomen des 20. und
21. Jahrhunderts ist. Vorher war der Preisauftrieb eine Begleiterschei-
nung großer Kriege, zum Beispiel der Napoleonischen, als selbst
Großbritannien die Goldeinlösepflicht des Pfundes suspendierte.
Gemessen am Index der Großhandelspreise in Deutschland sanken
die Preise nach dem Ende der Feindseligkeiten 1815 und damit nach
Hartes Geld ist auch heute möglich 49
dem Ende der großen Inflation um zwei Drittel, bis sie in den 1830er-
und 1840er-Jahren einen Boden fanden. In etwa ab 1850 stiegen sie
bis 1873, gingen dann bis in die Achtzigerjahre zurück und lagen vor
Kriegsbeginn immer noch leicht unter dem Stand der Siebzigerjahre
und noch weit unter dem Niveau von 1815.

Hartes Geld ist auch heute möglich

Auch wenn die Großhandelspreise, was immer noch gilt, nicht iden-
tisch waren mit den Verbraucherpreisen, auch wenn solche Statisti-
ken grundsätzlich mit Vorsicht zu genießen sind, ändert das nichts an
dem Befund, dass Hartgeld, das heißt gedecktes Geld, permanente
Inflation verhindert hat. Trotz aller Schwankungen blieb die Kauf-
kraft eines Talers oder einer Goldmünze vom Beginn der Industriali-
sierung in den 1840er-Jahren bis zum Ende der langen Friedensperi-
ode mehr oder weniger konstant.

Aus der von der Bundesbank herausgegebenen Währungsgeschichte


geht auch hervor, dass die Schwankungen der Weltgoldproduktion
zwar mit dem Auf und Ab der Preise grob korrelierten, dass aber der
ursächliche Zusammenhang nicht klar ist.
Tatsächlich stieg die Goldförderung nach der Entdeckung neuer
Vorkommen in Amerika 1848 und in Australien 1851 deutlich an -
und dann wieder nach den Funden in Südafrika 1888 und in Alaska
1896. Von 1873 bis 1887 (in etwa zeitgleich mit der Preisdeflation in
Deutschland) nahm die Goldproduktion um etwa ein Prozent jähr-
lich ab. Allerdings ließen die Deckungsregeln des Goldstandards, wie
wir gesehen haben, durchaus ein höheres Geldangebot zu, wozu es
aber nach dem Ende des Aufschwungs 1873 nicht kam, weil die Geld-
nachfrage konjunkturbedingt nicht groß genug war.
50 Die beste Währung aller Zelten

Schließlich ist ein anderes Plus des Edelmetallgeldes zu erwähnen:


Ohne die heute üblichen manipulativen Eingriffe der Notenbanken in
das Zins- und Geldmengenniveau bewegten sich die Zinsen in einer
engen Bandbreite zusammen mit den Preisen, ohne dass die Spargut-
haben entwertet wurden. 1870 rentierten festverzinsliche Wertpapiere
in Deutschland mit 4,61 Prozent, 1896 mit 3,34 Prozent und 1913 wie-
der mit 4,09 Prozent. Es lohnte sich für alle Einkommen zu sparen.
Und wer genug Geld hatte, konnte als Rentier von den Coupons (noch
dazu ohne Abgeltungssteuer) gut leben und finanziell langfristig pla-
nen. Der Goldstandard war ein Freund der Sparer, das Papiergeld ent-
eignet sie schleichend - und manchmal schlagartig.
Der Preis, der besonders seit der Finanzkrise 2008 und dem Beginn
der Euro-Krise 2010 in Form von Wohlstandsverlusten und Schädi-
gung der Sparer für den Erhalt des Scheingeldsystems gezahlt werden
muss, ist so groß, dass der Goldstandard als Alternative wieder disku-
tiert wird - zuletzt im amerikanischen Wahlkampf 2012. Kein Wunder
also, dass sich Fed-Chef Ben Bernanke im März 2012 bemüßigt fühlte,
in einer vierteiligen Vorlesung an der George Washington University die
Nachteile des Goldstandards herauszustreichen. Dabei unterliefen ihm
einige sachliche Irrtümer und einige Denkfehler.
So stimmt es nicht, wie am deutschen Beispiel erläutert wurde,
dass das Geldangebot ausschließlich durch das Goldangebot und vor
allem durch die Minenproduktion bestimmt wird. Richtig ist viel-
mehr, dass wegen der Dritteldeckung in Deutschland nicht beliebig
inflationiert werden konnte und dass die Konjunktur die Geldnach-
frage maßgeblich beeinflusste.
Ebenfalls unrichtig ist, dass im 21. Jahrhundert nicht genug Gold
vorhanden sei, um die Erfordernisse eines globalen Goldstandards zu
erfüllen. Das hängt selbstverständlich nicht von der Menge, sondern
vom Goldpreis ab, der unter dem System des Goldstandards bekannt-
lich fixiert wird. Ist er in Relation zu den Geld- und Schuldenmengen
Hartes Geld ist auch heute möglich 51
zu niedrig, funktioniert das System selbstverständlich nicht. Ein Bei-
spiel: Nach dem Ersten Weltkrieg und angesichts der hohen Kriegs-
schulden hätte England kräftig abwerten und zu einem höheren Preis
zur Goldbindung zurückkehren müssen. Weil das aus Prestigegrün-
den unterlassen wurde, floss Gold ab, bis die Goldbindung 1931 auf-
gegeben werden musste.
Ein anderes Beispiel: Auch in den 1960er-Jahren machten die USA
den Fehler, zu lange an einem zu tiefen offiziellen Goldpreis von
35 Dollar festzuhalten, in einer Zeit, da die Schulden wegen des Viet-
namkrieges anschwollen, die amerikanische Geldmenge stark anstieg
und die Außenbilanz ins Defizit rutschte. Die USA hätten damals
entweder darauf verzichten müssen, Geld für den Krieg zu drucken,
oder sie hätten den Goldpreis heraufsetzen und damit den Dollar ab-
werten müssen. Statt dessen schloss Präsident Nixon im August 1971
das Goldfenster, um freie Hand zu haben. Die Folge war die Inflation
der 1970er-Jahre und eine Explosion des Goldspreises von 35 auf 850
Dollar die Feinunze im Januar 1980.

Schließlich führt Bernanke als Argument an, dass der Goldstandard,


falls nicht glaubwürdig, für spekulative Attacken anfällig sei und
letztendlich zusammenbrechen werde, weil die Leute dann ihr Pa-
piergeld gegen Gold eintauschen würden. Nun ja, das tun sie auch
unter einem Papiergeldstandard, wenn sie der Politik der Zentral-
bank nicht mehr trauen. Insofern ist das Argument kurios. Jede Wäh-
rungsordnung muss glaubwürdig sein, jede kann missbraucht und
ruiniert werden, übrigens auch jedes politische System, die Demo-
kratie eingeschlossen.
In Erwiderung auf die Vorlesung des Chefs der Federal Reserve
kommentierte die New York Sun, dass der Dollar bei Gründung der
Fed 1/35 einer Unze Gold wert war - und jetzt nur noch 1/1600. Gold
war eben doch die bessere Währung.
Das deutsche Trauma:
Wenn Geld wertlos wird
Es ist ein weitverbreiteter Fehler auch unter Historikern, Ereignisse
und Wendepunkte der Geschichte immer nur aus der Rückschau und
mit dem heutigen Wissensstand zu betrachten und zu bewerten.
Dann erscheint alles, was 1914 oder nach 1918 oder nach späteren
Zäsuren geschah, als vorhersehbar und zwangsläufig. In Wirklichkeit
lag die Zukunft vor den Zeitgenossen wie ein dunkler Raum. Nur
manches konnte, wenn die Entwicklung herangereift war, geahnt und
ertastet werden.
Als der Erste Weltkrieg am 1. August 1914 ausbrach, hatte keine
der beteiligten Parteien finanzielle Vorkehrungen für eine lange Dau-
er der Kampfhandlungen getroffen. Alle gingen von einem kurzen
Krieg aus. Und selbst 1918, als das Reich kapitulierte, deutete wenig
auf die bevorstehende Hyperinflation und die vollständige Zerstö-
rung des Geldwertes hin. Noch in der Endphase der Großen Inflation
verstanden die verantwortlichen Geldpolitiker nicht wirklich, was
vor ihren Augen ablief. So wurde darüber gestritten, ob die Geldmen-
genausweitung die Ursache der Preisinflation sei oder ob umgekehrt
die Geldvermehrung durch die Inflation erzwungen werde. Inzwi-
schen wissen wir, dass Ersteres der Fall war. Aber es ergab sich auch
die paradoxe Situation, dass das Geld mitten in der Hyperinflation
knapp war. Während der nominale Geldumlauf ins Astronomische
stieg, ging der reale zurück.

Dass der Krieg monetäre Konsequenzen haben würde, war den Deut-
schen im Sommer 1914 schon klar. Dafür sprach die historische Er-
fahrung. In den letzten acht Julitagen verlor die Reichsbank Gold im
Wert von 100 Millionen Mark, weil die Bevölkerung Banknoten ge-
gen Goldmünzen eintauschte. Am 31. Juli beendete die Reichsbank
die Einlösung. Damit endete der klassische Goldstandard.
Die gesetzliche Grundlage für den Übergang zur Papierwährung
wurde am 4. August 1914 geschaffen. Pro forma blieb die Dritteide-
54 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

ckung erhalten, aber ab sofort waren auch Schuldverschreibungen


des Reiches zur Deckung des Banknotenumlaufs zugelassen. Außer-
dem erhielten die neuen Darlehenskassen (sie waren praktisch Ein-
richtungen der Reichsbank) die Aufgabe, Papiergeld in Umlauf zu
setzen, die sogenannten Darlehenskassenscheine.
Diese wiederum wurden von der Reichsbank zur Deckung neuer
Banknoten herangezogen. So diente das eine Geld zur Deckung des
anderen. Es begann die Staatsfinanzierung per Notenpresse. Sie en-
dete 1923, als 133 Druckereien mit 1783 Maschinen rund um die Uhr
Geld produzierten, bis die Leute schließlich mit dem Waschkorb vol-
ler Papiergeld zum Einkaufen gingen.
Auch wenn der Zusammenhang zwischen Staatsschulden, unge-
deckter Geldproduktion und Preisinflation immer derselbe ist, so
war doch die Hyperinflation der 1920er-Jahre auch ein Resultat der
Verkettung innen- und außenpolitischer Umstände, die einmalig wa-
ren und sich so nicht wiederholen werden.

Bei Kriegsende war die Lage der deutschen Staatsfinanzen nicht


grundlegend anders als die in Frankreich oder England - einmal ab-
gesehen davon, dass London früher und kräftiger die Steuern erhöht
hatte als Berlin und dass die Siegermächte entschlossen waren, einen
Großteil der Rechnung den unterlegenen Feind in Form von Repara-
tionen zahlen zu lassen. Dasselbe hatte die Reichsregierung beabsich-
tigt, als sie noch auf den Sieg hoffte.
Als die Waffen schwiegen, hatten sich die Großhandelspreise in
Deutschland seit 1914 verdoppelt und die Verbraucherpreise trotz
Preiskontrollen verdreifacht. Der Umlauf an Reichsbanknoten hatte
sich vervierfacht. Der Krieg hatte 164 Milliarden Mark gekostet. Da-
von wurden knapp 100 Milliarden durch neun Kriegsanleihen aufge-
bracht, 57 Milliarden durch kurzfristige Staatsschulden wie Schatz-
wechsel und Schatzanweisungen und etwa zehn Milliarden durch
55 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

Steuererhöhungen, vor allem ab 1916. Die hauptsächliche Finanzie-


rung durch Staatsanleihen war eine Besonderheit des Ersten Welt-
krieges, wohingegen der Zweite Weltkrieg in Deutschland vor allem
durch das Bankensystem finanziert wurde.

Unvermeidlich waren Hyperinflation und Währungsreform zunächst


noch nicht. In dem bereits zitierten Standardwerk der Bundesbank
wird vorgerechnet, dass nach 1918 eine Steuerquote von 35 Prozent
des Sozialproduktes ausgereicht hätte, um die laufenden Staatsausga-
ben, den Zinsendienst für die Reichsschulden aus dem Krieg und die
Reparationen bestreiten zu können. Theoretisch wäre das machbar
gewesen, auch wenn es der Vertreibung aus dem Paradies gleichge-
kommen wäre. Vor dem Krieg hatten sich die Staatsausgaben von
Reich, Ländern und Kommunen auf maximal 15 Prozent des Sozial-
produktes belaufen, und zwar einschließlich der bereits hohen Rüs-
tungsausgaben und des Schuldendienstes.
Allerdings waren die ersten Regierungen der Weimarer Republik
zu schwach, um Steuern in dieser Höhe einzutreiben. Sie kämpften
ums Überleben. 1919 und 1920 mussten kommunistische Aufstände
in Berlin und im Ruhrgebiet niedergeschlagen werden. Im Mai 1920
zwang der Kapp-Lüttwitz-Putsch die Regierung zur Flucht nach
Stuttgart. Im März 1921 erhoben sich die Kommunisten in Hamburg
und Mitteldeutschland, im Mai musste Oberschlesien gegen einen
polnischen Einfall verteidigt werden. Im August 1921 wurde der
Zentrumspolitiker Erzberger ermordet, im Juni 1922 Außenminister
Rathenau. Und im Januar 1923 wurde das Ruhrgebiet von Frankreich
besetzt.
Die Ruhrbesetzung gab der Mark den
Gnadenstoß
Die Ruhrbesetzung gab der schon schwer angeschlagenen Mark den
Gnadenstoß. Der vom Reichskanzler verkündete passive Widerstand
beschleunigte den Ruin der Staatsfinanzen. Im Zeitraum 1918 bis
Juni 1923 explodierte die kurzfristige Reichsschuld (ohne Anleihen)
von 55 auf 22.020 Milliarden Mark. Davon wurde 1918 die Hälfte von
der Reichsbank gehalten, im Sommer 1923 aber schon über 80 Pro-
zent. Es wurde nur noch ein Bruchteil des Staatshaushaltes durch re-
guläre Einnahmen bestritten, der Großteil durch Neuverschuldung.
Auch im Rückblick lässt sich nicht genau feststellen, ab wann die
Inflation vollständig außer Kontrolle geriet - vielleicht ab August,
vielleicht ab September 1922. »Es war keineswegs so, dass das Reich
die Dinge treiben ließ und bequemerweise alle Finanzierungsproble-
me mit Hilfe des Kredits löste«, urteilt die Bundesbank. »Nein, es
wurden, sobald man dazu in der Lage war, geradezu heroische An-
strengungen unternommen, um zu zusätzlichen Steuereinnahmen zu
kommen und der >Pumpwirtschaft< Einhalt zu gebieten.«

Sonderabgaben, Luxussteuern, Erhöhung der Erbschaft- und Grund-


erwerbsteuer und - damals ganz neu - eine Einkommen- und Ver-
mögensteuer des Reiches: Das waren die inzwischen üblichen Maß-
nahmen eines Staates, der dem Bankrott entgegengeht. Trotz allem:
»Es war völlig ausgeschlossen, dass irgendwann die Steuereinnah-
men die immer schneller davon eilenden Staatsausgaben einholen
konnten.«
Eine andere Ingredienz dieser Hyperinflation muss erwähnt wer-
den: die enorme Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des
Geldes. Denn dessen Entwertung ist nicht nur eine Funktion seiner
Menge, sondern auch der Schnelligkeit, mit der es ausgegeben wird.
Die Ruhrbesetzung gab der Mark den Gnadenstoß 57

Der Zeitpunkt, an dem das Vertrauen in eine Währung zusammen-


bricht, ist schwer vorhersehbar. Es ist eine Frage der Massenpsycho-
logie. Im ersten Halbjahr 1923 kletterten die Verbraucherpreise um
1000 Prozent, im Oktober um das 250-Fache im Vergleich zum Sep-
tember. Schließlich lautete die höchste jemals in Umlauf gesetzte
Reichsbanknote auf 100 Billionen Mark.

Als Fazit bleibt der ursächliche Zusammenhang zwischen Staats-


schulden, Gelddrucken, politischen Faktoren und Preisinflation. Ein
gewisses Maß an Geldentwertung war von Regierungsseite nicht ein-
mal unerwünscht. Sie erleichterte die Wiedereingliederung der
Frontsoldaten in den Wirtschaftsprozess, sie schmierte den Über-
gang von der Kriegs- zur Friedenswirtschaft und sie diente als Argu-
ment, um den exorbitanten Reparationsforderungen entgegenzutre-
ten. Objektiv gesehen ermöglichte die Inflation wahrscheinlich das
Überleben des parlamentarischen Systems, zunächst jedenfalls.
In der Literatur werden die Auswirkungen des Versailler Vertrages
und der Reparationen manchmal heruntergespielt. Schauen wir uns
den Mechanismus etwas genauer an: Nachdem die Regierung der jun-
gen Republik am 28. Juni 1919 gezwungen worden war, den Vertrag
von Versailles zu unterzeichnen und nachdem eine Kommission der
Siegermächte die Reparationen im Einzelnen festgelegt hatte, wurde
Deutschland regelrecht ausgeplündert. Die Auslandsvermögen wur-
den enteignet. Alle größeren Handelsschiffe, ein Teil der Fischereiflot-
te, Kohle und landwirtschaftliche Maschinen, ja sogar eine große
Menge an Kühen, Schafen und Schweinen musste abgeliefert werden.
Im Verlauf von 37 Jahren sollten 132 Milliarden Goldmark gezahlt
und zusätzlich 26 Prozent der Exporterlöse in Form von Ausfuhrab-
gaben an das Ausland überwiesen werden. In den Jahren 1922 und
1923 überstiegen die von Deutschland geleisteten Reparationen die
gesamten Steuereinnahmen des Staates.
58 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

Es versteht sich von selbst, dass die Siegermächte deutsches Papier-


geld nicht akzeptierten. Sie verlangten Gold und Devisen. Von den
Goldreserven der Reichsbank, die den Krieg in voller Höhe überstan-
den hatten, blieb weniger als ein Viertel übrig - 1923 nur noch 467 Mil-
lionen Mark in Gold. Es wurde Papiergeld gedruckt, mit dem Devi-
sen angekauft wurden, wodurch der Kurs der Mark immer tiefer fiel.
Mit dem frisch produzierten Papiergeld bezahlte die Regierung aber
auch deutschen Firmen die Sachlieferungen, die als Reparationen ins
Ausland gingen. Es entstand ein Circulus vitiosus.

Der Staat war seine Schulden los,


der Mittelstand verarmte

Aus realpolitischer Sicht ließ sich selbst den dramatischen Ereignis-


sen des Inflationsjahres 1923 etwas Gutes abgewinnen: Der Staat
konnte sich seiner (inländischen) Kriegsschulden fast ganz entledi-
gen, und die Reparationen wurden mit dem Dawes-Abkommen 1924
auf eine neue Grundlage gestellt. Sie wurden berechenbarer und eher
bezahlbar.

Dem standen verheerende Auswirkungen gegenüber, die sich einige


Jahre später rächen sollten und zum Zusammenbruch der Weimarer
Republik beitrugen. Die Deutschen erlebten den Kollaps des Geldwer-
tes als Ende aller Sicherheit, als Vernichtung eines in zwei Generatio-
nen aufgebauten Vermögens, als Korruption und Geschäftemacherei
zwielichtiger Gestalten, als Hunger und zunehmende Kindersterb-
lichkeit, als moralischen Verfall und Auflösung einer zivilisierten Ge-
sellschaft. In der Großen Inflation verarmte der Mittelstand, in der
Depression nach 1929 mit ihrer Massenarbeitslosigkeit der Rest des
Volkes.
Der Staat war seine Schulden los, der Mittelstand verarmte 59
Dass der Neuanfang überraschend schnell gelang und währungs-
technisch professionell organisiert wurde, war das Verdienst von Fi-
nanzminister Hans Luther und nicht zuletzt von Hjalmar Schacht.
Am 12. November 1923 berief ihn Reichskanzler Stresemann zum
Reichswährungskommissar, ab Januar 1924 leitete er die Reichsbank
bis 1930 - und dann wieder von 1933 bis 1939, als er sich mit Hitler
überwarf.
Als erster Schritt wurde am 15. Oktober 1923 - als Institut neben
der Reichsbank - die Deutsche Rentenbank gegründet. Am 15. No-
vember begann sie mit der Ausgabe von Rentenbankscheinen. In der
Theorie war die Rentenmark durch eine Grundschuld der Landwirt-
schaft und der Industrie zugunsten der Bank und damit durch reale
Werte gedeckt. Entscheidend war aber, dass das neue Geld von der
Bevölkerung akzeptiert wurde und Vertrauen genoss, wohl weil es
ein gedecktes Geld war.
Genau genommen existierten nun in Deutschland eine Zeit lang
drei Währungen: die Rentenmark ohne den Status eines gesetzlichen
Zahlungsmittels; die alte, nahezu völlig entwertete Papiermark; und
die Goldmark. Die »Mark Gold« diente vor allem als Recheneinheit,
auch zwecks Abwicklung der Reparationen. Ob diese dann in physi-
schem Gold, in Golddollar oder Goldfranken gezahlt wurden, lief auf
dasselbe hinaus.

Ende der Hyperinflation

Hilfreich für die Akzeptanz der Rentenmark war ein kluger Einfall
der Reichsbank. Man beschloss, den offiziellen Dollarkurs einzufrie-
ren, als dieser am 20. November 1923 einen Stand von 4,2 Billionen
Mark erreicht hatte. Damit konnte 1 zu 1 Billion umgestellt werden.
Das machte den Übergang zur Rentenmark leichter. Es brauchte nur
60 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

noch das Komma versetzt zu werden. Jetzt kostete der Dollar wieder
4,20 Mark - wie zu Zeiten der guten alten Goldmark. Schon im De-
zember begannen die Preise in Deutschland deutlich zu sinken.
Den juristischen Schlussstrich unter die Hyperinflation zog das
Währungsgesetz vom 30. August 1924. Die Reichsbank wurde (über
das Gesetz von 1922 hinaus) vollkommen unabhängig von der Regie-
rung - ein Status, den sie im Dritten Reich wieder verlor. Neue Wäh-
rungseinheit wurde die Reichsmark. Für 1 Billion alte Mark gab es
1 neue Reichsmark - und diese entsprach 1 Goldmark.
Die Reichsgoldmünzen zu 20 und 10 Mark blieben gesetzliche
Zahlungsmittel. Sie waren jedoch aus dem Verkehr verschwunden
und wurden - anders als die Reichssilbermünzen - auch nicht mehr
geprägt. Die auf Reichsmark lautenden neuen Banknoten waren
nicht einlösbar in Gold, Deutschland kehrte nicht zum klassischen
Goldstandard zurück.

Festgehalten wurde am Prinzip der Deckung und am festen Gold-


preis von 1392 Reichsmark für das Pfund Feingold. Die Reichsbank
wurde verpflichtet, ihre Banknoten zu 40 Prozent durch Gold und
Devisen zu decken, wobei das Gold drei Viertel dieser Deckung und
damit 30 Prozent des Banknotenumlaufs ausmachen musste. Somit
wurde die Reichsmark 1924 eine Golddevisen-Kernwährung bzw.
eine Goldkernwährung und damit eine verdünnte Version des Gold-
standards, die immerhin den Vorzug hatte, eine Rückkehr der großen
Inflation zu verunmöglichen - jedenfalls bis zum nächsten Krieg, zur
nächsten Inflationsrunde und zur nächsten Währungsreform.
Im Rückblick erscheinen die Jahre von 1914 bis 1948 als eine nur
von kurzen Stabilitätsperioden unterbrochene Epoche der politi-
schen und monetären Unordnung. Verlässliche Angaben über den
privaten Goldbesitz liegen aus dieser Zeit nicht vor. Er dürfte be-
scheiden gewesen sein. Deutschland blieb, obwohl es dann noch ein-
Sie gaben Gold für Eisen 61

mal Großmacht spielte, relativ arm. Gold war kein gängiges Invest-
ment wie in der Bundesrepublik seit den 1970er-Jahren.

Sie gaben Gold für Eisen

Nach Kriegsausbruch 1914 folgten viele patriotisch gesinnte Deut-


sche dem Aufruf der Regierung, Goldmünzen und Goldschmuck
einzuliefern. Sie gaben, wie es hieß, Gold für Eisen. Wörtlich war das
nicht gemeint, aber ironischerweise wurden noch während des Krie-
ges Pfennige aus Eisen geprägt, um die Kupfervorräte zu schonen.
Jedenfalls floss der größere Teil der Reichsgoldmünzen zurück an die
Reichsbank, die dafür mit Papiergeld bezahlte. Das eine blieb, das an-
dere wurde wertlos. Das freiwillig verkaufte Gold wurde im interna-
tionalen Zahlungsverkehr zum Bezug kriegswichtiger Importe benö-
tigt und dann nach 1918 für Reparationen. Was an Goldmünzen in
privater Hand blieb, wurde gehortet, ebenso wie in großem Umfang
die Reichssilbermünzen.
Von diesen lag nach Kriegsende noch eine erhebliche Menge in
den Haushalten. Für Zahlungen wurde das Silbergeld längst nicht
mehr verwendet. Am 13. April 1920 wurden die Silbermünzen von
einer halben bis zu fünf Mark per Verordnung außer Kraft gesetzt. Sie
galten nun nicht mehr als gesetzliche Zahlungsmittel. Damit war es
der Reichsbank möglich, die Silbermünzen über ihrem Nennwert an-
zukaufen.

Aufschlussreich für die damaligen Zustände ist die Begründung der


Verordnung. »Agenten wandern die Dörfer ab«, hieß es da, »und
suchen die im Volke noch vorhandenen Silberreserven an Reichs-
münzen weit unter dem Werte in ihren Besitz zu bringen.« Die Inse-
ratenteile der Zeitungen und Zeitschriften füllten sich, so in der Be-
62 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

gründung, immer mehr mit Kaufangeboten für Silbermünzen »zu


mehr oder minder unangemessenen Preisen«.
Dass Edelmetalle von schlecht informierten Zeitgenossen unter
Wert verhökert werden, wiederholte sich nach Ausbruch der Euro-
Krise, als in deutschen Großstädten neben seriösen auch unseriöse
Läden wie Pilze aus dem Boden schossen, die mit dem Ankauf von
Altgold weit unter Marktpreis ihre Geschäfte machten.
Verboten wurde der Besitz von Edelmetallen nicht, wohl aber wur-
de der Handel mit ihnen eingeschränkt, und zwar mit einer Verord-
nung vom 7. Februar 1920. Danach wurde mit Gefängnis bestraft,
wer »im Umherziehen von Haus zu Haus« oder auf öffentlichen We-
gen, Plätzen und in Wirtschaften Feingold, Feinsilber und Platin in
jeder Form, aber auch Schmuck und Waren aus Edelmetall entgelt-
lich erwarb oder veräußerte. Eingedämmt werden sollte der Schie-
berhandel, wie man solche Praktiken damals nannte.

In den Jahren nach der Währungsreform war der Umgang der Behör-
den mit dem Silbergeld kein schlechtes Indiz für den sich im Guten wie
im Schlechten anbahnenden Zustand der Wirtschaft und des Geld-
wesens. Schon am 20. März 1924 wurde ein Gesetz über die Ausprä-
gung neuer Reichssilbermünzen erlassen, und zwar zu 1,2 und 3 Mark.
Allerdings betrug das Mischungsverhältnis nicht mehr 900 Teile
Silber und 100 Teile Kupfer, sondern je zur Hälfte Silber und Kupfer.
Dabei sollte, wie es in der Begründung hieß, eine neue Inflation »unter
allen Umständen« vermieden werden. Deswegen durften die Neu-
prägungen nur in dem Maße in den Verkehr gebracht werden, in dem
andere Zahlungsmittel zurückgezogen wurden. Am 30. August 1924
beschloss der Reichstag überdies, Goldmünzen über 10 und 20 Reichs-
mark auszuprägen - ganz so, als kehre die gute alte Zeit zurück. Ge-
prägt wurden die Münzen nie.
Sie gaben Gold für Eisen 63

Die Hitler-Regierung ließ sich eine weitere vertrauensbildende


Maßnahme einfallen, die durchaus die beabsichtigte psychologische
Wirkung hatte. Mit Datum vom 7. November 1933 gab der Finanz-
minister die Herstellung von 2-Reichsmark-Stücken bekannt, die
nicht mehr zu 500, sondern zu 625 Teilen aus Silber bestanden. 1934
folgte sogar eine Reichssilbermünze zu 5 Mark mit 900 Teilen Silber.
Dafür mussten auf der Wertseite der Münze zwei kleine Hakenkreuze
in Kauf genommen werden, die nun überhaupt nicht an die Wertord-
nung des Kaiserreichs erinnerten.
Aus späteren Verordnungen konnte, wer hellhörig war, schlussfol-
gern, dass sich Unheil anbahnte. Ende 1936 wurden die Reichssilber-
münzen außer Kurs gesetzt und am 16. Juli 1938 die Reichsgoldmün-
zen. Sie waren nun »einzuziehen«, wie die Verordnung verfügte.
Was damit gemeint war, stand in einer weiteren Verordnung eben-
falls vom 16. Juli. »Um das in den Münzen enthaltene Gold für die
deutsche Volkswirtschaft nutzbar zu machen«, musste jeder Einwoh-
ner des Deutschen Reiches (nicht nur jeder Staatsbürger) seine außer
Kurs gesetzten, in- und ausländischen Goldmünzen bis zum 1. Sep-
tember 1938 an die Reichsbank oder an eine Devisenbank verkaufen.
Zuwiderhandlungen wurden nach Maßgabe des Gesetzes über die
Devisenbewirtschaftung vom 4. Februar 1935 bestraft. Papier statt
Gold und Silber - das Regime rüstete zum Krieg.

1939 entließ Hitler die Spitze der Reichsbank

Wer sich noch Illusionen machte, bekam im Januar 1939 eine weitere
Chance, aufzuwachen. Hitler feuerte den Reichsbankpräsidenten
Hjalmar Schacht und mit ihm sechs von acht Mitgliedern des Reichs-
bankdirektoriums. Alle acht hatten eine vertrauliche »Eingabe an den
Führer und Reichskanzler« am 7. Januar unterzeichnet. Entlassen
64 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

wurde auch Wilhelm Vocke, der von 1948 bis 1957 der Bank deut-
scher Länder, der Vorläuferin der Bundesbank, vorstand, sowie Karl
Blessing, Präsident der Bundesbank von 1958 bis 1969.

Derselbe Schacht, der mit seinen Mefo-Wechseln bis 1937 nahezu die
Hälfte der Aufrüstung finanziert hatte, stellte sich vor die Reichsmark
und gegen Hitler, als er den Ruin der ihm anvertrauten Währung
kommen sah. Das Memorandum forderte nichts weniger als ein Ende
der staatlichen Schuldenmacherei und eine Rückkehr zu einer soli-
den Finanz- und Geldpolitik. Wörtlich: »In entscheidendem Maße
aber wird die Währung von der hemmungslosen Ausgabewirtschaft
der öffentlichen Hand bedroht. Das unbegrenzte Anschwellen der
Staatsausgaben sprengt jeden Versuch eines geordneten Etats, bringt
trotz ungeheurer Anspannung der Steuerschraube die Staatsfinanzen
an den Rand des Zusammenbruchs und zerrüttet von hier aus die
Notenbank und die Währung. Es gibt kein noch so geniales und aus-
geklügeltes Rezept oder System der Finanz- und Geldtechnik, keine
Organisation und keine Kontrollmaßnahmen, die wirksam genug
wären, die verheerenden Wirkungen einer uferlosen Ausgabenwirt-
schaft auf die Währung hintan zu halten. Keine Notenbank ist im-
stande, die Währung aufrechtzuerhalten gegen eine inflationistische
Ausgabenpolitik des Staates.« Wie aktuell!

Über diese »Vertrauliche Reichsbanksache« erfuhr die Öffentlichkeit


nichts, sie konnte sich aber auf die Entlassung Schachts ihren Reim
machen. Damit war der erste Anlauf des Jahrhunderts, die Goldmark
durch ein halbwegs stabiles Geld zu ersetzen, endgültig gescheitert.
Es folgte die Währungsreform vom 17. Juni 1948 und mit ihr eine
zweite Neuordnung der Geldverfassung, die 1999 mit dem Euro en-
dete - auch diesmal letztendlich mit Rücktritten in der deutschen
Zentralbank, wenn auch unter ganz anderen Umständen.
1939 entließ Hitler die Spitze der Reichsbank 65

Nachzutragen bleibt, dass der Zweite Weltkrieg kaum durch Staats-


anleihen, sondern über die Banken und Versicherungen finanziert
wurde. Es war eine Art von »geräuschloser« Kriegsfinanzierung. Hit-
ler wollte verhindern, dass die Finanzlage des Reichs öffentlich disku-
tiert wurde. Er fürchtete eine »finanzielle Volksabstimmung«.
Das Ergebnis blieb das gleiche. Als der Krieg zu Ende ging, war die
von der Schuldenverwaltung beurkundete Reichsschuld auf
379,8 Milliarden Reichsmark angeschwollen. Sie hatte sich seit 1938
mehr als verzehnfacht. 1923 verloren die Deutschen, je nachdem wie
sie angelegt hatten, fast alles. 1948 wurde 10 zu 1 umgestellt, teilweise
auch 10 zu 0,65. Ein freier Markt für Gold, das als übernationale
Währung nicht umgestellt werden konnte, ließ im Nachkriegs-
deutschland noch einige Jahre auf sich warten.

Gold schützte am besten vor der


Währungsreform

Wie eigentlich liefen Inflation und Währungsreform der 1920er-Jah-


re aus Sicht eines Sparers und Anlegers ab, der sein Vermögen so gut
wie möglich zusammenhalten wollte? Was hätte er tun sollen? Wel-
che Fehler hätte er vermeiden müssen?
Alles in allem ist er mit Gold am besten gefahren. Er musste aller-
dings der Versuchung widerstehen, seine Reichsgoldmünzen wäh-
rend des Ersten Weltkrieges und dann während der Hyperinflation
an die Reichsbank zu verkaufen. Zum Beispiel konnte er im Novem-
ber 1922 für 20 Goldmark gut und gerne 20.000 Papiermark kassie-
ren und im Juli 1923 schon 3 Millionen Mark. Für jemanden, der das
Risiko einer Währungsreform unterschätzte, konnte das wie ein gutes
Geschäft aussehen. Wenn er aber an seinen Goldmünzen unbeirrt
festhielt, die zeitweiligen Handelsbeschränkungen in Kauf nahm und
66 Das deutsche Trauma: Wenn Geld wertlos wird

später auch die Ablieferungspflicht im Dritten Reich missachtete,


konnte er nichts falsch machen. Die Währungen gingen, eine nach
der anderen, Gold blieb. Ende März 2012 kostete die Reichsgoldmün-
ze Wilhelm II. zu 20 Mark bei der Degussa 313,50 Euro oder umge-
rechnet 613,15 Deutsche Mark und damit mehr als das 30-fache der
Mark des Goldstandards.

Devisen wie der US-Dollar erfüllten in den 1920er-Jahren dieselbe


Funktion wie Gold, denn der Dollar war gegen Gold fixiert. Wenn
zum Beispiel im November 1923 der »Goldwert« einer 1-Billion-
Banknote ermittelt wurde, rechnete man über den Außenkurs der
Mark um (1 Dollar = 4,20 Goldmark). Als Präsident Franklin D. Roo-
sevelt 1933/1934 den Dollar stufenweise um insgesamt 40 Prozent
gegen Gold abwertete, traf das auch die deutschen Besitzer von Dol-
lars, nicht aber die Goldbesitzer. Es rächte sich, der offenbar so stabi-
len und unerschütterlichen amerikanischen Leitwährung vertraut zu
haben.
Deutsche Aktien waren im Prinzip keine schlechte Anlage, dies al-
lerdings bei enormer Volatilität. Nach Kriegsende verloren sie inner-
halb von zwei Jahren real, das heißt in Gold oder Dollar gemessen, 80
bis 90 Prozent, erholten sich anschließend, brachen bis zum Herbst
1922 wieder ein und haussierten dann in der letzten Phase der Hy-
perinflation so stark, dass sie sogar das Gold schlugen. Am besten
schnitten die Papiere aus dem Bergbau und der Schwerindustrie ab,
weil sie Sachwerte repräsentierten. Wer über die Gabe des perfekten
Timings verfügte, nahm seine Gewinne Ende 1923 am besten wieder
mit.
Eine Rechnung, die weniger gut aufging, war das Schuldenmachen
mit der Absicht, in entwertetem Geld zurückzuzahlen. Die weit ver-
breitete Annahme, dass eine alte Papiermark gleich eine neue Mark
sei, wurde hinfällig, als das Reichsgericht in Leipzig am 28. Novem-
Gold schützte am besten vor der Währungsreform 67

ber 1923 urteilte, dass die Rückzahlung von Schulden mit entwerte-
tem Geld nicht als Tilgung der Schuld gelte. Es folgten Millionen von
Prozessen, in denen sich die Gläubiger mit ihren Schuldnern ausein-
andersetzten.

Klarheit schaffte das Aufwertungsgesetz vom 16. Juli 1925. Da stellte


sich heraus, dass die Schulden des Staates ganz anders behandelt
wurden als die privaten. Unternehmensanleihen wurden um 15 Pro-
zent aufgewertet, Hypotheken um 25 Prozent. Das bedeutete für Im-
mobilienbesitzer, dass sich 1000 Mark Schulden aus der Zeit vor dem
1. Januar 1918, deren Wert eben noch bei null gelegen hatte, plötzlich
in 250 neue Reichsmark verwandelten. Von 1000 Mark in staatlichen
Kriegsanleihen blieben 25 Reichsmark laut Anleiheablösungsgesetz.
Bankguthaben, Kassenscheine und Reichsbanknoten wurden über-
haupt nicht aufgewertet. Sie gingen vollständig verloren. Besser ge-
stellt wurden mit einer Aufwertung von 12,5 Prozent die Guthaben
bei Sparkassen. Zusätzlich wurde eine Sondersteuer auf die Inflati-
onsgewinne privater Schuldner erhoben. Am Ende gab es nur einen
großen Profiteur, den Staat.
Von der ersten zur
zweiten Währungsreform
In einem Aufsatz mit dem Titel »Erinnerungen an deutsche Wäh-
rungsreformen« schreibt Professor Stefan Homburg, dass Währun-
gen nicht auf Dauer angelegt sind wie die Ehe oder ein Einfamilien-
haus, sondern dass es sich um kurzlebige Gebrauchsgegenstände
handelt. Er illustriert das mit dem Beispiel eines 1921 in Leipzig ge-
borenen Deutschen, der im Laufe seines Lebens sechs Währungen
miterlebt hat, die im Durchschnitt nur 15 Jahre hielten und bei dem
unklar sei, in welcher Währung die Beerdigungskosten zu entrichten
sein werden, falls er sehr alt wird.
Die sechs Währungen, das waren: die Mark des Kaiserreichs, die
auch nach 1923 sowohl als entwertetes Papier als auch in Form von
Reichsgoldmünzen kursierte; ab 1923 die Rentenmark, die auch im
Dritten Reich in kleineren Mengen noch als Zahlungsmittel benutzt
wurde; von 1924 bis 1948 die Reichsmark; dann die Mark der DDR
und mit der Wiedervereinigung die Deutsche Mark; und schließlich
der Euro, der am 1. Januar 1999 auf den Bankkonten als Buchgeld
auftauchte und am 1. Januar 2002 in Form von Banknoten und Mün-
zen ausgegeben wurde.
Und selbst wenn unser Bürger des Jahrgangs 1921 das Glück hatte,
in Westdeutschland geboren zu sein und ihm die schwindsüchtige
Ostmark erspart blieb, hatte er es genau genommen mit sechs Wäh-
rungen zu tun. Denn mit Gesetz von 1945 führte die »Militärregie-
rung Deutschland« die sogenannte Alliierte Militär-Mark als gesetz-
liches Zahlungsmittel ein - zusätzlich zur Reichsmark, wodurch die
ohnehin inflationäre Geldmenge noch mehr aufgebläht wurde.

Die Nennwerte dieses Besatzungsgeldes begannen bei 0,50 Militär-


Mark und endeten bei 1000. In Art. I des Gesetzes wurde befohlen,
dass niemand die Militär-Mark im Vergleich zu anderen gesetzlichen
Zahlungsmitteln »unterschiedlich behandeln« dürfe. Und in Art. III
wurde bei Verstößen dagegen die Bestrafung durch ein Gericht der
70 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

Militärregierung angedroht. Geahndet werde nach dessen Ermessen,


jedoch nicht mit Todesstrafe. Wenigstens das muss die besiegten,
ausgehungerten Deutschen ungemein beruhigt haben.
In seinem Aufsatz kommt Professor Homburg auch darauf zu
sprechen, wie die Leute immer wieder monetäre Gefahren unter-
schätzt und sich zu lange in Sicherheit gewogen haben: »Interessan-
tester und zugleich verstörendster Aspekt des Niedergangs der
Reichsmark ist der grenzenlose Langmut der Bevölkerung, die selbst
noch nach Kriegsende an die Stabilität ihrer Währung glaubte und
erst im Frühjahr 1948 misstrauisch wurde, als die Deutsche Mark
schon längst gedruckt war.«
Dazu liefert er - mit Blick auf den Euro - das anschauliche Bild ei-
ner »Ketchup-Inflation«. Zuerst reagiert die Plastikflasche nicht auf
Druck, dann kommt plötzlich der erste Schwall, der in eine unkon-
trollierte Preissteigerung mündet.

Sie staunten über die Inflation und


erschraken über die Steuern

Dass die deutsche Geldgeschichte mehr als einmal höchst unange-


nehme, schwer vorhersehbare Überraschungen bereithielt, lässt sich
auch aus den jährlichen Geschäftsberichten der Degussa herauslesen,
die zum Zweck des vorliegenden Buches durchgesehen wurden.
So wird am 10. August 1920 im Bericht des Vorstandes der »Deut-
schen Gold- und Silber-Scheideanstalt vormals Roessler«, wie sie da-
mals hieß, Klage geführt über die »unerträglichen uns aufgezwunge-
nen Friedensbedingungen«, über die »außerordentlich erhöhten«
Preise aller Rohstoffe und über die »Verteuerung der Lebensverhält-
nisse«. Dies verbunden mit dem Zusatz: »Es ist zu hoffen, dass jetzt
der Höhepunkt der Kurve erreicht ist, und man allmählich zu einem
Sie staunten über die Inflation und erschraken über die Steuern 71

Abbau der Kosten der Lebenshaltung und damit der Löhne und Ge-
hälter kommen kann.«
Das war 1920, nicht 1923! Im Sommer 1920 war der Höhepunkt
der Kurve nicht annähernd erreicht. Die Hyperinflation und die voll-
ständige Entwertung der Papiermark standen erst noch bevor. Nur
konnte das niemand ahnen - nach vier Jahrzehnten einer wertbe-
ständigen Goldmark, nach vier Jahrzehnten, in denen sich zwar
Preissenkungen und Preissteigerungen abwechselten, eine perma-
nente und sich beschleunigende Inflation jedoch unvorstellbar blieb.
Am 5. März 1923 berichtete der Degussa-Vorstand dann über eine
Geldentwertung, »wie wir sie nie für möglich gehalten hätten«. Han-
del und Industrie seien sich über die Entwicklung »erst nach und
nach mit Staunen und Schrecken klar geworden«.
Und am 31. März 1924, als der Spuk vorüber war, meldete der Vor-
stand, dass die bislang in Papiermark geführten Bücher keinen An-
halt über den Vermögensstand der Gesellschaft geben könnten und
dass auf den 30. September 1924 eine Goldmark-Bilanz aufgestellt
werde.

Ein anderes Novum, das die Zeitgenossen verblüffte und schockierte,


war nach dem Ende des Ersten Weltkrieges der abrupte Sprung vom
liberalen System des Kaiserreichs zum Steuerstaat der parlamentari-
schen Demokratie - ein zivilisatorischer Rückschritt, der uns als Erbe
des Ersten Weltkrieges erhalten blieb und der zu dem skurrilen Phä-
nomen passt, dass heute in der Bundesrepublik nicht etwa Steuer-
erhöhungen umstritten und beweispflichtig sind, sondern Steuersen-
kungen.
1919/1920 hatte der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger eine
Reihe von reichseinheitlichen Steuern eingeführt, darunter die Ein-
kommen-, die Körperschaft- und die Umsatzsteuer. Vorher hatte der
Spitzensatz der Einkommensteuer in Preußen bei vier Prozent gele-
72 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

gen, jetzt stieg er auf 60 Prozent. Völlig neu waren der automatische
Lohnsteuereinbehalt und die Außenprüfungen der Finanzämter.
Am 23. Januar 1925 nannte der Degussa-Vorstand Einkommens-
besteuerungen, die vom Umsatz oder vom Vermögen ausgehen, ein
»Unding«. Moniert wurde überdies die sich ausbreitende Bürokratie,
die »Steuer- und sonstigen Behörden«, die die Unternehmen »mit ei-
nem Übermaß unfruchtbarer Arbeit« belasteten. »Es wäre dringend
zu wünschen, dass bei dem erhofften Wiederaufblühen des deut-
schen Wirtschaftslebens auch die bisher für solche Zwecke bean-
spruchten Arbeitskräfte wieder produktiven Aufgaben zugeführt
werden könnten.« Die Hoffnung trog, der Befund ist auch nach
87 Jahren immer noch hochaktuell.

Kurzes Glück: Die Goldenen Zwanziger

Einmal abgesehen von den gewöhnungsbedürftigen Steuergesetzen,


markierte die Einführung der Reichsmark 1924 - wie auch die der
Deutschen Mark 1948 - eine wirtschaftliche Wende zum Besseren.
Die Deutschen genossen die »Goldenen Zwanziger«. In den Jahren
1924 bis 1929 erhöhte sich das Volkseinkommen pro Kopf im jährli-
chen Durchschnitt um vier Prozent, die Großhandelspreise blieben
stabil, die Verbraucherpreise stiegen nur moderat.
Und wieder wurden Warnsignale übersehen. Nicht anders als in
den USA glaubte man in Deutschland an einen dauerhaften Auf-
schwung, ja sogar an ein Ende der Konjunkturzyklen. Typisch dafür,
was der Vorstand der Degussa am 6. Februar 1929 der 57. Ordentli-
chen Generalversammlung mitzuteilen hatte. Die Vorstellungen über
Konjunkturentwicklungen hätten sich stark gewandelt, hieß es da,
heute seien andere Gesetze richtungsgebend. Früher hätten sich gute
und schlechte Konjunkturen periodisch abgelöst. »Das scheint heute
Kurzes Glück: Die Goldenen Zwanziger 73

nicht mehr der Fall zu sein.« Die Rede war von einer »früher ganz
ungewohnten Gleichmäßigkeit der Entwicklung« in den USA, und:
»In unserem eigenen Lande liegt es nicht anders.«
Ein paar Monate später krachte die Börse in New York. Am 7. Januar
1930 konstatierte der Degussa-Vorstand eine »fortschreitende Verwil-
derung der Zahlungssitten« in Deutschland. Am 13. Juli 1931 wurde
die Darmstädter und Nationalbank zahlungsunfähig. In Deutschland
kam es zu einem Run auf die Geldinstitute, und am 14. und 15. Juli
blieben die Banken und Sparkassen geschlossen.
Ebenfalls am 15. Juli 1931 entschloss sich die Berliner Regierung
zur Devisenbewirtschaftung. Sie wurde erst ein Vierteljahr hundert
später, in den Fünfzigerjahren, nach und nach aufgehoben. Im Juli
1931 wurden Devisen, das heißt Fremdwährungen wie der Dollar,
anzeigepflichtig. Sie wurden fortan kontingentiert, das heißt auf An-
trag zugeteilt. Auch für den Kauf ausländischer Aktien und Anleihen
musste eine Genehmigung eingeholt werden. Zweck der Übung war
es, den Kapitalabfluss aus Deutschland zu bremsen, was auch gelang.
Übrigens sehen auch die Euro-Verträge die Möglichkeit von Kapital-
verkehrskontrollen vor.

Vorhersehbar war der katastrophale Absturz der deutschen Wirt-


schaft 1931/1932 nicht, ebenso wenig die Massenarbeitslosigkeit und
die Deflation der Geldmengen und der Preise. Indizien dafür, dass es
sich beim Aufschwung der Zwanzigerjahre um eine Scheinblüte han-
deln könnte, gab es dennoch. Ablesbar war das am ehesten an der
Struktur der deutschen Zahlungsbilanz - auch dies eine Parallele zur
Krise des Euro, der noch stabil aussah, als sich die Leistungsbilanzen
Südeuropas bereits drastisch verschlechtert hatten.
Außer im Jahr 1926 blieb die deutsche Handelsbilanz in den Zwan-
zigerjahren permanent negativ. Finanziert wurde das Minus durch
ausländische Kredite, die nicht zuletzt dazu verwendet wurden, um
74 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

die Reparationen zu zahlen. So stieg die Verschuldung gegenüber


dem Ausland, und als die Amerikaner ihre kurzfristigen Gelder 1930
abzuziehen begannen, exportierten sie ihre Depression nach Deutsch-
land.
In der Finanzkrise 2008 verlief das etwas anders: Diesmal hatten
die deutschen Geldinstitute, auch mit den Einlagen ihrer Kunden,
amerikanische Immobilienanleihen in einem Volumen von über
1000 Milliarden Dollar gekauft und damit die US-Konjunktur ange-
heizt - Gelder, die zum großen Teil verloren gingen.

Parallelen zum Euro-Debakel

Der Transmissionsmechanismus der 1920er-Jahre ist vergleichbar


mit dem in der Euro-Zone nach 1999: Ungleichgewichte in der Au-
ßenbilanz, Deckung der Defizite durch Verschuldung im Ausland,
schließlich Umkehr der Kapitalflüsse, Kapitalflucht (1931 aus
Deutschland, nach 2008 aus Südeuropa), Ende der Party.

Um den Vergleich weiter zu strapazieren: Die Reichsregierung re-


agierte 1931 aus eigenem Entschluss auf den externen Schock, indem
sie die Geldmengen, Preise, Löhne und Gehälter schrumpfen ließ, die
Reichsmark nicht abwertete und damit eine bewusste Deflationspoli-
tik betrieb, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
zu erhöhen. Die Südeuropäer und Irländer wiederum konnten nicht
abwerten, weil sie der Euro-Zone angehörten. Sie versuchten ge-
zwungenermaßen, intern und real abzuwerten, indem sie Gehälter
und Sozialleistungen kürzten und die Schuldenaufnahme reduzier-
ten. Auch in Teilen Südeuropas nahm die Arbeitslosigkeit dramati-
sche Ausmaße an, eine Erinnerung an die Situation in Deutschland
1931 und 1932.
Parallelen zum Euro-Debakel 75

Von den meisten Wirtschaftshistorikern wird der Regierung Brü-


ning (1930-1932) bis heute vorgeworfen, sie habe mit ihrem Deflati-
onskurs den Aufstieg der NSDAP und die Machtergreifung Hitlers
möglich gemacht. Das kann man auch anders sehen. Zum einen
spielte das Versagen der demokratischen Parteien Hitler in die Hän-
de. Sie hatten zuletzt ja auch die Option, sich hinter die Regierung
des Generals von Schleicher (Dezember 1932 bis Januar 1933) zu
stellen. Zum anderen entsprach Brünings Politik den Wünschen der
ausländischen Gläubiger. Und vor allem waren Hyperinflation und
Währungsreform noch in frischer Erinnerung. Es ist normal, dass
vor allem den Übeln gewehrt wird, die man kennt.
Die Alternative wären massive Konjunkturprogramme auf Pump
gewesen, die - wenn die Österreichische Schule der Nationalökono-
mie recht hat - keine Probleme lösen, sondern sie nur verschleppen
und vergrößern. Wie auch immer, die Regierung Brüning legte, ohne
davon noch profitieren zu können, die Basis für den wirtschaftlichen
Aufstieg der Dreißigerjahre. Von 1933 bis 1938 stieg das reale Sozial-
produkt in Deutschland um über 50 Prozent, die Arbeitslosigkeit
sank, 1938 herrschte Vollbeschäftigung. Das war zwar auch den Be-
schäftigungsprogrammen, den noch von Heinrich Brüning initiier-
ten Arbeitsbeschaffungswechseln und der Finanzierung der Aufrüs-
tung durch die sogenannten Mefo-Wechsel zu verdanken - aber nicht
nur.

Einerseits litten Unternehmer und Arbeiterschaft unter Brünings


Deflationspolitik, andererseits blieben die Sparer, die 1923 alles ver-
loren hatten, verschont. Selbst 1932 lag die Rendite deutscher Anlei-
hen bei über acht Prozent - ein enorm hoher Realzins mitten in der
Deflation.
Deutschland unter dem nationalen
Sozialismus
Das Hitler-Regime vermied zunächst jeden Anschein einer neuerli-
chen Inflationspolitik und kaschierte das sich allmählich aufbauende
Inflationspotenzial 1936 durch einen Preisstopp, 1938 durch einen
Lohnstopp. Die Devisenkontrollen wurden ab 1934 verschärft, die
privaten Notenbanken - eine Hinterlassenschaft aus der Epoche des
Goldstandards - wurden abgeschafft, an die Stelle des freien Spiels
von Angebot und Nachfrage traten die staatliche Planung und Len-
kung der Wirtschaft. Ein nationaler Sozialismus mithin, der auch
ohne Krieg an seine natürlichen Grenzen gestoßen wäre.

Ein solches System war nicht kompatibel mit einem freien Gold-
markt. Der Edelmetall verarbeitenden Industrie wurden Kontingente
zugeteilt. Die Degussa als führende Scheideanstalt übernahm die
Verteilung und arbeitete mit der staatlichen Überwachungsstelle für
Edelmetalle zusammen. Die Informationen, die sich für die Zeit bis
1948 aus den Degussa-Geschäftsberichten herausziehen lassen, sind
dürftig. Nach 1945 wurde die Firma, deren Werke größtenteils zer-
stört waren, »entnazifiziert«. Der Vorstandsvorsitzende Hermann
Schlosser, im Krieg »Wehrwirtschaftsführer«, musste seinen Hut
nehmen, wurde vor Gericht gestellt, später aber rehabilitiert.
Als in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre die USA die Rolle der
Schweiz im Zweiten Weltkrieg aufs Tapet brachten, musste auch die
Degussa ihre Vergangenheit noch einmal bewältigen. Das Unterneh-
men und später die Evonik Industries, die die Chemiesparte der De-
gussa übernahm, entschieden sich für eine rückhaltlose Aufklärung,
finanzierten die Recherchen und gaben unabhängigen Wissenschaft-
lern uneingeschränkten Zugang zum Unternehmensarchiv. Die For-
schungsergebnisse zu rekapitulieren, würde den Rahmen unserer
Deutschland unter dem nationalen Sozialismus 77

Darstellung, die sich mit der deutschen Geldgeschichte aus Sicht des
Anlegers befasst, sprengen. Interessierte Leser seien auf die im Litera-
turverzeichnis aufgeführten Arbeiten von Ralf Banken und Peter
Hayes von der Northwestern University Illinois verwiesen.

Im Vorwort zu seinem 915-seitigen Buch schreibt Banken, die mit


dem staatlichen Bewirtschaftungssystem verbundenen Unternehmen
des Edelmetallsektors seien vor die Alternative gestellt gewesen, ent-
weder prinzipiell die Produktion aufzugeben oder aber die geraubten
Edelmetalle zu verarbeiten. Was im Folgenden über staatliche Zwangs-
maßnahmen des NS-Regimes, über Ablieferungspflichten, Enteig-
nungen und Verbote zu lesen ist, stützt sich weitgehend auf die um-
fangreiche Arbeit von Ralf Banken.
Wie erwähnt, waren Anleger in Deutschland, die ihr Geld in Si-
cherheit bringen wollten, schon ab 1931 mit Devisenkontrollen kon-
frontiert. 1936 wurde Hermann Göring zum Beauftragten für den
Vier jahresplan ernannt und damit auch zuständig für die Kontrolle
von Gold und Devisen. Dies allerdings in Konkurrenz zur Reichs-
bank, die unter Hjalmar Schacht eigene Prioritäten verfolgte, nach
und nach an Einfluss verlor und schließlich 1939, als die Zeichen auf
Krieg standen, endgültig gleichgeschaltet wurde.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Finanzen des Reichs
bis 1938 in keinem schlechten Zustand waren, dass das Inflationspo-
tenzial kontrollierbar blieb und dass aus ökonomischer Sicht nichts
auf den vollständigen Ruin der Reichsmark hindeutete. Im Zeitraum
1933 bis 1938 hatten sich laut Bundesbank das Sozialprodukt in Prei-
sen von 1936 von 62,8 Milliarden Reichsmark auf 99,2 Milliarden
erhöht, die Menge an Papiergeld und Münzen von 5,7 auf 10,4 Milli-
arden, die Bankeinlagen von 29,2 auf 42,9 Milliarden, der Verbrau-
cherpreisindex (1913/14 = 100) von 118 auf 125,6 und die Reichsver-
schuldung von 11,7 auf 19,1 Milliarden Reichsmark. Damit lag die
78 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

Staatsschuldenquote im letzten Friedensjahr bei rund 20 Prozent des


Sozialprodukts, verglichen mit den gut 80 Prozent der Bundesrepub-
lik Deutschland im dritten Jahr der Euro-Krise.
Auch die inflationsträchtige Finanzierung der Aufrüstung durch
die Mefo-Wechsel muss in Relation gesehen werden. Insgesamt wur-
den die Wechsel in einem Volumen von zwölf Milliarden Reichsmark
ausgegeben, von denen die Hälfte zur Reichsbank gelangte und von
dieser zu Geld gemacht wurde. Wegen der Fehlkonstruktion Euro
stehen heute ganz andere Summen auf dem Spiel - absolut gesehen
und auch in Relation zur Wirtschaftsleistung. Nach Angaben der Fi-
nanzwoche vom 24. Mai 2012 beläuft sich die Summe, die Deutsch-
land wegen des Euro und seiner Rettung riskiert, auf fast die Hälfte
des Sozialprodukts. Damit würde die deutsche Staatsschuld, die
schon jetzt die Maastricht-Grenze von 60 Prozent klar übersteigt,
weit über 100 Prozent emporschnellen.

Devisenkontrollen, Goldablieferung,
Kapitalflucht

Auch wenn das Hitler-Regime von der soliden Finanzpolitik der vor-
herigen Regierungen profitiert hatte, so blieb doch die Knappheit an
Devisen und Gold, die für die Bezahlung der Importe benötigt wur-
den. Daher die Bewirtschaftung und Kontingentierung der Edelme-
talle, auch des für die Rüstung wichtigen Platins. Daher auch die
Fortführung und Verschärfung der im Jahr 1931 eingeführten Devi-
senkontrollen.
Um die Devisenreserven des Reichs aufzufüllen, kam Berlin 1936
auf die Idee, dass die deutschen Anleger ihre ausländischen Wertpa-
piere und andere Auslandsvermögen verkaufen sollten - zunächst
freiwillig. Am 16. Oktober 1937 folgte die gesetzliche Verkaufspflicht.
Devisenkontrollen, Goldablieferung, Kapitalflucht 79

So kam durch die Veräußerung ausländischer Aktien und Anleihen


fast eine halbe Milliarde Reichsmark zusammen.

Eine Möglichkeit, das eigene Vermögen durch Krieg, Inflation und


Währungsreform zu retten, boten die Edelmetalle. Zunehmend ge-
hortet wurden Silbermünzen - und natürlich, soweit das machbar
war, Gold. Schon vor 1933 konnte man de facto die Noten der Reichs-
bank nicht mehr in Gold einlösen, ab 1939 auch de jure nicht mehr.
1939 endete zudem die offizielle Golddeckung der deutschen Wäh-
rung. Sie wurde auch 1948, als die Deutsche Mark neues gesetzliches
Zahlungsmittel wurde, nicht wieder eingeführt. Wurde Gold im Drit-
ten Reich verboten, wie oft zu lesen ist? Teils, teils. Ein freier Gold-
markt existierte nicht, kein Privatmann konnte auf legalem Weg Bar-
ren und Münzen kaufen. Bereits mit der Verordnung gegen die
Kapital- und Steuerflucht vom 18. Juli 1931 war der Besitz von Gold
und Devisen auf kleinere Mengen beschränkt worden, und zwar mit-
tels Anzeigeverpflichtung und Zwangsverkauf an die Reichsbank.

Im Oktober 1936 verordnete Göring die Ablieferung von außer Kurs


gesetzten Goldmünzen und anderem gemünzten und ungemünzten
Gold. Im Dezember 1936 folgte das Gesetz zur Gewährung von Straf-
freiheit bei Devisenzuwiderhandlungen - eingereicht wurde Gold im
Zuge der Amnestie im Gegenwert von 25,4 Millionen Reichsmark.
Schon vorher waren die Goldreserven der vier privaten Notenbanken
- immerhin 17 Tonnen im Wert von 47,6 Millionen Reichsmark -
eingezogen worden. Und schließlich wurden im Sommer 1938, wie
bereits erwähnt, auch noch die 10- und 20-Reichsmark-Goldmünzen
außer Kurs gesetzt, eingezogen und vergütet. Dieselben Abliefe-
rungspflichten galten in Österreich nach dem Anschluss, wobei den
privaten Verkäufern in Österreich zugute kam, dass der Schilling zu
einem überbewerteten Kurs auf Reichsmark umgestellt wurde.
80 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

Dennoch: Auch unter den Bedingungen einer Diktatur konnte


oder wollte der Staat nicht auf die gesamten Goldbestände zugreifen.
Der größere Teil blieb in Privatbesitz und erwies sich als hervorra-
gendes Wertaufbewahrungsmittel, als die Geldvermögen 1948 wie-
der einmal dezimiert wurden.
Nach einer Schätzung der Reichsbank vom 8. Juli 1936 besaßen die
Deutschen 200 Millionen Reichsmark in Goldmünzen, von denen
letztlich nur ein kleinerer Teil abgeliefert wurde, außerdem Trauringe
im Wert von 130 bis 150 Millionen und Schmuck im Wert von 200 bis
300 Millionen. Bei anderer Gelegenheit wurde der Schmuck auf bis
zu 600 Millionen geschätzt.
Goldschmuck musste nicht abgeliefert und verkauft werden. Weil
sich ein Markt für Gold nie wirklich verbieten und abschaffen lässt,
weil er mal legal, mal illegal, aber immer legitim ist, blühte der Erfin-
dungsreichtum: Gold wurde ins Ausland geschmuggelt und ermög-
lichte nicht wenigen Emigranten einen Neuanfang. Manche Scheide-
anstalten gaben Gold »unter der Hand« ab, Goldschmuck mit
geringem Fassonwert und damit niedrigem Aufpreis kam in den
Handel und war gefragt, sogar Zigarettenetuis aus Gold, die dann
auch prompt verboten wurden, worauf die Hersteller auf Platin aus-
wichen. Auch die Herstellung von Silberbestecken, Wein- und Sekt-
kühlern mit hohem Silbergehalt wurde untersagt. Eine beliebte An-
laufstelle für Goldkäufer waren auch die Leihhäuser.

In einer ganz anderen Situation als die Mehrheit der Deutschen war
die entrechtete jüdische Minderheit. 1933 und 1934 konnten jüdische
Bürger, die auswandern wollten, Schmuck und Gegenstände aus Edel-
metall noch mitführen - nicht aber in- und ausländische Goldmün-
zen. Ab 1936 wurde die Gestapo eingeschaltet, Schmuck und andere
Edelmetallwaren wurden bei Auswanderern beschlagnahmt. Schließ-
lich wurde die Mitnahme von Gold und Platin generell verboten.
Was 1948 übrig blieb 81

1938 verschärfte sich die Kapitalflucht in die Nachbarländer, ins-


besondere in die Schweiz, wobei »gewerbsmäßig betriebene
Schmugglerringe« (Ralf Banken) aktiv waren. Fazit: Je später ein
deutscher Jude auswanderte, desto weniger blieb ihm von seinem Ei-
gentum, desto mehr wurde er ausgeplündert. Mit der Vermögenser-
klärung vom 26. August 1938 musste der gesamte jüdische Privatbe-
sitz an Edelmetallen offengelegt werden. Enteignung und Entrechtung
gingen der Vernichtung voraus.

Was 1948 übrig blieb

Wer die Massenmorde, wer Krieg und Vertreibung überlebte und


nach 1945 noch Geldvermögen und Immobilien besaß, wurde nach
dem 20. Juni 1948 zur Ader gelassen. Die Reichsmark wurde teils 10
zu 1 auf Deutsche Mark umgestellt, teils noch schlechter. Dann kam
mit dem Lastenausgleichsgesetz eine Vermögensabgabe in Höhe von
50 Prozent des vermögenssteuerpflichtigen Vermögens mit einem
Freibetrag von maximal 5000 Mark für natürliche Personen. Die Ab-
gabe konnte über einen Zeitraum von 30 Jahren abgestottert werden.
Wer geglaubt hatte, er könne den Staat, die Geldentwertung und
die Währungsreform austricksen, indem er sich in schlechter Reichs-
mark verschuldete, sah sich getäuscht. Eine Hypothek von beispiels-
weise 100.000 Reichsmark verschwand 1948 nicht etwa. Der Immo-
bilienbesitzer schuldete nun seiner Bank 10.000 Deutsche Mark und
dem Finanzamt 90.000, die in das Grundbuch eingetragen wurden.
Umstellungsgewinne von gewerblichen Betrieben wurden per Gesetz
über eine Kreditgewinnabgabe abgeschöpft.
Gewinner der Währungsreform war wieder einmal der Staat. In
dem bereits zitierten Aufsatz von Professor Homburg wird aus einer
Bundestagssitzung vom 27. Januar 2011 zitiert, in der ein SPD-Abge-
82 Von der ersten zur zweiten Währungsreform

ordneter einen Lastenausgleich samt Vermögensabgabe forderte.


Déjà vu.
Und Gold? Auch nach der Währungsreform durften Edelmetalle
im Rohzustand oder legiert nur an das Edelmetall verarbeitende Ge-
werbe, nicht aber an Privatpersonen abgegeben werden. Erst am
25. Oktober 1954 gab die Bank deutscher Länder, die Vorläuferin der
Bundesbank, den innerdeutschen Handel mit Goldmünzen frei, auch
für Privatpersonen. Und im Geschäftsbericht 1956/57 konnte die
Degussa melden:
»Von besonderer Bedeutung war im abgelaufenen Geschäftsjahr
die völlige Freigabe des Verkehrs mit Edelmetallen innerhalb der
Bundesrepublik ab 1. April 1957 bei fast gleichzeitiger Aufhebung al-
ler Höchstpreisvorschriften. Gut 25 Jahre lang durften Edelmetalle
nur für industrielle und gewerbliche Zwecke eingeführt und im In-
land gehandelt werden, zeitweise sogar beschränkt auf besonders
vordringliche Anwendungsgebiete. Dem Privatmann war es während
dieses Vierteljahrhunderts untersagt, Edelmetall zu erwerben oder
über bestimmte Mindestgrenzen hinaus zu besitzen. Lediglich Gold-
münzen durften bereits seit Oktober 1954 in der Bundesrepublik ge-
handelt und seit Juni 1956 auch in sie eingeführt werden ... Die Frei-
gabe ist aber für den gesamten Edelmetallbereich von einer
Bedeutung, die - auch vom internationalen Standpunkt aus - nicht
hoch genug eingeschätzt werden kann. Nur ganz wenige Länder er-
freuen sich einer so liberalen Regelung.«

Endlich, nach Depression, Diktatur, Krieg, Inflation und Währungs-


reform: ein freies Land, ein freier Goldmarkt.
Wohlstand für alle:
Der unglaubliche Aufstieg
der Deutschen Mark
Als die verarmte, desillusionierte Bevölkerung Westdeutschlands am
Sonntag, dem 20. Juni 1948, die Lebensmittelkartenstellen aufsuchte,
um dort die erste Rate ihres Kopfgeldes in Empfang zu nehmen, da
konnte niemand ahnen, dass dieser Tag zur Initialzündung einer au-
ßergewöhnlichen Erfolgsgeschichte werden sollte.
Das Kopfgeld in Höhe von 40 Mark - seltsame, in den USA und
England gedruckte Banknoten in amerikanischem Design und ohne
Unterschrift - und die damit verbundene Währungsreform waren
nur der eine Aspekt dieses Neuanfangs.
Für den anderen Teil zeichnete Ludwig Erhard, damals so etwas
wie der Wirtschaftsminister der britisch-amerikanischen Zone, ver-
antwortlich. Er lockerte an diesem 20. Juni die Bewirtschaftungs-
und Preisvorschriften und leitete damit die Liberalisierung der west-
deutschen Wirtschaft ein.
Als ihm der oberste amerikanische Besatzungsoffizier, General Lu-
cius Clay, daraufhin vorwarf, die Vorschriften ohne seine Genehmi-
gung abgeändert zu haben, gab Erhard die klassische Antwort: »Ich
habe sie nicht abgeändert, ich habe sie abgeschafft.«

Zwar bestand das Gesetz gegen Preistreiberei zunächst weiter, zwar


wurde der Preisstopp für bebautes Land und Trümmergrundstücke
erst Ende 1952 aufgehoben, zwar blieb der Außenhandel vorerst reg-
lementiert, zwar mussten die Bundesbürger bis 1958 warten, bis sie
Fremdwährungskonten bei ausländischen Banken unterhalten durf-
ten - aber die neue Richtung der Politik wurde von Ludwig Erhard
schon am 20. Juni klar vorgegeben. Die Währungsreform war zu-
gleich die Geburtsstunde der Marktwirtschaft in Deutschland.
Anfang 1946 hatte das amerikanische Außenministerium eine
Kommission einberufen, die die Währungsreform vorbereiten sollte.
Ihr gehörten zwei in Deutschland geborene Wissenschaftler an: Ger-
hard Colm und Raymond Goldsmith. Die Kommission begann ihre
86 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

Arbeit im März 1946 und legte schon zwei Monate später ihren
Schlussbericht vor, nachdem sie 30 verschiedene deutsche Pläne für
eine Währungsreform begutachtet hatte. Man empfahl eine Umstel-
lung 10 zu 1 sowie einen Lastenausgleich in Deutschland.
Schon bald nach Kriegsende verkehrten sich die politischen Fron-
ten in Europa. Die USA gingen auf Konfrontation zur Sowjetunion,
mit der zusammen sie eben noch Deutschland besiegt hatten, und
diese Umkehr der Allianzen ersparte den Deutschen eine unabsehbar
lange, miserable Besatzungsexistenz. Bereits 1946 zeichnete sich ab,
dass sie - aus amerikanischer Sicht - wieder gebraucht würden.

Nachdem die USA entschieden hatten, die Währungsreform auf


Westdeutschland zu begrenzen, wurde in einer Kaserne in Rothwes-
ten bei Kassel eine Gruppe deutscher Experten zusammengezogen.
Innerhalb von 49 Tagen arbeiteten sie alle notwendigen Gesetze, Pro-
klamationen und Anweisungen für die Umstellung aus - unter stren-
ger Geheimhaltung, vollständig isoliert von der Außenwelt.
Eine Schlüsselrolle spielte dabei der amerikanische Offizier Ed-
ward Tenenbaum, eine respektable Leistung für einen 25-jährigen
Volkswirt. Als sich die Gerüchte über eine bevorstehende Währungs-
reform verdichteten, bekamen es alle diejenigen mit der Angst zu
tun, die auf großen Mengen von Schwarzgeld saßen. Die Nachfrage
nach Geldmünzen war groß, weil man - zu Recht - annahm, diese
würden bis auf Weiteres im Umlauf bleiben. Als am 20. Juni der erste
Teil des 60-Mark-Kopfgeldes - nämlich 40 Mark - im Tausch gegen
die gleiche Menge Altgeld ausgegeben wurde, erhielt jeder ein For-
mular. Darauf musste er seinen gesamten Besitz an Reichsmark-No-
ten und seine Bankguthaben anmelden. Viele Schwarzhändler zogen
es vor, ihre Bestände an Reichsmark zu vernichten.
Im Prinzip wurde, wie erwähnt, 10 zu 1 umgestellt, die teilweise
blockierten Bank- und Sparguthaben am Ende jedoch noch schlech-
Der unaufhaltsame Niedergang der Ostmark 87
ter, nämlich 10 zu 0,65. Denn ein Teil der Einlagen bei den Geldinsti-
tuten wurde gestrichen.
Abgewertet wurden auch die Renten- und Lebensversicherungs-
verträge, nicht jedoch die Leistungen aus der Sozialversicherung, den
Pensionen und Leibrenten. Sie wurden zu 100 Prozent umgestellt.
Ebenso Gehälter, Mieten und andere wiederkehrende Leistungen. Es
war mithin ein Missverständnis, wenn man 1990 in der DDR glaubte,
die Umstellung der Löhne sei durch das Verhältnis der Währungsre-
form präjudiziert. Es wäre 1990 vernünftiger gewesen, wie 1948 10
zu 1 umzustellen, die neuen Bundesländer auf einen Schlag zu ent-
schulden, gleichzeitig aber die Kaufkraft der Löhne zu erhalten.
Die Währungsreform machte weitaus mehr Gesetze notwendig
und war viel komplizierter, als hier dargestellt werden kann. Das Ge-
setz zum Abschluss der Währungsumstellung ließ bis zum 17. De-
zember 1975 auf sich warten. Dennoch bleibt festzuhalten, dass eine
Währung sehr schnell auf eine andere umgestellt werden kann, wenn
das politisch gewollt ist und wenn die Vorbereitungen geheim gehal-
ten werden.

Der unaufhaltsame Niedergang der Ostmark

Die Einführung der Deutschen Mark und die Blockade Westberlins


durch die Sowjets am 24. Juni markierten zugleich die Spaltung
Deutschlands. Auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) wur-
de umgestellt. Vom 24. bis 28. Juni hatte die Bevölkerung Zeit, ihre
Reichsmark-Banknoten bei den Geldinstituten abzuliefern. Im Allge-
meinen wurde auch in der SBZ 10 zu 1 umgetauscht. Für jeweils
10 Reichsmark gab es 1 »Ostmark«. Offiziell hieß sie zunächst eben-
falls »Deutsche Mark«, dann ab 1964 »Mark der Deutschen Noten-
bank« und ab 1968 »Mark der Deutschen Demokratischen Republik«.
88 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

Kurioserweise kursierte die SBZ-Mark während der Blockade auch


in Westberlin. Dort mussten schon im Juli 2 Ostmark für 1 Deutsche
Mark gezahlt werden, im Herbst sogar 4 Mark. Erst ab März 1949 galt
die Deutsche Mark als alleiniges gesetzliches Zahlungsmittel im
Westteil der früheren Reichshauptstadt. Zu einer werthaltigen, ge-
schweige denn konvertiblen Währung wurde die Ostmark nie. Sie
durfte nicht ausgeführt werden, die Geldmenge wuchs schneller als
das Warenangebot, ein eigentlicher Kapitalmarkt konnte sich nie ent-
wickeln, die Preise wurden vom Staat administriert und künstlich tief
gehalten.

Das Resultat war eine zurückgestaute Inflation, vergleichbar mit der


in den Kriegsjahren. Die Bürger der SBZ gewöhnten sich mit der Zeit
an den Umgang mit zwei Währungen: dem Spielgeld der DDR und
der Deutschen Mark, die nach und nach zur Parallelwährung aufstieg
und mit der in den Intershops westliche Waren eingekauft werden
konnten, was den notorisch knappen Devisenreserven des DDR-
Regimes zugutekam.
Die Existenz der sozialistischen Währung, die genau genommen
keine war, endete am 1. Juli 1990 mit der Deutschen Währungsunion,
genauer: mit dem Anschluss an das Währungsgebiet der Deutschen
Mark. Teils wurde 1 zu 1 umgewechselt, teils 2 zu 1, im Durchschnitt
1,8 zu 1. Deutschland bzw. das, was nach zwei Kriegen davon übrig
geblieben war, besaß nach 42 Jahren der Spaltung wieder ein gemein-
sames Geld.
Schon 1958 hatte Deutschland
Großbritannien überholt

Nachdem Konrad Adenauer am 15. September 1949 mit einer Stim-


me Mehrheit zum ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land gewählt worden war, sagte er einmal, der hauptsächliche Zweck
des neuen Staates sei die Kapitalbildung. Das war eine sehr kluge Be-
merkung. Dieses neue Gebilde im Herzen Europas zeigte nie territo-
riale Ambitionen, betrieb nie klassische Machtpolitik, strebte nie den
Oberbefehl über seine eigenen Streitkräfte an.
Stattdessen entwickelte Deutschland das, was der Publizist Walter
Wannenmacher das »venezianische Potenzial« nannte. Deutschland
wurde zum wirtschaftlichen Kraftzentrum Europas, stieg zum zweit-
größten Exporteur der Welt auf, erzielte riesige Handelsbilanzüber-
schüsse, baute das durch den Krieg verlorene Auslandsvermögen
nach und nach wieder auf, legte sich neue Goldreserven zu und avan-
cierte mit der Zeit hinter Japan zum zweitgrößten Gläubiger der Welt,
während die Siegermacht USA in die Position des weltgrößten
Schuldners abrutschte.

Ludwig Erhard selbst bestritt gerne, dass das Wirtschaftswunder


überhaupt ein solches gewesen sei. Und doch: Die Geschwindigkeit
des Aufstiegs mutet auch im Rückblick atemberaubend an. Im Jahr
ihrer Gründung ließ sich die Bundesrepublik vielleicht am besten mit
Großbritannien vergleichen, der damals führenden Industrienation
Westeuropas: dieselbe Staatsfläche, dieselbe Einwohnerzahl, fast die-
selbe Fläche an Ackerland.
Aber sonst: welch ein Unterschied! 1949 machte die westdeutsche
Industrieproduktion 10,4 Milliarden Dollar aus, die britische 17,3 Mil-
liarden. Ebenfalls 1949 beliefen sich die westdeutschen Ausfuhren auf
1,1 Milliarden Dollar, die britischen auf 6,6 Milliarden. Aber schon
90 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

1958 hatte die westdeutsche Industrieproduktion die britische weit


überholt. Und im Export lagen beide Länder 1958 gleich auf.
Dabei hätten die Ausgangsbedingungen nicht unterschiedlicher
sein können. Während der Krieg in England nur begrenzte Zerstö-
rung hinterlassen hatte, glichen die westdeutschen Großstädte Trüm-
merwüsten. Bei einer Arbeitslosenquote, die noch 1950 bei elf Pro-
zent lag, strömten gewaltige Flüchtlingsmassen in das ruinierte Land
- 11,5 Millionen Menschen bis 1958.
Und Deutschland musste für den verlorenen Krieg teuer zahlen.
Bei einer ohnehin ärmlichen Kapitalausstattung wurde demontiert,
wurden die wertvollen Patente enteignet, wurden hohe Besatzungs-
kosten auferlegt, die selbst zur Zeit des ersten Kabinetts Adenauer bis
zu einem Drittel des jährlichen Haushaltes beanspruchten. Die
1,4 Milliarden Dollar aus dem Marshall-Plan - von mehr als 13 Mil-
liarden für Westeuropa insgesamt - waren gewiss eine Starthilfe.
Aber sie machten nur einen kleinen Teil dessen aus, was von den Sie-
gern in verschiedenster Form vorher und nachher herausgeholt wur-
de. Zum Beispiel musste Westdeutschland Kohle und andere Güter
zu den niedrigen inländischen Festpreisen exportieren, während für
Einfuhren in der Regel die amerikanischen Preise gezahlt werden
mussten, die oft weit über den Weltmarktpreisen lagen.
Und doch gelang der große Sprung nach vorn innerhalb von zehn
Jahren. In den Fünfziger jähren kam es nie zu einem Stillstand des
Wirtschaftswachstums, die Arbeitslosigkeit ging immer nur zurück,
ab 1951 war die Leistungsbilanz im Plus, ab 1953 wurden jährlich
500.000 Wohnungen oder mehr fertiggestellt.

In dieser Zeit setzte die neue Währung Muskeln an. In den Fünfziger-
jahren verdoppelte sich das reale Sozialprodukt Deutschlands. Bis
Ende 1958 konnte die Notenbank Auslandsaktiva in Höhe von
27 Milliarden Mark anhäufen, darunter Goldreserven im Gegenwert
Schon 1958 hatte Deutschland Großbritannien überholt 91

von elf Milliarden Mark. Bereits 1958 hatte Deutschland 9,2 Prozent
der Weltexporte erobert. Die Periode von 1951 bis 1961 erbrachte fast
ununterbrochen hohe Überschüsse in der Handels- und Leistungsbi-
lanz, die sich auf 43 Milliarden Mark kumulierten. Ein krasser Unter-
schied zum Euro-Regime, unter dem die deutschen Handelsbilanz-
überschüsse ebenso wie der Großteil der Bundesbankgewinne
europäisiert werden und sich damit verflüchtigen - siehe dazu die
Publikationen von Professor Dieter Spethmann.
Verglichen mit den frühen Fünfzigerjahren nahmen sich spätere
Herausforderungen, vor die die deutsche Wirtschaft gestellt war, ge-
radezu harmlos aus. Aber in der Ära Erhard stimmten eben die Vor-
gaben und Rahmenbedingungen der Politik. Bürokratie wurde in
großem Maßstab abgebaut, es wurde dereguliert, die Steuern wurden
gesenkt, die Regierung bunkerte Überschüsse im sogenannten Julius-
turm, es wurde investiert statt umverteilt.

Die Bundesbank: Eine deutsche


Erfolgsgeschichte

Am 1. Januar 1958 übernahm Karl Blessing das Amt des Präsidenten


der 1957 gegründeten Deutschen Bundesbank. Er blieb bis 1969. Auf
ihn folgten Karl Klasen, Otmar Emminger, Karl Otto Pohl, Helmut
Schlesinger und - als letzter Hüter einer souveränen deutschen Wäh-
rung - Hans Tietmeyer, der unter Kohl bei der Euro-Einführung
maßgeblich mitgearbeitet hatte und der 1999, als der Euro als Buch-
geld auf den Bankkonten auftauchte, von einem außergewöhnlich
schwachen Bundesbankpräsidenten namens Ernst Welteke abgelöst
wurde.
Die Deutsche Mark und die Notenbank waren - anders als nach
der Reichsgründung 1871 - älter als der neue Staat. Schon ab Januar
92 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

1947 wurden die Landeszentralbanken nach und nach etabliert, sie


waren den Alliierten unterstellt. Am 1. Mai 1948 folgte als Vorläufer
der Bundesbank die Bank deutscher Länder mit Sitz in Frankfurt am
Main. Ihr Grundkapital lag bei den Landeszentralbanken, wohinge-
gen die spätere Bundesbank von Anfang an dem Bund gehörte.
Paragraf 12 des Bundesbankgesetzes legte fest, dass die Bank »von
den Weisungen der Bundesregierung unabhängig« sein sollte. Damit
war die Solidität der ihr anvertrauten Währung allerdings noch nicht
garantiert. Der Zusammenhang zwischen der Unabhängigkeit einer
Notenbank und dem Geldwert ist nicht so zwingend, wie es scheinen
mag. Die Reichsbank des Kaiserreichs unterstand eindeutig der Re-
gierung, was aber unter dem Regime des Goldstandards nicht im Ge-
ringsten schadete. Andererseits wurde die Reichsbank 1922 auto-
nom, was aber die Hyperinflation nicht verhinderte.

Auch die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank wurde nach


dem Vorbild der Bundesbank vertraglich sauber geregelt. Sie steht je-
doch seit dem Frühjahr 2010 mehr oder weniger nur noch auf dem
Papier, weil die deutschen Vertreter in der EZB seitdem in die Mino-
rität geraten sind und weil die Mehrheit sich entweder an den Wün-
schen ihrer nationalen Regierung orientiert oder etwas andere Vor-
stellungen von den Aufgaben einer Zentralbank hat als die Deutschen.
Die Direktoren der Bank deutscher Länder und der Bundesbank
in der Ära Blessing, von denen die Hälfte zeitweise sogar mehr aus
der alten Reichsbank kamen, mussten sich erst einmal gegen die Bun-
desregierung durchsetzen. Hätten sie klein beigegeben, wäre die D-
Mark wohl kaum zu einer solchen Erfolgsgeschichte geworden.
Das vielleicht entscheidende Datum war der 26. Oktober 1950, als
eine Zinserhöhung zur Debatte stand. Es kam zum Zusammenstoß
mit Konrad Adenauer, der Zentralbankrat setzte sich durch, und da-
mit war ein für allemal geklärt, wer für die Zinspolitik zuständig war.
Die Bundesbank: Eine deutsche Erfolgsgeschichte 93

Ein gutes Beispiel dafür, dass in der Politik eine Kraftprobe nicht früh
genug gesucht werden kann, wenn es um Grundsätzliches geht.

In den allerersten Jahren sah es um die junge D-Mark nicht gut aus.
Die Preise stiegen nach der Währungsreform rasant, die Gewerk-
schaften organisierten im November 1948 einen Generalstreik, die
Zahlungsbilanz verschlechterte sich im Sommer 1950 dramatisch,
die deutsche Kreditquote bei der neu gegründeten Europäischen
Zahlungsunion (EZU) war fast völlig ausgeschöpft. 1951 stiegen die
Verbraucherpreise um 7,7 Prozent. Eine Zeit lang wurde sogar über
die Möglichkeit einer DM-Abwertung diskutiert.
Auf Bitten der Regierung hatte der Zentralbankrat seine Sitzung
an jenem 26. Oktober 1950 in das Museum König in Bonn verlegt, in
dem damals vorübergehend das Kanzleramt untergebracht war. Ade-
nauer und die übrigen Regierungsmitglieder waren im Protokoll als
»Gäste« aufgeführt.
Der Kanzler plädierte gegen die geplante Zinserhöhung. Dazu hat-
te er sich offenbar mit seinem Freund, dem Bankier Pferdmenges, be-
raten, der in Bonn als graue Eminenz galt. Adenauer beschloss seinen
Vortrag mit dem Argument: »Im Übrigen ist Herr Pferdmenges als
Sachkenner absolut gleicher Meinung.« Nur Bundeswirtschaftsmi-
nister Erhard sprach sich für eine Zinserhöhung aus. Nur so könne
man hoffen, die Zahlungsbilanz wieder zu verbessern. Darauf Ade-
nauer unwirsch: »Ach, hören Sie nicht auf den.«
Die Notenbanker waren nicht beeindruckt. Nachdem der Kanzler
und seine Minister abgezogen waren, beschloss der Zentralbankrat,
den Diskontsatz von vier auf sechs Prozent anzuheben. Im Februar
1956 kam es noch einmal zum Krach, als Adenauer in einer Rede in
Köln gegen zwei Diskontsatzerhöhungen polemisierte. Wieder stand
Erhard auf der Seite der Notenbank, auch diesmal konnte sich der
Regierungschef nicht durchsetzen.
94 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

So vollzog sich - nicht etwa per Zufall, sondern dank richtiger


Weichenstellungen - der Aufstieg dieses unscheinbaren Besatzungs-
geldes zum Weltstar und zum mächtigen Konkurrenten des Dollars.
Abgesehen von dem Sonderfall 1949, als das Britische Pfund abwer-
tete und mit ihm die Deutsche Mark, kam es nie wieder zu einer D-
Mark-Abwertung unter dem System von Bretton Woods - immer
nur zu Aufwertungen. Schon 1952 waren Zahlungsbilanzkrise und
Devisenknappheit nur noch eine schlechte Erinnerung. Niemand
sprach mehr von einem »strukturellen« Leistungsbilanzdefizit der
Bundesrepublik.

Inflation und Schulden in der Ära der D-Mark

1949 war die Mark, die zuvor bei 3,33 zum Dollar fixiert war, zur Vor-
kriegsparität von 4,20 Mark zurückgekehrt. Dabei blieb es bis zur
Aufwertung von 1961, mit der den inflationären Tendenzen und
übermäßig großen Leistungsbilanzüberschüssen entgegengewirkt
werden sollte, die damals im Ausland Missfallen erregten.
Es sagt sich leicht und ist allgemeiner Konsens, dass die Deutsche
Mark seit den Fünfzigerjahren bis zu ihrem Ende neben dem Schwei-
zer Franken die stabilste Währung Europas oder sogar der Welt war.
Aber was ist damit eigentlich gemeint? Wie kann eine Währung »sta-
biler« als andere sein? Entweder ist sie stabil oder instabil. Fragt sich
nur, in Bezug worauf.
Wenn wir uns den Binnenwert anschauen, dann war überhaupt
keine Währung stabil. Im Zeitraum von 1948 bis 1998, dem letzten
Jahr der deutschen Währungssouveränität, verlor die D-Mark gemes-
sen an den offiziellen Verbraucherpreisen gut drei Viertel ihrer Kauf-
kraft - in Wirklichkeit wahrscheinlich noch mehr.
Inflation und Schulden in der Ära der D-Mark 95
Von Preisstabilität wie zu Zeiten des klassischen Goldstandards,
als die Preise zeitweise fielen und zeitweise stiegen, per Saldo der
Geldwert aber erhalten blieb, konnte keine Rede sein. Relativ zu an-
deren Währungen schnitt die Mark allerdings hervorragend ab. Der
Französische Francs etwa oder die Italienische Lira hatte schon in der
Mitte der Siebziger)ahre und nicht erst 1998 im Vergleich zu 1950
drei Viertel ihrer Kaufkraft eingebüßt.
Selbstverständlich verlief der inflationäre Prozess auch in Deutsch-
land nicht linear, sondern zyklisch. In der ersten Phase von 1948 bis
1969 erfreute sich Deutschland, um die Diktion der Bundesbank zu
verwenden, eines »hohen Maßes an Preisstabilität«. Es kam zu inflati-
onären Ausreißern (1951 mit einem Anstieg der Verbraucherpreise
um 7,7 Prozent, 1966 mit einem Plus von 3,5 Prozent), aber am Ende
der Sechzigerjahre lag die Preissteigerungsrate wieder bei 1,9 Prozent.

Die Spitze wurde 1974 mit einer Inflationsrate von 6,9 Prozent im
Jahresvergleich erreicht. Ende 1973 hatten die ölexportierenden Staa-
ten beschlossen, die Ölpreise zu vervierfachen. Und Anfang 1974
meldeten sich die Gewerkschaften mit exorbitanten Lohnforderun-
gen. Es drohte eine Lohn-Preis-Spirale, eine Vorwegnahme erwarte-
ter Inflation durch hohe Tarifabschlüsse, wodurch die Inflation wei-
ter angeheizt wurde.
Die Experten waren sich nicht mehr sicher, ob die Geldentwertung
in Deutschland noch zu zügeln sei. Die Bundesbank trat auf die
Bremse, die Inflation schwächte sich ab, und eine Jahresrate von über
sechs Prozent wurde erst 1981 vorübergehend wieder erreicht. Da-
nach ging die Inflation in den Achtzigerjahren deutlich zurück. 1986
sanken die Preise sogar um 0,2 Prozent. Erst die Wiedervereinigung
brachte Anfang der Neunzigerjahre einen neuen Inflationsschub.
Einmal abgesehen davon, dass Deutschland 1948 nicht zur Gold-
deckung zurückgekehrt war, war es der Bundesbank trotz Geldmen-
96 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

gensteuerung nicht möglich, den Binnenwert der Mark stabil zu hal-


ten. Sie operierte schließlich nicht in einem luftleeren Raum.
Einerseits war die Deutsche Mark Teil des dollarbasierten internatio-
nalen Finanzsystems und damit dessen Krisen ausgesetzt. Anderer-
seits ist, um Joseph A. Schumpeter zu zitieren, der Zustand des Geld-
wesens eines Volkes ein Symptom aller seiner Zustände.
Und diese Zustände änderten sich eben. »Mit dem wirtschaftli-
chen Erfolg«, so Norbert Kloten über die Sechzigerjahre, »begannen
sich in der Bundesrepublik erste Anzeichen eines Anspruchsdenkens
bemerkbar zu machen«. Das hielt sich in Grenzen, solange Konrad
Adenauer (1949-1963) und Ludwig Erhard (1963-1966) im Kanzler-
amt saßen. Und es uferte aus unter Willy Brandt (1969-1974), als in
Deutschland die Reformitis grassierte und der für Sozialisten typi-
sche Umgang mit Geld zum Normalfall wurde.
Die Vorstellung, dass der Staat mehr umverteilen müsse, als er an
Steuern einnimmt, dass er für alles und jeden zuständig ist, dass sich
der Wohlstand steigern lässt, indem Schulden gemacht werden, ist
ein typisches Phänomen des längst nicht mehr auf die SPD begrenz-
ten Sozialdemokratismus. Die Tugenden und Voraussetzungen des
Wirtschaftswunders gerieten in Vergessenheit.
Ablesen lässt sich das vielleicht am besten an der Entwicklung der
Staatsschulden. Abgesehen von den Auslandsschulden, die nicht ein-
fach gestrichen werden konnten, begann die öffentliche Hand in der
Stunde null der Währungsreform praktisch schuldenfrei. In ihrer
Währungsgeschichte (siehe Literaturverzeichnis) spricht die Bundes-
bank von einem »Leerraum«, der für den Aufbau einer neuen Ver-
schuldung bestand und der zunächst nur zögernd ausgefüllt wurde.
Ende 1959 belief sich die gesamte Verschuldung der öffentlichen
Haushalte in der Bundesrepublik auf 19,2 Milliarden Mark, Ende
1969 auf 94,69 Milliarden und Ende 1974, als Willy Brandt schon zu-
rückgetreten war, auf 167 Milliarden.
Inflation und Schulden in der Ära der D-Mark 97
1969, als mit Franz Josef Strauß der vorerst letzte bürgerliche Fi-
nanzminister abdankte, war Deutschland mit 19,8 Prozent des Brut-
toinlandsproduktes verschuldet - aus heutiger Sicht eine traumhaft
niedrige Quote. Dann legten die Regierungen Brandt und Schmidt
(1974-1982) neun große Konjunkturprogramme auf, ohne dass des-
wegen die Arbeitslosigkeit fühlbar verringert werden konnte. Von
1975 bis 1979 stieg die Staatsschuld schneller als in den vier Jahren
nach der Wiedervereinigung, die ja nun wirklich als Sonderfall der
deutschen Geschichte eingestuft werden muss.

Eine Rückkehr zu solideren Finanzen brachte erst die Ära Stoltenberg


von 1982 bis 1989. Er war nach Fritz Schäffer (1949-1957) der beste
Finanzminister, den das Land je hatte. Zwar schaffte Gerhard Stolten-
berg es nicht, Schulden zurückzuzahlen - Schäffer blieb der einzige
Finanzminister, der wirklich sparte und Überschüsse zurücklegte.
Aber er stabilisierte immerhin den Anteil des Schuldenbergs am So-
zialprodukt. 1989, im letzten Jahr vor der Wiedervereinigung, ent-
sprachen die öffentlichen Schulden 41,8 Prozent des Bruttoinlands-
produktes (BIP).
Seitdem hat sich die Quote verdoppelt. Die erst noch auf uns zu-
kommenden Kosten der »Euro-Rettung« sind unabsehbar, gar nicht
zu reden von der nach wie vor offenen Finanzierung der Renten-
lücke. Die Chance, die Staatsfinanzen wieder in Ordnung zu bringen
und die Schulden auf die Maastricht-Quote von 60 Prozent BIP zu-
rückzuführen, ist gleich null.
Das Weltwährungssystem und das Ende der
Goldbindung

Es stimmt aber auch, dass Deutschland und seine Zentralbank von


Anfang an eingebettet waren in das westliche Finanz- und Wäh-
rungssystem und dass sie insofern externen Schocks ausgesetzt wa-
ren, die sie nicht steuern konnten. Kein Zufall also, dass die beiden
Jahrzehnte einer sehr moderaten Geldentwertung und meist stabiler
Verhältnisse an den Devisenmärkten zu Ende gingen, als die Wäh-
rungsordnung der Nachkriegszeit Anfang der Siebzigerjahre zusam-
menbrach. Damit schloss ein Kapitel der deutschen Geld- und Fi-
nanzpolitik, das in seiner Solidität an die besten Zeiten des
Goldstandards erinnerte.
Es wurde bereits erwähnt, dass die Deutsche Mark - nach heftigen
innenpolitischen Auseinandersetzungen - erstmals 1961 aufgewertet
und auch danach nie mehr abgewertet wurde. Genau genommen be-
ziehen sich diese Begriffe auf ein System fester Wechselkurse und da-
mit auf Wechselkursänderungen, die üblicherweise an einem Wochen-
ende auf einer Regierungskonferenz beschlossen wurden. Auf- oder
abgewertet wurde immer gegenüber einem Fixpunkt, gegenüber Gold
oder gegenüber dem Dollar oder später gegenüber der Europäischen
Währungseinheit ECU. Unter einem System freier Wechselkurse
spricht man zwar auch von Auf- und Abwertungen, wenn Währungen
teurer oder billiger werden. Aber das ist nicht dasselbe.
Mit dem Währungsabkommen, das die Siegermächte 1944 in dem
kleinen Ort Bretton Woods nördlich von New York schlossen, blieb
der Goldpreis bei 35 Dollar je Feinunze fixiert, und zugleich standen
die Devisenkurse der beteiligten Industrieländer in einem festen Ver-
hältnis zum Dollar. Damit ließ sich auch der Außenwert der Mark in
Gold ausdrücken, ohne dass die Geldmenge in Deutschland durch
Gold gedeckt sein musste. Nach der ersten Aufwertung der Deut-
Das Weltwährungssystem und das Ende der Goldbindung 99

schen Mark am 6. März 1961 bekam man für 1 Mark mehr Gold als
zuvor, nämlich 0,222168 Gramm (1 Unze = 31,1035 Gramm).
Es handelte sich um eine stark abgespeckte Version des klassischen
Goldstandards, die immerhin den Vorteil hatte, dass nicht beliebig
inflationiert und aufgeschuldet werden konnte. Sobald die USA Defi-
zite in der Außenbilanz fuhren, mussten sie damit rechnen, dass aus-
ländische Währungsbehörden ihre überschüssigen Dollars in New
York präsentierten und deren Einlösung in Gold verlangten. Frank-
reich machte unter Charles de Gaulle zum großen Missfallen der
Amerikaner von der Goldeinlösungspflicht Gebrauch, die Bundesre-
publik als treuer Verbündeter nicht.

Je teurer der Krieg in Vietnam wurde und je mehr ihn Washington


auf Pump finanzierte, desto unhaltbarer wurde die Situation. Was
tun? Die eine Option bestand darin, den offensichtlich zu tiefen
Goldpreis zu verdoppeln und damit alle Währungen des Systems auf
einen Schlag abzuwerten. Genau das hatte der französische Wäh-
rungsfachmann Jacques Rueff, ein enger Berater de Gaulles, frühzei-
tig vorgeschlagen.
Bereits Anfang der Fünfzigerjahre hatte es zeitweise so ausgesehen,
als sei der von Präsident Roosevelt 1934 bei 35 Dollar fixierte Gold-
preis nicht zu halten. Im Geschäftsbericht 1950/51 der Degussa lesen
wir über die Bemühungen des Internationalen Währungsfonds, den
offiziellen Goldpreis nach Kräften zu verteidigen, »obwohl die allge-
mein und auch in den USA erkennbare inflationistische Preistendenz
eine Erhöhung auch des Goldpreises geradezu fordert. Das Entstehen
eines freien Goldmarktes konnte deshalb auch trotz aller Bemühun-
gen nicht verhindert werden.« Auf diesem freien Markt mit den
Hauptzentren in Paris, Amsterdam, Mailand und Tanger zog der
Goldpreis vorübergehend bis auf 50 Dollar an und pendelte dann
längere Zeit zwischen 41 und 42 Dollar je Feinunze.
100 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

Massiv wurde erst in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre am


Goldmarkt interveniert. Mithilfe umfangreicher Verkäufe aus den of-
fiziellen Reserven sollte der Preis bei 35 Dollar eingefroren werden.
Der Versuch scheiterte. Die Regierungen bekämpften nicht die Ursa-
che, sondern das Symptom der vor allem von den USA ausgehenden
Inflationierung. Wer die Zeichen der Zeit erkannte, auf Gold setzte
und nicht so naiv war, den Beteuerungen der Politiker zu glauben,
konnte sich damals mit Gold den Grundstein für ein Vermögen legen.
Wie wir wissen, verwarfen die USA die Option, den offiziellen
Goldpreis kräftig zu erhöhen. Am 15. August 1971 trat US-Präsident
Richard Nixon vor die Mikrofone, schloss das »Goldfenster« und be-
endete damit einseitig die Goldkonvertibilität des Dollars. Im Ver-
kehr der Währungsbehörden untereinander war der Dollar nicht
mehr einlösbar in Gold. Es war ein Vertragsbruch - und eine Art von
Währungsreform. Der Dollar mit Goldbindung verwandelte sich in
eine reine Papierwährung. Das Tor war aufgestoßen zur Inflation der
Siebzigerjahre, zur ersten großen Goldhausse und letztlich zu allen
Finanz- und Währungskrisen, die bis auf den heutigen Tag folgen
sollten.
Die Währungsordnung der Nachkriegszeit war zerbrochen, es
folgten nur noch Rückzugsgefechte. Ein paar Monate lang »floatete«
die Mark, ihre Kursbildung wurde den Devisenmärkten überlassen.
Im Dezember 1971 wurden die Wechselkurse noch einmal fixiert,
wobei die Mark aufgewertet wurde. Im Februar/März 1973 brach das
System von Bretton Woods mit seinen fixierten Wechselkursen end-
gültig zusammen.
Flexibel und manchmal turbulent:
EWS und ECU

Die Europäer reagierten mit ihrer sogenannten Währungsschlange


mit Bandbreiten von 2,25 Prozent nach oben und unten, innerhalb
derer die beteiligten Währungen schwanken durften. 1979 etablier-
ten sie das »Europäische Währungssystem« (EWS), das zeitweise
recht gut funktionierte, zuletzt allerdings mit sehr weiten Bandbrei-
ten von 15 Prozent.
Die Leitkurse im EWS wurden ausgedrückt in ECU (European
Currency Unit), dem Vorläufer des Euro, der nicht in Form von
Banknoten zirkulierte, sondern als Buchgeld, als Zahlungsmittel für
Unternehmen und als Reservewährung der Zentralbanken. Der Vor-
teil des ECU gegenüber dem Euro bestand in seiner Flexibilität. Auf
Leistungsbilanzdefizite und Inflationsunterschiede in Europa konnte
reagiert werden, indem die Leitkurse für die einzelnen Länder geän-
dert wurden - was von 1979 bis 1993 tatsächlich 17-mal geschah.
Der ECU war eine Korbwährung, zusammengesetzt aus den Wäh-
rungen der EG-Staaten, wobei der Anteil der Ankerwährung D-Mark
ein Drittel betrug. Auch für Privatanleger in Deutschland konnte der
ECU interessant sein. Nach einer Abwertung gegenüber der D-Mark
lohnte es sich oft, ECU zu kaufen und die höheren Zinsen mitzuneh-
men.
Am 1. Januar 1999 wurde das EWS durch den Euro abgelöst. So
wurde die alte Idee, dass feste Wechselkurse besser seien als flexible,
nach einem langen Zwischenspiel wiedergeboren - allerdings ohne
Goldbindung, unter ganz anderen Verhältnissen und vor allem ohne
die Möglichkeit, im Notfall abwerten zu können.
War die Deutsche Mark trotz aller Einschränkungen eine Erfolgs-
geschichte? Ja, wenn wir den Kaufkraftschwund mit dem anderer
Währungen vergleichen. Ja, wenn das Prestige der Bundesbank und
102 Wohlstand für alle: Der unglaubliche Aufstieg der Deutschen Mark

der ihr anvertrauten Währung gemeint ist. Ja, wenn wir darauf abhe-
ben, dass die Mark mit einer fast immer soliden Leistungsbilanz, mit
wachsendem Wohlstand und mit einer auf dem Weltmarkt sehr kon-
kurrenzfähigen Volkswirtschaft kompatibel war. Und ja, wenn wir
die Entwicklung des Außenwertes mit dem anderer Währungen ver-
gleichen - ein in der Regel brauchbarer Maßstab, denn langfristig
folgt der Außenwert im Wesentlichen dem Binnenwert, das heißt den
Inflationsunterschieden.

In den vier Jahrzehnten von 1953 bis 1993 glänzte die Deutsche Mark
mit einer enormen Aufwertung, die das Land reicher machte und die
übrigens keineswegs die deutsche Exportwirtschaft ruinierte. In die-
sem Zeitraum rutschte das Britische Pfund von 11,70 auf 2,48 Mark,
100 Französische Francs sackten von 119,47 auf 29,19 Mark ab, und
der Dollar verlor von 4,20 auf 1,65. Die südeuropäischen Währungen
wurden mehr oder weniger pulverisiert, während der Österreichi-
sche Schilling und der Holländische Gulden nur relativ wenig im Au-
ßenwert nachgaben. Ein bisschen Studium der Währungsgeschichte
- und schon hätte man gewusst, wer zu einem überlebensfähigen
Euro gepasst hätte und wer nicht. Währungen, die schon im EWS
nicht stabil waren, würden das nach menschlichem Ermessen auch
unter dem Euro-Regime nicht sein.
Wie Deutschland in die
Falle lief
Große historische Ereignisse kommen manchmal auf triviale Weise
zustande. In der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1991, als sich
die Vertreter von zwölf europäischen Regierungen im niederländi-
schen Grenzort Maastricht auf die Entmachtung der Deutschen Bun-
desbank und das Ende der Deutschen Mark einigten, waren die bei-
den Herren, die aus den 30-stündigen Beratungen als Sieger
hervorgingen, mit ihren Gedanken nicht mehr bei der Sache. Italiens
Ministerpräsident Andreotti gab sich einem ausgedehnten Konfe-
renzschlafhin, aus dem er nur gelegentlich aufschreckte. Und Frank-
reichs Präsident Mitterrand döste mit offenen Augen und war ganz
eindeutig abwesend, wie ein indiskreter Konferenzteilnehmer später
ausplauderte.
In der Tat waren die verhängnisvollen Beschlüsse von Maastricht
derart kompliziert, dass man - nach Meinung des britischen Wirt-
schaftsmagazins Economist - Masochist sein musste, um den Text
von A bis Z zu lesen. Gründlich gelesen hat ihn wohl keiner der in
Maastricht versammelten Staatsmänner, sonst wäre ihnen aufgefal-
len, dass sich einige Artikel widersprachen. Der Text wurde später in
aller Heimlichkeit bereinigt und am 7. Februar 1992 offiziell unter-
zeichnet.
Aber selbst da hatten die Engländer, die sich in Maastricht tapfer
gegen die Pressionen Kohls und Mitterrands verteidigt hatten, immer
noch ihre Zweifel. »Wir sollten jetzt besser herausfinden, was wir da
unterschrieben haben«, flüsterte Außenminister Douglas Hurd ei-
nem Landsmann zu.
Sie fanden es heraus und kamen zu dem Schluss, dass sie dem Euro
besser fernbleiben sollten. Nicht nur die stets kühl kalkulierenden
Briten, auch die Skandinavier zogen es vor, ihre eigenen Währungen
zu behalten. So kam es, dass bis 2012 nur 17 von 27 EU-Mitgliedern
der Währungsunion beitraten, darunter eine Reihe von wirtschaftlich
unbedeutenden Ministaaten, hauptsächlich aber die romanischen
106 Wie Deutschland in die Falle lief

Länder mit ihrer ganz eigenen Geldkultur und natürlich Deutschland


mit seinen Nachbarländern, die zusammen den Kern der Euro-Zone
bilden.
Die Deutschen, ein eher unpolitisches, zum Moralisieren neigen-
des Volk, begriffen lange Zeit nicht, worauf sich ihre Regierung in
Maastricht eingelassen hatte. Noch im Herbst 1992, als die Würfel
schon gefallen waren, sprachen sich laut ZDF-Politbarometer 70 Pro-
zent gegen die Abschaffung der D-Mark aus, 40 Prozent aber für den
Vertrag von Maastricht. Der aber hatte ja gerade die Liquidation der
Mark und die Kreation des Einheitsgeldes zum Inhalt. Bis spätestens
1999, so war beschlossen worden, sollte es keine eigenständigen eu-
ropäischen Währungen mehr geben und auch keine Deutsche Mark
mehr.

Wie es den anderen gelang, die Deutschen in die Falle von Maastricht
zu locken, wie die Währungshüter der Deutschen Bundesbank über-
tölpelt wurden, wie Helmut Kohl hart am Rande des Verfassungsbru-
ches manövrierte, wie die deutsche Öffentlichkeit bis zuletzt im Un-
klaren gelassen wurde - dies alles trug die typischen Kennzeichen
eines Komplotts.
Die Geschichte dieses Komplotts und seiner Konsequenzen wollen
wir hier aufzeichnen. Vieles lässt sich dabei auf das eigenartige Drei-
ecksverhältnis zwischen dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl,
dem französischen Präsidenten François Mitterrand und dem Präsi-
denten der EG-Kommission, Jacques Delors, zurückführen.
Die Motivation der beiden Franzosen war, wie wir sehen werden,
von Anfang an leicht durchschaubar. Nur Kohls Rolle war nicht ganz
eindeutig. Er handelte als Getriebener und Antreiber zugleich. »D-
Mark und Bundesbank nähern sich mit einem dunklen Rätsel ihrem
Ende«, kommentierte dazu der ZDF-Korrespondent Dieter Balkhau-
sen.
Die Deutsche Mark wird nicht abgeschafft, behauptete Waigel 107

Wer versuchen will, das Rätsel zu lösen, kann sich das Studium re-
gierungsamtlicher Erklärungen sparen. Unsere Nachbarn, die Fran-
zosen, wussten schon immer, dass Politiker im Zweifelsfall lügen. Die
Franzosen haben ein zynisches und daher richtiges Verständnis des
politischen Betriebs. Den Deutschen hingegen kann man ziemlich
leicht ein X für ein U vormachen. »In keinem anderen Staat der mo-
dernen Welt ist so beharrlich-feierlich von Amts wegen gelogen wor-
den«, formulierte es schon der große Historiker Heinrich von
Treitschke.

Die Deutsche Mark wird nicht abgeschafft,


behauptete Waigel

Die offiziellen Erklärungen hatten denn auch mit der Realität nur we-
nig zu tun:
»Die Kriterien für die Qualifikation zur Währungsunion lauten:
strikte Preisstabilität, unbedingte Haushaltsdisziplin«, erklärte Bun-
deskanzler Kohl am 13. Dezember 1991 vor dem Deutschen Bundes-
tag. Er bezog sich damit auf den soeben ausgehandelten Vertrag von
Maastricht. Nur, von strikter Preisstabilität und unbedingter Haus-
haltsdisziplin war dort mit keinem Wort die Rede.
Oder, ebenfalls Originalton Kohl auf derselben Bundestagssitzung:
»Zu diesem Erfolg - auch das will ich hier dankbar erwähnen - hat
die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Deutschen
Bundesbank in diesen Verhandlungen entscheidend beigetragen.«
Auch davon war kein Wort wahr. Kohl hatte in Maastricht die
Bundesbank vielmehr überrumpelt. Und als sein Presseamt schließ-
lich auch noch millionenteure Zeitungsanzeigen schaltete, in denen
sich die Regierung auf Bundesbankpräsident Schlesinger berief, wa-
ren einige Mitglieder des Zentralbankrates in Frankfurt über diese
108 Wie Deutschland in die Falle lief

Heuchelei so empört, dass sie Protestbriefe nach Bonn schickten, die


freilich nie veröffentlicht wurden.
Noch dicker trug Finanzminister Theo Waigel am 8. Oktober 1992
vor dem Bundestag auf. Waigel tönte: »Die starke Deutsche Mark
wird auch durch die Währungsunion nicht abgeschafft.« Er sprach,
wohlgemerkt, vom Vertrag von Maastricht, der genau dies vorsah.
Und er behauptete: »Durch den Vertrag von Maastricht ist auch keine
europaweite Umverteilungsmaschinerie angelegt.« Hatte er das
Maastrichter »Protokoll über den wirtschaftlichen und sozialen Zu-
sammenhalt« mit seinen Kohäsionsfonds und ähnlichen Wohltaten
wirklich nie gelesen?
Maastricht war eben kein idealistischer Aufbruch zu neuen euro-
päischen Ufern, sondern ein kalt kalkuliertes Manöver gegen die mo-
netäre Vorherrschaft der Deutschen Bundesbank und gegen die Exis-
tenz einer eigenständigen deutschen Währung. Kein ernst zu
nehmender Währungsexperte hat dies je anders gesehen.

So schrieb David Marsh, damals Redakteur der Financial Times, Eu-


ropas einflussreichster Finanzzeitung, und Autor eines viel beachte-
ten Buches über die Deutsche Bundesbank: »Unter dem Strich wird
Deutschland der große Verlierer sein. Ausgerechnet in einer Phase,
in der die Belastungen durch die deutsche Einheit spürbar werden,
müssen die Wähler in Deutschland damit rechnen, dass ihre Wäh-
rung, ein nationales Symbol, vom Thron gestoßen und die Bundes-
bank, die Hüterin der Währung, entmachtet wird.«
Professor Karl Schiller, früherer Wirtschaftsminister: »Alles das,
woran Ludwig Erhard und die Nachfolger in seinem Geiste gearbeitet
haben, wäre dann ein definitiv abgeschlossenes Kapitel, reif für die
Wirtschaftsgeschichte ... Die D-Mark wird sich auflösen wie ein
Stück Zucker in einem Glas Tee.«
Frankreich missfiel die Dominanz der Bundesbank 109

Noch härter urteilte der große Liberale Ralf Dahrendorf, früherer


EG-Kommissar und nach 1988 Rektor der Universität Oxford: »In
Maastricht haben Regierungschefs, die am Ende ihrer Kunst waren
und eigentlich keine Zukunft mehr hatten, die Spaltung Europas be-
schlossen - und nicht seine Integration.«
Und Wilhelm Hankel, Professor für Währungspolitik an der Uni-
versität Frankfurt, über die Einheitswährung: »Ein europäisches
Zwangs- und Monopolgeld. Niemand kann voraussagen, was es mor-
gen wert ist, wer es managt und wie.«

Frankreich missfiel die Dominanz der


Bundesbank

Am Beginn des Dramas stand die aufkeimende Unzufriedenheit


Frankreichs mit dem stillschweigenden Arrangement, wie es sich in
der Europäischen Gemeinschaft, der Vorläuferin der EU, herausge-
bildet hatte. Zwar dominierte Paris die EG-Kommission in Brüssel,
zwar war die EG-Landwirtschaftspolitik mit ihren enormen Subven-
tionen ganz auf französische Bedürfnisse zugeschnitten. Zwar hatte
Frankreich im Gegensatz zu Deutschland außen- und militärpoli-
tisch weitgehend freie Hand - dafür aber durfte die Bundesbank den
Primus inter pares unter den europäischen Notenbanken spielen.
Das 1979 gegründete Europäische Währungssystem (EWS), in
dem die Kurse der nationalen Währungen innerhalb vereinbarter
Bandbreiten schwanken konnten, wurde de facto zum D-Mark-
Block. Nicht, weil dies ursprünglich so beschlossen worden war, son-
dern weil die Professionalität, die Solidität und das Prestige der Bun-
desbank zu diesem Resultat führten.
Eben diese monetäre Hegemonie Deutschlands missfiel den Fran-
zosen zunehmend - nicht etwa, weil sie Europa schadete, sondern
110 Wie Deutschland in die Falle lief

weil sie den Spielraum der französischen Konjunktur- und Geldpoli-


tik einengte. Die Franzosen sahen in der Bundesbank eine Festung
des Geldes, die es zu schleifen galt. Aber sie benötigten die Mithilfe
der Bundesregierung, um ihr Ziel zu erreichen. Denn, wie EG-Kom-
missionspräsident Delors einmal so schön sagte: »Nicht alle Deut-
schen glauben an Gott, aber alle glauben an die Bundesbank.« Von
Delors stammt auch diese sehr präzise Zielansprache: »Bislang ist das
EWS eine DM-Zone. Das muss sich ändern.«
Den ersten ernsthaften Versuch unternahmen sie 1988. Ein
deutsch-französischer Finanz- und Wirtschaftsrat sollte die Bundes-
bank domestizieren. Er sollte völkerrechtlich verbindlich in den
deutsch-französischen Vertrag von 1963 als Präambel aufgenommen
werden, und zwar ohne dass die Stabilitätsverpflichtung und die Au-
tonomie der Bundesbank dabei betont wurden. Hinter dem Manöver
standen Bundeskanzler Kohl, sein Außenminister Genscher sowie
Finanzminister Stoltenberg.

Stoltenberg weigerte sich sogar, den Text der Präambel dem Bundes-
bankpräsidenten Karl Otto Pohl zuzustellen. Pohl musste ihn sich bei
seinem französischen Kollegen besorgen. Die deutsche Öffentlichkeit
wurde wach und stellte sich auf die Seite der Bundesbank. Der Zen-
tralbankrat legte ein Veto ein, Kohl musste einen Rückzieher machen.
Die Währungshüter in Frankfurt hatten sich ein letztes Mal durchge-
setzt.
Dass in jenem Jahr 1988 dann doch die Weichen für Maastricht
gestellt wurden, war der schier unerschöpflichen Energie und dem
Machtwillen von Jacques Delors zu verdanken, des heimlichen Dik-
tators von Brüssel, eines hochintelligenten Bürokraten und eines
Workaholic, der vor Übermüdung und unter dem Einfluss von Medi-
kamenten (und gerne auch eines Schlucks Fernet Branca) manchmal
die Maske starrer Höflichkeit fallen ließ.
Frankreich missfiel die Dominanz der Bundesbank 111

Dann bekamen seine Kabinettsmitglieder, die Kommissare, schon


einmal seine Wut zu spüren. Einem griechischen Kollegen attestierte
er, er sei »unfähig, eine Taverne zu führen«. Einen britischen Kom-
missar nannte er einen »Lakaien der Labour Party«, und ein deut-
scher Kommissar bekam zu hören, er habe »einen fetten Hintern«.
Delors wahre und letzte Loyalität galt immer der Nation, deren Prä-
sident er lange Zeit zu werden hoffte. Als seine Kommissare ihn ein-
mal überstimmten, stand er mit den Worten auf: »Frankreich verlässt
die Sitzung.«
Dieser bemerkenswerte Mann, ein Sozialist, auf den der Christde-
mokrat Kohl große Stücke hielt, begann, systematisch auf die Wäh-
rungsunion hinzuarbeiten, kaum hatte er sein Amt 1985 angetreten.
Er sorgte dafür, dass das Ziel einer Währungsunion bereits in die Ein-
heitliche Europäische Akte, die 1987 in Kraft trat, aufgenommen
wurde.
1988 übernahm Delors den Vorsitz in einem Ausschuss, in dem
auch die Notenbankgouverneure der EG saßen und der die Wäh-
rungsunion vorbereiten sollte. Schon ein Jahr später wurde der soge-
nannte Delors-Bericht veröffentlicht. Er enthielt einen Drei-Stufen-
Plan für die Wirtschafts- und Währungsunion der EG.

Die Bundesbank geriet unter Druck. Sie sah ihre Existenz bedroht.
Ohne die - damals nach außen hin unsichtbare - Rückendeckung
Kohls für Delors wäre dies alles nicht möglich gewesen. Der Kanzler
hatte schon Mitte 1988, als er den Zentralbankrat in Frankfurt auf-
suchte, seine Karten aufgedeckt. »In der Währungsunion«, so ließ er
die Herren des deutschen Geldes damals wissen, »muss Frankreich
entgegengegangen werden. Dies muss man wie das Wetter hinneh-
men. Wenn man merkt, so geht es nicht, muss man es anders ma-
chen. Das ist ein wesentlicher Weg der Politik.«
112 Wie Deutschland in die Falle lief

Die Bundesbankiers ahnten die Absicht hinter der verquollenen


Sprache. »Wir haben gedacht, wenn nötig, verkauft er dafür auch die
Bundesbank«, äußerte sich später ein Mitglied des Zentralbankrates.

Wie Kohl, Mitterrand und Delors gegen die


Mark konspirierten

Dass Kohl, Delors und Mitterrand schon Ende der Achtzigerjahre ge-
gen die Bundesbank und gegen die Mark konspirierten und dass die
Bundesregierung die deutsche Öffentlichkeit mit voller Absicht im
Unklaren ließ, geht auch aus einer Äußerung von Bundesbankpräsi-
dent Pohl im Jahre 1989 hervor: »Wenn der Plan bekannt wird und
die deutsche Bevölkerung begreift, was es damit auf sich hat, vor al-
lem, dass es um ihr Geld geht und dass die Entscheidungen künftig
nicht mehr von der Bundesbank gefällt werden, sondern von einer
neuen Institution, dann, nehme ich an, wird sich erheblicher Wider-
stand regen.«
Und selbst Hans Tietmeyer, ein früherer Staatssekretär im Bundes-
finanzministerium und enger Vertrauter Kohls, warnte am 11. Juni
1991 in seiner damaligen Eigenschaft als Vizepräsident der Bundes-
bank, das vereinte Deutschland könne bei der anstehenden Wäh-
rungsunion viel verlieren, »nämlich eine der erfolgreichsten und bes-
ten Geldverfassungen der Welt«.
Wie also konnte etwas zustande kommen, das kein deutscher No-
tenbankier und kaum ein führender regierungsunabhängiger Fi-
nanzexperte in Deutschland jemals ernsthaft anstrebte? Dafür gibt es
eine plausible Erklärung: Sie liefen alle in eine Falle. Nur die Rolle des
Bundeskanzlers, eines ökonomischen Laien, bleibt streckenweise un-
klar. Einerseits operierte er hinter dem Rücken der Bundesbank und
klärte wohl auch Tietmeyer über seine letzten Absichten nicht immer
Wie Kohl, Mitterrand und Delors gegen die Mark konspirierten 113

auf, andererseits war er enormem Druck vonseiten Mitterrands aus-


gesetzt. Seine völlige Unkenntnis währungspolitischer Zusammen-
hänge erleichterte ihm den Entschluss, die Deutsche Mark zu opfern.
Die Hauptverantwortung dafür, dass die deutsche Delegation in
Maastricht ausmanövriert wurde, trägt er und kein anderer.
Selbst an seinen eigenen Forderungen und Vorgaben gemessen,
erlitt der Pfälzer in Maastricht eine eklatante Niederlage. Denn er ließ
dort das deutsche Junktim zwischen Währungsunion und Politischer
Union fallen, nachdem er erkannte, dass es nicht durchsetzbar war.
Auf diesem Junktim aber hatte die Logik der Bonner Europapolitik
immer beruht: Wenn Deutschland schon mit der Mark das größte
denkbare Opfer brachte, dann sollten sich die Westeuropäer im Ge-
genzug zu einer Politischen Union mit gemeinsamer Außen- und
Verteidigungspolitik zusammenschließen. Deutschland in seiner his-
torisch prekären Mittellage hätte dann nie mehr Einkreisung und
Isolation befürchten müssen.

Tatsächlich einigten sich Kohl und Mitterrand vier Monate nach dem
entscheidenden Europagipfel in Straßburg vom 8. Dezember 1989
darauf, »parallel« über Währungsunion und Politische Union zu ver-
handeln. Paris sah den politischen Teil der Gespräche allerdings eher
als Tarnung für das Einkreisungsmanöver gegen die Deutsche Mark.
Aber es gibt auch Indizien, dass Kohl ohne klare Zielsetzung auf
Maastricht zusteuerte.
Der Brüsseler ARD-Korrespondent Rolf-Dieter Krause über das
diplomatische Tauziehen des Jahres 1991: »Zeitweise wussten nicht
einmal Bonns Unterhändler in der Regierungskonferenz über die Po-
litische Union, was ihr Kanzler darunter verstanden wissen wollte.
Genaue Verhandlungsziele, konkrete Vorgaben wurden ihnen kaum
gemacht.«
114 Wie Deutschland in die Falle lief

Dennoch hielt Kohl nach außen hin bis zuletzt am Junktim fest.
Kurz vor dem Gipfel in Maastricht wurde er gefragt, was er denn tun
werde, falls es am Ende zwar eine Einigung über die Währungsunion,
aber nur einen Minimalkompromiss über die Politische Union geben
werde. Ob er dann den Vertrag unterschreiben werde? Kohls Ant-
wort: »Dann gibt es Krach.«
Zum Krach kam es nicht, der Kanzler gab klein bei. Es war viel-
leicht nicht so, dass er die Mark von Anfang an opfern wollte, sie hat-
te nur keinen großen Stellenwert in seinen Überlegungen. Hinzu
kam, dass ihm die Bundesbank, als es um die Einzelheiten der deut-
schen Währungsunion ging, schon einmal in die Parade gefahren
war. Kohls Verhältnis zu deren Präsidenten Pohl war alles andere als
gut. Die Macht der Bundesbank mit französischer Hilfe zu beschnei-
den - auch das wird ihm nicht ganz ungelegen gekommen sein.

Pohl spielte auf Zeit - und verkalkulierte sich

Wie aber war es möglich, dass selbst die Bundesbank in die Falle von
Maastricht lief? Zum einen hatte sie letztlich keinen Einfluss darauf,
was Kohl mit Mitterrand verabredete. Sie konnte nur warnen. Es
stand im Belieben des Kanzlers, auf die Fachleute zu hören oder auch
nicht.
Ein geschickter Schachzug war es überdies, Karl Otto Pohl in die
Vorverhandlungen einzubinden und ihn selbst das Statut einer Euro-
päischen Zentralbank mit ausarbeiten zu lassen. Dem konnte sich
Pohl nicht verweigern. Er machte allerdings den Fehler, zu lange an
die Ernsthaftigkeit des deutschen Junktims zwischen Politischer Uni-
on und Währungsunion zu glauben. Er nahm an, er könne auf Zeit
spielen.
Pohl spielte auf Zeit - und verkalkulierte sich 115

So jedenfalls schien Pohl zu denken, als er am 19. September 1990


in einem Kreis von Finanzfachleuten in einem Raum der Frankfurter
Börse aus dem Nähkästchen plauderte. Ich nahm an dem Treffen teil
und wurde dabei gelegentlich von Pohl beäugt, vielleicht, weil ich mir
als Einziger ständig Notizen von den Ausführungen des Bundes-
bankpräsidenten machte.
Pohl verhehlte nicht sein Unbehagen über die Intentionen in Brüs-
sel, Paris und Bonn. Es war fast so, als ahnte er damals schon die gra-
vierenden Fehler, die in Maastricht gemacht werden würden. Seine
lässige Attitüde, das elegante Äußere, der kosmopolitische Horizont,
die Goldmünzen in den Manschetten, der Hang zu Ironie und Selbst-
ironie - der Kontrast zu seinem Gegenspieler Kohl hätte größer nicht
sein können.
Als Vorsitzender des Ausschusses der europäischen Notenbank-
gouverneure, die mit den Einzelheiten der Währungsunion befasst
waren, konstatierte Pohl zunächst: »Wir sind nicht dagegen, dass es
eine europäische Notenbank und eine europäische Währung irgend-
wann geben wird.« Die Betonung lag ganz unmissverständlich auf
»irgendwann«.

Insbesondere den fatalen Automatismus des Maastrichter Vertrages


mit dem fixen Datum des 1. Januar 1999 als spätesten Termin der
Euro-Einführung lehnte Pohl ab. Er forderte die Bundesregierung
auf, »sich nicht unter Zeitdruck setzen zu lassen mit symbolischen
Zeitdaten«. Pohl äußerte Sympathie für die Euro-Skepsis der briti-
schen Regierungschefin Thatcher, lästerte über die »ständigen Richt-
linien einer riesigen Bürokratie in Brüssel« und warf der Kommissi-
on vor, sich wie eine »Superregierung« zu gerieren.
Falls die Währungsunion wirklich kommen würde, sah Pohl große
Subventionen voraus. Denn sobald das Ventil möglicher Wechsel-
kursänderungen wegfalle, müsse die »Anpassung« wie in den neuen
116 Wie Deutschland in die Falle lief

Bundesländern über die Beschäftigung (Konsequenz: Arbeitslosig-


keit) und über Transfers (sprich: Hilfszahlungen aus dem Bundes-
haushalt) erfolgen. »Wir hätten in einem solchen Prozess viel zu ver-
lieren«, sagte Pohl, »für die Bundesrepublik würde es bedeuten, dass
wir die Deutsche Mark auf dem europäischen Altar zum Opfer brin-
gen. Was wir haben, wissen wir, was wir bekommen, wissen wir noch
nicht.«
Pohls Taktik ging ganz offensichtlich dahin, die deutschen Bedin-
gungen für eine Währungsunion so hoch anzusetzen, dass sich
Frankreich und die anderen nach menschlichem Ermessen nicht dar-
auf einlassen würden. Dazu zählte nicht zuletzt die Unabhängigkeit
der geplanten Europäischen Zentralbank. Pohl damals: »Ich bin noch
nicht sicher, dass dieser Brocken geschluckt wird.«
Dem Bundesbankpräsidenten unterliefen zwei Irrtümer: Zum ei-
nen glaubte er, Bonn werde auf der französischen Gegenleistung ei-
ner echten politischen Union und damit auf einem französischen
Souveränitätsverzicht bestehen. Und zum anderen dachte er, die von
ihm federführend ausgearbeiteten Kriterien für eine Europäische
Zentralbank seien zu streng, um für Paris und die Südeuropäer ak-
zeptabel zu sein.

Ein notwendiger Preis für die


Wiedervereinigung war der Euro nicht

Paris war aber bereit, nahezu alles zu unterschreiben, wenn Kohl nur
die Bundesbank und die D-Mark fallen ließ. Dass Mitterrand nie
ernsthaft vorhatte, die für ihn unbequemen Teile des Maastrichter
Vertrages zu respektieren, hat er dann sehr bald und ganz offen zu
verstehen gegeben. Aber da war es für Bonn schon zu spät, einen
Rückzieher zu machen.
Ein notwendiger Preis für die Wiedervereinigung war der Euro nicht 117

In den Fünfziger jähren, als der Parteipolitiker Mitterrand politisch


in Vergessenheit zu geraten drohte, hatte er seine eigene Entführung
inszeniert, um wieder in die Schlagzeilen zu kommen. Politische
Tricks waren ihm nie fremd. Es war auch nicht verwunderlich, dass
er, als die deutsche Wiedervereinigung drohte, in letzter Minute zu
intervenieren versuchte. Er traf Gorbatschow in Kiew und dann Ende
1989 Modrow in Ostberlin, um zu sondieren, ob sich die deutsche
Einheit aufhalten ließe.
Allerdings reichte Frankreichs Macht nicht dazu aus. Moskau hatte
bereits beschlossen, die Konkursmasse DDR abzustoßen, Washing-
ton hatte längst sein Plazet gegeben. Selbst wenn sich Kohl gesträubt
hätte, wäre ihm kaum etwas anderes übrig geblieben, als die bankrot-
te Firma DDR zu einem weit überhöhten Preis zu übernehmen.
Der französische Präsident schaffte es immerhin, die Deutschen ei-
nen Preis an Paris für die Wiedervereinigung zahlen zu lassen. Bei ei-
nem Besuch in den Räumen der Bundesbank in Frankfurt beteuerte
jedenfalls Finanzminister Waigel, Mitterrand habe während der Zwei-
plus-Vier-Gespräche die französische Zustimmung zur Wiederverei-
nigung von Kohls Einwilligung zur Europäischen Währungsunion ab-
hängig gemacht. Eine Version, die plausibel klingt. Wenn es so war,
dann hat Kohl in Maastricht den teuersten und zugleich einen unnöti-
gen Preis für die Wiedervereinigung seines Landes gezahlt.

Dass das Ergebnis von Maastricht deutschen Interessen entsprach,


hat kein wirklicher Sachkenner jemals ernsthaft behauptet. Nicht ein-
mal Kohl selbst war dieser Meinung. In einem vertraulichen Ge-
spräch mit dem amerikanischen Außenminister James Baker gestand
Kohl am 12. Dezember 1989, als die Entscheidung gegen die Mark im
Prinzip schon gefallen war, laut Sitzungsprotokoll des Bundeskanz-
leramtes: Diesen Entschluss habe er »gegen deutsche Interessen« ge-
troffen. (Quelle: Die Presse vom 1. Dezember 2010.) Zwei Jahre spä-
118 Wie Deutschland in die Falle lief

ter, als der Deal in Maastricht endgültig besiegelt wurde, stellte sich
heraus, dass Kohl seinen Gegenspielern Mitterrand und Andreotti
verhandlungstaktisch nicht gewachsen war.
Das war derselbe Andreotti, der 1993 in Rom beschuldigt wurde,
als langjähriger Ministerpräsident die Interessen der Mafia vertreten
zu haben. Die Mafia pro Maastricht, warum nicht? Schließlich hielt
sie in den Neunziger jähren bis zu einem Drittel der italienischen
Staatsanleihen, schließlich war und ist sie Hauptnutznießer des von
Brüssel ermöglichten Subventionsbetruges. Selbstverständlich denkt
und operiert die Mafia europäisch. Sie profitiert vom Verschwinden
der Grenzen, und der Gedanke, die Lira-Anleihen in Papiere von
besserer Bonität umtauschen zu können, musste ihr sympathisch ge-
wesen sein.

Als die Würfel in Maastricht fielen, war der deutsche Kanzler nicht ein-
mal präsent. Bereits am Sonntagabend, dem 8. Dezember 1991, noch
vor Eröffnung der Gipfelkonferenz, empfing François Mitterrand in
seinem außerhalb der Stadt gelegenen Hotel den italienischen Minis-
terpräsidenten Giulio Andreotti. Was sich die beiden ausdachten, war
vollendeter Macchiavellismus. Sie würden die strengen deutschen Ver-
tragsbedingungen akzeptieren, obwohl Italien sie gar nicht erfüllen
konnte, und dafür die deutsche Verpflichtung einfordern, spätestens
1999 automatisch und unwiderruflich mit der Währungsunion zu be-
ginnen. Die anderen Südeuropäer und Irland sollten mit der vertragli-
chen Zusage neuer Umverteilungsgelder geködert werden.
Als ihm die französisch-italienische Abmachung präsentiert wur-
de, konnte oder wollte Kohl nicht mehr Nein sagen. In einem eigen-
artigen, fast kindischen Akt des Widerstandes lehnte er dann auf
einer mitternächtlichen Pressekonferenz am 9. Dezember den Vor-
schlag aus Rom und Paris scharf ab, das geplante Europageld »ECU«
zu nennen. Aber auch diese Bezeichnung wurde im Vertrag festge-
Die Regierung hat nur billige Reklame gemacht... 119

schrieben und später dann doch in »Euro« abgeändert, wofür sich


der Namenserfinder Theo Waigel bis heute selbst gratuliert.

Die Regierung hat nur billige Reklame


gemacht, schrieb die Süddeutsche Zeitung

Zu dem Fiasko konnte es nur kommen, weil das politische Bonn sich
ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende immer noch mit der Formu-
lierung nationaler Interessen schwertat. »Die Regierung hat nur billi-
ge Reklame gemacht«, sage der wirtschaftspolitische Chefkommenta-
tor der Süddeutschen Zeitung, Franz Thoma, als ihm am 16. Januar
1993 in München der Freiheitspreis der Stiftung Demokratie und
Marktwirtschaft verliehen wurde. Thoma wunderte sich darüber,
dass sich die Politiker hinter einen Vertrag stellten, den sie selbst für
schlecht hielten. »Das Meinungsdiktat einiger Weniger in Bonn hat
sich durchgesetzt. Es ist erstaunlich, wie wenig Zivilcourage es in der
Politik gibt. So mancher Spitzenpolitiker sagte mir vertraulich, er sei
gegen die Währungsunion. Offiziell aber ist er dafür.« Wie man sieht,
hat sich mit dem Umzug von Bonn nach Berlin im deutschen Politik-
betrieb nicht sehr viel geändert.

Letzten Endes war es eine Mischung aus Feigheit, Inkompetenz,


Selbsttäuschung und europäischem Illusionismus, die die deutschen
Politiker dazu brachte, in die Währungsfalle von Maastricht zu lau-
fen. Sie waren fixiert auf die scheinbar strengen Bedingungen des
Vertrages und konnten oder wollten sich nicht vorstellen, dass die ro-
manischen Partner einschließlich Frankreich das alles nicht beson-
ders ernst nehmen würden, dass das meiste nur auf dem Papier stand.
Verträge sind eben dazu da, gebrochen zu werden wie Pastetenkrus-
ten, wie schon Lenin verkündete.
120 Wie Deutschland in die Falle lief

Hätten die Teilnehmer an der Währungsunion von Anfang an und


dann auch später die wichtigsten Konvergenzkriterien erfüllt, hätte
die staatliche Neuverschuldung nicht mehr als drei Prozent des Brut-
toinlandsproduktes betragen, hätte die gesamte öffentliche Schulden-
last die Schwelle von 60 Prozent BIP nicht überschritten - dann hätte
die Währungsunion zumindest eine Chance gehabt, nicht mit allen,
aber doch mit einer Mehrheit der Teilnehmer zu funktionieren.

In der Realität aber wurden die Staatshaushalte von der Mehrzahl der
Euro-Aspiranten im entscheidenden Stichjahr 1997 nach Kräften fri-
siert. Die Bundesregierung hätte es wissen müssen, sie wusste es, sie
sah weg. Auch der im Vertrag verankerte Grundsatz, wonach kein
Land für die Schulden anderer haftet, las sich gut auf dem Papier. Nur
landete das Prinzip auf dem Kehricht, als 2010 zum ersten Mal die
Probe aufs Exempel gemacht werden musste.
Und die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank? Die war
vertraglich nicht schlechter abgesichert als die der Deutschen Bun-
desbank. Was sie in Wirklichkeit wert ist, wissen wir seit Mai 2010.
Die EZB kaufte Staatsanleihen, ein Verstoß gegen ihr eigenes Statut.
Dann flutete sie die Banken mit Geld, damit diese noch mehr Staats-
anleihen kaufen konnten, und in den Entscheidungsgremien der EZB
verstehen sich die Vertreter der früheren Schwachwährungsländer
zunehmend als verlängerter Arm ihrer Regierungen. Die Bundes-
bank ist in der Minderheit und isoliert. Sie kann nur noch warnen.

Das Fiasko war absehbar,


gewarnt wurde genug

War das alles absehbar? Ja, von Anfang an. Nie wurde vor einem
Währungsexperiment so früh, so eindringlich, von so vielen Fachleu-
Das Fiasko war absehbar, gewarnt wurde genug 121

ten mit so überzeugenden Argumenten gewarnt. Bereits im Juni 1992


wurde im »Manifest« der 62 Professoren gegen die Währungsunion
vorhergesagt, dass diese Westeuropa »starken ökonomischen Span-
nungen« aussetzen werde, dass sie zu einer politischen Zerreißprobe
führen könne und dass »hohe Transferzahlungen im Sinne eines Fi-
nanzausgleichs« notwendig würden. Wie wahr.
Unterzeichnet hatten das Manifest so renommierte Ökonomen
wie Renate Ohr, Wolf Schäfer, Herbert Giersch, Roland Vaubel,
Christoph Watrin und Karl Schiller, der frühere Finanz- und Wirt-
schaftsminister. Im August 1997 unterschrieben die meisten von ih-
nen einen nochmaligen Aufruf und verlangten die Verschiebung der
Währungsunion. Das Echo war groß, die Wirkung gleich null. Die
Politiker stellten sich taub.

Nach einem Jahrzehnt der Scheinstabilität des Euro von 1999 bis
2008/2009 haben die frühen Gegner der Einheitswährung auf der
ganzen Linie Recht bekommen. Dass es ungleich leichter ist, eine
falsch konzipierte Währung einzuführen, als sie wieder loszuwerden,
wird sich auch noch herausstellen. Die Politiker aber, die den Vertrag
von Maastricht unterschrieben haben - eine Gesellschaft ohne Haf-
tung - haben entweder das Zeitliche gesegnet oder genießen ihren
gut gepolsterten Ruhestand oder waschen ihre Hände in Unschuld
wie Theo Waigel.
»Ich würde es wieder tun«, beteuerte Waigel bei einem Vortrag in
Zürich laut NZZ vom 26. März 2012. Europa erlebe doch gegenwärtig
die beste aller Zeiten, wozu auch der Euro einen Beitrag geleistet
habe. Ein krasser Fall von Realitätsverlust oder Ruchlosigkeit in ei-
nem bereits weit vorgerückten Stadium des Euro-Zerfalls mit horren-
der Arbeitslosigkeit und Rezession im Süden der EU.
Euro-Dämmerung:
Eine Währung auf Abruf
Die Finanzgeschichte kennt Zäsuren, an denen Schicksal in Stein ge-
meißelt wird, an denen Verlierer und Profiteure definiert werden, an
denen Prozesse in Gang kommen, die in der Folge schwer umkehrbar
sind und eine Eigengesetzlichkeit entfalten.
Ein solcher Tag der Entscheidung für Deutschland und Europa
war Freitag, der 7. Mai 2010. An diesem Tag und dann in der Nacht
vom 9. auf den 10. desselben Monats wurden die Pfeiler demoliert,
auf denen ein stabiler Euro ruhen sollte, wurde deutsches und euro-
päisches Recht gebrochen, mutierte der Euro von einem gedachten
Ersatz für die Deutsche Mark zu einem Notgeld auf Abruf.

Wer Nachrichten und Signale zu deuten verstand, konnte Monate


vorher ahnen, welches Debakel sich unter der scheinbar ruhigen
Oberfläche zusammenbraute. Bereits Anfang 2009 gerieten die
Staatsanleihen Griechenlands, eines wirtschaftlichen Zwerges mit der
Struktur eines Entwicklungslandes, massiv unter Verkaufsdruck. Die
internationalen Investoren begannen, die Zahlungsfähigkeit Athens
zu hinterfragen. Aber wie so oft an den Finanzmärkten, verlief auch
dieser Absturz in Zyklen und Schüben. Anfang Oktober 2009 hatte
sich der Anfall von Panik noch einmal gelegt. Hellas konnte sich statt
für sieben nun wieder für vier Prozent Geld leihen, fast zu denselben
Konditionen wie Deutschland.
Bis dann am 20. Oktober der neu gewählte griechische Finanzmi-
nister das ganze Ausmaß der jahrzehntelangen Misswirtschaft durch-
blicken ließ, sich zu einer »Korrektur« der griechischen Defizitzahlen
durchrang und bekannt gab, dass der Fehlbetrag im Haushalt in
Wirklichkeit nicht fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes betrug,
wie bis dahin offiziell gemeldet, sondern 12,5 Prozent.
Damit war nun wirklich nicht mehr übersehbar, dass der in Grie-
chenland herrschende Parteienfilz sich den Beitritt zum Euro er-
schwindelt, auch nachher die Bücher systematisch frisiert und die
124 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Euro-Partner, die jahrelang wegsahen, betrogen hatte. Monatelang


flüchtete sich Premierminister Georgios Papandreou in Realitätsver-
weigerung, bis er am Freitag, dem 23. April 2010, in aller Form die
Euro-Regierungen und den Internationalen Währungsfonds um Fi-
nanzhilfe bitten musste.
Dass dieses am südosteuropäischen Rand der EU gelegene Land
mit seinen knapp zwölf Millionen Einwohnern, seinen 3054 zumeist
unbewohnten Inseln und einem jährlichen Mini-Export von kaum
20 Milliarden Euro die gesamte Währungsunion und angeblich sogar
das Weltfinanzsystem in Gefahr bringen konnte, demonstrierte
schlagartig, auf welch schwachem Fundament das Jahrhundertpro-
jekt Euro stand.
In jenem Frühjahr 2010 standen die tonangebenden Kreise der Eu-
ro-Zone vor der Wahl, entweder Griechenland aus einer Währung zu
entlassen, die das Land überforderte und ruinierte, oder aber Euro-
parecht zu brechen, neue Schulden auf die alten zu packen und den
gescheiterten Staat auf unbestimmte Zeit an den Tropf zu hängen. Sie
entschieden sich, die Euro-Zone in ihrer damaligen Zusammenset-
zung einzufrieren und das Konstrukt zu »retten« - koste es, was es
wolle.

Mai 2010: Als der Vertrag gebrochen wurde

Im Mai 2010 wurde die im Vertrag von Maastricht vereinbarte Ge-


schäftsgrundlage hinfällig. Die Idee und das Versprechen eines soli-
den Euro hatte auf drei wesentlichen Prinzipien beruht. Erstens dar-
auf, dass klare Obergrenzen für die Staatsverschuldung eingehalten
wurden, nämlich drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes bezüglich
der jährlichen Neuverschuldung und 60 Prozent bezogen auf die ak-
kumulierte Staatsschuld - zwei Kriterien, die schon 1999 zu Beginn
Mai 2010: Als der Vertrag gebrochen wurde 125

der Währungsunion missachtet wurden. Zweitens sollte die Europäi-


sche Zentralbank unabhängig von politischem Einfluss sein. Ihr war
(und ist) vertraglich untersagt, Staatsanleihen aufzukaufen und dafür
frisches Geld in Umlauf zu bringen - auch in diesem Punkt wurde
der Vertrag gebrochen, und zwar erstmals im Mai 2010.
Und drittens, besonders wichtig, heißt es in Artikel 125 (AEUV)
des EU-Vertrages von Lissabon, in den der Vertrag von Maastricht
eingebaut wurde: »Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlich-
keiten eines anderen Mitgliedstaates.« Was inzwischen fast schon
selbstverständlich ist, konnte am 4. Mai 2010 die größte deutsche Ta-
geszeitung noch in helle Empörung versetzen. Damals titelte Bild auf
Seite eins dreizeilig: »Warum brechen unsere Politiker diesen EU-
Vertrag?« Unmittelbar unter der Zeile wurde unter Opferung einer
großen Menge an Platz aus Artikel 125 zitiert, mit dem Zusatz: »Die
Milliarden für Griechenland fließen.«
Eben dies hatte das Berliner Kabinett am 3. Mai beschlossen. Am
7. Mai um die Mittagszeit stimmte der Bundestag folgender »Ge-
währleistungsermächtigung« zu: »Das Bundesministerium der
Finanzen wird ermächtigt, Gewährleistungen bis zur Höhe von ins-
gesamt 22,4 Milliarden Euro an die Hellenische Republik zu über-
nehmen.«

Ebenfalls am 7. Mai unternahmen fünf deutsche Professoren einen


verzweifelten Versuch, die finanzielle Integrität Deutschlands zu ret-
ten, die Grundrechte der Deutschen zu schützen und das Land vor
unabsehbarem Schaden zu bewahren.
Die Herren Hankel, Schachtschneider, Nölling, Starbatty und
Spethmann reichten beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbe-
schwerde ein und beantragten den Erlass einer einstweiligen Anord-
nung, mittels derer der Bundesrepublik Deutschland untersagt wer-
den sollte, der Hellenischen Republik Finanzhilfe zu gewähren. Als
126 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Schachtschneider als Bevollmächtigter der Kläger nach zwölf Uhr


sein Schriftstück in Karlsruhe ablieferte, hatte der Bundestag gerade
das Ermächtigungsgesetz verabschiedet. Noch am selben Tag lehnte
Karlsruhe den Antrag der Professoren auf einstweilige Anordnung ab
und gab damit der Bundesregierung grünes Licht. Die Euro-Rettung
konnte anlaufen. Der Weg war frei für den Marsch in die Schulden-
union.
Schon drei Tage später mussten die 22,4 Milliarden Euro für Grie-
chenland der deutschen Öffentlichkeit wie Peanuts vorkommen.
Nachdem der amerikanische Präsident Obama am Nachmittag des
9. Mai, einem Sonntag, von Virginia aus mit Angela Merkel telefo-
niert und die Kanzlerin nach Kräften bearbeitet und ein massives
Rettungspaket gefordert hatte, knickte sie ein. Nicht lange nach dem
Telefonat - in Nordrhein-Westfalen wurde noch gewählt - ließ das
Kanzleramt den Elysée wissen, dass die Bundesregierung daran den-
ke, die Kreditzusagen an die klammen Euro-Länder auf 440 Milliar-
den auszuweiten.

Unterdessen begann im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude die Krisen-


sitzung der europäischen Finanzminister ohne den Deutschen Wolf-
gang Schäuble. Er lag in einer Klinik der belgischen Hauptstadt auf
der Intensivstation. Um 20.30 Uhr traf Innenminister Thomas de Mai-
zière aus Dresden ein, den die Kanzlerin als Ersatz für Schäuble nach
Brüssel beordert hatte. Ohne lange Diskussion und ganz unsentimen-
tal, wie es seine Art ist, beerdigte er den Vorstoß der EU-Kommission,
eine europäische Anleihe aufzulegen, für die alle Mitgliedsländer ge-
meinsam haften sollten. Das käme schon aus verfassungsrechtlichen
Gründen nicht infrage, so de Maizière. Die Idee der sogenannten
Euro-Bonds und damit einer deutschen Haftung ohne Limit, war da-
mit nicht aufgehoben, nur aufgeschoben. Die Südeuropäer brachten
auch danach das Projekt immer wieder aufs Tapet.
Karl Otto Pohl rechnet ab 127

Schließlich wurde in den frühen Morgenstunden des 10. Mai in


Brüssel beschlossen, 60 Milliarden Euro aus dem Haushalt der EU
bereitzustellen und im Luxemburger Bankenviertel eine Zweckgesell-
schaft namens Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) zu
gründen, diese mit Garantien in Höhe von 440 Milliarden Euro aus-
zustatten und sie zu ermächtigen, Kredite am Kapitalmarkt aufzu-
nehmen und diese anschließend an Euro-Pleitekandidaten weiterzu-
reichen. Damit entfiel auf Deutschland zusätzlich zum ersten
Griechenlandkredit eine Haftungssumme von 147,4 Milliarden, nicht
eingerechnet den deutschen Anteil in Höhe von 11,3 Milliarden an
den versprochenen 60 Milliarden der EU, an den vorgesehenen IWF-
Krediten und an den Staatsanleihekäufen durch die EZB.

Karl Otto Pohl rechnet ab

Bereits am 17. Mai zog Ex-Bundesbankpräsident Karl Otto Pohl in


einem Interview mit dem Spiegel eine erste Bilanz des Desasters: »Die
Geschäftsgrundlage des Euro hat sich fundamental verändert, nach-
dem sich die Regierungen der Euro-Zone zu einem gegenseitigen
Haftungsverbund entschlossen haben. Das ist ein Verstoß gegen alle
Regeln. Es steht ausdrücklich im Vertrag über die Arbeitsweise der
EU, dass kein Staat für die Schulden eines anderen haftet. Was wir
jetzt tun, ist genau dies. Dazu kommt, dass die Europäische Zentral-
bank entgegen allen Schwüren und gegen das ausdrückliche Verbot
in ihrer Satzung nun auch noch in die Staatsfinanzierung eingestie-
gen ist.«
Dann fragte der Spiegel: »Kann es sein, dass die Politik den angebli-
chen Angriff der Spekulanten nur erfunden hat, um eine Legitimation
für den Bruch des Lissabon-Vertrags und der EZB-Satzung zu haben?«
Pohls Antwort: »Natürlich, das ist möglich. Es ist sogar plausibel.«
128 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Pohl sah glasklar, welche Konsequenzen die Beschlüsse vom Mai


2010 haben würden: »sehr viel mehr Befugnisse und Macht« für die
EU-Kommission und die »logische« Weiterentwicklung der Euro-
Zone »zu unseren Lasten«. Solange zum Beispiel Griechenland so
massiv gestützt werde, habe das Land natürlich kein Interesse daran,
die Drachme wieder einzuführen. Und an den Spiegel-Journalisten
gerichtet: »Sie müssen ja sehen, was uns Deutsche das alles kosten
wird.«
Wie viel es kosten würde, war zwei Jahre später nicht einmal auf
100 Milliarden Euro genau festzumachen. Unbestritten war nur, dass
es immer mehr wurde. »Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie,
fortzeugend, immer Böses muss gebären«, heißt es in Schillers Wal-
lenstein.

So entwickelte sich seit dem Sündenfall des Mai 2010 ein EU-konfor-
mer Krisenmodus, eine fatale Rettungsdramaturgie: Die Europa-
Verträge wurden fortwährend gebrochen; die Politiker flüchteten
sich in Worthülsen, Vernebelung, Täuschung und Selbsttäuschung;
nach Griechenland mussten auch Irland, Portugal und Spanien geret-
tet werden; mit der Zahl der Gipfelkonferenzen - vorzugsweise an
einem Wochenende - wuchs die Gesamtsumme der verbürgten, ein-
gezahlten oder abgerufenen Hilfsgelder; die Missstimmung zwischen
den Europäern, die in den Vor-Euro-Zeiten gut miteinander ausge-
kommen waren, steigerte sich zur Feindseligkeit und manchmal bis
zu offenem Hass; mit der Entmachtung der Parlamente begann ein
Prozess des Abbaus von Souveränität und Demokratie; und die Re-
gierung Merkel gab Positionen auf, kaum dass sie sie bezogen hatte.
Seit dem Mai 2010 lieferte sie nur noch Rückzugsgefechte. Sie kapitu-
lierte auf Raten, aber - zumindest bis zum Sommer 2012 - nicht
bedingungslos.
Rettung in Permanenz: Vom EFSF zum ESM

Am Sonntag, dem 28. September 2010, vereinbarten die Finanzmi-


nister ein 85-Milliarden-Paket für Irland und beschlossen auch noch
weitere Rettungsmaßnahmen. Die Laufzeit der Kredite an Athen
wurde von drei auf siebeneinhalb Jahre verlängert, die Gläubiger soll-
ten nun erst ab 2013 an Umschuldungen in der Euro-Zone beteiligt
werden, und vor allem wurden die Steuerzahler in den noch halb-
wegs zahlungskräftigen EU-Ländern eingestimmt auf eine Rettung in
Permanenz. Während der erste große Rettungsschirm, der EFSF, an-
geblich auf eine Laufzeit bis Juni 2013 begrenzt war, einigte man sich
nun auf einen Nachfolger ohne Verfallsdatum, auf den ewigen »Euro-
päischen Stabilitätsmechanismus« (ESM).

Dessen ungeachtet wurde die Kapazität des im Frühjahr 2010 ge-


gründeten EFSF in der Nacht zum 27. Oktober 2011 in Brüssel vor-
sichtshalber von 440 auf 1000 Milliarden Euro aufgestockt, wunder-
samerweise ohne dass die Haftung der Euro-Länder erhöht werden
musste. Und es kam zum ersten, aber nicht letzten Schuldenschnitt
für Griechenland. Die Banken und die Versicherungen, nicht aber
die EZB, sollten freiwillig auf die Hälfte ihrer Forderungen an Athen
- rund 100 Milliarden - verzichten. Das tat ihnen nicht besonders
weh, weil viele Banken ihre Griechenlandpapiere ohnehin schon ab-
geschrieben oder sie unter Nennwert gekauft hatten oder weil ihnen
beim Verzicht von ihrer Regierung oder vom EFSF finanziell gehol-
fen werden sollte. Zu einer sauberen, marktwirtschaftlichen Lösung,
wonach die Gläubiger grundsätzlich für die Konsequenzen eines
schlechten Investments einstehen und haften, konnten sich die Re-
gierungen weder im Oktober 2011 noch danach durchringen.
Den vorläufig letzten Höhepunkt erreichte die Schuldensozialisie-
rung am Freitag, dem 29. Juni 2012, als Bundestag und Bundesrat un-
130 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

mittelbar vor der Sommerpause und unter größtem Druck bis in die
Abendstunden hinein dem Vertrag über den Europäischen Stabili-
tätsmechanismus (ESM), dem sogenannten Fiskalpakt und den Be-
gleitgesetzen zustimmen mussten. Wieder blieb den Abgeordneten
keine Zeit, die Texte gründlich zu lesen. Und wieder war es nur eine
Minderheit von Parlamentariern des Parteienkartells aus CDU, CSU,
FDP, SPD und Grünen, die den Mut aufbrachte, Nein zu sagen.
Ratifiziert werden sollte das alles schon zum 1. Juli, und das wäre
auch gelungen, hätte Bundespräsident Gauck, wie von der Regierung
Merkel gewünscht, die Gesetze unverzüglich unterschrieben. Der
Plan scheiterte, weil das Bundesverfassungsgericht intervenierte und
sich entschied, die in Karlsruhe eingehenden Verfassungsbeschwer-
den und die Anträge auf einstweilige Anordnung ernst zu nehmen.

Am 10. Juli wurde in Karlsruhe verhandelt

Das oberste deutsche Gericht setzte für Dienstag, den 10. Juli, eine
mündliche Verhandlung an und gab schließlich bekannt, dass es sich
bis September Zeit nehmen würde, um über die Eilanträge zu ent-
scheiden. Damit war die Euro-Rettungsmaschine erst einmal ge-
stoppt.
Die Kläger, das waren unter anderen eine von Professor Karl Alb-
recht Schachtschneider vertretene Professorengruppe, deren Verfas-
sungsbeschwerde ich mich angeschlossen hatte, außerdem der CSU-
Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler, die Linkspartei mit Gregor
Gysi und der Verein Mehr Demokratie e.V. mit über 23.000 Be-
schwerdeführern. Noch nie seit der ersten Hälfte der Neunzigerjahre,
als sich das Bundesverfassungsgericht erstmals mit der Währungs-
union befassen musste, war der Widerstand so breit angelegt.
Am 10. Juli wurde in Karlsruhe verhandelt 131

Einigkeit herrschte in der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe


eigentlich nur darüber, dass die unmittelbare deutsche Haftung aus
dem ersten Euro-Rettungsschirm (EFSF) und dem noch nicht in
Kraft getretenen zweiten (ESM) nach letztem Stand die Summe von
310,3 Milliarden Euro erreicht hat - etwas mehr als der Bundeshaus-
halt des laufenden Jahres. Nicht eingerechnet waren dabei die noch
größeren Risiken, die in den Bilanzen von EZB und Bundesbank
lauern.
Deutlich wurde auch, dass keine vollständige Klarheit über die fi-
nanziellen Konsequenzen des ESM herrschte. Selbst Bundesbankprä-
sident Jens Weidmann, von Amts wegen kein Euro-Gegner, verwies
in seinem Vortrag darauf, dass die Vertragsbedingungen in Bezug auf
die Nachschusspflichten nicht eindeutig seien. Was ist, wenn wir
schließlich 2000 Milliarden auf den Tisch legen müssen, fragte Ge-
richtspräsident Andreas Voßkuhle. Darauf Weidmann: »Mit schierer
Größe ist das Problem nicht lösbar.« Irgendwann sei die Grenze der
Glaubwürdigkeit erreicht. Und selbst die von der Regierung gefor-
derte rasche Ratifizierung des ESM-Vertrages böte keine Garantie,
dass sich die Krise nicht weiter fortsetze.

Um die Bedenken Weidmanns zu verstehen, müssen wir uns etwas


genauer mit dem ESM-Vertrag befassen. Die Mühe lohnt sich, denn
er soll schließlich für immer in Kraft bleiben. Auf den ersten Blick
scheint die Sache klar zu sein: Beim ESM handelt es sich um eine in-
ternationale Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg, um eine Art
von Bank ohne Bankenlizenz mit einem Gouverneursrat, in dem alle
Euro-Finanzminister sitzen, einem Direktorium und dem Geschäfts-
führenden Direktor. Sie erhält ein genehmigtes Stammkapital von
700 Milliarden Euro. Davon müssen 80 Milliarden gleich eingezahlt
werden, die restlichen 620 Milliarden können später abgerufen wer-
den. Auf Deutschland entfallen anfangs 22 Milliarden und später
132 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

168 Milliarden, die zu Lasten des Bundeshaushaltes gehen. Die Kon-


struktion ist mithin eine andere als die des EFSF. Dort wurde von den
Regierungen nur gebürgt, diesmal muss eingezahlt werden.

Ein Blick in den Vertrag: Es kann noch teurer


werden

Dass für Deutschland Nachschusspflichten entstehen können, dass es


über die 190 Milliarden hinaus teurer werden könnte, ergibt sich aus
folgenden Vertragsbedingungen:

Erstens: Zwar wird die anfängliche, kleinere Tranche der insgesamt


sieben Millionen Anteile am ESM zu je 100.000 Euro zum Nennwert
ausgegeben (daher die auf Deutschland zunächst entfallenden 22 Mil-
liarden). Jedoch kann der Gouverneursrat des ESM laut Artikel 8 »un-
ter besonderen Umständen« eine »anderweitige« Ausgabe beschlie-
ßen. Damit ist gemeint: Wenn er dringend sehr viel mehr Geld
benötigt, kann er die bereits genehmigten Anteile statt zu 100.000
Euro beispielsweise auch zu 120.000 oder zu 140.000, das heißt mit ei-
nem Agio abrufen. Dementsprechend müssen mehr als die geplanten
700 Milliarden eingezahlt werden.
Zweitens: Laut Artikel 10 überprüft der Gouverneursrat regelmäßig,
mindestens jedoch alle fünf Jahre die »Angemessenheit« des geneh-
migten Stammkapitals. Er kann es »verändern«. Gemeint ist: herauf-
setzen.
Drittens (Artikel 25) »ergeht an alle ESM-Mitglieder ein revidierter
erhöhter Kapitalabruf«, falls ein ESM-Mitglied die erforderliche Ein-
zahlung nicht vornimmt. Das bedeutet: Je mehr Einzahler ausschei-
den, weil sie nicht zahlen wollen oder können, desto teurer kann es
für Deutschland und damit für den Bundeshaushalt werden. Abgese-
Ein Blick in den Vertrag: Es kann noch teurer werden 133

hen davon ist es absurd, in der Regel davon auszugehen, dass die zu
rettenden Staaten sich selbst an ihrer Rettung finanziell beteiligen.
Womit denn? Sie würden mit der einen Hand einzahlen und mit der
anderen in den Topf greifen.

Aber, so argumentiert die Bundesregierung, der Bundestag muss


doch jedes Mal zustimmen, wenn der im ESM-Gouverneursrat ver-
tretene deutsche Finanzminister bei den vorgesehenen Abstimmun-
gen frisches Geld bewilligt. Nur ist nach allen bisherigen Erfahrun-
gen die Chance minimal, dass sich der Bundestag - jedenfalls in der
gegenwärtigen Zusammensetzung - quer legt, wenn die Entschei-
dung intern bereits gefallen ist und wenn der angebliche Druck der
Finanzmärkte wieder einmal schnelles Handeln erfordert.
Eine wirksame Kontrolle durch das Parlament würde eine echte
Gewaltenteilung im deutschen Rechtsstaat voraussetzen. Die aber
existiert in der Bundesrepublik nicht mehr. Anders als in den USA
mangelt es dem deutschen Parlament an Selbstbewusstsein. Die Koa-
litionsparteien vollziehen in aller Regel, was die Regierung vorgibt.
Und in Sachen Euro-Rettung besteht die Rolle der Opposition - ab-
gesehen von der Links-Partei - darin, einen draufzusatteln und noch
mehr europäische »Solidarität« zu fordern. SPD und Grüne haben
das Konzept der innerstaatlichen Umverteilung ganz einfach auf die
europäische Ebene transferiert. Und sollte das Geld nicht reichen,
dann rufen sie nach Steuererhöhungen, Zwangsanleihen und Vermö-
gensabgaben zulasten des deutschen Mittelstandes.

Somit bleibt als Gegengewicht zur Regierung und zum gleichgeschal-


teten Parlament nur noch das Bundesverfassungsgericht in Karlsru-
he. Es wurde im Sommer 2012 von den Politikern derart unter Druck
gesetzt, dass der Eindruck entstand, sie würden seine Befugnisse am
liebsten per Gesetz beschneiden.
134 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Ohnehin ist dem ESM-Vertrag ein großes Maß an Raffinesse nicht


abzusprechen. Schließlich wurde er von internationalen Anwalts-
kanzleien ausgearbeitet - von denselben Leuten, die sonst als Kenner
des Finanzdschungels den internationalen Banken ihre Verträge aus-
tüfteln. »Der ESM-Vertrag«, schrieb Professor Thorsten Polleit im
Degussa-Marktreport vom 29. Juni 2012, »verlagert die Budgethoheit
von den Nationalstaaten auf die europäische Bürokratieebene. Diese
Wirkung des Vertragswerkes mag nicht sofort ins Auge springen,
schließlich haben seine Verfasser ganze Arbeit geleistet, um das wah-
re Gesicht des Vertrages zu verbergen.«
Professor Polleit nennt den ESM ein »trojanisches Pferd«, um den
nationalen Parlamenten ihre Budgethoheit zu nehmen, »und zwar
durch vertragsmäßige Überrumpelung«. Für diese Lesart spricht,
dass auch der deutsche ESM-Gouverneur der Schweigepflicht unter-
liegt (wie soll er dann den Bundestag hinreichend informieren?), dass
die eigentliche Macht nicht beim Gouverneursrat liegt, sondern beim
Direktorium, in dem der von Berlin entsandte Vertreter nicht einmal
die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen muss - und vor allem, dass
das Prozedere des ESM wegen dessen Geheimhaltung und der Im-
munität seiner Organe für den deutschen Bundestag undurchsichtig
und unüberprüfbar bleiben muss.

Theoretisch könnte der Gouverneursrat die Bundesregierung sogar


gegen ihren Willen zu Zahlungen verpflichten, falls der deutsche Fi-
nanzminister eine entscheidende Sitzung verpasst. Theoretisch kann
Berlin vor dem Gerichtshof der Europäischen Union klagen, wenn
Streit über die Anwendung oder Auslegung des Vertrages entsteht.
Allerdings sind nationale Souveränitätsrechte beim EuGH bekannt-
lich schlecht aufgehoben. Er entscheidet gewohnheitsmäßig zuguns-
ten des EU-Zentralismus.
Möglichkeiten des Schuldensozialismus

Die Möglichkeiten des ESM, das gescheiterte Euro-Experiment um


Jahre zu verlängern, dürfen nicht unterschätzt werden. Wenn er erst
einmal seine Arbeit aufgenommen hat, wird er Staatsanleihen auf-
kaufen und wahrscheinlich sogar insolvente Banken mit frischem
Geld versorgen und damit den Mechanismus eines freien Marktes
weitgehend ausschalten. Seine Kapitalausstattung ist enorm, sie über-
steigt bei Weitem die der EZB oder die der Deutschen Bundesbank.
Mit dem ESM werden politische und finanzielle Macht in Westeuro-
pa zum ersten Mal in einer monströsen Institution konzentriert. Der
ESM ist von Natur aus ein politisches Instrument, die EZB bzw. das
Euro-System wurde schon 2010 politisiert. Sie hat seit Beginn der Fi-
nanzkrise ihre Bilanz auf rund 3000 Milliarden Euro verdreifacht.
Offen bleibt vorerst, in welchem Ausmaß die Schulden der Staaten
und Banken »vergemeinschaftet«, das heißt sozialisiert werden. End-
gültig gelöst wäre das Problem aus Sicht der Südeuropäer, der EU-
Kommission und der Opposition in Berlin, wenn Deutschland mit
der Ausgabe von Euro-Bonds für die Schulden anderer oder für ei-
nen Teil davon (mithilfe eines sogenannten Schuldentilgungsfonds)
in Mithaftung genommen würde. Aber auch jetzt schon sind die Ri-
siken, die auf dem Bundeshaushalt lasten, erschreckend groß. Im Mai
2012 summierte sich die deutsche Haftung allein für Griechenland,
das heißt für den Fall eines vollständigen griechischen Zahlungsaus-
falls, auf 65,5 Milliarden. 28,8 Milliarden davon resultierten aus dem
griechischen Zahlungsbilanzdefizit, genauer: aus den Verbindlichkei-
ten im Target-2-System der EZB, 26,4 Milliarden aus bereits ausge-
reichten Krediten und Bankenhilfen und 1,3 Milliarden Euro aus
dem deutschen Anteil an der IWF-Hilfe an Athen.
Hinzu kommen die noch unbezifferten Anteile an den Notkredi-
ten, die die griechische Notenbank ihren heimischen Banken still
136 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

und heimlich gewährt. In der Fachsprache heißen sie »Emergency


Liquidity Assistance«, kurz: ELA.
Bei genauerem Hinsehen greift Europa nicht mehr nur nach deut-
schen Steuergeldern - deren Aufkommen ist schließlich begrenzt -,
sondern auch nach den deutschen Spargeldern. Daher der Ruf nach
einer Bankenunion kombiniert mit einer Europäisierung der Einla-
gensicherung. Dann würden die deutschen Kontoinhaber indirekt
für die Einlagen der Sparer in Südeuropa mithaften. Die verschiede-
nen Einrichtungen der deutschen Einlagensicherung reichen aber
nicht einmal für die Guthaben im eigenen Land, falls es zu einem
Sturm auf die Banken kommt und die Krise außer Kontrolle gerät.

Woher der Wind weht, lässt sich der Auslassung des Vorstandsspre-
chers der italienischen Großbank Unicredit entnehmen, zitiert in der
Wirtschaftswoche vom 18. Juni 2012. Die Deutschen müssten zahlen,
sagte er, schließlich hätten sie auch am kräftigsten vom Euro profitiert.
Finanziell sei das kein Problem, denn das Geld- und Immobilienver-
mögen der Deutschen betrage nach Abzug der Kredite 8500 Milliar-
den Euro. »Das ist mehr als alle Schulden im Euro-Raum.« So also
klingt der Versuch, Raub zu legalisieren.

Eine Vermögensvernichtungsmaschine
nennt es Professor Sinn

Der Kampf um den Euro ist eben noch lange nicht ausgereizt. Wenn
von Europa im Allgemeinen, von Solidarität und Vergemeinschaftung
die Rede ist, geht es im Wesentlichen um Geld - nicht um das eigene,
um das der anderen. Solche Zusammenhänge klar zu benennen und
den Mut zu haben, sie auszusprechen, ist das große Verdienst des
Münchener ifo-Chefs Hans-Werner Sinn. In der mündlichen Ver-
Eine Vermögensvernichtungsmaschine ... 137

handlung vor dem Bundesverfassungsgericht am 10. Juli nahm er


kein Blatt vor den Mund. Er nannte die Euro-Rettung eine »Vermö-
gensvernichtungsmaschine«. Er präsentierte zwei Theorien. Die eine
(»Geld ins Fenster legen«) habe nicht funktioniert, weil das Geld
dann doch aus dem Fenster genommen wurde. Er meinte damit, dass
das bloße Vorzeigen von einigen Hundert Milliarden die Finanz-
märkte nicht sonderlich beeindruckt habe, wie von den Politikern er-
wünscht.

Die andere Theorie, nach der die Euro-Rettung inzwischen abläuft,


nannte Sinn »Fass ohne Boden«. Sinn war es, der die bei der Bundes-
bank aufgelaufenen Target-2-Kredite überhaupt erst untersucht und
publiziert hat, nachdem ihn der frühere Bundesbankpräsident Schle-
singer auf das für den Laien, aber auch für viele Experten schwer ver-
ständliche Phänomen aufmerksam gemacht hatte. Ohne seine hart-
näckige Recherche wüsste die Bundesregierung vermutlich nicht
einmal, dass - nach dem Stand vom Frühsommer 2012 - die Target-
2-Forderung der Bundesbank (»faktisch ein Kredit an die Südlän-
der«) die fast unvorstellbare Summe von 700 Milliarden erreicht hat.
Dann stellte Sinn die Frage: Was würde ohne den ESM und ohne
die Target-2-Kredite passieren? Antwort: »sofortige Austritte aus der
Euro-Zone, Turbulenzen an den Finanzmärkten, weil diese bisher
immer damit gerechnet haben, dass der Steuerzahler einspringt, aber
kein Weltuntergang«. Irgend jemand müsse die Verluste in Südeuro-
pa tragen. Seiner Meinung nach sollten es die Gläubiger sein - die
Banken, die Fonds und die wohlhabenden Investoren - und nicht die
Steuerzahler. Und wenn der ESM erst einmal seinen Betrieb aufge-
nommen hat? »Dann kann das so lange gehen, bis Deutschland kein
Geld mehr hat.«
Falsche Diagnose, falsche Therapie

Die Theorie vom »Fass ohne Boden« impliziert logischerweise, dass


alle Hilfsmaßnahmen seitens EFSF, ESM und EZB die Krise nicht be-
enden, sondern nur verlängern können. Denn: Wenn die Diagnose
falsch ist, kann die Therapie nicht wirken.
Die Fehldiagnose besteht im vorliegenden Fall in der Annahme,
dass es sich im Kern um eine Staatsschuldenkrise handele und dass
die Haushaltsdefizite das Hauptproblem seien. Wenn das stimmte,
dann wäre alles gut, sobald die südeuropäischen Staaten ausgegliche-
ne Budgets vorlegen. Das trifft schon deswegen nicht zu, weil sich in
Spanien und Irland das Unheil ausgerechnet zu der Zeit zusammen-
braute, als beide Länder keine Schulden machten, sondern dank des
Wirtschaftsbooms in Geld schwammen. Selbst 2009, als die Party
schon vorüber war, lagen der spanische und der irische Staatsschul-
denstand noch weit unter dem deutschen - und der portugiesische
nur leicht darüber. Wie wir sehen werden, war der Euro von Anfang
an nicht die Lösung, sondern das Problem. Das ist er heute noch. Das
wird er bleiben, solange er Bestand hat.

Der wahre Grund des Debakels war der Einheitszins, mit dem 1999
Volkswirtschaften gleichgeschaltet wurden, deren Strukturen, deren
Produktivität und deren Wettbewerbsfähigkeit ganz unterschiedlich
waren. Noch in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre rentierten zehn-
jährige italienische Staatsanleihen zeitweise mit 13 Prozent. Später
sank die Rendite dank Euro auf vier Prozent oder sogar noch darun-
ter.
Jahrelang, bis etwa 2007, war der Realzins (nach Abzug der Inflati-
onsrate) in Deutschland zu hoch und an der Peripherie der Euro-Zo-
ne zu tief. Ohne den Einheitszins wären weder der absurde Immobi-
lienboom in Spanien und in Irland noch die überzogenen Lohn- und
Falsche Diagnose, falsche Therapie 139

Preissteigerungen und der damit verbundene Verlust der Wettbe-


werbsfähigkeit in den Krisenländern möglich gewesen.
In dieser Periode der Scheinblüte des Euro floss Kapital aus
Deutschland ab. Deutschland stagnierte und bildete zusammen mit
Italien gemessen am Wirtschaftswachstum zehn Jahre lang das
Schlusslicht in der Währungsunion. Nicht etwa hohe Staatsschul-
den, schreibt Matthias Elbers in seiner lesenswerten Studie »Das
Euro-Desaster«, hätten Spanien das Genick gebrochen, sondern die
exorbitant hohen Schulden der privaten Haushalte und Unterneh-
men sowie die völlig einseitig auf den Bausektor ausgerichtete Wirt-
schaftsstruktur.

Somit war und ist die Euro-Krise primär eine Zahlungsbilanzkrise -


und diese ging einher mit einer Bankenkrise, weil sich eine gesamt-
wirtschaftliche Überschuldung vor allem im Bankensektor nieder-
schlägt. Der Einheitszins setzte falsche Preissignale, er provozierte
Fehl- und Überinvestitionen sowie unhaltbare Kapitalflüsse, die sich
in den Leistungsbilanzdefiziten der Euro-Randstaaten bemerkbar
machten. Dass schließlich auch die Staatsschulden ausuferten, war
nur ein Teilaspekt des Debakels, wenn auch ein wichtiger. Ohne den
Euro und unter den früheren Bedingungen eines Währungs- und
Zinswettbewerbs hätte der Zusammenbruch nie diese Ausmaße an-
nehmen können.
Finanziert wurde die Party vor allem von Deutschland. Im Zeit-
raum 2002 bis 2010 sparten die Deutschen 1626 Milliarden Euro. Da-
von flössen gut 1000 Milliarden ab, die für Investitionen im Inland
nicht mehr zur Verfügung standen. Daher das extrem schwache
Wachstum in der Bundesrepublik, womit übrigens auch die Legende
widerlegt ist, Deutschland habe am meisten vom Euro profitiert.
Wenn überhaupt, hat Deutschland nicht vom Euro als solchem,
sondern vom Ausbruch der Euro-Krise profitiert. Ab 2007 begannen
140 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

die Kapitalexporte in die Peripherie zu versiegen, Deutschland galt


mehr und mehr als sicherer Hafen. Die Peripherie importierte wei-
terhin aus Deutschland, am liebsten teure Autos, und ließ dafür bei
der Bundesbank anschreiben. Matthias Elbers weist darauf hin, dass
der deutsche Leistungsbilanzüberschuss im Handel mit den Staaten
der Euro-Zone seit 2007 ziemlich genau den bei der Bundesbank ku-
mulierten Target-2-Forderungen entspricht. Was hier dank des Euro-
Systems praktiziert wurde, war ein realer Gütertransfer, der mit Zah-
lungsversprechen bezahlt wurde, die sich größtenteils als wertlos
herausstellen werden - so Elbers.

Hauptverlierer ist der deutsche Mittelstand

Der Hauptverlierer des missglückten Währungsexperimentes, daran


lässt die Studie keinen Zweifel, ist Deutschlands Mittelstand. Erst
wirkte der durch den Euro ausgelöste Kapitalabfluss wie eine massive
Wachstumsbremse, auch mit der Folge, dass die Kommunen wegen
schwacher Steuereinnahmen immer weniger in ihre bereits herunter-
gekommene Infrastruktur investieren konnten. Hätte es den Euro nie
gegeben, so die Berechnung von Elbers, würde das durchschnittliche
Realeinkommen der deutschen Arbeitnehmer und der kleinen
Selbstständigen heute um 15 bis 20 Prozent höher liegen.
Was noch bevorstehe, so Elbers, sei als Folge der EZB-Geldpolitik
die Enteignung der Sparer durch Inflation. »So oder so, die deutsche
Mittelschicht bekommt die gewaltige Rechnung in dreistelliger Milli-
ardenhöhe für den Konsum auf Pump in den Peripherieländern erst
noch präsentiert. Und diese Rechnung wird mit jedem Tag länger,
denn weder die Regierungskoalition noch die Opposition im Bun-
destag scheinen gewillt, dieses Problem auch nur zu diskutieren.«
Hauptverlierer ist der deutsche Mittelstand 141

Wenn die Politiker in Berlin ihren Amtseid, Schaden vom deut-


schen Volk abzuwenden, ernst nähmen, hätten sie längst die Kosten
eines Schreckens ohne Ende gegen die eines Endes mit Schrecken ab-
wägen müssen. Am billigsten wäre es gewesen, im Mai 2010 ver-
tragstreu zu bleiben und den Weg in die Transferunion und in die
Krisenverschleppung gar nicht erst zu beschreiten. Mit der Formel
»Scheitert der Euro, scheitert Europa« hat sich die Regierung Merkel
erpressbar gemacht.
Die aus Barroso (Ex-Maoist), Draghi (Ex-Goldman Sachs) und
Monti (Ex-Kommissar) bestehende Troika treibt Angela Merkel vor
sich her. Die Kanzlerin denkt nicht einmal daran, ihr ultimatives
Druckmittel in Stellung zu bringen, nämlich die Drohung, zur Deut-
schen Mark zurückzukehren. Warum nicht, wird verständlich, wenn
man sich die Vernetzung des Internationalisten Mario Monti, seit
November 2011 EU-Statthalter in Rom, etwas genauer ansieht. Er
sitzt im Vorstand der Bilderberger-Konferenz, ist führendes Mitglied
der Trilateralen Kommission und arbeitete als internationaler Berater
für die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs.

Alternativen: Deutschland könnte auch


austreten

Dass die Bundesrepublik durchaus die Option besitzt, den Euro zu


verlassen oder die Euro-Zone auf einen überlebensfähigen Kern zu
verkleinern, wurde schon 2010 in einer Studie der Schweizer Groß-
bank UBS (»Die Zukunft des Euro«) herausgearbeitet. Wichtigste Er-
kenntnis der Analyse: Die gigantischen Bürgschaften, Kredite und
Zahlungen, denen der Bundestag bisher zustimmen musste, können
den Euro nicht retten, weil sie am Kern der Krise vorbeigehen. Die
Bundesregierung irre sich, wenn sie in den Haushaltsdefiziten der
142 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Südeuropäer das Hauptproblem sehe. Warum? Weil zur Staatsver-


schuldung die Verschuldung des privaten Sektors addiert werden
muss und weil erst beide zusammen die Leistungsbilanz und damit
den Saldo gegenüber dem Ausland verschlechtern.

Tatsächlich lässt sich die Schieflage, in die der Euro - unbemerkt von
den meisten Ökonomen und Politikern - schon lange vor Ausbruch
der Griechenlandkrise geriet, an folgenden Zahlen festmachen: Im
Zeitraum 1999 bis 2009 eskalierten die Schulden der fünf Problem-
länder gegenüber den solideren Mitgliedern der Euro-Zone von 463
auf 2033 Milliarden! Davon entfielen 822 Milliarden auf Italien,
613 Milliarden auf Spanien, 348 Milliarden auf Irland, 141 Milliarden
auf Griechenland und 110 Milliarden auf Portugal. Mit anderen Wor-
ten: Die Südeuropäer und die Iren gaben mehr aus, als sie verdienten.
Das tun seit einigen Jahren auch die Franzosen.
Theoretisch möglich sind laut UBS zwei Auswege: Erstens könnten
Deutschland und andere Länder des harten Kerns (Österreich, die
Niederlande, Finnland) einem innereuropäischen Finanzausgleich
zustimmen und einen erheblichen Teil ihres Wohlstandes an die Pe-
ripherie abgeben. Dazu müsse jedoch der Bundestag eine wesentliche
Erhöhung des deutschen Haushaltsdefizits tolerieren, und zwar über
Jahre hinaus. Das sei, vermutet die UBS, nicht durchsetzbar.
Die andere Lösung bestünde darin, dass die südeuropäischen Län-
der ihre Preise und Löhne so lange und so weit senken, bis sie wieder
wettbewerbsfähig sind. Das aber würde sie für lange Zeit zu hoher
Arbeitslosigkeit und zu Rezession verurteilen. Und dabei würden die
dortigen Staatsschulden wegen der Steuerausfälle vermutlich noch
mehr steigen.

Fazit: »Die Euro-Zone muss sich verändern.« Eine neue Gestaltung


sei notwendig - entweder vom Kern oder von der Peripherie aus. Am
Die Macht der Euro-Lobby 143

vernünftigsten wäre es aus Sicht der Schweizer Bank, wenn einige


Mittelmeerländer »in geplanter und geordneter Weise« aus der Wäh-
rungsunion ausscheiden. Wenn nicht rechtzeitig gehandelt werde,
bestehe die Gefahr einer schnellen und ungeordneten Auflösung der
Währungsunion.
Die andere Option ist der Austritt Deutschlands, entweder allein
oder zusammen mit anderen Geldgebern wie Finnland, Österreich
und den Niederlanden. Die UBS jedenfalls hält das Ausscheiden
Deutschlands für eine praktikable Lösung. Die neue deutsche Wäh-
rung würde aufwerten, darunter litte zunächst die deutsche Export-
wirtschaft, die deutsche Wirtschaft würde sich auf den Binnensektor
umorientieren, und die Deutschen, »die bisher wenig von der Ex-
portstärke ihres Landes profitiert haben, könnten einen höheren An-
teil dessen genießen, was sie produzieren«.

Die Macht der Euro-Lobby

Hinzufügen möchte ich einen anderen Vorteil für Deutschland: Die


Staatsverschuldung, die nach der Währungsumstellung immer noch
auf Euro lauten könnte, würde real schrumpfen, weil der Euro gegen-
über der neuen Mark abwerten würde. Und der Rest der Euro-Zone
bekäme genau das, was er dringend benötigt: eine Abwertung auch
gegenüber Deutschland. Ohne erhebliche Kosten ginge auch diese
Lösung nicht ab. So müsste die Bundesbank eine bilanztechnische
Lösung für die Target-2-Forderungen finden, die bei einem Euro-
Austritt verloren wären. Die Bundesbank könnte die Verluste nur
schwer mit ihren eigenen Mitteln abfedern. Der Bund müsste nach-
schießen - was er aber vermutlich auch aus »Umstellungsgewinnen«
leisten könnte, die dann anfallen, wenn seine ausstehenden Schulden
in Euro denominiert bleiben.
144 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

Als Realist muss man allerdings sehen, dass in Berlin, in Brüssel


und anderswo unter den gegenwärtigen Umständen der Wille fehlt,
reinen Tisch zu machen. Vermutlich kann der Euro auf der Intensiv-
station jahrelang überleben, solange er mithilfe der Gelddruckma-
schine EZB und des Geldumverteilungsmechanismus ESM künstlich
beatmet wird. Zeitlich berechenbar ist der Auflösungsprozess nicht.
Vieles ist unklar und unbekannt, Überraschungen müssen einkalku-
liert werden.
Für einen ausgedehnten Schrecken ohne absehbares Ende spricht
auch die Beobachtung, dass hinter dem Euro-Projekt eine mächtige,
wenngleich heterogene Allianz von Interessen steht. Der deutsche
Mittelstand als Hauptverlierer bleibt in diesem Spiel ohne Einfluss,
auch deswegen, weil er parteipolitisch nicht organisiert ist.

Zu dieser Koalition zählt die Mehrzahl der deutschen Konzerne, die


in der City of London und an der Wall Street tonangebenden Groß-
banken, die Funktionärsklasse der EU, das strikt an nationalen Inter-
essen orientierte Establishment in Paris und das deutsche Parteien-
kartell, das sich aus Souveränitätsangst hinter der gedanklichen
Konstruktion »Europa« zu verstecken pflegt. Dazu zählen natürlich
auch die europäischen Freunde, die - um die Wirtschaftswoche vom
2. Juli 2012 zu zitieren - ihre Souveränitätsrechte nicht hergeben wol-
len, zugleich aber die »deutsche Selbstauflösung« als eigene Erlösung
erleben.
Das Eigeninteresse der City of London und der Wall Street liegt auf
der Hand. In den von außen undurchschaubaren Bilanzen der dorti-
gen Banken lauern gigantische Risiken in Form von Euro-Staatsan-
leihen und aus Kreditbeziehungen zu den angeschlagenen Geldinsti-
tuten der Währungsunion. Der Gedanke, ihre Geschäfte zulasten der
Steuerzahler anderer Länder weiter betreiben zu können, muss ihnen
ausgesprochen sympathisch sein. Gerade die Briten würden nicht im
Die Macht der Euro-Lobby 145

Traum daran denken, dem Euro beizutreten. Sie finden es aber wün-
schenswert, dass diejenigen, die ihn haben, dabei bleiben und für den
Schaden zahlen. Die Blase darf nicht platzen.

Die deutschen DAX-Konzerne wiederum haben nicht das Geringste


dagegen einzuwenden, dass ihre Exporte auf Pump bezahlt werden,
indirekt auch von der Bundesbank und zulasten von deren Bilanz.
Immerhin gehen, wenn auch mit sinkender Tendenz, rund 40 Pro-
zent der deutschen Exporte in die Euro-Zone. Patriotismus darf man
ihnen nicht unterstellen. In einigen Vorständen stellen Ausländer die
Hälfte oder sogar mehr, über 50 Prozent der DAX-Aktien liegen in
ausländischer Hand. Die Konzerne sind subventionssüchtig und grei-
fen immer gerne nach Steuergeldern. Linde-Chef Reitzle bleibt mit
seiner Euro-Skepsis eine Ausnahme.
Dass der Brüsseler EU-Apparat mit seinen Kommissaren, Räten
und Komitees einschließlich der zentralisierungswütigen EU-Parla-
mentarier die Euro-Misere nicht unbedingt als Bedrohung, sondern
eher als Chance begreift, erklärt sich schon daraus, dass jede Großor-
ganisation nach Erhalt und Vergrößerung ihrer Macht strebt. Wenn
sich aus der Krise noch mehr »Integration« herausschlagen lässt,
umso besser. Dass sich hinter dem diffusen Begriff nichts anderes als
der Machthunger bestimmter Instanzen verbirgt, liegt in der Natur
der Sache.

Als Sonderfall muss das linke Spektrum der politischen Klasse


Deutschlands eingestuft werden. Sie sehen in deutschem Souveräni-
tätsverlust, in der Aufgabe des Zahlmeisters und in der Überzeugung,
dass Deutschland sich nicht selbst regieren sollte, eine Pflichtübung
der Vergangenheitsbewältigung. Musterbeispiel dafür ist der führen-
de Grünen-Politiker und Exkommunist Jürgen Trittin, der sich An-
fang Juni 2012 decouvrierte, als er den Wirtschaftswissenschaftler
146 Euro-Dämmerung: Eine Währung auf Abruf

und Euro-Skeptiker Hans-Werner Sinn als »Stammtischökonomen«


beschimpfte.
Um Trittins Denke zu verstehen, muss man in die Archive gehen.
»Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft«, schrieb er am 2. Januar
1998 in der inzwischen eingestellten Woche, »war die europäische
Antwort auf den Holocaust ... Weil die Alternative zum Euro die D-
Mark ist, weil ich gegen ein deutsches Europa bin, plädiere ich dafür,
1998 Ja zum Euro zu sagen.«

In dasselbe antideutsche Horn stieß Joseph Fischer, als er am 25. Mai


2012 nicht nur den »unbegrenzten Erwerb« von Regierungsanleihen
durch die EZB, sondern auch die »Europäisierung« der nationalen
Schulden mithilfe von Euro-Bonds forderte. Dann griff Fischer die
von ausländischen Kreisen orchestrierte Propaganda auf und be-
hauptete, Deutschland habe sich und die europäische Ordnung zwei-
mal im 20. Jahrhundert zerstört, und es wäre tragisch, würde Deutsch-
land »den Ruin der europäischen Ordnung ein drittes Mal
verursachen«. Wie das, wenn 60 Prozent der Europäer nicht mit dem
Euro zahlen und wenn es den Ländern, die ihn nicht haben, wirt-
schaftlich viel besser geht als der Euro-Zone? Europa ist ebenso we-
nig mit der EU identisch wie diese mit dem Euro. Fischer drohte,
machte Angst, leugnete die Ursachen der Euro-Krise und setzte das
Land, dessen Außenminister er einmal war, auf die Anklagebank.
Zu beobachten ist ein verbreitetes dumpfes Denken, das ökonomi-
sche Gesetzmäßigkeiten, marktwirtschaftliche Regeln, die Segnun-
gen von Wettbewerb, Selbstverantwortung und Haftung konsequent
ausblendet. Aber war der Euro nicht von Anfang an ein rein politi-
sches, ökonomisch nie begründbares Projekt? Dafür wird jetzt eine
furchterregend hohe Rechnung präsentiert. Die Alternative, die nach
Auskunft von Angela Merkel nicht existiert, lautet, um ein indiani-
sches Sprichwort zu zitieren: »Wenn das Pferd tot ist, steige ab.«
Was tun? Rat für den
defensiven Investor
Wenn schlechte Nachrichten zum Dauerzustand werden, tritt leicht
ein Gewöhnungseffekt ein, und das Gefahrenbewusstsein schwindet.
Dies umso mehr, als die politische Klasse daran interessiert sein
muss, die Illusion zu verbreiten, sie habe alles unter Kontrolle. Also
wird kaschiert, negiert, getäuscht und gelogen.
Andererseits ist es gar nicht so leicht, zwischen bloßer Panikmache
und seriösen Warnungen zu unterscheiden. Daran ist nicht zuletzt
das Internet mitschuldig, wo jeder sich über alles auslassen kann mit
der Folge, dass das Gefühl für Qualität verloren geht. Das gilt auch
für den Goldmarkt, wenn Kompetenz durch Lautstärke ersetzt wird.
Der Anleger muss eben wissen, wen er ernst zu nehmen hat. Ein
ausgewiesener Sachkenner ist der emeritierte Schweizer Wirt-
schaftsprofessor Walter Wittmann. In seinem neuesten Buch Super-
krise schreibt er, dass sich der Trend zu mehr Schulden ungebremst
fortsetzen werde, sowohl in den USA als auch in Japan und Europa;
dass Staatsbankrotte in dichter Folge nicht mehr auszuschließen sei-
en; dass ein neuer Börsencrash jederzeit möglich sei; dass die mithil-
fe von Derivaten aufgepumpte Superblase »nicht in einer fernen, son-
dern in der nahen Zukunft« platzen werde.

Vorkehrungen für den Tag des Jüngsten


Gerichts

Ähnlich sieht es der in Asien domizilierte Schweizer Investmentstra-


tege Marc Faber, der entgegen seinem Ruf keineswegs immer die
Baisse gepredigt hat. Laut Focus Money (Nr. 48/2011) prognostizierte
er vor hundert Vermögensverwaltern in München: »Das ultimative
Armageddon wird kommen, und jeder Anleger muss für den Tag des
Jüngsten Gerichts Vorkehrungen treffen.«
150 Was tun? Rat für den defensiven Investor

1980, so Faber, seien die US-Staatsschulden erstmals über die Mar-


ke von 1 Billion Dollar geklettert - und seitdem um das 14-Fache auf
über 14 Billionen. In fünf bis zehn Jahren würden sie doppelt so hoch
sein wie heute. Am Ende sei der Staatsbankrott unvermeidlich. »Be-
vor die Regierungen aber bankrottgehen, werden sie noch mehr Geld
drucken und sie werden Krieg führen. Eigentlich sollte ich einen trin-
ken gehen - in Antizipation des Untergangs.«
Und der deutsche Professor Bernd-Thomas Ramb, ein Euro-Geg-
ner der ersten Stunde, versucht in einer Neuerscheinung (Gebt uns
unsere D-Mark zurück!), die Wahrscheinlichkeit einer Währungsre-
form in Deutschland zu berechnen. Bis 2017 steigt diese demnach auf
50 Prozent, bis 2030 auf 98 Prozent. Dabei stützt er sich im Wesentli-
chen auf die zunehmende Belastung der Staatsfinanzen durch die de-
mografische Entwicklung, das heißt durch die Alterung der Gesell-
schaft. Wenn die künftigen Renten und Pensionen berücksichtigt
werden, dann beträgt die sogenannte implizite Schuldenquote schon
jetzt ein Mehrfaches der offiziell ausgewiesenen 80 Prozent des Brut-
toinlandsproduktes.

Dabei sind die explodierenden Kosten der sogenannten Euro-Ret-


tung noch gar nicht berücksichtigt. Ob Rambs Fahrplan annähernd
stimmt oder ob er durch »finanzielle Repression«, Enteignung und
Inflationierung gestreckt werden kann, sei dahingestellt. Jedenfalls
wäre es für jeden Sparer fahrlässig, das reale Risiko eines Währungs-
schnitts nicht rechtzeitig ins Kalkül zu ziehen. Völlig normal für Su-
perkrisen, Staatsbankrotte und andere Finanzkatastrophen ist es,
dass sie eine lange Inkubationsphase durchlaufen und dann zu einem
unvorhersehbaren Zeitpunkt plötzlich eintreten. Das Portfolio muss
vorher verteidigungsfähig sein.
»Wir werden alle nass werden«, meinte der Schweizer Vermö-
gensverwalter Felix Zulauf. Auch Marc Faber warnte: »Kalkulieren
Vorkehrungen für den Tag des Jüngsten Gerichts 151

Sie Verluste mit ein. Im Grunde ist es großartig, wenn Sie nur
50 Prozent verlieren - wenn die anderen 90 Prozent oder mehr ein-
büßen.«
Unter solchen Szenarien ist Gold der Krisenschutz par excellence,
weil es kein Länderrisiko trägt, keine Forderung an einen Dritten
darstellt, somit nie pleitegehen kann, und weil es ein besonders liqui-
des und fungibles Investment ist, mit dem sich der Anleger außerhalb
des maroden Bankensystems und außerhalb des Universums der un-
gedeckten Papier- und Computerwährungen stellt. Gold trägt keiner-
lei Bonitätsrisiko, wohl aber ein (überschaubares) Preisrisiko, das für
den hier beschriebenen Zweck einer Goldanlage sekundär ist. Aus
der Sicht des defensiven Investors liegt die Bedeutung des Goldes im
Besitz, weniger im Preis.

Am besten, Sie bilanzieren Ihr Gold nicht in Euro oder Dollar, son-
dern in Unzen. Um einem Missverständnis vorzubeugen: Es spielt
keine Rolle, mit welcher Währung Gold gekauft wird. Die Preisbil-
dung kann anschließend in jeder beliebigen Währung verfolgt wer-
den, und beim Verkauf kann in jede andere Währung zurückgewech-
selt werden. Silber eignet sich als Ergänzung, vor allem in Form von
Ein-Unzen-Münzen, die in Notzeiten als Kleingeld dienen können.
Auch gegen Kilobarren ist nichts einzuwenden. Sie übersteigen aller-
dings schnell die Kapazität eines normalen Schließfachs.

Wann Silber billig oder teuer ist

Ob Silber in den nächsten Jahren besser als Gold abschneidet, ist


Glaubenssache. Ein Blick in die Geschichte seit den 1870er-Jahren
zeigt uns, dass Silber ein sehr viel schlechteres Wertaufbewahrungs-
mittel als Gold war und dass man in Deflationen und Depressionen
152 Was tun? Rat für den defensiven Investor

besser mit Gold bedient war. Hingegen erwies sich die Inflation der
1970er-Jahre bis Anfang 1980 als günstiges Umfeld für Silber.
Das Argument, ein angemessenes Preisverhältnis von Gold zu Sil-
ber müsse 17 betragen, weil Silber in der Erdkruste 17-mal häufiger
vorkommt als Gold, ist unsinnig. Nach derselben Logik müsste das
sehr seltene Rhodium Fantasiepreise erzielen. Sicher ist nur, dass das
Preisverhältnis schwankt. 1980 bekam man vorübergehend nur
14 Unzen des weißen Metalls für 1 Feinunze Gold - damals war Sil-
ber extrem überbewertet. 1940 und 1990 war Silber absolut und rela-
tiv derart billig, dass man mit 1 Unze Gold 100 Unzen Silber kaufen
konnte. Seit 1971 liegt der Median des Preisverhältnisses bei 55.
Mit einem Jahresangebot von 1 Milliarde Unzen, 75 Prozent davon
aus der Minenproduktion, ist Silber ein vergleichsweise kleiner
Markt. Von der Gesamtsumme, die 2011 in Edelmetalle investiert
wurde, das heißt ohne den Industrie- und Schmuckverbrauch, entfie-
len 87 Prozent (= 80 Milliarden Dollar) auf Gold, elf Prozent auf Sil-
ber, zwei Prozent auf Platin und weniger als ein Prozent auf Palladi-
um. Silber bewegt sich wie ein Hebelprodukt auf Gold. In der Hausse
steigen die Preise meist schneller, in der Baisse fallen sie tiefer. Positiv
anzumerken ist, dass China seit 2010 erheblich mehr Silber nachfragt
als im Land gefördert wird. Damit drehte die chinesische Silberbilanz
ins Defizit.

Das unverstandene Metall

Seit Beginn der Goldhausse 2001 ist der Goldpreis in Euro bis Ende
2011 im Mittelwert jährlich um 13,93 Prozent gestiegen und gegen
Dollar um 16,44 Prozent. In Dollar gerechnet gab es kein einziges
Jahr mit einem Preisrückgang, in Euro nur zwei Jahre mit einem mi-
nimalen Minus von 0,50 und 2,10 Prozent in den Jahren 2003 und
Das unverstandene Metall 153

2004. Das hielt freilich nicht wenige Journalisten und Volkswirte der
Banken nicht davon ab, immer wieder ein Ende des Bullenmarktes zu
proklamieren. Sie verpassten den Preisanstieg in einer Zeit, in der
Gold fast alles andere mit Abstand schlug, den DAX ebenso wie die
vermeintlich sichere Anlage in Euro-Festgeld.
Dahinter verbirgt sich eine Reihe von unausrottbaren Fehlurteilen
und Missverständnissen. Einmal wird behauptet, am Goldmarkt
habe sich eine Blase gebildet, ein andermal davor gewarnt, dass der
Schmuckabsatz bei steigender Investmentnachfrage zurückgegangen
und dass Gold überteuert und überhaupt nicht knapp sei.

Letzteres ist im Prinzip richtig, weil der größte Teil des seit Jahrtau-
senden aus der Erde gegrabenen Goldes noch existiert. Aber nur
deswegen kann das gelbe Metall seine Funktion als offizielle oder al-
ternative Währung erfüllen! Nur so erklären sich die tiefe Liquidität
und das reibungslose Funktionieren des Goldmarktes im globalen
Maßstab. Der gesamte oberirdische Bestand wird auf annähernd
170.000 Tonnen geschätzt, auch wenn das niemand genau wissen
kann. Davon sind angeblich 84.100 Tonnen zu Schmuck verarbeitet,
31.400 Tonnen befinden sich in Privatbesitz und 31.347 Tonnen in
den Tresoren der Zentralbanken. Damit wächst die Goldmenge bei
einer Neuproduktion von etwa 2800 Tonnen um 1,6 Prozent im Jahr.
Die Zunahme liegt weit unter der Ausweitung der Zentralbankbilan-
zen, der Weltgeldmenge und der internationalen Devisenreserven.
Unsinnig ist es auch, den in den letzten Jahren gestiegenen Invest-
mentanteil an der Goldnachfrage zu beklagen. Auf der Angebotsseite
sah die Goldbilanz 2011 so aus, dass außer den 2800 Tonnen der Mi-
nenförderung gut 1600 Tonnen Altgold auf den Markt kamen, jedoch
- im Gegensatz zu den Jahren bis 2009 - netto kein Gold mehr aus
den Zentralbankreserven verkauft wurde. Seit 2010 sind vielmehr die
Notenbanken der Schwellenländer Käufer.
154 Was tun? Rat für den defensiven Investor

Auf der Seite der Nachfrage geschah Folgendes: Die Schmuckbran-


che absorbierte 2011 nach Angaben des World Gold Council nur noch
1963 Tonnen, während die Industrienachfrage mit 464 Tonnen kon-
stant blieb. Die Nachfrage nach Barren und Münzen hingegen hatte
sich im Vergleich zu 2006 auf 1487 Tonnen vervielfacht. Und zu-
gleich floss deutlich weniger Gold in die Goldfonds und ähnliche
Produkte.
Daraus lässt sich zweierlei ablesen. Erstens gehen mehr Anleger
auf Nummer sicher, indem sie echtes Gold und weniger die Surrogate
favorisieren. Barren und Münzen legten zu auf Kosten des Ersatzgol-
des namens ETF und ETC. Und zweitens blieb für die Investoren nur
deswegen mehr übrig, weil der preissensiblere Schmuckabsatz zu-
rückging. Dass in der Hausse das Investment dominiert und in der
Baisse der Schmuck, ist normal. In einer Baisse wie in den 1990er-
Jahren wird Gold eher als Ware gehandelt, in der Hausse als Geld, als
Alternativwährung. Wieso sollte das ein Manko sein? Sich eine hohe
Schmucknachfrage zu wünschen, impliziert nach der Logik des
Goldmarktes tiefere Preise.

Ebenso ist es missverständlich, von einem »Überangebot« zu spre-


chen. Am Goldmarkt wird alles, was angeboten wird, auch gekauft.
Der Preis bildet sich im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage.
Wer ein Überangebot unterstellt, analysiert Gold wie einen normalen
Rohstoff, wie Zucker oder Aluminium. Gold spielt in einer anderen
Klasse, was schon daraus hervorgeht, dass der Terminpreis (der Preis
für spätere Lieferung) so gut wie immer über dem Kassapreis liegt.
Vermutlich würde Gold erst im finalen Kollaps des Finanzsystems
wegen einer exzessiven Nachfrage so knapp, dass der Kassapreis für
längere Zeit über dem Terminpreis liegen könnte. Dann wäre eine so-
genannte Backwardation gegeben - ein Indiz für explodierende Prei-
se und eine sich bildende Goldblase.
Das unverstandene Metall 155

Nachdem die Preise länger als ein Jahrzehnt gestiegen sind, ist das
Metall nicht mehr billig, aber auch noch nicht wirklich überteuert
wie 1980. Wie lässt sich das messen? Zum Beispiel an der Verbrau-
cherpreisinflation, so fragwürdig deren Berechnung auch ist. Kauf-
kraftbereinigt müsste die Unze nach gegenwärtigem Stand mehr als
2300 Dollar kosten, um das Niveau vom Januar 1980 wieder zu errei-
chen. Mit zunehmender Inflation in den kommenden Jahren erhöht
sich selbstverständlich dieses Preisziel.
Aussagekräftiger ist die Analyse verschiedener Preisverhältnisse.
Im Vergleich zu Öl war Gold im Sommer 2012 keineswegs überbe-
wertet, sondern so teuer wie Anfang der 1970er-Jahre. Das bedeutet,
dass Sie heute mit der Währung Gold ungefähr dieselbe Menge an
Rohöl oder Benzin kaufen können wie damals - mit Dollar oder Euro
hingegen nur einen Bruchteil davon. Oder dividieren Sie den Dow
Jones durch den Goldpreis. 1932 sank das Preisverhältnis auf zwei,
1980 bis auf 1,3. Von einer derart extremen Aktienunterbewertung
und Goldüberbewertung sind wir noch ein ganzes Stück weit ent-
fernt.
Im Übrigen war das Ende der letzten Goldhausse 1980 auch daran
zu erkennen, dass sich der Preis innerhalb weniger Monate und eben-
so im Vergleich der Jahresdurchschnittspreise verdoppelte. Ein der-
artiger irrationaler Überschwang blieb bisher aus. 1980 waren es der
Amtsantritt von Paul A. Volcker im Vorjahr, das Ende der laxen ame-
rikanischen Geldpolitik, exorbitant hohe nominale und reale Zinsen
und eine entschlossene Inflationsbekämpfung, die die damalige
Goldhausse beendeten.

Umgekehrt ist der Goldpreis in der jetzigen Verfassung des Welt-


finanzsystems recht gut nach unten abgesichert, solange die Realzin-
sen im Trend negativ bleiben, solange Geld auf dem Konto ständig an
Kaufkraft verliert. Außerdem genügt es nicht, immer nur auf den
156 Was tun? Rat für den defensiven Investor

Goldpreis in Dollar zu schauen. Eine primäre Baisse, das heißt ein


jahrelanger Preisrückgang, setzt voraus, dass der Goldpreis in allen
wichtigen Währungen verliert. Davon ist 2011 und 2012 nichts zu
spüren. Gold sollte vor allem als Schutz gegen die Entwertung und
den Ruin der eigenen Währung angesehen werden, im konkreten Fall
als Absicherung gegen den Euro. Sollte der Euro in einem unkontrol-
lierten Kollaps untergehen und durch besseres Geld ersetzt werden,
dann wäre möglicherweise der Zeitpunkt gekommen, den privaten
Goldhort zu reduzieren.

Varianten der Goldanlage

Fast unnötig hinzuzufügen, dass Goldzertifikate und andere Deriva-


te, im Extremfall selbst die börsengehandelten Goldfonds, einem Sys-
temrisiko unterliegen. Sie sind kein Ersatz für physisches Gold. Das
in Deutschland beliebte Xetra-Gold bietet immerhin eine Alternative
zum Festgeld in Euro. Es ist eher sicherer als dieses, sofern es bei der
Tochter der Deutschen Börse, die Xetra-Gold vermarktet, mit rech-
ten Dingen zugeht, wovon ich ausgehe.
Für die Edelmetallfonds der Zürcher Kantonalbank spricht der Fi-
nanzplatz Schweiz und die geografische Diversifizierung aus Sicht
des deutschen Investors, dagegen die unklare steuerliche Behandlung
durch den deutschen Fiskus. Es gab auch Meldungen, wonach die
Kantonalbank Schwierigkeiten bei der Auslieferung von Gold ge-
macht hat.
Ohnehin sollte man keine Goldfonds mit der Absicht kaufen, spä-
ter Auslieferung zu verlangen. Dann erwirbt man besser gleich Mün-
zen und Barren. Obendrein kommt die Miete eines Schließfachs bil-
liger als die Verwaltungsgebühren eines Fonds. Zudem lässt sich nur
physisches Gold diskret erwerben, und es unterliegt in Deutschland
Varianten der Goldanlage 157

(bisher jedenfalls) keiner Besteuerung, sofern es länger als ein Jahr


gehalten wird.
Nur versicherungstechnisch haben Edelmetallfonds und Gold als
Eigentum im Depot bei einer Schweizer Bank auch Vorteile. Denn
die Bankfächer sind normalerweise nur bis zu einem Gegenwert von
30.000 Franken versichert. Für Gold im Depot hingegen haftet die
Bank voll umfänglich. Andererseits ist es praktisch unvorstellbar,
dass ein unterirdischer Tresorraum in der Zürcher Bahnhofstraße
überfallen und ausgeraubt werden könnte.

Es kann nicht oft genug betont werden, dass ein grundlegender Un-
terschied zwischen einer Goldforderung und Goldeigentum besteht.
Wenn ich einen Goldfonds kaufe oder Gold auf mein Metallkonto bei
einer Bank buchen lasse, habe ich - manchmal mit Einschränkungen
- Anspruch auf die Lieferung einer bestimmten Unzenmenge. Ich
kann aber nie ganz sicher sein, dass bei Ausbruch einer großen Fi-
nanzkrise auch geliefert werden kann oder dass das Gold nicht zwi-
schenzeitlich ausgeliehen wird. Am Terminmarkt ist die Bedienung
des Großteils der Kaufpositionen von vornherein praktisch unmög-
lich. Zertifikate repräsentieren nicht einmal einen Lieferanspruch.
Sie eignen sich nur für Differenzgeschäfte. Nur Gold, das man anfas-
sen kann, auf das man jederzeit Zugriff hat, garantiert ultimative
Sicherheit.
Wie hoch der Goldanteil am gesamten Portfolio sein sollte, ist eine
Frage der Mentalität. Das muss jeder selbst entscheiden. Es sollte so
viel sein, dass man damit ruhig schlafen kann. Marc Faber selbst teilt
so auf: 25 Prozent in Edelmetalle, 25 Prozent in Aktien, 25 Prozent in
asiatische Immobilien und 25 Prozent in Unternehmensanleihen,
hauptsächlich in den Schwellenländern. Damit sichert er sich ein lau-
fendes Einkommen aus Dividenden, Mieten und Zinsen.
158 Was tun? Rat für den defensiven Investor

Walter Wittmann würde »zunächst einmal« bis zu 20 Prozent des


Vermögens in physisches Gold investieren. Er legt Wert darauf, dass
man sich das Gold liefern lässt und im eigenen Banksafe aufbewahrt
(der sich in seinem Fall glücklicherweise außerhalb der EU befindet,
nämlich in der Schweiz). Kann man auch deutlich über die 25 Pro-
zent gehen? Ja, sofern vorzugsweise bei Preisschwäche akkumuliert
wird, sofern neben der strategischen eine taktische Position besteht,
die je nach Marktlage erhöht oder reduziert wird. Der strategische
Teil sollte nicht angetastet werden, solange sich der Zustand des Welt-
finanzsystems nicht grundlegend ändert.
Auch Bert Flossbach, einer der besten deutschen Vermögensver-
walter, plädiert für 20 bis 25 Prozent Gold im Depot und zwar »nur
physisch«. Gegenüber der Wirtschaftswoche vom 13. Februar 2012
verriet er, dass viele Banker privat viel mehr Gold als die fünf Prozent
hätten, die sie ihren Kunden empfehlen.

Aktien: Risiko mit Dividende

Abgesehen von Immobilien, die kein pauschales Urteil erlauben, weil


der Markt nicht homogen ist, besitzen Aktien noch am ehesten Sach-
wertcharakter, sofern die Unternehmen nicht überschuldet sind. Sie
sind aber der Volatilität der Finanzmärkte ausgeliefert. Übrigens hält
es Professor Wittmann für eine Illusion, wenn die Anleger in Immo-
bilien flüchten und sich davon Inflationsschutz und Werterhaltung
durch die Krise hindurch versprechen. Denn mit der Geldentwertung
zögen die Zinsen an und die laufenden Kosten ebenfalls. Mieterhö-
hungen ließen sich dann kaum durchsetzen, wenn die Mieten über-
haupt bezahlt werden. Und der starke Mieterschutz erschwere Kündi-
gungen. Wichtig auch: »Für Eigentümer einer selbst genutzten
Immobilie gilt: Sie sollten die Hypothekarschulden auf null abtragen.«
Aktien: Risiko mit Dividende 159

Gegen eine hohe Gewichtung von Aktien schon jetzt spricht, dass
die führenden Indizes seit der Jahrtausendwende in einer langfristi-
gen Baisse stecken, bestenfalls in einer Seitwärtsbewegung mit großer
Spannbreite, und dass aus jetziger Sicht nur Zwischenerholungen zu
erwarten sind. Der monatliche MACD des DAX, ein sehr brauchba-
rer langfristiger Indikator, war im Sommer 2012 immer noch leicht
negativ und sogar dabei, wieder nach unten abzudrehen.
Richtig ist aber auch, dass die Eigentümer von Qualitätsaktien
nach Währungsreformen ungleich besser dagestanden haben als die
Couponschneider. Auch deutsche Bundesanleihen bieten bei histo-
risch tiefen und real negativen Renditen nur noch Risiko ohne Chan-
ce, Aktien immerhin Risiko mit Dividende und der Chance auf Kurs-
gewinne irgendwann in der Zukunft.
Wer dann auch noch in einzelne Branchen statt in Länderindizes
investiert, kann durchaus überdurchschnittlich abschneiden. Verglei-
chen Sie nur einmal den Branchenindex Euro Stoxx Banken mit dem
Sektor Food & Beverage: Der eine war 2012 billiger als Anfang der
1990er-Jahre, der andere teurer als 2000!
Multinationale Konzerne mit starken Marken und hohem Um-
satzanteil in Schwellenländern sollten grundsätzlich in jedem Portfo-
lio vertreten sein. Beispiele sind Unilever (56 Prozent Schwellenlän-
deranteil), SABMiller (71 Prozent), Diageo (65 Prozent), Coca Cola
(42 Prozent) und British American Tobacco (62 Prozent).
Andere erstklassige Titel sind McDonald's (USA), Nestle (CH), Re-
ckitt Benckiser (GB), Royal Dutch Shell (GB) und Novo Nordisk (DK)
- um nur einige zu nennen. Mit Schweizer Aktien, britischen, ameri-
kanischen und norwegischen Titeln (Beispiel Statoil) entgeht man
zugleich den Risiken des Euro-Raumes. Unter den deutschen Blue
Chips sind BASF und Linde erste Qualität. Mit beiden setzt man auch
auf den chinesischen Wachstumsmarkt. Sie werden sich allerdings
dem übergeordneten Trend des DAX nicht entziehen können.
160 Was tun? Rat für den defensiven Investor

Wenn es stimmt, dass sich die Aktienmärkte in einer strukturellen


Baisse befinden, wovon wir aktuell ausgehen müssen, dann müssten
normalerweise auch die defensiven Schwergewichte, die sich bisher
sehr gut gehalten haben, schließlich doch noch unter Druck kom-
men. Dann besteht die Chance, billiger als jetzt an eine Coca Cola
oder Diageo zu kommen. Dafür muss Geld in Reserve gehalten wer-
den. Britische Unternehmen sind generell keine schlechte Wahl, weil
sie traditionell eine relativ hohe und noch dazu quellensteuerfreie Di-
vidende ausschütten. Und das Risiko, dass die Engländer in einem
Anfall geistiger Umnachtung dem Euro beitreten, ist gleich null.
Aktien zu kaufen und anschließend zu vergessen, ist ein riskantes
Rezept. Der Anleger muss sich schon die Mühe machen, den Markt
zu beobachten und seine Titel mindestens einmal im Monat zu kon-
trollieren. Und er sollte sich Grundkenntnisse in der Charttechnik
aneignen, auf gleitende Durchschnitte und technische Indikatoren
achten. Nur so lässt sich das Timing verbessern. Die Fundamental-
analyse reicht dafür nicht aus. Abgesehen davon kann ein Buch im-
mer nur den Rahmen vorgeben. Ausfüllen müssen Sie ihn selbst. Sie
selbst müssen sich informieren, abwägen, entscheiden. Investieren ist
ein kontinuierlicher Prozess. Auch Spekulation ist eine besondere
Form des Spähens, Beobachtens und Auskundschaftens, wie schon
der lateinische Ursprung des Wortes besagt.

Pro und kontra Fonds

Eine sorgfältige Streuung und Titelauswahl vorausgesetzt, sind Ein-


zelaktien sicherer als Fonds. Vor allem gilt das für Namensaktien, so-
fern sie überhaupt zur Verfügung stehen. Bei einer erstklassigen Ak-
tie, die seit Langem steigende Dividenden bei im Trend steigenden
Gewinnen zahlt, weiß man, was man hat - bei einem Fonds nicht
Pro und kontra Fonds 161

unbedingt. Da können Derivate drinstecken, die hohen Verwaltungs-


gebühren mindern die Performance, und der Fonds kann zum un-
günstigsten Zeitpunkt schließen, wie es bei Goldminenfonds am
Ende der letzten Baisse der Fall war.
Auch die behördliche Aufsicht ist nicht immer über jeden Zweifel
erhaben - siehe dazu den gut informierten Aufsatz von Marco Meng
(»Risiko Investmentfonds«) in der Berliner Jungen Freiheit vom
9. März 2012. Darin bemängelt der Autor auch die Eigenkapitalan-
forderungen und das Verbriefungsgesetz in Luxemburg, wo die
enorme Summe von über 2 Billionen Euro in Investmentfonds ver-
waltet wird.
Wegen der betrügerischen Pleite des US-Finanzmaklers Bernard
Madoff haben Anleger mit Luxemburger Fonds immerhin rund 400
Millionen Euro verloren. Auch Luxemburger Depotbanken wie
HSBC Trinkaus, so Meng, hätten davor gewarnt, dass mit der Verwal-
tung im Ausland ein Verlustrisiko verbunden sein könnte, das »aus
Insolvenz, Sorgfaltspflichtverletzungen oder missbräuchlichem Ver-
halten des Verwahrers oder eines Unterverwahrers (der Wertpapiere,
BB) resultieren kann«.

Da ein deutscher Fondsanleger den Platz Luxemburg in der Regel


schwer vermeiden kann, läuft es darauf hinaus, dass er sich ein Urteil
über die Fondsgesellschaft und den zuständigen Manager bildet.
Wenn die Firma schon lange im Geschäft ist und selbst den Crash
2008 gut überstanden hat, umso besser. Und der Fonds sollte eine
Leistung bieten, die der Anleger selbst nicht oder nur schwer erbrin-
gen kann. Ein Mischfonds aus Aktien und Anleihen ist insofern
interessanter als ein Vehikel, das nur in deutsche oder amerikanische
Standardaktien investiert. Die kann man auch selbst kaufen. Außer-
dem empfiehlt es sich, nie zu viel Geld auf nur einen Fonds zu setzen,
weil jeder im Laufe der Zeit seine guten und schlechteren Jahre hat.
162 Was tun? Rat für den defensiven Investor

Überprüfen Sie vor einem Kauf, wie ein Fonds den Crash 2008 ge-
meistert hat und wie er aktuell investiert ist. Positive Beispiele, die auf
Ihre Beobachtungsliste gehören:

• Flossbach von Storch Multiple Opportunities, W K N A 0 M 4 3 0 , aus-


schüttend
• Flossbach von Storch Bond Diversifikation, W K N A 1 C 1 0 W , aus-
schüttend
• GoldPort Stabilitätsfonds, W K N A 0 M 6 7 Q , ausschüttend
• Ethna-Aktiv E, W K N 764930, ausschüttend
• Carmignac Patromoine, W K N A 0 D P W 0 , thesaurierend
• LBBW Multi Global, W K N 976688, ausschüttend
• UBS Asian Local Currency Bond, W K N A 1 H 5 0 1 , thesaurierend
• Pictet Emerging Local Currency Debt, W K N AOLARV, thesaurierend
• DJE Agrar & Ernähung, W K N A O N G G C , thesaurierend

Börsengehandelte Fonds (ETF) versprechen, einen Index möglichst


genau nachzubilden - entweder auf Basis von Swaps (so die ETF der
Deutschen Bank) oder »replizierend« (so die ETF von iShares). Letz-
tere Methode ist vorzuziehen, weil die Aktien oder Anleihen, die man
haben will, auch tatsächlich gekauft werden. Allerdings werden die
Wertpapiere von den Managern manchmal gegen Gebühr verliehen,
worin im Ernstfall ein Risiko liegt. Im Vergleich zu den aktiv verwal-
teten Fonds spart man Gebühren, was bei stagnierenden Märkten be-
sonders ins Gewicht fällt. Und der Inhalt mancher ETF lässt sich nur
mit einigem Aufwand selbst erstellen, besonders im Fall von kleine-
ren Portfolios. Beispiele von iShares:

• Stoxx Europe 600 Food & Beverage, A 0 H 0 8 H , ausschüttend


• Stoxx Europe Healthcare, A0Q4R3, ausschüttend
• Stoxx Europe Oil & Gas, A 0 H 0 8 M , ausschüttend
Wie sicher ist die Entschädigungseinrichtung? 163

• S&P Commodity Producers Agribusiness, A1JS9B, thesaurierend


• Stoxx Asia Pacific 600 Real Estate, A 0 H 0 7 7 , thesaurierend
• Barclays Capital Emerging Market Local Govt. Bond, A1JB4Q, aus-
schüttend
• Barclays Capital $ Treasury Bond 1 - 3, A0J207, ausschüttend

Um bestehende Positionen abzusichern oder um eine Baisse zu spie-


len, eignen sich die Short-ETF von dbx-trackers der Deutschen Bank.
Zum Beispiel der ShortDAX Daily (DBX1DS) oder der ShortDAX x
2 mit Hebel (DBXOBY). Derartige Short-Vehikel steigen täglich um
den Prozentsatz, um den der Index fällt (oder, beim zweiten Beispiel,
um das Doppelte). Das bedeutet aber nicht, dass sie sich langfristig
spiegelbildlich zum Index verhalten müssen. Sie eignen sich deswe-
gen nicht als Daueranlage. Nicht auszuschließen ist auch, dass sie in
einem Crash vom Handel ausgesetzt werden. Die kompletten Listen
finden Sie unter www.dbxtrackers.com und unter www.ishares.de.

Wie sicher ist die Entschädigungseinrichtung?

Wie ein »Bank Run«, ein Sturm auf die Banken, abläuft, konnte man
im September 2007 sehr schön in Großbritannien beobachten, als die
Kunden der Hypothekenbank Northern Rock vor den 76 Filialen an-
standen, um ihre Konten abzuräumen. Die Regierung versuchte ver-
geblich, die Leute zu beruhigen. Die Bank brach zusammen und wurde
verstaatlicht. So etwas kann sich immer und überall wiederholen, weil
das Geschäftsmodell der Banken nur so lange funktioniert, wie die
Kunden das Geld auf ihrem Konto für sicher halten. Verfügbar ist be-
kanntlich nur ein kleiner Teil der auf den Konten geparkten Liquidität.
Als in Deutschland im Oktober 2008 die Gerüchteküche kochte,
trat die Bundeskanzlerin vor die Mikrofone und erklärte: »Wir sagen
164 Was tun? Rat für den defensiven Investor

den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch
dafür steht die Bundesregierung ein.« Worauf sich das Versprechen
stützte, sagte sie nicht. Es war ein Bluff. Er wirkte.
Aber haben wir nicht in Deutschland den Haftungsverbund der
Sparkassen, die Sicherungseinrichtung der Volks- und Raiffeisenban-
ken und vor allem die Einlagensicherung der »Entschädigungsein-
richtung deutscher Banken« (EdB) mit einer Obergrenze von 100.000
Euro je Kunde und Bank?
Letztere ist gesetzlich verankert und angeblich absolut sicher. Ge-
nau das wird neuerdings von Fachleuten, die es wissen müssen, be-
stritten. In Nummer 23/2012 zitiert Focus Money einen leitenden
Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young: »Ei-
nen gesetzlichen Anspruch auf Staatsgeld gibt es nicht.« Selbst der
Bundesverband deutscher Banken warnte: »Die gesetzliche Absiche-
rung ist nicht für den Einsatz von mehreren Pleiten oder im schlimms-
ten Fall einer Staatspleite gedacht.«

Kein Entschädigungsanspruch besteht für Einlagen, die nicht auf


Euro oder nicht auf die Währung eines EU-Staates lauten. Schlechter
gestellt sind im Übrigen die Kunden von Zweigniederlassungen aus-
ländischer Banken. Hier greift zwar die EU-Einlagensicherung mit
einer Obergrenze von ebenfalls 100.000 Euro, das Geld ist jedoch nur
beim Hauptsitz der Mutterbank einklagbar. Das kann dauern. Fazit:
Die Banken sind nur auf normale Abhebegewohnheiten eingestellt.
Kreditinstitute sind »inhärent instabil« (NZZ vom 24. Mai). Wer auf
Nummer sicher gehen will, sollte Folgendes beachten:

Halten Sie genügend Bargeld, um notfalls ein paar Wochen lang da-
von leben zu können.
Parken Sie nicht zu viel Geld auf Giro- oder Festgeldkonten bei einer
einzelnen Bank. 100.000 Euro sind schon zu viel.
Wie sicher ist die Entschädigungseinrichtung? 165

Denken Sie an die Risiken des Internets und des Online-Banking.


Überweisungen von einer Direktbank sollten nur auf Ihr eigenes
Konto bei einer anderen Bank möglich sein. So schließen Sie das Ri-
siko aus, dass das Konto von einem Hacker abgeräumt wird.
In einer Finanzpanik müssen Sie damit rechnen, dass die Bankcompu-
ter ausfallen, der Zugriff per Internet nicht funktioniert oder die
Banktelefone blockiert sind oder nicht bedient werden. Sehr nützlich
ist dann eine Bankfiliale vor Ort, die für Sie schnell erreichbar ist.
Auch Professor Wittmann bestreitet - aus Schweizer Sicht - dass staatli-
che Garantien für Bankeinlagen »bombensicher« seien. (In der Schweiz
wurde die Deckungsgrenze von 30.000 auf 100.000 Franken erhöht.)
Für den Umgang mit Kreditkarten empfiehlt er extreme Vorsicht. Und
das Online-Banking hält er für besonders gefährlich: »Funktioniert der
Zugang nicht, so ist man beispielsweise einem Crash an den Finanz-
märkten wehrlos ausgesetzt. Hacker können sich Zugang zum Depot
verschaffen, sie können kaufen und verkaufen. Im Extremfall löschen
sie alle Daten, sodass sich das Depot in Luft auflöst.«
Dass Goldmünzen und Barren und eine kleinere Menge Silber unter
solchen Szenarien unverzichtbar sind, versteht sich von selbst. Viel-
leicht brauchen Sie die Notreserve jahrelang nicht, dann aber doch,
wenn niemand mehr damit rechnet. Gold über das Internet zu kau-
fen, ist bequem und in Deutschland beliebt, hinterlässt aber Spuren.
Warum Name und Adresse übermitteln, solange es bis zur Obergren-
ze von 15.000 Euro nicht erforderlich ist?
Pflegen Sie Kontakte, werden Sie Kunde bei einem seriösen Edelme-
tallhandelshaus, bauen Sie ein Vertrauensverhältnis auf. Sie müssen
jederzeit kaufen und verkaufen können. Und der Händler muss kapi-
talkräftig sein. Wenn Sie - wie schon geschehen - in Zeiten starker
Goldnachfrage von einem Händler hören, Gold sei ausverkauft, liegt
es in der Regel daran, dass er finanziell schwach auf der Brust ist und
nicht genug auf Lager hatte.
Die Rückkehr einer
Goldmarke, die nie
verschwunden war
Wer Mitte Oktober 2011 den Teil der Frankfurter Altstadt am Main-
kai aufsuchte, auf dem sich das alte Degussa-Areal befand, konnte
den Baggern zusehen, wie sie sich durch die Gebäude fraßen. Die
Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte am 12. Oktober 2011: »Ab-
schied von gestern«. Sie rühmte die »messerscharf gefugten Traver-
tinplatten« und beklagte den Verlust von Denkmälern unserer jünge-
ren Geschichte, die »profitträchtigen Neubauten« im Wege stünden.
Zu diesem Zeitpunkt stand noch der Zentralbau der alten Degussa,
eine »grandios zwischen Massivität und Anmut schwebende Wieder-
aufbaumoderne«, wo gerade die Sammlung »20 Jahre Gegenwart«
des Frankfurter Museums für Moderne Kunst ausgestellt war - auch
ein Anlass für die Besucher, über den Unterschied zwischen Wert
und Preis nachzudenken.

In der Ausstellung waren faszinierende Kunstwerke zu sehen, aber


auch Bilder, die nichts zeigten und sich nur durch einen etwas ande-
ren Farbton von der Wand abhoben, an der sie hingen. Bilder, die im
Kunstbetrieb so teuer gehandelt werden wie viele Kilogramm Gold.
Was werden sie wohl nach einer Generation noch kosten?
An einem Bauzaun gegenüber dem Eingang zur Kunstausstellung
verriet ein Schild, was auf dem Maintor-Areal entstehen würde: ein
»Riverside Financial District« mit Büros und teuren Wohnungen, mit
60 und 100 Meter hohen Türmen. Wo früher einmal Gold und Silber
geschieden und Barren gegossen wurden, wird künftig die neue,
schöne Welt des Finanzcasinos Einzug halten.
Und dann, am 2. November 2011, als am Main immer noch demo-
liert wurde, kehrte die Marke Degussa zurück. An diesem Mittwoch
eröffnete die neu gegründete Degussa Sonne/Mond Goldhandel
GmbH ihr erstes Goldgeschäft am Münchener Promenadeplatz und
hatte neue Degussa-Goldbarren im Angebot, die seit 2006 nicht mehr
geprägt und gegossen worden waren. Und in Frankfurt bezog die Ge-
168 Die Rückkehr einer Goldmarke, die nie verschwunden war

schäftsführung unter Wolfgang Wrzesniok-Roßbach, lange Jahre


Chef des Edelmetallhandels der Dresdner Bank und zuletzt beim
Edelmetallkonzern Heraeus in Hanau, ihre Büros im Westend. »Eine
der traditionsreichsten Marken der deutschen Industriegeschichte ist
zurück«, schrieb die Financial Times Deutschland. »Weitere Verkaufs-
niederlassungen sind geplant. Die künftige Zentrale soll in Frankfurt
sein ... Damit kehrt die Degussa zu ihren Wurzeln zurück.«
»Der Kauf von Gold wird zunehmend einfacher«, kommentierte
die Wirtschaftswoche und fügte hinzu, der Unternehmer August von
Finck habe die Rechte an der Marke Degussa für etwa 2 Millionen
Euro vom Chemieriesen Evonik erworben. Aus London meldete die
Nachrichtenagentur Reuters, der Name »Degussa« sei in Deutsch-
land, Europas größtem Markt für Goldinvestments, fast so synonym
mit Goldbarren wie Kleenex mit Papiertüchern.

Wie es dazu kam, dass der Weltkonzern Degussa im Jahr 2000 das
Traditionsgeschäft Edelmetalle abspaltete, 2002 aus dem DAX 30
ausschied, 2006 ganz von der Börse genommen und 2007 in den neu-
en Chemiekonzern Evonik Industries eingegliedert wurde, ist eine
komplizierte und windungsreiche Geschichte. 1999 fusionierte die
Degussa mit der VEBA-Tochter Hüls. Nachdem sich die Energieun-
ternehmen VEBA und VIAG zur Eon zusammengeschlossen hatten,
wurde Degussa-Hüls mit der VIAG-Tochter SKW Trostberg zusam-
mengelegt. Damit wurde die Eon zur dominierenden Muttergesell-
schaft und diese wiederum verkaufte ihre Aktien an die Ruhrkohle
AG. Seit 2007 figuriert der frühere Chemiekonzern Degussa - ohne
die längst veräußerte Edelmetallsparte - unter dem Kunstnamen
Evonik.
Aus den Geschäftsberichten der Degussa AG, wie die Scheidean-
stalt seit 1980 offiziell hieß, lässt sich nachverfolgen, wie die Bedeu-
tung des Edelmetallhandels nach und nach abnahm. In den Jahren
169 Die Rückkehr einer Goldmarke, die nie verschwunden war

des Wirtschaftswunders, als der Goldpreis fixiert war, hatte das Ge-
schäft mit Privatinvestoren ohnehin keine besondere Rolle gespielt -
bis dann die Deutschen im Währungschaos der 1970er-Jahre Gold
als Investment wiederentdeckten.
Noch in den Achtziger jähren waren die stets abgewogenen und
bestens informierten Analysen der Degussa zum Gold- und Silber-
markt fast Pflichtlektüre für interessierte Investoren. Am 7. Januar
1980, als Gold gerade den Spitzenpreis von 850 Dollar ansteuerte,
brachte Der Spiegel ein Interview mit dem Degussa-Generalbevoll-
mächtigten Werner Knies. Der ließ sich von der Euphorie nicht an-
stecken, wollte einen Preisrutsch nicht ausschließen und erzählte,
dass der Hauptlieferant Südafrika im Oktober 1979 nur 104.000 Krü-
gerrand loswerden konnte, im Dezember aber wieder fast 700.000.
Als der Spiegel suggerierte, dass der Goldpreis doch bald die 1000-Dol-
lar-Marke nehmen würde, antwortete Knies: »In diesem Jahr wohl
kaum.« Auf lange Sicht könne er allerdings einen solchen Rekord-
preis nicht ausschließen. Es sollte ziemlich lange dauern, nämlich bis
Anfang 2008. Danach rutschte der Unzenpreis noch einmal unter 700
Dollar, bevor er Ende 2009 die Marke von 1000 endgültig hinter sich
ließ.

Mit den seit den Achtziger jähren fallenden Goldpreisen schwand das
Interesse der Anleger auch in Deutschland, bis sie schließlich in den
Neunzigerjahren kräftig enthorteten und sich mehr und mehr von
ihren Beständen trennten. Als Anfang 1993 der Verkauf von Gold-
barren und Goldmünzen, die als gesetzliche Zahlungsmittel einge-
stuft waren, von der Mehrwertsteuer befreit wurde, belebte sich das
Geschäft noch einmal. Die Degussa konnte eine deutlich höhere
Nachfrage nach der gesamten Bandbreite ihres Barrenprogramms
melden. Damals, im Januar 1993, schwankte der Goldpreis zwischen
327 und 331 Dollar je Feinunze.
170 Die Rückkehr einer Goldmarke, die nie verschwunden war

In diesen Jahren schrumpfte der Umfang der Edelmetallkommen-


tare in den Geschäftsberichten des Unternehmens. Die Chemie
boomte, sie glänzte mit weitaus höheren Margen als das extrem kapi-
talintensive Edelmetallgeschäft. Es waren betriebswirtschaftliche Er-
wägungen, die den Vorstand dazu veranlassten, das Edelmetall-
geschäft 2001 abzuspalten und 2003 an die belgische Umicore, die
frühere Union Minière du Haut Katanga, zu verkaufen. Damit endete
eine Tradition, die der Firma im 19. Jahrhundert ihren Namen gege-
ben hatte.

2003 lebte der alte Glanz noch einmal auf. Als Eigentümer von
Deutschlands einziger vollständiger Münzsammlung in der Wäh-
rung Mark von 1871 bis zur Einführung des Euro 1999 übergab die
Degussa ihren Schatz als Dauerleihgabe an die Stadt Frankfurt. »Die
Degussa und Frankfurt gehören weiterhin zusammen«, beteuerte
Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die Frankfurter Allgemeine schrieb
am 12. Juni, dass Frankfurt dank der dort ansässigen Gold- und Sil-
berscheideanstalt bis in die Gegenwart hinein eine führende Stellung
im deutschen Münzwesen behalten habe.
Die Degussa-Barren aber verschwanden nie aus dem Umlauf in
Deutschland. Sie behielten das international respektierte Gütesiegel
»good delivery«. Zunächst wurden sie von der Umicore weiterhin ge-
prägt und verkauft, bis die Belgier dann die Herstellung zum 1. Janu-
ar 2006 einstellten.
Der Name »Degussa« ging nicht unter, er blieb mit einem sehr ho-
hen Marktanteil die bekannteste deutsche Barrenmarke - auch in den
Interimsjahren 2006 bis 2011, als nur noch ältere Prägungen zu be-
kommen waren. »Die Degussa ist wieder da«, meldete die Frankfur-
ter Allgemeine am 22. Dezember 2011. Inzwischen wurde in Zürich
die Degussa Goldhandel AG gegründet und der Vertrieb über das
Internet aufgenommen. Nach München und Frankfurt sind Ver-
171 Die Rückkehr einer Goldmarke, die nie verschwunden war

kaufsläden auch in anderen deutschen Großstädten geplant. Die Pro-


duktpalette umfasst neben den gängigen Anlagemünzen aus Gold
und Silber vor allem auch eigene Barren mit dem bekannten Logo,
das aus einem Rhombus mit den stilisierten Sonne- und Mondzei-
chen besteht - den alchimistischen Symbolen für Gold und Silber. Im
Angebot sind gegossene und geprägte Barren aller vier Edelmetalle.
Am Anfang dieser wechselreichen Firmengeschichte stand Gold
als Zahlungsmittel des Kaiserreichs. Heute ist es gefragt als privates,
werthaltiges Alternativgeld. Die Währungen kamen und gingen,
Gold blieb.
Literaturverzeichnis

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2010
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D-Mark zurück! Kopp Verlag, Rottenburg 2012
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Wittmann, Walter: Superkrise - Die Wirtschaftsblase platzt, Orell
Füssli Verlag, Zürich 2012
174 Register

A Deutsche Mark 69 Geldmengenausweitung 53


Adenauer, Konrad 96 Deutscher Zollverein 25 Geldmonopol 15,33
Aktienmärkte 160 Devisenbank 63 Geldschöpfung 19
Andreotti, Giulio 118 Devisenkontrollen 77 Geldumverteilungsmecha-
Anker Währung 101 Devisenreserven 88 nismus 144
Anleiheablösungsgesetz 67 Devisenzuwiderhandlungen Geldverfassung 64
Ausgabenwirtschaft 64 79 Geldvermehrung 53
Auslandsaktiva 90 Diskontsatzerhöhung 93 Gewährleistungsermächti-
Außenprüfungen der Fi- D-Mark 11 gung 125
nanzämter 72 Gewerkschaftsverbände 48
Außenwert 102 E Glanzgold 31
Edelmetallfonds 156 Goldanlage 151
B Edelmetallgeld 12 Goldbesitz 60
Baker, James 117 EG-Landwirtschaftspolitik Goldbesitzer 66
Banken, Ralf 77 109 Goldbindung 51
Bankgesetz 41 Einheitszins 138 Goldblase 154
Bankgesetznovelle 45 Einkreisungsmanöver 113 Golddollar 59
Banknotenumlauf 54 Einlagensicherung 136, 164 Goldeinlösepflicht 48
Bernanke, Ben 50 Eisenbahnbau 47 Goldeinlösungspflicht 99
Besatzungsgeld 69 Elbers, Matthias 139 Goldfranken 59
Bimetallismus 45 Emminger, Otmar 91 Goldgeld 10
Binnenwert 102 Entschädigungseinrichtung Goldhausse 152
Blessing, Karl 64, 91 164 Goldkernwährung 60
Bonitätsrisiko 151 Erhard, Ludwig 89,96 Goldkonvertibilität 100
Borchardt, Knut 36 Ersatzgold 154 Goldminenfonds 161
Börsencrash 149 Erzberger, Matthias 71 Goldpreis 155
Brandt, Willy 96 ESM-Gouverneur 134 Goldreserven 89
Bretton Woods 46, 98 ESM-Vertrag 131 Goldsmith, Raymond 85
Brüning, Heinrich 75 Euro-Bonds 135, 146 Goldstandard 16, 23, 29, 32,
Bruttoinlandsprodukt 97 Euro-Festgeld 153
Bullenmarkt 153 Euro-Lobby 143 37, 43, 60
Bundesfinanzministerium Europäische Finanzstabili- Goldzertifikate 156
112 sierungsfazilität 127 Göring, Hermann 77
Europäische Zahlungsunion Gouverneursrat 134
C 93 Gründerkrise 48
Charttechnik 160 Euro-Pleitekandidaten 127 Gulden 23,29
Clay, Lucius 85 Euro-Rettungsschirm 131 Gysi, Gregor 130
Cohen, Philipp Abraham 30 Evonik Industries 76
Colm, Gerhard 85 H
Coupons 50 F Haftungsverbund 127, 164
Couponschneider 159 Faber, Marc 149 Handelsbilanzüberschüsse
Federal Reserve System 39 89
D Fischer, Joseph 146 Hankel, Wilhelm 109
Dahrendorf, Ralf 109 Fiskalpakt 130 Haushaltsdisziplin 107
Darlehenskassenscheine 54 Flossbach, Bert 158 Hayek, Friedrich August von
Dawes-Abkommen 58 Flüchtlingsmassen 90 33
Deckungsvorschriften 41 Fremdwährung 15 Hayes, Peter 77
Defizitzahlen 123 Fremdwährungskonten 85 Hebelprodukt 152
Deflation 73 Freytag, Gustav 26 Hilfszahlungen 116
Degussa 20, 22, 31, 76, 167 Hitler, Adolf 75
Degussa-Barren 170 G Homburg, Stefan 69
Delors, Jacques 106,110 Gauweiler, Peter 130 Hurd, Douglas 105
Depotbanken 161 Geldgeschichte 19 Hyperinflation 26, 30, 53,
Deutscher Bund 25 Geldmenge 73 66
Register 175

I Massenpsychologie 57 Rueff, Jacques 99


Immobilien 158 Matthäus-Maier, Ingrid 5 Rüstungsausgaben 55
Immobilienbesitzer 81 Merkel, Angela 126, 146
Immobilienvermögen 136 Metallkonto 157 S
Inflationsgewinne 67 Minimalkompromiss 114 Schacht, Hjalmar 15, 59, 63,
Inflationspotenzial 77 Mischfonds 161 77
Inflationsschub 95 Mises, Ludwig von 12 Schachtschneider, Karl
Inflationsschutz 158 Mitterrand, François 106, Albrecht 130
IWF-Auktion 20 118 Schäffer, Fritz 97
IWF-Kredite 127 Monti, Mario 141 Schäuble, Wolfgang 126
Münzgesetz 35 Scheingeldsystem 50
J Münzwardein 21 Scheinstabilität 121
Schieberhandel 62
Jahresverdienst 48 N Schiller, Karl 108
Nachschusspflicht 132 Schleicher, Kurt von 75
K Nettosozialprodukt 47 Schlesinger, Helmut 16, 91
Kapitalflucht 78 Notenbank 40 Schuldenaufnahme 74
Kapitalverkehrskontrollen Notenbankbilanz 16 Schuldendienst 55
73 NSDAP 75 Schuldenmacherei 64
Kapp-Lüttwitz-Putsch 55 Schuldenmenge 50
Kassapreis 154
Kaufkraftschwund 101
O Schuldenschnitt 129
Schuldensozialisierung 129
Ölpreise 95
Ketchup-Inflation 70 Ostmark 87,88 Schuldensozialismus 135
Klasen, Karl 91 Schuldentilgungsfonds 135
Knies, Werner 20 P Schuldenunion 126
Kohl, Helmut 106 Papandreou, Georgios 124 Schuldenver waltung 65
Konjunkturprogramme 75 Papiergeld 32 Schumpeter, Joseph A. 96
Konjunkturzyklen 47 Papiergeldreform 37 Sicherungseinrichtung 164
Korbwährung 101 Papiergeldstandard 26 Silber-Gold-Preisverhältnis
Kreditgewinnabgabe 81 Papiermark 59 31
Kreditquote 93 Parteienfilz 123 Silberpreis 37
Kriegsfinanzierung 65 Plass, Fritz 20 Silberreserven 61
Kriegssteuer 29 Pohl, Karl Otto 91 Sonderabgaben 56
Krisenverschleppung 141 Polleit, Thorsten 14 Sondersteuer 67
Krügerrand 20 Preisdeflation 49 Sozialleistungen 74
L Preisinflation 53 Staatsanleihekäufe 127
Landeszentralbanken 92 Preisstopp 76 Staatsanleihen 42
Lebensmittelkartenstellen Staatsbankrotte 149
85 R Staatsschuldenkrise 138
Staatsverschuldung 142
Leistungsbilanzdefizit 94, Realitätsverlust 121
101 Realzins 138 Stabilitätsmechanismus 129
Leistungsbilanzüberschuss Reichsbank 37,39 Stabilitätsverpflichtung 110
140 Reichsgoldwährung 36 Standardaktien 161
Lohnsteuereinbehalt 72 Reichskassenscheine 44 Stark, Jürgen 15
Lohnstopp 76 Reichsschuld 56 Steuerausfälle 142
Lombardforderung 42 Reichswährungskommissar Steuereinnahmen 56, 57
Luxussteuern 56 59 Steuerquote 55
Rentenbankscheine 59 Stoltenberg, Gerhard 97
M Reparationsforderungen 57 Subventionsbetrug 118
Maastricht 105 Reservewährung 101 Superblase 149
Maastrichter Vertrag 115 Roessler, Friedrich Ernst 29
Macchiavellismus 118 Roessler, Johann Hector 21 T
Madoff, Bernard 161 Rothschild, Mayer Amschel Target-2-Forderung 137
Marsh, David 108 19 Target-2-Kredite 137
176 Register

Tenenbaum, Edward 86 Währungshüter 106


Terminpreis 154 Währungsreform 87
Tietmeyer, Hans 91, 112 Währungsschnitt 150
Transferunion 141 Währungssouveränität 94
Transferzahlungen 121 Währungsumstellung 87
Transmissionsmechanismus 74 Waigel, Theo 108
Treitschke, Heinrich von 107 Wannenmacher, Walter 89
Trittin, Jürgen 145 Weber, Axel 15
Welteke, Ernst 91
U Weltexporte 91
Umstellungsgewinne 81 Weltfinanzsystem 124
Umverteilungsgelder 118 Wiedervereinigung 117
Unternehmensanleihen 67 Wittmann, Walter 149, 158
Wohlstandsverluste 50
V
Vermögensvernichtungsmaschine 137 X
Vocke, Wilhelm 64
Volatilität 66, 158 Xetra-Gold 156
Voßkuhle, Andreas 131
Z
W Zahlungsbilanzkrise 94
Währungsfalle 119 ZDF-Politbarometer 106
Währungsgebiet 88 Zentralbankrat 93, 111
Währungsgeschichte 48 Zentralbankreserven 153
Zettelbanken 33
Die Reichsgoldmünzen zu 20 Mark (oben) wurden ab 1871 geprägt,
die 10-Mark-Stücke ab 1872. Die Münzen waren gesetzliches Zah-
lungsmittel und bestanden im Mischungsverhältnis 9 zu 1 aus Gold und
Kupfer. Unten: Eine Reichsbanknote vom 7. Februar 1908. Die Noten
waren bis Juli 1914 jederzeit einlösbar in Gold.
Oben: Inflationsgeld vom 18. Oktober 1923. Die Rückseite war nicht
bedruckt. Hergestellt wurde sogar eine Reichsbanknote im Nennwert
von 100 Billionen Mark. Unten: Notgeld aus Bruchsal. Der Umlauf der-
artiger Scheine erreichte Ende 1923 im Reich den Nominalwert von
über 700 Trillionen Mark, nicht gerechnet die von der Reichsbank aus-
gegebenen Geldscheine.
Ein Rentenbankschein vom 2. Januar 1926. Auf der Vorderseite ein
Bauernmädchen mit Getreidegarbe, auf der Rückseite eine Ährengar-
be. Die Rentenmark erwies sich als stabil, weil sie unter anderem durch
Grund und Boden gedeckt war. Noch 1937 wurden Rentenmarkschei-
ne gedruckt.
100 Reichsmark vom 24. Juni 1935. Auf der Vorderseite der Chemiker
Justus von Liebig und ein Hakenkreuz. Massiv inflationiert wurde ab
1939, nachdem Hitler die Spitze der Reichsbank entlassen hatte.
Oben: Inflationsgeld vom Frühjahr 1945, ausgegeben von der Haupt-
verwaltung der Reichskreditkassen. Die sogenannten Reichskreditkas-
senscheine gab es auch zu 50 Pfennig und zu 1, 2, 5 und 20 Reichs-
mark. Unten: Die Reichsgoldmünze zu 10 Mark von 1872. Sie erwies
sich nicht nur aus deutscher Sicht als hervorragendes Wertaufbewah-
rungsmittel. Auch in US-Dollar gerechnet, der damals führenden Wäh-
rung, war die Goldmünze nach Hitlers Ende zwei Drittel mehr wert als
am Tag seiner Machtergreifung.
Das Besatzungs-
geld der Alliierten
Militärbehörde,
das bis 1948 um-
lief, wurde schon
1942 in den USA
geplant. Alle
Scheine haben die
Jahreszahl 1944.
Bereits im April
1944 stellten die
Amerikaner den
Sowjets Vorlagen,
Farbe und Papier
für eigene Drucke
zur Verfügung.
Unten: Eine halbe
Deutsche Mark
von 1948, noch
ohne A n g a b e der
ausgebenden Be-
hörde.
1000 Deutsche Mark vom 1. August 1991 mit den Gebrüdern Grimm
auf der Vorderseite und dem Stichwort »Freiheit« aus dem Deutschen
Wörterbuch auf der Rückseite, unterschrieben von Helmut Schlesinger
und Hans Tietmeyer. Je nach Erhaltungsgrad zahlen Sammler dafür bis
zu 720 Euro, für die Serie ZA/A sogar bis zu 2000 Euro.
Ein böses Omen:
Um nationale
Empfindlichkeiten
zu schonen und
Streit zu vermei-
den, sind auf dem
seit 2002 umlau-
fenden Kunstgeld
Euro ausschließ-
lich fiktive, real
nicht existierende
Bauwerke abge-
bildet. Unten: Fast
zeitgleich mit
dem Euro kehrten
Goldbarren und
Goldmünzen, die
Währung des Kai-
serreichs, als al-
ternative und
diesmal private
Währung zurück.
Wiederholt sich die Geschichte? Schon
zweimal, 1923 und 1948, wurde das Geld der
Deutschen ganz oder fast wertlos. Schon
zweimal verarmte der Mittelstand und zahlte
die Rechnung für Inflationierung und Miss-
brauch des Geldmonopols durch den Staat.
Und wieder ließ sich eine deutsche Regierung
auf ein geldpolitisches Abenteuer ein, als
sie im Dezember 1991 auf der Konferenz von
Maastricht die D-Mark opferte, als 1999 die
international hoch angesehene Deutsche Bun-
desbank entmachtet wurde, als mit der
ersten Griechenland-Rettung im Mai 2010 die
wichtigsten Regeln des Euro-Vertrages
skrupellos gebrochen wurden.
Wer sich eine Vorstellung von den uns drohen-
den Gefahren machen will, wer sein Ver-
mögen schützen und Vorkehrungen für den
»Tag des Jüngsten Gerichts« treffen möchte,
muss die deutsche Geldgeschichte kennen -
von der wertbeständigen goldgedeckten
Mark nach 1871 und der Papiermark, die 1923
unterging, über die Rentenmark und die
Reichsmark, auf die in der Währungsreform
von 1948 die Deutsche Mark folgte, bis hin
zum Euro, der 1999 als Buchgeld und Anfang
2002 als Bargeld eingeführt wurde.
Vor dem Hintergrund einer oft leidvollen und
chaotischen Vergangenheit ist das vorliegende
Buch mehr als eine konventionelle Wäh-
rungsgeschichte. Es klärt auf, es zerstört Illu-
sionen, es rechnet ab mit den Schuldigen,
und es gibt wertvollen Rat, wie sich der An-
leger vor den Folgen des gescheiterten Geld-
experiments schützen kann. Am Beginn
dieser Erzählung war Gold noch das gesetz-
liche Zahlungsmittel der Deutschen. Jetzt
kehrt es zurück als alternative private Währung,
mit der Bonitätseinstufung AAA. Papiergeld
kam und ging, Gold blieb.
Dr. Bruno Bandulet, früher Mitglied der
Chefredaktion von Quick und Die Welt, ist
seit 1979 Herausgeber des auf Edelmetalle
und Devisen spezialisierten Finanzdienstes
GOLD&MONEY INTELLIGENCE. Er gründete
1995 den politischen Hintergrunddienst
DeutschlandBrief, der seit 2009 als regelmä-
ßige Kolumne im liberalen Monatsmagazin
eigentümlich frei erscheint. Zuletzt veröffent-
lichte er im Kopp Verlag Das geheime Wis-
sen der Goldanleger und Die letzten Jahre
des Euro. Ende Juni 2012 klagte Dr. Bandu-
let zusammen mit den Professoren Schacht-
schneider, Starbatty, Hankel und Nölling
vor dem Bundesverfassungsgericht gegen
den Vertrag über den Europäischen Stabi-
litätsmechanismus (ESM), mit dem der Euro
»gerettet« werden soll. Bandulet ist Mit-
glied der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft.

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