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1. NTEM ALIT ET EXCOLIT

HAFA
| onopol dono

K. K. HOFBIBLIOTHEK
ÖSTERR . NATIONALBIBLIOTHEK

59.A. 20.2ver
‫کو‬ ‫ک‬. . .
2 Voll .
8.
Heſſiſche Beytråge
fur

Gelehrſamkeit
und

kun ft.

Erſtes Stud .

Frankfurt am Mayn ,
bey Warrentrapp Sohn und Wenner,
I 7 8 4.
Na d r i d ) t.
Von diefer Zeitſchrift erfbeint im Anfange eines jeden
Viertel Jahres ein Stúd . Der Jahrgang foſtet im Sách.
filern und Heiden Gelde zmen Reichsthaler ; in frantfur ,
der Wahrung aber 3 Guiden 36 fr. ; otro iedes Stück 12 ggr.
in iener , und 54 fr. in dieſer Prin; forte. Man kann darauf
in der vorstehenden Verlagshandlung ſowohl, als in allen
deutſben Buchhandlungen die nöthige Beitellungen maden .
und ie eher dieſe geſtorben , desto bleuniger fönnen die Liebe
båber damit bedient werden.

Ankündigungen.
Von dem großen Beyfalle , mit wel bem die in biefiger
Waiſenhaus - Budd: uiteren vor dren Jahren gedructe
Hadridt von dein pominerſden Geldledte der von
Gliwin oder Schlieffen aufgenommen worden , gibt ina !
fonderheit die báufige Nachfrage der Kaufluftigen den ficher ,
Aten Beweis. Da aber dieſes Wert auf Koſten reines Vers
faſters gedrudt, und die geringe Unzahl éremplare nur
an diejenigen unentgeldlich ausgethrilt worden , welche die
Frengebigkeit des Verfaffers damit beginſtigen wollte, lo
Sat man ais biefiger Buchdruderen niemanden damit die.
men fónnen. Sleid wohlnúrde es , nach dem Urtheit aller
Kenner , ein wabrer Verluſt für die Erwriterung der Ge
Ethichtfunde des Deutſchen Udels renn , wenn dieſes Wert
o ſo wenigen Banden bliebe. Dieſes gab, alſo die nächſte
Beranlaſſung, den Verfaſſer um die Erlaubniß zu erſuden ,
daß eine grote Auflage davon gemacht werden durfte, wel.
de daſſelbe in allgemeinen Umlauf brachte. Es hat derſelbe
aud dieſe Bitte nicht nur ſtatt finden laſſen , ſondern úber .
dem noch allen aus dieſem Verfaufe zu erwartenden Vortbeit
auf die Deldentendite Urt dem bieſigen Waiſenhauſe ge>
shenkt. Das Gjemplar, weldes er demſelben einhändigen
laffen, findet fide durch die bisher nod ungedructen Nacy
richten von der edliebenfchen Familie nebit den dazu gen
hörigen Urfunden beträchtlid vermehret ; und die allgemeint
Finleitung von dem ebemaligen Zuſtande des Deuts
Ichen 20els ist ebenſaus ſo ſtarterweitert , daß der Inhalt
duires Werte nunmehro fast doppelt fo fart ausfallen durfte,
Al jubor . Un außerer Sdönheit ſou dieſe Iwote Uuflage
det erfern nichts nadageben ; denn es kommen nod ellide
Kupferſtice mehr hinju , und wird übrigens eben lo feines
Papier daju genommen , als zu der erſteren . Nur batman
almas kleinere lettern zu gebrauden djenlidgefunden , da .
wit die Bogenzahlnidt ju fart , und das Werf in Benbes
baltung des Duartformatsnicht zu dicke werde. - Weit
man nun in Bejiimmungder Große dieſer Uuflage fich gern
Rad Ber wahrſdeinlichen Unzahl der Liebhaber dieſes Worte
richten und zugleid in Stand gefekt werden mögte , daſſelbe
um denmogliu ft billigſten Preis zu liefern,hat man hiermit
Vránumeration auf felbiges erófnen wollten . Dieſe bleibt
Sie zu Ende der bevorſtehenden Leipziger Jubilate - Meffe
offen. Diejenigen , welde bis dahin porausbezahlen , be.
femmen dasſelbe für 3 Riflr. 12 Ogr. , in Louisd'or ju
Rthlr.; und da über die Anzahl der Pränumeranten nur
wenige remplarewerden gedrudt werden, ſo fann nadber
leines derſelben unter 5 Rthlr, verlauft werden . Die Bes
ftcdungen hierauf geldeben am ficerſten unmittelbar bey
dem Untergeichneten . Man fann ſolde aber aud in atten
Deutſøen Budbandlungen machen ; jedoch muß das Na.
mensverzeichniß der liebhaber , ſammt den vorausbezahlten
Beldern , mit dem Ende des geſetten Termins an Unter,
seidneten abgeliefert werden . Diejenigen Freunde,welios
Die Einfammlung der Vorausbezahlungen übernehmen , ber
Commen das zebenteExemplar unentgeldlich , oder ſie fón .
nen auch von dem erhobenen Gelde 10 pro Cent zurúd be
balten . = Man bittet úbrigens die Herausgeber gelehrter
Seitungen und Fournale um gefällige und baldige befanne
nadung dieſer Untündigung. Eaſfelden 23Febr. 1784.
3. A. Barmeier ,
Surfil. pet. Oberfommiſſarius der
Waiſenbaus Buddruderey .
1. Herr Juſtizrath Sirfofeld in Riel tiu reine Bemerkun.
on über ok Soweiz,dieer bei ſeiner im vorigen Soms
mer gemachten Reiſe durch dieſes an Merkwürdigkeiten der
Hatur , Sitten , Gefeße und Staatsverfaſſung ſo interes.
fante Land madote, unter der Aufdrift : Neue Briefe
über die Sdwcíz , berausgeben. Sie foften fleine Tie,
mahtoen , Unleitung für den Reifenten , Unterhaltung für
ben Freund der Natur, mit eingeſtreueten Bewertungen
aber die bisherigen Reifebeſchreiber der Spreize enthalten.
Dieſe Briefe werden auf feinen Papier abgedrudt und
fait den Kupfervorſtellungen perfdónert , einen máßigen
Octavband ausmachen , der baldnad der Dilermeile 1784.
trſteinen fou . Bio tabin wird von der Beren Verfaffer
pranumeration daraut su Riblr. 1. der Louisdor
ju Rthlr. 5. – ingenommen ; nachher werden dieſelbe
nidt unter Rthlr. I erlaffen . Briefe und Gelder erwar
tet man france.
III. Die Weveriſe Bucshandlung in Berlin fündigt eine
neue Ueber feßung der ſämtlichen Werfe Voltairs auf Prá.
numeration an , welde unter Aufficht mehrerer Gelehrten
beſorgt werden fou. Dieſe Urberſetzung ſoll den Vorzug vor
dem Original haben , da in ſolder die Fehler, die der Vera
faſſer aus Eilfertigkeit und Unfunde begangen hat , berich
tigt und verbeſſert werden . Jedes Jahr ſollen 4 Bande auf
chones Papier erſcheinen und jeder Band 1 , ulphabet ſtart
ſtark werden. Die Pránumeration iſt auf den Band Rthlr.I.
der Louisd'or zu Rthlr. 5.- Man kann auch auf ein,
zelne Theile , die für ſich ein ganzes ausmachen , pranume.
riren .
3. N. Die Verleger dieſes nehmen auf dieſe fámmtliche anges
fündigte Bücher Pränumeration an.
IV . Ferner find bey diefen folgende Búder fürzlich erſchienen.
DeutſcheEncyclopädie , oder adgemeines Real-Wörter.
buch aller Künge und Wiſſenſchaften von einer Geſellſchaft
Gelehrten . gr. 4. VIIIr. Theil.
Der IX . Sheilderſelben iſt wirklich unter der Preſſe und
wird auf Johanni fertig. Von dem Werf ſelbſten wird auch
eine eigene Ankündigung ohnentgeldlich bey ihnen ausgegeben,
und tonnen die Liebhaber nach denen daſelbſt befindliden Bea
dingnißen annoch in die Pránumeration tretten.
Burggrave D. 3. p . des jüngern , auserleſene Médicinis
niſche Fádeund Gutachten. 8. 1784. 20.ggr.
Höpfners D.L. 3. S. theoretiſch- practiſcher Commentar
über die Heinecciſche Inſtitutionen nach deren neueſten Uus,
gabe, nebſt72. Tabellen . 4. 1783. -2 Theile. Rthlr. 3.16 ggr .
bendeſſelben , Tabellen uber die Heineceifdhe Inſtitutio.
nen nach deren neueſten Ausgabe , beſonders. 4. 1783 .
20. ggr.
Webers, 6. G., fritiſche Geſchichte der Lugeburgiſden
Confeßion aus archiwalifoten Nachrichten , nebſt einigen dia
plomatiſchen Zeichnungen. 8. 1783. Ir. Ib. Rthlr.1.16 ggr.
bendeffelben , Apologie des neuen Syſtems vom Origi.
nal der Augsburgiſden Confeßion gegen die Panzeriſchen
3weifel. 8. 1784. Wird in einigen Wochen fertig.
Sdróters, 3 S., lithologifibes Real- und Verbal-levis
con , in welchem nicht nur die Synonimen der deutſchen ; latei .
riſchen , franzöſiſchen und holländiſchen Sprachen angeführt
und erläutert, ſondern aud alle
JOESteine und Verfeinerungen
ausführlich beſorieben werden,8.1784.
NIC Vir Band R ... 4 Agr.
1

Heſſiſche Beiträge.
Erſte $ Stúd ,

.

Wat bulabalote
HINEசாய WITH MODNIH

Borrede
!

aß bei der übergroßen Anzahl politiſcher und


gelehrter Zeitſchriften , womit teutſche Buchs
låden jezo , gleich einer Sundfluth überſchwemmt ſind,
die unſrige doch nicht überfluffig ſeyn dürfte, wird jeder
unpartheiiſche Richter eingeſtehen , To balder die Abfichs
ten derſelben mit Aufmerkſamkeit zu ermågen für gut
findet. Denn wir gedenken zu liefern : 1) kurze Aufs
räge zur Ausbreitung und Erweiterung der Wiſſenſchafe
ten und ſchönen Künſte überhaupt; 2 ) Materialien
zur politiſchen , natürlichen , gelehrten und Kunſtges
ſchichte von Heſſen insbeſondere ; wie auch 3) Anzeigen
und Beurtheilungen aller Heſſiſchen gelehrten Geburten ,
und vorzüglich wichtiger ausländiſcher Werke,
X2 Unſer
Vore e 6 et
Unſer Plan ſchließt keinen Zweig der Wiſſenſchafts
1

ten aus, ſondern jeder Aufſaß, welcher durch Neuheit


und Gemeinnüßigkeit, durch zweckmäſſige Kürze und
geſchmackvollen Vortrag fich empfiehlt, kann in dieſen
Beitrågen auf einen Plag Anſpruch machen ." In ges AL

treuer Befolgung dieſer Regel hoffen wir eine unterhals


tende und auf immer brauchbare Sammlung lehrreicher
1
Auffäße für alle Stånde der geſammten teutſchen Leſer
welt zu veranſtalten . Für die Einwohner von Heſſen
allein zu arbeiten , iſt alſo eben ſo wenig unſere Abſicht,
als die Verfaſſer des Göttingiſchen Magazins oder der
Berliner Monatsſchrift blos die Wißbegierde deţi Ein
wohner jener Stådte befriedigen wollen . Vielmehr
hat die Localität desTitels unſerer Zeitſchrift nur darauf
Bezug, daß ſie meiſtens Arbeiten Heſſiſcher Schrifts
ſteller enthält, und viel Heſſiſche Gegenſtande, jedoch
allzeit auf eine für das ganze teutſche Publikum leſense
würdige Art, durch ſie behandelt werden. Durch die
zur zweiten Gattung gehörigen Abhandlungen ſou bofé
fentlich ein bisher faſt ganz vernachläffigtes Fach neue
Aufklärung bekommen , wenn wir anders von dem Pa
triotiſmụs der beſten Köpfe in Heſſen diejenige Mitwürs
kungerhalten , die wir zu erwarten , uns berechtigt hiels
ten . Der kurze Raum in unſeren Beiträgen , welcher
nach alle dem für Anzeigen neuer Schriften beſtimmt
ſeon
Vorrede
ſeyn kann , fou in Anſehung der heffiſchen gelehrten Ara
beiten alles in fich faſſen , was im Druck erſcheint. Auch
hier finden wir eine anſehnliche Lücke in der teutſchen Lite
teratur auszufüllen , da von alle den zahlloſen gelehrten
Beitungen und recenſirenden Journalen , nur ein einzis
ges, und zwar blos juriſtiſches in Heſſen herauskommt.
Die Schriften auswärtiger Gelehrten können nach ung
ſerem Plan nur alsdann hier angezeigt werden , wenn
fie entweder etwas enthalten , was auf. Heſſen Bezien
bung hat, oder wenn es Meiſterſtücke der Gelehrſamkeit
und des Geſchmacks ſind, wodurch im Felde der Wife
ſenſchaften neue Fortſchritte gemacht werden. Unfere
Anzeigen ſchránken ſich auf das Neue und Charakteris
ftiſche einer jeden Schrift ein. Fehlt es derſelben daran
gang , ſo iſts hinreichend , das gedruckte Dafeyn einer
folchen Misgeburt bemerkt zu haben. Ueberhaupt aber
iſt es unſere Hauptregel, welche wir im Recenſiren zu
befolgen gedenken : wenig oder gar nicht über die Schrifo
ten zu urtheilen, deſtomehr aber dahin zu arbeiten , daß
die leſer unſerer Beiträge in den Stand geſegt werden ,
felbſt ein gegründetes Urtheil davon zu fålen. Am
Schluſſe eines jeden Stückes follen kurze Nachrichten
von Amtsveränderungen , Beförderungen, Sterbfållen,
Beſchäftigungen der Gelehrten und Künſtler in Heſſen ,
desgleichen von allen in den gelehrten Geſellſchaften austa
X3 geremo
Vorreder
selekten und ertheilten Preiſen und Fragen, wie auch
von Ausſtellungen und Prämien derMaler- Bildhauers
und Zeichnungsakademien in Heffen mitgetheilt werden .

Von unſerer Zeitſchrift wico mit dem Anfange


1
eines jeden Vierteljahres ein Stück , wie das gegens
wartige erſcheinen. Diejenigen Eins und Ausländer,
welche unfer Vorhaben durch Aufråke', Nachrichten
und einzuſendende Schriften wollen beförderen helfen ,
woerden erſucht, wofern ſie nicht perſönliche Bekannte
fchaft mit einem von uns vorziehen, folches unter der
hier unterzeichneten Adreſſe, aber NB.Sranco, zu thun ,
WE

Die Herausgeber der Heſſiſchen


Beiträge in Caſſel.

Juhalt
Inhalt
des erſten Stů & 6.

1. Ueber die Pygmåen ; von Herrn Profeffor Forfter


zu Caſſel .
Möglichkeit einerTiedeman
IL Uebervon dieHerrn anfangsloſenSucceffion ;
Profeſſor n zu Caffel.
III. (a ) Schreiben an den Harn Baron von S. in B. dber
einige hooft feltne antikeMünzen ; von J. H.M.
III. (b ) Nachricht von einigen zu Älsfeld im Beffens
Darmſtädtiſchen gefundenen , auſſerordentlichen ,
Menſchenknochen ; von Herrn Kriegsrath Merd
zu Darmſtadt.
IV. Beobachtungen und Gedanken über die Lagerſtätte
und den Urſprung: der Salzquellen in der Wets
terau ; don Herrn Kammerrato Klipſtein zu
Darmſtadto say
V. udgemeine Beſchreibung des Muſei Friedericiani zu
Caffel; pon Herrn Prof. Caſparſon zu Caffel.
VI. Ueber die burgerliche Verbefferung der Fuden ; an
Herrn geheimen Rath Dom in Berlin ; von
Heren Profeſſor Runde zu Caſſel. ?

VII. Paterlandsliebe ; oder das Betragen der gefans


genen Heſſen in Amerika.
VIII. Perordnung zum Beſten der Heffifchen Univers
fitäten , Marburg und Rinteln .
IX . fobrede auf Herrn Jars , von Herrn Fouchy.
X. Beſchäftigung der Gelehrten und Künſtler in Hangur
XI.
D Inhatto
u
XI. Wichtiger
(chungs : Unftat Verbeſ der Feuerló
ſerung Hofmechani
reet;* von Serrn kuss
Neubert in Weimar.. : 9 89
XII. Beſchreibung eines Rauchtobaksfliftir - Inſtrus
ments , und deſſen Gebrauc ; pon Serrn Pros
$15 feffor Stegmann.co
XIII. Ueber die Natur der Metaphyfit; zur Prüfung
von Herrn Profeffor Kants Grundsåpen ; Von
Herrn Profeſſor Liedemann. 10
XIV, Anzeigen neuer Bücher und Soriften . ) 11
31.1. Od let twetas Rechte der Menſchheit.
si ho Brtefe eines, retfenben Franzoſen über Deutſchland. 111
2. Sayftin oder das aufgeklärte pbiloſophtiche Jahrhundert.
14. Hopfgers Commentar über die Inſtitutionen .
5. Runde Zufäße zum Burtſchen Beharedot. in
96. gorftens Bemerkungen auf ſeinen Reifen..
9.7 Crome Europens Probufte. 113 11
66 8: Sprengels Seſchichte der geographiſchen Entdeckungen .
9. Apolodoti Bibliothecae , ex roçenl. Heyne
***10.1" Leben Dippels von H. * 33 : 48. WWW . !
11. Bergftrarfers Mufäum der Ueberfèrung. St. 3. 4.4 .
3:12: . 16. Bergſtråffers und Datertags Sammlung
der Ueberſegung romtſcher Profatter. Sheil 1 - 5
17. Stroth Sammlung der Ueberſegungen griechiſcher peos
fairober Schriftſteller. Cheil 1 und 2 .
18. Beforetbung des Banaatſoben Medaidens Kabinets.
19. Verzeichnis der Caffel. F. Gemäldes Sammlung fu Caſſel.
20. Webers telttrebe Geſchichte der Augsburgiſchen Cons
feriton . 8. Iter Sheit. w

21. Neues Geſangbuch für die Evangeliſch , Lutheriſchen Gey


meinden in Hochfürſtl. Heffen Caſſelifoed Landen.
XV. Kurze gelegrte Nachrichten. badan
Herfiſche
Heſſiſche Beiträge
zur Gelehrſamkeit und Kunſt.
Erſten Bands, Erſtes Heft.

I.

Ueber die Pygmåen.


ampers vortrefliche Abhandlung vom Orangutang (1)
bemoy mich ſeinen Vorgänger Tyſon (2) nachzus
leſen ; und i den Muthmaſſungen dieſes leßtern fand ich wies
derum Ver nlaſſung dasjenige, was bisher über die Pys
gmåen gefurt worden , zu vergleiden , die hervorſtechendſten
Reſultate zuſammenzuſtellen , und hie und dort einen Eins
fal, de sich dabei hatte, aufzuzeichnen . Eine påſtand der ges
genın... ige kleine Aufſaß , deſſen erſten Entwurf ich einer er:
habenen gelehrten Geſellſchaft vorzulegen die Ehre hatte. Jezt
liefere ich ihn weiter bearbeitet zum Druck, ohne bei einem
Gegenſtande, von dem ſich ſowerlich viel neues mehr ſagen
auf mehr als Behutſamkeit in Beurtheilung der alten
Zeugniſſe Anſpruch zu machen . Ehe ich mich auf dieſe Ars
beit einließ , glaubte ich, daß fie im eigentlichſten Verſtande
im
(1) Natuurkundige Verhandelingen van Petrus Camper over den
Orangoutang, enz. te Amſterdam 1782. gr. Duart , mit Stupf.
(2 ) The Anatomy of a Pygmy, & c. with an eſſay concerning the
Pygmies of the antients , by Edw. Tyſon , M. D. F. R. S.
London 1751. gr. Duart , mit Kupf.
Seß.Beitr. 5. I. 5. I. 4
S 1
Deſſiſche Beiträge. 1. B. I. H.
im Bezirk des Naturforſchers låge; folglich wird man mir
wenigſtens Unbefangenheit zutrauen , wenn ich nach geens
digter Unterſuchung das Gegentheil bekenne.
Die erſte Erwähnung der Pygmåen fáat in das frühe
ſte Zeitalter der griechiſchen Litteratur. Die álteſten Dida
ter und Schriftſteller Griechenlands, der Sänger der Jlia
de ( 3) und ſein Vorganger oder Zeitgenoſſe Heſiodus (4 )
kannten bereits die Pygmaen , und ermahnten ihrer in AN

Uusdrücken , welche vermuthen laſſen , daß dieſe kleinen


Geſcópfe lángf zuvor unter den Griechen bekannt geweſen
feyn mogen. Homer låßt in der angeführten Stelle die
Groer wie Zugvögel, mit lautem Feldgeſchrei zum Kampfe
ziehn , und was folgt, fou dieſem Gleichnis zur Erläute
rung dienen : ſo ſchnaitern die Kraniche, ſagt er, wenn
ſie dem Winterſturm und Regen entgehend , ſich mit .

Lermen und Geſchrei an die Stróme des Djeans bege


ben, und den Pygmåenmännerchen den Tod bringen.
Nonnus , Oppian, Dvid , Juvénal, Sta:
tius und Claudian (5), eine anſehnliche griechiſdelatei:
und NA

(3) Homeri Iliad. lib . III , 2.


Τρωες μεν κλαγγή τ'ενοπε τισαν , όρνιθες ως
'Ηοτε περ κλαγγα γερανων πελει κρανοθεί προ, >

Αι τ'επει αν χειμωνας Φυγον και αθεσφατον όμβρων


Κλογγη ταιγε πετονται έπ ωκεανοιο ροαων ,
'Ανδρασι πυγμαίοισι φονων και κηρο Φερεσαι ,
( 4 ) Das Gedict Heſiod 8., worin die pygmåen vorfommen ſollen ,
hat ſich nicht biß auf unſere Zeiten erhalten ; nur Strabo führt
e$ an, und bemerkt , daß die Stelle mit der im Homer viel
1
Uebereinſtimmung habe. Geogr. lib. VII.
(5) Nonni Panop. Dionyfiac. I. XIV . Oppian. Halieut. I. I. Ovid.
Met. VI, 4. Juvenal. Satyr. XIII, 167. Papin. Statiil.I.
Sylv. 6. Claudia n. Carm . XL , 13. 14. XV. v. 474 ſeqq.
Unter dieſen Dichtern ideint der erſtere den Homer bis auf ein,
jeineWorteund Ausdrúdenajuahmen . Juvenal übertreibt es ,
du
Ueber die Pygmåen. 3
lateiniſche Dichterſchaar , unterlieſſen nicht ein ſo idónes Ges
målde in ihren Gedichten wieder anzubringen , und ſich das
bei der erlaubten Freiheit zu bedienen , daſſelbe nach ihren
jedesmaligen Zwecken uinzuſchmelzen , und bald den Kranis
dhen, bald aber auch den Pygmåen den Ruhm des Sieges
zu laſſen . Doch nicht etwa nur Dichter allein , ſondern
aud Reiſebeſchreiber, Geographen , Hiſtoriker und Philos
ſophen achten es nicht unter ihrer Würde von den Pygmaen
}
zu ſchreiben , und uns oft ganz widerſinnige Nachrichten
von ihrem Aufenthalt und ihren Schickſalen mitzutheilen .
Baldmüſſen wir das Vaterland dieſer kleinen Kriegsmanner
mit dem Homer in Ethiopien ſuchen , bald auch in fins
dien , in Carien , in Thracien, man mögte faſt ſagen ,
überal in der Welt, ſo weit ſie den Alten bekannt war.
Die ſogenannten indiſchen Geſchichtſchreiber, denen ſelbſt
das Alterthum , wo nicht erfinderiſche Einbildungskraft,
doch einen ziemlichen Grad von Leichtgläubigkeit beizumeffen
pflegte, erwähnen durchgehends der Pygmaen ; jedoch ſchweis
gen ſie entweder ganzlich von ihrein Zwiſt mit den Kranio
chen , wie Kteſias (6 ) , oder ſie fügen ſolche Nebenum
ſtånde hinzu , welche die ganze Erzehlung weſentlich veráns
dern, wie Megaſthenes , Dneſikrit, Nearch, Bas
filis ,
da er einen Stranid mit einem pogmåen in den Slauen davonflic.
gen läßt ; freilid find feine Pygmaen aud nur Einen Souh hod .
Statius ſcheint auf den Homer feine Rücffidt zu nehmen ,
denn er ertheilt den Pogmåen den Sieg. Dopian ideint für
die Straniche zu entſcheiden , und legt die Scene an den renees
bedeckten Atlas. Claudian ſpricht von den Straniden , die an
den Ufern des Nils in Egypten Getraide freſſen , nacdem ſie
el aus dem Pogmáenfriege zurúdgekommen ſind.
( 6) Photii Bibliotheca, Cod.72. p. m. 145. - Atefias fpeint hier
.. in der That nicht ſowohl Men den als eine Gattung von effen
1. ju beſdreiben , denen er aber , vielleichtaus Misverſtand, Spra .,
de und Sittlidheit andiotet, ſo wie er offenbar in einer anders
Stelle , bei den Pantanen (xuvexigano ) einen åbnliden Sehler
begeht.
U2
44 Heſſiſche Beiträge. I. B. I. 5 .
filis und Menekles (7 ). Eine andere Klapie von
Schriftſtellern weiß die Pygmåen in die fabelhafte Gót
terlehre zu verflechten , und nennt eine Pygmåenkónigin
Berane oder Denoe, welche das Unglück hatte ſchon
und eitel zugleich zu ſeyn, und dafür von einer Juno oder 38

Diana ( denn auch hierin iſt man nicht einig ) mit der
Verwandlung in einen Kranich beſtraft zu werden. Dies
fes Mährchen mit einigen Zufäßen und Veränderungen
erzehlen Antonius liberalis , Aelian und Ovid (8 ).
Der Ort, wo ſich die Göttinnen an der armen Sterblichen
rachten , liegt in Thracien im Lande derjenigen Skythen ,
die vom Feldbau lebten , woſelbſt die alten Erdbeſchreis
ber eine Pygmaenſtadt , Kattizon oder Kattuja , und
/ eine Kranichſtadt, Geranea , die auch Rhakole heißt ,
angeben (9).
Ehe man auf dieſe wißige Wendung verfiel , zu einer
Zeit, wo man in Griechenland eben anfieng Indien genauer
kennen zu lernen , und von thraciſchen Pygmaen noch nicht
geträumt hatte , glaubte ein Mann von tiefer Einfidt und
ausgebreiteter Kenntnis, der Weiſe von Stagira ſelbſt, ein
wirkliches Pygmaenvolk iin innern Afrifa annehmen zu
müſſen .
( 7) Plin . hiſt. nat. 1. VII. c. 2. Strab. geogr. lib .XV. Aul. Geli.
noët. att. lib . IX. C. 4. Athenaei Deipnofoph. lib . IX. p. 390 .
Somohl nerifrit beini Strabo , als menefles hier beint
Athenå u $ bezeugen , daß die Pygmåen es nichtnur mit den firas
nichen, ſondern auch mit gewiſſen Rebhühnern, po gros als Ganſe ,
ju thun haben, deren Eier ſie,freſlen . Onerifrit beſchreibt aber
feine Pygmäen genau wie Affen , ohne Nafen Capeux leges) .
Baſilis wirft alles duro einander , und läßt ſie auf den großen
Rebhühnern reiten. mega ft bene$ , beim Pliniu $ , hatte ſie
auf Widder und Ziegenbide gefett.
( 8 ) Ant. Liberalis Metamorphoſ. c. XVI. Athenaei Deipn.
1. IX. aus der Ornithogonia Boei. Aelian. hiſt. anim . 1. XV.
c. 29 . Ovid. Met. 1. VI , 4.)
19) Plin. hiſt. nat. I. IV. c.XI (XVIII) . Solin. Palyhift. .XVI.
* Stoph. Byzant de urbib. voc . Karliga.
Ueber die Pygmåen. 5
müſſen . > Im Herbſt, fagt er (10) , wenn Jag und Nacht
» gleich ſind , verlaſſen die Vögel Pontus und andre falte
» Gegenden um dem Winter auszuweichen ; im Frühlinge
1 hingegen ziehen ſie wiederum der großen Hiße wegen aus
> den warmen Låndern in Falte. Einige reiſen in einem
kleinen Bezirk , andere aber kommen von den entferntes
» ſten Gegenden , ſ. 6. die Kraniche, die von den ſkythis
» ſchen Ebenen bis an die Seen oberhalb Egypten ziehn ,

woſelbſt der Nil entſpringt. Dort berum wohnen die


» Pygınåen , und zwar iſt dieſes keine Fabel, ſondern die
» reine Wahrheit. Menſchen und Pferde, wie die Erzeu
„ lungen lauten , ſind von kleiner Art , und wohnen in
» Höhlen. Wenn ich bei dieſer Stelle annehme , was
auch einige neuere Reiſebeſchreiber gewiſſermaſſen zu beſtåtis
gen ſcheinen , nåmlich, daß die Gegenden zwiſchen dem rothen
Meere und dem obern Iseile des Nils von einer etwas Flei
nen Race von Menſchen bewohnt werden, von deren Daſein
Ariſtoteles entweder durch glaubwürdige Reiſende oder auch
nur durch die Stelle des ehrlichen Sjerodot, ( wo er von den
kleinen Leuten erzehlt, welche die Naſamonen auf einem Zuge
in {ybien gefunden haben wollten ) ( u ) vergewiſſert ſeyn
mochte ; ſo iſt es mir begreiflich genug, wie er ein ſolches Volk
für die homeriſchen Pygmaen halten konnte , welche in Ethio
pien am Djean ihren Siß Qaben ſollten . Diodor und
Strabo bezeugen , daß es in jener Gegend Höhlenbewohs
ner oder Troglodyten gegeben , und ſelbſt arabiſche Sagen
bekräftigen ihr ehemaliges Daſein . Ein Erdbeben , ſagt der
Roran , berúrkte ihren gånzlichen Untergang ( 12 ). Dieſe
Katas

( 10 ) Ariſtotelis hift. anim. I. VIII. c. 2. Ganz unbefugtermaſſen


ſpricht Iheodor Gaza in der lateiniſchen Ueberſetung dieſer
Stelle vom Gefecht der Kraniche mit den Pygmáen , deſſen #rive
ftoteles mit feinem Worte erwähnt.
(11) Herodot. lib. II. p. 102 .
( 12 ) Diod. Sic. lib . III.C. 44. Strab. geogr. 1. XVI. Korani Sur.
VII , 76 , XI, 64-71 . XXIV, 141. J. D. Michaelis de Tro
༥ 3 glodytis,
6 Heſſiſche Beiträge . I. B. I. H.
Kataſtrophe iſt wenigſtens wahrſcheinlicher als die Bertils
gung des ganzen Pygmåengeſchlechts durch die Kraniche, co
wovon uns Mela der Erdbeſchreiber überreden will:(13). ill
1
Der Ausſprud unſeres groſen Weltweiſen , dem man Un
terſuchungsgeiſt und Scharfſinn im höchſten Grade zutrauen

WE
konnte , ſcheint in der That mange ſowohl alte als neuere
Schriftſteller über das Daſein der Pygınåen beruhigt zu
haben. Philoſtrat ſcheint überzeugt zu ſeyn , daß die
Troglodyten Pygmåen find ( 14) ; Heſychius fagt mit
dúrren Worten , die Nubier find die Pygmaen ( 15) ;
Spondanus und Madame Dacier ( 16 ) beten dem
Ariſtoteles nach ; der übt Sanier glaubt in den Pechis 13
niern des Ptolomå us die alten Pygmaen wieder zu fins
den ( 17) , und der gelehrte Bougainville ſucht jenſeit
des Aequators , an der Küſte çoango die Matimbas des
Abentheurers Battel auf , um iğnen die Fabeln der
Alten anzupaſſen (18).
Wenn

glodytis , Seiritis et Themudaeis , in Sytagm . Commentation.


P. priore , p. 205. 208.
(13) Pompon, Melae de fitu orbis , I. III. c. 8. 1

(14 ) Vita Apollon, I. III. C. 45. 47 .


(15) Nwbour Iluyucuoi. Heſich.
(16 ) Comm. in Homeri II. f. 49. C
L'Iliade d'Homère traduite en
françois. Paris 1711.
(17) Mém. de l'Académie des Inſcript. et Belles Lettres , Tome V.
p. 101 (ed. in 4to). Ptolem . Geogr. I. IV. c. 8.
(18) Mém. de l'Acad. des Inſcr. et Belles Lettres (40 ) T. XXVIII.
p. 306. 307 . Purchas his Pilgrimes , ſecond part London
1625. fol.pag.983. Battel will die Matimbas nicht ſelbft ges
ſehen , ſondern nur gehört haben , daß fie niot größer als zwölf
jährige Anaben ſind. Oefekt aber, fagt Hr. . Bougainville ,
es wåren jezt feine maſimbas ( Matimbas) mehr vorhanden , ſo
darf man nidt oliefſen , es habe nie feine gegeben , ſondern
man muß vielmehr glauben , daß die duro gana Afrifa ftreifende
Nation der Jagas , die aus Menſchenfreffern befteht , ſie aufs
gegebrt haben müſſe. Wer wollte nicht dieſen ſtarten Olauben
bewundern.
Ueber die Pygmåen. 7
Wenn Pater Charlevoir die Neger von Kongo , die
kleinſten untern allen nennt, die nach Weſtindien verkauft
werden ( 19) , ſo will er damit ſicherlich nicht ſagen , daß ſie
Zwerge find; denn mit Zwergen wåre den Zuckerpflans
zern nicht gedient. Eben ſo wenig gedenkt Thevenot
nebſt andern Reiſenden daran , aus den Nubiern und
Ethiopiern Pygmåen zu machen , wenn er gleich zugiebt,
daß unter ihnen viele Leute von unanſehnlicher Statur
befindlich ſind (20). Ein Volk von Zwergen gab es nie;
denn dergleichen verkümmerte Menſchen hat man durchs
gebends zur Fortpflanzung ihres Geſchlechts untüchtig und
unfruchtbar befunden . Der Ausdruck: kleine Leute, deſs
ſen ſich jene Schriftſteller bedienen , kann demnach nur
eine ſolche fånge andeuten , die eher unter als über der
bekannten mittleren Gröſe des Menſchen iſt. Faft wird
es mir jezt unbegreiflich, wie man ein Volk von dieſen
Dimenſionen mit den homeriſchen Pygmaen hat verwechs
ſeln fónnen , die nach der Ableitung ihres Namens , nod
keine Elle hoch geweſen ſeyn mußten. Wollte man aber
einwenden , dieſes kleine Maas ſei blore poetiſche Uebertrei
bung , ſo megte ich wiſſen , wie man somers Gleichnis
zu retten gedachte. EinEin Männchen , ellenhoch , könnte
leicht im Gefecht mit einem zweimal ſo groſen Vogel den
kürzern ziehn ; iſt aber dasVerhältnis umgekehrt, ſo wäre
es unvernünftig geweſen , den Vogeln einen Sieg zujus
(dreiben , den ſie unmöglich erringen konnten .
Dieſe Schwierigkeit ſcheint gemiffe Commentatoren
verleitet zu haben , theils die Pygmåen felbſt wegzuläugnen ,
theils ihren Streit mit den Kranichen für eine Ungereimt
heit zu halten. Zu den erſtern gehört Strabo , und hers
nad uldrovandi , Caſaubon , Scaliger , Spigel
und

( 19) Hiſtoire de St. Dominguç , par le P. Charlevoix. Paris 1730 .


(20 ) Thevenot voyage du Levant l. II. c . 68.
4.

{
8 Heſſiſche Beiträge. I. B. I. S.
und Harduin (21 ) ; zu den leßtern Bochard und Iſaak
Voß (22). Mit welchen vorgefaßten Begriffen einige von
dieſen Gelehrten an ihre Unterſuchung gegangen ſind, kann
man ſich ohngefähr vorſtellen , wenn man den ſonſt fo leichts
gläubigen Äldrovandi hier ausrufen hört : er wollte nichts
von den Händeln der Pygmaen und Kraniche glauben, wenn
1 ſchon jemand eidlich bekräftigte, daß er den Kampf mit anges
rehen. Dies war gleichwohl der Mann, der es gegen Augen
zeugen behaupten wollte , daß die Paradiesvogel keineFürſe
fåtten , und den Pigafetta einen Fabelhans ſchalt, weil
er dieſen groben Irrthum widerlegte. Vorrens Ueberei
lung iſt noch lächerlicher, denn in der Hiße des Arguments bes
hauptet er , es ſei im ganzen Afrika kein Kranich zu ſehen ,
wogegen er doch bei Alten und Neuern eine Menge von
Zeugniſſen håtte nachleſen können , die es allerdings beſtå
tigen , daß ſich während unſers Winters die Kraniche in
Egypten und lybien einfinden , und mit eintretendem Frühs
ling wieder die Nordlander ſuchen (23 ).

Adein was nöthigt uns überhaupt unter den Pygmåen


würfliche Menſchen zu verſtehen , da der Sprachgebrauch
den homeriſchen Beinamen : Månner , avdges , bis zu men
føbenáhnlichen Weien ausdehnt, und Herodot gewiſſe Ges
Tchöpfe, die er ſelbſt unter die wilden Thiere,zählt , avdges
sygio , wilde Månner nennt ( 24 ) ? So geiffen auchbei uns
einige

( 21) Strab. geogr. 1. I. et II. Ulyff. Aldrovandi Ornitholog.


1. XX. 18. Caſaubon. in Strab . 1. I. - Jo . Scaligeri
Comm . in Ariftot. hiſt. anim. 1. VIII. Adr. Spigel de corp.
hum. fabrica , I. I. c.7. Harduin . in Plin . hiſt. nat. 1. VI. c.22.
( 22 ) Geogr. lacr. p. 1. 1. 2. c. 23. Hierozoic. p. 2. 1. I. c. 11.
(23) Ariſtot. I. c. Euripid. in Helena.
FO
Ariſtophan. in
Nubibus. Maximus Tyrius. Nouy, Mémoires des Mil
fions du Levant , ( Lettre du P. Sicard ) Tome VI. p.238.249.
Tom . VII . p. 105 . Voyage en Egypte , pár Granger, p.238.
Shaws Travels et Obſ. on Barbary et the Levant, Oxf. 1738. fol.
p. 433. Wansleb , Relation d'un voy. fait en Egypte, p. 103.
( 24 ) Herodot. 1. IV .
Utebet die Pigmåen .
einige Affen Waldmenſchen , beiden Englåndern der Pavian
Mantyger , und bei den Malayern der Elephant ſogar ein "

Menſch ( Orang) , wegen ſeines an Vernunft gränzenden


Inſtinkts. In dieſem mehrfaffenden Sinn alſo, nahm
ulbert der Groſe jenen Uusdruck , und wagte es zuerſt die
Pygmåen für eine Gattung von Uffen zu halten ( 25). Der
gelehrte engliſche Arzt und Zergliederer Infon gab dieſer
Meinung Beifall, und ſchmückte ſie mit vieler Gelehrſamkeit
aus(26). Thm ſcheint auch der vortrefliche Graf von Büfe
fon beizupflichten , wiewohl er ſeiner nicht erwähnt (27).
Der Krieg mit den Kranichen ſteht aber auch dieſer
Auslegung im Wege; denn der gewohnliche Aufenthalt dies
Ter Vogel iſt von dem der Affen ſo verſchieden , daß ſie blos
ein ſonderbarer Zufall an einen und denſelben Ort håtte
bringen können. Die Affen ſcheuen das Waſſer , und hal
ten ſich beſtändig im Trocknen , in Wäldern , auf dickbes
laubten Bäumen , und in Gebirgsgegenden auf. Die Kras
niche hingegen mit ihren langen ſtelzenáhnlichen Beinen hat
die Natur zu Sumpfbewohnern beſtimmt, die ihre Nahrung
in Egypten an den Flammigten Ufern des Nils , in Ger
Tellſchaft der Ibis und Reiherarten ſuchen ſollen (28). Der
gänzliche Mangel an Wäldern in Egypten iſt die Urfache ,
weswegen daſelbſt keine einzige Affenart einheimiſch iſt. In
Ethiopien oder Habeſſinien giebt es beides Waldungen und
Affen , vielleicht geht auch der Zug der Kraniche bis dahin .
Gefeßt aber , es wäre nun auch möglich, daß einige dieſer
Vogel zu gleicher Zeit mit einer Uffenfamilie das nämliche
Reis- oder Hirſenfeld plunderten , ſo ſcheint doch nichts wes
niger als Uneinigkeit zwiſchen ihnen , zumal zum Nachtheil
der Uffen , zu befürchten. Woher nehmen die furchtſamen
Krania
( 25 ) Alb. Magni de anim . 1. I.
(26 ) I. c .
(27 ) Hiſtoire naturelle des Oiſeaux , Tome XIII. ( ed. in 12.) p . 424.
( 28 ) P. Sicard l , a
ม 5
10 Heſſiſche Beiträge. I. B. 1. H.
Kraniche, die auf einem Beine ſtehend ſchlafen , und vom
leiſeften Geräuſch erwachen, ja bei der kleinſten Gefahr von
ihrem Unführer das Signal zur Flucht erhalten , woher ,
Tage ich , nåhmen ſie den Muth einen Kampf mit den Ufs
fen zu wagen , oder wohl gar dieſe Thiere anzugreifen , die #1
ohnerachtet ihrer geringeren Höhe , fürchterliche und grau
Tame Feinde ſeyn würden ?
Diejenigen , welche die Pygmåen für Affen halten ,
ſcheinen dieſen Einwurf geahndet zu haben , indem ſie ihm
dadurch auszuweichen ſuchen , daß fie die wichtigſte und ältes
fte Stelle der Alten über die Pygmåen , ich meine die im Ho
mer, beiſeite reken , und gleichſam ftiaſchweigend vorübers
gehn, um die Beſtätigung ihrer Sypotheſe beim Megaſthee M

nes und Oneſikrit hervorzuſuchen . Hier heißt es : die M

Pygmåen zogen an den Ozean um ſich die Kranichs - und


Rebhühnereier gut ſchmecken zu laſſen, fie mußten aber mit 11

dieſer Erpedition eilen , damit ihnen die Vogel nicht zu mach


tig würden. Hier glaubten ſie alſo die rechten Gewährs
männer aufgeſtellt zu haben , die ihre Sache in dasvortheils
hafteſte licht reßen ſollten. Affen ſchlürfen gerne Eier ; mits
hin ſind ſie es , die unter der jungen Brut der Kranichejene
Berheerung anrichten , und dieſe ſeßen ſich natürlicher Weiſe
zur Wehr , um ihr Theuerſtes in der Welt , ihre Nachkom
menſchaft, zu beſchußen . Zwar verſeßen die ebengenann
ten Schriftſteller die Scene des Krieges in den Norden von
Indien jenſeit der Quellen des Ganges , und über die Leute
ohne Mund (eswjuos) hinaus (29) ; doch wasthut man nicht
aus Liebezur Hypothefe ? Unſere Ausleger tragen kein Bes
denken ähnliche Auftritte in Afrika fürmöglich zu halten ,
und es bliebe uns nichts übrig , als ihnen in allen Stücken
beizutreten , ſtunde nicht unſerer Vereinigung die unübers
windliche Schwierigkeit im Wege , daß die Kraniche nur im
Norden brüten , und folglid in Ethiopien keine Kranichsa
ejer zu holen find. So fáat alſo auch dieſe Veranlaſſung
zum 各自
( 29 ) Plin. hiſt. nat. I. VII. c. 2.
IT
Ueber die Pymåen .
jum Streite daſelbft meg , und das Gleichnis des alten
Måoniden bleibt annoch ein Råthrel.
Paul Jovius , Olaus Magnus , Dlaus Ruds
beck und noch einige Schweden (30) lieſſen ebenfalls den
Homer in guter Ruhe , und hielten ihre {applander , Sa
mojeden und Grönländer für die Pygmåen des Megaſthes
ned , deren Widder und Ziegenbocke dann nichts anders als
Rennthiere ſeyn konnten. In der That hat auch Euſtas
thius die Pygmaen im Norden , Thule gegenüber , ges
ſudyt ( 31 ). Die Geſchichtchen , welche Megaſthenes
nebſt andern griechiſchen Reiſenden von den Pygmåen in Ins
dien oder vielmehr über Indien hinaus, in der jezigen Tatarei,
erzehlen , find vielleicht ſo gånzlich nicht aus der Luft gegrif
fen , daß nicht eines und das andereFaftum die nordiſchen
Völker betreffend , dabei zum Grunde liegen könnte ( 32 ) .
Es wäre nicht unmóglich, daß ſie von einem Volkim Norden,
kleiner Statur, das von der Jagd lebte , und Rennthiere
zum Fuhrwerk brauchte, einige Nachricht erſchnappt haben
konnten , die ihrer Einbildungskraft hinreicenden Stof
verlieh , von einem ſo beliebten Gegenſtande der griechiſchen
Neugier, mie die Pygmaen geweſen ſeyn müſſen , ausführs
lichen Bericht zu erfinnen. Alles ſcheint den Griechen will
kommen geweſen zu ſeyn , was ihnen über eine ſo wichtige
Stelle ihres vaterländiſchen Dichters Aufſchlüſſe zu geben
verſprach . Oft konnte auch der Mangel einer gründlichen
Kenntnis der ausländiſchen Sprachen Schuld an Misvers
ſtånd
(30 ) Paul. Jov. Moſcov, legat. p. 123. 01. Magn. gent. ſeptentr.
Epitom. I. IV . c. II. Rudbeck . Atlant. III. c. 6 & 1o .
Esberg Diff. de Pygmaeis, vefp. Dan. Hodell , (Upfal. 1703. 12.)
( 31 ) Eutath. in Homer. 1. Ý. Tom. A. p.80g. ( Florent. I732. fol )
( 32 ) Perrault und Hr. o. Búffon bemerfen unter andern , das
die oben angeführten Rebhühner des Dneſifrit , die ſo gros
als Ganſe geweſen ſeyn rollen , wahrſcheinlid Irappen gewerer
find. Mem, pour ſervir, à l'hiſt. des animaux , Tom. II. p. 102 ,
Hiſt, nat. des Oiſeaux , Tom. III. p. 26. ( in 12mo. )
Ie Heſtiſche Beiträge. I. S. I. H.
11 ftändniſſen ſeyn , wodurch Dinge , die an ſich nichts wenis
ger als ungegründetwaren , ein fabelhaftes Unſehen erhiel
ten. Wer einen Pavian geſehen hat , wird ſich leicht in deb
Kiteſia : Beſchreibung der bellenden Menſchen mit dem
Hundsgeſicht zu finden wiſſen , zumal wenn er dasjenigen
gevorig abſondert , was die Bernſteinhandler ( vermuthlich is
eine nomadiſche Tatarnhorde ) zu betreffen ſcheint. So
kann man audy leicht begreifen , was Eudorus mit ſei
nen Struthopoden (33 ) ſagen will , wenn man damit die
Nachrichten der Neuern von den kleinen verſtůmmelten Fuß
ſen des chineſiſchen Frauenzimmes vergleicht (34 ). Mis
verſtand, oder eine entfernte Uehnlichkeit gewiſſer Völker
namen mit griechiſchen Wörtern gab vielleicht auch die erſte
Veranlaſſung zu jener Fabel , welche die Pygmaen nach
Thrazien und an die Donau verſekte. Die Einwohner von
Rattuja , fagt der Byzantiner (35) , hatten ehemals
in Karien gewohnt , und die Karier pflegten fie Tuſſylier
( Txoruno ) zu nennen. Ein Grieche durfte ſichs nur ein 1

fallen laſſen hier eine Aehnlichkeit mit dem alten Worte


Turbos ( klein ) zu finden , To hatte ſein Pygmåenmáhrchen
einen ' ethymologiſchen Grund. Was man bei den vers
fengten Ethiopen lang umſonſt geſucht hatte , fand man
þernach gemeiniglich bei den Hyperboréern.
Uus dem , was ich bisher geſagt habe, låßt ſich einis
germaſſen die Entſtehung der ſpátern Nachrichten von den
Pygmaen erklären ; allein da man , wie es ſcheint, eben dieſe
Nadrichten lediglich dem Wunſ der Ulten, die dunkle Stel
le Homers erläutert zu ſehn , zu verdanken hat , ohne daß
ſie
(33) Plin , hiſt. nat. I. VII. C. 2.
( 34 ) Nod ganz neuerlid hat ein Reiſender zu malaffa folgende Bes
merkung gemacht : „ Noc giebt es tiefer im Lande eine Art Men:
» lopen , deren fúſſe eine ganz entgegengeſepte Stellung mit den
unſrigen haben rollen ... Sonnerats Reiſe nach Oſtindien
und China , 2ter Theil , S. 83. Wer denft hier nicht an die
homines averſis plantis des megaſthenes ? Plin. l. c.
(35) Steph. Byzant , l. c.
Ueber die Pygmåen. 13
fle dieſen Zweck damit erreicht hatten , ſo bleibt nur jezt
noch zu unterſuchen übrig, ob nicht jemand unter den
Neuern einen glücklichern Weg eingeſchlagen haben mögte.
Das auszeichnende in dem Gleichnis, deſſen ſich Homer bes
dient , der Umſtand, daß ſein Werk das alteſte Denkmal
griechiſcher Dichtkunſt, zugleich das alerrichtigſte iſt, in
dem ein ſolcher Ausdruck vorkommen konnte , und die uns
ausbleibliche Folgerung aus allem dieſem , und aus der be:
kannten Genauigkeit und Beobadtung des Wahrſcheinli:
den und Naturgemäſſen , die den homeriſchen Charakter
ausmachen , daß nämlich der Dichter nicht ohne hinreichende
Veranlaſſung ſich dieſes ſo auffallenden und unerwarteten
Bildes bedient haben könne : dies ſind entſcheidende
Bewegungsgrunde bei jenen unzuläßlichen , unvollkommes
nen und unnatürlichen Auslegungen nicht ſtehen zu bleiben .
Vielleicht bin ich ſo glücklich zum Beſchluß meines Aufſages
die Muthmaſſung eines ſehr gelehrten Mannes über dieſen
Gegenſtand ſo zu beleuchten , daß ſie ſich allgemein den
Beifall erwirbt , den ſie mir abgewonnen hat.
Die Götterlehre und die gottesdienſtlichen Uebungen
der Egyptier bezogen ſich genau auf die phyſiſche Beſchaffena
heit ihres Landes. Dies iſt eine von den ſcharfſinnigſten
Philofophen anerkannte Wahrheit. Die verſchiedenen Ers
fbeinungen am Sternhimmel , welche dieVeränderung der
Jahreszeiten mit ſich brachte, die Veränderungen die auf
der Oberfläche der Erde , nach Maasgabe der Entfernung
oder Nähe der Sonne vorgiengen , und die Naturgeſchichte
Egyptens, in fo fern ſie auf phyſiſche und moraliſche Wohla
fahrt der Einwohner Einfluß haben konnte ; dies war der
Inhalt jener geheim gehaltenen lehren , welche ihre ſonſt ſo
unſinnig ſcheinende Religion in ein zwar verwickeltes aber
dennod fúr damalige Zeiten vernünftiges Syſtem aufldßten,
und vermittelſt einer finnreichen und vielfaſſendenDeutung,
ein Helles Licht über die Hieroglyphen verbreiteten . Unter
andern war der Nil, von deſſen Anwuos und Monahme
die
14 Heſſiſche Beitråge. 1. B. I. H.
Erhaltung des Volks beinah lediglich abhieng, ein Haupts
gegenſtand ihrer Beobachtungen , und derdamitverknüpften
religiöſen Achtung. Man betete ihn als eine Gottheit an ,
man ſtellte ihn in Bildern ſymboliſch vor, und ſogar ſeine
Veränderungen wurden durch allegoriſche Gemälde bezeich
net. Sechzehn Eden (cubitus) hoch, ſagt Plinius ( 36 ),
21
mußte das Waſſer in der Gegend von Memphis ſteigen ,
wenn der Strom die Felder mit ſeinem fruchtbaren Schlams
me hinlänglich dúngen ſollte. Dieſe Zahl war ſo beſtimmt,
und ſo allgemein als die fruchtbarſte angenommen , daß fie
auf einigen Münzen Hadrians vorkommt, die den Nil in
einer niedrigen Stellung abbilden, Plinius ſowohl als
A
Philoftrat (37) erwähnen auch eine alten Gruppe von
Bafalt, woſelbſt der Nil von ſechzehn kleinen Knaben um
geben iſt ,die um ihn her ſpielen , und wodurchman ohne
allen Zweifeleben ſo viele Ellen Waſſers hat andeuten wollen.
Beim Pbiloſtrat heiſſen dieſe Knaben , von ihrer Höhe :
Fingers, cubitales. In der Sammlung von antiken Mar
morn im Vatikan befindet ſich noch jezt eine ſolche allegori:
ſche Gruppe, welche Montfaucon genau beſchreibt ( 38 ).
Die egyptiſchen Prieſter, die alles perſonificirten , bei denen
Die Sonne , der Mond , die Winde , ja die ganze Natur in
menſchlicher Geſtalt verehrt wurden , hatten alſo auch den
Nil und die rechzehn Eden Waſſers mit denen er fich jáhr
lid in das flache land ergoß, auf eine ähnliche Urt unter
dem Bilde eines Menichen und rechzehn ihn umgebender
Knaben vorgeſtellt. Der cubitus, die Ede, oder das Maas,
deſſen man ſich beim Niloſkop bediente, nannten ſie in ihrer
Sprache Pi - mahi. Dies alles zuſammengenommen bes
wog den gelehrten Jablonski , und den Kanonikus von
Paauw (39) die ſo berühmtgewordenen Pygmaen füreben
dieſe
( 36) Hift. nat. I. XXXVI. C. XI.
(37 ) Plin. I. c.
( 38 ) Journal d'Italie , chap. XX . p. 278.
(39) Pantheon Aegiptior. - Recherches philoſophiques fur les Egy:
ptieas et les Chinois,
Ueber die Pygmåen. 15
dieſe Pi - mahi , oder Eden des anſchwellenden Nils zu hal
ten , welche die egyptiſde Prieſterſdraft unter der Hieroglyphe
von eben ſoviel kleinen Knaben darzuſtellen pflegte. Nichts
iſt leichter, als nach dieſer Vorausſeßung den Krieg mit den
Kranichen zu erklären , und auch zu begreifen , warum fie
gegen ihre wehrloſen Feinde obſiegen müſſen. Im Monatý
November hat das Waſſer in Egypten ſo weit abgenommen,
daß man mit der Ausſaat den Anfang machen kann ; und
zu eben dieſer Jahrszeit treffen die Kraniche nebſt andern
Zugvögeln aus dem Norden daſelbſt ein , um ihre Nahrung
im zurückgelaſſenen Schlamme des Fluſſes zu ſuchen . Den
Pygmåen den Tod bringen heißt alſo nichts anders als in
eben dem Maaſe, wie das Waſſer ſich zurückzieht, daſſelbe
gleidſam verfolgen , und dem Bette des Fluſſes immer nås.
her treten. Ethiopien iſt das Vaterland der Pygmåen ,
denn dorther ſtroinen alle die Gewäſſer, welche den Mit ſo
majeſtátiſd úber das ganze Egypten ausbreiten : vielleicht
(drieb man ſogar in älteſten Zeiten dieſe jährliche Uebera
ſchwemmung dem Auftreten des Djeans zu , welchen man
fich gegen Súden viel näher dachte, als er wirklich liegt.
Db Homer ſelbſt in Egypten geweſen , ob er dieſen Schlüſſel
der allegoriſchen Pygmaenfabel gekannt , oder ob er blos
die Fabel, wie ſie zu ſeinerZeit bereits in Griechenland ohne
Uuslegung von Mund zu Mund fliegen mochte , als ein
paſſendes Bild feinem unſterblichen Werke einverleiht habe,
fann uns nunmehr vóuig gleich gelten. Auſſer dem Bors
theil, der beidieſer Erläuterung ſtatt findet, daß ſich dadurch
alles natürlich , ohne dem kleinſten Nebenumftande Gewalt
anzuthun , entwickeln , und auflöſen táßt, þat fie vor allen
andern noch den Vorzug voraus , daß fie ein Mährchen im
Philoſtrat erklärt, welches man ihm ſonſt als eine Unges
reimtheit vorzurücken pflegte (40 ). Herkules, fagt er , hata
te fidh, nachdem er den Antaus überwunden, in ipbien
ſchlafen gelegt, als ihn ein ganzes Heer von Pygmåen übers
fiel, und fórmlid anzugreifen wagte. Ein Pbalank befekte
die
( 40 ) Philoftr. Icon. fb. II
16 Selfiſche Beiträge. I. B. I. H.
die linke, und zwei die rechte Hand, die Schußen und Schleus
derer belagern die Füſſe, und der König mit dem Kern der
Gruppen läuft Sturm gegen den Kopf. Sie verbrennen
ſeine Haare , wollen ihm die Augen ausfraßen , und Naſe
und Mund mit Klappen verſchlieffen ; allein alle ihre An
griffe ſind fruchtlos und endigen ſich damit, daß er erwacht,
ihrer ſpottet, ſie in die nemeáiſde fówenhaut einpackt, und
dem Euriſthenes bringt. Ich weiß nicht, ob Swift zur .
4
fånigerweiſe die erſte Idee zu ſeinem ſchönen Mährchen von
Guliver und Lilliput etwa aus dieſer Fabel geſchöpft haben
hes
könnte ; allein ſoviel iſt ausgemacht, daß man bis jezt nicht
hat begreifen können , wie die Pygmåen in die Händel des el

Herkules und Antaus verflochten worden ſind. Die egy


ptiſche Mythologie giebt auch hier die einzige ertragliche Aus
kunft. Jablonski bat gezeigt, daß der Erdenſohn Ans
taus, dieſelbe Gottheit , die auch Mendes bei den Egyptiern
hieß, und in der Geſtalt eines Ziegenbocks verehrt wurde ,
ohngefähr wie der griechiſche Pan, die lebendige şervors Ant

bringende Kraft der Natur bedeutete. Herkules hingegen WI

bedeutete die Sonne , wie dieſes aus der Uebereinſtimmung


der zwölf Arbeiten mit den Zeichen des Thierkreiſes erhedt.
Die Fabel, welche Philoſtrat uns aufbewahrt hat ,
ſcheintdemnach einen Theil des (ſcheinbaren ) jährlichen Ums ,
laufs der Sonne durch den Thierkreis allegoriſch darzuſtellen .
Sperkules kämpft mit dem Antáus und erlegt ihn ; oder mit
andern Worten , die Sonne wird immer wirkſamer , indem
fie ſich dem Sommer- Solftitio nähert , die Früchte reifen ,
die Halme verdorren , die vegetirende Kraft der Natur ſtirbt
gleichſam ab. Jezt fchläft Sperkules ein , die Pygmåen grei
fen ihn an , und gedenken ihn umzubringen , er aber ſteht
unverleßt wieder auf , und führt ſie in der Löwenhaut gesome
fangen . Sobald nåmlich die Erndte vorbei iſt, und die
Sonnenwende des Sommers eintreten will, ſo fängt auch tahun
ſchon das Waſſer an zu teigen ; die Sonne geht in die ſúd :
}
liche Halbkugel hinas , verliert ihre Wirkſamkeit , ſchlift ſo.
zu ſagen ein , indes die Höhe des Nils ſich von einer Ede zur
andern pite
Ueber die Pygmåen. 17
andern vermehrt. Zulegt iſt ganz Egypten unter Waſſer,
und die Sonne , welche ſich bis an den entgegengeſeßten
Wendekreis entfernt hat , ſcheint nicht mehr zurückkehren
zu können. Gleichwohl erwacht ſie nun wieder mit ihrer
ganzen Stärke , und nimmt die Pygmåen ; D. i . die ausa
getretenen Waſſer mit ſich hinweg. Nimmt man auch
mit Dupnis (41) an , daß die Zeichen des Thierkreiſes,
weldein Egypten erfunden worden ſind, ehedem in einer
der unſrigen entgegengeſeßten Ordnung geſtellt zu werden
pflegten , dergeſtalt, daß der Steinbock die Sonnenwende 1

des Sommers bezeichnete , ſo iſt der Eintritt der Sonne


in dieſes Zeichen , wodurch es unſichtbar wird , ebenfalls
der Tod des unter einem Bock verehrten Antxus ; worauf
ſich die Sonne wieder nach dem Aequator wendet , und
unwirkſamer wird , je kürzer die Tage werden. Vielleicht
beziehen ſich ſogar die verſchiedenen Angriffe der Pygmaen
auf die nacheinanderfolgende Erſcheinung verſchiedener
Sternbilder am Himmel, da ſich die ſinnreiche Hypotheſe,
daß die Erfinder der Sphäre die jährlichen phyſiſchen Ereig
niſſe ihres Vaterlandes durch dieſe Hieroglyphen des Firs
maments ausgedruckt haben , immer mehr zu beſtätigen
fcheint.
**,
II.
Ueber die Möglichkeit einer anfangs
loſen Succeſſion.
eit mehr denn zwei Jahrtauſenden ſtreitet man ſchort,
ob eine Succeſſion ohne Anfang möglich iſt. Vor
Ariſtoteles lehrten faſt alle Philoſophen , Entſtehungen
und Vergehungen von Welten ſeyn in endloſen Abwechsa
lungen
(41 ) Mémoire ſur l'origine des Conſtellations; extrait de l'Aſtronos
mie de M. de la Lande , Tome IV. (Paris 1781. 4to.)
Beſſ. Beitr. B. I. 5. I. 3
18 Hell. Beitråge. I. B. I. H. Ueber die
lungen einander gefolgt , und Demokrit fagte aus
drücklich , die Zeit habe keinen Anfang ( 1 ). Doch war
zu dieſer Zeit noch kein Streit , weil noch kein ausdrück:
licher Widerſpruch ; und war ja einer , wie vom Anara
goras , welcher der Welt einen einzigen beſtimmten Uns in
fang; nach vorhergegangener endloſer Verwirrung des
Chaos gab ; ſo war doch kein Widerſpruch der Gründe,
weil die Geſchichte von Anaragoras Beweiſe gånzlich
fchweigt; mie fie aud Demotrits und ſeiner Vorgáns
ger Schlüſſe , wofern ſie welche beibrachten , uns nicht
überliefert. Ausdrücklich widerſprach zuerſt Plato , ins
dem er der Zeit Entſtehung aus der Bewegung himmliſcher
Körper ableitete , und jener mit dieſen einen erſten Anfang
gab. Ihm ſtellte ſich , wie in mehreren Sáßen , Ariftos
teles entgegen , und von ihm haben wir den erſten Bes le

weis , daß die Zeit keinen Anfang kennt (2). · Von dieſer
Zeit an wird bis auf die Alerandriner von dieſer Frage
nichts wieder gehört ; durch ſie kam der Streit in neue
Bewegung; vornemlich den Porphyr, als welcher in einem
nicht mehr vorhandenen Commentar über Platos Limaus
der Welt Envigkeit und damit zugleich der Zeit Unfangse
loſigkeit durch mehrere Gründe beſtätigte; und aus dem
hernach Proklus in einer eigenen gleichfalls verlornen
Schrift , die meiſten , wo nicht gar alle Bereiſe , ent
lehnte (3). Den widerlegte Fus vor Fus Philopon ,
welches Buch der Zufall erhalten, und uns dadurch belehrt
hat , daß wegen mancher neuhinzugekommenen Gründe ,
der Streit ſeit Ariftoteles eine ganz andere Geſtalt ges
wonnen Katte. Als von den Griechen ; vornemlich der
zuleşt herrſchenden Parthei der Alexandriner , die Philoſos
phie zu den Arabern übergieng, bekam die Welt - Emigkeit
auch bei dieſen die meiſten Vertheidiger. Nur Aigazelle
beſtritt fie , auch mit eigenen Gründen , deren einige 1

gerade
(1) Ariftot, Phyſ. VIII, I.
( 2 ) Ariſtot, l. c.
( 3) Philopon contr. Procl, de gund, aetern . ad argum . 7.
Möglichkeit einer anfangsloſen Succeſſion . 19
gerade zu einer anfangsloſen SucceſſionUnmöglichkeit ers
hárteten , und von welchen zu bedauren iſt , daß eine
unverſtändlichere Ueberſeßung den Nachdruck geſchwächte
hat (4). Dem Ariſtoteles , den Alexandrinern und
Vrabern folgten die Scholaftiker meiſtentheils; der Heil.
Thomas (5) und Duns Scotus (6) , wenn ſie gleich
der Rechtgläubigkeit halber nicht ausdrücklich die Welts
Ewigkeit vertheidigten , leugneten ſie doch nicht, ſuchten
fie mit der Schöpfungslehre zu vereinbaren , und erklára
ten die Frage philoſophiſch für unentſcheidbar. Unter
ihnen widerſprach jedoch auch Heinrich von Gent , den
ich nur aus einer Anführung beim Scotus kenne, weit
die Bücher dieſer Zeiten , obgleich ſie Aufbewahrung verdient
þátten , durch die Umwälzung menſdlicher Dinge, und
darunter auch der Philoſophie , fich åuſſerſt ſelten gemacht 1
haben . Nebſt ihm auch Richardus de media villa ,
welcher ſich einiger unten anzuführenden Gründe Toon
bediente , nur ſie nicht bis zur Hebung aller Einwendung
heraus führt ( 7 ). Nach den Scholaſtifern faſte Teutſche
lands und Europens Zierde , leibniß , welcher in meha
reren Stücken den Alerandrinern beitrat, die Frage wies
der auf , ſo daß er der anfangsloſen Succeſſion nicht aba
geneigt ſchien, obgleich er wegen der Zeitumſtånde ſeine
Meynung nicht gradezu zu behaupten wagte. Ich möchte
wiſſen , ſcrieb er an Bourguet , wie man die uns
möglichkeit einer Succeſſion ohne Anfang darthun kans
ne ? (8) Was bisher blos gelegentlich bei Unterſuchung
des Welt - Anfanges war berührt, und nicht für ſich bes
trachtet worden , machte er zum Gegenſtande einer eignen
Untera
( 4) Algazel deſtructio philofophorum .
( 5 ) Thomas Aquinas in Magiftr.ſent. II. dift. I. quaeft. I art. S.
( 6 ) Scotus in Magiftr. Sent. II. deft. I. quaeft. Illa
(7 ) Richard. de media villa in Mag. fent. II. dift. I. quaeft. iy .
(8) Leibnitz opera omnia , Tom. II. p. I. p. 327.
20 Helf. Beiträge. I.B. I. H. Ueber die
Unterſuchung , und veranlaßte dadurch neueund genauere
Püfung. Dieſe hatnach ſeinem Sinnevor nichtgar langer
Herr Cochius ( 9) angeſtellt , und zwar ſo , daß nun
Ariſtoteles und die Alexandriner obzuſiegen ſcheinen .
Eine Frage ſo hohen Urſprunges , und von ſo vielen
der gröſten Philoſophen unterſucht , ſollte man glauben,
mußte , entweder långſi entſchieden , oder gar nicht ents .
Tcheidbar feyn. Uuein erwagt man , daß die Geſchichte
in der ganzen Reihe von Jahren , ſeit ihrem Urſprunge, 1
immer neue Geſtalten und Geſichtspunkte darin aufzeigt,
und daß ſehr wahrſcheinlich noch nicht aưe Geſichtspunkte
gehörig beleuchtet ſind : To begreift man , warum keine
von beiden Folgerungen zuläſſig iſt. So viel aber láßt
ſich daraus richtig abnehmen , daß ſie keine der leichtes
ften ſeyn kann ; und daher , falls ich nicht ſo glücklich -
ſeyn ſollte , fie genugthuend aufzulöſen , ich deſto eher
mir Verzeihung verſprechen darf.
Wiederholung alles darüber geſagten würde. theils
zu weitläuftig , theils auch, da manches nur für gewiſſe
Zeit von Gewicht war , überflüſſig ſeyn. Ich werde das
her die Frage nach den jezt vorhandenen Kenntniſſen ohne eine
Rückſicht auf irgend eine von den ſtreitenden Perſonen uns
terſuchen ; und dabei die mir am weſentlichſten geſchienenen
Schwierigkeiten einzuweben mich bemühen.
Wenn man frågt, ob eine anfangsloſe Succeſſion den
Möglichkeit hat : ſo will man , dúnktmich , zweierleiwiſa ,
ſen : einmal, ob Anfangsloſigkeit der Succeſſion übers
haupt widerſpricht ? und zweitens, ob ſie mit einer bes
ſtimmten Neile von ſucceſſiven Dingen ſich nicht vertrågt ? das
Beide dieſer Fragen fordern eigene Betrachtung.
Den

(9) Nouveaux Memoires de l'Academie de Berlin 1773. p. 325.


Möglichkeit einer anfangsloſen Succeffion. 21
Den Begrif von Succeſſion erhalten wir , wenn wir
mehrere Gegenſtande ſu empfinden , daß des einen Empfins
dung anhebt, wenn des andern aufhört ; wie wenn meh:
rere Menſchen vor uns in einer Reihe vorbeigehn , oder 1
ein und derſelbe Gegenſtand erſt ro , Kernacy anders ems
pfunden , derſelbe Menſch als Kind , als Mann , als
Greis von uns geſehen wird , auch wenn unſere Einbil
dungs- uder Denkfraft eine Reihe Bilder oder Begriffe
auftreten läßt. Beide alſo unſere Quellen aller Kennt:
niſſe, kuſſere und innere Empfindung , laſſen uns ihn
zuflieſſen. Jedoch unter der Bedingung nur , daß wir
bei jeder neu hinzukommenden Empfindung oder Vorſtel
lung , die nächſtvorhergehende noch aus dem Andenken
nicht ganz verloren haben , und bei deren Erſcheinung
auf ſie einen Rückblick werfen. Daher es denn kommt,
daß unſere Gedankenreihen , wenn ſie ſo ſchnell fortrůcken,
daß der folgende den vorhergegangenen Gedanken ver
löſcht, feine Succeſſion bemerkt wird ; daß hingegen , je
genauer der Fortgang in allen ſeinen einzelnen Theilen
wahrgenommen wird , die Succeſſion deſto långer Tcheint.
Wåre es möglich, die Reflerion bei den Gedankenreihen
ganz zu hemmen , man würde von Succeffion gar keinen
Begrif haben.
Aus beiderlei dieſen Arten Succeßion zu erkennen,
zieht die Einbildungskraft ein allgemeineres Bild ; worin
fieals etwas uns vorbeiflieſſendes, oder als wiederholten
wir ſtets einerlei Thấtigkeit, wie etwa , wenn wir in
einem hin , eins, eins , eins ſprechen , uns erſcheint.
Dies Bild aufgelöſt in ſeine einfachen Beſtandtheile, giebt
folgenden reinen Verſtandesbegrif: die Succeſſion beſteht
darinn , daß mehrere Aktus des Denkens und Empfindens,
als nacheinander verrichtet, wahrgenommen werden. Das
iſt , daß von dieſen Aktus einer aufhört , und der andere
anfängt. Dieſe Aftus als Gegențiánde ſelbſt betrachtet,
damit die Erklärung nicht blos auf das fácceſſive in unſern
5 3 1
Vors
IM

22 Self. Beiträge. I.B. I, H. Ueber die


Vorftellungen , ſondern auch auf das in den Dingent
ſelbſt, anwendbar werde , giebt folgenden Begrif: Sucs
ceſſion beſteht darin , daß von mehreren Dingen , wenn
eins iſt, die andern nicht mehr ſind, oder noch nicht ſind.
. Dinge können auf einander folgen , ohne es unmits
telbar zu thun ; in ſolchem Fade machen ſie keine Reihe

1
aus, weil ſie durch leere Zwiſchenräume getrennt, anges
nommen werden. Eine Reihe in der Succeſſion alſo
findet nur Statt, wenn , ſo bald das eine nicht inehr iſt,
das andere wird ; das iſt, zwiſchen beiden Vorſtellungs
aften kein dritter fich ſeßen låßt. In ſolcher Reihe iſt das
erſte oder der Anfang das, welches kein gleichartiges Ding 09

vor fich gehabt ; und das leßte oder Ende , welches Fein
gleichartiges nach ſich hat. Nun aber beſtimmt der Sucs
reſſion allgemeiner Begrif blos, daß mehrere Dinge nachs
einander ſeyn ſollen ., folglich iſt von Anfang und Ende
der Reihen hier die Rede durchaus nicht.
Wir ſagen jezt , um zu bezeichnen , daß eine gewiſſe
Vorſtellung , ein gewiſſer Eindruck , von uns wirklich
wahrgenommen werde ; jezt höre ich, jezt fáat der Baum
u. 1. m. bedeutet weiter nichts, als es wird auf mein Ohr
ein Eindruck gemacht, welchen ich wahrnehine; daß der
Baum fällt, deſſen bin ich mir als etwas empfundenen bea
wußt. In der Reihe unſerer Vorſtellungen iſt daher jezt
allemal der Aktus , bei welchem die Reflerion ſich verweilt,
ihn beſonders zu bemerken; und ſo lange wir durch Re ud

flerion nicht einen Denk- und Empfindungsaktus vom !

andern unterſcheiden , ſagen wir auch nicht jezt. Welches


denn auch erklärt , warum dem mit Eifer und Vergnügen
geſchäftigen die Zeit unbemerkt vorbeifliegt, weil nemlich
er jeden kleinen Eindruck nicht bemerkt, und daher nicht ſo
oft jezt ſagt, als wer mit Seśnſucht Sekunden zahlt.
Was in der Succeſſion dem jezt nachſteht, und mit
#m noch nicht zugleich iſt, iſt das Künftige; mas aber
dem
Möglichkeit einer anfangsloſen Succeſſion . 23
dem jezt vorgeht und mit ihm nicht zugleich geweſen iſt, das
Vergangene. Das Betrachten der Zukunft wird in der
Imagination durch das Bild des Vorwårtsgehens oder Spins
aufſteigens ; wie das Betrachten der Vergangenheit durch
das Bild des Rückwärtsgehend oder Hinabſteigens vorge
Atelt, weil im erſtern Fale wir erblicken , was wir noch
nicht erblickt hatten; im lektern , was wir ſchon geſehen
haben noch einmal ſehen . Im reinen Verſtande find beide
Operationen weſentlich einerlei ; denn man ſehe in die Zu
kunft oder Vergangenheit ; in beiden Fällen muß man
mehrere Vorſtellungsactus auf einander folgen laſſen . Nur
dadurch ſind ſie verſchieden , daß , im erſten Falle, man
durch die Vorſtellung das Wirkliche anticipiret ; im legtern
das nicht mehr Wirkliche, aber als wirklich angeſchaute,
noch einmal ſich vorſtellt; daß im erſten Fall man zu den
Gliedern der Reihe neue hinzudenkt, und ſie dadurch vers
gróſert; im andern , Glieder davon wegdenkt, und ſie das
durch verkleinert,

Im allgemeinen Begrif der Succeſſion wird die Uns


zahl von Gliedern einer Reihe nicht beſtimmt. Nun aber
Fehlt uns , ſo lange wir denken können , das Vermogen
nie , eine einmal gebildete Vorſtellung zu wiederholen , To
oft es uns gefáat; nun fehlt und auch das nicht, folche
Vorſtellungen als ſucceſſiv anzunehmen : alſo können wir
ſucceſſive Reihen ohne Ende verlängern. Nicht im Vors
rücken blos , und auf die Zukunft, ſondern im Rückgange
auch , und in der Vergangenheit. Denn der allgemeine
Begrif feßt für die Glieder keine Zahl feft , mithin folgt
aus ihm allein nicht , daß die Reihe ein lektes , oder erſtes
Glied haben muß, Folglich, ſo lange bei einer Succeſſion
nichts weiter betrachtet wird , als daß mehrere Dinge nachs
einander eriſtiren ſollen , kann einer ſolchen Reihe keine
Grenze geſegt werden , weder im Ende , nod im Anfange;
und daher widerſpricht Abweſenheit eines Anfanges der
Succeſſion im Augemeinen nicht.
B4 Zahl
24 Deſſ. Beiträge. I.B.I.H. Ueber die
Záhlbar aber müſſen dennoch einer ſolchen Reihe Glies ekan,en
der reyn : wo Vielheit oder Mehrheit iſt, iſt auch Unwens itsdo?
dungder Zahlen und Záhlbarkeit. Nurſind ſie, weil 4,nu fie teg
nichts die Zahl einſchränkendes im Begrif ſelbſt gegeben iſt, wenn diese
durch keine Zahl beſtimmbar -- aber ſollte daraus nicht me, me fa
Abweſenheit aller Zahl flieſſen ? wo kein erſtes Glied gegen ihrende
ben iſt, wie läßt ſich da záhlen , weiß man doch nicht, wo do lo
man anheben ſoll! das Anheben iſt willkührlich, wie es miteen
dem Zihlenden überlaſſen iſt, bei jedem Sandkorn eins midesdies
zu ſprechen , wenn er den Meeresſand zählen wil ; und wie ek inte
daraus, daß ihm keins dargereicht wird, welches er das erſte keer dan
nennen ſol , nicht folgt , der Meeresſand lafie fich nicht
zählen . In einer ſucceſſiven Reihe iſt erlaubt , jedes be Roth
liebige Glied zum erſten , und jedes gefáulige zum gegen
wärtigen zu machen , wenn weiter Feine einſchránkende
Bedingungen gegeben ſind. Dies jezt iſt das erſte, und tot
beim Vorrücken das nächſte noch nicht eriſtirend angenoms
men , das zweite ; wie beim Rückgange dieſes das nächſte
nicht mehr eriſtirend angenommen iſt. Ferner , wo Mehr
Þeit iſt , find nothwendig zwei ; und wo unbeſtiminte
Mehrheit , mehr als zwei ; alſo von zwei låßt ſich weiter
záhlen ; alſo iſt auch mit unbeſtimmter Mehrheit , Záhla
Þarkeit unzertrennlich verbunden .
Bis hieķer ſind die ſucceſſiven Dinge in ihrer gróften le
Allgemeinheit , blos als Dinge betrachtet worden . Sie
;?
auch beſtimmter als gewiſſe Dinge annehmen , åndert in
den Folgerungen nichts ; von einem Körper , welchen ich
jezt um ſeine Achſe ſich wälzen rehe, kann ich mir vorſtellen ,
er habe ſich vorher , vorher , und ſo ohne Aufhören fort ,
auf ſolche Art bewegt ; von einem Menſchen kann ich , ro
lange nicht die Frage yom zureichenden Grunde ifty ſeßen ,
er habe einen Vater , Grosyater , Urgrosvater , und ſo
phne Aufhören weiter,
Wie aber , wenn man aus dem Reiche derMöglichkeit
in das der Wirklichkeit übergeht ? wenn man eine Reiße
von
Möglichkeit einer anfangsloſen Succeſſion. 25
von fucceffiven , einmal wirklich geweſenen Dingen ans
nimmt ? Polte da die Folgerung noch dieſelbe bleiben ?
die Erde , wie ſie jezt um ifre Achſe fich dreht , kann fie
ohne Aufhören dieſelbe Bewegung haben ? die Menſchens
Generation , wie fie jezt vom Vater auf Sohn fortgeht,
kann ſie ohne Ende ſo fortgehen ? vorausgeſegt námlich ,
daß alle übrige Umſtände unverändert bleiben , wie ſie ges
genwärtig ſich vorfinden ; bei der Erde die bewegende, bei
den Menſchen die zeugende Kraft. Dieſe Frage kann man
nicht umhin zu bejahen ; denn hier iſt nichts gegeben , wos
durch die Anzahl der Umdrehungen und Menſchen einges
ſchränkt wurde ; dem Verſtande vóllige Macht, dieſe Vors
ſtellungen ſo oft zu wiederholen als ihm gefált, gelaffen .
Solche Reihe demnach kann ohne Ende fortgehen.
Hierbei aber iſt nicht aus der Acht zu laſſen , daß ſie
fich der Unendlichkeit ſtets nähert , ohne ſie je zu erreichen .
Da ihr bei dem gegenwärtigen Augenblicke ein Anfang ges
geben wird , To iſt hier das erſte, die fünftige Umwelzung,
der fünftige Sohn, des andern Glied ; mithin iſt in jedem
Augenblicke der Glieder Zahl beſtimmt, in keinem unends
lich. Die Reihe wird unendlich , aber ſie iſt es nie.
Daraus ſollte nun faſt zu erheden ſcheinen , daß ſolche
Reihe auch , wie ſie kein Ende hat, keinen Anfang haben
könne. Beim Rückgange
dieſelbe Operation thut man
in umgekehrter ja weiter
Ordnung nichts, als
verricht
; wie
man vom Vater auf den Sohn ohne Ende fortrücken
kann : ſo muß man la auch wohl vom Sohne auf den
Vater , ohne Aufhóren zurückgehen können.
Es giebt Blendwerke des Verſtandes , wie Blendwerke
der Sinnen ; ehe man von einem Fall auf den andern forts
ſchlieſſen kann , muß man ſich überzeugen , daß die Fälle
vollkommen ähnlich ſind. Bei einer Reihe von Dingen ,
die ſchon epiftirt haben , wird der Vielheit eine Beſtimmung
B5 gegeben
26 Hell. Beiträge. I.B.I. H. Ueber die deiner

gegeben , denn man darf ihrer nicht mehr oder weniger sigeneden
annehmen , als wirklich da geweſen find; bei einer Reihe pe unerdic
von Dingen , die erſt eriſtiren ſollen , wird die Vielheit eratein era
durch nichts beſchränkt, man behålt Freiheit, ihre Anzahlen und die
ſtets zu vermehren . Ferner, bei einer anfangsloſen Reihe late Morge
von vergangenen Dingen wird geſeßt, fie ſei ſchon unends
lich; bei einer endloſen Reihe von fünftigen Dingen , fie adie, das
werde erſt unendlich. Beide dieſe Fáde ſind alſo nicht durch
aus ähnlich ; mithin auch der Schluß von einem auf den
andern, wo nicht unzuläſſig, doch wenigſtens nicht ſicher. a bientgen
lobberim
Dies deutlicher einzuſehen wird nöthig reyn , was in thra feire
einer anfangsloſen Reihe ſchon da geweſener Dinge enthals
ten iſt, genauer zu entwickeln . Weil ſolche Reihe anfangs
los iſt, hat ſie kein erſtes Glied ; und wo kein erſtes Glied, Hann mi
da ift Růcfgang ohne Stiaftand; alſo fångt man vom ge and fern
genwärtigen oder leßt angenommenen Gliede an ; ſo muß 1 , ald
man ohne Aufforen rückwärts gehen . Nun aber find ht cha
i die Glieder, wie oben bemerkt iſt, von jezt an , rückwärts :
zählbar; ſie ſind ferner vådig beſtimmt, weil ſie alle ſchon Emne
eriſtirt haben, daher nicht mehrere genommen werden durs fon
fen , als würklich ſchon da geweſen ſind. Sou alſo die
Reiße ohne Anfang ſeyn : ſo muß ihre Zahl Unendlichkeit
haben , welches unmöglich iſt, da Zahl und Unendlichkeit
fich widerſprechen. Es folgt, daß Unfangsloſigkeit einer
ſucceſſiven Reihe, und Exiſtenz in der Vergangenheit in
Widerſpruch fiehen .
Gefeßti (welches audy philoſophiſch die ſtärkſten Grün
de für ſich hat, daß aller von jeher verſtorbenen Menſchen
Seelen- nod jezt vorhanden ſind , oder daß bei eines jeden
Jode ein Punkt gemacht worden ſei: ſo folgt, daß dieſe
Seelen , oder Punkte, fich záblen laſſen ; folgt , daß dieſe
Anzahl nicht wiaführlich darf vergróſert werden , ſondern ,
wie ſie gegeben iſt, bleiben muß. Nun läßt fich jede Zahl
mit jeder beliebigen multipliciren ; folglich auch dieſe, folg
f6

:
Möglichkeit einer anfangsloſen Succeſſion. 27
lich kann ſie gróſer werden , folglich iſt ſie nicht, unendlich.
Und wenn nicht unendlich : ro fångt ſie bei einer Einheit
an , hat demnach ein erſtes Glied ; das iſt: es giebt einen
erſten Menſchen , und die Reihe verſtorbener Menſchen hat
einen Anfang. Oder geſeßt, dic Erde habe von jeher ſide
um ihre Achſe gedreht; ſo iſt die Anzahl der halben Uma
wälzungen gróſer, als die der ganzen ; alſo die der ganzen
nicht unendlich ; alſo auch nicht ohne Anfang.
Dem ſteht entgegen , daß die Reihe anfangslos ans
genommen , daher im Rückgang ohne Ende iſt: daß folglich
das Ganze durch keine Zahl beſtimmbar, mithin durchaus
nicht zählbar iſt. - Adein auf der andern Seite , wird
der Reihe bei dem gegenwärtigen Gliede eine Grenze geſeßt
und von ihm kann man die Zahlung anheben. Ade Glies
der derſelben ſind ferner gegeben , denn man darf keine mei:
ter dazu zählen, als die vorher ſchon exiſtirt haben. Es
iſt nichtVielheit ohne Einſchränkung, ſondern eine gewiſſe
Pielheit gegeben ; eine Vielheit die keiner Verinehrung,
vermog des angenommenen ,weiter zuläßt. Eine ſolche
Vielheit, wie kann die unendlich ſeyn ? wie iſt es möglich,
daß eine Menge wirklich vor uns liegender Punkte , oder
der Seelen verſtorbener Menſchen , Unendlichkeit haben ?
man ſieht alſo, es entſpringen aus der angenommenen
Anfangsloſigkeit und dem vergangenen Daſeyn der Glieder
widerſprechende Folgerungen ; woraus denn erhelt, das
eine anfangsloſe Succeſion in ſchon vergangenen Dingen
ein Widerſpruch iſt.

Was etwa noch von Dunkelheit und Ungewißheit zu


rúc bleibt, wird folgende Betrachtung zerſtreuen . Die
ganze Reihe ſucceſſiver Dinge iſt jezt bis auf ein gegenwärs
tiges Glied vorgerückt. Ift ſie aber anfangslos , ſo iſt
auch unmöglich , daß ſie je bis bieher gelange ; denn je weit
ter man in die Vergangenheit zurückgeht, deſto ſchwerer
wird es , das Gegenwärtige zu erreichen , und was keinen
Anfang
teiner
28 Beſ: Beiträge. 1. B. I. H. Ueber die
Anfang im Fortſchreiten hat , kann das Gegenwärtige nie
erreichen . 3
Die ganze Menſchenreihe iſt von Vater auf Sohn
bis auf die jeztlebenden Menſchen fortgerückt; und weil
fie feinen Anfang haben ſoll, ſo iſt im Rückgange auch kein
Punkt des Stilſtandes. Nun reße man die ganze Fünfs Yo
tige Menſchenreihe , von den Söhnen der jeztlebenden an
gerechnet, habe kein Ende ; und man führe die Reihe der
künftigen Menſchen , neben der ſchon geſtorbenen , parallel
fort. Dann iſt offenbar, daß die künftige Menſchenreihe
nie ſo gros werden kann , als ſchon die der verſtorbenen iſt.
Offenbar alſo auch , daß jene nie dieſe erreichen kann , mits en fan
hin , daß wie jene nie dahin kommen kann, woher jene z fair
ſchon gekommen iſt, ſo dieſe auch nie von daher bisauf die andyou
gegenwärtigen Glieder hat fortrücken können . Sie iſt aber small
doch wirklich bis ſo weit fortgerückt, alſo iſt ihre Anfangs
loſigkeit ihr widerſprechend. isten
Oder man ſeße , es bewege auf einer anfangsloſen
Sinie, in einer anfangóloſen Zeit , ein Körper ſich vorwärts ;
dieſer Körper werde jezt auf einem Punkte ſelbiger Linie
erblickt, welchen Punkt man bezeichne ; auch, fals man
dies lieber will , er ſtehe jezt bei einem gewiſſen Punkte ftil.
Daß ſolcher Körper auf derſelben Linie , in gleicher Ge
ſchwindigkeit ſich rückwärts bewege, iſt nicht unmöglich ;
alſo laſie man ihn jezt vom benannten Punkte an zurückz
gehen. Auf der endloſen Linie wird er nie wieder dahin ges
langen , woher er gekommen iſt; wie ſeine Bewegung vor:
wårts keinen Anfang hatte , lo fann auch dieſelbige rücks
mårts kein EndeHaben. Kann eraber nie wieder dahin
kommen , von wo er ausgieng , ſo kann er auch nie daher
gekommen ſeyn , weil mit gleicher Geſchwindigkeit er auch
gleichen Raum burchlaufen muß. Nun aber wurde ange :
nommen , er ſeidaher gekommen ; folglich widerſpricht dies
der Anfangsloſigkeit ſeiner Bewegung ; und daher iſt keine
anfangsloſe Bewegung möglich , die dennochbis auf einen
gewiſſen
Möglichkeit einer anfangsloſen Succeſſion . 29
gewiſſen Punkt fortgerückt iſt. In der Bewegung iſt
Succeſſion ; demnach iſt mit einer ſolchen Bewegung
auch eine ſolche Succeſſion unmöglich.
über könnte man ſagen , nie bedeutet ja keineZeit,
eine anfangsloſe Succeſſion iſt durch keine Zeit ausdrücks
bar, wie auch eine endloſe nicht; folglich heißt , die Reihe
wird nie dahin kommen , woher ſie ſchon gekommen dit
fie wird es in keiner Zeit, und das iſt nichts ungereimtes !
Solchen und ähnlichen Chikanen auszuweichen , feße man
für nie , einmal; und ſchlieſſe nun ſo : einmal iſt die
Reihe bis bieber fortgerückt, es giebt einen Augenblick,
wo man ſagen kann , ſie iſt bei ſo oder ſo einem Gliede.
Es giebt aber keinen Augenblick , wo ſich ſagen lieſſe, ſie
iſt so weit rückwärts gekommen , als jezt vorwärts ; ſie
wird nicht einmal ſo weit zurück fönnen geführt werden ,
als ſie vorgerůckt iſt, alſo þat ſie auch nicht einmal können
ſo weit vorrücken .

Dabei iſt ferner zu merken , daß Succeffion ohne


Zeit ſich widerſpricht. Zeit nämlich iſt nichts als Ubtheis
lung der Succeſſion, welche man willkührlich, oder gewiſa
ſen Abſichten gemas , einrichten kann . Wir rechnen nach
Jahren , das iſt Umwälzungen der Erde um die Sonne ;
es giebt aber Völket, die nach Entfernungen und Wieders
kehrungen gewiſſer Zugvogel , nach Ericheinungen gewiſſer
Gewächſe u. fti . rechnen . Jede Succeſſion beſteht aus
der Dauer ihrer einzelnen Glieder , und jede ſolche Dauer
macht eine Zeit aus.
Hieraus entſpringt ein neuer Grund gegen Sie ana
fangsloje Succeffion : To wahr iſt es , daß der Irrthum
felbft in feiner Verfechtung, Waffen gegen fich felbft dars
teicht. Die Summe der Dauer aller einzelnen Glieder
einer ſucceſſiven Reiße, iſt die Zeit der ganzen Sutceſſion ;
mithin ,
.
30 Hell. Beiträge. I.B. I. 5. Ueber die rc.
mithin , wofern eine anfangsloſe Succeſſion möglich iſt,
muß auch eine unendliche Zeit es ſeyn. Nun iſt das nicht
möglich, denn eine Zeit,von der man ſagen kann, ſie iſt deran den
iezt unendlich, muß entwedeč aus einer unendlichen Anzahl rangebit
zuſammengenommener Theile beſtehen , oder eine bes
Fohränkte Zahl von Theilen muß ein unbeſchränktes Ganzes: de un mir
geben. Beides widerſpricht fic ); erſteres , weil es keine weiterin un
unendliche Zahl giebt; lekteres , weil, wenn Zahl und Singati
Quantität der Theile beſchränkt iſt, das Ganze nicht
unbeſchránkt werden kann. Ny da
are l
Noch ein Zweifel erhebt ſich bei der Succeſſion abs kostum
ſtraft genommen , iſt Rückgang ins Unendliche möglich ,
und was von der gilt , muß doch von allen gelten ; alſo
widerſpricht man ſich , ivenn man im Konkreten Anfangsa
loſigkeit der Succeſſion leugnet. Dieſer Widerſpruch liegt
fentia
mehr in den Worten , als den Sachen ; nicht allemal
erlaubt der Sprache Armuth , in Fällen , vorzüglich die laut
nicht vor den Richtſtuhl des gemeinen Verſtandes gehören ,
genau paſſende Ausdrucke zu wählen. Möglichkeit eines
endloſen Rückganges bei der Succeſſion im udgemeinen ,
fou weiter nichts ſagen , als daß wir das Vermogen haben,
vor jedem Dinge noch ein anders zu denken , und ſolches
Vermogen in ſich durch nichts beſchränkt wird. Unmögs
lichkeit einer anfangsloſen Succeſſion in wirklich dagenes
fenen Dingen , Toll anzeigen , daß wenn wir annehmen ,
die Aktus des Denkens und Empfindens hervorgebracht
durch eine vorübergegangene Reihe von Dingen reyen
einmal von irgend einem oder mehreren Weſen verrichtet
moordert , uns alsdann nicht mehr frei ſteht , ihre Zahl
fo gros zu feßen , als wir wollen , und dadurch der Reihe
aden Anfang abzuſprechen .
Tiedemann.

III.
Soest ) o ( 31
III. (a )
Schreiben an den Herrn Baron von S. in B.
über einige höchſt ſeltne antike Münzen.
Frlauben Sie mir , daß ich Ihnen als einem unſerer
erfahrenſten und eifrigſten Kenner der numiſma
tiſchen Wiſſenſchaft in unſerm Vaterland, einige Fragen
aufdringe , und mir über gewiſle Punkte Belehrungen
erbitte die , da ſie nun öffentlich gefordert werden ,
vielleicht zugleich einen andern Gelehrten ermuntern ,
fie dem Publikum mitzutheilen.
Schon die erlaubte Freude einen neuen literariſchen
Fund einem gleichfühlenden Siebhaber bekannt zu machen ,
würde mich entſchuldigen , daß ich über die Eroberung
einiger hódft feltnen und merkwürdigen Alterthümer ein
paar Worte laut rede , wenn es auch nicht zur Rettung
eines der größten Beförderer der Wiſſenſchaft , ich meyne
des berühmten Golzius, geſchahe , der ſo oft mit
dem ungerechten Verdacht belegt worden , ganz eigne
antife Münzen erdichtet , oder doch nur legenden , und
Reverſe erfunden zu haben , die nicht exiſtirten . Täglich
geſchieht es , daß ihn die Bemühungen neuerer Beobachter
von dieſen Vorwürfen rein waſchen , und ich hoffe, daß
es auch bei uns mehr geſchehen wird , wenn ſich teutſche
Sammler nicht mehr mit dem Auškehricht dieſer Monus
mente welche die Rómiſce Legionen bei uns verloren
haben , abgeben , ſondern die Quellen derſelben , die
Seehåven des mittellandiſden Meers beſuchen , wo dieſe
Waare zwar immer noch , ſo gut wie der ſchon in
Allerandrien 'vermiſchte Levantiſche Caffee ihr Theil Zuſaß
erhält , allein doch weit eher undwohlfeiler als bei uns
mitten im veſten Jande zu finden iſt. Wir haben viel
leicht dem einzigen Umſtand, daß der berühmte Pelerin
bet
Heſſiſche Beiträge. 1. B. I. H. 4646
bei der franzöſiſchen Marine angeſtellt war , alle die MTC
Aufklärungen zu danken , deren ſich die Wiſſenſchaft indeHall
durch ihn zu erfreuen hat, Doch zur Sache. LUOTOT,

Vor einiger Zeit erhielt ich von einem meiner aus:


wärtigen Correſpondenten eine Anzahl meiſt ausgeſuchter Wherede
ſeltener Griechiſcher, Siçiliſcher und Römiſcher Colonien klinger,
Münzen, Zum Glücke waren für mich , als einem Anbeter te one
der ſchönen Griechiſchen Formen alle Siciliſche und die lemn des
von Thaſus wohl erhalten , befunders rührten mich darinsmae
einige , die Winkelmann ſeiner Abhandlung über uma
die Empfindung des Schönen vorgefeßt hat. Man muß - the ea
es durch Nachzeichnen empfunden haben , wie uns ilnoail
nachahmlich die göttliche Schönheit des Bachus auf den inte genera
Münzen von Thafus ift , um das fallen darüber On
einem trunknen Verehrer der Aften zu verzeihen. Als ai
ich mein Auge lang an der Schönheit der Formen ges
weidet hatte , gieng ich zu denenjenigen úber , die nicht
To anziehend þeim erſten Anblick , aber beinahe noch
von groſerm Werthe megen ihrer Seltenheit waren . ANG
Ich konnte kaum meinem Uuge trauen , als ich mich im
Befiß einer Ciliciſchen Münze ſahe , die nur einmal les
þeim Maffei vorkommt. Es iſt nichts geringeres als
der Kopf des Tarcondimotus des altern , von dem
uns Florus , Dio ( * ) uno Cicero (**) çinige
Nachricht hintețlaffen haben,
Es iſt eine Münze von Mittelbronze. Auf dem
Uvers ſieht man einen åltlichen unbärtigen Kopf , nach
per rechten Hand gekehrt , mit dem Königlichen Diadema
geziert. Huf dem Revers iſt ein fißender Jupiter abges
bildet,
( * ) Dio Caffius in Libr. L. Tarcondimotus fam furz nach der
Solacht bei Actium in einem Seetreffen um.
(** ) Ad famil. XV. £. Beim Cicero heißt er fideliffimus trans
Taurum Socius.
Ueber einige höchſt ſeltne antike Münzen. 33
bildet , der in der rechten Hand eine Victoriola , und
mit der linken die Hafta hålt , mit der Legende BASIAN
TAPKONÁIMOTOT. In der Ererge ließt man A. AN
TONIOT .

Dieſe Unterſchrift A. ANTONIOT iſt und bleibt die


Folter der Ausleger. Indeſſen dúnft mir doch diejenige
Meynung auf ſchwachen Gründen zu beruhen , welche
hier den Namen des Lucius Antonius, des Bruders
des Triumvirs wahrzunehmen glaubt. Man kann wohl
obne zu viel zu wagen , behaupten , daß es ein Zuname
lege i den dieſer Ciliciſche König aus groſer Anhänglichkeit
gegen den Antonius angenommen habe , für deffen Pars
thej er ſo viel gewagt und erlitten batte. Beiſpiele dieſer 1
Gewohnheit von auslándiſchen Kônigen , Rómiſde Fas
milien -Namen ſich zuzulegen , ſind in der Geſchichte häufig
genug , dieſe Bebauptung einigermaßen zu rechtfertigen.
Ich komme nunmehr auf eine Münze , worüber ich
mir eigentlich Ihre Belehrung erbitte , ob ich irre , wenn
id ſage , daß ſie noch nicht abgebildet Tepe. Es iſt der
Kopf der Cælonia ( in Mittelbronze) der Gemahlin des
Cajus, mit der Umſchrift KAIENNIA SEBASTH . Auf dem
Revers ſieht man einen weiblichen Greif mit dem linken
aufgehabenen Vorderfus, womit er ein Rad målzt. Dieſes
Sinnbild zeigt deutlich , daß die Münze zu Smyrna ge
ſchlagen reye, man mag nun mit dem Caufæus die Greife
alß dem Apollo Heilig anſehen , oder ſie der Göttin Ne
3 męſis zueignen , wie Spanhei in beýauptet. Genug,
fie bleiben auzeit das Emblem dieſer berühmten Çolonie
der Athenienſere
Abgebildet finde id fie nirgends, und man fieht allen
numiſmatiſchen Scribenten die Mühe deutlich an , womit
3 ſie dieſe Iúce in der Reihe der Auguftarum auszufügen
Beff Beitr. 5.1,51
34 Heffiſche Beiträge. I. B. I. H.
gewünſcht Håtten. Beger und andere möchten dieſe Cæ
fonia fo gerne unter einem ungenannten Kopfe wieder
finden , wo ſie auf dem Revers einer Spaniſchen Münze
des Cajus unter dem Titel Sal. Aug. vorkommen fou.
Der einzige Golzius gedenft dieſer Umſchrift der Cæſo .
nia ( * ), dod hat er nie die Abbildung einer Münze
dieſer Gemahlin des Cajus gegeben. WW

Noch Feltner und ganz einzig in ſeiner Art iſt der


Kopf der Veſpaſia Polla , ( in klein Bronze ) der Mut
ter des Kaiſers Veſpafianus , mit der ganz deutlichen
Umſchrift VESPASIA POLLA VESP. IMP. MAT. Auf dem Rez
vers iſt eine Ædicula mit dem S. C. Nod ſcheint der
Titel Augufta und EEBAETH damals zu heilig geweſen
zu ſeyn , daß man ihn den Müttern und Tochtern der
Auguftorum gegeben habe ; denn die Umſchrift lautet
Ķier ganz einfach.
Triſtan war ſehr verlegen , als er eine Múnje
des Veſpaſianus ſahe, auf deren Revers ein ungenannter
weiblicher Kopf abgebildet war. Er war unſdlüſſig , ‫ون‬
er dieſe Figur zu der Mutter des Auguſti, oder zu ſeiner
Concubine Cænis machen ſollte. Hier würde ich nicht
verlegen ſeyn , zu entſcheiden , wenn auch keine Umſchrift
vorhanden måre , denn der Kopf iſt alt , und nichts
weniger als reizend.

Jó geſtehe aufrichtig , ich wünſchte nicht gerne aus


dem Beſiß gefeßt zu ſeyn , dieſe beide ſeltne Münzen zuerſt
angezeigt, und dadurch ein Glied in der Reihe der nu:
miſmatiſchen Monurnente ergänzt zu haben . Indeſſen ,
da

Er gebenft nicht ſowohl einer Münze , fondern in dem Capite ,


da er von den Epithetis der Auguſtorum handelt , fommt der
Zitel KAIXONIA LEBAETH vor. S. Golz. Oper. Tom . L.
Ueber einige hodiſt ſeltne antike Münzen. 35
da mich hauptſächlich das Weſentliche der Kunſt und die
Schönheit der Geſtalten an dieſes Studium heftet , ſo laſſe
ich mirs gefallen , wenn ein Stárkerer über mich kommt ,
der ſein Leben bei der kritiſchen Lampe verbleicht hat , und
mich überzeugt , daß ich Unrecht hatte von Dingen als
Neuigkeiten zu reden , die långſt bekannt und ausgemacht
worden ſind. Um angenehmſten wäre mirs , wenn
die Wohlthat der Belehrung von Ihrer Hand kåme.
Leben Sie wohl, und machen Sie ſich bald auf
meine perſönliche Ankunft gefaßt.
1

J. 5. m.

111. (b ) ,
Nachricht von einigen zu Alsfeld im Heffens
Darmſtädtiſchen gefundenen , auſſerors
dentlichen , Menſchenknoden . $

Namen Heſſiſcher Beiträge zur Gelehrſamkeit


U nterunddemKunſt ſtehen wohl nicht mit Unrecht diejenigen
I Materien oben an , welche ſich unmittelbar mit der polis
t tiſchen oder natürlichen Geſchichte der Heniſchen Länder bes
ſchäftigen . Ich vermuthe, daß die Ausfügung der in beis
den Theilen nod) übrigen Jugen einer der erſten Haupta
zwecke der verdienten Gelehrten iſt, welche den Plan dieſer
3 Schrift zuerſt entworfen haben. Ich darf alſo hoffen ,
daß einzelne dahin einſdlagende Beobachtungen , welche
mir mein jeziges Privatſtudium darbietet , nicht ganz als
verwerflich werden angeſeben werden.
Da ich mich ſeit einiger Zeit mit dem Aufſuchen
der in unſern Gegenden häufig vorkommenden Rhinos
der inunſern Gegenden häufig cetos
36 Heſſiſche Beiträge. 1. B. I. H.
ceros- und Elephantenreſten , als einem Theil der wiche
tigſten Monumente der Vorwelt beſchäftige , To bemerke
ich beſtandig , daß der gemeine Mann dieſe ungeheure
All Maffen für nichts geringers als Rieſengebeine anſieht.
Dieſe Sage läuft, wie jedermann weiß , durch alle Jahr:
þunderte durch , denn ſchon zu Theophrafts Zeiten waren
die foftilen Elephanten , die man in Griechenland fand,
Rieſen. Sie würden es auch ſehr lange noch in neuern tely

Zeiten geblieben ſeyn , wenn ſich nicht Peiresk , der


grófte Forſcher und Erweiterer aller Sheile der menſch
lichen Kenntniſſe , dieſen Fabeln mit Ernſt widerſekt
Håtte. Man hatte ſchon aus dem gefundenen Zahn die
Groſe des Menſchen berechnet, ſo lange man nicht wußte,
daß er einem Elephanten zugehörte. Adein zum Glück
hatte Peiresk einen Zahn von einem lebendigen Thierdiet be

in Wachs abdrucken , und eine Art von Form davon way


abnehmen laſſen . Es war ihm alſo ein leichtes , das
Vorurtheil zu widerlegen . In Spanien erhob man பார்
dieſe Rieſen zu Seiligen , und zeigte in der Kirche des
þeil. Chriſtophs zu Hilpella einen Elephantenzahn als eine
Reliquie des Heil. Chriſtophs vor , ſo wieman in Venedig , kan je
das foſſile Schulterblattdieſes Thiers für eine Schultertund
Derſelben Heiligen ausgab. ng
Man muß fich indeſſen nicht wundern , daß die uns a mus
wiſſenheit nach dem Wunderbaren jagt , und aus mangel- timer
þafter Kenntnis des Wahren auf ſehr poſitive Irrthümer unte
fáat. Es iſt unglaublich, wie langſam der Gang der ſpes
kulativen Philoſophie iſt, die ſich auf nichts als Erfahrung s einiger
gen gründet. Zuweilen vergehn Jahrhunderte von Erweis pautemrune
ſung des Einen Thatraßes auf den Underna Der große +
t yn
Leibniz ließ in ſeiner Protoğæa einen ähnlichen Elephans tournalbe,
tenzahn zeichnen , und weil er nicht wußte , wo er hinges athaus erfa
Horte, ſo eignete er ihti einem unbekannten Thiere zu, das
er Tidas nennte . Selbſt zu unſern Zeiten war der größte SpigenVe
3006 SandBen geli
ni eritair
Nachrichtvon gefundnen Menſchenknochen. 37
Zoologe, ich meyne Pallas , noch unſchlüſſig, als er
Ao. 1772 einen Rhinoceroszahn fand, ob er ihn dieſem
Thiere zuſchreiben foute ; er , der nachher durch die Beſchrei
bung der foſſilen Köpfe dieſer Thierart, und die Abbildung
der Kinnbacken und Zähne , aưe nach ihm kommende For
ſcher in den Stand gefeßt hat , bei dieſen foſſilen Reſten
ſogleich mit Zuverſichtzu entſcheiden . Der berühmte Grew
in England ward ausgelacht, als er einen zu Cambridge ge
fundenen Rhinoceroszahn abbildete und beſdyrieb, und er ge
traute ſich auch nicht, gerade zu den Sachern Hohn zu ſprechen .
Wenn es aber auch erwieſen iſt, daß alle Nachrichten
von gefundenen Rieſenknochen als erdichtete Mährchen era
ſcheinen , oder wenn ſie von verſtandigen Männern beleuchs
tet worden , zu Entdeckungen von Elephantenreſten heraba
geſchrunden ſind , ſo iſt es doch nicht zu läugnen , daß man
zuweilen Menſchengebeine aus der Erde grábt , welche die
gewöhnliche Grdre des jeztlebenden Geſchlechts weit übers
treffen. Es wäre für die phyſiſche Geſchichte der Erde und
des Menſchen ſehr zu wünſchen , daß die einzelne Fakta
geſammlet, und dieſe Refie, wo ſie ſich finden , auf der
Stelle von Sachkundigen gemeſſen und geprüft würden.
Das jezige Faktum , das ich anführen will, gehört
zwar nicht unter die mirakuloſe, allein dod immer, wie
mich dúnkt , unter die merkwürdige.
Vor einiger Zeit war man genothigt die Reparatur
in den untern Theilen eines gemeinen Malzdórrhauſes zu
Alsfeld vorzunehmen. Bei dieſer Gelegenheit entdeckte : -
man ein Gewölbe, das man in der Folge für ein förmliches
altes Beinhaus erkannte. Die Knochen waren zu verſchie
denen Reihen angeordnet, und immer fand man einen
Schádel zwiſchen verſchiedene Schenkel- und Schienbeins
oder Armknochen geſtellt. Unſer Kammerrath Klipſtein
fand ſich in Geſchäften an dieſem Ort , und dieſer Mann ,
3 dem
38 Heſſiſche Beiträge. I. B. I. H.
dem wir ſchon ſehr wichtige Entdeckungen in der Naturge
chichte unſers Vaterlands zu danken haben , ward aufmerks
ſam auf dieſes Ereigniß. Er ließ ſich einen der erſten beſten
Knochen ausſuchen , und fand ihn ſogleich von ungemeiner
Gróſe. Es iſt das rechte Schenkelbein , vollkommen in
allen ſeinen Theilen erhalten , denn es fehlt beinahe nichts 1

an der Kugel, den beiden Irochantern und den untern.


Condylis. SE

go maß ihn und fand , daß er von einem Ende zum WA

andern gerade die Länge von 21 Zou Pariſer Maas hatte.


1
Dieſe Gröſe übertrift noch in Etwas diejenige Schenkelkno
chen, welche in Schweden gefunden und in den Abhands
lungen (27ten und 28ten B.) der dortigen Geſellſchaft der
Wiſſenſchaften beſchrieben ſind.
Ich glaube nicht zu fehlen , wenn ich in Berechnung
des Gegenwärtigen der Verfahrungsart der Schwediſchen
Gelehrten folge, und mich dadurch für dem Vorwurf einer
Uebereilung ſichere. Der Schwediſche Schenkelknochen
maß 20 Zou. Man rechnete von dieſer ganzen Långe ab, 19

was die unterh Condyli, bei Berechnung der ganzen Ge


ſtalt zu 10 Geſichtslangen genommen ; zu Bildung des
Knies betragen und was wieder von der Kugel abgeht ,
wenn man den Schenkel als 2 Geſichtslången betrachten
will , und auf dieſe Art blieben 16 Zoll als das stel des
Ganzen übrig. Nach dieſem Maasſtab darf ich ſicherlich
dem Meinigen 161 Zoll übrig laſſen , und dieſe 5mal ge
nommen , geben eineHöhe des Menſchen von 6 Pariſer Fuß
10 Zou. Ich denke allen fachkundigen Leſern in dieſer
Berechnung vollkommen verſtändlich zu ſeyn, indeſſen dürf
ten doch andere noch zweifelhaft ſeyn , ob nicht dieſe Ver
þáltniſſe willkührlich , und aus der Luft gegriffen ſeyen .
Ich will mich daher über dieſes Verfahren etwas deutlicher
und näher erklären.
Bilds
Nachrichtvon gefundnen Menſchenknochen. 39
Bildhauer und Maler ſind ſeit Midh'el Angelo's
Zeiten darin úbereingekommen , die ganze Geſtalt des
Menſden nach 10 Geſidtslången zu berechnen ; dieſe lans
ge von dem Haarwuchs an bis an die Sohle genommen.
Dem Hals giebt man į der Geſichtslange, und feßt ju ,
náinlich den Raum von dem Haarwuchſe bis zum Scheitel.
Man hátte alſo ſchon bis an das Ende der Halsgrube zwei
Zehentheile oder 2 Geſichtslangen anzunehmen . Von da
bis úber die Bruſtwarzen iſt die 3te Geſichtslånge; bis an
den Nabel rechnet man die vierte , von da bis úber das
Schaambein , die fünfte, oder die galbe Höhe des Mens
chen . Von hier giebt man dem Oberſchenkel bis and
obere Theil des Knies 2 Geſichtslången. Das Kinie wird
für eineHalbe Långe gerechnet. Zwei andere ången giebt
man dem Schienbein ; und zuleßt eine halbe Geſichtslange
von den obern Gelenken des Fuſſes bis an die Sohle.
Die untern Condyli des Schenkelknochens bilden
des Knies , folglich fađen ſchon einer halben Ges
fichtslånge , oder der Ganzen aḥ, die man beſon
ders zu rechnen pflegt. Hierzu kommt die länge der Ku
gel , die ſich in der Cavitas cotyloidea verbirgt, alſo
auch nicht zum ganzen Betrag der Långe mehr gerechnet
werden kann . Dasjenige, was Herr Roland Martin
in den Schwediſchen Abhandlungen von der frummen
Geſtalt des Schenkelknochens beibringt , geht mich nichts
an , weil ich die Länge des Knochens nicht mit einem
Faden genommen, ſondern ſie von einer Ertremitåt zur
andern in einer geraden (inie gemeſſen habe .
3. 3. merck.

64 IV .
40 Heſſ. Beitr.I. B.I.H. Gedanken über den
IV.
Beobachtungen und Gedanken über die Lager:
fåtte und den Urſprung der Salzquellen
in der Wetterau .
urch verſchiedene Verſuche und Bemerkungen bin ich
D belehret worden , daß wenigſtens die Hauptſalzquel
len der Wetterau ihren Zug durch ein eigenes Erdlager zu
erkennen geben . ' ich will nicht zweifeln , daß vielen Ken
nern der Salinen dieſer Gegend ermahntes Erdlager und
Tein: Zug gar wohl bekannt ſeyn wird, unbekannt iſt es
mir aber , ob ein Naturforſcher dieſe Erſcheinung im Zus
ſammenhang überſehen und derſelben Folgen bedacht hat.
Wenn man am óftlichen Abhange des Schiefergebúrgs,
das die Wetterau auf der weſtlichen Seite begrånzt , von
Súden nach Norden zu reiſt, To findet man an mehreren
Stellen ein weißliches Thonlager, das von Morgen her in
das Schiefergeburg quer einfáut, insbeſondere bei Homs
burg vor der Hshe , wo auch Salzquelen ſind , bei Ober
rosbach und bei Fauerbach im Amt Bußbach . Eben leß
teres habe ich etwas näher kennen lernen . Die wilde Jaus
ben waren , wie gewöhnlich , die Verråther der dortigen
Salzwaſſer. Nachwenigen Schuhen Abtrufen fand ſich
Tchon Salzwaſſer. Die Erdlagen , welche man durchbrach,
waren : Dammerde 31' ; ſchwarze eiſenſchüſſige, ſtark
mit Steinen vermiſdite Erde , wovon die unterſte (age 1
braun , wie Eiſenroſt, ausſahe, juſammen 2 ; grüner,
hier und da in das Graue falender Sett , auch mit kleinen
Steinen vermiſcht, dann ein marmorirter, weiffer, gela
ber und zinnoberrother lett , 16 bis 17 '. In den leßten
7 Schuhen lag dieſer Sett in ſo dúnnen ( agen übereinander,
wie ſpaniſcher Brodteig , die ſich einen Zou dick von einan
der abrollen lieſſen , und nun folgte Sand , woraus die
Salzwaſſer ſehr ſtark bervordrangen. Etwa dreiſig
Scritte
Urſprung der Salzquellen in der Wetterau . 41
Schritte von dieſer Arbeit fandman 30 tief kein Waffer,
ſondern blos marmorirten Lett , ohne alle Abwechſelung.
Dann ſtellte ſich etwas Salzwaſſer ein , es erfolgte aber
zugleich eine ſtarke Quelle ſüſſes Waſſer, mit rothgefärbten
Bergkriſtauen , die allem Unſehen nach aus einer Kluft des
Ganggebúrgs hieher geführt wurden . Zulekt verſtärkte
ſich dieſes Waſſer ſo , daß ſogar die Grube úberlief. Es
kam , nach Ausſage der Arbeiter , von der Gegend des
Hausbergs her.

Fauerbach liegt oberhalb Nauheim. Ein Bach, die


Fauerbach , fåät dem nach Nauheim zu ziehenden Wiese
grund hinab , vereinigt ſich mit der Uſe, welche das ſúdlis
der herunter kommende Thal , worinnen Ziegenberg und
Langenhain liegt, durch a nach Nauheim fließt.
Das Thonlager , worinnen dieſe Salzwaſſer fich bes
finden , ſtreicht gegen 6 Uhr , allenfaus mit einer Abweis
chung zwiſchen 5 und 7.
Dieſer Strich und fein ſehr kenntliches gelbes ocher:
haftes Anſehen macht, daß man daſſelbe Jager leicht nach
Morgen und Abend zu verfolgen kann. Zwiſchen Fauer
bach und Nauheim , in der Gegend , wo ſich die Uſe und
Fauerbach vereinigt, fand ich daſelbe wieder. Bei Naus
heim kann man es ſehr deutlich auf der Landſtraſe beobach
ten , und zu Salzhauſen auf der ſüdweſtlichen Seite des
Thals. da dieſes liegt in einer und derſelben Richtung.
Die Salzhäuſer Salzquellen , welche einen Stinkturf úber 1

ſich haben und unter demſelben durch einen weiſen ſowima


menden Sand hervorbrechen , kommen alle in einem Bezirk
hervor, welcher in demſelben Zug liegt. Das bemerkte
Thonlager aber liegt gegen Berg zu , ohnfern den Gebau
den und beſteget in einem theils gelben , theils weiſen mas
gern ſandigen Thon , wovon erſterer mit zum Berourf der
Gebäude gebraucht, denſelben ein gutes Anſehen gegeben
S5 hat.
42 Seſt.Beitr. I.B.I.S. Gebanken über den
ħat. Es ſcheint den Sand, aus welchem die Salzwaſſer
Hervorqueđen , auf der nördlichen Seite zu begleiten und .

zu bedecken . 9

Gegen Weſten habeich dieſes Sager bis in das höchſte


Geburg verfolgt. Gleich hinter Fauerbach zieht es neben
Münſter vorbei , wo ein Apotheker vor 16 Jahren Salz
zur Probe ausgeſotten haben ſoll ; aud dieſesmal hat man
nach einigem Nachgraben wurkliches Salzwaſſer erſchroten .
Von hier zieht es abermal in derſelben Stunde nachMay ***

bach hinauf.

Als ich daſelbſt meine Bemerkungen machte und vers !


ſchiedene Quellen koſtete , fragte mich ein Bauer , ob ich
nicht dorthin wollte , wo der Sage nach ein Pulverwagen
verſunken ſeyn ſollte. Ich wandelte ſogleich mit ihm einem
ſúdoſtmárts von Münſter heraufziehenden Wiesgrund zu .
Die Stelle war ein nicht ſehr groſer , ausnehmend mos
raftiger Bezirk. Wo man mit der Hacke einhaute, da er
ſchien eine ſchwarze Turferde von unleidlich faulem Eier PA

geſtank. Ich freute mich über dieſe neue Entdeckung und


Anzeige auf Salzquellen , dabei aber auch über die Sima
plizitátdes Bauren , welcher eine ſehr bedenkliche Mine zu
dieſem Geſtank machte und mir vertraute, es liege ſo was >

Unbegreifliches in dieſer Sache, daß einige Leute glaubten ,


Der Wiesgrund ſen bezaubert.
Nachher beſtieg ich noch die hochſte Gegenden , bis das
hin , wo fich die Waſſer theilen , nach Bodenrod zu. Die
Hauptſteinart dieſer Höhen iſt ein glimmeriger theils mit
Quarz innigſtgemiſchter Schiefer. Das gelbe Jageraber zeigt
fich noch immer in etwas in derſelben Stunde . Der weiſe
talcoſe lett, welcher unter Maybach , auch unter Fauer
bach unter dem gelben vorkommt und denſelben ſtriemen
weis quer zu durchſeßen ſcheint,wird von den hieſigen lands
leuten , theils mit Kalk gemiſcht, theils allein , zum Bes
wurf
Urſprung der Salzquellen in derWetterau . 43
wurf ihrer Hauſer gebraucht , denen man es nicht ſo leicht
anſehen wird , wenn es einem nicht geſagt wird. Sie
heiſſen ihn Gips und wurden damalen , als ſich der Ruhm
des Gipfes zu verbreiten anfieng, verleitet, ihre Uecker das
mit beſſern zu wollen.
In Fauerbach hat es ſchone zinnoberrothe Erdarten,
auch Wurſt - oder Puddingſteine.
Die Erd- und Steinlagen , welche bei den andern
Salinen dortiger Gegenden vorkommen , ſind mir noch
nicht bekannt. Von der Büdinger Saline wurde mir ges !

ſagt, daß man Felſen durchbohrt habe , ob es Baſalt,


Sandſtein , Schiefer oder was es geweſen , weiß ich nicht.
Mit Vergnügen und Dank würde ich Nachrichten empfans
gen , welche dieſe fucke erſeßten . Ueberhaupt ſcheint mir
der ſo wichtige phyſikaliſche Theil der Salzwerkskunde , bez
ſonders der von den Jagerstätten der Salzquellen und Salz
berge noch zu wenig beatoeitet zu ſeyn. Nichts hat mir
hierinnen bisher mehrere Genugthuung geleiſtet, als Ficha
tels Geſchichte des Steinſalzes und der Steinſatzgruben
in Siebenbürgen. Daraus erſahe ich S. 18 und 19 :
daß gelber Thon, bald einfarbig, bald bunt, Sand von
verſchiedenen Abảnderungen und Vermiſchungen mit Other
und Thon , und zulegt fetter , ſchwarzer , bergólig riechens
der Thon , diejenige Schichten ausmachen , welche das
dortige Steinſalz bedecken .
Sollte ſich nach weiter anzuſtellenden Verſuchen und
zuſammen zu tragenden Erfahrungen nicht vielleicht zeigen, i
daß unſere teutſche Salzqueden , aus, oder bei åbnlichen
Sagen entſpringen . Die von mir eben beſchriebene hat
wenigſtens offenbare Uebereinkunft , auſſer dem bergdlig
riechenden Thon, deſſen Stelle hier der Stinkturf zu ver
tretten ſcheint ?
Sollte man endlich, nach genauer Unterſuchung des
Strichs ſolche Quellen enthaltender lagen bis zu den Höhe:
ren
44 Heft. Beitr. I.B.I.H. Gedanken über den
ren Ganggeburgen , nicht vielleicht auf einen bisher noch
unbekannt geweſenen Grund der Veredlung derer darinnen
ſtreichender Erzgánge kommen ?
In den mineralogiſchen Briefen (*) iſt ſchon dieſe
. Vermuthung geäuſſert, und ich fange an denſelben Gea
danken immer achtungswerther zu finden , indem ich wes
nigſtens in unfern Gegenden immer mehr Wahrſcheinlich
keit dafür antreffe.

Das Ergeburg des Oberfürſtenthums, ein weis


und gelbliches Thon , im Ganggebürg mit Spath und
Quarzkórner gemiſcht, zieht in mehrern ziemlich gleich
laufenden Striefen durch die Hemter , Blankenſtein , Brei
denbach und Biedenkopf quer durch das dortige Hauptges
bürg von Morgen gegen Abend zu mit einigen Abweichuns
gen. Vor einigen Jahren wurde bei Mornzhauſen im
Umt Blankenſtein auf der ſứunchen Seite eines ſolchen
Streifs an der Salzbådegeringhaltiges Salzwaſſer entdeckt.
Als ich mich einige Zeit hernach einſtmal zu Staufenberg ,
im Amt Gieſſen,befand, und dorther dem Salzbåder Thal,
von da wo dies Flußgen indie Sahn fáut, Hinaufſehen $

konnte, To bemerkte ich , daß ein bei Daubringen ausges


hender gelber ocherhafter und weiſer Thon , die oftgedachte
{ age, mit eben dieſem Thal das Nordweſt zieht, in gleicher
Richtung lag, obgleich die Entfernung wohl úber 5 Stund
Megs betragen mag.
Dieſe gelbe Floke oder beſſer Lager ; denn für eigents
liche Floke kann ich ſie unter andern deswegen nicht erken
nen , weil ſie ſich offenbar in die Ganggebürge hineinziehen ,
und darinnen die Gänge durchſchneiden , oder ſich mit ihnen
vereinigen , find an der Ober- und Unterlahn die verediende
6 Uhr Gånge. Weiter hinaufwärts mag dieſe Regel im
Naſſauiſchen und Heffendarmſtådtiſchen nur in Anſehung
der
( * ) iter Band, 4tes Stüc, 13 S.
Urſprung der Salzquellen in der Wetterau. 45
der Richtung eine Ausnahm leident , mehr 8-9 Uhr Gånge
feyn . Eine Vermuthung , welche gemis der Wichtigkeit
des Gegenſtands halber in der Folge durch mehrere Erfah
rungen geprüft zu werden verdient.
Da ich die Salzquelien und die Anzeigen darauf bei
Salzhauſen , Maybach und Mornzhauſen immer nur auf
der ſüdlichen Seite des Thonlagers gefunden habe , To will
ich dieſes hier noch anführen und fünftigen Beobachtungen
überlaſſen , ob ſich ſolches bei andern Salzwerken dortiger
Gegend eben ſo verhält.
Nun zum Beſchluß noch etwas über den Urſprung
dieſer Salzquellen. Man hat bisher meiſtentheils dafür
gehalten , daß derſelbe im weſtlichen Schiefergeburg zu ſus
chen ſei , ich ſelbſt war dieſer Meinung, ſeitdem ich aber
das óftliche Vogelsgebürg genauer habe kennen lernen , ſeits
dem finde ich mehr Gründe ihn hier zu ſuchen . Obgleich
die Höhe dieſer beiden Gebürgen nochnicht gemeſſen iſt, ſo
giebt es doch der Augenſchein und der (auf der Flüſſe, daß
das óftliche höher iſt als das weſtliche. Auf der ſüdlichen ,
weſtlichen und weſtnordlichen Seite des Vogelsgebürgs,
wo ſich ſeine niedere Peſte in die Ebene verlieren , ſind die
Salzquellen und die beſchriebene Lagerſtåtten derſelben von
Büdingen an durch die Wetterau durch bis Staufenberg
und vielleicht noch weiter anzutreffen . Auf der öſtlichen Seite
oſtſúdwirts blüheten vor uralten Zeiten die Salzſoden zu
Salmünſter, weſtſüdwarts dieſesOrts befindet ſich noch
jeßt das churmainziſche Salzwerk bei Orb , und oſtwärts
die Saline zu Salzſchlierf im Fuldiſchen . ( *) Wenn
man

( * ) Voigt in der mineralogiſchen Beſchreibung des Hochſtifts Fuld


ſagt S. 111, 112 , daß man im Amt Salmünſter auf dem Mún.
ſterberg , der mit dem Soderwald zuſammenhange, auf ſeinem
langgedehnten Rúden Sopferthon finde , und nicht ſehr weit das
von feinen weiſen Shon , der dem balliſchen menig nachgebe.
Nad der Karte befindet ſich der Sodermald und ſo auc permutha
lid
46 Seſt. Beitr. I.B.I.H. Gedanken überden !
man dieſes oftliche Geburg, das ſich durch ſein bafaltiſches
oder vulkaniſches Geſtein ſo ſehr von andern unterſchidet,
im Zuſammenhang betrachtet , und nicht beim ſogenannten
Vogelsgebürg allein ſtehen bleibt, ſo wird vielleicht auch
nordwärts das Salzwaſſer zu Allendorf und nordoſtmárts 2X
das zu Schmalkalden davon Herzuleiten ſeyn. he
$
Es iſt alſo dieſes hohe Geburg, wo nicht ganzlich ,
doch gewis gróftentheils nach allen Weltgegenden mit Salz- เร็ง
quellen umgeben. Daß ſich darinnen das Steinſalz ſo leicht
1
nicht findet wie in Siebenbürgen , läßt ſich wohl daraus
begreifen , weil es faſt durchaus mit Baſalt und Javen bes
deckt iſt , welche vermuthlich um die Zeit als das Steinſalz
eben eingetrocknet war , jene hohe Decke darüber gebildet
haben.
Mir kommt es wahrſcheinlich vor, daß bei jenen großen
Revolutionen die ebenen ' oder niedereren Gegenden zulegt
in lange tiefe Spalten zerſprungen ſeyen , wohinein ſich die
leßte, alſo ſehr falzige Waſſer gezogen haben, und darin
verdunſtet fenn mögen. Eben dieſe Klüfte verbinden viela
leicht noch jezt die zwei Geburgsketten , die oſt -und weſtlichen .
Sie ziehen ihren Salzgehalt entweder aus ungeheuren Maf
fen Salzſtein des oſtlichen Gebúrgs, oder aus eigener Tiefe,
oder
Sid jene Chonarten auf der nordlichen Seite des Orte Soba ,
mo nod Merkmale von Salzquellen ſeyn ſollen.
Nach S. 125 , 126 , 127 ſind die Quellen zu Salzſchlierf im
Sandſtein erbohrt, nicht weit davon findet ſich Trippelerde auf
Ralfftein . In dieſer Gegend hat es , ſonderlich bei Gießel , vict
Shongruben , auc .(dóne Walfererde.
Id bin verſichert worden , daß zu Kleinlåder , ohnweit
Saliſolierf, auch ein Salzwerf geweſen , das vor wenig Jahren
erſt eingegangen wäre. Die Pfannen waren auf den Heſſendarm
ſtådtiſchen Eiſenhammer an Sceünhauſen verfauft worden . Hr.
Voigt ſagt hiervon nichts , daher ich es doch bemerken wollte. 2

Nachdem dieſe Bemerkung ſchon gedruckt war , finde ich zu ih


rer Beſtåttigung , daß Heß in ſeiner Haligraphie nidt nur des
Luederer Salzbronnens gedenfet , ſondern ihm noch den Vorzug
por Saláſdlierf gieit.
Urſprung der Salzquellen in derWetterau. 47
oder aus beiden , und würfen mit ihren Dampfen tief in
daß weſtliche Gebürg hinein Veredlungen der Gånge.
Dhne Zweifel waren dieſe Klüfte und die Gegenden ,
welche ſie durchſeßen , nod lange Zeit hindurch weit niedris
ger wie dermal, wo ſolche , durch das was die Fluthen von
den Bergen nach und nach herabgebracht, erhdht worden
find. Vor einigen Jahren trafen die Arbeiter zu Salzhaus
fén bei Vertiefung eines Salzbrunnens 20 Fuß unter der
Oberfläche ein Horn oder Zayn an. Es iſt 2 Fuß lang ,
į gebogen , und hat unten 4 Zoll im Durchſchnitt. Gegen
die Wurzel zu iſt es abgebrochen , daher ich keine Vermua
thung über ſeine wahre Groſe wage. Auch die Spiße iſt
abgebrochen . Der Kern iſt eine kalcinirte Maffe in deren
Mitte ſich eine kleine Höhlung befindet, um welche die kals
cinirte Schalen ſich winden ; der Bruch an der Spiße hat
viele graueStriefen , welche aus dem Mittelpunkt auslaus
fen . Die duſſereRinde iſt rauh , theils überſintert, darun
ter aber iſt die Glaſur auf parallel der Långe nach laufende
Einſchnitte ſehr wohl erhalten und hornáhnlich. Wiewohl
ich jezt noch ungewis bin ,ob es ein Zahn oder ein Horn ſei,
weil jede Meinung etwas vor und etwas gegen ſich hat , ſo
wollte ich es doch deswegen hier nicht übergehen , weil es ge
genmártig nicht daraufankommt, was es von beiden ſey.
Genug das Salzhauſer Thal war damals , als dieſes
Thier hier dieſes ſein Zugehör verlor , 20 Fuß tiefer wie
jezt. Wie ſehr müſſen fidBerge und Thaler ſeit der Zeit
geändert haben. Salzquellen , welche man jezt in ziemlis
cher Tiefe zu ſuchen hat , traten damal vermuthlich reiner
und reicher aus der Dberfläche hervor. Wer weiß , ob
dieſer Umſtand nicht eben ſo viel als ein verändertes Klima
das Seinige dazu beigetragen haben mag , daß ſich in der
altenWelt Thiere in unſern Gegenden aufgehalten gaben,
welche ißt nicht mehr darin leben können !
p. E. Blipſtein.
V. Alle
48 Hell. Beiträge. I. S.I. H. Beſchreibung
V.

Adgemeine Beſchreibung des Muſeum Frides


ricianum zu Caſſel.
SeandgrafCarl von Heſſen vergråſerte und verſchönerte
zuerſt durch Kunſt und Geſchmack ſeine Haupt- und
Reſidenzſtadt gegen das Ende des vorigen und im Anfang
1
des gegenwärtigen Jahrhunderts. Sein durchlauchtigſter
Enkel, Friedrich II, reßte dies in unſern Zeiten ſo
nachdrücklich fort , daß ſie nunmehr einen anſehnlichen
Plaß unter den ſchönſten Städten Teutſchlands behauptet.
Eine beſondre Veranlaſſung gaben die zwei Belagerungen ,
welche Caſiel in die auſſerſte Gefahr der Verwüſtung geſeßt
Hatten. Uin jedekünftige zu verhindern , ließ der Landgraf
ſeit dem Jahr 1767 die Veſtungswerke niederreiſſen , und
dies verurſachte beſonders den weiten und großen Raum ,
der ſonſt durch Wall und Graben von der Altſtadt abgeſona
derten Oberneuſtadt. Caſſels Vergrößerung war ſchon
vorher Seine Abſicht, und es wurden die drei nunmehr er
richteten Gebäude, des jezigen landſchaftlichen Hauſes zuc
Rechten , der katholiſchen Kapelle zur Linken und des Mus
feums in der Mitte beſchloſſen , um von der Seite der Alts
ftadt her nach der Oberneuſtadt hin , Facade zu machen.
1
Dies leştere, als das Hauptgebäude, ſou hier beſchrieben
werden . Das Architektoriſche iſt Hauptabſicht; denn als
Muſeum , welches die ſonſt in mehreren Gebäuden und Ca
binets zerſtreuten Sammlungen von Alterthümern , von
Münzen , von der Naturgeſchichte, von mathematiſchen
phyſicaliſchen Inſtrumenten , von Kunſtſachen verſchiedes
ner Art und Bibliothek in ſich begreift, wird es einen reis
dhen Stof zu fünftigen Beſchreibungen liefern. Der Bau
meiſter dieſes Gebåndes iſt Herr Simon Ludwig du RY ,
fúrſtlicher Rath , Profeſſor der bürgerlichen Baukunſt, Dis
rector der Akademie der Malerei , Bildhauers und Bau
kunſt und derſelben beſtändiger Secretár. Seit Landgraf
Carls
des Muſeum Fridericianum zu Caſſel. 49
Carls Zeiten erhielt Caſſel durch ſeinen Grosvater und Vas
ter, ſo wie durd iſn , Unſehen und Schönheit; dieſe Bes
ſchreibung aber ihre Zuverláſigkeit. Im Jahr 1769 wurde
das Muſeum angefangen , und 1779 war der innere Bau
ſo weit vodführt, daß unter perſönlicher Anordnung Sr.
H. D. des Herrn Landgrafen erſt die Bibliothek und dann
die andern Sammlungen aufgeſtellt wurden. Der Ums
ſtand, daß das Muſeum auf die ehemaligen Graben der Ves
fung zu ſtehen kann, erforderte eine langweilige Grundlegung 1

von dreiſig Fuß ; ſonſt ware ſolches eher vollendet worden .


Die Hauptfacade von der Seite des Friedrichsplaßes
hat zweihundert und etliche achtzig Fuß; jeder Flügel Huna
dert und funfzig in die lange. Thre Mitte , gegen des
Landgrafen Statue úber, nimmt ſich durch einen Vorſprung
von rechs frei ſtehenden Såulen , Joniſcher Ordnung aus;
im Durchſchnitt haben ſolche vier Fuß. Dadurch entſteht
ein Periſtil von ſiebenzig Fuß in die Sänge. Dieſe ſectis
Säulen tragen ihr vollkommenes Gebålfe und einen drei
winflichten Giebel, hinter welchem eine achtzehn Fuß Rove
Attife ſich erhebt. Die ſechs acht fuß hohe Figuren der
Philoſophie, der Baukunft, Malerei, Bildhauerkunft,
Gedichte und Aſtronomie ſind ihre Verzierung. Das
übrige der Haupts und Seitenfacadení pat die von Jonis
ſchen , ihr Gebálke tragenden , Wandpfeilern , und darüber
eine mit Vaſen ausgeſchmückte Baluſtrade. Der mittelſte ti

Vorſprung , in welchem die Haupttreppe angebracht iſt, ſo


wie die beiden Giebel , haben nur Wandpfeiler; drüber ift
gleichfalls eine Baluſtrade mit Vaſen. Die Hauptfacade
nach dem Friedrichsplaß hat zwei Stockwerke, das untere
mit Bogenfenſtern , das obere mit ſolchen , deren Obers
theil grad iſt. Ueber beiden Flügeln iſt ein niedriges Stocks
werk, welches durch viereckigte im Fried angebrachte Fens
ſter ſein licht erhält. Der Haupteingang iſt unter dem Pes
riſtil der Seite des Friedrichsplaßes . Drei Bogenthüren
Befl.Beitr. B. I. 5. I. D führen
go Seff. Beiträge. I. B. I. H. Beſchreibung
N

führen zu dem in der Mitte des Gebäudes befindlichen Vors V

plak. Er hat vier und vierzig Fuß Långe und ſechs und
Dreiſig Breite. Vier freiſtehende Doriſche Säulen tragen
ſeine Decke und rechzehn Säulen der nemlichen Ordnung,
don deren Durchſchnitt nur zwei Drittel hervorragen , find
19

Teine Verzierung. Eben ſo viele andre , durch welche man


ju dem Vorplaß der großen Treppe kommt, ſtehen gegen
den drei Bogenthüren des Eingangs über. In der Mitte
der Seitenmauern führt eine Glasthúre zur Rechten , in N

die Gallerie der neuen Statúen und Gruppen ; die zur lins
ken , in die Galerie der Antiken . Die übrigen vier Zmis
Tchenſäulen werden mit eben ſo viel Gruppen der Bau
Bildhauerkunft, Malerei und Muſik ausgeziert. Der
nåchſte Vorplaß an der großen Treppe , rechzehn Fuß breit
und vierzig lang , hat durch drei Arcaden Gemeinſchaft mit
dem erſteren . Gereifte Doriſche Säulen , die auf einem
Sodel ſtehen , ſind ſein Zierrath . - Die Decke hat viera
eckigte Vertiefungen , mit Roſen ausgefügt. Von jedem
Ende des Vorplaßes führt eineThüre in den Vorhof.
Der Treppen Umfang hat ſechs und zwanzig Fuß Tiefe W

und vierzig Fuß Långe, und ſpringt in den Hofvor, um die


Reihe der im Hauptgebäude angebrachten Zimmer nicht zu
unterbrechen. Die Stufen ſind zehn Fuß lang und ihr
mittlerer Theil führt zum erſten Ruheplak; hier theilt fie
ſich in zwei Arme, welche ſich auf dem obern Ruheplan von
vierzig Fuß lang und rechzehn breit , vereinigen. In der
Mitte iſt die Hauptthüre zur Bibliothek. Drei gegen der
Face des Ruheplaßes überbefindliche Fenſter erleuchten ſie ;
To hat man in den drei andern Mauern des Treppenums
1. fangs Bilderblinden gewonnen , über welchen Vertiefungen
find. Jene ſind für die Figuren des Apolls und der Mus
ren beſtimmt. Die Treppenlehne iſt von geſchlagenem
Eiſen und die Mauern ſind auf Marmorart gemalt.
Die
des Muſeum Fribericianum zu Caſſel. 51 1

Die ſchon angeführteGallerie der Antiken hat82 Fuß


tánge, 38 Breite und 18 Höhe. Sie wird von zwei Seiten
erleuchtet und durch eben ſo viele Reihen von Doriſchen
Säulen dreimal getheilt. Sie tragen einen bloſen Unters
balfen mit Vertiefungen , in welchen Roſen ſind. Zwiſchen
ihnen ſtehen acht antike Figuren von weiſem Marmor , auf
ihren Fußgeſtellen ; Paris mit der Phrygiſchen Müße, der
Raiſer DidiusJulianus, Hygiea , zwei Upole, ein Herkules,
ein Ringer und eine Minerva. Sie ſind gróſer als die Nas
tur. Die Fenſterpfeiler ſind eben ſo mit zehen antiken
marmornen Figuren ausgeziert, die aber kleiner ſind ; die
übrigen Antiken beſtehen aus Basreliefs , Begräbnißurnen
und Bruſtbildern von weiſem Marmor , Porphir und Mes
tal. Wenige ſind aus der alten Sammlung; die merk
würdigſten kaufte der jeztregierende (andgraf in Rom.
Der Saal am Ende dieſer Gallerie hat vierzig Fuß långe,
fünf und zwanzig Breite, und fünf Fenſter. An den Wins
den und Wandpfeilern zwiſchen den Fenſtern befinden ſich
Ulterjúmer der vornehmſten Vélfer in Glasſchränken .
Der grófere fich täglich vermehrende Theil derſelben rührt
gleichfalls vom jezigen (andgrafen her. In der Mitte des
Saals ſteht eine zwanzig Fuß lange Tafel, welche in Glasa
pulten eine reiche Sammlung von hohl und erhaben ge
ſchnittnen antiken und modernen Steinen in ſich enthält.
Den übrigen Raum negmen Modelle alter Gebäude Roms
und ſeiner Gegenden von Korkholz ein ; auc alte Vaſen ,
basreliefs und Figuren von Metau.
Dies Zimmer führt in einen Saal, deſſen mittlere
Decke durch vier marmorirte Doriſche Säulen unterſtüßt
iſt. Un den Wandpfeilern , zwiſchen den rechs Fenſtern
befinden ſich ſilberne und vergoldete, meiſtentheils mit Edela
ſteinen befekte Vaſen , andre von Kriſtaq undGlas, Kunſts
arbeiten von Bernſtein , Shelfenbein , Holz und andern ge
meinen Materialien . Zwiſchen den , die Decke tragenden ,
Saulen
52 Heſ.Beiträge. 1.B.I. H. Beſchreibung
Sáufen iſt dieFürſtliche Münzſammlung in Pyramiden ;
der Reſt beſteht in Figuren oder Gruppen von Metal oder
wenigſtens bronzirt, nach den ſchönſten Antifen von Rom
und Florenz ins Kleine gebildet, auch ſtehen dergleichen
i oben auf den Schranken als Zierrathen . Das folgende
Zimmer voll von alten und neuen Uhren , auch von Uutos
maten verſchiedner Art , welche ſich gråſtentheils in Glass
ſchránken an den Mauern befinden , hat ſieben und dreis
ing Fuß Långe und drei und zwanzig Breite. Das nächſt
dran ſtoffende dient zum Vorzimmer und hat eine Thüre
nach dem Seitenausgang des Gebäudes ; auch führt es in -
ein andres , worin Zeichnungen , Kupferſtiche und eine
Sammlung von Schriftſtellern über die Alterthümer und
Münzwiſſenſchaft befindlich ſind . Sin Sabinet daran
mit Kupferſtichen von berühmten Gelehrten und Künſtlern
führt ins Obſervatorium.
Die andere Hälfte des untern Sto :fmerks, begreift 64

ganz genau dieſelbige Anzahl von Sålenund Zimmern in


fich . Von der Mitte des Vorplaßes führt eine Glasthúre
in die Galerie der neuen Statúen und Gruppen. Im
Zwiſchenraum der die Decke tragenden Säulen ſtehen 6 bes
ſonders ſchatbare Figuren und Gruppen , deren Forin durch
den glücklichſten Abguß von den ſchönen Antiken im achts
eckigten Saal zu Florenz, fie dieſen vollkommen an die
Seite legt; der Schleifer , der Ringer , der Faun , die
Venus von Medicis , der Mercurund eine unbekannte Fi
gur; der Reſt beſteht aus andern Copien von antiken Figu
ren und Gruppen , ſo wie aus neuen von Marmor und
Alabaſter. Die folgenden Zimmer ſind zu den Samma.
lungen aus den verſchiedenen Naturreichen beſtimmt. Das
Ecfzimmer an der Gallerie hat in Glasſchranken und Pulten
Mineralien ; der daran ffoffende Saal eine beträchtliche
Unzahl von Thieren aus der Menagerie des Sandgrafen
Carls und des heutigen , nebit andern in- und ausländis
den
des Muſeum Fridericianum zu Caflel. 53
ſchen jeder Art. Ein Zimmer daran hat vorzüglich See
gewadiſe und Thiere. Dies führt in ein mit Sommervo
geln angefügtes Cabinet; im leşten befinden ſich Kunſtwerke
von Moſaiſcher uud Florentiniſcher Arbeit. Der heilige
Johannes in Lebensgróſe, nach Carl Maratti , iſt eines
der beträchtlichſten , und neben ihm wird es ein von Edel
ſteinen zuſammengeſeptes groſes Gemälde der Veſtung
Rheinfels und ihrer Gegend feyn. Dies iſt die Sintheilung
und der allgemeine Inhalt des untern Stockwerks vom Mus
feum . Jede Sammlung aber von Werken der Natur
oder Kunſt , hat ihren eignen , gelehrten und kunſtverſtän
digen Aufſeher.
Die Beſchreibung der obern Stockwerke iſt folgende :
Nicht allein durch die Haupttreppe gelangt man in das
mittlere, ſondern auch durch zwei andere , die in beiden
Flügeln bis obenhin führen. Das erſte Cabinet an der
Treppe des rechten Flügels führt in ein Zimmer voll
optiſcher Werkzeuge und in ein andres von mathematiſchen .
Die Wände dieſes Saals ſind mit acht ſchon gemalten
Ausſichten der Waſſerfalle des Carlsberges ausgeziert. Eine
Glasthúre fúýrt wieder in einen Saal, der vier Joniſche
Sáulen hat. Hier befindet ſich ein groſer. Vorrath von
Inſtrumenten für die Erperimental - Phyſik. Im Haupt
gebátke drůber iſt ein niedriges Stockwerk von vier Zimmern
und einem Saal angebracht, Zwei davon enthalten alte
und ſeltene muſikaliſche Blas s und Saiteninſtrumente.
Der Saal hat fünf und ſechzig Fuß lange und fünf und
dreiſig Breite, und begreift ſehr viele Modelle von mecha
niſchen Erfindungen und Kunſtmaſchinen in ſich. Selbft
die zu dieſem Saal führende Thüre iſt ein mechaniſches Meis
ſterſtück. Der groſe Šaal der Bibliothek nimmt im mitt
lern Stockwerk die ganze långe des Hauptgebäudes nach dem
Friedrichsplaß hin eiñ. Er iſt zweihundert und ſiebenzig
Fuß lang , vierzig breit, dreifig hoch und durch fünf und
D 3 0
zwanzig
1 .
54 Helt.Beiträge. I. B.I. H. Beſdreibung
zwanzig Fenſter erleuchtet. Der Bücherraum hat drei Eins
theilungen ; eine Galerie von hundert und zwanzig Fuß ,
die ſich an beiden Seiten mit zwei Corinthiſchen gereiften
Säulen endigt. Dieſe theilen jene von zwei und vierzig Fuß
langen Säulen ab. Sie ſtehen auf Sockeln und ſind durch
Baluſtraden von Bruſthöhe miteinander verbunden. Die
Såulen tragen nichts und ſind als ein Zwiſchenſtand anges
bracht, der dem an einem Ende ſtehenden Zuſchauer die
foon betrachtliche Långe noch langer zeigt. Die Büchers
ſchránke ſtehen vor den Wandpfeilern der Fenſter, und nehs
men alle vier Wände des Saald ein . In einer Höhe von 1

ungefähr funfzehn Fuß hod , tritt eine, von dem fo weit


vorſpringenden Geſimſe der Schränke getragene Baluſtrade
Hervor ; ſo bleibtzwiſchen ihr und den obern Bücherſchrán
ken ein drei Fuß breiter Gang frei , und man kann um die
ganze Galerie herumgehen. Durch zwei in der Breite der
Schránke verborgene Treppen ſteigt man von beiden Seis
ten hinauf. Die Bibliothek hat alles nöthige zur Bequems
lichkeit der Studirenden , und das Bruſtbild des Landgrafen
von weiſem Marmor.

Es führen drei Thüren zur Bibliothek; die Haupts


treppe zur großen Thüre, der phyſikaliſche Saal zur zweis
ten und der Saal mit den Handſchriften und Kupferſtichen
zur dritten. Dies 'leßte Zimmer hat vier Joniſche Säulen,
welche ſeine Decke tragen , und an den Wänden ſind fars
bige Kupferſtiche von denen durd Raphael in den logen unter
dem Vatican befindlichen Gemälden , aufgehängt. Die
Handſchriften und eine Sammlung von Kupferſtichen wers
den in den Schränken aufbewahrt , die in den Mauern
find. Aus dieſem Saal geht man in das Zimmer , wels
ches im Winter zum Gebrauch der Bibliothek geheizt wird.
Hier befinden ſich gleichfalls Handſchriften , Bilder von vers
ſchiedenen Sandgrafen in Lebensgróſe , und Grundriſſe von
Hauptſtadten in Kupfer geſtochen , nebſt Ausſichten ; eben
dies
des Muſeum Friðericianum zuCaſſel. 55.
dies in dem daranſtoſſenden Vorzimmer und Cabinet. Jes
nes hat einen Ausgang nach der Treppe im Flügel. Er
führt zu einer I húre des Obſervatoriums hin. Das durch
viereckigte Fenſter erleuchtete und im Hauptgebalfe ange
brachte Stockwerk , beſteht aus zwo Sáulen und eben ſo
vielen Cabinets. Im erſieren iſt eine Sammlung von als
ter und neuer Rüſtung und Waffen verſchiedener Völker.
Dieſer Saal führt das Auge in einen vierzig Fuß langen
und fünf und dreiſſig Fuß breiten Saal. Die Säulen,
welche ſeine Decke tragen und die Verzierungen der Seiten
wände ſind durch perſpektiviſche Gemälde auf der Wand ge
gen den Eingang To fortgeführt, daß dieſer groſe Saal weit
långer zu ſeyn ſcheint. Die glorwürdigen Vorfahren des
Landgrafen ſind hier von Philipp dem Grosmüthigen an
bis auf Friedrich I. König von Schweden , mit ihren Gez
mahlinnen , nach dem Leben , auch in folcher Gréſe und im
Geſchmac , auch noch zum Theil den Kleidern ihres Jahr
hunderts bekleidet , in gefärbtem Wachs poufſirt, befinda
lich. Auſſer dieſem enthält dieſer Saal noch viele Kunſt
arbeiten von Wachs.

Die zwei legten Zimmer dieſes Stockwerks paben


Schildereien von verſchiedner Kunſt, eine Samınlung
von Europäiſchen Kleidungen der vorigen Jahrhunderte,
ſo wie von Volkern in Afien und Umerika. Der Thurm
der zum Muſeum gehörenden Sternwarte wird ſo , wie als
les was durch Natur oder Kunſt merkmúrdig ſeyn möchte,
nach und nad in Beſchreibungen mitgetheit werden. Zus
verläſſige und gute Kupferſtiche von Caffels Gegenden , Plå
Ben , Hauptſtraſſen , Gebäuden und Ausſichten wird man ,
to mie fie Herauskommen , in dieſen Blättern anzeigen.
Und ſo hoft man aud), viel ſchiefe Urtheile zu berichtigen,
die hin und wieder von dieſem allen gefáat werden ,
Caſparror..
VI.
56 Hell. Beiträge. I. B. I. S. Ueber die
VI.

Ueber die bürgerliche Verbeſſerung der Juden.


An
Herrn geheimen Rath Dohm zu Berlin.
ben das belehrende Vergnügen , welches ich dem erſten
Theile Ihres fürtreflichen Buchs , über die bürger.
liche Verbeſſerung der Juden , verdanke, habe ich auch
beiDurchleſung des zweiten genoſſen . Manche nach jenem
auch bei mir aufgeſtiegene Zweifel habenSie hier gründlich
beantwortet, und manche Schwierigkeiten auf die glücks
lichſte Weiſe gehoben. Aber noch ſind mir Einwendungen
gegen einen Ihrer wichtigſten Grundfäße in dieſerMaterie
übrig, welche eine ſehr genaue Beziehung auf Ihre mens
ſchenfreundlichen Wunſche haben . Dielleicht haben meh:
rere ( eſer Ihres Buchs ſich dergleichen gedacht; und dieſe
werden mir es Dank wiſſen, daß ich ſolche öffentlich zu
Ihrer Beleuchtung aufſtelle : oder wenn dieſes quch nicht
ſeyn ſouté, ſo wird eine kurze Darſtellung meiner Bemer
fungen Ihnen doch Veranlaſſung geben , einen Hauptpunkt
dieſerwichtigen Angelegenheit der Staaten, und der Menſch
heit überhaupt, noch genauer zu entwickeln , und dabei
muß die Wahrheit an ſich auf aŭe Fälle gewinnen . Dieſes
würde allein ſchon hinreichend ſeyn , mich zum öffentlichen
Portrage zu bewegen , wenn ich auch nichtwußte aus
unſerer langen perſönlichen Bekanntſchaft aufs überzeu
gendſte wußte wie gut Sie, mein verdienſt- und ein
ſichtsvoller Freund , Widerſpruch und Verſchiedenheit der
Urtheile und Meinung zu tragen wiſſen . Ich gehorche
alſo Ihrer Aufforderungzur Eröfnung meines Dafúrhal
tens mit ade dem Vergnügen , was mir immer aus unſea
rer Unterhaltung erwuchs.
Daß
bürgerlicheVerbeſſerung der Juden. 57
Daß ich in der Hauptſache mit Ihnen übereinſtims
mend dachte, haben Sie ſehr richtig vermuthet. Die búrs
gerliche Verbeſſerung iſt auch in meinen dugen eine für
Juden und Chriſten , und für alle bürgerliche Geſeafchaf
ten , darin ſie vereinigt leben , Tehr wünſchenswürdige, ja !
für beide Theile höchſt vortheilhafte Sache. Sie gehört
aber auch weiter nach meiner Einſicht unter die politiſch
möglichen Entwürfe, wenn gleich noch eine Menge alges
meiner ſowohl, als dieſer oder jener bürgerlichen Verfaſ
fung eigenthümlicher Hinderniſſe aus dem Wege zu raumen
find , bis der heilſame Zweck erreicht werden kann. Nur
über die Art und Weiſe, mit welcher dieſe wichtige Angeles
genheit zu betreiben ſei, denke ich ineinem Betracht anders,
als Sie, verehrungswürdigſter Freund , wie folgende
Bemerkung zeigen wird.

Ein Hauptſaß, welcher in beiden Theilen Ihres Buchs


überall herrſcht, und worauf ſo vieles gebauet iſt, ohne
ihm zuvor die ndthige Evidenz zu verſchaffen, iſt dieſer :
Die Herabwürdigung des fittlichen National
charaktersder Juden ſei eine Wurkung des Bürs
gerlichen Drucks , unter dem ſie lebten ; ſollten
ſie alſo zu beſſeren Menſchen und guten Bürgern
umgeſchaffen werden , ſo müſſe lekterer zuerſt
aufhören ; bürgerliche Verbeſſerung, durch Ers
theilung bürgerlicherVortheile und ſoviel mog
lich völliger Gleichſtellung mit andern Unterthas
nen bewvůrkt , můſſe der fittlichen und religioſen
vorgehen, weil lektere von ſelbſt zu erfolgen pfles
ge, wenn für die erſtere gehörige Sorge getra
gen wäre.

So oft ich auf dieſen Grundſať ſtieß , ſchien es mir


immer , daß darin eine Verwechſelung von Urſach und
Würfung låge; wenigſtens bin ich nicht im Stande ihni
DS mit
58 Selſ. Beiträge. I. B. I. H. Ueber die
mit dem zu vereinbaren , was ich in der Geſchichte des jüdis
fchen Volfo, feit ſeiner Zerſtreuung unter andere Natios
nen , inſonderheit ſeit ſeiner Aufnahme in Deutſchland bes
merkt zu haben glaube. Die Verſagung allgemeiner búrs
gerlicher Vortheile ſcheint mir nämlich eine nothwendige #
Folge, deszur Zeit ſeiner Einwanderung in unſere Staa

ten ſchon herabgewürdigten fittlichen Charakters zu ſeyn. 型
Der ankommende Jude war mit den Meinungen und
Grundlagen , mit den Lebensregeln , welche er unablaßlich
befolgen zu müſſen glaubte , eines großen Theils derjenigen
Vortheile und laften , die mit dem Burgerrechte in unſeren
Staaten unzertrennlich verbunden ſind ,unfähig; und dies
jenigen, von welchen ſeine Aufnahme abhieng, rahen fich
in der Nothwendigkeit, ihn entweder ganz von ihren Staas
ten auszuſchlieſſen , oder ihm nur in dem Grade búrgerliche
Rechte zu ertheilen , in welchem er derſelben nach ſeiner Na
tionaleigenheit empfänglich war , und ihm , wie es gar
nicht unbillig war, ſtatt der Laſten , welche er weder wollte
noch konnte tragen , andere aufzulegen , denen er freiwillig ce

ſeinen Rücken beugte. Do ich Recht habe, mir dieSache lo


zu denken , das läßt ſich ſchon aus folgenden allgemein bes
kannten und eben ſo unbezweifelten Thatfachen beurtheilen .
Die Juden lebten bereits im Morgenlande als ein una
vermiſchtes Wolf, und waren durch den Geiſt ihrer ganzen
Gefeßgebung zu einer unüberwindlichen Abneigung gegen alle
Familienverbindung und gemeinſchaftlichen Lebensart mit
Ausländern gewöhnt. Der innerliche Verfall, welchen
ihre Staatsverfaſſung in den lekteren Zeiten erlitt, jog ,
wie es der ordentliche Gang der Dinge iſt, ein allgemeines
Sittenverderbnis nach ſich ; oder , wenn man lieber will,
war Ceßteres auch Urſache von Erſterem . Nun erfolgte der
gånzliche Untergang des jüdiſchen Staats , und die Zers
ftreuung dieſes Volks in alle Welt. Daß hierdurch der
rapon verdorbene Nationalcharakter deſſelben nicht gebeſſert,
ſondern
bürgerliche Verbeſſerung der Juden . 59
ſondern nur immer mehr herabgewürdigt worden ſei, darf
wohl kaum erſt angemerkt werden . Das Schlimmſte bei
der Sache aber war die Unhánglichkeit an feine ehmaligen
politiſchen Geſeße und wigführlichen Lebensregeln , welche
dieſes Volf aus ſeinem Vaterlande in andere Welttheile
und Staaten mitnahm . Es trauete dem weißeſten aller
Gefeßgeber die unweiſe Abſicht zu , daß die dem morgenlåns
diſchen Himmelfſtriche angemeſſenen Gefeße unter aden Zo
nen roaten verbindlich ſeyn; und daß die den Bürgern des
júdiſchen Staats auferlegten politiſchen Pflichten , groſens
theils wenigſtens, dennoch Befolgung Keiſchten , wenn gleich
ihr Staat ſelbſt långſt aufgehört habe. In dieſem Vor
urtheile wurden die Juden durch ihre neueren Religionslch
rer nicht nur immer mehr beveſtigt; ſondern auch durch
neue Auffäße , welchen Herkommen und Aberglaube geſeka
liches Anſehen verſchaften , den Volkern , unter welchen ſie
nun wohnen ſollten , noch unáhnlicher, als ſie es fchon
nach ihrer Urſprünglichen Beſchaffenheit waren. Je ab
ſtechender aber bis dahin der Charakter der jüdiſchen Nation
von allen anderen Våffern des Erdbodens geweſen war ,
deſto unfähiger machte deſſen Beibehaltung jeden Juden
einer gleichſeßenden Aufnahine in fremden Staaten . Na
türlicher Weiſe konnte er alſo der Wohlthat des Bürgers
rechts in ſeinem ganzen Umfange nicht theilhaftig nicht
Bürger, ſondern nur Schuhverwandter in denen
Staaten werden , in welchen er ſich niederließ. Nicht Res
ligionshaß alſo, nicht Abneigung gegen ſeine ausländiſchen
Sitten und Eigenheiten waren die erſte Triebfeder , ihm
die Gleichſeßung mit anderen Unterthanen zu verſagen ,
ſondern die eigene eingeſtandene Unfähigkeit , zu Tragung
algemeiner bürgerlicher laſten , und zum Genuß der damit
verbundenen Vortheile. Daß aber eine folche üble Lage der
Juden ihren Charakter von Zeit zu Zeit immer mehr vers
ſchlimmert habe ; gebe ich gern zu; allein die erſte Urſache,
welche ſie in dieſes ifnen und dem Staat, worin ſie lebten
gleid
1

60 Heft. Beiträge. I. B. I. H. Ueber die


1
gleich nachtheilige Verhältnis ſeßte, lag auſſer allem Zwei 1

fel in ihnen ſelbſt. Sie waren ſchon bei ihrer Aufnahme


eines všaig gleichen Bürgerrechts unfähig, und ſinds nicht
erſt durch die politiſche Behandlungsart gemorden ; wenn
leştere gleich auch mehr zu Verſohlimmerung als zur Ver
beſſerung ihres Nationalcharakters und bürgerlichen Wer
thes abgezweckt hat.
Wenn dieſe Beobachtung ihre hiſtoriſche Richtigkeit 1
ħat, ſo folgere ich daraus weiter, daß eines Theils eine beſſere
politiſche Behandlung der Juden ſo lange unmöglich bleibt,
als jene erſte Urſache ihrerbürgerlichen Zurückſeßung forts
dauert ; und daß man anderen Theils überhaupt von ihrer
bürgerlichen Verbeſſerung die fittliche gar nicht zu erwarten
berechtigt rei; weil der Grund von der Verſchlimmerung
ihres fittlichen Charakters nicht in derpolitiſchen Herabfeßung
liegt , ſondern leştere ihre Veranlaſſung in erſterer hat. Es
iſt wohl ohne alle Widerrede eingeſtanden , daß bei allen
politiſchen Utebelndie erſte Quelle aufzuſuchen fei; und daß,
ohne dieſe zu verſtopfen , alles übrige nur Palliativfuren ,
oder wohl gar aufs ohngefähr angeſtellte und fruchtloſe
Verſuche bleiben. So nach meine ich alſo, wenn die Juden
überhaupt beſſere Menſchen und tauglichere Bürger in uns N

feren Staaten werden ſollen , ſo müſſe mit der fittliden


Verbeſſerung ihres Charakters der Anfang gemacht werden ; M.

wohin ganz vorzüglich auch die Ablegung aller der Vorurtheile


gehört , wodurch ſie gleichſam noch beſonders eingezáunt
werden , und welche ich als die Haupturfache ihrer bürger
lichen Untauglichkeit betrachte.

Darunter verſtehe ich nun Feineswegs , daß ſie noth


wendig Chriſten werden, und zu ihrer Herbeiführung in
den allgemeinen Schaafſtad etwa beſondere Befehrungsin h
ftitute angelegt werden ſollen. Nein ! die ganze vernünfs
tige Welt weiß , daß davon nichts gedeiliches zu erwarten
fei ;
bürgerlicheVerbeſſerung der Juden. 61
fei ; und wer etwa noch zweifelt, der mag fich aus den elen
den Farzen , welde weiland Judenmiſſionar Soulze ge
ſpielt, und in ſeinen Reiſen felbft zur Schau geſtellt hat,
eines beſſeren belehren. Der Jude mag alſo ſeiner Relis
gion nach immer Jude bleiben ; er mag ſeine Knabelein fers
ner beſchneiden laſſen, veſt an ſeinen Begriffen von der Ein
heit Gottes hangen , und auch ganz treuherzig auf einen
Meſſias warten. Leßteres' inſonderheit wird ihn der búrs
gerlichen Vortheile und Pflichten eben ſo wenig unfähig ma
chen , als der gemeine Portugieſe deshalb aufhört , ein gus
ter Bürger ſeines Staats zu ſeyn , daß er bis dieſen Augens
blick in frommer Einfalt auf die Wiederkunft des Königs
Sebaſtian hoft. Aber die höchſt nachtheiligen Vorurtheile,
welche ſeinen Nationalcharakter verdorben haben , müſſen
nothwendig zuvor abgelegt werden , ehe unſere Staaten
brauchbare Burger aus den Juden machen können . Dieſes
wird nicht eher geſchehen , als bis eine Art Retigionsverbeſ
ſerung unter ihnen entſteht, wodurch reines urſprüngliches
Judenthum , von allen Zufäßen der Ueberlieferung abges
ſondert, wieder zu ſeinem alten Anſehen kommt ; und alles ,
was auch in dieſem nur auf Zeitumſtånde, Staatsverfaſs
fung und Himmelsſtrich Beziehung hatte , nach verander
ten Umſtänden und erloſchener Staatsverfaſſung, für uns
verbindlich erkannt wird . Id fordere hiermit nichts mehr,
als was geſunder Menſchenverſtand bei Anwendung aller
gåttlichen und menſchlichen Gefeße fordert: zu erwagen
ob noch alle die Umſtände eintreten , die der weiſe Wetenges
ber vorausſeşte ; und wenn dieſe wegfallen , nun mit eben
der Bereitwidigkeit den ſtiaſchweigenden Willen deſſelben zu
verehren , mit welcher vorhin der ausdrückliche befolgt
wurde. Auf eine neue wiederrufende Gefeßgebung hier
erſt warten , wo die Veränderung der Umſtande felbft laut
genug ſpricht, heißt auf etwas ſehr unndthiges hoffen , 1

und folglich ſeinen Menſchenverſtand nicht brauchen , wie


ign der Urheber deſſelben gebrauot wiſſen will.i.
Aus
62. Hell. Beiträge. I. B. I. H. Ueber die
Uus allen dem iſt' nun von ſelbſt ſchon abzunehmen ,
was ich von ſolchen Schwierigkeiten halte, die aus der
Sabbatsfeier, dem Genuß mancer im moſaiſchen Geſell
verbotenen Speiſen , aus unſerer Militár - und Zunftver:
faſſung u. ſ. w. Gergenommen und der bürgerlichen Verbeſs
ferung der Juden entgegengeſegt werden. Sie müſſen ,
wie ich glaube, gråſten und wichtigſten Theils von ſelbſt
wegfallen , ſo bald in Anfehung des Sabbaths der Jude
einſehen lernt, daß die neuen Religionslehrer die Strenge
der Sabbatsfeier viel weiter ausgedehnt haben , als das
reine urſprüngliche Judenthum fordert; daß man als Jude
nur dieſen , nicht aber jenen Gehorſam ſchuldig rei; daß
aber auch dieſer Gehorſam auf keine formelle Beobachtung
des Sabbats jezt mehr geben könne , weil dieſe zur långſt
erloſchenen jüdiſchen Staats-und Polizeiverfaſſung gehört;
mithin alles nur darauf ankomme, daß der Jude an einem
beſtimmten Tage, welches ohne Hinderniß der leßte in der
Woche ſeyn mag (wogegen man ihm billig am erſten Wom
chentage zu arbeiten erlauben ſoate ), ſich und ſein Haus ,
auf die beſtmóglichſte Urt, zu Hauſe und in öffentlichen
Geſellſchaften mit anderen Glaubensgenoſſen , in der Er
kenntnis des höchſten Weſend und ſeiner Pflichten übe , ohne
desrvegen die übrigen Obliegenheiten zu verabſáumen ,welche
der Staat, in dem er lebt , allenfalls von ihm fordern
kann. Eben ſo wird der Jude kein Bedenken mehr tragen ,
mit ſeinen unbeſchnittenen Mitbürgern gleiche Nahrungsa
mittel zu genieſen , folglich auch mit ihnen zu arbeiten und
zu dienen , wenn er einſehen lernt, daß fier die Pünktlich
keit rabiniſcher Delikateſſe ihn ebenfalls ohne wahre Befug
niß genauer eingezäunt hat; als das moſaiſche Geſet; und
daß auch dieſes auf den warmen Himmelsſtrich und Vorura
theile des damals herrſchenden Geſchmacks Rückſicht nahm ;
in fåltern ( ändernaber , und bei veränderter Eßluft keine
Beobachtung weiter fordere. Die Anhänger eines alſo ges
reinigten Judenthums werden aller bürgerlichen Pflichten
und
bürgerliche Verbeſſerung der Juden. 63
und Vorrechte vollkommen fähig renn ; und der Staat,
welcher ſie ihnen noch vorenthalten wollte , mußte ſein
wahres Wohl wahrhaftig nicht kennen .
So lange aber die hier bemerkte Quelle alter jüdiſcher
Vorurtheile nicht verſtopft wird , ſo lange wird der to rehe
verdorbene Nationalcharakter, welcher durch ſie zuerſt ſein
Daſein erhalten hat , nicht gebeſſert werden , wenn man
ihnen auch alle mögliche bürgerliche Freiheiten vergönnen
wollte. Es erhellet ſchon aus dem Vorhergehenden , wie
wenig die Juden des Genuſſes derſelben bei ihrer gegenwårs
tigen Denkungsart fähig ſind. Wenn man ſie aber aud
allenfalls dazu wolte ſo weit gelangen laſſen , als dieſer
mit ihren jezigen Vorurtheilen beſtehen kann : ſo iſt davon
noch keineswegs die algemeine Vervoukommung des fittlis
chen und bürgerlichen Charakters der Juden zu erwartext.
Man kann ſich in Anſehung dieſer Sache ſchon auf die Ers
fahrung berufen. Es iſt bekannt, daß die polniſchen Juden
wúrklich ſeit vielen Beſchlechtsſtufen bereits allerlei Gewerbe
treiben ; daß fie inſonderheit faſt allein die Wirthshäuſer
inne haben , auch mancherlei Handwerker åben ; dagegen
ſich nur der allergeringſte Theil mit dem Handel abgiebt ,
welchem gemeiniglich eine ſo nachtheilige Wůrkung auf den
jüdiſchen Charakter, aber , wie es mir ſcheint, ohne Grund;
beigemeſſen wird . Iſt aber darum der heutige polniſche
Jude ein beſſerer Menſdy, ein brauchbarer Bürger , als der
Jude in anderen Staaten ; und befindet ſich das gemeine
Weſen in Polen bei ſeiner großen Anzahl Juden beſſer , als
andere Staaten mit den ihrigen fahren ? Die Beantwortung
dieſer Frage bedarf keines Bedenkens und weiteren Unterſus
dens. Wer aber noch zweifelhaft über den Erfolg dieſer
Geſtattung búrgerlicher Vorrechte iſt, dle der polniſche Jude.
feit langen Zeiten genießt, der gehe nur an die landſtraſſen,
und fragedie herumſchrármende Betteljuden nach ihrer
Heimath; und der größte Tþeil wird immer Polen nennen.
Alſo
64 Helt. Beiträge. I. B. I. H. Ueber die
Alſo hat die erweiterte búrgerliche Freiheit für den polniſchen
Juden nichts gefruchtet ; wie kann man nun andern Staa
ten dieſes vergeblich angewandte Mittel mit einiger Hofnung
eines guten Erfolgs anrathen ?
149

Zu dem glaube ich in Anſehung des Ungrundes der


oben vorgetragenen Meinung, daß die fittliche Herabwúrs VI

digung des jüdiſchen Nationalcharakters ein Werk der poli


tiſchen und religiöſen Bedrückungen ſei , unter denen die
Kinder Abrahams nun ſeit vielen Jahrhunderten gelebt
baben , mich noch auf eine viel allgemeinere Erfahrung bes
rufen zu können. Uuf dieſe nämlich , daß bürgerliche und
kirdliche Drangſalen den fittlichen Charakter eines Volks,
nach bekannten und leicht zu erklärenden pſychologiſchen
Gefeßen vielmehr beſſern als verſchlimmern ; und daß der,
wegen ſeiner verſchiedenen Religionsmeinungen bedrångte
Unterthan , gemeiniglich ein unendlich beſſerer Menſch ſei ,
als alle die unduldramen Glieder einer ſogenannten Herrs
fchenden Kirche zu ſeyn pflegen , die ſich eine ihrem Wahn
finne gefáaige Pflicht daraus machen , feine Peiniger zu ſeyn.
Der fittliche Werth des alſo verfolgten Juden hatte ſich
daber, nach dem ordentlichen Verhältniſſe von Urſache und
Wurfung, eher über den ſittlichen Charakter des verfol
genden Chriſten erheben müſſen. Mithin wird die Schuld
von ſeinem Herabſinken bis zu den niederen Stufen vernünf
tiger Weſen wohl mit Unrecht auf den Druck geſchoben ,
unter welchem er bis dahin gelebt hat. Vielmehr hinder
ten ſelbſt die tief eingewurzelten Nationalvorurtheile die
guten Würkungen , welche Religionsbedruckungen in der
Uusbildung und Beſſerung ſeines Charakters gåtten her:
vorbringen können .

Endlich ift auch dieſes nicht unbemerkt zu laſſen , daß


die Religionsbedruckungen , über welche Juden im Mittel
alter unter Chriſten zu klagen hatten , ſchon ſeit mehreren
Geſchlecits
bürgerliche Verbeſſerung der Juden. 65
Geſchlechtsſtufen faſt ganz aufgehört haben. Die chriſtlis
chen Religionspartheien fchienen leider ! ſeit etlichen Jahre
þunderten mit ihrer gegenſeitigen Verfolgung ſo viel zu thun
zu haben , und ſich einander ſo herzlich zu haſſen , daß
Juden und alle andere Nichtchriſten vor ihren Verfolguns
gen in Ruhe bliebert. Und noch bis dieſe Stunde befinden
fich in manchem (ande jüdiſche Gemeinden undderen Glieder
viel ruhiger und beſſer, als die von der unduldſamen herra
ſchenden Kirche abweichenden chriſtlichen Religionsverwanda
ten. Man bemerkt aber keineswegs, daß die bedruckten
chriſtlichen Glaubensgenoſſen um deswillen einer Verſchlima
merung ihres fittlichen Charakters und bürgerlichen Werthes
ausgeſeßt waren. Benachbarte Staaten von einer duldias
meren Verfaſſung haben ſolche ihres Glaubens wegen vers
drångte Chriſten mit Freuden aufgenommen und ihnen alle
bürgerliche Freiheiten geſchenkt, weil ſie aller fåhig und
würdig waren. Dagegeniſt der ſittliche und politiſche Chas.
rakter der Juden aller in Anſehung ihrer úblich gemordenen
Religionsduldung ohngeachtet, noch eben ſo verderbt, als
er vor zweihundert Jahren war ; zum fichern Beweiſe, daß
dieſer einen anderen Urſprung , als die ausgeſtandenen por
litiſchen und religiøſen Bedruckungen haben müſſen.
Wie ſou aber nun die für nothwendig erkannte Res
formation des jüdiſchen Religionsbegrifs bewirkt, und die
Denkungsart des groſen Haufens von den ſchädlichen Vors
urtheilen , woran er krank liegt , geheilt werden ? Daß
von Proſelytenmachern hier nidyts zu hoffen ſey, iſt ſchon
geſagt; und ich weiß hierzu keinen beſſeren Weg, als daß
die aufgeklärten und verehrungswürdigen Menſchen im jüdis
fchen Volke - die Möſes Mendelſohne ſichs ernſta
lich angelegen ſeyn laſſen , durch Beiſpiel und Lehren dies
große Werk nach und nach zu vollbringen , und dadurch zu
wahren Wohlthátern ihrer Brüder zu werden. Wie ſie
die Sache anzugreifen haben , muß billig ihrer eigenen Eins
Seff. Beitr.B.I. Št. I. ſicht
66 4
VI. Ueber die bürgerliche
ficht überlaſſen bleiben , weil ſie ohne Zweifel beſſer , als
jeder anderer Glaubensgenoffe, wiſſen , wodurch ſie bei dem
gemeinen Haufen der Fhrigen ſich Folgſamkeit zu verſchafs
1
fen im Stande ſind. Freilich iſt dabei ſehr zu beſorgen ,
daß auch unter den Juden orthodoxe Eiferer ſich vordem Rif
ſtellen , und gegen dergleichen vermeintliche Religionsneues
rung , die doch in der That nichts anders als Wiedereins
feßung des wahren Judenthums und der geſunden Vers
nunft in ſeine alten Rechte ſind, ſich aus allen ihren Krafs
ten auflehnen werden. Sie werden auch Bannftrahlen
gegen den Neuerer brauchen , wenn er ſeine Abſichten uns
verholen blicken láßt ; und ich kann das Recht auszuſchlieſs
ſen an ſich ſelbſt, und unter den nothwendigen Einſchräns
kungen , einer jüdiſchen Gemeine nicht abſprechen , wie ich
vielleicht nachſtens in einer kurzen Vertheidigung des Kirs
chenrechts gegen Herrn Mendelſohn umſtåndlicher dars
zuthun verſuchen werde. Aber was iſt denn der gefürchtete
geiſtliche Bannſtrahl, wenn der , welcher ihn ſchleudert,
nicht zugleich weltliche Macht in Hånden hat, oder die welts 11

liche Obrigkeit nicht unklug genug iſt , dem Zeloten ihren


Urm zu zu leihen ? Fulgur e pelui! und nach Sas
lomons Ausdruck : ein unverdienter Fluch , der nicht trift;
an den ſich alſo auch ein ſeiner guten Abſicht bewußter
Freund feiner Zeit- und Glaubensgenoſſenen wenig kehren
follte. Das Neuſſerſte, was hieraus erfolgen könnte, ware
vermuthlid) eine Abſonderung der Bekenner des gereinigten
Judenthums zu einer beſondern judiſchen Kirche, der es an
Gliedern gewis nicht fehlen wird ; und dieſen wird jeder
Staat, worin geſunde Regierungsgrundfäße herrſchen , mit
Freuden Aufnahme und kräftigen Schuß ſchenken .
Sehen Sie , wertheſter Freund , das ſind meine
Erinnerungen , welche ich gegen Ihren obigen Grundſať
zu machen hatte. Vielleicht bin ich ſchon anzuweitläuftig
in Entwickelung derſelben geweſen; dennoch darf ich nicht
fúroten ,
Verbeſſerung der Juden. 67
fürchten , Ihre Geduld damit ermüdet zu haben ; denn fie 1

betreffen eine der ganzen Menſchheit wichtige Angelegenheit,


bei welcher oft der dem erſten Anſchein nach wenig erhebliche
Gedanke von großen Folgen ſeyn kann. Beleuchten Sie
den ineinigen , wenn Sie ihn wichtig genug dazu finden ,
und führen Sie mich auf den richtigeren Weg zurück, wenn
ich ihn verfehlt haben ſoute.
Runde.

VII .
Vaterlandsliebe ; oder das Betragen der
gefangenen Heſſen in Amerika.
aß ein Theil eben der braven Heſſen , welche unter
ihrem tapferen Anführer das Fort Washington
erobert hatten , in der Folgeſo unglücklich war , den Fein
den in die Hände zu fallen , baben öffentliche Nachrichten
überal verbreitet. Aber wie ſich dieſe achten Söhne ihres
Vaterlandes in der Gefangenſchaft betrugen , wie ſie da
der Stimme der Verführung eben ſo ſtandhaft, als den
unedelmüthigeren Drohungen und wúrklichen Elende wis
derſtanden haben , das iſt nicht ſo bekannt , als es zu ſeyn
verdient. Folgende Anekdote wird die Geſinnung dieſer
wackeren Seute in ihr verdientes Licht ſtellen .
Anfänglich verfuhren die Amerikaner mit ihren Ges
fangenen ganz gut , das iſt ſo, wie es den Grundlagen des
Rechts , wozu ſich geſittete Vðſker bekennen , gemas ift.
Zuleßt aber wurden ſie in ihren Maasregeln ſtrenger , und
behandelten inſonderheit die gefangenen Heſſen auf eine
nur unter rohen kriegführenden Vlikern übliche , und als
lenfaus, mit der gegenſeitigen Barbärei zu entſchuldigende
Weiſe. Unter anderenwurden etwa hundertHeſſen, mehs
rentheils vom Regiment von Knyphauſen , zu Philadel
phia
68 VII. Paterlandsliebe Der gefangenen
phia in einem für Miſſethåter und böſe Schuldner beſtimms
ten Stadtgefangniſſe ſehr enge eingeſperrt. Mangel und
Elend aller Art umgaben ſie hier , und zwar auf vorſåßliche
Veranſtaltung des Kongreſſes ; denn dieſe Begegnung ſollte
den füſſen (ockungen , welche man zugleich brauchte , um die
Gefangenen zur Untreue gegen ihr Vaterland zu bewegen,
das gröſte Gewicht geben . Man gieng ſo weit , ſie zu vers
fichern , es ſer kein andres Mittel ihren Zuſtand zu mildern
übrig , als die Annehmung eines neuen Vaterlandes ; ins 14

dem der König von England ſowohl, als der Sandgraf von
Heſſen fie ganz aufgegeben hätten . 9

Der grófte Theil dieſer Gefangenen gab gleichwohl


weder den Verführungen noch den Drangſalen nach , Tons
dern erwartete in Geduld , und Vertrauen auf die Bemús
Hungen ſeiner wahren Vorgeſeßten , das Ende feiner Noth .
Zwei und dreiſig von ihnen aber , um in einen erträgliches
ren Zuſtand zu gelangen , verkauften ſich einem reichen
landeigenthümer bei Philadelphia , auf vier Jahre, fúr
dreifig Pfund Yorfſcher Münze. Nun kam der Friede ;
und diejenigen Gefangenen , welche ſtandhaft im Kerker
ausgehalten þatten , wurden den öffentlichen Vertragen
gemas in Freiheit gefeßt. In Anſehung der übrigen aber
ereigneten ſich nicht geringe Schwierigkeiten . Sie ſelbſt
wünſchten mit ihren nun erldßten Brüdern in ihr Vaters
land zurückzukehren ;, der Kongreß hingegen wollte ſie nicht
anders , als nach geſchehener Wiederloskaufung, auslie igo
fern ; zu den hierzu erforderlichen Ausgaben aber war wes
der die Brittiſche noch die Heftiſche Generalitat bevollmach
tigt, und ohne langen Aufſchub vielleicht langeren , als die
noch übrige Zeit des Aufenthalts der Truppen in Amerika ,
war auch keine dazu erforderliche Inſtruktion zu erwarten .
Kaum erfuhren aber dieſe zwei und dreiſig Mann , welche
Hinderniſſe ihrer Befreiung im Wege ſtunden , ſo erklärten
fie einmüthig , daß ſie ſich ausiøren eigenen Mitteln los
kaufen
Heſſen in Amerika. 69
kaufen wollten , wenn die Heſſiſche Feldfriegskaſſe ihnen
nur dazu den Vorſchuß thun wurde. Dieſe Bitte wurde
in der Hofnung hddyſter Genehmigung bewilligt; der Kon
greß erhielt das verlangte (dregeld, und die nun wieder
frei gewordenen Heſſen verlieſſen gern die'neuen Freiſtaaten,
um nach ihrer Heimath zurückzukommen . Aud) rechtfers
tigte der Erfolg dieſe Anhänglichkeit an ihr Vaterland ;
denn als dieſelbe bei ihrer Zurückkunft bekannt wurde ,
zeigte ihr Sandesherr , daß er treue Unterthanen liebe ; ins
dem er nicht nur jene ruhmwürdigeren Standhaften für
ihre erprobte Treue reichlich beſchenkte, ſondern auch leßtern
alen Vorſchuß, mit welchem ihre Befreiung hatte erkauft
werden müſſen , erließ.
Ki .

VIII.
Verordnung zum Beſten der Heffiſchen
Univerſitäten , Marburg und Rinteln .
V on Gottes Gnaden Wir Friedrid), Sandgraf zu
Heſſen, Fúrft zu Hersfeld, Graf zu Kafenelenbogen ,
Diez , Ziegenhain , Nidda , Schaumburg und Hanau , 26 .
Ritter des Königlich Großbrittanniſden Ordens vom
blauen Hoſenbande, wie auch des Königlich Preuſſiſchen
Drdens vom ſchwarzen Adler, 4. 2.. : Fugen Hierdurch zu
wiſſen : Nachdem Wir in Erfahrung gebracht haben , daß
ſich auf unſeren Univerſitäten verſchiedene Misbrauche ein
ſchleichen wollen , welche dem Flore und der ſo ſehr ers
wünſchten Aufnahme derſelben in die Långe hinderlich fala
len durften ; ſo haben wir für nöthig erachtet, dieſem
Uebelſtande bei Zeiten abhelfliche Maas zu regen , und
berordnen deswegen ,
E 3 I. Was
+

70 VIII . Verordnung für die Heſſiſche


1.

Was die Ferien betrift : daß die auf allen Univerſitás


ten aus guten Gründen eingeführte Oſtern- und Michaelis
Vacanzen zwar auch beibehalten werden , aber jedesmal
nicht langer wie vier Wochen dauren ſollen . Dahingegen
verlangen Wir , daß die ganze übrige Zeit des Jahres hins
durch , nur die Pfingſts Weinachtswoche, Sonn- und
andere hohe Feiertage ausgenommen , fleiſig und ununter
brochen geleſen werde. Doch bleibet es denjenigen Profeſs Ty
ſoren , deren Geſundheitsumſtände erforderlich machen ,
einige Wochen mineraliſche Waffer zu trinken , unbenom
men , dieſe Zeit über ihre Vorleſungen auszuſeßen. Wir
ſind verſichert, daß wenn bisher die Ferien långer, wie bila
lig Håtte ſeyn ſollen , gedauret haben, die Schuld nicht ſo
wohl an den Lehrern , als Lernenden gelegen hat. Wir
ermahnen deswegen teſtere ernſtlidi, dieſer lediglich auf ihr
eigenes Beſte abzweckenden Verordnung genau nachzuleben,
und ſich allemal um die beſtimmte Zeit wieder gehörig eins
zufinden.
2.

Verſehen Wir uns zu den Lehrern , daß fie gleich an


fangs ihre Vorleſungen nach einem ſolchen Plane und Zus
Tchnitte einrichten werden , damit ſie nicht nothig haben ,
gegen das Ende des halben Jahres , nach einer ſehr ſchåb
lich eingeführten Gewohnheit, die Stunden zu verdoppeln,
als welches ein für allemal hiermit gånzlich unterſaget, und
nur der Fall einer ſchweren langwierigen Krankheit eines
Profeſſoris, oder deſſen Abweſenheit in offentlichen Ges
ſchäften , und dann in ſolchen Stunden , worinnen die
übrige Profeſſores nicht lehren , ausgenommen wird. Zu
dem Ende inúſſen die Vorleſungen zu rechter Zeit angefan
gen , alle unnöthige Ausſchweifungen verinieden , auch das
allzuhäufige meiſt unnuge , und zeitverderbende Dictiren
abgeſchaffet werden .
Uebris

í
Univerſitäten Marburg und Rinteln . 71
Uberhaupt iſt die Abſicht akademiſcher Vorleſungen
nicht , um den Zuhörern weder auf der einen Seite unbes
kannte , bisher unentdeckte Wahrheiten vorzutragen , noch
auch auf der andern ſie dasjenige ſchlechter aufſchreiben zu
laſſen , was man ſchon längſt in Büchern beſſer gedrucket
findet, ſondern der wahre nicht verkennbare Nußen des
freien múndlichen Vortrages , der beſonders bei Unfängern
auch für dem beſten Bücherunterrichte noch immer grore
Vorzüge hat, beſtehet darinnen : daß die Anfangsgründe
einer jeden Wiſſenſchaft ro deutlic), faßlich und kurz, wie
nur immer möglich iſt , in einer äuſſerſt planen und popu
låren Sprache vorgetragen , und zugleich die beſten Schrifs
ten angezeiget werden , woraus die Lernenden ſich nachher
zu ſeiner Zeit weiter Raths erholen , und auf die einmal 1

gut gelegte Fundamente ferner fortbauen können.


3.
Sollen über alle Haupt- und Fundamentalwiſſens
ſchaften halbjährigeVorleſungen gehalten, und ſolche ſoviel
móglid ), auf verſchiedene Stunden verleget werden ; damit
daraus Feine ſchädliche Colliſionen entſtehen.
4.
Muß der halbjährige Sectionscatalogus aufs långſte
ſchon vier Wochen vor Oſtern und Michaelis publiciret
ſeyn , damit auch Auswärtige ſolchen bei Zeiten zur Ein
ſicht bekommen können. Die Stunden Togen darinnen
auch ſogleich angezeiget, und ſolcher hinfüro in Folio ges
drucket werden . Da Bir

5.
ſehr mißfällig bemerket Haben : wie auf unſeren llniverſi
tåten die faſt epidemiſche Sucht einzureiſſen anfanget, daß
viele der darauf Studirenden die ſo nóthige und núßlide
Húlfs- und Vorbereitungswiſſenſchaften ganz vernachláſſi
S 4 gen
1
72 VIII. Verordnung für die Heltiſche
gen, und fid lediglich auf die ſogenannte Brodſtudia legen ,
um nur Hóchſtens ganz Handwerkmäſſig ſo viel zu lernen ,
was ſie etwan nothdürftig im Eraminebrauchen ; ſo haben
Wir Unſere junge akademiſche Bürger ernſtlich ermahnen
wollen , ſich von dieſer ſchädlichen Gewohnheit, welche ims
met die nachtheiligſte Folgen hat, nicht hinreiſſen zu laſſen ,
ſondern vielmehr alte und neue Sprachen , Lektúre der klaſs
fiſchen Schriftſteller, dieſer herrlichen Ueberbleibſel des Al
terthums, und Muſter alles Schónen , die ſo gemeinnúßige
und in unſeren Zeiten höchſtnothige mathematiſche , echt
philoſophiſche und hiſtoriſche Wiſſenſchaften , mit allem
Fleiſe und Eifer ohnausgeſeßet zu betreiben. Sie werden
davon die glücklichſte Folgen verſpüren , und dadurch in
den Stand gefeßet werden , ſelbſt die eigentlich ſogenannte
Brodſtudia leichter zu erlernen , auch mehrere Gründlich
keit , Ordnung und Deutlichkeit dahinein zu bringen.
Heberhaupt iſt und bleibt es eine ausgemachte Wahrs
Heit , daß wež jene Wifenſchaften , die uns auß der Bara
barei herausgezogen , denen wir unſere jezige Aufklárung
mit zu verdanken haben , und die ſo ſehr geſchickt ſind, Kopf
und Herz junger Leute auszubilden , in der Jugend zu trei
ben verabſáumet, nie hoffen darf , jemals ein gründlicher
und brauchbarer Theolog, Rechtsgelahrter oder Arzt zu
perden Da Wir
6.
mit vieler Befremdung vernommen haben , daß die geringe
honoraria für Privatvorleſungen , welche mehr bloße Zei
chen von Dankbarkeit , als Bezahlung vorſtellen , ſogar
pon ſeuten, welche übrigens manchen unnöthigen Aufwand
machen , den Lehrern entzogen werden ; To befehlen wir
hiermit ernſtlich , daß alle und jede , deren Verinogendum
ftande folches erlauben , jedesmal in der Mitte des halben
Jahres, dieſe aus guten Gründen von Alters her einges
führte geringe Erkenntlichkeit unausbleiblich abtragen ſollen .
Wir
Univerſitäten Marburg und Rinteln . 73
Wir würden von einem jungen Menſchen , der ſich einer
ſo ſchwarzen Undankbarkeit gegen Perſonen , denen er uns
endlich viel zu verdanken hat , ſchuldig machet, nie eine 1

guteMeinung ſchöpfen können , und mit Recht daran zweis


feln müſſen , daß ſolcher jemals ein edel- und gutdenkender
Mitbürger werden dürfte.
Dagegen aber haben wir auch zu unſeren Profeſſos
ren das , wie Wir hoffen, gegründete Vertrauen , ſie wers
den , wie ſolches bishero rühmlich geſchehen , alſo auc in
Zukunft einem jeden , deſſen Vermogensumſtånde nicht ers
Jauben , dieſe obwohl geringe honoraria abzutragen , ſola
che gar gern und willig erlaſſen ; wenn ſie anderſt gleich bei
dem Unfange der Vorleſungen darum gehårig erſuchet, und
ihnen die Gründe und Urſachen des Unvermogens glauba
haft vorgetragen worden. Heberhaupt wird es
7.

Uns zu gnädigſtem Wohlgefallen gereichen , wenn Lehrer


und Lernende auf unſeren (andesuniverſitäten , den waha
ren Pflanzſchulen des Staates , in allen ihren Bemühuns
gen dahin übereinſtimmen , und mit gemeinſchaftlichen
Kräften darauf hinaus arbeiten , daß Wir nie überMans
gel an geſchickten , brauchbaren , wohlgeſitteten und guts
denkenden Zöglingen mogen zu klagen Urſache haben . Wir
verlangen deswegen , daß auf gute Ordnung und Diſciplin
vorzüglich ſcharf und genau ſou gehalten werden , und ſind
Telechte ganz incorrigibele Subjecte lieber wegzuſchaffen ,
als daß andere gutgeſinnte durch ſie noch verdorben und
angeſtecfet werden , indem es uns immer angenehmer iſt ,
auf Unſeren Univerſitäten wenige und gute, wie viele und
ſchlechte Mitglieder zu haben. Wir wünſchen aber , daß
dieſe Strenge unnsthig ſeyn móge, und hoffen vielmehr,
daß alle Unſere junge akademiſche Bürger durch ihr Ber
tragen die Wahrheit jenes Ausſpruches beweiſen mogen :
ES Den
1

74 VIII. Verordnung für die Heſſiſche 1

Den Wiſſenſchaften fleiſig obligen , verfeinert die Sit


ten , und låſſet ſie nicht verwildern.
Damit aber ,
8.

dieſer Unſrer Verordnung genau nachgelebet, und Wir ,


in mie ferne ſolches geſchiehet, immer von Zeit zu Zeit
mögen benachrichtiget werden ; ſo haben wir für nöthig
erachtet, bei unſeren Univerſitäten die nämliche Einrich
tung zu treffen , welche man theils ſchon bei anderen Stans 3+

den von großem Nußen befunden , theils auch auf vielen


auswärtigen Akademien mit gutem Erfolge eingeführet hat,
und welche darinnen beſtehet: daß halbjährig von allen auf
der Univerſität Studirenden eine genaue ſogenannte Con
duitenliſte eingeſchicket wird. Wir haben desipegen zu
Marburg und Rinteln den beiden Profeſſoren Robert
1
und Haſſencamp benebſt einem jedesmaligen Prorectore
die Verfertigung dieſer liſten betreffenden ſpeciellen Auftrag
gegeben , und ihnen darüber eine beſondere Inſtruction zu
gefertiget. Die übrige Profeſſores ſind ebenfalls gehalten ,
alles mögliche zur Beförderung dieſes núßlichen und Heilſa
men Inſtituts beizutragen . Sie ſollen deswegen jenen am
Ende eines jeden halben Jahres , ohne weiteres Erinnern ,
ein genaues Verzeichnis derjenigen , welche bei ihnen Vorles
1
ſungen gehöret haben, zuſchicken , darinnen bei einem jeden
pflichtmáſig anmerken , ob er ſolche Fleiſig oder unfleiſig bez
ſuchet babe, und zugleich alles gewiſſenhaft anführen , was
ihnen ſonſt noch etwan von deſſen guter oder ſchlechter Auft
führung iſt bekannt geworden . Aus dieſen verſchiedenen
Berichten , verbunden mit ihren eigenen Erfahrungen und
Bemerkungen , foưen oben benannte Prorectores und Pro
feſſores , ebenfalls auf Pflicht und Gemiſſen unbefangen
und ohne Anſehen der Perſonen ein ganzes machen, und
folches an uns einſenden . Dagegen ſouen die bemerkte
Pro
Univerſitäten Marburg und Rinteln. 75
Profeſſores für dieſe gemeinnüßige, aber mühſame Arbeit,
vom Prorectorate, wenn ſie es verlangen, diſpenſiret ſeyn .
1

Durch eine ſolche Verrichtung hoffen Wir in den


Stand geſeßt zu werden , Unſere fünftige Diener des
Staats bei Zeiten näher kennen zu lernen , die nach dem
obigen fünften Paragraph blos handwerksmäſſig Studirens
de von anderen echten und edeler denkenden Muſenjöhnen
zu unterſcheiden, hofnungsvolle, fleiſige, wohlgeſittete junge
Leute durch Belohnungen aufzumuntern , hingegen unſleis
ſige, ſich ſchlecht betragende Subjecte durch wohl anges
brachte Strafen , noch wo móglich entweder in Zeiten zu
beſſern , oder von unſeren Akademien zu entfernen .
Wir werden deswegen bei Vergebung von Freitiſchen,
Beneficien und künftiger Bedienungen, auf die in beſagten
Conduitenliſten vorkommende Schilderungen ganz vorzuge
liche Rückſicht nehmen ; und ſoll die Zukunftlehren , daß
ſowohl dieſe Drohungen als Verſprechungen zuverläſſig in
Erfüllung gebracht werden.
Caſſel den 21ten Junii 1782.

Friedrich, Landgraf zu Heffen .

Vt. FLECKENBÜHL , gt. v . BÜRGEL.

IX
76 1.00
IX .

Lobrede auf Herrn Jars (*)


von

Herrn von Fouchy.


RE

Gababriel
rie l Jars, Mitglied der Akademie der Künfte
gu Sondon und der Akademie der Wiſſenſchaften und
Künſte zu Lyon den 26ten Jänner 1732 zu {yon ges
bohren . Sein, Vater war Gabriel Jars, ein Gewerke
von den Bergiverken zu Sainbel und Cheiſſy, und ſeine ;
Mutter war Johanna Maria Palioud ; beide ſtammten
aus einer alten und guten Familie. Er war der jungſte
von ſechs Kindern, drei Söhnen und drei Tóchtern. Seine
beiden älteren Brüder hatten ſich ebenfalls , ſo wie er , dem
Bergwerksweſen gewidmet, und haben ſich in dieſem Bea
Towerlichen Fache ſehr ausgezeichnet.
Herr Jars , auf den ſich dieſe ſobrede bezieht, legte
ben Grund zu ſeinen Wiſſenſchaften auf der hohen Schule
zu Jyon und hatte ſich hier ſchon ſehr hervorgethan, als
fein Vater anfieng die Bergwerke zu Sainbel und Cheiſſy
zu bauen , der es dann vor nothighielt ſeinen Sohn auch
þinzuberufen , um ſeine Talente zu prüfen.
Dieſe
( *) Der Herr Geheimbe Hath Gerhard hat in ſeiner teutſchen
Ueberſebung von Jars Metallurgiſchen Reifen dieſe nach der
Vorrede im franzöffden Original ſtehende fobrede auf H. Jars
ganz weggelaſſen . Da aber das Leben dieſes feiner vortreflicher
Reiſen ſowohl, als auch ſeiner übrigen Schriften wegen berühme
ten Metallurgen wohl eine weitere Befanntmacung verdient, fo .
liefere ich hier eine teutſche Ueberfeßung dieſer Robrede. Sie
verdient um ſo mehr Aufmerkſamkeit, weil ſie einen neuen Bea
weis abgiebt , wie ſehr man in neuern Zeiten aud auſſerhalb
Teutrdland bemüht iſt , gründliche Kenner der Bergwerkskunde
felbſt auf Koſten des Staats anzuziehen. Wille ; Bergamts
afferfor ju Somalfalden.
IX. Lobrede auf Herrn Jars. 77
Dieſe Probe war vom beſten Erfolg. Die Fähigkeis
ten , To Hr. Jars von der Natur erhalten hatte, wartes
fen nur auf Gelegenheit ſich zu entwickeln . Weil er ſtets
die Gruben befuhr und die Grubenarbeiten und ſonſtige
zum Bergbau erforderliche Anſtalten immer um ſich hatte,
To wurde hierdurch aus ihm ein guter Metallurge. Aber
er mußte bald dieſen Eifer máffigen und durfte nicht mehr
wie ſonft den gråſten Theil ſeiner Zeit in den Gruben zua
bringen , denn die Begierde zu lernen machte, daß er dars
ůber alle Gefahren , denen er ſein Leben und ſeine Geſunds
heit ausſeßte , vergaß. Dies kam bis vor den ſeligen H.
von Valliere. Da dieſer nach Iyon kam , verlangte er den
jungen Jars zu ſehen , und er war mit ihm ſo zufrieden,
daß er es für nöthig hielt , ihn nach der Hauptſtadt zu ſchia
den , um daſelbſt ſeine vortreflichen Talente mehr auszus
bilden , und von dem Augenblicke an wurde er gewiſſer :
maſſen ein Zögling des Staats.
Der Herr von rudaine, dem der H. von Pals
liere die Talente und den guten Charakter des jungen
Jars gerühmt hat, welches dann auch die einzige gute
Empfehlung bei ihm war , und der die Gruben des Iponers
öffentlichin ſeinen Schußnahm , ließ ihn die Brückens und
Wegebauſchule beſuchen , um darin die nöthigen Wiſſens
ſchaften zu erlernen. Er lernte hier das Zeichnen und die
Mathematik, und zu gleicher Zeit mußte er auch die Chymie
Hören , wodurch er zu den richtigen Gründen der Metallurs
gie , der er ſich mitmete , gelangte. Nad Verlauf von
zwei Jahren , die er hiermit zugebracht Vatte, wurde er
von der Regierung nach den Bleigruben zu Poularoen in
Bretagne geſchickt. Hier gab er durch Einſchickung verſchies
dener Riffe und Beſchreibungen ſo vorzügliche Beweiſe von
ſeiner Geſchicklichkeit, daß man kein Bedenken trug ihn im
nächſtfolgenden Jahre wieder wegzuſchicken , um in der
nämlichen Provinz die Gruben zu Pompean, und in Unjon
Die
78 IX . Lobrede auf Herrn Jars.
*

die Steinfohlenwerfe in der Gegend von Ingrande zu bes


fahren. Kurz darauf wurde ihm aufgetragen , nach dem
Elſaß zu gehen , und die Bergwerke zu St. Marie au Mines
und zu Giromagny zu beſuchen , wovon er dann auch die
Riſe mit weitläuftigen Beſchreibungen einſchickte. Von 1

da kehrte er nach den Bergwerken zu Sainbel und Cheiſſy


jurück. Bei ſeinem Aufenthalte daſelbſt legte er einen gros
fen Gahr- oder Spleisofen an , wodurch die Gemerken ein
anſehnliches erſparten , wovon er nachmals eine Beſchreis
bung der Akademie mitgetheilt hat, die in den Memoires
yon 1769 (*) erſcheinen ſoll. Dieſem Ofen fügte er noch
thehrere Anlagen von Defen bei , deren von Tag zu Tag
immer mehr wahrzunehmender Nußen einen neuen Bea
tegungsgrund abgiebt, ſeinen Verluſt zu bedauern.
Raum hatte ſich Hr. Jars ein Jahr zu Paris auf:
gehalten , als er Befehl erhielte nach Deutſchland zu reiſen,
und die Sächſiſchen , Deſtreichiſchen , Böhmiſchen, ungas
tiſchen , Tyroliſchen , Kärntniſchen und Steyriſchen Berg
werke zu beſuchen. Dieſe Reiſe dauerte drei Jahre und die
Früchte davon ſind eineMenge ſchöner Abhandlungenüber
alles was er merkwürdiges geſehen hat. Nach der Rück
funft von ſeiner Reiſe erſchien Herr Jars das erſtemal bei
der Akademie der Wiſſenſchaften und las einige Abhand
fungen vor, die ihn bekannter machten , und ihm auch
unter dem roten Jänner 1761 den Titel eines Correſpons
1
denten zuwegebrachten. Bald darauf wurde er auch ein
Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften und freien Kúns
fte zu Iyon. In der Folge gieng er nach den Bergwerken
ju Sainbel und Theiſſy , wo er einen Kupferhammer ans
legte , und bei dieſer Gelegenheit freute es ilyn ſelbſten , daß
ér einige Zeit zur Mathematik verwendet hatte.
Wah :
( * ) Dieſer Band ift ſeitdem gedrudt worden , und da ſteht dieſe
Beſdreibung S. 589.
IX . Lobrede auf Herrn Fars. 79
Während dem daß er ſich zu Cheiſſy aufhielte, erhielt
er Befehl ſich nach der Franche Comte zu begeben , um das
felbſt nady Steinkohlen zu ſchürfen , womit er aud ein
ganzes Jahr zubrachte. Er war kaum von dieſer Reiſe zus
růck, ſo wurde er wieder nach England geſchickt, um das
ſelbft neue Kenntniſſe zu ſammlen ; denn man ließ ihn nie
gerne lange ohne Geldhafte. Auch von daher brachte er
wichtige Bemerkungen mit , unter andern auch das Vers
fahren , wodurch man den Mennig erhält, welches bei uns
faſt ganz unbekannt , oder doch wenigſtens nur wenigen
Künſtlern bekannt war , die aber daraus ein Geheimniß
machten . Bei ſeinem Aufenthalte in England wurde er
auch unter die Zahl der auswärtigen Mitglieder der Aka :
demie der Künſte zu london geſeķt.
Wir haben bisher einer andern Beſchäftigung, derer
ſich Hr. Jar8 auf ſeinen Reiſen unterzog , nicht gedacht,
námlich daß er ſuchte die Sprache der verſchiedenen Lånder,
wo er ſich aufhielte , zu erlernen. Eine Sache die um ſo
nöthiger war , weil er mit Leuten zu thun hatte , die bloß
ihre landesſprache verſtunden , oderwohl gar auch nur ihre
ganz eigene Provinzialſprache, die noch weit ſchwerer als
die Landesſprache ſelbſten zu verſtehen war , und dieſem Ges
fthafte widmete er die wenige Zeit , die ihm ſeine Beobach
tungen übrig lieſſen .
Bisher hatte Hr. Jars , ſo zu ſagen , nur noch dent
Eingang zu ſeinen. Reiſen gemacht. Die Regierung ließ
ihn im Jahr 1766 eine weit gróſere Reiſe vornehmen. Er
wurde nach Norden geſchickt, um den größten Theil der
dortigen Bergwerke zu beſuchen. Zum Gehülfen auf dies
fer Reiſe bat er ſich ſeinen zweiten Bruder aus , der ſo wie
er die Metallurgie ſtudirt hatte. Man könnte wohl glaus
ben , und das auch ohne ihm einmal Unrecht zu thun , daß
die zártliche Liebe , die er gegen dieſen Bruder hegte ihn
Hierzu
80 IX. Robrede auf Herrn Jars.
hierzu bewogen hatte. Aber von dem Charakter , der dem
Sorn Jars eigen war , können wir faſt gewiffe Verſiches
1
rung geben , daß er einen andern ſeinem Bruder murde
vorgezogen haben, wenn er verſichert geweſen wäre , daß er
ihm bei ſeinen Reiſen mehr júlfliche Hand zu leiſten iin
Stande ware.

Die beiden Reiſegefährten reißten mit vielen Empfeha


lungsſchreiben verſehen ab, und wußten auch , daß ihre
Ankunft allen Geſandten des Konigs ari den Orten , die
ſie zu paſſiren hatten , bekannt gemacht war. Den Anfang
machten ſie mit Holland , wo ſie die dafigen Manufakturen
in Uugenſchein nahmen. Von da giengen ſie ins Hannes
vriſche und nach dem Harzgebúrge, wo ſie vier Monate
blieben. Sie durchreiſten ſodann einen Theil von Sachſen ,
und der Grafſchaft Mansfeld, von da ſie nach Hamburg
und Coppenhagen , und von da nach dem Silberbergwerk
ju Kongsberg in Norwegen und endlich nad Schweden
reiſten. Wir k&nnen hier die Art, wie ſie der Kronprinz
von Schweden aufnahm , nicht mit Stiaſdweigen überge
Hen. Dieſer Prinz hatte die Attention für ſie gehabt , daß
er die Profeſſores zu Upſal hatte von ihrer Hinkunft benach
richtigen laſſen , und Er und beide Königl. Majeſtåten was
ren ſo gnädig gegen ſie, daß Sie ſich eine lange Zeit mit
ihnenüber verſchiedene Gegenſtände ihrer Reiſe unterhielten .
Der Akademie iſt an dem Ruhm des damaligen Kronprins
zen und jezigen Königs von Schweden viel zu ſehr gelegen ,
als daß ſie dieſe Gelegenkeit könnte vorbeigehen laſſen ohne
dem Publiko von dieſein neuen Berpeiſe von der liebe dieſes
Monarchen für die Wiſſenſchaften , Nachricht zu geben ,
und ihm deshalb hier ihre Erkenntlichkeit zu bezeigen .
1
Man kann leicht die Gefahr und Mühe bei einer ſols
dhen Reiſe einſehen . Die böſen Wege, die ſtrengen Wins
ter in den nordlichen Ländern, die dftere Gelegenheit in die
tiefſten
IX . Lobrede auf Herrn Fars. · 81
tiefften Gruben zu fahren , und da aus den Eingeweiden
der Erde der Natur ſo zu ſagen ihre Geheimniſſe wegzuſtega
len ; nichts von alle dem konnte diemuthigen Reiſenden von
ihrem Vorhaben abhalten , und die Begierde zu lernen und
ihrem Könige und Vaterlande zu dienen , räumte alle dieſe
Schwierigkeiten aus dem Wege. Die Frucht dieſer gelehrs
ten Reiſe waren ſechzehen Abhandlungen , ſo nachher dem
Conſeil úbergeben wurden , wornach ſich die Brüder wieder.
von einander trennten . Der jungere gieng wieder nad
Sainbel , und der , deſſen fobrede wir hier halten , kam
nach Paris zurück. Zur Belohnung für dieſe Reiſe erhielt
er ein Departement, welches der Herr Generalcontroleur
iým auf Empfehlung des Hrn von Trudaine ertheilte.
Und nun kommen wir endlich zu demjenigen Theil
des Lebens des Hrn Jars , woran die Akademie den mehrs
ſten Antheil nimmt. Bald nach ſeiner Rückunft wurde
durch den Tod des Hrn Baron die Stelle eines Scheides
kúnſtlers vacant. Der furchtbaren Mitbubler ohngeachtet
wagte es Hr. Jars doch , ſich in einen Wettſtreit einzulafa
ſen. Die Stimmen zwiſchen Her Lavoiſier und ihm
waren getheilt, und zur Zufriedenheit der Ukademie wurs
den beide den igten May 1768 vom Könige genehmiget.
Ehe noch Hr. Jars unter uns aufgenommen wurde,
To ſuchte er die Wahl der Akademie durd, verſchiedene Aba
handlungen , die er vorlas , zu rechtfertigen . Noch vor
ſeiner Wahl hatte er auch zwei andere vorgeleſen ; eine über
das Verfahren der Englander bei der Gerinnung des Vis
triolóls , als eine Frucht ſeiner Reiſe nach England , und
eine andere von der Scheidung der Metalle.

Kurz nach ſeiner Aufnahıne las er eine Abhandlung


über den Wetterrechſel in den Gruben vor. Eine beſons
dere Beobachtung in den Gruben zu Cheiſſy gab ißm zu
Seſj. Beitr. B. I. St. I. F dieſes
82 IX . Lobrede auf Herrn Fars.
dieſer Urbeit Gelegenheit. Er bemerkte, daß der Zug ,
der in den Stollen befindlichen Wetter , durch das Stoutena
mundloch und durch die Sichtldcher im Winter eine grade
entgegengeſeßte Richtung nåhme , gegen die ſo im Sommer
ſtatt fånde; und er fand auch die Urſache dieſer ſonderbas
ren Erſcheinung. Die Iuft bleibt nämlich in den Stollen
und Schichten faſt immer in einerlei Zuſtande und in der
nämlichen Temperatur , während daß dieäuſſere Luft über
Sage auſſerordentlich vielen Abwechſelungen vom Winter
zum Sommer unterworfen iſt. Im Winter , wo die
åuſſere luft ſchwerer iſt, treibt die Luftſäule, welche zum
Stolenmundloch eingeht und welche die Höchſte iſt, die in 14

dem lichtloche befindliche Luft fort und nöthigt ſie durch die
obere Defnung herauszugehen. So wie hingegen im Soma
mer die duſſere luft , welche alsdenn leichter iſt als die in dem
Sichtloche, die nun grade am ſchwerſten iſt , die in den Grus
ben befindliche Wetter zum Stollenmundloch Keraustreibt.
Hieraus folgerte er die Urſache von der ſonderbaren
Erſcheinung, die man in einigen Gruben wahrnimmt , wo
weder im Frühjahre noch im Herbſte wegen Mangel der
Wetter kann gearbeitet werden , dahingegen den Winter
und Sommer über die Arbeiter Wetter genug haben . Und
was noch weit wichtiger iſt, ſo kam er dadurch auf ein
Mittel,den Gruben friſche Wetter zu verſchaffen , und das
gegen die böſen und tödtlichen Wetter wegzuſchaffen . Dieſe
Abhandlung wird in dem Bande von 1768 ( * ) , der jezt
wúrklich unter der Preſſe iſt , erſcheinen ( ** ). Er las noch
im lektvermichenen Brachmonate die Beſchreibung des Gahr
oder Spleisofens vor , deſſen wir ſchon oben gedacht haben.
Er und wir ſelbſten wußten damals nicht, daß dieſe Ub
handlung die leßte ſeyn würde, die er der Akademie vors
láſe.
( * ) Jezt gedruct S. 218 und 229.
(** ) Es iſt dies die redšlehnte Abhandlung in ſeinen metallurgilden
Reifen , im Original 6. 339 und in der Weberfeßung 6.553.
IX. Lobrede auf Herrn Jars. 83
tåre. Er bekam im Heumonate den Auftrag verſchiedene
Manufakturen im Königreich in Augenſchein zu nehmen .
Er beſuchte die in Berry und Bourbonnoiß und in der
nämlichen Abſicht auch die in Auvergne. Hier war es ,
wo ihm ſein Ende beſtimmt war. Er mußte einsmalen in
den Heiſen Sundstagen eineReiſe zu Pferde machen , und
wurde von einem Sonnenſtich getroffen. $. von Mons
thion , Intendant von der Provinz, gab ſich vieleMühe,
5 ade Hülfe der Kunft bei ihm anzuwenden ; aber es war alles
vergeblich , und er ſtarb den dritten Tag nach ſeinem Uns
glück , am 20 ten des Erndtemonats 1769 , nachdem er fido
noch vorher mit den Heiligen Sakramenten þatte verſehen
laſſen , und mit einer einem chriftlichen Philoſophen ans
ſtándigen Gelaſſenheit und Beruhigung.
Die zwei Abhandlungen , wovon eben die Rede gernes
( en iſt, waren nicht die einzigen Werke , ſo er vor die Ufas
demie beſtimmte. Man fand noch mehrere unter ſeinen
Papieren, wovon er ſchon einige der Akademie mitgetheilt
hatte, und andere waren noch ganz neu. Unter dieſen
leşteren befindet ſich eine Abhandlung , über die Behand
lungsart der Steinkohlen , um ſie beim Schmelzen der
Erze brauchen zu können (* ). Mit dieſer übhandlung
mar H. Jars noch nicht vódig fertig geworden , ſondern
ſein Bruder hat ſie erſt nach ſeinem Tode vollendet und an
dieAkademie eingeſchickt. Die andern aber waren ſo , daß
ſie konnten vorgeleſen werden , welches auch nach ſeinem
Tode geſchehen iſt. In der Verſammlung vor der Char
woche nahm die Vorleſung einer dieſer Abhandlungen einen
groſen Theil der Zeit weg . Auf dieſe Art blieb H. Jars
ſogar noch lange nach ſeinem Tode ein Akademiſte,
Die kurze Dauer feines Lebens hat ißm nicht erlaubt,
andere Werke, als die wir eben angezeigt haben und die in
3.2 die

( * ) In ſeinen metallurgiſchen Reifen iſt es die 1ste Abhandlung im


Driginal 6, 325 , und in der Weberlegung S. 529,
84 IX. Lõbrede auf Herrn Jars.
die Sammlungen der Akademie ſollen eingerückt werden, bez
kannt zu machen ; indeffen hat man von ihm noch eine Bes
ſchreibung einer Maſchine , die bei dem Bergbau zu Schems
niß angelegt iſt, welche ſich in dem i ten Bande des fa
vants etrangers p. 67. gedruckt findet, und dann auch
von der Art , wie die Hollander dieMauerſteine und Dacha
ziegel verfertigen, ſo in den Deſcriptions des Arts et
Metiers publiées par l'Academie abgedruckt worden.
Der nod) übrige Theil ſeiner Abhandlungen war noch nicht
in Ordnung gebracht, ſie werden aber doch durch die Bes
mühungen ſeines würdigen Bruders , der Akademie und
7
der gelehrten Welt mitgetheilt werden.
Er hatte ſich auf ſeiner Reiſe eine koſtbare Samm- &
lung von Stuffen angelegt, und wir können dem Publi
Fum nicht früh genug Nachricht geben , daß fie in dem
Hauſe ſeines S. Vaters den Reiſenden, welche die dortigen
Bergwerke beſuchen , zum Unterricht und zur Befriedigung
der Wißbegierde wird aufgeſtellt werden. 1

Der Charakter des sy. Jars war ſanft und ſtille.


Er lebte ſehr eingezogen und ſehr ordentlich , und nahm
nur , wenn es der Wohlſtand erforderte , an den Vergnú
gungen der Welt Untheil. Im Umgange war er munter,
vorgúglid wenn er von ſeinen Geſchäften ſprach. Uuſ
ſerdem hielt er ſich beſtåndig in ſeinem Kabinete auf.
Dieſe unaufhörliche Geſchäftigkeit war ihm immer eine
machtige Schußmauer wider unanſtändige Sitten. So th
hatte auch ſein Betragen niemals durch einen Fehltritt das
geringſte gelitten. Er gatte ein fehr mitleidiges Gemüth,
und konnte jederzeit durch Unglückliche , die er , und zwar
oft auf Koſten ſeiner eigenen Bedürfniſſe unterſtüßte, er
weicht werden. Kurz , fein Charakter , ſeine Talente und
ſeine Werke geben gleiche Urſache an , es zu bedauren , daß
er durch einen ſo ſchnellen Tod und ſo zu ſagen in der Mitte
ſeiner Laufbahn uns iſt entriſſen worden.
X. Bes
85
X.

Beſchäftigungen der Gelehrten und Stünſtler


zu Sanau .
An Heren ** ju ***
Si wünſchen den neueſten Zuſtand der ganauiſchen
Gelehrten und igrer Beſchäftigungen zu erfahren ,
oder um alles zuſammen zu faſſen , was Ihr Wunſch ein
ſchließt, eigentlich nur , was ſich in dem jezigen Jahre
merkwürdiges für Gelehrſamkeit und die ſchönen Wiſſens
ſchaften und Künſte im Geſichtskreiſe von Hanau begeben
hat. Viel iſt es nicht, wie man es ſich von einem Orte
leicht einbilden fann , wo man mehr mit ſeinem Amte und
dem Gewerbe, als mit der eigentlichen litteratur wuchert,
Doch ganz unthätig waren wir auch nicht in dem kleinen
Gefilde, das uns zurBearbeitung offen gelaſſen worden iſt.
Der Konfiftorialrath und Profeſſor Jber iſt der als
teſte unter unſern Gelehrten , und feit langer Zeit die Seele
der hohen (andesſchule. Seine vielen Jahre hindern ihn
an ſeinem Berufe nicht , er lieft noch tåglich vier bis fünf
Stunden , aber fürs Schreiben und drucken laſſen , ſcheint
er ſich nicht beſtimmt zu haben , die öffentlichen Anſchläge
ausgenommen , worin er einen echten Geſchmack am ſateis
niſchen Beweiſt, und geſchåßt zu werden verdient. Das
3 Deutſche reint ſeine Lieblingsſprache nicht zu ſeyn .
Arnoldi iſt ein junger liebenswürdiger Theologe,
der in den morgenländiſchen Sprachen und in der Ausles
gung viel verſpricht.
Drius , Profeſſor der Rechtsgelehrſamkeit, hat als
Syndicus des reformirten Konſiſtoriums ro viel zu thun ,
daß er ſchwerlich für die Preſſe arbeiten wird ; kaum fanit
F 3 ich
86 X. Beſchäftigungen der Gelehrten
ich es faſſen , wie er zu den vielen Vorleſungen , die er ants
1
fchlagen läßt, Zeit gerinnet.
Morgenthal , der Hebammenkunſt und Experis
mentalphyſik lehrer, růckt zuweilen kleine Stücke ins Has
nauiſche Magazin ein , und iſt von der praktiſchen Seite
in ſeinem Berufe am fleifigſten .
Schröder Hat reine Stárke im {atein und Griechis
ſchen , doch nůßen es ſeine Zuhörer nicht ſo vortheilhaft,
als ſie es thun ſollten und könnten. Gröſere Schriften PV

kenne ich keine von ihm ; aber deſtomehr Gelegenheitsgedichte,


die dann nichts mehr und nichts weniger als Gelegenheits
gedichte ſind , und das (ob oder den Tadel vergewaltigen ,
das iſt, dem Pfarrer und dem Eroberer , einem wie dem
andern , Jorbern um die Schlafe winden.
Beauklår beſdheftiget fich jezt nicht mit Schreiben .
Sein errichtetes Erziehungsinſtirut, worin gegen die ſechs
zehn Ausländer ſind, und der Unterricht, dener den Fürſt
lichen Kindern giebt , láßt ihm keine Zeit dazu.
Alle übrige Lehrer an der Landesſchule find außer ihrem
Berufe, dem fie' Fleiſig abwarten , fürs leſende Publikum
unbekannte.

Unter der Geiſtlichkeit zeichnet ſich keiner To Tehr als


Stochauren aus. , Endemann und Stodhauſen
waren ſonſt die Kronen der hieſigen Kleriſei, jener durch
feine tiefſinnige Gelehrſamkeit ; ' der leßte auſſer ſeiner bes
kannten Gelehrſamkeit auch noch durch die Gabe des teut
fchen Vortrags. Von dieſer Seite iſt Stockhauſen der
erſte Mann in Hanau , und blos darum , weil er mit dem
guten Geſchmacke der alten und neuern vertraulich bekannt
iſt, welches unſerer übrigen Geiſtlichkeit zu fehlen ſcheint.
Sein
und Stúnſtler zu Hanau . 87
Sein altes und neues Chriſtenthum hat er jezt geſchloſſen .
Jm Magazin lieſt man einen langen Brief von ihm , worin
er die Oerter und Gegenden angenehm und mit Gefühl für
die Schönheiten der Natur (dildert, die er während ſeiner
júngſten Kirchenviſitation auf dein ande beſucht hat ; und
duch leſen iſyn manche mit einer Art von Vieldeutigkeit,
wenn ich mich ſo ausdrücken darf , oder mit Gloffen , die
fie noch gern an den Rand reßen möchten , ohne daß fie
vielleicht der Verfaſſer in den Tert aufzunehmen wünſcht.
Ob auch der Beitrag zur Geſchichte der Hanauiſchen Fabri
ken von ihm iſt , wie ich geneigt bin zu glauben , kann ich
jezt noch nicht mit Gemisheit ſagen. Er ſey von wem er fey,
ademal macht er dem patriotiſchen Sammler Ehre. Stocks
hauſen ſchreibt auch die Vorreden zu dem lutheriſchen
Waiſenbüchlein , und liefert in demſelben núßliche Beiträge
zur Geſchichte der Waiſenhäuſer. Endlich beſorgt er die
Herausgabe des Magazins und des Hausvaters eines
ſehr núßlichen Kalenders, der aber , weil er keine Poffen
reißt , von dem Landmanne ſehr oft noch verkannt wird,
Adein ſeine innere Güte und die Zeit wird ihn zuverläſſig
noch beliebt machen , und dann ſtiftet er ſicher viel gutes–
als eine Volkslektúre.

Merz, Konſiſtorialrath und Inſpector der reformir


ten Kirche , iſt als Prediger bei ſeiner Gemeineder beliebteſte.
A18 Schriftſteller hater wenig geliefert - eine Leichenrede
auf die Frau (andgräfin Maria , etliche Stücke im Mas
gazin , über die Grabſchriften einiger Gråflichen und Fürſt
lichen Leichen in der hieſigen Hauptkirche, und , nach Endesi
mann , die Vorreden zu dem reformirten Waiſenbúdlein .
Eberhard , Pfarrer an der reformirten teutſchen
Kirche, hat, ſoviel ich weiß, noch nichts, Herausgegeben.
Rúnftig wirder die Vorreden zu dem reformirten Waiſen
búchlein ſchreiben .
4 Blum ,
88 X. Beſchäftigungen der Gelehrten
Blum , Prediger an der lutheriſchen Kirche , Hat gus
te ókonomiſche und andere Stücke ins Magazin eingerůct.
Vulpius, einmuntrer und fleiſiger Mann , bewahrt
viele ſeiner theologiſchen Arbeiten in der Handſchrift auf ,
und läßt ſie reifen. In unſerm Magazin ſtehen ebenfalls !

einige Stücke von ihm.


Roques iſt der beſte Prediger an der franzöſiſchen
Gemeine , und nimmt ſich durch eine gute und lebhafte Des .
klamation aus , ſo wie durch die Nettigkeit ſeiner Sprache,
die er eben ſo gut in ſeiner Gewalt hat, als Stockhauſen
die teutſche. Auſſer der Trauerrede auf die landgråfin
Maria , habe ich weiter nichts von ihm gedruckt geleſen .
Doch es fáat mir ein , daß er ein Gedicht auf Endemanns
Abſchied aus Hanau verfertiget hat , welches das einzige
war, das bei dieſer Gelegenheit Beifall verdiente.
Vom Lande her kann ich Ihnen nur zween Geiſtliche
nennen , die fu den hanauiſchen Produkten der Druckereien
das ihrige beigetragen haben den Pfarrer Chrift zu
Rodheim , und den Pfarrer Körber in Hochſtadt; beide
Þaben über die diesjährige auſſerordentliche Witterung ge
ſchrieben, abermit ungleichem Erfolge - der leştere nama 4

lich mit Unſinn und Ausfällen auf andere Geiſtliche, die er, 11

um zu necfen , mit den Haaren Herbeizog. Souten Sie


es glauben , daß man noch in unſeen Tagen die Sonne zu
einem Planeten machen werde ? Das that Kórber und
bei dem allem droht und der Mann mit einem neuen Pytha
goras. Chrift hingegen iſt ein vielſchreibender Autor, und
verdiente Unterſtüßung und Ermunterung, ſonderlich in
der ökonomiſchen Gelehrſamkeit. Die Geſellſchaft zu Zelle
hat ihm einen Preis zuerkannt , und ihn zum Mitglied aufs
genommen . Auch hat ihn der Kurfürſt zu Mainz etliches
mal wegen ſeiner Bienenkenntniſſe zu fich kommen laſſen ,
und ihn ungemein gnädig behandelt. Ich würde den Mann
von der Pfarre wegnehmen und an eine Kammer verſeken.
Hier
4 1
und Künſtler zu Hanau. 89
Hier möchte er beſſer , als in der Kanzelberedfamkeit, um
den Preis in den Schranken laufen . Er war ſonſt widens
die reizenden Ausſichten des Taunus , oder des Feldbergs
bei Homburg , auf zwolf großen Tafeln nadı perſpectiviſchen
Zeichnungen herauszugeben. Noch fehlet es ihm aber
wahrſcheinlich an einem tauglichen Verleger. Zwar nun
auf einmal fallen mir noch mehrere Prédiger auf dem Lande
ein. Somalberger zu (orhaupten liefert zuweilen eta
was ins Magazin - und macht ſich als einen geſchickten
Bienenvater bekannt. Blum in Seckbad) iſt Mitarbeiter
am Hausvater ; Eampe zu Spiķaltheim , der gleichfalls
zu dem Hausvater ſein launiges Schårflein beitragt, erſchien
wenigſtens ſonſt noch manchmal im Magazin und in den
frankfurtiſchen gelehrten Unzeigen , dort mit Abhandlungen ,
hier mit recenſiren . Schäfer zu Ginheiin im Hausvater,
und in einer erbaulichen Predigt auf den unglücklichen Pfar
rer Weichmann zu Bergen , der von einem tollen Hunde
gebiſſen , an der Waſſerſcheue elendiglich dahinſtarb. Unter
den reformirten Geiſtlichen auf dem Lande ſoll ein gewiſſer
Pfarrer Petri, ich weiß nicht wo , über die Offenbarung
Johannis geſchrieben haben. Die übrigen angeführten
landprediger ſind alle lutherifds, auch die hieſigen Pfarrer
Reiſer und Go B.
Reiſer Hat auffer ſeiner zuſammengetragnen mathea
mathiſchen Geographie , die nun , nach der neueſten Urbeit
des Rektors Walch zu Sdleuſſingen , ganz entbehrlich iſt,
weiter nichts , als einige Stückeim Magazin aufgeſtellt.
Gó , Kandidat des Predigtamts, iſt in mehr als
einer Abſicht in unſerm Sande núßlich und merkmúrdig.
Er unterweißt unſere junge Fürſtinnen mit ungemeiner
Zufriedenheit des Hofs , befördert das gelehrte Kommerz
und giebt uns im Magazin die für ihn einſchlagenden neues
ften Artikel davon an. Dann åtte mógliche kann unſere
zweckmåſige Niederlage nicht aufnehmen. Seine ſchrifts
lichen
90 X. Beſchäftigungen der Gelehrten
lichen Aufſåße, die meiſt die Naturgeſchichte,ſonderlich die
der Vogel, zum Gegenſtande haben , erſcheinen bald int
Magazin , bald im Naturforſcher und anderswo zerſtreut, #

A!
bald wieder in beſondern Ausgaben zuſammen gedrucét ;
alſo auf einem Wege , wo zu Curis pofterioribus Zeit
und Raum offen bleibt, die ſic, vielleicht in der Naturges
ſchichte am nöthigſten machen , so daß ich mich wundern
muß, warum in der gåttingiſchen Zeitung dieſem Manne
feine Manier nicht zum Beſten ausgelegt iſt. Das neueſte,
was wir auſſer dem Magazin von ihm haben , iſt eine Soba
rede auf den würdigen Doktor Müller , deſſen frühen
Lod ganz Hangu betrauerte. Uuch Sanders, ſeines
Freundes , Leben hat er beſchrieben , wie er dann aud die
fier und da zerſtreut gedruckten Schriftchen des nämlichen
Mannes herausgeben und von dem Vateč des Seligen
darin unterſtüßt werden wird. Eben ſo wird er Reina
bards heffiſche Geſchichte bald Herausgeben und vddig
umarbeiten ; folglich ihr die aphoriſtiſche Einkleidung bes,
nehmen , um ſie wieder auflegen zu laſſen , wozu ihm die
hieſige fürſtliche Bibliothek und der Fleis des Herrn Regies 2
rungsraths Wegeners eine bequeme Gelegenheit und die
nöthigſten Hülfsmittel verſchaft.
Wegener ? und dieſen Mann nennen ſie jezt erſ ?
Sie haben Recht. Er ſoate vorn ſtehen . Wäre es nur
Hier der Ort , wo ich mid zu ſeinem verdienten lobe auss
breiten könnte! IẤm haben wir durch ſeine Thätigkeit
ſehr viel von derzunehmenden Lefebegierde unter allen hies
figen Einwohnern und unter dem Frauenzimmer Felber zu
verdanken . Durch ihn findet man jezt in vielen Häufern
Bücher, wo vor zwanzig Jahren weiter keine , als die ge
möhnlichen Souls und Kirchenbücher geſehen wurden .
Um die heſſiſche und Hanauiſche Erdbeſchreibung und Ges
ſchichte hat er ſich vorzüglich verdient gemacht , zum Theil
im öffentlichen Druck; zum Theil und am meiſten nod in
Hands
und Künſtler zu Hanau. 91
Handſchriften . Die erſte Anlage zum hieſigen Magazin
und ſeine bisherige Unterhaltung hat, auſſer dem Herrn
Superintendenten Stockhauſen , niemand ſo eifrig und
patriotiſch als er betrieben und niemand nachdrücklicher bes
ſorgt. Um Bergſtråſſers Nomenklatur und Striez
ders gelehrtes Heſſen hat er gleiche Verdienſte. Kurz der
emſige Mann lebt im Patriotiſmus für Heſen , mehr als
jeder mir bekannteHeffe, und doch iſt er ein gebohrner Hols
ſteiner. Seine kurze Geſchichte der Grafen von Hanau
wird Ihnen nicht fremd ſeyn. Sie iſt zur Zeit noch das
vollſtändigſte Werkchen dieſer Art. Bei der herrlichen Me
daillenſammlung , die unſer Fürſt angelegt hat , iſt Wes
gener bis jezt noch immer das vorzüglichſte Werkzeug.
Welche bequeme Einrichtung er demſelben gegeben , das
werden Sie aus ſeiner kurzen Beſchreibung erſehen , die im
vergangenen Sommer im Magazin erſchien und nun auch
beſonders abgedruckt zu haben iſt. Kurz Wegener ift ,
die Wahrheit zu ſagen , im ganzen Hanauiſchen Geſichtskreiſe
der einzige, dem es nie an Menſchenliebe und Eifer gefehlt
hat , der Kunſt und Gelehrſamkeit ſo förderlich zu werden ,
als es feine Gelegenheit und Kräfte möglich machten.
Hundeshagen , der jezige Regierungsrath , hat die
Hanauiſche Erdbeſchreibung beſorgt, auch die beiden Char
ten , welche Muller, der Kupferſtecher herausgegeben ,
wie die Sage geht , überſehen und berichtiget, woran ich
aber um gewiſſer Urſachen willen zweifle. In der gothais
fchen Zeitung iſt der Regierungsrath lars als Verfaſſer der
þanauiſchen Erdbeſchreibung angegeben , aber fålſchlich.
Dort wird auch geſagt, Hundeshagen werde ein jus
publicum haffiacum ſchreiben , wovon man hier nichts
weiß. Hundesbagen hat gegenwärtig nog ſo viele Des
partements und Geſchäfte, daß er vor der Hand in der
ſchriftſtelleriſchen Welt , nicht einmal mehr Plane machen ,
geſchroeige ausführen kann.
Bergs
92 X. Beſchäftigungen der Gelehrten
1

Bergſtråſſer , der Konſiſtorialaffeffor, hat den


Sert zum vierten Fahrgange der Nomenklatur geliefert.
Bis Oſtern gedenkt er den vom fünften und ſechſten auf
zuſtellen , wozu die Kupfertafeln meiſt fertig find. Sein
Muſeum hat er mit dem vierten Stücke geſdhloſſen . Es ib

fou künftig unter einer andern Einrichtung erſcheinen .


Bergſtråfrer , der Sohn ,welcher jezt in Göttins
gen den Rechten obliegt, hat fünf bis ſechs Gedichtgen drus
chen laſſen , aus denen man deutlich ſieht , daß er ſich nach
dem Geſchmacke der Alten zu bilden befliſſen ſey. Seine
Empfindungen im Februar ſtehen im Heſſiſchen Muſenals w

manach ; der Hymnus an die Sonne im vierten Stück hdes


c en
Muſeums ſeines Vaters ; ein drittes auf * Huskrie
einer Raupe aus dem Eie , im Magazin. Die übrigen
find einzeln gedruckt worden , usnter denen eſtich das auf den
r uszeichn
Doo des ſel. Doktor Múlle a , wo in jeder
Zeile diacsheHnerz für ſeinen Freund ſpricht. s Einen andern .
jugendalas Dichteirn, Namens Jungiu , findenchSaifte
ebenf imr Magaz , dem es nur an einem Freundſ
lidhen Führe zu fehlen ſcheint. Urud finden Sie da ein Lieds
chen von einem htjungen Heuble , welcher ohne allen ges
lehrten Unterric einen Drang zur teutſchen Dichterei fühlt.
Bernhard , der Archivarius , laßt die geſammelten
Nachrichten ſeines Vaters , des berühmten Archivraths ,
noch immer in der Ruhe liegen . Eben ſo macht er es mit
feinen eigenen Sammlungen .
Bromrel , der Konfiftoralſekretár , hat einen kleis
nen Beitrag zu ſeiner Reformationsgeſchichte drucken laſſen .
Kampf , der Oberhofrath und Seibmedikus , ſcheint
das Fach der ſchönen Litteratur ganz auf die Seite geſtellt
zu haben , ſeitdem er ſeinen Poltergeiſt auf der hieſigen
Schaubühne aufführen ließ. Šie kennen doch ſeinen Pes
ter Squenz ? Aud im mediziniſchen Theile hat er das
wenige
und Künſtler zu Hanau. 93
wenige von ſich ſehen laſſen , was im Magazin vorkommt.
Wir haben ihm verſchiedene Verordnungen zu danken ,
wozu er durch ſeine ärztliche Vorſichtigkeit Anlaß gegeben
hat eine Verordnung die Ertrunkenen und Erſtickten
zu retten ; - die vor dem Begräbnis vorhergångigeBeſicha
tigung der Verſtorbenen , durch geſchworne Wundárzte,
welche von jeder Leiche für dieſen Dienft vier und zwanzig
Kreuzer erhalten , und eine Landsanweiſung, mie gegen
den Hundsbiß zu verfahen ſei. Durch ihn haben wir auch
ein Wehmutterinſtitut, worin die Hebammen von dem
Profeſſor Morgenthal vor ihrer Annahme in den Uema
tern unterwieſen werden , und dann noch ein mediziniſches 3

Kollegium . Nådiſtens werden unter ſeiner Direktion des


ehemaligen frankfurtiſchen Doktors Burggravs Guts
achten , in Varrentrapp Sohn und Wenners Verlage gers
auskommen . Den größten Theil derſelben hat der vers
ſtorbene Doktor Müller noch vor ſeinem Ende durchgeſes
hen und angeordnet ; das übrige roa der Doktor Ja Boi
vollenden . Unſere andere jüngere Herzte Rau und Múl
ler aus Erbach , haben auſſer ihren Inauguraldiſſertatio
nen ſonſt noch nichts drucken laſſen.
Socin , Endemann , von Pfeiffer und Kans
frin laßen in unſerer kleinen ſchriftſtelleriſchen Welt durch
ihre veränderte Wohnplaße eingroſes Vakuum hinter ſich
das ſo bald nicht wieder ausgefügt werden wird. Zwar der
neunte Theil der Kantriniſchen Berg- undSalzwerkskunde,
der jezt unter der Preſſe liegt, iſt noch všaig ein hanauiſches
Produkt und in Bobenhauſen auf dem Schloſſe ausgearbeitet
worden .Sie wiſſen vermuthlich die Schickſale dieſes Mannes ?
wo nicht, ſo finden Sie einen Theil davon in dem zweiten
Bande der Selchowiſchen Rechtsfälle; aber ſeine neueſten Bes
gebenheiten ſind Ihnen vielleicht unbekannt. Er hat ſeine
Kanzleidirektorſtelle zu Altenkirchen mit Bewilligung des
Marggrafen zu Brandenburg - Dnolzbach niedergefegt und
ist
94 X. Beſchäftigungen der Gelehrten
4

ift im vorigen Monate mit dem Charakter als Kollegienrath


in ruſſiſche Dienſte getreten. Die Kaiſerin hat ihn und ſeine
Nachkommenſchaft in den Adelſtand erhoben. Er bekommt
fechstauſend Gulden zur Reiſe und ſeiner neuen Einrichs
tung in Petersburg; viertauſend jährliche Beſoldung und
einen lebenslanglichen Gnadengehalt von zweitauſend Guls
den jährlich auf ſeine Wittwe , wann er eine hincerläßt.
Pon Pfeiffer privatiſirte nach ſeiner Entfernung von
hier, erſt in Offenbach , dann in Frankfurt, und ward 14

endlich nach Mainz zum Profeſſor mit tauſend Thalern


oder Gulden Beſoldung berufen , wo er noch lebt und lehrt.
Unſere Zeichenakademie blüht nod) zum Vortheile der
Kieſigen Künſtler. Ich freue mich , ſo oft ich dieſe löbliche
Ünſtalten unſers Fürſten rehe, wo mehr als hundertKinder
und jünglinge Gelegenheit zur Entwickelungihrer Naturgas
ben und Talente erhalten . Wächter, der Mitlehrer an
derſelben war , iſt geſtorben und der Graveur Weng født
chon wieder ſeinen Plaß aus. Wegener hat die Spes
cialdirektion dieſes ſo rühmlichen Inſtituts und nimmt ſich
deſſelben, wie ſeiner übrigen Beſorgungen, mit ungemeinem
Eifer an. Buri von hier , ein Eleve dieſer Akademie und
des Hofmalers Iiſchbein , iſt jezt , nach ſeiner weiteren
UusbildungzuDüſſeldorf, in Rom geſchäftig, wie Sie aus
ſeinen Briefen im Magazin erſehen können. Er verſpricht
den Anſtalten ſeines Vaterlandes viel Ehre. Ich könnte
Ihnen auch noch einen Kopp und andere nennen ; allein
der ebengemeldte hut wegen ſeiner Augen die Kunſt wieder
auf die Seite gelegt , und legt das Studium der Rechte in
GŠttingen fort, wo er einen Kollándiſchen Edelmann führet.
Die Privaterziehungsinſtitute, oder die ſogenannten
Penſionen ſind noch , was ſonderlich das männliche Ges
idlecht anlangt, ungemein blúbend. Bergftråſſer,
Beauflår , Reiſer; Dekor und Ródiger geben ſich
vorzüglid damit ab. Der erſtere nimmt nur ſolche an,
die
J
und Künſtler zu Hanau. 95
die zum Studiren beſtimmt find ; die andern unterhalten
Kinder und erwachſene junge Leute für jeden Stand des les
bens. Die Eleven ſind Englander , Houander , Schweiz
zer und Teutſche. Deftermann, ein würdiger Kandidat
des Predigtamts , iſt mit fünf jungen Schweizern , aus
Neufſchatel ſeit dem verfloſſenen Sommer hießer gezogen ,
führt als ihr Hofmeiſter eine eigene Defonomie, und bila
det ſeine lieben Pourtales und Montmollins auf
teutſchem Grund und Boden . Eben ſo kam faft zu gleis
der Zeit der Kandidat Jungius init drei Holländern von
udel her, der ſie ebenfalls als Hofmeiſter privatim erzieht.
ude dieſe Eleven fónnen offentlich oder privatim an den
Anſtalten der Zeichenakademie Antheil nehmen , und es
ſteht auch jedem derſelben , die zum Beſten des Udels und
anderer von Sr. Hochf. Durchlaucht angeordnete Reitaka
demie offen , wo die Bahn vielleicht vor allen andern das
zum voraus hat , daß ſie nicht ſo übermäſſig theuer bezahlt
werden muß, da der Fürſt die Hauptkoſten aus ſeinem
Stadle gratis hergiebt.
Frau Robert und die Jungfer Stegmeierin ſtes
hen den beiden Frauenzimmerpenſionen vor. Wir haben ,
dúnkt mich , auch noch eine dritte ; doch weiß ich es nicht
gemis , und Erkundigungen kann ich jezt nichtmehr einzies
hen. Mich dúnkt, die franzöſiſche Meiſterin derſelben
nenne ſich Alaraunbert .
Die Muſik findet nad, und nach mehrere Liebhaber,
als ſie ſonſt auf Hanauiſchem Grund und Boden fand.
Unſere beften Tonkünſtler find Sordder und Scels
lenberg; der erſte hat den Titul eines Hofmuſikus und
der andere ift Conrektor am lutheriſchen Ipceum . Kirchens
mufifen führt der einzige Cantor Koß noch zumeilen in
der lutheriſchen Kirche auf; aber im Geſchmace ſeiner Zei
ten , weil ihm nichts dafür bezahlt wird. Unter den liebe
Þabern ſind der Obrift von Creujours , der Major von
Geismar
+
96 X. Befdäftigungen der Gelehrten 2.
Geismar und der Graf Eginhard von Erbach, der
namentlichen Unführung werth . Es find es auch noc
andere ; aber ich kenne ſie nicht. Sie verſammeln ſich alle
Sonntage zum Konzert in dem muſikaliſchen Akademieſaale,
den ſie auf iyre Kroften unterhalten .
Uud unſere Schaubühne wird dieſen Winter im gros
fen Komódienhauſe wieder beſeelt werden. Man ermar
tet wenigſtens, der Sage nach , eine Geſellſchaft Schau:
fpieler mit nachſtem . Gegenwärtig führen zuweilen ; und
faſt alle Woche einmal , die jungen Prinzen nebſt andern
Kindern auf dem Schloßſchauplaße, Stücke aus dem Kins
derfreunde auf , die unter der Aufſicht ihrer Hofmeiſter
und Lehrer Tehr gut ſich ausnehmen , und zu ihrer Bildung
dienen können . Prinz Chriſtian ſpielt reine Rolle bis
zur Berounderung Tchón . Von Trümbad und die
Fräulein von Dittfurt und die dritte Jungfer ledders
gore , nehmen ſich im Vortrage und in der Aktion ſehr gut
aus ; kurz die guten Kinder ſpielen bis zur Rührung und
gewinnen in meinen Augen über den älteſten und geübtes
ſten Schauſpieler durch ihre Unſchuld , die man ſich bei
dem Handwerksmáſigen nicht denken kann.
:: Unſere Prinzen machen auch Verſuche mit dem Dras
then in der luft. Vielleicht laſſen ſie bald Montgolfieriſdhe
Luftſchiffe abſegeln ; ſo würdig beſchåftiget ſie ihr Hofmeis
ſter , der geheime Regierungsrath von der Malsburg.
Prinz Friedrich, der Sohn unſers ( andesherrn, låßt ſich
auch bisweilen mit Beifall auf der Violin im Konzerte fóren.
Sie ſehen , ich ſchlieffe meinen langen Brief mit der
vornehmen Jugend inHanau. Der Himmel verleihe Ihnen
und mir das Glück , daß wir alle Jahre dieſe Geſchichte zu
iþrem Lobe fortfeßen und bereichern können .
Hanau den 21ten Dec. 1783.

XI.
1.97
XI.

Wichtiger Beitrag zu Verbeſſerung


der Feuerlöſchungs - Anſtalten. 1

No. I.
Nachricht von den Schlangen - Sprißen , hånfenen
Schläuchen , dergleichen Feuer - Eymern und Rets
tungs - Leitern , welche zu Weimar gefertiget
werden , und zu haben ſind.
ach vielen koſtbaren und mehr als achtjährigen Vera
Naſuchen , welche unſres regierenden Herin Herzogs
Durchl. unter Aufſicht des Hochfürſtl. dazu verordneten
Directorii , zu Vervoukommung der Feueridſchungs
Unſtalten im ganzen (ande , mit Sprißen und andern
Id(ich -Inſtrumenten durch mich machen laſſen , hat endlich
die Erfahrung gelehrt , daß alle Abfeß - Sprißen , ſie ſeyen
pon welcher Conſtruction fie wollen , nichts taugen , und 1

nur Schlangen - Spritzen mit hånfenen Schläuchen ,


und eben dergleichen Feuer - Eymer die beſten , dauerhafa
teſten und verhältnismäßig wohlfeilften {dſch - Werkzeuge
feyen . Da zu Fertigung derfelbigen in Menge von Ihro
Durchl. fabrikmåfige Anſtalten getroffen werden , ſo wers
den dieſe Stücke anjegt hier ſo vodkommen und wohlfeil,
als ohne dies an andern Orten wohl nicht leicht möglich
ſeyn möchte , gefertigt ; und ich Gabe , nachdem ſowohl
pieſiges land , als das Fürſtenthum Eiſenach mit dem
Nöthigſten verſehen worden , die gnadigſte Erlaubnis ers
halten , auch dem auswärtigen Publiko meine Dienſte
ķierin anzubieten. Was alſo erſtlich die
Schlangen - Sprißen
betrift , ſo ſind , auſſer den Zubringern und gröften
Stadt - Sprißen , ( als welche immer ganz beſonders
Seff. Beitr. 5.1. St. I. müſſen
98 XI. Wichtiger Beitragzu verbeſſerung
müſſen beſtellet werden ) folgende vier Sorten , durch
unzählige Proben für die beſten befunden , als kurrante
angenommen , und von Hochfürſtlicher Direction appro
birt worden .

No. 1. gróſte Sorte zu 150 Rthlr.


hat 1 ) 2 kupferne Cylinder 5 Zoll im Durchmeſſer weit ;
2) eine kupferne Windblaſe; 3 ) ein kupfernes Reſer
voir welches 10 Cubic - Fus oder 30 Feuer - Eymer - 21
Waſſer faßt ; 4 ) ein ganz eiſernes doppeltes Druckwerk,
und 5) 50 Leipziger Ellen hånfenen Solauo , in zwei
Stücken , eins 4 und das andere 46 Egen lang. Durch
das vierelllige Stück wirft fie i To wie auch alle andere
3. Sorten , ununterbrochen den Strahl , wenn das
Leitrohr im 45 Grade gehalten wird , 100 Fus weit,
und ſenkrecht 50 Fus joch , durch beide Solåuche zuſams
mengeſchraubt aber noch 70 Fus weit , von der Mündung
des Leitrohrs an ; und giebt in einer Minute 10 Cubice
Fus Waſſer. Sie wird mit 12 Mann bedient , wovon
6 Mann jedesmal an beiden Druckſtangen , nåmlich 3
an jeder , arbeiten , und 6 Mann zum Ablóſen da find .
Das ganze Werk ſteht auf einer Schleife, kann aber mit
derfelben auf einem Wagen veſtgeſchraubt werden ; wela
cher ; des leichteren Transports wegen , hier wegbleibt ,
und an jedem Orte ſehr leicht , nach dem Riffe den der
Räufer mit erhält , dazu gemacht werden kann. Er iſt
nåmlich ſo eingerichtet, daß die 6 Månner am Druckwerk
mit drauf ſtehen können : denn 1 ) geſchieht das Drucken
dadurch weit leichter und ſchneller ; 2 ) kann die Speiße for
mit ihnen fortrúcken ohne daß Verwirrung entſteht; du
3) trift es oft, daß beim Idrchen die Sprißen in flieſſendes
Waſſer oder Moraſt zu ſtehen kommen , daß alsdenn die
Arbeiter trocken ſtehen ; und duro ſolche Zufáde nicht
gehindert werden.
Dieſe 19
der Feuerlöſchungs - Anſtalten. 99
Dieſe Sorte Sprißen , an welche bis 300 Eden
Schlauch gebracht werden kann , ohne daß das Werk
leidet, iſt für Land- auch ſelbſt Reſidenz- und Handelss
Städte vollkommen brauchbar ,

No. 2. Land - Sprigen zu 86 Rthlr.


Dieſe Sorte hat 1) einen kupfernen Cylinder 5 Zoll weit ;
2) eine kupferne Windblaſe ; 3) ein kupfernes Reſervoir,
6 Cubic - Fus Waſſer haltend ; 4 ) ein einfaches eiſernes
Druckwerk; 5) ſteht auf einer Schleife, und hat 6) 40
Eden hånfene Schläuche in zwei Stücken, eins, 3 und
das andere 47 Eden lang. Durch den dreiedigen Schlauch
trågt ſie, bei Inclination des Seitrohrs auf 45 Grad , den
Strahl 80 Eden weit, 40 Fus ſenkrecht hoch , durch beide
Schläuche zuſammengeſchraubt , aber noc 50 Fus weit ;
und wirft in einer Minute 6 Cubic - Fus Waſſer. Sie
wird durd 8 Männer , nåmlich 4 Mann zum Druc ,
und 4 Mann zum Abidſen , bedient; und iſt ſowohl für
Dörfer als auch Stådte brauchbar.

No. 3. Dorf- Sprigen zu 50 Rthlr .


Dieſe Sorte hat 1) einen 4 Zoll weiten kupfernen Cylins
der ; 2) kupferne Windblaſe; 3) kupfernes Reſervoir,
3 Cubic - Fuß oder 10 Feuer - Eymer Waſſer faffend ;
4 ) ein einfaches eiſernes Druckwerk; 5) ſteht auf einer
Shleife; und hat 6) 25 Eden hånfenen Schlauch , in
zwei Stücken , eins 3 und das andere 22 Eden lang.
Sie trågt durch den kurzen Schlauch bei 45 Grad Inclis
nation des Rohrs, Den Strahl 60 Fus weit, 30 Fus
ſenkrecht hoch i durch beide Šáläuche zuſammen nocte
45 Fuß weit ; und wirft in einer Minute 10 Feuers
Eymer Waſſer. Sie wird von 4 Mann , 2 zum Druck
und 2 zur Ablóſung , bedient ; und iſt die bequemſte,
G2 aud
1

100 XI, Wichtiger Beitrag zu Verbeſſerung


auch für hieſige { ande angenommene , Dorf -Spriße.
Nicht minder iſt ſie für große Kaufmanns Häuſer und FA

Waaren - Magazine ſehr bequem zu brauchen. EL

No. 4. Saus - Sprißen zu 171 Rthir .


Dieſe Spriße hat 1 ) einen dreizódigen kupfernen Cylinder ;
2) einekupferne Windblaſe ; 3 ) ein kupfernes Reſeryoir,
i Cubic - Fus Waſſer haltend ; 4 ) ein eiſernes Druckwerk;
5) hat 3 Ellen gånfenen Schlauch , durch welchen ſie in
einer Minute 1 Cubic- Fus Waſſer wirft , und den Strahl
30 Fuð weit trågt. Sie wird , als Handſpriße , durch
einen einzigen Mann bearbeitet , und iſt ſehr bequem
innerhalb der Gebåude , ſonderlich die Dächer von
innen zu defendiren , zu gebrauchen . DE

Dieſe vier Sorten Sprißen ſind für alle gewohns


lichen Bedürfniſſe in einem ande, und zur vdligen Eins
richtung einer Idrohungs- Anſtalt in demſelben , voukoma
men Kinreichend . Id muß Hier noch bemerken , daß die will

Schrauben der Schläuche ani ađen meinen Sprißen voll


kommen einerlei ſind , und alſo zwei bei mir gefertigte
Sprißen von ganz fremden Städten und Dörfern , die
beim Feuer an einem dritten Orte zuſammenkommen ,
einander mit ihren Schläuchen helfen und ſie ſicher an
die fremde Spriße ſchrauben können , wenn dieſer die
Schläuche ſchadhaft worden ſind , oder verlängert werden
müſſen . Dies iſt ein Punkt von der gróften Wichtigkeit
bei einer Sprißen - Einrichtung in einem ande ; ſonſt ents
ftehen bei Feuersbrúnſten oft die allergrdſten Nachtheile.
Die hånfenen Schläuche
find rund , aus dem Ganzen gewebt , und vollkommen
ohne Nath. Sie werden in hieſiger Fürſtlicher Schlauch
weberei gefertigt , und find bereits im ganzen ande eins
geführt.
der Feuerlöſchungs-Anſtalten . IOF

geführt. Sie find ohne allen Vergleich beſſer als die


ledernen , nämlich : 1) wohlfeiler im Ankauf und der
Unterhaltung , denn ſie dürfen nicht wie jene einge:
fchmiert , ſondern nur nach dem Gebrauch in der luft
getrocknet und aufgehoben werden ; 2 ) weit dauerhafter
als jene, denn man hat noch nie den Fall gehabt, daß
einer wahrendem Gebrauc), auch von der ftárkſten Ans
Arengung, zerplaßt ware. Die ordináren und für alle
obige vier Sorten Sprißen brauchbaren Schläuche ſind:
2 Zul weit. Da ' nachläſſige Weber aber oft Fehler im
Dichtſchlagen machen konnten , ſo wird jedes Stück , das
vom Stuhle kommt , erſt hier an einer Spriße probirt ,
und wenn es vollkommen waſſerdicht befunden iſt, mit
dem Directions - Siegel ſignirt. Sie werden pfundweis
das Pfund zu 191 Gr.
verkauft , und der Sentner zu 110 tb . hált ohngefähr
uneingegangene 410 Eden. Sollte jemand ohne Spriße
blos Schläuche verlangen , ſo kann man ſich deßhalb
auch auſſer mir , an Madame Bucholz , geb. Sólnec.
alhier , als welcher die Aufſicht über die Schlauchweberei
anvertrauet iſt , wenden , und der beſten und ſolideſten
Bedienung gemis ſeyn .

2 Die vorzügliche Güte und Dauerhaftigkeit der hie


1 figen hånfenen Schläuche , beweißt folgende heuer von
f Fürſtlicher Direction hier damit angeſtellte Probe.
Eswurde eine meiner hieſigen Sprißen mit hånfenen
Schläuchen ohngefehr 30 Schritte weit von dem Thurme
der Haupt -Kirche geſtellt, durch einen Zubringer aus
1
dem nächſten Brunnen Reſervoir mit Waſſer verſehen ,
und der Druck -Schlauch durch das Fangſeil 754 Eden
hoch , ſo hoch man nämlich auf dem Thurme kommen
.
konnte ; hinaufgezogen. Auf das gegebene Zeichen
G 3 fiengen
TO2 XI. Wichtiger Beitrag zu verbeſſerung
fiengen die Arbeiter an zu drucken , und in Zeit von .

i Minute fieng das 8 linien weite Seitrohr in obgedachter LIM

Höhe zu gieſſen an , und trug ſeinen Strahl eben ſo weit V

als gewöhnlich. Um auch zu wiſſen wie viel Waſſer in


einer ſolchen Höhe in verváltnismäßiger Zeit gefördert
werde, ſo wurde der Strahl 1 Minute lang in Gefafie
geleitet, und man fand , daß die Spriße hier eben ſo wie
unten auf der Erde in 1 Minute 1o Cubic - Fus oder
30 Feuer - Eymer Waſſer gegeben hatte. Bei dieſer
þarten Probe haben weder Schläuche noch Spriße das
Geringſte gelitten , obgleich 16 Mann zurh Druck
ndthig waren .
1
Der glückliche Erfolgder Hånfenen Schläuche führte
ganz natürlich auf den Verſuch mit 4

hånfenen Feuer - Eymern ,


der auch ganz nach Erwartung gelungen iſt. Die håns
fenen Feuer - Eymer , welche eben ſo wie die Schläuche
gewebt werden , koſten
das Stück Rthlr. 13.
find leicht, dauerhaft, gut zu transportiren , und ohne
Vergleich beſſer als lederne, hölzerne , ſtroherne , von III
Wurzeln geflochtene , von Hutfilz gefertigte ; und aus
‫ܕܕ‬
was ' man ſie ſonſt noch gemacht hat.
53
Uuſſer dieſen ſind nod die vor einigen Jahren in
England erfundenen
Rettungs - Leitern ,
ein bei Feuersbrünſten in großen Städten und bei hohen
Såuſern , in welchen ſehr oft die Treppen nur hölzern
find , ein unentbehrliches Werkzeug. Es ſind hånfene
Strickleitern , an welchen unterhalb und langs derſelben
eine geräumige Hang- Matte von Zwillich fortlauft , in
welcher ,
der Feuerlöſchungs - Anſtalten . 103
welcher , aus den köchſten Etagen eines Hauſes , wenn
( chon die Treppen abgebrannt ſind , oder das Feuer den
Zugang von unten nicht mehr erlaubt , Arbeiter , Kinder,
gebrechliche Kranke , zerbrechliche Meubles u. d. gl. ohne
alle Gefahr gerettet, und den Gebäuden noch von auſſen
Hülfe geleiſtet werden kann. Sie werden den Noth .
leidenden durch lange Feuer : Haaken zugereicht, können
durch einen ſtarken daran befindlichen Knebel augenblicklich
in jedes Fenſter beveſtiget und unten von ein Paar Mån
nern ſchwebend gehalten werden , und man kann durch
Hülfe derſelben , wenn ſie nur durch eine nahſtehende
Spriße von Zeit zu Zeit beneßt werden , ohne Gefahr
mitten durch die Flamme paſſiren.

Die Fürſtliche Direction hat zwei Sorten davon


approbirt und angenommen ; nämlich
No. I. Sechs Etagen hohe , 40 Eden lang ;
für Kirchen , Schlöſſer und auſſerordentliche
hohe Gebäude. Die Elle à IS 25 Rthlr .
No. II. Vier Etagen hohe , 24 Eden lang ;
für gewöhnliche Häuſer. 15 Rthlr .
Kürzer find fie , wenigſtens nicht in allen Fågen
brauchbar.

Die Preiſe ader hier erwähnten Stücke find in


Kurſächſ. Currant den alten Louisd’or zu 5 Rthlr. und
hier zur Stelle. Fracht und Emballage trägt der Käus
fer , ſo wie ich mir auch Briefe und Gelder franco erbits
ten muß. Liebhaber können der ſolideſten und beſten
Bedienung von mir ſicher ſeyn ; denn ich liefere weder
5.4 Sprißes

1
104 XI. Wichtiger Beitrag zu Verbeſſerung
Spriße , Schlauch , Feuer - Eymer , noch Leiter , kurz
kein Stück , das nicht zuvor durch Fürftliche Direction
probirt , tüchtig gefunden und von derſelben fignirt
worden . Weimar den 25 ten October 1783 . !

Johann Chriſtoph Deubert ,


Herzogl. Sådar. Weimar. Sof Mechanikus . ter
HD

Geleſen und approbirt.


Weimar den 27 ten October 1783.

(L. S.) Fürſtl. zur Feuerlöſchungs-Anſtalt


gnädigſt verordnete Direction.
No. II.
Inſtruction
für einen Sprißen - Meiſter ,
über
die Behandlung meiner Schlangen -Sprißen
mit hånfenen Schläuchen .
in Sprißen-Meiſter , muß fich zuerſt mit der ganzen
Ein Conſtruction der Spriße bekannt machen , ſich übers
Haupt gewöhnen geſchickt damit umzugehn , und wenig
ftens alle Monat einmal nachſehen , daß ſelbige immer in
guten und brauchbaren Stande ſey . Zugleich iſt nöthig,
daß er ſowohl den Rohrs Führer,als die zu den Schlaus
dhen und Drucken angeſtellten Leute, in dem was ſie zu
thun haben , unterrichte und übe.
Sobald ein Feuer- lårm im Orte entſteht, und die
nöthige Mannſchaft beiſammen iſt , nimmt der Rohrs
Führer
der Feuerlöſchungs-Anſtalten . tos
Führer das Leitrohr und Fangſeil, die Leute, welche zu
den Schläuchen gehören nehmen die Soláuche (welche ades
zeit ehe ſie angeſchraubt werden ins Waſſer getaucht wera
den müſſen , damit ſie queden ;) die Feuer -Eymer werden
an die Spriße gehángt, und die übrige Mannſchaft zieht
die Spriße zum Feuer. Ift ſie an Ort und Stede, foi
ſchrauben die Schlauchleute die ſchon naſſen Shlauche an
die Spriße. Dies muß ihnen der Sprißen - Meiſter bei
den Proben fernen ; daß nåmlich : I ) die Schrauben nie
gedreht werden , ſondern nur der meſfingene Ring , wela
cher ůber die Schrauben herläuft, damit die Soläuche
nicht verdreht werden ; 2) daß beim Auf- und Zuſchraus 1

ben der Schrauben - Wirbel, die in felbigen liegende lederne


Ringe, die zur Verſchlieffung der Luft dienen , in Acht
genommen werden , und wenn einer verloren , ſogleich
ein anderer wieder hinein gelegt wird. Während dieLeute
mit den Feuer - Eymern die Spriße mit Waſſer füden ,
fchraubt der Rohr - Führer das Leitrohr auf den Schlauch,
und die zum Drucken beſtimmte Mannſchaft fångt an zu
drucken ; Unfangs langſam bis die Windblaſe voll iſt , alsa
dann aber ſo geſchmind als möglich , und ſo daß die Drucka
fange jedesmal auf den Sprißen- Kaſten aufſchlågt.
Der Rohrs Führer Hålt indeſſen die Defnung des
Leitrohrs mit dem Daumen zu , damit die {uft in der
Windblaſe comprimirt wird , und zwar ſo lange bis die
Schläuche ganz vou Waſſer ſind , und die Gervalt deſfelben
ihm den Finger wegdrückt, alsdann låßt er den Strahl
ſchieſſen , und richtet ihn wohin es nöthig iſt. Die
Schlauchleute geben indeſſen Achtung, daß niemand auf
die Sdläuche , welche auf der Erde liegen , tritt, darüber
hinfährt oder ſie ſonſt beſchädigt.
Die Schläuche müſſen immer den fürzeſten und be
quemſten Weg , von der Spriße zum Feuer geleitet werden .
GS Ilt
106 XI. Wichtiger Beitragzu Verbeſſerung
Iſt es in einem Hinter - Gebåude, ſo geſchieht ſolches durch
das Vorder : oder Nebenhaus ; ift es in einem obern
Stockwerk, ſo wird der Schlauch vermittelft des Fangſeils,
welches der Rohr - Führer hat, von auſſen zum Fenſter
hinein gezogen ; kann aber der Rohr - Führer von innen
nicht mehr hinauf kommen , ſo wird der Schlauch auf
einer Seiter hinauf gebracht. Wenn der Salaud durch
ein Fenſter gezogen wird , ſo muß ihm allzeit ein mit Stroh
geſtopftes Kiſſen , oder ein ſtarker Strohwiſch , unterges
legt werden , damit er keinen ſcharfen Winkel macht und
das Waſſer ungehindert durch kann . Auch muß drauf
geſehen werden , wenn der Sølaud etwa ein wenig zu
lang wäre , daß er auf der Erde inmer im Bogen liege,
und niemals ſich in einem ſcharfen Winkel breche, weil eix
ſolcher Winkel den Schlauch ſogleich verſchließt und den
Sauf des Waſſers hemmt.
Wird ein Schlauch während dem Gebrauche beſchädigt
und läuft aus , ſo muß ei ſogleich an dem ſchadhaften
Orte init einem ſtarken leinenen Bindlappen umwickelt und
mit ſtarken Bindfaden bewunden werden ; roeßhalben auch
dergleichen Sappen und Bindfaden immer bei der Spriķe *
ſeyn müſſen.
Iſt das Feuer geldicht und die Spriße roa wieder
zurück gebracht werden , ſo werden die Schläuche zuvor abs
geſchraubt und zuſammen gerollt. Eft ſie wieder an Ort
und . Stede gebracht, ſo muß der Sprißen - Meiſter nach
ſehen ob nichts dran beſchädigt worden und alles dazu
gehörige Geräthe wieder da ſey , alsdann wird ſie folgens
bermafen wieder gereinigt und in gehörigen Stand geſeßt. :
I) Der Stempel wird Herausgezogen , jedoch bezeichnet,
wie er in dem Stiefel ſtund; damit er Hérnach eben
To wieder hinein gereßt werde ; rd
2 ) wi
der Feuerlöſhungs -Anſtalten . 107 ,
2 ) wird der unten am Boden des Reſervoirs , unter
der Schleife, befindliche Übzug - Zapfen geðfnet,
3) das Boden - ventil und der Stiefel mit einem
Schwamme von der alten Schmiere gereinigt, also
dann

4 ) sowohl in das Reſervoir als in den Stiefel fo


lange reines Waſſer gegoſſen, und die Spriße das
mit ausgeſpühlt, bis keine unreinigkeit mehr aus
dem Abzugs - Zapfenloche Veraus läuft ; darauf der
Ubzugs - Zapfen wieder verſchloſſen , und der Sties
fel mit einem Schwamme , Werg , oder {appen
an einen Stock gebunden , recht ausgetrocknet.
Sodann

5 ) Idhabt man mit einem ftumpfen Meffer die alte


Schmiere vom Stempel ab , biegt mit dem Mera
fet die beiden ledernen Kapſeln etwas auseinander,
und gießt zwiſchen dieſelben und den drinn liegens
den Kork etwas reines Baumdhl und ſteckt den
Stempel genau ſo wieder in den Stiefel hinein ,
wie er zuvor ſtund , eße er von der Druckſtange
losgemacht wurde.

6 ) Die Hånfenen Schläuche werden ſogleich ausgemas


Ichen , und gereinigt ; dürfen aber dabei weder
gerieben nod gebürſtetwerden . Am beſten geſchieht
dies an einem Fluſſe oder Bache, wenn man flief
ſendes Waſſer durchlaufen låßt. Wenn dies ges
fchehen , ſo werden ſie an einem Hauſe oder über
eine lange Leiter der Långe herunter zum Trocknen
aufgehångt , im Winter aber in einer Stube gean
trocknet ;

7) ſind
108 X1. Wichtiger Beitrag zu Verbeſſerung
7) find fie recht trocken , ſo werden die Gänge odet
Geminde der meſſingenen Schrauben , ſowohl dars
an als an den Sprißen ſelbſt, mit reinem Rindos
Jalge eingeſchmiert , auf die ledernen Ringe ein
wenig Baumohl gegoſſen , und die Wirbel etliches
mal herumgedreht, bis ſie ſo leicht gehen , daß man 居
fie ohne Mühe mit der Hand drehen kann. U18
dann werden

die Schläuche in Fornt einer Scheibe wieder zus


fammen gerollt, jedoch immer ſo , daß die Mutter
Schraube auswendig bleibt , und ſodann bei der
Spriße im Kaften aufbewahrt.
9) Ades Eiſenzeug an der Sprike, wird zugleich mit
einem Láppgen mit Seindle überfahren, um es
für dem Roſte zu erhalten.
Auf dieſe Art bleiben die Sprißen ſowohl im Som
mer als Winter beſtåndig in gutem Štande , und können
jeden Augenblick gebraucht werden.
Das Zuſammenſchrauben der Schläuche geſchieht,
weil ſie ſchlechterdings nicht dürfen gedreht werden , fols
genderſtalt. Der Eine hält die Vaterſchraube des einen
Schlauchs veft , der Andere feßt die bewegliche Wirbel
Mutterſchraube daran , dreht dieſe, den Schlauch úbri
gens veſt haltend , herum , und ſchraubt ſie über die Vas NO
M

terſchraube veft und zu.


In dem Sprißen - Hauſe müſſen die hånfenen
Schläuche nicht etwa auf der Erde liegen , oder ſonſt
an einem feuchten Orte aufgehoben werden , ſonſt mo
dern ſie und werden mürbe.
Zu
der Feuerlöſchungs - Anſtalten. To9
Za Bedienung einer großen Spriße gehören 2 Spria
Ben - Meiſter und ? Rohr : Führer ; zu den Schläuchen
3 bis 4.Mann ; zum Drucken 6 , 8 bis 10 Mann , und
jum Waſſerſchöpfen 6 bis 12 Mann.
1
Von den bånfenen Feuer -Eymern gilt ebendaffelbe,
was ich von den Solåuchen geſagt habe , daß fie nämlich
nach dem Gebrauche wieder gut getrocknet und an einem
luftigen Orte aufbewahrt werden müſſen .
Weimar den i ften Dec. 1783.
Johann Chriſtoph Neubert,
Sürſtl. Sådr. Weimar, Hof Mechanikus .

XII.

Beſchreibung eines Rauchtobakskliſtir - Ina


ſtruments , und deſſen Gebrauchs.
g. 1.

DasRauchtobaks fliftir an welchen


doppelten Blaſebalg-, Inſtru
mentbeſteßet ufeinert
ein ameffingenet
den Rauctobak bequem faffender Kopf angeſchroben wird,
aus welchen der Raud des Tobaks durd einen an derſele
ben geſchrobenen Schlauch, an deffen unterſten Ende ein
Kliftirrdhrchen angebracht worden , fortgetrieben wird .
$. 2.
Der meſfingene Rauchtobakskopf iſt aus dreiStücken
mit Sørauben , die aufs genaueſte folieffen , zuſammena
gefügt,
Tio XII. Raudítobakskliſtirs Inſtrument
gefügt, und beſteht aus dem obern Deckel, dem Mittels
ftücke und dem Unterſaße. Zwiſchen dem Mittelſtücke
und dem Unterſaße liegt eine meſſingene Platte , welche
mit vielen kleinen Löchern verſehen iſt. Dieſe ſtellet den 1

Roſt vor , auf welchen der Tobak liegt , und verhütet,


daß der ausgebrannte Reft des Tobaks nicht in die Defnung
des untern nach dem Schlauche gehenden lochs getrieben
werden , und daſſelbe verſtopfen könne.

S. 3.
Un das Untertheil des Rauchtobakskopf8 iſt eine aus
zwei Theifen beſtehende beinahezirkelrunde Büchſe geſchro
ben. In dieſe Büchſe legt man feuchtgemachten Schwammy
welcher den aus dem Tobakabgeführten Saft aufnimmt,
und verhindert, daß ſolcher den Schlauch nicht verunreis
nigen könne. Un dem Obertheile der Schwammbuchſe
befindet ſich ein Loch , in welches ein Wirbel eingeſchliffen
iſt , womit man nach erfordernden Umſtänden daſſelbe
Sfnen und verſchlieſſen kann. Wenn man den Wirbel
Herausziehet , und ein in der Büchſe brennender Tobak
noch vorhanden iſt , wird der aus dem Joche hervorkoms
mende Dampf davon eine ſichere Anzeige geben. Kommt
aber kein Dampf aus dem eröfneten Loche heraus , ſo iſt
es gemis , daß entweder der Tobak ganz verbrannt ſeve,
oder aber der in dem Rauchtobakskopf befindliche Tobak
nicht mehr brenne. Dieſes loch , welches man den
Rauchanzeiger nennen konnte , iſt nöthig , weil man ,
wenn das Kliftirröhrchen applicirt worden , ſonſt nicht
wiſſen könnte , ob man mit dem Blaſen fortfahren oder
aufhören müſſe.
g. 41
Der Schlauch , welcher an die Schwammbüchre ges
ſchroben , und andeſſen Ende ein Kliftirréprchen beveſtigt
wi rd
und deſſen Gebrauch. 111

wird , beſteht aus einem ſpiralförmig gewickelten Meſſings


draht, welcher, da er mit dúnnen Dármen überzogen
und Lufthaltend gemacht worden , zuleßt noch einen
Ueberzug von Jeder bekommt,

$. 5.
In einigen Fällen iſt es ndthig , daß der Dampf
mit weit größeri Nachdruck, als derjenige iſt , welchen
man durch die Gervalt des Blaſebalgs geben kann an
den beſtimmten Ort gebracht werde. Um dieſen Zweck
zu erreichen , iſt noch eine beſondere Zurichtung gemacht,
die ich jezt beſchreiben werde. 1

Ø. 6.
Un eine wohlbereitete Blaſe find an beiden Enden
zwei Hölzerne mit Wirbeln verſehene Hahne beveſtigt. Der
eine diefer Hahnen wird an die Schwammbüchſe geſchros
ben , an den untern Hahn aber das Kliſtirrdhrchen .
Man drücke alle (uft aus der Blaſe , und verſchlieſſe den
Hahn , an welchem das Kliſtirrdhrchen befindlich iſt.
Nun wird die Luftleere Blaſe durch den obern Hahn in
Verbindung mit der Schwammbúdſe gebracht , indem
fie an ihn angeſchroben worden , alsdenn wird man die
Blaſe mit dem Rauch des Tobafß anfüllen können.
$. 7
Man füge den Rauctobakskopf mit trodnem Sobaf,
und lege ein Stückchen brennenden Schwamm auf dens
ſelben , ſchraube geſchwind den obern Deckel über die
Buchſe , und reße den Blaſebalg in Bewegung. Der auf
ſolche Art in Brand gerathne Jobaf wird entweder durcs
den an die Sowammbuchſe angeſdrobnen Sdlauch den
Raud ausgeben laffen , oder es mird , wenn die Biafe
anſtatt
112 XII. Rauctobakskliſtirs Inſtrument 26.
anſtatt des Schlauchs angeſchroben worden , ſich der Rauch
in der Blaſe ſammlen und ſolche ausdehnen. Sobald ſie 1

mit Rauch angefůdet worden , wird der obere Hahn vers


ſchloſſen , und die Blaſe von der Schwammbüchſe abges
ſchroben , welche man nachher auf die gewöhnliche Art
appliciren kann. Man ofne darnach den unterſten Hahn,
und drücke den Dampf aus.

Mit dieſen und andern phyſikaliſch- und mathemas


tiſchen Inftrumenten , wovon ein beſonderes gedrucktes
Verzeichnis vorhanden iſt, werden Liebhaber von mir mit
Zuverläſſigkeit befriedigt werden,

Stegmann ,
Profeſſor der Matb . und Phyfit.

XIII.
XOX 113
XIII.
Uteber die Natur Der Metaphyfit ; zur
Prüfung von Hrn Profeſſor Sants
Grundſågen.
eit Entſteßung desjenigen Dinges , das man Metae
phyfie nennt , haben darin über die wichtigſten
Uufgabe Streitigkeiten obgewaltet , welche bei der großen
Erweiterung aller Wiſſenſchaften in neuern Zeiten von
ihrer Beendigung nur noch weiter ſcheinen entfernt zu
ſeyn. Dies veranlaßte Hrn Prof. Kant , zu unters
ſuchen , ob nicht der Grund davon in der Behandlung
der Wiſenſchaft fic fånde , und man dieſe bisher für
ganz etwas anders genommen habe, als ſie ihrer Natur
nad ſeyn ſoate ? Mit dem Scharfſinne und dem tiefs
rindringenden Nachdenken , deren Beweiſe auch in andern
ſeiner Schriften aufgeſtellt ſind , forſchte er , und fand ,
daß dieſe Streitfragen jenſeit der Grenze unſers Verſtans
des liegen ;daß ſie aus úbelverſtandner Anwendung ges
wiſſer Begriffe entſpringen , mithin , wie ſie jezt genoms
men werden, keine beruhigende Äufldſung geſtatten ; daß
Vernunft und Verſtand , ſofern ſie uns zu Theil worden
ſind, über eine uns jezt mögliche Erfahrung nicht hinaus:
blicken dürfen ; daß endlich wir von dem auſſer und an
fich nichts , nur in ſofern es uns erſcheint, etwas erkennen,
Dies trug er 1781 in der Kritik der reinen Vernunft vor,
und erwartete von den Philoſophen nähere Beurtheilung.
Als aber dieſe nicht erfolgte , gab er in der leßten Oſter
meſſe Prolegomena zu einer jeden künftigen Métaphyſik
heraus, mit wiederholter dringender Bitte , die Sache
ihrer Wichtigkeit gemås vorzunehmen , und was man
nicht annehmlich fånde , anzuzeigen. In Hrn Kants
Schlüſſen Habe ich das nicht wahrgenommen , was Beifall
erzwingt , welches ich daher jezt portragen will, damit
Seff. Beitr. B.I. St. Í. $ erbelle,
114 XIII. Ueber die Natur der Metaphyſik.
erhelle , ob die Schuld blos an mir lag ; und zwar, was
die Bereiſe , womit er die Realität des Rauns und der
Zeit , mithin auch unſrer Erkenntnis von den darin bes .
findlichen Gegenſtanden , aufhebt , zuerſt, indem die Mae
terie in ihrem ganzen Umfange auf einmal zu viel Raum
wegnehmen würde.
Daß wir von Raum und Zeit nothwendige , alſo
Erkenntniſſe a priori haben, ſchließt Hr. sant, iſt
unleugbar ; wie auch , daß viele derſelben ſynthetiſche
Urtheile ſind. Ein ſynthetiſches Urtheil aber kann nicht
aus Entwickelung eines gegebenen Begriffes entſpringen ,
weil ſein Weſen darin beſteht, daß einer Sache ein Prac
dikat beigelegt wird , welches in ihrem Begriffe nicht liegt. W

Ein ſynthetiſcjes Urtheil kann ferner nicht anders als aus


einer Unſdauung erwachſen ; denn daß man einen Körper
ſchwer nennt , davon liegt der Grund nicht in derſen
Definition ; ſondern in der Erfahrung oder äuſſern Uns
( chauung, welche und mit Ausdehnung , Solidität und
Figur die Schwere ſtets verbunden darſtedt ; wie ſolches
aud, aus der Definition ſynthetiſcher Urtheile von ſelbſt
fich ergiebt. Nun aber ſind die Urtheile der reinen Mas
thematik ſynthetiſch ; unð betreffen Raum und Zeit. Alſo
find Raum und Zeit a priori anſchaulich; nicht aus Ers
fahrung gebildete Begriffe. ( Prolegom . S. 49 th. f . )
Hier wird es wohl hauptſächlich zur Frage kommen
múſfen , ob die matħematiſche Såſe ſynthetiſch ſind ?
Der 7 to 5 12. ſagt Hr. Kant , iſt es , weil der
Begrif von zwölf keinesweges dadurch ſchon gedacht iſt,
daß man bloß die Vereinigung von ſieben und fünf denkt.
Der , daß die gerade linie zwiſchen zweien Punkten die
fürzeſte fen , iſt es gleichfalls ; denn der Begrif vom geraden
enthalt nichts von Gröſe, ſondern nur Qualität. ( Pros
legom . S. 28 M. f. )
Wenn
XIII, Uteber die Natur der Metaphyfik. 115
Wenn man einen Begrif analyſirti lo ſondert man
in Gedanken alle vorher verwirrt gedachte Prádikate , und
ſteût ſich eins nach dem andern vor. Die verſchiedenen
ineinander laufenden ufte i wodurch man ihn dachte ,
trennt man , und betrachtet jeden vor ſich. Wenn man
ein Ganges in Gedanken theilt , ſondert man die Vor's
ſtellungen der Theile auseinander , und denkt jeden als
etivas eigenes. Nur der Unterſchied findet ſich zwiſchen
beiden Operationen , daß im erſtern Falle die verſchiedenen
Prädikate allemal innerlich verſchiedene Vorſtellungen ſind ;
im andern , die Theile oft innerlich einerlei ; nur dadurch
verſchieden gemacht, daß man wigführlich fie voneinander
Tcheidet. Nun frage ich , ob dieſer Unterſchied in beide
Operationen weſentliche Verſchiedenheit bringt ? ob nicht
leßtere ſo gut wie erſtere Analyſe Heiſen muß ? beide bes
Atehen ja darin : daß , mas an einem Gegenſtande vers
fchieden gedacht werden mag , und vorher verwirrt gedacht
wurde, voneinander in Gedanken geſondert werde. Dem
zufolge wird alſo der Saß fieben und fünf inachen zwolf
analytiſd ſeyn müſſen . Unter allen möglichen I heilen
von zwölfe findeni fich auch ſieben und fünf; mithin un
zu ſagen , ſieben und fünf ſind zwölf , iſt nicht nöthig ,
aus dem Begriffe von zwolf Herauszugehen. Und daß
fieben und fünf zwölf find, davon iſt am Ende doch wohl
das der Beweis , daß zwölf ſich ganz genau in ſieben und
fünf zerlegen låßt. Oder , von der andern Seite , um
mir zu beweiſen , daß 7 + 5 = 12 , muß ich beſtimmen ,
was ich unter zwölf verſtehe ; und feße ich nun zu den 7
die 5 , ſo erhalte ich den vorher beſtimmten Begrif: babe
alſo nicht nothig , aus den beiden gegebenen þinauszugeben,
und ſynthetijd zu verfahren .

Hieraus ergiebt ſich denn audy , daß die Såße det


Geometrie , wo durch Theilung und Wiederzuſammens
feßung der Figuren ein neuer gefunden wird , nicht ſyns
52 tpetilo
116 XIII. Heber die Natur der Metaphyſik.
thetiſch find ; weil aus den gegebenen Begriffen nicht
hinausgegangen wird.
Uber , daß die gerade linie zwiſchen zwei Punkten
die kürzeſte ſey , wird doch wohl ein ſynthetiſcher Sax
fern müſſen wir wollen ſehen. Wenn zwiſchen zween
Begriffen irgend ein Verhältnis beſtimmt wird , fo liegt
der Grund dazu ( das fundamentum relationis fagten
die Scholaſtiker , ) ſchon in den Begriffen ſelbſt. Der
dergleichende Verſtand darf nur von einem zum andern
übergehen , und auskennen , welche Eindrücke ſolcher
Uebergang in ihm hervorbringt. Såße folglich , welche
Beziehungen , Verhältniſſe, bezeichnen , ſind nicht ſyns
thetiſch. Von der Art iſt nun auch der , daß zwiſchen
zween Punkten die gerade linie die kürzeſte iſt. Dieſe
Jinie fol die kürzeſte ſeyn , alſo find mehr Linien , als
möglich , gegeben , alſo werden dieſe mit der geraden vers
glichen, und daraus das Reſultat gezogen . Im Geraden
freilich iſt nichts von Gröſe, aber in den ſtiaſoweigend
zugleich gegebenen Krummen , verglichen mit der geras
den iſt ſie.
Von gleicher Art find meines Erachtens mehrere
mathematiſche Grundfäße: 3. B. daß drei Punkte jeders
geit in einer Ebene liegen. Hier wird der Akt , wodurch
man drei Punkte denkt , verglichen , mit dem wodurch
1
eine Ebene vorgeſteật wird , und daraus, abgeleitet, daß
die drei Punkte auf keine andere Weiſe als in einer Flache
können gedacht werden.
Dieſer" erſte Beweis würde demnach Vorzeigung
einiger unleugbar ſynthetiſchen Såße der Mathematik
erfordern.
Einen andern dieſem an Scharfſinn gleichen Beweis
führt Sr. Kant foi dag , worin fich die Empfindungen
allein
XIII. Ueber die Natur der Metaphyfir. 117
Allein ordnen , und in gewiſſe Form geſtellt werden kons
nen , kann nicht ſelbſt wiederum Empfindung ſeyn ; alſo
iſt uns zwar die Materie aller Erſcheinung a pofteriori
gegeben , die Form aber muß zu ihnen insgeſamt im Ges
můth a priori bereit liegen ; und daher abgeſondert von
allerEmpfindung können betrachtet werden. (Kritif S. 20.)
Bevor über dieſen Schluß etwas kann angemerkt
werden , muß ſein Inhalt mehr ins Helle geſegt reyn .
Spr. Kant ſtellt fich , meines Erachtens , die Sache ro
vor: wir empfinden Eindrücke gewiſſer Gegenſtande, uns
bekannt welcber, Undurchdringlichkeit, Hårte , ' Theilbars
keit u . f. w . an einem Körper , dieſe gehen auf deſſen
Materie ; 'wir finden auſſerdem aber auch Ausdehnung
und Geſtalt an ihm , und dieſe gehen auf ſeine Form.
Die Materie der anſchauung nun iſt das , was der
Empfindung correſpondirt; die Form das , welches macht,
daß das Mannigfaltige der Erſcheinung in gewiſſe Vers
håltniſſe geordnet, angeſchaut wird. Hierin liegt nod
Unbeſtimintheit ;. Tollen Farbe , Geruch , Geſchmack, zur
Form des Körpers in der Anſchauung gehören , oder
nicht ? Wenn nicht : warum das ? fie machen doch auch
des jezt vorliegenden Körpers Form ſo gut aus , als Uugs
dehnung und Geſtalt. Wenn aber: To múffen aud fie
a priori angeſchaut werden , welches Hr. Kant doch
nicht wia,

Doch dies bei Seite geſekt, frage ich , ob eine bes


ſondere Form der Anſchauung nothwendig iſt, worin das
Mannigfaltige der Erſcheinung in gewiſſe Verhältniſſe
geordnet wird ? Gefeßt, ein Körper beſtehe aus lauter 2

einfachen Theilen : Fo iſt die Materie der Unſequung die


Sammlung derſelben . Die Vorſtellung von Ausdehnung
und Figur entſpringt raher , daß die einzelnen Eindrücke
der Theile , nicht jeder vor fich , ſondern ineinander fließ
$ 3 ſend
18 XIII, Ueber die Natur ber Metaphyfit,
fend , wahrgenommen werden . Sie liegt alſo theils in
der Art, wie die Eindrücke zugleich gemacht werden , theile
in dem Vermogen der Seele , mehrere einzelne Empfins
bungen zu einem Ganzen zuſammenzuſeßen , nicht auſſer
dem Körperin einer der Seele vorher beiwohnenden Form ;
und es bedarf keines ſolchen beſondern vom Körper unters
ſchiedenen Dinges , worin ſeiner Theile Mannigfaltigkeit
geordnet wurde. Hievon iſt die Anwen ung auf den
auſſer dem Körper befindlichen Raum nicht ſawer,
Folglich bleibt hier noch zu erweiſen , daß es eine
von den Gegenſtänden der Anſchauung verſchiedene Forin
geben muß , worin iħre Mannigfaltigkeit geordnet werde.
1

Uuffer dieſen allgemeinen , bedient fich Hr. Kant


noch verſchiedener beſondrer Gründe, zu zeigen , daßweder
Raum noch Zeit a poſteriori erkannt werden . Sie laus
ten der Ordnung nach ro : erſtlich , der Raum iſt kein
empiriſcher Begrif, der yon äuſern Erfahrungen abgezogen
worden. Denn damit gewiſſe Empfindungen auf etwas
auſſer mich bezogen werden , ( d. l. quf etwas in einem
andern Drte des Raumes , als darin ich mich befinde, )
imgleichen , damit ich ſie als auſſereinander, mithin nicht
blos verſchieden , ſondern als in verſchiedenen Orten mir
vorſtellen könne , dazu muß die Vorſtellung des Raumes
ſchon zum Grunde liegen. ( Kritik S. 23. ) Eben dies
gilt auch von der Zeit; denn das zugleich reynt , und auf
einander folgen , würde nicht in die Wahrnehmung kom
men , wenn nicht die Vorſtellung der Zeit a priori zum
Grunde låge. ( Ebendaſ. S. 30. )

Vortreflich geſchloſſen ! ganz des ſcharfſinnigen Mans


'nes würdig ! Was auſſereinander ift , befindet ſich in vers
ſchiedenen Räumen ; alſo reßt auſſereinander ſeyn , den
1 Raum voraus ; alfo iſt deffen Vorſtellung nicht von auſern
Gegens
XHI. Ueber die Natur der Metaphyſik. 119
Gegenſtanden entſprungen . Fiele mir nicht die Frage ein,
ob Verſchiedenheit des Raumes erſtes Kriterium vom Uurs
ſereinander ift ? ich würde nicht umhin können der Macht
des Beweiſes mich zu unterwerfen . Mit verſchloſſenen
Augen und ohne jezt zu wiſſen , ob es einen Raum , oder
irgend etwas auſſer mir giebt, ſtrecke ich meine Hand aus,
und ſtoſſe auf etwas wiederſtehendes. Nach einem kleinen
Stilſtande bewege ich ſie an demſelben Dinge in gerader
Linie weiter , und fühle denſelben Wiederſtand von neuem .
Was iď vorher fühlte , weiß ic) , iſt nicht, was ich jezt
fühle , denn ich habe die Hand fortgerückt ; auch iſt es
nicht in dem vorher gefühlten , ſondern neben und auſſer
ihm , denn ich habe denſelben Eindruck zweimal nacheinan
der , nach Fortrůckung der Hand wahrgenommen. Das
Auſſereinander alfu erkenne ich nicht durch Verſchiedenheit
des Raumes , denn von dem weiß ich noch nichts ; ſondern
dadurch, daß ich einerlei Eindruck des Wiederſtandes in
verſdiedenen Augenblicken zweimal he ht n wahrs
tenacheinander
, er entſ nic vo einem
nehme , undenzugleich weiß an huenden egenſtande eil
d
und , demſelb Wiedekreſnts t G , w
ich mirrgedſetsaltFortrůc der Hand deutlich bewußitnanbdienr.
Gleiche n will ich mir zween Punkte auſſerleung
l e
vorſteles : ſo nehme ich nichteßzeunerſt die Vronrſtel des
Kaum , um ſie dahin einzuſ ; ſonde ich ftede mir
vor , als ſåhe ich den einen , und mährend ich den in Ges 1

danken noch rehe , ſtehlle ich mir vor , ich ráhe aeuicnhanddeerrt
andern mit nihm zugleic . Alſo , daß etwas auſſer
iſt , erkeonnne wir zuerſt daran u,ngdaß wir mehreroen Akte der
Senſati , oder der Porſtell von Seernnſati wieders
þolen , und jedenn von ihne ehnmoecnh fortdau lnadſſeetn , indem
n
wir denndfeolgende gewahrn . Verſchlwuing der vor
e t
herge andgearnz , To entſte die Porſtaenlder zwar von
h h
n n
"
auſſerei on , aber nicht von nebenei , das iſt von
Succeſſtiehen.denFahre ichtannudne mit der Hand weiter an dem
wiederſ Gegenſ hin , ſo erhalte ich die Vor
H - ftellung
120 XIII. Ueber die Natur ber Metaphyfte.
ſtellung yon etwas ausgedehntem ; und bemege ich ſie in
gerader inie , ohne einen Wiederſtand zu empfinden , ſo
gelange ich zum Begriffe der Uusdehnung und des Raumes.
Uber nie ! um die Hand ſo bewegen zu können , muß
ſchon Raum da reyn , alſo wird das zu erklärende ſchon
vorausgeſeßt! berpegt muß ſie freilich werden können die
Hand , aber ob ſie es kann , weiß ich nicht , wenn ich
anfange fie zu bewegen , ich habe alſo die Vorſtellung
vom Raume noch nicht. Obgleich alſo-man richtig ſagt,
was auſſereinander als beſtehend exiſtirt , iſt in verſchies
denen Räumen ; ſo iſt dies doch nicht erſtes Kennzeichen .
Es iſt nicht einmal hinlängliches Kennzeichen , denn nun
fragt ſich von neuem , welche Räume ſind verſchieden ?
woran erkennt man ihre Verſchiedenheit ? daran daß fie
auſſereinander find ? dann drehen wir uns in einem Kreiſe
þérum , dazu daß etwas auſſer uns , und auſſereinander
fey, gehört Verſchiedenfeit der Defter und Räume ; und
4
zur Verſchiedenheit der Derter und Räume , daß dieſe
auſſereinander ſeyn. Nothwendig alſo giebt es ein anderes NU

Kennzeichen des Auſſereinander, und ſo bald das , fæließt


Hrn Kants Beweiß nicht.
Eben ein ſolcher Kreis findet ſich auch in dem was
Hr. Kant von der Zeit ſagt. Zugleich iſt, was in einer,
nicht zugleich , mas in verſchiedener Zeit iſt ; alſo kann
zugleich und nicht zugleich ſeyn , ohne Vorſtellung der Zeit
nicht mahrgenommen werden. Umgekehrt , was in vera
ſchiedener Zeit iſt , iſt nicyt zugleich , und was in einer
Zeit, iſt zugleich ;alſo fann Verſchiedenheit und Einerleis
heit der Zeit, nicht ohne zugleich und nicht zugleich ſeyn
erkannt werden. Weidem pon beiden Schlüſten fod man
trauen ? Muß nicht durchaus ein anderes Kriterium für
zugleich und nicht zugleich angenommen werden , als
Einerleiheit und Verſchiedenheit der Zeit ? Folglich die
Wors
XIII. Ueber die Natur der Metaphyſik. 121
Vorſtellung der Zeit nicht von der Wahrnehmung von
Simultaneitåt und Succeſſion ausgeſchloſſen werden ?
Und dies Kriterium iſt meines Bedenkens wohl kein ans
deres, als daß ein Akt des Empfindens, Vorſtellens und
Denkens u. 1. w. gånglich auffört und verſchwindet , 1
wenn ein anderer angebt.
Zweitens , fährt Sr. Kant fort : Der Raum ift
eine nothwendige Vorſteđung a priori, die allen äuſern
Erſcheinungen zum Grunde liegt . Man kann ſich niemals
eine Porſtellung davon machen , daß kein Raum rey , of
man ſich gleich ganz wohl denken kann , daß keine Gegens
ſtånde darin angetroffen werden. ( Kritik S. 24. ) Eben
To kann man in Anſehung der Erſcheinungen überhaupt
die Zeit nicht aufheben , ob man zwar ganzwohldie Era
ſcheinungen aus der Zeit wegneşmenkann. ( Ebend. S.31.)
Haben doch leibnißens Schüler auch der Sinnens
welt aden wirklichen Raum , und vor ihnen die NeusPlas
tonifer der intellektuellen oder geiſtigen Welt ihn abgeſpros
chen. Gefeßt, es exiſtire nur ein einziges einfaches Wes
Ten , fo würde dies auſſer ſich nichts gewahr werden . Es
würde nicht um ſich herblicken , und ſagen können, das
bin ich : aber dies, jeñes, iſt nicht ich ; es würde alſo auch
auſſer ſich von keinem Raume etwas miſſen . Denn dies .

zu erkennen , muß nothwendig ein Weſen aufere Wahra


nehmungen Baben , es muß Gegenſtånde auſſer fich an
ſchauen , oder wenigſtens durch herausgehende Thätigkeit
feinen Plaß verändern. Man nehme uns Gefühl und
Geſicht, und ſehe , ob denn nod vom Raume aueh nur
die geringſte Vorſtellung zurük bleibt. Er muß alſo doce
wohl als nicht exiſtirend ſich denken laſſen .
Und die Zeit ! wer weiß nicht, daß eine Dauer ohne
Succeſſion in einem keiner Veränderung unterworfener
$ $ Wefer
122 XIII.Ueber die Natur der Metaphyfik.
Weſen ſich ganz gut denken låßt, und ſehr oft iſt gedacht
worden ?
Y

Von gróferem Gerichte iſt, was Hr. Kant drittens


Hinzuießt: auf dieſe Nothwendigkeit a priori grundet ſich
die apodiktiſche Gewisheit aller geometriſchen Grundraße,
und die Möglichkeit ihrer Conſtruction a priori. Ware
nämlich dieſe Vorſtellung des Raumes- ein a pofteriori
erworbener Begrif , der aus allgemeiner auſeren Erfaha
rung geſchöpft wäre, ſo würden die erſten Grundfäße der
mathematiſchen Beſtimmung nichts als Wahrnehmungen
feyn . Sie vatten alſo alle Zufáuigkeit der Wahrnehmung,
und es wäre, eben nicht nothwendig, daß zwiſchen zween
Punkten nur eine gerade linie fer , ſondern die Erfahrung
würde es jederzeit ſo lehren. Was von der Erfahrung
entlehnt iſt , hat auch nur comparative Adgemeinhei
g n t
eſagen
nämlich durch en Induction. Man würde alſo nur n
können
u m , fuſond0 zur
r d enZeit noch bemerkth r worden
i m e ſ,ſu iſt kein
Rate n ge tik wo r s
, de eumnpet sal dtre Abh ,
ä t m r i . n e4 .
k io . ion( K n r Sr ede 2it ) erEhba da gil e auct vorn denne
e
Ur menf vaonde dſechi Ze üb ten
i .d Siht haleuincghnu ei a
D i n
i; v e r Z e ni n
eſ nic zuhgr , ſon
n he ſeſ n a t
dezrogen nac rden . Deineda kön . aus Erf niậ
ge we . ( Eb . S. 31 )
Die Stårke dieſes Schluſſes zu prüfen , will ich vors
käufig fragen , was zu einem Erkenntnis a priori gehört ?
Es roll nicht aus Erfahrung, entſprungen ſeyn , vor der
Erfahrung hergehen , und unabhängig von aller Erfah
xung apodiktiſche Gemisheit haben. Es foualſo nicht
blofer Begrif , bloſe Vorſtellung ſeyn , denn Bewisheit
findet nur bei Urtheilen ſtatt. Ein Urtheil nun , damit
es vor aller Erfahrung, und ohne alle Erfahrung , vóllige
Gemisheit habe , werden dazu auch Begriffe a priori er le
fordert ? Wenn der Begriffe Verhältnið, und Zuſammens,
hang
XIII. Ueber die Natur der Metaphyfit. 123
!
þang aus ihnen ſelbſt eingeſehen , wenn dabei alle Erfahs
rung ausgeſchloſſen , wenn dabei deutlich erkannt wird,
es rey keine andere Verbindung möglich ; denn find ja ade
Bedingungen zu einem Erkenntnis a priori erfuat, und
nach dem Urſprunge der Begriffe ſelbſt wird nicht weiter
gefragt. Auch geſteật Hr. Kant felbft alle analytiſche
Såße, wenn gleich ihre Begriffe empiriſch reyn , müſſen
doch für Kenntniſſe a priori gelten . ( Prolegom . S. 26. )
Wofern folglich die geometriſchen Grundraße von der Art
find , daß fie aus den Begriffen felbft tónnen gefolgert
werden ; dürfen zu ihrer Gemisheit keine Begriffe a priori
verlangt werden . Nun habe ich oben angemerkt , daß 1

die von Hrn Kant als nicht zu dieſer Klaſſe gehörig beia
gebrachten , dennoch aus den Begriffen ſelbſt flieſſen .
Einige hier aufgeſtellte Beiſpiele überzeugen auch nicht
vom Gegentheile. Daß zwiſchen zween Punkten nur eine
gerade linie iſt , lebren die Begriffe ſelbſt ; denn es iſt uns
möglich mehr als eine hier zu denken ; jede andere neben
der geraden weicht von deren Richtung ab , iſt alſo nicht
gerade. Daß der Raum nur drei Abmeſſungen hat,
wiffen wir nicht blos , weil wir keine andere durch die
Sinne darin gefunden haben , ſondern vorzüglich , weil
unſer Begrif von Raum nichtmehrere zuláßt. Von den
Uriomen der Zeit gilt eben dies. Håtten wir auch wirklich
die Begriffe von Raum und Zeit vor aller Erfahrung, die
Gemisheit der daraus gezogenen Grundfäße würde dennoch
um nichts: gewinnen. Wirwürden ſie doch nietanders
als durch Vergleichung und Analyſe der Begriffe , mithin
auf ebengeronnen
die Urt wie jezt erkennen. Hud dann würde
nichts , wenn wir dieſe Grundfäße , nach
Hrn Kants Theorie , durch Anſchauung a priori eina
fáben. Von zween Philoſophen , die in irgend einem
Punkte dieſer Grundſåße nicht ganz einig waren , würde
jeder ſich auf ſeine Anſchauung berufen , und damit wåre
der ganze Grund dieſer Gewisheit untergraben.
Aber,
124 XIII. Ueber die Natur der Metaphyfie.
Aber , erriedert Hr. Kant mit vielem Scharfſinne,
bie metaphyſiſchen Principien , wozu nicht blos die Prina
cipien , ſondern auch die Grundbegriffe gehören , müſſen
niemals aus der Erfahrung genommen ſeyn ; denn dieſe
Erkenntnis roll nicht phyſiſche , ſondern métaphyſiſche
das iſt, jenſeit der Erfahrung liegende ſeyn . ( Prol. 3.24.)
Das kann ſie , wenn auch die Begriffe aus Erfahs
rung zuerſt entſpringen ; von den analytiſchen Såßen hat .
er felbft es ſchon zugegeben. Die Metaphyſik roll nichts
lehren , was weder in unſerer, noch in irgend eines dena dien
kenden Weſens Erfahrung vorkommen kann , denn das
ware Unſinn. Sondern was in unſerer Erfahrung zwar
jezt entweder gar nicht, oder nicht vollſtändig vorkommt ;
aber unter andern Bedingungen auſerer Anſchauung vors
kommen würde , und in Erfahrungen anderer denkenden
Weſen vorkomint. Nun laß immerhin unſere Begriffe
aus Empfindungen entſtanden ſeyn , wenn ſie nur in ihrer
Combinationen nach weſentlichen Grundfågen des Vera
ftandes mehr enthalten , als die Erfahrung aufzeigt , fo
werden ſie uns weiter als die Erfahrung führen . Gefeßt
auch , fie entſprüngen a priori, und blieben nur was fie
jezt find : ſie werden uns doch nichts mehr , und nichts
mit mehr Gemisfeit lehren , als was wir jezt darauf
ableiten .

Raum und Zeit , lagt viertens Hr. Kant : find


Feine diſcurſive , oder wie man ſagt , allgemeine Begriffe,
von Verhältniſſen der Dinge überhaupt, ſondern reine
Unſchauungen . Denn man kann ſich nur einen einigen fr
Raum vorſtellen , und wenn man von vielen Räumen
redet , ſo verſteht man darunter nur Cheile eines und
beſſelben alleinigen Raumes. Dieſe Theile können auch
nicht von dem einigen 'adbefaſſenden Raume , gleichfam
als deffen Beſtandtheile, (daraus ſeine Zuſammenſeßung
möglich
XIII. Ueber die Natur der Metaphyfik. 195
möglich ſen .) Vergeßen , ſondern nur in ihm gedagt
werden. ( Kritik S. 25.) Verſchiedene Zeiten ſind nur
Sheile eben derſelben Zeit. Auch würde ſich der Saß ,
daß verſchiedene Zeiten nicht zugleich ſeyn können , aus
einem allgemeinen Begriffe nicht herleiten laſſen. Er iſt
ſynthetiſch, und kann aus Begriffen allein nicht entſprins
gen .' ( Ebendaſ. S. 32.) So werden auch alle geome:
triſche Grundfäße , jo B. daß in einem Triangel zwei
Seiten zuſammen gröſer ſeyn , als die dritte , niemals
aus allgemeinen Begriffen von linie und Triangel , ſuns
dern aus der Anſchauung, und zwar a priori mit apos
Siktiſcher Gewisheit abgeleitet, i

So viel ich ſehe , wil der Schluß dies ſagen : es


giebt keine fpecifiſch verſchiedene Zeiten und Räume ; alſo
find beide Begriffe keine allgemeine; jeder beſondere Raum
iſt Raum überhaupt. Adein der Raum von drei Seiten
eingeldloſſen , iſt dod nicht der von vieren umgeben ; und
beide nicht der von keiner begrenzt. Aus erſteren wird
durch Weglaſſung der Grenze der leştere in Gedanken ges
bildet ; wie umgekehrt, aus legterem durch Hinzuſeßung
möglicher Einſcrånkungen die erſtere entſpringen. Dieſe
verſchieden begrenzte Räume nun ſind ſie nicht eben das,
was durch mehrere Differenzen verengte allgemeine Bes
griffe ? das Verfahren von dem begrenzten zum unber
grenzten hinauf, und vom unbegrenzten zum begrenzten
herabzuſteigen , iſt es nicht eben das , welches bei Erhebung
beſonderer Begriffe zum allgemeinen , und bei Beſtimmung
beſonderer aus allgemeinen beobachtet wird ? Theile Heiſen
freilich die beſondern Räume vom allgemeinen ; nicht aber
ſo eigentlich die Gattungen vom Geſchlechte; der Unterſchied
daß die Theile des Raumes nebeneinander , und auch abe
gefondert jeder vor ſich beſtehend genommen werden , da
hingegen die Gattungen nichtals im Geſchlechte abgeſondert
und Toen ver fich exiſtirend angeſehen werden , þat dieſen
Unterar
126 XIII. Ueber die Natur der Metaphyfie.
Unterſchied nothwendig gemacht. Dennoch hat das Ver :
fahren von einem Ganzen morin die Theile nicht beſtimmt
find, ju deffen Theilen von beſtimmter Figur überzugehen
wefentliche Uebereinſtimmung mit dem wo vom Geſchlechte
zur Gattung herabgeſtiegen wird , weshalb auch die
Scholaſtifer die Gattungen partes intentionales , odex
ſubjectivas des Geſchlechts nannten .
A

Der Saß aber , daß verſchiedene Zeiten nicht zugleich .


Teyn können , dürfte man wohl nicht leicht als ſynthetiſch
gelten laſſen. Verſchiedene Theile der Zeit , ein Jag 3. B.
und eine Stunde können gar wohl zugleich ſeyn ; alſo fann
der Saß nichts anders ſagen wollen , als daß Theile der
Zeit , durch keine innere Beſtimmung verſchieden , nicht
anders als durch Nicht zugleich ſeyn fónnen , unterſchieden
werden. Innere Unterſchiede 'werden hier weggenommen ,
welche anders bleiben dann noch als åuſſere ? und dieſe han
äuſſere , welche ſind ſie , wenn nicht , daß die eine Zeit
nicht iſt , wenn die andere iſt ? andere Unterſchiede laſſen 104
fich im Begrif der Zeit nicht denken .
Daß in einem Dreiecke zmo Seiten zuſammen grófer
als die dritte ſeyn müſſen , wird freilich aus der Uns
ſchauung durch Linien und Dreiecke dargethan , dies iſt
Der fürzeſte und ſicherſte Weg zur Ueberzeugung. Darum
aber folgt nicht , daß es nicht auch aus Begriffen fich be
demonſtriren läßt. Wenn von einem Dreieck eine Linie
gegeben iſt , ſo müffen die beiden andern von ihr die auſ:
Ferſten Punkte berühren ; fonſt werden keine zwei Winkel
an derſelben ; dieſe aber müſſen im Dreiecke an jeder Linie
Teyn , ſonſt wird kein Raum eingeſchloſſen. Múffen aber die
beiden andern ( inien dies , ſo müſſen ſie zwiſchen denſelben
zwei Punkten liegen , zwiſchen welchen die gerade. Nun aber
iſt zwiſchen jeden zwei Punkten die gerade { inie die kürzeſte ;
alſo müſſen die beiden übrigen länger als die dritte feyn.
Der
XIII. Ueber die Natur der Metaphyſik. 127
Der fünfte und leßte Beweis ſcheint mir auf eben
dies hinauszugehen : foute er es nicht, fo muß ich um
náhere Erkäuterung bitten.
Als Zugabe, und mehrere Ueberzeugung zu berpirken,
giebt Hr. Kant noch folgendes zu bedenken : wenn zwei
Dinge in allen Stücken , die an jedem vor ſich nur immer
können erkannt werden , vdlig einerlei ſind , ſo muß doch
folgen , daß eins in allen Fäden und Beziehungen an die
Stelle des andern könne gefeßt werden , ohne daß dieſe
Vertauſchung den mindeſten kenntlichen Unterſchied verur's
ſachen würde. Nun iſt das Bild meiner Hand im Spiegel
der Hand vollkommen ähnlich ; und dennoch kann dieſe
Hand im Spiegel nicht an die Stelle der wirklichen geſekt
werden. Denn wenn dieſes eine rechte war , ſo ift jene
eine linke, die nimmermehr die Stelle der erſtern vertreten
kann. Nun ſind hier keine innere Unterſchiede, die irgend
ein Verſtand denken könnte , und dennoch ſind die Unters
ſchiede innerlich. Alſo ſind dieſe Gegenſtände nicht etwa
Vorſtellungen der Dinge , more ſie an ſich ſelbſt ſind; fons
dern es ſind ſinnliche Anſchauungen . (Proleg . S.57.58.)
1

In der linken Hand haben die Theile eine andere Sage


gegeneinander als in der rechten , dieſer Unterſchied iſt ins
nerlich, und auch in reinen Verftandesbegriffen gegründet.
Denn wenn auch die Akte des Denkens und Vorſtellens
in zween Fågen dieſelben ſind , ſo macht doch die Art wie
fie nacheinander oder zugleich vorgeſtellt werden , innere
Verſchiedenheit. Eine Reihe derſelben Schlüſſe ſynthetiſch
geordnet , enthält dieſelben Saße und Folgerungen , welche
in der analytiſchen Stellung vorkommen , bewirkt im Vers
ftande ein und daſſelbe Reſultat; und beide find dennoch
verſchieden . Alſo gilt auch in reinen verſtandesverrichs
tungen , der von der Ordnung worin ſie verrichtet werden,
bergenommene Unterfdied ; es kann alſo nicht gefagt
werden ,

}
)

128 XIII. Ueberdie Natur der Metaphyfit.


werden , ſolcher Unterſchied in Gegenſtanden der Sinns 5

lichkeit gebe keinen Unterſchied vor den Verſtand , nicht


gefolgert werden , alſo find die Gegenſtande, worin er
vorkomint , nicht Gegenſtånde an ſich.
So viel von den Beweiſen. Mehrerer Deutlichkeit
)
Halber wird noch erforderlich ſeyn , den Inhalt des Schlußa
ſaßes etwas genauer anzuſehen . Durch dieſe Schlúite
glaubt Hr. Kant ſo viel veſtgeſeßt zu haben , daß die
Begriffe von Raum und Zeit nicht aus ſinnlichen Eins
drůden entſpringen , ſondern vor ihnen hergehen , weshalb
er ſie auch unſchauungen , reine Unſchauungeni a priori
mehrmals benennt.
Anſchauung bezeichnet den Philoſophen , ſo viel ich
bisher habe 'bemerken können , zweierlei; einmal gegen
wärtige , gewahrgenommene , durch Aufmerkſamkeit ers
şaltene und beachtete Empfindung. In dieſem Sinne
können die Begriffe von Raum und Zeit nichtAnſchauung
a priori ohne Widerſpruch, feyn.
Zweitens , durch das Reproductionsvermogen ers
neuerte , jezt aufmerkſam betrachtete Empfindungen .
Uud, in dieſem können ſie es nicht.
Es bliebe alſo übrig zu ſagen , die Seele tonne aus
fidh , ohne alle vorhergegangene Empfindung Vorſtelluna
gen von Raum und Zeit hervorbringen ; und denn håtte
man alle Erfabrung gegen ſich.
Oder , es werden zwar Empfindungen erfordert,
um dieſe Begriffe zu veranlaſſen ; aber die Empfindungen
allein machen doch die Begriffe nicht aus ; es wird ihnen
etwas nicht aus Empfindung gefloſſenes zugeſeßt. Dahin
ſcheint Hr. Kant zu wollen , wenn er ſagt, weil die
Receptivitat des Subjekts, von Gegenſtänden afficirt zu
werden ,
XIII. Ueber die Natur der Metaphyfik. 129
werden , nothwendiger Weiſe vor allen Anſchauungen dieſer
Objekte vorhergeht: ro läßt ſich verſtehen , wie die Form
aller Erſcheinungen, vor allenwirklichen Wahrnehmungen,
mithin a priori, im Gemüthe gegeben ſeyn könne, und
wie ſie als eine reine Anſchauung , in der alle Gegenſtände
beſtimmt werden müſſen , Principien der Verhältniſſe ders
ſelben vor aller Erfahrung enthalten könne. ( Kritik S. 26.)
Ilm dieſer Erklärung mit mehr Bereitwilligkeit und
Ueberzeugung beitreten zu kdnnen , möchte man doch gern
wiſſen , worin denn das beſteht, was der Verſtand zu den
Empfindungen hinzufügt , um die Begriffe von Raum und
Zeit zu Stande zu bringen. Denn könnte man doch die
Sache an ſich ſelbſt erproben , und ſo überführt werden,
daß man mehr als Worte hiebei denkt.
So etwas nun , was die Seele ſelbſt den Empfindung
gen zuſeßt, ſcheint als Beftandtheil der Begriffe von Raum
und Zeit gar nicht vorhanden zu ſeyn ; und iſt es das nicht,
ro fáūt dieſe Erklärung von ſelbſt. Irgend ein Beſtandtheil
der Begriffe müfte es doch wohl ſeyn , denn wo das nicht,
To iſt der ganze Begrif blos ausáujernEindrucken geſchöpft.
Ich fühle etwas als ausgedehnt , wenn ich meine Hand,
oder ſonſt ein mit Gefühl verſehenes Organ an demſelben
pinbewege, ſo nach undnach verſchiedene Gefühiseindrucke
erhalte , und bei dem folgenden den vorhergehenden noch
behalte. Udes alſo was auſſer dem einfachen Gefühlsaft
noch hinzukommen muß , iſt, daß der vorhergehende Eins
druck nicht gleich verloſche, daß nicht blos Gefühl, ſondern
auch Nachgefühl vorhanden ſey. Auf áhnliche Art wird 1

etwas als ausgedehnt durch das Geſicht erkannt. Dies


Nachempfinden iſt nun zwar Vermogen der Seele ; aber
es reßt zu der Vorſtellung nichts neues ; es macht blos ,
daß der Eindruck wie er iſt , aufgenommen werde.
Den Begrif von Ausdehnung kann man nicht anders
haben , als dadurch , daß man ſich vorſtellt, als fühlte
oder
BeſtBeitr, B.I. St. I.
130 XIII. Ueber die Natur der Metaphyſik.
oder fåhe man etwas ausgedehntes ; das iſt, daß die Eins
bildungskraft die einzelnen Akte des Fúhlens oder Sehens
erneuert , und bei den folgenden die vorhergehenden nicht
ganz verſchwinden láßt. Alſo ohne irgend etwas ſchon
angefühlt , angeſehen zu haben , iſt dieſer Begrif uns
möglich ; denn wie wil man einen nie gehabten Eindruck
erneuern ? von Seiten der Seele kommt zu dieſer Er
neuerung nichts , als das Vermögen , auch in der Repros
duction der Vorſtellungen die vorhergehende noch bei der
folgenden gegenwärtig zu erhalten; und dies Vermogen
giebt keinen Beſtandtheil des Begriffes; es macht nur , daß
die Vorſtellung dem äuſern Eindrucke gemas zu Stande A

kommen kann . Alſo iſt ein ſolcher Begrif a priori durcha


i aus unmöglich , und enthält nichts aus der Seele ſelbſt
ohne alle Erfahrung entſprungenes.
Hiervon kann mit leichter Mühe auf die Zeit Ans
wendung gemacht roerden .
Hieraus nun ergiebt ſich zugleich ein in Anſehung der
weitern Folgerungen Srn Kants erhebliche Schlußlaß.
Naum und Zeit , lehrt er , find blos Bedingungen unſrer
Sinnlichkeit, alſo blos Ideen von uns , alſo nichts reelles.
Wofern anders ihr angeführter Urſprung Richtigkeit hat,
ſo erhelt , daß es nicht auf unſere Art zu fühlen und zu
ſehen ankommt , ſondern daß weiter nichts als ein Ver
mogen Gegenſtände auſſer fich , als bleibend gewahr zu
nehmen , vorausgefeßt wird. Wir haben nicht dieſen
Begrif von Ausdehnung und Raum , weil unſere Augen
dieſen Bau , unſer Gefühl dieſe Nerven , unſere Organe
dieſe Einrichtung haben , fondern überhaupt , weil wir
und etwas auſſer uns als bleibend , fortdauernd vorſtellen
können . Ein jedes Weſen folglich , mit demſelben Vers
mogen ausgerüſtet , muß auch dieſelben Begriffe von
M

Raum und Zeit haben .


Tiedemann.
XIV.
3 € ( O ) ME 131
XIV,
Anzeigen neuer Bücher und Schriften .
I.
Die Rechte derMenſchheit oder der einzige wahre Grund
aller Gefeße, Ordnungen und Verfaſſungen, von
Johann Auguſt Schlettwein. Gieffen , bei
Juſtus Friedrich Krieger 1784 , in 8. 1 Alph. IIB.
er erſte Verſuch, das allgemeine oder natürliche Recht
in ſeinem ganzen Umfange nach phyſiocratiſchen
Grundfäßen zu behandeln. Ob er gelungen ſey , mogen
inſonderheit die Vertheidiger dieſes Syſtems genauer uns
terſuchen. Sobald leßteres überall Beifal findet, würden
auch die hier vorgetragenen Redtslehren verinuthlich in
Anwendung kommen. Daß ein Naturrecht dieſer Art,
fich durch viel Eigenes' von allen neuern lehrbüchern dieſer
Wiſſenſchaft auszeichnen muſie , iſt leidt zu erwarten .
Wir bemerken nur etwas davon. Die ſeit einiger Zeit
ſo ziemlichgenau zwiſchen Naturrecht, Moral und Politit
geſtellten Grenzen ſind von dein V. ſehr wieder turbirt,
wie denn auch der Unterſchied zwiſchen vollkommenen und
unvollkommenen Pflichten von ihm verworfen , und ins
fonderheit die Höpfneriſche Erklärung demſelben weits
läuftig beſtritten wird . Daß nach allem dieſen ein großer
Theil derMoralmit ins Naturrecht gezogen werden müſſe,
derſteht ſich von ſelbſt, und es kann Niemanden als etwas
Unerwartetes auffallen , bei dem V. auf lange Unters
ſuchungen - úber die Unrechtmáſigkeit des Selbſtmordes,
und anderer Pflichten und Rechte des Menſchen in Abſicht .
auf ſein Individuum zu ſtoſſen. Aus der Lehre von der
natürlichen Gleichheit der Menſchen zieht der V. mit Hülfe
ſeines Hauptgrundfakes , von der Verpflichtung das
allgemeine Beſte der Menſchheit zu befördern , Tehr
wichtige und leſenswürdige Folgen. Inſonderheit willWON
er
132 XIV. Anzeigen neuer Bücher
von feinem Unterſchiede der Pflichten des Menſchen gegen
fich felbſt, und dem Mitmenſchen , wiſſen. ( S. 170.f.)
In Anſehung der Verpflichtung die Wahrheit zu reden,
råumt der V. Feine Zwangsmittel ein , auſſer in dem Falle,
da durch die linwahrheit ein Schaden entſtanden , auf dera
ſen Erlaß mit Gewalt gedrungen werden kann . (S.185.)
Das Recht Wahrheit zu ſagen , iſt ihm gar keiner zwangsa
weiſen Einſchränkung fähig ; denn die Wahrheit als Wahr
Heit kann kein Grund von einem Uebel ſeyn . ( S. 189. )
(Den Unterſchied von ſubjektiver und objektiver Wahrheit,
der bei allen hier bingehörigen Fragen von groſem Gewicht V

iſt, vermiſſen wir hierganz.) Vom Eide heißt es S. 1915


Ich kann , wenn ich der Podkommenheit des Menſchen
gemas handeln wil , nie von meinem Mitmenſchen eine
beſondere Betheurung, oder gar einen Eid fordern. »
Dennoch wirkt nach ). rio, der Eid , wenn er einmal ab
gelegt iſt, eine neue Verbindlichkeit, weil er einen beſons
deren Beweggrund giebt die Wahrheit zu ſagen. ( Das
leßte iſt klar , aber daraus folgt das erſte nicht ; denn
mehrere Bewegungsgründe wirken oft nur eine Verbindu
lichkeit. ) Ade moraliſche und phyſikaliſche Unvollkommens
Keiten anderer Menſchen , wenn ſie nur in der Wahrheit
gegründet find, öffentlich zu ſagen , halt der V. ohne Eine
forånfung für erlaubt , weil Wahrheit an ſich ſchon ein
wahres Gut ſey .( S.200 . ) in g. 131. werden nach dem
Naturrecht nur zwei Haupterwerbungsarten veſtgefekt :
nåmlich die Occupation und die Tradition ; jene für
Herrenloſe Sachen , dieſe hingegen für Dinge , die aus
eines Menſchen Eigenthum , in das Eigenthum eines ans
dern übergehen ſollen . ( Der V. hat in Anſehung des
leßteren freilich viele Lehrer des Naturrechts zu Vorgån
gern ; aber doch nur ſolche, die von den Grillen des rós
miſchen Rechts in Vortragen des Rechts der geſunden Vera
nunft ſich nicht loswinden konnten. Wie aber ein ſeinen
eignen Weg mandelnder philoſophiſcher Kopf dazu kommt,
Den
und Schriften . 133
ben Uebergang des Eigenthums don der körperlichen Hand
lung der Tradition , und nicht vielmehr von der bloßen
Einwilligung des bisherigen Eigenthúmers abýangen zu
laſſen , iſt billig zu verwundern. Die Sache iſt nicht ohne
Folgen , die ſich da zeigen , wo das rómiſche Recht keine
Anwendung leidet.) In der Lehre von der Acceſſion denkt
der V. philoſophiſcher . Eben ſo verwirft er mit Grunde
die Verjahrung und Teſtamente. Im g. 147. geht der
V. in ſeiner Vorſtellung von der Wirkung der Vertrage
von den Meynungen andrer neuern Lehrer des natürlichen
Rechts etwas ab , und ſucht leştere zu berichtigen. Im
Grunde ſcheint die Verſchiedenheit mehr in den Worten ,
als in der Sache zu liegen. Im J. 174. wird von allen
Spietverträgen behauptet , daß ſie mit den Regeln der
moraliſchen Poukommenheit des Menſchen darum nicht
beſtehen könnten , weil ſie immer einem Menſchen einen
Vortheil aus dem Verluſte, oder Nachtheile eines andern .
ſchaffe , der den Nachtheil nicht will ac. ( Hier iſt wohl
nicht wollen und nicht wünſchen miteinander verwechſelt.
Aus leşterem läßt ſich aber nicht folgern , was der V.
daraus herleitet. An dem Willen deſſen der verſpielt ,
iſt nicht zu zweiflen ; nur muß wohl bemerkt werden, daß
er ein alternatives Objekt gat , wovon das eine erwünſchter
ift , als das andere. Das Naturrecht giebt keine gegrüns
}
dete Zweifel gegen die Verbindlichkeit der Spielverträge,
wenn gleich die Moral den Gebrauch derſelben unter
manchen Umſtanden mißbilligt. Von leßterer ſcheint
freilich auch der V. hier zu reden , aber zu unbeſtimmt,
und aus einem Grunde, der nicht bindig iſt. Denn auch
moraliſche Volkommenheit nöthigt mich nicht ohne Ein
ſchränkung alles zu meiden , was den Wünſchen eines
andern entgegen iſt. ) Bei weiten die merkwürdigſten
Abweichungen von den gewöhnlichen Lehrfäßen trift man
in den Grundrißen des V. von den Rechten und Pflichten
der Menichen in Bereaſchaften an , welchen der dritte Theil
3 dieſes
134 XIV. Anzeigen neuer Bücher
dieſes Buchs gewidmet ift. Wir können aber nach den
'uns vorgefeßten Schranken ſie nur kurz bemerken , und
müſſen die genauere Prüfung derſelben unſern Leſern ſelbſt
überlaſſen. Nach g. 105. weicht eine freiwillige Geſeda
Tchaft, von der Natur , oder den Gefeßen der Menſchheit ,
den Forderungen des geſunden Menſchenverſtandes ganz
ab , wenn ihr Hauptintereſſe die Verminderung oder Eins
ſchränkung der Menſchenrechte auch nur im geringſten
Stücke erfordert , folglich ſey es in einer auf Forde
derurgen des geſunden Menſchenverſtandes gegründeten
Geſellſchaft unmöglich , daß das Privatbeſte ihrer Glieder
jemals um des gemeinen Beſtens willen zurückgeſeßt wer
den müſſe. Ja ſogar in einer natürlic nothwendigen
Geſellſchaft fou nach . 206. dieſer Widerſpruch nicht
ftatt finden können. Sehr wahr und richtig iſt . 218.
der Maasſtab des Rechts zu belohnen und zu beſtrafen
beſtimmt. Die Regeln der Gerechtigkeit beim Belohnen
», und Beftrafen , ſagt der V. , find nicht wiführlich,
ſondern ſo unumgänglich nothwendig, daß jeder Schritt,
» der davon abweicht, offenbare Ungerechtigkeit iſt, wenn
2 man auch die Abweichung durch noch ſo edelſcheinende
Abſichten zu beſchönigen ſucht. Alles gut und edel
ſcheinende iſt nur Blendwerk , ſo lange nicht jedem das ,
» was er thut , wieder vergolten wird. Dieſe Wiedervers
» geltung iſt unabläßliche Forderung der unwillkührlichen
» ewigen Gerechtigkeit. Man kann hieraus leicht auf
die engen Schranken ſchlieſſen , in welche dem Begnadi
gungsrechte geſteckt werden müſſen. In Beſtimmung der
Rechte, der ehelichen Geſellſchaft geht der V. von dieſem
Punkte aus : Der Beiſchlaf fen ein Akt , dadurch der
Mann die Geſchlechtstheile der Weibsperſon , aber
nicht das Weib die Geſchlechtstheile des Mannes in
ſeine Gewalt nimmt , ein Realrecht über dieſelbige
ausübt , und ſie ſich eigen macht. g. 227.: Hieraus
zieht der V. mancherlei Folgen in Anſehung der rechtlichen
Wir:
und Schriftent. 135
Wirkungen des Beiſchlafs , inſonderheit wiefern die
Weibsperſon eine Genugthuung oder Schadenserfeßung
von der Mannsperſon zu fordern habe. (Uuf das Vo
lenti non fit injuria , welches doch bei allen Schadlos
Haltungen in Betracht zu ziehen iſt , hat der V. hierbei
nicht geachtet; und man ſieht nicht wie mancher der vors
getragenen Rechtsfäße mit dem was am Schluſle des
9. 228. vorkommt, zu vereinigen ſen .) Nach S. 223.
iſt die Vielweiberei der Ordnung der Natur nicht nur
nicht zuwider , ſondern vollkommen gemás. Dieſer Saß
wird in einem auf die bluſen Zwangsrechte eingeſchränkten
Syſteme des Naturrechts nicht befremden ; aber bei der
Grundlage , worauf der V. bauet , iſt er auffallend.
Die Beobachtungen von der größeren Unzahl des weiblichen
Geſchlechts , worauf fich der V. zu. Behauptung ſeiner
Meynung beruft , reichen bei weiten noch nicht einmal
hin , um eine Bigamie nach allgemeinen Rechten der
Menſcheit darauf zu gründen ; wie viel weniger kann
daraus etwas ohne Einſchränkung für Poligamie gefolgert
werden. Die Heurathen in den zu nahen Graden der
Verwandſchaft findet der V. ſchon um desmillen vet
werflich , weil die Kinder aus denſelben eine phyſiſche Diſpos
ſition zu einem eingeſchränkten Familiengeiſte , und zum
herrſchenden moraliſchen Egoismus bekommen . (9.235.)
Wie es um die Herrſchaft in der ehelichen Geſellſchaft nach
natürlichen Grundlagen ſtehe , darüber finden wir keine
ausdrückliche Entſcheidung ; doch läßt ſich aus dem ganger
Zuſammenhange der Lehren des V. ſchon abnehmen , wo
bin ſeine Meynung gehe ; und S. 408 wird der Mann
gerade zu für den Eigenthumsherrn des Seibes feiner Gats
tin erklárt , ohne dieſer gleiches Recht über den leib des
Mannes einzuräumen. Da die Mutter eines Kindes ,
wie g.240. weiter behauptet wird, mit allen ihren kórs
perlichen Theilen , wovon das Kind in ihrem Leibe genáhrt
und erhalten wurde , im Eigenthume des Mannes iſt,
I 4
136 XIV . Anzeigen neuer Bücher
und der Mann als Pater nach der Natur Urheber des
animaliichen Lebens reines Kindes iſt: To hat der Vater
allein , ſo lange er lebt , das Eigenthumsrecht über ſeine
Kinder ihrem animaliſchen Leben nad ; die Mutter aber
foa nach dem Tode des Mannes das Eigenthumsrecht über
die Kinder erhalten. ( Auf dieſe Meynung iſt , ſo viel
und bekannt iſt, wirklich bis jezt weder ein poſitiver Gjes
reßgeber , noch ein Forſcher der natürlichen Rechte geras
then. ) Die Kinder haben ferner nach g. 241. Togleich i
durch die Geburt ein Miteigenthum über alle Güter ihrer
Eltern , weil die Eltern das Eigenthumsrecht über ihr
Vermogen zum Vortheil ihrer ganzen Perſonalitåt haben ,
wozu denn auch die Kinder nach ifrer animaliſchen Subs
ſtanz gehören. Daß Eltern um desmillen auch kein Recht
Baben können ihre Güter zum Nachtheil der Kinder zu
beräuſſern , dieſe Folge aus dem einmal angenommenen
Grundſaķe , wird doch nur ( wir wiſſen nicht warum ? )
in Anſehung der Grundſtücke zugeſtanden . Weiter leitet
der V. g. 242. daraus ein natürliches Erbrecht der Kinder
her. ( Eigentlich wåre denn dieſes Erbrecht nach den vors
þergehenden Såßen dod nur Fortſeßung des eigenthúms
lichen Beſikes ; Erben ſchließt aber den Begrif des Erwerbs
ein. ) Das angenommene Eigenthumdrecht der Eltern
über die Kinder , hält den V. indeſſen nicht ab , ju bes
haupten , daß der Eltern Gewalt mit der vollendeten Er
ziehung aufhöre; weil ſonſt , ſagt der V. g. 248. die
Kinder auch in unſehung ihres geiſtigen Theils als ein
Eigenthum der Eltern angeſehen werden konnten I wels
ches fich doch rolechterdings nicht denken lieſſe. Uners,
wartet wird einem jeden nad dieſer Sehre auch wohl die
Behauptung des V. ( 9. 252. ) reyn , daß alle Sclaverei
dem Rechte der Natur widerſpreche. S. 436 und folg.
kommen Beſtreitungen der Römiſchen und Canoniſchen
Computation der Verwandſchaft vor, welche aber zu ers
kennen geben , daß der P. nicht Kenntnis genug von
dieſer
und Schriften. 137
dieſer Sache habe. Welchem Kenner des Römiſchen
Rechts würde es wohl einfallen , nach ſelbigen die Vers
wandſchaft zwiſchen Großvater und Enfelin , mit der
Verwandſchaft zwiſchen Schweſter und Brüder um dess
willen für gleich groß zu halten , weil bei beiden eine
gleiche Anzahl Grade gezählt werden. Das Rómiſde
Recht unterſcheidet aufſteigende und Seitenlinie und
wenn in beiden gleich einerlei Art Grade zu zählen üblich
ift , ſo folgt ja deshalb noch nicht, daß die gezählten
Grade ſelbſt in beiden linien von gleicher Wichtigkeit oder
Werth find. Doch hier ſcheint der V. in ein ihm frems
des Feld gerathen zu ſeyn ; deſtoweniger ſind manche bier
mit untergelaufene harte Uusdrücke des V. zu billigen .
Die hierauf folgende natürliche Inteſtaterbfolge ents
ſpringt aus dem vorhin erwähnten Verhältnis zwiſchen
Eltern und Kinder , welches auf den ganzen Stamm im
g. 297. fortgeführt iſt. Auch der Ehegattin giebt der V.
§. 259. ein ngtürliches Erbfolgsrecht gleich den Töchtern ;
weil ſie, wie der P. ſagt, in des Mannes Eigenthum iſte
und von ſeiner phyſiſchen oder animaliſchen Subſtanz
wirklich Theile 'empfängt, ( alſo doch nicht ein Theil
. deſſelben ift ?) wie ſeine Kinder. Des Mannes Erbrecht
an den Gütern der Frau gründet der V. hingegen auf
das angebliche Eigenthum über ihre Perſon. Mit dein
9. 260. kommt der V. auf das allgemeine Staatsrecht.
Sonderbar wird es vielen Leſern ſcheinen , daß der P.
Staat ( civitas , ſocietas civilis ,) und wanderndes
Volk als verſdviedene Gattungen einander entgegen rekt;
denn daraus wurde auch ganz richtig folgen , daß leßtern
kein Staatsrecht zukomme. Natürlicher iſt wohl alſo
vollkommene und unvollkommene Staatsverfaſſungen zu
unterſcheiden , wobei denn auch der Mangel eines veſten
Wohnfißes zum unterſcheidenden Charakter gehört. Die
Abſicht der bürgerlichen Geſellſchaft reßt der V. in der
Garantie der allgemeinen Genieſungsrechte , oder in
IS der
138 XIV . Anzeigen neuer Bücher
Der vollkommenſten Verſicherung des Privatbeſten eines
jeden , und aller. Jede Aufopferung , die der Bürger
von ſeinen Privatrechten zum Vortheil der Geſellſchaft
machen ſoll , iſt daher ein Beweis von einer unvollkom
menen Verfaſſung ; weil eine ſolche Uufopferung gerade
gegen die Hauptabſicht der ganzen Berbindung läuft.
Die hierauf weiter gebaueten Grundfäße , inſonderbeit
die von der natürlichen Staatsordnung , ſind ganz im
Geiſte des phyſiocratiſchen Syſtems geſchrieben. Jedoch
wil der V. g. 269. aus der Befolgung dieſer natürlichen
Staatsordnung keine Zwangspflicht machen , ſo lange
dieſelbe nicht für das ganze Volf und den Regenten gleiche
Evidenz hat, und von dem Volke im Unterwerfungsver :
trage ausdrücklich bedungen worden '; es fou bis dahin nur
Pricht der moraliſchen Vollkommenheit für den Regen
ten ſeyn. ( Wie aber, wenn die Befolgung dieſer idealia
fcben natürlichen Staatsordnung anderen aus den Grunds
vertrågen entſtehenden Pflichten des Regenten zuwider låuft,
kann ſie alsdenn aud noch Pflicht der moraliſchen Voufom
menheit ſeyn ?) Die geſeßgebende Macht eines Regen
ten beſteht nach des V. Erklärung ( 5.271 . ) nur darin ,
» daß er die Gefeße, die Gott ſchon für die Menſchen ge
» macht , und in der natürlichen Staatsordnung dar
geſtellt hat, erforſche , und ſeinem Volke befanntmache,
is
auf die Art, wie es ſolche am beſten verſtehen oder faſs
92 ſen kann , und alſo nicht in einer fremden oder gelehr
» ten , ſondern in der allgemeinen verſtändlichen Volkss
ſprache , und in den beſtimmteſten Ausdrucken derſel
, bigen. Der Geſeggeber iſt mit einem Worte der erſte
» Volkslehrer in ſeinem Staate. 9. ( Das viele Gute
und Wahre, was in dieſen Grundſåßen liegt , wird nies
mand teicht verkennen , doch mit dem Vorbehalt , daß
unter der natürlichen Staatsordnung , worein die Ges
feße Gottes dargeſtellt ſein ſollen , nicht nothwendig des
V. phyfiocratiſches Syſtem zu verſtehen ſey.) Was
der
und Schriften . ( 139
der V. 9. 273. vom wahren Geiſte aller Gefeße Fagt, iſt
gut , leſens und beherzigungswürdig ; wir können ſolches
aber hier , ſo wie manches andere , was damit in Verbina
dung ſteht, nicht abſchreiben , ohne dieſe Unzeige zu weit
låuftig werden zu laſſen. Die Tortur verwirft der V.
g. 277. ganz ; audy in Anfehung derjenigen Fade, wo fie
einige neuere Schriftſteller noc Haben rechtfertigen wol
fen ; jedoch läuft in Unſehung deffen , was von der Tortur
als einem Mittel zu Entdeckung der Mitſchuldigen geſagt '
wird, etwas logomachie mit unter. Regalien und Do
mainen fod der Regent nach der natürlichen Staatborda
nung nicht haben ; ( $ . 284. ) Tondern nur aus den jährs 3

lichen Abgaben des Volfs die Staatseinkünfte beziehen ,


damit er fein Regentenglück nur in dem Glücke reines
Volks finden könne , und kein abgeſondertes Intereſſe
habe. Regalien führen ohnehin auf Einſchränkung des
natürlichen Eigenthums und Menſchenrechts , und find
in ſofern der natürlichen Staatsordnung zumider. Diefe
Grundfäße , ſo wie die von der einzigen Art der Abgaben
( S. 285.) können in des V. Sniteme nicht befremden .
Das äuſerſte Recht ( jus eminens ) iſt der unwigfúht
lichen Gerechtigkeit ſchlechterdings zuwider. ( $. 286.)
Doch ſcheint der V. den Begrif hiervon weiter ausgedehnt
zu haben , als er nach dem unter neuern philoſophiſchen
Rechtsgelehrten üblichen Sprachgebrauche ausgedehnt wers
den route ; den der Fall , welchen der V. am Ende ein
räumt, iſt gerade der, worauf das jus eminens, ſeinet
genaueren Beſtimmung nach , ohnehin eingeſchränkt iſt.
Nach 9. 291. ſollen die Stände eines Staats durchaus
nicht Mitregenten zu nennen ſeyn . ( Freilich wenn
ihr Recht , wie fichs der V. denkt , nur darin be
ſteht , daß ſie mit überlegen , überdenken und ber
rathſchlagen i ( ihre Stimmen alſo nur vota conful
tativa find ) ſo kann man ſolche Stånde ſo wenig , als
die Ráthe eines Regenten , alſo nennen. Wie aber ,
menn
140 XIV . Anzeigen neuer Bücher
wenn ihre Stimme in Regierungsſachen entſcheidend iſt ,
oder wenn ſie gewiſſe Regierungsrechte wohl gar ausſchlieſs
fend ausüben ? ) Was g. 292. über den Begrif von
Patrimonialreich erinnert wird, iſt in gewiſſem Betracht
nur Wortſtreit ; auch ſteht die dienſtherrliche Gewalt mit
dem , was der U. lieber Heritreich nennen will, in keiner
nothwendigen Verbindung. Teutſchlands Fürſten bes
þaupteten z . E. ehedem oft aus einer übelverſtandenen
Politik, das Recht ihre Tånder unter mehreren Kindern
ju theilen , und darüber wie über ein Privatgut zu diſpos
niren ; dennoch glaubte kein Menſch deshalb , daß die
Einwohner ſolcher Lånder nicht Unterthanen , ſondern
Sclaven waren. Das Völkerrecht des V. ift ſehr kurz,
und in manchen Punkten unbeſtimmt. Die Verbindlichs
keit der Volksverträge für Nachfolger in der Regierung
an das wirkliche gemeine Beſte des Staats , in deſſen
Namen ſie geſchloſſen ſind, zu binden , wie hier g. 301.
geſchieht , iſt ein für den öffentlichen Credit und die Ruhe
zwiſchen freien Völkern ſehr gefährlicher Grundfaß. Kann
Denn ein Pole nicht erlauben , in ſeinem Namen auch
einen iým nachtheiligen Vertrag zu ſchlieffen ? Man ſieht
alſo wohl, daß es dabei mehr auf die Grenzen der Gewalt
desjenigen ankomme, der den Vertrag ſchließt, als auf den
Nußen , den der geſchloſſene Vertrag dem Volke bringt.
Dieſes wird hinreichend ſeyn , das Schlettweiniſche
Syſtem von den Rechten der Menſchheit kennen zu lernen .
Wenn wir indeſſen darüber weitläuftiger geweſen ſind ,
und mehr erinnert haben , als es ſonſt der Plan unſerer
Zeitſchrift zuláßt, ſo geſchahe folches aus Veranlaſſung
der vom V. in der Vorrede geſchehenen dringenden Aufs
forderung , zu einer ſtrengen Prüfung und Entdeckung
der Zweifel gegen ſeine Sage."
H..
2. Briefe
und Schriften. 141
2.

Briefe eines reiſenden Franzoſen über Teutſchland an


feinen Bruder zu Paris. Ueberſekt von K. R.
Erſter Band 598 Seiten . Zweiter Band 587.
Seiten. MDCCLXXXIII. in 8. Dhne Bes
nennung des Druckorts,
Die Reiſe geht von Stuttgard aus durch Schwaben ,
Baiern, Salzburg, Paſſau, Deſterreich, Böhmen, Sachſen,
Brandenburg , Meklenburg, Holſtein , Sanover , Heſſen ,
Franken , die Wetterau , Mainz, Köln , nach Amſterdam
und Oſtende. Der Inhalt macht dieſe Briefe zu einer
lehrreichen und ſehr unterhaltenden , die inuntere und
mißige Einkleidung aber ſammt der ( bis auf einige Provina,
zialausdrú:fe) guten teutſchen Screibart, zu einer ſehr
angenehmen ſectúr. Der reiſende Franzoſe iſt wohl nichts
weiter , als eine Maske , hinter welcher ſich der aufmerkſas
me teutſche Beobachter vor den Nachſtellungen derer vers
barg , welche ſich hier nach der Wahrheit , aber in keinem
vortheilhaften lichte, geſchildert fanden. Für die Richtiga
keit aber in dieſen Briefen enthaltenen Angaben und Shata
fachen mögten wir übrigens eben ſo wenig einſtehen , als
die Urtheile des Verfaſſers darüber ohne Unterſchied zu den 4

unſrigen machen. Vorzüglich fåat es in Anſehung der


über Heſſen gemachten Bemerkungen ſehr in die Augen ,
daß der V. entweder nicht Zeit , oder keine Gelegenheit
þatte , richtige Beobachtungen anzuſtellen . Die Nachrichs
ten , welche davon mitgetheilt werden , nehmen kaum drei
Seiten ein , und enthalten , Band 2. S. 359. biß 363.
nichts mehr, als dieſes : Caffel Rey einefehr ſchöne undzum
Sheil prachtige Stadt, welche ohngefähr 32,000 Einmobs
ner habe, und ihren blühenden Zuſtand den Hugenotten
verdanke. Die Zahl der geſammten Untertþanen des land
grafen ſey 330,000 Seelen; und die Einkünfte betrügen
2,200,000 rheiniſor Qulden ; beidao mit Inbegrif der
Hanauis
142 XIV . Anzeigen neuer Bücher
Hanauiſchen Lande , welche ohngefähr 100,000 Menſchen
zählten , und 500,000 Gulden abwürfen. Der Heſtiche
Staat rey der militariſchte von ganz Deutſchland. Die
Verſchickung der Heſſiſchen Truppen nach Amerika ſey an
fich nicht ärgerlich, aber doch dem ande nicht vortheilhaft ;
Denn es habe den ſechſten Theil ſeiner ſchåßbarſten Einwohá
ner dadurch verloren . Die Auflagen mußten ſehr gros
ſeyn , wie aus dem Verhältniß der Einkünfte zu der Zahl
der Einwohner zu ſchlieſſen ſey . Den Unterthanen wåren
zwar während des Amerikaniſchen Kriegs ein Theil der Ubs
gaben erlaſſen ; allein ſie zögen ſich doch Haufenweiſeaus dem
Yande nach Hungarn, Polen und vielleicht gar nach der
Sürkei. Die militariſche Verfaſſung des Landes ſer bei
einigen Anlaſſen dem teutſchen Reiche eben ſo vortheilhaft,
als ſie dem lande ſelbſt nachtheilig geweſen , und der leßte
Schleſiſche Krieg wurde vielleicht nicht ſo glücklich für den .

König von Preuſſen und Großbrittannien abgelaufen ſeyn ,


wenn nichtgegen 16 bis 18 tauſendwactre Heſten den Damm
gegen die franzöſiſchen Truppen verſtärkt håtten. Das
Seffiſche {andvolk ſey bis zum Eckel håßlich , und die Kleia
dung der Weibsleute abſcheulich ; die Männer aber erfekten
durd) Stärke und Behåndigkeit , was ihnen an Schöna
þeit abgienge. Erdápfel und Brandewein wåren ihre
vorzüglichſten Nahrungsmittel.
Feder Leſer , der unſer Vaterland und deſſen Verfaf
fung in der Nähe ſtudirt hat, ſieht hier das Schiefe und
Unrichtige in allen Zeilen ſo deutlich , daß wir nicht nöthig
haben , ein Wort zur Berichtigung ſolcher magern Nacha
sichten zu verſchwenden . Von dieſer Stelle der Briefe gilt
ganz vorzüglich und eigentlich , was der Herausgeber in deie
Vorrede von dem Verfaſſer ſagt: „ Das franzöſiſche Herra
den habe ſeineNaſe zuweilen in Dinge geſteckt, die es hátte
unberührt laſſen ſollen ; húpfe auch wohl auf den Zehen
über die Oberfläche mancher Dinge weg , wo es feſten Fus
hátte

1
und Schriften . 143
Håtte regen ſollen ; oder es deklamire à la françoiſe, wo
és nach reutſcher Urt babe I hatſachen anführen ſollen ;
darüber mögte man ſich nicht ärgern , ſondern laden .
Dieſen Rath wird jeder Sachkundige denn gern befolgen .
Nad der Schreibartund manchen andern Umſtänden
zu urtheilen , møgte folgendes kleinere Werk mit dem vors
hergehenden wohl einerlei Verfaſſer haben.

3.
Fauſtin oder das aufgeklärte philoſophiſche Jahrhuns
dert. 1783, 184 Bogen in 8.
Eine ſchårfere Sauge iſt über Intoleranz und Delpos
tifmus noch nicht ausgegoſſen. Beide Schåndflecken der
menſchlichen Geſellſchaften erſcheinen hier in ihrer ganz,
naften abſcheulichen Geſtalt , nad lauter Thatſachen ges
( childert , die aus unſerm Zeitalter geſammelt und gröſtens
theils augemein bekannt , oder leicht zu beurkunden ſind.
Das gange Werk iſt zwar eine ſichtbare Nachahmung des
Candide, jedoch mit dem Unterſchiede, daß der Spott hier
viel beiffender und treffender iſt, ſich auch einen ſeiner Uns
dung würdigern Gegenſtand gewählt hat , als im Candide.
Denn ſo wie da Maitre Panglos zum Märtyrer der Lehre
von der beſten Welt wird, To leiden hier ein ehrlicher Pater
Bonifacius und ſein Zögling Fauſtin für ihren Glauben
an die Uufklärung unſers Jahrhunderts, für deſſen Urhea
ber Voltaire , als der größte unter aden Philoſophen ges
prieſen wird. Wenn man ſich unter dieſem Titel den Enta
decker neuer philoſophiſcher Wahrheiten denkt, ſo wundert
man ſich freilich darüber , wie Voltaire zu der Ehre kommt;
denn die Geſchichte der Philoſophie unſers Jahrhunderts
weiß von keinen Entdeckungen , die wir ihm zu danken hát:
ten . Aber das iſt gewis : Poltaire mußte ſich bei der großen
und
1
144 XIV. Anzeigen neuer Bitcher
und feinen Welt Gehör zu verſchaffen , und brachte da
manche bisher nur in den Studierſtuben und unter wenis
gen denkenden Köpfen erkannte Wahrheiten , in hohen und
allgemeinen Umlauf, und hierdurch wurde er. wirklich zu
einem der größten Beförderer der ſo heilſamen Aufklärung .
Wia, man ihn dafür den Philoſophen aller Philoſophen
mennen , ſo wollen wir darüber mit niemand rechten . Bos
nifacius und Fauſtin wiederholen dieſe Grimaſſe bei allen
wunderbaren Begebenheiten , wovon ſie, wie im Candide,
Schlag auf Schlag betroffen werden . Fauſtin , welchen
Tein Schickſal in die Hände eines Heſſiſchen Werboffiziers
bringt, fommt auch nady Caſſel, und findet da gleichfalls
einen Vorfall, welcher ſich im Jahr 1734.) bei Erbauung
der lutheriſchen Kirche zugetragen haben ſoll, und von ihm
in die Reihe der legten Verſuche der Intoleranz gegen die
Aufklärung und Duldung unſers philoſophiſchen Jahrhuns
derts gereßt wird. Die Sache mag aber beſchaffen ſeyn ,
wie ſie wil , ſo gehörte ſie nicht in die periode , welche der 6

V. ſeinem alſo betitelten philoſophiſchen Jahrhunderte bea


ftimmt hatte ; denn dieſe ſoll mit dem Hubertsburger Fries 5

den angefangen haben . Eben der hierunter begangene


ftarke Unachroniſmus låßt den Leſer vermuthen , daß der
V. mit Fleis auf ſo etwas in Caſſel Jagd machte, und da
1
er in unſern Tagen nichts fand, was er hátte rügen kon
nen , einen Rückſprung in altere Zeiten machte. Wenn
er als ein unpartheiiſcher Forſcher ſich in Caſſel nach den
Zeichen dieſer Zeit umgeſehen hatte, To würde er Stoff gea
nug zu beſſern Urtheilen gefunden ħaben ; den wir übrigens
hier darzuſtellen nicht nöthig finden , weil die Mitarbeiter
dieſes Journals weder zu Staats- noch Kirchenapologèten
beſtellt ſind , und zum Glúck weder Staat noch Kirche in
Speſſen dergleichen bedürfen. Dieſes rey uns ein für alles
mal in Anſehung allet Bücher und Schriften , worin Ur
theile über Heſſiſche Staats- und Kirchenverfaſſungen vor
kommen , zu erinnern erlaubt. Wir zeigen , unſerm Plan
zufolge,
und Schriften. 145
zufolge, diefe Sachen getreulich an ; ohne ſie zu widerlegen
oder umſtändlich zu prüfen ; erſcheinen ſie aber gleich in der
Anzeige als Uutorthorheiten, ſo iſt das unſere Schuld nicht.
.
4.
Theoretiſch - practiſcher Commentar über die Heineccia
ſchen Inſtitutionen, nach deren neueſten Ausgabe,
von D. Ludwig Julius Friedrich Höpfner.
Frankfurt am Main , bei Varrentrapp Sohn
und Wenner 1783 , in for 4 Alph. 9 Bogen.
Tabellen über die Heinecciſchen Inſtitutionen , nach des
ren neueſten Ausgabe , als des theoretiſch - prae
ctiſchen Commentars zweiter Theil , von D.
Ludwig Julius Friedrich Höpfner. Ebendaſ.
1783 , in Querfolio. 26 Bugen .
Der HerrgeheimeTribunalrath Hópfner zu Darma
ftadt , welcher bereits das Heinecciſche Lehrbuch der Inſtis
tutionen des rómiſchen Rechts , durch drei bald nacheinans
der erfolgte neue Ausgaben , für Lehrer und Lernende
brauchbarer gemacht hat , vermehrt durc gegenwärtiges
Werk ſeine Verdienſte um dieſen Theil der Jurišprudenz
gar ſehr. Sein Commentar iſt allen Anfangern , wegen
des eben ſo lictvollen als gründlichen Vortrags , welcher
durchgehends darin herrſcht , zur Vorbereitung auf die
Sehrſtundeil, ſo wie zu Wiederholung derſelben mit volem
Rechte zu empfeßlen; wenigſtens hoffen wit, durch dena
ſelben die ſogenannten akademiſchen Reden des Heineccius,
welches in der That nichts weiter , als ſchlecht nachgeſchries
bene Hefte jenes in ſeinem Fache groſen Mannes ſind , uus
den Händen aller Schüler der Themis verdrängt zu ſehen.
Seſſ:Beitr. B.I.St. l .' * 5. Ans
146 XIV . Anzeigen neuer Bücher
5.

Anmerkungen und berichtigende Zuſäße zu dem Buris


ſchen Lehnrechte, von D. Juſt. Friedr. Runde.
Desgleichen : Anmerkungen und berichtigende Zu
fåße zu der vierten und fünften Fortſeßung des
Buriſchen Lehnrechts oder der ausführlichen Abs
handlung von Bauergütern , von Ebendemſelb .
Gieffen , bei Krieger dem jungern , 1783. in 4.
Zuſammen 23 Bogen .
Es ſind nun funfzig Jahre verſtrichen , ſeitdem der
fel. v. Buri fein Sehnrecht anfieng auszuarbeiten , und
in folcher Zeit iſt in dieſem Felde der Rechtsgelahrheit
vieles beſſer aufgeklärt und bekannter geworden , als es
1 zu der Zeit war. Ohngeachtet alſo das Buriſche Werk
bisher im Ganzen durch kein beſſeres in ſeiner Art ents
behrlich gemacht worden iſt , wie vorzüglich die wieders
holten neuen Ausgaben derſelben beweiſen , ro hatte és
dennoch im Verháltnis zu der gegenwärtigen Beſchaffen
heit der Lehnrechtswiffenſchaft mancherlei Mängel und
tücken , denen in der jezt veranſtalteten neuen Auflage
nachgeholfen werden mußte , wenn das Buch ferner den
Nußen ftiften ſollte , der damit zu erreichen ſteht. Dieſes
iſt die Abſicht gegenwärtiger Zufäße, welche nicht nur dem
Buriſchen lehnrecht und Bauernrecht in der neueſten Uus
gabe beigefügt, ſondern auch zum Beſten der Beſißer
álterer Ausgaben beſonders abgedruckt find. Von dem
Inhalte dieſer Zufäße umſtándlicher zu reden , iſt hier
der Ort nicht.

6, D.
und Schriften . 147
6.
D. Johann Reinhold Forſters 2c. Bemerkungen über
Gegenſtände der phyſiſchen Erdbeſchreibung ,
Naturgeſchichte und fittlichen Philoſophie , auf
ſeiner Reiſe um die Welt geſammelt. Ueberſeßt
und mit Anmerkungen vermehrt von deſſen Sohn
und Reiſegefährten Georg Forſter , Prof. am
Carolino zu Caſſel. Mit Jandcharten. Berlin
1783 , in 8. 560 Seiten .
Eine ſyſtematiſche Ueberſicht alles desjenigen , was
durch die neuerlichen engliſchen Weltumſchiffungen an als
gemeinen wiſſenſdaftlichen Kenntniſſen gewonnen worden,
iſt die Abſicht des gegenwärtigen Werk$ , welches zu dem
Endzweck in ſechs Hauptabtheilungen zerfáat ; nämlich
1 ) von Erde und Land, ihren Unebenheiten , Schichten
und Beſtandtheilen , woſelbſt der Abſonitt von der Ents
ſtehung des zur Vegatation geſchickten Erdreichs einige
neue Beobachtungen enthalt ; 2) vom Waſſer und vom
Weltmeere. Hier ſind die Abſchnitte über das phoſphoriſche
Leuchten der See , über das Nichtdaſeyn eines ſüdlichen
feſten Landes , und über das Eis im Eismeere , vorzüglic
bemerkenswerth ; 3 ) vom Dunſtkreiſe, deſſen Veränderung
gen und Erſcheinungen ; 4 ) von Veränderungen der Erds
kugel , Jahrszeiten , Volkane Abnahme des Waſſers ,
('und Entſtehung der Inſeln im Südmeere ; 5 ) von orgas
niſchen Körpern, enthålt das allgemeine intereſſante von
der Fauna und Flora der unentdeckten Länder , und ihren
Verhältniſſen gegen andre Welttheile , nebſt einigen Bes
merkungen über Spielarten , Kultur und Syſtem ; 6 )
vom Menſchengeſchlechte. Dieſem als dem wichtigſten Ges
genſtand der menſchlichen Forſchbegierde widmet der V.zwei
Drittheile ſeines Bucs , welches dadurch auch für Leſer
aus allen Klaſſen an unterhaltunggewinnt. Zuerst von
R2 der

Ini
148 XIV . Ångeigen neuer Bücher
der Bevölkerung der Inſeln im Südmeere ; dann von den
Ubarten der Menſchengattung. Grund der Verſchiedene
feit der dortigen Stamme, ihr Urſprung und ihre Wan
derungen. Verſchiedene Stufen der Kultur und der
ſittlichen Vervoukommung jener Völker , und eine damit
Þelegte oder vielmehr daraus entwickelte Theorie des Forts
ſchrittes der menſchlichen Geſellſchaften , überhaupt vom
Stande der Wildheit zur höchſten Staffel der Uufklärung
und Politur. Vom Urſprung desMenſchenfreſſens. Vers
anlaſſungen zur Vereinigung. Unbau , Eigenthum , lurus,
Zuſtand der Weiber , fittliche Begriffe , Unterricht, Kúns
fte , Wiſſenſchaft, Manufakturen jener Völker. Ihre
Religion , Kosmogenie, Sekre vom fünftigen Leben , Bes,
burts - Hochzeits- und Begräbnisgebräuche. Um Schluſſe
folgt ſodann eine allgemeine Reviſion , wo das Glück der
Inſulaner im Súdmeere nac philoſophiſchen Grundråken
geſchårt, und'ihr Zuſtand mit der Lage anderer Erdenbes
wohner verglichen wird. Uebereinſtimmung ihrer Sitten
und Gebräuche mit denen einiger oftaſiatiſchen Völker .
Endlich noch ein Beitrag zur Diåtetik und prophylaktiſden
Medicin , in der Nachricht von den Krankheiten , welche
den Weltumſeglern zugeſtoſſen , und von den Mitteln ,
wodurch es ihnen glückte, eine dreijährige mit vieler Bes
ſchwerlichkeit und Ungemach verknüpfte Reiſe zurückzules
gen , ohne mehr als einen einzigen Menſchen an einer
Krankheit zu verlieren.
r.

Europens Produkte , zum Gebrauch der neuen Pros


duktencharte von Europa , von 4. F. W.
Crome. Deſſau , in klein 8. 512 Seiten.
Dieſes mit dem rühmlichſten Fleiſſe zuſammengetras
gene Wert wird insfünftig dem Staatsmann, Cameras
liften
1

und Schriften . 149


liſten und Kaufmann unentbehrlich ſeyn. Was ihm noch
zur Vouſtändigkeit fehlt , kann leidt hinzugefügt werden,
wenn jeder Sachkundige rein Scherflein beitrågt. Wir
bemerken in dieſer Abſicht folgendes : das gemünzte portu
gieſiſche Gold kommt zwar durch den Schleichhandel nach
England , doch nicht in Umlauf ; ſondern wird von den
Franzoſen eingewechſelt und nach ihren weſtindiſchen Inſeln
geſchickt. Marſhalls Reiſen ſind zu unzuverläſſig und blos
zuſammengeſtoppelt; der Name iſt erdichtet. Statt der
Menge des Edergoldes , worauf wir uns hier zu Sande
nichts einbilden , hätten wir eher einige Erwähnung des
beträchtlichen Flachsbaues in Heſſen erwartet. Riegels
dorf bat Kobolterze , und Frankenberg Kupfer ; eigents
liche Marmorbrůche giebt es in Heſſen nicht. Hofgeismar
und Wilhelmsbad hätten vor manchen minder betracht
lichen Bådern und Brunnen den Plaß verdient. Noch iſt
keinesweges ausgemacht, daß Perlen eine Krankheit der
Conchylien ſind. Olivenbäume, welche Datteln tragen,
fann es in der Natur nicht geben. Das Buch be
zieht ſich auf eine vom V.zu dieſem Endzweck ziemlich ges
nau entworfene Charte , die ſich durch ihren , in Deutſch
land leider ! noch ungewöhnlichen , guten Stich , empfiehlt.
* * * r.

8.

Gefchichte derwichtigſten geographiſchen Entdeckungen,


von Matthias Chriſtian Sprengel, Prof.
der Geſchichte in Halle. Ein Grundriß zu akas
demiſchen Vorleſungen. Halle 1783 , in klein 8.
106 Seiten.
Bei der Menge unſerer Compendien fehlte bisher
noch immer eines über den hier behandelten Zweig der
Wiſſenſchaften . Der V. láßtin chronologiſcher Ordnung
R3 die
150 XIV . Anzeigen neuer Bücher
die Wölfer ( Phónicier , Griechen , Rómer , Graber , Nor's
manner , Portugieſen , Spanier , Hollander , Englandet
und Ruffen ) auftreten , durch deren Vermittelung' die AR

Erdkunde gewonnen hat. Der gegenwärtige Grundriß ,


dem noch eine Fortſeßung und ſodann eine ausführliche
Geſchichte der geographiſchen Entdeckungen folgen ſollen , HA

gebt nur bis auf die Uinſchiffung von Afrika durch die
Portugiéſen . Der V. zeigt ausgebreitete Beleſenheit,
und ſogar ohne Beziehung auf mündlichen Unterricht gee
währt ſchon dieſer gedrängte Entwurf Vergnügen ſowohl
als Belehrung. Beiläufig werden auch Winke für den
Hiſtorifer und Technologen gegeben. Vorzüglich hat uns HIH

dasjenige gefallen , was von den nordiſchen Seefahrern


und den einzelnen Reiſenden zu Sande im dunkeln Mits
telalter vorkommt.

9
Apollodori Athenienfis Bibliothecæ libri III , ad
Codd. Mss. fidem recenfiti, a C. G. Heyne
Gettingæ , ap. J. Chr. Dieterich, 1782. f
Ad Apollod. Bibl. 'notæ auctore C. G. Heyne,
cum comment, de Apollodoro & cum Apol.
lod . fragmentis , Pars I , II , III , 1783.
in klein 8. 3 Bånde.
Zu mythologiſchen Vorleſungen wählte anfangs der
V. den Apolodor als den bequemſten , und wollte blog
eine korrektere Ausgabe veranftalten ; wurde aber durch
den Eifer einiger Zuhörer in Verbeſſerung des Textes ſelbſt
veranlaßt, die Sache mehr zu beherzigen , und an eine
kritiſche Ausgabe zu denken. Um mit aller Gewiſſenhafs
tigkeit zu verfahren , und bloſen Vermuthungen nicht zu
viel Gericht zu geben, raße er fid nun nad Sandſchriften
u m.
!

und Schriften. : 151


üm . Bekam deren drei , welche aus Burmann des zweiten
Auktion die Götting. Bibliothek kaufte , deren jedoch nur
eins vornemlich Dienſte leiſtete ; zudem die van Swies
denſche Variantenſammlung abſchriftlid , endlich beſvarten
einer Pariſer Königl. Handſchrift. So entſtand die Auss
gabe des erſten Båndchens , welches blod den Zert , nebſt
kurzer Inhaltsanzeige , der vornehmſten Abſchnitte ent
hålt. Wegen anderer Abhaltungen wurde die Ausgabe
der Anmerkungen aufgeſchoben . Wer etwa zweifelt , ob
des Titels Verſprechen befriedigend erfüat Tep , den wer :
den es dieſe lehren , als worin von den gemachten Verans
derungen , ( weldes hier ſo viel iſt als Verbeſſerungen ,-)
zureichende Rechenſchaft gegeben wird , ſo daß wir uns
rühmen können , nun einen nicht blos beſſern , ſondern
auch auf feſten Fus geſtellten Text vom Apolodor zu
haben. Verdorbene Stellen , worin aber die Handſchrif
ten nichts beſſers gaben , wollte der V. nicht einmal nadi
ſeinen Muthmaſungen beſſern , er ſchloß fie blos , damit
fie keinen Anſtoß verurſachten , in Haaken ein . Doch
dies alles, ſo viel es auch an ſich werth ift, rechnet der V.
faft für nichts ; nicht Apollodor an ſich verdiente ſo viele
Bemühung , wie er ſich ausdrückt , aber die von vielen
unrichtig gefaßte und gelehrte Mythologieverdiente fier
Eben um dieſe von manchen Hypotheſen und grundloſen
Deutungsarten mehr zu reinigen , und auf ihre wahren
Principien zurückzuführen , wählte er den Upovodor Uls
erſter Anfang der Geſchichte, Grundlage der Philoſophie,
und Religion bei den Griechen , ſelbſt als Beitrag zur Ger
fchichte der Menſchheit , verdienen die Fabeln allerdings
genauere Unterſuchung ; wenn man auch ihren Nußen
Dichter;; Beurtheilung des erfins
alten Dichter
in Auslegung der alten
denden Dichtergenieß , und ähnlichen Dingen mehr , bei
Seite feßen wollte. Faſt auf jeder Seite findet man hier
Bemerkungen über Entſtehung mancher Fabeln aus alter ,
noch ungebildeter Vorſtellungs- und Vortragsart; über
R 4 Ver
152 XIV . Anzeigen neuer Bücher
Verſchiedenheiten der Fabeln in verſchiedenen Zeiten und
bei verichiedenen Schriftſtellern ; über den Sinne vieler
Fabeln undihr Alterthum; ſo daß der V. mit Redt von
ſich sagen kann , er habe über der Fabeln Natur und Be
ſchaffenheit manches beigebracht , was dem , der einmal
dies Feld weiter bearbeiten will, nicht unangenehm und
unnúß zu wiffen iſt ; und daß der von dem er wünſcht,
daß er einmal die Heriódiſche und Homeriſche Mythologie
beſonders vortrage , bernach aus andern Schriftſtellern
der ältern Zeit die aus dieſen genommenen oder örtlich
abgeſchriebenen Bruchſtücke ſammle, damit man das alteče 11

und urſprüngliche vom ſpáter hinzugedichteten unterſchei le


den könne i fhon mandes wird vorgearbeitet finden .
Wird ſich einmal jemand finden , der ftatt des leichtern
Weges der Hypotheſen , den múkramern der hiſtoriſchen
Kritik betritt , aber auch dafür auf deſto feſtern Grunde
baut; und der dann den hier gegebenen Grundfåßen und
Winken nachgeht : der erſt wird nicht blos Mythologie
aufklären , ſondern auch der Geſchichte des menſolichen
Verſtandes im findlichen Ulter weſeritliche Dienſte leiſten .
10.

Leben und Meynungen Johann Conrad Dippels , von


H. W. H. Darmſtadt 1783 .
Dieſe gutgeſchriebene Lebensgeſchichte Bat zuerſt im 1

Darmſtädtiſchen Uddreßkalender geſtanden. Dippel war


eines Heſſiſchen Pfarrers zu Rodheim , Sohn, zeigte ſchon
auf Schulen ſo viel Genie , daß man glaubte, er habe
einen ſpiritum familiarem ; ftudirte Theologie und
Urzneikunſt zugleich; ſchlug fich, um Beförderung zu ers
halten , bald zu den Orthodoxen , bald zu den Pietiſten,
ohne einer von beiden Partheien wirklich zugethan zu ſeyn ;
erhielt ſeinen Zweit nicht , und ſchrieb nun gegen die pros
teſtantiſche Kirche; nahm darauf zur Goldmacherei Za
flucht,
und Schriften . 158
flucht , Hatte auch darin kein Glück ,und war; wegen
ſeinen theologiſchen Streitigkeiten , mancherlei Widerwars
tigkeiten ausgeſeßt. Auch mit Philoſophie beſchäftigte er
fich , war aber für ſie nicht gemacht. Hegdenkenden Geiſt
hatte er allerdings , nicht aber den , der den großen Mann
macht, von dieſer Seite hat ihn der V. wohl ein wenig
zu vortheilhaft geſchildert. Seine Phantaſie lief mit dem
Verſtande oft davon , welches ſein myſtiſches oder alchy : 1

miſches Philoſophieſyſtem ſehr deutlich darthut , vornemlich


da er es in groben bildlichem Sinne nahm , der Gottheit
ewige Licht- oder Feuermaterie zur Húlle gab ; aus ihr
die Geifter Herausgehen ließ , und fie dadurch zu einem
aus lauter Geiſtern zuſammengeſeßten Weſen machte.
Die in dieſem Syſtem ſteckende Schwärmerei offenbart
fich auch in andern ſeiner Såße , und nun wird man es
nicht wunderbar finden , daß er ſich berühmen konnte,
eine alchymiſche Goldtinktur einmal beſeffen zu baben ,
die er jedoch hernad nie wieder zu Stande bringen konnte ;
und durch Bottes unmittelbare Erleuchtung zu ſeinen
Kenntniſſen gelangt zu feyn .
* * * 01
0 .

II .

Muſeum der neueſten teutſchen Ueberſegungen und ans


derer in die Archäologie der Griechen und Rós
mer einſchlagende Materie und Denkmåler.
Drittes und viertes Stück , unter der Aufſicht
des Herrn Profeſſor Bergſträfſers. Frants
furt am Main , bei Johann Chriſtian Hermann,
1783. in 8.
20.30
Zufolge der Vorrede foc dics Journal von nun an
unter dem Titel Muſeum der griechiſchen und lateiniſchen
Litteratur , zum Gebrauch für Lehrer und Schüler ;. von
RES ver :
154 XIV . Anzeigen neuer Bücher
verſchiedenen Gelehrten und Schullehrern bearbeitet, unter
der Aufſicht u. Fow. ausgegeben werden. In unſehung
des Inhalts iſt nun folgendes deſtgeſext: Hiſtoriſche und
litterariſche Nachrichten von den griechiſchen und lateini
fchen Schriftſtellern , ohngefähr nach der Manier , wie
Plinius der ältere im zweiten und dritten Stücke des ges
genwärtigen Muſeums ; : Schulvorleſungen über ausges
ſuchte Stücke der klafiſchen Schriftſteller , welche zum
Lehrvortrage auf Gymnafiis zum Grunde gelegt werden ;
Vorfefungen über die meiſterhafteften Ueberſeßungen unſers
Vaterlandes... zur Bildung des Geſchmacés im Ueberfeßen ;
Abhandlungen die litteratur und den Geſchmack der alten
Griechen und Komer betreffend ; Aufgabe für künftige
teutſche Ueberſeßer in der Manier derer ſo im dritten
Stücke des Muſeums vorkommen ; Recenſionen der fämts
lichen neuern teutſchen Ueberſegungen, ſo im Hermanniſchen
Perlage , und auſſer demſelben , herausgegeben werden;
teutſche Uusarbeitungen junger Köpfe auf Schulen , mit
Kritiken und Korrektionen . Man hoft dadurdy junge
Kópfe zu ermuntern und núßlid zu unterrichten , daß fie
fic ſchåßen und meſſen lernen ; zuleßt eine Ueberſicht der
in die alte litteratur einſchlagenden Bücher vom Jahr 1781
an mit kurzen Urtheilen aus unſern beſten Zeitungen
u . I. m .; ſollen den Inhalt ausmachen. Vergleidung
des in den vorliegenden Stücken begriffenen wird die
Beränderung ſichtbar machen . Hier findet ſich : Forts
feßung der hiſtoriſchen und litterariſchen Nachrichten über
den altern Plinius und ſeine Werfe ; ausführlicher als
die Notizen beim Fabriß , und allerdings jedem Schul
manne unentbehrlich; aber ſollte man nicht billig vorauss
feßen müſſen , daß jeder Schulmanne den Erneſtiſchen
Fabriß beſikt ? Daß ſolch ein Artikel in unſern Zeitſchrifs
ten nothig gefunden wird , gereitht uns nicht eben zum
Ruhme. Es folgen einige archäologiſche Abhandlungen
aus dem Franzófilden überſeßt; die nun wegfallen wer:
den :
und Schriften. 155
den . In der That ſcheint auch dies dem Plane mehr
Einheit und Harmonie zu geben . Darauf Aufgaben für
künftige Dolmetſcher und Ueberſeper ; worin ſchwere Stels
len ( hier nur lateiniſche ) vorgelegt und die davon bisher
gegebene Ueberſegungen geprüft werden , nebſt Anfügung
einer beſſern . Das Urtheil iſt ſtrenge, ohne Ungerechs
tigkeit , obgleich mir nicht allemal ganz beiſtimmen können.
Um Ende kommt es oft darauf hinaus, daß gewiſſe Worte
und Wendungen einem nicht genau was dem andern ſagen ,
und denn ſind wir auf dem Punkte , wo die Regel muß
angewandt werden , de guſtibus non eft diſputandum .
Probe fer folgendes, aus welchem ſich auch auf die unter
vorkommenden Recenſionen ſchlieffen láßt; daher wir dabei
nichts weiter werden hinzuzufeßen nothig haben : aus
Tacitus, fidei popularium diffifus, aus Mistrauen
gegen ſeine eigenen teute ; Bahrdt, weil er ſeinen Unters
thanen nicht traute ; Pazke, populares ſind weder Uns
terthanen noch eigene Leute. Mox fubit pudor, de
generaviſſe Parthos. Bald aber fühlten ſie mit Schaam ,
daß dieParther u. (.wo. Bahrdt: bald darauf ſchämten ſie
fich, daß die Parther u. f. w. Pazke. Beide haben die
Bedeutung von ſubire , beide den obliguen Infinitiv übers
ſehen . Et accepere barbari lætantes , & feræ ad
nova ſuperia. Und die Barbaren , wie es mit neuen
Regenten zu gehen pflegt, nahmen ihn mit Freuden auf,
Natürlicher und ungezwungener ſchreibt Pazke, die Bars
baren empfiengen ihn aud mit Freuden , wie es bei neuen
Regierungen zu geſchehen pflegt. Bei dem lektern würden
mir dod Sen Bahrdt beitreten. Das Fragment aus einem
Briefe des Hrn R. findet bei den Ueberſeßungen denNußen
nod , daß nun in Schulen leicht etwas zu Baben if wels
ches zum Neuüberſeßen ins Latein dienen kann. Dem ift
Uehnlichkeit des Inhalts wegen wohl ein Brief des jungen
Plinius angehängt. Es folgen . Recenſionen von Uebers
Teßungen ; Vorleſungen wie ſie die Vorrede anfündigte,
und
156 XIV . Anzeigen neuer Bücher
und wieder Recenſionen . Bei der Vorleſung über det
Anfang des dritten Buches , im Homer ſind die verſchies
Denen Ueberſegungen verglichen und beurtheilt; ſoate das
nicht junge Leute im Anfang zu ſehr aufhalten ? Es ware
zu wünſchen , daß viele Vorleſungen nach dieſem Muſter
gepalten würden.
Wir verbinden hiemit :
I2

Sammlung der neueſten Ueberſegungen der römiſchen


Proſaiker mit erlauternden Anmerkungen , uns
ter der Aufſicht der Herrn Profeſſoren Berg
1 ftråffer und Oſtertag, erſten Theils erſter
Band. Juſtins Weltgeſchichte, erſter und zweis
ter Band. Juſtins Weltg. Band 2. Frank:
furt am Main , bei J. E. Hermann, 1781. in 8 .
Herr Prof. Oſtertag úberſeßt flieſſend, dem Sinne
gemas, und nicht zu reßr nach rồmiſcher Denkungsart;
To daß im Ganzen dieſe Arbeit allerdings Empfehlung mit
alem Rechte verdient. In einzelnen Stellen und Auss
drücken hat und der vódigen Pråciſion des Sinnes , und
der Uebertragung des Tones vom Driginal zuweilen
etwas abzugehen geſchienen . Uuch dúnktuns die con
ſecutio temporum oft nicht gehörig beobachtet, wenn
im Erzählen auf die gegenwärtige, die noch nicht ganz vers
gangene Zeit , oder umgekehrt, in einer Periode folgt.
Einzelne Beiſpiele anzuführen , verſtattet der Raum nicht.
Ueber den Geſichtspunkt der erläuternden Anmerkungen
finden wir nichts angezeigt , können daher auch nicht bes
ftimmen , ob es zweckmäfig war , Conſularen , nebſt an
dern Worten mehr, unerklärt zu laſſen .
$ 13. Der
1

und Schriften . 157


13
Derſelben Sammlung , zweiten Theils erſter Band.
Caj. Plinius Secundus Naturgeſchichte, übers,
ſegt von Gottfried Groſe, Dberlehrer der phys
ſikaliſch und mathematiſchen Wiſſenſchaften zu
Kloſterbergen u. ſ. w. Erſter Band 1781 , bei
demſelben Verleger, wo auch das folgende. 1782
zweiter Band. 1783 dritter Band.
Sie gehen vom zweiten Buche an , bis ans Ende des
eilften ; das erſte ſoll, weil es zum Zuſammenhange nicht
unentbehrlich gehört, zulegt erſcheinen . In der Vorrede
beweißt Hr. Prof. Bergſtraſſer ( die Groſirche iſt auf
der Poſt verloren gegangen ,) duro Vergleichung, daß hier
mehr iſt , als den ſo ; worin man denn auch , ſowohl was
Genauigkeit als was Ton betrift, nicht umhin kann ihm
beizupflichten . Dennoch dúnkt und gleich im Anfange,
und ſo auch weiterhin , Plinius merklich herabgeſtimmt,
die groſen Gedanken , woinit der Welt Betrachtung iha
erfülte , werden durch den teutſchen Vortrag meiſtens zu
gewöhnlichen. Wie viel auf bloſe Stellung der Worte
dabei ankommt , roheinen unſere meiſten Ueberſeker nicht
genug zu fühlen. Auch glauben wir Plinius Kürze mehra
mais in matte Weitlåuftigkeit verwandelt gefunden zu
haben. Dies alles hindert nicht, daß ſich nicht die Uebere
feßung , wenn nicht das Driginal dagegen gehalten wird,
ſehr gutleſen laſſe ; daß der Sinn meiſtentheils ( Husnaño
men , auch in den nicht allerſchwerſten Stellen , wirb
Hr. Grore ſelbſt nicht durchaus ableugnen ) richtig ges
troffen ſey ; init einem Wort , daß die Arbeit nicht Ruhm
und Beifall verdiene. Ob dieſe Ueberſeßung auch rolden bem
ftimmt iſt, die nicht wiſſen , was Augúr , Aruſper u. l. nu .
iſt , und daher dieſe Wörter unerklärt geblieben ſind, kón
nen wir nicht beſtimmen ,
14. Der
558 XIV . Anzeigen neuer Bücher
14 .
Derſelben dritter Theil, Biographie des Korn. Nepos,
ůberſekt von Joh. Andr. Benign. Bergſtråfo
ſer , 1782.
Bedarf keiner neuen Anpreiſung ; reichlichere Anmer's
fungen befriedigen das Bedürfnis des Jernbegierigen vous
kommen ; welchen auch ein chronologiſcher Anhang der
wichtigſten Begebenheiten zu Hülfe kommt. Zum Beweiſe,
daß wir nicht ohne Aufmerkſamkeit geleſen haben , und den
Hrn. V. bei einer andern Ausgabe zur Wegwiſchung einis
ges uns anftóſſig geweſenen zu veranlaſſen , bemerken wit
blos , daß der Ausdruck zuweilen aud in der Wortſtellung,
Der Kürze und dem Nachdrucke, der Urſchrift ſcheine näher
gebracht werden zu können ; auch daß zuweilen Worte mit
unterlaufen , welche unter der Würde der Urſchrift bleiben.
in der , der Vorrede einverleibten , erſten Vorleſung iſt
wohl auf Sprachunterricht, welcher hier Hauptzweck ift,
zu wenig Rücfficht genommen.
15.

Derſelben vierter Theil , Ciceros vermiſchte Briefe, neu


überſeßt, nach der Zeitfolge geordnet und erlåus N

tert von Auguſt Chriſtian Borheck , Rektor


des Gymnaſiums, zu Bielefeld . Erſter und
zweiter Band , 1782.
Es ſollen noch zween Bande nachfolgen . Die Briefe
Rind in chronologiſche Ordnung geſtellt, welches für das
Berſtehen groſe Bequemlichkeit bat. Boran geht, ſo oft
68 nöthig war, eine hiſtoriſche Beſchreibung der Perſon ,
welche ſchreibt, oder an welche geſchrieben wird ; um diere
nicht zu ausführlich zu finden, muß man vor Augen haben,
daß der V. folde defer vorausſeßt , die in der römiſden
Ves
1 1
und Schriften . 159
Geſchichte nicht regr bewandert ſind. Was hier noc dùns
kel bleibt , erläutern kurze , zweckmäßige Anmerkungen .
Ciceros Ion dúnkt uns im Durchidhnitt gut getroffen , nur
zuweilen etwas fiårferes , oder anderes Colorit aufgetragen.
Daß der Sinn nicht verfehlt rey , verſteht ſich ſo ; nur iſt /

er hie und da nicht beſtimmt genug ; welches aber, ſo lange


man nicht das Original dagegen hålt , nicht merklich iſt,
weshalb auch allein genommen , ſie ſich faſt als Original
leſen läßt.
16.
Derſelben fünfter Theil, Sallufts Catilina und Juke
gurtha , überfekt von Johann Karl Hoc ,
Pagenhofmeiſter auf Gottorf. 1782.
Des Hrn Herausgebers Vorrede führt aus der Ubbtis
Ichen Ueberſegung eine Stelle an , und tadelt daran mans
des mit Recht; ſie reßt darauf dieſe der Hocfiſchen entges
gen und entſcheidet für ihr vorzügliches Verdienſt. Dies
þat ſie denn auch allerdings darin , daß der Sinn mit mehr
Genauigkeit , Deutlichkeit und in flieſenderm uſuellerm
Teutſch ausgedrückt iſt. Darin aber ſteht fie, unſers Ers
achtens , der Ubbtiſchen nad), daß Kürze, Nachdruck und
antiker Anſtrich meniger fenntlich ſind Salluft vers
mied mit Fleis ganz gewohnte Worte und Wendungen,
er ſuchte alte , ungewöhnliche; auch war es ihm darum 34
thun , möglichſte Wortíparſamkeit mit Würde und Nade
druck zu vereinen . Dies , dúnkt uns, muß die Ueberſer
Kung auch ſichtbar machen und route darüber auch der Styl
ein gewiſſes lateiniſches Unſehen erhalten , ſo ſteht das uns
ſerer Sprache nicht ganz übel. Suchten doch die Rómer
ihrer Sprache griechiſchen Anſtrich zu geben . Doch dies
gehdet unter die Sachen , de quibusnon eft diſputan
dum , und welche am Ende nur das Publikum durch
Mehrheit der Stimmen veftſepte Meshalb wir aus dies
nicht
160 XIV . Anzeigen neuer Bücher
nicht in zankſüchtiger , rechthaberiſcher , oder dergleichen
Abſicht , wollen geſagt haben.
>

Auch gehört noch billig hieher:


17.
Sammlung der neueſten Ueberſegungen der griechiſchen
1 proſaiſchen Schriftſteller , unter der Aufſicht des
Hn Kirchenrath Stroth. Erſter Theil Diodor
von Sicilien. Bei demſelben Verleger, 1782.
Vom Sen Kirchenrath felbft überſeßt. Die beiden
Vorrede wird theils dasUeber alten eilf Bücher . In der
der Alten gegen die vors
nehmſten fich darüber erhebenden Zweifel ſcharfſinnig vers
theidigt ; dod) lieſſe ſich noch einiges antworten . Um Ende
wird wohl Erfahrung die zuverläſſigſte Entſcheidung geben.
Theils werden auch einige ſehr brauchbare und den Ueberſes le
Bern insbeſondere ſehr zu empfehlendeBemerkungen über
Verſchiedenheiten des teutſchen und griechiſchen Ausdrucks
beigebracht. Idiotiſmen einer Sprache ſind relativ , bisher
hat inan die der griechiſchen nur im lateiniſchen betrachtet,
wir ſollten ſie billig in Beziehung auf unſre Mutterſprache
unterſuchen , um recht nußbar zu werden . Daß der V.
Diodors Sinn richtig übertragen habe, wird man vor
uns wohl nicht erſt beſtätigt verlangen , wie auch nicht ,
daß die Ueberſegung für ſich allein , ſich durch Reinigkeit
der Sprache wie ein Original empfiehlt, ſo daß man nicht
an das Ueberſeßen erinnert mird. Nur kommt es uns
por, nicht den ganzen Diodor , bei Gegenhaltung der
Urſchrift, wiedergefunden zu haben. Dieſer liebt, un
ſerer Empfindung nach , einen volen tonenden , mit
Würde verknůpften Ausdruck, wo ihn der Gegenſtand era
laubt. In der Ueberſeßung finden wir den nicht wieder,
vielmehr durch Weglaſſungeiniger Worte(ohne Schaden
des
und Schriften. 161
Des Sinnes allerdings ) eine gewiſſe Trockenheitund Spars
ſamkeit, welche den Styl der altáglichen Sprache zu ſehr
náhrt. Auch wenn man zwo laut geleſene Perioden des
Originals und der Ueberreßung gegeneinander gålt , läßt
fidh ſchon etwas davon gewahrnehmen.
Derſelben zweiter Theil, Xenophons Feldzug des jüns
gern Kyrus, überſegt von Friedrich Grillo,
Profeſſor in Berlin . 1781.
Xenophons Simplicitát iſt leichter zu treffen , als eine
gefünfteltere Sprache; dennoch verlangt auch ſie manchmal
beſondere Aufmerkſamkeit und Vertauſchung der Wenduns
gen , wenn gleich daſſelbe geſagt wird , ſagt es nicht auf
dieſelbe Urt. So finden wir hier verſoiedentlich für ver
ba ſubſtantiva gefeßt, die Partikeln verandert oder auds
gelaſſen und dadurch etwas von der Hårte des Originals
vermiſcht. In unſehung des Sinnes låßt ſich reßr weſents
liches allerdings nicht einwenden , und kleine Perſehen ,
wo an der Beſtimmtheit und Deutlichkeit etwas verloren
gegangen , oder der Gedanke nicht von der rechten Seite
dargeſtellt iſt, werden ohne Dagegenhalten des Originals
nicht gemerkt , auch von jedem Biligen gern überſehen .
Wir können alſo dieſe Ueberſeßung als ſeør brauchbar und
gut zu leſen , mit allem Redte empfeplen .
Derſelben zweiten Theils zweiter Band. Xenophons
griechiſche Geſchichte, neu überſegt von Auguſt
Chriſtian Borheck. 1783 .,
Voran geht eine kurze Einleitung in die griechiſche
Geſchichte, aus Goldhagens Ueberſeßung, nebſt verſchies
iz denen Anmerkungen entlehnt. Uuch hat der V. ſeine
Vorgänger beſtens zu benußen geſucht. Die Ueberfeßung
þált fic in Anſehung des Sinnes ſowohl, als der Manier,
an das Original ſo nahe, als méglich. Nur zuweilen bes
gegnet es dem P., einen unter uns nicht mehr ganz ges
Seſſ:Beitr. 5.1. Sr. Le wohns
162 XIV. Anzeigen neuer Bücher
wöhnlichen Ausdruck zu gebrauchen, wie zur See ſtreiten ,
für ein Seetreffen liefern . Auch dúnkt uns die Beibehals
tung verſchiedener griechiſchen Worte , . 6. Stratege
nicht ganz bequem ; ſie laſſen ſich doch mit ziemlicher Annas
herung übertragen und verurſachen im Leſen Anſtoß. Uns
bequemer als das aber , ſcheint der Gebrauch griechiſcher
Gåtternamen , Athenåa z. B., welche Leſern für welche
diere Arbeiten eigentlich beſtimmt ſind , weit weniger noch ,
als die lateiniſchen verſtändlich ſind. Ob es zweckdienlich
Tey, griechiſche Rechtſchreibung der eigenthúmlichen Namen
nach der jezt aufgebrachten Mode zu gebrauchen , lieſſe fich
noch Fragen. Ueberhaupt haben wir dieſe Namen zuerſt
durch die römiſchen Schriftſteller kennen gelernt, find an
deren Ausſprache und Rechtſchreibung ſo viele Jahrhunderte
gewohnt, verſtehen ſie allgemein ; warum ſollen wir alſo ,
aus Sucht konſequent zu ſeyn , Neuerungen machen ?
Sind wirs doch in Dingen von gróſerer Erheblichkeit nicht.
tn .
18 .
Beſchreibung des Hochfürſtl. Heffen -Hanauiſchen Me
daillen -Kabinets .' Hanau 1783 .
Durch die Bemühung Sperrn Regierungsrath Wes
gener des jüngern , als Aufſeherd dieſer Sammlung von
Denkmünzen , ervalt der Kenner und liebhaber der Nu
mismatik hier einen nüßlichen und angenehmen Beitrag zu
ſeiner Wiſſenſchaft. Die vorgeſeßte Einleitung berührt
furz ihren Nußen und beſtimmt die eigentliche wahre Åbs
ſicht einer Sammlung von Medaillen. Man findet ſie
in dieſer zum Theil ſchon erreicht, und kann ſich fünftig
folches von der voukommenſten Seite verſprechen , da ihr
Durchlauchtigſter Stifter, der Erbprinzvon Herren, fich
nur auf die eine Art von modernen filbernen Denkmünzen
eingeſchränkt hat , um eine Sammlung dieſer in ihrer indg
lichſten Voaſtándigkeit zu haben. Wenn man bei andern
und
und Schriften . 163
und mehreren Sammlungen von Húlfsmitteln zu Wiſſens
ſchaften uud Kunſtfachen ſo zweckmáſig verfahren wurde,
ſo wurde der Literatur und dem Geſchmack mehr damit ges
dient ſeyn , als mit dem Aderlei von den vielen Kleinigkeis >

ten manches Kabinets. Man ſpricht hier nicht von gróſern


Sammlungen , welche der beſondere Geſchmack mehrerer 1

Kenner und liebhaber alterer und neuerer Zeiten , nach


1
und nach zuſammen gebracht hat , ſondern von neueren ,
welche in unſrer Zeit veranſtaltet worden . Die Art und
Weiſe der Anſchaffung ſowohl, als die innere Einrichtung
und Eintħeilung der Medaillen dieſer Sammlung beſtätigt
das Zweckmáſige in dieſer Sammlung noch mehr. Es bes
zieht ſich blos auf den hiſtoriſchen Nußenvon Denkmúns
gen . Die Eintheilung in Geburts- Vermählungs- Sterbs
Wahl- und Krdnungs - Stiftungs- Jubels Kriegs- Fries
dens- und Religionsmedaillen rechtfertigt ſich alſo von
ſelbſt. Die vermiſchten Medaillen , als die leßte Klaſſe
find nicht das , was die ſogenannten Miſcellanea auf
mancher Bibliothek find, ſondern ſie ſind auch nach den
Reichen und Staaten abgetheilt, in welchen ſie durch eins
zelne Perſonen oder Vorfáde veranlaßt worden , ohne une
mittelbar zu einer oder der andern der angeführten Abtheis
lungen zu gehdren. Die leßten unter dieſen Vermiſchten
find ſolche, auf beſondere Begebenheiten, Gelegenheiten,
auf Künſte und Wiſſenſchaften , berühmte Helden , Staatss
månner und Gelehrte. Ude Kaiſerlich Ruſſiſche Münzen
von Bronze , und Heffiſche nebſt Hanauiſchen Münzen von
Gold und Silber , machen beſondre Sammlungen aus.
Eine ſchon vorhandne Beſchreibung aller Medaillen nach
ihrem ganzen Inhalt, in zehen Foliobånden , nebſt einen
Regiſter, láßt hoffen , daß der durchlauchtigſte' Stifter
dieſer núblichen Sammlung dereinſt ihrem gelehrten Auffes
her erlauben werde , das Beſondre daraus bekannt zu mas
chen. Von ſeinen Kenntniſſen und ſeinem Geſchmack låßt
fich das Beſte und Sdönſte erwarten. Sp.
{2 19.
164 XIV. Anzeigen neuer Bücher
19 .
Verzeichnis der Hochfürſtl. Heſſiſchen Gemålde- Samm
lung in Caſſel. Bei J. E. Etienne, 1783 .
Herr Profeſſor Cauſid iſt der Herausgeber dieſer
mit Kennern und liebhabern der Caſſeliſchen Maler: Bilds
hauer- und Baukunſtakademie gemeinſchaftlich verfertigten
Nachrichten von dieſen bisher noch nicht durchaus befann
ten Ståßen der Kunſt. Das Verzeichnis ſelbſt ſoll eigent
lid, nur eine beſchreibende Anzeige ohne Urtheil und Kritik
Teyin , doch iſt bei einigen der vorzüglichſten Stücke etwas
mehr geſagt worden. So ift z. E. die Beſchreibung in
No. 2. in der Galerie folgende : Gerhard {aireſſe , Bachus
mit ſeinem Gefolge. Bachus ſtehet mitten im Stück mit
einem Thyrſus in der Hand. Bachantinnen tanzen
nach felbſtgemachter Muſik. Auf Leinwand, 4 Fus
hody, 4 Fus ir zou breit. Allein No. 54 von Paul l
Potter, in einem andern Zimmer wird ſo geſchildert: Eine
fehr angenehme ländliche Gegend mit lichten Bäumen .
Auf dem Vorgrund linker Hand ein liegenderOchſe mit
einigen Schaafen und Ziegen . In der Mitte dreiKühe,
die ein Bauerjunge hútet und nahe dabei ein Bauer mit
einigen Pferden. Völlig zur rechten Hand ein Bau
ernhaus, vor welchem eine Bäuerin , der ein Knecht
Waſſer ſchöpft, ſich mit Waſchen beſchäftigt, während
dem ihr Mann init ſeinem Huteinen Hund abwehrt, der
ſeinem Kind ein Stück Brod nehmen will. Vor demſels
ben Federvieh , das feine Nahrung fucht. Iminnern der
Wohnung ſieht man eine ſißend nähende Frauensperſon
voreinem Fenſter, durch welchesdas Tageslichtfieerhellet.
Wo die Gruppe von Bäumen ſich endigt, da verliect
ſich das Augenach der linkenzu in einer perſpectiviſchen
Ausſicht. Hier entdeckt man eine Båurin, die eine
Kuh melft, und noch andere Figuren in einer weiteren
Entfernung. Auf Hols, Fus 7 Zoll hoch, 3 Fus
8 Zoll
und Schriften. 165
8 Zoll breit. Da dies Stück, welches in Holland unter
dem Namen der piſſenden Kuh bekannt iſt, Kenner beſon
ders befriedigt, ſo iſt ſeine Beſchreibung umſtändlicher.
Sandgraf Wilhelm VIII. ftiftete eigentlich dieſe
Sammlung von Schildereien und machte den Anfang mit
Erbauung der jedoch noch nicht ganz vollendeten Galerie.
Der jeztregierende Sandgraf Friedrich II. hat ſie durch
Stiftung einer Akademie unter großen Meiftern , für die
Sdüler der ſchönen Kunſt eröfnet und brauchbar gemacht.
Auf die Richtigkeit von den Namen der Meiſter kann man
fich ficrer verlaſſen , als auf die , in einer geriſſen andern
Beſchreibung von Caffel , die vor wenig Jahren Heraus
kam. Die Ordnung der Gemalde in dem Verzeichnis
konnte noch keine andre ſeyn , als die nach den Zimmern.
Denn ſie ſind in verſchiedenen Gebåuden dermalen befinds
lich. Sie fat auch die Bequemlichkeit der Kenner und
Liebhaber zum Grunde , welche nach einem oder dem andern
fragen möchten . Die Tcháßbare Sammlung der in einigen
Zimmern des Fürſtlichen Schloſſes aufbewahrten , meis ,
ſtentheils niederländiſchen Malereien , iſt ſummariſch bei
gefügt. Mehr ſagt der Herr Profeſſor in der wohlgeſchries
benen Borrede . Die Unzahl rämmtlicher angeführter
Gemahlde erſtreckt ſich über 650. llebrigens kann man
Hier die angenehme Hofnung machen , daß Beſchreibungen
der vorzüglichſten , nach der beurtheilenden Kenntnis und
dem Geſchmack von Künſtlern , die Meiſter ſind , in die
Ten Blättern von Zeit zu Zeit erſcheinen werden . Jezt
werden nur noch die Meiſter hinzugefügt, von welchen die
meiſten Malereien da ſind; von Breugel 16 , von Unton
van Dyk 19, von Adrian van Orade 12 , von Paul Pots
ter 10 , don Rembrandt 35 , von Peter PaulRubens 24,
von Gottfried Schalken II , von David Deniers, dem júns
gern 18 , von Johann Heinrich Tiſchbein dem altern 32 )
von Adrian van der Werf 10', vonPhilipp Wouwermann
( 3 endlid
166 XIV. Anzeigen neuer Bücher
endlich 48. Der verſchiednen Meiſter , von welchen gros
ftentheils mehr als ein Gemälde in der Sammlung ſich
befindet, find 216 .
Sp.
NE
20.

Kritiſche Geſchichte der Augſpurgiſchen Confeſſion aus NE


archivaliſchen Nachrichten , nebſt etlichen diplos
matiſchen Zeichnungen , erſter Theil, von Georg
Gottl. Weber , Stiftsprediger an der Haupts
DO
pfarrkirche zu Weimar. Frankfurt am Main ,
bei Warrentrapp Sohn und Wenner , 1783. in 8.
dh
Dieſes intereſſante mit vieler Kritik und diplomatis
fcher Kenntnis geſchriebene Werk wird bei dem gemeinen
Haufen der Theologen und beſonders der ſtrengen Orthos
doren ein großes Aufſehen machen . Von Vorurtheilen
und geiſtlichem Stolze blind , werden ſie ſchwerlich die evi:
denten Gründe des Hrn Verf. überzeugen , mithin gehört
dieſes Werk zur Beurtheilung nicht vor ihr forum und uns
kritiſche Köpfe, ſondern der kritiſche Diplomatiſt iſt hier
der competente Richter , weil die Hauptſache des Buchs
auf hiſtoriſchen und archivaliſchen Datis beruhet. Uus
dieſem Geſichtspunkte fou alſo dieſes feør merkwürdige
Werk recenſirt werden .

In dem, I. Abſchnitt S. 1. 2. Handelt der P. von


Vorarbeiten und Quellen der Augſp. Confeſſion , ders.
felben Bearbeitung , und Uebergabe an den Kaiſer.
Etliche kleine Schriften , fo mit Recht Vorarbeiten und .
Quellen genannt ſind, weil der Uuffaß der U. C. vorzüglich
daraus genommen iſt, ſind hier kritiſch angezeiget, woruns
ter Hauptſächlich die Schwabacher Artikel gehören , die
nebri den Torgauiſchen Ärtikeln die Grundlage zur U. C.
gegeben
und Schriften . 167
gegeben haben. Man hat bisher geglaubt, Luther ware
der Verfaſſer der erſten , hier iſt aber S. 13 mit Luthers
eigenen Worten dargethan , daß er ſo wenig allein der Vera
faſſer derſelben , als daß fie deswegen aufgeſeßt worden ,
daß ſie auf dem Reichstage úbergeben werden ſollten . Viel
mehr find fie auf dem Coloquio zu Marburg 1529 vom
Luther, Jonas, Melanchton , Dfiander 2c. auf Befehl
des Kurfürſten von Sachſen in der Abſicht aufgeſeßt wors
den , daß man ſie zu Schwabach bei dem Religionsvera
búndniſſe zum Syinbol gebrauchen wollte. Man verkennt
indeſſen die Såße dieſer Artikel in der 4. C. nicht, wenn
man ſie mit jenen zuſamen hålt, indem Melandyton bei
Berfertigung der U.E. dieſe fomohl, wie die Torgauiſchen
vom J. 1530 gebraucht hat. Daß aber nicht Luther , ſons
dern Melanchton die Å . E. aufgeſeket, dazu hatte der
Kurfürſt doppelte Urſachen . Eines theils , weil Luther
in der Ucht war , und andern theils, auch nicht gewohnt
war, ſeine Uusdrücke zu mildern , dieſes aber nach den 1
Umſtänden die Politik erforderte. Er hat den Melanch
tonſchen Auffaß, aber durchgeſehen , und wie er in einem
eigenhändigen Schreiben , fo hier aus dem Weimarſchen
Archive S. 29 abgedruckt iſt , ſelbſt ſagt. Ich hab
M. Philipſen Ápologia ( ro nannte man damals die U. 6. )
überlefen , die gefaat mir faſt wohl, und weiß nichts
daran zu beſſern denn ich ſo ſanft und leiſe nicht tre
ten kann . — Uber auch nachher þat Melanchton noch
mehr hinzugethan , und vieles geändert , mithin iſt hier B

überzeugend dargethan , daß dieſer allein der Verfaſſer


der A. C. iſt, die von den Fürſten unterſchrieben , vors
geleſen , und dem Kaiſer am 25ten Junius eingehandiget
ift. S. 50-55 . Das lat. Eremplar hat der Kaiſer bes
halten , das teutſche vorgeleſene aber ift anteKurmainz aba
gegeben worden . So iſt kurz die Geſchich der 4. C. bis
zur Uebergabe , die der 5. . aus apten Quellen docua
mentirt hat.
14 Der
168 XIV . Anzeigen neuer Bücher
1

Der II. Abſchnitt betrift die Originale und Archiv


Abſchriften derſelbigen , S. 59 u . . 1o. Niemand wird
ftreiten , daß die proteſtantiſche Theologen den Melanchtona
fohen Abdruck der 4. C. vom I. 1531 für den richtigſten
gehalten Haben , ſo lange Luther lebte. S. 59. Man
hielte es auch damals nicht für ein verpflichtendes ſymbol.
Buch, wie es auch nach Abſicht der Fürſtennicht ſeyn ſollte,
wie aber nach der Zeit unter den 3 heologen heftige Streis
tigkeiten und blinde Eiferer entſtunden , die in der Mes
lanchton. Ausgabe viele verdächtige Sáße und gar Keßes.
reien finden wollten , und ihrer Meynung nach aud fan
den, ſo gab dieſes Gelegenheit, nach der wahren und achten
Urſchrift zu forſchen , woran vorher niemand gedacht hatte.
Kurfürſt Joachim II. von Brandenburg war dererſte,
der im 3. 1566 bekanntermaßen durch den Cóleſtin zu
Mainz im R. Archive eine vidimirte Abſchrift vom teutſchen
Original der U. C. Jolen ließ , und Kurfürſt Johann von
Sachſen that 10 Jahr nacher ein gleiches , wovon hernach
weiter Nachricht gegeben iſt, weil der V. 5. 60 u. f. 1o .
erſtlich das lateiniſche Eremplar der 4. E. und deſſen
Schickſale unterſuchet. Um dieſes hat man ſich in alten
Zeiten faſt gar nicht bekümmert, doch hatman vorgegeben ,
daß es gleichfalls im R. Archive reponiret ſey. Dieſes wis
derlegt der V. mit ſtarken Gründen , und diplomatiſchen
Beweiſen aus den Repertorien des R. Archivs und andern
Umſtänden ,zeigt hergegen ſehr wahrſcheinlich , daß der
Raiſer ſelbiges mitgenommen , und vielleicht in einem von
feinen Hausarchiven etwa zu Brúffel niederlegen laſſen .
Was Céleſtin xe. von ſeiner Eriſtenz im R. Archive vorges
geben habe, iſt grundfalſch , weil man dieſem am wenigſten
nach der Sdilderung, die S. 74 von ihm mit Recht geges
ben iſt , trauen darf , und feine Ausgabe blos von des
Fabricii Ausgabe, fogar mit ađen Druckfehlern , genom
men iſt. S. 72. Der V. glaubt mit guten Gründen ,
daß das lat. Originalbis 1568 zu Brüſſel verwahrt, nach
- der
and Sdriften. 169
der Zeit aber , nach Spanien gekommen rey. Von dert
Abſchriften in Fürſtlichen Archiven ſind S. 79 teefliche Nacha
richten mitgetheilet, und dabeiAnmerkungen gemacht, wie
ſchlecht man damals Abſdriften verfertiget hat, die jeder
Kenner der Diplomatik ſcháßen wird. S. 92:20. Der
Raum aber verſtattet nicht fie auszuheben , ſie verdienen
auch ganz geleſen zu werden. Die 1531 gedruckte lateia
niſcheAusgabe vom Melanchton fålt der V. aus angea
zeigten Gründen für die genaueſte. S. 97 26.
Nun folgt S. 105 u. T. 1o. die Hauptſache, námlich
das teutſche Original, und die damitgenau angeſtellte
Vergleichung mit andern altenHandſchriften der Fürſtl.
Archive. Erſtlich von der alten Tradition , die bis jego
fortgepflanzt iſt, daß beide Kurfürften von Brandenburg
und Sachſen von der teutſchen Urſchrift im Mainziſchen
Reichsarchive authentiſche vidimirte Abſchriften erhalten
haben , und daß die Übdrücke davon im Corpore Bran
denburgico und im Concordienbuche herrühren. Dieſes
glaubt der gemeine unkritiſche Haufe der Theologen , Deren
Vorfecter jezo Hr. Góege iſt, noch in unſern Tagen ,
und wird ſid auch kaum überführen laſſen. Die bisherige
Nadlåſigkeit der Theologen ,den Umſtand kritiſch und dis
plomatiſch zu unterſuchen , ob dieſe Ubdrücke wirklich von:
der Urſchrift genommen ſind, iſt faſt ohne Beiſpiel, und
im Grunde unverzeihlich . Man wid lieber daraufſterben
als unterſuchen , und wenn ſich endlich ein Mann mit fris
tiſcher Kenntnis ausgerüſtet, daran wagt, ſo will man ihn
lieber mit Unſinn úbertauben , und mit fehenden Augen
blind ſeyn, als durc kritiſche und archivaliſche Gründe
fid belehren laſſen.
Es iſt Schade, daß die Acta und archivaliſdse Nach
zichten von beiden Conferirungen in den Jahren 1566 und
1576 in den Archiven beider Höfe verlvren gegangen
5 find.
170 XIV . Anzeigen neuer : Bücher
find. S.106 Auch das zu Maing durch denCóleſtin colo
lationirte Exemplar ift im Brandenburgiſchen Archive nicht
mehr vorhanden . Die Briefe , ſo derſelbe davon drucken
laffen , ſind ebenfalls verfälſcht, ſo viel aber ſiehtman doch
daraus , daß das in 800.1540 gedruckte Sremplar von
Berlin zum collationiren mitgenommen iſt , zu einem richa
tigen Beweiſe , daß man Ichon damals im Berlinſchen Urs
chive feinealte Ubſchrift hatte. Beide Kurfürſten ſind durch
die bekannte Zánkereien der Theologen , zumal der Wittena
berger , die ſchon viel Unheil angerichtet, bewogen worden,
die genaue Abſchriften zu Mainz zu ſuchen. Seither war
es noc niemand eingefallen , daran zu zweifeln , daß beide
Kurfürften nichtAbſchriften von der achten wahren Urſdrift
der u . 6. fouten erhalten haben , bis der Kanzler Pfaff
darauf verfiel, felbft 1729 nach Mainz reißte , und das
Original ſehen wollte. Man ſagte ihm aber im R. Archive
deutlich, daß das åchte übergebene Original långſt vers
loren , daß aber die Copei im Reichstagsprotokoll das
Driginal
råre, wovon die beiden Kurfürſten Abſchriften
erhalten håtten. Man gab ihm auch davon eine vidimirte
Abſchrift, von dem Urchivar Steeb unterſchrieben , ( Pfaffii
jur. ecclef. Lib. V. p . 563 ) er ließ fie drucken , und
machte dabei bekannt, daß die beiden Kurfürften von dem
rechten Driginal keine Abſchrift erhalten hatten . Man
überſchrie ißn aber bald , und hielte esfür ein Máhrchen
Yo er ſich in Mainz håtte aufbinden laſſen , wie noch gang
neuerlich ſogar der Schaffer Panzer, ein treuer Geſelle
des Gdeje, ( S. Panzers 4. E. Nürnberg 1782. )
wiederholet Kat. S. 139.
Darauf erzählt der V. die Gelegenheit , ſo die vera
wittwete Herzogin von Weimar bewogen , eine vidimirte
Abſchrift vom Original der 4. C. in Mainzzu ſuchen .
Man erhielte ſie mit einem ſehr unbeſtimmten Vidimus
Daß vorſtehende Abſchrift mit dem in dem Kurfürſtl.Main
siſchen
.
und Schriften . 171
siſchen Archiv verwahrlich aufbehaltenen orArchivarica
von Wort zu Wort gleidlautend ſey 2. Der Archivarius
Lammerß atteſtirte aber nachher 1781 nochmals , und
zwar beſtimmter , daß die vidimirte Copia der 4. E. eine
authentiſche Abfchrift des in hieſigem Reichsarchiv ( nicht
wie vorher im Kurmaing. Archiv ) verwahrlich aufbebala
tenen Originals reg ; und daraufließ H. V. diefe vidimirte
Abſchrift der 4. C.drucken. Sr. G deze war einer von
den erſten To fein Schwerdt zog , dem S. Panzer fidzbalo
zugeſedte. Man ſcrie von mehren Seiten , welches den V.
bewogi felbſt nach Aſchaffenburg zu reiſen , wo S.Rurf.
Gnaden auf ſein Unſuchen an die Kanzlei Befehl gegeben
demſelben die Originalien der 4. E. und die dazu gehörigen
Aften vorzulegen , ſo auch in Mainzzur Zufriedenheit des
Verfaſſers geſchehen iſt , mithin iſt er dadurch in Stande
geſegt, kritiſch und diplomatiſch über dieHauptſache zu:ura
theilen , ſo kein andrer thun kann , der die Archivakten nicht
geſehen , noch richtigeBegriffevon dergleichen hat, mithin
folgt ſchon hieraus, daß die Hrn Góeze und Panzer ,
wie die Blinden von der Farbe urtheilen. Es befremdete
den V. freilich , wie manihm die Melanchtonſche teutſche
Ausgabe der A. C. von 1540 in 8. als das Originalvors
legte, und dabei ſagte , daß man davon 176.7 die vidimitte
Abſchrift nach Weimar geſandt hätte. 57. V. that recht,
daß er gleich anfangs nicht widerſprach , um die Archivarien
bei guter Jaune zu erhalten , ( wie wenig vorgedachte Streia
ter Beſcheid wiffen , wie man ſich betragen muß, wenn
man Archive ſehen , und etwas daraus communicirt haben
will, fiehet man aus ihren Vorwürfen , die ſie dem : V.
gemacht haben ; daß er nicht gleich das Herz gehabt hätte,
ůber dasvorgelegtegedruckte Original fich aufzuhalten sc.
Mitleiden muß man mit dieſen Leuten haben .) Sonderbar
genug iſt der Fall, indeffen hat der V. S.150 gezeiget,
wie es zugegangen , daß man dieſes gedruckte Eremplar
adenfalls für Original halten konnte , weil es bei dem Cols .
loquio
172 XIV . Anzeigen neuer Büder
loquio zu Worms 1540 dem Kaiferl. Geſandten , afd ihr
fu Augſpurg 1530 übergebenes Bekenntnis , zugeſtedet,
und hernach bei den Originalakten dieſes Colloquii im
R. Archive genominen , ( auf dem Titelblatt ſteht: Imma,
triculatus eft hic liber Cancellariæ Moguntinæ ,
proinde non amovendus , wodurch es alſo Reichsakté
geworden iſt , ) und zwiſchen 1730-1740 ſogar für das
1530 übergebene Original im R. Archive gehalten iſt.
S. 151 4. P. 10 .
Aus den bereits angeführten , und den folgenden res
cenfirten im R. Archive noch vorhandenen Akten der A. C.
S. 157 u. ſ. w. erhellet ganz klar, daß ſchon 1547 ( wo
Der Kardinal Albrecht die erſten Repertorien machen lar
fen , die keines Originals erwähnen , ) das achte wahre Oria
ginal der 4. E. nicht mehr im R. Archive exiſtirte , ſondern
wahrſcheinlich bei Verſendung der dazu gehörigen Akten ,
auf das Trident. Concilium , verloren gegangen iſt. Was
der V. in dem einen Aftenbande fand, S. 1951 ift blog
eine Copei , die darin Fol. 21 anfängt und Fol. 51 aufs
hört , und eine doppelte Foliirung hat , zum Zeichen , daß
es nachher erſtlich dem Aftenbande einverleibt iſt , wo die
1 erſte ausgeſtrichen worden . S. 166. In den Beilagen iſt
ſie No. II. abgedruckt. Sie hat viele Schreibefehler,
Korrekturen , und keine Unterſchriften , Beweis genug,
daß ſie nur Copei iſt. Nachdein der V. noch etlicheandere
Copeien in Fürſtl. Archiven recenſiret , unterſucht erzwei
Fragen , 1) ob die beiden Kurfürſten vidimirte Abſchrift
vom wirklichen Original, oder von dieſer MainzerAr
chivcopei erhalten haben ? 2) was dieſe, und die aus den
Fürfti. Archiven ad. für kritiſchen Werth haben ? Die erſte
Frage iſt ſchon aus dem vorhergehenden beantwortet , daß
die Abſchriften für die zwei Kurfürſten nichtvon der Urs
ſchrift feyn können , weil ſie damals im R. Archive nicht
mehr epiftent war , und in der Folge S. 189.u. ſ. w. iſt
erwieſen
und Schriften. 173
érmiefen , daß ſie von der Mainziſchen Archivcopei blog
Herrührt. Die zwote Frage beantwortet ſich auch ſelbſt,
und zwar dahin , daß der Werth nicht wichtiger ſeyn kann ,
als der Werth einer ſchlechten Copei , die voller Schreibes
fehler, Korrekturen und falſchen Leſearten ( wie S. 205
U.T. w . ein ganzHeer derfelben abgedruckt iſt, dieſes beweis
fet, ) ſteckt. Daß die Abſchriften , die Brandenburgiſche
im Corpore Brandenburgico , und die Sächſiſche im
Concordienbuche von derſelben genommen ſind, ift S.
188 x . Fritiſch und S. 192 2. Hiſtoriſch erwieſen , woges
gen ſich mit Beſtand Rechtens gar nichts einwenden läßt,
man mußte denn vor Religionseifer ganz blind ſeyn , wie
H. Góefe und reines gleichen . Die daraus gezogene 4 Res
ſultate S. 233 werden wenigſtens ihn und H. Panzer
nunmehro überzeugen , zumal wenn fie S.253 die Menge
Varianten lehen ac. Der Hauptpunft von den Fürſtl.
Unterſchriften im Corp. Brand. ſowohl, als im Concora
dienbuche , woher dieſe genommen ſind, da die Mainzer
Archivcopei keine Unterſchrift hat, iſt diplomatiſch und
ſtringent ausgeführt S. 274 2., nach welchen das Reſula
tat erwieſen , daß ſie falſch, und die Fürſten bei feierlichen
Handlungen ſich niemals ſo unterſchrieben haben , wie die
Abſtiche von eigenhändigen Unterſdýriften aus verſchiedenen
Archiven úberzeugend darthun . 5.277, 279 , 290. Mits
hin hat der V. mit Grunde den Cðleſtin als den Falſarium
angegeben , und S: 294 ſeinen Charakter geſchildert. Uus
dem Corp. Brand. ſind ſie hernad, in das Concordienbuch
übertragen worden . Dieſer Punkt iſt kritiſch und diplomas
tiſch vortreflich ausgeführt , und jeder Kenner wird den
Beweis für gültig annehmen , ohngeachtet auch H. Gdeze
vielleicht dieſes noch nicht begreift, obwohl er ſchon darüber
S. 270 eine bittere Weiſung erhalten gat.
Die zwote Hauptfrage, von dem Werth der Maina
siſchen Archivcopei der U , C. iſt von S. 333 u . f. mo . nod
weiter
174 XIV. Anzeigen neuer Bücher
weiter und genauer unterſucht , weil man ſie ſogar aus
einer für ſich habenden Präſumtion , daß ſie vom Ori
ginal abſtamme, defendiren will , allein der V. Wat hins
reichend mit 4 Hauptgrunden das Gegentheil dargethan ,
die S. 334 u. f. m. ſtattlich ausgeführet ſind , hier aber
keinen Auszug leiden , ſondern ganz geleſen werden müſſen ,
( Vielmehr iſt es glaublich gemacht , daß dieſe Archivcopet
fowohl , als die Abſchriften in denen Fürſtl. Archiven von
denen erſten Concepten vor der Unterſchrift genommen ſind,
S. 341.) Wobei des H. Gdeze gemachte Einwürfe
beantwortet ſind , und ihm nunmehro der Beweis ſeiner
eingeworfenen Såße auferlegt iſt. Dieſer blinde Eiferer
follte felbſt nach Mainz reiſen , und alles genau unters
fuchen , To konnte er davon urtheilen , aber blos auf ſeiner
Studierſtube magere Einwürfe zu machen , und tritiſche
Kópfe , die ſchårfer unterſuchen , wie er gewohnt iſt, bez
leidigend zu behandlen , das iſt im Grunde gar keine Kunſt.
Die Umſtände find gróftentheils lokal, und müſſen vors
füglich in dem Mainziſchen Archive felbft unterſucht werden ,
wenn man davon gründlich , und nicht wie der Blinde
von der Farbe, urtheilen wil.
Die zwei Fåge ſind für ihn nur übrig , entweder er
muß beweiſen , daß das achte unterſchriebene übergebene
Original der 4. C. im Reichsarchive noc verborgen liegt,
und bisher nicht entdeckt worden , oder er muß ſeine voreis
tige Sáße widerrufen. Das erſte kann er nicht thun ,
dyne zugleich die Mainziſche Kanzlei und die Hrn Archiva
tien aufs höchſte zu beleidigen undſich einer fiſcaliſchen Uns
. terſuchung und Strafe bloszuſtellen , und das andere wird
der Stolz ſowerlich zugeben. Auch H. Panzer wird
nunmehro wegen ſeiner Uebereilung beſchåmet ſeyn , und
den Zwerf nicht erreichen , den er ſich vorgefeßt hat, die
Uuthenticitat der 4. C. im Corpore Brandenb . und im
Concordienbuche , auch fogar die Ehre der beiden Kurs
fürſten
und Schriften . 175
$

fürften (die doch hierbei im geringſten nicht fitte) zu retten ,


und den V. zu vermogen , Abbitte und Efrenerklärung zu
thun. Er würde weit geſcheider gehandelt haben ,wenn er
die jezige vor uns liegende Schrift erftlich abgewartet hätte,
denn anjezo ſteht er in Gefahr , daß er ausgelacht wird.
Recenſ. und jeder diplomatiſcher Renner muß unpare
theiiſch geſtehen , daß H. Weber in dieſem Buche aus his
ſtoriſchen und diplomatiſchen Gründen und mit kritiſchen
Berpeiſen hinreichend und evident erwieſen hat , 1 ) daß im
R. Archive das wahre, unterſchriebene und dem Kaiſer
übergebene Original der 4. C. nicht mehr eriſtent, und .
ſchon 1566 bei der genommenen erſten Abſchrift vom CS
teſtin nicht mebr exiſtent geweſen iſt; 2) daß die im R. Urs
chive in einem Aftenbande befindliche Archivabſdrift, die
man anfänglich für das wahre Original gehalten , ohners
achtet ſie ohne Unterſchriften , im geringſten keine authens
tiſche Abſchrift vom vorgedachten wahren Originaliſt, ſons
dern vermuthlich von den erſten Concepten der A. C. (wes
gen ſeiner falſchen { eſearten 2.) genommen iſt ; 3) daß
Cóleſtin 1566 davon Abſchrift genommen , oder vielmehr
ein von Berlin mitgebrachtes gedrucktes Eremplar der U.
C. mit dieſer Archivcopei collationiret und nach derſelben
corrigiret hat, und dieſes überdem noch nachläſſig bewerke
ſtelliget ift; 4 ) daß von dieſer ſchlechten Collationirung der
Archivcopei, der übdruck im Corpore Brandenb. þerrufs
ret, und der im Concordienbuche gleichfalls von derMaink
fer Archivcopei, und 5) daß auch die in den Fürftlichen und
Nürnbergiſchen Archiven aufbewahrten Abſchriften , nicht
von oftgedachtem wahren Original genommen find, fonts
dern wahrſcheinlich von den Concepten der A. C. vor der
Felben Mundirung und Unterſchrift, worunter der Weis
marſchen , der zwoten Anſpachiſchen , der Hannover
ſchen und der Nürnbergiſchen der größte Werth beigelegt
ift, zumal fie auch mit der erſten Melanchtonſchen Aus.
gabe
176 XIV . Anzeigen neuer Bücher
gabe in 4.vom J. 1531 zieinlich genau übereinſtimmen ,
bei der wohl die Bermuthung obwaltet , daß Melanchton
die A. C. nad einem von ſeinen leßten Concepten , doch vor
der Mundirung und Unterſchrift ( denn da war nicht Zeit
übrig , ſie noch abzuſchreiben , weil das Mundiren ſchon ſehr 1
eilfertig geſcheøen mußte) hat abdrucken laſſen . Dieſes ſind
die Hauptſachen , die H. Goefe und Panzer leugnen ,
wie fie das Gegentheil erweiſen werden , muß man abwars
ten . Jeder rechtſchaffene Renner wird es indeſſen dem
Hrn V. Dank wiſſen , daß er dieſen wichtigen Umſtand
mit ſo vieler Mühe und ſcharfer Prüfung , ſo kritiſch und
diplomatiſch unterſuchet, und in fein Licht geſtellet Gat.
Der III. Abſchnitt beſchreibt und beurtheilt die ſechs
unterſchiedene Abdrücke der teutſchen A. C. , die ohne
Vorwiſſen der evangeliſchen Stände im J. 1530 ans licht
getreten ſind , weil der Kaiſer verboten hatte., fie nicht
ohne ſein Wiſſen zu ediren. Der erſten und fünften Aus
gabe giebt der V. den Vorzug , beide rühren aud vermutýs
lich von einer Abſchrift her.
Noch etwas von den angehängten Beilagen . I. Abs
ſchied zu Schwabach 1529 nebſt den Artikeln , nach dem
Urchivoriginal zu Ulm . Der H. Stadtconſulent Hárs
lin hat die genaue Abſchrift beſorgt. II. Ertrakt aus
dem Volumine Religionsaften im R. Archiv zu Mainz
betitelt : Handlung zu Augſpurg Anno M.D.XXX.
der Religion und Glawbens halber 1530 , die Uebers
gabe der Augſp. Confeſſion betreffend. Dieſer kleine gleichs
zeitige Extraft verbreitet allerdings viel licht auf den Ums
ftand , daß der P. angezeiget, daß zum Mundiren kaum
lo viel Zeit übrig , pielmeniger , daß man eine richtige
genaue Abſchrift noch davon båtte nehmen können ,
welches auf den Werth der vorhandenen Utſchriften für
den Kritifer einen deciſiven Bezug hat. III. Augſpu g.
Con :
und Schriften. 177
Confeſſion nach dem Akteneremplar im Reichsarchive,
nebſt Varianten aus Handſchriften , den alteſten Erems
plarien vom Jahr 1530 , und der erſten Melanchtonſchen
Plusgabe vom Jahr 1531, in 4. Dieſe Aktenabſchrift
þat der Verf. mit der gróften diplomatiſchen Genauigkeit
nach Rechtſchreibung und Interpunkten , auch ſogar mit feis
nen Schreibfehlern abdrucken laſſen , und die Varianten, die
zum theil ſehr wichtig ſind , darunter reßen laſſen . Res
çenſ. glaubt , wenigſtens giebt es die Vermuthung, daß
vielleicht unter allen Handſchriften der erſte Melanchtonſche
Ubdruck die richtigſte Copei der Orig. Augſp . Conf. iſt,
weil mit Grund zu glauben iſt, daß derſelbe als ein ehrs
licher Mann den Abdruck von dem lekten Concept, wovon
mundiret worden , veranſtaltet hat. In dieſer leßten
Beilage ſteckt eine unermeßliche Arbeit und Geduld.
Der zweite Band dieſer Hochſt intereſſanten Sorift
wird aden Kennern ſehr millkommen ſeyn . Wir wảns
fchen ihn bald zu ſehen , weil er noch wichtige Punkte
liefern wird .

21 .

Neues Geſangbuch für die Evangeliſch - Lutheriſcher


Gemeinden in den Hochf. Heſſen - Caſeliſchen
Landen. Caffel 1783. Gedruckt und zu haben
in der ( reformirten ) Waiſenhaus - Budbruckerei,
1 auf Druckpapier für 5 , und auf Schreibpapier
für 8 Caſſel. Albus. 1 Ulph. 8 B. in 8.
Da die Aufklärung und Erbauung des gemeinert
Mannes durch nichts ſo ſehr befördert werden kann, als
durch allgemein eingeführte Geſang- und Gebetbücher, To
fat man um ſo viel mehr Urfade, unſerm Vaterlande
Seſj.Beitr. B. I. St.l. M Glúd
178 XIV . Unzeigen neuer Bücher
Glück zu wünſchen , daß nun ſowohl die lutheriſche als
reformirte Kirche dazu ſehr brauchbare Geſangbucher ers
Balten haben. Jeştere verdankt ſchon ſeit 1770 der aufs
geklärten Denkungsart des geiſtlichen Miniſterii und fråfs
tigen Unterſtüßung des Conſiſtorii zu Caſſel ein ſolches
zweckmåfiges Hülfsmittel der augemeinen Volfserbauung.
Erſtere hingegen erhielt dergleichen erſt in dem verfioffenen
Gahre ; aber mit wie vieler Begierde und Beifall daſſelbe
aufgenommen ſey , laßt ſich ſchon daraus abnehmen , daß
die erſte, aus zehentauſend Exemplaren beſtehende Auflage,
gleich in den nächſten Monaten ſoweit vergriffen wurde,
daß iezt ſchon an einer zweiten , bei ſechzehentauſend Erems
plaren ſtarken , Auflage gedruckt wird ; eines zugleich vers
anſtalteten Abdrucks mit gröberer Schrift ungerechnet.
Dieſes Geſangbuch würde , nach dem Beiſpiel des neuen
1
reformirten , früher and licht getreten ſeyn , wenn nicht
von den verſchiedenen Heſſiſchen Provinzen , die bisher
ihre eigenen , ganz von einander unterſchiedenen , Ges
ſangbücher hatten , dieſem Vorhaben mancherlei Schimvies
rigkeiten Tomohl in Anſehung der Einrichtung, als des
Verlags waren in Weg gelegt worden . Schon im Jahr
1772 , wenn wir nicht irren , hatten die lutheriſchen Pre
diger zu Marburg den Entſchluß gefaßt , ein neues Geſang
buch für igre Glaubensgenoſſen herauszugeben , auch dazu
kuf ihr Geſuch Erlaubnis und ein Privilegium zum Vers
lag für das Marburgiſche lutheriſche Waiſenhaus erhalten.
Es kam daſſelbe aber nicht zu Stande , ohngeachtet einige
Prediger an demſelben damals wirklich gearbeitet haben
ſollen ; vermuthlich weil man über den Plan ſich nicht ver
einigen konnte. Indeffen geſchahe aus der Herrſchaft
Schmalkalden bei dem Confiftorio zu Caffel die Anzeige,
daß keine Eremplare von dem dort bis dahin üblichen Ges
ſangbuche mehr zu haben wåren , mit angehängter Bitte,
um Erlaubnis, daſſelbe von neuem auflegen und verbeſs
fern zu dürfen . Das Confiftorium trug aber in ſeinem
Out
1
und Schriften . 179
Gutachten en das geheime Miniſterium darauf an , daß
in allen Heſſiſchen Provinzen , mit Inbegrif der Grafſchaft
Schaumburg , einerlei lutheriſches Geſangbuch eingeführt
werden mögte. Die hierauf unter dem 12. November
1776 erfolgte Genehmigung wurde zur nächſten Veran
laſſung, mit Ernſt an einem ſolchen neuen Geſangbuche
zu arbeiten ; denn das Conſiſtorium forderte hierauf von
den beiden lutheriſchen Predigern zu Caſſel , Tiemen und
Sartorius, Bericht, ob nicht das Pfälziſche neue lu:
theriſche Geſangbuch zum Grunde zu legen , nebſt ihren
umſtändlichen Vorſolágen , wie das neue am zweckdienlich
ften einzurichten ſey. Nachdem dieſe übergeben worden,
mußte auf Befehl des Conſiſtorii weiter von ihnen ein
Plan zu deſſen Einrichtung entworfen werden , welcher
pierauf aud den geiſtlichen Miniſteriis zu Marburg und
Rinteln , wie auch den Inſpectoren zu Rheinfeld und
Schmalkalden mitgetheilt wurde , um ihre gutachtliche
Meynung darüber zu auffern . Dieſes verurſachte einen
neuen Aufenthalt der Sade; denn das geiſtliche Miniſtes
rium zu Marburg erbot ſich , gleichfalls einen Plan zu
entwerfen , welcher aber erſt 1780 eingieng , und den lus
theriſchen Predigern zu Caffel Hinwiederum zu Neuſſerung
ihrer gutachtlichen Meynung mitgetheilt wurde. Nachdem
leßtere dieſe übergeben hatten , ſo wurde im Jahr 1782 die
Ausführung ihres Plans durd Hódſte Verfügung ange
ordnet , der Druck veranſtaltet und im Frühjahr 1783 ge
endigt ; auch das neue Geſangbuch ſchon am Sonntage
Sraudi des gedachten Jahres beidem Gottesdienſte der
lutheriſchen Gemeinde zu Caffel wirklich eingeführet..
Dieſem Beiſpiel iſt man ſchon in mehrern andern (utheri
Ichen einen des Landes gefolgt, und wird nach und
nach bei allen übrigen ein gleiches geſchehen . Bei einem
Unternehmen wie dieſes iſt, ſind nicht alle Theilnehmer
zu befriedigen , deshalb wirdauch mander dieſes Geſangbuch
noch wohlfeiler haben wollen , wenn andere demſelben meha
M 2 rere
180 XIV . Anzeigen neuer Bücher
rere Vollſtändigkeit wünſchen. Uns ſcheint es , als ob
zwiſchen beiderlei Forderung eine ſehr glückliche Mittel
ftraſegetroffen ſey.Es enthält daſſelbe 950 lieder, welche
einen hinreichenden Vorrath über alle wichtige Materien in
drei Abtheilungen liefern . Die erſte enthalt 275 Lieder
über die Glaubenslehren ; die zmote 197 über die Sittens
Lehre; und die dritte 118 für beſondere Zeiten , Stände
und Vorfåde. Das Hauptverdienſt dieſes Geſangbuchs
beſteht theils in der guten Auswahl , theils auch in der eiges
nen Verbeſſerung der aufgenommenen Lieder. Man fins
det nicht leicht ein unſchickliches Lied darin , dergleichen man
wohl in andern neuen Geſangbüchern noch antrift ; und
man hat überall das Unbeſtimmte, Misdeutungsfähige,
Ueberſpannte und undeutliche in den aufgenommenen kiez
dern ſorgfältig verbeſſert, wie ein jeder bei angeſtellter Vera
gleichung zwiſchen dieſen und andern neuen Gefangbüchern
von ſelbſt wahrnehmen kann . Auch kann man die anges
hångte, ſehr wohl gewählten Gebete als einen wahren
Borzug dieſes Geſangbuchs vor vielen andern betrachten.
Wirwünſchen nur, daß ſie fleiſſig mogen geleſen und übers
dacht werden , welches inſonderheit die täglichen Ents
Pchlieſſungen am Morgen und die Selbſtprüfung vor dem
Genuſſe des heil. Abendmahls gar ſebr verdienen. Zu
weiteren Verbeſſerungen wird übrigens eine wiederholte
Hleberſicht der Lieder immer noch Stoff geben ; und wir
Habenfelbft mehrere Stellen angeſtrichen , die einer Ausfeis
lung bedürfen , deren Anzeige aber den Leſern dieſer Beis
trage nicht Unterhaltung genug verſchaffen mögte. Uude
glauben wir wohi , daß bei aller ſehr ſichtbaren Rückſicht
auf Drthodoxie , dennoch eine recht Feine Naſe hin und
wieder Rießerei wittern könne ; denn es hat bereits ein
folcher theologiſcher Schnifler in der Jenaiſchen gelehr:
ten Zeitung des verfloſſenen Jahres die Anzeige gethan
daß der dritte Pers des 490 liedes : Herr dir gelobt
mein Herz die Treue, mider die ſymboliſchen Bücher
und
... ? und Søriften . 181
und 1 B. Mol. VIII , 21. ſtreite." Der Keķermacher
wird damit aber wohl bei niemanden , der ſeinen Cates
dhiſmus noch nicht vergeſſen und ſonſt geſunden Menſchens
verſtand hat , Gehör finden .

‫ ܆‬، ،‫ ܐ‬-
XV.

Spurge gelehrte Nachrichten ,


Am 28 ten October 1783. ſtarb Herr Johann (ud
mig Ferdinand Arnoldi, Prediger zu Großenlinden bei
Gieſſen , welcher fich durch ſeine Geſchicklichkeit, in uns
termeiſung taubſłummer Perſonen , Ruhm erworben şat.
Eine von ihm ſelbſt aufgefekte Nachricht von ſeinem Leben
und Soriften findet man in Herrn Strieders Grunds
lage zu einer Seriſchen Gelehrten- und Sdriftſtellerges
fchichte. Band i. S. 176 folg. ,

Unſer ehemaliger Herr Profeffor Dohm , welcher


feit etlichen Jahren als Kriegsrath und geheimer Archis
varius zu Berlin angeſtellt war , ijt vor kurzem ohne ſein
Anſuchen vom Könige , mit einer Verbeſſerung von faſt
500 Reichsthaler , zum geheimen Rath ernannt. Statt
ſeiner bisherigen Stelle im Archiv hat er die Neumarkiſche
Expedition in der gebeimen Staatskanzlei , jedoch mit
Beibehaltung ſeiner Stelle im Departement der ausmåra
tigen Affairen erhalten .

Herr Hofrath Baldinger giebt neben ſeinem Mas


gazin für Aerzte, welches fortgeſeßt wird,' im Dieterichs
M 3.1 roben
189 XV. Kurze gelehrteNachrichten .
ſchen Verlage zu Göttingen noch ein mediciniſches Jour:
nal Heraus , das ſich über die geſammte alte und neue
mediciniſche Gelehrſamkeit erſtreckt, Die Vorrede ſeines
erſten Stücks wird den Plan näher anzeigen.

Ein Uusichuß von Mitgliedern der hiſtoriſchen Klaſſe


der Ukademie der Wiſſenſchaften zu Mannheim und vers
ſchiedene fremde Gelehrte , namentlich Herr Weyhbiſchof
Wůrdt wein zu Worms, der geweſene Kurtrieriſche
Miniſter Freiherr von subenfelb , Serr von Koch zu
Strasburg , einige Benediktiner, HerrProfe
Profeſſor Erols
lius zu Zweibrücken , Herr Hofrath { amep zu Manns
Zentner
heim , Herr Regierungsrathi zu Heidelberg,
werden eine kritiſche Ausgabe der ſcriptorum rerum
germanicarum dem . Auch Herr ProfefforRunde
/
k immt
Natio nalwer
ift eingeladen
unter
nGeſeaſchaft reten dieſes wichtige
, welche
, beizut .

Um 2 ten Januar übergabe der bisherige Prorektor


des Collegii Carolinizu Caſſel, Herr Rath und Profeſſor
Caſparſon an Herrn Profeſſor Forfer das Prorekto
rat , welcher Tolches für das Jaħr 1784 führen wird.
Herr Caſparſon hielt dabei eine Rede von den beſons
deren Vortheilen der in Caffel ſtudirenden Jugend;
Herr Forſter zeigte darauf gleichfalls in einer Rede ,
1
wie wenig oft einem öffentlichen Lehrer die Schuld beis
gumeffen Ten , wenn er an ſeinen Zöglingen und Zu
horećn nicht aller den Nugen ſtiftet , der die Abſicht
feines Amtes iſt. Zu dieſer Feierlichkeit war von Sperrn
Cafparfon durch eine Schrift eingeladen , welche
Nachricht von den lateiniſchen Poeſien des Landgrafen
Moriß giebt.

Herr
XV. Kurze gelehrte Nachrichten: 183
Herr Johann Jacob Glaß , ( geb. 1747 zu Ulm , )
bisheriger Lehrer und Inſpector der Cadetten , und Vers
faffer eines Grundriſſes der europäiſchen Staaten ,
nebſt einer Anleitung zur Heſtiſchen Geſchichte zum Ges
brauch der Heſſiſchen Cadetten, iſt beim Collegio Caros
lino als Profeſſor der Geſchichte angefteat worden . Er
hielt am 2ten Januar feine Untrittsrede , welche von
den erhabenen Bemühungen der Herrn Landgrafen zu
Heſſen durch Aufklärung der Wiſſenſchaften und
Künſte ihre Staaten immer blühender zu machen
handelte.

Herr Profeſſor Forſter in Safſel arbeiter an einer


teutſchen Ueberſeßung der Geſchichte von Capitain Cooks
legter Reiſe in das ſtille Weltmeer , welche die brittiſche
Admiralitat in mehreren Quartbånden mit etlichen und
achtzig Kupfern verziert, von einem einſichtsvollen englis
ſchen Gelehrten beſorgen läßt. Herr Forſter erhålt die
Bogen und Kupferabdrücke der Urſdrift, po wie ſie aus
der Preſſe kommen. Nächſtens theilen wir unſern Leſern
eine umſtändlidere Ankündigung dieſes in ſeiner Art ſo
einzigen und intereſſanten Werks mit. Die teutſche
Ueberſeßung wird im Verlag der Herren Haude und
Spener in Berlin erſcheinen .

Um 19 ten Februar d. I. ſtarb Herr Johann Tobias


Clemen , bisheriger erſter Prediger bei der lutheriſoen
Gemeinde zu Gaffel , im 63iten Jahre ſeines Alters.
Von ſeinem Leben ſiehe Herrn Strieders Heffiſche Ges
lehrten und Schriftſtedergeſchichte. Band 2 , S. 226 .

1
184 XV. Kurze gelehrte Nachrichten.
Zu der Wahl eines Prorektors der Univerſitát Mars
burg für das Jahr 1784 hat der vorjährige Prorektor,
Herr Profeſſor Johann Gottlieb Waldin mit einer Diſ.
ſertatiuncula de formatione & expanſione Glaciei
eingeladen , welde bei Baierhoffer auf groei Bogen in 4 .
gedruckt iſt. Mit Vergnügen zeichnen wir aus derſelben
die am Schluſſe befindliche Nachricht aus , daß im vers
floſſenen Jahre Einhundert und zwölf neu angekommene
Studirende auf dieſer Univerſität ſind immatriculirt wors
den . Ein glückliches Zeichen , daß diefelbe fich wieder
?
aus dem Staube empor hebt! denn ſeit Techs und dreifig
Jahren hat die dafige Matricul keine ſo ſtarke Anzahl
aufzuweiſen .

Ende des erſten Stücks.

1
Heſſiſche Beiträge
zur

Gelehrſamkeit
und

Kunſt.

a
3 w e ites Stúd .

Frankfurt am Mayn ,
ber Barrentrapp Sohn und . Wenner.
1 7 8 4.

SOS

0.
Erinnerung der Verleger.
iejenige Herren Gelehrte und Budbåndler, welche weitläuf
tige Plane, Proſpectus u . fur Befanntmachung in diefer
Blättern uns zuſenden , müſſen wir hierdurd erſuchen , folde in
einem furzen , und vor den Kleinen Raum diefer hierzu bestimma .
gen wenigen Seiten fa,icfliden Vuszug zu verwandlen, wenn ſie
anders wünſchen , daß wir einen zmedmäßigen Gebrauch da.
von machen ſollen. Wir dienen jedermann mit Vergnúgen,
nur muß es in dieſem Faft auf Koſten einer für uns núblidern
Zeitanwendung nicht verlangt, und uns ſelbft dieſe Arbeit zu
gemuthet werden .

Ankündigungen ,
I.. Herr Hauptmann Sinnich in Collel will einen Sheil feines
Tagbuds, das er währenddes lettern Kriegs in Umerica ge.
führt hat , unter dem Titel : Beiträge zur Gefdiote des
Americanifchen Rrirge mit Plan und Charten , auf
Subfeription bercusgeben . Sie follen dem Publico War
heiten in ihrem lichte darſtellen , zu dem Ende groſſe Männer,
welde Hauptrotten in dieſem Kriege geſpielet haben , von
manden falſchen und nachtheiligen Urtheilen befreyen , und
Deutſchland náber und richtiger mit Land und Leuten in
America belannt maden.
Das ganze wird in mebrern Stúfen erſcheinen und jedes
Stück red für ſich ein ganzes ausmachen . 3. E. Campagne
des Sen. Home von 1776. Erpedition des Gen. Clintons
nad Charlestown nebſt Belagerung und Wegnahmeder Stadt
u. f.w. Der Preiß der Stúde wird, nad Verhältniß der
Menge und Güte der Planen perfdieden fenn, ſo wie aud der
Inhalt der Sticeron einander abrveiden werden , indem ei.
nige blos militariſch , einige politiſd , biſiorifd , philoſo ,
phifo fepn werden. Man iſt nicht gebunden auf das ganze
zu ſubfcribiren , ſondern fann mit jedem einzten Stück auf.
héren, nurmuß man dieſes lángſtens 4. Wochen nach Em .
pfang deſſelben erflaren . Die Subſcription bleibt bis fünf
tigen November offen.
1. Herr Bobn, Buchåndler in Hamburg, fúndigt eine neue
vermehrte und verbeſſerte Ausgabe von 4.2 Sabricius
Bibliotheca græco an , welche von Herrn Sofrath Sarles
in Erlangen , in Verbindung mehrerer berühmten Gelehrten ,
die in der Unfúndigung genenntwerden , beſorgt wird . Ei.
nige Mängel in derUnlage und Uusführung der erſtern Uud.
gaben ſollen abgeändert, und vorzüglid die ein halbes Jahr.
hundert hindurch gemachten neuen Entdeckungen indergan.
jen griechiſden Litteratur , neuen Ausgaben , Ueberſegungen
und Erläuterungen der Sqriftſteder forsfáltigſt angeführt
unddurd mefrere Ordnungund möglichfte Boukommen bent
Den Freunden der fitteratur und des Ulterthums ein braud .
bares Wert geliefert werden . Der Sert des Sabriz wir ?
Weiben , um teine Verwirrungen zu verurſachen , und mas
ale Berichtigungen , neue Entdeckungen , Verbeſſerungen ,
Bufáme, Beurtheilungen des Sdriftfeders und feiner Scrie
ten, bis auf unſere 3 iten fortgefeste litterariſche Anmerku ne
* gen u . dgl. benzufügen repn wird, fommt in Klammern eng
weder gleid nad dem Sert, oder in Anmerkungen unter den .
felben . Nur die Oerdichte der Musgaben wird umgeåndert,
chronologiſdo geftellit , jedod mit Rücfidhtauf Entftebungs,
art und Werth derſelben, und wird durchgängig fritif ſeno.
Der Ite Theil fou im tommenden Jahr 1785. erſcheineng
die übrigen aber unverzüglich bintereinander foigen. Saus
ber und dhon wird der Drud ; Median Quart das format
fenn. Der Preiß von einem Tbeile fann noch nicht beſtimmt
merden . Subſcribenten betommen aber das Wert auf jeden
Fad mohlfeiler. Diejenigen , welche Abdrúce auf Schreibe
papier verlangen , werden erſucht, långſtens bis Michaelis
dieſes Jabrs , ihre Numen einzugeben , denn auffer den ben
fteaten fouen nur wenig Eremplare auf dyrebpapier ga
brudt werden .
Uuf vorſtehende beide angefúndigte Bücher nebmen die
Verltger dieſes Beſtellungen an.
folgende Bücher findund
bey zudenſelben
baben .
neu fertig geworden
Senkenberg (Henr. Chr. L. B. de) Tractatus de jure primarum
precum regum germaniae imperatorumque indulto papali
haud indigente. 4. I. Rthlr. 4 ggr.
Hefs R P. Gerard) Prodomus monumentorum Guelficorum
leu catalogus abbatum imperialis monafterii Weingartenfis
a potentillimis illius nobiliffimae gentis principibus fundati,
infigniterque dotati & c, ex monumentis domeſticis , aliis.
que coaevis fcriptoribus collectus. 4.
Monumentorum Guelficorum pars hiſtorica, feu fcri.
ptores rerum guelficarum ex vetuftiffimis codicibus mem
branaceis eruti, plerique bactenus inediti, vel nuncprimum
ex Autographis exacte deſcripti,notisque criticis illuſtrati,
additis hinc inde diplomatibus , chartis donationum & c.
eum 4. tabulis aeri inciſis. 4 .

Dadftcbende Búder ſind in den merktio berunterge


Tegten Dreiffen bey den Verlegern zu baben .
Deumelburg , J. (. die Berge, welche nad dem Zeugniſſe der
Speil. Deſchichte durd grofe Segebenbuten mertrourdig go
worden ſind. 8. 2. 9.gr.
Capeller , M. A. Pilati Montis Hiſtoria in Pago Lucernenfi
Helvetiae fiti. 4. c. fig . 20. ggr.
Clerici, F. Libri Hagiographi V.T. Jobus , Davidis Pfalmi
&c. c. Comment. philolog, in omnes memoratos Libros &c.
fol. II . Vol. 5. Rthlr.
Enderlin , J. S. Cameralwiſſenſchaft nebſt einem Anhang von
der Polizen. 8. 2ter Theil. 8. ggr .
Fatio , D. J. Helvetiſch vernünftige Webemutter, oder grund.
lider linterricht, wie mit den Sawangern , Sebahrenden ,
Kindbetterinnen und neugebohrnen Kindern umzugeben . 4 .
mit Kupfern . 20. ggr.
Freuler, S. 3. Vade mecum juridicum , oder der ſich ſelbſt
rathende uovocat , wohlunterwieſene Beflagte, rechtsver ,
ftandige Conſulent und der nach den Redten gewiſſenhaft
(predende Ridler. 8. 4 Theile. 20.ggr.
Hottinger, 7. H. Typus ſtudioſi theologici, f . Methodus
ftudii theologici&c. 8. 2. ggr.
King , P. Hiſtoria fymboli Apoſtolici c . Obfervationibus ec
clefiafticis & criticis, ad fingulos ejus Articulos. 8. 5. ggr .
La Chenal Obſervationes botanico -medicae. 4. maj. - 1. agr.
Krapf, N. A. Naturſpiegel, worinn der Menſch vom erſten
Anblick ſeiner Werdung bis zu ſeinem Ausſchlus aus Mut.
terleib in einer dreyfachen Abbildung zu erſehen &c. fol.
m . Kupf. 6. ggr.
Marck, 9. Commentarius , in XII. Prophetas minores , feu
Analyſis exegetica qua hebraeus textus cum verfionibus
veteribus confertur , praemiſia praefat. D. Chr. M. Pfaff.
fol. II . Tomi. 4. Rihlr.
Raji, 7. Methodus Plantarum in qua notae caracteriſticae
exhibentur, quibus ftirpium tum lumma, tum infima co.
gnofcuntur & ex mutuo dignofcuntur accedit Methodus
Graminum Juncorum & cyperorum fpecialis. 8 4.9gr.
Sulzer , 7. C. Compendium Genefeos de Deuteronomii eum in
finem adornatum ut ope hujus Compendii tyrones linguae
hebreae brevi tempore & facilius & Geneſin & Deuterono.
mium ex hebraeo in latinum vertere poffint. Adjuncto
Vocabulario Geneſeos ac Deuteronomii. 8. 2. ggr,
Unterricht von der ſich einidlechenden Hornviehreude, darins
nen gelehret wird i) worinnen fie beſlebe, 2 ) wie ihr móg.
lidt porzubauen und 3) wie des franken Viebes zu pflegen
ſeve, nebſt einem Unbang vom Urſprung und Vertreibung
der Kornwürmer, avdo núßlichem Unterricht Korn aufzufchút.
ten und zu bewahren. 8. 1. ggr.
Witfii, H. Judaeos Chriſtianizans circa principia fidei &
S..S. trinitatem . 4. 8. ggr.
Bindels, L. XII. Predigten über wichtige Steden der Heil.
Sdrift. 4. 3. Agt.
Df

mi
C.

on

70e !

4.
67
et :
aft
us
Heſſiſche Beiträge.
3 weites Stů d .
1.
1

3 nbalt
des - zweiten Stůds.

1. Ueber die Vereinigung der Segenerven ; von Herrn


Profeſſor Sommering,
II. Geſciebte bek
II. Geſchichte des Brodbaums; von Herrn G.
Forfter
111. Fortſeßung der Prüfung von Herrn Prof. Kants
Sedanken über die Natur der Metaphyſik ; von
Herrn Profeffor Siedemann.
IV . Zur Geſchichte der Buchdruder - Privilegien ; von
ebendemſelben .
V. Pulkaniſches Geburge in der Gegend box Bußbach ;
von Herrn Kammerratý Klipſtein zu Darms
ſtadt.
VI. Ueber Rudolphs Dienftmann zu Montfort epiſches
Gedicht Wilhelm von Brabant ; von Herrn
Rath Ca ( parfon.
VII. Beitrag zur Geſchichte der Aufwandsgeſeße ;. von
Herrn Profeſſor Runde.
VIII. Ueber den Kartoffelbau ; eine Preisſchrift von
Herrn Kammerſecretair Sdneider zu Mers
ſeburg.
IX . Beiträge zur Mineralogie aus einigen in Seffen ges
fammelten Beobachtungen ; von Herrn Profeſs
for Minch . 1

X Serrn Hofopticus Stolz Preisverzeichnis der von


ihm perfertigten Inftrumente,
XI.
Inhalt.
XI. Anzeigen neuer Bücher undSchriften.
1. Teutſche Encyclopádie. *Achter Band.
2. Geſchichte der Koſtnißer Kirchenverſammlung von
Royło. Th. I und 2.
3. Robert progr. de diſtinctionc inter facrilegium fimplex et
qualificatum .
4. Schreiben eines Elbingers úber die Danziger Streitig
feit mit dem König von Preuſſen . Herausgegeben
pon Dohm.
5. Tabula genealogico - chronologica imperatorum romano
rum et rcgum Germaniae.
6 Benedikt von Spinoza , nach Leben und Lehren ;
pon Diego
g . 37. Pleffing von der Nothwendigkeit des Uebels.
8. Cicero von den Pflichten ; überfekt von Garve.
9. Pfiris und Sofrates ; bon preſſing.
Io . Búfchings Beiträge zur Lebensgeſchichte denkwürdiger
Perſonen.
II. Dio Caffius , überſekt von Wagner. Erſter Banb .
12. Herodots Geſchichte; erſter Band. Uiberfekt von
Degen.
1913. Plinius Naturgeſchichte , úberfest von Große.
Vierter Band. fre
--14 . Briefe eines Reiſenden von Pyrmont, H. r. o .
XII. Kurze -gelehrte Nachricten ,

โda
To
Me
bleib

Herfiſche is
Heſſiſche Beiträge
zur Gelehrfamkeit und Kunſt.
Zweites Stück.
8

I.
Ueber die Vereinigung der Sehenerven.
mid über die Veränderung , die eini zuſammenges
Umifallenes oder ausgelaufenes Auge ſowohl an ſich als
insbeſondere an ſeinen Nerven erleideť , durch die Natur
felbſt zu belehren , unterſuchte ich den 17 ten Upril vorigen
Jahrs den ganz friſchen Kopf eines Eichhörnchens, deſ
fen linkes Auge aus mir unbekannter Urſache durch dent
Staar ganz verdorben war. ( Ich Kabe nicht leicht ein
zahmeres Thier geſehen , und vielleicht trug dazu ſeine
Einåugigkeit etrvas mit bei ; wenn es von andern Thieren
verfolgt wurde , filoh es in den Buſen ſelbſt ihm gang
fremder Menſchen .) Das rechte Auge hingegen ſchien
vollkommen geſund, und alſo um ſo mehr zu einer Vers
gleichung mit dem Franken geſchickt. Ich nahm mit aller
Sorgfalt auf die gewöhnliche Art Bas Gehirn aus ſeiner
Kapſel, und gab mir beſonders Mühe , die Sehenterven ,
da wo ſie aus dem Gehirn in die Augenhåle übergehen ,
To zu zerſchneiden , daß die kleinen Reſte , die bei dieſer
Methode dasGehirn von ſeiner Schaale zu trennen übrig
bleiben , ſo viel nur möglich ihre nátúrliche {age , Geſtalt
und Durchſchnitt behielten .
Sen.Beitr. St. IL. leidy
186 I. Ueber die Vereinigung
Gleich beim erſten Blick auf die Grundfläche des Sje
Hirns fand auch das ungeübteſte Auge einen ſehr merklichen
Unterſchied der Dicke, Geſtalt und Farbe zwiſchen den Ses
Henerven des ſchadhaften und des gefunden Auges ; der
Nerve des geſunden Auges war um ein gutes Theil in Vers
gleichung mit dem kranken ſtårker , runder und weiſſer ;
der Nerve des Franken Augs mehr oval , platt , reine durchs
ſchnittene Area überhaupt kleiner und ſchwarzlich grau
von Farbe.
Es iſt bekannt, daß auch andere Zergliederer bei ihns
lichen Augenfehlern am Menſchen eine gleiche Beſchaffenheit
und Veränderung an dem Sehenerven des kranken Uugs,
doch nur bis an die Stelle gefunden haben , wo dieſe
Nerven , die ihnen unter allen Nervenpaaren des ganzen
menſchlichen Körpers ganz allein eigne merkwürdige Vereis
nigung bilden.
Meine Verwunderung und Freude war alſo um fo
grófer, als ich gewahr warb, daß eben dieſer auffallende
Unterſchied zwiſchen dem Sehnerven des geſunden und des
Franken Augs , in einem ſo kleinen Gehirne ( es wog I.
Drachme 37. Gran ) noch jenſeit der Union eben ſo deuts
lich wahrgenommen werden konnte; und was zeigte ſich
nun ? Difenbar verlohr ſich der Nerve des linken frans
ken Augs hinter der Union aufwärts nach dem Gehirn zu
an dem entgegengeſeßten rechten Sehehúgel ; der geſunde,
ſoone rechte Nerve hingegen verſchwand gleichfaus , ſo wie
er ſich um die markigten Fortſäße des groſen Gehirns Tchlägt
aumahlig am entgegengeſeßten linken Sehenervenhügel.
Eine ſo augenſcheinliche Durchkreuzung der Seheners
ven , die niemand , meines Wiſſens, an einem warmblu
tigen Thiere beobachtet, wenigſtens nicht beſchrieben hat,
machte mich aufmerkſam und nachdenkend.
Indeſſen
der Sehenerven. 187
Indeſſen unterſuchte ich auch die Herausgenommenen
Augápfel, und fand im Kranken eine ganz undurchſichtige,
kreidenweiſſe, hornichte, gleichſam wiegekochte linſe, in
einer ebenfalls widernatürlich ſehr verhárteten und zugleich
verwickelten Kapſel. Das Stück des Sehenerven das an
dieſem Augapfel hieng , zeigte mit dem geſunden zuſammens
gehalten , oben angemerkte Verſchiedenheiten in gleichem
Grade. Viedeicht werden manche darüber vorzüglich ers
ftaunent, daß ſogar das Loch im Flügelbeine, wodurch der
tranfe Sehenerve gieng , merklich kleiner war , als das
andere für den geſunden .
Jedermann kann dieſes merkwürdige Gehirn, in ſtare
kem Weingeift aufgehoben , und den Schadel getrocknet
in meiner Sammlung anatomiſcher Vorrathsſaden , zu
ſeiner Ueberzeugung betracten.

Der natürlichſte Gedanke war , zu unterſuchen , ob


bei megreren größern Thieren , in Ermangelung eines eins
åugigen menſdlichen Leichnams, in aßnlichen Augenſchaden
ſich dieſe Durchkreuzung auch ſo deutlich wahrnehmen lieſſe,
oder ob ſich das Gegentheil, oder auch wohl gar nichts bes
ſtimmtes zeigen würde. Einem Thiere ein Auge auszuſtes
dhen , und es dann eine Zeitlang fortleben zu laſſen , fand
id theils zu grauſam , theils felbft in Anſehung eines glücks
lichen Erfolgs ju inißlich. Ich hielt daher fürs beſte,
Pferðe oder andre Thierkópfe zu beſtellen , und bald ergielt
ich auch, den 8. Mai, einen noch warmen Pferdekopf
deffen rechtes Auge ( beim Eichhörnchen wars das linke )
klein und eingefallen , das linke aber ken und geſund war.
Den Augenblick ward die Unterſuchung vorgenommen und
damit ich nicht nöthig Håtte die Sehenervenzu durchſchnei
den , ſondern ſie auf einen Blick in ihrer ganzen Lange
åberſehen und zu gleicher Zeitdie Augapfel felbſtuntereins
ander vergleichen könnte,bediente ich mich zur Enthugung
Na des
188 I. Ueber die Vereinigung
1
des Gehirns.der Methode des Varolius, das heißt : nado
ganzlich weggenommener Unterfinnlade, zerſtörte ich durch
ſagen , meiſſeln u. ſ. w. den untern Theil der Gehirnkapſel'.
und Uugenhålen , und erhielt auf dieſem beſchwerlichen
>
Wege das ganze Gehirn vodkommen in ſeine Bedeckungen
eingehuut, mit daran hängenden Augen . Schon im meiſ
Teln bemerkte ich , daß der Kanal , durch den der Franke
Sehenerve in die Augenhöle tritt (denn bei Pferden iſt ein
förmlicher Kanal , kein bloſſes (och ) weit enger war , folga
1 tich einen ſchwachern Nerven enthielt, als auf der geſunden
Seite ; nachdem die Haute , die das Gehirn einſchlieſſen,
behutſam zerſchnitten waren , nahm man es heraus , 'und
fand nach ſo viel als nöthig weggenommenem Gehirndecken
und von der feſten Hirnhaut abſtammenden Scheiden für
die Sehnerven , den Nerven des kranken Augs , von dem
Punkte der Vereinigung mit dem andern an, bis an ſeinen
Eintritt in den Augapfel gerechnet :

1 ) um einige Linien , folglich betrachtlich kürzer als


den geſunden ,

2) Dem Augenſcheinnach zu urtheilen, um wenigſtens


die Hälfte dủnner , aber übrigens ſo wie den gefunden , durcha
aus in ſeiner ganzen Långe von gleicher Dicke und Geſtalt.
3) Nicht ſo weið , ſondern mehr ins Hſchgraue fals
lend , wie halb durchſichtig . Dieſen Umſtand kann man
nur in ganz friſchem Zuſtande gewahr werden , wenigſtens
im Weingeiſt verliert ſich dieſer Unterſchied des geſunden
vom franken .

4 ) Etwas hårter , gleichſam halb knorpelartig.


5 ) Hieng der Franke Nerve feſter an ſeiner Scheide
von der Garten Hirnhaut,
Jenſeit
}

der Sehenerven. 189


Jenſeit der Vereinigung aber mit dem linken , zeichs
neten die vier erſten ſehr auffallenden Verſchiedenheiten
nicht mehr den rechten , ſondern den entgegengeſekten Ners
ven , der ſich in den linken Sehhügel verliert , aus.
Folglich iſt die Vereinigung der Sehnerven in dem
Pferd wie beim Eichhörnchen eine wahre Durchkreuzung.
Der Franke Augapfel ſelbſt war in allen ſeinen Theilen
zuſammengeſchrumpft, faltigt und hatte Faum den vierteu
Theil der Gréſe des geſunden ; auch der Umfang der Horns
haut war viel geringer. Dieſes Stück haben mehrere Ren:
ner und liebhabeč in meiner Sammlung von Gehirnen
ganz vollkommen erhalten geſehen . Es erläutert die Saz
che um deſto úberzeugender und augenſcheinlicher, je mehr
es an Gröſe das aus dem Eichhörnchen übertrift.
Einen gleichen Pferdekopf unterſuchte ich auf die nám:
liche Art, fand das nämliche und gab das Gehirn daher mei
nem Freunde Hrn .Prof. Blumenbach in Göttingen ,um
eine Thatſache von ſolcher Wichtigkeit durch das Zeugnis
eines To angeſehenen Mannes beſtåttigen zu können .
?
An dieſem Kopfe fand ich ſogar , daß der Franke Nerve
vorwärts mit einem Streifen , der ſich durch ſeine graue
etwas durchſichtige Beſchaffenheit leicht von der geſunden
milchweiſen Marie des andern unterſchied , über den andern
ununterbrochen fortlief , und folglich die Durchkreuzung
vollkommen berpies .

Ich mache dieſe Beobachtung um ſo früher bekannt,


um andere Zergliederer aufzumuntern , bei vorkommenden
Gelegenheiten ár nliche Fåde im Menſchen genau zu unters
ſuchen, da ein Morgagni ſelbſt hierin nicht glúcklich war.
Die Wahrheit , daß auch im natürlichen Zuſtande
fich die Sehenerven in einigen Thieren, durchkreuzen ſcheint
N3 mir
5
190 1. Ueber die Vereinigung
mir noch überzeugender, als aus den drei vorhergehenden ,
aus folgender Beobachtung , die für zwei gelten könnte zu
erheden.
Den 19ten Februar dieſes Jahrs ſchickte mir ein
adelicher Herr vom Lande , der ich hier meine öffentliche
Dankſagung abſtatte , zwei an den Kopfen aneinander
gerpachſene, noch unausgetragene Ferken zu.
Im duſſern Anſehen kamen ſie mit der Figur der
von Rollin ganz gut gezeichneten Mißgeburteinigermaſen
überein ; die Hauptverwachſung war an den Rúſein. Von
auffen zeigten ſich daher nur drei Augen , wovon zwei dem
linken Ferken , das dritte dem Redten gehörte , Dhren was
ren zwar vier da , aber die beiden innern , nämlich das
linke des rechten Ferkend und das rechte des linken waren in
eins zuſammmengefloſſen.
Ich ofnete den Schadel des linken Ferken zuerſt, und 1

fand das Gehirn in noch vollkommen friſchem und guten 1


Zuſtande. Nachdem daſſelbe mit möglichſter Behutſams
keit herausgenommen war, ſah inan , daß jeder Kopf rein
eignes ganz abgeſondertes Gehirn hatte ; nur die knóchers
nen Gehirnkapſeln waren nach innen zu ſo zuſammenges
floſſen , daß ſie nur eine feine für beide gemeinſchaftliche
Knochenwand bildeten.
Ade Nerven der rechten oder innern Seite , ( oder
derjenigen , die mit dem andern Kopf zuſammengewachſen
war) (dienen kleiner und fo auch der Sehenerve ; denn
obgleich das rechte Auge ſonſt ziemlich geſund ſchien , war
es doch kleiner , weil ſeine Knochenhåle (orbita) wie etwas
zuſammengepreßt ausſah. Dieſer Nervé des leidenden
rechten Augs nun gieng, nachdem er ſich mit dem Nerven : '
des geſunden linken Yugs vereinigt hatte , auf die entges
gengeſeßte, das iſt die linke Seite ins Gehirn , wo er ſich
Duro ſeine Dünne auszeichnete; und ſo der geſunde linke
in
der Sehenerven. 191
in die rechte Gehirnhälfte. Uebrigens war der Boden der
Gehirngóle ein wenig gekrümmt, die Seite nach innen
bildete den kleinern , die nach auſſen den gråſern Boger ,
und dem gemás hauptſächlich wegen der kleinern Augenhole,
der in ihr liegenden Theile waren auch der dritte , vierte,
fünfte und ſechste Nerve , auf der rechten Seite kleiner
als auf der linken .
Nun zum Kopf des rechten Ferkens. Hier war auf
der innere oder linken Seite keine Zugenhåle , keine Spur
vom Aug oder ſeinen Theilen , ſondern alles durch flachen
· Knochen glatt weg verfoloſſen ; das rechte Aug hingegen
war ſchon und geſund. Indem ich das Gehirn herauss
nahm und nach zerſchnittenem Geruchnerven zum Sehener
ven kam , ſah ich , daß dieSpinnwebenhaut ein blindes leeres
Säckchen , ſtatt eines Nerven bildete, das in der Gegend
des Foraminis der Seite wo kein Uug war , angeheftet
ſchien , auf der andern Seite befand ſich ein vodkominnet
Sebenerve." Nody ſieht man an dieſem Gehirn im Weins
geiſt , das dritte , vierte, fünfte und rechste Nervenpaar
auf der Seite , wo das Auge fehlte , ohne allen Vergleich
ſchwacher als auf der andern , ſelbſt der Geruchnerve iſt
viel kleiner und das Gehirn noch Frůmmer als das andre;
bis an die Stelle der Union war, auf der Seite des Sacks
chen wenig oder nichts von einem Sehenerven zu finden,
jenſeit desſelben aber ſieht man auf der entgegengeſekten ,
oder der Seite des geſunden Augs auf den Cruribus
Cerebri ein feines flaches Streifchen , To vermuthlid) den
Urſprung des Sehenerven des mangelnden Augs vorſtellen
ſollte, hingegen der Sehenerve der vom geſunden Auge
kam , geht ſtark und dick auf die Seite des Gehirns, mo
kein Auge mar , folglich kann man keinen ſtarkern , von
der Natur ohneKunſt und dargebotenen Beweis der Durch
kreuzung der Sehenernen verlangen ; denn in dieſem Fall
wenigſtens erblickt man gleichſam wie die Natur die ſtamina.
N 4 des ,
192 1. Ueber die Vereinigung
des Sehenervens deß rechten Auges in die linke Seite des
Gehirns einpflanzt.
Vielleicht find einige nähere Betrachtungen dieſer Fåge
den häufigen Liebhabern , Kennern und Beförderer der
Naturs und Menſchenkenntniß in unſerm Vaterlande nicht
unangenehm , da Naturgeſchichte zur Ehre unſres Jahr
hunderts aus allen Theilen der Welt , die gewünſchteſten
Aufſchlüſſe erhält , und in unſern Tagen durch ihren eig
nen Reiz alle Stände von Bürgern , ſelbſt das ſchöne Gjes
ſchlecht ſo ſehr anzieht , daß ſie kaum noch zu mehrerer
Empfehlung, der unglaublichen Mühe, des Meiſterblickes
und des Spornø eines Linné , der einnehmenden Sprache
Búffons , des Scharfſinns Campers , des Genies der
Forſter , der Gelehrſamkeit Blumenbachs und der
pereinten Lobſprüche ſo vieler würdigen Zeitgenoſſen bedarf,
Wie willkommen eine ſolche Periode denen iſt , die
nicht bloß auf dem Neuſſern des Körpers ſtehen bleiben,
ſondern ſo tief nur unſere Sinnen zu kommen erlauben ,
das fünftliche Gebäude deſſelben durchſuchen und zerlegen,
þat långſt, wenn man ja noch nach einer Authoritåt fich ums
ſehen mußte , Herr von Haller bewieſen ; aus Herzlicher
Dankbarkeit dienen denn wiederum Zergliederer denen, die
für ſie Gegenſtände der Unterſuchung zuſammenbringen.
Man hebt immer mehr und mehr die kurzſichtige Eins
fchränkung einer Wiffenſchaft in unnatürliche Grenzen auf,
und gönnt ihr freundſchaftliches licht , von denen die ihr
perwandt ſind. Man entdeckt neue Glieder der Verkettung
menſchlicher Kenntniſſe, und erweitert das Reid der Wahrs
Heiten . Man hindert nicht mehr wie in den dunkeln
Jahrhunderten unſrer Vorfahren , wo das eiſerne Goch
des unbarmherzigen Aberglaubens die Vernunft drückte,
daß ſich Wahrheiten mit Wahrheiten immer feſter zu erna
fter Vertilgung der Gerthümer verbinden,
Der
der Sehenerven. 193
Der Phyſiolog darf ungeſcheut, Thiere nach Gefal
len künſtlich erzeugen ,Heilſame und giftige Säfte in ihre
Adern von auſſen treiben , belebte Thiere abſichtlich vers
ſtümmeln , iſnen Cheile und Glieder rauben . Er darf
ſich recht angelegen ſeyn laſſen , zu erforſchen , wie am ouns
fehlbarſten Krankheiten nicht blos Thieren , nein , dem
Menſchen ſelbſt, mitgetheiltwerden können ; wenn er will,
gar die Seele für körperlich halten , den Mohren für einen
Baftard von Menſchen und Thieren , und umgekehrt den
Affen für unſern Halbbruder erklären ; fich in höhere
Juftregionen der Natur zum Troß, die ihm Flügel und
ein hohles federleichtes Knochengerüſte verſagte, begeben;
und um ſeine Brüder vom Tode zu retten , wohl gar das
Feuer dem Himmel entreiſſen . Er darf auf ewig ohne feia
nen Beiſtand leblus bleibende Thiere wieder begeiſtern ;
fie , wenn er iſnen ohne Beiſeyn oder den Willen eines
Vaters das Leben gab, nach Gefallen auch zum zweitenmal
ins Leben zurückrufen. Er darf ſich erkühnen einen Blick
in die Vorwelt zu werfen , aus Gerippen die vielleicht ſchon
vor Erſchaffung ſeines Geſchlechts begraben lagen , Thiers,
geſtalten zu errathen , welche die Natur dem jezigen Mens
fchen verbarg, ja gar das Alter ſeiner Welt zu entziffern .,
Niemand , wenigſtens keiner , der mit Einſicht von
dieſen Sachen zu urtheilen vermag , behauptet mehr, daß
dieſes unerlaubt , unanſtändig , grauſam , unmoraliſco,
unmenſchlich , gottesvergeſſen wäre.

Sehr wahrſcheinlich iſt es wohl , daß wenn einſt über


den verwickelten Bau des Gehirns Aufſchlüſſe erfolgen ſols
len , dies größtentheils mit Hülfe der Naturgeſchichte mirð
geſche müſſe . DU Zergli H nd in
Handhemit n
n Kenntniß ederuEigenheiten aſcheinen
der thieriſchen ngsku
im Stande zu feyn uns über das delikateſte nde Organ deç
Denkungskraft deutlichere Begriffe zu verſchaffen.
N 5 Man

)
194 1. Ueber die Vereinigung
Man ſollte, wenn mart, wenigſtens von den Haupt
geſchlechtern der Thiere Gehirne mit Genauigkeit unter:
ſucht, und in der Vergleichung eines Geſchlechts mit dem
andern beſtandig weſentliche Verſchiedenheiten in den ein
zelnen Theilen derſelben angetroffen hat, ſorgfältig ucht
geben , ob eben dieſe in jedem Individuo eines Geſchlechts
beſtändigen Abweichungen der einzelnen Theile ſeines Ge
Hirns einigen Bezug auf ſeine Lebensart , Natur oder
Kunſttriebe verrathen , und ob, in Anſehung der Wurs
kungen des Gehirns verwandte Thiere , audy im mates
rieden Bau deſſelben ſich nähern.
Leicht iſt nun freilich dieſe Unterſuchung nicht, aber
doch auch für den vereinten Fleiß megrerer Unterſucher
nicht unausführbar. Ift das Auge einmal geübt , ſo faßt
es Verſchiedenheiten beim erſten Blick, die einem Unerfahr
nen oft mit ader Müße nicht begreiflich gu maden ſtehen.
Chedem überredete man ſich , das Gehirn der Thiere
rei gleichſam ein menſchliches, nur nach einem verjüngten
Maasſtabe geformt , und folglich beide bis auf die Gróre fich
einander vollkommen ähnlich ; adein man darf nur das 11

Gehirn zweier Thiere , aus zwei verſchiedenen Geſchlech


tern betrachten , ſo wird man ohne Schmúrigkeit finden ,
daß fie ſowohl vom menſchlichen - als von einander ſelbft
leicht zu unterſcheiden ſind.

Erfahrung hat mich hinlanglich belehrt, daß obſchon


das Gehirn einer Kaße dem einer andern Kaße vollkorn
+
men ähnlich iſt, es dennoch ſchon ſehr deutlich und ſicher
von einem Hundegehirn abweicht. Doch hier iſt noch viel
zu thun úbrig ; ſchade nur , daß man Gelegenheiten merks
würdige Thiere , über dieſen Theil zu unterſuchen hin und
wieder, š. B. zu Paris nicht ſo benußt hat, als es dieſe
Lehre erfordert.
Rein
der Sebenerbert 2 195
Kein Tchwacheres licht zu dieſen Unterſuchungen
mag man zu der ſorgfältigen Betrachtung einzelner durch
kránfliche Umſtånde in ſich ſelbſt veränderten Theile des
Gehirns erwarten . Die vor uns liegende Fåde hievon
ſind der auffallendſte Beweis !
Nachdem ich bereits dieſe Bemerkungen aufgezeichnet 1

hatte, verglich ich nochmals die Verbindung der Sehener


ven geſunder Thiergehirne mit obigen Präparaten , unb
mußte mich beinahe wundern , daß eben nicht flüchtig
angeſehen - es ſcheinet, als habe im natürlichen Zus
ſtande eher einigermaßen das Gegentheil ftatt , und als
waren die Sehenerven nur aneinander gebracht, in einen
ſtumpfen Winkel gebogen , und zuſammengeheftet, damit
jeder Nerve auf ſeiner Seite bleiben fönne. Schwerlich
würde man von dem äuſſern Unſehen im geſunden Gehirn
auf eine Durchkreuzung ſchlieſſen , ſelbſt eine vorfidtige
Spaltung dieſer- Nervenknüpfung zeigt noch nicht einmal
innerhalb etwas , ſo eine Durchkreuzung verriethe. Daß
ich mich kurz ausdrücke, man ſollte glauben , fle giengen
mehr an- als freuzweis über- oder ,durcheinander. Rein
Wunder alſo, daß eine nur im Kranken Zuſtandeſo ſichtbare
Durchkreuzung bis jezt unentdeckt blieb !
Daß die ſorgfältige Betrachtung von Mißgeburten
in Anſehung des Gehirns, nicht als bloſe Seltenheit,
fondern zum augenſcheinlichſten Nußen für die Phyſiologie
in dieſer Lehre angewendet werden konne, wird ohne mein
Erinnern wahrſcheinlich jeder Leſer aus eben gemachter Ans
merkung folgern , um ſo mehr , da Verunſtaltung einer
Mißgeburt im Grunde oft für nichts als eine Krankheit
gehalten werden muß.
Jó komme zu der uns am meiſten intereſſirenden
Frage: Wie dieſe Verknüpfung der Sehenerven ſich im
Men
196 1. Ueber die Vereinigung
Menſchen verhalte ? So wenig deutlich , daß einigeTogar,
1 j. B. Vieuſiens , behaupteten , ſie geſcabe durch ein das
zwiſchen eintretendes Stückchen , oder ſie ſtellten in ihrer
Vereinigung ein H vor. Im Ganzen ifi es die allgemeine
Meinung, dieſer Punkt ſei noch nicht entſchieden ; die noch
am dreiſteſten in ihren Behauptungen ſind, als Winſlow ,
Mathei und ganz neuerlich Hr. Monro , nehmen hoch
ftens eine Durchfreuzung, die nur zum Theil geſchahe an, die
ſie meines Bedúnkens aber doch mehr errathen , als beweis .
ſen. Gegen u. MatheiBeobachtungen überhaupt, muß
ich geſtehen , die größten Zweifel zu hegen , weil er, ſo wie
einige neuere nicht unbekannte Zergliederer , Dinge anges
merkt, die er wahrſcheinlich niemals unterſucht, vielmenis
ger jemals gefunden hat.
Selbſt bin ich noch nicht ſo glücklich geweſen , unter
ein und ſiebenzig Europäern und drei Mohrengehirnen , die
ich ſelbſt unterſucht habe , ein Gehirn von einem Einåugig
ten zu erhalten , und würde daher denenjenigen , die mir
dieſen Fall ſelbſt nur zu ſehen Gelegenheit verſchaffen könn
ten , den verbindlichſten Dank willen.
Bis jezt iſt freilich wenig Hoffnung , daß mit gleicher
Deutlichkeit das Gehirn eines einaugigten Menſchen dieſe
Frage entſcheiden werde, da Morgagni ſelbſt ſich hiers
ůber keine Befriedigung verſchaffen konnte. Dieſer groſe
Zergliederer unſers Jahrhunderts , der an erſtaunender,
Menge , mit Richtigkeit und Feinheit aufgezeichneter eigner
anatomiſchen Beobachtungen in keinem Zeitalter ſeines gleiz
chen gehabthat, und deſſen erſtaunende Beleſenheit und
Gedächtniß ſelbſt Herr von Haller bewunderte , unter
ſuchte Techsmal, wenn man die Beobachtung an einem
Hunde mitrechnet, abſichtlich ſolche Fåde mit größter Ges
nauigkeit, juſt um dieſe Frage überdie Durchkreuzung zu
entſcheiden , giebt uns aber das Reſultat ; bis an die Steder
de
7

der Sehenerven. 197


der Verbindung Habe vom Augapfel an die augenſcheins
lidſte Verſchiedenheit zwiſdhen den Nerven des geſunden
und des Franken Augs ſtatt gefunden , ſo bald ſie ſich aber
vereinigten , und weiter hin ins Gehirn hinauf, wäre
ferner Feine Spur irgend eines Unterſchiedes zu entdecken
geweſen.
In Viro ( ſagt er S. 100. n . 8. de fedibus et cauf
fis morborum der venetianiſchen Ausgabe ) qui altero
captus fuit oculo, - cum finifter oculus effet fanus;
dextri qui peflime ſe habebat , palpebræ nullum uf
quam , ut neque ulla pars faciei et reliqui capitis,
prægreſſi olim vulneris aut ulceris veftigium often
debant: plurima autem in orbita , ut ſolet , erat
pinguedo, cum mufculis, pallidis illis quidem , fed
minime ftrigoſis aut extenuatis. Oculus vero in ſe
contractus, minor erat vel plus dimidio quam fini.
fter, facies illius anterior alba, fine ullo corneæ ve
ftigio , fic in tres parvas prominentias erat diviſa,
quafi olim trifariam ſecta fuiſſet, et reliquum oculi
ambitum , imo multo maximam fubftantiæ oculi
partem faciebat tunica fcerotica , durior et craffior,
quam ſolet, quippe in ſe contracta. Hæc contractam
pariter Choroidem concludebat quæ etiam tum erat
humida nihil autem præterea ; ut reliquæ omnes
tunicæ cum humoribus cunctis olim penitus ab
ſumptæ expreffæve viderentur. Nervis interea tum
in utraque orbita , tum intra calvariam retectis ,
cum inter oculorum motores nullum appareret dis
crimen ; maximum interOpticos ftatim ſe prodidit.
Cum enim finifter non ſecus ac ſuus oculus, eſſet
ſaniſſimus ; dexter magnum ad tractum cinereus
erat ac extenuatus. Et primum quidem ab oculo
ad transverfi digiti latitudinem , aut paulo amplius,
nihil ſubſtantiæ nerveæ continebat , fed humorem
dun
198 1. Ueber die Vereinigung
duntaxat cinereum , turbidum , lentum craſſiculum ;
quo levi preſſione expreſſo , inanis ſedes relinque
batur; ut tunicæ non jam nervi , ſed canalis alicujus
effe viderentur; -erant autem factæ craffiores.
Inde vero continere incipiebant ſubftantiam fic fatis
firmam , fed cinerei coloris: quem colorem intus,
extraque , et cum eo manifeftamgracilitatem nervus
fervabat illuc uſque ut proxime abeſſet ab ea fede
ubi cùm finiftro conjungebatur. Repente autem
omne inter utrumque nervum evaneſcebat diſcrimen
ut dexter finiſtri perſimilis jam eſſetintus extraque
antequam eam ſedem attingeret. In ea vero ; non
modo fupra ad originem uſque; five exteriora dili.
genter inſpiceres five accurate diſſecando nerveam
fubftantiam tum quæ nervum utrumque jungebat,
tum quæ fingulos efficiebat attentiffime contuereris;
nihil erat prorſus quod non meinon modo qui ſeca
bam ſed et eorum omnium qui aderant judicium fuit.
Und n. 9 : Nervum opticum finiftrum affectum 1
graciliorem vidi dextero etcum inciderem ex fub
Itantia magis compacta , et ſubfuſca fuit tum in orbita
tum intra cranium ; cum dexter nervus craffitudine, 4

albedine, fubftantiæ modo ſecundum naturam omni 1

no ſe haberet. Verum id diſcrimen uſque ad con


junctionem durabat. In hac autem , et ſupra ipſam ,
quocunque ratione inquireres , nihil nifi fanum
atraque pariter ex parte conſpici poterat.
Quid aliud hic dicam niſi minus felices mihi
quam ceteris , obvenifle occaſiones iterandi obfer
vationes Vefalii ? Ter fi canem adjicias, quæfivi;
nunquam in conjunctione opticorum nervorum , ne
dum ultra banc ullum invenire diſcrimen licuit :
quod
der Sehenerven. 199
quod ut infra ipſam præclare vidimuscur etſupra,
fuiſſet non agnofcere potuiſemus? & c. & c.
Ein gleichesReſultat gab die Beobachtung die er Lib,
2. Ep. 52. Art. 30. p. 308. anführt ( dieß iſt eine von
den zwei gedachten ). Umgekehrt hingegen L.4. Ep. 56.
Art.21.S.351. Hier fand er námlich dieUrſprüngedes
Sehenerbens bis an die Union verdorben , diefſeits der
Verbindung aber bis an die Augen beide geſund ; die Pers
ſon fol auch nicht blind geweſen ſeyn.
Und nochmals ſagt er daſſelbe L. 5. Epift. 63. Art. 6 .
p. 414. welches die andre Beobachtung von den zwei obges
dachten iſt. Id mußte dieſe ihren Meiſter verrathende
Stellen wörtlich herſeßen . Vielleicht würde fich mancher
etwas zu gute thun , was ein Morgagni an Menſchen
und Hunde nicht deutlich finden konnte , zu einer unums
fóßlichen 3 batſache an drei ganz verſchiedenen Thierges
ſchlechtern , und das zu wiederholtenmalen feſtgelegt zu has
ben , allein das Vergnügen , das die Wahrheit gewahrt,
iſt mir überflüſſige Belohnung.
Indeſſen iſt meine Meinung nicht, aus dieſen Wahra
nehmungen poſitiv beweiſen zu wollen , daß au im Mens
ſchen oder andern Thieren ſich die Sehenerven durchkreuzen,
ſondern ich begnüge mich vorißt , dargethan zu haben , daß
dieſes beim Pferde , Schwein und Eidhörnchen der Fall
ſey. Ob ſie nun gleich nicht zum unmittelbaren Beweiſe,
daß ſich die Sehenerven auch im Menſchen durchkreuzen ,
gebraucht werden dürfen , ſo leiten ſie dennoch auf dieſe
Vermuthung , vorzüglich wenn man zu gleicher Zeit auf
Erſcheinungen in Krankheiten Rückſidt nimmt. Bons
net in ſeinem Sepulchreto Lib. I. Sect. 18. Obf. 29.
S. 340. gedenkt eines Falls , wo das rechte Auge von
einem in der linken Sehirngóle entſtandenen Abſces
ſchmerzte ;
-200 I. Ueber die Vereinigung
Ichmerzte ; und mein groſer Gönner Hr. Prof. Samper ,
dem ich meine Beobachtungen meldete, ſchrieb mir : Quæ
de nervis opticis - - notafti, mihi valde placent,
neſcio utrum in homine decuſſatio detur, memini
meAmſtelod. vidiſſe juvenem , cujus dura meninx
lateris finiftri ex cranii fractura erat nuda , cujus
oculus ſiniſter cæcus evadebat exfortiori, licet non
doloroſa compreſſione.
Kreuzen ſich etwan går alle Nerven im Gehirn ? Wia
man Beobachtungen, wo bei beträchtlicher Verlegung einer
Seite des Gehirns die Empfindung des Schmerzes auf der
entgegengeſekten Seite geweſen, als Beweisgründe für dieſe
Vermuthung gelten laſſen , ſo kann man ſehr bewährte
Schriftſter anführen , die dergleichen Fåde aufgezeichnet has
ben , als : Hippokrates , Aretaus , Celſius , mala
ſa , Berengarius , Dodonáus , Reiſele Fabris
cius von Hilden, Smetius, Poupart, Chirac,
Bortholinus , Will de Saliceto , Dulaurens ,
Bellonius , Horft , Tulpius , Diemerbroof ,
Bonnet , Valſalva , Petit , Garengeot , Sabas
tier , Goochi ; und ganz neuerlich Herr Hofrath Richs
ter , der einen hierher ſehr paſſenden beſchrieben hat , wo
ſich Eiter unter der rechten Gehirnhälfte befand und die
linke Seite des Körpers gelähmt war. Endlich , welches
auf eines herauskommt , haben Santorini und der bes
)
rühmte Edinburger Lehrer Monro die ſich durchkreuzende
Fibern im Rückenmark angenommen .
Ich ſelbſt habe ófters , beſonders im Krankenhauſe
zu Edinburg , geſehen , daß wenn Kranke ſich über Somers
gen in der linken Hälfte des Kopfs beklagten , man mit dem
beſteri ſchleunigſten Erfolge die rechte Seite ſchor und ſchro
pfte , oder nach den Umſtänden mit einem Zugpflaſter bes
Beckte , und umgekehrt litt die rechte , ſo gebrauchte man
die
der Sehenerven. 201

die Mittel auf der linken . - Wenigſtens war dies des vers
dienten Hrn. Prof. Hope's gewohnliche Methode , von
der er behauptete, daß fie beſſer anſdlüge und würkſamer
wäre, als wenn man die kranke Seite ſo behandelte.
Man ſiehtleicht, was ſolche Fåde beweiſen foden , und
mitunter núrklich beweiſen . Deswegen fáat aber niemans
den ein zu behaupten , als mußten Verlegungen am Ueuſs
ſern des Kopfs nicht auf der Stelle , ſondern an der ents i
gegengeſekten Seite empfunden werden,
Dhnmöglich iſt es nicht, daß aud alle übrige Nerven
nur tiefer und verſteckter in der Gehirnmaſſe ſelbſt oder dem
Rückenmarke ſich durchfreuzen ; denn will man z. B. die
ſogenannten Urſprünge des dritten , vierten , fünften 26.
-Nervenpaars dahin reken , woman ſie von der Grundflås
che des Gehirns abgeſondert erblickt, ſo mußte man auch
den Urſprung des Seheneryen nicht weiter ſuchen oder ans
nehmen , als wo er eben von ſeiner Vereinigung los , einen
platt runden ganz freien Stamm bildet ; denn was jenſeits
der Union ins Gefirn ſelbſt rund um die markigten Uns
fange des.Rúckenmarks (crura cerebri) bis zu den Sehea
búgeln ſich hinaufſchlingt, kann eben ſo wenig rein vom
Gehirn abgeldßt werden , als das ſechſte Paar , wo es ſich
in der Maſſe des Rückenmarks verliert; oder mit andern
Worten : wo wir den Urſprung des zten , 4ten , sten
und 6ten Paars gemeinhin anneýmen, muß dieſe Durcha
kreuzung , wenns eine giebt, ſchon geſchehen ſeyn. Eis
gentlichzu reden , so können wir blos den Urſprung des Ges
ruch- Seh- und Gehörnerven in etwas verfolgen, die lirs
ſprünge der übrigen Nervenpaare -hingegen in dieſer Rücks
ficht mit den drei obigen vergliden , verbergen ſich gleich
in dem Gehirnmarke.
4

Ohne Zuziehung meiner zten Tafel , wo ich bei Ges


legenheit einer andern Abhandlung die Enden der Nerven
beff. Beitr. St. II. die
202 1. Ueber die Vereinigung
die am Gehirn befeſtigt ſind , abgebildethabe , wird man
1
dieſe Stelle amerlich ganz voukommen verſtehen.
Um alſo nicht durch neue Benennungen einige Duns
kelheiten zu veranlafſen , behalte id nod die gemdhnliche
Benennung, Urſprünge, diesmal bei , To ſehr ſie auch auf
unerwieſenen Grundfäßen beruhet, und im Gegentheil es
immer wahrſcheinlicher wird , daß die Nerven mehr an's
Gehirn geheftet find , als würflich aus demſelben , wie die
Zweige aus einem Blutgefas, oder die Ausfüörungskanäle
aus einer Drúſe entſpringen .

Wollte mir jemand den Einwurf machen, daß man,


wann eine ſolche Durchkreuzung bei genannten Thieren in
natürlichen geſunden Zuſtande ſtatt findet, ſelbige auch
alsdann erkennen mußte, ſo könnte ich ihin nicht beſſer
antworten , als: komm und ſiehe, und widerſprich nicht
ſinnlichen Beweiſen , oder ohneſelbſt eine ſo leichte Sache
unterſucht zu Kaben.
Wichtiger könnten als Einwürfe die Beobachtungen
cheinen , wo man gerade das Gegentheil geſehen haben will
und die ich 5. 38. meiner Inauguralſchrift angeführt habe ;
allein ich kann mich nicht enthalten, an der Wahrheit , bes
ſonders der von Veſalius aufgeführten , zu zweifeln , und
Monros Figur Tab. 8. in ſeinem neueſten Werk úber
das Nervenſyſtem iſt zu unbedeutend.
Es ſoll mich daher freuen, bald dieſe Beobachtungen
von andern Zergliederern oder "Liebhabern der Naturges
ſchichte beſtátigt zu ſehen , da es an Gelegenheiten , ſídy einen
einäugigten Thierkopf zu verſchaffen nicht fehlen kann , und
dod die Wichtigkeit dieſer Waßrheit ihre Feftfeßung durch
mehrere
der Sehenerven . 203
mehrere Zeugen Heiſchet. Verlangte man meinen Ratę
zu wiſſen , ſo würde ich vorſchlagen :
1) Sich eines Thiers mit großen Hugen , 3. B eines
Pferdes , zu bedienen , deſſen Uugapfel ich gróſer als des
neunjährigen von mir zergliederten Elephanten gefunden,
Udes iſt wegen des im Verhältnis dickern Sehnerven auf
falender , und der Unterſchied, wann einer von dieſen
Nerven durch Krankheit verändert iſt í augenſcheinlichec
als bei kleinern Thieren , wiewohl in dem kleinen Gehirn
eines Eichhörnchens, und in den beiden zarten , weichen , uns
vollkommenen meiner Schweinemisgeburt , die Sache fast
nicht deutlicher ſeyn könnte.
2 ) Wahle man nicht ein Auge , das blos an verduns
telter linſe, Hornhaut oder andern noch geringern Fehlern
gelitten hat , ſondern ein Auge das ſtark zuſammengefallen
ausgelaufen oder ſonſt verdorben iſt. Ich unterſuchte den
14 Nov. 1783. das Uuge eines Pferdes, moran die Horns
haut gänzlich verdunkelt und verunſtaltet war, fand abec
an dem Nerven , als ich ihn mit dem geſunden verglich ,
gar keine Verſchiedenheit.
3 ) um deſto úberzeugender die Sache zu machen ,
würde ich allemal zu der Varoliſchen Methode, das Gehirn
auszuſchålen rathen , weil, wenn man von der gewöhnlis
chen Gebrauch macht, es nur bei einigen Thieren bequem 1

angeht, ein hinlänglich langes Stück vom Sehenerven an


der Grundfläche des Gehirns fißen zu laſſen. Mehrens
theils wird es bei dieſer lezteen Methode nicht ohne Verles
fung juſt der zu unterſuchenden Stelle abgehen , weil die
Verbindung der Sehenerven in einem förmlichen, im Knos
chen für ſie bereiteten , Grübchen liegt; das bald in zwei
Kanále für die Sehenerven úbergeht ; dies iſt der Fad bes
ſonders bei Kálbern , Hirſchen, Repen , Pferden , Maula
thieren ,
204 I. Ueber die Vereinigung
thieren , Eſeln , Bóden , Schaafen , Schweinert, Haafen .
Schon etwas leichter behält man ein Stücfchen des ganz
vollkommnen Nerven bei, im Eichhörnchen , Kameel,
Mongus (Lemur Mungoz ), Kaße, Lowen , Hund, Bár
ren , Kaninchen , Fuchs , Jltis , Stachelſwein , Igel,
Dags , Fiſchotter , Maus, Ratte , Meerſchweinchen ,
Maulwurf und Seehunde; bei allen Affenarten gingegen,
(denn ich habe von den drei Geſchlechtern und auch den Una
terordnungen derſelben , nach Blumenbach Syſtem ,
i
einige zu unterſuchen Gelegenheitgehabt ; ) iſt es hins 1
gegen etwas beſchwerlicher als bei Menſchen , weil die.
Defnungen im Schadel, in die die ſtarke Nerven ihrer
verhältnismäßig ziemlich großen Augen treten , zu nahe
aneinander liegen.

Eben dieſes war auch der Fall bei einer menſchlichen


Misgeburt, die ich befiße, der die Naſenknochen und der
größte Theil des Siebbeins to fehlten , daß keine fucke ents
ſtund, ſondern durch die näher an einander getreteneOber
Finnbacken von auſſen , und durch das veränderte Flügelbein
nad innen alles recht artig und ſymmetriſch zuſammenhieng.
Daher hatte es auch nur ein kleines Naſenloch , und ward
wegen dieſer wurklich großen Uehnlichkeit mit einem Uffen
im Profil von ſeiner grauſamen Mutter ausgefeßt; hier
ſind die Defnungen der Sehenerven ( foramina optica )
fich einander ſo nahe als im Affen . Sonſt iſt gemdhnlich
beim Menſchen am leichtften das Gehirn To Heraudzuneha
men , daß noch ein beträchtliches Stuck vom Sehenerven
daran übrig bleibt , theils weil erſt dieſe Nerven ein paar
Linien lang fortgehen , ehe ſie in die ihnen beſtimmte Kno:
chendfnung gelangen , theils weil eben dieſe Knochenöfnuns
gen ziemlich auseinander liegen.

Einmal ſah ich einen kleinen , feinen , markigten Kos


nus von i linie tánge aus der Mitte der Union der
Sehes
der Sehenerven . 205
Sehenerven kommen , deſſen Spiße ſich auf dem ſogenann
ten Sattel verlor .

In der Klaſſe der Vögel will Petit die Sehenerven


in geſunden Zuſtande fid durchfeuzen geſehen haben , ins
beſondre beim welſchen Hahn ; ich hoffe davon in einem
Nachtrag mehr zu ſagen .

Unter den Amphibien ſehe ich am Rochen den Nerven


des linken Augs fich ſpalten , den fürs rechte burdlaſſen
und ſo eine wahre Durchfreuzung darſtellen .

jm Squalus acanthias ſah ich ebenfalls die Decuf


fation, debgleichen fand fie Camper im Cyclopterus
Lumpus, wiewohl hier der Sehenerve noch eine ganz
eigne Struktur verråth. So hatte ich auch das Pergnús
gen dieſen großen Menſchenfreund die Augenlage des fonders
baren Hammerfiſches unterſuchen zu ſehen ; die Sehener
ven find rehr lang , und dies kommt hauptſächlich von der
{age des Geruchorgans,

Um allerdeutlichſten und daher auch am bekannteſten


iſt die Durchfreuzung der Sehenerven bei den meiſten
Fiſchen , denn hier liegen fie blos übereinander , und der
Nerve der im Gehirn der rechte war , ſchreitet über den
linken und geht zum linken Auge, ohne mit ihm anders ,
als blos durch ein leichtes Fadichtes Berpebe verbunden zu
ſeyn ,, bisweilen iſt der linke der obere , der rechte der uns
tere, ein andermal iſts umgekehrt.
2.3 Id
206 I. Ueber die Vereinigung
Io habe aus allen vier Linnäiſchen Drdnungen der
Fiſche ein und andern wegen der Durchkreuzung der Sehes
nerven unterſucht , und noch bis jezt in allen ſie beſtåtigt
gefunden , als aus der Ordnung, die Sinné Apodes nennt,
am Aal ; ſugulares, am Gadus æglefinus. Thoracici am
Pleuronectes Plateſſa , Sparus ſargus. Abdominales
am Hecht, Karpfen , Weisfiſch. Hievon kann ich
einen jeden durch meine Präparatenſammlung überzeus
gen. Doch beinerkt Hr. Samper (in den Mem . Pref.
Tom . VI. und den Haerlem, act. T. 7. ) daß er nicht
durchaus in allen Fiſchen eine ſolche Durchkreuzung anges
troffen habe.
Ich ſprach verſchiedentlich mit meinem Camper ,
wie man doch zu einigen Begriffen über den Nußen eines
und des andern beſondern Theils im menſchlichen Gehirn
kommen könnte ; er erzählte mir : er habe ehedem Teinen
Schülern den Rath gegeben , Fiſchgehirne ſorgfältig zu zers
gliedern , uns mit andern zu vergleichen , weil bei ihnen
verſchiedene Theile abgeſondert, oder neben einander liegen,
die bei vollkommenen Thieren in , und durcheinander vers
webt ſind.
Kaum ſah ich dieſe Durchfreuzung das erſtemal im
Eichhörnchen , als mir ſogleich dieſer To tief in der Natur
gegründete Rath wieder einfiel. Die Decuſſation, die bei
doufommenen Thieren nur in auſſerordentlichen Fällen
ſichtbar iſt, bietet ſich jederzeit bei Fiſchen dar. Freilich
auf eine verſchiedene Art; bei den vollkommenen Thieren
gehen die Nerven durch hier nur übereinander, indeſſen
wenn der Endzweck der Verbindung Decuſſation ſeyn fodte,
To ifts einerlei; und die Abſicht der Verbindung wäre alſo
im Fiſche deutlicher als bei andern Thieren von der Natur
zu Tage gelegt.
Rann
der Sehenerven. 207
Kann nicht noc, manches im Fifdigehirne leidster zu
erratặen Teyn ? 1

Anfangs ſdien es mir ſchwer , die Theile eines Fiſche


gehirns mit denen im menſchlichen zu vergleichen , bis mir
das Gehirn des Squalus acanthias ſich gleichſam als
Schlüſſel darbot , der mir die Analogie dieſes Organs an
beiden Gerddpfen finden Galf.
Geringes Nachdenken über eine zufädige, manchem
unbedeutend, ſcheinende Beobachtung , wirft licht über
dunkle Struktur des Körpers ; fezt uns in Stand , ein
verwickeltes Gewebe zu entſchürzen . Man folge der Nas
tur , reße nicht was men will, nein ! was man fou !

Sommering.

4 II.
208 ME ) ( 部怎
II.
Geſchidhte des Brodbaums.
Seitdurch ſeinen alles verſchlingenden Handel die aſiatis
fchen Naturgeſchenke und die des vierten und fünften Welts
# theils an ſich , und giebt ihnen durch neue Arten der Uns
wendung einen Werth , den ſie in ihrem Vaterlande nicht
Hatten. Was dort in die Augen fiel, oder irgend einen
andern Sinn durch Seltenheit und auserleſene Eigenſchaf
ten rührte, ward ſolchergeſtalt frühzeitig unter unſern
Vorfahrenbekannt. Eine zahlloſe Menge von Neuigkeis
ten empfohlen ſich dem Beobachter durch ein ſchimmerndes
Heuſſere, und unſer Welttheil wiederhadte von ihrem (obe,
indeß der minder glänzende Brodbaum , wie eine fittſame
Schöne, feiner weſentlichen Vorzuge ungeachtet, lange
noch unbekannt blieb. Einzelne Seefahrer , die ſeine
nahrhafte Frucht gekoſtet, oder gar durch den Genuß ders
felben ihr vom Sharbock untergrabenes Leben gerettet hats
ten , fiengen an in ihren Tagebüchern ſeiner zu erwähnen ;
doch waren ihre Beſchreibungen ſo unvouſtandig , und der
Ruhm , den ſie ihm zuerkannten , ſo dürftig , daß keines
von beiden Eindrücke auf den Leſer machte. Billig hátte
dasjenige, was der unermüdete Hanauiſche Naturforſcher,
Georg Eberhard Rumph , in ſeinem ſo koſtbaren als un
entbehrlichen Kräuterbude von Umboina über dieſen Ges
genſtand zuſammentrug , gróſere Aufmerkſamkeit erregen
müſſen . Allein zu geſchweigen , daß dieſes unſterbliche
Wert , welches manchen neuern Kräuterſammler beſchämt,
wegen feines Hohen Preiſes in wenigen Hånden iſt , ro
wußte man bis auf unſere Zeiten nicht, daß er bereits den
Baum beſchrieben hatte , der ganzen Wölfern ihren taglia
den Unterhalt giebt.
Erft
:
II. Geſchidjte des Broðbaums. 209
Erſt innerhalb der beiden leßten Jahrzehende ward der
Brobbaum als eines der wohlthåtigſten Naturprodukte bez
kannt, und faſt zu gleicher Zeit von engliſchen , ſchwedia
fchen , franzöſiſchen und teutſchen Naturkundigern beſchries
ben . Durch die neueren Entdeckungsreiſen lernte man
mit Verrounderung , daß die Bewohner des grofen Inſels
meeres , zwiſchen Aſien und Amerika , von dieſem Baume
eine Speiſe pflücken , die dem menſchlichen Körper wo
nicht mehr , doch wenigſtens in jenem Erdſtrici eben ſo ans
gemeſſen iſt , als unſer Waizen und Roggen ; eine Speiſe,
wobei ſie langes Leben und eine Fúde der Geſundheit genieſs
fen , die wir kaum durch den in unſrer kalten Himmelsges
gend unentbehrlichen Zuſaß von thieriſchen Nahrungsmits
teln To friſch und dauerhaft erhalten können. Es iſt
zwar nicht zu leugnen , daß ſich kein unmittelbarer Nußen
für Europa von dieſem Baum erwarten läßt , der in den
ſüdlichſten Gegenden von Stalien und Portugal den Wins
ter ſchwerlich ausdauern würde ; deſto ſchåßbarer aber
könnte deren Anbau in den weſtindiſchen Inſeln werden ,
wo der unglückliche Negerſklave nur am ſiebenten Tage der
Woche für ſeinen fümmerlichen Unterhalt Torgen darf.
Ein menſchenfreundlicher Vorſchlag diefeVerpflanzung zum
Beſten der Neger ins Werk zu fiellen , und eine darauf ges
feßte Belohnung , blieben bis jezt in England ohne 'allen
Erfolg. Wäre es auch würflich ausgemacht, wie ein ſonſt
( charfſinniger Fabricius will, daß die Neger nurBaſtarte
von Uffen und Menſchen waren , ſo hatten ſie wenigſtens
als die brauchbarſten aller Spausthiere von ihren Zuchtmeis
+
ſtern gleiche Vorſorge mit dem übrigen Jaſtvieh verdient; und
wie vielmehr , wenn dieſer Gedanke nicht die Probehålt, und
jene ſo gemißhandelten Geſchöpfe wurklich unſere Brüder
find ? Doch wenn gat je der Eigennüßige ſein wahres Ins
tereſſe recht gekannt ? Wo hat nicht niedere Gewinnſucht,
ich mag nicht ſagen , ſein Gefühl – das hatte er nie- fons
dern ſeinen Blick ins Ad des menſchlichen Thund perwirrt ?
25 Herrn
210 II. Geſchichte des Brodbaums.
Herrn Sonnerat, Correſpondenten der Königlichen
Akademie der Wiſſenſchaften zu Paris glückte es zuerſt , ets
liche junge Spróßlinge des Brodbaums von den Philippi:
neninſeln nach Iſle de France im indiſchen Meere zu bringen,
woſelbſt Hr. Poivre , der verdienſtvolle Intendant dieſer
franzöſiſchen Beſiſung fich alle Mühe gab, ihren Anbau
zu befördern . Bald darauf , im Jahr 1777 , Tchickte
Sr. D. Thunberg , nunmehriger Deinonſtrator des bo
taniſchen Gartens zu Upſal in Schweden , eine ziemliche
Unzahl kleiner Pflanzgen eben dieſes Baumes von Batavia
nach Umſterdam , für den dortigen mediziniſchen Garten,
und im folgenden Jahre nahm er felbft aus Zeilon junge
Ableger oder Wurzeln in groſer Menge mit ſich nach Eus
ropa , die des fleiſigen Begieſſens, welches jeden Abend ge
dhah, und der heiſen Witterung ungeachtet, nicht vor
dem zweiten und dritten Monat, oft aber noch viel ſpäter,
anfiengen auszuſchlagen . Eben dieſer gelehrte Kräuterken :
ner hatte bereits im Jahr 1776 eine botaniſche Beſchreis
bung des Brodbaums inden Schwediſchen Ubhandlungen
einrücken laſſen , nachdemn wir ein Jahr vorger die Theite
der Blúte beſchrieben und abgebildet Herausgegeben hatten.
(S. Characteres Generum Plantarum in itinere ad
inf. maris auſtralis coll. cet. pag. 101. 102. tab 51. a.)
Noch früher beſchrieb zwar der Reiſegefährte des berühmten
Ritters & anks , der verſtorbene D. Solander, der
Brodbaum in den Inſeln des Südmeers ; allein dieſe Bes
ſchreibung , nebſt den unzähligen andern von demſelben
geübten Botanifer , hat man der gelehrten Welt noch nicht
porgelegt. Bis dieſe To Tehnlich verlangten und erwarteten
Scháße uns aufgethan werden , mag folgendes als ein Beis
trag zur Geſchichte und Beſchreibung eines in aller Abfidot
Yo wichtigen Naturproduktes dienen .

Der Brodbaum gehört unter die geringe Anzahl von


Pflanzen , welche ſich über einen anſeśnliden Lþeil unſerer
Erde
II. Geſchichte des Brodbaums, 211

Erde verbreitet haben. Von Suratte an , bis zu den Mars


quiſeninſeln im ftigen Weltmeer , auf einer Strecke von
einhundert und funfzig Graden der Länge , oder mehr als
zweitauſend geographiſchen Meilen , trift man ihn faſt auf
jeder Küſte und auf jeder Juſel an. Daß ihn aber die
Natur in dieſerh ganzen Bezirke überall uranfänglich von
felbſt und ohne Zuthun der Menſchen habe wachſen laſſen ,
will ich keineswegs behaupten . EinigeMalediviſcheSchif
fer , die in ihren Kihnen alljährlich nach Zeilon fahren , !
brachten in den Jahren 1727 und 1728 die beiden erſten
Ableger des Brodbaums dahin , welche in der Feſtung zu
Kolombo in einem Garten gepflanzt wurden. Dieſe beis
den Ståmme, die Ihunberg nod 1778 alsgroſe Bäume
fah, haben Zeilon überal, um Kolombo , Gale , Matus
ram , Jafnapatnam und Trinquilimale , mit einer Menge
von jungen Brodbáumen angefúūt , welchen man zum Ans
denfen ihrer Herkunft den Zunamen der Maldimiſchen beis
legt, Thunberg , der uns dieſe Nachricht im69ſten Bans
de dee philoſophiſchen Tranſactionen aufbewahrthat, mels
det nicht, woher die Maldimer jene beiden Stamme geholt
Haben , und dieſes møgte auch wohl nicht ſo leicht zu bes
ftimmen ſeyn . An den Küſten von Malabar und Koros
mandel , z. B. in Suratte , am Vorgebirge Komorin ,
zu Sutuforin , Trankebar und Negapatnam , ſieht man
zwar den Brodbaum unter den kultivirten Pflanzen; jedoch
er iſt daſelbſt nichts weniger als einheimiſch, ſondern wird
von den Einwohnern ſelbſt durchgebends als ein ſpåter Uns
kömmling betrachtet.
Auch glaube ich noch mit Recht daran zweifeln zu důra
fen , ob die öſtlichen Inſelgruppen des ſtiden Weltmeers,
wie Taheiti mit den Societatsinſeln , die Marquiſen ,
Freundſchafts- und Sandwichinſeln , den Brodbaum uns
ter ihre urſprünglich einheimiſche Produkte zählen ? Man
müßte beſtimmt anzugeben wiſſen , unter welchen Umſtans
dent
1

2 .
212 II. Geſdichte des Brodbaums.
den die Bevdlferung jener Inſeln geſchah, um über dieſen
Punkt entſcheiden zu können . War es bloßer Zufall ,
der einzelne Familien in ihren Kahnen unvermutħet bald
þie bald dorthin verſchlug, ſo müſſen wir freilich auch an
nehmen , daß ſie ohne alle Vorbereitung an ihre neuen
Wohnfiße gelangten , mithin , daß alle Lebensmittel und
Bequemlichkeiten , in deren Beſiß wir ihre Nachkommen
neuerlich fanden , daſelbſt von der Schöpfung her ein hei
miſch gemeſen find. Adein ich werfe einen Blick auf die
Charte jener Weltgegend : ich überſehe das große ſtille
Weltmeer, und finde darin die entfernteſten , einzeln und
zerſtreut liegenden Inſeln nicht nur von Menſchen bewohnt,
ſondern ſogar von eben demſelben Volke, beſeßt , deſſen
übrige Stämme alle afiatiſehe Inſeln (vielleicht auch , wie
Marsden meynt,Madagaskar ) inne haben. Ich gea
ſtehe es , hier kann ich mich nicht überzeugen , daß ein
Sturm , oder eine Reihe von ähnlichen Zufäden hinreiz
dend ſei , dieſe allgemeine Zerſtreuung einer und derſela
ben Völkerſchaft über einen ſo groſen Ocean , bis hinauf
nach Neuſeeland, und wieder hinab zur Diterinfel, auf
eine befriedigende Art zu erklären. Ein gemiſſer allgemeis.
ner Seift, der ſich nach den Bedürfniſſen des Zeitalters zu
į modificiren ſcheint, beſeelte von jeher die Menſchen unſers
Welttheils. Und findZeitabſchnitte bekannt , wo ein un
widerſtehlicher Trieb die Einwohner des weſtlichen Aſiens
und die von Europa zur Räumung ihrer Wohnorte bez
wog ; Zeitabſchnitte , wo zahlreiche Horden halbe Welta
.
theile durchirrten , ehe ſie wieder zur Ruhe kommen konn
ten. Warum ſtehen wir nun an , bei dem aſiatiſchen
Stammvolke unſerer Inſulaner eine Wanderungsepoche
vorauszuſeken , von deren Würflich Feit und jene Ueberein
ftimmung zu überführen ſcheint ? Alsdann gervinnt die
frittige Frage über die Heimath des Brodbaums ein andes
res Unſehen : denn wer ſieht nicht, daß ein vorhergefaßter
Entſchluß oftwärts zu wandern , Zurüſtungen zur Reiſe
moglio
II. Geſchichte des Brodbaums. 213
möglich und nothwendig madt , die bei einer durch widrige
Zufade erzwungenen Veränderung des Wohnorts nicht
1
ſtatt finden konnten ? Sobald entweder Unterdrúdungen
der Mitbürger, oder freinde Eroberer, oder abergläubige
Sagen , oder ſonſt eine Veranlaſſung , einer Anzahl von
Familien ihren bisherigen Uufenthalt verhaßt machten ,
und fie drauf rannen , ſich einen beſſern zu ſuchen : was
konnte da natürlicher ſeyn , als alle igre bewegliche Haabe
mit fich zu führen , und ihre Schiffgen ſowohl mit den
brauchbarſten Hausthieren , nämlich Schweinen, Hunden
und Húnern , als auch mit denjenigen Pflanzen zu beladen ,
von denen fich der größte Nußen erwarten ließ , deren
Wurzeln ſich unterweges am lángſten zu halten verſprachen ,
und deren Unbau endlich die geringſteMühe koſten würde ?
Daß aber der Brodbaum der , nach dieſen drei Haupteia
genſchaften zu urtheilen , vor vielen andern mitgenommen
zu werden verdiente, auch wirklich als das koſtbarſte , was
wandernde Vólfer mit ſich führen konnten , auf dieſe Art
nach den öſtlichen Inſelgruppen gekommen ſei , iſt eine
Vermuthung , worin mich noch der folgende Umſtand bea
ftårtt. Auf allen bisher im Südmeer beſuchten Inſeln
hat man , ſo viel ich weiß , nirgends einen Brodbaum in
den unbebauten Gegenden wild angetroffen : alle dort vor:
handene Bäume dieſer Urt hatten Menſchengånde gepflanzt.
Hingegen findet man um Batavia, auf Java und Šuma.
tra , in Umboina , Banda , den übrigen Gewürzinſeln ,
Neuguinea , Celebes und den Pģilippinen häufig eine wilds
wachſende Sorte , von der , adem Vermuthen nad) , die
kultivirte entſproffen iſt. Genug - wenn man den Søluß
gelten låßt, daß der Ort , wo eine Pflanze wild machſt,
eigentlicherihr Vaterland genannt werden dürfe, als jener,
wo ſie nur gebaut wird , um eswenigſtens hådſt wahr:
ſcheinlich zu machen, daß der Brodbaum urſprünglich in die
náher an Uſien grånzende Inſeln zu Hauſe gehört , und,
nur von Menſchen weiter oftmårts gebracht worden iſt.
214 II. Geſchichte des Broðbaums.
Es verdient in dieſer Rückſicht auch eine Bemerkung,
daß die Brodfrucht in den dſtlichen Gruppen der Societats
und Marquiſeninſeln keine Saamen enthalt. Kaum uns
terſcheidet man in der groſen mehligen Maſſe einige gang
feine haarförmige Theilgen , die man als Spuren der Saas
menkerne anſehen kann. Ich laſſe es dahin geſtellt, ob
dieſe Verſtůmmelung der Frucht eine Folge der Methode ſein
die Bäume durch Schnittlinge und Ableger zu vermehren :
fie iſt wenigſtens Folge der Kultur überhaupt , die man an
dem wilden Brodbaum nicht wahrnimmt . In der Frucht
dieſer leşteren Sorte ſtecken eineMenge ausgebildeter Saa:
menkerne, von der Grdſe wie Mandeln . Neben der faas
menloſen Art , giebt es auch in den Gewürzinſeln , den
Philippinen und Marianen eine gepflanzte, deren Früchte
ebenfaus mit fruchtbaren Kernen , welche unſern Kaſtanien
áhneln , angefüget ſind. Von dieſer leßtern gepflanzten
faamenbringenden Art des Brodbaums pflegte Solander
zu erzählen , daß ſie zufolge dem Zeugnis der åtteſten Eins
wohner von Taheiti , ehedem auch daſelbſtvorhanden gewes
fen , endlich aber durch Vernachläſſigung, und weil man die
Saamenloſe vorgezogen hatte, gånzlich ausgegangen wäre.
Man lieſt ferner in einem der neueſten Reiſebeſchreiber, dem
franzöſiſchen Schiffskapitain Crozet, daß dieſe befaamte 1

záhme Spielart des Brodbaums ſelbſt in Guam , der vors


nehmſten Marianeninſel, ſelten geworden iſt. Vielleicht
gründete ſich aber auch D. Solanders Erzählung auf
einen Mißverſtand , der bei unſerer geringen Kenntnis der
füdländiſchen Sprachen nichts uninogliches geweſen wäre.
Es konnte eine von jenen Sagen ſeyn , vermittelſt welcher
man fich dort des Wohnorts der Vorfahren erinnerte ;
eine Art der Erinnerung, die bei jenen Völkern , ſo wie
bei - andern Halbwilden , nicht ohne Beiſpiel iſt. ( Siehe
Bemerkungen über Gegenſtände der Phyſik zc. auf einer
Reiſe um die Welt geſammlet , S. 135. )

1
'II. Geſchichte des Brodbaums. 215
Es ſcheint alſo ausgemacht, daß der Brodbaum urs
fprünglia in jene merkwürdige Weltgegend zu Hauſe
, 1

gehört , welche faſt ausſdließlich die koſtbarſten und feltens


ften Naturprodukte beftkt. Die auf der aſiatiſchen Seite
des groſen Weltmeeres belegenen Inſelgruppen prangen in
3 der That mit allem , was die bildenden Kräfte dónes ,
prachtiges, in dieSinne falendes haben , in einer endloſen
Mannigfaltigkeit, und man mögte ſagen , hier ſei das
auserleſenſte der todten und belebten Schöpfung in einer
+ mehr als fóniglichen Spaßkammer zuſammengefloſſen .
Das Edelgeſtein und das Gold , das in den Gebirgen von
Luzonund Borneo häufig angetroffen wird, verliert ſeinen
Werth gegen den noch köſtlichern Ambra , den das Meer
den Küſten von Sumatra zufährt. Hier bereitet die
Sunne die feinſten und geiſtigſten Miſchungen der Pflanzen
fafte; ſtatt gemeinen Gummi und Harzes fließt Kampfer,
fließt Benzoe den Wunden der Bäume, oder flüchtige,
mohlriechende Dele durchdringen die Rinden , fúden Blúa
ten und Früchte , und bilden jene vortreflichen Gewürze,
um derenBeſiß die Völker Europens blutige Kriege geführt
Haben , und deren Udeinhandel eşedem die Niederlande bes
reicherte. Hien,übertrift der Mango und die Mangoſtane
die wohlſchmeckendſten Früchte eines jeden andern Welts
theils; und dem verwöhnteſten Gaumen , der in unaufhörs
lichabwechfelndem Rißel Befriedigung ſucht, können mehr
als funfzig andere edle Fruchtarten ein vódiges Onüge teis
ften . Dieſe Gegend iſt auch das Vaterland unzähliger
ſchönen Blumen , die mehr als einen Sinn zugleich ergós
gen . ' Hölzer von innerm Bau und Dauer ohne Gleichen,
ſtreben hier in den Wäldern empor; und das erhabene Ges
fohlecht der Palmen iſt hier mit allen ſeinen Gattungen eins
Heimiſch. Herrlich ſtrecken dieſe Fürſten des Pflanzenreichs
den ſlanken Stamm úber ađe andere Bäume finan, breis
ten die gefiederten Wipfel von immerwährendem Grün
úber ſich aus , und ſtepen da , als unnachahmliche Ideale,
in
216 II. Geſchichte des Brodbaums.
in majeſtátiſcher Einfalt. Und welch ein Glanz umſtralt
nicht die lebendigen Bewohner dieſes Welttheils ! Ihre
entſeelten Ueberbleibſel ſogar, die Condylien , schmückt ein
wundećbarer Reichthum der Zeichnung und des Colorits.
Das Feuer , die Gröſe und vollkommene Runde der Pera
len von Soolo, find in dem ganzen Orient durdgangig bes
rühmt. Die Fiſche im dortigen Meere, die Schmetters
linge und andere Inſekten wetteifern miteinander um den
Preis der Seltenheit, es ſei an Geſtalt oder Farbe. Eben
fo reich iſt das Kleið unzähliger Gattungen des Geflügels.
Doch ſchimmern vor allen die Paradiesvogel, wie die ſelten
geſehenen Bewohnerinnen eines aſiatiſchen Harems, mit
vielfarbigem Gold übergoſſen , und in den Purpur derMors
genróthe getaucht. Endlich treten auch die größeren Thiere
in mannigfaltiger Bildung einger , mit einem Geſchdpf an
ihrer Spike, in deſſen menſchenahnlicher Geſtalt die Natur
vielleicht hat zeigen wollen , wie genau fie das Meiſterſtuck
der Schöpfung , wenigſtens im auſſerlichen , mit iğren
Formen nadbilden könne !( * ) 1

Nach
919 4

*** ) man ſieht , daß vom ſogenannten Drangutang die Rede ift. Ob 1

wir aber bisher den rechten gefannt haben , oder ob es noc


einen náhern Halbbruder des Menſdengeſchlechts in den Wäldern 22

von Borneo giebt , als jenen , den der vortreflice Camper jers im
legte ? darüber mag folgende Stelle eines Briefes von dieſem
edlen Eiferer um die Naturwiſſenſchaft , an mich , unter dem
16ten November 1783 , entſcheiden : Quelle étoit ma ſurpriſe
lorsque je recevois des Indes , en préſence de nos voyageurs.
( Herr Profeſſor Filder aus Göttingen und Herr Reimar u $
aus Hamburg .) La têté d in orang ou ſinge, plus grande , plu
robuſte que celle de l'homme! mais le crâne plus petit & fur le
milieu avec une côte , afin de rendre les temporaux plus forts.
Sa grandeur n'avoit été que de 53 pouces, pas encore quatre
pieds' & demi ; & pourtant la tête étoit fi énorme ! C'eſt une 1
acquiſition pour mon cabinet, ſans prix , unique & très intéreſ
fante ! Les dents font plus pellemblantes à celles du mandril,
que celles de l'orang.
II. Geſchichte des Brodbaums. 217
Nach welchen Geſeßen dieſe góttliche Bildnerin bei der
Uustheilung ihrer Güter verfährt, und in wie fern das
Klima eines jeden Orts zum Daſeyn beſtimmter organis
ſcher Körper mit ihren eigenthümlichen Geſtalten und Eis
genſchaften , als fervorbringende Urſache mitrůrfen kann?
dies gehört noch beides in die Reihe auſſer unſerm Geſichts
Freiſe liegender Dinge. Einſt werden aber auch dieſe dem
weiterſchauenden Weltweiſen offenbar , wenn er mit den
Materialien , die wir ſammeln , das große kaum noch ges
gründete lehrgebäude der Phyſik vollendet haben wird .
Ein Zauberneß von unzähligen Fäden und durcheinanders
geſchürzten Knoten , wo sind mit Allen und Udes mit
Einem zuſammenhängt , ein Syſtem voll himmliſcher
Uebereinſtimmung wird er einſt in der Mannigfaltigkeit
der Schöpfung finden , wo unſer begránzter Blick jezt nur
das Gaufeln einer unerſchopflichen Phantaſie wahrzunehs
men glaubt, die ihr Fúdhorn auf gerathewohl ausgeſchůts
tet þat. Wie frohen Muthes können wir da nicht fünfs
tigen Zeitaltern vorarbeiten , und auf die Früchte unſrer
Bemühungen Verzicht thun , indem wir bereits ſo glücklich
im Genuß der reichen Erndte ſind , die eben ſo durch unſes
rer Vorgänger Ausſaat, und bereitet ward . Wohlan !
laßt uns wilig die voreiligen Entſtehungshypotheſen in das
enge Zimmer zurück bannen , wo ſie vielleicht in finſtern
Raudgemolken entſtanden. Saßt uns die Natur in iþren
entfernteſten und verborgenſten Werkſtätten , wie in den
nahen und zugänglichſten , belauſchen , nur Thatſachen
aufzeichnen und denn behutſame Folgerungen ziehn.
Merkwürdig ſcheint es mir immer , daß ein milder
Himmel und geſunde Luft faſt in jedem Erdſtrich die beſten
Naturgúter begleiten , und den Menſchen vielleicht anlos
den ſollten , ſich damit ſo vorzüglich geſegnete Wohnſiße
zu wählen . Jene blumigten Gefilde, wo Proſerpine mit
ihren Geſpielinnen Kranze wand : jene Rebengebirge des
Self Beitr. St.II.
Tagus,
218 II. Geſchichte des Brodbaunis .
Sagus , die dem hektiſchen Britten neue Lebenskraft ſchens
ken, find glenzende Beyfpiele von einer anſcheinenden Pars
theilichkeit der Natur. Uber dort , wo ſie ihren ganzen
Reichthum zur Schau trágt, iſt ein idónes Klima ſchon
allein um dieſer Vorzuge willen , eine Krone, deren Glanz
alles verdunkelt , und alles vollendet.
Zwiſchen den Wendekreiſen liegt ein anſehnlicher
Strich , den man verhältnißweife gegen das übrige des
heiſſen Erdgürtels gemåſſigt nennen könnte. Er begreift
in ſich das große ſtile Weltmeer, von den weſtlichen ames
rikaniſchen Geſtaden an , bis hinüber'an die Oftküſte von
Aſien , und iſt gleichſam ein weitausgebreiteter Archipel,
vod zahlreicher Gruppen von Infeln . Es liegen in dieſem
Bezirk die flachen Koralleneilande, die Marquiſen , die
Societats- und Freundſchaftsinſeln , die neuen Hebriden,
Neukaledonien , Neuirrland , Neubritannien , Neuguinea ;
nebſt den papuiſden Inſeln , die Palaos , die Karolinen,
die Sandwichinſeln , die Marianen , die Philippinen , die
Molucken und die Sundainſeln . Ben weitem den bes
trächtlichſten Theil dieſes Strichs , der im Ganzen leicht
anderthalb Millionen geographiſche Quadratmeilen enthal
ten kann , bedeckt das Weltmeer, in deſſen ungemeſſener
Weite die Inſeln als Púnktgen erſcheinen . Nur indem
man ſich der aſiatiſchen Seite nähert, drången ſie ſich
båufiger zuſammen , und bilden dort.Maſſen von betracta
lichem Umfange. Borneo , Celebes , Sumatra und Java
find in der That die größten Inſeln unſers Planeten , die
ſich aber auch wegen eben dieſer auszeichnenten Gröre , mes
gen ihrer aneinandergedrängten Lage und der Nähe des
feſten Landes , von den übrigen durch einen etwas ſtarkeren
Grad der Hiße unterſcheiden. Der Luftzug, welcher mit
beinahe ungeſtörter Einförmigkeit zwiſchen den Wendekreis
fen von Morgen gegen Abend ſtreicht, wird auch hier nicht
eher weſentlid unterbrochen , als bis er zwiſchen die großen
gebirs
II. Geſchichte des Broðbaums. 219
gebirgigten Inſeln auf der aſiatiſchen Seite geråth. Hier
ſtellen ihm die Whilippinen und Borneo eine ſo hohe und
ſo lange Gebirgmauer entgegen , daß er långſt den Küſten
bald nordwärts, bald ſüdwärts hinziehen muß. Dieſer
beſtandige Strom von kühler reiner Luft erquicft die ganze
thieriſche Dekonomie , und verbreitet Geſundheit und Leben.
Kanale ; deren ſtocfendes Waſſer Verweſung duftet , mas
chen zwar den Mittelpunkt des hogendiſchen Handels in
Indien , das üppige Batavia zu einem höchſt ungefunden
Aufenthalt ; jedoch dieſe den Europäern To furchtbar ge
wordene Eigenſchaft der dortigen Atmoſphåre iſt ſo ganz
die Folge der Unbeſonnenheit, womit man die Bauart
des Falten , umnebelten Niederlands unter ſcheitelrechter
Sonne nachzuahmen , und eine große Hauptſtadt mitten
in ſumpfigen Reisackern anzulegen wagte , iſt ſo wenig in
der natürlichen Beſchaffenheit des Klima felbſt gegründet,
daß ſogar der Sieche, der bereits des Grabes Beute wers
den ſollte , ſchnelle Geneſung erlangt, wenn er ſich nur
einige Stunden Weges von den giftigen Ausdunſtungen
der Stadt und der umliegenden Moråſte entfernen kann.
Die lange der Nachte , welche den Tagen beſtandig gleich
bleibeid , gewáýrt dieſem Erdſtrich einen neuen Vortheil,
indem ſie den zur Abkühlung der {uft , und hauptſächlich
zur Stärkung und Nahrung des Pflanzenreichs ſo unents
behrlichen Niederſchlag wafferiger und brennbarer Dünſte
befördert. Eben jene Richtung der Erdachle , die dort
Lage und Nachte faſt beſtåndig gleicht, bei uns hingegen
lange Sommertage und eben ſo lange Pinternachte verurs 1

!
Facht , iſt auch hinreichend im heiſſen Erdſtrich zweierlei
Fahrszeiten , die naffe und trockne, zu bewirken , dergeſtalt,
daß in der leßtern dasjenige zur vollkommnen Reife gedeiht,
was in der erſten hervorzukeimen und zu wachſen begann.
Adein ſo reizend nun dieſes nach der Natur entwor's
fene Gemälde ſeyn mag , ſo hat es gleichwol aud feinë
2 ſamarze
220 II. Geſchichte des Brodbaums.
ſchwarze Schatten . Denjenigen Inſelgruppen , welche
nach Oſten hin , im Meere'gleichſam verloren , und weit
von einander verſtreut liegen , wurde zwar von den vorhin
erwähnten Reichthümern der Natur nur wenig zu Theil;
jedoch , ſie blieben auch dafür mit manchen weſentlichen
Uebeln verſchont die bei einer gróſeren Verſchiedenheit
und Vielfältigkeit der Produkte und Geſchöpfe aller Art
wohl unvermeidlich find. So kennt z . B. das glückliche
Tabeiti mit ſeinen benachbarten Inſeln nichts von jenen
reiſſenden Tygern , die auf Suinatra , Java und Borneo
die Heerden zerſtůcken , und ſelbſt den Menſchen furchtbar
find. Giftige Schlangen , die man håufig genug in den
Wåldern dieſer groſen Inſeln antrift, und gefraffige Kros
kodile , die in ihren Flüſſen das Schrecken der belebten
Schöpfung ſind , wurden fernerhin nach Morgen nie geſes
hen , und ſcheuchten dort niemand vom ſchattenreichen
Hayn oder vom fühlen Bade zurück. Das durchdringende
Gift, welches der Einwohner von Makaſſaraus Pflanzens
Täften bereitet, womit er ſeine Pfeile beſtreicht, und wo
durd innerhalb wenigen Minuten die kleinſte Wunde tod:
lich wird , iſt ebenfalls im ftilen Weltmeer und allen ſeinen
Eilanden unbekannt. Die Vulfané, die einſt auf den
Societátsinſeln , den Marquiſen , und faſt überall in jener
óſtlichen Gegend brannten , ſind långſt erloſchen , und aller
entzündbare Vorrath in ihrem Innern iſt wahrſceinlich
ganz verzehrt. Kaum glimmt noch weiter weſtwärts- uns
ter den Freundſchaftsinſeln ein geringer Ueberreſt dieſes
unterirdiſchen Feuers , ſo wie auf den neuen Hebriden hie
und da ein unbeträchtlicher Berg . Hingegen werfen långſt
der Küſte von Neuguinea eine Reihe brennender Sdílůnde
ihre Feuerſtróme in das Meer . Auf den Philippinen tobt
der fürchterliche Mayon nebſt manchen andern Vulkanen,
und die Ausbrüche des Gunung Api haben die Gewürzinſel
Banda , ſeitdem ſie unter holländiſcher Botmåfigkeit ſteht,
foon einmal über das andere faſt gånzlich umgekehrt.
Java
1

II. Geſchichte des Brodbaums. 221

gava endlich , Celebes und die umliegenden Inſeln , find


noch mit feuerſpeienden Bergen bereßt. Vermuthlich hats
ten jene óſtlichen , im Ocean einzeln hervorragenden Bergs
fpißen bereits in derſelben frühen Epoche der Erdrevolutios
nen , wo auch Deutſchlands , und beſonders Heſſens Vuls
kane im Waſſer brannten , ihren entzundbaren Stoff
ausgeworfen. Vermuthlich waren ſie ſchon damals gang
erſchöpft, als die weſtlichen groſen Inſeln noch mit Aſien
ein zuſaminenhangendes feſtes (and bildeten : vermuthlich <

man gönne auch dieſer Muthmaſſung ihren kleinen


Raum konnten auf dieſen leßtern die Eingeweide der
Berge nicht eher in Brand gerathen , als bis die große Fluth
von Südweſten hereinbradi, und dieſe Spiße Aſiens in
zahlloſe Inſeln zerriß. Dies iſt auch die Urſache, warum
noch alle weſtliche Inſeln den heftigſten Erdbeben unters
worfen ſind, die man in Batavia Togar periodiſch zu ers
warten pflegt. Die Taßeitier ſprechen von einem Gott,
der die Erde erſchüttert; ob aber dergleichen Krämpfe der
Natur ſelten oder gewöhnlich, ſtark oder von geringer Bes
deutung bei ihnen ſind, haben wir nicht gelernt. In jener.
See , welche mit Recht die ſtille und friedfertige heißt,
kennt man auch nicht den wüthenden Orcan , den Saifun,
der im ſineſiſchen Meere beim Wechſel der Witterung ſo
Heftig ſtürmt, als ob es der Erde das Daſein gelten ſollte.
So iſt die Weltgegend und ſo das Klima beſchaffen ,
.
woſelbſt die Natur dem Brodbaum ſeinen Plaß angewieſen
hat. Dodach und Kleidung , die andermårts zu den ers
ften Erforderniſſen gehören , ſind hier nur Artikel des
Jurus; Speiſe bleibt das einzige Bedürfniß , und dafür
iſt , vermittelſt eben dieſes Baumes , hinlänglich geſorgt.
Gleichwol ergieng es ihm , wie ſo vielen andern guten und
in ihrer Art vortreflichen Dingen : fein großer Werth ward
nirgends weniger, als in ſeinem urſprünglichen Vaterlande
erkannt. Wild und roh , wie 'er aus den Händen der
Þ 3 Natur
.

222 II. Geſchichte des Brodbaums.


Natur Hervorgieng, To lies ihn auch der tråge gleichgültige
Menſch , der ſich dort an manchen andern Früchten und
Wurzeln ſchadlos halten konnte. An der Küſte von Celes
bes , in Banda , Ámboina und überhaupt auf allen Mo
luffen lebt das gemeine Volf beinah von nichts anderm
als den Rernen der ſaamentragenden Brodfrucht , die man
wie Kaſtanien zuvor in Aſche brat , oder auch im Waſſer
abkocht. Uus dieſen Kernen , die entweder von Menſchen
oder auch von gefråffigen Fledermauſen ausgeſtreut wer
den , wachſen junge Bäume ſchnell und ohne Wartung
hervor, und der Umbpineſer errichtet gern ſeine Hütte un
ter ihren dickſten Schatten , theils um vor Sonne und
Menſchen verborgen zu wohnen , theils um ſeine faule
Hand nicht weit nach Speiſe ausſtrecken zu müſſen. Weis
ter nach Abend hin , an der Küſte von Sumatra , Java,
Baly und Madura wächſt bereits in Gärten und Pflan
zungen eine Spielart des Brodbaums ohne Saamen .
Ihre Früchte find aber Flein , mit ſtachlichter Rinde und
einem zwar eßbaren , jedoch ſehr zaferigen und flockigen
Fleiſch : ein Beweis , daß auch hier die Kultur des Bau
mes vernadıläſſigt wird. Die Noth , diefe Mutter ſo vies
ler vortreflichen Erfindungen , ſie, auf deren Antrieb die
Stammvåter des Menſdengeſchlechts Br in od
Europa
ukte deauf den
Tegenreichen Bedancken verfielen , die s Erde
reichs durch den Anbau zů vervollkommnen , und wilde
Grashalme zu vollen Kornåhren umzuſdaffe - die Noth
þat es wahrſcheinlich zuerſt entdeckt, daß aunch der Broda
Þaum eine Perfektibilitä beſikt, welche ſich nur vermittelſt
der fleiſigſten Kultur enttwickeln kann . Man brachte ihn
nach den öſtlichen Inſeln , den Marianen , dann den
Freundſchafts- Societats und Marquiſeninſeln . Bald
Jah man ſich daſelbſt gezwungen , ihn als die einzige zuvers
låffige Stüße des Lebens mit Sorgfalt anzuziehn und zu
vermehren . Die Erfahrung lehrte eine beſſere und ſchnel
lere Fortpflanzungsar . Die Wurzel ward von Erde ents
t bidßt
II. Geſchichte des Broðbaums. 223
bidkt und an der Oberfläche eingeferbt. Eine Menge
junge Schoffen trieben aus dieſen Einſchnitten hervor , und
dieſe verpflanzte man nebſt einem Theil der daran gelaſſes
nen Wurzel. (Rumph I. 110. Crozet voyage & c.
191.) Eine fette Moorerde mit etwas Sand und Mue
(dvelkalk vermiſcht, gab den Bäumen die reichlichſten und
jutráglichſten Nahrungsſäfte. Endlich lernte man auf
den Societátsinſeln , daß ein abgeſchnittener Zweig des
erwachſenen Baums init glücklichem Erfolg der Erde anver
traut , und zu deſſen Nachfolger groß gezogen werden
fónnte. So verlohren ſich nach und nach die ſcharfen
Kanien und Höckerigen Uusipůchſe der Rinde ; der Stamm
ward glatt und ſtieg gerade und zierlich in die Höhe ; das
Saub , welches ſonſt rauh anzufühlen und mit dickem Haar
beſeßt geweſen , gewann ein zartered , gepuşteres, glátteres
Anſehen . Die ſtachlichten Früchte behielten kaum noch
ſtatt der Stadeln ein erhabenes , bald hinwelkendes Punkts
gen; anſtatt wie ehedem , aus wenig mehr als der Rinde
und dem innern Strunke zu beſtehen , wuchſen ſie zu einem
Durchmeſſer von 10 bis 11 Zoden hinan ; und erhielten
für das grobfaſerige , záhe , ein zartes mebliged Fleiſch.
Ungefähr auf eine ähnliche Art gelang es dem Fleiß und
der Kunſt unſerer Vorfahren aus Holzäpfeln Borsdörfer,
Reinetten und Kalvillen , aus wilden Kirſchen die füffen
ſpaniſchen und die faftreichen Morellen zu ziehn. Schón
iſt übrigens die Form des durch Kultur veränderten Brods
baums , und ſchattenreich feine weit ausgebreitete Krone.
Kein Obſtbaum im Norden von Europa , ja was noch
mehr iſt, kein Baum aus unſern Forſten , die Eiche und
die kinde ausgenommen , darf ſich im Ebenmaas Bes
Wuchſes und Schönheit der Geſtalt mit ihm meſſen . Die
Roßkaſtanie, die in der Ferne einige Lehnlichkeit mit ihm
zu haben ſcheint, láßt er weit hinter ſich zurück. Sein
groſes breites Blatt , wie Feigenlaub tief eingeſchnitten ,
iſt zierlich geformt und von anmuthiger Farbe. Selten
P 4 über
224 II. Geſchichte des Brodbaums.
überſteigt ſeine Höhe vierzig Pariſer Fuß : wie die ſchönſte
unter den Göttinnen , Hált er das Mittelmaas unter den
Báumen .
Sobald der Brodbaum den Inſulanern im ftigen
Weltmeer ſo wichtig und unentbehrlich ward , erhielten
ſogar ihre wiſſenſchaftlichen Begriffe eine Beziehung auf
ihn. Die Taheitier bemerkten , daß dieſeç edle Baum
ohngefähr um die Zeit , wenn die Sonne im Begrif iſt
aus der nördlichen Halbkugel in die ihrige zurück und úber
den Aequator zu treten , friſche Blatter und junge Frůdyte
anzufeßen beginnt , die im Detober anfangen zeitig zu
werden . Von dieſer Zeit an bis in den April, oder ro
lange die Sonne in der ſüdlichen Halbfugel bleibt , fehlt
es ihneit nie an friſcher Brodfrucht: es kommen theils an
einem und demſelben Baum , theils an mehreren , deren
Standpunkte verſchieden ſind , von Zeit zu Zeit neue
Früchte zum Vorſchein , und reifen nad und nach bis in
den Julius und Huguſt. Von dieſem Monat an bis zum
Anfang des November iſt aber die Frucht gar nicht zu haben.
Jener Zeitabſchnitt nun , während dem die Früchte auf den
Bäumen wachſen , und der achtMonate in ſich begreift,
wird von den Einwohnern Pa- Uru , die Brodfruchtzeit
genannt, und dies iſt ihre gewöhnliche Zeitrechnung.
Soofs zweite Reiſe um die Welt , bei der ich ſein
Gefährte war, kann hier zum Beweiſe dienen. Wir
kamen während dieſer Reiſe zweimal nach D - Taheiti und
den umliegenden Inſeln . Das erſtemal in der Mitte des
Yuguſtmonats, war ſowohl die Brodfrucht als alle andere
Obſtarten des heiſſen Erdſtrichs daſelbſt auſſerſt felten , und
um das koſtbarſte, was eine taheitiſche Phantaſie zu reizen
permogte , faſt gar nicht mehr zu erhandeln . In dieſer
Fahrszeit, die unerachtet der Entfernung der Sonne, kein
Winter heiſſen konnte , und an genialiſcher Wärme keinen
Mangel litt, zeigte ſich die junge Brodfrucht an der Zweige
åuſerſten
11. Geſchichte des Broðbaums. 225,
áuſerſten Spigen , in ihre Blumenſcheide gehüdt. Das
alte Laub , welches nicht eher fadt , als bis das neue feine
Entwickelung vollendet hat, ſaß noch auf den Bäumen ,
und ſeine Farbe war ein etwas herbſtliches Grün. Zum
zweitenmal, nach einem Zwiſchenraum von acht Monaten ,
erreidten wir die Inſel im Monat April. Jezt hatte das
Saub ſeine lebhaftgrúne Schattirung, und alle Uefte beugten
ſich unter der Saft ihrer Früchte. In groſer Menge pflückte
man ſie jezt vor ihrer vódigen Reife, und beſchleunigte
dieſe dadurch , daß man ſie (aufenweis aufſchüttete und
ſich innerlich erhißen ließ. In dieſem Zuſtande, wo ſie
nicht zu genieſſen waren , ſchnitt man den Strunk oder
Fruchtboden und die Rinde weg , fügte mit der fleiſchigen
Pulpe eine tiefe mit Steinen gepflaſterte Grube , bedeckte
dieſe mit Haufen von Blättern und Steinen , und ließ
den ganzen Vorrath in die ſaure Gahrung übergehen .
Der Teig (Mahei) , der auf ſolche Art entſteht, iſt volls
kommen durchgefáuert und ſchmeckt wie das ſowarze weſt
pháliſche Brod (Pumpernickel), wenn es nicht ganz auss
gebaden iſt. Aus dem Vorrath in der Grube nimmt man
jedesmal nur ſo viel als zu einem Gebäcke hinreichend ifte
macht fauſtgroſe Klumpen daraus , roüt ſie in Blátter und
båckt ſie auf erhißten Steinen . Solche Klumpen þalten
ſich einige Wochen lang , und ſind beſonders auf Reiſen
ůber See der gewöhnlide Proviant,womit ſich die D - Ias
heitier verſehen . Uebrigens aber iſt dieſes ſaure Brod bei
ihnen fo beliebt, daß ihre Vorneşmerr ſelten eineMahlzeit
ohne daſſelbe thun ; und während der drei bis vier Monate,
wo die friſche Brodfrucht faſt gar nicht zu haben iſt , gea
nießt das ganze Volk beinah feine andere Speiſe. Unges 1

backen hålt ſich der gegohrne Teigmehrere Monate hindurch


in den Gruben , ohne einige Veränderung zu leiden ( * ).
P. 5 Eine

( * ) Ausführlich lieſt man dieſe Zubereitung und noch mehreres aus


der taheitiſchen Rochfunft, in Famkesworths Gerdigte derneue
ften Entdeckungsreiſen 2. Berlin 4. ater Band , S. 196 u. f.
1

126 It. Geſchichte des Broðbaums.


Eine ungleich betrachtlichere Menge Brodfrucht wird
Friſch aufgezehrt. Uuch zu dieſem Gebrauch muß fie nicht
reif , aber ſchon voukommen ausgewachſen reyn. Ihre
Kinde iſt alsdenn noch grún , das Fleiſch aber ſchneeweis
und von lockerem , mehligem Gerebe. Roh kann man es
fchlechterdings nicht genieſſen , ſondern die Frucht muß gea
| fohalt , entweder ganz oder zerſchnitten , in Blåtter ges
wickelt und auf Seiffen Steinen geröſtet und gebaken ſeyn .
So geringfügig dieſe Mühe auch iſt , mögte der wollúſtige
Südländer doch gern derſelben úberhoben ſeyn : daher
träumet er ſich auch in ſeinem Paradieſe eine Brodfrudit ,
die feiner Zubereitung bedarf und friſch vom Baume weg
gegeſſen werden kann. Dieſe trefliche legende erfann viel
leicht ein gutmüthiger Wanſt von einem Prieſter in dem
behaglichen Stundgen , da ihm nach Landesfitte ein Paar
fchöne Kinder wechſelsweiſe die edle Brodfrucht, den ſüßen
Piſang und den køſtlichen Schweinsbraten bei Händen vol
in den Mund ſtopften. Er gonnte wenigſtens den Jayen
diefelbe glückſelige Ruhe, in deren Genuß er ſich ſo wohl
befand ; und aus dieſem Geſichtspunkte wird ſelbſt im
Aberglauben der Nation die Herrſchende Milde und Sanft
muth ihres Charakters offenbar.
Die geróſteté Brodfrugt hatte für mich všaig den
Geſchmack der Krume des Waizenbrods, die mit gekochten
mehligen Kartoffeln vermiſcht geweſen wäre. Etwas
ſüßliches ſchmeckte man zuweilen vor , ' insbeſondere wenn
die Frucht ſich der Reife náherte , oder auch wenn ſie nach
dem Backen verlegen oder ali geworden war. Die ſchmack
Þafteſte war, laut der Uebereinkunft aller.Mitreiſenden ,
jene , welche wir auf den Marquiſeninſeln eintauſchten ;
doch meines Erachtensgiebt ihr die taheitiſche nichts nach.
Wenn die Frucht ganz reif iſt , hat ſie einegelbliche Farbe,
iſt weich anzufühlen und inwendig einem Brey áhnlich, der
widerlich ſúß ſchmeckt und riecht. In dieſem Zuſtande ſahe
ich ſie ebenfalls auf den Marquiſeninſeln . Die Einwoh
ner
II. Geſchichte des Brodbaums. 227
ner der Marianen und Philippinen effen ſie alsdenn zwar
roh , jedoch mit großer Behutſamkeit, weil ſie jegt eine
ungeſunde Speiſe geworden iſt. Vor der gånzlichen Zeis
tigung gebrochen und geröſtet, iſt ſie unſtreitig eines der
geſundeſten und zugleich der nahrhafteſten Lebensmittel, die
wir kennen ; je weiter man ſich aber von der einfachſten
Zubereitungsart entfernt, und je mehr fremdartige Zufaße
man zur Brodfruchtmacht, um ihren Geſchmack zu wür
zen , defto weniger kann ſie dem menſchlichen Körper zus
träglich ſeyn. Rumph fagt daher : die in Zucker geſota
tene'oder in Kokusól gebratene Brodfrucht in Java ſei ein
ſchweres unverdauliches Gericht ; und dies iſt um ſoviel
wahrſcheinlicher , weil die dortige grobfaſerige Sorte mit
der taheitiſchen an ſich ſchon in keinen Vergleich kommen
darf , und Cook ſie kaum noch für eine Brodfrucht erkena
nen wollte. Die Hogánder in Batavia , Zeilon und an
dern Gegenden Indiens bereiten aus der Brodfrucht eine
große Anzahl zuſammengefeßter Speiſen , die' I kunberg
pünktlichſt beſcreibt, ich aber hier gänzlich übergehe, weil
fie eigentlich nur im Kochbuch am rechten Orte ſtehen.
Wichtiger für die Naturforſcher iſt der Gebrauch , dent
man von den übrigen Theilen des Brodbaums machen kann ;
denn wiewohl die Frucht unſtreitig das Köſtlichſte und nůß
lichſte am ganzen Baume bleibt , ſo ſcheint doch dieſer noch
in mancher Rückſicht zum Beſten des Menſchen geſchaffen
ju ſeyn . Nachdem derſelbe während eines Menſchenalters
Früchte getragen hat , ergreift ihn das Schickſal aller nas
türlichen Dinge ; er fångt an abzuſterben , und allerlei
Gebrechen bedeuten ſeinen nahen Untergang. Jezt bleibt
alſo nichts mehr übrig , als den Stamm zu irgend einem
håuslichen Gebrauch zu verwenden, und entweder einen
Kahn daraus zu hören oder wenigſtens einen Pfoſten oder
Balken an der leichten ländlichen Hütte daraus zu verfera
tigen. Es wird auch mit geringer Mühe mandie Geråth
ſchaft , wie kleine Schemet, Súffeln , Tróge und ders
gleichen
228 II. Geſchichte des Brobbaums.
gleichen daraus geſchnißt; allein des Vorzugs ungeachtet,
welchen der taheitiſche Brodbaum , was dieſen Punkt bes
trift , vor dem weniger kultivirten in den Gewürzinſeln
poraus hat , nimmt doch das weiche gelbe Holz gar keine
Politur an. Die Amboineſer, und wo ich nicht irre , auch
die Taheitier , pflegen Trommeln davon zu machen , weil es
gut klingt und ſehr leicht iſt. Den wilden Brodbaum kann man
fchlechterdings zu nichts anderm als zur Feurung gebrauchen .
Das junge Holz der kerntragenden Sorte wird auf Banda
leicht wurmſtichig , und iſt folglich von geringem Werth.
Dasjenige zarte Zellgewebe, aus welchem ſich jährlich
eine neue Holzlage an Stamm und Aeſten bildet , oder der
gleich unter der Rinde liegende weiſſe Splint ( liber ) iſt
am Brodbaum ſo beſchaffen , daß die Einwohner von Ta
heiti ihre Kleidung daraus bereiten können . Sie pflanzen
zu dem Ende eine Menge junger Bäumchen dicht neben
einander in lockerem Boden , und ſuchen ſie ſo gerade als
möglich und ohne Aeſte in die Höhe zu ziehen. Im andern
oder dritten Jahr werden ſie abgeſchnitten und der Splint
auf die nämliche Art davon abgeſondert, vorbereitet und
zu Muſſelinen ähnlichen Tüchern verarbeitet, als mit dem
Splint des Papiermaulbeerbaums üblich iſt. ( S. Hawkesa
worths G.der Reiſen 3.515 .) Dieſe Lücher ſind zwar etwas
ſpróder anzufühlen als jene von der ebenerwähnten Maul
beerrinde , an Feinheit aber kommen ſie ihnen ziemlich nak.
Minder wichtig iſt der Nußen der Blätter. Auſſer
jener Anwendung , die ſie mit allen (aubarten gemein
haben , daß ſie námlich, ſobald ſie abgefallen und verweſet
ſind, dem Stamme , der ſie getragen , zu Düngung ges
reichen , bricht man ſie auch häufig vom Baume und be
dient fich ihrer Speiſen einzuwickeln , oder auch darin zu
backen. Die erſte Anſtalt zu einer Mahlzeit beſtehet jedess
mal in dem , daß eine große Menge dieſer Blátter auf den
mit Heu bedeckten Boden geſtreut werden : unmittelbar
ailf dieſe legt man die Speiſen , ohne den entbehrlichen
Aufs
1
1

II. Geſchichte des Brodbaums. 229 ,


Aufwand von Sedern und Schüſſeln . Ein ſolches Blatt,
welches anderthalb Schuh lang iſt , vertritt alsdenn die
Stelle der Serviette, wobei man noch den Vortheil Haty
To oft man will, ein friſches zu nehinen. In Burro und
den Gewürzinſeln zunden die reiſenden Indianer des
Nachts ein Feuer von den Blättern des wilden Brods
batıms rings um ihre Jagerſtätte an , deffen beſtåndiges
Kraden die Schlangen verſcheucht.
Die mannliche Blüthe des Brodbaums beſteht in einer
ſpannenlangen braungelben Kolbe , welche ganz mit kleinen
Blüthen bedeckt iſt , und dadurch mit den Schilffeulen
(typha) die in unſern Súmpfen wachſen , eine auffallende
Aehnlichkeit gewinnt. Wenn dieſe Kolben oder Kåßgen
abgefallen und vertrocknet ſind , haben ſie die Eigenſchaft
des Zundſchwammes, und man bedient fich ihrer auf die
nåmliche Urt , als Junten , zur långern Uufbewahrung des
Feuers. Es dringt endlich noch aus allen verwundeten
oder eingeſchnittenen Theilen des Baums ein weiſſer Flebris 9

ger Saft, der in Amboina aufgefangen , mit Kokosmilch


eingekocht und fodann als Vogelleim verbraucht wird ,
Mit Sagumehl, Zucker und Eimeis vermiſcht, wird dieſer
Milchſaft zu einem feſten und dauerhaften Kútt , womit
die dortigen Einwohner alle Rißen in ſolchen Gefäſſen vers
ſchmieren , welche waſſerdicht ſeyn müſſen . Der ehrliche
Rump , deffen Aufmerkſamkeit ſo leicht nichts entgehent
konnte , fpricht auch von allerlei Heilmitteln , welche der
Umboineſer aus der Rinde und andern Theilen des Brods
baums bereitet ; das brauchbarſte dürfte wohl eine Arznei
wider den Durchfad ſeyn , die von den getrocneten Wurs
Jeln der wilden Gattung genommen wird. An dieſem
wilden Baum ſcheint alles noch eine herbe zuſammenziehende
Eigenſchaft zu verrathen , welche fich durch den Anbau
gróftentheils verloren bat.
Daher beruht der Werth des zahmen Brodbauins
aud nidt auf feinen porgebliden Heilkräften , ſondern auf
Der
230 II. Geſchichte des Brodbaums.
der nahrhaften und reichlichen Speiſe , womit er den Fleiß
des Bauers belohnt. Cook rühmt von ihm mit Recht
feine erſtaunliche Fruchtbarkeit. Hat jemand in ſeinem
Leben nur zehen Brodbåume gepflanzt , ſo hat er ( dies
find des groſen Weltumſeglers Worte ) ſeine Pflicht gegen
» rein eigenes und gegen ſein nachfolgendes Geſchlecht eben
og ro vollſtändig und reichlich erfúat , als ein Einwohner
unſers raußen Himmelſtrichs , der ſein Leben hindurch
während der Kålte des Winters gepflügt, in der Soms
merhiße geerndet , und nicht nur ſeine jezige Haushal
tung mit Brod verſorgt , ſondern auch ſeinen Kindern
» noch etwas an baarem Gelde fümmerlich erſpart hat . 16
Zufolge einer oft wiederholten Verſicherung der Einwohner
von D - Taheiti läßt ſich dieſes Verhältniß noch genauer
beſtimmen. Eine Perſon kann vom Ertrag dreier Brode
báume acht Monate iang reichlich leben. Ein ſolcher Baum
nimmt 1600 Quadratfuß ein ; mithin ftehen 27 Báume
auf einem engliſchen Morgen (andes. • Es können folglich
9 Menſchen in D - Jaheiti von demſelben Bezirk ihr Aus
kommen haben , der in der volkreichſten Gegend Frankreichs
in der nämlichen Zeit kaum einen zur Hälfte ernährt:
(S. J. R. Forſters Bemerkungen a . S. 169. ) Nach
dieſer Berechnung ſchließt man mit vieler Wahrſcheinlich
keit , daß ſo anſehnlich die Volkmenge jener Inſeln im ſtil
len Weltmeere Tenn mag , ſie noch lange nicht aufs auſſerſte ,
getrieben iſt, ſondern daß der Brodbaum z. B. auf D - Ta
heiti ( einer Oberflache von 40 engliſchen Quadratmeilen )
noch weit mehr als die jeztlebenden 120000 Einwohner ers
halten könne. Auch darf man dieſe wirklich ſchon ſehr ſtarke
Bevölkerung nicht etwa in einer beſonderen Genügſamkeit
des Taheitiers ſuchen , dergleichen man insgemein den ſüdlis
chen Europäern zuſchreibt. Ade Augenzeugen ſtimmen mit
mir überein , daß die guten Inſulaner , die von der Brods
frucht leben , init einem herzhaften Appetit , wie homeriſche
Helden , zur Mahlzeit gehen , und daß die faſt unglaubliche
Menge
II. Geſchichte des Broðbaums. 231
Menge von Lebensmitteln , die einige unter ihnen verſpeiſex .
können , vortreflich anzuſchlagen pflegt. Ihr Geſchlecht bes
hauptet in der That einen auszeichnenden Borzug vor ſeinen
Nachbarn . Großund edlen Wuchſes, mit offenem Blickund
einnehmenden Zügen , gránzt es zunächst indas Modell acht
aſiatiſcher Schönheit, und macht ihm oftdenVorrang ftreis
1
tig. Ob Nahrungsmittel einen noch höhern Einflußhaben,
ob Sinn und Herz unmittelbar oder entfernt dadurch ges
ſtimmt werden können ? ſei unfern Enkeln zur Entſcheidung
aufbewahrt. Wir wiſſen nurmitZuverläffigkeit, daßSanfts
muth , Liebeund Füblbarkeitdes Herzens die bervorſrechenden
Charakterzüge des Menſchen ſind, der von der Brodfrugt
lebt. In allem übrigen gleicht er ſeinen Mitbrüdern in der
Welt , und iſt das leichte Spiel der Leidenſchaften und Triebe,
welche nur in dein Maaſe den wahren Genuß des Lebensers
höhen , wieIhátigkeit den erſtenFluch über dasMenſchenges
ſchlecht zur reichſten Segensquelle umzuſchaffen weiß. Ein
Glück für ihn , daß der Baum, der ihm Schatten und D62
dach, Kleidung und Speiſe gemahrt, ſein ganzer Reichthum
ift! Håtte er Theil an jenen ſchimmernden Gütern , die der
Wilde auf den weſtlicher gelegenen aſiatiſchen Inſeln beſikt-
und nicht genießt- fürwahr ! er ware lángſt der Sklave
eines europäiſchen Räubers. Uber was ſage ich ? Hatten die
UrbewohnerderMarianeninſeln mehrals dieſes Brod ? Und
welcher gerechten ,weiſen , menſchenfreundlichen Staatskunft
gelang es , nach zwei Jahrhunderten von Krieg ? ſoll ichsnena
nen , oder Jago ? dieſe 60000 mackern Naturmenſchen bis
auf 800 gepeinigte und zur Verzweiflung getriebene Seelen
zu vertilgen ? Welch eine Rechnung von unſchuldigen Tyres
nen , Soweis und Blut, die der Vater des Menſchenges
ſchlechts von ſeinen Haushaltern in jenem Erdenwinkel zus
růckzufordern hat ! Zwar find es nicht Betrachtungen
dieſer Art , die einen Eroberer zum fchaudervollen Selbſtge
fühl wecken : indeffen dürfte doch die ſonnenflare Ueberjenis
gung , wie zipecklos und mie koſtbar dort die Grauſamkeit ges
weſen
232 II. Geſdjichte des Brodbaums.
weſen iſt, der eiſernen Politik, um ihres eigenen Vortheils
willen , Schonung gebieten ; und ſich ſelbſt gelaſſen , werden
dann lange noc im friedlichen Meere die úbrigen harmloſen
Volker glücklich ſeyn , denen die Vorſehung mit einem
Baum die Zufriedenheit ſchenkte !
Die Geſchichte der Erzeugniſſe des Erdbodens iſt tief
und innig in die Schickſale der Menſchenund in den ganzen
Umfang ihrer Empfindungen , Gedanken und Handlungen
jeden Wiſſenſchaft ,undraturgránztmit dem Bezirk einer

ohne zugleich in dieſe hinüber zu blicken. Auch ſind es nur


dieſe Beziehungen der Dinge auſſer und auf unſer eigenes
Selbſt , die einer jeden Wiſſenſchaft ein allgemeines Intes
refſe geben ; ſo wie von einer andern Seitedie Gemeinnúßig
keit wiſſenſchaftlicher Wahrheiten und ihr Einfluß auf das
Glück der Menſchheit, tediglich von ihrer allgemeinen und
vollkommenen Uusbreitungabhångt. Wer dieſen einfachen
Grundbegriffenwiderſprechen woate , den mußte man befra
gen , ob nicht bittrer Spott einen Künſtler treffen wurde,
der die lachendſte Sandſchaft verſtůmmelt håtte , um nichts
als ſeines Herrn Gebiet auf feiner Leinwand abzuzirkeln ?
Dder fodtees nur den Priefern der Natur verboten ſeyn, jede
Ausſicht ſotreu und wahr verſinnlicht darzuſteđen, wie ſie vera
ſchränkt mit nachbarlichen Gefilden vor ihren Augen ſchwebt?
Dein fühner Genius, unnachahmlicher Búffon ! ents
ſchwang fich zuerſt den Feſſeln dieſes Vorurtheils. Er fand
die Naturwiſſenſchaft, wie ein bloſes Gerippe , das den An
beter im Halbdunkel eines Goßentempels mit heiligem Grau
Fen erfügt und ſchnell vorüber zu eilen zwingt. Gefürchtet
ſtand ſie da , und nicht geliebt. Áber er umzog die Gebeine mit
dem wallenden Umriß eines göttlich gebildeten Körpers. Da
hauchte die Tochter Jupiters , die einſt Pygmalionsbild be
ſeelte, dem neuen Meiſterſtück das Leben ein , und alle Chas
ritinnen beſchenkten es mit Anmuth ,edler Einfalt, Würde
undMacht über Menſchen und Götter.
III.
BOCHT 233
III.

Fortſeßung der Prüfung von Hrn. Prof.


Kants Gedanken über die Natur 1

der Metaphyſie.
WRiegend
der Wanderer , wenn er in eine mehr bereiſte Gea
von einer neuen Seite geführt wird, dieſe fúe
unbekannt hålt , und nicht eher fich darin finden kann ,
bis er den neuen Unblick mit dem alten Geſichtspunkte vers
glichen hat : ſo dúnkt auch dem Philoſophen , wenn die
ſonſt bekannten Begriffe in ganz neue Stellungen geſeßt
werden , alles fremd, und er muß erſt dieſe Verbindungen
auf ſeine vorher gewohnte Denkart zurückbringen. Nacha
dem Hr. Kant die Begriffe von Raum und Zeit unters
ſucht hat , geht er zu den Köhern Verſtandesbegriffen von
Urſache und Wúrkung, von Subſtanz und Accidens,
nebſt andern verwandren über ; betrachtet ſie aber aus
einem ſo eignen Geſichtspunkte , in einer von der gemdhna
lichen ſo abgehenden Sprache , daß man Mühe fat , ſeine
Meinung herauszufinden. Sollte ich alſo hier nicht
durchaus ihn richtig verſtanden haben , ſo werde ich deſto
eher zu entſchuldigen ſeyn , da auch andern aus gleicher Urai
fache ein gleiches wiederfahren iſt, und die Zurückführung
ſeiner Begriffe auf die gewöhnlichen nicht zu den leichteſtent
Aufgaben gehårt. Er geht davon aus , daß wir über die
urſachliche Verbindung , über die Subſtanzen und Accis
denzen u. f. w. Grundfäße a priori haben , und da dieſe
aus den Begriffen ſelbſt nicht analytiſch können gefolgert
werden , fo ſchließt er : ſie haben blosi in unſerm Verſtande
ihren Siß , ſo fern ſie Gefeße unſerer Denkkraft ſind, mits
ħin falle ihre Anwendung auf Gegenſtande, welche wir
nicht erfahren können , von ſelbſt dahin. Hier wird es
wohl am bequemſten reyn , erſt den Beweis des Hauptſaza
jes , hernach die Folgerung zu unterſuchen
Seſ Beitr. Sc. II. Die
234 III. Ueber die Natur der Metaphyfik.
Die allgemeine Naturgefeße, 3. B. alles was hervors
gebracht wird , hat eine IIrfade; ade Subſtanzen ſtehen in
durchgängiger Gemeinſchaft; die Subſtanz beharrt, nur
die Uccidenzen wechſeln u . f. w. , ſagt er, können nicht a
priori erkannt werden , weil ſie nicht analytiſch ſind , und
Beſtimmen nicht, was im Begrif enthalten iſt, ſondern
was auſſer dem Begriffe zu dem Dinge ſelbſt in ſeinem Das
1
fein hinzufommt. Unſer Verſtand und die Bedingungen,
unter denen er allein die Beſtimmungen der Dinge in ih
rem Daſein verknüpfen kann , ſchreibt den Dingen ſelbit
teine Regel vor ; dieſe richten ſich nicht nad unſerm Vera
hande , ſondern der Verſtand muß fich nach ihnen richten .
Uuch nicht a pofteriori; denn die Erfahrung lehrt nicht,
daß etwas not wendiger Weiſe, ſo und nicht anders ſeyn
muß. Prolegom . S. 71. u. f.)
Des Dilemma lekteres Glied fteht unerſchütterlid
Feſt ; aber auch das erſtere ? Der Grundlaß von der urs
fachlichen Verbindung , um bei dieſem nur ſtehen zu bleia
ben , iſt er in der That ſynthetiſch ? Freilich ſcheint er ſo ;
denn um von einem Dinge auszuſagen , es habe eine Urs
fache , muß man ja aus deſſen Begrif Heraus zu dem eines
andern übergehen , muß man zwei Dinge in Verbindung
bringen , die an ſich von einander getrennt, deren eins kein
Theil des andern , weder in der Anſchauung , noc im Bes
grif iſt. So hat auch bereits Hume die Sache vorges
ſtellt. Dazu kommt " , daß die Verſuche den Saß
vom zureichenden Grund und der zureichenden Urſache aus
dem des Widerſpruchs zu beweiſen , bisher fehlgeſchlagen
find , alſo nad faſt einſtimmigem Urtheile ater einſichtsvols
len Philoſophen , es Vermeſſenheit ſcheint, nur zu zweis
feln , ob,er zu den ſynthetiſchen gehört.
Dennoch wage ich zu zweifeln , und Kennern meine
Brúnde vorzulegen , wenigſtens das Geſtändnis hoffe ich
dadura
İll. Ueber die Natur der Metaphyſik. 235
dadurch zu erhalten , daß ich nicht ohne Urſache gezweifelt
Þabe, Verhåltnisſáße bringen zwei ſonſt getrennte , auch
in ihren Begriffen nicht als Theile an einander geknüpfte 1
Dinge in Verbindung; Verhältnisſäße fónnen, ſobald die
Extremen gegeben ſind, a priori erkannt werden ; alſo
ſind nicht alle Säße, worin Begriffe ſich beiſammen finden,
ohne daß durch Analyfe einer im andern angetroffen wird,
fynthetiſcy; oder , fallsſie durchaus ſynthetiſch Heiffen ſols
len , fu find doch nicht alle ſynthetiſche Säßea priori
nicht unerkennbar. So viel wenigſtens erheat Gieraus,
daß aus dem zum Grunde gelegten Begriffe eines ſynthetia
ſchen Saßes hier nicht unbedingt geſchloſſen werden , mits
þin der erſte Beweis nicht unwiderſprechlich ſeyn kann.
Nun drückt ferner der Saß vom zureichenden Grunde
oder der von der zureichenden Urſache ein Verhältnis aud ;
alſo iſt wohl offenbar, daß zum Schlußraße noch etwas
mehr erfordert wird , als was die Vorderſåße ſoon ents
Halten. Soll das dadurcs ergånzt werden, daß jener
Grundraß nebſt ſeinen Begleitern noch a priori nicht iſt
etmieſen worden , ſo erwachſt daraus zwar ein gúnſti
ges Vorurtheil ; aber noch kein ſtrenger Beweis !. ders
gleichen doch in einer Frage von dieſer Erheblichkeit billig
gefordert wird. Der Mangel eines befriedigenden Beweis
fes , ſollte er nicht etwa daher entſtehen , daß man ißn
nicht auf dein rechten Wege geſucht hätte ? Noch hat we
nigſtens niemand dargethan , daß er unmöglich iſt; denn
was Humeund Hr. Kant zu dieſem Behufe anführen ,
ift, nad dem eben angefüßrten , nicht genugthuend.
Verſuchen láßt fich alſo dieß noch immer , und einen
ſolchen Verſuch will ich herſeßen . Zwar wird dieſe Mates
tie etwas trocken werden , wie alles, was unſere höchſten
und abſtrakteſten Begriffe angeht , nicht anders als trocken
ſeyn fann ; allein leſer die erwagen , daß auf ſolche Subs
tilitäten und Trockenheiten die wichtigſten Unterſuchungen
über
៦ ១
236 III. Ueber die Natur der Metaphyfie,
über Realität und Gewißheit unſerer Erkenntnis , und fos
mit aud die Beruhigung der Vernunft über ein fünftiges
Daſein am Ende hinausgehen , werden ſich dadurch nicht
abſchrecken laſſen . Zu Vermeidung aller unnúßen Weits
läuftigkeit will ich mich auf den Saß vom zureichenden
Grunde einſchränken ; aus welchen der pon der zureichenden
Urſache , obgleich von iým verſchieden , ſich doch leicht ableis
ten läßt. Auch will ich mich nicht darauf einlaſſen , ob alles
ohne Uusnahme einen zureichenden Grund hat, oder haben
muß ; Tondern blos zu erweiſen ſuchen , daß alles zufálige
einen zureichenden Grund hat.
n was anders ſeyn kann , als es iſt, das
Zufädig iiſt,
þeißt, deſſen Weſen oder Begriffe es nicht widerſpricht ; ans
ders beſchaffen zu ſeyn , andere Prádifate zu haben als es
hat. Der Grund iſt dasjenige Ding, aus welchem in
einem andern eine gewiſſe Beſchaffenheit folgt, aus wels
chem ſie begriffen oder abgeleitet werden kann , mit welchem
fie geſeßt wird.
Dem Begriffe oder Weſen des zufädigen Dinges wis
derſpricht es nicht, andere Prädikate zu haben ,als es hat;
nun aber iſt ein Widerſpruch nicht größer als der andere :
1 der Widerſpruch iſt etwas unveränderliches , welches keine
wandelbare Quantitäten annimmt . Alſo kann das zufale
lige Ding an ſich betrachtet , ſo gut a als nicht a , das
Wachs ſo gut viereckt als nicht viereckt ſeyn , eins iſt ihm
ro möglich als das andre. ' Auch , wenn ich reße, das zus
fáuige fei jezt a , kann ich eben ſo gut feßen , es ſei jezt
nicht a ; vom Wachſe iſt es mir eben ſo gut vergånnt zu ſa
gen , es ſei jezt viereckt , als es ſei jezt nicht vieteckt.
Ferner iſt klar , daß wenn einem Dinge zwei Prädie
kate jedes für ſich zukommen , ſie ihm auch zugleich müſſen
beigelegt werden , weil, wo die einzelnen Stücke ſind, auch
deren Uggregat oder Summe ift. Kann man ſagen , Sos
frates
III. Ueber die Natur der Metaphyſik. 237
Frates iſt weiſe und Sokrates iſt arm , Po iſt auch erlaubt
zu ſagen , Sofrates ift arm und weiſe. {åßt ſich alſo vom
zufälligen reken , es iſt a , und es iſt nicht a ; ſo muß auch
geſagt werden können , es iſt a , und nicht a ; erlaubt des
Wachles Weſen , zu reizen es iſt viereckt und es iſt nicht viers
eckt; ſo muß von ihin auch geſagt werden können , es iſt
viereckt und nicht viereckt,

Nun aber fann etwas nicht zugleich a und nicht a


reyn ; alſo muß etwas da reyn , welches beſtimmt, aus
weldem folgt, daß das zufáuige a , nicht aber nicht a ſer ;
das heißt , wenn das Wachs viereckt iſt, muß ein Grund
reyn , warum es nicht nicht viereckt iſt.
Zweitens: dem Zufälligen iſt es to wenig widerſpres
chend a , als nicht a zu ſeyn ; reße id) es feia ; To kann ich
mit gleichem Rechte feßen, es ſei nicht a. Wofern nun
nichts iſt, warum es mehr a , als nicht a ift; ſo muß es
entweder a und nicht a zugleich, oder , weder a , noch nicht
a reyn. Die drei Fáde ſind nur möglich , daß es entweder
a oder nicht a , oder a und nicht a zugleich, oder keins von
beiden ſei. Der erſte darf nicht angenommen werden ,
denn ſobald man a ſeßen will , ſteht nicht a im Wege, als
welches mit gleichem Rechte kann geſeßt werden . Die beis
den andern Fade ſind gleichfals unmöglich ; - alſo bleibt
ábrig , wenn es an zu ſeyn gefeßt wird , muß etras da
feyn , warum es mehr dieß , als nicht a ift. Das heißt , es
muß ein zureichender Grund des Zufädigen vorhanden ſeyn .
Drittens : wenn das Zufällige ein vorher nicht ges
Habtes Prädikat bekommt, ſo wird es beſtimmt. Das
Prädikat , oder die Beſchaffenheit iſt die Beſtimmung.
Auſer dieſer aber iſt entweder etwas noch vorhanden , wos
durd, es die Beſtimmung erhålt , mit oder durch welches
dieſe Beſtimmung in ihm geſezt wird , oder es iſt nichts ders
D3 gleichen
238 III. Ueber die Natur der Metaphyfik.
gleichen da. Im leztern Fade iſt entweder Nichts das wela
ches ihm die Beſtimmung verſchaft; und dann iſt es das
Nichts , welches die Beſtimmung giebt. Dies iſt ungez
reimt , weil das Nichts keine poſitive Prádikate haben kann.
Oder das Zufalige wird gar nicht beſtimmt; welches der
erſten Vorausſegung, daß es beſtimmt wird , geradezu wis
derſpricht. Nur die beiden Bedeutungen kann der Saß,
das Zufällige jezt beſtimmte wird durch nichts beſtimmt,
annehmen , daß es gar nicht beſtimmt wird , oder daß das
Nichts ſelbſt ihm die Beſtiminung giebt. Beide ſind una
gereimt : ſo bleibt zurück, daß Etwas ihm dieſe Beftims
mung verſchafft, das Heißt , daß es einen zureichenden Bea
ſtimmungsgrund hat.
Dies iſt der Berveis für Hrn . Kants Sauptſaß,
und nach deſſen Entkraftung könnte man glauben ſei die
Sache abgethan ; allein Hr. Kant unterſtüßt die Folge
rungen mit manchen ſo ſcheinbaren und ſcharfſinnigen
Grunden , daß ſie auch vom Beweiſe unabhängig einen
ſtarken Anſtrich von Wahrheit gewinnen , und abgeſons
derte Unterſuchung verlangen . Ein Streiter, gerüſtet
mit allen möglichen Waffen , und neben der natürlichen
Stårke erfahren in allem ihrem Gebrauche, fáat nicht auf
den erſten Streich. Die natürlichſte aus zween Schlüſſen
hervorſpringende Folgerung iſt : es giebt gar keine Grunds
Tåke a priori, die ſich auf Gegenſtände der Erfahrung bez
ziehen . Weil aber allgemeine Einſtimmung der philoſopţia
ſchen Welt und eigne Evideng ſolcher Sáße , wie der vom
zureichenden Grunde , hier zu deutlich widerſpricht , fo
nimmtHr.Rant einen andern Weg . Er geſteht ein, daß
allerdings dergleichen Grundfäße vorhanden ſind ; aber er
leugnet, daß ſie objectiveGültigkeit haben , und läßt ihnen
weiter nichts als Geſeße unfers Verſtandes zu ſeyn .
1
Wohl , könnte man ihm fier ſogleich entgegenſtellen , wenn
fie aber auch zugleid Gefeße jedes Verſtandes wären , dann
wurde
III. Ueber die Natur der Metaphyfit. 239
würde ihnen doch mehr als fubjective Gültigkeit in Rúcfficht
auf unſern Verſtand zu kommen ? Verſtandesbegriffe
und Grundfäße, fie mogen nun aus der Erfahrung oder
Anſdauung gezogen , oder vor allen Erfahrungen gebildet
ſeyn , wie wir uns die Begriffe des höchſten Weſens vors
ſtellen , gehen doch immer auf etwas das angeſchaut wird,
oder erfahren werden kann. Was alſo von keinem Vers
ftande kann gedacht werden , kann auch auſer keinem dens
kenden Wefen ſeyn , das heißt, es kann gar nicht ſeyn .
wofern alſo verſtandesgrundfäße, Gereße jeder denkenden
Kraft find, ro haben ſie mit der ſubjectiven auch zugleich
objective Gültigkeit. Dem auszubeugen , erwiedert Sr.
Kant , wir kennen keine andre Unſchauung, als die uns
ſerige, wiſſen auch nicht, ob es eine andere giebt, alſo
auch nicht, ob unſere Verſtandesgeſeße ſich weiter als auf
uns erſtrecken . (Krit. S. 277. u. f.)
Udein wir kennen doch an uns verſchiedne Arten des
Anſchauens, wiſſen daß es etwas anders iſt, einen Gegens
ftand zu ſehen , etwas anders ihn zu fühlen , etwas anders
ihn innerlich zu empfinden , können pieraud etwas adges
meines abziehen , und ſo zum Begriffe vom Unſchauen
überhaupt gelangen . Wir kennen ferner die Einſchráns
kungen und Schwächen unſers Verſtandes, können daraus
Begriffe von höhern Verſtandeskräften abziehen , und To
endlich zu einem adgemeinen Begriffe gelangen . Wir köns
nen dadurch auch die Einſicht erhalten , daß kein Verſtand
ohne zureichenden Grund etwas bejahen oder verneinert
kann , weil wir deutlich begreifen , daß das Urtheil fich
allemal nach den vorliegenden Begriffen richtet, mithin
auch , wo in dieſem nichts vorkommt, was Bejahung oder
Verneinung beiſcht , von beiden keind erfolgen kann.
Wollte man ſagen , es ſtehe gleichwohl in unſerer Macht,
Urtheile und Såße auch ohne Rückſicht auf die Begriffe zu
bilden , oder gegen beffere Einſicht zu verneinen , was bes
24 jaht
i
240 III. Ueber die Natur der Metaphyfie.
jaht werden muß, ſo würde ich erwiedern , ein ſolches.Ura
theil ſei kein Werk des Verſtanden , ſondern wigführliche
Zuſammenfeßung von Worten , oder abſichtliche Verſtela
lung , welche beide des Verſtandes weſentlichen Gefeßen
keinen Eintrag thun. Genug , wo der Verſtand , als
Verſtand, ungehindert nach ſeiner eignen Natur verfährt,
da muß er ſich nach der Einſicht ſeiner vorliegenden Vors
ſtellungen richten ; und der Saß vom zureichenden Grunde
muß Gefeß eines jeden Verſtandes reyn ; weil ein Verſtand,
der Verhältniſſe von Vorſtellungen beſtimmt, ohne dazu
in den Vorſtellungen ſelbſt Grund zu finden , gar kein Vers
ftand iſt. Gefeßt alio , der Saß vom zureichenden Grunde.
nebſt andern feines gleichen , wäre auch blog ſubjektives
Denkgeſeß , aber allgemeines Gefeß jeden Verſtandes, ſo
mpúrde er dennod objektive Gültigkeit haben.
Aber auch dieſe Ausrede låßt Hr. Kant nicht zu ;
nicht ausdrücklich zwar , indem er fie nirgends in dieſer Ges
ftalt berührt ; aber doch implicite , indem er als Folges
rung aus ſeinen Grundráßen etwas aufſtellt , welches ſie
entkraften ſoll . Die reinen Verſtandesbegriffe und Grunds
fáße , ſpricht er, haben als ſolche, und ohne Rückficht auf
mögliche Erfahrung gar keine Bedeutung i fie ftellen blos
logiſche Funktionen des Urtheils vor , mithin kann aus
ihnen allein , unabhängig von aller Erfahrung nichts gee
chloſſen oder beſtimmt werden. (Prolegom . S. 106. u . f.)
Die reinen Verſtandesbegriffe in Vergleichung mit finnlis
cheu Anſchauungen oder Erfahrungen , ſind ganz ungleich
artig , und können niemals in irgend einer Anſchauung ana :
getroffen werden ; niemand wird ſagen , die Caufalitat ,
3. b. laffe fich durch die Sinnen anſchauen , und ſei in der
Erſcheinung enthalten . Alſo können auch die Erfahruns
gen nicht unter fie ſubſumirt werden . (Krit. S.137. u . f.) .
Der keine Verſtandesbegrif pon der Urſache , wenn man
Die Bedingungen der Zeit wegláßt, enthält weiter nichts,
als
III. Ueber die Natur dersmetaphyfit. 241
als daß ſo etwas ſei, woraus ſich aufdas Daſein eines
andern ſchlieſen läßt.'. Der von der Subſtanz enthält
nichts , als die logiſche Vorſtellung vom Subjekt , woraus
nicht die mindeſte Folgerung fich ziehen läßt, weil dadurch
gar kein Objekt des Gebrauch dieſes Begrifs beſtimmt wird,
und man alſo gar nicht weiß , ob er úberhaupt irgend ets
was bedeute. ( Rrit. S. 242 u. f. ) .
+
Hier hat mir Hr. Kantmit am dunkelften geſchienen ;
ich rahe hier keinen andern Ausweg , als ſeine Meinung
mir nach meiner Art deutlich zu machen, und dann ſie zu
prüfen. Sollte ich ſie nicht ganz gefaßt haben , ſo wird
eine Erläuterung von ſeiner Seite mich auf den rechten
Weg leiten. Zwo Duellen führen uns die allgemeine Vera
ſtandesbegriffe zu ; duſere Empfindungen und die innere
Verhältnisgefühle. So wird der Begrif der Subſtanz
abgezogen , theils aus der innern Erfahrung, welche lehet,
daß wir gewiſſe Dinge als Subjekte anderer denken , ohne
fie jedoch wieder zu Prädikaten zu machen , und aus der
åuſern Gmpfindung, die uns manche Dinge abgeſondert
für ſich ohne Beihülfe anderer kennen fehrt. Beide dieſe
Elemente ſind ſehr von einander verſchieden , und vom Ins
halte der erſtern gilt auf den der leztern kein Schluß; dars
aus allein, daß eine Subſtanz als ein beſonderes Subjekt,
ohne wieder Prädikat zu ſeyn , in den innern Wahrneh
mungen erſcheint, folgt nicht, daß fie auch in der åuſern
Empfindung für ſich allein , ohne Zuziehung eines andern
Dinges vorkommen muß ; ſo wenig als folgt , daß der
Menfch im Hagemeinen , weil er im Verſtande als Subs:
ſtanz gedacht wird , auch in der Unſdauung als ſolche muß
erkannt werden. Nun nimmt Sr. Rant die reinen Vers
ftandesbegriffe, welche er auch Kategorien nennt , blus aus
den Operationen der Denkkraft , weshalb ſie ihm auch weis:
ter nichts , als Funktionen des Urtheils find, Er hatalſo
Recht zu behaupten , daß dieſe auf die Unrdauungen uns
mittelbar ſich nicht anwenden laſſen .
D3 Folgt
242 III. UeberdieNatur der Metaphyfik.
Folgt aber daraus, daß die Verſandesbegriffe gar
Feiner Anwendung auf Unſchauungen fähig find ? Sie
follen , ihrer Beſtimmung gemás, die größte, mögliche da:
gemeinheit haben , ſich nicht blos auf innere, ſondern auch
auf kuſere Wahrnehmungen erſtrecken . Der Begrif von
derSubſtanziſt einſeitig, wenn er blos beſagt , wie ſie dem
Verſtande allein erſcheint, wie er feßlerhaft iſt , wenn er
blus aus duſernEmpfindungen abgezogen wird. Zu ſeiner
Richtigkeit gehört weſentlich , daß erallen unſern Wahr
nehmungen entſpreche, mithin das Gemeinſame der äuſern
und innern Empfindungen, oder Anſchauungen enthalte.
Enthält er aber dies: ſo iſt er auch eben dadurch auf aus
fere Unſchauungen für ſich allein anwendbar.

Aber, ermiedert Hr. Rant, dadurch iſt nichts ges


wonnen , denn fobald etwas von áuſerer Anſchauung hina.
zugefeßt wird, folgt, daß der Begrif nicht auf Dinge an
fich, ſondern nur auf Unſchauungen geht, mithin feine
Gültigkeit fid nicht über die Grenze moglicher Erfahrung
erſtreckt. Mögliche Erfahrung , welche fou die ſeyn ?
Solche, die mit nur in unſerm gegenwärtigen Zuſtand ,
nach unſerer gegenwärtigen lage; oder ſolche, die wir übers
þaupt haben können , wir mögen ſeyn , in welcher lage wir
wollen , wofern wir nur noch die Fähigkeit etwas äuſerlich
zu empfinden , und innerlich zu denken beibehalten ? Er
ftere läßt fich ſchwerlich annehmen ; denn fobald unſere
i allgemeine Begriffe in unſerm geſammten Empfindungs
und Denkvermogen fich gründen , mithin den Gefeßen uns
ſerer ganzen Natur genau entſprechen , werden ſie doch
ohnegånzliche Naturumanderung wohl nicht geändert wer
den können , werden wir doch wohl genug Sicherheit has
ben , daß Erſcheinungen , die ihnen jezt gemas find, auch
in jedem Zuſtande mit ihnen übereinſtimmen werden.
Wenn ferner im allgemeinen Verſtande begriffe nicht die
Aftus einer gewiſſen , ſondern jeder Denkkraft; nicht das
duſere
HI. Utebér die Natur der Metaphyſik. 243
duſere Anſchauen permittelſt gewiſſer Organe; ſondern Uns
ſchauen überhaupt , es ſei mit oder ohne Organe, zum
Grunde gelegtwerden, ſo iſt man doch hinlänglichberechtigt,
ihnen udgemeingültigkeit und objektiveRichtigkeit beizulegen.
Wie aber , wenn für uns nichts als Vorſtellungen
exiſtirt ? dann mögen die allgemeinen Grundraße hergenoms
men ſeyn , wo ſie wollen , fie beſtimmen doch nichts weiter,
als wie wir vorſtellungen im Verſtande zu verbinden has
haben. Auch hierauf beruft ſich Hr. Kant , die Natur,
ſagt er , iſt nichts als ein Inbegrif von Erſcheinungen ,
mithin fein Ding an ſich , ſondern blos eine Menge von
Vorſtellungen des Gemüths (Kritif. S. 114.). So ſpres
chen auch die Idealiſten , und wußten der Behauptung
einen ſtarken Unſtrich von Wahrheit zu geben; allein ges.
nauer beſehen , blieb doch das blos Anſtrich. Vorſtellung
und Empfindung ſind ſehr weſentlich verſchieden , Empfins
dung des Verdruſſes iſt doch ganz etwas anders , als Vors.
ſtellung von ihm. Soll der Saß befagen , Natur iſt nichts
als eine Menge von ſolchen Bildern oder Abdrücken im Gea
múthe, die wir nach Gutdunken hervorziehen , oder vom
Bewußtſein entfernen können : To ſagt er etwas aus , das
aller Erfahrung widerſpricht. Sou er aber behaupten ,
nebſt den miaführlich hervorzuziehenden Bildern giebt es.
auch Eindrücke, Perceptionen , die wir uns nicht nach Gea
fallen verſchaffen können , die unſerer Macht gar nicht una
terworfen ſind , wie wir ſie haben wollen , die wir bloß leis
dentlich aufnehmen , ſo folgt aus ihm nicht, was Hro
Kant daraus herleitet. Es läßt ſich nicht ſchlieſſen
weil die , unſerer Eigenmacht unterworfene Vorſtellungen
unter den Geſeßen der Dentfraftſtehen , ſo müſſen es auch
die , úber welche wir nicht zu gebieten haben.
Auf dieſe Unterſuchung, da fie in ſeinem Wege lage
kommt auch Hr. Kant , und ſucht , mit nicht geringem
Aufwand
244 III. Ueber die Natur der Metaphyfit.
Uufrøand von Scharfſinn zu zeigen , wie der Verſtand
feine Geſeße nicht aus der Natur ſchöpft , ſondern ſie ihr
porſchreibt. Er geſteht, dies klinge zwar befremdlich ,
2
fei aber darum nicht weniger gewis. Diejenige Befriedis
gung, wenigſtens diejenige Deutlichkeit , welche ich
wünſchte, habe ich hier nicht finden können , um deſto mes
niger wird es mir , hoffe ich , übel gedeutet werden , wenn
ich nicht Sr. Rants ganzen Sinn ſollte gefaßt haben .
Was ich von dem hierüber geſagten habe einſehen köns
nen , geht auf folgendes hinaus: erftlich , alle unſere Urs
theile ſind zuerſt bloſe Wahrnehmungsurtheile, ſie gelten
bloß vor uns , das iſt , vor unſer Subjekt, und nur hins
ten nach geben wir ihnen eine neue Beziehung , nemlich auf
ein Objekt , und wollen , daß es auch vor uns jederzeit,
und eben ſo vor jedermann gúltig ſeyn rod; denn wenn ein
Urtheil mit einem Gegenſtande übereinſtimmt, ſo müſſen
alle Urtheile über denſelben Gegenſtand auch untereinander
übereinſtimmen , und ſo bedeutet die objektive Gültigkeit
des Erfahrungsurtheils nichts anders , als die nothwendige
Allgemeingültigkeit deſſelben . Aber auch umgekehrt, wenn
wir Urſache finden , ein Urtheil für nothwendig allgemein
gültig zu halten , ſo müſſen wir es audi für objektiv hal
ten , das iſt , daß es nicht blos eine Beziehung der Wahrs
nehmung auf ein Subjekt , Tondern eine Beſchaffenheit des
Gegenſtandes ausdrücke ; denn es wäre fein Grund , wars
um anderer Urtheile nothwendig mit dem meinigen übers
einſtimmen müſſen , wenn es nicht die Einheit des Gegen
ftandes wäre, auf den ſie ſich alle beziehen ( Prolegom .
6. 78. u, f. )
Ein Urtheil iſt ſubjektiv , wenn es weiter nichts bes.
ſagt, als daß mir ſo und ſo empfinden , und etwas ſo uño
To vorſtellen ; obięktiv , wenn dieſe Empfindung oder Vor
ſtellung auf einen auſer derſelben vorhandenen Gegens
ſtand bezogen , und dem die empfundene oder vorgeſtellte
Beſchaffen
2
III. Ueber die Natur der Matephyfik, 245
Beſchaffenheit begelegt wird ; . Wenn ich in ſubjektivem
Sinne ſage ,der Zucker iſt füß, to heißt das blos : To oft
id das weiſſe inFeuchtigkeit auflósbare,dod harte empfins
de , empfinde ich es zugleich auch als fúß ; im objektiven
Hingegen heißtes etwas auſer meiner Empfindung , das
weiß u .ſ . w. iſt, iſt auch zugleich ſüß. Dieſe Beziehung 1

der Empfindung auf einen Gegenſtand , das Ünnehmen eis


nes ſolchen Gegenſtandes als wúrklich vorhanden ents
ſpringt nicht aus des Urtheils Aagemeingültigkeit, als mels
de in Rückſicht auf Objekte blog bedingt iſt. Die allgemeia
nen und nothwendigen Såße befagen .nicht , ob folche Dinge
als in ihnen benannt werden w,ürtlichexiſtiren ; fie verſią
chern uns nur, daß wofern ſie vorhanden ſind , fie ſo bes
ſchaffen ſeyn müſſen , als ſie es ausdrucken . Wofernt
alſo, nach Hir .Kants Grundfågen , alle unſereErfennts
nis blog ſubjektiviſt, wofern wir von Objekten nichts;maiſa
ſen, nicht einmal ob es dergleichen giebt, wofern alles blos
Erſweinungfürunsiſt, ſokann Nothwendigkeitund das
gemeingültigkeitder Saße allein , ſie nicht objektivmachen .
Finſehen,daß wir und andere jederzeit esſo erfahrenmůj
Fen , heißt weiter nichts, als erkennen, daß jederzeit ſolche
und ſolche Empfindungen auf einander folgen , einander
begleiten müſſen ; dadurch aber wird noch im geringſten nicht
seſezt, daß es auch auſer und etwas giebt,oder geben muß,
worauf fich ſolche Empfindung bezieht.
Doch dies nicht gerechnet ,wird hierdurch nur erklärt,
wie blos ſubjektiviſches Erkennen objektiviſch werdenkann ,
und das iſt hier nicht die Hauptſchwierigkeit; ſondern wie
der Verſtand der Erfahrung Geſeke vorſchreibt ? Warum
die Erfahrung oder Anſchauung nothwendig den Verſtana
desgefeßen muß unterworfen Fern ? Das aufzuheden ,
Fagt Hr. Rant, zweitens : zum Denken gehört nothmens
dig, daß in derFolge der Vorſtellungen Regelmáſigkeit bes
obachtet werde, ohne welche gemiſfe Vorſtellungen ſich nicht
ſtets
246 MI. Ueber die Natur der Metaphyfit.
ſtets einander aufwecken , mithin nichteinmal eine Ideens
reihe ausmachen könnten; gehört ferner ,daß wir uns bes
mußt find, das vorher vorgeſtellte ſei jezt noch daſſelbe,
ohne welches kein Urtheil zu Stande kommen kann. Sola
len wir alſo Verſtand haben , und haben wir ihn , ſo muß
auch in den Vorſtellungen Regelmårigkeit, Feſtigkeit und
Drdnung fich finden ; folglich auch in den Erſcheinungen
durch die Sinne , das iſt in den Empfindungen . Nun
find ferner Erſcheinungen nichts als ein Spiel der Vorſtel:
fungen, nicht Dinge an ſich alſo müſſen Erfahrungen ,
und da deren Inbegrif die Natur ausmacht, die Natur
felbſt, ſich nach den Gefeßen unſers Verſtandes richten .
( Krit. S. 100 u. f. ).
So viel folgt meines Erachtens unwiderſprechlichi
daß in der Folge der Vorſtellungen Regelmáſigkeit, und in
jeder ſelbſt Beſtändigkeit, das iſt , daß jede in jedem Uus
ġenblicke mit fich felbft einerlei ſeyn muß, wenn Verſtand
and deſſen Gebrauch ſtatt finden roll. Werden nichtges
wiffe Vorſtellungen als beſtåndig einander begleitendgefuns
den , fo find keine feſtſtehende unumſtósliche Säße möglich,
und iſt jede Vorſtellungkeinen Augenblick dieſelbe, To tåßt
fid keine mit der andern vergleichen , alſo auch nicht urs
theilen . Folgt aber daraus, daß es auch in den äuſern
Empfindungen ſo ſeyn muß ? Geſegt , was id dieſen Aus
geriblick alsDreieck ſehe, erſchiene de Viereck
and in jedem andern als etwas zwar
mein Verſtand an dieſem Dinge , als Erſcheinung keine
Beſchäftigung finden , er konnte aber , wofern er anders
Berſtand wäre , doch Begriffe von Dreieck und Viereck dars
aus abziehen , und aus dieſen nebſt den verwandten eine
Geometrie ſo gut wie jezt erfinden . Verknüpfung und
Verbindung der Vorſtellungen im Innern iſt unſer eigen
Werk, Arbeit unſers Verſtandes ; in der Empfindung mów
gen die Dinge Teyn , wie ſie wollen , wenn wir nur über
unſere
ILL. Ueber die Natur der Metaphyſik. 1247
unſere eigene Vorſtellungen Gewalt , nebſt Gedächtnis und
Denkkraft haben , ſo läßt ſich dennoch der Verfand dabei
gebrauchen ; mithin rezt fein Daſein nicht durchaus in den
duſern Erſcheinungen Regelmáſigkeit voraus.
Uber Erſcheinungen find ja nichts , als ein Spiel uns
ſerer Vorſtellungen ? Iſt das, ſo hat allerdings Sri
Kant vódig recht; daß es aber fo ift, hatweder er , nod
fonft jemand unter den ydealiſten zureichend bewieſeni.
Daß wir uns den Zucker in ſeiner Abweſenheit fúß vorſtele
len , iſt freilich Spiel der Vorſtellungen , wir konnten ihn
uns ja eben fo gut als fauer oder bitter vorſtellen , weil dit
zwiſchen den Vorſtellungen dieſer Härte, dieſer Weiffe ui
F. m. , und des Süffen nicht mehr Verbindung als zwiſchen
ihnen und der Säure oder Bitterfeiterblicken . Daß mit
aber ; wenn wir ohne unſer Wiſſen und Widen den Eins
druch dieſer Hårte , dieſer Weiſe gewahr werden , auch zua
gleid den der Süßigkeit bemerken , iſt nicht Spiel der Vors
fellungen; denn es ſtehet nicht bei uns, zu dieſer Zeit einen
andern zugleich zu empfinden , wir ſind gezwungen for
und nicht anders zu empfinden . Wäre dies nichts als
Spiel von Vorſteungen , warum konnten wir nicht ſo
gut den Zucker als bitter empfinden , wie wir ihn als rols
chen uns vorſtellen können ?
So viel ergiebt fich wenigſtens hieraus , daß zwiſchen
der Verknüpfung und Folge in den eigentlido ſo genannten
Vorſtellungen , und der in den Empfindungen ein weſentlis
cher Unterſchied ſtatt findet, und die eine ſich nicht nothwene
dig nach der andern richtet. Sperr Kant Kat alſo noch zu bes
weiſen , daß die leştere , wofern Verſtand ſtatt Qaben ſoll,
nothwendig der erſtern muß angemeſſen ſeyn.
1

Noch mehr , zum Gebraud des Verſtandes gehört


weiter nichts , als eine ſolche Einrichtung im Innern des
den fenden
Ueber die Natur der Metaphyfik. 248
denkenden Weſens,1 vermoge welcher eint einmal gemachter
und gewahrgenommener Eindruck im folgenden Augenblicke
nodiderſelbe bleibt , der er Borher war; vermöge der zwis
fchen ſolchen Eindrücken innerlich beſtåndige Verbindung
und regelmäßige Folge erkannt werde. Dieſer Einrichs
tung unbeſchadet können die auſereEmpfindungen ſich ſtets
åndern , ſtets wandelbar und keinen Gefeßen der Folge uns
terworfen ſeyn. Babe ich einmal den Eindruck von einem
Dreiecke aufgenann und dieſer Eindruck bleibt unvers '
Begrit vom Augenblicke hindurch , ſo iſt das genug den
Begrif vom Dreiecke zu bilden , und darauf hernach Urs
thelle . Im Veufern mag immerhin das Dreieck
unterdenenſich verandern , in jedeandere Figur úbergehen ,
gar zur Farbeoder zum Gerude werden , mein Begrif vom
Dreiecke ſteht darun, nicht weniger feft. Nun aber finden
wir nicht blos im Innern ſolcheBeſtändigkeitund Regelmås
figkeit, mir finden ſie auch in den äuſern Anſchauungen ;
woher dieſer Uebereinſtimmung ? Eins fezt das andere
nicht; dies molte, oder fodte Hr. Kant aufklären, das
þat er nicht aufgeklärte und wird es auch ſchwerlich aufe
klåren können . Daraus, daß im Verftande des Dreiecks
Begrif unverändert bleiben muß , um zur Grundlage eines
Urtheils ihn gebrauchen zu können , folgt nicht, daß die
duſere Anſchauung auch dieſelbe bleibt und bleiben muß. -

. tiedemann .
Stephen

win

iv .
249
IV .

Zur Geſchichte der Buchdrucker ,


Privilegien .

DasJuſtizrath Pútter, und nach ihm Hr. Prof. Beka


mann für das vom Pabit Julius II. dem Buchhånda
ler Evangeliſta Torino im Jahr 1506 úber Ptolemái 1

Geographie ertheilte ( Bekmanns Beiträge zur Geſchichte


der Erfindungen , B. I S. 86 ). Ich habe jezt durch Hr.
Hofrath { angers gefällige Mittheilung von der Wolfens
búttelſchen Bibliothek Heruei Britonis prædicatoriæ
familiæ antiſtitis, in quatuor Petri Lombardi ſen
tentiarum volumina fcripta ſubtiliſſima vor mir , wels
des Buch Lazarus de Soardis zu Venedig 1505 den zten
Januar war fertig geworden. Dieſem hat eben der Pabſt
Julius II. ein Privilegium gegeben , worüber ſich das Ji
telblatt fo ausdrückt : Sciant & intelligant omnes ad
quorum manus hæc fcripta pervenerint, Julium II.
pontificem maximumconceffiffe Lazaro Soardo, hu
jus voluminis impreſſori, ut quicunque hinc ad exa
tum decennium auſi fuerint eundem imprimere
volumen , fubeant excommunicationis latæ fenten
tiæ pænam , a qua præterquam in mortis articulo
abfolui non poffint niſi a fummopontifice , ut affatim
in privilegio fibi conceffo habetur. Caueant igitur
Und am Schluſſe ſteht noch folgendes : Sanctif.
fimus in Chrifto pater & dominus , dominus Julius
diuina prouidentia papa II , per litteras apoftolicas
inhibuit omnibus & ſingulis Chrifti fidelibus ſub
pæna excommunicationis latæ fententiæ , a qua ab
Tolvi non poffint niſi ſatisfactione præmiſſa ; quate
2 Selle Beitr. St. II. R nus
250 IV . Geſchichte der Buchdruckers Privileg.
nus nullus audeat imprimere vel imprimi facere
librum hunc ſcriptorum in IV. libros ſententiarum
excellentiſſimi theologi Dni Heruvi ordinis prædi
catorum , quem imprimi feci ego Lazarus Soardus,
ficut plenius patet in litteris apoftolicis ſuper hac re
confečtis in præſenti anno 1505. Item ex gratia &
priuilegio Illuftriffimi Ducalis dominii Venetorum
prohibitum eſt idem quod ſupra ſub pena in ipfo
privilegio contenta &c.

Tiedemann.

V. Pul
oks 251
V.

Wulkaniſches Geburg in der Gegend


Bußbach.
in der Nähe von Bußbach růcken von Oft, Nord und
Nordweſi her baſaltiſch oder vulkaniſche Gebürge ziema
lich nahe an das weſtliche Schiefergebúrge an.
Dieſer Umſtand mußte mir , als ich mich in vorigem
Fahr dort befand, Soffnung zu bemerkenswerthen Beoba
achtungen machen , zumalen die Glaslava , wovon ich in
den mineralogiſden Briefen ( 1 ) Nachricht gegeben habe,
und von welcher und ikrer Lagerſtätte ich ein andresmal
noch etwas nachbringen werde , ſich ebenfalls nur etwa
eine Stunde von hier gefunden hat.
Vorerſt ſchien mir der Berg hinter dem nahen Braun
felſer Dorf Griedel wegen ſeinem auſerlichen Bau , "nama
lich kegelförmig , oben wie abgeſchnitten , merkwürdig.
Ich beſtieg ihn und fande , daß unförmliche Baſalte die
Hauptſteinart ausmachte. Doch konnte ich keinen anſtes
benden Baralt beobachten , vielmehr , beſonders oben auf
der Platte- oder Ebene , auf Ueckern und in Gruben , nichts,
als theils derbe, theils verwitternde loſe Baſaltgeſchiebe,
unddarunter ſehr vieleKugeln zu etlichen Zollen im Durch
ſchnitt. Dieſe Kugeln katten keine Schalen , ſondern
ſchienen dieſelben verlohren zu Kaben , und die teßte Kerne
zu ſeyn..

Das , was meine meiſte Uufmerkſamkeit auf ſich zog,


war eine Menge Quarzkryſtallen und Glasköpfe am juda
weſtlichen Fuſſe dieſes Berges. Unter erſteren fand ich
gan;
( 1) II B. II. Heft. S. 133 - c.
R2
1

252 V. Vulkaniſdies Geburg in der


ganz artige Stücke von Große , Farbe , Kryſtalliſation
penartice natingeit , mit Dreiecken geſtempelte , ſchupa
penartige und braune oder Rauchkryſtallen . Die Glass
kópfe waren , wie gemeiniglich, von mannigfaltiger Geſtalt.
Einer derſelben von ziemlicher Gröſe und Gewicht
freute mich beſonders. Ich ſchleppte ihn als ein unters
richtendes Stück nach Hauſe. Sein Brud iſt wie bei
Buckeln , ple Brig ; ; ſeine Oberfläche hatbreite narbige
Buckeln , die Pie
alle mit einer Menge kleiner etwas erhabes
nen Kreiſe gezeichnet ſind. Von dieſen Kreiſen iſt der
grófeſte kaum einer Linſe zu vergleichen , aber viele ſind weit
kleiner. Jeder Kreis hat wieder zwei auch drei andere in
fich , und nun beſteht der Mittelpunkt faſt immer aus einer
Kugel , 'mo-nicht, ſo war ſie doch allem Anſehen nach vors
Handen und iſt verlohren gegangen .
1

5.Sollte eine tropflende Feuchtigkeit , oder das Auf


ſpringen mehrerer Blaſen dieſe Geſtalten im Kalten erzeugt
haben ? oder war das Ganze eine geſchmolzene záhe Marie,
welche durch Waſſer oder ſonſt einen Zufall zum Spraßen
gebracht wurde , dergeſtalt, daß ausgeſprühte Körner wies
der auf diefelbe Maſſe zurückfielen , und die beſchriebene
Kreiſen bildeten ? oder, war dieſer Håmatit vielleicht nur
blos bis zum Glúen erhißt , aufgetropfte Feuchtigkeiten
ziſchten' davon ab, nach dem fie Blåsger gezogen , welche
durdy ifr Zerſpringen dieſe Zeichnungen ermůrkten ?
Da dieſes Stück am Fuſſe eines Berges gefunden
worden , deffen kuſſere Geſtalt und meifte Steine mit den
vulkaniſden Bergen und Produkten überein kommt ; ſo iſt
es mir glaublich, daß bei der Entſtehung deſſelben , oder
1
wenigſtens ſeiner gegenwärtigen oberen Rinde auch Feuer
mitgemůrkt Kabe.
Alle
1

Gegend Bußbach . 253


Ade die Kryſtagen und Hämatiten liegen los am Ub
hange des Berges in einem Bezirk von etwa funzig Sdritten
in die Långe am Wege her. Den Anfang machen grofe
mehrere Schue hohe und dicke Quarzgeſchiebe, welche
gånzlich aus Quarzfryſtalliſationen zuſammengeſeßt zu reyn
ſcheinen. Da wo ſich die Kryſtallen zu verliehren anfans
gen , erſcheint ein thonſchiefriges talcoſes blauliches Gjes
ſtein , welches aber weiter weſtwärts, wo ſich der Berg
endigt, mit Baſaltgeſchieben überdeckt zu ſeyn ſcheint.
Dieſes Schiefer- und Kryſtaťager wird wohl den Berg
durchſeßen ; denn ich ſaße jenſeits, im Vorbeireiten , uns
gefähr in derſelben Richtung auch eine Menge Quarze
in den Feldern.
Die ziemliche breite Platte oben auf der Höhe, der
öſtliche Theil des Bergs , und deſſen Abſturz gegen Weſten
beſteht allenthalben aus einer braunróthlichen magrenErde,
worinn die kleine und große Baſalte und Baſaltkuglen
wie eingeſtreut liegen.

1 Da dieſer Berg einen vulkaniſchen Gebúrgsrücken,


der nordwirts Herfónıt und ſich in dieſer Gegend gegen
Weſten wendet, beſdhließt; ſo mag die brennende Materie
Ľ nür bis hierhin gekommen , und vor gånzlicher Bedeckung
des älteren Schiefergeburgs erkaltet ſeyn.
Daß er aber auch ein wahrer Feuerſpeiender Berg
geweſen ſeyn mag, der die viele loſe Baſaltmaſen und Bar
Taltkuglen in die Höhe geworfen habe , dieſes ſcheint mir
1 ziemlich wahrſcheinlich. Man bemerkt zwarkeinen Becher,
allein dieſes beweißt nicht, daß keiner da ware. Daß fer
ner das áltere Schiefergebürg nicht ganz bedeckt war , läßt
fid) auch noch erklären ; denn erftlich iſt es eben nicht nöthig,
daß ein ſolcher Ausbruch von langer Dauer geweſen Teyn
müſſe, und zweitens mag derſelbe nur wenig aus dem
R3 Waſſer
254 V. Wulkaniſches Geburg in der
Waſſer Hervorgeragt haben , ſeine Auswürfe fielen alſo in
die See , welche ſie mit fortnahin .
Ein beſonderer Umſtand hat, außer dem ſchon anges
führten , den Gedanken von einem Berge, der můrklich auss
geworfen , in mir erregt. Auf , oder vielmehr an dem
Gipfel des dieſem Bcrge fúdweſtwärts gegenüberſtehenden
Hausbergs , traf ich unter andern eine große Menge loſer
poróſer Steine an . Der Grund derſelben iſt weisgrau,
etwas glafig mit kleinen gelbrothlichen Schörlpunkten und
Schöriglimmer, auch mit kleinen ſchwarzen kryſtalliniſchen
Schörl gemiſcht. Ader angewandten Mühe ohnerachtet
habe ich ſo wenig , als einer meiner Freunde, die Jagerſtåtte
dieſer lavenartigen Steine ausfindig machen können. Der
in Vergleichung mit dem eben beſchriebenen Berg bei Gries
del beträchtlich hohe Hausberg iſt allenthalben , wo man
fein Inneres ſehen kann , bis nahe an den höchſten Gipfel
mit blauem Chonſchiefer bedecft. Nur ganz oben beſtes
hen die hervorragende Felſen aus einem glimmerigen mit
Quarz innig gemiſchten oder Hornſdiefer.
>
Wie mag nun jenes Geſtein Kieher gekommen ſeyn ?
Iſt nicht zu vermuthen , daß daffeibe durch den Ausbruch
eines benachbarten Vulkans in die Höhe geſchleudert, hier
niederfiel ? Auch von den Petrefacten , welche hier eben
falls auf dem Raſen zerſtreut uinher liegen , iſt mir die
{ agerſtatte noch unbekannt, doch ſcheint mir der Schiefer,
worinnen ſie theils unmittelbar , theils mittelbar , in einer
braunlichen ziemlich feinkornigen Sandſteinart , einge
ſchloffen ſind, noch weit ehe hier gerum zu Hauſe zu ſeyn
als jenes poróſes lavenartiges Geſtein .
Die Schieferlagen auf dem Gipfel ſind wie durch eine
beſondere Gewalt in die Höhe gehoben ; denn ftatt dem
Berge auf einer Seite anzuliegen , ergeben ſie fich rundum,
und
Gegend Bußbach. 255
und ſenken ſich gegen derſelben Mittelpunkt. De Lúc ( 2 )
hat an der Oberlohnſteiner Geburg áhnliche Beobach
tungen gemacht, woraus ſich auf eine gewaltſame Vera
ånderung der dortigen Jagen ſchlieſſen láßt. Sonderbar
iſt es , daß ſowohl ſelbſt die Verſteinerungen des Haus
bergs , worunter viele Hyſteroliten befindlich find , als
auch deren Muttergeſtein , mit den Oberlohnſteiner und
Braubacher einigermaſen überein kommen . Vieưeicht
würde man im Innern des Hausbergs noch mehr Aehna
lichkeit finden.
Die Wirkungen der nahen Vulkanen mögen alſo
mohl hier das Schiefergeburg nicht ſo ganz verſchont ha
ben . In den mineralogiſchen Briefen gab ich von dem
Uusbruch einer Java bei Weipperfeld Nachricht (3 ) . Dies
ſer Ausbruch findet ſich unter dem Hausberg, weſtwärts
mitten im Schiefergebrúrge. Ich habe mich bei einer abers
maligen Beſichtigung dieſer Stelle durch die angetroffene
kugelartige Geſtalten derſelben Geſteins, und das ganje
Verhalten deſſelben , in dem Gedanken ſeiner vulkaniſchen
Entſtehung nur deſto mehr beſtårkt.
Hat vielleicht von dieſer Seite , von Weipperfeld her,
eine unterirrdiſche Erſchütterung und verborgener Brand
gewürft , und ſind dadurch jene Einſtürze erfolgt.?
Die viele Graben , welche die Deutſche oder Römer
um den Gipfel des Hausbergs ausgeworfen haben , müſſen
auch in Betrachtung gezogen werden. Es können dadurdy
jene jezt nur auf dem Raſen befindliche Producten auss
gegraben worden reyn.
Eine
( 2) Phyſ. moraliſche Briefe über die Geſchichte der Erde , d. Ueberſ.
99ter Brief.
( 3 ) II. B. III. Heft. S. 305.
R4
256 V. Vulk. Geburg in der Gegend Bußbach.
Eine andere Folge der in dieſen Gegenden ehemal
vorgefallenen großen Zerſtörungen erſcheinen bei Rückents
burg , einem von Griedel weiter oſtwärts gelegenen Orte. '
Die dortige Anhöhe iſt mit hervorragenden und übereinan
der geſtürzten Felßitücken von beträchtlicher Gróſe bedeckt.
Das Geſtein dieſer Felſen hat ein beſonderes wildes Ans
fehen , duſerlich eine dunkelgraue Farbe, daneben nicht
ſowohl ſcharfe alsº vielmehr abgerundete Kanten. Erſt
wenn man daſſelbe zerſchlågt, wird man gewahr , daß es
kein baſaltartiges Product , ſondern ein feuergelber
Sandſtein iſt. Ich traf daran nirgends das ſchiefer- oder
floßartige anderer Sandſteine an-, und verlies es unter
dem Gedanken , daß die große Revolution auch ſolche Ers
( chütterung um ſich her verbreitet haben mag , wodurch
dieſe Sandſteine , nachdem ſie vielleicht erſt im Heiffen
Waſſer , das , wer weiß welcherley bindende Subſtanzen
bei ſich geführt Haben mag , aus loßem Sand,zuſammen
gebacken , erhoben und übereinander geſtürzet worden ſind.
In einiger weiteren Entfernung nach Morgen zu fahe
ich noch zwei Kegel , auf einem iſt das Schloß Münzenberg
befindlich. Selbſt habe ich ſie noch nidst beſtiegen , und
kann daher weiter nichts davon ſagen , als daß fie , wie der
Griedeler Berg , den Beſchluß eines Núcens machen , ein
Umſtand den ich vielmal an den vom Vogelsberg herkoms
menden Gebürgs iúcken beobachtet habe, daß ſie ſich nåms
lich gegeil die Ebene zu meiſtentheils mit abgeſtuzten
Kegeln endigen.
3

p. E. Klipſtein.

VI. Ueber
257
VI.

Ueber Rudolphs Dienſtmann zu Montfort


epiſches Gedicht Wilhelm von Brabant aus dem
ſdhwåbiſchen Zeitalter ; in einer Hands
ſchrift der Fürſtl. Heſſiſchen Biblio
thek zu Caſſel.
Scchon in der Vorrede des 1781 herausgegebenen erſten
Theils Wilhelms des heiligen von Dranſe , iſt dieſe
Handſchrift bekannt gemacht worden. Man gab von ihrer
Litteratur ſo viel Nachricht, als im Gedicht ſeibſt ausfüns
dig zu machen war , und wagte Vermuthungen über den
vielleicht hiſtoriſchen Inhalt. Beides route die glückliche !

Entdeckung einer beſſern Handſchrift befördern , als die


Caſſeliſche würflich iſt. Udein der ſeelige sodmer erin
nerte ſich nur, daß ſie ſich in der Senkenbergiſchen Samm
lung von Handſchriften befunden habe ; noch aber wurde
ſie nicht ausfindig gemacht. Da indeſſen das fortgeſeşte
Studium des Gedichts ſeinen Vorzug vor andern dieſer
Urt, beſonders durch ſeinen Plan beſtåtigt, ſo hält man
deſſen vollſtändigen Auszug der Bekanntmachung würdig.
Zu einer mehreren Verſtändlichkeit ſezt man nur folgendes 1

zum voraus. Das Gedicht Wilhelm von Brabant macht


durch Erzählung fämtlicher Ebentheuer dieſes Fürſten
das Ganze aus ; allein ſelbft ſeine Geburt iſt unter ganz
auſerordentlichen Umfånden ſo ſehr dergleichen , daß fie
gleichſam einen beſondern epiſchen Vorgeſang ausmacht.
Und in dieſem iſt jenęs Vater , Wilhelm von Orlenz , der
Held. Ihn alſo, nicht Wilhelm von Brabant , muß man
vorerſt nur vor Augen haben ; Rudolpg wird ſich ſchon 1

rechtfertigen , wenn er ſelbſt als Dichter ſoweit ausholt.


Die Erzählung ſelbſt beginnt er alſo :
R5 > Ich
V

258. VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht.


Ich will uch beſchaiden wie
Der ſtolze Degen ( 1 ) wart geborn
Und wer er von geburte was
Und wie fin mutter fin genas
Und wie fin vater vor im ſtarb
Der mengen hohen pris irwarb
Und weiſen (2) hoher manheit
Und wie er not und arbeit
Der welte wirdekeit irſtreit
Durch eines wibes mynne leit (3 )
Und wie der Degen wart genannt &c.
Wer hier geſchmäßige Ankündigung ganz gemein ( hei
nender Begebenheiten zu finden glaubt, der wird ſich irren.
Eine jede , die Umſtände unter welchen die Mutter ihn ge
bahr , daß ſein Vater vor ihm ſtarb, alles iſt im Gedicht
eigentliche Aventúre , To ivie hernach ſeine Noth , Ur
beit und Mynne. Es folgen nun die eben ſo wichtigen
perſönlichen und Familienumſtånde der Ueltern Wilhelms
von Brabant.
Von Orlende Wilhelm genannt
Was der Degen hochgemut
Sin herſchaft fin geburt fin gut
War ſo hoch und alſo groſs
Das er vor furſten genoſs (4)
Mochte
(1) Degen ein tauglicher Mann , 'beſonders im Krieg , wo er ſolches
am 'meiſten geltend machen konnte. Degen hernach ein Edler,
Ritter , Heerführer , Staatsmann , im gemeinen Verſtande zu.
lezt das Seitengewehr , alt der treueſte Diener feines Herrn im
Gefedt. Daher ein Degengebohrner bedeutender als unſer
Hochwohl- oder Wohlgebohrner.
( 2 ) Weiſen , Lieder , Coblieder , die fein hoher Wuth ihm zuwegen
brachte ; daher nod, unfre Singeweiſe oder Melodie eines Lieds.
( 3) Leit , Führung , Leitung eines Weibeß durch die Liebe.
( 4 ) Genosſ, Fürſtengenoß , gleid an Rang und Würde den Fürſten ;
ungenozzen , Leute unter dem Stand anderer.
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 259
Mochte fin und was erkannt
So gros lehe lehen fin hant ( 5)
Das man doch furſten hies
Und des man nicht verftieſs
Durch fin eigen herſchaft
Von magen (6) hat er gros craft
Mit angeborner fippe ( 7)
Der erſt kunig Philippe
Der do zu lande ſchone
Drug des landes crone
Was finer ſwefter ſun genannt.

Frankreich wird hier von den Carolingern her noch


Carlingen oder Kerlingengenannt. Der Dichter (dila
dert nun ſeinen Rittercharakter.
Von Orlende her Wilhelm der was
Aller tugent ein ſpiegelglaſs
Als uns die avanture ſeit
An ritterlicher würdikeit
Waż er den beſten urgenommen
Aller tugent vollenkommen
Er was getruwe milte gut
Zuchtig warhaft hochgemut
Lybes und gutes
Wisheit und mutes
Tugentricher denne rich
Was im am lobe nieman glich.
Von
( 5 ) Lehe , lehen fie hant. Er war groß als Lehensherr , durch
Vafallen .
( 6) Mag , bald Vater , Sohn oder ſonſt männlicher Verwandter ,
daher Schwerdtmagen váterliche Verwandte , Spillmagen weib
liche , nagetmagen entfernte.
(7) Sippe , eigentlich Friede, Blutsfreundſchaft vielleicht , weil dieſe
bei den Alten Friede machte,
260 VI. Ueber Dienſtmannsepiſches Gedicht:
Von nicht geringerm Werth war ſeine Gemahlin ,
Wilhelms von Brabant Mutter.
Die clare ſuſse reine
Die gute mynnicliche
Dię ſchone tugentriche
Die kuſsche valſscheitslere
Die wiſe unwandelbére
Sin vil herze libes wip
Die im leben unde lip
Und fin bluwende jugent
Liebete mit ir reine tugent.
Hoffentlich wird man hier den Minneſinger finden ,
den die Schilderung einer edlen ſchönen lieben Frau bis
zum fühlbarſten Wohlklang naif macht. Es kommt hiezu,
daß fie im Gedicht jede dieſer Eigenſchaften beweißt.
Sie was genant Ylie
Geborn von Normandie
Des grafen Bernards kint
Zärtlich und feurig liebte ſich das junge Paar.
Sțe trugen beide einen mut
Eine truwe einen Sinn
Mit fteten truwen unter in
Mit folicher liebe liebeten ſie
Frolich all ir jungen tage
Nach wunſch wunſchig ane clage.
Die Grafſchaft Hanegouwe wird als das Land ges
nannt, aus welchem Wilhelm das Einkommen von jáhrs
lich 5000 Mark zog. Doch that die Würde und der Reich
thum Wilhelms ſeinem innern Werth und ſeinem Betra
gen gegen andere keinen Eintrag.
Mit den wiſsen war er wiſs )

Den tumben tum den guten gut


Den
t1

VI. Uleber Dienſtmanns epiſches Gedid)t. 261


Den ſtarken ſtark und hochgemut
Armen und richen
Kond er fich wohl gelichen
i Ouch hat er an ritterſchaft (8)
Soliche kunſte und craft
Daz fich nieman des zerwarf
Was ein man ze lobe darf.

Dies iſt das Herriſche Paar , welches Rudolph im


Gedicht , ihre Rolle ſchön und gruß ſpielen låßt.
Noche 1

(8) Ritterſchaft bedeutet hier den ganzen Inbegrif ritterlider Tu.


genden . Der Minneſinger Gaft im zweiten Theil der Birder
Sammlung S. 179 braucht es in einem ſoonen Gedigt ebenaro.
Es heißt :
Was fol ein kaiſer ane reht
Ein babft ane barmung
Was ſol ein kuinig ane milten muots'
Was fol ein fiurſt ane fcham
Was fol ein ungetruwer munt darin ein valſche zunge
Die mangem dicke ſchaden tuot
Sie macht geſunden lan
Was fol ein graf der nit kản tugende walten
Was fol ein frie der fin triuwe niemer will behalten
Was fol ein richer Dienſtman
Der fich nicht Schaaden wert
Was ſol ein ritter der fin tag mit laſter hi verzert !
Was ſol ein ſchoenes wip gar ane tugent und an ere
Was fol ein prieſter ane kunſt der rechten göttes ferę
Was fol ein junger ritter der nit ritterſchaft begat
Was fol ein koufman und hat er nit gewinne
Was ſiulent kloſter und bruder an die ware minne
Was ſol ein biurg der nit leiſten will dur finen zorn
Was fol ein jäger ane guot hunt und horn
Was fol ein Valkner und hat er niendert vederſpiel
Unnutzer iſt ein Kung ob er nicht rechte richten wil.
1

Nich deucht dieſe Fragen , jede fo charakteriſtiſo getban , mußten


manden unſerer Digter auf die Minneſinger aufmerkſam machen .
262 VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht.
Noch aber gehört zur Handlung des Gedichts ein
andrer Fürft, mit dem uns eben deswegen der Dichter
auch bekannt macht. Mit Wilhelm lebte Jofrit Hers
zog von Brabant; ſein Land und Hanegouwe fieſſen
zuſammen . Was eine ſolche Nachbarſchaft noch zwiſchen
den Fürſten der Erde verurſacht, das wúrkte auch dieſe.
Zween cleine worte myn und dyn
Begonnen ſere verren (9)
Bedenhalp die Herren .
Bald waren ſie ſelbſt, bald ihre Ritter und Knechte
in Unmynne Unliebe oder Haß.
Die vigenſchaft wuchs under in
• Mit groſsem hafs an beiden
Uuch Jofrit war ein naher Verwandter Konig Phis
lipps und
Ir beider unwille :
War alle zyt und alle tage
1
Sin hochftes lait fin groſte clage.
Der beſtandigen Feindſchaft 'müde, und eben ſo des
unaufhörliche urloges oder Krieges , wollte er ſie gerne
ſunen verſóunen . Es wurde ein Tag dazu feſtgeſeßt.
Der Konnig brachte Biſchoffe , Fürſten und Geleirte
aus Roin und Paris mit , Wilhelm aber und Jofrit des
gleichen . Man gab ſich ade mögliche Mühe ihren Zwiſt
zu heben ; aber die beiden Fürſten
Wurfen fo vil kriege drinn
Gein einander us und in
Des nieman gedochte
Der fie verſunnen mochte.
Endlich
( 9) Verren wirren, verwirren uneins machen,
VI. Heber Dienſtinanns epiſches Gedicht 263
Endlich erklärte fich Wilhelm etwas unwillig gegen
Jofrit ; dann es ſcheint, daß er die Hand zum Vergleich
geboten Kabe ;
Uch luftet fruntſchaft gen mir nicht
Dazſelbe mir ouch lichte geſchicht
Das iſt en ze lange bochen ( 10)
Uch fi ein tag geſprochen
Der ſcheiden uns hin oder her
Ich will daſs man ſtoſs ein ſper
Zwiſchen maneg oy und Brabant
Wer das mit werlicher (11 ) hant
Fure dan der hat den pris
Der tag fi uch in menige wis
Jezit und vorgeſprochen
Er ſi über eine wochen
Zwó vire oder dry
Oder wend (12) in daſs es ſy
Uber ein halbes Jar
Des frowet myn herze fich fürwar .
Des tage fi ouch vorgezelt
Kurz lange oder wie ir welt.
Were do die lantze fure hin
Des jenes craft nit wende in
Der hab jemer mere
Des andern pris und ere
Und laſſent luete und lant
Unverhert und unverbrant
Und bringen beidenthalb die ſchar
Mit ſo gebantem friede (13) dar
Als
(10) Bochen trogen.
(11) Werlich gemafnet , von Wehr oder Waffen ,
( 12 ) Wehnen wähnen , meinen , dafür halten .
(13) Friede auſſer der gewöhnlichen Bedeutung aud Hebereinkunft
wegen einer Sacher Vertrag darüber.
264, VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht.
Als ob wir ein hochgezeyt (14 )
Sus wollen leiſten one Streit
Wend ir dez icht ich wil alſo
Wend ir anders des bin ich fro le

Wilhelms Vorſchlag zu einem Gefecht, daß nur die


Japferkeit beider Fürſten und ihrer Ritter zur Schonung
von Land und Leuten auffordert; die gånzlich freigegebne
Beſtimmung des Tages , der Schluß der Anrede, der von
einer Schlacht als von einer Feierlichkeit ſpricht; alles dies
zeigt den edelſten und männlichſten Geiſt, den ein Ritter
nur haben konnte. Es iſt feine Sitte zwiſchen der Grau
Tamkeit eines förmlichen Kriegs. von Fürſten und ihren
Vélfern , und dem wilden Ungeſtumme eines thörigten
Zweikampfs. Jofrit antwortet :
Wie ir wend daz iſt getan
Ich wil als ir gejehen ( 15) han
So ſy der tag geſprochen
Uber zwanzig wochen
Der König und die ganze Verſammlung Tahen alſo
kein andres Mittel der Entſcheidung übrig und willigten 3

ein , daß der Speer oder Spieß an den beſtimmten Ort


f aufgeſteckt, und ihr Handel durch ein Gefecht entſchieden
werden ſoäte. Jeder eilt nun nach Hauſe.
1
Do ſcheiden ſie ſich von dem tage
Und ylten mit vil balder (16) jage
Beidenthalp in ir lant
Der herzog fur gen Brabant
Her Wilhelm heim zu lant
und
(14 ) Hochgezyt jede Feierliche Zeit überhaupt.
( 15) Jehen jahen , bejahen , erklären daß man ſo will.
(16) Bald zuverſichtlich , fühn ; daher Balduin ein fühner Sedter ,
Willibald viel fehr fühn , Leobold fühn wie ein Fowe. Jage
Eilfertigkeit, alſo mit zuverſidtlicher Eiffertigkeit.
VI. UeberDienſtmanns epifchesGedicht. 265
! Und hier wars die ganze Bemühung eines jeden ,
Ritter für ſich zuſammen zu bringen .
Jetweder fur und fande 6:13
Nach helffe dafür und wieder
Hin und her uff und nieder
Gen Flandern der herzog warb
Noch helffe de fi nit verdarb
Der edele graf Rupert ,
Und furften hubſch und werth
Gelobten im die helffe fin $

Der markgrave Willekin


Von Brandenburg im do bot
Ze helffende in aller not
Mit ritterlicher ficherheit
In Jofrides helffe reit
Ein edel degen wit erkant
Von haſpelgelb graf figenant
Mit willen wiganden ( 17 )
Graf Adam von Selanden
Kam och mit hofentlichen fiten
In fin helffe geriten
Der furtemengen werthen man
Jofriedes helffe do began
Sich hohen und wachſen
Von der Elbe und ouch von Sachſen !

Mit ſo werlichem her


Daſs er verfach ſich one wer
Des ſper gewinnen one craft
Der ellenthaften ritterſchaft.
Co
(17) Wigand welches von wig Krieg und dieß vermuthlich von wag
wagen herkommt , ideint wie es wohl ſonjt ift, hier nicht ſos
wohl ein Name , als Krieger zu heiſſen , beſonders nad dem,
was nachfolgt.
Selle Beitr. St. II.
266 VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht.
* So hatte alſo Jofrit ſobald eine beträchtliche Anzahl
von Rittern auf ſeiner Seite ; und hoffte einen zuverláſa
figen Sieg. Wilhelm von Orlenz warb nunmehr in
Frankreich .
Der edel degen kortoys
Her Wilhelm der frantzoys
Warb um Frankenriche
Nach helffe fittliche
Mit grofer gabe und ouch bet (18 )
Wen er dienſte je getet
Der find ſy von ym ermant
Wen er in welfchen lanten vant
Der bette was gen helffe wert
An den was helffe fe gegert
Von dem edelen herren gut
Sie trugen im all hohen mut
Durch finen hochgelobten pris
Ein ellenthafter furfte wis.
Es folgen nunmehr ſeine Helfer die Ritter.
Der grafe von fant giligen lant
Gelobte im helfe fa zur hant
Der wasgeheiſsen wide
Der kuſche und der blide
Was ſiner mume fon von art
Locier der wife wigant ( 19 )
Lobte ihm och fin helfe fa
Und furte im weder ritterſchaft
Och brachte in ein vil groſe craft
Pirrin der fürſte Curtoys
Von Schamponie der Schamponis Von
( 18) Bet bitten. Hoflice fuchte er durch Gaben , Gefchenfe und
durd Bitten Hülfe. Beeth ein förmliches Bitten der Lehnss
1
herrn an ihren Adel ; jezt noch freiwillige Beiſteuern .
(19) Wiſe Wigant fluger Strieger.
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 267
Von Anfchowe Fierlin
Fidgeni Mellin
Ein ellenthafter markis
Lob im durch ritterlichen pris
Des ér fin 'helffere
An allen Dingen were
Als det ouch Efsanter der wollowis
Ein edel Burggravis.
Und kam mit holdes mutes vier
Mangen werden ſolidier
Erwarb im noch fin richer folt
Lehen gabe filber golt
Des fin milte hant vil bot
Den edelni armen in der not.

Dem Anfehen nach, mußte Wilhelm mehr Mittel


anwenden , Hülfe zu bekommen , als Jofrit.
Indeſſen erhielten beide Herren auch noch Hülfe aus
fremden Låndern . Daß auch hier der Rittergeiſt die Schóa
nen beſeelte , iſt ganz im Geſamad der Zeit,
Menigen werlichen lipp
Fur in des ſtreites ſchowe ( 20)
Sines hertzens libefte frowe
Die im fin hochgemute
Kront mit irem gute
Und eben fo führte iým auch die Sippſchaft
Ritter zu .
Die Schaar des von Orlenz war nun verſammelt,
und er ließ die néthigen Lebensmittel zu der Unternehs
mung zuſammenbringen. Adein unſer Dichter mußte 1
nicht
( 10 ) Schowe Scaue , Schauſpiel; von ſchawen fehen , berehen .
Mande liebe Frau' führte ihren brafen Mann zum Spauſpiel
Dieſes Gefects
268 VI.UeberDienſtmanns epiſches Gedicht.
nicht Minneſinger ſeyn , wenn er den zártlichen Abſchied
des zum Gefecht abgehenden Wilhelms von ſeiner Ylien
vergeſſen hatte.
Eins Morgens do der tag erſchein
Und er uf gut gelingen
Ein meſse horte fingen
Und man den ſegen darnach geſprach
Do der ymbis (21) geſchach
Er gie zu frowen Ylien
Sines herzen drut amyen
Er drukte an ſich irn rainen lib
Er ſprach frowe ſelig wip
Gott geruhe dich bewahren
Und pflege din ich will von dir faren.
Mich deucht , daß die wenigen worte ſein mannliches,
aber auch fühlendes Herz mehr ſchildern , als alles, was
ein falter Minneſinger unſrerZeit ihn vielleicht wurde fa
gen laſſen . Deſto mehr aber giebt er der gerührten Ylie
in den Mund :
Do ſprach vil truvencliche
Die edele tugentriche
Nu geſage mir drut geſelle min
Wanne fol ich warten din
Frowe des entwiſse ich nicht
Wie oder wen das gefchicht
?
Das ich wieder keren mag
Got fuge mir ſo lieben tag
Das ich dich fünde geſund
Do kuft er ſie wol tuſend ftund
Mit fuſsem umbefangen (22)
Ir mundlin und ir wangen
Druchte er noch an finen munt.
Die
(21) Ymbis das Einbeiſſen , das Frühſtück.
(22) Mit fúffen Umarmungen .
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 269
Die zärtliche Ylie weinte.
Sie ſprach owe ich armes wib
Trut geſelle ſolich lip
. Wem wiltu nu laſsen mich
Gotte dem ergeb ich dich
Der ruche din mit felden pflegen
Und fug dir finen ſuſsen ſegen 1

So hab dich wol

Sie rechtfertigt ifren ganz beſondern Somerz durch


eine Ahndung :
Ich entweiſs nyt was es nie me
Wan meinem herzen nie me
Nach dir ſo herzlich we
Doch ſie fühlt , daß eine ſolche Betrübniß unter der
Würde der Gemahlin eines Rittters ſey , die vielmehr ihn
zu dergleichen Unternehmungen anfeuren ſollte. Dess
wegen fagt fie :
Das giebt mir jamers gelimpf (23 )
Din varn war je ein ſchimpf ( 24 )
Nur dieſe Reiſe macht ihr bange. Wilhelm ant
portet :
Nu ſchwieg vil lieber freelin min
Und lebe mit mir yemer ſus
Do gab ſy im mangen kus
Mit urlobſchied der wiſe man
Von finem herzen liebe dann .
Traurig ſaß ſie ihm nach und er fam
mit ritterlichen fitten '
Ze avenis in die ftatt geritten
Und
(23) Glimpf eine anſtändige Art etwas zu thun , alſo das madt
meinen Jammer anſtåndig.
(24 ) Schimpf ſopiel als Sceri, ronft faberäte ich bei deinen Reiſen.
S 3
270 VI. Uteber Dienſtmanns epiſchesGedicht.
Und brachte allein goo Ritter mit , Graf Pirrin ſein
Neffe 600 , der Fürſt {ocier 400 , der Markgraf Fierlin
200 , der Burggrav Bellowis 100. Alle dieſe waren
in der Stadt und auf den Dörfern fo viele , daß ſein
ganzes Heer 2500 Ritter ausmachte.
Herzog Jofrit von Brabant brachte 600 ſeiner Ritter,
mit. Graf Rupert von Flandern brachte ihm gleichfalls
600 , der Markgraf Willekin 400 , der Graf Sigenant
200 , Graf Adolff von Seland eben ſo viel, überhaupt
hatte er 2009 zuſammen .
Man ſchlug nunmehr {ager auf , und
Nu was uch ufgeſtoſsen
Daz ſper und ein rotter van
Oben uf gebunden dran
Der gab verre (25) zebrechenden ( 26 ) ſchin
Ze meſsen ein hoch bergelin
Waz do geftarret ( 27 ) all dur den plan
Do fach man daz (per uf ftan
Wer es wollte nemen war
Der fach darab wol bede ſchar
Sie ſahen aber einander nicht
Des die aventure gicht.
Dies alſo war der Ort und Stand beider Heere.
Nochmals machten die Fürſten einen Verſuch die Herren
zu vergleichen ; aber umſonft.
Sie waren von in geriten
Gar mit zornlichen liten
Und folte' morne ſin der ftrit
Noch
(35) Verre ferne, von ferne.
(26 ) Zebrechenden durchbredender Schein ; die rothe Fahne gab
einen in die Ferne dringenden Schein , man ſah ſie von weitem.
( 27) Geſtarret , ftarren , mit darauf gehefteten Augen anſehen ,
anſtarren.
VI. Ueber Dienſtmannsepiſches Gedicht. 271
Noch aber, ehe der Streit beginnt, tritt ein Um
ſtand ein , der die Rittergeſinnungen beider Fürſten zeigt.
Wilhelm gerüſtet mit einem feſten Panzer , einem Sper
von Stahl und einem Hut , alſo mit keinem Helm , wels
ches ein Zeichen iſt , daß er noch auf den Kampf nicht
ausgieng ,: ritt auf einem guten und ſtarken Roß aus ,
Und wollte ſiner vinde craft
Beſehen und ir Ritterſchaft
Er ſtieß auf den Herzog Jofrit, der auch in glanzens
dem Harniſch in eben der Abſicht ausgeritten war , insbes
ſondre zu banhen oder fahnen, das iſt die Kriegsvolker
durch Aufſteckung einer Fahne zu verſammeln .
Als er den Degen hochgemut fach
Gen -ime neigete er daz ſper
Er rief lute her als her
Hie mus unter uns beiden
Der krieg werden geſcheiden.
/

So hißig er ſeinen Gegner zum Gefecht aufrief , to


entſchloſſen war dieſer dazu , allein mit fälterem Blut.
Er antwortete :
Her herzoge des ſolt ir noch ſparn
Jr ſolt fenften (28) uwern zorn
Den noch findet ir an mir
Allen uwers herzen gir ( 29 ).
Das fi fo will ich es lan
Sprach der Herzog es fi getan.
Wilhelm ſprach weiter : Aus Freundſchaft und
Treue kam ſo mancher Ritter , um mit und für uns zu
fechten .
Tunt
( 28 ) Senften befánftigen.
( 29) Allen gir alles was euer Herz begehrt, findet ihr an mir.
S4
272 VI. Ueber Dienſtmanns epiſchesGedicht.
Tunt ritterlich ich ſag uch wie
Achtent uwer ritterſchaft
So zele och mine craft
Habe ich mer wen ir
Ritter die laſſe ich von mir.
Seine Großmuth ſchlägt ihm alſo eine Zahlung der
Ritter vor , und erbietet ſich , wenn er mehrere habe als
Gofrit , ſolche von ſich zu laſſen . Der Streit müſſe von
beiden Seiten gleich ſeyn.
Des bin ich herzlicher fro
Sprach der Herzoge do 1

Ir beder truwe lobte das


Si ſcheden von einander do.
Die Ritter wurden gezahlt; Wilhelm fand , daß er
500 mehr habe als der Herzog von Brabant , und wurde
mit ſeinen Bundsgenoſſen eins , daß ſie weggeſchickt wers
den ſollten , um indeſſen das Land zu ſichern. Seine Ans
rede an die Ritter zeigt , daß er ignenzureden mußte , um
fie zum ' Ubzuge bewegen .
Er nam fi ſunder und ſprach ze in
Ir heren do ich uch will in
Senden do frinnent in
Das denne niemander mir
Daz uwer werliche hant
Mit wer behute min lant
Darzu hon ich uch erkorn
Nu ſtolcze helden wolgeborn
1 Land mich uch wol bevolhen fin
Durch got und durch den willen min
Von dannen furen fie do da
Do fi urlob genommen da.
Die Herrn waren alſo von beiden Seiten gleich,
und jeder Fúrft rottirte das Seinige.
Do
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht 273
Do fie geſchieden dovon dan
So hierder tugentriche man
Wisliche ſin her
Rottirt gein manlicher wer
Und machte fünf gancze ſchar
Der jegliche ſolt dar
Virhundert ritter an der ſtrit
Bringen an derſelben zit
Der ſchar jegliche wart
Zu einem furften geſchart
Under des banier fie reit
Und mit im an den ſtreit.
Jede der fünf Schaaren beſtund alſo aus 40 Rittern ,
und jede ſtund unter dem Panier eines Fürſten , als Ans
führers. Jeder war der venre Fahndrich oder Fahnens
trager von der Seinigen , und bekam ſeinen beſondern
Perhaltungsbefehl.
Uuch Jofrit rottirte ſeine Schaaren , allein jede zu
50 Rittern , unter den Grafen von Seeland , Markgraf
Willekin dem Grafen Sigenant, und er wollte felbſt
der venre reiner Schaar reyn .
1
Dies und jede andre nöthige Anordnung, war die
Berdaftigung der ganzen leßten Nacht vor dem Gefecht.
Den tag man bald ufdringen fach
Den ellenthaften jungen
Wart beidenthalb gelungen (30 )
Sy entfingen alle gotes ſegen 1

Unlange darnach wart gelegen


Ein pitit manger (31 ) aſsen fie
Viel ſchier do die ſunne ufgie
Sich
( 30 ) Geſungen , fingen heißt aud aufdem Horn oder der Trompete
blaſen .
(31) aus dem Frangofifden , ein klein Frühſtúd.
SS
274 VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht.
Sich waffente die Ritterſchaft
In gemanlicher (32) craft
Werlich in hoher wurdikeit
Do ſie wurden bereit
Sie zogeten vor der gezelt
Beidenthalp uf der velt
Jegliches furften ſchar
Sunders roteiret gar
Bis das menliche her
Gelemmeren ſich in ein wer.

Die Heere rückten aus dem Jager ins Feld , und


verſammleten ſich zum Treffen .
Die engel (33) wis gezieret
Si hetten gundelbiret ( 34 )
Suſses hal von faitten ſpil
Flotens tamburen (35) waz do vil
Und welfch vyddelere (36)
Der don was fron vere (37)
Der do mit füſsen rotten
Was der ritterſchaft gebotten
Zu fried und gelait ( 38 ) ,
. Gen

( 32) Gemanlich ſie wafneten ſich mit Männerfraft zur Wehre.


(33) Engel jede Art von Boten oder abgeſchidten Leuten , vielleicht
alſo ausgerdidte Vorpoſten in weiffer Kleidung .
( 34 ) Gundelbiret , gund Strieg , daher gundfane Kriegsfahne , biren
führen , vielleicht alſo führten ſie Fahnen .
(35) Tamburen Paufen oder Trommeln .
( 36) Vyddelere , Fiddel ein mufifaliſch Inſtrument mit drei Saiten
überzogen.
(37) Fron vere ichón , angenehm in der Ferne.
(38) Frid und gelait zu Sicherheit des Bugs und der Perfonen , ſo
lange bis der Streit beginnt.
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 275
2 Gen ſtrites erbeit V
Und ze veſtenunge ir muie (39)
Von dieſer allgemeinen Zurüſtung und der allmählia
gen Annäherung des Gefechts , geht der Dichter immer
weiter zur Sache; allein er fürchtet, daß durch Erzählung
jedes beſondern Umſtandes , ſein Gedicht zu lang werden
moge. Uuch fallen ihm zugleich die klagenden Frauen eine
die den Durchzug beider Herrn ſagen. Nun kommen
fie auf den Wahlplaß.
Her Wilhelm der werde man
Zogte mit finer ſchar
Gewafnet ritterliche
Sin harnaſch (40) war vil riche
Sin waffenrock (41) gab liechten ſchin
Der wás edel fidin
Und druf fin ſchilt gefesftet (42 )
Genug in ſeiner Kriegsrüſtung war Wilhelm ro
prådtig und ſchon , als wenn
Sin lieb ſin trut amye 7

Die ſchöne fuſse Ylie


Der fin herze hulde ſwur
In der dienfte er do fur
Zu deren Dienſte er zu fechten das Gelübde tpat,
ign gepußt fåtte. So wie er , wären nun
Ritter und furften gar
och vil bereit
Nach ritterlicher wurdekeit.
Mit
(39) Ze veſtenunge &c. zu Befeſtigung ihres muths.
( 40 ) Harnaſch , er hatte eine reiche Rüſtung. Denn das Wort be.
deutet zuſammen den Bruftharniſo , Helm und das was Arme,
Snie und Schenkel bedect.
>

( 41 ) Waffenrock daß darüber angelegte Stleid von Seibe.


(42) Schilt gefesſtet ſein Schild war daran durd einen Gürtel fet
gemacht. 3
276 VI. Ueber Dienſtmannsepiſches Gedicht.
Mit der Fortſeßung wird nun im folgenden Stück
das Gefecht anfangen. Ich habe den Verſuch gemacht,
verſchiedne lángere Stellen des Gedichts zu überreßen , und
zwar immer in dem Vorſaß das Ganze zu vollenden. Al
lein ganze groſe Stellen , welche verglichen mit andern
durch den übeln Abſchreiber vorerſt ganz unerklärlich zu
fern ſcheinen , halten mich in dieſer Arbeit oft zurůck.
Beim überſeßen ſuche ich der altdeutſchen Manier lo treu
zu bleiben als möglich, behalte altgute Worte deutſchen
Korns und Schrots bei , bediene mich aber auch aller Frei
Þeiten des Originals. Hier iſt eine Probe :
Hoch er im Reich der Franken faſs,
Er deſsen ſelten man vergaſs
Wenn man auch gleich die beſten wog ;
Sein Lob an Würde war ſo hoch ,
Daſs niemand ihm im welſchen Reich
An Ruhm zu ſeiner zeit war gleich.
Der durch die würde die er trug
Den werth der andern niederſchlug ;
1
Den , waren auch gleich alle da ,
Man immer als den erſten ſah ,
Von allen , die man damals fand ;
Wilhelm von Orlenz er genannt.
Das war der Degen hochgemut,
Des Herrſchaft, Herkunft und des Gut
So gros , ſo hoch und herrlich war,
Daſs er Genoſs der Fürften war ,
Mit ſo viel lehen er belieh
Daís neben ihm man nannte fie
So mächtig durch ſein eigen Land ,
Daſs er mit eren war genannt,
Weil er mit Fürſten war verwandt.
Philipp der erſte , welcher dar
Des Landes Herr und König war ,
War ſeiner ſchweſter ſohn genannt;
Karlin
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 277
Karlingen war damals noch nicht,
Wie uns die Wahrheit hat bericht,
So reich, gewaltig , ftark und breit,
Durch Gröfs und Reichthum feiner zeit;
Allein Wilhelm von Orlenz war ,
Ein Spiegelglas der Tugend gar ,
Nach der Erzählung ſeiner Zeit ,
An ritterlicher würdigkeit. *
Der beſte keinen ausgenommen ,
An alten Tugenden vollkommen.
Er war getreu , und mild und gut,
Wahrhaftig , zärtlich , hochgemuth ,
An weisheit und an Muth ſo reich ,
Daſs ihm an Preis war niemand gleich ;
Und ſo war auch die feine ,
Die fiſse, clare , reine,
Die gute mynnicliche ,
Die ſchöne, tugentreiche,
Die keuſche, falſchheitsleere.
Die weif unwandelbare ,
Die werthe auserkohrne
Die edle hochgebohrne ,
Sie , lein viel herzen liebes weib ;
Die Leben weihte ihm und Leib,
Und liebte ſein blühnde Jugend ,
Mit ihrer reinen Tugend .
Sie war genannt Ylie,
Gebohren in der Normandie
Des Grafen Bernards Kind .
Gerühret alle Frauen find a
Vom hohen Werthe, den die Hand
Der Gottheit ihr hat zuerkannt.
Ihr Tugend blühte Blumen gleich ,
Sie fanden beyde ſüſs und reich
Das aneinander , was ein Mann Und
278 VI. Heber DienſtmannsepiſchesGedicht.
Und Weib nur jemals wünſchen kann .
Sie trugen beyde einen Muth
In einem Sinn und einer Treu ,
Durch ſtete Treue einerley ;
Und keines wählte Freunde nicht,
Wenn ſie des andern Angeſicht
Verwarf; noch wünſcht fichs je
Das , was nicht gern das, andre fäh.
Zu ſeiner Freude ſchnell bereit,
1 Beſchwerlich ihm zu keiner Zeit;
Mit ſolcher Liebe liebten ſie
Sich jung und zärtlich , ſpet und früh.
Und jedenwunſch von jedem Tage
Betrübte keine Klage.
Und ſo war unter beyden
Durch Treue unzuſcheiden
Geſelliglicher Liebe Kraft.
t Zu Hanegouw die Grafſchaft,
War dienſtbar Wilhelms Hand.
Fünftauſend Mark trug ihm das Land ;
Das theilte ſeine milde Hand ,
Und ſeine Milde ward erkannt.
Auch war er durch Dienſtfertigkeit
Zu jedem Dienft bereit;
Und ſein war Preis und Lob ,
Durch die ihn alle welt erhob .
Den Klugen war er klug ,
Den Schwachen ſchwach , den Guten gut,
Den Starken ſtark und hochgemuth
Den Armen und den Reichen
So viel er konnt zu gleichen.
Auch hatte er an Ritterſchaft
Solch eine Kunſt und Kraft,
Daſs er von jedermann
Dag
VI. Ueber Dienſtmanns epiſches Gedicht. 279
Das gröfte Lob gewann.
Der wahre Preis der würdigkeit
War auch für ſie bereit ;
Das Lob der hochgemuthen ,
Frau Ylien der guten ;
Sie war durch weiberzucht
Die blüh’nde Blüthe einer fremden Frucht.
So wuchſen ſie mit jeder Tugend
In immer längrer Jugend ,
An Lieb und Lob fürwahr ;
Und hatten doch ihr beſten Jahr ;
Durchs Alter noch ergriffen nicht ,
Wie das die Aventure ſpricht.

Cafparron.

VII. Ein
280
VII.

Ein Beitrag zur Geſchichte der


Aufwandsgefeße.
en Heren Gökings Journal von und für Deutſch
I" land iſt im zweiten Stücke S. 135 folgende uns
frage enthalten :
Kennt jemand eine ältere gedruckte Landesords
nung von übermäſſiger Kleidung, Geſchmuck
und Beköſtigung der Hochzeiten , Kindtau
fen und andern Gaſtereien halber , als vom
Jahr 1546 ?
Vieđeicht find die Landgrafen von Heffen unter den
Deutſchen Landesheren die erſten , welche die Einſoránkung
des lurus als einen wichtigen Gegenſtand der Gefeßgebung
erkannt haben. Ich will daher zu Beantwortung obiger
Anfrage; den Inhalt ihrer hierher gegårigen Verfügungen
kürzlich anführen .
Die ålteſte Heſſiſche Vorſchrift dieſer Art iſt die
Drdnung, wie es in Anſehung der Eheverlåbniſſe,
Kindtaufen und Hochzeiten in Caſſel zu halten , welche
Landgraf Ludwig der Friedfertige im Jahr 1423 þat er :
gehen laſſen ( 1 ). Von Kindtaufen wird darin feſtgeſeßt,
daß nicht mehr als zwölf Frauen der Taufe wegen mit zur
Kirche, und aus der Kirche wieder mit ins Haus gehen
ſollten , mit denen man Koſten haben und Kindbett
halten könnte. Wer ihrer mehrere nimmt, roll für jede
ůberzählige geben und bůſſen sehen Schillinge Pfenge
Heſſiſcher Wahrung. Wer das Kind zur Taufe vált,
Toa demſelben nicht über zehen Schillinge, der Hebemutter
achtzehen
(1) Sie ſteht gebrudt in der Sammlung der Heffifoen Landed.
ordnung , Th. L S, 9. folg.
1
1

VII. Geſchichte der Aufwandsgeſelle. 281


achtzehen Pfenge, und ins Haus zu Trankgelde zween
Schillinge geben. Der Uebertreter dieſes Gefeßes, fou
es mit einem Pfunde Pfenge verbúſen .
Vom Aufwand bei Hochzeiten enthalt eben dieſe
Verordnung folgendes. Erſtlich ſollen der Frauen , die zu
der Hochzeit bitten gehen , nicht mehr ſeyn als Sechs
und eine Magd mit ihnen ; und wenn der Prieſter oder
Bräutigam hernach umgeht und bittet, nicht mehr dann
zwölfe ; und wann die Braut jur Kirche geht, ſollen der
Jungfrauen und Mägde auch nicht mehr als zwölf reyn.
Ferner zur Hochzeit am erſten Abend mag man haben
funfzehen Schüſſeln und nicht mehr ; und ain andern
Tage zu der Brautſuppe auch funfzehen Schůſeln , und
zu dem rechten Imbs (oder dem eigentlichen Hochzeitmahl)
funfzig Schüſſeln , und die Diener zehen Schüſſeln ;
und am Abend mag man auch haben funfzehen Schüſſeln,
je zwei Menſchen vor eine Schüljel zu rechnen. 1

Dieſer leßte Zuſaß beſtimmt alſo zugleich die Anzahl der


Gäſte, welche zu jeder der genannten Mahlzeiten gebeten
werden durften. Wer mehr als die vorgeſchriebene Ans
!
zahl Gåſte hat , der ſoll das verbúſen , ne vor den übrigen
Menſchen zehen Schillinge Pfenge Heffiſcher Wåhre.
i Auch ról niemand zu den Kindbetten , Hochzeiten oder
Wirthida re
kommen , bei einem #funde Pfenge
Strafe. Von dieſer Geldbuſſe behält ſich der Geſeßgeber
zwei Drittheil bevor , und überläßt einen Drittheil der
Stadt Caffel!
1 Das zweite Heffiſche Gefeß, welches in dieſe Klaſſe
€ gehört, enthält die " Reformationsordnung von Wil
+ helm II. oder dem Mittleren , welche gegen das Ende des
funfzehenten oder zu Anfange des ſechszehenten Jahrhuns
derts ergangen iſt ( 2 ). Dieſe betrift nicht, wie die
1 vorhin
( 2 ) Siehe die Sammlung Heffifder Landesordnungen . ch. L. S. 33.
Self. Beitr .St. II.
282 VII. Geſchichte der Aufwandsgeſeße.
vorhin gedachte die Stadt Caſſel allein , ſondern das ganze
Sand. Sie verordnet , daß keiner in den Städten zu
Hochzeiten , Chriſtmeſſen oder Einſegnungen-laden oder
haben ſød über achtzig Menſchen ; und auf den Dörfern
nicht úber vierzig. Dabei wird das Soppen oder Vors
eſſen (die Brautſuppe, welche vor dem Kirchgange gegeben
wurde) gånzlich abgeſtellt, bei Strafe von zegen Gulden.
Zum Kindtaufenſchmauſe, rou niemand , er ſei reich oder
arm , mehr als aufs góchſte zehen Frauen , und einen
Prieſter, der das Kind tauft , mit dem Dpfermanne
einladen . Eine Mannsperſon , welche Gevatter ift, mag
zween ſeiner guten Freunde dazu mitbringen. Dieſer darf
zum Kindbett ein halb Viertel Weins ; dem Kinde nicht
mehr als zehen Weispfennige, dem Geſinde im Hauſe,
jedem ſechs Heller, und der Bademutter einen Weispfennig
ſchenken . Des Åbends roll gar keine Geſellſchaft, weder
in dem Hauſe der Kindbetterin , noch des Gevatters geſtats
tet werden

Wegen der Kleidnng enthalt eben dieſe Ordnung fol


gende Vorſchriften. Es ſou niemand hinführo geſtückte
und verſagte ( beſeßte) clender und Farbe antragen oder
machen laſſen . Es ſy dan eins Fürſten Hern ader Edel
mans reiſiger Diener, ben Vermeidung gehen Gulden
Buſſe . Bürger in den Städten mogen haben ein jeder
ein gut Kleidt von lundiſchen Tuche und darübernicht,
Darunter (das iſt Tuch von geringeren Werth , oder ges
meines Luch ) fann ein jeder tragen , wie er wil . Deda
gleichen eines Burgers Frau einen guten lundiſchen Rock,
und darüber nicht; darunter mag eine jede tragen nach
ihrem Gefallen. Bauern ſollen tragen gemein Tuch,
das die Ele nicht über zehen Weispfennig gilt. Dess
gleichen auch ihre Eheweiber.
Von Landgraf Philipp den Großmüthigen finden
fich drei verſchiedene Sandesordnungen, welche den überhand
nehmenden
VII. Geſchichte der Aufwandsgeſeße. 283
nehmenden Aufwand ſteuern routen. Seine Reformation
in Polizeiſachen vom Jahr 1926 ( 3 ) verbietet gleich im
erſten Artikel das übermäßige Zutrinken. Im dritten
Artikel wird von Kindtaufen verordnet , daß die großen
Unkoſten zu ſelbigen abgeſtellt werden , und ein Gevatter +

dem Kinde und der Mutter nicht über einen halben


Gulden ſchenken , auch die Eltern des Kindes zur Kinds
tauf und Gaſtung nicht über acht Perſonen laden und
haben ſollen ; und zwar ohne Unterſchied in Dörfern,
Flecken und Stadten . Bon Hochzeiten wird ferner im
vierten Artikel feſtgeſeßt, daß in Städten nicht über huns
dert , und auf den Dörfern nicht über ſechzig Perſonen
dazu geladen werden ſollen . Braut und Bräutigam ſolen
mit dem geladenen Volk des Morgens um ſieben Uhr
zur Kirche gehen , und die Predigt und Gebet ſamt der
Trauung abwarten , ohne zuvor Morgens die Brauts
ſuppe oder ein Voreſſen zu genieſſen . Hierauf fod zwis
fchen acht und neun Uhr Mahlzeit gehalten werden , welche
beſtehen ſoll aus enn Suppen, dabey eyn weyß Fleyſch,
darnach eyn gelbes oder ſchwarzes Fleních , darnach enn
Dór. rindflenſch, mit eynem Beygemůſſe von Kraut,
Erbenſſen oder dergleid en , zulegt eyn gepratenes, oder
ſonſt eyn Gericht für das gepraten , und darüber nichts,
Darzu zimlich Bier und keinen Wein ; es ſei denn nach
Dem Eſſen . Wer aber unter der Mahlzeit Wein geben
will, der ſoll dazu die Erlaubniß bei der vorgeſeßten obrigs
keitlichen Perſon auswirken , und dieſe fou beſtimmen ,
wie viel gegeben werden dürfe. Wenn nun Mittag die
Mahlzeit geſchehen , rod jeder wieder nach Hauſe gehen,
und Fein weitetes Eſſen und Trinken angeſtellt werden ;
auſſer
(3) S. die Heffiſchen Landesordnungen. Th. I. S. 49 folg. Ver.
glichen mit einer im Stil verſchiedenen Abſchrift dieſer Vers
ordnung , welde der fel. stieinfomid in der Vorrede zu
dieſem Theile hat abbrucken laſſen .
22
284 VII. Geſchichte der Aufwandsgeſeze.
auſſer die nächſten Anverwandten , deren doch nicht über
drei Diſche vod regn dürfen. Den folgenden Morgen,
wenn man die Braut heim bringt, oder wenn ſie daheim
iſt, ſoll man auch nicht über die drei Tiſche Koſtung
haben ; ſondern die ganze Hochzeit ſoll damit zu Ende ſeyn .
Die Uebertreter foden für jeden überzähligen Hochzeitgart
drei Pfund zu Buß geben .
Bey Kirchmeſſen iſt (Urt. 5 ) in Städten , Flecken
und Dörfern alle Gaſtung mit Eſſen und Trinken gånzlich
unterſagt, bei einer Buſſe von drei Pfund.
Da dieſe Verordnungen in der Folge nicht genau
beobachtet wurden , ſondern dagegen allerlei Mißbrauche
einriſſen : To lies Landgraf Philipp der Großinüthige
im Jahr 1537 ſeine Ordnung der Viſitation publici
ren (4 ) , worin jene Verfügungen nicht nur wiederholt
und geſchårft, ſondern auch die weiteren Erläuterungen
hinzugefügt wurden , daß die acht Perſonen , welche nach
der vorigen Verordnung bei Kindtaufen zum Mittagseffen
zu laden erlaubt worden , zum Abendeſſen nicht bleiben
dürften , bei Strafe von drei Albus. Desgleichen ſollte
bei Hochzeiten die Braut nicht über zehen Magde, und der
Braurigam nicht über zehen Knechte haben und zulaſſen .
Wenn auch die Braut am Tage der Hochzeit vom Tanze
nach Hauſe geführt iſt, ſo ſollen deſſelbigen oder folgenden
Jages gar keine Gaſtereien mehr geſtattet ſeyn ; alſo auch
die drei Tiſche der Verwandten nicht , welche in der erſten
Verordnung nachgelaſſen waren.

Endlich wurde in der Reformation in Policen- und


Kirchenſachen , welche eben dieſer Sandgraf im Jahr 1543
ausgehen lies ( 5 ) , ( Art. 6 ) das Verbot wegen der
Schmauſes
( 4 ) S. die Heffiſchen Landesordnungen . Th. I. S. 93 folg.
(5) S, die Sreffiſden Fandesordnungen , th. I S. 128.
VII. Geſdichte der Aufwandsgeſeße. 285
Schmauſereien bei Kirchweihen und Meßtagen wiederholt ;
und auf den Uebertretungsfall , der Pfarrer , welcher der
gleichen hált, mit der Abfeßung bedrohet ; die Gemeinde
aber , wenn es ein groſes Dorf iſt, fou es mit zwanzig ,
und ein kleines mit zehen Gulden búſſen. Einzelne Per
ſonen , die das Verbot übertreten , Tollen zwei Gulden
Strafe erlegen . In Anſehung der Kindtaufen werden
auch hier ( Art. 7 ) die vorigen Verordnungen wiederholt ;
unter den weiteren Beſtimmungen , daß nicht mehr als
ein Tiſch vod Gåſte, und dieſe nur zu einer Mahlzeit
geladen werden ſollen , wobei ſie nicht über zwei Stunden
am Tiſche fişen dürfen. Wer gegen dieſes Gefeß hans
delt , oder geſtattet, daß ſich ſeine Gäſte volſaufen , der
fou drei Gulden zur Buſie erlegen. Noch wird in dieſem
Artikel geſagt : man habe befunden, daß eine neue
Schwelgerei und Freſſerei aufkommen, welche darin be
ſtehe, daß die, welche das Kind zur Taufe gehalten ,
nach vierzehen Tagen oder drei Wochen pflegten in ihren
Häuſern zu kochen , das Eſſen mit ſich zu nehmen , und
die Gevattern zu überlaufen , welches man einen Ueber
lauf oder den Sack nennt. Dieſe Gewohnheit wird
ebenfalls bei Strafe' von drei Gulden unterſagt.
Die neueren Heffiſchen Aufwandsgeſeße übergehe ich
vor jezo , weil ſie aus einer ſpäteren Periode ſind, als
in der Anfrage beſtimmt iſt.
Runde

13 VMI. Ueber
286 ets
VIII.

Ueber die Frage : Iſt der Vorwurf gegründet,


daß der übermäßige Kartoffelbau der Verfall
des Ackerbaus und den Ruin der
Mühlen nach ſich ziehe ?
2
Gratum opus agricolis.
( Die Veranlaſſung der Hier folgenden Abhandlung iſt
dieſe: Die Hochfürſtl. HeſſencaffeliſcheGeſellſchaft des
Ackerbaues und der Rúnſte hatte im Jahr 1782. auf
die beſte Beantwortung vorſtehender Frage einen Preis
von jehen Louisd’orausgeſezt. Sieersielt darüber drei
und zwanzig Uvhandlungen und Aufiäße; worunter
jedoch rechre ſehon um deswillen nicht concurrenzfähig
waren , weil die Verfaſſer derſelben ihre Namen gegen
1
die Gewohnheit und ausdrückliche Bedingung , beim
Einſenden bekannt gemacht hatten. In allen einge
ſandten Schriften fand die Geſellſchaft viel zerſtreuete
brauchbare Bemerkungen ; aber keine befriedigte die
Erwartung derſelben in dem Grade , daß der ausges
rezte Preis darauf hatte allein erkannt werden können.
Da ſich jedoch die beiden Abhandlungen mit den Denks
ſprüchen : Gratum opus agricolis, und utile dul
ci, utilique utilius eft præferendum von den
übrigen vortheilhaft auszeichneten , ſo fand die Geſells
ſchaft in ihrer am sten Mårz dieſes Jahres gehaltes
nen Sißung billig , beide Ubhandlungen zuſammen
für preiswürdig zu erkennen ; und zwar dergeſtalt ,
daß der Verfaſſer der erſtgenann fechs Louisd'or ;
der von der zweiten aber vier Louisd'or von dem auss
geſezten Preiſe erhalten ſollte. Da unter dieſen Uma
ſtånden die Zettel, worin die Namen der Verfaſſer
enthalten
VIH . Vom Kartoffel- und Ackerbau. 287
enthalten waren , verſchloffen blieben , ſo wurden am
Schluſſe der gedruckten Nachricht von der diesjähri
gen Uustheilung der Preiſe die Verfaſſer aufgefordert,
ſich zu erklären , ob ſie unter den angezeigten Bedin: 1
gungen ihre Namen wollten bekannt werden laſſen .
Bis jezt hat ſich zu dieſer Abſicht nur der Verfaſſer der
.
erſten Abhandlung , welche man hier dem Publikum
mittheilt, gemeldet. Dieſer iſt Hr.Ludwig Schnei 1

der , Kurſächſiſcher Kammerſekretår zu Merſeburg.


Von dem Verfaſſer der Abhandlung utile dulci &c.
erwartet man noch die Erklärung; und ſobald dieſe
erfolgt iſt, wird man ſeine Abhandlung in dieſen Beis
trågen gleichfalls mittheilen. Für den Werth der
hier folgenden Schrift muß es bei den Leſern kein un
günſtiges Vorurtheil erwecken , daß der Verfaſſer dera
ſelben im vorigen Herbſt auch von der Leipziger ókonos
miſchen Societat einen Preis für die beſte Abhanda
lung von der Staufütterung erhalten hat , welche
vermuthlich gleichfalls bald im Druck erſcheinen wird.)
Runde.

Einleitung.
ch lebe in einer Gegend , deren vorzüglichſte Nahrung.
SA der Feldbaú iſt , und zwar der Getraidebau in ſo übers
wiegendem Verhältnis gegen den Anbau einiger wenigen
Fabrik- und Handelskräuter , daß dieſe gegen jene in keine
Betrachtung kommen . Nur die Anpflanzung der Kartof
feln hat auch hier , wie faſt allenthalben , die freiwillige
günſtige Aufnahme gefunden , die man in neuern Zeiten
manchem andern auslándiſchen Gewächſe gewünſcht , aber
zu verſchaffen oft vergeblich ſich bemüht hat. Nochetwas
ſtarfer als beiuns , wird der Kartoffelbau in den gebirgiga
T 4 ten
)

288 VIII. Vom Kartoffel- und Ackerbau.


ten Gegenden unſerer Nachbarſchaft betrieben , die zum
Theil Marktplåße für unſer Getraide find ; und da unſre
Provinz , die ohngefehr zum dritten Theil aus groſen Gús
tern und Pachtungen beſteht, von jeher einen beträchtlis
chen Abſaß von Getraide in die angränzenden känder zu ma
chen gewohnt war , und in dieſem Handel in neueren Zei
ten eine Verminderung zu ſpüren glaubt ; da wir ferner
innerhalb unſerer Grånzen , bei einer Volksmenge von
ohngefähr acht und dreiſig tauſend Menſchen , drei und
vierzig gangbare, und zum Theil mit vier , Techs bis acht
Mahlgången arbeitendeMühlen haben : ro ſind die Klagen
über den nachtheiligen Einfluß des Kartoffelbaues , zumal
in dem Munde der gróſern Gutsbeſüßer und der Mühlen
pachter, nichts feltenes. -
Ich habe es nicht für über
flüſſig gehalten , von dem Standpunkt , auf welchem ich
meine Beobachtungen und Erfahrungen geſammelt habe
(dem bei meinem Namen genannten Orte meines Aufent
halts ) dieſe vorläufige Rechenſchaft zu geben .
Da ich Beruf und Gefegenheit habe , den Gang und
die Schickſafe des Nahrungsſtandes unter der Klaſſe die
bei dieſer Frage intereſirt iſt, in der Nähe zu beobachten ,
To hat mich dieſer Gegenſtand Tchon längſt beſchäftiget.
Und ob ich gleich für meine eigene Heberzeugung nicht lange
unent chieten blieb , ſo Habe ich doch immer gewünſcht , die
Grú ide und Gegengründe beider Theile vollſtändig und im
Zuſainmenhange zu hören ; ich freue mich daher ſehr, daß
nun ein Feld dazu eröfnet iſt, und daß man zugleich das
Urtheil einer Geſearchaft zu erwarten hat , von deren Eins
ſichten und Grundfäßen Beifall und Belehrung willkommen
ift. Ich mag'nun jenen oder dieſe verdienen , fo mage ich
doch gerne den Verſuch einer Beantwortung, und rechne
!
wenigſtens darauf , zur Ueberſicht des Ganzen einige núga
liche Beiträge zu liefern .
Die
VIII. Vom Kartoffel- und Ackerbau . 289
Die aufgegebene Frage (I) enthält einige Ausdrucker
über die ich mich vorlåufig erklären will, um keinen Miss
verſtand zu veranlaſſen , und in der Folge deſto beſtimmter
reden zu können. Ich finde auch hier die ſchicklichſte Stelle
zu etlichen Unmerkungen auf die ich mich in der Beants
wortung felbft nur kurz beziehen werde.
1) Die Rede iſt von übermäſigem Kartoffelbau.
Was iſt hier Maaſe, und was. Ueberſchreitung ? Ich
glaubte anfangs in dieſem Ausdruck viel Unbeſtimmtes zu
finden , Tah aber bald, daß man nicht wohl náher beſtim :
men durfte, um der Unterſuchung volle Freiheit zu laſſen ,
die eigentlich erſt herausbringen roll, was bei dem Kartof
felbau übermäſig ( ein tadelndes Beiwort ) heiſſen könne,
oder nicht. Sobald ich dieſen oder jeden andern Zweig
des Ackerbaues übermåſig nenne , iſt ihm das Urtheil ſchon
geſprochen. Uebermáſig heißt alſo hier der Kartoffelbau,
ſobald andre Burger des Staats , Múder z. B. , ſich dar
über beklagen ; unausgemacht vor der Hand , mit welchem
Rechte. Ich will dieſen einſtweilen nur häufig nennen ,
und nenne ſo den Kartoffelbau unſrer Provinz, ob er gleichy
ſoweit ich ihn berechnen kann , ſchwerlich über den zwanzig
ften Theil der Brache , o . i. ein Sechszigtheil des gans
zen Feldbaues betragen möchte. Wirklich übermålig
iſt er nur alsdenn , wenn er auf einen ſolchen Grad
ſteigt, daß , ohne Widerſpruch , der zuſammengenommene
Vortheil der einzelnen Kartoffelpflanzer den Nachtheil oder
die Gefahr des Staató im Ganzen nicht aufpiègt.
2 ) Unter Verfall des Ackerbaues iſt vermuthlich der
Bau derer Getraidearten gemeinet , die ſchon lange in
Teutſchland einheimiſch und üblidt , die unſerm Klima ohne
Widerrede angemeſſen , die die Baſis unſrer Konſumtion
und Handels find , auf welche eine große Anzahl Menſchen
mit
( 1 ) So abgefaßt, wie ſie mir zu Geſichte gefommen ift,
25
290 VNI. Vom Kartoffel- und Ackerbau.
mit ihren Gewerben ſich eingerichtet, und ihre Nahrung
und Verdienſt gegründet haben ; Getraidearten , an die
unſre phyſiſche Natur ſich gewöhnt fat; bei denen der teuts
(che Bürger und Bauer gewiß iſt, wo nicht Reichthum ,
dod Wohlſtand, anhaltendes und dauerndes Uuskommen
und Unterhalt zu finden . Korn , Waizen , Gerſte find
vorzúglich dieſe wohlverdiente Bürger, auf die man billig
Rückſicht nimmt, ehe man neue Ankommlinge begúnſriget.
Ob dieſer Ackerbau durch den Kartoffelbau ſo verdrångt
oder eingeſchränkt werde , daß er in einem bedenklichen
Grade vernacláſſiget und hintangeſezt werde, davon wird
alſo die Frage ſeyn. Man könntedarauf fallen, geradezu
zu unterſuchen , ob der Kartoffelbau , oder der Bau
ciner oder der andern von den genannten Getraidearten ,
die höchſte Benußung eines Grundſtücks ſei ? Atein dieſe
Frage, ſo ſehr ſie das Anſehen der Hauptfrage hat , iſt bei
weitem nichtſo wichtig , als ſie es ſcheint. Denn erſtens,
in Anſehung des innern Werths ( für Menſchenglůck und
Bedürfnis ) hat dieſen Feine einzelne Naturgabe in dem
Sinne und der Anwendung , daß ſie alle oder viele andere
überflüſſig und unnúß machte ; und was zweitens den:
Geldwerth und Marktpreis betrift, ſo hångt dieſer To ſebe
von Seltenheit oder Ueberfluß ab , daß der Reihe nach jes
des Produkt das einträglichſte ſeyn kann , und viellcicht zu
ſeiner Zeit geweſen iſt. Die möglichſthohe Benußung ,
fobald nicht von einem einzelnen Grundſtück und kurzem
Zeitraume , ſondern von dem ganzen Ackerbau die Rede
iſt, beſteht nur durch ein richtiges Verhältnis der verſchieda
nen Zweige des Ackerbaus gegeneinander.
3 ) Ruin der Mühlen. Dies heißt'nicht ſowohl ein
gånzlicher Stiaſtand , Perfall und Erlöſchung dieſes Gea
werbes , unverſchuldete Verarmung aller Múder; ſona
dern auch ſchon der Fall , da das Mühlengewerbe gegen
andre Handwerke und Unternehmungen ſo unergiebig und
undanf
VIII. Vom Startoffel- und Ackerbau . 291
undankbar würde , daß Niemand dieſer Lebensart fidh mehr
2
wiedmen , Niemand die Gefahr des Ankaufs , der Baus
und Unterhaltungskoſten wagen wollte , und der Staat
fürchten müßte , durch die Seltenheit dieſes gleichwohl ſehr
núßlichen und unentbehrlichen Gewerbes in Verlegenheit
zu kommen.
9
Nach dieſer etwas weitläuftigen Einleitung , werde ich
1 in der Beantwortung ſelbſt defto fürzer ſein können,
11
I.
.
Der Kartoffelbau für ſich betrachtet.
Ich kann die Erklärung nicht langer gurú:fhalten ,
daß ich die Kartoffeln für eins der wohlthårigſten Geſchenke
der Natur , für eine der wichtigſten Eroberungen aus dem
neuen Welttheil anſehe , der und ſonſt ſo viele zweideutige
Geſchenke zugeſchift hat. Sie paſſen vollkommen in die
11 teutſche Feldwirthſchaft, und fúden ſo zu ſagen eine Lúce
I
aus , die wir jezt gewiß fühlen würden, wenn ſie wieder
EM
entſtehen ſollte. Sie misrathen faſt nie , bei keiner Wit
terung , bei keiner auch der ſchlechteſten Beſchaffenheit des
Ackers, ſo ſehr, daß Saamen und Mühe ganzverloren
EH ware ; und gerade in den nafſen Jahren , die unſerm Ges
11 traidebau ſo gefährlich ſind, ſteigt ihre Fruchtbarkeit bis
31 zum Bewundernswürdigen , und ſteuert oft dem Hunger
be und Mangel. Im J. 1771 wurden auf einem Stück
Da Feld ,das höchſtens zehn Scheffel Korn tragen konnte, und
in dieſem Jahre gemiß nichts getragen haben würde, zweia
Hundert und dreifig Scheffel Kartoffeln erbaut. Mehr
als Eintauſend Menſchen in Deutſchland hat in der Theus
rung des genannten Jahres feine Erhaltung blos den Kara
toffeln zu danken. Sie teiden faſt nichts von Infekten
M und Hagel, und man bemerkt , daß fie ſich auch immer
ED
mehr an das nördliche Klima gewöhnen , und ſeltner als
ronft
292 VIII. Von Kartoffel- und Ackerbau .
Tonſt erfrieren. Sie ſind geſundes und nahrhaftes Futter
für das Piek , geſund als tägliche Koſt des arbeitenden Ur
men , wohlfeile Abwechſelung auf dem Tiſch des Mittels
manns , und ſelbſt von dem Lurus des Reichen geduldet.
Ich bin durch viele Beiſpiele überzeugt, daß. der gewöhnli
che Genuß der Kartoffeln , bei Menſchen und Vieh , nies
mals , ſondern nurý wie alles andere , in der Uebermale
fchade; ſelbſt die Schädlichkeit des Kartoffelbrodes , wie
wohl id auch dieſen Gebrauch in gewohnlichen Fåden nicht
rechne, iſt noch zweifelhaft , und wird vermuthlicy gang
verſchwinden , wenn man in der Bereitung vorſichtiger iſt,
und die Vermiſchung init Getreides beſonders mit Waizens
mehl nicht verfáumet. Künſtlichere Verarbeitung der Kar:
toffeln , z. B. zu Stårke , Puder , Brandwein , Kaffee zc.
fo lange ſie noch , wie bisher , bei Verſuchen im Kleinen
ſtehen bleiben , rechne ich weder zu ihren Vorzügen , noch
1
gu ihrer Schädlichkeit.

Uuch das Kraut der Kartoffeln giebt ohne Nachtheil


der Wurzelfrucht, einen nicht unwichtigen Beitrag zur
Viehfütterung. Die důrren Stengel ſind für den Dünger
freilid) etwas zu holzig ; aber in Gegenden wo das Holz.
theuer iſt, und das werden bald alle ſeyn , weiß man ſie
ſehr gut zur Feuerung , beſonders bei uns zum Brodbacken
zu gebrauchen. Dadurch wird das Stroh geſpart , und
ſo iſt das Düngermagazin wieder entſchadigt.
Die Kartoffeln ſcheinen ganz vorzúglich für den ar
men gemeinen Mann zu ſeyn , der ihren leichten kunſtloſen
Unbau , wobei keine wichtige Auslage und Riſiko iſt, mit
eignen Händen wartet , und nicht Feld genug fat, um
zum Verkauf im Groſen etwas zu erbauen . Die Beſiker
von zehen bis zwanzig Sächſiſchen Acfern Feld , bauen die
meiſten , und ſelbſt Tagelöhner und Häusler auf den
Dörfern , die kein eignes Feld befißen , neúmen durch den
Kar
VIII. Vom Kartoffels und Ackerbau . 293 .
Kartoffelbau , auf eine Art die den Menſchenfreund wie
den Staatswirth intereſſiren muß , an den größeren Flus
ren der Húfner Theil. Sie miethen ein Stückgen Feld
aus der Brache, um die Hälfte der Kartoffelerndte, dúns
gen mit Straſſenfoth und andern nicht geachteten Mates
rialien , graben und Hacken ſelbſt, und verſchaffen fich Top
ohne jemands Schaden , ſelbſt mit dem Nußen des Eigens
thúmers, der ein gedüngtes und bearbeitetes Feld wieder :
bekommt, durch den einzigen Weg der möglich war, Naha
rung auf den größten Theil des Winters , und vielleicht
Fütterung für eine kleine Sdweinezucht.
3 Ich habe die Brache erwähnt ; deswegen wią id auch
gleich hier auf den ſehr wichtigen Umſtand aufmerkſam
machen , daß wenigſtens bei uns der allergrößte Theil des
Kartoffelbaues feine Stelle in der Brache hat, wo er , in
guten Feldern , auch zuweilen ohne Dünger verſucht wird,
und gelingt, ohne den Ucker auszuſaugen. Wer ſich der
vielen und meiſtens vergeblichen Mühe erinnert , die man
3
allenthalben anwenden muß , um den Bauer zur agjährlis
I
chen Benußung ſeiner Uecker zu bewegen , dem muß es
ſehr angenehm ſeyn , ihn auf dieſem Wege zu finden , ohne
daß er durch Prämien dahin gelockt, oder durch Zwang
CH
und Strafe, womit man auch zuweilen hat bekehren wol
len , dahin geſchreckt worden wäre. Uebrigens hat der
Kartoffelbau in der Brache, auſſerdem , daß er zugleid
die Staufütterung begúnftiget, auch noch den Vortheil
>
der Abwechslung mit dem Getraidebau , und erfüut alſo
1
eine Forderung, die ſowohl die geſündere Theorie als die
$
Erfahrung, bei der alljährlichen Feldbeſtellung zur Bes
dingung machen.

Ich weiß nicht, ob ich es auch noch zur Empfehlung


des Kartoffelbaues anführen darf , daß er niemanden reich
machen wird. Die Kartoffel ſind kein Gegenſtand der
Hands
294 VIII. Vom Kartoffele und Adferbau .
Handlung ; fie halten ſich dazu nicht lange genug , find
kein Fabrikmaterial , und haben überhaupt, bei aller
Núßlichkeit, nicht den konvenzionellen Reizi den eine
Waare haben muß, bei der Zwiſchenhánde reich werden
wollen . Inzwiſchen iſt mir der kleine inländiſche Handel
der damit getrieben wird , und gieng er auch nur vom
Dorfe bis zur nächſten Stadt , von groſer Wichtigkeit.
Der ganze Gerdinn theilt ſich zwiſchen Erbauer und Ver:
Behrer, und ſo kann dieſe Waare immer wohlfeil ſeyn , und
doch gut bezahlt werden . Sie verführt nicht zum Schwins
del groſer Spekulationen, durc den ich manchen Beſißer
fruchtbarer Felder , der durch Delſaat, Tobak , Krapp
und dergl. reich werden wollte, verarmen Tahe; aber ſie
bringt doch einigen Baaren Geldumlauf in die unterſte
Klaffe , wo er wie bekannt, immer am nöthigſten und
núßlichſten iſt.
2.

Einfluß des Kartoffelbaues auf den übrigen


Acerbau .
Man muß wichtige Einwürfe erwarten , wenn bei
adem was ich hier geſagt habe , und was hoffentlich nicht
übertrieben iſt, der Kartoffelbau angefochten wird.
Er veranlaßtden Verfall des Ackerbaues. !! Heißt
das : der Ucker trägt ſeinem Eigenthümer mehr ein , wenn
er ihn mit anderm Getraide beſtellt; ſo kann ich es dreift
läugnen , und mich auf jede Erfahrung berufen. Uuffer:
dem , daß ſchon die allgemeine Neigung zum Kartoffelbau ,
auch bei Landwirthen die gut rechnen können , und ſich
durch keinen augenblicklichen oder ſcheinbaren Vortheil
blenden laſſen , Zeugniß genug wäre , iſt nichts gewiſſer,
als daß auf gleichen Grundſtücken und unter übrigens gleis
chen Umſtänden , der Ertrag der Getraideerndte, ſie werde
verkauft, oder zu dem Gebrauch für Menſchen und Vieh ,
wozu
VIII. Vom Kartoffels und Uckerbaut. 295
wozu auch Kartoffel tauglich ſind, verwendet, dem Ertrag
der Kartoffelerndte niemals , und oft nicht bis zur Hälfte
014 gleich kommt. Die Maſſe der Genieſſungen wird alſo
durch den Kartoffelbau vermehret , und nicht vermindert.
M
Aber nichts als Kartoffel ? ,,. Ich erwarte dieſert
OLE
Einwurfnicht, denn er tráfe jede Getraideart, jede Nah
rung und Gewerbe ; ich habe auch fchon oben darauf
geantwortet.
. Der übrige Getraidebau , z . B. Waizen , Korn,
Gerſte , Hafer , leidet durch den Häufigen Kartoffelbau.ir
Dieſe Klage iſt nur in einem Sinne wahr, in welchem
aber gar nichts damit geſagt iſt; es iſt nåmlich wahr , daß
-
auf der Stelle io Kartoffel ſtehen , auch Korti sc. 2c. ſtehen
könnte. Ob aber die Kartoffel nicht an dieſer Stelle nůßs
licher , ob nicht demohngeachtet Konſumtion und Handel
mit jenen Getraidearten hinlänglich verſorgt ſind , das läßt
dieſe Klage unentſchieden. Ich will es zu entdecken ſuchen .
Man kan über den Verfall des Getreidebaues klagen ,
wenn dieſe Früchte mangeln und zu theuer ſind. Ift
dies jezo der Fall , oder iſt ers jemals , ſeitdem der Kars
M toffelbau auf dem jezigen Furie ſteht, unter ſolchen ilms
it
ſtånden geweſen, daßman dieſem Hätte die Schuld geben
können ? In der heurung der Jahre 1771 und 1772
if gewiß nicht; ſeitdem hat der Kartoffelbau zugenommen,
mi und roa in manchen Gegenden , z. B. im Sådfiſchen Ges
ex birge , wo die Kartoffel máhrend dieſes traurigen Zeitpunkts
Jer beſonders wohlthátig waren , faſt aufs doppelte getrieben
# worden ſeynt, und doc iſt das Getraide håufig und wohl.
feils Ich berufe mich auf das Zeugnis aller derer die Gjes
legenheit haben , die Getraidepreiſe, vor und nach der Zeit,
Fit daß die Kartoffel ein Theil des Ackerbaues geworden ſind,
lo zu vergleichen (3.Er. aus Hungers Geſchichte der Sácſiſchen
any Abgaben ) ob irgend eineVeränderung im Preiſe zu bemerken
iſt, die auf einen vernachläſſigten Anbau (@ lieſſen liefſe.
Die
296 VIL Vom Kartoffel- und Ackerbau .
Die Erfahrung beſtåttigt hierin nur, was man ſchon
durch Folgerungen wiffen konnte. Wie ſoll durch den
Kartoffelbau Mangel an Getraide entſtehen , da fie in vies
len Fågen Surrogat des Getraides find , und es mithin
(pahren helfen ; da ſie meiſtens in der Brache erbaut wers
den, die noch zur Zeit im Ganzen kein Getraidefeld iſt ;
da ſie der Hauptſtůße des Ackerbaues , der Viehzucht, for
vortheilhaft ſind, und für den Verluſt an Stroh zun
Dünger, durch die beffere Fütterung des Viehes zum
wenigſten Erſaß geben.

Un fich iſt es freilich móglich , daß der Kartoffelbau.


übertrieben werde , fo wie dieſer Fall bei andern Getraides
arten , mit eben ſo vielem Nachtheil, auch möglich iſt; ich
glaube aber nicht, daß man Grund hat dies zu fürchten .
Daß der gute Preis der Delſaat, und der Unwertk des
Betraides , Beſißer groſer Güter verleitet fat , fie gang
mit Delſaat zu beſtellen , davon ſind mir Beiſpiele bekannt,
aber keinevon einem To allgemeinem Kartoffelbau. Und was
ſollte auch dazu reizen ? Ubſaß im Groſen iſt nicht damit
zu machen ; die eigne Konſumtion , ſie ſei ſo ſtark fie wolle,
erſtrekt fich doch ſo weit nicht; der kleine Markthandel iſt
auch bald befriedigt, und wurde durch eine zu groſe Kons
kurrenz bald aufhören lukrativ zu ſeyn . Selbſt das Bes
dürfnis des Strohes und Düngers, worauf der ſandmann
allenthalben , mit zu vieler Geringſchäßung andrer Dúns
gungsmittel, regr viel hält, wird den Kartoffelbau in ſeine
rechte Grånzen einſchränken . Brodfrucht wird endlich ,
trok der Erfindung der franzöſiſchen und früheren teutſchen
Parmeutiers , die Kartoffel wahrſcheinlicher Weiſe nie
werden , weil ſie’s auſſerdem gewis jezt ſchon wäre , und
1 weil der Bauer ſich immer elend glaubt , wenn er etwas
anders als Korn , oder höchſtens Gerſte , zu ſeinem Brode
nehmen muß. Kurz, ich bin gewiß, daß ſich der Bauer
eñer durch jede andre Spekulation , als durch den
Kartoffels
VIII. Vom Kartoffels und åderbau. 297
th
1
Kartoffelbau, würde irre fühten laſſen ;"und tráfe esfichia,
E
daß eine ganze Provinz darin zu weit gienge, und üble
11
Folgen fürs Ganzezu befürchten waren , ſo bedarfs , fos
bald der Fehler fühlbar wird , nur Ein Jahr Zeit, um
ihn wieder gut zu machen , und hoffentlich keine andre Zus
rechtweiſung, als die eigne Erfahrung des Landmanns ſelbſt.
11
Der Staat läuft alſo keine Gefahr.
Was ich hier geſagt habe , bedarf keines weitern Ers
weiſes , und wird auch in einem andern Einwurf wider den
Kartoffelbau , der zugleid in dem Sinne der Gegner der 1

1
hauptſächlichſte , und vielleicht der einzige ernſtliche iſt, und
der ziemlichen Schein hat , geradezu und mit einer Vers
gróſerung die eigentlich den Vorwurf ausmacht, eingeſtans
den . Der Kartoffelbau, ſagt man, iſt Sduld, daß wes
u niger Getraide verzehrt und g ſuchtwird , weil viel Mena
ni ( chen ſich und ihr Vieh von Kartoffeln náhren ( die ſie
felbſt bauen ) , ftatt daß fie ſonſt Getraide dazu haben
11 (und kaufen ) muſten . Daher rührt der wohlfeile Gea
il
11 traidepreiß, daher der Mangel an Ubſaß , wobei der
Getraidebauer zu Grunde geht. 11
M In dieſer Beſchwerde iſt theils viel Uebertriebenes ,
be
all
theils vieles , daskeine Antwort verdient. Matt überlege
nur ohne Vorurtheil , in welchein Gebrauche für Menſchen
14
und Vieh , die Kartoffel eigentlich Surrogat des Getraides
E14
und nicht vielmehr andrer Gemüs- und Futterkräuter ſind,
To wird die ſo gargros angegebene Menge Getraideß, die um
El desivilen unverbraucht und unverkauft liegen bleiben roll,
ſich ſehr vermindern . Der wohlfeile Getraidepreis hat gang
11 andre Urfachen , und darunter iſt die Vervoukommnung
des Ackerbaues, feine Beförderung in manchen groſen låna
dern , wo er ſonſt gang darnieder lag · kurz der Erfolg det
el aderwärts regen Bemühungen , der der Bermehrung der
# Menſchen , wie billig , zuvorkommt, eine der wichtigeren,
- SeffBeitr. Sc.IL H bet
298 VIII. Vom Kartoffel- und Ackerbau.
Aber den Einwurf auch zugegeben , in welchem Maaſe
man will, wäre denn damit nicht gerade das bewirkt, was
jedes Patrioten erſter Wunſch und Abficht iſt , oder doch
Tenn ſollte, ſo lange man noch elend gefüttertes Vieh genug
ſieht, und Menſchen , denen es fauer wird , im eigentlichen
Verſtande Nahrung zu finden ? Nahrung für Menſchen
und Vieh ſo überflüſſig und wohlfeit als moglid) zu liefern,
iſt ein Grundraß, der in keinem Falle Einſdránkung oder
Ausnahme leidet, und der gud nirgends verlezt wird, wo
kaufmanniſches Intereſſe nicht die Achtung für die Rechte
der Menſchheit überwiegt. Wer wird es wagen , die Erhd
Hung der Fruchtbarkeit durch Kultur und Fleis , die Benu
jung der Brache, die Urbarmachung wuſter Fluren zu ver
bieten ? und doch will der , der Wurkung nachnichts anders,
der den Kartoffelbau verſchreit. Denn eins wie das andre
erleichtert das Dareyn einer großen Anzahl Menſchen , die
ſonſt ihre Subſiſtenzmittel aus den Händen anderer erwars
ten , und durch ungleichen Handel erkaufen mußten ; eins
wie das andere vermehrt die Konkurrenz der Verkäufer ,
zum rechtmáſigen Vortheil der Käufer , und zum Nada
theil derer die ſonſt allein zu verkaufen hatten ; eins wie
das andere befördert die Bevsiferung auf die unſchuldigſte
natürlichſte Weiſe , und gerade in dem Stande , in wels
chem faſt allein die vermeørte Menſchenmenge einen Werth
Bat. Wenn eine Nation auf die Tragkeit und Unwiſſen
Þeit einer benachbarten iíjren Vortheil gründet, unddesa
wegen ſie darin zu erhalten ſucht, ſo nennt man das ſchon
unbillig und unweiſe ; aber wenn Súrger ſogar ihren Mits
bürgern zumuthen , Nahrungsmittel die dieſe ſelbſt erzeus
gen könnten , ungebaut zu laſſen , und ſie aus fremden
Händen auf wigführliche Bedingungen zu erwarten ;
1 wenn ſie dies für Ordnung der Staatswirthſdaft ausges
ben , und die Hülfe der Obrigkeit dafür auffordern , mie
ſou man das nennen ? - Es iſt allerdings vortheilhaft
für die Tvåtigkeit des Menſchen, wenn einer die Bedürfs
niſſe
VIII. Vom Startöffel- und Acerbau . 299
>

niſſe des andern wechſelſeitig befriediget; aber es wäre gar


kein Unglück , wenn dies unter der Feldbauenden Klaſſe in
Unſehung der Bedürfniſſe der erſten Rothwendigkeit nicht
Statt Håtte, ſondern jeder wenigſtens ſeine Lebensmittel
7 unmittelbar von ſich ſelbſt haben könnte. Es bleiben noch
genug Menſchen übrig , die Brod kaufen müſſen , und bei
denen die es ſelbſt bauen , ſind ja damit noch lange nicht
ate Bedürfniſſe geſtiut. Erſt wenn der Menſch ſatt iſt,
erwacht nach und nach das ganze große Heer entbehrlicher
2 Nothwendigkeiten , die ſo ungeftůmm fordern als der Hun
ger , und ſoviel Hände beſchäftigen , als ſie nur bezahlen
können. Hier gaben Handel und Wandel, Geldumlauf,
Spekulation , Induſtrie , und wie die Gößen der Finanza
politik alle Heiffen , ein weites freies Feld , auf dem ſie im
mer Arbeit finden werden .

Es iſt traurig, daß man dieſen lezten Einwurf wider


Den Kartoffelbau faſt allein unter dem Stande hört, der
ohnehin in dem Tauſch ſeiner Produkte und Beſchäftiguns
ģen gegen die andern Stånde allen Vortheil auf ſeiner
Seite hat. Nicht der kleine Bauer klagt, daß der groſe
Rittergutsbefißer zu viel Kartoffeln baue, ſondern umges
kehrt. Die fleiſigen Einwohner des ráchſiſchen Gebürges
waren ſonſt in Anſehung des Getraides in einer Abhängiga
keit von den Beſißern der fruchtbaren Getraidepflegen , die
34
ihnen bei aller ihrer unermüdeten Arbeitſamkeit druckend
11
war. Daher'war faſt jede Theurung im Lande , Hungers
noth für dieſe Diſtrikte. Durch den Kartoffelbau haben
ſie dieſe Feſſeln zum Theil abgeworfen , aber das Murren
der bequemern Betraidebauern gegen ſich erregt , davon
manche ihren bluſen Privatvortheil als Forderungen eines
allgemeinen Beſten geltend machen mögten , wenn ſie nur
hoffen dürften, Gebór zu finden,
? 11 2 3. Eins
300 VIII. Vom Kartoffel- und Ackerbau .
3.

Einfluß des Kartoffelbaues auf das


Mühlengewerbe.
Nun iſt noch die Rücficht auf die Mühlen übrig,
deren Ruin der Kartoffelbau nach ſich ziehen ſoll. Von
den Mühlen unſrer Provinz iſt ſeit funfzig und mehr
Jahren nicht eine einzige eingegangen . Sie ftehen und
gehen noch alle, und nähren ihre Befißer und Pachter;
vielleicht nicht ſo reichlich als ſonſt, vielleicht könnten einige
davon ganz entbehret werden ; daran ſollen auch , wenn
man will , die Kartoffel ſchuld feyn. Aber das heißt noch
kein Kuin der Mühlen in dem Verſtande den ich oben feſta
geſeßt habe, und der der einzige iſt, in welchem dieſe Bes
ſchwehrde muß geführet werden können , wenn ſie die Auf
merkſamkeit des Staats verdienen ſoll. Auſſerdem iſt es
ein ganz gewöhnliches Schickſal, das jedes Handwerk,
jeden Stand (man denke nur an den Gelehrtens und
Handelsſtand) treffen kann, daß er zuweilen úberfekt wird.
Die anfängliche Einträglichkeit des Mühlengewerbes Kat
ohnſtreitig die Erbauung mehrer Mühlen als man bedarf,
veranlaßt. Man gat ſie begunſtigt , und mit Recht, weil
es ein Gewerbe der erſten Nothwendigkeit iſt; aber wenn
man ihrer nicht mehr in ſo groſer Unzahl bedürfte, warum
ſollte es ungrecht ſeyn , die überflüſſigen nach und nads
eingehen zu laſſen ? wiewohl dies , id) wiederhole es ,
um der Kartoffel willen , deren ſtårkſter Verbrauch nicht
auf Unkoſten des Mahlens und Sqrotens geſchieht ,
ſchwehrlic jemals néthig ſeyn dürfte. Die Mühlen ſind
doch um der Menſchen millen , und nicht die Menſchen
um der Mühlen willen da ; und wenn gleich die Müller
auch Menſdhen find , ſo iſt dod ihre Anzahl, im Verhälts
niß zur úbrigen Menſchenmenge zu klein , (beinahe mie
Eins zu Neunhundert) als daß , wenn ſich Koniſion denken
lieſe,
VIII. Vom Kartoffel- und Acerbau . 301
lieſe i es zweifelhaft reyn könnte , welche Parthei zu
begünſtigen wäre. Es wäre um nichts unvernünftigerr.
Vergleiche in Prozeſſen zu erſchweren , um den Ruin des
Advokatenſtandes zu perhüten , als den Kartoffelbau una
terfagen um des Wohlſtandes der Müder millen..!

Fedes unnúße oder entbehrliche Gewerbe darf und


fann eingezogen werden , weil es nie an núßlichen Beſchaf
tigungen mangeln wird. Nur muß die Aufhebung oder
$ Verdrängung nicht ſo plôßlich geſchehen , daß Menſchen ,
die ſich ſolchen Beſchäftigungen bona fide gemidmet haben,
auf einmal brodlos werden , und nicht Zeit und Gelegens
heit erhalten , fich in andre Gewerbe zurückzuziehen. So
kann man mit Recht eine Maſchine unterdrücken , auf
der Ein Mann für ein ganzes Land Strümpfe machen
könnte oder in Paris vor einer plößlichen allgemeinen
Bekehrung zur Keuſchheit zittern , weil zwanzig tauſend
Mádchen dabei verhungern måſten ( 2 ). C
Man ſieht
leicht, daß ſolche Nothfade bei dem unmerklich langſamen
at
Fortſchritte des Kartoffelbaues nicht zu fürchten ſind.

il
-11
11 Ich habe auch Klagen über die Kartoffel gehört, die
darauf hinaus liefen , daß ſie ſich nicht ſo recht unter Bes
ſteurung, Zehnden , Ucciſe und dergleichen bequemen wouls
ten. Auſſerdem , daß man nun wohl ziemlich gelernt hat 1

31 ſich hierin zu helfen , hat die Frage der Geſellſchaft ſolche


Berdwehrden mit ſeiner Rückſicht beehrt, und es iſt mir
11 ſehr lieb , daß ich mich nicht zu ihrer Beantwortung
el
erniedrigen darf.
1
1
( 2 ) Tableau de Paris , Chap. Filles publiques.
el
1 U 3
go2 VII . Vom Kartoffel- und Ackerbau .
Es wäre leichter geweſen, die Bertheidigung des
Kartoffelbaues aus allgemeinen Grundſáßen von natúra
licher Freiheit , gleichen Rechten des Bürgers, des, vollen
Eigenthums, u . a. m. zu führen ; aber ich habe mich
lieber an Erfahrungen und Wirkungen gehalten , und den
Gegenſtand mit allen zufälligen Erſcheinungen und frem
den Einwirkungen lieber als in abſtracto betrachten
wollen , weil es ſo ſehr gewöhnlich iſt , in ſtaatswirtha
ſchaftlichen Unterſuchungen die Theorie zuzugeben , und
die praktiſche Folgen zu leugnen. Da ich andrer Meis
nung bin , fo würde es anir ſehr genugthuend ſeyn , wenn
man die Wahrheit : daß die Einmiſdung der Regierung
in den natürlichen Gang des Nahrungsſtandes nur ſelten
nöthig iſt, auch in der Anwendung auf die vorliegende
Frage anſchaulich gemacht fånde.

IX. Beis
the Betting 303
IX.

Beiträge zur Mineralogie aus einigen in


1
Heſſen geſammelten Beobachtungen .
1 Mineralog iſcheBemerkungen von Kenntnißländern
und Gegenden , müſſen unſereeinzelnen dieſer
narúrlichen Kórper mehr erweitern und berichtigen . Wie
fehr könnte die Entſtehungsart vieler ſchon bekannter Na
1
turförper näher beleuchtet , und vielleicht noch manche
Seltenheit entdeckt werden , die bisher Naturforſchern,
11
bei allem Reichthum ihrer Einſichten, noch verborgen geblies
ben , wenn man genau in beſondern Bezirken die Mines
ralien unterſuchte. Seit 40 Jahren hat die Mineralogie
]
an Richtigkeit der Beſtimmung der Mineralien mehr gea
· wonnen , als in der ganzen vorigen Zeit , von welcher
Urkunden bis auf uns gekommen ſind. Unſere Mineral:
Tyſteme bedúrfen nur Ausbeſſerungen und Vermehrungen .
Die feſtgeſeßten Gründe ſind ſehr gut. Zu dieſem Behuf
verdienen alle Seltenheiten , und noch nicht recht berichs
tigte Körper des Mineralreichs eine beſondere Bekannt :
machung.

Unter den Schmalkaldiſchen Eiſenerzen iſt ein Glass


/ kopf, deffen noch in keinem mir bekannten Mineralſyſtem
gedacht iſt. Er iſt ſchwarz i mit glattem Spiegel , aud
knoſpigt und zackigt , und ſeine ganze Oberfläche voller
Dendriten . Auf einer Art ſind dieſe Dendriten erhaben ;
auf der andern ſind ſie mit der Oberfläche gleich; auf bei:
den aber heller an Farbe wie der Glaskopf. Man findet
ſie daſelbſt im Stahlberge , wiewohl ſehr fetten . Ich
habe in einer Sammlung ſchon einige mit flachen Dendriten
- geſehen, die ſich im Baireuthiſchen vorfinden ſollten ; wos
von aber der Befißer weder den Wohnort, noch die Grube
U4 ju
304 IX. Beitråge zur Mineralogie..
zu benennen wußte. Baumer bemerkt eine Art , die
auf dem Bruc blumengrtige Figuren gåtte (1).
Die Geſtalt dieſer Dendriten hat viel ähnliches mit
einer Jungermannia, und zwar mit auf einander liegen
Den Blåttchens. Keine nabere Vergleichung weiß ich ans
zugeben . Das ſchönſte Stück , das ich davon geſehen
þave, befindet ſich in der hieſigen Fürſtlichen Mineraliens
ſammlung, worauf alle Dendriten erhaben find.
gn der reichen Mineralienſammlung des hieſigen
ålteren Herrn Regierungsraths von Schmerfeld befins
det ſich hievon noch eine beſondere Art. Es ift ebenfalls
ein ſchwarzer Glaskorf , deſſen Oberfläche aber ungleich,
zackigt und zelligt ausgewachſen , braun , roſtig und ohne
Sriegel iſt. Dieſe Auswüchſe fangen von einem glänzena
Den ganz glatten Glasfopf an ; eben daſelbſt fangen auch
Helleiſenfarbigte Dendriten an , auf den roſtfarbenen und
braunen Ausmudſen die Oberfläche zu überziehen. An
dieſem Stück find einer Seits die Auswuchſe oben zuſam
mengewachſen , und machen dadurch eine kleine durchs
gehende Höhle. In dieſer Höhle gehen die Dendriten fort,
und zwar kann man hier etwas von ihrer Entſtehung ents
decken . Das treuffelnde Waſſer hat dieſe Auswuchſe
ihrer Geſtalt nach verurſacht. Þångende kleine Zaifen
und Zellen füllen zum Theil dieſe Höhlung aus. Dieſe
Zaiten find fein , und haben die Geſtalt der aufliegenden
Dendriten , Die darzwiſchen befindliche Höhlungen ſind
mit einer ſchwarzlichen , auch braunlichen Eiſenerde ausges
fúat , und die dendritiſchen Zacken kann man an der Helles
gen Farbe deutlich darzwiſden liegen leben. Eine ſonders
bare Erſcheinung ! paben dieſe Dendriten , die nicht vorn
Magneten angezogen werden , etwas von dem überflüflis
gen Brennbarem , womit die meiſten Eiſenerze verſehen
find,
(1) In der Naturgefdichte des Mineralreio6. p . 438,
IX . Beiträge zur Mineralogie. 305
find , verloren , und dadurch eine feſtere Conſiſtenz , und
mehrere Eiſengeſtalt angenommen ; oder iſt der Schwerſpet,
( Terra ponderoſa vitriolata (2 ) der häufig zwiſchen
it den Glasköpfen , auch den andern Eiſenerzen daſelbſt eins
geſprengt iſt, an dieſer Geſtalt ſchuld ? Vielleicht läßt
14 dieſer im Naſſen aufgelößt die Vitriolſäure fahren , die
fich hernach mit Eiſentleiten vereinigt, und dieſe Dendris
M ten ſo ohngefehr entſtehen, wie man durch Kunſt Siſens
vegetationen hervorbringen kann , die den Chymiſten bes
fannt genug ſind , und wovon { emery der Sohn eine
# beſondere Abhandlung ausgegeben hat (3). Sehr häufig
1 finden ſich die ſchwarzen Glasköpfe im Schmalkaldiſchen .
Wenn man von Löwenſtein nac Brotterode gehet , ſo
kommt man oben auf dem Gebirge über urbar gemachtes
Land , davon die Oberfläche ganz mit Glasköpfen bedeckt
iſt, und wo man ſie, wie Straffenſteine ſammlen könnte.
1
Das gerydhnlicſte, oder das vielmehr am Häufigſten
brechende Eiſenerz am Stahlberg bei Schmalkalden iſt,
114 Minera ferri griſea tęſſularis. Wallerii fyft. min .
Tom . II , p. 240. d. Das auch Sinne im dritten
4 Theil des Naturſyſtems unter der Benennung Ferrum
celluloſum gut beſchrieben hat. Ich habe felbft im
Staßlberg groſe Blöcke , die mehr wie Centner mos
en gen , durch und durch von dieſer Eiſenerz- Art geſen
þen. Es find lauter aufeinander liegende , glänzende ,
11 mehr und minder dicke Schuppen , die meiſtentheils
0 auf der Dberfläche unregelmáſig viereckigt geriſſen find.
Sie ſtellen im Zuſammenhang aufrecht ſtesend , die
Schårfe eines Meiſſels, oder gebogen einer Kneipzange
por .
02
( 2 ) Bergmann ſpiagraphia regni mineralis. p. 64. S. 89.
( 3 ) In dem dritten Theil der Steinmehriſchen Ueberſegungen der
Åbhandlungen der Pariſer Akademie der Wiſſenſdaften. p. 121,
US
306 IX . Beiträge zur Mineralogie.
vor. Sie behalten der Glang , oder beſchlagen roſtfars
bigt , je nachdem das Verhältniß des Braunſteins in ihnen
iſt. Einige ſind auch ganz mit Eiſenglanz überzogen . Der
Magnet ziehet dieſe Urt überhaupt roh gar nicht an.
Kriſtalliſicter Eiſenglanz (Mica ferrea ) der fica
eben daſelbſt vorfindet, gehört auch zu den Seltenheiten
1
des Mineralreichs. Er findet ſich blod, ſo viel mir davon
bekannt iſt, auf vorigem Eiſenerz. Die Kriſtallen gehen
aus dem Mittelpunkte nach auſſen zu , find ganz fein,
glänzend , eiſenfarbigt. Im Durchſchnitt iſt die ganze
Kriſtalliſation nur zwei Jinien groß. Chymiſch habe ich ſie
nicht unterſucht. Der Beweis , daß ich ſie vor Eiſenglang.
þalte , iſt, daß ſie die Finger ſchwarz machen und ibren
Glanz ohne zu beſchlagen , immer erhalten.
Die Gebirgskette vom Stahlberg nach dem Inſel
berg, und von da nach Kleinſchmalkalden zu , iſt Granit
von verſchiedener Miſchung , und Gneuß mit ſchwarzen
and gelbem Glimmer. Zwiſchen Brotterode und Klein
thinalkalden findet ſich doch, an den Großleuten , einem
Berg der To benennt wird, an einem Wege der nach dem
Glashach zu gehet, eine Baſaltfùppe, die ganz frei ſtebet,
aber von keiner ſonderlichen Höhe iſt. Dieſer Baſalt ent
Kålt vielen feinen eingeſprengten rothen Feldſpat, und hat
kleine Sócher. Wegen des Feldſpats giebt er mit Stahl
einige Funken. Dieſes iſt die einzige Baſaltfuppe , die
Hier im Granitgebirge iſt; das einzige Granitgebirge im
Niederheffiſchen ; wo hingegen ganze Baſaltgebirge deſto
häufiger anzutreffen find.
Ausgewachſener oder Arſenikbeſchlag auf einem Stück
derben Kobold von der hohen Súß bei Riechelsdorf, beſiße
ich auf einem Stück dreierlei Abarten , welche die ganze
durereSeiten dieſes Stückes, das 5 Zou lang und 31 breit
ift, überzogen haben .
Die
IX. Beiträge zur Mineralogie. 307
Die erſte iſt unter der bekannten weiſen ſtaubigten
Geſtalt, 1.

1
Die zweite Art find haarförmige , Techsſeitige , abges
ſtumpfte , weiſe , glänzende , durchſichtige Kriſtallen , die
5 ſternförmig aus dem Mittelpunkt nach außen zu gehen .
1 Die dritte Art iſt ohne Figur, weis , undurchſichtig
# wie Zucker , aber To Hart, daß er ſich nicht mit dem
7기 Meſſer ſchaben läßt.
Der zweiten Art hat ſchon Carth eurer und >

Bomare gedacht : Leßtere Art iſt unter dieſer Geſtalt


noch nicht bekannt . Zwiſchen dieſem Arſenik iſt auch die
ſogenannte rothe Koboldsblüthe. Da die Kiechelsdorf
Kobolde ſehr arſenikaliſch ſind , und weder Schwefel noch
Eiſen enthalten , ro rollte man glauben , daß arſenikaliſche
Beſclage auf der Oberfläche des Robolds oder Kupfernickels
# nichts feltenes wåren ; aber ſie ſind es dennoch in weiſer:
13 Farbe . Der Kupfernickel enthält ungleich mehrern Urſenit
1 wie der Kobold , und darauf ſind ſie mir noch nicht für
11 Geficht kommen .
-1
Selten iſt auf dem Kobold der rothe Beſchlag nicht;
und eben ſo iſt auf dem Kupfernickel der grüne Beſchlag,
1
etwas gewöhnliches. Aber das iſt beſonders, daß in Kos
boldſtücken , worinnen eingeſprengter Kupfernickel befinds
lich , dieſe eingeſprengte Flecken immer einen grünen Des
ſchlag, und ganz reinen Kupfernickel enthalten , der keist
nem Glasfluß oder Borar, nicht die geringſte blaue Farbe
im Schmelzen , wie der rothe Beſchlag des Kobolds thut,
mittheilt. Iſt es eine Eigenſchaft des Urſeniks mit dieſen
e Metalen die Farben hervorzubringen ; oder verurſacht es
allein das Brennbare ? Daß das Brennbare jederzeit in
den Mineralien eine Grundurſache der Farben iſt, glaube
ich nicht. Dephlogiſtizirter Braunſtein iſt braun , und
Phlogi
308 IX. Beiträge zur Mineralogie..
Phlogiftigirter weis. • Eiſen , das in Sáuren aufgeldßt,
mit Urinſalz gefügt wird, iſt ebenfallsweis und giebt mehr
phlogiſtizirte Luft von ſich, wie der rothe Eiſenkalf.
?
Hier bei der Entſtehung dieſer gefärbten Ausſchläge
kann aber wohl das Brennbare Urſache ſeyn . Ein Stück
derbe rothe Koboldsblúthe, ( Flos Cobalti Wallerii)
das ich ſeit 6 Jahren oft bei trocenem Wetter an die freie
Juft gelegt , und mit etwas Waſſer beſprengt habe, iſt
nunmehro auf der ganzen Oberfläche mit weiſem pulverars
tigen Urſenik überzogen , der dem Borar im Schmelzen
nicht die geringſte blaue Farbe mittheilt, folglich ganz rein
vom Kobold iſt. Arſenik , der etwas vom Brennbaren
porloren hat , iſt weis, In Verbindung mit der Koboldes
erde verurſacht er die rothe Farbe , weil er aus dem Kobold
To viel Brennbares wieder an ſich nimmt , wie dazu nöthig
ift, dieſe Farbe hervorzubringen . Eben ſo verhält es ſich
mit dem Kupfernickel. So wie nun dieſes Brennbare
wieder austritt, ſo erhebt fich dieſer nunmehr- reinere Urs
fenik, und überziehet weis den rothen Beſdlag , der unter
ihm eine beſondere Sage ausmacht.
Dieſe Ubånderungen der åuſſerlichen Geſtalt des Ars
feniks vor ein Mineralſyſtem noch zu berichtigen : To iſt,
wie oben geſagt, erſtere Art gemein und bekannt. Die
zweite iſt : Arfenicum nativum criſtallis. filiformi.
bus, albis , pellucidis , hexædris, obtufis, e centro
radiantibus. Die dritte iſt : Arfenicum nativum
album opacum , durum , forma indeterminata.
In der an Heffiſchen feltenen Mineralien reichen
Saminlung des ålteren Herrn Regierungsraths von
Schmerfeld, befindet ſich ein von Frankenberg verlarvter
Którper, den ich ſo vollkommen , wie er hier ift, noch nicht
ju Geſicht bekommen habe. Es iſt dieſes eine ſogenannte
Korns
IX. Beiträge zur Mineralogie. 309
4
Korngraupe , fie iſt aber ſo ſchón , und in ſo gutem
Stande , daß man dieſen verlarvten vegetabiliſchen Körper
botaniſch richtig beſtimmen kann. Es iſt eine vollkommene
Hehre von einem Glanzgras ( Phalaris Linnæi) die in
einein weißgrauen kalkmergelartigen Schiefer liegt, und
beinahe 2 Zoq lang und 9 linien breit iſt. Die Kelch
þálglein haben den erhabenen fleiſchigten Rückenſtreif, wie
das Canariengras , und ſind oval zugeſpißt. Eine Abbils
dung, nur nicht von ſo einem vollkommenen Stück, hat
Herr Prof. Waldin unter der dritten Figur geliefert.
11
1
Sieran iſt es ſehr gut zu beſtimmen , und wegen 4

1
ſeiner Långe einer Uehre von dem knødigten Glanzgras,
( Phalaris bulboſa) das in Indien wildwachſend gefunden
wird', und davon mineraliſirte Lehren im Frankenberger
Kupferflokz beſtimmt waren , wie lange bis fu
uns aufbewahrt zu werden. Schon der unſterbliche
3
Linne beſtimmte dieſen Körper , für das was ſie zum
Theil wirklich ſind. Er ſagt in ſeinem Naturſyſtem bei
der Anführung dieſes Körpers , da er noch die Zeichnung
aus dem Wolfert ( 4 ) anfüßrt: Hic refert [ picam
Phalaridis.

Dieſes ganze Frankenberger Kupferfisk , Kat feine


Entſtehung gånzlich durchs Waſſer erhalten. Es liegt in ,
einem ringsberum mit Sandſteinbergen umgebenen Thala
Nur die dabei jenſeits der Edder auf einer Anhöße liegende
Stadt Frankenberg , ſtehet auf einer andern Steinart,
und zwar auf einem Saxo conglutinato. Baſalte , oder
aud (aven finden ſich daherum gar nicht. Auch nicht das
geringſte Merkmal eines unterirrdiſchen egemalig gemeſenen
Brandes. Das Floß beftehet aus einem weisgrauen Kalks
mergel, woran Tehr merkwürdig iſt, daß der reichfte mea
taniſche Antheil, in den daſelbft fich Häufig vorfindenden
vers

( 4 ) Hiſtoria Naturalis Halliæ inferioris, folio. Tab . V. Fig. 5. 6 .


Q10 IX. Seiträge zur Mineralogie.
berlarvten végétabiliſchen Körpern ſteckt. Darunter die
Fogenannte Korngraupen und Fliegenfittige die gewohnz
lichſten ſind. Dieſes leßtete find nichts anders wie Kelcha
bálgleins (Glamæ Calycinæ ) von Grasarten , die zers
1 freuet in dem Kalfmerget liegen. Einige davon ſehen dem
Fandigten Haargras ( Elymo arenario ) ähnlicy , andere
gehören anderen Grafarten zu , die ich aber hiernach nicht
beſtimmen kann.
Graupen nennt hier der Bergmann alles figurirte,
was in Stücken iſt. Als ein Stück von einer Lehre,
Heißt et Korngraupe . Ein Stück Holý, Holzgraupe.
Ein Stück Kohle , Kohlengraupe.
::
Dieſe Lehren und Kelchbålglein , ſo wie auch die
andern verlarvten Körper finid alle ſchwarz. Zum Theil
mit Kupferblau , oder Kupfergrún úberzogen . Auſſerdem
find Holz, Kohlen , Abdrücke voin Engelſüß (Polypo
dium vulgare) vom Farrenkraut ( Filix mas) die ans
dern verlaruten Körper , alſo alle vegetabiliſchen Urſprungs .
Ein -einziger Körper findet ſich hier, den ich vor ein Sees
produkt halte , und den der Herr Profeffor Waldin ( 5 )
auf der zweiten Tafel, unter der zwölften Figur abbilden
taffen , und der er einen Fungiten benennt. Die Ges
falten dieſes Körpers find ſich nicht alle gleich. Einige
fehen der Madrepora fungites Linnæi ähnlich , andere
aber weichen doch in der Geſtalt von dieſen ab . Dieſe
fehen aus als wenn ein Stück einer Grasafre unten wo
fie am Schafft fitt, ausgebreitet zuſammengedrückt wäre.
Eine dieſen Körpern áhnliche Figur finder ficky ebenfalls in
Syerr Prof. Waldin Abhandlung unter der dreizehnten
Figur. Groß ſind dieſe Körper úberhaupt nicht , die groß
ten die io geſehen , haben 6 linien im Durchſchnitt. ude
aber
( 5) Die Frankenberger Verfteinerungen nebſt ihrem Urſprunge.
31 410. Marburg 1778.
IX . Beiträge zur Mineralogie. 3IT

CH aber haben eine runde plattgedruckte Geſtalt. Die ents


my blößte Spindel ( vachis ) von Grasarten findet fich audy,
ſehr häufig an Gröſe verſchieden .
20
M Ruthgülden - Erz iſt auc in Flokgebürgen merkwüra
dig , das ſich ebenfalls bier wiewohl ſehr felten vorfindete
und immer entweder auf denen Grasáhren oder dem
Holz fißt: In keiner kriſtaliniſchen Geſtalt iſt, ſondern
nur aufder Oberfláche dieſer Körper klumpenweiß auffißt.
24
Die ſich daſelbftin großen und kleinen Stücken befinds
liche Kohlen , find wahre, Holzkohlen . Sie haben lochy
igre ganze aufſerliche Geftalt erhalten. Somårzeno zum
Cheil ab, und ſind leichter wie die andern verlarvten Róra
per. Zuweilen ſind ſie mit Kupfergrún durchdrungen , 1

22 auch wohl dein ſternförmigen Utlaßerzt von auſſen úbers


EM zogen . Sie enthalten nebſt dem Kupfer Schwefel, aber
0 nichts Bituminoſes. Man kann durch die Kunſt aus
dieſen Kohlen gediegenes Haarförmiges Kupfer machen ,
Ed wenn man die Kohlen zerſtückt in ein Glas thut, dieſes
EX in einen Siegel mit Sand reßt , und nad und nach bis
5) zum Durchglühen erwarmt.

2
So genau wie ich auch dieſe Kohlen unterſucht, fo
Kabe ich doch nicht die geringſte Spur vom vegetabiliſchen
Jaugenſalz Herausbringen können . Dieſes iſt auch , wenn
C die Kohlelangim Waſſer gelegen, wie doch hierwohlgeſchehen
feyn mag , zwar nicht wohl möglich , daß ſich dieſes Sale
no þat erhalten können. Einige diefer Kohlen , deren äuſſera
liches Anſehen durchgångig gleid ift, find feſter und ſchwara.
zen nicht ab. Mineralifirtes feſtes Holz, das hier in
3 dieſem Floß liegt , iſt ichwarz, meiſt knorrigte Stücke,
die mehr von Strauchern , wie von Bäumen zu ſeyn ſibeis
Et nen. Sie botaniſch zu beſtimmen , wage ich nicht, da
ich es nicht mit Ueberzeugung der Wahrheit thun kann.
ho Häufig
312 IX . Beiträge zur Mineralogie.
Häufig find dieſe Stücke mit einem blaß gelben Sorbes
felfies Tchichtweiſe durchbrungen . Ebenfalls haben ſie Kus
pfergrún , feltener aber Kupferblau. Gediegenes Silber
iſt nicht ſelten , aber es ſind nun kleine Blättchens, die
entweder auf den Holzſtücken , oder denen Grasáhren lies
gen. Dieſes iſt die einzige Geftalt, unter der man hier
gediegenes Silber findet.
Das Kupfererz was ſich hier in dieſen verlarvtenKors
Pern findet, iſt das Fahlerz , minera cupri griſea,
Wallerii ſyft. min. Tom. II. p. 281, deſſen Gehalt
an Silber bis zu 7 ( oth gehet. Dieſes Fahlerz iſt aber
hier gar nicht, wie Ballerius , Bergmann und
Cronſtedt angegeben , mit Arſenik vermiſcht, ſondern
blog mit Sowefel vererzt. Daher iſt auch das Roften hier
fehr nöthig , ohngeachtet es in einein mergelartigen Scies
ferfldg fich befindet , davon der Herr Bergrath Sartheus
fer das Röſten , von den Thal- Jtteriſchen , die den Frans
kenbergern ſehr ähnlich ſind, in ſeinen mineralogiſchen Abs
Handlungen (6) für überfluffig Hált. Er behauptet dieſes
zwar überhaupt.von den mergelartigen Schiefern ; aber er
beſtimmt doch beſonders , weil ſie nur Kupfergrün und Kus
pferblau enthielten, und dieſes weder Schwefel noch Arſes
nif bei fid führte. In ſo fern unter dieſer Geſtalt das
Kupfer ſich allein vorfánde , To måre der Saß richtig ; wo
aber , wie hier , håufig eingeſprengter und angeflogener
Somefelfies gegenwärtig iſt, da erfordert es eine Köſtung.
Aber vódig Recht hat der Herr Bergrath in der eben anges
führten Abhandlung, wenn er beidieſer Årt von Mergelſchies
fern den Zuſaß von Kalf für überflüſſig zum Schmelzen
hålt. Dieſes geſchieht aber zu Frankenberg, und wird zu
Riechelsdorf bei dem Kupferſchmelzen , wo die ſchwarzen
Schiefer blos thonartig ſind, unterlaſſen. Warum diefe
offenbare Verbeſſerung in Erſparung der Feuerung nicht
einges
( 6 ) 1, Theil p. 40.
IX. Beiträge zur Mineralogie. 313
eingeführt wird , ſehe ich nicht ein . Es iſt eine ausgemachs
te , allgemein bekannte chymiſche Wahrheit, daß Kalk und
Shon in gewiſſen Verbindungen nicht ſo vielFeuerung zum
Schmelzen erfordern , als wenn dieſes unterlaſſen wird.
Man zeigte mir Glaserz (minera argenti vitrea )
das ſich eben daſelbſt fånde , und das in einer Lehre lagens
weis war. Bei genauer Unterſuchung fand ich aber , daß
es nur ein mehr weißlicher Schwefelfies war. Die vers
larvten Körper Bat Herr Prof. Waldin ſehr gut abbila
den laſſen , und mir ſind keine andere wie dieſe bekannt,
Sonderbar iſt, wie aud ſchon der Herr Bergrath Sara
theuſer bemerkt hat , daß in den mergelartigen Sciefern
keine Abdrücke von Fiſchen angetroffen werden. Im Ges
genſaß werden wieder zu Riechelsdorf i wo die Schiefer
thonartig ſind , auſſer ſeltenen Abdrücken von Farrens
kräutern , lauter Fiſdabdrůde vorgefunden , und zwar
find dieſe Larven auſſer einem einigen Stück, das id von
ſo vielen hunderten geſehen , alles Fiſche aus júffen Waſſer.
Welche Berichtigungen welche Erſcheinungen !
An einem Drte meiſt verlarvte Grasarten , und größtens
theils davon die Kelchbálglein , am andern faum fünf
Meilen davon entlegenem , lauter Flußfiſche !
Die ſich im Frankenberger Floß vorfindende Erza
orten find folgende :

1 ) Gediegne Blåttchen - Silber. Argentum nati


vum lamellare.

2 ) Rothgülden . Minera argenti rubra opaca..


Wallerii fyft. min . Tom . II. p . 333 a .

3) Fahl- Kupfererzo Wallerii. p . 281.


Seff: Beitr. St. II. 4 ) Fes
314 IX. Beiträge zur Mineralogie.
4) Feſtes derbes Kupfergrün . Ochra cupri viri.
dis ſolida.
5) Feſtes derbes Kupferblau . Ochra cupri cce
rulea folida.

Schwarzer Kupferocker. Ochra cupri nigra


Wallerii. Tom . II. p. 291. Selten.
7 ) Kupfer- Branderz . Minera cupri carbonaria .
Wallerii. Tom. II. p. 285. Selten .
Eine feltene und beſondere Art, deren chymis
1. Tche Analyſe ich beſonders noch anführen
si riperde.

8 ) Gelbligter kupfrigter Schwefelfies ,

1 manche

X.
315
X.
Herrn E. M. Stolz , Hochfürſtl. Hofopticus
zu Caſſel, Preisverzeichnis.
1.) Optiſche Inſtrumente.
1
oſeincoeinpifacumhesum ,univerſale
Micricroſcopi , welches als
zuſammengefektes und
Rthlr. 1 gr.

Sonnenvergróſerungsglas gebraucht wird .


Die Objekte werden bei denen lezteren auf
ein weiſes , horizontal liegendes Papier , in
einer Camera obſcura portatili abgebildet,
oder aber in einen beſonders dazu verfinſter : 1

ten Zimmer , auf eine meiſie Wand oder


Papier geworfen . Falſche Farben fallen bei
dieſer Einrichtung gånzlich weg , mit allem
Apparat 45 , 50 , bis 60
Microſcopium compoſitum ohne das So
1
lare , 16 , 18 , 20 , bis S
25
J
Microſcopium Solare nach der neueſten
Ve beſſerung 20 , 251 30 bis 40
Microſcopium ſolare nady Lieberkühns Ein :
richtung , 15 bis 20
Microſcopium anatomicum nach deſſelben
Erfindung , 18 , 25 , bis 30
* Lieberkühnſde kleine Microſcopia fimpli
cia zu feinen anatomiſchen Präparaten, mit
einem filbernen Concavipiegel verſehen, 6,
8 , bis JO
Die Objekte fönnen bei dieſer Art von
Microſcop mittelſt einer zur Seite des Ges
þauſes angebrachten Stellſchraube genau in
den Focus des Vergróſerungsglaſes ge
bracht werden , nach Profeffor Sömmerings
Angabe.
X2 Mi.
i ente
316 X. Optiſche Inſtrun .
Rthlr. gr.
Microſcopium fimplex , nach bequemer
Verbeſſerung , 5 , 8 , 10 , bis 12 "
12
Wilſons Taſchenmicrocoſcopium mit Apparat
Enis Waſſermicroſcopium mit Apparat , 12,
15 , bis 2 18

1
Ein completer Apparatus von Microſcopen in
einem Käftgen , worinnen das einfache, dopo
pelte , nnd Sonnenvergróſerungsglas beſons
ders befindlich iſt , 60 , bis a 65
he ektive

1
Achromatiſc kurze Taſchenperſp , nach
1 Dodonds Erfindung, mit 3 Objektivgläſern
und einem concaven Dculargtare 5
mit 3 und 4 Oculargläſern 8
gróſere mit 4 Ocular- und einem Sons
nenglaſe , nebſt einem Stativ 16
* Achromatiſche Perſpektive mit 3 aufeinander
liegenden Objektiven , 4 Concaven , Deu
lar- und einem Sonnenglaſe verſehen , nebſt
Stativ 18 18
Man kann die Oculargláſer mittelft einer
zur Seite des Perſpektivs angebrachten Steu
ſchraube auf ein Haar ſtellen.
Uchromatiſche Perſpektive mit 2 aufeinander
liegenden Objektiv- und 5 Oculargläſern ,
3 IO 16
zu 2 Fuß
zu 3 Fuß 1 IS 18
20 21
zu 4 Fuß
und ſo weiter jeder Fuß zu 5 Rthlr . nach
Douonds Erfindung.
Einzelne Objektivglåſer
i Rthlr. von 1 bis 8 Fuß.
2 Rthlr, von 8 bis 18 Fuß.
3 Rthlr. von 18 bis 24 Fuß.
4 Rthlr. von 24 biß. 40 Fuß und mehreren.
Camera obſcura 5
Gröſere
X. Optiſche Inſtrumente. 317
Rthir. I gr.
gt.
Grófere, in Form einer Pyramide , 8 bis IO
Groſe Leſeglaſer mit Einfaſſung , von i Rthlr.
16 Ggr. bis 3 , 5 , 6 , 8 , 10 , und 12
Kohlglåſer vor Kurzſichtige , 1, 2, 3, 5, 6, bis 7 16
mit der Einfaſſung
Brillenglåſer mit ordinairer Einfaſſung , von
verſilbertem Drath I 4
mit Silber eingefaßt I I2

mit ſtáhlerner Einfaſſung, an die Soláfe


zu ſtecken 2 8
1

mit ſilberner Einfaſſung , an die Schlafe


zu ſtecken 4 20
5
welche an das Hintertheil des Kopfs gehet ,

lia
8 6
und die Soláfe nicht drückt
16
dergleichen Einfaſſung von Stahl 3
Priſmata von verſchiedener Giróſe , mit Mer
ſing eingefaßt , 2 Rthlr. 8 Ggr. 3 , bis 5 16

18 13 2.) Mathematiſche Inſtrumente.


Mathematiſche Beſtecke von 5 , 6 , 8 , 12 ,
15 , 20 bis 24
Ein Zirkel von verſchiedener Länge , mit ſeiner
Reißfeder, Bleiröhrchen , beide mit Gelen
ken , um kleine Zirkel zu ziehen 2 16
10 116 16
Gråſere mit doppeltem verſchraubtem Kopf 3
IS ( 18 Sin Handzirkel , von verſchiedener lange I 8
20 121 16
mit verſchraubtem Kopf I

Ein Handzirkel, wovon beide Spißen heraus


genommen , und krumme zum Kugeltaſten
eingeſeßet werden können 2 16
Ein Jaſterzirkel , mit feſten Spißen 2 8
Ein dreibeiniger Zirkel zum Kopiren der Kars
ten , oder Übtragung der Winkel, an wels
dem das zte Bein verfárzet werden kann 3 16
5 E 3 Ein
318 X. Mathematiſche Inſtrumente.Rthlr. gr.
Ein Handzirkel , mit einem ſtáhlernen Bogen,
und vermittelft der Stellſchraube auf ein

12
Haar zu ſtellen 5
Ein Haarzirkel 2
Ein Stangenzirkel, nebſt der Reißfeder und
Bleirdhrchen ; die Zirkel find ſo eingerichtet,
daß man ſie auf ein Haar ftellen kann , yon
I Fuß lang $
von 2 Fuß lang 8 8
Eine Reißfeder von Stahl 20
Eine Reißfeder mit achteckigem Stiel I

Eine doppelte Reißfeder , oder an jedem Ende


eine Reißfeder & I 16
Eine Reißfeder mit Charnier , die beide Bleche 12
aufzuinachen I
Eine dito , mit Punktiernadel im Stiel I 16
Eine Reißfeder , damit man mittelſteiner Sted
ſchraube weite und enge Parallellinien zie 12
Ben kann 2
6
Eine Punktiernadel im aparten Stiel
Ein Transporteur , 3 Zou im Diameter, in
ganze und halbe Grade getheilet
1

dito von 4 Zoll , mit ſauber geſtochenem


EinCentro 3 2 12

Ein dito si Zoll im Diameter , mit durch


brochenem Centro 2 20
7

Ein dito in viertel Grade getheilet , 6 Zou im


Diameter , mit gravirtem Centro 5
Ein dito mit einer beweglichen Regel , woran
das Sentrum ohne Hinderniß durchbrochen ,
und vermittelft der beweglichen Regel die
Winkel ſogleich gezogen werden können 4
Ein dito. mit einer beweglichen Regel, 5 Zou
im Diameter , in gange , galbe , und vier
tel Graden getheilet 5 12
Ein
X. Mathematiſche Inſtrumente. 319
Rthlr. gr.
Rthlr. Gr.
Ein Bouſſolentransporteur , da man mit Hülfe
des linials und Triangels weit accurater auf:
tragen kann & 12
5.
Ein ganzer Transporteur in 360 Grade gethei
let , zum Aftrolabio und Bouffole zu ge
brauchen 4 20

Ein ditto , da beide Hälften als ein Parallel


linial zuſammenhangen 5 1 8
S
8
Ein linial von Ebenholz, ohne Maasſtab , 12
Ogr. bis 3 I
20

I
Dito von Ebenhols ,' 9 Zou lang , mit einer
verjüngten Scala aus dem Rheinl. Duode
20
1 |16 cimalzoll, weis eingelaiffen
Dito von Elfenbein , mit gleicher Scala und
Jánge I 8
I 12
16 Dito von Ebenholz, 9 Zou lang , mit 2 ver
I
jůngten Maasſtaben , als dem Decimal : und
Duodecimalzol , in 10 und 12 Theile ges

loo
theilet I 8
2 / 12 2
Dito von Elfenbein
Ein Maasftab von Eben- oder anderm guten
Holz, mit einem Charnier von Meffing, ſo
ſich zuſammenlegt , und 1 Fuß lang , Caffel.
1

12
Maas I
1

Ein Maasſtab mit Rheinländiſch und Pariſer


Maas verſehen I 8
20
Dito mit Rheinländiſch , Pariſer , Engliſch , 2 I2
und Cafel. Maas verſehen
-

Dito von gutem ſchwarzen Holz , mit einem


Charnier von Meſſing, 1 Fuß Rheinländiſch
lang , verſehen mit Pariſer und Engliſch
Maas , an einem Ende des Schenkels ein
Bleiſtift , und an dem andern ein Zirkel 3 16
Ein Propbrtionalzirkel, 6 Zoll lang , mit 6
Linien , als : linea arithmetrica , geome
12 24 trica ,
320 X. Mathematiſche Inſtrumente.
Rthlr. gr.
trica, polygonorum , chordarum , cu
bica und metallica , und auf der hohen
Seite der Rheinländiſche Fuß , da ein jeder
Zoa von 1 bis 12 Theile hat 8
Ein dito 6 Zou lang, init 13 linien , nem
licy: linea arithmetrica , geometrica ,
tetragonica, fubtenſarum , angularum ,
polygonorum , reductionis, planorum ,
& corporum regularium , corporum }
fphæræ infcribendorum , tangentium ,
cubica, chordarum circuli dividendi,
recte dividendi , fortificatoria und me

11
tallurgica , auch den Rheinländiſchen Fuß 16
Halbe Aſtrolabia mit Nuß und Stativ , zu
18 , 20 , 30 , 37 , bis 48
Ganze ditto mit Nuß und Stativ , zu 25 , 30,
35 , 40 , 60 , bis 80
PrătorianiſcheMeßtiſche,mitZubehör,10 ,12 bis 15

| |
Regeln mit beweglichen Perſpektiven auf vor:
gedachtem Meßtiſch zu gebrauchen , mit einem
Micrometer verſehen , 8 , bis IO
Regel von Meſſing, 12Rheinl.Zou lang, mit feſt:
I
aufgeſchraubten Dioptern ,5 dieſer Zonehoch 5
Dito 14 Rheinl. Zoa lang, die Dioptern 6
Zoa hoch , mit Charnieren zum Niederlegen 8 12
Hoheninſtrumente mit achromatiſchen Perſpek:
tiven und Glasmicrometer , 15 , 18 , bis 20
Pantographen oder Storchſchnabel, nad Mr.
1

Sangles Verbeſſerung 20
Kleine Uffen , oder Kopierinſtrumente von Bur:
baum, Scattenriſſe zu verkleinern, mitZubeh. 4
Dito von Meſſing , mit Zubehör , 6 Zou
lang , 6 , 8 , bis IO

Uſtronomiſche Quadranten, von 1 Fuß 162


von 18 Zoll im Durchmeſſer 270
von
te.
Rthlr. 19
X. Mathematiſche Inſtrumente. 321
Rthlr . 1 gr .
von 2 Fuß 384
von 3 Fuß 496
von 4 Fuß 608
8 mit eiſernen Stativen von 5 Fuß 820
dito von 6 Fuß , 1212
Groſe Mauerquadranten von 7 Fuß 1850
Dito von 8 Fuß 2165
Zu denen Quadranten von 1 bis 2 Fuß
werden dreibeinige Stative von Meſſing ver
fertiget.
Zu denen von 2 bis 4 Fuß aus Holz und
Eiſen ; die Spindeln aber von lauter Eiſen,
5 1 16 mit verſtåhlten Spißen. Und, zu denen von
1 4 bis 6 Fuß aus lauter Eiſen , imgleichen
48 die Spindeln mit verſtåhlten Spißen.
Die Perſpektive zu gedachten Quadranten
80 werden aus meſſingenen Röhren gemacht,
8 15 mitachromatiſchen Objektivgläſern, verſehen
mit einem Micrometer und Nonius , mit:
telft welchen man die Grade auf dem Limbus
n
des Quadranten , in Minuten und Secuns
10

den abſchneiden kann.


5 Sonnenuhren , wo die Magnetnadel die Stun
de zeigt 15
* Dito kleinere , ſo bequem auf Reiſen zu ges
8

12
8
brauchen ſind , mit einem Futteral verſehen ,
zu 10 Rthlr. 8 Ggr. bis 12 12
20
Hangwagen oder Gradbogen 3 12
Zulegeinſtrument nebſt Hångkompaß I2 12
20
Eine (achterkette von Meſlingdrath 5
Der Winkelweiſer oder Meſſer mit Meſ
4 fing beſchlagen , von ſchwarzem Holz , mit
dem Stabe , oder Stativ 2 12
10 16
162 Sin Transporteur zum Gradbogen I

Cin Seßkompas 8 12
270 5 Bours
322 X. Mathematiſdie InſtrumenteRthlr.
.
gr.
Houſſolen von verſchiedener Gróſe, mit und
20
ohne Dioptern , 5 , 10 , 12 , 15 , bis
Verſchiedene Arten von Nivellierwagen , zu
12 , 20 , 30 , 40 , 60 , 80 , bis 3 I 20

Regeln von Meſſing i mit niederzulegenden


Dioptern, und länglichten Bouſſolen, 12 bis 15
Kleine Nivelierwagen nach des Hrn Branders
1 Verbeſſerung , auf Meßtiſche zu gebrauchen IO 8
(

3.) Phyſikaliſche Inſtrumente.


Einzelne Luftpumpen mit inclinirten Cylindern,
5
oder Handluftpumpen , ohne Apparat,

.
12 bis 14
mit Apparat , 35 , 40 , 45 , bis so
Luftpumpen mit doppeltem Cylinder , ohne
Apparat 29 18
mit Apparat 3 2
76
Luftpumpen nach der neueſten Verbeſſerung ,
mit einem perpendiculair ſtehenden Sylin:
Der , und zweien Tellern , zu 50, 60,80, bis 96
Der Apparatus beſtehet gróſtentheils aus
verbeſſerten Inſtrumenten , welche ſämtlich
79 Rthlr. 20 Ggr. betragen.
Verbeſſerte Handluftpumpen mit Hahnen,
ohne Apparat , 20 bis 28 13
mit Apparat , ju 46 bis 6918
Bei dieſer Art Luftpumpen kann man die
Luft unter der Glocke weit ſtårker herauszie
hen , oder verdúnnen , wie bei jener Ein
richtung , mit Ventilen .
pole Compreſſionsmaſchinen , womit die gegen
reitige Verſuche , welche mit der Luftpumpe
geinacht werden , anzuſtellen ſind. Man
kann mit ſolchen auch die in ein Gefäß zu
pref

3
te.
Rthlr. i X. Phyſikaliſche Inſtrumente.Rohi 323
r, gr.
preſſende luft mit verſchiedenen guten und
-

20
ſchädlichen Dünſten anfülen , mit allem
120
Dazu gehörigen Apparat , 50 , 60 , bis 70
Ein Pyrometer, die verſchiedene Uusdehnung
1

1
der Metalle durchs Feuer zu zeigen , 15 bis 18
.

15 Hydroſtatiſche Waagen mit Apparat, 12 bis IS I2


Inclinationsinſtrument , 15 bis 25
n IO ! Declinationsinſtrument , im Durchmeſſer 8
zou 18
Elektriſche Maſchine, mit einer runden Scheibe
von grünem geſchliffenen und polirtem Glas
11 Te, zu 12 Zoll im Durchmeſſer , mit Ap
parat 2
25

11
14 zu 15 Zou 36
80 Eine Elektriſirmaſchine , ' mit einem blauen
te Glare, die ſtärkereWirkung verrichtet , von

184
29 1 12 Zoll im Durchmeſſer, mit Apparat 40
76 von 16 Zoll 50
von 20 Zou 62
.

31
13 von 24 Zou 83 16
ga

;; von 28 Zoll 3 108 20


von 32 Zoll , mit gewöhnlichem Apparat 138
Dito von verſchiedener Grøſe, mit 2 Scheis
ben von blauem Glaſe, ſo ſtarkere Wirkung
verrichten als die mit einzelnen Scheiben ,
28 12 zu 85 , 110 , 135 bis 167
69 18 Der Apparat , welcher gewöhnlich zu
El vorgedachten Elektriſirmaſchinen gegeben
wird , beſtehet aus einer Verſtärkungsflaſche,
einem zweiarmigten Ableiter , einem Glo:
denſpiel, Elektrometer, einem Gueridon ,
nebſt zweien meſfingenen Jellern , Spiße
und Nadel , Fußſchemel , Ketten , und
einem krummgebogenen Drath mit zwei
Kugeln.
Der
324 X. Phyſikaliſche Inſtrumente .
Nthlr. gr.
Der beſondere Apparat, der auf Ver
langen dabei geliefert wird , ift:
I) Ein elektriſches Planetarium , die Son
ne , Mond , und Erde vorſtellend , die ,
wenn ſie elektriſirt werden , in ihren Laufs.
kreiſen ſich umdrehen 5 I2

2) Eine Batterie mit 64 Glasflaſchen ; fie


beſteht aus 2 beſondern Käſtchen , die in der
Hälfte der Zeit , welche ſonſt die gewöhnli
chen gebrauchen , geladen werden. Einer
dieſer Kaſten fat mit der Elektriſirmaſchine
Gemeinſchaft, der andere wird , wenn er
mit jenem in Verbindung gebracht worden,
durch die wegſtoffende Kraft der Elektricitat
geladen ; wenn dieſe Batterie geladen wors
den , kann man wegen der ſehr verſtärkten
Elektricitåt , eine und mehrere Kanonen abs
feuren , Meffing, Silber , und Eiſendrath
ſchmelzen, Magnetkraft denen Nadeln neh
men , und geben , die Pole verändern , auch
Kleine Thiere sc. tódten . Mit der Kanone
und übrigen Zugehör 43 16
anne

Gröſere mit 64 Glasflaſchen , 55 bis 60


3) Ein elektriſcher Thurm , worauf eine Kas
none ſtehet, die , wenn ſie mit Pulver ges
laden , durch das elektriſche Feuer losges
brannt wird. Wenn er elektriſirt worden,
1
kann man ihn von einem Orte zum andern
tragen , und daſelbſt dod noch jene Bir
kung erhalten ; er behålt auch bei günſtigem
Wetter einige Tage dieſe Kraft, das Pulver
zu zünden. Mit der Kanone 23 I2

Appar
4). EinElektri at, um negative und pofi
citát
tive zeigen
ju IO

5 ) Eine
El
Rthlr. 15 X. Phyſikaliſche Inſtrumente.Rthlr.325
gr .
5). Eine Flinte, aus Glas, mit einem roth
laquirten Geſtelle von Holz ; die , wenn ſie
mit brennbarer Luft geladen , und in das
gláſerne Rohr eine Bleikugel eingeſchoben
worden , durch die Elektricitet losgebrannt,
5

5 11 eine Scheibe, ſo 20 , 30 bis 40 Schritte


ľ davon entfernt iſt , mit der Bleikugel durch :
ſchießt, 10 Rthlr. 12 Ggr. bis 18 18
Eine elektriſche Piſtole , nach der Verbeſſerung
r des Hrn Prof.Pickels , mit allem Zubehör
15 Rthlr. 12 Ggr. bis 18 18
FC Eine elektriſche Zampe , ohne Elektroppor 13 IZ
Dito mit einem Elektrophor 18 18
}
t Nach der Verbeſſerung von Hrn Ingen
Houßz und Pickel.
11 Eine Glascampane, 12 bi$ 14 Zva hoch und
5 bis 6 Zou im Durchmeſſer , ſo an beiden
Enden mit ſtarken meſfingenen Kapſeln eins
gefaßt werdeni, in welcher , wenn ſie mit
Dephlogiſtiſirter Juftangefüdet worden , nach
Herrn Ingenhouß: Ungabe , Metadle ,
43 16 als Zinn , Eiſen , Stahl , Silber , Gold 2c.
60 mittelft einer Leidenſchen Flaſche vom elektris
ſchen Funken angezündet werden und ſchmela
zen , 19 Rthlr. 12 Ggr. bis 12 12
Eine Leidenſche Flaſche , welche ro eingerichtet
iſt, daß man ſelbige zu obigen Verſuchen ges
brauchen , auch wenn ſie geladen worden ,
mit dem elektriſchen Funken Baumwolle ans
zünden kann. Mit allem dazu gehörigen
Apparat 6 6
23
Eine Campane von Glas , 16 Zoa hod , 6 bis
7 Zou im Durchmeſſer , zum Verbrennen
10
des Camphers und Phosphorus in depýlos
1

giſtifirter fuft , mit Apparat 7 12


Eine
326 X. Phyſikaliſche Inſtrumente,Rthl
r. I gr.
Šine Campane , mittelſt welcher man die in
flammable over dephlogiſtiſirte (uft auffan
gen kann , mit Zubehör 5 20
Eine Luftvorrathsflaſche , in welche man ge
dachte Luft 3 bis 4 Wochen einſchlieſſenund
aufheben kann , mit allen dazu gehörigen
Werkzeugen nach Ingenhoußt Vorſchrift 8 8
Dito , wenn die Flaſche 16 Zou hody, 8 Zoa
im Durchmeſſer iſt , mit Zubehör 10 20
Dito , 20 Zou hoc , 10 Zul Diameter , mit
Zubehör 13 8
Dito , 24 Zou hoch , 12 Zoll Diameter , mit
Zubehör 16
Ein Elektrophor von Meſſing , mit lac ſauber
ůberzogen , im Durchmeſſer 8 Zua , und
mit einem Ableiter verſehen 6 6
Dito von 10 Z. im Durdmeſſer und 1 Ableiter 8

-19m
Dito von 13 Zoll IO
Dito von 16 Zoll 1
13
Dito von 20 Zoll 16 18
Eine gláſerne Knaubúdire, welche mit inflam
mabler luft geladen , und mittelſt des elektri
1
ſchen Funkens lodgeſchoſſen wird 2 12
2 20
Eine dito , aus Metallblech, roth laquirt
Eine
hendito mit 3 meſlingenen Ringen verſe
, már mit
Blafen úberzogen werden ,
und einen ſtårkern- Kinal geben 4 8
Zu einer jeden dieſer Knadbuchſen wird
eine kleine Verſtärkungsflaſche
di
mit beigelie
fert , mittelſt welcher man wenn ſie mit
Elektricitat geladen , die Buchre losſchieſet.
Ein Apparat von Glas, zur Verfertigung
brennbarer { uft ; beſteht aus einein Gefäß,
worin auſſer einer zweimal gebogenen Rihre
noch ein Retórtchen eingeſchliffen iſt 2 12
Eine
Rthlr.. X. Phyſikaliſche Inſtrumente.Rthlr.327
gr.
Tine Knagbúchſe , von Blech , roth laquirt ,
die mit Liquor Anodinus geladen ,
5 1 20 durch Elektricitat abgefeuert wird : 2.1 20
Ein elektriſches Kegelſpiel siis 25
Dito gróſere 30
DieſeMaſchinen ſind ſo eingerichtet, daß,
8 wenn ſie elektriſirt werden , ſo läuft eine Ku
gel über eine metalene Rinne in die Hand
10 20 des am Ende der Kegelbahn ſtehenden Månns
chens , welcher die Kugel bej anhaltendem
13 Elektriſiren mit der Hand unter die Regel
wirft ; und ſodann lauft die Kugel von
16 ſelbſt wieder in den zur Seite der Bahn ftes
1

r Kenden Behälter; und wenn mit dem Elek


D triſiren fortgefahren wird, ſo lauft ſie über
die Rinne wieder in die Hand des Mann
ľ chens , Und mittlerweile folches geſchiehet,
ſtehen die Regel von ſelbft wieder auf.
13 Ein Eudiometer , nadi der Ungabe des Hrn
16 11 Fontana , mit allem Zubehör 20
Ein Apparatus, mittelſt welchen man die de
phlogiſtifirte Luft einathmen kann , nach An
2 1) weiſung des Hrn Ingenhouß; 5 20
2 ! 20 Dito , anſtatt der gláſernen Gefäffe, eine mit
dephlogiſtiſcher Iuft angefügte Blaſe , mit
einem Hahn , woran ein Werkzeug von Fes
8 derharz, um foldes an die Naſe feſt an
drůcken zu können 4 Im
Ein Apparat , um die Verſuche mit derKnall
luft in Seifenwaſſer anzuſtellen 4 8
Thermometer, mit meffingenen Scalen , 6
bis 7 Zod lang , nach Reaumur- und Fah
coal

renheitiſchen Graden eingetheilt 5


Dito 10 Zoa lang , mit eben dieſen Scalen 6 6
Dito 14 304 8 8
Ditto

1
328 X. Phyſikaliſche Inſtrumente.Rthlr. gr .
Dito 18 Zoll 10 16
Kleine Thermometer , mit elfenbeinern Sca:
len , in einem glåſernen Eylinder , welcher
mit einer meſſingenen Kapſel verſehen iſt, bei
Bådern oder Geſundbrunnen zu gebrauchen 5 16
Barometer von verſchiedener Große oder Lange,
zu 3 , 5 , 8 , 12 bis IS 18
Bei der leßtern Sorte iſt auch ein kleiner
Hermometer angebracht; äuſſerlich wie ein
runder Stab , und deshalb bequem auf
Reiſen .
4.) Mechaniſche Inſtrumente.
* Eine Potenzmaſdine zur Erklärung der 5
Hebezeuge , welche faintlich aus Meſſing ver :
fertiget, und auf ein Bret von gutem Holze
nacheinander befeſtiget find. 80
Dito , anſtatt des Bretes eine ſtarke meſſins

1
gene Platte , und zweien Waffermaagen ,
um die Maſchine accurat horizontal ſtellen
ju 3 97 20
Bei einer jeden dieſer Maſchinen wird Jeu
0 polds Univerſalmaage mit dem Hebel To ges
nau verbunden , daß durch denſelben auch
die Theorie von der Schnell- und Schanlen
waagen genau erklärt werden kann .
Leupolds Univerſalwaage , mit Zubehör 12
Eine Probierwaage , nebſt Centner- und Mark:
gewicht, wenn der Balken 81 Zou lang ift,
mit dem Aufzug von Meſſing , und der Cents
ner wird von 100 Pfund bis auf ein (oth ,
und die Mark bis auf 1 Gran eingetheilet 36
Eine dito , wenn der Balken 8 1 Zoa lang von
Silber, nebſt Waageſchaalen , und der Auf
.
zug von Meſſing , mit dem Zentnergewicht
VON

!
X. Mechaniſche Inſtrumente. 329
Rthlr. 14 Rthlr . I gr.
10 16 von 100 Pfund bis auf i Soth , und die
Mark biß auf Gran eingetheilet iſt 3 52 12
Ordinaire ſcharfe Waagen , wie man ſie in
Münzen zu gebrauchen pflegt, von Meſſing,
mit dem Aufzug 10 , 15 , 18 bis 24
Eine Feuerſpriße, mit groſer Bequemlichkeit

1
-
15 11 in Häuſern und Zimmern zu gebrauchen ,
85 bis 120
Drdinaire Drehbánke , auf welchen man rund
drehen kann , mit dem Sdwungrade 45bis 50

1
Dito , welde ſo eingerichtet ſind , daß man im
Stande iſt, rund , ercentriſd , und oval
zu drehen , mit Zubehör 86
Eine Paſngdrehbank mit allem Zubehör , und

1
worauf ebenfalls rund , ercentriſch und oval
kann gedrebet werden 136
80 * Eine Paiſig- oder Kunſtdrehbank, auf wels
cher man rund , ercentriſd) , oval , paſſig,
verreßt und verſchoben drehen kann , mit 32
Paſſigpatronen verſehen . Jede Patronehat
27 20
ihre beſondere Figur , und mit übrigem
Zubehör 220
1

5.) Anatomiſche Inſtrumente.


Sämtlich nach Srn Prof. Simmerings
Ungaben.
Eine anatomiſche Injectionsſpriße , mit
hölzernen Kaplel, und 6 Tubulis mit ver:
ſchiedenen Defnungen ; jeder Tubulus iſt
mit einem Hahn zum Verſchlieffen verſehen ,
der Cylinder der Spriße nimmt ein Pfund
Malle ein 22 12
Dito mit eben dem Apparat , nimmt ; Pf.
Maſſe ein 18 18
Self Beitr. St, II. Ý * Dito
330 X. Anatomiſdie Inſtrumente. Rthlr . gr.
* Dito mit obgedachtem Apparat, und 12
nimmt 1 PF. Maſſe ein -15
Eine anatomiſche Injections(priße mit der
hölzernen Kapſel , und 6 Tubulis mit vers
ſchiedenen Defnungen ; ſtatt bei obiger Ein
richtung ein jeder Tubulus mit einem Hahn
verſehen iſt, iſt hiebei ein Mittelſtück; worauf
die Tubrili paſferi, nimmt i Pf. Maſſe ein is 18
** Dito mit eben dem Apparat , und Einz
richtung, nimmt Pf: Maſſe ein is 12
12
Dito , nimmt : Pf. Maſſe ein

60
* Dito zu ganzfeirien Inječtionen ; mit 6
olt its
m M
feinen Tubulis und Per
telſtück
e
zum verſchlieffen ; nimit 4 (oth
Maſſ ein 2 3
* Siné ſtáhletne Röhrè ; 16 Zoù lång ; init

3
Mercurius zu injiciten , mit einem ftat :
lernen Hahn und 6 ganz feinen ſtåhlernen
Tubulis , nebſt einem Stativ von Meſſing,
1
mit welderi màn dae vorkominende Berbes
gungen vefrichten kann 3 22 lib
Dito miteinemt fåşlernen Hahni i 4 Tubulis
und Stativ 19 -
Dito mit einer ſtihlerner Hahtij und 2 Tu
bulis nebſt Stativ is 12
Eine ſtáhlečne Röhre ; 16 Zoù lang ; mit
ftáhlernem Hahn , Mid 3 feinen ſtáhlerneri IÓ 20
Tubulis; ohne Stativ
Anſtatt der ſtåhlerneri Róhren liefere ich
auch auf Verlangen der Liebhaber die Röhren
von Glas , und ebenfaas 16 Zoll lang:
6.) Chirurgiſche Inſtrumente.
Milchpumpen mit einem Formations- und
einem Milchglaſe $
Dito
X. Chirurgiſche Inſtrumente. 331
Rthlr. Rthlr. gr .
Dito mit zwei Formations- und zwei Milos
15 111 gláſern , ſo mit Meſfing eingefaßt und Hah
nen verſehen find 6 18
Dito mit zwei eingefaßten , und zwei ohnein
gefaßten oder Reſerveglåſern s 18
Daſſelbe nebſt einem Apparat von Sprißen

8
ma
und Schröpftópfen
18 18 Ein completerApparatus von Bruſtpumpen
mit 2 Cylinder ,nad Ungabe des Hen Hofs
is . rath Steins 16 16
128 Steiniſche Pelvimeter von Stahl, mit drei
Branchen 5 8
Dito von ſchwarz Ebenholz 2
Ein Baromacrometer mit Zubehör 5
Ein Cephalometer 3

nao 8
Ein abimeter

100
s 2 8

.1
* Heiſters verbeſſert Zapfeninſtrument , von
Stahl
Ein Sylinder mit 2 Scropfgläſern, jedes
mit einem Hahn 4 116
** Eine dito Sordpfmaſchine, mit 2 Gläſern
und einem verbeſſerten Schrópfſanepper:
E9 Inſtrument , mit 6 Eisgens oder kleinen
Lancetten 2 9 12
* Ein einzelner Schröpfrohnepper zu 4 Rthlr.
12 gr. bis S 6
Aneliſche Augenſprißen von Silber , mit einem
5 26 gekrúminten und einem geraden Tubulo
von Gold , nebit feinen ſtáhlernen Sonden 12 12
Eine Mutterſpriße mit einem etwas gekrümm
ten Kanal 5 12
S

Dito gróſere mit Zubehör 6 8


Eine Wundenſpriße, mit einem frummen und
einem geraden Tubulo ! 4 8

M 2 Eine
332 .X. Chirurgiſche Inſtrumente.Rthlr
. gr.

see
Eine Halbſpriße mit einem geraden Tubulo

000A
von Elfenbein , und ein dito gekrümmter
von Meſſing 4 20

Eine Tripperſprike, mit einem etwas geboges


nem feinen Kanal von Meſſing I2
Dito von Silber 4 16
Sine Hohlſonde von Silber mit einem Griff 2 8
Eine Polypenzange von Stahl 2 16
Ein Hòrrohr von Meffing, nebſt Sonde I 8
Dito von Silber 2 12
Haarſeilnadeln von verſchiedener Långe und
Starke , zu 6 , 8 , 10 bis 12
Ein Nadelhalter mit einem Stiel 20
Ein Troicart von Stahl I

1
Feine Sonden von Schildkröt zu Thränen
gången , das Stück 8
Eine Pincette von Meffing , mit ſtåhlernen
Spißen 20

Dito von Stahl, 12, 16 bis 18


Ein Catheter von Silber , 6 200 lang , nebfi
der Sonde 12
Dito flexiler , nebſt der Sonde 5 16
Inciſionsſcheeren von Stahls 1 8
Piſtouri, oder anatomiſche Meſſer von ver:
ſchiedener Art und Gróſe , per Stúck zu
6 , 8 , 10 , 12 , 14 , 16 , 18. bis 20
|- a

Beinſågen von verſchiedener Art und Gröſe,


per Stück zu 2 , 3 , 4 , 5 , 6 bis 6 6
F

Silberne Uderlaßſchnepper , 2 Rthlr. 12 gr. bis 4 8


Dito von Meſſing I 12
Dito von Stahl 2
Richters Shftrument zur (uftröhrenófnung 4 12
Inſtrument den Urin abzuzapfen , wo andere
Catheter nicht gebraucht werden können I 20
Frams
X. Chirurgiſche Inſtrumente. Rth 333
Rthlr. 1g. lr . gr.
Trampels Kopfinſtrument, krumme Hålſer
gerade zu machen , mit Zubehör von Eiſen 15
4 20 Dito von gehärtetem Stahl 18 18
* Ein verbeſſertes Zahninſtrument, mit dem
2 ( 11 Hebel von Stahl
Ein ſogenannter engliſcher Schlüſſel von
6 8

Stahl , mit 3 verſchiednen Haaken 4 I


2 Kleine Handtrepane , mit Zubehör 5
I

11
Nachricht.
20 1 ) Das Geld ſchift man mir in (ouisd'or à 5 Rthlr.
1/8 per Stück; und wenn es nicht füglich unmittelbar
úberſandt werden kann, durch Wechſel in (ouisd’ors.
2 ) Wenn Inſtrumente von beſondrer Einrichtung nach
einem eingeſandten Riß verfertiget werden ſollen , ſo
11
geſchiehet zugleich die Zahlung der Hälfte des bes
18 ſtimmten Preifes.
3 ) Solen Inſtrumente reparirt und verbeſſert werden,
11 ſo werde auch darunter dienen.
5
1 f 4 ) Auf Verlangen derer Liebhaber verfertige ich auch
Levretiſche Accouchirzangen , nebſt übrigen zu dieſer
Wiſſenſchaft gehörigen Inſtrumenten ; z. B.dem Kai
20 ferſonitt , ſo mit dem möglichſten Fleiß und Ge
nauigkeit verfertiget werden.
5 ) Diejenige Inſtrumente , welche mit einem Stern
bezeichnet ſind, ſind zwar nach anderer berühmten
Männer Invention , von mir aber verbeſſert worden.
Diejenige , To mit zwei oder drei Sterne bezeichnet
worden , find theils nach meiner eigenen Invention
verfertiget, und nachher auch von mir ſelbſt perbef
20 fert und bequemer eingerichtet worden.
Ý 3 XI. Ans
334
XI.

al기 Anzeigen neuer Bücher und Schriften

Seutſche Encyklopädie oder allgemeines Real Wörtera


buch aller Künſte und Wiſſenſchaften , von einer
Gefelftaft Gelehrten. Achter Band. Ei : Erz.
Frankfurt am Main , beiDarrențrapp Sohn und
Wenner , MDCCLXXXIII, ş Alph. in Folio,
dürfen die Fortreßung dieſes Werke aus einem
Witirzwiefachen Grunde in unſern recenſirenden Beitras
gen nicht mit Stiaſchweigen übergeben. Nemlich erftlich,
weil ein großer Theil der Verfaffer deſſelben in Heſſen leben ;
und zweitens, weil es in der That eins der braucbarſten
und núşlidiſten Werke iſt, die von teutſchen Preſſen ſeit
mehreren Jahren geliefert ſind, Durch den fieiſſigen Ges
brauch deſſelben können in einzelnen Familien in kurzer
Zeit Kenntniſſe verbreitet werden , zu deren Erwerbung
ſonſt nur der Zutritt zu groſen Bibliotheken , und eine ans
galtende und ausgebreitetelektüre zu führen pflegt. Man
erwartet in einem Werke dieſer Art ſonſt nur allgemeinvers
1
ftåndliche Begriffe und Darſtellung wiſſenswürdiger, aber
ſonſt ſchon erfundener , und Kennern einer Wiſſenſaft
nicht unbekannter Dinge. Die teutſche Encyklopädie leiſtet
aber wurklich, mehr; 'denn ſie giebt nicht nur ausführlichen
Unterricht von wichtigen Gegenſtanden , die oft den Kern
weitláuftiger gelehrter Werfe enthalten , ſondern es finden
fid darin auc manche Gegenſtande neu , gründlicher und
beſſer bearbeitet, als in den bekannteſten davon handelnden
Werken. Nimmt man hinzu , daß die ganze Unlage des
Werks vorzüglich zum Gebrauch teutſcher Leſer beſtimmt iſt;
mithin von unzähligen Sachen darin Begriffe gegeben und
entwickelt werden , wovon den Verfaffern ausländiſcher
áhns
3
XI. Anzeigen neuer Bücher uc. 335
áhnlicher Werke, inſonderheit der wiederholten Ausgaben
der franzöſiſchen Encyklopädien nichts bewußt war : ſo
deint die vorzüglichere Brauchbarkeit dieſer Frucht teutſdin
Fleiſſes hinreichend entſchieden zu ſeyn. Der Artikel Encns
klopädie, welchen dieſer Band enthält , macht die leſer mit
ter dem ganzen Plane bekannt , nach welchem bisher gearbeitet
ift ; und wer ihn ließt , wird ſich von dem , was wir hier
Ers geſagt haben , noch mehr belehren und überzeugen können .
:
i[o,
Geſchichte der großen allgemeinen Kirchenverſammlung
The zu Koſtniß, von Kaſpar Ronko , ordentlichen
Hotel Lehrer der allgemeinen Kirchengeſchichte auf der
Univerſitåt zu Gråz. Erſter Theil , zweite ver
Ten beſierte Auflage. Bei Weingand und Forſtl, zu
fiel Wien und Graz 1782. 160 Seiten . Zweiter
Die Theil 1783. 302 Seiten in 8.
Tjci
um Dieſes Buch iſt vieđeicht die beſte Frucht der durch
ON
Joſeph II. in den Öſterreichiſchen Landen wieder Gerges
Tar fteaten Rechte der Menſchheit, in Rückſicht auf Freiheit zu
Denken und zu ſchreiben. Der Verfaſſer ſchildert ohne
het Schonung den blutdürftigen Geiſt, welcher die zu Koſtnik
aft verſammelten Vater der Kirche beſeelte, und läßt dem zum
ftet
Opfer derſelben gewordenen Huß eine Gerechtigkeit wieder
pen
fahren, die ihm nod Fein katholiſcher Schriftſteller, wes
ern
nigſtens nicht nad einer ſo ſorgfältigen Prüfung aller Sebra
Den
fåße deſſelben , und treuem Gebrauch hiſtoriſcher Quellen
um
þat zu Theil werden laſſen. Nach der vom V. , vorzügs
IM
dich im zweiten Theil angeſtegten genauen Unterſuchung alles
M
deſſen , was suß wirklich gelehrt hat, und Vergleichung
ſeiner Lehrfäße mit den weſentlichen Glaubensartikeln der
und
katholiſchen Kirche, thut er S. 148 das offene Geftands
Contenido nis: er fande feinen einzigen aus allen 39 Artikeln ,demin
Y 4
One .
336 XI. Anzeigen neuer Bücher
dem Verſtande genommen , in welchem ſie Huß erklärt
hat , der auch nur einen geringen Schein von einer verbor
genen Kreßerei in fich enthielte. Gleichwohl habe das
Concilium zu Koſtniß alle dieſe Artikel , welche ein jeder
rechtſchaffener Katholik ſicher als rechtgläubig anerkennen
dürfe, geradehin als keßeriſd), anſtóftig und irrgläubig
verdammt ! Wo iſt wohl, fragt er hierüber weiter , bei
der Kirchenverſammlung zu Koſtniß die von einigen To
1 fehr angerühmte unfehlbarkeit der Concilien geblieben ?
Er zweifelt Š.83 nicht, die koſtnißiſchen Vater waren von
der Wahrheit vieler Artikel, die Huß gelebret habe , dolla
kommen überzeugt geweſen. Über ſie hätten den Huß
dennod verdammt, weil es ihnen unleidlich gefallen , ſo
bittere Wahrheiten aus dem Munde eines Prieſters zu hóa
ren . Huß ſei von ihnen gehaßt, nicht weil er etwas fala
1
Tches gelehrt habe ; ſondern die Prieſterſchaft habe ihn vers
folgt, weil er ſo dreuſt geweſen , ihre laſter und Schands
thaten nicht nur aufzudecken , ſondern auch zu beſtreiten
(S. 122). Weil er wider die Erceffe der Geiſtlichen und
hauptſächlich der Biſchoffe und Kardinále mit einer evange
liſchen Freimuthigkeit losgezogen , ſei er ein blutiges Schlacht
opfer der Kirchenverſammlung geworden. Er fordert das
bei alle noch ſo eifrige Theologen auf , zu erweiſen , daß
ein einiger von Huffens Lehrjäßen feßeriſch rei, ohngeacha..
tet das Concilium ſie verdammt habe.
Wir konnten uns beim Leſen alles deſſen nicht enthals
ten , damit die Erzählung eines andern katholiſchen Ges
ſchichtſchreibers , welcher in unſern Tagen ſo viel Beifal
gefunden hat, zu vergleichen , um zu ſehen , wie er ſich bei
einer Begebenheit , bei der geſunder Menſchenverſtand ſo
fchwer von Ausbrüchen freier Urtheile zurückzuhalten iſt,
benommen habe. Wir rolugen alſo Sperrn Schmidts
Geſchichte der Seutſchen Th. 4. S. 125. nach ; und bitter
unſre leſer deegleichen zu thun , wenn ſie ſehen wollen ,
wie
! und Schriften . 337

mie man mit ſchiefen Sophiſtereien Wahrheit verſchleiert.


Schmidt will uns bereden , das Concilium habe keines
rregs erklärt , daß man einem Keßer überhaupt nicht vers
bunden ſei, Treue und Glauben zu halten , ſondern nur in
ſo weit, als es zum Schaden des Fatholiſchen Glaubens ges
reiche. Nicht zu gedenken , daß dieſe Einſchränkung in dem
Galle , worin Huß war , ein bloſer Winkelzug ift: fo ift
das Vorgeben überdem der Wahrheit der Geſchichte zuwis
der. Dieſes beweiſet Royko Th. 2. S. 65. unwider
ſprechlich aus der Rede , welche der Kaiſer Sigismund an
Huß hielt, worin derſelbe mit deutlichen Worten ſelbſt bes
zeugt, daß die Stimmen der mehreſten Vater dahin giengen ,
o man ſei einem Keßer , oder auch nur der Keßerei verdách:
gen , Treu und Glauben zu halten nicht nur nicht verbuns
den , ſondern man dúrfe nach den Rechten nicht einmal
fein Wort halten. Schmidt will überdem behaupten ,
das dem Huß vom Kaiſer gegebene ſichere Geleit ſei mit
CH Recht gebrochen worden , weil durch ein ſolches , von einem
weltlichen Fürſten ertheiltes Geleit dem geiſtlichen Richter
je fein Umt nicht könne gehemmet werden. Allein unter dies
) ſen Umſtänden fullte ein ſeine Ehre liebender weltlicher Fürſt
fich überall nicht brauchen laſſen, durch ungültige Zuſagen
aß jemanden ins Garn zu locken ; Huß kam aber hauptſachs
the lich des fichern Geleitswegen nach Koſiniß . Auch kann man
fragen , wie weit denn das Amt der geiſtlichen Richter ges
he ? Die Antwortgiebt Schmidt felbft: bis zu Fållung
B der Sentenz, wodurch er der Keßerei ſchuldig erklärt
es wird. Nun wollen wir hier nicht erwähnen , daß dieſe
al Sentenz nach genauer Prüfung deffen , was Huß gelehrt
bet þatte, ganz ungerecht war. Dieſes aber kommtdeſto mehr
in Betrachtung , daß mit dem Ausſpruche der Senteng das
Amtdes geiſtlichen Richters zu Endeiſt, und der Keßer der
weltlichen Obrigkeit zur Beſtrafung übergeben wird. Wenn
ihm alſo Kaiſer Sigismund nun die Strafe, welche nach
mi den Rechten deß mittlern Zeitalters auf das Verbrechen
pile Y 5 der
338 , XI. Anzeigen Neuer Bücher
der Keßerei gefeßt war , erließ , und ihm kraft der gegebes
nen Zuſage ohne alles Hindernis erlaubte , dahin zurúc zu
kehren , wo er her gekommen war, fo grif er den geiſtlis
chen Richtern gar nicht ins Amt, ſondern bediente fich ſeis
nes föniglichen Rechts , von der Strafe zu diſpenſiren ,
die er als weltlicher Richter zu erkennen und zu vollziehen
batte , ' und erfüllte damit die gethane Zuſage. Wie viel
redlicher und der Würde des Kaiſers angemeſſener war das
Betragen Karls V. in einem ähnlichen Fall , welches auch
Royko Th. I S. 26 dem Verhalten des Kaiſers Sigis
mund entgegen reßt. Und gleichwohl hatte ( uther, dem
der Kaiſer ſein Wort zu halten ſich ſchuldig hielt , von den
Lehrfäßen der romijden Kirche rich viel weiter entfernt, als
Huß. Schmidt hat die merkwürdige Antwort, welche
Kari V. hierüber gab, bei der Erzählung deſſen , was auf
1
dem Reichstag zu Worms vorfiel, im fünften Theil ſeiner
Geſchichte ganz mit Stiaſchweigen übergangen . Das iſt
nicht die Weiſe eines aufrichtigen und treuen Geſchichtſchrei:
bers. Schmidt ſagt ferner : weder das Concilium noch
Sigismund håtten den Huß zum Feuer verdammt , fon
dern durch die allgemeinen damaligen Rechte ſei die Senteng
ohnehin ſchon gefáat geweſen ; und der Søwabenſpiegel
fage ſchon , daß denjenigen Fürſten, welche einen Keßet
nicht verbrennen würden, das nemliche wiederfahren lode.
Uber muſte denn das Concilium den Huß nicht erſt durch
ihre Sentenz für einen Keßer erklären ? Und wenn dieſes
pon Den þeiligen Båtern geſchabe, iſt es nicht ein elender
Behelf , zu ſagen , ſie hätten ihn nicht zum Feuer ver
pammt? Wie aber, wenn nun Huß nach unpartheiiſcher
Unterſuchung mitUnrechtfür einen Keßer gehalten wurde ?
Dieſes Hat Royko durch Vergleichung ſeiner Meynung ,
mit den Grundråßen der katholiſchen Kirche , wie wir
foon bemerkt haben , aufs überzeugendſte dargethan.
RBir empfehlen zur Probe vorzüglich die Unterſuchung,
ppelche der Verfaſſer úber Hufrens.lehre von der Koms
munion
und Schriften 339
munion unter beiderlei Geſtalt TH. 2. S. 190 folg:
angeſtellt hat,
Um des V. Freimuthigkeit zu charakteriſiren , müſſen
112 wir wenigſtens noch etwas anführen . Huß und andere
hatten nach Th. 2. S.96 und 132 gelehrt, daß der Ehs
renname Sanctiſfimus , Allerheiligſter , nur Chriſto ,
und nicht den Biſchoffen yon Rom gebühre, die ſich den
felben ſeit einiger Zeit angemaßt fåtten , weil ſie ſeine
Statthalter waren ; welches aber eben ſo ungereimt wäre,
als wenn die Statthalter einesKönigs , auch wie er, fich
den Majeftatstitel anmaſſen wolten .' Ferner ſei auch das
pábſtliche Fußfüſſen verwerflids, weil es von Seiten deſſen,
der es thate , eine niederträchtige Schmeichelei und blinden
aberglaubiſden Andachtseifer , von Seiten des Pabites
aber eine übertriebene Eitelkeit und Stolz verrjethe , der
Ei
ſich für niemand weniger , als für den Nachfolger des
demüthigen Petrus ſchicke, Ronko giebt beiden Bemers
fungen ſeinen herzlichen Beifall , und reßt hinzu : daß
Ceremoniel des Fußfuffes rei bereits faft gånzlich in üb
gang gekommen ; ohne Zweifel mógten dię aufgeklärten
Zeiten , in denen wir leben , zum Ungebrauch dieſes los
wohl aufſerft hochmuthigen als ? Ceremos
18. ge n
niels , das meiſte beigetra har ben ; der jeßige Pabſt,
Pius VI , ein überaus teutſelige Herr , habe ſich beifeiner
34 Reiſe nach Wien , nur meiſtens ſeine Hand , d, i, dex
PL h füffen laſſen - obſchon fie und da
feidenen Handſchúſuſe
einige Pantof fe lf mit untergelaufen våren . Die Eins
führ u n g des Keße ichts , ſo wie das ganze Verfaþren.
rg er
‫ܐ‬ nad den 25 Artikeln , welche auf dem Concilio zu Nar:
bonne im Jahr 1235. feſtgeſtellt ſind , uno worauf fic
das Concilium zu Koſtniß, als auf ein Kirchengeſek bezog,
nennt der V. eine ſcheufliche Erfindung der Hölle, die
unſere billigſte Verabſcheuung rege mache, Th. 2. S.
156. Mit dem Namen Keßer habe man alle diejenigen
belegte
1

340 XI. Anzeigen neuer Bücher


belegt, welche Roms übermäfige Oberherrſchaft beſtritten,
und die in der Kirche obwaltenden Mißbrauche aufgehoben
wiſſen wollten. Was übrigens der gutherzige Perfaſſer
S. 203 von der ſtarken Hofnung einer nahen Vereinigung
der getrennten Kirchen mit ſo vieler Warme ſchreibt, múſ
fen wir auf ſich beruhen laſſen. Wir wollen'unſern Leſern
noch eine Anmerkung,mittheilen , welche der V. am Ende
1 des zweiten Theilß macht : -„ Johann XXIII . ein Mann,
‫رو‬ der alter möglichen (after und Miſſethaten Halber nicht
» nur angeklagt , ſondern auch rechtlich überwieſen war,
( S. des Iſten Theils dieſer Geſchichte J. 34. und 36. )
» Jatweiternichts als Ehrenſtellen verloren ; er ward ſogar
w im Jahr 1419 , nachdem er zuvor vom Pabſt Martin
» feine Freiheit mit 30000 Dukaten erkauft hatte, Des
dant des Cardinalcolegii. Hingegen Huß , der von
» ſeinem ehrbaren unſtråflichen Lebenswandel die unver :
sy werflichſten Zeugniſſe ſelbſt von ſeinen árgſten Feinden
, hatte , und dem man nichts anders zurlaſt legen konnte,
ald Höchſtens, daß er etwan falſche Schlüſſegemacht haben
mógte , mußte zum Feuer verdammt werden. Man
könnte über dieſe verſchiedenen Urtheile des Concilii viele,
und zwar wichtige Gloſſen machen ; ich felbft-wußte
davon einige, doch ich úberlaſſe ſie meinen -bigig denken
den Leſern -- feufje nur noch einmal über den zu Koſtniß
29 verbrannten Huß und ſchlieſſe den zweiten Theil
dieſer Geſchichte.

Der dritte Sheil Tod nad des Verfaffers Plan vor:


güglich die Erzählungvon der Hinrichtung des Hierony
mus von Prag zum Inhalt haben ; und wir ſehen dem
ſelben mit Verlangen entgegen .

!
Die Schreibart des Perf. ift , einige Provincialauss
./
drůde und Wortfúgungen abgerechnet, ganz flieffend und
angenehm zu leſen . Doch fanden wir zu unſerer Verwuns
7
derung !
und Schriften . 341
M derung , daß dem vorſichtigen Verfaffer S. 1oz einmal
etwas von einem Gottesmorde entwiſcht war , welches
et ſelbſt dem aufgeklärteren Theile ſeiner Glaubensgenoſſen
118 nicht gefalen wird.

Noch können wir nicht unbemerkt laſſen , daß , nach


andern gelehrten Nachrichten , der Verfaſſer vom Kaiſer,
2 zur Belohnung ſeiner gründlichen und auf Vertheidigung
der Wahrheit und unſchuld abzielenden Arbeit , bei der
El Univerſitát zu Prag in eben die Stelle iſt zum Profeſſor
eingefeßt worden , welche der unglückliche Huß einſtens
FAI bekleidet hat.
n .

7 3.
>
D. Caroli Guilielmi Robert, juris atque philofo
It
phiæ moralis in academia Marpurgica Pro
feſſoris ordinarii atque ordinis juridici Ar
ſefforis fuccincta explicatio diſtinctionis
inter Sacrilegium fimplex et qualificatum ad
illuftrandum art. 172 et 174. C. C. C.
21 Marpurgi , ap. Kriegerum jun. 1784. 2
Bogen in 4.
Mit dieſer Einladungsſchrift kündigt der Herr Verf.
feine Sommervorleſungen an . Da der eigentlich ſoges
to nannte Kirchenraub in der That nichts anders , als eiue
TW beſondere Gattung des Diebſtahls iſt , ſo zaben , wie
m mehrere Lehrer des peinlichen Rechts bemerken , auch die
Eintheilungen des leßtern Verbrechens bei erſterem ſtatt.
Der V. zeigt aber inſonderheit die Anwendung der Dis
ftinction vom furto - fimplici und qualificato auf das
Sacrilegium mit vieler Beſtimmtheit und Deutlichkeit.
NKY In Erklárung des furti qualificati tritt er der allerdings
gegrün
342 XI. Anzeigen neuer Bücher.
gegründeteren Meynung derer Rechtsgelehrtën bei , welche
folches vom gefährlichen Diebſtahl unterſcjeiden , und
dieſes nur für eine Gattung von jenem anſeßen .

Schreiben eines Elbingers an den ſogenannten reifen


den Weltbürger , die Sr. Königl. Majeſtåt
von Preuſſen von der Stadt Danzig über die
Weichſel- Schiffahrt ertegte Streitigkeit betref
fend. Herausgegeben , mit einer Einleitung ,
von Chriſtian Wilhelm Dohm. Berlin , bei
Mylius. 1784. iri 80
Wenn Wichtigkeit und Neuheit des Gegenſtandes ,
ſamt Ordnung undKlarheit in Behandlung deſſelben einer
Schrift zur Empfehlung gereichen , ſo verdient die Einleis
tung des Hrn D. gewiß als ein Meiſterſtuck in ſeiner Art
empfohlen zu werden. Auch der gemåfigte ruhige Jon,
der nur die Folge einer tiefen Ueberzeugung von der Ges®
rechtigkeit der Sache iſt, welche man vertheidigt , den aber
nur wenig Schriftſteller einer Partie behaupten , weil ſie
felten in den Schranken der Bidigkeit, ſich zu erhalten wir
ſen , macht das Leſen dieſer rechtlichen Ausführung anges
nehm , belehrend, und nöthigt jedem Unbefangenen Zu:
ſtimmung ab. Keine andere, die gegenwärtige Streitig
keit des Königl. Preuſſiſchen Hofes mit der Stadt Danzig
betreffende Schrift giebt fo lichtvollen Unterricht von dem
eigentlichen Gegenſtande des Streits und den Thatſachen ,
wodurch derſelbe veranlaßt worden iſt , als die Darſtellung
des V. dieſer Einleitung. Jeder , der nur einige Auf
merffamkeit anwenden will , kann auch ohne große rechts
liche und hiſtoriſche Kenntniffe, feineBegriffe von der wah
ren Lage der Sache daraus deutlich machen und ſeine Urs
theile berichtigen . Das Factum ift kürzlich dieſes:
Die
und Schriften . 343
Die feit 1772. unter preuffiſcher Hoheit ſtehenden
10 Stådte , Alt- und Neu -Schottland , Stolzenberg ,
Schidlik und Langfuhr, ſo wie rámtliche ſeewärts wohs
nende oder durch das Danziger Gebiet von der Weichſel
getrennten königlichen Unterthanen , können einen Theil
ihrer Bedürfniſſe nur aus Danzig , oder aus dem inneren
Preuſſen erhalten , weil ihr eigener Boden und das bez
nachbarte Pommeređen nicht ſo viel hervorbringt, als zu
ifrer Conſumtion erforderlich iſt. Von jeher , Tomohl
unter polniſmer als preuſfiſcher Sperrſdaft , wurden dieſe
Bedürfniſſe den Einwohnern gedachter Städte zum Theil
团 auf der Weichſel zugeführt, und theils beym Gånſekruge
ausgeladen , theils beym Danziger Blockhauſe ungehindert
vorbei bis Schellmühle geführt. Auch noch im Jahr 1783.
nahm dieſeSchiffahrt bei wieder eröfnetem Waſſer ſogleich
ihren gewöhnlichen Anfang, und wahrte bis zum 25 ten
Úpril ruhig fort. An dieſem Tage aber wurden zum
erſtenmale zwei Getraideführer aus dem Marienburger
1 Werder , welche nach Schedmühle wollten , auf offener .

Weichſel von Danziger Zodbevienten angehalten , und ges


nöthigt , ihre Ladung in Danzig zu verkaufen. Einer von
il ihnen , welcher ſich deſſen weigerte, wurde gleichwohl, auf
Beſchwerde des preuſſiſchen Reſidenten , wieder freigelaſſen,
um ſeine Fahrt nach Schellmühle fortzuſeßen ; wobei der
Práfiderit und erſte Burgermeiſter von Danzig erklärte,
daß dieſes Anhalten ogne ſeinen Befehl oder Veranlaſſung
geſchehen rei. Auch der Magiſtrat ſuchte die Handlung
11 nur dadurch zu entſchuldigen , daß es nicht erlaubt ſei ,
im Danziger Gebiet Getraide aufzukaufen ; wogegen aber
der preuſſiſche Reſident erwiederte , daß dieſes Getraide
Támtlich aus dem Marienburger Werder komme. Obgleich
der Magiſtrat hierdurch ſelbſt zu erkennen gab , daß der
vorige Arreſt unbefugt geweſen , ſo wurde dennoch gleich
darauf ohnweit des Ganſefrugs eine Wachtbude errichtet,
und mit 13.Mann verſehen , welche nun alle preuſſiſde
ффiffe
344 XI. Anzeigen neuer Bücher
Schiffe anhielteit , und ihre {adung auf dem Danziger
Markte zu verkaufen zwangen , oder ſie mit Arreſt belegten.
Doch auch hierin war das Verfahren fich felbft wider
ſprechend , indem bald arreſtirt, bald wieder losgelaſſen
wurde. 'Indeſſen wurde doch dadurch der Handel zwiſchen
denen durch das Danziger Gebiet getrennten preuſſiſchen
Unterthanen , auf eine gewaltthårige Art unterbrochen ,
und dieſe dadurch veranlaßt, beym Könige Schuß und
Hülfe zu ſuchen , weilihre ganze Subſiſtenz dabei in Sea
fahr fam . ' Ineinem Schreiben vom 2oten Junius that
Hierauf das königliche Kabinetsminiſterium dem Danziger
Magiſtrat hiergegen Vorſtellung , und fragte , was die
Stadt bei dieſer Neuerung vor einen Endzweck habe , und
wie ſie ſelbige ohne rechtlichen Grund zu behaupten ſich ges
traue. Die Antwort des leßtern enthielt lauter Klagen ,
welche mit dem Hauptgegenſtande keine Verbindung hatten.
Uuf ein zweites Schreiben des Rabinetsminiſteriums vom
24ten Julius , antwortete der Danziger Magiſtrat den
jiten Auguſt endlicy : daß die Natur der Sache es ſo
mit fich bringe, daß am Ausfluß der Weichſel, wo zwei
Handlungsplåge nicht nebeneinander beſtehen könnten,
der Stadt Danzig dieHandlung allein zukommen můſſe.
Er verband aber damit eine andere hiſtoriſch richtige, aber
den erſten Saß aufhebende Behauptung, daß viele olů:
hende Handlungsſtådte der preuſſiſchen Lande in jeder
Zeitperiode eine ungeſtörte Communication durch das
Gebiet der Stadt zu Lande und auf der Weichſel ge
habt hätten . Indefien fuhr der Magiſtrat fort , dieſe
mit ausdrücklichen Worten von ihm eingeſtandene freie
Coinmunication bei jeder Gelegenheit zu unterbrechen.
Auch wurde zu Unterſtüßung dieſes Berfahrens das Dan
ziger Blockhaus den gten Auguſt mit einem Offizier und
26 Grenadier , und bald nachher init Kanonen befeßt.
Nun erfolgten Repreſalien von preuſſiſcher Seite , welche
darin beſtanden , daß anfánglich unterhalb der Stadt beide
ufer
und Schriften. 345
ufer auf königlichem Gebiete mit einem Kommando beſeißt
7. wurde , um die Danziger Schiffe anhalten oder abweiſen
IS
zu laſſen ; im September aber wurde auch oberhalb der
EN Stadt die Weichſelfahrt ſamt der Zufuhr von der Lands
feite geſperrt. Jedoch geſchahe dieſes unter wiederholter
2 Aufforderung an den Danziger Magiſtrat, die freie Schife
11 fahrt wenigſtens bis zu ausgemachter Sache zu geſtatten ;
welche aber unter Ausübung neuer Gewaitthårigkeiten von
Seiten der Stadt jedesmal abgeſchlagen wurden ; nicht zu
01 gedenken , daß máhrend dieſer Zeit mehrere königliche uns
21 terthanen , auch angeſehene Militär- und Civilbediente
he vom Danziger PÅbel aufs grobſte beleidigt wurden , ohne
-> daß es der Magiſtrat gehindert , oder die Schuldigen bes
ſtraft þåtte. Der König ſahe,fich alſo gezwungen , am
17. October einige Truppen in das Danziger Gebiet rús
cken , und die Stadt von der Land- und Waſſerſeite ſtrenge
einſchlieſſen zu laſſen . Nun erſt ſchlug der Danziger Magis
11 ftrat ein Interimiſticum vor , aber gerade auf die zwei
Monate November und December, in denen die Natur
114 ſelbſt den Danzigern ſo gut als den Preuſſen die Weichſels
My fartß unterſagt. Zu gleicher Zeit wandte ſich die Stadt !

50 an verſchiedene freinde Höfe , inſonderheit an Rußland.


04 Die Kaiſerin bot ihre Mediation an , welche von preuſſis
i (der Seite auch angenommen wurde. In derſelben wurde
von der Kaiſerin darauf angetragen , daß eine interimiſtis
178 ( che uneingeſchränkte Freiheit der Schiffahrt gegen Aufges
bung der Blockade geſtattet werden muſe; und ebendahin
fe gieng auch die Willensmeinung des Königs von Polen.
# Darin willigte nun zwar die Stadt Danzig den 10. Jan.
201 1784 ; aber ihre Erklärung enthielt dabei eine fünffache
7 Reſtriction. Preuffiſcher Seits wurde hierauf dennoch die
Blockade den 22. Jan. aufgehoben ; jedoch ergieng zugleich
an den Magiſtrat von Danzig die Erklärung, daß wenn die
Stadt nicht vor Eröfnung der Weidfelſchiffahrt zu Aners
kennung der gerechten Forderung, und Abſchlieſſung eines
*** Seff Beier. St.II. ,
346 XI . Unzeigen neuer Bücher
bilgen Vergleichs ſich widig und bereit zeigte , alsdann der
Kinig zu Erhaltung ſeiner Unterthanen und Behauptung
feiner Gerechtſame, ſich genöthigt ſehen würde , die Res
preffalien zu erneuern , und noch weit ſchärfer ausüben zu
1
laſſen . Die weitere Unterhandlung iſt hierauf nach Wars
ſchau verlegt , und der Verfolg dieſer Sache iſt von daher
zu erwarten .
1

Dieſes iſt fürzlid die Geſchichtserzählung , aus wel


cher ſich ſchon ſowohl die Anſprüche der Stadt Danzig , als
auch die denſelben entgegenſtehende Gründe abnehmen lara
Ten . In unſehung der weitern Auseinanderſeßung derſela
ben , müſſen wir auf die gründliche Erörterung des H. V.
ſelbſt verweiſen .

Das nach derſelben folgende Schreiberi eines Elbins


gers iſt eineWiderlegung der unpartheiiſchen Anmerkun
gen eines Weltbürgers , die jezigen Widerwertigkeiten
der Stadt Danzig betreffend, denen der Elbinger in ſeinem
Schreiben auch Sdyritt vor Scritt folgt. Wir müſſen der
Kürze halben die Einſicht davon unſernlefern ſelbſt überlaſſen.
5
Tabula genealogico : chronologica imperatorum ro
manorum et regum Germaniæ , a Carolo
Magno usque ad Jofephum II. I Bogen.
Unter dieſer Aufſchrift hat Sjerr Profeffor Runde zu
Caffel für ſeine Zuhörer in der Reichshiſtorie eine ſehr bequem
eingerichtete Tabelle abdrucken laſſen ; aufwelcher ſich die Ges
ſchlechts- und Regierungsfolge der teutſchen Kaiſer und
Könige, und der daraus entſtehende Zuſammenhang der
ganzen teutſchen Geſchichte mit einem Blick überſeben láßt.
7. D.
6, Benes
i
1
und Schriften . 347 1

6.
19
B Benedikt von Spinoja ; nach Leben und Lehren , von
ju H. F. Diez. Deſſau und Leipzig , in der Buchs
a handlung der Gelehrten , 1783. $6 Seiten in 8.
78 Uus Baylens Wörterbuche und Solers Leben des
Spinoza ſind die Lebensumſtände zuſammengetragen , und
mit Reflexionen durchwebt, ſo daß ſie mit Vergnügen fics
2
leſen laſſen . In Anſehung der Lehren befriedigt der Verf.
weniger ; rowohl weil er deren Gründe nicht berührt , als
auch weil er den Hauptſaß von der Einzigen Subſtanz nicht
ganz gefaßt zu haben ideint. An einem Orte ſagt er ,
Spinoza rechne die ganze Welt zur göttlichen Subſtanzi
und Hebe allen Unterſdied zwiſchen Gottheit und Welt ; an
einem andern aber , Spinoza's Gott ſei nichts , als der
alten Philofophen Weltfeele. Beides beſteht nicht mit
01
einander i die eine Weltſeele annehmen , unterſcheiden
zwiſchen ihr und der Materié, und ſind nicht für Einzigkeit
der Subſtanz. Der dem Spinoza gemachte Vorrvurf der
24
en
Dunkelheit ; urtheilt'er, treffe ihn nicht, dieſe ſei blos res
lativ ; und daher , daß Spinoza fich zu ſehr in ſein Syſtem
hineingedacht, um auf alle Seiten hinlängliches Licht zu
werfen. Udein erwagt man , daß Benedikt von mehreren
FO
Menſchen von verſaziedenen Körpern , als Subſtanzen
Jo ſpricht, und dann doch dies alles nur zu einer Subſtanz
macht : To kann man nicht um hin , dieſe Dunkelheit tiefer
liegend zu finden , da vo.Hehmlich Spinozå fich nicht dara
해 auf einläßt, dieſe Vorſtellungen mit einander zu vereinbas
20
ren , die auch der gemeine Verſtand brim erſten Blicfe uns
Se vereinbar glaubt. ' Benedikts Verdienſte um die Philoſos
phie werden höher angeſchlagen , als ſie unſers Ermeſſens S

Da Toaten ; wir wenigſtens rúſteni nicht die Begriffe genauer


HU
entwickelt, richtiger beſtimmt, als vorher , bei ihm anges
troffen zu haben. Der Saß von der einzigen Subſtang
erfordert zur Bemerkung nicht eben ſehr hohen Grad von
32 Genie,
348 XI. Anzeigen neuer Bücher
Genie, er lag , wie auch Leibniß fagte, ſchon in Desa
kartes zweideutiger Definition der Subſtanz. Von
Spinofens Aufhebung aller geiſtiger Subſtanz nimmt der
Verf. Gelegenheit die Entſtehung des Begriffes vom Geiſte,
der leerſten Idee , die je in eines Menſchen Kopf gekommen
iſt , zu erklären. ' Ueber einen Begriff, der ſo viele ,-und
an Gewicht die entgegengeſeßte übertreffende Beweiſe für
fich , unter den Philoſophen die größten auf ſeiner Seite
Kat ; Toate man doch wohl nicht ſo diktatoriſch, und noch
dazu vhne beigebrachte Belege, aburtheilen. Sympathetis
ſches Gefühl erzeugte den Wunſch , geliebte Perſonen , die
abweſend , oder verſtorben find , neben ſich zu wiſſen ;
Wunſch ward Leidenſchaft , Leidenſchaft erhißte die Phans
taſie , und dieſe ſchuf Leben nach dem Tode , und Geiſter .
Ganz anders aber ſpricht die Geſchichte der Menſchheit,
wenn ſie uns auch bei den roheſten Völkern Geiſter zeigt;
und dabei zugleich die Bemerkung darbietet , daß der robe
Menſch am meiſten anthropomorphoſierte , überall fich
ähnliche denkende, wođende Weſen findet ; und vermoge
der Träume , die er für Wirklichkeiten hålt , auf den Ges
danken kommt, daß ſeine Seele alsdann entfernte Reiſen
machte , wodurch bei ihm der Gedanke von Unterſchied
zwiſchen Leib und Seele , von der leßtern ſubtilem Weſen ,
und von der Regierung der Dinge durch Geiſter erwachſt.
7.
Verſuchter Beweis von der Nothwendigkeit des Uebels
und der Schmerzen bei fühlenden und vernünf
tigen Geſchöpfen , von Pleſſing. Deſſau
und Leipzig , in der Buchhandlung der Gelehrten ,
1783. 210 Seiten in gvo.
Die Frage iſt nicht in ihrem ganzen Umfange gefaßt,
Daher die Aufldſung auch nicht ſo befriedigend als ſie fonte,
und der Verf, ſie glaubt, Ueber einzelne Punkte kommen
foarf

1
und Schriften. 349
ſcharfſinnige Bemerkungen vor , woraus aber doch das
alles nicht folgt, was der Verf. daraus hergeleitet zu has
I
ben glaubt. Gott, ſagt er , habe die Welt nicht voukom
- mener machen können, weil kein Ding einen höhern Grad
1
von VollkommenheitHabenkann , alsdazu in der Natur
ſeines Weſens die Beſtimmung liegt. Aber konnte Gott
nicht, ſtatt der jezt vorhandenen , Dinge mit andern und
voukommenern Weſen Tchaffen ? Nicht manche Dinge
von fehr unvollkommenem Weſen , aus der Reihe der Eris
ſtenzen ganz weglaſſen ? Das beweißt alſo nur, daß uns
ter der Vorausſeßung von Erſchaffung der jezt vorhandes 基V

nen Weſen , ſie nicht vollkommener ſeyn konnten. Aber


auch das nicht einmal in ganzem Umfange ; im Weſen
der Dinge liegt nur Möglichkeit von Unvoukommenheit,
konnte dem ungeachtet nicht noch die Wirklichkeit gehindert
werden ? Als Weſen von ſehr eingeſchränktem Verſtande
kann ich irren ; ließ ſich aber nicht der wirkliche Frrthum
dennoch verjúten ? oder wenn nicht ganz verhüten , doch
wenigſtens vermindern ? So etwas Tibeint der Verf.
auch gefühlt zu haben , denn er feßt dem, der fich etwa
EM auf unmittelbare Wirkung der udmacht berufen ſollte,
das Uebel abzuhalten, den Saß entgegen , daß dies durch
aus nicht möglich ſei ; in deſſen Beweiſe aber er in den
metaphyſiſchen Begriffen einen Fehlgriff gethan hat. Nicht
da ſeiende Dinge , meint er , reyn aud unmögliche, weil
ſie nicht zu dem ud gehören können , welches die Eriſtenzen
aller Dinge in ſich begreift ; und ſie können nicht dazu
3 gehören , weil ſie ihrem Daleyn widerſprechen . Die Folge
20
ſehen wir nicht, wohl aber Verwedsſelung der Begriffe
31
von innerer und auſſerer Möglichkeit. Zwar wird zur Uns
terſtüßung angeführt , nur Erfahrung ſei der Prüfſtein
von Möglichkeit und Unmöglichkeit, und nur nach dem ,
was dieſe uns als verbunden oder nicht verbunden gezeigt
64 habe , lafie fich beurtheilen , was feyn oder nicht ſeyn
fónne; adein das giebt doch immer nichts mehr als äuſſere,
33 ober
350 XI. Anzeigen neuer Bücher
oder bedingte Unmöglichkeit, oder Möglichkeit , und reicht
noch bei weitem nicht hin , den alten Streit über den Uns
terſchied zwiſchen dieſer und der abſoluten zu entſcheiden ,
In der That iſt auch dieſe des Buches ſchwachſte Seite.
Der Verf. wendet fich nun zum Beweiſe, daß fühlende
und vernünftige Geſchöpfe unmöglich von allem Unanges
nelmen frei ſeyn können , und hier gelingt es ihm in einis
gen Stücken beſſer, Empfindung reßt Veränderung des
Zuſtandes voraus , und dieſe iſt für uns entweder anges
nehm oder unangenehm , ganz gleichgültige Empfindungen
giebt es nicht, weil das Nüfliche und Schadliche den
Grund aller Empfindung enthalten ; und weil bei jeder
Empfindung allemal ein Uebergang aus einein vorherges
henden Zuſtande in den folgenden vorkommt , durch den
ſie nicht umhin kann angenehm oder unangenehm zu wer
den. Hier war der Verf. auf dem rechten Wege , wobei
er aber das Ziel wiederum verfehlte , weil er ſeinem Saß
zuviel Udgemeinheit gab. Von uns Menſchen låßt fich
der Schlußiap bald darthun ; von allem fehlenden und
vernünftigen Weſen nicht ſo leicht , wenigſtens aus den
angenommenen Vorderraßen nicht. Zuerſt iſt nicht ers
wieſen , daß wo Gefühl iſt, auch allemal Verſchiedenheit
der Gegenſtande ſeyn muß ; fann nicht auch einerlei Sina
druck ununterbrochen gefühlt werden ? (aß aber auc
Verſchiedenheit der Gegenjtánde ſtatt haben ; folgt denn
daraus unvermeidlic) Daleyn des Uebelo , und eines fol
dhen , worüber man jezt vorzüglich klagt ? Gefeßt die Ein
drücke folgen ſo , daß ein angenehmer ſtets einen noch
angenehmern nach ſich ziehe; würden wir dann Urſache
haben uns zu beklagen ? Warum múffen durchaus die
Zuſtande aus dem Beſſern in das Salimmere wechſeln ?
Über auch dieſen Wechſel noch zugeftanden , könnte doch
wohl, das Uebel geringer ſeyn. Ganz etwas anders iſt
es doch , nach einer angenehmen Muſik eine weniger anges
megme, als nach ihr das Gebeul der Kaßen fören ; gang
etwas
und Schriften. 351
etwas anders etwas weniger angenehmes , und etwas
1
ſchmerzhaftes empfinden. Konnten alſo gleich nicht alle
unangenehme Eindrücke vermieden ; ſo konnten doch wohl
1 die ſchmerzhaften weggelaſſen , und dadurch die Uebel ver
mindert werden . Der Verf. unterſcheidet nicht Empfins
6
dungen , die an ſich unangenehm ſind , und ſolche, die es
durch Beziehung auf vorhergegangene werden , mithin folgt
auch aus der Behauptung von Unmöglichkeit gleichgültiger
Empfindungen nicht, was er daraus abzuleiten glaubt.
1 Wir wollen den Verf. bitten , die Frage noch einmal genau
durchzudenken und dabei genau zu unterſcheiden , wie viel
Uebel im Weſen jezt eriſtirender Dinge nothwendig liegt ;
wie viel derſelben nothwendig bleiben mußte , wenn dieſe
Dinge in gegenwärtigem Syſteme zum Daſeyn gelangen '
fouten ; und zuleßt warum gerade dies Syſtein dennoch
den Vorzug verdiente ?
8.

Abhandlungüber die menſchliche Pflichten in drei Bůs


chern, aus dem lateiniſchen des M. T. Cicero
überſézt' von Chriſtian Garve. Breslau bei
Wilh. Gottl. Forn , 1783. in 8. , 294 Seiten
der Tert. Philoſophiſche Anmerkungen und Ab
handlungen zu Cicero's Büchern von den Pflich
ten ; zum erſten Bud 328 , zum andern 244 , zum
dritten 282 Seiten .
Obgleich der Verf. in der Vorrede von Cicero's Schreibs
art annimmt , fie ermangele der Originalitat , und dem
gemás als Grundſaß der Ueberſegung feftfeßt, die Ideen To
vorzutragen , daß ſie auf den teutſchen Leſer eine gleiche 6

Wirkung thun , als die lateiniſch ausgedruckten der Ur


(chrift auf die Rómer gethan haben : ſo hat ſich doch in die
Ueberſeßung mehr vom Ciceronianiſchen Geiſte ergoſſen ,
als man dieſem nach erwarten fonte. Reiner unter allen
3 4 uns
352 XI. Anzeigen neuer Bücher
uns übrig gebliebenen Römern þat Cicero's Schreibart; fie
iſt alſo nicht ohne Eigenheiten und Driginalitåt , obgleich
ohne auffallende Beſonderheiten und alles Geſuchte. Die
Rundung und gute Artikulation der Cerioden , das überad
Geſchloſſene, findet man in der Ueberſeßung mit Vergnügen
wieder , nur die langen Perioden , welche Sicero aus der
Redekunſt auch in philoſophiſche Abhandlungen gern übers
trågt , und ein Stück ſeines Charakters ausmachen , finden
wir gewöhnlich in mehrere zerlegt. Freilich liebt unſre ,
vornehmlich die philoſophiſche Sprache , lange Perioden
nicht, aber ſie erträgt ſie doch; und bei andern Schriftſtela
lern liebt ſie auch die lateiniſche nicht. Sebr glücklich weiß
der V. lateiniſche Wendungen mit teutſchen zu vertauſchen ,
und dadurch ſeiner Arbeit das Anſehen vom Original zu ges
ben , dabei aber begegnet ihm zuweilen , etwas zu ſehr ins
paraphraſtiſche zu fallen . Auch wünſchten wir an verſchies
denen Stellen den Sinn genauer ausgedruckt. Das alles
aber hindert die Ueberſekung nicht , Muſter in ihrer Art,
und den jezt ſo zahlreich emporſproſſenden Ueberſegern der
Alten zum Studium und zur Nachahmung vorzüglich ems
pfehlenswertý zu ſeyn .
Was man von den Anmerkungen zu erwarten hat ,
dafür búrgt des V. Name hinlänglich. Wir wollen , des
Leſers Begierde zu reizen , das Vornehmſte des Inhalts kurz
anführen , und hie und da eine Bemerkung mit einſchieben .
Zuerſt wird Cicero's Werk ſelbſt ſehr richtig charakteriſiert,
zugleich auch , warum es ſolche Mängel und Jugenden hat,
aus ſeines V. (eben befriedigend erklärt. Das xoInxov und
xalopfweis wird aus ſtoiſchen Begriffen richtig erklärt, dabei
zugleich das Wahre vom Falſchen in dieſen Begriffen ſcharf
finnig geſondert. Die vier Cardinaltugenden der Stoiker
werden aus Gründen , beſſer denn die ihrigen , und weit
tiefer aus der Natur der Sache geſchöpft, in ihren Rechten
beſtåtigt; auf die dabei entſtehende Scwierigkeit, wenn
die
und Schriften . 353
&
die Tugend blos in Geiſteseigenſchaften beſteht, dieſe aber
2x
auf Naturanlagen ſich gründen, ſo ſcheinen ja alle Tugens
den ohne Verdienſt zu ſeyn , blos aus der Organiſation ,
oder der natürlichen Anlage hervorzuquellen ; antwortet der
V. , er miſle fie zwar nicht zu şeben , indeß ſei doch die Bes
det hauptung wahr , auch müſſe zu den Maturanlagen Bears
beitung pinzutreten. Sollte hier nicht folgendes genügen ?
den Die Anlagen alein entwickeln ſich durch ſich ſelbſt nicht volla
TL koinmen , es muß innere Selbſtthätigkeit, innerer freier
Den Entſchluß dazu kommen ; die Anlagen ferner find biegſam,
16
dieſelbe natürlicheDiſpoſition zur Tapferkeit, kann in einem
2 zur wilden Todkühnheit, im andern zum wahren Muthe
entwickelt werden. In ſofern alſo iſt bei der Tugend , bes
trachtet als Seelenbeſchaffenheit , allerdings Verdienſt.
Es bleibt noch blos die feine ſpekulative Frage zurück, dieſer
Entſdluß, dieſe innere Selbſtthåtigkeit, in wiefern ents
3 ſpringen ſie rein von jenem ? in wiefern durch Zuſammens
4 fluß auſerer Umſtände ? Hierauf erklärt zwar jezt der V.
AI die Antwort unmöglich, dem gemás , was er auch anders
wu darüber angemerkt hat ; mir glauben aber doch, es laffe,
fich eine geben , die aber hier zu viel Raum wegnehmen
würde. Eben das oben Berührte ſagt auch der V. bald
darauf in der Anmerkung über die Klugheit , wobei zus
gleich das zu dieſer Jugend gehörige weiter und bündiger,
1 als beim Cicero, auseinander geſeßt wird. Dieſer betrach
tet die Klugheit zu ſehr als Wiſſenſ@ aft und Spekulation,
I unſer V.aber zieht ſie mehr in das handelnde Leben ; ſcheint
aber dabei auf den Unterſchied zwiſchen allgemeiner Klugs ,
Heit , deren Aufgabe iſt, zu gegebenen Abſichten die ſchick
lichſten Mittel zu finden, und der beſondern Klugheit des
Sebens , der Anwendung dieſer allgemeinen Theorie, nicht
genug zu achten. Bei der Gerechtigkeit merkt der V. an,
unſere Abſonderung der Pflichten der Gerechtigkeit, welche
das Naturrecht ausmachen , von den Pflichten der Wohls
thåtigkeit habe keinen Grund in den Sachen, es ſei eine Tus
3 5 gendo
354 XI. Anzeigen neuer Blicher
ģend, welchedenMenſchen gerechtund wohlthätig mache.
Atein ein anders iſt doch wohl gerecht ſeyn , weilman'die
Menſchen liebt , ein anders , weil man ſie fürchtet. Von
Menſchenliebe iſt wohl im Naturrecht nach engerm
Sinne die Rede nicht. Auch iſt wohl Nußen der Geſell
ſchaft nicht Quel der Ztvangspflichten , ſonſt můſte es deren
weit mehr geben , wie es denn auch in gewißen Standen
und Regierungsformen mehrere giebt, als nach dem Nas'
turrechte dafür erkannt werden. Sondern freiwillige Eins
fchränkung ſeiner Freiheit und Begebung ſeiner ſonſtigen
Rechte, weshalb auch in keinem Falle Zwang rechtináſig
ift, als wo man ſelbſt ſeine Freiheit fich genommen ; nebſt
dem auch Aufrechthaltung und Behauptung des eigenen
und durch und ſelbſt zu beſtimmenden Gebrauchs unſerer
Kräfte u . f. w. Uus erſterm folgt die Verbindlichkeit der
Perſprechen und förmlichen Zuſagen von ſelbſt, ich, als
Herr meiner vorzunehmenden Verrichtungen , indem ich ſie
andern zuſage, thue nichts anders dadurch , als wenn ich
ihm ein Stück meines Eigenthums zum Geſchenk mache,
welches mir hernac, zurück zu nehmen nicht mehr vergónnt
ift. Freilich hat der aus dem Nichterfügen des Verſpres
chens eripachſende Nachtheil, woraus allein der Verf.
die rechtskräftige Verbindlichkeit des Verſprechens ableitet,
Einfluß, in ſo fern nicht bei allen Zuſagen gleich ſtrenge
die Erfülung verlangt wird , allein er begründet nicht die
ganze Verpflichtung, ſonſt würde Nichthalten geringfügis
ger auch ſcherzhafter Zuſagen nicht unwillen erregen, und
uns ein Recht geben , den Leichtſinnigen mit einem Ver
weiſe zu beſtrafen. Ueber die Großmuth und Tapferkeit,
nebſt den Gründen dazu , in Körper ro wohl als der
Seele, wird viel vortreffliches geſagt; letzteres lieffe fich
mud wohl etwas weiter in das Gefühl eigener Kräfte,
ind das darauf gefaßte Zutrauen , in mehr oder minder
glücklichen Erfolge, auflöſen. Was Máſfigung, Anſtand
und Ordnung in den Handlungen iſt, reßt der Verf. Deut:
licy
1
und Schriften 355
4 ſich und befriedigend auseinander ; Vorſchriften zu dieſen
ie Tugenden zu gelangen vermiſſenwir. Daß Verſchiedenheit
11 der Naturelle die moraliſchen Regeln abảndert , giebt deč
IM
Verf. ſehr richtig zu , und feßt dabei als Grundſaß feſt,
-> daß nur diejenigen Pflichten unabånderlich ſind, zu denen
nur ſolche Fähigkeiten und Charakterzüge gehören, die
allen Menſchen gemein ſind. Das dúnkt uns noch zu
013 unbeſtimmt, um beſondere Regeln darauf bauen zu können ,
EM denn welches ſind nun die allen zukommenden Fähigkeiten ?
ih und dieſe Vermogen ſollen ſie nächſte, nahe , oder entfernte
reyn ? Die Menſchen ſollen es , alle die menſchliche Ges
ftalt haben , oder nur die ohne ſichtbaren Mangel der Drs
ganiſation ſeyn ? Das ultra poſſe u. ſ. w. zum Grunde
ET gelegt , würde wohl am bequemſten reyn das Vermogen
1 und Können nåher zu beſtimmen , und
Auch glaub daraus die Eins
enmin
3 fchränkungen abzuleiten . in dieſer Ab
hanilung (S. 193) eine Lücke bemerkt zu haben , es wird
id von einer andern Art moraliſcher Regeln auf einmal geredet,
X ohne daß die erſte ware beſtimmt worden . Von der Liebe
im gegen Feinde , und bei der Veranlaſſung von der Natur
der Feindſchaften nach dem verſchiedenen Grade der Cultur,
th und den Regierungsformen , ſagt der Verf. viel tiefges
iel dachtes , welches wir uns nicht erinnern ſonſt ſchon geleſen
ige zu haben , wovon zuleßt das Reſultat iſt, man müſie den
OR Feinden ohne Haß widerſtehen. Zugegeben , daß in Fala
‫دا‬ len von geringerer Erheblichkeit dies geſchehen fónne , fragt
10 ſich nod ), ob bei fehr wichtigen Anlegenheiten hinlänglich
ſtarker, anhaltender Widerſtand ohne alle Erbitterung in
14 dem Augenblicke des Widerſtehen ſich leiſten laſſe ? Pon
dem Menſchen , wie er jegt iſt, groſe und auſſerordentliche
in Anſtrengung an Intenſion oder Dauer , ohne alle Affekten
14 verlangen , ſcheint doch wohl das Unmógliche gefordert.
M
an In den Anmerkungen zum andern Buche führt der
Verf.mehrere an ſich beifauswürdige Gründe an , warum
Sicero
356 XI. Anzeigen neuer Bücher
Cicero fo oft ſein Studium der Philofophie vertheidigt,
welche in dem bei den Römern gegen griechiſche Wiſſens
Tchaft gefaßten Vorurtheile zuſammenlaufen ; eine der ers
Heblichſten Thatſachen aber, daß Earneades bei ſeiner Ges
Landſchaft nach Rom , durch wechſelsweiſes Vertheidigen und
Beſtreiten der Gerechtigkeit, auf Anrathen des áltern Cato
vom Senate eiligſt abgefertigt, und , damit die Jugend
durch ſolche Sophifterei nicht verdorben würde, dergleichen
fürs fünftige unterſagt wurde; fiel vermuthlich dem Verf.
nicht bei. Warum Cicero hier nicht auch von dem ſonſt
ihm nicht unbekannten Einfluſſe der Religion auf die Sits
tenlehre redet; welchen Einfluß jene auf dieſe hat ; ents
wickelt eine für der Sache Wichtigkeit nicht zu lange Uns
terſuchung befriedigend. In Anſehung des Glückes und
Unglückes meint der Verf. der geſchickteſte Spieler gerinne
am meiſten , und der beſte klúgſte Mann ſei am glücklichs
Pen ; auch gebe es deren ſehrwenige, bei welchen das Glück
auf lange Zeit, oder ihr ganzes Leben hindurch mit ihrer
Einficht im Widerſpruch wäre. Das lektere gebenwir
gern zu ; aber in Anſehung des erſtern mochten wir lieber
ſagen , der beſte Spieler leide unter gleichen Umſtänden
weniger Verluſt als der ſchlechtere ; der beſſere und ges
Tchicktere Menſch bringe es oft nicht ſo weit als ein ſchlechs
terer ; weiter aber doch als unter ſeinen Umſtånden es ein
Ichlechterer bringen würde. Ieber die Freundſchaft wird,
geſondert von adem ſchwärmenden und übertriebenem , das
Wahre beigebracht, wobei der Verf. und ein angenehmes
Geſchenk gemacht hatte , wenn er über das was eigentlich
Herzensfreundſchaften knüpft, Perſonen genau an einans
der feſſelt, Betrachtungen angefügt hátte. Das fimilis
fimili u. f. w. paßt nicht in jeder Bedeutung. Von den
Tugenden , welche gemohnlich beiſammen oder getrennt
von einander find , wird viel ſcharfſinniges bemerkt;
und was von denMitteln ſich bei Vornehmen Zugang und
Eingang zu verſchaffen , geſugt wird , hat unſern ganzen
Bei
und Schriften . 357
Beifad ; der Verf. zeigt ſich hier als aufmerkfamen Beoba
Ten achter der feinern Welt. Dem , mas von der Diát im ' ua.
gemeinen , von der Vergleichung des Werthes der äuſſern
Soya Güter , der Geſundheit, Ehren und des Reichthums, endo
lich von dem aus des Zeitalters Verſchiedenheit entſpringen 1

den Unterſchiede zwiſchen Cicero's Vorſchriften und den


ges unſrigen , beigebragt wird , pflichten wir vollkommen bei.
Nun zum dritten Buche. Von ihm ſagt unſer Verf.
JM obgleich Eicero es nach eignen Ideen ausgearbeitet zu ba
ben venfichere, ſo unterſcheide es fich doch durd Gründlich .
011 keit und Ordnung von den vorhergebenden nicht zu ſeinem
Vortheile. Sein in verſchiedenen Beiſpielen und Wendun .
n gen ſtets wiederholter Grundſaß iſt , Unrecht thun iſt mehr
me gegen unſere Natur als Armuth, Schmerz und alle åuffere
Uebel; es giebt kein anderes nåßliches als das honeftum .
Bei deſſen Unterſuchung glaubt der Verf. es könne jemand
il viel ungerechtigkeit begeben , ohne daß darum die Gefelle
fedfchaft zerſtört werde, mehr Vortheil von Ungerechtig.
elle keiten Gaben , als je das Wohl der Geſellſchaft verſchaffen
M wird. Wie aber , wenn nun ade ſo dåchten ? Ade eignen
9 Vortheil ſtets den Rechtspflichten vorzogen ? Und habe ich
gleich augenblicklichen Vortbeil , wer ſichert mir deſſen Beſte
el da der beleidigte Theil zur Rache ftets berechtigt iſt ? Wo.
ith fern alſo von bleibendem , reellem Neußen die Rede iſt ,
103 dürfte dieſer Saß auch ohne Rüdſicht auf ein fünftiges
lei Leben nicht können aufrecht erhalten werden. Durch ſcharf
lid ſinnige Entwickelung der Begriffedes nüßlichen und honefti
21 feßt der Verf. feft, die Waprheit des ftoiſden Grundraßes
omne honeftum eft utile berufe nicht ſo wohl darauf,
M daß zwiſchen beiden gar kein Unterſchied vorhanden , als viel.
mebr , daß die Sugend das idåßbarfte ſei. Wofern aber
B zwiſchen beiden fick reelle Verſchiedenheit findet, und nicht
erſteres das leßtere weſentlich in ſich enthält ; fann doch
wohl der bloße Vorzug ſolche Verbindung nicht bewerkſtedi.
# gen ;
1
358 XI. Anzeigen neuer Bücher
gen ; auch zeigêri des Verf. beigebrachte Gründe pont engerer
Verknüpfung. Und dieſe geigt ſich auch bei folgender Boo
trachtung : Jugend bezeidinet alles was wabre Boafom,
Menheit, oder Realität am Meniden als ſolchen iſt : und
wo die; da iſt auch nur wahrer Nußen ; denn ihr Entgegenge.
fektes Negation oder Privarion , führt allemal Nachtheil
mit lids. Gerade mit einer Uhr nichts wahrhaft nůßlich
1 Ceyn kann, was nicht auch zu ifrer Vullkommenţeit beitrågt.
Was über die Handelsmotal ; und den Colliſionen zwiſchen
Geruchtigkeit und Vortheil im Handel ; über die politiſche
Moral , das ift, Anwendung der Rechtsgründe auf das
Berfábren der Staaten gegen einander , über mehrere ein.
zelne von Cicero aufgeſtellte Colliſionsråde; endlich im Un
bange über einige zur Sittenlehre gehörige vermiſchte Gegens
ftande geſagt wird , verdient die genaueſte und ichårffte Ers
warung. Gern verweilten wir dabei etwas långer, måré
nicht das bisherige faſt weitläuftiger geworden , als es unſer
Plan geſtattet.

gi
Oſiris uno Sokrates i von Friedr. Victor Cebrecht
Plèffing ; Doktor der Weltweisheit. Berlin
und Stralſund bei Gottlieb Auguft sang , 1783.
532 Seiten in 800.
Eine mit vieler Beleſenheit abgefaßte Schrift; die aber
fehr merkliche Spuren von Erlfertigkeit und Mangel an hiſtori.
fcher Kritik trågt ; dennoch aber inanden, die ſo gern alleunſere
Kenntniſſe aus der Egyptiſchen Finſterniß ableiten möchten,
了 ungemein gefallen wirð. Um die Urſachen zu wiſſen , war .
um der altere Cato gegen Sokrates, als einen Mann ein
genommen war, der ſchädliche gefeßwidrige Neuerungen an:
gefangen geht der Verf. bis in Egypten und da biß auf
deri Ofiris zurück ; kommt von da auf Pythagoras und
Plator und begrt nachdem et fic biebei lange vermeiltı
end.
und Schriften . 359
endlich auf Cato und Sokrates zurück . So weit zurück zu
gehen war nun wohl nicht nöthig ; Cato batte vom Sofra.
tes wenige Kenntniß , weil damals die Römer von der grie.
chiſchen Philoſophie nichts wußten ; und noch dazu unrichtige
Kenntniß , weil das Verfahren vom Carneades ibn gegen
alle Philoſophie Aufgebracht batte. Um jedoch den Leſern
von unſerm Urtheile Rechenſchaft zu geben , wollen wir den
Berf. auf ſeinem weiten Umwege ein wenig begleiten.
Bei den Alten war Religion mit der Staatsverfaſſung
genau verbunden , daßer wurden alle , die den offentlia
den Gottesdienſt beſtritten, als Staatsverbrecher angeſebent
und die alten Religionen waren intolerant , jedoch nicht
weil jede, ſich für den einzigen Weg Gott redt zu dienen pielt ;
fondern blos aus politiſcher Rückſicht. Daraus entſpran ,
gen die Myſterien und der Unterſchied zwiſchen eroteriſcher
und eſoteriſcher Religion , weil man die beſſern und reinern
Begriffe von der Gottheit nicht Öffentlich vortragen durfte.
Die Myſterien enthielten eine voukommnere Theologie, und
dem Aberglauben des Pábels wurde darin widerſprochen.
Schwermuth, Diefſinn und Somermerei machten den
Charakter der Egyptier aus ; unter dem Prieſterorden befanden
ſich die redlichſten , weiſeften und tugendhafteſten Menſchen ,
Dieſe Prieſter wurden durd den natürlichen Spang zur Spea
kulation bald in gewiſſer Abſicht Philoſophen , und gelangten
zu beſſern und erhabenern Begriffen von Gott und der Seele.
Da ſie aber dieſe nicht öffentlich bekannt machen durften :
ET
To půdten fie ſie in Råthſeln und Adegorien , und erfan,
den ſo eine eſoteriſche Religion . Die Grundfäße dieſer eſo
teriſchen Religion des groſen Dfiriß ſcheinen nun in den
Myſterien der Ifis oder des Oſiris den eingeweihten offenba,
ret worden zu ſeyn, nemlich : daß nur ein bodiſtes Weſen
eriſtire , daß die Seele der Menſchen ein Husfluß aus dem
pådoſten Verſtande Gottes , des Oſiris ſei; daß aber die
Seele
360 XI. Anzeigen neuer Bücher
Seele ihres erſten glücklichen Zuſtandes der Vollkommenheit,
da ſie ein Ebenbild des Oſiris , dem höchſten Verſtande Got.
tes åbnlich geweſen , verluſtig geworden , daß ſie aber durch
Kunſt und anhaltendes Beſtreben , durch Tugend und Zu.
růckziehung vom Körper und Entſagung der Sinnlichkeit
noch im Zuſtande dieſes Lebens , fich jener erſten verlohrnen
Vollkommenheit wieder nåbern , und dem Oſiris einigermaß
fen åbnlich werden könne , daß aber nach dem Tode , als der
gånglichen Befreiung von der Gifangenichaft des Körpers,
die Seele wieder in ihren erſten Zuſtand zurückkehren werden
und nun der Oſiris auferſtehen , nemlich die Seele, als ein
Ausfluß des Oſiris , durch den God in dieſes neue Leben wie .
dergebopren werde. Die Myſterien hatten drei Grade, in
deren leßtem die Falſchbeit dergewóbnlichen äuſern Religions.
begriffe erklärt wurde.
Dieſe Theorie für fich allein genommen ſcheint ganz beis
fauswürdig ; wie aber wenn man ſie gegen die Geſchichte
bålt ? Zuerſt alle Myſterien aus Religionsintoleranz abzu .
leiten , widerſpricht den Nachrichten von neuern unkultivir.
ten Nationen , die gleichfalls ihre Einweihungen und Mys
fterien , ohne dergleichen doppelte Religion þaben. Es
bedarf alſo eines Beweiſes, daß bei den Alten die Myſterien
gerade aus dieſer Quede entſprangen. Zweitens, wer ſagt
uns , daß die egyptiſchen Prieſter in ſo früber Zeit ſchon rei,
nere und beffere Begriffe von Gott und der Seele hatten ?
Herodot nicht, bei dem zwar manches von geheimen Deu .
tungen , aber nichts vorkommt , woraus ſich auf ſolche ge.
reinigte Begriffe ſchlieffen lieffe. Das egyptiſche Cosmogos
nieryftem beim Diodor von Sicilien , deſſen Nachricht die
ålteſte iſt, iſt febr grob und materiell, und von den Theogo.
nien der Griechen nicht viel unterſchieden . Plutard ,
Upulejus und andere von ſpåterer Zeit selten hier nicht ,
man weiß wie ſehr fie durch ihre Deuteleien die griechiſche
Mytgologie verunſtaltet haben . Drittens, wer ſagt, daß
in
und Schriften . 361
it
ODS
in den Myſterien überhaupt eine andere als die offentliche
Religion vorgetragen würde ? Von den Griechiichen låßt
fich , fo viel uns bekannt iſt, zuerſt Iſokrates fo etwas
elt
entfallen , und ſpätere Schriftſteller Tagen es immer deuts
101
ficher; folgt aber daraus , daß es vom Anfang in den vies
male
ten Jahrhunderten vor dem Irokrates auch ſo war ?
MI
Iſt es nicht vielmehr dem Gange ader Religionsbegriffe ges
máb, daß es in roben Zeiten nicht ſo war , daß mit deë
Zunahme und Berichtigung der Kenntniſſe und dem Wachsia
20
thum der Kultur , aud die Lehren der Myſterien fich vers
18
beffecten ? Iſt es nicht gegen den Sang und die Natut
以17
des menſchlichen Verſtandes , daß Lehren , deren Entwickes
lung und deutliche Einſicht, ſo viele Jahrhunderte eines
angeſtrengten und ununterbrochen fortgeſeßten Nachden :
kens der größten Philoſophen erforderte, von einigen Pries
ſtern auf einmal , ohne alle gehörige Vorbereitung folent
entdeckt feyn ? Ueber dieſe Gegenſtande und die Religionss
begriffe der älteſten Völker wird man nicht eher aufhos
ren künſtliche Sopotheſen , und einſeitige Deutungen zu
machen , bis eine zuſammenhangende Geſchichte des inendo
lichen Verſtandes deutlich vor Augen legt, in welcher Ords
nung und mit welcher Mühe die allgemeinen intellectuellen
Kenntniſſe ſich entwickelten , wie roh und findiſch die Bea
griffe der Wilden ſind , und wie manches , das ganz beſorts
!
dere Urſachen und Veranlaſſungen zu haben ſcheint, fich
nuf allgemeinePrincipien des menſchlichen Geiſtes gründet.
Uus Egypten geßt der B. nach Griechenland übers
und findet, daß Plato , beſonders in der Politik, Theos
logie und Sittenlehre, die Meinungen der egyptiſchen Weis
fen , und die Religion und die Philoſophie des Oſiris tras
veſtirt habe , wie denn lange vorher auch Pythagoras
hieraus ſeine beſten leht fåße entlehnthabe. Woher weiß
man das ? daraus allein doch wohl nicht , daß beide Phisi
loſophen Egypten beſucht, und ſich in die Prieſtergeheima
Sef Seitr ,St.II. niſſe
362 XI. Anzeigen neuer Bücher
niſfe haben einweihen laſſen ? Aus der Uebereinſtimmung
der Lehren doch auch wohl nicht, denn von der egyptiſchen
Philoſophie dieſer Zeit ſind keine Nachrichten vorhanden ?
Aus ihren beffern Einſichten auch wohl nicht ; denn die
piehergehörigen Pythagoriſchen Såßefind in Anſehung
geſchon atheit fehr verdächtig , wo nicht gar ſichtbar unter:
geſchoben und Plato fonnte durch eigenes Nachdenken
Tchon beſſere Begriffe erlangen , dazu war alles vorbereitet ?
1
Dieſe beiden bringen den V. endlich zum Sofrates
zurück, von dem er ausgegangen war. Catos Uusſpruch,
Sofrates ſei ein unruhiger Kopf geweſen, der durch
Teine Neuerungen in den Religionsbegriffen die Staatsver's
faffung babe umidaffen wollen , legt er zum Grunde, und
findet nun ganz natürlich die Sache, wie er ſie ſich vorges
ſtedt hatte. Allein zuvorderf Håtte wohl gefragt werden
müffen hatte Cato würflid Recht ? Konte er nicht aus
vorgefaßtem Widerwillen und unfunde irren ? Xenos
phons und Platos Nachrichten vom Sokrates wers
den nun aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, und da
kann es nicht fehlen , daß fich verſchiedenes vorfinde , wels
ches aufeine vorgehabte Aenderung der Staatsverfaſſung
fich deuten läßt.
To.
Beiträge zu der Lebensgeſchichtedenkwürdiger Perſonen ,
infonderheit gelehrter Månner , von D. Anton
Friedr. Büſching. Erſter Theil. Hale, vers
legt von fel. Joh . Jac. Curts Wittwe, 1783 .
416 Seiten ohne die Vorrede, in 8.
Die Mariner von welchen hier geredet wird , find der
-Freiherr Chriſt. von Wolf ; der Probſt Reinbeck, und
der geheime Rath Earl Gottlob von Nüßler. Was voin
erſtern beigebracht wird, betrift ſeine Zurückberufung nach
Halle, in den zwiſchen ihm , Reinbeck, dem Grafen von
MAIS
und Schriften 363
Manteufel und dem Buchhandler Haude darüber ges
mechſelten Briefen. Der Graf urtheilt (S.1 29) Wolf
würde nie nach Halle zurückgegangen ſeyn , máre er frei
von Schmadheiten geweſen , welche ihm ſchon ſeit langer
Zeit angehangen Håtten ; und giebt ihm zu erkennen , er
begreife nicht,wie er die Rückkehr mit der Dankbarkeit gegen
das Haus Heſſen vereinbaren wolle (S.42). Freilich war,
wie die Vorrede beſagt, ſeine rúrkliche Rückkehr mit einem
anſehnliden Charakter und Gehalt eine gróſere Ehrenerklas
rung, als der bloſe Antrag zurúck zu kommen ; allein dies
ſer bedurfte er damals nicht mehr ; kein Unpartheiiſcher
Fonnte ihm ſeine Verbannung zur laſt legen , viele aber legs
ten ihm die Rückkehr übel aus. Wolf ſagt ſelbſt , bei
ſeinen vorgeſchlagenen Bedingungen gewinne er in Halle
weder am Range noch im Beutel das geringſte (S. 81) ;
er habe von ſeinem Hofe die Verſicherung erhalten , daß
man ſeinen Zuſtand verbeſſern würde ( S.83) ; er habe
nicht die geringſte IIrſache ſich über etwas zu beſchweren
S. 72) ; einige beſondere Umſtände , die aber mit ſeiner
Station nichts zu thun hätten , und daran der Hof nicht
Schuld wåre , ſeyen ihm zu Marburg beſchwerlich (S.76 );
in Caffel habe man ihm aus eigener Bewegung fo viel Wils
fåhrigkeit bezeigt, als er ſich zu bitten nicht würde unter:
ſtanden haben ( S. 113 ). Dem ohngeachtet ſchreibt er
wieder, es habe ihm ungemeine Freude erweckt, daß der
König in ſeine Bedingungen gemiliget habe ( S. 86) ; et
werde fich in Marburg nicht halten laſſen , weder im Gus
ten , noch im Schlimmen (S. 94 ); Togar , er wünſche
daß qusmårts einige Umſtånde bekannt waren , damit man
wuſte, ob er mehr Heſſen , oder Heſſen mehr ißin obligirt
wire (S.95 ). Wie reimt ſich dies mit der vorher ſo oft
erwähnten Dankbarkeit ? Dazu kommt, daß die beiden .
erſten Vokationen nach Salle hauptſächlich darum ausge:
fchlagen wurden , weil die Dankbarkeit gegen das Haus
Heſſen es nicht erlaube, fie anzunehmen ; daß bei der legs
Aa 2 ten
1
364 XI. Anzeigen neuer Bücher
ten von dieſer gar nicht mehr die Rede , ſondern nurdavon
iſt, daß der Hof zu Caffel ſein Weggehen nicht übel aufs
nehmen möge; daß die Umſtände, welche er ſo ſehr wünſcht
bekannt zu ſeyn , nichts anders betreffen , als daß er in
Marburg ſo viele Collegia teſen müſſen , welches er ja aud
in Hade thun wollte , und 'eben darum den Ruf nach Bers
lin ablehnte, welcher Unbequemlichkeit, da er die Wiafaha
rigkeit des Caſſeliſchen Hofs ſo ſehr rühmt , auch in Mars
burg hätte abgeholfen werden können .
D. Reinbeck galt beim König Friedrich Wilhelm
ſehr viel, wovon eine Menge von Kabinetsſchreiben zeugen ,
welche von der Denkungsart dieſes Monarchen rühmliche
Denkmale find. Sonderbar aber iſt, daß ſeine zeitlichen
Umſtände dennoch nicht die beſten waren , und Hart, daß
der König auf eine Bittſdrift, worin um Reinbecks
Entlaſſung nach Hamburg in eine ſehr vortheilhafte Stelle
gebeten wurde, platt , platt , abſolut abgeſchlagen , ſchrieb ;
und auf Reinbeck $ Erſuchen antwortete : ich weiß nicht,
was die Hamburger wollen , kommen und wollen mir mei
ne beſten Prediger nehmen. Wenn ich irgendwo einen {ums
penkerl anwerbe , ſo mitd ein Term darüber gemacht, und
Die wollen mir meine beſten Stúßen aus dem {ande holen.
Das taugt nit ; daß der Konig ſo dachte, und doch Reina
bec nicht die geringſte Sd) adloshaltung vor die pielen daa
durch verlohrnen Vortheile gab (S. 176).
Die Lebensgeſchichte des Herrn von Núßler iſt reich
an intereſſanten Vorfáden wir haben den rechtſchaffenen
und thátigen Mann mehr als einmal aufrichtig bedauert.
Er hatte mit grorem Eifer und eignen Koſten ſchon wichtige
Dienſte geleiſtet , befam dennoch keine Beſoldung , und
mußte noch dazu in Berlin ein koſtbares Haus bauen ( S.
321 ). Uuf ſeine Gegenvorſtellung ward ihm zur Untwort,
er rolle nicht raiſonniren. Er ward gar , ohne daß man
ihm das geringſte bätte zur faſt legen können , nebſt mehs
rern
and Schriften . 365
rern andern verabſchiedet, ohne die geringſte Entſchädigung,
obgleich er bei der vorher genoſſenen geringen Beſoldung von
feinem Vermogen vieles hatte zuregen müſſen (S, 381.)
Seines Schwiegervaters des Kanzlers. von Ludwig Hinters
laſſene Handſchriften , ſuchte er gegen billige Bedingungen
an das geheime Archiv zu verkaufen, erhielt aber den Befehl,
fals er ſie nicht unentgeltlich ablieferte, wollte man ihn
fiſcaliſch belangen (S. 409). Dem türkiſchen Geſandten
mußte er 1763 ſein Haus einräumen , und litt dadurd
einen Schaden von 1000 Rthlr., der auf ſeineRechnung kam
( S.406 ). Dennoch arbeitete er als Landrath mitwarmem
Eifer für das Beſte ſeines Kreiſes, welcher ihm ſehr erhebs
liche Vortheile zu verdanken fat. Mancherlei komiſche Vora
fáue und Charaktere Beitern mit unter das Gemälde auf,
II .
Sammlung der neueſten Ueberſegungen dergriechiſchen
proſaiſchen Schriftſteller, unter der Aufſicht des
- Herrn Kirchenrath Stroth, vierten Theils
erſter Band. Dio Caſſius, römiſche Geſchidyte.
Erſter Band , von Joh.Auguſtus Wagner,
INK Conrector amGymnaſium zu Merſeburg. Frant
der. furt am Main , in der Hermanniſchen Buchhand
(1 lung ,. 1783. 552 Seiten in 8 .
M Dieſer Band geht bis an das 42 te Buch , die Fraga
mente mit eingeſchloſſen. Auſſer der Reimariſchen Ausgas
reld be hat ſich auch der V. der Reißfiſchen Unimadverſionen
cenen bedient. Daß dieſe Ueberreßung nicht aus einer lateinis
uert
Tchen gemacht iſt, lehrt gleich der Augenſchein. Der muns
Corting tere Ton Dions iſt glücklich getroffen , obgleich hie und
da ein wenig verſtärkt. Griechiſche Wendungen weiß der
n lê
V. ſo gut mit teutſchen zu vertauſchen , daß man den Ums
nitmo
faş nicht merkt , und einen landsmann zu leſen glaubt.
Daß der V. ſeiner Sprache machtig , und entfernt vom
叫叫 叫

of our
ſteifen Schulton iſt, lehrt auch ſchon die Vorrede.
24 3 12. Ders
366 XI. Anzeigen neuer Bücher
1
12 ,
Derſelben Sammlung fünften Theils erſter Band .
Herodots Geſchichte, erſter Band, aus dem
Griechiſchen überſekt von Joh. Friedi. Degen ,
Doktor der Weltweisheit, und ordentlichem
Lehrer an dem Karl -Alerandčinum zu Anſpach .
1783. 321 Seiten in 8.
Enthält die beiden erſten Bücher, Reiskens und
Balfenaers Bemühungen ſind vorzüglich, daneben aber
auch die Goldhagen de Heberreßung , nebſt Heil
manns Anmerkungen darüber, genußt , die Arbeit iſt,
wie man ſie von einem in der griechiſchen litteratur vortheil
Haft bekannten Manne erwarten kann. Ohne fich zu ges .
nau an das Original zu binden , und dadurch den Jefern
Ueberdruß zu verurſachen , behält doch der V. deſſen Ton
bei. Zuweilen aber båtte er doch wohl fónnen der Urſchrift
mehr getreu bleiben ; ſo giebt er gleich den Anfang: Heros
dot'von Halicarnaß liefert hier das Reſultat ſeiner hiftos
riſchen Unterſuchungen ; da es doch wohl eigentlich Heiſſen
fodte : die Geſchichte Herodot des Halicarnaſſers hat fols
genden Zweck.
13
Von den Ueberregungen der rdmiſchen Proſaifer in
ſelbem Verlage haben wir vor uns :
Caj. Plinius Secundus Naturgeſchichte , von Gottfr.
Große, vierter Band, 1783. 398 Seiten in 8 .
Wir beziehen uns auf das vom erſten Band geſagte.
14 .
1
Briefe eines Reiſenden von Pyrmont, Caffel, Mara
burg , Würzburg und Wilhelmsbad. Erſtes
Paquet. Frankfurt und leipzig, 1783.
Das zweite Paquet , welches zugleich mit dem erſten
por mir liegt , enthält die eigentliche üblicht dieſer Reiſe,
von irgend einem Ort aus in der Nachbarſchaft Pyrmonts,
bis

7
und Schriften . 367
bis nach Würzburg. Sie liegt in der Beſchreibung des
Hundertjährigen Stiftungsfeſtes der Univerſitat des leßtern
Orts. Die Bemerkungen alſo, welche der Verfaſſer úbet
die durchreiſten Drte macht, möchten mehr hingeworfene
Nebenſache, jene Hauptwerk reyn. So möchte das von
Pyrmonts (age , vom innern Gehalt feiner Waſſer, von
den Brunnengåſten und ihrer lebensart, vom Fürſten von
Waldet und ſeinen Sofleuten ſeyn . Seine Aeuſſerung
überden Unterſchied der Stande den man zu Pyrmont macht
und zu BrúckenaueinenBrunnen im Fuldiſchen nicht bemerkt,
gehört ins Kapitel der Brunnenmoral, welche freilich von
Leuten nicht fann beobachtet werden , die oft gar keine mits
bringen . Doch , wo der regierende Fürſt ſelbſt mit ſeinem
Hofe ſo ſehr das erhabene Beiſpiel einer liebenswürdigen
Geſelligkeit relbſt iſt , wird : jedem Geringern erlaubt ſeyn ,
ſich durch Stolz für ſein Geld ſo ſehr auszuzeichnen , daß
der Vernünftige ihn gern ſich und ſeines Gleichen überlaßt.
Und es gehört mit zu den feinern Zeiten , daß man jenen
aud unter demn teutſchen Adel findet. Die Beſchreibung
eines Hannoveriſden Gelehrten von Pyrmont, welche der
Fürſt von Waldeck felbft durch ſeine bekannte Grosmuth
aufs nachdrücklichſte unterſtüßt, wird übrigens den Wunſch
des Verfaſſers erfüllen , bald eine vollkommene zu haben .
In dem rehenswürdigen Caſſel war er pieleichtnicht långer,
als die Briefſteller , welche ſich jezt im teutſchen Muſeum
und in andern Schriften ſo ſehr mit den fehlerhafteti
Schönheiten dieſes Fürſtenfißes beſchäftigen. Wahrheit
in ihren Urtheilen wird jedermann gerne zugeſtehen ; allein
die Gadomanie iſt nicht herrſchender Geſchmack Caffels,
und auch in Wien , das Muſter von Polizeiverfaſſung ifte
brennen nad Nicolai die (aternen auch nicht,wennd ſchon
finſter iſt, bloß weil wenigſtens der Mond im Kalender
leuchtet. Immer noch ſcheints , daß viele teutſche Gelehrte
zu wenig geſehen haben , um mit Kenntnis von den Wers
ken der Kunſt zu ſchreiben . Unſern Verf. trift das indefe
ua 4 ſen
368 XI. Anzeigen Neuer Bücher und Schriften .
fen nicht. Das' widtigſte von Caffel iſt in ſeinen Briefen
eine Vorlefung über ein alt ſyriſch- chineſiſches Monument,
die er als einen Beweis feiner Gelehrſamkeit in den morgens
ländiſchen Sprachen in der Geſellschaft der Alterthümer
hielt. Sie iſt ganz eingerückt. Uus den Armen ſeiner
Freunde im romantiſchen Marburg kommt unſer Reiſenderi
an den Det ſeiner Beſtimmung. Der Charakter des lies
benswürdigen Fürſtbiſchofs, ſo wie einiger würdigen Ges
lehrten daſelbſt, machen Würzburg ſo viel Ehre , als einige
2 zur Feierlichkeit gehörige Reden . Sollte nicht hin und wie
der ein ſo auffallender franzöſiſcher Son in dieſen Briefen
eines teutſchen Schriftſtellers herrſchen , welcher übrigens
gründliche und ausgebreitete Gelehrſamkeit darin verråth ?

XII.
Stürze gelehrte Nachrichten.
I.

1 im dritten Stücke des Gocingiſchen Journa


ls ſteht dieſe Unet .
In dote : 1. Pfarrer Juſtizu Marburg predigte einſt : ergreis
i fet die Knúppel des Gebets , beſtürmet damit die Fenſterdes
11 Himmels , damit die Glasſcheiben ſeiner Gnade berabraffeln !
Hier warf er die Sanduhr herab , um das Raſſeln finnlich
11 zu machen .
Das Undenken eines rechtfchaffenen Mannes gegen Verlaume
dung zu vertheidigen , iſt augemeine Menſchenpflicht; um deſto
mehr ſind wir dieſes unſerm Xandsmann ſchuldig. Wer dieſen ,
por noch nicht vódig zwei Jahren verſtorbenen , zu Marburg von
jedermann geliebten Geiſtlichen von Perſon gefannt hat , wird
es keinen Augenbick für möglich halten , daß ein Mann von ro
fanftem Charakter, und ſo geſundem Menſchenverſtande im Pres
bigenauf dergleichen lacherliche Udegorien habe verfallen können .
Wir können dieſe Erzählung aber um deſto eher für eine unvers
[ chamte fuge erkláren , da alte Perſonen ſich erinnern , ein his
ſtörchen dieſer Art vormehr als fechzig Jahren von einem unge
nannten Pfarrer gehört zu haben , das , wie hundert andere Vas
demecumsgeſchichten dieſer Art, auch erbichtet ſeyn konnte. Bila
lig
1
XII. Sturze gelehrte Nachrichten: 369
fig aber wundert man fid , daß auch die Darmſtadter Zeitung,
in der N. 39 , diefes elende syiſtorchen zur Beſchimpfung des
recht ſchaffenen Mannes nacherzahlet hat,
2 .

Herr Kandidat Gók , Lehrer der Durchl. Prinzeſſinen zu


Hanau , arbeitet gegenwärtig an einer teutſchen Leberſegung des
wichtigen Buchs , welches fürzlich unter dem Titel : Du gouver.
nement des moers zu Lauſanne erſchienen iſt. Der Verfaſſer deſ
felben , iſt ein verehrungswürdiger Greiß von etlichen und ſieben
zig Jahren , Mr. Polier de St. Germain , Bourgemaitre à Lauſanne
3.
Herr Hofrath Zapf zu Augsburg fündigte vor zwei Jahren
in einer latetniſchen Epiſtel die Herausgabe eines Werks unter 1

folgendem Titel an : Monumenta anecdota hiſtoriam Germaniae


illuſtrantia. Bx ſua bibliotheca aliisque edidit Georgius Guilielmus
Zapf. 4. Maj. Der erſte Band deffelben roll enthalten : 1) ein
Diplomatarium miſcellum , beſtehend aus 102 der wichtigſten und
álteſten Urkunden von 815 bis 1398. Dieſe Sammlung iſt dem
Herausgeber von dem gelehrten Freiherrn von Zurlauben in
Zug , mitgetheilt, welcher einen Schaß von 300 Banden ges
fammelter Urkunden beſigt. Die in dem angezeigten Werke bes
kannt zu machenden , ſind von eben dieſem großen Geſchichtkuns
16 digen mit Anmerkungen begleitet. 2) Eine hiſtoriam diploma
DO ticam monafterii Rhenauyienfis; wovon jedoch in dieſen Band nur
on Der erſte Theil erfolgt. Das Werk ſelbſt iſt von einem gelehrten
ilih Benediktiner des Kloſters Rheinau Pater Kaſtner Moritz
Hochenbaum von der Meer ausgearbeitet , und nach der
jáum Stiftung des Kloſters in Jahrhunderte eingetheilt , um die Bes
defto gebenheitennach der Zeitrechnung deſto bequemer zuordnen. Das
rejer (cházbarſte dabei iſt ein wichtiger Codex diplomaticus , den der
tg von Verfaſſer mit hiſtoriſchen Unmerkungen erläutert hat , und zu
wird welchem auch Siegel in Kupfer geſtochen werden. Den Verlag
don des ganzen Werks hat nunmehro , einer neuen teutſchen Nachs
um Port richt zufolge der Buchhandler Stage in Augsburg übernommen .
fonnen Jeder Band zu 3 Alphabet in gros Quart ſou den Subſcribenten
| under auf ſchönes Schreibpapier für 3 Thlr. Tächſiſch oder 5. fl. 24 fr.
ein hi im 24 Guldenfuß geliefert werden . Nachher wird der Band
em unge nicht unter 4 Rthlr. oder 7'fl. 12 fr. verkauft. Zu Caffel nimmt
ndere Herr Bibliothekfecretarius Strieder ſo wohl hierauf, als auf
te $ das gleich folgende Subſcription an.
Eben
370 XII. Sturge gelehrte Nachrichten .
Eben gedachter Herr Hofrath Zapf hat nåmlich durch eine
andereRachricht auch eine von ihm zu veranſtaltete neue Ausgabe
derEpiſtolarum Aeneae Syluii poftca Pii II. pontificismaximiant
gefündigt. Er hat hat bis jezt neunáltereAusgaben derſelber
zuſammengebracht; dennoch gehören dieſe für die Geſchichte ro
merkwürdigen Briefe zu den ſeitenſten Werken ; nicht zu gedenken ,
daß der zwemáſſige Gebrauch jenerálteren Äusgaben viele ans
dere Schwierigkeiten hat. Die vollſtändigſten derſelben enthal:
ten 433 Briefe, Abhandlungen und Reden ; aber Herr 3. ges
denkteine vielvermehrtere Ausgabe zu liefern ,worin nicht nur alle
neuerdings bekannt getbordenen Briefe und Bullen des Aeneas
Sylvius oder Pabſt Pius II, welche hin und wieder zerſtreuet
in vielen Werken gedruckt ſind, enthalten ſeyn roller : ſondern
er hoft auch überdem dieſe Ausgabe noch durch ungedruckteBriefe
zu bereichern , welche ſich auf der öffentlichen Bibliothek zu Baſel
Finden , und wovon ihm der Herr Profeſſor und Syndikus D.
d'Annone eine Abſchrift verſprochen hat. Herr Zapf wird fámts
liche Briefe in vier Abtheilungen bringen. Die erſte foul diejenis
gen enthalten , welche Ueneas Sylvius als Secretair auf der
Kirchenverſammlung zu Baſel ſchrieb ; die zweite, diejenige,
melde derſelbe als Biſchoff von Erieft ; die dritte , diejenige,
welche er als Kardinal ſchrieb ; und die viertefou alle feine påbſts
lichen Briefe und Butlen enthalten. Das ganze Werk wird aus
drei Quartbanden , jeden etroa zu vier Alphabet, beſtehen. In
der Unordnung der Briefe folgt Herr Zapf blog der Zeits'
folge in der ſie geſchrieben ſind. Wo es nöthig iſt , werden auch
Unmerkungen beigefügt. Auch dieſes Werk wird aufSupfcription
gedruckt; jeder Hand zu 5 fl. Frankfurter Währung, oder zwei
Rthlr. 20 Ggr. ſächſiſch ; nadyher fou fein Band unter 7 fl.
12 kr., oder 4 Rthlr. fachfiſch verkauft verkauft werden . Bins
nen einem Jahre fou das ganze Wert erſcheinen.

4.
Bu Gieffen ſtarb am 22. Febr. Herr M. Johann Chriſtian
Dieß, derTheologie auſſerordentlicher Profeſſor , erſter Stadt.
prediger und Definitor im 65 ten Jahr feines Alters. Von ſeis
nem Leben und Schriften f. Herrn Strieders Heſſiſche Gelehrs
ten- und Schriftſtedergeſchichte Sh. 3. S. 68. folg. An des Ver .
ſtorbenen Stelle iſt der bisherige Stadt- und Burgprediger zu
Gieſſen , Herr Joh . Balthaſar Müller zum erſten Stadtpredis
ger ernannt worden . Manhat legterm verſchiedene mit Ein ficht
pers
XII. Kurze gelehrte Nachrichten. 371
beranſtaltete Sammlungen von Predigten über die Evangelia
und Epiſteln , wie auch über die Leidensgeſchichte, zu verdanken ,
S.
Herr Fr. Leuchſenring, bisheriger Heſſendarmſtädtiſcher
Rath , durch ſein Journal de Lecture und andere Arbeiten , als
ein vortreflicher Schrifftetler und ein ſichtsvoller Gelehrter bes
kannt , iſt zum Inſtructor des álteſten Prinzen Sr. königl. Hos
heit des Prinzen von Preuſſen ernannt worden.
6.

Tarrel . Herr Rath und Bibliothekarius Johannes Múls 1


Ter reiſete im Monat April des verfloſſenen Jahres nach Genf,
um ſeinen alten Freund Tronchin zu beſuchen ; wurde aber
don legterem bewogen , ſeine Entlaſſung aus hieſigen Dienſten
zu ſuchen , und bei ihm auf denReſtfeines Lebens zur Geſellſchaft
zu bleiben. Herr Múller liefet dabei in Genf, wie er ſchon
ehemals bei ſeinem daſigen Aufenthalt gethan , Privatkodegia
über die Geſchichte
7.
In dieſem Frühjahr hat Caffel abermals einen ſeiner berühm=
teſten Gelehrten und Schriftſteller verloren . Herr Georg Fors
fter iſt als Profeſſor der Naturhiſtorie mit geheimen Raths Cha
rakter, einer Beſoldung von 400 Dufaten , und andern wichtis
gen Vortheilen nach Wilno in ſitthauen abgegangen . Er wird
aber daſelbſt erſt im September eintreffen , indem er den Soma
mer zu einer für das Studium der Naturhiſtorie núßlichen Bes
reiſung einiger Bergwerfe beſtimmt hat. Er war einer von den
Herausgebern und Mitarbeitern dieſesJournals. Lektereswird
er auch in der Entfernung bleiben , und unſer leſendes Publikum
kann ſich von ihm noch viele intereſſante Uuffáze verſprechen.
An Herrn Forfters Stede iſt Herrn ProfeſſorMónch die
Aufficht über das fürſtliche Naturalienkabinet mit einer Berola
dungszulage von 200 Rthl. anvertrauet; und Herr Wiegand,
: bisheriger Lehrer am Kadettenforps, hat die durch Herrn For:
fters åbgang gleichfalls vacant gewordene Lehrſteưe am Kadet
tentorps nebſt der damit verbundenen Beſoldung erhalten . Das
Prprektorat des Colegii Carolini, hat der porjábrige Prorektor,
Herr Rath Cafparfon für das laufende Jahr wieder über's
nommen ..
Noch
372 XII. Kürze gelehrte Nachrichten .
Noch kurz vor feiner Ubreiſe ſüd Herr Forſter, als Proi
rektor ) zur Feier des Friedrichstages am Collegio Carolino durch
eine übhandlung ein , welche vom Brodbaum handelt. Da
bei der geringen Unzahl Abdrückevon ſolchen Einladungsſchriften ,
welche nur an Ort und Steute ausgetheilt werden , auswärtig
diefelbe ſo felten wie Handſchrift bleiben würde , ſo haben wir
geglaubtunſern ausstartigen Lefern ein angenehmes Gefdjenf zu
machen , wenn wir dieſer unterhaltenden Schrift in unſerm
Journal einen Plak anwieſen. Es erſcheint daher ſchon in dies
ſem Stücke die erſte Hälfte derſelben .
Ende des zweiten Stücks.

Druckfehler.
S. 187 3. 6 lefe man : berdid tett.
3. 28 nach klein dunkel.
S. 191 Z. 4 nach Augenhöle und.
S. 195 3. 2 ſtatt zu vo 11.
S. 197 Ábr. 2 Ž . 15 ftatt fcerotica lies rcleroticas
199 Abf. 2.3. 4 ſtatt Hrſprünge des l. Urſprünge beider Sehenerven .
200 2.9 nad compreſſione: dieſe zweite Beobachtungaber icheint eher
das Gegentheil zu beweiſen ; wenn man nicht annehinen wollte, dåß
der Sehentervenhügel aufdergeſunden Seite mehrden Druckempfand.
5. 200 Avf. 2. 3. * Maſſa lies Maffa.
Abf. 236 9 Bortholinųs lies Bartholinus.
Wilhelm von Salicet.
ſtatt Goochi lies Good .
Š. 201 Ábf. § 3. io lies Union , ins Gehirn felbf.
S. 249 3. II Buch Lazarus lies Buch bei Lazarus.
S. 254 Z. 16 an ſtatt ausfündig gemacht zum Vorſcheingebrad t.
3. 25 an ſtatt ausmacht vorſtellt.
S. 258 3. Iftatt Dienſtmanns hier und in der erſten Zeile aller følgca
den Seiten Montforts.
S. 258. 3. 21 ftatt Orlende Orlens. 2

S. 259 in der Note 3. 6 ſtatt naget nagel.


S. 261 2. 9 ſtatt herriſche herrliché.
Ž . íó ftatt ihre ſcine.
S. 263 Ž . Il ftatt Maneg oy Manego ý :
3. 15 fatt gezit gezilt.
S. 266 2. 2 ſtatt robald ſehr bald:
3. 28 ftatt weder wider.
267 Ž. 15 ſtart der den und ſtatt armen Herren:
S. 273 3. ſtatt hiệr hies.
6. 277 3. 20 nach leere ein Comnia fatt eines Punkte .
VIE

Heſſiſche Beyträge
fur

Gelehrfamleit
und

Kun it.

Drittes Stud.

Frankfurt am Mayn ,
bey Darrentrapp Sohn und Wenn.
er.
1 7 8 4.
Ankündigungen .
o. .
blicae Carolo V. Caefare commentarii behalten noch ime
und
mer als die erſteausführliche Reformationsgeſchichte
als die Quelle Bieler andern baraus abgeleiteten Bücher ihs
ren entſchiedenen Werth , unð tver die merkwürdige Geſchich .
te dieſes Kaiſers , und überhaupt des 16ten Jahrhunderts,
gründlich ſtudiren will , dem iſt das Buch ganz unentbehra
lich. Ohngeachtet es in den erſten hundert Jahren nach
feiner Erſcheinung wenigſtens hundertmal in verſchiedenen
Sprachen gedruckt worden iſt : ſo haben doch die berühne
teſten Gelehrten immer nod) eine neue Ausgabe des latei,
niſchen Originals für nöthig gehalten , und einige har
ben dergleichen auch würtlich verſprochen , f . Er. Gra .
pháus ſchon im 16ten , Sortleder im vorigen und Erich ,
fon im gegenwärtigen Jahrhundert; aber keine iſt erſchies
men. Endlich entſdiloß fich der berühmte fel. Hofrathi
Kurſächſ. Hiſtoriograph und Profeſſor zu Leipzig , Johann
Gottlob Bobme, zu einer neuen Ausgabe , faſt um eben
die Zeit , als Pierre -François le Courayer ſeine neue frang
zöfiſche vortrefliche Ueberſeßung 1767 herausgab , welche
bernachmals meiſtens zum Grund der im J. 1771 u . f . zu
Halle mit Herrn D. Semlers Vorreden gedruckten teut:
fchen Ausgabe gelegt wurde. Der Plan , nach welchem er
fie liefern wollte, iſt von gemeldtem Herrn Semier in der
Borrede zum erſten Kandy S. 17 , und von dent Herrni
Hofrath Meufel in den Betrachtungen über die neueſten
Hiſtoriſchen Schriften , Th. III. S. 154. mitgetheilt wors
den : aber der Tod übereilte ihn und vereitelte dieſe und
andere Hofnungen den 30jten Jul. 1780 , nachdem er im
vorhergehendenJahre in der Vorrede zu feinen opuſculis
academicis de litteratura Lipfienfi fein Vorhaben nod) ein .
mal angekündigt und ſeinen Mitarbeiter genennt hatte.
Es iſt dieſes der gegenwärtige Stadtpfarrer zu Kaufbeuern
in Schwaben , Hr. C. Cam Ende , der einige fleine
Schriften über Sleidans Leben und Bücher theils einzelng
theils in des rel Superint. edelhorn in Memmingen
Ergoblichkeiten aus der Kirchen hiſtorie und Litteratur her :
ausgegeben hat. Boehme ließ ſich mit ihm in einen faſt
swölfjährigen Briefwechſel darüber ein und er arbeitete ihm
alles nöthige, 3. Er. eine Varianten Sammlung, Zufaße,
Anmerkungen , Verbeſſerungen , Anzeige der Urfunden , auf
die fich Sleidan beziehet ,u . f. 1v . in die Hand. Dieſes
alles tvar ſchon fertig , als Boebme ſtarb , und er hatte
es ju der neuen Ausgabe in Hånden : nach einem zwiſchen
beiden gemachten Yccord aber warde es durch Herrn Pross
feffor Ed nach Kaufbenern zurück geſchidt. Dafich feier
Gelehrter gefunden hat, der dieſe und andre angefangene
reipu Arbeiten des fel. Boebme zu liefern Kuft gehabt hätte : ſo
od in hat ſich Hr. am Ende endlich entſchloſſen , die neue Auga
ote und gabe Sleidang zu beſorgen . Der erſte Band derſelben
ucher ihs wird künftige Oſtermeſſe 1785 , nach dem Plandes ſ.Boob
iefchia me ausgearbeitet , bey den Buch håndlern Varrentrapp
nderts Sohn und wenner zu Frankfurt am Main, fauber und
ntbehr correct gedruckt in groß Octav erſcheinen , und die andern
en nach beiden werden von Meffa zu Meſſe unverzüglich nachfolgen.
bedenen Vielleicht håtte Boebme , wenner låinger gekbt båtte, dier
kruhmi fer Ausgabe bey ſeiner ausgebreiteten hiſtoriſchen Kennt.
Tarei niß noch einige Vorztige geben können : vielleicht aber ders
ge har liert dem ohngeachtet die gelehrte Welt nicht viel daben ,
Gra indem die neue Ausgabe, die er vorhatte , bem feinen håus
Erichs figen Geſchäften und ſeiner ſehr eingeſchränkten Zeit , doch
dies mehr eine Arbeit ſeines Mitarbeiters, als feine eigne , ges:
frath weſen ſeyn würde. Wenigſtens hofft dieſer , als neuer
shann Herausgeber , alles gethan zu haben , was man nur fordern
1 eben fan, und ſo viel Steiß , Mühe, Gedule und Zeit aufdie neue
-frana Yusgabe gewendet zit haben , als ſchwerlich ein andrer dars:
Welche auf wenden turdeund fönutes
f. u
feut :
em er
II. Seit vielen Jahrett Ibar es meine Lieblingsbeſchäftigung,
in our
Verſudezumachen , in verſchiedenen Manieren zu radiren ,
und aufdieſe Art Handzeichnungen guter Meiſter nachguah,
Herrn men. Kunſtliebhabern gefiellen meine Spielereyen , und
Meries ) cin gütiger Freund theilte don in teutſchen Merkur vom
ivor
und Julio 1781. ein kleines Verzeichniß dem Publico mit ;
er in
Berichiedene Freunde der Sunft verlangten ſeitdem Abdrüde
culis davon, und aufgemuntert durch dieſe Aufforderung, will ich
7 eins
por der Hand 12 Blárter ausmeinem Vorrath willen , und
fie in einem sefte , unter den Titul:
patte.
euern Verfumein geázten Blåttern nach verſo iedenen
Fleine manieren ,
3d n Kunfiliebhabern liefern . - Der Subſcriptionepreis iſt ein
inge Spec Ducaten. - Colfen KunſtKebhabern, wie ich hof
I bere fe, dieſe Verſuche gefallen , ſo wird mich ihr Beyfall aufs
un fall muntern , weiter zu gehen ,und aus einer groſſen Samms
ihm fung Handzeidnungen berühmter Meiſter, die ich beſige
fagy die beſten Blåtter , nach und nach zu liefern ..
1; AU ! Caſſel, den 12 Julii 1784..
Dieſes
hattre Joh. Senr. Tiſchbein jun.
fche fürſtl. Heffen : Caffelfoder Gallerie -Inſpector
III. Durch unterſtützung einiger ſchåßbaren Freunde , uno
durch forgfältigen Gebrauch vieler Dokumente und unges
druckter Urkunden son Weſtphalen , bin ich in den Stand
geſetzet worden , meinem Vaterlande und allen auswärti:
gen Freunden geographiſcher Wiſſenſchaften eine periodiſche
Gdrift angufündigen , die ihnen, wie ich boffe, wilkom
men ſeyn wird. Sie führt den Titel:
Geographiſches magazin von Weſtphalen .
Gie unterſcheidet ſich von åhnlichen periodiſchen Schriftet
Dadurch , daß fie nur auf einen einzigen Gegenſtand, allein
auf Weſtobalen ſich einfchränkt, und deſſen Producte
Sitten und Lebensart der Einwohner von Provingene
Stådten und Dörfern ; Volksmenge ; Alterthümer ; Fabri
fen ; Künſte ; Handwerke; kurz alles zu bearbeiten ſucht,
was zu einer fünftigen vollſtändigen topographiſchen und
ſtatiſtiſchen Beſchreibung von Weſtphalen erfordert wird .
Auſſer denen meiner Freunde, die fich zur Unterhaltung
Dieſes Magazins verbindlich gemacht haben , muntere id )
alle und jede Beförderer nůßlicher Unternehmungen auf,
zu meiner Abficht dienliche Beiträge mir zuzuſenden . ges
der gedruckte Bogen wird , wenn es verlangtwird , mit
3 Thaler, und wenn der Abſaß dieſes Journals es erlaubt,
mit 5 Thaler in Golde bezahlt . Jedes Heft wird 8 bis 10
Bogen 8. ſtark werben. Vier Hefte machen einen Band
aus. Auf jedes Heft wird 8 Ggr. Preuß. Courant ſub
fcribirt und auswärtigen franco Hamburg, Leipzig , Caffel
und Berlin zugeſchickt. Der Subſcriptionstermin ſtehet
bis Johannis 1784 Offent. Das erſte Heft erſcheinet su
Michaelis d. I. und mit jedem Quartal wird ein neues ge
liefert. Die Namen der Beförderer dieſes Magazins wer2
den am Ende des Bandes genannt. Aufſer allen meiner
vaterländiſchen Freunden, welche ich um Beförderung dies
fes Magazins erſuche kann man in allen angeſehenen Budha
handlungen Deutſchlands unterzeichnen .
P. S. Weddigen ,
Lehrer am Gymnaſium zn Bielefeld.
In Frankfurt am Mapn kann man ſich desfalls an
Varrentrapp Sohn und wenner wenden,
SINO

Fiche
01

Fun
*
the
'
-

Heſſiſche Beiträge:
.
Drittes Stúd,

3
1)

í
Inhalt IX
des dritten Stüds.

1. Dom Jiter der Landgrafen von Heffen , als Fürften zu


Sersfeld ; von Herrn Rath Ledberhofe.
II. Fortgeſezte Beſchreibung des Brodbaums: von Herrn
geheimen Rath Forftet.
III. Nachricht von der CaffeliſchenAkademie derMalerei,
Bildhauer- und Baukunft.
.
IV. Bom pldklichen Uebergange der Seele aus einem Ents
geſézten in das andere ; von Herrn Profeſſor Ties
demann

V. Noch etwas zur Geſchichte der Aufwandsgefeße.


Nro. VII. des vorhergehenden Stücs.
VI. Ueber den teutſchen Gerichtsſtyl.
VII. Dom Bergbau am Arzbergebürge bei Eiſenårz ix
Stepermark; von Herrn Wille.
VIII. Ueber den Kartoffelbau į von Herrn Pfarrer
Barnbagen.
IX . Shluß der Prüfung von Herrn Prof. Rants Grunds
Tågen ; von Herrn Prof. Jiedemann .
X. Šoreia
I nha ! t.
X. Schreiben über die Kempeliſche Schachſpiel- und Res
demaſchine.
XI. Von arabiſchen Handſchiften auf der Caſſelſchen Bis
bliothek : von Herrn Profeſſor Wepler.
XII. Anzeigen neuer Bücher und Schriften :
1. Senkenberg de jure primariarum precum :
1. 2. Erdenburgs Theorie und Litteratur der Rhönen Wife
ſenſchaften .
3. Caſparron von Verhütung des Betterns.
4. Wie verſorgt ein kleiner Staat ſeine urmen ?
5. Heſſiſcher Muſenalmanach von 1784.
6. Der Winterkaſten , ein Gedicht von Albers.
7. Lohmaier differtatio de arte navigandi per aërem .
8. Einige Caſſeliſche Einladungsſchriften .
9. Reinhards Hiſtorie des Hauſes Heffen , fortgefest
von GOB.
10. Ludwig der Friedſame) von Gunderode.
II. Paulus Geſchichte des KloſtersMódenbeck,
12. Die Zigeuner, von Grellmann.
13. Monbroddo vom Urſprung der Sprachen,

XIII. Murze gelehrte Nachrichten .

7.7
.

effifфе
Rei

DY
Heffiſche Beiträge
zur Gelehrſamkeit und Kunſt.
Drittes Stůc .

I.

Vom Titel der Landgrafen von Heſſen ,


als Fürſten zu Hersfeld.
s iſt die gemeineLehregeographiſcher , Hiſtoriſcher und
publiciſtiſcher Schriftſteller, daß die ehemalige uns
mittelbare BenedictinerMönchsabteiHersfeld, dem Fürſt
lichen Hauſe Heſſen -Caſſel im Weſtphäliſchen Frieden als
ein weltliches Fürſtenthum , wäre überlaſſen worden.
Wenn man aber die hierher gehörige Stelle ( 1 ) des Fries
densinſtruments ſelbſt nachließt, ſo findet man nicht nur
darin feinen Grund zu jener Behauptung ; ſondern wenn
man ſelbige mit andern , wo von Abtretung geiſtlicher Låna
der an weltliche Regenten die Rede iſt, vergleicht, ſo legt
ſich hier ein merkwürdiger Unterſchied zu Tage. Wegen
des an die Krone Schweden abgetretenen Erzſtifts Bremen
und
( 1) Art. XV. S. 2.
Seff Beitr, St.III.
2
374 I. Vom Titel der Landgrafen von Heſſen,
und Stifts Verden heiſt es ausdrúflich (2) : Imperator
de conſenſu totius imperii concedit vigore præ
ſentis transactionis fereniſſimæ reginæ ejusque hæ
redibus ac fuccefforibus, regibus regnoque Sueciæ
archiepifcopatum Bremenfem & epiſcopatum Ver
denſem - fub folitis quidem infigniis , fed TITU .
LO DUCATUS. Gleicbergeftalt wurde wegen des an
Brandenburg überlaſſenen Erzſtifts Magdeburg , und der
Stifter Halberſtadt und Minden beſonders vergliden ( 3 ) :
Ratione tituli autem conventuin eft, vt jam dictus
dominus Elector cum tota domo Brandenburgica,
et in ea omnes & finguli Marchiones Brandenburgici
Duces MAGDEBURGENSES & PRINCIPES HAL
BERSTADIENSES & MINDENSES appellentur &
ſcribantur. Und Meklenburg bekam auf gleiche Weiſe die
Bisthúmer Schwerin und Rakeburg : cum duplici
PRINCIPIS titulo & voto ( 4 ) . Bei Abtretung der Ab
tei Hersfeld an Heſſen -Caſſel wird hergegen weder einer Vers
ånderung des Titels , noch des . Siķ- und Stimmrechts
auf Reichstagen gedacht, obgleich die Webte lezteres von den
ålteſten Zeiten her ( 5) unſtreitig beſeſſen hatten . Es heiſt
vielmehr hier (6) ganz kurz : Domus Caffellana, ejus
que
( 2 ) Art. X. $. 7.
( 3) Art. XI, S. IL.
( 4 ) Art. XII. S. 1 .
(5) Kirchner de officio & dignitate Cancellarii lib. I. c. 4. p. 47.
foreibt: Nec enim ejus ( ecclefiæ Hersfeldenſis ) antiſtes primum
inter imperii Principes numeratus a Carolo IV , quod Cruſius An
pal. Suev. p. III. 1. V. de opulentioribus quibusdam abbatibus opi.
natus fed jonge ante veterum Ottonum imperia , etiam inter illos,
qui auétoritate præcipua ante Tertii ſeptemviralem conftitutionem
fuffragiis adhibebantur. Et ideo notatus in vetuſtis ecclefiæ mem
branis Abbas Cutzbertus eft , qui ne Ottonis III . creationi inuito
animo calculum ſuum adjicere cogeretur, dignitati vltro ſeſe & an .
tiftitis infula exuit.
Art, XV. S. 6.
1 als Fürſten zu Hersfeld . 375
1 que ſucceſſores ABBATIAM HIRSFELDENSEM re .
2. tineant.
Wåre aber auch der bemerkte Unterſchied nicht aus
I dem Friedensinſtrument erſichtlich, ſo muß ja ſchon der Ums
ſtand, daß der Titel der Landgrafen von Heſſen -Caſſel , als
01
Fürſten von Hersfeld, allererſt 1651 den Anfang nimmt ( 7 ),
gegen die anfangs gedachte Meinung mištrauiſch machen .
Ich fielt es auf dieſen Gründen får nicht unergeblic ,
us
ůber dieſen Gegenſtand eine genauere Unterſuchung anzus
ſtellen , wovon folgendes das Reſultat iſt.
Tag
ECO
Die Landgrafen von Heſſen -Cafel und ihre Nachfols
1.
ger erhielten beim Weſtphaliſchen Friedensſchluß die Abtei
Hersfeld, unter der Bedingung , daß fie , ſo oft fich der
1
Fall begiebt , die Belehnung darüber beim Kaiſer ſuchen ,
und Pflicht leiſten ſoaten. Wilhelm VI. ließ es daher,
gleich beim Antritt der Regierung 1650 , feine vorzügliche
PL
Sorge ſeyn , bei Ferdinand III. ſowohl um die Belehnung
8 mit den Heffiſchen Reichslehen , als mit dem Stift Herds
20
feld , anzuſuchen , in welcher Abſicht der geheime Ratý
Adolf Wilhelm von Kroſieg und der Regierungsrath
2S
Johann Jacob Chriſt nach Wien abgeſchickt wurden .
ut
Unter andern Schwierigkeiten , welche ſich bei dieſer Belehs
nung äuſerten , waren diejenigen , welche wegen Einricha
tung des Hersfeldiſchen lehenbriefs, und der Titulatur des
Fürſtlichen Hauſes , ſowohl in Rückſicht der Abtei Hersfeld,
41 als des an Heſſen - Caſſel gefallenen Theils der Grafſchaft
nun Schaumburg entſtanden , keine der geringſten. Der
HA Reichovicekanzler, Graf von Kurz forderte dem geheimen
(รู้ Rath von Kroſieg, gleich bei der erſten Unterredung, ein
illo
ont
Concept des Hersfeldiſchen Lehnbriefs ab. Als ſich nun dies
mer
fer erklärte , daß er nur den Lehnbrief des lezten Abts ,
Joachim , bei Handen hatte , worin dieſes Jeðns annod
x 418
(7) Sammlung der Heſſiſchen Landesordnungen ater B.S. 74
Bb 2
376 I. Vom Titel der Landgrafen von Heſſen,
als eines Stifts und Gotteshauſes gedacht würde, áufferte
ſich der Reichsvicekanzler , daß , da der Weſtphaliſche Friez
De , hierunter nur augemein rede , und keine Abanderung
der Benennung beſtimme: ſo müſſe dieſe Sache zuvor in
nähere Ueberlegung gezogen werden. Der von Kroſieg
glaubte nun zwar adem Yufenthalt , welcher dieſerwegen
zu beſorgen war , dadurch vorbeugen zu können , wenn
man die Abtei Hersfeld , unter die Heffiſchen Lehnſchaften
zählte , und ſelbige, dem Heffiſchen Reichslehn incorporirte:
allein dieſer Vorſchlag wurde ſo wenig am Caſſeliſchen Hofe,
als vom Reichshofrath genehmigt. Dort auſſerte mari
den Wunſch, daß die Belehnung über Hersfeld, beſon
Ders , und zwar nicht als auf ein geiſtliches, ſondern als
auf ein ſeculariſirtes Stift , eingerichtet werden möchte,
und ließ ſich jenen Antrag nur in fo fern gefallen , als
wegen des Titels alzu große Schwierigkeiten entſtehen múrs
den . Von Seiten des Reichshofraths wurde die anges
tragene Incorporation gånzlich verwerfen : denn es haftete
nicht nur auf der Ausfertigung des Hersfeldiſden Sehns
briefs eine beſondere Tare; ſondern die katholiſchen Reichs
hofrathe waren auch der Meinung, inan müffe das Ges
Dådytnis des Stifts Hersfeld um ſo mehr zu erhalten ſuchen ,
da im Weſtphaliſchen Frieden nicht ausgedrücktwäre ,daß
Hersfeld , gleich den übrigen , an weltliche Stände abges
tretenen Stiftern , ſeculariſirt ſeyn ſolle.
Dieſe Umſtände fchienen das Belehnungsgeſchäfte To
weit ausſehend zu machen , daß den Heffiſchen Geſandten
von Carſel aus der Befehl zugieng, daß fie fich nur bemu
Ken folten , die Belelnung zur Richtigkeit zu bringen ,
ohne ſich wegen des Titels aufzuhalten , und vielmehr das
Geſuch, wegen Titels und Wappens von Spersfeld und
Schaumburg , bis nach erhaltener Belehnung , auszuſeßen .
Dieſer Vorſchlag gelang nach Wunſch . Die Belehnung
erfolgte den 20 ten Auguſt 1650. Man bediente ſich hierbei
NUE
als Fürſten zu Hersfeld. 377
nur allgemeiner Ausdrucke', indem bei den geſchehenen
mündlichen Vorträgen nur überhaupt der Fürſtlich Hefa
firden und der Hersfeldiſchen Regalien und ſehen gedacht
wurde. Die Ausfertigung der Lehnbriefe , und vorzüglich
des Hersfeldiſden , verzog ſich aber bis zum Anfang des
Jahrs 1651. Die Urſache Hiervon war , weil von dieſer ' ?
erſten Hersfeldiſchen Belehnung ein laudemium von 2000
Gulden , und überdem 4800 Gulden Targelder gefordert
wurden , vorzüglich aber , weil die Geſandten im überge
benen Concept des Lehnbriefs , ftatt der bisher gewöhnlichen
Worte: Stift und Gotteshaus Hersfeid , den Namen
Fürſtenthum Hersfeld , geſeßt hatten . Dieſe Sache
wurde zu mehrerenmalen vom Reichshofrath in Delibes
ration gezogen, und darüber ein votum ad Imperatorem
erſtattet. Verſchiedene katholiſche Mitglieder des Reichs
Hofraths hielten dafür , daß weil im Weſtphäliſchen Fries
den keinesweges verſehen wäre , daß Heſſen - Caſel das
Stift Hersfeld als ein Fürſtenthum haben ſolle: To fónne
von der bisherigen Benennung nicht abgegangen werden ;
ſondern man müſſe überhaupt bei den Worten des Fries
densinſtruments ſtehen bleiben. Der Kaiſer ließ ſich jedoch
zuleßt die entgegengeſepte Meinung gefallen , und unter
dem 10 ten Jan. 1651. wurde der Lehnbrief über Hersfeld
als ein Fürſtenthum ausgefertigt, ohne daß jedoch im Titel
des Fürſtlichen Hauſes Heſſen - Caſſel dieſerwegen eine Abån
derung wäre gemacht worden. Sobald der Lehnbrief aus
der Tare erhoben war , übergaben die Geſandten ein Mes
morial wegen des von Heſſen - Caſſel zu führenden Titels
von Hersfeld ſowohl als von Schaumburg, welches Geſuch
.
den 22 ten April 1651. zugeſtanden wurde. Die Kanzlei
1
beſtand anfänglich darauf, daß wegen dieſes neuen Titels
und Wappens ein förmliches Diplom ausgefertigt werden
müſſe: Als aber die Heſſiſchen Geſandten zuerkennen gaben,
daß in Anſehung Hersfeld , der Kaiſerliche Lehnbrief , wos
durch dieſes Stift in ein Fürſtenthum wäre verwandelt
B6 3 worden,
378 1. Vom Titel der Landgrafen von Heſſen,
worden , und wegen Schaumburg, der im Weſtphaliſchen
Frieden beſtåttigte Vertrag , zwiſchen Herren - Caffel und
dem Grafen von der ſippe , fraft deſſen dieſer Titel beiden
Theilen gemein ſeyn ſollte , ſtatt eines Diploms waren
und es mithin keiner Conceſſion , ſondern nur einer Bes
kanntmachung bedürfe : ſo gab man endlich nach, und es
wurden an Kurmainz als Erzkanzler und an das Kammers
gericht bloſe Intimationsſchreiben erlaſſen. Dies Schreia
1
ben an Mainz , megen Hersfeld , lautet folgendergeſtalt;
Ferdinand der Dritte zc.
Hochwürdiger lieber Neve vnd Churfürft, Wir thun
Enu. Liebden hiermit freundgnädiglich nicht bergen , wase
maßen unverlangſt vnſers lieben Dheimbs vnd Fürſtens
Sandgrav Wilhelms zu Heſſen Siebden Dero Haus Heßens
Caßel vnd deſſen Succeſſoren'vermog des Friedensidluſes,
das Stift Hersfeld laut vnſers darüber gefertigten ( ehna
briefs , als ein weltliches Fürſtenthum zu {ehn gnädigſt vera
liehen haben. Wenn uns nun beſagtes {andgraven liebden
vermittelſt Dero an vnſerm Kayſerlichen Hof anweſenden
Abgeordneter vnterthänigſt zu verſtehen geben laſſen , daß
fie ſich beſagtes Fürſtenthumbs Hersfeld Fürſtlichen Zituls
vnd Wappens zu gebrauchen entſchloſſen , und dahero ges
beten , daß wir uns nicht allein vnſers Orts berührte Ii
tulatur gnädigſt gefallen laſſen , fondern auch dieſelbe
En. Siebden als Er;fanzlern des heiligen Römiſchen Reichs
gleichfals zu intimiren geruhen wollten , vnd wir dann
dieſes dem inſtrumento pacis vnd obgedachtem vnſerm
diß Orts ausgefertigten Kayſerlichen Lehnbrief allerdings
gemás zu feyn befinden.
Alſo haben Wir Ew , liebden hiermit notificiren wol
len , mit dem freúndgnediglichen Geſinnen und Begehren ,
Sie wollen nicht allein bey all Ihnen vritergebenen Čanks
leyen ,
als Fürſten zu Hersfeld. 379
leyen , ſondern auch an anderen Orten , wie es in dergleis
chen Fåden Herkommen , die gewiße Verordnung thun ,
damit angeregter Titul, Fürſt zu Hersfeld ad notam ges
nommen und mehrgedachtes Sandgraven zu Heßen Siebden ,
dero Haus Heßen- Caßel vnd deßen Succefforen ben allen
künftig fürfallenden Begebenheiten und ergehenden Schreis
ben , deme gemas gegeben werde, daran geſchicht vnd von
En. Siebden angenehmes Gefallen , dero wir benebens mit 2 .
Geben in unſer Stadt Wien den 2 ten May Anno 1651.
Heffen - Saffel hatte nunmehr ſeine üblicht in Anſes
hung der Belehnung mit Sersfeld , als einem weltlichen
Fürſtenthum ſowohl, als wegen des davon zu führenden
Titels und Wappens , erreicht ; allein Heſſen - Darmſtadt
ſuchte bei der Reichsbelehnung von 1650 , 1660 , 1670
und 1674 vergeblich darum nac), namentlich in den Hers
feldiſchen Lehnbrief eingerückt zu werden . Es bediente fich
nun zwar dieſes Fürſtliche Haus , gleich dem Caſſeliſchen ,
von 1651 an des Jitels als Fürſt von Hersfeld ,, und eča
hielt auch ſelbigen von auswärtigen Potentaten nnd den
übrigen Reichsſtånden , nur allein den Kaiſerlichen Hof
ausgenommen . Hier war man aller Vorſtellungen uner
achtet nicht dazu zu bewegen , und als Heſſen - Darmſtadt
bei den Reichsbelehnungen von 1660 , 1670 und 1674
fich in den zur Samtbelehnung übergebenen Volmachten,
gleich dem Cafſeliſchen , den Titel Fúrft von Hersfeld , bei
gelegt hatte , reßte man Kaiſerlicher Seits , bei dem öffent
lichen Sehndempfängnis und in der Kaiſerlichen Antwort,
7 bei Erwähnung des Heſſiſchen Ditels das Wort reſpecti
5 ve hinzu.
Die Gründe, welche die Reichshofråthe Graf von
Wolkenſtein , Graf von Nothhaft, Marquis de Caretto ,
Walterode und Kaltſchmidt, in dem , in der Hersfeldiſchen
Belehnungsſache ad imperatorem erſtatteten voto, mis
B 64 der
380 l. Vom Titel der Landgrafen von Heſſen,
der die Zulaſſang des Fürſtlichen Hauſes.Darmſtadt ans
führten , waren folgende; 1 ) die Worte des Weſtphali
ſchen Friedens bewieſen klar , daß Hersfeld nur an Heilens
Caſſel und deſſen Nachfolger abgetreten ſeyn ſolle, Wie
nun úberhaupt jeder Sehenscontrakt ſtricte erklärt werden
müſſe , mithin jener Ausdruck nur auf Deſcendenten , nicht
aber auf Collateralerben gehe , ſo gebúbre auch dem Kaiſer
um ſo weniger , eine ausdehnende Erklärung des Friedens
inſtruments einſeitig , ohne Vorwiſſen der übrigen Paciós
centen zu geben , da der ganze katholiſche Reichstheil hierbei
intereſſirt repe, und es nun gar darauf ankomme , das
Stift Hersfeld der katholiſchen Kirche auf ewig zu entzie
hen. 2 ) Der Ausdruck : domus Caſſellana ejusque
fucceffores abbatiam Hirsfeldenfem - RETINEANT ,
zeige klar , daß Darmſtadt keinen Anſpruch hierauf machen
könne : Denn dieſes Fürſtliche Haus habe ja Hersfeld nie
bereſſen. 3 ) Der Zuſammenhang des Friedensinſtruments
unterſcheide beide regierende Heſſiſche Häuſer genau , denn
vom Darmſtadtiſchen werde allererſt im 13 ten g. geredet.
Håtte man im 2 ten g. beide Häuſer im Sinn gehabt, po
würde man überhaupt geſagt haben , domus Hafliaca.
Hierzu kam noch 4) daß der Graf von Wolkenſtein , wel
cher beim Weſtphäliſchen Friedensſchluß das Direktorium
im Fürſtenrath geführt hatte, bezeugte , daß zwar Heffens
Darmſtadt bei den Friedensunterhandlungen , um eine
Bergütung der erlittenen Kriegsſchaden nachgeſucht hätte ,
es were aber in allen Reichskollegien damit abgewieſen wors
den. Håtte man nun die Abtretung der Abtei Hersfeld
auch auf die Darmſtadtiſche linie ziehen wollen , ſo wäre ja
dieſes Fürſtl. Haus dadurch ſchon zur Ruhe geſteļt worden.
Die übrigen Reichshofrathe hieſten hergegen dafür,
daß der Darmſtädtiſchen Linie die Mitbelehnung über Hers
feld und die ausdrückliche Benennung im Lehnbrief nicht
verſagt werden könne. Ihre Hauptgrunde waren folgende:
I ) ES
als Fürſten zu Sersfelb. 381
1) Es würde ungereimt ſeyn , wenn man die Worte des
Weſtphaliſchen Friedens: domus Caffellana EJUSQUE
SUCCESSORES, auf die Deſcendenten der Caffeliſchen
Linie einſchrånken woûte. Dieſe wåren ja ſchon unter der
Benennung domus Caſtellana begriffen und es könne
daher vernünftiger Weiſe zunacht niemand anders als Colas
teralerben unter dem Worte Succeſſoren verſtanden werden .
Daß auch die Krone Schweden und die übrigen Mitpaciſcens
ten dieſe Stelle des Friedensinſtruments nicht anders aus
legten , zeige ſich daher klar, daß ſie dem Fürſtl. Hauſe Heſſens
Darmſtadt den Titel : Fürſt von Hersfeld beilegten. 2) Die
Urſache warum Heffen - Caſſel im 2 ten 9. des 15 ten Artis
• Fels namentlich genannt wurde , ware offenbar keine an
dere , als weil ſelbiges die Abtei Hersfeld ſchon ſeit langer
Zeit im Beſitz gehabt hätte. Landgraf Georg jätte es gar
nicht nöthig gehabt , auf der ausdrücklichen Benennung der
Darmſtädtiſchen Linie zu beſtehen , weil er durch den Uus
druck domus Caſſellana, ejusque sucCESSORES ,
hinlánglich wäre geſichert geweſen . 3 ) Die Hausvertrage
zwiſchen beiden regierenden Heſſiſchen Häuſern beſagten
ausdrücklich , daß die Heſſiſchen Reichslehne insgeſamt
empfangen werden ſollten . Jene wären im 9ten S. des
15 ten Urtikels des Weſtphaliſchen Friedens ausdrücklich bes
ſtåttigt ; es könne daher auch aus dieſem Grunde das Ges 1

ſuch der Darmſtädtiſchen Linie nicht abgeſchlagen werden.


Bei dieſen ſich entgegenſtehenden Meinungen wollte
1 Ferdinand der Dritte nichts entſcheiden , ſondern ließ
beide dahin geſtellt ſeyn , wie folgendes Reichshofrathsa
Concluſum ausweißt.

Die Lunæ 5. Septembris Anno 1650.


Shrer Kayſerlicher Mayeſtåt. Die zwey vnderſchieda
liche Reichshoffraths - Gutachten wegen des Stiffts Hirs.
feldt , of Herr Landgrav Georg zu Heßen - Darmbftatt-in
$ 65 den
382 I. Vom Titel der Landgrafen von Heſſen ,
den nun für Şeßen - Caßed vermiligten lehenbrief expreffe
zu benennen ? im gehaimen Rath abgeleſen : vnd von
Deroſelben geſchloſſen worden , daß Ihro Mayeftát beider
Peits angeführte rationes dahin geſtelt ſein laſſen , und fich
1
darauf oder in Anſehung derſelben , noch zur Zeit nicht ,
reſolvirt haben wollen , immittelſt aber ſolte der Sehenbrief
für Heßen - Caßed juxta formalia inſtrumenti pacis außs
gefertiget werden , nemblich fürSandgrav Wilheamb daß
Hauß Heßen - Caßel und deßen Succeffores.
1

Bei den Reidsbelehnungen , welche nachber 1660 ,


1670 und 1674 vorfielen , konnte Darmſtadt eben wenig
zur ausdrücklichen Mitbelehnſchaft, und der Verwilligung
des Titels , Fürſt von Hersfeld, gelangen , obgleich von
Den angeſehenften Reichsſtanden , beſonders von den erbver.
brüderten Häuſern , wiederholte Interceffionsſchreiben eins
liefen. Adererſt bei der Reichslehnempfängnis von 1707.
wurde dieſe Sache erledigt. Das Fürſtliche Haus Heffens
Darmſtadt wurde damals zuerſt namentlich in den Hers
feldiſden Lehnbrief eingerückt , jedoch mit der beſondern
Bedingung, daß, da ſonſt beide regierende Herfiſche Häuſer
in der Benennung im Lehnbriefe und der Prácedenz alter
niren , in Anſehung Hersfeld jedod, Heſſen - Caffel jederzeit
Den Vorzug behalten ſolle. Das Reichshofrathhe Con
cluſum hierüber lautet alſo :
Sabbathi 30. Julii 1707.
Heßen -Darmbſtadt in puncto Inveſtituræ
ůber Hirßfeld concluſum .
Jhr Kayſerlich Mapeſtåt haben allergnädigſt bewilligeti
daß Heſſen - Darmbſtadt zur Hirßfeldiſchen Inveſtitur mit
gelaſſen , und dem Hirßfeldiſchen Lehenbrieff auch nomine
tenus , jedoch citra alternativam cum linea Caflellana
& falvo jure ac ordine fucceffionis inſerirt , mithin
wegen
als Fürſten zu Hersfeld. 383
wegen Ertheilung des Sitels Fürſten zu Hirßfeld kein Uns
ſtandt weiters poft præftita præſtanda genommen were
den ſolle ,
landgraf Ernſt Ludwig reverſirte ſich hierauf vermits
telft eines an den Sandgrafen Carl den 4. Nov. 1707 ers
! laſſenen Schreibens noch beſonders, daß die erhaltene Mits
belehnung nicht anders als citra alternationem & ſalvo
jure ac ordine ſucceſſionis zu verſtehen ſeyn ſolle, und
daß Darmſtadt nie einigen Anſpruc am wurklichen Befik
des Fürſtenthums Hirßfeld machen wolle, welches leßterë
darauf ſeine Beziehung batte , daß man Darmſtädtiſcher
Seis in ein am Kaiſerlichen Hofe übergebenes Memorial
hatte mit einflieſſen laſſen , man befånde fich im Mitbeſik
des Fürſtenthums Hersfeld , weil die dortigen Unterthanen
nicht nur die Eventual - Erbhuldigung leiſten mußten , fons
dern auch die Fräuleinſteuern , der Gulden - Weinzoll und
andere gemeinſchaftliche Einnahmen des Samthauſes Heſs
ſen dort für beide regierende Häuſer erhoben würden.
Daß übrigens das Fúrſtliche Haus Heſſen - Caſſel fich
der Mitbelehnung der Darmſtadtiſchen Linie über Hersfeld
mit groſem Eifer und Ernſt widerſeßt habe, iſt eine Wahrs
heitswidrige Erzählung eines neuern Schriftſtellers. Die
Heſſencaſſeliſchen Regenten inſtruirten nicht nur ihre Ges
ſandten , das Geſuch der Darmſtadtiſchen möglichſt zu uns
terſtúßen , ſondern Landgraf Carl erließ auch ein beſondes
res Interceſſionsſchreiben an den Kaiſer , deſſen glúclichen
Einfluß , ſo wie die ganze Verwendung des Cafleliſchen
Hauſes Landgraf Ernſt Ludwig in einem Schreiben vom
29. Uug. 1707 dankbar anerkannte. Man that Darms
ſtädtiſcher Seits bei dieſer Gelegenheit den Vorſchlag, daß
Heſſens Caffel auch den Titel von Gjenburg und Büdingen
annehmen möchte; allein (andgraf Carl machté hiervon
keinen Gebrauch , aus Gründen , deren Unführung nicht
an dieſen Ort gehört. Leoderboſe.
II. Bes
384
II.

Beſchreibung des Broðbaums.


Diie Gegenſtande
Kenntniß der Verbindung , worin wir mit den
n der Körperwelt ſtehen í beruht auf
I einer genauen Kenntnis dieſer Gegenſtande ſelbſt. Gene
, iſt es , welche allen Klaſſen von Menſchen eine angenehme
und núßliche Unterhaltung gewahrt : dieſe hingegen bleibt
nur das eigentliche Geſchäft einer geringen Unzahl Gelehrter
von Profeſſion . Schon auf den erſten Blick ſieht man ,
daß dieſer leztere Zweig der Naturwiſſenſdraft als Grunds
lage unentbehrlich , und eben ſo wichtig als der vorige iſt;
náhere Erörterungen dieſer längſt entſchiedenen Wichtigkeit
waren hier am unrechten Orte. Genug, die Welt Hat
neben Buffons Verdienſten auch die des groſen nordi
Tchen Naturforſchers anerkannt.

Noch gehört eine botaniſche Beſchreibung des Brods


baums , welche alle feine Spielarten umfaßte , und ihre
Abſtufung genau auseinander reßte , unter die Wünſche
der Naturkundiger. In den Inſeln des ftigen Weltmeers
beſchrieb ich die dort gewöhnlichſte Ubart ; Thunberg eine
in Batavia und Zeylon ; Sonnerat eine mit Saamen
in den Philippineninſeln ; Rumph mehrere in den Ge
würzinſeln . Allein dieſeHülfsmittel find nicht von gleichem
í Werth . Zu Rumphs Zeiten ward die Kräuterkunde
noch nicht ſo ſyſtematiſch_behandelt, als ſeitdem fid linne
ein unſterbliches Verdienſt um ſie erwarb ; und Herrn
Sonnerats Beſchreibung iſt weder ausführlich noch be
ſtimmt genug. Was im folgenden nicht aus meiner
Handſchrift entnommen iſt , werde ich in deſſen Teinen
Ilrhebern zueignen.
Der Brodbaum ( Artocarpus) gehört in die ein und
gwanzigſte Klaſſe des linnaiſchen Serualſyftems, unter
die
II. Beſchreibung des Brodbaums. 385
diejenigen Pflanzengeſ( lechter, welche zwar zweierlei ver:
schiedene und abgeſonderte, námlich mannliche undweibliche
Blúthen , jedoch beide aufdemſelben Stamme (Monoecia)
tragen ; und in die erſte Abtheilung derſelben , wo die manns
liche Blüthe riur ein Stauwgefáß (Monandria ) enthált.

In dem Verſuch die Pflanzen nach ihrer Verwands
ľ Tchaft zu ordnen , findet der Brodbaum ſeinen Plaß neben
dem Flaſchenbaum , in der Ordnung , welche Linne Coa.
dunatæ nennt .

Man unterſcheidet das botaniſche Geſchlecht des Broda


baums , von allen andern in derſelben Abtheilung des Sys
ſtems vorhandenen , hinlänglich, durch folgende weſentliche
Kennzeichen der Befruchtungstheile:
o Die mannliche Kolbe iſt mit zweiblåttrigen Keldhen /
befekt. 1

+
& Die weibliche Kolbe beſteht aus vielen verwachſenen
Fruchtknoten , ohne Keld) und Krone, mit einzelnen
Griffeln , und wird zur vielfacherigen Beere.
Indas foldergeſtalt feſtgelegte Geſchlecht geboren viels
leicht mehrere Gattungen naheverwandter Pflanzen , von
denen bisher aber nur zwei ſo genau beſchrieben worden
ſind , daß man ſie in ſyſtematiſche Verzeichniſſe fat eintra
gen können , nämlich :
I ) Der eigentliche Brodbaum , (Artocarpus in
ciſus) mit zerſchnittenen Blåttern und der Frucht an den
áufferſten Zweigen.
2) Der Jakkabaum ; ( Artocarpus integrifolius)
mit ungetheilten Blättern , und der Frucht an Wurzel ,
Stamm und Heften ,
Beide
386 U. Beſchreibung des Broðbaums.
Beide Gattungen ( ſpecies) ſind, wie viele andere
Gewächſe des heiſſen Erdſtrichs , der åbånderung ſehr unter :
worfen , und in eine Menge Spielarten ausgeartet, wos
durch ſie ſich einander noch mehr nähern ; denn I hunberg
Fahe Jaffabåume mit dreifach eingeſchnittenen Blättern ,
und Rumph im amboiniſchen Kräuterbuche i giebt zu
verſtehen , daß eine Spielart des Brodbaums nur rehr
wenig eingeferbte Blätter hat. Es iſt alſo noch die Frage,
ob es in Zukunft bei den obigen , nad Thunbergs And
gabe verfertigten Beſtimmungen wird bleiben können ? So
ſchwer iſt es zuweilen Naturprodukte , wovon uns deë erſte
Anblick belehrt, daß ſie zu gång verſchiedenen Arten gehós
ren , nach der Kunſtſprache mit kurzgefaßten Definitionen
zu belegen ! So fehlt es uns beinah an ſchulgerechten Uus
drücken , Wölfe von Fúdyſen , Panther von Leoparden ,
Seebåren von Seelöwen kurz und beſtimmt zu unterſchei:
den. Dies ſind Gebrechen , die aus der Beſchaffenheit
einer ſyſtematiſchen Lehrart flieſſen , welche deshalb ihren
Werth zwar keinesweges verliert , doch aber in ihre
Schranken zurückgewieſen wird. Umſtåndliche bis auf die
kleinſten Abweichungen ſich erſtreckende Beſchreibungen ſind
das einzige , wodurch man jenen Mángeln abhelfen kann .
Zuerſt liefere ich alſo eine genaue in D - Taheiti, nach der
daſelbſt gewöhnlichſten Spielart abgefaßte Beſchreibung
des zahmen ſaamenloſen Brodbaumes.
Der Stamm iſt gerade , gemeiniglich ſo dick als der
menſchliche Körper und vierzig Schuh hody , oft nod höher.
Das Holz iſt weich , leicht, gelblich ; der Splint etwas
grobfaſerig und weiß ; die Rinde hellgrau , ziemlich glatt ,
etwas geſprungen und mit wenigen kleinen Knotgen beſeßt.
Ade Theile des Baumes geben , wenn ſie verwundet wer
den , einen klebrigen Mildſaft.
Die Aeſte bilden eine breite , runde , nach oben zu
ſtufenweis fid fømålernde Krone; die unterſten ſind lang,
kommen
II. Beſchreibung des Brodbaums. 387
kommen geiñeiniglich erſt in der Höhe von zwólf bis funf
zehn Schuhen über der Erde, aus dem Stamm , klaffen
beinahe wagerecht auseinander , gehen nach den Seiten,
mehrentheils zu drei und vieren ( quirlförmig , Th .) in
gleicher Höhe hervor. Die kleinern Zweige ſteigen aufs
wärts und tragen an ihren Spißen Blúthe und Blåtter.
Die Blätter ſtehen abwedsſelnd , find geſtielt, beis
naße eiförmig , von oben her in ſieben bis neun lanjetförs
mige ſpiſe Zungen, vermittelſt ſehr tiefer zugerundeter Ein's
ſchnitte geſpalten , übrigens glattrandig, an beiden Seiten
naft und glatt , klaffend, ſchóngrún unten etwas bleicher,
pergamentartig , anderthalb Sduh lang , eilf zou breit,
adrig , mit dicken Rippen , die Paarweiſe von der Mittels
rippe nach den gegenüberſtehenden Zungen gerade hinauss
laufen. Die jüngeren Blätter ſind, wie alle zarte Theile
des Baums, klebrig anzufühlen. Der Stiel ift beinahe
rund , naft , aufſteigend, zwei Zou lang.
(Zwei Blattanfäße ( ftipulæ ) worin die jungen Blåte
ter gewickelt waren , find lanzetförmig , zugeſpißt, hohl,
mit glattem Rande , inwendig naft , auswendig haarig ,
abfallend, drei Zod lang. Tý. und die Hottuyniſde Figur.)
Die Blumenſtiele kommen an der Spiße des Zweis
ges und an den Achſeln des oberſten Blatts einzeln hervor,
find rund, mit Hårchen dúnn beſeßt, aufrecht und zwei
bis drei Zou lang. 美A

Männliche Blüthe an den oberſten Blåttern .


Kelch. Die Blumenſcheide fehlt. Die Kolbe iſt eins
face, etwas feulenförmig , oder gegen oben dicker ,
aufrecht, ſpannenlang , daumensdick, fleiſchig , mit
anfißenden ganz kleinen Blüthen dicht bedect, und
fråg
388 II. Beſchreibung des Brodbaums.
1
frúh hinfánig. Die eigne Blumendecke iſt áuſerft
klein und zweiblåtterig; die Blåttgen ſind gleichgros,
ſtumpf, hohl, hången feſt zuſammen , ofnen ſich bei
dieſer Spielart nie , und find gelbbrauner Farbe.
(Was hier Blumenbecke Geiſt , nennt Thunberg
Krone. )
Krone fehlt.
Staubgefäß. Ein fehr kurzer Faden aufrea
in der Mitte jeder
Blumendecke. Der Beutel fteht , oft långa
licht, einfach und nicht länger als der Faden.
Weibliche Blüthe an der Spige des Zweiges.
Kelch. Eine zweiblåttrige, hinfällige Blumenſcheide, des
ren Blätter eylanzetförmig , zuſammengedrückt, zu:
geſpißt; aufrecht, an der Spiße umgebogen , weich,
beinah ſpannenlang und anfangs geſchloſſen ſind,
ſteht zu oberſt an dem Blumenſtiel. Die Kolbe iſt
kugelförmig , mit vielen verwachſenen Fruchtknoten
bedeckt. Die kleinſte , die ich zergliedert habe , war
wie ein Taubeney ; zwiſchen dieſer und der reifen
Frucht habe ich ſie von ađen Gröſſen unterſucht.
Die eigne Blumendecke fejlt.
Krone fehlt.
Stempel. Der Früchtknoten ( jeder einzeln betrachtet )
iſt eine umgekehrte Pyramide, die mit der Spiße im
Fruchtboden ſteckt , mit den Seiten an die andern
Fruchtknoten feſtgewachſen , an der Oberfläche et
was weniges gerðlbt, und fünf - ſechs- ſieben - auch
achteckig iſt. Ein Griffel iſt bei dieſer Spielart nicht
vorhanden ; andere haben ihn einfach , aufrecht und
bleibend, Die Narbe iſt bei dieſer Spielart weiter
nichts
II. Beſchreibung des Broðbaums. 389
nichts als ein erhabenes Punktgen in der Mitte eines
1
jeden Fruchtbodens , das bald verwelkt. ( Bei ans
dern Sorten finden ſich eine oder zwei Narben an der
Spiße des Griffels. TH .)
! Saamengehåuſe. Eine kugelrunde Beere , die auf der
Oberfläche ziemlid, glatt , und blod in kleine Sechsecke
abgetheilt iſt. ( Die gråſte Frucht wird zehn Zou im
라 Durchmeſſer.) Die Rinde iſt ziemlich hart , blaß
grún , mit dem Fleiſch verwachſen , welches eine weiſs
ſe, mehlige , etwas-faſerige Subſtanz iſt ,die den in
der Mitte Feulenförmig und ohngefähr Fingers lang
aufſteigenden dicken , fleiſchigen Fruchtboden umgiebt.
Wenn die Beere reif iſt, wird ſie gelb , ſúß, weich
und ſüßlichriechend , worauf ſie abfaat und fchnell
Verdirbt.

Saamen. Kleine, verſchrumpfte, fånglichte, ohngefågr


eine inie lange , unfruchtbare Spuren , von bråuna
licher Farbe , die ſich an der Spiße mit einem langen
Haar endigen , findet man im Fleiſche niſtelnd.
Spielarten des Brodbaums.
Zur Ergänzung der vorigen Beſchreibung und zur
Ueberſicht der ganzen Gattung des Brodbaums , ſcheint es
mir nicht unzweckmáſig , hier die vorzüglichſten Spielarten ,
ſo viel mir ſolche bekannt ſind , mit ihren Kennzeichen
aufzuzahlen :
A. Zahmer , ſaamenloſer Brodbaum .
2 ) Wegen ihrer Vortreflichkeit , ſowohl was Geſchmack
als Gróſe der Frucht betrift , mache ich den Anfang
mit derjenigen Abart des Brodbaums, welche von der
natürlichen wilden Stamm - Mutter vermittelft der
Seif. Beitr. St. III. SC Kultur
/

390 II. Beſchreibung des Broðbaume .


Kultur am weiteſten abgewichen, und folglich eigents
lich die leßte iſt. Es iſt dies die in D - Taheiti ges
mihnlichſte vorhin ausführlich beſchriebene Sorte ,
mit beinah vollkommen runder, glatter Frucht, ohne
alle Stacheln. ( Taheitiſch Uru. )
B ) Mit ſehr tief eingeſchnittenen , in lange ſehr ſchmale
Lappen geſchlişten Blättern , und langlichrunder übris
gens auch glatter Frugt, ebendaher , heißt auf tga
heitiſch Maira.
g) Mit långlicher Frucht , die an der Oberfläche ſehr
raun , gleichſam ſchuppig anzufühlen iſt ; ebenfalls
1
aus Tapeiti , wo man ſie Pateq nennt.
8) Mit långlichrunder Frucht , runden warzenáhnlichen
Erhabenheiten der Fruchtknoten und kurzen fachlichten
Griffeln ; in D - Taheiti Catarra genannt. ( Dieſe
vier Nuancen ſind wenig verſchieden . )
6) Flockiger Brodbaum oder Baumwollen Socfum .
Rumpk tab. 32. Mit ftachlichter , inwendig wols
liger Frucht. Eine grobe Surte , welche in Sumas
tra , Java , Baly und überbaupt den weſtlich geles
genen Inſeln ziemlich häufig; hingegen in den Ses
würzinſeln und den Molucken ſeltener ift. Der
Stamm iſt nicht größer als ein Muskatnußbauen ,
d. i . kaum Dreiſig Schuh hoch . Die langen Aeſte tra
gen wenig ſaub , dergeſtalt , daß man überall durch
ſehen kann . Die Blätter ſind zwei Spannen lang ,
tief eingeſchnitten , unbehaart und pergamentartig .
Die Frucht iſt klein , fieht wie ein groſes Herz aus,
und iſt gleichſam mit ſpißigen Wárzgen auf der Obers
flåche bereßt. Das Fleiſch beſteht aus lauter Zaſern ,
und gat daher mit flockiger Schaafwolle einigeVehns
lichkeit. In der Mitte iſt das Gewebe locker , und
bildet
1
. II. Beſchreibung des Brodbaums. 391
bildet ſogar eine kleine Hólung , wo weder Fructa
boden noch Saamenkerne befindlich ſind. R. ( Bon
dieſer Art ſcheint die Frucht und der Zweig zu ſeyn ,
die Houttuyn hat abbilden laſſen .) Bisweilen giebt
es doch eine Zwiſchenart, die einige wenige Kerne ents
hált , und den Hebergang zur folgenden Spielart
ausmacht.
B. Zahmer ſaamenbringender Brodbaum.
1
6 ) Mit unvoukommenen Saamen. Diejenige Spiels
art , welche Thunberg in Java fand , und in reis
nererſten Beſchreibung ( Ac . Holm .Vol. XXXVI.
p . 251.) mit B bezeichnete, gehört hießer. In der
Folge ſcheint er ſie wegen ihrer Unfruchtbarkeit für zu
geringfügig gehalten zu haben , um ſie von der ſaas
menloſen abzuſondern ; ja es ſcheint ſogar aus der
zweiten Beſchreibung zu erheden , daß er dem Brods
baum überhaupt keinefruchtbare Spielart zugeſtehen
mag. Die Kerne dieſer Sorte werden nur zweimal ſo
groß als Erbſen , und taugen zur Ausſaat nicht. (Th.)
B) Mit vollkommenen Saamen. Sonnerat zeich
net die Kerne der philippiniſchen Sorte lánglichrund ,
1
kantig , ohngefähr anderthalb Zou lang, und an beis
den Enden mit einem kleinen ſtumpfen Unſaß verſes
hen ; er reßt hinzu , daß ſie auf dem Fructboden
lißen , und von mehreren Håuten umgeben ſind.
S. erſteres iſt nicht ganz richtig ; lekteres aber bes
ſtátigt auch I hunberg. (Es liegen nämlich , lagt
er , zwiſden jedem Saamen viele dủnne , weifle,
fleiſchige Hautgen ; hierauf hat jeder Saamen nodi
einen eigenen weiſſen , geſtreiften , fleiſchigen Beutel,
worın er liegt , und fodenn ſeine eigenen Bedeckuns
gen , wovon die áuſere Weiſſe in der Folge abtrods
net , und die innere Braune den Kern beſchließt.)
Jene
392 II. Beſchreibung des Brodbaums.
Jene dủnnen Håutgen rühren unſtreitig daher , weil
viele Fächer der Frucht aüemal unfruchtbar bleiben ;
folglich von dem reifenden Saamen verdrängt und zu
bloſen Håuten zuſammengepreßt werden . Dieſe
Spielart iſt es , welche Camelli beim Ray , und
hernad einer von den Geſchichtſchreibern der Anſons
fchen Reiſe, den Ellis anführt, unter dem Namen
Dugdug oder Dufou erwähnen . Der leßtere Vers
faſſer reßt ausdrücklich hinzu , daß jede Frucht, die
faſt ſo groß als die raamenloſe wird , bis funfzehn
Kerne von der Giróſe einer Kaſtanie enthält , und
etwas längere nicht vsaig ſo tief eingeſchnittene Blát:
ter hat. Dieſe ſaamenbringenden Båume find jezt,
dem Kapitain Crojet zufolge, auch in Guam , der
vornehmſten Marianeninſel, ſelten geworden. ( Voy.
à la mer du Sud.)
Eben dieſe Spielart iſt es wahrſcheinlich , die aud
in den Gewürzinſeln , den Molucken , und an der
dftlichen Küſte von Celebes håufig gepflanzt wird ,
theils wegen der nahrhaften Kerne , theils weil ſie
ungewöhnlich ſchnell mådiſt und ſehr ſchattenreich iſt.
Die Wurzel hat eine rothe Rinde . Der Stamm iſt
nahe an de: Erde in mnehrere Auswuchſe getheilt , und
wird ſo dick , daß ihn zwei Mann nicht umſpannen
können , und zuweilen ſo hoch , daß er ift.
Obſtbäume der dortigen Gegend übertrift . Alle
Theile firozen von Milchſaft. Das faub iſt gros
und zerſchnitten , rauh , unten woligt. Die Stiele !
und die Spißen der Zweige find ebenfalls ganz haarig.
Die mannlichen Slutpenkolben ſind einen Schuh lang,
weich , gelblich , fallen bald ab. Die Frucht iſt groß.
und beinah herzförmig , mit Spißen oder Hafenfórs
migen Dornen befäet , die aber keine wahre Stachelli,
ſondern Griffel Des Stempels ſind. Die Kerne ſind
gros ,
II. Beſchreibung des Brodbaums. 393
gros, Kaſtanien ähnlich , und durch etwas weniges
von fleiſdviger Subſtanz von einander geſondert. Des
der Kern hat eine hedgraue , dúnne hårtlicheSchaale.
R. Soccus granoſus , tab. XXXIII. p. 112.
Einige geringere Abweichungen mit glattem (aube ,
oder mit kleinern garten Kernen übergehe ich.
1
C. Wilder faamenbringender Brodbaum. N. p . 114.
tab. XXXIV. Dies iſt vermuthlich der Stamm
1 väter aller kultivirten Sorten , wadyſt wild in den
Waldungen der Gemvůrzinſeln , wahrſcheinlich auch
auf den benachbarten großen Inſeln , hat eine duns
kelrothe Rinde an den Wurzeln , einen kleinen e figen,
gleichſam geflügelten Stamm , eine unanſehnliche
Krone, kleines , wenig eingeſchnittenes Taub , wel
ches ſo rauchhaarig und ſtechend iſt , daß man es kaum
angreifen kann , einen ſchnelltrocknenden weniger
klebrigen Milchſaft , Hókerige , haarige , ſtadhliche,
oben eingedrückte Früchte , und kleine, zahlreiche,
eckige , erdfarbené , Tehr bittere , im ſchleimigen Fleiſch
niſtelnde Saamen. R. Daß auf den haarigen Uebers
zug und die Grdie der einzelnen Theile bei der Beſtim
mung der Pflanzengattungen wenig Rückſicht genom
men werden dürfe , da dieſe Dinge ſo ſehr.von Wit
1
terung , Klima, Sage , Boden , Ausdünftung und
andern Nebenumſtänden abhängen , wird auch hier
wieder durch ein Beiſpiel beſtåtigt, indem Rumpk
auch wilde Brodbäume mit großen , weniger behaarten
Bláttern angetroffen hat. Hieher rechne ich auch den 1

auf der Inſel Damme wildwachſenden kleinen Sof


kunbaum , der zwar einen hohen Stamm , aber
kleine , runde , auswendig braun und gelb gefleckte
Früchte und viele Kerne zwiſchen eßbarem gelben
Fleiſche haben ſoll. Hierin zeigt der wilde Brodbaum 1

eine nähere Verwandſchaft mit der zmoten Species ,


< 3 namtlich
7

394 II. Beſchreibung des Broðbaums.


nåmlich dem Jakka - oder Nankabaum , und dieſes
um ſoviel mehr , da das ſchleimige Fleiſch , auf eben
die Art wie jenes der Nanka , roh gegeſſen wird.
Verſchiedene Benennungen des Brodbaums.
I. Botaniſche: Artocarpus, (Linn .) Rademachia,
( Thunberg.) Sitodium , (Banks et Solander.
Soccus, ( Rumpb.)
2. In Europäiſchen Sprachen : Breadfruit, ( Engl. )
Broodboom , (Hol.) Fruit à pain , ( Franzóſ.)
Syrſack , Schoorſack , (Holl. in Indien .)
3. Einheimiſche Benennungen nach den Spielarten.
A. a. Barabe , ( Malifodo .) Ghurru , ( Tanna.)
Rima, ( Guam .) Uru , ( Taheit.) B. Maira,
( Iaheit.) 9. Patea, (Taheit.) 8. Tattarra,
( Saheit. E. Bakar , (Makaſſar.) Gomo. ( Ier:
nat.) Soccun , ( Java und Baly .) Soccun - Ca
pas, (Malaviſch ) Soccun - Radja , ( Banda. )
Soun oder Soun Hahatu, ( Amboin.)
B. B. Amakir, (Amboin.) Dugdag, Dukdu, (Guam .)
Gomo , (Ternat.) Gomaffi, (Makaſſar.) Kul
lur, ( Javan .) Soccun -Bidji, (Malayiſd .) Tim
1
bul, (Baly.) Umara, (Umboin.) Soccun -Utan,
(Banda).
C. Kahali, ( Hitu.) Sero Wakki ; Soccun Maos , 1
Soccun Piſang , ( Banda. ) Soccun Telloor,
(Damme.) Soccun Utang , (Malayiſch .) Ulal,
( Siru .). Utar , (lentimor.)
Anmerkung. Der Name Artocarpus, den ich dies
fem Baume gab, iſt aus aptos und sophos entſtanden , und
bedeutet
II. Beſchreibung des Brodbaums. 395
bedeutet alſo buchſtäblich Brodfrucht. Der Name Rade
2 machia iſt ihm von Thunbergi zu Ehren eines Raths
von Indien , und Beförderers der Naturgeſchichte zu Bas
tavia , des Herrn Radermacher , ertheilt worden. In
der Folge hat Thunberg aber den vom verſtorbenen
D. Solander und dem Ritter Banks aus oitos Speiſe
1 und door vortreflich , gebildeten Namen Sitodium ( Görs
terſpeiſe ) adoptirt. Soccus ift Rumphs aus dem Ma
layiſchen Sockung entnommene Benennung. Sinne hat
die unſrige gewählt. Es verdient hier noch wohl eine Bea
merkung, daß es dem Naturkundiger , der fremde Lånder
mühſam durchſucht, nicht immer zu verdenken iſt, wenn
er von ſeinen botaniſchen Expeditionen ermattet zurückkehrt,
und dann gerade nicht allemal jede Pflanze mit dem wohls
klingendſten Namen tauft. Um der Drdnung willen muß
gleichwohl der Name ſogleich gegeben werden , und wie
Tower iſt dieſes nicht bei der großen Menge von Pflanzen ,
die ſtructuram naturaliſſimam ( Phil. Bot. 97.) haben ?
Als ich mit Herrn Ritter Banks meine Kräuterſammluns
gen aus den Inſeln des Súdmeers mit den ſeinigen verglid ),
fanden wir theils Pflanzen , wo wir genau auf einerlei Nas
men verfallen waren , theils ſolche, wo bald ſeine Benens
nung , bald die unſrige ſchicklicher wer.
1.
Des eigentlichen Brodbaums erwähnen folgende
Schriftſteller unter den vorangeſeßten Benennungen :
Rima. P. Georg. Camellie S. J. fafc. fruticum & ar
borum in Luzone inſula naſcentium ap. J.Raji
hift. plantar. Tom. III. c. IX . P. 52. n . 7 : Lon
don fol 1704
. . Voyages of Capt. William
Dampier, Lond. 8. Vol. I. chap. X. - Lord
Anſons Voyage round the World , by Walter,
Lond. 4. 1743. Die Abbildung in der Landſchaft
von Jinian iſt nichts werth. Sonnerat, Voya .
C4 ge
396 II. Beſchreibung des Broðbaums.
ge à la nouvelle Guinée , Paris , 4. 1776. pag.
90. tabb. 57-60. ſtellen einen Zweig der zayınen ,
ſaamenbringenden Sorte, nebſt der ganzen und durch
Tohnittenen Frucht, den Kernen und der månnlichen
Blüthenkolbe vor. ' — de Pagès , Voy. autour du
monde , Paris 8. 1782. Tom . I. p . 136. - Cro
! zet , nouveau voy. á la mer du Sud , Paris , 8.
1783. pag. 187.
Soccun. Franc. Valentyn; oud eu nieuw Oſtindien,
Amft. en Dordr. fol. 1724. Tom . V. .
G. E Rumph. Herb. Amboinenf. Tom . I.cap.
27-30. pag. 110-114. tab. XXXII - XXXIV.
Breadfruit. ( Brodfrucht. ) - Commodore Byron ;
Kapitain Wallis , Kapitain Goof in Hawkesa
worths Geſchichte der neueſten Reiſen um die Welt,
Berlin 8.1775 . 1.B S.158 u . 298. 2.B. S.336.
nebſt einer leidlichen Abbildung eines Zweiges ; 3. B.
S.498. und gegenüber, S. 550 , eine mittelmáſige
Abbildung des ganzen Baumes auf der Landſchaft. -

John Ellis Deſcription of the Mangoftan and


Breadfruittre , Lond. 4. " 1775. ( der vorige Zweig
etwas verändert.) G. Forſers Reiſe um die
Welt , 1. u. 2. Band , 4. Berlin , bei Haude und
Spener , 1778. I. R. Forſters Bemerkuns
gen u . 8. Berlin 1783 . Des Herrn Juſtizraths
Hirſchfeld Gartenkalender für 1784 , 12mo.
Kiel, S. 188. tab. 12 , die Figur aus Hawkeda
worth. Forreſt's Voyage to New Guinea, 4 .
1779. Cooks Voyage to the pacifick Ocean,
Lond. 4. 1784. Eine gute Abbildung des ganzen
Baums auf einer Landſchaft , in der 26. Kupfertafel.
Sitodium altite. Parkinſon's Journal of a Voyage
in the Endeavour , Lond. 4. 1774 p . 17.45.
Natura

!
II. Beſchreibung des Broðbaums. 397
Naturforſcher, 4tes St. , Halle, 8.1774.S. 220.
Uus dem vorigen, die Fig. aus dem Hawkes worth.
Sitodium inciſum . Thunberg in Philof. Transact.
1
Vol. LXIX. part. II. p. 465.
Rademachia inciſa . Thunberg. in act. Holm. Vol.
XXXVI. 1776. p. 260.
Artocarpuscommunis. ( inciſus) J. R. & G. Forſter,
Characteres gen. plant. Lond. 4. 1765. p. 102.
tab. 51 & 51. a . Befruchtungstheile und die Frucht
der gewöhnlichſten tahritiſchen Spielart, natürlicher
Gróſe, aber keine von den gråſten. Linn. ſuppl.
ant. Brunſvig . 8. 1781. p.411. – D. Hout
touyn , natuurl. hiſt. volgens Linnæus , IIde
Deels XI . St. 8. p. 439. mit einer guten Abbildung
der Spielart A. e. (aus Batavia ) nebſt den aus uns
Tern Charact . gen . plant. copirten Befruchtungss
theilen. - D. Panzers Beitrag zur Geſchichte des
oſtindiſchen Brodbaums , Nürnberg , 8. 1783. nebſt
Houttouyns Figur.

73
Erklärung der Kupfer.
. Erſte Tafel.
a. Die mannliche Blüthenkolbe eines D - Jaheitiſden
7 Brodbaums.
11
b . Dieſelbe der Långe nach durchſchnitten, um zu zeigen,
wie die einzeln Blüthen drauf fißen .
e c . Eine einzelne Blüthe , oder Blumendecke von nas
türlicher Grore.
Sc5 d. Dies
398 II. Beſchreibung des Broðbaums.
d. Dieſelbe vergróſert,
e . Ebendieſelbe vergróferte Blumendecke geðfnet, um
1 ihre zwei Blätter und das darin enthaltene Staub
gefäß zu zeigen.
f. Die weibliche Fruchtkolbe, eines D - Taheitiſchen
Brodbaums duroſchnitten , (worin der Fruchtboden
in der Mitte und die Spuren der Saamen rund um
her zu ſehen ſind.
g. Eine unfruchtbare Saamenſpur mit ihrem Haar.
Zweite Tafel.
Die reife Frucht des in Taheiti gewöhnlichen faamen
loren Brodbaums, verkleinert. Darunter liegt der
Umriß eines Blatts von eben dieſem Baum , genau
nach der Natur gezeichnet, und ebenfalls verkleinert.
Das Blatt iſt ohngefähr 20 Pariſer Zou lang , und
die Frucht zwiſchen acht und
li
neun 300.

Die zweite Gattung in demjenigen botaniſchen Gez


fchlecht, worin der Brodbaum den erſten Plaß erhält , iſt
der vorhin genannte und hauptſächlich in dem weſtlichen
Indien , an den Küſten Malabar und Koromandel , wie
auch auf der Inſel Zeylon gewöhnliche Jakkabaum , def
fen eßbare Beere ſo ungeheuer gros iſt, daß ſie ein Menſch
juweilen nicht fortbringen kann. DieſeGattung beſchreibt
D. Thunberg in dem LXIX . Bande der Philoſ.
Transact. ſo ausführlich, daß ich darauf verweiſe, da eine
weitläuftigere Ermáðnung dieſes Baums nicht hieher gehört.
Zwiſchen beiden Gattungen aber ſcheint mir ein Baum
ſeinen Plaß zu behaupten , den künftige Kräuterforſcher
in
)

II. Beſchreibung des Brodbaums. 399


in Indien dereinſt hoffentlich näherkennen lernen und und
bekannt machen werden . Wegen ſeiner nahen Verwands
ſchaft mit unſețm Brodbaum , glaube ich einigermaßen bes
rechtigt zu ſeyn , das wenige was wir von ihm wiſſen , noch
t herzuſeßen , damit ich den Anſchein etwas vergeſſen zu
haben , vermeide.
Sinfdoten in ſeiner hiſt. Ind. orient. part. IV .
c . 14. VII . c . 27. und Chriſtoph Acofta hift. medicam .
c. 33. desgleichen Kaſpar Bauhin im Pinax 1. XL. p .
449. erwähnen dieſes Baums nur obenhin unter der Bes
nennung Angelina , welche deutlich aus dem malabariſden
Namen Angeli ( Undſcheli ) entſtanden iſt, den der vers
dienſtvolle Rheede tot Drakenſtein in ſeinem horto
malabarico , part. III. p. 25. t. 32. dieſem Baume bei
legt. Dieſer große Beförderer der Kräuterkunde , der
Zweite in dem Triumvirate von Schriftſtellern , auf deffen
Beſchreibung fich linne verließ (*) , giebt ſowohl durch ſeine
fchone Abbildung des Angeli , als auch durch dasjenige,
was er von ihm ſagt, ganz augenſcheinlich zu erkennen ,
wie nahe derſelbe mit dem Brodbaum verwandt iſt. In
alen Theilen von Malabar , doch vorzüglich in den Wal
dern von Kalikclan trift man ihn häufig wildwachſend an .
Er wird ſo ungeheur groß , daß Kåbne aus einem Stamm
geholt werden , dieachtzig Schuh lang und neun Schuh breit
find ; auch trågt er þundert Jahre lang Früchte. Die
Wurzel hat eine róthliche , ſchuppige Oberhaut. Das
Holz iſt ſehr feft, eiſenhart und ſchwer ; dennoch ſchmeckt
es den Bohrwürmern im Meere ſo gut , daß Rähne, die
daraus gemacht worden , in kurzer Zeit ganz zerfreſſen ſind..
Die Rinde iſt grau und zerſprungen ; die zahlreichen deſte
ſind
( * ) Auétoribus nullis fidem adhibui præter Dillenio in horto Eltha
menfi, Rheede in horto Malabarico , quos accuratos eſſe obſer .
vavi ; & Plumierio in americanis , ubi nulli alii erant auctores.
Præf. in Gen, Plantar .
400 W. Beſchreibung des Brobbaums:
find bräunlich. Die Blätter des jungen Baums findborn
in drei Sheile eingeſonitten ; die des alten aber långlich
rund , ſpannenlang, unzertheilt , unten ſehr haarig und
rauh. Auch find Blattanfaße, thit weichem gelblichem
1
Haar befeßt, wie bei den finden , vorhanden. Die mann
lichen Kolben kommen , wie bei dem Brodbaum, zuoberſt
an den Veſten hervor , ſind eine Spanne lang und Fingers
dick. Wenn fie trocken ſind , ſpielen die Kinder damit,
und zúnden ſiewie lichter an. Die Früchte kommeneben :
faus , wie beim Brodbaum , ganz an der Spiße des Zweis
ges fervor, find länglichrund, ſtachlich, fauſtgros, und
ſtehen auf einem dicken , behaarten Stiel ; fie enthalten
eineMenge lánglichrunder, geripter Kerne. Im Decem
ber reift die Fruct, welche die Braminen Pata Po
noſſu nennen .
Sorſter.

III.
401
III
Nachricht von der Fürſtl. Heſſiſchen Akademie
der Malerei - Bildhauer- und Baukunſt
zu Caſſel.
er jezt regierende landgraf Friedrich II . gab bald nach
dem Antritt ſeiner Regierung , dein zu grófern Utz
fichten erweiterten Collegio illuftri Carolino in den
Herrn Råthen Johann Henrich Tiſchbein , Sinon (uds
wig Du Ry und Nahi drei áttere Profeſſoren der Males
7
rei - Bau- und Bildhauerkunft. Im Jahr 1775 erhielt
immer noch in dieſer Verbindung mit dem Carolino, die Ukas
demie ihr eignes Gebäude und auſer den Zeichnungen ihrer
Lehrer , Angúſſe- von Antiken und neuen Kunſtwerken ,
lebendige Modelle , und den freien Gebrauch der Schilde:
reien in der Fürfti. Galerie. Herr Rath und Profeffor
Caſparſon kündigte igre feierlicheEinweihung an. Jede
Offentliche Uusſtellung am 5. März , zeigte den beſten Ers
folg einer ſchweſterlichen Verbindung der Wiſſenſchaften
und ſchönen Künſte , wenn ſie nach der zweckmäßigen Abs
Ficht am rechten OrtPlaß findet. Die Schüler der Rúnſte
benußten die Vorleſungen des Collegii über dieMeßkunſt,
Geſchichte und ſchone Wiſſenſchaften ; und die Kunſt blieb
ihr Hauptgeſchäfte. Denn ihr täglicher Unblick in der Haupts
ftadt bildete ihren Geſchmack. Im Jahr 1776 beſchloß der
(andgraf die Stiftung einer vom Collegio abgeſonderten
Maler - und Bildhauerakademie , und deren zweckmäfige
Einrichtung. Am 18. Mårz wurde ſie im großen Saal
ihrer feierlichen Verſammlung durch den nunmehr ernanns
ten beſondern Präſidenten , Herrn Oberhofmarſchall und
Staatsminiſter Du Rorey und eine Rede des immerwähs
renden Sekretárs , Herrn Rath Du Ry , ſo wie durch die
Vorleſung der neuen Statuten feierlich erdfnet. Mehe
werden dieſe felbft ſagen . Herr Rath Du Ry pries die
Wich
402 III. Von der Akademie der Malereis
Wichtigkeit der Stiftung nach Verdienſt, und empfahi den
Sdůlern den Fleis und die Sitten , ohne welche aud das
Genie mittelmåfiig bleibt und der größte Künſtler ſich unter
feine Würde herabfeßt. Im Jahr 1777 hielt die Akades
mie den 5. März ihre erſte Ausſtellung von Gemahlden ,
Modellenund Zeichnungen. Ihre Zahl erſtreckte ſich auf
funfzig Stůcke, und zwei Medaillen wurden als Preiſe für
Malereien , zwei für Zeichnungen ertheilt. Ein gebundner
Chriſtus vor dem Hohenprieſter, ein Auguſt der Ehrens
Zeichen an ſeine tapfere Krieger austheiſt, ein vom Diomed
vermundeter und von der Venus in Sduş genommener
Aeneas , und ein Mars welcher der verwundeten Venus
ſeinen Wagen giebt , waren die Meiſterſtücke, durch welche
Herr Kath Tiſchbein reine Schüler begeiſterte. Die
Ukademie hatte ſchon das Vergnügen , durch landſchaften
von der Frau Regierungsrathin von Schmerfeld , durch
Urbeiten von der Prinzeſſin Julie von Heſſen - Philippos
thal jezt vermählten Fürſtin von Schaumburg - Lippe, und
der damaligen Demoiſelle Tiſchbein , jeziger Frau Kriegsa
råthin von Upell , Kunſtarbeiten zu ſehen , die man nicht
blos deswegen nennt , weil ſie von Frauenzimmern Herrührs
ten.
Liron alereien von zwei Bruderföhnen Heren Rath
Sird beins , von Herrn Galerieinſpector Henrich Wils .
Helm Tiſchbein , und dem Deſſinateur der Akademie
Herrn Kobold waren die vorzüglichſten. Herrn Rath
und Profeſſor Nakls Sohn , jezt ſein Nachfolger , zeigte
Frankreich und Itativasreliefs , daß er ſeine Reiſe nach
den 11. Jul. erfolgte den 2. Mårz das Abſterben des bis
ķerigen Präſidenten Herrn D. und S. M. Du Rorey.
Der Vicepräſident Herr Generalmajor von Gohr erhielt
jene, und ſeine Stelle Herr Kominandeur und Kammers
herr von Beltheim. Den 5. März gieng die zweite
feperliche Ausſtellung und Vertheilung de: zwei Preiſe für
Malereien und zwei andrer für Zeichnungen vor ſich. Pon
Sai :
Bildhauer- und Baukunſt zu Caſſel. 403
11
Schülern war Herr Maler ” forr der erſte, welcher zum
Mitglied ernannt wurde. Der Malereien allein waren
50 Stücke. Shre gråſte Zierde war ein der Akademie von
Herrn Rath Tiſchbein gegebenes allegoriſches Gemälde
auf ihre Stiftung; auſſer dem ein Ecce homo. In
des Herrn Gallerieinſpector Henrich Wilhelms , und
Jacob Iirchbein Arbeiten fall man den Flor dieſer
Heſſiſchen Künſtler- Familie. Von ausmårtigen hatte der
Braunſchweigiſche Hofmaler Herr Weitſc landſchaften
eingeſchickt. In dieſer Art hatte ſich die Frau Regierungss
råthin von Schmerfeld in ihren Arbeiten vom varigen
Jahr übertroffen. Herr Rath Nahl zeigte ein Bruftbild
des Landgrafen von Alabafter , und in einer Figur König
Friedrichs von Schweden , Meiſterſtücke ſeiner Hand. Die
Herrn Gebrüder Haid und Herr Ruhl machten ihm als
Schüler Ehre. Zum erſtenmal legte auch der von Dresden 1

berufene Hofkupferſtecher Herr Weiſe ſchöne Arbeiten vor.


Die dritte Uusſtellung im Jahr 1780 war abermals
Durch einen gekreuzigten Chriſtus und durd, eine Gutigkeit
des Auguſts, beide von Herrn Rath Tiſchbein ausges
zeignet. Herr Pforr übergab der Akademie ein Gemälde
von Thieren aus der Caſſeliſchen Menagerie, als Aufneha
mungsſtück. Urbeiten andrer Mitglieder warenvom Herrn
Gallerieinſpector Tiſchbein und Herrn Kobold. Uuſer
den ſchon mehrmals angeführten Frauenzimmern hatte
Frau Tampe , die Tochter des Heren Ziſenis aus Hans
nover , der Akademie ihr frei und meiſterhaft gezeichnetes
Bild geſendet. Die Herrn GebrüderHaid ſtellten Modelle
auf, die nun zum Theil ausgeführt ſind. Sie und Herr
Rubl erhielten die erſten Preiſe für Bildhauerarbeit; und
Herr Strack, ein Tiſchbeiniſcher Schweſterſohn , nebſt
Herrn Robert, die für Malereien und Zeichnungen .
Don Herrn Weiſens Fleis ſahe man Kupferſtiche, und
Herr Hofmaler Krauſe von Weimar Gatte der Ukademie
ein Landſchaftsgemälde geſchenkt, Die
404 NI. Von der Ukademie der Malerei
Die vierte Ausſtellung im Jahr 1781 war aus.
nehmend durch eine ſterbende Alceſte von Herrn Rath
Diſchbein , ſo wie durch eine Heilige Familie nach Ras
phael , einen jungen Herkules zwiſchen Jugend und Lafter,
einen Chriſtuskopf mit der Dornenkrone, nach Guercino ,
und eine kleine italieniſche Sandſchaft, welche ihr Mitglied,
Herr Wilhelm Henrich Tiſchbein aus Rom ihr zugeſchickt
hatte. Malereien von den Herrn Kobold , Pforr,
Bottner , Bleienſteuber , Wage, Eiſenträger,
Strad , d’Hoyer und Robert verdienen hier bemerkt
zu werden , weil einer oder der andere dereinſt der Akademie
durch ſeinen Künſtlernamen Ehre machen wird . Auſer einer
1
Landſchaft von der Frau Regierungsråthin 3. Somerfeld,
nach Claude ( prrain , und Zeichnungen der Frau Kriegs
råthin von Apell, war ein meiſterhaftes Portrait, in roth
und ſchwarz gezeichnet, von der Gräfin Chriſtiane von
Solms- Laubach , eine beſondere Zierde dieſer Ausſtellung.
Herr Weiſe , hatte einen Apol nach Herrn Rath Tiſch
bein ſehr gut geſtochen. Von Bildhauerarbeiten war ein
Kind von Marmor , als Arbeit des nunmehrigen Herrn
Profeſſor Rahis des jungern die vorzüglichſten , und ne
ben ihrApoll mit den Muſen und Hercules init der Hydra,
von den Herrn Gebrüder Hayd. Herr Ruhl der åttere
zeichnete ſich durd Modele nad dem Leben aus.
1
Der Landgraf gewährte der Ufademie nunmehr den
Vortheil , daß eine andre für die Baukunſt damit verbuns
den wurde ; ſie ſteht unter demſelbigen Präſidium , hat den
Herrn Rath Du Ry zum Direktor und Profeffor, und
noch einen Unterlehrer. Die Stiftung geſchah den 21ten
Sept. , und mehr werden ihre Statuten Tagen.
Die fünfte Aufſtedung der nunmehrigen Malers
Bildhauer- und Baukunſtakademie vom Jahr 1782 erfors
derte 6 Preiſe. Herr Rath Tiſchbein lieferte auf einem
Rabia
Bildhauer- und Baukunft zu Caſſel. 405
Kabinetsſtück den Prinzen Ferdinand und die Prinzeſſin
Eliſabeth von Würtemberg , Tein eignes der Akademie
geſchenktes Bild , zwei Kabinetsſtücke, den Zorn des Achila
les und die auf Ágamemnons Befehl weggebrachte Briz
feis. Schäßbare Bilder der Herren Bodmer , Savater
3 und Fuesli, hatte Herr Henrich Wilhelm Tiſchbein
von Zürch geſchickt. Herr Nahl der Måler, Herr Anton
Iiſchbein zu Hamburg , Herr Gallerieinſpector Jifcha,
bein und Herr Pforr zeigten , daß fie einſt durch ihre
Gemälde in der Kunſtgeſchichte ſich einen Plaß erwerben
können. Die Menge der Landſchaften , unter welchen eine
I
von der Frau Regierungsråthin von Somerfeld ihre
bekannten Vorzüge hatte, der akademiſchen Figuren , der
Kabinetsſtücke , Portraits und Zeichnungen war betrachte
lich. Herr Rath und Profeſſor Nabl, nunmehr Nachs
folger ſeines verſtorbenen Heren Vaters, verewigte in der
Akademie ſein Andenken , durch deſſen ihr bleibendes Bild
von Marmor. Pon den Herrn Haids waren Figuren
der Wiſſenſchaften da , und der nunmehr verſtorbene Edela
ſteinſchneider Herr Herre gab als Mitglied der Akademie
ein Blumenſtück von florentiniſcher Arbeit. Die Zahl der
architektoniſchen Zeichnungen war ſehr anſehnlich.
#
Die rechſte Aufſtellung von 1783 erhielt durch die Ges
genwart der drei Durchlaucht. Söhne des Landgrafen , des
Erbprinze'n , Prinz Karl und Prinz Friedrich , ro
wie durch deren Beitritt zur Zahl der Mitglieder , einen
11
beſondern Glanz. Zwei Preiſe erhielten Maler , eben ſom
viele Bildhauer , und noch zwei Schüler der Architektur.
78 Von Herrn Rath Tiſchbein ſah man zwei Staffeleiſtücke
21
von Reynald und Urmide , deren beſondere Schönheit
überraſchte. Don Herrn Anton Tiſchbein zeigte Fich
ein Leonidas , und vier fchone Kabinetsſtücke waren ein
( chåßbarer Beitrag des Herrn Hofmaler Krauſe von
3
Weimar. Madame de Boor aus Hamburg hatte die
1 Beff. Beitr. St. III. DO Anzahl
406 IH . Von der Akademie der Malereis
Anzahl der Arbeiten vom ſchönen Geſchlecht vermehrt, und
zwei ichöne Landſchaften der Frau Regierungsråthin von
Somerfeld in Del gemahlt , erwarben ſich den gröſten
Beifall der fienner. Die Herrn Robert , Range ,
Nolda , Strack und Hagen entdeckten in ihren Ges
málden nach dem Leben , ſo wie in ihren Kopien , aufs
blühende Künſtler. Eine liegende Venus mit einem Cu
pido von weiſem Marmor und Modelle, waren Meiſters
arbeiten von Herrn Rath Nahl, und Herr Wolf der
altere hatte aus Paris ein Ioniſches Capiteel von Stein
geldict.
Die Akademie der Baukunft wies eine Menge von
architektoniſchen Entwürfen , als Pauáſten Tempeln ,
Triumphbögen und andern geringern Gebäuden . Von
Kupferſtichen nahm ſich Heren Weiſens Proſpekt von
Caſſel und einer vom Sarz aus. In dieſem Jahr gab
Sperr Profeſſor Cauſid . Mitglied der Akademie , das
Derzeichnis famtlicher Gemäldeder Fürſtliden Bildergals
lerie und der Zimmer im Fürſtlichen Soloß Heraus.
Endlich folgt die diesjährige fiebende Xusſtellung. Herr
Robert aus Carel , Herr Fehrmann aus Bremen
erhielten als Maler , die Sperrn Ruhl aus Caſſel, und
Dannenberg aus Bremen , wegen der Bildhauereix
und die Heren Lange und Wolf wegen der Baukunft,
die gróſern und kleinern Preiſe. Drei Staffeleiſtücke von
Sjerrn Rath Tiſchbein , der lachende Democrit, der
weinende Heraclit und Electra , welche den vermeinten
Jod ihres Bruders Oreſtes beweint, zogen die Blicke der
Kenner auf fich . Eben ſo des Herrn Rath Nahls Mos
dell eines Grabmahls feines Vaters von Thon , und ein
liegender Flußgott in weiſem Marmor. Herrn Gallerieins
ſpector Tiſchbeins Fleis hatte viele von ſeinen eigenen
Zeichnungen , und nach Berchem , Jenier und Dubry
auf
1

Bildhauers und Baukunſt zu Caffel. 407


auf Zeichnungsart ſchon geåzte Stücke vorgelegt. Ein
Vogel mit Waſſerfarbe gemahlt , war die geſchickte Arbeit

des Herrn Regierungsrath von Wildungen , und vom
Kupferſtecher Herrn Ganz aus Hannover gefiel das Pors
trait des Fürſtbiſchofs von Osnabruck, ſo wie von Herrn
Edelſteinſchneider { abbart in Caſſel ein Kopf des So
crates . Frau Kriegdråthin von Upell hatte nach ihrem
Herrn Vater einen Cleopatrakopf in Paſtel geliefert, und
der Prinz Friedrich von Heſſen - Philippsthal ein Pors
trait in Miniatur ; Herr Biebaus gleichfalls ein Ges
målde dieſer Art. Das Gemälde feines Herrn Vaters von
Herrn Robert , und ein Archimed ein Kabinetsſtück von
ihm , Sperrn Fehrmanns Philoctet eine originale Zeichs
nung von ihm , auch eine Dido nach Herrn Rath Tiſch
bein , Herrn Rangens in einer Werkſtadt arbeitender
Shuſter, das Portrait ſeines Vaters und eine Flucht nach
Egypten , Herrn Nolda Nachtſtück nach Schalk, nebſt
einem Portrait und die Malereien der Herrn d'Hoyer,
Hagen und Strack, waren redende Beweiſe vom Flor
der Ukademie. Die Zeichnung der Fräulein von Rheins
fart und von Salenberg , der Demoiſellen Schrds
12
dér , Uppelius, Engelbronner , Marville und
10 Bode , ſo wie die von den Herrn von Marescotti , von
Rademaer und von Stein , ſind Zeugniſſe von der
Uusbreitung des Kunſtgeſchmacks durch ſo manchen Lehrer,
1 welchen die Akademie dem Fürſten ſich giebt , viele andre 1

nichtweniger. Als Bildhauer ſtellte Herr Rugl ein Bass


n
relief nach Monnot und verſchiedene akademiſche Figuren
Bri in Thon modelirt auf , Herr Dannenberg vier Kópfe
DS
in Wachs. Auſſerdem fehlte es an akademiſchen Figuren ,
in die von andern nach dem Leben modedirt waren , nicht,
Grund- und Aufriſſe groſer Gebäude, verſchiedne Uufs
riſſe , und Zeichnungen von Pagåſten , Tempeln , Fontai
nen und Privathäuſern lieſſen den wůrkſamen Geiſt
empfinden , der die Schüler der Baukunft belebt.
D 0,2 So
408 III. Von der Akademie der Malerei
So viel- und die folgenden Statuten der vereinigten
Ufademie, als ihre vorbereitende Geſchichte zu einer fünftig
beſtimmtern und kritiſchen Sdilderung ihrer Bemühungen
und Arbeiten . Mehr konnte diesmal nicht Abſicht ſeyn ,
wenn man den Zweck dieſer Blätter nicht úberſteigen Woute.

Statuten der Akademie der Malerei: uno Bildhauer


kunft vom 15ten October 1777 .
1) Der Landgraf iſt Protektor der Akademie, und
1 ħat fie'einen von ihm ernennten Präſidenten , Vicepräſi
denten und drei Klaſſen .
2) Die erſte Klaſſe beſteht aus den Ehrenmitgliedern,
Sebhabern , briefwechſelnden Mitgliedern , denen Direktos
ren , Profeſſoren , dem beſtandigen Sekretair und dem
Schaßmeiſter.
3 ) ude Mitglieder der erſten Klaſſe Haben eine bes
rathrdlagende Stimme in den Verſammlungen ; nur die
Direktores und Profeſſore $ beurtheilen die Werke der Kunſt,
die Datente der Schüler und ertheilen, Preiſe.
4 ) 'Auſſer den eben genannten Mitgliedern der erſten
Klaſie, werden nur Hiſtorienmaler und Bildhauer ,welche
Figuren machen , zu Mitgliedern aufgenommen.
5 ) Die zweite Klaſſe beſteht aus Matern , die nur
in einer Art der Malerei, als Portraits, Landſchaften ,
Blumen und dergleichen vortreflich find. In dieſe kommen
auch Graveurs und Frauenzimmer , welche ſich durch eine
oder die andere Arbeit der Kunſt unterſcheiden .
6 ) Die dritte Klaſſe beſteht aus bloſen Kennern und
Kebhabern der Kunſt,
7) Die
Bildhauer- und Baukunſt zu Caſſel. 409
3 7 ) Die Aufnahme eines jeden Mitglieds wird durch
die meiſten Stimmen und die Genehmigung des Protektors
entſchieden .
8 ) Das Geſchäft der Direktoren iſt vierteljährlich ,
und jeden Sonnabend unterſuchen ſie gemeinſchaftlich die
Arbeiten der Sdüler,
9 ) Jeder Profeffor hat ſeinen Monat , in welchem
er täglich in die Akademie geht, die Modellezum Zeichnen
ſtellt, und alle vorkommende Geſchäfte beſorgt.
10) Der beſtåndige Sekretair hat den ganzen Briefs
wechſel der Afademie , führt das Tagebud , und unters
zeichnet die Schlüſſe; an ihn wendet man fich wegen der
Aufnahme und er trågt ſie in der erſten Sißung vor.
1
II)Der Schaßmeiſter empfängt das vom fandgrafen
für die Akademie ausgefeßte Geld , führt Rechnung über
die Ausgaben und legt ſie jährlich ab.
12 ) Jeder Künſtler der erſten und zweiten Klaſſe lies
fert im erſten Jahr feines Untritts der Akademie ſein Aufs
nahmeſtück, welches fie behátt.
13 ) Die gewöhnlichen Verſammlungen der Ukademie
Een geſchehen den leßten Mittwochen jedes Vierteljahrs. Die
dr cuſſerordentlichen nach Gutbefinden des Präſidenten.
14 ) Jeden fünften März iſt die öffentliche Ausſtels
ur lung der Gemälde , Bildhauerarbeiten und Zeichnungen
im Saal der Akademie. Sie bleiben da 14 Tage ausges
DEN ſtellt. In der öffentlichen Sißung dieſes Tags Mittags
um 11 Uhr erhalten die preiswürdigen Schüler die Preisa
medaille aus der Hand des Präſidenten.
.. 15 ) Schüler der Akademie , Inz oder Ausländer ,
welche ſich in der Laufbahne der Künſte durch Genie am
meiſten auszeichnen , und welche die Akademie einer Reiſe
DO 3 nach
( !
410 III. Von der Akademie der Malerei,
nach Frankreich und Italien würdig gáſt , werden zu einer
dreijáðrigen Reiſe auf unkoſten des Landgrafen vorgeſdlas:
gen , müſſen aber bei der Zurückunft ihre Dienſte ihm an
bieten ; im Fall ſie nicht angenommen werden , bleiben
fie unabhängig.
16 ) Wenn ein Gemälde oder eine Bildhauerarbeit
dergeſtalt den Beifall der Chefs und Direktoren erhält, daß
man den Künſtler des Rangs eines Profeſſors werth achtet,
erhält er ſolche und Beſoldung , oder Arbeit zu Ermuntės
rung ſeines Genieß und ſeinem Unterhalt. Wonicht, To
kann er anderwärts davon Gebrauc machen .
17 ) Die Mitglieder der akademie, welche die ihrer
Stiftung gemåſen freien Künſte treiben ; genieſſen alle mie
der Ausübung ihrer Kunſt verbundne Freiheiten , alſo Bes
freiung von den Auflagen bloß mechaniſcher Künſtler und
Handwerker. Auch ſtehen ſie nur unter den Obergerichten .
18 ) Des leßtern Vorzugs genieſſen auch die Schüler
gleich den Caroliniſten , und können allen öffentlichen Porle
fungen des Carolini , beſonders den anatomiſchen beiwohnen ,
Der Schluß iſt der vom Durchlauchtigſten Stifter
den 22 ten Mai 1779. gegebene Beſtätigungs- und Freis
Keitsbrief der Akademie.
BaukunſtStatuten
der beſondere
demieDie voin 21ten mit jener
der Sept. vereinten
1781. Ukas
enthalten

auſſer dem , mas ſie mit jenen gemein baben , folgendes


( beſondere:
I ) Ein gemeinſchaftliches Protettorium und Präs
fidium , aber nur 2 Klaffen .
2 ) Die erſtere Hat der Direktor , die Profeſſores,
můrkliche Baumeiſter der beſtandigen Sekretair , der
Schaßmeiſter , Ehrenmitglieder; Liebhaber , korreſpondi
rende
事。

Bildhauer- und Baukunſt zu Caſſel. 416


rende Mitglieder. Auch gehören hierher die Direktores
und Profeſſores der Maler ; und Bildhauerakademie.
3 ) Ir gleichen Inhalts mit dem von der Maler- und
Bildhauerakademie, nur in beſonderer Beziehung auf den
Direktor , die Profeſſores und Schüler der Baukunft.
4) Die zweite Klaſſe beſteht aus Mitgliedern , die
nicht ſowohleigentliche Baumeiſter find , als daß fie Kennta
niſſe haben , welche auf dieſe Kunft fich beziehen. Einer
von ihnen iſt der vorbereitende Lehrer in den Gründen und
Regeln der Baukunſt. Die Künſtler von der zweiten
Klaſſe der Maler- und Bildhauerakademie gehören auch
hierher.
5) Wegen der Aufnahme zum Mitglied ifts wie bei
der andern Akademie.
the
6 ) Der Direktor hat die allgemeine Aufſicht über
et den ganzen Unterricht der Schüler,
De
7 ) Der Profeſſor hålt jährlich einen Curſus der Baus
mi
kunſt und beſorgt gemeinſchaftlich die nöthigen Geſchäfte
Eer mit dem Direktor ,
21
8 ) Der beſtandige Sekretair beſorgt hier das , was
der von der Maler- und Bildhauerakademie bei den Seis
19 nigen zu beſorgen hat.
9 ) Der Schaßmeiſter eben ſo. 1

10 ) Jeder Künſtler , der in die erſte oder zweite


Klaſſe aufgenommen wird , giebt in Jahresfriſt ſein Auf
nehmungsſtück der Akademie.
11 ) Den leßten Mittwochen jedes Jahrs giebt der
Profeſſor denen von ſeinen Schülern, welche um den Preis
El arbeiten können , eine Aufgabe, und die Schüler machen
in 12 Stunden Sfizjen davon , nämlich einen Plan ,
Il D04 einen
412 III. Von der Akademie derMalereia s.
einen Uufriß und einen Durchſchnitt. Nach deren Pols
lendung nehmen die Schüler eine Kopie davon , um ſie
ins Reine zu bringen , aber die Original -Skizzen geben ſie
dem Profeſſor zurück , weil die Akademie die Fähigkeiten
der Schüler darnad beurtheilt.
12) Jährlich den 5ten März iſt die offentliche Auf
ftellung ader Entwürfe, Zeichnungen und anderer Werke
der Schüler iin Saal der Ukademie. Hier bleiben ſie 14
Sage , und die Preiswürdigen empfangen die Medaille aus
der Hand des Präſidenten.
13 ) Die Schüler der Baufunſt von Genie und Fleis
1 erhalten unter gleichen Bedingungen die nämlide Verſis
derung von Reiſen , wie die von der Maler- und Bild
þauerakademie.
14) Da man nothwendig die Sprache des Landes wiſs
fen muß, wo man einige Zeit Unterricht nehmen wia , ſo
wird die ' kademie von zwei Schülern gleiches Verdienſt : den
vorziehen , der italieniſch verſteht und verſtändlich franzöſiſch
fpricht.
15 ) Die Mitglieder und Schüler dieſer Akademie find
wie die andern frei von Auflagen , und ſtehen unter den
Obergerichten .
16 ) Auch haben ſie eben ſo die Freiheit, öffentliche
Vorleſungen des CollegiiCarolini , beſonders die mathes
matiſchen , und eben ſo die Anweiſungen der Malers und
Bildhauerakademie zu benußen , wie dieſë den Unterricht
von der Baukunft.
Der Schluß iſt gleichfalls der Freiheits- und Befta
tigungsbrief dieſer Akademie vom 2 ten Oct. 1781.

IV .
‫ور‬

413
ob IV .
Bom plößlidhen Uebergang der Seele aus
einem Entgegengeſeßten in das andere.
A us einem Gegentheile auf einmal zum andern überzuges
.
hen, ſcheint nad allen , aufern ſowohl als innern Ers
erf
fahrungen , ſelbſt nad Vernunftgründen unmdglich. Dens
14 noch beobachten wir es , wiewohl felten , bei unſerer Seele,
ul und finden das Beobachtete um ſo widerſinniger, je unbes
greiflicher es iſt , ſo daß wir geneigt wären fremder Beobs
3
achtung Glauben zu verſagen , wenn ſie nicht zugleich alle
3
Merkmale der Glaubwürdigkeit an ſich trüge. Genauere
Unterſuchung dieſes pſychologiſchen Paradoron kann alſo
wohl nicht überflüſſig ſcheinen.
Próßlicher Uebergang von einemGegenſaße zum andern ,
0 wenn auf einmalin denUrſachen Henderung vorgeht, läßt ſich
Dell bald erkláren . Zorn undSachen , nicht das bittere Hohngelách
ter , ſondern das Sachen der Freude und luftigkeit, ſchliefen
einander aus ; dennoch wird der åuſerft Aufgebrachte, fobald
Tein Gegner den Widerſtand fahren laßt, und mit komiſchen
Uusdrucken in Worten oder Stellungen Furcht oder Untera
en
werfung zu erkennen giebt , ſich des lauten Veláchters nicht era
wehren können ; ſogar wenn iým auch ſonſt dergleichen kein
te hinlänglicher Reiz zum lachen geweſen wäre. Der gefühlte
ľ Contraſt zwiſchen ſeinem großen Eifer , ſeiner Heftigen Uns
no ſtrengung , und dem geringen Widerſtande, der ſonſt wes
ot der ſo groß geweſen , noch ſo lebhaft gefühlt wäre , reißt
ihn unwiderſtehlich zum lachen hin , und macht ihn , nicht
allmählig, ſondern plößlich, von einem Gegentheile zum
M andern übergehen . Auf gleiche Weiſe geht Heftige liebe ,
wenn der Gegenſtand ihrer auf einmal unwürdig erfunden
wird, und allmähligeSättigung die Gleidgültigkeit nicht
vorbereitet hat , in Beftigen Haß über. Die Stärke unſe
1. /
DOS rer
>
414 IV. Vom pidklichenUebergang der Seele
rer Zuneigung láßt und des Gegenſtandes unwürdigkeit und
Nichtswurdigkeit ſo viel lebhafter fuper und: treibt uns
Hafle.
Von folchen Uebergången aber iſt auch hier die Rede
nicht;, ſondern die Urſachenper Gemüthabemegung ſollen
unverändert beſtehen, und dennoch die Gegenſáße ſchnell
init einander abwechſeln. Man hat Erfahrungen , daß
Leute mitten in der Betrübnis über den Verluſt ſehr geliebs
ter Perſonen unwiderſtehliche Unwandlungen von Sachen
fühlen daß mitten in ſehr ernſthaften und angelegentlic
den Unterredungen man fich oft des lachend nicht enthal
ten kann, wie auch umgekehrt, daß in der ſtårkſten Freude
Anwandlungen von Traurigkeit und Niedergefdlagenheit,
entſtehen.
Nicht etwan von Hypochondriſchen, Kyſteriſchen oder ſonſt
nervenfranken Perſonen allein ; denn von ſolchen iſt ber
fannt,
kich daß ſie ſolchen
unterworfen ſind. urpróßlichen
So weiß manAbwechſelun gen vorzug
, daßMenca orzugs
Ter Art mitten im andächtigſten Gebete ſich nicht enthalten
können Swinalterungen auszuſprechen , oder zu denken,
Die ſie doch felbft verbammen , und mit aller Anſtrengung
zu hing,e
hier die Urſadje in unpillführlichen Nervenreizen liegt , oba
gleidi man nicht weiß , wie dieſe Reize , und warum gerade
fo unwillkührlich entſtehen. Sondern bei übrigens gang
gefunden , wo alſo die Urfache im Körper allein , und deſſen
Verſtimmung nicht angetroffen wird ; wo mithin eine andere
Erklärung in der Natur der Vorſtedụngskraft muß geſucht
werden ,
Auf dieſe eingeſchränkt; hat die Frage noch mehr als
einen Sinn , und da muß nach der alten Regel, quibene
diſtinguit, bene docet , die Zweideutigkeit vorher auss
einandergeſeßt werden . Dies Unterſcheidenwid zwar mane
chen
1

: aus einem Entgegengeſegten ins anbere. 415


21 den nicht rechtgefađen , ſie möchten gern , daß man ihnen
25 die Erkenntniſſe geradezu , ohne allen Umſchweif darreichte;
allein ſie erwagen nicht, daß ſie nur die Wahl haben , zwis
ſchen unſichern und halb wahren Einſichten , und der Mühe
24 zu den zuverláſſigern auf einem etwas mühſamen Wege zu
Et gelangen . Der plößlicheUebergang von einem Gegentheile
zum andern , ſou er in dem Augenblicke geſchehen, da der
vorhergehende Gemüthszuſtand und ganz und mit allef Jeba
oy haftigkeit beſchäftigt ? oder in dem , wo die Vorſtellungen
und Empfindungen deſſelben weniger gegenwärtig, weniger
lebhaft ſind ? :
.
Das erſtere iſt unmöglich , weil man alsdann zu gleis
dher Zeit, und in gleichem , oder doch faſt gleichem Grade
müßte traurig und luſtig, oder umgekehrt freudig undtraus
rig ſeyn können . Dazu kommt, daß bei ſehr lebhafter,
Traurigkeit alles ermunternde , luſtige , lächerliche , nur
die Detrůbnis noch vermehrt ; theils meil es Zuſaß zur
Traurigkeit iſt, ſich nicht ſo vergnügt und glücklich zu füha
1
len , alsman andere ſieht, unddadurch die Vorſtellung des
Unglücks noch erhšht wird ;theils auch weil es uns beleis
bigt, ſo wenig Sympathie , die ivir doch ſo ſehr zu verdienen,
glauben , und jezt jedem Unglücklichen ſo gern ſchenken ,
bei andern mit unſerm Zuſtande zu finden .

Das leztere aber enthält nichts Widerſprechendes und


3 Widerſinniges; alsdann iſt der Ton des Affekts oder der
Seidenſchaft um ein groſes herabgeſtimmt, mithin die Seele
zu entgegenſtehenden Vorſtellungen und Empfindungen
meßr aufgelegt.
3 Uber , wird man ſagen , dies iſt gerade daš rechte
le was die Erfabrung lehrt , und wovon die Frage eigentlic)
war. Die Perſonen , bei welchen plókliche Uebergänge aus
einem Entgegengeſekten in das andere uns auffallen , find
7 nocy

!
416 IV. Bom plöblichen Utebergang derSeele
noch in der Betrübniß , wenn ſie lachen , fühlen fich noch
traurig, und kehren vom laden zur Traurigkeitwieder zus
rück, werfen ſich auch im {achen ihren Leichtſinn ſelbſt vor,
und können dennod nicht widerſtehen .
Dies beſagt allerdings die Erfahrung, und Hier liegt
meines Erachtens die eigentliche Schwierigkeit, daß unſere
Emrfindung uns oftmals hintergeht, und etwas anders
fühlen macht, als wirwürflich fühlen , und daß es auferſt
(chwer , in manchen Fällen nicht einmal möglidi ift, die
ganz reine Empfindung von dem Zuſaße aus vorhergehens
den Vorſtellungen , und der Dichtkraft zu unterfcheiden ,
haben diePſychologen vódig befriedigend entſchieden. Beim
Mondenlichte ſieht man in einiger Entfernung ein aufge
Hångtes Kleidfür einen Menſchen mit védigerUeberzeugung
an , gleichwohi iſt in der reinen Empfindung nicht das alles
ënthalten ; das Fehlende hat die Phantaſie ergänzt. In
Abſicht auf innere Empfindungen , vornemlich dieGemüthda
bewegungen , iſt ſolche Täuſchung noch leichter , und ſchres
rer zu erkennen . Seichter, weil die Watungen des Ger
můthes und Blutes , gleich den Meereswogen nach dem
Sturme , noch eine Weile fortdauern , und der Uffekt fich
noch regt, wenn gleich dieUrſache nichtmehr vorhanden iſt;
weil ferner durch den Effekt die Muskeln und der ganze
Körper in gemiffe Lagen und Stellungen kommen , welche
mit deſſen innerer Urſache nicht zugleich wegfallen . Daher
glauben wir uns oft noch traurig oder luſtig , wenn wir es
gleich nicht im eigentlichen Verſtande mehr ſind , das iſt,
wenn die Vorſtellungen und Urſachen des affects innerlic
nicht mehr wirken , Ein Trauriger behält immer noch der
Traurigkeit Miene, feine Porſtellungen bewegen ſich noch
eben ſo langſam , und haben noch etwas von der dunkeln
Farbe, wenn er gleich jeztan ganzgleichgültige Dinge Denkt;
er ſelbſt wird die Abrechſelung nicht einmal gewahr, wenn
ſie nur kurz iſt, und durch ſonſt nichts fich vorzúglich aus
zeichnet.
I
aus einem Entgegengeſeßten ins andere. 417
zeichnet. Nun laſſe man ihn in dieſem Augenblicke etwas
Jacherliches gewahr werden , erwird lachen , und doch glaus
ben , in der ſtårkſten Betrübnis gelacht zu haben , weil er
4 nicht gewahr ward , daß gerade in dieſem Zeitpunkte die
traurigen Vorſtellungen weniger lebhaft waren , und der
i Uffekt einen kleinen Ruhepunft fich genommen hatte.
Schwerer zu erkennen iſt nun auch dieſe Täuſchung , weil
der entgegengeſepte Uffekt uns überraſcht , ehe wir Zeit hats
ten , des Vorhergegangenen Verminderung gewahr zu wers
+1 den, und weil kein Probierſtein der Empfindung mehr zu has
ben iſt. Bei äuſern Empfindungen , wo der Gegenſtand un
verändert bleibt, kann man durch Anwendung mehrerek
1 Sinne , duro ſorgfáltigern Gebrauch eines einzigen , den
Zuſaß der Phantaſie von reinem Eindrucke auskennen ; bei
den innern aber , wo der Gegenſtand mit dem Eindrucke zus
gleich fich andert , iſt dieſe Probe' unmöglich. Durd die
Hachfolgende Juſtigkeit iſt der Seelenzuſtand verändert , alſo
nichts mehr vorhanden , daraus ſich erkennen liefie, ob im
Hugenblicke, wo ſie uns überraſchte , die Traurigkeit wurks
lid nachgelaſſen hatte, und etwas Gleichgültiges, uns beg
ſchäftigte. Wir überreden uns alſo mitten in der Betrůba
nis zu lachen , obgleich dieſe bei der erſten Anwandlung zum
Jachen ſchon nachgelaſſen hatte.
3
Dern kommt auch folgende Erfahrung noch zu Hülfe:
indem man ſich vorſeßt über einen Gegenſtand nachzudens
fen , und die erforderlichen Begriffe Herbeiruft, ertappt
的 man ſich oftmals , da man noch glaubte ſeineAbſicht zu vers
ll folgen , bei ganz fremden Vorſtellungen , zu welchen man,
MM man weiß ſelbſt nicht wie, gekommen iſt. Unvermerkt hat
By
die Anſtrengung und Richtung der Denkkraft auf einen
Punkt nachgelaſſen , und ganz andere Gedanken haben ſich
el ohne unſer Wiffen eingeſchlichen .
Nun ware alſo die Sache von dem Widerſinnigen bes
TA freiet; damitaber weiß man noch nicht, warum der Ueber
gång
!!!
418 IV. Vom plöblichen Uebergang der Seele
gang gerade zum Lächerlichen erfolgt , warum nicht ein Zu:
ftand gånzlicher Gleichgültigkeit vorhergeht, durch den wohl
der Uebergang am natürlichſten geſchehen könnte; die noch
oorhandene Nachwallung der Traurigkeit ſcheint es , muſte
Madt genug haben , dem {achen zu widerſtehen, wie ſie es
wurklich auch in den meiſten Fågen thut.
Dies aufzukláren , muß vorher gefragt werden , ob
zum Uebergange aus einem Gegentheile in das andere ein
Hang , ein Beſtreben oder Trieb in der Seele vorhanden
ift ? Nothwendig muß die Erklärung anders ausfallen ,
wenn dies iſt,als wenn es nichtiſt." An einen Hang láßt
lich wohl hier nicht denken , wenigſtens ſagt die Erfahrung
nichts von einem ſolchen Triebe in der Traurigkeit das las
derliche aufzuſuchen . Auch bei dem ſchon nachlaffenden
Affekte, ſo lange nur nod Regungen von ihm vorhanden
find, bemerkt man ſolchen Hang nicht.
Die Frage alſo iſt blos, wie kommt es, daß in der
Traurigkeit, ob zwar in dem Augenblicke des Affekts Hef
tigkeit nachgelaffen hat , aber doch Regungen deſſelben und
Nachivalungen , nebſt der ganzen Stimmung zu dieſer Ges
müthsbewegung noch vorhanden ſind, man ploßlich zum
Sachen übergeht, ſo daß man der Unwandlung dazu unmis
derſtehlich folgt? oder umgekehrt, wie kommts , daß unter
Den gegebenen Bedingungen man von der Freudezur Traus
rigkeit úbergeht? Ein Hang zum Gegentheile iſt nicht vors
handen , alſo der Gegenſtand oder die Urſache des dem ges
genwärtigen entgegenſtehenden Affekts bietet ſich ungeſucht
dar, ſtimmt aber plößlich die ganze Seele um.
So bald der Uffeft; ( ich will hier bei der Traurigkeit
bleiben , weil dieſe im Vorhergehenden am meiſten zuin Beir
ſpiel gebraucht ift ) ſo bald die Traurigkeit ein wenig nach
läßt, gehtdie Seele zu andern , nicht mit ihr in Verbins
dung
aus einem Entgegengefegten ins andere . 419
}
dung ſtehenden Gegenſtånden über. Bekanntlich iſt uns
1
nicht möglich, lange Zeit mit gleicher Unſtrengung an einers
leiGegenſtand zu denken , nicht möglich , lange mit gleichem
Eifer die Vorſtellungen in einerlei Richtung zu erhalten ;
das iſt, einerlei Art oder Klaſſe von Vorſtellungen in gleis
1 der Abſicht, aus gleichem Geſichtspunkte lange zu verfols
gen. Daraus ergiebt ſich , daß jede Gedankenreihe von
6
einiger Jánge, jeder Affektenſtrom , ſobald er einige Zeit
fic ununterbrochen fort bewegt hat , durch Einmiſchung
fremder Vorſtellungen und unterkliche Stiaftånde unters
1
brochen worden. Welche Stiaſtånde wir, weil ſie anfangs
nur kurz find , und die Gedanken bald wieder in den einmal
beſtimmten Gang kommen , felten bemerken.
Während ſolcher Zwiſchenräumenun ſteigen allerhand
Gedanken , und darunter auch ſolche , die mit der gegens
wårtigen Stimmung nicht in Verbindung ſtehen , die uns
aber vorher vorzüglic intereſſirt hatten , mit welchen wir
uns viel zu beſchäftigen pflegten , empor. Es kann alſo
nicht fehlen , daß darunter auch manches låcherliche mit
vorkommen ſoate. Während ſolchen Zwiſchenräumen bes
merken wir ferner genauer und ſchärfer åuſere Eindrücke ,
welche in der Hiße des Affekts überſehen , oder , wofern ſie
7 ihm entgegenſtehen , mit Ilnwillen zurückgeſtoſſen werden .
Das Låderliche aufer uns wird dann mehr bemerkt, fchárs
fer angeblickt.
Es würde aber auc ſo die traurige Stimmung micht
úberwinden , káme ihm nicht der Contraſt zu Hülfe. Die
Vorſtellungen einander entgegenzuſtellen , das iſt, fie cona
traſtiren zu laſſen , dazu iſt in der menſchlichen Seele ein
ftarker , ftets reger Trieb vorhanden. Ein Trieb , der in
# der Natur unſerer Erkenntnis unmittelbar ſeinen Grund
hat, da , um etwas beſtimmt, lebhaft und klar und vor:
zufteffen , wir der Dagegengaltungſeines Gegentheils unent
behrlich
420 IV. Vom plößlichen Uebergang derSeele
behrlich bedürfen. Weshalb wir denn auch in unſern Ges
danken ſo gern von einem Gegentheile zum andern überges
hen , und die Antitheſen ſo ſehr lieben und ſo leicht maden.
In Uffekten ſind darum auch die Gegenſaße fo gewohnlich ,
der Unglückliche vergleicht ſich mit dem Glücklichen , der Glücks
liche mit dem weniger Glücklichen , der Traurige mit dem
Freudigen oder Luſtigen ; alles was uns im Ueuſern vors
kommt oder im Innern einfaat, während wir in einer Gea
müthsbewegung find, bezießen wir auf den gegenwärtigen
Zuſtand, und wenden es zur Nahrung des Uffektes an. i
Die Wurkung fáat dabei allemal zum Vortheile des
am meiſten herrſchenden Gemüthszuſtandes aus , weil dieſe
den Geſichtspunkt beſtimmt und die Folgerung an die Hand
giebt. So lange Freude und Juſtigkeit ſtarkes Uebergewicht
Þaben , dient der Anblick eines nicht ſo freudigen , ſie zu vers
inehren , und ſo lange Traurigkeit allein gerrſcht, macht
der Anblick eines Juftigen ſie nur noch gróſer ; der Contraft
alſo dient allemal den gegenwärtig ſtårkſten und lebhafteſten
Uffekt zu verſtärken.
.

Je mehr hingegen eine Gemüthsbewegung in ihrer


Heftigkeit nadláßt, deſto mehr neigt ſich des Contraſtes
úrkung zu ihrem Gegentheile; weil man alsdann mehr
auf die entgegengeſeßte Seite Hinblickt. Se mehr die Freude
an Lebhaftigkeit verliert , deſto geneigter iſt man mit dem
Traurigen zu trauern , deſſen Anblick vorher nur die Freude
noch vermehrte. Alſo jemehr die Traurigkeit nachlaßt, in
den Augenblicken , wo ſie einen Stiaftand macht und frem :
den Gedanken Raum giebt, deſto mehr gewinntdas lächerli
che, und des Contraſts Wúrkung neigt ſich nach ſeiner Seite.
Dazu kommtnoch , daß das lächerliche, weil man der
fen ſeit geraumer Zeit hat entbehren müſſen , und es in der
gegenwärtigen Lage den Reiz der Neuheit und des Unges
wohnten
aus einem Entgegengeſetzten ins andere. 420
wohnten erhalt ,' jezt mit deſto gróſerer Macht wůrkt.
18
Kommt noch , daß man nun das {achen mit der vorherges
Henden ernſten Miene des Traurens in Gegenſaß bringt,
und durch ſolche Vergleichung lekteres ſelbſt lacherlich findet.
Durch dies alles wird der noch vorhandene Nachhau von
1 Betrübnis überwältigt, und das Sachen unwiderſtehlich fer
vorgebracht.
341 Dann aber mußte ja dieſe Erſcheinung gewöhnlich
. Peyn , warum bemerkt man ſie ſo felten ? Darum wohl
hauptſächlich, weil die meiſten Menſchen über ſich Gewalt
genug haben , in Gegenwart anderer rolde Unwandlungen
EL
zum lachen zu unterdrücken , aus Furcht , ſich durch vódigen
23
Uusbruch drm Tadel auszuſeßen , und für kindiſch leichtſina
t
nig gehalten zu werden. Die dieſe Gewalt nicht gaben,
. find Leutevon vorzüglich lebhaften Affekten , und lebhaftem
ht Geiſte; denn je ſtårker der erſte Ausbruch einer Gemüths
of
bewegung iſt, deſto geſchwinder verzehrt ſie ſich , defto an
het Kaltender ſind die Ruhepunkte , und deſto ſtårker iſt der
Kontraſt zwiſchen dem Sachen und Trauern. Je lebhafter
der Geiſt, deſto leichter und ſchneller nimmt er jeden Eins
druck auf , deſto weniger kann er ihm widerſtehen , und
deſto leichter ſind alſo auch die Uebergånge aus einem Ges
elli gentheile in das andere,
Tiedemann .
nen

it
cm
ch
itt

bel
Det
ge
16 Self Beitr.St. IIL. V. Nochy
422
V.
Noch etwas zur Geſchichte der Aufs
wandsgeſeße .
(Zu No. VII. des vorhergehenden Stücks .)
Nachdem der kleine Uufſaß von den älteren Heftirchen
N (andesordnungen gegen übermäſſigen Aufwand in
Kleidung und Schmauſereien ſchon abgedruckt war , kam
mir zufälliger Weiſe eine unter Chriſtian Wildvogels
Porfit , von Gottfried levnhard Baudis zu Wittenberg
1738. vertheidigte Diſſertation de legibus conviviorum
von Gaſtereiordnungen zu Geſicht. Sie enthalt viel zur
Sache nicht gehöriges ; und auſſerdem auch das, was die
Reichsgeſeße gegen das Zutrinken und die übertriebenen
Schwelgereien verordnen . Jedoch lernte ich daraus auch
zwei alte Kurſächſiſche kandesordnungen kennen , welche
Hierher gehören und alter ſind als das angegebene Jahr
1546 ; wiewohl ſie junger ſind , als die angezeigten Heſs
fiſchen Landesordnungen dieſer Gattung .
Die erſte in der gedachten Diſſertation bemerkte Sache
fiſche Landesordnung iſt vom Jahr 1482. Sie enthalt
folgende Verfügungen :
1) Es ſoll in Städten und Dörfern an Werktagen
kein Einwohner noch Handwerksgeſedle , der ſich zu Dienſ
oder zu Arbeiten verdingt hat, und nicht ledig und frei iſt,
zu der Zeche , in ein Schenkhaus , Kretſchmar oder Tasy
berne gehen .
2) Werden die Schmauſereien an den ſogenannten
hohen Feſten eingeſchränkt, die Zahl der Gäſte und das
Maas ihres Trinkens beſtimmt.
3) Das
V. Geſchichte der Aufwandsgeſeße. 423
3) Das Zutrinken zu halten oder ganzen Trunk wird
vódig verboten, bei zehen meiſniſchen Gulden Strafe.
4 ) Die Kindtaufengaſtmåßler ſind ganz darin unters.
fagt; aber in der Folge durch die Polizeiordnung von 1612 ,
1 wieder geſtattet worden .

1
5) Bei Kirchmeſſen werden nur funfzeßen Gäſte era
laubt, der Gaſtgeber mag Bürger oder Bauer reyn.
6) Bei Hochzeiten werden zum Früßeſſen acht und
zum Abendeſſen ſieben Gerichte erlaubt. Von Wein und
Bier nicht mehr als dreierlei Sorten . Für jedes Gericht
1
über jene Zaki ſoden zeßen Gulden Strafe bezahlt werden.
Die zweite hierher gehörige Sächſiſche Landesordnung
iſt das Torgauiſche Ausſchreiben vom Jahr 1483 , mela
ches einen beſondern Iitel von übermäſſigerKleidung und
Unkoſten enthält.
Runde.

3
1

VI. Ueber
424
VI.

Ueber teutſchen Gerichtsſtyl.


liebeteutſcheVater land, es iſt wahr thut
Daszwar im Ganzen genommen , jezt beſonders viel , ſich
mit ſeiner Mutterſprache aus der ehemaligen barbariſchen
Perſtümmelung herauszureiſſen , nicht mehr ſo arg diejes
nige Verleugnung damit zu treiben , als es noch eben nicht
gar lange herrſchend geweſen ; nicht mehr ſo manchen Aus
drud , To manches Einſchiebſel beim Reden , gauptſächlich
beim Schreiben aus andern Sprachen Herzuholen , und,
in Meinung ein Meiſterſtück zu machen , damit grosberra
lich zu prangen . Aber , dahin iſt es bei verſchiedenen hers
untergekommenen Albernheiten noch nicht gediehen , daß
Gerichtshöfe unter andern ſich überwinden wollen , ſo wie
zu ihrer und des Vaterlandes Ehre , als múrklich zum Nuzs
zen und Vortheil der Mitbürger , in der Sprache zu reden
1
und zu ſchreiben , in welcher ſie beiderſeits unter einem Hima
melsſtriche leben und weben , beiderſeits zu einer Nation
zuſammen verbunden ſind und für einander wúrkſam ſeyn
ſollen . Es iſt in der That zu bewundern , daß man hier
den Eigenſinn ſo weit treibt und nicht eben ſo vernúnftig
fich dabei bezeigt , als bei der unlángſt nicht ſchwer gehaltes
nen Veränderung der lächerlichen franzöſiſchen Aufſchriften
auf teutſchen Briefen . - Kaum hatte dies ein Pútter -
öffentlich gerúgt (*) , ſo erkannte der Deutſche den bisheria
gen Widerſinn ; undwenn gegenwärtig noch einer innerhalb
den teutſchen Gränzen eine franzöſiſche Aufſchrift auf ſeinem
Briefe ausgehen laſſet , dann ſchüttelt man billig darüber ,
den Kopf , wie über einen Pedanten . Sollte man dies
nicht mit eben ſo vielem Rechte thun , wenn man ſiehet,
daß
( * ) Soon im Jahre 1737. rúgte es ein ungenannter in den Beitr.
zur frit. Hift. der teutſchen Sprache re. 16tes St. S. 593 ; das
mals aber achtete man ndo nichtdarauf. Ein gut Ding wil
Weile haben , ſagt man im gemeinen Leben,
VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyt. 425
daß teutſchen Mitbürgern dieſes und jenes zur Nachricht
und Achtung von teutſchen Obrigkeiten geſagt wird, und
es ihnen gleichwohl in einer mit ausländiſchen Wörtern ver
mengten Sprache geſagt wird , die gerade der größte Haufe,
der ſich darnach achten ſoll, nicht verſteht, und durch ans
dere ſich erſt erklären laſſen muß ? Der unbefangene, ge
gen Zweckwidrigkeit und Uebelſtand nicht gleichgültige Mann
urtheile ! Zweckswidrig ſoate das nicht ſeyn , wenn ich
einestheils will, daß jemand meinen Sinn , meine Mei
nung zur Befolgung, zum Unterricht vållig begreifen und
einſehen ſoll ; anderntheils aber nun gerade zugleid) mich
durch meine Reden ihm ſo unverſtändlich mache, daß er
auſer Stand geſeßt wird , meinen Sinn , meine Meinung
3
vódig zu begreifen und einzuſehen ? Uebelſtand ſollte das
nicht ſeyn , wenn allein der Deutſche , deſſen Sprache lo
1 viele Würde, Tu groſen Reichthum hat, ſich da ohne Noth
ſo bettelarm geberdet , wo es ihm bei andern Nationen zu
3 einem entehrenden Vorwurfe gereichen muß ? wenn er aus
șiteler Fremdgierigkeit, wie ſich Schottei ſchon im vermi
1 denen Jahrhundert ausdrüfte , ſeine Sprache ſo gar deuts
los macht?

Esiſt mir hier ebenſo wenig um meine Meinung oder


# einen nuchternen Einfall zu thun , als dem Verfaſſer des
! fürtreflichen Auffaßes : über den Kanzleiſtyl, im März des
Er teutſchen Muſeums vom Jahr 1779 , S.208 u. f. Mit
11 ihm wünſchte ich, blos der Sache halber , daß edfe teuta
ſche Männer endlid mal fich des buntſchecfigen Geman
des entwöhnen mögten , das bisher der Nation ſo übel an
ftehet. Man leſe dort dieſen Auffaß, auch weiterhin den,
von einem andern Verfaffer , im December deſſelben Jahrs
S. 517 u. f. Gemis Reiz, um mit Vernunft , ohne
Steiffinn , aufmerkſam auf den Gegenſtand zu werden ;
rei's auch , daß ein Dritter im März von 1780 , S. 284
U. f. etwas zu der Materie nachbringt , was eben ohnges
Se 3 fehr
426 VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyl.
Fehr der Son derer iſt, die (nach Simonetti i. 8. Chas
rafter eines Geſchichtſchreibers, 6.68) ihre kümmerlichen
Gedanken in die Sprache der alten Rómer und anderer
Vsiker einkleiden , damit man ſie in der römiſchen oder
fremden Tracht für das Halten möge , welches fie in der
ordentlichen Landeskleidung nicht ſeyn würden : die ſich wie
Kinder , ihre Klapper nicht gern nehmen laſſen ; die nur
ihren Handwerksgóßen wacker finden ; die keinen andern
Grund ihres Thuns Kaben , als ihren Willen oder die Ges
wohnheit.
Von dem Kanzleiſtyr ſowohl als von dem Gerichtsſtyl
án fich , inſofern er teutſcher Kanzlei- und Gerichtsſtyl
bleibt, ſollte many denke ich, hoffen , daß es damit als
mahlig von ſelbſt eine günſtigere Wendung nehmen wird ,
1
je mehr wir in unſerer Sprache fortſchreiten , wodurch die
Verdauungsbeſchwerde für das Heiſchen und Laden ,
fchierskünftige Tagefahrten , für das Nachdem ; Sina
temalen und Dieweilen , ohnumgånglich fühlbarer , und
endlich der Geſchmack für den Deutſchen am Rande des
achtzehnten Jahrhunderts anſtandiger gebildet werden muß;
freilich wohl, auch hier , unter der Bedingniß , daß der
Eiferer immer weniger werden , die aus anhånglicher
Strenge für den Herkoman ftets vom Mišbrauch reden ,
Telten vom guten, vernünftigen Gebrauch was wiſſen wollen.
Daß man aber dergleichen teutſche Schránke nun
noch obendrein mit dem ſeltſamſten Miſchmaſche vom Auss
lande Her verkoppelt und verunſaltet: daß teutſche treulos y
ihre eigenen Geburten mit fremden verwechſeln : daß Teuts
ſche Teutſchen befehlen , ſie unterrichten wollen , und dazu
nicht teutſche Redensarten gebrauchen , das ſcheint ein
ſchwererer Stein zum Heben zu ſeyn ; und das iſt's eis
gentlich , was ich mit helleren Augen ermågt zu werden
wünſchte.
Auf
VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyr. 427
Puffadend gegen uns iſt's doch , wie weit unterſchiez
den und feſter eben der Römer dachte, durch deſſen Sprache
1 wir heut zu Tage die unſrige zu verſtellen wenig oder gar
nicht bedürfen ; der In- und Ausländer mußte , weniga
ſtens in den offentlichen Geſchäften , ſich nach der altrómi
ſchen Sprache bequemen , damit auch dadurch das Anſehen
und die Würde der Republik erhalten und nicht herunter
gereßt werden mégte: Valerius Marimus hat die
Stelle , die ich unten beifüge (*) ; und wenn ein Cicero
im 1 . v. d. menſchl. Pflichten von dem Anſtändigen der
Uebereinſtimmung aller einzelnen Handlungen miteinander
ſpricht, ſo bringt er Vergleichungsweiſe es init in Anſchlag,
daß wir nur die uns geläufige Sprache , und auch dieſe rein,
ohne Einmiſchung ausländiſcher Wörter , reden müßten ,
- wenn wir nicht lächerlich werden wollten (**). In dem
ie
Munde des befannten Wehner’s , als Recytslehrers ,
11.
nimmt er ſich daher vortheilhaft aus , wenn er bereits zu
37
feiner Zeit die Majeſtát, Würde und Zierde der teutſchen
Sprace erhpb und zum Beſten des allgemeinen Weſens
M
und des Vaterlandes nicht wenig daran gelegen zu ſeyn
glaubte , daß ſolche ſorgfältig in guten Gebrauc geſeßt
M und erbalten werde (***). Fragen
he
(* ) Lib. II. Cap. II. „Magiſtratus vero priſci' quantopere ſuam po
elli pulique Romani majeſtatem retinentes ſe gellerint, hinc cognoſci
her poteſt, quod inter cetera obtinendæ gravitatis judicia illud quo
que magna cum perſeverantia cuſtodiebant, ne Græcis unquam
nili latine refponfa darent. Quin etiam ipfa linguæ volubilitate ,
qua plnrimum valent , excuſſa , per interpretem loqui cogebant ;
ui non in urbe tantum noftra , ſed etiam in Græcia & Aſia: quo
ſeilicet latinæ vocis honos per omnes gentes venerabilior diffun .
PUI deretur. , Nec illis deerant ftudia doctrinae , ſed nulla non in re
pallium togæ ſubjici debere arbitrabantur, “

ell
(** ) „ Sermone eo debemus uti , qui notus eſt nobis , ne græca verba
inculcantes jare optimo irrideamur. “
(*** ) In der Zueignungsſdrift vor 1. obfervat. pra&. fel, ad mater .
M de verb . & rer. fignif. Hujus linguæ ( germanicæ ) tanta
29
eit
Ee 4
428 VI. Ueber teutſchen Gerichtsſiyl.
Fragen mögte man in den aufgeklärt gerühmten Tas
gen , warum der Teutſche juſt da einen edlen Stolz fahren
laßt, wo, ſolchen zu behaupten , der Charakter es erfors
derte ? Doch nein , die Frage führt zu weit , und hat auf
Dinge Bezug , die für einen Biedermann zu berühren
empfindlich ſind, Ich will lieber , um wieder auf den en:
geren Zweck zu gerathen , mit Erlaubnis ein Geſchichtgen
einſchalten , das ich mal in einer ſechs Bogen ſtarken gea
druckten Schrift , aus der Mitte des vorigen Jahrhuns
derts , unter dem Titel : Neu ausgepußte Sprachpofaune
an die unartigen teutſchen Sprachverderber ac. geleſen habe :
ein Schultheis bekam aus einer gráflichen Kanzler einen
Befehl , von dem er wegen der eingeſtreueten lateiniſchen
Wörter nichts verſtund : der Schreiber hatte eben viele
Züge und Schnörkeln um die Schrift gemacht, hieraus:
ſchloß der Schultheis , es ſeye ihm vorgemahlt, was er
thun ſollte , und brachte des vegen einen Wagen mit Reiſers
holz nach Hofe. So einfältig waren nun wohl unſere
Schultheiſen jezt freilich nicht mehr , denn es gehet ihnen
wie dem Unglücklichen mit einem ſchweren Gehör, der es
mit der Zeit dahin bringt , daß er bei andern das aus den
Bewegungen der lippen abnimmt , was ihm das Dhr nicht
mittheilt ; unſere Schultheiſen , unſere Bauern pflegen
auch jezt mehr wie ſonſt mit Befehlen , mit Beſcheiden in
Uebung erhalten zu werden , ſo , daß ſie leicht mehr als die
Vorfahren von dem quid juris betappen lernen , das
aber

eſt majeſtas tantaque dignitas , lepor & gratia , ut cum aliis fere
omnibus non tantum de elegantia , verum etiam de exquiſitorum
verboruin circumductione & periodorum decenti amplitúdine at.
que tractu certare pofſit. Nec parum ad autoritatem reipublicæ
intereft, ut fan &te' obfervetur & uſurpetur lingua vernacula ,
quod rigidillime obſervatur à Turcarum regibus, qui majeſtatem
imperii ſui in eo etiam oſtentant, ut non alia lingua quam ſua
vel legatos exterorum principum audiant , vel iisdem reſpons 1
deant. Idemque Romanos fecifie , Valerius Maximus teſtatur
quod & aliis in regnis fieri adfolet, s
1

VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyf. 429


aber låſſet ſich nicht wohl gedenken , daß Befehle , Beſchei
de , was es iſt , wenn ſie mit ausländiſchen Wörtern ver
ſpickt ſind , ebenſo zmeckmåffig und anſtändig für den , von 1
dem ſie kommen , und für den , an den ſie gehen , ſeyn
könnten , als wenn ſie dies nicht ſind , als wenn ſie in der
reinen , klaren , ungekipperten , angebohrnen Mutters
ſprache bleiben .

Das beſcheidet ſich ein jeder , daß der Gerichtsſtyl, ro


wie er nun malverjáhrt iſt, ſeine Eigenheiten ſo gut als
ein anderer Styl wird behalten müſſen , und daß z. B. mit
einer allenthalbigen Eſtorſchen Umformung nun manche
Verwirrung entſtehen würde; der Teutſche hat ja auch
ohnedies manches fremde Wort mit gut erſchöpfender Bes
zeichnung der Sache zu ſich genommen und mit Wohiklang
auf teutſche Endigungen gebracht, aber dazu möchte ich in
aller Welt den Grund wiſſen , warum man z. B. ſchreibt:
A. C. h . (anni currentis , hujus , ftatt I. J.
oder d . F. ( laufenden Jahrs , dieſes Jahrs.) A

A 1 Rthlr. z. B. ſtatt : zu i Rthlr.


Adjudiciren , ſtatt: zuerkennen , zuſchlagen .
Admodiation , ft. Pacht, Verpachtung.
Advocatus cameræ , ft. Kammeradvokat.
Affigiren , ft. anheften , anſchlagen.
ſub Auctoritate judiciali, ft, unter obrigkeitlichem,
richterlichem Unſeken, von obrigkeitswegen , von ges
richtswegen .

Bonis cediren , ft. ſeinem Vermogen entſagen , auf


ſein Vermogen Verzicht thun , ſein Vermogen
den Gläubigern übergeben , aus ſeinem Vermogen
weichen .
Bonum vacans, ft, ein erledigtes Guth , ein erbloſes
Guth ; wenn man will : ein vakantes Guth.
Ee 5 Cal

.
430 VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyl.
Calculus, ft. Redinung, Kalkul.
Capitalia, ft. frapitalien.
annuus Canon , ſt. jährlicher Zins .
Caution de reſtituendo, ft. Verbúrgung zur Wieders
erſtattung.
1 Certamen de prioritate, ft. Vorzugsrechts - Streit.
Circa , ft. ohngefeßr, beinahe.
Citation , ft.
ſt. {adung , Vorladung.
Collociren , ft. ordnen , vertheilen.
ex Commiſſione ſenatus, ft. von Bürgermeiſter- und
Rathswegen , von Magiſtratswegen.
coram Commiſſione, ft. vor der Kommiſſion,
Communiciren , ſt. mittheilen.
Condition , ſt. Bedingung, Beſchaffenheit.
Copia , ft. Kopie , Ubſchrift.
Conſumtion , ſt. Verbrauch.
Convenientz , ſt. Bequemlichkeit, Zutráglichkeit.
in Conformität, ft. in Gemásheit, dem gemás, zufolge.
Confiftentz , ft. Einrichtung, Verfaſſung.
fub Curatela , ft. unter Vormundſchaft; wenn man
wid ; unter Kuratel.
Curator abſentis, ft. Vormund über des Abweſenden
Gúther.
Curator ad litem , ft. Vormund bei einem Rechtsſtreit.
Datum , ft. gegeben , geſchrieben .
à Dato , ft. von jezt an , von heute an.
Debitor , ſt. Sculdner. Communis debitor, ft.
gemeinſchaftlicher Schuldner. >
Decretum de alienando , ft. Verkaufsdekret , Vers
auſſerungsdefret.
Defunctus, ft. der Verſtorbene. Defuncta, ft. die
Verſtorbene.
Dependiren , ſt. abhangen , abhängig ſeyn .
Deſignation , H. Derzeichnis, Del-ait
VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyl. 431 .
Detailliren , ſt. auseinanderſeßen , erörtern , zerglies
dern. En detail , ft. im einzeln ; vereinzelt.
Dimidia , ſt. die Hälfte.
Dito , ft. dergleichen , noch.
Edictaliter, ſt. richterlich, offentlich; wenn man will,
ediktaliſch .
Eventualiter , ft. vors erſte , vor der Hand.
Eviction præſtiren , ſt. Gewährſchaft leiſten .
Ex capite hæreditatis , ft. von Erbſchaftswegen , aus
Erbſchaftsanſpruch.
Ex quocunque capite, ft. es ſeye aus was für einem
Grunde es wolle.
Extradiren , ſt. aushändigen.
Extraordinarie, ſt. auſſerordentlich , ungewöhnlich.
Fatalia, ft. Nothfriſten.
Formaliter, ſt. förmlich.
Formirung , ft. Entwerfung , Ausarbeitung
Fruſtriren , ft. vergebens verurſachen .
0

in Hodierno præfixo ( termino ) in dem auf heute


angelegten Termin .
Illata , ſt. das Eingebrachte ; paterna , ft. vom Vater ,
våterliche; materna, ſt. von derMutter, mütterliche.
Impetrant, ſt. Klåger , Anbringer.
Impetrat, ft. Beklagter, wider den etwas angebracht
worden ift.
demniſiren , ſt. entſchädigen. 1
Injungiren , ff. aufgeben.
ad Inſtantiam , ſt. auf Anſuchen , bitten ; wenn man
wil : auf Inſtanz.
Inſtruiren , ſt. Anleitung , linterricht , Vorſchrift
geben.
Inter
432 VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyk.
Interceſſion , It. Fürſprache. Interceſſions - Sdreis
ben, ft. Fürſchreiben , Fürſprachsſchreiben . Inter.
cediren , ft. für jemand verwenden , vermitteln ,
Irrevocabiliter, ſt. unwiderruflich.
Jus potius , ſt. ein beſſeres, mehreres, näheres Recht.
Juſtificiren , ft. rechtfertigen . Juſtificatoria , ſtatt
1 Rechtfertigungsfähige Sachen .
Laudemium , ſt. lehngeld.
Legitima, ſt. Pflichttheil.
Legitimiren , ft. fich rechtfertigen.
Libellirte, fta geklagte,
in Loco , ft. am Orte , an Ort und Stelle.

Mandatarius, ft. Unwald, Bevollmächtigter.


Matrimonio durante , ft. währender Ehe.
Melioration , ft. Beſſerung .
Moderation , ft. Máſfigung, Gelaſſenheit.
Monireny ſto erinnern . Monita, ft, Erinnerungen,
Bemerkungen.
Modo , ſto jezt .
Mortificiren , ft. vernichten , ungültig machen , für
nichtig erkennen oder erklären.
Nomine , ft. Namens , im Namen .

Obæratus, ft. verſchuldeter, mit Schulden beladener.


ex Officio , fta öffentlich, von Amtswegen , von Geo
richtswegen .
Originaliter, ſt. im Original.
Paſſus, ft. Stelle , Vorfall , Sache.
Peremtorie, ft. ein für allemal.
3
Plus , ſt. mehr , Ueberſchuß, Zuwachs.
Plus licitans, ft. Meiſtbietender.
in
1
)

VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyl." 433


1

in Pleno ( collegii), ft. bei verſammeltem Rollegium.


Pendente lite , ft. währendem , noch anhängigem
Rechtsſtreite , Prozeſſe.
Præcludiren , ft. ausſchlieſſen .
Præfigiren , it. anſeßen , beſtimmen.
Prætendiren , ft. fordern , begehren , Anſpruch
machen .
ſub Pæna præclufionis, ft. unter Strafe der Auss
ſchlieſſung, bei Strafe der nachherigen Enthórung.
Sub Pæna perpetui filentii , ſt. bei Strafe des
ewigen Stillſchweigens.
Præter propter , fto ungefehr , beinahe.
Præſtanda , ſt. Abgaben , Steuern.
Prævia citatione, ſt. nad vorgängiger Ladung, Citation .,
Præfcriptio immemorialis , ft. eine unvordenkliche
Verjährung.
Pretium taxatum , ft. geſcházter, tapirter Werth, Preis.
Principia , ft. Grundſåſe.
Prioritæt, ſt. Náherrecht, Vorzugsrecht. Super prio
rịtate, ſt. über das Vorzugsrecht. Ad deducendam
prioritatem , ft. zu Uusführung des Vorzugsrechts.
Projectiren , ft. entwerfen .
Protocollum profeffionis, ft. das Ausſageprotokoll ,
das Protokoũ über die Ausſagen .

Quæftionis ( der Fal ) ft. der gegenwärtige, der anges


führe Fall , der Fall von dem die Rede ift.
Qualificiren, ſte ſich geſchickt machen , geſchickt ſeyn , die
Eigenſchaften haben , reif zu etwas ſeyn .
Quantum, f . Betrag, Antheil.
Ratione, ſt. in Anſehung.
ſalva Ratificatione, ratihabitione , approbatione ,
ft. mit vorbehaltlicher Genehmigung,
Re &tificiren , f. berichtigen,
Recur
434 VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyt.
1

Recurriren , ſt. Bezug nehmen , zurückgehen , Zuflucht


nehmend.
Revidiren , ft. durch ſehen , unterſuchen .
Repræſentiren , ft. vorſtellen , vertreten.
Reſtringiren , it. einſchränken .
Remiſfon , f. Erlaß.
Regulative, ſt. Vorſchriften , Verordnungen.
Remedur, ſt. Hülfe , Gegenmittel.
Refundiren , ft. erſtatten, erſeßen . Cum refuſione
expenſarum , ſt. mit Erſtattung der Unkoſten.
Separiren , ſt. abſondern.
Signatum, ft . gezeichnet, unterzeichnet.
Special, ft. beſonders, ausdrücflich, eigen dazubeſtimmt.
Specifice, ſt. einzeln , jedes beſonders.
Status bonorum , ſt. Vermögenszuſtand. Ad inda
gandum ftatum bonorum , ff. den Vermogenszus
ſtand zu unterſuchen .
Subhaſtiren, fto verkaufen. Terminus ſubhafta
i
tionis , ft. Verkaufstermin .
Submiſs, ſt. unterwürfig unterthänig.
Summariter , ft. überhaupt , in einer Summe , kurz,
Tempus immemoriale , ' ft. eine unvordenkliche Zeit.
Terminus, ft. Termin , Frift. Terminus præfixus,
ft. angeſekter , beſtimmter Termin . Terminus lici
tatioris , ft. Verkaufstermin . Ante lapſum ter
minum , ſt. vor verfloſſenem Termin.
Transactio , ft. Vergleich, Vertrag.
Transferiren, ft. übertragen, verfeßen.
Uſus fructus, ft. Nußnieſſung.
Verificiren , ſt. bewahrheiten , wahr machen , geltend
maden .
Vigore commiſfionis, ft. Kraft obhabenderKommiſs
fion , von Kommiſſionswegen.
VI. Ueber teutſchen Gerichtsſtyl. 435 .
Es mogen Proben genug feyn. Jedoch , bei allen
inéglichen Zweifeln , geſeßt, man wüßte ſich zu redytferti:
gen , warum man lieber : anni currentis , verificirent
u. T.m., mit einem Worte , buntſcheckig zu ſchreiben gens
thigt ſei; ſo fuate man denn doch aber nur alsdann nicht
ſo ſchreiben , wenn die Sache von der Art iſt, daß ſie entwes
der insbeſondere für jemand von der unſtudirten Klaſſe oder
gar úberhaupt sffentlich fürs Publikum zur Nachricht und
Achtung (*) zum Proklam -- dienen muß. Warum ?
es iſt zweckswidrig , es iſt Uebelſtand. Verdient dies eta
wan gar Widerſeßlichkeit ? - ja dann - gehört die ganze
Materie auch in Fauſtin's philoſophiſches Jahrhundert,
und dann thut man beſſer, man nimmt ſein bischen
Menſchenverſtand gefangen .
(* ) In der Caffel.Polizei- und Kommerzienzeitung von diefem Jahre,
St. 25 ſteht S. 483 folgende Warnungsanzeige: 1. Die
Wittib Catharine Eliſabeth Mappin und Wittib Ducfftein peto
expofitionis partus find beide auf ein Vierteljahr ins Zufthaus
condemnirt worden . " Nun entſteht die Frage, ob irgend eine
Perſon , die einer ſolchen That fähig iſt , wiſſe was das pètum ex
pofitionis partus fei, und ob der lateiniſche Name des Verbrea
dens mehr Abſdreckendes habe , als der teutſche ? 4. D. H.

( t)

VII.
1
436
1 VII.
Vom Bergbau am Arzberge (*) bei Eiſenårz
in Steyermark.
er Bergbau ſoll in dieſem Gebürge zu Anfang des achs
ten Jahrhunderts rege geworden ſeyn , und man giebt
insbeſondere das Jahr 712 an. Es wurden ſeit dieſer Zeit
| von den Einwohnern der beiden am Fuße des Arzberges jes
doch gegen einander überliegenden Marktflecken Vordern
berg
( * ) Es iſt wohl hochſt wahrſcheinlid , daß in allen den Geburgen ,
welche den Namen Arzberg führen , der Bergbau fdon in den
älteſten Zeiten im Gange geweſen ſei, wie er zum Theil auch noch
iſt. Damals war Teutſchland noch nicht ſo ſehr bewohnt , und
die Berge hatten daher auc noch nicht ſo wie jezt ihre beſondere
Namen , die ihnen nachmals erftlich nach zufátligen , bisweilen
auch ganz unbeträchtlichen Begebenheiten beigelegt wurden. Die
jenigen Gebürge , welche jezt noch den Namen Arzberge führen ,
haben aufer allem Bweifel von dem in ihren Eingeweiden meiſt in
Menge gefundenen Erä ihre Benennung erhalten. In den teut:
rohen 8. K. Erblanden ſind vorzüglich der Arzberg in Steyers
mark , von dem hier die Rede iſt , ſodann der Ürzberg bei Hút:
tenberg in Stárnthen , und endlich der Erzberg bei Jdria im Her:
zogthum Arain berühmt. So wie lezterer die bekannten und
vorzüglich reichen Dueffifbergruben enthalt, fo find jene beiden
Arzberge die reichſten Schaklammern an Stahl- und Eiſenerzen ,
in den K. St. Staaten , von deren weitern Verarbeitung ſich da
ſelbſt ein großer Theil der f . ff. Unterthanen nåhret. In den
dortigen Gegenden werden ſie daher aud die beiden Haupteiſen :
wurzen genannt, und ſo felbſt auch in den ft. St. Bergordnungen .
Die Benennung Arzberg iſt wahrſcheinlich ålter als Erzberg ,
weil man auch in den áltern Zeiten nicht Erz , ſondern Arz und
nachmals Herz ſchrieb, daher auch jetzo noch der Marktflecken ,
bei welchem der hier beſchriebene Arzberg liegt, nicht Eiſenerz
ſondern Eifenári gerdrieben wird .
Aud ohnweit Somalfalden , beim Dorfe Steinbach im Amte
Hallenberg liegt ein anſehnlicher Berg , der den Namen Urzberg
führt , wo in den áltern Zeiten viele Eiſenſteinsgruben gebaut,
die aber nach der Hand wieder aufláſſig geworden ſind , und wo
von man jefo nur nod eine Menge pengen als Ueberbleibſel ſieht.
VII. Vom Bergbau am Arzberge. 437
berg ( * ) und Eiſenárj (**) wiatuhrlichverſchiedene Gruben
auch Eiſenſtein gebaut. Ums Jaht 1662 aber wurde eine
beſtimmte Grenze zwiſchen beiden feſtgelegt. Hierdurc
wurde der Arzberg durch eine in eiſernert mit den Anfangsa
buchſtaben der beiden Gewerkſchaften J. und V. bezeichnes
ten Pflocken ausgeſteckte linie, die man dieEbenhohenennt,
in zwei Haupttheile getheilt. Der obere iſt den Radmeis
ftern oder Gewerken zu Vordernberg eingeräumt, davort
ein jeder ſeine iým zugetheilte Grube bauet, Der Untere
Theil hingegen wird von der Innernberger Hauptgerverka
ſchaft
11
() Sowohl weith max von Grå , der Hauptftadt in Štetermart
fommt , als auch wenn man von Wien die Straße über den hos
hen Sömmering , welcher Stepermatt von Defterreich ideiðet
durch das Puerzthal úber Prud an der Muhr und Leobeu führt
1 fo fommt man zuerſt nach Vordernberg . Eben daher mag aud
14 wohl dieſer Dkt ſeinen Namen haben , weil er noch vor dent
EN Berge liegt , über den die Strafe nachmals nad Elfenárz führt.
11 Gleich dichte hinter Vordernberg fängt dieſer Berg , der Preppe
hügel genannt , ſoon an und ſteigt ſteil in die Höhe. Ganj obert
geht linferhand der Weg tiad den Vordernberger Gruben artt
Arzberge åb , die Strafe nach Eiſenarz aber nun auf der andernt
Seite des Berges faft noch ſtärker , als ſie auf der Vorderberger
Seite geſtiegen tvär. Bordernberg ſelbſten iſt wegen der häufi.
18 gen an den hohen Gebürgen herumziehenden Nebeln , und bet
20 gar zu oft veranderlichen Witterung etwas ungeſund, und aud
nod dabei ein finſtrer trauriger Ort, teil von den dortigen vits
en len .Plaahäuſern uud Grammietteln oder Roftſtadten der Eiferts
111 fteinsſtaub , Raud c. fich an allen Häuſern häufig anlegt.
11.
(** ) Eife når ; audi , vermuthlich weit es hinter oder in den Beta
33 gen liegt . Innernberg genannt , iſt ſchon weit beffer als !

11
vordernberg , ohngeachtet es ſehr hohe Gebürge , derett
Gipfel ganz naft und mit lauter Felfen bedeckt ſind , um ſich hat;
mi dann einestheils liegt es nicht ſo dicht und enge an die Gebürge
geðrungen, anderntheils liegen die dafigen Hütten nod auffers
halb dem Orte. Es ift leicht zu denken , daß die Eiſengrubed
TI am Arzberge, mogen Gelegenheit zu Erbauung und Beterinung
des Marktflectens Elſenår; gegeben haben.
Sert: Beitr. St. III.
1
438 VII. Vom Bergbau' am Arzberge.
fchaft gegen gemeinſchaftlichen Gewinn und Verluſt ges
bauet (*).
Der Urzberg, der auch die Haupteiſenwurz genennt
wird , liegt nahe am Marktflecken Eiſenärz, und ſchließt
fich gegen Mittag an das Gebúrge Reichenſtein an . Gegen
Morgen liegen die Gebürge Pfaffenſtein und Polſter, welche
aber durch Chåler vom Arzberge , ſelbſten getrennt ſind.
Das Hauptſtreichen iſt von Mittag in Mitternacht, ſein
Perflächen in Abend. Er iſt ein ſanft aufſteigendes , mit
Schluchten und Thålern durchzogenes Geburge , welche auch
öfters machtige Erzſtreife zu überwerfen , zu verdrucken oder
auch wohlgar abzuſchneiden im Stande find . Im Ans
fange þat er 350 lachter , und die Seigerhöhe betrågt gegen
470 (achter. Seine Oberfläche iſt überau mit Fichten und
Lerchenbäumen bewachſen.
Der untere Theil des Arzberges beſteht aus verſchiedes
nen einfachen Steinarten , und zum Theil aus Jufftein,
Gips und einigen Dieſe ſtreichen vonMitezeit auch
Schief er anzutreffen .
ternacht , und beiſſen an verſchiedenen Ote rtnen zu Tage aus .
H i e r a u f fi nd et m a n ei ne n we is gr ün li ch Kalkſteidnem, der
fich in freier luft , noch mehr aber bei fortdauern Res
genwetter , vom Geburge losmacht und abroat. Sein
Streis
( * ) Man hat mich vielmals in der dortigen Gegend verſichern wols
len , daß der Gewinn der Intereſſenten der Innernberger Haupi:
gewerkſchaft , die auch zugleich den größten Theil der dort und in
dem angränzeuden Deftreich liegenden Hüttens und Hammers 3
werke beſigt , ſehr geringe rei. So ſei es denn aus einem rols
den Gewerfen nicht erlaubt, ſeinen ihm meiſt durch Erbſchaftss
recht zugefallenen Antheil zu verkaufen , es ſei dann ,, daß ihm
der ſtåufer das erſte Anlagkapitalvon dieſem Antheil wieder gebe,
welches aber nicht leicht geſchieht , weil folches alsdann kaum
i bis 2 pro Cent abwerfen würde. Das erſte Anlag fapital,wel.
chc$ 1625 eine Geſellſchaft zuſammenſchoß , um davon den Bergs
ban gemeinſchaftlich zu betreiben , belief fic auf 80000 uloente
rin
!
VII. Vom Bergbau am Arzberge. 439
3
Streichen geht mit der Geburgskette fort, und ſein Vera
flächen iſt mit dem Gehänge gleich. Er iſt auch die Grunda
lage des reichen Eiſenſteins, und ſchneidet die in die Seufe
8 feßenden Erze ganz ab. Die Bergleute nennen dieſen Kalfs
ſtein Rochwand. Der obere Theil des Arzberges beſteht
aus verſchiedenen , unordentlich zuſammengehauften , und
öfters mit einem lettigen Beſteg beſchlagenen Erzlagen , die
auf dem - tauben Kalkgebürge auffißen , und vom Gipfel
bis auf dieſe Rochwand derben Eiſenſtein ausmachen , da
e ihn dann dieſe Rochwand abſchneidet und weiters niederzus
Teßen verhindert. Auf den von der Dammerde entbláſten
Cagebrúden kann man dieſes überworfene Gebürge deuts
PH lich wahrnehmen , da eine Erzlage , wenn ſie kaum einen
Strich fortzufeßen angefangen hat, ſchon wieder von einer
andern , grade ins Kreuz fallenden, gånzlich abgeſchnitten
wird. Bei einer aufmerkſamen Grubenbefahrung kann man
> auch deutlich wahrnehmen , wie die Lagen bald recht, bald
i widerſinnig , bald ſeiger, bald flach faden. Der Eiſens
# ſtein bricht daher hier theils gangweiſe, theils in Stockwers
i fen, theils auch neſterweiſe; doch finden ſich auch häufig
E taube Mittel darin . Die Gefährten des Eiſenſteins find
* meiſt verſchiedene Kalkſteinarten , und beſonders eine Art
Kalkípath, welche man daſelbft Robjahn zu nennen pflegt.
Die hier brechenden Erze werden im falffórmigen Zus
ſtande angetroffen , und zwar meiſt ſpathähnlich. Sos
o wohl nach ihrem Gehalte, als auch nach ihrem Verhalten
DI
im Feuer find felbige ſehr verſchieden. Man hat davon fols
gende Gattungen :
I ) Pflinz, iſt von Farbe weiß oder vielmeør iſabella
TH farbig , auch grau, und bat ein kalkſteinartiges Unſehen ,
* Man hat :
a) feinen Pflinz. Dieſer þat ein körnigtes Gewebe .
und nur ýin und wieder glänzende Punkte , viels
ober
Ff 2
440 VII. Vom Bergbau am Arzberge.
vielmehr nur ganz kleine Flachen . Von Farbe iſt er
megrentheils weis, auch grau. Erhält gegen 44 pro
Cent Eiſen , iſt aber ftrengflüſſig und giebt ein hartes
Roh- oder Floßeiſen , und iſt daher das vorzüglichſte
Stählerz. Er zeitiget in fünf bis ſechs Jahren , d. i.
er geßt innerhalb dieſer Zeit durch die Verwitterung
zu den unter Nro. 2. beſchriebenen Blau über.
A

b ) Spiegelpfling. Hat vollkommen einen ſpathähnlic


dhen Brud , der theils aus gröbern ; theils aus Fleis
nern Flächen zuſammen geſeßt , und darnach theils
grob theils kleinſpeiſſigt iſt. Sein Eiſengehalt ers
ftreckt ſich ſelten über 36 pro Cent. Je grobſpeiſfiger
er iſt, deſto geringer ift ſein Gehalt , vielleicht weil bei
demi ſelben die Eiſenerde mit einem grdſern Untheil
Ralferde verbunden iſt. Man pflegt den Spiegelpfling
audi fo nicht mit zu verſchmelzen , ſondern man läßt
ihn erſtlidyúber Tage verwittern oder abzeitigen , wos
ju aber wohl 30 und mehrere Jahre erfordert werden .
Von Farbe iſt er auch weis , auch wohl grau . Bei der
Vermitterung laufen anfangs die Sdjuppen braun an .
2 ) Blauerz. Hat ein erdigtes Anſehen und fårbt ab.
Von Farbe iſt es meiſt braun und auf der Oberflächein den
Spalten blau angelaufen . Es iſt dies nicht nur die reichſte
Gattung von Kieſigen Eiſenerzen , ſondern auch vorzüglich
Deswegen ſcházbar , weil es nicht ſtrengflüſſig iſt, und ein
Floßeiſen giebt, welches die erfotderliche Güte fat. Sein
Gehalt kommt oft auf 49 pro Cent.
3 ) Eiſenocker, oder überzeitiges Eiſenerz. Dies iſt
nichts als ein brauner , ganz loſe zuſammenhängender Eiz
fenocer , der aus dem Blauerz entſteht, wenn es einer
Quzuftarken Verwitterung 'unterworfen geweſen , oder auch
von den Waſſern angegriffen , und gróftentheils aufgeldſt
worden
.

VII. Pom Bergbau am Arzberge. 441


worden iſt. Er madt hier das ármſte Eiſenerz aus, und
mo ſein Gehalt geht nicht über 22 pro Cent. Dabei iſt er aber
18 fehr leichtflüſſig , ſo daß er den andern Erzen mit zugelegt
wird, beſonders wenn man viele pflinzigte Erge hat (* ).
41 Auſer Den eben angeführten Eifenerzen kommen im
Arzberge noch folgende Mineralien vor :
1) Setten , hier Bergleim genennt; davon hat man :
le
ll grauen. Er bricht in zwei mächtigen Stöcken an der
Oberfläche des Gebúrgs, und wird durch eine ange
legte Tagarbeit hereingehauen . Er iſt eine reine Thon
et erde, die Feuerbeſtandig iſt, und wird in Eiſenårz zur
ill Verfertigung des Floſſenbeets, zur Form , und zum
Zumachen der beim Abſtechen des Eiſens ausgeriſſenen
Soopp gebraucht.
b ) weiſſen. Er führt mehr Steintheilgen bei fich und
wird in 2 Stollen , St. Peter und St. Pauli ges
wonnen. Man braucht ihn in Eiſenärz zum Schachts
futter im Ofen.

2 ) Kalkſtein, der dicht und feinkornigt, und bisweis


len mit rothen Adern durchzogen iſt.
3 ) Noch
!
(*) . Man fieht alſo hieraus , daß dieſe hier beſchriebene Eiſenerze des
Arzberges eigentlich aus einerlei Beſtandtheilen , nemlich aus eis
ner mit der Eiſenerde verbundenenFalferbe juſammengefert find,
und blos durch die Luft und andere darauf würfende Auflöſung s
mittel verſchiedentlich modificirt worden , woraus nacmalb dieſe
3 Gattungen von Eiſenerjen entſtanden ſind. Man trift nuo
bisweilen Stücke an , welche, wenn man ſie zerſchlágt.r inwen:
dig noch einen weiſen Kern von Pains , auswendig aber , ſoweit
die Abzeitigung gegangen , eine Rinde oder Schaale von Blau:
er haben .
Ff3
442 VII. Pom Bergbau am Arzberge.
3) Rochwand, iſt ein weiſer auch grauer Kalfftein,
deſſen fchon vorher gedacht worden.
4 ) Tropfftein , hier Waſſerfall genannt. Iſt weis,
und bilder verſchiedene Figuren (* ).
5) Rindenſtein liegt meiſt auf den ausgezeitigten Erzena
6) Eiſenblüthe ift im Grund nichts anders, als ein
Kalfſinter, deř aber durch ſeine vielfältige, theils inieinans
der gerbundene, theils åſtige Bildungen ein ſchönes Anſehen
gewonnen hat. Man findet ſie vorzüglich in groſen Klufs
ten , wo ađes mit Eiſenblüthe überzogen iſt. Man nennt
dieſe Klüfte Schaßkammern ; ſie ſind dreifach verſchloſſen,
und werden den fremden als auferordentliche Seltenţeiten
gezeigt (**).
7 ) Kalkſpath , bier auch Eiſenſpath oder Robjahn
genannt ... Il weis, doch mehr gelblich , und wird beim
Erzſchlagen ausgehalten , weil man da er nichts hålt und im
Feuer fich blog verkocht, die Kohlen vergeblic dabei verbren
nen würde.
8 ) Quarz, hier Greiß genannt. Er kommt zwar
euch, jedoch nicht häufig vor , und iſt weiß und körnigt.
Er muß ſorgfältig ausgeßalten werden , weil das Geblåſe
bei den dortigen Defen , ihn zu ſchmelzen , zu ſchwach iſt.
9) Schwefelfies , vorzüglich auf Quarz, kommt fel
ten vor. Weil er bekanntlich das Eiſen rothbrüchig
macht,
( *) Hier verdient auch eine Breccia angeführt zu werden , welche id
in deu dortigen Zagearbeiten angetroffen habe , und aus fleinen
Stúden von braunem Eiſenerze beſteht , die durd Tropfftein uns
tereinander verbunden find.
(** ) Mehrere Nachrichten von der Cifenblüthe habe id im Osttingis
roben Magazine, zter Jahrg. stes St. 1783,S. 677 , mitgetheilt.
' VII. Bom Bergbau am Arzberge. 443
macht, ſo muß man ſich wohl hüten , ihn beim Schmetzen
mitzunehmen .
10 ) Eiſenglimmer liegt ſchuppigt in kleinen Blåttern ,
ftahlblau auf dem Eiſenerz. Die Blätter ſind ganz fein,
> und liegen auf- oder nebeneinander , und im erſten Fade
EL brechen ſich die Sichtſtrahlen mit einer Rubinróthe .
11 ) Braunſtein kommt zwar auf mehrern Erzen ,
One aber ganz wenig vor (*).
hen
Lif 12 ) Kupferkies , bricht bisweilen in einigen Gruben
im mit in Blauerz. Auch im Pflinge findet man bin und wies
21 der gelbe Kiesfunken .
21
Der hieſige Grubenbau iſt ſehr einfach. Schachte hat 1

man gar nicht, ſondern lauter Stolen , und es waren ders


malen 116 Gruben . Man treibt auch Feld- und Flügels
10 drter , und wo'man Erz anhaut , da geht man ihm nach,
1 dis es ſich abſchneidet. Bisweilen bricht man auch vorlies
Top gende feſte Kämme von anderm Geſtein durch , und dies
nenntman den Hofnungsbau. Die Verzimmerung deren
man ſich hier bedient , beſteht blos in Thürftocken mit Ges
ſichtern , und je nachdem das Gebúrge gebred, oder feſte iſt,
ſind ſolche aud durchaus oder nur verloren angebracht.
5 Auf
( *) Aufer dieſem auf den Erzen liegenden ſichtbaren Braunſtein ſols
len aber nach den Bemerkungen des Herr Ritters Bergmann
noch in allem weiſen Eiſenſpath ' viel Braunſtein zu finden reyn.
Und eben dieſem beigemiſchten Braunſteinfónig ſchreibt er die
Güte und Härte des aus dieſen Erzen geſchmolzenen Stahls ju ,
welcher neuen Theorie von der Entſtehung des Stahls der Herr
Hofrath von Born in Wien auch beizupflichten ſchien. Allein
die Erfahrung in der Ausübung beim Schmelzweſen hat mir
nach der Hand noch mancherlei Oründe au die Hand gegeben,
die obiger Theorie entgegenſtehen .'
Ff 4
444 VII: Bom Bergbau am Arjberge.
Auf der Stogenſole liegen die feitbåume, zwiſchen welchen
fich die Spur befindet , in welcher der Leitnagel des Huns
des geht. Heber Waſſer und Wetter hat man hier keine
Klage. Ehmals hat man auch einen Erbſtogen am Fuſe
des Gebürges getrieben , weil man aber in einer Weite von
300 Klaftern (die Klafter zu 6 Schuh gerechnet , kein Erzo
getroffen und die Wetteploſung zu foftbar gemorden , ſo
Hat man ihn wieder ſtehen laſſen. Das Grubenholz wird
auch vom Arzberg genommen , und nur das geldnittene
Holz wird
Die
gewerkſdaftliche Pferde hinauf gefahren.
durch mpe Gru
Erze rden nur im man in der gea
be

wonnen , im Sommer aber über Tage in den ſogenannten


Jagarbeiten . Das Gezáhe , deſſen man ſich hier bedient,
beſteht in Schlagel und Eiſen , Keilhaue , Krampe, Kraße,
Brecheiſen und Bohrzeug , welches denn nach Verſchiedene
Heit der Feſte und Mildedes Geſteind verſchieden angewendet
wird . Die Tagarbeiten ſind große, auf dem ſchönſten Eis
fenerze von der Dammerde abgedeckte Pláße , wo die abges
zeitigten Eiſenſteine ſich in ganzen Wänden losmachen , und
Hereinrollen . Die gebrech gerpordene Stücke werden mit
geringer Mühe mit der Krampe auch losgemacht ; die aber
fefte find , bleiben bis zur gånzlichen Abzeitigung und Vers
witterung, weil felbige zum Schmelzen untauglich ſind,
ſtehen .
Die in den Gruben gemponnene Erge werden , nachs
dem fie in kleine Stücke zerſchlagen und von aller Unart
fleiſig ausgeklaubt worden ſind , in Grubenhunden, oder
hier ſogenannten Erztruchen herausgelaufen . Dieſe Erz
truchen ſind alle mit einem , zwiſchen den vordern Rädern
feſtgemachten ſeitnagel , der gil Verminderung der Friftion
in einem eiſernen Dyal fteft , das ſich beim Fortlaufen um
den Nagel dreht, eingerichtet. Dieſer Seitnagel verſchaft
den Vortheil, daß ein Knappe die Erztruche ungehindert,
ohne Grubenlight, weil die Stoften nicht lang find , zu
Tage
VII. Bom Bergbau amAtzberge. 445
BM Sage auslaufen kann /-indem er ihn nur vor fich wegſchiebt,
14 da er ſonſt mit dem beſtimmten Géfeuchte bei ſo ſtark
12 ziehenden Wettern nicht auslangen könnte. Eine ſolche
HE Erztruche faßt ungefehr drei Centner Erz. Sowohl die
44 aus den Gruben geforderten , als die in den Tagarbeiten
gewonnenenErze werden bei den Eiſenårzer Gruben in grob
zwilchenen Säcken , deren einer 2 1 Centner faßt , gefüllts
Dann werden ſie auf kleine Wagengeftelle ( * ) gebunden, oder
Em im Winter auf Schlitten gelegt , und durch eigene Hierzu
Beſteate Sackzieher nach den am Fuße des Berges gelegenen
11%
Haupthalden abgeführt, von da ſie auf den Erzwagen in
die Schmelzhütten oder ſogenannten Planhäuſer nach Eiſen
årz gefahren werden , und dies geſchieht durch vier und
1i
zwanzig gewerkſchaftliche Pferde. Der Eiſenſtein von den
Vordernbergern Gruben hingegen wird gleich von der Grube
in kleinen auf den Seiten geflochtenen Karren , mit einem >

33
oder zwei Pferden zu den Planhäuſern nach Vordernberg
angefahren. Bei einem Pferde gehören Techs, bei zwei
Pferde vierzehn Sám zur Ladung. Jedes Sám Halt 139
+
bis 135 Pfund Erz, und iſt dreizehn Zod lang , und eben
ſo breit, die Höhe aberbetrågt 15 Zoll. Ein jeder Rads
meiſter oder Gemerke zu Vordernberg halt zu Herbeifahs
‫ܕ܀‬

rung des Erges funfzehn bis achtzehn Pferbe, und auch


wohl noch einige Dufen , deren man fid im Winter bei
tiefem Schnee bedient , um das Erz nur bis auf eine geg
wiſſe Weite vom höchſten Theile des Geburges herabzuzies
hen. Im Sommer aber werden die Ochſen in die ſogec
er nannten Alpen oder Viehweiden gethan.
Die

11 ( * ) Ein ſolches Wagengeſtellte hat nur vorne 2 kleine Räder , ftatt


1
der Hinterrader aber 2 furje Stangen , die an ihren Enden mit
cifernen Scuben , womit ſie in der Spur ſchleifen , verſehen
find. Auf ähnlichen kleinen Wågen , die aber mit Lehneu verſes
hen , und mit grünen Polſtern belegt ſind , werden die dortigen
Bergofficiers und fremden vom Arzberge berabgefahren.
Ff5
446 VII. WomBergbau am Arzberge.
Die Eiſenårzer Gruben ſind nicht insbeſondere vers
menen , weil ſie insgeſamt auf Koſten der Innernberger
Hauptgewerkſchaft gebaut werden. Es arbeiten jezt , im
Brachimonat 1782 , 224 Knappen darin , über die fünf
Hutleute oder Steigers zu Aufſehern beſtellt find. Ihre
Schicht dauert neun Stunden . Sie fahren Morgends
um 6 Uhr an , arbeiten biß 11 Uhr , halten dann bis 12
Uhr Mittag, nnd von 12 bis Nachmittags 4 Uhr müſſen
fie wieder arbeiten . Ein gemeiner Håuer bekommt für die
Schacht 7 ] Kreuzer , und ein Vorháuer 10 Kreuzer, das
Getcuchte und Gjezáhe aber muß die Gewerkſchaft ftehen .
Die Suchorte werden im Gedinge getrieben. Ein Huts
mann bekommt täglich 20 Kreuzer. Von den Sadziehern
bekommt jeder von einem Sack , je nachdem die Grube tief
ober Hod liegt, 6 bis 21 Pfennige, undmehr wie 6 Sáce
barf einer des Tages nicht herabſchleppen (*).
19. Bei den Vordernberger Gruben am Urzbergę aber ift
einěm jeden Gewerken ſein Feld beſonders zugemeſſen . Es
ift folches allezeit 56 (achter weit und 20 lachter tief ; die
Tánge ift unbeſtimmt. Der Radmeiſter zu Vordernberg
find 13 , der Gruben oder vermeſſenen Felder aber 14 ,
wovon das 14 te allen gemeinſchaftlich iſt. Jede Grube iſt
mit 26 Knappen belegt, und hat ihren eigenenSteiger (** ).
Ueberhaupt liegen alſo am Arzberge, Vordernberger Una
theils
( * ) Von allen Orušen gehen zu dem Endebeſonders gemachte Wege
bis zum Sturzhaus oder Haupthalden , den Berg herab , die
überall in der Breite der Spur obiger kleiner Wagen mit
Steinen belegt ſind , welde aber durch die eiſerne Souhe ders
felben gar bald hohl geldleift werden . Nur unten in der Weite
eines Budrenſduffes von den Haupthalben iſt dieſer Weg von
Hola , der aber alleJahr neu gemacht werden muß.
(** ) Dben am Arzberge fteht ein Thurm , der der Schichtthurm gee
nannt wird , und mit einer kleinen Glocke verſehen iſt, womit
geläutet wirb , wenn die finappen an's und abfahren müſſen.
VII. Vom Bergbau am Arzberge. 447
M
theils 364 Knappen. Jeder von ihnen bekommt monats
1
lich , das Jahrzu 13 Monate gerechnet, 4 Gulden , und
muß dafür tåglich 12 Stunden im Geburge arbeiten . Ein
Zimmerhauer erhalt monatlich 5 Gulden . Das Eiſens
out
N
Dberkammergrafenamt welches die Direktion des Arzberger
Bergbaues ſowohl, als auch über die dazu gehörige Hüttens
12
und Harrmerwerke bat, befindet fich zuEiſenårz, und bes
Fem ſteht vorzüglich aus dem Herrn Oberkammergraf von Dies
Dit trichſtein , und den beiden Herrn Bergråtgen von Roll und
von Eiderau .
H.
C. R. A. Wille.
1

IM
116

ge
Die 1

mit
el
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101

ge
it
VIIL
448
VIH ,
Verſuch einer Beantwortung der Frage :
oftderVorwurf, daß das übermäſſige Spartof
1:
felpflanzen den Verfall des Ackerbaues
und den Ruin der Mühlen nach
01.05.- fich ziehet , gegründet ? 7

1.3
von

Johann Adolph Theodor Ludwig Varnhagen ,


fürſtl.WaldediſchenPfarrer zu Wetterberg bei Arolſen .

Utile dulci , utilique-utilius eft præferendum ,


( Siehe das zweite Stück dieſer Beitrage S. 286.)

Hoieutigen
anaire Tages werden die Kartoffeln aller Arten , ordis
oder nationaliſirte weiſſe, rothe und blaue,
runde, lange und hornförmige , gelbe engliſche oder (wie
andere fie nennen ) Hollándiſche, und groſe amerikaniſche ,
oder Viehkartoffeln , in Heſſen und den angränzenden láns
dern in Menge gepflanzt und gezogen . Mancher mittel
máſige Hauswirth pflanzet jährlich zwei Malter und drůber,
und erndtet davon , wenn ſie einigermaſſen gerathen , an
zwanzig Malter , und mehr , wieder. Dieſer anſehnliche
Vorrath von Lebensmitteln für Menſchen und Viek ſcheinet
den Verfal des Ackerbaues und den Ruin der Mahlmúlen
zur Folge zu haben . Erſterer würde in mancherlei Betracht
áuſerſt bedenklich, lekterer aber den Kammereinkünften
ſehr nachtheilig ſeyn. Es hat daher der Hochfürſtlichen
Heſſencaſeliſchen Geſellſchaft des Ackerbaues und der Künſte
gefallen , die Frage auszuſeßen :
" Ift
VIII. Ueber den Kartoffelbau. 449
. Ift der Vorwurf, daßdas übermåffige Kartoffela
pflanzen den Verfall des Ackerbaus, und den
Ruin der Mühlen nach ſich ziehet, gegründet ? !!
Da hauptſächlich die Erfahrung hierbei zu Rathe gea
zogen werden muß ; lo zergliedert man gedachte aufgegebene
Frage billig in folgende Unterſuchungen :
Wozu verbraucht der Hausmann feinen anſehnlichen
Kartoffelvorrath ?
Wohin werden die Kartoffeln gepflanzet ? und wie wird
das Erdreich dabei behandelt ?
Ziehen die Gútherbeſīßer ſeit dem Häufigen Anpflanzen
der Kartoffeln mehr, eben ſo viel , oder weniger
Frucht als vormals ?
Wuhin kommt das Getraide , welches jezt durch die
Kartoffeln erſpart wird ?
Di
Und leiden nicht die Mühlen bei dieſem alen ?
Dieſe Fragen gründlich zu beantworten , will id ges
21
genwärtig einen Verſuch wagen.
1
el
g. 1.
1) Der Hausmann in Dörfern und Ackerbau treibendent
Städten pflanzet heutiges Tages ſo viele Kartoffeln , daß
De bei einigermaſſen ergiebiger Erndte nicht allein er mit allen
et ' ſeinen Leuten täglich, beinahe das ganze Jahr hindurch ,
EM mehrmals ſich davon ſatt eſſen , und durch dieſe ſtarke , gedeih
- liche oder widerhaltende Speiſe das Brod, ja auch das
2 Mehl zu andern Speiſen , um ein beträchtliches erſparen ;
EM ſondern daß er auch das Vieh damit groſentheils erhalten
3 und zum Theil dadurch fett machen kann . Erſtered würde
nicht wohl möglich ſeyn , wenn nicht die Kartoffeln die gute
und vorzügliche Eigenſchaft fåtten , daß man ſie auf mans
nigo
450 VIII. Ueber den Kartoffelbau:
u
nigfaltige Weiſe zubereiten kann, und eben deswegen ihres
Genuſſes nicht leichtüberdrüſſig wird. Man darf ſie nur
aufs wohlfeilſte und einfachſte zurichten , ſo find ſie dennoch
eine wohlſchmeckende Nahrung. Ungeſchalt, oder geſchalt
mit wenig Salz .

abgefotten , oder mit der Schaale in


glühender Aſche gebraten , oder geſchålet entweder mit ges
ringer Fettung oder mit Mild), ganz gekocht , oder klein
gerühret, als Gemüſe oder alsBrei, oder in Scheiben ge
[chnitten und mit Effig als Salat zubereitet: auf alle dieſe
Urten ſind die Kartoffeln nicht nur geniesbar , ſondern auch
wohlſcheckend und nährend. Das Brod wird dadurch faſt
gånzlich bei den Mahlzeiten geſpart, und zur Zeit des Brods
mangels erſeßen die Armen dieſen Mangel durch den zu allen
Tageszeiten wiederholten Genuß der Kartoffelni wobei
ihnen gedachte Abwechſelung in der Zubereitung treflid, zu
ftatten kommt. Auch werden die Kartoffeln , roh oder abs
geſotten , gerieben oder zerquetſchet, in den Mehlteig ge
menget , und zu Kuchen und Brodlaiben gebacken ; wie ich
dann in dem theuren Jahre 1771 bei einem Hausmanne
ein Stück Pfannkuchen , der auß bloſen Kartoffeln , ohne
Mehl gebacken war , verſucht, und gar wohlſchmeckend bes:
funden habe. So dienen die Kartoffeln den Menſchen
vielfältig zum Unterhalt ; und ich darf nichterſt anführen,
daß man ſie auch trocknen , und alsdann Mehl und Gries
zu Backwerk und Suppen daraus haben kann. Denn dieſe
Verſuche find zu umſtändlich , und daher dem Hausmann
nichts werth. Jene Behandlungsarten aber find allgemein
bekannt , leicht und einfach .
Auch für das Vieh dienen die Kartoffeln gar ſehr.
Das ganze Jahr hindurch füttert man das Rinds und
Sdweinevieh damit : und man macht , wenn man
Schroot , Brod und Fruchtkörner damit verbindet, beide
Arten Vieh mit Kartoffeln fett. Man füttet die Zies
gen damit. Ja meiß ſogar , aus unzweifelhafter Ers
fahrung
VIII. Ueber den Kartoffelbau . 451
3 fahrung von den beiden leztverwichenen Frühlingszeiten ,
daß manche Hauswirthe , bei eintretendem Mangel an
gewöhnlicher Fütterung , im ſpåten Winter oder Harten
Lenz ihre Schaafe und Pferde mit Kartoffeln durchgebracht
1 und glüflich erhalten haben . . Ja inan findet ſie auch als
Winternahrung für die Sauben zutraglich.
#
Aus dieſem allen fiehet man wohl , warum die Kate
toffeln ſo häufig angepflanzet werden , nachdem der Hauda
- mann die damit verbundenen großen Vortheile hat kennen
gelernet. Man ſiehet aber auch daraus , daß der Verzehr
des Getraides aller Art, welches zur Speiſe genommen zu
werden pfleget , verhältnismäſſig, und wenn ſonſt alleUma
ſtånbe gleich waren , jezt nicht ſo ſtark ſeyn könne, als ehea
malo , da erſt wenige oder noch gar keine Kartoffeln, in
Heſſen und den angränzenden Ländern gezogen wurden.
Denn ob man gleich ehedem andere Gemüſe deſto reichlicher
erzog , beſonders gelbe Möhren , weiſſe Rúben , Kohl ,
Kappes , und die in Weſtphalen noch jezt häufig anzutref
fenden groſen oder römiſchen Bohnen ; ſo haben doch dieſe
Gemüſe bei weitem die Vortheile nicht, welche die Kartof
3
feln gewahren. Und es ſcheinet folglich, als ob in den
1
Mühlen heutigen Tages nicht ſo vieles Getraide gemahlen
werde, wie vormals. Ob und in wie fern aber dieſes ges
gründet ſei, wird ſich am Soluß gånzlich ergeben .
1
S. 2
Wir müſſen nun erſt unterſuchen , wohin der Uckera
mann ſeine Kartoffeln pflanzet ? und wie er das Erdreid
dabei behandelt ?
Ehemals hatte man faſt úberall , wie noch jezt in einie
gen Gegenden , die Gewohnheit , dem Ucker nichtmeậr zus
zumuthen , als zwei Jahre hintereinanderber Frucht zu
tragen ; das dritte Jabr ließ man ibn rugen , oder
jur
45% VIII. Ueber den Kartoffelbau .
jur Brache liegen . Jezt ſuchet man jeden Fleckett
Ucker's adjáhrlich , ſo gut als möglich , zu benußen.
Man fået in die Brache, das heift , auf Uecker , welche ein
Jahr Winterfeucht, das andere Sommerfrucht getragen
haben , und nun nach der alten Regel zur Brache liegen
gelaſſen werden mußten , Sein , Säubuhnen, Erbſen , Wi
den , linſen , Sommerſaamen , gelbeMöhren , weiſſe Rús
ben und dergleichen. Man pflanzet auch in dieſe Brache
die Kartoffeln. Wil åber jemand dicke und viele Kartofs
feln erziehen , ſo muß natürlicher Weiſe auch die gehörige
Veranſtaltung dazu gemacht werden. Dieſe iſt in unſernt
Gegenden folgende : der Acker , wohin Kartoffeln gepflanzt
werden ſollen , wird frühzeitig geackert, und darnach ges
éget. Rurz vor der Pflanzezeit wird er ſtark gedunget;
weil in einem magern lande auch magere Kartoffeln wach
fen würden. Alsdann wird der Acker abermals geacfert;
ünd die Kartoffeln wirft man entweder in die Furche hins
ter dem Pfluge dreint, oder , welches beſſer iſt, man hacket
fie ein. Kommen die Kartoffelkeime aus der Erde , ſo
werden ſie behacket oder das Erdreich um ſie her wird auf
gelockert ; ſind ſie etwas in die Höhe geſchonen , fo werdent
fie nochmals behacket, und die Poſte umhäufélt. Solchers
geſtatt können dieſe Gewächſe wohl fortkommen und geras
then , daß fie reichliche Früchte bringen , die zugleich eine
gute Grøre haben und dieſe zeitlich erlangen ; welcher leztere
Umſtand wegen baldiger Wiederbejaamung des Afers nicht
auſer Acht zu laſſen iſt. : . Werden die Kartoffeln im Herbſt
aufgenommen , ſohacket man damit den Acker wieder her:
um. Jezterer wird nun geeget, um das Kartoffelkraut da:
von wegzuräumen. Und ſo iſt er zur folgenden Beſaamung
wieder ledig . Aber ausgeſogen ? abgenußet ? Keineswegs.
Wer gute Kartoffeln begehret, und die wird jeder , der
fie pflanzetbegehren i. muß ſtark dazu dùngen , wie vors
hin angezeigt worden iſt. Dieſer Dünger iſt nun durch
das Uckern undmehrmalige Hacken mit der Erde recht ver
miſat,
VIlI. Ueber den Kartoffelbau. 453
CH
miſcht, und kann , weil er in ſtårkerem Maſe auf den Acker
kam , noch kräftig genug auf die folgenden zwei, auch drei
211 Saaten würken ; ja , ſolcher im Sande etmas alt gewordene
hen Dünger iſt dem friſchen weit vorzuziehen.
ell
Like g. 3

Nunmehr ſchreitet man zur Beſtellung des Uckers zu
neuer Beſnamung. Der Ucker, welcher vorher eine ergies
bige Kartoffelerndte dargereicht hatte , wird nun geackert,
und Roggen oder Waizen darauf ausgeſtreuet. Und dieſe
neue Frucht muß , bei vorbeſchriebener , von allen ordentlis
3
den Hauswirthen angenommenen Behandlungsart, vódig
To gut gerathen , als wenn der Ucker den Sommer über
müßig gelegen hatte. Ein gleiches iſt von dem folgendent
Jahr zu ſagen , wo der Acker Gerſte, Hafer oder ana
dere Sommerfrüchte recht gut tragen muß. Und wenn
Derſelbe wieder in die Brache fáat , ſo wird die ehemalige
Dúngung zu den Kartoffeln noch hinreichend ſeyn , Erba
fen , Wicken und linſen , welche Gewächſe wenig Dũngung
erfordern oder erleiden mogen , gehörig zu treiben . Nach
malo důnget man dann aufs neue zurWinterfrucht. Da
aber das Landwerk die Veränderung ſehr liebet , ſo würde
ich anrathen , nicht jedes dritte Jahr daſſelbige Stück mit
Kartoffeln zu bepflanzen , ſondern damit dergeſtalt abzu
wechſeln , daß nur das neunte Jahr , höchſtens das ſechſte,
wieder dazu genommen würde ; nicht um des Getraides
baues widen , der dennoch gut darnach gerathen würde;
Tondern um der Kartoffeln wiſen , welche einen friſchen
Plaß vorziehen.
In einer gewiſſen Rückſicht auf die Frage : ob das
1 ůbermåfige Kartoffelpflanzen den Verfall des Ackerbaues
nach ſich ziehe ? iſt auch nicht mit Stillſchweigen zu überges
hen , daß man auf einem Stück Jandes, welchesmit wenis
gen Meßen -Roggen beſået wird , viele Malter Kartoffeln
Self Beitr.St, IIL. Og ziehet.
1
454 VIII . Ueber den Kartoffelbau .
ziehet. Man bedarf folglich nur einen gar kleinen Theil
(andes zu den Kartoffeln , und es bleibet mithin noch viele
Brache , ſelbſt bei einem geringen Uckerbau , übrig , welche
man entweder mit Erbſen, Wicken , linſen , Sáubohnen ,
Sommerſaamen , Sein , gelben Möhren , weiſſen Rúben u.
d.g. bejaamen , oder erforderlichen Faus ruhen laſſen kann.
Ferner iſt zu bemerken : daß man ehemals , bevor
man das Brachfeld zu benußen wagte , eben dasjenige ins
Sommerfeld fåete und pflanzte, was heutigen Jages viel
vortheilhafter dem Brachfelde anvertrauet wird. Dadurct
gewinnt man ein beträchtliches an Sommerfrüchten , beſona
ders an Gerſte und Hafer , für welche Fruchtarten man
Keutigen Tages das ganze zweite Feld behalten kann.
Weiter muß man bedenken , daß auch vor Einführung
der Kartoffeln die Gemüſe , als gelbe Möhren , weiffe Rú
ben , Kappes , Kohl u. d. gl. auf die Uecker gefået und ges
pflanzet wurden ; welche damals ein gróferes Stück einnaha
men , als ſie jezt zuſammt den Kartoffeln einnehmen , weil
dieſe nicht vielen'Raum erfordern , wenn man ſie auch in
rechter gehöriger Weite pflanzt , jene Gemüſe aber durch
dieſes eingeſchränkt worden ſind. Auch muß man den Kar:
toffeln den Vorwurf nicht machen , als zehreten fie das
Landwerk zuviel aus ; indem theils im Vorhergehenden dies
fem Vorwurf vorgebeugt worden iſt (*) ; theils auch ges
> nannte

(*) Daß die Kartoffeln einem Acker , bei gehöriger Beſtellung, in


Anſehung der folgenden Erndten nicht nachtheilig find , kann .
man aud aus dem abnehmen , mas jest ſoll geſagt werden. Es
giebt viele Meiereipachter , welche alljährlich einen großen Ucker
ftark düngen und ganz fertig ausſtellen . Alsdann pflanzen Tag:
Töhner , nachdem ihnen der verlangte Raum Landes mit Schrit:
ten oder mit der Meßſchuur zugemeffen worden , ihre Kartoffelu
dahin , welche ſie dann auch weiter verpſlegen müſſen . Und im
Herbft bezahlen ſie dem Pacter entweder ein Manntes an Gelde
øder

1
VIII. Ueber den Kartoffelbau. 455
be
แฝ
nannte Gemüſe, imgleichen Flachs und Sommerſaamen ,
待 eben ſowohl, ja zum Theil noch mehr Nahrung aus dem
Ucker ziehen . Und wegen der Behandlung des Uckers bei
nem dem Kartoffelbau, da das Erdreich meşrmals aufgelockert
11
und der Dünger damit recht vermiſchet wird , iſt, in Hina
anh
} ficht auf den nachherigen Fruchtwachs , ein Stück {andes,
2001
roelches Kartoffeln getragen hat , einem Stück, das Flacs
oder Sommerſaamen , gelbeMöhren oder weiſſe Rúben ges
tragen hat , allemal weit vorzuziehen. Da man den Kohl 1

und Kappeß ebenfalls , wie die Kartoffeln behacket
und umháufelt ; To reße ich ein mit dieſen Gemüſen bez
pflanzt geweſenes Stück Sandes einem Acker, der Kartoffeln
21 getragen hat , zwar etwas gleich , aber doch nicht vódig.
Kurz , ein Acer , der auf gehörige Urt verpfleget wors
den iſt und Kartoffeln getragen hat , ift billig einem
jeden andern Acker , der , wie man zu reden pflegt, ges
ſómmert worden , entweder vorzuziehen , oder doch wes
nigſtens gleich zu halten.
Alſo würde von dieſer Seite kein Abgang an Frucht
vom Kartoffelbau zu befürchten ſeyn. Es wurde auf dieſe
Weiſe ſchon , ſelbſt bei dem håufigſten Kartoffelpflanzen ,
der Verfall des Ackerbaus weit von uns entfernt ſeyn .
Weil
oder ſie ſchneiden ihm dafür ein verhältnismäfiges Stud Frucht.
Mancher Eaglóhner , der Vieh hålt, trift auch mit einem
Bauern die Uebereinkunft, daß er den Dünger hergiebt, der
Bauer aber den Dünger hinausfahret und ſoviel vom uder , als
Damit bedünget wird , dem Taglöhner ordentlich beſtellt. So:
dann pflanzet der Taglöhner ſeine Kartoffeln in den mit ſeinem
Dünger begailten Ader des Bauers , und bearbeitet ſie ferner.
Der Bauer befommtfür ſein Düngeführen , Beſtellen und Auss
leihen des Uckers weiter nichts. Hingegen hat er nun einen
auf 2 aud 3 Jahre wohlgedüngten der. -- Würde ein Pachter
oder ein verſtändiger Bauer das thun , wenn die Kartoffeln den
Ader für die folgenden Saaten verdúrben ?
456 VIII. Ueber den Kartoffelbau.
Weil aber die Leute durd das häufige Anpflanzen der
Kartoffeln auch in den Stand gefert werdeny mehr Vieh
als vorhin , oder eben ſo viel Vieh beſſer wie ſonſt , zu ers
Kalten , ſo können ſie auch mehrern Dünger machen , die
decker beſſer begailen, mithin mehr an Körnern und Ges
ftrih auf ebendenſelbigen Heckern ziehen , als in den voris
gen Zeiten.
§. 4.
1
Da indenen die Leute durch die Kartoffeln ſich nun
guten Theils erhalten und ihr Leben hindurchbringen kón
nen , To fragt man mit Recht: Verleitet nicht dieſer Naha
rungszweig die Ackersleute oder Bauern zur Nacláſſigkeit
oder Faulheit in Beſtellung ihres Fruchtbaues ? Bleiben
nicht Becker liegen , die hätten ausgeſtedet und befaamet
werdenmüſſen ? und ziehètnicht aufſolche Art das häufige
Kartoffelpflanzen den Verfau des Ackerbaues nach ſich ?
Darauf ift zu antworten : Noch zur Zeit hat man davon
in denen Gegenden , die der Bezfaſſer genau fennet, keine
Erfahrung , und wo dieſe fich duſſerte, konnte man iør
leicht begegnen und abhelfen. Sie iſt aber nicht wohl zu
permuthen , ſo lange Gervinnſucht eine Hauptriebfedeč des
menſchlichen Fleiſes ift. Wir leben glücklicher Weiſe in Ges
genden , wo der landmann , im Ganzen genommen , voll
Shátigkeit iſt. Er låſſet fich's ſauer werden , wo er einen
Albus verdienen oder gewinnen kann. Sollte dieſer Sands
mann ſein laſtbares Ackerwerk liegen laſſen , weil er ſein
.
Leben mit Kartoffeln etwa notádúrftig erhalten kann ?
Gewiß nicht. Oder er wurde in der Faulheit bald ſo tief
- herabſinken , daß er aucy keine Kartoffeln mehr pflanzen
möchte. Uber wie würde man einen ſolchen landmann aus
feiner Faulheit aufwecken ! Sollte auch je in einer Ges
meinde ein Bauer durch Unglücksfåge in ſeinem Hauswes
ſen , oder durch Verſäumnis feiner Vorgeſeſſenen , oder
durch ſeine eigene Faulheit , Schwelgerei u, 0. gl., dahin
kommen,
VIII. Ueber den Kartoffelbau. 457
mien kommen , daß er ſeinen Uckerbau zum Theil liegen lieſſe;
:4 (denn wenn er ihn ganz liegen läßt , wird bei Erbgutern
| jl en bald ein Concurs entſtehen , bei Herrngütern aber der Bauer
zeitig ausgeſeßet werden) ſo iſt dieſes nicht auf dieRechnung
der guten Kartoffeln zu regen ; vielmehr kann man , der
Eravor Erfahrung zufolge , mit Wahrheit behaupten , daß ein
Hausmann , der in einem Stúck nachlaffig iſt, im andern
Stück es auch iſt. Wer den Fruchtbau liegen låffet, treibet
auch den Kartoffelbau fahrläſſig. Und dergleichen einzelne
Erempel von faulen , ſchlechten und verdorbenen Landbau
ern beweiſen alſo nichts gegen die gute Sache des Kartofa
hank felbaues. Auch hat es dergleichen Bauern vor hundert ,
Filt vor funfzig , vor zwanzig Jahren gegeben , ehe man von
en den Kartoffeln in hieſigen Gegenden wußte, und ehe man
fie ſo gåufig , wie jezt geſchiehet, anpflanzte.
Bauern und begûterte Bürger mufen ihrer Güter,
wegen öffentliche Saften tragen , (wenn man auch das Ka
pital nicht rechnen will, wofür man Erbguter erkauft hat,
und welches alſo auf den Grundſtücken haftet , und aus
dem Ertrag derſelben verzinſet werden muß ; ja , derBauer
hat die Herrngúter nicht umſonſt, ſondern ſie haben ihn
oder ſeine Vorfahren ein nach Maßgabe des Guts
anſehnliches Kapital gekoſtet, welches nicht ſelten von Pris
vatperſonen erborget worden iſt, daher noch immer die Zin
ſen aus dem Gut an die Gläubiger bezahlt werden müſſen ;
und ſolchergeſtalt kommen zu den öffentlichen laſten , welche
der Gúter wegen zu tragen ſind , oftmals noch ſtarke Pris

vatabgaben , die alljährlich von den Gutsbeſißern müſſen
erlegt werden. ) Sie werden folglich auch , ſo lange fie
ihr eigenes Beſte wollen , von ſelbſt darauf bedacht fenn,
dieſe Güter ſo gut als möglich zu benußen . Und geſeßt:
ſie wollten die Uusſaat der Winterfrucht verſäumen , oder
derſelben nicht mehr ſo viel als ehemals fáen ; ſo gehet das
doch aus guten Gründen nicht an . Ein Hauswirth bedarf
G93 der
458 VIII. Ueber den Kartoffelbau .
der Winterfrucht, nicht nur wegen der Körner , ſondern
auch wegen des Strobes für ſein Vieh. Er darf auch das
Winterfeld nicht vernachläffigen , um des fünftigen Sont
merfeldes willen . Denn es muß doch Gerſte und Hafer,
nebſt andern Sommerfrüchten , gezogen werden , weil dieſe
Früchte durch die Kartoffeln gar nicht entbehrlich gemacht
werden , da man Malz zum Bierbrauen und Brantweins
brennen , zweien Lieblingsgetränken des teutſchen Sandman
nes , die ihm auch zu ſeiner ſchweren Arbeit die nöthigen
Leibeskräfte geben müſſen Gerſtenmehl zum Kochen ,
(indem man von Roggen eigentlich kein Kochmehl machen
kann , ſondern nur von Waizen , und wohlfeiler von Gers
fte ) Hafer für die Pferde und anderes Pien , und
felbft für die Menſchen zum Kochen ( entweder geſchålet ,
oder zu Grüße gemacht ), nöthig hat. Wolte nun der
Bauer für ſich Tag aus Tag ein nichts als Kartoffeln eſſen ,
To bedarf er doc aller genannten Früchte theils Telbſt in hos
Hem Grade , da er doch auch Brod, Malzi Kochmehl,
Pferdehafer und mehr dergleichen ; ferner Saamen zu Del,
Flachs u . 1. w. , haben muß ; theils muß er Heure ,
Pfächte u. d gl. in dieſen Naturalien abtragen ; theils
weiß er ſie leicht zu Gelde zu machen .
Der (andmann muß , kann und wird folglich den
Acerbau aus Veranlaſſung des Kartoffelbaues, ſoate er
leztern auch aufs höchſte treiben , nicht vernachläſſigen oder
verfallen laſſen .

| Um ſich aber noch mehr zu überzeugen, daß der Fruchts


bau ſeit dem häufigen Kartoffelpflanzen nicht gefallen iſt ,
Jahreninan
mußte mit die
denen aus den nächſtvorhergebebeni
Zehnderhebungsregiſter aus den lezten 20
50 Jah
ren , die traurigen Kriegszeiten abgerechnet, vergleichen .
Freilich hat hierzu nicht jeder Gelegenheit. Soviel aber
kann ich vorläufig, auf eingezogene Nachricht , in Betreff
einiger
VIII. Ueber den Startoffelbau. 459
einiger Gegenden , wovon ich nemlich Nachricht habe , verz
fichern , daß gegenwärtig der Fruchtzehnde wenigſtens nicht
geringer, als vor Einführung des ſtarfen Kartoffelbaues, iſt.
V. 5 .
Es kommt daber nun noch auf die Unterſuchung an :
wohin kommt das Getraide , welches jezt durch die Kartof
1
feln erſparet wird ? oder : wo låſſet der Fruchtbauer feine
Früchte ?
1
Darauf muß man mit Unterſchied antworten . In
denen Jahren , worin es keine Waldmaſte giebt , wird
nebſt den Kartoffeln ſehr viele Frucht mit den Schweinen
verfüttert ; denn die Kartoffeln allein wollen , der gewiſſen
Erfahrung zu Folge, nicht hinlanglich máſten. Doch dies
nen zu dieſer Stallmaſt am mehrſten die Hülſenfrüchte, alb
Sáubohnen , Erbſen und Wicken , welche hart gedórretden
Schweinen zu freſſen gegeben werden : und davon haben die
Mühlen ſo wenig vor dem Kartoffelanbau zu mahlen bes
kommen , als jezt. Schlagen aber die Hülſenfrüchte fehl,
wie in einigen Gegenden Heſſenlandes und der Nachbars
Tchaft im Herbſt 1782 geſchahe; ſo muß man freilich zu
Roggen und Gerſte, auch wohl zum Hafer ſeine Zuflucht
21 nehmen. In Anſehung der Mühlen kommt es hierbei
ll darauf an , ob die Leute zu der Viehfütterung und Maſt
1 das Getraide ſchrooten laſſen , und ſolches Schroot nachher
ins Spúhl zu geben, oder zu Viehbrod zu verbacken gewohnt
ſind ? oder ob ſie die Frucht in Rórnern verfüttern ? In
jenem Fade haben die Mühlen ihren Vortheil nach wie vor.
3
Sezterer Fall aber beruhet auf der - nicht erſt ſeit dem
0 häufigen Kartoffelbau aufgekommenen Gewohnheit dieſes
oder jenen Hauswirths , je nachdem er das eine oder das
andere für zutraglicher halt. Und es låſſet ſich alſo dar
áber nichts Entſcheidendes und ungemeines Tagen ; ob man
gleich , nach den untrúglichſten Erfahrungen , das Verfüts
594 tern
460 VIII. Ueber den Kartoffelbau.
tern der Körner für weniger 5 erklären muß .
So ſteh es in den Jahr , wo man das Schlachts
et e n e n
vieh im Stalle måſten muß .
In denen Jahren , worin Waldmaſt iſt, kann alſo
weit mehr Getraide erſparet werden. Wohin kommt die
Tes übrige Getraide ? Hierauf antworte ich : Was der
Bauer oder Ackerbau treibende Bürger an Roggen und ans
dern Früchten übrig fat , verkauft er an diejenigen Mita
unterthanen , Mitbürger, Beiwohner und Mietýsleute ,
die nicht ſelbſt Ackerbau haben ; alſo an Profeſſioniſten ,
Fabrikanten i Handwerker , Taglöhner. Was dann
noch übrig iſt , deſſen kann er in den Brantweindbrennes
;
reien garwohl loswerden , dergleichen heutigen Tages faſt
überat in unſern Gegenden ſind , anſtatt , daß man ehe
dem den mehreſten Brantwein anderswoher mußte koma
men laſſen . Und man darf ſolchergeſtalt, bei Berechnung
des dermaligen Fruchtbaues, dieſer Brennereien nicht vers
geſſen , weil ſie einen ſtarken Vorrath an Waizen , Roggen
und Gerſtenmalz wegnehmen. Sie möchten auch hódft
wahrſcheinlich die Ausfuhr des Getraides auſer (and auf
Heben. Dabei ſind ſie dem Landesherrn oder freien Guts:
befißer eintraglich, weil von einer jeden Brantweinsbrens
nerei billig eine gewiſſe Pacht gegeben wird.
Wo nun eine Mühle eine Brantweinbrennerei zu bes
dienen hat , da leidet jene dieſerwegen keine Noth. Wo
aber keine Brantweinsbrennerei iſt , da kann die Mühle
bei einem oder andern Orte einigen Schaden , gegen fonft
gerechnet, leiden . Doch muß man dagegen bemerken , daß
jeder Ort ſich von Zeit zu Zeit anſehnlich vermehrt , wels
ches in unſern Gegenden ſeit 50 , 40 , 30 , und noch mehr
feit dem Frieden in den lezten 20 Jahren , alſo gerade in
der Periode des häufigen Kartoffelbaues ein Betrachtliches
thut , wie die jährlichen Seelenregiſter und die Kirchenbú
cher
VIII. Ueber den Kartoffelbau. 461
cher ausweiſen . Wie ſich aber die Menſchen in einer land
ſchaft vermehren , eben alſo muß auch mehr Vieh angezos
gen und gehalten werden , beſonders Rind- Schweines
Ziegen- Schaf- und Federvieh. Denn die Menſchen wol
len doch Fleiſch , Butter, Kåre, Milch , Eier vaben,
Mithin iſt auch ein ſtarkerer Fruchtverzehr , dem man , da
ebenderſelbe (andbau ehedem nur weit weniger Einwohner
ernähren mußte , durch jeßigen fleiſigen Kartoffelbau zuſtat
ten zu kommen ſucht. Und man kann , nicht ohne Grund,
ſagen : Wenn die Kartoffeln nicht ſo häufig angepflanzt
würden , ſo mußten an manchem Ort , wo nur wenig lands
werk iſt, die Menſchen entweder verhungern, oder aus ans
dern Gegenden die Früchte mit unerſchwinglichen Koſten
holen . In dieſer Hinſicht bleibet bei dem beſten und vola
ligſten Fruchtbau dennoch, im Ganzen genommen , nicht
viel Getraide übrig. Denn was die Feldbauer übrig has
ben , bleibt doch wehrentheils in der nemlichen Gemeinde,
in deren Feldmarke die Früchte gezogen worden ſind; ins
dem diejenigen Leute, welche keinen Ackerbau Kaben, jenen
das Getraide ohne Schwierigkeit und am liebſten abkaufen ,
theils auch zum voraus Geld darauf geben. Und ſolchers
geſtalt wird der Müller des Drts gar nicht verkürzet.
Nur ſolche Gemeinden , die faſt gånglich aus Acera
leuten oder ſogenannten Bauern beſtehen , oder die eine,
be ihre Bevölkerung überſteigende, große und fruchtbare Felda
30 mark befißen , find im Stande, Getraide, und zwar mehr
hic als vor Einführung der Kartoffeln , in benachbarte Gea
meinden oder fernhin zu verkaufen , oder in die 'Brants
dab weinsbrennereien zu liefern. Sind nun im Bezirk folcher
vele Frucht verkaufenden Derter ſelbſt Brantweinsbrennereien,
nehr To leiden die Mühlen wieder nicht dabei, wenigſtens nur
wenig ; da doch auch dieſe Derter ſeit dem Kartoffelanbau
din in ſich ſelbſt an Menſchen und vieh , mithin an Verzehr
nbau zugenommen haben müſſen. Gehet aber das übrige Ges
Gg5 traide
dc
462 VIII. Ueber den Kartoffelbau.
traide sämtlich auswaras , alsdann werden die Mühlen dies
Tes Drts allerdings verkürzet. Weil das aber einzelne,
und in Heſſen , wo Fabriken , Manufakturen , Künſte und
Handwerke blühen , ſeltene Fälle ſind , ſo können ſie bei
.
der Unterſuchung im Ungemeinen nicht ſehr in Betrachtung
gezogen werden. Dem Ruin der Mühlen an ſolchen Der
tern kann doch dadurch bald und gut vorgebeugt werden ,
daß man daſelbft Manufakturen aná oder , im ſchicklichen
Fall , Soldaten dahin legt.
8. 6.
Man kann aus dem bisher Geſagten keinen anderri ,
als dieſen Schluß ziehen :
Die Mühlen werden heutigen Tages, ohngeachtet des
häufigen Kartoffelbaues, eigentlich gar nicht verkürzet, da
Jezt die Gemeinden volfreicher, die Künſte und Sandwerke
blühender, und das Militair zahlreicher, als ehemals ſind.
Hat eine Mühle gar eine Brantweinbrennerei nebſt einer
Gemeinde zu bedienen , ſo wird ſie beſonders gut, und
beſſer als ehedem , ftehen .
Nur müſſen freilich auch der Mühlen nicht mehrere
fern , als ehemals geweſen ſind : und man darf nicht, wie
hin und wieder geſchiehet, bei jedem WaſſerfalleineMühle
bauen ; ſonſt möchte ein Müder den andern auffreſſen ,
wenn auch keine Kartoffeln 'gepflanget, und der Ackerbau
aufs eifrigfte getrieben und keine Furche liegen gelaſſen würde.
Man hat mithin dem Kartoffelpflanzen billig ſeinen
voden lauf zu laſſen ; niemals wird es zu ſtark betrieben
werden können ( * ); niemals wird es den Verfau des Uckers
baues ,
( * ) Mit den Kartoffeln wird fchwerlich jemals ein auswärtiger Han.
del getrieben werden , da ſie wegen ihrer groren fpecififen Schmere
ju
VIII. Ueber den Kartoffelbau. 463
lie
baues , wenn man dieſen auferdem gehörig in Acht nimmt,
bewürfen , und niemals wird es den Ruin der Mühlen
nach ſich ziehen , wenn nur dieſer nicht zu viele werden , die
Mühlenpacht nicht zu hoch ſteiget, und die Múder dem
013
überall einreiſſenden (urus ſich nicht ergeben .
1 zu viel Fracht erfordern , bei der Spalte unterwegs verfrieren ,
MO im Frühling nicht viel mehr geachtet werden , und für den Vers
fáufer der Gewinnft zu unbedeutend iſt , da man im Herbſt eine
Meße voll gewöhnlich um 2 Mar. , böchftens 2 Heſſenalb . faus
fet , ( zwar nicht in Caſſel , doch im Lande. ) Man wird daher
1

niemals mehr pflanzen , als zu eigenem Verzehr , oder als man


etmå im Ort felbſt , oder in der Nähe defelben anbringen kann.

2
12

n
24

EN
-1

4
IX . Schluß
464
IX ..

Schluß der Prüfung von Hrn. Prof.


Kants Grundſågen.
W as Hr. Kant über die Natur der reinen Vernunft
beibringt , hat mir noch zu ſehr des erforderlichen
Sichteg zu ermangeln geſchienen , als daß ich es wagen
konnte , bei ſeinen Schlüſſen etwas anzumerken. Sehr
angeneßm war mir es daher, zu vernehmen, daß jemand
feiner Freunde darüber nähere Erläuterung zu geben ſich
| entſchloſſen. In der Unterſuchung indeß findet er die Ver
nunft mit ſich ſelbſt im Widerſpruch, und verſichert, dieſer
Streit leide durchaus keine Beilegung; ſo daß beide entges
genſtehende Behauptungen von gleich ſtarken und gleich un
widerleglichen Gründen unterſtüßt werden. Dies nennt er
Antinomie deţ reinen. Vernunft.
Steht es um die reine Vernunft ſo , dann iſt zu einer
Metaphyſik aas Vernunftbegriffen keine Hofnung , und
man kann nicht umhin , mit Hrn. Kant ſich blos auf Ers
fahrungeinzuſchränken, und allen Schlüſſen a priori gång
lich zu entſagen. Es iſt alſo von áuſerſter Erheblichkeit,
zu unterſuchen , ob wurklich unſere Vernunft mit ſich ſelbft
To underſöhnbar entzweit iſt ? Fr. Kant bringt dieſe
Zwietracht auf vier Sáße, von welchen ich jezt nur die
beiden erſten betrachten will, indem bei den Beweiſen der
andern manches vorkommt , deſſen Sinn beſtimmt zu faffen
des V. eigenthúmliche Terminologie inir nicht geſtattet hat.
Ob die Welt einen Anfang der Zeit nach habe, wurde
unter den alten Weltweiſen ſchon vielfältig geſtritten ; auch
in neuert Zeiten hat man die Frage wieder aufgeworfen,
und noch iſt für feine Parthei entſchieden. Hr. Rant fteat
zwar Hauptbeweiſe für die beiden entgegengeſeßten Antwor
ten auf, verbindet damit die andere Frage , ob die Welt
begränzt
IX . Ueber die Natur der Metaphyfik. 465
begränzt oder unbegränzt iſt ? und verſichert, der Streit ſei
in der reinen Vernunft Natur ſelbſt gegründet , mithin
durchaus nicht zur Entſcheidung zu bringen. Dies iſt ſeint
erſter Widerſtreit der tranſcendentalen Ideen . Meines
af Erachtens iſt auf beide Fragen die bejagende Antwort die
1 richtige , alſoliegt mir ob , zu zeigen , daß die entgegenſtes
301 henden Beweiſe nicht unwiderleglich find.
Daß die Welt keinen Anfang hat, erweiſt Hr. Kant
ſo : da der Anfang ein Daſein iſt , wovor eine Zeit vors
hergeht, da das Ding nicht ift: ſo muß eine Zeit vorher's
11
gegangen ſeyn , darin die Welt nicht war, d. i. eine leere
Zeit, ſobald man der Welt einen Anfang zugeſteht. Nun
iſt aber in einer leeren Zeit fein Entſtehen irgend eines
1 Dinges möglich , weil kein Theil einer ſolchen Zeit von I
einem andern irgend eine unterſcheidende Bedingung des
Daſeins vor die des Nichtſeins an fic hat , ( man mag
annehmen , daß ſie von ſich ſelbſt, oder durch eine Urſache
entſtehe.) Alſo kann zwar in der Welt manche Reihe der
Dinge anfangen ; die Welt ſelber aber kann keinen Anfang
haben , und iſt alſo in Anſehung der vergangenen Zeit uns
endlich. Mit andern Worten fod dies wohl ſo viel ſagen :
der Zeit an ſich genommen iſt es gleichgültig , wann ein
Ding entſteht; alſo kann kein Ding in einer leeren Zeit
von ſelbſt entſtehen , weil in keinem Theile derſelben zum
et Entſtehen ein Grund liegt ; kann auch kein Ding darin
er durch eine Urſache entſtehen , weil die Urſache durch Nichts
I. beſtimmt wird , es vielmehr jezt als vor- oder nachher Hers
vorzubringen.

Hier wird vorausgeſezt, die Welt ſei aus Nichts ents


ſtanden , mithin trift ſchon der Beweis diejenige nicht,
welche vor der Welt eine ewige Materie annehmen , durch 1

deren Formung erſt das ward , was wir Welt nennen.


Dieſe werden mit Recht leugnen , daß aus der Welt Ent
1 ſtehung
466 IX . Uteber die Natur der Metaphyſik.
ſtehung eine leere Zeit vor der Welt folgt; ſie werden den
Brund , warum ſie nicht früher oder ſpäter entſtand , in
per tage und Beſchaffenheit dieſer Materie ſuchen , und
badurch Hr. Kant ' die Unumſtóßlichkeit ſeines Beweiſes
ftreitig maden .
Geſezt aber auch , dieſe Behauptung ſei durchaus uns
Haltbar , wie doch bis jezt meines Wiſſens nicht dargethan
ift: ſo ſchließt doch Hr. Kants Beweis auch im Fade
einer Entſtehung aus Nichts nicht. Denn angenommen ,
es exiſtire vor der Welt ein Weſen als deren Urſache, wela
chen Fall er ſelbſt als nicht unmöglich im Beweiſe vorauss
Fezt; To iſt darzuthun, daß dieſe Urſache fie in keinem Zeit
theile hervorbringen kann. In der Zeit ſelbſt fann freilich
der Grund nicht liegen , warum in dieſem Augenblicke ges
rade die Urſache wirkte; dies erkannten zum Theil ſchon
die Alten , wenn ſie frugen , warum ſchuf Gott nicht eher ?
Uber kann er nicht in der Urſache ſelbſt enthalten reyn ?
Gerezt , dieſe Urſache ſei ein denkendes Weſen, ſie habe in
Betrachtung ihrer Vollkommenheiten gefunden , es ſei dies
ſen gemás , aufer ſich etwas Hervorzubringen ; ſie habe alle
mögliche Combinationen (von hervorzubringenden Weſen
vorgenommen , und daraus Syſteme von Welten zuſam
mengeſezt; ſie habe dieſe Syſteme gegen einander abgewo
gen ; und da ſie darunter eins fand , welches ihren Abſich
ten und vollkommenheiten am genauften entſprad , ſogleich
dieſem das Daſein ertheilt : lo lage der Grund , warum
iezt die Welt entſtand, darin , daß die Urſache jezt ſie als
ein ihnen würdiges Werk erkannte.
Zudem folgt daraus, daß es der Urſache vollkommen
gleichgültig iſt , wenn ſie wirft, im geringſten nicht , daß
fie gar nicht wirken kann . Wie oft iſt es uns durchaus
einerlei , ob wir heute oder morgen ein gewiſſes Geſchäft vors
nehmen , und doch unterlaſſen wir es darum nicht ? wie
oft
IX. Ueber die Natur der Metaphyfik. 467*
Det oft gleichgültig , vornemlich beim Rathen , ob wir gerade
10 oder ungerade ſagen , und doch ſagen wir eins von beiden ?
Darin beſteht eben die Freiſeit , daß man , ſobald der Ents
ſchluß zum Handeln reif iſt , ſich zu einem der entgegengea
rezten Fåde beſtimmen kann , obgleich man einen für ſo gut
1 als den andern erkennt. Angenommen alſo , der Welt
UR Urſache ſei ein mit Freiheit handelndes Weſen , fie erkenne,
hat daß es völlig einerlei iſt, ob ſie jezt oder fünftig die Welt
hervorbringt , daß aber dieſe Hervorbringung ihren Volls
em kommenheiten am meiſten entſpricht: ſo kann ſie wiatúhra
lich zur Hervorbringung einen gewiſſen Augenblick feftfeßen.
16
it Zwar will Hr. Kant im dritten Widerftreite unums
fidßlich darthun , daß es durchaus keine Freiheit giebt, mits
hin wird er nicht erlauben wollen , die Welturſache als ein
. freies Weſen anzunehmen ; allein ich zweifle noch ſehr , ob
‫?ܨ‬ man dieſem Beweiſe den erforderlichen Grad von Evideng
zugeſtehen wird. Er ſtúßt ſich vorzüglich darauf , daß ſola
21 the Spontaneitat dem Cauſalgeſeße , das iſt, dem Saße
vom zureichenden Grunde entgegenſteht. In gegenwartia
gem Falle thut fie dieß meines Bedúnkeng nicht; denn, det
དག་ Grund der Beſtimmung liegt im Gefallen , und das Gefale
m len gründet ſich in der Gedankenlage beim Ueberlegen .
vo
Endlich iſt eine leereZeit ein Unding, Hierauf beruft ſido
end Hr. Kant in der Folge; mithin muß man nach hergebracha
un ter Logik ſo ſchlieſen : das woraus etwas unmögliches folgt,
al ift. ſelbſt unmöglich ; nun folgt ſo etwas aus dem Anfange
der Welt ; alſo u. f. m. Dieſe Ungereimtheit hat bisher
noch niemand den Vertheidigern eines Weltanfanges zur
en laſt gelegt; laß ſehen , wie fich Hr. Kant deßfalls rechtfers
tigt. Der Anfang iſt ein Daſein , wovor eine Zeit vorhers
ui geht, darin das Ding nidt iſt ; alſo iſt eine Zeit vorherges
OP gangen , darin die Welt nicht war. Irre ich nicht, ſo hat
man dieſe Schlußart in der Vernunftlehre bisher Erſchleic
dung
468 IX . Ueber die Natur der Metaphyſik.
chung genannt , wo das zu beweiſende ſtiafahweigend als
ſchon dargethan vorausgeſezt wird. Den Unfang als ein
Daſein erklären , wovor eine Zeit des Nichtſeins ķergeht,
heiſt ſchon annehmen , daß vor jedem Entſtehen eines Din
ges eine Zeit iſt, und dies eben iſt es , was erwieſen wers
den mußte. Vorsjedem Entſtehen eines Dinges in der
Zeit, iſt allerdings Zeit , alſo kann die Erklärung blog von
Dingen gelten , die in der Welt entſtehen. Wie aber will
man ohne ſichtbaren Widerſpruchvor dem Entſtehen ſolcher
Dinge Zeit annehmen , die nicht in der Zeit entſtehen, mit
denen die Zeit ſelbſt erft angebt ?
Uber , kann man ſagen , iſt die Welt entſtanden , ſo
war ſie vorher nid)t , ſie war einmal nicht, alſo wareine
Zeit, wo ſie nicht war, eine leere Zeit. Eine Zeit , wo
fie nicht war , giebt es allerdings ; aber keine Zeit ivorin
fie nichtwar. Erſteres will ſoviel ſagen , daß, wenn man
in die Succeſſionsreihe zurückgeht, man zulezt auf einen
Augenblick ſtoßt, in welchem die Welt noch nichtwar; dies
aber iſt keine leere, ſondern Grånze der ſchon abgelaufenen
Zeit. Lézteres hingegen heißt : es giebt keinen Tag , nocy
Fahr , oder Jahr undert, úberhaupt keinen einzigen Theil
der Zeit, während welches man ſagen könnte , die Welt
ſei nicht geweſen ; und dies aus der ſehr einfachen Urſace,
weil vor der Welp keine Succeſſion war , vorausgeſezt nem
lich , daß ſie aus nichts entſtanden iſt, mithin ſich auch
nicht ſagen läßt , wie lange die Welt nicht geweſen iſt.
Dies leztere nun eine Zeit worin ein Ding nicht war, iſt
eine leere Zeit, alſo giebt es vor der Welt keine leereZeit.
‫܀ ܀ܕ ܀‬

Der Welt unendliche Ausdehnung, als der andere


Punkt , beweiſt Sr. Kant ſo : ift die Welt begränzt , ſo
befindet ſie ſich in einem Teeren Raume , der nicht begränzt
iſt. Es wurde alſo nicht allein ein Verhältniß der Dinge
im Raume, ſondern auch der Dinge zum Raume ange
troffen
IX . Ueber die Natur der Metaphyſik. 469
troffen werden . Da nun die Welt ein abſolutes Ganze iſt,
auſer welchem kein Gegenſtand der Anſchauung mithin keint
Correlatum der Welt ángetroffen wird , womit dieſelbe
im Verhältnis ſtehe; ſo würde das Verhältnis der Welt
zum leeren Raume ein Verhältnis derſelben zu keinem Ges
genſtandereyn. Ein dergleichen Verhältnis aber, mithin
auch die Begränzung der Welt durch den leeren Raum , ift
nichts , alſo iſt die Welt dem Raum nach gar nicht bes
gránzt, d. i. ſie iſt in Anſehung der Uusdehnung unendlich .
Irre ich nicht ſehr, ſo hat Hr. Kant hier die zwei
Dinge, durch den Raum , und dem Raume nach begrångt
ſeyn , mit einander verwechſelt, er þat geſchloſſen , weil die
Weit nicht durch den Raum begränzt iſt, ſei ſie es auch
nicht dem Rauine nach. Daß dies nicht aus einander
folgt , ſieht man leicht.

Oder, fauß er dies nicht zugeſtehen will , muß er wes


nigſtens den Saß zum Grunde legen , was durch nichts bes
grångt iſt, iſt unbegränzt, und dann ergiebt ſich leicht, daß
dies mehr als einen Sinnleidet. Entweder nemlich durch
nichts auſerlich und innerlich , oder durch nichts åuſerlich
elt allein. Der Schluß redet blog von áuſerer Begränzung ;
34 und da ſieht man wieder ſogleich , daß aus deren Abweſen
2012 Heit nicht Entfernung alles Beſchränkens fließt. Gerezt,
ud alles übrige ſei vernichtet, nur Hr. Kants Kritik der reis
ist nen Vernunft, die jezt vor mir liegt , bleibe zurück; ges
feztauch der leere Raum ſei nichts ; wird denn dies Buch
Beit ſogleich dadurch unendlich an Ausdehnung werden ?
ber Doch Hierauf ſcheint Hr. Kant nicht ſo ſehr zu fuſen ,
1,10 als vielmeh r , laut der Anmerkung zu dieſer Untinomie ,
rant darauf, daßman Daſein des leeren Raumes zugeben muß,
ſobald man die Welt begrånzt annimmt. Den Philo
ange ſophen , welche der Folgerung durch Erklärung des Raumes
croft Bell Beitr. St, II . $ für
470 IX. Ueber die Natur der Metaphyfit.
für bloſe Erſcheinung auszubeugen ſuchen , ſtellt er entges
gen , daß ſie an die Stelle der Sinnenwelt eine gewiſſe in
telligible feßen , und hier blos von der erſtern die Rede
ſeyn könne.
Dies dünft mich , iſt der Fall nicht, ob er gleich nach
der Erklärung gedachter Philoſophen es zu ſeyn ſcheint.
Das Bild des Raumes aus der Sinnenwelt abgezogen , iſt
eine Ausdehnung nach allen Seiten , worin und wobei aber
übrigens nicht der geringſte Gegenſtand einer auſern Ema
pfindung weiter vorkommt, das iſt, eine Ausdehnung ,
worin weiter nichts geſehen, worin und wobei nichts ges
fühlt , gehört, oder ſonſt duſerlich empfunden wird . Eine
Tolche Ausdehnung erkennen wir dadurch, daß wir nad
aden Seiten hin ſehen , nach allen Seiten hin fühlen kóns
ner , ohne daß irgend etwas die Ausſicht und das Uusſtreks
ten der Armenach allen Gegenden hemmt. Waren in der
Welt die Dinge ſo geordnet, daß wir nicht eine linie weit
vor uns ſehen könnten , oyne ſogleich gehemmtzu werden ,
und daß wirunſere Glieder nicht im geringſten bewegen könns
ten , ohne auſeres Zurückhalten gewahr zu werden ; wir
wurden vom Raume nicht die geringſte Vorſtellung haben.
Zugeben alſo , daß auſer der Welt ein leerer Raum ift,
heißt eingeſtehen , daß durch der Welt Grånze nicht auc
unſer Vermögen zu ſehen und zu fühlen eingeſchránkt wird,
daß beide ſich noch weiter hinaus erſtrecken können. Hierin
ſehe ich nichts ungereimteb; weil dadurch kein auſerer Ses
genſtand geſezt wird.
Aber der leere Raum wird doch als ein & uſerer Gegen
ftand vorgeſtellt. Darin liegt freilich das Ungereimte ; die
Frage iſt nur , was an dieſer Vorſtellung poſitives fie fins
Det ? Das Ausgedehnteerkennen wir durch ſucceſſiveWies
derholung eines und deſſelben Akts vom Fühlen und Sehen ,
wodurch wir die Gegenwart eines auſern Gegenſtandes dies
ſer
IX. Ueber die Natur der Metaphyſik. 471
ſer
wir Sinne
, indemgewahr werden . Den leeren Raum erkennen
wir ehe
in Akte wiederholen, aber ihnen
keinen Gegenſtand auſer und geben , das heißt, indem wir 1
unſere Hånde hin und her bewegen , als wollten wir etwas
Uusgedehntes fühlen , aber wurklich nichts fühlen ; und die
1
Augen eben ſo bewegen , als woûten wir einen Körper übers
eir Feben , aber in der That nichts ſehen. In der Empfins
. dung alſo , wodurch mir den bloſen Raum erkennen , iſt
nichts poſitives. In der Vorſtellung des Raums wiedera
31 Bolen wir gleichſam dieUfte des Empfindens , indem wirins
nerlich und in die Lage verſeken , als ob wir etwas Uusges
dehntes empfunden , geben aber dieſem Empfinden gleichs
faus keinen Gegenſtand. Dies macht das Bild des Raums
aus , und weil dabei eine poſitive Anſtrengung des Nacha
bildungsvermogens fich findet, wird das Ganze als poſitiv
angeſehen ; und dies eben macht, daß wir den Raum als
äuſern Gegenſtand uns vorſtellen , da er doch eigentlich Vors
ſtellung gar keines Gegenſtandes iſt. Uud ohne alle intels
ligible Welt alſo ſieht man, daß die Vorſtellung des Raums
negativ , der Raum ſelbſt nichts iſt, und eine natúrliche,
durch genaue Unterſuchung leicht zu hebende Jaufion uns
ihnfür einen äuſernGegenſtand nehmen läßt.
1
Der zweite Widerſtreit der tranſcendentalen Jbeen bes
trift das Daſein des Einfachen. Dem Beweiſe, wodurch
bi dies bejahet wird, ſtellt Hr. Kant einen andern entgegen,
der es geradezu verneint. Dieſer lautet ſo : fezt, ein zus
ſammengeſeztes Ding (als Subſtanz) befteheaus einfachen
Theilen, Weil alled åuſere Verhältnis , mithin auch alle
24
1 Zuſammenſeßung aus Subſtanzen nur im Raume moglich
ift : To muß , aus ſo vielen Tbeilen das Zuſammengeſezte
beſteht, aus eben ſo viel Theilen auch der Raum beftehen ,
den es einnimmt. Nun beſteht der Raum nicht aus eins
fachen Theilen , ſondern aus Räumen. Alſo muß jeder
Theil des Zuſammengeſezten einen Raum einnehmen. Die
$ $ 2 Tohlecht
472 IX. Ueber dieNaturder Metaphyfik.
ſchlechthin erſten Theileaber adés Zuſammengeſezten ſind
einfach. Alſo nimmt das Einfache einen Raum ein . Da
nun ales Reale , was einen Raum einnimmt, ein auſer
einander befindliches Mannigfaltiges in fich faßt , mithin
zuſammengefezt iſt, und zwar als ein reales Zuſammenges
Tezte, nicht aus Accidenzen , ( denn die können ohne Subs
ftanz nicht aufer einander reyn ) mithin aus Subſtanzen :
To würde das Einfache ein ſubſtantielles Zuſammengeſezte
fenn , welches ſich widerſpricht.
Hier kommt es wohl vornehmlich darauf an , ob der
Raum blos aus Räumen befteht? Allerdings hat Hr. Kant
die geometriſchen Beweiſe auf ſeiner Seite , vermöge deren
jede Linie ohne Aufhören theilbar iſt ; er ſieht deswegen
auch mit Verachtung auf die Philofophie verab, die es
unternahm , mit der Geometrie pier zu chikaniren. Aber
foute wohl vier die Mathematik mit ſich ſelbſt ſo ganz einig
feyn ? Mir kommtes nicht ſo vor , auch dem Eleatiſchen
Zeno nicht, der ſchon unter anderer Geſtalt etwas dem
ähnliches vorbrachte, was ich jezt ſagen werde. Wenn
eine Linie ſich über eine andere hin bewegt: fo muß fie
zweifelsohne alle deren Theile berühren . Wollte man det
einer geſchwinden Bewegung daran zweifeln , ſo laſſe man
fie fich ſehr langſam bewegen . Eine linie , die immer fort
aus Linien beſteht , kann ohne Aufhören weiter getheift
werden , man fanni nie ſagen, jezt habe man alle ihre
Theile gefunden . Eine andere Çinie kann alſo auch nie
alle ihre Theile berührt haben , ſondern wie bei der Theis
lung ſtets noch neue Sheile zu finden : ſo bleiben bei der
Berührung immer noch andere Theile zu berühren übrig.
Folglich kann eine ſolche Linie nie von einer andern durch
laufen werden . Man laffe von einem rechtwinklich
ten Dreiecke die Hypotenuſe ſich auf der Grundlinie hin be
wegen ; ſie wird nie bis an die gegenüberſtehende gelangen
können .
Aus
IX . Ueber die Natur derMetaphyſik. 473
Auch ſcheint He Kantauf ſeinen Beweis felbſt nicht
febr zu fuſſen , denn er regt hinzu , der zweite Saß der
Antitheſis , daß in der Welt nichts Einfaches eriſtire, folk
hier nur ſoviel bedeuten , als es könne das Daſein des
ſchlechthin Einfachen aus seiner Erfahrung oder Wahrneha
1. mung, weder innere noch auferép Dargethan werden , und
das fólechthin Einfache ſei alſo eine bloſe Idee, derenob
jektive.Realitatniemals in einer möglichen Erfahrung kann
Pargethan werden, mithin in der Expoſition der Erſchei
ER nungen ohne alle Anwendung und Gegenſtand.
. Iſt dies , ſo findét fich zwiſchen beiden Gegenſagen kein
em wůrklicher Widerſpruch, und die Vernunft liegt mit ſichſelbſt
ell Hierúber nicht im Streite . Denn daß es etwas Einfaches
giebt, welches wir mit unſern Sinnen nur nicht anzuſchauen
Det im Stande find, oder welches vielleicht unſer duſeres un
ſchauungsvermogen nie wird erreichen können ; dies enthalt
nichts Ungereimtes, oder Widerſprechendes. So wenig als
es ungereimt iſt, daß es reines Waſſer oder reineErdegiebt,
obgleich wir nicht im Stande find , fie rein darzuſtellen .
Soll aber, daß das ſchlechthin Einfache in feiner Ers
he fahrung kann dargethan werden ,ſo viel Heiſſen , daß es
von keinem vorſtellenden Weſen ſich anſchauen läßt; dann
FI ift freilich mehr Widerſpruch; aber dann mußte auch wohl
ein anderer Beweis gegeben werden. Der gegenwärtige
wird blos daher geführt, daß wir an dem Bilde des Rau
mes das Einfache darzuſtellen nicht vermogen , und dies Bild
LEY iſt nicht nothwendig bei allen denkenden Weſen daſſelbe.
Vielmehr lehrt des Raums Begrif gerade das Gegen
1 theil. Ausdehnung, mithin auch Raum , wird durch mehr
ro rere Ukte angeldautund gedacht. Iſt nun hierunter kein
Lid einfacher: ſo iſt die Vorſteuung davon durchaus unmöglichy,
weil nichts da iſt, wobei fie anheben, worauf fie fuſſen kann.
Aus dieſem allen ergiebt ſich, daß , was Hr. Kant
für innern Zwift des reinen Verſtandes anſieht, nicht Ge
☆ 3 genſak
474 IX. Ueber dieNaturder Metaphyfik.
genfaß der Begriffe ſelbſt , fondern der reinen Begriffe und
ihrer Bilder iſt. Der Streit über die Weltewigkeit ents
ſprang daher , daß das aus der Succeſſion in der Welt abges
zogene Bild der Zeit auf das was vor der Welt iſt, hins
übergetragen wurde, wohin es doch gar nicht gehört; der
überdie Weltgrånze daher, daß desRaumes Bildfüreinen
auſer uns Befindlichen o angeno ward , da
mme
doch der deutliche Begrif beſagt , daß es ſich nhierin mehr
anmaßt, als ihm zukomm ; der endlich über das Daſein
t
des Einfache , daß aus dem Bilde des Raumes etwas ges
n
folgert wurde , welches dem Begriff gerade entgeg iſt.
Beide dieſe Dinge , Bild und Begrif efinden ſich bei geennauer
Unterſu gar nicht widerſt
r , ſie haben nur den
Schein cdheusnWgiderſpr , weielitaeunsd dem verwirrt Bilde
u
mehr zu folgen (beint ,heasls darin liegt, und in deans Bild
c
durch Verwirr der Phantaſ manche hineing
wird , was nicuhtnghinein gehört ,ieund ſelbſts bei näheerterragBeents
trachtun deſſelben für fremden Zuſaß erkannt wird .
g Folgerung hieraus in Anſehung Fr. Kants Vers
Eine
fahren muß ich noch anfügen . Das Reſultat aller ſeiner
Unterſuchungen geht da hinaus , daß Erfahrungen allein
Grundlage ader unſerer Erfenntnis ausmachen , und zwar
blos aufere. Was aus innern Wahrnehmungen gefolgert
wird , ſobald es nicht auch beim erſten Anblick den äuſern
entſpricht, gilt ihm durchaus nichts , noch weniger was die
Begriffe lehren ; dadurch alſowird der Knoten zerhauen ,
nicht gelóſt; mit eben ſovieli ja wohl mit noch mehrerm
Recht fónnen Gegner alle auſere Erfahrung verwerfen und
die Philoſophie bloß auf innere gründen ; man erinnere fich
nur an alles, was Skeptiker und Idealiſten gegen die Zu:
verläſſigkeit åuſerer Erfahrungen durch die Sinne geſagt has
ben , und man wird leicht einſehen , welch weites Feld ſich
hier eröfnet. Tiedemann.

X. Schreis
475
X

Schreiben über die Stempeliſche Schachſpiel


und Redemaſchine.
An Herrn N **. in B **.

Hoffe Sie nicht auf eine unangenehme Art zu unters


mely Halten, wann ich Ihnen eine Beſchreibung von der
berühmten Kempeliſchen Schachſpiel- und Redemaſchine
mache, die ich vor einigen Tagen in Frankfurt am Main
fah. Was darüber bisher geſehrieben worden iſt , wes
nigſtens was ich davon geleſen habe, iſt ſoviel als nichts ,
Ben und dient gar nicht, fich auch nur einige Idee von dieſen
Me geprieſenen Kunſtwerken zu machen .
Zuerſt vom Schachſpieler. Laſſen Sie ſich erzählen,
8 wie , wo und unter welchen Umſtånden ſich mir dieſe Mas
Tchinedargeſtellt þat; kurz ungefährſo erzählen , wie man
eine Geiſtererſdeinung beſchreibt. Daß ich gute Urſachen
zu dieſer Methode habe, ſollen Sie am Ende ſehen.
ME Als ich Vormittags um eilf Uhr in das Zimmer des
Gaſthauſes trat, wo die Maſchine gezeigt wurde, ſtand ſie
feu
noch in einem dunkeln Alfoven ( a bcd ) und wurde duro
.)
eine vorgefezte ſpaniſche Wand verdeckt. Vor dem Alko ven
to auf
waren Schrank ( efgh ik ). Das Zimmer hatte
en
beiden gegen einander überſteh Seite Fenſte , und
war ſehr helle. Nachde die Zeunſdcehnau , unngefeh r dreiſig,
beiſam
m waren , wurdme die ſpaniſcehr Wand werg- und
e n
-Die Maldine Herausge
ſ . Stellen eſie ſich einen Kaſten
c h o
vor , ( l m n o deſſen bOebnerflä etwa 4 Schuhe in der
Långe , und 2 in der Breite , cdhiee Höhe aber ungefehr 3
Souge beträgt. Da er an den untere 4 Ecken Rogen
bat, To läßt er ſich leidt fortbewe . n Hinten fijt auf
ge
§ 14 n
einer
476 X. Ueber die Schach-und Redemaſchine.
einer an dem Kaſten befeſtigten Bank, bei r eineFigur in
Sebendgroſe, welche als ein Türke gekleidet ift. Sein rech
G

C d k

09
Os

Ś 1 m他
li

b
O

ter Urm liegt unbeweglich auf dem Kaften , die linke aber,
womit er zieht , ruht auf einem Polſter , und iſt mit den
Fingern immer in der Richtung , als ob ſie einen Schacha
ſtein ergreifen wollte.
Der Gehülfe des Herrn von Kempele rohloß die drei
Thüren des Kaſtens auf. Es zeigten fich zwei Ficher und
darunter eine Schublade. Das kleinere Fach war vou
Råderwerf , unter andern ſah ich eine meffingene , mit
eiſernen Stiften beſezte Walze, wie ſie in den Glockenſpie
len Drehorgeln Das größere Fach enthielt
nur etwas weniges von Maſchinenwerk; dagegen ſtand
ein Kaftgen darin , das in der Folge meiner Erzählung noch
mehr
10

X. UeberdieSchach- und Nedemaſchine. 477


mehrmal vorkommen wird. In der Schublade waren die
Schachteine, der Polſter , welchen man dem Sürfen unter
den linken Urin legte, und ein kleines Brét, auf welches
der Türke die geſchlagenen Steine ſezt ; aber nichts von
Maſchinerie als einige meffingene Quadranten.
"? 719 17
Um uns zu überzeugen , daß kein Menſo in dem Kaa
kten fiße, ſchloß der Gehülfe die Rückſeite des kleinern Fra
ches auf , und leuchtete mit einer Kerze herein. Wir ; die
wir vor dem Kaften ftanden , konnten nun durch und
durch , und die Bewegung der Kerze ſehen . Er Tohloß auch
eine kleine Thůre in der Rückſeite des größeren Faches auf,
leuchtete gerein , um uns zu beweiſen , daß keine doppelte
Rückwand da Fei. Endlich ließ er uns in den Leib des Tür :
ken ſehen . Es war ein HolesliParallelepipedum , worin
einige Metauftåbe und Röhren ſichtbar waren . Nach dies
fer viſitation verſchloß er alles wieder) und ſchob den Ra
ſten dicht an die Schranken , bei g h . Bei p ſtedete er auf
einen ganz frei ſtehenden Theetilo dasKaftchen , das zuvor
in dem großen Kaſten geſtanden Gatte. Es iſt etwa einen
Schuh breit und lang , und zwei Schuhe hoch. Seine
Shure war nach der Wand zu gekehrt, und es wurde den
Zuſchauern inwendig nicht gezeigt. Wann es zuweilen
während des Spiels geöfnet wurde, ſo konnten wir der
Stellung wegen doch nicht Şineinſehen , und der Gehülfe
verſchloß es jedesmal ſogleich wieder.
re Einer aus der Geſellſchaft wurde zum Spiel eingelas
nd den . Ich nahm die Einladung an und ſtellte mich dem
or . Jurken gegen åber bei-s, Wir ſtellten die Steine auf , ich
mit die meinige, der Gehülfe die des Túrken . Der Túrke bes
kam ſowohl diesmal als Nachmittags , da ich dieMaſchine
zum zweitenmal ſah , die weiſen Steine. Das Schambret
10 iſt auf dem Kaſten der Maſchine unbeweglich befeſtigt.
Die Steine ſtecken nicht etwa mit Zapfen in dem Bret,
$ 5 ſondern
478 X UeberdieSchach -undRebemaſchine.
fondern ſtehen darauf wie gewdýnlich ganzfrei. Es iſt von
feſtem Holz, To , daß der Stein auf ſeiner Stelle keinen
Eindrud machen kann,

Als dieOleine geſeztwaren , 399 , Gehülfe dieMas


ſchine an einer Seitenwand des Kaſtens auf ,wie man eine
Uhr aufzieht, und ſtellte ſich zwiſchen das Kaftgen und den
gårfen , an den Drt , den ich mit q bezeichnet habe. Er
fand ganz frei, berührte weder das Ráfichen noch den gros
fen Kaſten der Maſchine, poch den Túrken , ſah auf das
Spiel mit unverwandten Blicken und hatte faſt immer
pie rechte Hand im Bufen , die linke in der Rocktaſche.
Dies ſoll, wie mir alle fagen , welche die Maſchine geſehen $
haben . Jedesmal feine Stellung ſeyn . Herr v. Kempele
gieng unter den Zuſchauern berum , und beobachtete duro
ein Fernglas das Spielbeſtändig.
10 Die Maſchine fieng die Partie an , dieſen Vorzug bes
dingt ihr der Künſtler , wie ich höre jedesmal aus. Zuerft
bewegte der Türke den Kopf, alswollte er das Spielüber
fehen , alsdann erhob er ſeinen linken Urm ein wenig, füşrte
ihn in einerſtåten Bewegung über die Steine, ofnete die
Finger, ergrif den Stein , Bob ign , fezte ihn auf ſeine
neue Stelle und legte den Ärm wieder auf das Küffen ,
Während dem daß der Zug geſchah, hårte man eine Be:
wegung in der Maſchine, wie einesSQlagwerksin uğren.
Meiſtens war , ſobald ich gezogen hatte , der Türke
fogleich mit ſeinem Zuge bei der Hand, ich möchte mic nun
lange oder furz beſonnen haben . Aber zuweilen dauerte
es bis auf eine halbe Minute, ehe er wieder zog. Woute
er ſchlagen , fo nahm er meinen Stein weg ; Tezte ihn auf
ein an derSeite ſtehendes kleinesBret und zog ſeinen Stein
auf die Stelle des geſchlagenen . Als ich vorfeßlich einen
falſchen Zug that, nemlich mit dem laufer gerade aus
ging :
X. Ueber die Schacho und Redemaſchine. 479
ging : ro nahm er meinen Laufer, fezte ihn auf ſeinen vorii
gen Plaß , und that ſogleich ſeinen Zug. Ich verlor alſo
einen Zug. Bot er dem Könige Schad , ſo nicfte er dreis
mal mit dem Kopfe , und zweimal , wann es der Königin
galt. Zurückziehen darf man nicht, doch erlaubte mir es
1
mem Herr von K. als ich darum bat, nur mit dem Beding , daß
G es ſogleich nach dem Zug geldebe, ehe die Maſchinein Bes
re wegung ſei.
So oft der Türke oder ich geſchlagen Batte, gieng des
met
16
Gehülfe von ſeinem Plaß ,nahm die geſchlagenen Steine
weg , und rezte ſie auf den Theetiſch hinter das geheimniss
men vode Käſtchen .
le
Einmal ſtekten Herr von K. und ſein Gehülfe die Któs
fie zuſammen , und beſprachen fich leiſe. Als der Türke
rochen wollte, gieng der Gehülfe zuvor über das heimliche
Káſtgen , und fchien etwas darin zu rücken. Gegen das
d
Ende des Spiels wurde die Maſchine zum zweitenmal aufs
ber gezogen.
Als der Túrke die Partie gewonnen Batte , ſagte Herr
NE
von K. ich möchte noch einen Zug thun. Jo that's , aber
ein der Jürfe zog nicht wieder, ſondern ſchüttelte den Kopf.
기 Nun machte die Maſchine eine neueOperation. Ich nahm
6 alle Steine vom Brete, und regte einen Springer auf ein
10 mir beliebiges Feld. Der Túrke ergrif den Springer und
ließ ihn immer von ſchwarz auf weis, und von weis auf
ut fchwarz über drei Felder ſpringen , wie der vorgeſdriebene
118 Gang dieſes Steines iſt. Uuf jedes Feld legte der Rempes
liſche Gebulfe, ſobald der Türke den Springer davon ges
od nommen hatte, eine Spielmarke. Am Ende waren alle
Felder belegt, und der Türke ſezte den Springer wieder auf
das Feld , wo er ihn weggenommen þatte.
med
Endlich ließ auch der Künſtler durch ſeine Mafchine
del auf vorgelegte Fragen Untworten geben . Uuf den Feldern
my des
480 X. Weber die Schach-undRedemaſchine.
des Schachbretes waren nemlich die Buchſtaben des Alphabets
geſchrieben . Der Gehülfe zog die Maſdine auf , aber an
einem andern Orte als zuvor , nemlich hinten unter dem
Siß des Túrken. Die Zuſchauer thaten viele Fragen an
die Maſchine, z. E. wie viel Uhr iſt es lieben ſie die Da
men , wo gehen ſie morgen hin ? Sie gab jedesmal eine 1
paſſende Antwort, indem der Türke mit der Hand nach und
nad alle Buchſtaben der Antwort auf den Feldern abdeua
tete. Der Gehülfe ſtand während dieſer Operation dicht an
der Maſchine, und nennteund dieBuchſtaben, aufwelche
Í
der Türke zeigte. Db er auch jezt die Hände in dem Buſen
und der Rocktaſche hatte, erinnere ich mich nicht recht.
Ich glaube aber nicht.
Abends um 5 Uhr beſuchte id den Schachſpieler noch
einmal. Es ging ades gerade ſo , wie am Morgen , bis
auf einige kleine Verſchiedenheiten . Dahin gehört , daß
die Maſchinezu der Schachſpielpartie nureinmal aufgezos
gen wurde. Als der Jurke eine falſchen Zug that , auch
den Arm nicht wieder auf den Polſter zurückbringen konns
te, ging der Gehülfe nach dem Kaftchen , ſchloß darauf den
Rörper des Túrken auf,und ſuchte die Sache in Ordnung
Pro . Als es ihm nicht gelingen woûte , rief Herr
funfzehn ! nehmenſie dasLicht dazu;endlich kam
er ſelbſt herbei , und ſtellte den Gang der Maſchine Her.
312 Und nun fod ich Ihnen das Reſultat meiner Beobach:
tungen ſagen ? DerKempeliſcheSchachſpieler iſt das gråſte
A
Meiſterſtück von Mechaniſmus und Taſchenſpielerei (wo:
>
ferndieſe Benennung nicht zu unedel iſt ), das ich je geſes
hen habe. Zwar die Figur eines Menſchen zu machen ,
der mit der Hand Steine auf dem Schachbret fortrückt,
möchte wohl nicht unter die ſchweèſten Aufgaben der Mes
sanikgehdren. Die Maſchine ſo einzurichten , daß ſie jeden
dem Künſtler beliebigen Zug thate, wann er jedesmal vor
dem
X. Ueberdie Schach-und Redemaſchine. 481
es dem Zuge die Maſchine ſtellen dürfte, foute wohl auch nicht
ſo künſtlich ſeyn , daß es nicht mancher Mechaniker leiſten
könnte. Alſo von Seite der mechaniſchen Kunſt ſcheint
mir dieſe Maſchine immer ſehr merkwürdig , obwohl nicht
das non plus ultra der Kunſt.
im
Adein wie Herr von K. auf die Maſchine rúrkt oder
würfen låßt, das iſt das Unbegreifliche bei der Sache. Das,
an was ich die Taſchenſpielerei nannte , das Ráthſel, deſſen
Auflöſung ſdon ſo manche Zirbeldrüſe in Deutſchland,
Frankreich und England in Unruhe geſezt hat. Daß nicht
it die Maſchine, ſondern ein Menſch durch die Maſchine ſpielt,
oder daß die Maſchine blos das Werkzeug iſt, welches ein
Menſch nach Gefallen lenkt, iſt wohl ganz offenbar; der
Künſtler leugnet es auch ſelbſt nicht, und keinem , der einis
gen Begrif von Maſchine und Schachſpiel Hat, wird es eins
fallen zu glauben , daß eine Maſchine Schach ſpielen könne.
Wer das glaubt, mußte aud zugeben, daß eine Maſchinemog
น lich wäre, welche ein Korpg gegen den der Feind kommans
dirte, oder eine Diſputation auf dem Katheder pro Gradu
M5 vertheidigte. Alſo vorausgeſezt, daß ein Menſch auf die
Maſchine Einfluß hat, ſo fragt ſichs , wie wirkt er darauf ?
ett Um diefes zu erklären , iſt man auf mancherlei Hypotheſen
AD gefallen. Einige haben geglaubt , es ſtecke jemand in der
Maſchine . Udein wo ? In dem geheimnisvollen Kåftgen
und im Körper des Jürfen , iſt es wegen Mangel des Raus
dit mes unmörlich. In dem großen Kaſten konnte er bequem
fißen , aber dieſer wird den Zuſchauern aufgeſchloſſen
Wollte man ſagen , daß der Menſch erſt nachher , wann die
fins Maſchine viſitirt worden iſt, aus dem Alkoven hineineins
11
fohlúpfe: To ſteht dem entgegen , daß zwiſchen dem Ulkoven
und der Maſchine noch ein wenigſtens vier Schuh breiter
les Raum war , daß das Spiel bei Hellem Tage geſchieht, daß
die Zuſchauer auf dreiSeiten ſtehen , und daß ſo etwas
unbemerkt unmöglich, wenigſtens nicht oft geſchehen könnte
Aug
116
482 X. Ueberdie Schach-undNebemaſdine.
Uud läßt ſich ein fo grober Betrug einem Manne von dem
Charakter und'den Salenten des Herrn von Kempele
nicht zutrauen .

Sot jemand in einem Nebenzimmer , über der Decke


des Zimmers , unter dem Fußboden ſtecken ? Auch dies
tann man nicht annehmen. Da die Maſchine in ſo viel
öffentlichen Häuſern gezeigt worden iſt , ſo hatten die Wire
the oder ihre Domeſtiken den Betrug gewis ſchon längſt vers
cathen . Und wie fodte dieſer entfernte Menſch auf die Ma
( chine würfen , durch Ziehen oder Drucken mit einem fidhte
baren Körper? dies låßt ſich nicht bchaupten , da man
fchlechterdings keinen Zuſammenhang der Maſchine mit irs
gend einem Theil des Zimmers entdecken kann , beidem eine
folche Einwúrkung ſtatt fånde. Durch geheimere Kräfte ?
Dazu iſt kein verſtekter Menſch nöthig , dann es ſteht einer
dffentlich neben der Maſchine, der Gehülfe des Künſtlers.
Mir und allen , die ich darüber ſprach , ſcheint es uns
bezweifelt, daß dieſer und niemand anderſt die Maſchine
dirigirt , daß er mit dem Hrn. vonK. gemeinſchaftlich ſpielt
und jeden Zug lenkt. Aber wie , womit, wodurch wirkt
er ? Da liegt der Kinote! Viele ſind auf den Magnetiss
mus gefallen , und der Gehülfe kann im Buſen oderin der
Rocktaſche gar füglich mit einem Magneten operiren. Als
ſein Hr. von K. ſoll, wie in Friedeld Briefen aus Wien
ſteht; fich erboten haben, den ſtårfſten Magneten , und
foviel Eiſen , als man will , an die Maſchine bringen zu
faffen . Ob jemand den Verſuch gemacht habe, weiß ich
nicht. Als in meiner Gegenwart einer der Zuſobauer den
Gedanken von Magnetenmurkung gegen Hrn. von K. au
Terte , antwortete er, er habe fich's zum ørundfaß gemadt,
auf alle ſolche Fragen weder ja noch nein zu ſagen . Da
Sie in kurzem Gelegenheit haben werden , die Maſchine zu
fehen , ſo unterlaſſen Sie doch nicht , dieſen Punkt durd,
einen
X. Ueber die Schach- und Rebemaſchine. 483
2
Verſuch ins Klare zu reßen. Das viele in der Maſchine
befindliche Eiſen ſcheint mir die Hypotheſe von magnetiſchem
Einfluß zu widerlegen . Die Magneten oder Magnetnas
deln in der Maſchine müßten doch nothwendig beweglich
feyn. Iſt aber dieß , ſo würden ſie von dem Eiſen angezoa
gen , und nicht von auſen in die nöthige Richtung gebracht
werden fénnen.

Andere Haben eine grdbere Einwärkung des Gegúlfen


geargwohnt. Siemeinten , er fónne mit den Füſſen oder
durch einen Drath die Maſchine bewegen . udein dieſer
Gedanke verſchwindet, ſobald man die Sache felbft fieht.
Der Mann ſteht viel zu frei , und jede ſeiner Bewegungen
wird zn ſcharf beobachtet, als daß er auf dieſe Weiſe wurs
fen könnte. Wann man mich nöthigte meine Meinung zu
ſagen , ſo mußte ich ju dem alten Nothanker, zu einer verts
borgenen Naturkraft meine Zuflucht nehmen. Kann Hert
von K. nicht eine neue bewegende Kraft im geheimen Kobinet
der Schöpfung ausgeſpåret, und ſie bei ſeiner Maſchine an
gebracht Haben ? Wir haben gewiß derMutterNatur noc
nicht ſo tief in die Karte geſehen , daß ſie kein Geljeimnis
mehr vor uns Kåtte.
Ob das Kåftchen auf dem Sheetiſch bei dem Spiel
nothwendigiſt, oder ob es nur zum Schein daſteht, dars
über ſind die Ausleger verſchiedener Meinung. Jo glaube
Das erſte , ob ich gleich nicht begreife , wozu es dient ,
und wie es mit der großen Maſchine verbunden iſt. Det
Herr von K. fod verſichern , daß er ohne es die Maſchine
gar nicht dirigiren könne. Wann ich alles wohl überlege,
To glaube ich , daß dieſes Käſtchen eine Art von Anweiſung
enthalt, wie in auſerordentlichen Fåden die geheimeBeweg
kraft applicirt werden müſſe. Nach den älteren Nachrichy
ten vom Kempeliſchen Schachſpieler muß der Künſtler vors
mals ófter in das Kåftchen geſehen gaben , als jezt. Vera
muths
1

484 X. UeberdieSchachs und Redemaſchine:


muthlich Hat er jezt mehr Fertigkeit, und daher ſeltner nos
thig die Inſtruktion nachzuſehen. Vielen iſt es unbegreif
lich , daß die Maſchine faſt immer gewinnt; in Frankfurt
þat ſie von ungefehr 30 Spielen nur 2 verlohren. Ich
begreife dieſen Umſtand gar mohl. Vorausgeſezt, daß
der Künſtler und ſein Gehufe ſehr ſtarke , und ſo viele, die
mit der Maſchine ſpielen , ſchlechte Schachſpieler ſind, ſo
beſprechen ſich noch jene zuweilen während des Spieles ,
und man will auch bemerkt haben , daß fie einander Zeichen
geben. Es ſpielen alſo zwei gegen Einen , und dieſer ift
überdas nichtbei kaltem Blute , ſondern im Affekt der Vera
wunderung , folglich zum Nachdenken weniger aufgelegt.
en Nun hátte ich, denk' ich , genug über den Schachſpie
ler raiſonnirt oder deraiſonirt. Wann es Herr von K.
sollte , fo mógte es ihm
teſenvorkommen leicht ſo klug oder una
flug , als unſere Rosmologien dem Schöpfer.
Aber ich hoffe, daß er auch eben ſo tolerant ſeyn wird ,
als dieſer.

Noch etwas von der Redemaſchine, freilich etwas ſehr


unvollkommenes , da ich ſie kaum eine Viertelſtunde zu bea
obachten Zeit hatte. Es iſt ein kubiſches Råftchen , unge
fehr einen Schuh lang ; breit und hoch. Oben ſind etwa
15 runde Defnungen , deren jede einige Linien im Durch
fchnitte haben mag. Auf der einen Seite iſt ein Blaſebalg
angebracht, der durch ein Gewicht aufgezogen wird. Wann
die Maſchine reden fou , ſo greift der Künſtler mit beiden
Händen auf zwei verſchiedenen Seiten in das Kåftchen ,
berührt die Tangenten , drückt den Blaſebalg mit dem Ela
lenbogen nieder , und ſie hören eine vollkommeneMenſchen
ftimme; nicht bloß vox humana der Drgeln , ſondern ars
tikulirte Tóne, Wörter , Rede. Das erſtewas wir Hórs
ten , war : Mama, Papa , à ma chere Mama on m'a
fait dumal, Undnun fonnte jeder in der Geſellſchaft ein
Mort
X. Ueber die Schach- und Redemaſchine. 485
1
Wort fordern. Ade ſprach die Mardine mit der gråſtent
Deutlichkeit aus. Auch die doppelte Vocalen und Kona
int
fonanten pronunciirt fie ſehr rein und richtig. Der
06 Son iſt wie bei einem Kind von drei Jahren . Zuweilen
kam das verlangte Wort nicht gleich zum erſtenmal richtig
die
Beraus , der Künſtler muſte verſchiedene Verſuche machen .
fo
Er entſchuldigte ſich damit, daß einer , der die Violinen
macht, ſie darum nicht auch fertig ſpielen könne. Das
gen
$
i, kund ich hat ihm , wie er ſagte, die meiſte Schwierigkeit
gemacht. Anfangs, erzählte er uns, ſei die Maſchineſehr
weitläuftig und zuſammengeſézt geweſen . Endlich rei es
ihm gelungen , ſie ſo zu koncentriren und fimplificiren , wie
fie-jezt iſt. Welches Studium der Sprachorgane , und
welche tiefe Kenntniſſe der Mechanik dazu geßdren ,dieſes
3
Werk zu verfertigen , darf ich Jänen als einem Renner
nicht ſagen . Der Mann , der ſo etwas erfinden und auss
***
führen konnte , iſt mir unbeſchreiblich reſpektabel , und
wegen der Unſterblichkeit ſeines Namens kann er unbea
ſorgt Teön.
3.. Seben Sie wohl , und ſchreiben Sie mir , was
Sie an dieſen mechaniſchen Kunſtſtücken beobachten und
ge darüber urtheilen.
M
0 :
malo
mi
ch Als vorſtehender Auffaß ſchon zum Theil abgedruckt
M war, erhielt ich Karl Gottlieb von Windiſch's Briefe
über den Schachſpieler des Herrn von Kempele , Baſel
1783. Der Verf,giebt einige Hiſtoriſche Nachrichten von
EP der Maſchine und dem Künſtler x die auch gršſtentheils
" wortlich ſchon in Friedels Briefen ſtehen , verſichert ,
daß er die Maſchine oft und genau unterſucht habe , giebt
aberweder vondemMechanismus eine genaue Beforeiz
11 $ self.Beitr.St. III. fi bung
486 X. Ueber die Schach-und Redemaſchine.
bung, noch einigen Aufſchluß über den Einfluß des Kunſts
ters . In den meiſten Stücken kommen ſeine Bemerkuns
gen mit den meinigen überein ; nur einige Punkte erzählt
er anders , als ich ſie gefunden habe. Die drei beigefügte
Kupferſtiche ſollen nach des Hrn. von K. eignen Zeichnung
gengemacht ſeyn. Mit dem Bild meinter Imagination vers
glichen , ſind fie ſehr richtig und getreutes
Ein Freund , dem id meincit Äuflaß im Manuſeript
mittheilte ſchreibt mir ; aller Wahrſcheinlichkeit nach
ſteckt ein Kind in Doppelten Kaſten , oder unter dem
Rock des Túrken , wann der Kaſten offen ſei, und ſo
umgekehrt. Das fou ohne Zweifelfo viel heifert, zu der
Zeit , wann den Zuſchauern der Kaſten geofnet wird ,
fteckt das Kindunter dem Mantel des Túrken , wann aber
der Kaſten wieder verſchloſſen und den Zuſchauern das Inc
Nere des Türfen gezeigtwird , fø fchlüpft das Kind in den
Kaſten . Scon viele Leute haben dieſe Vermützung ge
Habt , aber ſie audy immer ſogleich wieder aufgegeben ; los
bald ſie die Sache felbfi ſabent. Das Uus- und Einfriecheni
des Kindeskönnte fo vielen Øugert , wovon dod manche
in fehr geſcheuten Kopfen ſtehen , bei demi hellen Tageslicht
i gewis nicht verborgen bleiben. Man müſte die Bewegung
des Mantelb ſehen , der ohnehin nicht weit genug ſcheint,
um ein Kind zu verbergen . Wo fånde man ein Kind ,
das ſo meiſterhaft Schach ſpielt , als die Maſchine ? und
wann Herr von K. zufáaiger Weiſe eines gefunden håtte :
foråre es ſeitdem , daß die Maſchine bekannt iſt , ſchon
lange zu einem großen Jungenoder Mädchen Herangewacha
ſen , folglich zu ſeiner Rolle unbrauchbargeworden . Mant
müfte aud in den Wirthshäuſern das Kind geſehen haben .
Uebrigens dürfen nur diejenigen , welche in Zufunft die
Maſchine ſehen , ſich die Erlaubnisausbitten , zu der Zeit,
wann die Thüren des Kaſtens offen ſind, den Mantel des
Jürfen aufheben zu dürfen ; oder in dem Zeitpunkt,wann
die
X. Ueberdie Schachound Redemaſchine. 487
1M
die Thüren verſchloſſen werden , genau auf den Mantel
Achtung geben . Uuf dieſe Weiſe wird die Vermuthung
meines Freundes gar leichtbeſtätigt oder widerlegtwerden
können . Noch muß ich den Wunſch beifügen , daß doch
UB
Niemand über die Rempeliſche Maſchine urtheilen möge,
MEN
der ſie nur von Hörenſagen oder aus Beſchreibungen fennt.
Ein Blinder fodte den Sehenden nichts von Farben vors
dociren!
auf diesen

24

>
OCH

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11
mily
IM

het
ad
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14
M

NA 1 2 XI. Be
488
19 Gogo 1,673 XI. * PO !? 1934 p
Beſchreibung der aufHochfürſtl. Caſſeliſcher
Bibliothek befindlichen arabiſchen Handai
Schriften mit mauritaniſchen und
+

6.724025; kufiſchen Charakteren . on noin


Ite
als auch wegen der Sprache und der Charaktere, 'wos
mit ſie geſchrieben ſind , wichtig .
Oft ſind die Materien , die ſie abhandeln , dem Ges
leørten in mancherlet Rücfiust-tiúklidy', oft geben ſie aud
in Anſehung der Sprache , und der Buchſtaben , womit ſte
geſchrieben ſind , manche Aufklärung , daß man dadurch in
den Stand geſezt wird , zu Bruchſtücken von Entdeckungen
noch manche Zuſäßezu liefern. Ich wil deswegen auc hier
zwei alte arabiſche Handſchiften mit mauritaniſchen und
kufiſchen Charakteren , welche ſich auf Hochfürſtl. Caſſelis
( cher Bibliothek befinden , und die ich genauer verglichen
Habe , etwas näher beſchreiben .
Wenn ſie gleich nicht alle die Vortheile leiſten , welche
man ſonſt von alten Handſchriften erwartet : ſo iſt doch
wohl ihre Beſchreibung hier nicht ganz unnuß. Die erſte
dieſer beiden Handſchriften , welche in einem Folioband zus
ſammengebunden ſind , iſt mit mauritaniſchen Skarakteren
geſchrieben , und noch ſehr wohl erhalten (*) .
Vor derſelben iſt auf einem beſondern Blat mit ges
wöhnlichen arabiſchen Charakteren geſchrieben , was ich fol
gendermaßen überſeke:
Der

( * ) Joh. Henr. Hottinger gedenkt diefer Sandroprift in ſeiner


Biblioth . Orient. S. 105.
XI.Beſchreib. arabiſcherSandſchriften. 489
Der ſiebente Theil von dem glaubwürdigen Ses
heimnis des Heiligen , ( dem Koran ); welcher auf dem
Grabe (*) des Mulan Almarchum Almonaam gefuns
den worden . Verbunden hat ihn mir , da er getrennt
war , der wegen der göttlichen Heiligkeit glückliche Ab
dallah Mahmed .
Nad diefen arabiſchen Worten ſteht mit Frakturbuch
N
ftaben geſchrieben :

Dißes Buch hab ich Johannes Marcquart von
Rungsed Frenherr xc. als der Allerdurchluchtigiſt fürſt
und Herr Carolus der V. Rómiſcher Reißer inn Affrir
Su
cam zoch, und die Hauptſtatt des Barbariſchen Landts
Me
Thunis genanteroberet und blúnderet, gewunnen , und
zu einer Gedechtnusmit mir herausgeführt und iſtfolli
ches beſchåhen , als man zallt nach Chriſti unſers Ertos
‫ע‬
fers Geburt MDXXXV Jahr uf den Abend Maria
Magdalenå welches war der 21. Julii.
他 Nun folgt der Coder ſelbſts. Er iſt auf ſtarkes Papier
geſchrieben , und die Særift auf jeder Seite mit rothen
Linien
( * ) Wegen dieſem beſondern Gebraud der Handſchrift könnte es, da
23 fie nodro gut erhalten iſt, zweifelhaft ſcheinen , ob diefes das
M Driginal , und nicht vielmehr eine davon gemachte Abſchrift rei ;
allein dieſe Schwierigkeit verfdwindet , wenn man den Drt bes
eri denkt , wo wahrſcheinlich dieſer Coder ift aufbewahret worden .
Hoft berichtet in ſeinen Nachrichten von Marocco und Fes S. 125
ene von den Gräbern der Mauren : Die für Heilige gehalten werden ,
oder deren Familie in einem groſen Anſehen ftehet , befommen
ein großes Gebäude über ſich , das acht bis zehen Eden hoc ift ,
wobei noch eine Wohnung für diejenigen Leute erbauet wird ,
die die Aufſicht über dieſes Heiligthum führen , und jede Nacht
Lampen darin angujúnden haben .
In einem ſolchen Gebäude fonnte ſich wohl die Handſchrift ganz gut
erhalten . Von dem Gebrauch , dergleichen Stúde des Korans
auf Gräbern aufzubewahren , will ich ein andermal weitläuftiger
handlen .
X Si 3.
490 XI. Beſchreib. arabiſcher Handſchriften.
Sinien eingeſchloſſen. Er beſteht aus 71 Blåttern , wovon
das erſtere und legteré nur auf einer Seite beſchrieben find,
Wegen des Inhalts wäre zu wünſchen , daß, da doch
dieſer Herr Gelegenheit dazu hatte, er von den vịelen Bus
chern , welchedamals in Tunisvernichtetwurden , eine
andere für die Geſchichte nüßliche Schrift (*) gerettet håtte,
denn dieſer Coder enthält nur ein Stüc des Korans, pon
Sur. V. 85. bis Sur. VI. Į10,
Indeſſen will ich auch hiervon den Gebrauch zu machen
ſuchen , der ſich davon machen läßt.
Auf der erſten Seite ſteht oben über dem Anfang des
Coder mit rothen durcheinander geſchlungenen Buchſtaben :
‫بالله من الظالمين اعوف‬. 3Jo fiche
zu Gott von den Gottloſen ,
Die mauritaniſchen Buchſtaben , womit dieſer Coder
geſchrieben iſt , haben wenig abweichendes, " und find mit uns
fern gewöhnlichen arabiſchen meiſtens einerlei. Daß das
Fe ſeinen Punkt unten , und das Kaf nur einen Punkt
oben

(* ) Daß fich wichtige Soriften daſelbſt befunden , welche damals ihs


ren Untergang fanden , lehrt folgende Stelle des Paul Jovius :
Muinaſſes bedauerte einen dreifadyen , durch die Plünderung des
Soloſſes erlittenen Verluft , von unſdåbarem Werth , pors
nemlich ſeiner arabiſchen Bücher, welche mit Verheerung und
Raubung der Bibliothek verloren gegangen waren. Denn es
wurden ſehr alte Handſchriften darinnen aufbewahret , welche
nicht nur die Grundraße aller Wiſſenſchaften , ſondern auch die
Regierungsgeſchichten der alten Konige, und Auslegungen der
mahomebaniſchen Religion enthielten, welche der Stónig , wie
ich nachher ſelbſt aus ſeinem Munde gehöret habe , um den Preis
einer Stadt , wenn es möglich geweſen wäre , gern wieder an
fid gekauft haben würde. S. Barbarorra aus PaulJos
vius überfezt von I. P. H. Preſoer. S. 168.
XI.Beſchreib. arabiſcherHandſchriften. 495
b04
pben hat ,ist auch hier ebenſo , wie es ſchon von dem maus
ritaniſchen Alphabet bekannt iſt.

0Moda Das und 3 haben dieſe Figur S. {ezteres


be hat zuweilen den Unterſcheidungspunkt, zuweilen auch nicht.

Lite DasC und Co þabendieſeFigur cf


nur mit dem Unterſchied , daß lezteres feinen Punkt über
fid yat:
cu Uuſer dieſen Buchſtaben habe ich keine beſondere Vers
ſebiedenheit derſelben in dieſem Coder gefunden .
Nur wegen der Pokalen und orthographiſchen Zeichen
1: will ich bemerken , Daß erſtere wie gewöhnlich , aber mehr
Horizontal und roth geſchrieben ſind . Von den leztern iſt
Gezm durch einen blauen Zirkel , Teſchdid durch dieſes
blaue Zeichen wi Hamza durch einen gelben Punkt,
Wella durch einen grünen Punkt , Medda durch dieſes
M fotzeZeichen und ausgedruckt. Das quieſcirende Eliph
bát dieſe Figur 2 und iſt roth. Das Euphoniſche Teſchdid
M ift
sgelegt, ennſich das vorhergehende Wort auf
efest, wwenn u Anh
30
In ,, On G geendiget hat. Uuch ſtehet es über dem Lam ,
Mim und Nun , wenn ſich das vorhergehende Wort auf
eben denſelben Buchſtaben ohne Vokal endigt,
las Bei p. 42 und 53 der 6ten Sur. find zwei Blätter im
Zuſammenbinden verwechſelt.
sh
Pag.781 79und80bis esguisinlichfeſten. Am
gi4
1 492 XI. Beſchreib. arabiſcher Handſdriften.
Um Rande ſteht in einem rothen oder gelben Zirkel
pür oder Cuga , und hernach folgen audi
zehen oder fünf Verſe.
Dieſes iſt dasjenige , was man aus dieſer Handſchrift
fürnehmlich bemerken kann. Wegen des Alters giebt uns
wohl die erſtere arabiſche Inſchrift die beſte Belehrung.
Man mußte nur die Zeit des Mulay Ulmarchum Almonaam
zu beſtimmen ſuchen , welches ich bei einer andern Gelegens
Heit verſuchen werden .
Die zweite in dieſem Bande befindliche Handſchrift iſt
i mit kufifchen Charakteren geſchrieben (*). Sie beſteht aus
19 Bláttern von ähnlichem ftarkem Papier als die mauris
taniſche. Die Schrift ſelbſt, von Sur. XLII. 14 bis
Sur. XLIII. 12 iſt aber nicht darauf geſchrieben ; ſondern
auf beſondere kleinere viereckigte Blätter , welchee darauf
geklebt ſind. Auf die zehn erſteren Blätter iſt ſchon vorher
etwas , vielleicht Arabiſch mit gewöhnlichen Charakteren ,
geſchrieben geweſen . Man ſiehet davon noch etwas durch
ſcheinen , kann aber nichts deutlich unterſcheiden .
Vor dem Coder ſteht folgendes auf ein aufgeklebtes
daß e6 Drieben , wovon man noch deutlich ſehen kann ,
daß eben dieſes ſchon auf dem untern Blatt geſtanden ;
Fragmentum hoc libri pervetuſti, mirabilibus
characteribus picti, confobrinusmeus Tobias Krum,
Alcairo Ægypti attulit Sancto - Gallum , eoque tari
quam re valde rara , Mulæum meum auxit , atque
una mihi narravit, quod ibi, Memphi , in Templo
quodam
( *) Ori
Joh . Henr. Hottinger gedenkt derſelben in ſeiner Biblioth.
ent S. IOS.
.

1
XL Beſchreib.arabiſcherHandſchriften : 493
41 quodam Turcarum valde auguſto , fexcentis colu
mnis marmoreis ornato , etiamnum multæ fint arcæ
to talium librorum antiquorum plenæ, quorum chara
eteres nemo quidem intelligat, ſed quod vulgo cre
datur, nonnullos eorum jam inde a temporibus Pha
raonis.ibiaſſervatos effe; hoc fpecimen autem fibi
a præfecto illius templi pro artiêwownon magno dona,
tum fuiſſe Ao, 1620. Outinam nunc aliquis horum
talium nobis interpres eſſet, quibus verifimile eft,
præter hiftoriam fanctam & antiquam , etiam vete
rum Ægyptiorum ſapientiam , olim præclaram , at
nunc exſoletam contineri, S.
Selbs, Schobinger , M. D.

Ferner iſt noch auf das aufgeklebte Blat geſchrieben :


Textum hunc in alium traductum characterem
transtulit in gratiam Amplifl. D. Conſulis Schobin
TH
geri, Joh. Henr.Hottingerus.
Sereniſſimo atque celfiffimo Principi, Domino
D. Carolo Ludovico , Comiti Palatino ad Rhenum , A

S. R. I. Electori et Archithelaurario, Duci Bavariæ


&c. Domino meo clementiffimo hoc munas litera
rium offert
101 1665. Job. Henr. Hottingerus.

Die Schrift in dieſemn Coder iſt eben dieſelbige, wels


OU che man bei dem Herrn Juſtizrath Niebuhr in ſeiner Bes
m ſchreibung von Arabien auf der 4ten und 5 ten Tabelle 1
III und bei dem Herrn Prof. Adler in ſeiner Deſcriptio co
Ulf dicum quorundam cuficorum & c. findet , daß alſo ges
lo nauere Beſchreibung davon hier überflüſſig ſeyn würde.
cm Nur in Anſehung der ortographiſchen Zeichen will ich aus
unſerm Coder einige Zuráße machen .
gis Das
494 XI.Beſchreib. arabiſcher Handſchriften.
Das Gezra , welches Hr. Adler bei der kufifchen
Schrift läugnet, zeigt hier ein blaſſer Zirket, oder ein blas
fér blaulichter Punkt, und in den leztern 13 Blåttern ein
grünet Zirkel oder Punkt an.
100
it Uuch das Weſla , wovon Hr.Adler behauptet, daß
es rich in der kufiſchen Schrift nicht finde ; wird hier durch
einen blaſſen blaulichten , und in den lezten 13 Blattern
durch einen grünen Strid (*) zwiſchen dem Eliph und
dem folgenden Buchſtaben , zuweilen aud vor dem Eliph ,
ausgedruckt.
1
Das Hamza , welches in einem von den kufiſchen
Codd. welche Hr. Adler verglichen hat , roth gezeichnet
iſt, wird hier oft duro einen grünen Punkt angezeigt.
Das Tęſchdid habe ich in dieſem Toder gewohnlics
nicht gefunden . Nur zweimalwar ein dem gewöhnlichen
Teſchdid ziemlich ähnliches grünes Zeichen ausgedrückt.
Die Bedeutung eines blaſſen , und in den leztern 13 Bláta
fern grünenPunkts, der oft beidem Ae, beſonders wenn
ein Mim folgt , auch einigemal unter dem Re fteht, kann
ich nicht gervis beſtimmen . Er ſcheint mir aber anzuzeigen
daß dieſe Budiſtäben ohne die Unterſcheidungspunkte , wos
durch das Re mie Ze und das Ae wie Te ausgeſprochen
wird; geſchrieben werden müſſen.
Dieſe Punkte finøen ſich aber auch oft , wo man kei:
nen Grund einfiehat, weswegen fie dahin gefeßt worden ,
daß man faſt ſchlieffen muß, fie feien zuweilen von den Ab
(chreibern blos zum Zierrath , phne beſondere Abſicht beis
geſchrieben worden .
Wegen
( *) Sie ſcheinen überhauptin Anſehung der Farbe der orthographis
ſchen Zeichen nichts uugemeines gehabt zu haben ; ſondern pach
Belieben damit abzuwechſeln .
XI. Beſchreib. arabiſcherHandſchriften. 495
ba Wegen des Alters dieſer Handſchrift táßt ſich nichts
Laj geriſſes beſtimmen . Man nimmtzwar an , daß die kufi
2
Fiabe Shrift 300 Jahr nach ihrer Erfindung nicht mehr ge
þråuchlich geweſen ſei, und ſomůſte dieſer Coder ſchon ein
Bohes Alter haben , das wohl bis auf 800 Jahrereichte ;
M allein nach Niebuhr Beſchreibung von Arabien S. 95
werden die fufiſchen Schriftzüge in einigen Gegenden des
Morgenlandes noch jezt gebraucht. Wie viel älter alſo uns
um ſer Coder ſei, als von ſeiner Herüberbringung aus Egypten
ph vor demſelben angezeigt iſt, kann ich nicht feftfeßen.
I. 3. Wepler:
et

0
do

mi
er

fa
en
28
Je

his

XII. Ans
496 ...,
XII. I

Anzeigen neuer Bücher und Schriften.


I 41
De jure primarum precum regum Germaniæ im.
peratorumque indulto papati haud indigente
tractatus e Mícpto Henrici Chriftiani L.
B. de Senkenberg , hanc in formam re
degit filius Renatus Carolus L. B. de
Senkenberg. Francof. ad Mæn., ſumtibus
Varrentrapp. Wennerian. MDCCLXXXIV .
13 1 Bogen , nebſt einem Codice probationum
von 16 Bogen , in 4.
iſt bereits im Jahr 1750 abgefaßt , und
DieieſeſollteSchrift
einem damals erſchienenen påbſtlichen Breve
entgegengeſezt werden. Damit ſie unter Leſern von der fas
tholiſchen Kirche deſto mehr Eingang finden , und für die
Arbeit eines katholiſchen Schriftſtellers gehalten werden
mógte , ſollte ſie ohne Namen des Verfaſſers unter dem ans
geblichen DruckorteKöln herausgegeben werden ; wiedenn
der Verfaſſer zu eben dieſer Abſicht überall als ein würflicher
Katholik ſchrieb , und den Papſt ſanctiſſimum dominum
nannte. Die Uusgabe unterblieb aber damals , weil die
Umſtände fich ånderten , und feine Beſchleunigung des
Drucks mehr forderten ; auch hatte der Verfaſſer Hofnung,
noch mehrere die Sache erläuternde Urkunden zuſammen
zu bringen . Ueber das Sammeln und andere Arbeiten und
Hinderniſſe vergaß aber der V. die lezte Hand ans Werk zu
legen . Der Sohn deſſelben iſt alſo Herausgeber dieſes
Nachlaſſes geworden ; er hat aber dabei , auſer dem , was
der Vater geſammelt hatte , auch noch dasjenige benuzt ,
was in neueren , dem V. unbekannt gebliebenen , diplomas
tiſchen Werken von dieſer Materie zu finden war. Ferner
hat
XII. Anzeigentneuer Bücher 26. 497
Häter das Verdienſt eine beſſere Ordnung, Noten und
Inder ins Werf gebracht zu haben ; und úberdem iſt von
ihm alles , was nur in der Abfidt, einen katholiſchen
Schriftſteller anzubeuten und der Zeitumſtände wegen
hineingewebtwar , wieder ausgemerzt. : )
ot 11. Der Hauptgegenſtand , worauf die in dieſer Abhands
I
lung enthaltene Unterſuchung gerichtet iſt, betrift die bes
It rühmte Streitfrage, obzu Ausübung deskaiſerlichen
d
Rechts der erſten Bitte ein päpſtliches Jndultnöthig fei ?
Die Veranlaſſung zu dieſer neuen Uuterſuchung gab ein vom
003 Papſt Benedikt XIV. an denNuntium zu Köln den 28ten
1
October 1747 erlaſſenes Breve in italieniſcher Sprache ,
m worin ade Grúnde für die vermeinte Nothwendigkeit gea
fammelt, und zugleich behauptet war , es ſei dieſe Notha
wendigkeit nur von proteſtantiſchen Schriftſtellern in Zweis
fet'gezogen ; Hingegen von der teutſchen katholiſchen Kirche
20W
allezeit einmuthig anerkannt. Der V. bemúħet fich dahed
f vorzüglich aus der Gefchichte zu zeigen , daß nad den Grunds
Táßen der teutſchen katholiſchen Kirche der Kaiſer von jehet
EM das Recht der erſten Bitte aus eigener Macht ausgeübt has
be ; daß er dazu keines påpſtlichen Indults nothwendig bes
《即 dürfe, wofern er es nicht zu deſto leichterer Erreichung ſeis
ner Ubricht , und Hebung der allenfaus entſtehenden Hins
Tin derniſſe und Einwendungen annehmen wolle. Wobei denn
zu mehrerer Erläuterung dient , daßdie geiſtliche Macht in
M
mittleren Zeiten den Kaiſer auch in der Ausübung anderer
Majeſtátsrechte, z. B. in Ertheilung von Meßprivilegien
M und dergleichen unterſtüzt , und das Anfeßen derſelben durch
Lun Undrohung geiſtlicher Strafen aufrecht erhalten haben ,
bhne daß daraus eine päpſtliche Vergünſtigung zu Ausübung
dieſer Rechte gefolgert werden könne. Die Ausführung
dhe Dieſer Materie iſt in zween Theilen geliefert. Im erſten
3! geigt der Verfaffer , daß weder die Natur des Rechts der
110 erſten Bitte , noch deſſen Urſprung , auch keine Verträge
nice oder ein ununterbrochenes Berkominen eine päpſtliche Bes:
* gúns
498 XII. Anzeigen neuer Bücher
gúnſtignng zur Ausübung deſſelben nothwendig mache,
Der zweite Theil aber enthält eine Viſtoriſche Ausführung,
wie es mit dieſer Sache unter eines jeden Kaiſers Regies
rung , fomeit einzelne Fále aus Urkunden bekannt ſind ,
gehalten ſei. Da dieſer Theildem ganzen Werke eigentlich
zur Grundlage dient, und der erſte Theil gróftentheils nur
die darauf gebaueten Folgerungen enthalt, fo hätte derſelbe
auch wohl einer offenbaren natürlichen Ordnung zufolge,
vorangehen ſollen. Er iſt ſeinem Inhalt nach auch beiweitem
der merkwürdigſte. Die altefie Erwähnung des Rechts der
erſten Bitte findet der B. noch in der bekannten Stelle des
Conradi -U rſpergenfis von Kaiſer Otto IV , deren
richtiger Sinn aber dod manchen ; hier mit Stidſchweigen
übergangenen Zweifeln ausgeſegt ift. Indeffen geſteht der
V. felbſt ein , daß bis jezt von gedachtem Kaiſer Otto IV.
keine Urkunde vorhanden ſei, welche dergleichen Práces ents
hielte. Defto wichtiger iſt die Entdeckung einesfolchen Dit
ploms von R. Konrad IV , worin einem Suhn des Gras
Fen Ludwig von Eberſtein dergleichen Práces ar das Ka:
pitul zu Hildesheim ertheilt werden. Der V. hat dieſelbe
in Kupfer ſtechen , und dem Urkundenbüche zu dieſer Uba
handlung beifügen laſſen . Der Kaiſer ſagt darin : pri.
mitias precum noftrarum vobis (*) duximus offeren
das, rogantes et monentes attenté, quatenus eundem
clericum et fidelem noftrum in ecclefia veftra recipia
tis in canonicum et fratrem , providentes eum de
præbendaſi qua vacat ad præſens.vel quam primum
vacare contigerit pro noſtre reverentia majeſtatis,ut
exinde petitiones veftras, quotiescunque nobis oblate
fuerint teneamur favorabilius exaudire. Die Urkuns
de iſt der Indiction zufolge im Jahr 1242 ausgefertigt.
Sie iſt dem V. von dem verſtorbenen Braunſchweigifchen
Rath
( *) So ſteht deutlich in der in Kupfer geſtodenen Handførift ; aber
gedrudt ift nobts.
goes und Schriften . IX A99
Rath Kod mitgetheilt. Von einem pápftlichen Indult
ng enthält ſie feine Spur ; und Otto IV , bedurfte auch, zu
出 mal bei dem Hildesheimiſchen Stifte, dergleichen Unterſtúg
1 zung der geiſtlichen Macht nicht. Da hierin von keiner
Dem Kapitel neu oder unerwartet kommenden Sache die
Rede iſt , ſo finden ſich vermuthlich in den Archiven noch
mehr dergleichen vor dem groſen Interregno ausgefertigte
A Urkunden deren Bekanntmachung zu wünſchen wäre,
Unter RudolphI.iſt das Redtder erſten Bitte, wie schon
X bekannt iſt ofte Widerſpruch ausgeübt. Die Stelle des
Speculatoris Duranti,welche die älteſtebisher aufgefung
10 dene Spur von einemtIndult enthalten ſoll , Hat der V.
Een umſtåndlig, erläutert ; unbgezeigt, daßausfelbiger nicht
et erwieſen werden könne, was man päpſtlicher Seits in neuer
ren Zeiten daraus hat folgern wollen . Von den folgenden
Kaiſern ſind hier gleichfalls viele bisher ungedruckte Urkun
0 den , weldje Preces enthalteni bekannt gemacht. Sie bes
기 ftatigeni nebſt den (dont von andern herdušyegebenen Diplos 1

M men, die von älteren Unterfuchungen dieſerMaterie don


oft gemachte Beobachtung , daß vor Kaiſer Friedrich 111!!
Zeiten ſich keine Nachricht von einem päpſtlichen Indultzur
DT Ausübung des Rechts der erſten Bittefindet. Mitden
en kaiſerlichen Precibus ſind die Preces der Kaiſerinnen faſt von
gleichem Inhalte. Die älteſte hier beigebrachte Urkunde
dieſer Urt iſt von der erſten Gemahlin Karls IV, der Kais
Dil ferin Anna C $. 31 und Adjunctum 31.) Uud dieſe bes
ruft ſich ſchon auf einen alten Gebrauch , worin ſie den
ehemaligen Kaiſerinnen nachahmt, und auf das conſor
tium regiæ poteftatis , ohne von einer påpſtlichen Vers
günſtigung etwas zu erwähnen. Die Urkunde iſt an den
ull Johannitermeiſter gerichtet, welcher dem Preciſten in den
in Deutidland liegenden Häuſern des Ordens einePrábende
geben ſod ; waraus ſich zugleich ergiebt, daß die Kaiſerinnen
nicht blos, wie man geglaubt hat , bei weiblichen Stiftuns
gen dergleiden Bitte anzubringen berechtiget geweſen ſei.
Auf
500 XII. Anzeigen neuer Bücher
Auf dieſelbefolgt gleich eine andereUrkunde vonder vierten
Gemahlin Karls IV, der Kaiſerin Eliſabeth , welche an
das Nonnenkloſter Niedermünſter in der Strasburger Diós
ces gerichtet iſt.
Pom Kaiſer Wenzeslaus war ſchon auf einer vom V.
vorhin edirten Urkunde bekannt, daß er ein Privilegium
Eremtionis gegen die zu ertheilenden Preces einem Stifte
zu Frankfurt verliehen habe. Hier ift 5. 30. ein älteres
ähnliches Beiſpiel von Karl IV. beigebracht , welches demi
Kitoſter Pfullingen im Jahr 1372 ertheilt iſt.
}

5.DieGründe gegen das Vorgeben , w18 ob das kais


ferliche Redt der erſten Bitte durch die unter Kaiſer Fries
derich III.mit dem påbftlichen Stuhl errichteten Koncors
daten wäre aufgehoben worden , und daß deshalb zu einer
Wiedereinführung påbftliche Vergünſtigung ſeitdem für
ndthig gehalten wäre , find hier g. 40. bis 42. Tehr gut
auseinander geſezt. Der wichtigſte iſt der zweite Grund ;
4
nämlich : die Koncordaten ſind Verträge zwiſchen dem
Pabſt und der teutſchen Nation , um den Beſchwerden
åber påbſtliche Eingriffe in die Freiheit der teutſchen Kirche
abzuhelfen ; keinesweges aber paciſcirten hier der Kaiſer
mit der teutſchen Nation , und von ſeinen Gerechtſamen
und deren Einſchränkung war gar keine Frage. Hierzu
kommt noch inſonderheit der vierte Grund des V., daß
wenn eine Abſtellung des Rechts der erſten Sitte durch die
Roncordaten würklich erfolgt ſei, auch kein päbſtliches. Ina
dult dazu wieder ein Recht geben könne , weil folches eine
neue Beeinträchtigung des SolatorisOrdinarii undfolglich
ein neues Gravamen ſeyn würde. Hieraus ſchließt der V.
Ø. 43. Tehr richtig , daß Kaiſer Friedrich III. die Indulte
nicht erhalten habe , um dadurch ein Recht zu gewinnen
das ihm fehlte; ſondern um ſein auſerdem nicht zu bea
zweifelndes Recht in der Ausübung oder Vollziehungdeſto
mehr
und Schriften. 501
mehr zu erleichtern. Die auf alles aufmerkſame römiſche
Politik gab aber der Sache gleich das Unſehen eines Vors
rechts. Was für Schwierigkeiten der Uusübung deſſels
ben damals entgegengeſtanden , die man durch ein päpſtlis
dhes Indult zu überwinden ſuchte, iſt 9. 43. und 44. deuts
lich angegeben. Friedrich III. machte daher auch nur alds
dann Gebrauch von Indult, wenn er dergleichen Sdwies
rigkeiten beſorgte ; und das Vorgeben des Dligenii , daß
Kaiſer Friedrich in allen ſeinen Precibus ſich auf das påpſts
A
liche Indult gegründet habe , wird durch das in dem Urs
kundenbuche Nro. 39 gelieferte Beiſpiel, worin keine Silbe
davon befindlich iſt, hinreichend widerlegt.
El Ain meiſten war unſere Erwartung vor dem Empfang
or dieſes Werks in Anſebung des Koncordats geſpannt, wela
ches nach des feligen Verfaſſers in ſeiner Einleitung zuder
in Teutſchland úblichen Rechtszelabrtheit, Kap. 5. 6. 86 .
gegebenen Verſicherung zwiſchen Kaiſer Marimilian II.
und dem Papſt Pius IV . wegen des Indúlts und der Aufs
þebung der päpſtlichen Konfirmation der Kaiſerwahl im
Fahr 1564 geſchloſſen feyn fodte. Der V. fagte damals :
114 wenn unſere Staatsrechtslehrer dieſes gewußt hätten ,
011 ſo wäre zu Joſephs I. Zeiten nicht ſo viel Streit übec
Das Indult der Precum entſtanden . Über der Leitſtern ,
den man uns in der Ferne zeigt , verſchwindet gleich einem ,
Irrlichte, da wir uns ihm nähern. Die Urkunde , welche
hier nun Nro. 52 in den Beilagen abgedruckt iſt, beſagt
nur fo viel , daß Maximilian II. eine päpſtliche Konfirmas
tion ſeiner Wahl nicht habe annehmen wollen , und daß der
Login Papſt auf deren Annahme nicht weiter beſtehen wolle; zus
13 gleich aber ertheilt er das Indult zur Uusübung der erſten
Duk Bitte, wobei, liſtiger Weiſe, das alte Herkommen , wors
Mei aufſich dieſes Recht gründet, gegen den ſonſtigen Stilum
ll mit Stillſchweigen übergangen wird. Aber von einem bes
ſondern Vertrag über das Indult iſt keine Spur darin .
Self Beitr. St. III. Der
502 XII. Anzeigen neuer Bücher
Der Sohn des Verfaſſers erklärt die Sache für ein Verſee
hen , und daß bei vielen andern Geſchäften reinem ſeligen
Vater die Worte : über das Indult der Precum aus der
Feder entſchlüpft wåren , da er doch hättefchreiben wollen :
über die Konfirmation . Ganz befriedigend iſt dieſe Ents
ſchuldigung indeſſen doch nicht; denn zuJoſephs I.Zeiten
war kein viel Aufſehen machender Streit über die Konfir
mation ; wohl aber über das Indult ; und es bleibt daher
nurzu glauben übrig, daß der V. die Urkundenicht auf
1
merkſam genug mogte geleſenhaben . Doch genug von dies
fem übrigens ſehr lehrreichen Buche!
R.

Entwurf einer Theorie und Literatur der ſchönen Wif


ſenſchaften, zur Grundlage bei Vorleſungen ;
von Herrn Profeſſor Erchenburg in Braun
ſchweig. Berl. und Stett. bei F. Nikolai , 1783.
Die ſichtbare , vom Heren Verfaſſer zum Theil ſelbſt
angezeigte Entſtehungsart dieſes Lehrbuchs, giebt ihm einen
weſentlichen Vorzug vor andern dieſes Inhalts. Man
kann nicht anders ſagen , als daß alle unſre bisherige teuts
ſche Theorien der ſchönen Wiſſenſchaften entweder aus
fremdem Grund und Boden genommen , blos Aeſthetik,
oder bald mehr , bald weniger Redes oder Dichtkunft was
ren . Und doch hatten Mendelsſohn , Garve, lepo
ſing; Sulzer und andere den Weg bezeichnet, den die
Verfaffer von Lehrbüchern håtten gehen ſollen. Ullen vors
an gieng Alerander Gottlieb Baumgarten , und wenn
die Rhetoriker und Poetiker die Antiken der ſchönen Wiſſens
Tchaften nach der Natur und Kunſt ſo ſtudirt Håtten , wie
Winkelmann die von den ſchönen Künſten ; fo můſten
wir ſchon mehr haben , als die auf dem Wege der Kompis
ſation entſtandeneKompendien. Es iſt alſoPerdienft eines
Lehr
und Schriften 503
IL Lehrbuchs der ſchönen Wiſſenſchaften , wenn ein Verfaſſer
der.fie ſelbſt lehrt, ſich anfänglich ſo gut er kann, einen Plan
entwirft , als Denker ihm durch Vergleichung mit jedem
andern umåndert , und endlich durch die nun der Natur der
Sache gemás angenommene Grundſáže, ihn ſo vodſtändig
ausführt, als es feine zweckmäßige Brauchbarkeit erfordert.
So iſt Herrn Profeſſor Eſchenburgs Theorie eine gute
be und nůžliche Grundlage zu Vorleſungen geworden . Der
Gebrauch den er von unſern Philoſophen Ebergardt ,
Tetens , Herder , Tidemann , Platnern und ans
dern in Unterſuchungen über einzelne Materien gemacht ,
beweiſt dies noch mehr . So kurz des Buches erſter Theil
die Aeſthetik iſt, ſo reichhaltig iſt ſie an den nöthigen Ma
terialien ; und in der Geſtalt, wie ſie hier der Poetik und
Rhetorik vorgeht, wird man ihr ſo leicht nicht vorwerfen,
daß fie blos auf die eigentliche beiden ſchồnen Wiſſenſchaften
100 eingeſchränkt ſei. Auf ſie folgt die Poetie , vielleicht beſſer
die Rhetorik, weil jene als ein höherer Grad der Beredſams
keit manchen allgemeinen Grundraß und manche Regel dieſer
zum voraus ſezta Doch kann dies jeder Lehrer ſelbſt thun .
Auch an Voaſtándigkeit mögte die Poetik in dieſem Lehrbuch
die Rhetorit etwas übertreffen , ob ihr gleich nichts weſents
tett lides zu fehlen ſcheint. Sollte das Kapitel von den Ros
manen nicht eigentlich beſſer in der Poetik ſeinen Plaß has
ben , bei den epiſchen Dichtungsarten Die Literatur iſt
78 ein angenehmer, nůßlicher Beitrag zu dieſer Theorie , doch
mogte der Kompilator ( indner nicht ein vorzügiiches Mus
11 fter in ſeiner Gattung Peyn; der denn auch wohl in derVors
7W leſung ſelbſt in dieſem feinem Charakter wird bekannt ges
Ton macht werden. Charakteriſirung unſrer Theoriſte und
dadurch Abrúrdigung ihrer Zahli mogte für unſnre, junge
fchóngeifteriſche Welt ſo nothig und nůßlich ſeyn , als eine
bald abnehmende Zahl teutſcher Romane und poetiſcher
Blumenteſen. Köpfe und Herzen gegen in den labyrins
then jener verlohren , und in dem ewigen Lenz , To wie auf 1.9
KE 2 ſeinen }
504 XII. Anzeigen neuer Bücher
feinen Blumenbeeten bald nach dieſer , bald nach jenter
Mode, vergißt man der reifen Früchte. Uberhaupt wirds
gut fenn , wenn Lehrer der ſchönen Wiſſenſchaften nach dies
ſem Lehrbuch, wiedie Herrn Eberhard und Engel, das
was man höchſtens nur noch Geſchmack nennt , wieder in
ein Studium verwandeln . Das wúrkliche Genie wird dess
Halben doch ſeinen Flug forteilen. Es iſt ſich ſelbſt Theorie,
Sp.
3.
B. I. C. G. Caſparſon Abhandlung von Verhus
tung des Bettelns in einer Haupt- und Reſidenza
ſtadt, welche von der Fürſtl. Heffen - Caſſeliſchen
Geſellſchaft des Ackerbaues und der Künſte den
Preis erhalten hat. Caſſel, im Verlag J. y.
Cramer , 1783.
Der Verf. nimmt eine Stadt von ungefeKr 20,000
Menſchen an , deren Einwohnet ohne andre ſchon vorhans
dene Fonds jährlich 6000 Rthlr. für die Armen , zu Veru
hütung des Bettelng geben. Die Frage ſelbſt aber , wie
dadurch das Betteln zu verhüten ſei, gedenkt er durch die
Erörterung folgender dreiFragen zu beantworten.
1 ) Wer iſt eigentlich in der Stadt wůrklid, arm ,
wer iſt es ganz, nur zum Theil, oder angeblich? Wels
che ſind alſo Bedürftige nach Beziehungen , die einevers
hältnismáſige Verſorgung zu Verhütung des Bettelns
bedürfen , und wie kann man ſie , und dies alles , aus .
forſchen ? Er ſchlägt einen Armen - Etat vor., der durch
die Unterſuchung der 2 Klaffen von Leuten einer abſoluten
und unvermeidlichen , und von Leuten einer relativen
oder zufácigen Armuth, die Muffiggånger von den Urmen
unterſcheiden muß.
2 ) Wos
und Schriften . 505
2 ) Woher ſind die Fonds zu nehmen , um den
wůrklichen Armen ſo viel Beiſteuern und Almoſen zu
18 fchaffen , daß ſie des Bettelns entůbrigt ſeyn können ?
$ Dahin rechnet er , den in der Mildtñátigkeit des Fürſten
und Volks liegenden allgemeinen Fond , und die Specials
fonds, worunter er alle diejenigen Stiftungen und Kaſſen
verſtept, welche beſonders gewiſſe Arten von Armen vers
pflegen oder verſorgen . Er hofft , daß wenn alle dieſe
Fonds, beſonders die Specialfonds , mit jenen gemeins
ſchaftlich ſo für die Armen ſorgten , daß keiner ohne den
andern Almoſen austheilte, und jeder an die ausgemachten
wahren Armen , ſo würde immer ſo viel , wenigſtens vom
Aagemeinen übrig bleiben , daß man durch Urbeit die Muf 1

1
ſiggånger vom Betteln abhalten könne. Er wünſcht aber
nicht blos ein Arbeitshaus , ſondern Arbeitsanſtalten .
Vermöge derſelben würden Materialien und Arbeit , durch
alle Armenhäuſer die ihre Urmen nicht ganz ernähren , und
unter die Armen der Stadt vertheilt ; das eigentliche Ar
beitshaus iſt blos für Kinder, welche pier Arbeit lernen
20 und treiben ſollen , und für Urme die ſie unterrichten.
Beim Arbeitshaus zieht er Hauptſächlich Manufakturiers
und Fabrikanten zu Rath , und wia nur Produkte des lan
Pk
des zu deſſen Bedürfniſſen , alſo gangbare Whare , perar
W beitet haben .

3 ) Welches iſt die ſicherſte Art und Weiſe, alles


dies auszuführen , bei gewiſſer Dauer zu erhalten , und
W
To das Betteln zu verhüten ? Dazu will er eine General
direktion des ganzen Armenweſens überhaupt und des al
el
TAN
gemeinen Fonds insbeſondere; eine Specialdirektion jedes
beſondern Fonds , und deren beſtandige Kommunication
1 miteinander. Eine Direktion der Arbeitsanſtalten , die vors
ter
14
züglich aus Kennern des Finanzweſens und des Kommerz
met
beſtehen Tod ; er beſtimmt die mit einander Forreſpondirende
Geſchäfte der drei Direktionen . So weit geht der erſte
SE 3 Theil
506 XII. Anzeigen neuer Bücher
Theil der Preisſchrift im Angemeinen ; der zweite wendet
alles auf eine ſolche Haupts und Reſidenzſtadt beſonders
auf Caſſel an . Berechnungen von der möglichen Uusfüh
rung des Plans , Tabellen und Anmerkungen über fie , bez
(dlieſſen die Schrift. Herr Hofrath Salózer findet in
der Preisſchrift eine ſehr vollkommene Bettelordnung , aber
noch Schwierigkeit, auch dieſe auszuführen , alſo das Beta
teln zu verhüten', ſo lange man noch nicht Urmens oder
Bettelvogte habe , die ſo zuverläſſit máren , daß der.Pria
vatmann nicht ungeſtraft von den Armen úberlaufen wers
de , oder ſie ſelbſt abweiſen mußte. Es wird hier folgens
des darauf geantwortet: eine wohl eingerichtete Bettelord
nung muß überhaupt das Betteln durch Strafen ſo ſehr
verhindern , daß der Ueberlauf wenigſtens nicht leicht ge
( chehen könne ; denn ungeſtraft lauft jeder zu . Ferner
'muß der Armenvogt dem aufregenden Kommiſfår ſeines
Quartiers, in dem er ſelbſt auch wohnen muß , ſo ſehr
fubordinirt ſeyn , daß er in jedem Fad ſogleich vom Kom
miſfår abhängig ſei; ferner mußte der Armenvogt bei dem
erſten Fad von Nachläſſigkeit, Nadſicht oder gar nach einer
Gemeinſchaft mit den Armen , ſtufenweiſe ſo hart als még
lich geſtraft werden , allein eine Belohnung erhalten , fo
bald er einen Bettler einbringt. Gut mögte es auch ſeyn ,
daß man ſtatt der , vielleicht des bloſen Namens. wegen mit
Unrecht verachteten , Bettelvogte, mehr geachtete Polizeidie:
ner annáhme, und dazu brauche. Wenn Herr Búſching
dem Gedanken , daß man nicht ſowohl ein Arbeitshaus, als
Arbeitsanſtalten wünſche, ſeinen Beifau giebt, ſo verſichert
man , es deswegen gethan zu haben , weil man die Bildung
des jungen und die Beſchäftigung desmüſſigen Póbels , für
eine durch ausgebreitete Induſtrie beförderte moraliſche Vers
beſſerung des noch Tehr vernachläſſigten ganz gemeinen
Volks meðr hált, als die Schulen , in welchen ſie jezt ges
meiniglich ſich befinden . Arbeiten und beten To rebe
es alles in fich begreift, was aud der Pobel wiſſen und
tyun
und Schriften. 507.

thun foute geſdieht grøftentheils biß jezt mit Tråggeit


Kers und Unverſtand .
Sp.
till
4.
cher Wie verſorgt ein kleiner Staat am beſten ſeine Armen
For und ſteuert der Bettelei ? Ein möglicher Ver
M ſuch. Ladenpreis 3 Groſchen . Leipzig und Deſſau .

thre zu finden in der Buchhandl. der Gelehrten , 1782.


Dieſe kleine Schrift iſt ſo voa wahren Inhalts , daß
ond ſie Aufmerkſamkeitverdient; dann ſie gründet ſich aut 102
Falkenntnis und Umſtände. Und dieſemacht Hauptſächlich
dergleichen Entwürfe anwendbarer , als jeder andere iſt ,
den man blos aus allgemeinen Grundraßen herleitete.
Indeſſen gründet er ſich auf ſie; denn andre mógte es nicht 1
geben, als eine auf Unterſuchung gegründete ubfonderung
FC
der Bedürftigen nach den Verhältniſſen ihrer Urmuth , eine
De
damit genau übereinſtimmende Verſorgung durch Almoſen
CIDE
und Arbeit , und Herbeiſchaffung hinreichender Fonds.
Der einſichtsvolle Verfaſſer erklärt ſich hierüber nach
enn
einigen Abtheilungen .
1 1 ) Armendirektorium .' Er verwünſcht ein zahlrei
elle ches , und vergleichts darin mit Recht einem Schuldirektos
pium , das etwan aus dem ganzen Kirchenrath , und dem
weitläuftigen Schöppengericht einer Stadt beſteht. Soate
ſich dies nicht auf manches überrezte Landeskollegium diefes
N oder jenes Staats anwenden laſſen ? Jedes Mitglied will
1 ſeine Rolle ſpielen , und es entftehen dadurch die vielen Fors
X malitäten , unter welchen die Realitåt oft leidet. Warum
reicht die alte Zahl der Kirchendiener noch zur Beſorgung
ihrer Verfaſſung hin ? Die verſchiedene Objekte des Urs
mendirektoriums beſtimmt der V. fehr richtig , wenn er
KR 4 nur

1
508 XII. Anzeigen neuer Bücher
nur die als arın annimmt , deren Arbeit zu igrem und dere
Shrigen täglichen Unterhalt nicht hinreicht, Bettler den
der durch alle ſeine Kräfte das nicht bewürfen kann . Als
Direktor nimmt er einen an der Seite des Fürſten das
mit beſøäftigten Mann an ; allein er muß für andereGes
fchäfte ſchon bezahlt ſeyn , und er , wie keiner, aus irgend
einem Armenfond. Jeder gehört von Gott und Rechtsmes
gen nur den Urmen. Dazu nimmt er einen Arzt ; denn
Krankheiten ſind die größte Urſache der Armuth, Wind Urme
find vielen beſondern Krankheiten ausgeſeft. Ich würde
auch don Stadtpfyyrikud dazu nohmen , affein jedem Quars
tier einer gröſern Stadt ſeinen Arzt und Wundarzt geben
und ihnen mit dem Quartierkommiſſár die befondere Aufe
ficht ihrer Armen auftragen . So könnte dem Direktorium
keine der nothwendigen Nachrichten fehlen .
2 ). Almoſenſpende. Er findet die , ohne Prüfung
und Beobachtung der Perſonen und des davon gemachten
Gebrauchs , willkührliche Geldvertheilung mit Recht ſcháds
lich. Sie verhinderte das Betteln nirgends. Austheis
lung von Lebensmitteln und Kleidungsſtücken , nebſt Mates
rialien und Gelegenheit zur Urbeit , ſind die ficherſten .
Uber Publicitát , feierliche , fortgeſezte Bekanntmas
chung der Einnahme und Ausgabe des Fehlenden und
Ueberſchuſſes , iſt unentbehrlich. Wenns fehlt, ſo iſt das
Direktorium wegen mehrerer Forderung und gegen alle Vors
würfe gerechtfertigt, das Uebrige wird Fürſt und Publikum
ihm gerne für einfallende Zeiten auſerordentlicher Nota
laſſen. Das vvrſeßliche Gegenteil iſt Mönchsgeiſt; dess
wegen müſſen alle pia corpora im Preuſſiſden ihre Recha
nungen bei der Oberrechenkammer vorlegen . Mitwürfung
aller Fonds , und zwar gemeinſchaftliche für alle Armen ,
iſt eine Hauptſache. Denn Wittwen , Waiſen und Elende
jeder Urt , find alle arm ; nad der Natur, der Abſicht und
Sache muß alſo einer dem andern helfen.
3) Sies
.
1

und Schriften . 509


3 ) Siechenhaus , oder Krankenanſtalt. Ein gros
Ter Schriftſteder ſagt , wenn ein Staat Urmens Waiſena
Siechen- Touháuſer und dergleichen Armenanſtalten hat ,
ſo muß kein Armer eigentlich darin ſichtbar feyn . Wenn
34 das wahr iſt, wie ich denn glaube , ſo muß entweder mans
V
cher teutſche Staat dergleichen noch nicht haben, oder es
M muß an ihrer rechten Anwendung fehlen , denn noch betteln
EM feine Blinde, lahme, Epileptiſde undBlódſinnige öffentlich.
4 ) Arbeitshaus. Ich ziehe auch in kleinen Staaten
Arbeitsanſtalten vor , zu welchen jenes freilich gehört ;
En und verſtehe darunter , eine Einrichtung durch Stadt und
{and , vermog deren , nach Unterſudung der nothwendigs
ften und gangbarſten Arbeiten aus Produfren des Landes,
jeder ſo viel Arbeit haben kann , als für ihn nöthig ift.
So møgte jede Propinj , jeder größere Drt ſeine Arbeitss
3 foule nnd fein Arbeitshaus haben können und müſſen .
De Der Verf. erklärt ſich über das Arbeitshaus reßr zwecks
ely máſig , und eine ſchårfere Prüfung des Rulfffiſden Ents
wurfs zu einem Arbeitshaus, nebſt Nachrichten von denen,
1. welche man hier und da ſchon gat, auf lokalumſtånde ans
gewendet, mégten dies in der That ſawere Geſchäfte ers
>> leichtern .
3
5 ) Zuchthaus. Jo dachte, man überließ ihm blog
eigentliche Züchtlinge, und rechnete den auf allezeit zu ihrer
Zahl , der nach allen gemachten Verſuchen ein für allemal
nicht arbeiten will . Jeder teutſche Staat muß von andern
TY
To reør die Verſorgung ſeiner Urmen erwarten , daß er gar
19 keinen ausländiſchen zu dulten nöthig hat.
-1
6 ) Waifen - Inſtitut, nicht Waiſenhaus, ſowenig
als Findlingshaus. Der Gedanke von ihrer gånzlichen
Aufhebung , durch Vertheilung der Kinder in Stadt und
RES fano
510 XII. Anzeigen neuer Bücher
Sand für ein gewiſſes Geld, iſt ſo wahr, gros , ſchon , mens
fchenfreundlich und patriotiſch , daß idy’s nicht begreife ,
warum man nicht überad ihn ausführt. Wenn man dem
Bauer , der einen Knaben gut und geſund in einem gewiſ
fen Fahr ablieferte , dafür Freiheit ſeines Sohns vom
Soldatenſtand verſprache, ſo möchte man des erſtern Um.
ftands wegen ſehr ſicher ſeyn. Die Mädchens waren als
künftig dienende Perſonen mehr für die Stadt. Das
Waiſenhaus könnte ein Arbeitshauswerden , und man
erſparte das Geld für Direktoren , Waiſenvåter, Müts
ter, Verwalter und andre den Waiſen . Und ihnen ges
Þórts doch eigentlich.
7) Armenſchule. Ich fürchte , daß eine beſondere ,
To wie der beſondere Arinenpädagog, den unſer Verf. for
dert , die Armen- Inſtitute nur vermehren möchte. Und
da jeder andre Vater es doch ,wagen muß, wie ſogar für
Beza lung Unterricht und Bildung ſeines Kindes in der
Schule gerathen mag , ſo vertheilte ich lieber die armen
Kinderindie verſchiedenen Schulen, und empfohle fie dem
Prediger beſonders. Auch könnte man von dem Gelde,
was die obigen koſteten , jeder Soule leicht etwas für die
Armen bezahlen .
8) Armenkaſſe. Die beſte findeich in der Vereinigung
aller beſondern Armenkaſſen und Fundationen 7" zu der
einen groſen Abſicht, welche der Titel dieſer Schrift bes
zeichnet. Jedem können ihre ſtiftungsmáſige Urmen und
Rechte , wenns ſeyn muß , bleiben ; wenn aber eine mit den
Armen und der Samoſenſpende der andern bekannt ware,
ſo kann nicht leicht ein Armer unbekannt und unverſorgt
bleiben , und kein Urmer kann irgend einen wohlthåtigen
Fond betrügen . Da Verſorgung der 9 jejt ſogar
* eine Sorge des groſen Joſephs iſt, ſo wird kein Beitrag
dazu, alſo auch dieſer nicht unbeträchtlich feyn . Es giebt
Dinge, die man zu oft nicht ſagen kann . Sp.
5. Her
und Schriften . SII
remote
56
fel
Heffiſcher Mufenalmanach, zweiter Jahrgang. Mit
PRE einer Vorrede über die Bildung des Dichters ,
und über die Rechtſchreibung. Herausgegeben
von H , Adolph Friedrich von Eſchſtruth.
Marburg und Leipzig , 1784,
lat
Dieſe, ſo wie ale poetiſche Blumenlefen , find grd
ftentheils in den Händen unſrer jungen Herrn und auf dem
Nachttiſch der Schönen ; es iſt alſo der gute Rath , welc
chen der Herr Verf. zur Bildung des Dichters giebt, gang
am rechten Fleck. Denn mehrere von dieſen glauben durch
ihren Beitragzum AlmanachDichterzu feyn, zeigen auch
Blúte , bedenken aber nicht, daß wúrkliche Früchte des Bes
nies auf ganzlich ungebautem Grund und Boden nicht reis
fen können . Ich rede nicht von allen. Bloſe Liebhaberei
und Mode oder Modegeſchmack laſſen ſie zum Studium
klaſſiſcher Dichter nicht kommen ; ſo leicht als den Almas .

nach und Roman lieſt man ſie nicht, und ihr Selbſtgefühl
von oft eingebildetem Genie , nennt jede Veorie Schulz
füchſerei. Ihnen alſo fann das núßlich ſeyn , was dieſe
und die künftigen Vorreden zur Bildung des Dichters noch
Tagen werden . " Wenn der Herr Verf. Herrn Adelung,
den Gründen die er für ſich hat, und dem Sprachgebrauch
der uns die vollkommenſte Verſtändlichkeit unſrer ſchon ge
druckten teutſchen Schriftſteller erhalten , und die künftige
verſichern rou , Gerechtigkeit wiederfahren laßt, lo mógte
das, was er dem von ihm zu bildenden Anfänger von einer
zu verändernden Rechtſchreibung, ſagt, ihn leicht irren .
Er nimmt das Sonderbare ohnehin gerne an. Es iſt uns
begreiflich , wie der großeKlopſtock durch ſie ſeineMeſſiade
noch mehr der Schwachheit der Teutfchen , fie nichtges ·
nug zu leſen , ausſeßen konnte. Uebrigens-ifts angenehm ,
!
durch die patriotiſche Bemühung Sperrn von Eloftruths
hier
312 XII. Anzeigen neuer Bücher
hier mehrere, auch einige nicht ganz unreife, Früchte des
{andes ſelbſt zu finden , aus welchem er kommt, Sp.
6.
Der Winterkaſten bei Caffel, oder der Karlsberg ; in
4174 Verſen beſchrieben von 9. J. Albers, Paſtor
gu Hemelen. Caſſel bei Hampe, 1784.
In Perſen freilich form gut, als der Herr Paftor in
Hemelenſie zuſammenreimen konnte. Begeiſterung dieſes
Prachtgebäudes , das , wenns im Modell ohne alle Uusa
führung geblieben wäre, ſchon ein großer und fühner Ges
Danke des Heſſiſchen Karls, und erhabenes Denkmal ſeines
Geiſts bleiben würde , iſt immer natürlich. Ein großer
Dichter Deutſchlands fand es in ſeinem Staunen , als eine
schönen Plaß, den dieſer Fürſt in unſers Bottes Soópfung
hineingeworfen hatte. Wie kalt müſſen die geſtrengen
Herrn ſeyn , die ſich hier nur bei Kleinigkeiten aufhalten !
Serr Albers aber gar - er fångt an :
3. Des Schöpfers Arm ſchien ſchon Jahrtauſende zu raften ;
Uus nichts ward lang nichts mehr ,
Da ſtieg faſt aus dem Nichts , ein Karlsberg oder Win
terkaſten .
Das übrige wird man ſo wenig wiſſen wollen , als
man's , ob’s gleich nur zwei gedruckte Bogen betrågt, lieft,
wenigſtens in Caffel. Sp.
7.
Exercitatio phyſica de artificio navigandi per
aërem , oder die Lohmeieriſche Diſſertation von
dec Kunſt in der Luft zu ſchiffen , in ihrer Urs
ſchrift und daneben gerezten teutſden Ueber
ſegung. Arolſen im Märzmonat 1784.
Man war auch zu Tübingen beſchäftigt, eine Ueber
feßung dieſer Schrift mit Anmerkungen zu liefern , als
Herr
und Schriften . 513
Herr Juftifrath Kleinſchmidt zu Arolſen die reinige ſchon
abdrucken ließ . Denn er glaubte mit Recht, daß jeder
noch unbekannte Verſuch in der aeroſtatiſchen Kunſt eine
gemeinnüßige Mittheilung verdiene. Weil aber jene den
Dorzug der beigefügten Anmerkungen gat , ſo überláßt
man hier Kennern die Beurtheilung des in der That merts
würdigen Inhalts, und theilt nur mit , was die Geſchichte
eines Manns , der wenigſtens unter die teutſchen erſten
3 Luftſchiffer gehört, erläutern kann . Philipp ( ohmeier
war Profeſſor der Phyſik auf der Heſſen - Schaumburgis
fchen Univerſitat zu Rinteln , und ein gemiſſer Freſdeur
aus Caffel vertheidigte ſie unter ſeinein als des Verfaſſers
Praſidium daſelbſt den 4 ten März 1676. Nach dieſer
Zeitrechnung laſſen ſich die Streitigkeiten wegen des erſten
Erfinders ſicher beurtheilen . Denn ſie kann durch die
Bibliothek der Iniverſitát beurkundet werden. Nurement !
dieſer findet ſich noch daſelbſt von ihm eine Diſſertation
de aquis fupra celeſtibus 1674 , eine de atmosphæra
1
terræ von 76 , de fulmine 76 , obſervationes curioſa
miſcellaneæ von 77 , und endlich eine de paradoxis gra
yitatis & levitatis 1678. Vielleicht findet man ihren
In alt , in Rückſicht auf ſeine aeroſtatiſche einer fünftigen
Bekanntmachung werth . Nach der Seite 27 in den actis
i jubilæi Rintelienſis wurde er als Magiſter der Philoſos
phie den 20 ten Mai 1674. dafelbft Profeſſor , hernach Ins
ſpektor des Collegii illuftris zu lúneburg , weldes Umt
auch ſein Bruder der Verfaſſer der bekannten genealogia
Ichen Tabellen verfah. Nach dem Wittenius ſtart
unſer gelehrter Luftſchiffer 1680 den 24 ten September .
Sp.
8.
Caffel 1783.
Der diesjährige Prorector des Collegii illuſtris Ča .
rolini, Herr Rath und Profeſſor Caſparſon ; ſchrieb
bei Gelegenheit ſeiner Feierlichkeiten folgendes :
1 Von
514 XII. Anzeigen neuer Bücher
Von den hohen Schulen zu Caſſel vor dem Colle
gioilluftri Carolino, zur Einladungauf des Landgrafen
Namensfeſt. Er hatte ſchon im Jahr 1975 in etlichen Einla
dungsſchriften eine Einleitung in die Geſchichte des Collegii
Mauritiani, durd die Schilderung des gelehrten Charak
ters ſeines Stifters und andre Nachrichten von ſeinen Ver
dienſten um die {iteratur vorangeſchickt. Nunmehr macht
er einige' ſeiner Verordnungen zum Beffen der Univerſität
Marburg , und beſonders ſeine Schulordnung von 1618
bekannt . Auf Anrathen ſeines geheimen Raths v. Meis
febug ſtiftete er in Cafiel eine Mittelſchule zwiſchen dem
Pådagog und derUniverſitåt. Sie hatte drei Perioden. In
der erſten von 1595 bis 1600 iſt ſie fchola aulica oder
Hofſchule für ſeine Edelfnaben und auch Fremde von Udel;
vom Fahr 1618 Collegium Mauritianum mit der Era
weiterung einer faſt voulommenen hohen Schule; vom
Jahr 1618 an Collegium Mauritianum Adelphicum ,
oder Academia Caſtellana, zumal nachdem die Univerſitat
Marburg auf eine Zeit lang eingegangen war. Sie daus
ert fort his auf Wilhelm V. und die Siegel dieſer hohen
Sdule find in Kupfer beigefügt.
Die Feier des Geburtsfeſtes des Landgrafen , welche
diesmal mit der feierlichen Aufdeckung der von den Sands
ſtånden Ihm gerezten Statúe verbunden war, veranlaßte
ihn zu der Beſchreibungder glücklichen Epochen der Fürſts
lichen Haupt-und Residenzſtadt Caſſel. Die erſte iſt die
glückliche Epoche Caffels unter Henrich I. dem Kind von
1272 an , biß aufHenrich II. den eiſernen im Jahr 1328. 7
Die zweite , die glückliche Epodie ihrer erſtern Vergrößerung
und verbeſſerten innern Verfaſſung von jenem an , bis auf
Wilhelm IV. den Weiſen. Die dritte von dieſem an im
Jahr 1567 bis auf den Sandgrafen Karl To weit das
alte Caffel. Mit dieſem fångt 1676 die glückliche Epoche
des vergróſerten und verſpónerten neuen Caſſels an , bis
auf
und Schriften . 515
18 auf den jeßigen Landgrafen. Die an dieſem Tage gehaltene
8 Rede von den glücklichen Ausſichten Caſſels unter der
ht Regierung Ihro Hochfürfil.Durchlaucht des Landgrafen
Friedrichs II. iſt auch gedruckt. Sie enthalt den neuen
Wohlſtand den dieſer Fürſt ſeinem {ande nach einem ver
derblichen Kriege zu verſchaffen ſuchte, und ſeine vortrefa
liche Stiftungen für die Wiſſenſchaften und Künſte ins
ty beſondere.
518
el An eben dieſem Tage wurden von dem geheimen
Staatsminiſter, Oberappellationsgerichts- und Kammers
74 praſidenten , Herrn von Fleckenbühl genannt Bürgel,
er ſo wie von dem Erbmarſchau Heſſens , Herrn von Rieds
eſel Freiherrn zu Eiſenbach, zwei Reden bei Aufdeckung der
Statủe gehalten ; die lezte iſt gedruckt unter dem Titul :
die Empfindungen getreuer Unterthanen für ihren geliebs
ten Fürſten. Sie enthalt den vollkommenen Ausdruck
deſſen , was der Titel ſagt. Mit dem Ende des Jahrs lud # 1

der Herr Prorektor zur feierlichen Uebergebung dieſer Würde


an Herrn Profeſſor Forſter in einem Programm von der
lateiniſchen Poeſie des Landgrafen Moriş ein. Sie ent
hålt eine beurtheilende Anzeige der vor dieſem Fürſten ſelbſt
verfertigten Poetik, und der angehängten Gedichte. Der
berühmte Tycho de Brahe bat den Sandgrafen um ein
poetiſches Elogium ſeiner Muſe, vor ſeine aſtronomiſche
Werke. Die Briefe beider ſind hier befindlich. Die ans
AI gekündigte Rede handelt von den beſondern Vortheilen
# der Caſſeliſchen Studienden . Zugleich wurde Herr
34 Glaß aus Ulm , bisheriger Lehrer beim Kadettenforps ,
PINO als Profeſſor der Geldichte eingeführt.
Sp.
google
1
9. Johann
516 XII. Anzeigen neuer Bücher
9.
Johann Paul Reinhards Entwurf einer Hiſtorie des
Hochfürſtl. Hauſes Heſſen. Umgearbeitet und
bis auf unſere Zeiten fortgeſezt , von Georg
Friedrich Go , Lehrer der Durchlauchtigſten
Prinzeſſinnen zu Heſſen . Erlangen bei Johann
Jacob Palm , 1784. 192 Seiten in 8. nebſt
17 Stammtafeln .
Der Verf. hatte bei ſeinem Unterrichte, welchen er
der Prinzeſſin Friederike zu Sanau in der Geſchichte
Jhres Hauſes ertheilen ſollte , ein Buch néthig , welches
zum Leitfaden in Erzählung der Begebenheiten dienen konnte .
Das Reinhardiche Lehrbuch, welches unter den vočs
handenen Heſſiſchen Geſchichtbüchern zu dieſer Abſicht das
Brauchbarſte war, hatte ſich gånzlich in den Buchladen vers
griffen ; Herr Góß entſchloß fich alſo eine neue Ausgabe
deſſelben zu veranſtalten , und daſſelbe feinem Zwecke anges
meffener einzurichten . Er iſt aber in der Umarbeitung ,
ſowohl des Styls als der Materialien , ſo weitgegangen,
daß er es auch mit Recht nun für ſeine eigene Arbeit ers
klären kann ; weshalb auch noch ein beſonderer Titel vors
gedruckt iſt , auf welchen man'Reinhards Namen wegs
gelaſſen hat. Die Ausführung iſt ſo beſchaffen , daß des
V. Arbeit alerdings Beifall verdient , und ſie kann füglich
bei jeder Art des Unterrichts über die Heniſche Geſchichte
zum Grunde gelegt werden . Gegen das Zuſammenſchmets
zen eigener und fremder Urbeit haben wir bei dergleichen
kurzen Lehrbüchern nichts; denn das Hauptverdienſt eines
+
Schriftſtellers kann bei dieſer Art Bücher doch nicht in Ents
deckungen neuer Wahrheiten und beſſern Unterſuchungen,
ſondern allein in zweckmäfiger Behandlung des bereits vora
Þandenen Stoffs beftehen . In ſolchem Fade iſt auch ein
jeder eigener Entwurf eines Lehrbuchs ſelten mehr, als Ums
formung vorhergehender Arbeiten. Der
ünd Schriften : 517
Det V. fångt die eigentliche und beſondere Geſchichte
von Heſſen erſt mit Henrid dein Kinde an. Die Geſchichte
der Katten , welche zum Theil die Jåndee in alten Zeiten
bewohnten , die nun den Heffiſchen Staatskörper ausmas
chen, ſo wie die Geſchichte der nachhétigen Verbindung dies
fer ander mit Thüringert iſt nur in dei votláufigen Eins
leitung in allgemeinen Zügen dargeſtellt. Det Verfaſſer
Hat hietin die glücklichſte Mittelſtraſſe zu treffen gewußt ;
denti die Geſchichte der Rätten und Thüringer ganz an die
Geſchichtè fon Heffeni jn knüpfen , wie einige ſeiner Vors
21 fahren gethan gabeni iſt wie Herë Konſiſtorialrath
Wenck richtig bemečkt hat, fréilich unſchicklich. Aber ihrer
gar nicht zu gedenken , würde auf der andern Seite ebená
wohl gefeßit ſenti; weil bei jedem Jeſei der Geſchichtë ëiñes
Staats vorausgeſeft werdert müß , daß ihm daran gelegent
3 ſei, zu wiſſen , was für Einwohner das Land vor und bei
Säfſtehung deſſelben beſeffen abent ; und um ſich einert
richtigen Begriff von ſelbigen zu machen , iſt eine furgë
Ueberſicht der Geſchichte ihrer Thaten das beſteMittet. Es
iſt deshald audi nicht überflüſſig, daß der Verf. S. 12 bea
ſtimmt; wie weit ſich die Befißungen der Katten Hoch zu :
Il legt erſtrécéten , als ſie am Ende des fünften Jahrhunderts
_M von dem nun entſtandenen großen Fränkiſchen Staate vers
ſchlungen wurden . Es ivůrde übrigens dein Plan unſečer Beis
fráze nichtgemas ſeyn , wenn wir uns auf eine genauerë Kiris
tik einzelner Siellen einlaffen wollten; und der V : wirdhof
fentlid felbft darauf bedacht ſeyn , dieſeti fürjeti Abriß der
befifdier Geschichte in der Zukunft imiñeï brauchbarer zu
machen , und denſelben úberall zu berichtigen . Das gange
Werk ift übrigens ganz natürlich in drei Abtheilungen ges
bracht; davon die ecite die Geſchichte des Hauſes Heffenvon
Henrich dem Kinde bis Philipp den Grösmüthigen ; die
EN zweitê die Geſdichte der Heſſencaffeliſchen , und die dritte
Der Heffenddrmſtädtiſchen Linie mit Inbegrif der Nebens
gweige eines jeden Hauptffammes enthalt: Ñ.
SelfBetti. Št. III. 1.6 9. Lüde
518 XII. Anzeigen neuer Bücher
IO.

Y Ludwig der Friedſame Landgraf zu Heſſen . Ein Bruchs


ftück aus der vaterländiſchen Geſchichte, zum
Nußen der zur Regierung beſtimmten teutſchen
Fürften , entworfen von Friedrich Juſt von
Gůnderode, Marggräflich- Badiſchen würk:
lichem Kammerherrn , Ehrenmitglied der Geſells
ſchaft der Alterthümer in Caſſel.
Haffia letatur , quia princeps jam dominatur
Qui pius ac humilis in campis eftque virilis.
Schminks Morim . Hal.
Frankfurt am Main , im Verlag der Hermannis
( chen Buchhandlung , 1784. 90 Seiten in 8.
Den Geſichtspunkt, aus welchem dieſe kleine Schrift
1 betrachtet werden ſoll , giebt der V. S. 11 mit dieſen Wots
ten an : ,, Man beurtheile dieſen Aufſaß nicht von dem
ſtrengen Richtſtuhle eines tiefen Gelehrten , und eines im
Alterthum durd lange nachforſchende Jahre geübten Hiſtos
rikers Heråb , fondern als ein Werk , hauptſächlid zum
Nußen künftiger Regenten aufgeſezt, als einen Spiegel ,
den ich in der Hofnung ausſeße, daß ſich unſere junge teuts
( che Fürſten, die Glück und Verhältniſſe zur Regierung bes
ftimmen , zu ihrem eigenen und iğrer Unterthanen Wohl
darinnen ſpiegeln werden , als einen Leitfaden , die anges
bohrnen gute Empfindungen des fúrſtlichen Jünglings zu
reizen , zu erregen und auf den rechten Weg zu weiſen .
ImGefühl meinesHerzens ſchrieb ichs davin , von ſolchem
Geſichtspunkt betrachtet , wollte man dieſe Arbeit auch richs
ten , u
Wir wollen dieſen Standpunkt bei unſerer Beurs
theilung ſorgfältig bepalten. Áber alsdann fällt uns
gleich zuerſt die Frage ein , ob der Verf. in der Wahl
ſeines Helden , deffen Geſchichte er zum Fürſtenſpiegel mas
cher
und Schriften . 519
dhen will , glücklich geweſen ſey ? Welchen Eindruck muß
es auf das Gemüth des Fürſtenfindes machen , dem dieſer
1
Spiegel vorgehalten wird , wenn es hier einen Pringen ,der
nach des V. Schilderung weder leſen noch ſchreiben konnte,
mit (obſprüchen bis an den Himmel erhoben ſieht ? Sollte
to das nicht Gleichgültigkeit, oder wohl gar Geringſchåßung
3 der Wiſſenſchaften beiihm wurken ? und wird es damit
nicht verleitet , die großen Vortheile zu verhonnen , welche
durch wahre Gelehrſamkeit in der Aufklärung des Landes
und der davon abhangenden wahren Glückſeligkeit deſſelben
zu erreichen ſind ? Ueberdem ſind manche Begebenbeiten
von dem V. aus einem Geſichtspunkte betrachtet, aus wela
chem ſie zwar einen guten moraliſchen Schein Gaben ; wenn
man ſie aber genauer beleuchtet, ſo verſchwindet dieſer ; und
dieſe Entdeckung thut gewiß bei den jungen Fürften alsdann
eine ganz entgegenſtehende Wůrkung. So werden dem
Sandgraf Ludwig S. 35. groſe Lobſprüche darüber ertheilt ,
11
daß er ſeine gerechten Anſprüche auf Brabant aus bloſer
Friedensliebe aufgegeben habe ; da doch bei kalter Ueberles
gung gar bald ſichtbar wird , daß er aus keiner andern Urs
fache mit feinen bei ſich habenden 600 Pferden von Aachen
wieber umkehrte , als weil ihin ſein Gegner der Herzog Phi
lipp von Burgund zu machtig war. Die Bemerkung , wels
de der V. S. 43. bei einer andern Gelegenheit macht, wo
4 der Held ſeiner Geſchichte nicht ſo friedfertig war , paßt
auch ganz voukommen auf ſein Betragen in Anſehung der
Burgundiſchen Lande. Friedfertigkeit, ſagt der V. , ents
# fteht nicht allemal aus dem edlen Entzwecke, das Mens
ſchenblut zu fdonen , und die Pflicht der Eintracht, welche
uns die Religion hauptſächlich anbefiehlet zu befolgen ; ſons
dern es iſt öfters aud Unvermogen 2c. Die Erkenntnis
i dieſer Schwäche gereicht übrigens dem Landgrafen von einer
>> andern Seite zum Sobe der Klugheit , welche ihn bewog ,
da nichts zu wagen , wo aller Wahrſcheinlichkeit nach nichts
zu gewinnen war..
{ I2 Dhn:
1

529 XII. Anzeigen neuer Büger


Düngeachtet wir ferner in einem Werke dieſer Art
keine ſtrenge Beobachtung dep Zeitordnung fordern , ſo ift
es doch auch nicht zu billigen , menn ohne ade Urſache groſe
Anachroniimen begangen , und die Begebenheiten damit ganz
aus ihrem natürlichen Zuſammenhang verfezt werden . 3
B.S. 5o erzählt der V. wiežanograf ludwig im Jahr 1450
wegen des påpflichen Jubeljahres einen Zug nach Rom ges
macht, und wie derſelbe fich dabei betragen habe. Hiers
auf folgt unmittelbar die bekannte , und bier ſonſt gut-ers
záhlte Anekdote von Hermann von Riepefel, der das
Erbmarichaggmt zuerit auf ſein Geichlecht brachte , und
welche überderzehen
S. thut Seiten
V. nun einnimmt.
wieder Sodannauf
einen Rückſprung weiter
das
64
Jahr 1439 , o {andgraf fudmig die nach Abſterben Kaiſer
Albrecht II , ihm angetragene Thronfolge ablehnte.
Auch das ( ob dir Frömmigkeit wird S. Xo dem Helden die
fer Geſchichte um einen viel zu wohlfeilen Prels ertheilt ;
denn es koftet ihin pehr nicht, als die Erlaubnis zu einer
Kollefte , movon die eingefagene Martinskirche in Caſſel im
Jahr 1740 wieder aufgebaut werden ſollte. Endlich
mußte auch die Schreibart des V. durchaus forrefter ſeyn ,
wenn feine Erzählung zu der Abſicht gebraucht werden ſoáte,
woju er ſie beſtimmt hat. Faſt úberal iſt das Pronomen
dérer und denen ſtatt des Artikels der und den gebraucht ;
anderer Nachláſſigkeiten nicht zu gedenken,
11
Geſchichte des Möllenbecker Kloſters von feineț erſten
Stiftung bis auf gegenwärtige Zeit; entworfen
von Joh. Konrad Paulus , Pfarrer daſelbſt.
Rint In 1784 , gedruckt beiBöſendahl. 254 Seis
ten in 8.
Diere Kloſtergeſchichte iſt nicht allein an und für fich
erheblic , ſondern ſie enthalt auch noch viele topographiſche
und
und Schriften . 521
und genealogiſche Nachrichten , welche zur genaueren Kennts
nis der Grafſdaft Schaumburg und mancherumliegenden
Gegenden führen ; inſonderheit da fie aus Schten Quellen
geſchöpft ſind. Dieſes ſind eine beträchtliche Sammlung
von Urkunden ; welche jedoch beſſer in einem beſonderen
Urkundenbude würden abzudrucken geweſen ſeyn ; als daß
fie von dem V. in die Geſchichte des Kloſters ſelbſt einges
cúdt ſind. Aus den Geſchichtbüchern des mittlern Zeital
ters , als der zmoten Quelle folcher Hiſtoriſchen Unterſuchuns
gen , faben wir in dieſem Werke weniger gefunden , als
mir erwarteten , n .
el 12.
18
Die Zigeuner .Ein hiſtoriſcher Verſuch über dieLebensart
und Verfaſſung , Sitten und Schickſale dieſes
Volks in Europa , nebſt ihrem Urſprunge , von
M. H. M. G. Grellmann. Deſſau und Leips
zig , auf Koſten der Verlagskaſſe , und zu finden
in der Buchhandl. der Gelehrten , 1783. 374
Seiten in 8.
Durch dieſes merkwürdige Buch wird in der That
eine beträchtlicha lúcke in der Pótkergeſchichte ausgefüat.
Udes was wir bisher vom Urſprunge und der Geſchichte der
3 Zigeuner mußten , beruhete auf regr unwahrſcheinlichen
Hypotheſen , deren Ungrund bei der geringſten Prüfung
fictbar würde; und erſt nach dieſer mit kritiſcher Sorg
falt angeſtellten Unterſuchung kann man mit Zuverläſſiga
keit von der Ubkunft dieſes ſonderbaren Volks urtheilen.
Wir wollen davon nur ſo viel anführen , als nöthig iſt,
bei unſern Leſern ein Verlangen nach der Einſicht des Buchs
ſelbſt zu erwecken. Der Verf. gibt in erſten Abſchnitt
eine Beſchreibung der Zigeuner nach ihrer lebensart , ihren
Sitten und Eigenſchaften ; und im zweiten wird von dem
Urſprunge der Zigeuner gehandelt. Da der Inhalt dieſer
13 hiftos
522 XII . Anzeigen neuer Bücher
Hiſtoriſchen Unterſuchung über die Materien des erſten Üb
fchn'ttes viel licht verbreitet , ro håtte derſelbe nach einer
natürlichen Drdnung auch wohl vorangeſchickt werden folo
len . Er iſt auch in Anſehung der darin enthaltenen Ents
deckungen beiweitem derwichtigſte. Die erſte fichere Spur :
von der Ankunft der Zigeuner in Deutſchland findet der
V. im Jahr 1417 , wo ſie in den Gegenden der Nordſee
erſcheinen . Unſer Heſſiſcher Geſchichtſchreiber Dilid ſagt
gwar, daß ſchon 1414 dergleidren in heftiichen Landen ans
gekommen waren ; allein der B. findet Teine Nachricht nicht:
glaubwürdig. Seine Gründe gegen dieſelben feinen ins:
deſſen eben nicht wichtig zu ſeyn , denn ſie find blog von
Dem Stiaſchweigen anderer Geſchichtſchreiber hergenommen.
Die bekannte Scene , da Hermann von Riebefel ſeinert.
Schwiegervater den Heffiſchen Erbmaſchall von Rörig aus
den Händen der Zigeuner rettete, welche auch Herr von
Gunderode in der eben von uns angezeigten Lebensbes
foreibung {udwigs des Friedfertigen erzählthat, fált ohna
gefähr in dieſe Zeit ; und ſcheint zu beweiſen , daß die Zis
geuner damals eben keineganz neue Erſcheinung in Heffen
waren. In heffiſchen Geſeßen aber findet ſich doch keine
frühere Verordnung gegen dieſes Volt , als in der Refor :
mationsordnung Wilhelms II. S. die Geffiſche Landess
ordnungen , Th. 1. S. 33.
Die wichtigſte Entdeckung des Verfaſſers betrift den
Urſprung der Zigeuner. Sie ſtammen aus Hindoftan . :
Den ficherſten Beweis hievon giebt ihre Sprache, welche
unleugbar hindoſtaniſch iſt, wie hier durch eine ausführ:
liche Vergleichung der Worte aus der Zigeunerſprache mit
der hindoſtaniſchen dargethan wird. Damit ſtiinmen aber
andere Beobachtungen über Sitten uud Charafter beider
Nationen ſehr überein ; als ihre Geſichtsfarbe, Freiheit,
das Umherziehen als Schmiede, Muſikanten und Räuber,
die Wahrſagerei, das plauderhafte Weſen u. ſ. w. Sie
gehdren aber zu dem vierten oder niedrigſten Stamme,
welche
und Schriften . 523
welche in Hindoftan die Suders genannt werden , und in
ganz Hindoftan in der allertiefſten Verachtung liegen , weil
fie unreinlich ſind , und Fleiſch eſſen , da die übrigen drei
Stämme ſich nur aus dem Hanzenreiche nähren . Auch
dieſen Umſtand hát der Verf. aus den Nachrichten , welche
Reiſebeſchreibungen von dieſer Kafte oder Stamm der
Syindoftaner geben , bis zur Ueberzeugung klar gemacht.
Die nächſte Veranlaſſung zu ihrer Auswanderung, glaubt
der V. in Timurs Kriege zu finden ; und da dieſer Erobem
rer im Jahr 1408 in Indien ſtúrmte , lo ſtimmt dieſe Urs
rache mit der einige Jahre darauf erfolgten Erſcheinung
der Zigeuner in Europa , als Wirkung ſehr wohl überein.
Die Wanderungen felbft laſſen ſich aber bis zu ihrer An
funft in Europa , ausMangel Hiſtorifcher Nachrichten noch
nicht mit Sicherheit angeben . 17.

13 .
Des Lord Monbroddo Werk von dem Urſprunge und
Fortgange der Sprache, überſezt von C. A.
elfi Schmid , mit einer Vorrede des Herrn Ges
fert
neralſuperintendenten Herder. Erſter Theil,
Riga bei I. F. Sartknoch , 1784. 456 S. in 8.
Die Vorrede enthält eine Empfehlung des Werks ,
ift dit nebit Unzeige einiger der vornehinften Mångel. In Anſes
dolfan þung des erften ſtimmen wir darin ein , daß der Verf. die
melon in feine Abſicht einſchlagenden Fragen alle und in gehöriger
ausfür Ordnung berührt, und ſomit alles umfaßt hat , was zur
adhe nu Erklärung des Urſprunges der Sprache gehört ; auch fehlt
nen abes es hie und da nicht an neuen Bemerkungen, wohin wir
er bericht vorzüglich rechnen , was von den Wörterbildungen und
Freibung deren Bedeutungen in rohen Sprachen beigebracht, und
Route mit Beiſpielen aus einigen amerikaniſchen Sprachen belegt
. wird. Auch pflichten wir dem bei, was von des Verf.
Stamme genauen Bekanntſchaft mit der griechiſchen Philoſopņie
( 14 und
melade
XII. Anzeigen neuer Bücher
uno ſeiner nad griechiſchen Muſtern gebildeten Søreibart,
gerühmt wird. Nur dúnkt und ſeine Anhänglichkeit an
die Griechen , den Plato vornemlich zu gros, indem er
ihnen aud da folgt, wo er ſie Håtte verlaſſen ſollen , auch
wo er die Ungereimtheit ſelbſt fühlt, Ž. B. daß unſere
Seele ein Theil des göttlichen Weſens, und in der Theila
nehmung der Individuen (uadege) ein groſes Geheimnis
verborgen iſt. Dies iſt von der einen Seite gar kein Ges
þeimnis, denn nichts iſt begreiflicher, als wie des Geſchlechts
Begriff in den Gattungen vorkommt ; von der andern aber
iſt es fühlbare Ungereimtheit, denn daß ein einfaches ſube
ſtantielles Weſen , wie Plato ſeine Ideen dachte,in allen
untergeordneten Individuen ohne Pervielfältigung entháls
ten ſeyn ſoll, låßt fich gar nicht denken . Durch dieſe. Ana
Hänglichkeit verleitet, ftellt der Perf. oft weitláuftige Uns
terſuchungen über die Meinungen der Alten an , mit Hints
anſeßung ſeiner eigentlichen Abſichten . In der neuern
Philoſophie iſt er weniger bewandert, und daher kommt er
nadi langem Umſchweifbei pſychologiſchen Fragen auf das,
was ſchon lange feſtgeſezt iſt ; auch fehlt es ihm eben darum
mehrmals an der gehörigen Pråciſion. Sprache , ſagt er,
ift dem Menſchen nicht natürlich , weil Ideen und Urtifus
lation ihm nicht natürlich find. Hier unterſucht er weits
láuftig die Natur und Bildung der Ideen , und ziehtzulezt
den Schluß, daß Ideenbilden eine erlangte Fertigkeit ift,
die durch wiederholte Aktion , ohne allen Naturtrieb erlernt
wird; Und ſo iſt es allerdings bei den abſichtlich und mit
vódigem Bewußtſein gebildeten allgemeinen und abſtrakten
Vorſtellungen . Aber es entſteht biebei die Frage , und
auf diefe ftoßt auch der V. ſelbſt, die erſte Aktion wie die
entſpringt? Dieſe genau unterſucht, wurde auf andere
Reſultate geführt haben , aber er geht ramte nebenher ,
ohne den erwartungsvollen Leſer zu befriedigen. Es iſt
nemlich wohl nicht anders möglich, als dieſe Uktion der
Denkkraft inſtinktartig hervorgehen zu laſſen ; mithin fie
als
und Schriften.
alt natürliceUeuſerung der innern Seelenkraft zu betracha
ten . Und dann muß auch die Frage, ob und in wiefern
Sprache natürlich iſt ? eine etwas anders beſtimmte Änts 1

a mort erhalten . Der Verf, bezieht fich auf ſeine Begriffe


von Fahigkeit und Vermögen , die er gleich anfangs zun
Grunde gelegt; allein nicht hinlänglich ins Helle gerezt ,
noch weniger auf gegenwärtigen Fal beſtimmt angewendet
hat, ſo daß man nicht ſieht, welchen und wie groen una
4 theildie Natur an derSprache und Sprachfähigkeit has
EM ben ſoll. In Anſehung der Artikulation Theint er gleichs
leh
faus es zu übertreiben , indem er gar keine natürliche zuges
ſtehen will ; da doch im Geſchrei mancher Thiere, ſelbſt im
erſten Weinen der Kinder ſchon etwas artikulirtes liegt.
Vor aller Beſearchaft konnten die Menſchen Ideen
bilden , aber dieſen Zeichen zu geben , ward durch Geſells
ſchaft veranlaßt. Hier wird zuvorderſt unterſucht, ob der
18
Menſch von Natur geſellig iſt ? Der V. antwortet , er iſt
meder geſellig noch ungeſellig, und würde ogne &uſere Bes
THE
dürfniſſe nie mit ſeines Gleichen zuſammen gelebt Baben ,
14
Zur Beſtätigung werden Beiſpiele aus dem Diodor von
Sicilien und andern aufgeſtellt , woraus zugleich auch ers
CB Helt , daß ganz rohe Menſchen Heerdenweiſe, ohne eigenta
ale lide Sprache, wie Pferde etwa in der Tatarei gelebt has
ben. Adein was die alten Beiſpiele anlangt , hat man
ti
617
noch Urſache deren Glanbrürdigkeit zu bezweifeln ; von
ganz neuen Reiſebeſchreibern wird dergleichen nicht berichtet.
Der Verf. leitet alle Geſellſchaft aus dem Bedürfniffe fich
gemeinſchaftlich Nahrung zu verſchaffen , und ſich zu vers
theidigen , ab; der eben ſo mächtige, und bei den Wilden
vielleicht noch ſtärkere Geſchlechtstrieb fáat ihm nicht ein ,
auch nicht die ſogar allen Thieren natürliche Liebe zu ihren
Jungen , woraus bei den Menſchen wohl am erſten eine
Art von Geſellſdaft entſtehen mußte. Und dies beſtátigen
auch die Nachrichten von wilden Nationen, bei welchen
Familienunterſchied und Familienregimentam ftårfſten gel
I ! 5 tent .
-526 XII. Anzeigen neuer Bücher 2.
ten . Ebendaher verwickelt er ſich auch in eine gleichfaus
zwar von iým gefehene aber nicht genug erwogene Schwies
rigkeit. Geſellſchaft, wo mehrere nach gemeinſchaftlichen
und zuſammengeſézten Zwecken und Planen handeln, fann
ohne Sprachenicht ſeyn , oder entſtehen ; nun aber ſoll die
Sprache erſt durc Geſellſchaft entſpringen . Dieſe fáat
weg, ſobald man Familiengeſellſchaft zur erſten nimmt ,
hier ſinddie erſten Bedürfniſſe einfach , durch Zeichen leicht
zu erklären , und wie admåhlig die Bedürfniſſe wachſen ,
Plane und Uebereinkunft erfordern , ſo erweitern ſich auch
die Zeichen und entwickelt fich die Sprache.

XIII.
... a Kurze gelehrte Nachrichten.
I.

B onfeffor
Rinteln ift Herr Profeſſor D.Mockert als Pros
der Rechte undBeifißer der Juriſtenfakultät
mit Hofrathscharakter nach Göttingen berufen , auch nach
erhaltener Entlaſſung aus hieſigen Dienſten bereits um
Dſtern dahin abgegangen . Das Programm , womit der
felbe zu Anhörung ſeiner Antrittsrede eingeladen ,enthält
eine Fortſegung der Abhandlung de indole præſumtio
num juris , welchezu Rinteln 1782 erſchien .
2.
Der aus Amerika zurückgekommene Herr Stabsfeld
medikus , D. Michaelis, iſt zum Jeibmedikus des regie
renden Herrn Landgrafen Hochfürſtl. Durchlaucht , und
Profeſſor der praktiſchen Medizin am Collegio Carolino mit
einer Beſoldung von 600 Rthlrn beſtellt worden.
3.
Herr Profeſſor Stegmann in Safſel Hat eine Bes
ſoldungsvermehrung von 150. Rthlrn erhalten
4. Aus
XIII. Kurze gelehrte Nachrichten. 527
4.
Uus andern gelehrten Tagebüchern iſt unſern Leſern
bekannt , das unter den vielen Abhandlungen über
Die Preisfrage von Verhütung des Kindermords , drei für
preiswürdig ſind erklärt worden ; weil die dazu beſtellten
drei Richter fids nicht wegen eines vereinigen konnten .
Diejenige Abhandlung , welche Herr Ritter Michaelis
zu Göttingen für die beſte erklärt hat , war init dem Denke
ſpruche: incidit in Scyllam , qui vult vitare Cha
rybdim , überſprieben , und zu dieſer Hatfid nunmeşro
Herr Kammerraty Klipſtein zu Darmſtadt alsVerfaſſer
befannt. Unter den vorgeſchlagenen Auskunftsmitteln
wegen des ausgeſezten Preiſes Hat fich derſelbe die Theilung
deſſelben gefallen laſſen ; auch ein Drittheil der verſproches
nen gundert Dukaten bereits erhalten .
5.
Caffel. Here Profeſſor Runde iſt als ordentlicher
Profeſſor der Rechte und Beiſißer der Juriſtenfakultät; mut
Hofrathscharakternach Göttingen berufen und abgegangen .
Die von ihm bekleideten Stellen ſind dergeſtalt vers
theilt, daß Herr Rath und Archivarius ledderhoſe mit
Beibehaltung ſeiner bisherigen Stelle am Regierungsarchiv,
zum Profeſſor der Rechte am Codegio Carolino befördert
ift; Here: Rath und Profeſſor Caſparſon aber zum ber
ſtåndigen Sekretår der Geſellſchaftdes Uckerbaues und der
Künſte, wie auch zum Cenſor der politiſchen Zeitung ers
nannt iſta Beide haben Beſoldungsvermehrung ergalten .
6.
Herr Profeſſor Sd.mmering, bisheriger leßrer der
Unatomie adhier iſt gleichfalls abgegangen und zum Pros
feffor der Anatomie und Phyſiologiezu Mainz beſtellt wors'
den. Die hierdurch erledigte anatomiſcheLehrſtede ift Herrn
k
Leibmedikus und Profeſſor Micaelis bis Piner Beſo
dungsvermerhrung übertragen ; zu gleicher Zeit iſt aber aucy
rr kto úel m ſektor tellt rden
He Do Br zu Pro beſ wo .
7. Herr
528 XII. Sturze gelehrte Nachrichten.
7.
Herr.Marquis de Luchet iſt zu Caſſel bei deri
Kommerzkolegium zum Vicepräſidenten ernannt worden.
8.
Hanau vertor ,am 4ten September den würdigſten
und berühmteſten feiner Gelehrten , einen in allem Betracht
ehrwürdigen Mann , Herrn Superintendent Johann Chris
ftoph Stod ha uſen. Er ſtarb im 59 ten Jahr ſeines
Ulters. Die Ronfirmation der Durchlauchtigſten Prinzeſs
Yin Friederike ţü Heſſen war das lezte ſeiner Umtsgeſchaften
welches er zur Erbauung einer zabireichen Verſammlung vera
richtete. Seine Abſichtwar ſchon damals , die ganze Hands
tung der Welt im Drück vorzulegen , allein feite Kranks
Heit hinderte ihn daran , und in einem Vorgefühle ſeines
Todes trug er die Herausgabe derſelben Herrn Orti Leta
ter der Durdl.Prinzeſſinnen zu Heffen auf. Dieſem Auf
trage gemas wird das Werkgen nächſtens geliefert werden .
Es wird auf Subſcription gedruckt, und koſtet 24 Kreujer.
Man wendet ſich mit den Beſtellungen an das lutheriſche
Waiſenhaus zu Hanau , oder an den Herausgeber felbfte
g
34 Pon Gieſſeri geht Here Duund Prof. Šdhtá úbert
te ordentlicherProfeſſordes teutſchen Staatsrechts und
Privatrechts nad Helmſtadt
1o.
Herr Profeffor Robert fü Marburg Hat eine am
Samtreviſionsgeridt zu Marburg erledigte Stelle erkalten .
Ende des Dritten Stücks.

Druckfehlen . !

Seite 49r.Zeite 1. ſtått Nahl drei / Nahl dem .


ģ 403 . 6. nach Saderieinſpector ein Konima.
Ś 407 . • 27. ſtatt Fürſten fich , Fürſtenfits.
410. üntet Nro 2. mußes ſtatt der immer den Heiffent.
j

-Digfelt
erradt
Ebre
fined
Timel
Priften
ivetz
11104
en
nes
ng

201

und

:
1
-
Heſſiſche Beyträge
Gelebtſamkeit
und

un ſt.

FI

al
Wiertes Stud.

Frankfurt am Mayn ,
ben Varrentrapp Sohn und Wenner,
I 7 8 5.

CRO
M a chrichten

re Verteger dieſes maden hierdurch bekannt, daß ffe


den Verlag der geffifchen Landesgefchichte des
Herrn Confiftorialraths Wenefis dergeſtalt an fich gebracht,
daß von nun an ſowohl von dein fdon herausgefommenen
erſten, als der folgenden Theilen, feine Gremplarien anders
'aló von ihnen zu haben, und ſie alſo allein die rechtmäßige
Eigenthümer und Verleger dieſes Werks ſeyn werden . Zum
Pobe dieſes Werfø etwas zu ſagen , würde uns als nunmeh,
rigen Verlegern am wenigſten anſtehen ; wir können uns
bielmehr, da der erſte Band bereits feit einigen Jahren dem
Publikum vorliegt , mit gutem Vertrauen auf das urtheil IL
der Renner berufen , das auch , ſo viel wir wiſſen l, ängſt
darüber entſchieden hat. Es zeichnet ſich , wie der Augen ,
foein lehrt, durch ſeinen weitumfaſſenden Plan , und durd
die Subſidien , die der Herr Verfaſſer zu deiſen Uusführung
hat , von andrer bisherigen Arbeiten uber die Heilifdye Ot.
Tchichte gänzlich aus, und wird eben dadurch auch für die
Sefchichte der benachbarten Ländern oder vielmehr für die
deutſche Geſchichte überhaupt, wichtig. Der zwerte Band
wird die eigentlichen urſprünglichen Heffifthen fander zu
bearbeiten anfangen , wird alſo auch mit der Größe des
Gegenſtandes an Intereſſe zunehmen . Der Druck deſſelben
geht ſchon in dem laufenden Jahr an , und wird in dem
folgenden zuverläßig geendigt. Sdyriften und Papier wers
den denen im erſten Band vollkommen gleich feyn ; auch
fónnen wir uns in Unſehung des zu erwartenden billigſten
Preiſfes auf das Beyſpiel unſrer übrigen Verlagsbücher bea
rufen. Da wir zum voraus getviß ſind , daß fich mit dem
Fortgang des Werfs auch die Anzahl der Liebhaber berineba
ren wird , die nur hierdurch und durch den bisherigen Preis
des erſten Bandes mogen zurückgehalten worden ſeyn : ſo
find wir bereit , zu deſſen Erleichterung alles benzutragen ,
und bieten ihnen daher diefen erſten Band. von jetziger
Oftermeſſe bis zur násten Serbſtmeffe , nog um
4 Atbir. art. Wer die jeßigen Preiſte der Drudmateriais
tien fennt, und zugleich die Starte des Bandes in unſdylag
zieht, der 6 Alphabet 5 Bogen , ramat 2 landdyarten ) und
eben fo viel Siegelplatten , begreift, wird die äuſſerſte Bila
figkeit dicfes Erbietens von felbſt beurtheilen fónnen. Uber
eben dieſe limiánde werden uns zum voraus rechtfertigen
und der Verſiderung Glauben erwecken , daß mir , nacty
Verlauf des angeferten Termine , jenen erſten Band zu
teiner Zeit anders, als um 6 Rthlr. erlaſſen werden.
Wir geben hierben zugleich die Verfidierung , daß diejea
nigen , welde auf dieſe ürt dicfer erſten Band fich noch
anſchaffen , den erſtern Herrn Subfcribenten gleich gehaltert
und die folgenden Theile um einen máßigern als den ges
wöhnlichen Verkaufpreiß erhalten ſollen .
Es bedarf übrigens kaum einer Bemerkung, daß wohl
jeder Freund der Geſcidyte ein Wert dieſer Urt lieber in
einigeweniger aber dagegen ſo viel frárfere Bande zuſam .
mengedrängt, als durch eine Menge treinerer dertheilt ſehen
wird, die ihn am Ende noch theurer ficher , und nur den
Gebrauch erforeren tvurden.
II. In dem Verlag diefer Handling fu Mainz iſt ſeit dem
Anfange dieſes Jahrs eine gelehrte Zeitung erfdiencit, unter
dem Titel: Mainzer Anzeigen von gelebrten Sachen ,
tovon wöchentlid) 2 Stücke , jedes zu einem halben Bogen
alisgegeben , und am Ende des Jahrs Titet und Regiſter:
darzu ausgeliefert werden. Die Herrn Verfaſſer, welche
aus Mainzirdhen Gelehrten beſtehen , verſprechen vorzüglich
ihr Hugenmerk auf folde Schriften zu richten , 1) die enta
weder ihres beſondern Nußenswegen vorzingliche Enupfehlung
verdienen , oder deren dadlidier Einfluß auf moralitat
Geſchmack und Uufflärung erfordert , das Publikum ben.
Zeiten zu warnen ; 2) auf vaterländiſche Produkten que
bem Reich der Gelehrfamkeit, wie aud) bie übrigen in das
Gebiet der literatur gehörigen Nachrichtet i To foit 3 ) vor ,
derfamiſt auf die Piteratur des fatholiſden Deutſd lands
Rückfidyt genomen ; endlich 4) auch ſolche Anzeigen und
Fabrichten geliefert werden , die von anderen gelehrten Zei.
fungen nicht ſo leicht zu erwarten ſind. - Der Preiß der,
felben iſt hier und in Mainz 4 fl. rheiniſch , welche voraus
bezahlt werden müſſen . Die Beforgung geſchieht bey den
Verlegern allhier und auch in ihrer Handlung zu Maing
Muswartige aber Setieben ſich desfalls an ihre Ober, und
Poſtámter fu wenden , mit denen darüber die nöthige Uebera
cinkunft getroffen iſ.
fachſtehende Bücher ſind bey uns unter andern
mebrern zu befomnien .
Encyclopadie, deutſche , oder allgemeines Real . Wörterbuch
aller Kunſte und Writen daften , von einer Geſellſchaft Ger
fehrten , 4. X. Theil.
Die Fortſerung dieſes allgemeinnüşliden Werts ift
wirklich unter der Preite , auch wird auf die fernere annody
Pranumeration angenommen.
Eine eigene Untündigung davon wird ben den Verles
gern ohnentgeltlich ausgegeben.
Serners, 3. S. Handlungo: Producte aus dem Pflanzenreich,
Fol. Stutgard , 1783. I. - V. Heft , mit ausgemalten
Kupfern.
Beſchreibung und Abbildung der Bauine und Oe .
ſtrauche , welche in dem HerzogthumiWürtemberg wild wady.
Ten . 4. Stutgard 1783. II Hefte.
Bemerkungen , practiſdhe , zur Forſtroiffenſchaft, geſamınſet
und herausgegeben zum Unterricht derer, To fide diefem ga.
de gewidmet baben . 8. I. III. Seft.
Sğróters , J. S. lithologiſches Reals und Verbal-Lexicon,
in welden nicht nur die Synonymien der deutſchen lateis
niſben , franzöſiſchen und holtándiſden Sprache angeführet,
erläutert , ſondern auch alle Steine und Verſteinerungen
ausführlich beſdhrieben werden. 8. 1785. VII. Theil.
Hiſtoire des Revolutions de Pologne depuis la mort d'Auguſte
III , jusqu'al'anné 1775 8. Varſovie 1775. IL. Vol.
Roziere , (Abbe ) nouvelle Table des Articles, contenus dans
les Volumes del'Academic royale des ſciences de Paris depuis
1666.jusqu'en 1770. dans ceux des arts & metiérs, publiés
par cette academie . 4. Paris 1776. IV. Vol.
Carrere ( Jof. Fr. ) Bibliotheque litteraire hiſtorique & critique
dela medecine ancienne & moderne.4.Paris.
Staats- Recht, Reichsprálatiſches Von der Reichs Prálaten
Staats-Gerechtſamen in unſehung des Heil. Róm . Reichs,und
ihrer fande und Gebiete. 8. Reinpten , 1785. II Theile.
Heſſiſche

Be i frå ge
u !

Gelehrſamkeit
und
te

Kunſt.
=

D
pel

D
!

- Erſter Band. !



. ណ ណណ
ណ ណណ ណ ណ ណណ ង
Frankfurt am Main ,
bei Darrentrapp Sohn und wenner . 1

17 8 5
1
j

Nachricht .

Erwartungen und Wünſche des Publikums


0iemehr als bisher durch dieſe Beitråge zu bes
friedigen , werden die Herausgeber hinführo Heffen
zu ihrem Hauptaugenmerke nehmen. Hiſtoriſche, ſtas
tiſtiſche , litterariſche , phyſiſche und naturhiſtoriſche
Nachrichten , vom gegenwårtigen ſowohl als ehema
ligen Zuſtande Heffens, in fo fern etwas unbekann
tes , oder nid )t genug bekanntes dadurch ans Licht
gebracht , etwas unrichtiges berichtigt , oder auch
angenehme Unterhaltung bewirkt wird , werden den
gröften Theil des Raums ausfüllen . Die Heraus
geber haben ſolche Einrichtungen getroffen , vermoge
deren ſie im Stande find , dem Publikum in dieſem
Stücke alle Genugthuung zu verſprechen. Abhand
lungen über gemeinnütige und intereſſante Gegenſtånd 1

de der Weltweisheit , im ganzen Umfange genom


men , alſo Erziehungskunſt, Dekonomie u. ſ. 10. mit
darunter begriffen; auch politiſche, philoſophiſche und
Gelehrtengeſchichte , werden mit jenen Gegenſtanden
abwechs
!
abwechſeln. Recenſionen aber ſollen gånzlich wegs
fallen , nur Heſſiſche Litterarprodukte kurz angezeigt
werden . Mit Herausgabe der Stucke wird man fich
nach dem jedesmaligen Vorrath von Stoff richten,
1
To jedoch , daß , ſo oft es thunlich , alle Vierteljahre
ein Stück erſcheine.

Frankfurter Oſtermerie
17853

Die Herausgeber.
vi

Heſſiſche Beiträge.
Wiertes Stúd.

1
7
1
1

Inhalt
des vierten Stůcks.

1. Einfade eines Kameraliſten. 1

. 11. Mediziniſcher Aberglaube ; von Herrn Profeſſor


Monch .

111. Noch etwas über die Pygmaen ; von Herrn { ampe ,


Pfarrer in Spiß- Altheim,
.
IV . Bemerkungen über die Eremtion eines Reichblandes 1
von den Reichsvikariatgerechtſamen ; von Herrn
v. Dalwigf , Oberappellationsgerichts - Affeffor
und Hofjunker zu Caſſel.
V. Ueber das ichádliche Betteln der ſogenannten Paffans
ten oder Vagabunden,

Vl. Ueber den Kaffee z von Herrn Dr. Burch dem


jungern.
V11. Fortfeßung über die Durchkreuzung der Seheners
pen ; von Herrn Profeffor Sommering,
Vill Ueber die Glückſeligkeit ; yon Herrn Profeſſor
Siedemann ,
IX . Kurze
Inhalt.
1X, Kurze Nachricht von den Beſchäftigungen der Ges
lehrten in Rinteln , in einem Schreiben an
Herrn ** in Caſſel.
p.
X. Ein Brief an Herrn R. u. P. C. aus Madrid vom
20. April 1784 ; pon Herrn J.C. Tychſen .
XI. Anzeigen neuer Bücher und Søriften :
1. Boclo Schmalkaldens Stahl- und Eiſenberge , als der
gróſte Segen Gottes für dieſe Stadt.
2. Feft Verſuch über die Vortheile der Leiden und Wider
wartigkeiten des menſchlichen Lebens.
3. Zimmermann úber die Einſamkeit.
4. Hißmann Leben des Freiherrn von Leibniß.
5. Gerbert hiſtoria nigrae Silvae O. S. B. coloniac.
6. Heſs monumentorum Guelficorum pars hiſtorica.
7. Erklärung der Pauliniſchen Worte I Kor. I , d . 6. 7.
von Herrn $ . I. Hopf.

X11. Kurze gelehrte Naďrichten .

Beffiſche
1

he

Heffiſche Beiträge
zur Gelehrſamkeit und Kunft.
Viertes Stück .

I.

Einfåüle eines Kameraliſtent .


Inhalt.
1) Dienſtbegebu ngen. 2 ) Verwaltung und Verpachtung: 3) Dés
Kameraliſten wahre Verdienſte. 4 ) Fehler. 5) Nußen
des Verhältniſſes zwiſchen Verdienſt und Belohnunga
6) Fortezung. 7) Feder Kameraliſt foute ein Gewerb
To gelernt haben , daß er ſich allenfalls damit náhren
könnte. 8) Reiſen junger Kameraliſten. 9 ), Kanzlejä
Stil. to) Ein Rechner der Rath geworden iſt , route
die Rechnungen ſeiner Nachfolger nicht abhören. II) Kole
legialiſche Behandlung der Kameralgeſchäfte. 12 ) Ges
heimniſſe derſelben. 13) Iſt es gut , wenn der Kameraliſt
faſt alles verſteigt, was nicht verwaltet wird ? 14 ) Ders
bindung der Wittmenſocietaten und Tontinen . 15) Nuzs
Self Beitr.St.IV : ✓
mm
530 I. Einfälle eines Stameraliſtent.
7
zen von reichen Gutsbeſitzern in Unſehung der Gewerbe 2c.
16) Beförderung der Gewerbe fordert mehr Pflege, als
Beförderung der Landwirthſchaft. 17) Erhaltung des
Mittelmanns. 18) Wo es thörigt ware , Staufüttes
rung einzuführen . 19) Leibeigenſchaft mehr Handel und
Gewerben , als der Landwirthſchaft ſchädlich . 20 ) Wo
es dienlich ſeyn könnte , wälder in Viehmeiden umzuans
dern . ; 21) Inſtructionen können viele Verordnungen
ſpaßren . 22 ) Geſchichtbücher bei Verwaltungen . 23 ) Su
perflua non nocent , ivas davon zu halten ? 24 ) Dole.
ronz und Intoleranz, wie erſtere Entvölkerung im Gans
zen befördern kann. 25 ) Was zu thun ſeir wenn der
Diener zu viele ſind. '26) In wie fern die landwirths
Tchaft den andern Gewerben dor: oder nachgeht. 27) Ver
beſſerung der Zünfte. 28) Polizei-Daren. 29) Bes
merkung über die Marime : 1. Der Mann ſteht ſeiner eis
genen Haushaltung nicht vori folglich kann ihm auch
die Herrſchaft nid )ts anvertrauen. 11 30) Etwas ſtatt
einer Kleiderordnung. 31) Pflichten eines Kameraliſten .

( 1)
Soin
E in politiſcher Damon brachte zuerſt den Šaß auf :
Dienſtbegebung Tepe Gnadenſache. Das Schicks
fal von hunderten und tauſenden an Einen binden , das
ſoute 6los Gnadenſache reyn , ſo wie das Verſchenken einer
Ulmore ! Der erſte Grundſtein zur menſchenfeindlichſten
Tyrannen iftis.
Aber nun , wenn ein Regent auch den beſten Willen
ħat - feine Unterthanen als Kinder , deren keinem er
eine Vorliebe buldig iſt, betrachtet – mit dem gróften
Unliegen auch dieſe wichtige Regierungspflicht zu erfüllen
ſucht. Wie fchwer, wie unendlid, lower wird ihm die
Grfügung derſelben ,
!

1. Einfälle eines Kameraliſten. 531


1
Es wird eine Stelle leer , fie reye welche ſie wolle.
Die Bittſchriften erſcheinen in Menge. Eine Perſon von
treflichem Charakter , würdig des Regenten Vertrauens ,
wagt es einen der Bittenden zu empfehlen ; er führt die
einnehmendſten Gründe an - aber er - er ſelbſt wurde
durch einen falſchen oder ſchwachen Freund kintergangen,
oder, er hatte nur Gelegenheit , die gute , nie aber die
Towache Seite des Solicitanten kennen zu lernen .
Doch nein , der Regent hat -fich feft vorgenommen ,
in dieſen Angelegenheiten privat Empfehlungen nie allein
Gehår zu geben – die Kollegien erſt zu vernehmen. Aber
auch hier weiß der feine Solicitant die Stimme der Meiſts
vermogenden zu gewinnen , wäre es auch nur durch einen
Wink, daß hidheren Orts ſchon die vorzüglichſte Neigung
für ihn ſey.
Das wahre Verdienſt, deſſen Beſcheidenheit oft po
an Bródigkeit gränzt , daß mehr als gemeiner Sinn dazu
gehört, es hervor zu ziehen , wagt’s indeſſen entweder gar
nicht ſich zu melden , oder kann ſich nur ſo froſtig empfeha
len , daß es ganz verborgen bleibt.

Alſo auch bey den beſten Abſichten eñe Misgriff , als


achte Auswahl.
Sollte dieſer Verlegenheit nicht durch irgend eine wohl
überdachte Einrichtung , wenigſtens einigermaßen , abzus
helfen ſeyn ? Gewiß es verdient's darüber zu denken , To,
wie ich oft in einſamer Stille that , ohne anders als in
Anſehung des Sdiffald meiner Nebenmenſchen dabei inters
eſſirt zu ſeyn.

Welche Menge Zeit muß einem Herrſcher 'unter dem


Vortrag von Bittſchriften um Dienſte verſchwinden , die
Mm 2 er
532 1. Einfälle eines Kameraliſten ..
er weit edler zur Beurtgeilung und Vollendung dieſer oder
jener Anordnung verwenden könnte , und wie ſehr gången
gleichwohl die Reſultate ſeiner Entſchlieſungen über jene
Schriften von Leidenſchaft und Schwache der Untergebes
nen ab, auf deren Rath er fic verlaſſen muß !
Wo wollte der Feldherr Zeit hernehmen , Plans ges
gen den Feind auszudenken und auszuführen , wenn ihn
die Begebung jeder geringen Offiziersſtelle der Armee eben
To viele Zeit megnáhme!
Woher kommt's , daß man unter dem Civilſtand ge
meiniglich unzufriedenheit über Beſoldung , überhaupt
Misvergnügen bei den Adermeiſten antrift, während der
geringer ſtehende Offizier mit weit Wenigerm vergnügt
und zufrieden lebt !
Soute fich dieſe Glückſeligkeit, welche doch offenbar
ungemein großen Einfluß auf die Geſchäfte ſelbſt haben
muß , nicht auch auf den Civilſtand übertragen laſſen ?
Der unterſte lieutenantweiß gewiß , daß er bei jedem
Ubgang eines der übrigen Offiziers deſſelben Regiments
eine Stufe vorrückt, und daß er ſo nach und nach Obriſt
werden kann . Die natürliche menſdylide Sterblidskeit
ſchafft ihm den Genuß dieſes Vorrůckens von Zeit zu Zeit.
Der Behulf mit ſeinem Gehalt wird ihm durch dieſe Auss
ſichten , und durch dieVergleichung deſſelben Schickſals ſeis
ner Kameraden erleichtert. Gelangt er endlich zu höheren
Stufen , ſo freut er ſich des Andenkens jener Zeit , in
welcher er fich ſo gut in ſein Schickſal zu finden wußte.
-)
Inzwiſchen fizt der bürgerliche Diener voller Grillen :
Ich habe zwar zu leben , doch kümmerlich und ohne Ausſicht.
Meines
I. Einfälle eines Stameraliſten. 533
de
Meines Herrn Nußen habe ich nun durch einen viels
jährigen Dienſt um ſo viel verbeſſert, aber für mich iſt keine
Verbeſſerung zu hoffen ? Ich habe feine Freunde an Hof
oder im Kabinet , und die ich habe nehmen ſich meiner nicht
an , weil ich nicht ſchmeicheln kann. Die Kollegien find
zwar ganz wohl mit mir zufrieden , aber wenn der Fad
eintritt mich zu verbeſſern , ſo ſind der Bittenden , Schmeis
$ cheinden , Grosſprechenden und liſtigen ſo viele , daß es nie
EM an mich kommen wird. Das Schiffal hat mich in Feſſeln
gelegt , worin ich ſchonachte. Der Züchtling in den holláns
diſchen Zuchthäuſern , welcher von der Waſſerpumpe bis
zur ertraglichen lándlichen Arbeit fortrückt, hat doch Aus
ſichten , ich nicht u. ſ. w.
Um ſolchen Uebeln abzuhelfen , wovon man ſchon
aus der Erfahrung weiß , daß auch die weiſefte Einſchrana
kungen wenig gegenwurken , hat oft die kürzeſte Verord
nung das meiſte gethan. Die beſt ausgedachteſte Trauers
ordnungen ſchafften nie Erfolg von ſolchem Nußen , als
jene , welche alle Trauer unterſagte. Alſo mögte auch hier
jene Verordnung die beſte ſeyn , nach welcher alle Bitta +

ſchriften um Dienſte ſchlechterdings abgeſchafft , oder wels


ni ches einerlei wäre , keine mehr angenommen , und dem
ori Regenten vorgetragen werden dürfte.
ER
Die erſte Miniſters wählte ſich der Fürſt felbft, nicht
nach Geburt , Ulter , oder Rang, ſondern nach Fähigkeit
Erfahrung und Herzr ånderte aber ohne Anſtand bei deuts
licher Einſicht einer fehlerhaften Wahl.
Mit den Rathsſtellen bei den Kollegien und anderen,
aber nahmentlich zu beſtimmenden ,, åhnlichen wichtigen 1

Dienſten , würde es etwa ſo gebalten :


EN
bh Zur Zeit wenn alles beſezt wire, mußten die Rolles
gien felbft berichten , welchen ſie für den Würdigſten er:
Mm 3 fennten
534 1. Einfälle eines Kameraliſten .
kennten und vorſchlügen , bei der erſten Eröfnung einzus
růcken . Hierbei ware kein Unterſchied unter In- und Nusa
1
ländern zu machen , auch nicht auf lang oder kurze Dienſt
jahre zu ſehen ; Herz , Geſchiklichkeit und Thátigkeit allein
entſchieden .

Nun könnte ſich der Regent Zeit nehmen die Vor:


Fichlåge zu beurt heilen , ſich um die Perſonen zu erkundigen ,
und wenn er endlich keinen Anſtand fånde, die Vokation
reſolviren , nur mit dem Anhang , wenn ſich inzwiſchen
teine dem Grund dieſer Berufung entgegen ſeyende Hinders
nis ergebe. Ein Menſch kann ſich in wenig Fahren ån
dern , dem Rechtſchaffenen aber eine ſolche Vorſicht nicht
verdrießen. Würde die Pokațion nicht angenommen , To
würde ein anderer berufen.
1
Man håtte hier den wichtigen Vortheil weit kaltblütis
ger über eine ſolche Dienſtbeſeßung urtheilen zu können ,
als zur Zeit der wúrklichen Defnung, wo alles zuſtürmt,
allerlei Ranåle ſucht, und der Dienſt nicht lange unberezt
bleiben kann.

Dieſelbe Kollegien mußten alle Jahre einen Plan úber


das Dienſtweſen der Geiſtlichen , Beamten , Forſt- und
andern Bedienten übergeben . Jedem mußte nach dieſem
Plan ſeine Beförderung beſtimmt ſeyn , auſſer dem , der
in jeder Klaſſe am beſten ſtünde, und folglich nur durch
Vofation befördert werden könnte , und ſo auch jedem ſein
Nachfolger.

Die Kollegien mußten über dieſes wichtige Geſchäft


nicht blos im Allgemeinen berichten , ſondern jedes Glied
insbeſondere mußte ſein Gutachten mit Gründen belegen .'
Ereignete fidh nun ein Fall , und der beſtimmte Nach
folger gåtte gewiſſe ohnvorhergeſehene Entſchuldigun
gen ,
1. Einfälle eines Kameraliſten . 535
gen , ſo würde deſſen weiterer Nachfolger in der Regel
dazu angewieſen.
2
Dieſe Einrichtung hatte unter andern auch noch jene
nůßliche Folge, daß ein Diener ohne Geldbuſe oder Suſpens
fion doch empfindlich geſtraft werden könnte, wenn ihm
3
die Beförderung auf immer oder auf eine gewiſſe Zeit
genommen wurde,
Perſonen , welche blog allein auf einer Stelle braucha
bar ſind , oder welche Stellen bekleiden , bei welchen dftere
det Wechſel dem Dienſt zu ſchädlich wäre , muß es bekannt ges
macht werden , daß ſie auf keine weitere Beförderung, wohl
aber nac Verdienſt auf andere Belohnungsarten zu hoffen
‫ܪܪ‬
håtten.
Die niedrige Bedienten , beſonders bei Kameralver
waltungen fouten ſchlechterdings auf den Fus behandelt
71 werden , wie Geſind bei Frivatperſonen . Das iſt: ſie bea
mi fámen kein Decret würden theils von den Beamten ,
theils von den Kollegien nach den Vorſchlagen der Beamten
auf Wohlverhalten angenommen , und bei einigen Miß
trauen , oder Vermuthung von Unthätigkeit, phyſikaliſchem
Et Unvermögen u . unbeſchadet ihres Rufs, entlaſſen , doch ima
Un mer mit Vorwiſſen der Kollegien , und daß jedem nach der
Entlaffung frei bleibe , fich an der Beförde zu rechtfertigen .
Dieſes Find Grundlinien eines Plans , der freilich vor
einer Ausführung noch mancher Prüfung bedarf , der aber
doch eine ſolche Prüfung zu verdienen ſcheint.
Während einer Regierung würden ſich ihm tauſends
fåltige Schmúrigkeiten entgegenſeßen , die gerade deswegen
et
am ſchwerſten zu überſteigen ſeyn mögten , weil ſie ſich zu
0
viel auf perſonal Rúdfichten gründeten. Der beſte Zeits
punkt wäre immer der Antritt einer Regierung.
WA Min 4 Eine
$ 36 1. Einfälle eines Spameraliſten .
Eine wohlůberdachte Vorſchrift, wie ſich bei Prus
fung der Kandidaten , welche erſt in Dienſt tretten wollena
zu verhalten rene, mußte nothwendig mit einer ſolchen
Einrichtung verbunden werden, Prüfungen waren auch alsa
Dann nothig, wenn einer aus einer Klaſſe in eine andere
ůbergienge, 3. B , aus einem Sekretair , Advokaten oder Una
terbeamten ein Oberbeamtery aus einem Kammerſekretair
oder Rednungsjuftifikatorein Renteibeamtêr, undſoweitere
Hat ein Rollegium einen Untergebenen ſchon in aller :
lei Arbeiten derſelben Klaſſe , wohin er befördert werden
fon, kennen lernen , ſo iſt dieſes ftatt der beſten Prüfung,
Auſſerdem ſollte man es aber ją nicht bei einzelnen Fragen
und Ausarbeitungen bemenden laffen , ſondern es immer
dahin zu lenken ſuchen , daß der Kandidat einige Zeit lang
unter der Aufſicht eines Prüfenden arbeiten Ausdann
kann ſich der eine deſto eher von allen Seiten zeigen , und
per andere ſeine gute und ſchwache Seite erforſchen

(2)
06 die Verwaltung der Verpachtung , oder dieſe
jener vorzuziehen reye, iſt eine wichtige Frage. Der Pris
batmann, welcher ſein Vermogen ſelbſt zu verwalten , Zeit
und Einſicht hat , würde théricht Handlen , wenn er dar
felbe einem Pachter überließe. Der Regent vermeidet bera
fer , wo er kann , beides. Vermehrt durch ſein Vermda
gen das Eigenthum ſeiner Unterthanen , und behält ſich
ftatt des Pachts trockne Einfünfte aus. Eine Verwals
tung , wobei kein anderes Geſchäft vorfáat , als Einnahm
und Uusgabe an Geld und Früchten , und Umſaß des
Einen in das andere , oder wobei nur erhoben , aber
nicht producirt wird , verdient kaum den Namen Ver :
Waltung ift Hauptſáglic nur noch Verrechnung:
Mo
I. Einfälle eines Sameraliſten. 537
Wo jene Veränderung mit dem Landesherrlichen Vers
mogen nicht wohl angeht, da iſt die Verpachtung der Vers
waltung vorzuziehen. Ohne die vollkommenſte Recha
nungseinrichtung taugt die Verwaltung des Staatsvers
mógens gar nichts. Je mehrere Produktionen und Ums
faße bei einem Vermogen vorfallen , je ſchwerer und koſta
barer iſt die Einrichtung und Erhaltung eines vodkommnen
Rechnungsweſens, und dann möchten endlid die Sums
men der Koſten , einer guten Einriehtung , mit den Suma
men des Verluſto, durch Betrug und Nachläſſigkeit, bei
einer mittelmáſigen Einrichtung , nicht weit von einander
abſtehen. Soate erſtere Summe die fezte gar überwies
gen , ſo hørte die Vollkommenheit auf , es würde im Ver
håltnis der Mittel zum Endzweck gefehlt. Aber welcher
menſchlicher Geiſt weiß immer bei dergleichen Operationen
die wahre Gränze zu beſtimmen ?
1

Ein Hauptgrund für die Pachtungen iſt , die Vers


mehrung der unternehmenden Menſchen . Ein Pachter ,
der ſich etwas erworben hat , wird daſſelbe höchſt ſelten
todt liegen laſſen , oder Kapitalien machen. Er iſt einmal
im Unternehmen glücklich geweſen , hat alſo Grund damit
fortzufahren. Endlich kauft er ſich liegende Gründe, alles
zum Vortheil des Staats.
Der Verwalter , iſt er ehrlich, dann iſt es Glück,
spann er ſich und ſeine Familie durchbringt. Beſoldungen
zum Reichwerden , gehören wohl zu den größten Selten
heiten. Iſt er nicht ehrlich, erwirbt fich etwas; To hält
er es geheim , verbirgt das Geſtohine in Käften , oder vers
wandelt es mit vieler Sorgfalt , ohnes großes Geräuſo ,
in Kapitalien. Er iſt nicht gewohnt, etwas zu wagen ,
und weil ihn ſein Gewiſſen inFurdt hátt, so ſorgt er eine
Thorheit zu begehen , wenn er fein teztes Hülffinittel gegen
obrigkeitliche Unterſuchungen auf das Spiel ſegte Ver
w in 5 s
:/
538 1. Einfälle eines Kameraliſten ,
Verpachtungen erfordern nur wohlůberlegte Ver
tråge. Der Pachter muß gewinnen können , damit er
nicht Entſchuldigung zu verdienen glaube , wenn er ſich
am Inventario verfündigt.
Verpachtungen der Ausgaben können eben ſo núzlid
werden , als Verpachtungen der Einnahmen . Einer , der
es f. B. wagte , gewiſſe oder alle Herrſchaftliche Gebäude
in einem {ande gegen ein jährliches Geld im Stande zu
halten , würde ſich oft ein anſehnliches Vermogen erwera
ben können , ohne daß das Bauweſen der Herrſchaft ſo viel
als bei der Adminiſtration koſtete , und ſollte es derſelben
auch nicht weniger koſten , ſo iſt Erſparung ſo vieler Arbeit
Herrſchaftlichen Beamten keine Kleinigkeit. Freilich mußte
ein vorſichtiger Vertrag vorausgehen , und ein ſolcher Pacha
ter durch rechtſchafne Baumeiſter gut kontrolirt werden .

(3)
Dauerhafte Vermehrung der Einnahmen , und Vera
minderung der Ausgaben, ſind die gröſte Verdienſte eines
Kameraliſten . Wer das Privateigenthum der Untertha
nen nicht heilig hält - nie auf das Verhältnis zwiſchen
Erwerb und Abgaben achtet, der greift das Kapital an.
Seine Verbeſſerungen ſind alſo nicht dauerhaft ; er iſt
Plusmacher. Die wichtigſte Verbeſſerung der Herrſoafts
liden Einkünfte beruht auf der Vermehrung und Verbef =
ferung derkerGewerbe,
ung und der daraus folgenden ndung Zunahm
, nachſhtldaegmungauf der Anewr e dner beſten
1

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Mittechl gegen Unterſ hen n ſ
g chuldig Abnfgtaebe , uancdh
endli enauf einer ſolſcter Leitu inddeirgkEeiintfü , worn
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e b e n d enwe n Ab
t i m m t eanu dsegabHeä mmednes erſ
Abg bis zur beſ Au ko .
(4 ) Die
1. Einfälle eines Kameraliſten. 539
(4)
Die gröfte Fehler werden von Kameraliſten begangen,
wenn ſie Reglen in Grundråße verwandlen . In der That
beſtehen wenige oder keine Wiſſenſchaften , aus mehreren
Reglen und wenigern Grundfäßen , als eben die Kames
ralwiſſenſchaft; daher ſind diejenige kameraliſche Verfüa
gungen die beſten , wobei man die Reglen zwar- feſtgeſezt,
die Ausnahmen aber auch ſorgfáltig beſtimmt hat.
(5)
ude Geſchäften , wobei die Verbeſſerung des Gegen
ſtands und der Vortheil deſſen , welcher das Geſchäft hes
ſorgt, in ein genaues Verhältnis gelegt worden ſind, wera
den ungleich beſſer getrieben , als ſolche, wo beide in una
gleiches , oder in kein Verhältnis geſezt worden ſind. Wer
dies läugnen woûte , mußte das menſchliche Herz nicht fens
nen. Wer ſich aber auch dieſer Marime mit Vorſicht zu
bedienen weiß , wird ungleich mehr Unternehmung glücklich
ausführen , als ein andrer.
7
。 (6)
Wer etwas für einen Andern verwalten ſoll , und
voraus weiß , daß er ſich über alle Kleinigkeiten zu verant
t worten habe , daß er keinen Fethum begehen könne , ohne
zu beſorgen , daß er ihn buſſen müſſe, dabei aber eine uns
veränderliche, mit ſeinen Verdienſten nicht ſteigende Bes
11 lohnung genießt , muß ein Schwarmer oder ſeltner Patriot
1 feyn , wenn er nicht den ficerſten Weg in allem erwählt.
Der ficherſte für ihn iſt aber nicht immer der vortheilhafa
teſte für den Gegenſtand,
( 7)
Ein achter Kameralift fogte wenigſtens ein Gewerb
To vollkommen praktiſd verſtehen , daß er allenfalls ſich das
mit
540 1. Einfälle eines Kameraliſten .
mit ernähren könnte. Wäre es nicht wünſchenswerth ,
daß diejenige junge Leute , welche Kameraliſten werden
wollen , in den lezten Schuljahren, oder aud zwiſchen den
Schul- und Univerſitätsjahren , jeder ſich nach ſeinem Ges:
ſchmack eine Kunſt oder Handwerk wählte, und daſſelbe
zunftmaſtg lernte, freilich mit aller moglichen Abkürzung
Deffen , was nicht zum Weſentlichen gehört.
Ein Tolcher Mann , der bei einem geſchickten Buchs
Drucker, Uhrmacher , Múder, Färber, Ziinmermann ,
Schreiner die Lehre ausgehalten Håtte, oder aucy nur Knecht
auf einem Jandgut geweſen wäre, dem wurden die Theos
rien nachher weit beſſer , als ohne dieſe Vorbereitung bes
kommen . Er würde das Núßliche vor dem Unnúßen leichs
ter wählen , und am Ende zuverlåffig, wenigſtens in ges
wiſſen Fächern , ausnehmend brauchbar werden , da unſre
Heutige Encyclopádiften meiſt in allem nichts vollkommenes
leiſten . Endlich würven daraus ſtandhafte Männer wers
den , die lieber das Schurzfel wieder ergriffen , als einer
einmal eingeſehenen Wahrheit , auf Noth , weil ſie keine
andere Unterkunft wiſſen , entgegen handelten.
: Heutiges Fages , da es die Mode will , daß die Rins
der ohne Schlafhauben erzogen werden , wird vielleicht
die Ausübung dieſes Gedankens weniger widerſinnig aus:
fallen , als pormalen .
(8 )
Angehende Rameraliſten ſollten von Univerſitäten los
gleich als Zuhörer oder Beifiker zu denjenigen Kollegien
oder Geſchäften gezogen werden , wozu ſie ſich beſtimmen
wollten . Nun , nach Verlauf zwei bis drei Jchren , roll
ten fie erſt reiſen . Welcher Unterſchied im Nußen der
Reiſe eines folchen , und der , eines jungen Studenten !
Noch
I. Einfälle eines Kameraliſten. 541
Noch eins : Erſt müßte die Reiſe auf die wichtigſte
und gewerbvolſte Orte des Vaterlands gerichtet ſeyn , und 1

dann weiter , dabei immer ein gewiſſer Theil der Kamerala


wiſſenſchaften zum Hauptaugenmerk gewählt ' werden ,
dann alles ſehen , alles lernen wollen , oder nichts ſehen ,
und nichts lernen , ſcheint Widerſpruch , und iſt doch
Wahrheit.
(9)
Die alte Kanzlei -Schreibart mit Du und Ihr,
kommt aus denen Zeiten , wo die Herrſchaften , in deren
Namen geſchrießen wird , Ihre Diener wurklich auf dieſe
Art anredeten . Nun aber , da nur noch der Bettler Du ,
und der Bauer Jhr genannt wird, würde es angenehmeč
lauten , wenn an die Herrſchaftliche Diener , vom Renta
meiſter an , eben ſo geſchrieben würde, wie die Kriegskola
legien an die Offiziere ſchreiben :
Der Herr Rentmeiſter wird ſeinen Bericht binnen
» 14 Tage erſtatten , oder das Kollegium iſt genöthigt,
» 20 Thlr. Strafe anzuſeßen , und denſelben auf ſeine
» Koſten holen zu laſſen.
( 10 )
Ein Rechner , wenn er nachher Rath im Rammers
kolleg wird , ſollte nie zur Abhår derer Rechnungen , mela
che er ſelbſt vordem geführt hat, oder in darin einſchlagens
de Sachen gebraucht werden. Hierunter verſtehe ich nicht,
daß er nicht ſollte um Rath gefragt werden können , nut
keine entſcheidende Stimme ſollte er in dergleichen haben.
Die Urſache iſt ſehr begreiflich . Geſezt, es feyen bei einem
folchen Rechnungsweſen Mißbrauche vorhanden , oder Vers
beſſerungen möglich ; ſo wird der Rath , als ehmaliger
Rechner , nie daran gehen , weil et damit eingeſtehen
mußte , daß er ſelbſt ehmalen gefehlt habe. Der Rechner
felbst
542 1. Einfälle eines Kameraliſten .
Telbft wird es durchaus ſuchen, ſoviel möglich, in der alten
Gleiſe zu laſſen , weil er eben damit ſeinem Richter am
meiſten ſchmeichelt u. dergl.
( 11 )
Die kollegialiſche Behandlung der teutſchen Kame:
ralgeſchäften hat vieles gegen ſich. Geſchäfte von beſondrer
Wichtigkeit , welche reifliche Ueberlegung fordern , als
Verordnungen , ſolche Unterſuchungen worunter eines
Menſchen Ehre und Vermogen leiden kann , Vorſchläge
zu einer ſich in das Augemeine erſtreckenden Veränderung
und dergleichen ſollten nie einem Mann allein überlaſſen
werden. Dann ſollten die Akten mit dem Vortrag des
Referenten jedem Rath in ſein Haus gebracht werden ,
damit er alles mit Bedachi leſen und ſeine Entſchlieſſung
Darüber faſſen könnte. In der kollegialiſchen Zuſammena
kunft würde nur noch über ein und das andre mündlich
geſprochen , die Stimmen geſammlet und entſchieden .
Sachen von mindrer Wichtigkeit , wo nach dem klas
ren Buchſtaben vorhandner Gefeße oder angenommener
Grundfáße entſchieden wird , ſollten dem Referenten und
dem jeden Departement beizugebenden Korreferenten übers
1
laffen bleiben. Gegenſtände von wahrer Geringfügigkeit
dem Referenten allein .
Zu welcher Eigenſchaft jedes Exhibitum zu zåglen
Teye, wäre von der Direktion zu beſtimmen.
Auch unter das Sekretariat müßten die Departements
vertheilt reyn , und die Referenten , welche über Gegen
ſtånde ihres Departements , mit Vormiſſen des Kollegii ,
Privatkorreſpondenz mit Untergebenen und Andern unters
hielten , liefſen ihre Briefe , vom Sekretair , wie bei den
Kaufleuten , in ein Kopierbuch einſchreiben , wodurch denn
die
I. Einfälle eines Stameraliſten. 543
die Geſchäfte oft ſehr befördert , auch mancher fich unge
zwungener ausdrücken würde.

( 12 )
Das geheime und zurückhaltende Weſen , der Kames
raliſten iſt in ſehr vielen Fällen mehr (chádlich , alß núßs
lich, hindert die ſonſt ſo gemeinnüßige Korreſpondenz des
1!
rer , welche verſchiedenen Herrſchaften dienen , und era
weckt oft Mistrauen , worunter die beſten Unternehmuns
gen und Unterhandlungen leiden. Bei Kammern , wb
redlich gehandelt wird , und welcher rechtſchaffene Mann
ty
wird fich zu unredlichen und heimtückiſchen Handlungen
brauchen laſſen ? bei ſolchen Kammern , ſage ich , könnten
die meiſten Vorträge ſo offentlich , wie die Reden im
engliſchen Parlament , geſchehen.
Es giebt aber auch wahre Gegenſtande der Verſchmies
genheit , deren Ausbreitung ohnnachſichtlich mit Kaſſation
beſtraft zu werden verdiente. Da dergleichen aber nicht
piebe ſeyn können , ſo entſteht die Frage :
Db es nicht zweckmåfiger wäre , den Sid der Verſchwies
D genheit nicht allen Kanzleiverwandten aufzulegen , ſon
dern nur einigen , die man vorzüglich zu geheimen Urs
beiten ſchicklich fånde , und ſelbige durch fie verrichten zu
laſſen . Ude andere wurden nur ernſtlichſt für der Ges
ſchwäßigkeit und der unanſtändigen und unerlaubten
1 Verbreitung der Dienſtgeſchäfte gewarnt , weil ſie ſich
dadurch in der Beförderung ſchaden und nach Umſtana
den den Verluſt ihres Dienſtes , auch hårtere Strafe
zuziehen könnten ?
( 13 )
1
Einzelne Raufleute berechnen den Koſtenden Preis iha
ter waaren , Tchlagen einen billigen Gewinnſt darauf
fordern , und fandeln hiernach mit den Käufern.
Der
544 1. Einfälle eines Kameraliften.
Der Kameraliſt verſteigt aber faſt alles was nicht vers
waltet wird , an den Meiſtbietenden , Herrſchaftliche Fad
briken ausgenommen .

Eine Methode , welche der Kaufmannt, wenn er


nicht durch Banquerot dazu genöthigt wird , nur bei ver:
dorbenen Waaren , als das lezte Mittel iQrer los zu wers
den , wählt.
1

Dagegen gerath jener aber auch ſo oft an ſchlechte


Zdhler oder Inventarienverderber. Seine Sicherheit für
Vorwürfen der Parteilichkeit , welchen er durch das, offent:
liche Ausbieten an den Meiſtbietenden entgeht, iſt gemeis
niglich der Hauptgrund. Siehe No. 6,
Sollten alſo die Herrſchaften in den meiſten Fäden
nicht beſſer thun , mehreres einzeln begeben und veraccors
diren zu laſſen , nur durch redliche und vorſichtige Månner,
welche die Beweggründe igres Verfahrens ihren Vorgeſeze
ten berichteten ?
( 14)
Bei den meiſten Wittwenſocietåten iſt zu wenig für
den Fall geſorgt, wenn das Paar alt und bedürftig wird ,
oder die Frau ſtirbt, und hinterläßt einen Mann in nag
rungsloſen Umſtänden .
Eine wohlůberdachte Verbindung einer Gontine mit
einer Wittwenſocietát ſcheint mir das einzige Mittel zu
Teyn , jenen Mangel zu beben. Iſt vielleicht dergleichen
irgendwo geſehen ?
( 15 )
In einem Sande , worin viele Landgüter von reichen
Privatperſo , Adlich
find Gewerbenenund Handel und Unadlich
leichter in Florbeſeffen werden ,
zu bringen , als
da
1. Einfade eines Kameraliſten . 545
da wo dieſe Sandgüter mit Herrſchaftlichen Pächtern und
Verwaltern befegt find ; Unternehmer und Konſumenten
find dort leichter zu finden .

( 16 )
Die Erzeugung landwirthſchaftlicher Produkten , los
peit ſie zu den erſten Bedürfniſſen des Menſchen , wie die
meiſten , gehören , und deren Vermehrung, beruht Haupta
fachlich auf einem Naturtrieb. Jeder denkt zuerſt : moc
Her Brod, Fleiſch und dergleichen ; jeder fühlt den Grund,
auf Mittel zu finnen , wie er ſich dieſe Bedürfniſſe hina
reichender perſoaffen könne, in ſich ſelbſt. Je mehr Mena
ſchen in einem Lande bei einander wohnen , deſto gróſer iſt
die Summe dieſer Bedürfniffe , aber nach dem námlichen
Verháltniſſe wird auch deſto mehr Fleis und . Nachdenkeit
von ſelbſt darauf verwendet. Die Gewerbe, ipodurch die
1
natürliche Produkte fünftlich verfeinert werden , verbeſſern
und erhalten ſich weit weniger und ſeltener von ſelbſt
fordern mehr Ueberſehung, Uufſicht und Gefeße. Det
natürliche Trieb der hier wirft, iſt lang nicht ſo heftig , wie
jener ; er wirkt nicht ſo viel Nachfinnen auf Mittel zu
1 Erlangung dererſten Bedürfniſſe, als vielmehr Begierden
nach an und für ſich entbehrlichen Dingen , nach dem was
man Reichthum nennt. Es liegt alſo in der Natur der
Sache, daß dieſe mehr durch Kunſt, als jene befördert
1 werden müſſen. Wo dieſes nicht geſchieht, dawerden die
ſchönſten Zeitpunkte ein oder den andern Theil von Gea
1 werben in Florzu bringen, verſäumt. Ein Beiſpiel reye
die Tabaksfabrikatur, welche in vielen teutſchen Fürſtens
thümern bei dem amerikaniſchen Kriege in große Aufnahm
Kåtte gebracht werden können , wenn mehr Achtſamkeit auf
dieſe Gegenſtande, als auf die landwirthſoaft gewendet
woorden máre.

Seft.Beitr, St.IV . No ( 17) Eine


546 1. Einfälle eines Stameraliſten .
( 17 )
Eine der wichtigſten Marimen der Polizei und Kams
mern ſollte ſeyn :
„ Die Erhaltung des Mittelmanns .
Der Vermogende erhält ſich von ſelbſten, und der
Arme leidet weniger Nuth , je weniger es an Vermögen
den und Mittelmáſigen fehlt , die ihm etrias zu verdienen
geben können . Hohe Geldſtrafen aufFehler , die der Mita
telmann am meiſten zu begehen pflegt, ſind folglich äuſſerſt
bedenklich , und überhaupt, jemehr man die Geldſtrafen
in leit 9 Ehrenſttafen verwandeln kann , nur verſteht
ſich in gehörigem Verhältnis , je beſſer. Wenige der Eine
Fünfte können den übrigen Einfünften ſchädlicher werden,
afs die Geldſtrafen , wenn ſie ohne genugſame Vorſicht
angeſezt werden .
( 18 )
Stagfütterung in Gegenden , wo es an Menſchen
fehlt , wäre eineder erſten Thorgeiten. Würde man wohl,
fogat zu Zeiten in Frankfurt , ungariſche Ochſen kaufen ,
wenn die Ungarn ihr Viek im Stal füttern müßten ?
( 19 )
Leib eige nſch aft fod ro ſehr perberblich ſeyn . Über was
rum wird dann in liefland und Pohlen ſo viel Getraide ges
zogen und ausgeführt , und doch ift hier die ſtrengſte Leib
eigenſchaft ? Die Schädlichkeit der Leibeigenſchaft hat wohl
ihren Hauptbezug auf Gewerb und Handlung , iticht ſoviel
unmittelbar auf {andwirtØſchaft.
( 20 )
Wo eine Gegend weit von Bergwerken und großen
Städten entlegen iſt, da wird es vielleicht ſo kein großer
Fehler
I. Einfälle eines Stameraliſten . 547
Fehler feyn , wenn die Bewohner die Wälder in Biefweis
den umgeandert haben ; das Vieh geht von ſelbſt weit zum
Perkauf , Holz und Koblen müſſen gefahren werden .
Beiſpiel ſei ein großer Diſtrikt des Weſterwalds.
(21 )
Wäre es nicht rathramer, ſtatt der gewöhnlichen uns
geheuern Menge Kameral- und Polizeiverordnungen über
jeden Dienſt ſehr vouftandige Inſtruktionen abzufaſſen ,
und dafür zu ſorgen , daß fie durch den Druck zu Feders
manns Rentnis kommen könnten ? Dann blieben keine
Gegenſtände zu Verordnungen übrig , als ſolche die jeder
Untertħan und Fremde, der in das Land kommt, wiſſen
muß , und die würden ſich leicht in die Engebringen laſſetto
( 22)
Man foute bei jeder Verwaltung eine Ärt von Get
ſchichtbud haben. Darinnen ware von Jahr zu Jagr eitt
9
Rubrifen -Auszug aus der Rechnung einzutragen , danes
ben wenn eine Einnahme oder Ausgabe merklich geſtiegen,
oder gefallen wäre, To follte die Urſache aufgeſucht und beis
gefezt werden, wenn ſich der Fond vermehrt oder vermina
dert hatte , To foute ſolches hier angezeigt werden , u . d. ģA
Bar
Solche Bücher laſſen ſich noch immer einführen. Man
ge könnte nur jedem Rechner aufgeben, alle Jahre 10 bis 20
Liby vorhergeßende Jahre auf dieſe Art einzutragen, daneben
OBI auch den Verwalter zu bemerken. Es wurde dies gervig
ein treflicher Sporn der Ehrbegierde ſeyn , weil ſich doch jeder
der nur einigermaßen des Dienſts würdig máre, bemühen
würde , bei der Nachwelt verdienſtvoll zu erſcheinen . Nad
dem Tode jedes Verwalters wurde das Buch revidirt , und
das , was er ſich unrichtig zugeſdrieben , geändert, das
richtige aber bezeugt werden.
N= 2 ( 23 )
548 I. Einfälle eines Siameraliſfen .
(23 )
Superflua non nocent, iſt bei Finanzgefchaften und
Kollegien fehr wenig anzuwenden. Es wurde oft die Bez
foldung eines Glieds reichlich erreßen , wenn einer beſtellt
würde, der lediglich darauf zu denken hatte, wie jedes
Geſchäft ohne Abbruch des zu erreichenden Endzwecks , pers
kürzt werden könne.
( 24 ) '1997.is
Intoleranz iſt eins der wirkſamften Welt- Bevolkes
fungsmittel.
Toleranz wird vielleicht öfterer Grund zur Entból
kerung als zur Bevolkerung reyn.
Beobachtungen aus der Geſchichte ausgehoben , fühs
ren zu dieſer Bemerkung , und Gründe die in der Natur
der Sache liegen , unterſtüßen ſie.
Die erſte Chriſten flohen die Verfolgungen und Intos
leranz der geſitteten Heiden , und miſchten ſich gróftentheils
unter nomadiſche Všiker. Geſtiftete Kloſter und Kirchen ,
die Feiertage und andre Folgen der neuen Religion ,
bradite die Jáger und Hirten öfterer zuſammen. DieMos
tal machte ſie geſitteter, und die Fremden lehrten ſie difers
bau und Gewerbe. Die Nahrungswege vervielfáltigten
ſich alſo. Das gutemenſchliche Thier, das eben ſo wes,
nig , wie andre im Stand der Natur gegen ſich ſelbſt wus'
thet, wenn es nicht erſt durch Hunger dazu getrieben , und
dann durch Rache darinnen erhalten wird, das wurde nun
friedſamer gegen einander , bedurfte nicht mehr fo grofer
Landesſtrecken zu ſeinem Unterhalt, als damals wie Jagd
und Viehzucht daſſelbe allein nährte. Unendlich kleine
Kriege und Mordthaten hörten auf , und wenn auch gleich
viele tauſende in größeren Kriegen der nun ebenfalls intos
lerant
r

1. Einfälle eines Kameraliſten. 549


Terant gewordenen Chriſten fielen , To Fam doch dieſer Ab
gang jenen einzelnen Kriegen gewiß nicht gleid , wenn er
5
fie ſchon an Geräuſo weit übertraf.

、 Kurzi in wenig Jahrhunderten durchwandelte die
chriſtliche Religion unzählige Einóden. Der ſanfte Geiſts
lide voraus , was der nicht ausführte , das båndigte der
rauhe Krieger. Bevölkerung folgte ihren Schritten , und
ganz Europa gewann eine andere Geſtalt. Intoléranz der
Heiden , und Intoleranz der Chriſten weggedacht, wie lan
ge wurden Hirten und Fåger noch dieeinzie Bewohner der
gróſten Lånder geblieben reyn?
Ein neueres Beiſpiel rei Intoleranz der Katholiken ge
gen die , welche ſich von ihrer Kirche trennten. Dieſe gab
Deutſchland eine ganz andere Geſtalt. Bis dahin beſchäf
tigten ſich die Deutſchen beinah allein mtt Krieg , ' Jagd
und Ackerbau , jezt aber verbreiteten ſich ſonſt alle Arten
von Gemert aus. Die Flüchtlinge brachten ſie mit. Sie
bauten ſich nicht nur an vielen Orten an , und die ihnen
ertheilte Privilegien beförderten die Bevölkerung unter ih
nen , ſondern das Beiſpiel, ſich auſſer dem Ackerbau auf
mannigfaltige Art zu nähren , breitete fids auch auf die
alte Einwohner aus, und mehrte fie. Die Staaten welche
tel
ihre Unterthanen ausſtieſien , verloren zwar an ihrer Bea
všíferung , aber noch iſt nicht berechnet, was das Ganze
TO
dadurch gewonnen hat. Ich vermutke, daß lézteres das
Erſtere weit úbertreffen wird.
Nun endlich einen entſcheidenden Blick auf die engli
fe robe Kolonien . Intoleranz der engliſchen Kirche gegen die
Presbyterianer und alle Widriggeſinnte war die weſenta
lichſte Beförderung der unglaublichen Bevölkerungszus
nahme des neuen Welttheils. Intoleranz andrer Staaten
gegen ihre proteſtantiſche Unterthanen und gegen die Wies
N 13 der
550 1. Einfälle eines Stameraliften.
bertåufer, trug nicht vielwenigerdazu bei, Dadland , bas
jeden náhrt, der es baut , die weiſe Gereße der Englander
und die geringe Abgaben machten nun daß das erworbene
Kapital von Flüchtlingen ſich in ſich ſelbſt in kurzem móg
licht verſtärkte. Aber eben dieſes Kapital felbft mußte erſt
da ſeyn , und das wäre doc ohne Intoleranz nicht, oder
hooft langſam zuſammengekommen .
Man zählt die Toleranz zu den Bevölkerungsmitteln
einzelner Staaten, Der Saß iſt wahr, aber wirkungs
[os , wenn nicht andre Staaten durch Intoleranz oder
ſchrecklichen Deſpotismus Unterthanen zum Wandern no
thigen. Dann aber ift's eine trefliche Anziehung. In
zwiſchen ſede ich nicht von der Bevölkerung im Einzelneni,
fondern vom Ganzen, und bier glaube ich, daß'die Toles
ranz mehr zur Entuólkerung,als zur Bevölkerung beitragt.
Religionszwang und Mangel des Unterhalts ſind die
zwei Beweggründe zur Auswanderung. Andre Gründe
gehen mehr auf.Individua, und find ohne merklichen Ers
folg ins Ganze.
Wenn nun aller Religionszwang allenthalben auf
ødet , ſo bleibtnur die zweite Urſache übrig. Udein dieſe
wird in Staaten nur dann anfangen , wenn der Unters
than erſt alles verſucht hat, was ihn im Paterland erhal
ten konnte.

1
Eben dieſe Perſud,e gehen dann allermeiſt dahin :
durd entnervtEntvoľferung
Urbeitinnere , und
die Körper fich iſt Urſace
zu erhalten . Inmaffige
Unmáſſige
Sterbfåge. Die Ungewißheit von zwei Menſchen , ob ſie
fich und ihre Kinder ernähren können, erzeigt Seltenheit
der Ehen , oder auch wohl gar vorfäßlich wenig Kinder in
der Ehe, Wo fo 10 .
Die
1. Einfaldle eines Kameraliften. 551
N Die Nation entkräftet ſich alſo nach und nach in fich
felbft. Endlich , nachdem ſchon viel tauſend Menſchen in
der Möglichkeit verlohren gegangen ſind , entſteht nach und
nach Auswanderung ; aber von elenden Bettlern , die alle
dort, wo ſie fid anfeßen ; in der erſten Generation nichts
taugen . Darin liegt unſtreitig der Grund , warum mans
dye Kolonien ſo langſam , und andere ſo geſchwind in der
Bevótkerung zurghinen . Wenn Rußland , Preuſen und
Ungarn diejenige von einander geſchieden haben , welche
des Religionsdrucs wegen , und die , welche aus Naha
rangsmangel zu ihnen geflohen ſind , ſo wird es fich zeigen,
ob ich hier richtig urtheile.
Der welcher dem Religionsdruck entfließt , bringt
immer noch Gúter mit ſich , wenigſtens Geſundheit, fros
hes Gemüth , Bewußtſeyn oder Glauben , welches einerlei
iſt, einer rechtſchaffenen That , Geſchicklichkeit 2c. Da
21 hingegen der andere nur als ein geretteter Schatten da
ſteht , den der geringſte Windſtoß knickt.
Wenn nun ein Staat ziemlich bevolkert iſt, wenn
unter einer Gerrlichen Regierung ade Religionen tolerirt
werden , und auch alles blůbet, ſo muß dem natürlichen
Jauf der Dinge nach endlich auch eine verderbliche Regies
Die rung folgen , Ein zu kriegeriſcher, oder ein zu ſchläfris
tet der Monard wird dann das land mit unmåffigen Abgaben
beläſtigen . Nun fängt die innere , dem menſchlichen Ges
falecht über alles verderbliche Entvõlferung an. Die Tos
leranz þáit indeffen die Unterthanen noch lange Jahre beis
einander, bis endlich die Elendeſte fliehen , und aus ihren
Enkeln erft wieder tüchtige Erdenbewohner werden, wähs
rend nicht minder Elende zurúfbleiben , und auf grofen
Såndereien , die ſie nicht bebauen können, hinſchmadten.
Wäre es nun nicht für das menſdliche Geſchlecht beri
ſer geweſen , es fere ein intoferanter Konig gefolgt, deri
N n 4 bei
552 I. Einfälle eines Stameraliften .
bei Zeiten Haufen noch blühender Unterthanen geflohen
undihre fic verſtärkendeBevölkerung einem für ſie günſti
geren Erdſtrich zugerpandt gåtten ? Die Zurücfgebliebes
nen würden ſich dann bemüht haben , die Stelle der Geflos
þenen zu erſeßen , oder der Prinz müßte mit der Intolea
ranz zugleich den ſchrecklichſten Druck von Yuflage verbunden
Þaben , und auch dann håtte vielleicht die verdoppelte Bevol
kerung der Geflohenen die innere Entvölkerung der Hinters
laſſenen dem Ganzen einigermaſſen erreßt.
( 25 )
Wenn die Dienerſchaft überſezt iſt , oder die Geſchäfte
werden durch eine Veränderung lo zuſammen gezogen ,
daß Diener überffüffig werden : ſo wird ein erfahrner Ges
ſchäftsmann iminer noch Mittel finden können , die Kennts
niſſe und Arbeiten derer , welche bei den bisher begleiteten
Bedienungen überflüſſig geworden ſind, zu benußen ; und
Toute ihm auch das ſchwer werden , ſo wird er lieber auf
Penſionen und Ausſterbenlaſſen , als auf reduciren und
entlaſſen , anrathen . Diejenige , welche ſo gerne Serr
Ichaftliche und privat Dienſte , mit einander vergleichen ,
ſind ſehr irre. In Herrſchaftlichem Dienſt wird lebends
Jånglicher Unterhalt gegen lebenslånglichen Dienft geſucht;
ſelten in privat Dienft. Dann , ſo geben meiſt eine Menge
Jofalkenntniſſe vețloren , welche nicht wieder benugt wers
den können , wenn jemand aus eines Herrn in eines ans
dern Herrn Dienſt tretten muß , und überhaupt iſt es To
leicht nicht, wieder Sperrſchaftliche , als privat Dienſte zu
erhalten. Reduciren und entlaſſen redlicher Diener ſchlägt
den Muth der bleibenden nieder , und ſchadet dadurch viel
mehr , als die Summen der eingezogenen Beſoldungen
austragen.
( 26 )
Es iſt eine fehr allgemein angenommene Meinung ,
ber. Landwirthſchaft gebühre in der Ordnung der Lan
desverbeſſerung Vorzug vor den Gewerben . Die
I. Einfalle eines Stameraliſten. 553
Die Erfahrung ſcheint dieſen Saß nicht ſo zu unter :
ftůßen, daß er ohne Unterſchied angenommen werden könns
te. Mir ſcheint, fie neige ſich mehr zu folgender Marime :
Die Landwirthſchaft geht denen andern Gewerben
» vor oder nach , in dem Verhältnis , als ein Staat
3
groß oder klein iſt.
In einem Staat von mittlerer Gröſe würde Sands
wirthſchaft und Gewerbe gleichen Rang verdienen. In
kleineren Jándern wurde dieſelbe in arithmetiſchem Vera
påltniſſe nach der Gróſe des Staats jenen nach- und in
11 gróferm demſelben Verhältnis vorgehen.
be
Man beobachte zwei in der Gróſe ſehr weit von eins
ander verſchiedene Staaten.
Frankreich fand ſich im Grundunter Sully weit bef
fer , als unter Solbert. Ein ſolches Reich muß ſeine Macht
und Souş hauptſächlich in ſich ſuchen. Jemehr daſſelbe
die Landwirthſchaft empor bringt, jemehrwächſt die Zahl
der Vertheidiger des Vaterlands , und je leichter ſind ſie
zu unterhalten . Der Ueberfluß an Bearbeitern des sans
ht des und Soldaten iſt das , was in ſolchen Staaten dem
ng Handel und den Gewerben angehören darf. Würde aber
dieſen der Vorzug geſtattet , ſo mußte die Landwirthſchaft
folglich die wapre innere Macht, und Schuß darunter
leiden . Endlich fehltes an den erſten Unterhaltungsmit
teln derer nichtlandwirthſoaftlichen Klaſſen .' ihr eigener
Porzug verdirbt ſie alſo .
Eine Reichsſtadt foa in ihrem Gebiete die Landwirts
ſchaft auf den höchſten Grad treiben , Handlung und Ges
werbe aber einer mindern uchtung würdigen . Nie wird
44
ſie den Flor erreichen können , welche eine andre mit ents
gegengeſezter Marime erreicht. Sie lebt unter dem Schuße
Nn5. groſerer

4
554 I. Einfälle eines Samecaliſten.
größerer Staaten , und iſt folglich nicht genothigt, fich
ihre Soldaten felbft zu erzeugen .
Mt einem ganz unabhängigen kleinen Staat verbált
es ſich nichtviel anders. Dhne Udianz mit groſeren könnte
derſelbe doch nicht beſtehen , dieſe verſchafft er ſich am
beſten mit Geld , und dieſes am leichteften durch Handel
und Genverbe. Die Staaten des {ykurgs entſtehen Heu
tiges Tages nicht mehr , und auch Sparta war eigentlich
nicht landwirthſchaftlich, ſondern blos militairiſd . Der
Ackerbau wurde durch Sklaven betrieben.

Mittelmåfige Fürſtenthümer, die ſchiffreiche Stro


me , furchtbare Ebenen und reiche Berggegenden befißen ,
follten ebenfaus ihre meiſte Uchtſamkeit nicht ſo gar vors
züglich der Sandwirthſchaft ſchenken . Je beſſer der Ers
folg , je mehr fallen die Preiſen der ländlichen Produkten ;
je beſſer können die Gewerbe und Handeldleute in den be
nachbarten Sanden und Reichsſtädten beſtehen ; je wohl
feiler können ſie ihre künſtliche Produkten geben ; - je woes
niger fann Gerrerb und Handel in dem Fürſtenthum aufs
kommen , je Geldarmer wird daſſelbe.

( 27 )
Zünfte find nichts anders , als alte Manufaktur
und Fabrikſocietaten . Der hauptſächlichſte Unterſchied ,
von dem , was man heutiges Tages ſo nennet , beruht im
Alter jener , und Neuheit dieſer. Ein Tehr anſehnlicher
Theil Unterthanen beſteht gemeiniglich aus Zunftgenoffen ,
und ein verhåltnismäßiger Theil in- und ausländiſcher
Produkten wird durch ſie bearbeitet und verhandelt . Die
Berbefferung der Zünfte hat gemeiniglich mehr Einfluß
auf das Sange und folglich noch den Rang vor den
eigentlichen Manufakturen . Das Ganze der Zunftvers
Faffungen , dünft mich , ſei zu wenig zuſammenhangend ;
auf
>

I. Einfälle eines Kameraliſten . 555


-1 auf dieſer Seite wäre die erſte ; leichteſte und wichtigſte
Verbeſſerung möglich. Der Dbmann einer Zunft in der
Reſidenz ſollte der Dbmann aller Zünfte derſelben Art
im Lande ſeyn. ude Obmanner der Bauhandwerker
roaten einen Baumeiſter zum Vorſteher haben - die,
deren Handwerker einen vorzüglichen Bezug auf die lands
wirtárdaft haben , als Müder, Backer , Mezger, fodten
einen erfahrnen und geſdicten Landwirth zum Vorſteher
erhalten .' Andre , welche in- und ausländiſche Metalen
bearbeiten , Gold- und Silberarbeiter, Schloffer und
Schmiede , ſoweit die Gegenftande nicht in das Bauwes
ſen einſchlagen x . einen Berg- und Hüttenverſtandigen .
Die , welche, einen vorzúglichen Bezug auf die Scheides 1

kunft , Naturgeſchichte und Geſundheit haben , als Får


berei , Bierbrauerei , Brandweinbrennerei, gemeinſchafts
lich mit dem Landwirth. Apothekerkunft,Materialiſten 2c.

einen in der Scheidekunſt und Naturgeſdichte erfahrnen
Arzt, und endlich die übrige einen rechtſchaffenen Kauf
mann. Die Idee dieſer Eintheilung wird ſich freilich in
der Ausúbung , wenn man die Perſonen kennt, welche zu
Vorſteher gewählt werden dürfen , beſſer und richtiger bes
ſtimmen laſſen .

Zwiſchen den Obmannern der Stadt und den Zünf


tu ten auf dem Lande mußte eine beſtåndige Korreſpondenz ers
id dfnet werden , daraus müßte jedem Vorſteher von einer
beſtimmten Zeit zur andern der Zuſtand der Zunft, fo gut
dhe er es verlangte und thunlich wäre , vorgelegt werden.
lat Dieſe müften darüber , nebſt den Obmannern der Stadt
dy Bemerkungen und Vorſchläge ausarbeiten , und dieſelbe
unter den Vorſtehern der übrigen Zünfte circuliren laſſen ;
jeder legte feine Gedanken ſchriftlich bei, und dann wäre
alle Monate Zuſammenkunft. Hierbei wurde alles vors
geleſen , beſchloſſen und verfügt. Gleich bei Errichtung
- dieſer Verfaſſung, und dann weiter unter der Hand, njür
den
556 I. Einfälle eines Sametaliſteri.
den diejenige Gegenſtände beſtimmt , und abgeſondert ,
welche der Obmann einer Zunft mit Zuziehungderſelben,
oder der Obmann unddie Zunft mit Zuziehung des Vors
ftehers, oder der Vorſteher mit Zuziehuug eines andern
Børſteberg vor fich entſcheiden konnten , und worunter fie
allenfaus nach der Entſcheidung der Verſammlung nur
kurze Nachricht zu geben hätten , und endlich, was bis zur
Zuſammenfunft beruhen müſſe. : Ein Hauptgegenſtand
dieſer Zuſammenfunft wäre die Entſchlieſſung , welche
Handwerker fünftig ihre Geſeden foden reiſen laſſen , oder
nicht , dann die Direktion der Reifen , durch Vorſchriften
wohin , und die Anleitung, worauf hauptſächlich Úcht zu
haben ſei, endlich Austheilung kleiner Prämien , freie
Meiſterwerdung u . dergl. an ſolche, welche neue Erfins
dungen mitbringen , und durch Zeichnungen Modelle und
dergleichen vorlegen. Bemühungen , ganz abgehendeoder
mnicht beſezte Zünfte durch Briefwechſel und erlaubte Vers
fprechungen in das Land zu ziehen Fehler in dem Ins
nern der Zünfte abzuſtellen geſchickte Meiſter aufzu
muntern , idledyte Urbeiter zu tadeln, oder mit der Zeit
nach Umſtänden gar auszuſtoſſen, oder zu beſchränken und
meyrere dergleichen wichtige Gegenſtände. Verſchiedene
Glieder dieſer Kommiſſion konnten aus denjenigen Råthen
der Landeskollegien gewählt werden , welche darinnen Des
partements von beträchtlichem Zuſammenhang mit Gewerb
und Handlung vorſtunden . 3. B. die Referenten von
Sandwirthſchaft , Berg- zou- Acciśmeſen u . dergl. Die
eigentliche Manufakturen ſtünden auch unter dieſer Vers
Tammlung , und würde in genauer Sparmonie mit den
Zúnften und der Handlung gehalten. Sobald Gegens
ſtánde in rechtlichen Widerſpruch geriethen , würden ſie zu
einem beſondern Kommerz - Juſtiz - Senat verwieſen , der
dann , ſo viel es die Rechten erlauben , zur kurzen ſummas
riſchen Sdlichtung dergleichen angewieſen ſeyn mußte.
( 28 ) Sind
1. Einfälle eines Stameraliſten .! 557
( 28 ) : 93 : " n pouco
Sind die Polizei- Targeſeßenicht dem Handlungsgeift
mehr ſchädlich , als núßlich ? f . 1.. 18.7
3 tariren ift theils unmöglich , theils wird dast
Ages
durch der Einwohner des ro núzlichen Kalkulirens gróftens
theils entwöhnt. Einen Theil tariren , iſt die Quelle
groſer Unbilligkeit , wegen dem ſtarken Zuſammenhang
ader Handlungsartikel.
( 29 )
Der Grundſaß : 18

Dieſer Menſch ſteht ſeiner eigenen Haushaltung


nicht vor, wie kann ihm die Herrſchaft was
anvertrauen ?
ift fo augemein genommen irrig. Mancher ergiebt fich gang
dem Dienft und der Vermehrung ſeiner Kenntniſſe , achat
tet dagegen nicht genug auf das Unbedeutende feiner eigez?
nen Umſtände . Beſonders trifft dieſes oft bei dem Redlis
dhen ein , der das Groſe der ihm anvertrauten Gegenſtande 1
ganz empfindet.
Richtiger mögte ſio die Regel in der Erfahrung bes
finden :
Wer wahre Schlechtigkeiten in ſeiner Familie bes
» geht , im Innern ſeiner Haushaltung einen niedertrácha
tigen Charakter verråth, wenn er auchſchon der obrigkeit
» lichen Züchtigung entgeht , verdient Mistrauen in Gerra
» febaftlichen Angelegenheiten.
( 30 )
Statt einer Kleiderordnung ſollte man befehlen , daß
wenn jemand aus der oder der Klaſſe das trüge, in dem
Armens
558 I. Einfälle eines Kameraliſten .
Urmenregiſter nachgeſehen werden ſolle , ob er ſoviel gebe ,
mo nicht, ſollte es ihm zugeſezt werden. Z. E. ein Búra
ger, der Teidene Weſte, und Beinkleider trägt, und deſſen
Frau mit aufgeſteckten Hauben erſcheint, dürfte nidt un
ter 1. fl. geben ,
( 31 )
kina Pflichten und Geſinnungen
des wahren Kameraliſten.

Sreund Bemühung Feind .


des um aller
Wohlſtands der Betrügerei ,
Unte
Freihrtha
eit nen , der wohl rtë ins nicht übers Schrapperei u .
triebene auf
derer Ges ſtrui
rechtfchaffnen
werb aller gutbezahrajn
en und Dies und vernünftige Hartherzigkei t
Rechtbaberei ,
Unwiſſenheit
nernſeines Fürſten ll gegründete und Trägheit
Vertvaltun . 11.
gen Pachtungen
Erhaltung
und
Verbeſſerung
des
Vermögenſtocks.

II. Medts
II.

Mediziniſcher Aberglaube.
" DenSchwacheit des Geiſtes fallen zu ſehen in
liftia
verzeihen , iſt natürlich und hat phyſiſche Urſachen zum
Grunde. Der geſunde aber und zwar der erleuchtete der
Denker , wenn dieſe einer Sache Beifal geben , und ſie
glauben , die kein geſunder Menſchenverſtand annehmen
kann , zeigt Geiſtesſchwache und Mangel an Kenntniſſen
Davon giebt es aber doch noch in den jeßigen Zeiten
ſolche Beiſpiele , die man nicht verinuthen ſollte. Der
Glaube an Hererei und andere Sachen , die ich wenigſtens
nicht glaube , belebt noch viele Menſchen vom erſten bis
zum lezten Range menſchlicher Abtheilung. Auch fogea
nannte Gelehrte ſind nicht alle befrepet von dieſer Thorsi
beit. Daß aber diejenige auch würflich Gelehrte find
die bei vollen Geiſteskråften übernatürliche Thorheiten
glauben , leugne ich ; Schulgelehrſamkeit ohne Muttermik
fann leicht vom Aberglauben angeſtekt werden , denn
Phyſik und zwar natürliche kann in folchen Stopfen
nicht einwurzeln .
Thiere, und zwar unſere zahmen Hausthiere, find
nun freplich noch der grófteGegenſtand des Aberglaubens,
bei dem Vornehmen ſogut wie bei dem Geringern. Der
eine ſo wie der andere hat noch hierinnen mehrere Hecerei
im Kopfe , wie bei dem Menſchengeſchlechte, und der Übers
glaube iſt hierbei ftárker , wie bei allen andern übrigen
Vorfáden . Dieſe hat auch einigen Grund. Die Krant
heiten der Thiere ſind und nicht ſo bekannt , wie der Mens
ſchen , und der Geringere beſchäftiget fich mehr mit dem
Vieh wie der Vornehmere. Mehr herrſcht der Uberglaube
überhaupt unter erſteren wie bei lezteren . Kein Wunder,
daß man alſo bei Spieren mehr von Herereien , wie bei
Mens
+
T

560 II. Mediziniſcher Aberglaube.


Menſchen , Hårt . Ein groſer Theil von Viehårzten find
noch Menſchen ohne Kenntnis , die alſo hierbei auch dem
Uberglauben nicht ſteuren werden , weil ſie ſelbſt gråſtens
theils nicht befreyet davon ſind. Der Menſch liebt das
Sonderbare. Der Sandmann wird ehender nach einem
Arzte gehen , und Hülfe ſuchen , der ihm alles aus dem
Urin ſagt, was dem Kranken fehlt, als daß er einen auf
ſuchen fodte, der durch Fragen erforſcht , was ihm zu
wiſſen nöthig iſt. Der Vieharzt, der Kenntnis der Kranks
Heiten befizt, hat das Zutrauen des Landmannes nicht, ſo
wie der, der ſonderbar in ſeiner Kurart , und verwirrt im
Reden iſt. Der erſtere handelt als ein vernünftiger Menſch .
Er fragt , veewirft die angegebeneHegerei , glaubt nichts
übernatürliches , das aber einmal als ein eingewurzeltes
Ding, dem Landmann glaubwürdiger iſt, wie alle natürs
liche Vorfälle.

Eine Biographie von einigen Hier ſehr bekannten Mens ;


Ichen- und Vieħárzten dieſer Art iſt ein Beweis meiner
Meinung. Unter dem Namen des Fürſtenwalders war
dieſe aftermediziniſche Race hier ſehr im Ruf.
Den Urſprung dieſer Familie , wie ſie, und wenn ſie
die aberglaubiſche Praxis angefangen , iſt mir nicht bes
fannt. Nur das , was ich weiß , will-ich erzehlen .
Daniel Hiedes, ein Bauer von einem 2 Stunden
von Caſſel liegenden Dorfe Fürſtenwald , war der erſte,
der mir davon bekannt war , denn er fam alle Sonnabend
nach Caſſel, und holte ſowohl in meines Vaters, als auch
in andern Apotheken ſeine Arznei. Ein ſonſt guter Bauer,
der nicht , um ſich Unterhalt zu verſchaffen , nöthig hatte,
dergleichen Thorheiten zu begehen , denn ſeine Häusliche
Umſtände waren ſo, daß er ſein gutes Auskommen von reis
nem Ackerbau und Viehzucht Batte. Ein Mann , der 1760
im
1

II. Mediziniſcher Aberglaube. 561


9 im 64ſten Jahre das Leben endigte , fich von Jugend
auf beſtandig damit abgegeben hatte , Aberglauben auszus
ftreuen und zu erhalten , auch ſelbſt alles für wahr hielte, 1
EN was ihm erzählt wurde.
Der Stadt- und Landmann , der ihn auch unter
dem Namen des Teufelsbanners fannte, wußte den Tag,
31 wenn er in Caſſel war. Vor Menſchen und Vieh wurde
er um Rath befragt ; geſtohlne Sachen wurden wieder vers
langt, Geſpenſter ſollte er vertreiben , die mit Poltern die
Häuſer beunruhigten. Udes dieſes unternahm er auch .
Er diente einem jeden nach Standesgebühr. War Vieh
58 behert , und das beſtand in natürlichen Sachen , eineKuß
oder andere Hausthiere wollten nicht freſſen , die Milch
von einer Kuh war ohne Konſiſtenz, oder fehlte , ſo gab
er den Leuten ſchwarzen Kümmel , Weihrauch, Myrrhen
und Maſtir. Dieſe Sachen wurden untereinander ges
ſtorien , und dem Vieh drei Tage hintereinander des Mors
gends nur núchtern eingegeben. Um nun den auſſer dem
Kórper ſeyenden Heren auc etwas anzuhangen , ſo wurde
beſonders zu dieſem Pulver noch Teufelsdreck hinzugethan,
damit wurde der Stall, der feſt zugemachtwerden mußte,
11 ausgerauchert , und in dieſer Zeit an keinen Menſden
6 nichts aus dem Haus verlehnt, es mochte ſeyn , was es
wollte, und wenn es auch eine Kohle Feuer geweſen wäre.

18 Wollte jemand neue Stallungen bauen , ſo wurde


rf obiges Pulver mit famt dem Teufelsdreck in kleine Büchſen
ber gethan , und ſo viel Thüren am Stau waren , ſo mande
Budhiſewurdeunter jeder Schwelle vergraben , auch wur
den unter der Krippe ſo viele Büchſen eingegraben , wie
lt Stücke Vieh da ſtehen ſollten . Dieſes beſondere Graben
lid
unter der Krippe wurde auch in alten Ståden verrichtet.
Dieſe Búdſen wurden nun überhaupt mit den Worten
Horem tai Mem úberførieben . Dieſe Worte , die er
Seff Beitr. St.IV. Do übrigens
562 II. Mediziniſcher Aberglaube .
A
übrigens nicht verſtand , ſo wenig wie ich und andere fie
erklären können , theilte er ſo ein , daß auf eine jede Búd ſe
wenigſtens ein Buchſtabe kam . Uuch wurden ſie feſt vera
ſiegelt. Wenn nun die Büchren eingegraben werden ſoda
ten ro war dazu ein Erbſchlüſſel vorräthig , den er von
feinem Vater geerbt hatte , und der zu keinem Sdiloß
paßte , die in ſeiner Wohnung waren , hiemit wurden die
Büchſen in die dazu gemachten ( ocher behutſam eingeklopft.
Der Ramm an dieſem Schlüſſel enthielte ein Kreuz , dars
innen ſteckte die Kraft , die zur Abwendung aller böſen
Sachen hierbei unentbehrlich war. Es läßt fich erklären ,
woher dieſer Aberglaube entſprang. Die Worte waren
verinuthlid aus einer alten Beſchwörung. War aber
Stall und Wohnung unter einem Dach, ſo wurden alle
Thůrſchwellen , wodurch man in das Haus kommen konnter
mit Búdiren berezt. War alles fertig gebauet, ſo wurs
den drei Tage mit obigem Pulver die Stade geräuchert,
und binnen dieſer Zeit wieder nichts verlehnt. Dieſes
Eingraben mußte er ſelbſt verrichten , und folglich an einen
jeden Ort hingehen , wo eß geſchehen ſollte. Kam nun
1
unglücklicher Weiſe eine Kaze in den Stall, in der Raus
cherzeit, ſo wurde ſie gefangen , in einen Sack gethan ,
und ſo lange geſchlagen , bis ſie tódt war. Denn das
mußte allemal eine Here ſeyn , und wenn ſie der Eigens
thúmer ſelbit large Jahre gehabt hatte, ſo half alles nichts,
denn Heren und Kazen ſtunden in genauer Verbindung.
Verlangte man þúlfe für Franke Menſchen , ſo gab
1 er innerliche Arzneien , die , ich muß es geſtegen , meiſtens
theils beſſere Wirkungen leiſteten , als die damalen von den
meiſten Uerzten verordnet wurden. Seine Ärzneien bes
2
fanden in einer {atwerge, darunter die Hauptſache Sens
neðblátter waren. Damit richtete er mehr aus , als die
Damalige fabweistreibende Methode. Selten war aber
ein Kranker natürlic frank. Heren und böſe Mens
fchen
II. Mediziniſcher Aberglaube. 563
fchen waren mit im Spiel. Natürlich mußte an dieſe audy
gedacht werden , und dazu wurde denn das Räucherpulver
gebraucht, das bei dem Gebrauch der innerlichen Mittel
den ausgetriebenen böſen Geiſt wegräucherte.
Zu Zeiten war auch unter Eheleuten Verdacht der
Hererei, und mehrentheils war das weibliche Geſchlecht
der Stein des Unſtoſſes. Selten hatte die Frau Urgwohn,
daß der Mann Heren könnte , mehrentheils war der Mann
úberzeugt, feine Frau ſei eine Here, beſonders wenn ſie
all alt war. Böſe Zeiten für das ſchone Geſchlecht, wo man
das ehrwürdige Älter mit Herenkräften belehnte. Drei
! Mandeln i auf jede ein Kreuz geſonitten , mußte der
2 Theil , der den andern im Verdacht hatte, bei ſich tragen.
21 Sehen durfte ſie die oder der Beſchuldigte nicht.
War etwas geſtohlen , ſo verſprad er es wieder zu
verſchaffen , wenn es nur noch nicht über ein Waſſer ges
tragen wäre, worüber eine Brücke oder Steeg war.
Er gieng in das Haus , ate im Hauſe befindliche Pers
ſonen die bei einem Herrn waren , mußten Abends in ein
all Zimmer zuiammen kommen . Vor jebe Perſon , die sich
alle um einen Tiſch ſtellen mußten , wurde ein Haufen
ger Salz gelegt, ſo viel, als man zwiſchen 3 Finger packen
ON konnte. Das Zimmer wurde ganz finſter gemacht, und
jede Perſon mit erſterem Pulver eingeräuchert, dann war
die Handlung geendiget , es ward licht in das Zimmer ges
bracht , die Salzhaufen wurden befehen , und nichts meis
Fer ter geſprochen , als daß der Dieb den andern Tag gezeichs
M net werden ſollte, wenn er es nicht erſezte. Wenig Dórs
N fer und Städte ſind ohne Waſſer, die nicht mit Brücken
oder Steigen belegt ſind, und war es alſo nicht ganz nas
türlich), daß der Dieb konnte darüber gegangen ſeyn.
be Folglich , wenn es fehlte , ſo war nicht der Mann , Tondern
P DasWaſſer Spuld , das der Kraft der Hererei widerſtand.
Diefe
#

564 II. Mediziniſcher Aberglaube.


Dieſe Geſchäfte trieb Daniel Hiedes big an ſein ( en
bendende. Da er mit ſeiner Frau keinen Sohn erzeugt
Hatte , und dieſe Handlungen des Aberglaubens, die ihm
reichlich belohnt wurden , doch gern erhalten wollte , To
wählte er fidh bei ſeinem Leben ſeinen Schwiegerſohn De
niel Schaub, aus dem eine halbe Stunde von Fürſten
wald liegenden Dorf Weymar zum Nachfolger. Er lehrte
ihn das Büdſengraben und alle ſeine Künſte. Doch das
mit er ihm in ſeinem Leben keinen Abbruch thun könnte
ſo gab er ihm nie den Erbſchlüſſel. Sein Tod erfolgte ,
und Scaub wurde von allen wieder für den wahren Fürs
ſtenwalder und Teufelsbanner erkannt. Dieſer tratt ſeine
Stelle 1760 an. Kam alle Sonnabend nach Caſſel ,
und Herte wie ſein würdiger Schwiegervater.
Noch ein Halb Jahr'nachdem ich meine váterliche Apos
theke übernommen , ſtellte er ſich richtig den beſtimmten
Dag ein , kaufte fich feine Mittel , und theilte ſie aus.
In dieſer Zeit waren in Caſſel bei einem Juden so Rthlr.
Geld und ein Paar ſilberne Schuh- und Hoſenſchnallen
geſtohlen. Der Jude klagte mir ſein Seid , und wollte es
dem Fürſtenwalder ſagen , um ſeine vermißte Sachen wie:
der zu bekommen . Ich wodte den Iſraeliten von ſeinem
Uberglauben befreien , aber das war vergebens. Der
Mann wurde ſchriftlich eingeladen , er kam , machte ſeine
Salzhaufen , und räucherte. Des folgenden Jages fand
der Jude ſeine geſtohlene Sachen wieder. Nach Verfließ
ſung eines Jahrs lief dem Iſraeliten ſein Bedienter weg,
der ihn beſtohlen , und auswärts auf ſeinen Herrn geborgt
hatte. Dieſer war ſchon der erſtere Dieb geweſen , der ſich
aus Aberglauben vor dem Stank und Salz fürchtete.
Indeſſen verurſachte es doch groſen Beifaa. Sin anderer
Jude fam übeler weg, der auch geſtohlene Sachen wieder
haben wolte , und der in dem Zimmer , wo das Räuchern
geſchahe, ſeidene Zeuge liegen Batte, in die der übelries
gpende
II. Mediziniſcher Aberglaube. 565
chende Dunſt von dem Pulver gedrungen war , ſo daß er
*
fích genöthigt ſahe, fie aufzuhangen, und in einem Viers
teljabr nichts davon verkaufen konnte. Seine geſtohlné
Sachen bekam er nicht wieder ; warum ? der Dieb war
über Waſſer gegangen .' '

Daniel Schaub Hatte keine Kinder , aber einen Vet:


ter der Soldat unter dem Leibregiment war , und dieſen
26 beſtimmte er ſich zum Nachfolger. Das war nun ein
Menſdy von ganz geſunder Denkungsart, der nichts von
widernatürlichen Begebenheiten glaubte , und der , wenn
1

ihn nicht die reichliche Belohnung gereizt hätte, würde ge


Hall.wiß den Erbſchlüſſel nie geachtet haben . Dieſer Soldat
war wieder aus erſterem Dorf Fürſtenwald gebürtig, dies
vergrdſerte das Zutrauen , denn man glaubte doch , daß
in dieſem Dorf der Herenbann beſſer wie in andern ſei.
Schaub ſtarb 1773 , und ſein Nadfolger trieb den alten
Uberglauben fort , nur mit mehrerm Wiß wie ſeine Vor
A faören. ' Wer ihn ſprechen wollte , mußte nach dem Dorf
kommen , denn da er ein beſtåndig Beurlaubter war , To
NO hielt er ſich auſſer der Exerzierzeit beſtändig daſelbſt auf.
Er ließ ſich nichts umſtändlich erzehlen , denn aus der Hal
11 ben Erzehlung wußte er ſchon , was man von ihm ver
D langte. Wurde er nun um ſein Urtheil gefragt , fo ants
wortete er nichts , weil durchs Belebren ſeine verlangte
fun Hülfe ihre Búrkung verlor,
-4
ma Er war in dieſem Stück eirt wahrer Pythagoråer.
W Da er ſo geheim war , ſo hatte man ein großes Vertrauen
auf ihn , worüber er aber ſelbſt lachte , und die Thorheit
to der Menſchen berunderte. Indeſſen , da er viel Geld das
Dd mit verdienen konnte , und auſſerdem nichts im Vermögen
* batte , ſo war ihm der Verdienſt wiakommen , den er ſich
mit dieſen thårigten Handlungen ermerben konnte. Der
Home Preis war ziemlich foch. Geſtohlne Sachen wieder zu
203 vers
566 II. Mediziniſcher Aberglaube.
verfioaffen , koſtere 1 Dukaten , dazu gab er nur das Räus
derpulver , das ihm aber nur den goſten Theil eines Du
katen koſtete. Eine jede Búdyſe, die mit dem Erbſchlüſſel
eingegraben wurde, koſtete i fl., und ihm nur í Ggr.
Verdienſt mehr wie bei ehrlichen Handlungen , der ohne
Widerrede ademal bezahlt wurde.
Dieſer Soldat wurde 1774 nach einem Dorf , deſſen
Nahme mir nicht mehr bewußt iſt, zwiſchen Minden und
Göttingen geholt , um behertes Vieh vom böſen Geiſte zu
befreien. Er verſpricht den Bauern , den Zauberer ſo zu
zeichnen , daß ſie ihn alle kennen fouten , und das in fur
zer Zeit. Der Prediger des Orts nebſt ſeiner Frau , gute
Defonomen , haben das beſte Vieh im Dorf , und erres
1
gen Verdacht bei den Bauern , da ihres durchgängig ſchlech
ter war , daß der Pfarrer oder vielmehr ſeine Frau heren
könnten , und an dem Verfall ihres Viehes ſchuld wåren.
Der Soldat bleibt einige Tage im Dorf. Indeſſen geht
die Pfarrerin in den Keller , ftoßt ſich an den Kopf , und
iſt genöthiget, ein Tuch dieſes Falls hafber , der mit einer
Wunde verknüpft war , um den Kopf zu binden. Nun
war es richtig. Das ganze Dorf erklärt die Pfarrerin für
die Here , der Beamte ſteht fich genöthiget , den Soldaten
gefänglich zu nehmen . Dieſer, der mehr natürlichen
Verſtand, wie der ſtudirte Juriſte ḥatte , überzeugt ihn ,
daß er bloß ein Betrüger ſei, und es aus Noth ſeyn mußte
um beſſer leben zu können , wie andere ſeines Gleichen.
Indeſſen erkundigte ſich der Beamte , was für böſe und
zauberiſche Mittel diefer Mann hatte, und da er eines
Beſſeren belehrt wurde , ſo entließ er den Soldaten. Der
Prediger mußte an einen andern Ort verſezt werden. Der
Bauer war ein für allemal überzeugt, die Frau Pfarrerin
fei eine Here. Bei dem Marſch unſerer Truppen nach
Amerika mußte dieſer Soldat mit , und hat daſelbſt ſein
Leben geendigt. Mit dieſem iſt nun dieſes Teufelsban
neriſide
II. Mediziniſcher Aberglaube. 567
neriſche Geſchlecht erloſchen . Des. Pulvers aber , deſſen
ich oben gedacht, bedient fich noch immer der {andmann.
Er kauft es aber niemalen für gerade Zahlen , es muß ima
mer , wenn es würken ſoll, für ungleiche Geldzahlen ges
kauft werden.

Geburt ſchůßt vor Aberglauben nicht, das habe ich


bei dieſen Menſchen oft geſehen. So viel mir möglich
war , habe ich belehren wollen , daß alles Thorheit ſeve;
aber immer vergeblich). Wie manchen Bedienten , wie
09
manche Kammerjungfer, die von der gnádigen Herrſchaft
an dieſe Leute abgeſdhickt waren , ſuchte ich eines beſſern zu
Que belehren ! Zu Zeiten waren die Abgeſchickten flúger wie
die Herrſchaften ; aber oft war Herr und Knecht gleicher
Thor. Unſere Zeiten, die mit Erziehungsſchriften über
ſchwemmt ſind, haben noch wenig durc leztere , was den
Aberglauben betrift , gebeſſert. Es liegt an einer Urſache
mit , an einer gemeinnützigen Naturlehre für den gemei
nen Mann , und an mehrerer Kenntniß in dieſem Fach
für Studierte.
33
Ich kenne einen gelehrten Dekonomen , der des Kato,
Kolumella , Varro, Ariſtoteles Thiergeſchichte in den Up
lid
ſprache genug geleſen , und ſie vollkommen kennt , der aber,
weil es ihm an richtiger Kenntnis in der Naturlehre und
Naturgeſchichte fehlt , dennoch nicht frei von Aberglauben iſt,
der auch noch die Verwandlung des Waizen in Treſpen
glaubt. Kein Jeſen alter Schriften , keine Sprachkennts
nið fann vor Aberglauben ſchůßen , wenn nicht Erklä
rungen natürlicher Begebenheiten dem Menſchen beiges
bracht werden , es ſei dann, daß natürlicher Wiß den
Menſchen belebt. Die Gegenſtände ſind aus verſchieden ,
die den Aberglauben erregen . Goldmacherei iſt eine große
Quelle.des Aberglaubens. Es regt aber ſchon zum Vor
aus , daß derjenige, der Gold aus Körpern , morin gar
DO4 feins
0
1
1

568 II. Mediziniſcher Abergläube.


keins befindlich , mit Hülfe des Uberglaubens machen will ,
nicht Kenntnis genug in denen Wiſſenſchaften befizt, die
zur Alchymiſterei gehören.
Ein berühmter Lehrer begegnet einem Soldaten , der
um ſich und ſeine Frau zu erhaltes , tagelohnt , und er
giebt dieſem Mann ein von weiſem Glas gemachtes Circus
liergefas, mit der Bitte , Sternſchnupfen zu ſammeln ,
und ſobald er einen Sternſchnupfen fallen lähe, ihn fo
gleich in dem Glaſe zu verwahren , und ihm , und wenn
es auch in der ſpåten Nacht wäre , ſogleich denſelben zu
zuſtellen . Klopf'er an meine Thúr , ſagt der berühmte
Gelehrte , lo ſtark wie er kann , damit ich ihn gleich bes
komme. Die Frau dieſes Soldaten kam ins Kindbette ,
und er hatte keine Sternſchnupfen finden können , das
Glas war alſo noch ledig , arm an Geld konnte er der Heb
amme nichts beſſers geben , als das Glas, womit dieſe
auch zufrieden war , in der Hofnung , fich einmal mit
einem Sternſchnupfen davor bezahlt zu machen .
Wie ſiehet es im Kopf dieſes Herrn aus ? Der
Sternſchnupfen ſollte zum Goldmachen gebraucht werden.
Was dieſes Phänomen ift , denke ic ), Toate ein jeder wiſs
fen der Phyſik und Naturlehre kennt. Sind nun die
Begriffe von natürlichen Begebenheiten bei ſolchen Mens
chen noch nicht entwickelt, was rou man von andern glaus
ben , von denen man nicht ſo ausgearbeitete Ideen zu vers
muthen hat ! Aber überhaupt bei Menſchen , die ſchwad
in abſtrakten Vorſtellungen ſind, hilft nichts: weder Uns
( terricht noch Erläuterung. Der geringſte Sturm wirft
alle ihre gefaßte und erlernte Gründe über den Haufen ,
beſonders bei Begebenheiten , worunter entweder ihr Körs
per leidet ; oder die ſie nicht ſogleich einſehen können , ſons
dern durch langes Nachdenken , den Grund erforſchen muſs
fen , woher ſo etwas entſtehen kann . Man findet unter
Dem Sandmann Menſchen mit roßen und unausgearbeites
ten
/

II. Mediziniſder Aberglaube. 569


ten Begriffen , die aber doch gut find . So war der Sols
dat. Nichts fehlet ſolchen Menſchen , wie Anleitung und
Erklärung. Dem (andmann iſt der Weg noch nicht ge
bahnt, um gånzlich vom Aberglauben befreiet zu werden .
Von dieſen wird der gröfte Theil von Menſchen gemaklt,
die andern dienen müſſen , und dieſen wird wieder öfters
von Eltern die Aufſicht und Erziehung ihrer Kinder allein
überlaſſen. Voller Aberglauben ſind erſtere , und durch
wunderbare Erzehlungen pflanzt ſich ſo dieſe Thorheit von
einer Menſchengeneration zur andern fort. So ſtelle ich
mir vor , hat ſich das Pflanzenreich im Aberglauben ſo viele
Jahrhundertebis hieher erhalten, mit dem noch viel aber:
hy glaubiſches Zeug getrieben wird. Was mir davon bes
thi kannt , das erzehle ich nur. Weit megreres iſt in alten
Day
Kräuterbüchern enthalten , aber nicht mehr ro in gemeis
nem Ruf. Uber alle dieſe Thorheiten ſind urſprünglich
aus dieſen alten Kräuterbüchern .
Die Wurzeln vom Allium victorialis und Gladio
lús communis werden beide Adermannsharniſch benennt.
Erſtere Urt heiſt das Månngen , und leztere das Weibgen .
Es ſind zwei ganz verſchiedene Pflanzengeſchlechter. Die
> erſtere ift ein Knoblauch und die leztere ein Schwertel.
Beide Arten nimmt man zuſammen . Ein Männgen muß
01 allemal da ſeyn. Mit den Weibern wird es ſo genau nicht
pe genommen , der können mehrere gegeben werden . Dieſes
wird für Vieh gebraucht , beſonders wenn ſich Kühe nicht
1 begatten wollen , oder der Ochſe aus Mangel an Leibess
kräften ſeine Odiſenpflicht nicht recht verrichten kann. Ges'
ſtoffen werden die Wurzeln nicht, ſondern nur zerſchnitten .
Den Grund von dieſem Aberglauben weiß ich nicht. Die
Geſtalt der Wurzeln iſt verſchieden . Die von der Knobs
lauchsart, das ſogenannte Manngen , iſt länglicht , die
von dem Sewertel rund. Beide ſind mit neßförmigen
faſerigten Hauten umgeben .
Do 5 Osmun
21
1
570 II. Mediziniſcher Aberglaube.
Osmunda lunaria , das Mondfraut . Mit dieſem
werden recht viel Thorheiten getrieben , die hauptſächlich
von ſeiner Dauer und Geſtalt herkommen . Dieſe Pflanze
wächſt nur auf bergigten , mit kurzen Gråſern bewachſenen
Gegenden. Man findet ſie im Junius, feltener im Jus
Tius. In Zeit von 2mal 24 Stunden erſcheint und vers
geht die Pflanze. Sie macht keine ſichtbare Blume, ſon
dern nur eine Ranfe , die mit kleinen grünen Trauben
beſezt iſt. Dieſe iſt ein Hauptmittel ſowohl für beherte
Menſden als Vieh. Auf Johanni. muß fie geſucht wer
Den , denn dieſe Zeit hat der Aberglaube feſtgelegt. Auſſers
dem iſt ſie nicht wirkend. Der unwiſſende Chymiſt, der
den Einfluß des Mondes auf die Verwandlung der Metalle
glaubt, bedient ſich ihrer wegen der çalbmondförmigen
Blatter. Dieſer Geſtalt wegen hat der Mond , der wenn
er noch nicht vollkominen ſeine runde Geſtalt hat , einen
Einfluß auf die Verwandlung. Sie wird dazu getrocknet
und verbrennt , und die Aſche mit den andern Sachen vers
miſitht. Daraus entſtehet Silber , das gemeiniglich noch
in den andern dazu angewendeten Körpern enthalten iſt.
Dieſes Silber enthält nun wegen der gelben Farbe des
Mondes Gold !

Ophiogloſſum vulgatum , das Natterzúnglein .


Eine Planze aus vorigem Geſchlecht, deren Dauer , Urt
und Wachsthum mit vorhergehender eins iſt. Nur iſt ſie
in der Geſtalt verſchieden . Ein einziges rundlänglictes
Blatt und eine cylindriſche långlichte Blumenahre iſt die
Gefialt der Pflanze. Dieſe Blumenahre hat einige Lehns
lichkeit mit einer Vogelzunge , beſonders der Spechte.
Dieſer Aehnlichkeit wegen hilft ſie den Stotternden , und
Kindern denen das Reden ſchroer fáat. Erſteren wird fie
auf den Nacken gehängt, und leztern unter das Kopffiffen
gelegt.
Scabioſa
II. Mediziniſcher Aberglaube. 571
ED
Scabiofa ſucciſa, Teufelsabbiß. Eine Scabiorena
art , die man häufig im Auguſt in trocknen Wieſen findet,
und woran die Hauptwurzel abgefreſſen iſt. Dieſerhalben
hat ſie Wirkungen in der Hererei. Eine Infektenlarve
benagt die Wurzel, aber das muß der Teufel thun . Sie
wird den Kühen , die entweder nicht Milch genug geben,
EM oder ganz natürlich Frank, und daher unruhig ſind , wie
em auch Pferden mit Waſſer abgekocht, auch geſtoſſen , ſo
blos eingegeben. Recht abergläubiſche Menſchen laſſen ſie
auf ihren Wieſen ſtehen , wenn ſie dieſe zum zweitenmal
abmahen . Denn alsdann iſt ſie ſichtbar , weil das thre
Blüthezeit iſt, und ſie durch den 2 Schuhhohen Blumen
11 ſtengel Fenntbar iſt. Dieſes geſchiehet, damit der Teufel
recht fatt zu eſſen habe , und ſich nicht aus Mangel der
Nahrung an ihrem Vieh rache. Bei andern iſt der Saß
umgekehrt. Damit die Here oder der böſe Geiſt , der im
Vieh ſteckt, Nahrung habe, ſo geben ſie ſie dem Vieni
um ihn zu befriedigen , und das Vieh nicht ferner zu quis
len . Es iſt ſonſt eine gute Pflanze, die ſo wenig Tchadet,
30 wie ſie hilft. Der ganze Aberglauben ſteckt bier an der
beſondern Geſtalt der Wurzel.
Circæa lutetiana , Herenkraut. Woher dieſe
it Pflanze den Ruf bekommen , daß wenn man darauf tritt,
man ſich verirren und vom rechten Weg abkommen foa ,
das habe ich nie erfahren können . Sie wächſt in Walduns
id gen , und iſt nicht ſelten in kleinem Buſchwerk. Ihre kleis
Di ne unanſehnliche Blume fann niemanden , auſſer einen
On게 Botaniſten verleiten , vom Weg abzugeben . Sjätte fie
eine ſchöne ins Auge falende Blume, To ließ ſich noch der
thörigte Gedanke erklären ; weil ſie dadurch , wenn ſie
weit vom Wege abftunde, einen anlocken könnte , der Hers
nach wohl den rechten Weg verfehlte.
Hypericum perforatum , Johannesfraut , Hat 1

Blumen und Kelchblátter, die am Rand , auch auf den


Flächen
572 II. Mediziniſcher Aberglaube.
Flachen mit kleinen dunkelrothen Drüſen belegt ſind , und
die, wenn ſie gedrückt werden , einen dunkelrothen Saft von
ſichgeben . Dieſen Saftgeben aber nicht allein dieſe, ſondern
mehrere Arten dieſes Pflanzengeſchlechts von ſich. Der
vom Herodes enthauptete Johannes iſt nun an dieſer Ei
genſchaft der Pflanze ſchuld . Denn nach der Tradition iſt
ſeine Unſduld dadurch bewieſen worden , daß die Pflanze
geblutet hat. Dadurch hat ſich dieſe Pflanze berühmt,
und als ein großes Wundmittel bekannt gemacht. Die
eber , wenn ſie recht wirken ſoll, allein auf Johannestag
1
muß geſammelt werden , weil alsdann mehr Blut vom Jo
hannes vorráthig iſt, wie zu andern Zeiten . Das hat
auch ſo ziemlichen Grund. Die Pflanze fångt alsdann an
zu blühen. Ude Blumen ſo wie ſieaufblühen , ſind im
mer vollkommener , als wenn ſie einige Tage fich ſchon er :
öfnet haben. Indeſſen blúhet ſie bis in den Auguſt.
Kein Wunder mit dieſer Pflanze, die doch etwas Sinn
liches dem Schwachen zeigte. Laßt man ja noch den Kopf
des 1. Januarius vor anſehnlichen Verſammlungen bluten !
Die Wurzeln von den Orchis Arten , die man Kna
beinkraut oder Stendelwurzel nennt , werden im Junius
ausgegraben , in Bocksfeaſtůcken eingenähet , und in die
finfe Seite der Beinkleider von Mannsperſonen geſteckt.
Sie ſollen auf die Zeugungsglieder wirken , und werden
hauptſächlich von entkräfteten Mannsperſonen geehrt und
geſucht. An dieſem Aberglauben iſt wieder die Geſtalt der
Wurzel ſchuld , die zwei långtichtrunde Knollen vorſtellt.
Vielleicht auch wohl der Berud), denn einige Arten haben
einen widrigen Geruch , wie ein Bock. Da fie nun noch
darzu in Bocksfed eingenáhet werden , ſo laßt fich dieſes
nach dem gemeinen Sprúdwort erklären : der iſt ſo geil,
wie ein Bock. Warum nimmt man aber nicht aud Ras
ninchenfel oder Spaßenhaute ? Auch die áltern Aerzte
wurden durch die Geſtalt bewogen , ſie zu dieſem Behuf
« 13
II. Mediziniſcher Åberglaube. 573
als ein wirkendes Arzneimittel anzunehmen . Nunmehro
iſt dieſes Zutrauen erloſchen . Blos den Aberglauben ers
náprt ſie noc. Was aber dabei die linke vor der rechten
Seite zum voraus hat , das verſtehe ich nicht.
Atropa Mandragora, Aaraun , hat eine tief in die
Erde gehende cylindriſch runde ſpiße Wurzel, die wenn fie
in luckerer Erde ſtehet, fic in zwei Theile theilt, die mie
zwei Beine von einander ſtehen , und das iſt das Weibgen.
Stehet ſie aber in ſteinigter fefter Erde , und die jungen
Wurzeltriebe können ſich nicht auseinander thun, fo wádſt
ſie in eine Wurzel zuſammen , und diß iſt das Mánngen.
WW Dieſe Hat verſdiedene Kräfte. Erſtens iſt bei frankem
und unruhigem Vieh , das behert ſeyn muß, die daraun
wurzel an die Krippe gehångt , ein Mittel, die Hererei zu
tilgen. Die andere Kraft iſt aber noch koſtbarer. Denn
wenn mit Adraunmánngen ein Schloß berührt wird, for
ſpringt es auf , und wenn es auc noch ſo ſtark verwahrt
iſt. Wenn man eine alte in zwei Theile gewachſene Wurs
zel von einander ſchneidet, ſo machen die Fiebern , wo die
Theilung der Wurzel iſt, halbrunde linien. Da hat nun
3 der Aberglaube allerhand Bilder erzeugt. Menſchengeſiche,
ter aller Arten. Eine Sache die hierbei den Aberglauben
erhalten hat. Uber eine ganz natürliche Urſache , die
24 man an mehrern Pflanzen findet.
an
M Woher aber die Gartencypreſſe , Santolina Chamæ
ht cypariſſias, das Zutrauen , die eheliche Treue zu erhals
ten , bekommen hat , davon habe ich nie etwas rechts er
fahren können. Indeſſen legt der Aberglaube in der erſten
Nacht der ehelichen Verbindung einen Zweig davon unter
das Kopffiffen . Doch muß es der Theil nicht wiſſen , dem
es untergelegt wird . Das Kraut hat einen ſtarfen , eben
nicht ganz angenehmen Geruch. Geſchiehet es , um einen
des Geruchs wegen munter zu erhalten , ſo wäre es alens
faus
574 II. Mediziniſcher Aberglaube .
faus nur eine Nacht, denn durd, die Wärme der Brauta
nacht gehet der ſtarke Geruch fort. Ob es nun muß wies
derholt werden , das iſt mir nicht bewußt.
In der 1779. hier herrſchenden rothen Ruhr, erfuhr
ich einen noch unbekannten Aberglauben . Ein rother Fas
den wurde mit Theriak beſtrichen , und den Kranken , bes
ſonders Kindern umgevångt. Dieſer Theriak wurde nun
in den Apotheken gefordert , und das mit dem Ausdruck :
Um Gottes Wiđen beſchmieren ſie mir den Faden mit Thes
riak, und ſchenken ſie ihn mir. Stillſchweigend wurde
aber dennoch ein Stück Geld hingelegt, ohne etwas zu ſa
gen , daß damit das Geforderte foate bezahlt werden .
Uber es ſollte doch damit vergütet werden , denn ſtigſdwei
gend ſteckten ſie das Geld , was fie wieder bekamen , bei
ſich. Eben ſo wird Queckfilber in einer Federſpule die in
Leinwand eingenähet , und mit einem verſiegelten Korfſto:
pfen zugemacht iſt , von Weibern an einer Schnur um den
Hals getragen , die wenn ſie Kinder ráugen , und nicht
Milch genug haben , dieſe Federſpuhle zwiſchen die Brüſte
þången . Soll aber die Milch vergehen , oder das Kind
Toa entwöhnt werden , ſo wird der Federfiel To gehängt ,
daß er zwiſchen den Schultern liegt. Dieſes iſt ein Ubers
glaube , der aber noch ſo ziemlichen Grund hat. Ein for
cher mit Dueckſilber angefúater Federfiel wiegt zwiſchen
3 bis 4 ( oth . Ein Gewicht, das wegen ſeines kleinen
Raums , cylindriſchen Geſtalt, und wegen des Fadens
oder des ſchmalen Bandes, woran es hångt, mehr auf den
Körper drückt, als wenn es einen gröſern Raum einnah
me, und an einem breitern Band getragen würde. És
konnte wohl zum Theil den Zufluß der Milchgefåre Hems
nigſtens Herzte , denen es bevoußt
nararen hångt. We

Grund zu. Die Menſchen aber, die es brauchten , glaub


ten am Queckſilber ein Amulet zuhaben , das entgegen
gerezte
II. Mediziniſcher Aberglaube. 575
geſezte Würfunge :1 leiſtete , je nachdem es angebracht
wurde.

Mehrere Nahrung des Uberglaubens enthält das


# Pilanzenreidy, mir ſind ſie aber nicht ſo bekannt , und das
was ſchon in Büchern , beſonders den alten Kräuterbüchern
1 ſteht, wieder abzuſchreiben , wäre überflüſſig. Betrachtet
man alles abergläubiſche und ſympathetiſche Zeug ausdem
rechten Geſichtspunkt, ſo wird man finden , daß die Sadje
sy zu Zeiten einen ganz richtigen Grund hat, und daher auch
wohl Hülfe leiſten kann , nur aus dem richtigen Grund
entſpringt die Anwendung nicht. Die bloſen Thorheiten
ohne den geringſten Grund werden zu Zeiten durch den
Uberglauben wirkſam , weil die Menſchen das nicht übers
ſehen können , was begangen wird. Eine ſolche Handlung
war die , die id) vorher erzählt habe, um geſtohlene Sas
chen wieder zu verſchaffen. Aberglauben wird ſich wohl
EM ſo lange erhalten , als Menſchen das ſind , was ſie jezt
find, und noch nicht das ſind , was man aus ihnen bilden
2 kann. Indeſen ſollte man doch alle Quellen des Abera
glaubens aufſuchen , und ſie öffentlich bekannt machen.
3 Dadurch würden doch hin und wieder einige austrocknen ,
und der Strom kleiner werden. Denn das Menſchenges
ſchlecht ganz aufzuflaren , glaube ich , wird nie geſchehen.
Ein jeder hat von Natur das Maas des Verſtandes , das
er haben ſoll. Die Erziehung kann die Verftandeskrafter
die in der Seele ſind , entwickeln , aber die nicht hineinle
> gen , die nicht drinnen ſind.
monch.


III. Noch
576
III.

Noch etwas über die Pygmåen .


In Beziehung auf die Abhandlung des Herrn Prof.
Forfters, im z ſten St. der Heiſ. Beiträge.
Mit einem gewiſſen Intereffe für die Pygmaen , folgs
M lich mit Aufmerkſamkeit, las idi die vortrefliche Ab
handlung des Herrn Prof. Förſters über dieſen Gegens
ftand. Der reizende Vortrag, die ausgebreitete Belerens
Heit des Herrn Verfaſſers, und die ſcharfſinnige, aus den
egyptiſchen Hieroglyphen hergeleitete , mir ganz neue Erklås
rung der Sache, bewogen mich, die ganze Abhandlung
noch einmal zu leſen , und noch mehr Nachdenken darauf
zu wenden.

Sinnreich und ſehr wahrſcheinlich gemacht iſt aller:


dings der hier gegebene Aufſchluß jener alten Pygmåen :
fabel. Aber follte ſich nicht die Erzählung einiger alten
Schriftſteller von den Pygmåen und ihrem Streite mit den
Kranichen nvch leichter und und ungekünſtelter, ohne Zu
flucht zu den Hieroglyphen, erklären laſſen ?
Ich hatte vor vielen Jahren eine Diſſertation : de
Pygmaeis Aethiopiae populis (*) , die ein gewiſſer
Ant. Wilh. 3 werg geſchrieben , und in Kiel 1721. uns
ter Mos heims Vorſiß, vertheidigt gat , flüchtig durch
geleſen. Dieſe nahm ich jezt wieder zur Hand , um zu
ſehen , was darin von den Pygmåen behauptet werde , und
mit welchen Gründen ? denn ich hatte das vormals geleſene
wieder vergeſſen , welches bei mir ein ſehr gewöhnlicher
Fall ift.
Io
(* ) won ueuem gebrudt 17274
III. Ueber die Pygmåen. 577
Ich will hier einen kurzen Abriß von dem Inhalte dies
Ter Diſſertation vorlegen , und dann unverhohlen fagent ,
welche Erklärung mir die faßlichſte ſei.
Herr Zwerg führt zuerſt die Stellen der Alten an,
in welchen der Pygmaen gedacht wird. Vater Homer
ſteht, wie billig , oben an. Kteſias und Ariſtoteles
ſind ebenfalls Hauptfeute. Sodann folgen faſt alle die
$ übrigen alten Schriftſteller , die auch Herr Prof. Forſter
anfúþrt, der dabei noch auf mehrere fich bezieht.
Die Erzählungen der Alten von dem Lande, in wel
chem die Pygmåen gewohnt haben ſollen , find widerſpres
chend. Die Meinung derer die Ethiopien als das Vaters
land dieſer kleinen Seute angeben, wird vorgezogen . Die
Auſſage derer , welche die Pygmåen nach Indien verreßen ,
widerſpricht dieſer Behauptung nicht, wie Zwerg glaubt;
denn er nimmt an , daß das Wort Indien von den Alten 1
manchmal in einer ſehr ausgedehnten Bedeutung genoms
men, werde , und in dieſer Ausdehnung nebſt dem eigentlis
chen Indien auc andre entlegene und weniger bekannte
3
Lånder , fa B. auch Iybien , Ethiopien u. f. m. bedeute.
Er beruft ſich hierbei auf den Adrian Thurneb ( *) und
Gisbert Cuper (**) , welche dieſes aus Zeugniſſen der Uls
1 ten vinkinglich bewieſen håtten. Was andere ſagen , die
Thracien , oder andere Gegenden , zum Daterlande der
Pygmåen machen wollen , wird vom Verfaſſer dieſer Diſ
ſertation als unzuläſſig abgewieſen .
그 Bisher wandeln beide Unterſucher der Pygmåenges
ſchichte oder Pygmåenfabel , deren Aufräße ich jezt vor mir
babe, ſo ziemlid) nahe beiſammen . Übeč bald werden ſie
fiche
( * ) Adverfarior . libr. XXI. c. IX.
(** ) Obfervation . libr. IV. c. XVII.
Seff Beitr. St.IV. P p
578 III . Ueber die Pygmåen .
fich trennen , wie man ſehen wird , wenn ich noch ein wes
nig mit dieſem Auszuge fortfahre.
Es wird nun die Frage unterſucht: ob und wieferni
das wahr ſei , was die Älten von den Pygmäen érzählen ?
Oder näher beſtimmt: obs wirklich vormals in Ethiopien
eine ſo kleine Nation gegeben habe , die init den Kranichen
Krieg geführet ? Bekanntlich haben einige , unter andern
ſchon Strabo, die ganze Erzählung für ein Mährchen
gehalten. Der Verfaſſer der Diſſertation glaubt aber 1
daß nicht alles , was von den Pygmaen erzählt wird , ers
dichtet, ſondern zum Theil wahr reys. somer , Atea
fias und Ariſtoteles find ihm achtungswürdige Zeus
gen. Auch meynt er , in der erzählten Sache felbft reye
tein Grund vorhanden , ſie als unglaublich zu verwerfen .
1
Diefenigen , welche ein vormaliges Daſein der Pye
gmäen läugnen , thun es darum , weil ſie ſich in die gar zu
Kleine Statur dieſer Menſchen , und in ihren Krieg mit
den Kranichen nicht zu finden wiſſen ; und weil auch von
einem ſolchen vormaligen Vólklein nirgends mehr eine
Spur zu finden iſt. Dieſe angegebenen Gründe der Py
gmåenläugner werden auf folgende Art entkräftet:
Man hat erſtens nicht ndtbig , unter Pygmåen , oba
gleich dieſes Wort von Augw , Ehle , herſtammen ſoll, fido
ſolche Menſchen vorzuſtellen , die nur eine Ehle hoch waren ;
denn ſolches würde freilich einer Fabel ähnlich ſeyn : ſons
dern man hat nur eine Gattung von Menſchen zu verſtes
hen , die ſehr viel kleiner als andere Menſchen waren .
Solche Wörter und Ausdrücke, wodurch man kleine Sac
den noch mehr verkleinert, und groſe vergrößert, find in
jeder Sprache gemöhnlich. So nennt man z. B. einen
Menſchen , der etwas ungewöhnlich groß iſt, einen Rieſen ,
und einen ſehr kleinen einen Zwerg , ohne daß weder jener
eigentlic
III. Ueber die Pygmåen. 579
eigentlich ein Rieſe, noch dieſer ein Zwerg iſt. Und dema
nach iſt es nichts unglaubliches, daß vormals in Ethiopien
Menſchen gelebet, die ſebr viel kleiner als andere mene
Tchen waren.
Was ferner den Krieg der Pygmaen mit den Kranis
EMA chen betrift , To bedeutet der weiter nichts, als daß die
ha
große Menge der Kraniche, die fich zu gewiffer Jahrszeit
in der von dieſen Leuten bewohnten Gegend einfand , its
nen beſchwerlich fiel, und daß ſie darum fleißig gegen dieſe
Vögel auf die Jagd giengen , ſelbige tódteten und ihre Eier
zerſtörten . Hier fáat alſo das unglaubliche auch weg .
Ich úbergeße das übrige , was zur weiteren Ausführung
dieſes Punkts in der Diſſertation geſagt wird .

1
Endlich , daß es jezt kein ſo kleines Pygmåenvolk mehe
31
giebt, das iſt kein Beweis , daß dergleichen auch vor Zeiten
nicht geweſen ſei. Der Verfaffer macht die Inſtanz: es
gebe auch jezt keine Rieſen mehr, und doch habe es dergleis
chen vormalsgegeben, wiegelehrte Männer mit überzeugens
den Gründen bewieſen Håtten. Hier beruft er ſich unter
andern auf ſeinen Bruder, der eine Diſſertation de gi
gantibus geſchrieben hat. Es iſt nichts befremdliches,
daß ein vormaliges Volf , zumal ein ſo ſchwaches , wie
die Pygmåen , jezt nicht mehr vorhanden iſt. Pitkers
wanderungen , ſagt er , Kriege, Erdbeben und andere Res
volutionen , Håtten leicht dies kleine Półklein vertilgen ,
oder unter andere Völker zerſtreuen können , da denn in
der Vermiſchung mit andern dieſes Geſchlecht nach und nach
erloſchen ware .

So weit geht mein Auszug aus gedachter Diſſertatiou .


Das Reſultat der Zwergiſchen Unterſuchung - wie ſehr
unterſchieden iſt es von dem Reſultate der Forſteriſsen !
Der eine erklärt die Sache ſo, daß auch ein Ungelehrter
P p 2 ſie
$ 80 HI. Ueber die Pygmåen .
fie faffen und glaublich finden kann; die Erflárung des
andern iſt ſinnreicher , und blog dem Gelehrten faſlid );
übrigens aber vielleicht nicht ſtärker berrieſen , als die erſtere.
Auf beider Seiten iſt blos Meinung. Welche Meinung
iſt nun die wahrſcheinlichſte ? Spier gieng mirs eine Zeit
fang gerviſſermaſſen , wie dem Dichter, welcher ſingt:
Hier ſteh ich zwiſchen Lieb und Wein
Mit rechten Angſtgeberden .
Id rehe beides Vorzug ein ,
Und kann nicht ſoluffig werden. .

Endlid, aber ward, ich ſchlüſſig. Nemlich bei aller


ſchuldigen Achtung gegen die ſinnreiche Muthmaſung des
gelehrten gablonsky, welche durch die vortrefliche Dars
ſtellung des Herrn Prof. Forfters bis zur möglichſten
Wahrſcheinlichkeit gebracht iſt , fühle ich eine Neigung ,
der in vorhin gedachter Diſſertation vorgetragenen Mei
nung Beifad zu geben , und mir ein Pygmåenvolk im eigent
lichen Verftande zu denken ; nur etwas gröſer , als einer
Ehle hoch .
Die angegebene Etymologie des Worts Pygmåen
macht mich nicht irre. Es iſt ja noch eine Frage, ob dies
felbe richtig fei ? Das Wort Tuywv , eine Ehle , von wels
chem in der Diſſertation der Name dieſer kleinen (eute hers
geleitet wird , iſt mir nicht bekannt ; vielleiche iſt ein
Druckfehler und ſoll angus heiſen . Dem rei , wie ihm
molle , To ſcheint mir weder Truwww, noch ingus , noch das
égyptiſche Pi-mahi, das Stammwort von Pygmaeus
zu ſeyn . Ich dachte von Augjan , die Fauft, lieſſe ſich das
Wort Tuypatios viel natürlicher herleiten; und dann fónnte
es ſogar einen fauſthaften , oder Handfeſten und ſtreitbaren
Menſchen bedeuten . Doch geſezt , die Abſtammung des
Worts faſſe den Begriff von einer Ehle in fich, ſo folgt
daraus nicht, daß die Pygmåen nur einer Eble Goch gewes
ſen
1

III. Ueber die Pygmåen . 581


fen ſeien , ſondern nur, daß ſie in Vergleichung mit andern
gewöhnlichen Menſchen , von einer auffallend kleinen Staa
tur waren. So ſtelle ich mir die Grönlander deswegen
nicht als Zwerge vor , weil ihnen dieſe Benennung in fols
gender Stelle eines Gedichts des Herrn von Treuß ges
geben wird :
Des Todes lauten Tyranney
Sind ungeheure Patagonen
Und Grönlands Zwerge einerley.
Hyperboliſche Beſchreibungen ſind in Proſe und in Verſen
úblich . Auch kann ich mich hier auf das beziehen , was
Herr Prof. Forfer in ſeiner Abhandlung (Š.11 .) ſagt:
» Oft fonnte der Mangel einer gründlichen Kenntnis der
ausländiſchen Sprachen Sould an Misverſtändniſſen ſeyn,
wodurch Dinge , die an ſich nichts weniger als ungegrüns
det waren , ein fabelħaftes Anſehen eehielten . »
Die Möglichkeit einer poetiſchen Uebertreibung wird
vermuthlich von jedem eingeſtanden werden. Uber wie
láßt ſich alsdann Homers Gleichnis retten ? wie der Krieg
mit den Kranichen , die den Pygınåenmannergen den Job
brachten , wohl erklären ? Dieſen Einwurf macht Herr
Prof. Forſter (S.7.) gegen diejenige, welche das Purs
geben von der lächerlich feinen Figur der Pygmaen für eine
81 Uebertreibung Salten. Sollteman dieſem Einwurfe nicht
mit Manier ausweichen können ? Wir wollens ſehen.
Der Krieg der Pygmåen mit den Kranichen an ſich
betrachtet , ohne Rüfficht auf den Uusgang, macht keine
1 Schwierigkeit. Die Hollander hatten beim Anbau ihres
CHE {andes mit Moráſten und Fróſchen zu kämpfen , wie der
Serie Verf .der Briefe eines reiſenden Franzoſen úber Teutſch
land ſich ausdruckt. So kann man auch ſagen : die Egyptier
fil hatten zu Moſes Zeiten mit l&uſen zu kämpfen , u . c. w .
Da war alſo Kriegzwiſchen den Egyptiern und den verácht !

P Ⓡ 3 lichſten
582 III. Ueber die Pygmåen .
lichſten Inſekten . In ähnlicher Bedeutung konnte denn
aud Krieg zwiſchen den Pygmåen und Kranichen feyn .
Aber der Erfolg des Streits , die Ueberlegenheit und
Der Sieg der Kraniche über die Pygmåen wie iſt denn
das zu verſtehen ? Hier ſcheint freilich etwas mehr Schmies
rigkeit zu ſeyn. Ganz begreiflich wars , wenn die Pygmåen
wirklich nur ehlenhohe Männerchen geweſen waren . Dies
fen konnten ſo groſe Vögel , wie die Kraniche geweſen ſind,
die Schlacht abgewinnen , und Homer hätte dann mit
der Wahrhaftigkeit, die ein Geſchichtſchreiber haben muß,
von den Kranichen ſagen können :
Ανδροεσι πυγμαίοισι φονον και κηρας Φερουσαι .
Uber Männer , wenn ſie auch ziemlich viel kleiner
find, als ein Europåer von gewöhnlicher Gröſe, wenn ſie
auch nur zwei Eden hoc waren , können im Gefechte mit
Kranicen nicht den Kürzern ziehen. Entweder ſagt alſo
Homer etwas unwahres, oder die Pygmåen waren wirks
lich ſo verkümmerte kleine Menſchengeſchöpfe, die von Kras
nichen getödtet werden konnten . Und wer kann das léztere
von einer ganzen Nation für wahrſcheinlich halten ? Dies
fes iſt der Grund , warum Herr Prof. Forſter die Erklas
rung der Pygmåen aus den Sieroglyphen allen andern
Meinungen vorzieht.
Aber warum ſollte man nicht annehmen dürfen , daß
Homer, der ja kein Geſchichtſchreiber, ſondern nur ein
Dichter war, etwas, zumal in einem Gleichgniſſe, geſagt
Haben könne, das keine hiſtoriſche Wahrheit iſt ? Sperr
Prof. Forſter räumet ſelbſt dies ein , wenn er nad reis
ner vorgetragenen Erklärung ſagt (S.15) : „ Db Homer
ſelbft in Egypten geweſen , ob er dieſen Schlüſſel der allegos
riſchen Pygmåenfabel gekannt , oder ob er bloß die Fabel,
wie ſie zu ſeiner Zeit bereits in Griechenland ohne Ausles
gung von Mund zu Mund fliegen mogte , als ein paſſen :
des
1

III. Ueber die Pygmåen . 583


des Bild ſeinem unſterblichen Werke einverleibt Habe , kann
t und nunmehr vódig gleich gelten. » Es wird alſo zuges
TE ſtanden , daß Homer die Fabel von dem Kriege der Pys
gmåen mit den Kranichen und von der Niederlage der ers
ſtern , ohne den hieroglyphiſchen Schlüſſel dieſer Udegorie
gekannt zu haben , folglich blos als máhrchen zu einen
Gleichniſſe habe gebrauchen können ; wobei auch das uns
gleich gelten kann , ob der Dichter dieſes Máhrchen ſelbſt
geglaubt, oder nicht geglaubt gabe. In ſo fern es zu fei
ner Zeit eine allgemein angenommene Sage war, war es
auch , ſelbſt als Mährchen , zu einem Gleichniſſe tauglich.
Man kann alſo aus dieſem vom Homer gebrauchten
Gleichniſſe nicht rdlieſſen , daß die Pygmåen wirklich von
1
den Kranichen ſeien getödtet worden , ſondern es folgt nur
ſo viel daraus, daß dieſe Sage damals ziemlich allgemein
geglaubt worden ſein
Herr Prof. Eurtius führt in ſeiner Abhandlung
von den Gleichniſſen und Metaphern ( S . 59. ) . ein Gleichs
nis aus einem Gedicht des Hieronimus Vida an , in wel
chem der Beziehungsſaß auch bloſe Fabel iſt. Der Dichter
beſingt die Auferſtehung Jeſu , und bedient ſich dabei folgena
der Vergleichung :
Qualis ubi exutus ſenium , nitidusque juventa
Puniceis ſurgit Phoenix a funere plumis,
Jamque ſuos aditAethiopes, Indosque réviſit.
Circa illum volucres variae comitantur euntem
Et vario indulgent cantu, plauſuque ſequuntur.
Hierbei macht Herr & urtiusfolgende Anmerkung : „ Ger
Hórt gleich der Phónir in das Reich der Erdichtungen , ſo
giebt doch der allgemeine Beifall , welchen dieſe Fabel viele
Jahrhunderte gefunden , demſelben einen Schein der
Wahrheit , und macht ihn zum Beziehungsſaße eines
Gleichniſſes geſchickt. , Eben dieſe Anmerkung kann man
aud über Homers Gleichnis, von welchem hier die Rede
PP 4 ift ,
584 III. Ueber die Pygmåen.
ift , machen , und das wäre , denke ich , zur Rettung deſ
ſelben genug.
Es fáat mir noch eine Stelle aus einem einzeln ges
druckten Gedichte ein , deſſen Verfaſſer mir unbekannt ift.
Der Dichter redet von Männern , die , klein und matt
am Geifte , den Ruhm , den ſie ſich durch gemiſie, in der
gelehrten Republik nicht unbekannte Nebenwege erſchlichen,
nicht lange behaupten können ; ſondern bald wieder in ih
rer eigenthümlichen ganz kleinen Geſtalt erſcheinen . Von
dieſer Entdeckung ihres eigentliden innern Gehalts ſagt
der Dichter :
Dann gleicht ihr ſchimmerreichen Urnen ,
In welchen Arch' und Moder ruht.
Erſt giengt ihr prachtig auf Cothurnen ,
Nun wie ein Kind in ( iliput.
Dieſes iſt ebenfalls ein Beiſpiel, daß etwas erdichtetes,
wie hier Liliput und die Liliputier, zur Vergleichung dies
nen könne.
Und wer fann überhaupt den Dichtern alles glauben ?
Virgil war ein braver Mann , ich will ihm nichts Uebels
nachreden : aber doch ſagt er manches , ſogar in ſeinem Lehrs
gedichte über die Landwirtyſchaft, das er wohl ſelbſt nicht
geglaubt haben mag , das wir wenigſtens nicht glauben.
Wer wird z. E. das für wahr annehmen , wenn er von den
Stuten ſagt, daß fie oft im Frühlinge blos vom Weſt:
winde trächtig würden ?
illae
Ore omnes verſae in Zephyrum
bus
ftant rupi
altis
Exceptantque leveis auras : & faepe ſine ullis
Conjugiis , vento gravidae, (mirabile dictu )
Saxa per & ſcopulos & depreſſas convalleis
Diffugiunt;
Georg. libr, III, 270, & ſeg.
Selbfi
1
III. Ueber die Pygmåen. 585
Selbſt ein Mädchen würde darüber lachen , wenn man ihm
ſagen wollte , daß der Weſtwind ſolche Thaten verrichten
könnte. Wenigſtens würde es antworten : mirabile
dictu .

Der Umſtand alſo , daß ein Dichter einer Sache era


nk
wähnt ; daß Homer , um wieder auf die Hauptſache zu
kommen , der Pygmåen gedenket, denen die Kraniche im
31 Kampfe überlegen waren , hat nicht viel zu bedeuten ;
Bu man kann daraus nicht ſchlieſſen , daß das , was der Dich
ter als etwas wirkliches darſtellet, auch etwas wirkliches ſeis
Iſt nun , wie es mir ſcheint, die Hauptſchwierigkeit
die aus dem Homeriſchen Gleichniſſe entſteht, gehoben , ſo
kann inido dieſelbe auch nicht mehr abhalten , der Erzäha
fung des Dichters Homer die Behauptung des Philoſos
phen Äriftoteles vorzuzieben, und mit demſelben blos
zu glauben , daß wirklich im innern Afrika eine Nation
kleiner Menſchen , die man Pygmåen nannte , gelebt habe.
Die ſtarken Durchzüge der Kraniche, gegen deren Scheda
lichkeit ſie ſich zu vertheidigen hatten , und die von der ges
wöhnlichen Gróſe anderer Menſchen ſo ſehr abweichende
kleine Figur der Pygmaen , gab denn zu manchen komiſchen
Erzählungen von dieſem Volke Anlaß. und das iſt ja
noch immer der Sauf der Welt. Nach Abzug der fabels
haften Zuráße bleibt etwas übrig , das Wahrheit ift.
Joh . Lampe,
Pfarrer in Spig - Ultheim .

PPS IV . Bez
586
IV .
Bemerkungen über die Eremtion eines
Reichs - Landes von den Reichs .
vikariat- Gerechtſamen .
vom

Oberappellationsgerichts - Affeffor und Hofjunker


pon Dalwigk , zu Caffel.

Der Urſprung der Reichsverweſer , und die Grenzen


ihrer Rechte und Gerichtsbarkeit, find fchon ron groſen
Männern , einem Deffer , Jimnáus , Schilter ,
Ludewig , Gundling, Gribner , Kónig , Moſer
und andere hinlänglich unterſucht und erläutert ; doch has
ben ſie alle, wenn ich nicht irre, die Frage : ob und in wie
fern ein zum teutſchen Reich gehöriges (and der Gerichtbar :
feit und den Gerechtſamen der Reichsvikarien entnommen
feyn könne , zum Theil gånzlich übergangen, zum Theil nur
im Vorbeigehen berühret. - Ich hab' es daher meiner Bes
mühung nicht unwerth gehalten , dieſe Frage etwas ge
nauer zu erörtern . Ich verſpreche mir , billiger Gelehrten
Nachricht um deſto gewiſſer , als dies der erſte öffentliche
Verſudy meiner Kräfte iſt , und die Geſchäfte des Kolles
giums , wovon ich ſo glücklich bin , ein Mitglied zu ſeyn ,
mir nicht erlauben , einen beträchtlichen Theil meiner Zeit
auf Unterſuchungen dieſer Art zu verwenden ( 1 ). Caſſel,
den 16. Oktober 1784 .
(1) Xud dieſer erſte Verſuch wird jeden fachkundigen Leſer überzeus
gen , daß der Verf. deſſelben die beſte dinlage zu mehreren und
wichtigern Arbeiten dieſer Art habe ; und man hat ihm deshalb
mit Vergnügen einen Play in diefen Beitragen vergönnt. 4.0.H.

I. Abs
IV. Eremtion eines Reichs-Landes 2. 587
I. Abſchnitt.
Etwas vom Urſprung der Reichsverweſer , und den Grena
zen ihrer Gerichtsbarkeit.

Strofeundweit entlegeneBeligungenw,eldeinmitta
lern Zeiten mit der rómiſchen Kaiſerwwürde verknüpft
waren, Kriege in Italien , Krankheit, auch wohl Mins
derjährigkeit, waren , wie und die Geſchichte unſers Vas
terlandes lehrt, die Urſachen , welche Deutſchland in jenen
Zeiten ſehr oft ſeines Oberhauptes beraubten , oder daſs
felbe doch eine Zeitlang von einheimiſchen Regierungsges
fchaften entfernten . Daher es denn ſchon damals nichts
ungewöhnliches war ( 2), daß bisweilen Reichsverweſer die
Reichsregierungs - Geſchäfte in Abweſenheit oder aus wohl
nach dem Tode des Kaiſers übernahmen.
In den Zeiten , wo die Gefeße das Reichsvermeſers
Amt noch nicht an geriſſe Perſonen oder Hemter auf ims
mer

( 2 ) Wenn alſo einige Staatsrechtslehrer glauben , daß die Reichs


verweſer in der G. B. ihren Urſprung fånden , ſo irren fie gar
rehr. Soon Otto der Groſe beſtellte, als er in Italien zu
thun hatte , feinen natürlichen Sohn Wilhelm, Erzbiſchof
von Mainz zum Reichsverwefer. Witichindus L. III. An.
nal. ſagt dapon : Eo tempore , quo haec intra Italiam gereban.
tur, ,fummus pontifex Wilhelmus , vir fapiens & prudens , pius
& cun &tis affabilis , a patrę fibi commendatam regebat Franco .
rum imperium, Und Ditmarus L. II.Annalium : Wilhelmps,
fanétae Archipraeſul Moguntiae , cui cura ab imperatore, Domi
no fuimet & parente commiſſa fuit Parthenapalin difponendi,
caeteraque regni neceffaria regendi , moritur. Ja , aud die Vis
fariatsgerectfame der Saurer Pfalz und Sachſen find alter , als
Die goldne Butle , und haben in dieſem Reidsgerege nicht ihre
Entftehung , ſondern nur ihre Beftátigung erhalten. Wie es >
überhaupt in mittlern Zeiten mit dem Reichsvifariat gehalten
worden , lernt man am beſten aus dem mit hiſtoriſeen Beweiſen
unterſtüßten Beiſpielen , welchePfeffinger in Vitr.illuſtr.T. 1.
pag. 972. feq. und Herr Håberlin im Ausjuge aus der alle
gem. Weltgero . 26. 8. S. 114. feq. geſammelt haben,
588 IV. Eremtion eines Reichs -Landes
mer gebunden hatten , finden wir , daß Müttern (3 ),
Brüdern , Vettern und Erzbiſchoffen (4 ) die Stelle eines
Reichsverweſers von den Kaiſern ſelbſt übertragen , oder
von ihnen unter andern Umſtänden übernommen , und ſo
die Ruge im Staate erhalten wurde. - Carl IV. machte
awar durch die Verordnung der guldnen Bulle der wias
führlichen Ernennung der Reichsvikarien beim Leben des
Kaiſers noch kein Ende , doch übertrug oder beſtätigte er
vielmehr dieſes Amt während eines Interregnums auf ims
iner den Pfalzgrafen am Rhein und Herzogen zu Sachſen .
Der Kaiſer wies zugleich in ſeinem Geſeßbeiden Reichsver
weſern die Grenzen an , innerhalb welchen ſie ihre Gerecht
fame ausüben ſollten : Pfalz den Rhein und Scwaben ;
Sachſen hingegen alles , was damals Sacſenrect
hatte ; indem er ſich hier des Ausdrucks bedient : daß der
Pfalzgraf am Rhein das Reichsvikariat in jure Franco
nico, derHerzog von Sachſen aber da, ubi jura Saxonica
ſervantur, führen route ( s). Dieſe Stede hat ſchon zu
häufigen Streitigkeiten über die eigentlichen Grenzen beider
Pitariate Unlaß gegeben . Die Rechtsgelehrten haben ſie
auf verſchiedene Weiſe, die ineiſten aber wörtlich erklärt.
Nach der Meinung der leztern gehören alſo diejenigen lán
der , in welchen ſácſiſches Recht galt, zu dem fächſiſden ,
aber in welchen das fränkiſche aufgenommen war , zu dem
pfälziſchen Vikariat . Dem zufolge fåtte man z. 5. Her
fen , theils zum ſächſiſchen , theils zum fránfiſchen Vifariat
rechnen inúſſen , vermoge der alten Eintheilung in den
fådfiſchen und frånfiſchen Heſſengau , welchen auch der Ges
brauch ſowohl der fachfiſchen als frånkiſchen Rechte begrúns
dete

( 3). Das Beiſpiel der Saiſerin Agnes der Mutter Henrid IV. und
der Staiſerin Iheophania der Mutter Otto Ill.
( 4 ) Hatto von Mainz unter der Regierung Ludwig des Kindes orig.
Guelf. Tom. II. pag. 315 feq.
+

(5) O. B. C. V. §. I.
von den Reichsvikariat-Gerechtſainen. 589
dete (6 ). Dieſes hat auch die Veranlaſſung gegeben , daß
die Publiziſten Heſſen , was die altern Zeiten betrift, bald
zum ſáchfiſchen ( 7 ) bald zum pfälziſchen(8) Vikariat rects
li nen . Allein die Objervanz neuerer Zeiten ſtiin mr blos für 1

das pfalziſche Vikariat, von welchem für ganz Seffen 'allez


zeit die Vikariatspatente nach Caffel und Darmſtadt ges
31 ſchickt und angenommen werden. Noch mehr iſt dieſes
durch den zwiſchen den Häuſern Pfalz und Sacren am
9 ten Jun. '1750 geſchloſſenenen Vergleich beſtimmt worá
% den , indem ſich das ſáchfiſche Vikariat darin verbindlich
macht, ſich bei ſeiner geheimen Vikariatskanzlei fowohl als
bei ſeinen Vikariatgerichten , alter Vifariatsintimation und
Verfügungen , wie die Nahmen haben , nicht allein im
Erzſtift Köln , ſondern auch in dem ganzen kurrheiniſchen
M und oberrheiniſchen Kreiſe zu enthalten , und ſolche an
Pfalz zu überlaſſen . Uebrigens iſt bekannt genug, daß
in ocnen ländern in welchen fränkiſches Recht galt , das
ſáchſiſche nicht ganz verbannt war , und in denen , rselche
fich des fächſiſchen Rechts bedienten , auch hin und wieder
das fränkiſche gebrauďyt wurde ; (9) es ließ ſich daher in als
ten Zeiten nach dem Recht, welches in einem Lande ein
geführt war , nicht genau beſtimmen , zu weldem Vita
riæt daſſelbe zu rechnen ſei. Indeſſen hatman ſich mit
derwörtliden Ueberſegung derangezogenen Stelle derg. B.
lange
IM
( 6 ) Stopp Nachricht von Deffiſchen Geridten. Cheil I. Š. 16.
Mat
( 7 ) Ludewig Erläuterung der g. B. Tit. V. S. 2. pag . 580. qu. I.
Gribner opuſc. jur. publ. Tom . II.fe &t. 3. S. 44. Eftor orig .
út jur. publ. Haff. C. 1. §. 1. pag. 15. Homfeld ( Joh. Peter ) de
M libert. orient. Friſ. circa vicar, imp. nom. germ . S. 108.
( 8 ) S. die Erklärung des Landfr. zu Nürnberg vom 9. 1522. und
Rec. imp. Auguſt, de anno 1500. v. und den vierten Kreiß ,, und
die daſelbft angeführten Søriftſteller. Ausführlice Nadridt
대 vom Interregno S. 38. v. franfenberg Europäiſser Hes
rold Th. 1. S. 161 .
( 9 ) Ropp am A. D. Seite 62 .
590 IV . Eremtion eines Reichs -Landes
lange Zeit beholfen , bis man endlich ausfand , daß
das Wort jusweiter nichts , als dictio , regio bedeute,
denn ſo ſagte Henrich das Kind , {andgraf zu Hellen ,
von der Stadt Wißenhauſen : Witzenhuſia jure Frane
conico fita eft , jure franconico utatur ( 10 ). Ein
Beweis , daß jus oft nichts anders als Gegend bedeutete!
Ueberdem aber theilte man damals Teütſchland in Sachs
ſen und das Reich ( 11) ; das leztere war das frånfiſche
Recht, oder alles was nicht zu Sadſen gehörte, jenes aber
begrif Thüringen , Weſtppalen und Friesland ( 12).
Durch dieſe Erklärung Hebt ſich die vermeinte Dunkelheit
jener Stelle der g. B. von ſelbſt. Ohne mich aber hier
Bei Beſtimmung der Länder und Gegenden , welche zu beis
den Vikariaten gehören , oder bei den weitläuftigen Strei
tigkeiten , welche das Vikariat zwiſchen den Häuſern Pfalz
und Baiern veranlaßt hat , aufzuhalten , ſchránke ich mich
blos auf den Zweck dieſer Abhandlung, die Unterſuchung
der Frage : ob und in wie fern ein Reichsland von der Ges
richtsbarkeit und denGerechtſamen der Reichsverweſer bes
freit ſeyn könne, ein.
II. Abſchnitt.
Unterſchied der Exemtion vom Vikariat überhaupt, und Vis
fariat s pofgerichts - Jurisdiktion insbeſondere.
Zu genauer Erörterung dieſer Frage ſcheint es mir
vorzüglich nöthig zu ſeyn : den Unterſchied zwiſchen Reichs
vikariat und VifariatosHofgerichts-Jurisdiktion zu bes
merken , um ſo mehr , da dieſer linterſchied von den lehs
rern

( 10 ) Eftor orig. jur. publ. Haff, pag. 18. feqq.


1
(11) Mit der Eintheilung Deutſchlands in Sadfcn und das Reid
fann man feinen andern Begrif verbinden , als mit der heut zu
Tag noch gebräuchlichen Eintheilung in das Reid und das übrige
Deutſchland. In ofer von Deutrdland S. 562.
( 12 ) 6. Widt Vorbericht zum oftfrieſiſchen Landreot S. 133 4. f.
von den Reichsvikariat- Gerechtſamen. 591
rern des teutſchen Staatsrechts in ihren Schriften , wie
id glaube , bisher nicht beſtimmt genug angegeben iſt.
Wenn von dem Reichsvikariat die Rede iſt , To vera
ſtehe ich darunter den Inbegrif aller derer Gerechtſame,
welche den Reichsverweſern in Gnadens nnd Majeftats
ſachen in der g. B. zugeſtanden ſind ; die Vifariatsjuris
diftion aber begreift das Recht der Reichsvikarien zur Zeit
dès Interregnum durch eigene von ihnen angeordnete Ges
richte, Streitigkeiten , welche bei beſeztem kaiſerlichem
Thron an den Reichshofrath gelangen würden , entſcheis
den zu laſſen . Ein Unterſchied zwiſchen Vikariat
und Vikariats -Hofgerichts - Jurisdiktion , welcher in die
Augen fáat. Dieſer Gerichtbarkeit, welche die Reichsvers
weſer während des Interregni durch ihre Vikariat- Hof
gerichte ausüben , ſind der Regel nach alle Provinzen
Deutſchlands unterworfen ; jedoch können die Lånder , wels
che ein uneingeſchränktes Appellations - Privilegium erhal
ten haben , in dieſer Rückſicht als Ausnahmen angeſehen
werden . Denn wenn auch in den Privilegien der Erem
tion von den Vifariatgerichten nicht gedacht iſt, ſo liegt
dieſe doch ſchon in der Natur der vikariatgerechtſamer
welche ſich ja weiter als die kaiſerlichen Rechte ſelbſt nicht
erſtrecken können ; und in ſofern alſo Sachen , aus denen
Låndern welche ſich eines ſolchen Privilegiums zu erfreuen
Vaben , beim Leben des Kaiſers nicht durch den Weg der
Uppellation an den Reichshofrath gezogen werden können ,
in fo fern können ſich eben ſo wenig die Vikariatgerichte , da
ſie blos als ein Surrogat deſſelben zu betrachten find ( 13)
eine Erkenntnis darinnen anmaſſen .
Und wiewohl natürliche und poſitive Rechte in dem
Caß übereinſtimmen : daß Privilegien zum Nachtheil der
Rechte
(13) S. die Sammlung der Concluſ. des pfalzirdenVifariat -Hof
ger, Augsburg 1741 ano 174 % 23 , €, Franz I. Art, HII. S. 16,
592 IV . Eremtion eines ReichssLandes
Rechte eines dritten weder ertheilt noch erklärt werden ſols
len ; To find doch auf der Seite der Reichsverroeſer feine
Rechte, welche durch die obige Auslegung gefrånft werden
wohl aber wurden auf der andernSeite die länder , welche
durch eine ſo einſchränkende Erklärung ihrer Appellations :
privilegien , in der lezten Infanz auf eine kurze Zeit frems
den Gerichten unterworfen ſeyn ſoaten , allerdings groſen
Nachtheil leiden. So gewiß aber auch ein ſolches (and
der Gerichtbarkeit der Vifariatgerichte nicht unterworfen
iſt, ſo kann ſich doch dieſe Befreiung nicht bis auf das
Reichsvifariat überhaupt oder den ganzen Inbegrif , der
den Reichsverweſern in Majeſtáts- und Gnadenſachen zu
ſtehenden Rechte erſtrecken . Denn auſſerdem , daß ein
gånzlich erimirted land während der Zeit des Interregni in
keiner Verbindung mit dem teutſchen Reich ſtehen würde (ins
dem die Majeſtátsrechte doch allezeit das ſtärkſte Band zwis
ſeben dem Reich und ſeinem Oberhaupt ſind ) ; ſo kann
doch kein Reichsſtand, welcher die g. B. als ein allgemein
verbindliches teutſches Gefeß anſieht, ſich weigern , das
für gültig zu halten , was ein Reichsverweſer vermoge der
ihm in jenem Gefeß zugeſtandenen Rechte (f. B. Aufrechts
Baltung der Juſtiz im Reiche, Verleyhung der Reichslehne,
Préſentation zu den geiſtlichen Benefizien ( 14), Ertheilung
der Adelbriefe und Würden u. d. m . ) in ſeinem ande
1 vorgenommen hat. Die Wahrheit dieſer Behauptung
wird noch einleuchtender, wenn man die Sache im Gan
zen betrachtet. Wollten ſich alle Länder Deutſchlands von
den Vikariatgerechtſamen erimiren , ſo würde das Wohls
thätige
( 14 ) Dbgleich die Entſcheidung der Frage : ob die Vifarien zum Recht
der erſten Bitte berechtigt ſind , hieher nicht gehört ? ſo fann
ich doch nicht umhin , hier anzumerken , daß von dem den R.
Verweſern in der foon angezogenen Stelle der g. B. (C. V.8 . 1.)
verſtatteten Rechte ad beneficia eccleſiaſtica praeſentandi fein
Soluß auf das Recht der erſten Bitte zu maden ſei. S. teats
fde Encpflop. 26. 3. 6.891,
von den Reichsvikariat-Gerechtſamen. 593
thátige ber teutſchen Berfaſſung , welche ſelbſt in jenen
U Sándern , denen ein Appellationsprivilegium ertheilt iſt,
gegen verſagte Juſtiz ſchůßet, wenigſtens während des Ins
nh terregnums aufhören , und eine všaige Unarchie in dieſer
4
Zeit an ihre Stelle treten .
Einige Staatsrechtslehrer behaupten zwar , daß den
Kurfürſten eine ſolche gånzliche Befreiung vermoge ibrer
priv. de non appellando von ſelbſt gebühre; allein fie
1 unterſtüßen dieſe Behauptung nidst mit ſolchen Gründen ,
daß ein unpartheiiſcher ſich dabei beruhigen könnte.
13 Die Kurfürſten bleiben ja doch , ihrer großen Vorrechte un
geachtet, Reichsſtånde; in der Natur des Appellations 1

privil. aber liegt eine ſolche Befreiung , wie ich ſo eben ges
et zeigt habe , nicht; und auſſerdem , daß die Gefeße von einer
beſondern Eremtion der Kurfürſten ſchweigen ; ſo könnte
auch ſelbſt der Kaiſer gegen den ausdrücklichen Inhalt der
W. E. ( 15 ) eine ſolche verfaſſungswidrige Befreiung zum
Nachtheil der Reichsverweſer nicht ertheilen . Noch wenis
x ger inogen die Reichsvifarien ihren Gerechtſamen durch
Verträge mit Standen etwas vergeben ; ein ſolcher Vers
trag wurde ungültig reyn , weil die Reichsverweſer muhl
nicht aus eigener Befugnis , ſondern von Reichswegen ihre
Gerechtſame ausüben .

50
III . Abſchnitt.
11 Eremtion der Hauſer Defterreich , Böhmen , Burgund , Maing
Do und Ditfriesland .

Dieſe Bemerkungen vorausgeſchickt, werden ſich die


Gründe , welche Deſterreich , Böhmen , Burgund ,
3
Mainz und Oſtfriesland zu Behauptung ihrer Anſprüche
auf eine ganzliche Befreiung von den vikariatgerechtſament
anfüha
(15) Art. III. 8. 15.
Seff. Beitr. St. IV . 29
594 IV . Eremtion eines Reichs- Landes
anführen , deſto leichter beurtheilen laſſen. Zuerſt wende
ich mich zum Haus Deſterreich , welches ſich auf das bes .
kannte Privilegium Friedrich I. vom J. 1156. gründet,
und darinnen von vielen Staatsrechtslehrern unterſtützt
wird. Allein dieſe Behauptung ſtreitet gegen alle Zeits
rechnung. Carl IV. publizirte die g. B., worin er den
heutigen Reichsvifarien ihre Rechte auf immer beſtätigt ,
200 Jahr nach dieſem berühmten Privilegium ; und es era
giebt ſich ſchon von ſelbſt , daß keine Befreiung gegen ein
ſo viel ſpáteres Gefeß darin enthalten ſeyn kann. Zwar
Þabe ich oben gezeigt , daß ſchon mehrere Jahrhunderte
vor der g. B. die Reichsverweſer in Teutſchland nichts uns
gewöhnliches, ja eine ganz natürliche Folge, der damali
gen Zage der teutſchen Angelegenheiten waren , allein dieſe
ůbten die Hoheitsrechte nicht perpetuo jure , ſondern nur
Uuftragsweiſe für beſtimmte Zeitumſtånde aus , und
konnte dabei alſo einer Befreiung von der kaiſerlichen Hos
heit um ſo weniger gedacht werden , als die Kaiſer die
Reichsſtånde in der Unterwürfigkeit zu erhalten wünſchten ,
und ihnen gewiß keine ſolche, gegen ihre Macht, Unſehen
und die Verfaſſung des Reichs laufende Gerechtſame wür
den eingeräumt haben .
Durchlieſt man nun das Privilegium felbft;. To finden
fich darin zmi Stellen, welche für die Eremtion Defter :
reichs angeführt werden könnten. In einer heißt es :
Primo quidem quod dux Auftriae quibus ſuis
»
ſubfidiis feu ſervitiis tenetur , nec effe debet ob
»
noxius facro romano imperio nec cuiquam alteri,
»
niſi id ea de ſui fecerit libertate, eo excepto dun
taxat quod imperio ſervire tenebitur in Unga
1 riam , duodecim viris armatis , per menſem
> unam ſub expenfis propriis in ejus rei eviden '
tiam . “ . Dieſes mogte aber wohl nicht wörtlich von
der Exemtion vom Reich , ſondern bloß von der Hülfe ,
welche
von den Reichsvikariat-Gerechtſamen. 595
welche er bei vorfalendem Kriege dem Reich zu leiſten Kabe,
zu verſtehen ſeyn ; denn der ganze Zuſammenhang des
Privilegiums ergiebt ſchon , daß die Abſicht des Kaiſers gar
nicht geweſen iſt , den Herzog in Anſehung ſeiner {ånder lle
dem Reich gånzlich zu entziehen . In einer * Ste
aber, xwelche riae
hier angeführt turkann , awird
werden uam:
m geſagt
Du devreero Aufttam non tene riumcuri aliqvis
SE
acce edic per impe ſeu quam
aliam niſi ultrò & de ſua fecerit voluntate. “ ( 16)
Dieſe Stelle aber beweiſet weiter nichts, als daß der Hers
zog nicht verbunden ſeyn ſollte, fic vor den kaiſerlichen
Hofgerichten , welches die ſogenannten judicia ambulato
ria waren und den Kaiſer adenthalben begleiteten , zu
ſtellen ; denn die oberrichterliche Gewalt war damals allein
in den Händen der Kaiſer; wenigſtens hatten die Herzoge
und Grafen mit ihm nur roncurrirende Jurisdiktion ,
welche durch die zahlreiche Hof- und Landgerichte in den
teutſchen Provinzen ererzirt wurde (17 ). Es iſt alſo das
Privilegium , wenn man auch auf die Zeit der Ertheilung
deſſelben nicht ſehen wollte , der Uuslegung , welche man
öſterreichiſcher Seits davon zu machen ſucht, nicht fåhig .
Lieſle fich aber eine Sotal - Fremtion vom Reichsvikariat
-
behaupten , ſo wurde das vom Kaiſer Leopold im J. 1659
ertheilte Dekret , nach welchem er die baieriſche Vikariats
Handlungen mit dem Beding beſtåtigt, daß der Kaiſer
über ſein Erzhaus , und die ihm zugehörigen Erblande
die Jurisdiktion der Reichsvikarien nicht anzuerkennen
brauche

w ( 16 ) Horneck in Chron. Auftr. pag. 1194 T. I. fcript. rer. Auſtr .


Limn'a èus jure publ. lib. V. C.2. pag. 36. v. Senkenberg
Gedanken von dem lebhaftenGebrauch des uralten teurſchen und
bürgerlichen Staatsrede S. 125 u. f.
ef
10 (17) Háberlin Reidshiſtorie, Th. 8. S. 521, Alteffera de
for ducibus & comis, Gall. Lib . III.
092
596 IV . Eremtion eines Reichs- Landes
brauche, ( 18) mit gróſerem Anſchein fónnen angeführtwers
den. Allein auch dieſes Privilegium redet nur blog von
der Jurisdiktion , nicht aber von denen den Reichsvifarien
in der goldenen Bule zugeſtandenen Majeftats : und Ho :
Heitsrechten . Es dürfte alſo wohl eben ſo wenig , als das
Privilegium vom J. 1156. den Behauptungen des Hauſes ,
Deſterreich gemas erkläret, und der Beweis für die Erems,
tion vom Reichsvikariat daraus geführt werden können .
Endlich aber hat der Kaiſer jederzeit in den neuern Wahl:
kapitulationen beſchworen , daß er alles , was die Reichs
vikarien in Juſtiz- und Gnadenſachen in Teutſchland wah
rend des Interregnums vorgenommen hatten , hiermit
ratificiren und confirmiren wolle ( 19) . Gilt dieſes nun
für
( 18 ) „ Demnade bei uterhádk gedachter Threr staiſerlichen Majes
„ ftåt , der Herr Churfürſt von Baiern eingefommen , und
„ Ihro majeftat Deroſelben Confirmation , faut des copeplichen
Berdluſes, jedod mit nadfolgendem Vorbehalt und Beding,
ertheilet haben : erſtlich , daß Ihro Majeſtät einzigem Vica:
„ rio des Reichs über Dero Erzh a us und dem relber
angehorigen Erblanden die geringſte. Jurisdiction
„ nidt geſtändig , und dasjenige , was in der Sr. Churfürfil.
1
Durchlaucht in Baiern ertheilten Confirmation ſub verbis :
„ In fanden des Rheins , Schwaben , und fránfiſchen Rechtens
so dem Herkommen gemas enthalten , anderer Geſtalt als priva
s, tive reſp. Ihrer Kaiſerlichen majeſtát hodisbl. Erzhaufes
‫ور‬
„ welches erſtberührtem Herkommen gemas a jurisdi& tione vica.
9)
riatus imperii exemt iſt , zu verfehen ſey. Ullermaſten Ihro
9)
Kaiſerli che Majeſtát , wenn deme zugegen in höchſtgedachten
„ Ihres Erzhauſes Landen von des Reichšvicariats megen icht:
was vorgenommen wäre , ſolches alles abrogirt, contradi:
cirt und folenniſſime proteſtirt haben , und dann fürs andere,
daß denen Parthepon bey einem und anderm Vicariatgeridt
9
die nothwendige juris remedia vorbehalten bleiben fouten ,
» als haben allerhödftgedacht Ihro Staiſerl. Majeſtát anfangs
29
gemeldeten Reidshofrath deſſen zu dem Ende zu erinnern ,
» Allergnádigft anbefohlen , daß derſelbe folcher ertheilten Cons
„ firmation zufolge auf Ihro Hochfürſtl. Durcl. Vicariats
„ Handlungen erfennen , procediren und verfahren ſolle .
( 19 ) Wahlfapitulation &rang 1. S. 19. und 20 ,
von den Reichsvikariat-Gerechtſamen 597
für ganz Deutſchland, ſo muß es der Kaiſer auch dergeſtalt
für ſeine Erblande gelten laſſen , daß , wenn die Reichs
vifarien in Majeſtáts- oder Gnaden ſachen , denen ihnen
in der g. B. verliehenen Gerechtſamen gemås , in Deſtera
reich etwas vorgenommen haben , er dieſes als eine gültige
Handlung anzuerkennen verbunden iſt. Es kann alſo
dem Hauſe Deſterreich hieraus weiter nichts , als eine Bes
freiung von der Jurisdiktion der Vikariatgerichte zugeſtan
den werden .

Gleiche Berechtfame mit Deſterreich verlangte das


Königreich Böhmen , und nicht mit Unrecht (20) , da
die meiſten Privilegien , welche Deſterreich erhalten hat ,
mit auf Böhmen erſtreckt ſind , welches dann auch bei den
vorhin angezogenen derFall iſt. Da aber Defterreich ſelbſt,
wie ich oben ausgeführthabe , in den gedachten Privilegien
keinen Grund der Eremtion finden kann , ſo kann ſich
Böhmen eben ſo wenig darauf beziehen,
Eine große Anzahl Publiziſten ſuchen zu behaupten ,
daß Böhmen weder der Jurisdiktion des Reichs im gering
ften unterworfen , noch an den (andfrieden gebunden ſei,
und folglich , da es ſich den Hauptgrundgeſeßen des Reichs
nicht unterwerfe, auch kein Reichsvikariat anerkenne(21 ).
Dieſe Behauptungen aber ſind nicht von Beweiſen un
terſtüßt.
M
Bei der 1708. geſchehenen Readmiſſion hat ſich Kurs,
böhmen zwar den Schuß des Reichs ausbedungen , aber
nach den ausdrücklichen Worten des faiſerlichen Ratifita
. tions:

( 20 ), Beck ſpicil. jur. publ. Auftr. pag. 187.


til
(21) Neumann v. Buchholz in Diff. jur. publ. & feudalis, und
Jordanus de Archi - Pincernatu Bohemiae,
293
V
598 IV. Eremtion eines Reichs -Landes
tionsdekrets vom 6. Sept. 1708.alle ſeine Freiheiten , pri.
vilegia fori und Gerechtfame vorbehalten. Dieſe pri
vilegia fori fönnen aber gleichwohl keine andere , als die
in der g. B. zugeſtandene feyn. Es ergiebt ſich daher ſchon
aus der Natur dieſer Privilegien , daß keine Eremtion vom
Reichsvikariat daraus könne gefolgert werden. In neuern
Zeiten hat auch Böhmen die Hülfe der höchſten Reichsges
richte wieder geſucht. Auch hat Kaiſer Franz I. dem Kde
nig in Preuſſen auf die ihm gemachten Vorwürfe , daß
Böhmen nicht unter dem Reich ſtehen wolle , antworten
laſſen : regem Bohemiae teneri legibus imperii , &
earum tutela. Da Böhmen ſich alſo allen Gefeßen des
Reichs neuerlich unterworfen hat, ſo erkennt es auch ſtills
( dyweigend die den Reichsperweſern zuſtehende Hoheits
rechte ; wie dann auch keine groſeré Eremtion als Defters A

reich demſelben wird können zugeſtanden werden. Herr


von Beck (22) bemerkt auch , daß Kaiſer Carl VII ,
dem Kurfürſten von Sadſen nach der Eroberung Prags
fich in Befiß zu feßen und einen actum poffefforium aus:
zuüben erlaubt habe ; welcher aber , da Sachſen ſein Recht
zu Ausúbung der Vikariatgerechtſame nicht erſt durch dieſe
Conceſſion erhalten hat , ſondern ihm ſolches ſchon vorher
zuſtand , im Grunde nicht erſt zum Erweiß des Rechts
Telbſt notßwendig war .
1

Burgund glaubt nun zwar in eben der Maſe , wie


ehemals Böhmen , dergeſtalt erimiet zu ſeyn , daß es zur
Zeit der Noth unter des Reichs Schuß ſtehe, auſſer dieſem
Fall aber ein ſouveraines für ſich beſtehendes Reich ſei,
und erkennet alſo auch zur Zeit des Interregnumß kein
Reichsvikariat. Herr v. Morer hat uns (23 ) die Ver
handlungen , welche über die Frage, ob Burgund ein zum
teutſden Reid gegóriges {and ſei, geſammelt, und glaubt
daß
( 22) I. c. C, 2. §. 6. pag. 181. ,
1

( 23) Ir. von Deutſchland S, 350 meter 364.


von den Reichsvikariat-Gerechtſamen. 599
12 daß es lediglich von dem Anſehn des Kaiſers auf dem
Reichstage abhange , ob Burgund zu dem teutſchen Reich
gehören ſolle oder nicht. Dieſes ſcheint mir aber ein ſehr
律 ſchwankender Grundſaß zu ſeyn , vermöge deſſen ſich der
Raiſer auf gleiche Weiſe auch in Anſehung ſeiner übrigen
Staaten erimiren könnte. Da aber der burgundſche
Kreis , vermdge des burgundſchen Vertrags vom J. 1548.
al
mit in der Reihe der teutſchen Reichskreiſe aufgeführt wird,
auch zum Kammergericht präſentirt, Kammerzieler erlegt
und im Reichsfúrſtenrath Siß und Stimme hat, übers
Haupt aber zu allem demjenigen , was die Ruhe in Deutſch
land erhalten kann , beiträgt: ſo iſt wohl kein Zweifel ,
daß es ein zum teutſchen Reich gehöriges land ſei, welches
fich deſſen Geſeßen und Anordnungen gleich andern ſán:
dern zu ' fugen verbunden , und alſo nur in ſo weit vom
Reichsvikariat erimirt iſt, als es duro Gnadenbriefe der
Jurisdiftion der Höchſten Reichsgerichte entzogen iſt.
Kurmaing , eines der Reichslander, welches ſonſt die
anſehnlichſten und gróften Privilegien aufzuweiſen im
Stande iſt , gründete ehemals ſeine Anſprüche auf das
Reichsherkommen , und behauptete von jeher von dein
Reichsvikariat erimirt zu ſeyn. Man bezieht ſich auch dess
halb auf einen im J. 1658. mit Kurpfalz geſchloſſenen
Bertrag ; da ich aber aller angewandten Mühe ungeachtet
bei allen denjenigen, welche Sammlungen von Vertragen
und Reichshandlungen gemacht gaben , ſo wenig als in
dem Reichsarchiv zu Mainz dieſen Vergleichl habe finden
können : ro muß ich auch mit dem Herrn Gcheinenrath
v. Selch o iv in Marburg an ſeiner Eriſten , um ſo mehr
zweifeln , als es mir böchft unwahrſcheinlich vorkommt ,
daß Mainz einſeitig über eine der Verfaſſung völlig zumi
der laufende Sache mit Pfals folle trakrirt haben , da oha
nehin ein ſolcher Vertrag wohl nichtſehr gültig ſeyn würde.
Maing Toa fich nun im lezten Interregnum gegen den an
2.94 den
6co IV. Eremtion eines Reichs -Landes
den dortigen Hof abgeſchichten Kurbaieriſchen Wahlges
ſandten wegen des Vikariars nicht günſtig bezeigt , und
1 fich gleiche Gerechtſame mit den Vikarien habe anmaſſen
wollen ; wie die Beſandten , wenigſtens bei ihrem Hof
deshalb Klage führten .' Adein man widerſprach demſelben
gånzlich mainziſcher Seits ; und um den Kurbaieriſchen
Hof vom Gegentheil zu überzeugen , verwies Kurmain} in
der bekannten bambergiſchen Recuſationsſache den Kam
merrichter an das Reichsvikariat (24). Kurmainz pat
aber überdem eingewilliget, daß in der Wahikapitulation
Carl VII. (25) den Reichsverweſern die Befugnis , den
Reichstag zu halten und auszuſchreiben , wie auch den be
reits angefangenen fortzuſeßen , zuerſt ertheilt wurde (26) ;
da vorhin fein Reichsgeſeg etwas darüber beſtimmte ; wels
der g . nachher auch in des Kaiſer Franz I. Wahlkapitu
lation (27) märtlich widerholt ift. Mainz hat alſo hiers
durch anerkannt, daß es die Vikarien als Oberhaupt ans
zuſehen habe, und eben ſowohl an ihre Vorſchriften zur Zeit
des Interregnums, als an die kaiſerilgen gebunden ſei.
Endlich bleiben mir nur noch die Gründe Oſtfries
lands für eine gånzliche Eremtion zu unterſuchen übrig.
So muß hier gleich anfangs anführen , daß dieſes Haus
ſich
( 24 ) Moſer vom rómifchen Staiſer , S. 779.
( 25 ) Art, XIII. S. 9.
( 26 ) „ Und da nach Abſterbung eines Kaiſers oder in deffen Minders
1
„ jährig feit und langwierigen Abweſenheit auſſer Reichs denen
Reichsvikarien die Ausſchreibung und Haltung eines Reichs .
» tags , oder da dergleichen ſchon vorhanden , Continuirung
» deffelben fatt eines römiſchen Staiſers allerdings zufommt :
» ro rollen dieſelben folgenfalls mit Unregung eines neuen
Reichstages nach obiger Vorſchrift ſich gleichfalls zu richten
9)
schuldig , die ftehende Comitia aber zu continuiren befugt renn
und beide Arten anders nicht, als unter der Vifarien auto:
,, ritát gehalten und fortgefest werden . “
(27) Art. XIII. S. 9.
von den Reichsvikariat-Gerechtſamen. 601
ſich beſonders darauf gründet, daß es zur Zeit der Errichs
tung der goldenen Bude nicht zu Teutſchland gehört , runs
dern unter der Hoheit Carl des Dicken von Frankreich
geſtanden , und erſt 1391. gleichſam jure poftliminii fids
wieder dem teutſchen Reich unterworfen habe; folglich ſich
auch weder zu dem rheiniſchen noch rádsfiſchen Vifariat
rechnen könne; hierzu komme auch noch dieſes , daß Ofts
friesland weder fråntiſche noch ráchſiſche Gefeße erkannt, 1

fondern ſeine eigene von jeher gehabt habe ; Carl IV . Habe


aber nur diejenigen fånder zum fáchſiſchen oder frånfiſchen
ME Vikariat gerechnet, wo ſáchfiſches oder frånfiſches Recht
gegolten habe. Sr. Homfeld (28) dehnt dieſes Recht ſo
weit aus , daß er fogar in ſolchen Sachen , wo die Juſtig
verſagt orer verzögert iſt ( in caufis denegatae vel pro.
tractae juſtitiae ) denen Vifariat- Hofgerichten über Dita
friesland keine Gerichtbarkeit zugeſtehen will. Nun ſtim
men zwar alle hiſtoriſche Nachrichten damit végig überein,
daß die Oſtfrieſen zur Zeit der goldenen Bulle und ſchon
lange vorher der Unterwürfigkeit des Reichs fich haben ents
ziehen wollen , denn ſchon im Jahr 1256. führten ſie um
ihre Freiheit mit dem römiſchen König Wilhelm , Grafen
von Holland , blutige Kriege, und trugen den Sieg das ,
von (29). Da aber Dftfriesland ſich doch im J. 1391.
wieder in des Reichs Schuß und Schirm begeben hat , To
iſt es dadurch , daß es Theil an der Verfaſſung Deutſch
lands genommen hat , auch allen Reichsgeſeßen und Cons
ſtitutionen , und alſo auch den Verordnungen der goldenen
Bule unterworfen ; welches bei allen ländern , die dem
teutſchen Reich einverleibt worden , Plaß findet. Wolte
alſo
(28) Job. Petr . Homfeld de libert. orient. Friſ. circa vic. imp.
rom. germ, reg. S. 114. ſeq.
(29 ) Pútter Grundriß der Staatsveränderungen des teutſchen
Reichs V. Hauptft. S. 61.
095
602 IV . Eremtion eines Reichs-Landes x.
alſo nun Oftfriesland erimiſt ſeyn , ſo hatte es ſich , wie
es fich dem teutſchen Reich unterwarf , ausdrücklich erkla
ren müſſen , daß es im Interregnum dem Reichsvikariat
nichtwollte unterworfen ſeyn. Was aber Herrn Homs
felds Anführung : daß keine Fächſiſche und frankiſche
Recite in Oſtfriesland damals gegolten håtten (30) , und
die daher gemachte Folgerung : daß es daber auch zu keis
nem Vifariat gerechnet werden könne, betrift ; fo gehórs
ten ſehr viele Sander zum teutſchen Reich, welche ihre eigene
beſondere Gefeße hatten , und dennoch mit dem Reich ver
bunden und ihm unterworfen waren , wie hiervon Baiern
ein ſehr deutliches Beiſpiel giebt; deſſen beſondere Gefeße
fchon im J. 1346 , alſo vor Errichtung der goldenen Buüe
bekannt waren , welches aber aus einem ſolchen Grunde
auf eine gånzliche Eremtion vom Reichsvikariat nie Un
ſpruch gemacht hat. Was aber übrigens die Stelle der
goldenen Gulle : ubi jura franconica & ſaxonica ſer
vantūr " worauf ſich Herr Homfeld ebenfalls beruft,
angeht , ſo habe ich ſie ſchon oben erklärt , und verweiſe
meine Leſer dahin.
(39) , Widt Vorbericht zum oftfriefiffen Landrecht S. 133 H. F.

V. Ueber
603
V.
*
Fan Ueber das fchädliche Betteln der ſogenannten
SI
Paſſanten oder Vagabunden.
enn folgender, und zwar treuer , zuverläſſiger Auss
W zug der bettelnden Pafanten aus den gedruckten Urs
menliften der Stadt Caſſel , nur einige Empfindung des
durch ſie entſtehenden offenbaren Schadens in benachbars
ten (åndern und Städten erregt, ſo hoft man , nidt ums
ſonſt ihn mitgetheilt zu haben.
Im Jahr 1760 wurden auſſer den Stadtarmen 528
als ſolche bemerkt, die außerordentliche Steuern empfins
gen ; ob ſie alle Paſſanten waren , iſt nicht angezeigt , wohl
aber, daß 6 dergleichen zur ſogenannten Ranzion aus der
Sklaperei erhielten.

Im Jahr 1761 führte man 517 Perſonen an , die


Steuern empfingen , und 8 von der leztern Art.
1762 waren dergleichen 81, und 5 die Parlanten
genennt wurden.

1763 warens. 94 von der erſten Urt, und 91 von


Der leztern .

1765 jener 34 , und 330 Paſſanten.

Nun aber erfolgte von 1765 bis 1772 folgende liſte


von ausdrücklich benannten Paſſanten und der Summe
deſſen , was ſie von dem Urmeninſtitut erhielten.
.ch 。 1765
604 V. Vom Betteln der Paſſanten.
1765 s 810 Paſſanten erhielten 57 Rth. 29 Alb. 8 Pf.
1766 - 1015 3 S 72 22 2 IO 3

1767 - 1553 2 98 28 2 6

1768 - 2152 3 3 154.5 20 8 3

1769 - 2959 5 3 211 13 10

1770 3289 s > 2 2


219 10 8 3

1771 - 4631 >


253 $ $
28 4 s

1
1772 : 3980 215 15 4 3

Suma 20389 Paſſanten erhielten 1284 9 . 6 3

Man ſieht offenbar , daß das Direktorium des Ars


menweſens alles mögliche getjan fabe , um den Armen
der Stadt nicht zu entziehen , was eigentlich nur für ſie
beſtimmtiſt; denn von der ungeheuern Zahl der Landſtreis
cher beträgts für einen kaum 2 Albus.

Seit dem Jahr 1773 hat man ihre Zahl in den liſten
nicht fortgeführt, allein Unblick und Anlauf zeigt , daß
ihre Zahl mehr zu- als abgenommen habe. Unter dem
Nainen von verunglückten Kaufleuten und Fabrikanten ,
beſonders aus gewiſſen (andern , wo viel Monopolien ſind,
von verabſchiedeten Invaliden , meiſtentheils aus groſen
Dienſten , von armen Kandidaten , Studenten , Hand
1
werfðburſchen , Herrnloſen Bedienten , zwiſchen durch Leus
ten von Geburt und Proſelyten, kommen ſie über die
Grenzen ins land ; denn die einheimiſchen Paſſanten wer :
den mit Recht gróſtentheils an ihre Heimat verwieſen .

1
Ganz getroft darf ich nach dem offenbaren Augenſchein
und ohne die Sache zu übertreiben , nach dem liſtenmáſigen
Verhåltnis der angeführten Jahre , wenigſtens vom Jahr
1773 an bis jezt, noc 20000 annehmen ; alſo 40000
die in 20 Jahren den ſchönen oberrheiniſden Kreis und
das gute Heſſen durch bettelten . Und ſollten darunter nicht
die
V. Vom Betteln derPaſſanten . 605
31 die Diebe und Räuber gróftentheils ſeyn , welche in die
Häuſer einbrechen , Poſtwagen plündern und dergleichen ?
Man nehme nur noch an , daß der Sandſtreicher in die
Långe oder Breite Heſſen durdszieht, den Edelmann , Bes
amten , Prediger, Bauer und Einwohner der Stadt zu
Almoſen nöthigt, ſollte ich nicht jeden zum halben Thaler
anſchlagen können ? Uuf ſeine Komſumtion iſt nichts oder
wenig zu rechnen , da er alles erbettelt. Man ſummire
dies mit dem obigen , um den Schaden zu empfinden , den
eine ungehinderte Bettelei der Paſſanten einem ande von
máſigem Umfange brachte. So wahr aber dieſe traurige
3 Geſchichte iſt, ſo gerdiß bleibts , daß nur durch die größte
Wadyſamkeit und Strenge ein land , verbunden mit einer
desfalls zweckmäßigen Uebereinkunft benachbarter Ländern ,
dem Uebel abgeholfen merden kann und muß.

VI . Ueber
606
VI.

Ueber den Staffee.


aft jeder natürliche Körper befist Kräfte, welche theils
die Erhaltung des menſchlichen Lebens , theils die Hers
ſtellung der Geſundheit befördern. Ude dieſe Körper, die
wir im erſteren Fall Nahrungsmittel ,' im andern abet
Heilmittel nennen , müſſen in der dem menſchlichen Körper
angemeſſenen Menge genommen werden , wenn ſie nicht
gerade entgegengeſezte oder ſchädliche Wirkungen duſern
Toden . Das heilſamſte Medikament wird zu Gift, ros
bald die gehörige Dofis deſſelben úberſchritten wird , oder
es wird unwirkſam , wenn der tägliche Gebrauch deſſelben
eingeführt wird. In dieſem Fall befinden wir uns
in unſerm 18ten Jahrhundert mit dem Kaffee , dieſem ſo
hochgeprieſenen Nektar, der die Tagelöhnersfrau fo gut
als die Dame von Stande mit ſeinem Geſchmack entzückt,
und zu deſſen Ankauf jezt ſo viele Tauſende, unwieders
bringlich verlornen Geldes über das Weltmeer geſchikt wers
den. Sehr thörigt würde es ſeyn , wenn ich glauben
wollte , durch eine flüchtige Abhandlung den fo febr einges
riſſenen Misbrauch dieſes Getränke$ bekämpfen zu können,
das ſchon vor mir einige große Aerzte vergeblich geſucht ha:
ben , da ſich die Verehrer dieſes beliebten Tranks durch
nichts in der Welt bisher abhalten lieſſen , dieſe Art von
Uusſchweifung fortzuſeßen ; doch aber iſt es die Pflicht
eines jeden patriotiſiben Arztes , gegen dieſen und andere
Feinde der menſdlichen Geſundheit zu ſtreiten , und ſich
Schon damit zu begnügen , wenn nur wenige ihm folgen ,
und ſo dieſem Unweſen nach und nach geſteuert wird . Es
iſt entfeßlich, wenn man bedenkt , wie in ſo wenigen Jahs
ren , ſeitdem der Kaffee bekannt worden , ein ſo übertries
bener Misbrauch deſſelben herrſcht, daß auch die ſchårfften
Landesverordnungen und Verbote nicht vermogend geweſen
ſind,
VI. Ueber den Staffee. 607
find, Einhalt zu thun. Man bemerkt vielmehr, daß ſeit
einiger Zeit dieſes Gift ſich noch immer weiter ausgebreitet
hat , und nicht allein Standesperſonen , ſondern auch
Leute vom niedrigſten Pöbel , Sklaven dieſes zauberiſchen
Drankes ſind.

Da ich den Kaffee blos als Urzt betrachte, iſt es ist


meine Sache nicht, den unſáglichen Schaden und die gros
ſen Summen zu berechnen , welche dadurch aus Teutſch
land und ganz Europa gehen , welches auch ſchon hinlångs
lich von andern dargethan worden ; ich habe mir vielmehr
vorgeſezt , meine landsleute, angefeuert vom reinſten Paal
triotiſmus , zu warnen , ſelbſt dieſem Unfug weiter zu
fröhnen, und , als Feinde ihrer Geſundheit gegen dieſelbes
zu wüten. Glücklich will ich mich ſchåßen , wenn auch nur
einige wenige ſich durch dieſe Blåtter bewegen laſſen ſollten,
ihre Geſundheitden Reizungen des Kaffee's vorzuziehen .
Das Produkt dieſes urſprünglich arabiſchen Baumes
iſt ſchon bekannt genug , und hinlänglich beſchrieben wors
den , ſo daß ich den ohnedies engen Raum dieſer Slåtter
nicht mit der Naturgeſchichte des Kaffeebaums zu vers
ſchwenden brauche. Ich unterſuche den Kaffee: vielmehr .
gleich als Arzt , nach ſeinen Kräften und Beſtandtheilen
um daraus alsdann die Wirkungen deſſelben herzuleiten.
Nabrhafte Beſtandtheile ſucht man vergeblid in den
ausgebrannten Kaffeebohnen , indem das wenige ſchleimigte .
nahrhafte Weſen , das etwa vorher noch darin enthalten
geweſen , durch das Brennen oder Råften zerſtöret wird ,
und durch die Hiße verdunſtet. Nun aber entwickelt ſich
das entzündbare bißige Del , die freſſende Erde , und das
vorher verborben geweſene ſaure , flüchtige und ſcharfe
Salz. Durch die Beimiſchung des kochenden Waſſers ents
ſtegt nun ein Getränke, das nichts weniger als naþrbaft
ii iſt,
7
608 VI. Ueber den Staffee.
ift, ſondern blos die Wirkung der eben benannten Beſtands
theile kuffert. Schon dieſes beweiſet, daß dieſer Trank,
wenn er als ein tägliches Nahrungsmittel gebraucht wird,
für die Geſundheit nachtheilig ſeyn müſſe. Das hißige
Del fomohl, als das ſcharfe Salz , ſind Körper, die blos
auf die Nerven wirken , dieſe zu ſtark reizen und ſpannen ,
und dadurch die Spannkraft (tonum) derſelben ſchwachen .
Die Erde iſt freſſender Natur , und vermoge dieſer Kraft
frißt ſie die Gedarme an. Uus allem dieſem ſieht man
leicht ein , daß die Kräfte des Kaffee'd zwar zuweilen , jes
doch ſehr ſelten , mediziniſd , niemals aber di&tetiſch ſind,
und daß es eben ſo thörigt iſt , tåglich Kaffee zu trinken,
als wenn jemand eine andere , ſonſt heilſame Urznei, als
tägliches Nahrungsmittel gebrauchen wollte , entweder
wird ſie ſchädlich , oder wird endlich gar da unwirkſam , wo
ſie im Nothfal mußte angewendet werden .
Vorzüglid (chádliche Wirkung auffert der tägliche und
unmårige Gebrauch des Kaffee's bei melancholiſchen , kys
pochondriſden und ſolchen Perſonen , welche den Mutters
beſchwerden , oder der gúldenen Ader unterworfen ſind.
Man ſieht tåglich die einleuchtendſten Beiſpiele an ſolden
Seuten , und nod nie waren die ebengenannten Uebel ſo
allgemein , häufig und heftig , als ſeitdem dieſer Trank zur
Mode geroorden iſt. Bei melancholiſchen Leuten erregt er
durch ſein Hißiges Del immer noch mehrere Wadungen im
Blut. Hypochondriften ſchadet er durch Teine grobe Erde,
welche das bischen Magenſaft , das ihrern ohnehin ſchon
ſchwachen Magen noch verdauen hilft , vollends wegſaugt,
To wie er durch ſein ſcharfes flüchtiges Salz die Nerven an
greift, und deren Schmachedadurch noch umein gutes Theil
vermehrt. Er befördert die Säure im Magen und in den
Gedärmen , welches das Fauce Aufſtofſen nady dem Genuß
deſſelben bei ſolchen Leuten beſonders hinlänglich beweiſet .
Eben dieſe Säure verurſacht denn aud Mangeldes Appetits.
Aus
VI. Ueber den Staffee. 609
en!
Uus der Wirkung, welche der Kaffee auf die Nerven
N
auſſert, laßt fich nun auch ſeine Schädlichkeit in Mutters
krämpfen herleiten. Der unſterbliche Ritter { inner ers
zählt von zwo angeſehenen Matronen , welche ſtark mit
Mutterbeſchwerden geplagt geweſen waren , und durch die
kraftigſten Arzneimittel keine Verbeſſerung dieſes Umſtana
des Håtten erhalten können , bis fie, auf Unrathen der
Verzte , den bisher getriebenen häufigen Genuß des Kaffee's
einige Zeit unterlaſſen Kåtten ; da ſie aber nach Verlauf
eines Jayrs auf Zureden einiger Freundinnen , die ftarke
Verehrerinnen dieſes Nektars geweſen , einige Schalen ge
trunken , ſei ihr Uebel um ein gutes Theil ſtårker wieder
gekommen. Iſt dieſes nicht der offenbarſte Berveis ? In
Hämorrhoidalbeſchwerden ſchatet der Kaffee durch ſeine
j treibende Kraft, wodurch oft ſtarke Blutergieſungen ents
ſtehen , beſonders wenn er zur Zeit , da ſich das Uebel
Suſtert, genoſſen wird. BeiFrauenzimmern treibt er das
monatliche Geblút oft mit ſolcher Starke, daß es leicht zu
Blutfluſſen kommen kann , und ſchwangere Frauen haben
von dem Häufigen Gebraudo deſſelben eine unzeitige Geburt
3 zu befürchten .
d Uuſſerdem ſtórt der Kaffee den Schlaf, welches durch
tågliche Beiſpiele Hinlánglich bewieſen wird, deswegen man
ihn auch bei ſolchen Gelegenheiten genießt, wo nachtliches
Waden erfordert wird. Daß er , wie einige vorgeben ,
$t die Blähungen verhindere , wenn er gleich nach dem Eſſen
genoſſen wird , iſt mehrentheils falſch, indem er vielmehr,
beſonders wenn das geringſte im Röſten und Bereiten vers
m1 fehen iſt dieſes Hebel befördert und vermehret. linnel
3 gedenkt eines ſolchen Beiſpiels . Leute, die einen geſunden
ftarken Magen haben , ſind nach dem Erfen keines Mittels
zur Verbeſſerung der Verdauung benöthigt, und für diejes
nigen , die an Schwäche des Magens und der Gebárme leis
den , gibt es kraftigere und unſchädlicere Mittel.
3 Self Beitr.St. IV . Rr NOS
610 VI. Ueber den Kaffee.
Noch ein Beweis von ſeiner ſchädlichen Wirkung auf
die Nerven iſt das Zittern , welches man bei ſtarken Kaffee:
trinkery bemerkt , ſo daß manche kaum die Taffe an den
Mund bringen können. Sinner führt verſchiedene Beis
ſpiele davon an , die aber , bier zu erzählen, überflüſſig
find, weil uns die tägliche Erfahrung ſolche armſelige Opfer
ihres lúſternen Gaumens genug vor Augen ſtellt. Nur
eins verdient wegen ſeiner Seltenheit beme:Ft zu werden.
Er ſagt unter andern : ein angeſehener Mann ſei ein fola
der Sklave dieſes Getränks geweſen , daß er , als er ſich
endlich feines übel zugerichteten Kdrpers halber genöthigt
geſehen , dieſen Genußzu unterlaſſen , dod), um ſeiner
Zunge dieAnnehmlichkeit des Geſchmacks nichtzu verſagen ,
blos den Kaffee in den Mund genommen , einige Zeit lang
brin behalten , und wieder ausgeſpieen habe. Eben dieſer
Verfaffer glaubt auch mit Recht, die bisherig gåufigen
plóßlichen Todesfáde , beſonders in den nördlich europáis
Cohen Gegenden , dem eingeriſſenen Misbrauch des Kaffee's 1

juſdreiben zu kónnen . Wahr iſt es, und die Erfahrung 1

lehrt es , daß Sdlag- und Steckflüſſe vor dem Gebrauc


dieſes Tranfs lange nicht ſo häufig ſich ereignet haben , und
man bemerkt , daß Leute , die pldklich geſtorben , gemdhns
lich ftarke Kaffeetrinker geweſen find.
Noch einen andern Schaden verurſacht der Kaffee,
und dieſer betrift die Fortpflanzung des Geſchlechts , indem
er die zur Zeugung nöthigen Organe endlichunfähig macht,
시 ihre Beſtimmung zu erreichen , welches blos der nervens
Tchwachenden Wirkung und ſeiner austrocknenden Kraft
zuzuſchreiben iſt. Der Misbrauch dieſes Getränks iſt alſo
auch der Bevolkerung nachtherlig , und wenn ja dergleichen
Leute noch Kinder zur Welt bringen , ſo müſſen dieſe dod
das Verſchulden ihrer fecferhaften Eltern mit einem fieden
und ſchwachlichen Körper Zeitlebens herumtragen . Es
Toate mir nicht ſchwer faden , dergleichen traurige Beiſpiele
anzus
VI. Ueber den Staffee. 611
anzuführen , wenn ſie nicht jedem aufmerkſamen Beobacha
ter täglich in die Augen fielen . Sollte allein dieſer Grund "
nicht ſchon zureichend genug ſeyn , dieſem wahren Unſinn
$ Schranken zu regen ? Dlearius erzählt in ſeinem Jtia
nerario : die Gemahlin des Sultans Machmud Raſmins
gabe, als ſie ein Pferd verſchneiden geſehen , befohlen
von dieſer grauſamen Operation abzuſtehen , und dafür
EM dem Jhier Kaffee einzuſchütten , deſſen Wirkſamkeit ſie an
ihrem eigenen Gemahl erfahren habe. Dieſe Entnervung
1 iſt auch die Urſache, warum die Türken ifren Weibern
den Kaffee verſagen .
Beim weiblichen Geſchlecht giebt er überdies nod Uns
laß zu Antrieb des Bluts nach dem Kopfe, die Haut des
Angeſichts wird vor der Zeit welt und häßlich ; .ferner ents
ſtepen daher Beangſtigungen , Vapeurs und dergleichen
Uebel mehr. Man hat auch Beiſpiele von ſtarken Kaffees
trinkern , daß fie Schaden an den Augen gelitten , und bet
manchen kann der Misbrauch dieſes Tranks die Blindheit
beſchleunigt haben.
Noch einer ſchädlichen Wirkung des Kaffee's muß id
gedenken , und dieſes iſt die Austrocknung. Dieſe Wirs
kung iſt ſo ſtark, daß ſie ſich auf Eingeweide, Nerven und
Faſern erſtreckt, und die bewegende Kraft der feſten und
fúſſigen Theile Hindert und ſtórt. Aus dieſer Urſache gas
ben ſich Perſonen von magerer und ſomachtiger Leibesbes
fdaffenheit beſonders in Ucht zu nehmen, dieſen Trank tága
30 lich zu genießen . Auch kommt um ein gutes Theil noc
71 das warme Waſſer in Betrachtung, dem auch einnicht ges
ringer Theil der obenbenannten Folgen gebühret. Bes
- kanntlich erſchlaffen alle warme Getränke die Faſern , mas
chen weichlich, verhindern die Verdauung, und berauben
den Körper der zu den thieriſchen und natürlichen Verrichs
tungen To nöthigen Spannkraft.
RE 2 Ende
612 VI. Ueber den Kaffee.
Endlich und zulezt muß ich noch etwas von der Erde
ſagen , welche der Kaffee enthält , und die nach dem Kochen
ſich auf den Boden des Gefåres rezt. Dieſe hat theils an
und vor fide , theils vermoge der noch zurückgebliebenen
Cheile des hißigen Dels und des ſcharfen Salzes eine freſs
fende Kraft. Wenn ſie mit verſchlucktwird , rezt ſie ſich
in den Håuten und Falten des Magens feft, und auſſert
da hauptſächlich ihre ſchädliche Wirkung. Dieſes Feſtreken
geſchiehet durch ihre Schwere, wózu noch kommt, daß der
Magen von dem eben genoſſenen warmen Kaffee erſchlafft
iſt, und alſo auſſer Stand geſegt worden , ſeine Zuſams
menziehungen und wurmförmigen Bewegungen gehöriger
Weiſe zu bewerkſtelligen , und auf dieſe Art den einges
rohluckten Kaffeeſaß durd, die dủnnen und ferner durch die
dicken Gedarme auszuſondern . Die traurigſten Folgen
hat dieſes Hinterſchlingen des Kaffeefaßes ſchon verurſacht,
und bekannt genug iſt die ſchreckliche Jodesart eines jungen
Menſchen , der gewohnt geweſen , den Kaffee jedesmal
aufzurühren , und ſo zu trinken , endlich nach einiger Zeit
jåmmerlich geſtorben , bei deſſen Defnung fich gefunden ,
daß die Falten des Magens voller Kaffeeſaß , und dieſes
Eingeweide ſelbſt , wie ein Sieb durchlöchert geweſen .
Braucht es wohl eines ftårkern Beweiſed von der freffens
den Schärfe des erdichten Theils im Kaffee ? Selbſt der
filtrirte Kaffee iſt von dieſer groben freſſenden Erde nicht
frei, denn die braune Farbe des Kaffee's iſt nichts anders
als der erdigte Theil, wovon durch das Filtriren nur das
Feinſte dura fáat,das aber nicts deſto weniger eben dieſe
freſſende Kraft befizt.
Aus allen dieſen angeführten Wirkungen wird ein
jeder leicht die Soådlichkeit von dem Misbraud dieſes
Franks einſehen . Sollte dieſes nicht die Verehrer des
Staffeesbewegen , wenigſtens den täglichen und übermäſi
gen Gebrauch deſſelben einzuſchránken ? Perſonen von
melane
VI. Ueber den Staffee. 613
melancholiſchem Temperament, Hypochondriſten , hyſteris
riſche Frauenzimmer, Leute von trockener ſchmachtiger. Leis
besbeſchaffenheit , und ſolche , die zu auſſerordentlichen
PI Uusleerungen des Bluts geneigt ſind , trinken mit jeder
Schaale neues Gift , und diſponiren ihren KSrper zu
Krankheiten , welche durch die lange der Zeit unheilbar 7

werden. Entſtehen dieſe übeln Folgen zwar nicht gleich ,


ſo bleiben ſie doch in ſpätern Jahren ſelten aus , und ges
báhren ein zu frühzeitiges Alter , welches gemeiniglich mit
beſtandigem Zittern der Hände und des Kopfs vergeſeda
ſchaftet iſt.

D. Buſch der jungete.

>
1

RI 3 VII. Forts
614
VII.

Fortſegung.
Ueber die Durchkreuzung der Sehenerven .
Dan nahm meine Abhandlung über die Vereinigung
Man der Sebenerven gåtigſt auf , und verband mich
dadurch auch meinen verſprochenen Nachtrag über den
Bau dieſes Theils bei Vögeln zu liefern.
i

Damals ſchiens mir die beſte Methode , genaue anas


tomiſche Beobachtungen , ſo viel als möglich ohn alle das
zwiſchen angebrachte Unwendung auf eine Hypotheſe rein
vorauszuſchicken , und denn erſt über ſie Betrachtungen
anzuſtellen . Meine Abſicht dabei war , daß wenn man
auch einſt den zweiten I feil abſchneiden mußte weil
Sieblingsideen bei freyen Betrachtungin leicht irre führen ,
der erſte in ſeinem ganzen Werth ſtehen bliebe , und andern
tiefer rehenden zu etwa noch glücklicherer Nußung ungehins
derter dienen könnte. So bleibt mir doch einiges Gute,
ich darf nicht fürchten , daß meine Arbeit ganz verloren
iſt , wie vielleicht geſdeben wäre , wenn ich ungezweifelte
ohne Schmuck dargeſtellte anatomiſche Wahrheiten , die
Jeicht das Anſehen der Sachen darthut , mit minder fiderm
Raiſonnement verwebt , und um der verdrießlichen owes
rern Sonderung wegen gar verwerflich gemacht hatte.
Ich ſtelle daher wieder ein Paar neue Beobachtungen
į auf , doch ſo , daß was ich darůber commentire , von ihnen
ſelbft getrennt werden kann.

1
Erſte und zweite Beobachtung.
Indeſſen mich die Herausgabe dieſes Nachtrags bes
fchäftigte, hatte ich das Vergnúgen , von meinem beſten
Souler Herrn Billmann in Caffel, der wegen ſeiner
feltenen
VII. Ueber die Durchkreuzung 26. 615
feltenen Anlage und Fleiſles alle Uufmunterung verdient,
die Durchkreuzung der Sehenerven auch bei Hunden zweie 1
mal beſtåttigt zu ſehen ; er frieb mir dieſes unterm 21.
Nov. 1784 nicht blos , ſondern ſchenkte mir auch , das
dicfen Ilmſtand beweiſende Gehirn ſehr geſchickt herausges
nommen und vortreflich im Weingeiſt erhalten . Die um
to ftåndliche Nachricht davon , aus der Feder dieſes geſchickten
jungen Mannes , habe ich Herrn Profeſſor Blumenbach
zur Bekanntmachung in ſeiner mediziniſchen Bibliothek
überlaſſen . Alſo wieder aus einem Geidylechte der Sauges
thiere mehr wäre die Durchkreuzung unwiderleglich ,
folglich in vieren überhaupt ( Einhörnchen , Søwein ,
Pferd , Hund ) dargethan.
Dritte Beobachtung.
Den 17. April 1784 ſchickte man mir von Carlos
haven ein Ferken zu , das zugleich mit andern ebenfalls
an den Kópfen verunſtalteten geworfen worden war . Von
der linken Seite des Uugs erhob ſich gegen den obern Theil
des Kopfs ein runder mit etwas flüſſigem angefügter Sack,
der zwar dúnne aber ſonſt dag vódige Unſehen der Haut,
womit es am ganzen Kórper bedeckt war , hatte , von ohns
gefehr anderthalb Zoll im Durchmeſfer , er enthielt ein
blutig Waſſer , und ſeine Hóle ftand mit der Gehirnhóle
auf der linken Seite in Verbindung. Die Augåpfel fehla
ten gånzlich mit allen ihren Theilen, weil für ſie nicht
einmal eine Hóle von Knochen da war. Die Augenlieder
1 der rechten Seite waren klein , das linke obere hingegen
war gegen den Sack zu hinaufgezerrt. Die rechte Gehirn
hálfte war zur Seite ziemlich natürlich beſchaffen ; die
Geruchnerven fehlten gånzlich , und ſo auch die Sehener
ven und blos ein dunner Queerftreifen über die crura ce
rebri war nur noch von ihnen als eine Spur úbrig. Das
IN
dritte , vierte , fünfte und ſechste Nervenpaar hingegen
hatte ziemlich ſeine natürliche R
Beſchaffenheit;
r4
ſo fand ich
audy
616 VII. Ueber die Durchfreuğung
auch nicht den großen marfigen obern Queerbindungsſtreis
fen ( corpus calloſum ) , auch keine geſtreiften Körper
( corpora ftriata ), hingegen die Sehenervenhúgei waren
wurklich , obgleich kleiner da. Die corpora quadrige
mina ſchienen natürlich. Hier waren demnach beide Sehes
nerven verdorben , oder gar nicht da , und folglich ihre
Wurzeln hinter der Union oder der Durchkreuzungsſtelle
gegens Gepirn zu gleichfalls zu Grunde gerichtet.
Vierte Beobachtung.
Den 20. Auguſt 1784 ließ ich mir aus der herrſchafts
lichen Súnerſtopferei zu Caffel einealteHenne geben , deren
rechtes Auge durch einen mir unbekannten Zufall blind
war. Nach weggenommener Haut fanden ſich die Haut
und Augenlieder , und auch die Nickbaut (membrana
nictitans) in guten Umſtänden , am knochernen Ringe
aber um die durchſichtige Hornhaut war ein Stück kerausa
gebrochen und hineingedrückt , und die vermuthliche Urs
ſache, daß das Auge um mehr als die Hälfte zuſammena
gefallen und kleiner war. Ich nahm behutſam die Unters
Finnlade , und alle Knochen und fleiſchigthäutige Theile ,
die mich an der Herausnahme des Gehirns von unten her
hindern konnten , weg, und man ſahe nunmehr am ganz
unbeſchädigt ausgeſchalten Gehirn aufs überzeugendſte
I ) Den Nerven des verdorbenen Augs ſo erſtaunend
Berdünnt , daß er faum noch den zehnten Theil der Dicke
des geſunden betrug.
2 ) Den kranken Nerven merklich kürzer als den
geſunden ,
3 ) War er nicht weiß , wie der geſunde , ſondern
graulich , nur halbdurchſichtig, hårtlich , oder gleichſam
knorplicht.
4 ) Uuch die Scheide, womit ihn die Garte Hirnhaut
umzieht, hatte ſich verengt.
Eben
der Sehenerven. 617
Eben ro abſtechend, als der rechte Franke Nerve vom
Augapfel an bis da, wo er ſich mit dem geſunden vereinigte,
verſoieden war , ließ ſich auch jenſeits der Union eben der
Unterſchied zwiſchen beiden wahrnehmen , nur daß jenſeits
der Union , alle Verſchiedenheit, die vorher den rechten
Nerven auszeichnete , am linken vorhanden war. Denn
El nicht nur der nunmehr linke Nerve , oder vielmehr ſeine
Wurzel war dúnner , ſchmaler , grauer , ſondern ſelbſt
ſein Hügel ( der in dieſer Thierklaſſe hohl iſt) war kleiner
und grauer , als der rechte, und ſomit nun auch die
## Durchkreuzung der Sehenerven im Hünergeſchlechte an
M einem Beiſpiel wenigſtens unwiderleglich bewieſen ; ja die
Differenz der Dicke des geſunden Nervens war , wie man
aus dem vorigen ſelbſt ſchlieſſen muß , verhältnismäßig um
vieles beträchtlicher, als ich ihn je vorger bei einem Såugs
thiere bemerkt hatte.
Zugleich beſtåttigte dieſer Fall überzeugender , als die
vorigen , von vierfüffigen Thieren entlehnten , daß die
Decuſfation fibrenweis geſchieht, denn ich ſah mit den
uiſtehenden Herrn ganz deutlich i daß drei weiffe dice
Nervenbündel mit drei grauen dúnnen abwechſelten , von
denen ein grauer halbdurchſichtiger der obere war , und
von der linken Seite auf die rechte fortlief , und machte
alſo dasjenige augenſcheinlich , was ich Seite 206 behaus
ptet hatte , nåmlich daß die Durchkreuzung bei den Säus
gethieren durcheinander , bei Fiſchen nur übereinander
geſchehe.
Uebrigens war auch das dritte Nervenpaar auf der
rechten Seite ſchwacher als der linken.

Ich hebe dieſes Präparat wegen der ungemeinen Deuts


i lichkeit , ſo wie alle folgenden , forgfältig auf,
Rt5 Fünfte
618 VII. Ueber die Durchkreuzung
Sünfte Beobachtung.
Den 6. September 1784 unterſuchte ich die Sehes
nerven einer Ente , der id, den 19. April aus dem linken
Nugapfel mit vorſezlicher Beſchädigung der Haute deſſelben
die linſe gezogen hatte ; des linken Auges Hornhaut rahe
Daher weisund verdunkelt aus. Auch durch dieſen Vers
ſuch verrieth ſich die Durchkreuzung der Seßenerven , nur
mit einiger Ubånderung , nämlich Hinter der Union war
der Nerve des beſchädigten Augs ſo betrachtlich ſchmaler ,
daß ſelbſt der dem franken Auge entgegengeſezte rechte Ses
behúgel darunter gelitten hatte , und kleiner geworden
war , vor oder dieſleits der Union aber vom Augapfel an
bis zu dieſer Stelle war keine Verſchiedenheit merklich ;
und To rahe man auch in Anſehung der Weiſe zwiſchen
beiden Sehenerven weder vor noch Hinter der Union einige
deutliche Verſchiedenheit.
Sechste Beobachtung.
Uus Neugierde, wie frúß ſich wohl eine Veränderung
am Sebenerven ſichtlich zeigen würde , Sfnete ich den 18.
September 1784 den Kopf einer Ente , der ich den 7ten ,
alſo vor 12 Tagen , aus dem linken Auge die linſe genoms
men hatte. Das beſchådigte Auge zeigte eine weiſſe Narbe,
und der Umfang der durchſichtigen Hornhaut war verkleis
nert. Bei gehöriger Unterſuchung des Gehirns mit ſeinen
Nerven fand ſich ein ganz offenbarer Unterſchied in der
Starke zwiſchen dem Nerven des geſunden und des Franken
Augs , ſowohl dieſſeits als jenſeits der Union , ſo daß auch
hiedurch ſich die Decuſſation beſtåttigte, denn auch hier
war ſelbſt der Sehehügel der entgegengeſezten ( rechten )
Seite kleiner als der geſunden ; ſo war auch ſchon das
dritte Nervenpaar kleiner auf der linken Seite. Dieſe
teztere drei Beobachtungen reßen alſo die Wahrheit feſt ,
daß auch bei einigen Vogelgeſchlechtern fich die Sehenerven
durc
der Sehenerven . 619
durcyfreuzen .Meine Abreiſe von Caſſel hinderte mich
nun noch aus andern Klaſſen von Vögeln Verſuche zu
machen . Daß Petit (1) die Durchfreuzung der Sehes
nerven aus einem welſchen Hahn beſchrieben gabe , iſt Seite
ti 205 von mir nicht übergangen worden.
11 Doch zu noch mehreren Betrachtungen können ſelbſt
kleine Umſtånde , die ich nur im Vorbeigehen in dieſe
Wahrnehmungen eingerückt habe , wenn man darüber
nachdenken wil , Anleitung geben.
1 ) Man ſieht aus der dritten Beobachtung, wie in
nicht gar langer Zeit ein Nerve, und der im Gehirn zu
ihm gehörige Theil, womit er verknüpftiſt, ſehr verändert
werden kann , ohne daß unmittelbar an ihm ſelbſt Verlez
zung angebracht worden. Vielleicht iſt dieſer kleine Ums
ſtand, der anfangs ſo unbedeutend ſcheinen konnte , fúr
den Philoſophen wichtiger als man erwartet. Es iſt im
Ganzen nicht unwahrſcheinlich, daß die Sehehügel im Ges 1
hirn , in die ſich die Segenerven allmählig verfeinernd wie
Wurzeln in den Erdboden verlieren , zum Theil auch zur
Uufbewahrung durchs Geſicht erhaltener Ideen dienen.
Das Organ , durd das undEmpfindungen zugeführt
werden , deren Genuß nie úberſåttigt verdirbt, und mit
ihm auch der Theil im Gehirn , der die durch ſelbiges
1 empfangene Empfindungen und Ideen aufbewahrte.
Vielleicht wurde hier mancher Teleologe in Ausrufung
über die Weisheit der Natur ausbrechen , die indem ſie
( oder ein Zufall ) einem Geſcópfe den fernern Genuß
des Sinns des Geſichts durch Zerſtörung des Augs vers
ſagt, ihm gütigſt zugleich eine ſtárkere Portion der Erin
nerungskraft, durch Schwinden des Theils der ihr als
Vorrath
(1) Mem , de l'Acad. des Sc, 1735. S. 144.
;

620 VII. Ueber die Durchkreuzung


Vorrath mit diente , nimmt oder ſie vielleicht auch nur
briot , oder weniger lebhaft würfend macht.
So raubt ihm die Natur mit der einen Hand fernes
res Vergnügen , und mildert den Schmerz, den die Erina
nerung des Vergangenen erregen würde , durch Unfågigs
keit ( was fann unter Umſtänden wünſchenswerther reyn )
zu lebhafter, vielfältiger Erinnerung. Man folgre dars
aus , wenn man wil , daß vielleicht deshalb Blinde , ihr
wegen der Zurúckerinnerung an das genoſſene Vergnügen
trauriges Schickſal in der Folge leichter zu ertragen ſcheis
nen , als wir Sehende es uns vorſtellen. Unfänglich freis
lich iſt der Gram gros , und der ganze Körper leidet ſicht:
lich , weil vielleicht im Sehehúgel alles noch dem geſunden
Zuſtande náher iſt, folglich auch die Ideen des Empfundes
nen feuriger ſind, nach gerade ertragen ſie mit Gelaſſenheit
und ſelbſt Munterfeit ihr 2008 , weil vielleicht ein Tðeil
des Sebehúgels verdirbt , und Zurückerinnerung zum
Theil unmöglich macht. So iſt noch manches vielleicht blos
körperlicher Effekt, grobe ſichtliche Veränderung im Gehirn,
wasman , mit gewihnlicher Uusfluật, nur der Macht
der Gewohnheit zuſchreibt.
So modelt die Natur immer im Körper , und bes
quemt fich oftnach Umſtånden ; ſo ſehen wir im vorigen
Verſuc S. 188 , daß ſelbſt die Löcher und die Kanále
durc die die Nerven gehen , wenn der Nerve verdirbt ,
ſich allmählig mit perengen ,
Ob aber nicht eben fo fehr vom faechaniſchen Druck
der sbern Wand der Enschernen Augengóle auf das ganze
Uuge beim Wafferkopf, die Verbreitung des Seheners
ven im Uuge (retina) als vom Waſſerin den Gehirnhólen
Leide, ſcheint mir noch nicht ausgemacht , denn man weiß,
daß der Uugapfel ganz nach unten in der Folge der Kranks
Heit gepreßt wird.
2 ) Siegt
der Sehenerven . 621
2) Sieht man , daß ſo wie es Nerven ohne Gehirn
giebt, beinah aus der dritten Beobachtung zu folgen ſcheint,
es gåbe Theile des Gehirns , die ſonſt mit Nerven verbuns
den ſind , auch ohne Nerven. Daß es Nerven ohne Ges
þirn giebt, habe ich ſchon vorläufig in Herrn Blumens
bads med. Bibl. Iften Bandes 3 tes St. S. 448. vors
láufig erwähnt, werde es aber bei Gelegenheit der ausführs
lichen Beſchreibung obgedachter Misgeburten ohne Gehirn
noch umſtändlicher darthun.
Sr. v. Haller ſcheint mir daßer zu weit zu geben ,
3 wenn er behauptet (Elem. phyf. T. 4. Lib. X. lect. 1.
# V. 1. ) ed gebe kein Gehirn ohne Augen , und umgekehrt,
keine Uugen ohne Gehirn , wenn ich auch der mus typh.
lus des Pallas vergeſſen wollte.

3) Uus eben der dritten Beobachtung iſts nicht uns


wahrſcheinlich, daß unter Umſtanden ein Theil fehlen und
doch die ihm zukommende Nerven da ſeyn können , ſo war
ohngeachtet keine Augen mit Muskeln ſich fanden , dens
noch das dritte , vierte , fünfte und ſechſte Paar vorhans
den. Ob nun dieſe Misgeburt durch einen Zufall ums
Uuge gekommen ſeyn mag , kann ich nicht ſagen , wahrs
ſcheinlicher iſt mir es , daß vom Unfang der Wirkung des
Bildungstriebes an , ſchon die Anlage dazu vorbanden
reyn mogte.
4 ) Morgagni ( 2 ) dem es nicht glücken wollte , bei
fo robictlich geſchienenen Fåden jenſeit der Union einigen
X Unterſchied zwiſchen den Sehenerven zu finden, kam unter
W ondern auc auf den Gedanken , ( den er doch ſogleich ſelbſt
wieder zurück naym . ) ob etwan nur dann , wenn das
rechte Auge litte , eine Veränderung jenſeits der Union fich
zeige; daß dieſes nicht der Fall ſei , lehtt die Vergleichung
der

( 2 ) De fedibus & caufis morborum , lb. 1. Epift. 13. Art. 9.


622 VII. Ueber die Durchkreuzung
der fünften mit der ſechſten Beobachtung ; denn einmal
litt das rechte , das andremal das linke Auge.
5) Es könnte jemand auf den Einfall kommen, ob
etwan die Durchkreuzung der Sebenerven nur bei Thies
ren , deren Augen ſeitwärts durch eine breite Naſe getrennt
auseinander liegen , ſtatt fånde , oder nothwendig wäre ,
und daß vielleicht bei Menſchen und Affen , wo die Aren
der Augenvólen ſich mehr einander nähern , dieſe Verbins
dung anders beſchaffen ſei ?
Ich habe mich aber bis jezt umſonſt um einen einåus
gigen Affenkopf umgeſehen , und eben ſo wenig hatte ich
Gelegenheit , einen lebendigen Uffen zur abſichtlichen Vers
ftummelung eines Uugs zu erhalten.
Id fiel auch auf den Gedanken , daß man einem
Shuhu , weil auch bei dieſem ſich ziemlich die Augåpfel
náhern , abſichtlich ein Auge verderben mußte , faas man
keinen einåugigen erhielte. Man verſprac mir auch an
ein paar Orten , welche zu verſchaffen , dabei bliebs aber
auch . Ich rah ſechs lebendigeSouhuhs zu Caſſel, allein
ohngeachtet ich Geld und alle Vorſtellungen aufbot , wollte
man mir keinen überlaſſen , ſondern ſie lieber zur Jagdbes
1 1
luſtigung insgeſamtaufgeben , als eine Wahrheit , woran
der Phyſiologie was gelegen war , şerausbringen helfen.
6) Doch demohngeachtet fångt fich meine Vermus
tõung , daß ſelbſt beim Menſchen ſich die Sehenerven Freus
zen könnten , zu beſtårken an. Veralius ( 3) mia fuis
wohl in einem weiblichen als in einem männlichen Körper
dieſe Nerven , an dem Ort wo ſie ſich gewöhnlich vereini
gen , getrennt geſehen haben , und bildet ſie auch fu ab.
In beiden Fåden fouoben drein einer von den Sehenerven
durch
( 3 ) De C. H. F. Lib. 4. C. 4.
der Sehenerven. 623
durchaus verdünnt geweſen ſeyn. Er führt dieſe beiden
Fåde zum ſtarfſten Beweiſe gegen die Durchkreuzung an.
Dhn Vergleich glaubwürdiger ſcheint mir Santos
rini (4 ) Beobadytung , der in einem auf einem Auge
blinden den rechten Nerven durchaus dieſſeits und jenſeits
der Union verdorben den linken aber geſund fall , folglich
wäre dies ein Fall , der juft das Gegentheil, wenn man
fich auf ihn verlaſſen könnte , bewieſe.
Valſalva ſoll bei einer Verleßung des linken Ses
þegúgeld einen Fehler am rechten Auge bemerkt Kaben.
Einen ähnlichen Fad findet man bei Böhmer (5)
und andre hat ſchon Morgagni am angeführten Ort
beigebracht.
(

Doch ich muß geſtehen , daß ich wenigſtens für mein


Teil den Beobachtungen von Veſalius keinen Glauben
beimeſſe, denn 1 ) in eben dem Kapitel, wo er dieſe Beoba
achtungen anführt , ſpricht er auch dem Sehenerven den
porum oder die Defnung der durchſchnittenen Centralges
faſſe ab, die doch ſo deutlich iſt; ferner hat niemand , po
viel ich weiß , nach ihm åſynliche Beobachtungen gemacht,
und denn daß wenigſtens die Figur bloß aus dem Kopf
ķin gezeichnet ſei, verråth ſich auf den erſten Blick.
N

Schade ifts, daß der vortrefliche D. Hunter ( 6 )


wie er ſelbſt geſteht, in einem Fall, wo ein merklicher Uns
terſchied
( 4 ) Obſ. anat. p. 64.
6 ) Dieſe beide Falle führe id , weil id jejt die Búder nicht bei
der Hand habe , aus Hallers Authoritát Elem , phyf. Tom.
4. p. 332 der Quartausgabe an.
(6 ) Medical obſs, and inquiries , Vol. V. p. 17. in der 2ten Edit.

1
624 VII. Ueber die Durchkreuzung
terſchied zwiſchen dem Nerven des geſunden und des fran
ken Augs bis an die Union vorhanden war , nadhjuſeßen
vergaß , wie er hinter der Union beſchaffen war.
Udes dieſes nun macht mich freilich um ſo neugieriger,
einen einåugigen Menſdenkopf ſelbſt zu unterſuchen.
7) Hr. Kiviatkowski (7) Kat in ſeiner Inaugus
talſchrift die erſte Nachricht von meiner Bemerkung über
die ſichtliche Durchkreuzung der Sehenerven bekannt ges
macht. In der fünften Shefis wirft er die Frage auf :
an igitur ficdecuſſatio nervorum extra dubium po
fita ? Nondum credo & c. Beim Menſchen behaupte
ichs ſchlechterdings ſelbſt noch nicht, noch weniger, daß
wenn ſich auch die Sehenerven durchkreuzten , es darum
alle übrige Nerven thun mußten. Soviel ſuche ich nur
als gewiß feſt geſtellt zu haben , daß beieinem Eidhörnchen ,
zwei Ferken , zwei Pferden , zwei Hunden , einem Hubn,
und zwei Enten , folglich ſchon ber zehn warmblutigen
Thieren dies der Fall ſei; wovon ſich ein jeder durchs An
rehen der Originale in meiner Sammlung fehr leicht über
zeugen kann.
8) Durch die Gute der Herren Profefforen Burch in
Marburg befiße ich ein ſkeletirtes Köpfchen eines Kindes,
bei dem id auſſer dem fehlenden Stück in der Mitte der
Oberfinnlade oder einer ſogenannten Haſenſcharte, den
merkwürdigen Umſtand finde, daß die linke Augenhöle aufs
fadend kleiner , als die rechte ſcheinet. War auch der Augs
apfel ſelbſt , in dem Verhältnis mit ſeinem Nerven kleiner,
To Håtte die Unterſuchung der Verbindung der Sehenerven
vieđeicht etwas in Anſehung unſrer Frage entſcheidendes
gelehrt.
Hieħer
( 7 ) Spec. inaug. med. fiftens theſes anatomico - phyſiologicas deNer.
vorum fluido , decuffatione gangtiis. Regiom . 1784. p. 12 .
)

der Sehenerven. 625


Hießer gehört auch Hrn . Bonns (8) Unmerkung,
der bei einem auf dem linken Uuge Blinden einen heil
am rechten Auge gróſer als am linken fand ; Dod ift
mir der Ausdruck : foramen oculi dextrum , nicht deuts
lich . Soa darunter die orbita , oder das Code für den
Sehenerven verſtanden werden ?

TOUR 9 ) Endlid kann ich nicht umhin ; noch die Unmere


kung zu machen , daß es åuſſerſt nöthig tháte , daß auf
áhnliche Urt viele, ſelbſt der gemeinſten Såße in der Unato :
mie , durch nochmaliges eigenes Nachſuchen geprüft wurs
den , und daß man keinem Uutor , er habe auch den beſten
Nahmen , blindlings traute. Ich bin gemiß , daß mans
cher von wahren und wichtigen Gedanken , blos duro
Schriftſteller, die denſelben entgegenſtehende Thatſachen
BI geſehen haben wollten , zurückgeſcheucht worden iſt , und
ich ſelbſt hab's oft genug erfahren , daß es nicht nur der
ficherſte, ſondern ſelbft der kürzeſte Weg iſt, úber eine
Sache die Natur geradezu zu befragen. Dies iſt vielmals
weniger umſtåndlich , als man ſich einbildet. Z. B. alles
- iſt bis jezt gegendie ſichtliche Durokreuzung derSebeneró
ven geweſen, ſelbſt der große Morgagni, ein Mann ohne
feines Gleichen , Tchien durch ſeine vortreflichen Beobachtuns
gen faſt mehr das Gegentheil dargethan zu haben , wenigs
ſtens wenn man , nach dem , was er vortrug; rdlieſſen ſoll,
ſo mußte er einem faſt die pofnung nehmen , etwas bes
1 ſtimmtes entſcheidendes durch Verſuche hierüber herauszus
bringen . Seine meiſterhafte Bemerkungen ſind demohne
3 geachtet doch richtig und lehrreich, und haben ihren Werth
weil ſie beweiſen , was ich auch geſehen und angeführt hac
be, nemlich daß nicht allemal das Verderben der Sebenere
ith ven ſich bis hinter die Union erſtreckte

(8 ) Deſcript, thefauri ofliuina morboforum , N. CÓLVII. p. 133


Sef Beitr.St.IV.
626 VII. Ueber die Durchkreuzung
Er unterſuchte, wie ich die Stelle ſchon S.198 ans
geführt habe , einen Hund mit einem verdorbenen Auge,
und fand jenſeit der Union feinen Unterſchied , und doch
ift dieſe Verderbung in dem Hundegehirn in meiner Samms
lung ſo ſichtlich , ſo auffallend, das nichts überzeugendes
werden kann .

War' ich bloß ihm gefolgt , und das Håtte ich bei
einem Mann wie Morgagni ohn allen Vorwurf thun
können , da Here v. Haller viel geringere Anthoritaten
gelten låßt , ro Hått ich auch glauben müſſen , bei Hunden
ſei wahrſcheinlich nichts herauszubringen , allein ich fing zu
zweifeln an , daß immer bei Hunden jenſeits der Union gar
nichts zu ſehen ſeyn roate, und trug deshalb noch kurz vor
meiner Abreiſe Hrn Billmann auf , Unterſuchungen zu
machen , der denn auch ſo glücklich war , die Frage duro
einen doppelten Fall zu entſcheiden.
Doch dieſe Anmerkung ſollte nur eine Vermuthung
gründen , die von Bedeutung ſcheinet; nemlich , daß un
beſchadet allem , was ſo verſchieden dagegen vorgebracht ,
und Morgagni, bei aller feiner fleifigen und genauen
Benußung mehrerer ſehr paſſend ſcheinenden Gelegenheiten ,
dennoch nicht zu ſehen glückte , gleichwohl die Durchkreus
zung der Sehenerven im Menſchengehirne ſtatt finden und
ſelbſt ſichtlich einmal dargelegt werden könne, oder wenigs
ftens iſt ſo viel richtig, daß die bisher vorhandnen Beob
achtungen nicht hinreichen , um dieſen Punkt beim Mens
Ichen zu beſtimmen , und daß es unrecht wäre, wenn man
fich dadurch abſchrecken lieffe , fernere Unterſuchungen ans
zuſtellen .

Ich reße nicht ein , warum nicht unter limſtånden bei


Menden eben ſo gut als bei pbigen Thieren , ſich jenſeits
der -Union eine fittliche Veränderung bei einem beſchädiga
ten

>
der Sehenerven. 627
ten Sehenerven , es ſei nun auf ſeiner eigenen , oder der
Ru
ihm entgegengeſezten Seite , ſollte bemerken laſſen. Denn
daß fich auch bei Thieren zuweilen die Veränderung des
Nerven ( ſo wie es Morgagni bei Menſchen fand des Frans
ken Auges nur bis an die Vereinigung , und nicht weiter
ſichtlich erſtreckt , hab ich auch geſehen und angeführt, und
deshalb auch S. 208. N. 2 , die Bemerkung gemadt.
Eben das wiederfuhr auch Herrn Billmann , der das
erſtemal den Nerven des beſchädigten Uugapfels blos vers
fürzt fand.
Was war mir nicht alſo bei dem vielen , was ſchon
über dieſe merkwürdige Vereinigung geſchrieben worden ,
und was ich ſelbſt in meiner Inauguralſchrift (S. 13, und
g. 38. und 39.) ziemlich umſtändlich vorgetragen Batte ,
annods übrig? Ich meyne gerade nochdieHauptfache!
Ades dies hätte ich nun ſchon 1778 , wär ich mehr der
Natur als den Schriftſtellern gefolgt, wiſſen können , id
foute nur ein paar Kópfe einăugiger Thiere vorgenommen
haben , ſo wäre ich viel fürzer und beſſer unterrichtet wors
den , und hätte mit der Mühe , die mir das, was ich
darüber ſagte, koftete , noch mehr ausgerichtet.
sho Mainz , den 20. Jan. 1785.

Sommering.
!

n!

AN

VIII

1
628
VIII.
Ueber die Glückſeligkeit.
aß keine Glücffeligkeit iſt, wo keine angenehmie Em
pfindungen ſind, ergiebt ſich aus dem Gefühle felbft
zur allgemeinen Bemerkung ; aber daß Glückſeligkeit fehlen
kann , wo angenehmeEmpfindungen fich finden , iſt weni
ger bemerkt worden. Geſezt, alle Erinnerung des vergans
genen würde uns genommen , wir behielten aber das Em
pfindungsvermogen bei , fo würden wir zwar lauter Ange
nehmes empfinden ; aber von Glückſeligkeit nichts mehr
wiſſen können . Im folgenden Augenblicke wurde uns
villig unbekannt ſeyn , ob der vorhergehende angenehm ,
oder unangenehm war ; wir würden alſo zwar in jedem
Augenblicke fagen können , daß wir etwas Ungenehmes
empfinden , in keinem aber , daß mir glücklich ſind. Gang
etwas anders iſt es , eine angenehme Empfindung haben ,
als glücklich ſeyn , Das erſte bejahen wir oft, wenn wir
das andere verneinen . Der über eine Beleidigung verdries
liche , wenn er den Wohlgeruch der Roſe empfindet, wird
zugeſtehen , daß er etwas angenehmes riecht, aber leug
nen , daß er dabei glücklich iſt. Ålſo angenehine Empfins
dungen ſind blos Stoff der Glückſeligkeit, die Form muß
noch ſonſt woher hinzukommen.
1
Das Erinnerungsvermogen regt und in den Stand ,
noch nad, gemachten Eindrucke des Gegenſtandes zu em
pfinden , und ſo die Empfindung über ißre phyſiſche Grenze
hinaus zu verlängern . Noch nach Jahren ergôzt uns
mancher Auftritt des Lebens , wenn ſchon lange der wurks
liche Eindruck aufgehört hat. Folgen nun mehrere anges
nehme Eindrücke einander , ſo entſteht daraus ein dauers
Hafter und ununterbrochener Zuſtand des Vergnügens,
aus wirklichen Empfindungen und Erinnerungen zuſams
mengefegt. Das angenehme aus den Erinnerungen zieht
fish
.)
VIII. Ueber die Glückſeligkeit. 629
fich in das angenehme der wurklichen Eindrücke, macht
mit dieſen ein aneinander hångendes Ganze , einen forts
dauernden Zuſtand des Vergnügens ; und dieſer Zuſtand,
To oft wir den betrachten , nennen wir uns glückſelig. Alſo
der durch Erinnerung von den gegenwärtigen Empfinduns
gen aus , auf die ganze Reihe der vergangenen Eindrücke
geworfene Rútblick, macht der Glückſeligkeit Form aus.
Die Glückſeligkeit iſt die aus den einzeln abgeſonderten Eins
36 drücken durch Erinnerung und Reflexion gezogene überwies
gende Summe des angenehmen ; ober , falls man dies lies
ber mill , ein ununterbrochenes Vergnügen, aus der Bes
trachtung und Vergleichung vergangener und gegenwärtis
ger angenehmer Empfindungen abgeleitet.
Aus lauter unangeneýmen Eindrucken kann in der
Erinnerung kein Vergnügen werden , wohl aber aus einer
Miſchung von angenehmen und unangenehmen , worin die
erſtern das Uebergewicht haben. In der Erinnerung nema
lich verſchwindet das unangenehme , gegen das damit vers
geſellſchaftete angenehme von groſerm Gewicht; groſe ans
Haltende Arbeiten haben in der Verrichtung viel widriges,
aber in der Erinnerung, nachdem ſie zum Ziele geführt
haben , laurer angenehmes. Wie eine Muſik nicht aufs
Hört ſchön zu ſeyn , wenn gleich Disparmonien ſich einmis
ſchen , ſo bleibt auch eine Reihe von Empfindungen in der
Erinnerung angenehm , ungeachtet des Zuſaßes vom uns
angenehmen . Ja ſie wird oft dadurch nur deſto angenehs
mer , indem das angenehme, gleich dem weiſſen durch das
Towarze , vom unangenesmen erhöht wird. Ein durch
ſauern Soweis und unabláſſiges Anſtrengen errungenes
os
Verdienſt madt feinen Befißer glücklicher, als einen ans
dern eben daſſelbe , auf bequemern Wegen erlangt.
Daraus ergiebt ſich , daß die Glückſeligkeit Grade
þat; je nemlich , nachdem mehr oder weniger unangeneha
me Empfindungen eingemiſcht find.
$ 3 Sie
630 VIII. Ueber die Glückſeligkeit.
Sie hat aber noch in einer andern Rückſicht Grade.
Nicht alles angenehme iſt gleich angenehm , noch das un
angenehme gleich unangenehm ; mithin find zween Men
ſchen , die einerlei Anzahl von unangenehmen und ange
nehmen Empfindungen gehabt haben , darum nicht auch
gleid glücklich.

Podkommene Glückſeligkeit iſt demnach, die aus laus


ter ſolchen Empfindungen entſpringt, welche die angenehm
ſten ſind , deren ein empfindendes und denkendes Weſen
nur fähig ift . Dieſe iſtnicht das Loog der Erdenbewohner,
theils , weil Zerbrechlichkeit des Körpers , nebſt deſſen ſich
ftets erneuernden Bedürfniſſen , gånzliche Abweſenheit des
unangenehmen unmöglich machen ; theils auch , weil der
Geiſt in Kenntniſſen , das Herz in Neigungen und Seidens
Tchaften , nie ohne allen Mangel, ſomit auch nie ohne das
unangenehme deſſelben zu empfinden , ſeyn kann. Voll
kommene Glückſeligkeit wird nur dem vollkommenſten Wes
fen zu Theil, welches keinen Mangel , oder Wechſel vom
beſſern zum ſchlimmern , nicht einmal vom guten zum
beſſern , kennt.
Weil die Glückſeligkeit Grade hat , ſo ergiebt ſich
leicht, daß die Empfindungen woraus fie beſteht, nicht
gleichen Beitrag dazu liefern. In fich ſind die Empfinduns
gen verſchieden durch Intenſion und Dauer ; nothwendig
muffen dieſe auf die Glückſeligkeit Einfluß haben , weil der
aus ihnen folgende Gemüthszuſtand durch fie beſtimmt
wird , und die Rückerinnerung ſich nach dem erſten Eins
drucke richtet.

Dieſe Verſchiedenheit hat man meines Wiſſens bisher


allein in Betrachtung gezogen ; es giebt aber noch eine von
nicht geringerm Einfluſſe. Empfindungen geben Glücks
feligkeit, vorzüglich in ſo fern ſieauch nach dem Eindrucke
fähig
VIII. Ueber die Glückſeligk.it. 631
fähig ſind , dem Geiſte gegenwärtig zu ſeyn , das iſt, in fo
fern ſie von ſich eine Spur zurücklaſſen , die aud ohne
gegenwärtige Einwirkung eines Gegenſtandes aufgeweckt
werden kann. Nicht der gegenwärtige Eindruck , ſondern
das von ihm zurückbleibende, der durch ihn hinterlaſſene
Gemúthdjuſtand, macht Glückſeligkeit aus. Hierin find
die Empfindungen ſehr verſchieden , Empfindungen des
si Geſchmackes, Geruches und Gefühles, können ohne wúrks
lichen Eindruck nicht ſo klar und beſtimmt vorgeſtellt wers
3 den , als die des Gehdres und Geſichtes; auch dieſe wieder
M nicht ſo klar , als die Empfindungen des innern Sinnes
aus Vorſtellungen und eignen Thátigkeiten .
Vermöge dieſer zurückgelaſſenen Spur tragen Ems
pfindungen auf zwiefache Weiſe zur Glückſeligkeit bei, in ſo
fern nemlich ſie als ſchon gehabte erneuert, oder als wieder
zu habende vorher vorgeſtellt werden. Der lezte Umſtand
iſt bei der Glückſeligkeit einer der erheblichſten ; arme, ſehr
# oft freudenleere Geſchöpfe wurden wir ſeyn , wenn nicht
1 Vorempfindungen der Zukunft, und Hafnungen ihren
Balſam in die durch gegenwärtige Ereigniſſe geſchlagene
Wunden göffen.
Alſo auf vier Punkte kommt es an , wenn man die
Empfindungen in Rücklict auf Glückſeligkeit würdigen
will, auf Intenſion , Dauer , Seichtigkeit der Erneuerung,
und Vorhervorſtellung der Empfindungen. Die Folgerun
gen davon ſind dieſe : wo zwiſchen mehreren Empfinduns
gen die Intenſion gleich iſt, aber die Dauer verſchieden ,
haben die den Vorzug, welche an Dauer gewinnen ; und
umgekehrt , wo gleiche Dauer iſt , giebt die Intenſion den
Vorzug. Nicht ſo einleuchtend iſt, wenn eine Empfindung
mehr Intenſion , die andere mehr Dauer hat , welche von
beiden dann Vorzug verdient ? Hier iſt nicht leicht zu ents
ſcheiden , nicht nur weil die Dauer der Empfindungen
S 84 ſchwers

}
632 VIII, Ueber die Glückſeligkeit.
fchwerlich ganz genau genoſſen werden kann ; ſondern auch
vornemlich , weil der Maasſtab für die Intenſion gånzlich
fehlt , und wir mit ohngefehrer Scazung uns begnús
gen múffen . Auch láßt ſich nicht wohl genau beſtims
men , wie viel Intenſion einer gegebenen Dauer gleich zu
Teßen iſt. Von einer andern Seite indeß mógte etwa fola
gendes fich feſtreßen laſſen : der Empfindungen Dauer
kommt nur darum in Unſchlag , weil auf ſie ein freudens
leerer Zuſtand zu folgen vorausgeſezt wird ; machten die
Empfindungen eine ununterbrochene Reihe von angenehs
men Eindrücken aus , dann wurde die Dauer nichts , die
Intenſion alles gelten. So dürfte nun die Dauer wohl
am Ende allein entſcheiden , weil es doch immer beffer ift,
långer angenehm zu empfinden , als eine kurze Zeit regir
angenehm , und die folgende gleichgültig zuzubringen.
Hierzu nun noch die Leichtigkeit der Erinnerung und
Vorhervorſtellungen gerezt , giebt folgende Grundraße:
eine an Intenſion ſchwachere Empfindung verdient allemal
den Vorzug vor der ſtårkern , die aber nicht ſo leicht und ſo
klar kann erneuert und vorhervorgeſtellt werden. Gleis
chermaſſen giebt auch Widervorſtellung und Vorhervorſtel
lung allemal den Ausſchlag, ſo oft von der Dauer die
Frage iſt. Durch die Fähigkeit einer Empfindung, klar
wieder vorgeſtellt zu werden , wird ſie unſerer Wigkú hr
unterworfen , ſo daß wir durch ſie ſo oft uns ergoßen und
glücklich machen können , als es uns gefaat. Die aller
angenehmſte Empfindung hingegen , wenn ſie wenig oder
gar nicht kann wieder vorgeſtellt werden , iſt eben darum
auch nicht im Stande , zu fernerer Glückſeligkeit das ges
fingſte beizutragen ,
Vergleicht man nun nach dieſen Grundråken die Ems
pfindungen , ſo ergiebt ſich , welche zur Glückſeligkeit am
meiſten beitragen. Sie laſſen ſich unter drei Klaſſen am
bequem
VIII. Ueber die Glückſeligkeit. 633
Bequemſten bringen , ſinnliche nemlich , moraliſche, und
Empfindungen eigner Thåtigkeit; was wirempfinden , iſt
entweder Eindruck eines auſern Gegenſtandes , durch deſſen
unmittelbare Wirkung auf uns ; oder eigenen Handlung ,
Anwendung eigener Kraft , duro Reflerion ; alſo ents
weder etwas leidentliches , oder thátiges. Das erſtere
wird entweder durch die Sinne allein und vorzüglich , oder
durch unſer inneres Empfindungsvermogen zur Gewahrneh
mung gebracht.
ol Die Empfindungen der gröbern Sinne, des Gefühls
Geruchs und Geſchmacks find alleſamt von ſehr kurzer
Dauer , und werden ſelbſt durch verlängerte Dauer uns
ſchmackhaft. Einerlei Geruch kann nicht lange empfuns
den werden , ohne gånzlich alles unterſcheidende.zu verlies
ren , und zulezt gar unempfindbar zu werden . So auch
einerlei Geſchmack, je öfter man ihn wiederbolt , deſto
weniger macht er Eindruck. Eben dieſe Empfindungen
find auch durchaus unfavig , mit einiger Klarheit wieder
vorgeſtellt zu werden , den Roſengeruch unterſcheidet blore
Vorſtellung nicht vom Nelkengeruch , und den Birnenges
ſchmack nicht vom Apfelgeſchmack ; von jeder dieſer Empfins
dungen haben wir eine ſehr unbeſtimmte und dunkle Vors
ſtellung in ihrer Abweſenheit, wir wiſſen welche unter
ihnen angenehm find, nicht aber auf welche unterſcheidende
1 Art , und wie angenehm. Eben darum ſind ſie aud nicht
fähig , mit einiger Beſtimmtheit vorher vorgeſtellt zu wers
den; können alſo blos durd gegenwärtigen Eindruck zur
Glückſeligkeit beitragen. Dazu kommt noch , daß Vors
hervorſtegung und Wiedervorſtellung derſelben das wenige,
was ſie von Annehmlichkeit gewahren , uns nur denn vers
ſchaffen , wenn der Körper eines můrklichen Eindruckes
bedarf oder dazu aufgelegt iſt. Den Geſättigten ergozt
nicht mehr Erinnerung an das eben Genoſſene, noch wes
niger Porhervorſtellung des túnftig zu genieſſenden.
S $ S Empfina
634 VIII. Ueber die Glückſeligkeit.
Empfindungen alſo der gröbern Sinne geben zur
Glückſeligkeit nur geringen Beitrag , und laſſen zu viele
freudenleere lucken , als daß auf ſie allein Glückſeligkeit
könnte gebaut werden . Und das um ſo weniger , da mit
zunehmenden Alter und veränderter Körperbeſchaffenheit
ſie mit jedem Jahre faſt an Reiz verlieren .
Die feinern Sinne , Uuge und Dhr , führen uns
Empfindungen von anderer Beſchaffenheit zu. Jeder
einzelne Eindruck kann bier mehr als bei den gröbern Sins
nen verlängert werden , ein Ton , eine Farbe , oder Figur
laßt fic ununterbrochen fort empfinden , ſo lange man
nur darauf zu merken Luſt hat ; ein Geſchmack hingegen
oder Geruch muß alle Augenblicke durch wiederholten Eins
druck auf das Organ aufgefriſcht werden. Daß mehrere
Idne oder Figuren zuſammengeſezt das Empfindungsvers
mogen weit länger als Geruch oder Gefühle ohne Ermús
dung beſchäftigen können , leider keinen Zweifel ; kein
Menſch iſt fähig , das Vergnügen der Tafel ununters
! brochen und mit andern Ergozlichkeiten der Geſearchaft
vornemlich unvermiſcht ſo lange zu genieſſen , als er einer
Muſik zuhören oder eine ſchöne Gegend betrachten kann .
Tóne ferner und Figuren können mir aud in ub
weſenheit der Eindrücke von auſen uns völlig beſtimmt,
und faſt bis zur wúrklichen Empfindung lebhaft vorſtellen .
Eine angenehme Muſik vergnügt uns noch lange , wenn
fie nicht mehr gehört wird ; vergnügt uns auch vorher
mehr , ebe ſie gehdet wird , weil wir leicht uns in die
durch ſie zu erregende Empfindung verſeken fånnen , ſobald
wir nur einigermaßen vorher davon unterrichtet ſind.
Damit verbindet ſich endlich noch ein Umſtand , der
hier von åuſerſter Wichtigkeit iſt ; daß nämlich mir durch
einmal gehabte und dem Gedächtnis einverleibte Empfin
dungen
VIII. Ueber die Glückſeligkeit. 635
11 dungen der feinern Sinne uns ergoßen können , fo oft es
und gefáat; und alſo den Quel der Glückſeligkeit in uns
felbft haben , ohne von åuſern Umſtänden und Gegenſtån
den abhängig zu ſeyn. Durch die gröbern Sinnen läßt
fich beſtimmtes und eigentliches Vergnügen nicht anders
als mittelſt des Eindrucs áuſerer Gegenſtande empfinden.
Ulſo an Dauer , Leichtigkeit der Wiedervorſtellung
und Beſtimmtheit der Vorhervorſtellung, haben Empfin
dungen der feinern Sinne vor den der gröbern unleugbaren
Vorzug. Auch darin noch Vorzug , daß die Fähigkeit,
durch ſie ergózt zu werden , nicht ſo ſehr von vorüberges
benden Körperbedürfniſſen und Zuſtanden abhängt. Der
Geſchmack ergózt uns nur , wenn wir Nahrung bedürfen ,
und ſo lange wir ihrer bedürfen ; Muſik , ſchöne Natur
und Kunſt vergnügen und faſt zu jeder Zeit.
D6 aber auch die Intenſion der Empfindungen fei:
nerer Sinne die der gröbern úberwiegt ?, Unmittelbar eins
leuchtend iſt die Antwort hierauf nicht, weil eine groſe
Anzahl Stimmen ſich für die leztere erklärt, und in der
That ein Umſtand Bedenklichkeit macht. So viel darf
ich vors erſte kecklich behaupten , daß unter den Empfin .
dungen des Geſchmackes und Geruchs keine iſt , welcher
man nicht aus den Empfindungen des Auges und Dhres
eine , wo nicht noch angenehmere , doch wenigſtens gleich
geltende entgegenſeßen kann . Weſſen Dhr und Herz für
Muſik geſchaffen iſt, der wird nie Bedenken tragen , das
þódſte und ausgeſuchteſte Vergnügen der Tafel mit einer
ſchönen Muſik zu vertauſchen . Sogar die Apiciuſſe wers
2. den die Vergnügungen der Tafel ganz rein und ohne alle
Gereardhaft ſich kaum wünſchen ; und eben dadurc Bea
weiß ablegen , daß der Geſchmack allein ihnen nicht das
gråſte Vergnügen gewährt.
Unter
636 VIII. Ueber die Glückſeligkeit.
Unter" den Empfindungen des Gefühls iſt eine ,
( manche haben ſie zu einem rechſten Sinne erhoben ) , aber
auch nur eine , die dieſe Unterſuchung ſchwierig macht.
Daß ihre Intenſion ade übrigen der gröbern Sinne úbers
trift, iſt über allen Zweifel ; manche Teßen ſie auch über
alle andere Empfindungen ohne Unterſchied. Zur In
tenſion der Empfindungen haben wir kein eigentliches
Maas , alſo laßt rid die Frage nicht zur ganz genauen
Entſcheidung bringen ; folgende Bemerkungen dürften
indeß die hohe Meynung von der Intenſion dieſer Empfins
dung etwas herabſtimmen . Es verhältſich mit ihr, wie
mit allen übrigen auf ein Naturbedürfnis rich grundens
den Empfindungen ; zur Zeit wo dies Bedürfnis, und der
dainit verbundene Reiz gefühlt wird , ſchåßen wir die Bes
friedigung und deren angenehmes weit höher , als nach
der Befriedigung und ohne vorhergegangenen Reiz. Dieſe
weggenommen , und die Empfindung an ſich betrachtet,
laſſen ſich , dúnkt midy , unter den Empfindungen der
feinern Sinne noch wohl einige ihr an intenſion gleich
kommende aufſtellen ; fobald man ſich an die hohe Ents
i
zůckung durch vortrefliche Muſik , oder die Begeiſterung
eines Winkelmann bei Betrachtung ſchöner Kunſtwerke
erinnert. Uuch iſt , meines Erachtens , denn einleuchs
tend, daß durch Dauer, durch Wiedervorſtellung, und
Vorhervorſtellung die Empfindungen der feinern Sinne
ben der gröbern den Vorzug abgewinnen .
Moraliſche Empfindungen nenne ich , die aus Bes
. tradtungen moraliſch guter , das iſt der Natur vernünftis
ger und freier Weſen angemeſſener Handlungen entſprins
gen , und unter folchen ſind Begriffe nicht nur Handluns
gen der Wohltätigkeit , des Edelmuths , der Gerechtigkeit
nebſt ihres gleichen , fondern auch die ber Klugheit und
Weisheit , wo zu den beſten Zwecken auch die beſten Mits
tel gewählt werden. Dieſe baben por den finnligen Em
1
pfinduns
VIII. Ueber die Glückſeligkeit. 637
pfindungen voraus die Dauer; denn einer ſchönen Muſik,
einer reizenden Naturſcene wird man eher ſatt, als per
Leſung eines guten Buches , ſei es Geſchichte, oder auch
all nur Erdichtung, wp gute und große Thaten und Charafs
tere durch den Contraſt mit ſchlechten und unedlen an fchaus
klich und fühlbar gemacht werden . Haben voraus auch die
Leichtigkeit der Widervorſtellung; denn eine geſehene reis
zende Gegend , oder gehörte einnehmende Muſif ſich wieder
vorzuſtellen , wirdmehrUebung und Anſtrengung erfordert,
als fich einer geſellenen oder gehörten Handlung der Große
muth , wäre ſie auch noch ſo verwickelt, wieder zu erins
nern . Haben endlich voraus die Intenſion ; denn keine
Muſik oder ſichtbare Soónheit wird ro rühren , als 售

} Scipios Rückgabe einer ſchönen Gefangenen an ihren


31 Bräutigam , Regulus unwandelbare Redlichkeit , und
Sofratęs ruhige Standhaftigkeit die Zuſchauer mußges.
rührt haben .
Die moraliſden Empfindungen alſo Haben vor den
finnlichen ungezweifelten Vorzug in Unſebung der Glúds
ſeligkeit, und das um To mehr , da ſie weniger als jene von
zufälliger und veranderlicher Körperbeſchaffenheit abhåns
gen. Wenn Auge und Dhr nicht gehörig organiſirt ſind,
faat das annehmliche der feinen Sinnedempfindungen weg,
auch minn ſie nur durch übergehende Unpåßlichkeit beſdås
digt werden. Moraliſche Empfindungen hingegen hången
vom Körper weniger ab , vergnügen ſogar in Krankheiten,
und dienen nicht ſelten dem geſchmachten Körper zur Ers
haltung.

Unter Empfindungent éigner Dhátigkeit begreife ics


alle die daher entſpringen , daß wir durd Anwendung uns
ſerer Kräfte etwas zu Stande gebracht haben , es ſei nun,
daß dies vorher entworfen , oder durch zufágigen Antrieb
Der Kraft ausgerichtet iſt ; wie wenn ein Künſtler ein
M
Kunſts
638 VIII. Ueber die Glückſeligkeit.
Kunſtwerk verfertigt; der Sandmann eine Feldarbeit zů
Ende gebracht, oder der Denker einen neuen Gedanken ,
ohne ihn vorher geſucht zu haben , gefunden hat. Daß
dieſe Empfindungen auch die moraliſchen und ađe blos paf
fiven an Intenfion übertreffen , lehrt die Erfahrung uns
mittelbar. Ganz anders ergôzt ſich der Verfertiger eines
radnen Gemahldes; der Urheber einer edlen That , als
der bloſe Zuſchauer . Uuch treffen hierbei mehrere Urſachen .
angenehmer Eindrücke zuſammen ; den Eindruck des zu
Stande gebrachten Werks hat der Urheber mit dem blos
betrachtenden Liebhaber gemein , alſo iſt ſchon dadurch ſeine
Empfindung der des Dilettanten gleich ; vor ihm aber hat
er noch voraus , genauere und individuelle Kenntnis adler
glücklich überwundenen Schwierigkeiten , inityin weit ſtår
Kere Empfindung vom Werthe ſeiner Arbeit. Voraus fer
ner das Gefühl feiner eignen Kräfte, ſeiner eignen Volls
kommenheit , welche ſolch ein Werk Hervorzubringen fåhig
war. Voraus endlich das Bewuſtfern des Vorzuges ſeiner
Urbeit vor andern áhnlichen , und damit zugleich ſeines
eignen über andere hervorragenden Werthes.
Den groſen Reizi mithin auch die über alle andern
gehende Intenſion dieſer Empfindungen , erweiſt auch eine
bei Künſtlern und Gelehrten nicht ungewöhnliche Erfah
rung , daß nemlich ſie allen übrigen Vergnügungen gern
entſagen , um nuretwas zu Stande zu bringen , das der
Rede werth rei; und daß fie widig und ohne Bedenken der
Empfindung eigner Thåtigkeit alle andern aufopfern woúrs
den , wenn nicht natürliche Bedürfniſſe und unwiderſtehliche
Sen perreize wider Willen ſie zu den niedrigern Ergókuna
kinzogen.
06 die Dauer dieſer Empfindungen grófer iſt, als
die aller übrigen , kann keine Frage feyn. Kein Liebhaber
und Kenner von Mafereien kann fich an der Betrachtung
eines

1
VIII. Ueber die Glückſeligkeit. " 639
eines vortreflichen Gemäldes ſo lange ergoßen , als der 1
Künſtler an deſſen Verfertigung fich vergnügt.

Die Leichtigkeit der Widervorſtellung haben ſie mit


den Empfindungen der feinern Sinne und den morali
rohen gemein , in Anſehung eines Umſtandes aber vor beis
den vieles voraus. Die bloß oder größtentheils teidentliche
Empfindungen nemlich haben etwas auſſer uns , etwas
uns fremdes zum Gegenſtand; die aber der eignen Thátiga:
keit beziehen ſich auf uns ſelbſt, wir ſelbſt find Urſache und
Subjekte der Empfindung. Darum gewähren ſie auch
dauerhafteres und anhaltenderes Vergnügen , als alle
übrige Empfindungen , indem wir uns ſelbſt am meiſten
und am nächſten vor Aujen haben , folglich unſere Volla
kommenheit und unaufhörlich ergózt.
Empfindungen einner Tpátigkeit alſo geben uns die
die höchſte und fortdauerndſte Glückſeligkeit ; ſie ſind aber
auch zur Glückſeligkeit durchaus unentbehrlich , ſo daß ogne
ſie nicht einmal Glückſeligkeit ſeyn kann. Beſchäfti
gung , das iſt Anwendung ſeiner Kräfte , iſt dem Mens
ſchen unentbehrlid), und kein elenderer Zuſtand kann für
einen geſunden und gut organiſirten Menſchen gefunden
werden , als durchaus ohne alle Beſchäftigung zu feyn .
Gebrauch der Kräfte alſo iſt dem Menſchen an ſich anges
nehm , deſto angenehmer folglich , jemehr die Kräfte
angeſtrengt werden. Ade leidentlichen Empfindungen er:
fordern nur einen geringen Theil unſerer Kräfte, können
Daher unmöglich ſo viel Befriedigung verſchaffen , als zur
Glückſeligkeit erfordert wird. Sie führen zu viel leeres
mit fich , um dauerhaftes und überwiegendes Vergnügen
zu geben. Empfindungen der gröbern Sinne können uns
ſere ganze Zeit nicht ausfúden ; die der feinern Sinne und
die moraliſchen haben Sättigung und Eckel zur Folge ,
weil ſie uns nicht genug beſchäftigen , und weil ſelbſt die Bes
1
tradtung
640 VIII. Ueber die Glückſeligkeit.
5

trachtung zur Handlung reizt, und dadurc unangeneha


mere, nicht zu befriedigende Sehnſucht erweift. Ihátig
hingegen und geſchäftig ſeyn , fúūt die ganze Seele , zieht
die ganze Aufmerkſamkeit an ſich, und gerváhrt eben das
durch dauerhaftes Vergnügen . Dem kommt auch die Ers
fahrung zu Hülfe ; weld ein langweiliges und geſchmacklos
fes Leben führen nicht die , welche nur dem Genufie des
angenehmen nachjagen , ohne einen beſtimmten Gegenſtand
ihrer Thátigkeit zu gaben ? welche nur immer wollen gefúz
zelt ſeyn , zu bequem , ihre ganze Kraft in Bewegung zu
ſeßen ? Sogar daß mehrere aus dieſer Klaſſe, mitten im
Ueberfluffe aller bequemlichkeiten , und Ergdklichkeiten ,
blos darum ſich ſelbſt entleiben , weil dies alles Ecel und
Verdruß zulezt erregt, und die Saft der angenweile ſchwer
auf ihre Herzen drückt.
Tiedemann.

IX. Kurze
641
IX .

Kurse Nachricht von den Beſchäftigungen der


Gelehrten in Rinteln , in einem Schreiben
an Herrn * * in Caſſel.
verlangen von mir einige Nachrichten von den See
Sielehrten in Rinteln und ihren gegenwärtigen Beſchafa
tigungen. In ſo weit ich ſie während meines Aufenthalts
in Rinteln habe kennen lernen , ſo haben ſie dies mit eins
ander gemein , daß ſie ihre Zeit mehr den Aemtern widment,
die ſie bekleiden , als das zahlloſe Heer der teutſchen Schrifts
fteller mit jeder Meſſe vermehren. Wenigen laſſen ihre
Amtsgeſchäfte ſo viele Zeit übrig, daß ſie aus dem Büchers
ſchreiben ein ordentliches Geſchäft machen könnten. Sie
denken auch viel zu billig , als daß Sie den Werth eines
Gelehrten und den Nußen , den er in der bürgerlichen Gea
fellſchaft ſtiftet, bloß nach der Menge ſeiner Søriften bes
urtheilen .
Ohne großes Geräuſch zu machen , war Rinteln lange
Zeit ein Lieblingsort der Mufen , mo lo mancher nüßliche
Bürger für den heffiſchen und auch auswärtige Staaten, ges
bildet wurde. Wer nur ein wenig Patriotiſinus für Rinteln
und die Grafſchaft Schaumburg fühlt , der wird die gråſte
Freude empfinden, wenn er auf einer Reiſe durch Heſſen faſt
in jedem großen und kleinen Ort Männer, ia sfters Greiſe
findet, die noch immer mit Vergnügen ſich an ifren Uufents
halt in Rinteln erinnern, und mit Dankbarkeit an die Lage
zurúckdenken , worin fie daſelbſt Unterricht erhielten , und
den Grund zu ihrem gegenwärtigen Glück durch Einſamma
lung aller Arten nůßlicher Kenntniſſe legten . So finden
Sie auch in vielen andern benachbarten und entferntern
Staaten viele Månner , die ihren Wohlſtand dem auf
der Rintler Univerſität erhaltenen Unterricht verdanken .
Beff Beitr.Sc.IV . Sind
1

642 IX . Beſchäftigungen der Gelehrten


Sind dies nicht hinlängliche redende Beweiſe, wie núßlich
die Gelehrten in Rinteln ihre Zeit zubringen ? Gemis
find fie der Kirche und dem Staat núßlicher, als viele
andere Gelehrte durch ihre zahlloſe Schriften. Daß aber
aud unter ihnen einigeallgemein beliebte Schriftſteller ſich
befinden , das wiſſen Sie ſchon , theuerſter Freund , theils
will ich Ihnen jezt dieſe Männer ſelbſt nennen . — Dod
Shrem Verlangen gemas ſoll ich Ihnen mehr die jezigen
Beſchäftigungen der Gelehrten in Rinteln bekannt machen ,
als ein troknes Verzeichnis ihrer Schriften aufſeßen , wela
de Sie ognedies bei Hrn Strieder theils jezt ſoon fins
den , theils fünftig noch finden werden.
Nur nennen will ich Ihnen die Gelehrten in Rins
teln , die ich daſelbſt kennen zu lernen Gelegenheit gehabt
1
Kabe , ſowohl die Profeſſoren bei der Univerſitåt, als aud
einige andere , auch aus der umliegenden Gegend. Da
ich aber weder einen Sektionskatalogus, noch Staaskalens
der bei der Hand habe , ſo werden es mir die ehrwürdigen
Páter der Erneſtine verzeihen , wenn ſie hier nicht voaig in
ihrer Rangordnung erſcheinen , oder gar einer oder der ans
dere ausgelaſſen wird .
Se. Ercellenz der Herr Generallieutenant und Gous
verneur von ( ofberg , ſind ein groſer Gónner und Befors
derer der Gelehrſamkeit und der Gelehrten. Sie leſen
nicht nur ſelbſt die beſten Schriften , ſondern lieben aud
den Umgang mit den Gelehrten , und urtheilen von gelehrs
ten Sachen jedesmal mit Kenntniß und Einſicht. Sie
ſuchen , wo ſie nur können , ſich um die Univerſitát vers
bient zu machen , und das gute Vernehmen zwiſchen iør
und dem Militár zu erhalten.
Der Herr Obriſt und Landrath von Münchhauſer
verdient wegen ſeiner feltnen Kenntniſſe in der Naturges
faidhter
in Rinteln. 643
fchichte, Phyfik, Mathefis und mehreren Wiffenſdaften
unter den Rintler Gelehrten oben an zu ſtegen . Er iſt
auch ein eben ſo groſer Liebhaber als Kunſtverſtändiger
$ der Muſik, und ſein ganzes Haus könnte man den Wohne
Cal
fiß des Upods , der Muſen und der Grajien nennen.
Auch die Landesregierung in Rinteln iſt mit mehreren
wahren Gelehrten beſezt , wovon ich nur die nennen will
die mir aus dieſem Geſichtspunkt beſonders bekannt ſind,
den Herrn geheimen Rath und Präſidenten von Münch's
pauſen , den Regierungsrath Goeddaus und Juftije
tatb Duyring.
Unter den Profefforen der Theologie iſt Ihnen der
3 alte wurdige Doktor Schwarz auf einer ſehr vortheilhafs
31 ten Seite bekannt. Seine Verdienſte um die Univerſitát }

die Kirchen und Schulen in der Schaumburgiſchen Dióces


machen ihnfürdie ſpäteſte Nachwelt unſterblich. Er hat
eine große Stärke in der Hebräiſchen , griechiſchen und las
teiniſchen Sprache, welche jezt bei den jungern Gelehrtent
immer ſeltner wird , und in der Geſchichte, beſonders der
feines Vaterlandes Ungarn , hat er allein einige wichtige
Uufklárungen gegeben . Seine Bücherz und Munziamms
lung iſt in Rütſicht auf dieſes ſein Vaterland ſehr Icháßbar.
Dr. Kahler , Superintendent und erſter Prediget
bei der lutheriſchen Stadtkirche , beſchäftiget ſich als Pros
feffor mit dem Vortrag der Kirchengeldichte nady dem
Kompendium des ſel. Walds , pált auch manchmal Ers
20 egetika über das neue Teſtament, und andere Kollegia.
Die ihm anvertraute Uufricht über die Kirchen und Sous
len in der Grafſchaft Schaumburg, heffiſchen Antheils,
verſieht er mit eben ſo vielem Fleis , als Klugheit , und
erwirbt fid dadurd bei den Landeskollegien eine große Efren
Stan Dr.
644 ' IX . Beſchäftigungen der Gelehrten
Dr. Müller, deſſen Gelehrſamkeit aus ſeinen zahls
reichen Schriften ihnen bekannt iſt , lieft Dogmatik und
Moral nach dem Soubert und mehrere andere thevlos
giſche Kolegia .
Uuſſer dieſen hált noch auf beſondere Erlaubnis vom
of thevlogiſche Vorleſungen der Profeſſor der Philoſos
phie , Rullmann , Dogmatik nach Döderleins Roms
pendium , Eregetika über das neueTeftament, auch mancha
mal Kirchengeſchichte und römiſche Alterthümer nach ſeis
nem eigenen , 1782. Herausgekommenen Lehrbuch.
Unter den Profeſſoren der Rechtsgelehrſamkeit vers
dient Dr. Wippermann vorzüglich genennt zu werden.
Er hat eine ausgebreitete Kenntnis ader Theile ſeiner Wif
ſenſchaft, und trägt ſie auch abwechſelnd den Studirenden
vor. Eben ſo iſt er auch öffentlicher Lehrer der Geſchichte,
und lieft die allgemeine Weltgeſchichte nach Schröhk, die
Geſchichte der europäiſchen Staaten nach Meuſel oder
uden wall , und Reichsgeſchichte nach Půtter. Auſſer
dieſen vielen Geſchäften arbeitet er noch mit unermüdetem
fleis in den an die Juriſtenfakultät eingeſandten Aften. .
Nicht minder iſt in dieſem Stück der Fleis des Dr.
Buchers zu loben, welcher ebenfauf alle Theile der Rechtss
gelehrſamkeit den Studirenden abwechſelnd vortrågt , und
ihnen in collegiis practicis und relatoriis nach Claps
roths Methode , Gelegenheit giebt , ſelbſt ihre Kräfte zu
verſuchen und zu -úben .
Den Verluſt, den die Univerſität durch den Abzug
Des Hofraths Móckerts nach Göttingen gelitten hat,
wird durch den Profeſſor Gråbe ; einen gebohrnen
Rintler , und ſehr geſchichten und fleiſigen Mann , wieder
erſezt, der aber , wie ich gehört habe , noch nicht da ans
gekommen iſt.
Die
in Rinteln . 645
Die mediziniſche Fakultát beſteht aus ſehr geſchickten
und erfahrnen Verzten , die , wenn mehrere andere nöthige
Einrichtungen getroffen waren , gewis manchen treflichen
jungen Arzt bilden würden . Timmermann iſt ein
Name , der jedem gelehrten Urzt , wegen ſeiner großen
theoretiſchen und praktiſchen Kenntniſſe, befannt iſt, und
auſer dieſen iſt er noch mit der alten griechiſchen und ro
miſchen Litteratur auf das innigſte vertraut. Seine
Schriften , die gróſtentheils als akademiſche Differtationen
bei Doktorpromotionen erſchienen ſind , zeichnen ſich vor
vielen andern durch Deutlichkeit, Gründlichkeit, Práciſion
und Stárfe des Ausdrucks aus.

Dr. Schröter iſt als einer der glücklichſten praktis


Toen Verzten überal bekannt. Er ließ die gerichtliche
1 Arzneikunde , Botanik und mehrere mediziniſche Kollegia.
Durch eine Schrift vom Einimpfen der Blattern und
mehrere akademiſche Abhandlungen hat er ſich berühmt
gemadt.

Die philoſophiſche Fakultät hat lauter würdige


Mitglieder.
Harrencamp. iſt die Zierde der Univerſitat. Er
hat in zweyen ſehr heterogenen Wiſſenſchaften eine auf
Terordentliche Stärke, in der Matheſis und den orientas
lifchen Sprachen . Eriklehrt ſowohl die reine , als aucht
2 Senandte Mathemat , und erklärt das alte Teſtamen .
Seine Schriften , welche mehrentheils die Kritik des alten
und neuen Teſtaments zum Gegenſtand haben , beweiſen
ſeine große Gelehrſamkeit und ungemeinen Scharfſinn ,
und empfehlen ſich ohne dies , weldes bei Schriften dieſer
Art ſo etwas überaus ſeltnes iſt, durch eine angenehme
Schreibart. Ich will Sie hier nur an die Unmerkungen über
lio
die lezten Paragraphen des Herrn Hofraths MichaeEins
It 3
646 IX . Befodftigungen der Gelehrten
Einleitung in die göttlichen Schriften des neuen Bundes
erinnern , und bitten nachzuleſen , was ſelbſt Herr Hof:
rath Michaelis in der dritten Uusgabe ſeiner Einleitung
S , 1157, 1310-1313. davon rühmet , an den entdeckten
wahren Urſprung der alten Bibelüberſegungen , an die
Erklärung der 70 Wochen Daniels und mehrere kleinere
Schriften , Seine Geſchichte der Erfindung der Meerss
långe iſt ſchon mehrmalen aufgelegt , und in das Hogans
diſche überſezt worden . Er iſt auch bekanntlich der Vers
faffer der Briefe eines Reiſenden von Pyrmont, Caffel,
Marburg , Würzburg und Wilhelmsbad. Seine neueſte
Schrift handelt von dem großen Pußen der Strahlableis
ter, und ihrer vortheilhafteſten Einrichtung zur Beſcúz
zung ganzer Städte, von der ich unten noch mehreres
fagen merde,

Fürſtena u leģet die logit , Metaphyſik und Rais


meralwiſſenſchaften. Er verdient Tomohl wegen ſeines
Hellen recht philoſophiſchen Kopfes , und ſeiner ausges
breiteten gelehrten Kenntniffe , als aud in Anſehung leis
nes edlen Charakters jedermanns Hochachtung. Auſer
einigen akademiſden Diſſertationen und Programmen ,
die Sie bei Herrn Srrieder Band IV. S.254 und 255
angezeigt finden können , iſt er durch die Apologie ves
phyfiokratiſchen Syſtems bekannt. Im Vortrag hat er
diebeſondere Geſchicklichkeit, auch die tieffinnigſten Sachen
leicht und anſchaulich zu machen .
gåger und Kümmel , erſterer Lehrer der Hebrais
fchen und legterer der griechiſchen Sprache, find zugleich
Prediger an der reformirten Kirche, und beide vorzüglid
gute Redner,

Der Profeffor von Sanftein lehrt die franzöſiſche,


engliſche und italieniſche Sprache. Er hat eine ſchöne
Kennts
in Rinteln. 647
Kenntnis der römiſchen Litteratur, und beſigt eine auss
geſuchte Sammlung der beſten Ausgaben von den lateis
niſchen Schriftſtellern ,
Dies ſind die Beſchäftigungen der Lehrer auf der
Univerſität, und Sie werden nun Selbſt eingeſtehen múſ
fen , daß ſie alle , wenn ſie ihre Uemter , wie ſie es thun ,
treu und fleißig verwalten wollen , hinlänglich beſchäftiget
13 find. Denn ſelbſt nach dem Verhältnis der gier Stus
direnden iſt die Zahl der Lehrer niật gros.
Auſer ihnen befinden ſich noch mehrere einſichtsvolle
Gelehrte und Schriftſteller in Rinteln , aber freilich nicht
alle von gleichem Sorot und Korn. Einige haben ſolche 1
Schriften ausgehen laſſen , daß man ſie, wenn ſie dies
unterlaſſen hatten , eher für Philoſophen gehalten hätte.
Dies gilt auch von einigen Geiſtlichen auf dem Land, die
den pruritum ſcribendi adzuheftig empfanden , und
dafür nun ausgelacht werden. Unter dieſen macht aber
fehr zu ſeinem Vortheil eine Ausnahmeder Paſtor Pau
lus in Molenbek. Er iſt Ihnen ſchon durch ſeine in
Caffel von der Bereaſchaft des Uckerbaues und der Künfte
gekrönte Preisſchrift , von der Abſchaffung der Hand- und
Spanndienſte , als ein groſer Dekonom und Kameraliſt
bekannt , und fürzlich hat er aud eine Geſchichte des
Kloſters Mögenbek herausgegeben.
Der M. Kahler zu Rodenberg iſt ein ſehr gelehrter
und mürdiger Geiſtlicher, und ein beſonders guter Pre
diger, der auch ehemals in Rinteln Kollegia geleſen gat.
Unter den Künſtlern in Rinteln kenne ich nur den
Univerſitátómechanikus Bolte als einen ſehr geſchickten
Uhrmacher. Ein guter Jonkünſtler iſt der Organiſt
Müller , welcher nicht nur das Klavier und die Floke
It 4 volls
648 IX. Beſchäftigungen der Gelehrten
vollkommen fertig ſpielt , ſondern auch gut komponict,
dod, hat er noch nichts drucken oder ſtechen laſſen ; allein
er giebt guten linterricht. Auch unter den Studirenden
find liebhaber , die ſich im Konzert können hören laſſen.
Zum Beſchluß will ich , Ihrem Verlangen gemás,
einige der neueſten gelehrten Produkte von Rinteln , die
mir zu Geſicht gekommen ſind , kürzlich anzeigen.
1 ) I. M. Harſen camp von dem großen Nußen
der Strahlableiter , und ihrer vortheilhafteſten Einrich
tung zur Beſchüßung ganzer Städte, 3 Bogen in 4. 1784.
Um den Nußen der Strahlableiter auch den Ungelehrten,
oder ſolchen , die ſich mit dergleichen Unterſuchungen wenig
beſchäftiget haben , begreiflich zu machen , ſchickt der Herr
Verfaſſer eine kurze Theorie von der Elektricitat voraus,
zeigt darauf wie die Gewitter entſtehen , wenn die brenn
bare Luft , womit die Wolken geſchwangert ſind , durch
elektriſche Funken angezündet wird , und wie ſie alsdenn
gefährlich werden , wenn die elektriſche Wolken fich tiefer
herabſenken , und die Gegenſtände auf der Oberfläche
unſerer Erde berühren , und denſelben von ihrem elektri
Tchen Ueberfluß heftig undungeſtůmm mittheilen. 5.7
werden die Strahlableiter beſchrieben , und aus der Ers
fahrung bewieſen , daß ſpißige Stangen beſſer ſind, ali
die ſtumpfé. Ferner zeigt der Verfaſſer , wie man ganze
Stádte durch ſolche Gewitterſtangen gegen das Einſchlagen
ziemlich ſicher ſtellen könne. Rinteln hátte dazu eine vor
züglich gute und bequeme Sage , weil es nicht gar zu grob
iſt , in einer Ebene liegt , und einen Wald und Waſſers
graben hat. Nachdem darauf Herr H. dargethan hat,
wie Rinteln vorzüglich viel von Gewittern zu befürchten
babe, ro beantwortet er einige Einwürfe, die Unverſtand
oder Aberglaube gegen die Errichtung der Gerpitterſtangen
machen . Im J. 1779, erófnete er eine Subſcription ,
um
in Rinteln . 649
um die ganze Stadt mit ſolchen Strahlableitern zu ver
Tehen . ' Hierdurch und durch die Gnade Sr. Durchlaucht
des regierenden Herrn Sandgrafen , ward es möglich , auf
den verſchiedenen Baſtionen des Baus einige Gewitter
ſtangen zu errichten , und ſo iſt alſo Rinteln der erſte Ort
in der Welt , wo ſo etwas zur Ausführung iſt gebracht
worden.

Dieſe Stangen haben auch völlig der Erwartung ,


die man von ihnen hatte , glücklich entſprochen , da , ſo
viel man weiß , wenigſtens ſchon zweimal ſtarke Gewitter
2.1 durch ſie ohne Schaden ſind abgeleitet worden. — Uebri
gens war dieſe Abhandlung eine Einladung zur Feyer des
Geburtsfeſtes des Durchlauchtigſten regierenden Herrn
Landgrafen . - ?

2 ) I. I. Jáger Vindiciae capitisLIII. Efaiae,


2 Bogen in 4. 1783. Dieſe Schrift erſchien bei Ges
$ legenheit des Prorektoratswechſels ,da Herr Jáger das
03 Prorektorat niederlegte, und Herr Dr. Múller es übers
Md nahm. Sie iſt gegen die falſche Erklärung des angeführs
ten Kapitel des Efaias gerichtet , in der ſogenannten
kleinen Bibel - Geſchichte von Erſchaffung der Welt,
» bis auf die Zerſtöhrung Jeruſalems durch die Romer,
99 Berlin 1780 . » Bahrdt, der wahrſcheinliche, oder
vielmehr gewiſſe Verfaſſer der kleinen Bibel , behauptet,
daß man unter dem Knecht Gottes den König Hiskias
verſtehen müſſe , und Herr I. zeigt in dieſer kleinen
überaus wolll geſchriebenen Schrift mit den wichtigſten
Gründen , daß man wenigſtens den Hiskias darunter
durchaus nicht verſtehen könne.
3 ) I. P. Sdroter de Magiſtratus politici at
tentione civium valetudini facra , ſpecimen poli
tiae medicae contractae primum . Den 23.Upril 1784
It 5 vera
1
650 IX . Beſchäftigungen der Gelehrten
1
vertheidigte Herr I. P. Foffelmann aus Hamburg ,
Regimentsfeldſcherer in Königl. pulniſchen Dienſten , dieſe
Schrift , zur Erlangung der mediziniſchen Doktorwürde.
Zuerſt beſchreibt Herr Schröter die mediziniſche Politik,
und nennt darauf die verſchiedene Urſachen der Kranks
Beiten , welche die Aufmerkſainkeit der weltlichen Obrigkeit
erfordern , nemlich : a) Familiens oder Erbkrankheiten ,
b ) eine unrichtige Behandlung bei der Geburt , c) vers
dorbene (uft ; d) Uebermaas in Eſſen und Trinken , oder
Tchådliche Nahrungsmittel und Kleidung , und e ) unor's
dentlicher Gebrauch der Liebe. Nur die drei erſten
1
Punkte find hier abgehandelt , die beiden lezten ſollen
nachkommen .
4 ) E. Grandidier aus Caſſel, de opii abufu
bei Gelegenheit ſeiner Doktorpromotion , den 24. Mai
1784 , unter dem Vorſiß des Herrn Dr. Simmers
manns. Herr Baldinger gab Sperrn G. zu dieſer
Schrift Veranlaſſung. Das Opium , als das vornehms
fte antiſpasmodiſche Mittel war ſchon den Älten bekannt.
Db es fchon Hippokrates gekannt habe , iſt zweifet
haft , aber vom Celſus , Galenus , Aetius ,
Ulexander und den arabiſchen Verzten wiſſen wir es
geris. Herr G. zeigt erſtlich die Wurkungen des Opiums
überhaupt , und führt die Fåde an , wo es ſchädlich iſt.,
darauf redet er von ſeinen Würkungen insbeſondere, und
nennt endlich die Krankheiten , wo man es mit Vortgeil
gebrauchen kann.
5 ) 9. D. Müller de mutilatione Dei, fcri
pturae , mundi & animae violatae rationis & re
velationis tefte , 2 Bogen in 4. Dieſe Schrift er :
fchien bei der Gelegenheit , da der Herr Verfaſſer den
17. Julius 1784 dem Herrn Profeffor Bucher Das
Prorektorat übertrug. Ungeachtet die Aufſchrift ein
wenig
!

in Rinteln. 651
wenig dunkel zu ſeyn ſcheint , ſo kann id Ihnen doch
nicht wohl einen Auszug aus dieſer Schrift ertheilen ,
oder id müßte ſie gånzlich überſeßen , welches der Raum
nicht geſtattet.

Hier will ich diesmal abbrechen , und Ihnen zu


einer andern Zeit die übrigen Rinteliſchen Neuigkeiten ,
die jegt ſchon erſchienen find , oder bis dapin Gerauds
kommen werden , anzeigen .
G. den 15. Dktober
1
1784.
Rr. Br.

X. Ein
652
X.

Ein Brief an Herrn N. u. P.E. aus Madrid


vom 20. April 1784 ..
Senn ich Ihnen , vereßrungswürdigſter Freund , ſpas
W ter ſchreibe, als pie Verbindlichkeiten , die ich Ihnen
habe, Sie zu erwarten berechtigten ; ſo bitte ich daraus
nichts weiter zu ſchlieſſen , als daß ich für den Auftrag mit
dem Sie mich beehrten , auf die Ueberbleibſel altdeutſder
Sprache und Poeſie aufmerkſam zu ſeyn bisher nichts ges
funden (abe , wovon ich glaubte , daß es für das teutſche
Publikum von einigem Intereſſe feyn könnte . Aus Spas
nien hofte ich deſto mehr zu erhalten , je unglaublicher es
mir vorkam , daß in einem ande , wo Gothen Jahrhuns
derte lang woonten und herrſchten , nicht einige Reſte von
gothiſcher Sprache und Dichtkunſt fich Toaten erhalten has
ben ; und je mehr ich wußte , daß keiner der bisherigen
1 Reiſenden daraufaufmerffam gewefen war. Ulein lange
waren alle Nachforſchungen vergeblich . So oft id nach
gothiſchen Fragmenten fragte, gab man mir mit gothiſcher
Schrift geſchriebene lateiniſche Handſchriften ; von gothi
ſcher Sprache mußte man nichts.' Endlich war ich ro.glüces
lich , eine Entdeckung zu machen , die mir nicht nur darum
angenehm war , weil ſie mein Suchen einigermaſſen bes
Johnte , ſondern vorzüglich deswegen , weil ſie mich in den
Stand rezte, Ihnen einevieleicht nicht ganz unintereſſante
Nachricht mitzutheilen .
In der Bibliothek des Kloſters St. Sorenzo im Eskus
rial befindet ſich eine alte Handſchrift auf Pergament , die
die Briefe des H. Hieronymus enthält , mit gothiſcher
Sdrift, von einem Charakter , der ins rote Jahrhundert
zu gehören ſcheint. Daß es ein ſpaniſcher Koder iſt, ers
giebt die Anſicht , aber was ihn merkwürdig macht, ſind
die

1
X. Brief an Herrn E. 653
die' Gloffen , die über einigen Wörtern geſchrieben ſind ,
theils in lateiniſcher , theils in andern Sprachen. Die
leztern habe ich die Ehre Ihnen hierdurch zu überſenden.
Sie ſind , wo nicht von der erſten Hand , doch mit einer
Schrift geſdyrieben , die vollkommen den Charakter der
übrigen Handſchrift hat, nur daß ſie kleiner iſt, und mús
fen mit dem Koder ſelbſt von gleichem Alter feyn. Hier
ſind ſie alle , ſo wie ich ſie gefunden , mit der möglichſten
Sorgfalt kopirt.
gridwartbo adera
Bladt 23. agonotheta . venas.
locca
Å cincinnis, gebilech
43. matrimonium
31 kampho
25. athletas, siumiler
pfloc gcila 45 b . mutilare.
aratri ſemel correptiftiua barz
lachen 47b . erefina.
pallium . bulla
bulfca,folliculis leguminum 77, maforte volitans.(Epift.
31. filiquis delectaris . ad Euftochiam de con
Spilman ferv. virgin .
33 b. mimus . borlacha
fcernare 106. volutabruni.
37 b. ſcurra.
are
gewilot
ariſtas .
127. velatarum virginum ,
wictheit bocfellen
135. in membranis.
nugas .
adenaden wibchette
fugillarent. 176. nugarnm tumultu.
derrandon kin bruſtlappo
43. urentem. mento palearibus. ( *)

Sehen
bruflappo
) Am obern Rande iſt noch die Note : palearia in bubus latitado
pellium , quae a mento usque ad crura dependent. palearia à
polleo , quafi'pollearia , quod eft generoſitas in bubus. 30 füge
dies bei als eine Probe der lateiniſchen Scolien , die zuweilen
långer ſind. Dieſe roeint aus dem Ifiodor zu repne
1
654 X. Brief an Herrn C.
Sehen Sie da , verehrungswürdigſter Freund, meine
Entdeckung . Daß es gothiſche Wörter ſind, iſt wohl auſer
Zweifel. Es find nur einzelne Worte , aber vielleicht
(con genug , um einigen Begrif von der Sprache der ſpa
niſchen Gothen zu geben . Ich habe fie blog abgeſchrieben ;
vielleicht finden Sie fie merkwürdig genug , ſie bekannt zu
machen , und die Liebhaber teutſcher Ulterthümer mit einem
Kommentar dazu zu beſchenken .
Dies iſt aber auch der einzige Reſt von gothiſcher
Sprache , den ich in Spanien habe finden können . So
Tehr hat die Nation die Sprache ihrer Vorfahren vergeſſen ,
daß ſelbſt, dieſe wenigen Ueberbleibfel hier unverſtändlich
find, und ein gelehrter Spanier, den ſeine ausgebreitete
Kenntniſſe und ſeine edle Denkungsart mir auf immer ehrs
würdig machen , davon ſagte: haec ego non magis ca.
pio quam Plauti Poenulum. Die hieſigen Gelehrten ,
die ſich ſonſt um ihre Sprache ſo verdient gemacht gaben ,
nehmen auf das Gothiſche darin keine Rúcfſicht. Selbſt
Sarmiento, dieſer gelehrte Benediktiner , der faſt in
allen Fächern der Wiſſenſdaften arbeitete, fat davon nichts
hinterlaſſen ,und in ſeinen memoriâs ſobre la poeſia y
los poetas Eſpannoles bemerkt er nur wie im Vorbeiges
hen ,daßim Caſtilianiſchen einZuſaßvom Gothiſchen ſei. Die
Spanier betrachten die Gothen immer als uſurpateurs
und Sprachverderber, ohne zu bedenken , daß ſie ſelbſt Ubs
kömmlinge der Gothen ſind , daß der ganze Bau ihrer
Sprache gothiſch , und das Caftilianiſche im Grunde nur
Lateiniſch iſt , auf gothiſchen Stamm gepfropft. Der
Umſtand , daß unter gothiſchen Kidnigen in Geſchäften und
offentlichen Schriften allemal {ateiniſch gebraucht ward ,
machte, daß in der Geſchichte das Studium des Gothiſchen
nicht nothwendig war , und eben deswegen hat man gar
nicht darauf geachtet, und die wenigen gothiſchen Uebers
bleibfel zu Grunde gehen laffen . Wenn man indeſſen die
alte
X. Brief an Herrn C. 655
alte Diplomen , Gefeße, Gedichte und ſelbſt das ſpaniſche
Wörterbuch durchginge, To würde ſich ohne Zweifel noch
manches finden laſſen. Ich habe in mehrern alten lateis
1 niſchen Inſchriften Wörter bemerkt , die ich für gothiſch
balte. Man mußte den Covarrubias zu Hülfe nehs
mnen , wovon der Hr. Kanonikus Bayer noch einen uns
gedrukten Band Zufäße beſigt. Doch das wäre eine Ans
beit , die ein Deutſcher in Spanien unternehmen mußte,
der zugleich Geduld und Muſſe genug hátte , dieſe Unters
ſuchungen zu verfolgen ; Umftande, die wohl ſchwerlich
zuſammentreffen , und es dennoch ungewiß laſſen mögten,
ob die eine oder andere Nazion ihm einen Dank willen
würde , der ihn für dieſe mühſamen Forſchungen hinlänge
lich belohnte. Ich habe die Ebre mit der vollkommenſters
Sochachtung zu Tepn
Ihr
ergebenſter Diener
und Freund
C. C. Ty dren.

XI. An

1
!

656
XI.
Anzeigen neuer Bücher und Schriften .
I.

ଛୁA 18Untergebenen
die Bergbeamten mit ihren Bergleuten und übrigen
in Schmalkalden am 14. Aug. 1783
durch einen ſolennen Einzug vom Stahlberge bis auf den
Soloßplaß , das Landesherrliche Geburtsfeſt feierten , To
nahm der daſige reformirte Diakonus, Sr. Dion. Theod.
Boclo ( welcher nunmehro feit 1784 dort Inſpektor der
Kirchen und Schulen iſt ) die Gelegenheit , aus 5.B.
Mor. VIII. 7-9 , eine Predigt zu halten , die er wegen
des gefundenen Beifalles und Wunſches im J. 1784 auf
2 Dktavbågen unter der Aufſchrift dem Druck übergeben
þat : Schmalkaldens Stahl-und Eiſenberge als der
gróſte Segen Gottes für dieſe Stadt ; nebſt einigen
zur beſſern Kenntniß der daſigen Bergwerke dienenden
Anmerkungen und Zuſäke ( *).
Von
( * ) Bir zeichnen von lezteren einiges hieher aus :
Den Eiſenbergwerken hat die Stadt Somalfalden ihren Urs
ſprung zu verdanken . Auf dem ſogenannten Schmidthofe baus
ten ſich zuerſt einige Sdmiede an , und durch einige Schweden ,
pon denen die uralten Familie Clemen und merdel abſtama
men rotten , ſind die dafigen Eiſenbergwerfe , der Sage nad
fündig gemacht: duro Stepermårfer aber das Stahlſchmieden
dorthin gekommen .
Da in dem vom Landgraf Wilhelm VI. 1655 ertheilten Stahls
ſchmiedszunft Artifeln erwähnt wird : ,, daß das Handwerk uhr,
alt ſen und ſchon 250 Jahre geſtanden habe ; " ſo hat demnach
ſchon ums Jahr 1400 eine ordentliche Stahlſchmiedszunft zu
Schmalkalden ſubſiſtirt , und es muß die Kunſt Stahl zu ſchmies
den daſelbſt wohl viel länger bekannt geweſen und die Bergwers
ke ſelbſt viele Jahre , vorher fündig gemacht worden ſeyn.
Gleichwie Helfen8 Regenten , feitdem Somalfalden an ſie gefoms
men , zum Aufnehmen und Verbeſſerung des Bergweſens mande
Werordnung gemacht , ſo wurde unter Landgrafen Carl die uns
máſige
XI. Anzeigen neuer Bücher 26. 657
Von eben demſelben iſt folgende Schrift herausa
gegeben worden : De commotione coeli ac terrae,
Hebr.

måffige Förderung des Stahl- und Eiſenſteins in den Jahrer


1685 , 1705 , 1712 und 1726 reſtringirt , und auf die Konſervae
tion der Unbrüche für die Nachfommen damit Rückſicht genoma
men. In legtgedad tem Jahre kam eine beſondere Somalfaldere
Bergordnung heraus und 1734 wurde befohlen , ſich um Ge.
werEfdaften , welche die im freien liegende Bergwerfe zu Brate
terode , Kleinſchmalkalden und Asbach hinwiederum bauen mögs
ten , zu bemühen . Landgraf Friedric I , Stönig in Sweden ,
ließ 1732 die bereits reſtringirte Förderung noc mehr einſoráne
fen ; und Landgr. Wilhelm VIII. glaubte , daß es für die Feue
erarbeiter und Manufafturiſten beſſer reyn würde , wenn die
Stahlhammer und Hütten auf Herrſchaftliche Recinung betries
ben , und den Eiſenhammergewerken das rohe Eiſen von der
Herrſchaft gegen Bezahlung gegeben werde. Es wurde desmes
gen 1751 eine Stahl- und Eiſenadminiſtration errichtet. Dieſe !
entſprado aber den Abſichten nidt. Unter dem jeztregierendere
Landgrafen ſchafte man 1772 die adminiſtration ab , vererbleia
hete die erfauft wordenen Stahlhammerantheile an Gewerte
gegen Entrichtung eines leiblicher jährigen Sanong und gab
auch in dem Jahre , eine neue Bergkommerzial - Verordnung
heraus.
Im Jahr 1779 belief ſich die Menge des aus den familicen Gruben
der Herrſdaft Somaltaiden geförderten Stahl- und Eiſenfteins
auf 22889 Donnen . Da nun 6 Tonnen Eiſenſteine ordentlich
30 Centner gegoſſen Eiſen geben , ſo kommen auf dieſes Jahr
Jahr 38148 Centner Eiſen heraus. Daß aber dieſe Menge nicht
nur in dieſem , ſondern ſoon wirklich im vorigen Jahrhundert
immer gleic betráchtlich , ja wohl zuweilen noch fårfer geweſen,
ift aus den obgedachten Reftriftionsverordnungen erweiblic
Man nehme indeſſen an , daß binnen 300 Jahren , ein Jahr ins
andere gerechnet, jährlich nur 15000 Tonnen gefördert worden ,
To wird roldes die Summe von 4 und einer halben Millionen
Tonnen , das daraus geſchmolzene Eiſen aber 7 und eine halbe
Millionen Centner ausmachrn , die alle aus den Eingeweider
der Schmalfalder Berge hervorgeholt worden. Nur Schade ,
daß dieſer Eiſenſtein nidt alte auf daſigen Hütten geſchmolzen
und in den Werfſtätten verarbeitet , ſondern, wie loon eheden
alſo auc jezt an die Gothaiſoben und Churrado fiſden Eiſenhams
Seff. Beier. Sc. IV . 14 mer
!

658 XI. Anzeigen neuer Bücher


Hebr. 12 , 26. non ad ſupremum illum mundi hu
jus ſublunaris interitum trahenda, fed de permuta
tione
mer, an erſtere gegen Stohlen , an leztere gegen Holz úberlaſ.
fen wird .
Et gehet die Somalfalder Stahl- und Eiſenwaare , deren Gute
felbſt in den Ländern , wo auch Stahl fabricirt wird , allgemein
anerkannt iſt , nach Holland, Frankreid , Portugall und von
dannen weiter nach beiden Judien , desgleichen nach Polen ,
Schleſien , Liefland und von da ferner in den entfern teſten Nors
den ; obwohl der Handel nach dieſen Gegenden , beſonders in die
dem preuſſiſchen Scepter unterworfene Länder, durch die daſelbſt
angelegte Fabrifen und gemachte Verordnungen ſeit einiger Zeit
fehr gehemmet worden. Vor dem amerikaniſchen Kriege holten
auf die Einwohner der engliſchen stolonien viel von den Somals
falder Stal - und Eiſenwaaren , ſonderlid Feuerrohre aus der
erſten Hand von den Schmalfalder Staufleuten auf den Franfs
furter Meſſen '; und vermuthlich ift mancher brave Heſſe in ge.
dachten für England ſo unglücklichen Striege mit einem Somals
falder Gewehr todgerdoſſen worden.
So häufig man Bache und Ströme in der Herrſchaft Schmalfals
den antrift , ſo viel núzlider zu dem Bergbau , Hütten- und
Hammerwerken werdeu fie dadurch , daß der atigütige Schopfer
felbigen durch ihren Urſprung aus den hohen Gebürgen con
von Natur denjenigen Fall gegeben hat , den man ſonſt vielfältig
burc fúnflid angelegte fortſpielige Gråben und ſogenannte Flu.
derwerfe erſt zu erhalten ſuchen muß. Auch haben dieſe Ges
måffer auſſerdem noc zwo vortrefliche und zur beſſeren Benuje
gung der Bergwerfe hódftnöthige Eigenſchaften : einmal , daß
fie ſo gefchift find , dem Stahl die gehörige Hårte zu geben ,
worinnen reine vorzüglide Gute beſtehet; und dann , daß man.
che derſelben auch beim hárteften Froſte und der ſtrenghten stålte
nie oóllig eins oder zufrieren , folglid die Schleiffoten und ana
dre Werke nie ganz fille ftehen. Die lezte Eigenſchaft findet
fido infonderheit an dem ſogenannten Geſpringe , etwa eine
Viertelſtunde oberhalb der Stadt, vor dem Weidebrunner Thor ,
einer fo farfen als wohlidmedenden Duelle , die faft die ganze
Stadt mit Waſſer verſiehet, und dann an dem Siedenteis
e , einen Büchſenſchuß unter der Stadt, vor dem Huerthor ,
426 weldein faſt alles Leinen und weiſſe Warde in der ganzen
Stadt ausgemaſchen und gebleidt wird,
BAS
und Schriften. 659
tione ftatus religionis & reipublicae tempore Jeſu 1

Chriſti , convenienter Hagg. 2 , 7. 8. 9. interpretan:


da , inprimis contra ill. Equit. J. D. Michaelis,
Goetting. (*) , Smalcald. 1784. 4 .
Von dem Heſſ. Caſſ. Berg- und Hüttenkommiffarius
Hrn. Jok. Phil. Rieß iſt erſchienen : praktiſche Abhand
lung von den Eigenſchaften und Zubereitungen des
Allauns; nebſt einer Beſchreibung des bei Steinkohlens
werken oft entſtehenden Feuers , der entzündbaren Luft
und

Was das Holz betrift , ſo ift foldes zwar durd mancherlei ttrra.
chen auf den Schmalkalder Bergen dermafen ro dünne geworden ,
daß man nicht mehr im Stande iſt , die Hütten . die Hammer ,
werke und Fabrifen mit inländiſden Stohlen zu betreiben; inder
ren tåffet ſich dieſer Mangel von den Nachbarn' erſeßen , die des
Schmalkalder guten Stahl- und Eiſenſteinsaud nidt entbehrero
fénnen , ſo , daß eins dem andern nothwendig wird . 3.6710
Eine nicht geringe Wohlthat ift es nod , daß man gant in bere
Nähe von Schmalkalden eine ſehr feuerbeſtandige Art von Sands
ſteinen hat , die man zur Aufführung der hohen Defen auf der
Eiſenwerfen ſo ſehr nöthig braudt ; da man in andern Gegens
den , wo dergleichen Steinarten mangeln , und ſelbſt in dem
wegen ſeiner Stahl- und Eiſenfabriken fo berühmten Stepero
mart die Sutter in den Schmelzöfen auf eine weit weniger Day .
erhafte Art ganz von Chon machen , und die UmfaffungSmauer
oder den ſogenannten Dienſtod von Stalffteinen aufführen muß.
Drift man aber aud gleich einige wenige von Steinen gebaute
Defenan , ſo müſſen doch die zu dieſer Abfidt brauc .
baren Steine auf eine fortſpielige Urt ſebr weit herbeigefüb .
ret werden .

( *) Schon im Jahr 1779 forieb Hr. Boclo , auch wider den Hrn .
Ritter Michaelis , eine andere teutſde Abhandlung von der
Wirklichkeit der Himmelfahrt Henoch , aus Hebr. 2 , 5. Man
fehe überhaupt von ihm und reinen Soriften , Strieders
Delf. Gel. und Schriftſtellergeld , 1 B , S. 449 Ha fra B.
S. 534. 4. B. S. 530,
Uu 6

.
1

660 XI. Angeigen neuer Bücher


und einſchläfernden tódtenden Wetter. Marburg
1785. 8. ( * ).
Bei Gelegenheitdes Prorektoratswechſelo in Marburg
gab Herr Dr. und Prof. Theol. Going in Marburg ein
Programm Beraus: quo ad objectiones contra argu
menta quaedam pro Dei exiftentia reſpondetur,
Marbo 1785. 4 . :: .

Bei der Feier des Namenstages des HerrnSandgrafen


Friedrich : II.am Caſſeler Col. Car. ſchrieb der zeitige Pros
reftor, Sr. Dr. und Prof.med. Baldinger ein progr.
Syft. , hiſtoriam mercurii medicam , zu deſſen in dieſer
Matérie bereits in Göttingen herausgegebenen vier Pro
drammen gehörig , die nachher auch in Form eines Traktats
erſchienen ſind. Es kommen in dem gegenwärtigen Pros
gramm zugleich die Lebensumſtånde des als Profeffor der
Philoſophie eingeweißeten Herrn Predigers, Joh. Friedr.
Klingender's vor. Es iſt derſelbe in Hanau 1747 am
19. Mai geboren , bat anda und in Baſel ſtudirt, ſeit
1967 eine Hofmeiſterftele bekleidet, iſt ſodann Univerſis
tåtsprediger zu Harderwyk , Hiernächſt Prediger zu Gors
tum und ſeit 1778 franzöſiſcher Prediger zu Caſſel ges
worden .

Uuf das Abſterben des Herrn Profeſſor Joh. Sudn.


Conradi in Marburg þat Hr. Rath und Profeſſor Mis
dael Konrad Curtius, wie gewohnlich , deffen memo.
riam auf 21 Quartbogen drucken laſſen .
(*) Eine Recenſ. Davor findet man in der Saff. Staats- und Gdl.
Zeit, von 1784 , 157, St, feipt. N. Vel. 3. 1785 , 23. St.

2. Vers
und Sdrifter . 661
2.

Verſuch über die Vortheile der Leiden und Widermáca


tigkeiten des menſchlichen Lebens , zur Beru
higung meiner Brüder , von Johann Samuel
feſt. Leipzig , bei Weidmanns Erben und Reich,
1784. Erſter Theil 234 Seiten . Zweiter Theil
230 Seiten. Dhne die Vorerinnerungen von
74 Seiten . in 8 .
Der Verfaffer durch mehrere ſchmerzħafte und langs
wierige Krankheiten geprüft, und bis an die Grenzen der
Verzweiflung getrieben , hat dieſe Gedanken und Betrach
tungen während der Heiſeſten Sehnſucht nad Ruhe, unter
eignen groſen mannigfaltigen und langwierigen Bekams
merniſſen , gefaßt und geſammlet. Innigſtes Mitleid mit
áhnlichen Duldern , vornemlich folchen , deren Leiden aus
ihrer åuſeren Sage , aus ihrem Körper , ihren Umſtänden ,
Verbindungen , und aus wurklich verändertem Verhältnis
der Dinge gegen ſie, in der gegenwärtigen Sphäre ihrer
Thåtigkeit , aus Widerwårtigkeiten entſpringen , bervog
ihn, ſie ihnen zur Linderung bekannt zu machen . In ſols
cher (age quålt es den Seidenden vorzüglich , warum die
Vorſehung nicht auch an ihm eben ſo deutlich , wie an
ſeinen glúflichern Mitbrüdern , und eben ſo frühzeitig ihre
1
Gúte offenbahrt ? Warum gerade er auf dem rauhften,
Pfade der Ewigkeit entgegen ſchleichen muß ? Dieſe Zweia
em
fel werden gelóſt, die Vorſehung wird wegen der Zulaſ
ſung ſo vieler beſondern Widerwårtigkeiten und leiden
empfindlicher Geſchöpfe gerechtfertigt , die Unpartheilichkeit
8 ihrer Liebe auſer Zweifel geſezt, und die Jugend und uns
fchuld geſchåzt, wenn man ſich überzeugen kann , daß ſelbſt:
die bitterſten Leiden den großen Endzweck nicht nur deb
fünftigen , ſondern auch des gegenwärtigen Lebens, die
Glückſeligkeit zugleich befördern. Daß fie ſo weiſe und
แบ 3 geſchickte
662 XI. Anzeigen Heiler Bücher
geſchichte Mittel zu dieſem Endzweck Kienieden , mit ro
> väterlicher (jebe gewählte Mittel find , daß wer ſich ihrer
weigern könnte , nothwendig auch der ganzen innern und
äuſern Voukommenheit und Glückſeligkeit entſagen mußte,
deren er auch auf Erden ſchon empfänglich iſt. Seine
Abficht iſt daher, dem welchen gegenwärtige Widerwårs
tigkeiten beunruhigen , welchen der eine immer mehr als
det andere ausgeſezt iſt , und die ihm daher zufädiger und
vermeidlicher ſcheinen , ſo viel möglich durch Erfahrungen
zu zeigen , daß auch dieſe beſondere Uebel zu guten, ihm
felbft und dem Ganzen wohltgåtigen Zwecken dienen.
Die aus den Seiden entſpringenden Vortheile werden
in zwo Klaſſen getheilt, ſolche die dem leidenden ſelbſt, und
folche die der menſchlichen Geſellſchaft zuwachſen . Der
erſtern zählt der Verf. zehn , nåmlich : richtigere Schåßung
des verlohrnen Gutes; Aufmerkſamkeit auf die Folgen
unſerer Handlungen und Warnung vor gráferm Leiden ;
Bekanntſchaft und Vertraulichkeit mit ſich ſelbſt, und mit
feinem ganzen Charakter ; Gewöhnung zur Religion , insa
beſondere zum Vertrauen auf Gott ; Beförderung vieler
Tugenden , und Abhaltung von vielen Fehlern und las
ftern Erhebung des Geiſtes über die vergånglichen Güter
der Erde zu höhern Erwartungen ; wahrſcheinliche Erhd
Kung der fünftigen Seligkeit ; lebhaftere Empfindung
gegen alle Wohlthaten des Lebens, und Abhärtung gegen
andere Uebel; Erweckung mancher ungekannten Fähigkeiten
des Geiftes , und neue Richtung derſelben , durch Spans
nung unſerer ganzen Thátigkeit; beförderter Wachsthum
án innerer Stårke und Vollkommenheit ; Bedingung
mancher duſern Güter. Auf die menſchliche Geſellſchaft
bezießen ſich , warnendes und in vieler Betradtung lehrs
reiches Beiſpiel für andere , Aufforderung zu Handlungen
7
der Jugend und Menſchenliebe ; und duſerer Gewinn für
andere, indem unſer Schaden des Andern Portheil wird .
Dieſe
/

und Schriften 663


Dieſe Vortheile , in einer beredten und wohl ausgearbeis
teten Sprache, nur mit mehrmals etwas zu langen und
eben dadurch verwirrten Perioden , vorgetragen , mit Beis
ſpielen und Erfahrungen unterſtüzt , machen das Buch
ſehr intereſſant und empfehlenswerth. Weil der Verf.
blos den Erfahrungen nachgehen wollte , hat er unſers
MI Bedúnkens die Spekulation etwas zu ſehr gintangeſezt ,
die doch oft ſeinen Gründen mehr überzeugende Kraft wurs
2 de verſchaft haben . Jeiden können núzlich reyn; aber find
Fie's vermoge ihrer Natur , oder nur durch Zufaa ? Wenn
! lezteres , denn liegt in ihrem Nußen nicht viel tróftende
Kraft, und die Zweifel gegen die Vorſehung werden nicht
gehoben . Alſo wäre darauf vorzüglich Rückſicht zu neh
men , daß man zeigte , wie in den Seiden ſelbſt , vermoge
der Natur menſchlicher Seele ſchon Grund zu Vortheilen
enthalten iſt. Dies hat der Verf. nicht genug vor Aus
gen gehabt, und aus Erfahrungen mehr bewieſen , daß
fie nůßen können , als daß ſie nüßen müſſen. Mander
Unglückliche ſieht den aus ſeinen jeßigen leiden entſpringens
den Vortheil nicht, oder kann ihn auch noch nicht ſehen ,
' weil er noch zu entfernt iſt; bei dieſem werden dieſe Irós
ftungen wenig fruchtene Wird er aber überzeugt, daß
auch ohne ſein Wiſſen und Wollen mancher Vortheil daraus
erwachſen muß ; und daß es nur an ihm liegt noch meha
rere daraus zu ziehen : ſo beruhigt er ſich leichter , ſobald
der Sturm der Uffekten ſich etwas gelegt hat.
Much würde etwas mehr Spekulation dem Ganzen
mehr Haltung und Feſtigkeit verſchaft haben. Gleich bei
dem erſten Vortheil wird der Leidende erwiedern , die gang
genaue Spaßung des verlohrnen Gutes ſei durch den Vers 1

tuft zu theuer erkauft, er mode lieber genieſſen , als richtig


fcházen , roate auch dem Genufle dadurch etwas an Ans
nehmlichkeit abgehen. Zeigt man ihm aber vorher , daß
ohne richtige Kenntnis und Schåßung der Güter fein glücks
Uu4 liches
664 XI. Anzeigen neuer Bücher
liches Leben möglich iſt : ro verſchwindet dieſer Einwand
von ſelbſt. Der Einfluß von Unfáden auf das Erkenntnis :
vermogen iſt am ſichtbarſten , und aus dieſem flieſſen man
che Vortheile auch für das Herz ; hiervon håtte bilig rollen
der Anfang gemacht werden. Von dieſen Tagt überhaupt
der Verf. zu wenig. Syſtematiſch die Sache betrachtet,
ergiebt ſich , daß die Seiden nicht blos intellektuelle , ſondern
aud moraliſche Vollkommenheit des Menſchen ihrer Natur
nach befördern , und dann zeigen ſich auch noch einige vom
Verf, nicht berührte Vortheile mehr.
3.
,Ueber die Einſamkeit , von Joh. Georg Zimmers
mann, Königl. Grosbritanniſchem Hofrath
und Leibarzt in Hannover. Erſter Theil , Leipzig
bei Weidmanns Erben und Reich, in 8. 1784.
392 Seiten ; zweiter Tþeil 520 Seiten . Regiſter
und Zueignungsſchrift ungerechnet.
Ein Werk , das ſich durch ſelbſtgemachte und aus Kirs
chenſchriftſtellern vornemlich můýfom geſammlete Beobach
tungen , und ſorgfältig bearbeitete Schreibart augnehmend
empfiehlt . Wo es auf abſtrakte Unterſuchungen und ges
naue Åbwägung des aus verſchiedenen Beobachtungen ſich
ergebenden ankommt , hat uns der Verf. weniger befries
digt , in Schilderungen des Einzelnen und deſſen lebhaften
Darſtellung bewundern wir ihn . Seine Abſicht iſt , zu
zeigen , was Einſamkeit wúrkt , was ſie gegen fich bat,
und wozu ſie gut iſt; zu dem Beguf wird zuerſt unterſucht,
woher es kommt , daß man ſo gern in Geſeardhaft läuft ;
rodann warum man zuweilen To Kartſinnig alle Geſellſchaft
.
flieht, und wie man aus mancherlei Beweggründen , auc
unter falſchem Vorwand , auch aus Enthuſiasmus und
Naturtrieb , in die Einſamkeit geht. Denn was in mans
cherlei
und Schriften. 665
# derlei Geſichtspunkten nachtheiliges für die Seele aus der
Entfernung von der Welt entſteht, endlich wann und wie,
es für Herz und Geiſt gut ſei , allein zu leben. Von dieſen
Punkten werden die drei erſten gegenwärtig abgehandelt,
den leztern haben wir noch zu gewarten .
.
Den Trieb zur Geſedigkeit leitet der Verf. aus mans
cherlei Bedürfniſſen , der langen Weile , und einem anges
bohrnen Vereinigungstriebe ab. Von lezterm , der unter
den Philoſophen noch verſchiedenen Streitigkeiten unters
worfen iſt, båtten wir mehreres unterſucht und bewieſen
gewünſcht, vornemlich , daß ein ſolcher ſich můrklich bei uns
vorfindet. Dieſe Unterſuchung war auch darum dem Verf.
unentbehrlich , weil Einſamkeit weit mehr gegen die Natur
und Glückſeligkeit des Menſchen iſt , wenn ein angebohrner
ftets reger Trieb zur Geſelligkeit vorhanden iſt, als wenn
blos zufällige Bedürfniſſe uns zur Geſellſchaft treiben.
Dies bei Seite geſezt, håtte aber wenigſtens genau ausge
macht werden müſſen , ob und wie weit Geſelligkeit ſich auf 7

nothwendige Bedürfniffe gründet, damit feſtgeſezt werden


könne , ob Geſellſchaft zur Glückſeligkeit durchaus unents
behrlich iſt. Den Trieb zur Einſamkeit nennt der Verf.
einen Naturtrieb I und führt die verſchiedenen Beweg
grúnde dazu an. Sind aber beide , ſowohl der Trieb zur
Geſelligkeit als der zur Einſamkeit, Naturtriebe : ſo frågt
ſich , wie laſſen fich ſo entgegengeſezte Triebe zuſammen
denken ? Wie fónnen ſie ohne ſich zu zerſtöhren beieinander
i
beſtehen ? Haben ſie eine gemeinſchaftliche Quelle, oder
find beide urſprünglich ? In dieſe Unterſuchungen , ob ſie
gleich zu genaueren Beſtimmung der Behauptungen gehors
ten , låßt ſich der Verf. nicht ein. Auch finden wir nicht,
ob und in wiefern Einſamkeit dem Menſchen nothwendig, 7

das iſt, auf nothwendige Bedürfniſſe gegründet iſt, mela


ches doch nothwendig ausgemacht werden muß , wenn man
ihren Wertą ridtig abwägen min . Dod vielleidt wird
นน 5 dies
!

}
666 XI. Anzeigen neuer Bücher
dies noch im folgenden nachgeholt, wo aber alsdenn das
hier geſagte eine neue Muſterung wird durchgehen müſſen ,
Nun geht der Verf. mehr ins Einzelne , und unterſucht,
woher der Trieb zur Einſamkeit in der erſten chriftlichen
Kirche und den warmen Låndern fo ſtark war , und noch
ift; dies führt ihn auf die Geſchichte der Móncherei. Auf
Wárme des Climaund daraus entſpringende Irågheit wird
das meifte gerechnet, indem ſchwarzes melancholiſches Blut
hiermit in Verbindung ſteht. Dies würde noch mehr
Feſtigkeit erhalten haben , wenn vorher unterſucht wäre,
welche Klaſſen von Menſchen , das iſt , welche Neigungen ,
welche Art von Richtung der Geiſtesfrafte, und Beſchafs
fenheit des Körpers mehr zur Geſelligkeit, welche mehr zur
Einſamkeit treiben . Bei denen , die nicht deswegen die
Geſellſchaft fliehen , weil ſie mehr Miokeals Menſchen ſind ,
findet fic allemal eine ſehr thatige Einbildungskraft: aber
nicht jede Thátigkeit der Einbildungskraft treibt zur Eins
famkeit , manche Menſchen ſehr lebhaften Geiſtes fónner
durchaus die Geſellſchaft nicht entbehren. Auch iſt nicht
allemal Melancholie mit dem Triebe zur Einſamkeit vers
gereaſchaftet. Es ſcheint alſo, daß man bei den Morgens
ländern , auſer der Melancholie ,noch ein Princip des bei
ihnen ſo ſtarken Triebes zur Möncherei annehmen muß.
Dazu kommt, daß bei den meiſten rohen Völkern , aud
in nördlichen Gegenden , ſtarker Hang zu Efſtaſen , zu 1

Geiſterumgang, und Wahrſagerei fich findet; daß folglich


nicht der Himmelbſtrich allein und Melancholie Schwárs
merei erzeugen. So Hoch wie bei den Morgenländern fann
freilid hier die Schwärmerei nicht ſteigen , weil der Wils
Ben herumziehende Sebensart , und grdſere Seltenheit der
Sebensmittel den Schamanen und Jongleurs nicht erlauben
in gånzlicher Abſonderung von Geſellſchaft, und blos auf
Koſten ihrer Landsleute zu leben . Auf die Verfaſſung der
bürgerlichen Geſellſchaft muß alſo durchaus mitgerechnet
werden; dieſe vergißt auch der Verf. niot, nur dúnkt uns
betrac
und Schriften . 667
betrachtet er fle nicht aus dem rechten Geſichtspunkte , ins
dem er behauptet , in den Demokratien ſeyn die Philos
fophen in die Einſamkeit gezogen. Dies dürfte die Ges
3
ſchichte ſchwerlich beſtátigen , in Athen wenigſtens und Gries
denland , To lang noch Freiheit herrſchte , wandelten die I

Philoſophen ſtets unter den Menſchen und in großen Stáda


ten ; eine ihrer weſentlichſten Abſichten war ja , ihre Mita
8 bürger zu beſſern. Nur als der römiſche Deſpotismus
feine größte Höhe erreicht hatte , entſtunden philoſophiſche
Unachoreten . Die Platoniſche Beſchreibung eines aba
geſonderten Philoſophen entſprang nicht aus Widerwillen
gegen die Geſearcaft, gern hátte er ſeine Republik reas
liſirt, auch wählte er mehr als einmal das Hofleben , und
in ſeiner Republik findet ſich nichts von Empfehlung der
Einſiedelei. In einer einigermaßen wohl eingerichteten
Demokratie, wo jeder Bürger unmittelbar an ade offents
lichen Angelegenheiten geknüpft iſt, und die Kräfte im bes
fåndigen Treiben erhalten werden , låßt fich Hang zurEins
ſiedelei nicht gut denken. Selbſt die Pythagoriſche
Schwärmereiwar weit vom Mönchsgeiſte verſchieden , loh
gar nach den Beſchreibungen der Alerandriner. Pythas
goras wollte keine der Welt ganz abgeſtorbene Júnger
bilden , ſie ſollten alle nicht blos leben und anſchauen : fons
dern durch Rath , That und Beiſpiel auf die Menſchen
wurken ; Gefeßgebung war einer der vornehmſten Zwecke
ihrer Bemühungen. D6 dies den Pythagoreern ankles
bende ſchwärmeriſche aus Egypten nach Griechenland , oder
umgekehrt aus Griechenland nach Egypten gekommen iſt ,
9 låßt der Verf. unentſchieden . Wir vermuthen , daß es
einer Ableitung auseinander nicht bedarf , wie auch , daß
man nicht nöthig hat zu fragen , ob die Schwärmerei der
Afiaten aus Egypten , oder umgekehrt , entſprungen iſt.
X Bei allen Somårmern diefer Art ift Elftaſe, Anſchauen ,
Umgang mit der Gottheit , und höhern Geiſtern das ges
meinſchaftliche. Dies Bat ſeinen lezten Grund in einem
aligen
668 XI. Anzeigen neuer Bücher
allgemeinen Hange der menſchlichen Natur zum wunder .
baren und auſſerordentlichem , nebſt dem , wie faſt alle
Schwarmer verſichern , Hóchſt angenehmen Zuſtande der
Efftare. Bei den Prieſtern und Wahrſagern wilder Nas
tionen findet man faſt durchgängig dieſe Efſtaſen , umbuat
mit einem Scheine von Geheimnis , als Eigenthum gewiſs
fer Perſonen , und durch dieſe nur nach mancherlei bez
ſchwerlichen Vorbereitungen zu erlernen . Bildet ſich die
Religion weiter aus ; lo mpird das Vorrecht dem Prieſters
ftande erhalten , die Myſterien werden mit mehr Pomp
und Zurüſtung eingeführt, und durch die Myſterien kommt
endlich die Hauptſache auch auf Privatperſonen , die das
religioſe davon trennen , und beſondre Methoden erdens
ken. Daß in den Myſterien der Alten das weſentliche
der höchſte Grad , in ſolchen Efſtaſen oder Anſchauen bes
ftand, ſcheint uns aus verſchiednen Gründen ſehr glaubs
fich. Die Geſchichte des Mönchthums erzählt der Verf.
vortreflich; auch redet er gelegentlich von Gaßners Wuns
derkuren , ſo, daß man das natürliche darin , nebſt des
Ehrenmannes Betrug unleugbar erkennt. Es wäre viels
leicht für unſre Zeit nicht übel , wenn jemand Beiſpiele
áhnlicher Wunder ſammlete, und deren natürlichen Grund
ſichtbar aufdekte. Bei manden Mönchsrundern Gat der
Perf. dies gelegentlich vortreflich geleiſtet.
Der zweite Theilbetrachtet die ſchädlichen Folgen der
Einſamkeit, auf den Gelehrtenſtand vorzúglich ; am meis
ften aber auf Mónde und Anachoreten . Eine Menge eins
zelner intereſſanter Beobachtungen und Anekdoten foms
men vor , beſonders viele mühſam geſammelte und ſorgs
fåltig ausgehobne Nachrichten von Unachoreten und Móns
chen , wodurch fich ergiebt, daß meder Glückſeligkeit nod
auch moraliſche Vollkommenheit ſich in dieſem Kochgepries
ſenen Standein dem Grade finden , als dieenthuſiaſtiſchen
Pertheidiger vorgeben ; und daß thårigter Aberglaube nebſt
wahrer
und Schriften 669
mahrer Verrücktheit gewohnlich das looß der angeblichen
11 Heiligen ſind. Unwiderſprechlich wird hier , wie auch im
vorhergehenden des Verf. ſonſt eben nicht bekannt gereſes 1

ner Gegner Obereit , wiewohl mit etwas zu viel Bitter


8 keit , widerlegt. Dieſer Obereit iſt eigentlich veranlaſs
ſende Urſache des Werkes ; ob er den Verf. zu ſeiner Hefs
tigkeit hinlänglich berechtigt hat , wiſſen wir nicht; fo viel
El aber dúnkt uns ausgemacht, daß man oft beſſer thut ,
ta von ſeinem ganzen Rechte nicht Gebrauch zu machen , bes
ſonders wenn man dadurch Gefahr läuft , mehr Unvers
mogen in Ertragung des Widerſpruchs als Eifer für die
gute Sache zu verrathen. Auch in dieſem Theile hatten
wir gewünſcht, die augemeinen und nothwendigen Uebel
der Einſamkeit von den durch beſondern Stand, Charaks
ter , Erziehung und andere Umſtånde , zufáaigen genau
abgeſondert zu ſehen . So wie hier iſt manche Folge pros
blematiſch , und läßt ſich nach Erfahrungen ſo gut abz
leugnen als behaupten ; nicht alle an ihre Studierſtube
fi gefeffelte Gelehrten ſind doch rechthaberiſch, ſtolz, und von
fich ađein eingenommen ; nicht alle Eremiten verrückt ,
u. ſ. .; wie der Verf. felbſt zugeſteật.

: 4.
Verſuch über das Leben des Freiherrn von Leibnik ,
von Michael Hißmann, Profeſſor der Welts
DX
weisheit in Göttingen. Münſter , bei Pħilipp
Heinrich Perrenon , 1783. in 8. 80 Seiten ohne
die Vorrede,
E11
Daß die bisherigen Beſchreibungen des Leibniķis
den Lebens ihrem Zwecke nicht entſprechen , auch zweis
felhaft ſei, ob leibniß einen ſeiner würdigen Biographen
finden werde , bemerkt die Vorrede. Was man vornems
lie in einer Lebensbeforeibung múnſøt, daß gezeigt werde,
pie
670 XI. Anzeigen neuer Bücher
wie der Mann ein ſolcher ward , leiſten die wenigften ,
vornemlich die Biographen der Gelehrten , und Erfinder ;
können die wenigſten leiſten , weil es nicht möglich iſt von
auſſen , ohne den Mann in allen ſeinen individuellen Lagen
begleitet zu haben , in den Fortgang ſeines Geiſtes einzus
dringen. Hierauf pflegen auch die meiſten Lebensbeſchreis
ber am wenigſten , oder gar nicht , zu ſehen , in ſoweit
alſo ift des Verf. Urtheil gegründet. Sein Augenmerk if
wohl dies allein nur geweſen , daher er alles weggelaſſen ,
was nicht unmittelbar dahin führte, und zwar nur auf
Ausbildung des Leibnißirchen Geiſtes. Sollte aber
dies allein eines Biographen Pflicht ſeyn ? Ganz ein anders
iſt es , das Leben eines merkwürdigenMannes für eine alla
gemeine Geſchichte , und ganz etwas anders , es als Ges
fchichte dieſes Mannes ſchreiben . Im erſten Falle betracha
tet man es nur in ſofern es Einfluß auf dieſe Geſchichte
hat , im andern muß man das ganze Individuum fchils
dern , wie es nach Kopf und Herz war. In eine Seibs
nißifde Lebensbeſchreibung alſo , die nicht Theil einer
Gefchichte der Philoſophie, oder der Mathematik iſt, ges
I hört auch , was ſeinen Charakter, feine Jebensart , ſeine
Sitten betrift; und ſo ſcheint der Verf. zu wenig geleiſtet
zu Haben. Auch ſelbſt das , wie ward er der Mann ,
dúnkt uns nicht überall genug dargelegt. Um das zu zei:
gen , muß man wohl vorher aus ſeinen Werken und Hands 1
lungen die Fähigkeiten abgezogen haben , womit die Natur .

ihn ausrüſtete - und hernach aus den Umſtänden feines


Lebens zeigen , wie er ſie auf dieſe Art ausbildete. Alſo
in einem Stücke Hat dieſe Lebensbeſchreibung vor den bids
gerigen Vorzug , im andern ſteht ſie ihnen nach.
Zuerft bemerkt der Verfor mit welchen groren Mans
nern leibniß lebte , vergißt aber die Lage der Philoſophie
überhaupt , und beſonders an ſeinem Geburtsorte zu bes
Rimmen. Daß ſcolaſtiſche Philoſopgie mit der durch
und Schriften . 671 }

Gaffendi, Descartes, und andern verbeſſerten rang,


und in Leipzig noch die Oberhand hatte , iſt allerdings von
Wichtigkeit, hátte Leibniß nicht die Scholaſtifer fleißig
geleſen , er wäre nie der tiefe Metaphyſiker geworden ; aud
þátte ſein Syſtem ſich nicht ſo ſehr der Emanationstheorie
genåbert , die bei den Scholaſtifern durchgångig herrſcht.
Es kam hinzu , daß Jacob Thomaſius damals ſich ſehr
mit philoſophiſcher Geſchichte beſchäftigte, und Leibnißen
veranlaßte mit Leſung der Ulten ſich mehr zu befaſſen ,
woraus ſchon damals in ihm der Vorſaß entſtand , Plas
21 toniſche und Ariſtoteliſohe Pậiloſophie zu vereinba
1 ren ; und der erſte Grund mit zu derjenigen Vielſeitigkeit
gelegt wurde, die der Verf. als das föchſte Verdienſt ina
tellektueller Köpfe betrachtet. Eben aus dem Studium
Platos und der Alexandriner kommt auch ſehr wahrs
ſcheinlich Leibnißend Hang zu myſtiſchen und bildlichen
Vorſtellungen , dem Hernad die Scholaſtiker nicht geringe
Nahrung verſchaften ; die Grundzüge , ſogar aud Eins
kleidung aller unſerer Myſtik , ſind gråſtentheils aus den
Platonifern. Auſer der Lektüre bildete ſich leibniß auch
durch die auf Reiſen gemachten weitläuftigen Bekannte
fchaften mit denbeſten Köpfen. Hier hatten wir in der
Anordnung der Begebenheiten mehr chronologiſche Ords
nung gewünſcht, wie námlich die intereſſanteſten Bekannts
fchaften nacheinander gemacht ſind, und was jede beſons
ders hervorbrachte. Am meiſten fåtte auf die Bekannts
ſchaft mit der Carteſianiſchen Philoſophie Rückſicht müſſen
genommen werden , als durch die Leibniß mehr und mehr
von den Platonikern und Peripatetikern entfernt , und zu
neuen Unterſuchungen geleitet wurde. Zu der alchymis
ftiſchen Schwärmerei lag der Reim ſchon früher im Neus
Platoniſchen Syſtem , denn auch die Ulchymiften reden
der Platonifer Sprade ; die Nürnbergiſchen Goldmacher
bildeten ihn wohl nur meýr aus . Leibnißens Vers
dienſte um die Mathematik und Philoſophie werden ein
wenig
>

672 XI. Anzeigen neuer Bücher


wenig zu klein angegeben , auſer dem angeführten gat
noch mancher Begrif und Saß ihm nähere Aufklárung
und beſſere Beweiſe zu danken. Das Urtheil über Wol:
fens Philoſophie iſt offenbar ungerecht ; die Philoſophie
verdankt ihm nicht blos Berichtigung manchet Begriffe,
ſondern auch richtigere.Abſonderung mancher vorher vers
wirrten Theile der Wiſſenſchaft , und beſſere Methode.
Das weſentliche der Wolfiſchen Lehrart muß immer
jeder gründlichen Pậiloſophie bleiben i wenn ſie nicht
blog tónendes Erz und klingende Schelle werden ſoll.
Eine Beilage befreyt Leibniß von dem Vorwurfe,
fein Syſtem dem Bruno und Gliſſon abgeborgt zu
haben.
Tn .

5.

Hiftoria Nigrae Silvae Ord. S. Benedicti Coloniae,


opera & ſtudio Martini Gerberti , mona
fterii & congregationis S. Blaſii in eadem
Silva Abbatis S. Q. R. J. P. collecta & illu
ſtrata, Tom. I. Typ. ejusd . monaft. 1783. 4.
mit Kupfern .
Das große und wichtige Unternehmen , nach Art der bes
tannten Galliae Sacrae auch eine Germaniam Sacram
zu bearbeiten , Kat den großen Gelehrten , den Fürſten und
Ubt zu St. Blaſien , Herrn Martin Gerbert, bewogen,
die Gefchichte des Schwarzwaldes und der darin belegnen
Benediktinerkidſter zu ſchreiben , und dieſes Werk als einen
Vorlaufer von jenem großen zur Probe voranzuſchicken.
In der Vorrede ſind die großen Verdienſte des Bene
diftinerordens, ſowohl um die Wiſſenſchaften , als auc
beſonders um die Kultur und Anbauung von Teutſchland
Teht
und Schriftent: 673
ſehr gerühmt ToderHere Werf. wohl Urrache hatte, da
man ſie bei jezigen kritiſchen Zeiten faſt mißkennen wills
3 Wir geben ihm darin vollkominen Recht, indem wir vódig
SA überzeugt ſind , daß, wenn wir auch nur blos bei den Wifs
ſenſchaften bleiben, dieſer Orden uns die alteſten litteraria
ſchen Denkmåler erhalten , und die Geſchichte ohne ihre
Eriftenz im 7 ten , 8 ten und folgenden Jahrhunderten ein
Roman und Unding ſeyn würde. Ades Gaben wir fierin
dieſen guten Våtern zu verdanken , der grofen Månner
aus dieſem Orden , ſo die Geſchichte 'bearbeitet Baben
nicht einmalzu gedenken. Wem konnte es auch Tonſt wohl
1 einfallen , ein ſo unermeßliches Werf, wie die Germania
Sacra ift, zu unternehmen. Blos allein dieſer gelehrte
Drden , der in allen Gegenden Mitarbeiter und alleHúlfsa
mittel hat, iſt dazu fähig , und kann ſolches unter de
Direktion des gelehrten Fürſten leiſten . Jeder gelehrte,
teutſche Patriot wird dieſem Werke Unterſtüßung und
Sortgang wünſcheni
Der voë uns liegende erſte Theil der Hiſtoriae Ni
grae Silvae iſt in 7. Båder abgefaßt,. To die Geſchichte
mit dem Beſchluß des zwéiften Jahrhunderts abhändelni
Das erſte Buch legt den Zuſtanddieſer ganzen Gegend von
den 5 erſten Jahrhunderten vor Uugen , wo der hoge Hé:
EY Perf. ade Nachrichten aus den beſten Duellen aufgeſuchet,
und mit kritiſcher Kenntnis und Genauigkeit auch bearbeis
Es
tet hat. Eine ſaubere Vignette, ſo den ſchönen Bau dies
les anſehnlichen Kloſters in einerwildfdonen Gegend vore
ſtellet , zieret felbiges. Zu 9. Cåſars Zeiten wač dec
0 Schwarzwald 60 Sagereiſen langi und 9 Sagereiſen
breit, und hieß damals Silva Marciană. Die Alemaná
Men, ſo um iðn þerum woậnten , nahmen ihre Zuflucht
8 zu ihm , wenn fie von den Römern gedrånget wurden .
Ulte römiſche Denkmåler findet man genug in dieſen Ges
genden , wovon unter andern S. 7. eine Aras ſoder
Dead
Der Beitr .St. IV : 38
2
!

674 XI. Anzeigen neuer Bücher


Dennae Abnobae gewidmet iſt, in Holzſchnitt mitgetheilet
ift, mit der Inforift:
IN . H. D. D. IN . H.onorem . Domus, Diuinae.
DEANAE . ABN DEANAE . ABN
OBAE. CASSIA OBAE . CASSIA
NVS. CASSATJ. NVS. CASSATJ.iis.
V. S. L. L. M. V.otum . S.oluit. L.ibens, L.ubens. M.erito ;
ET. ATTIANVS. ET. ATTIANVS .
FRATER. FAL FRATER . FAL
CON . ET, CLARO . CON.e. ET. CLARO .
COS, COnS.ulibus.

Der Mons Abnoba liegt in diefer Gegend , wo die


Donau ihren Urſprung hat, von welcher Jacitus ſagt :
molli & clementer edito montis Abnobae jugó effundi
tür. Bei welcher Gelegenheit noch mehr römiſche Denk
måler dieſer Gegend S. 8. 9 beſchrieben ſind. Wenn dem
grendus ( Lib. 1. c. Haerefin C. 10. ) zu trauen iſt,
To find ſchon im zweiten Jahrhunderte in dieſen Gegenden eis
nige chriſtliche Kirchen geweſen , die aber die Barbarei der
folgenden Jahrhunderte wieder vernichtet hat, S. 14,
2. Bud S. 15. Fm ſechſten und ſiebenten Jahrhundert
werden wieder Kirchen gebauet , und derH. Fridolin fou
der erſte geweſen fenn , fo die Rauretier zum chriſtlichen
Glauben brachte. Der Herr Verf. aber beipeiſet S. 28 ,
daß er nicht unter Chlodorvich I, ſondern unter Chlodos
wich II. gelebt, und vor dem Jahr 660 geſtorben iſt, und
zwar als Stifter des Kloſters Seckingen , S. 34. Mits
hin führt er im 3.Buch S. 35 x. Beweis , daß die zwei
Frlander, der H. Columban und Gallus , die erſten Bes
kehrer dieſer Gegend geweſen ſind. Sie famen im Anfang
des ſiebenten Jahrhunderts fieher, und von dieſen iſt eis
gentlich der erſte Anfang des Kloſters St. Gallen in einer
fürchterlichen Einode angelegt, und die Ordensregel des
H. Benedikts eingeführt worden. Doch geſteht der Herr
Perfaſſer 6.44, das das Kloſter Schüttern ; zuerft Of
forins
und Schriften . 675
fonis Cella genannt , noch åtter ſei. Nachher kam der
H. Trutpert, auch ein Jrlander , hieher , legte das noch
berühmte Kloſter Trutpert ums I. 644 an , wozu ein
Dynaft mit Namen Dtbert die Güter hergegeben hat.
Der H. Landelinus , ein Soottlånder, ſtiftete die Benes
diktinerabtei Etrenmünſter, S. 56 , und Bernach ſpåter
Gengenbach , S.61. Beiläufig iſt S. 63 2c. weitläufs 1

tig unterſucht, ob die zwei Camerae Nuntii Jvarin und


Nuthard , wovon der lezte Gengenbach dotiret hat, die
Anberrn des Guelfiſchen und Båringiſchen Hauſes find.
Die erften hatten fowohl in Baiern , wie in Alemannien
sol gleich alte Erbguter, mithin bleibt es noch ungewiß , ob ſie
urſprünglich Baiern oder Schwaben ſind. Im achten
Jahrhunderte war vorzüglich der Benediktinerorden in dies
fer ganzen Gegend durch den H. Pirmin empor gebracht,
Ek und faſt alle Kloſter in den Kirdyſprengeln von Koſtniz,
Strasburg und Speier gepórten zu dem Orden , nus
welchenKidſtern auch viele Biſchoffe zu Strasburg , Koſt
niz und Baſel genommen ſind, Š. 77. Die Kloſters
diſciplin war nach der zu Monte Callino vdaig angeordnet,
S. 83. Und daß die Kloſter mehrentheils in Wildern
und Einóden angelegt wurden , hatte ſowohl der H. Bes
nedikt als auch Bonifaz die Abſicht, damit die Mönche
nicht leicht auf Abwege geriethen , und der Endzweck erreicht
würde, daß fie deſto nůžlicher ſowohl zum Gottesdienſt ,
als beſonders auch zu Schulen und zum Unterricht junger
Leute die Zeit anwenden konnten. Warlich ein groſer Vers :
dienſt , worin die erſte Grundlage der Kultur der Wiſſen .
ſchaften von ganz Teutſchland liegt, wenn man nur allein
betrachtet , wie viel groſe berühmte leute in den Kloſtera
( chuten zu St. Gallen , zu Fulda, Corvei , Hirſchau ze.
gezogen ſind. Was haben wir dieſengroßen Anlagen nicht
zu verdanken ? Nur ein Ignorant mißkennt die Vers
dienſte dieſes Ordens.
XF 2 Piers
1

676 XI. Anzeigen neuer Bücher


Viertes Bud S. 94. im neunten Fahrhunderte
nahmen die Schulen , beſonders zu St. Gallen und Fula
da ; aud) zu Hirſchau ( an der Nagold ) ftark zu. Zwei
Notkeri waren im erſten , und Rhabanus.Maurus
im zweiten berühmt. Ihre Werke ſind davon Zeugen , auch
die Rongregationen hatten damals bei dem Orden ihren
Unfang , S. 109. Bei dem Kloſter Furtwangen macht
der Spr. Perf. S. 130 die trefliche Anmerkung , die wir
ſonſt nirgends finden , daß zu den Zeiten der Karolinger
die Kidſter in Abſicht der Kaiſerlichen Heereszüge in 3
Klaffen getheilt geweſen. Die erſte mufte wirkliche Kriegs
dienſte (militiam ) durd ihre Paſaden teiſten , und Krie
gesſteuern , die man aber gar gelinde nur Dona nannte,
noch dazu geben , die zwote gab nur aðein Dona , und die
dritte , nemlich die armen Kloſter , dienten blos mit ihrem
Gebet. Weiter folgen Nachrichten von den Nonnenklós
ſtern Seckingen und Andlau , von den Mannsklóſtern
Ettenheim , Dffenweiler ( vormals Schüttern ), St.
Trutpert und Gengenbach ze. Nun kommt in einer Urs
kunde des K. Ludwigs des Teutſchen vom I. 858 zuerſt
das Kloſter St. Blaſien unter dem urſprünglichen Nas
men Cella Alba vor , S. 140. Sigmar und fein Sohn
Luither ſchenkten es in dem Japre dem Kloſter Meinau.
Nach des Perf. Meinung mögten fie Guelfen ſeyn. Die
nachherige Benennung von St. Blafien erhielt das
Kloſter daber , wie die Reliquien diefes Heiligen nad
Kloſter Reinau gebracht worden , und der H. Sins
danus mit ſelbigen in den nahe belegenen Wald gegangen
und ſich daſelbft angebauet , To bekam die neue Anlage das
her den Namen St. Blaſien , S. 142. Daß aber die
Grafen von Zollern , wie hier S. 144 geäuſert wird ,
auch zum Guelfiſchen Geſchlechte gehören ſollen , daran
zweifelt Recenſ. aus bewegenden Urſachen , freuet fich aber
über die hier S. 145 mitgetheilte Nachricht, daß auſer dem
Sen. P. Heß, 440 Der Se, P. Mauritius van der
Meer
und Schriften . 677
Meer zu Reinau, und auch der P. Bernhard Någer
in Zwiefalten an der Guelfiſchen Hiſtorie arbeiten .
Fünftes Buch S. 146. Nachdem der Hr, Verf.
die grore Verwüſtung der Ungarn im zehnten Jahrhundert
aud in hieſiger Gigend beſchrieben , ſo ſind S. 151 2 €.
auchweiterdie Schickſale von Ulemannien angezeiget. Man
beobachtete in dieſem Jahrhunderte bei etlichen Kathedral
Stiftern noch genau vitam regularem , ſogar verſchiedene
wurden von Mönchen regieret und mit ihnen beſeßet; in
den zwei vorhergehenden Jahrhunderten wenigſtens, aber
in dieſem geſchahe darunter faſt eine allgemeine Verändes
rung, und in den Kldſtern ward die Diſciplin noch mehr
geſchårfet, beſonders aufdem Concilio zu Mainz im J. 963
von den Biſchoffen zu Augſpurg, Koſtniß, Strasburg
und Speier , S. 156. Die Geleprſamkeit blühete in den
Kloſterſchulen zu St. Gallen , woſelbft noch zwei andere
Notferi, 2 E dehardi, Ifo und andre berühmt waa
ren, Auch die elegante zierliche Schriftart von Buchſtaa
ben , ſo die Kodices des zehnten Jahrhunderts vorzeigen, 4

beweiſen den Fleis , der damals in den Klöſtern geherrſcht


þat, S. 162, Aug im Kloſter Hirſchau waren gelehrte
Mónde, S. 174.
Im I. 963 erhielte bas Kloſter St. Blaſien von dem
K. Otto I. eine Schenkung , wozu eigentlich ein gewiſſer
Landbegüterter Regiebert den Stoff hergegeben , und von
der Zeit ohngefehr iſt es von dem Kloſter Rheinau abges
ſondert, und auch frei geworden , ſo wie der Name Cella
Alba fichnachund nach verloren hat. Der erſte Abt des
Kloſters hieß Beringer, S. 189. Eine diplomatiſche Bes
merkung bei Gelegenheit der vorgedachten Urkunde des
K. Otten I, ift S. 181 am rechten Orte angebracht, die
nach guen Regeln derDiplomatik ganz richtig iſt , daß eine 1

Der Rafur und Auskragung in einer unbedeutenden Stelle


Net und Worte im Driginal keinen Verdacht macht 24.
XX 3 Fünfs
678 XI. Anzeigen neuer Bücher
Fünftes Buch S. 202 , vom eilften Jahrhundert.
Durch die nun anfangende Kreuzzüge litte die Kloſter
zucht , die bisher beſonders durch die Reformation von
Clúgniy rehr verbeſſert war, ungemein , weil viele Mönche
und Nonnen ſie mit unternahmen , dabei viele böſe Sitten
lernten , und wieder mit zurückbrachten. Ein gleichzeitis
ger Geſchichtſchreiber Bertholdus Conſtant. bei dem ürſt is
ſius S. 375 , ſchreibt davon : Sed & innumerabiles
feminas ſecum habere non timuerunt, quae natura
lem habitum in virilemn nefarie mutaverunt , cum
quibus fornicati funt. 5. 210 x. wird von den Guelfi
ſchen und Zåringiſchen Fürften ausführliche Nachricht ges
geben . Man nahm auch noch damals Biſchoffe aus den
Kloſtern , wie hier von Koſtniz und Speier Beiſpiele ans
geführt ſind. Von dem Regiebert, ſo alte Monumente
( die aber nicht ſehr alt ſind.) als einen Dynaſt von Sel
denbüren angeben , der ſeine Güter in pago Zurichgoue ges
habt, iſt S. 227 Nachricht gegeben, und eine faubere
Charte von der Gegend beigefúget. In dieſem Jahrhuns
derte, beſonders 1094. nahm St. Blaſien ſowohl an
Gebäuden als Gütern ſehr zu , S.233. Die Uebte
des Kloſters und die gelehrte Mönche daſelbſt , woruns
ter der bekannte Bertholdus , und ein anderer
Bernoldus, der eigentlich die Fortfeßung des Chronici
Hermanni Contracti geſchrieben , die man falſch bisher dem
Bertholdo Conſtantienfizugeſdrieben Hat, S.242. Er iſt
1101. geſtorben . Das Kloſter Hirſchau , To ißr eigener
Vogt verwüſtet hatte , wird nach der Mitte des eilften
Jahrhunderts vddig wiederhergeſtellet , S. 260, und von
hier aus find Kildſter Reichenbach und St. Georg mit
Mönchen berezt , auch iſt das Kloſter Zwiefalten , St.
Peter und andere mehr geſtiftet S. 290. S. 204 X.
finden wir trefliche Nachricht von den regulirten Chor
herrn , ihrem gemeinſchaftlichen Siſch und Leben , ſo in
dieſem Jahrhunderte aufs neue wieder eingerichtet worden
ift .
und Schriften. 679
ift. Auch die Wiſſenſchaften florirten damals noch gut in
den Kloſtern , man hielte auch die Mónde ſcharf an , viele
Codices abzuſchreiben , vorzúglich geſchahe ſolches zu
Hirſchau , die in andere Riðſter , wo ſie damit nicht
recht verſehen waren , geſandt wurden , S. 316.
Merkwürdig iſt auch die Nachricht, S. 318 , daß bereits da
mals Mónde auf den Univerſitäten zu Paris und Bono
nien würklich jura ſtudiret, und als juris periti in die 1

Kloſter wieder zurückgekommen ſind. Die Kidſter nag,


men auch håufig Ededeute auf , weil ſie davon gemeinigs
lich keinen Schaden hatten , indem es ofters Gelegenheit
zu Schenkungen machte. Don Kloſtergebråuchenin dies
ſem Jahrhundert , von ihren Speiſen und Getränken , ſo
beides ſehr geringe , von der Kleidung veftis cucul
lata atque manicata auch vom Barte, den dieſer
Orden damals nicht geſchoren , S. 343.
>
Siebentes Bud , S. 349 , To das zwölfte Jahrþun
dert begreift. Unfänglich findet man intereſſante Nac
richten von den Herzogen von Båringen , von den Grafen
von Urach , von Zollern , von Achalm , den Stiftern
des Kloſters Zwiefalten 2c., S. 336 2. Daß auch die
unwirthbare raube Gegend des Schwarzwaldes damals
ſchon etwas bewohnt geweſen , ſieht man auch daraus ,
daß verſchiedene Edeleute da gewohnt, und ſoon verſchies
G dene Schloſſer hin und wieder eriftirten , S. 363. Der
Hierarchiſche Zuſtand unter dem Maingiſchen Erzbiſchof iſt
S.365, und der Zuſtand des BiſchofthumoBaſel, Koſts
niz und Strasburg S. 375. 376, beſchrieben , wobeidie
Fehler in der Gallia Sacra und des Bucelins berichtiget
ſind. S. 384 a. findet man die Hebte des Kloſters St.
Blaſien vondieſem Jahrhunderte. Unter den Gelehrten die
ſes Jahrhunderts iſt ein aus dieſem Kloſter gänzlich unbe
NI kannter Søriftſteller mit Namen Fromin , Åbt zu Ens
gelburg nachgewieſen , der ein noch nidt gedruktes Chronifon
Er 4 geſchries
689 XI. Anzeigen neuer Bücher
gefchrieben , To im Kloſter Mur affervirt iſt. Ef fångt
vom J. E. 398 an , und hört mit dem J. 1175 auf ,
und iſt S. 391 genau beſchrieben . Auch der Abt Ber:
ner II. wat ein gelehrter Mann , von dem noch Handa
fchriften übrig find.
Zur weſtlichen Geſchichte findet man S. 395. eine
erheblice Bemerkung des Verf., nemlicy, es iſt gegen die
gemeine Meinung aller Würtembergiſchen Gefabichtſchreis
þer erwieſen , daß die Luitgardis , ſo im Kloſter Berou
als Nonne zulezt geſtorben iſt , keine Würtembergiſche,
ſondern eine Baieriſche Gräfin von Bogen gerefen iſt,
pie 2 Söhnegehabt, Adelbert und Berthold Grafen von
Bogen. Uus entfernten Gegenden wurden damals Ro
lonien aus dem Kloſter St. Blaſien in andere Kloſter
geſucht, ſogar der Biſchof Otto von Bamberg ließ ſie
Þaher kommen. S.417 findet man noch mehr Nachricht
pon den Grafen von Bogen. Die Geſchichte desKloſters
Hirfchau und der Uebte in dieſem Jahrhunderte , aud
per Ubt Bruno und ſeine Würtembergiſche Übkunft ift S ,
441 2. unterſuchet. Darauf kommen die Hebte zu St.
Trutpert , Gengenbach , Ettenheim S.459 ?C. vor, das
Kloſter zuSt. Peter erhalt von den ZåringiſchenHerzogen
Berthold und Conrad im J. 1112 ſtarke Verbeſſerungen ,
S. 464: Noch von andern Kldſtern , als Seckingen,
Waldkirchenfer, Bolesweiler, Sülzburg d. , alle in
dieſer Gegend, auch von Herrnall , eines von den erſten
Eiſterzienſerklóſtern in Deutſchland. Den erſten Anfang
nahm derneue Orden in Burgund , der H. Bernhard
aber hat ihn imzwölften Jahrhundert in Seutſchland Febr
4
ausgebreitet, 6. 731 wie denn aud der Pråmonſtra
tenferorden damals im Schwarzwalde aufgekoinmen ift,
Die Mönche fchrieben damals noch háufig alte Codices
ab , und ſogar die Nonnen beſchäftigten ſich damit. Pon
pem Decreto Gratiani fchreibt der Perf, S , 492 mit
Reot
und Sdriften . 681
Medit dummodo (nemlich Gratian ) etiam ex pu
ris ſemper hauffiffet fontibus. - Auf den Univerfis
táten wurden die Gradus academici in voden Gang gebracht.
Die Theologen giengen vorzüglich nad Paris , unddie Juris
ften nad Bologna, S.493 , doch durfte kein Religios ſo
wenig juriſtiſche als mediziniſøe Kollegien hören , ſo auch
30 ſchon die Kirchenverſammlung zu Tours 1163. verboten
對 hatte. S. 499 findet man artige Beiſpiele von Scens
kungen und Verkaufen , die über Reliquien, und über
Kloſteraltare morin Reliquien eingeſchloſſen waren , geldas
hen, und die Güter übergeben wurden - Dux Chon
radus tradidit ſuperreliquias S. Blafii predium predi
Aum absque omni contradictione Daher rührt
auc der ehemalige ritus, über ein Reliquienfáſtchen die
Finger zu legen und zu ſwórcn , wie Recenſ. dergleichen
auf den Rathhäuſern zu Hamburg und Lüneburg geſehen
hat. Von der Tonſur und Ordenshabit S. 505. Vom
Eſſen und vom Wein in den Klöſtern ſteht unter andern
in einer alten Nachricht: unusquisque fratrum acci
piat panem pulcrum & candidum duasque pofi
tiones piſcium , unam falſaginatam alteram pipera,
tam , ad tertiam pofitionem habere debebunt pla
centas. Fleiſch bekamen fie damals noch ſelten , wohl
aber hinreichend Wein , S. 508. Mit dieſem iſt der erſte
Theil dieſes fürtreflichen Werks , ſo auch mit einigen Ku
Pfertafeln gezieret iſt, geendiget, wovon wir die Folge und
porzüglich den codicem diplomaticum mit vielem Pers
langen faldigſt zu ſehen wünſchen,
5.

6. Mo,
682 XI. Anzeigen neuer Bücher
6.
Monumentorum Guelficorum pars hiſtorica , 1. ſcri
ptores Rer. Guelficarum ex vetuftiffimis Co.
dicibus membranaceis eruti , plerique hacte
nus inediti . ex autographis exacte deſcripti
notisque illuſtrati - ſtudio R. P. Gerhardi
v Heſs , imper. monafterii Weingartenfis 0.S.
B. Capitularis ac p. t. Prioris. Typis Cam
pidonenſibus per Aloyfium Galler, A. 1784.
4. mit Kupf.
A
Mit Verlangen haben wir dieſer wichtigen Samms
fung alter Geſchichtſchreiber zur Guelfiſchen Geſchichteents
gegen geſehen , worauf und ſchon der von dem Herrn Per
faffer vor etlichen Jahren herausgegebene Prodromus bez
gierig gemacht hatte. Unſere Erwartung iſt nicht getäuſcht.
Wir finden hier gröſtentheils nod unbekannte , und bisher
in den Kidſtern vergrabene alte Denkmáhler ans Licht ges
bracht , mit der größten Genauigkeit abgeſchrieben , und
mit lehrreichen Erläuterungen aufgeklåret. Ein Werk,
fo dem Herrn Verfaffer und feinem Orden Ehre madt,
und vielleicht ſeine Ordensbrüder reizen wird , ſeinem gus
1
ten Erempel zu folgen , und gleichfalls die verborgenen
Schake ihrer Klöfter mit gleichem Fleis and licht zu ges
ben. Die Noten und Erläuterungen , ſo der Herr Verf.
den dunklen Stellen beigefüget, zeigen überad eine geſunde
Kritik , viele Beleſenheit und Hiſtoriſche Kenntnis , die
ſchon auf dieim II. Theil verſprochene genealogiſche Aus
arbeitung ſelbſt eine günſtige Ausſicht giebt. Auch die in
Kupfer geſtochene Probſchriften , um das Alter der alten
Handſchriften , wovon die Schriftſteller ediret ſind , zu
juſtificiren , zeigt von der Kenntnis und dem guten Ge
ſchmack des Heren Verfaſſers.
1
Die
und Schriften . 1
683
Die Sammlung enthalt 17. alte Schriftſteller , Ans
nalen und Nefrologien , die freilich nicht alle von gleichem
Werth ſind , doch zuſammen auſer dem Hauptobiekt der
Guelfiſchen Geſchichte, zur ſchwäbiſchen augemeinen Hiſtos
rie, beſonders der daſigen alten , zum Theil ausgeſtorbenen
Grafengeſchlechter beträchtliche Erläuterungen geben. Wir
wollen fieStück für Stück anzeigen und beſchreiben .
No. I. Anonymus Weingartenfis de Guelfis Principi.
bus. Seibniz hat bekanntermaſen ſelbigen von einem
Codice chartaceo der Bibliothek des Stifts St Ulrich
zu Augſpurg in dem 1. Th. ſeiner Braunſchw . Lüneburg.
Geſchichtſchreiber S. 781 Herausgegeben , weil er aber
wohl gemerket, daß der Koder fehlerhaft geſchrieben, ſo
hat er den damaligen Br. Júneburg. geh. Rath Sdras
der, der im J. 1709 in andern Geſchäften in die Gegend
reiſete, gebeten , ſeine Ausgabe mit dem Original- Koder zu
Weingarten zu collationiren . Uus der Vorrede des Herrn
Priors aber ſehen wir , daß man ihm ſelbigen nicht gezeiget,
ſondern nur eine genaue Abſchrift davon , die der damalige
Prior Obwald Cleſin davon genommen hatte , wovon alſo
die Emendationen im 3. Theil des Leibniz herrühren , wozu
noch andere von einem Koder des Kloſters Steingaden
in Baiern genommen ſind. Wenn man aber die jezige
Ausgabe nach dem Driginal - Roder zu Weingarten, mit
dem Leibnißiſchen Abdruck , die Emendationen mit inbes
griffen , zuſammen hålt , ſo wird man finden , daß der
Hr. Prior wohl gethan, dieſen wichtigen alten Geſchichts
ſchreiber nochmals aufs genauſte abdrucken zu laſſen . Die
Kupfertafel der Probeſchrift zeigt auch dem Kenner klar,
daß der Koder in der lezten Sålfte des zwölften Jahrhuns
derts geſchrieben iſt. Der Anonymus geht eigentlich nut
biß 1167 , die gleich folgende Annalen aber bis 1184.
II. Chronographus Weingartenfis de Romanis Impera
toribus , S. 55. Er geht bis ins F.1197 und iſt in dems
felbis
684 XI. Angeigen neuer Bücher
felbigen Codice Saec. XII. auch geſdrieben , worin der
vorgedachte Anonymus geſchrieben iſt. In der Zeitrechnung
þat er viele Jrrthümer, die der Hr. Verf. zum Theil in
den Noten angezeiget hat . *
III. Vita S. Conradi Epiſcopi Conſtantienfis, S. 77.
Das Leben dieſes Biſchofs , der ein gebohrener Guelfe mar,
neb.zwar
þat auch Leibniß
Geſchichtſch im 2., Theil
r. ediret aber februast , hier .Lü:
ſeinerBraunſchm iſt es
gleichfalls nach dem Codice Saec. XIL, weit genauer ab
gedruckt, und hin und wieder mit gelegrten Anmerkungen
begleitet, auch ſind zuweilen Urkunden einverleibt.
IV . Chronica monafterii S. Nicolai extra muros civi
fatis Memmingen , S. 104. Der Koder , wovon derAbe
druck genomnien iſt , befindet fich in der Weingartenſchen
Bibliothek , und iſt aus dem vierzehnten Jahrhundert,
Es iſt von keiner groſen Bedeutung , und pod pon Jrrthů:
mern , daher der Herr Prior blos dasjenige, To zurGuelfi
Tohen Geſchichte gereicht, daraus hat abdrucken laſſen. In
den Origin. Guelficis ift folches auch aus einem Roder der
Bibliothek des Kloſters Tegernſee in Bajern ediret , aber
Hier weit korrekter,
V. Fxcerptahiſtoricade inventione SS.SanguinisDom
mini, e codice membr. Saec. XIII. Bibi. Weingart,
S. II, In demſelben ſtecken wichtige Hiſtoriſche Data
zur Guelfiſchen Geſchichte, woraus unter andern auch die
Perbindung des Guelfiſchen Hauſes mit dem Ital. Hauſe
Eſte S. 114 deutlich erhedet, welche dem Muratori
ſowoh!, wie dem Leibniß viele Mühe zu beweiſen gekoſtet
hat , nemlid daß der Herzog Wolff mit ſeiner Gemahlin
Oméga einen Sohn gleiches Namens gezeuget , und eine
Tochter mit Namen Tuniza, die der Marggraf A330 von
Efte zur Gemahlin genommen bat,
VI. Sum
und Schriften . 685
VI. Summula de Guelfis, S.121 e Codice Saec.
XIV. Bibl. Weingart. Hr. Prior vermeinet, daß er
von einem áltern abgeſchrieben , und mit derſelbigen Chros
nif einerlei ſei, die der Hr. Hofratý Jung zu Hannover
im V. Tomo Orig. Guelfic, neuerlich aus einer Wienerfchen
Handſchrift ediret hat , dieſes aber nur ein Auszug von jes
nem grðfern Werk lei. im Ganzen iſt es nicht von Ers
heblichkeit, und voller Jrctýúmer.
VII . Necrologium Weingartenſe, S. 133. Es iſt
von einem Koder der Weingart. Bibliothek genommen,
der am Ende des zwölften Jahrhunderts geſehrieben ifta
Nachher iſt beſtandig nachgetragen worden , wobei Here
Prior anzeigt , daß noch drei dergleichen Nekrologien das
felbſt vorhanden , die aber in ſvätern Zeiten verfertiget
find. Man findet darin ſehr erhebliche Nacrichten zur
Geſchlechtsreiße der Guelffen , und vieler andern alten
Schwabiſchen gräflichen Geſchlechter, zu deren Erläuterung
der Verf. viele wichtige Aninerkungen gemacht hat. Auch
Originalurkunden ſind mitgetheilt,
VIII. Necrologium Hofenſe. S. 158. Hofen iſtjezé
ein Priorat mit 12 Benediktinern berezt , ſo dem Kloſter
Weingarten gepórt, vormalt war es ein Nonnenkloſter,
fo 1420 arfgehoben iſt. Die Grafen von Buchhorn ,
fo in der Näße ihre Gåter hatten , werden sfters in dem
# Nekrologium gedacht, von welchen ſonſt noch wenig ben
kannt iſt, wozu Hr. Prior S. 159. eine kurze Genealogia
verfertiget hat.
IX . Ortliebi ZnifaldenſisMonachi opuſculum de funa
datione monaſterii Znifaltenfis, S. 165. Die daſelbſtin
Kupfer geſtochene Probſdrift erweiſet, daß der Roderi
wovon der Abdruck ift , aus dem zwölften Jahrhundert
þerrühret. Er wird im Kloſter Zwiefalten noch jegoauf
berbaha
686 XI. Anzeigen neuer Bücher
beroahret. Der Verf. des Werks hat felbiges , nach ſeiner
eignen Anzeige im J. 1135 zu ſchreiben angefangen , nach :
dem das Kloſter erſt 47 Jahr fundiret war. Die átteſten
gráflichen Familien in Schwaben , die Grafen von Achalm i

( ſo die Stifter find) , von Zollern , von Gamertingen ,


von Bergen ze., kommen darin vor , und der Hr. Prior
hat durch ſeine lehrreiche Anmerkungen ihre Geſchichte aufs
geklárt. Dieſes und das gleichfolgende gehört unter die
1 wichtigſten Stücke der ganzen Sammlung .
/

X. Libellus Bertholdi Abbatis Zroifaldenfis de cons


structione bujus monaſterii, S. 204. Er iſt auch im zwolf
ten Jahrhundert geſchrieben , der Originalkoder aber ers
iftirt nicht mehr im Kloſter Zwiefalten, fundern iſt vors
mals dem Martin Krufius zur Verfertigung feiner
Schwäbiſchen Annalen kommuncirt worden , von dem eư
nicht mehr zurückgekommen iſt. So iſt es inmeør andern
Kldſtern , wie zu Fulda 2c. , auch gegangen , daher man
es ihnen nicht verdenken kann , daß ſie jezt in Mittheilung
derſelben ſo difficil ſind. Der Abdruct iſt von dem Apo
grapho des Kloſterarchivi genommen.
XI. Chronicon Zweifaltenſe , S. 216. Hievon ſind
jiei Codices in Zwifalten . Das erſte nennen ſie Choni.
con minus , und das zweite Chronicon capitulare. Die
Verfaſſer von beiden haben den Hermannum Contractum
rechtſchaffen ausgeſchrieben , und wenig eignes , mithin
Find beide nicht von Bedeutung. Das erſte fångt 1138 .
an , und hört mit 1221. auf, lezteres aber ift bis 1503.
fortgeſezt.
XII. Necrologium Zmifaltenſe , S. 234. Dieſes
fat in der Genealogie der alten SchwäbiſchenGrafen von
Brüningen , Veringen , Nellenburg, Urach, von Zols
lern , von Calve 2. groſeVerdienſten und iſt von einem
gelehrs
und Schriften . 687
gelehrten Mönch in Zwifalten , Namen Steph.Bodens
thaler , durch herrliche Noten erläutert, die zum Theil
kier mitgetheilet find , Ichade um die übrigen ac. Es iſt
im zwölften Jahrhundert angefangen , und hernach forta
geſezt. In ſelbigen wird der Herzog Welff von ſeinem
Wohnſiße beſtándig. Welph Dux de Ravinsburc genannt. 1
Ein Febiet der alten Schriftſteller, der in der Geſchichte
viel Jrrung macht.
XIII. Annales monaſterii Bebenbufani, Sie find
von einer Handſchrift des 16ten Jahrhunderts genommen ,
der Hr. Prior aber glaubt , daß fie aus áltern zuſammena
geſezt find. Zur alten Würtemb. Geſchichte , beſonders
der Grafen von Tübingen , find ſie brauchbar, indem ſie
fichon mit dem S. 1154. anfangen , und 1343. aufhören .
XIV . Annules Augienfes , S. 269. Davon ſchreibt
Hr. Prior S. 269. Codex noftrae Biblioth : in foto
minori characteribus minuſculis ſcriptus venerandae
prorſus antiquitatis , und vermeinet , daß er gleid nach
der Mitte des gten Jahrhundertsgeſchrieben iſt, welches eine
groſe Rarität ware zc. Mabillon im IV . Tomo anale .
Etor, und Baluz im 1. Theil der Miſcellan. haben ſchon
etwas unter andern Rubriken davon bekannt gemacht.
Sie ſind ſehr furz abgefaßt.fo ebenfalls ihr koßes Alter
vermuthen laſſen . Sie fangen 708. an , und hören
mit 936. auf.
XV. Chronicon monaſterii Ifnenfis , S. 275. Es
find eigentlich nur Ercerpten , die der Hr. Prior aus einer
Handſdrift mittheilet , die ihm aus dem Kloſter zugeſandt
und von einem Dafigen Mönch aus dem Kloſterarchiv zu
Sſni im Anfange des jeßigen Jahrhunderts aufgeſezt iſt.
Es fängt mit der Stiftung des Kloſters 1042, an , und
Kört ſchon 1239, auf,
XVI.
688 XI. Anzeigen neuer Bücher
XVI. unddreica Ottoburanum , S.289. Es if
vom* zwólften
, +

alten Kodex der Bibliothek des Kloſters Ottoboiren ges


nommen, aber mangelhaft, indem die drei Monate Mårs
April und Mai darin fehlen.
XVII. Excerpta NecrologicamonaſteriiWiltheimena
fis machen S. 292 den Beſchluß, nebſt vier geneologiſchen
Stammtafeln des Guelfiſchen Hauſes, davon die Beweiss
thümer der zweite Sheil, dem wir mitVerlangen entgegeri
ſeben , diefern wird. Wir erſucen den Herrn Prior p
den dabeiverſprochenen Codicem diplomaticum anſehna
lich zu machen , weil das Archiv zu Weingarten mitGuels
fiſchen Urkundenreichlich verſehen ſeyn wird. Würdeman
ein Paardavon in Kupfer ſtechen , und die älteſten Siegel
ebenfaas mittheilen , ſo würde das Verdienſt aud zur
Diplomatik deſto gröſer ſeyn . Wir zweifeln an unſerer
Bitte um ſo weniger, da dieſer erſte Theil mit typograppis
fcher Schönheit geliefert iſta
6.

ཙ ༌ ཀརྒྱུ་

7. Ers
und Schriften , 689
7.
Erklärung der Pauliniſchen 'Worte 1. Kor. 1, V6 , 7,
von B. A. Hopf, Rektor der evangeliſchen
Schule in Rinteln. Stadthagen 1784 , 8.
WX
Der Verfaſſer macht dieſe Schrift als eine Probe ſeis
ner Erklärung des erſten Briefs Pauli an die Korinthier
bekannt , damit man daraus die Einrichtung des ganzen
Werks beurtheilen könne. Er Hoft auch, dadurch irgend
einen Buchhändler zum Verlag dieſer Schrift zu bewegen . 1

Mdein wenn dem Verf. viel daran gelegen iſt, dieſe Erklås
rung des erſten Briefés an die Korinthier gedruckt zu ſehen :
To muß ich offenherzig geſtehen , daß er beſſer gethan hátte,
wenn er dieſe Probe nicht vorausgeſchikt , denn da das
Ganze auf eben die Art eingerichtet ſeyn ſoll, ſo wird ſich
ein Buchhandler eher vom Verlag dadurch abſchrecken laſa
fen , als daß er dazu gereizt würde.
Uebertriebene , unſchickliche und den Leſer ermúdende
Weitläuftigkeit iſt das Eigenthümliche dieſer Schrift. Er
erklärt zuerſt ein jedes Wort , eine jede Partikel einzeln ,
führt die verſchiedenen Bedeutungen und Stellen an,und
To kommt er denn endlich auf die Bedeutung , welche er .
annimmt. Auf dieſe Art geht er die einzelnen Worte
durd), bis er den ganzen Saß beſtimmt. Wozu eine fola
che Weitläuftigkeit und Wiederholung von Sachen , die
man eher in der Grammatik und Konkordanz als in einer
Erklärung eines Pauliniſden Briefs ſuchet, dienen rolle ,
ſehe ich nicht ein. Bogen lieſſen ſich wohl auf dieſe Art
anfügen ; aber der wahre Verſtand der H. S, würde eben
nid)t viel dadurch gerinnen , indem ſich das Gute, was
der V. vortragen könnte , beſſer und fürzer ſagen lieffe.
Die beiden Verſe betrachtet er als Einſchiebung, und über
Beſt:Beigt. St.IV , Y V Tezt
690 XI, anzeigen neuer Bücher 26.
1
Tezt dieſelbe nach der vorhergegangenen Erklärung : Wie
denn das Zeugnis Chriſti ( von Chriſto) in euch dergeftalı
: iſt beſtåtiget worden , daß ihr feinen Mangil hat an irgend
einer Gabe , und erwgrţer die Offenbarung unſers Herrn
Jeſu Chriſti.
Unter der Offenbarung Jeſu Chriſti verſtehet der V.
eine unſichtbare Zukunft Chriſti zum Gerichte über die Ros
rinthiſche Kirche modurch dieſelbe von den Jrrthümern
in der Lehre gereiniget , von den Zo würfen befreiet, daß
Apoſtoliſche Unſehen Pauli und desten Unſchuld wieder her:
geſtellet, den ( aftern geſteuert, die boſen M tglieder beſtras
fet werden , und alſo dieſe Gottloſigkeiten aufhören ſollten,
Wenn der V , fich bequemen konnte , ſeine Schriften
etwas mehr abzukürzen , und dadurd um wahren Nußen
mehr einzurichten , ſo könnte er vielleicht, beſonders wenn
er aud ſeinen Ausdruck noch etwas ausbildete , in Zukunft
noch núßlich werden , und brauchte mohl weniger megen
eines Verlegers beſorgt zu ſeynd
W.

1
XII. Surje

1
691
XII.

Sturze gelehrte Nachrichten.


Í.

err Kandidat G 8 in Hanau / Lefrei der Durchl.


He rPrinzeſſinnen von Heſſen , iſt am 14.Nov. 1784 .
britter Prediger bei der Evangel. Lutheriſchen Gemeine in
Hanau geworden , unter Beibegaltung ſeines Unterrichts
bei gedachten Prinzeſſinneti.
2.

Herr Kart Otto Grabe , bisheriger Profeſſor juris


zu Steinfurt, ( ſein Leben und Schriften wird im 5. B.
von Strieders Hent Gel. und S.Geſch. vorkommen ) ,
hat gegen Ende des Fahrs 1784. die , durch den Abgang
des nunmehrigen Herrn Hofraths D. M dcfert nach Góts
tingen , erledigte juriſtiſche Profeſſur in Rinteln erhalten .
3
Der Bert Kriegšaffeffor Joh . Philipp Engelhard
in Carel ( f. von ihm Strieders Heff. G. und S.Gelo
3. 6. S. 359. u. i. ) würde ünfangs des Jahrs 1785.
Kriegsratg .
4.
Dem Herrn Profeffor Bering in Marburg iſt im
Jan. 1785. inſonderheit dieProfeſſion der Logik und mes
taphyſik , dem Herrn Profeffor Waldin aber die der
Phyſik aufgetragen worden . Zu gleicher Zeit iſt Herr
Brandau als Profeſior der Chirurgie und Augenkranks
ÝV 2 Þeiten ,

1
692 XII. Kurze gelehrte Nachrichten.
Þeiten , aus dem Cafeler Colleg. Carol. nach Marburg
verſezt: bei dieſes Carolinum aber der Profektor am anas
tomiſchen Theater Herr Dr. medie. Johann Wilhelm
Chriſtian Brühl und Herr Dr. medic. Theodor Wils
helm Schroder zu Profeſſoren der Arzneigelahrtheit:
auch der franzöſiſche Prediger Herr Joh. Friedrich Rolins
gender zugleich zum Profeſſor der Philoſophie ernannt
worden .

5.

Die durch den Tod des Hrn. R. C. Ungewitters


erledigte Superintendentur in Caffel iſt durch die am 2 ten
März 1785. vorgenommene und darauf beſtätigte Wahl
dem Herrn Konfiftorialrath Cornel. von Rhoden zuges
fallen .
6.
Hr. Hauptmann Mauvillon iſt mit Majorschas
rafter nach Braunſchweig an das dortige Karolinum berus
1
fen , und bereits dahin abgegangen .
7
Die hieſige -Hodfürſtl. Geſellſchaft der Alterthümer
Hat auf die beſte Beantwortung der Frage : iſt das Kabbas
liſtiſche Emanationsſyſtem bei den Juden álter, als Chriſti
Geburt ? den gewöhnlichen Preis von 400 Livres geſezt.
Die Abhandlungen können in lateiniſcher , teutſcher und
scher Spra
che verfaßt Teyn , und werden an den
beſtändig Sekretär der Geſellſch , Sprn . Marquis de
1
Luchet , venor dem Iſten Mai eingeaſfdtift.

8. Die
XII. Kurze gelehrte Nachrichten . 693
8.

Die Geſeaichaft des Aferbaus und der Künſte in


Caffel theilte bei der am sten Mårz gehaltenen Feier ihres
Stiftungstages den Preis auf die Frage: ob der Vorwurf
gegründet rei, daß der übermåfige Kartoffelbau,den Vers
fau des Ackerbaues und den Ruin der Mühlen nach ſich
ziehe ? dergeſtalt , daß der Kurſächſiſche Samtſekretar zu
Merſeburg, Hr. Schneider 6 (ouisd’or , und Hr. Pfars
rer Varnhagen zu Wetterburg im Waldecffchen 4 ( ouisd'or
erhielt. Die leztere Preisfchrift haben dieſe Beiträge
28 gleichfalls mitgetheilt. Zu gleicher Zeit ſezte die Geſells
ſohaft den Preis von 10 (ouisd’or auf die zweckmáſigſte und
beſte Beantwortung der Frage : welches iſt die gewöhnliche
Verſchiedenheit der Wieſen , beſonders in Heſſen , wie
kann man nach dieſer Beſchaffenheit , durch Umackern ,
beſſere Grasarten , Ausrottung ſchädlicher Specken und Ges
ſträuche, Abziehungsgraben bei Súmpfen , Vermeidung
würtlich als ichádlich erwieſener Behutungen , und andre
dazu úberhaupt und insbeſondre zweckdienliche Mittel,
ſolche verbeſſern ? welches mögten auch die ſicherſten Maads
regeln ſeyn , nach welchen man die hiebei von den Anlies
gern oder andern gemacht werdende Schwierigkeiten , zu
Abſchneidung der darüber oft entſtehenden Rechtshandel,
durch ein biaiges Regulativ heben könnte ? Die Beanta
wortung wird unfehlbar höchſtens vor dem Ende des Nos
vemberg 1785 erwartet ; man ſchickt ſie mit der gewöhns
lichen Deviſe und dem verſiegelten Namen des Verf. poſts
frei an den beſtandigen Sekreter der Geſeaſcbaft Herrn
Rath Saſparſon.
9.
Der verdiente Heſſen - Hanauiſche můrkliche' geheime
Rath und Kanzler Herr Wilh . Friedrich Hombergk zu
»9 3 Vad ,

1
694 XII. Sturze gelehrte Nachriditeit.
Vach, gieng am 14. Lug. 1784 in feinem ten Gebengs
jahre mit Tod ab. Von ſeinem Leben und Schriften wird
in Strieders Helt. Gel. und Schriftſtellergeſch . ju feineë
Zeit die Rede ſeyn.
IO.

Herr Johann Maximilian von Günderode , Heff.


Hanauiſmer geheimer Rath und Oberamtmanny, ſtarb auf
ſeinem Gute zu Höchſt an der Nidder, am 29. Nov. 1784,
eben auc in einem 21 jährigen Ultër. Sein Leben und
Schriften kommt in dem nächſten 5. Band von Stries
ders Her Gels und Schriftſtedergeſch. vor. ✓

11 .

Herr Profeffor Fried. Caſp. Diet in Marburg ſtart


am 29. Dktob .1784. Siehe von ihm Strieders Heil.
Gel. und Schriftſtedergeſd). 3. Band S. 22 ui ff
12 .

ům 31. Dec. 1784 farb der Herr Superintendent,


Konſiſtorialrath und Oberhofprediger , Reinh.Chriftopy
Ungewitter , in Caffel, alt 69 Jahre und 11 Monate.
13.
Herr Profeſſor Johann Philipp Breidenſtein in
Gieffen , der ſeit einigen Jahren ſeines Amts entlaſſen und
auf Venſion gelezt geweſen , iſt am 18. Januar 17851
56 Jahre alt , mit Tod abgegangen ; f. von ihm Strie :
ders Sen. Gel. und Schriftſtedergeſo . 3. Sand S. 31
4. ff. 537 und 3. Band S. 534.
다 14. Der
'L

XII. Spurze gelehrte Nachrichten, 695 1

14 .
Der Profeſſor juris Johann {udrig Conradi in
Marburg , ſtarb am 19. Febr. 1785 , alt 54 Jahre 5 Mos
nate. In Strieders Heff. Gel. und Schriftſtellergeſch .
2. Band S. 265 4. ff., 3. Band S. 542 findet man
ſein Leben und Schriften , ſo wie in der memoria Joh.
Ludov. Conradi vom Sen Rath und Profeff. Curtius .
11
E11
30 Ende des pierten Stucks,

1
2
}

EM

Ders
}
Verberte r n'g. é n .
Seite 529 unten nach 13 u . S.544 3.2 verſteigert ſtattverſteigt.
= 534 Zeile 13 den ſtatt dem .,
s 537 9 Rentherei ſtatt Renthei.
s

605 ware am Ende der Ubhandlung noch hinzuzuſeker :


Die neue Armenverpflegung der Herfiſchen Reſidenzſtadt
zeigt auffallend , daß man in kurzer Zeit nach beſtimmten Grunds
Tagen durch Arbeit und eine unermüdete Wachſamkeit daş Betu
teln der Einheimiſchen abſtellen kann ; es hat aber auch die gegen
die Uusländiſchen beobachtete Strenge , denn nur in wenig Fál
Ten iſt man ihnen Mitleiden (duldig , die gute Folge, daß ſich
auch dieſe verlieren. Im Grunde machen die lezteren eine Art
von Paſſanten aus ; wenn mehrere derſelben in einem fande
nicht Unterhalt genug 'finden , ſo bleiben ſie endlich alle weg.
Die Kommunikation angrenzender Länder unter ſich, würde
atles Betteln verhindern .
Seite 685 Zeile 5 anderen ſtatt andere.
27 Gerichtsbarkeit ſtatt Gerichtbarkeit,
Seite 588 Zeile 6 goldenen ſtatt güldenen,
2 589 6 alzeit ſtatt allezeit.
591 ३ 13 Gerichtsbarkeit ſtatt Serichtbarkeit,
592 9
601' 16 2

559 14 diejenigen ſtatt diejenige. -


565 32 thórichten ſtatt thörigten .
577 , 21 Turneb ſtatt Thurneb ,
580 24 pielleicht ſtatt vielleiche,
3 3
25 πηχυς tatt πηγυς ..
E 26
528 . 26 Gleichniſſe ſtatt Gleichgniſſe
1 696 ¢ 17 thóricht ſtatt thörigt,

Regiſter
$
Regiſter.

,
berglaube , mediziniſcher , S. 559.
Albers, I.I., Winterfaſten bei Caſſel, in Verſen beſchrieben ,
recenſ. 512.
Alsfeld , im Hell. Darmſt., daſelbſt find einige auſſerordent
liche Menſchenknochen gefunden , 35 .
Apollodori Ath Biblioth. c. not. Heyne ; recenſ. 150.
Uppelius, Ifri, übergibtZeichnungen andieAkad,zu Caffef, 407
Arnoldi , Profeffor in Hanau , 85,
Prediger zu Groſen- Linden , ſtirbt, 181.
Arzberg bei Eiſenärz in Stenermark, 436 u . ff.
Aufwandsgeſege, ein Beitrag zur Geſch. Derſelben, 280.422
Waldinger, Hofrath yibt ein mediz.Journal heraus , 181. ein
piogr. uift hiftor mercurii med. 660,
Beauflár in Hanau , 86, 94 ,
Bergbau am Arzberge in Steyermart , 436 .
Bergſtráffer, Bater und Sohn in Hanau , 92. 94 .
Muſeum der neueſt. teutſch. Ueberf. 3 tes
und 4 tes Stück; recenſ. 153. Deſſen und Oſtertags
Samml, der neueſten Uleberlegungen der röm . Proſaiter ;
recenf. 156 u. ff. 366. Ueberf. Kornel. Nepos , rec. 158
Bering , Profeſſor in Marburg, ihm wird die Profeſſur def
Pegit und Metaphyfit augetragen , 691. 3
Bernhard , Urchipar in Hanau ; 92
26 Betteing
regiſter.
Betteln, fbädlichée, der fogenannten Paffanten der Baga
bunden , eine Abhandlung1603.
Biehaus , feine der Akad. in Caſſ. übergeb. Malereiarbeit, 407.
Blum , Prediger in Hanauſ 88.
Steckbach , 89.
Boclo , Inſpektor zu Schmalkalden , gibt eine Predigt über
Schmalkaldens Stahl 1 und Eiſenberge heraus , 656; aud
eine Schrifi de conämotione coeli.ac terrae, Hebr. 12 , 26vo

contra J. D. Michaelis , 65 %.
Bode , Igfr. , úhergibt Zeidungen an die Ukad. in Caſſel, 40 %.
Bóttner , übergibt der Malerakad. żu Caſſel ſeine Arbeit , 404.
Bolte , Univerſitatsmedjanikus in Rinteln 647.
v. Boor , Frau , zu Hamburg , ſchickt Gemälde an die Caſſeler
Akademie , 405 .
i Borhecks, A.C. , úberſ. vermiſchte Briefe Cicero’s ; rec. 158.
Ueberſ. von Xenophons griechiſcher Geſch., recenſ. , 161.
Bramrel, Ronfiftorialſekretarius in Hanay, 92 .
Breidenſtein , wird oon Capel nach Marburg verfezt, 691.
Breidenftein , 9. P. , Profeſſor in Gieſſen , ftirbti 694.
Briefe eines Reiſenden von Pyrmont, Caſſel 2c, ; recenf. 366.
davon iſt Profeſſor Jaſſencamp Verfaſſer , 646.
Briefe eines reiſenden Franzoſen über Deutſchl. 20. , rec. 141.
Brodbaum , Geſchichte
Brúhl, Dr., wird ein , 208 u . ff. 384'u . ff.
deſſelben
der Unatomie zu Caſſel, 52%
und Profeſſor i 692.
Buchdručerprivilegium , eins vom 1505 ten Jahre , 249.
Bucher , Dr. und Profeſſor Sur. in Rinteln , 644.
Büſchings , 4. F .; Beitr. zur Lebensgeſchichte denkwürdiger
Perſonen i. Theil ; recenf- 362. 15
Burd , d. júng . Ubhandlung über den Kaffee , 606 u. ff.
Buri, Eleve von der Hanauer Zeichenakad. jezt in Rom , 94.
Bußbac , vulkaniſches Geburge in daſiger Gegend, 251.
Táſonia , ihr Kopf auf einer Münze , 33.
D. Calenberg , Fraulein , úbergibt Zeichnungen vn die Caſſeler
Tanca.Demieg : 407;
i Ranfrin , jeziger Ruſ. Kollegienrath , 93.
»>, Canſtein , Profeſſor in Rinteln , 646, Caſpars
2

Regiſtei .
Caſparſon's allgemeine Beſchreibung des Muſ Frider, zuCara
! fel , 48 ; über Rudolphs Dienſtmann zu Montfort epiſche's
Gedicht Wilhelm von Brabant, aus dem ſchwabiſchen Zeits
alter, an einer Handſchrift der Caſſel. Biblioth . 257 ; deſta
Abhandl. von Verhütung des Bettelns , tee. 504 ; verſchies
316 denie ſeiner Progr. angezeigt, 514.u. f.; wird beft. Sea
kretår der Carl. Geſearch . d . Ackerb . u..d . Kunſte, 527 .
Caſſel, Beſchreibung des daſigen Muſ. Frider. 48. Biblios
theksſaal, 53. Beſchreibungder auf der Bibliothek befinds
lichen Handſchriften mit mauritan , und kufiſchen Charaktes
ren , 488. Eine auda befindliche Handſchrift von einem
epiſchen Gedicht, Wilhelm von Brabant , aus dem ſchmaa
ER zu biſchen Zeitalter , 257.
Verzeichn. der dafigen F. Gemaldeſammlung, 164. Nacha
richt von der daſigen Akademie der Malerei - Bildhauera
21,Suno Baukunſt , 401. Statuten dieſer Akademie , 408 .
der daſigen Geſellſchaft des Ackerb. und der Künſte ben
antwoortete Preisfrage über den Kartoffelbau , 286. 693
6. Neu ausgeſezte Preisfrage derſelben , 693. Der daſigen
Gerellich der Atterthuper neu ausgeregte Preisfrage , 692.
der daſ. lutheriſchen Gemeinde neues Geſangbuch , 177.
Cauſio's herausgegebenes Verzeichnis der Fürſtlich Heffiſcher
Gemäldeſammlung in Caſſel , recenf... 164
Chriſt, Prediger zu Rodheim , 88..
Cicero's vermiſchte Briefé , 1. 2. Band , überſezt von Borheck, 1
recen. 158. Ubhandiung über die menſchliche Pflichten ,
uberſ. von Garpe , recenf. 351.
TiliciſdeMünze , 32.
O mnen , I. T. , erſter luth. Pred. in Caſſel , ſtirbt, 183.
Coing , Dr. nnd Profeſſor der Theologie in Marburg , gibt ein
Programm beraus , 660.
ap Conradi, J. L., Prof. Ju .in Marburg , ſtirbt , 695.
Crome, 1. F. W. , Europens Produkte zum Gebrauch der
neuen Produktencharte, recenſ 148.
Curtius , Rath und Profeſſor in Marburg , gibt memoriam
J L. Conradi heraus , 660 .
v. Dalwigk's Bemerkungen über die Eremtion eines Reichss
landes von den Reichsvikariats . Gerechtſamen i 586 u . ff.
( 2 Dans
1
Regifter.
Dannenbergi qus Bremen , erhalt einen Preis für die Bild :
bauerkunft bei der ufademie zu Caſſel, 406, Uebergibt
fernere Arbeiten , 407,
Degene, J. F. überſ. Herodot, I. B. recenf. 366.135 :
3
Dekor , in Hanau , 94.
Diel , F. C.7 Profeſſor in Marburg , ſtirbt, 694.
Dienſtbefeßungen , 530 ff.; überflüſſige , 552.
Dies , J. C. Profeſſor und Prediger in Gieffen , ſtirbt, 370.
Diez , $ . F., Benedikt 8. Spinoza , nach Leben u . Lehren , 347 .
Dio Caſſius róm . Geſchichte , übers. von Wagner, 365 .
Diodor von Sicilien , úberſ. von Strothl, 160.
Dippels , J. C., Leben und Meinungen , von H. W.H. , re
cenf. 152.
Dobm , Kriegsrath in Berlin , wird geheimer Rath , 181.
Du Roſey , geheimer Staatsminiſter , wird Práfid . der Mas
ler- und Bildb. Ufad. zu Caffel, 401 ; ſtirbt , 402 .
Du Ry, S.L., iſt der Baumaeiſter des Muf. Frider. in Caffel, 48 .
3 wird immervåhr. Sekretår der ukademie der Maler und
Bildh. in Caſſel , 401 ; wird Direktor der damit verbuns 1
denen ufad . Der Baufunft : 404.
Duyſing , Fuſtizrath in Rinteln , 643.
Eberhard , Prediger in Hanau , 87.
kiſenträger , úbergiebt der Akad. zu Caffel FeineArbeiten , 404.
Encyklopädie , teutſche, 8 ter Band , recenf. 334.
Engelbronner , Igfr. , übergiebt Zeichnungen bei der Caſſeler
Akademie , 407.
Engelhard , Kriegsaffesſor in Caſſel , wird Kriegsrath , 691.
/
Erziehungsinſtitute , Privat- , in Hanau ,' 94.
Eſchenburgs Entwurf einer Theorie u. Litteratur der fchonen
Wifenſchaften , recenf 502.
v . troſtruth , H.U.Friedr. , 1. Seffiſcher Muſenalmanach.
Sauſtin , oder das aufgeklärte philofoph. Jahrh ., recenſ. 143.
Febrmann , aus Caffel, erhalt einen Preis für die Malerei,
bei der Caſſeler ukademie, 406 ; übergiebt ſeine ferneren
Arbeiten dahin , 407.
Seft's , f. S., Verſuch über/die Vortheile der Leiden und Wi
bertártigkeiten des menſdyl. Febens , 1. 2. Th. rec. 661.
Feuers
Regiſter.
Seuerfo chungs - Anſtalten , wichtiger Beitrag zur Berbeſſes
rung derfelben , 97.
Forſter's , J. R. , Bemerkungen über Gegenſtände der phyſic
ſchen Erdbeſchreibnng , recenf. , 147 .
Forſter's , G., Abhandi. über die Pygmaen , I u . ff. ; über den
Brodbaum , 208 u . ff .; 384 u. ff .; arbeitetan einer teutſchen
Ueberlegung der Geſchichte von Cooks lezter Reife, 183 ;
geht nach Wilna als Prof. , mit geh. Raths Charakter, 371.
v. Foudy , fobrede auf Gabr. Jars , úberſejt, 76.
Frankenberger Mineralien , 308 u. ff.
Fürſtenau , Profeſſor in Rintein , 646.
Ganz , Kupferſtecher zu Hannoverr feine nach Caſſel an die
utademie eingefandte Arbeit , 407.
Garve , C. , Abhandlung über diemenſchliche Pflichten , aus
dem lateiniſchen des Cicero ; recenſ. 351 .
Gedicht , epiſches, in einer Handſchrift aus der Caff. Biblio
thet , aus dem fchwabiſchen Zeitalter , 257.
Gerberti, M, hiſt. Nigraç Silvae Ord . S. Bened . Col., recenl. 672,
Gerichtsſtyl, úber teutſchen , eine Ubhandlung , 424.u. ff.
Geſangbuch , neues , für die lutheriſchen Gemeinden in den 1

Helfen - Caſſeliſchen Landen , rec. 177.


Geſchichtbücher bei Verwaltungen , 547.
# Gewerbe , deren Beförderung i 545.
Glaß , I. I. , wird Profeſſor der Geſchichte am Carolinum zu
Caſſel , 183. 515.
Glückſeligkeit , über die , eine Ubhandlung , 628 u. ff.
"기 Goeddaus, Regierungsrath in Rinteln , 643.
60 , G. F. Randidat in Hanau , 89. 369. Wird daſelbſt
dritter lutheriſcher Prediger, 691. Deſſen fortgefekte und
umgearbeitete Hiſtorie von Heſſen des J. P. Reinhards ,
recenf. 516.
v . Gohr, Gen. Maj. , wird Präſident der Akademie der Ma
lerei Bildhauer und Baukunft in Caffel, 402.
Grabe , K.D. , wird Profeſſor Jur, in Rinteln , 644. 691.
Grandidier , C., deff zu Rinteln gehaltene Dr. Diſp. rec. 650.
Grellmann , H. M. G., die Zigeuner 26, recenf. 521.
Grillo , F. Ueberreßung von Xenophons Feldzug des jüngern
Kyrus, recenſ. 161 .
263 Groſe,
Régifter
Grore, .ůberſ: Plinius Naturgeſchichte parecenf. 157. 366.
v. Gúnderode , J. M. , Heffen Hanauiſcher geheimer: Rath
und Dberamtmann , ſtirbt , 694 .
0. Gunderode, F. I , Ludivig der Friedf.Lo di Hi rin Bruch:
ftück aus der vaterländiſchen Geſchichte , recenſ. 518. :-)
Sagen , úbergibt Gemalde an die Caff, Akad. 406. 407.
Said , Gebrüder , ſtellen in der Akademie zu Caſtel Modelle
auf 403.404.405. Erhalten den Preis für die Bildhaus
erarbeit , 403.
5anau , Beſchreibung des daſigen Medaillenkabinets , 162.
Daſige Zeichenakademie, 94. Von den Beſchäftigungen
der dafigen Gelehrten und Künſtler ,, 85 u. ff.
Saflencamp , Profeſſor in Rinteln , 645. Deffen Briefe von
Pyrmont, Caffel 2c. recenſ. 366. Deſſen Programm von
dem Nußen eder n Strahlableiter
ezt on , recenſ.
n 648. d
Serodot's
n g r af
Geſchichte .
o n verſ v D egelbe,n I. Ban , en366 .
ſ e d l e ſt
Seſ , lan von , vom Tite derſ , als Für zu
Hjersfeld , 373
Sellen- Çafſel , drei Prinzen von , werden Mitglieder der Aka:
demie der Mal. Bildh. und Bauf. zu Caffel, . 405
Seffen Philipsthal, Prinzeſſ, Julie von ,Gemäldearbeiten
von Ihr ſind in der Akademie zu Caſſel aufgeſtellt, 402 ;
ſo auch vom Prinz Friederich i 407.
Seſtiſche Univerſitáten Marburg und Rinteln , Verordnung
zum Beſten derſelben , 69.
Seffiſche áltere Aufwandsgeſebel 289,
Seffiſche Mineralien , 303.
Seſſiſcher Muſenalmanach , 2ter Jahrg, herausgegeben von 1

H. 4. Friedrich v. Eſchſtruth ; recenſ. 511.


Seffen , gefangene in Umerika , Betragen derſelben , 67.
Seffe , nun verſtorb. Edelſteinſchneider inCaſſel, übergiebt der
Akademie ein Blumenſtück von flor. Arbeit 405.
Heſs, G , monum Guelficor. pars hiſtor. recens. 682.
Beſtermann , Kandidat in Hanau , 95 .
Seubler , ein junger Dichter , 92,
Heyne, C. G., Apollodorus, recenſ. 150.
Sieronymus , des Heil. Briefe, Yn einer alten Bandſchrift
gu Madrid ; 652,
Giß.
Regiffet.
Sißmann M., Verſuch über das Leben des F. 6, Leibniji
recenſ. 6692
Soeck , J. C., úberſ. Salluſt; recenſ. 159.
Sópfner's , L.I.F. , Commentar über die Heinece. Inſtitut.
543 recenf. 145 .
Sombergk zu Vach . W. F. , geh. Rath und Kanzl. in har
nau , ſtirbt, 693 .
ED Sopf, B. U., Erklär. der Paulin. Worte I Kor. 11: 6, 7.
recenſ. 689.
8.Soyér , úbergiebt der Akademie zu Caſiel Teine Gemaldeara
beiten , 404. 407 .
Sundeshagen , Regierungsrath in Hanau , 91.
Jáger , Profeſſor in Rinteln , 646. Deſſen Programm vindic.
Cap. LIII. El, fiſt , recenf. 649,
Jar , S. , lobrede auf ihni 76 . 4 :7
Jaffoi, Doktor Medic. in Hanau , 93.
Iber , Konſiſtorialrath und Profeſſor in Hanau , 85 .
Inſtrumente, optiſche, phyſikaliſche re, des Hofoptikus Stols,
Preisverzeichnis davon i 315 ,
Juden , über die bürgerliche Verfaſſung derſelben , 56.
Jungius , ein Dichter in Hanau , : 92,
Standidat in Hanau , 95.
Juſti, Pfarrer in Marburg , gerettet von einer ſchimpfenden
Anekdote , 368.
Juſtins Weltgeſchichte , I. 2. B. úberſ, von Oſtertag , recent
156.
Rámpf , 06. Hofr. und Leibmedicus in Hanau , 92,
Raffee , Abhandlung darüber ; 606 u. ff.
rg
Rabler , m , Prediger zu Rodenbe , 647.
Dr, und Prof. Theol. auch Superint, ynd erſter
luth. Prediger in Rinteln , 643,
Rameraliſten eines Einfälle , 529 4. ff. Wahre Vera
dienſte, 538. Fehler , 539. Pflichten , 558.
Rankrin , f. Cancrin.
Rant's Srundſäge der Metaphyfit, geprüft , 113 und for
233 u . ff 464 u, ff.
X Rare

!
Regifter.
Kartoffelba u ,ob der übermáſige(derhäufige)den Vorfan
des Uckerbaues und Ruin der Mühlen nach ſich ziehe ?
286 u. ff. 448 u. ff.
D. Rempele, über deffen Schachſpiels und Redemaſchine,
ein Schreiben , 475 .
Kleiderordnung , 557.
Rleienſteuber , übergiebt der Ufademie zu Caffel ſeine Gemát
dearbeiten , 404 .
Kleinſchmidts , Juſtizr. in Urolfen , teutſche Ueberſ. der lobs
meieriſchen Diff. de artificio navigandi per aerem ; rec. 513.
Rlingender , J. F. , wird Prof. Philoſ. am Carol. zu Caß
fel , 660. 692.
Klipſtein , P. E., Beobachtungen und Geðanken über die
Lagerſtatte und den Urſprung der Salzquellen in der Mete
terau , 40. Vom pulfaniſchen Gebúrge in der Segend
von Bußbach , 251. Deſſen Preisſchrift über die Pers
hütung des Kindermords , wird für die beſte erklärt, 527.
Robold's , Deſſinateurs in Caſſel, ausgeſtellte Malerei in der
Akademie 402 403 404 .
Körber , Prediger in Hochſtadt , 88.
Ropp ) aus Hanau , jezt in Göttingen , 94 .
Ros , Rantor in Hanau i 95 .
Krauſe ,Hofmaler' zu Weimar , ſchickt der Akademie zu Caſ
fel Gemáide, 403 405.
Rummel , Profeſſor in Rinteln , 646.
Cabhart, Edelſteinſchneider zu Caffel , reine der daſ. utad.
übergebene Urbeit , 407.
Lampe , Frau , inþannover, ſchickt derMalereiakademie zu
Caſſel Bilo
ihrgezeichnetes 403,
9. , Pfarrer in Spißaltheim , 89. Deſſen Ubhande
lung über die Pygmåen , 576 4. ff .
Landwirthſchaft, in wiefern ſie andern Gewerben vor- und
nachgebe r 553
Lange, erhalt den Preis für die Bankunſt bei der Akademie
zu Caſſel, 406 .
Leaderhore , wird Profeff. d. R. am Carol. zu Caſſel , 527.
Deſſen übhandlung vom Titel der Landgrafen von Heſſen,
als Fürſten zu Hersfeld , 373 4. ff.
Reiba
Regiſter
Leibeigenroaft , mehr dem Handel und Getverbe , als der
Landwirthſchaft fchädlice , 546 .
Leuchſenring , Heſl. Darmſt. Rath , wird Jaſtruktor des Pr.
pon Preuſſen , 371.
Lohmeiers , P., Diſt. de artificio navigandi per acrem , teutſch
überſezt ; recenf. 512 , 1
. Loßberg, Gen. Lieut. und Gouvern . in Rinteln 642
de Luchet , M. , wird Vicepräſident beim Kommerzfouleg . in
Capeli 528 .
d. Malsburg , Hofmeiſter der Prinzen in Hanau , 96.
Mannheim , einige Mitglied, der daſ. Ufad. d. Wiſſenſ. audi
andere Gelehrte, wollen eine krit. Ausgabe der Scriptor.
rerum Germ . bearbeiten , 182...
Marburger Univerſitát hat Zuwachs von Studirenden , 184 ,
v. Mareſcotti, úbergiebt Zeichungen bei der Akademie zu Cats
fel ) 407 .
Marville , Jungfer, úbergiebt Zeichungen bei der Akademie
zuCaſſel 407.
,
Mauvillon , Hauptmann ; gehet mit Majorscharakter ans
Braunſchw . Carol. 692.
Medaillenkabinet , Fürſtl., in Hanau , Beſchreibung dadong
162.
Mediziniſcher Überglaube , eine Ubhandlung i 559 4. ff
Menſchenknochen , auſſerordentliche, einige gefundene, 35.
Merck's , I. H. , Übhandlung über einige höchſt ſeltene antife
11 Münzen , 31. Nachricht von einigen zu. Ulsfeld gefundes
nen auſſerordentlichen Menſchenknochen , 35.
Merz , Konſiſtorialrath in Hanau , 87.
Metaphyſik, über die Nat. derſ. , 113 u. ff. 233 u. ff. 464 u. ff.
Miidaelis , Dr., Heffiſcher Staabsfeldmedikus , wird Leibs
medikus und Profeſſor zu Caſſel , 526 , 527.
1 Mineralogiſche Beobachtungen von Heſſen , 303 ,
modert, Dr. und Profeſſor der Rechte gehet von Rintelige
nach Göttingen , mit Hofrathecharakter , 526. 644.
monchs Beitrage zur Mineralogie aus einigen in Heſſen gee
Tammeiten Beobachtungeni 303. Ubhandlung vom mes
diziniſchen Überglauben , 559 u . ff. Er erhält die Aufſicht 2

ýber das Naturalienkabinet in Caffel , 371. 1


( 5 mors
Regifter
Morgenthaly Profeſſor in Hanau , 86.193.77
müller , J. , gehet von Caffel wieder nach Genfi 371.
Doktor Medie. in Hanauy . 93.
Doktor und Profeſſor Theof. in Rinteln , 644. Der
( fen progr de mutilat. Dei & c ; 650
Tonkünſtler in Rinteln , 647.
6. Můndyhauſen , Oberſter und Landrath inRinteln, 642
geh . Rath und Präfid. in Rinteln , 643.
riabl’o Raths u . Prof. ausgeſtellte Figurenu . Basreliefs
in derBildh. Ufad. zu Carter, 402, 403, 404, 405, 406.
der Maler, übergiebtder Akademie zu Caffel feine Hrs
beiten , 405 .
riepos , Kornel., úberſ. von Bergſtraſſer ; rec. 158.
YoundBox C., Sachſ, Weim. Hofmechanikus , Beſchreibung
ſeiner Feuerſprigen , Schläuche Eimer
( und Leitern ,
Yolda, übergiebtGemälde an die Afad. in Saffet; 406 407.
Ofius Profeſſor in Hanau ya 856. .
Oſtertags , úberſ, Juſtin , rec.cc 156 .
Paulus , c . 8. , rediger zu Mötenbeck , 1647 Deffen Mola
lenbeck. Kloſtergeſchichte , ref. 520,
Petci, Pfarrer , 89.
V. Pfeifer, jegowird
Profeffor der Vermie.in
in Maing,
Mitglied 93 94. Canel , 403.
Pforr Maler,
Cha Seine dahin übergebene
1
Gemälde , 403 , 404 , 405.
Pleſſing's , verſuchter Beweis von der Nothwendigkeit des
Uebels und der Schmerzen a recenf. 348. Dfiris und
Sokrates vee. 358.
Plinius ; Naturgefch. 1. 2. 3. B.überf. von Groſe, rec. 157
polizeitaren , 557,
Pygmaen , Abhandlungen darüber , I u. ff. 576 u. ff.
D. Rademacher, úbergibt Zeichnungen an die Akademie zu Eaf
fel , 407
Range , übergiebt Gemälde an die Akad , au Canel, 406 407.
Rau , Dr. medic. in Hanau , 93.
Rauctobadeskiftirinſtrument, Beſchreib. deſſelben , 109,
Reigos
Regiſter.
! Reichslandes, Exemtion von den Reichsvikariatsgerechtſamen,
586 u. ff.
Reichsverweſeramts , Urfprung und Grenzen , 587,
Reichsvikariat und Vikariats-Hofgerichte: Jurisdiktion 590
Reinhard , J. P. , f. G. F. GóB.
Reiſer , Prediger in Hanau , 89.
D. Rheinfarth . Frául., úbergibt Zeichnungen an die Utad.
zu Caſtel . 407,
d . Rhoden , C., Konſiſtorialrath, wird. Superintendent in
Caſtel 692 .
Rieß , J. P. , giebt eine Abhandi, vom Ulaun heraus , 659.
Rinteln , von den Beſchäftigungen der dafigen Gelehrten ,
641 u . ff
Robert , C , W. , Dr. und Prof. in Marburg , wird Samt:
hofger. Rath , 528. Deſſen explicatio diſtinctionis inter
ſacrilegium fimplex & qualif. recenſ. 341.
erhält einen Preis für Malerei und Zeichnungen bei der
Akad. Ju Caffel ; 403 406. úbergiebt fernere Arbeiten
dahin , 404 , 406 407.
Frau , in Hanau , ' 95 .
Ródiger , in Hanau ; 94. a
! Roques , Prediger inchteHanau , ſ88.
n e m e i nen c h e nver
Royko , C. g chi der gro e allg arbeit Kir
lſammlungl n s auer
t in Koſtnig í recenf. 335. h
Ruh , erhä eine Prei für die Bild bei der Afa
demie zu Caffel 403 , 406 , 407. übergiebt fernere Ura
beiten dahin , 404 .
Rullmann , Profeſſor in Rinteln , 644.
Runde , J. F. , Schreiben an G. R. Dohm , über die búr
gerliche Verbeſſerung der Juden , 56 u. ff. Beitrag zur
Geſchichte der Pufwandsgefetze, 280 , 422. Deflen Anmerk
und ber. Zuſ. zu dem Buriſchen Lehnrechte ; recenf. 146,
Deffen tabula geneal. chronol. imperat. Rom . & reg, Germ .& e.
recenf. 346. Gir gebet als Prof. der R. mit Hofrathon
charakter nach Göttingen , 527
Salluſt's Catilina u. Jugurtha , überſ. von Hoeck , rec, 159
Salzquellen in der Wetterau , Beobachtungen und Gedanken
über die lagerſtätte und den Urſprung derſelben , 40.
Sthasi.
Regiſter
Schadſpiels und Redemaſchine des b. Rempelt , 475.
Shafer, Prediger zu Ginheim , .89.
Schaubühne , in Hanau , 96.
Schellenberg , Konrektor in Hanau , 95 .
Sd lettwein's , J, A. , Rechte der Menſchheit ze. rec. 131.
Sømalberger , Prediger zu Lorhaupten ; " 89.
Schmalkalder Eiſenerze , 303 u. ff.von dafigen Stahl - und
Eiſenbergen , eine hiſtor. Nachricht , 656 u. ff.
n. Schmerfeld, Reg. Rath in Safſel , hat eine reiche Mine
ralienſammlung. 304 308.
Reg. Rathin , aufgeſtellte Landſchaften von ihr in
der Ufad. zu Cafel," 402 , 403 , 404 , 405 , 406 .
Schmid , C. A. , Ueberſ. des L. Monbroddo Wert von dem
Urſprung und Fortgange der Sprache uc. I Ib. rec. 523 .
Schnaubert , gehetals Prof. von Sieffen nach Helmftádt, 528 .
Schneider'ø , L. , Preisſchrift úber den Kartoffelbau , 286 u.ff.
Schreiben eines Elbingers wegen der Streitigkeit über die
Weichſelſchiffahrt zc. rec. 342 .
Schröder , Profeſſor in Hanau , 86 .
Hofmufifus in Hanau , 95 .
I. W. , wird Prof. medic. am Carol. zu Caſſel ,
6920 !

Schrödern ; Jungfer , in Caſſel, úbergiebtZeichnungen an die 1


paſige Ükademie 407.
Schröter , Dr. und Prof. medic. in Rinteln , 645. Deſſen
Differt. de magiftr. polit. attentione civium valetudini facra ;
recenf. 649.
Sowarz, Dr. und Prof.Theol. in Rinteln , 643.
Sebenerven , über die Vereinigung derſelben , eine Abhands
lung,i 185 u. ff. 614 u . ff.
4. ff.
2 Senkenberg , H. C. , de jure primar. precum & c. rec. 496.
Sömmering's Ubhandlung über die Vereinigung der Sehes
nerven , 185 u. ff. 614 u . ff. Er gehet als Profesſor
von Caſſel nach Maingi 527.
Solms - Laubach Gráfin Chriſtiane, von , ausgeſtelltes Por
trait derſelben inder Ufademie zu Caſſel , 404.
Sprengel's , M. C., Geſchichte der wichtigſten geographiſcheri
Entdeckungen ; recenf. 149.
Stal
Regiftet .
Staufütterung , wo ſie thöricht , 546.
Stegmann's , Profeſſor in Caſſel, Beſchreibung eines Rauch
1 tobackskliftirinſtruments und deſſen Gebrauchs , 109. Er
erhält eine Beſoldungsvermehrung , 526.
!
Stegmeierin , Jungfern in Hanau , 95, pribilis
d. Stein , übergibt Zeichnungen an die Ufad. zu Caſſel.p : 427.
... Stockhauſen , I. C., Superintendent in Hanau , 86 87.
ftirbt , 528.
20 Stolz , C.M., Hofoptikus in Caffel, Preisverzeichnis ſeiner
Inſtrumenten , 315 .
Strad , erhält einen Preis für Malerei und Zeichnungen bei
der Ufademie zu Caſſel , 403. úbergibt ferner Semalde,
404 , 406 , 407.
EU Stroth’o Sammlung der neueſten Ueberf. der griech. prof.
Schriftſt. recenſ. 160 u. ff. 365 u . ff. überſezter Dios
dor v. Sicil. récení. 160.
1
Succeſſion , über die Möglichkeit einer anfangsloſen , eins
Abhandlung , 17 u. ff.
Tiedemann's Abhandlung über die Möglichkeit einer anfanges
loſen Succeffion , 17 u. ff. Abhandlung über die na:
& tur der Metaphyſik , zur Prüfung von Kants Grundfáza
zen , 113.u . f. 233 u. ff. 464 4. ff. ubhandlung
31
vom plózlichen Uebergang der Seele aus einem Entgegen
gerezten in das andere , 413 u. ff. Abhandlung über die
Glückſeligkeit , 628 u. ff. Etwas zur Geſchichte der Budys
drucker - Privilegien , 249.
31 Timmermann , Dr. und Prof. medic. in Rinteln , 645 .
Tiſchbein , Raths und Prof. in Caſſel , ausgeſtellte Gemälde
von ihm in der dar. Akademie i 402 , 403 , 404 , 405
406. Dergleichen von ſeiner Tochter und Brudersföhnen ,
402 403 404 405 , 407.
5. W. , Gallerieinſpektor in Caffel, feine ausgeſtellte
Gemälde in der dar. Ufademie , 402 , 403 , 405 406 .
Toleranz , wie ſie Entvölkerung befördern kann , 548.
Tonkünftler , in Hanau , 95.
E Tychſen , T. C. , Schreiben aus Madrid über eine entdeckte
Handſchrift der Briefe des h. Hieronymus , 642.
Uebers

1
Regifter.
Uebergang , plózlicher", von einem Gegenſage zum andern ;
413 .
Ungewitter , R. C. , Superint. in Caſſel , ſtirbt , 694 .
Univerſitäten , Heffiſche, Marburg und Rinteln , Verord:
nung zum Beſten derſelben r 69.
Varnhagen , J.U. T. L. Beantwortung der Frage der Hefta
Ca. Geſellſchaft des Ackerbaues und der Künſte , vom
Kartoffelbau , 448 u. ff.
Vaterlandsliebe ; oder das Betragen gefangener Heffen in
Amerika , 67.
0. Veltheim, Kommand. und Kammerhere in Caffel , wird
Vicepräſident der daſ. Akademie der Malerei, Bildhauer
und Baukunſt , 402.
Verordnung zum Beſten der Heffiſchen Univerſitaten Marburg
an und Rintelny 69.
Verpachtungen , obfie, oder Verwaltung , vorzuziehen ? 536.
Verſuch , ein möglicher , wie verſorgt ein kleiner Staat am
beſten ſeine Urmen und ſteurt der Settelei ? recenſ. 507 ,
Veſpaſia Pola , ihr Kopf auf einer Münze , 34.
Vulkaniſches Gebürge in der Gegend von Bußbach , 251.
Vulpius, Prediger in Hanau , . 88 .
Wachter, Mitlehrer an der Zeichenakademie zu Hanau , ; 94
Wage , übergiebt, der Akademié.zu Caſſel ſeine Arbeiten ; 404.
Wagner's , I. U. , überfester. Dio Caſſius , 1 B. rec. 365.
Waldin , Profeff. in Marburg., erhält die Profeſſ. der Phyfit,
691.
Weber's G. G. , kritiſche Geſchichte der Uugſp . Konfefſion ,
recenſ . 166.
Wegeners , d. júngern , Regier . Raths in Hanau , 90 94.
Beſchreibung des daſ. Fürſtl. Medaillenfabinets; rec. 162.
Weichmann , unglücklicher Prediger gu Bergen , . 89 .
Weimariſche Feuerſprigen , hånferne Schläuche , Eimer und
Leitern , 97.
Weiſe , Hofkupferſtecher in Caffel , legt der daß. Akademie Ur.
beiten vor , 403 4041 406 .
Weitſch , Braunſchw . Hofmaler , ſchickt Landſchaften zur Mas
lerakademie nach Cafiel ein , 403.
Wenz ,
Regiſter.
Wenz , Graveur in Hanau , 94 .
Wepler's , J.H. , Beſchreibung der auf der Caſſel. Bibliothek
befindlichen arab. Handſchriften mit mauritan . und fufia
ſchen Charakteren 488 .
Wetterauer, Salzquellen , 40 .
w
d. Wildungen Regier. Rath , ſeine der Akademie zu Caſſel
übergebene Malereiarbeit , 407 .
Wilhelm von Brabant , ein epiſches Gedicht aus dem ſchmås
biſchen Zeitalter , in einer Handſchrift, 257.
Wille , Bergamtsaſfeſt. zu Schmalkalden , überſezte fobrede
des v . Fouchr auf Gabr. Jar . 76 . Abhandlung vom
lip Bergbau am Urzberge , bei Eiſenärz in Steyermart, 436. ,
Wippermann , Dr. und Prof. jur. in Rinteln , 644.
Wolf , d. älteſte , übergiebt der Ufademie zu Caſtel ſeine Arbeit
3 von Paris aus , 406. und erhalt einen Preis für die
Baufunſt bei derſelben í 406 .
Xenophon's Feldzug des júng. Kyrus, überſezt von Grillo ;
recenſ. 161. Griechiſ. Geſchichte , überſezt von Borhect '
recenſ. 161.
Zapf, H. R. in Augsburg , kündigt monum . anecd. hiſt. Germ .
illuftr. und eine neue Uusgabe der Epiſt. Aeneæ Sylvii an ,
369 u . ff.
Zimmermann , J. G. , über die Einſamkeit, I. 2. Th. recens.
664 .
Zúnfte , deren Verbeſſerung ; 554

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