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Maurllce Adatto

Lebendi9e Haue
Schmucktätowierungen und Dermatologie

94 A 1't935

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Edllcllones Roche, Basel/Schwellz
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Anschrift des Autors :
Dr. Maurice Adatto
Abteilung für Dermatologie
der Universitätsklinik Genf
Rue Micheli-du-C rest
CH- 1211 Genf 14

Übersetzung :

Maurice Adatto
Layout : Martin Schneider Living Skin
Übersetzung aus dem Englischen : Dr. med . Ulrich Scharmer, München
Lithographien : Photolitho Sturm AG , Muttenz, Schweiz
Satz und Druck : Mayr Miesbach, Druckerei und Verlag GmbH,
Am Windfeld 15, 83714 Miesbach

~ UNIVERSITÄTS- -,
BIBLIO THEX
HEIDELBERG

@
© 1993, Editiones Rache
F. Hoffmann-La Rache AG, Basel/Schweiz

ISBN 3- 88878-092-6

5
Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Die Welt des Tätowierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

1. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1. 1 Ursprünge des Tätowierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.2 Bedeutung in der Urzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.3 Das Aufkommen der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
1.4 Die Welt in der Antike. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
1.5 Die Haltung der monotheistischen Relig ionen . . . . . . . . . . . . 25
1.6 Das Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
1.7 Tätowierungen in verschiedenen Zivilisationen . . . . . . . . . . . 26
1.8 Das Zeitalter des Rock 'n' Roll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2. Die heutige Bedeutung des Tätowierens . . . . . . . . . . . . . . . . 36


2.1 Tätowieren als Kennzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.2 Tätowieren als Heilmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40
2.3 Tätowieren als Gefühlsausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3. Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3 .1 Lokalisation und Zahl der Tätowierungen . . . . . . . . . . . . . . . 43
3.2 Häufigkeit von Tätowierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
3.3 Psychodynamik des Tätowierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
3.4 Tätowieren und Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

4. Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
4.1 Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
4.2 Polynesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
4.3 Westliche Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

5. Pigmente oder Färbemittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69


5.1 Amateur-Pigmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69

~ 11
i
,

5.2 Professionelle Pigmente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.5 Tangentiale Exzision und Deckung durch ein Spalthaut-
Transplantat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
6. Rechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.6 Tangentiale Exzision und Deckung durch eine Polyurethan-
Membran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
II. Dermatologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 3.7 Spalthaut-Entnahme und dermo-epidermales Tra nsplantat
an derselben Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
1. Histologie 73 3.8 Tangentiale Exzision und rein epidermales Transplantat
an derselben Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
2. Komplikationen ... . ........... .. ..... . ..... . .... . 76
2.1 Akute entzündliche Rea ktionen ... . .... .. .. ....... . . . 77 4. Thermische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2.2 Eitrige Infektionen ....... . ..................... .. . 77 4.1 Infrarot-Koagulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2.3 Infektionen durch andere Erreger . . . . . .... . .... .... . . . 77 4.2 Kryochirurgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2.4 Nichtinfektiöse Hauterkrankungen
im Bereich von Tätowierungen ............... .. .... . . 79 5. Kombinierte Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
2.5 Erworbene Sensibilisierung gegenüber Pigmenten . . ..... . 80 5.1 Sa labrasion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
2.6 Atypische entzündliche Reaktionen ............ . . .... . 85 5.2 Chemo-Laser-Techniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
2.7 Verschiedenes ..... . . .. .. .. ... .. . .. . . .... . ... . ... 86 5.3 Tangentiale Exzision und nachfolgende Vaporisation
mit einem COr Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
III. Verfahren zur Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
6. Photonen-Verfahren : Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
A. Lebensdauer einer Tätowierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106
B. Bewertung von Folgezuständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6.2 Einteilung der Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
C. Gründe für die Entfernung einer Tätowierung . . . . . . . . . . . . 91 6.3 Eigenschaften von Lasern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107
6.4 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
1. Chem ische Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 6.5 Wirkungen von Lasern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
1.1 lntradermale Injektionen von Tanninsäure . . . . . . . . . . . . . . . 92 6.6 Verschiedene Arten von Lasern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
1.2 Anwendung von Trichloressigsäure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 6.7 Allgemeine Anwendungen von Lasern in der Dermatologie . . 115

2. Mechanische Verfahren . . .. . .. ... .. . . ... . .. . ...... . 93 7. Photonen-Verfahren : Laser-Behandlung von Tätowierungen . 116
2. 1 Erneuerung der Tätowierung .. .. . . . .. ....... .. . .. .. . 93 7.1 COr Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
2.2 Abrasion mit Sandpapier .... ...... . .. . ... . . . .... .. . 94 7.2 Argon-Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
2.3 Oberflächliche Dermabrasion . ........... . . .... ..... . 95 7.3 Rubin-Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
7.4 Farbstoff-Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
3. Operative Verfahren .. .. . ......... . . ... ... ... ..... . 96 7.5 Nd-YAG -Laser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
3 .1 Einfache Exzision und direkter Verschluß ... . ........ . . . . 96
3.2 Mehrzeitige Exzision .. .. . . ... . .. .. . . ............. . 96 Sch 1u ßbetrachtu ng 139
3.3 Hautdehnung mit nachfolgender Exzision und Verschluß
durch direkte Naht ... . ..... . ...... . . . .... ... ..... . 97 Literaturverzeichnis 141
3.4 Totalexzision und Deckung durch ein Spalthaut-Transplantat . 100

12 13
Einführung

In seiner Ausgabe von 1858 enthielt das fran zösische Lexikon von Littre
erstmals einen Eintrag zu dem Begriff Tätowierung (tatouage). Darin
wurde Tätowierung definiert als »das System von Methoden, durch die
pflanzliche oder mineralische Farbstoffe in unterschiedlicher Tiefe unter
die Epidermis eingebracht werden, um Färbungen oder Muster zu
erzeugen, die sichtbar und langanhaltend sind, wenng leich nicht völlig
unauslöschlich . . . «.
Man beachte den sorgfältig formulierten Hinweis auf die Langlebig-
keit einer Tätowierung.
Die Etymologie des Wortes Tätowierung leitet sich direkt von dem
Tahitianischen tattau (reimt sich auf blau) ab. Der Wortstamm ta
bedeutet zeichnen, und das Wort als ganzes bedeutet eine Zeichnung in
der Haut. Captain Cooks Tagebuch für Juli 1769 enthält den folgenden
Eintrag über die Eingeborenen von Tahiti: »Beide Geschlechter malen
auf ihre Körper Tattau, wie es in ihrer Sprache heißt; dies geschieht,
indem die Farbe Schwarz auf eine Weise unter die Haut eingebracht
wird, daß sie unauslöschlich ist. Einige haben schrecklich aussehende
Abbildungen von männlichen Vögeln oder Hu nden (. . .). Kurzum, sie
weisen im Aufbringen dieser Bilder eine solche Mannigfaltigkeit auf, daß
sowohl deren Menge als auch deren Position allein von der Laune des
einzelnen abzuhängen scheinen (. .. ). Männer und Frauen zeigen sie mit
großem Vergnügen 1 . «
Das Wort ist seitdem nahezu unverändert in die eu ropäischen
Sprachen eingegangen, im Fall des Französischen »nicht ohne Wider-
stand «, wie Captain Cooks Übersetzer Suard 2 bemerkt, »aber es gibt
nirgends eine französische Entsprechung« für die englische Entlehnung
aus dem Tahitianischen .
Um größere Klarheit zu schaffen, beschäftigt sich dieses Buch nur mit
der am weitesten verbreiteten Form des Tätowierens, nämlich der
Schmucktätowierung . Weder das traumatische Tätowieren durch Inzi-
sion noch seine Mischformen werden behandelt. Ebensowenig werden
in dem Buch Tiertätowierungen besprochen .

15
Tätowieren hat dieselbe Funktion wie Skarifizieren. Die Erklärung für 1. Die Welt des Tätowierens
sein Verteilungsmuster auf den einzelnen Kontinenten liegt in einem
offensichtlichen und natürlichen Bedürfnis nach Pigmentierung . Je heller
die Haut, um so besser ist die Tätowierung sichtbar. Somit werden
Tätowierungen überwiegend von hellhäutigen oder leicht pigmentierten
Völkern praktiziert, vorwiegend in Amerika, Asien, Australasien und im
Pazifik .
Schwa rze Afrikaner bevorzugen dagegen das Skarifizieren; es besteht 1. . Historischer Hintergrund
aus Hautritzungen und der Ausnützung der natürlichen Tendenz zur
Bildung hypertropher Narben, um plastische Muster zu erzeugen . 1. 1 Ursprünge des Tätowierens
Dieses Buch gliedert sich in drei Teile :
• Teil 1, der das Schmucktätowieren in seinem historischen, ethnologi- Die Vorgeschichte aller Dinge hüllt sich gerne in Legenden; das
schen und psychologischen Zusammenhang darstellt. Tätowieren bildet hier keine Ausnahme.
• Teil 11, der sich mit der Beziehung zwischen der Tätowierung und »Es lebte einmal .. . eine Jungfrau mit reinem Herzen an den Ufern des
Indus, nahe an seinem Zusammenfluß mit dem Fluß Chenab. Sie war
ihrem Wirt, der Haut, beschäftigt.
• Teil III, in dem die verschiedenen Verfahren zur Entfernung uner- 16 Jahre alt und hieß Cyrrhoe. Sie liebte Bantas, einen Fischer, und
wünschter Tätowierungspigmente besprochen werden. Bantas liebte sie. Aber König Neris beschloß, sie zu seiner Frau zu
machen .
Eines Tages wurde dem König berichtet, daß das Mädchen in den
Fischer verliebt sei und jede Welle den Gesichtsausdruck ihres Geliebten
widerspiegele, wenn sie in dem Fluß bade. Der König wurde über alle
Maßen wütend und beauftragte seine Diener, das Mädchen zu beob-
achten . So fanden die Zusammenkünfte der Liebenden plötzlich ein
Ende . Cyrrhoe war eine Gefangene, trotz ihrer scheinbaren Freiheit( . . .).
Um der Geliebten seine Liebe zu zeigen, ersann Bantas die genialsten
Listen . Eines Tages setzte er eine Mohnblume in die blaue Blumenblät-
terkrone einer Amantas und vertraute sie den Fluten des Chenab an . Der
majestätische Fluß trug sie zuverlässig in den Indus, in dem Cyrrhoe
badete. Sie ergriff sie und verstand die Süße der enthaltenden Botschaft
(. . .). Der grausame König seinerseits entzifferte die Sprache der Blumen .
Außer sich vor Wut befahl er die Zerstörung aller auf dem Chenab
treibenden Amantas (. .. ).
Cyrrhoe weinte und rief dann ihre treue Gefährtin Mancilla . Sie
entblößte Mancillas braune Brust, tauchte eine Bambusnadel in eine
Mischung aus den Säften einer Amantas und von Koschenilleläusen und
zeichnete eine Mohnblume auf ihre Haut. >Gehe, süße Mancilla<, sagte
sie, >und zeige diese Mohnblume meinem geliebten Bantas, als Zeichen
meines Kummers.< König Neris erfuhr wiederum von diesen Vorgängen
und war so wütend, daß er beschloß, daß die beiden Liebenden von

17
16
demselben Schwert sterben sollten, wenn sie es wagten, sich ihm zu dafür, daß die Praxis schon vor dieser Zeit existierte. So wurde in der
widersetzen (. .. ). Aber der Gott des Indus war schneller als er. Donnernd Grotte von Arcy-sur-Cure (Frankreich) eine Feuerstelle entdeckt, die zur
vor heiliger Wut ließ er seine Wasser anschwellen und versenkte den Zubereitung von Farbstoffen verwendet wurde, zur Umwandlung von
Prinzen in seinem Palast. Er faßte die beiden Mädchen in der Höhlung Ockergelb in Ockerrot. Sie enthielt ferner Knochen und Jagdwerkzeuge,
einer Welle und trug sie fort (. .. ). Am nächsten Morgen, als die Sonne die mehrfach eingeschnitten waren und auf etwa 35 000 Jahre datiert
aufging, fand Bantas voller Überraschung die Körper von Cyrrhoe und wurden. Der schlüssige Beweis, daß es sich hier um Tätowierungen und
Mancilla, die behutsam neben seine Netze gelegt worden waren. Beide nicht um Körperbemalungen handelte, fehlt jedoch. Belege für dauer-
3
waren mit einer Mohnblume bemalt, der Tätowierung der Götter(. .. ) . « hafte Körperinschriften können in Wandmalereien in der Sahara aus
Die historischen Tatsachen sind selbstverständlich etwas ganz ande- dem 5. Jahrtausend v. Chr. gefunden werden, z. B. die berühmte
res. Bemerkenswert ist aber, daß das Motiv gefühlsbezogen war, selbst Gehörnte Gottheit von Tassili N' Ajjer (Abbildung 2). Das Gizeh-Museum
in dieser frühesten Phase. (Kairo, Ägypten) besitzt Tätowierungsinstrumente, ähnlich den Nadeln
Obwohl die erste wirkliche und materiell existierende Tätowierung moderner Tätowierer, aus Grabmälern aus dem 4. Jahrtausend. Spuren
von den Skythen (Oberes Altai-Gebirge, am Schwarzen Meer) (Abbil - von Tätowierungen wurden an den Mumien ägyptischer Priesterinnen
dung 1) aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammt, gibt es indirekte Belege und Tänzer im Hatschepsut-Tempel (2. Jahrtausend) gefunden . Es kann

Abbildung 1. Tätowie-
rung auf der Hand Abbildung 2. Gehörnte
eines Mannes, die Gottheit. Höhlenmale-
mythische Tiere zeigt. rei aus der Sahara .
Pazyryk (Oberes Altai- lnaouanrhat, Tassili
Gebirge). 5. bis 6. Jahr- N'Ajjer, Algerien. Indi-
hundert v. Chr. Eine der rekter Beweis für das
ältesten erhaltenen Tätowieren (etwa 5000
Tätowierungen. Jahre v. Chr.). Jean
Eremitage, St. Peters- Dominique Lajoux
burg . (Paris), 1973.

19
18
daher trotz Fehlens eines schlüssigen Beweises mit einiger Sicherheit Generation eine Reihe von kulturellen Errungenschaften internalisiert.
gesagt werden, daß die Ursprünge des Tätowierens fast so alt sind wie Dies war der Auslöser für die Entwicklung der menschlichen Vorstel-
die der Menschen selbst. lungskraft. Die Herstellung von Werkzeugen wird nicht als eine anatomi-
sche Evolution, sondern als eine intellektuelle Entwicklung erklärt, bei
der Symbolismus und Vorstellungskraft vorherrschten, und die eine Art
1.2 Bedeutung in der Urzeit Leinwand erforderte, auf der sie zur Unterweisung künftiger Generatio-
nen bildhaft ausgedrückt werden konnte. In jener Zeit des Nomaden-
über den Zeitpunkt, an dem das anatomische Substrat erstmals zu tums hatten die Menschen eine perfekte Oberfläche, die tragbar, fertig
einem symbolischen wurde, kann nur hypothetisiert werden . Es kann und jederzeit für diesen Zweck verfügbar war : ihren eigenen Körper 4 .
sich um eine Narbe gehandelt haben, bei einem Unfall, beim Jagen oder Dies könnte erklären, warum man in den frühesten Höhlenmalereien
im Kampf erlitten, die mit der Bedeutung eines Abzeichens für Mut keine anatomische Darstellung findet : Es bestand keine Notwendigkeit,
belegt und dann in einen sozialen Kode aufgenommen wurde (Abbil- weil die Zeichnungen für echte menschliche Körper bestimmt waren .
dung 3). Erst später wurden sie auf Höhlenwände und Bronzeplatten übertragen.
Die Menschen unterscheiden sich von anderen Spezies dadurch, daß
Für eine primitive Gemeinschaft hat Natur offensichtlich eine andere
sie von der Struktur her nicht an ihre Umgebung angepaßt sind . Das
Bedeutung als für unsere westliche Gesellschaft, in der sie durch ein
zwingt sie zu Erfindungen und dazu, die Ergebnisse ihres Erfindungs-
System physischer und psychosozialer Vermittlung unter Kontrolle
reichtums an künftige Generationen weiterzugeben. Das überleben der
gehalten wird, das so komplex ist, daß sie nicht länger eine unmittelbare
Art hängt davon ab; jede Generation sorgt dafür, daß die folgende
Gefahr darstellt. Natur war alles, was den unsicheren Raum eines
primitiven Lagers bedrohte : der vordringende Wald, Raubtiere, Geister -
das facettenreiche Andere, gegen das die Menschheit beständig ihre
eigene Existenz behaupten mußte. Diese Dialektik zwischen Natur und
Kultur wurde in die Gemeinschaft selbst übernommen, die ihre Struktur
aufrechterhalten und gewährleisten mußte, wollte sie nicht untergehen.
Aber primitive Gesellschaften waren Gesellschaften ohne einen Staat.
Die Ordnung der Symbole wurde nicht durch eine unabhängige
Autorität gewährleistet; stattdessen war sie in der Gruppe in Form von
Mythen gegenwärtig, die ständig auf eine gewisse fühlbare Weise
angerufen werden mußten: auf der Haut jedes einzelnen . Aus unserer
Sicht bestand die urzeitliche Funktion der Tätowierung in nichts
anderem als in der Verkörperung und Reaktivierung der Gesellschafts-
struktur.

Wir könnten Parallelen zur Praxis der Beschneidung ziehen: Dies ist
ebenfal ls ein Ritus, der dem Körper den Stempel der Gesellschaft
aufdrückt und auch eine Komponente von Initiation hat. Das Markieren
des Körpers wird dazu verwendet, eines kritischen Ereignisses zu
gedenken und es zu symbolisieren: im Fall der Beschneidung für die
Abbildung 3. Abdruck einer Hand mit Einstichen. Pech-Merle, Lot, Frankreich (über
Juden den Kontrakt mit Gott; ferner Geburt, Pubertät oder Erreichen
15000 Jahre v. Chr.). Der Körper dient wechselseitig sowohl als Leinwand als auch
als Sujet. Jean Vertut (lssy les Moulineaux). eines reiferen Status.

20 21
Hautinschriften dienten als soziale Kennzeichnung und als Markie- umrandeten. Auf ähnliche Weise tätowierten die Eskimos ihre Stirn mit
rung für die kulturelle und symbolische Ordnung . Sie stellten die den Schwänzen der Wale, die sie getötet hatten.
Heterogenität zwischen den Gruppen und zwischen den Individuen c. Die Zeremonie mußte blutig sein . Blut hatte immer magische
innerhalb derselben Gruppe dar. Körpermale fungierten somit als Kodes, Bedeutung, wenn es im Zusammenhang mit Verpflichtung und Brüder-
wie Totem-Systeme. Eine Hautinschrift, die das Abbild eines Totems schaft zwischen dem Zelebranten und dem Initiierten einerseits und
darstellt, war nicht als bildhaft genaue Darstellung angelegt. Sie legte zwischen Individuen und der Gruppe, der sie durch den Ritus beitreten
nur Zeugnis von der Tatsache ab, daß eine bestimmte Anzahl von sollen, andererseits, floß .
Individuen in dem Stamm am selben geistigen Leben teilnahm . Im 5. Jahrhundert v. Chr. berichtete Herodot, daß die Skythen Pakte
In fast allen Stammesgesellschaften wurden initiatorische Körpermar- dadurch abschlossen, daß sie die Körper der Beteiligten mit einem
kierungen als Teil eines rituellen Gemeinschaftsereignisses durchgeführt. scharfen Objekt einritzten . Das gewonnene Blut wurde in einem Gefäß
Um für alle glaubhaft zu sein, mußte der Akt von einem spezialisierten mit Wein gemischt; bevor sie das Gebräu tranken, riefen die Vertrags-
Zelebranten ausgeführt werden, dessen Beherrschung des Tätowierens parteien gewaltsame Drohungen und Flüche gegen diejenigen aus, die
ihm den Status eines Medizinmanns verliehen hatte. Dies diente dazu, es wagten, die Vereinbarung zu brechen.
den rituellen und initiatorischen Charakter des Ereignisses zu erhalten . Spuren dieser drei wesentlichen Komponenten lassen sich noch in der
Aber es gab eine Reihe weiterer Anforderungen, wie Claude Levi -Strauss modernen Tätowierungssitzung finden: die magische Macht des Täto-
zeigte 5 . wierers, Schmerz als Zeichen für Mut und das Schließen von Blutsbrüder-
a. Die Zeremonie mußte magisch sein: Die Wirksamkeit der Magie schaft zwischen den beiden Parteien . Auf ähnliche Weise dienen
hing vom Glauben aller beteiligten Parteien ab . Es gab drei einander Tätowierungen in Gruppen, die durch ein gemeinsames Bekenntnis
ergänzende Anforderungen : die Überzeugung des Medizinmanns in die verpflichtet werden, z. B. geheime Gesellschaften, als Erkennungszei-
Wirksamkeit seiner Technik, den Glauben der betreffenden Person an chen zwischen den Initiierten und ebenso als Bestätigung einer engen
die Macht des Medizinmanns sowie das Vertrauen und die Erwartungen und unauflösbaren Bindung .
der Gruppenmeinung, die eine Art dauerhaftes Gravitationsfeld für die
Beziehungen zwischen dem Medizinmann und seinen Patienten bil-
deten. 1.3 Das Aufkommen der Schrift

b. Die Zeremonie mußte Schmerzen verursachen . Schmerz war ein


Som it war Tätowieren als Ausdruck der Gemeinschaft im wörtlichen
wesentlicher Bestandteil magischer Riten und der Grund für deren
Sin ne die Verkörperung der unterschiedlichen Ausübung von Gesetz
reinigende Wirksamkeit. All dies läßt vermuten, daß solch eine rituelle
und Ordnung auf das Individuum. Aber mit dem Aufkommen der Schrift
Tortur der erneute Ausdruck und die Verstärkung auf einer mythologi-
veränderte sich die Lage sehr schnell. Levi Strauss stellte fest : »Man muß
schen Ebene dessen waren, was möglicherweise der Ursprung des
einräumen, daß die primäre Funktion der schriftlichen Kommunikation
Körpermals war: der Stolz eines jagenden Kriegers beim Zeigen seiner
darin bestand, Abhängigkeiten zu festigen 6 .« Wenn das Gesetz der
Wunde, des sichtbaren und fühlbaren Wertabzeichens. Nachdem die
Gruppe nicht mehr auf dem Körper der Individuen dargestellt wurde,
Wunde in den Status eines Zeichens für einen symbolischen oder
dann deswegen, weil es von da an auf Pergament übertragen wurde,
magischen Kode erhoben wurde, konnte sie rituell als gesellschaftliche
d. h. auf eine anonyme Haut. Dies bedeutete, daß es nicht mehr von
Bestätigung der Männlichkeit des einzelnen reproduziert werden.
jedem einzelnen Mitglied der Gemeinschaft verkörpert wurde. Nur
Tätowierungen und Skarifizierungen können leicht als direkter Beweis diejenigen mit Zugang zur Schrift hatten das Recht, das Gesetz zu
für Mut angesehen werden, indem Schmerz still ertragen werden verstehen, zu formulieren oder anzuwenden . Mit dem Aufkommen der
mußte, wenn der Träger ihrer wert sein sollte . So hoben die Sioux die Schrift verlor das Tätowieren daher einen Teil seiner Bedeutung . Von
Wunden, die sie im Kampf erlitten hatten, hervor, indem sie sie rot diesem Zeitpunkt an wurde das Gesetz im wörtlichen Sinne entkörper-

22 23
li ~ht. Es wurde aus einigem Abstand verfaßt und allgemein verbreitet. 1.5 Die Haltung der monotheistischen Religionen
, Dies erwuchs nicht aus Respekt vor der Unversehrtheit des Körpers : Es
bedeutete im Gegenteil, daß der Körper von da an anonym und Tätowieren war natürlich im Judentum als Erbe aus der ägyptischen
austauschbar geworden war. In Gesellschaften, die als Staat organisiert Gefangenschaft bekannt. Moses verbot es als erster. Die Bibel befiehlt :
sind, hat die Unterscheidung zwischen ökonomischen, politischen und »Ihr sollt um eines Toten w illen an Eurem Leibe keine Einschnitte
\ militärischen Einrichtungen zur Folge, daß die Individuen undifferenziert machen noch Euch Zeichen einätzen 7 .«

~
und polyvalent sind . Verweigern sie ihren austauschbaren Status, Die ersten Christen gravierten sich auch das Monogramm von
schließen sie sich selbst aus der Gesellschaft aus und setzen sich dem Christus und das Zeichen des Kreuzes auf ihren Armen und Handflächen
Stigma der Schande aus, das ihre Regression in den Zustand der ein . In diesen frühen Tagen rekrutierten sich diese Eingeweihten alle aus
Unzivilisiertheit unterstreicht. Somit kehrte sich mit der Errichtung den Minen und Galeeren und wiesen somit bereits Brandzeichen auf.
zentralisierter Gesellschaften die Bedeutung von Körpermalen allmählich In der Folgezeit benötigten die Christen ein gegenseitiges Erken-
ins Gegenteil und bedeutete Ausschluß aus der Gesellschaft anstatt nungszeichen zum gemeinsamen Gottesdienst. Sie mußten auf Zeichen
Zugehörigkeit zu ihr. Körpermale wurden zum Vorrecht der verurteilten ausweichen, die nur ihnen selbst bekannt waren : »Die ersten Christen
( Männer, Gefangenen und Sklaven . Diese Entwicklung fand in allen trugen das Symbol von Christus auf ihren Händen und Armen 8 .« Erst viel

-großen Reichen statt, in Europa, im Nahen Osten und in Japan . später kennzeichneten sie auch Objekte auf die gleiche Weise.
Die Kirche belegte das Tätowieren mit ihrem Bann und verurteilte es
formell auf dem Konzil von Nizäa im Jahre 787. Die von dem Historiker
L. Keimer 9 aufgeworfene Frage, ob Christus selbst tätowiert war, ist von
1.4 Die Welt der Antike geringem Interesse, da die Vermutung auf einer phantasiereichen
Textinterpretation beruht. Es ist jedoch sicher, daß Verzierungen der
Im Griechenland der Antike war der menschliche Körper in seiner Haut in dieser Zeit politischer und geistiger Umwälzungen weithin
natürlichen Perfektion das Maß der Schönheit. Diese Zentriertheit auf praktiziert wurden . Im 11 . Jahrhundert, im Jah[e 1097, erlaubte ein
den Körper war mehr als eine ästhetische Ange legenheit; sie war ein Kirchengesetz das Tätowie_ren wieder. Angesichts des vordringenden
sozialer Imperativ, bei dem der Körper das Maß für alle Dinge war, für Islams versuchte die Kirche, das heilige Grabmal in den Kreuzzügen zu
alle Bürger, so daß um so mehr außer Frage stand, daß der Körper ein befreien . Die Kreuzzugteilnehmer tätowierten sich danach selbst, denn
Mal tragen könnte. Dies fand seinen Ausdruck in Platos Ideal, wonach »dem Körper eines jeden, der den Tod ohne den Trost der Religion
die Schönheit des Körpers nur durch physische Askese voll verwirklicht riskierte, war eine christliche Ruhestätte sicher, wenn er das Zeichen des
werden könne. Regeln für die Schönheit wurden verfaßt Uunge Sparta- Kreuzes trug 10 «. Dieser Brauch ist noch erhalten; viele religiöse Tätowie-
ner erschienen regelmäßig nackt vor dem Amtssitz der Ephoren, um sich rungen werden in Jerusalem und Bethlehem als Beleg für die Pilgerschaft
geeignete Diäten oder Übungen verordnen zu lassen). Alles in allem durchgeführt 11 . Darüber hinaus wird in manchen christlichen Kirchen,
mußte der Körper nicht mehr mit Malen versehen werden, weil er selbst z.B. bei den Kopten und den Orthodoxen, »das Symbol des Kreuzes
zum Bild dessen wurde, wofür er früher die Leinwand abgab. allgemein als Zeichen auf dem rechten Handgelenk eingeritzt, um den
Im alten Rom war Konstantin 1. (287-337 n. Chr.) der erste Kaiser, der Träger von Moslems zu unterscheiden 12 «.
das Tätowieren verbot, weil er darin eine Verunstaltung des Bildes der Wie das Judentum verbot auch der Islam das Tätowieren, um die
göttlichen Schönheit sah . Diese Vorstellung von der Verunstaltung des Menschen von der Verunstaltung von Gottes Schöpfung abzuhalten .
Körpers kam mit dem Auftreten der drei großen monotheistischen Einige Hadithe des Korans verbieten ausdrücklich, das Erscheinungsbild
eligionen erneut auf. des Körpers zu verändern. In dieser Hinsicht widersetzten sich die
Moslems jedoch religiösen Verboten stärker als die Juden bzw. stärker
als in irgendeinem anderen Punkt. Tätowieren ist noch verbreitet in

24 25
Nordafrika und im Jemen, insbesondere bei den eingeborenen präarabi- 1.7.1 Tätowierungen bei den Maori
schen Gesellschaften, trotz einer t iefen islamischen Frömmigkeit. Täto-
wierungen finden sich hauptsächlich bei Frauen und benutzen eine Vor etwa 1000 Jahren kamen die Maori von den Macquarie-lnseln in
Bildersprache, die aus der präislamischen Zeit stammt. Das Verbot des Neuseeland an, bekannt als Aotearoa in Maori (»die Insel der langen
Korans hat einfach dazu geführt, daß die rituelle Bedeutung der weißen Wolke «). Tätowieren war in ihrer Gesellschaft eine weit verbrei-
Tätowierungen durch eine therapeutische, prophylaktische oder hei- tete und sogar wichtige Praxis. Wie bei anderen Zivilisationen verlieren
lende Funktion ersetzt wurde (besonders im Hinblick auf Blindheit und sich seine Ursprünge im Nebel der Vergangenheit. Aufgrund der nahezu
Unfruchtbarkeit). Das Einritzen von etwas Schwarzem, der Farbe von ständigen Stammeskonflikte geht eine Vermutung davon aus, daß es
Ruß und bösen Vorzeichen, in die Haut von Kindern diente als eine Art eine Art Kriegsbemalung war, die dauerhaft sein sollt 15 . Eine attrakti-
Impfung gegen den bösen Blick. Da sie in Ländern lebten, in denen die vere Erklärung besteht darin, daß diese Muster, die alle aus verflochte-
Landwirtschaft nur ein mageres Auskommen ermöglichte, wandten sich nen und überlappenden Kurven bestehen (Mako 76), eine Entsprechung
moslemische Gesellschaften sehr stark den geheimen Zeichen zu, die die des chinesischen Yin und Yang sind 17 . In diesem Sinn sind die Makos,
Natur symbolisierten; dies zeigt sich in ihren Tätowierungen, z. B. als die die Gesichter der Häuptlinge bedeckten - von einem Ohr zum
Dattelpalme, Wasserquelle usw. »Das Tätowieren in islamischen Ländern anderen, einschließlich Wangen, Stirn und Kinn - die erste bildhafte
ist das Zeichen der Unterwerfung unter Gott. Es kann als alter Brauch Darstellung der »ewigen Spirale«, die an den Gegensatz zwischen
angesehen werden, den der Prophet übernahm und den die Orthodoxie, diesen beiden Kräften am Ursprung aller Lebensenergie erinnert. Nach
ziemlich inkonsequent in diesem Fall, nicht mit Bann belegte, trotz der J. Purce liegt in allen Tätowierungen auf der ganzen Welt zu allen Zeiten
Tatsache, daß der Koran die Verunstaltung von Gottes Werk verbot 14 .« etwas von den Makos, das auf diese Lebensenergie hinweist 7 .
Das Tätowieren war bei den Maori völlig freiwillig, wenng leich
vermutlich ziemlich schmerzhaft, denn die Methode stand zwischen
einer Inzision und der in Polynesien praktizierten Injektion; anschließend
1.6 Das Mittelalter
wurde Ruß in die Wunde gedrückt. Je höher die Stellung des Betreffen-
den in der Hierarchie war, um so feiner war das Mako (Abbildung 4).
Nachdem das Zeitalter der Antike in Griechenland und Rom zu Ende
Sowohl die tätowierte Person als auch die zur Tätowierung verwendeten
war, erlebte das Schmücken der Haut einen nahezu völligen Niedergang,
Instrumente, die mit Blut verunreinigt waren, wurden zum Tabu . Die
zum indest in Westeuropa . Mit dem Erreichen des Mittelalters finden wir
Tätowierungssitzung fand im Freien statt, in Gegenwart der versammel-
keinen überl ieferten Hinweis auf das Tätowieren ; der Grund liegt
ten Dorfältesten . Alle Kriterien für urzeitliches Tätowieren waren erfüllt :
wahrscheinl ich in dem kirchlichen Bannspruch, abgesehen von den
Die Zeremon ie war magisch, wobei die Beherrschung seiner Kunst den
bereits erwähnten Umwälzungen bei den Kreuzzügen .
Tätowierer zu einer Art Medizinmann machte; ferner war sie öffentlich,
um den Mut im Angesicht des Schmerzes zu demonstrieren; und sie war
im Hinblick auf das Konzept des heiligen Paktes blutig.
1.7 Tätowierungen in verschiedenen Zivilisationen Unglücklicherweise war Captain Cook für das Verschwinden des
traditionellen Tätowierens verantwortlich . Dies lag daran, daß sein
Aus Platzgründen ist eine Übersicht über das Tätowieren in al len Besuch im Jahr 1770 praktisch unmittelbar einen Handel mit tätowierten
Zivilisationen und allen Gebieten nicht möglich . Aus diesem Grund Köpfen auslöste. Bei den Maori war es Brauch, die tätowierten Köpfe
besprechen wir nur drei kulturelle Varianten des Tätowierens in allen ihrer verstorbenen Häuptlinge zu verehren . Die weißen Siedler kauften
Einzelheiten : die Maori und die Japaner, die hinsichtlich ihres nachfol- sie anfangs für gelehrte Geschäftspartner in der Alten Welt. Ihnen
genden Einflusses die größte Bedeutung hatten, und das Tätowieren im folgten Händler, deren Motiv Habsucht war. Die Maori erlagen der
heutigen Westen . Versuchung eines regen Handels, der ihnen Nahrung und Waffen

26 27
nen mit tätowierten Gesichtern, die man in Grabmälern aus dem
3. Jahrhundert v. Chr. fand 18 . Obwohl der Beweis fehlt, liegt der Beginn
des Tätowierens, wie im Westen, aber sicher viel früher. Die Bedeutung
dieser Begräbnisstatuetten ist unklar (Diener, die einen Adligen in das
Leben nach dem Tode begleiten?). Aus dem 5. und 6. Jahrhundert n.
Chr. und später liegen jedoch klare Belege über das Tätowieren als
Zeichen der Schande vor 19 . In Japan war die Bedeutung der Zugehörig-
keit zur Gesellschaft so groß, daß Verbrecher lieber durch Gefängnis
bestraft werden wollten als durch Tätowieren, wodurch sie für immer
ausgeschlossen wurden. Zu eioer Tätowierung verurteilt zu werden war
mehr gefürcbtet als ein Todesurteil.
Das Tätowieren entwickelte sich nicht über Nacht von einer Strafe
Abbildung 4. Tamati
zum Schmuck . Es gibt mehrere Theorien . Vielleicht liegt der Ursprung als
Waka Nene, ein Stam-
mesfürst der Maori Schmuck in einer Tarnung des Zeichens für Bestrafung . Doch warum
(Ngatie Hao, Ngapuhi), wurden dann Schmucktätowierungen nicht an der medialen Seite des
1890. Die Perfektion Unterarms durchgeführt, der für Straftätowierungen ausgewählten
eines vol lständ igen Stelle?
Mako. Gottfried Lin-
Richtig begann das goldene Zeitalter der japanischen Tätowierkunst
dauer (1839 bis 1926),
ungefähr um 1750 mit einer sprunghaften Zunahme sowohl der
Bohemia, Neuseeland .
Öl auf Leinwand, 880 x Ausführenden als auch der Verschiedenartigkeit der Muster. Die Erklä-
700 mm, Partridge Col- rung ist einfach: Zu dieser Zeit konnten sich reiche Kaufleute Seiden-
lection, Auckland City Kimonos mit schillernden Farben leisten . Die Armen konnten sich solche
Art Gallery, Neusee- Kleidung nicht leisten und begannen stattdessen, sich mit tätowierten
land.
Mustern zu bedecken, die wesentlich billiger waren . Somit wurde das
Tätowieren zuerst in den ärmeren Teilen der Gesellschaft populär und
entwickelte sich dann nach und nach zu einem Zeichen der Gildenzuge-
verschaffte, und begannen, ihre Sklaven zu tätowieren, um deren hörigkeit unter Handwerkergruppen . Diese Situation führte zum ersten
abgeschlagene Köpfe zu verkaufen . Sie stellten sogar postmortale Verbot durch die Regierung im Jahr 1812. Dies war mit der Veröffentli-
Fälschungen her. Die Lage verschlimmerte sich so sehr, daß die Maori chung von Suikoden schnell vergessen; Suikoden war ein volkstümlicher
nur wegen ihrer Köpfe gejagt wurden, was der Praxis des Tätowierens Roman in der Art eines japanischen Robin Hood, der sich der Verdienste
ein nachhaltiges Ende bereitete. Ein Erlaß von Gouverneur Darling in des Mutes des einzelnen im Angesicht einer korrupten Regierung
Sydney im Jahre 1830, der den Handel ächtete, änderte daran nichts, rühmte . Seine hervorragenden Abbildungen waren für die Tätowierer
weil die Mako zu diesem Zeitpunkt komplett ausgerottet waren . dieser Zeit eine große Inspiration; das Tätowieren wurde damit nicht nur
dekorativ, sondern auch darstellend (Abbildungen 5 und 6).
Die Feuerwehrleute von Tokio waren als erste Vereinigung für die
1.7 .2 Tätowierungen in Japan Verschiedenartigkeit ihrer Tätowierungen berühmt. Sie wurden von den
Die Ursprünge des Tätowierens in Japan lassen sich ebenso schwer Behörden aus Arbeitslosen rekrutiert und waren für ihre Gewalttätigkeit
bestimmen wie anderswo. Archäologen fanden den ältesten konkreten und Grobheit bekannt - so sehr, daß man sie manchma l mehr fürchtete
Beleg für Tätowierungen in Haniwa; es handelt sich um kleine Tonfiguri - als das Feuer selbst. Selbstverständlich gibt es eine Reihe von Gründen

28 29
für ihren ausgedehnten Körperschmuck : das Nachahmen des Mutes gang . Die Schwierigkeiten mit der traditionellen japanischen Technik
ihrer Suikoden-Helden ; eine Körperbedeckung , weil sie bei der Bekämp- (vergleiche Methoden) und die geforderten exorbitanten Preise machten
fung von Bränden nur mit einem Lendentuch bekleidet waren; ein es zu einem Luxus, den sich nur noch die Wohlhabenden leisten
Gildenabzeichen; und vielleicht eine Tarnung von erl ittenen Verbren - konnten . Ferner müssen die wenigen noch lebenden Großmeister mit
nungen . ansehen, wie ihre Nachfahren mit schnelleren westlichen Tech niken
Um 1840 wurde diese Praxis durch das Eintreffen westlicher Besucher unter Verwendung von Nadeln tätowieren.
wiederbelebt; sie war in Ungnade gefallen, nachdem sie ihre ideologi- Tokio hat aber noch ein Museum für Tätowierungen, an der
sche Triebkraft verloren hatte. Die ersten Abendländer waren der Herzog Abteilung für Pathologie der Universität, das von Professor Katsunari
von York, der künftige Georg V , und sein Bruder, der Herzog von Fukushi geleitet wird . Er setzt die Arbeiten seines Vaters über die
Clarence, kurze Zeit später gefolgt von Zar Nikolaus II. von Rußland ; sie Wirkung von Pigmenten auf den menschlichen Körper fort und konser-
alle ließen sich tätowieren . viert die tätowierte Haut seiner Autopsiepatienten (Abbildung 7). Seine
Während das Tätowieren gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Sammlung umfaßt mittlerweile mehr als 100 Ganzkörpertätowie-
lega lisiert wu rd e, erlebte es Anfang des 20 . Jahrhunderts einen Rück- rungen 20 .

Abbildungen 5 und 6.
Traditionelle japanische
Tätowierung : » Mythi-
scher Held und Drache
im Sturm «, von dem
Tokioter Meister Ho-
riyoshi II. Die Topogra-
phie folgt der japani-
schen Tradition und
spart die vordere Me-
dianlinie, die Unter-
arme und den unteren
Bereich der Oberschen-
kel aus . Sigeru Kurunu-
ma (Tattootime - Life
and Death Tattoos.
Hardy Marks Publ ica-
tions, Honolulu, 1988,
S. 10- 11). Abbi ldung 6.

30 31
Gesinnung zu bestärken, indem er sich diese - jäh unpassende -
Drohung in seine Haut ritzen ließ. Aber es waren der junge Prinz von
Wales, der künftige Eduard VII., und sein Sohn, der künftige Georg V,
die der Schmucktätowierung in Europa im 19. und 20. Jahrhundert das
königliche Siegel der Billigung aufdrückten . Im Jahr 1881 erhielten die
Kinder von Königin Victoria auf ihrer Weltreise mit der königlichen Jacht
The lnconstant ihre ersten Tätowierungen von einem Großmeister seiner
Zeit, Hori Chuyo, in Yokohama. Neben anderen Motiven ließ sich der
Prinz von Wales einen Drachen auf seine Brust zeichnen; sein Sohn hatte
an der gleichen Stelle einen Anker. Königin Victoria war wütend, konnte
aber nicht verhindern, daß sich unter den jungen Adligen dieser Zeit eine
Mode ausbreitete. Sie gingen alle zum König der Tätowierer, oder, wie
er sich selbst gern nannte, zum Tätowierer der Könige, George
Burchett 22 . Er wurde 1872 in Brighton geboren; in Japan traf er auf den
Meister Hori Chuyo und wurde zu dieser Zeit in ganz Großbritannien
berühmt. Er übte seine Kunst in seinem von ihm so genannten
Abbildung 7. K. Fukushi bei der Präparation von Hautfragmenten in seinem Institut. »Operationssaa l« aus und starb im Alter von 81 Jahren, ohne sich je zur
(Tattootime - Life and Death Tattoos. Hardy Marks Publications, Honolulu, 1988,
Ruhe gesetzt zu haben . Danach folgten weitere Aristokraten dem
S. 74).
Vorbild der englischen Königsfamilie. Der künftige Kaiser Frederick III.

1.7.3 Westeuropa

Ein goldenes Zeitalter entwickelte sich im 17. und besonders im


18. Jahrhundert. Bekannte Persönlichkeiten zeigten ihre oft von fernen
Reisen mitgebrachten Tätowierungen in der Öffentlichkeit. Es folgen
einige besonders auffällige Beispiele.
Nachdem er König von Schweden geworden war, litt Graf Bernadotte
unter schweren Urämieschüben; es wurde ihm zu einem Aderlaß
geraten. Seine Majestät wurde gebeten, den linken Ärmel für den
heilsamen Einstich mit der Lanzette in seine Ellenbeuge hochzuheben. Er
weigerte sich strikt. Aber sein Zustand verschlechterte sich, und der Chor
des Flehens wurde nachdrücklicher. Schließlich war der König davon
überzeugt, daß sein Leben auf dem Spiel stand und forderte alle
Assistenten auf, sich zurückzuziehen, mit Ausnahme seines Chefarztes,
den er zur Verschwiegenheit verpflichtete . Danach hob er seinen Ärmel
an und offenbarte nahe an der Stelle, an der die Lanzette seinen Arm
durchbohren sollte, eine Tätowierung, die sich mit der Zeit nicht im
geringsten ausgelöst hatte: »Tod den Königen« 21 . Als jugendlicher Abbildung 8. Churchill, Roosevelt und Stalin auf der Konferenz von Jalta. Drei
Leutnant fühlte sich Bernadotte dazu verpflichtet, seine republikanische tätowierte Männer, die die Welt veränderten . Len Sirman Press (Genf).

32 33
unternahm die gleiche Reise nach Japan in Begleitung von Georg 1. von
Griechenland. Ihnen folgten Nikolaus Alexandrowitsch, der künftige Zar
Nikolaus II., Prinz Heinrich von Preußen und andere.
Wir werden diese Liste bekannter Personen nur noch mit der
Feststellung verlängern, daß alle Protagonisten auf der Konferenz von
Jalta (Abbildung 9) tätowiert waren: Churchill (ein Anker auf dem linken
Arm), Stalin (ein Totenkopf auf der Brust) und Roosevelt (ein Familien-
wappen). Dies wird von Bedeutung sein, wenn wir die Psychologie von
Menschen diskutieren, die sich tätowieren lassen.

1.8 Das Zeitalter des Rock 'n' Roll

Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gab es in der westlichen Welt eine
sprunghafte Zunahme an Tätowierungen . Selbstverständlich handelt es

Abbildung 10. Ein


gelungenes Porträt
von Laurel und Hardy.
Private Sammlung
(M. Adatto).

sich nur um eine Mode, ähnlich der bereits in der Vergangenheit


beschriebenen .
Dazu haben einige offensichtliche Faktoren beigetragen: die Versor-
gung mit neuen Helden aus Kino und Comic Strips (Abbildungen 9 und
1O), die Liberalität der Sitten (Hippies, Mai '68 in Frankreich) und die
Schwächung jüdisch-christlicher Gebote. Heute gibt es praktisch keine
Abbildung 9. Rücken- Grenzen hinsichtlich Auswahl oder Lokalisation des Musters. Die techni-
tätowierung, die durch schen Möglichkeiten moderner professioneller Tätowierer, das verbes-
Kevin Costners Film
serte Verstehen der Pigmente und deren Anwendung sowie der
»Der mit dem Wolf
tanzt« inspiriert wurde
derzeitige relative Wohlstand haben alle zur Schaffung des Rock 'n' Roll-
(M . Adatto). Zeitalters des Tätowierens beigetragen (Abbildung 11 ).

34 35
sinnvoll, einen Katalog mystischer Zeichen zusammenzustellen, wie das
manchmal getan wurde 23 - 26 , und dabei für jedes feste Bedeutungen zu
definieren . So ein einseitiger Ansatz führte Ende des 19. und Anfang des
20. Jahrhunderts zu krassen Aussagen wie der, daß alle Tätowierten
definitiv als Verbrecher bezeichnet wurden. In dieser Hinsicht stimmen
wir völlig mit dem professionellen Tätowierer C. Bruno überein, der
schreibt: »Ohne Zweifel ist die häufigste Tätowierung das kleine Drei-
Punkte-Muster (auf der Rückseite des ersten Fingerzwischenraums), das
in Frankreich die Bedeutung haben sollte : >Tod den Schweinen<, d. h. ein
Punkt pro Wort. Ich habe es sogar bei Polizisten gefunden ... In der Tat
scheinen die Ursprünge dieser Tätowierung in die vorgeschichtliche Zeit
zurückzureichen, weil man es auf dem Bauch mancher antiken Statuet-
ten gefunden hat. Es taucht bei den Kopten wieder auf, als Zeichen der
Trinität, und später unter Freimaurern . Es wird in verschiedenen
Regionen der Welt (Indien, Sumatra, Japan) mit unterschiedlicher
Bedeutung beschrieben . Auch ohne allzuweit in der Geschichte zurück-
zugehen, finden wir es in der modernen Zeit, in Deutschland bei den
Seeleuten der Bremen-Hamburg-Lübeck-Linie, in der (ehemaligen)
Abbildung 11 . Täto- UdSSR bei Kabeljau-Fischern, und in den Bergwerken an der Ruhr bei
wierung, die durch Kohlebergarbeitern (. .. .). Dies lehrt uns, daß wir uns davor hüten
Lewis Carrolls »Alice sollten, Interpretationen in Wörterbüchern für bare Münze zu nehmen
im Wunderland « ( ... ) 12 . ((
inspiriert wurde
Das Ende des 19. Jahrhunderts sah die Entstehung der neuen
(M . Adatto) .
»Wissenschaft « Kriminologie, deren Hauptzweck die Erkennung von
Verbrechern war. Dies war lange vor der Entdeckung von Fingerabdrük-
ken. Was schien damals leichter zu sein, als eine Tätowierung als
2. Die heutige Bedeutung des Tätowierens pathognomonisches Zeichen zu werten? Lombroso, der Begründer der
kriminologischen Anthropologie, schreckte nicht davor zurück, diese
Dieses Kapitel beschäftigt sich mit einer wichtigen Frage; als erstes bemerkenswert prägnante »Analyse« zu veröffentlichen 27 • 28 . Die Theo-
müssen seine Abgrenzungen definiert werden . Wir glauben, daß diese rie wurde Anfang des 20 . Jahrhunderts unter den Kriminologen ausgie-
viel verschwommener sind, als aufgrund der Literatur zu vermuten ist. big diskutiert 29 • 30 ; obwohl sie völlig absurd war, ist sie ohne Zweifel
Woran liegt es, daß eine Tätowierung einer bestimmten Kategorie noch heute zum Teil für das Entsetzen verantwortlich, das Tätowierun-
zugeordnet wird und nicht einer anderen? Oft überlagern sich mehrere gen bei manchen Menschen hervorrufen . Die genaue Bedeutung des
Aspekte, und selbst diejenigen, die sich tätowieren ließen, sind sich Zusammenhangs zwischen Tätowierungen und Kriminalität war Anlaß
manchmal - zumindest auf der bewußten Ebene - über den wahren für zahlreiche Diskussionen und wird dies auch künftig immer sein.
Grund für ihre Wahl eines bestimmten Musters oder einer bestimmten Lombroso ging so weit zu behaupten, ohne dafür viel Unterstützung zu
Farbe nicht im klaren - immer unter der Annahme, daß nicht der finden, daß Tätowieren ein atavistisches Rudiment sei, das Verbrecher
Tätowierer die Wahl getroffen hat. Da sich das Tätowieren mit seiner und Unzivilisierte gleichermaßen gemeinsam hätten, sowie Ausdruck der
Epoche und mit seinen Ausführenden weiterentwickelt, ist es nicht Charakterzüge, die beide teilten : Unempfindlichkeit gegen Schmerz,

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