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Pragmatik II

Essay I

SoSe 2023
Name: Vita Chlopkov
Matr.: 3607824
Prüfer: Jürgen Pafel
Vita Chlopkov

"Das Wort eines Menschen hat einen unsichtbaren Zaun um ihn gezogen, der ihm
Gehorsam sichert." - Friedrich Nietzsche.
Versprechen sind alltägliche Handlungen, die unser soziales Miteinander prägen. Ob
wir jemandem zusichern, pünktlich zu sein, ein Versprechen geben oder eine
Verpflichtung eingehen - sie alle sind Ausdruck unserer Verantwortung und
Verbindlichkeit gegenüber anderen Menschen. Doch wie können wir das
Versprechen als sozialen Akt verstehen? Welche Grundlagen und Regeln liegen ihm
zugrunde?
In dieser Arbeit werden wir uns mit Reinachs Sicht auf das Versprechen
auseinandersetzen und die charakteristischen Merkmale und Regeln genauer
betrachten. Dabei wird auf die Spontanität, Intentionalität, Fremdpersonalität und
Vernehmungsbedürftigkeit eingegangen, die Reinach als zentrale Aspekte des
Versprechens herausstellt. Durch eine vertiefte Analyse von Merkmalen und Regeln
nach Reinach und im Vergleich zu Searle können wir ein besseres Verständnis für
die Bedeutung und Bedingungen des Versprechens gewinnen.
Der Einstieg in diese Thematik bietet die Möglichkeit, die Relevanz des
Versprechens in unserem täglichen Leben zu betonen.
Zu Beginn wird die Konzeption der sozialen Akte nach Reinach dargestellt.
Reinach definiert die soziale Akte durch vier Grundaspekte. Diese lauten wie folgt:
Spontanität, Intentionalität, Fremdpersonalität und Vernehmungsbedürftigkeit (vgl.
Reinach 1913, S. 40). Dabei steht das Tun des Subjektes im Zentrum (vgl. ebd.). Mit
der Spontanität ist das innere Tun des Subjektes gemeint als Beispiel: einen Wunsch
oder Vorsatz in sich tragen (vgl. ebd., S. 37). Dabei unterscheidet Reinach zwischen
einen Vorsatz haben und einen Vorsatz fassen, diesen Unterschied erweitert er in
der spontanen Akte mit Aktivität und dabei meint er einen Vorsatz fassen, in anderen
Worten aktiv werden (vgl. ebd., S. 38).
Die Intentionalität meint die Intention, als Beispiel nennt Reinach das Aufsteigen von
Bedauern oder Hass (vgl. ebd.). Manche Akte, wie beispielsweise der Akt des
Befehlens setzen ein zweites Subjekt voraus, auf welches sich das erste Subjekt
bezieht (vgl. ebd., S. 39). Das Bezugssubjekt kann identisch sein beispielsweise
Selbstliebe, ich liebe mich selbst. Das Ich bezieht sich auf sich selbst. Das
Bezugsobjekt kann aber auch fremd sein. Reinach nennt dies fremdpersonale
Erlebnisse, beispielsweise kann ich mich nicht selbst beneiden (vgl. Reinach 1913,
S. 39).

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Reinach verwendet die Begriffe Erlebnis und Akt synonym, wobei das Erlebnis
innerlich stattfindet und der Akt kann sowohl innerlich als äußerlich sattfinden. Der
Akt des Befehlens ist als fremdpersonales Erlebnis zu definieren, sowie der Akt des
Verzeihens, dabei braucht es eine nötige Beziehung zwischen den Subjekten und
Zuwendung an das Subjekt (vgl. ebd.).
Die Vernehmungsbedürftigkeit bedeutet das Vernehmen eines Aktes. Ein Befehl soll
nur dann gestellt werden, wenn auch vernommen werden kann, wenn das nicht der
Fall ist, hat es das Ziel verfehlt (vgl. ebd.). Die Vernehmungsbedürftigkeit
charakterisiert den Unterschied zwischen dem spontanen Akt und dem sozialen Akt.
Für den sozialen Akt ist die Vernehmungsbedürftigkeit wesentlich (vgl. ebd., S. 40).
Diese aufgeführten Regeln gelten für das Befehlen, Mitteilen, Antworten, Fragen,
Bitten und weitere Akte (vgl. ebd.). Die soziale Akte muss auf irgendeine Art und
Weise in Erscheinung treten, damit das zweite Subjekt davon erfährt. Außerdem
passiert ein sozialer Akt zwischen Menschen nicht zufällig, sondern beabsichtigte
Äußerung, denn der Akt ist ohne die Äußerung nicht möglich (vgl. ebd., S. 41).
Darüber hinaus widmet Reinach eine besondere Aufmerksamkeit dem Akt des
Versprechens. Der Akt des Versprechens ist ein fremdpersonaler sozialer Akt, da
mindestens ein weiteres Subjekt notwendig ist. Der Akt des Versprechens setzt, wie
alle sozialen Akte ein inneres Erleben voraus, dass auf den Inhalt intentional Bezug
nimmt (vgl. Reinach 1913, S. 49). Mit dem inneren Erleben meint Reinach, den
Willen das etwas geschieht, der innerlich im Subjekt entsteht. Dies geschieht nicht
beim Adressaten, sondern durch den Versprechenden selbst (vgl. ebd.).
Reinach unterscheidet klar zwischen einem Versprechen und einer Willensäußerung,
denn diese richtet sich zwar an jemanden und ist eine Mitteilung, aber das
Versprechen ist kein Wille und auch keine Äußerung des Willens (vgl. ebd., S. 50).
Das Versprechen ist ein spontaner selbständiger Akt, welcher in die Außenwelt
greifbar getragen wird (vgl. ebd.). Reinach betont auch die Notwendigkeit einer
Beziehung zwischen den Subjekten und der Zuwendung zum Subjekt beim
Versprechen. Es besteht eine gewisse Verantwortung des Versprechenden
gegenüber dem Adressaten des Versprechens. Das Versprechen ist somit mehr als
eine bloße Äußerung, es beinhaltet eine Verpflichtung oder eine Verbindlichkeit (vgl.
Reinach 1913, S. 51). Der Empfänger des Versprechens hat gar einen Anspruch bei
bestimmten Bedingungen auf das versprochene Verhalten (vgl. ebd.).

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Darüber hinaus hebt Reinach die Bedeutung der Vernehmungsbedürftigkeit hervor.


Ein Versprechen muss von dem Adressaten vernommen und wahrgenommen
werden können (vgl. ebd., S. 39f.). Die Vernehmungsbedürftigkeit ist ein
wesentliches Merkmal des sozialen Aktes des Versprechens. Wenn ein Versprechen
nicht vernommen werden kann, hat es sein Ziel verfehlt (vgl. ebd.).
Insgesamt betrachtet Reinach das Versprechen als einen spezifischen sozialen Akt,
der aufgrund seiner fremdpersonalen Natur, des inneren Erlebens und der
Vernehmungsbedürftigkeit besondere Merkmale und Regeln aufweist. Es ist ein
eigenständiger Akt des Handelns, der eine Verpflichtung oder Verbindlichkeit
impliziert und eine gewisse Beziehung zwischen den Subjekten erfordert. Das
Gehorsam, welches zu Beginn im Zitat von Friedrich Nietzsche erwähnt wird, meint
die Verbindlichkeit, die durch Worte, in unserem Fall, durch das Versprechen erreicht
wird.
Darauf aufbauend werden die Unterschiede zwischen Reinachs und Searles Sicht
auf das Versprechen beleuchtet. Der philosophische Ansatz beider Theorien lässt
sich klar trennen. Während Reinach seine Theorie der sozialen Akte im ersten
Kapitel einer umfangreichen Studie zu den apriorischen Grundlagen des bürgerlichen
Rechts im ersten Band des Jahrbuchs für Philosophie und phänomenologischer
Forschung von Husserl mit dem Titel Anspruch, Verbindlichkeit und Versprechen
veröffentlicht (vgl. Ahlqvist 1992, S. 311). Aus Reinachs Sicht liegt der Fokus auf
dem inneren Erleben des Versprechenden und die Fremdpersonalität des
Versprechens (vgl. Reinach 1913, S. 49). Im Gegensatz dazu ist Searle ein Vertreter
der analytischen Philosophie und analysiert Sprache und Sprechakte in Bezug auf
deren Bedeutung und Verbindlichkeit (vgl. Searle 1969, S. 54). Er entwickelte die
Theorie der Sprechakttheorie, die auch das Versprechen behandelt (vgl. ebd.). Der
Weitere Unterschied liegt in der Betrachtung. Reinach legt Wert auf die
Verbindlichkeit und Verantwortung des Versprechenden. Er betont die
Fremdpersonalität des Versprechens und die moralische Verpflichtung, ein
gegebenes Versprechen einzuhalten (vgl. Reinach 1913, S.39ff.). Searle legt den
Schwerpunkt auf die illokutionäre Bedeutung von Sprechakten, einschließlich des
Versprechens. Er betrachtet Versprechen als eine Verpflichtung, einen bestimmten
Zustand in der Zukunft herbeizuführen, und betont die performative Natur des
Versprechens (vgl. Searle 1969, S.54ff.). Des Weiteren betont Reinach die
Vernehmungsbedürftigkeit des Versprechens, d.h. das Versprechen muss vom

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Adressaten vernommen und als verbindlich wahrgenommen werden können (vgl.


Reinach 1913, S. 51f.). Searle betrachtet Versprechen als ein Beispiel für einen
illokutionären Sprechakt, bei dem die kommunikative Absicht des Sprechenden im
Vordergrund steht. Er betont die Rolle der Zustimmung des Adressaten und die
gegenseitige Anerkennung bei der Erfüllung eines Versprechens (vgl. Searle 1969,
S. 54ff.). Obwohl Reinach und Searle unterschiedliche Schwerpunkte setzen, gibt es
auch einige Gemeinsamkeiten in ihren Ansätzen. Beide Philosophen erkennen die
Verbindlichkeit und Verantwortung an, die mit dem Versprechen einhergehen, und
betonen die Bedeutung der Kommunikation und der Zustimmung zwischen den
beteiligten Parteien. Ihre Sichten auf das Versprechen ergänzen sich und bieten
verschiedene Perspektiven auf dieses komplexe soziale Phänomen. Zuletzt wird
noch jeweils ein Beispiel in Sicht von Reinach und Searle erläutert. Angenommen,
Person A sagt zu Person B: "Ich verspreche dir, dass ich morgen pünktlich zum
Treffen erscheinen werde." Reinach würde hier das Versprechen von Person A als
einen sozialen Akt betrachten, der auf den Grundaspekten des Versprechens basiert,
wie Spontanität, Intentionalität, Fremdpersonalität und Vernehmungsbedürftigkeit.
Für Reinach ist es wichtig, dass das Versprechen vernommen wird und eine
Verbindlichkeit zwischen den beiden Parteien besteht (vgl. Reinach 1913, S. 40ff.).
Searle würde dieses Versprechen als einen illokutionären Sprechakt betrachten, bei
dem Person A durch ihre Äußerung die Verpflichtung eingeht, Person B bei der
Gartenarbeit zu unterstützen. Searle legt Wert auf die illokutionäre Bedeutung des
Versprechens und die Zustimmung des Adressaten, um den Sprechakt zu vollziehen
(vgl. Searle 1969, S. 54ff.). Diese Beispiele veranschaulichen, wie Reinachs und
Searles Sichten auf Sprechakte und Versprechen in konkreten Situationen
angewendet werden können. Reinach betont die soziale Natur des Versprechens
und die Vernehmungsbedürftigkeit, während Searle die illokutionäre Bedeutung und
die Zustimmung des Adressaten hervorhebt. Diese unterschiedlichen Ansätze bieten
verschiedene Perspektiven auf die Analyse und das Verständnis von Sprechakten
wie dem Versprechen.
Im Anschluss wird Graffes Beispiel des Anbietens aus Reinachs Sicht eingeordnet.
Graffe ordnet das Anbieten als obligationsvorbereitend ein (vgl. Graffe 1990, S. 67).
Anbieten ist nach Graffe ein Sp2-präferiertes Untermuster kommissiver Sprechakte
ist und Handlungsmuster bei deren Vollzug Sp1 wissen oder vermuten kann, dass
bezüglich H bei Sp2 Interesse vorliegt (vgl. ebd., S. 55f.).

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In den oben gezeigten Beispielen des Anbietens wird klar, dass das Anbieten eine
Annahme fordert, um umgesetzt zu werden, denn wenn die Durchführung von Sp2
nicht erwünscht ist, kommt es zu keiner Handlungsverpflichtung, deswegen ordnet
Graffe es als verpflichtungsvorbereitend ein (vgl. ebd., S. 59). Genauer, bevor es zu
einer vollständigen Verpflichtung von Sp1 kommt, braucht es eine positive Reaktion
von Sp2 (vgl. ebd.). Aus Reinachs Sicht kann das Anbieten als ein sozialer Akt
betrachtet werden, der auf den Grundaspekten des Versprechens basiert, wie
Spontanität, Intentionalität, Fremdpersonalität und Vernehmungsbedürftigkeit. Das
Anbieten ist eine Handlung, bei der Sp1 (der Anbieter) (Sp2 (der Empfänger)) eine
bestimmte Leistung oder Handlung zur Verfügung stellt. Reinach betont die
Notwendigkeit einer positiven Reaktion von Sp2, um eine Handlungsverpflichtung
einzugehen. Wenn Sp2 das Angebot nicht annimmt oder nicht interessiert ist, kommt
es zu keiner Verpflichtung für Sp1. Im Kontext des Anbietens betont Reinach die
Bedeutung der Vernehmungsbedürftigkeit. Das Angebot muss von Sp2 vernommen
und wahrgenommen werden können, um eine Verbindlichkeit zu erzeugen. Eine
positive Reaktion von Sp2 ist daher notwendig, um eine Handlungsverpflichtung
einzugehen. Reinach würde zustimmen, dass das Anbieten eine Art
Verpflichtungsvorbereitung darstellt, bei der Sp1 eine mögliche Verpflichtung
signalisiert, die jedoch von der Zustimmung und dem Interesse von Sp2 abhängig ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Versprechen als sozialer Akt eine
besondere Bedeutung und Verantwortung in unserem täglichen Leben hat. Es bildet
eine Verbindung zwischen den beteiligten Personen und schafft eine Verpflichtung
oder Verbindlichkeit. Das Versprechen basiert auf Grundaspekten wie Spontanität,
Intentionalität, Fremdpersonalität und Vernehmungsbedürftigkeit. Diese Merkmale
und Regeln prägen den Akt des Versprechens und tragen dazu bei, dass es von
anderen vernommen und als verbindlich wahrgenommen wird. Die Sichten von
Reinach und Searle auf das Versprechen ergänzen sich und bieten verschiedene
Perspektiven. Reinach legt den Fokus auf die Verbindlichkeit und Verantwortung des
Versprechenden, während Searle die illokutionäre Bedeutung und die Zustimmung

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des Adressaten betont. Beide Philosophen erkennen jedoch die Bedeutung der
Kommunikation und der Zustimmung zwischen den beteiligten Parteien an.
Das Versprechen hat die Kraft, einen unsichtbaren Zaun um einen Menschen zu
ziehen, der ihm Gehorsam sichert, wie Friedrich Nietzsche es ausdrückt. Es schafft
eine Verbindlichkeit und Verantwortung, die dazu führt, dass Menschen ihre Zusagen
einhalten. Indem wir die Merkmale und Regeln des Versprechens genauer
verstehen, können wir zu einem besseren Verständnis seiner Bedeutung und
Bedingungen gelangen.

Literaturverzeichnis

Vonk, Frank J.M., 1992b. Zur Geschichtsschreibung der Sprechakttheorie: der


Fall Reinach. In: Anders Ahlqvist, ed., Diversions of Galway, 309-3 18. Amsterdam:
John Benjamins Publishing Company. https://books.google.de/books?
hl=de&lr=&id=o2DW5p9yWbYC&oi=fnd&pg=PA309&dq=Reinach+und+soziale+Akte
&ots=pEOTKJ_GNu&sig=wBKMKsx9P4DdncWw9dFLBrJuP3I#v=onepage&q=Reina
ch%20und%20soziale%20Akte&f=false (letzer Zugriff: 31.05.2023).

Reinach, Adolf (1913): Zur Phänomenologie des Rechts. Die apriorischen Grundlagen des
bürgerlichen Rechts. München: Im-Kösel Verlag.

Searle, John R. (1969): Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language. London:
Cambridge University Press.

Graffe, Jürgen (1990): Sich Festlegen und Verpflichten. Die Untertypen Kommissiver
Sprechakte und Ihre Sprachlichen Realisierungsformen.

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Ich erkläre, dass ich Vita Chlopkov die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst und keine
anderen als die angegebenen Mittel verwendet habe.
Cap de L´homy, 31.05.2023

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