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Inhalt: Arthur Maximilian Miller: Die Toten (Gedicht) / Eduard Lenz: Verborgene Lebensge de / Rudolf Meyer:

J
=
>JVom Sinn des Leides ; Kurt von Wistinghausen: Die „Adler“ / Unsere Toten und wir: An eine Trauernde (Dr. Fried}
rich Rittelmeyer); Tau des Himmels (Michael Bauer); Das Geleit der Seele (Elisabeth Schneider) ; November (Grete Bock D: »
Allerseelen (Anne-Marie Hohly-Neumann); „Allerheiligen“ (Hugo Wetzelf); Auftakt (Lie. Emıl Bock) / Ernst Frahm:
Immermanns Merlin-Dichtung / Umschau: Einblick ins „andere Bewußtsein” (Kurt von Wistinghausen); Erlebnisse der
/
4
„letzten Stunde“ (Eberhard Klemp); Swedenborg als Wegweiser in den Problemen des Daseins (Lic. Emil Bock); Der
Schlüssel (Lic. Emil Bock) / Michael Bauer: Von der Bestimmung des Menschen. x)

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Die Christengemeinschaft
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Monatsschrift zur religiösen Erneuerung. Begründet von Friedrich Rittelmeyer


Im Auftrag der Christengemeinschaft herausgegeben von Lic.Emil Bock
17. Jahrgang 8 November 1940

Die Toten
Arthur Maximilian Miller
Ihr, lebendiger als wir, o Tote, . = Aus den Wolken, aus der Wipfel Grünen,
euch erkennt nicht, wer zum Grabe starrt. aus der Blumen unschuldvollem Schein,
Steht nicht an dem Hügel schon der Bote, aus der Tiere stummem, treuem Dienen
mahnend uns mit lichter Gegenwart: strahlt ihr Wesen helfend dir herein.
Hier nicht sind sie, sie sind auferstanden!: O, sie wohnen in geheimen Gründen,
Erde hält nur Erde klammernd fest. weben, wirken innig an dem Kleid,
Näher sind sie als in Erdenbanden, an den schönen, reichen, ernsten Binden
ihr Begegnen ist ein heilig Fest. dieser irdischen Vergänglichkeit.
Aus der Stille fühlst du sie nicht quillen Fühl’ sie, die dich gütevoll umgeben!
- blumengleich mit lächelndem Gesicht? Schweig und lausche, aber such sie nicht!
Ihre warmen Liebesstimmen füllen ‘Dem Begierdelosen wird gegeben,
rings die Welt wie leise rinnend Licht. was dem Wünschenden zumeist gebricht.
Ö sie blicken! all ihr Sein ist Blicken, Sieh, im. Abgrund aller Stille weilend,
tausendfach in allem wohnt ihr Schau’n. treten sie mit einem Mal hervor,
Fühlst du nicht mit lauschendem Entzücken \ lächelnd und in Scharen- zu dir eilend . .
ihr beseeltes Aug’ um dich erblau’n? aus. des Äthers lichtumfloss’nem Tor. .

‘Verborgene Lebensgesetze
Eduard Lenz
Der moderne Mensch hat ein merkwürdiges Verhältnis zu den Sakramenten. Treten sie im kirch-
lichen Gewande vor ihn hin, lehnt ex sie vielfach ab. Sie sind ihm leere, unverstandene Zeremonien.
Kommt er aber in die Lage, ein wichtiges Lebensereignis zu feiern, greift er wie selbstverstä
ndlich zu
Handlungen, die eine sakramentale Bedeutung erreichen sollen. Wird ihm z.B. ein Sohn geboren,
ver-
anstaltet er eine Art Taufe. Das Kind an der Schwelle der Reife versucht er durch eine Jugendweih
e zu
stärken. Er denkt sich Trauungen aus und begleitet‘ Tote durch Feiern auf dem Weg zum
Grab. Er hat
das Bedürfnis nach Sakramenten. Um so schmerzlicher ist die Tatsache, daß er die christlichen
Sakra-
mente über Bord wirft, weil er ihren Sinn nicht mehr versteht.
Bei Luther schon zeigt sich ganz deutlich dieser Mangel an Verständnis in seinem
Buche über „Die
babylonische Gefangenschaft der Kirche“, wo er die ehemals sieben Sakramente anf drei
bis zwei
beschränkt. Er geht nicht mehr von dem Sinn der Sakramente aus, sondern untersucht nur, ob ihre Ein-
setzung auf Gründ der heiligen Schrift zu beweisen ist. Er erkennt nur die an, die sich
von dem auf
Erden wandelnden Christus unmittelbar herleiten lassen.
Die katholische Kirche nimmt neben den Beweisen aus der Schrift noch die sogenannte
Überlieferung
zu Hilfe. Sie glaubt nicht daran, daß alles, was lebenswichtig ist, in Schriften aufgezeichn
et sei. Manches
Wissen geht von Mund zu Mund, von Geschlecht zu Geschlecht weiter als altehrwürdige
Tradition. Für
den heutigen Menschen aber haben weder theologische Beweise aus der Schrift noch Überliefer
ungen
aus der Vergangenheit eine überzeugende Kraft. Soll er Sakramente anerkennen, muß
er sie aus ihrem
Inhalt selbst verstehen können. Sie müssen für ihn der Ausdruck einer höheren Wirklichkei
t sein. In
der Tat ist aber der Organismus der sieben Sakramente die Offenbarung verborgener Lebensgeset
ze.
n an

113
be nn
N
Wir brauchen nur die beiden Pole
des menschli chen Lebens: Geburt und Tod
schauen. Es ist ein Mißverständnis, zu einmal gründlich anzu-
glauben, daß mit der leiblichen Gebur
Erscheinung getreten sei. Schon der t der Mensch schon voll in
äußeren Beobachtung ergibt sich, daß’
die inneren Organe zu ihrer bleibenden die Gestalt des Leibes und
Form erst heranwachsen müssen. In
Wirklichkeit beginnt mit !

sale bedarf es dazu. Es gibt Menschen


, die sich niemals in ihrem tiefsten
ist der Mensch erst dann auf der Erde Wesenskern finden. Aber voll
angekommen, wenn er sein ewiges Ich
also in Wahrheit ein Prozeß in drei entdeckt. Die Geburt ist
Akten. Als leibliche, seelische und
Mensch nur stufenweise ins Dasein. geistige Wesenheit tritt der
Dieser dreifache Akt der Geburt ;
wird von drei Sakramenten* begle
Empfinden ahnt im Blicke auf den itet. Schon das natürliche
kindlichen Organismus, daß hier
vorliegt. Der Leib ist nur dann verst ein Wunderwerk der Schöpfung
ändlich, wenn wir hinzudenken die
unsichtbaren Bildekräfte und

treten beginnt.
Ebenso ist die Reifung des Menschen
um das 14. Jahr herum ein Geheimnis,
in sich birgt. Was nach außen hin sich das verborgene Tiefen
als physiologische Reife zeigt, ist nur
ungeheuren seelischen. Werdens. der sichtbare Ausdruck eines.
Welche Stürme durchtoben in diesen.
Menschen! Der Blick verändert sich Jahren das Innere des jungen
und wird zur staunenden oder kritischen
sucht. Der Atem sucht sein Gleichmaß Frage, die nach Erkenntnis
und.trägt auf seinen Flügeln die
anderen Menschen neigen. Das Ergreifen Gefühle, die in Liebe sich zu
der Gliedmaßen und Knochen (wie
werden die Kinder in den Flegeljahren!) eckig und unbeholfen
geht von demselben Willen aus, der
sittlihem Kampfe über sich selbst sich Ideale schafft und in.
hinausstrebt. Seelisch zieht um
Schöpfergewalt der Welt selbst ein. diese Zeit in den Menschen die
Das spricht die Ko nfirmation
Individualität den Namen erhält, aus. So wie in der Taufe die
erhält in der Konfirmation die
Frühlingssturm den werdenden Menschen Schöpfermacht, die wie in einem
ergreift, ihren Namen. Christus ist
Von da aus sucht der werdende Mensch dieser Name.
die Wege, auf denen er sich geistig
Beichte ist ihm die Hilfe auf diesem findet. Das Sakrament der
Wege. Sie soll sein dunkles Wahrheitssuchen
hältnisse zu anderen Menschen läutern klären, seine Ver-
und seinen Willen zum erwählten
drei genannten Sakramente sind eine Gottesideal ermutigen. — Die
wahrhafte Geburtshilfe. Sie geben
richtig in das Erdenleben hineinzufinden dem Menschen die Kraft, sich
und seine Aufgabe zu ergreifen.
Ebenso wie die Geburt ist auch der Tod ein dreifacher
wie bei der Geburt. Bei der Geburt Prozeß. Nur verhält es sich hier
tritt der Mensch zuerst leiblich umgekehrt
zuletzt geistig. Beim in Erscheinung, dann seelisch und
Sterben vollziehen sich die drei Akte
stirbt zuerst geistig, dann seelisch, in umgekehrter Reihenfolge. Der
zuletzt leiblich. Mensch
Wenn dies auch eine ungewöhnliche Ausdrucksweise
den alternden Menschen betrachten. ist, wird das Gemeinte doch ersichtlich,
Heute kennen zwar viele nicht mehr wenn wir
reife. Sie scheuen sich vor dem Alter das Geheimnis der Alters-
und suchen vergeblich eine ewige Jugend.
Mensch durch ein richtiges Altwerden In Wahrheit könnte der.
Schätze erlangen, die ihm sonst versagt
wunderbares Vorbild dafür, wie man bleiben. Goethe ist ein
von einem bestimmten Augenblicke
hinauswachsen kann. Seine Worte seines Schaffens. über sich
werden durchsichtig, als ob der Genius
in ihm dichtete. Die Wahrheiten, der deutschen Sprache selbst |
die er vermittelt, sind nicht nur seine persönlichen
Ausdruck des allgemein Menschlichen Einsichten, sondern
selbst. Etwas Gültiges. Verbindliches
‘ Das ist nur dadurch möglich, daß spricht sich durch ihn 'aus..
der alterude Mensch geistig in überpersönliche
Wahrheiten hineinstirbt. In dem Maße, Gesetzmäßigkeiten und.
wie das Haar auf dem Haupte weiß
licht werden. Frühere Sprachen ahnten wird, können die Gedanken.
dies noch, wenn sie dem alternden
byter beilegten. Von diesem Worte Menschen den Namen Pres-..
leitet sich unser Ausdruck Priester
Alternde wird ein priesterlicher ‚her. Der in richtigem Sinne
Mensch, einer, der die Anordnung
Wahrheiten erhöht. Daraus darf nicht seines Lebens zum Ausdruck ewiger
gefolgert werden, daß jeder Priester
Die Priesterweihe nimmt als
ein freiwilliges Opfer voraus,
ein alter Mann sein muß.
erfährt: das Einfügen seines Geistes was der Mensch . durch. sein Altwerden
in das allgemein Gültige und ewig
weihe wie des Alters liegt im Sterben Wahre. Der Ernst der Priester-
des Geistes, in dem Aufgehen in
überpersönliche Zusammenhänge.
*
Unter Sakramenten verstand man
Aspekten des Lebens die geistigen von jeher die soitdurchdrungen
Korrelate hinzufügen. en Handlungen, die zu den physischen.
.
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" Auch seelisch macht der Mensch einen Tod durch, daun nämlich, wenn er liebt. Prosaische Worte
vermögen das Unsagbare der Liebe nicht auszusprechen. Wir müssen Dichter
zu Hilfe rufen, um m
ihrer Sprache anzudeuten, wie in dem liebenden Zueinander zweier Menschen
ein Todesgeheimnis sich
offenbart. Richard Wagner preist in Tristan und Isolde den „Liebestod“.
Die beiden Liebenden streben
über ihre eigene gattungsgebundene Seele hinaus. Isolde erlebt sich in Tristan,
Tristan in Isolde. Lieben
heißt eben eine andere Seele in sein eigenes Innere aufnehmen. Das ist
aber der Erdgebundenheit des
Leibes nur teilweise möglich. Im Leben nach dem Tode, wenn die Seelen
die leiblichen Fesseln ab-
gestreift.haben, vermögen sie ganz ineinander zu sein. Die Liebe sucht zum
anderen Menschen ein Ver-
hältnis, wie es in vollem Sinne nur nach dem Tode möglich ist. Darum
dem Tod ist die Liebe immer
verwandt. „Tod und Liebe sind gleich / Tod und Liebe sind groß / Tod
und Liebe stehen auf / Liebe
gebietet dem Tod“ (R. Binding).
Die Trauung als Sakrament der Ehe spricht offen das Lebens-Todesgeheim
nis der Liebe aus. So
ungewohnt es sein mag, müssen wir die Trauung doch als ein „Sterbesakrament“ bezeichnen.
Der leibliche Tod ist dann nur das Ende des Prozesses, der mit dem
Altwerden beginnt. Aber den in
die Erde sich auflösenden Stoffen entquillt im Sterben das geistwärts dringende
Leben.
Die Verklärung des leiblichen Todes bewirkt das Sakrament der
letzten. Ölung. Sie begleitet das
seelische und geistige Wesen des Menschen auf seiner Wanderung in die
ewige Heimat.
So wie die Taufe, Konfirmation und Beichte eigentlich die Namensge
bung in drei Akten darstellen,
so sind Priesterweihe, Trauung und Sterbesakrament eine zusammen
hängende Ölung. Die Priesterweihe
ist die erste, das Sterbesakrament die letzte Ölung.
Das menschliche Leben in seiner Ganzheit aber, Leib, Seele
und Tod um- und Geist, Geburt
schließend, gelangt im siebenten Sakrament der Menschenweihehandlung
in den Bannkreis göttlicher
Bedeutung. Sie enthält im Hinblick auf das Christusopfer die Worte
vom Bekenntnis und Glauben.
Durch Christus erhalten wir die Kraft, uns zu bekennen zu unserem
Abstieg zur Erde und doch zu
glauben, daß wir allen irdischen Prüfungen unser ewig-geistiges Wesen
wieder entringen können, das
im Tode aufstrahlen soll. Göttliche Gegenwart durchstrahlt im Sakrament
des Altars das menschliche
Leben in seiner Gesamtheit.
\
So verstanden sind uns die Sakramente nicht mehr bloß überliefer
te kirchliche Zeremonien, deren
Sinn wir nicht begreifen, sondern der lebendige Ausdruck
wahrer Lebensgesetze. Je mehr wir das
Leben von der Geburt bis zum Tode verstehen, desto tiefer erschließt
sich uns das Licht und die Kraft
der sieben Lebensfeiern. Die Freude am Sakramente wird der Liebe
zum Menschen gleich.

Vom Sinn des Leides


Rudolf Meyer
Viele Menschen meinen, an der Weisheit und Güte eines Gottes
zu müssen, wenn sie. irrewerden
rings um sich Zerstörung und Qualen miterleben, sei es im eiguen
Schicksal oder auch im fühlenden,
Mittragen fremder Leiden. Sie verlieren „ihre Religion“ oder
meinen wenigstens, deshalb nicht mehr
religiös sein zu können. ‘ o
Fragen wir die religiösen Offenbarungen zunächst, was sie selber
zu dem Rätsel des Leidens zu
sagen haben. Da wird uns auf den ersten Blättern der Bibel schon
eine bestimmte Antwort gegeben:
als der Mensch einstmals seinen Weg in die irdische Verkörperung
antrat, wurde ihm der Schmerz als
Gefährte zugesellt. Und zwar, wie es zunächst erscheint, als Sühne
für die begangene Urschuld, das
Essen vom „Baume der Erkenntnis“. Die Bibel beschreibt den Zustand, in welchem
der Mensch vordem
gelebt hatte, als einen leidlosen: „Eden“ heißt Wonne: Es ist ein
Leben in Beseligung, in sündloser
Unbewußtheit, aus dem sich däs Menschenwesen löst, als es von der Erkenntn
isbegierde erfaßt und zum -
Eigenwollen erweckt wird. Dieser Weg führt zur Entfaltung
der Persönlichkeit, aber er ist ein
schmerzenreicher Weg. „Ich will dir viel Schmerzen schaffen, wenn du schwanger wirst; du sollst
mit Schmerzen Kinder gebären“ — so erklingt jene göttliche Stimme zu dem Weibe. Während den
Mann das andere Schicksalswort trifft: „ Verflucht sei der Acker
um deinetwillen, mit Kummer sollst du
dich darauf nähren dein Leben lang. Dornen und Disteln soll er dir
tragen...“
Nach dieser Anschauung beruht das Gesamtschicksal der Menschhe
it, die den Weg in die Stoffeswelt
angetreten hat, auf einer gemeinsamen Schuld. Allerdings einer
Schuld, die ihren Ursprung in einer
anderen Wesensmacht hat. Luzifer ist als Versucher an die Menschen
seele herangetreten und hat in

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ihr die Begierde nach Eigensein, nach Sinnenerfahrung aufgestachelt. Die Wirkung dieser luziferischen
Verstrickung durchzieht das gesamte Menschendasein. Aber die gute göttliche Macht bedurfte eines
Gegenmittels, um die Menschennatur immer wieder von der Kraft Luzifers zu heilen, und das war der
Schmerz! Leid mußte ..dem menschlichen Leben und Empfinden einverwoben werden, um durch
die
läuternde Wirkung, die in ihm liegt, die Seelen von Begierde und Sinnenverstrickung zu befreien. Mit
Leiden wird unser irdisches Dasein jedesmal bei der Geburt schon erkauft; Leiden sind in den alltäg-
lichen Daseinskampf einverflochten, wenn wir bei all unserem Streben und Arbeiten den Widerstand
der Erde verspüren müssen. Die sühnende Kraft des Leidens jedoch entringt uns immer aufs neue den
machtvollen Einwirkungen Luzifers. .
Im letzten Halbjahrtausend der vorchristlichen Zeit tritt das Ringen um das Rätsel des Leidens
immer eindringlicher innerhalb der Geistesentwicklung hervor. Da entsteht auf dem Boden Griechen-
lands die Kunst der Tragödie. Ist nicht die tragische Kunst eine Übung, den Blick für die Abgründe
und ‚Schmerzenstiefen alles Erdendaseins zu wecken? Sie will den Zuschauer in „Mitleid und
Furcht“
erschauern lassen und damit in ihm die „Katharsis“ oder Läuterung hervorrufen, wie Aristoteles den
Sinn der Tragödie definiert hat. Um die gleiche Zeit, da in Griechenland die tragische Kunst aufblühte,
lehrte im Osten der.große Buddha seinen Pfad .der Erlösung. Er, der als junger Prinz von allen Leiden
und aller Leidenserkenntnis sorgfältig ferngehalten wurde, erwachte eines Tages aus dem Lebenstraum
und drängte in die Welt hinaus. Er machte die Begegnungen mit Leiden und Tod durch und
erbebte
vor diesen Urtatsachen des Daseins. Daraus erwuchs in ihm der Entschluß, dem Leben zu
entsagen.
Denn der Mensch kann das Leid nicht passiv wie ein Tier über sich 'ergehen lassen; er muß zu
ihm von
Grund auf Stellung nehmen. Durchschaut er aber, wie alles Leben im Körpersein notwendig mit
Leiden
verknüpft ist, so kann ihn der Wille ergreifen, sich diesem Leben überhaupt und gänzlich zu
entringen.
Als Abendländer werden wir meistens empfinden, daß wir nicht zu der gleichen Wertung des
Daseins
kommen können. Wir müssen dennoch die Größe und Klarheit der Buddhaerkenntnis und des daraus
folgenden Entschlusses bewundern. Uns aber mag eher das Wort Nietzsches ansprechen, daß der
Schmerz
das große „Stimulans des Lebens“ sei.. . .
Gehen wir einmal von der Betrachtung der Funktion des Schmerzes aus, wie er zunächst als physischer
Schmerz bei Verwundungen oder anderen körperlichen Schädigungen auftritt. Was geschieht z.B.
durch
einen Schnitt oder Stoß, den wir an einem unsrer Glieder erleiden? Der normale Strom der Lebens-
kräfte wird unterbrochen; es kommt zu einer Stauung der Kräfte. Gehemmte Kraft
aber wird ihrer
selbst bewußt. Durch den Schmerz hindurch kommt sie zum Bewußtsein. Dieses Gesetz
gilt auch für die
Erkrankung der Organe, die uns unbewußt bleiben, solange sie gesund sind. Erst wenn die Funktionen
der Niere, der Leber usw. gestört sind, werden wir daran erinnert, daß wir überhaupt solche Organe
in uns tragen. Sie melden ihr Dasein durch den Schmerz an; Schmerz aber ruft Abwehrkräfte auf.
Ex
ist gleichsam das Signal, durch das die Notlage gemeldet wird. Krankheiten, welche sich
nicht durch
‚Schmerzen ankündigen, sind bekanntlich die heimtückischsten. Der Schmerz übt also ein
Wächteramt
im Organismus aus, das auf einer weisheitsvollen Einrichtung beruht.
Nun können wir aber noch einen Schritt weiter gehen, um die Funktion des Schmerzes recht bewerten
zu lernen. Es gibt Tiere, die durch die leiseste Verletzung, die sie empfinden, gereizt werden, wunderbare
Abwehrhandlungen zu vollbringen. Es sind die Muscheltiere, die bereits auf das kleine Sandkorn, das
ihnen als Störung erscheint, wenn es in die Muschel. gerät, schöpferisch antworten. Sie sondern eine
Substanz aus, die sich fest um den störenden Gegenstand schließt. Sie bilden die Perle. ‚Ein .Gebilde
reinster Schönheit ist ihre schöpferische Antwort auf den Schmerz, der ihnen zugefügt worden.
Gibt es nicht. auch im menschlichen Organismus etwas ähnliches? — Ja; denn im Grunde ist die Bildung
der Sinnesorgane, vor allem des Auges, ebenfalls aus dem Schmerze heraus zu erklären. Nur daß sich
diese Bildungsvorgänge durch lange Epochen vorbereitet haben. Wo heute das Auge in seiner Höhlung
wohnt, da ‚haben auf früheren Entwicklungsstufen Entzündungsprozesse gewirkt. Das Auge ist aus
lauter Verwundungen durch das Licht hervorgegangen. Oder besser gesagt: das Auge ist die Antwort,
die schöpferische Abwehr des Organismus gegen den. Schmerz, den er empfand. Das Auge, das nun nicht
nur Licht auffängt, sondern von innen her auf das Licht antworten kann, indem es in sich Licht erzeugt
und in inneren Bildern das Empfundene nachschafft, — es ist die schöpferische Überwindung eines zu-
gefügten Schmerzes. Heute ist dieser Schmerz vergessen; die Lebensvorgänge des Auges sind im hohen
Maße unbewußte geworden. Stattdessen ist es ein Vermittler unermeßlichen Reichtums für das Bewußt-
sein. Die Fülle der Welt wird durch den Siun des Auges bewußt empfangen. Buddha fehlte noch für
seine Daseinsbewertung der Entwicklungsgedanke, in dessen Lichte auch der Schmerz einen positiven
Sinn erhalten kann. \
116
Von dieser Betrachtung können wir nun zum seelischen Schmerz den Übergang finden. Wir haben
etwa den Verlust eines uns teuren Menschen zu beklagen, sei es, daß er uns durch den Tod entrissen
ist oder uns verlassen hat. Ein Kräfteaustausch, der beglückte und das Leben nährte, ist unterbunden;
ein Lebensstrom, der im Nehmen und im Geben waltete, kommt zur Stauung. Das bedeutet für die
Seele Leid. Aber durch das Leid hindurch tritt oftmals erst mit voller Klarheit ins Bewußtsein, wie
wertvoll diese Liebe, wie lebensnotwendig die menschliche Gemeinschaft war. Andererseits werden wir
uns zugleich bewußt, wie in solchem Empfangen und Geben ein Selbstgenuß, eine Erhöhung des Daseins-
gefühls gelegen war. Wir erfahren im Schmerz der Entbehrung die Läuterung von allem, was noch
Egoismus und Besitzenwollen in Liebe oder Freundschaft gewesen ist. Aber im Leiden kegt zugleich
die Kraft, das Verlorene auf einer höheren Stufe wiederzusuchen. Die Trennung im Irdischen kann
durch den Schmerz, den sie verursacht, den Antrieb erwecken, die Vereinigung. im Geiste zu erleben.
So wird der Seelenschmerz ebenfalls zum Wecker neuer Kräfte. Er vermag der Seele das Auge zu
weben, das über die vergängliche Welt hinausschaut. Auch hier ist es die Frage, ob die Seele auf den
Schmerz schöpferisch zu antworten vermäg: wie die Muschel, wenn sie die Perle bildet. Dann spreiigt sie
die Fesseln, die sie unbewußt in Sinnenschlaf und Selbstgenügsamkeit gefangen hielten. Sie erlebt die
Blickbefreiung für die Welt des Geistesseins.
Solche Erfahrungen führen ‘uns zum Verständnis jener Seligpreisung, die von den Leidtragenden
redet (Matth.-Ev. 5,4). Nur daß die landläufige Übertragung des Evangeliums den Sinn des Wortes ab-
schwächt: „Selig sind, die da Leid tragen; denn sie sollen getröstet werden.“ Es handelt sich im Urtext
"um das gleiche Wort, das im Neuen Testament für den „Parakleten“ (den „Tröster“, den heiligen Geist)
gebraucht wird. Das Leid schließt die Seele für das Empfangen des heiligen Geistes auf. Es macht sie
'inspirationsfähig. Darin liegt allerdings zugleich die allerhöchste Tröstung; denn wir werden dadurch
reicher. Durch den christlichen Impuls wird das Erlebnis des Leidens von Grund auf umgewertet.

Die Grundtatsache des Christentums erfassen wir nur, wenn wir verstehen lernen, daß mit der Er-
scheinung ‘des Christus im Erdendasein sich ein göttliches Wesen in Freiheit mit dem Schicksal der
Menschheit verbinden wollte. Er ist das „Lamm Gottes“, wie ihn der Täufer Johannes genannt hat.
Hier sucht nicht mehr ein Mensch, der das Leiden der Welt durchschaut hat (wie Buddha), den Weg, wie
er sich der Erde entringen kann; sondern ein Wesen, das nicht dem Gesetz der Erdenverkörperung
ünterworfen ist, ergreift freiwillig das Leid. Es geht durch den Kreuzestod, um ihm ein höheres
Leben im Geiste zu entringen. Die Bejahung des Leidens in Freiheit und Liebe — und zwar jenes
Leidens, das aus der Urschuld entsprungen ist, der die Menschheit durch die Verbindung mit Luzifer
verhaftet war —, das ist der Ausgangspunkt für die Heiltat von Golgatha. Indem sich ein Gotteswesen
freiwillig mit der Urschuld des Menschengeschlechts verbunden hat und das sühnende Leiden zugleich
durchlebte, ist sie nicht nur ausgeglichen; sie ist in höheres Leben hinaufverwandelt worden. Damit aber
sind gauz neue Entwicklungsmöglichkeiten auf Erden eingeleitet. Denn mit diesem Golgatha-Schmerz
kann sich die Menschenseele innerlich verbinden. Sie kann das Gottes-Leiden erfühlen, das weit über
alles menschliche Leid hinausgeht. Im Teilhaben an dem Gottesschmerz erfährt die miterlebende
Menschenseele, wie ihr das Seelenauge gewoben wird, um in eine neue Lebenssphäre hineinzuschauen.
Sie empfängt den Geistestrost, die Gabe des Parakleten.
Durch die Abschiedsreden des Johannes-Evangeliums geht diese Verheißung der höchsten Tröstung
bindurch: „Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen,
und eure Freude soll niemand von euch nehmen“ (Joh. 16,22). Dieser Schmerz, den die Jünger durch
den Hingang ihres Meisters erfahren, wird nun mit dem Geburtsschmerz, den die Mutter erdulden muß,
verglichen. Es ist gleichsam Evas Schmerz, der ihr auf den Erdenweg mitgegeben wurde — aber auf
einer höheren, geistigeren Stufe: „Ein Weib, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit; denn ihre Stunde
ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude
willen, daß der Mensch zur Welt geboren ist...“ Der Golgatha-Schmerz, den die Seele durchlebeu muß,
wenn sie die Kreuzigung des Göttlichen im Erdendasein zu erfühlen beginnt, ist ein Geburtsschmerz.
Eine Geistgeburt entringt sich ihm. Er öffnet den Seelenblick für die Gegenwart des Christus im: Erden-
dasein. Die Seele erfährt durch ihn den Durchbruch in die Auferstehungswelt. Der Jubel des Wieder-
sehens, das die Seele mit dem Auferstandenen feiern darf, die Freude des Geist-Erwackens löscht den
Schmerz der Entbehrung, die Leiden der schuldhaften Verkörperungen aus: so wie der Jubel über die
Geburt eines Kindes in der Mutter den Schmerz der überstaudenen Wehen auszulöschen vermag.
Die Heiligung der Liebe, ihre stufenweise Vergeistung ist aufs tiefste mit dem Geheimnis des
Schmerzes verknüpft. So konnte Christian Morgenstern aus’ dieser Erkenntnis einmal sagen: „Die

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Menschen sollen einander lieben, aber damit ist nicht gesagt, daß ihnen dies nicht so schwer wie möglich
gemacht wird und fallen soll, denn es gibt keine wohlfeile Liebe. Es gibt nirgends im Kosmos des
Kreuzes billige Errungenschaften, und wie wäre er sonst auch seines Meisters und seiner Bestimmung
würdig.“
. *
Aber wenn wir auch das Leiden als Menschheitsschicksal zu verstehen glauben, wird uns beim Anblick
der vielen individuellen Leidensschicksale immer wieder die quälende Frage aufsteigen: warum muß
der eine dieses, der andere jenes Leid gerade erdulden? — Es ist die Frage Hiobs, der innerhalb seines
Erdenlebens nicht die Ursachen für seine harten Schicksalsprüfungen aufzufinden vermochte. Wie wir
aber für das Gesamtschicksal der im Erdendasein leidenden Menschheit den Blick über die Grenzen der
Sinneserfahrung hinausweiten müssen, um die „Urschuld“ zu finden, die überhaupt erst in die Ver-
körperung hereingeführt hat, so werden wir auch für das Schicksal des Einzelnen im Suchen nach den
verborgenen Ursachen genötigt, über die Grenzen dieses einen Erdenlebens hinauszublicken. Es wird
nur in sehr geringem Maße der Fall sein, daß wir hier und da für das leidvolle Schicksal des Einzelnen
auch die Ursachen bereits innerhalb dieses Lebens auffinden können. In weit zurückreichenden Ver-
gangenheiten oder in noch fernen Zukünften müssen wir sie suchen. Die Meuschenseele hat die ver-
borgenen Ursachen, die zu Leid und Prüfungen führen, zuallermeist in dieses Erdenleben mitherein-
gebracht. Das Suchen nach den tieferen Ursachen des Leiderlebens führt uns mit innerer Notwendigkeit
zur Anerkennung wiederholter Erdenleben. Nicht allerdings im buddhistischen Geiste; denn Buddha
sah im Leiden nur eine Wirkung, deren Ursachen es aufzuheben galt. Der abendländische Geist, wenn er
das Leiden im Christuslichte betrachten gelernt hat, bejaht das Gewordene; er sucht es für die künftige
Entwicklung fruchtbar zu machen. Dieses unterscheidet die Art, wie Rudolf Steiner den Gedanken der
wiederholten Erdenleben und des Schicksalsausgleiches mit der christlichen Weltbetrachtung vermählt
hat, grundsätzlich von dem buddhistischen Erlebnis.
Zwei Gesichtspunkte sollen hier nur noch angedeutet werden, indem wir auf den Sinn der physischen
und den der seelischen Schmerzen den Blick richten. Man kann nach der Ursache z.B. fragen, die im
Schicksalswalten zum Erleiden körperlicher Schmerzen, sei es durch Krankheit, Verwundungen
oder Verstümmelungen, hinführt. Schmerz und körperliches Gebrechen zwingen die Seele immer, sich
tiefer mit der Körperlichkeit auseinanderzusetzen. Dieses aber weist darauf hin, daß wir irgend einmal
in der Vergangenheit den Leib gering geachtet oder ihn mißbraucht haben. Die Seele, die während des
einen Erdenlebens die Leibesnatur mißachtete, indem sie sich von ihr zu lösen oder sie egoistisch
genießend auszunutzen suchte, muß im folgenden Leben die Fesselung durch den Leib in Schmerz und
Gebrechlichkeit erleben. Aber dadurch gerade wird sie gezwungen, sich um so stärker mit dem Leibe zu
beschäftigen. Sie lernt ihn durchseelen und erringt sich, wenn sie die Schmerzen in rechtem Sinne zu
ertragen weiß, ein geläutertes Verhältnis zum Körper.
Wenn wir unter solchem Gesichtspunkte daran denken, wie in der Gegenwart unzählige Wunden
geschlagen und Menschen dadurch Leidensprüfungen auferlegt werden, so steht vor unserem inneren
Blicke zugleich, was aus standhaft getragenen Leiden in Zukunft hervorgehen kann. Es sollen daraus
Menschen erstehen, die einstmals in Körpern wieder über die Erde schreiten, denen man die Prägung
durch den Geist ansehen wird; Menschen, die durch die Schmerzensläuterung die innere Freiheit
gegenüber der dumpfen Sinnennatur und damit auch den Adel einer durchgeistigten Schönheit haben
erringen dürfen.
Und schauen wir in diesem Geiste auch auf das seelische Leid hin, das durch den Verlust teurer
Menschen uns zugefügt werden kann, so können wir wiederum die Ursachen dafür im Schicksalswalten
von einem Dasein zum anderen aufsuchen. Einsamkeit, sofern sie uns Schmerzen der Entbehrung, des
Verlassenseins bereitet, deutet darauf hin, daß wir einstmals in irgendeinem Sinne Liebeskräfte und
menschliche Herzensbande gering geachtet oder sie in egoistischem Sinne nur genossen haben. Aber der no

Schmerz der Entbehrung läutert die Liebefähigkeit; die Sehnsucht, die aus der Vereinsamung der Seele
erwächst, vermag in uns höhere und reinere Liebeskräfte zu entzaubern. Denken wir an die großen
Verluste, die in der Gegenwart durch die Schicksalsprüfungen den Völkern auferlegt werden, so dürfen
wir hoffen, daß durch Seelenleiden solcher Art für die Erdenzukunft geläuterte Liebeskräfte vorbereitet
werden. Und die Menschheit wird künftig gerade dieser von Selbstsucht gereinigten Liebeskräfte zu
ihrem Heile bedürfen. Solche Seelenleiden jedoch, die im rechten Geiste verarbeitet und in Innerlichkeit
umgewandelt sind, machen den Menschen für die Zukunft auch fähig, die Leiden anderer mitzufühlen
und liebevoll zu verstehen. Mitleidskräfte können nur in einer Seele erwachsen, in der durchlebte
eigene Leiden, allerdings überwundene und bestandene Leidensprüfungen nachwirken. Und aus solchem

118
Verstehenkönnen der fremden Leiden reifen Helferkräfte im Erdendienste heran. So wird Welten-
zukunft gegenwärtig vorbereitet.
Stellen wir durch solche Betrachtungen das Leiden in die großen Daseinszusammenhänge hinein, so
durchbrechen wir die Befangenheit im eigenen und augenblicklichen Schmerz. Unser Blick weitet sich
über die Gegenwart hinaus. Wir dürfen hoffend sagen: mögen heute Leidensausgießungen über die
Völker in noch so großem Maßstabe stattfinden, — es sind die Mittel, durch die die unsichtbaren Hüter
unseres ewigen Werdens unsere erdgefangenen Seelen befreien und aus dem Schlafe einer materialistisch
gewordenen Zivilisation wachrütteln wollen. Sie bereiten die Seelen, die in tiefer Schicksalsbejahung
das Leiden zu tragen und zu verarbeiten verstanden haben, für ebenso große Geistausgießüngen vor,
deren die Menschheit in Zukunftszeiten teilhaftig werden soll. Denn „selig sind die Leidtragenden; sie
sollen dereinst den Tröster erleben“. — So ist das große Leid die Pflugschar, die den Ackerboden für
den Empfang der Geistessaat aufzuschließen vermag.

Die „Adler“
Eine Evangelienbetrachtung zum Ende des Jahresfestkreises
Man kann vom Christentum nicht sagen, es sei opti- den? Christus wird gefragt, wo dies geschehen werde.
mistisch gestimmt angesichts der Weltentwicklung. Näm- Seine Antwort klingt wie ein Schlußpunkt oder ein Amen
lich in dem landläufigen Sinne, daß Leid und Not leicht zu dem Vorhergehenden, jedoch in merkwürdigen Wor-
genommen und ein guter Ausgang jenseits aller Krisen ten: „Wo das Aasist, dasammeln sich auch
angekündigt würde. Wohl aber sieht das Christentum das die Adler.“ Wie können wir das mit dem Blick auf
Weltgeschehen apokalyptisch. Was heißt das? Es sieht den apokalyptischen Hintergrund verstehen?
die Ereignisse von einer Warte, von der aus betrachtet Wir glauben, daß der Urtext durch die übliche Über-
sie ihren tieferen Sinn zu entbüllen genötigt sind (Apo- setzung und triviale Deutung, die mit dem übrigen Teil
kalypsis heißt griechisch Enthüllung). Das Christentum der Rede gar keinen rechten Zusammenhang herstellt,
begibt sich damit auf eine Höhe, wo der Blick sich ins gründlich mißverstanden wird. Man liest die Stelle ge-
Kosmische weitet. Zwar vertieft sich so der Anblick des meinhin so, als habe Christus sagen wollen: wo ein Kada-
Weltleides. Aber es gewinnt zugleich seinen Sinn und ver angefallen und etwas zu holen ist, da sammeln sich
wird dadurch erträglich und der Menschenwürde ange- die beutegierigen Vögel; daran erkenne man (um es mit
messen. der Redensart auszudrücken, die vielleicht von dieser
Von hier aus versteht man den Tenor der apokalypti- Bibelstelle herstammt:) „wo der Hund verscharrt Kegt“.
schen Worte Christi in den Evangelien: „Wenn aber die- Solche und ähnliche Deutungen werden schon dadurch
ses anfängt zu geschehen, so blicket auf und erbebet eure widerlegt, daß im griechischen Text ganz klar „Adler“
Häupter, darum daß sich eure Befreiung naht.“ Nicht nur (aötoi) steht. Ein Adler aber vergreift sich bekanntlich
in der großen Apokalypse, der Offenbarung Johannis, nie an Kadavern, sondern schlägt nur lebendige Beute.
sind die Bilder und Ankündigungen aller Not durchsetzt Es sind vielmehr — was namentlich der ganze Orient
von der Ermutigung zur „Erhebung der Häupter‘“ — ge- weiß — die Geier, die das Aas verzehren. Man hätte
räde auch in den apokalyptischen Abschnitten der Evan- den Redner ausgelacht, der Adler statt Geier gesagt hätte,
gelien, die schwerste Weltschicksale voraussagen, herrscht und jeder spätere Abschreiber hätte, wie es moderne Bi-
dieser heroische Ton. | belübersetzungen äuch tun, einen entsprechenden Schreib-
Das Lukasevangelium enthält zwei solche Reden Christi. fehler korrigiert. Nun steht zwar in griechischen Wörter-
Die eine ist uns als Evangelium der Adventszeit beson- büchern, das Wort a&tos (Adler) bedeute auch Geier,
ders bekannt: „Es werden Zeichen geschehen an Sonne, nämlich im Neuen Testament. Aber diese Angabe ent-
Moend und Sternen. Und auf Erden wird den Menschen stammt wiederum der üblichen Übersetzung und Deutung
bange sein und sie werden zagen . . .“ (Lukas 21). Die eben dieser Stelle und kann uns daher nicht beeindruk-
andere steht schon früher, im 17. Kapitel, aufgezeichnet ken. Das herrliche Wort a&toi trägt ja auch die edle
und schlägt verwandte Motive an: „Das Reich Gottes Adler-Bedeutung unverkennbar in seinen Lauten selbst.
kommt nicht mit äußeren Gebärden .. . Es wird die Zeit Nein, wir dürfen eine ganz andere, der Würde apo-
kommen, da ihr begehren werdet zu sehen einen Tag des kalyptischer Rede angemessenere Deutung zur Erwägung
Menschensohns und werdet ihn nicht sehen... Wie der geben. Sie erst scheint uns mit den vorhergehenden und
Blitz oben vom Himmel blitzt und alles unter dem Him- späteren Worten Christi den nötigen Einklang herzu-
mel auf einmal erleuchtet, also wird des Menschen Sohn stellen.
an seinem Tage sein... Wer da sucht, seine Seele zu er- Die zweite Lukas-Apokalypse (21,5) beginnt da-
balten, der wird sie verlieren; und wer sie verlieren wird, mit, daß Christus auf die Schönheit des Tempels verwie-
der wird ihr zum Leben helfen...“ Wo zwei zusammen sen wird. Er aber sagt, es werde die Zeit kommen, wo
schlafen — mahlen — auf dem Felde sind, da wird der kein Stein auf dem andern gelassen wird. Der altehrwür-
eine angenommen am hereinbrechenden Tage des Herrn, dige Tempel wird zerbrochen werden. Und die erste Frage
der andere aber wird ausgeschlossen werden. der Jünger darauf ist: Woran können wir die Zeit er-
Diese Rede schließt mit einem runenhaften Rätselwort. kennen, wann das geschehen soll?
Man kennt es allgemein, aber hat man es auch verstan- Eine ähnliche Frage wird auch in unserem Verse

119
Kap. 17, 37 auf die erste Rede hin gestellt. Und hier Berechtigen nicht noch weitere Gesichtspunkte zu einer
scheint uns Christus — noch einen Grad verhüllter — eine solchen Übersetzung? Das im antiken Vorstellungskreis
ähnliche Antwort zu geben. Statt vom untergehenden bekannte und lebendige Mysterienbild des VogelsPhö-
Tempel spricht er hier nach Luthers Übersetzung vom nix unterstützt uns ohne Zweifel. Wir dürfen sagen:
„Aas“. Wir müssen das Wort „Soma“ besser übersetzen. adlergleich erhebt sich der Phönix aus der zerstäu-
Es heißt Leib im weitesten Sinne. Gemeint ist der'wohl- benden Asche... Zum Zweiten: Das urchristliche Adler-
gefügte, aber vergängliche Körper, also in gewissem Sinn symbol desjenigen Evangelisten spricht für unsere Auf-
auch .der Leichnam. So wie Christus später sagt, der alte fassung, der sich mit seinem Werk zum höchsten Fluge,
Tempel müsse zugrunde gehen, damit ein ganz neuer er- zur enthüllenden Schau des Weltsinnes erhebt. Der Johan-
baut werde, so spricht er hier vom todgeweihten Leibe. — nes-Adler war schon früh ein Realsymbol und geflügeltes
Und in der zweiten Hälfte des Satzes — „da sammeln Wort. In der Offenbarung Johannis sind es Adlerflügel,
sich auch die Adler‘ — fügt er nach unserer Überzeugung die das Weib mit dem Knäblein vor dem Zugriff des Dra-
die erste Verkündigung der Todesüberwindung hinzu. chen retten. Sollte dem Verfasser des Lukasevangeliums
Hier hilft uns zum Verständnis wiederum das so ver- eine solche Bildsprache fremd geblieben sein? Nicht zu-
wandte 21. Kapitel. Christus nennt dort die Symptome letzt: die apokalyptischen Kapitel des Evangeliums sind
des Niedergangs einer alten Welt, „Wenn aber dieses an- eine einzige Vorausverkündigung von Tod und Aufersteh-
fängt zu geschehen, so sehet auf und erhebet eure Häup- ung. So ist auch das Adlerwort eine Vorbereitung auf
ter.“ Etwas Ähnliches ist hier gesagt: Wo ein Leib zu- dieses grundlegende offenbare Geheimnis.
grunde geht und zerfällt, da soll der Blick hinaufgewen- .Wir dürfen dem herrlichen Wort attoi seinen geistigen
det werden, auf das, was sich der Vergänglichkeit ent- Siun innerhalb einer apokalyptischen Rede: zurückgeben!
ringt und sich (wir dürfen sagen:) adlergleich erhebt. Mit dem kurzen Ausspruch gewährt Christus einen Aus-
‚Der Leib ist in dem Schlußwort Christi ein Bild für. die blick, der sich kraftspendend und umfassend weitet: Wo
gefährdete, im Sturm des Zeitschicksals vergehende Welt. ein Lebewesen stirbt, da schwingt sich Seelisches auf. Wo
Und die Adler sind das Geistbild für die vom sterbenden ein Mensch durch den Tod geht, da wird sein Wesenskern
Leibe sich lösende und neu beschwingte Seele. Die Adler im Chor der Geister emporgetragen. Wo ein altes Zeit-
„versammeln“ sich, heißt es in dem: Text. Die Seele alter zu Ende geht, dort hebt eine neue Erwartung an. Wo
schwingt sich auf im Chor “übersinnlicher Wesen und aber jene Ereignisse über die Menschheit hinstürmen, die
Kräfte, die ihren unsterblichen Wesenskern emportragen. Kulturen zerstören und einer neuen Offenbarung Christi
Wir dürfen demnach den Vers 37 etwa’ folgendermaßen vorangehen, da erhebet eure Häupter, daß ihr den licht-
lesen: Und sie fragten ihn: Wo wird das geschehen? Er strahlenden Menschensohn. im. Adlerkleide wahrnehmt.
aber sprach zu ihnen: Wo ihr einen Organismus zerfallen Wir stehen jetzt im November zeitlich am Ende eines
seht, da blicket nicht hinab, sondern schauet auf zu den christlichen Jahresfestkreises. Das alte ereignisreiche,
Adlern. In kürzester Zusammenfassung: Wo ein Leich- gnadenvolle Jahr geht seinem Abschluß entgegen. Die un-
nam ist, da sind auch gesammelte Adlerkräfte. wirtlichste Jahreszeit, das größte Dunkel stehen unmittel-
So oder ähnlich verstanden, ‘wäre dieser Vers erst ein bar bevor. Auch für ein solches Sterben gilt das ermuti-
wahrer Schlußpunkt der vorangegangenen Rede und ent- gende Adlerwort. Die Sonne ist um diese Zeit auf ihrer
bielte die geistgemäße Konsequenz aus den enthüllten Jahresbahn ins Tierkreiszeichen Skorpion getreten. Aber
Weltereignissen für die menschliche Haltung. Das Wort dieses Zeichen der dunklen Zeit ist einer der vier Eck-
enthält einen Impuls, einen Appell an die Menschen- pfeiler des himmlischen Tierkreises und trägt als seinen
würde. — Im Matthäusevangelium folgt es unmittelbar Bintergrund noch einen zweiten, geheimen Zukunfts-
auf das Wort vom kommenden Aufblitzen der Offen- namen, den des verwandelten Skorpions, des Adlers. .
barung: des Menschensohns am Himmel. Kurtvon Wistinghausen

Ankunft
Wolfgang Schickler
Abendschein ergießt sich auf die Zeilen, Bist zur guten Stunde nicht gekommen!
Drauf der Alten müde Augen weilen. Keinen weis’ ich ab, der selbst sich lade;
Imbiß für die Gäste ist gerichtet Heute bin ich schon beim Wort genommen:
Und die Betten reinlich aufgeschichtet. Neffen sind dir schon zuvorgekommen;
Aus dem Dorfe tönt noch Sensendengeln. Aber nimm! und geht nach Brot zur Lade.
Die Erharrten scheinen nicht zu eilen! Und vernimmt die sanften Worte: Schade!
Von Dämonen liest sie und von Engeln. - Heute hätt’st den Herrn du aufgenommen! — —
„Wo ein Aas ist, sammeln sich die Adler.“ : Wie sie wagt, sich wieder umzuwenden,
Rätselwort. O Herr, du säumest lange! Lautlos liegen Stube, Gang und Garten.
Und sie sinnt. Da hört sie auf dem Gange Steht die Uhr? Mit zitterigen Händen
Schritte und es klopft. Ein Wandrer spricht Rührt sie au den Pendel, seinen harten,
Auf der Schwelle: Herberg find ich nicht; Steten Gang erneuend. Abendläuten
Wollet doch ein Obdach mir gewähren, Tönet friedlich. Will der Tag nicht enden?
Sei’s im Stroh, ich will euch nicht beschweren. Welches Gastes soll ich nun noch warten?

120
Unsere Toten und wir
An eine Trauernde (aus der Zeit des Weltkriegs)
‚land und jeden Tag bereit war, sein ganzes Lehen zum
Liebe Frau N., mit tiefer Bewegung habe ich die Nach- Opfer zu bringen. Ich meine, das dürfen wir von Herzen
richt gelesen, daß Ihr Herr Gemahl nun auch zu den glauben, daß ein Mensch, der einer großen heiligen Sache
Opfern dieses Krieges gehört. Wie habe ich mich noch sich selbst zum Opfer darzubringen bereit ist, Gott lieb
über ihn gefreut, als er Abschied nahm: stark, froh, vol- und wert und innerlich nahe ist. Das ist es gerade, wozu
ler Leben und Zuversicht stand er vor mir, ein Bild deut- uns Gott führen will: daß wir uns hingeben können. „Wer
scher Kraft. Selten hat mich der Eindruck eines Men- sein Leben verliert, der wird es erhalten zum ewigen
schen so erhoben. Ich konnte mich an ihm gar nicht satt Leben.“ Wer es vermag, für die hohen Güter des Vater-
sehen und mußte nachher immer wieder an ihn denken. lands sein Leben hinzugeben, der hat, sollte ich denken,
Und nun ruht er irgendwo in der Erde, und Sie haben gerade die Gesinnung, die wir fürs Gottesreich brauchen.
ihm, dem geliebten Lebensgefährten, nicht einmal in der Ich habe Menschen gesehen, die durch den edlen Tod
letzten Stunde nahe sein dürfen. Sie wissen nichts von ihrer Lieben so innerlich ergriffen und erhoben waren,
seinen letzten Augenblicken und haben seinen letzten daß sie sagten: Ich kann gar nicht so trauern wie andre
Gruß, der sicher noch Ihnen galt, nicht erhalten können. Menschen. Er hat mich durch die Art, wie er gestorben
Das ist namenlos schwer, und ich möchte keinen Ver- ist, einfach darüber hinweggehoben und mir ein solches
such machen, mich in den bitteren Schmerz dieser Stunde Trauern geradezu unmöglich gemacht. Fühlen Sie nicht
mit irgendeinem noch so wohlgemeinten „Trost“ einzu- auch etwas davon? Das hat er wahrhaftig nicht verdient,
drängen. Aber lassen Sie mich Ihnen wenigstens sagen, daß.ihm eine Frau zurückbleibt, die ihr eigenes enges
wie wir an ihn denken und wie wir an Sie denken in menschliches Los düster beklagt. Ein solches Verhalten
dieser erusten Zeit. seiner Frau würde seine Tat abschwächen. Heldenhaft ist
Er ist uns gestorben auf der Höhe seines Lebens. Grö- ‚er gestorben, heldenhaft will er auch betrauert werden.
ßer und menschlich verehrungswürdiger hat man. ihn nie Das allein ist seiner würdig. Er wünscht sich gewiß eine
gesehen als beim Abschied. So oft wir an ihn denken, Frau, die den Schmerz so groß erleidet wie er den Tod.
wird dies Bild vor uns auftauchen und immer wird es Wehren Sie sich mit aller nur möglichen Kraft gegen das
uns innerlich erkeben und weihen. Es blutet uns ja das bilflose innere Sich-Verzehren, das man bei so mancher
Herz, wenn wir daran denken, was wir an ihm verloren Witwe siekt. Er ist Ihnen ganz nah, viel näher als Sie
haben. Aber ich glaube nicht, daß er uns mit einem langen meinen. Es. ist wirklich etwas an dem alten Volksglauben,
Leben mehr hätte sein können, als er uns jetzt durch daß wir durch schwere dunkle Trauer die Seelen unsrer
seinen Tod geworden ist für immer. Es ist etwas Wunder- Verstorbenen belasten und gewissermaßen niederhalten,
bares, Freunde in. seinem Herzen zu tragen, die so ge- daß wir aber durch lichtes, liebes Gedenken eine uner-
storben sind. Der tiefe Eindruck, den wir von seinem meßliche Wohltat tun können. Gott sei Dank, das Beste,
Heldentod haben, wird mit uns gehen und wird in all was er Ihnen gewesen ist, kann Ihnen ja niemals genom-
unsrem Handeln seinen Einfluß geltend machen. Daß men werden. Er wohnt für immer in Ihrem Herzen und
solche Opfer fürs Vaterland gebracht wurden und daß kann Ihnen da niemals geraubt werden. Und wenn Ihre
sie so gebracht wurden, wird uns Zurückgebliebenen Seele ihn sucht — wie oft wird das sein! — dann sei
unsre Lebensarbeit immer wieder heiligen und. unsre Ihnen die Brücke, die von Ihrer Seele zu seiner Seele
Lebenskraft erhöhen. Er hat wahrhaftig nicht vergeb- hinüberführt, heilig. Dann lassen Sie auf dieser Brücke
lich gelebt, wenn er auch jung. gestorben ist, und dieser keine schweren schwarzen Gedanken wandern, sondern
Tod hat seinem Leben einen geradezu idealen Abschluß schicken: Sie liebe lichte Gedanken und Gefühle zu ihm
gebracht. Die Liebe und Verehrung, die wir, alle seine hinüber und immer wieder lichte liebe Gedanken wie
Freunde ohne Ausnahme, für ihn empfinden, muß Grüße, die ihn’ wirklich erreichen und die ihm sagen, daß
Ihnen doch eine kleine Wohltat sein, auch in dieser seine Frau stolz auf ihn ist, daß sie auch fortan ohne
Stunde. rn maßlose Trauer mit ihrer ganzen liebreichen Seele bei
Und Sie, liebe Frau N., Sie sind uns fortan eine ge- ihm weilt, daß sie seiner Seele gönnt und wünscht,
weihte Schwester, von der wir wissen, daß sie uns allen liehtwärts zu leben, und daß sie sich-reif macht, an seiner
ein ganz außerordentliches Opfer gebracht hat. Wie viele Seite einmal ein höheres, enger gemeinsames und noch
Frauen in.alten und neuen Zeiten haben dasselbe Opfer göttlicher durchleuchtetes Leben zu führen.
dem Vaterland gebracht wie Sie und haben es mit bluten- Dann aber schicken Sie Ihre Gedanken und Gefühle
dem Herzen, aber stark und seelengroß getan! Gehören wieder in die Welt hinein, die Ihnen geblieben ist,
auch Sie zu den tapferen deutschen Frauen! Denken Sie und leben Sie im Geist seiner Tat! Nict
daran, daß Ihr Mann edler nicht hätte sterben können. Jammer und hoffnungsloses Hinsiechen soll an der Stelle
Denken Sie daran, daß Sie ihm diesen schönen Tod doch wohnen, wo er gewohnt hat, sondern geweihte Seelen-
gewiß gönnen wollen. Ein rascher Tod und ein herrlicher größe. Das sollen vor allem auch die Kinder fühlen. Sie
Tod! Wünschen Sie im Ernst, Sie hätten ihn vielleicht sollen immer die volle Hoheit der Tatsache zu spüren
wiederkehren seben mit allmählich abnehmender Kraft bekommen, daß ihr Vater fürs Vaterland gestorben ist.
und mit einem langsamen Siechtum vor Augen? Wie Das muß das ganze Bestreben ihrer Mutter sein, daß
schwer hätte gerade er das getragen! Und denken Sie die Kinder nicht in Jammer und Bitterkeit aufwachsen,
vor allem daran, daß er Gott wohl nie näher gewesen sondern in der ernsten feierlichen Freudenstimmung, die
ist, als in den Tagen, wo er draußen kämpfte fürs Vater- ein ganz großes Opfer dem Herzen giht. Sie sollen lernen

121
stolz darauf zu sein, daß ihr Vater sich fürs Vaterland kin und suchen nach den Menschen, die sie als Vertraute
geopfert hat, stolz darauf, daß sie selbst dem Vater- dort zurückließen. Sie wollen leben in unserem Leben
land täglich dies Opfer bringen dürfen. Und dieser Stolz, und wollen durch uns mitwirken an der Fortentwicklung
diese ernste Freude soll ihr ganzes Leben auf eine höhere der Erde.
Stufe heben, soll ihr Denken, Fühlen und Wollen immer- “ Der Schmerz um die verlorene Nähe eines geliebten
fort heimlich veredeln. Daß der Segen des Vatertodes Menschen ist natürlich, und es ist begreiflich, daß er die
an den Kindern ganz lebendig wird und voll wirksam, Zurückbleibenden zunächst ganz und gar erfüllt. Aber
das sollte die große Sorge der Mutter sein, das sollte schließlich gibt er sich dennoch zu erkennen als der Eigen-
von ihr als das heiligste Vermächtnis betrachtet werden, sucht entstammend. Denn der Tote schaut auf das Er-
das ihr hinterlassen ist. Kinder, die ihren Vater nicht eignis seines Todes nicht hin als auf etwas Trauriges oder
mehr haben, bedürfen ganz besonders einer rechten Mut- gar als auf ein Ende, er empfindet ihn vielmehr als den
ter. Sagen Sie sich täglich: Ich will meinen Rindern den Anfang eines neuen Werdens, dem er sich hingeben will
Gruß ihres Vaters bringen, den sie nicht mehr haben, ich und in dem unsere Erdengefühle ikn stören, wenn wir
will ihn bringen, indem ich sein bestes Wesen und seinen nicht den Schmerz durchleuchten lassen können von der
tapferen Geist durch mich hindurch auf meine Kinder Freudigkeit dieses Werdens.
strablen lasse. Wahrhaftig, wenn ich alles überschaue, Wir ‚müssen lernen, den Schmerz zu wandeln in eine
Sie haben ein Leben vor sich, so erhaben, daß es wohl Kraft des Suchens nach dem Reiche des unvergänglichen
wert ist, gelebt zu werden. Das Opfer, das jetzt unsere Wesens. Die strenge Schule Michaels und seines klaren,
Frauen bringen, ist gewiß das allergrößte, das dem Vater- tragefähigen Denkens hilft uns, die Seelenkräfte zu stär-
land gebracht wird. Denn leicht ist es, in begeisterter ken, die uns die Aussicht auf dieses Land erschließen.
Selbstaufopferung zu sterben gegenüber dem täglichen Dann kann die Erinnerung an das Vergangene, die sonst
kerben Herzbluten, das unseren Frauen bevorsteht. Aber so leicht nur immer den Schmerz neu entfacht, zu einer
leuchtend sollen sie sich jetzt bewähren, sich dieser Zeit Hilfe für den Toten werden. Sie kann ein bewußtes Ge-
gewachsen zeigen, und durch die Art, wie sie ihren Ver- leite sein für ihn, dem nun im erkennenden und oft-
lust tragen, in unser Volk hinein Segen über Segen strö- mals leidrollen Anschauen seines verflossenen Lebens für
men lassen, ihr ganzes Leben lang. Gott behüte Sie und ein zukünftiges Wirken an und auf der Erde die Ent-
mache Sie würdig des großen Loses, das er Ihnen be- schlüsse reifen. Und sie kann die Seelenwärme spenden,
schieden hat. Ich weiß ganz gewiß, daß Sie einmal mit die den inneren Raum schafft für die spürbare Nähe des
tiefer Anbetung schauen werden, wie sehr Gott Ihnen Hinübergegangenen. In diesem Sinn müssen wir lernen,
und Ihrem lieben Mann Vater gewesen ist. aus der Vergangenheit lebendige Gegenwart werden zu
Friedrich Rittelmeyer lassen und durch so erfüllte Gegenwart Zukunft zu be-
reiten.
Tau des Himmels Doch darf die Erinnerung an erlebte Gemeinsamkeit
Wie das Licht von der Sonne herunterfließt und jeden nicht das einzige Geleite sein, das wir dem Toten geben.
Grashalm herauslockt, so wie man ohne dieses Licht nicht Vereint bleiben wir mit ihm nur, wenn wir in immer
von einem Grün sprechen könnte und von einer Blume neuer innerer Anstrengung die Ebene zu erreichen suchen,
auf der Erde..., so würde alles innere Leben der Welt, auf der sich jetzt sein Leben abspielt. Vereint bleiben wir
vor allem das fortschreitende, nicht sein können, wenn ihm, wenn wir uns erheben zu der Größe der Gedanken,
nicht ein inneres geistiges Licht unentwegt hineinsegnete die seinem Wesen nun Lebenselement sind, wenn wir uns
in die Welt, in die innere Welt der Lebewesen hinein. frei machen für die Weite einer weltumfassenden, nicht
In diesem hinunterfließenden Tropfen des Hohen, des mehr auf unser eigenes Ich bezogenen Liebe, und wenn
Großen, des Anregenden der Welt, da weben die Abge- wir den Mut haben, mit unserem Erdenwillen heranzu-
schiedenen, die Verstorbenen mit. Da sind sie mit dar- reichen an die göttlichen Weltenziele, an denen er wer-
innen. Michael Bauer dend teilhat.
Das Geleit der Seele Indem wir uns so öffnen, hebt ein unmittelbares Wir-
Nah aneinander rücken im Schreiten des Jahres die ken des Dahingegangenen in unserer Seele an. Wir müs-
Zeit, in der wir besonders der Toten gedenken, und die sen auf dieses feine, zarte Wirken nur still und aufmerk-
Adventszeit, da wir in erwartender Stille das Nahen des sam genug achten lernen. Dann kann in unserm Innern
zur Erde sich neigenden Christuskindes empfinden. Mit ein Leben entstehen, das wir in solckem Reichtum viel-
der kraftvollen Mahnung, die der beginnende Herbst uns leicht vorher nicht kannten. In spendender Fülle quillt es
in Michael, dem kämpfenden Erzengel, zuteil werden ließ, auf. Neue Nlöglichkeiten des Erkennens, liebendere Hin-
gehen wir hinein in diese Zeit der Stille; und die Mut- neigung zu den Menschen, freiere, klarere Zielsetzung
kräfte, die er in uns wachrief, machen uns bereit, die und beschwingtere Kraft für alles Erdentun schenken sich
Stille nicht untätig, sondern in gesteigerter innerer Reg- uns: es wandelt sich der Schmerz zu einem Tor, durch das
samkeit zu durchleben. hohe Gäste ein- und ausgehen. Dann wird der Tod Leben
Das innere Hinschauen zu den Toten soll für uns keine nicht nur für den, der die Hülle des Leibes abstreifte —
Abkehr vom Leben bedeuten, es soll nicht ein Versinken er wird Leben auch für den, der auf der Erde zurück-
in Schmerz und Trauer sein. Die Toten wollen nicht bleibt. Einen Keim jungen, heiligen Lebens fühlen wir in
unsern Schmerz; der verschließt ihnen nur die Türen, uns, und unser ganzes Wesen will diesem Werdenden
durch die sie in unser Innenleben teilnehmend eingehen dienen,
wollen. Die Toten leben in einer andern Welt, aber sie Ein so geübtes Miterleben mit einem geliebten Toten
siad noch verbunden mit der Erde und schauen auf sie kann ähnlich sein der Erwartung, die eine werdende

122
Fo

Mutter erfüllt: Dasselbe feierliche Emporgehobensein „Allerheiligen“


über die alltäglichen Zusammenhänge des Lebens, das-
selbe feine Horchen auf das Aufklingen einer zarten Nicht nur wir können den „Toten“, sondern die „To-
Stimme im Innern, dasselbe Weben in dankbar-inniger ten“ können auch uns helfen. Denn wir leben in der Welt
Hingabe an ein Werdendes, Wachsendes — und das Wis- des Scheins, sie aber in der Welt des Seins. Wenn wir
sen um die Ewigkeitskraft der Liebe. an die Hilfe der Verstorbenen denken, so brauchen wir
So kann sich im Erleben des Menschen wunderbar zu- uns nicht zu beschränken auf „unsere“ Toten, sondem
sammenschließen, was sich im Jahreslauf so nah begegnet: wir können denken an den ganzen gewaltigen Chor aller
das heilige Geleite, das wir dem Geist-Werden eines von über die Todesschwelle Getretenen.
der Erde Gegangenen geben, und die zukunftsfrohe Er- Indem die mittelalterliche Kirche die Tage „Aller-
wartung, die wir dem zur Erde sich neigenden. Christus- heiligen“ und „Allerseelen“ (1. und 2. November) neben-
kinde entgegenbringen — dem Menschen- Werden, dem einandergestellt hat, hat sie auf ein doppelseitiges Ver-
Gottes-Werden. Elisabeth Schneider hältuis der Lebenden zu den „Toten“ hingedeutet. Es
gibt Tote, denen in erster Linie wir Zurückgebliebenen
November helfen können, die als „arme Seelen“ überhaupt der Hilfe
bedürfen, es gibt aber immer auch Seelen, die als hoch-
Jetzt kommt die Zeit, die jedes Jahr besonders schwer entwickelte „Heilige“ ihre Kräfte ausströmen und dadurch
ist, zwischen Allerseelen und Totensonntag. Die großen ihrerseits den Lebenden helfen. Das Wort „Heilige“ muß
Leute denken ja noch nicht an Weihnachten. Sie müssen allerdings der dogmatischen Wertung entkleidet werden.
vorher noch recht hinein in die Dunkelheit und das Allein- Wir dürfen nichts von der dogmatischen Vorstellung wir-
sein. Viele Gedanken gehen hin zu denen, die gestorben ken lassen, daß etwa die Heiligen durch den Schatz ihrer
sind. Möchten es mehr Gedanken der Liebe als der Trauer überschüssigen guten Werke die Menge unserer Sünden
sein. Die Trauer gehört zu uns irdischen Menschen und auslöschen oder vermindern könnten. Worauf mit Aller-
bleibt auch auf der Erde. Die Liebe aber ist die Brücke, heiligen hingedeutet ist, das ist im Grunde dies: es gibt
die hinüberführt in ihre Welt, ist die Sprache, die auch Meuschen, die stehen als Menschen höher als wir. Wir
dort verstanden wird. (November 1932) sind ja wahrhaftig nicht alle gleich; die Wahrheit gebietet
anzuerkennen, daß andre Menschen höher stehen als wir
Totensonntag! Der Tag paßt so recht in den November selbst. Und solche hochstehende Seelen, die schon auf
binein mit seiner Schwere und Dunkelheit. Und man kann Erden gelebt haben in dem Licht des Christus, sie leben
es innerlich fast nicht vereinigen, daB der nächste Sonntag auch in der Geistwelt in einem höheren Lichte. Und des-
gleich der 1. Advent ist. Als wollte man sich abwenden halb können sie helfen. Der Philosoph Fechner hat ein-
von den Verstorbenen. Und doch ist yon dem einen zum mal gesagt: In jeder Stadt sollten an die Gotteshäuser an-
anderen Sonntag nicht so ein weiter Weg. Denn man kann gebaut werden Räume für die großen Toten der Stadt,
ja an die Verstorbenen nicht nur von der Erde her den- damit man ihrer besser gedenken kann. Das ist ein
ken, von Schmerz und Vergänglichkeit aus. Sie selbst wesentlicher Gedanke. Denn man kann sich mit den
haben das überwunden. Sie leben in dem Reich des kom- großen Toten verbinden. Wenn man etwa Goethe liest,
menden Christkinds, sie selbst senden uns den Engel, der das heißt so liest, daß man etwas von seinem Wesen er-
seine Geburt ankündet, der als erstes Wort spricht: fahren will, so gehen Wirkungen auf uns aus: doch gewiß
Fürchte dich nicht! So öffnen uns die Verstorbenen, deren nicht von den gelesenen Buchstaben, sondern vom leben-
wir am Totensonntag gedenken, das Himmelstor und las- digen Goethe. Etwas von seinem Wesen erfährt in uns
sen uns die Welt von Reinheit und Liebe ahnen, in der Auferstehung. So aber ist es mit jedem Verstorbenen in
sie sind. (Totensonntag 1929) höherem oder geringerem Maße. Ich kann mich ihnen sa
. Grete Bock f verbinden, daß sie Auferstehung in mir feiern, ich kann
Große unter ihnen zum Führer erwählen. Ich kann auch
Allerseelen mir nahestehende Verstorbene zu Führern wählen. Sie
können aus der Welt des Seins mir Einsichten vermitteln,
Im Schoße tief
die mir sonst fehlen. Die Verstorbenen — und im Beson-
verborgnen Lichtes Keim
deren die Hohen unter ihnen — nehmen ja weiter Anteil
läßt Erde nun, am Leben auf der Erde. Sie können nicht mehr direkt an
ergrautes Nebelland, ihr wirken, aber durch uns können sie arbeiten. Sie war-
andächtig ihre Toten ein: ten gleichsam auf Menschen, die sich zum Werkzeug ihres
Die sommers bunt verdränget war, Wirkens machen. \
nahe nun, nahe Was ermöglicht uns eine solche Aufnahme ihrer Hilfe?
wallt die stille Schar — Rudolf Steiner hat einmal gesagt: „Dankbarkeit ist eine
aus tausend Augen rings Brücke zu den Toten.“ Rechte Dankbarkeit dafür, daß
"blickt Geist uns an, sie da waren, daß sie ein Opferleben auf der Erde geführt
haben, daß sie das Leben durch ihren Beitrag bereichert
es weht, es haucht, |
haben. Und noch ein anderes ist besonders wichtig: was
was nicht ins Wort mehr kann —
wir im Schlafe. erleben. Wenn wir uns zum nächtlichen
die Erde, heilger Liebe Land, Schlaf niederlegen, dann ziehen wir unsere Kleider aus.
ruht allen Seelen zugewandt. Es ist sinnbildlich derselbe Vorgang wie das Entkleidet-
Anne-Marie Hohly-Neumann werden vom Erdenleibe im Tode. Es ist in gewissem Sinn

123
die gleiche Welt, in der die menschliche Seele im Schlafe nende Sprache derer, die drüben sind, herüberdriugen
weilt und in der der Verstorbene lebt. „Der Schlaf ist der können.
Bruder des Todes.“ Deshalb mögen wir. Menschen oft ge- Immer wenn wir zusammenkommen wie jetzt, am An-
mug im Schlaf schon vereinigt gewesen sein mit den Ver- fang einiger festlicher Tage, soll es so sein, daß in unse-
storbenen, um die wir im Wachen trauern. Manches, was rem Sprechen, Schweigen, Hören, Denken die Gelegen-
wir am Morgen aus dem Schlaf an Stärkung und Erleuch- heit entsteht für eine solche Zwiesprache, die ja insbe-
tung mitbringen, mag von einem Zusammensein mit den sondere der Sinn ist der heiligen Handlungen, die an un-
Toten kommen. : seren Altären gefeiert werden. Das braucht unsere Zeit:
. Man kaun gar nicht ernst genug nehmen das Dasein ‚die Klangbrücken des Gespräches zwischen Erde und
der Toten und ihr Wollen, hereinzuwirken in das Leben Himmel müssen gebaut werden. Das ist der Sinn jedes
und in uns. Eine unendliche Lebensbereicherung muß es Gottesdienstes, das ist der Sinn auch der Tage, die vor
bedeuten, weun wir es uns zur Regel machen, uns vor uns liegen.
dem Einschlafen und in Dankbarkeit zu verbinden mit Wenn jemand den Einwurf macht, wir sollten uns nicht
den Toten. in die Stille zurückziehen, während draußen die lauten
Man bekommt auf diesem Wege wieder etwas von der Forderungen der Gegenwart nach uns rufen, so können
Stimmung des Urchristentums: „Dieweil wir eine solche wir antworten: ja, die Sphäre jenes Gespräches auf an-
Wolke von Zeugen über uns haben, so lasset uns wacker dere Art, des Lauschens, sie ist ja nicht außerhalb der
sein in dem Kampf, der uns befohlen ist.“ Welt, sie ist verwandt mit der Stille, in welche die Seelen
Aus einer Predigt von Hugo Wetzel? auf den Schlachtfeldern plötzlich entrückt werden, wenn
der äußere Lärm vertost ist und wenn das Schweigen sie
Auftakt
vielleicht sogar schreckhaft umgibt. Sind diese Seelen
In den letzten Jahren hat sich eine Sitte immer mehr dann außerhalb der Welt? Nein! Nur sind sie aus der
herausgebildet: daß in. feierlichen Augenblicken des öf- äußeren Welt in das Innere der Welt versetzt. Wenn. wir
fentlichen Lebens eine Gefallenenehrung stattfindet, in- die Sphäre des stillen Gespräches suchen, kommen wir
dem .die Menschen auf eine ganz kurze Zeit schweigend nicht. aus dem Geschehen der Gegenwart heraus: wir
verharren. Zum Beispiel bildete im Wagen zu Compiögne kommen in Wirklichkeit erst hinein, indem wir nun das
ein solches Gedenken den Anfang der Verhandlungen. Mit Schicksal unserer Zeit von innen her verstehen lerven.
einer solchen Gepflogenheit greift unsere Zeit bereits über Dann wird uns. von jedem solchen Zusammensein her
sich selbst hinaus. Eine solche Sitte hat ja nur. einen deutlich, daß die Botschaft. der göttlichen Welt an uns
tieferen Sinn, wenn unsere schweigend gedachten Ge- eine zwiefache ist. Die Sprache Gottes tönt und ruft auch
danken die Kraft in sich tragen, über die ‚Schwelle der in den äußeren Ereignissen, und alles zeigt uns: wir sind
'übersinnlichen Welt zu dringen, dahin,. wo die Seelen der in eine michaelische Zeit eingetreten, wo das Sprechen
Gefallenen nun weilen. Und eine solche Sitte ist ferner Gottes nicht eine ruhevolle Belehrung sein kann, son-
nur dann sinnvoll, wenn das gemeinsame Schweigen der dern ein vorwärtsstürmendes Wollen ist, das sich auch in
Menschen ein Lauschen werden kann auf Stimmen, die Vernichtungen und Untergängen kundtut. Aber im In-
nicht äußerlich hörbar und doch wirklich von einer ande- neren kann die andere Sprache Gottes vernehmbar wer-
ren Welt her ertönen. Die Gegenwart tastet nach der den. Da spricht er nicht die Sprache des Zornes, sondern
Möglichkeit, wieder Gespräche zu führen zwischen der ir- die Sprache der Liebe. Da hören wir seine Sprache erst in
dischen und der himmlischen Welt. Aber wir. wissen: die Wirklichkeit; aber sie wird nur in der Sphäre des Schwei-
Seelen der Verstorbenen, auch derer, die auf den Schlacht- gens, der tiefst-innerlichen . Andacht vernommen. Und
feldern gefallen sind, sind nur eine kleine Provinz der auch die Sprache der Liebe Gottes ist heute nicht so sehr
ganzen großen, reichen Geisteswelt über unseren Häup- tröstend als vorwärtsweisend, führend. Je mehr wir uns
tern; und es würde sich für uns Menschen gebühren, an- in die Sphäre des stillen Raunens begeben, werden wir
gesichts der ganzen geistigen Welt, in der auch die Engel deutlich die Wege vor uns sehen, die wir im Bunde mit
und Erzengel, die Cherubim und Seraphim sind und in der unseren Toten und allen guten Geistern gehen sollen und
der Christus das Herz ist, immer wieder innezuhalten, dürfen, mitten durch alle Gewitter und Prüfungen hin-
gemeinsam die Sphäre der Andacht aufzusuchen, damit durch. ‚Emil Bock
unsere andächtigen Gedanken hinüber- und die leise rau- (Gesprochen zu Beginn der diesjährigen Sommertagungen)

Immermanns Merlin-Dichtung
Am 25. August waren hundert Jahre vergangen seit Schriftsteller, die der Nachwelt nur durch ein einziges
dem Tode Karl Lebrecht Immermanns, eines Dichters, der ihrer Werke bekannt sind, wie etwa Cervantes durch sei-
heute bereits in Vergessenheit geraten ist, aber doch der nen „Don Quichote“. Und auch darin liegt eine gewisse
Menschheit noch mancherlei zu sagen hat. Ähnlichkeit, daß beide Werke als satirische Romane ihren
Die Anerkennung seiner Zeitgenossen erntete er mit Ruhm erlangt haben: „Don Quichote de la Mancha“ als
seinem Münchhausen-Roman. Und auch heute noch ist es die glänzendste Satire längst überlebter Ritterromantik;
das bekannteste Werk von ihm. Ja, viele kennen sogar „Münchhausen“, der Enkel jenes bekannten Lügenbarons,
nur einen Ausschnitt daraus, den „Oberhof“, und bilden als beißende Satire des mechanischen „Fortschritts“ der
sich danach ihre Vorstellungen über Immermanns künst- damaligen Zeit. Nun hat allerdings der Münchhauser-
lerisches Schaffen. Er teilt damit das Schicksal jener Roman nicht den Platz in der Weltliteratur erlangt, den

124
der Ritter von der traurigen Gestalt sich so glorreich er- mann mit außerordentlicher Kühnheit den Vorwurf ge-
kämpft hat, doch auch auf die Entwicklung des deut- staltet: wie wird auch der Böse gerettet? Merlin ist der
schen Romans übte er einen weitgehenden, bedeutenden vom Satan in einer reinen Jungfrau gezeugte Antichrist.
Einfluß aus. Er überwindet durch seine Gottessehnsucht die Macht sei-
Der Lorbeer, den Immermann sich auf epischem Felde nes Erzeugers.
errang, ist ihm für das dramatische Schaffen von den Im Vorspiel blicken wir hinein in den Kräftezusammen-
Zeitgenossen verweigert worden. Und doch gelang ihm um hang der beiden Versuchermächte Lucifer und Satan. Mit
die Mitte seines künstlerischen Schaffens das bedeutende feiner Empfindung hat Immermann hier die eigenartige
Gedicht „Merlin“. Daß diese Dichtung zu Lebzeiten Im- Doppelheit des Bösen aufgezeigt. Lucifer, die Macht in
mermanns wenig Anerkennung gefunden hat und eine der Seele, die zu falschen, von der Leidenschaft der
spätere Kritik sie mit dem Schlagwort „Gedankendrama“* Wünsche 'getrübten Vorstellungen führt und den Men-
glaubte abtun zu dürfen, entscheidet noch nichts über den schen durch den Hochmut verdirbt. Satan, der die größere
unvergänglichen Gehalt dieses Dramas. Denn keines sei- Macht im kalten Denken des materiellen Daseins entfal-
ner Werke offenbart so umfassend den Genius Immer- tet und den Menschen durch den geistentblößten Verstand
manns wie der „Merlin“ ‚in die Verzweiflung hineintreibt. Mit einer solchen ge-
Die Größe eines Dichters zeigt sich einmal an dem waltigen Anschauung des Bösen sprengt Immermann die
Stoff, den er wählt, und zum andern an der künstlerischen Grenzen allzu enger, moralischer Bewertung und sucht
Gestaltung, die er ihm zuteil werden läßt. Form und In- den Ursprung in kosmischen Entwicklungszusammen-
halt müssen einander ebenbürtig sein, wenn ein Kunst- hängen. Wie er das’ Böse als den Schmerz der Erde emp-
werk sich dem Gemüt als ein bedeutendes einprägen soll. findet, das läßt er Candida, die Mutter des Merlin, nach
Und das hat Immermann mit seinem „Merlin“ geleistet. ihrer Begegnung mit dem Satan aussprechen. Das entsetz-
Sein dichterisches Talent entsprach seiner herb-spröden liche Ereignis hat ihr die Augen für das Innerste der Erde
Natur. Nur langsam ’reifte es heran. Die Schwerblütigkeit geöffnet:
des Niedersachsen bedurfte eines innerlich tief aufrütteln- „Diese Erd’ ist nicht von Erde! Dieser Boden ist von
den Stoffes, um sich groß entfalten zu können. Diesen Glas / Und ich schaue durch zum Abgrund! Und da sitzt
Stoff fand er in der Merlin-Sage. Sie entstammt demsel- ein tapf’rer Riese / Auf dem Thron, erbaut von Schmer-
ben uralten keltischen Sagenkreis, aus dem uns auch die zen, in der ew’gen Qualenwiese /-Und die düstern Helden
Sagen von Tristan und Isolde, Iwein und Gawein, Par- sitzen ringsumher auf Stuhl und Bank / Und die Hölle
zifal und dem Heiligen Gral überliefert wurden. Die singt dem Kön’ge einen schönen Lobgesang! / Und die
Blütezeit des keltischen Volkes lag lange vor unserer Mauer seh ich ragen von jahrtausendalten Sünden / Und
Zeitrechnung. Dolmen und Steinkreise künden uns noch zahllose Seufzer wehen, die nicht konnten Ruhe finden /
von seiner Kultur, die etwa gleichzeitig mit der ägypti- Dieses herrliche Gebiete schließet ein der Sirom der
schen ihren Höhepunkt erlebte. Bereits tausend Jahre Gräwl / Im Unendlichen dann ball’n sich ungeborne Sün-
“ _mach unserer Zeitrechnung ist dieses Volk nahezu aus denknäul / Deine Frevel, alter Heuchler, mehren auch der
Europa verschwunden. Den äußeren Untergang haben Tiefe Schätze.“ -
aber seine Sagen überdauert. Und wie das Farbenspiel der . Merlin wächst heran als der Befreier dieser Tiefen-
Abendröte inniger zum besinnlichen Menschen spricht mächte, der zu einem weiteren Anhäufen des Dunkels
als das Gestirn im Mittagsglanz, so haberi auch die bun- nicht beitragen will, sondern in diesen Mächten der Fin-
ten, leuchtenden Farben der keltischen Sagen den Men- sternis die Sehnsucht nach ihrer Lichtheimat wiederum
schen mehr über ihr Wesen verkündet, als die verklunge- erweckt. Dadurch allein überwindet er den Satan in der
nen Taten in der Geschichte. Insbesondere sind die Dich- Begegnung am Grabe der Mutter, daß er ihm die unver-
ter immer gern in dieser Fabelwelt gewandelt. gängliche Herrlichkeit seines himmlischen Ursprungs
In der. „Zueignung“ zum Merlin spricht Immermann wiederum aufzeigt:
von drei bedeutenden Dichtern, die er im Tempel der
„— Denke des Tages, da gefaltet
Wahrheit auf die Unterweisung der Fabel lauschen läßt:
Eschenbach, Dante und Novalis. Sie sind In. seinen Strahlen, ein spielender Blitz du gewaltet!
Wolfram von
Trage das Gesicht! Ich ertrag es.“
die geistigen Paten seiner Dichtung, Wie Wolfram von
Eschenbach möchte er in seinem Werk die bunten Erzäh- So sehr Merlin das Leben im Geiste klar und deutlich
lungen überkommener Sagen hell erglänzen lassen; zu-.' erfaßt, um so stärker sehnt er sich nach Anteilnahme am,
gleich soll der Kampf des Guten mit dem Bösen durch- Menschlichen. Die wird ihm zuteil durch Niniane, Indem
woben sein von jenem erhabenen Gedankenernst, den er er liebt, fühlt er sich erst als einen Sohn der Erde. Und
an Dante so tief bewunderte; und das Ganze sollte wie- nun sieht das Auge, das vorher den Blick in die Erhaben-
derum im besten Sinne ein Spiel sein, das die Zuschauer heit der Geisteswelten gelenkt hatte, die Menschen um
in den magischen Kreis echter. Poesie zu versetzen ver- sich her i in einem neuen Licht:
mag, wie er es selber an den Dichtungen des Novalis
immer wieder erlebte. In diesen drei Dichtergestalten „O meine Menschen! Meine hohen Menschen!
wird der Sternenbereich des Geistes geschaut, dessen So sehn sie aus. Ersätt’ge dich, mein Aug’,
überirdisches Licht dem Merlin erstrablen soll. -. An ihrem Anblick! Euer: Bruder ward ih. _
Dieser poetische Eingang ist zugleich die beste Vor- Jetzt erst bin ich ein Priester, und die Hand,
bereitung auf das Drama selbst. Er versetzt in jene frohe, Weil sie von Leiden zuckt, darf Leiden tilgen. .
erwartungsvolle Stimmung, die uns ein bedeutendes gei- Mit diesem: Segensdruck der Zärtlichkeit
stiges Exleben ahnen läßt. In dieser. Mythe hat Immer- Bann’ ich die Ewigkeit herab.“

125
Er setzt König Artus zum Hüter des Grales
ein und jeglichen Anspruch zu verzichten und sich dem göttlich
will ihm und seiner Ritterschaft den Weg zum en
Gral wei- Walten ehrfurchtsvoll hinzugeben. Er stirbt in
sen. Damit hat er aber seine eigenen Kräfte überfor innerstem
dert. Vertrauen auf die Macht des Guten.
Denn der Gral bestimmt sich selber. seine Hüter; er ent- Die Zeilen, die Immermann
zieht sich dem Zugriff Merlins, löst sich vom einmal zur Selbstcharak-
Abendland terisierung geschrieben hat, enthalten zugleich den
und zieht nach dem Osten. Lohengrin, der Grund-
Gralsbote, akkord seiner Merlin-Dichtung:
findet Artus und seine Schar verschmachtet
und tot in
der Wüste. Merlin vermochte ihnen den Weg „Das Leid, die Freude einer: Welt empfinden,
nicht zu
weisen, da sein Geist sich umdüstert hat. Aus Und unerschüttert in geheimen Stand
diesem leid-
vollen Zustand befreit ihn Satan, hoffend, ihn
Verborgner Dinge schauen, dazu schuf
so doch
noch für sich gewinnen zu können. Aber Merlin Mein Stern mich in der Laune seiner Bahn.“
bleibt
fest. Das Leid, das er erlitten, gibt ihm die Kraft, auf
ErnstFrahm

Umschau
Einblick ins „andere Bewußtsein“
(1916) einen merkwürdigen Beweis. Der Berichterstatt
In Sau Franzisko wurde ein’ Mann namens Hinsley er,
in ein deutscher Feldgrauer, war hungernd und dürsten
einem Krankenhaus operiert. Während
d im
der Narkose Dunkel der Augustnacht von seiner Kompanie abgeko
stockte der Herzschlag. Es gelang dem Arzt, m-
nach Öf- men und irrte nun zwischen Leichen ‘und Granatl
nung der Brust durch vorsichtige Herzmassage öchern
und be- umher, während um ihn der schreckliche Eisenha
stimmte Einspritzungen den Herzschlag des gel nie-
Patienten derging. In höchster, seelischer Not kniete der
wieder in Gang zu bringen und die Operation Erschöpfte
zu voll- nieder und hetete laut... . ‚Da krepierte kurz
enden. Merkwürdigerweise erwachte Hinsley vor mir
erst zwei mit fürchtbarer Detonation, während der
Tage und zwei Nächte später. Näch seinen Erlebni Luftdruck mich
ssen - auf die Seite warf, eine Granate. Ich war
befragt, berichtete er: „Ich hatte das Gefühl, bald bei vollen
nach Sinnen. Aus dem Blitze aber und der Rauche
der Operation zu einem änderen Bewußtsein ntwicklung
erwacht zu der krepierten Granate sah ich eine
sein. Ich schwebte durch einen langen, nur spärlich Lichtgestalt hervor-
er- gehn, die ich auf den ersten Blick als den göttlic
leuchteten Gang, in dem sich unzählige Gestalt hen Hei-
en be- land erkannte. Die Gestalt war in ein
fanden. Sie sahen sich dauernd um, und ich blendend weißes
hatte den Gewand -gehüllt, das Antlitz war sanft und mild...
Eindruck, als ob sie nach Freunden und Bekannten Die
such- Augen, die unendlich traurig blickten,
ten. Dieser endlose Gang mündete in eine weite hafteten auf mir
Halle, mit mildem Glanz. Dann erhob die
die einem märchenhaften Dom glich... Ich erinner visionäre Gestalt
e mich langsam den rechten Arm und
nur noch, daß dieses Bild plötzlich verschwarm zeigte ‚nach einer be-
und stimmten Richtung. Eine kurze Weile,
mir dunkel vor den Augen wurde. Immer tiefer wurde und es umgab
mich wieder tiefe Nacht.‘ Der Verirrte
die Finsternis um mich, und der Bann der rafft sich auf,
Finsternis stolpert in jener Richtung fort und stößt bald
löste sich exst wieder auf, als ich im Bett des Kranken auf seine
- vorübereilende Kompanie. — Die völlige
zimmers erwachte.“ — An diesem Bericht (nach Erschöpfung
„Der und Erregung‘ der Nerven
Mitteldeutsche“) ist bemerkenswert, was dadurch hatte in der Todesnot die
über Feuergarbe zur Lichtgestalt des
den Unterschied zwischen dem gewöhnlichen und göttlichen Heilands ge-
dem formt, und auf ‚Grund einer
narkotischen Schlaf anschaulich wird. Im narkotischen stark hervorbrechenden
Ahnung, wie sie in höchster Angst öfters
Schlaf, zumal wenn er so lange dauert, gleichen auftritt, in
sich die der Richtung der’ scheinbar ausgest
Wege der Seele bereits denen ein wenig an, die nach reckten Hand hatte
der Verirrte den rettenden Weg gefunden.“
dem. Tode zurückgelegt werden müssen. Das Zeitbewußt-
Das Buch bringt eine Fülle interessanter Einzelh
sein, das im gewöhnlichen Schlaf noch ähnlich
ist wie eiten
über die Trennung von Leib und Seele-Geist,
im Wachzustande, hört auf, und die Seele fühlt und schil-
sich dert Erlebnisse von Ärzten
inmitten: realer übersinnlicher Wesenheiten. Ein Be- und Krankenschwestern an
Sterbebetten. Wie der Untertitel besagt,
wußtsein fängt an zu erwachen, demgegenüber das Be- versucht es
eine „Psychologie der letzten Stunde“. Man
wußtsein der in den Leib und in die leiblichen Sinne zu- findet als
Leser Grund genug, die Realität des Übersinnlichen
rückgekehrten Seele als Finsternis erlebt wird. zu
bewundern, auf der andern Seite aber die ‚Hilflos
igkeit
des Verfassers festzustellen, dem für diese Dinge
völlig
Erlebnisse der „letzten Stunde“ die geistgemäßen Begriffe fehlen. Er und der
Verleger
sind gut katholisch. Doch läßt er sich von einer Wissen-
In einem Buch „Zwischen Leben und Tod“ von Fr,
schaftlichkeit leiten, die bei allem Anschein von
Bonsen (Düsseldorf 1927) finden sich folgende Ausfüh- klugen
Schlußfolgerungen organlos ist und ein so bedeutsames,
rungen: „...Mit der Halluzination verwandt ist die reales
übersinnliches Erlebnis wie das oben geschilderte
Illusion, d.h. die falsche Auffassung einer Sinneswahr-
uur verkennen und verneinen kann. Es wird dem
nehmung . ... infolge Hinzutritt einer Phantasieyorstel- Leser
geradezu eine intellektuelle Binde vor die Augen
lung... Wie weit jedoch in Todesnot die illusionär ge-
e legt, damit er nicht finde, was sich in dem Geschil
Wahnvorstellung gehen kann, dafür liefert uns ein derten
Vor- wegweisend aus der Zukunft her kundtut.
kommnis aus den großen Sommekämpfen des Weltkrie Das Opfer
gs des Betenden hat eine Schranke durchbrochen,
die sich
126
dem hochgelehrten „wissenschaftlichen“ Erklärer des Der Dichter erzählt vön-einem Wanderer, der sein gan-
Vorgangs nur um so undurchdringlicher vor seine Er- zes Leben auf ein Ziel zustrebte,_ das ihm von Kindheit
kenntnisfähigkeit hinschiebt. Eberhard Klemp an vorgeschwebt hat: Die Stadt Gottes auf Erden. Nach
langen mühsamen Wegen sah er endlith eines Tages im
Swedenborg als Wegweiser in den Purpurlicht der bereits sinkenden Sonnk. die ersehnten
Problemen des Daseins Türme und Kuppeln am Horizonte liegen. un war er sich
Unter diesem Gesamttitel sind die ersten 4 Heftchen über die Richtung, die er zu gehen hatte klar\und schritt
einer Schriftenreihe erschienen (Hummel-Verlag, Leip- rüstiger denn je vorwärts. Die Nacht sank hereinund eine
zig). Obwohl es heute wohl nicht mehr notwendig. sein hohe, dunkle Wand stieg vor ihm empor. Ein \einziges
sollte und auch nicht mehr geistig richtig ist, auf Sweden- punktförmiges Licht hatte ihm zuletzt noch den W8 ge-
borg zurückzugreifen, seien diese Arbeiten erwähnt als wiesen. Am Fuße der Wand angelangt, erkannte er, daß
ein bemerkenswerter Ausdruck für das Tasten und Suchen er an der Mauer der Stadt stand und daß der Lichtstralil
unserer Zeit nach dem Übersinnlichen: Harro Maltzahn, aus dem Schlüsselloch eines großen Tores hervorstrahlte. \
Swedenborgs „Wissenschaft der Entsprechungen“ als Er klopfte an, ein Fenster im Tore tat sich auf, „und er
\
Schlüssel zur Religionsphilosophie in der ägyptischen konnte drinnen in einem goldenen Dunst Lichter und se-
Kunst; Herbert Fritzsche, August Strindbergs Erweckung lige Gestalten mit Flügeln erkennen, die da hin und her
durch E. Swedenborg; E. L. Reißner, Swedenborg über zu gehen schienen.“
die christliche Rirche; Prof. Benz, Swedenborg als geisti- Ein Engel reicht ihm ein Brot entgegen und spricht:
ger Wegbereiter der deutschen Romantik und des deut- Nimm und iß! Der Wanderer aber antwortet: Speise habe
schen Idealismus. , | ich selbst; Einlaß begehre ich. Das Fenster schließt sich,
In dem lebendig und aufschlußreich geschriebenen und in der Finsternis muß sich der Pilger zum Weiter-
Heft über Strindberg findet sich am Schluß, nachdem. ge- wandern entschließen. Vielleicht war es nicht das rechte
zeigt ist, daß der Dichter durch Swedenborg den Schritt Tor gewesen. Endlos waren nun seine Wege und doch ging
vom Materialismus zu einer spirituellen Weltanschauung er immer nur an der Mauer entlang, die „sich in einem
gefunden hat, folgender Absatz: „Geist ist der Mensch unendlichen Kreise herumzubiegen“ schien. An viele Tore
seinem wahren Wesen nach, und der stofliche Leib, ja die pochte er umsonst, bis er schließlich wieder an der Stelle
gesamte Stoffeswelt, stellt nur einen äußersten Grad der stand, wo durch das Schlüsselloch der Lichtstrahl fiel. Dem
Verdichtung des allwaltenden Geistes dar. Die dichte jetzt ganz Erschöpften reicht wiederum durch das sich
"Stoffeswelt verhält sich zur überstofflichen Wirklichkeit öffnende Fenster der Engel ein Brot. Der Wanderer be-
wie eine Eisscholle — verdichtetes Wasser — in einem greift nicht und spricht aufs neue: Nicht Speise, sondern.
Ozean. Der Ozean .der geistigen Welt ist belebt von gan- Einlaß ist es, was ich begehre.
zen Hierarchien geistiger Wesenheiten — er ist nicht der Wieder macht er sich auf den Weg, diesmal zu Tode er-
gestaltlose metaphysische -Nebel moderner philosophischer wmattet und innerlich aufbegehrend. Bis er zum dritten
Spekulanten, sondern die lebensvolle. Überwirklichkeit, Male vor dem Tore anlangt. Jetzt nimmt er vor Hunger
von der alle Seher künden. Dem ‚modernen Menschen‘ und Müdigkeit das Brot. Hinsinkend spricht er: „Was will
graut, wenn er von Gott als einer Wirklichkeit hört, aber ein ‚Mensch auch mehr? Ein Brot aus Gottes Stadt und
noch unbeimlicher wird ihm zumute, wenn er die Existenz schlafen am Fuß ihrer Mauer!“ Um sich aber vor dem
von Geistern zur Kenntnis nehmen soll. Zur Not läßt er Einschlummern zu stärken, nimmt er das Brot, bricht es:
sich mit philosophischer Aufgeklärtheit ein dünnes Ge- und siehe da, der Schlüssel fällt heraus, mit dem er nun
rede vom „Geist“,. den er aber nie anders denn nehulös- selber das Tor aufschließen kann.
zu erfassen willens ist, vorsetzen. Die Geister Sweden- Kaum kann die Seelenlage des modernen Menschen
borgs hingegen kommen ibm abgeschmackt, unmöglich prägnanter geschildert werden, der. den Kurzschluß be-
und wie Requisiten finsteren Aberglaubens vor. Solchen geht, nach dem Versagen des bloß kopfmäßigen Denkens
Menschen hat einmal Dr. Friedrich Rittelmeyer zugerufen, ganz allein aus dem Willen heraus den Himmel auf Erden
daß sie sich den Geist zu dünn und die Geister zu dick begründen zu wollen. Er glaubt, über die Sentimentali-
vorstellen. Genau so ist es.“ Emil Bock täten des Gefühls hinaus zu sein und keiner Religiosität
mehr zu bedürfen. Die Schicksale werden ihn jedoch be-:
Der Schlüssel lehren, daß der Wille nur dann zum Schlüssel und Er-
In aller Stille können sich gelegentlich auch auf dem kenntnisorgan für das Weltinnere ‚wird, wenn zuvor der
Felde beschaulich-dichterischen Schaffens weltwichtige Er- Mensch die Aufgeschlossenheit erringt, sich in der Füh-
eignisse abspielen, wenn es nämlich einem Dichter ge- lens-Mitte durch die ernährende, spendende Kraft eines
lingt, eine zentrale, für die Zeit bedeutsame geistige echten religiösen Lebens stärken zu lassen. In der Chri-
Realität im poetischen Bilde einzufangen. Vielleicht kann stengemeinschaft, der das erneuerte sakramentale Ge-
man-sagen, daß dies auf das Märchen :zutrifft, mit wel- heimnis von Brot und Wein anvertraut ist, glauben wir
chem Albrecht Schaeffer sein Legendenbuch „Die Geheim- das-Bild vom. Brote der Engel, in welchem ‘der Schlüssel
nisse“ (Verlag Rütten: und Löning) abschließt: „Der zur geistigen Welt verborgen ist, besonders gut zu ver-
Schlüssel“. stehen. Emil Bock

Mitteilung. In Freiburg i. Br. findet nach Weihnachten eine Mittwinterwoche statt. Näheres durch Dr. Dol-
\ dinger, Richard-Wagner-Straße 19.

127
.. Von der Bestimmung des Menschen
Michael Bauer (Aus einem Aufsatz 1919)

Ein Liebhaber der Sterne hatte mich auf seinen Turm eingeladen, den Jupiter anzuschauen. Das
mächtige Gestirn, in seinen schimmernden Nebelstreifen so sichtlich körperhaft, im Spiel seiner vier
Monde so großartig frei im Raume, hatte mir auch meine vertraute Erde verwandelt. Als ich durch die
stille Nacht heimwärts schritt, war der Weg nicht mehr die Straße, die sie vorher gewesen; waren die
Häuser nicht mehr das Dorf wie sonst: Ich war nun selber auf einem Stern im All... Ich sah meinen
schwebenden Ball ringsum. Zur Hälfte in Helligkeit getaucht, zur andern Hälfte dunkel verhüllt. Sah
seine breitgelagerten Meere und rauhen Gebirge. Sah schwimmende Wolkenherden .die nasse Fracht
darniederlassend und ein bläulich vielfältig Geader dies Blut den Meeren zurückgeleitend. Und ich sah
vor allem ungezählte Siedelungen... in die Geländefalten geschmiegt. Sah — und ward in der Seele
bewegt — in diesen Siedelungen Menschen, Menschen... -.
Wo liegt das Geheimnis, wo liegt der Sinn des Lebens des Menschen auf diesem kleinen Stern in
dieser grenzenlosen weiten Welt? *
Was ist Menschenart? Wir haben den Menschen einerseits im Gegensatz zur Natur, losgetrennt von
ihr, in der Freiheit der Erkenntnis gefunden. Wir haben ihn andrerseits als durchaus ihr zugehörig, als
ein Naturwesen unter Naturwesen gesehen. Menschenart — so wird deshalb die nicht völlig glück-
haft klingende Antwort lauten müssen — Menschenart ist Zwiespalt. .
Von der Seele, die sich ihres Bösen erst an den Folgen bewußt wird, bis zur Anmut und Schönheit
der Herzensgüte eines Franz von Assisi. Einer kennt den Tod gerade nur in dem Grad, daß er ihn
fürchtet und allen Erinnerungen daran ausweicht; ein Anderer ist dem Wirkenden und Übertodlichen
in sich so nahe gekommen, daß er singend in die Schlacht zieht oder wie jener Ketzer angesichts ‘des
Scheiterhaufens lächelnd sagt: Ich sehe nicht soviel Holz, womit man mich verbrennen könnte.
ak
Wohin uns die innere Wanderschaft führt, ist nicht leicht zu erzählen. Man zögert es auszusprechen,
weil man fast notwendig mißverstanden wird. Welt ist ein Wort für das Kind und für den Weisesten
unter den Menschen. Ganz dasselbe gilt aber für das Wort Ich. Der Seelenwanderer findet sich zuletzt
als ein Ich. Das will Vielen so enttäuschend wenig besagen. Nicht nur denen, die das Ich, wie sie es von
kleinauf im Munde führen, nur vorstellen wollen. Auch die Philosophen, die es nur denken
können. „Die meisten Menschen: würden leichter dahin zu bringen sein, sich für ein Stück Lava im
Monde als für ein Ich zu halten“ (Fichte). Sie meinen, das Ih erleben, könne doch auch nichts weiter
als das ihnen längst Bekannte bedeuten. Sie ahnen nicht; daß es in seiner überleiblichen Wirklichkeit
erlebt werden kann. Und daß damit die erste Wirklichkeit, sofern darunter ein Wirkendes, nicht ein
Gewirktes gemeint ist, überhaupt erst in Wahrheit gefunden wird. Sie ahnen auch nicht, daß mit dem
Ich-Erlebnis zugleich eine andere, höhere Welt erlebt wird. Und daß der Eintritt in diese neue Welt
einer neuen Geburt gleichkommt. Pr ' \

Wie ein versunkener Traum lebt es in uns, daß wir einst in viel vertrauteremn Umgang mit allen
Dingen der Welt gestanden haben. Und wie wenn wir untertags plötzlich stocken und einen vergessenen
Traum der vorausgegangenen Nacht wieder hervorrufen möchten; so stehen wir oftmals in der Welt
und staunen und wundern uns und besinnen uns, wie diese Welt doch in Wahrheit beschaffen sei. Das
Heimweh nach dieser wahren Welt verläßt keinen einzigen Menschen ganz. Stille Trauer und ein ewiges
Ungenügen an dem bloß irdischen Leben oder stetes, wenn auch zielloses Suchen und Wünschen ist noch
ein letztes Erinnern an die verlorene wahre Welt...
*

. Der Mensch steht in seinem Wirken auf der Grenzlinie zwischen Zeit und Ewigkeit. Als ein Ver-
mittler zwischen Zeit und Ewigkeit. Zwischen Gewordenem und einem ewig Werdenden. Zwischen Natur:
und Geist. Daher seine Unsicherheit, sein Zweifel, sein Zwiespalt, sein Unglück. Daher sein Mut, seine
Zuversicht, seine Freiheit, seine Seligkeit. Verlor er die Wahrheit über sich, ist er die -allerärmste der
Kreaturen. Hat er sich in der Wahrheit lebendig gefunden, so zählt er sich den Gottessöhnen zu.-

Bezugspreis und Postscheckkonto auf der zweiten Umschlagseite. — Für unverlangt eingesandte Manuskripte kann eine
verant-
Gewähr nicht übernommen werden. Rückporto bitte beilegen. Schriftleiter: Lie. Emil Bock, Stuttgart-O. Für Anzeigen
wortlich: Ernst Scheiffele, Stuttgarti3. Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr.4. (Ermäßigte Grundpreise: Kleine Gelegenheits-
anzeigen wie Stellengesuche usw.: 1/24 Seite RM 4.—, 1ls2 Seite RM 8.—.) Druck: Hoffmannsche Buchäruckerei Felix Krais,
° Stuttgart, Verlag Urachhaus, Stuttgart 13

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