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Lernzettel Inklusion aus bildungswissenschaftlicher Perspektive

1. Vorlesung: Einführung in die UN-Behindertenrechtskonvention


Salamanca Erklärung (1994):
• Ein nicht rechtlich bindendes Dokument
„Das Leitprinzip, das diesem Rahmen zugrunde liegt, besagt, dass Schulen alle Kinder, unabhängig von ihren
physischen, intellektuellen, sozialen, emotionalen, sprachlichen oder anderen Fähigkeiten aufnehmen sollen.
Das soll behinderte und begabte Kinder einschließen, Kinder von entlegenen oder nomadischen Völkern, von
sprachlichen, kulturellen oder ethnischen Minoritäten sowie Kinder von anders benachteiligten Randgruppen
oder -gebieten.“ (UNESCO 1994)

Die UN-Behindertenrechtskonvention (2006):


• 2006 in New York verabschiedet
• Internationales, universalistisches Rechtsdokument
• 50 Artikel- übergeordnete Themenbereiche u.a. Bildung, Gesundheit, Gleichstellung, Rehabilitation
und berufliche Teilhabe, Barrierefreiheit und Selbstbestimmtes Leben
• 23 Artikel in Anknüpfung an die allgemeine Erklärung der Menschenrechte
• Debatte um Übersetzungsfehler (integrativ: SchülerInnen in ein bestehendes System eingliedern,
inklusiv: Wie muss sich die Schule ändern damit alle teilnehmen können?)

Artikel 8: Bewusstseinsbildung:
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, sofortige, wirksame und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um
a) in der gesamten Gesellschaft, einschließlich auf der Ebene der Familien, das Bewusstsein für
Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern;
b) Klischees, Vorurteile und schädliche Praktiken gegenüber Menschen mit Behinderungen, einschließlich
aufgrund des Geschlechts oder des Alters, in allen Lebensbereichen zu bekämpfen

Artikel 24: Bildung


Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht
ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die
Vertragsstaaten ein integratives [inklusives] Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen mit dem
Ziel,

a) die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des
Menschen voll zur Entfaltung zu bringen und die Achtung vor den Menschenrechten, den
Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu starken;
b) Menschen mit Behinderungen ihre Persönlichkeit, ihre Begabungen und ihre Kreativität sowie ihre
geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung bringen zu lassen;
c) Menschen mit Behinderungen zur wirklichen Teilhabe an einer freien Gesellschaft zu befähigen

Chancen und Herausforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention


Chancen Herausforderungen
Sicherung der Rechte von Menschen mit Frage der konkreten Implementierung wird den
Behinderungen Mitgliedstaaten überlassen (Vermeidung von
„paternalistischer Überspezifizierung“) |
Unterschiedlichste Umsetzungsformen
Starke Betonung von Selbstbestimmung, Was sind die Referenzinstanzen? Ist die
Autonomie und Empowerment Monitoringstelle unabhängig?
Holistische Sichtweise keine Möglichkeit der Individualklage bei fehlender
Ratifizierung des Zusatzprotokolls
Verändertes Rollenverständnis bei Menschen mit Umgang mit Sondereinrichtungen
Behinderungen (General Comment 4, 2016 – Absatz 39: „This [the
realization of Art. 24] is not compatible with
sustaining two systems of education: mainstream
and special/segregated education systems “)

Internationale Anerkennung und rechtliche


Sicherung von Inclusive Education

Schulrechtsgesetztesänderung in Baden-Württemberg (2015)


§ 3 Einheit und Gliederung des Schulwesens, inklusive Bildung (neu)
(1) Das Schulwesen des Landes gliedert sich, unbeschadet seiner im gemeinsamen Erziehungs- und
Bildungsauftrag begründeten Einheit, in verschiedene Schularten; sie sollen in allen Schulstufen jedem jungen
Menschen eine seiner Begabung entsprechende Ausbildung ermöglichen.
(2) Bei der Gestaltung, Ordnung und Gliederung des Schulwesens ist sowohl auf die verschiedenartigen
Begabungsrichtungen und die Mannigfaltigkeit der Lebens- und Berufsaufgaben als auch auf die Einheit des
deutschen Schulwesens, den organischen Aufbau des Schulwesens mit Übergangsmöglichkeiten unter den
Schularten und Schulstufen, die Lebens- und Arbeitsfähigkeit der einzelnen Schulen und die Angemessenheit
der Schulkosten Bedacht zu nehmen.
Neu: „(3) In den Schulen wird allen Schülern ein barrierefreier und gleichberechtigter Zugang zu Bildung und
Erziehung ermöglicht. Schüler mit und ohne Behinderung werden gemeinsam erzogen und unterrichtet
(inklusive Bildung).“

Aufhebung der Sonderschulpflicht- Kein Regel-Ausnahmeverhältnis zugunsten der Regelschulen


„Die sonderpaedagogische Beratung, Unterstützung und Bildung findet in den allgemeinen Schulen statt,
soweit Schüler mit Anspruch auf ein sonderpaedagogisches Bildungsangebot kein sonderpaedagogisches
Bildungs- und Beratungszentrum besuchen“ (§ 15, Abs. 2).

Sonderpädagogische Ressourcen über Einsatz von Sonderschullehrkräften:


„Die sonderpaedagogischen Bildungs- und Beratungszentren unterstützen die allgemeinen Schulen
bedarfsgerecht bei der sonderpaedagogischen Beratung, Unterstützung und Bildung“ (§ 15, Abs. 2).

Änderungen im Hochschulkontext:
PO 2011 PO 2015
M2 BW (Vertiefung Bildungswissenschaften) Im Bachelor: Inklusion als Querschnittsthema
Einzelne Seminar- oder Vorlesungsangebote Im Master: Eigenständiges Pflichtmodul für
Studierende der Lehrämter Primarstufe,
Sekundarstufe I und Sekundarstufe II im Umfang von
6 ECTS
Ziel: Die Studierenden kennen die Aufgabe der Erwerb systematischer Kenntnisse zum
Inklusion sowie didaktische Konzepte eines Umgangs Themenbereich Inklusion und Heterogenität
mit Heterogenität unter Berücksichtigung von
Geschlecht, Kultur und sozialem Milieu
Stärkere Kohärenz der Lehrangebote
2. Vorlesung: Behinderung
Definition nach der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 1 – Zweck):
„Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder
Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen,
wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“
• Perspektiven der Langfristigkeit (nicht tagesbezogen)
• Wechselwirkung von Individuum mit einem gewissen Lern- Entwicklungsstand, körperlicher Funktion
und Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die auf diese Individuen einwirken

Definition von Weisser (2015):


Eine Behinderung ist „eine Feststellung, dass etwas nicht geht, von dem man erwartet, dass es geht.“
• Eine Erwartung an Menschen (Verhaltenserwartungen, Fähigkeitserwartung) -> Mensch mit
Behinderung kann diese soziale Erwartung nicht erfüllen
• Behinderung ist institutionell gerahmt (nicht Einhaltung von Lehrplänen) -> Kind erfüllt Erwartungen
nicht -> erhält Diagnose Behinderung

Definition von Feuser (1999):


„Ein Mensch ist seiner Gegenwart nach dem momentanen Möglichen hinsichtlich der möglichen
Veränderungen; also kompetent, wie behindert er uns auch erscheinen mag.“

• Sozial materialistische Position


• Defizitperspektive die Ressourcen ausblenden
• Menschen mit Behinderungen müssen als kompetent wahrgenommen werden
• Spiegeln ableistische Vorstellungen der Gesellschaft wieder

Definition von Behinderung nach Sozialgesetzbuch IX, §2, Abs. 1 (Fassung bis 31.12.2017):
„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen
und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Sie sind von Behinderung bedroht,
wenn die Beeinträchtigung zu erwarten ist.“
Definition von Behinderung nach Sozialgesetzbuch IX, §2, Abs. 1 (Fassung ab 2018): „Menschen, die
körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit
einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher
Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn
der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind
von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.“

Klassifizierungsmodelle von Behinderung:


ICF – International Classification of Functioning, Disability and Health (WHO 2005):

Zusammenfassung ICF-Modell:

Chance Schwierigkeiten
Bio-psycho-soziales Modell von Behinderung Personenbezogene „Problemstellung“ (z.B.
(interdisziplinäre Perspektive) Gesundheitsproblem) als Ausgangspunkt für
Diagnostik
Abkehr von einer rein medizinischen und Bislang ausgebliebene Ausdifferenzierung von
personenbezogen essentialisierenden Perspektive „persönlichen Faktoren“ und „Umweltfaktoren“ im
auf Behinderung Kontext von Diagnostik
Differenzierte Perspektive auf Einflussfaktoren, die
zu einer Behinderung führen (Ermöglichung einer
präzisen Diagnostik)

Behinderung als kultureller Prozess:

Behinderung und Nicht-Behinderung als formale Strukturmerkmale in der Gesellschaft –


und folglich auch in Bildungsorganisationen

Behinderung als situationaler Prozess von Benachteiligung

Kulturelles Verständnis von Behinderung (Waldschmidt 2005):

• Grundannahme: Identität (nicht)behinderter Menschen ist kulturell geprägt und von


Deutungsmustern des Eigenen und des Fremden bestimmt
• Notwendigkeit: Erfahrungen aller Gesellschaftsmitglieder als Ausgangspunkt zu nehmen – Fokus auf
die Analyse kultureller Praktiken und gesellschaftlicher Strukturen
• Perspektivwechsel: Die Mehrheitsgesellschaft wird zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand. Dabei
werden Fragen relevant: Wie werden Formalitäten und Abweichungen konstruiert? Wie werden
Identitäten geformt?
Behinderung als kultureller Prozess:

3. Vorlesung:

Dimensionen von Inklusion im Kontext von Schule:

Inklusion – Entstehungskontexte für die Pädagogik:


• Begriffsursprung von „Inclusive Education“ im pädagogischen Kontext im anglo- amerikanischen Raum
Ende der 1970er Jahre

• Abgrenzung zum “Mainstreaming” und den vorherrschenden Selektionsmechanismen


• Einsatz von Elternverbänden und -initiativen (TASH, CACL)
Fachliche Verankerungen: „Changing Canadian Schools. Perspectives on Disability and Inclusion“ (1991)

• „World Conference on Special Needs Education: Access and Quality“ Salamanca, Spanien, 7.-10. Juni 1994

Inclusive Education:

• ist am Ziel orientiert, Marginalisierungen, Benachteiligungen und Diskriminierungen abzubauen und


Partizipation für alle Schülerinnen und Schüler zu eröffnen (Ainscow 2008) – inklusive aller
Personengruppen „seen as being vulnerable to exclusion“.
• “changes required by the schools to their structures, ethos and practices and on removing barriers
(which may be environmental, structural or attitudinal) to children’s participation” (Allan 2012, 3)

Inklusionsverständnisse:

Beispiel: Nutzung von Differenzierungsräumen:

Inklusion Zusammenfassung:
• Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht
• Schulische Inklusion befasst sich mit dem Gemeinsamen Lernen aller
• Schülerinnen und Schüler
• Inklusion und Exklusion werden nicht länger an der Person festgemacht, sondern an der
Bildungsorganisation und deren Umgang mit Unterschiedlichkeit
• Inklusion umfasst alle Heterogenitätsdimensionen und bezieht sich nicht nur auf die Dichotomie von
Behinderung/Nicht-Behinderung
4. Sitzung: Inklusion & Heterogenität

Heterogenität aus sozial-konstruktivistischer Perspektive:


• Differenzen bestehen nicht aufgrund von Dispositionen, die sich in verschiedenen Merkmalen
verdichten, sondern werden in sozialen Interaktionen hergestellt und bearbeitet
• Merkmale sozial-konstruktivistischer Überlegungen:
o Relativ
o Sozial kulturell eingebunden
o Sozial konstruiert
o Partial
o
Heterogenität ist … relativ (Sturm 2016):
• Heterogenität = Ungleichartigkeit
• Ungleichartigkeit kann nur erkannt bzw. beschrieben werden, wenn zwei oder mehr Aspekte
miteinander in Beziehung gesetzt bzw. verglichen werden.
• Beispiel: Schulische Leistung – Resultat: Streuung um eine Norm

Heterogenität ist … sozial und kulturell eingebunden (Sturm 2016)


• Vergleiche, deren Ergebnis Gleichheit oder Unterschiedlichkeit darstellen, finden immer in sozialen
und kulturellen Rahmungen statt.
• Sie sind also nicht neutral, sondern kontextgebunden.
• Beispiel: Alphabetisierung

Heterogenität ist … sozial konstruiert (Sturm 2016)
• Heterogenität und Homogenität sind Konstruktionen, die perspektivisch gebunden hergestellt und
wahrgenommen werden, da sie immer von einem Standpunkt aus, d. h. vor dem Hintergrund
individueller Erfahrungen vorgenommen werden
• sie wirken distinktiv, da Differenzen und Unterschiede durch sie sichtbar werden, und konjunktiv, weil
durch sie Gemeinsamkeit erkennbar wird
• Differenzen werden aus einer konkreten sozialen Position heraus gesehen
• Beispiel: Einschätzung von Verhaltensschwierigkeiten bei Schüler:innen

Heterogenität ist … partial (Sturm 2016)


• Heterogenität, die sozial konstruiert ist, ist immer auf einzelne Aspekte bezogen, obwohl oftmals von
einer generellen Heterogenität gesprochen wird
• Wichtig: Entwicklungsaspekt

Die Feststellung, ob etwas heterogen und homogen ist, ist die zeitlich begrenzte Beschreibung eines Zustandes,
dessen Ergebnis sich durch Entwicklung verändern kann

• Beispiel: Schulische Leistungsüberprüfung

Sonderpädagogische Förderung im schulischen Bereich:

• Eine Beeinträchtigung ist so gravierend, dass Kinder und Jugendliche ohne besondere Unterstützung
im Regelunterricht nicht hinreichend gefördert werden können.
• Acht sonderpädagogische Förderschwerpunkte mit jeweils eigenen Empfehlungender
Kultusministerkonferenz (seit 1994)
• Hohe Differenzierung im allgemeinbildenden Schulsystem

Schülerinnen mit SPF nach FS in AGBS in Deutschland:


Bildungsangebote im schulischen Bereich:

• Zielgleiche Bildungsangebote: Lernenden mit Beeinträchtigungen muss ein Ausgleich gewährt


werden, insbesondere wenn sie Leistungsnachweise oder Prüfungen nicht in gleicher Art erbringen
können wie jene ohne Beeinträchtigung
• „Nachteilsausgleich“, Einzelfallentscheidung, Sicherstellung von Barrierefreiheit
• SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf können einen der üblichen
Bildungsabschlüsse erwerben

• Zieldifferente Bildungsangebote: Lernziele werden für jede:n Schüler:in aufgrund eines SPF individuell
festgelegt, individuelle Förderpläne unterschiedliches Lerntempo

Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland- eine Analyse:


Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention nach Artikel 24:

• Availability steht für (1) die Verfügbarkeit von wohnortnahen allgemeinen Schulen, in denen auch
Kinder mit Behinderungen unterrichtet werden.
• Accessibility fordert (2) den diskriminierungsfreien Zugang von Menschen mit Behinderung zu den
allgemeinen Schulen.
• Acceptability und Adaptability fordern folgende Gewährleistungen: (3) die inklusive, nicht
diskriminierende Organisation und Ausgestaltung der allgemeinen Schulen, (4) die Umsetzung von
Inklusion als Bildungsziel an den Schulen, (5) die Gewährleistung der notwendigen (sonder -
)pädagogischen Förderung und Unterstützung im inklusiven Setting, (6) die Bereitstellung
angemessener Vorkehrungen sowie Barrierefreiheit und (7) die entsprechende Qualifizierung der
Lehrkräfte.

-> Zusammenfassen lassen sich die vier Ziele in der Verpflichtung zu einer schrittweisen Transformation der
bestehenden Förderschulsysteme in inklusive Regelschulangebote.
Zwischenfazit:

-> Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (Artikel 24) im Bildungssystem kann entlang der
Kriterien availability, accessibility, acceptability und adaptability betrachtet bzw. analysiert werden.

->Die Bundesländer unterscheiden sich stark in der Umsetzung dieser Kriterien (z.B. Bremen/Hamburg
progressiv – Baden-Württemberg/Rheinland-Pfalz zurückhaltend)

->Während die Verfügbarkeit inklusiver Angebote (availability) in den meisten Bundesländern gestiegen ist, gibt
es wenige Bundesländer mit erkennbaren strukturellen Transformationen

-> Die Förderquote stellt die Anzahl von Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf im
Bildungssystem dar.
Die Inklusionsquote bezieht sich auf Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven
Schulsettings. Die Exklusionsquote bezieht sich auf Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in
Förderschulen/SBBZ.
-> Im bundesweiten Vergleich zeigt sich von 2008/09 bis 2020/21 ein Anstieg der Förderquote (6,0% auf 7,7%),
bei leichter Verringerung der Exklusionsquote und Zunahme der Inklusionsquote.

-> In einzelnen Bundesländern (u.a. Bayern, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) gibt es einen Anstieg der
Inklusionsquote bei gleichzeitigem Anstieg der Exklusionsquote.

-> Im Vergleich der Förderschwerpunkte zeigt sich, dass insbesondere im Förderschwerpunkt Lernen die
Exklusionsquote rückläufig ist.

-> Die prognostische Entwicklung der Exklusionsquote ist, bezogen auf die unterschiedlichen Bundesländer,
stark uneinheitlich.

-> Im europäischen Vergleich zeigt sich eine starke Uneinheitlichkeit in der Förderquote (z.B. ca. 1% in
Schweden vs. 17% in Island).

-> Die Höhe der Förderquote steht nicht im Zusammenhang mit der Höhe der Inklusions- bzw. Exklusionsquote.

Ausbau von Gemeinschaftsschulen als inklusive Lernorte:

• Schüler/innen lernen in einem gemeinsamen Bildungsgang nach unterschiedlichen Bildungsplänen je


nach ihren individuellen Leistungsmöglichkeiten
• Die Gemeinschaftsschule steht auch Schüler:innen mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches
Bildungsangebot offen, die auch das Recht zum Besuch eines SBBZ hätten.
• Inklusive Bildungsangebote sind fester Bestandteil der Gemeinschaftsschulen

Gesamtfazit- Umsetzung schulischer Inklusion in Baden-Württemberg:

• Aufhebung der Pflicht zum Besuch der Sonderschule


• Beibehaltung einer „Doppelstruktur“ bestehend aus SBBZ und inklusiven Bildungsangeboten.
• Stärkung des Wahlrechts der Eltern von Kindern mit einem festgestellten Anspruch auf ein
sonderpädagogisches Bildungsangebot im Hinblick auf den schulischen Lernort
• Allerdings: Haushaltsvorbehalt
• Weiterentwicklung der Sonderschulen zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren
(SBBZ)

Sonderpädagogische Förderung im schulischen Bereich:

• Eine Beeinträchtigung ist so gravierend, dass Kinder und Jugendliche ohne besondere Unterstützung
im Regelunterricht nicht hinreichend gefördert werden können
• Acht sonderpädagogische Förderschwerpunkte mit jeweils eigenen Empfehlungen der
Kultusministerkonferenz (-> hohe Differenzierung im allgemeinbildenden Schulsystem)
• Überprüfungsverfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs kann zu jedem
Zeitpunkt der Schullaufbahn eingeleitet werden

Diagnostik von Behinderung:


Diagnostische Verfahren: medizinisch, psychologisch, sonderpädagogisch
Ziel:
1. Einzelfallbezogene Platzierungsdiagnostik: Feststellung des bestmöglichen institutionellen
Förderortes, Bereitstellung von Ressourcen, Umsetzung & Evaluation spezieller Fördermaßnahmen
2. Prozess- und Lernverlaufsdiagnostik: bestmögliche individuelle Förderung; systematische,
kontinuierliche Beobachtung und Dokumentation der Lernentwicklung

Sonderpädagogisches Bildungsangebot- Feststellung des Anspruchs


Der Antrag:
Antrag vor Einschulung oder während Schulzeit
Teil 1: von Erziehungsberechtigten auszufüllen
• Information zum Kind
• Bisherige eingeschaltete Fachdienste
• Gewünschte Beschulungsart

Teil 2: von vor -bzw. schulischer Einrichtung auszufüllen

Pädagogischer Bericht:

• Besonderheiten in der Entwicklung


• Lern- und Arbeitsverhalten
• Emotionale und soziale Kompetenzen
• Kommunikationsverhalten / Sprache
• Kognitive Kompetenzen (z.B. in Mathematik)
• Vorläuferkompetenzen zum Schriftspracherwerb
• Pränumerische Kenntnisse
• Erkennbare Stärken beim Kind
• Häusliche Situation
• Bisheriges Förderangebot
• Dokumentation der Kooperation mit den Erziehungsbericht.

Das sonderpädagogische Gutachten:

1. Berücksichtigte Faktoren bei Empfehlung des Lernortes:


• Art und Umfang des Förderbedarfs
• Wunsch der Erziehungsberechtigten
• Fördermöglichkeiten der Schulen und baulich-räumliche Voraussetzungen
• Verfügbarkeit des erforderlichen sonderpädagogischen Personals und spezieller Lern-/ Lehrmittel
2. Eingangsdiagnose:
• Am Kind: Lernumstände, Kompetenzen, Emotionen, Verhalten; geprüft durch Schulleistungs- bzw.
Intelligenztests
• Im Umfeld: Entwicklungsbedingungen (familiär, außerschulisch und schulisch)
3.
• Beschreibung und Auswertung der Befunde
• Formulierung von Richtzielen der Förderung
• Vergleichende Einschätzung möglicher pädagogischer Settings (SBBZ oder inklusives Bildungsangebot)

Kritische Reflexion schulischer Kategorien


Veränderter Umgang mit Unterschieden setzt Reflexion voraus (Sturm 2012)
• Der eigenen Vorstellungen von Unterschieden und deren Bedeutungen in der Schule
• Der Bereitschaft und Reflexion, selbst in die Produktion von Differenzen eingebunden zu sein
• Aufbau pädagogisch begründeter Differenzen

Kritik- grundlegende Spannungsfelder:

• Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma (verstärkt Konstruktionen von Behinderungen)


• Förderschwerpunkte ohne grundlegende pädagogische Orientierung (vgl. Sturm 2012)
• Integration exkludierter Individuen statt Diagnose vorherrschender Exklusionsverhältnisse (vgl.
Dannenbeck & Dorrance 2016, 18)
• Inklusion als Differenzmarkierung einer politischen und pädagogischen Praxis

6. Vorlesung: Handlungsfeld inklusiver Unterricht

Enwticklungslinien integrativer/inklusiver Didaktik:


Integrativer/Inklusiver Unterricht schließt schulpraktisch an reformpädagogische Methoden des gemeinsamen
Lernens an (z.B. Jenaplan, jahrgangsübergreifender Unterricht, kooperatives Lernen, etc.).
Spannungsfeld zwischen individualisiertem und gemeinschaftlichem Lernen:

Kooperation am Gemeinsamen Gegenstand:

Integration ist dann verwirklicht, wenn „alle Kinder in Kooperation miteinander auf ihrem jeweiligen
Entwicklungsniveau und mittels ihrer momentanen Denk- und Handlungskompetenzen an und mit einem
Gemeinsamen Gegenstand lernen und arbeiten.“ (Feuser 1989, 32)
Der gemeinsame Gegenstand:

Differenzierungsmatrizen nach Sasse:


Analyse der aktuellen Problematik zur Umsetzung von Lernen am Gemeinsamen Gegenstand. Es braucht eine
Unterrichtsvorbereitung, die…

• Lehrer/innen bei der Öffnung und Ausdifferenzierung des Unterrichts unterstützt


• Den Verzicht auf „spezielle“ Lehrpläne für „spezielle“ Schüler/innen ermöglicht
• Die Vorbereitung eines Angebotes für die gesamte Heterogenität der Lerngruppe erlaubt und
• Allen Schüler/innen einen potenziellen Zugang zu den üblichen Bildungsinhalten, Themen und
Lerngegenständen eröffnet

Didaktische Vorüberlegungen:

• Zeitliche Strukturierung
• Räumlich-materiale Strukturierung (Vorbereitete Lernumgebung)
• Soziale Strukturierung (Gemischte Lernsituation)

-> Im Fokus: Thematische Strukturierung im Sinne einer doppelten Anschlussfähigkeit (kognitive und
thematische Komplexität)

Inhaltliche Strukturierung:
7. Vorlesung: Handlungsfeld Inklusiver Unterricht

Hans Wockens „Gemeinsame Lernsituationen“:


Lebens- und Lernalltag in der Schule ist durch eine Vielzahl von Lernsituationen gekennzeichnet:
• Koexistente Lernsituation:
Das Verhalten der beteiligten Partner ist im Wesentlichen durch ihre je eigenen Pläne bestimmt und der
jeweils andere ist in die Realisierung der eigenen Handlungspläne nur partiell einbezogen
• Kommunikative Lernsituation:

„Hier geht es um ,Interaktion pur‘. Beide Interaktionspartner handeln ‚spontan‘. Sie haben keine Ziele, die
sie während der gemeinsamen Interaktion erreichen wollen, sondern reagieren bloß auf das Verhalten des
anderen“

• Subsidiäre Lernsituation (unterstützend oder prosozial):


Es kommen sowohl der Inhalts- als auch der Beziehungsaspekt zum Tragen, allerdings mit einer
ungleichgewichtigen Verteilung auf die beteiligten Interagierenden. Subsidiäre Lernsituationen sind durch
Asymmetrie gekennzeichnet. Eine/r geht eigenen Handlungsplänen nach, kann sie aber aus den
verschiedensten Gründen nicht aus eigener Kraft realisieren und wird dabei unterstützt.
• Unterstützend: In unterstützenden Situationen leistet eine Person Unterstützung, ohne dabei
die eigenen Ziele und Aufgaben aus dem Auge zu verlieren, z.B. Kurzkorrekturen des/r
Sitznachbar/in
• Prosozial: Das Unterstützungshandeln ist darauf ausgerichtet, das Wohlergehen und
Vorankommen anderer zu fördern- gegebenenfalls in uneigennützig, selbstloser Weise

• Kooperative Lernsituationen (komplementäre oder solidarische): Konstitutiv für Kooperation ist, dass
die Arbeitsinhalte und/oder die Arbeitsprozesse in einem verbindlichen Zusammenhang stehen. Dieser
inhaltliche oder operative Zusammenhang kann dabei unterschiedlich eng sein
• Komplementär: Unterschiedliche Zielsetzungen werden verfolgt (z.B. Sportspiel mit zwei
Mannschaften)
• Solidarisch: Es wird auf ein gemeinsames Ziel hingearbeitet (z.B. Gruppenpuzzle,
Projektarbeit)

Inhalts- und Beziehungsaspekt:

Inklusive Didaktik als Didaktik der Differenzierung nach Prengel:


„Inklusive Didaktik ist eine Didaktik der inneren Differenzierung, die sich unter der kontinuierlichen Beachtung
auch der Beziehungsebene an den Lernausgangslagen jedes einzelnen Kindes bzw. Jugendlichen in der
heterogenen Lerngruppe orientiert.“

Ziel: differenzierende angemessene Gestaltung pädagogisch-didaktischen Handelns und kindlichen Lernens im


alltäglichen Unterricht (bezogen auf Leistung und soziales Miteinander)

Zeitraum/Diagnose: Analyse der gesamten Unterrichtsphasen mit dem, was die Kinder immerzu schreiben,
sagen und tun, da sie hier unablässig ihre je aktuellen Leistungsstände zeigen

Erkenntnis- und Handlungssubjekte sind beide, Lehrende und Lernende

Zusammenfassung: Inklusiver Unterricht


• Schließt in schulpraktischer Hinsicht an reformpädagogische Methoden und Konzepte an
• Stellt die Frage nach der Vereinbarkeit von individualisiertem und gemeinschaftlichem Lernen
• Versucht, gemeinsame Lernsituationen (an einem Gemeinsamen Gegenstand) zu schaffen
• Strebt eine stärkere „personale Orientierung“ des Unterrichts für alle Schüler/innen an, insbesondere
durch innere Differenzierung
8. Vorlesung: Handlungsfeld Multiprofessionelle Kooperation

Kooperation in Schulen und Unterricht:

Kooperation „als gemeinsam geteilter Raum“ (Manske, 2004)

• Anerkennungsprozesse
• Selbstwirksamkeit
• Wechselseitiges Aushandeln

Kooperation entsteht nicht in kontextfreien Räumen, sondern in Räumen, die sich durch bestimmte
Interdependenz- und Verteilungsstrukturen ausweisen (Prammer-Semmler 2014)

Kooperation von Regellehrpersonen und Sonderpädagog/innen:

Chancen:

• Voneinander Lernen/Lehrende als Lernende


• Heterogener Umgang mit Heterogenität
• Expertise (Unterschiedliche Formen der Professionalisierung)
• Auflösung des „Autonomie-Paritäts-Muster“

Schwierigkeiten:

• „Kompetenzmonopolzweifel“ auf Seiten der Regellehrpersonen (Unterrichten wird ‚kontrolliert‘)


• Fokus auf ‚eigene‘ Schüler/innen auf Seiten der Sonderpädagog/innen
• Mangelnde Anerkennung von sonderpädagogischen Fachkräften

Kooperationsmodell 1: Formen des Co-Teaching:


Kooperationsmodell 2: Kontinuum wechselseitiger Interaktionen:

Co-Activity Unterrichtsaktivitäten laufen überwiegend


unabhängig voneinander ab- nur selten werden
Ideen/Überlegungen ausgetauscht
Cooperation Zusammenarbeit im Sinne grundsätzlicher
Absprachen zu Inhalten und Curriculum- keine
Offenlegung von Überzeugungen/Werten
Coordination Klare Absprachen von Zuständigkeiten, Aufbau von
Vertrauen, Durchführung gemeinsamer Aktivitäten-
klar abgegrenzte Verantwortlichkeitsbereiche
Collaboration Grundlegende Übereinstimmung von Zielen und
Werten, situationsspezifisches Einbringen von
Fertigkeiten, wechselseitige Ergänzung und
Überschneidung von Zuständigkeitsbereichen und
gemeinsamen Zielen

Kooperationsmodell 3: Systemisch- konstruktivistisches Beschreibungsmodell:

• Makrosystem: Gesellschaftliche Bedingungen von Integration und Kooperation (Normen und Werte)

• Exosystem: Lebensbereiche, an denen die Pädagoginnen nicht direkt beteiligt sind von denen sie aber
beeinflusst werden (z.B. Räumlichkeiten, Ressourcen, Zeitstruktur, Lehrplan, etc.)
• Mesosystem: Wechselbeziehung zu anderen Lebensbereichen (Kollegium, Privatleben, Familie)
• Mikrosystem: Kooperation von Regelschullehrperson und Sonderpädagog/in in einer Regelklasse
Professionelle Kooperation im Kontext Inklusion- Forschungsbefunde:

• Abnehmendes Autonomie-Paritäts-Prinzip zugunsten von kooperativen Mustern führt zu immensen


Herausforderungen bezogen auf Aspekte der Beziehung, Organisation, Aushandlung von Expertise etc.
• Bedeutung von Raum und Zeit für Kooperation und die Koordination von Kooperation
• Bedeutung der Schulleitung für die Implementierung und Umsetzung eines Kooperationsmodells an
inklusionsorientierten Schulen
• Studie KIS- Kompetenzen in der Schule: Verteilung von Aufgaben nach Eigenauskunft nicht entlang von
Ausbildungen (z.B. Beratung, Diagnostik)
• Differenzherstellung entlang von Leistung in kooperativen Praktiken von RLP und SHP im
Fachunterricht

Studie: Unterstützung von Lehrpersonen im Kontext inklusionsorientier Lehr-Lernprozesse:

Forschungsfrage: Welche gemeinsame Handlungspraxis zeigen Regel- und Sonderpädagog/innen innerhalb der
formalen Kooperationskonstellation im Unterricht mit dem Anspruch „Inklusion“?

Welche Spannungsfelder bilden sich in der Handlungspraxis ab?

• Kompensatorische Relation
• Temporale Relation
• Didaktisch-methodische Relation
• Expertise-Relation

Spannungsfelder in Kooperationsprozessen:

Kompensation: Inklusion als leistungsbezogene Kompensation: Sonderpädagogische Expertise leistet logistisch


flexibel die Förderung attestierter Schüler/- innen in einem marmorierten Rahmen

Zeit: Temporäre Anwesenheit der Sonderpädagog/-innen als Anlass für überdauernde Differenzpraxis (z.B.
Delegation durch Regellehrperson und reine Fokussierung der Sonderpädagogin auf Schüler/innen mit
Förderbedarf, insbesondere durch Herausnahme in Förderräume)

Unterrichtsgestaltung: Federführende Unterrichtsgestaltung (u.a. Wochenplanarbeit, Frontalunterricht) durch


Regellehrperson als Vehikel zur Adressierung/Nicht-Adressierung aller/einiger Schüler/innen bzw. der
Sonderpädagog/innen

Expertise:

• Räumliche und fachliche Zuordnung durch Regellehrkräfte entlang von erwarteter


sonderpädagogischer Expertise
• Rückzug auf das ‚spezielle Kind‘ durch Sonderpädagog/innen als Erfüllung einer entlang von Schüler/-
innenmerkmalen vereinbarten und professionalisierten Expertiseordnung

9. Vorlesung: Kooperation in multiprofessionellen Settings

Professionelle Kooperation im Kontext Inklusion- Forschungsbefunde:

• Abnehmendes Autonomie-Paritäts-Prinzip zugunsten von kooperativen Mustern führt zu immensen


Herausforderungen bezogen auf Aspekte der Beziehung, Organisation, Aushandlung von Expertise etc.
• Bedeutung von Raum und Zeit für Kooperation und die Koordination von Kooperation
• Bedeutung der Schulleitung für die Implementierung und Umsetzung eines Kooperationsmodells an
inklusionsorientierten Schulen
• Studie KIS- Kompetenzen in der Schule: Verteilung von Aufgaben nach Eigenauskunft nicht entlang von
Ausbildungen (z.B. Beratung, Diagnostik)
• Differenzherstellung entlang von Leistung in kooperativen Praktiken von RLP und SHP im
Fachunterricht

Welche Spannungsfelder bilden sich in der Handlungspraxis ab?

Kompensatorische Relation (Kompensation): Inklusion als leistungsbezogene Kompensation:


Sonderpädagogische Expertise leistet logistisch flexibel die Förderung attestierter Schüler/-innen in einem
normorientierten Rahmen

Temporale Relation (Zeit):Temporäre Anwesenheit der Sonderpädagog/-innen als Anlass für überdauernde
Differenzpraxis (z.B. Delegation durch Regellehrperson und reine Fokussierung der Sonderpädagogin auf
Schüler*innen mit Förderbedarf, insbes. durch Herausnahme in Förderräume)

Didaktisch-methodische Relation (Unterrichtsgestaltung): Federführende Unterrichtsgestaltung (u.a.


Wochenplanarbeit, Frontalunterricht) durch Regellehrperson als Vehikel zur Adressierung/Nicht-Adressierung
aller/einiger Schüler/innen bzw. der Sonderpädagog/innen

Expertise-Relation (Expertise):

• Räumliche und fachliche Zuordnung durch Regellehrkräfte entlang von erwarteter


sonderpädagogischer Expertise
• Rückzug auf das ‚spezielle Kind‘ durch Sonderpädagog/innen als Erfüllung einer entlang von
Schüler/innenmerkmalen vereinbarten und professionalisierten Expertiseordnung

SCHULBEGLEITUNG ALS SCHULISCH-UNTERRICHTLICHE ASSISTENZ FÜR KINDER MIT ERHÖHTEM


UNTERSTÜTZUNGSBEDARF

Schulassistenz:

• Paraprofessionelle, schulinterne Rolle


• Zunehmend an inklusiven Schulen in deutschsprachigen Ländern etabliert
• Personenbezogene Unterstützungs- bzw. Assistenzrolle
• Funktion der Lernbegleitung und Sicherung sozialer Teilhabe

Entwicklungslinien von Assistenz im Kontext Schule:

Einrichtung multiprofessioneller Teams im Zuge inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung. Flexibilisierung


sonderpädagogischer Unterstzützungsmaßnahmen und Rollen in Bildungsorganisationen. Assistenz als
Freiheits- und Selbstbestimmungsanspruch für Menschen mit Unterstützungsbedarf.

Forschungsstand:

• Anstieg (para-)professioneller Assistenz in inklusiven Schulen im internationalen Raum


• Unterschiede in der formalen Qualifikation von (para-)professioneller Assistenz
• Ambivalenz von Teilhabemöglichkeit und sozialer Stigmatisierung
• Arbeit mit Schulassistenz führt zu vermindertem Lernzuwachs bei Schüler:innen und zu verminderter
Interaktion zwischen Schüler:inne und Lehrkräften
• Schulassistenz als vermittelnde Rolle zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen im Unterricht und in
der Pause
Explorative Studie „SAS- Schulassistenz aus Schüler/innenperspektive“:

• Neun narrative problemzentrierte interviews mit Schüler/innen, denen eine Schulassistenz


zugewiesen ist (9-16 Jahre)
• Fünf allgemeine Schulen der Primar- und Sekundarstufe I (Schulen mit Gemeinsamen Lernen) in
Dortmund und Essen
• Förderschwerpunkte körperlich-motorische Entwicklung, emotional-soziale Entwicklung, Lernen
• Auswertung mittels der Dokumentarischen Methode der Textinterpretation

Zusammenfassung- Schulassistenz aus Schüler/innenperspektive:

VERGLEICHENDE PERSPEKTIVE- KANADA, ISLAND UND UK

Teacher Assistants (CAN)- Formale Rahmenbedingungen:

• Canadian Charter of Rights and Freedoms (1982)


• “Teacher assistants support students, and assist teachers and counselors with teaching and non-
instructional tasks. They assist in areas of personal care, teaching and behavior management under
the supervision of teachers or other childcare professionals”
• Keine Verpflichtung zur Qualifikation als Teacher Assistant
• MacKay-Bericht (2006): Große Unterschiede in der Praxis von Teacher Assistants in Schulen - starker
Fokus auf das diagnostizierte Kind

Teacher Assistants (CAN)-Interviews:

• Fokussierung auf bestimmtes Kind (Priority One)


• Individuelle Förderung mit dem Ziel „so viel wie möglich“ teilzunehmen und für andere sichtbar zu
sein (Fokus auf soziale Teilhabe)
• Autonomer und verantwortungsreicher Handlungsspielraum
• Professionelles Handeln auf der Grundlage von Erfahrung und gegenseitiger Beziehung
• Fokus auf pädagogische und therapeutische Begleitung
• Orientierung an professionellem Handeln mit souveränem Anspruch
• Didaktisch-methodische Anpassungen
• Latente Double-Bind-Beziehung (that’s all independent, so all of this is just her and I)

Inclusion in Iceland – Formale Rahmenbedingungen:

• Der Grundgedanke Inklusiver Bildung bereits seit 1995 (Recht aller Kinder und Jugendlichen, eine
wohnortnahe Schule zu besuchen verankert
• Hohe Förderquote (24% aller SchülerInnen) bei gleichzeitiger Reduktion von Sonderschulen)
• Verbindung von inklusiver und demokratischer Schulentwicklung
Assistants in Iceland – Formale Rahmenbedingungen:

• Einführung sog. Unterstützungsbeauftragter


• Verfierfachung der Zahl von Assisten:innen im isländischen Schulsystem zwischen 1999 und 2019 (von
209 auf 885)

Assistants in Iceland – Explorative Interviews mit Assistant:innen:

• Assistenzhandeln als individuelle Förderungen eines Kindes inner- oder außerhalb des Klassenzimmers
• Orienteirung auf eigenständiges Handeln, unabhängig von Klassenlehrperson (z.B. in Bezug auf
Verantwortungsübertragung und Zutrauen vonseiten der Lehrperson (z.B. in Bezug auf Förderung,
Gestaltung von Unterrichtssequenzen) sowie Zugehörigkeit zum Team
• Vielfältiges und diffuses Tätigkeitsspektrum bei der Unterstützung von Lehrpersonen

Zusammenfassung/Vergleich:

 Rekonstruktion zeigen kulturvergleichend eine (para-)professionelles Selbstverständnis präferierter


Einzelfallhilfe
 Trotz unterschiedlicher rechtlicher und schulischer Rahmenbedingungen der Assistenzrollen
(UK/CAN/ISL) hohes Maß an Autonomie und Autonomiebestreben der Schulassistenz
 Fokussierung auf therapeutisch-kompensatorisches Assistenzhandeln vor dem Hintergrund eines
normorientierten Unterrichtsgeschehens

10. Vorlesung: Inklusive Schulentwicklung

Schulentwicklung (Rolff 2003):

• Organisationsentwicklung:
o U.a. Schulprogramm, Schulkultur, Schulmanagement und Teamentwicklung
• Personalentwicklung:
o U.a. individuelles Lernen der Lehrpersonen in Supervisionen, bei Hospitationen, Fort- und
Weiterbildung, Jahrgespräche mit der Schulleitung
• Unterrichtsentwicklung
o U.a. Schülerorientierung, Methodentraining, das pädagogische Handeln mit dem Ziel, das
individuelle Wissen einzelner Lehrender auf das ganze Kollegium auszubreiten, erweitere
Unterrichtsformen
Drei-Wege-Modell der Schulentwicklung (Rolff 2003):

Schulentwicklung – Merkmale „guter“ Schulen (Altrichter et al. 2009):

• Klare pädagogische Konzeption und Zusammenarbeit im Kollegium


• Kooperative und zielbewusste Schulleitung
• Fokussierung auf Lernen mit positiver Leistungserwartung und interkultureller Herausforderung
• Transparente Regeln und verlässliche Schulwelt
• Positives Schulklima mit Engagement für Schüler/innnen und Verantwortungsübernahme durch
Schüler/innen

Inclusive Education:

… ist am Ziel orientiert, Marginalisierung, Benachteiligungen und Diskriminierungen auszubauen und


Partizipation für alle Schülerinnen und Schüler zu eröffnen - inklusive aller Personengruppen „seen as being
vulnerable to exclusion“

Index für Inklusion:

Leitfrage: Wie kann man Schule und Unterricht gemeinsam inklusiv entwickeln?
Index für Inklusion (Booth & Ainscow 2002; 2011):

• Partizipation und wertebasierte Schulentwicklung (Verbindung von Inklusion mit Demokratie,


Nachhaltigkeit und Anti-Diskriminierung)
• Einzelschulorientierung
• Manual mit Fragen zu unterschiedlichen Dimensionen und Bereichen (Materialien für die Analyse –

Index für Inklusion – Grunddimensionen:

• Kulturen: Fragen zum Thema Werte und gemeinsame Leitideen: Ziel ist es, eine „sichere, akzeptierte,
zusammen arbeitende und anregende Gemeinschaft zu schaffen, in der jede/r geschätzt und
respektiert wird. Eine inklusive Schulkultur wird getragen von dem Vertrauen in die Entwicklungskräfte
aller Beteiligter
• Strukturen: Die Grundsätze einer Organisation/Einrichtung spiegeln sich in den Arbeits- und
Unterstützungsstrukturen wider. Die Strukturen erhöhen die Teilhabe aller Schüler/innen der Gegend
und verringern Tendenzen zu Aussonderungsdruck
• Praktiken: Dieser Dimension zufolge gestaltet jede Schule ihre Praktiken so, dass sie die inklusiven
Kulturen und Strukturen der Schule widerspiegeln. Die Schüler/innen werden dazu angeregt, dass sie
aktiv auf alle Aspekte ihrer Bildung und Erziehung Einfluss nehmen
11. Vorlesung: Diskussionssitzung Inklusion International

Inclusive Education – Inklusive Bildung im internationalen Vergleich:

 Inklusive Bildung als internationaler Diskurs (forciert durch rechtliche Rahmungen)


 Inklusive Bildung zeigt sich in verschiedenen Länderkontexten, Regionen, Kulturen different und hat
sich in Relation zu vorherrschenden sozialen, politischen und religiösen Traditionslinien entwickelt
 Untersuchungen zu Inklusiver Bildung im globalen Süden unterrepräsentiert
 Internationale Vergleiche benötigen einen Vergleichsgegenstand (tertium comperationis)

Inklusive Bildung – Beispiel: Unterstützungsstrukturen in kanadischen Schulen:

„Every individual is equal before and under the law and has the right to the equal protection and equal benefit
of the law without discrimination and, in particular, without discrimination based on race, national or ethnic
origin, colour, religion, sex, age or mental or physical disability” (Department of Justice)

„The vision of inclusion is that all children would be served in their neighborhood schools in regular schools
with children their own age. The idea is that these schools would be restructured so that they are supportive,
nurturing communities that really meet the needs of all the children within them.“

Unterstützungsstrukturen in kanadischen Schulen – Beispiel: New Brunswick:

Unterstützung – Support: Stand der Forschung:

• Rolle der Lehrperson ist als komplexe und im Wandel begriffene Rolle anzusehen
• Notwendigkeit & Herausforderung multiprofessioneller Kooperation
• Professional/Paraprofessional Support
 Learning support Teachers
 Resource Teachers
 Teacher Assistants
Interne Unterstützungsstrukturen – Paul und Charlotte Kniese Schule (Berlin):

Ausgangslage der Schule bzgl. Inklusion (Selbstevaluation):

• (Sonder-)pädagogische Unterstützung: Hohe Anforderung an Pädagog/innen im Schulalltag bzgl.


Sonderpäd. Förderung – insbes. Förderplanung
• Zusammenarbeit verschiedener Professionen: Wenig Transparenz zwischen den Professionen bzgl.
Inhaltl. Kooperation, Äußerung des Willens zu einer strukturierten Zusammenarbeit
• Direkte Unterstützung der Lehrer/innen im Unterricht (z.B. Beobachtung einzelner Kinder, Team-
Teaching, Begleitung von Gruppenphasen)
• Beratung und Unterstützung bei der didaktischen Planung und Durchführung z.B. von
Unterrichtsprojekten und/oder differenzierten Lernangeboten
• Entwicklung Individueller Entwicklungspläne/Förderpläne, gemeinsam mit der Lehrperson
• Koordinationsstelle für schulorganisatorische Abläufe, z.B. für die Einteilung von Schulassistent/innen,
als Ansprechpartner für Eltern, zur Organisation des therapeutischen Angebots und
bedarfsorientierter Fort- und Weiterbildungen etc.
• Aufbau von multiprofessionellem Kommunikationsstrukturen für Fallbesprechungen und
Teamaustausch
• Haltungsvermittelnde Ansprechpartner/innen für inklusive Bildung

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