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Skriptum zur Übungsvorlesung »CAD-Vertiefung«

Geometrische Grundlagen der


Diskretisierung von Gebäudehüllen

Freiformüberdachung am Messegelände in Mailand


(Architekt Massimiliano Fuksas)

Matthias Weber∗

Wintersemester 2021

Arbeitsbereich für Geometrie und Vermessung,


Universität Innsbruck


nach einem Skriptum von Peter Mayrhofer

1
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung 3

2 Konstruktion von Kuppeln 4


2.1 Kuppeln als Drehflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
2.2 Geodätische Kuppeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4

3 Diskretisierung bekannter Flächen 6


3.1 Drehflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
3.2 Zylinder- und Kegelflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
3.3 Schiebflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

4 Tragstruktur aus geodätischen Linien 9

5 Triangulierungen 13
5.1 Voronoizellen, Delaunay-Triangulierung . . . . . . . . . . . . . 13
5.2 Nachteile von Dreiecksnetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13
5.3 Netzrelaxation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

6 Hexagonale Netze 17

7 Vierecksnetze 18

8 Parallele Netze, geometrische Tragstrukturen und Abstandsnetze 20


8.1 Parallele Netze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
8.2 Geometrische Tragstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
8.3 Abstandsnetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
8.4 Das Gaußsche Bild einer Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
8.5 Das Gaußsche Bild von Abstandsnetzen . . . . . . . . . . . . . 25

9 Einige Grundlagen aus der Differentialgeometrie 29


9.1 Normalschnitt und Normalkrümmung . . . . . . . . . . . . . . 29
9.2 Hauptkrümmungen und Gaußsche Krümmung . . . . . . . . . . 29
9.3 Oskulierendes Paraboloid in einem regulären Flächenpunkt . . 30
9.4 Die Dupinsche Indikatrix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

10 Konjugierte Kurvennetze 34

2
1 Einleitung
Unter Diskretisierung einer Gebäudehülle versteht man die Unterteilung einer
Dach- oder Fassadenfläche in kleinere im Hinblick auf die Fertigung optimierte
Elemente. Diese Unterteilung gestaltet sich gerade bei modernen, frei geformten
Architekturentwürfen häufig schwierig, da sie nicht nur den optischen Eindruck
des Bauwerks, sondern auch die Baukosten in erheblichem Maß beeinflusst.
In dieser Lehrveranstaltung sollen geometrische Grundlagen möglicher Dis-
kretisierungen von Flächen behandelt werden. Ausgehend von Unterteilungen
klassischer Flächentypen wie Zylinder, Kegel und so weiter werden auch Dis-
kretisierungsvarianten von frei geformten Flächen erörtert. Die Grundvorlesung
aus »Geometrische Modellierung, Visualisierung und CAD« wie auch eine ge-
wisse Vertrautheit mit dem 3D-CAD-Systems Rhinoceros und Grundlagen der
Programmierung werden vorausgesetzt. Die Vorlesung stützt sich auf aktuelle
Literatur und zu einem großen Teil auf das Lehrbuch [2] von Pottmann u. a.

3
2 Konstruktion von Kuppeln
Es wird hier nur über kugelförmige (sphärische) Kuppeln gesprochen. Aus
solchen kann man durch affine Verzerrung leicht elliptische Kuppeln erzeugen.

2.1 Kuppeln als Drehflächen


Als Drehfläche kann eine Kugel wie in Unterabschnitt 3.2 diskretisiert werden.
Ein klassisches Beispiel dafür ist die Domkuppel in Florenz von Brunelleschi
(Abbildung 1), welche die Kugel durch acht Drehzylinderstücke annähert.

Abbildung 1: Domkuppel in Florenz

2.2 Geodätische Kuppeln


Kuppeln, die auf der Verfeinerung eines regelmäßigen Ikosaeders beruhen, hei-
ßen geodätische Kuppeln. Prinzipiell kann man zwei Arten der Konstruktion
unterscheiden:

• Die regelmäßige Unterteilung einer Ikosaederseitenfläche in 4, 9, 16, . . .


kleinere Teildreiecke und Projektion der entstehenden Eckpunkte aus dem
Kugelmittelpunkt auf die Kugeloberfläche (Abbildung 2, links).

• Die gleichmäßige Unterteilung einer Ikosaederfläche in Teildreiecke, an-


schließende Projektion der neuen Eckpunkte auf die Kugelfläche, dann
neuerliche Teilung der durch Projektion entstandenen Dreiecke, Projektion
und so weiter (Abbildung 2, rechts).

Bei beiden Methoden erzeugt man natürlich neben gleichseitigen auch gleich-
schenkelige Dreiecke mit unterschiedlichen Seitenlängen.

4
Abbildung 2: Zwei Arten von geodätische Kuppeln

Beispiel. Wird eine Ikosaederfläche in neun kongruente Teildreiecke geteilt,


dann entstehen durch Projektion auf die Kugel nach der ersten Konstruktion
neun gleichschenkelige Dreiecke, die aufgrund der Symmetrie zwei Typen bilden:
Drei vom Typ 1 an den Ecken und sechs vom Typ 2 in der Mitte. Da ein Ikosaeder
20 Flächen besitzt, kann man die ganze Kugel also mit 60 Dreiecken vom Typ 1
und 120 Dreiecken vom Typ 2 approximieren. Abbildung 3, links, zeigt, dass
dabei nur drei unterschiedliche Stablängen (schwarz, rot, grün) auftreten.

Abbildung 3: Zerlegung in neun Teildreiecke und Fullerkuppel in Montreal

Das Foto in Abbildung 3, rechts, zeigt eine geodätische Kuppel, die nach
Plänen des amerikanischen Erfinders Buckminster Fuller für die Weltausstellung
EXPO 1967 in Montreal errichtet wurde.

Fünf- und Sechsecke. Schneidet man vom Ausgangs-Ikosaeder die Ecken ab


und wählt eine geeignete Unterteilung der Ikosaederseitenfläche, so erhält man
eine Diskretisierung der Kugelfläche mit Fünf- und Sechsecken (Abbildung 4).

5
Abbildung 4: Diskretisierung der Kugelfläche mit Fünf- und Sechsecken

3 Diskretisierung bekannter Flächen


Wir betrachten nun einige Möglichkeiten, bekannte Flächen durch ebene Facetten
anzunähern.

3.1 Drehflächen
Die Meridiane und Parallelkreise einer Drehfläche bilden ein naheliegendes Netz
zur Diskretisierung. Ersetzt man die Meridiane durch approximierende Polygone
und die Parallelkreise durch regelmäßige Vielecke, dann lässt sich die Drehfläche
in ebene Vierecke unterteilen (Abbildung 5).

Abbildung 5: Natürliches Netz einer Abbildung 6: Rhombennetz auf einer


Drehfläche speziellen Drehfläche

Rhombennetz. Eine völlig andere, originelle Unterteilung in ebene Rhomben,


ist für Drehflächen, deren Meridian eine Sinuskurve ist, möglich. Die Rhomben
werden durch Schnittpunkte von kongruenten Schraublinien auf der Drehfläche
gebildet (Abbildung 6). Die Schraublinien auf der Drehfläche entstehen als

6
Schnittkurven der Fläche mit einem Drehzylinder. Der Beweis für diese Tatsache
ist nicht ganz trivial:

Beweis. Wir betrachten die Schraublinie


   
0 r cos t
~c(t) = r  +  r sin t  , t ∈ R.
0 pt

Sie gehört zu Radius r und Schraubparameter p. Ihre Achse ist parallel zur
z-Achse im Abstand r. Wegen der Gleichheit
√ t π t t
2 sin + = cos + sin
2 4 2 2
gilt
t π t t
2 sin2 + = 2 cos sin + 1.
2 4 2 2
Weiters gilt
t t
2 cos sin + 1 = 1 + sin t.
2 2
Damit berechnet sich der quadrierte Abstand d2 (t) des Punktes ~c(t) zur z-Achse
als
t π
d2 (t) = 2r2 (1 + sin t) = 4r2 sin2 + .
2 4
und die Schraublinie liegt daher auf der Drehfläche mit Meridiankurve
 
0
= 2r sin 2t + π4 

m(t)
~
pt

Durch geeignete Wahl von r und p kann man jede (verallgemeinerte) Sinuslinie
auf diese Weise erzeugen. Schneidet man die zugehörige Drehfläche mit einem
Zylinder von geeignetem Radius durch die Achse, so erhält man ein Paar von
Schraublinien, die symmetrisch bezüglich einer Meridianebene sind.

3.2 Zylinder- und Kegelflächen


Je nachdem, ob man lediglich ihre Breitenkreise oder Meridiane durch Seh-
nenpolygone ersetzt, kann man eine Drehfläche auch durch zylindrische oder
konische Facetten – also mit einfach gekrümmten Flächenstücken – annähern
(Abbildung 7).

7
Abbildung 7: Drehfläche aus ebenen (grau), Abbildung 8: Aufteilung einer
konischen (rot) und zylindrischen (cyan) Kegelfläche in Trapeze
Teilstücken

Kegelflächen. Da alle Schnitte einer Kegelfläche mit parallelen Ebenen zuein-


ander ähnlich bezüglich der Kegelspitze sind, kann man diese durch Polygone mit
zueinander parallelen Seiten approximieren und damit die Fläche mit (ebenen)
Trapezen überdecken (Abbildung 8). Die Flächennormalen in den Eckpunkten
solcher Trapeze sind dann aber im Allgemeinen windschief, außer es handelt
sich um einen Drehkegel.

3.3 Schiebflächen
Schiebflächen entstehen durch Parallelverschiebung einer Kurve k1 entlang
einer Kurve k2 . Man kann sehr einfach zeigen, dass dieselbe Fläche auch durch
Parallelverschiebung von k2 entlang k1 erzeugt wird. Approximiert man die
Kurven k1 , k2 durch Sehnenpolygone, dann kann man die Schiebfläche durch
ebene Parallelogramme annähern (Abbildung 9).

Abbildung 9: Schiebfläche (Kreisbogen an Abbildung 10: Hyperbolisches


Kreisbogen) Paraboloid als Schiebfläche

8
Paraboloide. Auch Paraboloide lassen sich als Schiebflächen darstellen, wie
Abbildung 10 am Beispiel eines hyperbolischen Paraboloids zeigt. Schiebt man
eine Parabel entlang einer anderen mit paralleler Achse, die in der gleichen
Richtung gekrümmt ist, entsteht ein elliptisches Paraboloid. Sind die Parabeln
zusätzlich noch kongruent, ergibt sich ein Drehparaboloid. Sind die Parabeln in
unterschiedliche Richtungen gekrümmt, so entsteht ein hyperbolisches Parabolo-
id.

Paraboloide als Regelflächen. Will man ein hyperbolisches Paraboloid oder


ein einschaliges Drehhyperboloid jedoch als Regelfläche – also mit geradlinigen
Erzeugenden – diskretisieren, dann muss man entweder windschiefe Vierecke in
Kauf nehmen, oder diese in Dreiecke aufteilen (Abbildung 11).

Abbildung 11: Gipfelrestaurant auf der Zugspitze. Drehhyperboloide durch windschiefe


Erzeugenden-Vierseite diskretisiert; Teilung in (ebene) Dreiecke.

4 Tragstruktur aus geodätischen Linien


Eine weitere Möglichkeit der Kuppelkonstruktion, die sich besonders für Holz-
bauweise mit Leimbindern eignet, sei am Beispiel eines Salzlagerbehälters in
der Schweiz – dem SALDOME in Rheinfelden bei Möhlin im Kanton Aargau –
erwähnt (Abbildung 12).
Die Verteilung der Knotenpunkte dieses Raumfachwerkes erfolgt durch stereo-
graphische Projektion eines gleichseitigen Dreiecksrasters auf die Kugelfläche
(Abbildung 13). Die »Stäbe« zwischen den Knoten sind Großkreisbögen der
Kugel, die jeweils durch Anfangs- und Endpunkt und dem fixen Kugelradius
bestimmt sind. Sie können alle mit einer einzigen Schablone hergestellt werden.
Diese Binder haben also alle dieselbe Krümmung, sind aber von unterschiedli-
cher Länge; denn eine Diskretisierung der Kugel mit mehr als 20 gleichseitigen
Dreiecken (Ikosaeder!) ist nicht möglich.

9
Abbildung 12: Bau des Salzlagerbehälters SALDOME;
Bild von der Seite http://baublatt.ch

Abbildung 13: Stereographische Abbildung 14: Fachwerkknoten


Projektion

Satz 4.1. Die stereographische Projektion ist winkeltreu.

Beweis. Wir betrachten einen Kugelpunkt P und seine stereographische Pro-


jektion σ(P ) auf die Äquatorebene. In P wählen wir zwei Kugeltangenten a,
b, welche die Äquatorebene in Punkten A und B schneiden. Wir müssen die
Winkelgleichheit ^AP B = ^Aσ(P )B zeigen. Da die beiden Dreiecke AP B und
Aσ(P )B die selbe Basis AB und auf dieser den selben Höhenfußpunkt F besit-
zen, müssen wir nur zeigen, das sie auch die selbe Höhe P F = σ(P )F haben. Das
ist aber in Abbildung 15 zu erkennen: Die Dreiecke N P S und N M σ(P ) (mit
Nordpol N , Südpol S und Kugelmittelpunkt M ) sind ähnlich, da entsprechende
Seiten orthogonal sind. Daher gilt ^N SP = ^N σ(P )M =: ϕ. Da das Dreieck
M SP gleichschenkelig ist, gilt auch ^M P S = ϕ. Als Normalenwinkel tritt ϕ
aber auch als ^F P σ(P ) auf (^M P F = 90° = ^SP σ(P )). Daher ist das Dreieck
F P σ(P ) gleichschenkelig und die behauptete Gleichheit der Höhen folgt.

Wegen der Winkeltreue der stereographischen Projektion können alle Knoten


bis auf jene am Rand der Kuppel gleichartig mit 6 × 60° Horizontalwinkel und

10
N

a00 = b00 σ(P )


M A00 = B 00 = F

Abbildung 15: Winkeltreue der stereographischen Projektion

einer gemeinsamen Knotenachse ausgeführt werden (Abbildung 14).


Die Binder des gerade beschriebenen Kuppelbaues folgen Großkreisen auf der
Kugel, welche bekanntlich die kürzesten Verbindungen zwischen zwei Kugelpunk-
ten darstellen. Man spricht von geodätischen Linien auf der Fläche. Geodätische
Linien sind auch dadurch gekennzeichnet, dass ihre Hauptnormalen (Kurvennor-
malen in der Schmiegebene) parallel zu den Normalen der Fläche, auf der sie
liegen, sind. Sie sind nicht nur die kürzesten, sondern auch die »geradesten«,
also am schwächsten gekrümmte Flächenkurven. Diese Tatsache führt zu einer
Anwendung im Holzbau.
Konstruiert man eine Gitterschale oder Netzkuppel in Brettschichtbauweise
(Abbildung 16), dann ist bei der Auslegung der Unterteilung darauf zu ach-
ten, dass sich die Latten mit rechteckigem Querschnitt in einer Richtung am
leichtesten biegen lassen. Einer Biegung quer zur Längsachse wird das Material
den größten Widerstand entgegensetzen. Die Achsen der Binder verlaufen also
entlang geodätischer Linien. Man kann das an einem schmalen rechteckigen
Papierstreifen veranschaulichen, der auf eine doppelt gekrümmte Fläche gelegt
wird. Seine Ränder und seine Mittellinie sind beim Ausbreiten in die Ebene
Geraden (also kürzeste Verbindungen zwischen zwei Punkten), auf der Fläche
daher geodätische Linien.
Abbildung 17 zeigt einen Pavillon am Neusiedlersee-Radweg, der die Form
eines Drehellipsoids besitzt und dessen Holztragwerk geodätischen Linien folgt
(Abbildung 18). Die geodätischen Linien wurden bei diesem Projekt mit Hilfe
eines Programms berechnet, das im Rahmen der Diplomarbeit von Andreas Wal-
ter an unserer Fakultät entstanden ist. Inzwischen ist ein Befehl zur Erzeugung

11
Abbildung 16: Brettschichtbauweise

geodätischer Linien auf NURBS-Flächen in Rhinoceros implementiert.

Abbildung 17: Pavillon (Arch. Jäger), Abbildung 18: Träger-Layout nach


Tragwerk Geodätischen

12
5 Triangulierungen
Unter einer Triangulierung einer ebenen Punktmenge Π versteht man die Ver-
bindung von Punkten P1 , P2 , . . . , Pn durch geradlinige Kanten zu einem Drei-
ecksnetz. Genauer gesagt, muss eine Triangulierung die folgenden Kriterien
erfüllen:

• Jedes Dreieck wird durch drei Punkte aus Π gebildet.

• Der Durchschnitt des Inneren zweier Dreiecke ist leer.

• Die Vereinigung aller Dreiecke liefert die konvexe Hülle von Π.

Eine Triangulierung ist bestimmt durch die Liste aller Punktkoordinaten und
die Information, welche der Punkte miteinander verbunden sind. Letztere nennt
man die Konnektivität des Netzes. Da man je vier Punkte bereits auf zumindest
zwei Arten zu zwei Dreiecken verbinden kann, ist eine Triangulierung nicht
eindeutig.

5.1 Voronoizellen, Delaunay-Triangulierung


Es gibt verschiedene Kriterien für die »Güte« einer Triangulierung. Allen ist
jedoch gemeinsam, dass schmale spitzwinkelige Dreiecke nach Möglichkeit ver-
mieden werden, das Dreiecksnetz also ausgeglichene Maschen besitzen soll.
Eine klassische Methode, zu einer günstigen Triangulierung zu gelangen, ist die
Konstruktion des sogenannten Voronoi-Diagramms der gegebenen Punktmenge.
Liegen die Punkte P1 , P2 , . . . , Pn in der Ebene, dann konstruiert man zu je zwei
Punkten die Streckensymmetrale und verschneidet diese Symmetralen miteinan-
der zu konvexen Voronoi-Zellen (Abbildung 19). Sind die Punkte P1 , P2 , . . . , Pn
im Raum verteilt, dann arbeitet man analog mit den Symmetrieebenen von je
zwei Punkten (Abbildung 20).
Mit dem Voronoi-Diagramm auf sehr einfache Weise verknüpft ist die soge-
nannte Delaunay-Triangulierung. Sie wird konstruiert, indem man jene Punkte
verbindet, deren Voronoizellen eine Seite beziehungsweise Seitenfläche gemeinsam
haben (Abbildung 21).

5.2 Nachteile von Dreiecksnetzen


Es gibt viele gebaute Beispiele von Freiformflächen, die durch Dreiecksnetze
angenähert werden. Neben der Überdachung des Messegeländes in Mailand
(siehe Titelbild dieses Skriptums) sei noch die Überdachung des Innenhofes des
British Museum in London von Sir Norman Foster genannt (Abbildung 22).

13
Abbildung 19: Ebene Voronoizellen Abbildung 20: Räumliche
Voronoizellen

Abbildung 21: Delaunay-Triangulierung

Dreiecksnetze haben aber gravierende Nachteile: Da in jedem Knoten mehr als


drei Facetten zusammentreffen, ist die Konstruktion einer Tragstruktur schwierig.
Versetzt man nämlich alle Dreiecksflächen um einen konstanten Abstand, dann
bilden die versetzten Flächen kein Dreiecksnetz mehr (Abbildung 23). Daher kann
man im Allgemeinen auch keine eindeutig bestimmten Knotenachsen angeben.
Man spricht von nicht torsionsfreien Knoten des Fachwerks. Realisierungen wie
das oben angegebene Beispiel sind sehr aufwändig und teuer. Dazu kommt noch,
dass beim Zuschnitt von dreieckigen Glaselementen mehr Abfall entsteht, als
zum Beispiel bei Vierecken.
Wählt man in den Knoten des Netzes die Achsen in Richtung der Normalen der
zu approximierenden Fläche, dann sind benachbarte Knotenachsen in der Regel
windschief. Das heißt die Mittenebenen der in einem Knoten zusammentreffenden
Streben schneiden sich nicht in einer Achse (Abbildung 24). Abgesehen davon,
dass dies für die Statik ungünstig ist, muss jeder Knoten individuell gefertigt
werden.

14
Abbildung 22: Innenhof des British Museum, London

Abbildung 23: Offset einer sechsseitigen Abbildung 24: Nicht torsionsfreier


Pyramide Knoten

5.3 Netzrelaxation
Unter Relaxation eines Netzes versteht man ein Verfahren, mit dem ein gegebenes
Netz in ein solches mit »ausgeglicheneren« Maschen übergeführt wird. Eine
Methode zur Relaxation eines Dreiecksnetzes wäre zum Beispiel das Ersetzen
jedes Knotens durch den Schwerpunkt seiner Nachbarknoten. Diese Prozedur
wird sooft wiederholt, bis die Positionsänderungen der Knoten unter einem
gewissen Schwellenwert bleiben.
Geht man von einem räumlichen Netz aus welches eine Freiformfläche appro-
ximiert (das heißt alle Knoten liegen auf der Fläche), dann müssen die Knoten
nach jedem Relaxationsschritt wieder auf die Fläche projiziert werden. Diese
Rückprojektion in Richtung der Normalen der approximierten Fläche kann im
CAD-System Rhinoceros mit dem Befehl [Pull Curve to Surface] erledigt
werden. Abbildung 25 zeigt drei Relaxationsschritte eines ebenen Dreiecksnetzes
in verschiedenen Farben (im Uhrzeigersinn).
Das Dreiecksnetz in Abbildung 25 besitzt irreguläre Knoten. Das sind solche,
von denen mehr oder weniger als sechs Kanten ausgehen. In einem regulären
Dreiecksnetz besitzen die Knoten – ausgenommen jene am Rand – die Valenz

15
Abbildung 25: Relaxation durch Schwerpunktbildung (im Uhrzeigersinn)

sechs; das heißt von ihnen gehen jeweils sechs Kanten aus. Fügt man zu den
Knoten eines Dreiecksnetzes alle Kantenmittelpunkte hinzu und verbindet diese
untereinander, so entsteht wieder ein (verfeinertes) Dreiecksnetz.

16
6 Hexagonale Netze
In einem regulären Sechsecksnetz haben die Knoten die Valenz drei. Es treffen
also drei Flächen und drei Kanten zusammen. Bei einer Diskretisierung mit
ebenen Paneelen hat man den Vorteil, dass sich die parallel versetzten Paneele
ebenfalls in einem Punkt schneiden (Abbildung 26). Wir werden in einem
späteren Abschnitt noch einmal auf Fünf- und Sechsecksnetze zurückkommen.

Abbildung 26: Teil einer Kuppel mit hexagonaler Unterteilung

17
7 Vierecksnetze
Bedingt durch neueste Forschungen über die Approximation von Freiformflächen
durch Netze mit möglichst vielen ebenen oder zumindest einfach gekrümm-
ten Maschen werden in der modernen Architektur neuerdings Vierecksnetze
favorisiert. Es sprechen folgende Vorteile für viereckige Netzmaschen:

• Die Komplexität der Knoten ist geringer als bei Dreiecksnetzen (Valenz
vier).

• Viereckige Paneele, zum Beispiel aus Glas, kommen in der Herstellung


billiger als dreieckige, weil weniger Verschnitt anfällt.

• Das Verhältnis Glas/Stahl ist günstiger als bei Dreiecksnetzen (man ten-
diert zu mehr Glas und weniger Stahl).

• Für Vierecksnetze ist es unter gewissen Umständen möglich, torsions-


freie Knoten (das heißt Knoten mit einer Knotenachse) herzustellen. Für
Dreiecksnetze auf Freiformflächen ist das prinzipiell nicht möglich.

• Die Konstruktion eines Tragwerks für ein Dreiecksnetz ist wesentlich


komplizierter.

Wir wollen im Folgenden verschiedene Ansätze erörtern, um eine Freiformfläche


mit einem Vierecksnetz zu diskretisieren.
Wählt man zur Unterteilung eines Stücks einer frei geformten Fläche Parame-
terlinien, so sind die Maschen dieses Netzes im Allgemeinen keine ebenen sondern
windschiefe Vierecke. In der Praxis muss man aber nicht unbedingt auf exakter
Planarität bestehen, da einerseits größere Paneele eine gewisse Biegung zulassen,
andererseits kleinere Abweichungen durch die Materialstärke des Tragwerks
kompensiert werden können (Abbildung 27).

Abbildung 27: Optimiertes Einpassen ebener Vierecke; Tragstruktur kompensiert


Abweichungen.

18
Als Maß für die Planarität eines räumlichen Vierecks kann zum Beispiel der
Normalabstand seiner beiden (windschiefen) Diagonalen dienen. Oder auch der
maximale Normalabstand eines Eckpunkts von der Ebene, die von den drei
restlichen Punkten aufgespannt wird.
Die aktuelle Rhinoceros-Version enthält einen Befehl, der abhängig von einem
Schwellenwert jene Vierecksmaschen eines Vierecksnetzes in Dreiecke zerlegt,
die nicht genügend planar sind (Abbildung 28). So ein Verfahren wurde bei
der Überdachung der Mailänder Messe (siehe Titelbild) angewandt. Große
Teile des Flachdaches wurden mit Vierecken verglast, nur bei den kraterartigen
Einbuchtungen mussten Dreieckselemente verwendet werden. Einen ästhetisch
befriedigenden Übergang zwischen diesen Zonen zu finden, war sicher eine
Herausforderung für die Ingenieure.

Abbildung 28: Zerlegung nicht hinreichend planarer Vierecksmaschen in Dreiecke mit


Hilfe von Rhinoceros.

Ein weiteres Beispiel für die Verglasung einer windschiefen Regelfläche mit
ebenen Vierecken ist die Fassade der Staatsgalerie Stuttgart des britischen
Architekten James Stirling (Abbildung 29). Die schmalen, hohen Glasvierecke
wurden zwischen den Stahlstäben optimiert eingepasst. Die Spiegelungen zeigen
deutlich die Abweichung von der gedachten Freiformfläche.

Abbildung 29: Neue Staatsgalerie Stuttgart (Foto Encyclopaedia Britannica)

19
8 Parallele Netze, geometrische Tragstrukturen und
Abstandsnetze
8.1 Parallele Netze
Im Folgenden bezeichnen wir ein Vierecksnetz mit ebenen Maschen mit PQ-
Netz (für »Planar Quads«). Zwei PQ-Netze N , N ? sind parallel, wenn es eine
eineindeutige Zuordnung zwischen ihren Knoten gibt und einander entsprechende
Kanten parallel sind (Abbildung 30). Weil entsprechende Kanten von parallelen
Netzen parallel und ihre Maschen planar sind, liegen entsprechende Maschen in
parallelen Ebenen. Daher ist jedes zu einem PQ-Netz parallele Netz auch ein
PQ-Netz.

Abbildung 30: Parallele Netze

8.2 Geometrische Tragstruktur


Bei einer realen Stahl/Glas-Netzkonstruktion werden ebene Glasplatten von
prismatischen Trägern gehalten, die den Kanten des Netzes folgen. Ein Knoten
entspricht einem Knoten des Netzes und verbindet die dort zusammentreffenden
Träger auf eine Weise, die für die Statik des Gesamtsystems möglichst günstig
ist.
Die Konstruktion und Herstellung von Knoten ist sehr viel einfacher, wenn
eine Knotenachse existiert, in der sich alle Mittenebenen der im Knoten zusam-
mentreffenden Träger schneiden (Abbildung 31), was keineswegs immer der Fall
sein muss.
Geometrisch gesehen sind Geraden a1 , a2 , . . . , an durch die Netzknoten genau
dann eine brauchbare Menge von Knotenachsen, wenn benachbarte Geraden
jeweils in einer Ebene liegen. Diese Ebene kann dann als Mittenebene für einen
Träger verwendet werden.

20
Abbildung 31: Knoten
Abbildung 32: Geometrische Trag-
mit Knotenachse struktur einer Schiebfläche

Wenn die Netze N (mit Knoten K1 , K2 , . . .) und N ? (mit Knoten K1? , K2? , . . .)
parallel sind, dann sind die Verbindungsgeraden ai := [Ki , Ki? ] entsprechender
Knoten eine Kollektion von Knotenachsen. Umgekehrt gilt: Wenn ein Netz N
Knotenachsen besitzt, dann existiert ein zu N paralleles Netz N ? so, dass die
Knotenachsen von N die Knoten von N und N ? miteinander verbinden.
Eine geometrische Tragstruktur ist also eine Menge von planaren Vierecken,
welche die entsprechenden Kanten zweier paralleler Netze verbinden und sich in
deren Knotenachsen schneiden (Abbildung 32).
Wenn alle Vierecke einer geometrischen Tragstruktur die gleiche Höhe besitzen,
die Kanten von N und N ? also parallel im selben Abstand liegen, dann nennt
man das Netz N ? ein Kantenabstandsnetz (»edge offset«) von N . Das ist
der Idealfall einer geometrischen Tragstruktur mit Trägern konstanter Höhe,
die sowohl auf der Aussen- wie auch auf der Innenseite perfekt bündig sind
(Abbildung 33).

Abbildung 33: Tragstruktur mit beidseitig bündigen Trägern konstanter Höhe. Die
Konstruktion basiert auf parallelen PQ-Netzen, die Kantenabstandsnetze sind.

In den meisten Fällen kann das Parallelnetz N ? kein Kantenabstandsnetz von

21
N sein. In diesen Fällen kann man die Bündigkeit der Träger nur auf einer Seite
erreichen (Abbildung 34).

Abbildung 34: Knoten einer Tragstruktur, die auf parallelen Netzen mit nicht
konstantem Kantenabstand beruht, perspektivisch und frontal.

Noch eine Bemerkung zu Dreiecksnetzen: Ein paralleles Netz D? zu einem Drei-


ecksnetz D kann nur entweder eine skalierte (ähnliche), oder parallel verschobene
(also kongruente) Version von D sein. Im ersten Fall gehen alle Knotenachsen
durch einen festen Punkt, die Tragstruktur kann daher nur sphärisch sein
(Kuppeln). Im zweiten Fall sind alle Knotenachsen parallel zueinander. Die
Forderung, dass die Knotenachsen aus statischen Gründen möglichst normal zur
Fläche stehen sollen, erlaubt dann nur ein ebenes Tragwerk. Für Dreiecksnetze
auf allgemeinen Freiformflächen lässt sich keine geometrische Tragstruktur mit
torsionsfreien Knoten konstruieren.

8.3 Abstandsnetze
Abstandsflächen (Parallelflächen) haben konstanten Abstand in Richtung der
gemeinsamen Flächennormalen. Im Gegensatz zu Flächen ist der Begriff eines
Abstandsnetzes bei PQ-Netzen nicht so einfach zu definieren. Je nachdem, welche
Komponenten der beiden Netze konstanten Abstand voneinander haben sollen,
unterscheidet man bei parallelen PQ-Netzen:

Knotenabstandsnetze: Konstanter Abstand zwischen entsprechenden Knoten.

Kantenabstandsnetze: Konstanter Abstand zwischen entsprechenden Kanten.

Flächenabstandsnetze: Konstanter Abstand zwischen entsprechenden Flächen.

Es ist nicht möglich, zu jedem beliebigen PQ-Netz ein Knoten-, Kanten- oder
Flächenabstandsnetze zu konstruieren. Nur bestimmte Typen von PQ-Netzen

22
erlauben spezielle Abstandsnetzarten. Zum Beispiel erlauben nur zirkuläre PQ-
Netze (Abbildung 35) die Konstruktion von Knotenabstandsnetzen. Das sind
planare Vierecksnetze, bei denen jede viereckige Facette einen Umkreis besitzt,
also ein sogenanntes Sehnenviereck ist. Sehenevierecke besitzen übrigens die Ei-
genschaft, dass gegenüberliegende Winkel sich auf 180° ergänzen (Abbildung 36).
Da die Winkel entsprechender Vierecke in parallelen Netzen erhalten bleiben,
ist jedes Parallelnetz eines zirkulären Netzes ebenfalls zirkulär.

Abbildung 35: Zirkuläres PQ-Netz Abbildung 36: Sehnenviereck

Für eine genauere Diskussion der Typen von PQ-Netzen und die dadurch
bestimmten Arten von Abstandsnetzen benötigen wir Werkzeuge der klassischen
Differentialgeometrie, insbesondere der Flächenkrümmung.

8.4 Das Gaußsche Bild einer Fläche


Verschiebt man die Anfangspunkte der orientierten Normaleneinheitsvektoren in
den Punkten einer glatten, mindestens zweimal stetig differenzierbaren, Fläche
in den Ursprung eines kartesischen Koordinatensystems, dann liegen deren End-
punkte auf der Einheitskugel. Diese Abbildung der Fläche auf die Einheitskugel
nennt man Gaußabbildung (Abbildung 37).
Interessant ist die Betrachtung von Sonderfällen. Das Gaußsche Bild

• einer Ebene ist ein einziger Punkt der Einheitskugel,

• eines Drehzylinders ist ein Großkreis,

• eines Drehkegels ist ein Kleinkreis,

• einer einfach gekrümmten (also abwickelbaren) Fläche ist eine Kurve.

Wie hängt nun die Gaußsche Krümmung κ, die bekanntlich als Produkt der
beiden Hauptkrümmungen κ1 , κ2 definiert ist, mit dieser Abbildung zusammen?

23
Abbildung 37: Gaußsches Bild eines doppelt gekrümmten Flächenstücks

Betrachten wir einmal eine Kugel K vom Radius R und auf ihr eine Kugelkappe
S (Abbildung 38). Die Kugelnormalen entlang des Begrenzungskreises von S
bilden einen Drehkegel N . N und sein Bild bei der Gaußschen Abbildung N ?
sind kongruent, daher entsteht S aus S ? durch eine Skalierung mit Faktor R.
Daraus folgt, dass die Flächen A? von S ? und A von S sich wie A? /A = 1/R2
verhalten. (Man denke an ein mit Faktor f vergrößertes Quadrat, dessen Fläche
durch diese Skalierung um den Faktor f 2 vergrößert wird).
Nun sind aber die Hauptkrümmungen der Kugel K in jedem ihrer Punkte
gleich κ1 = κ2 = 1/R, ihre Gaußsche Krümmung also gleich κ1 κ2 = 1/R2 =
A? /A. Das Verhältnis der beiden Flächen hängt von der Variation der Normalen
in der Umgebung eines Flächenpunktes ab. Bei starker Variation wird der
Flächeninhalt des Gaußschen Bildes dieser Umgebung größer sein als bei kleiner
Variation. A? /A ist daher ein Maß für das Krümmungsverhalten der Fläche. Man
kann für beliebige zweimal differenzierbare Flächen zeigen, dass der Grenzwert
von A? /A für A → 0 die Gaußsche Krümmung in einem Flächenpunkt ist.

Abbildung 38: Gaußsches Bild einer Kugelkappe

24
8.5 Das Gaußsche Bild von Abstandsnetzen
Ein Paar F , F d von glatten Parallel- bzw. Abstandsflächen hat gemeinsame
Normalvektoren, welche einander entsprechende Punkte im Abstand d verbinden.
Ihr Gaußsches Bild ist also bestimmt durch die mit Faktor 1/d skalierte Differenz
~n(u, v) = (~xd (u, v) − ~x(u, v))/d (Abbildung 39).
Ist ein Paar M , M d von parallelen Abstandsnetzen mit dem Knotenabstand d
gegeben, dann definiert man das diskrete Gaußsche Bild als skaliertes Differenzen-
Netz G = (M d − M )/d (Abbildung 40). Die Koordinatenvektoren ~gi der Knoten
von G können aus den Knoten ~xi , ~xdi der gegebenen parallelen Abstandsnetze
mit ~gi = (~xdi − ~xi )/d berechnet werden.
Die Kanten des Netzes G werden von denselben (gleichlangen) Vektoren
erzeugt wie jene der Netze M und M d . Es gilt daher, dass das Netz G, dessen
Knoten auf der Einheitskugel liegen, parallel zu den gegebenen Netzen M , M d
und damit auch ein PQ-Netz ist. Die Maschen von G sind planar, schneiden
daher die Einheitskugel nach Kreisen. Diese Kreise gehen durch die vier Ecken
jeder Masche. G ist also ein zirkuläres Netz (Abbildung 35). Als zu G parallele
Netze sind daher M und M d ebenfalls zirkulär. Zusammenfassend halten wir
also fest:

M d ist genau dann ein Knotenabstandsnetz von M , wenn die Knoten


des Gaußschen Bild-Netzes auf der Einheitskugel liegen. In diesem
Fall sind M d und M zirkuläre Netze.

Abbildung 39: Parallelflächen Abbildung 40: Gaußsches Bild von parallelen


Kantenabstandsnetzen

Sind M , M d Flächenabstandsnetze, dann besitzen die entsprechenden Facetten


konstanten Abstand und gemeinsame Normalen. Das Gaußsche Bild-Netz G
besteht demnach aus ebenen Maschen in konstantem Abstand 1 vom Ursprung.
Das heißt, die Maschen von G liegen in Tangentialebenen der Einheitskugel, mit

25
anderen Worten, das Gaußsche Bild-Netz G ist der Einheitskugel umgeschrieben
(Abbildung 41).
Betrachtet man einen Knoten ~gi des Gaußschen Bildnetzes G, dann berühren
die in ~gi zusammentreffenden ebenen Facetten einen Drehkegel Ci mit Spitze ~gi .
Geht man von G zum parallelen Netz M über, dann gilt dies wegen der Paralle-
lität entsprechender Facetten auch für den Knoten m~ i von M . Entsprechendes
gilt für alle Knoten von G und M . Das Netz M besitzt also die Eigenschaft, dass
die planaren Maschen, die in jedem Knoten zusammentreffen, einen Drehkegel
berühren (Abbildung 42). Man nennt so ein PQ-Netz ein konisches Netz.

Abbildung 41: Gaußsches Bild eines Flächenabstandsnetzes

Abbildung 42: Konisches Netz, benachbarte Abbildung 43: Flächenabstandsnetz


Knotenachsen

In einem konischen Netz M sind die Knotenachsen die Achsen dieser Drehke-
gel. Je zwei benachbarte Knotenachsen durch die Endpunkte einer Netzkante
schneiden sich, da sie in der Symmetrieebene jener Facetten liegen müssen, die
sich in dieser Kante treffen.
Ein Flächenabstandsnetz M d von M besitzt dieselben Knotenachsen und ist
auch ein konisches Netz. Dies ergibt sich aus der Parallelverschiebung der Flächen
von M mit konstantem Abstand (Abbildung 43). Konische Netze erlauben also

26
die Konstruktion einer geometrischen Tragstruktur und sind daher für das
Bauwesen besonders interessant.
Wie man aus Abbildung 44 unschwer erkennen kann, haben konische Netze
noch eine Eigenschaft, die sich zur programmierten Optimierung »fast konischer«
Netze eignet: Die Summen gegenüberliegender Netzmaschenwinkel in einem
Knoten sind gleich.
Zum Beweis schneidet man den berührenden Drehkegel in einem Netzknoten
und die dort zusammentreffenden (ebenen) Netzmaschen mit einer Ebene normal
zu seiner Achse. Der Schnitt ist ein Tangentenviereck samt seinem Inkreis. Da
die Tangentenstrecken aus einem Punkt an einen Kreis stets gleichlang sind,
folgt, dass benachbarte Dreiecke entlang einer Pyramidenkante kongruent sind.
Damit errechnet sich die Summe gegenüberliegender Winkel im Netzknoten zu
α + β + γ + δ.
Zusammenfassend halten wir fest:

M d ist genau dann ein Flächenabstandsnetz von M , wenn die Flä-


chen des Gaußschen Bild-Netzes die Einheitskugel berühren. In die-
sem Fall sind M d und M konische Netze.

Abbildung 44: Winkelsummen in einem konischen Netz

Als letzten Fall betrachten wir ein Kantenabstandsnetz M d eines PQ-Netzes


M . Sein Gaußsches Bild G ist ein PQ-Netz, dessen Kanten die Einheitskugel
berühren. Man nennt so ein Netz ein Koebe-Netz. Es hat die interessante
geometrische Eigenschaft, dass seine Facetten sämtlich Tangentenvierecke sind
(d.h. einen Inkreis besitzen). Die Flächen von G schneiden die Einheitskugel
also in einer Kreispackung (Abbildung 45).
Man kann zeigen, dass jedes zu einem Koebe-Netz G parallele Netz M ein
Kantenabstandsnetz von G ist. Da die von jedem Knoten von G ausgehen-
den Kanten als Tangenten an die Einheitskugel auf einem Drehkegel liegen,
schließen sie mit der Achse dieses Drehkegels gleiche Winkel ein. Aufgrund

27
der Kantenparallelität gilt dies auch für jedes Kantenabstandsnetz M d von M .
Die Achsen der Drehkegel sind die Knotenachsen von M d . Da alle in einem
Knoten zusammentreffenden Kanten gleiche Winkel mit der Knotenachse ein-
schließen, kann man sie als Basis für eine geometrische Tragstruktur mit Trägern
konstanter Höhe (siehe Abbildung 33) verwenden. Allerdings lassen sich mit
Kantenabstandsnetzen nicht beliebige Freiformflächen approximieren.
Wir merken uns:

M d ist genau dann ein Kantenabstandsnetz von M , wenn die Kanten


des Gaußschen Bild-Netzes G die Einheitskugel berühren. G ist in
diesem Fall ein Koebe-Netz.

Abbildung 45: Ein Koebe-Netz

28
9 Einige Grundlagen aus der Differentialgeometrie
9.1 Normalschnitt und Normalkrümmung
Die Schnittkurve c einer glatten Fläche F mit einer Ebene σ, welche die Flä-
chennormale n in einem regulären Punkt von F enthält, nennt man einen
Normalschnitt von F (Abbildung 46). Die Krümmung von c in P ist eine Nor-
malkrümmung von F . Dreht sich die Schnittebene σ um n, ändert sich die
Normalkrümmung und nimmt im Allgemeinen je einmal einen minimalen und
einen maximalen Wert an.

Abbildung 46: Normalschnitt und Normalkrümmung

9.2 Hauptkrümmungen und Gaußsche Krümmung


Die zu den beiden Extremwerten gehörenden Krümmungen κ1 , κ2 bezeichnet
man als Hauptkrümmungen der Fläche F im Punkt P . Sie gehören stets zu aufein-
ander senkrecht stehenden Normalschnittebenen! Das heißt, die entsprechenden
Normalschnitte schneiden sich in P unter rechtem Winkel.
Das Produkt κ = κ1 κ2 ist die Gaußsche Krümmung der Fläche F im Punkt
P . Sind κ1 und κ2 auf der ganzen Fläche ungleich Null, dann ist die Fläche
doppelt gekrümmt. Verschwindet eine der beiden Hauptkrümmungen in allen
Flächenpunkten, dann verschwindet auch die Gaußsche Krümmung – die Fläche
ist nur einfach gekrümmt, also abwickelbar.
Je nachdem, ob κ1 und κ2 in einem Flächenpunkt P gleiches, oder verschiede-
nes Vorzeichen besitzen, spricht man von einem elliptischen oder hyperbolischen
Flächenpunkt. Im Fall, dass eine der beiden Hauptkrümmungen gleich Null ist,
von einem parabolischen Flächenpunkt (Abbildung 47).

29
Abbildung 47: Elliptischer, hyperbolischer und parabolischer Flächenpunkt

9.3 Oskulierendes Paraboloid in einem regulären Flächenpunkt


Betrachten wir eine Parabel mit Scheitel im Koordinatenursprung. Ihre Gleichung
lautet
κ
y = x2 .
2
Sie hat wegen
y 00 κ
κ(x) = 02 3/2
=
|1 + y | |1 + (κx)2 |3/2
an der Stelle x = 0 die Krümmung κ.
Nun zurück zu einem Punkt P auf einer Fläche F . Wir denken uns ein
rechtwinkeliges kartesisches Koordinatensystem derart eingeführt, dass P der
Koordinatenursprung, n die z-Achse und die Tangentialebene in P die [x, y]-
Ebene ist. Die x- und y-Achsen sollen in Richtung der Hauptnormalschnitte
verlaufen (Abbildung 48). Wir ersetzen die Hauptnormalschnitte von F in P
durch ihre Taylorapproximationen 2. Ordnung und erhalten so zwei Parabeln in
orthogonalen Ebenen, deren Krümmungen im Ursprung P mit den Hauptkrüm-
mungen der Fläche F in P übereinstimmen.
Diese beiden Parabeln bestimmen ein Paraboloid (beziehungsweise einen
parabolischen Zylinder, wenn eine der beiden Hauptkrümmungen verschwindet)
– das oskulierende Paraboloid von F im Punkt P . Seine Gleichung lautet:
κ1 2 κ2 2
z= x + y .
2 2
Dieses Paraboloid hat im Punkt P dasselbe Krümmungsverhalten wie die
betrachtete Fläche F . Je nachdem, ob die Hauptkrümmungen in P gleiche
oder verschiedene Vorzeichen besitzen, ergibt sich ein elliptisches oder ein
hyperbolisches oskulierendes Paraboloid. Ist eine der beiden Hauptkrümmungen
Null, dann erhalten wir einen parabolischen Zylinder.

30
Abbildung 48: Hauptkrümmungen der Fläche F im Punkt P . Die beiden Parabeln
(rot) besitzen die Hauptkrümmungen der Fläche als Krümmungskreise (schwarz).

Damit lässt sich aus den beiden Hauptkrümmungen κ1 und κ2 die Krümmung
κn eines beliebigen Normalschnittes mit Richtungswinkel α ermitteln: Führt
man ein neues Koordinatensystem (u, z) in der Normalschnittebene zu α ein
(Abbildung 49), dann gelten die Beziehungen

x = u cos α und y = u sin α.

Einsetzen in die Gleichung des oskulierenden Paraboloids liefert mit


1
z = (κ1 cos2 α + κ2 sin2 α)u2
2
die Gleichung einer Parabel p, deren Krümmung im Koordinatenursprung genau
die gesuchte Normalkrümmung κn zum Richtungswinkel α ist. Da der Koeffizient
von u2 in ihrer Gleichung gleich κn /2 ist, gilt die Formel von Euler:

κn (α) = κ1 cos2 α + κ2 sin2 α.

Abbildung 49: Normalkrümmung zur Richtung α als Scheitelkrümmung der Parabel p


mit dem oskulierenden Paraboloid S

31
9.4 Die Dupinsche Indikatrix
Wir betrachten eine Fläche F und auf ihr einen Punkt P . Zu jeder Flächentan-
gente durch P kann man die Normalkrümmung κn und den Krümmungsradius
rn = κn−1 des Normalschnittes berechnen. Trägt man auf allen Flächentangenten

von P aus den Wert rn ab, erhält man eine Kurve in der Tangentialebene von
F in P – die Dupinsche Indikatrix. Die Indikatrix ist eine Ellipse, ein Paar von
Hyperbeln mit gemeinsamen Asymptoten oder ein Paar paralleler Geraden je
nachdem, ob P ein elliptischer, hyperbolischer oder parabolischer Flächenpunkt
ist (Abbildung 50).

Abbildung 50: Dupinsche Indikatrizen in einem elliptischen, hyperbolischen und


parabolischen Flächenpunkt (von links nach rechts)

Bemerkungen:

• Ist die Dupinsche Indikatrix kein Kreis, dann gibt es im betrachteten


Flächenpunkt genau zwei Richtungen mit extremaler Normalkrümmung.
Diese beiden Hauptkrümmungsrichtungen schließen als Achsenrichtungen
eines Kegelschnittes einen rechten Winkel ein.

• Ist die Dupinsche Indikatrix ein Kreis, dann sind die Hauptkrümmungs-
richtungen im betrachteten Flächenpunkt unbestimmt (zum Beispiel bei
einem Punkt auf einer Kugel). So einen Punkt nennt man Nabelpunkt.

• In einem hyperbolischen Flächenpunkt P gibt es zwei Richtungen, in


denen die Normalkrümmung gleich Null wird. Die zu diesen Richtungen
gehörenden Normalschnittkurven besitzen in P einen Wendepunkt. Die
Hauptkrümmungsrichtungen sind die Winkelsymmetralen dieser Asympto-
tenrichtungen.

• Es kann sein, dass die Normalkrümmung in alle Richtungen gleich Null


wird. In diesem Fall entartet die Dupinsche Indikatrix in eine Ferngerade.
Der entsprechende Punkt heißt Flachpunkt.

32
• Die Hauptkrümmungslinien – das sind jene Flächenkurven, deren Tan-
genten sämtlich in Hauptkrümmungsrichtungen verlaufen – bilden ein
orthogonales Kurvennetz auf der Fläche.

33
10 Konjugierte Kurvennetze
Gegeben seien eine glatte Fläche F und auf ihr zwei Scharen S1 , S2 von Kurven.
S1 und S2 bilden ein konjugiertes Kurvennetz, wenn folgendes gilt: Wähle
eine Kurve c1 aus S1 . In jedem Kurvenpunkt P von c1 bilde die Tangente an
die entsprechende Kurve c2 aus S2 die c1 in P schneidet. Diese Tangenten
müssen eine abwickelbare Regelfläche T bilden. Man nennt T die abwickelbare
Tangentenfläche an F längs c1 (Abbildung 51).

Abbildung 51: Tangentenfläche T an die Fläche F längs c.

• Das Netz aus Meridianen und Parallelkreisen auf einer Drehfläche. Die
Tangenten an die Meridiane in den Schnittpunkten mit jedem Parallelkreis
bilden einen Drehkegel beziehungsweise Drehzylinder (Abbildung 52) und
die Tangenten an die Parallelkreise in den Schnittpunkten mit einem
Meridian erzeugen eine (allgemeine) Zylinderfläche (Abbildung 53).

• Das Netz der Parameterlinien einer Schiebfläche. Die Tangenten an die


v-Parameterlinien in den Schnittpunkten mit einer u-Parameterlinie sind
zueinander parallel und erzeugen daher eine Zylinderfläche (Abbildung 54).
Gleiches gilt für die Tangenten an u-Parameterlinien in den Schnittpunkten
mit einer v-Parameterlinie.

Diese Beispiele sind anschauliche Spezialfälle von konjugierten Kurvennetzen.


Zur Konstruktion eines allgemeinen konjugierten Netzes auf einer beliebigen
glatten Fläche benötigt man einige Kenntnisse aus der Differentialgeometrie.
Ohne Beweise sei hier nur die Strategie angedeutet, mit der man zu einer belie-
bigen Kurvenschar S1 auf einer Fläche F zu der dazu konjugierten Kurvenschar
S2 gelangt:
Zuerst muss man zu jeder Kurve c der Schar S1 die abwickelbare Tangenten-
fläche T bezüglich F ermitteln. Die Regelfläche T ist eindeutig bestimmt durch

34
Abbildung 53: Zylinder aus
Abbildung 52: Kegel aus Parallelkreistangenten
Meridiantangenten einer Drehfläche

Abbildung 54: Die Parameterlinien einer Schiebfläche bilden ein konjugiertes


Kurvennetz

ihre Erzeugenden e. Ist P ein Punkt von c und t die Tangente an c in P , dann
liegt t in der Tangentialebene von F in P . Die gesuchte Erzeugende e von T
liegt ebenfalls in dieser Tangentialebene und verläuft in der zur Richtung von t
konjugierten Richtung.
Der Begriff der konjugierten Richtung hängt mit der Flächenkrümmung von F
im Punkt P zusammen: konjugierte Geraden durch einen Punkt P der Tangen-
tialebene haben die Richtungen von konjugierten Durchmessern der Dupinschen
Indikatrix in P . Abbildung 55 zeigt die Dupinsche Indikatrix samt einem Paar
konjugierter Durchmesser in je einem elliptischen, parabolischen und hyperboli-
schem Flächenpunkt eines Torus. Im Fall des parabolischen Flächenpunktes ist
jede Richtung zur Richtung der Dupinschen Indikatrix (Parallelgeradenpaar)
konjugiert.

35
Abbildung 55: Konjugierte Richtungen in Punkten eines Torus.

Wegen der freien Auswahl der ersten Schar von Kurven folgt, dass eine Fläche
unendlich viele konjugierte Kurvennetze besitzt. Einen wichtigen Sonderfall
stellt das Netz der Hauptkrümmungslinien einer Fläche dar, bei dem die Kurven
in jedem Punkt in den Richtungen der Maximalkrümmungen verlaufen und
sich daher unter rechtem Winkel schneiden (Abbildung 56). Dieses konjugierte
Kurvennetz ist eindeutig bestimmt!
Ein ebenes Vierecksnetz kann als diskrete Version eines konjugierten Kurven-
netzes angesehen werden. Besteht das konjugierte Kurvennetz aus Hauptkrüm-
mungslinien, dann ist seine diskrete Version ein zirkuläres Netz, bei dem jede
Facette ein Sehnenviereck ist (siehe Abbildung 35 und Abbildung 36).

Abbildung 56: Konjugiertes Kurvennetz aus Hauptkrümmungslinien auf einem


hyperbolischen Paraboloid. Durch dieses Netz ist ein ebenes Vierecksnetz definiert. Da
diese Fläche auch als Schiebfläche (Parabel längs Parabel) erzeugt werden kann,
existiert noch ein weiteres konjugiertes Netz, welches optisch befriedigender ist und
ebenfalls ein ebenes Vierecksnetz ermöglicht (siehe auch Abbildung 32 und 54).

36
Literatur
[1] Zubin Khabazi. Generative Algorithms using Grasshopper. http://www.
morphogenesism.com, 2010.
[2] Helmut Pottmann u. a. Architekturgeometrie. Springer & Bentley Institute
Press, 2010.

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