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Die Christengemeinschaft 1937 Juni (Teilw) - Ocred
Die Christengemeinschaft 1937 Juni (Teilw) - Ocred
Das Lebensbuch
Gedicht. Otto Crusius 57
Christus-Ahnungen der finnischen und
[ x) estnischen Volksseele
\ Elsbeth Palmer
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Berührung
Gedicht. Rudolf Fuchte 60
Heinrich Lersch
Zum Jahrestag seines Todes 61
Ernst Karl Plachner
Das Lebensbuch
Otto Crusius
Mein Lebensbuch sah ich im Traum mir Zu ordnen schien sich Trieb um Trieb in einigem
aufgeschlagen Streben,
Seltsame Zeichen waren darin eingetragen: Zugleich zu wachsen und aufzublühn
Blaß die Schrift hier, und krank — Und sich zum Lichte mächtig hinzuziehn — —
Und blühend dort in Purpur und Gold, Zum Lichte! — aus der Ranken wirrem Reigen
Kraft tragend in klarem Schwung — Begann ein Kelch erblühend aufzusteigen
Dort zart und frühlingshold: Voll wundersamem Lebenssonnenleuchten —
Und Bild reiht sich an Bild, verschlungen Zugin ‚Zug, Tief, satt und klar; und kraftvoll sich entfaltend
Daß eins das andre, ihm verwandt sich Gebiert er Strahl um Strahl — und also waltend
schmiegend, trug Fügt er die Runen, die sein Licht erreichten. —
Gleich eines Persers kunstvollem Gewebe. — — So ordnet sich Verworrenes zu holder Zier!
Da schien mir Staunendem, als ob das Bildwerk Und immer stärker strahlt der goldne Schein
lebe: Dringt mächtig in mein tiefstes Inn’re ein —
Wie Säfte stieg es auf in verschlungenen Ranken Ich wach’! Und strahlend sieht der junge Tag ins
und Reben, Auge mir.
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nn
Es gibt auch längere, im Stil der Mythen gehaltene Lieder bei den Esten, in denen Christus, Maria
und andere erscheinen. Z.B. ein Lied, das vom Weltuntergang im Nebel berichtet, weil man den
Gottessohn, mit kreuzweis ausgebreiteten Armen, auf den Scheiterhaufen gebracht hat. Maria, der
„schönen Schöpferin der Welt“, gelingt es, den Sohn und damit die Erde vor dem Untergang zu
erretten, so daß auch wieder Sonne, Mond, Stern und die Morgenröte am Himmel erscheinen können.
Auch Zeugnisse davon, wie sich die Menschenseele mit ihren innerlichen Kräften mit der Christus-
wesenheit verbinden kann, finden sich im estnischen Volksliede. Man muß nur die Sprache solcher
Lieder innerlichst aufmerksam in sich leben lassen, dann beginnen die Bilder — denn um solche
handelt es sich ja im mythischen Liede — ihren geheim-offenbaren Sinn zu zeigen. So begegnet man
z. B. in vielen Mythen und Märchen dem Pferde. Es tritt da auf, wo von alten, an die Blutskräfte
gebundenen Intelligenz- und Schauensfähigkeiten die Rede ist. Zu der Zeit, als das Christentum zu
den Völkern des Nordens kam, waren selbst dort, wo diese alten Kräfte noch am längsten lebendig
geblieben sind, diese Fähigkeiten am Abklingen, müde geworden. Wieviel mehr gar heute, wo doch
neue Christusoffenbarungen in die Welt kommen wollen!
Und die offiziellen religiösen Kräfte, Kirche und Theologie — wie verhalten sie sich zu der
Frage einer neuen Christusoffenbarung in der Gegenwart? — Sie haben meistens gar nicht die Zeit
dazu, sich damit zu befassen.
Und doch ist die Offenbarung da, wenn auch nicht in irdisch-leiblicher Gestalt. Christus steht „am
andern Ufer“ des lebendigen Stromes bildender Kräfte. Der einzelne Mensch, wenn er geläuterten,
guten Willens ist, vermag sich mit dieser Christuskraft zu verbinden. Dann vermag Er auch heilend-
heiligend unsre krankgewordene Willensnatur zu verwandeln, und in unserm Tun kann Christus-
kraft hineinwirken in die Erdenwelt, „diesseits“ des „Stromes“. Das Bild aber für die Willensnatur
der menschlichen Seele ist der Stier.
Das estnische Volkslied erzählt:
Einst kam Christus an den Fluß. Ein Pferd begegnete ihm. „Sei gegrüßt, liebes Pferd! Bring du den
Heiland übers Wasser, an das andere Ufer!“ Aber das Pferd erwidert: „Ich kann dich nicht binüber-
tragen, bin zu sehr ermüdet von weiten Fahrten... .“ —
Danach begegnet Christus einer Kirche, prächtig mit goldnen Kuppeln, silbernen Kreuzen ..... Er
bittet: „O schöne Kirche, trage du mich über das Wasser, ans andere Ufer!“ Die Kirche jedoch hat
.keine Zeit: „denn morgen ist ein großer Festtag, dann werden die Pfaffen in mir beten und Schul-
kinder werden singen, und man wird schöne blaue Hemden und gelbe Pelze in mir tragen. Nein, ich
habe für dich keine Zeit!“
Immer noch steht Christus wartend am andern Ufer, da kommt der Stier. „O Stier, willst du
mich hinübertragen an das andre Ufer?“
„Gern“, sagt der Stier, „wollte ich dich hinübertragen, doch bin ich krank und schwach: sieh, meine
Hörner sind von modrigem Schimmel bezogen und mein Nacken schwach und weich“.
Da legt der Heiland dem Stier mit seiner heilenden Hand Gold auf den Nacken, Silber auf die
Hörner. Gesund und kraftvoll wird der Stier und trägt den Herrn über das Wasser des Stromes an
das andere Ufer. Und der Herr segnete ihn für alle Zeiten.
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Berührung
Rudolf Fuchte
In der Nacht vom 16. zum 17. Juni vorigen Jahres hatte ich einen Traum. Ich sah mich in einer
fremden, kleinen Stadt. Sie lag an einem großen Wasser. Ob Meer, See oder Fluß, wußte ich nicht.
Aber das Wasser stieg, kam in die Gassen und Straßen und wallte um meine Füße. Da hörte ich einen
unsichtbaren Sprecher: „Du mußt auf dem Elefanten hier reiten, der trägt dich durch das Wasser!“
Und zugleich sah ich einen weißen Elefanten auf mich zukommen, der mich tragen sollte. Ich sann
schon im Halbschlaf dem Traume nach und fand keine Deutung. Aber die außergewöhnliche Plastik
seiner Bilder umwebte mich noch, als ich ein wenig später am Vormittag desselben Tages im kleinen
Garten hinter unserm Hause las und schrieb. Immer wieder war die Traumschrift um mich her und
immer wieder gestand ich mir, nicht ohne das Gefühl geistiger Ohnmacht, daß ich sie nicht entziffern
könne. Ich beschwichtigte mich mit dem bekannten Wort, daß Träume Schäume seien, wenigstens
viele oder die meisten gar und vielleicht auch dieser. Aber das Rätsel blieb und fragte mich nach
seiner Lösung.
Da stand, nach soldatisch begehrtem Einlaß am alten Gartentor, plötzlich und unerwartet mein
Verleger und Freund vor mir und riß mich in die Hast seines kurzen Berichtes: „Heinrich Lersch
ist todkrank. Er liegt im Remagener Krankenhaus. Kommen Sie mit, wir wollen sehen, was zu tun
ist.“ Und schon umwehte uns frischer Fahrwind im offenen Wagen, der bald an Burg Landskron, der
berühmten Staufentrutzburg im unteren Ahrgau wider das reichsverräterische Kurköln, vorüber-
jagte, dem nahen Rheine zu. Dann standen wir in Remagen, der kleinen Rheinstadt, wo der Fähr-
mann-Engel seinen Kahn schon durch die Gassen auf das Krankenhaus zutrieb, darin „Hein Lersch“
eineinhalb Tage später für unsere Erde verlöschen sollte. — — —
Am folgenden Freitag waren Tausende in Remagen versammelt. Hein Lersch fuhr nach Hause.
Ein mythisch-grandioses Bild erstand. In die schwül und zitternd niedersinkende Sommernacht rollten
die dumpfen Wirbel der Trauertrommeln. Die Fackeln loderten beunruhigt in die bebende Hitze. Der
kleine, verglühte Körper des Dichters lag aufgebahrt am Krankenhaus. Teppiche von Kränzen und
Sträußen bedeckten die Straße. Ein glanzvolles Heer defilierte mit gemessenen Schritten am toten
Dichterkameraden vorüber, den die schwarzen Pferde nun mit schauerlich stillem Hufschlag in die
riesige Reihe zogen.
Zum Rhein ging die Fahrt. Durch die menschenumsäumten Straßen der alten Römergründung
„Rigomagus“, unter halbmasttrauernden Fahnen. Eine Fährgasse hinauf hauchte der heilige Strom
der Deutschen seinen kühlen Atem. Und nun nahm die uralte Straße ihn auf, darauf schon die römi-
schen Legionäre zogen. Eine Reihe einladender Hotels blendete mit weißen, berankten Veranden, wo
Rheinweinbowlen in frohen Stunden locken. Die Gäste und Angestellten zollten stumm und er-
griffen dem Heimatfahrer ihren Gruß. Von der anderen Straßenseite drang das ewig gleiche Raunen
des sommerlichen Stromes. Die „Rheintöchter“ sangen. Sie hatten mir das Wahrbild geschickt vom
nahen Tode des Dichterkameraden, der in den letzten Jahren seines Lebens ganz in meiner Nähe
wohnte. Schräg jenseits des Flusses dämmerten die „Sieben Berge“ in verschwebenden Weiten. Un-
wirklich standen sie im geheimnisvollen Raum, wie all dies ganz unwirklich war und doch zu wirklich,
allzu wirklich, wie der nagende Schmerz im eigenen Herzen. Ruhig schwankte der Wagen dahin:
Totenfahrt am Rhein!
Am Fuße des „Apollinarisberges“ — er trägt seinen Namen vom Bischof von Ravenna, dessen Ge-
beine Reinald von Dassel mit denen der Drei Könige rheinwärts brachte —, inmitten einer lind zum
Rhein sich neigenden Wiese, ruhte der tote Dichter noch einmal aus. Auf einem Hügel aus frischem
Grün und blutroten Rosen. Dann fuhr er hinein in eine unsagbar schöne rheinische Sommernacht.
Hein Lersch fuhr nach Hause. — — —
Als wir an seinem Totenbett standen, versenkte ich mich mit Herz und Haupt in die Welt des
scheidenden Dichters. Meine Frau legte ihm weiße Rosen aufs Herz. Ich hörte das Flüsterwort der
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Krankenschwester: „Er hatte keine Furcht vor dem Tode!“ Nein, dachte ich, denn Eisen und Stahl,
die dich zum „Arbeiterdichter“ werden ließen, sind in deiner Seele zu Mut und Kühnheit geworden.
Mit einer Hirtenweise auf den Lippen, die er auf Capri hörte, wo er manchesmal Genesung für sein
Kriegsleiden suchte, ist er um Mitternacht gestorben. Ich versetzte mich im Geist in die Qual und
den Aufschwung seiner letzten Tage; denn beides war in ihnen. Das Martyrium des zerbrechenden
Leibes und das starke Gefühl des Lebensfortganges im Geiste. Ich nahm das Leidensbild des aus-
gedorrten Leibes ganz in mich hinein. Das kleine, schmächtige Körperhaus war in der Schmiedeglut
seines lodernden Genius zu Asche verbrannt. Räumlich war es fast nichts mehr, was unter dem reinen,
kühlen Linnen lag. Aber aus dem durch-runten Antlitz erstand mir sein schweres, heißes und von ihm
stets willkommen geheißenes Schicksal mit fast erdrückender Wucht. Ich bestaunte seine narben-
reichen, verarbeiteten Hände in Ehrfurcht und Schauder. Aus diesem Anschauen der Hände des toten
Dichters wurde mir mehr über ihn und sein Werk klar als aus einem Dutzend Literaturgeschichten,
geschweige denn aus der Flut konventioneller Zeitungsartikel. Mit diesen Arbeiter-Dichter-Händen
(es waren wirklich Arbeiter- und Dichterhände) hat er, so sann ich, dem Wort eine neue Welt er-
obert; denn niemand hat vor ihm so den tragischen Gehalt der Begriffe „Industrie“, „Fabrik“, „Prolet“,
um nur einige Mittelpunktsbegriffe seiner Welt zu uennen, in die Sphäre des Künstlerisch-Erlösen-
den gehoben. — — —
Als ich Heinrich Lersch zu erleben begann, stand ich mit badischer Feldartillerie zwischen Öster-
reichern, Ungarn und freiwilligen Polen im Osten. Schon hatten wir hunderte Tannen und Föhren
in den tiefverschneiten Russenwäldern gefällt, sie zu Telefonmasten behauen und kilometerlange Lei-
tungen gelegt. Schon war der erste von uns gefallen, schon fühlten auch wir 18- und 19-Jährigen
uns stolz als „alte Kerls“, — da brachte die Feldpost mir eines Tages ein Buch: Heinrich Lersch
„Herz, aufglühe dein Blut!“ — Gedichte im Kriege. Seit jenem Tage hat mich das Buch oft begleitet,
wohin mich auch das stürmische und dunkle, große Schicksal verschlug. Und heute steht es in meiner
Dichterstube mit seltsamem Schein und Glanz zwischen vielen hundert anderen Büchern. Es hat mich
nie mehr losgelassen, dieses Buch. Immer wieder habe ich darin gelesen und immer wieder werde ich
darin lesen. Und jedem, dem ich daraus vorlas, ging es wie mir. Da kommt es aus den schwarzen
Schriftzeichen heraus wie Pulverdampf. Da rasseln die Geschütze, tacken die Maschinengewehre, raffen
die Herzen der deutschen Soldaten sich auf zu unerhörtem Mut, erbeten die Frauen und Bräute sich
Opfergröße und Kraft. Da schweben die Seelen der toten Feldgrauen schützend um Posten und Uhter-
stand, da besucht in der heiligen Nacht die Jungfrau Maria den vordersten Schützengraben. — — —
So etwas hatte ich noch nie gelesen. Das war neu. Unerhört neu. Hier erzitterte eine Menschenseele
vom Erlebnis des Krieges, und dieses Erzittern wurde zum Gesang. „Kriegslyrik“ nannten es die
Literaturfachleute. Gut. Ich kenne noch heute keine gewaltigere deutsche Kriegslyrik als diese. Wir
brauchen aus dem genannten Buch nur das Gedicht „Brüder“ zu lesen und wissen um die menschliche
Größe solcher „Kriegslyrik“:
Es lag schon lang ein Toter vor unserm Drahtyverhau,
Die Sonne auf ihn glühte, ihn kühlte Wind und Tau.
Ich sah ihm alle Tage in sein Gesicht hinein,
Und immer fühlt ich’s fester: Er muß dein Bruder sein.
Ich sah ihn alle Stunden, wie er so vor mir lag,
Und hörte seine Stimme aus frohem Friedenstag.
Oft in der Nacht ein Weinen, das aus dem Schlaf mich trieb:
Mein Bruder, lieber Bruder — hast du mich nicht mehr lieb?
Bis ich, trotz allen Kugeln, zur Nacht mich ihm genaht
Und ihn geholt, begraben, — ein fremder Kamerad.
Es irrten meine Augen. Mein Herz, du irrst dich nicht:
Es hat ein jeder Toter des Bruders Angesicht. .
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in dem Buch mochte manches nicht so fein genietet, zugeschliffen und gerundet sein, wie es „hätte
sein können“ (wenn kein Krieg gewesen wäre nämlich). Im Maß der Verse, im Strophenbau, meinte
dieser und jener Literaturmann. Was tat das? Hier war ein Urerlebnis Form geworden. Der Wort-
bildner, der bis zum Kriege mehr mit dem Werkzeug der väterlichen Kesselschmiede als mit poetischen
hatte, fand im Dunst der Schlachten keine Zeit, den letzten Meißelhieb an jeder
Formen hantiert
Figur zu tun. Was besagte das gegenüber dem Ganzen! Das Ganze war neu und einzigartig. Jeder Zug
deutschen Schicksalskrieges war darin. Da sang das „Volkslied“, dämmerte und düsterte die
des
„Ballade“, da rangen zuvor nie erlebte Erlebnisse um „epische“ Gestaltung und mischte sich alles und
wurde neu. Ja, die Nation sang aus diesem Manne. „Und wenn der Meusch verstummt in seiner Qual,
gab mir ein Gott, zu sagen, was ich leide“, hatte Goethe von seiner Wortkunst bekannt. Im „Kriegs-
lyriker“ Heinrich Lersch sang sich die ganze deutsche Nation die Höhen und Tiefen ihres Kriegs-
erlebens aus der Seele. Und Lied ist Befreiung.
Nach dem Kriege, dessen furchtbares Ende uns den wahren Frieden vorenthielt, kehrte auch Lersch
nach Hause zurück. Turmhohe Not um ihn her. Er kannte sie längst. In seinen hervorragenden Erzäh-
lungen „Mut und Übermut“ hat er sie mit dem Humor und Ernst eines wahrhaft königlichen Geistes
geschildert. Jetzt aber wird sie zum brennenden Weltproblem. Und so wie er Grauen und Größe des
Krieges in sich nahm und sein Sänger wurde, so nimmt er jetzt Fluch und Not des „Proletariats“ in
sich hinein. Da wird der Sänger des Krieges zum Sänger der Arbeit und Arbeiternot. Doch wo
Dutzende im verkrampften Haß des Klassenkampfes stecken bleiben, wächst seine Seele auf zu
priesterlicher Größe. Ja, Lersch ist der aus Schmerz und Liebe singend gewordene Mund der in die
Maschine geopferten Menschenseele! Er sieht: hineingeblutet, hineinzerstückelt, hineingeopfert sind
Millionen Menschen in die Maschine, die unser Zeitalter beherrscht, mögen auch ihre Leiber vielleicht
nicht zerrissen, nicht zerstückelt sein von der ungeheuren Gewalt. Das Eisen, sieht er, lebt er als
Kesselschmied in seinem schweren Tagwerk selbst, das Eisen ist zum Schicksal der modernen Mensch-
heit geworden. „Mensch im Eisen“ heißt nun sein neues Bud. Ein Buch? Es wird einmal zu denen
gehören, die nach einer weltgeschichtlich großen Sichtung übrig bleiben. Als welthistorisches Doku-
ment nämlich: denn in diesen und den verwandten Gesängen, könnte man sich gedrängt fühlen
zu sagen, zelebriert Lersch die ganze Schicksalstragödie der an die Maschine verratenen Millionen. Er
hat die Leidensnot des „Proletariats“ auf den Opferstein gelegt. Seine Tränen rinnen darüber hin,
sein hoffendes Singen steigt empor.
Scharf konturiert der Dichtergenius die Probleme. Er packt sie mit den heißen, feurigen Willens-
kräften des an der väterlichen Esse hart aufgezogenen Jungen. Er schleicht nicht scheu daran vorbei.
Er liebte es ja, in „guter“, „gebildeter“‘ Gesellschaft rücksichtslos im Ausdruck zu sein — weil er
es für nötig hielt, die Mitmenschen an der Härte, ja Brutalität der Wirklichkeit sehend zu machen.
Aber auch das Härteste hat Größe bei ihm, und seine Anklagen an den „Zinsherrn“, für den „Mark-
stücke springen“, während ihnen in zermürbender Fron die Minute einen Pfennig in die Lohntüte
bringen muß, erreicht oft eine Höhe der ethischen Forderung, die in Jahrhunderte weist. So schildert
er in dem „Gesang an die Hände“ die Leibeserschütterungen durch Arbeit mit dem „wirbelnden Preß-
lufthammer“. Zweitausend Schläge in der Minute tut dieses „Schlagmaschinengewehr“, der „polternde
Rammer“. Er jagt „Kolbenschüsse in die Nietenreihn“. Die Hände pressen, die Schultern drücken,
die Brust ist gespannt —: „fresse, erschütterter Leib, die Schläge in dich hinein!“ „Im dröhnenden
Wirbel von hundert Kameradenhänden geht die krachende Schlacht, Donnern die Kessel vom frühen
Morgen bis in die Nacht.“ Und doch gehen seine Hände lind und tröstend zu den Frauen und Mädchen
„hinterm Getürme der schweren Maschinen und Kesselbogen“. Er sieht, während sein Preßlufthammer
donnert, mit den Augen der Seele immer das Bild der in die Maschine geopferten Arbeitsschwestern,
der Mütter, Frauen, Mädchen. „Aus Schleifscheiben umzischen sie Funkengarben, An Automaten,
die Schrauben und Muttern ausspei’n, Stehn sie, an Sägen, in denen Stahlstangen schrei’n — —“
und er wittert den furchtbar drohenden Verlust des menschlichen Urbildes in dem rasenden Toben,
das dumpf macht, mechanisiert, entnervt. Die innere Schau wird grandios, weil er so heilig und ernst
fragt: „Doch die Frauen drüben, die Mädchen, das Weib, Warum drängt es in Männerwerk den mensch-
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lichen Leib?“ Er fühlt, daß hier die soziale Problematik auf eine nicht zu überhöhende Spitze ge-
trieben ist und in verströmendem Mitleiden entquillt ihm der Gesang: „Hände, meine Hände, seht:
jetzt sende ich euch zu den Frauen, den namenlosen, Zu den Müttern, Weibern, von Hunger und Not
ins eiserne Werk getrieben. Schreibt, Hände, schreibt!“ Sie sollen das Lied von den „Frauen an den
Maschinen“ schreiben. Hier sei der Kranz seiner Hände, hier ihre Nachtigall, hier blüht ihnen der
„Mond über mailich leuchtenden Rosen“. Er will sie krönen, Hymnen um ihren Leib brausen, um die
verkannte, leidende Schwester, „die schwarze Madonna des Werks, Maria unter Riemen und Trans-
mission“! — — —
Ihm ging alles revolutionäre Suchen irgendwie um die Entsklavung des „Mensch im Eisen“, um die
Wahrung des Menschenbildes. „Menschen gegen das mordende Werk, das unsere Seelen verschlingt!“
fordert ex, „ich, Verdammter, von Menschen gefangener Mensch!“ „So schrei doch, Mensch im Eisen!“
heißt es in einem jener Gedichte, wo er den in die Eisengewalt der Maschine geopferten Menschen
mit einem in Bernstein eingeschlossenen Käfertier vergleicht. Und Heinrich Lersch schreit, weint,
trotzt, betet, zagt und hofft. Er wird der tönende Mund eines Millionenschicksals. Und dies war seine
Aufgabe. Eine erstmalige und einmalige solcher Art wohl auch. Das wußte er. „Einen Heinrich Lersch
gibt es nur einmal!“ hat er mir in schäumender Begeisterung gesagt. Es klang nicht unbescheiden,
sondern’ selbstverstäudlich. Und er hatte recht.
-Es ist erstaunlich und bezeichnend für die Tiefe seiner Poetenmission, daß er, der — wie er er-
zählte — sich noch als Erwachsener das Hochdeutsche erst erkämpfen mußte, eine solche Fülle eigen-
artiger, selbständiger Wortbildungen und Wendungen geschaffen hat. Der — selbstverständlich schick-
salbestimmte — Zusammenprall seines wie ein Schmiedefeuer lodernden Genius mit der „Unter-
welt‘ der modernen Technik, ihren Bedrohungen und Aufbaumöglichkeiten, hat sie erzeugt, „Ihor“-
und:,„Loki*-Kräfte sind in seiner Seele ringend-schaffend am Werk, und er ahnt seherisch wie die
echten Dichter nun einmal sind, daß nach allen Entwicklungshöllen der nüchternen und brutalen
Wirklichkeit dem Menschengeschlecht „Licht“ beschieden sein wird. Aus den ringenden „TIhor“- und
„Loki“-Kräften muß „Baldur“ neu erstehen. In zahllosen Variationen ertönt uns in seinem Werk
dieses Thema. Mit anderen Worten zwar, aber wesenhaft gleich. Und das macht sein Werk zu einem
wahrhaft großen und deutschen: der werdende Mensch ist es, um den es in allen Kriegs- und Kessel-
schmiedeschlachten geht.
Er weiß auch von der Erniedrigung des Erdensterns und ahnt seine Berufung: „Geliebte du, dich
hat die Stadt, die verfluchte, zu Müllplatz und Schindanger erniedrigt, Du schriest nach Menschen. Ich,
dein niedrigster Prolet, hab deinen Ruf vernommen, Erde, ich mache dich frei, ich kehre zurück an
dein Herz!“ Gewaltige Ahnungen durchschießen wie Sternschuppen sein Gemüt auch da, wo er die
„hunderttausend geschändeten Männer“ ruft, daß sie in revolutionärem Vorstoß die „dräuenden
Türme“, die „spannenden Bogen“, die „fesselnden Hallen“ und die „Unmenschen“ herabreißen, die
ibr „Elend verwerken“. Aber ihm geht es nicht um Errichtung einer Klassendiktatur, er setzt gegen
„Gewalten der eisernen Masse“ „feurige Herzen“, gegen „Gewölbe aus Stahl und Betonfundamente“
setzt er „Seelen“. Er weiß, die große Durchrüttelung muß kommen, und er jubelt ihr mit der ganzen
Glut seines Daimonions entgegen — aber wofür? Die „Fäulnis der Welt“, die im Menschen frißt,
schaffe der Mensch zu „Urstoff“, zu „Humus“, zu „Erde“ „göttlich zurück“! Er ahnt letzte Umwand-
lungen und singt am Schluß seiner Hymne „Im Frühling“: „Neue Menschen der glühend drängenden
Zeit, Geben ihn frei der Natur zurück, unter funkelnden Sternenheeren der Erde wieder, In den
Hauch der allmächtigen Sonne über der Welt!“ Auch dieses Thema des Umgestaltungs-, des Verwand-
lungswillens erklingt in vielfachen Abwandlungen. Es ist ja nur eine weitere Erschließung des anderen,
soeben erwähnten Grundthemas vom werdenden Menschen. Der revolutionäre Wille Lerschs gilt
letzten Sinnes dieser tiefen Umgestaltung. Lersch ist ein deutscher Geistesrevolutionär im Proletarier-
kleid. „Umgestalten die Welt“, heißt es auch am Schluß seines Gesanges an die Hände, „bändigen der
Bestie Graus, dir, Weib und Mutter, zu dienen!“ Weib und Mutter, — immer steht der Goldgrund
der Ehrfurcht hinter ihm bei diesen Worten, die „Mutter mit dem Kinde“ taucht auf in den brauenden
Nebeln seiner Dichterträume, selbst da, wo er in der erschütternden Anklage die „Fabrikmädchen“
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vor der Moralinsäure selbsigefälliger Mucker und
Spießer schützt. „Wo ist eure Schönheit geblieben“,
fragt er sie, seine geopferten Schwestern. „Ihr
Leute“, belehrt er mahnend, „in euer Leben habt
sie gesogen. O, wenn ihr die feinen Ohren hättet: Aus ihr
den seidenen Gewändern, Aus euren frohen
Stunden heraus Hörtet ihr das schmerzvoll klagend
e Lied Der verlorenen Schönheit meiner
Schwestern. — —“ Er hat dieses „feine Obr“. Nein, er hat mehr, denn er ist wahrhaftig
Er sagt es selbst: „Du ein Poet.
siehst zwei Ohren nur? Mein Leib ist alles Ohr.
Kein Ton darf dir entgehen
vom ganzen Weltenchor.“ Er sieht „mit hundert Augen in die Welt“,
mit „tausendfachemer hängt
Mund an allem Leben.“ Er stürzte wirklich im
dionysischen Rausch seines rheinischen Temperaments
in die bebende Kreuzung von Himmel und Hölle:
die Schöpfung Erde. Und bier, Hein Lersch,
lodernde, verloderte F ackel, was
du
wolltest du hier
und also? Da kommt die Antwort: „Ich,
des Ewigen, find’ dich, Gott, im Leichenfeld!* Spürhund
— — —
Die eigene Art des Dichters kommt von der
Eigenart seines Geschicks, und die Einheit yon
und Geschick hat sein Dichterreich vielen schwer Werk
zugänglich gemacht. „Darum mögen meine ‚Kollege
mich nicht“, schreibt er, n‘
„denen vom Eisen bin ich zu viel Dichter,
denen von der Feder zuviel
Kesselschmied“. Gewiß,
seine eigenwillige Sprache taugt für jene
nicht, die „schon darüber hinaus“
zu sein glauben, die solchem Tun „von
oben herab“ zusehen und das Großreinemac
den „Straßenkehrern des Schicksals“ nämlich, hen den „anderen“,
überlassen möchten. Ja, man muß schon
Lersch zwischen mit Heinrich
Elektro-Stromgesurre, Fallhammerkrach
und das ganze moderne Inferno gehen,
dessen Opferungen sich die Welt jener, die „schon auf
darüber hinaus“ sind, überhaupt erst gründen
konnte. Man muß die Restbestände des bürgerl
ichen Hochmutteufels-auch im schiller
gewand gründlich überwunden haben, um das nden Geist-
wahre Antlitz dieses Mannes schauen
aber versteht man auch ein so selbstsicheres zu können. Dann
Sonett wie dieses, darin er sich selber
wider Mißdeu tung mit Erz umpanzert
und Verkanntsein:
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Wie griechisch lebendig ist so ein Satz! Und wie frisch lebendig sein Geschenkgedicht. Man höre
aus Goethes Widmung an die Prinzessin: >
Wie aber nach dem Jüngsten Gericht Doch sei dem Allen wie es sei.
was vorgeschah, auch wieder geschicht, Kein Blatt im Buch ist überlei,
und über Wolken und unter Flammen auf beiden Seiten manche beschrieben
Freunde und Feinde kommen zusammen; und so nichts weiter übrig blieben
und überall im höchsten Chor als daß Du glaubst, das viele Papier,
jeder Heilige, nach wie vor, was auch drauf stehe, gehöre Dir.
hebt und trägt sein Marterinstrument, Und dazu hast Du Fug und Macht,
woran man ihn allein erkennt: immer war Dein dabei gedacht.
So werd ich wohl auch in Abrahams Schoß So steht Dein Bild auch klar und glatt
Bleistift und Pinsel nicht werden los. in unserm Herzen auf jedem Blatt.
Bei vieler Lust und wenig Gaben Und Liebe bleibt zuunserm Gewinn
werd’ ich doch nur gekritzelt haben. Ein bess’rer Zeichner alsich bin.
Josef Kral
Laß deiner Engel lichte Reih’n, Laß sie aus deinem Sternenzelt
O Krist, du Geistgebieter, Uns spenden lichte Träume,
Ob unserm Schlaf die Wächter sein Führ’ unsren Geist aus dieser Welt
Und unsres Leibes Hüter. In deiner Himmel Räume.
Kriegsausgang
Aus meinem Leben 31
Friedrich Rittelmeyer
Jetzt ist die Stunde, wo man das Beste aus dem Schatz das, was man in der Zeitung liest. Wohl ging der Versand
der Bibel hervorholen muß, um die Menschen dadurch der Kriegsflugblätter, Kriegsvorträge, Kriegspredigten,
zu stärken — wie man in Zeiten der Hungersnot aus dem die ich herausgegeben, weiter. Aber die Menschen ver-
Vorratshaus das Nährendste hervorholt: das war mein langten jetzt vom Prediger, daß er sie auf hohe Berge
Eindruck in Berlin während der letzten beiden Kriegs- führt, damit sie das Geschehen von oben sehen und, mit
jahre. So haben wir uns in der „Neuen Kirche“ in jenen starkem Atem erfüllt, in den harten Alltag zurückkehren.
Jahren gesammelt um das Hohe Lied der Liebe (1. Kor. „Die deutsche Not im Licht Jesu‘ — das war nicht mur .
13), um das Vaterunser, um die Seligpreisungen, um. die das Thema einer einzelnen Predigtsammlung, sondern
sieben „Zeichen“ des Johannesevangeliums. Unmittelbar das Gesamtthema jener Jahre überhaupt. Mir scheint, in
konnte man fühlen, daß die Menschen jetzt nicht im schwerster Zeit wurde hier eine Probe aufs Exempel
Gottesdienst noch einmal hören wollen, was sie in der gemacht, wie die Religion am besten einem kämpfenden
Zeitung lesen, sondern daß sie sich stärken wollen für Volk dient: nicht indem sie auf die hinausfahrenden
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