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Phraseologische Somatismen im

Deutschen und Italienischen

Eine kontrastive Analyse idiomatischer Phraseme


mit Fokus Kopf

Fachbereich Italienische Philologie

Hochschule xxxx

2022

Eingereicht von…
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungen.............................................................................................. X
Abbildungsverzeichnis...............................................................................XI
1 Einleitung.........................................................................................- 1 -
1.1 Methode und Zielsetzung..........................................................- 2 -
2 Theoretisch-Systematischer Bereich...............................................- 4 -
2.1 Phraseologie – Überblick..........................................................- 4 -
2.2 Definitionsmerkmale..................................................................- 6 -
2.2.1 Polylexikalität....................................................................- 9 -
2.2.2 Idiomatizität.....................................................................- 10 -
2.2.3 Festigkeit – (relative) Stabilität........................................- 12 -
2.2.4 Reproduzierbarkeit..........................................................- 15 -
2.2.5 Gebräuchlichkeit.............................................................- 16 -
2.2.6 Irregularitäten..................................................................- 16 -
2.2.7 Restriktionen...................................................................- 16 -
2.2.8 Motiviertheit – Idiomatizität..............................................- 17 -
2.3 Klassifizierungsversuche.........................................................- 18 -
2.3.1 Mischklassifikation nach Burger, 2015............................- 19 -
3 Kontrastive Phraseologie...............................................................- 23 -
3.1 Äquivalenzen...........................................................................- 24 -
3.2 Somatismen in idiomatischen Redensarten............................- 27 -
3.2.1 Kopf – testa.....................................................................- 29 -
3.2.2 Auge – occhio.................................................................- 30 -
3.2.3 Nase –naso.....................................................................- 31 -
3.2.4 Ohr – orecchio................................................................- 32 -
3.2.5 Mund – bocca.................................................................- 33 -
3.3 Falsche Freunde.....................................................................- 33 -
4 Korpusbezogener Anwendungsbereich.........................................- 37 -
4.1 Kopf.........................................................................................- 37 -
4.2 Auge........................................................................................- 39 -
4.3 Nase........................................................................................- 40 -
4.4 Ohr.......................................................................................... - 41 -
4.5 Mund.......................................................................................- 42 -
5 Fazit...............................................................................................- 44 -
6 Literaturverzeichnis........................................................................- 46 -
Abkürzungen

d.h.…………………………………………………………………………das heißt

dt ……………………………………………………………………………deutsch

F………….……………………….……………Forconi: Le parole del corpo, Milano 1987

FF………………………………………………………Falsche Freunde, faux amis

fig…...…………….……………………………………………………………………figurativ

i.e.. .……………………………………………………………………………id est

it…............…….…………….………………………………………………………italienisch

jdm…..............…….……….………………………………………………………jemandem

jds…..............…….…………………………………………………………………jemandes

PE..………………………………………………………phraseologische Einheiten

poet.…................…….………………………………………………………………poetisch

qc.…..................…….………………………………………………………………qualcosa

qdt.….................…….………………………………………………………………qualcuno

R... .Röhrich: Das gr. Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg i.B. 1991/2

resp.………………………………………..……………….…respektive/beziehungsweise

s…………………………………………………………………………………………….sich

ugs...…................…….…………………………………………………umgangssprachlich

wörtl.................................................................................................... wörtlich

……………………………………………………………………………...in
etwa

W................................................ Wahrig: Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1991

Z .........Zingarelli: Il nuovo Zingarelli. Vocabolario della lingua italiana, Bologna 1991

X
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Form-Semantik (Quelle: Smirnova 2022).........................................................- 10 -

Abbildung 2 Grade der Idiomatizität (Quelle: Smirnova, Lektion 3 Phraseologie).................- 11 -

Abbildung 3 Mischklassifikation nach Burger 2015 (Quelle: Smirnova 2022)........................- 20 -

XI
1 Einleitung

Wie jede Sprache ist auch das Italienische reich an idiomatischen Redewendungen
und Sprichwörtern. Diese alltagssprachliche Bezeichnung für phraseologische
Einheiten (PE) bzw. Phraseme und Phraseologismen sind
Untersuchungsgegenstand der Linguistik. Die Phraseologie („Lehre von den
Phraseologismen, d.h. festen, ohne Bedeutungsverlust nicht in ihre Einzelteile
zerlegbaren Wortgruppen“) (Bruns 2013: 77) als wissenschaftliche Teildisziplin
innerhalb der Lexikologie ist noch relativ jung, spielt aber beim Erlernen einer
Sprache eine sehr wichtige Rolle.

Anhand einer Gegenüberstellung von Phrasemen aus dem Bereich des Körpers –
hier eingegrenzt auf Kopf, Auge, Nase, Ohr und Mund – des Italienischen mit dem
Deutschen sollen Äquivalenzen, Konvergenzen und Divergenzen festgestellt werden.
Die Schwierigkeiten und Abstufungen des Transfers in die andere Sprache ergeben
sich sowohl auf syntaktischer, lexikalischer, semantischer und morphologischer
Ebene. Ein Versuch einer anschaulichen Kategorisierung wird angestrebt: So werden
in einem Abschnitt (Parallelitäten) deutsche Redensarten, die eine Entsprechung mit
demselben Körperteil im Italienischen haben (z.B. s. etw. aus dem Kopf schlagen:
levarsi dalla testa qc.) aufgelistet. Ein weiterer Abschnitt (Ähnlichkeiten) befasst sich
mit solchen deutschen Wendungen, die im Italienischen entweder mit einem anderen
Körperteil oder durch eine völlig andere PE wiedergegeben werden. Italienische
Phraseme ohne Entsprechung im Deutschen und deutsche Phraseme, wofür es im
Italienischen kein Äquivalent gibt, vervollständigen in dieser Arbeit die
Untersuchungen (Nulläquivalenzen).

Eine weitere Strukturierung der PE ist durch die Definitionsmerkmale von Phrasemen
gegeben, wie sie Polylexikalität, Idiomatizität und Festigkeit bieten. Hier lassen sich
je nach Deckungsgleichheit in den beiden Sprachen Kategorien bilden, die
Parallelität und Ähnlichkeit als Unterscheidungsmerkmale definieren. Auf das
Phänomen der ‚Falsche Freunde‘ wird ebenfalls eingegangen.

1
Die Selektion von somatischen Phrasemen hat ihre Motivation dadurch, dass
Sprache immer auch Körpersprache ist. In der Literatur, allen voran die Bibel, ist
diese bildhafte Redensweise das geeignete Stilmittel, um Eingang in das
Kollektivbewusstsein zu finden. Neben freien syntaktischen Wortverbindungen bilden
verbale Idiome, die sogenannten Redewendungen, das Kernstück der Phraseologie.
Ihr bildhafter Charakter mündet in Euphemismen oder erlaubt groteske und
unmögliche Sachverhalte, deren Bedeutung nicht aus ihren Komponenten
erschließbar ist. Das ursprüngliche Bild ist meist verblasst oder durch die
kulturhistorische Entwicklung unverständlich geworden. Obwohl ihre Bedeutung
regelrecht gelernt werden muss, sind sie im Wortschatz fest verankert.

Der theoretische Teil der Arbeit widmet sich notwendigen Begriffsdefinitionen zur
Phraseologie: Was wird unter Phraseologie verstanden? Welche Ober- und
Unterbegriffe werden diskutiert? Wie und nach welchen Kriterien erfolgen
Einteilungen und Zuordnungen innerhalb der Begrifflichkeiten? Kapitel drei behandelt
die Terminologien der kontrastiven Phraseologie mit den in der Literatur üblichen
Äquivalenztypen (Monoäquivalenz, Polyäquivalenz, Nulläquivalenz bzw.
Volläquivalenz, Teiläquivalenz, Scheinäquivalenz).

Der empirische Teil der Arbeit bietet eine Gegenüberstellung von italienisch-
deutschen Phrasemen und dient der vergleichenden Veranschaulichung.

1.1 Methode und Zielsetzung

Es handelt sich um eine Gegenüberstellung von italienischen und deutschen


somatischen Phrasemen, wobei eine Eingrenzung auf den Kopf als Ganzes erfolgt:
Hier sind inkludiert: Kopf/testa, Auge/ochio; Nase/naso; Ohr/orecchio; Mund/bocca.

Methodisch betrachtet wurde ein selektiver, durchaus nach subjektiven Interessen


geleiteter Datenkorpus zusammengestellt, der die gängigen Wörterbücher und
Handbücher konsultierte: Wahrig, Gerhard, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh 1991,
Zingarelli, Nicola, Il nuovo Zingarelli. Vocabolario della lingua italiana, Bologna 1991,

2
Röhrich, Lutz, Das große Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg im
Breisgrau 1991, 1992 und Forconi, Augusta, Le parole del corpo, Milano 1987.

Das primäre Ziel der Arbeit ist es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden
Sprachen hinsichtlich der somatischen Phraseme mit Fokus auf den Kopf,
herauszuarbeiten.

3
2 Theoretisch-Systematischer Bereich

2.1 Phraseologie – Überblick

Dieses Teilgebiet der Linguistik abzugrenzen, bietet eine Fülle von Schwierigkeiten.
Die Phraseologie umfasst sprachliche Ausdrücke, die eigentlich unauffällig und
dennoch „in aller Munde sind“ (Schafroth 2019) Ohne sich ihrer bewusst zu sein, sind
phraseologische Einheiten in dem alltäglichen Sprachgebrauch (parole) infiltriert. Sie
sind speziell genug, um sie zumeist intuitiv zu erkennen. Unabhängig davon, ob es
sich um eine gesprochene oder geschriebene Sprachverwendung handelt, stellen
Phraseologismen einen konstituierenden Bestandteil von Sprache dar. Ein wichtiges
Kriterium liegt darin, dass sie nicht frei bildbar und nicht vorhersagbar sind.

Ausgehend vom Begriff des sprachlichen Zeichens mit einer Form und einer
Inhaltsseite bzw. Bedeutungsseite, also einer Verbindung von Form und Bedeutung,
wird von einem Phrasem dann gesprochen, wenn mehr als ein Wort in einer festen
Verbindung vorkommt. Dies betrifft die Formseite. Auf der semantischen Seite
kommt die eigene Bedeutung dieser Wortkonstellation zum Ausdruck, dass das
‚Ganze mehr als seine Teile ist‘ und im übertragenen Sinn zu verstehen ist. Sowohl
auf formaler als auch auf der Inhaltsseite gibt es bestimmte Merkmale, die Phraseme
auszeichnen.

Bereits die unterschiedlichen Benennungen dieses Teilgebiets zeigen, dass


zwischen den einzelnen Sprachen kein Konsens zu finden ist. Schafroth Elmar von
der Uni Düsseldorf schlägt den Terminus der ‚phraseologischen Einheit‘ als
Oberbegriff für Phraseologien vor. Der Begriff der ‚Redensart‘, wie er in der
Allgemeinsprache verwendet wird, soll aufgrund der unklaren Definition vermieden
werden. Weitere Begrifflichkeiten sind beispielsweise ‚Phrasem‘, und
‚Phraseolexem‘. Im Italienischem wird von ‚fraseologismo‘ und ‚espressione
idiomatica‘ gesprochen, letzteres wird als Synonym zur Oberkategorie des Phrasems
gehandhabt, während ‚Idiom‘ im Deutschen auch als Subkategorie von Phrasemen
Anwendung findet. Die Ambiguität der Verwendung des Terminus ‚Phraseologismus‘

4
sowohl als Ober- als auch als Unterbegriff hat ihren Ursprung in der russischen
Phraseologie, die als Pionierin auf diesem Gebiet gilt. Der Begriff ‚Phrasem‘ wurde in
Analogie zu den in der Linguistik gebräuchlichen Begrifflichen ‚Phonem‘, Morphem‘
und ‚Lexem‘ konstruiert. Der Begriff ‚Idiom‘ leitet sich vom griechischen ‚idioma‘
(ιδίωμα) ab und bezeichnet etwas Besonderes, Eigentümliches, etwas Irreguläres
(Smirnova 2022).

Weitere Begrifflichkeiten im Wortfeld der Phraseologie sind ‚verbale Idiome‘,


sogennante ‚Redewendungen‘, die eines der Kernstücke der Phraseologie bilden. Es
werden damit mehrgliedrige, nicht wörtlich zu verstehende Verbindungen mit einem
Verb bezeichnet. Das Beispiel wie „Liebe geht durch den Magen“ kann im
Italienischen übersetzt werden mit „prendere qualcuno per la gola“, was wörtlich
übersetzt „jemanden an der Kehle nehmen“ heißen würde. Hier wird bereits auch das
Äquivalenzproblem einsichtig, worauf in einem späteren Abschnitt (Korpus)
eingegangen werden wird.

‚Kollokationen‘, i.e. Zweierverbindungen wie ‚hartes Schicksal‘/ ‚hartes Wasser‘ /


‚harte Entscheidung‘ zählen deshalb zu Phraseologie, weil das Substantiv als
Autosemantika fungiert und eigenständig ist. Das Adjektiv, der Kollokator, ist
semantisch von der Basis abhängig und fällt unter die Kategorie der ‚Synsemantika‘.

Des Weiteren fallen unter dem Oberbegriff Phraseologie Formeln, wie


Gesprächsformeln (‚toi, toi, toi‘) und Routineformeln (‚mit besten Grüßen‘).

Eine wichtige Klasse bilden die Phrasemkonstruktionen, die untergliedert werden


können in Phraseoschablonen (‚Wie X ist das denn?‘, wobei X durch ein Adjektiv zu
besetzen ist: ‚Wie krass ist das denn?‘), in komparative Phraseokonstruktionen – den
Vergleichsphrasemen – und in Funktionsverbgefüge (‚in Betracht ziehen‘).

Inwieweit Sprichwörter zur Phraseologie gezählt werden, ist von der jeweiligen
linguistischen Schule abhängig. Sprichwörter sind Mikrotexte, beinhalten zumeist
moralische Aussagen und sind kulturspezifisch. (Schafroth: 2019).

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Eine wichtige Überlegung ist auch, ob Phraseme in das Lexikon gehören. Kann
ihnen der Status eines Wortes zugeschrieben werden, obwohl sie aus mehreren
Wörtern bestehen?

Laut Harald Burger1 (2007: 11ff) müssen Phraseologismen zwingend zwei Merkmale
aufweisen: die syntaktische Fügung muss mehr als ein Wort beinhalten und die
Wörter müssen in einer bestimmten Konstellation aneinandergereiht werden. Möglich
ist auch eine ähnliche Variante einer zusammengestellten Kombination von mehr als
einem Lexem. Dies bedeutet, dass die Phraseologie sich nicht darum bemüht, wie
gemäß des „Open Choice Principle“ (Schafroth: 2019) mittels semantisch-
lexikalischer grammatischer Regeln größere Einheiten in einer Sprache gebildet
werden können. Das dem Sprecher zur Verfügung stehende Inventar einer Sprache
ist grundsätzlich frei wählbar, wird gemäß den Regeln kombiniert und ergibt in
Addition betrachtet die Gesamtbedeutung des Syntagmas.

Anders bei Phraseologismen, hier greift das „Idiom Principle“ (Schafroth: 2019). Es
wird auf fertige, respektive halbfertige Produkte einer Sprache zurückgegriffen. Diese
werden repetitiv verwendet. Sie sind von einer festen Bedeutung und nicht mehr
wörtlich zu verstehen bzw. können sie Elemente enthalten, die nicht über das open
choice principle generierbar sind. Ein deutschsprachiges Beispiel für das idiom
principle ist ‚sich keinen Kopf wegen etwas machen‘. Im Vergleich hierzu unterliegt
das Syntagma ‚einen runden/kleinen/roten Kopf haben‘ dem open choice principle.

2.2 Definitionsmerkmale

Burger (2015) definiert Phraseme wie folgend:

„Die Menge derjenigen Phraseme , die die folgenden zwei Eigenschaften aufweisen,
bildet den Bereich der Phraseologie im weiteren Sinne:

(1) Polylexikalität – das Phrasem besteht aus mehr als einem Wort.

1
Burger bezeichnet die lexikalischen Bestandteile als Komponenten. (Burger 2007:11ff).

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(2) Festigkeit – wir kennen das Phrasem in genau dieser (oder einer sehr ähnlichen)
Kombination von Wörtern, und es ist in der Sprachgemeinschaft – ähnlich wie ein
Wort – gebräuchlich.

Von Phraseologie im engeren Sinne sprechen wir, wenn zu den beiden ersten
Eigenschaften noch eine dritte hinzukommt:

(3) Idiomatizität.

Damit ist gemeint, dass die Komponenten eine durch die synaktischen und
semantischen Regularitäten der Verknüpfung nicht voll erklärbare Einheit bilden. Die
Teilklasse von Phrasemen, die auch dieses Kriterium erfüllen, bildet den Bereich der
Idiome.“ Idiome sind sozusagen der ‚Prototyp‘ von Phrasemen.

Phraseologismen sind unterschiedlich lang, besitzen eine unterschiedliche


syntaktische Funktion, haben unterschiedliche innere Strukturen und verfügen zum
Teil über unikale Komponenten. Manche phraseologischen Einheiten sind
veränderbar in verschiedenen Stärkengraden, andere hingegen gar nicht. Ein
wesentliches Merkmal von festen Wendungen ist, dass die wörtliche Bedeutung nicht
identisch ist mit ihrer übertragenen oder phraseologischen Bedeutung. ‚Morgenstund‘
hat Gold im Mund‘ / ‚Il mattino ha l’oro in bocca‘ hat wortwörtlich keinen Sinn, aber
jedem ist die phraseologische Bedeutung klar. Folgen idiomatische Phrasen einem
bestimmten Muster, wird auch von Phraseoschablonen gesprochen. Teilweise sind
hier auch rhetorische Stilmittel erkennbar wie eine Alliteration. (z.B.: ‚gang und gäbe‘)
(Vgl. Huber 2014:3ff).

Palm Christine (1995, 1) verfolgt einen kognitiv-psycholinguistischen Ansatz und


erachtet Phraseologismen als eine Möglichkeit, die Welt sprachlich zu verarbeiten.
Sie seien hilfreich im expressiven Ausdruck von Emotionen und Verhaltensweisen
(Vgl. Huber 214: 4) Kahl, Stefanie (2015) verweist in ihrer Dissertation ‚Kontrastive
Analyse zu phraseologischen Somatismen im Deutschen und Italienischen‘,
Bamberg 2015, auf ein Zitat von Kotb, Sigrun in ‚Körperteilbezogene
Phraseologismen im Ägyptisch-Arabischen, Wiesbaden 2002. Hierin wird eine
Universalität der Phraseologismen vermutet: Phraseologien werden als ein über die

7
Einzelsprachen hinweg auftretendes Phänomen erachtet, wofür in den
unterschiedlichen Sprachen vergleichbare Regularitäten gelten. Dies bedeutet, dass
„Phraseologismen aller Sprachen in ihren Struktureigenschaften und
Benennungsinhalten vergleichbare Eigenschaften aufweisen“ (Kotb, zit. n. Kahl
2015: 13).

Eine weitere in Kahl erwähnte Theorie von Piirainen (1995: 270, zit. n. Kahl 2015: 13)
besagt, dass Sprachen sich nicht nur durch verschiedene Zeichen zur Benennung
der Welt unterscheiden, sondern auch in ihrer unterschiedlichen Gliederung und
Interpretation derselben-. Dies manifestiere sich in der Phraseologie der einzelnen
Sprache. Phraseologie wird als ein identitätsstiftender Bestandteil einer Sprache
angesehen und dennoch sind Differenzierungen je nach Kulturraum gegeben.
Dadurch ergeben sich Berührungspunkte mit anderen Wissenschaften, wie der
Psychologie, Ethik, Volkskunde und Sprachphilosophie.

Kahl (2015: 18) weist darauf hin, dass bei einem Vergleich der deutschen und
italienischen Forschungsliteratur die unterschiedliche Reichweite des Begriffs der
Phraseologie augenscheinlich wird. Die italienischen Linguisten umfassen mit dem
Begriff ‚fraseologia‘ einerseits die Sammlung von Phraseologismen und andererseits
wird darunter auch die gesamte Spracheigentümlichkeit eines Autors oder eines
Werks verstanden. Insgesamt lässt sich hinsichtlich der italienischen Forschung
sagen, dass die Filosofia del linguaggio, Linguistica und Critica letteraria sich
zunehmend in die „harte Linguistikszene“ (Kahl 2015: 18) ausdehnen. Die
italienische Phraseologie hat im Gegensatz zur deutschen keinen eigenständigen
Status als linguistische Teildisziplin und ihre Stellung im linguistischen Fächerkanon
ist umstritten.

Gemäß den unterschiedlichen Linguisten Burger (2007: 14 ff) und Palm (1995: 1ff)
wird von einer Phraseologie im engen und im weiteren Sinne gesprochen (Huber
2014: 4ff)

Zusammenfassend kann festgestellt, dass die Definition von Burger (2015) nach wie
vor die maßgebende Lehrmeinung ist. Somit gilt im Allgemeinen, dass im Sinne einer
weiten Auffassung von Phraseologie die Merkmale Polylexikalität und Festigkeit

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(Reproduzierbarkeit) als zwingend vorgesetzt werden. Dies ist quasi der minimale
Konsens. Bei der Auffassung von Phraseologie im engeren Sinne kommt die dritte
Eigenschaft der Idiomatizität hinzu (Burger 2015).

2.2.1 Polylexikalität
Die Mehrgliedrigkeit gilt als wichtigste Voraussetzung für einen Phraseologimus. Es
muss sich um eine feste Wortverbindung von mindestens zwei Wörtern bzw. Lexeme
handeln. Erschwerend kommt hier allerdings hinzu, dass nicht immer dasselbe unter
einem ‚Wort‘ verstanden wird. Diese Minimalstruktur gilt als unterste Grenze. (z.B.
‚auf Anhieb‘). Die maximale Ausdehnung eines Phraseologismus ist syntaktisch
festgelegt und hier wird der Satz als oberste Grenze erachtet.

Da auch syntaktische Strukturen wie ‚toi toi toi‘ oder ‚ich und geizig‘ zu den
Phrasemen gezählt werden, wird das Charakteristikum der Polylexikalität auf eine
Polymorphematizität spezifiziert, also auf die Mehrgliedrigkeit. Damit wird der
Minimalanforderung nach mindestens zwei freien Morphemen, um als Phrasem
klassifiziert zu werden, nachgekommen. Es treten folgende Varianten auf:

a) mindestens zwei grammatikalische Morpheme (‚na und?‘, ‚ab und zu‘),

b) mindestens zwei lexikalische Morpheme (‚kalter Kaffee‘, ‚Gas geben‘),

c) mindestens ein lexikalisches und ein grammatikalisches Morphem (‚auf Anhieb‘).

Die meisten Phraseme enthalten allerdings mehr als zwei freie Morpheme und
besonders häufig sind zwei Lexeme und ein oder mehrere Funktionswörter in einem
Phrasem vereint: ‚den Vogel abschießen‘, ‚jemanden auf den Wecker gehen‘.
(Schafroth: 2022)

Auf jeden Fall ausgeschlossen werden Univerbierungen, wie sie Komposita


darstellen. Zu einer solchen kommt es beispielsweise, wenn sich aus idiomatischen
Phrasen Komposita entwickeln. (‚blaues Blut‘ -> blaublütig). Möglich ist dieser
Prozess dadurch, dass sich in einem Phraseologismus keine Autosemantika
befinden bzw. diese in ihrer Bedeutung verblasst sind (Vgl. Burger 2007:16, zit. n.
Huber 2014: 5).

9
Polylexikalität kann anhand eines graduellen Spektrums analysiert werden,
ausgehend von zwei Wörtern, wobei zwischen Funktionswort (Synsemantika) und
Inhaltswort (Autosemantika) unterschieden wird. Das oben genannte Phrasem ‚auf
Anhieb‘ ist ein Beispiel für die Kombination von einem Funktionswort (‚auf‘) und
einem Inhaltswort (‚Anhieb‘). Ein Beispiel für drei Wörter mit zwei Funktionswörtern
und einem Inhaltswort ist ‚bis zum Hals‘. Während also Polylexikalität die Formseite
des Phrasems umfasst, betrifft die folgende Eigenschaft, die Idiomatizität, die
Semantik der Wortverbindung.

2.2.2 Idiomatizität
Ein semantisches Kriterium ist die Nicht-Kompositionalität, auch Idiomatizität
genannt. Es handelt sich um ein Phänomen der semantischen Transformation, worin
die Komponenten im Zuge ihrer Idiomatisierung von ihrer literalen zur idiomatischen
Bedeutung einer anderen Lesart unterliegen.
Es beschreibt Undurchsichtigkeit und eine
Nichtmotivierbarkeit.

Beispiel: Die wörtliche Bedeutung von ‚der


rote Faden‘ ist direkt und kompositionell: hier
ist buchstäblich ein roter Zwirn gemeint,
während die idiomatische Bedeutung im
Abbildung 1: Form-Semantik (Quelle: Smirnova 2022)
übertragenen, figurativen Sinn zu verstehen
ist. Sie ist nicht-kompositionell. ‚Der rote Faden‘ wird hier aufgefasst als
beispielsweise das zentrale Thema eines Buches.

Die Spannweite der Intensität der Idiomatizität reicht von schwach idiomatischen
Phrasemen bzw. nicht-idiomatischen (z.B.: ‘sich die Zähne putzen‘) über teil-
idiomatischen (‘Blut und Wasser schwitzen‘) bis hin zu stark idiomatischen oder nur
‘idiomatisch‘ bzw. vollidiomatisch systematisiert (z.B. ‚jemanden einen Korb geben‘)
(Smirnova 2022)

Wortverbindungen wie ‚Rotes Kreuz‘, ‚Schwarzes Brett‘ sind nicht wörtlich zu


verstehen, die einzelnen Komponenten sind nicht addierbar, weil Idiomatizität eine

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andere als die wörtliche Bedeutung evoziert (‚jemanden zeigen, wo der Hammer
hängt‘/ ‚far vedere come si fa‘). Zumeist handelt es sich um figurative,
metamorphische Bedeutungen wie sie auch in Sprichwörtern zuweilen auftreten. (‚es
ist noch kein Meister vom Himmel gefallen‘ / nessuno nasce maestro) Schafroth, E.
(Phraseologie-Tutorial, IV) nennt in diesem Zusammenhang den Ausdruck ‚den
Computer hochfahren‘: das Verb ‚hochfahren‘ ist nicht idiomatisch und hat in diesem
Kontext die Bedeutung von ‚starten‘ erhalten. Es handelt sich um ein ‚idiom principle‘,
welches erlernt werden muss. Diese Nicht-Vorhersagbarkeit einhergehend mit einer
Nicht-Herleitbarkeit wird idiosynkratisch genannt.

Die phraseologische Bedeutung einer idiomatischen Phrase ist oftmals


deckungsgleich mit ihrer freien Bedeutung. „Je größer aber die Abweichungen
zwischen den Bedeutungen sind, desto stärker idiomatisch ist der Ausdruck.“ (Huber
2014:7) Burger (2007: 31f) weist darauf hin, dass sich die phraseologische
Bedeutung aus der freien Bedeutung der Komponenten ableiten lässt, „als es keine
anderen morphosyntaktischen und lexikalischen Realisierungen der Wortverbindung
gibt“ (Burger 2007, zit. n. Huber 2014: 7). Je stärker der Unterschied zwischen der
phraseologischen und der wörtlichen Bedeutung eines Phraseologismus ist, desto
stärker ist auch dessen Idiomatizität (Kahl 2015: 37). Der Grad der Idiomatizität ist
umso höher, je weniger die Motivierung erkennbar ist und undurchsichtiger diese ist.
„Es handelt sich um eine reziproke Proportionalität“ (Kahl: 2015: 44).

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Abbildung 2 Grade der Idiomatizität (Quelle: Smirnova, Lektion 3 Phraseologie)

2.2.3 Festigkeit – (relative) Stabilität


Innerhalb dieses Definitionsmerkmals wird differenziert zwischen a)
psychologischer/psycholinguistischer, b) semantisch-pragmatischer und c)
struktureller Festigkeit. (Burger 2007: 16f) Es wird unterschieden zwischen der
Kenntnis und dem Gebrauch eines festen Syntagmas. Wird der Phraseologismus
korrekt angewendet hinsichtlich der Situation?

a) Bei der Ausprägung der psycholinguistischen Festigkeit (‚Entrenchment‘) kommt


es zu einem Transfer einer Mehrwortverbindung, ursprünglich entstanden in der
parole, in den langue-Status. Aus einem Token, ad hoc gebildet beispielsweise im
Jargon einer Randgruppe, wird ein Type, das aufgrund seiner Gebrauchsfrequenz in
das kollektive Bewusstsein der Sprachgemeinschaft rückt und kognitiv verfestigt
wird. Diese syntaktischen Fügungen werden mental als Einheit gespeichert und sind,
wie ein Wort, als Ganzes abrufbar. Dennoch sind sie Komponenten eines Phrasems
und sind zum Teil konjugierbar, deklinierbar und können auch manchmal umgestellt
werden. Die Verfestigung dieser idiomatischen Phrase ist graduell.

12
Ein Beispiel für ein Entrenchment ist im Deutschen das Token 2: ‚Wie x ist das denn‘.
Das Muster verbreitete sich und es entstand ein Type, wobei für ‚x‘ ein Adjektiv
eingesetzt wird. ‚Wie cool/krass/arg ist das denn‘. Der Type als idiomatische Phrase
findet Eingang in das Phraseolexikon einer Sprache, es handelt sich um eine
Lexikalisierung (Palm 1995: 36, zit.n. Huber 2014:6). Dies bedeutet, dass
Muttersprachlern die Phrase bekannt ist, aber dennoch erlernt werden muss.

Ein italienisches Beispiel: ‚Da‘ + Substantiv oder Verb, wobei die Verbalphrase
bereits ein Type-Entrenchment hat, weil seine Struktur modellhaft ist und mehrere
Tokens nach sich gezogen hat.

‚da paura / da urlo / da dio / da ridere / da far vergogna‘

Je nach Bedeutung des vorausgehenden Lexems handelt es sich um eine äußerst


positive oder negative Bewertung und kann als stark verfestigt erachtet werden,
obwohl es sich ursprünglich um einen Jargon aus der Jugendsprache handelte
(Schafroth 2019).

b) semantisch-pragmatische Festigkeit:

Übernehmen Phraseologien in bestimmten Kommunikationssituationen bestimmte


Funktionen, so kann diese Art von Festigkeit als semantisch-pragmatische
beschrieben werden, die unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Es werden hierbei i.A.
zwei Typen von syntaktischen Fügungen unterschieden, i.e. Routineformeln und
Höflichkeitsfloskeln. Phraseoschablonen sind aus diesem Aspekt betrachtet relativ
stabil. Sprichwörter stellen einen Sonderfall dar. Sie sind einerseits kulturell kodiert
und können mehr oder weniger kompositionell sein. Andererseits verfügt nicht jeder
Sprachteilnehmer über das erforderliche Sprach- und Kulturwissen und kann die
Sprichwörter dekodieren.

c) strukturelle Festigkeit: Dieser Akzent von Festigkeit besagt, dass feste


Wendungen durch semantische und morphosyntaktische Regeln eingeschränkt sind.

2
Token-type: Die type-token Unterscheidung wurde von Ch.S.Peirce geprägt und fand so Einzug in
die analytische Sprachphilosophie und in weiterer Folge in die sprachwissenschaftlichen
Forschungen. ‚token‘ = Vorkommnis, die konkrete sprachliche Äußerung (parole) die materiale
Realisation/Instantiierung eines types (langue).

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Anders als freie Wortverbindungen sind phraseologische Wortverbindungen nicht
völlig frei erweiterbar, sodass einzelne Konstituenten nicht beliebig substituierbar
sind. Veränderungen am Phrasem, die morphosyntaktischer und/oder lexikalischer
Natur sind, können dessen Gesamtbedeutung sinnlos machen. Diese Restriktionen
der Formveränderlichkeiten sind graduell abgestuft und so wird auch bei Kahl (2015:
30) eine Skala vorgeschlagen. Kahl bezeichnet das Definitionsmerkmal der
Festigkeit allerdings als ‚Stabilität‘. So funktioniert der Phraseologismus ‚jd.kommt
mit einem blauen Auge davon‘ nicht, wenn anstelle ‚blau‘ eine andere Farbe
verwendet wird: ‚jd. kommt mit eine *rosa* Auge davon.‘ Das Merkmal der Festigkeit
respektive der Stabilität hängt mit dem Merkmal der Lexikalisierung/
Reproduzierbarkeit zusammen. Viele Phraseologismen beinhalten aber Varianten
und sind variabel. Stabilität und Variabilität können laut Burger et al (1982: 67 zit.n.
Kahl 2014: 29) als komplementäre Kategorien betrachtet werden. Fest, im Sinne von
unveränderbar, seien nur wenige phraseologische Einheiten.

Von „petrifzierten Phrasemen“ wie ‚klipp und klar‘, ‚an jemanden einen Narren
gefressen haben‘ ist dann die Rede, wenn kein Spielraum für Substitutionen
vorhanden ist oder auch keine Konstituente weglassbar ist. So ist es beispielsweise
nicht möglich zu sagen: ‚er fraß einen Narren an ihr‘. Diese petrifzierten Phraseme
sind zwar flektierbar und besitzen morphologisch variable Leerstellen, sind aber sehr
fest, versteinert eben.

Je verfestigter ein Phrasem ist, umso spezifischer, weniger schematisch, lexikalisch


geschlossen ist. Das gilt auch umgekehrt: je weniger verfestigt ein Phrasem ist,
umso lexikalisch offener, schematisch und unspezifischer ist es. Phraseme können
strukturell unterschiedlich fest sein, wobei die strukturelle Festigkeit innerhalb ein und
desselben Phrasemtyps unterschiedlich groß sein kann.

Schafroth (2019, Definitionsmerkmale von Phrasemen) zeigt eine Skala von


Phraseologismen als Kontinuum an, an deren obersten Ende solche Phraseme
stehen, die absolut fest sind, maximal spezifisch und lexikalisch geschlossen. An
ihnen ist nichts veränderbar, sie weisen kein füllbares Schema auf. Am untersten
Ende der Skala stehen Schemata, sogenannte Phraseoschablonen, die nur

14
syntaktisch fest sind, nicht aber lexikalisch. Sie sind somit unspezifischer,
schematischer und lexikalisch offen. Es handelt sich hier um einen bloßen
Satzrahmen, der mit Lexemen zu füllen ist.

Beispiele für grammatische und adverbielle Phraseme wie

geschweige denn / in Anbetracht / dieser und jener / auf Anhieb

sind lexikalisch geschlossen und schematisch schwach.

Dasselbe gilt auch für Sprichwörter und Formeln:

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm! Guten Appetit!, Prost

(a) jd. ist ein schlimmer Finger <‚jd. ist ein böse/gefährlicher Mensch‘>

(b) qcn. si sente ridere il cuore <‚qcn è allegro/felice’>

Adjektivische Phraseme, Idiome, Funktionsverbgefüge, Kollokationen sind


schematischer stärker, Vergleichsphraseme sind am stärksten lexikalisch offen und
stark schematisch. Bei einer lexikalischen Offenheit können je nach Vorhandensein
die Aktanten (Subjekt) und das Objekt morphologisch modifiziert werden.

jemandem [MORPH] einen Floh ins Ohr setzen;

Je X [KOMP] , desto Y [KOMP] (Je weniger, desto besser)

(a) jd. hat etw./jdn./ sich in der Hand/ in (den) Händen,

<jd. hat etw./jdn. In der Gewalt.‘>

(b) a qcn.pizzicano/prudono le mani / qcn. si sente prudere le mani

<‚qcn. ha voglia di picchiare qcn.‘>

Kahl (2014: 30) versteht unter Variabilität/Variation jenen „Spielraum, innerhalb


dessen formale Veränderungen des Phraseologismus möglich sind, ohne dass die
phraseologische Bedeutung verloren geht“ (zit.n. Burger et al 1982: 67).

Das Merkmal der Festigkeit wird auch als Oberbegriff gehandelt, worunter mehrere
Perspektiven und Facetten zusammengefasst werden. Genannt werden hier
Abstufungen im Spektrum von freien syntaktischen Wortverbindungen bis hin zu

15
festen syntaktischen Wortverbindungen. Die Eigenschaften der Reproduzierbarkeit,
Gebräuchlichkeit, Irregularitäten (strukturelle Festigkeit betreffend), Restriktionen
(strukturelle Festigkeit betreffend) sowie Motiviertheit (Idiomatizität) unterliegen im
Rahmen dieser Graduierungen, die vom Oberbegriff der Festigkeit vorgegeben wird,
ebenfalls diesen Abstufungen.

2.2.4 Reproduzierbarkeit
Die Reproduzierbarkeit betrifft die psychologische Festigkeit und bezeichnet eine
Facette von Festigkeit auf psycholinguistischem Niveau. Das Spektrum reicht hier
von der Freiheit des ‚open-choice‘ Begriffs, als analytische Fähigkeit, wo in einer
Wortverbindung jedes einzelne Wort rezipiert wird, hin zu einem holistischen
Aufnahmeverständnis, das die Wortverbindung als Ganzes handhabt.

Phraseologismen, begriffen als feste Mini-texte, können als ganze Einheiten


reproduziert werden. Dies bedeutet, dass sie im Gebrauch nicht jedesmal neu nach
einem bestimmten Sprachmuster, einer Schablone, produziert werden. Sie werden
als ganze mentale Einheit gespeichert und bei Bedarf abgerufen. Die Wortfolge wird
als Ganzheit benutzt. Je nach der Sprachüblichkeit sind sie im kollektiven
Sprachbewusstsein verankert. Die Schwierigkeit hierbei, die Reproduzierbarkeit als
Definitionsmerkmal für Phraseologien zu bestimmen liegt v.a. in der Unmöglichkeit
eines Nachweises für Reproduktivität. Einwortmetaphern gelten als das
phraseologische Phänomen, woran das Merkmal der Reproduzierbarkeit gut
erkennbar sei. Jedoch birgt dies einen Widerspruch in sich, da Einwortmetaphern per
se monolexisch sind. Die Fähigkeit wörtliche von nicht-wörtlicher Bedeutung zu
unterscheiden, ist das grundlegende Indiz für dieses Merkmal.

2.2.5 Gebräuchlichkeit
Diese Facette der Festigkeit ist kein sicheres Zeichen für Phraseme. Damit ist die
wiederholte – frequente – Verwendung der Wortverbindung gemeint. Allerdings
bestimmt kaum die Häufigkeit des Gebrauchs einer bestimmten Wortverbindung, ob
es sich um eine Phrasem handelt oder nicht. Eine Korpusanalyse mag zeigen, dass

16
im Deutschen z.B. die Verbindung ‚er + geht‘ – mit all seinen Flektionen – weitaus
häufiger vorkommt als das Phrasem ‚blinder Passagier‘.

2.2.6 Irregularitäten
Darunter fallen bestimmte morphologische, syntaktische, lexikalische oder
semantische Anomalien, die nur das Phrasem betreffen und sonst nicht im
sprachlichen System gelten für freie syntaktische Verbindungen.

Irregularitäten erstrecken sich auf einem Spektrum zwischen dem regulären Pol (‚auf
gutes Wetter‘ mit einem Flexionsmorphem) und dem irregulären (‚auf gut Glück!‘:
unflektiert, weil es sich um ein Phrasem handelt).

2.2.7 Restriktionen
Die Restriktionen hingegen, – quasi die konträre Seite zu den Irregularitäten –
zeigen, dass bestimmte morphologische oder syntaktische Modifikationen nicht
möglich sind, ohne dass die phraseologische Bedeutung darunter leiden würde. An
diesen Restriktionen ist sehr gut die Grenze zwischen freien syntaktischen
Verbindungen und Phrasemen ersichtlich. Auf syntaktischer Ebene ist das oft zitierte
Beispiel ‚Das ist kalter Kaffee‘ zu nennen. In seiner phraseologischen Bedeutung
meint es ‚uninteressant‘. In der wörtlichen Bedeutung würde von einem kalt
gewordenen Kaffee gesprochen werden. In einer Rekombination wie beispielsweise:
‚Das ist Kaffee, der kalt ist‘ geht die phraseologische Bedeutung vollständig verloren.
Ein Beispiel für eine lexikalische Restriktion ist ‚Die Flinte ins Korn werfen‘ im Sinne
von ‚kapitulieren‘. Wird ‚Flinte‘ substituiert durch ‚Gewehr‘, dem Wortfeld
entstammend, so verschwindet die phraseologische Bedeutung: ‚Das Gewehr ins
Korn werfen‘ / ‚in den Hafer werfen‘.

2.2.8 Motiviertheit – Idiomatizität


Hier geht es darum, ob jeder einzelne Teil der Verbindung verstanden werden kann
oder ob die Teile auf direktem Wege rekonstruierbar sind.
Phraseologismen weisen unterschiedliche Grade an Opakheit auf und auch hier gibt
es durchaus transparente Bildungen, die keine Idiomatizität aufweisen.

17
Bespiele für opake Verbindungen: ‚das Handtuch werfen‘, ‚jem. einen Korb geben‘:
Das Wort ‚Korb‘ hat nichts mit dem wörtlich verstanden ‚Korb‘ zu tun.

Hingegen ist ‚das fünfte Rad am Wagen sein‘ motivierter, also opaker. Die
Bedeutung ist motivierbar um das Wissen, dass ein fünftes Rad am Wagen
überflüssig ist.

‚Die Ohren spitzen‘: dieses Verhalten aus dem Tierreich ist motivierter und kann eine
metaphorische Verbindung herstellen.

Festigkeit ist ein Merkmal in Opposition zur freien syntaktischen Verbindung.

2.2.8.1 Unikale
Unikale Komponenten kommen nur und exklusiv in Phrasemen vor und sind nicht im
Wörterbuch als Lexeme notiert. Sie sind ein Charakteristikum von Irregularitäten, von
einer oder mehreren Anomalien, die nur Phraseme betreffen und sonst nicht im
sprachlichen System gelten für freie synaktische Verbindungen (Smirnova 2022: 3).

Kahl weist an dieser Stelle auch darauf hin, dass die Existenz von „unikalen
Komponenten“ im direkten Zusammenhang stehe mit der absoluten Stabilität, sodass
die „phraseologische Gesamtbedeutung nicht mehr aus der Einzelbedeutung der
Lexeme ableitbar“ sei. Diese Unikalia oder „phraseologische gebundene Formative“
(Kahl 2014: 31) existieren nicht mehr selbständig und tragen einerseits zur Festigkeit
von Phraseologismen bei und erhöhen so die Idiomatizität. Es handelt sich hier um
das bereits bei Schafroth erwähnte Token/Type – Prinzip.

Unikale Komponenten werden von Čermak auch als „zero sign“ bezeichnet. (Kahl
2014:33). Sie setzen eine „überindividuelle, sozial wirksame Konzeption der Sprache
voraus.“ Unikalia werden gemäß Gendadieva 2006:125, zit.n. Kahl 2014: 33)
aufgrund eines semantischen Strukturverlust gebildet und gelten gleichzeitig als
Endpunkt der Lexikalisierung.

Ein Beispiel für einen Somatismus mit einer unikalen Komponente (Kahl 2014: 31)

jemand rümpft über etwas/jemanden die Nase <missbilligt den Geruch>

qcn. aggrotta le ciglia <‚le increspa in segno di perplessità/irritazione’>

18
2.3 Klassifizierungsversuche

Als Basis einer Klassifikation dienen immer Kategorien, die eine unabdingbare
kognitive Funktion innehaben. Simpel ausgedrückt gilt, dass der Mensch in
Kategorien denkt, um sich selbst und seine Umwelt interaktiv wahrzunehmen und zu
optimieren. Kategorisierungsprozesse sind zentral für die menschliche
Informationsverarbeitung. Es werden Gruppierungen anhand von Ähnlichkeiten und
Gemeinsamkeiten gebildet, neue Erfahrungen und Objekte werden mit bestehenden
verknüpft. Die Zuordnung zu einer Klasse ähnlicher Sachverhalte erlaubt einen
ökonomisch-pragmatischen Umgang. Für die Forschung und Entwicklung von
Wissenschaften sind Kategorisierungen und Taxonomien ein wichtiger Schritt, die
eine Hypothesen- und Theoriebildung überhaupt erst ermöglichen. Das logische
Denken beruht auf deduktiven und induktiven Schlüssen. Gemeinsame Kategorien
des repräsentierten Wissens ermöglichen die menschliche Kommunikation. Die
Differenzierung zwischen Kategorien, die sich auf Klassen in der Welt beziehen, und
Konzepten, die die mentale Repräsentation dieser Klassen bezeichnen, ist letztlich
ein Thema der Sprachphilosophie.
Problematisch werden Klassifizierungsversuche dann, wenn die Kategorie zu eng
oder zu weit gesteckt ist. Falsche oder zu umfassende Kategorien übertreiben
möglicherweise eine Ähnlichkeit oder Verschiedenheit von Sachverhalten und
Abstrakta und verzerren die Wirklichkeit. (Vgl. Müsseler 2016: 5ff)
Die Phraseologie bedingt eine Vielzahl an Gruppierungsmöglichkeiten.

Fleischer (2015: 110f) trifft eine formale Unterscheidung und schlägt eine
Klassifizierung in Phraseolexeme (wortähnlichen Gebilden), Phraseoschablonen und
der größten Einheit, den Nominationssterotypen. Im Vergleich hierzu gibt Burger
(2015) eine Klassifikation an, die eher auf semantisch-funktionaler Ebene aufbaut
und somit die Funktion von Phrasemen v.a. hinterfragt. Er unterscheidet zwischen
referenziellen, strukturellen und kommunikativen Merkmalen, anhand deren er die

19
Phraseme einstuft. Die Möglichkeiten der Klassifizierung von Phrasemen ist nach wie
vor ein aktuell diskutiertes Thema in der Forschung.

2.3.1 Mischklassifikation nach Burger, 2015


Aufbauend auf der zentralen Klassifikation in der deutschen Phraseologie nach
Burger (2015) kann eine hierarchische Klassifikation entwickelt werden, wobei in
mehrere Stufen der Unterscheidung differenziert wird und bestimmte Phraseme noch
tiefer unterschieden werden. Es handelt sich hierbei um eine Mischklassifikation, weil
unterschiedliche Kriterien auf unterschiedlichen Ebenen herangezogen werden.3

Abbildung 3 Mischklassifikation nach Burger 2015 (Quelle: Smirnova 2022)

In einem ersten Schritt erfolgt die Unterscheidung gemäß der Zeichenfunktion des
Phrasems. Die referenzielle Funktion des Phrasems zeugt vom Bezug auf Objekte,
Vorgänge oder Sachverhalte in der Außenwelt. Aufgabe der strukturellen Funktion ist
es, syntaktische Relationen herzustellen. Hier geht es um die Organisation von
beispielsweise komplexen Präpositionen oder polylexikalische Verbindungen
‚sowohl…als auch‘, die als Konjunktion fungiert. Die kommunikative Funktion des
Phrasems auf Ebene des Zeichens kommt an bestimmten Stellen in der

3
Es wird also nicht nur ein einziges Unterscheidungskriterium (z.B. nur eine semantisches) verwendet.

20
zwischenmenschlichen Kommunikation zum Ausdruck. z.B.: ‚Guten Morgen‘, ‚gern
geschehen‘

Auf der zweiten Ebene werden referentielle Phraseme unterschieden in nominative


und propositionale. Es handelt sich hier um ein semantisches Kriterium und drückt
aus, was Phraseme aufgrund ihrer Bedeutung auszudrücken vermögen. ‚Blinder
Passagier‘, ‚blutiger Anfänger‘ sind nominativ klassifizierbare Phraseme und dienen
einer Benennung – in den Beispielen eines bestimmten Typus von Personen – , sind
satzgliedwertig und liegen unterhalb der Satzgrenze. Propositionale Phraseme sind
satzwertig, also Satzäquivalente und stellen eine Aussage dar. ‚Da liegt der Hund
begraben!‘

In einem dritten Schritt werden die nominativen Phraseme unterschieden in


Kollokationen, Teil-Idiome und Idiome. Hier kommt das Kriterium der Idiomatizität
zum Tragen, wobei dieses semantische Kriterium graduell abgestuft ist.
Kollokationen werden als überhaupt nicht idiomatisch eingestuft und sind immer auch
wörtlich verstehbar. Smirnova 2022 verweist hier auf Burger 2015. Teil-Idiome sind
nur bis zu einem bestimmten Grad idiomatisch und ein Teil ihrer Bedeutung kann
erschlossen werden, der andere Teil muss jedoch erlernt werden. Das idiomatische
Ende des Kontinuums bilden die Idiome: die Bedeutung dieser ist nicht aus den
einzelnen Wörtern erschließbar und muss gelernt werden. Idiomatizität ist einerseits
als Definitionsmerkmal von Phrasemen vorhanden und andererseits dient es als
auch Unterscheidungskriterium.

In einem vierten Schritt wird die Ebene der propositionalen Phraseme unter
pragmatischem Gesichtspunkt analysiert. Diese Gruppe von Phrasemen umfasst
ganze Satzaussagen. Es betrifft feste Phraseme und topische Formeln, rhetorische
Redewendungen. Ausschlaggebend ist hier die Kontextgebundenheit, ein
definitorisches Merkmal von Phrasemen. Bedingt durch die Situation werden
‚reflexartig‘ Phraseme ausgelöst, es sind vorgefertigte Antworten, die phraseologisch
sind. Feste Phraseme haben einen hohen Grad an Kontextgebundenheit, sind
satzwertig. ‚Das ist ja die Höhe!‘ ‚Hier geht die Post ab.‘ Topische Formeln hingegen

21
sind satzwertige Formulierungen ohne Verankerung in einem spezifischen Kontext.
‚Was sein muss, muss sein.‘

In einem fünften und laut Diagramm (siehe Abb. 2) letzten Schritt erfolgt eine weitere
Differenzierung innerhalb der topischen Formeln nach pragmatischem
Gesichtspunkt: in Sprichwörter und Gemeinplätze. Sprichwörter sind satzwertige
Formulierungen und erfüllen oft eine soziale Funktion. Sie sind häufig von
moralischer Natur. Allgemeine Wahrheiten werden in solch eine Form verpackt. Als
Gemeinplätze werden ebenfalls satzwertige Formulierungen definiert, die als
Bewertungen und Rechtfertigung von Handlungen fungieren. Gemeinplätze enthalten
keine zusätzliche Information, sie beschreiben lediglich die Situation und wiederholen
sozusagen den Sachverhalt.

Die Mischklassifikation weist, wie diese Analyse zeigte, unterschiedliche Kritierien


zur Klassifikation der Phraseme auf: Funktionsebene, Semantik, Pragmatik. (Burger
2015: 31f)

Ein weiteres, nicht bei Burger 2015 erwähntes Kriterium zur Klassifizierung zur
Unterscheidung ist das der Motiviertheit. Smirnova erwähnt hier Korhonen 2002, in
Typologien von Phraseologismen. Motiviertheit ist ein semantisches Kriterium und
wird graduell differenziert in unmotiviert (‚ins Bockshorn jagen‘) – motivierbar
(metaphorisch wie: ‚das fünfte Rad am Wagen‘) – teil-motivierbar (‚klipp und klar‘) –
direkt motivierbar (‚Hilfe leisten‘). Der Aspekt der Motiviertheit gibt den Grad der
möglichen Erschließung der Bedeutung an. Ihr Gegenpol ist Opakheit, worunter
verstanden wird, dass eine opake Wortverbindung unmotiviert ist und ihre Bedeutung
weder wörtlich noch auf direktem Wege ethymologisch bzw. kulturell erschließbar ist.
Beispielsweise ist das Phrasem ‚jemanden ins Bockshorn jagen‘ sehr unmotiviert und
opak: weder hat der Sachverhalt, dass jemand verärgert wird, etwas mit einem
Bockshorn noch mit jagen zu tun.

In der neueren Phraseologieforschung liegt ein Fokus der Klassifizierungen auf den
strukturellen Kritierien. Phraseoschablonen bzw. Muster dienen hier als produktive
Schemata, in deren Leerstellen (X) durch Auffüllen wieder weitere Phraseme gebildet
werden können. Es ist eine Bildung von Phrasemen nach regelhaftem Muster.

22
[X um X] -> Stein um Stein, Glas um Glas

Funktionsverbgefüge wie ‚Zur Entscheidung bringen‘, worin ein Funktionsverb


verbunden wird mit unterschiedlichen Substantiven, ergeben ein strukturelles Muster,
das immer wieder neu besetzt werden kann.

Auch komparative Phraseme sind ein Beispiel für Phraseoschablonen. Das Konzept
der Phraseoschablonen ist insofern auch gut zu untersuchen, weil es die Frage
aufwirft, wie weit die Variabilität der Austauschbarkeit reicht.

3 Kontrastive Phraseologie

Seit Mitte der 60er Jahre ist die kontrastive Phraseologie ein beliebtes
Forschungsgebiet, wobei ältere Studien ihren Schwerpunkt vorwiegend auf
Sprichwörter4 legen. Die kontrastive Phraseologie will Gemeinsamkeiten und
Unterschiede sprachlicher Erscheinungen zweier oder mehrerer Sprachen aufzeigen,
wobei auch die Relation an sich, in dem die vergleichenden Spracheinheiten stehen,
untersucht wird. (Vgl. Huber, 2014: 8ff). Grundsätzlich wird von einer Zweiteilung in
ein intralinguales und ein interlinguales Beschreibungsverfahren ausgegangen. Das
intralinguale Beschreibungsverfahren vergleicht Phraseme innerhalb einer Sprache.
Es untersucht den Kontrast der Spezifika der Phraseologie in Dialekt und
Standardsprache, wobei sowohl auf synchronischer als auch auf diachronischer
Ebene verglichen wird. Das interlinguale Beschreibungsverfahren, das in dieser
Arbeit zum Tragen kommt, vergleicht mindestens zwei Sprachen mittels
Äquivalenzen und arbeitet Ähnlichkeiten und Unterschiede heraus. Gegenstand der

4
Unterschied zwischen Redensart und Sprichwort: Ein Sprichwort ist formal betrachtet ein
allgemeingültiger, abgeschlossener Satz, der oftmals auch einen Reim enthält und sich auf eine
Erfahrung, Beurteilung, Vorschrift, Empfehlung des täglichen Lebens stützt. Redensarten hingegen
haben keine feste Prägung, müssen erst in einen Satz eingefügt werden, sind nach Zeit/Person
veränderlich und wertfrei. Gemeinsam ist beiden, dass sie in ihrem Wortlaut eingängig sind und ein
festgefügtes Bild transferieren. Redensarten entwickelten sich oft auch aus literarischen Wendungen
bzw. Zitaten und zählen durchaus zum Kollektivgut. Ihre Bildhaftigkeit neigt sowohl zu Übertreibungen
als auch zu Euphemismen (Scherr 1993).

23
Untersuchung sind sowohl lexikalische, strukturell-syntaktische als auch semantische
Aspekte. Häufig werden hier Probleme bei der Übersetzung von Phraseologismen
sichtbar, denn grundsätzlich gilt festzulegen, wie die Phraseologismen interpretiert
werden, als

„[…] konkrete Realisationen oder als abstrakte Formenkomplexe […]. Ersteres bezieht sich
auf die Ebene der Parole und besitzt für das Übersetzungswesen Relevanz. Letzteres
wiederum hat Bezug auf die Ebene der Langue und beinhaltet, dass bei der
Gegenüberstellung die morphosyntaktische und lexikalische Variantenbildung berücksichtigt
werden […]“ (Korhonen, 2007: 575, zit. n. Kahl, 2015: 88f).

Földes (1996: 12) stellt drei Ansätze in der kontrastiven Phraseologieforschung fest:
Erstens den interkulturell-kognitiven, zweitens den strukturell-typologischen und
drittens die Ermittlung von Äquivalenztypen. Des Weiteren nennt Földes (1996: 15)
fünf Voraussetzungen für die Durchführung einer kontrastiven Phraseologie: die zu
vergleichenden Sprachen/Sprachvarietäten müssen Übereinstimmungen,
Ähnlichkeiten und Divergenzen aufweisen; eine innersprachliche Beschreibung muss
sowohl qualitativ als auch quantitativ vorgenommen werden; die Vergleichbarkeit an
sich; die Ermittlung einer Bezugsgröße, i.e. eines Parameters, von der aus die
Unterschiede respektive Ähnlichkeiten beurteilt werden können und der Einsatz
eines einheitlichen theoretischen Konzepts für die Interpretation der Erscheinungen
in den kontrastierten Sprachen/Sprachvarietäten.

Die Möglichkeiten der Wiedergabe eines Phraseologismus einer Sprache in einer


anderen kann generell geschehen mit einem äquivalenten Phraseologismus, mit
einem Einzellexem oder Kompositum oder mit einer Paraphrase der
phraseologischen Bedeutung (Kahl 2015: 88).

3.1 Äquivalenzen

Bei einem interlingualen Vergleich dienen Äquivalenzen bzw. Äquivalenzmodelle als


Vergleichsgrundlage. Um phraseologische Einheiten zweier Sprachen vergleichen zu
können, wird entweder die Form oder die Bedeutung als Ausgangspunkt gewählt. Bei
Ersterem dient die morphosyntaktisch-lexikalische Struktur als Vergleichsbasis, es

24
handelt sich somit um eine morphosyntaktische-lexikalische Äquivalenz. Bei der
semantischen Überstimmung (Ausgangspunkt ist die Bedeutung) wird auf
denotativer Ebene die Vergleichsbasis (Tertium Comparationis) bestimmt.
Äquivalenz steht also „für relationale Sachverhaltsbeschreibungen auf der Form- und
Inhaltsseite eines sprachlichen Zeichens“ (Kahl 2015: 89).

Zudem werden für die Herstellung von Äquivalenzbeziehungen entweder der


quantitative oder qualitative Aspekt herangezogen.

Die quantitative Äquivalenz fungiert auf der Ebene der Langue und gliedert sich nach
der Zahl der Äquivalente des jeweiligen Phrasems in der Zielsprache:

 Monoäquivalenz (1:1), z.B. dt. ‚das Auge des Gesetzes‘/ it. ‚l’occhio della
legge‘;

 Polyäquivalenz (1: n; n >1), dt. ‚gesenkten Hauptes dastehen‘ <sich fügen,


demütigen lassen>/ it. abbassare la testa/ abbassare gli orecchi/ stare a
orecchi bassi/ lasicarsi schiacciare le noci in testa/ lasciarsi cavare gli occhi di
testa;

 Nulläquivalenz (1: keine Entsprechung), dt. ‚sich einen Kopf machen‘


<Jargon> /it. keine Entsprechung, übersetzt mit ‚pensare‘.

Bei der qualitativen Äquivalenz werden ebenfalls grob drei Typen unterschieden,
wobei innerhalb dieser Einteilung weitere Differenzierungen (Subklassen)
vorzunehmen sind:

 Volläquivalenz (totale Äquivalenz), 1:1 Entsprechung. Die Phraseme in der


Ursprungssprache (hier: deutsch, L1) und der Zielsprache (hier: italienisch,
L2) sind semantisch äquivalent und ein identisches Bild liegt zugrunde. Es
herrscht Deckungsgleichheit hinsichtlich Syntax und Lexik. Die denotative,
konnotative Bedeutung sowie die syntaktische Struktur stimmen überein.
(z.B.: jd. schließt die Augen‘ <jd. stirbt> / it.: ‚qcn. chiude gli occhi, qcn.
muore‘. Allerdings kann auch eine Substitutions-Äquivalenz eintreten, wenn
zwar eine semantische Äquivalenz vorhanden ist, aber die Lexeme

25
unterschiedlich sind. Unterschiede hinsichtlich Konnotationen sind dabei kaum
festzustellen. Es handelt sich hier um ‚weitgehende‘ Ähnlichkeiten (im
Unterschied zu Parallelitäten), deren geringe Abweichungen dennoch in die
Kategorie der Volläquivalenz eingeordnet werden.

 Teiläquivalenz (partielle Äquivalenz): Trotz deutlicher Unterschiede in


Struktur, Funktion und Semantik ist eine Entsprechung erkennbar. Die
denotative und/oder konnotative phraseologische Bedeutung kann hier
verschieden sein. Eine Subklasse ist die „Funktionelle
Bedeutungsäquivalenz“ (Földes, 1996: 118), wo die Bedeutung zwar
übereinstimmt, es jedoch Unterschiede im Komponentenbestand gibt. Kahl
(2015: 126ff) führt hier sieben Subklassen von partieller Äquivalenz auf, wobei
die Substitutions-Äquivalenz bei Kahl als Subklasse der Teiläquivalenz
klassifiziert wird. Dies wird einsichtig angesichts der von Kahl diskutierten
Überlegungen zu Ähnlichkeiten und Familienähnlichkeit im Sinne
Wittgensteins.5

 Nulläquivalenz (totale Differenz): Dem Phraseologismus der einen Sprache


(L1) entspricht kein Phraseologismus der anderen Sprache (L2). Kahl (2015:
134) kommt in ihrer Dissertation zum Ergebnis, dass es im Deutschen 15
Somatonyme gibt, die im Italienischen keinen entsprechenden
Phraseologismus aufweisen, während es im Italienischen 25 Somatonyme
gibt, denen in der deutschen Sprache ein Äquivalent fehlt. Übersetzer und
Fremdsprachen-Lernende müssen sich hier mit Umschreibungen und
Interpretationen des Sinnbildes behelfen, wobei die pragmatische Bedeutung
verloren geht.

 Falsche Freunde (Pseudoäquivalenz/Scheinäquivalenz) sind eine


Subklasse der Nulläquivalenz und werden nur zum Teil in der Klassifikation
von Forschern aufgenommen (Földes, Kempcke, vgl. Kahl, 2015: 105). Es
handelt sich um eine formale Kongruenz der Komponentenkette, aber es fehlt
die semantische Äquivalenz. Diese ‚faux amis‘ führen oft zu
5
Siehe Kahl, 2015: 68ff.

26
Missverständnissen, weil die einzelnen Lexeme des Phrasems in ihrer
Einzelbedeutung zwar ident sind, aber dennoch eine andere phraseologische
Bedeutung aufweisen.

(z.B: dt: ‘Mit Bleifuß fahren‘ <schnell fahren, rasen>/ it.: ‚andare/andarci von
i/coi piedi di piombo‘ <mit Bleifüßen gehen, mit großer Vorsicht>)

Der Begriff der Äquivalenz und die darauf aufbauenden Strukturierungen, v.a. im
Kontext der Phraseologie, sind komplex und stellen nach wie vor ein
Forschungsdesiderat dar. Mussner weist in ihrer Dissertation „Jedem Tierchen sein
Pläsierchen. Phraseme mit Tierbezeichnungen im Komponentenbestand im
Vergleich zwischen den Sprachen Deutsch, Französisch und Italienisch“ (2010:
186ff) auf Korhonen (2007) hin, der ein relativ ausdifferenziertes Modell anbietet; er
gehe auf die Vergleichsparameter denotative Bedeutung, Bedeutungsumfang,
Idiomatizität, Bildhaftigkeit, Morphosyntax, Lexik, Stabilität, Konnotation, Valenz und
Stil sowie auf die unterschiedlichen Möglichkeiten von Übereinstimmungen und
Abweichungen im Detail ein. Mussner sieht die Dreiteilung der Äquivalenzmodelle
der kontrastiven Phraseologie für die Sprachpraxis als nicht sinnvoll an, weil die
Unterscheidung in totale und partielle Äquivalenz auf funktionaler Ebene wenig
bewirkt. Sie plädiert für ein Modell, das nach funktionalen Kriterien vorgeht und
Aspekte wie Geläufigkeit, Gebrauchsbedingungen, Pragmatik miteinbezieht.

3.2 Somatismen in idiomatischen Redensarten

Die Eingrenzung der Untersuchung von Phraseologien auf den Bereich der
Somatismen begründet sich nicht zuletzt aus dem sehr repräsentativen Ausschnitt
aus dem Gesamtbestand des quantitativ erfassten und zugänglichen Materials.
Dabei wird der Blick darauf gerichtet, wie weit Kopf, Mund, Auge, Nase, Ohr als
Basiskomponenten der phraseologischen Einheiten für die Konstituierung der
phraseologischen Bedeutung eine Rolle spielen, welche Bilder dabei erzeugt
werden, wie die Unterschiede in den beiden Sprachen gelagert sind und wieweit eine
Metaphorisierung gegeben ist. Gilt als Charakteristikum des Phraseologismus
allgemein, dass seine Bedeutung nicht die Summe der Bedeutungen derjenigen

27
Wörter ist, die ihn ausmachen, so gilt es stets, die Motivation dahinter zu erkunden,
i.e. die Idiomatizität. Denn je stärker eine phraseologische Einheit motiviert ist, desto
schwächer ist ihre Idiomatizität, also die Bildlichkeit. Motivation meint die Beziehung
zwischen Signifikant und Signifikat resp. Denotatum und Denotation, die für
Muttersprachler durchschaubar ist. Zu unterscheiden sind hier auf intralinguistischer
Ebene eine phonetisch-phonologische Motivation, i.e. die direkte Beziehung
zwischen Lautkomplex und Bedeutung, die morphologisch-morphematischen
Motivation, i.e. die Beziehung zwischen Wortbildungskonstruktionen und ihren
unmittelbaren Konstituenten und die semantische Motivation, die für die
Phraseologie relevant ist. Die semantische Motivation ist so zu verstehen, als dass
die semantischen Merkmale des Phraseologismus „durch ihr Vorhandensein in den
Sememen der Lexeme der freien Wortverbindung motiviert sind“ (Steffen, 1986: 56)
Der semantische Transfer freier Wortverbindungen in einen Phraseologismus ist
nicht nur vollidiomatischen, sondern auch nicht-bildhaften Phrasemen eigen. Es sind
durchaus auch schwach idiomatische Phraseme zu finden, wobei die Transparenz
zum Teil sehr individuell ist.

Unter dem Terminus ‚Somatismus‘ bzw. ‚somatische Phraseologismen‘ fallen solche


Phraseologismen, die in ihrer Struktur ein Lexem enthalten, das einen Körperteil
bezeichnet. Somatismen kommen relativ häufig in Sprachen vor und geben einen
Einblick über die Rolle der jeweiligen Körperteile in einer bestimmten
Sprachgemeinschaft. 15 – 20 % aller deutschsprachigen Phraseme sind
Somatismen (Kahl, 2015: 84) und sie werden von den Linguisten am häufigsten
untersucht. Ein Grund dafür mag sein, dass – wie Kahl (2015: 85) Hameln (2005:
250) zitiert – der Mensch sich selbst am nächsten ist und ‚Welt‘ maßgeblich über den
eigenen Körper erfährt. Somatische Phraselogismen dienen dem Ausdruck von
emotionalen, mentalen Eigenschaften. So steht der Kopf für den Geist und Verstand,
die Augen für ein Erkennen/Verstehen, die Hand für das Handeln, für eine Tätigkeit.
Teilweise ist ein universeller Charakter vieler Somatismen zu beobachten, weil sie
auf einer traditionellen Symbolik der Körperteile, der menschlichen Mimik, aber auch
auf Ritualen, Volkstraditionen und Aberglauben beruhen. Die Verwobenheit von

28
Kultur und Sprache, wie sie bei Kahl (2015: 86) in Anlehnung an Földes betont wird,
wird offensichtlich. Sprachen ähnlicher Kulturkreise weisen somit auch eine
Konvergenz im Gebrauch von Somatismen auf. Allerdings wird dieser universelle
Charakter prägnant relativiert durch die zum Teil doch wesentlichen Divergenzen der
Phraseologismen mit Körperbezeichnungen. Davon sind nicht nur Unterschiede in
der strukturellen Beschaffenheit betroffen, sondern auch auf semantischer Ebene.

Die nun folgende Gegenüberstellung aus dem deutsch-italienischen Korpus orientiert


sich an einer Unterteilung in Parallelitäten und Ähnlichkeiten, wobei das erste
Charakteristikum einer Volläquivalenz entspricht, zweiteres einer Teiläquivalenz mit
ihren Subklassen. Auf eine exakt detaillierte Zuordnung wird hier nicht eingegangen;
es werden aber sehr eindeutige Phraseme ausgewählt, sodass Klassifizierungen
leicht erkennbar sind. Die Beispiele werden vorwiegend aus der Arbeit von Scherr
(1993) entnommen.

3.2.1 Kopf – testa


Parallelitäten
Absolute Deckungsgleichheit bietet das Beispiel ‚den Kopf verlieren‘ in der
Gegenüberstellung zur italienischen Redensart ‚perdere la testa‘. Sowohl Aufbau
(Verb und Akkusativobjekt) als auch Bedeutung sind in beiden Sprachen ident. Der
Kopf steht als Synonym für die Sinne und die Ratio.

Im Italienischen gibt es noch sechs weitere Möglichkeiten, diesen Zustand der


mentalen Unausgeglichenheit auszudrücken:

non avere più la testa con sé den Verstand verlieren

<wörtl.: den Kopf nicht mehr bei sich


tragen>

andare giù di testa sich aufregen, verwirrt sein, die


Kontrolle verlieren.
<wörtl.:  den Kopf hängenlassen>

perdere la tramontana verwirrt sein; nicht mehr wissen, was

29
man tun soll (tramontana = Nordwind;
Norden  Orientierung)

perdere il lume degli occhi außer sich sein, sich nicht mehr unter
Kontrolle haben <wörtl.: das Augenlicht
verlieren>

perdere la bussola verwirrt sein; die Orientierung, den


Verstand verlieren (bussola = Kompaß)

perdere le staffe die Fassung verlieren (staffa = Bügel,


Stütze)

Ähnlichkeit

averne fin sopra la testa etwas bis an den Hals satt haben

Das Italienische nimmt hier auf den Kopf als Ganzes Bezug, das Deutsche reicht
nur bis an den Hals. Es handelt sich hier um eine Teiläquivalenz.

andare a testa alta den Kopf hoch tragen

Das Bild des erhobenen Kopfes gilt als Zeichen des Stolzes und des
Selbstbewußtseins. Im Deutschen setzt sich die Wendung aus dem Verb tragen
und dem Akkusativobjekt den Kopf und dem adverbial gebrauchten Adjektiv hoch
zusammen. Im Italienischen wird das Verb andare <gehen> und die modale
Adverbialbestimmung a testa alta (etwa: mit erhobenen Kopf) verwendet (Scherr
1993: 19).

30
3.2.2 Auge – occhio
Parallelitäten
Deckungsgleichheit für Wendungen mit dem Auge gibt es in beiden Sprachen
zahlreiche, der grammatikalische Aufbau mit Verb + Akkusativobjekt +
Präpositionalobjekt ist ident.

Der deutschen Wendung: ‚die Augen auf jdn. (etw.) richten‘ entspricht dem
italienischen ‚volgere (drizarre) gli occhi verso qd. (qc.).

volgere (drizarre) gli occhi verso qd. die Augen auf jdn. (etw.) richten‘
(qc.)

guardare qd.(qc.), dirigere lo sguardo jdn. (etw.) ansehen (W.) Def.dt.


verso qd.(qc.) (Z.) Def.it.

piegare l’occhio su qc. Syn.it wörtl.: das Auge auf etw. biegen

immergere gli occhi in qc. Syn.it wörtl.: die Augen in etw.eintauchen

Ähnlichkeit

guardare qd. con l’occhio di sinistro keine Entsprechung im Deutschen


Syn.it (Nulläquivalenz). Das linke Auge
verdeutlicht das Böse.

umgekehrt:
essere l’occhio destro di qd. jds. Augentrost sein

Das rechte (italienische) Auge steht für das “Liebste, die einzige Freude”. (Scherr
1993 :24)

31
3.2.3 Nase –naso
Parallelitäten
Deckungsgleichheit besteht bei der Redensart ‚die Nase [über jdn. (etw.) rümpfen]‘
und ‘[s-] torcere (raggrinzare, arricciare) il naso [per qd. (qc.)]’, womit zum Ausdruck
gebracht wird, dass jemand sich über etwas/jemanden erhaben fühlt, nicht mag,
verächtlich herabblickt. Grammatikalisch setzen sich beide Wendungen aus Verb,
Akkusativobjekt und präpositionaler Fügung zusammen. Dem deutschen Verb
‚rümpfen‘ entspricht dabei am ehesten das italienische ‚arricciare‘ (kräuseln, ringeln)
und raggrinzare (runzeln).

Parallel sind auch: ‚jdn. an der Nase herumführen‘ mit ‚menare qd. per il naso‘, womit
gemeint ist, <jem. überlisten, täuschen, hintergehen.> Die grammatikalische
Konstruktion ist ident: Verb + Akkusativobjekt + präpositionale Fügung. Anstelle des
Verbs menare <führen, leiten> kann auch prendere <nehmen>, tirare <ziehen> und
portare <tragen, führen> verwendet werden.

Ähnlichkeit
Die deutschsprachige lange Nase wird im Italienischem mit tanto und dem
Teilungsgenitiv di…. wiedergegeben.

fare tanto (un palmo) di naso a qd. jdm. eine lange Nase machen

Das deutsche Synonym hierfür ist jdm. eine Nase drehen.

3.2.4 Ohr – orecchio


Parallelitäten
Gleich ausgedrückt wird in beiden Sprachen, dass jemand <aufmerksam zuhört>:
‚die Ohren aufmachen‘ entspricht der italienischen Wendung ‚aprire gli orecchi‘.

Ähnlich sind die Synonyme:

tendere l’orecchio ‘die Ohren spitzen’, wörtl. das Ohr [an-]


spannen.

32
rizzare l’orecchio ‘die Ohren steifhalten’, wörtl. das Ohr
aufrichten

allungare l’orecchio ‘lange Ohren machen, wörtl.: das Ohr


verlängern

Vorsicht ist geboten bei der Übersetzung von ‚Halt die Ohren steif!‘, eine
umgangssprachliche Aufforderung, die im Italienischen durch ‚coraggio! non lasciarti
abbattere!‘ umschrieben wird. Zum Ausdruck gebracht wird definitionsgemäß nach
Wahrig (1991) <tapfer bleiben, sich nicht unterkriegen lassen.>, die Definition laut
Zingarelli (1991) <ascoltare attentamente>

Ähnlichkeit
Grammatikalisch gleich aufgebaut mit Verb + Subjekt + Dativobjekt ist die Wendung
jmd klingen die Ohren / it. zufolano gli orecchi a qd. Der Unterschied liegt in der
Verwendung eines anderes Verbs: zufolare bedeutet nicht klingen, sondern pfeifen.
(Scherr 1993: 30)

3.2.5 Mund – bocca


Parallelitäten
Sowohl den ‚Mund aufmachen‘ / ‚aprire la bocca‘ <sprechen> als auch das Gegenteil
<schweigen> ‚den Mund zumachen‘/ ‚chiudere la bocca‘ werden im Deutschen und
im Italienischen gleich ausgedrückt.

Die verwendeten Synonyme sind ebenfalls beinahe deckungsgleich:

Tenere la bocca chiusa den Mund halten

Anstelle von chiusa kann auch das Adjektiv cucita treten.

Non aprir bocca Den Mund nicht auftun.

33
Ähnlichkeit
Die deutsche Redewendung Dem Tod sehr nahe sein wird auf italienisch
ausgedrückt mit stare con la bocca sulla bara <wörtl.: sich mit dem Mund auf dem
Sarg befinden>. Das Deutsche hat hierfür die Formulierung mit einem Bein im Grab
stehen, was der Übersetzung avere un piede nella bara <wörtl.: einen Fuß im Sarg
haben> ähnlich ist. (Scherr, 1993: 32)

3.3 Falsche Freunde


Als Falsche Freunde (FF) werden i.d.R. solche Wortpaare aus zwei (oder mehreren)
Sprachen bezeichnet, die trotz formaler Ähnlichkeit unterschiedliche Bedeutungen
aufweisen. Als somatische phraseologische Falsche Freunde sind v.a. Idiome und
Kollokationen zu nennen, wobei das erzeugte Bild des Phrasems, das mentale Bild,
der Hauptverursacher eines möglichen Fehlers ist. Besonders bei Idiomen, dem
Kernbereich der Phraseologie, ist die Rolle des Bildes zentral. Falsche Freunde
werden als Scheinäquivalenzen bezeichnet, wo bei einer formalen Kongruenz bzw.
Teilkongruenz der Komponentenkette die semantische Äquivalenz fehlt (Helbig 2001:
224ff) Kahl (2015: 109) beruft sich in ihrer Definition von Falschen Freunden u.a. auf
den dänischen Sprachwissenschaftler Farø: Formseite und wörtliche Bedeutung
seien in dieser Art der Phraseologismen identisch, allerdings differiere die
phraseologische Bedeutung, was zu Interferenzen führen könne. Hier geht Kahl
konform mit dem Zitat von Doval Reixa (1998, Universität Santiago de Compostela,
Dep. English/German Philology): Falsche Freunde seien „zu zwei Sprachen
gehörende Wörter mit gleichen oder ähnlichen Signifikanten, aber unterschiedlichen
Signifikaten.“ Eine etymologische Verwandtschaft der beiden Formative spielt keine
Rolle, sondern nur, dass sie aus formalen Gründen verwechselt werden können
(Kahl, 2015:108).

Die Frage nach der Entstehung von Falschen Freunden, ihrem Ursprung, kann darin
als begründet angesehen werden, als dass lexikalisch identische Lexeme über
primäre und sekundäre Bedeutungen verfügen. Es gelten also zwei Lesarten: die

34
wörtliche und die phraseologische, die Interpretation erfolgt auf zwei verschiedenen
konzeptuellen Ebenen, wobei die wörtliche Bedeutung erst die phraseologische
Bedeutung evoziere (Mollica und Wilke 2019: 122, berufen sich hier auf
Dobrovol’skij/Piirainen). Die Bildlichkeit eines Idioms trägt zu seiner Motivation bei.

So steht Kopf im Deutschen für 1. den anatomischen obersten Körperteil und 2. für
den Verstand und die Vernunft. Dem deutschen ‚sich den Kopf zerbrechen‘
entspricht das italienische ‘rompersi la testa‘. Es handelt sich hier um eine
metaphorische Wendung, denn der Kopf steht hier metonymisch stellvertretend für
den Sitz des Intellekts, den Verstand. Im Italienischen hat die Wendung einen
weiteren Bedeutungsumfang und bezeichnet ganz allgemein sich am Kopf zu
verletzen. Es handelt sich hier um eine „asymmetrische Polysemie“ (Mollica und
Wilke 2019: 128), sodass in einer Sprache noch zusätzliche Bedeutungen auftreten.
Somit wird hier von ‚partiellen Falschen Freunden‘ gesprochen. Varianten dieses
Idioms sind ‚sich den Hals brechen‘/‚rompersi il collo‘ und ‚sich die Knochen
brechen/‘rompersi le ossa‘.

Semantisch phraseologische Falsche Freunde können gemäß Dobrovol’skij/Piirainen


(zit.n. Mollica und Wilke 2019: 125) aus folgenden Gründen sich entwickeln:

 FF basieren auf unterschiedlichen konzeptuellen Metaphern,

 FF basieren auf unterschiedlichen rich images,6

 FF basieren auf einer Konstituente.

Mollica und Wilke (2019: 126) nennen als Beispiel für konzeptuelle Metaphern zwei
zentrale Modelle:

 das Container-Modell in Verbindung mit dem In/Out-Schema. Der Körper als


Inneres wird durch die Haut vom Äußeren abgegrenzt, wobei die räumliche
Positionierung des Körpers zur Umwelt als eine der ureigensten
Wahrnehmungen vorausgesetzt wird;

6
rich images = Bilder, die auf Metaphern der Basisebene beruhen, (Mollica und Wilke 2019: 137),
wobei Metaphern der Basisebene von konzeptuellen Metaphern (abstraktere Ebene) unterschieden
werden.

35
 emotional intensivity is a temperatur (ebd.: 128), womit gemeint ist, dass der
Körper überhitzt durch die Intensität von Gefühlen wie Angst, Wut, Freude.

Unterschieden wird zwischen zwei semantischen Relationen: der Exklusion


(Phraseologismen haben keine gemeinsame Bedeutung, absolute phraseologische
Falsche Freunde, interlinguale Ebene: Homonyme) und der Inklusion
(Bedeutungsumfang in der einen Sprache ist größer als in der anderen. Das oben
genannte Beispiel sich den Kopf zerbrechen/rompersi la testa verdeutlicht dies.

Das Idiompaar dt. ‚aus der Haut fahren‘ <sich aufregen, wütend werden, die
Beherrschung verlieren> und it. ‚non stare nella pelle‘ <wörtl.: nicht in der Haut
sein/stehen; ‚ungeduldig auf etwas Angenehmes warten‘> wird der Exklusion
zugeordnet, weil sie in der Semantik differieren. Die Idiome beruhen in beiden
Sprachen auf denselben oben erwähnten konzeptuellen Metaphern: die in der
deutschen Wendung ausgedrückte Wut bringt den Körper zum Kochen, die
italienische Wendung drückt heftige Erregung und Freude aus. In beiden Fällen wird
der Körper als Container (Body is a container) interpretiert, wo Gefühle im Inneren
aufgrund ihrer Intensität nach Außen überschwappen (Mollica und Wilke 2019: 126).

Zu der Kategorie der semantischen Relation Inklusion zählen auch die beiden
folgenden lexikalischen Falschen Freunde: Das deutsche blaue Auge <mit einem
blauen Auge davonkommen: weniger Schaden nehmen als erwartet> und das
italienische occhio nero <schwarz> mit der Bedeutung ein Hämatom am Auge zu
haben.

Kulturell motiviert kann als lexikalische Falscher Freund das Sprichwort dt. aus den
Augen, aus dem Sinn im Unterschied zur italienischen Variante mit der Verwendung
des Herzes anstelle des Intellekts it. lontano dagli occhi, lontano dal cuore aufgefasst
werden. Die stereotype Vorstellung vom deutschen Verstandesmenschen und dem
südländischen Gefühlsmenschen wird hier genährt (Mollica und Wilke 2019: 131).

36
37
4 Korpusbezogener Anwendungsbereich

4.1 Kopf

den Kopf verlieren <fig.ugs.> perdere la testa

die Geistesgegenwart verlieren, s. non essere più in grado di controllare le


verwirren und unüberlegt handeln (W) proprie azioni o i propri sentimenti (Z)
Def.dt.) Def.it.

non avere più la testa con sé Syn.it

perdere la ragione Def.it.

andare giù di testa Syn.it

agitarse, confondersi, perdere il


controllo di sé; impazzire (Z) Def.it.

perdere la tramontana <fig., ugs.>, Syn.it

non saper più che fare o che dire,


confondersi, disorientarsi (Z.) Def.it.

perdere il lume degli occhi Syn.it

perdere la bussola Syn.it

perdere le staffe <fig.>, Syn.it

s. über etw. den Kopf zerbrechen rompersi la testa per qc. <fig.>
<fig.>

angestrengt über etw. nachdenken, s. mit scervellarsi su un problema, un


Mühe an etw. zu erinnern suchen (W.) rompicapo e sim. (Z.) Def.it.
Def.dt.

38
s. sein Hirn zermartern (W.) Syn.dt. lambiccarsi (stillarsi) il cervello per
qc. Syn.it

den Kopf hoch tragen <fig.> andare (camminare) a (con la) testa
alta <fig.>

stolz sein (W.) Def.dt. avere orgogliosa coscienza della propria


onestà, del proprio merito (Z.) Def.it.

Gegenteil: abbassare (chinare, piegare) la testa


gesenkten Hauptes dastehen <fig.> (il capo) <fig.>

kleinlaut, schuldbewußt dastehen (W.) Def.dt. accettare un’umiliazione, un’imposizione (Z.)


Def.it.

trarsi di testa (capo) Syn.it

s. unterwerfen, Def.dt sottomettersi, rendere ossequio a qd. (F.)


Def.it.

abbassare gli orecchi

stare a orecchi bassi

sich demütigen lassen Def.dt. ähnlich:


lasciarsi schiacciare le noci in testa

sopportare qualunque cattiveria o angheria


senza ribellarsi (F.: 207) Def.it

lasciarsi cavare gli occhi di testa Syn.it

lasciarsi cacare in testa Syn.it

etwas bis an den Hals satt haben <fig., averne fin sopra la testa <fig.>
ugs.>

ganz und gar satthaben (W.) Def.dt. non riuscire più a sopportare qd. o qc.

39
(Z.) Def.it.

s. etw. aus dem Kopf schlagen <fig.> levarsi (togliersi) dalla testa qc.

etw. (Plan, Hoffnung, Vorhaben) aufgeben, dimenticare qc., ricredersi su qc.,


auf etw. verzichten (W.) Def.dt. rinunciare a un proponimento (Z.) Def.it.

levarsi una cosa di testa Syn.it

non pensarci più Def.it.

4.2 Auge

die Augen auf jdn. (etw.) richten‘ volgere (drizarre) gli occhi verso qd.
(qc.)

jdn. (etw.) ansehen (W.) Def.dt. guardare qd.(qc.), dirigere lo sguardo


verso qd.(qc.) (Z.) Def.it.

piegare l’occhio su qc. Syn.it

immergere gli occhi in qc. Syn.it

jdn. (etw.) mit scheelen Augen ansehen guardare qd. con occhio (gli occhi) storto (-i)

auf jden. (etw.) neidisch sein (W.) Def.dt. provare rancore, malevolenza e cose
simili nei confronti di qd, (F.: 238) Def.it.

guardare qd. con l’ochhio di sinistro


Syn.it

guardare qd. di mal occhio Syn.it

senza benevolenza Def.it.

jds. Augentrost sein <fig., poet.> essere l’occhio destro di qd. <fig.>

40
jds. Liebstes, seine ganze, einzige Freude la persona che si ama di più (Z.) Def.it.
Def.dt.

jds. Augenstern sein <fig.> Syn.dt. essere la luce (il lume) degli occhi
Syn.it

jds. ganze Freude sein Def.dt

4.3 Nase

die Nase [über jdn. (etw.) rümpfen] [s-] torcere (raggrinzare, arricciare) il
<fig.ugs.> naso [per qd. (qc.)]

jdn. nicht [mehr] mögen, mit etw. auf per esprimere noia e sdegno, provare
überhebliche Weise unzufrieden sein, sich contrarietà (Z) Def.it.
über etw. erhaben fühlen (W) Def.dt.

jdn. an der Nase herumführen Menare (prendere, tirare, portare) qd.


<fig.ugs.> per il naso

Jdn. nach eigenem Vergnügen lenken, seinen illudere qd., far credere cose non vere a qd.,
Scherz mit ihm treiben, ihm absichtlich falsche prendere in giro qd., raggiare, ingannare qd.
Hoffnungen machen (R.), jdn überlisten, mit (Z.) Def.it.
Worten hinhalten (W.)

Gemäß R. wird die Redensart mehrfach in


Goethes Faust verwendet. Das Bild stammt lt.
R. von den Tierbändigern, die ihren Opfern
Ringe durch die Nase ziehen.

jdm. eine [lange] Nase machen fare tanto (un palmo) di naso a qd.
<fig.ugs.> <ugs.>

ihn schadenfroh auslachen, verspotten, sich sventolare la palma aperta con il pollice

41
über ihn lustig machen, indem man den appoggiato al naso per esprimere
Daumen an die Nase hält u. mit gespreizten scherno e derisione (Z.) Def.it.
Fingern auf ihn zeigt (W.) Def.dt.

jdm. eine Nase drehen <fig.ugs.> Syn.dt. fare marameo a qd. Syn.it

ihn schadenfroh auslachen, verspotten


(W.) Def.dt.

4.4 Ohr

die Ohren aufsperren (aufmachen) <fig. aprire [bene] gli orecchi‘


ugs.>

aufmerksam zuhören (W) Def.dt. ascoltare con particolare attenzione (F.:


76) Def.it.

die Ohren spitzen Syn.dt. tendere l’orecchio Syn.it


.

aufmerksam od. angestrengt zuhören, Prestare attenzione a un discorso (Z.) Def.it.


lauschen (W.), genau auf etw. horchen,
achtgeben. (R.) Def.dt

die Ohren steifhalten Syn.dt. [d-] rizzare l’orecchio (gli orecchi) Syn.it

wach sein (R.) Def.dt. Ascoltare attentamente, fare attenzione (Z.)


Def.it.

lange Ohren machen Syn.dt allungare l’orecchio (gli orecchi) Syn.it

angespannt, neugierig zuhören (W.); ascoltare attentamente (Z) Def.it


schenll davonlaufen wie ein Angsthase,
aber auch: etw. erlauschen wollen (R.)

42
Def.dt.

jdm. klingen die Ohren sentirsi fischiare (cornare <antico>) gli


orecchi (le orecchie, l’orecchio manco,
l’orecchio sinistro)

glauben, dass Abwesende v. jdm reden il comportamento dei malcapitati che


(R.) Def.dt. costituiscono l’oggetto dello sparlare (F.:
242) Def.it

zufolano gli orecchi a qd. Syn.it

4.5 Mund

den Mund aufmachen (auftun) aprire la bocca

etw.sagen (R.) Def.dt. parlare (F.: 64)

menare la boca Syn.it

den Mund zumachen chiudere la bocca Syn.it

schweigen Def.dt smettere di parlare (Z) Def.it.

den Mund halten <fig.> tenere la bocca chiusa (cucita, netta)


Syn.it

still sein, schweigen (R.) Def.dt tacere ostinatamente (Z.) Def.it.

den Mund nicht auftun Syn.dt non aprir bocca Syn.it

schweigsam, nicht redselig sein (R.) kein Non dire niente (Z.), tacere (F. :73) Def.it.
Wort sagen Def.dt

mit einem Bein im Grab stehen <fig.> stare con la bocca sulla bara

43
dem Tod sehr nah sein (W.) Def.dt. stare in grave e imminente pericolo di
vita (F.: 95) Def.it

stare con la morte in bocca Syn.it

44
5 Fazit

Um eine aussagekräftige Auswertung der angebotenen phraseologischen


Somatismen vornehmen zu können, bedarf es eines umfangreichen Datenkorpus.
Da diese Arbeit nur einen kurzen Abriss zu einem sehr gut erforschten Gebiet der
Linguistik bildet, würde hier an Ort eine quantitative Analyse wenig Aussagekraft
besitzen. Deshalb dienen v.a. (Scherr 1993) sowie (Kahl 2015) als Basis für die
nachstehenden Folgerungen. Eine empirische Untersuchung bedarf immer zugrunde
liegender Analysekriterien. Die jeweilige Zuordnung der Somatismen zu den
diskutierten Kategorien und Klassifizierungen kann immer nur in Anlehnung an die
linguistische Forschung vonstatten gehen, wobei sich auch die Vielfältigkeit der
unterschiedlichen Ansätze und Herangehensweise äußert. Gerade im Bereich der
Phraseologie treten Begriffsbestimmungen als sehr divergierend auf. Die
Klassifizierungen können im engeren und weiteren Sinne vorgenommen werden, der
Begriff der Äquivalenz stellt ein Problemfeld dar, dass grundlegend auf einer
Interpretation von Ähnlichkeit basiert. Wittgensteins Begriff der Familienähnlichkeit
wurde zwar als philosophisches Konstrukt bei Kahl (2015: 68ff) diskutiert und stellt so
eine mögliche Handhabe zur Abgrenzung dar.

Kahl (2015) hat in ihrer Dissertation 1668 deutsche und 1575 italienische
Somatismen ausgewertet. Sie kommt anders als die von ihr referenzierten Linguisten
Burger (2007: 79), Fleischer (1997: 179, zit. n. Kahl 2015: 167), Palm (2009: 50, zit.
n. ebda.), die jenen Phraseologien, die Emotionen ausdrücken, den Vorrang erteilen,
zu dem Ergebnis, dass die Gliedmaßen die größte Gruppe ausmachen. Der Kopf
und seine Bestandteile stellen im Deutschen sowie im Italienischen die zweitgrößte
Gruppe dar (Kahl 2015: 171). Die Sinnesorgane (Augen, Nase, Ohren, Haut, Zunge)
sind elementare Rezeptoren für die externe Umwelt.

Der Bedeutungsumfang von Kopf reicht vom Kopf als Verstand, als Sitz des Intellekts
und der Vernunft bis hin zum Substitut (pars pro toto) für den ganzen Körper. Der
Mund steht für das Sprechen und Essen; mit Phrasemen, die das Auge als
dominanten Ausdruck beinhalten, wird nicht nur das Sehen, sondern auch Wissen

45
und der Spiegel der Seele ausgedrückt. Augen drücken auch etwas sehr Kostbares
aus, wie beispielsweise essere l’occhio destro di qd. <jds, Augentrost sein>. Die hier
ausgewählten Phraseme mit dem Substantiv Nase greifen das schelmische
Pinocchio-Moment dieses weitest vorstehenden Körperteils auf. Dass beim Lügen
die Nase juckt, wurde von Wissenschaftlern bestätigt (Schleich 2007), während die
Ohren vorwiegend für Aufmerksamkeit stehen.

Die kontrastive Analyse der deutschen und der italienischen somatischen Phraseme,
beschränkt auf den Kopf, will einen Einblick geben, wie einerseits die
Grundbedeutung eines Wortes sich im Kontext der phraseologischen Wendung
wandelt und oftmals nur noch figurativ zu verstehen ist. Die Zahl der Parallelitäten
und Ähnlichkeiten sind erwartungsgemäß bei beiden Sprachen sehr hoch. Kahl
(2015: 182) konnte anhand ihres Korpus belegen, dass im Deutschen mehr
Somatismen mit italienischen Entsprechungen belegt sind als ohne solche. Im
Italienischen existieren hingegen mehr Somatismen ohne Entsprechung.

Teiläquivalenzen treten am häufigsten auf, hier überwiegt gemäß Kahl (2015: 126 ff),
die eine Abstufung von sieben Subklassen vornimmt, der von ihr bezeichnete
Äquivalenztyp 2 c, das ist jene Gruppe, die Phraseologismen umfasst mit
unterschiedlicher syntaktischer Struktur sowie differierender wörtlicher Bedeutung
(Kahl, 2015: 127).

Am häufigsten sind somatische Phraseme mit Kopf, gefolgt von Auge, Herz, Ohr im
Deutschen, während im Italienischen das Auge (occhio) an führender Position liegt,
dicht gefolgt von Kopf (testa) und zuletzt Herz (cuore), Mund (bocca) (Kahl, 2015:
134ff).

46
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48
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