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Ethik unter erschwerten Bedingungen


Heilpädagogische Ethik als Orientierung in Grenzsituationen
■ Sabine Schäper

Das Leben und Arbeiten mit Menschen Zunächst gilt es, die Bezugssysteme zu
mit Behinderungen ist für professionell klären, für deren trennscharfe Unterschei-
Begleitende mit vielen ethischen Fragestel- dung Vera Moser plädiert: Ethik als Di-
lungen verbunden. Diese Grenzsituatio- mension pädagogischer Theoriebildung,
nen können Ausgangspunkt sein für die als ein »disziplinäres Wissen«, das »im
Entwicklung einer Ethik engagierter Sor- Wissenschaftssystem hervorgebracht«
ge, die letztlich allen Menschen zugute- werde, sei das eine, die Professionsethik
kommt: Das »gute Leben« ist nur als ge- als »Professionswissen«, das in der beruf-
meinsames zu haben. lichen Praxis und durch die Berufsver-
bände »erzeugt, transportiert und ver-
Ethische Reflexionskompetenz gilt inzwi- waltet« werde, das andere (Moser 2003,
schen als unverzichtbare Basis professio- 65). Normative Orientierungen für Erste-
nellen Handelns in den unterschiedlichen res würden in der heilpädagogischen The-
Handlungsfeldern Sozialer Arbeit. In der oriebildung aus (pädagogisch-) anthropo-
Heilpädagogik wurden in den letzten 20 logischen Grundannahmen deduziert
Jahren vor allem Grenzsituationen (vgl. Moser 2003, 60).
menschlichen Lebens als Kristallisations- Das gilt nicht weniger für die Praxis, in
punkte für ethische Fragen thematisiert, der der Rekurs auf ein spezifisches »Men-
insbesondere in Bezug auf (bio-) ethische schenbild« vielfach als ethische Grundla-
Entscheidungssituationen an den Grenzen ge etwa in Konzeptionen und Leitbildern
des Lebens: Entscheidungen im Umfeld von Trägern und sozialen Organisationen
pränataler Diagnostik, der »fremdnützi- benannt wird. Anthropologische Grund-
gen« Forschung an nicht zustimmungsfä- aussagen bleiben aber bei näherem Hin-
higen Personen oder »verbrauchender« sehen oft schlicht behauptet und dringen
Forschung an menschlichen Embryonen, nicht vor bis zu den konkreten Heraus-
wie Fragen im Kontext von Sterbehilfe in forderungen der Alltagspraxis. So ist
Grenzsituationen am Lebensende (vgl. zu- etwa die Behauptung eines unbedingten
sammenfassend: Dederich 2000; Grau- Lebensrechts von Menschen mit Behinde-
mann/Grüber 2006). rungen (nur) die notwendige, noch nicht
Dieser Beitrag möchte sich nicht der die hinreichende Bedingung angesichts
heilpädagogischen Perspektive auf ethi- der Risiken, an der Teilhabe am Leben in
sche Entscheidungssituationen im Sinne unterschiedlicher Weise immer wieder ge-
der klassischen Dilemma-Szenarien wid- hindert zu werden. Das alltägliche Leben
men, sondern stellt die Frage nach einer und Zusammenleben zu gestalten ist die
ethisch verantworteten und ethisch flan- Herausforderung, die ethische Orientie-
kierten Praxis im Umgang mit Menschen, rung braucht. Braucht es dazu eine Ethik,
die mit und an Grenzen leben. Nicht die die primär idealtypische Prinzipien eines
Frage, unter welchen Umständen etwas guten Lebens formuliert?
ethisch erlaubt oder verboten wäre, steht In grundlegenden Entwürfen einer heil-
Prof. Dr. theol. Sabine Schäper ist im Zentrum, sondern die Frage, welche pädagogischen Ethik finden sich dazu
Diplom-Sozialpädagogin und ethische Anforderung die Situation an Be- unterschiedliche Positionen:
Organisationsberaterin; sie hat zwölf troffene und Begleitende stellt – unabhän- • Dieter Gröschke erhebt in seiner tugen-
Jahre Praxiserfahrungen in der gig von ihrem Ausgang. Daran schließt dethisch fundierten Konzeption heilpä-
Behindertenhilfe. Seit 2006 ist sie sich die Frage nach dem Status einer heil- dagogischer Ethik die Skepsis zu einer
Hochschullehrerin für heilpädagogische pädagogischen Ethik im Verhältnis zur wichtigen Grundtugend: einen anthro-
Methodik und Intervention an der Ethik Sozialer Arbeit an: Ist sie deren be- pologischen Skeptizismus, der das Hu-
Katholischen Hochschule Nordrhein- sonderer Anwendungs- oder Grenzfall manum verteidigt und um seine perma-
Westfalen, Abteilung Münster. oder besitzt sie einen eigenständigen nente Bedrohung weiß (vgl. Gröschke
E-Mail s.schaeper@katho-nrw.de Rang? 1993, 170).

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• Hajo Jakobs knüpft an die philosophi- (Lévinas 2003, 280). Und: »… früher Behinderung, in der Beziehungsgestaltung
sche Tradition des Skeptizismus als als die Ebene der Ontologie ist die Ebe- mit Menschen mit Behinderungen, mit
philosophische Methode an, die die ne der Ethik« (ebd., 289). Die Begeg- Menschen, die »unter erschwerten Bedin-
Differenz, zwischen der »optimisti- nung mit dem Antlitz des Anderen (je- gungen« (Paul Moor) leben, erweist sich
sche[n] Illusion« einer besseren Gesell- des und jeder Anderen) – es »spricht unsere Moralität – und sie ist zugleich
schaft und der Realität aufrecht erhält, mit mir und fordert mich dadurch zu hier am deutlichsten angefragt.
statt sie nach einer Seite hin aufzulösen einer Beziehung auf« (ebd., 283) – liegt »We are all some mother’s child« (Kit-
(Jakobs 1992, 105). Anthropologische vor jeder Norm, sie stellt das Ich und tay 1999, 68) - Jeder Mensch ist das Kind
Grundannahmen über das Wesen des jedes Bild vom Menschen radikal infra- einer Mutter. Mit diesem zentralen Satz
Menschen eignen sich – so Jakobs – ge und ruft das Ich in eine Verantwor- ihres ethischen Konzeptes macht Kittay
nicht als Bezugspunkt einer heilpäda- tung, die vor jeder bewussten Entschei- darauf aufmerksam, dass jeder Mensch in
gogischen Ethik, solange sie von histo- dung steht und unausweichlich ist. bestimmten Situationen auf mütterlich-
risch-gesellschaftlichen Bedingungen väterliche Fürsorge angewiesen ist. Unab-
abstrahieren. Vielmehr muss die »dop- hängigkeit und Autonomie sind daher
pelte Differenz« der Anthropologie Grenzerfahrungen, nicht nicht der »Normalfall«, sondern eher die
Ausgangspunkt ethischer Reflexion »Normalität« sind das Ausnahme menschlicher Existenz. In der
sein: die Differenz »zur tatsächlichen Fundament der Ethik: Impulse Übernahme von Verantwortung geht es
historisch-gesellschaftlichen Erschei- nicht um eine Reziprozität als Tausch
nungsform (Lebenswirklichkeit) des
der Care-Ethik oder Vertrag (»exchange reciprocity«),
Menschen wie zu einem (unerreichba- Der deduktive Weg ethischer Argu- sondern um die verbindende Reziprozität
ren) vollständigen und wahren Men- mentation – die Ableitung von Aussagen (»reciprocity-in-connection«) (Kittay
schenbild (Ideal)« (Jakobs 1997, 112). über das, was zu tun ist, aus dem, was das 1999, 67). Mütterlich-väterliche Sorge
Er schlägt schließlich vor, die individu- Wesen des Menschen vorgeblich aus- wird zum Paradigma (auch professionel-
umszentrierte Anthropologie zugun- macht – scheint wenig weiterführend, ler) sorgender Beziehungen, in denen Ver-
sten der Frage nach der ethischen Be- weil er für Fragen in der alltäglichen Be- letzlichkeit und Abhängigkeit zentral
deutung der Sozialität und Intersubjek- gleitung von Menschen in Grenzsituatio- sind. Damit ist keine entmündigende,
tivität zu verabschieden. Diese Position nen keine Antworten liefert. kontrollierende Überfürsorge gemeint, es
erscheint im Blick auf Menschen in Die amerikanische Philosophin Eva geht vielmehr um das Eingeständnis, dass
Grenzsituationen hilfreich: Sie löst sich Kittay plädiert in ihrem care-ethischen das Sorgen und Umsorgtwerden eine zen-
von einseitigen Zuschreibungen und Konzept für eine grundlegende Umkehr trale Grunderfahrung des Menschseins
schützt vor der Falle, Menschsein gra- der Optik: Nicht mehr eine irgendwie ge- ist, die ethos-stiftende Qualität besitzt.
duell zu verstehen – als sei etwa das artete »Normalität« menschlichen Seins Diese Ethik basiert auf der ungleichen
Menschsein eines Menschen, der im oder ein abstraktes Bild vom Wesen des Verletzlichkeit und Abhängigkeit einer-
apallischen Syndrom (sog. Wachkoma) Menschen ist für sie Ausgangspunkt ethi- seits und auf der moralischen Kompetenz
lebt, weniger ausgeprägt als das eines in scher Reflexion, die dann Behinderung, des Menschen, auf die Bedürftigkeit an-
allen Lebensbereichen (scheinbar) auto- Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Abhän- derer adäquat zu reagieren, andererseits:
nom handelnden, vernünftig denken- gigkeit nur zum Ausnahmefall des »We need to shift our vision and see so-
den Subjekts. Menschseins deklarieren kann. Vielmehr ciety as constituted by the nested depen-
dencies that require a concept of justice
between persons who are equal in their
connectedness but unequal in their vul-

»Um das alltägliche Zusammenleben nerability …« (Kittay 1995, zitiert bei


Conradi 2001, 146).
gestalten zu können, brauchen wir Innerhalb der Care-Ethik hat Joan
Tronto diese umgekehrte Perspektive – ei-
eine ethische Orientierung« nen induktiven Weg der Gewinnung ethi-
scher Orientierung – konkretisiert: Sie lei-
tet aus den Erfahrungen in sorgenden Be-
ziehungen und deren Qualitäten, dem
»Prozess engagierter Sorge« ab, worauf
• Auch Emmanuel Lévinas stellt mit sei- muss das Leben mit Grenzen, das Leben es im Zusammenleben von Menschen ge-
ner phänomenologischen Ethik-Kon- in Abhängigkeit von Anderen Ausgangs- nerell ankommt:
zeption, auf die vielfach als Referenz ei- punkt jeglicher ethischen Reflexion sein. • Aus dem Aspekt der Anteilnahme (»ca-
ner heilpädagogischen Ethik rekurriert Behinderung ist kein Grenz- oder Sonder- ring about«), der Wahrnehmung der
wird (vgl. u.a. Rösner 2002), die Dinge fall, kein Anwendungs- und Bewährungs- Bedürftigkeit des Anderen, lassen sich
auf den Kopf: Die Ethik folgt nicht der fall der Ethik, schon gar kein Ausnahme- die Aufmerksamkeit als wichtige
Anthropologie, sondern: »Die ethische fall einer »allgemeinen« Anthropologie Grundtugend ableiten, wie deren Über-
Beziehung stellt das Ich infrage. Diese und Ethik, sondern ist der eigentliche Ort treibungen in Formen der Selbstausbeu-
Infragestellung geht vom Anderen aus« der Ethik. Gerade in der Erfahrung von tung kritisieren (Tronto 1993, 131).

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• Die tatsächliche Unterstützung (»ta- merksam: die Verantwortung der Gesell- lichen Ebene zum Ausgangspunkt ethisch
king care of«) des Anderen setzt die schaft für die Sorge für die »care-giver« reflektierten und verantworteten Han-
Übernahme von Verantwortung voraus oder »dependency worker«, für diejeni- delns macht. Der ebenfalls im internatio-
und macht Verantwortlichkeit (respon- gen, die die alltägliche Arbeit der Fürsor- nalen Kontext zunehmend aufgenomme-
sibility) zu einem wichtigen Kennzei- ge übernehmen: Eltern und Angehörige, ne Leitbegriff der Inklusion kann diese
chen der Praxis der Fürsorge. Assistentinnen und Assistenten, Begleite- Perspektive flankieren, wenn man ihn im
• Die sorgende Tätigkeit in der Bezie- rinnen und Begleiter. »For the dependen- Sinne Julie Allens als (sozial-) ethisches
hung selbst (die Tätigkeit des »care-gi- cy worker to meet her responsibilities to Projekt versteht: Inklusion wäre nicht et-
ving«) braucht (fachlich fundierte) another, it must be the responsibility of was, das wir – als die vermeintlich Nicht-
Kompetenz ebenso wie ein Bewusstsein the larger social order to provide a struc- Betroffenen – für die anderen tun, son-
der Grenzen der eigenen Kompetenz. ture whereby she, too, may be treated as dern etwas, das wir mit uns selbst tun:
• Und schließlich zeichnet sich die Praxis a mother’s child.« (Kittay 1999, 70) Sie Wir setzen uns Grenzerfahrungen und
der Fürsorge aus durch die Reaktion bedürfen des besonderen Schutzes durch der Verunsicherung unserer professionel-
(»care-receiving«) des Anderen, die auf die Gesellschaft. Sie brauchen Anerken- len Rolle aus, rücken damit aber die Le-
die Qualität der Resonanz (anstelle ei- nung, Unterstützung, Wertschätzung, bendigkeit des Lebens in den Mittel-
ner tauschähnlichen Wechselseitigkeit Räume zur Reflexion ihrer Erfahrungen, punkt, einschließlich seiner Gefahren und
oder Gleichheit) als zentrales Element ihrer Hoffnungen und Zweifel. Kittay unerwarteten Wendungen. Inklusion als
hinweist. macht damit auf die soziale Isolation und ethisches Projekt beinhaltet dann eine
Die Trennung zwischen ethischer Er- die fehlende Unterstützung für Angehöri- neue Weise von Optimismus, die spiri-
kenntnis und professionellem ethischem ge von Menschen mit Behinderungen und tuell genannt werden kann: eine politi-
Handeln, wie sie Moser hervorhebt, ist da- andere (auch professionell) Begleitende sche Spiritualität, die auf die Transforma-
mit nicht aufgehoben, die Elemente erhal- aufmerksam. tion der Beziehungen zu sich selbst und zu
ten aber eine andere Zuordnung: Die Er- Dies führt letztlich in eine »public ethic Anderen gerichtet ist.
fahrungen in helfenden Beziehungen sind of care« (ebd., 128), eine gesellschaftlich
der Ort, an dem sich ethische Erkenntnis getragene Verantwortung. Diese über die
generiert – sie ist nicht deren Anwen- dyadische Beziehung hinausweisende Per- Ethik im Ausgang von
dungsfall. Der oder die Andere sind damit spektive schützt zugleich vor einer allzu Grenzerfahrungen – über die
auch nicht mehr primär Adressat der eige- idealisierten Vorstellung einer »dialogi- Heilpädagogik hinaus
nen Moral oder Opfer unmoralischen Ver- sche[n] Idylle«(Bedorf 2005, 51) oder ei-
haltens, sondern lebendiges Gegenüber, nes »romantic couple« (Merleau 2004, Mit den Impulsen der Care-Ethik führt
das dazu auffordert, in Beziehung zu tre- 13). Erst die »symbolische Ordnung des die Bedeutung einer heilpädagogischen
ten, zu antworten. Ethik reflektiert dann Dritten«, in die die interpersonale Ver- Ethik – als einer Ethik, die »unter er-
weniger das Wesen eines Anderen oder das antwortung einzubetten ist, sichert letzt- schwerenden Bedingungen«, an Grenzer-
Wesen des Menschen überhaupt, sondern lich Subjektivität: »Gerechtigkeit zu fahrungen ihren Ausgang nimmt – zu-
primär die Gefährdungen und Risiken in üben, bedeutet dann, den Appell des An- gleich über heilpädagogische Ethik im
(helfenden) Beziehungen, das, was zwi- deren in der Komplexität der Institutio- Sinne einer Sonder-Ethik hinaus: Heilpä-
schen den Individuen geschieht. nen und des Rechts nicht untergehen zu dagogische Ethik ist mehr als eine Ethik
Eine solche care-ethische Fundierung lassen und zugleich der Maßlosigkeit die- für die heilpädagogische Praxis.
heilpädagogischer Ethik erweist sich als ses Appells Grenzen zu setzen.« (Bedorf Sie generiert ethisches Wissen nicht im
überlegen gegenüber einer advokatori- 2005, 54) Wissenschaftssystem, sondern induktiv.
schen Ethik, wie sie Brumlik formuliert Als Konkretion der sozialethischen Per- Wenn es gelingt, dieses Verständnis von
hat: Wenn Menschen mit Behinderungen spektive bietet sich die 2008 in Kraft ge- Ethik als Einladung an andere Professio-
für sich und ihre Interessen nicht selbst tretene UN-Deklaration der Rechte von nen zu formulieren, kann die Relevanz
eintreten könnten (ähnlich wie Kinder), Menschen mit Behinderungen an. Anders von Grenzerfahrungen für ethische Refle-
müssten sie advokatorisch durch einen als in der Disziplinentwicklung Sozialer xion auch andere Professionsethiken be-
anderen vertreten werden (vgl. Brumlik Arbeit, in der ein menschenrechtsbasier- reichern – im Sinne einer Einladung, Er-
2004). Die Care-Ethik bietet Begleitenden tes Selbstverständnis den Rang eines fahrungen an den Grenzen des Lebens als
an, sich nicht primär als Advokaten, als »weltumspannenden professionellen ein Konstitutivum menschlichen Lebens
Fürsprecher für Andere zu verstehen, son- Code[s]« erlangt hat (Staub-Bernasconi zu teilen. Leitlinien einer Professionsethik
dern sich selbst als Bedürftige wahrzu- 2007, 24), beginnt die Heilpädagogik ge- für unterschiedliche Handlungsfelder
nehmen und für die elementaren Lebens- rade erst, diese Perspektive auch ethisch könnten dann sein:
interessen gemeinsam einzutreten. deutlicher in den Fokus zu nehmen.

Jenseits der »dialogischen


Der in der UN-Deklaration zentrale Be-
griff der Teilhabe könnte ebenso »welt-
umspannende« Leitidee einer professio-
1. Das »gute Leben« ist nur als ge-
meinsames zu haben. Die Begleitung
von Menschen, deren Teilhabe einge-
Idylle«: sozialethische Aspekte nellen heilpädagogischen Praxis sein, die schränkt wird, ist eine gesamtgesell-
Grenzerfahrungen der verweigerten oder schaftliche Verantwortung, die die Be-
Der Ansatz von Eva Kittay macht noch erschwerten Teilhabe auf der intersubjek- dürfnisse der Klienten und Begleitenden
auf einen weiteren wichtigen Aspekt auf- tiven, institutionellen und gesellschaft- gleichermaßen in den Blick nimmt.

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2. Die Reflexion von Beziehungserfah-


rungen an Grenzen als »reciprocity-
in-connection« schützt vor einem Ver-
4. Eine ethisch verantwortete profes-
sionelle Praxis macht Grundrechte
deutlich, deckt Grundrechtsverletzungen
Forschung und
ständnis professioneller Beziehungen als auf und unterstützt Menschen in der Gel- Entwicklung in der
Tauschbeziehungen einerseits und vor der tendmachung und Durchsetzung ihrer
(Selbst-) Ausbeutung von Menschen in Rechte. Im Blick auf die Forderungen der Sozialwirtschaft
fürsorgenden Beziehungen und helfenden Menschenrechtsdeklaration gibt es in
Berufen andererseits. Deutschland erheblichen Handlungsbe-
darf.

3. Die Leitbegriffe der Teilhabe und


der Inklusion laden ein zur Leitidee
einer gerechten Gesellschaft, die die
Eine (nicht nur) heilpädagogische
Ethik kann den Prozess der Umsetzung
von Grundrechten so flankieren, dass
gleichberechtigten Bedürfnisse und Le- gerade die schwierigen Grenzsituatio-
bensinteressen aller zu berücksichtigen nen in den Blick genommen werden
versucht und sich dabei der ungleichen und der Anspruch der Menschenrechte
Verletzlichkeit und Abhängigkeit von nicht vorschnell für erfüllt erklärt
Menschen bewusst ist. wird. ◆

Literatur
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New York/London.

https://doi.org/10.5771/0340-8574-2010-1-24
Blätter der Wohlfahrtspflege 1/2010 Generiert durch IP '207.241.231.83', am 19.07.2018, 12:37:16. 27
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