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Grazer Linguistische Studien 44 (Herbst 1995) 121

Marcel Cortiade: DIALEKTOLOGIKANO PUCHIPNASQO LIL VA$-I KLASIFIKÀCIA E RROMANE


CHIBÄQE [DIA]LEKTENQIRI. DIALECTOLOGICAL INQUIRY FOR A CLASSIFICATION OF THE
ROMANI LANGUAGE. ENQUETE DIALECTOLOGIQUE POUR UNE CLASSIFICATION DES PARTES
DE LA LANGUE ROMANI, Agéncia Occitana de Communicacion, Béziers/Besièrs 1992, 93 pp.
Marcel Cortiade (Courthiade), leitendes Mitglied der 1991 in Warschau gegründeten Inter-
nationalen Stiftung "Rromani Baxt", ist bestrebt, bei der Verbreitung von Bildung, Kultur
und Muttersprache unter den Roma- und Sintigruppen in der Europäischen Gemeinschaft
nach besten Kräften mitzuwirken. Für diese nicht leichte Aufgabe hat er das notwendige
Rüstzeug, da er sich seit Jahren erfolgreich und auf breiter Ebene mit Untersuchung, Ana-
lyse und Beschreibung der Zigeunermundarten in Europa befaßt. Seine Aufmerksamkeit
richtet sich vor allem auf die Schaffung günstiger Grundlagen für die Herausbildung einer
gemeinsamen Schriftsprache der Zigeuner in Europa, die durch standardisierte fachsprach-
liche Ausdrücke ständig zu bereichern ist.
Das ist bekanntlich ein schwieriges Unterfangen. Beispiele dafür können nicht nur ganz
gewöhnliche Handlungsbegriffe wie "schreiben" oder "lesen" liefern, die in verschiedenen
Zigeunermundarten mit eigenen bzw. entlehnten Wörtern bezeichnet werden. Vgl. hierzu
bei Rade Uhlik s.v. piSem die 21 lexikalischen Einheiten und ihre Varianten für den Begriff
"schreiben"; darunter kommen Lehnwörter wie skrijisarav (aus dem Rumänischen) und
jazdijav (aus dem Türkischen) vor (Uhlik: 254), aber das aus den balkanslawischen Spra-
chen übernommene Verb piSinav wird nicht neben einheimischen Ausdrücken wie dinavav
bzw. dilabav, oder Umschreibungen wie thovav alava pò lil bzw. marav po lil usw. er-
wähnt. Ist es in diesem Fall besser, nach einem "primären" indischen Wort Ausschau zu
halten, oder sollte man sich mit einem "sekundären" Lehnwort aus einer europäischen
Sprache zufrieden erklären?
Für eine gemeinsame Schriftsprache der Zigeuner ist natürlich nicht nur ein umfassen-
der Wortschatz sondern auch eine grundlegende, genaue Kenntnis des grammatischen Sy-
stems von Bedeutung, das die Normen der Phonetik/Phonologie, Morphologie und Syntax
dieser Sprache ergründen und bestimmen sollte. Bei der Erhebung unentbehrlicher Beleg-
und Beispielmaterialien für die Klassifikation der Zigeunermundarten in Europa hat M.
Cortiade einen ersten Schritt auch für die Aufstellung des grammatischen Regelsystems
des gemeinsamen Schriftromani auf Grund der Zusammenstellung des Fragebogens
"Dialektologikano puchipnasqo lil vas-i klasifikàcia e rromane chibäqe [diajlektenqiri"
getan. Der vorliegende erfolgversprechende Fragebogen ist in Buchformat erschienen und
enthält (I) ein Korpus von 250 repräsentativen Satzbeispielen (S. 1-35), (II) eine anhand
des Korpus erarbeitete Zusammenstellung der lautlichen und grammatischen Fragen, deren
Beantwortung wichtige Spracherscheinungen in den Zigeunermundarten zu beschreiben
und zu analysieren vermag (S. 37-84), und (III) eine Liste von nach Swadesh aufgestellten
200 Grundbegriffen, die das konkrete lexikalische Material liefern (S. 85-93).
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Vergleicht man die auf Romani verfaßte Einleitung für den Muttersprachler (Presen-
tacia, S. I-IV), der die Angaben über die gesuchten Erscheinungen machen soll, mit den zu
beantwortenden Fragen im Fragebogen, läßt sich leicht feststellen, daß die Problematik
einer Gemeinsprache für die Roma und die Sinti nicht ohne Schulbildung zu lösen ist. Be-
kanntlich bereitet schon eine vereinfachte Form der Romani-Grammatik und des Romani-
Wortschatzes erhebliche Schwierigkeiten (vgl. bereits bei Gilliat-Smith, Wolf, Knobloch).
Heutzutage ist z.B. keine einheitliche Schreibung für die in Romani erscheinenden Druk-
kerzeugnisse in Europa vorhanden, obgleich die auch im vorliegenden Fragebogen ange-
wandte morphophonemische Rechtschreibung seit etlichen Jahren existiert. Sie unterliegt
wahrscheinlich bestimmten Bedenken, die in mancherlei Hinsicht berechtigt sind. Vgl.
hierzu die Buchstaben ç 6 q in der von Cortiade angewandten Schreibung, die als Tilger
der positionell bedingten Lautveränderungen zwischen dem Wortauslaut und dem An-
fangslaut einer Postposition (oder: eines grammatischen Morphems zur Kasusbildung) im
morphgologischen Sandhi fungieren. Beispiele wie thanes 6e/thanen6e sprechen nicht für
eine Übereinstimmung zwischen Buchstaben und gesprochenem Laut, die bei der Schrei-
bung thaneste/thanende erreicht ist. Sollte man bei der Bildung des Perfektpartizips durch
das Suffix -to in den Beispielen res-to (zum Verb resav "t\rih.o\en.")/phen-do (zu phenax
"sagen") auf die gleiche Weise verfahren und folglich schreiben: res-6o/phen-6b? Dies ist
kaum zu glauben.
Solche und andere Fragen der nicht nur in diesem Buch angewandten Romani-
Rechtschreibung lassen sich natürlich auch heute noch unter Romani-Forschem zur Dis-
kussion stellen. Sie sind aber nicht von besonderer Bedeutung für den vorliegenden Frage-
bogen, in dem der Verfasser mit Hilfe des festgelegten Inventars der Romani-Buchstaben-
schrift die Eigenschaften und Funktionen der einzelnen Laute und Morpheme des Romani
präzise beschreibt und analysiert. In der Phonetik/Phonologie (S. 39-58) sind die Charak-
teristika der Laute und ihre Funktion in der Morphonologie genau und ausführlich behan-
delt. Der Verfasser ist bestrebt, die Vokale und Konsonanten an entsprechenden Beispie-
len, die sie in unterschiedlichen Positionen zeigen, zu veranschaulichen und somit ihre
Besonderheiten zu erklären. Das Romani hat bis auf den heutigen Tag typische indische
Phoneme bewahrt. Dazu gehören die Tenues aspiratae öh kh ph th sowie der Cerebral r
(Cortiade schreibt dafür die Doppelung rr). Diese ererbten Laute fungieren innerhalb eines
minimalen Wortpaares als Träger bedeutungsdifferenzierender Merkmale. Cortiade geht
aber nicht speziell auf diese lexikalischen Einheiten ein, die durch minimale Lautunter-
schiede unterschiedliche Bedeutung aufweisen; nur in der Gegenüberstellung von ker- (als
Imperativform zum Verb kerav bedeutet her! "tu!") : kher "Haus" (S. 42) hat er auf ein im
Romani gebräuchliches Wortpaar aufmerksam gemacht, vgl. dazu auch phir- (zu phirav
"gehen") einerseits undpirre "Füsse" andererseits (S. 89, No 71 & 72). Die Tenues mediae
und der Cerebral werden bekanntlich auch in kurzgefaßten Darstellungen des Romani-
Lautsystems als typische Phoneme an Wörtern mit minimalem Lautunterschied verdeut-
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licht. Vgl. z.B. jetzt bei Heinschink (1994: 118) folgende phonologische Oppositionenph :
p und r : r, die an den Wortpaaren perav "fallen" : pherav "füllen" und poi f. "Darm" : por
m. "Feder" veranschaulicht werden. Weiterhin sind hier noch die Pluralformen pora
"Federn" : porja "Därme" zur Singularforrn poh f. "Schwanz" (bei Cortiade S. 4, No 24
porä und No 26 porrà/poro) zu vergleichen.
Cortiade hat natürlich im Fragebogen alle phonetisch-phonologischen Besonderheiten
des Romani-Lautsystems ausführlich beschrieben. Aber, da er vor allem (oder ausschließ-
lich) Muttersprachler, die intuitiv die Regeln und Normen der Grammatik ihrer Mundart
anwenden, befragen möchte, braucht er nicht unbedingt phonologische Oppositionen in-
nerhalb bestimmter Wortpaare, um das Vorhandensein bzw. NichtVorhandensein eines
Phonems festzustellen. Aus diesem Grund sind wahrscheinlich die Phoneme r und rr in
Fragen verteilt, bei denen nicht nur nach Lautunterschieden, sondern auch nach der Aufhe-
bung der Opposition gefragt wird (S. 47-48). Auch bei der präzisen Darstellung der Aspi-
rationskorrelation (S. 39ff.) geht der Verfasser auf keine speziellen Gegenüberstellungen
zwischen aspirierten und nichtaspirierten Tenues ein. Er richtet hier seine Aufmerksamkeit
auf positionsbedingte Veränderungen dieser Laute (vgl. S. 42, Fragen 121,1212 und S. 43-
44, Fragen 123,1232). Cortiade hat sich unter den wichtigen Besonderheiten des Romani-
Lautsystems auch mit kombinatorischen Lauterscheinungen wie Assimilation, Apokope,
Apharesis, Epenthese etc., die sich unter dem Einfluß innersprachlicher und außersprachli-
cher Bedingungen vollziehen, beschäftigt. Als Ergänzung zu dem vom Verfasser darge-
stellten und analysierten phonetisch/phonologischen Eigentümlichkeiten des Romani sollte
man noch auf folgende Besonderheiten aufmerksam machen: Der Schwund des anlauten-
den 1 vor Vokal -i wie im Beispiel (l)ingär/inkär- "halten" (S. 53) oder lil > il "Buch;
Brief sollte auch durch Belege für dieselbe Erscheinung im Inlaut des Wortes vervoll-
ständigt werden, vgl. hierzu Silajlo < Silalilo "er hat sich erkältet" oder aindi < alindi
"Acker" (Malikov 1992: 13). Zu den Wechselbeziehungen zwischen Vokalen innerhalb der
Zigeunerdialekte (S. 51) gehören noch die Lautänderungen e > i und o > u in betonten und
unbetonten Silben, vgl. lis < les "ihn" oder listi < leske "ihm"; laöhi < laèhe "(die) gu-
te(n)" und lalhu < laöho "(ein) guter". In der Rubrik Betonungskorrelation (S. 57) lassen
sich Vokativformen beschreiben, die sich in Mundarten mit Oxitonese im Deklinationspa-
radigma der auf Konsonanten endenden Maskulina nur durch die Beibehaltung der Sin-
gularbetonung gegen die Nominativform im Plural abgrenzen, vgl. Beispiele wie (o) manüs
"(der) Mensch" : (o) manißa! "(o) Mensch!" einerseits und (o) manuM "(die) Menschen"
andererseits, d.h. die Vokativform im Singular ist paroxiton, die Pluralform im Nominativ
dagegen oxiton.
Was Bildung und Bau des Wortschatzes betrifft, sollte man den Möglichkeiten in der
Schaffung neuer Wörter durch Ableitung und Komposition nach formalen und semanti-
schen Aspekten auch Aufmerksamkeit schenken. Es sei hier beispielsweise an die Art und
Weise der Bildung der schon unproduktiven Kausativa mit dem ererbten Suffix -av erin-
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nert, siehe darav "ich furchte mich" : daravav, vgl. dazu e kermuse daravdë e chia (S. 22,
No 160) "die Mäuse erschreckten das Mädchen"; phirav, vgl. hierzuphirdöm but (S. 9, No
71) "ich bin viel spazieren gegangen" : phiravav "ich führe (ihn) spazieren gehen": perav
"ich falle" : peravav, vgl. dazu peravdäs les (S. 18, No 127) "er hat ihn fallen lassen". In-
teressant sind hier die produktiven Faktitiva, die durch Suffigierung mit -(j)ar- entstehen
wie z.B. kergjarav (bei Malikov 1992: 41: kerjarav) "ich lasse (es) anfertigen" : eine Ver-
balbildung auf Grund des Partizips kerdo "angefertigt" zum Verb kerav "ich fertige an".
Die angeführten Beispiele sind für das Romani insofern wichtig, als sie zeigen, wie der
Wortschatz um neue Wörter bereichert werden kann, die vom bekannten Wortgut gebildet
werden. Was für Möglichkeiten zur Weiterentwicklung einzelner Wörter nur die Ableitun-
gen mit dem hier erwähnten Suffix -(f)ar- geben, können folgende Verben verdeutlichen,
die aus verschiedenen existierenden Ausgangswörtem entstanden sind: dandarav, vgl.
arakh tut, so dandarel tut but! (S. 21, No 152), etwa "paß auf, sonst beißt er dich!": Die
Ableitung geht auf das Substantiv dand "Zahn" zurück; dopasarav "ich teile in zwei Teile",
vgl. hierzu die Umschreibung das len sa, dopas jekeske, dopas avereske "er gab ihnen al-
les, eine Hälfte dem einen, die zweite Hälfte dem anderen (Sohn)" (Nikolic): das Verb ist
von dopas, einem Adjektiv "halb" bzw. einem Substantiv "Hälfte", abgeleitet; durjarav
(Malikov 1992: 32) "ich entferne (es bzw. ihn)": aus dem Adverb dur "fern, weit" entstan-
den, vgl. die mediale Form durjarav man "ich entferne mich" und dazu auch on durön sig
amenOar (S. 25, No 182) "sie entfernen sich schnell von uns".
Besondere Aufmerksamkeit verdienen verbale Neubildungen durch Übernahme Fremd-
sprachiger Präfixe oder durch Anwendung von Romani-Adverbien als Verbalpräfixe nach
Regeln der Sprache des Gastlandes, die die Zigeuner gewöhnlich wie ihre Muttersprache
beherrschen, vgl. Beispiele wie otkerav "ich mache auf (Heinschink 1994: 115). In der
Form otkerav ist das Präfix ot- slawisch, das Grundverb kerav "ich mache, tue" ist eine
Lehnübersetzung, die auf das für die Bildung des im Südslawischen (z.B. im Serbischen)
gebräuchlichen Verbalkompositums otvoriti "aufmachen" zur Grundlage dienende Simplex
tvoriti "machen, tun" zurückgeht; job dikhel eu "er sieht zu": wie im Deutschen nimmt das
entlehnte Präfix cu (= dt. zu) beim Konjugieren getrennt vom Grundverb dikhel "er sieht"
die zweite Stelle ein (Heinschink 1994: 115); âri (= avrï) sast'ärav, les "ich kuriere ihn
aus": Lehnübersetzung aus dem Ungarischen, in dem das Verb kigyógyù aus dem Präfix ki
(= avrï) und dem Grundverb gyógyit "kurieren" entstanden ist (Miklosich 1880: 77; Kostov
1973: 11 Of), vgl. dazu jedoch im Fragebogen o serbètì sastärel tut but (S. 28, No 201)
"der Scherbet heilt dich": also in diesem Fall entspricht das Simplex sastärel dem zusam-
mengesetzten Verb uri säst'ärel semantisch genau.
Der letzte Teil des Fragebogens gibt Auskunft über Eigentümlichkeiten in der Syntax
der Zigeunermundarten. Der Verfasser sucht hier einige Arten der Nominalgruppe und des
einfachen wie zusammengesetzten Satzes zu analysieren. Daher beschäftigt er sich zu-
nächst mit Fragen des Kasussystems und mit Besonderheiten im Gebrauch der Präpositio-
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nen sowie einiger durch die Rektion charakterisierter Verben. Hierher gehören die Behand-
lung der Kategorie der Belebtheit/Unbelebtheit sowie die Beschreibung ihrer Ausdrucks-
möglichkeiten. Besonders auffallend in den Zigeunermundarten sind die Beweise für eine
Neigung zur Verwendung analytischer Ausdrucksmittel. Für Cortiade ist wichtig, daß an-
hand der Beispiele aus dem Korpus sowohl der typologische Aufbau von Sätzen und
Wortgruppen geklärt wird als auch der eventuelle Vorzug der analytischen Ausdrucksweise
gegenüber der synthetischen bei Sprechern verschiedener Mundarten festzustellen ist. Der
Verfasser sucht nach Belegen für den pleonastischen Gebrauch der Personalpronomina, die
in grammatisch adäquater Funktion Akkusativ- und Dativobjekte im Satz noch einmal aus-
drücken können, vgl. hierzu etwa e bakren phangle len "die Schafe (sie) haben sie einge-
sperrt". Aber im Satz o manuS, kaj dinjan les love, gelo khere "der Mensch, dem du Geld
gegeben hast, ist nach Hause gegangen" ist die Pronominalform les im Nebensatz unent-
behrlich. Das Wort kaj, das den Relativsatz kaj dinjan les love einleitet, ist ein Adverb der
Ortsangabe und bezeichnet kein Akkusativobjekt in der Rektion des Verbs dav "ich gebe"
(vgl. S. 80, No 332). Erst die Verwendung des Personalnronomens les zeigt, welche Ergän-
zungsglieder das Verbum regens dinjan im Relativsatz fordert. Es ist jedoch nicht klar, wo
im Satz si les trinphrala ta dujphenä (S. 11, No 82 & S. 79, No 3142) "er hat drei Brüder
und zwei Schwestern" die vom Verfasser postulierte und durch die Pronominalform les
entstandene Doppelung zur Bezeichnung des Besitzverhältnisses zu suchen ist. Man kann
nur das Satzbeispiel e manusa si len duj pirre (S. 8, No 58 & S.79, No 3142) "Menschen
haben zwei Beine" als Beweis fur ein mit Hilfe des Personalpronomens zweifach ausge-
drücktes Besitzverhältnis gelten lassen. Die Doppelung ist aber unter der Bedingung mög-
lich, daß die Funktion des am Satzanfang stehenden Nominativs e manusa, der syntaktisch
nicht mit dem Pronomen len im Kasus übereinstimmt, geklärt werden müßte. Normaler-
weise hat der obige Satz folgenden Wortlaut: e manusen si len duj pirre. Der Muttersprach-
ler hat jedoch den Satz mit der Nominativform e manusa aufzubauen begonnen, die durch
den Gebrauch des Verbum regens si als Ausdruck des Besitzverhältnisses in der Satzfort-
setzung si len duj pirre nicht mehr als grammatisches Objekt in die neue syntaktische Fü-
gung gehört und aus diesem Grund in der veränderten Satzkonstruktion wie ein Nominati-
vus pendens für sich allein steht. In diesem Abschnitt des Fragebogens möchte ich noch
folgendes Beispiel besprechen: ta arakhlöm les nasvalo (S. 30, No 217) "und ich habe ihn
krank gefunden". Der Verfasser meint, daß es sich beim Adjektiv nasvalo um eine Apposi-
tion handelt, die folglich im gleichen Kasus wie das Bezugswort les stehen muß. Das Ver-
bum regens arakhlöm fordert jedoch einen doppelten Akkusativ, der als Prädikativergän-
zung in Form eines Adjektivs ein Merkmal des persönlichen Akkusativobjektes les be-
zeichnet. Daher ist nasvalo ein Prädikatsakkusativ, der im Kasus nicht mit dem Objekt im
Satz übereinstimmt. Cortiade befaßt sich im syntaktischen Teil seines Buches mit Fragen
der Wortfolge; weitere Fragen beziehen sich auf die Bildung von Tempora und Modi im
Romani, dazu gehört z.B. die Beschreibung der Formen der konditionalen Periode. Mit den
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syntaktischen Fragen wird eigentlich die Grammatik im vorliegenden Buch beschlossen,


das am Ende nur noch die bereits erwähnte Liste mit den 200 Begriffen aus dem Romani-
Grundwortschatz enthält (S. 85-93).
Der vorliegende Fragebogen, der vor allem zur Klassifizierung der Zigeunermundarten
und zur Beschreibung und Analyse typischer sprachlicher Eigenschaften des Romani dient,
wurde mit Unterstützung des Zentrums für Zigeunerforschung der Universität René De-
scartes Paris und der Kommission der Europäischen Gemeinschaft sowie in Zusammenar-
beit mit der Stiftung "Rromani Baxt" herausgegeben. Der Verfasser Marcel Cortiade hat
mit der Zusammenstellung des Fragebogen-Buches und mit seiner Veröffentlichung we-
sentlich zur weiteren erfolgversprechenden Forschung der Zigeunermundarten in Europa
beigetragen. Die mit Hilfe des Fragebogens erfaßten phonetisch/phonologischen und mor-
phologischen Besonderheiten und die Menge der aufgezeichneten Strukturen von Wort-
gruppen und Sätzen sind eine zuverlässige Grundlage nicht nur zur Klassifikation der Zi-
geunermundarten. Sie lassen sich auch für weitere, ausführlichere Untersuchungen über
Verbreitung ererbter und Entstehung neuer Spracherscheinungen sowie über Entwick-
lungsmöglichkeiten des Romani als Schriftsprache gut verwenden.
Die gesammelten Sprach- und Belegmaterialien eignen sich außerdem für Darstellung
und Analyse eines unter den Zigeunern oftmals immer wieder entstehenden Bilinguismus,
dessen Untersuchung eine willkommene Aufgabe sowohl des Zigeunerforschers als auch
des Sprachkontakt- und Interferenzforschers ist, die beide Marcel Cortiade, dem Verfasser
des besprochenen Fragebogens, zu großem Dank verpflichtet sind.

LITERATUR
Gilliat-Smith, B. 1960 Basic Romani, JGLS, 3.S./XXXIX: 30-31.
Heinschink, M. 1994 E Romani Öhib - Die Sprache der Roma, in: Heinschink, M./Hemetek, U.
(Hgg.) Das unbekannte Volk Schicksal und Kultur, Wien/Köln/Weimar:
110-128.
Knobloch, J. 1967 Basic Romani, Sprachwissenschaftliches Wörterbuch, Lief. 4, Heidel-
berg: 250.
Kolic, N. 1995 Paramici paj baxt, Romano centro, Juni 1995: 9.
Kostov, K. 1973 Zur Bedeutung des Zigeunerischen für die Erforschung grammatischer
Interferenzerscheinungen, Linguistique balkanique XVI/2: 99-113.
MCLIHKOB. fl. (Malikov) 1992 IInraHCKO-6î>JirapuKn penHHKt. Qxbtia
Miklosich, F. 1880 Über die Mundarten und die Wanderungen der Zigeuner Europas XII, (=
Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse der kaiserlichen
Akademie der Wissenschaften XXXI), Wien.

Kiril Kostov
Berlin

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