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Allgemeines Steuerrecht

Wintersemester 2017/2018

Univ.-Prof. Dr. Roman Seer


Lehrstuhl für Steuerrecht
Ruhr-Universität Bochum
Teilhabe des Steuerstaates am privaten
Wirtschaften
(T/L, § 7 Rz. 19-43)

Teilhabe des Staates

am erwirtschafteten am Vermögens-
am Konsum
Vermögenszuwachs bestand

USt bes. Verkehr-


GrSt steuern
ESt KSt
ErbSt bes. Verbrauch- und
GewSt SchenkSt VSt Aufwandsteuern
2
Steueraufkommen (in Milliarden €)
Steuerart 1990 2000 2015 2016
Lohnsteuer 92,6 135,7 178,9 184,8
Abgeltungsteuer 5,5 20,8 8,3 5,9
veranlagte ESt 18,7 12,2 48,6 53,8
Soli.-Zuschlag - 11,8 15,9 16,9
Körperschaftsteuer 17 23,6 19,6 27,4
USt 43,3 107,1 159,0 165,9
Einfuhr-USt 35,8 33,7 50,9 51,1
EnergieSt 18,7 37,8 39,6 40,1
StromSt - 3,4 6,6 6,6
TabakSt 9,4 11,5 14,9 14,2
Alkohol-/KaffeeSt 4,5 4,6 4,3 4,2
Rennwett- 1 1,8 1,7 1,8
/LotterieSt
VersSt 2,3 7,2 12,4 12,8

3
Steueraufkommen

Steuerart 1990 2000 2015 2016


GewSt 19,8 27 45,7 50,1
GrSt 4,5 8,8 13,2 13,7
GrESt 2,1 5,2 11,2 12,4
Kfz-Steuer 4,3 7 8,8 9,0
VSt 3,2 0,4 - -
ErbSt 1,5 3 6,3 7,0
Zölle/sonst. 5,7 4,7 5,2 5,1
Gesamt 289,9 467,3 673,3 705,8

4
Rechtsordnung

Privatrecht Öffentliches Recht

Verwaltungsrecht
Wirtschaftlicher
Sachverhalt
• Einkommen
• Umsatz
Eingriffs- Leistungs-
• Vermögen verwaltung verwaltung

Steuerrecht Transferrecht

Einwirkung 5
Einordnung des Allgemeinen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 49-77)

Europäisches
Grundgesetz Unionsrecht

Allgemeines
Gesetz über die Steuerschuldrecht Finanzgerichts-
Finanzverwaltung (Allgemeines Recht der ordnung
(Behördenorganisation) Steuerschuldverhältnisse) (gerichtlicher
Rechtsschutz)

Abgabenordnung
6
Einordnung des Besonderen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 78-93)

Europäisches
Grundgesetz Unionsrecht

Steuern auf das Einkommen Steuern auf die


und Vermögen: Verwendung
von Einkommen und
EStG, Kirchensteuergesetze, Vermögen:
KStG, GewStG,
sowie bewertungs-
UStG, Verkehr-/
gesetzabhängige Steuerarten:
Verbrauchsteuergesetze
ErbStG, GrStG (VStG)
7
Einordnung des Besonderen Steuerrechts
(T/L, § 1 Rz. 78-93)

Sondergebiete des Steuerrechts

Steuersubven-
Bilanz- und Internationales
tionsrecht
Unternehmens- Steuerrecht:
Gemeinnützigkeits- Steuerrecht
und AStG, DBA
Spendenrecht: (Besonderes
Steuerschuldrecht
§§ 51-68 AO, der Unternehmen)
Fördergesetze
(Beachte: Ehrenamtsstärkungsgesetz UmwStG
vom 28.3.13, BGBl. I 2013, 556)

8
Normenhierarchie (T/L, § 5 Rz.1-40)
Unionsrecht
Verfassung • primäres (EUV)
= Grundgesetz • sekundäres (EU-VO,
EU-Richtlinie)

Einfaches
Parlamentsgesetz

Allgemeine
Einzelsteuergesetze
Steuergesetze
(z.B. EStG, UStG)
(z.B. AO, BewG)
9
Normenhierarchie
Steuergesetze im formellen Sinn
(= Parlamentsgesetze)

RVo = Art. 80 GG, z.B. Autonome Satzungen


EStDV, UStDV, KStDV z.B. GewSt/GrdSt-Hebesatz,
HundeSt, VergnügungsSt

Steuergesetze im materiellen Sinn (§ 4 AO)

10
Normenhierarchie

Keine Gesetze i.S.d. § 4 AO sind


 Verwaltungsvorschriften
(Steuerrichtlinien, Erlasse,
Verfügungen, BMF-Schreiben)
 Rechtsprechung

Grundsatz: Keine Bindung der Gerichte


11
Verwaltungsvorschriften
der Finanzverwaltung
(T/L, §§ 5 Rz. 28 ff., 21 Rz. 35 ff.)
Richtlinien
= Verwaltungsvorschriften der Bundesregierung mit Zustimmung des
Bundesrates (Art. 108 VII GG)

Erlasse
= Verwaltungsvorschriften des Bundesministers der Finanzen oder der
Finanzminister der Länder gegenüber ihren jeweils nachgeordneten Behörden

Schreiben
= Verwaltungsvorschriften des Bundesministers der Finanzen im Bereich der
Auftragsverwaltung seitens der Länder (Art. 108 III GG)

Verfügung
= Verwaltungsvorschriften der Oberfinanzdirektion an die nachgeordneten
Behörden (Finanzämter, Hauptzollämter) des jeweiligen OFD-Bezirks

12
Vereinheitlichung des Gesetzesvollzuges
durch Verwaltungsvorschriften

• ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften

• norminterpretierende Verwaltungsvorschriften

• normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften

13
Öffentliche Abgaben (allgemein)

• Geldleistung

• von
einem öffentlich-rechtlichen
Gemeinwesen auferlegt

• zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben

14
Öffentlichen Abgaben (T/L, § 2 Rz. 9-31)

Steuern Vorzugslasten
(Gebühren u. Beiträge)
• ohne konkrete
Gegenleistung • Entgelte für eine Leistung
(voraussetzungslos) (Verwaltungspreis)
• Äquivalenzprinzip

Streitig: Handelt es sich bei dem Rundfunkbeitrag um eine unzulässige Steuer?


(dazu: Korioth/Koemm, DStR 2013, 833; Wernsmann, ZG 2015, 79; Kratzmann DÖV 2015,
743; verneint von der Rspr.: s. BVerwG v. 18.3.2016 – 6 C 6/15, BVerwGE 154, 275; zur
Zeit 70 Verfassungsbeschwerden vor BVerfG (1 BvR 2032/15 u.a.) anhängig
15
Öffentlichen Abgaben (Abgrenzung II)

Sozialversiche- Sonderabgaben
rungsbeiträge • Keine konkrete Gegenleistung
• konkrete • aber: gruppennützige
Verwendung
Gegenleistung ► Voraussetzungen:
• aber: Solidarprinzip = ► Homogenität der Gruppe
einkommensabhän- ►Gruppenverantwortung für die
gige Bemessung zu finanzierende Aufgabe
(Parafisci) ►jährliche Überprüfung
(Problem der Budgetflucht)

16
Steuerbegriff (§ 3 I AO)
• Geldleistung

• von öffentlich-rechtlichem Gemeinwesen auferlegt

• zur Erzielung von Einnahmen (Fiskalzweck muss


mindestens Sekundärzweck sein, § 3 I 2 AO)

• zur Deckung des allgemeinen staatlichen


Finanzbedarfs (= allgemeiner Haushalt)

 allen auferlegt, bei denen der Tatbestand erfüllt ist,


an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft
(= Art. 3 I, 20 III GG, §§ 38, 85 AO)
17
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 20 III GG), s. T/L § 3 Rz. 230 ff.

Vorrang des Vorbehalt des


Gesetzes Gesetzes

Abweichungs- Anwendungs- Eingriff in den bei normativen


verbot gebot Schutzbereich von Fundamental-
Grundrechten entscheidungen

• Wesentlichkeitstheorie
• Demokratieprinzip
18
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung,
(Art. 20 III GG), s. T/L, § 3 Rz. 230 ff.

Einfachgesetzliche Verortung:
§ 3 AO: Steuerbegriff

§ 38 AO: Entstehung des Anspruchs


aus dem Steuerschuldverhältnis

§ 85 AO: Gesetzmäßige Festsetzung


und Erhebung der Steuer

§ 88 II 1 AO n.F.: Gesetzmäßigkeit i.R.


des Untersuchungsgrundsatzes 19
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung,
(Art. 20 III GG), s. T/L, § 3 Rz. 230 ff.

BFH v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl II 2017, 393


„Sanierungserlass-Beschluss“
Aus Vorrang des Gesetzes gem. Art. 20 III GG i.V.m.
§ 85 I AO ergibt sich Verstoß der Verwaltungsmaßnahme
gegen entgegenstehende gesetzliche Vorschrift
Abweichende Steuerfestsetzung durch pflichtgemäßes
Ermessen (§ 5 AO): Ermessensentscheidung
gesetzesakzessorisch und gesetzesgeleitet
(mutmaßlicher Wille des Gesetzgebers)
Ges. v. 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074: §§ 3a
EStG n.F., 7b GewStG n.F. 20
Steuergesetzgebungskompetenz

Kernbrennstoffsteuer-Urteil des BVerfG


Beschluss vom 13. April 2017 – 2 BvL 6/13
• Typusbegriffe für die in Art. 105 und Art. 106 GG
aufgeführten Steuern und Steuerarten
innerhalb dieser haben Bund und Länder ein
Steuererfindungsrecht
• abschließende Zuweisung von Gesetzgebungs-
kompetenzen an Bund und Länder (Art. 105, 106 GG)
allgemeines Steuererfindungsrecht
• Kernbrennstoffsteuer ist keine Verbrauchsteuer
i.S.d. Art. 106 I Nr. 2 GG!
Nichtigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes
21
Gleichmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 3 GG), s. T/L § 3 Rz. 110 ff.

Rechtsanwendung Rechtssetzung
(„Gleichheit vor dem (Art. 1 III, 3 I GG)
Gesetz“, Art. 3 I GG)

verpflichtet

• Exekutive Legislative
• Judikative

22
Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung

Größere Rechtfertigungsdichte, wenn sich die


Ungleichbehandlung nachteilig auf grundrechtlich
geschützte Freiheiten auswirkt:

um so stärker sich die Ungleichbehandlung auf die Ausübung


grundrechtlicher Freiheiten (z.B. Art. 6 I GG) auswirkt, desto
strengere Prüfung (Bsp.: BVerfG v. 6.3.2002, BVerfGE 105, 73 ff.;
BVerfG v. 21.6.2006, BVerfGE 116, 164 ff.; BVerfG v. 21.7.2010,
BVerfGE 126, 400 ff.)

Bsp.: BVerfG-Rspr. zur Anwendung des Ehegattensplittings auch für


eingetragene Lebenspartner: BVerfG v. 7.5.2013, BVerfGE 133, 377 ff.;
dazu dann ÄnderungsG v. 15.7.2013, BGBl. I 2013, 2397.
23
Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung

Sog. neue Formel =


Verhältnismäßigkeitsprüfung:
Am Zweck der Maßnahme ist das Ausmaß der
unterschiedlichen Behandlung der Vergleichsgruppen zu
messen

Personenbezogene Ungleichbehandlung erfordert


größere Rechtfertigungsdichte als
sachverhaltensbezogene Ungleichbehandlung:
großzügigere Prüfung, wenn sich der Betroffene auf die Regelung
einstellen und nachteiligen Auswirkungen durch eigenes Verhalten
begegnen kann (s. BVerfG v. 6.3.2002, BVerfGE 105, 73, 110 ff. –
Rentenbesteuerung; BVerfG v. 21.7.2010, BVerfGE 126, 400 ff.;
24
133, 377 ff. – eingetr. Lebenspartner)
Gebot der Systemkonsequenz u. Folgerichtigkeit – Art. 3 I GG

BVerfG: Freiheit des Gesetzgebers bei der Auswahl der


Steuerquelle

Nach Regelung des Ausgangstatbestandes: Folgerichtige


Umsetzung der getroffenen Belastungsentscheidung i.S.d.
Belastungsgleichheit

Konsequente Fortführung des Belastungsgrundes in der


Bemessungsgrundlage des Einzelsteuergesetzes

Gebot der realitätsgerechten, folgerichtigen Umsetzung des


Belastungsgrundes in der Bemessungsgrundlage des
Einzelsteuergesetzes: BVerfGE 93, 121 (EW, VSt); 93, 165; 117, 1; 138, 136
(ErbSt); 99, 88 (Verlustverrechnung); 105, 73 (Spekulationsgewinne); 122,
210 (Pendlerpauschale); 126, 268 (Arbeitszimmer); BVerfGE 139, 285 (GrESt- 25
Ersatzbemessungsgrundlage); BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11 (§ 8c KStG)
Gleichmäßigkeit der Besteuerung
(Art. 3 GG), s. T/L § 3 Rz. 110 ff.

Gleichheit der Gleichheit bei deren


normativen Durchsetzung
Steuerpflicht
BVerfGE 84, 239; 110, 94:
Strukturelles Vollzugsdefizit wirkt auf die Norm zurück

Legislative

• Deklarationsprinzip bedingt Verifikationsprinzip


• Ausgestaltung im Sinne der Folgerichtigkeit
26
Zielkonflikt einer
Massenfallverwaltung

dauerhaft bei ca. 35 Mio. Steuerbescheiden p.a.

Verwirklichung der Verwirklichung der


Gesetzmäßigkeit in Gesetzmäßigkeit im
jedem Einzelfall Gesamtvollzug
(Summe aller Einzelfälle)

Prof. Dr. Roman Seer RUB


27
BVerfG v. 9.3.2004 (BVerfGE
110, 94) zum Massenfallrecht

„Steuererhebung und Kontrollinstrumentarien


haben der materiellen Steuernorm so zu ent-
sprechen, dass deren gleichheitsgerechter Voll-
zug im Massenverfahren der Veranlagung möglich
ist, ohne unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge
der Steuerpflichtigen oder übermäßigen Ermitt-
lungsaufwand zu fordern.“

→ Erfordernis der Vollziehbarkeit im Massenver-


fahren bei schonendem Ausgleich zwischen
Verwaltungskapazitäten und Freiheitsgrund-
rechten der Bürger
Prof. Dr. Roman Seer RUB
28
Reziprozität des Massenfallrechts
Aber, es gilt auch umgekehrt:
Die materielle Steuernorm muss ihrerseits so
ausgestaltet sein, dass ihr gleichheitsgerechter Vollzug
im Massenverfahren der Veranlagung möglich ist, ohne
unverhältnismäßige Mitwirkungsbeiträge der Stpfl.
oder übermäßigen Ermittlungsaufwand der Finanzbe-
hörden zu fordern.

→ Verbot symbolischer Gesetzgebung


→ kein bloßes „paper law“

Prof. Dr. Roman Seer RUB


29
Rechtsstaatliches Dreieck der
Besteuerung

Gesetzmäßigkeit Gleichmäßigkeit
Vorrang/Vorbehalt Rechtsanwendungs-
des Gesetzes gleichheit
Besteuerung:
Ermittlungs-
maßnahmen

Schutz der
Freiheitsgrundrechte
Prof. Dr. Roman Seer RUB
30
Industrieansiedlungsvereinbarung (Fall 1):

Ein Automobilunternehmen will in den neuen Bundesländern


eine Fabrikationsstätte errichten. Es trifft dazu mit der in
einem struktur-schwachen Gebiet belegenen Gemeinde B
eine sog. Industrieansiedlungsvereinbarung. Darin ver-
spricht die Gemeinde B dem Unternehmen, geeignete
Grundstücke zu erschließen, die bauplanungsrechtlichen
Voraussetzungen zu schaffen und für die ersten fünf Jahre
auf die Festsetzung von Grund- und Gewerbesteuer zu
verzichten. Als Gegenleistung sagt das Unternehmen zu,
eine Produktionsstätte mit 500 Arbeitsplätzen aufzubauen.

Literatur
BVerwGE 8, 329; 48, 166; BFH BStBl. II 1970, 696. 31
Kinderlasten (Fall 2):
Die X-Partei möchte den Abzug eines Kinderfreibetrages
vom Einkommen bei der Einkommensteuer abschaffen. Zur
Begründung führt sie an, dass aufgrund des progressiven
Tarifs gutverdienende Eltern privilegiert würden.

Ist die Argumentation verfassungsrechtlich haltbar?

Literatur
BVerfGE 61, 319 ff.; 66, 214 ff.; 82, 60 ff.; 99, 216 ff., 112, 268 ff.
J. Lang, StuW 1990, 331; Seer/Wendt, NJW 2000, 1904.

32
Vorsorgeaufwendungen (Fall 3):
Der sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer N zahlt die
Höchstbeträge an Beiträgen in die gesetzliche
Sozialversicherung, weil er die sozialversicherungs-
rechtliche Beitragsbemessungsgrenze überschreitet. Nach
§10 Abs.1 Nr. 2, 3 EStG a.F. waren aber nur ein Teilbetrag
seines Arbeitnehmer-Anteils als Sonderausgaben bei der
Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer abzugs-
fähig. War dies verfassungsrechtlich haltbar?
Literatur
BVerfG v. 13.2.2008 – 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125; Grün, DStR 2009, 1457;
Risthaus, DStZ 2009, 669.
BVerfG v. 6.3.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; BFH v. 1.2.2006 – X B
166/05, BStBl. II 2006, 420; Wesselbaum-Neugebauer, FR 2007, 683.
33
Spendenabzug (Fall 4):

A und B spenden an das Deutsche Rote Kreuz jeweils 1.000


€ zur Unterstützung der Elbeflutopfer. Beide machen die
Spende als Sonderausgaben nach § 10b EStG geltend. A
(zu versteuerndes Einkommen = 20.000 €) erhält dadurch
eine Steuerersparnis von ca. 300 €, B (zu versteuerndes
Einkommen = 200.000 €) eine Steuerersparnis von ca. 500
€.

A fragt, warum seine Spende dem Staat 200 € „weniger wert


sein darf?“

Literatur
Seer, DStJG Bd. 26 (2003), 11, 40 ff.; Geserich, DStJG Bd. 26 (2003), 245 ff.
34
Fahrten zwischen Wohnung u.
Arbeitsstätte (Fall 5):

A ist Arbeitnehmer. Er fährt von seinem 30 km entfernten


Wohnort arbeitstäglich mit der Deutschen Bahn AG zu
den Betrieb des Arbeitgebers. Nach § 9 Abs. 2 EStG
2007 waren erst ab dem 21. Entfernungskilometer seine
Aufwendungen mit einer Pauschale von 0,30 € „wie
Werbungskosten“ abzugsfähig.

Verstieß diese Regelung gegen Art. 3 I GG?


Literatur
BVerfGE 122, 210; Tipke, JZ 2009, 533; Drüen, JZ 2010, 91;
Morgenthaler/Frizen, JZ 2010, 287.
35
Schutz der Freiheitsgrundrechte
(T/L, § 3 Rz. 180 ff.)

Allgemeine Handlungsfreiheit
(Art. 2 I GG)

vermögensrechtliche
Ausprägungen

Eigentümerfreiheit Berufsfreiheit
(Art. 14 I GG) (Art. 12 I GG)

36
Schutz Ehe und Familie
(T/L, § 3 Rz. 162-170)

Schutz von Ehe und Familie


(Art. 6 I GG)

Abwehrrecht Leistungsrecht Institutsgarantie

Diskriminierungs- Fördergebot
verbot
BVerfGE 133, 377: Art. 6 I GG gebietet nicht die zwingende (steuerliche) Besserstellung der Ehe im
Vergleich zu anderen Lebensführungsmodellen.
37
Schutz des Existenzmininums – BVerfGE 87, 153,
169 ff. – absoluter Mindestschutz

Prinzip freiheitsschonender Besteuerung

1. Dem der Einkommensteuer unterworfenen Steuerpflichtigen muss nach


Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel
verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und -
unter Berücksichtigung von Art. 6 I GG - desjenigen seiner Familie bedarf
(Existenzminimum).

2. Der Steuergesetzgeber muss dem Einkommensbezieher von seinen


Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur
Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln
zur Verfügung stellt (Gebot der Abstimmung mit der Sozialhilfe).

38
Sog. Halbteilungsgrundsatz in BVerfGE 93, 121,
135 ff., 93, 165, 172 ff. – EW-Beschlüsse (I)

1. Die Gesamtbelastung durch eine Besteuerung des Vermögens-


erwerbs, des Vermögensbestandes und der Vermögensver-
wendung ist vom Gesetzgeber so aufeinander abzustimmen, dass
dem Steuerpflichtigen die Privatnützigkeit des Erworbenen und
die Verfügungsbefugnis über geschaffene vermögenswerte Rechts-
positionen jedenfalls im Kern erhalten bleiben.

2. Eine Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, dass sie den


Vermögensstamm (Substanz) unberührt lässt und aus den
üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen (den sog.
Sollerträgen) bezahlt werden kann.

39
Sog. Halbteilungsgrundsatz in BVerfGE 93, 121,
135 ff., 93, 165, 172 ff. – EW-Beschlüsse (II)

3. Ungeachtet des Bestandsschutzes nimmt auch der Vermögensertrag


am Schutz der vermögenswerten Rechtspositionen als Grundlage
individueller Freiheit teil. Die steuerliche Gesamtbelastung des
Sollertrages muss bei typisierender Betrachtung von Einnahmen,
abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe
einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand
verbleiben (sog. Halbteilungsgrundsatz).

4. Einen besonderen Schutz genießt das sog. persönliche u. familiäre


Gebrauchsvermögen, das der persönlichen Lebensführung des
Steuerpflichtigen und seiner Familie dient. Die wirtschaftliche
Grundlage persönlicher Lebensführung hat der Gesetzgeber gegen
eine Vermögensbesteuerung abzuschirmen (Gebrauchsvermögen
als „Vermögensexistenzminimum“). 40
BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE
115, 97 ff. (I)

1. Den Ausführungen im Beschluss vom 22.6.1995 lässt sich keine Belastungs-


obergrenze entnehmen, die unabhängig von der dort allein streitgegenständlichen
Steuerart - der Vermögensteuer - Geltung beanspruchen könnte und auf andere
Steuerarten - wie die Einkommen- und Gewerbesteuer - übertragbar wäre.

2. Der Eigentumsgarantie kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu,


dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen
Bereich zu sichern und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung des
Lebens zu ermöglichen. Der Schutz betrifft grundsätzlich alle
vermögenswerten Rechte, die dem Berechtigten von der Rechtsordnung in
der Weise zugeordnet sind, dass dieser die damit verbundenen Befugnisse
nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen
ausüben darf (vgl. BVerfGE 112, 93, 107, m.w.N.). Damit schützt die
Eigentumsgarantie nicht nur dingliche oder sonstige gegenüber jedermann
wirkende Rechtspositionen, sondern auch schuldrechtliche Ansprüche (vgl.
BVerfGE 83, 201, 208, m.w.N.). Art. 14 Abs. 1 GG gewährleistet das Recht, die
geschützten vermögenswerten Rechte innezuhaben, zu nutzen, zu verwalten 41
und über sie zu verfügen.
BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE
115, 97 ff. (II)

3. Die steuerlichen Schrankenbestimmungen des Eigentums unterliegen wie ande-


re Schrankenziehungen den allgemeinen Eingriffsbegrenzungen. Besondere
Bedeutung kommt dabei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu mit seinen
Anforderungen an ein hinreichendes Maß an Rationalität (Eignung und Erforderlich-
keit der Beeinträchtigung) und an Abgewogenheit beim Ausgleich zwischen den
beteiligten individuellen Belangen und denen der Allgemeinheit. Bei der Eigentums-
garantie ist diese Abwägung neben dem Gewährleistungsgehalt des
Art. 14 Abs. 1 GG wesentlich auch durch die Leitlinien des Art. 14 Abs. 2 GG
geprägt. Danach ist zwar die grundsätzliche Privatnützigkeit der vermögenswerten
Rechte (individuelle Belange) geschützt. Ebenso aber gilt: Eigentum verpflichtet.
Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Für Steuereingriffe
in vermögenswerte Rechtspositionen folgt daraus, dass der Nutzen einer ver-
mögenswerten Rechtsposition einerseits für die steuerliche Gemeinlast zugänglich
ist. Andererseits muss dem Berechtigten ein privater Nutzen bleiben (vgl. BVerfG
v. 22.6.1995, BVerfGE 93, 121, 138).

42
Übermaßverbot (I)

Übermaßverbot = Schranken-Schranke für


Eingriffe in Freiheitsgrundrechte/
Rechtsstaatsprinzip
(T/L, § 3 Rz. 180-197, § 21 Rz. 8, 193 f.)

Merkmale:

1. Geeignetheit
= Verbot solcher Maßnahmen, die im Hinblick auf das verfolgte Ziel überhaupt
keine Wirkungen entfalten oder dessen Erreichen sogar erschweren

entscheidend: Ex-ante-Sicht des Gesetzgebers/der Verwaltung

43
Übermaßverbot (II)

2. Erforderlichkeit (Grundsatz des mildesten Mittels)

= Das verfolgte Ziel kann nicht auch durch ein anderes, gleich wirksames
Mittel erreicht werden, welches das betroffene Grundrecht nicht oder
weniger schwer einschränkt

3. Proportionalität (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn)


- althergebrachtes Bild: "nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen";
- heute: Abwägungsprinzip zwischen Individualinteresse und
öffentlichem Interesse
Beachte:
Gesetzgeber/Verwaltung genießt Einschätzungsprärogative, deshalb reduziert
sich die Ex-post-Kontrolle auf eine Evidenzkontrolle
44
Recht auf informationelle
Selbstbestimmung

Allgemeines Persönlichkeitsrecht
(Art. 1 I i.V.m. Art. 2 I GG)

Schutz der informationellen Selbstbestimmung


(BVerfGE 65, 1 ff. [sog. Volkszählungsurteil]; 113, 29, 45 f.; 115,
166, 188; 118, 168, 184 f.)

Schutz des Steuergeheimnisses (§ 30 AO)


dazu BVerfGE 67, 100 (142 ff.), T/L, § 21 Rz. 28 f.

45
Durchbrechungen des
Steuergeheimnisses

Schutzbereich (§ 30 II AO) =
Verhältnisse eines anderen, fremde Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse
Eingriff: Offenbaren oder Verwerten durch Amtsträger (§ 7 AO),
strafbewehrt, s. § 355 StGB

Offenbarungsbefugnis = Rechtfertigungskatalog des § 30 IV AO:

Nr. 1: Offenbarung dient Durchführung eines steuerlichen Verfahrens


Nr. 2: Offenbarung durch Spezialgesetz zugelassen
Nr. 3: Offenbarung mit Zustimmung des Betroffenen
Nr. 4: Offenbarung zur Durchführung eines Strafverfahrens
Nr. 5: Offenbarung wegen zwingenden öffentlichen Interesses
46
Steuerliches Datenschutzrecht

§ 2a III AO i.V.m. Verordnung (EU) 2016/679 des


Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April
2016 [Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO)]

• anzuwenden ab dem 25.05.2018


• § 2a III AO:
Die Vorschriften dieses Gesetzes und der Steuergesetze über die
Verarbeitung personenbezogener Daten finden keine Anwendung,
soweit das Recht der Europäischen Union, im Besonderen die
Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr
und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-
Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1;
L 314 vom 22.11.2016, S. 72) in der jeweils geltenden Fassung
unmittelbar oder nach Absatz 5 entsprechend gilt.
47
Steuerliches Datenschutzrecht

Grds.:
Keine Abweichungen im nationalen Recht von
DS-GVO möglich

Ausnahme:
Die in der DS-GVO normierten Öffnungsklauseln
ermöglichen Abweichungen im nationalen Recht
z.B.: §§ 32a – 32j AO

48
Betriebsprüfungsfall:

Ein Unternehmer hat seine Ehefrau im Unternehmen angestellt und setzt


deren Gehalt als Betriebsausgabe ab. Darf der Betriebsprüfer bei der
Außenprüfung den Pförtner fragen, ob die Ehefrau tatsächlich in dem
Unternehmen gearbeitet hat?

49
Vertrauensschutz – Allgemeine Merkmale (I)

Vertrauensschutz = freiheitlicher Dispositionsschutz


Rechtsstaatsprinzip (Schranken-Schranke)
(T/L, § 3 Rz. 260-282, § 21 Rz. 12-27)

Voraussetzungen:

1. Vertrauenstatbestand

= gesetzgeberischer Akt/Vorverhalten der Verwaltung

2. Vertrauensbildung seitens des Stpfl.

50
Vertrauensschutz – Allgemeine Merkmale (II)

3. Vertrauensbetätigung (Disposition) seitens des Stpfl.

4. Kausalitätserfordernis
= aufgrund des Vertrauenstatbestandes muss der Stpfl. vertraut
und konkrete Dispositionen getroffen haben

51
Echte Rückwirkung (1. Senat)/Rückbewirkung
von Rechtsfolgen (2. Senat BVerfG)

Gesetzesbeschluss

Vergangenheit Gegenwart/Zukunft

abgeschlossenen
Sachverhalt Gesetzliche Neuregelung

greift ein in

52
Unechte Rückwirkung (1. Senat)/ tatbestandliche
Rückanknüpfung (2. Senat)

Gesetzesbeschluss

Gegenwart Gegenwart/Zukunft

gegenwärtige, noch nicht


abgeschlossene Sachverhalte

Gesetzliche wirkt auf Rechts-


Neuregelung beziehungen in der
Zukunft

53
Unechte Rückwirkung (1. Senat)/ tatbestandliche
Rückanknüpfung (2. Senat)

Gesetzesbeschluss

Vergangenheit Gegenwart

tatbestandsausfüllende
Tatsachen Rechtsfolge

Gesetzliche
macht Eintritt ihrer Rechtsfolgen
Neuregelung
von Gegebenheiten aus der Zeit
vor ihrer Verkündung abhängig 54
Steuerrechtsspezifische Abgrenzung anhand der sog.
Veranlagungszeitraumrechtsprechung in BVerfGE
127, 1 ff.; 31 ff.; 61 ff.; 132, 302 ff.

1. Eine "echte" Rückwirkung, also eine Rückbewirkung von belastenden


Rechtsfolgen auf Tatbestände, die bereits vor dem Zeitpunkt der
Normverkündung abgeschlossen sind, ist grundsätzlich verfassungs-
rechtlich unzulässig.

2. Nicht grundsätzlich unzulässig ist hingegen eine "unechte" Rückwirkung,


in deren Rahmen die Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, jedoch tatbestandlich von einem bereits ins Werk gesetzten
Sachverhalt ausgelöst werden ("tatbestandliche Rückanknüpfung" )

3. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit (Dispositions-


interesse) hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende
Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz.
55
Steuerrechtsspezifische Abgrenzung anhand der sog.
Veranlagungszeitraumrechtsprechung in BVerfGE
127, 1 ff.; 31 ff.; 61 ff.; 132, 302 ff.

4. Um mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes (Dispositionsinteresse)


vereinbar zu sein, muss die unechte Rückwirkung zur Förderung des
Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich sein; zudem müssen bei einer
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens
und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung
rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleiben.

5. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung nur vor,


wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich
abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass
die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden
Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung
zuzuordnen ist (vgl § 38 AO iVm § 36 Abs 1 EStG). An dieser sog.
Veranlagungszeitraum-Rspr. wird auch angesichts der im Schrifttum
geäußerten Kritik, die nicht auf die Entstehung der Steuerschuld, sondern
auf die Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der steuerlichen
56
Einzelnorm abstellen möchte, festgehalten.
Anwendung des Rückwirkungsverbots auch auf
„die Rechtslage bloß klarstellende“ Gesetze:
BVerfG v. 17.12.2013, BVerfGE 135, 1

1. Ob einer Vorschrift ein konstitutiver oder lediglich


deklaratorischer Charakter zukommt, hat grundsätzlich die
Judikative verbindlich zu bestimmen. Der Gesetzgeber kann zwar
den Inhalt von Normen ändern oder klarstellend präzisieren; dabei
muss er jedoch u.a. die Grenzen beachten, die aus dem
Rechtsstaatsprinzip für rückwirkende Rechtsetzung folgen.
2. Ohne eine solche verfassungsrechtliche Bindung des
Gesetzgebers wäre der rechtsstaatlich gebotene Schutz des
Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt.
Dem Gesetzgeber wäre ein weit reichender Zugriff auf zeitlich
abgeschlossene Rechtslagen eröffnet. Ein legislatives
Zugriffsrecht auf die Vergangenheit steht überdies in einem
Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip; auch hiervon
ausgehend muss der Zugriff des Gesetzgebers auf die
Vergangenheit die Ausnahme bleiben. 57
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
(§ 37 I AO), T/L, § 6

1. Steueranspruch
= Hauptanspruch, der das Steuerschuldverhältnis begründet

2. Haftungsanspruch (§§ 69 ff. AO)


= Steuersicherungsanspruch

3. Steuervergütungsanspruch
= zur Beseitigung einer bestimmten Belastung: bei Überwälzung
(Bsp.: USt), bei Mehrfachbesteuerung (z.B. KSt).

4. Erstattungsanspruch (§ 37 II AO)

= Anspruch auf Rückgewähr wegen rechtsgrundloser Leistung

5. Anspruch auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 IV AO)


58
Steuervergütungsanspruch
(T/L, § 6 Rz. 86 ff.)

Steueranspruch
Finanzamt Steuerschuldner

Überwälzung mit
Steuer- Steuervergütung
vergütungs- Überwälzung ohne
anspruch Steuervergütung

Steuerträger
Steuervergütungsgläubiger 59
Steuervergütungsanspruch
(Bsp.: Vorsteuer nach § 15 UStG)

FA FA FA

38 57
-19 -38
19 19 19

F 100 G 200 E 300 V

+ 19 + 38 + 57

60
Haftungsansprüche (T/L, § 6 Rz. 62 ff.)
1. Haftungstatbestand
z.B. §§ 34, 69 AO für „Pflichtverletzungen“
oder §§ 73 ff. AO wegen des Auseinanderfallens von Haftungssubstanz und
Steuerschuld
aber auch zivilrechtliche Haftungstatbestände (z.B. § 128 HGB).

2. Haftungsumfang
z.B. §§ 34, 69 AO  persönlich unbeschränkt
z.B. §§ 74, 75 AO  gegenständliche Haftung
z.B. § 42d EStG  unbeschränkt persönlich auf den vollen
Entrichtungsbetrag

3. Akzessorietät der Haftung

4. Drittwirkung im Verhältnis zum Hauptschuldner (§ 166 AO)


(s. hierzu vertiefend: Krumm, StuW 2012, 329)

Durchsetzung der Haftung durch Haftungsbescheid  § 191 AO


(im Erhebungs- u. Vollstreckungsverfahren aber: Grundsatz der Subsidiarität, § 219 AO)
61
Wichtige Haftungstatbestände
in Einzelsteuergesetzen

Haftung bei ArbG- Haftung der Haftung für


falscher Haftung Banken Erbschaft-
Spendenbe- für LoSt bzw. Kredit- steuer (§ 20
scheinigung (§ 42d institute für III, V, VI
(§ 10b IV 2 EStG) KapESt ErbStG)
EStG) (§ 44 V
EStG)

62
Beteiligte im Steuerabzugsverfahren
(Lohnsteuer-Dreiecksverhältnis)

Finanzbehörde

Lohnsteuerabzugsverhältnis
Haftungsanspruch
Lohn- bzw.
Einkommensteuer

Zivilrechtliches
Steuerschuldner Arbeitsverhältnis Steuerentrichtungs-
= Arbeitnehmer pflichtiger
= Arbeitgeber
63
Steuerliche Nebenleistungen
(§ 3 IV AO, s. T/L, § 6 Rz. 4)

1. Verspätungszuschlag (§ 152 AO, dazu T/L, § 21 Rz. 188 ff.)


= kann bei Nichtabgabe oder verspäteter Abgabe der Steuererklärung
festgesetzt werden (ab 1.1.2018: überwiegend obligatorisch)

2. Verzögerungsgeld (§146 IIb AO, dazu BFH, BStBl. II 2013, 266,


2014, 819) und Zuschlag n. § 162 IV AO
= „Strafzuschläge“ bei der Nichtvorlage von Buchführungsunterlagen oder
sog. Verrechnungspreisdokumentationen i.S.d. § 90 III AO

3. Zinsen, §§ 233 bis 237 AO (dazu T/L, § 21 Rz. 347 ff.)


= Verzinsung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis bei
gesetzlicher Anordnung mit 0,5% pro Monat; keine Verzinsung
der steuerlichen Nebenleistungen

64
Steuerliche Nebenleistungen (§ 3 IV AO)
4. Säumniszuschlag, § 240 AO (dazu T/L, § 21 Rz. 363 ff.)
= Druckmittel ohne Strafcharakter zur Durchsetzung fälliger Steuern,
um den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten
(entstehen ohne Festsetzung und betragen 1 % pro Monat)

5. Zwangsgeld, § 329 AO

= kann bei Nichtbefolgung einer Anordnung der Finanzbehörde


festgesetzt werden

6. Kosten, §§ 89 III-VII, 178, 178a und 337 bis 345 AO


= Gebühren für kostenpflichtige Amtshandlungen; Vollstreckungskosten

65
Entstehung der Steuer (§ 38 AO),
T/L, § 6 Rz. 11; 20 ff.

• ESt: § 36 I EStG
§ 37 I 2 EStG (Vorauszahlung)
§ 38 II 2 EStG (LoSt)
§ 44 I 2 EStG (KapESt)

• KSt: § 30 KStG

• ErbSt: § 9 I ErbStG

• GewSt: § 18 GewStG
§ 21 GewStG (Vorauszahlung)

• USt: § 13 I UStG
66
Festsetzung der Steuer
(T/L, § 21 Rz. 114-120)

§ 155 I 1 AO:

"Die Steuern werden, soweit nichts anderes


vorgeschrieben ist, von den Finanzbehörden
durch Steuerbescheid festgesetzt."

§ 155 IV AO n.F. (StModG v. 18.7.16, BGBl. I 1679):

auch ein vollautomatischer Steuerbescheid ist ein


Steuerbescheid i.S. der AO.

67
Fälligkeit der Steuer
(§ 220 AO, T/L, § 21 Rz. 311-318)

Zwei Grundtypen der Fälligkeit

Fälligkeit als Sog. Selbstberechnungssteuern:


Folge der Festsetzung Fälligkeit mit Abgabe der
(z.B. §§ 36 IV, 37 I 1 EStG, 31 Steuererklärung ohne Mitwirkung
KStG, 20 II GewStG) des Finanzamts (z.B. §§ 18 I UStG,
41a I EStG [LoSt], 44 I [KapESt]).

68
Verhältnis Steueranspruchs - Zinsanspruch
T/L, § 21 Rz. 347-365

Entstehung Festsetzung Fälligkeit Erfüllung

Karenzzeit

sog. Vollverzinsung Säumniszuschlag


(§ 240 AO)
(§ 233a AO)
1% p.m.
0,5% p.m.
oder

oder (§ 234 AO)


Stundungszins
0,5% p.m.
(§ 235 III, IV AO)
Literaturhinweis zur oder
Vollverzinsung:
Hinterziehungszins
Seer, SteuerStud-Beilage 10/2014; 0,5% p.m. (§ 237 AO)
Seer, DB 2014, 1945.
Aussetzungszins
69
0,5% p.m.
Fall 1:

Ein Student arbeitet in den Sommersemester-Ferien als Star-DJ auf


großen "Techno-Parties". Der Hauptsponsor, ein Zigarettenproduzent,
zahlt ihm hierfür 15.000 €. Der DJ meldet dem Finanzamt nichts.

Ist eine Steuerschuld trotzdem entstanden?

70
Fall 2:

Nachtschwester D ist in einer Privatklinik beschäftigt. Die Nacht-


zuschläge werden in ihrer Gehaltsabrechnung als steuerfreie Zuschläge
behandelt, obwohl § 3b EStG nur eine partielle Steuerbefreiung vorsieht.
Folge: Es wird zu wenig Lohnsteuer abgeführt.

Wen kann das Finanzamt für die noch ausstehende LSt-Schuld in


Anspruch nehmen?

71
Fall 3:

Fußballspieler K spielt bei FC Kicker e.V. in der Oberliga. Gegenüber dem


FC hat K sich vertraglich verpflichtet, an allen Trainingseinheiten und
Pflichtspielen teilzunehmen. Als Gegenleistung erhält K ein Jahresgehalt
von 40.000 € zzgl. Erfolgsprämien. Die Brauerei B zahlt an K zusätzlich
monatlich 2.000 €, damit er beim FC Kicker spielt. Der Vorstand des FC
weiß davon nichts. Sind die Leistungen steuerpflichtig? Wer hat sie zu
versteuern und gegen wen kann das Finanzamt vorgehen?

Literatur
BFH BStBl. II 1999, 323 (zu Trinkgeldern); BFH BStBl. II 2002, 169;
BFH/NV 2000, 996.

72
Fall 4:

Mietshausbesitzerin A ist mit Sänger S verheiratet. S hat Einkünfte aus


selbständiger Arbeit in Höhe von 400.000 €, A hat Einkünfte aus
Vermietung und Verpachtung in Höhe von 125.000 €. A und S haben
Zusammenveranlagung gem. § 26 EStG gewählt. Den Eheleuten wird
ein Steuerbescheid über 260.000 € zugestellt. S nimmt sein Geld und
setzt sich in die Karibik ab.

Muss A die gesamte Steuerschuld begleichen?

73
Erlöschen des Steueranspruchs
(§ 47 AO, T/L, § 21 Rz. 319-345)

durch trotz
Erfüllung Nichterfüllung

Zahlung Aufrechnung Erlass Verjährung


(§ 224 AO) (§ 226 AO) (§§ 163, 227) (§§ 169 ff.,
228 ff. AO)

74
Aufrechnung
(§ 226 AO i.V. mit §§ 387 ff. BGB)

Voraussetzungen:

• Gegenseitigkeit (Schuldner = Gläubiger), dazu § 226 IV AO

• Gleichartigkeit (Geldleistung)

• Erfüllbarkeit der Hauptforderung

• Fälligkeit der Gegenforderung

• Zusätzliche Voraussetzung gemäß § 226 III AO:


Gegenforderung des Steuerpflichtigen
muss unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein
75
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)

Grundgedanke
= Gerechtigkeit im Einzelfall,
keine allgemeine Gesetzeskorrektur

• Billigkeit mildert das für den Durchschnittsfall


gedachte starre Recht im atypischen Einzelfall

• §§ 163, 227 AO gestatten nur einen gesetzes-


verstehenden Dispens, der im atypischen Einzelfall
von einem ungewollten Überhang gesetzlich
schematisierender Belastung befreit.
76
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)

Struktur der Vorschriften

= sog. Koppelungsvorschrift:
(GmSOGB, BStBl. II 1972, S.603, 605 ff.)

unbestimmter Rechtsbegriff (Tatbestandsseite)


+
Ermessensermächtigung (Rechtsfolgenseite)
=
einheitliche Ermessensvorschrift

77
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)

Billigkeitsgründe
1. Sachliche Unbilligkeit

Zweckverfehlung =
Aussage des Gesetzes geht in einem atypischen Einzelfall über den
Gesetzeszweck hinaus (außerhalb der teleologischen Reduktion)

Grundrechtsverletzung
(z.B. Übermaßbesteuerung in einem atypischen Einzelfall)

Vertrauensschutz
durch sog. Übergangs- bzw. Anpassungsregeln
nach einer Gesetzes- oder Rechtsprechungsänderung
78
Erlass aus Billigkeitsgründen
(§§ 163, 227 AO, T/L, § 21 Rz. 294 f., 329-342)

2. Persönliche Unbilligkeit

Erlassbedürftigkeit =
Ernsthafte Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Stpfl.
und seiner Familie

Erlasswürdigkeit =
mangelnde Leistungsfähigkeit nicht schuldhaft selbst herbei-
geführt und kein eindeutiger Verstoß gegen die Interessen der
Allgemeinheit

79
Festsetzungsverjährung (§§ 169 ff. AO)
(T/L, § 21 Rz. 296-300)

Beginn: 31.12. Entstehungsjahr (§ 170 I AO)

Anlaufhemmung:
31.12. Erklärungsjahr (§ 170 II 1 Nr. 1 AO)

spätestens
31.12. Entstehungsjahr + 3 (§ 170 II 1 Nr. 1 AO)

„regulär“, § 169 II AO
Ende:
1 Jahr für besondere Verbrauchsteuern
4 Jahre bei anderen Steuern
5 / 10 Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung bzw.
Steuerhinterziehung
Umfangreicher Katalog von Ablaufhemmungen (§ 171 AO); letzte Ergänzung
durch Abs. 10a i.R.d. StModG (BGBl. I 2016, 1679, 1691)
80
Zahlungsverjährung (§§ 228 ff. AO)
(T/L, § 21 Rz. 343-345)

Beginn: 31.12. Fälligkeitsjahr (§ 229 I AO)

Dauer: 5 Jahre (§ 228 S. 2 AO)

Hemmung (§230 AO) Unterbrechung (§231 AO)

Ende: „regulär“ (§ 228 S. 2 AO)

Fristablauf nach Unterbrechungen (§ 231 II-IV AO)


81
Fall 1:
U hat fällige Umsatzsteuerschulden in Höhe von 50.000 €.
Ihm und seiner Ehefrau F, die beide nach § 26 EStG
zusammenveranlagt werden, stehen nach Abgabe der
Einkommensteuererklärung für das Jahr 01 eine ESt-
Erstattung i.H.v. insgesamt 15.000 € zu. Das Finanzamt
rechnet gegen diesen Betrag die USt-Forderung auf.

Ist der Erstattungsanspruch damit erloschen?

Literatur
BFH v. 15.11.2005 – VII R 16/05, BStBl. II 2006, 453; BFH v. 30.9.2008 –
VII R 18/08, BStBl. II 2009, 38; BFH v. 22.3.2011 – VII R 42/10, BStBl. II
2011, 607; BMF v. 30.1.2012, BStBl. I 2012, 149 (s.a. Anwendungserlass
zu § 37 AO, Tz.2.2., BStBl. I 2014, 290).
82
Fall 2:
A betrieb in Bochum von 2010 bis zum Jahr 2015 eine Trinkhalle. Da die
Umsätze kontinuierlich zurückgegangen sind, ist er in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geraten. An Steuerrückständen (ESt, USt) sind
insgesamt 30.000 € zzgl. 10.000 € Säumniszuschläge aufgelaufen.
Obwohl A regelmäßig Ratenzahlungen geleistet hat, sind die
Steuerschulden angewachsen. In 2016 hatte A die Erteilung einer
Taxikonzession beantragt. Sie wurde ihm von der örtlichen
Genehmigungsbehörde mit dem Hinweis auf seine hohen
Steuerschulden versagt. A beantragt nun den Erlass seiner
Steuerschulden.

Literatur
BFH v. 27.9.2001 – X R 134/98, BStBl. II 2002, 176; s. aber auch BFH v.
26.10.2011 – VII R 50/10, BFH/NV 2012, 552; außerdem Farr, BB 2002,
1989 ff.; T/L, § 21 Rz. 329 ff.
83
Fall 3:

Gewerbetreibender G hat für das Jahr 2008 seine ESt-


Erklärung Anfang 2010 eingereicht. Im November 2012
begann bei G eine Außenprüfung, die sich auch auf die ESt
2008 bezog. Im Januar 2013 fand in den Betriebsräumen des
G eine Schlussbesprechung statt, an der G, dessen
Steuerberater und der Betriebsprüfer teilgenommen haben.
Bis heute ist noch kein ESt-Änderungsbescheid ergangen.

Ist der ESt-Anspruch 2008 erloschen?

84
Fall 4:

Dem G ist der ESt-Bescheid für das Jahr 2008 am 30.6.2010


bekanntgegeben worden. Da G nicht zahlte, hat das
Finanzamt bis zum Ende 2012 versucht, Vermögensgegen-
stände des G zu pfänden zu verwerten. Da die
Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos blieben, hat die
Finanzbehörde die ESt-Schuld am 2.1.2013 niedergeschlagen
(§ 261 AO). Danach ist bis heute nichts geschehen.

Ist der ESt-Anspruch 2008 erloschen?

85
Zuständigkeit der Finanzbehörden
(T/L, § 21 Rz. 38-45)

Sachliche Örtliche
Zuständigkeit Zuständigkeit
(§ 16 AO, FVG) (§§ 17-29a AO)

Fragestellung: Fragestellung:
Welchen sachlichen Welche von mehreren
Aufgabenkreis hat sachlich zuständigen
die Behörde? Behörden eines
Verwaltungsgebiets ist
räumlich zuständig?
z.B. Wohnsitzfinanzamt,
Belegenheitsfinanzamt
86
Sachliche Zuständigkeit
(§ 16 AO, FVG)

Funktionelle/Instan- Verbandsmäßige
zielle Zuständigkeit Zuständigkeit

= Funktionszuweisung = Funktionsbeschränkung
verschiedener Behörden auf die Angelegenheiten
in derselben Sache des Verbandes

Zur Behördenhierarchie in der


Finanzverwaltung s. Schaubild
zu Art. 108 GG in T/L, § 2 Rz. 80
87
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)

Festsetzungsverfahren
(§§ 155 ff. AO)

Ermittlungs-
Erhebungsverfahren verfahren
(§§ 218 ff. AO) (§§ 85 ff., 134 ff.,
149 ff. AO)

Vollstreckungsverfahren
(§§ 249 ff. AO)
88
Paradigmenwechsel im
Besteuerungsverfahren
periodisch wiederkehrende
Massenfallverwaltung

Abkehr vom einzelfall-orientierten


hoheitlichen Veranlagungsverfahren

kontrollierte Selbstregulierung
durch Bürger und Unternehmen
Prof. Dr. Roman Seer RUB
89
Automatisierter Steuerbescheid -
Selbstveranlagung
 Selbstveranlagung = Steueranmeldung i.S. des §§ 150 I 3,
167 I 1 AO, SelbstberechnungsSt, Fiktion eines Steuer-
bescheides unter dem VdN (§§ 168, 164 AO)
 Automatischer Steuerbescheid i.S. des § 155 IV AO n.F.
(s.a. §§ 35a VwVfG n.F., 31a SGB X) = echter
Steuerbescheid; hoheitliche Steuerfestsetzung, die n. § 155
IV 2 Nr. 2 AO n.F. mit einer Nebenbestimmung (z.B. VdN,
Vorläufigkeit) versehen werden kann (aber nicht automatisch
versehen ist)
 automatischer Steuerbescheid enthält einen in Gestalt des
Programms antizipierten Behördenwillen = VA als
qualifizierte Willenserklärung 
§ 155 IV 4 AO n.F. bezeichnet Zeitpunkt für den Abschluss der
hoheitlichen Willensbildung über den VA und dessen
Bekanntgabe (insb. relevant für § 173 I AO).

Prof. Dr. Roman Seer RUB


90
Ermittlungsverfahren/Steuerfestsetzung
(T/L § 21 Rz. 150 f.)

Ermittlungsverfahren
(§§ 85 ff., 134 ff., 149 ff. AO)

Abgabe der Klärung von


Prüfung durch den
Steuererklärung Zweifelsfragen durch
zuständigen
Auskunftsersuchen
Sachbearbeiter der
und das
Veranlagungsstelle
Beweisverfahren

91
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)

Festsetzungsverfahren
(§§ 155 ff. AO)

Elektronische Übermittlung der Bescheidversand


Erfassung der Daten an das durch das
Daten
Daten (s.a.
(anders: Landesrechen- Landesrechen-
sog. ELSTER)
ELSTER) zentrum zentrum

92
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)

Erhebungsverfahren
(§§ 218 ff. AO)

Überwachung Erhebung von Stundung und


fälliger steuerlichen Erlass als
Zahlungen Nebenleistungen Billigkeitsmaß-
nahmen

93
Stationen des Besteuerungsverfahrens
(T/L § 21 Rz. 150 f.)

Vollstreckungsverfahren
(§§ 249 ff. AO)

Ausstellen von Billigkeitsmaß-


Prüfung und
Mahnungen nahme des
Durchführung von
Vollstreckungs-
Vollstreckungs-
aufschubs
maßnahmen (z.B.
(§ 258 AO)
Pfändungsverfügung)

94
Sachverhaltsaufklärung im Ermittlungsverfahren
(T/L, § 21 Rz. 170-203)

Untersuchungs- Kooperations-
maxime maxime
(§ 88 AO) (§§ 90 ff. AO)

Kooperationsmaxime bei der Sachverhaltsaufklärung:

• Finbeh. und Stpfl. bilden eine Verantwortungsgemeinschaft, bei der


die Letztverantwortung bei der Verwaltung verbleibt

• Untersuchungsmaxime wird flankiert durch umfangreiche


Mitwirkungspflichten, denen spiegelbildlich Mitwirkungsrechte,
Rechte auf Informationsteilhabe gegenüberstehen
95
95
Untersuchungsgrundsatz und
selbstregulierender Steuervollzug

 Selbstregulierender Steuervollzug ist Alltag bei allen


Anmeldesteuern (= 2/3 des derzeitigen Steueraufkommens)

 direkte Steuern: Ermöglichung eines vollautomatisch


erstellten Steuerbescheides durch § 155 IV AO n.F.

 Untersuchungsgrundsatz hat sich zum (strukturellen)


Verifikationsgrundsatz gewandelt

 Risikomanagementsystem und Zufallsauswahl für manuelle


Intensivprüfung sollen strukturell Gesetzmäßigkeit der
Besteuerung herstellen

 § 150 VII AO n.F.: sog. qualifiziertes Freitextfeld gibt Stpfl. den


Raum für individuelle Angaben

Prof. Dr. Roman Seer RUB


96
Verifikation der Deklaration:
Risikomanagementsysteme (RMS)

 RMS als Mittel zur Risikoerkennung (s. § 88 AO n.F. =


StModG v. 18.7.2016, BGBl. I 1679):
RMS ersetzt die eigentliche Prüfung nicht, sondern dient nur
dazu, die begrenzten Verwaltungsressourcen dem Kontroll-
bedürfnis entsprechend risikoorientiert zu steuern.

§ 88 V 3 AO n.F. – Mindestvoraussetzung eines


rechtsstaatlichen RMS

 Satz 3 Nr. 1 AO n.F.: stichprobenartige personelle


Prüfung; Frage: Was ist die richtige Quote?
 Satz 3 Nr. 2, 3 AO n.F.: personelle Prüfung bei
automatisierter (Nr. 2) und individueller Aussteuerung (Nr.
3)
 Satz 3 Nr. 4 AO n.F.: regelmäßige Evaluierung i.S. eines
selbst-lernenden Systems
Prof. Dr. Roman Seer RUB
97
RMS-Transparenzdefizit
 § 88 V 4 AO n.F.: „Einzelheiten des RMS dürfen nicht
veröffentlicht werden, soweit dies die Gleich- u.
Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte.“

 Zweck der Intransparenz: Verhinderung, dass Stpfl. ihr


Erklärungsverhalten am RMS ausrichten (BT-Drucks.
18/7457, 75).

 Ausgestaltung des RMS und Verwendung von RMS-


Parametern besitzt Grundrechtsrelevanz. § 88 V 4 AO n.F.
enthält aber nur einen konditionierten Geheim-
nisvorbehalt.

 Wirksamer Rechtsschutz gegen willkürliche RMS-Auswahl


erfordert Transparenz (eingeschränkt durch In-Camera-
Verfahren n. § 86 FGO n.F.).

Prof. Dr. Roman Seer RUB


98
Wirtschaftlichkeit und Zweck-
mäßigkeit als RMS-Kriterien

 § 88 II 2 AO n.F.: „Bei der Entscheidung über Art u.


Umfang der Ermittlungen können …. Wirtschaft-
lichkeit u. Zweckmäßigkeit berücksichtigt werden“.

 Bei der Ausgestaltung des RMS „soll“ auch der


Grundsatz der Wirtschaftlichkeit der Verwaltung
berücksichtigt werden (§ 88 V 2 AO n.F.).

 Verwaltungsökonomie: kein von außen einfließen-


des, selbständiges Prinzip, sondern ein innerhalb
des Rechts (Abwägungsdreieck) stehendes Prinzip,
das einen optimierten Verwirklichungsgrad der
Handlungsziele bezeichnet.

Prof. Dr. Roman Seer RUB


99
Mitwirkungspflichten (§§ 90 ff. AO)
- s. T/L, § 21 Rz. 172 ff.

Generalklausel
(§ 90 I AO)

Spezielle Mitwirkungspflichten
(§§ 93 ff. AO)

Eingriffsnormen Beweisnormen
(Gesetzesvorbehalt)
100
Mitwirkungspflichten (§§ 93 ff. AO)

Auskünfte Beteiligter Einnahme des


und Dritter Augenscheins,
§ 93 AO (beachte:
§ 98 AO
§ 393 I 2 AO)
§ 93c AO neu i.R.d. StModG!

Urkundenvorlage
§ 97 AO Hinzuziehen von
(Beachte: Wegfall der bish. Sachverständigen,
Subsidiaritätsklausel in § 97
II durch AHiRLUG,BGBl. I § 96 AO
2013, 1809)

Auskunftsverweigerungsrecht für Dritte:


• Angehörige, § 101 AO
• Bestimmte Berufsgruppen, § 102 AO
• Bei Gefahr der Selbstbelastung, § 103 AO 101
Mitwirkungspflichten (Forts.)

Steuererklärungspflichten
§§ 149 ff. AO

Buchführungspflichten Außenprüfungspflichten
§§ 140 ff. AO §§ 193 ff. AO

102
Mitwirkungspflicht der Kreditinstitute

• § 154 AO („ausgelagerte Steuerüberwachung“)


„Gebot der formalen Kontenwahrheit“;
Verstoß gegen § 154 I: Kontensperre kraft Gesetzes, § 154 III

• §§ 93 VII, 93b I, II AO (Kontenabruf)

• § 45e EStG (Informationsaustausch über die Grenze)

103
Mitwirkungspflicht der Kreditinstitute
(T/L, § 21, Rz. 198-200)

- Kein Bankgeheimnis:
§§ 101-106 AO sind abschließend (vgl. auch § 105 I AO).
Ein Bankgeheimnis wäre seit Inkrafttreten der EU-AmtshilfeRL
2011/16/EU (durch 2014/107/EU zum automatischen
Informationsaustausch erweitert) überdies irrelevant 
§ 4 V EU-Amtshilfegesetz (EUAHiG); s. FinanzkontenaustauschG
(FKAustG) v. 21.12.2015, BGBl. I 2015, 2531
- Kein Auskunftsverweigerungsrecht der Angestellten
der Kreditinstitute
- Daher: Aufhebung von § 30a AO durch StUmgBG v. 24.06.2017
strukturelles Vollzugshindernis, wodurch Konten zur
Aufdeckung von Spekulationsgewinnen verschlossen blieben

104
Amtshilfe
(T/L § 21 Rz. 260 – 266)
National: Art. 35 I GG,
International: § 117 AO
§§ 111 ff. AO

Art. 26, 27 Multilaterales • EU-Amtshilfe-RL EU-MwSt-


DBA bzw. Europarat u. 2011/16/EU u. spätere Zusammen-
spezielle bil. OECD-Abk. Änderungen arbeitsVO Nr.
Abkommen (umgesetzt in
1988/2010, s. 904/2010 v.
(sog. TIEA) EUAHiG, FKAustG),
Ges. v. 7.10.2010
• EU-BeitreibungsRL
16.7.15, 2010/24/EU
BGBl. II 966 (umgesetzt in
EUBeitrG)

105
Auskunftsarten

auf Ersuchen ohne Ersuchen

einzelfall- gruppen-
Ersuchungs-/ bezogen bezogen
Anrufungs-
auskunft
§§ 4, 5 EUAHiG Spontan- automatische
auskunft
Auskunft
§§ 8, 9 EUAHiG § 7 EUAHiG
106
Änderung der EU-Amtshilfe-Richtlinie
(2014/107/EU)
• RL 2011/16/EU (DAC 1) wurde am 9.12.2014 durch RL
2014/107/EU (DAC 2) geändert
• Änderung sieht eine Verpflichtung zum automatischen
Informationsaustausch über Finanzkonten vor
• Änderung macht die bisherige, nur eingeschränkt
wirkende ZinsRL 2003/48/EG (geändert durch RL
2014/48/EU) zukünftig überflüssig
• Umsetzung in nationales Recht durch das Gesetz zum
automatischen Austausch von Informationen über
Finanzkonten in Steuersachen v. 21. Dezember 2015
(BGBl. I S. 2531)
• Weitere Änderungen der EU-AmtshifeRL durch RL
2015/2376/EU (DAC 3) u. RL 2016/881/EU (DAC 4) sind
durch Ges. v. 20.12.2016, BGBl. I 2016, 3000, umgesetzt
worden. 107
Steuerverwaltungsakt
(T/L, § 21 Rz. 50-82)
Funktionen:

1. Materielle Bestandskraft
= VA darf nur aufgrund einer gesetzlichen Vorschrift
aufgehoben oder geändert werden

2. Vollziehung
= VA bildet die Grundlage zwangsweiser Durchsetzung des
Rechts

3. Rechtsschutzbestimmung
= VA wird nur dann formell bestandskräftig (unanfechtbar),
wenn der durch den VA Beschwerte nicht fristgemäß den
zulässigen Rechtsbehelf (Einspruch, Anfechtungsklage)
108
einlegt oder mit diesem erfolglos bleibt.
Steuerverwaltungsakt
(T/L, § 21 Rz. 50-82)

Begriffsmerkmale (§ 118 S. 1 AO):

Begriffsmerkmal Ausgrenzung

Behördliche Maßnahme Handlung einer Privatperson


Hoheitlich Handlung durch
(einseitig-verfügend) öffentlich-rechtlichen Vertrag
zur Regelung schlichthoheitliche Handlung
(z.B. Rechtsauskunft, Realakt)
eines Einzelfalles Rechtsnorm (Verordnung, Satzung)
allgemeine Verwaltungsvorschrift
auf dem Gebiet des fiskalische Handlung der Behörde
öffentlichen Rechts (z.B. Kauf von Büromaterial)
mit unmittelbarer behördeninterne Weisung
109
Rechtswirkung nach außen
Entstehung und Wirksamkeit
eines Steuerverwaltungsakts

Entstehungsprozess: Bedeutung für:


1. Willensbildung des Amtsträgers
(kann auch automatisch erfolgen, s. § 155 IV AO n.F.)

2. Willensäußerung des Amtsträgers


(noch behördenintern) Abzeichnen des Schrift- §§ 131 II Nr.3, 173 I AO
stücks und Weitergabe in den Geschäfts-
gang (sog. "Abwerfen"); dies erfolgt regel-
mäßig durch Freigabe im Computersystem

3. Absenden des VA z.B. durch Aufgabe §§ 122 II Nrn.1 u. 2,


zur Post (selten), i.d.R. findet der Versandt 169 I 3 Nr.1 AO
durch das Rechenzentrum statt

4. Bekanntgabe des VA §§ 124 I, 355 I 1 AO


110
Entstehung und Wirksamkeit
eines Steuerverwaltungsakts

Wirksamwerden des Steuerverwaltungsakt


mit der Bekanntgabe (Erklärungstheorie)

Inhalts- Bekanntgabe- Postalischer


adressat adressat Empfänger
(§ 122 I 1 AO) (§ 34 AO) (§ 122 I 3, 123 AO)

Beachte: § 122 VII AO, v.a. bei Ehegatten und Lebenspartnern


111
Erweiterung elektronischer VA-
Bekanntgabe

durch
durch durch E-Mail Bereitstellung
postalischen Brief (§ 122 IIa AO) zum Datenabruf
(§ 122 II AO) (§ 122a AO n.F.)

• Empfänger muss • Empfänger muss


• Zugang muss FA Zugang eröffnen zustimmen
beweisen • Schriftersatz erfordert • Mitteilung über die
• Bekanntgabever- qualifizierte elektro- Bereitstellung per
mutung nische Signatur einfacher E-Mail
• Zugang muss FA • Zugang der E-Mail
beweisen/Bekannt- muss FA beweisen,
gabevermutung Bek.-Vermutung
Prof. Dr. Roman Seer RUB
112
Fall 1:

Postbote P wirft den an A adressierten Steuerbescheid versehentlich in den


Briefkasten des B. Zehn Tage später händigt B den Brief dem A aus.

Ist der Bescheid dem A wirksam bekannt gegeben worden? Wann wird er
bestandskräftig?

Literatur
BFH BStBl. II 1989, 346.

113
Fall 2:

Die Eheleute A/B haben für den Veranlagungszeitraum 2014 in einer


gemeinsamen Steuererklärung die ESt-Zusammenveranlagung gewählt.
Mitte des Jahres 2014 ist A aus der ehelichen Wohnung gezogen.
Gleichwohl sendet das FA den zusammengefassten ESt-Bescheid 2014
gegen Ende des Jahres 2015 an die bisherige gemeinsame Anschrift.

Ist der ESt-Bescheid an A und B wirksam bekannt gegeben worden?

114
Fall 3:

E ist am 1.2.2015 verstorben. Am 1.5.2015 versendet das Finanzamt


einen an E gerichteten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2013
an die beiden Erben A und B. Aus dem Bescheid geht nicht hervor, in
welcher Funktion A und B den Bescheid erhalten sollen.

Ist der Steuerbescheid wirksam?

115
Fall 4:
Der zuständige Sachbearbeiter (S) des FA erkennt nach Eingabe der
Daten in den PC, dass ihm bei der Veranlagung ein Fehler unterlaufen
ist. Gleichwohl versendet das Rechenzentrum der Landesfinanz-
verwaltung den maschinellen Einkommensteuerbescheid. S zeichnet
den Steuererklärungsvordruck nicht ab und vermerkt in der Akte, dass
die Versendung des Bescheides seinem Willen nicht entspricht.

Literatur
BFH v. 24.11.1988 – V R 123/83, BStBl. II 1989, 344; BFH v. 12.8.1996
– VI R 18/94, BStBl. II 1996, 627; BFH v. 23.8.2000 – X R 27/98, BStBl.
II 2001, 662; BFH v. 28.5.2009 – III R 84/06, BStBl. II 2009, 949; FG
München v. 30.4.2012 – 7 K 3542/09, EFG 2012, 1711; T/L, § 21 Rz. 73
ff.

116
Fall 5:

Der zuständige Sachbearbeiter (S) des FA benachrichtigt E elektronisch


über die Bereitstellung des elektronischen Steuerbescheides am
10.10.2017. Am Abend des 11.10.2017 liest E die Benachrichtigung und
ruft den Steuerbescheid mit wirksamer Authentisierung ab. Eine
Einwilligung des E liegt vor. Diese hat E jedoch am 13.10.2017
widerrufen. Der Widerruf geht der Finanzbehörde am 14.10.2017 zu.

Ist der Steuerbescheid an E wirksam bekannt gegeben worden?

117
Fehlerlehre des Steuerverwaltungsakts
T/L § 21 Rz. 106 ff.
Wirksamkeit (§ 124 I, II Nichtigkeit (§§ 124 III, 125
AO) AO)
 Auch rechtswidrige VA sind  Nichtige VA sind unwirksam
grds. wirksam, § 124 II AO (§ 124 III AO), d.h. sie
 Heilungsmöglichkeit erzeugen keine rechtliche
rechtswidriger VA Wirkung (eher seltener
Ausnahmefall!)
§ 126 AO: Heilung bestimmter  Voraussetzung ist ein
Verfahrens- und Formfehler evidenter besonders
schwerwiegender Fehler
§ 127 AO: Unbeachtlichkeit von nach § i.S.v. § 125 I AO
126 AO nicht geheilten Verfahrensfehlern
u. örtl. Zuständigskeitsfehler, wenn  Positivkatalog in Abs. 2
keine andere Entscheidung in der  Negativkatalog in Abs. 3
Sache möglich wäre (Problem: z.B. sog.
Schätzungsbescheide)
118
Nichtigkeitsfall: fehlende inhaltliche
Bestimmtheit des VA (§ 119 I AO),
T/L § 21 Rz. 90 ff.

• Erfordernis resultiert aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III


GG)
• Der VA muss zweifelsfrei erkennen lassen:

an bzw. gegen was er verlangt,


wen er sich richtet gewährt oder
(Inhaltsadressat) ablehnt

• Ggf. ist durch Auslegung zu ermitteln, wie ihn der Betroffene


unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen
konnte (BFH BStBl. 2009, 699 (701); BFH/NV 2013, 1907
(1908))
119
Steuerbescheid: materielle Bestandskraft
(T/L, § 21 Rz. 80-89, 280-293)

Endgültiger Vorläufiger Vorbehalt der


Bescheid Bescheid Nachprüfung
(§ 165 AO) (§ 164 I AO)

Eingeschränkte Erweiterte Unbeschränkte


Korrektur Korrektur Korrektur
§§ 172 ff. AO (§ 165 II AO) (§ 164 II AO)

Innerhalb Ablaufhemmung Wegfall des Vorbehalts


Festsetzungs- der Festsetzungs- (§ 164 IV AO): mit Ablauf
frist frist der regulären
§§ 169 ff. AO § 171 VIII AO Festsetzungsfrist120
120
Steueranmeldung (USt-, LSt-, KapESt-)

Doppelfunktion

Steuererklärung „Steuerfestsetzung
§ 150 I 3 AO i.V. m. gegen sich selbst“
§§ 18 I, III UStG, 41a (Selbstberechnungs-
EStG, 45a EStG steuer), §§ 167, 168 AO

Fiktion eines Steuerbescheides unter


dem Vorbehalt der Nachprüfung
(§ 168 AO) 121
Vorläufige Steuerfestsetzung (§ 165 AO)
- s. T/L, § 21 Rz. 290 ff.

• punktuelle Vorläufigkeit ► Grund u. Umfang der Vorläufigkeit sind


anzugeben (§ 165 I 3 AO)

• Fehlen diese Angaben, ist die unselbständige Nebenbestimmung


nichtig
• § 165 I 1 AO: Ungewissheit über Tatsachen oder Rechtsverhältnisse

• § 165 I 2 Nr. 1 AO: Ungewissheit über die Wirksamkeit von DBA


• § 165 I 2 Nr. 2, 2a AO n.F.: BVerfG hat Unvereinbarkeit eines
Steuergesetzes mit dem GG festgestellt (gleichgestellt EuGH)
• § 165 I 2 Nr. 3 AO: Vereinbarkeit eines Steuergesetzes mit dem GG,
EGV sind Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG, EuGH, BFH
• § 165 I 2 Nr. 4 AO: Verfahren vor dem BFH
122
Fall 1 zur Bestandskraft von Steuerverwaltungs-
akten:
Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer gegenüber B für 13 mit Bescheid vom
10.12.15 auf 20.000 € unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ohne Nähere
Begründung fest. Im Januar 16 wird der Gewerbebetrieb des B für die Jahre 11-13
hinsichtlich der ESt und GewSt geprüft. Danach erlässt das FA mit Bescheid v. 5.6.16
einen geänderten ESt-Bescheid für 13 über 25.000 €, ohne den Vorbehalt der
Nachprüfung ausdrücklich aufzuheben. B ficht den Steuerbescheid nicht an. Im
Dezember 16 erkennt der Sachbearbeiter einen materiellen Fehler. Er ändert
daraufhin den Steuerbescheid erneut und setzt die ESt materiell zutreffend mit
Bescheid vom 15.12.16 auf 28.000 € fest. B erhebt dagegen Einspruch, der am
16.1.15 beim Finanzamt eingeht.

Ist der geänderte Steuerbescheid vom 15.12.16 aufzuheben?

Literatur
BFH v. 29.4.1987 – I R 118/83, BStBl. II 1988, 168; BFH v. 14.9.1993 – VIII R 9/93,
BStBl. II 1995, 2; BFH v. 18.8.2009 – X R 8/09, BFH/NV 2010, 161; zur Abgrenzung
BFH v. 2.12.1999 – V R 19/99, BStBl. II 2000, 284; T/L, § 21 Rz. 288.
123
Fall 2 zur Bestandskraft von Steuerverwaltungs-
akten:

M und F sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen


veranlagt (§§ 26 I 1, 26b EStG). In den gemeinsamen Steuererklärung für
die Jahre 10-12 hat F Verluste aus dem Betrieb einer Galerie i.H.v. 20.000 €
(10), 10.000 € (11), 15.000 € (12) erklärt. Das FA hat die Verluste zunächst
anerkannt und die gegen M und F ergangenen ESt-Bescheide insoweit
nach § 165 AO für „vorläufig“ erklärt. Nachdem auch in den Jahren 13 und
14 Verluste in dieser Größenordnung aufgelaufen sind, erkennt das FA die
Verluste wegen „Liebhaberei“ nicht mehr an und ändert dementsprechend in
15 die ESt-Bescheide 10-12.

Literatur
BFH v. 22.12.1987 – IV B 174/76, BStBl. II 1988, 234; BFH v. 25.10.1989 –
X R 109/87, BStBl. II 1990, 278; BFH v. 23.5.2007 – X R 33/04, BStBl. II
2007, 874; BFH v. 4.9.2008 – IV R 1/07, BStBl. II 2009, 335.
124
E-Government (TL, § 21 Rz. 7)
Literatur: Seer, StuW 2003, 40 ff.; ders., DStJG Bd. 31 (2008), 8 ff.

= elektronischer Informationsaustausch
innerhalb der Verwaltung und zwischen
Verwaltung und Bürger

Interne Vernetzung Externe Vernetzung


zwischen den FinBeh. • elektronische
(Datenaustausch, Erklärungs-pflichten
Kontrollmitteilungen) • digitale Außenprüfung
• Elektronischer VA

125
Dialogische Struktur der
elektronischen Steuererklärung

vorausgefüllte Vermeidung eines


Steuererklärung: Medienbruchs:
bereits vorhandenes An die Stelle der Beleg-
Datenmaterial wird vorlage tritt die Vorhalte-
vorab in die Steuerer- pflicht, um eine spätere
klärung mit dem Hin- Kontrolle zu ermöglichen
weis der Möglichkeit
der Ergänzung bzw. Problem: dieses steuer-
Korrektur eingefügt politische Konzept ist in der
AO n.F. nicht klar geregelt

Prof. Dr. Roman Seer RUB


126
Grundlagen- und Folgebescheide
T/L, § 21 Rz. 83-89, 150, 436

Grundlagenbescheid
= besondere Rechtsform des VA
(§§ 171 X, 175 I 1 Nr.1, 182 I, 351 II AO)
für ein
gestuftes Besteuerungsverfahren
z.B.: § 60a AO; § 180 AO; § 184 AO

Merke: Präklusionswirkung des Grundlagenbescheids für den


Folgebescheid

127
Grundlagen- und Folgebescheide
T/L, § 21 Rz. 83-89, 150, 436

Einheitliche und gesonderte


Gewinnfeststellung
(§ 180 I Nr. 2a AO: z.B. PersGes)
Grundlagenbescheid
§ 182 I AO
Folgebescheid
Einkommensteuerbescheid
(§ 155 I 1 AO: z.B. des PersGes'ers)
Grundlagenbescheid

§ 182 I AO
Folgebescheid
Bescheid über Solidaritätszuschlag
(§ 155 I 1 AO: z.B. des PersGes'ers)
128
Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)

Steuerbescheide/
gleichgestellte Bescheide Andere Bescheide

§ 172 I Nr. 2d AO §§ 129, 132 AO §§ 130, 131 AO


i.V.m.
§§ 173 - 177, Berichtigung/ Rücknahme
164 II, 165 II AO Korrektur während Widerruf
Rechtsbehelfsverfahren
Änderung
Aufhebung
129
Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)

Steuerbescheide u. diesen gleichgestellte Bescheide:

• Steuerbescheid (§ 155 I AO)

• Steuervergütungsbescheid (§ 155 IV AO)

• Steueranmeldung (§ 168 AO)

• Feststellungsbescheid (§ 181 I 1 AO)

• Steuermess-, Steuerzerlegungs- u. Zuteilungsbescheid


(§§ 184 I 3, 185, 190 S. 2 AO)

• Zinsbescheid (§ 239 I 1 AO)

• Kostenbescheid (§178 IV 1 AO) 130


Duales Korrektursystem bei
Steuerverwaltungsakten (T/L, § 21 Rz. 381- 465)

Andere Bescheide, dazu gehören z.B.:

• Ab- bzw. Anrechnungsverfügung zu Steuerbescheiden

• Abrechnungsbescheid (§ 218 II AO)

• Haftungs- u. Duldungsbescheid (§ 191 I AO)

• Stundung (§ 222 AO)

• Erlass (§ 163, 227 AO)

• Aussetzung der Vollziehung (§ 361 II AO)


131
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)

§ 172 I 1 Nr. 2a AO: § 172 I 1 Nr. 2d AO:


auf Antrag des Stpfl. in sonstigen gesetzlichen
(innerhalb der Einspruchs- Fällen: nächste Folie
frist zu stellen, wenn zu
seinen Gunsten)
§ 172 I 1 Nr. 2b, c AO:
• sachlich unzuständige
Behörde
• durch unlautere Mittel
erwirkt
132
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)

§ 172 I 1 Nr. 2d AO: in sonstigen gesetzlichen Fällen: Teil I

• § 173 I AO:
Korrektur wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen oder
Beweismittel

•§173a AO (neu):
Korrektur wegen Schreib- oder Rechenfehler bei Erstellung einer
Steuererklärung

•§174 AO:
Korrektur wegen widerstreitenden Steuerfestsetzungen

133
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)

§ 172 I 1 Nr. 2d AO: in sonstigen gesetzlichen Fällen: Teil II


•§175 I 1 Nr. 1 AO:
Korrektur des Folgebescheids bei Änderung des
Grundlagenbescheids
•§ 175 I 1 Nr. 2 AO:
Korrektur wegen nachträglich eingetretenen Ereignisses mit
steuerlicher Wirkung für die Vergangenheit
•§175a AO:
Korrektur zur Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung
•§ 175b AO (neu):
Korrektur wegen unzureichender Berücksichtigung der
Datenübermittlung durch Dritte oder unrichtiger Daten oder
fehlender Einwilligung 134
Die einzelnen Korrekturvorschriften

Korrektur wegen neuer Tatsachen, § 173 AO (T/L § 21 Rz. 404 ff.)


• ermöglicht eine punktuelle Korrektur
• Zweck der Vorschrift: Lösung des Prinzipienwiderspruchs zwischen:
Rechtssicherheit /Vertrauensschutz Materielle Rechtsrichtigkeit

Positive Tatbestandsmerkmale
• Tatsachen oder Beweismittel
 abzugrenzen von Schlussfolgerungen und bloßen Bewertungen
• werden nachträglich bekannt = waren im Zeitpunkt des Erlasses des urspr.
Bescheides bereits vorhanden, aber dem FA noch unbekannt
− tatsächliche Kenntnis maßgeblich
− Tatsachen, die sich aus den Akten anderer Steuerpflichtiger ergeben, gelten auch
dann als nicht bekannt, wenn für deren Bearbeitung dieselbe Person zuständig ist
(BFH, BStBl. II 2013, 5).
• führen bei ihrer Berücksichtigung zu einer höheren/niedrigeren Steuer
(Rechtserheblichkeit) 135
Die einzelnen Korrekturvorschriften
Negative Tatbestandsmerkmale
• bei Änderung zugunsten des Stpfl.: Kein grobes Verschulden am
erst nachträglichen Bekanntwerden der Tatsache (s. § 173 I Nr. 2
AO)
• bei Änderung zulasten des Stpfl: keine Verletzung der
Ermittlungspflicht des FA (ungeschriebene Einschränkung des §
173 I Nr. 1 AO aus Treu-und-Glauben, so Rspr.)
• keine Änderungssperre gem. § 173 II AO

Korrektur wegen Schreib- oder Rechenfehler, § 173a AO (neu)


• Wandel von der Berichtigung zur bestandskraft-durchbrechenden
Korrektur
• Im Gegensatz zu § 129 AO muss Fehler nicht „offenbar“ sein und kein
Ermessen!
• lex specialis zu § 129 AO; Problem: ähnliche Unrichtigkeit ist in §
173a AO n.F. nicht genannt 136
Die einzelnen Korrekturvorschriften

Korrektur wegen widerstreitender Tatsachen, § 174 AO (T/L § 21 Rz.


420-435)
• Positiver Widerstreit (Abs. 1 u. 2)
Mehrfachberücksichtigung eines Sachverhalts
 Verhältnis zwingender Alternativität zwischen den Bescheiden
erforderlich
 zum widerstreitende Steuerbescheid einer Behörde eines EU-
Mitgliedstaats s. BFH, BStBl. II 2013, 566
• Negativer Widerstreit (Abs. 3)
 Widerstreitende Nichtberücksichtigung eines Sachverhaltes
 nicht anwendbar, wenn die Finanzbehörde den Sachverhalt lediglich
entgegen der Rechtslage falsch gewürdigt hat
 Zwingende Alternativität erforderlich
137
Die einzelnen Korrekturvorschriften

• Folgekorrektur (Abs. 4, 5)
 Ein Rechtsirrtum der Finanzbehörde ist Voraussetzung
 Die Rspr. fordert für Abs. 4 keine zwingende Alternativität
 Den „bestimmten Sachverhalt“ i.S.v. § 174 IV AO versteht die Rspr. extensiv
als einen Sachverhaltskomplex (BFH BStBl. 2010, 586 [588] m.w.N.; 2013, 471
[473]; T/L § 21 Rz. 436)

Korrektur bei Änderung eines Grundlagenbescheids, § 175 I Nr. 1 AO

Korrektur wegen rückwirkenden Ereignisses, § 175 I Nr. 2 AO


(T/L § 21 Rz. 437 – 446)
• nach Erlass des ursprünglichen Bescheides eintretendes Ereignis
• das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit besitzt:
→ lex generalis zu § 17 UStG oder § 16 GrEStG

Bsp.: Zivilrechtliche Rückwirkung; Gerichtsentscheidungen mit rückwirkender Bindung,


auflösende Bedingung, nachträgliche Änderung von Einmaltatbeständen 138
Die einzelnen Korrekturvorschriften

Korrektur bei Verständigungsvereinbarung, § 175a AO


• Verständigungsvereinbarung/ Schiedsspruch
• basierend auf (v.a.) DBA

Korrektur bei Datenübermittlung durch Dritte, § 175b AO (neu)


• Daten i.S. des § 93c AO (s. Folie 97) nicht oder nicht zutreffend
berücksichtigt (Abs. 1)
• Daten i.S. des § 93c AO, die nach § 150 VII 2 AO n.F. als Angaben des
Stpfl. gelten (= wenn Stpfl. keine davon abweichende Angaben in
Steuererklärung macht) und zu Ungunsten des Stpfl. unrichtig sind (Abs.
2)
• Vorausgesetzte Einwilligung für steuerliche Berücksichtigung der Daten
i.S. des § 93c AO fehlt (Abs. 3)

139
Vertrauensschutz nach § 176 AO
(T/L § 21 Rz. 449 – 453)

Einschränkung einer zu Lasten des Stpfl. erfolgenden Korrektur:

• Nichtigkeitsfeststellung eines Gesetzes durch das


Bundesverfassungsgericht
• Vorwurf der Verfassungswidrigkeit durch oberstes Bundesgericht
• Rechtsprechungsänderungen durch oberste Bundesgerichte dürfen
sich nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken
• Bestand von allgemeinen Verwaltungsvorschriften

140
Korrektur von Steuerbescheiden nach §§ 172 ff. AO
(T/L, § 21 Rz. 394-453)

Zu unterscheiden = § 177 AO:

unselbständiger Saldierungstatbestand
(Saldierung mit gegenläufigen
Fehlern)

141
Die einzelnen Korrekturvorschriften

Fehlersaldierung, § 177 AO (T/L § 21 Rz. 447 – 448)

• Bei punktueller Korrektur gem. §§ 172 – 175 AO können gegenläufige


materielle Fehler für die keine eigenen Korrekturvorschriften eingreifen,
korrigiert werden, soweit die Änderung reicht.

Beispiel: a) b)
Bisheriger Steuerfestsetzung 10.000 10.000
Änderung gem. § 173 I Nr. 1 AO + 2.000 + 2.000
Materieller Fehler - 1.000 - 3.000

Steuerfestsetzung nach Änderung 11.000 Änderung


unterbleibt

142
Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten
nach § 129 AO (T/L § 21 Rz. 389-392)
• Mechanische Versehen (Schreib-, Rechenfehler u. ähnliche Unrichtigkeit)
→ die Möglichkeit eines Rechts- oder Tatsachenirrtums muss ausgeschlossen
sein

• Fehler muss der Finanzbehörde bei Erlass des VA unterlaufen sein


→ erweiterte Anwendung durch die Fallgruppe sog. Übernahmefehler (s. BFH
BStBl. 2009, 946; auch bei elektron. Steuererklärungen von BFH/NV 2010, 2232
angenommen; zur Rspr. s. Seer, in Tipke/Kruse, § 129 AO Tz. 14)

• Fehler muss offenbar sein


→ abweichend von § 42 VwVfG soll die Offenbarkeit nicht aus dem VA selbst für
den Adressaten erkennbar sein müssen; vielmehr soll es ausreichen, wenn sich die
Offenbarkeit erst aus dem Akteninhalt der Finanzbehörde ergibt (st. Rspr.)

Auf der Basis der Rspr. wird der Berichtigungstatbestand zu einer


echten bestandskraftdurchbrechenden Korrekturnorm
143
Korrekturvorschriften für sonstige VA
Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte (§ 130 AO)
(T/L § 21 Rz. 457 – 460)
• belastende Verwaltungsakte: Ermessensentscheidung, ob ganz oder teilweise,
ex nunc oder ex tunc -> keine Aushöhlung von Rechtsbehelfsfristen
• begünstigende Verwaltungsakte: Abwägung zwischen materieller Richtigkeit
und Vertrauensschutz – 4 enumerativ aufgezählte Rücknahmefälle

Widerruf rechtmäßiger Verwaltungsakte (§ 131 AO) (T/L § 21 Rz. 461 – 465)


→ nur ex nunc möglich
• belastende Verwaltungsakte: es darf kein rechtswidriger Zustand geschaffen
werden
• begünstigende Verwaltungsakte: erhebliche Berührung des
Vertrauenstatbestandes – 3 enumerativ aufgezählte Widerrufsfälle

144
Korrektur eines anderen SteuerVA,
T/L § 21 Rz. 456

rechtswidriger rechtmäßiger
VA VA

§ 130 AO § 131 AO
Rücknahme Widerruf

ex tunc oder ex nunc


ex nunc

belastender VA begünstigender begünstigender VA belastender VA


§ 130 I AO VA § 130 II AO § 131 II AO § 131 I AO

145
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(1):

A ist seit Jahren Eigentümer eines Mehrfamilienhauses. In seiner


Einkommensteuererklärung für 2015 (Anlage V + V) hat er versehentlich
die Spalte "Schuldzinsen" nicht ausgefüllt. Das Finanzamt hat die
Einkünfte aus der Vermietung des Hauses daraufhin wie von A erklärt
übernommen und dementsprechend den ESt-Bescheid 2015 am
10.9.2016 erlassen. Anfang Januar 2017 bemerkt A, dass die
Schuldzinsen als Werbungskosten nicht berücksichtigt worden sind und
beantragt die Änderung des Steuerbescheides.

146
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(2):

Professor W hat im Jahr 2014 für seine Habilitationsschrift einen mit 10.000
€ dotierten Geldpreis erhalten. In einer Anlage zur Einkommensteuer-
erklärung 2014 führt er aus: "Geldpreis über 10.000 €; einmaliger Zufluss,
der keiner Steuerpflicht unterfällt". Das Finanzamt veranlagt daraufhin die
ESt 2014 endgültig, ohne den Geldpreis zu erfassen. Nachdem ein
Schreiben des Bundesministers der Finanzen zur Besteuerung von
Geldpreisen ergangen ist, kommen dem Sachbearbeiter Zweifel an der
Behandlung des Steuerfalls. Er möchte den ESt-Bescheid 2014 ändern und
die 10.000 € als Einkünfte aus selbständiger Arbeit ansetzen.

147
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(3):

Beim Textilhändler A wird für die Jahre 2013-15 eine Außenprüfung


durchgeführt. Im Anschluss daran kommt das FA aufgrund einer
Schätzung (§ 162 AO) der Besteuerungsgrundlagen im Wege einer sog.
Geldverkehrsrechnung zu ungeklärten Fehlbeträgen von ca. 40.000 €. Die
ESt-Bescheide 2013-2015 werden entsprechend geändert. A ficht die
Bescheide an und erreicht für den VZ 2014, dass im finanzgerichtlichen
Verfahren eine andere, für ihn in 2014 günstigere Schätzungsmethode
(ein sog. interner Betriebsvergleich) angewendet wird. Die ESt 2014 wird
vom FG entsprechend niedriger festgesetzt. Da ein interner
Betriebsvergleich in den VZ 2013, 2015 zu einer höheren Steuer führen
würde, hat A insoweit seine Einsprüche zurückgenommen. Das FA
möchte für die VZ 2013, 2015 gleichwohl Änderungsbescheide erlasse.

Literatur
BFH v. 26.2.2002 – X R 59/98, BStBl. II 2002, 450; BFH v. 14.3.2012 – XI R 2/10,
148
BStBl. II 2012, 653.
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(4):

Unternehmer U hatte per 30.6.2014 sein Einzelunternehmen veräußert.


Der steuerliche Veräußerungsgewinn i.S.d. § 16 I Nr. 1 EStG betrug
500.000 €. Auf dieser Basis setzte das Finanzamt gegen U die
Einkommensteuer 2014 bestandskräftig fest. Käufer K hatte den
vertraglich geschuldeten Kaufpreis allerdings nicht sofort in voller Höhe
bezahlt, so dass noch ein Restkaufpreis i.H.v. 200.000 € offenblieb. Im
Jahr 2016 gerät der wenig geschäftstüchtige K in die Insolvenz, so dass
die Restforderung uneinbringlich wird. Welche steuerlichen Rechtsfolgen
ergeben sich für U?

Literatur
BFH v. 19.7.1993 – GrS 2/92, BStBl. II 1993, 897 ff.; BFH v. 22.7.2008 – IX R
79/06, BStBl. II 2009, 227; BFH v. 20.7.2010 – IX R 45/09, BStBl. II 2010, 969;
BFH v. 23.5.2012 – IX R 32/11, BStBl. II 2012, 675.

149
Fälle zur Korrektur von Steuerverwaltungsakten
(5):

A hat seine Einkommensteuererklärung für den Veranlagungszeitraum


2016 im April 2017 eingereicht. Im Oktober 2017 reicht er eine
Bescheinigung über auf die Einkommensteuer gemäß § 36 II 2 Nr. 2 EStG
anrechenbare Kapitalertragsteuer i.H.v. 400 € nach, die er ursprünglich
versehentlich nicht mit eingereicht hatte.

Kann A die Berücksichtigung der anrechenbaren Kapitalertragssteuer


verlangen?

150
Steueraufsicht
= jede Beaufsichtigung des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zur
Erfüllung des Auftrags des § 85 AO
Allgemein:

Außenprüfung (T/L, § 21 Rz. 225 - 252)


 Umfassende und intensive Prüfung und Ermittlung aller steuerlichen
Verhältnisse im Anschluss an die Steuerfestsetzung

Besondere:
• Zollamtliche Überwachung, §§ 209 ff. AO (T/L, § 21 Rz. 258)
• Umsatzsteuernachschau, § 27b UStG (T/L, § 21 Rz. 259)
• Lohnsteuernachschau, § 42g EStG (eingef. durch EU-AmtshilfRLUmsG v. 29.6.13)
 Gegenwartsbezogene, laufende Überwachung des
Steuerpflichtigen; Steueraufsicht als dauernder Zustand

151
Steueraufsicht
Steuerfahndung (§ 208 AO)
(T/L, § 21 Rz. 253-257)

Doppelfunktion

Verfolgung von Ermittlung des steuerrelevanten


Steuerstraftaten/ Sachverhalts:
-ordnungswidrigkeiten • § 208 I Nr.2 AO: Zusammenhang
(§ 208 I Nr.1 AO)
mit Steuerverfehlung
• § 208 I Nr.3 AO: unbekannte
Steuerfälle (dazu: BFH, BStBl.
II 2014, 225)

152
Außenprüfung

I. Prüfungsanordnung = Verwaltungsakt (§ 196 AO n.F.: „…schriftlich oder


elektronisch…“)

• Gewerbetreibende, Freiberufler, Land- und Forstwirte, § 193 I AO


 Betriebsprüfung

• Stpfl. i.S.d. § 147a AO (hohe Überschuss-Einkünfte)

• Steuerentrichtungspflichtige, § 193 II Nr. 1 AO


(z.B. Arbeitgeber, Banken wegen des Steuerabzugs)

• Sonstige, § 193 II Nr. 2, 3 AO

 Ermessen (eingeschränkt durch BpO v. 15.3.2000, BStBl. 2000,


368)

Beachte: Außenprüfung auch bei Datenübermittlung durch Dritte nach §


93c AO n.F. gem. § 203a AO (neu) 153
Außenprüfung

II. Ablauf

• Ausweispflicht (§ 198 AO)

• Prüfungsbeginn wird aktenkundig gemacht


(Folgen: §§ 171 IV, 371 II Nr. 1a AO)

• Betretens- und Besichtigungsrecht, § 200 III 2, 3 AO

• Lfd. Unterrichtung des Steuerpflichtigen über


Prüfungsfeststellungen (§ 199 II AO)

• Schlussbesprechung mit Möglichkeit zur tatsächlichen


Verständigung (§ 201 AO)

• Prüfungsbericht (§ 202 AO) 154


Verbindliche Zusage, §§ 204 ff. AO (T/L §
21 Rz.14 ff.)
• Gegenstand: geprüfte und im Prüfungsbericht dargestellter
Sachverhalte mit Dauerwirkung oder Dauerwiederkehr
• Im Anschluss an die Außenprüfung: Antrag auf in die Zukunft
wirkende, verbindliche Zusage einer bestimmten Behandlung
• Zusage = einseitige Selbstverpflichtung der
Finanzbehörde zu einem bestimmten zukünftigen Tun,
Dulden oder Unterlassen
• Adressat wird nicht gebunden
 Selbstbindung ohne Fremdbindung
 Adressat erhält in die Zukunft gerichteten Dispositionsschutz
• Stpfl. muss sein Dispositionsinteresse darlegen
 Liegt regelmäßig vor bei Sachverhalten mit Dauerwirkung / Dauerwiederkehr vor
• Formerfordernisse des § 205 AO: Schriftform u. Inhalt
• Spezielle Korrekturvorschriften, §§ 206, 207 AO
155
Rspr. zur sog. tatsächliche Verständigung
(T/L, § 21 Rz. 20-24)

über den Sachverhalt über das Recht


• Sachverhalt nicht, nur • grundsätzlich unzulässig
erschwert oder nur unter • aber über Schätzung (§ 162
erheblichem, unangemes- AO) und Bewertungen
senen Aufwand ermittelbar zulässig

• keine offensichtlich
unzutreffende Besteuerung

Verständigung betrifft regelmäßig bereits verwirklichte


Zeiträume (retrospektive Wirkung)
156
Bindungswirkung der tatsächlichen
Verständigung

Treu und Glauben öffentlich-rechtlicher


• so die Rspr., die aber Vertrag
letztlich Vertragsregeln • so die h.L.
anwendet • § 78 Nr. 3 AO ermöglicht die
Handlungsform
• BFH BStBl. II 1991, 43; 1996, • §§ 201, 361a AO –
625; 2004, 975, 979 Erörterungstermine sind auf
• BMF v. 30.7.2008, BStBl. I verbindliche Einigung
2008, 831 angelegt

Zur tatsächlichen Verständigung s. Seer, BB 2015, 214 ff.


157
Verbindliche Auskunft nach § 89 II-VII AO i.V.m.
StAuskV (T/L, § 21 Rz. 16-19)

= einseitige Selbstbindung der FinBeh.

Selbstbindung ohne Fremdbindung

Zweck = Dispositionsschutz (Steuerplanungssicherheit)

Voraussetzungen:
- besonderes Zusageinteresse
- Unsicherheit über die rechtliche Beurteilung eines in
der Zukunft geplanten Sachverhalts
- kein Austesten eines „Steuersparmodells“
158
Verbindliche Auskunft (§ 89 II-VII AO)

Bindungswirkung
• aus sich selbst heraus (h.M.: begünstigender VA)
• Bindungswirkung ex nunc

Gebührenpflicht des Zusageantrags


• Anknüpfung an Gerichtsgebühren
• keine Erfolgsabhängigkeit

159
Änderung des § 89 AO durch StModG
(BGBl. I 2016, 1679, 1684 f.)

• Künftig vorgesehen, dass über den Antrag auf Erteilung einer


verbindlichen Auskunft innerhalb von 6 Monaten nach
Eingang des Antrags entschieden werden soll, § 89 Abs. 2 S.
4 AO
• Erweiterung der Verordnungsermächtigung in § 89 Abs. 2 S. 5
AO durch § 89 Abs. 2 S. 6 AO: Voraussetzungen für
einheitliche verbindliche Auskunft ggü. mehreren Beteiligten
und Zuständigkeit für solche Auskünfte
• Für einheitlich erteilte verbindliche Auskunft in Zukunft nur
noch eine Gebühr zu erheben, § 89 Abs. 3 S. 2 HS. 1 AO
(alle Antragsteller sind Gesamtschuldner i.S. des § 44 Abs. 1
S. 1 AO, § 89 Abs. 3 S. 2 HS. 2 AO)

160
Verbindliche Auskunft (§ 89 II-VII AO)

Reichweite der gerichtlichen Überprüfbarkeit?

BFH v. 29.2.2012, BStBl. II 2012, 651, BFH v.


27.2.2014, BStBl. II 2014, 894
a.A.: Krumm, DStR 2011, 2429

Zur verbindlichen Auskunft und deren Mängel


ausf. Seer, StbJb. 2012/2013, 557 ff.

161
Fall 1:
H ist selbständiger Handelsvertreter und führt von dem Telefonanschluss in
seiner Privatwohnung gelegentlich Verkaufsgespräche. In seiner ESt-Erklärung
01 setzt er 50% der Telefonkosten als Betriebsausgaben an. Nach Rücksprache
mit H setzt das Finanzamt die ESt nach den erklärten Besteuerungsgrundlagen
endgültig fest. In der ESt-Erklärung 02 setzt H wiederum 50% der Telefonkosten
als Betriebsausgaben mit dem Vermerk an: "wie Vorjahr". Der Sachbearbeiter
hält nunmehr den Prozentsatz für zu hoch und schätzt ihn auf max. 30%.
Dementsprechend setzt er die ESt fest. H legt fristgerecht Einspruch ein und
verlangt einen Ansatz von 50% mit dem Argument, das Finanzamt sei durch die
frühere Verfahrensweise, auf die er vertraut habe, gebunden.

Literatur
BFH v. 14.2.2006 – III B 145/05, BFH/NV 2006, 1058 f.; BFH v. 7.10.2010 – V R
17/09, BFH/NV 2011, 865.

162
Fall 2:

Sachbearbeiter S des FA möchte überprüfen, ob das von dem Lehrer L


im Zusammenhang mit dem Werbungskostenabzug geltend gemachte
häusliche Arbeitszimmer tatsächlich besteht. Ohne vorherige
Anmeldung verlangt S von L den Zugang in dessen Wohnhaus, um
das Arbeitszimmer zu besichtigen. L verweigert ihm den Zutritt. S
versagt daraufhin den Werbungskostenabzug. Zu Recht?

Literatur
FG Düsseldorf v. 14.10.1992 – 5 K 144/90, EFG 1993, 64; FG
Niedersachsen v. 9.3.1993 – VII 314/90, EFG 1994, 182; Anders,
DStR 2012, 1779.

163
Fall 3:
Im Rahmen einer Außenprüfung entdeckt der Prüfer bei dem
Malermeister M für das Jahr 2015 einen ungeklärten
Vermögenszuwachs von 25.000 € auf einem Girokonto des M. Der
vorliegende ESt-Bescheid 2015 ist endgültig ergangen. Malermeister
M behauptet, er habe das Geld im Casino Hohensyburg gewonnen.
Das FA sieht darin eine bloße Schutzbehauptung, erhöht den Gewinn
um 25.000 € und berichtigt den ESt-Bescheid.

164
Fall 4:

Nach einer Außenprüfung einigen sich im Rahmen der


Schlussbesprechung der Steuerpflichtige und der Außenprüfer
dahingehend, dass ein an die 18-jährige Tochter verschenkter Firmen-
PKW (VW-Golf, 2 Jahre alt, 60.000 km) als Privatentnahme mit 6.000 €
bewertet wird. Der für die Festsetzung der ESt zuständige
Sachgebietsleiter Schlaumeier fragt, ob er an die Vereinbarung
gebunden ist?

Literatur
T/L, § 21 Rz. 20 ff.; BMF v. 30.7.2008, BStBl. I 2008, 831.

165
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)

 eine sich am wirtschaftlichen Normzweck


orientierende teleologische Interpretation des
Steuergesetzes

Grundgedanke:
"Für die Beurteilung abgabenrechtlicher Fragen ist in
wirtschaftlicher Betrachtungsweise der wahre wirtschaftliche
Gehalt und nicht die äußere Erscheinungsform des Sachverhalts
maßgebend" (US-Regel: "substance over form")

166
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)
Gesetzliche Ausprägungen:
• Zurechnung von Wirtschaftsgütern (§ 39 II AO)

Grundsatz:
§ 39 I AO: Zurechnung zum Eigentümer, d.h. grds. Zurechnung nach
dem Zivilrecht

Ausnahme:
§ 39 II AO: Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche
Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den
Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der
Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann, so ist ihm das
Wirtschaftsgut zuzurechnen.

Beispiel:
Sicherungseigentum 167
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)

Gesetzliche Ausprägungen:

• Gesetz- oder sittenwidriges Handeln (§ 40 AO)


wird durch das Steuerrecht erfasst!

Gedanke:
Durch die Anknüpfung an das wirtschaftliche "Ist" auch in Fällen
gesetz- oder sittenwidriger Handlungsweise soll erreicht werden, dass
illegales Verhalten nicht ggü. legalem Verhalten steuerlich begünstigt
wird.

168
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
im Steuerrecht (T/L, § 5 Rz. 70-145)

Gesetzliche Ausprägungen
• Unwirksame Rechtsgeschäfte (§ 41 AO)

Gedanke:

• § 41 I 1 AO will den durch das unwirksame Rechtsgeschäft


geschaffenen wirtschaftlichen Vorgang/Zustand erfassen.

• Da Scheingeschäfte keinen wirtschaftlichen Effekt auslösen,


bleiben sie steuerrechtlich unerheblich (§ 41 II AO).

169
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (1):
Eltern E übertragen auf ihren Sohn A ein Mietwohngrundstück unter
Vorbehalt eines lebenslänglichen Nießbrauchs.

Abwandlung:
Gleichzeitig vereinbart E mit A ein schuldrechtliches Veräußerungsverbot,
das durch eine Rückauflassungsvormerkung gesichert wird.

Wem ist das Grundstück zuzurechnen? Wem die Mieteinkünfte?

Literatur
BFH v. 26.11.1998 – IV R 39/98, BStBl. II 1999, 263 ff.; BFH v. 20.12.2005
– X B 128/05, BFH/NV 2006, 704; BFH v. 28.3.2007 – IX R 37/05, BFH/NV
2007, 1891.

170
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (2):

Dealer D arbeitete als Rauschgifthändler. Er hatte aus dem Kokainverkauf


Einnahmen i.H.v. 400.000 €. D musste 65.000 € für den Kokaineinkauf
aufwenden. Seine Transportkosten beliefen sich auf 30.000 €.

Welche steuerlichen Folgen ergeben sich?

171
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (3):

Ein 6-jähriges Kind kauft ein Buch. Die Eltern genehmigen den Kauf nicht.
Das Kind behält das Buch dennoch.

Muss der Händler den Kaufpreis als Betriebseinnahme buchen?

172
Fälle zur Rechtsanwendung im Steuerrecht (4):

Der hochverschuldete S arbeitet als "Geschäftsführer" bei einer GmbH.


Die GmbH schließt deshalb mit der Ehefrau des S einen Arbeitsvertrag
und überweist die Vergütungen auf ein Konto der E. Wer hat die
Vergütungen zu versteuern?

173
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5 Rz. 116-134)

Missbräuchliche Anwendung von Gestaltungsmöglichkeiten des


Rechts durch Wahl einer den wirtschaftlichen Vorgängen unange-
messenen rechtlichen Gestaltung zum Zwecke der Steuervermeidung

Grundsatz
Der Stpfl. kann sein wirtschaftliches Verhalten im Rahmen der Rechtsordnung frei
wählen und gestalten. Das Steuerrecht schränkt die wirtschaftliche Freiheit nicht
ein, sondern respektiert sie und knüpft an sie an. Die bloße Steuervermeidung
bleibt daher folgenlos (dazu: Drüen in: T/K § 42 Rz. 6 f.).

Ausnahme
Durch den Missbrauch qualifizierte Steuervermeidung:
Missbräuchliche Tatbestandsvermeidung (Steuertatbestände) oder Tatbestands-
erschleichung (Steuerbefreiungen, -entlastungen).

174
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5 Rz. 116-134)
Tatbestandsvoraussetzungen:

1. Gestaltungsmöglichkeit des Rechts

= Rechtsgeschäfte, geschäftsähnliche Handlungen, Rechtshandlungen


(Realakte)

2. Umgehung eines Steuergesetzes

= Stpfl. nutzt die Diskrepanz zwischen Wortlaut und Zweck einer Norm zu
seinen Gunsten aus

= Der wirtschaftliche Sachverhalt, der in seiner üblichen rechtlichen Form


die Besteuerung auslöst, bleibt unverändert. Es wird nur die rechtliche
Form so verändert, dass die steuerliche Anknüpfung nicht mehr gelingt.
175
Steuerumgehung (§ 42 AO)
(T/L, § 5 Rz. 116-134)

3. Missbräuchliche Umgehung eines Steuergesetzes

= Die rechtliche Gestaltung ist unangemessen, d.h. verständige Parteien


wären in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts nicht so verfahren.
Indiz: wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für die der
Steuerminderung dienende Gestaltung fehlen.

4. Umgehungsabsicht

= Die wirtschaftlich sinnlose Gestaltungsmöglichkeit des Rechts wird eingesetzt,


um den steuerlichen Belastungstatbestand zu umgehen.

176
Fälle zur Steuerumgehung (1):

Eltern E kaufen in der Universitätsstadt T eine Eigentumswohnung und


vermieten sie an ihren Sohn S, der in T studiert. Die Miete zahlt S aus dem
von E erhaltenen monatlichen Unterhalt. Können die E einen Verlust aus
der Vermietung der ETW bei ihrer ESt-Erklärung geltend machen?

Abwandlung
S empfängt keine laufenden Unterhaltszahlungen mehr, weil er von den
Eltern Kapitalvermögen geschenkt erhalten hat. Von den daraus fließenden
Zinsen kann er seinen Unterhalt einschließlich der Miete bestreiten.

Literatur
BFH v. 19.10.1999 – IX R 30/98, BStBl. II 2000, 223; Pezzer, StuW 1994,
31 ff.; ders., Steuerberater-Jahrbuch 2000/2001, 61; T/L, § 5 Rz. 116 ff.
177
Fälle zur Steuerumgehung (2):
Die inländische GmbH G gründet die liechtensteinische Tochtergesellschaft
L, die in die ausländischen Leistungsbeziehungen als Vertragspartner
eingeschaltet wird. Die bei L eingehenden Zahlungen werden an die
Muttergesellschaft weitergeleitet. Außer einem liechtensteinischen Vorstand
(Rechtsanwalt R, der auch für andere Gesellschaften tätig ist) sind bei L
keinerlei Angestellte beschäftigt.

Literatur
BFH v. 29.10.1997 – I R 35/96, BStBl. II 1998, 235; BFH v. 19.1.2000 – I R
94/97, BStBl. I 2001, 222; BFH v. 25.2.2004 – I R 42/02, BStBl. II 2005, 14;
T/L, § 5 Rz. 116 ff.

178
Fälle zur Steuerumgehung (3):

Schwiegervater möchte seiner Lieblings-Schwiegertochter 200.000 €


schenken. Um der Schenkungsteuer zu entgehen, schenkt er die
200.000 € seinem Sohn S unter der Auflage, den Betrag seiner Ehefrau
weiterzuschenken.

Gestaltungsmissbrauch?

Literatur
BFH v. 18.7.2013, BStBl. II 2013, 934; T/L, § 5 Rz.121

179

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