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Institut für Mess- und Regelungstechnik

Leibniz Universität Hannover


Prof. Dr.-Ing. E. Reithmeier

Regelungstechnik für Fortgeschrittene –


Skript

22. April 2020


Inhaltsverzeichnis

1 Rückblick Regelungstechnik I 1

1.1 Probleme bei der Modellierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Robuste Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3

1.3 Reglerauslegung allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.4 Design Prozess eines Reglers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

2 Grundlagen der robusten Regelung 9

2.1 Lineare Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

3 Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 18

3.1 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

3.2 Performance im Zeitbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

3.3 Performance im Frequenzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.4 Bandbreite: . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

3.5 Reglerauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

4 Moderne Mehrgrößen-Reglung (MIMO) mit Hilfe von Normen 31

4.1 Normen in der Regelungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.2 Auslegegung moderner Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.3 LQG control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4.4 H∞ -Control . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

ii
Inhaltsverzeichnis iii

5 Robuste Prüfung der Stabilität und Performance 45

5.1 Modellunsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
5.2 Robuste Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
5.3 Small-Gain-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
5.4 Auslegegung robuster Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
5.5 Einschränkung bei H∞ -Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
5.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
Kapitel 1. Rückblick 1

1 Rückblick Regelungstechnik I

Modellierung

z. B. Elektrotechnik, Maschinenbau, Strömungsmechanik

Untersuchung der Übertragungsfunktion G(s)=


b Frequenzbereich
• Sprungantwort
• Impulsantwort
• Bode-Diagramm
• Ortskurve
• Stabilität (Lage der Pole)
• Stabilitätsreserve (Amplitudenreserve, Phasenreserve)

Reglerauslegung

• Wurzelortskurve
• Verfahren von Nyquist
• Bestimmen der Pole des geschlossenen Regelkreises

1.1 Probleme bei der Modellierung


Modellierung von Systemen ist immer wichtig → darauf baut alles auf.
Wie gut ist das mathematische (nominelle) Streckenmodell der Wirklichkeit (des physikalischen
Systems) ?
→ beeinflusst Güte (= Qualität) der bisher betrachteten modellbasierten Regelungsverfahren
Modellierung ist jedoch schwierig → Warum?

• physikalische Realität ist sehr kompliziert


• Versuch der mathematischen Beschreibung
a) Vereinfachungen: z. B. geschwindigkeitsproportionale Dämpfung
2 Kapitel 1. Rückblick

b) Annahmen: z. B. Schätzung der Umgebungstemperatur

Allgemein gilt:

• Dynamiken werden oft vernachlässigt


→ einfacher regelbar bzw. zu handhaben =
b weniger Energiespeicher
z.B. werden Sensor- und Aktordynamiken vernachlässigt
→ Eigenzeitkonstanten der Mechanik viel größer als der Elektrotechnik

• Nichtlinearitäten sind schwer modellierbar oder sehr kompliziert


z. B. im Maschinenbau: Reibungskurven → Stribeck-Kurve
z. B. in der Elektrotechnik: Temperaturabhängige Widerstände → Elektromotoren

• die beschreibenden Parameter sind:


a) nicht exakt bekannt (Reibung und Massenträgheit bei E-Motoren)
b) schwer messbar (Elektrisches Feld bei E-Motoren nur mit Feldsonde)
c) variieren aufgrund der Fertigung (Wicklung bei E-Motoren)

Aber: Bei Serienprodukten sind keine individuellen Regler gefragt → zu viel Aufwand
Hinweis: Fehler existieren sowohl mechanisch (z. B. Roboterkinematik), als auch elektrisch (Leis-
tungselektronik)
Hingegen gilt: keine Fehler im digitalen Rechner → Software ist perfekt reproduzierbar

Einfache Modelle erwünscht, denn:

• Regelungstechnik → Optimierungsproblem
• Komplexe Strecke → komplexer Regler
• hohe Systemordnung → viel Rechenpower (digital) bzw. viele Bauteile (analog)

Der aus Regelungstechnik I bekannte Ablauf ist:

Modellierung → Differentialgleichung → Laplace-Transformation → G(s)-Strecke

Modell ist jedoch oft schlecht da:

• hohe Dynamiken vernachlässigt


• Nichtlinearitäten vernachlässigt
• Parameter nicht genau bekannt
→ einfache Modelle (geringe Systemordnung = wenige Pole zu berücksichtigen)
→ einfache Regler
Kapitel 1. Rückblick 3

1.2 Robuste Regelung


Robuste Regelung bedeutet: die Analyse (= Untersuchung) eines ungenau bekannten Streckenver-
haltens und zugehörige Reglerauslegung.

Fall 1: Ein Regler für ein Modell


→ sehr gutes Ergebnis (stabil, schnelles Einschwingverhalten, geringe Regeldifferenz)

Fall 2: Selber Regler für ähnliches Modell


→ schlechte Ergebnisse (fast instabil)

→ ein robuster Regler hingegen würde auch hier gute Ergebnisse liefern

→ Robustheit kommt mit Trade-off (Austauschbeziehung = eine gegenläufige Abhängigkeit)

mehr Robustheit = weniger aggressive Regler = weniger Performance → Zielkonflikt

Robuste Regelung: Unsicherheiten angeben → mögliche Performance ermitteln


(des geschlossenen Regelkreises)
Aber: Robuster Regler mit super Performance ist oft nicht möglich

Beispiel: Verladebrücke
Kabine
Masse mc

Seil
Länge l

Container
Masse mL
Für bekannte Massen → Steuerung verwenden
hier:

• mL unbekannt, leer ←→ voll, → große Schwankung → Regelung notwendig:


• Seillänge l variiert
• Gewicht Laufkatze m C = const.

Klassische Regelungstechnik: m L , m C , l messen


→ Regler auslegen → hier jedoch unpraktisch, da ständig veränderlich
4 Kapitel 1. Rückblick

⇒ daher robusten Regler auslegen

To-do: Robuster Regler

• Unsicherheiten der Strecke beschreiben / charakterisieren, z. B.


nur Grenzen beschreiben: ungenauer, aber einfacher und besser lösbar
Verteilung beschreiben: jedoch mathematisch kaum lösbar
• Robustheit analysieren
– perfektes Streckenmodell = Nominalstrecke
– Regler gegeben
– Regelkreis stabil
(Nominalstrecke instabil = Unsichere Strecke erst recht instabil)
– Frage: Für alle Strecken = Strecken mit Unsicherheit stabil?
z.B. Dämpfung variiert zwischen −1 . . . + 1
→ Regelkreis soll stabil für diese Werte sein
• Robustheit synthetisieren = Regler finden, der alle Strecken stabilisiert
Anmerkung: mathematisch aufwendig, führt zu sehr komplizierten Reglern

Regelungstechnik besteht aus Feedforward und Feedback


Feedforward (Open loop control)
Störung
Referenz Stellgröße Regelgröße
Regler Aktor Strecke
Feedback (closed loop control)
Störung
Referenz Fehler Stellgröße Regelgröße
Regler Aktor Strecke

Beispiel: Positionsregelung eines E-Motors:


Schrittmotor = Feedforward (keine Positionsmessung)
Servomotor = Feedback (Positionsmessung mittels Drehgeber)

Vorteile von Feedback gegenüber Feedforward

+ Robustheit (Störungen und Modellfehler werden ausgeregelt)


Kapitel 1. Rückblick 5

+ Dynamik kann verändert werden (Pole beeinflussbar, s. WOK)

+ geht auch bei instabilen Strecken (Pole beeinflussbar)

Nachteile von Feedback gegenüber Feedforward

– zusätzliche Hardware nötig (Sensor, Vergleich)

– möglicherweise instabil (Pole beeinflussbar)

Beispiel: Active Noise Control (ANC)

Störschall d (n )

st (n ) Referenzmikrofon

Referenzschall

x (n ) y (n ) Gegenschallu ( n )
Steuerungsfilter

Störschall
d (n )
Fehlermikrofon

Überlagerung
e(n )
y (n )
Regler
Gegenschallu ( n )

Ausgangsgröße

Abbildung 1.1: Active Noise Control (ANC)

1.3 Reglerauslegung allgemein


Hier: lineare Systeme, weil:

1. einfacher und besser entwickelt: keine Lyapunov-Funktionen nötig, wie bei nichtlinearen
Systemen
6 Kapitel 1. Rückblick

2. praktische Erfahrung zeigt: lineare Regler, die mit linearen Methoden ausgelegt sind, sind
ausreichend für reale nichtlineare Strecken

Ziel: Regelungsergebnisse verstehen und interpretieren


Methoden: Zustandsrückführung, Beobachter, Optimalregler
Programme: Matlab, Labview, GNU Octave, Scilab oder ähnliche
Zum Verständnis: Lyapunov-Methode
Methoden zur Behandlung von Stabilitätsfragen von Differentialgleichung ohne exakte Lösung
Energie des Systems in der Nähe der Ruhelage nimmt ständig
→ Ruhelage des physikalischen Systems ist stabil
Lyapunov-Stabilität wird mit Hilfe so genannter Lyapunov-Funktionen bewiesen.
→ Nichtlineare Regelungstechnik

1.4 Design Prozess eines Reglers


1. System (Strecke) untersuchen
allgemein: z.B. Roboter regeln, Anti-Blockier-System

2. Strecke modellieren, möglicherweise vereinfachen


Mechanik: Differentialgleichung 2. Ordnung, Leistungselektronik mitmodellieren ?

3. Analyse dieses Modells


Stabilität und Schwingfähigkeit

4. Regelgrößen festlegen
Motor: Position / Geschwindigkeit
Roboter: Positionsregelung / Kraftregelung

5. Messgrößen (Sensoren, z. B. Geschwindigkeit, absolute/relative Position) und


Stellgrößen (Aktoren) festlegen

6. Typ des Reglers auswählen


PID, Zustandsregler, Optimalregler, Adaptiver Regler, Robuster Regler

7. Performance spezifizieren
Schwingfähigkeit, bleibenden Regelabweichung, Einschwingzeit

8. Regler auslegen
z.B. PID → Ziegler-Nichols oder
Zustandsregler → Pole platzieren
Kapitel 1. Rückblick 7

9. Analyse des Gesamtsystems


Sprungantworten, Bode-Diagramm, Ortskurve, Wurzelortskurve

10. Simulation des Gesamtsystems


in Matlab etc., auch mit Störungen

11. Beurteilung
schlecht? → neues Design: zurück zu Schritt 2.

12. Hardware + Software auswählen → Regler implementieren


Hardware: Speedgoat, National Instruments, dSpace, µController
Software: Matlab mit xPC Target, LabVIEW Real-Time Module, C++, VxWorks

13. Test des Gesamtsystems


Validieren des Reglers
möglicherweise Online-Tuning, je nach Qualität des Modells

RT-Vorlesung oft nur Regler auslegen und Analyse des Gesamtsystems (8,9)
Real Life oft nur Online-Tuning (1,4,5,6,12,13)
Online-Tuning → vorzugsweise kaskadiert, hier am Beispiel eines Motors:

1. Strom-Regler PI-Regler
2. Geschwindigkeitsregler P-Regler
3. Positionsregler PI-Regler
4. Vorsteuerung P-Regler

Exkurs: Automobilindustrie

• Model in the Loop (MiL)


Strecke: im PC (z. B. Matlab/Simulink)
Regler: Rechner
Vorteil: Leichte Fehlerbehebung

• Software in the Loop (SiL)


Strecke: Software C/C++, schneller als Matlab/Simulink
Regler: Rechner

• Hardware in the Loop (HiL)


Modell/Strecke: Echtzeitrechner mit Input/Output-Karten
→ schnelle Austauschbarkeit von Komponenten
8 Kapitel 1. Rückblick

z.B. fliegender Reifenwechsel, anderer Motor, anderes Getriebe


→ Test des Fail-safe-Verhaltens
Regler: Endgültige Hardware = Reales System, z.B. Speedgoat, dSpace
Nachteil: Schwierige Fehlerbehebung aufgrund komplexerer Fehlerzuweisung/ Ursachen-
findung

→ Gutes Modell ist sehr wichtig

→ erheblich verkürzte Entwicklungszeiten


von z. B. Fahrwerkregelsystemen, Antriebssteuergeräten, Komfortsystemen

→ danach folgt die Fahrzeugerprobung

Fazit:

• Selbst der beste Regelungstechniker kann aus einem VW keinen Porsche machen.

• Präzise Signalübertragung sicherstellen. Diese kann nur begrenzt durch den Regler kom-
pensiert werden.

• Einfacher Prozess mit einfachem Regler, z.B Füllstandsregelung (langsam):


→ Gute Ergebnisse möglich

• Komplizierter Prozess benötigt hingegen komplizierten Regler, z. B. Nurflügelflugzeuge,


Energienetz (verteilte Systeme)
2 Grundlagen der robusten Regelung

Gd

r u y
K G

ym

Tabelle 2.1: Elemente des Standartregelkreises

G Streckenmodell (plant model)


Gd Störmodell (disturbance model)
K Regler (controller)
d Störung (disturbance)
e Regeldifferenz (error)
n Messstörung (measurement noise)
r Sollwert / Führungsgröße (reference)
y Ausgangsgröße (plant output)
y Regelgröße (controlled variable)
ym gemessene Ausgangsgröße (measured y)
u Stellgröße/Steuergröße (controll signal)

Ziele:

a) Störgrößen unterdrücken: kein Einfluss von d und n


b) Gutes Folgeverhalten: e = y − r → klein

Gute Regelung erfordert Vorkenntnisse über r und d.

9
10 Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung

Hier: lineare Regelung

Y (s) = G(s) ·U(s) + Gd (s) · D(s)

Problem: G, Gd Modellfehler und Zeitabhängigkeit


G in Rückführung → Stabilität
Lösung: Modellunsicherheiten beschreiben
Statt
G Übertragungsfunktion eines Modells
G+ε Klasse von Modellen
Mit ε: Unsicherheit, beschränkt aber unbekannt
am besten kleiner als G
Nominelle Stabilität: System (geschlossener Regelkreis) stabil, keine Modellunsicherheit
Nominelle Performance: System genügt Performance-Anforderungen, keine Unsicherheit
Robuste Stabilität: System ist stabil für alle Varianten der Strecke, auch Worst-Case
Robuste Performance: System genügt Performance-Anforderungen für Nominal, Worst-Case
(schlimmster Fall) und alles dazwischen

Übertragungsfunktion G(s)

Übertragungsfunktion G(s) sehr nützlich, weil:

• Einfach (nur Frequenz als Variable)


• wichtige Konzepte, z. B. Bandbreite, maximale Verstärkung
• Antwort auf Sinussignal im eingeschwungenen Zustand
• Vernküpfung von Systemen
→ einfache Multiplikation im Frequenzbereich
→ schwieriges Faltungsintegral im Zeitbereich
• Pole und Nullstellen in faktorisierter Form:

(s + b1 ) · (s + b2 ) . . . (s + bn )
G(s) =
(s + a1 ) · (s + a2 ) . . . (s + an )
→ Berechnung der Eigenwerte im Frequenzbereich
• Unsicherheiten einfacher im Frequenzbereich zu beschreiben
ähnlicher Frequenzgang → ähnliches System
kleine Änderungen im Zustandsraum → total anderes System
→ Zeitbereich nicht für robuste Regelung geeigent
Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung 11

Beispiel lineares + zeitinvariantes System

ẋ1 (t) = −a1 · x1 (t) + x2 (t) + b1 · u(t)


ẋ2 (t) = −a0 · x1 (t) + ... + b0 · u(t)
y(t) = x1 (t)
s · X1 (s) − x1 (t = 0) = −a1 · X1 (s) + X2 (s) + b1 ·U(s)
s · X2 (s) − x2 (t = 0) = −a0 · X1 (s) + . . . + b0 ·U(s)
Y (s) = X1 (s)

In Regelungstechnik: Abweichung vom Arbeitspunkt/Trajektorie:

x1 (t = 0) = x2 (t = 0) = 0

→ Übertragungsfunktion:
Y (s) b1 · s + b0
= G(s) = 2
U(s) s + a1 · s + a0
Auch: Ein-/Ausgangsgleichung

ÿ(t) + a1 · ẏ(t) + a0 · y(t) = b1 · u̇(t) + b0 · u(t)

Allgemein:
bnz snz + . . . + b1 s + b0
G(s) = n
s + an−1 sn−1 + . . . + a1 s + a0
Mehrgrößensystem (MIMO-System): G(s) Matrix von Übertragungsfunktionen
n: Systemordnung (im Beispiel n = 2)

• n ≥ nz → ordentlich (proper)

• G(s) 6= ∞ für s → ∞

• Zählergrad ≤ Nennergrad

Analog im Zeitbereich:

ẋ = ~A~x + ~B~u
)
~
G(s) ~ [s~I − ~A]−1 ~B + ~D
=C
~ x + ~D~u
~y = C~
12 Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung

Manchmal verwendete Schreibweise:


 
~A ~B
~
G(s) = 
~
C D~

Skalieren

Ingenieur legt erwartete Werte (Größenordnung) fest


Ziel: Alle Variablen < 1


d =
dˆmax

u =
ûmax

y =
êmax

r =
êmax

e =
êmax
dˆmax = größte Störung

ûmax = größte mögliche Steuergröße

êmax = größter erlaubter Fehler

[ˆ] = nicht skaliert

MIMO-System → Diagonalmatrizen

Gegeben: |d(t)| ≤ 1 und |r| ≤ 1

Ziel: Mit |u| ≤ 1 → |e| = |y(t) − r(t)| ≤ 1

Hinweis: In Regelungstechnik sind alle Größen dimensionslos


Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung 13

2.1 Lineare Modelle


a) „First-principle“ Modell: aus physikalischen Modellen (Modellierung)
z.B. Energiebilanz (Thermodynamik), Massenbilanz, Summe von Kräften ~F, Summe von
Momenten M ~
b) Analyse von Ein-/Ausgangsdaten: Identifikation
z.B. Sprungantwort fitten, Regressionsanalyse, Neuronale Netze
c) kombinierte Verfahren

Modellierung

1. Nichlineares Zustandsraummodell aus physikalischen Modellen aufstellen


2. Betriebspunkt (z.B. Drehzahl eines Motors) oder Trajektorie (z.B. eines Roboters) festlegen
3. Linearisierung um den Betriebspunkt / Trajektorie
a) x(t) = x̄(t) + ∆ x(t) Trajektorie
x(t) = x∗ + ∆ x(t) Betriebspunkt/Arbeitspunkt
b) Taylorreihe 0. + 1. Glied
dx
c) = f (x, u)
dt
dx . d f df
= · ∆ x(t) + · ∆ u(t)
dt dx du
d) Skalieren

Klassische Feedback Regelung

• Klassische Frequenzverfahren: SISO-System (Single Input, Single Output)


• Seit Jahrzehnten im industriellen Einsatz
• unverzichtbar zur Untersuchung von Vorteilen, Beschränkung und Problemen von Feedback
• Aber 80er Jahre: klassische Methoden → Einführung formellerer Verfahren (z.B. H∞ )
→ ähnlich für MIMO

Frequenzgang
Übertragungsfunktion G(s) mit s → jω
Frequenzgang kann heißen

1. Systemantwort auf einen Sinus (mit ω = 2π f )


2. Die Frequenzanteile eines deterministischen Signals nach Fourier-Transformation
14 Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung

3. Häufigkeitsverteilung (engl. frequency distribution) eines stochastischen Signal durch Er-


mittlung der spektralen Leistungsdichte
Anschaulich: auf Frequenz bezogene Leistungsdichte in kleinem Frequenzband

In dieser Vorlesung 1., weil:

a) Direkter Bezug zum Zeitbereich

b) für jede Frequenz ω hat Betrag + Phase eine physikalische Bedeutung

Für ein stabiles lineares System G(s) gilt:

Y (s) = G(s) ·U(s)

Angeregt mit dem Sinus-Signal


u(t) = u0 · sin(ωt + α)

mit Frequenz ω, Amplitude u0


Sind alle Einschwingvorgänge abgeklungen (t → ∞), ergibt sich eine sinusförmige Antwort

y(t) = y0 · sin(ωt + β )

y0 neue Amplitude

β neue Phase

ω alte Frequenz

ϕ = β − α Phasenverschiebung

y0
= |G( jω)|, ϕ = ∠G( jω)
u0
G( jω) = a + jb komplexe Zahl

|G( jω)| = a2 + b2 ∠ G( jω) = arctan(b/a)

Beispiel Ein- und Ausgang einer beispielhaften Übertragungsfunktion


Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung 15

ω = 0, 2 rad/s
5e−2s
G(s) =
10s + 1
5
|G( jω)| p = 2, 24 =7
ˆ dB
(10ω)2 + 1
ϕ = − arctan(10ω) − 2ω = −1.51 rad =−86.5°
ˆ

Bode Diagram
15

10
Magnitude (dB)

-5
0

-45
Phase (deg)

-90

-135

-180
10-2 10-1
Frequency (rad/s)

G( jω) Frequenzgang von G(s)

|G( jω)| Systemverstärkung → oft in dB

A=2 AdB = 20 · log A = 6 dB


√ 00
A= 2 = 3 dB

A=1 00 = 0 dB

A = 10 00 = 20 dB

G( jω) und ∠G( jω) sind abhängig von ω


16 Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung

Zeichnen:

• Bode-Diagramm → mit unabhängiger Variable ω, logarithmisch

• Ortskurve (engl. Nyquist) → implizit, ω nicht ablesbar

Allgemein gilt für das Bode-Diagramm

• statische Verstärkung K für ω → 0 bzw s → 0 (gilt auch für instabile Systeme)

• niedrige Frequenzen → Verstärkung ≈ K

• hohe Frequenzen → Verstärkung fällt stark

• Physikalische Systeme sind zu träge um auf hohe Frequenzen zu reagieren

Euler-Formel (statt Sinusdarstellung):

e jz = cos(z) + j sin(z) Sinus =


ˆ Imaginärteil

u(t) = u0 · Im{e jωt+α }

U(ω) := u0 · e jα 6= U( jω) Zeigerrechung ET

Y (ω) = G( jω) ·U(ω)

y0 = |G( jω)| · u0

β = ∠G( jω) + α

G( jω) Übertragungsfunktion

Y (ω) komplexer Wert Darstellung harmonischer Funktion

Minimalphasige Systeme

• Keine Pole und Nullstellen in rechter s-Halbebene


• kein Zeitverzögerung
Kapitel 2. Grundlagen der robusten Regelung 17

Alternative Formulierung:
stabil + keine Nullstellen in rechter s-Halbebene + kein Zeitverzögerung
s

Beispiel Pol-/Nullstellen-Diagramm
Wenn minimalphasig, dann gilt das Bode-Integral (Amplitude → Phase)

Z∞
1 d ln |G( jω)| ω + ω0 dω
∠G( jω0 ) = · ln

π d ln ω ω − ω0 ω
−∞

Steigung der Amplitude


d ln |G( jω)|
N(ω0 ) =
d ln ω ω=ω0
Abschätzung von
Π
∠G( jω0 ) ≈ · N(ω0 ) rad = 90° · N(ω0 )
2
Zum schnellen Zeichnen: Asymptoten
Amplitude → gute Näherung
Phase → schlechte Näherung

(s + b1 ) · (s + b2 ) · . . .
G(s) = K ·
(s + a1 ) · (s + a2 ) · . . .

a für ω < a
s + a → jω + a
 jω für ω > a

Komplexe Pole und Nullstellen


s2 + 2Dω0 · s + ω02

mit
|D| < 1 , ω0 = Eckfrequenz

Für |D| > 0, 3 → Asymptoten okay


3 Klassische Prüfung der Stabilität und
Performance

Standard-Regelkreis für Robuste Regelung

Feedback
d

Gd

r u y
K G

ym

Stellgröße u = K · (r − y − n)

Regelabweichung e = y − r

Reglereingang r − ym

Ausgangsgröße y = G · u + Gd · d

Ziel: u durch K so zu manipulieren, dass e klein bleibt


Übertragungsfunktion geschlossener Regelkreis

y = G · K(r − y − n) + Gd · d

(I + G · K) · y = G · K · r + Gd · d − G · K · n

y = (I + G · K)−1 · G · K ·r + (I + G · K)−1 ·Gd · d − (I + G · K)−1 · G · K ·n


| {z } | {z } | {z }
T S T

18
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 19

Regelabweichung e (Achtung: mit y statt ym )

Regelabweichung e = y − r = −S · r + S · Gd · d − T · n
G·K −I −G·K −I
Mit T −I = = = −S
I +G·K I +G·K
S+T = I

Stellgröße u = K · S · r − K · S · Gd · d − K · S · n

Go = L = G·K Übertragungsfunktion, offener Regelkreis

loop transfer function

S = (I + G · K)−1 = (I + L)−1 Störgrößenübertragungsfunktion

sensitivity function

T = (I + G · K)−1 · G · K = (I + L)−1 · L Komplementäre Störübertragungsfunktion

complementary sensitivity function

Gesamtübertragungsfunktion

S: Störung → Output
T: Referenz → Output
Sehr wichtiger Zusammenhang

S + T = (I + L)−1 + (I + L)−1 · L
L)−1 · 

=
(I
+ (I
+L)
 =I

Sensitivitätsfunktion → reduziert Sensitivität

Merksatz:

Direkter Weg
Ausgang = · Eingang
1 + Schleife

Warum Feedback?
20 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

Alternative: Feedforward
Zum Vergleich: Open loop
Y = G · K · r + Gd · d + 0 · n

Mit K(s) = G−1 (s)


G · d = bekannt
K (r − Gd · d) + G · d
y = G · u + G · d = G · |{z}
G−1
=r

Aber

• G nie exakt bekannt

• Störungen nicht genau bekannt

• Instabilitäten möglich

3.1 Stabilität
Hauptziel für den Regler: Stabilität
Step Response
4
K1=0.6
K2=5
3 K3=6.3

2
Amplitude

-1

-2
0 0.5 1 1.5 2 2.5 3 3.5 4 4.5 5
Time (seconds)

−(s − 3)
G(s) = K1 = 0, 6 K2 = 5 K3 = 6, 3
(s + 1)(s + 5)
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 21

G · K1 G · K2 G · K3
T1 (s) = T2 (s) = T3 (s) =
1 + G · K1 1 + G · K2 1 + G · K3
1. Nulstellen von 1 + L(s) mit L = G · K prüfen
Alle linke s-Halbebene → stabil
=
b Eigenwerte der A-Matrix (im Zeitbereich)
Rechenintensiv → numerische Systeme

2. Frequenzbereich prüfen
Ortskurve oder Bode-Diagramm von L( jω) zeichnen
kritischer Punkt -1 bzw. −1/KR
Winkel ϕ∞ − ϕ0
schön anschaulich, geht auch mit Totzeit

Aber: Hauptziel: Performance


d.h.: Ausgang der Strecke soll sich auf bestimmte Art und Weise verhalten
Nachteil von Feedback: Instabilität möglich

3.2 Performance im Zeitbereich


Step Response
1.5

1
Amplitude

0.5

0
0 0.5 1 1.5
Time (seconds)

1 200
G= K = 200 T (s) =
s2 + 6s + 5 s2 + 6s + 205

Kenngrößen einer Sprungantwort

• Anstiegszeit (rise time) tr :


1. Mal bei 90 % Endwert
22 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

→ möglichst klein

• Einschwingzeit (settling time) ts :


bleibt bei ± 5 % des Endwerts
→ möglichst klein

• Überschwingweite (overshoot):

Maximal
< 1.2 =
b 20 % (akzeptables Maximum)
Endwert
• Dämpfungsmaß (decay ratio):

2.Maximum - Endwert
< 0, 3
1.Maximum - Endwert
• Bleibende Regelabweichung (steady-state offset oder steady-state error)
Unterschied zwischen tatsächlichem Endwert und gewünschtem Endwert
→ möglichst klein

Für das Beispiel gilt (mit Matlab):

rise time : 0.0851 settling time: 1.1935

overshoot: 50.8302 steady-state offset : 0.0148

- tr + ts : Schnelligkeit

- Überschwingweite, Dämpfungsmaß, bleibende Regelabweichung: Qualität

→ Kennwerte für die Regelgröße

→ Stellgröße u(t) → möglichst klein

→ wenn dominante Störungen vorhanden, dann genauso betrachten

Alternative: Regelabweichung betrachten


rZ

ke(t)k2 = |e(τ)|2 dτ
0

Eine Kenngröße für Qualität und Geschwindigkeit


Erfahrung: Guter Kompromiss zwischen oben genannten Größen
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 23

Alternative: Regelabweichung und Stellgrößen betrachten


rZ

J= Q|e(t)|2 + R|u(t)|2 dt
0

→ Linear quadratic optimal control (LQR)


Q, R : Gewichtungsmatrizen

3.3 Performance im Frequenzbereich


Übertragungsfunktion offener Regelkreis: L (Loop), K (Regler), G (Strecke)

L( jω) = K( jω) · G( jω)

→ Performance geschlossener Regelkreis


Vorteil: Größere Signalklasse (Sinus bliebiger Frequenz)

3.3.1 Amplituden- und Phasenreserve


Bode Diagram
Alles bezieht sich auf den Standard-Regelkreis:
Gm = 25.6 dB (at 17.5 rad/s) , Pm = 75.6 deg (at 2.9 rad/s)
50
Magnitude (dB)

-50

-100

-150
0
Phase (deg)

-90

-180

-270
10-2 10-1 100 101 102 103
Frequency (rad/s)

888
L(s) =
(s + 1)(s + 5)(s + 50)
24 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

Amplitudenreserve: GM gain margin

1
GM =
L( jω 180 )
∠ L( jω 180 ) = −180°
ω 180 = Übergangsfrequenz (phase crossover frequency)

• Verfahren ist sowohl im Bodediagramm als auch in der Ortskurve bestehend aus reeller und
imaginärer Achse möglich

• Ziel: Möglichst hohe GM (Bode in dB) für möglichst gute Regelergebnisse

• Amplitudenreserve GM (Gain Margin):


Faktor um den L(s) noch verstärkt werden darf bevor der geschlossene Regelkreis instabil
wird.

→ Schutz gegen Unsicherheiten bei der Verstärkung

• Realistisches Ziel für GM ist > 2

Phasenreserve: PM phase margin

PM = ∠ L( jωc ) + 180°
|L( jωc )| = 1
ωc : = Übergangsfrequenz (gain crossover frequency)
Schnittpunkt von oben mit 1

• Verfahren ist sowohl im Bodediagramm als auch in der Ortskurve mit Einheitskreis möglich

• Ziel: Möglichst hohe PM (Bode in Grad) für möglichst gute Regelergebnisse

• Phasenreserve PM (Phase Margin):


Wie viel negative Phase kann an bestimmter Frequenz noch addiert werden um Regelkreis
stabil zu halten?

→ Schutz gegen Unsicherheiten bei der Verzögerung


PM
System wird instabil bei θmax =
ωc
• Realistisches Ziel für PM > 30°
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 25

PM
Θmax =
ωc
kleineres ωc → größere Verzögerung

3.3.2 Maximalwertkriterium

Stabilitätsreserven → Performance
Definition im SISO:

MS = max |S( jω)| S = (1 + L)−1


ω

MT = max |T ( jω)| T = (1 + L)−1 · L


ω

Typischerweise:
gut: MS < 2 (6 dB) Schlecht: MS > 4

gut: MT < 1, 25 (2 dB) Schlecht: MT > 4

S + T = 1 → Unterscheid MS und MT maximal 1

klassische Regelungstechnik begrenzen → MT

a) M-Kreise um Ortskurve (M -circles on a Nyquist plot)


grafisches Verfahren um MT aus L zu bestimmen
Ortskurve und T ( jω) = 1+L( jω)
L( jω) = const.

b) Nichols-Diagramme (Nichols plot)


y-Achse: 20 log10 |L( jω)|, x-Achse: arg L( jω)
grafisches Verfahren um T aus L( jω) zu bestimmen

MS begrenzen, weil
e = −Sr + S · Gd · d
S klein → Fehler e klein
1
aber für ω → ∞ → L = 0 → S = (I + L)−1 = 1 S(0) = 0 wenn L einen I-Anteil hat
s
26 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

50
L
S
Magnitude (dB)

T
0

-50

-100
10-2 10-1 100 101 102 103
Frequency (rad/s)
Im Beispiel:
1
G(s) = K = 200
(s + 1)(s + 5)
MS = 2.5791 MT = 2.3809

MS−1 = Abstand L( jω) und −1, denn S = (1 + L)−1 ⇔ (1 + L) = S−1


MS klein → MS−1 groß → robuster
Fazit: Für Stabilität und Performance soll MS möglichst klein werden (≈ 1)
Zusammenfassung:
MS und MT klein →
MS 1
GM ≥ PM ≥ [rad]
MS − 1 MS
z. B. MS = 2 → GM ≥ 2 PM ≥ 29°

1 1
GM ≥ 1 + PM ≥ [rad]
MT MT
z. B. MT = 2 → GM ≥ 1, 5 PM ≥ 29°

Über |S( jω)| und |T ( jω)| → MS und MT → garantierte GM und PM


Mit MS = MT = 2 → allgemeine Forderung erfüllt (guten Phasen- und Amplitudenreserven), führt
auch zu guten Sprungantworten

3.4 Bandbreite:

MS und MT → Qualität der Regelung


Bandbreite → Schnelligkeit
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 27

Allgemein: Hohe Bandbreite → höherer Frequenzen kommen durch → schnellere Antwort (schnel-
le Anstiegszeit)
→ Anfälligkeit für Störungen ↑ + Parameterschwankungen ↑
Geringe Bandbreite → große Anstiegszeit, aber auch robuster
Anschaulich: Bandbreite = Frequenzbereich [ω1 , ω2 ], in der die Regelung effektiv ist
Meistens: stationäre Vorgänge wichtig; ω1 = 0, ω2 = ω B , (B = Bandbreite)

Was bedeutet effektiv?


Oft ist eine Folgeregelung = Folgen der Führungsgrößen = Tracking erforderlich
Fehler bei Folgeregelung e = y − r = −S · r
e
relativer Fehler = −S
r
→ möglichst klein → unter 0, 707 = √12
solange der Fehler klein ist, bleibt man in der Bandbreite drin
Definition

Bandbreite ω B ist dort, wo |S( jω)| die −3 dB-Linie (1/ 2) von unten kreuzt

Alternativ mit T oder L:


T Bei Folgeregelung ist Regelgröße y = T · r
effektiv = Output groß genug
Bandbreite ω B,T höchste Frequenz, wo |T ( jω)| die −3 dB-Linie von oben kreuzt

L offener Kreis (einfacher)


Bandbreite ω C (C=Crossover) |L( jω)| 0 dB-Linie von oben kreuzt
Meistens ω B (S) < ω C (L) < ω B,T (T )

Regelung funktioniert gut bis ω B (S), hat darüber verminderte Qualität bis ω C (L) und ab ωB (T )
fast gar nicht

3.5 Reglerauslegung
Erledigt: Bewertung
To-do: Regler bekommen
Viele Methoden, z. B. Ziegler-Nichols (Sprungantwort)

→ Online-Tuning möglich
Alternative Regler minimieren z. B. Kostenfunktionen
28 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

Viele Regler-Auslegungsverfahren verfügen nicht über einen Plan B bei Nichtfunktion.


Regler-Anpassung:
Direkte Anpassung

a) K verkleinern bei Ziegler-Nichols

b) Gewichtsfaktoren der Kostenfunktion

Drei Arten von Reglerauslegung

1. Loop shaping (Frequenzkennlinienverfahren):


Betrag (abhängig von ω) vorgeben → passenden Regler finden
a) klassisch: offener Regelkreis → L(jω) → hier nicht
b) modern: geschlossenem Regelkreis:→ S, T, K · S → H∞ → Robuster Regler

2. Signalbasiert (60er Jahre):


Zeitbereich im Zustandsraum: z. B. LQG
(Linear Quadratic Gaussian, Kalman-Beobachter + Zustandsregler)
dabei wird häufig L2 −Norm minimiert

3. Numerische Optimierung:
direkte Vorgabe: z. B. Anstiegszeit oder Phasenreserve vorgeben
z. B. model predictive control → Optimierung in jedem Abtastschritt
rechenintensiv, da schwer lösbar (z. B. bei lokalen Minima)
→ zukunftsträchtig, da immer mehr Rechenpower

3.5.1 Kompromisse im Bezug auf L

L = G·K

Regelabweichung e = y − r = −(I + L)−1 · r + (I + L)−1 · Gd · d − (I + L)−1 · L ·n


|{z} |{z} | {z }
S S T

Stellgröße u = K · S · r − K · S · Gd · d − K · S · n

offener Regelkreis L = G·K

S+T = I
Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance 29

Perfekte Regelung: e ≈ 0
Führungsgröße r + Störung d
→ S ≈ 0 → T = 1 , L → groß
Messrauschen e ≈ 0
T ≈0→S=1→L≈0
L klein → kein Messrauschen
L groß → Gutes Führungsverhalten, Unterdrückung von Störung

kleine Stellgrößen gewünscht


K klein → L klein
→ weniger Energieverbrauch, weniger Verschleiß und geringere Auswirkungen auf andere (z.B.
Roboter, Quadrokopter)

Regelziel:

1. Gute Störungerdrückung:
→ L groß

2. Gutes Führungsverhalten:
→ L groß

3. Stabilisierung einer instabilen Strecke:


→ L groß

4. Kleiner Einfluss vom Messrauschen:


→ L klein

5. Kleine Stellgrößen:
K klein → L klein

6. Physikalisch umsetzbar:
→ K klein für ω → ∞
→ L klein für ω → ∞

7. Robuste Stabilität (Stabiltät auch beim Vorhandensein von Modellabweichungen):


→ L klein

Zielkonflikt für L
Lösung: Widersprechende Forderungen für L in unterschiedlichen Frequenzbereichen
30 Kapitel 3. Klassische Prüfung der Stabilität und Performance

Meistens:
|L| > 1 für niedrige Frequenzen
|L| < 1 für hohe Frequenzen

Normalerweise: Jetzt Loopshaping von |L( jω)|


Hier: Automatisiert → Beschreibung der Forderungen über Normen

Loopshaping
L( jω) so groß wie möglich in Bandbreite [0, ω C ]

L = G·K

|L( jω)|  1 → S ≈ L−1 , T ≈ 1

|L( jω)|  1 → S ≈ 1 , T ≈ L

aber bei ω C mit |L( jω C )| = 1 keine Aussage möglich


→ Übertragungsfunktion S( jω) + T ( jω) direkt verwenden
→ kann mit H∞ formuliert werden: Ingenieur legt Gewichte fest
4 Moderne Mehrgrößen-Reglung (MIMO)
mit Hilfe von Normen

Im Kapitel 3 dargestellten Problem → Eingrößen-Fall (SISO) → grafisch lösbar


Mehrgrößen-Fall → Beschreibung mit Normen → jetzt wichtigste Normen

4.1 Normen in der Regelungstechnik

In Robuster Regelung notwendig zur

• Beschreibung Unsicherheit

• Optimierungsproblem des Reglers

4.1.1 Normen im Zeitbereich:

L2 -Norm berechnet sich für einen Skalar


rZ

kuk2 = u2 (t) dt
−∞

und für den Vektor  


u1 
 
.
 .. 
~u =  
 
 
un
zu rZ

kuk2 = u(t)> · u(t) dt
−∞

31
32 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

4.1.2 Normen einer Übertragungsfunktion

ẋ = ~A~x + ~B~u
~ x + ~D~u
~y = C~
~
G(s) ~ ·~I − ~A]−1 · ~B + ~D
= C[s

ähnliche Systeme G1 , G2 → ||G1 − G2 || klein

H2 -Norm: SISO
 1
2
1
Z ∞
~ 2= ~ jω)|2 dω 
 
kGk |G(
 2π
|{z} −∞

L2−Norm kompatibel

H2 -Norm: MIMO
 1
1
Z ∞ i 
spur G( jω)H G( jω) dω 2
h
~ 2=
kGk
2π −∞

rZ

~
kG(s)k 2 = k~
g(t)k2 = g(τ)> · g(τ) dτ
0

H2 -Norm entspricht L2 -Norm der Impulsantwort


Stochastische Interpretation (LQG,(Linear Quadratic Gaussian):
erwarteter quadratischer Mittelwert des Ausgangs bei Anregung mit weißem Rauschen (RMS =
root mean square)
Anmerkung:
Spur einer quadratischen Matrix = die Summe der Hauptdiagonalelemente
T
G( jω)H = G = GT
adjungierte Matrix G( jω)H → die Rollen von Zeilen und Spalten von G( jω) vertauschen + alle
Einträge komplex konjugieren
H∞ -Norm:
Maximale Verstärkung einer stabilen Übertragungsfunktion (SISO)

kG(s)k∞ =
b max |G( jω)|
ω

Anschaulich: Schlimmster Fall der stationären Verstärkung eines Sinus-Signals


Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 33

oder allgemeiner:
~ k~xa (t)k2
kG(s)k∞ = max
xe (t)6=0 k~xe (t)k2

SISO: maximale Amplitude im Bode-Diagramm: kGk ~ ∞ = 3= b 9, 6dB


1
G(s) = 6
s + 0.5s5 + 10.32s4 + 2.30s3 + 11.63s2 + 1.2s + 2.25
Bode Diagram
20

0
Magnitude (dB)

-20

-40

-60
10-1 100
Frequency (rad/s)

MIMO: größter Singulärwert


~
kG(s)k ~
∞ = max σ |G( jω)|
ω

~ ∞ = sup σ |G(
kG(s)k ~ jω)|
ω

Zum Verständnis: H∞
∞ weil die allgemeine Berechnung des Supremums lautet

Z ∞
1
~ jω)| = lim
sup |G( ~ jω)| p dω p
|G(
ω p→∞ −∞

H wegen Hardy-Raum ( engl. Hardy space)


Funktionentheorie : Hardy-Raum H p Funktionenraum holomorpher Funktionen
holomorph → in jedem Punkt komplex differenzierbar
H∞ : größten Singulärwert minimieren (80er Jahre)
H2 : alle Singulärwerte über alle Frequenzen minimieren (60er und 70er Jahre)
Vorteil der H∞ -Norm: induzierte Norm, d. h.

kA(s)B(s)k∞ ≤ kA(s)k∞ · kB(s)k∞

→ nützlichste Norm in der Regelungstechnik


34 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

Anmerkung:
Bode-Integral:

Z ∞ Np
ln |S( jω)| d ω = π ∑ Re(pk )
0 k

N p = Anzahl der Pole in rechter s-Halbebene


Z
L(s) stabil → =0

S + T = I, → S und T abhängig voneinander


→ Nicht beliebig klein machbar → Ziel: Maxima zu minimieren

4.2 Auslegegung moderner Regler

Bis jetzt:

2
 Performance beurteilen

2 Regler auslegen → folgt nun

Allgemeines Regelungstechnikproblem

äußere Eingänge äußere Ausgänge


P
w z
u v

P = verallgemeinerte Strecke
Ziel: Norm (z. B. H∞ -Norm) von ω → z minimieren
Problem: Finde Regler, der aus der Information v die Stellgröße u so generiert, dass möglichst
wenig Einfluss von w → z, das heißt Norm von w → z minimieren.
Geht immer → verschiedene Verfahren, z. B. mit und ohne Unsicherheiten
Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 35

4.3 LQG control

Optimal Regelung (engl. Optimal control) → optimal Filter von Wiener in 1940er Jahren
LQG-Regler (engl. linear-quadratic-gaussian regulator), 1960er Jahren:
Ursprung: Raumfahrtprogramme USA + UdSSR, 1960er Jahre
Probleme, wie Raketenmanöver mit minimaler Kraftstoffverbrauch → gut zu definieren
LQG im industriellen Alltag → Probleme
genaue Streckenmodelle → nicht verfügbar → Annahme von weißen Rauschen nicht praktikabel
→ entwickelte LQG → nicht robust genug → geringe Anwendung in Praxis

4.3.1 Standard LQG-Regelung

Standard LQG-Regelung → Dynamik der Strecke linear und bekannt + Messunrauschen und Stör-
signale (Prozessrauschen) stochastisch mit bekannten statistischen Eigenschaften
→ Steckemodell:

ẋ = ~A~x + ~B~u + w
~d
~ x + ~D~u + w
~y = C~ ~n

Einfachheit halber ~D = 0
~ d + Messrauschen w
Störgeräusch (Prozessrauschen) w ~n:

• unkorreliert

• Mittelwert Null

• normal- oder Gauß-verteilt

~ und ~V
• konstante spektrale Leistungsdichte W

~ d (τ)T = W
~ δ (t − τ)

E w~ d (t)w

~ n (τ)T = ~V δ (t − τ)

E w~ n (t)w

~ n (τ)T = 0

E w ~ d (t)w

~ d (τ)T = 0

E w ~ n (t)w

Mit dem Erwartungwert E und der Delta-Funktion δ (t − τ)


36 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

LQG-Problem: optimale Steuerung ~u(t) finden, die


 Z T 
1 T T
J = E lim (x Qx + u Ru)dt
T →∞ T 0

minimiert.
Q und R → Gewichtungs-MatrizenGewichtung Matrizen → geschickt wählen (DesignParameter).
Name LQG:

• lineares Modells

• integrale quadratische Kosten-Funktion

• Gaußverteiltes weißes Rauschen (Modell Störsignale + Rauschen)

Lösung des LQG-Problems


1. Schritt
Bestimmung der optimalen Steuerung eines deterministischen linearen quadratischen Reglers (LQR),
d. h.,
LQG- Problem ohne w ~d + w
~ n lösen
→ einfaches Regler-Gesetz
~ x(t)
~u(t) = −K~
~ konstante Matrix, einfach zu berechnen, unabhängig von statistische Störungen w
K ~d + w
~n
2. Schritt
optimale Schätzung ~xˆ des Zustandes ~x, so dass Erwartungswert
n T  o
E ~xˆ −~x ~xˆ −~x

minimiert wird → Kalman-Filter = optimaler Zustandsschätzer + unabhängig von Q und R


3. Schritt
Lösung des LQG-Problem:
~x durch ~xˆ ersetzten → Regelgesetz
ˆ
~ ~x(t)
~u(t) = −K

Lösung hat zwei Teile:


Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 37

wd wn

u y
Strecke

linearer x̂ Kalman
Regler −K Filter

Separations Theorem
wd wn

u y
Strecke

B Kf

x̂˙ R ŷ
C
-

A
Kalman-Filter

−K x̂

LQG-Regler mit verrauschter Strecke


Optimale Zustandsrückführung
Lösung des LQR - Problems:

• alle Zustände bekannt

• Anfangszustand ~x(0) 6= 0

• findet Eingangssignal ~u(t), das das System in einer optimalen Weise in den Nullzustand
~x = 0 bringt
38 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

• minimiert der deterministische Kostenfunktion


Z ∞
J= (x(t)T Qx(t) + u(t)T Ru(t))dt
0

• Lösung
~ x(t)
~u(t) = −K~

Mit
~ = R−1~BT ~X
K

• ~X ist die eindeutige positiv-semidefinite Lösung der algebraischen Riccati-Gleichung

~AT ~X + ~X ~A − ~X ~BR−1~BT ~X + Q = 0

Kalman-Filter
Struktur Kalman-Filter → gewöhnlichen Zustandsschätzers oder Zustandsbeobachter
(s. letze Abbildung)
~x˙ˆ = ~A~xˆ + ~B~u + K ˆ
~~x)
~ f (~y − C

~ f minimiert
optimale Wahl von K n T  o
E ~x −~xˆ ~x −~xˆ

Lösung:
~ T ~V −1~x˙ˆ = ~A~xˆ + ~B~u + K
~ f = ~Y C
K ˆ
~ f (~y −~x)

~Y ist die eindeutige positiv-semidefinite Lösung der algebraischen Riccati-Gleichung

~ T V−1C
~Y ~AT + ~A~Y −~Y C ~ ~Y + W
~ =0

Robustheit Eigenschaften
Gesamtsystem inklusive Kalman-Filter und LQG-Regler
→ keine garantierten Stabilitätsresverven
einzelne Teile → gute Robustheit

4.4 H∞ -Control
Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 39

r y
K G

P
d z

w r
n

u y ym v
G

Regelfehler
z = y−r

Reglereingang
v = r − ym

3 Eingänge, 1 Ausgang:  
d r n u
 I −I 0 G z
P=



−I I −I −G v

4 Eingänge, 2 Ausgänge:  
w u
P11 P12  z
=



P21 P22 v

Gewichtsfunktion
Für sinnvolle Regler → gewichtete Filter WW und WZ in die verallgemeinerte Strecke
→ Allgemeine Regelstruktur ohne Unsicherheit
40 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

w z
WW Pe Wz

S/T /KS-Problem

Begrenzung von σ (S) Performance


Begrenzung von σ (T ) Robustheit und Messrauschen
Begrenzung von σ (K · S) kleine Stellgröße

K = ? Regler
 

W K ·S
 u 
 
 
min WT
 T 

 
 
W S
P

Wu
z
WT
w

v u
K G WP

keine Messstörungen, nur ein Eingang


w = d oder w = −r , Vorzeichen egal, wegen Norm
Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 41

z1 = Wu · u
z2 = WT · G · u
z3 = WP · w +WP · G · u
v = −w − G · u

2 Eingänge, 4 Ausgänge
 
w u
0 wu · I
→ z1 
 
 
 0 w ·G → z 
 T 2
P=



w w · G → z 
 P P 3
 
 
−I −G →v
 
P11 P12 
P=



P21 P22

Bis jetzt: Regler separater Block


→ gut zur Reglerauslegung
Zur Analyse des Verhaltens des geschlossenen Regelkreises
K gegeben → Gesamtstruktur
Mit Gesamtsystem N
z = N ·w
w z
N

Regelgesetz u = K · v

N = P11 + P12 · K · (I − P22 · K)−1 · P21


= FL (P, K)
L =lower

( − wegen pos. Rückführung)


untere = lower LFT (linear fraction transformation)
= Möbius-Transformation = konforme Abbildung auf riemanscher Zahlenkugel
42 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

   
 0   wu · I 
     −1
   
N =  0  + wT · G · K I + G · K
    · (−I)
   
   
wP · I wP · G
 
−wu · K · S
 
 
=
 −wT · T 
 Minus bei Norm egal → wie vorher
 
 
−wP · S

Mit S = (I + G · K)−1
T = K ·G·S
I −T = S

4.4.1 Mixed-Sensitivity H∞ -Control


Sensitivitätsfunktion S = (I + G · K)−1 und weitere Formen
(z. B. K · S, T = I − S)
Beispiel
Störung d unterdrücken, Folgeverhalten wird nicht berücksichtigt, fast kein Messrauschen n

d→y S

Stellgrößen (Bandbreite und Amplitude) beschränken, da Energie endlich

d→u K ·S

Weiterhin gilt: K · S beschränken → robust gegenüber Modellunsicherheiten


d typischerweise niederfrequent
→ maximaler Singulärtwert von S klein bei selben Frequenzen wie d
→ skalaren Tiefpassfilter w1 (s) mit selber Bandbreite wie d
Finde K, das
kw1 · Sk∞

minimiert
Aber: Praktisch sinnlos, da K → ∞ Lösung
Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen 43

Besser: finde Regler der



w ·S
1


w · K · S
2

w2 (s): Skalarer Hochpassfilter mit ungefähr gleicher Eckfrequenz wie w1 (s)

Jetzt: In allgemeiner Schreibweise


Eingang
w = [d]

2 Ausgänge  
 w1 · y 
z=



−w2 · u

z1
W1
d
z
z2
−W2
y
u G

r=0

K
v

z1 = w1 · y = w1 (d + G · u)

z2 = −w2 · u = w2 · K · S · w w=d

v = −d − G · u
   
z1   w1 w1 G
    
  P11 P12  w 
   d
  
z  =     =  0 −w   
 2     2  
 
  P21 P22 u 

 u

v −I −G
44 Kapitel 4. Moderne Mehrgrößen-Reglung mit Normen

   
w1  w1 · G
   
P11 = 
 
 P12 = 


 P21 = −I P22 = −G
0 −w2
 
 w1 · S 
Fl (P, K) = 



w2 · K · S

Matlab braucht P → Regler


Dimension K wie P
Robustheit prüfen → Small-Gain
Ähnlich Probleme S/T , S/T /KS

Typische verwendete Filter:

1
Tiefpass T P =
s+ε
1 + T1 · s
Hochpass HP = T1 >> T2
1 + T2 · s

stabil und technisch umsetzbar, da HP = 1 + T1 · s nicht kausal


5 Robuste Prüfung der Stabilität und
Performance

Jetzt: Robustheit von Regelkreisen


D. h., gewünschte Regelkreiseigenschaft nicht nur für ein Entwurfsmodell G(s), sondern für gan-
ze Klasse von Streckenmodellen
Aber: Auch Klasse von mathematischen Modellen bildet physikalische Realität nicht perfekt ab
Deswegen: Robustheit nie wirklich garantiert Sondern: hohe Chancen für guten Reglers in der
Realität, wenn Beschreibung Hauptmodellfehler abbildet

5.1 Modellunsicherheiten
Modellunsicherheiten verursacht durch

• vernachlässigte Dynamiken
– kompliziertes Modell vorhanden → einfache Modell benutzt
→ vernachlässigte Dynamiken → Unsicherheiten
– durch unbekanntes Verhalten bei hohen Frequenzen
(eigentlich immer ab bestimmter Frequenz)

• Parameterunsicherheiten weil
– Parameter geschätzt
– Parameter falsch gemessen
– Parameter zeitlich veränderlich
– Parameter durch Nichtlinearitäten veränderlich

Modellunsicherheiten können eingeteilt werden in

- Strukturierte Unsicherheiten

- Unstrukturierte Unsicherheiten

45
46 Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance

Strukturierte Unsicherheiten =
b Unsicherheiten von konkreten physikalischen Parametern

- Standard-Widerstände und Kapazitäten schwanken fertigungsbedingt um 2 %

- Nennluftspalt → wichtiger Parameter


→ durch Fertigungstoleranzen und thermisches Ausdehnung bei laufender Maschine beein-
flusst

- Permeabilitätszahl µr eines magnetischen Materials→ nicht genau bekannt → Motoren


(Magnetisierung eines Materials in einem äußeren Magnetfeld)

Beispiel Strecke mit unsicherer Verstärkung k

Gges = k · Go (s) mit kmin < k < kmax

Übertragungsfunktion Go (s) ohne Unsicherheiten


Es wird definiert:
kmax − kmin
relative Unsicherheit rk :=
kmax + kmin
kmax + kmin
durchschnittliche Verstärkung k :=
2
→ unsicherer Verstärkung k = k · (1 + rk ∆ ) mit |∆ | < 1
Strecke mit multipliativer Unsicherheit darstellen

Gges = k · Go (s)(1 + rk ∆ )
= G(s) · (1 + rk ∆ )

Unsicherheitsbeschreibung: mulitpiative Form (besonders gut für Verstärkungen)


w(s) ∆

u y
G

Mit w(s) = rk
Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance 47

Test: ∆ = −1
k = k · (1 − rk )
kmax + kmin kmax − kmin
= (1 − )
2 kmax + kmin
kmax + kmin kmax + kmin kmax − kmin
= ( − )
2 kmax + kmin kmax + kmin
kmax + kmin kmax + kmin − kmax + kmin
= ( )
2 kmax + kmin
kmax + kmin 2kmin
= ( ) = kmin
2 kmax + kmin

∆ =0
k = k · (1) = k

∆ = +1
k = k · (1 + rk )
kmax + kmin kmax − kmin
= (1 + )
2 kmax + kmin
kmax + kmin kmax + kmin kmax − kmin
= ( + )
2 kmax + kmin kmax + kmin
kmax + kmin kmax + kmin + kmax − kmin
= ( )
2 kmax + kmin
kmax + kmin 2kmax
= ( ) = kmax
2 kmax + kmin

Beispiel Strecke mit unbekannter Verzögerung

1
Gges = · Go (s) mit Tmin < T < Tmax
Ts+1

Umgeformt mit T = T · (1 + rT ∆ ) und |∆ | < 1

Go (s)
Gges =
1 + T s + rT T ∆ s
Go (s) 1
= ·
1+Ts rT · T · s
1+ ∆
1+Ts
1 rT · T · s
= G(s) · mit w(s) =
1 + w(s)∆ 1+Ts
48 Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance

Unsicherheitsbeschreibung: inverse mulitpiative Form (besonders gut für Pole)


Blockschaltbild
w(s) ∆

u
G y

Test: Tmax − Tmin Tmax + Tmin


rT := T :=
Tmax + Tmin 2
Y (s) =G(s) ·U(s) − w(s) · ∆Y (s)
G(s) ·U(s) = (1 + w(s) · ∆ )Y (s)
Y (s) 1
Gges = = G(s) ·
U(s) 1 + w(s)∆

Aber: Strukturierte Unsicherheiten werden oft vermieden, da:

- höheren Modellierungsaufwand

- einzelne Parameterschwankungen oft nicht genau bekannt


(falsche Sicherheit)

- exakte Struktur notwendig → nichtmodellierte Dynamiken nicht beschreibbar

Unstrukturierte Unsicherheiten = b Beschreibung der Unsicherheit im Bezug auf ihre oberste


Schranke im Frequenzbereich
Kombination von beiden auch mögich
strukturiertere Fehlerbeschreibung → komplexer zugehörige Fehlerklasse → genauere Beschrei-
bung der tatsächlichen Situation
einfache, wenig strukturierte Fehlerbeschreibungen → einfacheres Entwurfsverfahren

Unstrukturierte Unsicherheiten

Additive Modellunsicherheit
∆G

u y
G

Gges = G + ∆ G
Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance 49

Multiplikative Modellunsicherheit

u y
G

Gges = (I + ∆ ) · G

In SISO in einander überführbar

Beipiele für unstrukturierte Unsicherheiten:


- nicht modellierte Dynamik höherer Ordnung

1
∆ (s) =
(Js + 1)2

- unbekannte Totzeit
∆ (s) = e−sT

→ Gges = (1 + ∆ (s)) · G(s)

Standard-Form für Unsicherheiten

Additiv:
∆G ∆G

y
K G −K · (I + L)−1
= −K · S

Aus Bild: additive Modellunsicherheit ∆ G sieht Regelkreis als −K · S .

Multiplikativ:
50 Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance

∆ ∆

y
K G −K · G · (I + L)−1
= −T

Aus Bild: multiplikative Modellunsicherheit ∆ sieht Regelkreis als −T


Wie immer gilt:
S = (I + L)−1

T = L · (I + L)−1

L = K ·G

Notwendig für Prüfung Robuste Stabilität

5.2 Robuste Stabilität


Stabilität für unsichere Strecken prüfen (aus Nyquist)

Nyquist-Kriterium

• Grundpfeiler der klassischen Regelung

• Von grundlegender Bedeutung für eine robuste Regelung

• Prüft Stabilität des geschlossenen Regelkreises

• basierend auf offenem Regelkreis L( jω) = K( jω) · G( jω)

• ohne Berechung von Polen des geschlossenen Regelkreises, d. h.


ohne Berechung vonWurzeln von 1 + L( jω) = 0

Sonderfall Nyquist-Kriterium für stablie L( jω):


Amplitudenreserve: GM und Phasenreserve: PM
Probleme des Nyquist-Kriteriums
1) keine analytischen Optimierungstechniken für diese Reserven
2) Manchmal: gute Robustheit gegenüber individuellen Verstärkungs- und Phasentoleranzen
aber nicht robust gegenüber gleichzeitigen Variationen
Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance 51

5.3 Small-Gain-Theorie
basiert auf Nyquist-Kriterium)
wenn L( jω) = K( jω) · G( jω) stabil
und kLk∞ < 1 → |L( jω)| < 1 für alle ω
→ −1 nicht eingschlossen
→ geschlossener Regelkreis stabil

• hinreichende Bedingung, nicht notwendige

• Phasenreserve PM = ∞

• nicht sinnvoll für Regelerauslegung, da gutes Tracking hohes K erfordert

• sehr sinnvoll für unstrukturierte Unsicherheiten

Robuste Stabilität mit Hilfe der Small-Gain-Theorie

Frage: Wie viel Unsicherheit verträgt der geschlossene Regelkreis, bevor er instabil wird?

Additiv Multiplikativ

Bedingung für Stabilität


k∆ G · (−K · S)k∞ < 1 k∆ · (−T )k∞ < 1
Die Dreiecksungleichung besagt:
k∆ G · (−K · S)k∞ k∆ · (−T )k∞
≤ k∆ Gk∞ · k−K · Sk∞ ≤ k∆ k∞ · k−T k∞
Wenn wir für den Regelkreis sicherstellen, das
1 1
k∆ Gk∞ < k∆ k∞ <
α β
dann ist die Bedingung für Stabilität
k−K · Sk∞ < α k−T k∞ < β
1 1
·α = 1 ·β = 1
α β

Beispiel Strecke additiver Unsicherheit

3
Gges =
(s + 1)(s + 2)2
52 Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance

Strecke ohne Unsicherheit


3
G=
(s + 1)
Additive Unsicherheit

3
Gges = G + ∆ G =
(s + 1)(s + 2)2
1 + s2 + 4s + 3 − s2 − 4s − 3
=3
(s + 1)(s + 2)2
(s + 2)2 s2 + 4s + 3
=3 − 3
(s + 1)(s + 2)2 (s + 1)(s + 2)2
3 3(s + 3)(s + 1)
= −
(s + 1) (s + 1)(s + 2)2
−3(s + 3)
∆G =
(s + 2)2

Bedingung für Stabilität


k∆ Gk∞ = 2, 25
k∆ Gk∞ · k−K · Sk∞ < 1
k−K · Sk∞ < 0, 44
Beispiel als Regler

0, 2
K=
s
0,2
s
−K · S = − 0,2 3
1+ s · (s+1)
−0, 2 · (s + 1)
=
s2 + s + 0, 6
k−K · Sk∞ = 0, 366

Bedingung für Stabilität erfüllt

5.4 Auslegegung robuster Regler

Bis jetzt:
Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance 53

2
 Robuste Stabilität prüfen

2
 Performance beurteilen

2 Regler auslegen → folgt nun

Sinnvolle Darstellung in der Robusten Regelung


äußere Eingänge äußere Ausgänge


P
w z
u v

P = verallgemeinerte Strecke
Ziel: Norm (z. B. H∞ -Norm) von ω → z minimieren

5.4.1 Allgemeine Regelkreisstruktur mit Unsicherheiten


∆u ∆y

w z
P

u v

untere LFT → untere Schleife

N = Fl (P, K) = P11 + P12 · K[I − P22 · K]−1 · P21

obere LFT → obere Schleife


z = Fu (N, ∆ ) · w

Fu = N22 + N21 ∆ (I − N11 · ∆ )−1 · N12


54 Kapitel 5. Robuste Prüfung der Stabilität und Performance

Regler auslegen für Gesamtsystem mit ∆ → noch ungelöst


suboptimale DK-Iteration für µ-optimale Lösung im Gebrauch
Analyse (µ-Analyse) für gegebenen Regler K im Gebrauch
H2 - und H∞ -Control
früher LQG (mit H2 ) → schlechte Robustheit → H∞ seit 1980
Generelle Probleme
keine mathematischen Details zur Lösung, da komerzielle Software vorhanden
Matrix-Riccati-Gleichung wird gelöst
Dimension Regler = Dimension verallgemeinerte Strecke (Strecke + Filter)
Standard H∞ -Problem

kFl (P, K)k∞ = max σ (Fl (P, K)) minimieren

Zum Veständnis: γmin = kFl (P, K)k∞


Erst suboptimales γ mit beliebigen Regler K(s)
Dann γ schrittweise verringern mit dem Algorithmus von Doyle → Matlab

5.5 Einschränkung bei H∞ -Regelungen

• H∞ -Regler → leistungsstarkes Werkzeuge für regelungstechnische Probleme


Aber: nicht immer ausreichend, obwohl Robustheit und Performance beide berücksichtigt
werden
keine Garantie für robuste Performance
Lösungsidee: H2 - und H∞ -Control kombinieren

• H∞ -Reglerdesign → Reglern hoher Ordnung


→ mehr Ressourcen für Implementierung benötigt + anfälllig für numerische Probleme
Reglern niedriger Ordnung sind besser → Gewichtungsfunktionen niedriger Ordung → Me-
thoden zur Ordnungsreduktion (für Strecke oder Regler) Aber: Regler nicht zu sehr verein-
fachen

• Menge der beschrieben Strecken kann zu groß sein → konservative Regler-Auslegung →


schlechte Leistungsfähigkeit
5.6. ZUSAMMENFASSUNG

5.6 Zusammenfassung

5.6.1 Schlussfolgerung robuste Regler


• Robuste Reglung entstand um 1980 → Fortschritt in Theorie und numerischen Algorithmen
enorm

• Effiziente kommerzielle und Public-Domain-Software-Tools sind heutzutage verfügbar


→ nur grundlegene Details der zugrundeliegenden Theorie benötigt, um Werkzeuge erfolg-
reich zu nutzen
Aber: eine Menge praktische Erfahrung erforderlich, um realistische Probleme zu lösen

• Gründe:

• Modellierung ist eine anspruchsvolle Ingenieursaufgabe


→ Schätzung Modellierungsunsicherheit braucht Zeit

• Man muss mit Frequenz-Gewichtungsfunktionen spielen, um die Leistung / Robustheit-


Kompromiss des spezifischen Problems zu lösen
→ Reglersynthese iterativer Prozess, der Erfahrung braucht

• Wichtigste Errungenschaften in der robusten Reglung:


Bewusstsein über die industrielle Bedeutung der Robustheit → Systemausfall wird in unse-
rer Gesellschaft nicht akzeptiert → Robustheitsüberlegungen sehr wichtig

5.6.2 Inhalte Vorlesung


• Bewertung von Regler im Zeitbereich
im Frequenzbereich

• Beschreibung von Unsicherheiten

• Robuste Stabilität

• Nominelle Performance mit Gewichtsfiltern

55

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