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Ob A wie Astronomie oder Z wie Zellbiologie: Unsere Spektrum KOMPAKT-Digital-
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je Ausgabe
Hartwig Hanser
Redaktionsleiter
hanser@spektrum.de
M ythen sind Erzählungen, mit denen Menschen die Welt sowie ihre eigene Stellung in
ihr zu erklären versuchen und in einen größeren Zusammenhang einbetten. Dabei
bedienen sie sich in der Regel übernatürlicher Elemente, beschreiben Dinge, die über die
Dale W. Laird (links), Paul D.
Lampe (Mitte) und Ross G.
Johnson berichten ab S. 24 über
alltägliche Erfahrung hinausgehen und für die sich oft gar keine Worte finden lassen. Ver ihre langjährige Erforschung
mutlich gibt es Mythen, seit der Mensch anfing, über Grundbedürfnisse wie Essen, Sex und der »Gap Junctions«, die ein
Selbstbehauptung hinauszudenken – frühe Hinweise darauf liefern schon Neandertaler aufwändiges Kommunikations-
gräber. system der Zellen in unserem
Entsprechend interessieren sich auch Forscher bereits seit Längerem für das Thema. Zu ih Körper bilden.
nen gehört der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss (1908 – 2009), der Grundmuster
und elementare Bausteine (»Mytheme«) identifizierte und den Zusammenhang mit Kultur
und Denken herausarbeitete. Anders ging der Amerikaner Joseph Campbell (1904 – 1987) vor.
Seine vergleichende Mythenforschung suchte nach Universalien, wobei er tiefenpsychologi
sche Aspekte berücksichtigte. Bekannt wurde er durch seine detaillierte Erkundung des My
thentyps der Heldenreise, nach dem inzwischen fast jeder Hollywood-Blockbuster funktio
niert, allen voran »Star Wars« von George Lucas, der sich ausdrücklich auf Campbell berief.
Neben den Heldengeschichten von der »Odyssee« bis zum »Herrn der Ringe« gibt es aber Eine Immunisierung gegenüber
noch ganz andere Typen, die weniger eine spannende Story erzählen als vielmehr Situatio Grippeerregern kann dazu
nen darstellen, die ein Licht auf das Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt werfen. Dazu führen, dass der Körper auf nach-
gehören Welterschaffungsmythen, Gründungslegenden wie jene der Stadt Rom sowie Aus folgende Infektionen nicht mehr
einandersetzungen mit den Grenzen und der Fehlbarkeit des Menschen – etwa die griechi so effektiv reagiert. Dieses ver-
schen Sagen von Ikarus oder Prometheus, aber auch viele biblische Überlieferungen. blüffende Phänomen untersucht
Da Mythen die längste Zeit mündlich weitergegeben wurden, veränderten sie sich natur der Epidemiologe Adam J.
gemäß immer wieder und passten sich dabei an neue Umstände an. Diese zeitliche Entwick Kucharski mit Hilfe mathema-
lung stand bislang kaum im Fokus der Aufmerksamkeit von Forschern. Jetzt hat sich der tischer Modelle (S. 32).
junge französische Anthropologe Julien d’Huy vom Centre d’études des mondes africains in
Paris eingehend damit beschäftigt (S. 66). Dazu nutzte er modernste Computeralgorithmen
ähnlich jenen, mit denen Genetiker evolutionäre Stammbäume von Organismen konstruie
ren. So gelang es d’Huy, exemplarisch drei Mythenfamilien auf ihre Urformen zurück
zuführen. Gleichzeitig geben seine Forschungen Aufschluss über die Wanderungsbewegun
gen der Menschen in der Steinzeit.
K ein Mythos ist leider die alljährlich wiederkehrende Grippewelle, die auch jetzt wieder
auf uns zurollt. Warum ältere Menschen ebenso wie Kinder eine bessere Widerstands
kraft gegenüber den auslösenden Viren haben als jüngere Erwachsene, erklärt der Epidemio
Die Teilchenphysiker Rolf Ent
(links), Thomas Ullrich (Mitte)
und Raju Venugopalan beschrei-
loge Adam J. Kucharski ab S. 32. Außerdem stellt unser Artikel aktuelle Forschungen zur Ent ben ab S. 58, warum wir über
wicklung eines Universalimpfstoffs vor, der die jährliche Spritze überflüssig machen könnte. die Gluonen noch immer so
wenig wissen – und wie sich das
Herzlich Ihr ändern soll.
WWW.SPEKTRUM.DE 3
INHALT
SCHLICHTING!
56 Kunst unter der Eisdecke
Gefrierende Wasserflächen formen oft seltsame Strukturen.
H. Joachim Schlichting
ANTHROPOLOGIE
66 Die Urahnen
der großen Mythen
Julien d’Huy
80 Die Synthesemaschine
TJ WATT (TJWATT.COM)
MATHEMATISCHE UNTERHALTUNGEN
86 Computer-Halluzinationen
Neuronale Netze erzeugen Bilder, in die sie Versatzstücke
aus ihrer eigenen Erfahrung hineinfantasieren.
Brian Hayes
MICHAEL TYKA ET AL., GOOGLE INC. / CC-BY-4.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE),
USING NETWORK TRAINED ON PLACES BY MIT COMPUTER SCIENCE AND AI LABORATORY;
GOOGLERESEARCH.BLOGSPOT.DE/2015/06/INCEPTIONISM-GOING-DEEPER-INTO-NEURAL.HTML
PALÄONTOLOGIE
PHYSIK
INSTITUTE
ihrer Anordnung an einen Schneemann erinnern.
Bei weiteren Vorbeiflügen soll sich die Sonde bis auf
50 Kilometer dem Südpol nähern, der aktivsten Region des Enceladus’ Nordpolregion ist von Spalten und Kratern geprägt.
Monds. Dabei soll sie weitere Informationen über den Eine Kraterstruktur ähnelt einem Schneemann (kleines Bild).
Ausgeschlafene Naturvölker
PROTHETIK
Künstlicher Tastsinn
ASTRONOMIE
Neutronenwirbel in Pulsaren
IN POLLEN GETRÄNKT
Beim jährlichen »Nikon Small World«-Wettbewerb zeichnet der japanische Hersteller von Präzisionsoptik
besonders gelungene Mikroskopaufnahmen aus. Das Siegerbild 2015 zeigt die Facetten eines Bienenauges
inmitten zahlreicher Löwenzahnpollen. Der australische Lehrer Ralph Claus Grimm verwendete dazu ein
Lichtmikroskop mit 120-facher Vergrößerung. Er hat früher selbst Bienen gezüchtet und möchte mit dieser
ungewöhnlichen Perspektive auch den Wert der Tiere für die Bestäubung in den Fokus rücken.
DUKE UNIVERSITY
deckten Basenexzisionsrepara T C T T C T
teriöse Weise töten oder dauerhaft
tur entfernen Enzyme einzelne 1 G
2 G
verändern. Als Grund stellte sich in den
A G A A G A
falsche Basen aus dem DNA- C U 1940er Jahren heraus, dass sie Schäden
Molekül und ersetzen sie durch an der inzwischen als Erbmolekül iden-
korrekte. Das ist zum Beispiel Cytosin verliert leicht eine Uracil kann kein Basen- tifizierten DNA verursachen.
nötig, wenn sich Cytosin durch Aminogruppe und verwan- paar mit Guanin mehr Eine zweite Beobachtung aus jener
delt sich dabei in die Base bilden.
Desaminierung in Uracil ver- Uracil.
Zeit führte die Forscher auf die Spur der
wandelt hat. DNA-Reparatur: Zellen überlebten eine
an sich tödliche Dosis Röntgenstrah-
lung, falls sie direkt danach in blauem
3 T
G
C T
4 T
G
C T
5 T
G
C T
Licht badeten. Und wenn sie durch UV-
A G A A G A A G A
C Strahlung die Fähigkeit eingebüßt hat-
ten, zu wachsen und sich zu teilen, ver-
half ihnen die gleiche Behandlung zu
U
neuer Vitalität. Als verantwortlich für
Das Enzym Glycosylase Weitere Enzyme Die DNA-Polymerase füllt die überraschenden Heilkräfte des
entdeckt den Fehler entfernen den Rest die Lücke auf, und die DNA-
und schneidet das Uracil des Nukleotids aus Ligase schließt den DNA- Blaulichts erwies sich ein Enzym na-
heraus. dem DNA-Strang. Strang wieder. mens Photolyase.
A
über die DNA-Reparatur zu forschen.
neuer
G
Auf demselben Gebiet tummelte
DNA-Strang
sich damals auch Tomas Lindahl, der
T
jedoch auf ganz anderem Weg dorthin
A
forscher hatte sich gefragt, wie stabil beteiligten Enzyme die Doppelhelix in die
die DNA unter normalen Umständen beiden Einzelstränge und erzeugen zwei neue
C
G
UV-Strahlung
T T T
A A A
A A Die von Aziz Sancar
aufgeklärte Nukleo-
tidexzisionsreparatur
1 UV-Strahlung kann benachbarte
Thymin-Basen (T) verknüpfen und
2 Das Enzym Exinuclease erkennt den Schaden,
durchtrennt den DNA-Strang vier Basen unterhalb und behebt Schäden
so von den Adenin-Basen (A) lösen. acht oberhalb davon und entfernt zwölf Nukleotide. durch UV-Strahlung
oder karzinogene
Substanzen, wie sie
T T T A G T A T T A T im Zigarettenrauch
A A A A
enthalten sind. Da-
bei wird ein größeres
DNA-Stück heraus-
geschnitten und
3 Die DNA-Polymerase füllt die entstandene Lücke,
indem sie einen neuen komplementären Strang synthetisiert.
4 Die DNA-Ligase verschweißt die
Enden. Der Schaden ist behoben. ersetzt.
ge DNA des Menschen in der Zelle unter für, dass das Enzym sie aus der Erbsub- gleich einen ganzen Abschnitt der DNA
normalen Umständen pro Tag mehrere stanz entfernt hatte. heraus – jedoch nur am beschädigten
tausend potenziell verhängnisvolle Wie Lindahl in den nächsten Jahren Strang; sein Gegenstück bleibt erhal-
Verletzungen. Sie wird oxidiert oder feststellte, war die Glycosylase nur der ten. Dadurch können Reparaturenzy-
methyliert, ja verliert sogar ganze Ba- erste Vertreter einer großen Gruppe me anschließend die ursprüngliche
sen, die als Buchstaben des genetischen ähnlicher Proteine, die alle vergleichba- Doppelhelix wiederherstellen.
Alphabets dienen. Zudem kann der Erb- re Funktionen haben: Sie schneiden Nach diesen Entdeckungen durfte
faden, die spiralförmige Doppelhelix, einzelne beschädigte Basen aus der sich Sancar dann doch wieder seiner
einfach reißen. DNA, so dass andere Reparaturenzyme zunächst verpönten Photolyase-For-
Besonders faszinierte Lindahl ein die Lücke füllen können. schung widmen, und 1982 gelang es
ebenso häufiger wie gefährlicher Vor- Derweil erwies sich Yale für Sancar ihm schließlich, auch den chemischen
gang: Die Base Cytosin kann spontan als Glücksgriff. Er entwickelte dort eine Wirkmechanismus dieses Enzyms auf-
eine Aminogruppe verlieren. Dabei ver- Methode, mit Hilfe UV-geschädigter zuklären. Bis heute untersucht Sancar
wandelt sie sich in Uracil. Bei der Zell- Bakterienzellen die zu bestimmten Ge- die betreffenden Reparaturmechanis-
teilung unterscheiden sich beide Mole- nen gehörenden Proteine zu identifi- men und hat dabei unter anderem fest-
küle jedoch dramatisch. Während Cyto- zieren. Damit untersuchte er, unter- gestellt, dass sie an die »innere Uhr« ge-
sin mit Guanin ein Paar bildet, bindet stützt von seinem Kollegen Dean Rupp, koppelt sind.
sich Uracil an Adenin. Sobald sich die drei Gene, die für die DNA-Reparatur
Zelle also teilt und ihre DNA verdop- wichtig schienen; fehlte auch nur eines Fehler bei der DNA-Verdopplung
pelt, taucht an dieser Stelle ein neues von ihnen, waren die Zellen viel anfälli- Doch nicht nur äußere Einflüsse verur-
Basenpaar auf. ger für Schäden durch UV-Licht. sachen Schäden im Erbgut. Wie alle Me-
Wie Lindahl erkannte, treten derarti- Nachdem Sancar und seine Arbeits- chanismen der Zelle ist auch die DNA-
ge Mutationen viel zu oft auf, als dass gruppe größere Mengen der drei Pro Verdoppelung nicht fehlerfrei. Obwohl
das Erbgut über Generationen stabil teine mit den Namen UvrA, UvrB und die Polymerasen über eine integrierte
bleiben könnte. Folglich muss es Me- UvrC gewonnen hatten, begannen sie, Fehlerkorrektur verfügen, enthält der
chanismen geben, die solche Schäden deren Funktionsweise zu erforschen. frisch gefertigte Strang im Mittel zwei
rückgängig machen. In seinen Arbeiten UV-Strahlung bringt die DNA-Basen falsche Basen pro Million. In solchen
identifizierte der Nobelpreisträger ein dazu, chemisch miteinander zu reagie- Fällen treffen zwei normale, aber nicht
Enzym namens Glycosylase, welches ren. Als Folge davon kann die Zelle ihr zueinander passende Basen aufeinan-
das unerwünschte Uracil aus der DNA Erbgut weder korrekt auslesen noch bei der. Eine davon müssen die Reparatur-
herausschneidet. Wenn er uracilhaltige der Zellteilung verdoppeln. Um diesen enzyme entfernen, aber welche? Die
DNA mit ihm zusammenbrachte, rei- Defekt zu beheben, reicht es nicht Chance ist 50 zu 50, dass sie die falsche
cherte sich die defekte Base langsam in mehr, eine einzelne Base zu entfernen. wählen. Wenn die Zelle solche Fehlpaa-
der Lösung an – ein klares Zeichen da- Sancars Proteine schneiden deshalb rungen nach dem Zufallsprinzip korri-
Fermi ihren Namen. 1956 gelang es Donald würdigt unter anderem die Lö- Nun lassen sich mit Super-Kamio-
schließlich, die Existenz von Neutrinos sung dieses Rätsels. 1000 Meter unter kande nicht nur Neutrinos nachweisen,
nachzuweisen. der Erde nordwestlich von Tokio befin- die einen direkten Weg von der Atmo-
Doch die schwer fassbaren Teilchen det sich der riesige Detektor Super-Ka- sphäre zu dem Detektor hinter sich ha-
blieben mysteriös. Neutrinos kommen miokande. Er besteht aus einem 40 Me- ben, sondern auch jene, die nach ihrer
in drei »Flavours« vor (englisch für Ge- ter hohen Tank mit 50 000 Tonnen Entstehung quer durch die Erde geflo-
schmacksrichtungen) – so viel konnten hochreinem Wasser. Es ist so klar, dass gen sind. Denn selbst unser Planet ist
die Physiker seither herausfinden. Ne- sich Licht darin 70 Meter ausbreiten für die meisten der Neutrinos kein nen-
ben den Elektronneutrinos gibt es auch kann, bevor es die Hälfte seiner Intensi- nenswertes Hindernis.
Tau- und Myonneutrinos. Theorien zu tät verloren hat. In einem gewöhnli- Als die Forscher um Takaaki Kajita
den Prozessen in der Sonne sagten vor- chen Schwimmbecken geschieht das aber ihre Daten analysierten, stellten
her, dass dort zahlreiche Elektronneu bereits nach ein paar Metern. sie fest, dass die Myonneutrinos, die di-
trinos entstehen würden, die sich auf rekt von oberhalb des Detektors anka-
der Erde nachweisen lassen müssten. Blaue Blitze durchfahren men, zahlreicher waren als jene, die erst
1970 erschienen ihre Spuren erst- gigantische Wasserbecken den längeren Weg durch die Erde neh-
mals in einem Detektor in einer ehe- Rundum sind an der Innenseite mehr men mussten. Wo blieb der Rest? Die
maligen Goldmine in Süddakota. Als als 11 000 Strahlungsdetektoren ange- Zahl der Elektronneutrinos entsprach
Teilchenphysiker die Ergebnisse dieses bracht. Sie können es registrieren, wenn hingegen den Vorhersagen; Tauneutri-
Versuchs und anderer Experimente Neutrinos durch den Tank strömen, die nos ließen sich mit dem Detektor nicht
auswerteten, entdeckten sie aber ledig- in unserer Atmosphäre durch kosmi- messen. Eine mögliche Erklärung der
lich einen Bruchteil der vorhergesagten sche Strahlung entstehen. Zwar pas- Forscher aus dem Jahr 1998: Die Myon-
Neutrinos. Bis zu zwei Drittel fehlten siert die weitaus überwiegende Zahl der neutrinos verwandelten sich auf ihrer
einfach. Wo also waren die restlichen Teilchen das Wasser ohne jegliche Reise durch die Erde.
solaren Neutrinos geblieben? Oder traf Wechselwirkung, doch es kommt vor, Kurz darauf gelang es Wissenschaft-
etwa die Theorie der Kernreaktionen in dass ein Neutrino mit einem der Mole- lern um Arthur B. McDonald am Sud-
der Sonne nicht ganz zu? küle zusammenstößt. Dann entsteht bury Neutrino Observatory in Kanada,
Der diesjährige Nobelpreis für Phy- ein blauer Blitz aus so genannter Tsche- einen ähnlichen Effekt für Elektron-
sik an Takaaki Kajita und Arthur B. Mc- renkowstrahlung. neutrinos aus den Kernreaktionen der
kosmische
Strahlung A tm o s p h ä
re
abschirmendes
1000 Meter
Bergmassiv
Myonneutrinos hinter-
lassen Lichtsignale im
Wassertank.
Super-
Kamiokande
Myonneutrino
direkt aus
der Atmosphäre
Myon-
neutrino 40 Meter
AcademiaNet, das europäische Rechercheportal für Eine Initiative der Robert Bosch Stiftung in Zusammenarbeit mit
Spektrum der Wissenschaft und der nature publishing group
herausragende Wissenschaftlerinnen, bietet:
abschirmender Fels
SNO Tscherenkow-
Der Detektor des Sudbury Neutrino strahlung
Observatory in Kanada ist mit schwe-
18 Meter
rem Wasser gefüllt, dessen Kern ein Neutron
enthält. Wenn mit diesem ein Elektronneutrino
aus der Sonne reagiert, erscheint Tscherenkow-
strahlung. Außerdem entstehen andere Signale,
wenn beliebige Neutrinotypen auf die Atom
kerne stoßen. Aus dem Verhältnis der Teilchen
arten lässt sich wiederum das Ausmaß der Neu-
trinooszillation bestimmen. schweres Wasser
Sonne zu messen. Der dortige 18 Meter warteten die Forscher für beide Erschei- gen des Teams von Takaaki Kajita am
hohe Detektor befindet sich zwei Kilo- nungen dieselbe Häufigkeit. Dennoch Super-Kamiokande-Detektor bestätigen
meter unter der Erde. 9500 Strahlungs- fanden sie weniger Ereignisse für Elek die Resultate, dass Neutrinos ihren Fla-
detektoren verzeichnen die Wechsel- tronneutrinos als solche für die Summe vour wechseln. Das hat weit reichende
wirkung der solaren Neutrinos mit aller drei Neutrinotypen. Die Erklärung: Auswirkungen auf das Standardmodell
1000 Tonnen schwerem Wasser, also Die Elektronneutrinos mussten auf ih- der Elementarteilchenphysik. Nach ihm
solchem, das statt Wasserstoff das um rem 150 Millionen Kilometer langen sind die Neutrinos einerseits masselos,
ein Neutron reichere Deuterium ent- Weg zur Erde eine Transformation andererseits können nur massebehafte-
hält. Der massigere Atomkern bietet zu- durchgemacht und sich zum Teil in te Partikeln ein solches Verhalten zei-
sätzliches Stoßpotenzial. mindestens eine der beiden anderen gen. Da mit den Oszillationen nachge-
Die Anlage in Kanada kann zwei Ar- Sorten umgewandelt haben. Aus Elek wiesen ist, dass Neutrinos entgegen der
ten von Ereignissen nachweisen. Ein- tronneutrinos waren Tau- oder Myon- ursprünglichen Vorstellung doch eine –
treffende Elektronneutrinos reagieren neutrinos geworden. wenn auch geringe – Masse haben,
mit den Neutronen des Deuteriums zu muss das Standardmodell in seiner bis-
einem Proton und einem extrem Eine winzige Masse lang akzeptierten Form überarbeitet
schnellen Elektron. Letzteres erzeugt mit schwer wiegenden Folgen werden.
Tscherenkowstrahlung, die Signale in Die Neutrinos wechseln ihre Gestalt je- Es gilt nun auf dem Weg zu einer
den Detektoren auslöst. Die anderen doch nicht zufällig, sondern mit einer neuen Physik weitere Rätsel zu lösen:
Neutrinosorten sind dazu nicht in der Regelmäßigkeit, die es erlaubt, dem Was ist die genaue absolute Masse der
Lage, können aber, wie zusätzlich auch Verwandlungsprozess eine Wellenlänge Neutrinos? Warum sind sie so leicht?
die Elektronneutrinos, durch Stöße mit und Frequenz zuzuschreiben, wie man Gibt es noch mehr Flavours als die drei
dem schweren Wasser wechselwirken. das von periodischen Prozessen kennt. bereits bekannten? Können Neutrinos
Auch dabei entstehen Signale, die aber Deshalb spricht man auch von Neutri- ihre eigenen Antiteilchen sein?
von denen aus dem ersten Reaktions- nooszillationen. Bei einem Telefonat mit einer Jour-
weg unterschieden werden können. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die nalistin kurz nach der Verkündung woll-
Da in der Sonne laut Theorie nur Forscher um Arthur B. McDonald 2001 te diese von Arthur B. McDonald wis-
Elektronneutrinos entstehen sollten, er- und 2002. Zusammen mit den Messun- sen, was die Entdeckung denn nun be-
YOUYOU TU
–
Omura (Mitte) entwickelten ein höchst
wirksames Mittel gegen zwei weit ver-
breitete tropische Wurmkrankheiten:
die Flussblindheit und die lymphatische
Filariose.
Youyou Tu (rechts) isolierte in jahre
langer Arbeit aus einer Pflanze namens
Einjähriger Beifuß einen neuen, effek
tiven Wirkstoff gegen den Erreger der
Malaria.
Avermectin und sein chemisches Derivat Ivermectin. Der Unterschied in der Struktur ist gelb markiert.
sauberer herausfischen und schließlich den Krankheitserreger direkt töten Südostasien beschränkt und fehlen in
testen. Das ergab, dass Artemisinin ge- oder selektiver wirken. Denn es gibt Afrika.
gen Malariaparasiten (Einzeller namens Hinweise darauf, dass sie in den Einzel- Mit diesem Problem hat Ivermec-
Plasmodium falciparum) im Blut von lern die Kalziumpumpe PfATP6 ab- tin – das Produkt der beiden anderen
Versuchstieren und Menschen wirkt. schalten und diese damit eliminieren. frischgebackenen Nobelpreisträger –
Seit 2001 empfiehlt die WHO den Daneben scheint sich das Molekül aber derzeit noch kaum zu kämpfen. Tat-
Einsatz der Substanz zusammen mit auch noch an andere Proteine des Para- sächlich ist das Wurmmittel so wirk-
weiteren Wirkstoffen. Eine solche »Ar- siten zu binden, die damit mögliche sam, dass es seine Hauptangriffsziele
temisinin-basierte Kombinationsthera- Angriffspunkte darstellen. fast schon ausgerottet hat: die Nemato-
pie« ist effizienter als etwa die Behand- Die komplizierte chemische Struk- denparasiten (Fadenwürmer), welche
lung mit dem bekannten Chinin, gegen tur des Naturstoffs Artemisinin macht die tropischen Krankheiten Onchozer-
das mittlerweile viele Malariastämme die Substanz wirksam, aber auch teuer, kose (Flussblindheit) und lymphatische
weltweit resistent sind. Die Malaria weil sie sich lange Zeit nicht nachbauen Filariose verursachen; letztere heißt
todesfälle sind allein in Afrika dadurch ließ, sondern aus Pflanzen mühsam wegen der dabei anschwellenden Extre-
um mehr als 20 Prozent zurückgegan- isoliert werden musste. Erst in den letz- mitäten auch Elephantiasis. Beide In-
gen, bei Kindern sogar um gut 30 Pro- ten Jahren gelang es Forschern, Wege fektionen zählt die WHO zu den so ge-
zent; jedes Jahr sterben dort etwa für eine großtechnische Produktion zu nannten vernachlässigten Krankhei-
100 000 Menschen weniger. finden und die Herstellungskosten zu ten. Sie kommen dort vor, wo Ärzte wie
senken. Arzneimittel Mangelware sind, und
Eisenionen lassen aggressive Geld verdient übrigens niemand mit treffen vor allem arme Menschen. Die-
Sauerstoffradikale entstehen dem Wirkstoff, wie das Nobelpreisko- se stecken sich in ihrer Heimat ständig
Wie Artemisinin gegen die Parasiten mitee anlässlich der Bekanntgabe be- neu an, wenn die Krankheiterreger dort
wirkt, die rote Blutkörperchen befallen, tonte: Die heute massenhaft in den Fa- nicht ganz zurückgedrängt werden.
ist noch nicht vollständig geklärt. Allge- briken eines Pharmariesen hergestell-
mein nimmt man heute an, dass der ten halb synthetischen Artemisinine Einmalige Einnahme genügt
sekundäre Pflanzenstoff – chemisch ge- stehen auf einer WHO-Liste, die den Zu- Hier gelang in den letzten Jahren ein
sehen ein so genanntes Sesquiterpen – gang lebenswichtiger Medikamente für Befreiungsschlag: Gab es noch 2008
die Plasmodien mit seiner ungewöhn die Ärmsten der Welt sicherstellen soll. etwa 100 Millionen Elephantiasis-Be-
lichen Peroxidbrücke angreift (siehe Darauf geführte Wirkstoffe entstehen troffene, so ist die Krankheit dort fast
die Strukturformel rechts oben). durch »nicht gewinnorientierte und verschwunden, wo das ungemein wirk-
Diese zerfällt in Gegenwart von Ei- verlustfreie« Produktion. same Ivermectin flächendeckend ein-
senionen und produziert chemisch äu- Auch Artemisinin dürfte jedoch kei- gesetzt wird. Der Erfolg des Medika-
ßerst reaktive freie Sauerstoffradikale. ne ultimative Waffe gegen Malaria dar- ments, für dessen Entdeckung nun Wil-
Da in roten Blutkörperchen das eisen- stellen: Es muss zum Beispiel in recht liam C. Campbell und Satoshi Õmura
haltige Sauerstofftransportmolekül kurzen Abständen immer wieder ein- geehrt wurden, beruht darauf, dass es
Hämoglobin vorkommt und die Plas- genommen werden und das aus gutem schon bei einmaliger Einnahme heilt.
modien dort ebenfalls Eisenionen an- Grund nur in Kombinationspräpara- So erfordert es nicht die sonst oft not-
reichern, kann so eine für den Parasiten ten, um die wohl unausweichliche Ent- wendige nachhaltige Betreuung, an der
tödliche Reaktion in Gang kommen. wicklung von Resistenzen zu erschwe- es in den vernachlässigten Regionen
Unklar ist noch, ob die Radikale einfach ren. Immerhin: Bislang sind solche auf der Erde meist mangelt.
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I n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierte sich die Antibabypille in den In-
dustrienationen als das häufigste Mittel zur Empfängnisverhütung. Die dadurch
enorm erleichterte Trennung von Liebesakt und Schwangerschaft wurde weithin –
er zeigen, dass eine Längsschnitterhe-
bung – man fragt ein und denselben
Haushalt über Jahre hinweg immer wie-
das heißt außerhalb des kirchlichen Einflussbereichs – als sexuelle Befreiung be- der nach seinem Konsumverhalten –
grüßt. Die medikamentöse Verhütungspraxis besitzt allerdings bis heute eine fol- entgegen dem ersten Anschein nicht
genreiche Schlagseite: Sie ist reine Frauensache. Nur der weibliche Körper wird dau- besser, sondern sogar schlechter ist als
erhaft mit Hormonpräparaten traktiert, die nicht ganz ohne physische und die Pseudo-Längsschnitterhebung, bei
emotionale Nebenwirkungen sind. der man sich jedes Mal aufs Neue einen
Bisher sind andere Verhütungsmethoden, die eine Beteiligung des männlichen repräsentativen Querschnitt der Be
Partners erfordern, aufwändiger oder weniger sicher – oder schlicht unter Männern völkerung zum Befragen zusammen-
unbeliebt. Die Sterilisierung durch operatives Durchtrennen der Samenleiter lässt sucht. Was nämlich aus dem ursprüng-
sich nicht ohne Weiteres rückgängig machen. Der Gebrauch eines Kondoms wiede- lichen Kollektiv – durch Abwanderung,
rum erfordert ein wenig Übung und Geduld; die Furcht, dabei die Erektion zu verlie- Tod oder andere Gründe – herausfällt,
ren, wird gern mit dem Stammtischwitz kaschiert, man habe eine Latexallergie. ist keine zufällig bestimmte Menge,
Dabei macht die Einseitigkeit der gängigen Verhütungspraxis nicht nur jede ein- sondern eine Auslese, wodurch die Er-
zelne Familienplanung zu einem mehr oder weniger unfairen Akt, sondern beein- gebnisse verfälscht werden.
flusst sogar die Entwicklung der gesamten Menschheit. Wie Julio Castaneda und
Martin M. Matzuk vom Baylor College of Medicine in Houston (Texas) betonen, hat Verkappter Sozialist?
sich die Weltbevölkerung trotz Pille von 1960 bis heute mehr als verdoppelt – mit In seinen wissenschaftlichen Arbeiten
entsprechenden Folgen wie Ressourcenknappheit und Umweltbelastung –, und da- beschränkt sich Deaton strikt auf die
ran haben ungewollte Schwangerschaften einen erheblichen Anteil. Ein männliches Darstellung der Ergebnisse, darunter so
Verhütungsmedikament würde diesen Trend bremsen und somit eine nachhaltige paradoxe wie jenes, dass der Durch-
Entwicklung künftiger Generationen fördern (Science 350, S. 385 – 386, 2015). schnittsinder mit steigendem Wohl-
Ein interdisziplinäres Team japanischer Genetiker und Immunologen um Masahi- stand zwar mehr Geld fürs Essen aus-
to Ikawa von der Universität Osaka in Suita hat nun in einer Serie komplizierter Ver- gibt, dabei aber weniger Kalorien auf-
suche eine Möglichkeit herausgefunden, die männliche Fruchtbarkeit – genauer die nimmt. Nur in seinen Meinungsstücken
Geißeln der Samenzellen – vorübergehend durch einen Wirkstoff zu lähmen. Dabei lässt er die Folgerungen aus seinen For-
handelt es sich um einen so genannten Calcineurin-Inhibitor (Science 350, S. 442 – schungen deutlich aufscheinen.
445, 2015). Ein Paradebeispiel für die Konkavi-
Calcineurin ist ein Enzym, das eine entscheidende Rolle beim Auslösen und Steu- tät der Nutzenfunktion ist das Gesund-
ern von Immunreaktionen spielt. Entsprechend setzen Mediziner Hemmstoffe ge- heitswesen. Ein umverteilter Dollar
gen es ein, um nach Transplantationen eine Abstoßung des Fremdorgans zu unter- hebt die Gesundheit des Armen weit
drücken. Diese Substanzen beeinflussen aber nicht nur Immunreaktionen, sondern mehr, als er die des Reichen beeinträch-
unter anderem auch die Beweglichkeit von Samenzellen. tigt. Aus den Daten geht hervor, dass
Durch Versuche mit genetisch manipulierten Mäusen identifizierten die japani- Ungleichheit an sich nicht gesund-
schen Forscher einen in den Nebenhoden sitzenden Calcineurin-Komplex, ohne des- heitsschädlich ist, wohl aber die Armut.
sen Mitwirkung die Geißeln der Spermien nicht stark genug schwänzeln können, Die aber wächst in einem Land mit rei-
um in die Eizelle einzudringen. Wurde er gentechnisch ausgeschaltet, waren die Na- chem Durchschnitt wie den USA mit
ger unfruchtbar. In anderen Tierversuchen zeigte das Team, dass sich derselbe Effekt der rapide zunehmenden Ungleichheit
erreichen ließ, wenn man normalen Mäusen vier Tage lang bestimmte Calcineurin- an. Die logische Konsequenz aus die-
Inhibitoren verabreichte. Innerhalb einer Woche nach der Behandlung verschwand sem Befund ist eine allgemeine Kran-
die Trägheit der Spermien wieder – die Mäuseriche gewan- kenversicherung mitsamt dem einge-
nen ihre Fruchtbarkeit zurück. bauten Umverteilungseffekt. Aber bei
Mit dieser Entdeckung könnte eine Pille für den Mann in den Republikanern, die genau das in
greifbare Nähe rücken. Er nähme sie – wie das jetzt Frauen den letzten Jahren heftig bekämpft ha-
tun müssen – so lange ein, wie er verhüten möchte, und ben und für deren Bemühungen Dea-
käme durch einfaches Absetzen der Pille fast sofort wieder in ton starke Worte findet, gilt er damit
den Besitz seiner Zeugungsfähigkeit. Allerdings: Wie es mit schon fast als Sozialist.
möglichen Nebenwirkungen aussieht, muss sich erst noch
Michael Springer
erweisen. Christoph Pöppe ist Redakteur bei »Spektrum
der Wissenschaft«.
Jetzt
im Handel.
MOLEKULARBIOLOGIE
2 Gap Junctions bestehen oft aus mehr als 100 000 einzelnen Pro-
teinen. Trotz dieser Komplexität werden sie kontinuierlich ab-
und aufgebaut. Die sorgfältig gesteuerte Umstrukturierung ermög-
der abgeflachten Stellen angesammelt hatten. Wie sich spä
ter herausstellte, handelte es sich dabei um genau die Kanäle,
licht es Zellen, rasch auf Verletzungen oder Stress zu reagieren. aus denen sich die Gap Junctions zusammensetzen (siehe
Kasten »Auf- und Abbau von Gap Junctions«). Jeder Kanal be
3 Mutationen in den Genen, die für Gap-Junction-Proteine ko-
dieren, führen beim Menschen unter anderem zu Haut- und
Herzkrankheiten, Epilepsie und Schwerhörigkeit.
steht seinerseits aus so genannten Connexinen: Molekülen,
die zu einer Ende der 1980er Jahre entdeckten Proteinfamilie
gehören.
Zelluläre Kannibalen
Das vielleicht bemerkenswerteste Ergebnis unserer Untersu
chungen an lebenden Zellen war, dass manchmal große Teile
von Gap Junctions plötzlich verschwinden. Dabei beißt eine
der beteiligten Zellen quasi ein Stück aus ihrem Nachbarn 6 Die Lysosomen bauen die
heraus und »schluckt« die von beiden Zellen gelieferten ver Gap-Junction-Proteine in ihre
Einzelelemente, die Amino-
bindenden Komponenten auf einen Schlag. Diesen Mecha säuren, ab und setzen diese ins
nismus haben schon andere Forschergruppen anhand frühe Zytoplasma frei, wo sie zur
Herstellung neuer Proteine zur
rer elektronenmikroskopischer Aufnahmen vorgeschlagen. Verfügung stehen.
Das radikale Manöver könnte eine zuverlässige Methode dar
stellen, um die Kommunikation zwischen zwei Zellen rasch
abzubrechen, wenn diese nicht länger erwünscht ist. Eine
Connexin
solche Beseitigung von Gap Junctions im großen Stil erfolgt
beispielsweise nach einer Geburt in der Gebärmutter, um
EMILY COOPER
Golgi-
Apparat
Vesikel mit
Halbkanälen
Lysosom
Gap Junction
Connexosom
5 Zellen brechen immer wieder ganze
Blöcke (gelber Bereich) dieser Gap
Junctions ab und ersetzen sie durch
neuere Baueinheiten. Die entfern-
ten Abschnitte, die als Connexosome
bezeichnet werden, fusionieren mit
Lysosomen, den in der Zelle für die
Verdauung zuständigen Organellen.
Austausch
von Ionen
und kleinen
Molekülen
EMILY COOPER
len gelangen.
Neue Erkenntnisse dazu, wie sich Mutationen auf den Zu WEBLI N KS
sammenbau und das Verhalten von Gap Junctions auswirken, www.ScientificAmerican.com/may2015/gap-junctions
könnten zu besonders zielgerichteten Therapien führen, Hier können Sie sich zwei kurze Videos zur Funktion und zum Aufbau
die ohne schwer wiegende Nebenwirkungen helfen. Verän- von Gap Junctions ansehen.
dert etwa eine Mutation den Aufbau einer Gap Junction, nicht Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1372763
aber den Transport der Connexine zur Zellmembran, würden
32
NA
K
rankheitserreger fordern gerade Kindern viel ab. nen (den so genannten Antigenen) wieder. Die Körper-
Die Kleinen werden in Kitas und Schulen mit di- abwehr produziert daraufhin Waffen wie Antikörper, die zu
versen Viren und Bakterien konfrontiert, die für diesen Antigenen passen, und macht die Eindringlinge un-
ihr Immunsystem neu sind. Deshalb häufen sich schädlich.
bei vielen Kindern kurz nach Beginn des Kitabesuchs die In- Bei immer wiederkehrendem Kontakt mit Masernerre-
fekte. Erwachsenen ergeht es besser: Sie haben zahlreiche gern sollte die Widerstandsfähigkeit eines Menschen dage-
Kontakte mit unterschiedlichsten Erregern hinter sich und gen theoretisch zunehmen – die Aktivität entsprechender
dadurch Immunität gegen viele davon erworben. Antikörper im Blut müsste sich im Lauf des Lebens verstär-
Merkwürdigerweise besteht im Fall der Virusgrippe (In- ken. Untersuchungen an verschiedenen Altersgruppen ha-
fluenza) kein solcher Altersvorteil. Untersuchungen zur ben das tatsächlich bestätigt. Ein solches Verhalten kann
Grippepandemie von 2009 haben sogar ergeben, dass kleine man mathematisch simulieren. Die Modelle, die wir dabei
Kinder tendenziell am widerstandsfähigsten gegen die gera- erhalten, erlauben es nicht nur, beobachtete Phänomene zu
de kursierenden Erreger sind, während die Immunität bei reproduzieren, sondern wir können mit ihrer Hilfe auch bio-
Menschen im mittleren Erwachsenenalter zurückgeht und logische Vorgänge studieren, die sich auf Grund ihrer Kom-
erst bei Senioren wieder ansteigt. Obwohl Erwachsene also plexität oder aus ethischen Gründen kaum experimentell
öfter Kontakt zu Influenzaviren hatten als Kinder, reagiert darstellen lassen. Beispielsweise können wir untersuchen,
ihr Immunsystem auf eine Ansteckung schwächer. wie eine Infektionswelle die Immunität einer Population be-
Zwar kennen Biologen und Mediziner dieses Phänomen einflusst, ohne Menschen dem Erreger wirklich auszusetzen.
schon länger, aber was dahintersteckt, verstehen sie nur un- Im einfachsten epidemischen Modell teilt man eine Po-
zureichend. Anhaltspunkte liefern nun mathematische Mo- pulation in drei Gruppen ein. Die erste ist für die betrachte-
delle, mit denen sich verschiedene Aspekte der Körperab- te Infektion empfänglich und könnte noch erkranken, die
wehr simulieren lassen. An zweite ist bereits krank, die
ihnen untersuchen wir, wie dritte hat die Infektion über-
frühere Kontakte zu Grippe- Weil Grippeviren sehr variabel wunden und ist nun immun
viren die Immunantwort auf sind, lassen sich Infektionen mit dagegen. Mit solchen Mo-
neue Infektionen beeinflus- dellen untersuchten der Epi-
sen und welche Rolle das Al-
ihnen schwer simulieren demiologe Roy M. Anderson
ter dabei spielt. Indem wir und der Biologe und Physi-
mathematische Methoden mit epidemiologischen und me- ker Robert McCredie May in den 1980er Jahren, wie empfind-
dizinischen Daten verknüpfen, beginnen wir allmählich die lich verschiedene Altersgruppen gegenüber Krankheiten
genauen Abläufe der Immunitätsbildung zu durchschauen. wie den Masern sind. Dabei erkannten sie, dass die Immuni-
tät bei jüngeren Altersgruppen in der Realität schneller zu-
Die entscheidenden ersten Kontakte nimmt als nach den Drei-Gruppen-Modellen zu erwarten
Unsere Forschungsarbeiten untermauern die mehr als 50 Jah- wäre. Die Wissenschaftler vermuteten daher, dass Kinder
re alte, recht sonderbar anmutende Hypothese von der »An- dem Erreger öfter begegnen als Menschen anderer Alters-
tigenerbsünde« (englisch: original antigenic sin), wie Medi- gruppen, weil sie mehr soziale Kontakte haben als diese.
ziner sie nennen. Diese Hypothese hilft zu verstehen, wa- Und tatsächlich: Veränderten die Teams ihre Modelle in
rum Grippeviren, denen man als Kind begegnete, für die Richtung eines höheren Infektionsrisikos während des Kin-
Immunabwehr ungleich mehr zählen als spätere Erregerkon- desalters, passten die Simulationsergebnisse besser zu den
takte. Auch erklärt sie, warum einige Bevölkerungsgruppen Beobachtungen.
so unerwartet heftig von früheren Grippewellen betroffen
waren. Vielleicht erlaubt sie sogar Prognosen darüber, wie AUF EINEN BLICK
stark bestimmte Altersgruppen von neuen Epidemien be-
troffen sein werden und wie sich Grippeimpfungen verbes- ZU FRÜH FESTGELEGT
sern lassen.
Epidemiologen haben sich in ihren mathematischen Mo-
dellen bislang kaum mit Immunreaktionen auf Influenzavi-
1
Virale Infektionen können lebenslange Immunität gegenüber
dem jeweiligen Erreger verleihen, etwa im Fall der Masern. Bei
Grippeviren ist das anders: Sie mutieren häufig und treten daher
ren befasst, denn weil die Erreger sehr variabel sind, lassen von Jahr zu Jahr in neuen Varianten auf.
SCIENTIFIC AMERICAN, NACH: KUCHARSKI, A.J., GOG, J.R.: THE ROLE OF SOCIAL CONTACTS AND ORIGINAL ANTIGENIC SIN IN SHAPING
seltener krank. Das gilt allerdings nicht im und entsprechende erkennen. Sie bekämpft gebildeten – und somit
Fall der Influenza (Grippe). Zwar nimmt die Infektionen künftig die neuen Erreger mit aktuell angepassten –
THE AGE PATTERN OF IMMUNITY TO SEASONAL INFLUENZA. IN: PLOS COMPUTATIONAL BIOLOGY 8, E1002741, 2012, FIG. 2
zu verhindern. Antikörpern, die auf die Antikörpern gegen sie
Grippeimmunität während der Kindheit er Vorgängerviren zuge vorgeht. Dies verbessert
wartungsgemäß zu, sinkt aber im mittleren schnitten sind und jetzt den Immunschutz eben-
Lebensalter wieder ab. Eine mögliche Erklä nicht mehr so gut so wie die häufigen
wirken. Der Immun Impfungen, die Senioren
rung hierfür lautet, das Immunsystem eines
schutz sinkt. üblicherweise erhalten.
Erwachsenen sei von den Erregern seiner
Anzahl neuer Antikörper im Blut
Lebensalter
Ich habe mich mit zahlreichen Kollegen darüber ausge- denten der University of Michigan an Infektionen mit einem
tauscht, wie sich Immunitätsbildung modellieren lässt. Eine neuen, jedoch verwandten Influenzastamm. Als Francis die
von ihnen war die Evolutionsbiologin Andrea Graham von Immunität gegenüber den Viren des Impfstoffs mit jener ge-
der Princeton University in New Jersey, die mich mit dem genüber den neuen Viren verglich, stellte er fest, dass die Stu-
Konzept der Antigenerbsünde bekannt machte. Obgleich denten wirksame Antikörper besaßen, um die ersten zu atta-
umstritten, erschien es mir interessant genug, um es ver- ckieren, nicht aber die letzten.
suchshalber in unser Modell einzubauen. Ich war gespannt,
ob die Berechnungen dann realitätsnähere Ergebnisse lie- Mit alten Waffen gegen neue Feinde
fern würden. Diese merkwürdige Beobachtung versuchte Francis so zu er-
Der Begriff Antigenerbsünde spielt auf den Sündenfall klären: Das Immunsystem entwickle nicht für jedes neue Vi-
von Adam und Eva an, der all ihre Nachfahren belastet, und rus, mit dem es konfrontiert werden, eigene Antikörper. Son-
bezieht sich auf das erste Zusammentreffen eines unberühr- dern es bekämpfe Erreger, die bereits besiegten Eindringlin-
ten Immunsystems mit einem gefährlichen Pathogen. Das gen ähneln, mit dem gleichen Waffenarsenal wie diese.
Konzept besagt: Falls die Körperabwehr aus dieser Begeg- Virenstämme, die in der Vergangenheit zirkulierten, und die
nung siegreich hervorgeht, ist sie davon so stark geprägt, Reihenfolge, in der man sich mit diesen infizierte, könnten
dass sie auf jede weitere Infektion mit den gleichen Antikör- also einen großen Einfluss darauf haben, wie gut ein Mensch
pern reagiert. Selbst wenn, wie bei den Grippeviren, ein ver- spätere Varianten des Erregers zu bekämpfen vermag.
änderter Erreger erscheint, greift der Organismus zu den ur- In den 1960er und 1970er Jahren stießen Wissenschaftler
sprünglich bewährten Waffen, obwohl diese eigentlich nicht auf weitere Belege für dieses Phänomen. Seither haben ande-
mehr so recht passen. Nicht nur das, zudem scheint er die re Studien es wieder in Frage gestellt. 2008 untersuchten For-
Aktivität noch ungeprägter Immunzellen zu unterdrücken, scher der Emory University (Georgia, USA) die Antikörper-
die lernen könnten, spezifisch auf die neuen Erreger zu re- spiegel von gesunden, erwachsenen Freiwilligen, die gegen
agieren – uns das macht die eigentliche »Erbsünde« aus. Grippe geimpft worden waren, und stellten fest, dass deren
Als Erster stieß 1947 der amerikanische Virologe Thomas Immunsystem durchweg effektiv auf Virusinfektionen re-
Francis junior auf dieses Problem. Trotz eines groß angeleg- agiert. Ein Jahr später jedoch berichtete ein anderes Team
ten Grippeimpfprogramms im Jahr zuvor erkrankten Stu- derselben Universität, geleitet von dem Immunologen Joshy
Alle Jahre wieder lesen die Seuchenexperten in der Kristallkugel: wählter Impfstoff wirklich alle Typen abdecken könnte. Tatsäch
Welche Influenzasubtypen werden nächstes Jahr wahrscheinlich lich gibt es so etwas bereits: Seit ein paar Jahren kennt man so
am häufigsten zirkulieren – und müssen deswegen im neuen genannte breitneutralisierende Antikörper, die an viele unter
Impfstoff erfasst werden? Das Immunsystem reagiert auf Struk schiedliche Influenzaviren binden. Das können sie, weil sie an
turen am oberen Teil des Virusproteins Hämagglutinin (HA) – je eine Region der Virushülle andocken, in der sich die verschiede
nes Eiweißstoffs, für den das H in der Typbezeichnung der Viren nen Typen sehr stark ähneln. Dass man dieses Prinzip tatsächlich
steht. Diese Region aber unterscheidet sich nicht nur bei einzel
nen Subtypen, sondern verändert sich auch im Lauf der Zeit, und
so wird jedes Jahr eine neue Impfung gegen die Grippe fällig.
Theoretisch müsste das aber nicht sein. Bei allen Unterschie
den zwischen den Influenzaviren gibt es immer noch so viele Ge
meinsamkeiten ihrer Außenmoleküle, dass ein sorgfältig ge
CDC / DAN HIGGINS
für einen Universalimpfstoff nutzen kann, haben kürzlich die Er Ein zweites Team um Antonietta Impagliazzo vom niederlän
gebnisse zweier internationaler Arbeitsgruppen gezeigt. dischen Pharmaunternehmen Janssen verfolgte einen anderen,
Die breitneutralisierenden Antikörper lassen den variablen eher evolutionären Ansatz. Die Forscher veränderten das Hämag
Kopf des Hämagglutinins links liegen und halten sich an den so glutinin eines H1N1-Erregers einerseits gezielt in die gewünschte
genannten Stiel. Dieser Abstandhalter zwischen Kopf und Virus Richtung, andererseits erzeugten sie aber mit zufälligen Mutati
hülle ist nicht nur bei allen Influenzaviren erstaunlich ähnlich, er onen ganze Molekülfamilien, aus denen sie wiederum mit stiel
verändert sich zudem über evolutionäre Zeiträume kaum – das spezifischen Antikörpern die aussichtsreichsten Kandidaten her
perfekte Ziel für einen Impfstoff gegen alle Grippeviren. ausfilterten. Das Ergebnis hier war ebenfalls ermutigend: Mäuse,
Wissenschaftler müssen allerdings erst das Problem lösen, die mit dem Konstrukt behandelt wurden, erwiesen sich als ge
dass der Stiel für die normale Immunreaktion nur eine unterge schützt vor H1-Subtypen (zu diesen zählte unter anderem der Er
ordnete Rolle spielt, denn er ist im Gegensatz zum Kopf ver reger der spanischen Grippe) ebenso wie vor der Vogelgrippe
gleichsweise schlecht zu erreichen. Ein universeller Impfstoff H5N1. Auch Makaken, die damit immunisiert worden waren, ka
muss daher den Stiel besonders prominent präsentieren. Dafür men mit dem potenziell tödlichen Vogelgrippevirus besser zu
gibt es eine einfache Lösung: ab mit dem Kopf! Doch kürzt man recht. Zwar liegt ein künftiger Universalimpfstoff gegen die Grip
das Gen so, dass die kodierenden Abschnitte für den Kopf fehlen, pe immer noch in recht ferner Zukunft. Doch der Weg dorthin ist
ändert sich die Struktur des Stiels sehr stark. nun deutlich erkennbar.
Um das zu vermeiden, bauten Forscher um Barney Graham
von den National Institutes of Health in den USA das Protein Lars Fischer ist Chemiker und Mitarbeiter bei »Spektrum.de«.
nach und nach um. Mit einer einfachen Verbindung ersetzten sie
den Kopf, zusätzlich stabilisierten sie die Struktur mit einem neu
QUELLEN
eingebrachten Molekülteil. Mit Antikörpern, die auf den Stiel zu
geschnitten waren, prüfte Grahams Team nach jedem Schritt, ob Impagliazzo, A. et al.: A Stable Trimeric Influenza Hemagglutin
die Struktur intakt geblieben war. Nach mehreren Runden hatte in Stem as a Broadly Protective Immunogen. In: Science 349,
die Gruppe ein HA-Stiel-Konstrukt erhalten, das an Ferritinnano S. 1301 – 1306, 2015
Yassine, H. M. et al.: Hemagglutinin-Stem Nanoparticles
partikel gebunden sowohl Mäuse als auch Frettchen erfolgreich Generate Heterosubtypic Influenza Protection. In: Nature
vor dem Virussubtyp H5N1 schützte – obwohl das Ausgangsmo Medicine 21, S. 1065 – 1070, 2015
lekül von einem nur entfernt verwandten H1N1-Erreger stammte.
dem der Nachbarregionen unterscheidet – mit spezifischen worden waren. Ihre Daten unterstützen die Vorstellung einer
»blinden Flecken« der Körperabwehr. Schwere Infektions- hierarchischen Grippeimmunität. Jede neue Influenzainfek
wellen wie die in Liverpool könnten von solchen regionalty- tion lässt demnach die Spiegel verschiedener Antikörper ge-
pischen blinden Flecken verursacht worden sein. gen Stämme des Vorjahrs in die Höhe schießen. Das Immun-
Forschungsarbeiten über Grippeimmunität haben häufig system initiiert den Auswertungen zufolge stärkere Reaktio-
ziemlich spezielle Aspekte im Blick, etwa die Effektivität ei- nen gegenüber Viren, mit denen es früher konfrontiert wurde,
nes bestimmten Impfstoffs oder das Ausmaß der jährlichen und schwächere gegenüber später aufgetretenen Erregern.
Epidemie. Doch diese Probleme sind in Wirklichkeit nur Teil- Seit einigen Jahren arbeite ich mit dem FluScape-Team zu-
aspekte viel größerer Fragen: Wie entwickeln und bewahren sammen, um nach Mustern in dem Datenmaterial aus China
wir Immunität gegenüber Grippeviren und anderen Erre- zu suchen. Daraus könnten aufschlussreiche Hinweise er-
gern, die ihre Antigenausstattung laufend verändern? Kön- wachsen, wer gegenüber welchen Virenstämmen anfällig ist
nen wir besser verstehen, welche evolutionären Veränderun- und wie das auf die Evolution der Erreger zurückwirkt. Mit
gen Grippeerreger durchlaufen und wie sie sich ausbreiten? neuen Modellen und besseren Daten werden wir dann nach
Projekte wie die Studie »FluScape« in Südchina widmen und nach offenlegen, wie Individuen und Populationen ihre
sich diesen Fragen. Vorläufigen Ergebnissen zufolge, publi- spezifischen Grippeimmunitäten entwickeln. Ÿ
ziert von Justin Lessler von der Johns Hopkins Bloomberg
School of Public Health (USA), muss das Konzept der Antigen
DER AUTOR
erbsünde verfeinert werden. Laut den Forschern verhält es
sich nicht so, dass einfach der erste Virenstamm, mit dem Adam J. Kucharski forscht über die Epidemio
ein Individuum in Kontakt kommt, die Immunantwort be- logie von Infektionskrankheiten an der London
School of Hygiene and Tropical Medicine.
stimmt. Vielmehr scheint der Erwerb einer Grippeimmuni-
tät einer Hierarchie zu folgen. Die Wissenschaftler vermuten,
dem ersten Stamm, mit dem ein Mensch konfrontiert werde,
komme die wichtigste Position beim Prägen der Immunre-
aktion zu. Der zweite Stamm bringe dann eine etwas schwä-
QUELLEN
chere Antwort hervor, gefolgt von einer noch schwächeren
Reaktion auf den dritten und so weiter. Das Ganze gelte aber Kucharski, A. J. et al.: Estimating the Life Course of Influenza
A(H3N2) Antibody Responses from Cross-Sectional Data. In: PLoS
nur für stark wandlungsfähige Erreger wie eben Grippeviren.
Biology 13, e1002082, 2015
Da die Wissenschaftler der FluScape-Studie lediglich aktu- Kucharski, A. J. et al.: The Contribution of Social Behaviour to the
ell entnommene Blutproben analysierten, erlauben die Stu- Transmission of Influenza A in a Human Population. In: PLoS
dienergebnisse keinen Aufschluss darüber, wie sich die Anti- Pathogens 10, e1004206, 2014
Kucharski, A. J., Gog, J. R.: The Role of Social Contacts and Original
körperspiegel im Lauf der Zeit verändern. Im August 2013 je- Antigenic Sin in Shaping the Age Pattern of Immunity to Seasonal
doch untersuchten Forscher der Icahn School of Medicine at Influenza. In: PLoS Computational Biology 8, e1002741, 2012
Mount Sinai (New York City) eine Reihe von Blutproben, die
über 20 Jahre hinweg insgesamt 40 Personen entnommen Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1372760
2015, XIV, 442 S. 40 Abb. 2014, XVIII, 317 S. 2015, XXI, 210 S. 7 Abb.
Geb. 85 Abb. Geb. Geb.
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PFLANZENZUCHT
Köstliche Früchte
ohne Gentechnik
Oft sehen Obst und Gemüse zwar verlockend aus, doch der Geschmack
lässt zu wünschen übrig. Jetzt können Züchter ihn wieder in die Früchte
zaubern: mit genetischen Tricks – aber ganz ohne Gentechnik!
Von Ferris Jabr
D
as Obst und Gemüse in Supermärkten soll vor al- wird diese Kulturvarietät in Mittelamerika angebaut und in
lem das Auge ansprechen und allein durch das den Wintermonaten verkauft, wenn Melonen im Norden
Aussehen zum Kauf verleiten. Später sind wir oft nicht wachsen.
enttäuscht: Die Tomaten oder Erdbeeren schme- Auf herkömmliche Weise waren solche Zuchten bisher
cken fad und langweilig. Denn die Züchter haben Sorten ent- sehr langwierig und aufwändig. Bis man schließlich eine
wickelt, die lange Transportwege überstehen und sich einige Pflanze mit allen wesentlichen gewünschten Attributen er-
Zeit lagern lassen, ohne gleich zu verderben. Dadurch ging hält, können leicht zehn Jahre und mehr verstreichen. Auch
viel vom ursprünglichen Aroma und Geschmack verloren spielt dabei Zufall eine Rolle: In der Regel kreuzt man Kultur-
und leider auch vom Nährstoffgehalt. sorten miteinander, die einzelne der angestrebten Merkmale
Ein treffliches Beispiel hierfür sind Warzen- oder Canta- aufweisen. Danach gilt es abzuwarten, ob zumindest einige
loupemelonen, eine Kulturvarietät der Zuckermelonen. Voll- der Nachkommen bereits Früchte von insgesamt etwas güns-
reif geerntet und frisch gegessen schmecken sie köstlich, tigerer Qualität hervorbringen. Deren Samen werden dann
werden jedoch sehr schnell weich und matschig. Das liegt am weiterverwendet, die neuen Pflanzen wiederum mit anderen
Pflanzenhormon Ethylen, das die Reife herbeiführt – ein Pro- geeigneten Sorten gekreuzt und so fort.
zess, der nicht beim uns genehmen Stadium stoppt. Selbst Doch mittlerweile beschleunigen molekulargenetische
eisgekühlt halten sich diese Melonen nicht. Deswegen wur- Analyseverfahren den Zuchtprozess deutlich. Bei Monsanto,
den Sorten gezüchtet, die nur wenig Ethylen bilden und so- zu dem De Ruiter seit 2008 gehört, können Jeff Mills und sei-
mit haltbar sind. Allerdings bekommen sie auch nie das volle ne Kollegen bereits anhand der Samenkörner Eigenschaften
Aroma. der späteren Melonen vorhersagen. Zunächst hatten die For-
In den 1990er Jahren gelang den Züchtern jedoch ein Kom- scher mit Hilfe von genetischen Markern – charakteristi-
promiss: Dominique Chambeyron vom niederländischen schen DNA-Abschnitten – die Gene für den Geschmack und
Saatgutproduzenten De Ruiter erzeugte eine kleine gestreif- die Konsistenz von Melorange eingekreist. Nun können sie
te Cantaloupemelone namens Melorange, die nach der Ernte sie damit in den Samen aufspüren. Diese Durchmusterung
wochenlang fest bleibt und trotzdem schmeckt. Für die USA geschieht weitgehend automatisiert. Ein Roboter säbelt ein
winziges Scheibchen von einem Melonenkern ab – so wenig,
AUF EINEN BLICK dass dieser später trotzdem noch keimt. Weitere Geräte ex
trahieren aus der Probe DNA, markieren die relevanten gene-
NEUE IDEEN ZUM SAMENVERTRIEB tischen Sequenzen mit fluoreszierenden Molekülen und ver-
vielfältigen sie, so dass Messgeräte sie erkennen und somit
miteinander kreuzen und auf die Früchte warten kreuzen, aber schon die Samen werden genetisch analysiert
geschmackvoll
aromatisch
Die Qualität der Hybriden lässt sich erst bei der nächsten Ernte Wenn sich die entscheidenden Gene mit Markern
ermessen – oft erst im nächsten Jahr. Nur ein Teil der Pflanzen (bunte Kugeln) erkennen lassen, kann man sie
produziert die gewünschte Merkmalskombination (gelb). Mit den schon in Zellproben der Samen oder der Blätter
JEN CHRISTIANSEN
K
urz vor dem Dorf Ruthe rund 20 Kilometer süd- ten Raum und Zeit als starr und geometrisch unveränderlich
lich von Hannover biegt Emil Schreiber in einen gegolten. Von nun an dachte man sich diese beiden Größen
Feldweg ein, der auf das Forschungsgelände mit aber zu einem dynamischen und geometrisch verformbaren
dem Gravitationswellendetektor GEO600 führt. Raum-Zeit-Gefüge verwoben. Mehr noch: Zwei Massen treten
»Rechts in dem Straßengraben verläuft eine der beiden Mess- jetzt nicht mehr unmittelbar über die Schwerkraft mit
strecken unseres Detektors«, erklärt der Doktorand. Ange- einander in Wechselwirkung, wie es einst Sir Isaac Newton
kommen im Bürocontainer holt Schreiber eine Messkurve (1643 – 1727) beschrieb. Vielmehr verformt Materie in ihrer
auf den Computerbildschirm. »Hier sieht man die Erschütte- Umgebung die Raumzeit. Gerät ein anderer Körper in die
rung, die wir gerade eben verursacht haben, als wir mit dem Nähe dieser Raumzeit-»Delle«, wird er durch sie abgelenkt
Auto den kleinen Weg entlanggefahren sind.« Eigentlich sind und auf eine krumme Bahn gezwungen. Selbst Licht folgt der
die Forscher mit diesem Experiment aber auf der Suche nach neuen Geometrie. Und wann immer Materie in der Raumzeit
Gravitationswellen aus den Tiefen des Weltalls. ihren Bewegungszustand, also etwa die Richtung oder Ge-
Als der geniale Physiker Albert Einstein vor 100 Jahren die schwindigkeit ändert, vermag sie diese gar in Schwingungen
allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte, krempelte er zu versetzen, die sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Je
unsere Vorstellung vom Kosmos gewaltig um. Bis dahin hat- massereicher und kompakter die Objekte, umso stärker fällt
der Effekt aus. Dass solche Gravitationswellen existieren, fol-
gerte Einstein ein Jahr nachdem er die Grundlagen seiner
DIE SERIE IM ÜBERBLICK neuen Theorie veröffentlicht hatte. Der Physiker glaubte
FERDINAND SCHMUTZER, 1921 / PUBLIC DOMAIN [M]
Endspiegel
Endspiegel
Der Gravitationswellen
detektor GEO600 in Ruthe
Messstrecke bei Hannover ist unscheinbar
im Vakuum-
Messstrecke rohr in die ländliche Umgebung
im Vakuum- eingebettet. Hier haben
rohr
Büro- und Physiker neue Technologien
Laborcontainer
entwickelt, die nun auch
bei anderen Detektoren der
HARALD LÜCK, AEI
internationalen Kollabo-
ration zum Einsatz kommen.
Recycling). Laser
externe mechanische
Einflüsse weitestgehend
zu dämpfen.
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LISA Pathfinder – auf dem Weg zur Gravitationswellenastronomie im All
Gravitationswellen entstehen bei einer ganzen Reihe kosmischer gungen der Raumzeit vom All aus beobachten lassen. Bereits seit
Ereignisse. Die Wellenlänge beziehungsweise Frequenz und die rund 20 Jahren führen ESA und NASA gemeinsam Modellstudien
Intensität eines auf der Erde messbaren Signals hängen unter zu LISA durch: der Laser Interferometer Space Antenna. Allerdings
anderem davon ab, wie massereich und kompakt die beteiligten ist die NASA 2011 aus finanziellen Gründen aus der Kollaboration
Objekte sind. Des Weiteren wird die Signalstärke durch die Ent- ausgestiegen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass sie sich
fernung bestimmt, in der die Schwingungen der Raumzeit aus- mittelfristig wieder daran beteiligen wird.
gesandt werden. Gravitationswellen bei Frequenzen oberhalb
von zehn Hertz sollten sich mit den Detektoren der LIGO-Virgo- Für das weltraumbasierte Gravitationswellenobservatorium sol-
Kollaboration messen lassen, wenn sie stark genug sind. Das len drei Satelliten in einer Dreieckskonfiguration um einen so ge-
könnte zum Beispiel der Fall für Supernovae sein, die sich in der nannten Lagrangepunkt der Erde kreisen und sich dabei auf einer
Milchstraße ereignen, oder für zwei Neutronensterne oder stabilen Umlaufbahn um die Sonne bewegen. Die Seitenlänge
Schwarze Löcher von etwa Sternenmasse, die miteinander ver- des Dreiecks, also eines Messarms des Interferometers, beträgt
schmelzen und nicht weiter als rund 50 Millionen Lichtjahre ent- eine Million Kilometer. In den baugleichen Satelliten wird jeweils
fernt sind. Für größere Entfernungen reicht die Empfindlichkeit ein Gehäuse integriert sein, in dem eine Testmasse frei schwebt.
der bodengebundenen Instrumente nicht aus. Außerdem sind Zwei Laserstrahlen, die zwischen den Satelliten hin- und herlau-
die Messstrecken für deutlich niedrigere Frequenzen unterhalb fen, sollen nach dem Prinzip eines Interferometers die relative
von einem Hertz und damit für höhere Wellenlängen schlicht zu Abstandsänderung zwischen den Testmassen messen.
kurz. Hierzu bedarf es Detektoren, die irdische Dimensionen weit Dazu müssen die Testmassen in den Satelliten frei von jegli-
übersteigen. chen äußeren Störungen, vor allem auch von noch so kleinen
Einen Dauerhintergrund an Gravitationswellen bei so niedri- elektrostatischen Kräften des umgebenden Gehäuses schweben
gen Frequenzen sollten etwa Doppelsternsysteme mit Weißen können. Um dies zu bewerkstelligen, mussten die Physiker eine
Zwergen erzeugen, von denen es vermutlich zahlreiche in unse- völlig neue Technologie entwickeln, die bisher bei noch keiner
rer Milchstraße gibt. Bis weit zurück in die Vergangenheit dürfte Weltraummission zum Einsatz kam. Mit dem ESA-Satelliten LISA
sich außerdem das Echo von extrem massereichen Schwarzen Pathfinder, der Ende 2015 starten soll, wollen sie diesen Mecha-
Löchern aufspüren lassen, wenn die Kerne von zwei Galaxien im nismus sowie ein Modellsystem des gesamten Weltraum
jungen Kosmos miteinander verschmelzen. Und nicht zuletzt er- interferometers, komprimiert auf eine Größe von 40 Zentime-
hoffen sich die Wissenschaftler, die Geschichte des Universums tern, auf seine Funktionsfähigkeit hin überprüfen.
mit Gravitationswellen weiter zurückzuverfolgen, als es anhand Der Erfolg der Testmission wird, neben einem direkten Nach-
des elektromagnetischen Spektrums möglich ist. weis von Gravitationswellen mit den bodengebundenen Detek-
Um Gravitationswellen bei möglichst allen Frequenzen und toren in den nächsten Jahren, richtungsweisend für die Realisie-
aus dem gesamten Universum erfassen zu können, arbeiten die rung eines Gravitationswellenobservatoriums im All sein. Der
Physiker deshalb an einer Technologie, mit der sich die Schwin- Start von LISA ist derzeit für 2034 geplant.
befinden. Schwingen sie im Gleichtakt und addieren sich Wenn eine Gravitationswelle vorübergehend die Raum-
gleichzeitig zwei Wellenberge beziehungsweise zwei Wellen- zeit entlang der Detektorarme verzerrt, verändern sich die
täler, verstärkt sich die Lichtintensität: Es kommt zu konstruk beiden Messstrecken relativ zueinander geringfügig. Dann
tiver Interferenz. Treffen sie dagegen phasenversetzt aufein- treffen die beiden Lichtstrahlen in jeweils einer anderen Pha-
ander, löschen sich die Laserstrahlen ganz oder teilweise aus se aufeinander als zuvor, und die Stärke des Signalstrahls be-
und der Signalstrahl wird dunkler (destruktive Interferenz). ziehungsweise das Interferenzmuster ändert sich. Das Prin-
zip klingt einfach. Doch jede Menge Einflüsse aus der Um-
MEHR WISSEN BEI welt wie auch innerhalb des Detektors selbst rufen einen
ganz ähnlichen Effekt hervor. Das Problem dabei: Die irdi-
Unser Online- schen Störungen sind in der Regel um Größenordnungen hö-
her als jene, welche Gravitationswellen verursachen sollten.
DOMAIN
Dossier zum
Thema »Einstein« 1990 übernahm Karsten Danzmann die Leitung der Ar-
FERDINAND SCHMUTZER, 1921 / PUBLIC
finden Sie unter beitsgruppe, drei Jahre später ging er nach Hannover. Dort
baute er in Kooperation zwischen der Max-Planck-Gesell-
www.spektrum.de/ schaft und der Leibniz Universität Hannover gemeinsam mit
t/albert-einstein-und-die- Forschungseinrichtungen aus Großbritannien das Experi-
relativitaetstheorie ment GEO600 auf. Mittlerweile ist es in eine internationale
Kollaboration eingebunden. Ihr gehören noch zwei Detekto-
ASTRIUM UK
ren in den USA namens LIGO an, jeweils einer an der West- besser aber noch vier oder mehr Gravitationswellendetekto-
und einer an der Ostküste, sowie das französisch-italienische ren an verschiedenen Standorten. Und je weiter diese Stand-
Experiment Virgo in Cascina bei Pisa. Alle diese Instrumente orte auf dem Erdball auseinanderliegen, umso schwächere
funktionieren nach demselben Prinzip; die mit den verschie- Quellen werden sich orten lassen.«
denen Detektoren aufgenommenen Daten werten die Wis- Die Größe eines Gravitationswellenobservatoriums dieser
senschaftler der Kollaboration gemeinsam aus. Demnächst Bauweise bestimmt maßgeblich seine Messempfindlichkeit.
soll außerdem ein Detektor in Japan den Testbetrieb aufneh- Außerdem legt sie den Frequenzbereich fest, innerhalb des-
men, ein weiterer ist in Indien geplant. sen sich Gravitationswellen messen lassen. Die Exemplare in
Von dem Forschungsverbund profitieren alle Beteiligten: Amerika und Italien sind größer und damit leistungsstärker
Anhand einer Mehrfachmessung können sie überprüfen, ob als GEO600. Die beiden LIGO-Detektoren besitzen eine Mes-
ein Signal tatsächlich aus dem All stammt oder irdischen Ur- strecke von vier Kilometern, Virgo bietet drei Kilometer. Da-
sprungs ist. Vor allem aber lassen sich auch Himmelsposi gegen kann GE600 nur mit 600 Metern aufwarten. Dennoch
tion und Entfernung einer Quelle nur im Zusammenschluss spielt der Hannoveraner Detektor eine wesentliche Rolle in
mehrerer Messgeräte bestimmen. »Das ist wieder ähnlich dem Forschungsverbund. Ursprünglich gar nicht dafür kon-
wie beim Hören«, erläutert Danzmann. »Wir benötigen beide zipiert, selbst Gravitationswellen zu messen, fungiert er seit
Ohren, um feststellen zu können, aus welcher Richtung ein jeher als Testlabor und Ideenschmiede. Physiker und Ingeni-
Geräusch kommt. Mit Gravitationswellen ist das noch ein eure entwickeln dort gemeinsam neue Technologien, testen
wenig komplizierter. Hierzu benötigen wir mindestens drei, deren Funktionsfähigkeit und machen sie anwendungsreif.
Phasenübergang vom flüssigen in den sehen die Sache anders. Sie betrachten
festen Zustand. Das steht im krassen die Gesamtheit der Stoffe und stellen
Widerspruch zur schlichten Schulweis- fest: Wasser verhält sich abweichend.
heit, wonach Wasser bei Unterschreiten Für ein einfaches Experiment kann
des Gefrierpunkts von null Grad Celsius man ein kleines Gefäß, zum Beispiel
erstarrt und in Eis übergeht. Es ist dann den Verschluss einer Getränkeflasche,
eine an Glas erinnernde feste Substanz – randvoll mit flüssigem Kerzenwachs
und sonst nichts. füllen und warten, bis es erstarrt ist.
Schon bei der eigenen Herstel- Das Volumen hat dann abgenommen,
lung von Eiswürfeln im Gefrierschrank und die Oberfläche des festen Wachses
kann man einige Überraschungen er ist konkav nach unten gedellt.
leben. Sei es, dass sie manchmal mit Bei Wasser ist es umgekehrt, das Eis
zapfenförmigen Auswüchsen versehen überwölbt das Gefäß (Bild unten). Das
sind (siehe »Eiszapfen, die gen Himmel liegt daran, dass Wasser seine größte
wachsen«, SdW 3/2011, S. 38), oder, dass Dichte bei vier Grad Celsius besitzt. So-
heißes Wasser erstaunlicherweise oft bald diese Temperatur unterschritten
schneller erstarrt als kaltes (»Das Rätsel
von Mpemba«, SdW 9/2015, S. 40). Von
H. JOACHIM SCHLICHTING
all dem ist im Physikunterricht übli- Wachs (links) und die meisten anderen
cherweise nicht die Rede. Dabei handelt Stoffe ziehen sich beim Erstarren zu
es sich bei den Phänomenen nicht etwa sammen, Wasser (rechts) dehnt sich hin-
um bloße Launen der Natur. Zwar spielt gegen aus.
Kristallstrukturen unterhalb der Eisschicht der Zufall bei der Kristallbildung eine
einer zugefrorenen Pfütze. Bei einem wesentliche Rolle, aber er ist eingebun-
derart komplexen Formengewirr ist es – den in zwangsläufige Vorgänge, und
ohne die Randbedingungen des Frost
H. JOACHIM SCHLICHTING
wird, dehnt es sich aus (»Anomalie des her entsteht so allmählich ein keil daran gestreute Licht als mehr oder we-
Wassers«). Das hat außerdem zur Folge, förmiger Hohlraum. An der Grenzlinie niger strukturiertes, oft ästhetisch an-
dass das kühlere Wasser nach oben zwischen Wasser, Luft und Eis bildet sprechendes Muster sichtbar (siehe Bil-
steigt und bei null Grad an der Ober sich wegen der guten Benetzbarkeit der ganz links).
fläche erstarrt. Andere Flüssigkeiten ge- von Eis ein Meniskus, der bei sinkender Zuletzt kann ein weiterer, häufig an-
frieren von unten her, da ihre kältesten Temperatur, also meistens nachts, zu zutreffender Effekt dadurch entstehen,
Bereiche dichter werden und absinken. einem Eiswulst gefriert. Er hält das Was- dass sich die Temperatur insbesondere
Obwohl sich eine ungestörte Pfütze ser noch einige Zeit lang fest, auch bei starker Sonneneinstrahlung in dem
normalerweise mit einer nach außen wenn sich der Schwund kontinuierlich Hohlraum wie in einem Treibhaus stark
hin glatten Eisschicht überzieht, kann fortsetzt. Hat sich dann der Pfützen erhöht. Dabei wird die Eisdecke teilwei-
man an der Unterseite, also zum noch inhalt so stark verringert, dass schließ- se von unten angeschmolzen, und der
nicht gefrorenen Wasser hin, oft auffälli- lich die Verbindung zwischen Wasser so entstehende Wasserfilm zieht sich
ge Muster erkennen – etwa helle, manch- und Eis reißt, stellt sich abermals eine stellenweise zu Tropfen zusammen, die
mal fast kreisförmig geschwungene Gleichgewichtslage ein. An der neuen darunter hängen bleiben und gelegent-
Streifen, die meist ungefähr um das Grenzschicht bildet sich bei wieder fal- lich den Durchmesser von einer Ein
Zentrum der Pfütze herum angeordnet lender Temperatur der nächste ringför- euromünze annehmen. Wenn die Son-
sind. Trennt man eine Scholle heraus, so mige Eisvorsprung. Das kann sich je ne untergeht und die Temperatur wie-
entpuppen sich diese Streifen als mehr nach Wetterlage und sonstigen Um- der unter den Gefrierpunkt sinkt, wer-
oder weniger deutlich ausgeprägte Erhe- ständen mehrmals wiederholen. den sie fest. In den erstarrten Trop-
bungen oder Wülste auf der Eisschicht. fen bleibt manchmal eine feine helle
Der sich aufdrängende Vergleich mit Unter dem Eisdach Musterung zurück. Sie kommt von der
Jahresringen ist insofern nicht abwegig, Solange die Eisschicht das Pfützen ursprünglich im Wasser gelösten Luft,
als sie eine zeitliche Entwicklung doku- wasser berührt, ist sie völlig transpa- die in feinen Hohlräumen gefangen
mentieren: Sie bilden sich, wenn die Eis- rent und erlaubt manchmal den Durch- bleibt und durch die Lichtstreuung
schicht den Kontakt zum Wasser ver- blick auf den Grund. Zieht sich aber sichtbar wird. Ÿ
liert, aus dem sie hervorgegangen ist. die Flüssigkeit zurück und hinterlässt
Zwar versiegelt das Eis die Oberflä- einen feuchtigkeitsgesättigten Hohl-
DER AUTOR
che, so dass kein Wasser mehr verduns- raum, entsteht so etwas wie ein meteo-
tet, es kann aber nach wie vor weiterhin rologischer Mikrokosmos. Je nach den H. Joachim Schlichting
im Boden versickern. Da die feste Eis- Temperaturverhältnissen können sich war Direktor des In-
schicht die Flüssigkeit darunter isoliert, darin Konvektionswirbel bilden und stituts für Didaktik der
Physik an der Uni-
kühlt der feuchte Boden langsamer ab Wasserdampf in Kontakt mit dem kal- versität Münster. 2013
und erstarrt nicht so schnell, was das ten Eis bringen. Abhängig von der Kom- wurde er mit dem
Versickern sogar noch unterstützt. plexität der Vorgänge und der mikros- Archimedes-Preis für
Physik ausgezeichnet.
Wenn der Füllstand unter der Eis kopischen Topologie der Eisfläche kann
decke abnimmt, sinkt sie durch ihr ei- der Dampf an der Eisschicht kristalli
genes Gewicht in der Mitte ein wenig sieren und sie von unten mit Raureif Dieser Artikel und Links im Internet:
ein und von den Rändern der Pfütze überziehen. Dieser wird dann durch das www.spektrum.de/artikel/1372768
A
nfang des 20. Jahrhunderts zeigten Physiker, Und nicht nur in Protonen und Neutronen stecken
dass Atome ihren Namen zu Unrecht tra sie. Große Beschleuniger produzierten im letzten hal
gen. Die nach dem griechischen Wort für ben Jahrhundert eine Vielzahl von Teilchen aus ver
»unteilbar« bezeichneten Objekte ließen schiedensten Kombinationen von Quarks und Anti
sich in noch kleinere Materiebausteine spalten: Elektro quarks. Physiker fassen sie alle unter dem Begriff »Ha
nen sowie Protonen und Neutronen. Später stellte sich dronen« zusammen.
heraus, dass die beiden Letzteren ihrerseits aus weite Wie Quarks mit Gluonen prinzipiell wechselwirken,
ren Teilchen bestehen, den Quarks. So genannte Gluo können Theoretiker inzwischen beschreiben. Trotz
nen – angelehnt an den englischen Begriff für Kleb dem fällt es ihnen schwer zu erklären, wie sich daraus
stoff – binden diese Quarks aneinander. Beide Teilchen die komplette Bandbreite der Eigenschaften von Had
arten sind nach heutigem Wissen nicht weiter spaltbar. ronen ergibt. Addiert man beispielsweise die Massen
Laut Experimenten, die einen Blick in das Innere von Quarks und Gluonen innerhalb eines Protons, so
von Protonen und Neutronen erlauben, bestehen die erhält man weniger als dessen Gesamtmasse. Wo also
Kernteilchen (Nukleonen) aus je drei Quarks, zwischen kommt der zusätzliche Betrag her? Außerdem ist im
denen sich eine schwankende Zahl von Gluonen befin mer noch unklar, wie Gluonen überhaupt Quarks an
det. Hinzu kommen noch Paare aus Quarks und ihren einander binden. Und schließlich versteht noch nie
Antiteilchen, die ständig auftauchen und wieder ver mand, wie die gemessene Eigendrehung eines Pro
schwinden. tons – eine als Spin bezeichnete Größe – sich aus den
Spins der einzelnen Quarks und der Gluonen ergibt.
Wie bei der Masse führt auch hier eine simple Addition
AUF EINEN BLICK
nicht zum richtigen Ergebnis.
Erst, wenn die Physiker diese Probleme gelöst haben,
SUBATOMARE SPUKGESTALTEN
können sie anfangen zu begreifen, wie Materie auf
1 Die Atomkerne bestehen aus Quarks, die mittels Gluo-
nen aneinanderhaften. elementarer Ebene funktioniert. Laufende und künf
tige Forschungsarbeiten, darunter Untersuchungen
2 Die Wechselwirkung beider Teilchenarten unterliegt
noch nicht vollständig verstandenen, komplizierten
Regeln. Unklar ist insbesondere, wie Quarks und Gluonen
exotischer Konfigurationen von Quarks und Gluonen,
könnten mit etwas Glück dabei helfen, den Schleier zu
die Masse und den Spin von Protonen und Neutronen lüften.
erzeugen.
Die Frage nach dem Ursprung der Masse ist über
zum Thema ist das Gluon dasjenige der starken Wechselwirkung (siehe
»Teilchenphysik « Kasten »Der Teilchenbausatz«).
MICHAEL HOCH UND MAXIMILIEN
finden Sie unter Doch die starke Kraft funktioniert mitunter überra
schend. Gemäß quantenmechanischer Regeln ist die Reich
www.spektrum.de/ weite einer Wechselwirkung mit der Ruhemasse ihres Träger
t/teilchenphysik teilchens verknüpft: Je leichter es ist, desto größer ist sie. Die
elektromagnetische Kraft hat wegen der masselosen Photo
nen beispielsweise eine unendliche Reichweite. Ein freies
durch das Higgsboson, einem 2012 am Large Hadron Colli Elektron auf der Erde spürt – jedenfalls im Prinzip – eine
der aufgespürten Teilchen, und dem damit verbundenen leichte Abstoßung durch ein Elektron auf der erdabgewand
Higgsfeld, das den gesamten Raum erfüllt. Wenn ein Teil ten Seite des Mondes. Im Gegensatz dazu reicht die starke
chen sich hindurchbewegt, wechselwirkt es mit ihm und er Wechselwirkung nicht über den Atomkern hinaus. Demnach
hält so Masse. Häufig liest man, dieser Higgsmechanismus sollten Gluonen sehr viel Masse besitzen – und doch müssen
sei die Ursache der Masse des sichtbaren Universums. Doch sie der Theorie zufolge masselos sein.
das stimmt so nicht: Die Masse der Quarks trägt nur zwei Seltsam ist außerdem, dass die Anziehungskraft zwischen
Prozent zu derjenigen von Protonen und Neutronen bei. Die zwei Quarks wächst, wenn der Abstand zwischen ihnen grö
anderen 98 Prozent stammen, so vermuten Teilchenphysi ßer wird. Die elektromagnetische Kraft hingegen nimmt mit
ker, von den Gluonen. Doch wie diese den gewaltigen Bei dem Abstand ab. Experimente am Stanford Linear Accelera
trag leisten, ist erst einmal nicht so klar – denn sie sind tor Center in den USA (heute das SLAC National Accelerator
selbst masselos. Laboratory), bei denen energiereiche Elektronen auf Proto
nen trafen, lieferten in den 1960er Jahren erstmals Beweise
Nukleonenmasse durch für die Existenz der Quarks. Manchmal gingen die Elektro
Bewegung und Bindung nen nicht durch die Protonen hindurch, sondern trafen auf
Einen Schlüssel zur Lösung des Rätsels liefert Einsteins be einen festen Widerstand – ein Quark – und prallten zurück.
rühmte Gleichung E = mc 2, die mit Hilfe der Lichtgeschwin Aus den Richtungen und den Geschwindigkeiten, mit der die
digkeit c eine Beziehung zwischen der Ruhemasse m und der Elektronen zurückgeworfen wurden, konnten die Forscher
Energie E eines Teilchens herstellt. Wir müssen also die Ge auf die Anwesenheit und die Anordnung der Teilchen im
samtenergie der Gluonen bestimmen, wenn wir die Masse Inneren der Protonen schließen. Diese »tiefinelastisch« ge
des Protons ermitteln wollen. Sie zu berechnen ist jedoch ein nannten Streuexperimente zeigten den Physikern, dass
schwieriges Unterfangen. Wären die Gluonen nicht an ande Quarks sich bei kurzen Abständen nur schwach anziehen. Bei
re Partikel gebunden, wäre das einfach die Bewegungsener großen Abständen waren jedoch keine freien Quarks zu fin
gie. Quarks und Gluonen lassen sich jedoch nicht isoliert ver den, was wiederum auf eine sehr starke Anziehungskraft
messen. Sie haben als freie Teilchen eine unvorstellbar kurze deutete.
Lebensdauer von Billionsteln einer billionstel Sekunde, dann Ein anschauliches Bild für dieses seltsame, »Confine
sind sie bereits wieder Bestandteil eines neuen gebundenen ment« genannte Verhalten ist eine Art Gummiband, das zwei
Zustands und damit vor direkten Beobachtungen abge Quarks zusammenhält. Sind die beiden nahe beieinander, so
schirmt. Zudem steckt die Energie der Gluonen nicht nur in zieht es die Teilchen nur schwach aufeinander zu. Ist der Ab
ihrer Bewegung, sondern auch in der Bindung, die aus ihnen stand zwischen ihnen groß, so ist das Band straff gespannt
und den Quarks Teilchen mit längerer Lebensdauer macht. und übt eine große Kraft aus. Die starke Wechselwirkung zwi
Um das Geheimnis der Masse zu lüften, müssen wir also zu schen zwei Quarks zieht bei einem Abstand von der Größe ei
nächst einmal verstehen, wie Gluonen als subatomarer Kleb nes Protons mit der Gewichtskraft von 16 Tonnen. Bei diesen
stoff wirken. Doch auch das ist kompliziert. Größenordnungen reißt das Band. Neue Teilchenpaare ent
Auf den ersten Blick ist die Antwort auf die Frage, wie Glu stehen und verbinden sich mit den vorhandenen. Wie das
onen Quarks zusammenhalten, einfach: mit der so genann passiert, ist ein weiteres Mysterium und spielt eine wichtige
ten starken Wechselwirkung. Doch diese Kraft ist selbst ein Rolle bei der Frage, warum Gluonen das Innere von Atomker
Rätsel. Sie ist neben der Gravitation, dem Elektromagnetis nen zusammenhalten, aber nicht darüber hinaus wirken.
mus und der schwachen Wechselwirkung eine der vier fun In den 1970er Jahren entwickelten Physiker die Quanten
damentalen Naturkräfte. Von diesen ist sie bei Weitem die chromodynamik, kurz QCD. Diese Theorie beschreibt mathe
stärkste – daher ihr Name. Sie bindet nicht nur Quarks zu Ha matisch die starke Wechselwirkung. Ganz ähnlich wie die
dronen, sondern auch Protonen und Neutronen zu Atomker elektromagnetische Kraft von elektrischen Ladungen aus
nen. Dabei überwindet sie die gewaltige elektromagnetische geht, geht die starke Wechselwirkung gemäß der QCD von ei
kann sich vorübergehend in ein Paar aus Quark und Anti nen. Gluonen zählen zu den Bosonen (rechter Block),
Name des
quark oder in eines aus Gluonen verwandeln, um dann wie welche die Naturkräfte übertragen (mit Ausnahme des Teilchens
der zu einem einzelnen Gluon zu werden. Die erste dieser Higgs-Bosons). Sie sind die Träger der stärksten der
beiden Fluktuationen verstärkt die Wechselwirkung zwi Wechselwirkungen. Diese bindet die Quarks in Pro Masse (in Mega-
schen Farbladungen, die zu einem Gluonenpaar dagegen tonen und Neutronen aneinander. Neben den Boso- elektronvolt)
schwächt sie ab. Da Gluonenoszillationen in der Quanten nen gibt es noch die Fermionen (linker Block), zu denen
chromodynamik häufiger auftreten als solche zu Quark und die Leptonen wie etwa das Elektron sowie die Quarks
Antiquark, tragen sie den Sieg davon. Für diese Entdeckung gehören. Von diesen gibt es sechs Typen, Flavours ge-
erhielten David Gross, Frank Wilczek und David Politzer 2004 nannt. In der Natur kommen jedoch nur »Up« und
den Physiknobelpreis. »Down« häufig vor – als Bausteine von Protonen und –1 0
Neutronen. Photon
Eine unhandliche Theorie (Elektroma-
gnetismus)
Über Jahrzehnte hinweg haben Experimente in aller Welt die Generation I Generation II Generation III
QCD als eine wichtige Säule des Standardmodells der Physik 0
bestätigt. Trotzdem sind immer noch viele Details dieser 1/2 +2/3 1/2 +2/3 1/2 +2/3
1 0
Theorie mysteriös. So trägt jedes Quark in einem Proton eine
Up Charm Top Gluon
individuelle Farbladung – und trotzdem ist das Proton insge (starke
samt farbladungsneutral. Auch beispielsweise in einem Had Kraft)
2,3 1 275 ~173 500
Quarks
schen Ladungsneutralität von Atomen. Während Letztere je Down Strange Bottom
(schwache
doch einfach daraus folgt, dass sich die positiven Ladungen Kraft)
FERMIONEN
der Protonen und die negativen Ladungen der Elektronen 4,8 95 4 180
91 188
ausgleichen, bleibt es ein Rätsel der QCD, wie genau sich far
1/2 0 1/2 0 1/2 0
bige Quarks und Gluonen immer zu farblosen Hadronen zu 1 ±1
sammenfügen. Elektron- Myon- Tau- W-Boson
Neutrino Neutrino Neutrino (schwache
Die QCD sollte außerdem eine Erklärung dafür liefern, wie
Kraft)
Atomkerne trotz der starken elektromagnetischen Absto
< 0,000002 < 0,19 < 18,2
Leptonen
erweist es sich als große Herausforderung, die Kernphysik 1/2 –1 1/2 –1 1/2 –1
aus der QCD herzuleiten. Das Problem liegt in der schier un 0 0
Elektron Myon Tauon
überwindlichen Schwierigkeit, die Gleichungen für die gro Higgs-
Boson
ßen Abstände zu lösen, bei denen die Wechselwirkung zwi
MOONRUNNER DESIGN
schen Quarks und Gluonen sehr stark wird. Weiterhin fehlt 0,511 105,7 1 776,8
~125 000
uns eine Antwort auf die Frage, wie aus der Theorie das Con zunehmende Fermionenmasse
finement folgt, also die Gefangenschaft von Quarks und Glu
Quantenschaum
Quark
Kern
Proton
Quarks
Das Innere eines Protons
oder Neutrons ist dyna-
misch: Zusätzlich zum
altbekannten Trio gibt es
einen See aus Quarks,
Antiquarks und Gluonen,
die ständig entstehen und
vergehen.
Bahnbewegungen.
a b c Anti-Charm-
Quark
Anti-Up-
Gluonen- Charm Quark
ball
Up-Quark
Up-Quark
Anti-Up-Quark
Gesättigter Zustand
Beschleunigt man Protonen und Neutronen auf hohe Geschwindigkeiten, so vervielfacht sich die Zahl ihrer
Gluonen. Dabei spalten sie sich fortlaufend in Tochterpaare auf, von denen jeder Partner etwas weniger Ener-
gie besitzt. Schließlich erreicht das Proton oder Neutron eine Grenze maximaler Besetzung – mehr Gluonen
passen nicht hinein. Dieser theoretisch vorhergesagte Zustand wird als Farb-Glas-Kondensat bezeichnet. Teil-
chenbeschleuniger haben zwar deutliche Hinweise auf seine Existenz geliefert, aber ein eindeutiger Beweis
steht noch aus.
zunehmender Impuls Farb-Glas-Kondensat
?
MOONRUNNER DESIGN
Der abgebildete ALICE-Detektor ist Teil des Large Hadron Collider im CERN bei Genf. Bei diesem
Experiment versuchen Teilchenphysiker, mit kollidierenden Bleikernen einen Zustand extremer
Dichte und Temperatur zu erzeugen, in dem sich Quarks und Gluonen frei bewegen können.
nen und Neutronen extrem, so spalten sich die Gluonen in heute erreichen, können Aufschluss über diesen dichten, ex
ihrem Inneren in Paare auf, von denen jedes Gluon weniger tremen Gluonenzustand liefern. Ist die Wechselwirkung, wel
Energie besitzt als das ursprüngliche. Jedes dieser Produkte che die Anzahl der Gluonen im Farb-Glas-Kondensat be
erzeugt weitere Paare mit noch weniger Energie. Theore schränkt, dieselbe, die auch die Nukleonen zusammenhält?
tisch geht dieser Prozess ewig fort – aber wir wissen, dass das In diesem Fall könnte die Beobachtung in zwei ganz verschie
nicht der Fall ist. Denn wenn die Gluonen sich immer weiter denen Zusammenhängen neue Erkenntnisse darüber er
aufspalten würden, wäre das Proton nicht stabil; es würde möglichen, wie die Gluonen diese Kraft erzeugen.
kollabieren. Da Materie aber offensichtlich recht haltbar
ist, muss etwas diese Kettenreaktion unterbrechen. Ein Lö Woher kommt
sungsansatz ist eine maximale Besetzungszahl für Gluonen der Spin des Protons?
in Protonen. Dabei werden sie so viele, dass einige den glei Ein weiteres Rätsel ist, wie sich der Spin der zusammenge
chen Raum einnehmen müssten. Die Teilchen stoßen sich setzten Teilchen aus demjenigen der einzelnen Quarks und
dadurch ab, und die weniger energiereichen unter ihnen Gluonen ergibt. Alle Hadronen besitzen einen solchen quan
verschmelzen zu Gluonen mit mehr Energie. Das führt tenmechanischen Drehimpuls, anschaulich vergleichbar
schließlich zu einem Gleichgewicht. mit dem eines rotierenden Körpers. Beispielsweise bewegen
Dieser gesättigte Gluonenzustand wird auch als Farb- sich Teilchen mit unterschiedlichem Spin in einem Magnet
Glas-Kondensat bezeichnet. Er wäre eine Art Essenz der feld in verschiedene Richtungen.
stärksten Kräfte im Universum, bleibt vorerst jedoch nur Experimente zeigen, dass Quarks etwa 30 Prozent des
eine Vermutung. Bislang haben Forscher erst wenige experi Spins eines Protons erzeugen. Woher kommt der Rest? Das
mentelle Hinweise auf seine Existenz, und sie verstehen sei Bild eines Protons als schäumender Teilchensee aus Quarks
ne Eigenschaften keineswegs vollständig. Erst tiefinelasti und Gluonen legt sofort Letztere als weitere Verursacher
sche Streuexperimente mit noch höheren Energien, als wir nahe. Doch Versuche ergaben, dass nur etwa 20 Prozent des
Die Urahnen
der großen Mythen
Anthropologen und Ethnologen analysieren Märchen, Mythen und Sagen,
um Entwicklungslinien aufzudecken. Mit den Algorithmen von Genetikern
verfolgen sie die Evolution der »Mythenfamilien« bis in vorgeschichtliche
Zeit – und rekonstruieren deren Urformen.
Von Julien d’Huy
E
inst begehrte Zeus, der Herr des Olymps, die schöne der ob-ugrischen Tradition verfolgt der Jäger einen Elch, re-
Nymphe Kallisto. Diese gehörte aber zum Gefolge der präsentiert durch unseren Großen Bären. Eine solche »Kosmi-
Jagdgöttin Artemis und war daher zur Keuschheit sche Jagd« kennen auch Völker in Afrika und in der Neuen
verpflichtet. Doch Zeus näherte sich der Nymphe in Welt. Bei den Irokesen im Nordosten Amerikas etwa jagen
der Gestalt ihrer Herrin. Zu spät erkannte Kallisto den Betrug. und verwunden drei Jäger einen Bären. Dessen Blut färbt die
Sie vermochte sich des mächtigen Gottes nicht zu erwehren, Blätter des Herbstwalds. Doch das Tier erklimmt einen Berg
und so nahm das Schicksal seinen Lauf: Die Schwangere wur- und springt von dort an den Himmel. Bär und Jäger ver-
de von Artemis verstoßen und nach der Niederkunft noch schmelzen daraufhin zum Sternbild des Großen Bären.
von Hera, der eifersüchtigen Gattin des Zeus, in eine Bärin
verwandelt. Eines Tages stieß sie auf ihren Sohn Arcas, aus Projektionsfläche Sternenhimmel
dem ein mutiger Jäger geworden war. Als der sich anschickte, Dass Menschen am Sternenhimmel Gestalten wahrnehmen,
die vermeintliche Bestie zu töten, griff Zeus ein und versetzte ist eine Eigenheit unseres kognitiven Systems, die wohl einen
beide als Sternbilder an das nächtliche Firmament. Wir ken- Überlebensvorteil bot: Wer ein im Blattwerk des Urwalds
nen sie unter den Namen Großer und Kleiner Bär. verborgenes Raubtier ausmachte, konnte sich in Sicherheit
Diese dramatische Erzählung aus der griechischen und bringen. Dass manche Kulturen andere Konstellationen mit
römischen Antike klingt überraschenderweise auch in vielen den jeweiligen Beutetieren identifizierten, verwundert nicht
Mythen anderer Völker der Welt an. Die in Sibirien lebenden weiter. Interessant ist die bei allen Variationen auffallende
Tschuktschen etwa deuten das Sternbild des Orion als einen grundlegende Struktur: Ein Jäger verfolgt oder erlegt ein
Jäger, der ein Rentier verfolgt. Es entspricht dem einem »W« Tier; beide werden zu Sternbildern. Viele Forscher betrachten
gleichenden Sternbild, das im Westen Kassiopeia heißt. In daher die verschiedenen Erzählungen als Vertreter einer
weltweiten Mythenfamilie: der »Kosmischen Jagd«.
Eine nahe liegende Erklärung dieses Phänomens wäre
AUF EINEN BLICK
eine universelle Eigenschaft der menschlichen Psyche, die
eine solche Geschichte als Erklärung der kosmischen Kons-
COMPUTERANALYSE URALTER LEGENDEN tellationen bei Jäger-und-Sammlervölkern geradezu zwin-
Evenki 3
Chanten
Samen Eurasien
Evenki 1
ob-ugrische Völker
Evenki 2
Basken 1
Basken 2
Twana Nordwestamerika
Snohomisch
griechische Antike 1 – Hesiod
griechische Antike 2 – Ovid Eurasien
griechische Antike 3 – Pseudo-Apollodorus
griechische Antike 4 – Pausanias
Ojibwa 1 Nordostamerika
Ojibwa 2
Nlaka’ Parnux Nordwestamerika
Lillooet
Cœur d’Alène Seneca
Micmac Nordostamerika
Mesquakie
Mohawk
Lenape
Wasco Nordamerika
Copper-Inuit
Île de Baffin Nordamerika
Natsilik-Inuit
Inughuit
Iglulik
Tuareg 1 Afrika
Tuareg 2
Samen Eurasien
Tschuktschen
Nordwestamerika
Chilcotin
Kali’na Südamerika
Mohave Akawaio Südwesten
Chemehuevi von
POUR LA SCIENCE [M], NACH: JULIEN D’HUY
Marikopa Nordamerika
Kiliwa
Karanga Afrika
Tswana
Rutul Eurasien
Wagogo
Khoïkhoï Afrika
Computeralgorithmen ermittelten die wahrscheinlichsten Ab- ner Mutter geheilt. Mit Hilfe einer Krücke macht er sich daran, die
stammungslinien der weltweit vorkommenden Versionen der Liebenden zu verfolgen, und holt sie ein. Er hackt dem Tapir den
»Kosmischen Jagd« (Abbildung links). Ein Kriterium war, dass die Kopf ab. Die Frau fliegt zusammen mit dem Geist des Tiers in den
Verzweigungen in mindestens der Hälfte aller berechneten mög- Himmel, verfolgt von ihrem Ehemann.« Letzterem entspricht das
lichen Bäume enthalten sind. Alle Varianten stammen von einer Sternbild Orion, die Plejaden stellen die Frau dar, und die Hyaden
Version 0 aus paläolithischer Zeit ab, die wir wie folgt rekonstru- formen den Kopf des Tapirs.
ierten: »Ein Mensch jagt ein großes, Gras fressendes Huftier mit
Hörnern. Diese Jagd findet im Himmel statt, oder sie führt die Be- karibischer Raum
teiligten dorthin. Das Tier überlebt und verwandelt sich in das Kali’na
subsaharischer Raum
Sternbild des Großen Bären.« Karanga
Yuma-Kulturkreis
In einer ersten Verzweigung entspringen diesem Original Marikopa Eskimokulturen
Natsilik und Inughuit
neun Varianten in Eurasien. Während die meisten dort bleiben,
gelangt eine nach Afrika, zwei kommen nach Amerika.
In der inzwischen verschwundenen Version 1 wird aus dem Tier Salish-Sprachen
das Sternbild Orion. Die nun folgende achtfache Verzweigung Cœur d’Alène
nen Tapir zum Geliebten. Dieser verspricht, sie mit in den Osten zu dungen symbolisieren einen Austausch zwischen benachbarten
nehmen, wo der Himmel auf die Erde trifft. Die Frau wartet auf Versionen. Insgesamt zeigt diese Darstellung des Stammbaums
eine Gelegenheit, als ihr Ehemann auf einen Baum steigt, um ihm deutlich, dass die Mehrzahl der Mythen einer begrenzten Anzahl
die Beine abzuhacken. Jedoch wird der Bedauernswerte von sei- von Kulturräumen angehört.
nung aber testen und eine einseitige Gewichtung von Stich- droht, nehmen die Indianer den Vogel gefangen und halten
proben korrigieren. ihn über einen qualmenden Schacht, was das schwarze Gefie-
Diese Techniken haben wir nicht nur auf die »Kosmische der erklärt, zudem an die Rolle des Feuers in der griechischen
Jagd«, sondern auch auf die Mythenfamilien »Polyphem« Sage erinnert. Der Rabe verspricht, die Tiere freizulassen, hält
und »Pygmalion« angewendet. Versionen des Letzteren kennt sich jedoch nicht daran (in gewisser Weise hatte auch der Zy-
man in Europa und in Afrika. Diese Sage kreist um einen klop ein Versprechen gebrochen: das den Griechen heilige
Menschen, der sich in ein von ihm geschaffenes Kunstwerk Gebot der Gastfreundschaft, an das Odysseus appellierte).
verliebt. In der griechischen Überlieferung nach Ovid ist es Nun verwandelt sich ein Indianer in einen Stab und ein zwei-
eine weibliche Marmorskulptur. Der von realen Frauen ent- ter in einen Welpen. Die Tochter des Raben empfängt sie und
täuschte Künstler kleidet sie, redet mit ihr, liebkost sie. Ge- führt sie in die Höhle. Dort verwandeln sich die beiden aber-
rührt haucht Venus dem Stein Leben ein. Beim Volk der Ven- mals, der eine in einen großen Hund und der andere in einen
da im südlichen Afrika schnitzt ein Mann die Frauenskulptur Menschen. Sie führen die Bisons ins Freie, doch um dem
aus einem Holzblock, die mal durch einen Priester, mal durch scharfen Blick des am Eingang wachenden Raben zu entge-
einen Gott lebendig wird. Als der Häuptling sie begehrt, wirft hen, verstecken sich beide im Fell eines Bisons.
der Künstler die Frau zu Boden, wo sie wieder zu Holz wird.
In den Mythen vom Polyphemtypus wagt sich ein Held in »Es gibt einen Helden«
die Höhle eines Monsters und entkommt in einer Tierherde Die phylogenetischen Algorithmen verarbeiten diskrete In-
verborgen. In Europa retten ihn meist Schafe. Die hier zu formationen, zum Beispiel die Abfolge der vier verschiede-
Lande bekannteste und namengebende Fassung stammt nen Nukleotide in der menschlichen DNA. Um die raumzeit-
wieder aus dem griechischen Sagenkreis: Der Held Odysseus lichen Verwandtschaftsverhältnisse der Sagen nachzuvoll-
dringt mit seinen Gefährten auf der Suche nach Nahrung in ziehen, haben wir daher jede Erzählung jeder Familie in
eine Höhle ein, nicht ahnend, dass sie dem Zyklopen Poly- Abfolgen der kürzest möglichen Sätze zerlegt, die wir als My-
phem als Schafstall dient. Der nimmt die Männer gefangen, theme bezeichnen. Vorsicht: Dies entspricht nicht der gängi-
um sie zu fressen. Zwar gelingt es den Griechen, Polyphem gen Definition, in der Mytheme bereits Kernelemente von
mit einer glühenden Pfahlspitze zu blenden, doch der Riese Mythen darstellen! Für unsere Zwecke ist es ausreichend,
bewacht weiterhin den Ausgang. Im Bauchfell der Schafe ver- Sätze wie »Es gibt einen Helden« oder »Der Held ist ein Jä-
steckt, gelingt dann endlich die Flucht. ger« zu verwenden. In der Zusammenschau der Mytheme
Ähnliche Erzählungen findet man auch in Nordamerika, kristallisieren sich dann die definierenden Merkmale der
so beispielsweise bei den Schwarzfußindianern, einem Volk großen Mythenfamilien heraus. Manche kommen in nur ei-
des algonkinen Sprach- und Kulturkreises. Sie erzählen von ner oder zwei Fassungen der Geschichte vor, andere dagegen
einem Raben, der Bisons in eine Höhle einsperrt. Ihrer wich- sind allen Versionen gemeinsam. Jedes Mitglied lässt sich an-
tigsten Nahrungsquelle beraubt und vom Hungertod be- hand einer Merkmalsliste beschreiben. Indem wir Anwesen-
Die Eroberung der Welt durch den Homo sapiens begann vor etwa 20 000 Jahren während der letzten Eiszeit trockenfiel, er-
ungefähr 100 000 Jahren, als die ersten Gruppen des anatomisch reichte der Mensch den amerikanischen Doppelkontinent. Diese
modernen Menschen Afrika verließen. Vor etwa 60 000 Jahren großen Wanderungsphasen lassen sich heute durch genetische
drang er in mehreren Wanderungswellen nach Europa, Zentral Analysen, aber auch anhand der Stammbäume großer Mythen
asien und bis nach Australien vor. Erst als die Beringstraße vor familien nachverfolgen.
Eurasien Nordamerika
Afrika Indonesien
POUR LA SCIENCE, NACH: JULIEN D’HUY
Südamerika
Migrationsbewegung
Australien
Bereich mythologischer
Entwicklung
FORSTWIRTSCHAFT
Dem Wandel
gewachsen
Die Klimaerwärmung bedrohnt Kanadas Wälder. Um sie fit
zu machen für höhere Temperaturen, wollen Forscher
Bäume aus südlicheren Gefilden einführen, die den h eimischen
Beständen ihre Gene für Hitzetoleranz vererben.
Von Hillary Rosner
A
uf einem Feld in Vancouver, am Straßenrand di-
rekt gegenüber einer Häuserreihe, stehen unge-
fähr 500 Sitka-Fichten dicht an dicht und recken
ihr dunkelgrünes Nadelkleid der Sonne entgegen.
Obwohl alle vor sieben Jahren gleichzeitig gepflanzt wurden,
variiert ihre Größe dramatisch. Die kleinsten sind nur unge-
fähr 60 Zentimeter hoch und stammen von der Kodiak-Insel
in Alaska; die größten dagegen bringen es auf rund zwei Me-
ter und kommen aus Oregon. Doch die Größe ist nicht der
einzige augenfällige Unterschied. Obwohl die Fichten aus
Alaska zur selben Art gehören wie diejenigen aus Oregon,
knospen sie volle drei Monate früher. Zudem bleiben sie üp-
pig grün, egal wie tief die Temperaturen fallen.
Die Pflanzung am Rand des weitläufigen Campus der Uni-
versity of British Columbia ist Teil eines Experiments mit
dem Ziel, die kanadischen Wälder vor den Folgen des drohen-
den Klimawandels zu schützen. Bäume sind an ihren Lebens-
raum angepasst. Doch der verändert sich in dem Maße, wie
die Erde sich erwärmt. Nun können Bäume nicht einfach los-
marschieren und sich ein neues Habitat suchen. Wenn sie es
nicht schaffen, mit dem Klimawandel Schritt zu halten, sind
sie dem Untergang geweiht.
Da die Bäume selbst ortsgebunden sind, erproben Wissen-
schaftler eine neue Lösung: Sie wollen den Genen die Chance
geben, zu wandern – und den Pflanzen so dazu verhelfen, sich
genetisch den veränderten Umweltbedingungen anzupassen.
Für dieses Experiment hat Sally N. Aitken die Fichtenscho-
nung in Vancouver gepflanzt. Sie ist Direktorin des Centre for
Forest Conservation Genetics an der örtlichen Universität.
TJ WATT (TJWATT.COM)
Im Rahmen des AdapTree-Experiments nehmen Wissenschaftler Piniensamen aus unterschiedlichen Lebensräumen (1) und lassen sie im Ge-
chen.« Und zu allem Übel würden die Baum-Zombies Raum Genpool erweitert, eröffnet man der Population zweifellos
und Sonnenlicht beanspruchen – Ressourcen, welche die die besten Zukunftschancen.«
Keimlinge dringend benötigen. Die Wälder British Columbias erwirtschaften jährlich
Zur Mitte eines Ausbreitungsgebiets hin wäre die Situa zehn Milliarden Dollar und sind auch sonst von vielerlei Nut-
tion nicht ganz so dramatisch. Doch auch dort würden die zen, indem sie beispielsweise Überflutungen und die Boden-
Bäume wohl langsamer wachsen und sich nur mit Mühe erosion verhindern. Sie angesichts des Klimawandels einfach
behaupten. Heißt das, dass sie letztlich ebenfalls zu Grunde ihrem Schicksal zu überlassen, wäre fahrlässig, zumal sich
gingen? »Wahrscheinlich nicht«, meint Aitken. »Innerhalb die Auswirkungen der globalen Erwärmung bereits zu zeigen
einer Population gibt es viel Variation. Deshalb werden die beginnen. Seit Mitte der 1990er Jahre haben Invasionen von
Arten wohl nicht aussterben, aber unsere Wälder dürften auf Schädlingen und Waldbrände – die beide mit den erhöhten
Dauer sehr ungesund aussehen.« Das zöge andere Pflanzen Temperaturen zusammenhängen – Millionen von Hektar
und Tiere in Mitleidenschaft, weil sich ganze Ökosysteme Wald vernichtet und viele Häuser zerstört. »Die Natur hat
um Bäume ranken – bieten diese doch vielen anderen Orga- schon mehrere Warnschüsse in Sachen Erderwärmung ab
nismen Nahrung und Schutz, regulieren den Wasserhaushalt gegeben«, sagt Greg O’Neill, Wissenschaftler beim Ministry
und verhindern die Bodenerosion. of Forests, Lands and Natural Resource Operations von Bri-
Mit ihrem Ansatz stößt Aiken in eine Lücke: Bisher ist das tish Columbia. Durch die Insekten und Brände ist der Klima-
Versetzen einzelner Bäume innerhalb ihres normalen Ver- wandel ins Bewusstsein der Menschen hier gedrungen: »Es
breitungsgebiets wenig untersucht worden. Dabei sind die handelt sich um keine abstrakte Gefahr irgendwann in der
ökologischen Risiken geringer als beim Anpflanzen völlig Zukunft, wir stecken schon mittendrin.«
fremder Arten, weil diese nicht Teil des angestammten Öko-
systems sind – auch wenn sie einige erwünschte Eigenschaf- Schwindel erregende Masse an Daten
ten mitbringen. Die Schäden haben auch die Regierung zum Handeln bewo-
Der »assisted gene flow« birgt allerdings gleichfalls Risi- gen. 2009 begann British Columbia, die Vorschriften für das
ken. Im schlimmsten Fall könnten etwa zusammen mit den Ausbringen von Setzlingen zu überarbeiten. Im gleichen Jahr
nützlichen Genvarianten auch solche eingeführt werden, startete O’Neill einen Versuch zur assistierten Migration, um
welche die Überlebenschance einer größeren Population herauszufinden, ob, wo und wie Förster nach dem Holzein-
verschlechtern. »Das Problem sollte sich jedoch von selbst schlag ganz andere Arten als vorher ansiedeln könnten. An
lösen«, meint Andrew Weeks, Genetiker an der University of 48 verschiedenen Stellen in Kanada und den westlichen Ver-
Melbourne. »Die natürliche Selektion würde die nachtei einigten Staaten – von Whitehorse bis Sacramento – pflanz-
ligen Varianten mit der Zeit ausmerzen. Indem man den ten Wissenschaftler 15 Arten wirtschaftlich wichtiger Bäu-
me, die teils von tausende Meilen entfernten Standorten
MEHR WISSEN BEI stammten.
Diese extreme Migration dient zunächst einmal rein wis-
Unser Online- senschaftlichen Zwecken, um herauszufinden, wie die Bäu-
Dossier zum me den Ortswechsel vertragen. Es geht nicht um einen gene-
Thema »Wald und rellen Leitfaden für das Verpflanzen über weite Distanzen
Waldsterben« hinweg. Die Erkenntnisse sind sehr allgemeiner Natur – »et-
finden Sie unter was in der Art wie ›Pflanze diesen Baum nicht in geringerer
Höhe oder weiter südlich‹«, sagt O’Neill. Auf jeder Testfläche
FOTOLIA / SMILEUS
wächshaus keimen (2). Anschließend vergleichen sie die Größe und Form der Triebe (3) und prüfen die Nadeln auf ihre Frostbeständigkeit (4).
Forscher, auch die Reaktion der Bäume auf den Klimawandel gewiesenen Pflanzgebiete für Bäume eng umgrenzt. »Das ist
vorhersagen. in einem stabilen Klima wahrscheinlich sinnvoll«, sagt Howe.
Die genetischen Analysen von AdapTree liefern ähnliche »Wenn sich das Klima ändert, könnte allzu restriktives Vorge-
Prognosen auf einem anderen Weg. In dem sich stetig auswei- hen jedoch zum Problem werden.«
tenden Projekt haben Wissenschaftler das Erbgut von Millio- British Columbia stellt sich der Herausforderung. Die
nen von Engelmann-Fichten und Küstenkiefern nach interes- Schwierigkeiten sind dabei nicht nur wissenschaftlicher Art,
santen DNA-Sequenzen durchkämmt und dazu eine schnelle sondern betreffen ebenso die Verwaltung. So verfügt die zen-
Screening-Methode entwickelt, die derjenigen ähnelt, welche trale staatliche Samenbank von British Columbia über Saat-
die Firma 23andMe für die Analyse menschlicher Genome gut für mehr als sechs Milliarden Bäume. Diesen Bestand
einsetzt. Man betrachtet ungefähr 50 000 kurze Abschnitte des kann man nicht über Nacht komplett erneuern. Als zäh er-
genetischen Kodes, in denen jeweils ein Basenpaar variiert, weisen sich auch überkommene Vorstellungen und Verhal-
weshalb sie Einzelnukleotid-Polymorphismen (single nucleo- tensweisen: Wissenschaftler müssen die Forstverwaltungen
tide polymorphisms, SNPs) heißen, und versucht festzustel- dazu bringen, den Ergebnissen der Genanalysen zu vertrau-
len, welche davon mit der Anpassung an den jeweiligen Stand- en und nicht nur dem, was sie mit eigenen Augen in der frei-
ort zusammenhängen. Bei den bisherigen Untersuchungen en Natur sehen. Es kommt entscheidend darauf an, all die
an 600 jungen Bäumen gelang es, genetische Marker zu identi- Einzelnukleotid-Polymorphismen und Sequenzdaten in
fizieren, die viele der beobachteten Unterschiede in der Tole- »ein Lexikon für Förster zu übersetzen«, betont Aitken.
ranz gegenüber Kälte, Hitze und Trockenheit erklären. Denn letztendlich stecken dahinter lebende Bäume, die
Die Masse an Rohdaten ist Schwindel erregend. Beidseitig als unersetzliche Naturschätze unser aller Leben in vielfäl
auf Din-A4-Blättern ausgedruckt, ergäben sie einen 150 Kilo- tiger Weise bereichern. Um unter veränderten Umweltbedin-
meter hohen Papierstapel, wie Aitkin veranschaulicht. Und gungen überleben zu können, müssen sich manche von ih-
das ist nur ein Teil der Information. Die Wissenschaftler un- nen neue Territorien erschließen. Und dafür benötigen sie
tersuchen nun, wie die Gene tatsächlich funktionieren, also unsere Hilfe. Ÿ
wie die darin verschlüsselten Instruktionen ausgeführt wer-
den, wenn die Bäume unter Stress durch Hitze oder Trocken-
DI E AUTORI N
heit geraten.
Einige Breitengrade weiter südlich beginnen auch Spezia- Hillary Rosner ist Journalistin in Colorado. Sie
listen des U.S. Forest Service das Für und Wider des »assisted schreibt unter anderem für »National
Geographic«, »New York Times« und »Wired«.
gen flow« abzuwägen. In den Vereinigten Staaten haben Förs-
ter traditionell wenig auf Klimaunterschiede innerhalb der
Verbreitungsgebiete von Bäumen geachtet, wenn sie Pflan-
zungen vornahmen. Die regionale Temperaturvariation er-
schien einfach zu gering, um sich negativ auszuwirken. Doch QUELLEN
inzwischen ist auch hier das Bewusstsein für die Bedeutung
Aitken, S. N., Whitlock, M. C.: Assisted Gene Flow to Facilitate Local
des Mikroklimas gewachsen.
Adaptation to Climate Change. In: Annual Reviews of Ecology,
Schon immer haben Menschen Bäume in andere Regio- Evolution, and Systematics 44, S. 367 – 388, 2013
nen oder gar Kontinente verpflanzt. »Oft gab es Fehlschläge, Lotterhos, K. E., Whitlock, M. C.: Evaluation of Demographic History
weil die Bedingungen für das Gedeihen auf dem fremden and Neutral Parameterization on the Performance of FST Outlier
Tests. In: Molecular Ecology 23, S. 2178 – 2192, 2014
Boden nicht ausreichend bekannt waren«, sagt Glenn Howe, Pedlar, J. H. et al.: Placing Forestry in the Assisted Migration
Waldgenetiker an der Oregon State University. Das brachte Debate. In: BioScience 62, S. 835 – 842, 2012
die Forstverwaltungen mit der Zeit dazu, auf Nummer sicher
zu gehen. In den westlichen Vereinigten Staaten sind die aus- Dieser Artikel im Internet: www.spektrum.de/artikel/1372765
Die Synthesemaschine
Ein Automat, der selbsttätig kleine organische Moleküle zusammenbaut,
verspricht Chemiker von lästiger Routinearbeit zu entlasten. Das könnte unter
anderem die Entwicklung neuer Medikamente beschleunigen.
Von Robert F. Service
D
ie organische Chemie ist eine Quälerei. Jeder
Chemiestudent in höheren Semestern kann ein
Lied davon singen. Da gibt es die verwirrenden
Namen von Molekülen, Bindungstypen, Reaktio-
nen und Reagenzien, die »Kochrezepte«, das Hocken im
Labor und Starren auf Glaskolben bis spät in die Nacht, die
Trennungen, Reinigungen und Analysen. Selbst für Experten
ist die Synthese von Molekülen ein zähes, mühsames Ge-
schäft.
»Wir meinen das ändern zu können«, verspricht Martin
Burke, Chemiker an der University of Illinois in Urbana-
Champaign. Und zum Beweis bietet er an, einen chemischen
Laien wie mich eine komplizierte Synthese durchführen zu
lassen.
Burke nimmt mich mit in Zimmer 456 des Roger Adams
Laboratory. Dort steht auf einer schwarzen Laborbank eine
Vorrichtung von der Größe einer üblichen Espressomaschi-
ne in Kaffeebars. Obenauf befinden sich zwei Aluminium-
blocks mit neun 2,4 Zentimeter breiten Löchern für Fläsch-
chen. Ein Gewirr von dünnen Schläuchen verbindet die ver-
schiedenen Teile. Doch das Grundprinzip ist einfach. Es
handelt sich um die chemische Version eines Autobahnkreu-
zes, dazu gedacht, Lösungen nach einem bestimmten Plan
von Behälter zu Behälter zu leiten. Burke und seine Mitarbei-
ter nennen es einfach »die Maschine«.
Burkes Doktorand Michael Schmidt gibt mir das Rezept
und die Ausgangsstoffe zur Herstellung von Crocacin C, ei-
nem im Jahr 2000 erstmals von drei australischen Chemi-
kern synthetisierten Fungizid. Das Plastikfläschchen Num-
mer 1, das eine Prise eines weißen, kristallinen Pulvers ent-
hält, kommt in Loch Nummer 1, Fläschchen 2 mit einem
anderen weißen Pulver in das zweite Loch und so weiter.
Schmidt lässt mich ein paar dünne Schläuche anschließen,
um Wasser, ein organisches Lösungsmittel, Luft und Stick-
stoffgas zuzuführen. Dann drücke ich den Startknopf auf
dem Laptop, der unter der Laborbank steht. Damit ist meine
Arbeit erledigt.
Als Burke genauer darüber nachdachte, wurde ihm klar, findet breite Anwendung; ihr Entdecker erhielt denn auch
dass die Aminosäurebausteine, die Kohlis Syntheseautomat 2010 den Nobelpreis.
zusammenfügte, strukturell durchaus komplex waren. Sie Damit hatte Burke seinen Verknüpfungsmechanismus
kommen in einer breiten Palette von Formen und Größen gefunden. Indem er Moleküle synthetisierte, die auf der ei-
daher, einige mit bis zu zwei Ringen als Anhängseln. Den- nen Seite eine Boronsäuregruppe und auf der anderen ein
noch fügte die Maschine sie anstandslos zusammen, indem Halogenatom trugen, konnte er sie gleichsam zusammen-
sie stets dieselbe Verknüpfung herstellte. »Die ganze Kom- knipsen wie Druckknöpfe. Aber er benötigte einen weiteren
plexität steckt in den Bausteinen, und die kauft man in der Mechanismus, der dafür sorgte, dass der Katalysator nicht
Flasche«, überlegte Burke. einfach endlos Bausteine in beliebigen Kombinationen anei-
Könnte dasselbe nicht auch bei kleinen Molekülen funk nanderfügte. »Um ein Molekül Schritt für Schritt aufzubau-
tionieren? Nach seiner Promotion beschloss der Jungwis en, brauchten wir einen Schalter«, erklärt Burke.
senschaftler, dieser Möglich- Im Jahr 2007 fand er ihn:
keit nachzugehen. Er konzi- ein Molekül namens MIDA
pierte ein entsprechendes »Es handelt sich um einen echten (N-Methyliminodiessigsäu-
Forschungsprogramm und Meilenstein, und er bildet erst den re), das sich um das Bor wi-
ging damit auf die Suche ckelt und es dadurch blo-
Anfang«
nach einer Postdoc-Stelle. ckiert. Nun konnte Burkes
Peter Seeberger, MPI für Kolloid- und Grenzflächenforschung
»Beim Bewerbungsgespräch Team mit einem Baustein
in Illinois machten sie mir beginnen, der nur eine freie
ein Angebot, und ich nahm es sofort an«, erzählt Burke. Seit- Boronsäuregruppe, aber kein Halogenatom trug. Zu ihm ga-
her arbeitet er dort an der Verwirklichung seiner Vision. ben die Forscher einen zweiten Baustein, der sowohl ein Ha-
logenatom als auch eine – allerdings eingewickelte – Boron-
Moleküle zusammenknipsen wie Druckknöpfe säuregruppe enthielt. Diese war somit blockiert und konnte
Als Erstes galt es, die beste Reaktion zum Verknüpfen der nicht an der Umsetzung teilnehmen. Das stellte sicher, dass
Bausteine auszumachen. Die Wahl fiel letztlich nicht schwer. nur eine Reaktion stattfand: zwischen dem Halogenatom am
In den 1970er Jahren hatte der Chemiker Akira Suzuki von zweiten Baustein und der Boronsäuregruppe am ersten. Und
der Universität Hokkaido (Japan) eine Möglichkeit entdeckt, schwupp waren die beiden Moleküle verknüpft! Anschlie-
mit Palladium als Katalysator die Kohlenstoffatome an zwei ßend entfernten die Forscher das MIDA von dem soeben ver-
Molekülen zu verbinden, während sich an den beiden Reakti- schweißten Paar, fügten einen anderen Baustein mit Halo
onspartnern sonst nichts ändert. Der Trick bestand darin, an genatom und eingewickelter Boronsäuregruppe hinzu und
eines der Kohlenstoffatome ein Halogenatom wie Brom oder wiederholten die Prozedur (siehe Schemazeichnung oben).
Iod anzufügen und das andere mit einem Boronsäurerest zu Das Verfahren funktionierte. Im Jahr 2012 berichtete
versehen, einem Boratom mit zwei Hydroxylgruppen (OH). Burkes Team in den »Proceedings of the National Academy
Bei der Reaktion werden durch Zugabe von Natronlauge Bor- of Sciences«, dass es ihm mit dieser Methode gelungen war,
säure und Natriumchlorid abgespalten. Nach Aussage von ein abgewandeltes Amph B zu synthetisieren, das keine Io-
Seeberger ist diese so genannte Suzuki-Kupplung heute eine nenkanäle bilden konnte, aber trotzdem Pilze abtötete. Da-
der nützlichsten Reaktionen in der organischen Chemie und mit war die bisherige Annahme widerlegt: Die Substanz
INFORMATIK
Computer-Halluzinationen
Neuronale Netze erkennen nicht nur vorgelegte Bilder sehr treffsicher –
sie produzieren mit Hilfe ihres reichen Erfahrungsschatzes auch neue. Diese
freilich sehen aus wie Ausgeburten einer kranken Fantasie.
DE/2015/06/INCEPTIONISM-GOING-
net überaus populär gemacht hat, die- terprogramm – legt der Eingabeschicht
LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE);
GOOGLERESEARCH.BLOGSPOT.
DEEPER-INTO-NEURAL.HTML
nen sie als (Zerr-)Spiegel für den »Geist ein Bild vor. Daraufhin wandert die Ak
des neuronalen Netzes«. Sie geben einen tivität von unten nach oben durch das
Einblick in dessen Funktionsweise, der Netz, und irgendein Element der Aus
auf direktem Weg nicht zu haben ist. gabeschicht zeigt schließlich maximale
Die Vorstellung des Netzes GoogLeNet von Wie ihre natürlichen Vorbilder sind Aktivität. Wenn es sich zum Beispiel um
den Begriffen »Banane« (links) und »Han- die Neurone eines künstlichen neurona- das Neuron für »Katze« handelt, das Bild
tel« (rechts). Offensichtlich hat das System len Netzes einfache signalverarbeitende aber eine Banane zeigt, dann wandert
eine Hantel kaum je ohne einen muskulö- Bauteile. Jedes von ihnen befindet sich eine Fehlerkorrektur von oben nach un-
sen Arm gesehen, der sie hochhält, und in einem gewissen Aktivitätszustand. ten durch das Netz mit dem Effekt, dass
sich daraufhin ein falsches Bild gemacht. Im natürlichen Neuron ist das die Häu- die Aktivität des falschen Ausgabe-Neu-
BRIAN HAYES
rons gedämpft und die des richtigen Aus sieben Bergen (Sandsteinformationen im Norden des US-Bundesstaats New Mexico)
verstärkt wird. Dabei werden nicht etwa fantasiert sich ein neuronales Netz sieben Zwerge zurecht – mit Hundeköpfen. Dabei
neue Verbindungen zwischen Neuronen interpretiert es vorhandene Merkmale des Originals auf neue Weise, zum Beispiel dunkle
geknüpft oder andere gekappt; auch die Flecken als Hundeschnauzen, und ergänzt diese zu vollständigen Köpfen. Ein Steilhang
Funktionsweise jedes einzelnen Neu- rechts hinten im Bild verwandelt sich in eine sanft ansteigende Landschaft.
rons bleibt gleich. Vielmehr ändern sich
nur die »synaptischen Gewichte«. Die-
se Zahlen geben an, wie stark die Aktivi- Manche Netze sind komplett ver- Im Effekt arbeitet eine solche Schicht
tät des signalsendenden Neurons auf drahtet: Jedes Neuron einer Schicht wie ein Gerät, das Nachrichtentechniker
die des empfangenden einwirkt. Wie sie empfängt Information von allen Neu- einen ortsunabhängigen Filter nennen
zu ändern sind, das errechnet ein Algo- ronen ein Stockwerk tiefer. Bei den neu- würden. Die zugehörige mathemati-
rithmus namens »Backpropagation«. eren Bilderkennungsnetzen dagegen sche Operation heißt Faltung (englisch:
Erst dieses Verfahren hat die künstli- reagiert ein Neuron nur auf das, was in convolution) und die nach diesem Prin-
chen neuronalen Netze zu einem prak- einem kleinen Bereich unter ihm pas- zip gebauten Netze »convolutional neu-
tisch anwendbaren System gemacht. siert. Zum Beispiel sind fast alle Schich- ral networks« oder kurz »Convnets«.
Frühe Realisierungen beschränkten ten so regelmäßig gitterförmig aufge- Ein solches Netz ist wie geschaffen,
sich auf eine verborgene Schicht, da baut wie die unterste, und jedes Neuron um in einem Bild eine Hierarchie aufei-
vielschichtigere (»tiefere«) Netze nur achtet nur auf ein Quadrat der Größe nander aufbauender Strukturen zu fin-
schwer zu trainieren waren. Mittlerwei- 3·3 oder 5·5 unmittelbar unter sich. Au- den. Die Neurone der untersten Schich-
le ist dieses Problem durch schnellere ßerdem ist das Sortiment der synapti- ten sind extrem kurzsichtig, aber je
Hardware, bessere Algorithmen und schen Gewichte für alle Neurone einer weiter die Information nach oben wan-
größere Sortimente zum Trainieren Schicht dasselbe. Dadurch reagiert das dert, desto großräumigere Merkmale
überwunden worden. Netze mit mehr Netz in gleicher Weise auf spezielle Bild- geraten ins Blickfeld. So finden sich
als einem Dutzend Schichten sind heu- motive wie Kanten oder Kreise, einerlei kleine Elemente wie Augen, Mund und
te nichts Besonderes mehr. wo im Bild sie vorkommen. Nase zu ganzen Gesichtern zusammen.
LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE)
Jedes Jahr messen die Bilderken- mens GoogLeNet, das Christian Szege- und ihre Kollegen nachgehen. Sie grei-
nungsfachleute ihre Kräfte beim dy von Google gemeinsam mit acht fen sich ein bestimmtes Neuron der
ImageNet Large Scale Visual Recogni Kollegen entwickelt hat. obersten Schicht heraus und suchen
tion Challenge. Die Wettbewerber be- Wenn ein Convnet einen Welsh nach einem Bild, das dieses Zielneuron
kommen eine Trainingsmenge von Springer Spaniel erkennen kann, was zu maximaler Aktivität veranlasst. Rech-
1,2 Millionen Bildern, die in 1000 Kate- genau hat es dann gelernt? Bei einem nerisch ist das Verfahren dem Backpro-
gorien sortiert sind. Nach der Lern Menschen würden wir sagen, er habe pagation-Algorithmus zum Verwech-
phase müssen die Programme weitere sich einen Begriff oder ein geistiges seln ähnlich, nur arbeitet man nicht mit
100 000 Bilder in die richtigen – von Modell dafür zugelegt, wie diese einem fest vorgegebenen Bild und vari-
Menschen vergebenen – Kategorien Hunderasse aussieht. Vielleicht steckt ablen synaptischen Gewichten, sondern
einordnen. Manche Kategorien sind ungefähr so etwas in den synaptischen genau umgekehrt. Das Ergebnis dieser
weit gefasst (»Restaurant«, »Scheune«), Gewichten von GoogLeNet, aber wie Suche verkörpert in einem gewissen
andere sehr eng (»Welsh Springer Spa- sollen wir das in den 60 Millionen Zah- Sinn die Vorstellung des Netzes von ei-
niel«, »Stahlbogenbrücke«). len ausfindig machen? ner Banane oder einer Hantel (Bilder S.
In den Jahren 2012 bis 2014 haben Zum Beispiel, indem wir die Informa- 86). Gegenprobe mit Ihrem eigenen Ge-
stets Convnets die ersten Plätze bei tion gegen die übliche Richtung fließen hirn: Was für ein Bild ensteht in Ihrem
dem Wettbewerb belegt. Der Sieger von lassen – eine Idee, der neben anderen Kopf, wenn Sie an eine Banane denken?
2014 war ein 22-schichtiges Netz mit Gruppen Andrea Vedaldi und Andrew Mathematisch gesehen kann diese
ungefähr 60 Millionen Parametern na- Zisserman von der University of Oxford Umkehrung des Informationsflusses
(CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY/2.0/LEGALCODE)
GOOGLERESEARCH.BLOGSPOT.DE/2015/06/INCEPTIONISM-GOING-DEEPER-INTO-NEURAL.HTML
in einen Topf werfen; diese Abbildung selten, dass eine Fehlklassifikation rein
ist offensichtlich nicht umkehrbar. Jede durch Zufall praktisch nicht vorkommt.
Kategorie steht für eine potenziell un- Gleichwohl ist das Ergebnis bemer-
endliche Menge von Bildern, die zu ihr kenswert. Mathematiker stellen sich die
passen. Und das Netz kann uns auch Menge aller möglichen Bilder gern als
nicht ein typisches Beispiel zeigen, denn einen abstrakten Raum vor. Jedes Bild
es hat sich kein einziges Bild wirklich ge- ist ein Punkt in diesem Raum, und
merkt. Vielmehr präsentiert es uns eine wenn sich zwei von ihnen nur in weni-
wolkige und unvollständige Sammlung gen Pixeln unterscheiden, liegen die
von Merkmalen, die es für diese speziel-
le Klassifizierung als nützlich befunden
hat. Das sind schwarze und weiße Fle- Die Fantasie eines neuronalen Netzes
cken für den Dalmatiner und rundliche bringt Waldgeister zum Vorschein.
gelbe Bereiche für die Zitrone; viele an-
dere Einzelheiten fehlen oder sind dem
menschlichen Auge nicht zugänglich.
MICHAEL TYKA ET AL., GOOGLE INC. / CC-BY-4.0 (CREATIVECOMMONS.ORG/LICENSES/BY/4.0/LEGALCODE), USING NETWORK TRAINED ON PLACES BY
MIT COMPUTER SCIENCE AND AI LABORATORY; GOOGLERESEARCH.BLOGSPOT.DE/2015/06/INCEPTIONISM-GOING-DEEPER-INTO-NEURAL.HTML
Punkte nah beieinander. Durch das Bei diesem Bild wurde immer wieder das Zwischenprodukt durch einen vergrößerten
Training zerlegt das Netz den Raum in Ausschnitt seiner selbst ersetzt. Im Effekt bleibt von der Originalvorlage nichts übrig, so
Teilgebiete, die zu den verschiedenen dass man das Bild als freie Halluzination ansehen kann.
Kategorien gehören. Wir wissen jetzt,
dass es dort noch unübersichtlicher zu-
geht, als man bei der Raumdimension Der Algorithmus hinter den Tief- ses Wechselspiel aus Bilderkennung
von ungefähr einer Million ohnehin traum-Bildern stammt von Alexander (aufwärts) und Bildveränderung (ab-
annehmen möchte. Denn offensicht- Mordvintsev, einem Software-Ingeni- wärts) mehrere Male. Streue außerdem
lich gibt es so etwas wie »Wurmlöcher«, eur bei Google in Zürich. Den Blogbei- alle paar Runden etwas Zufall in den
die zwei eigentlich weit voneinander trag verfasste er gemeinsam mit Mike Prozess, indem du zum Beispiel die Pi-
entfernte Gebiete verbinden. Tyka, einem Biochemiker, Künstler und xel des Bilds aus denen der unmittelba-
Software-Spezialisten bei Google in Se- ren Umgebung neu berechnest.
Inceptionismus – attle, und dem Praktikanten Christo- Im Verlauf des Prozesses erscheinen
eine neue Kunstrichtung pher Olah aus Toronto. geisterhafte Strukturen im Bild, zu-
Im Juni 2015 erregte ein Beitrag im Ein Rezept für tiefe Träume lautet nächst schwach, dann immer deutli-
»Google Research Blog« plötzlich Auf- folgendermaßen: Nimm ein Bild als cher. Ein schwarzer Fleck wird zu einer
merksamkeit weit über den Kreis der Vorlage und wähle eine spezielle Schicht Hundeschnauze, eine Kleiderfalte zu ei-
Fachleute hinaus, vor allem wegen der innerhalb des neuronalen Netzes, die nem Spinnennetz, Windmühlen und
beigefügten Galerie surrealistischer »Arbeitsschicht«. Lass den Bilderken Leuchttürme sprießen aus dem blauen
und seltsam attraktiver Bilder (Bild nungsprozess von unten nach oben bis Himmel. Der Prozess ist selbstverstär-
oben). Die neue Kunstrichtung bekam zu dieser Schicht ablaufen. Wende dann kend. Was immer das Netz im Verlauf
den Namen »Inceptionism« in An von der Arbeitsschicht aus abwärts den des Trainings an Bildelementen gese-
spielung auf den Sciencefiction-Film Backpropagation-Algorithmus an, aber hen hat, es baut sie dort ein, wo sie viel-
»Inception« und dort vor allem auf das verändere nicht wie sonst üblich die sy- leicht ein bisschen passen. Bei der
Zitat »We need to go deeper«. In einem naptischen Gewichte, sondern die Pixel nächsten Iteration passen sie schon et-
späteren Blogbeitrag wurde der Begriff des gewählten Bilds, und zwar so, dass was besser, und so weiter.
»deep dream« eingeführt und hat sich die Aktivität der Neurone in der Ar- Bemerkenswerterweise hatten Mord-
mittlerweile durchgesetzt. beitsschicht ansteigt. Wiederhole die- vintsev, Tyka und Olah gar keine künst-
Die Sprache des Gehirns • Im Kopf herrscht nie- Faktor Zeit: Planung, Selbstkontrolle und Un-
mals Ruhe • Hirnstimulation: Unter Strom • geduld • Kooperation: Zwischen Eigennutz und
Die genetische Kartierung des menschlichen Gemeinsinn • Erbfaktoren: Entscheiden die
Gehirns • € 8,90 Gene? • € 8,90
100 Jahre und quicklebendig • Urknall oder 100 Jahre Raumzeit: Der Glanz des Genies • Quan-
nicht? • Inflation – der Auftakt zum Urknall • tenphysik: Kosmische Würfelspiele • Als die Nazis
Ein Pulsar-Schwergewicht bestätigt Einstein • Einstein zum Feind erklärten • Auf der Suche nach
Nobelpreis für die Dunkle Energie • € 8,90 der Theorie von Allem • € 8,90
chen sind eine ganze Reihe und zu verbilligen, ist von Mobile »Entseuchung«.
verschiedener Vorrichtungen der Firma Gebr. Körting
nötig, zu deren Durchfüh- die fahrbare Entseuchungs-
rung viel Personal, ausge- maschine durchgebildet, die
dehnte Entseuchungsanla- in sich alle erforderlichen
gen und mehrere Apparate Apparate vereinigt
bisher erforderlich waren. und es in einfachster
Kuriose Reinigung Um die Kosten möglichst Weise ermöglicht, weitest
»Für die Reinigung und Ent- herabzumindern sowie die gehenden hygienischen For
seuchung von Viehwagen, Reinigung und Entseuchung derungen zu entsprechen.«
Ställen, Rampen und derglei- der Wagen zu vereinfachen Die Welt der Technik 24, 1915, S. 376
Käse aus dem Moor reits durch Bäder- und sich dieser Moor-Käse gros-
»In dem oberbayrischen Trinkkuren erprobt ist. Der ser Beliebtheit und gilt als
Moor-Kurort Holzhausen Käse reift etwas langsamer besonders bekömmlich. Ob
wird neuerdings der zur und hat eine graubraune er in grossem Masstab her-
Herstellung von Camenbert Färbung, unterscheidet sich gestellt und vertrieben wer-
verwendeten Milch Moor- jedoch im Geschmack nicht den darf, hängt noch von ei- Milchwirtschaft in Kiel er-
Schwebestoff zugesetzt, des- von dem normalen Produkt. nem Gutachten ab, das die statten wird.« Neuheiten und
sen heilkräftige Wirkung be- Bei den Patienten erfreut Bundesversuchsanstalt für Erfindungen 355, 1965, S. 226
ter dieser Art; Macrosilia cluentius. Das Abschreckungsmittel haben verschiedene Nachteile. Des-
Bild zeigt ein Exemplar, das von mir prä- halb habe ich eine andere Methode erfunden. Sie besteht
pariert wurde. Der Rüssel ist gut 23 cm darin, daß man parallel zu den zu schützenden Flächen
lang, und die Spannweite beträgt 18 cm. kurze Drahtstücke befestigt. Da Möwen sehr gut sehen,
Im Gegensatz zu der madagassischen kann die Verwendung von Drähten mit farbigen Kunst-
Art besucht dieses Tier die großen Blü- stoffüberzügen sowohl wegen der Sichtbarkeit als auch we-
ten der Stechapfelarten Datura suaveo- gen der besseren Rostbeständigkeit von Vorteil sein. Ein
lens und D. stramonium. Dr. Hans-Lö- Versuch hatte vollen Erfolg: Die Straßenbeleuchtungen
wental, Brasilien.« Kosmos 12, 1965, S. 536 blieben sauber.« Die Umschau 24, 1965, S. 784
R udolf Taschner ist Professor für Werk flüssig geschrieben und versucht
Mathematik an der Technischen immer wieder, die Neugier der Leser zu
Universität Wien und war Österreichs entfachen. Der Autor arbeitet viel mit
wonach der Erwartungswert des Ge
winns, der durch Glaube an Gott er
reicht werden kann, stets größer ist als
Wissenschaftler des Jahres 2004. Er hat Dialogen zwischen den handelnden der Erwartungswert durch Unglaube.
sich zudem als umtriebiger Buchautor Personen, die dem Leser den Eindruck Als Zwischenfazit nach den ersten
einen Namen gemacht. »Spektrum der vermitteln, Zeuge historischer Unter drei Kapiteln stellt man fest, nicht be
Wissenschaft« hat viele seiner Werke haltungen zu sein. Allerdings sind die sonders viel über Spieltheorie erfahren
rezensiert, zuletzt »Die Zahl, die aus der se Gespräche zum großen Teil erfun zu haben. Vielmehr vermittelt das Werk
Kälte kam« (2013). Nun legt er einen den und werden als Stilmittel zu oft Details über die handelnden Personen
neuen Band vor. Der Einschlag wirbt eingesetzt, ebenso wie mehrere erfun und die Zeit, in der sie lebten – und vor
mit den Worten »Sein Buch liest sich dene »Zitate«. allem darüber, welchen Zeitgenossen
wie ein Thriller«, und beim flüchtigen Das Buch untergliedert sich in 17 Ge sie begegnet sind. Man liest etwa, dass
Betrachten bemerkt man vielleicht gar schichten, deren Überschriften alle es laut dem österreichischen Ökono
nicht, dass diese »Spiegel«-Kritik sich gleich beginnen: »Spielen mit Wasser men Carl Menger (1840 – 1925) bei der
auf das Vorgängerbuch bezog. Nichts und Diamanten«, »Spielen mit der Krei Preisbildung auf den Grenznutzen ei
destoweniger ist auch das aktuelle de«, »Spielen mit den Zahlen« und so ner Ware ankommt, und erfährt, wie
dessen Sohn Karl zur Mathematik kam. zum Untertitel, weniger eine Geschichte arbeitet, welche Beiträge verschiedene
Auch lernt man das Spiel »Zahlensack« der Spieltheorie als eine Sammlung von Personen geleistet haben, die für die
des Bachet de Méziriac (1581 – 1638) Mosaiksteinchen, die für Leser ohne Entwicklung der Spieltheorie bedeut
kennen, bei dem der Spielgegner keine Vorkenntnisse ein Bild davon vermittelt, sam waren. Unter anderem geht der
Chance hat, zu gewinnen; der Autor be womit sich Spieltheorie beschäftigt. Autor auf John von Neumanns Min-
zeichnet es deshalb als Falschspiel. Dazu gehören mehr oder weniger be Max-Theorem, auf John Nashs Gleich
Auffällig ist, wie viele Wiener in dem kannte Szenarien, die mit Glücksspielen gewicht und auf Anatol Rapaports Tit-
Buch vorkommen. So treten neben zu tun haben, etwa das Teilungsproblem for-Tat-Strategie ein.
dem Philosophen Ludwig Wittgenstein (»problème des partis«), das am Anfang Taschner hat eine große Begabung,
(1891 – 1951) und dem Musiker Wolf der Geschichte der Wahrscheinlich Geschichten zu erzählen, und diese lebt
gang Amadeus Mozart (1756 – 1791) et keitsrechnung stand, oder das Sankt- er auch im vorliegenden Buch wieder
liche Angehörige des Wiener Kreises Petersburg-Paradoxon. Natürlich darf aus. Wer »lediglich« geistreich unter
auf – was insofern verwundert, als Letz in einem Buch, in dem Wahrscheinlich halten werden möchte, kann an dem
tere nichts mit Spieltheorie zu tun hat keiten und Erwartungswerte vorkom Werk seine Freude haben. Wer sich je
ten. Nichtwiener wiederum, die sich men, auch das Ziegenproblem (Monty- doch am Untertitel orientiert und die
mit dem Thema »Spielen« auseinan Hall-Dilemma) nicht fehlen. Erwartung hegt, eine systematische
dergesetzt haben, fehlen, etwa Fried Spannend und für Unterrichtszwe Einführung in die Geschichte der Spiel
rich Schiller (1759 – 1805). Dadurch be cke hervorragend verwendbar sind theorie zu bekommen, dürfte nach der
kommt das Werk einen Beigeschmack Taschners Analysen spieltheoretischer Lektüre eher unzufrieden sein.
von Lokalpatriotismus. Probleme, etwa des Gefangenendilem
Es wäre überzogen, Taschners Buch mas, des Chicken Game oder des Conan Heinz Klaus Strick
als Enttäuschung zu bezeichnen, auch Doyles Final Game (Sherlock Holmes Der Rezensent ist Mathematiker und ehe-
wenn man als Mathematiker mehr er gegen Professor James Moriarty). Auch maliger Leiter des Landrat-Lucas-Gymnasiums
wartet. Es ist jedoch, im Widerspruch hat er gut nachvollziehbar herausge in Leverkusen-Opladen.
D er britische Ornithologe Tim Birk widmet hat. Das Werk ist nicht nur für
head erklärt in diesem spannend Vogelenthusiasten lesenswert, sondern
geschriebenen Sachbuch, warum es spricht mit seiner unterhaltsamen Art
der anatomische Bau. Die Augen vieler
Vögel sind länglich geformt und funk
tionieren damit ähnlich wie Fernrohre.
sinnvoll ist, Dinge nicht nur aus der Vo auch interessierte Laien an. Zudem weist die Netzhaut mancher
gelperspektive zu sehen, sondern eben Birkhead zeichnet wichtige biologi Greifvögel eine fünfmal so hohe Zap
so zu hören, zu schmecken oder zu rie sche Erkenntnisse nach und überzeugt fendichte auf wie die des Menschen, lie
chen. Als Professor für Verhaltensfor dabei als Experte für die Sinne der Vö fert also ein viel höher aufgelöstes Bild.
schung und Wissenschaftsgeschichte gel. Pointiert und mit Anekdoten unter Das Buch besticht nicht nur mit eta
an der renommierten University of füttert, schildert er sowohl seine eige bliertem Wissen, sondern auch, indem
Sheffield (England) schreibt er über ein nen Forschungen als auch die von Kolle es auf Gebiete eingeht, in denen die
Thema, dem er sich erkennbar ein Le gen. Wissenschaftler wie er versuchen, moderne Wissenschaft noch Erkennt
ben lang intensiv und mit Herzblut ge die rätselhaften Phänomene der Vogel nislücken hat. Eines davon ist der
schwer fassbare Magnetsinn, der wei Doch natürlich weiß auch Birkhead losophischer Perspektive nähert. Dies
terhin intensiv erforscht wird. Studien nicht wirklich, wie es sich anfühlt, ein gelingt ihm durchweg gut. Ein nützli
zufolge können Rotkehlchen das Erd Vogel zu sein. Was erlebt ein Falke, der ches Glossar, umfangreiche Anmer
magnetfeld nicht nur wahrnehmen, mit mehreren hundert Kilometern pro kungen nebst Literatur- und Stichwort
sondern es regelrecht sehen. Und dass Stunde auf seine Beute herabstößt? Wie verzeichnis sowie die detailgetreuen
Trottellummen gute Nachbarn sind empfindet ein Kiwi, der seine Umwelt Zeichnungen der Künstlerin und Vogel
und monogam lebende Zebrafinken praktisch nur mit Hilfe des Geruchs- kuratorin Katrina van Grouw runden
möglicherweise so etwas wie Liebe und Tastsinns per Schnabelspitze wahr das lesenswerte Buch ab.
empfinden, sind ebenso erstaunliche nimmt? Antworten darauf kann man
Einsichten. Hier kommt der Autor sei als Mensch nicht geben. Der Autor Arne Baudach
nem im Untertitel gegebenen Verspre macht denn auch klar, dass er sich den Der Rezensent ist Doktorand der Biologie in
chen schon ziemlich nahe. Vögeln aus biologischer und nicht phi Gießen.
Die Geheimnisse der Quantenphysik – man sie öffnet – per Zufall. Trotzdem
Welle oder Teilchen? findet man in der anderen Schachtel
Komplett-Media, Grünwald 2015 stets das Gegenstück. Und das im sel
DVD, 2 Filme zu jeweils zirka 60 Minuten ben Moment, also schneller, als sich das
€ 29,99 Licht ausbreiten kann.
Die Quantenverschränkung ist wohl
das am widersinnigsten erscheinende
Phänomen der Physik. Al-Khalili bringt
es den Zuschauern mit gelungenen Ver
PHYSIK gleichen und aufschlussreichen Experi
menten näher. Natürlich kann er es
Der Albtraum, der wahr wurde nicht intuitiv begreifbar machen. Unser
Vorstellungsvermögen ist darauf aus
gelegt, klassisch-physikalische Erschei
Eine neue DVD verdeutlicht: Die Quantenphysik ist so seltsam wie
nungen zu verarbeiten; bei Quanten
von Physikern befürchtet.
effekten versagt es.
Der Chronologie folgend, führt Al-
Ewald Weber
Der Fisch, der lieber eine Alge wäre. Das erstaunliche Zusammenleben von Tieren und Pflanzen
C.H.Beck, München 2015. 176 S., € 12,95
Natur fasziniert durch grandiosen Formen- und Strukturreichtum. Die Begeisterung hierfür ist dem
Biologen und Biochemiker Ewald Weber deutlich anzumerken. Er lädt seine Leser zu einer unter
haltsamen Tour ein – durch Flora, Fauna und die schier unendliche Vielfalt irdischen Lebens. Anfangs
bereitet es Vergnügen, ihm zu folgen, doch zum Ende hin wird das Werk recht unspektakulär und
redundant. Dass der Titel so eindeutig auf den Fetzenfisch abhebt, ist etwas irreführend, denn dieses
Tier kommt in dem Buch nicht prominenter vor als zahlreiche andere Wesen. Zudem könnten die
farbigen Abbildungen den Kapiteln sinnvoller zugeordnet sein. MAIKE KOMOREK
Bernard Lown
Heilkunst – Mut zur Menschlichkeit
Schattauer, Stuttgart 2015. 320 S., € 24,99
»Die Zeit, die fürs Zuhören aufgewendet wird, ist Zeit, die der Heilung dient.« Gemäß dieser Überzeu-
gung plädiert der Kardiologe und Friedensnobelpreisträger Bernard Lown für ein menschlicheres Ge-
sundheitswesen, das den Patienten in den Fokus stellt und ihn nicht als zu reparierende »Maschine«
begreift. Obwohl Lown selbst maßgeblich an der Entwicklung des Defibrillators beteiligt war und
damit viele moderne Eingriffe erst ermöglicht hat, plädiert er gegen die zunehmende Technisierung
der Medizin. Aufwändige diagnostische und therapeutische Maßnahmen seien nicht immer das Beste
für den Patienten – wohl aber für den Geldbeutel des Arztes.
Für das vorliegende Werk hat der Autor verschiedene Beiträge seine Blogs zusammengestellt, die
zwischen 2008 und 2013 online erschienen sind. Die Texte sind zwar für Fachleute wie Laien lesens-
wert, bieten allerdings kaum Mehrwert gegenüber den kostenlosen Originalen. Da sie zudem weder
chronologisch sortiert noch mit Datumsangaben versehen sind, fällt es schwer, sie in ihren zeitlichen
Kontext einzuordnen. ELENA BERNARD
Gert Mittring
Von Pi nach Pisa – Mit Zahlen die Welt verstehen
Neues vom Rechenweltmeister
Fischer, Frankfurt am Main 2015. 288 S., € 9,99
Es ist ein bisschen wie Tonleitern spielen lernen bei einem Weltklassepianisten. Gert Mittring erklärt
uns das Umrechnen von Maßeinheiten, das geschickte Kürzen von Brüchen, das Runden zum Erleich-
tern des Rechnens und allerlei mehr bis hin zum schriftlichen Addieren im Binärsystem. Alles sehr nütz-
lich und ein überzeugender Beweis dafür, dass man sich auch ohne Taschenrechner in der Welt zu-
rechtfinden kann. Aber es bleibt himmelweit hinter den Fähigkeiten zurück, die den Autor zum zehnfa-
chen Rechenweltmeister gemacht haben (siehe auch SdW 10/2013, S. 100). Nichtsdestoweniger ist die
»Verpackung« hübsch: Mittring führt uns auf einer fiktiven Weltreise an verschiedene Orte und weiß
zu jedem eine interessante Geschichte zu erzählen. CHRISTOPH PÖPPE
A ls »Mikronährstoffe« bezeichnet Bedarf durch Insektenverzehr decken reich, die eng gesetzten Textwüsten trü
man Nahrungsbestandteile, die so konnten.
gut wie keine Energie liefern, aber trotz
ben allerdings die Lesefreude. Für op
Interessant sind seine Überlegungen tische Auflockerung sorgen Tabellen,
dem unverzichtbar sind, weil der Kör zum trichromatischen Sehen, also dem Texteinschübe und seltene Grafiken. An
per ohne sie nicht funktioniert. Vitami visuellen Wahrnehmen mit drei Foto sprechende Bilder fehlen. Eine luftigere
ne, Mineralien und Spurenelemente pigmenten. Es ist bei unseren Ahnen und übersichtlichere Gestaltung wäre
gehören dazu. Wenn sie dauerhaft in vor einigen zehn Millionen Jahren aus möglich gewesen, hätte man die zahl
der Nahrung fehlen, führt das zu chro dem dichromatischen Sehen (mit zwei reichen Redundanzen eingekürzt. Stel
nischen Krankheiten bis hin zum Tod. Fotopigmenten) hervorgegangen. Laut lenweise häufen sich Fehler in Satzbau
Ob ein Organismus gut oder schlecht dem Autor könnte es sich evolutionär und Interpunktion.
mit Mikronährstoffen versorgt ist, wirkt auch deshalb durchgesetzt haben, weil »Mikronährstoffe als Motor der Evo
sich auf seine reproduktive Fitness aus – es sich als nützlich bei der Futtersuche lution« kann interessierten Lesern als er
auf seine Fähigkeit also, überlebens- erwies: Trichromaten erkennen reife giebiges Nachschlagewerk und Recher
und fortpflanzungsfähige Nachkom Früchte besser als Dichromaten. chehilfe nutzen. Man sollte sich jedoch
men hervorzubringen. Da liegt die Fra Ausführlich befasst sich das Buch auf mitunter zähe Lektüre einstellen.
ge nahe: Wie beeinflusst das Angebot mit Lebensraum und Ernährung ver
an solchen Stoffen die Evolution von schiedener Hominini, etwa dem Sahel- Frank Schubert
Lebewesen? Antworten darauf gibt der anthropus tchadensis, der vor sechs bis Der Rezensent ist Redakteur bei »Spektrum der
Ernährungsmediziner Hans Konrad sieben Millionen Jahren lebte. Fossil Wissenschaft«.
Biesalski in diesem Fachbuch. Dabei funden zufolge hielt er sich in uferna
stützt er sich auf zahlreiche Forschungs hen Wäldern auf, die von Savanne und
MEHR WISSEN BEI
arbeiten älteren und neueren Datums. Buschland umgeben waren. Dort hatte
Der Autor nimmt die Evolution des er Zugriff auf Früchte, Wasserpflanzen,
Menschen in den Blick, angefangen mit Kleintiere, Fische und größere Tiere.
unseren sehr frühen Vorfahren: kleinen Der Leser erfährt, wie man aus Fossilien
Säugetieren im Erdmittelalter, die ver herauslesen kann, was bei den Homini
mutlich in Baumkronen von Regenwäl ni auf dem Speiseplan stand. So sagt die
dern lebten und Insekten fraßen. Später Isotopenzusammensetzung des Zahn
erweiterten sie ihren Speiseplan um schmelzes etwas darüber aus, ob der
Früchte, Blätter und andere pflanzliche Besitzer des Zahns eher C3 -Pflanzen
Nahrung, bis vor rund 45 Millionen Jah verzehrte, die in Wäldern zu finden sind,
ren aus ihnen die ersten Primaten her oder eher C4 -Pflanzen, die in der Savan Mehr Rezensionen finden Sie
vorgingen. Biesalski listet den Nähr ne gedeihen. unter:
stoffgehalt verschiedener Kerbtiere auf Das aufrechte Stehen und Gehen www.spektrum.de/rezensionen
und erörtert, ob unsere Vorfahren ihren könnte Biesalski zufolge eine Anpas
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Übersetzer: An diesem Heft wirkten mit: Dr. Claudia Hecker, Erhältlich im Zeitschriften- und Bahnhofs
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Loos. KG, Marktweg 42 – 50, 47608 Geldern mit diesem Zeichen.
SCHLECHTE
EINSCHALTQUOTEN
FÜR KLEOPATRA
VON TIAN LI
lagen. Ich bin überzeugt, eines Tages deutung – für diese Leute bin ich nur © Nature Publishing Group
wird man sie zu schätzen wissen. ein Nerd mit Vorliebe für die Vergan- www.nature.com
Nature 521, S. 118, 7. Mai 2015
Plötzlich fällt Scott etwas ein: »He, genheit. Aber wenn ich das beim Sen-
du hast dir doch eben eine neue Origi- der durchkriege, werden zumindest ein
nalfolge angesehen! Wenigstens die paar Zuschauer schlauer. Und natürlich
geht doch auf Sendung, oder nicht?« der gute Scott.
Ich schüttle den Kopf. »Abgesetzt Ihm zuzusehen, wie er mehr über
ist abgesetzt.« Ich überlege. »Vielleicht das antike Rom erfährt – das allein ga-
lässt sich das Projekt so doch noch rantiert gute Unterhaltung. Für mein
retten?« anderes Publikum! Das wird die Ein-
Scott schaut mich fragend an. schaltquoten meiner Show ›Abenteuer
»Die Produktionskosten sind ja echt eines Geschichtsfreaks‹ mal wieder
niedrig: keine Honorare für Schauspie- nach oben schießen lassen. Das ist auch
ler, keine Kosten für Kostüme oder Bau- bitter nötig, denn ich muss die nächste
ten. Bloß die Temporaltechnik kostet Rate für meinen Zeitgleiter zahlen, so-
ein bisschen was. Der Sender könnte bald ich wieder in meine eigene Epoche
weitere Folgen einfach unbearbeitet zurückkehre.
online stellen – wir würden Cäsar, Anto- Allerdings muss ich Scott überreden,
nius und Octavian weiter sehen. So fin- sich ein neues Hemd zuzulegen. Nach-
dest du vielleicht doch noch heraus, lässige Kleidung gilt in meiner Heimat-
was während der Schlacht bei Actium gegenwart als unhöflich. Aber das krie-
wirklich geschah.« ge ich hin. Auch wenn mein temporärer
Scott strahlt. »Du meinst, wir kön- Mitbewohner es nie erfahren wird: Ich
nen doch noch eine Staffel kriegen?« mache aus ihm einen Fernsehstar!
WWW.SPEKTRUM.DE 105
VORSCHAU Das Januarheft ist ab 19. 12. 2016 im Handel.
TIM BOWER
Auf der Suche
nach der Theorie von Allem
Einstein wollte mit einer »allgemeinen Feldtheorie« die Gravitation mit
den anderen Naturkräften vereinen – vergeblich. Eine neue Generation von
Forschern hofft nun zu vollbringen, woran der große Physiker scheiterte.
JEFF WILSON
Die Geburt einer Rakete
Die USA arbeiten an einem neuen
Raketenprojekt für die bemannte
Raumfahrt und den Frachttransport mit
größeren Reichweiten. Wie ausgereift
ist das Space Launch System bereits –
FOTOLIA / PITRIS
www.spektrum.de/geschenk