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Achim Feldmeier

Theoretische
Mechanik
Analysis der Bewegung –
eine physikalisch-mathematische
Einführung
Theoretische Mechanik
Achim Feldmeier

Theoretische Mechanik

Analysis der Bewegung –


eine physikalisch-mathematische
Einführung
Achim Feldmeier
Universtät Potsdam
Potsdam-Golm, Deutschland

ISBN 978-3-642-37717-4 ISBN 978-3-642-37718-1 (eBook)


DOI 10.1007/978-3-642-37718-1

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rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der
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benutzt werden dürften.

Planung und Lektorat: Dr. Vera Spillner, Stella Schmoll


Redaktion: Dr. Michael Zillgitt

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

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Für Gudrun
Vorwort

Die klassische Mechanik handelt von Newtons II. Axiom mrER D FE .


Gesucht ist die Bahn rE.t/ der Masse m bei einer Krafteinwirkung FE .

Die Kinematik behandelt den einfachsten Fall rER D 0.


Sie führt auf Scheinbeschleunigungen, z. B. die Coriolisbeschleunigung.

Die Gleichung mrER D FE wird auf drei äquivalente Weisen umformuliert:


 in die Euler-Lagrange-Gleichung

d @L @L
 D 0;
dt @qPi @qi

 in die Hamilton-Gleichungen

@H @H
qP i D ; pPi D  ;
@pi @qi

 in die Liouville-Gleichung im Phasenraum

d
D 0:
dt
Die zwei klassischen, lösbaren Probleme der Mechanik sind
 das Keplerproblem als Beispiel einer nichtlinearen Zentralkraft,
 der harmonische Oszillator mit einer Quadratform für die Energie.
Zum Grundstoff einer Mechanikvorlesung gehören noch Drehungen (des starren
Körpers), bei welcher Gelegenheit Tensoren eingeführt werden, und der Lagrange-
formalismus erster Art für Systeme mit Zwangsbedingungen.

Kapitel 1 über Vektoranalysis setzt beim Leser einige Bereitschaft zu längeren


Rechnungen voraus, die sich teils wohl erst im Kurs entwickelt. Darum, und weil
die Vektoranalysis zwar ein Initiationsritus der Physik ist, mangelnde Vertrautheit
VII
VIII Vorwort

mit ihr aber wenigstens in der Mechanik den Umgang mit dem Stoff kaum er-
schwert – sie wird in größerem Umfang erst beim Liouvilleschen Satz und beim
Euler-Lagrange-Formalismus erster Art gebraucht –, betrachte ich dieses Kapitel
als semesterbegleitend.

Kapitel 10 über Störungen stellt zwei etwas aufwendigere Rechnungen vor, die
Herleitung der Greenfunktion des Oszillators sowie der Resonanznenner bei der
Kolmogorowtransformation im KAM-Theorem. Beides gehört nicht zum traditio-
nellen Lehrstoff, erscheint mir aber interessant und modern.

Weil es aus Vorlesungen entstand, ist das Buch nicht auf Vollständigkeit bedacht,
sondern will nur einen Querschnitt geben. Sein Inhalt sollte das in einer vierstündi-
gen Vorlesung Mögliche um nicht mehr als ein Viertel überschreiten.

Das Erscheinungsbild des Textes mag verwundern:


Fast alle Sätze sind kürzer als eine Zeile.
Dies bedeutet nicht, dass der Text in Skriptform ist.
Sondern ich versuche, Text wie Herleitungen stark zu gliedern.
Die meisten Gedanken sollten sich ja in einer Zeile ausdrücken lassen.

Mathematische Logik, analytische Philosophie, Informatik, Linguistik und Mikro-


biologie arbeiten mit syntaktischen Transformationen von Zeichenketten. Vielleicht
kann das Buch einen ersten Eindruck vom Reiz dieses in der Physik so genannten
Umformens vermitteln; und vielleicht ist das auch schon Denken.

Ich bedanke mich bei den Hörerinnen und Hörern dieser Vorlesung, die durch ih-
re Rückfragen zur Schärfung der Argumente beigetragen haben. Mein Dank gilt
Herrn Timo Felbinger und Herrn Professor Martin Wilkens für fachliche Gesprä-
che und Hilfe, Frau Dr. Spillner, Herrn Dr. Zillgitt, Frau Barth und Frau Schmoll
vom Springer-Verlag für die sehr gute Betreuung des Buches, und ganz besonders
meiner Frau für ihre Geduld bei der Abfassung.

Kritik und Anregungen sind willkommen unter: afeld@uni-potsdam.de

Achim Feldmeier
Die ganze Methode der Differentialrechnung ist in
dem Satze, daß dx n D nx n1 dx, . . . absolvirt.
Man bedarf weiter nichts zu erlernen . . . ; in wenig
Zeit, vielleicht in einer halben Stunde . . . , kann man
die ganze Theorie inne haben.

G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Teil 1 (1832),


Gesammelte Werke Bd. 21, Hrsg. Hogemann u.
Jaeschke, Meiner, Hamburg, 1985, S. 273f
Inhaltsverzeichnis

1 Vektoranalysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Skalar- und Kreuzprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Summationskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.3 Krummlinige Orthogonalkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . 5
1.4 Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7
1.5 Felder und Vektordifferentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.6 Gradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.7 Gradient in krummlinigen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.8 Linienintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
1.9 Oberflächenintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
1.10 Rotor und der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
1.11 Divergenz und der Satz von Gauß . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
1.12 div und rot mit metrischen Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
1.13 Nabla-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
1.14 rot grad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
1.15 div rot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
1.16 Erster Helmholtzscher Wirbelsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
1.17 Vektorgradient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
1.18 Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
1.19 Vektortransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2 Kinematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.1 Geschwindigkeit und Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.2 Galileitransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
2.3 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
2.4 Variablen x; xP und Orts-Geschwindigkeits-Raum . . . . . . . . . 50
2.5 Bahnbeschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51
2.6 Eulerformel für rotierende Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.7 Scheinbeschleunigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
2.8 Eine Meeresströmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
2.9 Trägheitskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

XI
XII Inhaltsverzeichnis

3 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.1 Newtons Axiome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.2 Energiesatz für konservative Kräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
3.3 Oszillatorgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3.4 Energiesatz des Oszillators . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
3.5 Gedämpfter Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.6 Getriebener Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
3.7 Zwei gekoppelte Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.8 Drei gekoppelte Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
3.9 Doppelpendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

4 Gravitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.1 Raumwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
4.2 Poissongleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
4.3 Zentralkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
4.4 Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
4.5 Flächensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
4.6 Newtons Beweis des Flächensatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85
4.7 Potentialtopf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
4.8 Keplerellipse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
4.9 Gezeitenpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
4.10 Eingeschränktes Dreikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . 96
4.11 Hillsche Mondtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

5 Teilchensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.1 Impulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
5.2 Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
5.3 Energie und Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
5.4 Potential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109


6.1 Prinzip der kleinsten Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109
6.2 Variablen x; xP und verallgemeinerte Koordinaten . . . . . . . . . 110
6.3 Der Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
6.4 Schnellste und kürzeste Bahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
6.5 Aufgabenstellung der Variationsrechnung . . . . . . . . . . . . . . 120
6.6 Eulers originale Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
6.7 Herleitung nach Lagrange . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127
6.8 Moderne Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
6.9 Höhere Differentialordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
6.10 Mehrere Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
6.11 Die Oszillatorkette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
6.12 Die Wellengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Inhaltsverzeichnis XIII

7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137


7.1 Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
7.2 Prinzip der virtuellen Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138
7.3 Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art . . . . . . . . 139
7.4 Virtuelle Arbeit und Zwangskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
7.5 Euler-Lagrange 1. Art für verallgemeinerte Koordinaten . . . . . 143
7.6 Euler-Lagrange 1. Art für nichtholonome Zwänge . . . . . . . . 144
7.7 Eulers originale Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146
7.8 Isoperimetrisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149
7.9 Lagrangesches Lemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

8 Hamiltonmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
8.1 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
8.2 Impulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
8.3 Drehimpulserhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
8.4 Hamiltonsche Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
8.5 Phasenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
8.6 Legendretransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
8.7 Periodische und zyklische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 162
8.8 Phasenraumtori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
8.9 Wirkungs- und Winkelvariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
8.10 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
8.11 Erzeugende Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169
8.12 Exaktes Differential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
8.13 Zeitentwicklung als kanonische Transformation . . . . . . . . . . 174
8.14 Hamilton-Jacobi-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176
8.15 Definition der Poissonklammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
8.16 Poissonklammer und kanonische Koordinaten . . . . . . . . . . . 179
8.17 Poissonklammer und Hamiltongleichungen . . . . . . . . . . . . 181
8.18 Poissonklammer und Integrale der Bewegung . . . . . . . . . . . 182

9 Satz von Liouville . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185


9.1 Phasenraumflüssigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
9.2 Herleitung des Satzes von Liouville . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
9.3 Beweis mit Volumendeformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192
9.4 Beweis mit Jacobideterminante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
9.5 Gerader elastischer Stoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
9.6 Poincaréinvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197

10 Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
10.1 Deltafunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
10.2 Fouriertransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
10.3 Greenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
10.4 Dispersionsrelation und Greenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . 207
10.5 Gestörte Phasenraumtori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208
10.6 Resonanznenner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
XIV Inhaltsverzeichnis

11 Drehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
11.1 Drehungen um drei Achsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
11.2 Orthogonale Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
11.3 Drehoperatoren und Drehgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
11.4 Tensoren vom Rang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
11.5 Dualvektorraum und Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
11.6 Bra-kets nach Dirac . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
11.7 Infinitesimale Drehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226
11.8 Zahl der Drehungen im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

12 Starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231


12.1 Translationsinvarianz von !E . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
12.2 Rotationsenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
12.3 Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
12.4 Transformationsverhalten von Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . 234
12.5 Transformationsverhalten von Gleichungen . . . . . . . . . . . . 236
12.6 Hauptachsentransformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
12.7 Dreharme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
12.8 Invarianz von Kräftepaaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
12.9 Die Eulerschen Kreiselgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
12.10 Der kräftefreie, symmetrische Kreisel . . . . . . . . . . . . . . . . 242

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
Abkürzungen

bzgl. bezüglich
d. h. das heißt
i. a. im allgemeinen
s. siehe
s. u. siehe unten
S. Seite
u. a. unter anderem
vgl. vergleiche
DGL Differentialgleichung
ELG Euler-Lagrange-Gleichung
PvA Prinzip der virtuellen Arbeit

XV
Vektoranalysis
1

Wir beginnen mit der Vektoranalysis im Vektorraum R3 .


Die Darstellung lehnt sich an Greiner (1977) und Weatherburn (1924) an.
Weiterführend sind Jänich (1993), Lang (2002) und Sternberg (1983).

1.1 Skalar- und Kreuzprodukt

Raum und Zeit sind in der klassischen Mechanik unproblematisch:


Raum ist der euklidische R3 , Zeit ist RC (positiv reell seit dem Urknall).
Im R3 wird ein Punkt O als Ursprung ausgezeichnet.
Weiterhin wird der R3 mit einer Vektorraumstruktur versehen:
Zu jedem Punkt P gibt es den (gebundenen) Ortsvektor rE von O nach P .

Dies ist nicht möglich in verallgemeinerten euklidischen Räumen.


Für diese differenzierbaren Mannigfaltigkeiten siehe Chern et al. (1999).
Mannigfaltigkeiten haben i. A. keine Vektorraumstruktur.
Doch haben sie an jedem Punkt einen Tangentialvektorraum.
In diesem liegt dann z. B. der Geschwindigkeitsvektor.

Descartes ordnete Punkten P im R3 Zahlentupel .x; y; z/ zu.


Ihm gelang damit eine Arithmetisierung der Geometrie.
Außer .x; y; z/ schreiben wir auch .x1 ; x2 ; x3 / und .xi /.

Es seien eOi mit i D 1; 2; 3 die kartesischen Einheitsvektoren im R3 .


Wir schreiben diese alternativ auch als eOx ; eOy ; eOz und {O; |O; k. O
Hierbei ist {O D eO1 ; |O D eO2 ; kO D eO3 , d. h. {O; |O; kO sind hier feste Namen.
Es sei ıij das Kroneckersymbol, wieder mit i; j D 1; 2; 3:
(
1 wenn i D j
ıij D (1.1)
0 sonst:

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_1, 1


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2 1 Vektoranalysis

Das Skalarprodukt  zweier Vektoren ist definiert durch


(a) Bilinearität (mit ˛; ˇ; ;  2 R)

E  . cE C dE/ D ˛ aE  cE C ˛ aE  dE C ˇ bE  cE C ˇ bE  dE
.˛ aE C ˇ b/ (1.2)

(b) und die Regel

eOi  eOj D ıij : (1.3)

Schreibt man das Skalarprodukt als Funktion S zweier Vektoren,

S W R3  R3 ! R;
a; cE/ D aE  cE;
S.E (1.4)

so heißt Bilinearität: S ist linear in beiden Argumenten,

E cE/ D ˛ S.E
S.˛ aE C ˇ b; E cE/;
a; cE/ C ˇ S.b;
a;  cE C dE/ D  S.E
S.E a; dE/:
a; cE/ C  S.E (1.5)

Seien aE D a1 eO1 C a2 eO2 C a3 eO3 und bE D b1 eO1 C b2 eO2 C b3 eO3 . Dann ist
X  X 
aE  bE D ai eOi  bi eOi
i i
XX
D ai bj eOi  eOj
i j
XX
D ai bj ıij
i j
X
D a i bi : (1.6)
i
P
Die Umbenennung i ! j erlaubt, nach vorn zu ziehen.
j
Man pleite als Übung die bekannte Formel aE  bE D ab cos  her;
E
a D aE  aE ist die Länge von aE ,  ist der Winkel zwischen aE und b.
Wir benutzen im Folgenden also die Abkürzung r D rE  rE.
2

Die Tupel .2; 3; 1/, .1; 3; 2/ usw. sind Permutationen von .1; 2; 3/.
.j; i; k/ und .i; k; j / sind Vertauschungen nächster Nachbarn von .i; j; k/.
.i; j; k/ ist eine gerade Permutation von .1; 2; 3/ wenn gilt:
Eine gerade Zahl von Vertauschungen nächster Nachbarn ergibt .1; 2; 3/.
Entsprechend umgekehrt werden ungerade Permutationen definiert.
Sei ijk das sogenannte Epsilonsymbol

ijk D P .i; j; k/; (1.7)

mit P D 1 für gerade, 1 für ungerade Permutationen von .1; 2; 3/, sonst 0.
1.2 Summationskonvention 3

Das Kreuzprodukt  zweier Vektoren ist definiert durch


(a) Bilinearität
(b) und die Regel

X
3
eOi  eOj D "ijk eOk : (1.8)
kD1

Seien aE und bE wie oben. Dann ergeben (a) und (b)

aE  bE D .a2 b3  a3 b2 / eO1 C .a3 b1  a1 b3 / eO2 C .a1 b2  a2 b1 / eO3 : (1.9)

Elementargeometrisch findet man leicht die bekannte Formel mit sin:


jE E ist die Fläche des durch aE und bE aufgespannten Parallelogramms.
a  bj

1.2 Summationskonvention

Skalarprodukte schreiben sich einfacher mit Summationskonvention.


Sie besteht aus folgenden Festlegungen:
 Entweder tritt ein Index auf beiden Gleichungsseiten einmal auf;
dann wird über den Index nicht summiert.
 Oder der Index tritt auf einer oder auf beiden Seiten zweimal auf;
dann wird auf der einen oder auf beiden Seiten über ihn summiert.
Tritt ein Index auf einer Seite mehr als zweimal auf, liegt ein Fehler vor.
Mindestens ein Summationsindex muss dann umbenannt werden.
Zweimal auftretende Indizes heißen stumm, ihr Name ist willkürlich.
Sie können daher jederzeit umbenannt werden.
Mit diesen Regeln werden die Summenzeichen redundant.
Somit können sie weggelassen (und wieder rekonstruiert) werden.

Beispiel 1 Wir wollen s D .E a  cE/.E


u  vE/ kartesisch ausschreiben.
Falsch wäre s D ai ci ui vi . Richtig ist, nach Umbenennung, s D ai ci uj vj .

Beispiel 2 Die kinetische Energie T ist

1 X 2
3
1
T D m xP i D mxP i xP i : (1.10)
2 2
i D1

Hier muss xP i2 durch xP i xP i ersetzt werden, damit i zweimal dasteht.

Beispiel 3 Die Einheitsmatrix sei 1 D .ıij /.


Die Identitätsabbildung eines kartesischen Vektortupels ist
xi D ıij xj : (1.11)

Denn z. B. ist x1 D 1  x1 C 0  x2 C 0  x3 D ı11 x1 C ı12 x2 C ı13 x3 .


4 1 Vektoranalysis

Beispiel 4 Der Ortsvektor wird geschrieben als rE D ri eOi :


Wir benutzen Summationskonvention in der Basisdarstellung von rE.
Das Längenquadrat ist dann, vgl. (1.6),

r 2 D rE  rE
.a/
D .ri eOi /  .rj eOj /
.b/
D ri rj eOi  eOj
.c/
D ri rj ıij
.d /
D ri ri : (1.12)

.a/ .ri eOi /  .ri eOi / hätte vier i


.b/ Bilinearität von 
.c/ Definition des Skalarprodukts
.d / Einfachsumme wegen ıij

Beispiel 5 Sei f D f .t; x1 .y1 ; y2 ; y3 /; x2 .y1 ; y2 ; y3 /; x3 .y1 ; y2 ; y3 //.


Hierbei seien yi neue Koordinaten und xi alte Koordinaten.
Dafür wird künftig einfach f .t; x.y// geschrieben, ohne Indizes!
Die totale Zeitableitung ist mit Summationskonvention

df @f @f @xi
D C yPj : (1.13)
dt @t @xi @yj

Beispiel 6 Seien A D .Aij / und B D .Bij / Matrizen.


Die Matrixmultiplikation  ist definiert durch

.A  B/ij D Ai l Blj ; (1.14)

mit Summation über den stummen Index l.


Im allgemeinen kommutiert die Matrixmultiplikation nicht,

.A  B/ij D Ai l Blj ¤ Bi l Alj D .B  A/ij : (1.15)

Weil die Ai l und Blj Zahlen sind, gilt jedoch

Ai l Blj D Blj Ai l : (1.16)

Beispiel 7 (für später). Sei Xi D Aij xj .


Für die Matrix A soll gelten A D A und A2 D 1 (Einheitsmatrix).
1.3 Krummlinige Orthogonalkoordinaten 5

Dann ist das Längenquadrat invariant, denn es gilt


.a/
Xi Xi D Aij xj Ai k xk
.b/
D Aij Ai k xj xk
.c/
D Aj i Ai k xj xk
.d /
D Aj i Ai k xj xk
.e/
D ıjk xj xk
.f /
D xj xj : (1.17)

.a/ Umbenennen des stummen Indizes j ! k


.b/ Aij ; Ai k und xj ; xk sind Zahlen, vertauschen also.
.c/ Definition der transponierten Matrix
.d / Voraussetzung A D A
.e/ Voraussetzung A2 D 1
.f / Identitätsabbildung eines Tupels

1.3 Krummlinige Orthogonalkoordinaten

Descartes definierte Koordinaten als Längenmarken auf Geraden.


Nach Leibniz sind krummlinige Koordinaten Längenmarken auf Kurven.
(Die Bogenlänge einer Kurve ist wohldefiniert.)
Punkte im R2 und R3 liegen dann in einem Koordinaten(linien)netz.
Gegeben seien zwei unabhängige Familien von Koordinatenlinien.
Sie heißen orthogonal, wenn jede Linienkreuzung unter 90° erfolgt.
Seien u; v; w krummlinige Orthogonalkoordinaten des R3 .
Die Basisvektoren sollen Tangenten an die Koordinatenlinien sein.
Sei rE der Vektor zu einem Punkt der Koordinatenlinie u.
(u sei Koordinatenname und Variablenname der Markierungen.)
Der Tangentenvektor an diese Koordinatenlinie ist
 
lim rE.u C h; v; w/  rE.u; v; w/ = h: (1.18)
h!0

Dies ist eine partielle Differentiation. Also ist der Einheitsvektor

@Er =@u
eOu D (1.19)
j@Er =@uj

Eine Fläche im R3 ist gegeben durch die Funktion

z D z.x; y/: (1.20)


6 1 Vektoranalysis

Diese Auszeichnung von z ist oft nicht gewünscht.


Man bevorzugt dann die implizite Darstellung

f .x; y; z/ D 0: (1.21)

Eine Blätterung (englisch: foliation) des R3 ist gegeben durch

f .x; y; z/ D d; (1.22)

mit d 2 R; jeder Wert für d ergibt eine Fläche.


Diese Flächen sollen einander nicht schneiden.
Zum Beispiel werden Ebenen beschrieben durch

ax C by C cz D d: (1.23)

Ändert sich d , wird die Ebene parallel verschoben.


Sphären, Ellipsoide und Paraboloide werden beschrieben durch

ax 2 C by 2 C cz 2 D d: (1.24)

Als kartesische Koordinaten des R3 kann man benutzen


 die Länge entlang der Koordinatenlinien x; y; z oder
 die Parameter dx ; dy ; dz der Koordinatenebenen yz; zx; xy.
Die Parallelenscharen dieser drei Ebenen bilden drei Blätterungen des R3 .
Allgemein gilt, sobald man drei solcher Blätterungsfamilien hat:
Jeder Punkt des R3 ist durch Werte d1 ; d2 ; d3 eindeutig bestimmt.
Wir betrachten im Folgenden nur Orthogonalkoordinaten, für die also gilt:
Die Koordinatenflächen und -linien schneiden einander überall senkrecht.

Eine Blätterung des Rn ist (mit d 2 R) gegeben durch

f .x1 ; : : : ; xn / D d: (1.25)

Jedes d D const beschreibt eine Hyperfläche:


Eine Hyperfläche im Rn hat die Dimension n  1.
Man kann den Rn auch mit .n  k/-dimensionalen (k > 1) Objekten füllen.
Man spricht dann meist von einer Faserung statt von einer Blätterung.
Hat man n voneinander unabhängige Blätterungen,

fi .x1 ; : : : ; xn / D di ; i D 1; : : : ; n; (1.26)

dann bestimmt .d1 ; : : : ; dn / wieder eindeutig einen Punkt.


Und es gibt auch wieder zwei Koordinatenarten:
(a) Das Netz von n Familien eindimensionaler Koordinatenlinien,
(b) n Blätterungen durch .n  1/-dimensionale Hyperflächen.
1.4 Koordinatensysteme 7

Eine Koordinatentransformation ist allgemein gegeben durch

x D x.u; v; w/; y D y.u; v; w/; z D z.u; v; w/: (1.27)

Dabei können u; v; w Kurvenlängen oder Blätterungsparameter sein.


Die Abbildungen (1.27) seien stetig und hinreichend oft differenzierbar.
Man vergleiche (1.27) mit der Flächendarstellung in Parameterform,

x D x.u; v/; y D y.u; v/; z D z.u; v/; (1.28)

wobei u; v Koordinaten in der Fläche sind.


(Geographische Länge und Breite sind Koordinaten der Erdoberfläche.)
Zentral im Folgenden ist die Parameterform einer Kurve,

x D x.t/; y D y.t/; z D z.t/; (1.29)

also die Bahn rE.t/ D .x; y; z/ eines Massenpunkts.


(Die Zeit t kann hier im Prinzip eine krummlinige Koordinate sein.)

Gegeben sei eine implizite Kurvendarstellung f .x; y/ D 0 in der xy-Ebene.


Wie gelangt man von hier zur expliziten Darstellung y.x/?
Entlang der Kurve ändert sich f nicht, also ist

@f @f
0 D df D dx C dy: (1.30)
@x @y

(Wir rechnen mit Differentialen wie mit gewöhnlichen Größen.)


Umstellen ergibt

dy @f =@x
D : (1.31)
dx @f =@y

Die Lösung dieser Differentialgleichung (DGL) ist das gesuchte y.x/.


Differenzieren in Flächen ist Gegenstand der Charakteristikentheorie.

1.4 Koordinatensysteme

Polarkoordinaten

Polarkoordinaten r; ' sind Koordinaten der Ebene.


Sie sind die einfachsten orthogonalen krummlinigen Koordinaten.
Die Koordinaten r; ' sind definiert durch

x D r cos ';
y D r sin ': (1.32)
8 1 Vektoranalysis

r ist der Abstand vom Ursprung zum betrachteten Punkt.


' wird von der x-Richtung weg gegen den Uhrzeigersinn gezählt.
eOr zeigt in radiale Richtung und liegt auf einer Ursprungsgeraden.
Aus (1.32) liest man ab:
   
1 x cos '
eOr D rO D D : (1.33)
r y sin '

eO' steht senkrecht zu eOr und ist Kreistangente.


Der zu eOr senkrechte Vektor ist offensichtlich
 
 sin '
eO' D : (1.34)
cos '

Die Vorzeichenwahl ist in Einklang mit der Anwachsrichtung von '.


Dasselbe Ergebnis erhält man aus (1.19).

Zylinderkoordinaten

Zylinderkoordinaten r; '; z haben eine kartesische z-Richtung.


In der xy-Ebene werden Polarkoordinaten r; ' benutzt.
r ist der kürzeste Abstand zur z-Achse, r 2 D x 2 C y 2 ¤ x 2 C y 2 C z 2 .
r ist also nicht der Abstand zum Ursprung.
Man schreibt daher manchmal ; r? oder R statt r.

Die Blätterungen der Koordinatenflächen sind:


p
r D x 2 C y 2 D d1 W Ineinander geschachtelte Zylindermäntel
' D d2 W Büschel aller Ebenen durch die Zylinderachse
z D d3 W Kartesische z-Ebenenschar

Das Volumenelement dV in Zylinderkoordinaten berechnet sich so:


Zylinderkoordinaten sind orthogonal.
Also ist dV das infinitesimale Würfelvolumen, dV D da db dc.
Man richte die Würfelkanten da; db; dc nach den Koordinatenlinien aus,

da db dc D dr .rd'/ dz: (1.35)

Zur ersten Ordnung ist der Bogen r d' identisch zur Sekante db.
1.4 Koordinatensysteme 9

Abb. 1.1 Infinitesima-


le Längenelemente beim
Koordinatenwürfel in Kugel-
koordinaten

Kugelkoordinaten

Kugelkoordinaten r; #; ' sind definiert durch

x D r sin # cos ';


y D r sin # sin '; (1.36)
z D r cos #:

Quadrieren und Summieren beider Seiten ergibt x 2 C y 2 C z 2 D r 2 .


r ist nun also der Abstand vom Ursprung zum Punkt.
# ist der Polwinkel, das Komplement zum Breitengrad (co-latitude).
' ist der Azimut und identisch mit ' in Zylinderkoordinaten.

r D d1 sind ineinander geschachtelte Sphären.


# D d2 sind ineinander geschachtelte Doppelkegelmäntel.
' D d3 ist wieder ein Ebenenbüschel.
Diese drei Flächenfamilien stehen überall aufeinander senkrecht.

Der infinitesimale Würfel sei mit den Koordinatenlinien ausgerichtet.


In Abb. 1.1 wird der Würfel perspektivisch von vorn gesehen. Es ist

da D dr;
db D r d#; (1.37)
dc D f .#/ r d':

Die letzte Zeile berücksichtigt: dc verkürzt sich zu den Polen hin.


Sei dazu r? der Abstand zur Nord-Süd-Achse. Dann ist

dc D r? d' D r sin # d':


10 1 Vektoranalysis

Abb. 1.2 Verkürzung des


Wegs zwischen zwei Län-
gengraden als Funktion des
Polabstands

Also ist

f .#/ D sin #: (1.38)

Der Kreisbogen r sin # d' liegt in der Ebene senkrecht zur N-S-Achse.
Er ist also i. A. kein Großkreisbogen, siehe Abb. 1.2.
(Ein Großkreisbogen liegt in einer Ebene durch den Ursprung.)
Das Volumenelement ist somit

dV D dr .r d#/ .r sin # d'/ D r 2 sin # dr d# d': (1.39)

1.5 Felder und Vektordifferentiation

Ein Skalarfeld ist eine Abbildung ˚ W Rn ! R.


Für n D 2 und 3 hat man Niveaulinien und Niveauflächen ˚ D const.
Zum Beispiel sind für n D 2 die Linien p.x; y/ D const Isobaren einer Wetterkarte.

Ein Vektorfeld ist eine Abbildung EE W Rn ! Rn .


Genauer: In einem Vektorfeld wird jedem Punkt ein Vektor zugeordnet.
So ist z. B. die Wassergeschwindigkeit vE.Er / im Meer ein Vektorfeld.
E r / ein Vektorfeld.
Ebenso ist die elektrische Feldstärke E.E

Meist sind Felder stetig differenzierbar. Unstetigkeiten entstehen


 in der Elektrodynamik an Grenzflächen von Medien,
 in der Hydrodynamik an Stoßfronten (englisch: shocks).
Vektoren können entlang von Kurven differenziert werden:
(a) Entlang kartesischer Koordinatenlinien x; y; z,
(b) entlang krummliniger Koordinatenlinien r; #; ',
(c) nach Kurvenparametern: Bogenlänge l oder s, Zeit t.
1.5 Felder und Vektordifferentiation 11

Zu (a): Sei vE.x; y; z/ ein Vektorfeld; dann ist


@E
v vE.x C h; y; z/  vE.x; y; z/
D lim : (1.40)
@x h!0 h
Zu (b): Genau wie in 1; ersetze z. B. x; y; z durch r; #; '.
Zu (c): Sei rE.t/ die Position eines Massenpunkts.
Dann ist seine Geschwindigkeit definiert durch
dEr rE.t C h/  rE.t/
vE D rEP D D lim : (1.41)
dt h!0 h
Newton nennt rEP eine Fluxion.
Für ihn sind diese „fließenden Veränderungen“ primär:
Bewegte Punkte erzeugen Linien, bewegte Linien erzeugen Flächen.
Leibniz betrachtet y 0 .x/ D dy=dx als Tangente an die Kurve y.x/.

Die heutige Auffassung ist algebraisch: Ein Differential d ist


 eine lineare Abbildung (mit ˛; ˇ 2 R und Funktionen f; g),
d.˛f C ˇg/ D ˛ df C ˇ dg; (1.42)
 für welche die Produktregel gilt,
d.fg/ D f dg C .df /g: (1.43)
E EE  FE und EE  FE .
Die Produktregel gilt für alle Produkte ˚ E,
Der Beweis benutzt immer eine Ergänzung mit 0:
.fg/.x C h/  .fg/.x/
.fg/0 .x/ D
h
f .x C h/g.x C h/  f .x/g.x/
D
h
f .x C h/g.x C h/  f .x/g.x C h/ f .x/g.x C h/  f .x/g.x/
D C
h h
D f 0 .x/g.x/ C f .x/g 0 .x/: (1.44)
In allen Gleichungen mit Differentialen ist der Limes h ! 0 gemeint.
Damit ergibt sich als Ableitung eines beliebigen Einheitsvektors
P
0 D 1P D e
O  eO D eO  ePO C ePO  eO D 2 eO  e;
PO (1.45)
d. h. ganz allgemein
PO
eO ? e: (1.46)
Dies ist anschaulich klar: Die Länge eines Einheitsvektors ist 1.
Er kann sich also nur durch Drehung, nicht durch Streckung ändern.
Dies entspricht in dt der Addition eines senkrecht stehenden Vektors.
12 1 Vektoranalysis

1.6 Gradient

Der Differentialquotient einer reellwertigen Funktion f .x/ ist f 0 .x/.


f 0 wird verallgemeinert zum Gradienten grad ˚ des Skalarfelds ˚.Er /.
In Analogie zum Differential df D f 0 dx wird definiert

d˚ D grad ˚  dEr (1.47)

Dabei ist dEr ein beliebiger infinitesimaler Ortsvektor;


insbesondere kann dEr in jede beliebige Richtung zeigen.
Der Gradient eines Skalarfelds ist also ein Vektorfeld.
So wie f 0 D df =dx gilt, kann man auch grad ˚ D @˚=@Er schreiben.

Die kartesische Darstellung des Gradienten erhält man wie folgt.


Das totale Differential von ˚.x; y; z/ ist

@˚ @˚ @˚
d˚ D dx C dy C dz
@x @y @z
0 1
  dx
@˚ @˚ @˚
D ; ;  @dy A
@x @y @z dz
D grad ˚  dEr : (1.48)

Da dEr beliebig ist, folgt


 
@˚ @˚ @˚
grad ˚ D ; ; (1.49)
@x @y @z

oder in sogenannter Operatorschreibweise


 
@ @ @
grad D ; ; : (1.50)
@x @y @z

Die kartesische Form ist die Mühe des Begriffs Gradient nicht wert.
Wir betrachten den Gradienten also koordinatenunabhängig, als Vektor.

Wir betrachten zwei Niveauflächen ˚.Er / D c und ˚.Er / D c C dc.


Sie werden abkürzend ˚ und ˚ C d˚ genannt.
An jedem Punkt der Niveaufläche ˚ wird das Lot aufgetragen,
 die Lotrichtung sei n,
O
 der Abstand von ˚ und ˚ C d˚ sei dn.
Wir setzen infinitesimales dn voraus.
Das Lot trifft auch die Niveaufläche ˚ C d˚ D const im rechten Winkel.
Denn jede Abweichung vom rechten Winkel verschwindet mit dn.
1.6 Gradient 13

Abb. 1.3 Definition des


Gradienten r˚

Sei n Parameter einer Kurve mit dem Lot nO als Tangente.


dn sei positiv, wenn d˚ es ist. Dann gilt:


d˚ D dn: (1.51)
@n
Rechts steht nur ein Differential und man könnte d statt @ erwarten.
Zwar verschwinden partielle Ableitungen entlang der Niveaufläche;
doch ist 0 nicht dasselbe wie nicht existent, daher ist @ korrekt.

Beachte: Für finite Vektoren gilt rE D r r,


O für infinitesimale dEr D dr rO .
Der Zusammenhang zwischen dn in (1.51) und dEr in (1.47) ist

dn D nO  dEr ; (1.52)

wie aus Abb. 1.3 zu ersehen (dn ist die kürzeste Strecke). Also ist

dn D nO  .Or dr/ D .nO  rO / dr: (1.53)

Somit gilt als interessantes Nebenergebnis

dn=dr D nO  rO : (1.54)

Nun weiter:
@˚ (1.52) @˚
d˚ D dn D nO  dEr : (1.55)
@n @n

Vergleich mit (1.47), also d˚ D grad ˚  dEr , ergibt (da dEr beliebig ist)


grad ˚ D nO (1.56)
@n
14 1 Vektoranalysis

Dies ist die koordinatenfreie Darstellung des Gradienten.


Meist kennt man nO aufgrund von Symmetrien, dem Versuchsaufbau etc.
Wir fassen zusammen:

d˚ D grad ˚  dEr

D nO  dEr
@n

D dn: (1.57)
@n

d˚ ist maximal, wenn dEr und grad ˚ in die gleiche Richtung zeigen:
Der Winkel zwischen den Vektoren ist 0, das Skalarprodukt maximal.
grad ˚ zeigt also in die Richtung des stärksten Anwachsens von ˚.
Wir betrachten nur lineare Terme d˚, keine Krümmungsterme d2 ˚;
links- und rechtsseitige Ableitung von ˚ in Richtung nO sind gleich:
Anstieg d˚ D a > 0 in Richtung nO D  Abfall d˚ D a < 0 in Richtung n.
O

In den Niveauflächen ist d˚ D 0.


Und d˚ D 0 gilt auch, wenn dEr ? grad ˚.
dEr liegt nach Voraussetzung in der Niveaufläche.
Also steht grad ˚ immer senkrecht zur Niveaufläche.
grad ˚ verbindet benachbarte Niveauflächen auf kürzestem Weg.

Achtung, der Gradient zeigt in Richtung des steilsten Anstiegs.


Diese ist oft nicht die Richtung zum Maximum von ˚, siehe Abb. 1.3.
Wir berechnen den Gradienten nun für einige Skalarfelder ˚.
p
Beispiel 1 grad r mit r D rE  rE.
Die Niveauflächen r D const sind Kugelsphären.
Der Gradient steht senkrecht dazu, zeigt also in radiale Richtung, nO D rO :

@r
grad r D rO D rO : (1.58)
@r
Alternativ berechnet man in kartesischen Koordinaten

@r x
D (1.59)
@x r
und entsprechend für y und z, also wieder

grad r D .x; y; z/=r D rO : (1.60)

Beispiel 2 grad r 1 D Or Œ@ .1=r/ = .@r/ D Or =r 2 wegen nO D Or ; dn D dr.


Bedeutung: Die Gravitationskraft ist Gradient eines 1=r-Potentials.
1.6 Gradient 15

Beispiel 3 ˚.Er / D e i kr , mit r D jEr j und k 2 R.


Es ist ˚ D const für r D const und nO D ˙Or sowie dn D ˙dr.
Die Vorzeichen kompensieren sich, und es ist grad ˚ D rO @˚=@r D ik ˚ rO .
e i kr tritt in der räumlichen Amplitude von Kugelwellen auf.

E
Beispiel 4 Dagegen tritt ˚.Er / D e i kEr bei ebenen Wellen auf.
kE ist beliebig (aber fest) und hat nichts zu tun mit dem kartesischen k.
O
Es ist ˚ D const senkrecht zur sogenannten Ausbreitungsrichtung k. E
O
Um dies zu sehen, legen wir die kartesische x-Richtung E
in k-Richtung.
Dann ist i kE  rE D ikx, mit k D jkj.
E
e i kx hängt nur noch von x ab, ist also konstant in jeder yz-Ebene.
Die größte Änderung ist nun in Richtung nO D x. O Also ist
  Er
E i kE
grad ˚ D xO @ e i kx =@x D ik xO e i kx D i ke : (1.61)

E
Der letzte Term enthält keinen Hinweis mehr auf die Wahl xO k k.
Es gilt also ganz allgemein
 E  E
@ e i kEr =@Er D i kE e i kEr : (1.62)

Für die ebene Welle ist also (s. u. für den Nabla-Operator r)
E
r D i k: (1.63)

Diese Relation ist zentral für die Quantenmechanik.

Beispiel 5 grad jEr  rE0 j1 D .Er  rE0 / = jEr  rE0 j3 , denn grad wirkt nur auf rE.

Wir führen die Richtungsableitung ein. (1.47) wird umgeschrieben zu

ds ˚ D dEs  .grad ˚/: (1.64)

Dabei bedeutet ds ˚ die Änderung von ˚ in Richtung sO .


Wir definieren einen Operator dEs  grad mittels

.dEs  grad/ ˚ D dEs  .grad ˚/: (1.65)

Dann ist

ds ˚ D ds sO  grad ˚ oder D sO  grad ˚: (1.66)
@s
Damit ist der Operator der Richtungsableitung

@=@s D sO  grad (1.67)

Die linke Seite entsteht in einer konkreten physikalischen Situation;


die rechte Seite gibt die Vorschrift zur Berechnung dieser Ableitung.
16 1 Vektoranalysis

1.7 Gradient in krummlinigen Koordinaten

Bisher haben wir die beiden Ergebnisse: Der Gradient lautet


 kartesisch: grad D .@=@x; @=@y; @=@z/,
 koordinatenfrei: grad D nO @=@n.
Jetzt soll grad in beliebigen Orthogonalkoordinaten berechnet werden.
Die Idee wird anhand von Polarkoordinaten klar.
Sei ˚ D ˚.r; '/, mit der totalen Ableitung

@˚ @˚
d˚ D dr C d': (1.68)
@r @'

Es ist elementargeometrisch (gerade Strecke und Kreisbogen)

dEr D dr eOr C r d' eO' : (1.69)

Es ist

grad ˚ D .grad ˚/r eOr C .grad ˚/' eO' : (1.70)

Also folgt mit der Orthonormiertheit der Basisvektoren

d˚ D grad ˚  dEr D .grad ˚/r dr C .grad ˚/' r d': (1.71)

Wir schreiben (1.68) entsprechend um,

@˚ @˚
d˚ D dr C r d': (1.72)
@r r @'

Der Koeffizientenvergleich mit (1.71) ergibt

@˚ @˚
.grad ˚/r D ; .grad ˚/' D ; (1.73)
@r r @'

und noch einmal ausgeschrieben

@˚ @˚
grad ˚ D eOr C eO' : (1.74)
@r r @'

Damit gehen wir gleich zu Kugelkoordinaten über:


Die Kantenlängen des infinitesimalen Koordinatenlinienwürfels sind

da D dr;
db D r d#; (1.75)
dc D r sin # d':
1.8 Linienintegral 17

Mit
dEr D da eOr C db eO# C dc eO' (1.76)

und dem Ansatz


grad ˚ D .grad ˚/r eOr C .grad ˚/# eO# C .grad ˚/' eO' (1.77)

folgt wieder mit der Orthonormiertheit der Basisvektoren


(ab der zweiten Gleichung ist das System von unten her zu lesen):

grad ˚  dEr D .grad ˚/r dr C .grad ˚/# r d# C .grad ˚/' r sin # d'
@˚ @˚ @˚
D dr C r d# C r sin # d' (1.78)
@r r @# r sin # @'
@˚ @˚ @˚
D dr C d# C d'
@r @# @'
D d˚:

Durch Koeffizientenvergleich und Einsetzen in (1.77) erhält man

@˚ @˚ @˚
grad ˚ D eOr C eO# C eO' : (1.79)
@r r @# r sin # @'

Die Idee ist, aus Koordinatendifferentialen Längendifferentiale zu machen.

d# ! r d#;
d' ! r sin # d': (1.80)

Die Koordinatendifferentiale stehen dabei im totalen Differential d˚;


die Längendifferentiale sind die Kanten des Koordinatenwürfels.

1.8 Linienintegral
R
Das Integral dx f .x/ wird im R3 verallgemeinert zum
 Linienintegral,
 Oberflächenintegral und
 Volumenintegral.
Das VolumenintegralR ist das einfachste:
Die Bedeutung von dx dy d z f .x; y; R z/ als Riemannsumme
R ist klar.
Koordinatenfreie Schreibweisen sind dVf .Er / und d3 r f .Er /.
R
Das Linienintegral ist die zweifache Verallgemeinerung von dx f .x/:
 Anstelle der x-Geraden wird eine Raumkurve C betrachtet.
Das Differential dx wird dabei zur Kurventangente dl. E
 Anstelle des zu x orthogonalen y D f .x/ ist jedes vE zugelassen.
18 1 Vektoranalysis

Abb. 1.4 Das Geschwindig-


keitsfeld einer Scherströmung

R
Wir betrachten nur Linienintegrale der Form dlE  vE.
Ihre Berechnung mittels der Riemannsumme ist wieder klar.
Bei rückläufigen Wegen ist auf das Vorzeichen zu achten.
Sei z. B. vE.Er / das Geschwindigkeitsfeld einer Flüssigkeit und
I
Z D dlE  vE: (1.81)
H
zeigt an, dass die Integrationskurve C geschlossen ist.

Abbildung 1.4 zeigt eine Scherströmung in der xy-Ebene:


vE D c eOx für y < 0 und vE D c eOx für y > 0 (mit c D const).
Der Integrationsweg sei C D C1 [ C2 [ C3 [ C4 .
Dann ist, in dieser Reihenfolge und mit der Länge a von C1 und C3 ,
Z D ac C 0 C .a/.c/ C 0 D 2ac: (1.82)
Z ist die Zirkulation; eine Scherströmung hat also Zirkulation.

Wir berechnen jetzt die Arbeit auf geschlossenen Wegen.


Die beiden folgenden Aussagen sind äquivalent:
H
./ Die Arbeit auf geschlossenen Wegen ist null, dlE  FE D 0.
R R
./ Die Arbeit ist wegunabhängig, C1 WAB dlE  FE D C2 WAB dlE  FE .
C1 W AB soll heißen: auf dem Weg C1 vom Punkt A zum Punkt B.

Beweis Es soll ./ gelten, also


Z Z
0D dlE  FE  dlE  FE
C1 WAB C2 WAB
Z Z
dlE  FE C E  FE
.a/
D .dl/
C1 WAB C2 WBA
Z Z
dlE  FE C dlE 0  FE
.b/
D
C1 WAB C2 WBA
I
dlE  FE :
.b/
D (1.83)
.C1 [C2 /WAA
1.8 Linienintegral 19

.a/ Wenn man mit dlE von A nach B integriert,


dann integriert man mit dlE von B nach A.
.b/ Zweimaliges Umbenennen der Integrationsvariablen
Also gilt ./. Genauso zeigt man ./ ! ./.

Unter welchen Bedingungen ist die Arbeit wegunabhängig?


Sei G ein Gebiet des R3 und C die Menge der geschlossenen Wege in G.

Satz
I
8Er 2 G W FE .Er / D grad ˚.Er / $ 8C 2 C W dlE  FE D 0: (1.84)
C

Man nennt ein FE mit FE D grad ˚ konservativ.

Beweis „!“
I I I I
E E E (1.47)
dl  F D dl  grad ˚ D d˚ D d˚ D ˚A  ˚A D 0: (1.85)
C WAA

„ “
Sei qE ein Ortsvektor zu irgendeinem festen Raumpunkt A.
Sei rE ein Ortsvektor zum variablen Raumpunkt B.
Definiere ein Skalarfeld ˚.Er / durch
Z
˚.Er /  ˚.E
q/ D dlE  FE : (1.86)
C WAB

R
Nach Voraussetzung ist C WAB dlE  FE unabhängig von C .
Also ist ˚.Er / wohldefiniert, mit eindeutigen Werten für alle rE.
˚ ist somit in der Tat ein Skalarfeld, das wir nun untersuchen:
Sei rE 0 D rE C dEr ein Ortsvektor zu irgendeinem Nachbarpunkt B 0 von B.
Sei C 0 der gerade Weg von B nach B 0 . Dann ist
Z
dlE  FE D FE .Er /  dEr :
.a/
d˚.Er / D ˚.Er 0 /  ˚.Er / D (1.87)
C 0 WBB 0

In .a/ wurde ausgenutzt, dass der Integrationsweg infinitesimal ist.


Dann kann das Integral durch einen Summanden angenähert werden.
Vergleich von (1.87) mit der Definition (1.47) des Gradienten ergibt

FE D r˚: (1.88)

Dies gilt, wie behauptet, an jedem Ort rE von G.


20 1 Vektoranalysis

1.9 Oberflächenintegral

Es sei V ein zusammenhängendes Volumen, wie z. B. Kugel oder Torus.


Seine Oberfläche @V wird in Oberflächenelemente  zergliedert.
Die  seien in allen zu @V tangentialen Richtungen infinitesimal.
Damit sind die  eben. Ihre Fläche sei da. Dies kann über @V variieren.
Jedes  hat eine Normalenrichtung a.O Es sei

a D da a:
dE O (1.89)

Nach Konvention soll dE a überall von V weg zeigen.


Für beliebiges vE ist damit dE
a  vE Rdefiniert.
Und
H mittels Riemannsumme ist dE a  vE definiert.
H a
dE  E
v bedeutet das Integral über eine geschlossene Oberfläche.
a ist die Randfläche eines Volumens.
dE
Wir treffen noch folgende Konvention
R für Mehrfachintegrale:
Die Zahl der Integralzeichen
R ’ ist die Zahl derRDifferentialzeichen
” d.
Wir schreiben also dE a, aber dx dy, sowie dV , aber dx dy dz.

Wir untersuchen zur späteren Anwendung eine Teilchenströmung.


Dazu wird eine sehr große Zahl identischer Teilchen betrachtet.
Das „Volumen an einem Ort“ dV .Er / ist wohldefiniert (so wie dE a.Er /).
Der Limes n.Er / D dN=dV der Teilenzahl dN in dV soll existieren.
Und diese Anzahldichte n.Er / sei eine differenzierbare Funktion.
Sei dann vE.Er / die mittlere Geschwindigkeit der Teilchen in dV bei rE.
Fundamentale Bedeutung hat der Teilchenstrom (Y für yield, Ertrag)
I
Y D dE a  Œn.Er / vE.Er / (1.90)
@V

Das Integral geht über die Randfläche @V von V .


Y dt ist die Zahl der Teilchen, die V in dt verlassen.

Denn seien Teilchen zur Zeit t D 0 am Ort rE auf dem Rand @V .


Zur Zeit dt sind sie dann bei rE C vE dt, siehe Abb. 1.5.
Die Verschiebung vE dt der Teilchen bei rE definiert ein Volumen

dV D dE
a  vE dt: (1.91)

Das Skalarprodukt ist Ausdruck der Formel Volumen D Fläche  Höhe.


dV enthält alle Teilchen, die während dt durch dE a strömen.
Die Zahl der Teilchen in dV ist dN D n dV .
Der infinitesimale Teilchenstrom durch dEa ist also

dY D dN=dt D dE
a  .nE
v /; (1.92)

und das Integral über den Rand @V ergibt (1.90).


1.10 Rotor und der Satz von Stokes 21

Abb. 1.5 Ausfluss durch den


Rand eines Volumens

1.10 Rotor und der Satz von Stokes

Wir betrachten ein Linienintegral entlang der Kurve C in der xy-Ebene,


I I   I
Fx
dlE  FE D .dx; dy/  D .dx Fx C dy Fy /: (1.93)
Fy
C C C

C sei konvex: Wenn C die Fläche A umschließt, gilt (siehe Abb. 1.6):
Es gibt keine 2 Punkte in A, deren gerade Verbindungslinie A verlässt.
Das bedeutet: Jede Gerade hat maximal zwei Schnittpunkte mit C .

P und R haben den kleinsten bzw. größten x-Wert auf C : X1 und X2 .


S und T haben
H den kleinsten bzw. größten y-Wert auf C : Y1 und Y2 .
Wir spalten dy Fy in zwei Teilwege zwischen S und T entlang C auf.
Für jedes y 2 Y1 ; Y2 Œ gibt es Beiträge bei x1 ; x2 zu diesem Integral, also

I ZY2
 
dy Fy D dy Fy .x2 /  Fy .x1 / : (1.94)
C Y1

C wird im positiven Sinn durchlaufen, also Cdy bei x2 und dy bei x1 .
Es sind x1 D x1 .y/ und x2 D x2 .y/.
Für nichtkonvexe C gibt es hier vier, sechs usw. Beiträge.
Das Folgende lässt sich dann leicht verallgemeinern.

Nach Definition der Stammfunktion gilt ganz allgemein

Zx2
@Fy
Fy .x2 /  Fy .x1 / D dx : (1.95)
@x
x1
22 1 Vektoranalysis

Abb. 1.6 Der Satz von Sto-


kes in der Ebene

Einsetzen in (1.94) ergibt

I ZY2 xZ2 .y/


@Fy
dy Fy D dy dx : (1.96)
@x
C Y1 x1 .y/
H
Damit zu C dx Fx . Namensvertauschung x $ y in (1.95) ergibt

Zy2
@Fx
Fx .y2 /  Fx .y1 / D dy : (1.97)
@y
y1
H
Doch ist dies noch nicht der korrekte Beitrag zu C dx Fx :
C wird im positiven Sinn durchlaufen, d. h. dx > 0 bei y1 , dx < 0 bei y2 ,
2 3
I ZX2 yZ2 .x/
6 @Fx 7
dx Fx D dx 4 dy 5: (1.98)
@y
C X1 y1 .x/

Die Doppelintegrale in (1.96) und (1.98) gehen über die Fläche A mit Rand C .
Daher ist die Nennung der Funktionen x.y/ und y.x/ entlang C unnötig.
Ebenso ist es unnötig, die Grenzen X1 ; X2 ; Y1 ; Y2 zu nennen.
In (1.96) können die x- und die y-Integration vertauscht werden, also ist
I “  
@Fy @Fx
.dx Fx C dy Fy / D dx dy  ; (1.99)
@x @y
@A A

wobei @A der Rand der Fläche A ist, also ein Integrationsweg.


Wir schreiben dies um als
I   “
Fx
.dx; dy/  D dx dy .rot FE /z : (1.100)
Fy
@A A
1.10 Rotor und der Satz von Stokes 23

Abb. 1.7 Integrationsma-


schen auf der Halbsphäre

Das ist der planare Sonderfall des Stokesschen Satzes im R3 ,


I Z
dlE  FE D dEa  rot FE : (1.101)
@A A

Dieser soll nun hergeleitet werden.


H
Aus dem Linienintegral C dlE  FE im R3 soll ein Flächenintegral werden;
nämlich ein Integral über jede Fläche A, die von C berandet wird.
A wird mit einem Netz infinitesimaler Maschen M überdeckt.
Diese infinitesimalen Maschen sind eben.
Die Form der Maschen ist beliebig.
Später werden die Maschen entlang der Koordinatenlinien gelegt.

Sei A1 z. B. die Nordhemisphäre einer Kugel.


Sei A2 der ebene Äquatorschnitt durch die Kugel.
Der Rand C von A1 und A2 ist jeweils der Äquator, siehe Abb. 1.7.
Die #; '-Koordinatenlinien (Kugelkoordinaten) ergeben Maschen auf A1 .
Die r; '-Koordinatenlinien (Polarkoordinaten) ergeben Maschen auf A2 .

Die Maschen werden mit einem einfachen Index abgezählt: Mi .


H
Wir betrachten Mi dlE  FE für eine beliebige Masche Mi .
Mi soll mit Mj eine gemeinsame Kante haben.
H H
Dann heben sich in Mi dlE  FE C Mj dlE  FE die Beiträge dieser Kante auf;
denn die Kante wird in umgekehrten Richtungen zweimal durchlaufen,

dlEi D dlEj : (1.102)

Wir betrachten die Summe über alle Maschenintegrale in A,


XI
dlE  FE : (1.103)
i M
i

Der Integrationsweg C D @A wird durch äußere Maschen diskretisiert:


Es gibt eindeutig bestimmte äußerste Randkanten vonH A.
Damit ergibt sich eine Abschätzung für das Integral C .
24 1 Vektoranalysis

Abb. 1.8 Maschenintegral


beim Satz von Stokes in der
xy-Ebene

Die Maschenkanten können C auch exakt abfahren, s. Abb. 1.7.


Jede Randkante auf oder nahe C wird nur einmal durchlaufen.
Dagegen liegt im Innern von A jede Kante auf zwei Maschen.
Und die beiden Beiträge zum Integral (1.103) heben sich dort auf.
Demnach ist für i ! 1
XI I
dlE  FEi D dlE  FE : (1.104)
i M C
i

FEi ist eine geeignete Approximation von FE auf Mi .


Meist wählt man FEi als FE an den Kantenmittelpunkten.

Wir berechnen nun das Maschenintegral in kartesischen Koordinaten.


Die ebene Masche liege zunächst in der xy-Ebene.
Der Maschenmittelpunkt ist xi ; yi , die Kanten sind dx; dy (Abb. 1.8).
R
Wir nähern dlE  FEi entlang jeder Kante durch einen Summanden an.
Für FEi benutzen wir den jeweiligen Wert auf den Kantenmittelpunkten,

.xi  dx=2; yi /; .xi C dx=2; yi /; .xi ; yi  dy=2/; .xi ; yi C dy=2/:

Andere Festlegungen führen zum gleichen Ergebnis.

Mit FE .Er / D .Fx .x; y/; Fy .x; y// ist


I
dlE  FE D dy Fy .xi C dx=2; yi /  dy Fy .xi  dx=2; yi /
Ci

C dx Fx .xi ; yi  dy=2/  dx Fx .xi ; yi C dy=2/ (1.105)


Fy .xi C dx=2; yi /  Fy .xi  dx=2; yi /
D dx dy
dx
Fx .xi ; yi C dy=2/  Fy .xi ; yi  dy=2/
 dx dy
dy
 
@Fy @Fx
D dx dy .xi ; yi /  .xi ; yi / : (1.106)
@x @y
1.10 Rotor und der Satz von Stokes 25

Das gesamte Linienintegral entlang C ist dann


I XI
dlE  FE dlE  FE
(1.104)
D
C i M
i
X 
(1.106) @Fy @Fx
D dx dy.xi ; yi /  .xi ; yi /
@x @y
i
“ 
@Fy @Fx
D dx dy  .x; y/: (1.107)
@x @y

Die letzte Gleichung gilt gemäß der Summendefinition des Integrals.


Gleichung (1.107) ist identisch mit (1.99).

Dieselbe Rechnung werde nun in Polarkoordinaten wiederholt.


Der Maschenmittelpunkt ist ri ; 'i , die Kantenlängen sind dr und ri d'.
ri und Fi werden auf den Kantenmittelpunkten approximiert.
Die vier Kantenmitten sind in Polarkoordinaten

.ri  dr=2; 'i /; .ri C dr=2; 'i /; .ri ; 'i  d'=2/; .ri ; 'i C d'=2/:

Der Integrationsweg in '-Richtung ist der Bogen dl D r d'.


Genauer gilt für den Bogen am Maschenaußenrand bzw. -innenrand

.ri C dr=2/ d' und .ri  dr=2/ d':

Aus (1.106) wird jetzt


I
dlE  FE D .ri C dr=2/ d' F' .ri C dr=2; 'i /  .ri  dr=2/ d' F' .ri  dr=2; 'i /
Ci

C dr Fr .ri ; 'i  d'=2/  dr Fr .ri ; 'i C d'=2/ (1.108)

.ri C dr=2/ F' .ri C dr=2; 'i /  .ri  dr=2/ F' .ri  dr=2; 'i /
D dr d'
dr
Fr .ri ; 'i C d'=2/  Fr .ri ; 'i  d'=2/
 dr d'
d'
 
.a/ ŒrF' .ri C dr=2; 'i /  ŒrF' .ri  dr=2; 'i / @Fr
D dr d'  .ri ; 'i /
dr @'
 
@.r F' / @Fr
D r dr d' .ri ; 'i /  .ri ; 'i / : (1.109)
r @r r @'

.a/ ŒrF' .ri C dr=2; 'i / bedeutet die Funktion rF' bei .ri C dr=2; 'i /.
Der Rest ist ähnlich wie bei der vorherigen kartesischen Rechnung.
26 1 Vektoranalysis

Der Rotor rot FE .Er / eines Vektorfelds FE .Er / ist definiert durch
I
a  rot FE D
dE dlE  FE (1.110)
@dE
a

rot FE ist ein Vektor. Es steht @dE a für @.dEa/, den Rand von dE
a.
Gleichung (1.110) ist unabhängig von einer speziellen Koordinatenwahl.
Gleichung (1.110) kann als Differentialquotient geschrieben werden.
Sei dazu dE a D nO da. Dann ist
I
1
nO  rot FE D dlE  FE : (1.111)
da
@dE
a

HDas Integral in (1.110) und (1.111) wird über infinitesimale Wege geführt;
kann also durch endlich viele Summanden ersetzt werden.
(Konkret hatten wir in (1.105) und (1.108) vier Summanden.)
Somit steht in (1.111) rechts wirklich ein Differentialquotient.

Der Satz von Stokes folgt sehr einfach aus (1.110):


I XI
dlE  FE D dlE  FEi
(1.104)

C i M
i
I
.a/ X
D dlE  FEi
i
@daEi
X
daEi  rot FEi
(1.110)
D
i
Z
a  rot FE :
.b/
D dE (1.112)
A

.a/ Jede Masche ist Rand eines Flächenelements


.b/ Nach Summendefinition des Integrals
C ist hier der Rand von A. Somit ist
I Z
dlE  FE D a  rot FE
dE (1.113)
@A A

a ist ein Vektor, A jedoch nicht.


Zur Schreibweise: dE
1.10 Rotor und der Satz von Stokes 27

Abb. 1.9 Berechnung der


#-Komponente des Rotors in
Kugelkoordinaten

Wir berechnen nun rot mithilfe der Definition (1.110).


Der Satz von Stokes (1.113) wird dazu nicht gebraucht.
Wir betrachten zuerst kartesische Koordinaten x; y in der Ebene.
Aus (1.110) wird mit dEa D dx dy zO und der nun bekannten Rechnung:

dx dy .rot FE /z D dy Fy .x C dx=2; y/  dy Fy .x  dx=2; y/


C dx Fx .x; y  dy=2/  dx Fx .x; y C dy=2/
Fy .x C dx=2; y/  Fy .x  dx=2; y/
D dx dy
dx
!
Fx .x; y C dy=2/  Fx .x; y  dy=2/

dy
 
@Fy @Fx
D dx dy  .x; y/: (1.114)
@x @y

Gleichung (1.114) in (1.113) einsetzen ergibt wieder (1.107).

Nun soll .rot FE /# in Kugelkoordinaten berechnet werden (Abb. 1.9),


Z
da# .rot FE /# D dlE  FE : (1.115)
@da#

da# ist das Flächenelement mit dem Normalenvektor in #-Richtung,

da# D r sin # dr d': (1.116)

Der Integrationsweg besteht aus zwei Strecken dr und zwei Bögen

.r  dr=2/ sin # d'; .r C dr=2/ sin # d':


28 1 Vektoranalysis

Bei den Vorzeichen ist Sorgfalt geboten:


Der Integrationsweg in Abb. 1.9 verläuft im Uhrzeigersinn;
denn der Flächenvektor zeigt in die Zeichenebene hinein. Damit ist

r sin # dr d' .rot FE /#


D dr Fr .r; #; ' C d'=2/  dr Fr .r; #; '  d'=2/
 
C sin # d' .r  dr=2/ F' .r  dr=2; #; '/  .r C dr=2/ F' .r C dr=2; #; '/
Fr .r; #; ' C d'=2/  Fr .r; #; '  d'=2/
D r sin # dr d'
r sin # d'
!
.r C dr=2/ F' .r C dr=2; #; '/  .r  dr=2/ F' .r  dr=2; #; '/
 ;
r dr
(1.117)

also gilt

@Fr .r; #; '/ @.rF' .r; #; '//


.rot FE /# D  : (1.118)
r sin # @' r @r

1.11 Divergenz und der Satz von Gauß

Gegeben sei ein gerades Rohr mit konstantem Querschnitt A.


Das Rohr liege in x-Richtung, siehe Abb. 1.10. Wir betrachten wieder
 die Teilchendichte n.x; t/ D dN=dV (mit der Teilchenzahl N ),
 die Strömungsgeschwindigkeit v.x; t/ in x-Richtung.
Beide Funktionen sollen nur von x und t abhängen.

Die Ein- und Ausströmbilanz des bei x zentrierten Volumens A dx ist

dN.x; t/ D n.x  dx=2; t/ A v.x  dx=2; t/ dt


 n.x C dx=2; t/ A v.x C dx=2; t/ dt; (1.119)

denn A v dt ist das Volumen der ein- und ausströmenden Teilchen.


Also ist

n.x C dx=2; t/ v.x C dx=2; t/  n.x  dx=2; t/ v.x  dx=2; t/


dN.x; t/ D A dx dt
dx
@ Œnv
D dV dt .x; t/: (1.120)
@x
1.11 Divergenz und der Satz von Gauß 29

Abb. 1.10 Strömung durch


ein gerades zylindrisches
Rohr

Wir haben eine kleine Korrektur vorzunehmen:


Rechts stehen in der Gleichung zwei Differentiale, dV und dt.
Also sollten wir auch links d2 N schreiben. Somit ist

@2 N @n @.nv/
D D ; (1.121)
@t @V @t @x
also

@n @.nv/
C D0 (1.122)
@t @x

Diese Kontinuitätsgleichung ist eine Fundamentalgleichung.


Sie besagt: Teilchen strömen nur und werden weder erzeugt noch zerstört.

Betrachten wir nun eine dreidimensionale Strömung.


Gleichung (1.122) wird ersetzt durch
ˇ
@n ˇˇ @.nvx /
C D 0: (1.123)
@t ˇx @x

@n=@tjx ist die Änderung von n aufgrund der Strömung in x-Richtung.


Zu (1.123) treten entsprechende Gleichungen für y und z hinzu.
Die Beiträge der drei Raumrichtungen addieren sich,
ˇ ˇ ˇ
@n @n ˇˇ @n ˇˇ @n ˇˇ
D C C : (1.124)
@t @t ˇx @t ˇy @t ˇz

Somit ist

@n @.nvx / @.nvy / @.nvz /


C C C D0 (1.125)
@t @x @y @z

Dies ist die Kontinuitätsgleichung in kartesischen Koordinaten.


Die Gleichung soll nun koordinatenfrei formuliert werden.
30 1 Vektoranalysis

Wir hatten oben eine Fläche mit einem Maschennetz überdeckt.


Jetzt soll ein Volumen
H mittels Zellen parzelliert werden.
Das Flächenintegral A dE a  vE wird in ein Volumenintegral überführt;
dieses Volumenintegral geht über das von A berandete Volumen V .
V wird in infinitesimale Zellen mit sechs Wänden parzelliert.
Die Zellen werden wieder mit einem einfachen Index abgezählt: Wi .
H
Wir betrachten das Oberflächenintegral Wi dE a  vE.
Die Zellen Wi und WH j sollen eine
H gemeinsame Wand haben.
Dann heben sich in Wi dE a  vE C Wj dEa  vE ihre Beiträge auf, wegen

ai D dE
dE aj : (1.126)

Denn der Flächenvektor zeigt immer weg vom berandeten Volumen.


Wir betrachten die Summe über alle Zellen innerhalb von V ,
XI
a  vE:
dE (1.127)
i W
i

Die Fläche A D @V wird durch äußere Zellenwände diskretisiert:


Es gibt eindeutig bestimmte äußerste Randzellen von V .
Nur diese Randwandbeiträge bleiben in (1.127) stehen.
Alle inneren Beiträge dagegen heben sich, weil sie doppelt auftreten.
Demnach ist
XI I
dEa  vEi D dE a  vE: (1.128)
i W
i @V

Für die Näherung vEi wählen wir die Zellenwandmitte als Stützstelle.
Andere Festlegungen führen zum gleichen Ergebnis.
Das Zellenwandintegral wird weiter unten berechnet.

Die Divergenz div vE.Er / eines Vektorfelds vE.Er / ist definiert durch
I
dV div vE D a  vE
dE (1.129)
@dV

div vE ist ein Skalar. Der Satz von Gauß lautet


Z I
dV div vE D a  vE
dE (1.130)
V @V
1.11 Divergenz und der Satz von Gauß 31

Der Beweis mittels Parzellierung ist wieder fast tautologisch:


I XI
(1.128)
a  vE D
dE a  vEi
dE
i W
@V i

.a/ X I
D a  vEi
dE
i @dV
i

(1.129) X
D dVi div vEi
i
Z
.b/
D dV div vE: (1.131)
V

.a/ Zellenwand und -volumen


.b/ Summendefinition des Integrals
Wir berechnen nun div für kartesische und für Kugelkoordinaten.
Gleichung (1.129) wird in kartesischen Koordinaten zu
 
dx dy dz div vE D dy dz vx .x C dx=2; y; z/  vx .x  dx=2; y; z/
 
C dx dz vy .x; y C dy=2; z/  vy .x; y  dy=2; z/
 
C dx dy vz .x; y; z C dz=2/  vz .x; y; z  dz=2/ : (1.132)

Also gilt nach Erweiterung mit dx; dy und dz in der 1., 2. und 3. Zeile

@vx @vy @vz


div vE D C C : (1.133)
@x @y @z

Somit lautet die Kontinuitätsgleichung (1.125) in Vektorschreibweise

nP C div.nE
v/ D 0 (1.134)

Nun zur Berechnung von div in Kugelkoordinaten.


Wir betrachten eine infinitesimale Zelle.
Ihre Kanten seien längs der Koordinatenlinien ausgerichtet.
Die Wandflächen der Zelle sind dann,
 wenn eOr die Wand-Normalenrichtung ist (sin # ist wandzentriert ):

.r  dr=2/2 sin # d# d'; .r C dr=2/2 sin # d# d'I

 wenn eO# die Wand-Normalenrichtung ist (r ist wandzentriert ):

r sin.#  d#=2/ dr d'; r sin.# C d#=2/ dr d'I


32 1 Vektoranalysis

 wenn eO' die Wand-Normalenrichtung ist:

r dr d#; r dr d#:

: Die Wandmitte (nicht Kantenmitte) ist Stützstelle von sin # und r;


denn beide Funktionen werden nicht differenziert.
Der Rest ist Ausschreibübung:

r 2 sin # dr d# d' div vE


 
D sin # d# d' .r C dr=2/2 vr .r C dr=2; #; '/  .r  dr=2/2 vr .r  dr=2; #; '/
 
C r dr d' sin.# C d#=2/ v# .r; # C d#=2; '/  sin.#  d#=2/ v# .r; #  d#=2; '/
 
C r dr d# v' .r; #; ' C d'=2/  v' .r; #; '  d'=2/
D r 2 sin # dr d# d'
.r C dr=2/2 vr .r C dr=2; #; '/  .r  dr=2/2 vr .r  dr=2; #; '/

r 2 dr
sin.# C d#=2/ v# .r; # C d#=2; '/  sin.#  d#=2/ v# .r; #  d#=2; '/
C
r sin # d#!
v' .r; #; ' C d'=2/  v' .r; #; '  d'=2/
C : (1.135)
r sin # d'

Die letzten drei Zeilen sind wieder Differentialquotienten. Damit ist

@ Œr 2 vr  @ Œsin # v#  @v'
div vE D C C : (1.136)
r 2 @r r sin # @# r sin # @'

1.12 div und rot mit metrischen Faktoren

Die krummlinigen, nichtkartesischen Koordinaten seien x1 ; x2 ; x3 .


(Wir weichen von der Regel ab, dass xi kartesische Koordinaten sind.)
Die zugehörigen eOi seien orthonormiert, eOi  eOj D ıij .
Die Koordinatenänderung dxi bewirkt eine Längenänderung dli ,

dl1 D h1 .x1 ; x2 ; x3 / dx1 ;


dl2 D h2 .x1 ; x2 ; x3 / dx2 ;
dl3 D h3 .x1 ; x2 ; x3 / dx3 : (1.137)

Die h1 ; h2 ; h3 heißen metrische Faktoren.


Für kartesische Koordinaten x; y; z ist

h1 D 1; h2 D 1; h3 D 1; (1.138)
1.12 div und rot mit metrischen Faktoren 33

Abb. 1.11 Metrische Faktoren h1 ; h2 ; h3 am infinitesimalen Koordinatenwürfel

weil dx; dy; dz bereits Längen sind. Für Zylinderkoordinaten r; '; z ist

h1 D 1; h2 D r; h3 D 1; (1.139)

weil die Bogenlänge dl D r d' ist. Für Kugelkoordinaten r; #; ' ist

h1 D 1; h2 D r; h3 D r sin #: (1.140)

Letzteres gilt wegen dl D r? d' D r sin # d', mit dem Achsenabstand r? .

Abbildung 1.11 zeigt die Diskretisierung des Oberflächenintegrals.


Der hier idealisierte Würfel ist in Wirklichkeit ein Achteck.
Alle metrischen Faktoren bzgl. der x1 -Richtung sind angegeben.
a  vE D da1 v1 mit da1 D h2 dx2 h3 dx3 .
In x1 -Richtung ist dE
Die Stützstelle für v1 ; h2 ; h3 sei die Zellenwandmitte .x1 ˙ dx1 =2; x2 ; x3 /.
Entsprechend wird für die x2 - und die x3 -Richtung vorgegangen.
Das Volumen dV der Elementarzelle wird zentriert bei .x1 ; x2 ; x3 /.
Damit lautet (1.129) so:

h1 .x1 ; x2 ; x3 / dx1 h2 .x1 ; x2 ; x3 / dx2 h3 .x1 ; x2 ; x3 / dx3 div vE.x1 ; x2 ; x3 /


 
D dx2 dx3 Œh2 h3 v1 .x1 C dx1 =2; x2 ; x3 /  Œh2 h3 v1 .x1  dx1 =2; x2 ; x3 /
 
C dx1 dx3 Œh1 h3 v2 .x1 ; x2 C dx2 =2; x3 /  Œh1 h3 v2 .x1 ; x2  dx2 =2; x3 /
 
C dx1 dx2 Œh1 h2 v3 .x1 ; x2 ; x3 C dx3 =2/  Œh1 h2 v3 .x1 ; x2 ; x3  dx3 =2/
Œh2 h3 v1 .x1 C dx1 =2; x2 ; x3 /  Œh2 h3 v1 .x1  dx1 =2; x2 ; x3 /
D dx1 dx2 dx3
dx1
Œh1 h3 v2 .x1 ; x2 C dx2 =2; x3 /  Œh1 h3 v2 .x1 ; x2  dx2 =2; x3 /
C
dx2
!
Œh1 h2 v3 .x1 ; x2 ; x3 C dx3 =2/  Œh1 h2 v3 .x1 ; x2 ; x3  dx3 =2/
C :
dx3
(1.141)
34 1 Vektoranalysis

Die letzten drei Zeilen sind Differentialquotienten, und damit ist


 
1 @Œh2 h3 v1  @Œh1 h3 v2  @Œh1 h2 v3 
div vE D C C (1.142)
h1 h2 h3 @x1 @x2 @x3

Exemplarisch sei auch die x3 -Komponente von rot berechnet.


Alle Beiträge zu dlE  FE werden an der Kantenmitte genommen.
 
h1 .x1 ; x2 ; x3 / dx1 h2 .x1 ; x2 ; x3 / dx2 rot FE 3 .x1 ; x2 ; x3 /
 
D dx2 CŒh2 F2 .x1 C dx1 =2; x2 ; x3 /  Œh2 F2 .x1  dx1 =2; x2 ; x3 /
 
C dx1 Œh1 F1 .x1 ; x2 C dx2 =2; x3 / C Œh1 F1 .x1 ; x2  dx2 =2; x3 /

Œh2 F2 .x1 C dx1 =2; x2 ; x3 /  Œh2 F2 .x1  dx1 =2; x2 ; x3 /
D dx1 dx2
dx1

Œh1 F1 .x1 ; x2 C dx2 =2; x3 /  Œh1 F1 .x1 ; x2  dx2 =2; x3 /
 :
dx2
(1.143)

Die letzten zwei Zeilen sind Differentialquotienten, und damit ist

 
  1 @Œh2 F2  @Œh1 F1 
rot FE 3
D  (1.144)
h1 h2 @x1 @x2

Entsprechendes findet man für .rot FE /1 und .rot FE /2 .

1.13 Nabla-Operator

Wir haben in kartesischen Koordinaten gefunden

@˚ @˚ @˚
grad ˚ D eOx C eOy C eOz ;
@x @y @z
@vx @vy @vz
div vE D C C ; (1.145)
@x @y @z
     
@Fz @Fy @Fx @Fz @Fy @Fx
rot FE D  eOx C  eOy C  eOz :
@y @z @z @x @x @y
1.14 rot grad 35

Dies kann kompakt geschrieben werden als

grad ˚ D r˚;
div vE D r  vE; (1.146)
rot FE D r  FE :

Dabei ist der Nabla-Operator in kartesischen Koordinaten

@ @ @
rD eOx C eOy C eOz : (1.147)
@x @y @z

Auf Nabla in beliebigen Orthogonalkoordinaten sei hier verzichtet.

1.14 rot grad

Somit ist rot grad, unter Verwendung des Assoziativgesetzes,

r  .r˚/ D .r  r/˚ D 0: (1.148)

Doch scheint diese Gleichung etwas abstrakt.


Wir geben daher einen Integralbeweis für rot grad D 0.
In einem einfach zusammenhängenden Gebiet G des R3 sei ˚ beliebig.
Dann ist

FE D grad ˚
I
.a/
$ 0D dlE  FE
C D@A
Z
.b/
$ 0D a  rot FE
dE
A
.c/
$ 0 D rot FE : (1.149)

Einsetzen der ersten in die letzte Zeile ergibt das Gewünschte.


.a/ ! wurde in (1.85) gezeigt
H
gilt nach (1.87) nur, wenn C dlE  FE D 0 für alle Wege C
.b/ Satz von Stokes
.c/ ist trivial
R
! gilt (ohne Beweis), wenn A dE a  rot FE D 0 für alle Flächen A
Zeile 1 und 4 in (1.149) müssen für alle Punkte im Gebiet G gelten.
Zeile 2 muss für alle Wege und Zeile 3 für alle Flächen in G gelten.
36 1 Vektoranalysis

1.15 div rot

Wir betrachten ein Volumen V mit dem Rand A D @V .


Wir entfernen aus A eine kleine, zusammenhängende Fläche A0 .
Im Limes, dass A0 verschwindet, gilt
Z I
E
dV div rotF D
.a/
a  rot FE
dE
V AD@V
Z I I
a  rot FE D dlE  FE D dlE  FE D 0:
.b/ .a/ .c/ .d /
D dE (1.150)
AnA0 @.AnA0 / @A0

.a/ Satz von Gauß und Satz von Stokes R


.b/ Um den Stokesschen Satz anzuwenden, braucht man dE a.
Wir entfernen dazu das vernachlässigbar kleine A0 aus A.
.c/ A ist eine geschlossene Fläche, hat also keinen Rand.
Der Rand von AnA0 ist somit der Rand von A0 .
.d / Zusammen mit A0 verschwindet der Integrationsweg @A0 .
Da FE endlich ist, verschwindet das Integral.
Da (1.150) für jedes V gilt, muss div rot D 0 sein.
Der Kern dieser Argumentation ist

0 D @A D @ @ V (1.151)

oder „der Rand vom Rand verschwindet“.

Ein alternativer Beweis ohne den Grenzwert A0 ! 0 ist wie folgt:


Definiere auf der Oberfläche des Volumens V eine geschlossene Kurve C .
Diese zerlegt A D @V in zwei „Hemisphären“ H1 ; H2 mit C D @H1 D @H2 .
Das Minuszeichen stellt sicher, dass dEa auf H1 und H2 von V weg zeigt.
(Wenn dE a überall zu V hinzeigt, dann vertausche man H1 $ H2 .)
Wir durchlaufen nun C zweimal, in entgegengesetzten Richtungen:
I I
0D dlE  FE C dlE  FE
C D@H1 C D@H2
Z Z
D a  rot FE C
dE a  rot FE
dE
H1 H2
I
D a  rot FE
dE
@V
Z
D dV div rot FE : (1.152)
V
1.16 Erster Helmholtzscher Wirbelsatz 37

Daraus folgt wieder div rot D 0.


In den letzten zwei Abschnitten fanden wir

rr D0 und @ @ D 0: (1.153)

Man abstrahiert dies weiter zu der gemeinsamen Aussage

d d D 0; (1.154)

wobei d die Cartansche Ableitung der Differentialgeometrie ist.

1.16 Erster Helmholtzscher Wirbelsatz

Der Rest des Kapitels benutzt etwas aufwendige Rechentechnik.


Er kann daher später gelesen werden.
Wir beweisen den ersten Helmholtzschen Wirbelsatz:
Die Zirkulation ist konstant entlang einer Wirbelröhre.

Sei vE.Er / das Geschwindigkeitsfeld einer Flüssigkeit.


vE kann auch von der Zeit abhängen; dies spielt hier keine Rolle.
Sei K1 eine geschlossene Kurve, die nirgends rot vE zur Tangente hat.
Sei fC g die Menge aller Integralkurven von rot vE. Dies soll heißen:
Jedes C hat überall die Tangente rot vE und ist stetig differenzierbar.
Betrachte die Untermenge derjenigen Kurven C , die K1 schneiden.
Diese Kurven bilden eine schlauchartige Fläche W .
W hat fundamentale Bedeutung und heißt Wirbelröhre.

Satz (Helmholtz) Seien K1 und K2 geschlossene Wege auf W .


K1 und K2 sollen sich nicht schneiden.
Dann ist (vgl. die Definition der Zirkulation in (1.81))
I I
dlE  vE D dlE  vE: (1.155)
K1 K2

Beweis Seien A1 und A2 irgendwelche Flächen mit K1 D @A1 und K2 D @A2 .


A1 und A2 durchschneiden den Innenraum der Wirbelröhre W .
Die Wege K1 und K2 begrenzen auf W eine Fläche A3 , siehe Abb. 1.12.

Die Flächen A1 ; A2 ; A3 beranden ein Volumen V innerhalb von W .


38 1 Vektoranalysis

Abb. 1.12 Der erste Helm-


holtzsche Wirbelsatz für eine
Wirbelröhre

Somit ist
I I Z Z
dlE  vE  dlE  vE D
.a/
a  rot vE 
dE a  rot vE
dE
K1 K2 A1 A2
Z Z
.b/
D a  rot vE C
dE a  rot vE
dE
A1 A02
Z Z Z
.c/
D a  rot vE C
dE a  rot vE C
dE a  rot vE
dE
A1 A02 A3
Z
.d /
D a  rot vE
dE
@V
Z
.a/
D dV div rot vE

D 0: (1.156)

.a/ Satz von Stokes und Satz von Gauß


.b/ Der Umlaufsinn von K1 und K2 ist gleich.
Orientiere z. B. A2 um, so dass dE a1 und dEa2 von V weg zeigen.
Das umorientierte A2 wird A02 genannt.
.c/ Es ist dEa ? rot vE für A3 per Konstruktion;
denn rot vE ist Tangente an C und C liegt in A3  W .
Doch dE a steht senkrecht auf A3 . Also ist dEa  rot vE D 0.
.d / Es ist A1 [ A02 [ A3 D @V .
Es gilt die fundamentale Aussage (siehe Arnold 1989, S. 236):
Aus dem Satz von Helmholtz folgen die Grundgleichungen der Mechanik.
Zum Beweis betrachtet Arnold (für i D 1; : : : ; n)
 den Raum R2nC1 mit Koordinaten qi (Ort), pi (Impuls) und t,
 mit den Änderungsraten .qPi ; pPi ; tP D 1/ dieser Koordinaten.
Dies soll hier nicht weiter verfolgt werden.
1.17 Vektorgradient 39

1.17 Vektorgradient

Sei ˚.Er / ein Skalarfeld, FE .Er / ein Vektorfeld, lO eine beliebige Richtung.
Die Richtungsableitung von ˚.Er / in Richtung lO ist

@˚ O  ˚.Er /
˚.Er C hl/
D lim : (1.157)
@l h!0 h

Die Richtungsableitung von FE ist ganz entsprechend definiert:

@FE O  FE .Er /
FE .Er C hl/
D lim : (1.158)
@l h!0 h

Der Gradientenvektor des Skalarfelds ˚ ist


grad ˚ D O
n: (1.159)
@n

nO ist die Richtung stärksten Anwachsens von ˚.


n ist Koordinate auf einer Kurve mit der Tangente n. O
Für ˚ D r zum Beispiel ist grad ˚ D rO .
Wir betrachten jetzt das Vektorfeld FE .Er / D 'O im R2 .
FE ist konstant entlang jeden rO -Strahls.
Also ist die Richtung stärkster Änderung nO D '. O Es ist
   
@FE @'O @  sin '  cos '
D D D D Or : (1.160)
@n @' @' cos '  sin '

Die Definitionen (1.157) und (1.158) sind äquivalent;


und @FE =@n und nO sind für FE wohlbestimmt.
Demnach sollte grad FE ähnliche Gestalt wie grad ˚ in (1.159) haben,

@FE
grad FE D nO D Or ':
O (1.161)
@n

Ein Skalarprodukt rO  'O D 0 wäre hier falsch, denn FE ändert sich ja.
Mit einem Kreuzprodukt wäre mehr anzufangen;
doch verfolgen wir diesen Weg hier nicht weiter.

Tatsächlich braucht man (1.161) gar nicht weiter zu bearbeiten:


Jede gewünschte Information ist in dieser Gleichung enthalten.
Man fasst das „Nebeneinanderstehen“ in rO 'O als neue Operation auf.
(1.161) ist die angloamerikanische Schreibweise des Vektorgradienten.
40 1 Vektoranalysis

Eine andere bekannte Schreibweise dagegen ist leicht überdramatisch:

grad FE D Or ˝ ':


O (1.162)

˝ steht in Anlehnung an das kartesische Produkt .


Wir wählen im Folgenden als Mittelweg die Schreibweise

grad FE D Or j ':


O (1.163)

Das concatenation-Zeichen j hat hier seine übliche Bedeutung:


Aneinanderreihung von Zeichen ohne Verarbeitung („Trennwand“).

Der Zuwachs von FE in beliebige Richtung lO ist nun wie beim Skalarfeld

E
dl FE D grad FE  dl: (1.164)

Im obigen Beispiel ist für lO D rO

dr FE D Or j 'O  rO dr D 0; (1.165)

und für lO D 'O ist

d' FE D Or j 'O  'O d' D Or d'; (1.166)

also wie in (1.160) @FE =@' D Or . (1.165) und (1.166) sind somit korrekt.
Die Rechenregeln für j sind demnach

uE  .E
ajE
c / D .E
u  aE/ cE (1.167)

und

ajE
.E c /  vE D aE .E
c  vE/ (1.168)

Das heißt man kann auf Klammern verzichten und führt  aus.
Die Operation uE  .EajE
c / wird nicht definiert.
Es ist auch auf die Reihenfolge der Vektoren zu achten:
Nach den bisherigen Festlegungen wäre es falsch,

dl FE D dlE  grad FE (1.169)

zu schreiben, denn man erhält so das falsche Resultat

d' FE D d' 'O  rO j 'O D 0: (1.170)


1.18 Tensoren 41

Die Korrektur ist, auch im Gradienten die Reihenfolge umzukehren,

grad FE D 'O j rO : (1.171)

Die Reihenfolge ist also – wichtige – Konvention. Wir sind am Ziel:


Mit (1.167) und (1.168) definieren wir den Vektorgradienten

dl FE D dlE  .rjFE / D .dlE  r/ FE (1.172)

Diese Gleichung verallgemeinert die Ableitung (1.66) auf Vektoren.

1.18 Tensoren

Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum über dem Körper R.


Auf V sei ein Skalarprodukt  erklärt, und es seien aE ; cE 2 V beliebig.
Es gibt fünf Schreibweisen für das Dyade genannte „Reihungssymbol“:

aE cE; aE ˝ cE; aE j cE; j a ih c j ; a; cE:


ŒE (1.173)

Die letzte Schreibweise ist die moderne mathematische:


Die Dyade D D ŒE a; cE ist eine bilineare Abbildung

DWV V !R
uE ; vE 7! ŒE
a; cE .E
u; vE/ D .E
a  uE / .E
c  vE/: (1.174)

Wir schreiben alle (bi-)linearen Operatoren serifenfrei: D; A; T:


Rechts steht in (1.174) das (Körper-)Produkt zweier Zahlen.
Die Bilinearität der Dyade ergibt sich so:

a; cE .E
ŒE u1 C uE 2 ; vE/ D aE  .Eu1 C uE 2 / cE  vE
D aE  uE 1 cE  vE C aE  uE 2 cE  vE
D ŒE
a; cE .Eu1 ; vE/ C ŒE a; cE .E
u2 ; vE/; (1.175)

und für ˛ 2 R erhalten wir nach kurzer Rechnung

a; cE .˛ uE ; vE/ D ˛ ŒE
ŒE a; cE .E
u; vE/ (1.176)

und ganz entsprechend für die zweite Dyadenkomponente.

Mittels D wird eine lineare Abbildung DN definiert,

DN W V ! V
uE 7! D.E
u;  / D ŒE
a; cE .E
u/ D .E
a  uE / cE: (1.177)
42 1 Vektoranalysis

a  uE / cE ein Vektor der Länge aE  uE jE


Dabei ist .E c j in Richtung c.
O
Man sagt, DN dreht jede Richtung uO in die eine Richtung c. O
Auch DN W V ! V wird als Dyade bezeichnet.
Eine Dyade ist auch die lineare Abbildung grad FE W V ! V ;
denn grad FE bildet den Vektor dlE linear auf den Vektor dl FE ab.

Wir stellen nun alle Vektoren in kartesischen Koordinaten dar.


Dadurch gewinnen wir die kartesische Darstellung der Dyade:

a; cE .E
ŒE u; vE/ D aE  uE cE  vE
D .ai ui / .cj vj /
D .ui ai / .cj vj /
D ui .ai cj / vj : (1.178)

Die kartesische Darstellung der Dyade ŒE a; cE ist die Matrix .ai cj /:
Sie wird mit der Zeile .ui / und der Spalte .vj / multipliziert.
Eine dreifach lineare Abbildung,

a; cE; eE W V  V  V ! R
ŒE
uE ; vE; w
E 7! aE  uE cE  vE eE  w;
E (1.179)

kann mit Matrizen nicht mehr ausgedrückt werden.


Matrizen sind nur zur Abkürzung doppelter Skalarprodukte tauglich.
a; cE in (1.173) schreibt man beide Argumente rechts.
Nur für ŒE
Alle anderen Schreibweisen nehmen ein Argument links, eines rechts;
und die Wirkung der Dyade auf Argumente schreibt man als Produkt,

uE  .E
ajE
c /  vE D .E
u  aE / .E
c  vE/ (1.180)

In kartesischen Koordinaten wird dies, nochmals, zu

ui .ai cj /vj D .ui ai / .cj vj / (1.181)

Wir definieren die Dyadensumme ˚

uE  .E
ajE
c ˚ mjE
E n/  vE D uE  .E
ajE
c /  vE C uE  .mjE
E n/  vE (1.182)

und das Produkt ˇ mit einer Zahl ˛ 2 R

uE  .˛ ˇ .E
ajE
c //  vE D ˛ uE  .E
ajE
c /  vE: (1.183)

Wir schreiben statt ˚ wieder einfach C und lassen ˇ ganz weg.


1.19 Vektortransport 43

Man hat dann (vgl. den Quotientenraum UN =RN in Sternberg 1983, S. 4)

a C m/jE
.E E c D aE jE c C mjE
E c;
.˛ aE /jE
c D ˛.E
ajE
c/ (1.184)

und entsprechend für die zweite Dyadenkomponente.

Ein Tensor T vom Rang zwei ist eine Summe von Dyaden,

T D ˛ aEjE
c C ˇ mjE
E n C ::: (1.185)

Die folgenden Dyaden treten in der Mechanik auf:

O i;
ij O O jO;
ij ::: O
jOjk; O k;
kj O

1 D ij O iO C jOjjO C kjO k;
O
rE j rE: (1.186)

Wir zeigen, dass 1 wirklich die Einsdyade ist:


O k/
O iO C jOjjO C kj
aE  .ij O  cE D
O i/
D aE  .ij O k/
O  cE C aE  .jOjjO/  cE C aE  .kj O  cE

D .E O .iO  cE/ C .E
a  i/ a  jO/ .jO  cE/ C .E O .kO  cE/
a  k/
D a1 c1 C a2 c2 C a3 c3
D aE  cE
D aE  1  cE: (1.187)

1.19 Vektortransport

Es sei dlE eine infinitesimale, gerade Linie in einer Flüssigkeit.


Die Flüssigkeit bewegt sich mit dem Geschwindigkeitsfeld vE.Er /.
Wie ändert sich dann dlE im Zeitintervall dt?
(Man denke sich das Linienelement z. B. eingefärbt.)

Die Ecken von dlE seien bei rE und rE C dl.


E Sie bewegen sich in dt um
 
dt vE.Er / bzw: dt vE rE C dlE : (1.188)

Denn das Linienelement dlE ist selbst Teil der Flüssigkeit;


also ist die Geschwindigkeit rEP der Ecke der Feldwert vE an der Ecke,

rEP D vE.Er /; (1.189)

und entsprechend an der anderen Ecke.


44 1 Vektoranalysis

Abb. 1.13 Infinitesimaler


Transport einer geraden Linie
in einer Flüssigkeit

Somit ist die Flüssigkeitslinie dlE0 nach dem Zeitintervall dt:

dlE0 D dlE C dt vE.Er C dl/


E  dt vE.Er /: (1.190)

Wir fassen das Viereck in Abb. 1.13 als Änderung von rE auf,

d t rE D dt vE;
E
dl rE D dl: (1.191)

Das Viereck ist geschlossen, also vertauschen d t und dl :


Die Reihenfolge ihrer Anwendung ändert das Ergebnis nicht.
Anders ausgedrückt: Die Wege C1 und C2 sind gleichwertig.
Wir nähern uns hier der Argumentation in der Theorie der
 Lie-Ableitungen, siehe z. B. Hurley und Vandyck (2002), und der
 affinen Zusammenhänge, siehe z. B. Thomas (1934, S. 4).
E
Somit ist die Änderung der Linie dl:

d t dlE D d t dl rE
D dl d t rE
D dt dl vE
D dt dlE  .r j vE /: (1.192)

Wir können solcherart auch (1.191) ausdrücken,

dl rE D dlE  .r j rE / D dlE  1 D dl:


E (1.193)

(1.192) ist zentral in der Herleitung zweier wichtiger Sätze:


 In reibungsfreien Fluiden ist die Zirkulation zeitlich konstant,
 Magnetfelder sind in reibungsfreien Plasmen „eingefroren“,
die Gegenstand der (Magneto-)Hydrodynamik sind.
(Hier muss noch p D p./ angenommen werden, mit Druck p, Dichte .)
Zur Literatur: In Lamb (1945, S. 36) findet man die Gleichung

d ıx
D ıvx (1.194)
dt
Literatur 45

für die Streckungsrate in x-Richtung. Die allgemeine Vektorgleichung

d ı lE
D ı lE  .r vE/ (1.195)
dt
findet man bei Batchelor (1967, S. 132).

Literatur
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Batchelor G., An Introduction to Fluid Dynamics, Cambridge University Press, Cambridge, 1967
Chern S., Chen W. & Lam K., Lectures on Differential Geometry, World Scientific, Singapore,
1999
Greiner W., Mechanik I, II, 2. Aufl., Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main, 1977
Hurley D. & Vandyck M., Topics in Differential Geometry, Springer, Berlin, Heidelberg, New
York, 2002
Jänich K., Vektoranalysis, 2. Aufl., Springer, Heidelberg, 1993
Lamb H., Hydrodynamics, 6. Aufl., Dover, New York, 1945
Lang S., Introduction to Differentiable Manifolds, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg, New
York, 2002
Sternberg S., Lectures on Differential Geometry, 2. Aufl., Chelsea Publishing Company, New York,
1983
Thomas T., The Differential Invariants of Generalized Spaces, Cambridge University Press, Cam-
bridge, 1934
Weatherburn C., Advanced Vector Analysis, G. Bell and Sons, London, 1924
Kinematik
2

Kinematik kennt keine Kräfte, diese sind Gegenstand der Dynamik.


Doch kennt die Kinematik Scheinbeschleunigungen aE0 ;
hier sind vor allem Coriolis- und Zentrifugalbeschleunigung zu nennen.
In der Form mE a0 werden sie Trägheitskräfte genannt.
Dieses m „widersetzt“ sich der Beschleunigung, ist also die träge Masse.

Kinematik kennt keine Masse.


Kinematik behandelt nur Gleichungen mit rE; rEP; rER; «
rE usw.
Empirisches Fakt ist, dass in der Mechanik nur rE; rEP; rER vorkommen.
Wenn man Raum und Zeit zur Raumzeit zusammenfasst,
dann ist Kinematik also Raumzeit(differential)geometrie.

2.1 Geschwindigkeit und Beschleunigung

Diese Größen sind definiert durch

dEr v
dE
vE D D rEP; aE D D rER: (2.1)
dt dt
Die Bahn eines Teilchens ist die Kurve seiner Ortspunkte.
Wir sprechen im Folgenden auch von der Bahn rE.t/:
Im Vektorraum R3 können wir Punkte mit Vektoren identifizieren.
Kinematik ist also Differentialgeometrie von Kurven.
Stichworte sind hier das Darboux-Dreibein und die Formeln von Frenet.
Die Differenzierbarkeit der Bahn schließt pathologische Kurven aus;
so die Peanokurve, die stetig ist und eine Fläche ausfüllt.

Bewegungsgleichungen sind Differentialgleichungen (DGL) 2. Ordnung,

rER D rER .t; rE; rEP /: (2.2)

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_2, 47


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
48 2 Kinematik

Ihre Lösung erfordert die Vorgabe von rE und rEP bei t D 0.


Ein Foto der Welt reicht nicht aus, um die Zukunft vorherzusagen.
Auch zwei Fotos reichen nicht aus, da d=dt ein Grenzprozess ist.
In Computersimulationen diskretisiert man die Zeit, t 2 R ! t 2 N;
aus dem Differentialoperator d=dt wird ein Differenzenoperator = t.
Der Abschneidefehler hierbei wirkt meist wie ein Reibungsterm;
und Reibung zerstört ad hoc die Zeitumkehrinvarianz der Mechanik.
Der echte Grund für die real bevorzugte Zeitrichtung ist noch unklar.

Die Bahn rE ist eine Integralkurve des Vektorfelds rEP .Er ; t/ der DGL.
Das Differential dEr D rE.t C dt/  rE.t/ verbindet zwei Bahnpunkte.
dEr ist im Limes dt ! 0 also die Bahntangente.
Kurventangente und Integralkurve sind Umkehrbegriffe.
vE D dEr =dt ist Tangente an die Bahn rE.t/, doch aE im allgemeinen nicht.

2.2 Galileitransformation

Gegeben sind zwei Beobachter in Relativbewegung zueinander.


Ihre Raum-Zeit-Koordinatensysteme seien

K W .x; y; z; t/ und K 0 W .x 0 ; y 0 ; z 0 ; t 0 /: (2.3)

Es soll mit zeitlich und räumlich konstanten u; v; w 2 R gelten:

t0 D t;
x0 D x C ut;
y0 D y C vt;
z0 D z C wt: (2.4)

(Natürlich ist hier auch die Vektorschreibweise möglich.)


Dann sind K und K 0 durch eine Galileitransformation verbunden.
Wir schreiben dafür K ⌢ K 0 .

⌢ bezeichnet eine Relation zwischen K und K 0 .


Eine Relation ⌢ ist eine Äquivalenzrelation, wenn gilt:
(a) Reflexivität: K ⌢ K
(b) Symmetrie: Wenn K ⌢ K 0 dann K 0 ⌢ K
(c) Transitivität: Wenn K ⌢ K 0 und K 0 ⌢ K 00 dann K ⌢ K 00
Tatsächlich gelten (a, b, c) für Galileitransformationen:
(a) mit u D v D w D 0
(b) mit u0 D u; v 0 D v; w 0 D w
(c) mit u00 D u C u0 , v 00 D v C v 0 , w 00 D w C w 0
bei offensichtlicher Bedeutung der Striche.
2.3 Inertialsysteme 49

Wir führen den Begriff der Äquivalenzklasse Œ  ein:

b 2 Œa $ b ⌢ a: (2.5)

Äquivalenzklassen sind Mengen (im Sinn der naiven Mengenlehre).


Es gilt a 2 Œa, und weiter gilt: Wenn b 2 Œa, dann Œb D Œa.
Hier ist Mengengleichheit gemeint: Œa und Œb haben gleiche Elemente.
Insgesamt gilt also:

I Alle durch Galileitransformation verbundenen Systeme


liegen in einer Äquivalenzklasse.

Die Menge aller Systeme wird somit zerlegt gemäß

fK; K 0 ; K 00 ; K 000 ; : : :g ! fŒK; K 0 ; : : :; ŒK 00 ; K 000 ; : : :; : : :g: (2.6)

Rechts steht die Menge aller Galilei-Äquivalenzklassen.

2.3 Inertialsysteme

Wir unterscheiden zwischen Trägheits- und Nichtträgheitskräften.


Trägheitskräfte sind Scheinbeschleunigungen träger Massen.
Sie ergeben sich aus der Beschleunigung des Bezugssystems.
Nichtträgheitskräfte nennen wir abkürzend empirische Kräfte.
Man findet ihr Kraftgesetz nur durch Messungen, also empirisch.
Das Galileische Prinzip G lautet: Für kräftefreie Körper ist vE D const.
Inertialsysteme werden wie folgt definiert:
In Inertialsystemen ist vE D const, wenn empirische Kräfte verschwinden.
Mit G folgt daraus: In Inertialsystemen gibt es keine Trägheitskräfte.

Es besteht die bekannte Verknüpfung von Inertialsystemen:


Ist K ! K 0 Galileitransformation und K ein Inertialsystem, so auch K 0 .
Denn wenn vE D const ist in K, dann ist auch vE C UE D const in K 0 .

Mit der Erde verbundene Bezugssysteme sind i. A. keine Inertialsysteme.


Doch ist z. B. ein frei fallender Aufzug ein Inertialsystem.
Wir setzen voraus, dass alle schweren Massen gleich schnell fallen.
Dann gilt im frei fallenden Aufzug vE D const für geworfene Massen:
Die Trägheitskraft mgE kompensiert die empirische Schwerkraft mg. E
Ein Zeitungsbericht aus den 1920er Jahren hatte folgenden Inhalt:
Einstein befragte einen vom Dach Gestürzten nach dessen Eindrücken.
Er antwortete: „Ich spürte kein Gewicht (d. h. keine Schwerkraft) mehr.“
50 2 Kinematik

Manchmal ist eine Fläche vorgegeben, in der die Bahn liegen soll.
(Wir lassen die Kräfte, die dies erzwingen mögen, außer Betracht.)
Wegen der Flächenkrümmung ändert sich nun vO ohne Kraft.
Doch wegen der Konstanz der kinetischen Energie ist v D const.
Die kräftefreie Bewegung in Flächen erfolgt längs Geodäten:
Eine Geodäte ist definiert als kürzeste Verbindung zweier Flächenpunkte.
Die Geodäte verallgemeinert die Gerade; entsprechend definiert man:
Alle Tangentenvektoren einer Geodäte seien parallel zueinander.
Die Tangentenvektoren an die Geodäte sind aber gerade die v.O
Mit diesem Parallelenbegriff gilt G auch auf gekrümmten Flächen.

2.4 Variablen x; xP und Orts-Geschwindigkeits-Raum

Die Bewegungsgleichung des vertikalen freien Falls lautet

zR D g: (2.7)

Der Einheitsvektor zO ist nach oben gerichtet, g ist konstant.


Die Anfangswerte seien z0 D z.t D 0/ und zP0 D zP .t D 0/.
Integration von (2.7) ergibt

P D gt C zP 0 ;
z.t/ (2.8)
1
z.t/ D  gt 2 C zP 0 t C z0 : (2.9)
2

Gleichung (2.8) nach t auflösen liefert t D .Pz  zP 0 /=g.


Dies in (2.9) einsetzen ergibt nach Auflösen der quadratischen Gleichung
q
zP D zP 02 C 2g.z0  z/: (2.10)

Die t-Abhängigkeit von z und zP wurde nicht ausgeschrieben:


P
t ist nur eine Parametrisierung der Kurve z.z/ P
in der z z-Ebene.

I Wir haben eine Parabel z.t/ in der tz-Ebene


P
und eine Wurzelfunktion z.z/ in der z zP -Ebene.

Beide Darstellungen sind offenbar äquivalent.


z zP sind Koordinaten des einfachsten Phasenraums, des R2 .
Phasenräume haben immer eine geradzahlige Dimension:
P y yP usw. liefert zwei Dimensionen.
Jedes Paar x x;

Sehr einfache Phasenraumkurven hat der harmonische Oszillator.


2.5 Bahnbeschleunigung 51

Abb. 2.1 Orts-


Geschwindigkeits-Diagramm
des harmonischen Oszillators
bzgl. der einheitslosen Zeit
 D !t

Seine Differentialgleichung lautet, mit der Kreisfrequenz !,

d2 x
D ! 2 x: (2.11)
dt 2
Wir führen eine dimensionslose Zeit D !t ein.
Wir bezeichnen die -Ableitung (nicht die t-Ableitung!) mit einem Punkt,

xR D x: (2.12)

Links und rechts mit xP multiplizieren ergibt

xP xR D x x:
P (2.13)

Dies ist das gleiche wie

xPPxD
1 1 P
P  x
x: (2.14)
2 2
Also ist mit einer Integrationskonstanten e:

1 2 1 2
xP C x D e: (2.15)
2 2
Dies ist der Energiesatz in normierten Einheiten. p
Im R2 mit Achsen x und xP ergibt (2.15) Kreise des Radius 2e (Abb. 2.1).

2.5 Bahnbeschleunigung

Der Betrag der Bahngeschwindigkeit v in kartesischen Koordinaten ist


p
vD xP 2 C yP 2 C zP 2 : (2.16)
52 2 Kinematik

Die Geschwindigkeitskomponenten sind

dx ds dx
vx D D D v xO  sO ;
dt dt ds
dy ds dy
vy D D D v yO  sO ; (2.17)
dt dt ds
dz ds dz
vz D D D v zO  sO ;
dt dt ds
mit der Bahnlänge s. Diese dient als Bahnkurvenparameter. Es gilt

ds
vD ; (2.18)
dt
und sO sei die Bahntangente. Die Beschleunigung ist kartesisch
p
aD xR 2 C yR 2 C zR 2 : (2.19)

Jedoch ist die Beschleunigung entlang der Bahn

as D sR
D vP
dp 2
D xP C yP 2 C zP 2
dt
xP xR C yP yR C zP zR
Dp : (2.20)
xP 2 C yP 2 C zP 2

Die erste Zeile definiert die Beschleunigung entlang der Bahn.

Wir berechnen nun die Beschleunigung in Polarkoordinaten

x D r cos ';
y D r sin ': (2.21)

Der Azimut ' wird von der x-Achse weg gezählt.


Es ist unmittelbar klar, dass gilt:
   
cos '  sin '
rO D ; 'O D ; (2.22)
sin ' cos '

bzw. mit Vektoren anstelle von Tupeln geschrieben,

rO D iO cos ' C jO sin ' ;


'O D  iO sin ' C jO cos ' : (2.23)
2.5 Bahnbeschleunigung 53

Damit wird (bei iO und jO ist keine Zeitableitung zu lesen!)

vE D xP iO C yP jO
d d
D .r cos '/ iO C .r sin '/ jO
dt dt
D rP .cos ' iO C sin ' jO / C r 'P . sin ' iO C cos ' jO /
D rP rO C r 'P 'O
Š
D vr rO C v' ';
O (2.24)

also für die Geschwindigkeitskomponenten in Polarkoordinaten,

vr D r;
P v' D r 'P (2.25)

Dies ist auch anschaulich klar;


denn vr und v' sind die Änderungsraten ds=dt in r- und in '-Richtung.
Und diese sind dr=dt bzw. r d'=dt, mit dem Kreisbogen ds D r d'.

Weiterhin gilt für einen beliebigen Vektor aE, dass

ax D aE  iO
O  iO
D .ar rO C a' '/
D ar .cos ' iO C sin ' jO /  iO C a' . sin ' iO C cos ' jO /  iO
D ar cos '  a' sin ';
ay D aE  jO
O  jO
D .ar rO C a' '/
D ar .cos ' iO C sin ' jO /  jO C a' . sin ' iO C cos ' jO /  jO
D ar sin ' C a' cos ': (2.26)

Deuten wir aE nun speziell als Beschleunigung, so ist

ax D xR D .Rr  r 'P 2 / cos '  .r 'R C 2Pr '/


P sin ';
ay D yR D .Rr  r 'P 2 / sin ' C .r 'R C 2Pr '/
P cos ': (2.27)

Dabei wurde in (2.21) zweifach nach t abgeleitet.


Koeffizientenvergleich in (2.26) und (2.27) ergibt

ar D rR  r 'P 2 ;
a' D r 'R C 2Pr 'P (2.28)

oder mit (2.25)

v'2
ar D rR  (2.29)
r
54 2 Kinematik

Abb. 2.2 Zur Herleitung der


radialen Scheinbeschleuni-
gung bei Kreisbewegung

sowie

2vr v'
a' D r 'R C (2.30)
r

Dem Betrag nach stehen hier Zentrifugal- und Coriolisbeschleunigung.


Beide haben sich aus den Polarkoordinaten direkt ergeben.
Wieso treten diese Terme hier auf, wo keine Rotation angenommen ist?
Wir betrachten dazu in Abb. 2.2 eine reine Kreisbewegung mit

r D const; rR D 0; O
vE D v' ': (2.31)

Im Limes dt ! 0 können wir Sekanten durch Kreisbögen nähern.


Für die ähnlichen Dreiecke in Abb. 2.2 gilt dann, mit Bogen ds und dq:

ds dq dv'
d' D D D ; (2.32)
r v' v'

also ist dv' D v' d' und damit vP ' D v' '.
P
Berücksichtigt man auch das Vorzeichen, so folgt

v'2
ar D vP' D v' 'P D  : (2.33)
r
Ganz entsprechend leitet man den zweiten Summanden in (2.30) her.

2.6 Eulerformel für rotierende Vektoren

Der Vektor rE drehe sich mit festem Fußpunkt um die feste Achse !.O
Die konstante Winkelgeschwindigkeit sei !E D ! !.O
Man spricht von reiner Rotation ohne Translation; siehe Abb. 2.3.
2.6 Eulerformel für rotierende Vektoren 55

Abb. 2.3 Zur Eulerformel


für rotierende Vektoren

Es entsteht ein Kegel. Gesucht ist die Änderungsrate rEP von rE.
Es gilt (mit Sekante dr und Bogen ds) in erster Differentialordnung

dr D ds D r? d' D r? ! dt: (2.34)

E rE? ; dEr
Die drei Vektoren !;
 bilden in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem und
 stehen senkrecht aufeinander.
Also ist

dEr D dt !E  rE? ; (2.35)

oder besser (!E und rE? ändern sich nicht)

rEP D !E  rE? : (2.36)

Weiterhin ist rEk  !E D 0 wegen Parallelität, also

rEP D !E  .Er? C rEk /; (2.37)

und man erhält mit rE D rE? C rEk die Eulerformel

rEP D !E  rE (2.38)

Man beachte die Reihenfolge der Terme.


Als Operatorgleichung geschrieben wird (2.38) zu („_“ ist eine Leerstelle)

d
D !E  _ (2.39)
dt
Linke und rechte Seite sind auf beliebige Vektoren anwendbar.
56 2 Kinematik

Der Vektor !E bezeichnet Drehachse !O und Winkelgeschwindigkeit !.


Bei einem gewöhnlichen Vektor würde ! als Vektorlänge verstanden.
Doch hat es wenig Sinn, der Drehachse eine Länge zuzuweisen.
!E ist ein Axialvektor, im Unterschied zu Polarvektoren wie rE und vE.
Oft sind Axialvektoren Kreuzprodukte von Polarvektoren, wie z. B.
 der Drehimpuls L E D mEr  vE,
 das Flächenelement dE a D dEr  dEs ,
wobei dEr und dEs das Parallelogramm dE a aufspannen.
!E ist ein Axialvektor wegen (2.38); denn rE und rEP sind Polarvektoren.
Dies ist wegen  nur möglich, wenn !E ein Axialvektor ist.

Wir zeigen auf S. 231, dass !E translationsinvariant ist.


Damit ist !E ein echter mathematischer Vektor.
Wir betrachten noch das Verhalten unter Punktspiegelungen:
Transformieren sich Polarvektorkomponenten gemäß x; y; z ! x; y; z,
so transformieren sich Axialvektorkomponenten gemäß u; v; w ! u; v; w.

2.7 Scheinbeschleunigungen

Seien x0 ; y0 ; z0 kartesische Koordinaten in einem Inertialsystem.


Seien x; y; z Koordinaten in einem System, das mit !E rotiert.
Beide Systeme haben einen gemeinsamen Nullpunkt.
Die Rotationsachse !O gehe durch diesen Nullpunkt.
Wir benutzen x; O y; O jO; kO (wegen Zeitableitungspunkten). Es ist
O zO statt i;

rE0 D x0 .t/ xO 0 C y0 .t/ yO0 C z0 .t/ zO 0


D x.t/ x.t/
O C y.t/ y.t/ O C z.t/ zO .t/ D rE: (2.40)

Die Rechnung folgt Dransfeld et al. (1977, S. 174):

vE0 D rEP0 D xP xO C yP yO C zP zO
C x xPO C y yPO C z z;
PO (2.41)
aE0 D vEP0 D xR xO C yR yO C zR zO
C 2.xP xPO C yP yPO C zP z/
PO

C x xRO C y yRO C z z:
RO (2.42)

Die Eulerformel für die Einheitsvektoren lautet

xPO D !E  x;O
yOP D !E  y;O (2.43)
zPO D !E  z:
O
2.7 Scheinbeschleunigungen 57

Nochmaliges Differenzieren und Anwenden der Eulerformel ergibt

d
O D !EP  xO C !E  xPO D !EP  xO C !E  .!E  x/;
xRO D .!E  x/ O
dt
yRO D ::: (2.44)
d
zOR D .!E  zO / D !EP  zO C !E  zOP D !EP  zO C !E  .!E  zO /:
dt
Einsetzen in (2.42) ergibt

aE0 D xR xO C yR yO C zR zO
 
C 2 xP !E  xO C yP !E  yO C zP !E  zO
C x !EP  xO C y !EP  yO C z !EP  zO
C x !E  .!E  x/
O C y !E  .!E  y/
O C z !E  .!E  z/:
O (2.45)

Es ist xR xO C yR yO C zR zO D aE die Beschleunigung im rotierenden System.


Denn im rotierenden System sind x; O y;
O zO zeitlich konstant.
Weiterhin erhält man mit (2.40) und den Rechenregeln für 

aE0 D aE C 2!E  vE C !EP  rE C !E  .!E  rE/ (2.46)

mit der Geschwindigkeit vE D xP xO C yP yO C zP zO im rotierenden System.


 !E  .!E  rE/ ist die Zentrifugalbeschleunigung,
 !EP  rE ist eine Trägheitsbeschleunigung ohne eigenen Namen,
 2!E  vE ist die Coriolisbeschleunigung.
Wenn eine Masse im rotierenden System ruht, vE D 0,
dann erfährt sie keine Coriolisbeschleunigung.

Weiterhin ist

j!E  .!E  rE/j D j!E  .!E  rE? /j


D !r? j!E  njO
D ! 2 r? ; (2.47)

wobei nO senkrecht auf !E und rE? steht.


! 2 r? ist Huygens’ Ausdruck für die Zentrifugalbeschleunigung.

Obige Herleitung wird durch folgende Einsicht deutlich kürzer:


ˇ ˇ
d ˇˇ d ˇˇ
D C !E  _ (2.48)
dt ˇI dt ˇR


ˇ ˇ

dt I
und dt R
sind Zeitableitungen im Inertial- und rotierenden System.
58 2 Kinematik

Damit wird
ˇ ˇ ˇ
d2 rE ˇˇ d ˇˇ d ˇˇ
D rE
dt 2 ˇI dt ˇ dt ˇI
 Iˇ  ˇ 
d ˇˇ d ˇˇ
D C !E  _ C !E  _ rE
dt ˇR dt ˇR
ˇ ˇ ˇ
d2 rE ˇˇ d ˇˇ dEr ˇˇ
D 2 ˇ C ˇ .!E  rE/ C !E  C !E  .!E  rE/: (2.49)
dt R dt R dt ˇR

Wir benutzten dabei rEI D rER und !EI D !ER . Damit ist wie zuvor

aEI D aER C !EP  rE C 2!E  vER C !E  .!E  rE/: (2.50)

Wir deuten eine weitere Herleitung der Scheinbeschleunigungen an.


Gleichungen (2.29) und (2.30) sind Scheinbeschleunigungen in Polarkoordinaten.
Wir betrachten nun rotierende kartesische Koordinaten der Ebene.
Seien x; y Koordinaten in einer um ! zO rotierenden Ebene, mit ! D const.
Seien X; Y Koordinaten eines Inertialsystems in derselben Ebene.
Die Ursprünge seien gleich, ' ist der Winkel zwischen x- und X-Achse.
Wir kürzen ab: s D sin '.t/ und c D cos '.t/. Dann gilt elementar

X D xc  ys;
Y D xs C yc: (2.51)

Weiterhin ist sP D !c und cP D !s, also

XP D xc
P  ys
P  x!s  y!c;
P
Y D xs
P C yc
P C x!c  y!s: (2.52)

Quadrieren und addieren ergibt

XP 2 C YP 2 D xP 2 c 2 C yP 2 s 2 C x 2 ! 2 s 2 C y 2 ! 2 c 2
 2xP ysc
P  2x x!sc
P  2y x!c
P 2 C 2x y!s
P 2 C 2y y!sc
P C 2xy! 2 sc
C xP 2 s 2 C yP 2 c 2 C x 2 ! 2 c 2 C y 2 ! 2 s 2
C 2xP ysc
P C 2x x!sc
P  2y x!s
P 2 C 2x y!c
P 2  2y y!sc
P  2xy! 2 sc:
(2.53)

Damit ist die kinetische Energie

1  P2 
TI D m X C YP 2
2
1  
D m xP 2 C yP 2 C ! 2 .x 2 C y 2 / C 2!.x yP  y x/
P : (2.54)
2
2.8 Eine Meeresströmung 59

Man erkennt bereits wieder die Zentrifugal- und die Coriolisterme.


Die Herleitung der Scheinbeschleunigung gelingt uns hier noch nicht.
Man fasst dazu die rechte Seite in (2.54) als Hamiltonfunktion auf.
Die Hamiltongleichungen ergeben dann Gleichungen wie (2.29) und (2.30).
Die Details findet man in Calkin (1999), Aufgaben 3.13 und 6.05.

2.8 Eine Meeresströmung

Das folgende Beispiel findet sich in Yung-kuo (1994, Aufgabe 1101).


In einer Meeresströmung sei v D const auf horizontalen Kreisbahnen.
Die Zentrifugalbeschleunigung zeigt radial nach außen.
Eine betragsgleiche Coriolisbeschleunigung zeige radial nach innen.
Dieses „Kraft“gleichgewicht hält das Wasser auf Kreisbahnen.
Die Coriolisbeschleunigung entsteht dabei durch die Erddrehung;
die Zentrifugalbeschleunigung entsteht durch die kreisförmige Bahn.
Es sei # der vom Äquator weg gezählte Breitengrad.
Wir betrachten nur Bewegungen parallel zur Erdoberfläche.
Die Erde rotiere mit der Winkelgeschwindigkeit !.

Abbildung 2.4 zeigt die lokale Tangentialebene der Erde bei #.


Wir benutzen kartesische Koordinaten xy und Polarkoordinaten r'.
Die Bahngeschwindigkeit in der Tangentialebene ist dann

vExy D v' ':


O (2.55)

Die Bewegung erfolgt im Uhrzeigersinn, daher rührt das Minuszeichen.


Wir suchen die Coriolisbeschleunigung gECxy in der xy-Ebene.
gECxy entsteht durch das Kreuzprodukt von vExy mit !E z :
!E z ist die Komponente von !E in die (bei #) lokale z-Richtung,

!E z D ! sin # zO : (2.56)

Also ist

gECxy D 2 !E z  vExy
D C2! sin # v' zO  'O
D 2! sin # v' r:O (2.57)

Diese Beschleunigung zeigt wie erwartet radial nach innen.


Die Zentrifugalbeschleunigung ist, mit dem Radius r der Strömung,

v'2
gEZxy D O
r: (2.58)
r
60 2 Kinematik

Abb. 2.4 Scheinbe-


schleunigungen in einer
Tangentialebene der rotie-
renden Erde

Die Tageslänge ist d D 2 =!, die Umlaufzeit der Strömung ist P D 2 r=v' .
Setzt man (2.57) und (2.58) gleich, so ergibt sich

d
P D : (2.59)
2 sin #
Die geographische Breite legt also die Umlaufzeit der Strömung fest.

2.9 Trägheitskräfte

Wir haben bisher drei Scheinbeschleunigungen betrachtet:


Zentrifugal- und Coriolisbeschleunigung sowie aE 0 D !EP  rE.
Ihr Ursprung ist das rotierende, also beschleunigte Bezugssystem.
Es gibt eine vierte, sogar lineare Scheinbeschleunigung.
Sie tritt z. B. beim plötzlichen Abbremsen des Bezugssystems auf.
So wirkt in einem bremsenden Zug eine Trägheitskraft nach vorn.
Diese ist FE 0 D mE a, mit gegebenem aE des Bezugssystems.
Man kann immer mE a in Newtons Axiom als Trägheitskraft auffassen:

FE D mE
a D FE 0 : (2.60)

Gegenstand der Mechanik ist dann das Kraftgleichgewicht FE C FE 0 D 0.


Diese Rückführung der Dynamik auf die Statik stammt von d’Alembert.
Literatur 61

Literatur
Calkin M., Lagrangian and Hamiltonian Mechanics. Solutions to the Exercises, World Scientific,
Singapore, New Jersey, 1999
Dransfeld K., Kienle P. & Vonach H., Physik I, 2. Aufl., Oldenbourg, München, Wien, 1977
Yung-kuo L. (Hrsg.), Problems and Solutions on Mechanics, World Scientific, Singapore, New
Jersey, 1994
Schwingungen
3

3.1 Newtons Axiome

Die klassische Dynamik kennt zwei fundamentale Kräfte,


 die Hookesche Federkraft und
 die Newtonsche Gravitationskraft.
Bevor wir sie untersuchen, seien einige Grundkonzepte eingeführt.
Sei d die maximale Ausdehnung einer Masse.
Sei D der minimale Krümmungsradius der Bahn entlang der Bahn.
Wenn d  D ist, kann man die Masse als Massenpunkt auffassen.
Andernfalls spricht man bei inelastischen Massen vom starren Körper.

Newtons Axiome der Mechanik lauten


N I: G
N II: pEP D FE
N III: FEab D FEba
N I ist das Galileische Prinzip.
N II beinhaltet, dass Kräfte Vektoren sind (Stevin 1605).
Wir betrachten nur unveränderliche Massen, m P D 0.
Daher schreiben wir N II meist als FE D mE a.
N III („Kraft gleich Gegenkraft“) ist schillernd-philosophisch.
Man kann es als frühen Ausdruck der modernen Erkenntnis lesen:
Jede Kraft ist eine durch Bosonen vermittelte Wechselwirkungskraft.
Die Systeme K; K 0 seien durch eine Galileitransformation verbunden.
Alle möglichen Experimente verlaufen dann in K und K 0 gleich.
Ihre Relativgeschwindigkeiten UE und UE sind spiegelbildlich identisch.
K und K 0 sind also physikalisch nicht unterscheidbar.
Also sollten die Bewegungsgleichungen in K und K 0 gleich sein,

FE D mE
a; FE 0 D m0 aE 0 : (3.1)

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_3, 63


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
64 3 Schwingungen

Wir zeigen, dass dies tatsächlich der Fall ist:

(a) In der nichtrelativistischen Mechanik gilt empirisch

m0 D m: (3.2)

(b) Weiterhin ist, mit UE D const,

d2  
aE 0 D rER 0 D 2 rE C UE t D rER D aE: (3.3)
dt
(c) Wir betrachten nur die Feder- und die Gravitationskraft.
Beide hängen allein vom Abstand der Massen ab,

FE D FE . rE/: (3.4)

Es ist

rE0 D rE10  rE20 D rE1 C UE t  rE2  UE t D rE1  rE2 D rE; (3.5)

also ist

FE 0 D FE : (3.6)

Mit (3.2), (3.3) und (3.6) ist (3.1) erfüllt.


Gleichung (3.1) würde sogar gelten, wenn gälte

m0 D m; FE 0 D FE ; aE 0 D aE; . 2 R/: (3.7)

Das Newtonsche Axiom FE D mE a ist also galileiinvariant.


Dagegen ist die Maxwellsche Elektrodynamik lorentzinvariant.
Letzteres wurde von Poincaré, Lorentz und Einstein gezeigt.

3.2 Energiesatz für konservative Kräfte

Wir beginnen wieder mit

mrER D FE (3.8)

und multiplizieren beide Seiten skalar mit rEP ,

mrER  rEP D FE  rEP: (3.9)


3.2 Energiesatz für konservative Kräfte 65

Die linke Seite wird umgeschrieben zu


 
d 1 2
mPr D FE  rEP; (3.10)
dt 2
denn es ist
d 2 d
rP D .rEP  rEP / D rEP  rER C rER  rEP D 2rER  rEP: (3.11)
dt dt
T D 12 mPr 2 ist die kinetische Energie.
Sie wurde 1686 von Leibniz ohne den Faktor 12 eingeführt.
(Einstein hatte zunächst Schwierigkeiten, von E D 12 mc 2 loszukommen.)
Wir integrieren in (3.10) über die Zeit, mit T2 D T .t2 / usw.:
Zt2
dEr
T2  T1 D FE .Er .t//  dt: (3.12)
dt
t1

Man fasst die rechte Seite als Variablensubstitution t ! rE auf,

ZrE2
T2  T1 D dEr  FE .Er /: (3.13)
rE1

Konservative Kräfte sind solche, für die gilt

FE D rV: (3.14)

V .Er / ist das Skalarpotential; das Minuszeichen wird in (3.17) klar.


Wir erinnern an die Definition des Gradienten als Ableitung im Rn ,

dV D dEr  rV: (3.15)

Damit folgt (wobei nun V1 D V .Er1 / usw. ist)

ZrE2 ZrE2
T2  T1 D  dEr  rV D  dV D V1  V2 : (3.16)
rE1 rE1

Also haben wir den Energiesatz für konservative Kräfte:


Ein Massenpunkt hat im konservativen Kraftfeld konstante Energie,

T1 C V1 D T2 C V2 (3.17)

Wir erinnern an die Wegunabhängigkeit der Arbeit für konservative FE ,


I I I
E
dEr  F D  dEr  rV D  dV D 0: (3.18)
66 3 Schwingungen

3.3 Oszillatorgleichung

Wir wenden uns als erster empirischer Kraft der Federkraft zu.
Im nächsten Kapitel wird dann die Gravitationskraft untersucht.
Das Hookesche Gesetz für die gerade Feder lautet

F D k x: (3.19)

x D x  x0 ist die Auslenkung aus einer Ruhelage x0 D const.


Bei x > 0 ist die Feder gedehnt, bei x < 0 ist sie gestaucht.
Newton II lautet dann

mxR D k x: (3.20)

Rx D k x schreiben.
Mit xR 0 D 0 können wir dies als m 
Wir benennen x in und dies gleich wieder in x um (Fehlerquelle!):

mxR D kx: (3.21)

Das ist die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators. Also ist

xR C ! 2 x D 0; (3.22)

mit der Kreisfrequenz (Einheit inverse Zeit)


p
! D ˙ k=m: (3.23)

Die Lösung von (3.22) ist, mit beliebigen a; ˛ 2 R,

x.t/ D a cos.!t C ˛/: (3.24)

Mit ! ! ! und ˛ ! ˛ ist x ! x. Also gilt:


Ist ˛ physikalisch unwichtig, dann ist das Vorzeichen von ! unwichtig.
Wir schreiben daher oft nur das positive Vorzeichen von !.
Statt (3.24) kann man äquivalent schreiben, mit beliebigen b; c,

x.t/ D b cos.!t/ C c sin.!t/: (3.25)

˛ heißt Phasenwinkel, a; b; c sind Amplituden.


Gleichung (3.22) ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung.
Als solche hat sie zwei Integrationskonstanten: Entweder a; ˛ oder b; c.
! ist keine Integrationskonstante, sondern über (3.23) festgelegt.

Gern schreibt man die Lösung in der Form (mit d; ˇ 2 R beliebig)


 
x.t/ D R de i.!t Cˇ / ; (3.26)

wo R. / für den Realteil der komplexwertigen Klammer steht.


3.4 Energiesatz des Oszillators 67

Tatsächlich lässt man R aus Schreibökonomie oft weg.


Mit der komplexen e-Funktion rechnet sich leichter als mit sin und cos.
Wir wollen die Idee ausführen und schreiben (3.22) als
 2
d
L.x/ D C ! 2 x D 0; (3.27)
dt 2

mit einem reellen (Zeit-)Operator L. Gleichung (3.22) ist eine lineare DGL;
also ist L ein linearer Operator, d. h. für beliebige Zahlen ˛; ˇ gilt

L.˛x1 C ˇx2 / D ˛L.x1 / C ˇL.x2 /: (3.28)

Sind also x1 ; x2 Lösungen von L D 0, dann auch ˛x1 C ˇx2 .


Sei x komplex, also x D R.x/ C iI.x/. Dann gilt das Kommutativgesetz

R.L.x// D L.R.x//: (3.29)

Denn es ist

R.L.x// D R.L.R.x/ C iI.x///


.a/
D R.L.R.x/// C R.iL.I.x///
.b/
D R.L.R.x///
.c/
D L.R.x//: (3.30)

.a/ L ist linear.


.b/ iL.I.x// ist, weil L reell ist, imaginär und hat keinen Realteil.
.c/ L.R.x// ist bereits reell.
Gleichung (3.29) zeigt:
 Man kann in L.x/ komplexe x.t/ einsetzen und damit rechnen
 und am Ende der Rechnung den Realteil nehmen.
Das Ergebnis ist dasselbe, als hätte man in L den R.x/ eingesetzt.

3.4 Energiesatz des Oszillators

Das Potential des harmonischen Oszillators ist


Zx Zx
0 0 1 2
V .x/ D  dx F .x / D k dx 0 x 0 D kx : (3.31)
2
0 0

Man beachte das Vorzeichen. Die Gesamtenergie ist also


1 1
E DT CV D mxP 2 C kx 2 : (3.32)
2 2
68 3 Schwingungen

Die Energie des harmonischen Oszillators ist eine Quadratform in x; x. P


Man kann die Phase ˛ in (3.24) frei festlegen; sie sei ˛ D 0. Dann ist

1   1   1
ED a m! 2 sin2 !t C k cos2 !t D ak sin2 !t C cos2 !t D ak: (3.33)
2 2 2
Die Gesamtenergie des harmonischen Oszillators ist konstant.
Im R2 mit den Koordinatenachsen x und xP ist (3.32) eine Ellipse. p
Ersetzt man xP durch yP D x=!,
P erhält man einen Kreis des Radius 2E=k.
(Der Zusammenhang mit der Konstanten e in (2.15) ist e D E=k.)

3.5 Gedämpfter Oszillator

Nur in diesem Abschnitt betrachten wir einen Reibungsterm.


Reibung wirkt der Beschleunigung entgegen.
Die Reibungskraft soll proportional zur Geschwindigkeit sein.
Also ist die Bewegungsgleichung des gedämpften Oszillators

mxR D kx  ˇ x:
P (3.34)

Man hat hier zwei rückstellende Kräfte. Umformen ergibt

xR C 2 xP C !02 x D 0; (3.35)

mit den Systemparametern

2 D ˇ=m;
!02 D k=m: (3.36)

Der Lösungsansatz ist wieder (nur der Realteil wird genommen)

x.t/ D ae i !t ; (3.37)

aber mit einer neuen Konstanten !, die von !0 und  abhängt.


Einsetzen von (3.37) in (3.35) ergibt
q
! D ˙ !02   2 C i: (3.38)

Für  D 0 ergibt sich natürlich das Bekannte.


Für  < !0 hat man wegen e t q eine gedämpfte Schwingung.
Die Kreisfrequenz ist dann zu !02   2 modifiziert.
Im Zeitintervall D  1 ln 2 fällt die Amplitude jeweils um den Faktor 2.
Für  > !0 hat man den sogenannten aperiodischen Grenzfall.
3.6 Getriebener Oszillator 69

3.6 Getriebener Oszillator

Der gedämpfte Oszillator wird nun periodisch angeregt:

xR C 2 xP C !02 x D f cos ˝t: (3.39)

!0 und  sind wie oben eingeführt.


Doch das ! der Schwingung hängt nun nicht mehr von diesen ab;
sondern ! ist langfristig die äußere Anregungskreisfrequenz ˝.
Gleichung (3.39) ist eine inhomogene DGL. Ihre allgemeine Lösung ist die Summe
 der allgemeinen Lösung der homogenen DGL
 und einer speziellen Lösung der inhomogenen DGL.
Die allgemeine Lösung der homogenen Gleichung hat ! und stirbt ab.
Die spezielle Lösung der inhomogenen Gleichung hat ˝ und bleibt.
Der spezielle Lösungsansatz ist (Realteil am Ende der Rechnung)

x D Ae i.˝t ˚ / : (3.40)

Man findet für !02 >  2 nach kurzer Rechnung, siehe Budo (1967, S. 96),
q 
x.t/ D A cos.˝t  ˚/ C ae t sin t !02   2 C ˛ ; (3.41)

mit (a und ˛ sind beliebig)

f
AD q ; (3.42)
.!02  ˝ 2 /2 C 4 2 ˝ 2
2˝
˚ D arctan : (3.43)
!02 ˝2

Der zweite Term in (3.41) verschwindet für t ! 1.


Er heißt Transiente und wird nicht weiter betrachtet.
(Vergleiche: Unreiner Anfangston beim Anschlagen einer Klaviersaite.)

Für t ! 1 schwingt der Oszillator mit


 konstanter Amplitude A,
 Kreisfrequenz ˝ der Anregung,
 und Phasenverschiebung ˚.
Die Formel (3.42) für A.˝/ beschreibt die Lorentzresonanz.
Für  D 0 ist A.˝/ D f =j!02  ˝ 2 j, mit Singularität bei ˝ D !0 .
Für  D 0 ist ˚.˝/ Sprungfunktion: ˚ D 0 für ˝ < !0 , ˚ D für ˝ > !0 .
Die Anregung cos.˝t/ bewirkt langfristig eine Schwingung cos.˝t  ˚/:
 Bei ˝ < !0 sind Anregung und Schwingung in Phase,
 bei ˝ > !0 sind sie in Antiphase (Phasenverschiebung ).
70 3 Schwingungen

Diese Phasenverschiebung wird beim Boxtraining genutzt:


Boxer schlagen mit schneller Faustfolge ˝ auf einen Punchingball.
Wenn ˝ größer als die Eigenfrequenz !0 der Seilhalterung ist,
dann bewegt sich der Punchingball in Antiphase zu den Fäusten.
Der Boxer hat den Eindruck, auf eine elastische Wand zu schlagen.

Ähnliches geschieht bei Ebbe und Flut:


Der Mond hält die Meere auf der schnell rotierenden Erde zurück.
 Die scheinbare Mondperiode ist ein Tag (Rotation der Erde),
 die Wasserwellen brauchen etwa 3=2 Tage um die Erde herum.
 Die Wellen (Schwingung) sind langsamer als der Mond (Anregung).
Es kommt zur Antiphase; das Wasser steht unter dem Mond am tiefsten.
Diesen Effekt nennt man inverse Gezeiten.

3.7 Zwei gekoppelte Oszillatoren

Wir betrachten folgende Konfiguration:

| xxx o xxx o xxx |

Dabei sind:
|: Starre Wand
o: Masse m
xxx: Feder mit Federkonstante k
Die Auslenkung der linken (rechten) Masse aus der Ruhelage sei x1 (x2 ).
Die Bewegungsgleichungen lauten

mxR 1 D kx1 C k.x2  x1 /;


mxR 2 D kx2  k.x2  x1 /: (3.44)

Der erste Term rechts beschreibt Dehnung/Stauchung der Wandfedern,


der zweite Term rechts beschreibt die mittlere Feder.
Wir addieren und subtrahieren die Gleichungen:

d2
m .x1 C x2 / D k.x1 C x2 /;
dt 2
d2
m 2 .x1  x2 / D 3k.x1  x2 /: (3.45)
dt
Bezüglich x1 C x2 und x1  x2 sind diese Gleichungen entkoppelt.
Sie haben also die bekannten Lösungen
p
x1 C x2 D a sin.t k=m C ˛/;
p
x1  x2 D b sin.t 3k=m C ˇ/: (3.46)
3.8 Drei gekoppelte Oszillatoren 71

Diese Gleichungen erneut addieren und subtrahieren ergibt

a p b p
x1 D sin.t k=m C ˛/ C sin.t 3k=m C ˇ/;
2 2
a p b p
x2 D sin.t k=m C ˛/  sin.t 3k=m C ˇ/: (3.47)
2 2
Besonders einfach und damit interessant ist der Fall ˛ D ˇ D 0,
sowie entweder b D 0 oder a D 0; dann ist (mit c D a=2)
p
x1 D c sin.t k=m/;
p
x2 D c sin.t k=m/ (3.48)

oder (mit d D b=2)


p
x1 D Cd sin.t 3k=m/;
p
x2 D d sin.t 3k=m/: (3.49)

Gleichungen (3.48) und (3.49) heißen Grundmoden des Systems; p


bei (3.48) schwingen die beiden Massen gleichphasig
p mit ! D k=m,
bei (3.49) schwingen sie antiphasig mit ! D 3k=m.
Bei gleichphasigem Schwingen wirkt effektiv nur eine Feder pro m;
bei antiphasigem Schwingen wirken alle drei Federn.

3.8 Drei gekoppelte Oszillatoren

Der obige Weg mit Linearkombinationen wird bald unübersichtlich.


Die lineare Algebra liefert hier eine systematische Methode.
Wir betrachten das folgende Beispiel:
Drei gleiche Massen m liegen auf einem Kreis mit dem Radius R.
Sie sind durch drei Federn k verbunden, die entlang des Kreises liegen.

Wir beschreiben die Massenorte durch Winkel '1 ; '2 ; '3 .


In Ruhelage sind benachbarte Massen durch den Winkel 2 =3 getrennt.
Die Bewegungsgleichungen lauten also

mR'R1 D kR.'2  '1  2 =3/  kR.'1  '3  2 =3/;


mR'R2 D kR.'3  '2  2 =3/  kR.'2  '1  2 =3/; (3.50)
mR'R3 D kR.'1  '3  2 =3/  kR.'3  '2  2 =3/:

R kürzt sich heraus. Der Lösungsansatz ist (konstante l )

'l .t/ D l e i !t ; l D 1; 2; 3: (3.51)


72 3 Schwingungen

Phasenverschiebungen sollen in den ggf. komplexen l stecken.


Mit der Abkürzung

˝ 2 D ! 2 m=k (3.52)

folgt nach Einsetzen

˝ 2 1 D 21 C 2 C 3 ;
˝ 2 2 D 22 C 1 C 3 ; (3.53)
˝ 3 D 23 C 1 C 2
2

oder als Matrixgleichung geschrieben


0 2 1 0 1 0 1
˝ 2 1 1 1 0
@ 1 ˝2  2 1 A  @2 A D @0A : (3.54)
1 1 ˝2  2 3 0
Die Determinante der Matrix muss verschwinden. Dies führt zu

˝ 6  6˝ 4 C 9˝ 2 D 0: (3.55)

Faktorisieren ergibt

˝ 2 .˝ 2  3/2 D 0: (3.56)

Die erste Lösung ist ˝1 D 0. Einsetzen in (3.53) ergibt

21 C 2 C 3 D 0;
1  22 C 3 D 0; (3.57)
1 C 2  23 D 0:

Gleichung 1 minus Gleichung 2 ergibt 1 D 2 .


Gleichung 2 minus Gleichung 3 ergibt 2 D 3 .
Also ist insgesamt 1 D 2 D 3 . Dies ist auch klar:
Wenn man jede Masse um das gleiche  aus der Ruhelage bewegt,
dann bleiben die Federn ungedehnt; es gibt keine Schwingung, ˝ D 0.
(Die Massen können mit v D const um den Kreis laufen.)
p
Die anderen Lösungen von (3.56) sind ˝2 D ˝3 D 3.
Vorzeichenwechsel in ˝ bedeutet Richtungswechsel auf dem Kreis.
Dies ist physikalisch irrelevant, und wir nehmen wieder nur ˝ > 0.
Sind einige der ˝ gleich, spricht man von Entartung.
Ihre Ursache ist die hohe Symmetrie eines Systems.
Einsetzen von ˝ 2 D 3 in (3.54) gibt dreimal dieselbe Gleichung

1 C 2 C 3 D 0: (3.58)

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, 1 C 2 C 3 D 0 zu erfüllen.


3.9 Doppelpendel 73

Abb. 3.1 Das mathematische


Pendel. Die Schwingung
erfolgt in der Zeichenebene

3.9 Doppelpendel

Zuerst sei kurz das elementare Fadenpendel wiederholt (Abb. 3.1).


An einem Faden der konstanten Länge l hängt die Masse m.
Der Faden sei immer gerade, der Aufhängepunkt ist fix.
m bewegt sich in der Zeichenebene auf einem Halbkreis.

Wir beschreiben die Bahn mit dem Lotwinkel ':


' wird im mathematisch positiven Sinn vom Lot weg gezählt.
Die Beschleunigung gr wird durch den Faden kompensiert.
Nur g' beschleunigt die Masse. Die Bewegungsgleichung ist also

l 'R D g' D g sin ': (3.59)

Für kleine Auslenkwinkel gilt sin ' ', also


g
'R C ' D 0: (3.60)
l
p
Dies ist die Oszillatorgleichung, mit ! D g= l.
Bei kleinen Auslenkungen gilt in kartesischen Koordinaten

x D l sin ' l'; y D l cos ' l; (3.61)

und ' D x= l in (3.60) einsetzen ergibt

xR C ! 2 x D 0: (3.62)

Wir betrachten nun das gekoppelte Doppelpendel (Abb. 3.2).


Hängen Pendeluhren nebeneinander, ticken sie oft synchron (Huygens).
Der Grund ist die elastische Kopplung über die Wand.
Als Modell dafür betrachten wir zwei Pendel (Masse m, Fadenlänge l).
Die Pendel seien über eine Feder mit der Federkonstante k verbunden.
Wir setzen folgende Näherungen an:
(a) Die Auslenkung der Massen sei klein,
(b) die Feder liege immer horizontal.
74 3 Schwingungen

Abb. 3.2 Zwei mathe-


matische Pendel mit
Federkopplung. Die Auslen-
kung der Massen ist klein, die
Feder liegt nahezu horizontal

(b) folgt aus (a), weil mit sin ' ' auch cos ' 1 ist.
Wir suchen die kartesischen Auslenkungen x1 ; x2 der Pendel.
Die Bewegungsgleichungen sind

g k
xR 1 D  x1  .x1  x2 /;
l m
g k
xR 2 D  x2 C .x1  x2 /: (3.63)
l m
Addieren und subtrahieren ergibt

d2 g
2
.x1 C x2 / D  .x1 C x2 /;
dt l
 
d2 g 2k
.x 1  x 2 / D  C .x1  x2 /: (3.64)
dt 2 l m

Dies ist wieder anschaulich klar:


 Die Pendel schwingen synchron mit ihrer Eigenfrequenz,
 die antiphasige Schwingung ist schneller.
Jede Schwingung ist eine lineare Superposition dieser Grundmoden.
Weil in der schnellen Mode die Reibung ( v) stärker ist,
wird sie schneller aussterben; die synchrone Mode bleibt allein zurück.
Wanduhren ticken daher synchron mit ihrer Eigenfrequenz.

Wir schließen mit einigen Bemerkungen zur Stabilitätstheorie.


Die Taylorreihenentwicklung eines beliebigen Potentials ist

1
V .x/ D V .x0 / C V 0 .x0 / .x  x0 / C V 00 .x0 / .x  x0 /2 C : : : (3.65)
2
Die Kraft ist die räumliche Ableitung des Potentials.
V .x0 / gibt also keine Kraft, und ist physikalisch bedeutungslos.
Wir betrachten nun die Stabilität von Gleichgewichtspunkten x0 .
In diesen ist xP 0 D 0. Dabei muss die Kraft gleich null sein.
Also ist V 0 .x0 / D 0. Gleichgewichte sind Orte, an denen, mit k D V 00 .x0 /,

1
V .x/ D k.x  x0 /2 C : : : (3.66)
2
Literatur 75

Für k > 0 ist V bis zur 2. Ordnung das harmonische Oszillatorpotential.


Das System oszilliert um den Gleichgewichtspunkt x0 .
Wegen der rückstellenden Kraft ist das Gleichgewicht stabil.
Ist dagegen k < 0, so ist das Gleichgewicht instabil:
Jede kleine Störung ıx wird durch die Kraft vergrößert:
Ist V D V .x; y/, so kann @2 V =@x 2 > 0 sein, aber @2 V =@y 2 < 0 (Sattelpunkt).
Die Stabilitätstheorie wurde von Dirichlet und Ljapunow begründet.
Zur modernen Entwicklung siehe LaSalle und Lefschetz (1967).

Literatur
Budo A., Theoretische Mechanik, 4. Aufl., Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1967
LaSalle J. & Lefschetz S., Die Stabilitätstheorie von Ljapunoff, Bibliographisches Institut, Mann-
heim, 1967
Gravitation
4

Dieses Kapitel behandelt das Keplerproblem; es lautet:


Wie bewegen sich zwei gravitierende Massenpunkte umeinander?
Am Ende des Kapitels gehen wir kurz auf das Dreikörperproblem ein.

4.1 Raumwinkel

Sei O der Ursprung und A eine ebene Fläche, die O nicht einschließt.
A liege zwischen den Tangenten OM und ON an den Rand @A.
Sei l der Kreisbogen mit dem Radius R zwischen OM und ON .
Man sagt, A nimmt bzgl. O den (Sicht-)Winkel ' D l=R ein.

Wir verallgemeinern dies zum Begriff des Raumwinkels.


Sei V ein Raumvolumen (Abb. 4.1 zeigt einen Schnitt durch V ).
Man sagt, V nimmt bzgl. O den Raumwinkel ˝ ein, mit
o
˝D : (4.1)
R2
Hier ist o ein Flächensegment auf einer Sphäre S mit Radius R.
o besteht aus den Schnittpunkten der Geraden durch O und V mit S.
o wird also durch Tangentialstrahlen von O an @V berandet.
In der Zeichenebene sind diese Tangenten wieder OM und ON .
Im Allgemeinen hat o natürlich keinen kreisförmigen Rand.

Es gilt die wichtige elementargeometrische Formel

do a  rO
dE
D d˝ D (4.2)
R2 r2

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_4, 77


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
78 4 Gravitation

Abb. 4.1 Zur Definition des


Raumwinkels. Gezeigt ist ein
Schnitt durch ein räumliches
Gebilde V

a ist ein Flächenelement von @V mit dem Ortsvektor rE, siehe Abb. 4.1.
dE
a  rO ist die projizierte plane Fläche, die man von dE
dE a in O sieht.
In erster Ordnung ist sie gleich einer sphärisch gekrümmten Fläche.
Gleichung (4.2) gilt dann nach dem Strahlensatz.
a  r=r
dE O 2 tritt bei Newtonscher Gravitation (F Or =r 2 ) auf. Es ist
Z Z
1 a  rO
dE
˝D 2 do D : (4.3)
R r2

O soll nun innerhalb von V liegen.


V sei konvex (ohne Einbuchtungen; was in Abb. 4.1 nicht gilt), d. h.:
Jede Gerade durch einen Punkt von V trifft @V genau zweimal.
Dann deckt @V genau einmal die gesamte (Sicht-)Sphäre ab, also ist
I I
a  rO
dE 4 R2
˝D d˝ D 2
D D4 : (4.4)
r R2
@V

Bei voller Abdeckung des Gesichtsfelds ist der Raumwinkel 4 .

4.2 Poissongleichung

Seien m und m0 schwere Massen und rE sowie rE0 ihre Orte.


rE  rE0 ist der Verbindungsvektor von m0 nach m.
Newtons Gravitationsgesetz für die Kraft von m0 auf m lautet

rE  rE0
FE D Gmm0 : (4.5)
jEr  rE0 j3

G ist die Gravitationskonstante; der Nenner in (4.5) soll positiv sein.


Für die Kraft von m auf m0 gilt mit (4.5), dass FE 0 D FE ist.
Konzeptuell sind schwere Masse und träge Masse verschieden.
4.2 Poissongleichung 79

Abb. 4.2 Geometrie bei der


Herleitung der Poissonschen
Gleichung

Empirisch findet man jedoch, dass ihre Werte gleich sind.


Die Beschleunigung gE D FE =m, die m durch Anziehung von m0 erfährt, ist

rE  rE0
E r / D Gm0
g.E : (4.6)
jEr  rE0 j3

Seien statt m0 bei rE0 nun n Massen mi an den Orten rEi gegeben.
E die sie bei rE bewirken.
Gesucht ist die Gravitationsbeschleunigung g,
Nach dem Superpositionsprinzip ist

X
n
rE  rEi
E r / D G
g.E mi : (4.7)
jEr  rEi j3
i D1

Ein ausgedehnter Körper (z. B. ein Planet) ist definiert durch

n ! 1; mi ! 0: (4.8)

Er wird beschrieben mittels der Massendichte , für die gilt

dm.Er 0 / D .Er 0 / d3 r 0 : (4.9)

Der Namensindex i ist hier links ersetzt durch den Ortsvektor rE0 .
Damit wird (4.7) zu
Z
rE  rE0
E r / D G
g.E d3 r 0 .Er 0 / (4.10)
jEr  rE0 j3

Wir beginnen nun eine neue Betrachtung:


Es sei m0 wieder ein einzelner Massenpunkt bei rE0 .
m0 liege in dem konvexen, ansonsten beliebigen Volumen V .
E r / aufgrund von m0 .
Gleichung (4.6) gibt die Gravitationsbeschleunigung g.E
0
Mit der Abkürzung sE D rE  rE wird daraus (siehe Abb. 4.2)

sO
E r / D Gm0
g.E : (4.11)
s2
80 4 Gravitation

Der Ort rE soll jetzt im Rand @V liegen, und wir integrieren über @V :
I I
0 a  sO
dE
a  g.E
dE E r / D Gm : (4.12)
s2
@V @V

E r / ist ungewöhnlich.
Diese Randintegration eines lokal wirkenden g.E
Nun kann (4.2) verwendet werden: Was dort rO war, ist jetzt sO ; also ist
I I
0
a  g.E
dE E r / D Gm d˝ D 4 Gm0 : (4.13)
@V @V

Übung: Was wird hieraus für nichtkonvexes V ?

Erstaunlicherweiser tritt der Ort rE0 von m0 in (4.13) nicht auf!


Der Massenpunkt m0 kann an jedem Ort in V sein, und (4.13) gilt.
Man kann m0 in zwei 12 m0 aufspalten und sie beliebig in V platzieren.
Auch dann gilt wieder (4.13). Und so weiter bis hin zu der Aussage:
Man kann m0 in eine beliebige Massenverteilung in V zerlegen, gemäß
I Z
dE E r / D 4 G dV .Er 0 /:
a  g.E (4.14)
@V V

Die linke Seite wird mit dem Satz von Gauß umgeschrieben in
Z Z
dV r 0  g.E
E r 0 / D 4 G dV .Er 0 /: (4.15)
V V

Es ist r 0 D @=@Er , also müssen die Integranden gleich sein.


Wir benennen noch rE0 in (ein neues) rE um, und erhalten

r  g.E
E r / D 4 G.Er / (4.16)

Oft wird gE als Gradient eines Potentials ˚ pro Masse geschrieben,

gE D r˚: (4.17)

Mit dem Laplaceoperator (div grad)

D r  r; (4.18)

der kartesisch zum Beispiel gegeben ist durch

@2 @2 @2
D 2
C 2 C 2; (4.19)
@x @y @z
4.3 Zentralkraft 81

wird (4.16) dann zu

˚ D 4 G (4.20)

Diese Poissonsche DGL ist äquivalent zu Newtons Gravitationsgesetz.

Gleichungen (4.14, 4.16) geben interessante Ergebnisse für symmetrische Körper.


Wir betrachten dazu sphärisch symmetrische Massenverteilungen.
Alle Funktionen hängen dann nur vom Radius r ab, also ist

.Er / D .r/: (4.21)

Weiterhin muss aufgrund der Symmetrie gelten

E r / D g.r/ rO :
g.E (4.22)

Sei V die Kugel, @V die Sphäre mit dem Radius r. Dann ergibt (4.14)
I
g.r/ dE a D 4 r 2 g.r/ D 4 Gmr ; (4.23)
@V

wobei mr die Masse innerhalb des Radius r ist. Also ist

g.r/ D Gmr =r 2 : (4.24)

Dies sind die Ergebnisse Newtons für kugelförmige Massen:


 Das Gravitationsfeld ist so, als säße die Masse im Zentrum;
 zu g.r/ trägt nur die Masse bei r 0 < r bei.

4.3 Zentralkraft

Die Gravitation wirkt entlang der Verbindungslinie zweier Massen.


Die Gravitationskraft ist damit eine sogenannte Zentralkraft.
Wir betrachten zwei Massen m1 ; m2 im Orbit umeinander.
Die Bewegungsgleichungen für dieses Zweikörperproblem lauten

rE1  rE2
m1 rER1 D Gm1 m2 ; (4.25)
jEr1  rE2 j3
rE2  rE1
m2 rER2 D Gm1 m2 : (4.26)
jEr1  rE2 j3

Der Nenner sei dabei wieder positiv. Addieren der Gleichungen ergibt

m1 rER1 C m2 rER2 D 0 (4.27)


82 4 Gravitation

oder
R
RE D 0 (4.28)

für den Schwerpunkt des Systems, der gegeben ist durch

m1 rE1 C m2 rE2
RE D : (4.29)
m1 C m2

RE ist unbeschleunigt, weil von außen keine Kraft auf das System wirkt.

Wir multiplizieren (4.25) mit m2 sowie (4.26) mit m1 und subtrahieren,

d2   rE1  rE2
m1 m2 rE1  rE2 D Gm1 m2 .m2 C m1 / : (4.30)
dt 2 jEr1  rE2 j3

Wir dividieren dies durch m1 C m2 , führen die reduzierte Masse


m1 m2
mD (4.31)
m1 C m2

ein sowie den Relativabstand

rE D rE1  rE2 (4.32)

und kürzen ab:

 D Gm1 m2 : (4.33)

Damit wird (4.30) zu

rE
mrER D  (4.34)
r3

Diese (nichtlineare) Bewegungsgleichung wird im Folgenden gelöst.


Ganz entsprechend gilt für jede Zentralkraft

mrER D f .r; r/
P rE: (4.35)

4.4 Drehimpulserhaltung

Aus (4.35) folgt sofort die Drehimpulserhaltung.


Dazu multiplizieren wir (4.35) beidseitig mit rE und erhalten

mEr  rER D 0: (4.36)


4.4 Drehimpulserhaltung 83

Die rechte Seite verschwindet wegen rE  rE D 0. Damit folgt


 P
mrE  rEP D m „ƒ‚… rEP  rEP D 0:
rE  rER Cm „ƒ‚… (4.37)
D0 D0

Mit der Definition des Drehimpulses


E D mEr  rEP
L (4.38)
bedeutet (4.37) nun die Drehimpulserhaltung,

EP D 0
L (4.39)

E ist der Gesamtdrehimpuls der beiden Massen.


L
Dies sieht man wie folgt. Wir gehen in das Schwerpunktsystem mit
P
RE D RE D 0: (4.40)

Mit .m1 C m2 /RE D m1 rE1 C m2 rE2 und (4.40) folgt


m1 m1 P
rE2 D  rE1 ; rEP2 D  rE1 : (4.41)
m2 m2
Damit ist
E D mEr  rEP
L
D m.Er1  rE2 /  .rEP1  rEP2 /
 
m1 m2 m1 2
D 1C .Er1  rEP1 /
m1 C m2 m2
m1
D .m1 C m2 /.Er1  rEP1 /
m2
m2
D m1 rE1  rEP1 C m2 12 rE1  rEP1
m2
D m1 rE1  rE1 C m2 rE2  rEP2
P
E1 C L
DL E 2: (4.42)
Der Gesamtdrehimpuls ist bei Zentralkräften also konstant.

LE D const heißt L D const und LO D const.


Letzteres bedeutet: Die Bewegung erfolgt in einer Ebene.
rE und rEP liegen in dieser Bahnebene, LO steht senkrecht dazu.
Für Nicht-Zentralkräfte gibt die obige Herleitung

EP D rE  FE D D;
L E (4.43)

E Dazu später mehr.


mit dem Drehmoment D.
84 4 Gravitation

Abb. 4.3 Die vom Ortsvek-


tor rE in der infinitesimalen
Zeit dt überstrichene Drei-
ecksfläche ist die halbe
Parallelogrammfläche

4.5 Flächensatz

Gleichungen (4.38) und (4.39) haben eine interessante geometrische Deutung.


Wir tragen dazu rE mit dem Koordinatenursprung als Fußpunkt auf.
rE  dEr ist die Fläche des durch rE und dEr definierten Parallelogramms.
Die von rE in dt überstrichene Fläche ist zur ersten Ordnung (Abb. 4.3)

1
dA D jEr  dEr j: (4.44)
2
Also ist
1 L
AP D jEr  rEP j D D const; (4.45)
2 2m
und für ein endliches Zeitintervall t ist
L
A D AP t D t: (4.46)
2m
Die überstrichene Fläche A ist also proportional zu t.
Sie hängt aber nicht von der Position auf der Bahn ab.
Dies ist das bekannte zweite Keplersche Gesetz.

rE und rEP sollen nun in der xy-Ebene liegen.


LE zeigt in z-Richtung, und es ist L D m.x yP  y x/.
P
Also überstreicht der Fahrstrahl in dt die Fläche 12 .x dy  y dx/.
Und die insgesamt umschlossene Fläche ist (positiver Umlaufsinn)
I
1
AD .x dy  y dx/: (4.47)
2

Das Kurvenintegral ist über die durchlaufene Bahn zu nehmen.


Gleichungen
R (4.47) stimmt auch elementar:
 R dx y.x/ ist die Fläche zwischen der x-Achse und der Kurve y.x/,
 dy x.y/ ist die Fläche zwischen der y-Achse und der Kurve x.y/.
4.6 Newtons Beweis des Flächensatzes 85

Für eine geschlossene konvexe Kurve ist die umschlossene Fläche dann
I
A D  dx y.x/;
I
AD dy x.y/: (4.48)

Addieren der Gleichungen und Division durch 2 ergibt (4.47).


Das Minuszeichen hat den aus Kapitel 1 bekannten Grund:
Die Bahnkurve wird im mathematisch positiven Sinn durchlaufen.
Dann ist dx > 0 auf dem der x-Achse nahen Kurvenast y.x/;
und es istHdx < 0 auf dem fernen Kurvenast y.x/.
Durch  dx erhält man also eine positive eingeschlossene Fläche.

4.6 Newtons Beweis des Flächensatzes

Newtons Originalbeweis ist wegen seiner Anschaulichkeit interessant.


In Abbildung 4.4 seien A; B; C; : : : Punkte.
AB usw. steht zugleich für Streckenname und Streckenlänge,
ABC usw. steht zugleich für Dreiecksname und Dreiecksfläche.
Seien AB und BC infinitesimale Bahnsekanten in gleicher Laufzeit dt.

(i) Konstruktion von C0


Das Kraftzentrum M m liege im Ursprung S.
Die Masse m fliegt in der Zeit dt von A nach B.
./ Ohne Kraft ist die Bahn im nächsten dt dann BC0 , mit AB D BC0 .

(ii) Konstruktion von Q


Fälle das Lot BQ auf AC0 . Es ist

1 1
SAB D AB  BQ D BC0  BQ D SBC0 : (4.49)
2 2
SAB und SBC0 haben gleiche Grundlinie und Höhe, also gleiche Fläche.

(iii) Konstruktion von C1


Die Gravitationskraft FE von M ist eine Zentralkraft zum Punkt S hin.
Das immer wirkende FE wird ersetzt durch fE, das nur in A; B; C wirkt:
fE wirkt während d  dt entsprechend stärker als FE während dt.
./ Unter fE allein ist die in B startende Bahn innerhalb dt dann BC1 .
!
C1 ist (irgend)ein Punkt auf SB, denn fE zeigt in Richtung BS.
86 4 Gravitation

Abb. 4.4 Newtons Kon-


struktion zum Beweis des
Keplerschen Flächensatzes

(iv) Konstruktion von C


Vektoraddition der Wege ./ und ./ (Parallelogrammdiagonale) ergibt
! ! !
BC0 C BC1 D BC : (4.50)
!
BC ist der wirklich durchlaufene Weg.

(v) Konstruktion von P


! !
Verschiebe SB parallel, bis es zu S0 C0 wird.
Fälle das Lot BP auf SB und S0 C0 . Dann ist
1
SBC0 D SB  BP D SBC: (4.51)
2
SBC0 und SBC haben gleiche Grundlinie und Höhe, also gleiche Fläche.
Aus (4.49) und (4.51) ergibt sich SAB D SBC . Das ist der Flächensatz:
Der Fahrstrahl überstreicht in gleichen Zeiten dt gleiche Flächen.
Übung: Wo in diesem Beweis ergibt sich eine Bahnebene?

4.7 Potentialtopf

Wir nehmen M m an, und dass M im Ursprung ruht.


E ist dann der Drehimpuls von m allein, und bleibt erhalten.
L
Die Gravitationswirkung von M ergibt sich aus dem Potential


˚.Er / D  (4.52)
r

wobei  D GM ist. Denn es ist

1 d.1=r/ rO
r D rO D  2 ; (4.53)
r dr r
4.7 Potentialtopf 87

also ist für die kleine Masse m

FE D mr˚ D rV: (4.54)

(Zum Wechselwirkungspotential bei M m siehe Kap. 5.)


˚ und V D m˚ werden gleichermaßen Potential genannt.
Man vergleiche auch mit dem elektrischen Potential ˚,

FE D qr˚; (4.55)

bei dem die Coulombkraft FE auf die Ladung q wirkt.


Aufgrund des Energiesatzes (3.17) für konservative Kräfte gilt:
Die Energie E D T C V von m ist konstant.

Aufgrund der Drehimpulserhaltung erfolgt die Bewegung in einer Ebene.


Wir definieren folgende spezifische Größen (spezifisch = pro Masse):

e D E=m; l D L=m; TN D T =m; VN D V =m: (4.56)

N LN für die Ersteren nicht üblich.


t; v sind für die Letzteren nicht möglich, E;
Der Energiesatz in Polarkoordinaten lautet dann

1 2 1 2 
v C v'  D e: (4.57)
2 r 2 r

Einsetzen von l D rv' D const ergibt

TN VN .r/
‚ …„ ƒ ‚…„ƒ
1 2 l2 
vr C 2
 : (4.58)
2
„ƒ‚… 2r ƒ‚ r …

TNr VNeff .r/

Die obere Klammerung entspricht der bisherigen Betrachtungsweise.


In der Klammerung unten ist VNeff , da nur von r abhängig, ein Potential.
Wir behaupten nun:

1
Spezifische kinetische Energie v'2 der Azimutbewegung
2
D Potential l 2 =2r 2 der Zentrifugalbeschleunigung

Der Nachweis ist leicht: Die Zentrifugalbeschleunigung ist

v'2 r 2 v'2 l2 d l2
az D D D D  : (4.59)
r r3 r3 dr 2r 2
88 4 Gravitation

Abb. 4.5 Der Potentialtopf.


Bei kleinen r überwiegt die
Zentrifugalbeschleunigung,
bei großen r die Gravitation

Die Bewegungsgleichung für die r-Koordinate lautet somit

dVeff
mRr D  (4.60)
dr

Für große r ist r 1 r 2 : Die Gravitation dominiert.


2
Für kleine r ist r r 1 : Die Zentrifugalbeschleunigung dominiert.
Bei r D l = hat Veff ein negatives Minimum.
2

Den Graph von Veff in Abb. 4.5 nennt man daher Potentialtopf.

Man kann vier Fälle unterscheiden:

e>0
Also 12 vr2 C VNeff D e > 0.
Hier ergibt sich vr D 0 an genau einer Stelle rm .
Orte mit vr D 0 heißen Umkehrpunkte. Ihre Bedeutung ist:
m kann mit seinem Drehimpuls L nicht näher als rm an M herankommen.
Es ergeben sich ins Unendliche offene Hyperbelbahnen.
Dieser Fall beschreibt Körper, die das Sonnensystem durchqueren.

eD0
Dieser Fall ist ähnlich wie e > 0, die Bahn ist jedoch eine Parabel.
Dies beschreibt Körper, die von r D 1 mit v.1/ D 0 zur Sonne stürzen.

e<0
Hier gibt es zwei Umkehrpunkte rm und rM , mit rm r rM .
Die beiden Umkehrpunkte sind Aphel und Perihel einer Bahnellipse.

e D e0 D min.VNeff / < 0

Das Minimum von Veff liegt bei r0 D l 2 =, und ist e0 D  2 =.2l 2 /.
Die Bahn ist ein Kreis mit Radius r D r0 .
Die Bahn besteht nur aus Umkehrpunkten, überall ist vr D 0.
4.8 Keplerellipse 89

Gebundene Zustände sind solche, für die r rM < 1 gilt.


Die Masse kann nicht nach r D 1 gelangen. Aus dem Bisherigen folgt:
Bei gebundenen Zuständen ist die Gesamtenergie negativ.
Dies gilt ganz allgemein in der Physik. Man sagt auch:
Die Masse sitzt im Potentialtopf (unterhalb von Veff .1/ D 0).
So könnte auch das Universum die Gesamtenergie null haben:
Nämlich wenn gravitative und kinetische Energie betragsgleich sind.

4.8 Keplerellipse

Wir bestimmen die Bahn in der xy-Ebene (vgl. Moulton 1970, S. 140).
Sei wieder M m, und M ruhe im Ursprung.
Die Kraft auf m ist, mit  D GM :
m
FE D  3 rE; (4.61)
r
also gilt
   
Fx m x
D 3 : (4.62)
Fy r y

Damit lauten die Bewegungsgleichungen für m


x
xR D  p 3
; (4.63)
x2 C y2
y
yR D  p 3
: (4.64)
x2 C y2

Dies sind zwei gekoppelte nichtlineare DGL zweiter Ordnung.


Wir erhalten also vier Integrationskonstanten.

Wir multiplizieren die Gleichungen mit y bzw. x und subtrahieren sie,

R  yx
xy R D 0: (4.65)

Dies lässt sich sofort einmal integrieren:

P  yx
xy P D C1 ; (4.66)

denn die Zeitableitung von (4.66) ist (4.65):

R C xP yP  yx
xy R  yP xP D 0: (4.67)

Es ist C1 D L=m D l der spezifische Drehimpuls.


90 4 Gravitation

Wir schreiben l D 2AP D C1 . Also ist A D 12 C1 t C C2 .


C2 D A.t D 0/ ist die zur Zeit 0 schon überdeckte Fläche.
Dies ist ein echtes Integral einer Bewegungsgleichung.
Doch ist C2 uninteressant und kann 0 gesetzt werden.

Wir kommen
p zur Energieerhaltung und starten mit einer Hilfsrechnung:
Aus r D x 2 C y 2 folgt rP D x x=r
P C y y=y,
P also

r rP D x xP C y y:
P (4.68)

P (4.64) mit y,
Wir multiplizieren (4.63) mit x, P und addieren:

xR xP C yR yP D  .x xP C y y/
P
r3
(4.68) 
D  3 r rP
r
rP
D  2 : (4.69)
r
Links und rechts über die Zeit integrieren ergibt
Z Z
1 2 1 2 rP dr 
xP C yP D  dt 2 D  D C C3 : (4.70)
2 2 r r2 r
Dies ist in der Tat der Energiesatz

1 2 1 2 
.T C V /=m D xP C yP  D C3 D E=m D e: (4.71)
2 2 r
Sorgfalt ist beim Vorzeichen geboten:

F D dV =dr D d.=r/=dr D .Œ1=r 2 / D =r 2 : (4.72)

Die weitere Rechnung ist nur in Polarkoordinaten übersichtlich.


Der Energiesatz lautet hier, mit vr D rP , v' D r ':
P

1 2 1 2 2 
rP C r 'P D C e; (4.73)
2 2 r
und der spezifische Drehimpuls ist

r r 'P D l: (4.74)

Wir fragen nicht weiter nach r.t/, sondern nach der Bahnform r.'/.
Nun gilt

dr d'
rP D D r 0 ';
P (4.75)
d' dt
4.8 Keplerellipse 91

mit der Abkürzung r 0 D dr=d'. Einsetzen in den Energiesatz (4.73) ergibt

1 2  02  
'P r C r 2 D C e: (4.76)
2 r

Darin 'P D l=r 2 aus (4.74) einsetzen gibt

l 2  02  
r C r 2 D C e: (4.77)
2r 4 r
Elementares Umstellen führt zu

l dr
d' D p : (4.78)
r 2er C 2r  l 2
2

R p
Rechts ergibt sich ein Integral der Art dx=.x X/ mit X D ax 2 C bx C c.
Dies ist elementar lösbar, und man erhält

1  l 2 =.r/
'  C4 D asin p : (4.79)
 1 C 2el 2 = 2

C4 ist der Bahnwinkel zur Zeit 0. Sei C4 D =2. Umstellen ergibt

l 2 =
rD p (4.80)
1 C 1 C 2el 2 = 2 cos '

Zum Vergleich: Die Polardarstellung der Ellipse ist


p
rD : (4.81)
1 C " cos '

Also ist die Bahn eine Ellipse mit der Exzentrizät


p
"D 1 C 2el 2 = 2 (4.82)

und mit dem Ellipsenparameter

p D l 2 =: (4.83)

Die Polardarstellung hat den Ursprung r D 0 in einem Brennpunkt.


Dies ist das bekannte erste Keplersche Gesetz.

Wir überprüfen (4.82) und (4.83) für Kreisbahnen:


Hier ist die Zentrifugal- gleich der Gravitationsbeschleunigung.
Also ist v'2 =r D =r 2 und damit l 2 D r 2 v'2 D r.
92 4 Gravitation

Abb. 4.6 Zwei gleiche


Massen m in Ellipsenbah-
nen umeinander. Die ı sind
Brennpunkte

Für Kreisbahnen ist vr D 0, also e D 12 v'2  =r D =.2r/.


Damit ist 2el 2 = 2 D 1, also " D 0: Der Kreis hat keine Exzentrizität.
Kleine und große Halbachse beim Kreis sind a D b D r.
Für Ellipsen gilt p D b 2 =a; hier ist also p D r, wie auch p D l 2 = D r.

Wir betrachten noch den Fall, dass M nicht viel größer als m ist.
Es gilt dann die Bewegungsgleichung (4.34) für die reduzierte Masse.
rE D x iO C y jO ist der Relativabstand der beiden (bewegten) Massen.
Die Bewegungsgleichungen (4.63) und (4.64) bleiben gültig, wenn man setzt

 D G.M C m/: (4.84)

Der Relativabstand r.'/ von m und M folgt also wieder einer Ellipse.
P
Im Schwerpunktsystem RE D RE D 0 ist
m2 m1
rE1 D rE; rE2 D  rE: (4.85)
m1 C m2 m1 C m2

Mit r.'/ sind also auch r1 .'/ und r2 .'/ Ellipsen.


Abbildung 4.6 zeigt den Fall M D m.

4.9 Gezeitenpotential

Für das Folgende siehe auch Lamb (1945, S. 358).


Wir suchen das Mondgezeitenpotential im Punkt B auf der Erde.
Erdmitte A, Beobachter B und Mondmitte C legen die Zeichenebene fest.
In Abb. 4.7 sei a der Erdradius und d der Abstand Erde-Mond.
Seien # der Winkel zwischen AB und AC , und M; m Erd- und Mondmasse.
Mit dem Cosinussatz ergibt sich als Mondgravitationspotential in B

Gm
˚1 D  : (4.86)
.d 2  2da cos # C a2 /1=2

Die Gezeitenkraft ist Mondanziehung in B minus Mondanziehung in A:


Die Erde fällt auf einer entsprechend kleinen Ellipse um den Mond.
Sie fällt so, als wäre ihre ganze Masse in A versammelt.
Die Zentrifugalkraft kompensiert also die Mondanziehung in A.
4.9 Gezeitenpotential 93

Abb. 4.7 Zur Bestimmung des Gezeitenpotentials in B. Erd- und Mondmittelpunkt sind A
bzw. C

Abb. 4.8 Zusammenhang


zwischen den Komponenten
ga ; g# sowie gx ; gy der
Mondbeschleunigung

Seien .x; y/ kartesische Koordinaten der Ebene von ABC .


A ist der Ursprung, und AC liegt auf der x-Achse.
Dann ist die Beschleunigung am Ort A aufgrund der Mondanziehung

Gm
gx D C ;
d2
gy D 0: (4.87)

Gleichung (4.86) legt nahe, dies in .a; #/-Polarkoordinaten zu schreiben (Abb. 4.8).
Die Trigonometrie ist elementar (eO# wird in den Ursprung verschoben).
Es ist also

ga D gx cos #;
g# D gx sin #: (4.88)

Dies lässt sich als Gradient schreiben,

ga D @˚0 =@a;
g# D @˚0 =.a@#/; (4.89)

mit
Gm
˚0 D  a cos #: (4.90)
d2
Somit ist das Gezeitenpotential

Gm Gm
˚ D ˚1  ˚0 D  C 2 a cos #: (4.91)
d Œ1  2.a=d / cos # C .a=d / 
2 1=2 d
94 4 Gravitation

Es ist a=d  1; wir machen eine Taylorreihenentwicklung des Nenners.


Allgemein ist
1
f .x/ D f .x0 / C f 0 .x0 / .x  x0 / C f 00 .x0 / .x  x0 /2 C O.x 3 /: (4.92)
2
Also ist
1 1 1 3
D  .x  x0 / C .x  x0 /2 C O.x 3 /: (4.93)
x 1=2 1=2
x0
3=2
2x0
5=2
8x0
Damit ist für x0 D 1 und x D 1  ":
1 " 3"2
D 1 C C C O.x 3 /: (4.94)
.1  "/1=2 2 8

Die Rechnung unter Vernachlässigung des konstanten Terms  Gm


d
ergibt

Gm a2
˚ .1  3 cos2 #/: (4.95)
2d d 2
Der nächste Term der Entwicklung ist um einen Faktor a=d kleiner.
Gleichung (4.95) erhält man auch, wenn man Monde bei C und C 0 hat (Abb. 4.7).
Man spricht dann von Mond und Antimond.
Das Gezeitenpotential ist aber kein Dipolpotential.
Dieses setzt Ladungen Cq und q voraus; hier hat man Cm und Cm.
Doch ist das Gezeitenpotential ein Quadrupolpotential:
Denn 1  3 cos2 # ist proportional zur Kugelflächenfunktion Y20 .

Der Mond laufe in der Äquatorebene, längs des Äquators liege ein Kanal.
Die vertikale Mondanziehung spielt keine dynamische Rolle:
Sie verringert das Gewicht des Wassers, hebt und bewegt aber nichts.
Die horizontale Mondschwerebeschleunigung entlang des Kanals ist

gD  D g sin 2#; (4.96)
a @#
mit der Erdschwerebeschleunigung g D GM=a2 und
3 m a3
D 107 : (4.97)
2 M d3
Wegen sin 2# gibt es je eine absolute maximale Gezeitenkraft bei # D
=4 und 7 =4; mit g> gz ;
3 =4 und 5 =4; mit g< gz :
gz ist die negative Mondschwerebeschleunigung im Erdzentrum.
gz ist konstant über die Erde, gaber nicht.
Abbildung 4.9 zeigt die Gezeitenkraft bei drei Mondpositionen.
4.9 Gezeitenpotential 95

Abb. 4.9 Die Gezeitenkraft bei drei verschiedenen Mondpositionen. Die Skizzen zeigen Erde und
Mond „vom Polarstern“ aus. Man sieht den Erdäquator, um den der Mond umlaufen soll. a Steht
der Mond über dem irdischen Beobachtungsort , dominiert die Mondanziehung gm ; steht er
darunter, dominiert die Zentrifugalbeschleunigung gz . In beiden Fällen gibt es keine horizonta-
le Gezeitenkraft bei . Bei ı herrscht Kräftegleichgewicht. b Steht der Mond 45 Grad über dem
Horizont, gibt es am mondnahen  maximale Mondschwere gm und maximale horizontale Gezei-
tenkraft g. Am zweiten  ist der Mond unter dem Horizont, und gz dominiert. Die Ellipse zeigt
den dadurch verursachten Wasserabfluss und den resultierenden Wasserstau. Die Mondanziehung
selbst ist maximal in C. c Steht der Mond am Horizont (bei sehr großer Entfernung zur Erde ist
dies hier an beiden Orten  der Fall), kompensieren sich gm und gz in  und ı
96 4 Gravitation

Abb. 4.10 Bahnen im eingeschränkten Dreikörperproblem. Die normierte Startgeschwindigkeit


der drei Fälle bei  ist 0.99, 1 bzw. 1.01

4.10 Eingeschränktes Dreikörperproblem

Wir betrachten folgendes Fundamentalproblem der Mechanik:


Zwei gleiche Massen bewegen sich auf einer Kreisbahn umeinander.
Eine Testmasse mit m ! 0 fliegt in ihren Gravitationsfeldern.
Sie übt wegen ihrer verschwindenden Masse keine Gravitation aus.
Sie stört also insbesondere nicht die Kreisbahn der beiden Massen.
Gesucht ist die Bahn der Testmasse.

Das Problem ist nicht geschlossen analytisch lösbar.


Doch fand Sundman (1912) eine Reihenentwicklung der Lösung.
Leider konvergiert die Sundmanreihe i. A. extrem schlecht.
Die Lösung zeigt empfindliche Abhängigkeit von Anfangsbedingungen:
Wenn man die Anfangswerte gewisser Bahnen infinitesimal ändert,
dann verändert sich die Bahn um endliche Verrückungen.
Zum Beispiel soll m das System nur durchfliegen,
d. h. r.t D 1/ D r.t D 1/ D 1.
#e und #a seien Ein- und Austrittswinkel bzgl. einer festen Richtung.
Dann gibt es Bahnen, für die ein d#e  1 ein #a D O.1/ bewirkt.
Abbildung 4.10 zeigt Bahnen mit Startgeschwindigkeit 0.99, 1 und 1.01.
Die Testmasse startet bei  und fliegt zunächst in Cx-Richtung.
Man findet in den drei Fällen stark unterschiedliche Bahnen.

4.11 Hillsche Mondtheorie

Wir betrachten weiterhin das eingeschränkte Dreikörperproblem.


Hill fand 1878 das bemerkenswerte Ergebnis:
Für gewisse Energien der Testmasse gibt es verbotene Raumbereiche.
Daraus schloss Hill (wir verzichten auf die Details):
Der Mond bleibt trotz Störungen durch die Sonne immer im Erdorbit.
4.11 Hillsche Mondtheorie 97

Die Herleitung der verbotenen Bereiche ist erstaunlich einfach:


Die Kreisbahn der zwei endlichen Massen M liege in der xy-Ebene.
Die beiden M sollen sogar immer auf der x-Achse liegen.
Das Koordinatensystem dreht sich also mit dem ! der M mit.
Die z-Achse ist die Rotationsachse.

Im rotierenden xy-System wirken Zentrifugal- und Corioliskraft.


Die Bewegungsgleichungen für m sind, mit Potentialen geschrieben:

@   1
xR D 2! yP     ! 2 .x 2 C y 2 / ;
@x RC R 2

@   1
yR D 2! xP     ! 2 .x 2 C y 2 / ;
@y RC R 2

@  
zR D    : (4.98)
@z RC R
Es ist wieder  D GM , die Positionen der beiden Massen sind ˙X, und
p
R˙ D .x ˙ X/2 C y 2 C z 2 : (4.99)

Das Vorzeichen der Coriolisterme ergibt sich aus einer Skizze.


Doch fallen diese Terme im Folgenden ohnehin weg.
! ist festgelegt durch die Balance von Zentrifugalkraft und Schwere,

X! 2 D : (4.100)
4X 2
Wir wählen die Normierung X D  D 1.
P y;
Die Bewegungsgleichungen mit x; P zP multiplizieren und addieren ergibt
   
d 1 2 1 2 1 2 @ @ @ 1 1
xP C yP C zP D xP C yP C zP C
dt 2 2 2 @x @y @z RC R
 
1 @ @
C xP C yP .x 2 C y 2 /: (4.101)
8 @x @y
Die Coriolisterme sind, wie schon bemerkt, verschwunden.
Über die Zeit integrieren ergibt (mit x2 D x.t2 / usw.)
1 2 1
.xP C yP22 C zP22 /  .xP 12 C yP12 C zP 12 /
2 2 2
.x2Z;y2 ;z2 / 
@ @ @ 1 1
D dx C dy C dz C
@x @y @z RC R
.x1 ;y1 ;z1 /
.xZ2 ;y2 / 
1 @ @
C dx C dy Œx 2 C y 2 : (4.102)
8 @x @y
.x1 ;y1 /
98 4 Gravitation

Abb. 4.11 Verbotene Bereiche der Hillschen Mondtheorie sind durch Kurvenpaare berandet

Rechts wird entlang der Bahn bzw. ihrer xy-Projektion integriert.


Unter beiden Integralen stehen totale Differentiale.
(Denn die Funktion x 2 C y 2 hängt nur von x und y ab.)
Wir können also wieder benutzen (im Raum bzw. in der Ebene)

ZrEb ZrEb
˚.Erb /  ˚.Era / D d˚ D dEr  r˚: (4.103)
rEa rEa

Also hat man die Gesamtenergie E als Konstante der Bewegung,

1 2 1 1 x2 C y2
.xP C yP 2 C zP 2 /    D E: (4.104)
2 RC R 8

Wegen 12 .xP 2 C yP 2 C zP 2 / 0 muss also sein

1 1 x2 C y2
C C CE 0: (4.105)
RC R 8

Doch ist dies bei gebundenen Zuständen E < 0 nicht überall erfüllt!
Dies legt genau die verbotenen Raumbereiche fest.
Sie sind physikalisch verboten, weil die Geschwindigkeit imaginär wäre.
Die Randflächen dieser verbotenen Gebiete sind also gegeben durch

1 1 x2 C y2
p Cp C C E D 0: (4.106)
.x C 1/2 C y 2 C z 2 .x  1/2 C y 2 C z 2 8

Die Lösungen .x; y; z/ hierzu sind numerisch leicht zu berechnen.


Literatur 99

Abbildung 4.11 zeigt links die xy-Ebene (z D 0), rechts die xz-Ebene (y D 0).
Die beiden Massen M sind die Zentren der Kreisysteme.
Die Konturlinien haben Werte E D 1:4, 1.5, 1.6, 1.7, 1.8, 1.9, 2, 2.5, 3, 4, 5, 6.
Links gehört die n-te Kurve (n 12) von außen und innen zum selben E.
(Im rechten Bild sind die drei äußersten Konturlinien nicht zu sehen.)
Die Testmasse kann sich in dem Volumen dazwischen nicht aufhalten.
Bei stark negativen Energien ist m also an eine der beiden M gebunden.
Durch den verbotenen Bereich kann m dann nicht nach r ! 1 gelangen.
Entsprechende Ergebnisse gelten auch für M1 > M2 m.
Daraus schloss Hill, dass der Mond immer an die Erde gebunden bleibt.
Bei etwas weniger stark negativen Energien ist m an beide M gebunden;
m kann aber wieder nicht nach r ! 1 gelangen.
Die durch C bezeichneten Punkte sind die Lagrangepunkte L4 und L5.
Sie sind stabile Gleichgewichtspunkte:
Eine Testmasse in L4 oder L5 orbitiert gemeinsam mit den beiden M .
Weitere Details zu diesem Abschnitt findet man in Moulton (1970).

Literatur
Lamb H., Hydrodynamics, 6. Aufl., Dover, New York, 1945
Moulton F., An Introduction to Celestial Mechanics, Dover, New York, 1970
Sundman K., Memoire sur le probleme de trois corps, Acta Mathematica, 36, 105, 1912
Teilchensysteme
5

5.1 Impulssatz

Wir folgen in diesem Kapitel Goldstein (1989).


Gegeben ist ein System von N Massenpunkten.
Die maximale Zahl unabhängiger Ortskoordinaten im R3 ist n D 3N .
Die Massenpunkte sollen durch Kräfte miteinander wechselwirken.
Wir verwenden im Folgenden nicht die Summationskonvention.
Ist nichts anderes angegeben, erstrecken sich Summen bis N .
Der Schwerpunkt RE ist definiert durch
P
E mi rEi 1 X
R D Pi D mi rEi : (5.1)
i mi M
i

P
M D i mi hat hier eine andere Bedeutung als im vorigen Kapitel.
Sei rEi auf den Nullpunkt bezogen, rEi0 auf den Schwerpunkt, also

rEi D RE C rEi0 : (5.2)

Dann ist
X X
mi rEi0 D mi rEi  M RE D 0: (5.3)
i i

P
Nach (5.1) ist M RE 0 D i mi rEi0 , und nach (5.3) gilt also

RE 0 D 0; (5.4)

was trivial ist: Im Schwerpunktsystem ist der Schwerpunkt Nullpunkt.

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_5, 101


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
102 5 Teilchensysteme

Zwischen den mi sollen paarweise Wechselwirkungskräfte FEij wirken.


Diese werden auch interne Kräfte (des Systems) genannt.
Insbesondere soll Newton III gelten,

FEij D FEj i ; FEi i D 0: (5.5)

Durch letztere Gleichung braucht man i D j nicht auszuschließen.


FEij sei die Kraft auf die Masse mi aufgrund der Masse mj . Damit ist

R 1 X R
RE D mi rEi
M
i
1 XX E
D Fij
M
i j
1 XX E
.Fij C FEj i /
.a/
D
M
i j <i
1 XX E
D .Fij  FEij /
M
i j <i

D 0: (5.6)

Schritt .a/ wird durch einen Induktionsschluss gezeigt:


Die Induktionsvoraussetzung (IV) sei also

X
n X
n X
n X
FEij D .FEij C FEj i /: (5.7)
i D1 j D1 i D1 j <i

Wir müssen zeigen, dass dies auch für Summen bis n C 1 gilt:

X nC1
nC1 X X X
n nC1 X
nC1
FEij D FEij C FEnC1;j
i D1 j D1 i D1 j D1 j D1

X
n X
n X
n X
n
D FEij C FEi;nC1 C FEnC1;j C FEnC1;nC1
i D1 j D1 i D1 j D1

X
n X X
n
.FEij C FEj i / C .FEnC1;j C FEj;nC1 /
IV
D
i D1 j <n j D1

XX
nC1
D .FEij C FEj i /: (5.8)
i D1 j <n

In der Zeile mit IV wurde im letzten Term auch i in j umbenannt.


Als Induktionsanfang schreibe man die Summen für n D 1 oder n D 2 aus.
5.2 Drehimpulserhaltung 103

Nach (5.6) ist der Schwerpunkt unbeschleunigt. Der Gesamtimpuls ist


X
PE D EP
mi rEPi D M R: (5.9)
i

Wir führen den Begriff der externen Kraft FEi ein:


Diese kann auf jede einzelne Masse des Systems wirken.
Doch hängt die Kraft FEi auf die Masse i nicht von Massen j ¤ i ab.
Ergänzt man obige Rechnung entsprechend, findet man

P
PE D FE : (5.10)

FE ist die Summe der an den Massen angreifenden Kräfte.


Wegen (5.9) sagt man, die externe Kraft greife am Schwerpunkt an.

5.2 Drehimpulserhaltung

Der Gesamtdrehimpuls ist


X
ED
L mi rEi  rEPi : (5.11)
i

Sei FEi wieder eine externe Kraft, die auf jede Masse mi wirkt.
Wir multiplizieren Newton II für jedes mi mit rEi  und summieren:
X d X
mi rEi  rERi D mi rEi  rEPi
dt
i i

DLEP
XX X
D rEi  FEij C rEi  FEi : (5.12)
i j i

Wir fordern, dass FEij entlang der Verbindungslinie von mi und mj zeigt.
Dann ist
XX XX
rEi  FEij D .Eri  FEij C rEj  FEj i /
i j i j <i
XX
D .Eri  rEj /  FEij
i j <i

D 0: (5.13)
104 5 Teilchensysteme

Denn der Vektor rEi  rEj zeigt von rEj nach rEi . Sei
X
E D
D rEi  FEi (5.14)
i

das Drehmoment. Dann wird (5.12) zur Drehimpulsgleichung

EP D D
L E (5.15)

Wirken also keine externen Kräfte, dann bleibt der Drehimpuls erhalten.
Dies gilt, wenn nur interne Kräfte entlang der Verbindungslinien wirken.

5.3 Energie und Arbeit

Die zwischen den Zeitpunkten t1 und t2 verrichtete Arbeit ist

XZ
2

W12 D dEri  FEi


i 1

XZ
2

D dEri  mi vEP i
i 1

XZ
2

D dt vEi  mi vEP i
i 1

XZ
2
d 1
D dt . mi vi2 /
dt 2
i 1

XZ
2
1
D d. mi vi2 /
2
i 1
Z2 X 
1
D d 2
mi vi
2
1 i

Z2
D dT D T2  T1 : (5.16)
1
5.4 Potential 105

Wir schreiben hier die Integrationsgrenzen nur als 1 und 2.


Damit stehen z. B. rE2 und T2 für rE.t2 / und T .t2 /.
Die kinetische Gesamtenergie des Systems ist

1X
T D mi vi2 : (5.17)
2
i

Sei wie in (5.2)

rEi D RE C rEi0 ;
P
vEi D RE C vEi0 : (5.18)

Dann ist
1X
T D mi vEi  vEi
2
i
1 X  EP  P 
D mi R C vEi0  RE C vEi0
2
i
1X 1X P X
D mi RP 2 C mi vi02 C RE  mi vEi0
2 2
i i i
 X 
1 P d
D M RP C T C RE 
2 0 0
mi rEi : (5.19)
2 dt
i

Und mit (5.3) ist

1
T D M RP 2 C T 0 : (5.20)
2

5.4 Potential

Wir unterscheiden wieder externe und interne Kräfte.


Die externe Kraft sei der Gradient eines Potentials,

FEi D rUi .rEi /: (5.21)

Hier ist FEi wieder die Kraft, die am Massenpunkt i am Ort rEi angreift.
Diese Kraft hängt auch von mi (oder z. B. der Ladung dieser Masse) ab.
Dies zeigen wir durch den Index i bei Ui an. Es ist rUi .Eri / D rUi .Er /jrEi .
106 5 Teilchensysteme

Die Arbeit infolge externer Kräfte ist

XZ
2

W12 D dEri  FEi


i 1

XZ
2

D dEri  rUi .Eri /


i 1

XZ
2
.a/
D dUi
i 1
X 
D Ui;1  Ui;2
i
D U1  U2 : (5.22)

.a/ Hier ist dUi entlang des Weges dEri gemeint.


U ist die gesamte potentielle Energie aller Teilchen.

Für Wechselwirkungskräfte führen wir ein internes Potential ein:

Vij .Eri ; rEj /: (5.23)

Es soll wieder nur Paarwechselwirkungen geben.


V hängt außer von den Orten rEi rEj (u. a.) auch von mi und mj ab.
Dies wird durch die Indizes i; j bei V angezeigt. Es sei nun weiterhin

Vij .Eri ; rEj / D Vij .Eri  rEj /: (5.24)

Dies ist der häufigste physikalische Fall.


Die Kraft FEij auf Masse i durch Masse j , sowie FEj i auf j durch i, sind

FEij D ri Vij


FEj i D rj Vij : (5.25)

Dabei sind ri und rj der Gradient bzgl. rEi und rEj .


Es sei rE D rEi  rEj der Relativabstand. Dann gilt gemäß der Kettenregel

ri Vij .Eri  rEj / D rVij .Er /;


rj Vij .Eri  rEj / D rVij .Er /; (5.26)

wobei r der Gradient bzgl. rE ist. Somit ist FEij D FEj i .


Die Kraft wirkt also auf der Verbindungslinie rE, und Newton III gilt.
Literatur 107

Die gesamte interne potentielle Energie ist


XX
V D Vij : (5.27)
i j <i

Dabei zählt jedes Paar von Massenpunkten nur einmal.


Man findet für die Arbeit aufgrund des internen Potentials

W12 D V1  V2 : (5.28)

Es gilt dann der Energiesatz für konservative Systeme

T1 C U1 C V1 D T2 C U2 C V2 : (5.29)

Konservative Systeme haben konstante mechanische Gesamtenergie.

Literatur
Goldstein H., Klassische Mechanik, 10. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden, 1989
Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art
6

6.1 Prinzip der kleinsten Wirkung

Die klassische Mechanik basiert auf Newtons zweitem Axiom.


Die Euler-Lagrange-Gleichung (im Folgenden ELG genannt)
 verallgemeinert Newtons Axiom,
 gilt neben der Mechanik auch in anderen Gebieten der Physik
 und gilt generell für Variationsprobleme.
Sie ist daher von grundlegender Bedeutung.
Wir betrachten im Folgenden auch Teilsummen bis zu gewissen m < n;
daher benutzen wir vorläufig keine Summationskonvention.
Die Wirkung S ist definiert als

Zt2
SD dt L (6.1)
t1

t1 und t2 sind Anfangs- und Endzeit der Bewegung.


L ist die Lagrangefunktion und wird später definiert.
Ein Fundamentalprinzip der Physik lautet:
Ein System entwickelt sich zeitlich so, dass S minimal wird.
Dies ist das Prinzip der kleinsten Wirkung.
Eine gängige Formulierung ist: Die Natur minimiert die Wirkung.
Damit der Satz sinnvoll ist, muss S Information über alle t enthalten.
Daher steht in (6.1) das Integral über die Zeit.
Das Minimum von S ist ein Extremum unter Bahnvariationen,

ıS D 0: (6.2)

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_6, 109


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110 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Das neue Differential ı wird im Folgenden genauer erklärt. (6.1) gibt

Zt2
ı dt L D 0 (6.3)
t1

Die Zeitabhängigkeit von L ist sowohl explizit wie implizit,

L D L.x1 ; : : : ; xn ; xP 1 ; : : : ; xP n ; t/: (6.4)

Hier wird ein System mit n Ortskoordinaten xi .t/ angenommen.

6.2 Variablen x; xP und verallgemeinerte Koordinaten

Warum hängt L in (6.4) auch von Geschwindigkeiten xP i ab?


Wir betrachten einen Massenpunkt mit Koordinaten xi (i D 1; 2; 3).
Als strikt empirische Tatsache gilt wieder:
Die Anfangsbedingungen bei t D 0 sind xi .0/ und xP i .0/.
Sie entsprechen einem Punkt P im R6 mit Achsen xi und xP i .
Durch diese Anfangsbedingungen ist die Bahn eindeutig festgelegt.
Also geht durch P 2 R6 genau eine Trajektorie des Massenpunkts.
Dies ist nicht der Fall für Punkte im Ortsraum R3 mit Achsen xi :
Hier gehen durch jeden Punkt mögliche Bahnen in alle Richtungen.
Die Punkte des R6 sind also mögliche Anfangsbedingungen;
und durch jeden Punkt des R6 geht genau eine Trajektorie.
Man fasst nun die xi und xP i als unabhängige Bewegungsvariablen auf.
Die Bewegungsgleichung erhält in xi und xP i die erstaunliche Form

d @L @L
 D0 (6.5)
dt @xP i @xi

Diese Euler-Lagrange-Gleichung ersetzt Newtons II. Axiom.


Gleichung (6.5) wird in Abschn. 6.6 hergeleitet.

Es seien nun N Massenpunkte mit n D 3N Ortskoordinaten gegeben.


Wir verwenden vorerst wieder kartesische Koordinaten.
Wir nummerieren alle Ortskoordinaten als x1 ; : : : ; xn durch.
Gesucht sind die Bahnen xi .t/ mit i D 1; : : : ; n.
Die Anfangsbedingungen sind xi .0/ und xP i .0/ mit i D 1; : : : ; n.
Die unabhängigen Variablen der Bewegung seien xi und xP i .
Wir können sie zu jedem Zeitpunkt als Punktwolke im R6 auffassen:
Es gibt je drei Achsen für die Orts- und Geschwindigkeitskomponenten.
Eleganter ist es, die xi ; xP i zu jedem t als einen Punkt im R2n aufzufassen.
Es seien also x1 ; : : : ; xn ; xP 1 ; : : : ; xP n kartesische Koordinaten des R2n .
6.2 Variablen x; xP und verallgemeinerte Koordinaten 111

Die Bewegung der Massenpunkte ergibt eine Trajektorie im R2n .


Die Punkte des R2n sind mögliche Anfangsbedingungen;
und durch jeden Punkt geht wieder genau eine Trajektorie.

Wir wollen die Beschränkung auf kartesische Koordinaten aufgeben.


Dazu führen wir den Begriff der verallgemeinerten Koordinaten ein.
Wie bisher lassen wir Strecken und Winkel als Koordinaten zu.
Ihr gemeinsamer Name sei q, auch in Anlehnung an den Impuls p.
Gegeben seien N Massenpunkte mit n D 3N Ortskoordinaten.
Die Koordinaten qi sind definiert durch n Gleichungen der Form

x1 D x1 .q1 ; : : : ; qn ; t/;
::
:
xn D xn .q1 ; : : : ; qn ; t/: (6.6)

Abgekürzt schreibt man für (6.6) ohne Indizes bei den Argumenten

xi D xi .q; t/; i D 1; : : : ; n: (6.7)

Die Funktionen xi .q; t/ seien so oft differenzierbar wie nötig.


Wir schreiben also auch L.q; q;P t/ für L.q1 ; : : : ; qn ; qP1 ; : : : ; qPn ; t/.
Die qPi sind in L.q; q;
P t/ von den qj unabhängige Variablen,

@qPi
D 0: (6.8)
@qj

Für Lösungen der Euler-Lagrange-Gleichung ist dann aber qPi D dqi =dt.
Auch seien die qi untereinander – genauso wie die xi – unabhängig,

@qi
D ıij : (6.9)
@qj

Diese Einschränkung gilt nur im Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art.


Im Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art wird sie aufgehoben.
Die Zahl unabhängiger qi (oder xi ) heißt Zahl der Freiheitsgrade.
Wir betrachten z. B. das ebene Fadenpendel auf einerp Kreisbahn:
Hier ist x 2 C y 2 D l 2 D const und z D 0, also y D l 2  x 2 und dy=dx ¤ 0.
Es gibt nur eine unabhängige Ortskoordinate.
Als diese wählt man i. A. den Auslenkwinkel '.

Die Zahl der Freiheitsgrade wird durch Zwänge verringert.


Solche Zwänge sind beispielsweise
 die Festlegung der Bahn auf eine bestimmte Fläche und
 das Bestehen starrer Verbindungen zwischen Massen.
112 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

So hat der starre Körper weniger Freiheitsgrade als Konstituenten.


Die unabhängigen Koordinaten sind oft aus der Aufgabenstellung klar.
Außerdem ist der Euler-Lagrange-Formalismus „fehlertolerant“:
Wenn man irrtümlicherweise abhängige Koordinaten benutzt,
dann ergeben sich oft redundante Gleichungen der Form 0 D 0.

6.3 Der Algorithmus

Wir zeigen die Anwendung der Euler-Lagrange-Gleichung;


danach erst leiten wir sie ab. Die Lagrangefunktion der Mechanik ist

L D T  V; (6.10)

mit kinetischer Energie T und potentieller Energie V .


T und V sind die Gesamtenergien eines Systems von Massenpunkten.

Der Oszillator

Die verallgemeinerte Koordinate ist die Auslenkung, q D x. Also ist

1 2 1 2 1 2 1 2
T D mqP ; V D kq ; P D
L.q; q/ mqP  kq : (6.11)
2 2 2 2
Das II. Newtonsche Axiom wird ersetzt durch die ELG

d @L @L
 D 0: (6.12)
dt @qP @q

Einsetzen von (6.11) ergibt

d
P C kq D 0;
.mq/ also mqR D kq: (6.13)
dt
Dies ist die bekannte Oszillatorgleichung (mit q D x).

Atwoodsche Fallmaschine

Die Fallmaschine erlaubt es, verzögerte Fallversuche durchzuführen.


Über einen Wandnagel oder eine Rolle wird eine Schnur gelegt.
An den Schnurenden hängen zwei Massen m und M .
 Bei m D 0 fällt M frei,
 bei m D M herrscht statisches Gleichgewicht.
6.3 Der Algorithmus 113

Die Abstände von der Umlenkrolle seien z und Z. Dann ist


1 2 1 P2
T D mPz C M Z : (6.14)
2 2
Die potentielle Energie ist (mit Nullpunkt bei z D Z D 0)

V D mgz  MgZ: (6.15)

z und Z sind nicht unabhängig: Es ist z C Z D l mit Fadenlänge l. Also ist

V D mgz  Mg.l  z/: (6.16)

Ferner ist ZP D lP  zP D Pz .


Nur z und zP sind unabhängig, d. h. es gibt einen Freiheitsgrad.
Die Lagrangefunktion ist
1
LD .M C m/Pz 2  .M  m/gz C Mgl: (6.17)
2
Der letzte, konstante Term kann weggelassen werden;
denn in den ELG treten nur Ableitungen von L auf.
Wir lesen in (6.5) statt q nun z, also

@L
D  .M  m/ g;
@z
d @L
D .M C m/ zR : (6.18)
dt @zP
Damit ergibt sich als Bewegungsgleichung
M m
zR D  g D g:
N (6.19)
M Cm

Über den Wert von m kann man also die Stärke von gN regulieren.

Polarkoordinaten

Für Polarkoordinaten ist

x D r cos ';
y D r sin ': (6.20)

Im Folgenden seien r und ' die verallgemeinerten Koordinaten. Es ist

xP D rP cos '  r 'P sin ';


yP D rP sin ' C r 'P cos ': (6.21)
114 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Somit ist für eine Masse m nach kurzer Rechnung

1 1
T D mxP 2 C myP 2
2 2
1 2 1 2 2
D mPr C mr 'P
2 2
1 2 1 2
D mvr C mv' : (6.22)
2 2
Wir betrachten kräftefreie Bewegung, V D 0.
Die ELG in den Koordinaten r und ' lauten

d @T @T
 D 0;
dt @rP @r
d @T @T
 D 0: (6.23)
dt @'P @'

Es ist

@T
D mr 'P 2 ;
@r
d @T
D mRr ;
dt @rP
@T
D 0;
@'
@T
P
D mr 2 ';
@'P
d @T
D mr 2 'R C 2mr rP ':
P (6.24)
dt @'P

Einsetzen in (6.23) ergibt

mRr  mr 'P 2 D 0;
mr 2 'R C 2mr rP 'P D 0: (6.25)

Mit vr D rP und v' D r 'P wird dies zu

v'2
vPr D ;
r
2vr v'
r 'R D  : (6.26)
r
Rechts stehen die Zentrifugal- und die Coriolisbeschleunigung.
Diese haben sich wieder allein aus der Koordinatenwahl ergeben.
6.3 Der Algorithmus 115

Perle auf einer Stange

Eine durchbohrte Perle bewegt sich frei entlang einer geraden Stange.
Die Stange steht senkrecht zu einer Achse und rotiert mit ! D const.
E
Die Achse steht parallel zum Gravitationsfeld g.
Es wirkt also keine Gravitation entlang der Stange. Damit ist
1  2 
LDT D m r C r 2 'P 2 : (6.27)
2
Doch ist ' keine unabhängige Koordinate, denn es besteht der Zwang

'P D !: (6.28)

Solche Zwänge werden im Folgenden geschrieben als

P ˛/ D 0:
G.q; qI (6.29)

˛ sind Systemparameter, hier also ˛ D !. Mit


1  2 
T D T .r; r/
P D m rP C ! 2 r 2 (6.30)
2
ergibt sich für den einen Freiheitsgrad r
@T
D mr! 2 ;
@r
d @T
D mRr ; (6.31)
dt @rP
und damit die Bewegungsgleichung

rR D ! 2 r: (6.32)

Die Perle erfährt also eine Zentrifugalbeschleunigung.

Doppelfeder

Wir betrachten wieder den einfachsten Doppelschwinger:

| xxx o xxx o xxx |

mit starrer Wand |, zwei gleichen Massen o, drei gleichen Federn xxx.
Die kinetische Energie ist, für Massen m,
1  2 
T D m qP1 C qP22 ; (6.33)
2
mit den Auslenkungen q1 D x1 und q2 D x2 der beiden Massen.
116 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Die potentielle Energie ist, für Federkonstanten k,

1  2 
V D k q1 C .q1  q2 /2 C q22 : (6.34)
2
Der mittlere Term gilt für die mittlere Feder;
die Randterme gelten für die Wandfedern.
Die ELG für q1 und q2 ergeben die bekannten Bewegungsgleichungen.

Grenzproduktivität

In der Mechanik ist die Variable q regelmäßig ein Ort oder Winkel.
Doch kann q in der ELG tatsächlich jede Variable sein.
Wir bringen dazu ein Beispiel aus der Volkswirtschaftslehre.
Für die Details und Hintergründe siehe Neumann (1968, S. 51).
Wir führen einige relativ selbsterklärende Begriffe ein:

Y D Produktion von Gütern pro Zeit (von yield, Ertrag)


K D gesamtes zur Verfügung stehende Kapital (in Euro)
N D gesamte in der Produktion eingesetzte Arbeit (in Euro)
V D Verbrauch/Konsum von Gütern
I D Investitionen

Man nennt

K=N D Kapitalintensität
V =N D Nutzen(funktion)
n D NP =N D zeitliche Zuwachsrate der Arbeit

Die zentral wichtige Funktion ist, in einfachster Form,

Y D Y.K; N /: (6.35)

Die Güterproduktion bestimmt sich hier (nur) aus Kapital und Arbeit.
Wichtige Kenngrößen der Produktion sind:
 @Y =@K: Grenzproduktivität des Kapitals
 @Y =@N : Grenzproduktivität der Arbeit
Sie bestimmen, wie die Produktivität mit Kapital und Arbeit wächst.
Es wird vereinfachend angenommen, dass
 
Y K
Df (6.36)
N N
6.3 Der Algorithmus 117

gilt. K=N ist hier die verallgemeinerten Koordinate, also ist

K
qD : (6.37)
N
Es gilt (N ist bei der partiellen K-Ableitung konstant)

@Y @Y df
D N
K
D : (6.38)
@K @N dq

Wir rechnen qP für spätere Verwendung gleich aus:


 
d K
qP D
dt N
1 dK K dN
D  2
N dt N dt
1 dK
D  nq: (6.39)
N dt
Investionen sind das pro Zeit in die Produktion gesteckte Kapital,

dK
I D : (6.40)
dt
(Wir verzichten auf den Betragsstrich bzw. das Vorzeichen.)
Der Yield wird verbraucht oder neu investiert (keine Lagerhaltung),

Y D V C I: (6.41)

Somit ist
dK
V DY  : (6.42)
dt
Dem Verbraucher liegt nun daran, seinen Nutzen zu maximieren:
Er will maximalen Verbrauch (Konsum) V bei minimaler Arbeit N .
Es wird das interessante Postulat aufgestellt:
Je später von jetzt ab der Konsum stattfindet, desto weniger zählt er.
Dies modelliert die Gegenwartsbezogenheit menschlichen Verhaltens.
V. Stackelberg verwendete 1951 hierfür einen Exponentialansatz.
Maximiert werden soll demnach das Integral

Z1
V .t/ ı t
dt e : (6.43)
N.t/
0

Hier hat .V =N / e ı t die Rolle der Lagrangefunktion L.


118 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Alles muss nun als Funktion von q D K=N und qP geschrieben werden.
Für die Nutzenfunktion erhält man
V (6.42) Y 1 dK
D 
N N N dt
(6.39) Y
D  nq  qP
N
(6.36)
D f .q/  nq  q:
P (6.44)

Somit wird aus (6.43)


Z1 Z1
ı t
dt .f .q/  nq  q/
P e D P t/:
dt L.q; q; (6.45)
0 0

Damit ist
   
@L df @Y
D  n e ı t D  n e ı t ;
@q dq @K
@L
D e ı t ;
@qP
d @L
D ıe ı t : (6.46)
dt @qP
Einsetzen in die Euler-Lagrange-Gleichung ergibt

@Y
DnCı (6.47)
@K

Das ist der gewünschte Zusammenhang:

I Der Nutzen ist maximal, wenn Grenzproduktivität des Kapitals


D Summe von Wachstumsrate der Arbeit n und Zerfallskonstante ı.

Man findet interessanterweise mit einigen weiteren Umformungen:


Mit ı D 0 ist der Gesamtnutzen größer als mit ı > 0.
Die zeitliche Wichtung des Konsums verringert den Nutzen!

6.4 Schnellste und kürzeste Bahn

Die Variationsrechnung nahm ihren Anfang mit folgender Aufgabe.


Sie ist in der Literatur als Bernoullis Brachistochronenproblem bekannt.
Die konstante Erdanziehung wirke in negative z-Richtung.
Auf welcher Kurve gelangt eine Masse m am schnellsten von A nach B?
Die Punkte A und B sollen nicht auf einer vertikalen Linie liegen.
6.4 Schnellste und kürzeste Bahn 119

Zwei mögliche Verbindungen sind nicht die schnellsten:


 Die Gerade ist die kürzeste Verbindung von A nach B, und
 eine Parabel ist die wirkliche Verbindung von A nach B beim Wurf.
m sollte anfangs fast senkrecht fallen, um stark zu beschleunigen.
Mit großem v wird dann die verlängerte Strecke schnell zurückgelegt.
Am Start z D 0 sei die Energie von m null. Dann ist der Energiesatz
1 2
mv C mgz D 0; (6.48)
2
also
p
v.z/ D 2gz: (6.49)
Die Bahn muss in einer Ebene liegen (Seitwärtsbewegung kostet Zeit).
Sei ds das Längenelement der Bahn z.x/; dann ist die Fallzeit
Z Z p 2 ZxB s
ds dx C dz 2 1 C .dz=dx/2
tAB D D D dx : (6.50)
v v.z/ 2gz.x/
xA

Der Integrand ist eine Funktion F .z.x/; dz=dx/.


Die Fallzeit soll minimal sein, was geschrieben wird als
ıtAB D 0: (6.51)
ı ist ein neuer Differentialoperator.
ıtAB D 0 drückt aus, dass tAB ein Extremum (Minimum) annimmt.
Somit fordern wir
ZxB
ı dx F .z.x/; dz.x/=dx/ D 0: (6.52)
xA

Wir wollen die Ausrechnung von z.x/ hier nicht weiter verfolgen.

Die schnellste Bahn ist von der kürzesten zu unterscheiden.


Für letztere lautet die Extremalforderung, jetzt in der xy-Ebene,
Z
0 D ısAB D ı ds
Z p
Dı dx 2 C dy 2
ZxB p
Dı dx 1 C .dy=dx/2
xA
ZxB
Dı dx F .y.x/; dy.x/=dx/: (6.53)
xA
120 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Natürlich ist dieses F von dem in (6.50) und (6.52) verschieden.


F ist nun sogar von y.x/ unabhängig, es steht nur als mögliche Variable.
Im Folgenden wird also gezeigt: (6.53) ist erfüllt, wenn

@F d @F
0D  : (6.54)
@y dx @y 0

Setzen wir das oben Gefundene in diese Gleichung ein, so folgt


p p
d y0 y 00 1 C y 02  y 02 y 00 = 1 C y 02 y 00
0D p D 02
D ;
dx 1 C y 02 1Cy .1 C y 02 /3=2

also ist y 00 D 0, oder y D ax C b. Dies ist tatsächlich die Geradengleichung.

6.5 Aufgabenstellung der Variationsrechnung

Wir benutzen folgende Konventionen:


f; g; h und q sind Funktionen von Variablen wie x; y; z und t.
Doch ist die Grenze unscharf: Es gibt Kurven y.x/ und Flächen z.x; y/;
und q und qP stehen für Funktionen sowie Variablen.
F; G; L seien Funktionen von Funktionen und Variablen, z. B.

F .y.x//; F .y.x/; y 0 .x//; F .x; y.x/; y 0 .x//;


F .x; y; f .x; y/; g.x; y/; @f =@x; @f =@y; @g=@x; @g=@y;
@2 f =@x 2 ; @2 f =@x @y; @2 f =@y 2 /:

Speziell ist L D L.q.t/; q.t/;


P t/ die Lagrangefunktion der Mechanik.
q.t/ und y.x/ sind allgemein die gesuchten Funktionen:
Sie minimieren (oder maximieren) die Funktionale J; S; T; s; tAB .

Eine Funktion f ordnet einer Zahl x eine Zahl f .x/ zu.


Ein Funktional J ordnet einer Funktion f eine Zahl J Œf  zu.
Funktionale sind z. B.
Z1
J Œf  D dx f .x/ (6.55)
1

und

J Œf  D max f .x/: (6.56)


x
6.5 Aufgabenstellung der Variationsrechnung 121

J soll von mehreren Funktionen abhängen dürfen;


und von allen ihren ersten, zweiten, dritten usw. Ableitungen.
Wir kürzen nun ab: fx D @f =@x, fxx D @2 f =@x 2 , fxy D @2 f =@x @y usw.
Das Extremalproblem der Analysis lautet:
Gegeben sei eine Funktion f .x; y; z; : : :/.
Für welche Zahlentupel .x;N y;
N zN ; : : :/ ist

N y;
df .x; N zN ; : : :/ D 0? (6.57)

Das Extremalproblem der Variationsrechnung lautet entsprechend:


Gegeben sei ein Funktional J Œf; g; h; : : :.
Für welche Funktionentupel .fN; g; N : : :/ ist
N h;

ıJ ŒfN; g; N : : : D 0?
N h; (6.58)

ı ist ein neues Symbol, das die neue Aufgabenstellung anzeigt.

Damit zur Lösung: (6.57) ist erfüllt, wenn gilt

@f @f @f
N y;
.x; N zN ; : : :/ D N y;
.x; N z;
N : : :/ D N y;
.x; N z;
N : : :/ D : : : D 0: (6.59)
@x @y @z
Wir geben nicht die Lösung des allgemeinen Variationsproblems;
sondern wir treffen eine Wahl für J , die das Wesentliche zeigt. Sei dazu

J D dx dy F .f .x; y/; @f =@x; @f =@y; @2 f =@x 2 ; @2 f =@y 2 ; @2 f =@x @y/:
(6.60)

Dann gilt (6.58) unter näher zu nennenden Voraussetzungen, wenn

@F @ @F @ @F
0D  
@f @x @.@f =@x/ @y @.@f =@y/
@2 @F @2 @F @2 @F
C 2 C C (6.61)
@x @.@2 f =@x 2 / @y 2 @.@2 f =@y 2 / @x @y @.@2 f =.@x @y//
ist. Dies muss für alle x und y im Integrationsgebiet von (6.60) gelten.
Naheliegend sind Verallgemeinerungen dieser Gleichung auf
 weitere Variablen z; ; : : :
 weitere Funktionen g; h; : : :
 höhere Ableitungen @3 f =.@2 x @y/; : : :
Die Variationsrechnung erfordert also kombinatorischen Aufwand.
Gleichung (6.61) wurde erstmals von Euler (1744) abgeleitet.
Die unabhängigen Variablen in (6.61) sind, neben x und y,

@f @f @2 f @2 f @2 f
f; ; ; ; ; ;
@x @y @x 2 @y 2 @x @y
122 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

denn nach ihnen wird differenziert. fx hat eine wechselnde Rolle,


 einerseits als freie Variable (Koordinate),
 andererseits als mit f bereits festgelegte Ableitung.
Für ein mechanisches System mit n Freiheitsgraden heißt das:
Die ELG wird für 2n unabhängige Variablen qi und qP i aufgestellt.
Die Lösung der ELG sind Bahnen qi .t/, für die qPi D dqi =dt ist.

Eine triviale Form von (6.61) gilt für F D F .f .x//; dann muss sein

@F
D 0: (6.62)
@f

Dies ist gewöhnliche Analysis, mit Variable f anstelle von x.


Die erste nicht triviale Form von (6.61) gilt für F D F .x; f .x/; f 0 .x//:

@F d @F
 D 0: (6.63)
@f dx @f 0

Damit kann die Mechanik bereits vollständig formuliert werden!


Gleichung (6.63) soll nun hergeleitet werden. Wir stellen zuerst gegenüber:
 das einfachste Variationsproblem der Mathematik: finde f .x/, so dass
Z
ıJ Œf  D ı dx F .x; f .x/; f 0 .x// D 0; (6.64)

 und das Variationsproblem der Mechanik: finde q.t/, so dass


Z
ıSŒq D ı P
dt L.q.t/; q.t/; t/ D 0 (6.65)

Die abweichende Reihenfolge der Variablen ist Konvention.

6.6 Eulers originale Herleitung

Die Bahn q.t/ soll das Extremalprinzip (6.65) erfüllen.


Wir variieren q.t/ nun in einem einzigen, dafür beliebigen Punkt t0 .
(Dies schöpft natürlich nicht alle möglichen Bahnvariationen aus.)
Die Bahn q.t/ wird in t0 um ıq0 abgeändert (variiert).
ıq0 ist jetzt einfach eine infinitesimale Zahl, also wohldefiniert.
Für die Lagrangefunktion
R soll zunächst L D L.q.t// gelten.
Das Integral S D dt L wird als Summe geschrieben.
Wir beschränken uns gleich auf den einzigen relevanten Summanden,

S D : : : C L.q0 / dt C : : : (6.66)
6.6 Eulers originale Herleitung 123

Abb. 6.1 Bahnvariation in


einem Punkt q0 , mit zwei
Variationen der Geschwindig-
keit qP

Dann ist die Gesamtvariation der Wirkung

@L.q0 /
ıS D L.q0 C ıq0 / dt  L.q0 / dt D ıq0 dt: (6.67)
@q0

Aus ıS D 0 folgt dann @L.q0 /=@q0 D 0.


Dies gilt für L D L.q.t//. Nun wollen wir L D L.q.t/; q.t//
P annehmen.
P
Es fehlen also bisher die Ableitungen nach q.
Wir betrachten im Folgenden linksseitige Ableitungen.
Rechtsseitige und zentrierte führen auf dasselbe Ergebnis. Es ist
q0  q1
qP0 D ;
dt
q1  q0
qP1 D : (6.68)
dt
Nach Variation der Bahn in t0 ist (siehe Abb. 6.1)

q0 C ıq0  q1
qP0 D ;
dt
q1  q0  ıq0
qP1 D : (6.69)
dt
Die Differenz (6.69)  (6.68) ist die „induzierte“ Variation von q:
P

ıq0
ı qP 0 D ;
dt
ıq0
ı qP 1 D  : (6.70)
dt

(Man könnte hier unsicher bzgl. der Reihenfolge von ı und d=dt sein.
Zur Klärung nenne man dann qP in eine Hilfsvariable um, z. B. p.)
Alle anderen qP (also qP 1 ; qP2 usw.) bleiben unverändert.
Die relevanten Terme von S sind jetzt

S D : : : C L.q0 ; qP0 / dt C L.q1 ; qP1 / dt C : : : (6.71)


124 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Die Variation der Wirkung ist

ıS D L.q0 C ıq0 ; qP0 C ı qP0 / dt C L.q1 ; qP1 C ı qP1 / dt


 L.q0 ; qP0 / dt  L.q1 ; qP1 / dt
.a/ L.q0 C ıq0 ; qP0 C ı qP0 /  L.q0 C ıq0 ; qP0 /
D ı qP0 dt
ı qP 0
L.q1 ; qP1 C ı qP1 /  L.q1 ; qP1 /
C ı qP1 dt
ı qP1
L.q0 C ıq0 ; qP0 /  L.q0 ; qP0 /
C ıq0 dt
ıq0
.b/ @L.q0 C ıq0 ; qP0 C ı qP0 /
D ıq0
@qP0
@L.q1 ; qP1 C ı qP1 /
 ıq0
@qP1
@L.q0 C ıq0 ; qP 0 /
C ıq0 dt
@q0

.c/ @L.q1 ; qP1 /=@qP1  @L.q0 ; qP0 /=@qP0 @L.q0 ; qP0 /
D  C ıq0 dt
dt @q0

.d / d @L.q1 ; qP1 / @L.q0 ; qP 0 /
D  C ıq0 dt
dt @qP1 @q0

.e/ d @L.q1 ; qP1 / @L.q1 ; qP1 /
D  C ıq0 dt: (6.72)
dt @qP1 @q1

.a/ Hier wird der Leibnizsche Trick aus der Produktregel benutzt:

0 D L.q0 C ıq0 ; qP 0 /  L.q0 C ıq0 ; qP0 /: (6.73)

.b/ Dies gilt gemäß der Festlegung auf linksseitige Ableitungen.


.c/ Hier wird der Limes ıq0 ! 0 genommen; näheres dazu bei .e/.
.d / Die Einführung einer Hilfsfunktion h verdeutlicht diesen Schritt:

@L.q0 ; qP0 / @L.q1 ; qP 1 /


D h.q0 ; qP0 /; D h.q1 ; qP1 /: (6.74)
@qP0 @qP1

Damit bilde man die linksseitige Ableitung.


.e/ Hier wird der Limes dt ! 0 genommen;
dieser ist in der Rechnung wie immer stillschweigend gemeint.
6.6 Eulers originale Herleitung 125

Sei z. B. k.q0 ; qP0 / D @L.q0 ; qP0 /=@q0 eine Hilfsfunktion. Dann ist

@L.q1 ; qP1 /
D k.q1 ; qP1 /
@q1
@k.q0 ; qP0 / @k.q0 ; qP0 /
D k.q0 ; qP0 / C .q1  q0 / C .qP1  qP0 / C : : :
@q0 @qP0
@L.q0 ; qP0 /
D C O.dt/: (6.75)
@q0

Hierbei bedeutet O.dt/ Terme der Ordnung dt und höher.


Denn für endliche qP und qR ist q1  q0 t1  t0 D dt und qP 1  qP 0 dt.
Für dt ! 0 ist also

@L.q1 ; qP1 / @L.q0 ; qP0 /


! ; (6.76)
@q1 @q0

gemäß der Eindeutigkeit der Steigung in einem Punkt.


In .c/ wird entsprechend ıq0 ! 0 genommen.

Nach dieser kleinteiligen Rechnung sei die Idee noch einmal gezeigt:
Nur zum Zeitpunkt t0 wird q0 um ıq0 variiert.
Dies bewirkt die Änderung zweier zeitlicher Ableitungen,

ı qP0 D ıq0 =dt;


ı qP1 D ıq0 =dt: (6.77)

Damit ist
Z
ıS D ı dt L.q; q/ P
Z
.a/
D dt ıL.q; q/P
Z 
.b/ @L @L
D dt ıq C ı qP
@q @qP

.c/ @L0 @L0 @L1
D dt ıq0 C ı qP0 C ı qP1
@q0 @qP0 @qP1

(6.77) @L0 =@qP0  @L1 =@qP1 @L0
D dt ıq0 C
dt @q0

.d / d @L1 @L0
D dt ıq0  C
dt @qP1 @q0

.e/ d @L1 @L1
D dt ıq0  C : (6.78)
dt @qP1 @q1
126 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Abb. 6.2 Bahnvariation ıq,


die mit einer Variation ı t der
Zeit einher geht

.a/ Dies ist klar, sobald man das Integral als Summe schreibt.
.b/ Bilde das totale Differential für infinitesimales ıL.
.c/ Es gibt nur die Variation ıq0 bei t0 .
.d / Dies ist die linksseitige Ableitung auf der diskretisierten t-Achse.
.e/ Die Terme sind gleich bis auf Terme O.dt/.

In (6.72) und (6.78) ist t1 ein beliebiger Punkt.


Wir können dafür also wieder die Variable t benutzen.
Damit ıS D 0 ist, muss die Klammer verschwinden, also gilt

d @L @L
 D0 (6.79)
dt @qP @q

Diese Reihenfolge der Terme wird in der Physik bevorzugt.

Bisher war zuerst L D L.q/, dann L D L.q; q/. P


Euler geht nun den nächsten Schritt, L D L.q; q; P q/.
R
Er findet, dass ıS D 0 erfüllt ist, wenn gilt:

d2 @L d @L @L
 C  D 0: (6.80)
dt 2 @qR dt @qP @q

Wir betrachten noch den Fall, dass L D L.q; q;


P t/ explizit von t abhängt.
Für dieses L gilt wieder genau (6.79). Die Begründung ist folgende:

@L @L @L
ıL D ıt C ıq C P
ı q: (6.81)
@t @q @qP

„Variation der Bahn“ bedeutet ein infinitesimales, sonst beliebiges ıq.t/.


Dabei wird die Variable t nicht variiert; es wird ıt D 0 gesetzt.
Zwar könnte man wie in Abb. 6.2 mit ıt ¤ 0 und ıq ¤ 0 variieren.
Doch kann man diese Bahnvariation auch mit ı tN D 0 und ı qN ¤ 0 erzielen.
Der Grund dafür ist die Eindeutigkeit von Funktionen.
Somit bleibt die Herleitung von (6.79) auch für L D L.q; q; P t/ gültig.
6.7 Herleitung nach Lagrange 127

6.7 Herleitung nach Lagrange

Die Herleitung nach Lagrange knüpft an die obige Herleitung an.


Als neues Hilfsmittel wird partielle Integration benutzt,

Zb
f .b/g.b/  f .a/g.a/ D dx Œf .x/g.x/0
a
Zb Zb
0
D dx f .x/g.x/ C dx f .x/g 0 .x/; (6.82)
a a

also

Zb Zb
0
dx f .x/g.x/ D  dx f .x/g 0 .x/ C f .b/g.b/  f .a/g.a/: (6.83)
a a

q werde in jedem t um ein infinitesimales ıq.t/ geändert (variiert).


Die Funktion ıq.t/ sei differenzierbar. Wir nehmen L D L.q; q/ P an, also

Zte
ıS D ı P
dt L.q; q/
ta
Z
.a/
D dt ıL.q; q/P
Z 
@L @L
D dt ıq C ı qP
@q @qP
Z 
@L @L d
D dt ıq C ı q
@q @qP dt
Z 
.a/ @L @L d
D dt ıq C ıq
@q @qP dt
Zte 
(6.83) @L d @L @L @L
D dt ıq  ıq C .te / ıq.te /  .ta / ıq.ta /
@q dt @qP @qP @qP
ta
Zte 
.b/ @L d @L
D dt  ıq: (6.84)
@q dt @qP
ta

.a/ Die Variation und das Zeitintegral vertauschen (nach Lagrange).


Dies ergibt sich aus dem Graph der Bahn q.t/ in der tq-Ebene.
.b/ An den Integrationsrändern soll es keine Variation geben.
128 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Wir haben also gefunden, dass


Z 
@L d @L
8 ıq.t/ W ıS D dt  .t/ ıq.t/ D 0 (6.85)
@q dt @qP

gilt. Das Fundamentallemma der Variationsrechnung lautet


Z
8g W dx f .x/g.x/ D 0 ! f D 0: (6.86)

Hier ist die Nullabbildung gemeint, also f .x/ D 0 für alle x.


Der Beweis des Lemmas ist elementar. Somit ist wieder für jedes t

d @L @L
 D 0: (6.87)
dt @qP @q

6.8 Moderne Herleitung

Die Variationsrechnung hat enge Beziehung zur Analysis.


Um dies explizit zu machen, betrachten wir das Variationsproblem
Z
ıJ D 0 mit J D dx F .x; y.x/; y 0 .x//: (6.88)

Die für das Folgende zentrale Idee ist der Faktorisierungsansatz

ıy.x/ D  .x/: (6.89)

Die neuartige Variation ı wird hier „aufgeteilt“


 auf das wohldefinierte  ! 0 der Analysis,
 und auf eine beliebige, nicht infinitesimale Funktion .x/.
Es sei  D 0 an den Integrationsgrenzen (keine Randvariation).
Es wird nicht behauptet, dass (6.89) alle Variationen ıy erfasst.
Wir erhalten also wieder nur hinreichende Bedingungen. Nun ist

.a/
0 D ıJ Œy; y 0 
Z
D ı dx F .x; y.x/; y 0 .x//
Z Z
D dx F .x; y.x/ C ıy.x/; y 0 .x/ C ıy 0 .x//  dx F .x; y.x/; y 0 .x//
Z Z
D dx F .x; y.x/ C .x/; y 0 .x/ C 0 .x//  dx F .x; y.x/; y 0 .x//

D JQ ./  JQ .0/ D dJQ .0/:


.b/
(6.90)
6.9 Höhere Differentialordnung 129

In .a/ ist J ein Funktional von y und y 0 .


In .b/ wird JQ als Funktion von  aufgefasst.

Wir fordern also

dJQ
. D 0/ D 0 (6.91)
d
für
Z
JQ ./ D dx F .x; y.x/ C .x/; y 0 .x/ C 0 .x//: (6.92)

Daher ist
Z 
dJQ @F d.y.x/ C .x// @F d.y 0 .x/ C 0 .x//
D dx C 0
d @y d @y d
Z 
@F @F 0
D dx .x/ C 0  .x/
@y @y
Z 
@F d @F
D dx  .x/; (6.93)
@y dx @y 0

wiederum nach partieller Integration ohne Randvariation.


Da .x/ beliebig ist, gilt nach dem Fundamentallemma wieder

@F d @F
 D 0: (6.94)
@y dx @y 0

Eine sehr elegante Herleitung von (6.94) gibt Siegel (1956, S. 1).
Er führt eine parametrisierte Schar von Testfunktionen y."I x/ ein.

6.9 Höhere Differentialordnung


0 00
R F D F .x; y; y ; y / her.
Wir leiten die ELG nun für den Fall
Gesucht ist dasjenige y.x/, das dx F minimiert. Wir haben

Zx2
0Dı dx F .x; y.x/; y 0 .x/; y 00 .x//
x1
Z
D dx ıF .x; y.x/; y 0 .x/; y 00 .x/
Z  
@F @F @F
D dx ıy C 0 ıy 0 C 00 ıy 00
@y @y @y
130 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Z  
@F @F d @F d 0
D dx ıy C 0 ı y C 00 ı y
@y @y dx @y dx
Z  
@F @F d @F d
D dx ıy C 0 ıy C 00 ıy 0
@y @y dx @y dx
Z  
.a/ @F d @F d @F 0
D dx ıy  ıy  ıy
@y dx @y 0 dx @y 00
Z  
@F d @F d @F d
D dx ıy  ıy  ıy
@y dx @y 0 dx @y 00 dx
Z  
.b/ @F d @F d2 @F
D dx  C ıy.x/: (6.95)
@y dx @y 0 dx 2 @y 00
.a/ Damit alle Randterme der partiellen Integration verschwinden, sei

ıy.x1 / D ıy.x2 / D ıy 0 .x1 / D ıy 0 .x2 / D 0: (6.96)

.b/ Hier wird der dritte Summand erneut partiell integriert.


Die ELG lautet also
@F d @F d2 @F
 C D 0: (6.97)
@y dx @y 0 dx 2 @y 00
1
Achtung, im letzten Term steht kein 2
wie bei der Taylorreihe.

6.10 Mehrere Variablen

Oft braucht man neben oder statt x oder t weitere Variablen:


 x und t bei der schwingenden Saite,
 x; y; t bei der schwingenden Membran oder Gezeitenschwingungen,
 ˚c ; Ax ; Ay ; Az bei Euler-Lagrange-Formulierung
’ der Elektrodynamik.
Es sei z. B. ein z.x; y/ gesucht, das dx dy F .x; y; z; zx ; zy / minimiert.
Zur Abkürzung ist wieder zx D @z=@x und zy D @z=@y.
Wir betrachten jetzt genauer den Rand des Integrationsgebiets G.
Die schon bekannte Rechnung ergibt

0Dı dx dy F .x; y; z.x; y/; zx .x; y/; zy .x; y//
G
“  
@F @F @F
D dx dy ız C ızx C ızy
@z @zx @zy
“  
@F @F @ @F @
D dx dy ız C ız C ız
@z @zx @x @zy @y
“  
@F @ @F @ @F
D dx dy ız   ız: (6.98)
@z @x @zx @y @zy
6.11 Die Oszillatorkette 131

Damit die Randterme bei partieller Integration verschwinden, muss

ızj@G D 0 (6.99)

sein auf der gesamten Randlinie von G. Die ELG ist jetzt

@F @ @F @ @F
  D0 (6.100)
@z @x @.@z=@x/ @y @.@z=@y/

Auch dies wurde erstmals von Euler angegeben, siehe Euler (1744).

6.11 Die Oszillatorkette

Wie sieht ein konkretes L im letzteren Fall aus?


Als Beispiel betrachten wir die schwingende Saite mit den Variablen x; t.
Unendlich viele Massen m und Federn k liegen entlang der x-Achse.
Der Ruheabstand zweier Massen sei a, die Massenorte seien Xi .
Die kinetische Energie des Systems ist
1 X P2
T D m Xi ; (6.101)
2
i

die potentielle Energie ist


1X
V D k.Xi C1  Xi /2 : (6.102)
2
i

Wir kümmern uns nicht weiter um die Randterme.


Die Lagrangefunktion ist, wobei wir mit a erweitern,
"   #
1X m P2 Xi C1  Xi 2
LDT V D a X  ka : (6.103)
2 a i a
i

Es sei nun a ! 0; m ! 0; k ! 1:
  D m=a ist die Linienmassendichte,
  D ka ist die Dehnbarkeit der Federkette (Young-Modul).
 und  seien dabei endlich. Wir ersetzen nun

Xi .t/ ! X.t; x/: (6.104)

Das kontinuierliche x gibt z. B. den Ruheort der betrachteten Masse an.


Damit können wir auch ansetzen
Xi C1  Xi @X
lim D D X 0: (6.105)
a!0 a @x
132 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Die Summe über i wird also zum Integral


Z
1  
LD dx XP 2  X 02 : (6.106)
2

Man nennt
1 P2 1
LD X  X 02 (6.107)
2 2
die Lagrangedichte. Die Euler-Lagrange-Gleichung ist gemäß (6.100)

@ @L @ @L @L
C  D 0: (6.108)
@t @XP @x @X 0 @X

Einsetzen ergibt

XR  c 2 X 00 D 0; (6.109)

mit der Wellengeschwindigkeit


p
cD =: (6.110)

Die partielle DGL (6.109) ist die eindimensionale Wellengleichung.


Sie beschreibt z. B. Longitudinalschwingungen eines elastischen Stabs.

Wir leiten (6.109) zum Vergleich auch ohne ELG her.


Gegeben sei wieder die unendliche Oszillatorkette mit Massenorten Xi .
Dann lautet die Oszillatorbewegungsgleichung

mXR i D k.Xi  Xi 1 / C k.Xi C1  Xi /; (6.111)

also mit ! 2 D k=m:

XRi  ! 2 .Xi C1  2Xi C Xi 1 / D 0: (6.112)

Auf der positiven x-Achse seien äquidistante Punkte

x0 ; x 1 ; x1 ; x 3 ; x2 ; x 5 ; : : :
2 2 2

gegeben. Die Indizes und ihre Inkremente sollen halbzahlig sein,

1 1
: : : ; i  1; i  ; i; i C ; i C 1; : : :
2 2
Dies hat keine weitere Bedeutung, vereinfacht aber die Rechnung.
Es sei xi C 1  xi  1 D xi C1  xi D L D const für alle i.
2 2
6.12 Die Wellengleichung 133

Für L ! 0 wird die zentrierte erste Ableitung von X angenähert durch

Xi C 1  Xi  1
Xi0 D 2 2
(6.113)
L
und entsprechend

Xi  Xi 1 Xi C1  Xi
Xi0 1 D ; Xi0C 1 D : (6.114)
2 L 2 L
Dann ist die diskretisierte zweite räumliche Ableitung

X0  X0
iC 1 i 1
Xi00 D 2 2

L
Xi C1  Xi Xi  Xi 1

(6.114)
D L L
L
Xi C1  2Xi C Xi 1
D : (6.115)
L2
Damit wird (6.112) zu

XRi  ! 2 L2 Xi00 D 0: (6.116)

Statt i kann man jetzt wieder das kontinuierliche x schreiben.


Sei noch c D !L die Wellengeschwindigkeit.
Dann lautet die eindimensionale Wellengleichung wieder

R
X.x; t/  c 2 X 00 .x; t/ D 0 (6.117)

Die Oszillatororte X sind hier die Auslenkungen aus der Ruhelage.


Dies wird verallgemeinert zu einer Wellenamplitude .

6.12 Die Wellengleichung

Eine der Fundamentalgleichungen der Physik ist somit


 
@2 2 @
2
 c .x; t/ D 0 (6.118)
@t 2 @x 2

Dies ist die eindimensionale Wellengleichung für eine Amplitude .


Wellen breiten sich in elastischen Medien aus.
Und jeder ausgedehnte Körper ist ein elastisches Medium:
Gase, Flüssigkeiten, Festkörper; Sterne, Gasnebel, Galaxien.
134 6 Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art

Die Amplitude kann sein:


 Auslenkung (einer Saite)
 Wasserhöhe (bei Wasserwellen)
 Druck (bei Schallwellen)
 Magnetfeld (bei Alfvénwellen in Plasmen)
 elektrisches und magnetisches Feld (bei Lichtwellen)
Die allgemeine Lösung von (6.118) ist

.x; t/ D f .x ˙ ct/; (6.119)

wobei f eine beliebige Funktion ist. Man nennt f ein Signal.


f ist konstant, wenn sein Argument x  ct konstant ist; man sagt:
Das Signal breitet sich mit fortschreitender Zeit zu größeren x hin aus.
Beim Argument x C ct breitet sich das Signal zu kleineren x hin aus.

Die interessantesten Lösungen sind die harmonischen Wellen

.x; t/ D A e i.kx!t / : (6.120)

A ist die Amplitude; wir verzichten zur Einfachheit auf eine Phase.
Einsetzen in (6.118) ergibt

.! 2 C c 2 k 2 / e i.kx!t / D 0: (6.121)

Dispersionsrelation nennt man die Funktion ! D !.k/, die aus

Æ.k; !/ D ! 2 C c 2 k 2 D 0 (6.122)

folgt. Æ (Beth gesprochen) ist allgemein ein Polynom in k und !.


Æ korrespondiert direkt mit dem Differentialoperator

@2 2 @
2
Dxt D  c (6.123)
@t 2 @x 2
der Wellengleichung. Die einfachste Dispersionsrelation ist somit
!
D ˙c: (6.124)
k
Es gibt verschiedene Differentialoperatoren D, die Wellen beschreiben.
Alle sogenannten hyperpolischen partiellen DGL beschreiben Wellen.
Wir betrachten hier nur die linearen Wellengleichungen.
Das soll heißen, D ist ein linearer Differentialoperator; insbesondere ist
X @m @n
Dxt D amn ; (6.125)
@x m @t n
Literatur 135

mit Koeffizienten amn . Anwendung auf die harmonische Welle ergibt


X
Dxt e i.kx!t / D .1/n i mCn amn k m ! n e i.kx!t / D Æ.k; !/e i.kx!t / :
(6.126)

Die Dispersionsrelation !.k/ folgt wieder aus

Æ.k; !/ D 0 (6.127)

und beschreibt Ausbreitung, Anwachsen und Zerlaufen der Welle.

Literatur
Euler L., Methodus Inveniendi Lineas Curvas, M. M. Bousquet, Lausanne, Genf, 1744
Neumann M., Kapitalbildung, Wettbewerb und ökonomisches Wachstum, Springer, Berlin, Heidel-
berg, New York, 1968
Siegel C., Vorlesungen über Himmelsmechanik, Springer, Berlin, Göttingen, Heidelberg, 1956
Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art
7

7.1 Zwangsbedingungen

Bisher nahmen wir an, die unabhängigen Koordinaten qi zu kennen.


Bei komplexen Systemen kennt man die unabhängigen qi oft nicht.
Wodurch werden Koordinaten abhängig?
Dies geschieht durch Zwangsbedingungen (Nebenbedingungen, Zwänge).
So werden Bahnen durch Stangen, Rollen usw. eingeschränkt.
Es gibt eine ausgefeilte Theorie der Zwänge, siehe Sundermeyer (1982).
Dieses Kapitel behandelt Zwangsbedingungen der Form g.q; q/ P D 0.
Oft liegt die Bahn einer Masse in einer vorgegebenen Fläche des R3 .
So beim mathematischen Pendel in der Halbsphäre, mit

g.x; y; z/ D x 2 C y 2 C z 2  l 2 D 0: (7.1)

(Dies ist die Vollsphäre; wir verzichten auf den Zwang z < 0.)
Oder das Pendel ist auf eine Kreisbahn in der xz-Ebene fixiert,

g.x; y; z/ D x 2 C y 2 C z 2  l 2 D 0 und h.x; y; z/ D y D 0: (7.2)

Zwänge, die nur von Ortskoordinaten abhängen, heißen holonom.


Dabei sind mit Ortskoordinaten Längen, Winkel, Abstände gemeint.
Holonome Zwänge sind also rein geometrische Zwänge.
Allgemeine Zwänge sind geometrisch-kinematisch oder nicht-holonom,

P D 0:
g.q; q/ (7.3)

Zwänge können auch die Form g < 0 haben, z. B. in der Gaskinetik;


so, wenn die Bewegung auf ein festes Volumen begrenzt ist.
Zwänge können auch zeitabhängig sein (z. B. durch bewegte Wände).
Die letzten zwei Verallgemeinerungen werden hier nicht betrachtet.

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_7, 137


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
138 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

7.2 Prinzip der virtuellen Arbeit

Man kann holonome Zwänge geometrisch und dynamisch beschreiben:


 Ein Fadenpendel bewegt sich in der Halbsphäre g D 0 (Geometrie),
 und dies geschieht aufgrund der Zugkraft FEz im Faden (Dynamik).
Für einen Massenpunkt ist die Verknüpfung beider Standpunkte

FEz D rg (7.4)

wobei z ab jetzt für „Zwang“ steht und ein Proportionalitätsfaktor ist.


Gleichung (7.4) ist einleuchtend: Die Bahn rE.t/ liegt in der Niveaufläche g D 0.
Die Zwangskraft steht als Führungskraft senkrecht zu g D 0.
Die Zwangskraft ist also proportional zum Gradienten von g.
Sei TP die Tangentialebene der Zwangsfläche g im Punkt P . Dann ist

dEr  FEz D 0 für dEr 2 TP (7.5)

Im Folgenden sagen wir wieder einfach: dEr liegt in der Zwangsfläche.


Gleichung (7.5) gilt in jedem Punkt der Zwangsfläche, und somit gilt:
Die Zwangskraft verrichtet keine Arbeit.

Dies wird verallgemeinert zum Prinzip der virtuellen Arbeit (PvA):


In Systemen mit beliebig vielen Freiheitsgraden und Zwängen gilt:
Die Summe der von allen Zwangskräften verrichteten Arbeit ist null.
Die Arbeit wird hier auf Wegen verrichtet, die den Zwängen genügen.
Planck (1921, §94, S. 134) beweist das PvA für den starren Körper;
Hamel (1927, §13, S. 10) beweist es für inkompressible Flüssigkeiten.
Sommerfeld (1943) zeigt die Gültigkeit des PvA für diverse Systeme:
Hebel, Führungsstange, Brücke, Seil, Flaschenzug, Kurbel.
Das Prinzip ist für alle bis jetzt bekannten idealisierten Systeme mit Bindungen beweisbar.
(Hamel 1927, S. 17)
Es liegt uns fern, dieses Postulat allgemein beweisen zu wollen. Wir sehen es vielmehr ge-
radezu als Definition des Begriffes ‚mechanisches System‘ an. (Sommerfeld 1943, S. 49)

Schaefer und Päsler (1962) und Dugas (1988) geben historische Details.
Wir erläutern noch den Begriff der virtuellen Verrückung.
Auf einen Massenpunkt wirke die Kraft FE und die Zwangskraft FEz :

mrER D FE C FEz : (7.6)

Mit einem Differential ıEr ist dann

.mrER  FE /  ıEr D FEz  ıEr : (7.7)


7.3 Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art 139

Liegt ıEr nun in der Zwangsfläche, dann folgt mit dem PvA

.mrER  FE /  ıEr D 0: (7.8)

Die Zwangskraft ist scheinbar verschwunden!


Sie steckt implizit in ıEr , das auf die Zwangsfläche beschränkt ist.
Solche ıEr nennt man (etwas irreführend) virtuelle Verrückungen.
Für ein System von N Massenpunkten ergibt das PvA anstelle von (7.8)

X
N
.mi rERi  FEi /  ı rEi D 0: (7.9)
i D1

Die Klammern verschwinden im allgemeinen nicht einzeln.

7.3 Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art

Beim einzelnen Massenpunkt mit Zwang gibt es die Zwangskraft (7.4).


Wir zeigen nun für Systeme mittels PvA für jedes kartesische xi :
Jeder Zwang gk D 0 ergibt eine Zwangskraft k @gk =@xi in Richtung xi .
Dies legt die Bewegungsgleichungen für Bewegung unter Zwängen fest.
Das Folgende setzt keine Euler-Lagrange-Formulierung voraus.
Wir entwickeln den Formalismus daher unter folgenden Vereinfachungen:
 Newton II
 kartesische Koordinaten
 holonome Zwänge
Gegeben seien wieder N Massenpunkte mit n D 3N Freiheitsgraden.
Diese unterliegen m < n holonomen (geometrischen) Zwängen

g1 .x1 ; : : : ; xn / D 0;
::
: (7.10)
gm .x1 ; : : : ; xn / D 0:

(Eine Verwechslung des Index m mit der Masse m ist kaum möglich.)
Es verbleiben n  m Freiheitsgrade. Das PvA lautet nach (7.9)

X
n
0D .Fi  mi xR i / ıxi : (7.11)
i D1

Hier ist natürlich m1 D m2 D m3 und m4 D m5 D m6 usw.


140 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Erste Idee: Auf der gesamten Bahn gilt gk D 0 für k D 1 bis m.


Also gilt auf der gesamten Bahn ıgk D 0. Dieser Schritt ist kritisch:
Im Allgemeinen ist an Nullstellen von Funktionen deren Zuwachs ungleich null!
Doch hier ist g in der Hyperfläche konstant, also der Zuwachs null:

X
n
@gk
0 D ıgk D ıxi : (7.12)
@xi
i D1

Dies sind m Nullen. Wir multiplizieren sie mit m Zahlen k und addieren,

X
m X
n
@gk
0D k ıxi : (7.13)
@xi
kD1 i D1

Wir addieren diese Null zum PvA (7.11) und vertauschen die Summen,
!
X
n X
m
@gk
0D Fi  mi xR i C k ıxi : (7.14)
@xi
i D1 kD1

Wir legen nun die k so fest, dass jede der n Klammern verschwindet!

Zweite Idee: Es gibt n  m unabhängige xi .

Es gibt also eine Wahl der Koordinatennamen xi , so dass


x1 ; : : : ; xm abhängig und xmC1 ; : : : ; xn unabhängig sind. (‘)

Wir brauchen im Folgenden diese Wahl nie explizit anzugeben.


Wir brauchen die unabhängigen xi also nicht aktual zu kennen.
Wir sind also nicht im Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art.
Insbesondere taucht im Endergebnis die Voraussetzung (‘) nicht auf!
Die 1 ; : : : ; m werden so gewählt, dass für die abhängigen x1 ; : : : ; xm gilt:

X
m
@gk
0 D Fi  mi xR i C k für i D 1; : : : ; m: (7.15)
@xi
kD1

Dass dies möglich ist, sieht man wie folgt:


Sei abkürzend bi D mi xR i  Fi und Aki D @gk =@xi . Wir fordern also

X
m

k Aki D bi für i D 1; : : : ; m: (7.16)


kD1

Die inverse Matrix A1 existiert, sonst hätte man abhängige Zwänge:
x1 ; : : : ; xm sind von xmC1 ; : : : ; xn abhängig, aber untereinander unabhängig.
7.3 Herleitung der Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art 141

Wir kürzen A1 1


i l D .A /i l ab. Multiplikation von (7.16) mit A
1
ergibt

X
m X
m X
m X
m
1
k Aki Ai l D k ıkl D l D bi A1
il : (7.17)
kD1 i D1 kD1 i D1

Dies ist der gesuchte -Tupel mit m Komponenten.

Nun weiter: Wegen (7.15) bleibt von (7.14) nur


!
X
n X
m
@gk
0D Fi  mi xR i C k ıxi : (7.18)
@xi
i DmC1 kD1

übrig. Doch die Koordinaten xmC1 ; : : : ; xn sind unabhängig.


Alle Inkremente ıxmC1 ; : : : ; ıxn können also frei gewählt werden.
Man setze alle ıxj D 0 bis auf ein einziges ıxi .
Dann muss für dieses i die runde Klammer in (7.18) verschwinden.
Indem man dies für i von m C 1 bis n wiederholt, erhält man

X
m
@gk
0 D Fi  mi xR i C k für i D m C 1; : : : ; n: (7.19)
@xi
kD1

(7.15) und (7.19) ergeben zusammen

X
m
@gk
mi xR i D Fi C k für i D 1; : : : ; n (7.20)
@xi
kD1

Dies sind die gesuchten Bewegungsgleichungen.


Für abhängige wie unabhängige xi gelten dieselben Gleichungen! Nämlich
 für Gleichung 1 bis m wegen der Wahl von 1 ; : : : ; m ,
 für Gleichung m C 1 bis n wegen Unabhängigkeit der xmC1 ; : : : ; xn .
Die Unterscheidung abhängig/unabhängig war nötig in der Herleitung.
Sie taucht aber im Resultat (7.20) nicht mehr auf.
Man braucht die Trennung abhängig/unabhängig nie real zu vollziehen!

Insgesamt gibt es nun n C m Unbekannte x1 ; : : : ; xn ; 1 ; : : : ; m .


Sie werden aus den n C m Gleichungen (7.10) und (7.20) bestimmt.
Diese stehen n  m Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art gegenüber.
Beim Fadenpendel auf einer Kreisbahn in der xz-Ebene z. B. gibt
 Euler-Lagrange 1. Art: 3 C 2 D 5 Gleichungen für x; y; z; 1 ; 2 ,
 Euler-Lagrange 2. Art: 3  2 D 1 Gleichung für '.
Euler-Lagrange 1. Art erfordert also einen großen Rechenaufwand.
Doch sind die oft nur Zahlen, keine Funktionen .t/.
142 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

7.4 Virtuelle Arbeit und Zwangskraft

Wie berechnet man Zwangskräfte?


Wir schreiben dazu (7.20) als Vektorgleichung für die j -te Masse

X
m
mj rERj D FEj C k rrEj gk : (7.21)
kD1

Auf mj wirken die Kraft FEj und die Zwangskraft FEj0 , mit

X
m
FEj0 D k rrEj gk (7.22)
kD1

Dies ist die fundamentale Gleichung für Zwangskräfte.

Als Beispiel betrachten wir wieder das Fadenpendel:


Welche Kraft wirkt im Faden der konstanten Länge l?
Die Bewegung soll auf einer Kreisbahn erfolgen.
In Polarkoordinaten lautet die Zwangsbedingung dann

G.r; '/ D r  l D 0: (7.23)

(G dient zur Unterscheidung von der Schwerebeschleunigung g.)


Gleichung (7.21) lautet, nach Kürzen von m,

l 'R D g sin '  @G=@' D g sin ';


0 D rR D g cos ' C l 'P 2  @G=@r D g cos ' C l 'P 2  : (7.24)

Hierbei wurde benutzt:


 In r-Richtung
O wirkt die Zentrifugalbeschleunigung,
 in Or -Richtung wirkt die Zwangskraft, daher m .
Der Energiesatz ist T C V D E, mit T D 12 ml 2 'P 2 und V D mgh, mit

h D l.1  cos '/: (7.25)

Die Gesamtenergie E schreiben wir noch um:


Sei '0 die höchste Stelle des Pendels, wo 'P0 D 0 ist. Also ist dort

E D mgl.1  cos '0 /: (7.26)

Damit ist der Energiesatz

1 2 2
ml 'P D mgl.cos '  cos '0 / 0: (7.27)
2
7.5 Euler-Lagrange 1. Art für verallgemeinerte Koordinaten 143

Daraus erhält man l 'P 2 . Setzt man dies in (7.24) ein, so folgt

D 3g cos '  2g cos '0 : (7.28)

Hierbei wurde keine Näherung kleiner ' verwendet.


Geht das Pendel genau bis zur Decke, '0 D =2, so ist die Zwangskraft

Fr0 D 3mg cos ': (7.29)

Also ergibt sich 0 an der Decke und 3mg im tiefsten Punkt der Bahn.
Diese Rechnung folgt Budo (1967, S. 114).

7.5 Euler-Lagrange 1. Art für verallgemeinerte Koordinaten

Wir leiten die Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art in q-Koordinaten her.


Das Prinzip der kleinsten Wirkung ist, unter den üblichen Annahmen,
Z Z Z n 
X 
@L d @L
0 D ıS D ı dt L D dt ıL D dt  ıqi : (7.30)
@qi dt @qPi
i D1

Für m Zwänge gk D 0 ist wegen ıgk D 0 wieder

X
m
0D k ıgk
kD1
Xn Xm
@gk
D k ıqi (7.31)
@qi
i D1 kD1

für holonome Zwänge gk .q1 ; : : : ; qn / und nach Summenvertauschung.


Wir addieren diese Null zu (7.30),
Z !
X n
@L d @L X
m
@gk
0 D dt  C k ıqi : (7.32)
@qi dt @qPi @qi
i D1 kD1

Die Indizes sind so wählbar, dass q1 ; : : : ; qm abhängig sind.


1 ; : : : ; m werden so gewählt, dass die ersten m Klammerterme 0 sind.
Die Klammerterme für i D m C 1 bis n verschwinden ebenfalls;
denn ıqmC1 ; : : : ; ıqn sind linear unabhängig.
Also verschwinden alle Klammerterme individuell, und es folgt für i D 1 bis n

d @L @L X
m
@gk
 D k (7.33)
dt @qPi @qi @qi
kD1
144 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Dies sind die Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art für holonome Zwänge.


Man vergleiche dieses Ergebnis mit Gleichung (7.20).
Links stehen Beschleunigung und negative Kraft entlang der Bahn;
rechts steht die Zwangskraft, die die Bahn auf gi D 0 einschränkt.

Wir wollen noch die Zwangskraft in (7.33) expliziter ausdrücken.


Mit L D T  V wird (7.30) zu
Z n 
X 
@T d @T
0D dt  C Qi ıqi ; (7.34)
@qi dt @qPi
i D1

mit der verallgemeinerten Kraft(komponente)

@V d @V
Qi D  C : (7.35)
@qi dt @qPi

Der zweite Summand tritt z. B. bei der Reibungskraft auf.


Für verallgemeinerte Zwangskräfte Qi0 setzen wir als PvA an:

X
n
Qi0 ıqi D 0; (7.36)
i D1

also erhalten wir durch plausiblen Vergleich mit (7.31)

X
n X
n X
m
@gk
Qi0 ıqi D k ıqi : (7.37)
@qi
i D1 i D1 kD1

Denn dann wird (7.30) mit der dazu addierten Null (7.31) zum erwarteten
Z n 
X 
@T d @T 0
dt  C Qi C Qi ıqi : (7.38)
@qi dt @qPi
i D1

7.6 Euler-Lagrange 1. Art für nichtholonome Zwänge

Wir verallgemeinern das Bisherige nun auf m nichtholonome Zwänge:

gk .q1 ; : : : ; qn ; qP 1 ; : : : ; qPn / D 0: (7.39)

Die folgende Rechnung wird sehr kompakt, wenn man definiert:

X
m
Q
L.q; P D L.q; q/
q/ P C P
k gk .q; q/: (7.40)
kD1
7.6 Euler-Lagrange 1. Art für nichtholonome Zwänge 145

Für die Bahnlösung qi .t/, die die Zwänge gk D 0 erfüllt, ist LQ D L.


Wir schreiben einmal aus, was im Folgenden implizit bleiben kann:
n 
X 
@L @L
ı LQ D ıqi C ı qPi
@qi @qPi
i D1
X n Xm  
@gk @gk
C k ıqi C ı qPi : (7.41)
@qi @qPi
i D1 kD1

Die zweite Zeile entspricht gerade der Null in (7.31).


Das Prinzip der kleinsten Wirkung ist nun
Z
0 D dt ı LQ
Z " #
X n
@LQ @LQ
D dt ıqi C ı qP i
@qi @qPi
i D1
Z " #
X n
@LQ @LQ d
D dt ıqi C ıqi
@qi @qPi dt
i D1
Z " #
X n
@LQ d @LQ
D dt  ıqi : (7.42)
@qi dt @qPi
i D1

R
Die erste Zeile, dt ı LQ D 0, beinhaltet
R zweierlei:
das dynamische Extremalprinzip dt ıL D 0 und die Zwänge g D 0.
Zuletzt wurde partiell integriert, mit verschwindender Randvariation.
Nach dem bekannten Argument soll jede Klammer in (7.42) verschwinden:
 Die q1 ; : : : ; qm seien die abhängigen Koordinaten.
Wähle die i so, dass jede Klammer für i D 1; : : : ; m verschwindet.
 Die qmC1 ; : : : ; qn seien die unabhängigen Koordinaten.
Also verschwindet jede Klammer für i D m C 1; : : : ; n.

d @L Q @LQ X
m
 D 0; mit LQ D L C k gk (7.43)
dt @qPi @qi
kD1

Dies sind die Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art, mit LQ statt L.


Für holonome Zwänge ist dies wieder (7.33).
Die jetzige Herleitung gilt auch für Funktionen .t/.
Schreibt man noch LQ D T  V  VQ , so hat man als Zwangspotential

X
m
VQ D  k gk : (7.44)
kD1
146 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Abb. 7.1 Variation ıy1


zusammen mit der zur
Aufrechterhaltung der
Zwangsbedingung erfor-
derlichen Variation ıy2

7.7 Eulers originale Herleitung

Wenig bekannt ist, dass schon Euler die ELG 1. Art hergeleitet hat.
Seine Methode (s. Euler 1744) ist sehr direkt und gut nachvollziehbar.
Wir betrachten dazu wieder ein rein mathematisches Problem.
Die Variable sei x, die gesuchte Funktion y.x/.
Die Aufgabenstellung ist ein Extremalproblem mit Zwangsbedingung:
Z
dx f .x; y.x/; y 0 .x// D Max/Min;
Z
dx g.x; y.x/; y 0 .x// D 0: (7.45)

Natürlich kann jeder Zwang g D 0 so geschrieben werden.


Variation ergibt für Extramalproblem und Zwangsbedingung:
Z
ı dx f D 0;
Z
ı dx g D 0: (7.46)

Man hat hier Reziprozität von Zwang und Extremalforderung.


Zum Beispiel haben die Fragen nach der geometrischen Figur mit
 der größten Fläche bei gegebenem Umfang und
 dem kleinsten (!) Umfang bei gegebener Fläche
dieselbe Antwort, den Kreis.
Wir variieren wieder y1 im Punkt x1 um ıy1 .
Diese Variation erfährt nun aber folgende Erweiterung (siehe Abb. 7.1):
Der Zwang (7.45) wird erfüllt durch ein passendes ıy2 bei x2 D x1 C dx.

Wir benutzen zur Abwechslung rechtsseitige Ableitungen. Damit ist


ıy1
ıy00 D ;
dx
y2 C ıy2  .y1 C ıy1 / y2  y1 ıy2  ıy1
ıy10 D  D ; (7.47)
dx dx dx
ıy2
ıy20 D  :
dx
7.7 Eulers originale Herleitung 147

Die Integrale in (7.46) werden als Summen geschrieben.


Variation in den Punkten x1 und x2 führt dann zu

ıf0 C ıf1 C ıf2 D 0; (7.48)


ıg0 C ıg1 C ıg2 D 0; (7.49)

mit
@f0 @f0
ıf0 D ıy0 C 0 ıy00
@y0 @y0
@f0 ıy1
D 0 C 0 ;
@y0 dx
@f1 @f1
ıf1 D ıy1 C 0 ıy10
@y1 @y1
@f1 @f1 ıy2  ıy1
D ıy1 C 0 ;
@y1 @y1 dx
@f2 @f2 ıy2
ıf2 D ıy0  0 ; (7.50)
@y2 @y2 dx

und genauso für g. Einsetzen in (7.48) gibt


0 @f1 @f0
1 0 @f2 @f1
1
0  0 
@f @y @y @f2 @y20 @y10
@ 1  1 0 A
ıy1 C @  A ıy2 D 0: (7.51)
@y1 dx @y2 dx

Dies kann mit rechtsseitigen Differentialen geschrieben werden als


   
@f1 d @f0 @f2 d @f1
 ıy 1 C  ıy2 D 0: (7.52)
@y1 dx @y00 @y2 dx @y10

Es ist
d @f0 dh1 d @f1 d2 @f1
0 D h0 D h1  dx D 0  dx : (7.53)
dx @y0 dx dx @y1 dx 2 @y10

Hier ist h eine Hilfsfunktion, um die Taylorentwicklung zu überblicken.


Im Limes dx ! 0 kann der zweite Summand weggelassen werden.
Genauer gilt dies, wenn die zweite Ableitung von f endlich ist. Also ist
   
@f1 d @f1 @f2 d @f2
 ıy1 C  ıy2 D 0;
@y1 dx @y10 @y2 dx @y20
   
@g1 d @g1 @g2 d @g2
 ıy1 C  ıy2 D 0; (7.54)
@y1 dx @y10 @y2 dx @y20

wobei auch die Gleichung für g hinzugenommen wurde.


148 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Dies ist erwartungsgemäß ein lineares Gleichungssystem für ıy1 ; ıy2 .


Wir kürzen es ab mittels der sogenannten Eulerableitung

Df @f d @f
D  (7.55)
Dy @y dx @y 0
zu
Df1 Df2
ıy1 C ıy2 D 0;
Dy1 Dy2
Dg1 Dg2
ıy1 C ıy2 D 0: (7.56)
Dy1 Dy2
Die Determinante des Systems muss verschwinden,

Df1 Dg2 Df2 Dg1


 D 0: (7.57)
Dy1 Dy2 Dy2 Dy1

Für D=Dy gelten die bekannten Differentiationsregeln;


also gilt insbesondere die Taylorreihenformel.
Wir verzichten auf den Nachweis (auch Euler vergaß ihn!). Dann ist

Df2 Df1 D2 f1
D C ;
Dy2 Dy1 Dy12
Dg2 Dg1 D2 g1
D C : (7.58)
Dy2 Dy1 Dy12

 wird im Folgenden nicht gebraucht und ist daher nicht ausgeschrieben.


Gleichung (7.58) in (7.57) einsetzen ergibt

D2 f1 =Dy12 D2 g1 =Dy12
D : (7.59)
Df1 =Dy1 Dg1 =Dy1
Das Argument heißt nunmehr überall 1.
Es steht für jedes beliebige x und kann also weggelassen werden.
Wir definieren Hilfsgrößen a D Df =Dy und b D Dg=Dy. Dann ist (7.59)

Da=Dy Db=Dy
D : (7.60)
a b
Wir integrieren nach Variablensubstitution (dies ist für D möglich):
Z Z Z Z
Da Da=Dy Db=Dy Db
D Dy D Dy D : (7.61)
a a b b
Also ist mit einer Integrationskonstanten

ln a D ln b C ln (7.62)
7.8 Isoperimetrisches Problem 149

und somit

aDb : (7.63)

Schreiben wir nun a und b wieder aus, so ist


 
@f d @f @g d @g
 D  : (7.64)
@y dx @y 0 @y dx @y 0
Für die Mechanik mit Lagrangefunktion L und Zwang g heißt das
 
@L d @L @g d @g
 D  : (7.65)
@q dt @qP @q dt @qP
Dies kann nun auf n Koordinaten und m Zwänge verallgemeinert werden.
Euler erhält also die ELG 1. Art für nichtholonome Zwänge!
Entsprechend zum vorigen Abschnitt kann man LQ D L  g einführen.
Die obige Herleitung folgt Eulers Originalarbeit von 1744.

7.8 Isoperimetrisches Problem

Mit den ELG 1. Art lösen wir ein Problem aus der Antike:
Welche Kurve umschließt bei gegebenem Umfang eine maximale Fläche?
Sei y.x/ die gesuchte Kurve. Ihre Bogenlänge ist
Z Z p Z p
ds D dx 2 C dy 2 D dx 1 C y 02 .x/: (7.66)

Der Zwang lautet, in Eulerscher Formulierung (7.45), mit Schnurlänge l:

Zb Zb
0
p 
dx g.x; y; y / D dx 1 C y 02 .x/  l=.a  b/ D 0: (7.67)
a a

Also ist
p
g.x; y; y 0 / D 1 C y 02 .x/  l=.a  b/ (7.68)

und
Dg @g d @g
D 
Dy @y dx @y 0
d @ p
D 0  1 C y 02 .x/
dx @y 0
d y0
D p : (7.69)
dx 1 C y 02
150 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Die Extremaleigenschaft ist einfach zu formulieren (Fläche D Integral):


Z Z
Max D dx F .x; y; y 0 / D dx y.x/: (7.70)

Also ist F .x; y; y 0 / D y und damit

Df @f d @f
D  D 1: (7.71)
Dy @y dx @y 0

Die Euler-Lagrange-Gleichung 1. Art ist somit

d y0
p D 1: (7.72)
dx 1 C y 02

Also folgt

y0
dx D  d p ; (7.73)
1 C y 02

und nach erstem Integrieren (mit einer Konstanten x0 )

y0
x  x0 D  p : (7.74)
1 C y 02

Auflösen nach y 0 ergibt

dy x  x0
y0 D Dp : (7.75)
dx 2  .x  x0 /2

Die Integration führt zu


p
y  y0 D 2  .x  x0 /2 ; (7.76)

mit einer Konstanten y0 , also ist

.x  x0 /2 C .y  y0 /2 D 2
: (7.77)

Dies ist die Kreisgleichung, mit Radius r D und Mittelpunkt .x0 ; y0 /.


Wir betonen, dass i. A. eine Funktion der Variablen t bzw. x ist.
Dies ist weiter ausgeführt in
 Smirnow (1988, §78, S. 194; Differentialrechnung in Flächen)
 Fließbach (1996, S. 125; mittels Partition der Eins)
7.9 Lagrangesches Lemma 151

Abb. 7.2 Zum Lagrange-


schen Lemma: Der höchste
Punkt einer Straße (gerade
fette Linie) an einem Berg
(kreisförmige Höhenlinien)

7.9 Lagrangesches Lemma

Aus den ELG 1. Art entwickelte sich ein Satz der Analysis:
Auch dieses Lagrangesche Lemma handelt von Extrema unter Zwängen.
(Man spricht hier aber meist von Nebenbedingung statt von Zwang.)
Als einfaches Beispiel sei der höchste Punkt einer Bergstraße gesucht.
Nicht der Gipfel ist gefragt, sondern der höchste Straßenpunkt am Berg.
Seien h.x; y/ D const die Höhenlinien des Berges und g.x; y/ D 0 die Straße.
Die folgende Argumentation bezieht sich allein auf die xy-Ebene.
Wir nähern die Straße nahe dem Extremum durch eine Gerade an.
Anschaulich ist klar (siehe Abb. 7.2):
Die höchste Höhenlinie h wird nicht gekreuzt, sondern berührt.
Dies ist die Definition einer Tangente.
g D 0 und h D const haben im Extremum also eine gemeinsame Tangente.
Somit zeigen rg und rh in der xy-Ebene hier in die gleiche Richtung,
rh D rg: (7.78)
Soweit die Anschauung; formal ist die Argumentation kaum aufwendiger:
Sei dEs das Wegdifferential entlang der Straße.
An der höchsten Stelle der Straße gilt nach Definition des Gradienten
dh D rh  dEs D 0: (7.79)
Daher ist
rh ? dEs : (7.80)
Die Straße ist gegeben durch g D 0, also ist auch
rg ? dEs : (7.81)
Da beide Vektoren in der xy-Ebene liegen, sind sie parallel und (7.78) folgt.
Wir verallgemeinern dieses Argument nun auf zwei Zwänge im R3 .
Die weitere Verallgemeinerung ist dann einfach, siehe Forster (1977).
152 7 Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art

Lemma Seien f .Er /; g.Er / und h.Er / Skalarfelder des R3 .


f hat ein Extremum unter unabhängigen Nebenbedingungen g D h D 0
genau dann, wenn es ;  2 R gibt mit r.f C g C h/ D 0 und g D h D 0.

Man sagt, f C g C h habe ein Extremum ohne Nebenbedingung.


Doch ist dabei zu beachten, dass und  durch g D h D 0 festgelegt sind.

Beweis (nach Kaplan 1952, S. 128)


g D 0 ist eine Fläche im R3 , ebenso h D 0.
Diese Flächen schneiden sich entlang einer Kurve C .
Gesucht ist das Extremum von f entlang C .
Sei dEs ein Wegelement entlang C . Es soll gelten

df D rf  dEs D 0: (7.82)

Also ist rf ? dEs .


C und damit dEs liegen in der Fläche g D 0.
Aber rg steht senkrecht auf g D 0.
Also ist rg ? dEs ; und ebenso ist rh ? dEs .
Alle Vektoren, die senkrecht zu dEs stehen, liegen in einer Ebene.
Also liegen rf; rg; rh in einer Ebene, sind also linear abhängig, d. h.

9˛; ˇ;  2 R W ˛rf C ˇrg C rh D 0: (7.83)

Man kann ˛ ¤ 0 annehmen.


Denn sonst wären rg und rh parallel, g und h also abhängig.
Damit wäre die Prämisse unabhängiger Zwänge nicht erfüllt.
Division durch ˛ gibt dann die Behauptung des Lemmas.
Man sieht in (7.83) wieder die Reziprozität von Extremum und Zwang.

Literatur
Budo A., Theoretische Mechanik, 4. Aufl., Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin, 1967
Dugas R., A History of Mechanics, Dover, New York, 1988
Euler L., Methodus Inveniendi Lineas Curvas, M. M. Bousquet, Lausanne, Genf, 1744
Fließbach T., Mechanik, 2. Aufl., Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin, Oxford,
1996
Forster O., Analysis 2, Vieweg, Braunschweig, 1977
Hamel G., Die Axiome der Mechanik, in Handbuch der Physik, Band V, Hrsg. H. Geiger & K.
Scheel, Springer, Berlin, 1927
Kaplan W., Advanced Calculus, Addison-Wesley, Reading, Massachusetts, 1952
Planck M., Einführung in die Allgemeine Mechanik, 3. Aufl., S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1921
Schaefer C. & Päsler M., Einführung in die Theoretische Physik, I. Band, de Gruyter, Berlin, 1962
Smirnow, Lehrgang der höheren Mathematik, Teil IV/1, Deutscher Verlag der Wissenschaften,
Berlin, 1988
Sommerfeld A., Mechanik, Akademische Verlagsgesellschaft Becker und Erler, Leipzig, 1943
Sundermeyer K., Constrained Dynamics, Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1982
Hamiltonmechanik
8

8.1 Energieerhaltung

Gegeben seien ein System mit n Freiheitsgraden und die Transformation

xj D xj .q1 ; : : : ; qn / (8.1)

von kartesischen Koordinaten xj auf verallgemeinerte Koordinaten qj .


Für die Geschwindigkeiten gilt dann

X
n
@xj
xPj D qPk : (8.2)
@qk
kD1

Einsetzen in die kinetische Energie ergibt

1X 1 XXX @xj @xj


T D mj xPj xPj D mj qPk qP l : (8.3)
2 2 @qk @ql
j j k l

Wir schreiben dies als


XX
T D Akl qPk qPl ; (8.4)
k l

mit
1X @xj @xj
Akl .q1 ; : : : ; qn / D mj : (8.5)
2 @qk @ql
j

Wir betrachten Lagrangefunktionen der Form


XX
LDT V D Aij qPi qPj  V .q1 ; : : : ; qn /: (8.6)
i j

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_8, 153


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
154 8 Hamiltonmechanik

Der erste Term ist eine Quadratform in qP i .


Im Folgenden werden die Aij nicht weiter festgelegt, jedoch gilt Aij D Aj i .
Für die Hamiltonmechanik sind Skalarprodukte zentral.
Wir benutzen also wieder die Summationskonvention, L D Aij qPi qPj  V .

Wir definieren als Homogenität der Zeit:


Dasselbe Experiment hat zu allen Zeiten dasselbe Ergebnis (Bacon).
Daraus folgt – bei plausibler Formalisierung – die Energieerhaltung.
Bacons Postulat wird zu diesem Zweck übersetzt in
L D L.q.t/; q.t//;
P (8.7)
ohne explizite Zeitabhängigkeit.
Denn wenn L nicht explizit von t abhängt, sollte Bacons Satz gelten.
Somit ist @L=@t D 0. Es verbleibt die implizite t-Abhängigkeit über q; q,
P
dL @L @L
D qPj C qRj
dt @qj @qPj
d @L @L
D qPj C qRj
dt @qPj @qPj
 
d @L
D qPj : (8.8)
dt @qPj
In der zweiten Zeile wurde die ELG benutzt. Also ist
 
d @L dH
qPj L D D0 (8.9)
dt @qPj dt

mit einer neu definierten Hamiltonfunktion H .


H ist im Folgenden so wichtig wie bisher L.

Hilfssatz (Euler)
@T
qPj D 2T: (8.10)
@qPj

Beweis (mit Summationskonvention)


@T @  
qPj D qPj Akl .q1 ; : : : ; qn / qPk qPl
@qPj @qPj
@qPk @qPl
D qPj Akl qPl C qPj qPk Akl
@qPj @qPj
D qPj Akl ıkj qPl C qPj qP k Akl ılj
D Akl qP k qPl C Akl qP k qPl
D 2T: (8.11)
8.2 Impulserhaltung 155

Satz Der Wert der Hamiltonfunktion H ist die Gesamtenergie E.

Beweis Da V D V .q/ ist, gilt


@L @T
qPj D qPj D 2T: (8.12)
@qPj @qPj
Also wird (8.9) zu
dH d d dE
0D D .2T  .T  V // D .T C V / D : (8.13)
dt dt dt dt
(Wir fassen hier den Wert E als die konstante Funktion auf.)

8.2 Impulserhaltung

Definition: Homogenität des Raums heißt:


Dasselbe Experiment hat an allen Orten dasselbe Ergebnis. Genauer:
Das Ergebnis eines Experiments ist nach Parallelverschiebung gleich.
Und das Experiment wird nach erfolgter Verschiebung gemacht;
es wird hier also nicht Galileiinvarianz gefordert.

L soll unverändert bleiben bei Translation um  in i-Richtung.


Diese Verschiebung  kann als infinitesimal angenommen werden.
Die Änderung von L ist (nur Verschiebung, keine Relativgeschwindigkeit)
@L @L
0D dqj C dqPj
@qj @qPj
@L @L
D C 0: (8.14)
@qi @qPi
Von den Richtungen j D 1; 2; 3 liefert nur die i-Richtung einen Beitrag.
Da  beliebig ist, muss unter Benutzung der ELG 2. Art
@L d @L dpi
0D D D (8.15)
@qi dt @qPi dt
gelten, mit der Definition des kanonischen Impulses (i D 1; 2; 3)

@L
pi D (8.16)
@qPi

Für kartesische Koordinaten qi D xi ist pi der bekannte Impuls:


1
LD mxPj xPj  V .x/; (8.17)
2
156 8 Hamiltonmechanik

also
@L
pi D D mxPj ıij D mxP i : (8.18)
@xPi

Für nichtkartesische, krummlinige Koordinaten gilt nicht pi D mqPi .


Sondern mit (8.6) ist dann

pi D 2Aij qPj : (8.19)

Bei Winkelkoordinaten ist dies z. B. der projizierte Drehimpuls.

8.3 Drehimpulserhaltung

Definition: Isotropie des Raums bedeutet:


Ein Experiment verläuft in allen Raumrichtungen gleich.
Das Experiment rotiert nicht, sondern wird ausgerichtet und ruht dann.
Wir benutzen nun rEj ; vEj anstelle von verallgemeinerten Koordinaten;
und wir betrachten eine infinitesimale Drehung um d'. E
Mit der Eulerformel ist

dErj D d'E  rEj ;


drEPj D d'E  rEPj : (8.20)

Somit ist (die Summe über die Teilchennamen j wird ausgeschrieben)


X
rrEj L  dErj C rrEP L  drEPj
.a/
dL D
j
j
X d 
rrEP L  dErj C pEj  drEPj
.b/
D
dt j
j
X
D pEPj  dErj C pEj  drEPj
j
X
pEPj  .d'E  rEj / C pEj  .d'E  rEPj /
(8.20)
D
j
.c/ X
D d'E  rEj  pEPj C rEPj  pEj
j
X
rEj  pEPj C rEPj  pEj
.d /
D d'E 
j
d X Š
D d'E  rEj  pEj D 0: (8.21)
dt
j
8.4 Hamiltonsche Gleichungen 157

.a/ Kartesisch z. B. ist

rrEj D .@=@xj ; @=@yj ; @=@zj /


rrEP D .@=@xPj ; @=@yPj ; @=@zPj / (8.22)
j

.b/ Euler-Lagrange-Gleichung und (8.16)


.c/ Zyklische Vertauschung im Spatprodukt
.d / Distributivgesetz für das Skalarprodukt

Da d'E beliebig ist, folgt Drehimpulserhaltung:


d X
0D rEj  pEj : (8.23)
dt
j

Wir fassen zusammen: Aus den drei Invarianzprinzipien


(a) Homogenität der Zeit,
(b) Homogenität des Raums,
(c) Isotropie des Raums
wurden drei Erhaltungssätze hergeleitet für
(a) Energie,
(b) Impuls,
(c) Drehimpuls.
E. Noether bewies: Zu jeder Symmetrie gehört ein Erhaltungssatz.
Dies ist besonders in der Elementarteilchenphysik wichtig.
Für die Herleitung siehe Fließbach (1996) und Hill (1957).

8.4 Hamiltonsche Gleichungen

Gegeben sei ein System mit n Freiheitsgraden.


Die ELG 2. Art sind n Gleichungen zweiter Ordnung;
denn .d=dt/.@L=@q/ P führt auf zweite Zeitableitungen.
Wir formulieren die ELG nun um in 2n Gleichungen erster Ordnung.
Als einfaches Beispiel dient der vertikale freie Fall:
Die DGL zweiter Ordnung ist zR D g.
Daraus macht man zwei DGL erster Ordnung: zP D p=m und pP D mg.
Wie gelingt dies für beliebige mechanische Systeme? Setzt man
@L
pi D (8.24)
@qPi
in die ELG
d @L @L
D
dt @qPi @qi
158 8 Hamiltonmechanik

ein, so folgt

@L
pPi D : (8.25)
@qi

Anstelle von (8.24) suchen wir in Analogie zu (8.25) eine Gleichung für qPi .
Wir betrachten dazu die Hamiltonfunktion

H D pi qPi  L.q; q/
P (8.26)

(Summationskonvention). Mit dieser Definition folgt

@H
qPi D (8.27)
@pi

Jetzt wollen wir noch (8.25) von L auf H umschreiben.


Wiederum wegen (8.26) ist

@H @L
D ; (8.28)
@qi @qi

also wird (8.25) zu

@H
pPi D  (8.29)
@qi

Wir haben bereits @H=@pi und @H=@qi . Es fehlt noch @H=@qPi :

@L (8.26) @H
pi D D pi  ; (8.30)
@qPi @qPi

also ist

@H
D 0: (8.31)
@qPi

Demnach hängt H nicht von qPi ab! Also lautet (8.26) ausgeschrieben

H.q; p/ D pi qP i  L.q; q/
P (8.32)

und die Bewegungsgleichungen sind (8.27) und (8.29).


Diese Gleichungen heißen Hamiltongleichungen der Mechanik.
Sie sind äquivalent zu Newton II (bzw. zum PvA) und zur ELG 2. Art.
8.4 Hamiltonsche Gleichungen 159

Wir geben einen alternativen Beweis von (8.31):

dH D d.pi qPi /  dL
D qPi dpi C pi dqPi  .@L=@qi /dqi  .@L=@qPi /dqPi
D qPi dpi C pi dqPi  .@L=@qi /dqi  pi dqPi
D qPi dpi  .@L=@qi /dqi : (8.33)

Es gibt also keinen Zuwachs dH aufgrund von dqPi .


Somit hängt H nicht von qPi ab, also ist H D H.q; p/.
Die Gleichung pi D @L=@qPi liefert eine Relation zwischen qPi und pi .
Diese ist zu benutzen, um qP i durch pi auszudrücken.
Diese Ersetzung ist in (8.33) schon vorausgesetzt.

Wir können nun weiter argumentieren: Mit H D H.q; p/ gilt

@H @H
dH D dqi C dpi : (8.34)
@qi @pi

Koeffizientenvergleich mit (8.33) ergibt eine Hamiltongleichung

@H
qPi D (8.35)
@pi

und erneut das triviale

@H @L
D : (8.36)
@qi @qi

Und nochmals: Die andere Hamiltongleichung ist die ELG 2. Art:

d @L @L @H
pPi D D D : (8.37)
dt @qPi @qi @qi

Wir fassen das Bisherige tabellarisch zusammen:

Euler-Lagrange Hamilton
@L @H
pi D qPi D
@qPi @pi
@L @H
pPi D pPi D 
@qi @qi

Die erste Zeile gibt den Zusammenhang zwischen pi und qPi an.
In der zweiten Zeile erkennt man Newton II noch recht deutlich.
Die Vorzeichen in diesen Gleichungen sind substanziell.
160 8 Hamiltonmechanik

8.5 Phasenraum

Die qi ; pi (i D 1; : : : ; n) sind jetzt die zentralen dynamischen Variablen.


Sie werden gemeinsam als kanonische Koordinaten bezeichnet.
Wir haben damit zwei äquivalente Formulierungen der Mechanik:
 Die Lagrangesche mit Variablen qi ; qPi und ELG und
 die Hamiltonsche mit Variablen qi ; pi und Hamiltongleichungen.
Die qi ; qPi wurden auf zwei alternative Weisen dargestellt (s. S. 110):
Zu jedem Zeitpunkt t als Punktwolke im R6 oder als Punkt im R2n .
Genauso verfahren wir jetzt mit den qi ; pi :
Der R6 heißt dann Phasenraum, der R2n heißt  -Phasenraum.
Wir betrachten im Folgenden nur den  -Phasenraum.
Der  -Phasenraum hat für jeden Freiheitsgrad 2 Dimensionen.
Seine kartesischen Koordinaten sind q1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn .
Zu jedem t wird das System durch einen Punkt im  -Raum dargestellt.
Die zeitliche Entwicklung des Systems gibt eine Trajektorie:
Phasenraumkurven mit Parameter t werden Trajektorien genannt.
Die Hamiltongleichungen sind 2n DGL erster Ordnung in qi ; pi .
Daraus ergibt sich wieder (nach dem Satz von Picard-Lindelöf):
Die Punkte des R2n sind mögliche Anfangsbedingungen qi .0/; pi .0/;
und durch jeden Punkt geht genau eine Trajektorie qi .t/; pi .t/.
Der  -Phasenraum wird also durch Trajektorien gefasert (S. 6).

8.6 Legendretransformation

Die Relation H.q; p/ D pi qPi  L.q; q/


P heißt Legendretransformation.
Setzt man (8.24) ein, so ist
 
@L @L
H q; D qPi  L.q; q/:
P (8.38)
@qP @qPi

Wir verzichten kurz auf das erste Argument, q, von H und L;


denn an ihm wird keine Transformation durchgeführt.
Wir führen allgemeine mathematische Bezeichnungen ein:

P ! f .x/;
L.q; q/
@L=@qP ! df =dx D f 0 ;
P ! g.f 0 /:
H.q; @L=@q/ (8.39)

Das letztere Minuszeichen ist die mathematische Konvention.


Demnach hat (8.38) die Struktur

g.f 0 / D f .x/  xf 0 .x/ (8.40)


8.6 Legendretransformation 161

Dies ist die allgemeine Form der Legendretransformation.


Eine Legendretransformation transformiert also
 von der Variablen x einer Funktion f .x/
 auf die Variable f 0 einer neuen Funktion g.f 0 /.
Wir erbringen den Nachweis, dass in (8.40) g D g.f 0 / ist:

dg D df  d.xf 0 /
D f 0 dx  x df 0  f 0 dx
D x df 0 ; (8.41)

also ändert sich g nur mit f 0 ; somit hängt g auch nur von f 0 ab.
Legendretransformationen werden z. B. in der Bildverarbeitung genutzt.
In der Physik begegnen sie uns in der Thermodynamik wieder.

Wir bringen zwei Beispiele. Das erste ist der harmonische Oszillator:

1 2 1 2
LDT V D mqP  kq : (8.42)
2 2
Hier ist der kanonische Impuls

@L
pD D mq;
P (8.43)
@qP

und die Hamiltonfunktion ist

H D p qP  L
 
1 2 1 2
D mqP 2
mqP  kq
2 2
1 2 1 2
D mqP C kq
2 2
1 2 1
D p =m C kq 2
2 2
D T C V: (8.44)
p p
In den umskalierten Variablen pQ D p= m und qQ D kq ist

1 2
H D .pQ C qQ 2 /: (8.45)
2
Diese einfache Form erklärt die Bedeutung des harmonischen Oszillators.
Das zweite Beispiel ist eine Zentralkraft in der r'-Ebene:

1
LDT V D m.Pr 2 C r 2 'P 2 /  V .r/: (8.46)
2
162 8 Hamiltonmechanik

Die kanonischen Impulse sind

@L
pr D D mPr ;
@rP
@L
p' D P
D mr 2 ': (8.47)
@'P

Die erste Zeile ist ein Impuls, die zweite ein Drehimpuls. Damit ist

H.r; '; pr ; p' / D pr rP C p' 'P  L


pr2 p'2 pr2 p'2
D C   C V .r/
m mr 2 2m 2mr 2
p2 p'2
D r C C V .r/: (8.48)
2m 2mr 2

8.7 Periodische und zyklische Koordinaten

Wir fanden beim Oszillator und Keplerproblem periodische Bahnen.


Dabei heißt eine Ortskoordinate q periodisch, wenn gilt

9T 2R 8n2Z 8t 2RW q.t C nT / D q.t/: (8.49)

Man skaliert die q-Werte auf Œ0; 2 Œ und schreibt ' statt q.
Zu jedem periodischen Freiheitsgrad 'i gehört i. A. ein eigenes Ti .
Wir betrachten z. B. das Phasenraumdiagramm des Pendels (Abb. 8.1).
Man unterscheidet hier zwei Typen von Phasenraumkurven p.q/:
 Geschlossene Kurven mit sogenannter Libration des Pendels,
 offene Kurven (nach q D ˙1 hin) mit Rotation (Überschlag).
Jenseits der beiden  in Abb. 8.1 wiederholt sich das Diagramm.
Man kann also für Libration und Rotation q durch ' ersetzen;
und man kann ' für jede Kurve auf ' 2 Œ0; 2 Œ beschränken.
Jede Kurve ist durch eine konstante Energie E gekennzeichnet.
Die Phasenraumkurven mit Parameter E blättern also den R2 .

Wir betrachten nun statt des Pendels den harmonischen Oszillator.


Gleichung (8.45) legt nahe, zu schreiben

1 2 1
.pQ C qQ 2 / D J 2 D H.J /; (8.50)
2 2
denn da qQ und pQ gleich auftreten, scheint eine Variable redundant.
H ist jetzt die neue Hamiltonfunktion in der Variablen J .
Zu J gehört eine Ortskoordinate ', von der H somit nicht abhängt.
8.8 Phasenraumtori 163

Abb. 8.1 Phasenraumdia-


gramm des mathematischen
Pendels mit Überschlag

Solche ' nennt man zyklisch. Die Hamiltongleichung ergibt dann

@H.J /
JP D  D0 ! J.t/ D const; (8.51)
@'

was natürlich Energieerhaltung ist: Mit E ist auch J konstant.


Der zu zyklischen Koordinaten kanonische Impuls bleibt also erhalten.
Für konstantes J gibt die zweite Hamiltongleichung

@H.J /
'P D D const D !.J / ! '.t/ D !.J / t: (8.52)
@J
Denn die Ableitung von H beim immer gleichen J ist immer gleich.
Die Schreibweise ! hat Sinn, da ' beim Oszillator periodisch ist.
In (8.52) kann also ' D 0 mit ' D 2 identifiziert werden.
Das dynamische Problem ist mit J D const und ' D !t bereits gelöst!
Man nennt Systeme mit genau dieser Lösung integrabel.
Sie spielen eine zentrale Rolle und werden nun allgemein definiert.

8.8 Phasenraumtori

Wir betrachten ein konservatives System mit n Freiheitsgraden.


Die Phasenraumkoordinaten seien qi und pi mit i D 1; : : : ; n.
Das System soll n unabhängige Erhaltungsgrößen Ii .q; p/ haben.
Die Ii können Skalare, Vektor- und Tensorkomponenten sein.
Insbesondere ist die Energie eine Erhaltungsgröße, und es sei I1 D H .
(Allgemein ist H eine Funktion der Ii , somit ist I1 D H machbar.)
Die Ii sind entlang jeder Trajektorie, d. h. zeitlich konstant.
Solche Systeme heißen integrabel, die Ii sind Integrale der Bewegung.
Jedes Ii D const gibt eine Hyperfläche der Dimension 2n  1 im R2n .
Die Bahn liegt in der Schnittmenge von n Hyperflächen.
Diese ist ein 2n  n D n-dimensionaler Unterraum des R2n .

Für integrable Systeme gilt (siehe nächster Abschnitt):


Es gibt kanonische Koordinaten 'i ; Ji mit Ji D Ji .I / und H D H.J /.
(H hängt von allen Jj ab und jedes Ji hängt von allen Ij ab.)
Da die Ij zeitlich konstant sind, sind es auch die Ji .
164 8 Hamiltonmechanik

Die 'i sind zyklische Koordinaten, die Hamiltongleichung gibt

@H.J /
'Pi D D !i D const: (8.53)
@Ji

Denn die Ji und H sind konstant, also auch die Ableitungen @H=@Ji .
Wir haben somit wieder die Lösung Ji .t/ D const und 'i .t/ D !i t.

Man interessiert sich besonders für Systeme mit der Eigenschaft:


Die zyklischen 'i sind periodisch, also auf 'i 2 Œ0; 2 Œ abbildbar.
Wann dies der Fall ist, wird unten diskutiert.
Die Phasenraumtrajektorie des Systems hat dann die Koordinaten

.'1 ; : : : ; 'n ; J1 ; : : : ; Jn /; (8.54)

und jedes Paar .'i ; Ji / definiert einen Kreis in einem R2 ;


der Kreisradius ist dabei durch Ji D const bestimmt.
Gleichung (8.54) ist also das n-fache kartesische Produkt von Kreisen.
Das Ergebnis ist ein im R2n eingebetteter n-dimensionaler Torus T n .
Zum kartesischen Produkt siehe Stöcker und Zieschang (1994, S. 108).
Für n 2 bilden die Tori eine Faserung des Phasenraums (s. S. 6).
Die Phasenraumtrajektorie verläuft auf einem solchen Torus.
Wenn alle Frequenzverhältnisse !i =!j mit i ¤ j irrational sind,
dann füllt die Phasenraumtrajektorie den Torus im Lauf der Zeit.
Wenn hingegen die !i in rationalen Verhältnissen zueinander stehen,
dann schließt sich die Trajektorie nach endlich vielen Umläufen.

In welchen Fällen erhält man nun einen solchen Torus T n ?


Die Antwort gibt der folgende Satz. Wir definieren zunächst:

Ein Diffeomorphismus ist


 eine bijektive Abbildung f W U ! V zwischen offenen Mengen U; V ,
 wobei f und f 1 unendlich oft stetig differenzierbar sind.

Satz (Arnold 1963)


Gegeben sei ein integrables System mit Erhaltungsgrößen I1 ; : : : ; In .
Die Energie ist eine Erhaltungsgröße, und es sei I1 D H .
Es seien c1 bis cn erlaubte konstante Werte für I1 bis In .
U sei die Menge der Phasenraumpunkte, für die Ii D ci ist (i D 1; : : : ; n).
Die Ii sollen in Involution sein, d. h. (z. B. Schneider 1992, S. 544):
Alle Poissonklammern (s. Abschnitt 8.15) fIi ; Ij g verschwinden.
Weiterhin sollen die Gradienten der Ii linear unabhängig sein.
Wenn nun U kompakt und zusammenhängend ist,
dann gibt es einen Diffeomorphismus U ! T n .
8.9 Wirkungs- und Winkelvariablen 165

Beweis Siehe Arnold (1989, S. 272) und Thirring (1997, S. 115).


Der Originalbeweis stammt von Arnold (1963).
Einen frühen Hinweis auf Phasenraumtori gibt Einstein (1917).

8.9 Wirkungs- und Winkelvariablen

Wie gewinnt man die kanonischen Koordinaten 'i ; Ji auf dem Torus?
Wir beginnen mit einer Beobachtung beim harmonischen Oszillator.
Für jeden seiner Phasenraumkreise (wir normieren k D ! D 1) gilt

1 2
ED .p C q 2 /; (8.55)
2
mit dem Integral der Bewegung E.
Für maximale Auslenkung q bei p D 0 ist q 2 die Kreisfläche;
und entsprechend für maximalen Impuls p bei q D 0. Somit gilt:
E skaliert mit der von der Phasenraumkurve berandeten Fläche.

Der Kreis ist der eindimensionale Phasenraumtorus: S D T 1 .


Wir betrachten nun periodische integrable Systeme.
Die n Integrale der Bewegung seien wieder I1 D H; I2 ; : : : ; In .
Die Systemtrajektorien sollen auf dem Torus T n D S      S liegen.
Die n den Torus konstituierenden S definieren n Kurvenklassen:
Seien Ci ; Cj geschlossene Kurven auf T n mit der Windungszahl eins.
(Die Windungszahl gibt an, wie oft man einen Punkt umläuft.)
Wenn sich Ci und Cj nicht stetig ineinander überführen lassen,
dann liegen sie in verschiedenen Kurvenklassen. Anders formuliert:
Kurven der i-ten Klasse umrunden den i-ten Kreis in T n D S      S.
Bezüglich der Kreise j ¤ i können sie zum Punkt kontrahiert werden.
Details hierzu findet man z. B. bei Thirring (1997, S. 116).
Seien nun C1 bis Cn Vertreter der n Klassen. Wir bilden n Integrale
I
Ji D .dq1 p1 C : : : C dqn pn /: (8.56)
Ci

Die Ji heißen Wirkungsvariablen.

Satz Ji hängt nicht ab vom gewählten Klassenvertreter Ci .

Beweis Arnold (1989, S. 283), mit dem Wirbelsatz von Helmholtz (S. 37).

Korollar Damit ist dJi =dt D 0 (Thirring 1997, S. 116).


Die Ji sind Konstanten der Bewegung!
166 8 Hamiltonmechanik

Nach dem Satz kann man Cj so wählen, dass es ein Paar qi ; pi gibt mit
I
Ji D dqi pi : (8.57)
Ci

Hier wurde gleich der Klassenname j nach i umbenannt.


Die zeitlich konstanten Ji sind Funktionen der Integrale der Bewegung,

Ji D Ji .I1 ; : : : ; In /; i D 1; : : : ; n: (8.58)

Löst man nach H D I1 auf, so erhält man

H D H.J1 ; : : : ; Jn /: (8.59)

Zu den Ji gehören also zyklische Koordinaten 'i , mit

@H
'Pi D D !i .J / D const: (8.60)
@Ji

Nach Voraussetzung sollen die Ortskoordinaten periodisch sein.


Damit sind die gesuchten Wirkungs- und Winkelvariablen Ji ; 'i definiert.
Die Wirkungs- und Winkelvariablen sind kanonische Koordinaten.
Für den Beweis sei auf Arnold (1989, S. 279) verwiesen.

Als Beispiel betrachten wir das Keplerproblem in der r'-Ebene.


Wir folgen Goldstein (1989) und Schneider (1992, S. 375).
In beiden Büchern wird die Bahn sogar im R3 betrachtet.
Die kinetische Energie der Masse m im Zentralkraftfeld von M m ist

1
T D m.Pr 2 C r 2 'P 2 /: (8.61)
2

Wegen V D V .r/ ist

@L @T
pr D D D mPr ;
@rP @rP
@L @T
p' D D P
D mr 2 ': (8.62)
@'P @'P

Damit ist die Hamiltonfunktion, mit  D GM ,


!
1 p'2 m
H D pr2 C 2  : (8.63)
2m r r
8.9 Wirkungs- und Winkelvariablen 167

Das System hat zwei Freiheitsgrade r und ' und ist integrabel:
Die zwei Integrale der Bewegung I1 ; I2 sind der Drehimpuls

I1 D p' (8.64)

und die Energie


 
1 I2 m
I2 D E D pr2 C 12  : (8.65)
2m r r

Die Wirkungsvariablen sind


I I
J' D d' p' D I1
d' D 2 I1 ;
s
I I
2m2 I12
Jr D dr pr D dr 2mI2 C  2: (8.66)
r r

Man beachte, dass r hier eine


H zyklische Koordinate ist!
Mit dem ungewöhnlichen dr ist gemeint:
Vom Perihel zum Aphel und zurück zum Perihel der (Ellipsen-)Bahn.
Perihel ist der sonnennächste, Aphel der sonnenfernste Bahnpunkt.
Das Integral in Jr wurde erstmals von Sommerfeld berechnet.
Man erhält für gebundene Zustände mit einer Bindungsenergie E < 0:
r
2m
Jr D J' C m : (8.67)
E

Umstellen dieser Gleichung ergibt

2 2  2 m3
H.Jr ; J' / D E D  : (8.68)
.Jr C J' /2

Hier wurde ausgenutzt, dass E der Wert der Hamiltonfunktion H ist.


Tatsächlich hängt H nur von Jr und J' ab, nicht von r und '.
Die J kommen sogar nur in der Kombination Jr C J' vor.
Daraus folgt mit den Hamiltongleichungen

@H @H
!' D D D !r : (8.69)
@J' @Jr

Die Winkelgeschwindigkeiten !' und !r sind also gleich.


Dies führt elementargeometrisch auf eine geschlossene Bahn r.'/.
168 8 Hamiltonmechanik

8.10 Kanonische Transformationen

Wir haben zuletzt eine Transformation durchgeführt,

qi ; pi ! 'i ; Ji ;

und mit Ji D const Reduktion auf n Gleichungen 'Pi D @H=@Ji erreicht.


Die Tabelle verdeutlicht die radikale Idee Jacobis:
Hamilton Wirkungs-Winkel Hamilton-Jacobi
H D H.q; p/ H D H.J / H D const D 0
@H @H
qP i D 'Pi D qQP i D 0
@pi @Ji
@H
pP i D  JPi D 0 pQP i D 0
@qi

Gibt es eine Transformation qi ; pi ! qQi ; pQi mit qQPi D pQPi D 0?


Dann wären alle 2n Größen qQi ; pQi Integrale der Bewegung.
qPQi D pPQi D 0 bedeutet nach den Hamiltongleichungen, dass H D const ist.
Da der Energienullpunkt willkürlich ist, fordert man gleich H D 0.
Die Jacobitransformation löst also das ganze dynamische Problem.
Um die Transformation durchzuführen, brauchen wir eine neue Technik.
Diese soll im Folgenden entwickelt werden.

Wir präzisieren die Definition von S. 160:


qi ; pi heißen kanonische Koordinaten, wenn die Hamiltongleichungen
@H @H
qP i D ; pPi D  (8.70)
@pi @qi
gelten. Wir können jetzt kanonische Transformationen definieren:
Eine Transformation von kanonischen auf kanonische Koordinaten,

qi ; pi ! qQ i ; pQi ; (8.71)

heißt kanonische Transformation.


Die Hamiltongleichungen gelten also für qi ; pi und für qQi ; pQi ,
8
@H 9> ˆ
ˆ @HQ
qP i D >
> ˆ qPQi D
ˆ
@pi = < @pQi
! (8.72)
@H >>
>
;
ˆ
ˆ
ˆ P @HQ
pPi D  :̂ pQi D  :
@qi @qQi
Hierbei sei qQi D qQi .q; p/, pQi D pQi .q; p/ und

HQ .q.q;
Q p/; p.q;
Q p// D H.q; p/: (8.73)
8.11 Erzeugende Funktionen 169

Man kann kanonische Transformationen also auch so definieren:


Hamiltongleichungen sind unter kanonischer Transformation invariant.
@HQ =@pQi D 0 und @HQ =@qQi D 0 sind Sonderfälle der Hamiltongleichungen:
Wirkungs-Winkel- und Hamilton-Jacobi-Koordinaten sind kanonisch.

8.11 Erzeugende Funktionen

Wie findet man systematisch kanonische Transformationen?


Wir entwickeln dazu den Formalismus der Erzeugenden Funktionen.
R
Wir gehen zurück zum Prinzip der kleinsten Wirkung: ıW D ı dt L D 0.
(Das Symbol S wird anderweitig gebraucht; die Wirkung sei jetzt W .)
Also ist mit Definition der Hamiltonfunktion (Legendretransformation)

Zt2 
ıW D ı dt qPi pi  H.q; p; t/ D 0;
t1

Zt2 
ı WQ D ı dt qQPi pQi  HQ .q;
Q p;
Q t/ D 0: (8.74)
t1

mit den alten und den neuen Koordinaten qi ; pi bzw. qQi ; pQi .
Der zentrale Trick ist nun der Ansatz

WQ  W D F2  F1
Š
(8.75)

Hierbei ist F eine zunächst unbestimmte Funktion der Argumente

F D F .q.t/; p.t/; q.t/;


Q Q
p.t/; t/; (8.76)

und es sei F1 D F .q.t1 /; p.t1 /; q.t


Q 1 /; p.t
Q 1 /; t1 /, sowie entsprechend für t2 .
Die „Tiefe“ von (8.75) liegt unter anderem in Folgendem;
Links und rechts stehen in (8.75) algebraisch verschiedene Differenzen:
 Links steht die Differenz vor und nach Variablentransformation,
 rechts steht die Differenz bezüglich zweier Zeitpunkte.
Mit der Abkürzung Fq D @F=@q usw. und Summationskonvention ist

ıF D Fqi ıqi C Fpi ıpi C FqQi ı qQi C FpQi ı pQi : (8.77)

Es gibt wieder keine Variation der Zeit t.


Wir fordern auch wieder verschwindende Randvariation, also für alle i,

ıqi .t1 / D ıpi .t1 / D ı qQi .t1 / D ı pQi .t1 /


D ıqi .t2 / D ıpi .t2 / D ı qQi .t2 / D ı pQi .t2 / D 0: (8.78)
170 8 Hamiltonmechanik

Somit ist

ıF .t1 / D ıF .t2 / D 0; (8.79)

also

ı WQ  ıW D ıF .t2 /  ıF .t1 / D 0:
(8.75)
(8.80)

Wegen (8.75) gilt also: Wenn ıW D 0 ist, dann ist auch ı WQ D 0.


Wenn also Hamiltongleichungen für qi ; pi gelten, dann auch für qQ i ; pQi .
Somit ist die Transformation qi ; pi ! qQ i ; pQi wie gewünscht kanonisch.
(8.75) ist nur hinreichend dafür, dass die Transformation kanonisch ist.
Alles Weitere ist nun die rechnerische Auswertung der Idee (8.75).
Zuerst schreiben wir mit der Definition der Stammfunktion

Zt2
dF
WQ  W D F .t2 /  F .t1 / D dt : (8.81)
dt
t1

Ausgeschrieben ist das

Zt2 
WQ  W D dt qQPi pQi  qPi pi C H.q; p/  HQ .q;
Q p/
Q
t1

Zt2 " # Zt2


@F @F @F P @F P @F dF
D dt qPi C pPi C qQi C pQi C D dt :
@qi @pi @qQi @pQi @t dt
t1 t1
(8.82)

Dies ist sicherlich erfüllt, wenn die Integranden gleich sind.


Ein sinnvoller Termvergleich ergibt

@F
D H  HQ (8.83)
@t
und

@F @F
pi D  ; pQi D C (8.84)
@qi @qQi

sowie

@F @F
D D 0: (8.85)
@pi @pQi
8.11 Erzeugende Funktionen 171

Es ist somit F D F .q; q;


Q t/, und F hängt nicht von p und pQ ab.
Das Vorgehen ist insgesamt also wie folgt:

Q t/ und lege pi und pQi nach (8.84) fest.


Wähle eine Funktion F .q; q;
Wenn qi ; pi kanonische Koordinaten sind, dann auch qQi ; pQi .

Als erstes Beispiel wählen wir F D qi qQi , also pi D qQi und pQi D qi .
Sind also qi ; pi kanonische Koordinaten, so auch qQ i D pi und pQi D qi .
Man kann somit Ort und Impuls in ihrer Bedeutung vertauschen!
Dabei muss aber der obige Vorzeichenwechsel beachtet werden.

Als zweites Beispiel betrachten wir den harmonischen Oszillator.


Mit ! D k D 1 ist wieder H D 12 .q 2 C p 2 /. Sei

q2
Q D
F .q; q/ : (8.86)
2 tan qQ

Also ist, neben H  HQ D 0,

@F q
pD D ; (8.87)
@q tan qQ
@F q2
pQ D C D : (8.88)
@qQ 2 sin2 qQ

Aus (8.88) folgt


p
qD 2pQ sin q:
Q (8.89)

Dies in (8.87) einsetzen ergibt


p
pD 2pQ cos q:
Q (8.90)

Also ist
1 2
H.q; p/ D .q C p 2 /
2
1
D .2pQ sin2 qQ C 2pQ cos2 q/
Q
2
D pQ D HQ .q;
Q p/:
Q (8.91)

Daher ist qQ zyklische Koordinate, und es folgt pPQ D @HQ =@qQ D 0.


Das heißt E D pQ D const. Nimmt man nun noch k; ! mit, so erhält man

E D ! p:
Q (8.92)
172 8 Hamiltonmechanik

Nach diesen Beispielen entwickeln wir nun die allgemeine Theorie weiter.
Zentral für Erzeugende Funktionen ist, dass
(a) F D F .q; q;Q t/ von alten und neuen Koordinaten abhängt:
F könnte sonst keine Transformation erzeugen;
(b) F nur von der Hälfte der kanonischen Koordinaten abhängt:
F hängt von .qi ; qQi / ab, nicht aber von .pi ; pQi /.
(b) legt nahe, auch eine Erzeugende Funktion S.q; p; Q t/ zu suchen.
Die Bezeichnung S stammt von Jacobi. Wir gehen zurück zu (8.82),

Zt2 
dt qPQi pQi  qPi pi C H.q; p/  HQ .q;
Q p/
Q
t1

Zt2 " #
@F @F @F P @F P @F
D dt qP i C pPi C qQ i C pQi C : (8.93)
@qi @pi @qQi @pQi @t
t1

Q p;
Hier ist F noch allgemein F .q; p; q; Q t/. Folgender Ansatz führt zum Ziel:

Q p;
F .q; p; q; Q t/ D S.q; p;
Q t/ C qQi pQi (8.94)

Einsetzen ergibt für die Integranden in (8.93)

qPQi pQi qPi pi C H.q; p/  HQ .q; Q p/Q


             
 
@S @S @S
D qP i C pQi qPQi C  C qQ i pPQi  : (8.95)
@qi @pQi @t
                    „ ƒ‚ … 

Terme, die sich gegeneinander aufheben, sind gleichartig unterstrichen.


Die Überraschung ist die geschweifte Klammer:
Hier heben sich zwei Terme auf der rechten Seite auf. Insgesamt ist

@S
D HQ  H (8.96)
@t
sowie (vergleiche mit (8.84))

@S @S
pi D ; qQi D (8.97)
@qi @pQi

Die Vorzeichenwahl S in (8.94) bewirkt die Pluszeichen in (8.97).


Als Beispiel betrachten wir S D qj pQj . Also ist pi D pQi und qQi D qi .
Dieses S erzeugt also die identische kanonische Transformation.
Weiterhin sind auch Funktionen F3 .p; q; Q t/ und F4 .p; p;
Q t/ möglich.
Die entsprechenden Gleichungen leiten sich wie bisher ab.
8.12 Exaktes Differential 173

8.12 Exaktes Differential

Wir kehren zurück zu (8.82) und nehmen an, dass

@F
H.q; p/  HQ .q;
Q p/
Q D (8.98)
@t

erfüllt ist. Weiterhin sei F D F .q; q;


Q t/, d. h. F hängt nicht von p und pQ ab.
Setzen wir die Integranden in (8.82) gleich, mit qP i dt D dqi usw., so ist

pQi dqQi  pi dqi D FqQi dqQi C Fqi dqi D d̄F .q; q;


Q t/; (8.99)

wobei wieder Fqi D @F=@qi usw. sei, und wir definieren d̄ durch

d̄F D dF  F t dt: (8.100)

Wir brauchen die Zeitabhängigkeit von F wegen (8.98).


Dieselbe Betrachtung ergibt für (8.95)

pQi dqQi  pi d qi D Sqi dqi  SpQi dpQi C pQi dqQi C qQ i dpQi : (8.101)

Also ist für S D S.q; p;


Q t/

qQi dpQi C pi dqi D Sqi dqi C SpQi dpQi D d̄S.q; p;


Q t/: (8.102)

Zusammenfassend haben wir: Ist entweder

pQi dqQi  pi dqi D d̄F .q; q;


Q t/ (8.103)

oder

qQi dpQi C pi dqi D d̄S.q; p;


Q t/ (8.104)

so ist qi ; pi ! qQi ; pQi eine kanonische Transformation.

Definition: Seien a; b; c Variablen. Eine Linearkombination

r.a; b; c/ D f .a; b; c/ da C g.a; b; c/ db C h.a; b; c/ dc (8.105)

heißt exaktes Differential, wenn es eine Funktion s.a; b; c/ gibt mit

r.a; b; c/ D ds.a; b; c/: (8.106)

Dies ist sofort verallgemeinerbar auf eine beliebige Zahl von Variablen.
Wir können wie folgt zusammenfassen:
174 8 Hamiltonmechanik

Wenn pQi dqQi  pi dqi oder qQi dpQi C pi dqi exaktes Differential ist,
dann ist qi ; pi ! qQi ; pQi eine kanonische Transformation.

Dies ist eine vollständige Definition kanonischer Transformationen.


Die konkreten Funktionen F und S interessieren hier oft nicht.
Wir können das Bisherige auch allgemeiner fassen und schreiben (8.82)

pQi dqQi  pi dqi D d̄F .q; p; q;


Q p;
Q t/: (8.107)

Gilt diese Gleichung, so ist die Transformation qi ; pi ! qQi ; pQi kanonisch.


Man kann (8.107) so lesen, dass für kanonische Transformationen gilt:

pQi dqQi D pi dqi C d̄˚.q; p; t/ (8.108)

Denn die neuen qQ i ; pQi können durch die alten qi ; pi ausgedrückt werden,

Q p;
F .q; p; q; Q t/ D F .q; p; q.q;
Q p/; p.q;
Q p/; t/ D ˚.q; p; t/: (8.109)

8.13 Zeitentwicklung als kanonische Transformation

Zeit ist in der Mechanik nur eine Variable in qi .t/ und pi .t/.
Es gilt der erstaunliche Satz:
Jede zeitliche Entwicklung kann als kanonische Transformation

q0 ; p0 ! q.t/; p.t/ (8.110)

aufgefasst werden, wobei q0 D q.t D 0/ und p0 D p.t D 0/ ist.


Wir zeigen dies am Beispiel des freien Falls, siehe Calkin (1999, 7.01).
Die Lösung der Bewegungsgleichung lautet wie bekannt

1
q D q0 C .p0 =m/ t C gt 2 ;
2
p D p0 C mgt: (8.111)

Seien q0 ; p0 und q; p die Koordinaten vor und nach der Transformation.


Wir versuchen, diese Transformation in der Form (8.103) zu schreiben.
In (8.103) werden p und pQ durch q und qQ ausgedrückt, siehe (8.84).
Wir drücken hier nun also p0 und p durch q0 und q aus.
Gleichung (8.111) ergibt nach Umformen

1
p D m.q  q0 /=t C mgt;
2
1
p0 D m.q  q0 /=t  mgt: (8.112)
2
8.13 Zeitentwicklung als kanonische Transformation 175

Damit ist

p dq  p0 dq0
 1   1 
D m.q  q0 /=t C mgt dq  m.q  q0 /=t  mgt dq0
2 2
 2 1 
D d̄ m.q  q0 / =2t C mgt.q C q0 /
2
D d̄F .q0 ; q; t/: (8.113)

Hier wird tatsächlich das Zeitdifferential F t dt unterdrückt.


Somit ist q0 ; p0 ! q; p gemäß (8.111) eine kanonische Transformation!

Dies soll nun für beliebige mechanische Probleme gezeigt werden.


Einschränkend betrachten wir jedoch nur infinitesimale Zeitintervalle.
Gleichung (8.97) hat Ähnlichkeit mit den Hamiltongleichungen.
Diese Ähnlichkeit soll zu einer Identität entwickelt werden.
Wir folgen Arnold (1989, S. 269) und Nordheim und Fues (1927, S. 109).
Wir starten mit der Erzeugenden qj pQj der identischen Transformation.
Diese wird geringfügig ("  1) abgeändert zur Erzeugenden

Q D qj pQj C "U.q; p/;


S.q; p/ Q (8.114)

mit einer beliebigen Funktion U . Gleichung (8.97) ergibt

@S @U
pi D D pQi C " ;
@qi @qi
@S @U
qQi D D qi C " : (8.115)
@pQi @pQi

Die transformierten qQ i und pQi sind als Funktionen von " aufzufassen.
Die qi ; pi vor der Transformation hängen nicht von " ab. Also ist

dpQi @U dqQi @U
D ; D : (8.116)
d" @qi d" @pQi

qi und qQi unterscheiden sich um additive Terme in ". Also ist für " ! 0

dpQi @U dqQi @U
D ; D : (8.117)
d" @qQi d" @pQi

Gleichung (8.117) sind die Hamiltongleichungen, wenn wir identifizieren

U  H; "  t: (8.118)
176 8 Hamiltonmechanik

Wir haben bisher gefunden:


Die Erzeugende qj pQj C dt H.q; Q p/
Q ergibt kanonische Koordinaten qQ i ; pQi ;
und diese erfüllen im Zeitintervall dt die Hamiltongleichungen.
Wir können damit weiter identifizieren

qi D qi .t/;
pi D pi .t/;
qQ i D qi .t C dt/;
pQi D pi .t C dt/: (8.119)

Es sind also mathematisch ununterscheidbar:


 Zeitliche Entwicklung eines Systems im Zeitintervall " ! 0 und
 kanonische Transformation seiner qi ; pi gemäß (8.114) mit " ! 0.
Wir gehen nicht auf die Frage endlicher Zeitintervalle ein.
Die Idee ist hier, eine Erzeugende Funktion mit dem Differential

dS D pi .t C / dqi .t C /  pi .t/ dqi .t/ (8.120)

zu betrachten, siehe Landau und Lifschitz (1987, S. 179).

8.14 Hamilton-Jacobi-Gleichung

Wir können nunmehr auch die Jacobitransformation ausführen zu

HQ D 0: (8.121)

Hier wird (8.96) zu

@S
HC D 0: (8.122)
@t
Weiter ist für S D S.q; p;
Q t/ nach (8.97) pi D @S=@qi und somit
 
@S
H.q; p; t/ D H q; ;t (8.123)
@q

Die Impulse pQi sollen konstant sein, also feste Parameter ˛i 2 R.


Dann wird (8.122) mit ausgeschriebenen Argumenten zu
 
@S @S @S
H q1 ; : : : ; qn ; ;:::; ;t C .q1 ; : : : ; qn ; ˛1 ; : : : ; ˛n / D 0
@q1 @qn @t
(8.124)

Dies ist die sogenannte Hamilton-Jacobi-Gleichung.


8.14 Hamilton-Jacobi-Gleichung 177

Die Variablen sind q1 bis qn , die gesuchte Funktion ist S.


Sie ist gleichwertig mit den Euler-Lagrange- und Hamiltongleichungen.
Es handelt sich um eine nichtlineare partielle Differentialgleichung.

Als Rechenbeispiel dient wieder der harmonische Oszillator.


Wir normieren k D ! D 1 und haben H D 12 .p 2 C q 2 /. Mit p D @S=@q wird
 
1 @S 2 1 2
H D C q : (8.125)
2 @q 2
Einsetzen in die Hamilton-Jacobi-Gleichung (8.124) ergibt
 
1 @S 2 1 2 @S
C q C D 0: (8.126)
2 @q 2 @t
Die Nichtlinearität der Gleichung ist jetzt evident.
Folgender Separationsansatz führt zum Ziel:
S.q; ˛; t/ D W .q; ˛/  ˛t: (8.127)
Einsetzen ergibt
 2
1 dW 1
C q 2  ˛ D 0: (8.128)
2 dq 2
Es steht d statt @, weil ˛ Parameter ist, q also die einzige Variable in W .
Umschreiben der Gleichung ergibt (mit geeigneten Integrationsgrenzen)
Z Z p
W D dW D dq 2˛  q 2 ; (8.129)

also
Z p
S D W  ˛t D dq 2˛  q 2  ˛t: (8.130)

Damit kann qQ berechnet werden,


Z
@S @S dq
qQ D D D p  t: (8.131)
@pQ @˛ 2˛  q 2
Umstellen und integrieren ergibt
Z
dq q
t C qQ D p D asin p : (8.132)
2˛  q 2 2˛
Dies ergibt, wieder mit pQ D ˛,
p
qD 2pQ sin.qQ C t/: (8.133)
Die gesuchte Lösung ist, wie bekannt, einepharmonische Schwingung.
Q pQ geben die Amplitude 2pQ und die Phase q.
Die konstanten q; Q
178 8 Hamiltonmechanik

8.15 Definition der Poissonklammer

Die Hamiltonschen Differentialgleichungen sollen algebraisiert werden.


Dazu dient ein Produktvertauschungsoperator, die Poissonklammer.
(Die Quantenmechanik ersetzt Poissonklammern durch Kommutatoren.)
Die Poissonklammer ist (mit f D f .q; p; t/ und g D g.q; p; t/) definiert als

@f @g @g @f
ff; gg D  (8.134)
@pi @qi @pi @qi

Es wird wieder die Summationskonvention benutzt.


Direkt aus der Definition ergeben sich (mit D .t/) folgende Regeln:

ff; gg D fg; f g;
ff; gg D ff; gg;
ff; g C hg D ff; gg C ff; hg: (8.135)

Die Poissonklammer ist also bilinear und alternierend.


Man zeigt durch direktes Nachrechnen, dass

ff; ghg D ff; ggh C gff; hg (8.136)

gilt. Wir definieren

Df g D ff; gg: (8.137)

Dann gilt die Produktregel

Df .gh/ D ff; ghg


D ff; ggh C gff; hg
D .Df g/h C g Df h: (8.138)

Da Df auch linear ist, folgt: Df ist ein Differentialoperator.


Es gilt Df g D Dg f , und weiterhin gilt die Jacobiidentität

ff; fg; hgg C fg; fh; f gg C fh; ff; ggg D 0: (8.139)

Der Nachweis erfolgt durch elementare Ausrechnung.

Satz ŒDf ; Dg  D Df Dg  Dg Df ist ein Differentialoperator 1. Ordnung.

Beweis Stelle (8.139) um zu

ff; fg; hgg  fg; ff; hgg D fff; gg; hg; (8.140)
8.16 Poissonklammer und kanonische Koordinaten 179

also

ŒDf ; Dg  h D Dff;gg h (8.141)

Dff;gg  Du ist aber nach Obigem ein Differentialoperator.


Mehr hierzu findet man in der Theorie der Lie-Algebren.

8.16 Poissonklammer und kanonische Koordinaten

Für einen einzigen Freiheitsgrad q; p gilt

@p @q @q @p
fp; qg D  D1100D1 (8.142)
@p @q @p @q

und allgemein

fpi ; qj g D ıij : (8.143)

Da die pi und qi unabhängig sind, d. h. @pi =@qj D @qi =@pj D 0 ist, gilt

fqi ; qj g D fpi ; pj g D 0: (8.144)

Seien nun qQ i D qQ i .q; p/ und pQ D pQi .q; p/ Funktionen der qi ; pi .


Dann sind die Poissonklammern fpQi ; qQj g usw. wohldefiniert, z. B.

@pQi @qQj @qQj @pQi


fpQi ; qQj g D  : (8.145)
@pk @qk @pk @qk

Satz qQi ; pQi sind kanonische Koordinaten genau dann, wenn gilt:

fpQi ; qQj g D ıij ;


fqQi ; qQj g D fpQi ; pQj g D 0: (8.146)

Der Satz bietet also einen Test, ob Koordinaten qQ i ; pQi kanonisch sind.
Wir bringen den Beweis nach Nordheim und Fues (1927, S. 104).
Wir reduzieren diesen jedoch auf den Fall eines Freiheitsgrades q; p.
Der allgemeine Fall n > 1 ist etwas aufwendiger;
siehe dazu auch Goldstein (1989, S. 277) und Vilasi (2001, S. 75).

Beweis (für einen Freiheitsgrad)


fq;
Q qg
Q D fp;
Q pg
Q D 0 ist trivial wegen Antisymmetrie der Poissonklammer.
Q pQ sind kanonische Koordinaten, wenn gilt:
Wir zeigen zuerst: q;

@pQ @qQ @pQ @qQ


fp;
Q qg
Q D  D 1: (8.147)
@p @q @q @p
180 8 Hamiltonmechanik

Durch Umstellen wird daraus (dies ist der entscheidende Trick)


   
@ @qQ @ @qQ
pQ p D pQ : (8.148)
@p @q @q @p

Die zweiten Ableitungen heben sich auf. (8.148) hat die Form

@ @
F1 .q; p/ D F2 .q; p/: (8.149)
@p @q

Die Klammern in (8.148) werden hier als Funktionen von q; p aufgefasst.


Dies ist wegen qQ D q.q;
Q p/ und pQ D p.q;
Q p/ korrekt.
Da q und p unabhängige Variablen sind, kann (8.149) nur gelten, wenn

@˚ @˚
F1 D ; F2 D ; (8.150)
@q @p

mit einer Funktion ˚ D ˚.q; p; t/. Vergleich mit (8.148) ergibt:

@˚ @qQ
9 ˚.q; p; t/ W D pQ  p;
@q @q
@˚ @qQ
D pQ : (8.151)
@p @p

Setzt man dies in das Differential d̄˚ ein, so erhält man

@˚ @˚
d̄˚ D dq C dp
@q @p
 
@qQ @qQ
D pQ  p dq C pQ dp
@q @p
 
@qQ @qQ
D pQ dq C dp  p dq
@q @p
D pQ dqQ  p dq: (8.152)

In der letzten Zeile wurde qQ D q.q;


Q p/ benutzt. Also ist

pQ dqQ D p dq C d̄˚.q; p; t/: (8.153)

Dies ist genau (8.108) für eine kanonische Transformation q; p ! q;Q p.


Q
Somit ist gezeigt: Ist fp;
Q qg
Q D 1, so sind q;
Q pQ kanonische Koordinaten.
Alle Schlüsse von (8.147) auf (8.153) sind umkehrbar; also gilt auch:
Q pQ kanonische Koordinaten, dann ist fp;
Sind q; Q qg
Q D 1.
8.17 Poissonklammer und Hamiltongleichungen 181

8.17 Poissonklammer und Hamiltongleichungen

Die Hamiltongleichungen sind

@H
fH; qi g D D qPi ;
@pi
@H
fH; pi g D  D pPi ; (8.154)
@qi

wobei die Definition der Poissonklammer benutzt wurde.


Damit ist die Algebraisierung der Bewegungsgleichungen gelungen:

qP i D fH; qi g
pPi D fH; pi g

Es tritt kein Minuszeichen auf; dieses steckt in der Poissonklammer.


Es gilt, zur Einfachheit wieder für einen einzigen Freiheitsgrad,

@HQ @qQ @qQ @HQ


fHQ ; qg
Q D 
@p @q @p @q
! 
.a/ @HQ @pQ @HQ @qQ @qQ @pQ @qQ @qQ
D C C
@pQ @p @qQ @p @pQ @q @qQ @q
  !
@qQ @pQ @qQ @qQ @HQ @pQ @HQ @qQ
 C C
@pQ @p @qQ @p @pQ @q @qQ @q
! !
.b/ @HQ @pQ @HQ @qQ @qQ @HQ @pQ @HQ @qQ @qQ
D C  C
@pQ @p @qQ @p @q @pQ @q @qQ @q @p
   
@HQ @pQ @qQ @qQ @pQ @HQ @qQ @qQ @qQ @qQ
D  C 
@pQ @p @q @p @q @qQ @p @q @p @q
@HQ
D fp;
Q qg
Q
@pQ
.c/ @HQ
D : (8.155)
@pQ

.a/ Kettenregel
Q pQ D 0
.b/ @q=@
.c/ Voraussetzung fp;
Q qg
Q D1
Eine ähnliche Rechnung ergibt fHQ ; pg
Q D @HQ =@q. Q
Die Erweiterung auf beliebig viele Freiheitsgrade ist einfach.
182 8 Hamiltonmechanik

Somit ist für alle kanonischen Koordinaten qQi ; pQi

@HQ
fHQ ; qQi g D D qPQi ;
@pQi
@HQ
fHQ ; pQi g D  D pPQi : (8.156)
@qQi

8.18 Poissonklammer und Integrale der Bewegung

Die totale Zeitableitung einer Funktion f .q; p; t/ ist

df @f @f @f
D qPi C pPi C
dt @qi @pi @t
@f @H @f @H @f
D  C
@qi @pi @pi @qi @t
@f
D fH; f g C ; (8.157)
@t
wobei die Hamiltongleichungen benutzt wurden.
Als interessantes Nebenergebnis haben wir, wegen fH; H g D 0,

dH @H
D : (8.158)
dt @t

Für Erhaltungsgrößen f , also df =dt D 0, gilt nach (8.157)

@f
D ff; H g: (8.159)
@t

Gilt dann auch noch (wie oftmals der Fall) @f =@t D 0, dann ist

fH; f g D 0: (8.160)

Man nennt solche f stationäre Erhaltungsgrößen.

Satz Sind f und g stationäre Erhaltungsgrößen, so auch ff; gg.


Denn aus fH; f g D 0 und fH; gg D 0 folgt mittels (8.139)

fH; ff; ggg D 0: (8.161)

Satz (Poisson) Sind f und g Erhaltungsgrößen, so auch ff; gg.


f und g dürfen also auch explizit von der Zeit abhängen.
Den elementaren Beweis geben Landau und Lifschitz (1987, S. 169).
Literatur 183

Literatur
Arnold V., On a Theorem of Liouville Concerning Integrable Problems of Dynamics, Sibirsk.
Math. Z. 4:2, 1963, engl. Übersetzung in Amer. Math. Soc. Transl. (2) 61, 1967, S. 292
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Calkin M., Lagrangian and Hamiltonian Mechanics. Solutions to the Exercises, World Scientific,
Singapore, New Jersey, 1999
Einstein A., Zum Quantensatz von Sommerfeld und Epstein, Verhandlungen der Deutschen Phy-
sikalischen Gesellschaft, 19, 1917, S. 82, wieder abgedruckt in The Collected Papers of Albert
Einstein, vol. 6, Hrsg. A. Kox, M. Klein & R. Schulmann, Princeton University Press, 1996,
S. 555
Fließbach T., Mechanik, 2. Aufl., Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, Berlin, Oxford,
1996
Goldstein H., Klassische Mechanik, 10. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden, 1989
Hill E., Hamilton’s principle and the conservation theorems of mathematical physics, Rev. Mod.
Phys., 23, 253, 1957
Landau L. & Lifschitz E., Mechanik, 12. Aufl., Akademie-Verlag, Berlin, 1987
Nordheim L. & Fues E., Die Hamilton-Jacobische Theorie der Dynamik, in Handbuch der Physik,
Band V, Hrsg. H. Geiger & K. Scheel, Springer, Berlin, 1927, S. 91
Schneider M., Himmelsmechanik, Band I, 3. Aufl., Bibliographisches Institut, Mannheim, 1992
Stöcker R. & Zieschang H., Algebraische Topologie, 2. Aufl., Teubner, Stuttgart, 1994
Thirring W., Classical Mathematical Physics: Dynamical Systems and Field Theories, 3. Aufl.,
Springer, Berlin, 1997
Vilasi G., Hamiltonian Dynamics, World Scientific, Singapore, New Jersey, 2001
Satz von Liouville
9

9.1 Phasenraumflüssigkeit

Gegeben sei eine Flüssigkeit konstanter relativer Massendichte  D 1.


Die Flüssigkeit ist durch ihr Geschwindigkeitsfeld vE.Er ; t/ bestimmt.
Wegen  D 1 behält jedes Massenelement der Flüssigkeit sein Volumen:
Ein Flüssigkeitselement kann seine Form, nicht sein Volumen, ändern.
Man nennt (solche) Flüssigkeiten inkompressibel.
Sei @V die Randfläche eines beliebigen Flüssigkeitsvolumens V .
Ein Flächenelement dE a von @V bewegt sich in der Zeit dt um vE dt.
Dies ändert das Volumen am Rand um dE a  vE dt (Fläche  Höhe).
Doch die Gesamtänderung von V über @V hinweg muss verschwinden:
I
dt a  vE D 0:
dE (9.1)
@V

Der Gaußsche Satz ergibt


Z
dt dV div vE D 0: (9.2)
V

Da V beliebig ist, muss für eine inkompressible Flüssigkeit gelten

div vE D 0 (9.3)

Wir zeigen in diesem Kapitel:


 Mechanische Systeme sind als Phasenraumflüssigkeit beschreibbar,
 die Phasenraumflüssigkeit ist inkompressibel.
Zentrale Voraussetzung hierfür ist, dass die Reibung verschwindet.
Wir betrachten den normierten Oszillator mit H D 12 .p 2 C q 2 /.

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_9, 185


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
186 9 Satz von Liouville

Seine Phasenraumtrajektorien sind Kreise,


p
q D 2E cos.2 t C ˛/;
p
p D 2E sin.2 t C ˛/: (9.4)
p p
Die Startwerte bei t D 0 sind q0 D 2E cos ˛ und p0 D 2E sin ˛.
Ändert man q0 ; p0 mehrmals, erhält man eine Wolke von Startpunkten.
Im Limes kontinuierlicher Änderung ergibt sich eine Punktdichte
dN
n.q; p; t/ D ; (9.5)
dq dp
mit dN D Zahl der Startpunkte .q0 ; p0 / im „Volumen“ dq dp zur Zeit t.
(N ist nicht mehr wie bisher die Zahl der Massenpunkte.)
Die Punktdichte n.q; p; t/ definiert die Phasenraumflüssigkeit.
Die Startpunkte (Anfangswerte) des Oszillators sind frei wählbar.
Wir wählen die Phasenraumpunkte bei t D 0 so, dass n.q; p; 0/ D const.
Doch die Bewegung der Punkte gehorcht den Hamiltongleichungen.
Beim Oszillator drehen sich alle Punkte mit ! D 1 auf einem Kreis.
Dies ist eine starre Rotation (wie bei einer CD).
Jede Konfiguration von Phasenraumpunkten wird als Ganze gedreht.
Es gibt hier keine Form- und Volumenänderung der Konfiguration.
Die Phasenraumflüssigkeit des Oszillators ist also inkompressibel.
Wir zeigen im Folgenden: Letzteres gilt für jedes Hamiltonsche System.
(Ein Hamiltonsches System genügt den Hamiltonschen Gleichungen.)
Die Divergenz eines Vektorfelds vE im R3 ist definiert als
I
1
div vE D dEa  vE: (9.6)
dV
@.dV /

Dies wird in kartesischen Koordinaten zu



1
div vE D dy dz vx .x C dx=2; y; z/  dy dz vx .x  dx=2; y; z/
dx dy dy
C dx dz vy .x; y C dy=2; z/  dx dz vy .x; y  dy=2; z/

C dx dy vz .x; y; z C dz=2/  dx dy vz .x; y; z  dz=2/

vx .x C dx=2; y; z/  vx .x  dx=2; y; z/
D
dx
vy .x; y C dy=2; z/  vy .x; y  dy=2; z/
C
dy
vz .x; y; z C dz=2/  vz .x; y; z  dz=2/
C
dz
@vx .x; y; z/ @vy .x; y; z/ @vz .x; y; z/
D C C : (9.7)
@x @y @z
9.2 Herleitung des Satzes von Liouville 187

Mit vE D rEP D .x;


P y;
P z/
P ergibt sich die bemerkenswerte Gleichung

@xP @yP @zP


div vE D C C : (9.8)
@x @y @z

P
Dabei ist x.x; y; z/ die kartesische x-Komponente des Vektorfelds vE;
und xP ist nicht eine von x unabhängige Variable wie in (6.8).

Wir gehen vom Ortsraum R3 zum  -Phasenraum über:


Gegeben sei ein System mit n Freiheitsgraden und Phasenraum R2n .
Die kartesischen Phasenraumkoordinaten sind q1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn .
Die Zeitentwicklung des Systems ergibt eine Phasenraumtrajektorie.
Wir können also eine Phasenraumgeschwindigkeit E̊ definieren:
Diese sei die Änderungsrate der kanonischen Koordinaten, also

E̊ D .qP1 ; : : : ; qPn ; pP1 ; : : : ; pPn /: (9.9)

Hier sind kartesische Koordinaten vorausgesetzt.


Die Definition (9.9) erfolgt in direkter Analogie zu vE D rEP .
Gleichung (9.8) legt nahe, als Phasenraumdivergenz von E̊ zu schreiben
n 
X @qPi @pPi
div ˚E D C : (9.10)
@qi @pi
i D1

Setzt man für qP i und pPi die Hamiltongleichungen ein, so ist


n 
X @ @H @ @H
div E̊ D  D 0; (9.11)
@qi @pi @pi @qi
i D1

wobei Vertauschbarkeit der Differentiale vorausgesetzt wird.


Die Phasenraumflüssigkeit ist also inkompressibel!

9.2 Herleitung des Satzes von Liouville

Wir leiten dies nun im Detail her, vor allem die zentrale Rolle von E̊ .
Die Darstellung folgt Greiner (1977, S. 272).

Kontinuitätsgleichung

Wir betrachten ein Koordinatenpaar qi ; pi im  -Phasenraum.


188 9 Satz von Liouville

Abb. 9.1 Ausströmung aus


einer Phasenraumzelle durch
eine Seitenwand (Hyperflä-
che)

Das Phasenraumvolumenelement ist

dV D dq1 dp1 : : : dqn dpn


Y
D dqi dpi dqj dpj
j ¤i
„ ƒ‚ …
D dqi dpi dRi : (9.12)

dV sei ein raumfestes Volumen, z. B. eine Koordinatenzelle;


dV ist nicht das Volumen eines bewegten Flüssigkeitselements.

In den kartesischen Koordinaten von Abb. 9.1 ist


 dpi dRi die rechte und die linke Seiten-Hyperfläche,
 dqi dRi die obere und die untere Seiten-Hyperfläche.
Die Dimension ist um eins niedriger als die von dV .
Durch die rechte Seitenfläche fließt als Punktstrom (Punkte/Zeit) ab:

ı.dN /1
D n.q1 ; : : : ; qi 1 ; qi C dqi =2; qi C1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn ; t/
ıt
ıqi
 .q1 ; : : : ; qi 1 ; qi C dqi =2; qi C1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn ; t/ dpi dRi :
ıt
(9.13)

dN ist wieder die Zahl der Punkte in dV .


Diese ändert sich durch Zu- und Abfluss zeitlich, daher steht ı.dN /=ıt.
ıqi ist das Stück, um das sich die Phasenraumpunkte fortbewegen.
Das Minuszeichen steht wegen Abfluss aus dV bei positivem ıqi .
Wir benutzen nun folgende Abkürzung:
Wird ein Argument nicht geschrieben, so ist es aus fq1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn ; tg.
Durch die linke Seitenfläche fließt in das Volumen hinein:

ı.dN /2 ıqi
D n.qi  dqi =2/ .qi  dqi =2/ dpi dRi : (9.14)
ıt ıt
9.2 Herleitung des Satzes von Liouville 189

Oben bzw. unten ist der Punktstrom


ı.dN /3 ıpi
D n.pi C dpi =2/ .pi C dpi =2/ dqi dRi ;
ıt ıt
ı.dN /4 ıpi
D n.pi  dpi =2/ .pi  dpi =2/ dqi dRi : (9.15)
ıt ıt
Der Differentialquotient ist eindeutig, also ist ıqi =ıt D qP i usw.
Die Summation der vier Terme ergibt als Bilanzgleichung

ı.dN=dV / n.qi C dqi =2/qPi .qi C dqi =2/  n.qi  dqi =2/qPi .qi  dqi =2/
D
ıt dqi
n.pi C dpi =2/pPi .pi C dpi =2/  n.pi  dpi =2/pPi .pi  dpi =2/
C : (9.16)
dpi

Die Terme wurden wieder zu Differentialquotienten ergänzt.


Das konstante Volumen dV wurde nach links genommen. Somit ist
ˇ
@n ˇˇ @.nqPi / @.npPi /
D  : (9.17)
@t ˇi @qi @pi

Die Argumente sind links und rechts qi ; pi ; t.


Es ist sehr wichtig, dass in (9.17) @=@t und nicht d=dt steht.
Gleichung (9.17) ergibt die Änderung durch Abfluss in qi - und pi -Richtung.
(ji wurde in (9.13) bis (9.15) der Einfachheit wegen weggelassen.)
Die Gesamtänderung der Dichte ist die Summe aller Richtungsabflüsse,

X
n ˇ
@n @n ˇˇ
D ; (9.18)
@t @t ˇi
i D1

also ist

n 
@n X @.nqPi / @.npPi /
C C D0 (9.19)
@t @qi @pi
i D1

Dies ist die Kontinuitätsgleichung im Phasenraum. Sie drückt aus:


Phasenraumpunkte strömen; sie werden weder erzeugt noch vernichtet.

Wir wollen dies noch koordinatenunabhängig ausdrücken.


Sei N die Zahl der Punkte in einem festen Phasenraumvolumen V .
Ihre Änderungsrate ist
Z Z Z Z
dN d @n .b/
a  .n E̊ / D  dV div.n E̊ /; (9.20)
.a/ .c/
D dV n D dV D  dE
dt dt @t
V V @V V
190 9 Satz von Liouville

.a/ N hängt bei festem V nur von t ab, daher steht hier dN=dt.
Entsprechend ist die rein zeitliche Änderung @n=@t zu nehmen.
.b/ Aus- und Einstrom durch dE a mit „Geschwindigkeit“ E̊
.c/ Satz von Gauß für die (so definierte) Phasenraumdivergenz
Da V beliebig ist, müssen die Integranden gleich sein, das heißt

@n
C div.n E̊ / D 0: (9.21)
@t
Vergleich mit (9.19) ergibt im Phasenraum mit kartesischen Koordinaten
n 
X @.nqPi / @.npPi /
div.n E̊ / D C ; (9.22)
@qi @pi
i D1

was (mit n D 1) den Analogieschluss von (9.8) auf (9.10) bestätigt.

Totale Zeitableitung entlang der Bahn

Wir verfolgen (9.19) weiter, jetzt mit Summationskonvention:

@n @.nqPi / @.npPi /
0D C C
@t @qi @pi
 
@n @n @n @qPi @pPi
D C qPi C pPi C n C
@t @qi @pi @qi @pi
.a/ @n @n @n
D C qPi C pPi
@t @qi @pi
.b/ dn
D : (9.23)
dt
.a/ Hamiltongleichungen
.b/ wegen n D n.q; p; t/
Die Phasenraumdichte ist also zeitlich konstant,

dn
D0 (9.24)
dt

dn=dt bedeutet, man ändert mit t auch qi .t/ und pi .t/;


man differenziert n also entlang der Phasenraumbahnkurve .qi ; pi /.
Entlang eines infinitesimalen Stücks der Bahnkurve ist n konstant.
Damit ist n entlang der gesamten Bahnkurve konstant,

Zt
dn
n.q.t/; p.t/; t/  n.q.0/; p.0/; 0/ D dt D 0: (9.25)
dt
0
9.2 Herleitung des Satzes von Liouville 191

Konstanz des Phasenraumvolumens

Das Volumen dV soll jetzt mit den Phasenraumpunkten mitströmen.


dN sei die Zahl der (System-)Punkte in dV . Bei der Bewegung ist
 dN in dV konstant (Systeme verschwinden nicht),
 und nach (9.24) ist auch n in dV konstant.
Also ist jedes dV D dN=n zeitlich konstant.
(Präziser kann man das Argument so fassen: dV ist ein Parallelepiped.
Also ist dV durch 2n Kanten, also durch 2n C 1 Eckpunkte definiert.
Durch 2n C 1 Punkte im R2n ist gerade eine Punktdichte
R definiert usw.)
Also ist für jedes V , das bei t D 0 durch V D dV definiert wird,

dV
D0 (9.26)
dt

Das Phasenraumvolumen ist somit bei der Bewegung konstant.


Das Phasenraumvolumen wird also nur deformiert.
Gleichung (9.24) und äquivalent (9.26) sind der Satz von Liouville.

Zusammenfassung

Wir können die Herleitung wie folgt zusammenfassen:


Ein Volumen V bestehe aus kontinuierlich verteilten Systempunkten.
Dann ist V im Verlauf einer Hamiltonschen Bewegung konstant.
Denn sei xE D .q1 ; : : : ; qn ; p1 ; : : : ; pn /; dann ist (Summationskonvention)
I
dV .a/
D a  xEP
dE
dt
@V
Z
dV div xEP
.b/
D
V
Z  
.c/ @qPi @pPi
D dV C
@qi @pi
V
Z  
.d / @2 H @2 H
D dV 
@qi @pi @pi @qi
V
D 0: (9.27)

.a/ Deformation des Volumens an seinem Rand


.b/ Satz von Gauß
.c/ Kartesische Phasenraumkoordinaten
.d / Hamiltongleichungen
192 9 Satz von Liouville

9.3 Beweis mit Volumendeformation

Für den folgenden Alternativbeweis siehe Huang (1964, Q S. 72, Abb. 3.2).
Wir betrachten den kartesischen Phasenraumquader i dqi dpi .
Speziell betrachten wir eine der Rechteckrandflächen dqi dpi .
Eine konstante Phasenraumgeschwindigkeit verschiebt diese Fläche nur.
Doch ändert sich die Phasenraumgeschwindigkeit über die Fläche hinweg.
Dadurch wird das Rechteck zu einem beliebigen Viereck verzerrt.
Wir nehmen zunächst an: Das Rechteck bleibt ungefähr ein Rechteck;
die Seitenlängen ändern sich aber, siehe Abb. 9.2.
Die Rechnung für ein beliebiges Viereck folgt weiter unten.
Die Geschwindigkeit ist qP i und pPi in qi - bzw. pi -Richtung.
Die Geschwindigkeitsdifferenz über die Kanten hinweg ist

@qPi
dqPi D dqi ;
@qi
@pPi
dpPi D dpi : (9.28)
@pi

Hier und im Folgenden wird keine Summationskonvention benutzt;


denn jeder Freiheitsgrad qi ; pi wird für sich allein betrachtet.
Die Streckung bzw. Kontraktion der Kanten in der Zeit ıt ist somit

@qPi
ı.dqi / D dqPi ıt D dqi ıt;
@qi
@pPi
ı.dpi / D dpPi ıt D dpi ıt: (9.29)
@pi

Also ist die gesamte Flächenänderung

ı.dqi dpi / D dpi ı.dqi / C dqi ı.dpi /


@qPi @pPi
D dpi dqi ıt C dqi dpi ıt
@qi @pi
 
@qPi @pPi
D C dqi dpi ıt
@qi @pi
 2 
@ H @2 H
D  dqi dpi ıt
@qi @pi @pi @qi
D 0: (9.30)
Q
Mit dqi dpi ist auch das Volumen dV D i dqi dpi zeitlich konstant.

Tatsächlich wird das Rechteck jedoch zu einem Viereck verzerrt (Abb. 9.3).
@qPi
Wir zeigen nun, dass bei @q i
C @@ppPii D 0 seine Fläche ebenfalls dqi dpi ist.
9.3 Beweis mit Volumendeformation 193

Abb. 9.2 Bewegung und


eingeschränkte Deformation
eines infinitesimalen Phasen-
raumquaders

Wir benutzen als kartesische Koordinaten abkürzend q; p statt qi ; pi .


Es sei q D p D 0 an einer Ecke des Rechtecks mit den Seiten dq und dp.
q liege im Intervall Œ0; dq und p im Intervall Œ0; dp.
Das Phasenraumgeschwindigkeitsfeld setzen wir so an (konst. a; b; c):
     
E̊ D P p/
q.q; a b q
D  ; (9.31)
P p/
p.q; c a p

denn im infinitesimalen Rechteck dq dp hängt .q; P p/


P linear von .q; p/ ab.

Da reine Translation nicht interessiert, wurde D 0 in einer Ecke gesetzt.
Der Ansatz (9.31) beinhaltet bereits die geforderte Divergenzfreiheit

@qP @pP @.aq C bp/ @.cq  ap/


C D C D a  a D 0: (9.32)
@q @p @q @p

Während der Zeit ıt wird ein beliebiger Punkt .q; p/ verschoben nach
   
1 C aıt bıt q
 : (9.33)
cıt 1  aıt p
     
E E E dq 0 dq
Die Vektoren A; B; C in Abb. 9.3 haben Darstellungen ; ; .
0 dp dp
Nach der Zeit ıt werden daraus AE0 ; BE 0 ; CE 0 mit den Darstellungen
     
.1 C aıt/ dq bıt dp .1 C aıt/ dq C bıt dp
; ; : (9.34)
cıt dq .1  aıt/ dp .1  aıt/ dp C cıt dq

Abb. 9.3 Allgemeine infi-


nitesimale Verzerrung eines
infinitesimalen Rechtecks
dq dp bei der Phasenraum-
bewegung
194 9 Satz von Liouville

Das Viereck kann in zwei Dreiecke zerlegt werden.


Die Vierecksfläche F 0 ist die Summe dieser Dreiecksflächen,
1 E0 E 0
F0 D .jA  C j C jCE 0  BE 0 j/: (9.35)
2
Dies kann man auch schreiben als
1 1
F0 D det.AE0 ; CE 0 / C det.CE 0 ; BE 0 /: (9.36)
2 2
Die einfache Ausrechnung ergibt, mit der Anfangsfläche F D dq dp,

F 0 D Œ1  .a2 C bc/ıt 2  F: (9.37)

Bis zur Ordnung ıt ist also wirklich F 0 D F , wie zu zeigen war.


Die eckige Klammer in (9.37) ist die Determinante der Matrix in (9.33).
Dies ist bekannt von der Variablensubstitution bei Mehrfachintegralen.
Wir nehmen nun an, die Strömung sei nicht divergenzfrei.
Dann ist das a in (9.33) durch ein allgemeines d zu ersetzen.
Die Determinante der Matrix wird damit 1 C .a C d /ıt C .ad  bc/ıt 2 .
Hier ist F 0 ¤ F bereits in erster Ordnung in ıt.
Die Divergenzfreiheit war also die entscheidende Annahme im Beweis.
Das Rechteck dqi dpi gelangt durch E̊ -Transport auch in j ¤ i-Ebenen.
Die Diskussion hierzu sei als Übung überlassen.

9.4 Beweis mit Jacobideterminante

Wir können nun einen rechnerischen Beweis fast ohne Geometrie geben.
Dieser ist übernommen aus Khinchin (1949, S. 16).
Gegeben sei ein System mit n Freiheitsgraden und Phasenraum R2n .
Wir führen als gemeinsame Schreibweise für die qi und pi ein:

xi D qi ; xnCi D pi .i D 1; : : : ; n/ (9.38)

und
@H @H
Xi D ; XnCi D  .i D 1; : : : ; n/: (9.39)
@pi @qi
Damit sind die Hamiltongleichungen

xP i D Xi .x1 ; : : : ; x2n / .i D 1; : : : ; 2n/: (9.40)

Es gilt, nun wieder mit Summationskonvention,

@Xi @2 H @2 H
D  D 0: (9.41)
@xi @pi @qi @qi @pi
9.4 Beweis mit Jacobideterminante 195

Wir wollen im Folgenden für bewegte Phasenraumvolumina V t zeigen:


Z
dx1 : : : dx2n D const: (9.42)
Vt

Die Startbedingungen xi .0/ legen die Kurve xi .t/ eindeutig fest.


Umgekehrt gewinnt man xi .0/ durch Zeitumkehr aus xi .t/ zurück.
Die Abbildung xi .0/ ! xi .t/ ist also bijektiv (eineindeutig).
Somit ist eine Variablensubstitution xi .t/ ! xi .0/ möglich.
Wir schreiben statt xi .t/ nurmehr xi , und yi statt xi .0/.
Damit taucht t nicht mehr auf. Die Kettenregel ergibt

@Xi X @Xi @xj


2n
D : (9.43)
@yk @xj @yk
j D1

Nach der Substitutionsregel für mehrdimensionale Integrale gilt


Z Z ˇ ˇ
ˇ @.x1 ; : : : ; x2n / ˇ
dx1 : : : dx2n D ˇ
dy1 : : : dy2n ˇ ˇ; (9.44)
@.y1 ; : : : ; y2n / ˇ
Vt V

mit der Abkürzung V D V0 , und j : : : j ist die Jacobideterminante. Es gilt:


Die Determinante einer Matrix mit zwei gleichen Spalten ist 0,

a : : : bE : : : bE : : : cEj D 0:
jE (9.45)

Damit ist die Änderung des Phasenraumvolumens (Khinchin 1949, S. 18)


Z
d
dx1 : : : dx2n
dt
Vt
Z ˇ ˇ
@ ˇ @.x1 ; : : : ; x2n / ˇ
D dy1 : : : dy2n ˇ ˇ
@t ˇ @.y ; : : : ; y / ˇ
1 2n
V
Z 2n ˇ
X
ˇ
ˇ @.x1 ; : : : ; xi 1 ; @xi =@t; xi C1 ; : : : ; x2n / ˇ
D dy1 : : : dy2n ˇ ˇ
ˇ @.y ; : : : ; y / ˇ
1 2n
V i D1
Z 2n ˇ
X
ˇ
ˇ @.x1 ; : : : ; xi 1 ; Xi ; xi C1 ; : : : ; x2n / ˇ
(9.40)
D dy1 : : : dy2n ˇ ˇ
ˇ @.y ; : : : ; y / ˇ
1 2n
V i D1
Z ˇ ˇ
(9.43) X
2n X
2n
@Xi ˇˇ @.x1 ; : : : ; xi 1 ; xj ; xi C1 ; : : : ; x2n / ˇˇ
D dy1 : : : dy2n
@xj ˇ @.y1 ; : : : ; y2n / ˇ
V i D1 j D1
196 9 Satz von Liouville

Z ( ˇ ˇ
X
2n
@Xi ˇˇ @.x1 ; : : : ; x2n / ˇˇ
D dy1 : : : dy2n
@xi ˇ @.y1 ; : : : ; y2n / ˇ
V i D1
ˇ ˇ)
X @Xi ˇ @.x1 ; : : : ; xj 1 ; xj ; xj C1 ; : : : ; xi 1 ; xj ; xi C1 ; : : : ; x2n / ˇ
C ˇ ˇ
@xj ˇ @.y1 ; : : : ; y2n / ˇ
j ¤i
Z ˇ ˇ
(9.45) X
2n
@Xi ˇˇ @.x1 ; : : : ; x2n / ˇˇ
D dy1 : : : dy2n C 0
@x ˇ @.y ; : : : ; y / ˇ
i 1 2n
V i D1
!Z ˇ ˇ
X
2n
@Xi ˇ @.x1 ; : : : ; x2n / ˇ
D ˇ
dy1 : : : dy2n ˇ ˇ
@xi @.y1 ; : : : ; y2n / ˇ
i D1 V
(9.41)
D 0: (9.46)

9.5 Gerader elastischer Stoß

Nach diesen allgemeinen Herleitungen betrachten wir ein Beispiel:


Wir zeigen den Satz von Liouville beim geraden elastischen Stoß.
Die folgende Rechnung findet sich in Sommerfeld (1943, S. 25).
Zwei Massen m und n bewegen sich auf einer Geraden.
Ihre Geschwindigkeiten sind u und v vor dem Stoß, U und V danach.
Sie bleiben auf der Geraden, und der Stoß ist elastisch.
Impuls- und Energiesatz sind (letzterer gleich mit 2 multipliziert)

mU C nV D mu C nv; (9.47)
mU 2 C nV 2 D mu2 C nv 2 : (9.48)

Man erkennt den algebraischen Reiz der Aufgabe. Umstellen ergibt

m.U 2  u2 / D n.V 2  v 2 /;
m.U  u/ D n.V  v/: (9.49)

Division der beiden Gleichungen ergibt

U C u D V C v: (9.50)

Zusammen mit dem Impulssatz (9.47) ist also

mU C nV D mu C nv;
U  V D u C v:

Dies sind zwei lineare Gleichungen in den Unbekannten U und V .


9.6 Poincaréinvarianten 197

Multiplizieren der zweiten Gleichung mit n bzw. m und addieren ergibt

mn 2n
U D uC v;
mCn mCn
2m nm
V D uC v: (9.51)
mCn mCn
Als Matrixgleichung geschrieben:
0 1
0 1 mn 2n 0 1
U Bm C n m C nC u
@ ADB
B
C @ A
C : (9.52)
@ 2m n mA v
V
mCn mCn
Eine kurze Rechnung ergibt, dass die Determinante der Matrix 1 ist.
Bei Variablensubstitution tritt genau diese Jacobideterminante auf:
ˇ ˇ
ˇ@U=@u @U=@vˇ
dU dV D ˇˇ ˇ du dv D du dv: (9.53)
@V =@u @V =@v ˇ

Dies ist (bis auf das Vorzeichen) gerade wieder der Satz von Liouville:
Die Fläche eines infinitesimalen Phasenraumsquaders ist stoßinvariant.
Achtung, der Phasenraum ist hier eigentlich vierdimensional.
Klassischer Stoß heißt aber, dass die Orte der Stoßpartner identisch sind.
du und dv geben den experimentellen Spielraum von u und v an.
Ein solcher ist für die Orte nicht vorhanden.

9.6 Poincaréinvarianten

Nach dem Satz von Liouville ist das Phasenraumvolumen


Z Z Y n
Jn D ::: dqi dpi (9.54)
„ ƒ‚ … i D1
2n

für Hamiltonsche Systeme ohne Reibung zeitlich konstant. Wir wissen:


Zeitliche Entwicklung ist als kanonische Transformation darstellbar.
Also ist Jn invariant unter kanonischen Transformationen.
Jn wird n-te Poincaréinvariante genannt. Die 1. Poincaréinvariante ist
“ X
n
J1 D dqi dpi : (9.55)
i D1

Das Doppelintegral ist über irgendeine Phasenraumfläche auszuführen.


198 9 Satz von Liouville

Seien u; v krummlinige Koordinaten dieser Fläche. Dann ist


“ X n ˇ ˇ
ˇ@qi =@u @qi =@v ˇ
J1 D ˇ ˇ
ˇ@pi =@u @pi =@vˇ du dv; (9.56)
i D1

mit der Jacobideterminante der Variablensubstitution. Es gilt der

Satz J1 ist invariant unter kanonischen Transformationen.

Beweis Goldstein (1989, S. 274), Nordheim und Fues (1927, §5, S. 102).
Das heißt aber auch: J1 ist ein zeitliches Integral der Bewegung.

Man definiert als zweite Poincaréinvariante


ZZZZ X n X n
J2 D dqi dpi dqj dpj : (9.57)
i D1 j D1

Die Integrale sind über eine vierdimensionale Hyperfläche auszuführen.


Auch J2 erweist sich als invariant unter kanonischen Transformationen.
Die Reihe kann fortgesetzt werden. Ihr letztes Glied ist Jn .
Auf diese Weise erhält man n Integrale der Bewegung!
Wir kehren zu J1 zurück. Das Integrationsgebiet G sei in der qj pj -Ebene,

J1 D dqj dpj : (9.58)
G

Denn alle anderen qi ; pi mit i ¤ j der Summe in (9.55) ändern sich nicht.
Gleichung (9.58) lässt sich elementar umschreiben zu
I
J1 D dqj pj : (9.59)
@G

Doch dies ist gerade die Definition einer Wirkungsvariablen in (8.57).


Der Schritt von (9.58) zu (9.59) gilt auch allgemein für (9.55).
Dazu benutzt man den Stokesschen Satz im R2nC1 (Arnold 1989, S. 238).

Literatur
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Goldstein H., Klassische Mechanik, 10. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden, 1989
Greiner W., Mechanik I, II, 2. Aufl., Verlag Harri Deutsch, Thun und Frankfurt am Main, 1977
Huang K., Statistische Mechanik I, Bibliographisches Institut, Mannheim, 1964
Khinchin A., Mathematical Foundations of Statistical Mechanics, Dover, New York, 1949
Nordheim L. & Fues E., Die Hamilton-Jacobische Theorie der Dynamik, in Handbuch der Physik,
Band V, Hrsg. H. Geiger & K. Scheel, Springer, Berlin, 1927, S. 91
Sommerfeld A., Mechanik, Akademische Verlagsgesellschaft Becker und Erler, Leipzig, 1943
Störungen
10

Dieses Kapitel behandelt gestörte Gleichgewichtssysteme.


Wir stellen zwei Methoden vor, um solche Systeme zu analysieren:
 Die Methode der Greenfunktion und
 die Methode der Kolmogorowtransformation.
Die ersten zwei Abschnitte bringen die mathematische Vorbereitung.

10.1 Deltafunktion

Die Deltafunktion ı (eigentlich Deltadistribution) ist definiert durch

Z1
f .x/ D dy f .y/ ı.y  x/; (10.1)
1

mit einer beliebigen stetigen Funktion f . P


Gleichung (10.1) ist die Verallgemeinerung von fi D j fj ıj i auf das Kontinuum.
Es ist ı.x/ D 0 bis auf eine infinitesimale
R 1 Umgebung von x D 0.
Setzt man f D 1 und x D 0, so ist 1 dy ı.y/ D 1, also gilt ı.0/ ! 1.

Die bekannteste Darstellung der ı-Funktion lautet

Z1
1
ı.x/ D dk e i kx (10.2)
2
1

Die Beweisidee ist wie folgt. Es gilt e i kx D cos.kx/ C i sin.kx/.


Der sin ist antisymmetrisch, und diese Integrale verschwinden: ı.x/ 2 R.
Der cos ist symmetrisch
R 1 und damit auchR die ı-Funktion: ı.x/ D ı.x/.
1
Wir ersetzen also 1 dk e i kx durch 2 0 dk e i kx .
Wir betrachten einen beliebigen, aber festen Punkt x ¤ 0.
A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_10, 199
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
200 10 Störungen

Für dieses x gibt es für jedes k > 0 genau ein k 0 > k mit
(a) cos.k 0 x/ D  cos.kx/, und
(b) cos.k 0 x/ hat eine Halbschwingung mehr in Œ0; x als cos.kx/.
Wir stellen das Integral als Riemannsche Rechtecksumme dar.
Dann heben sich für dk D dk 0 die Beiträge dk 0 cos.k 0 x/ und dk cos.kx/.
Indem man so für jedes k das zugehörige k 0 bestimmt, ist für x ¤ 0
Z1 Z1 Z1
2 dk cos.kx/ D dk cos.kx/ C dk 0 cos.k 0 x/ D 0: (10.3)
0 0 0

Damit ist auch ein bisher unerwähnt gebliebenes Problem gelöst:


Die Fläche von unendlich vielen cos-Schwingungen in (10.2) ist indefinit.
Durch die Zerlegung (10.3) werden Terme paarweise zu 0 kombiniert.
Dieses ganze Argument funktioniert nicht für x D 0:
Hier ist cos.kx/ D 1 für alle k, die Integranden summieren sich zu 1.
Wir erhalten also qualitativ das BildReiner ı-Funktion.
1
Auf den Nachweis der Normierung 1 dke i kx D 2 ı.x/ sei verzichtet.

Die Stammfunktion der ı-Funktion ist


Zx (
0 0 0 für x < 0
.x/ D dx ı.x / D (10.4)
1 für x > 0;
1

also die Sprungfunktion, auch Heavisidefunktion genannt.


Man schreibt trotz der Singularität bei x D 0
d.x/
ı.x/ D : (10.5)
dx
Links/rechts von x D 0 ist die links-/rechtsseitige Ableitung zu nehmen.

Die dreidimensionale ı-Funktion ist multiplikativ definiert:



f .x; y; z/ D dx 0 dy 0 dz 0 f .x 0 ; y 0 ; z 0 / ı.x  x 0 ; y  y 0 ; z  z 0 /

Š
D dx 0 dy 0 dz 0 f .x 0 ; y 0 ; z 0 / ı.x  x 0 / ı.y  y 0 / ı.z  z 0 /: (10.6)

Koordinatenfrei schreibt man dafür ı.Er  rE0 /. Eine Darstellung ist



1
ı.x; y; z/ D dl dm dn e i.lxCmyCnz/ ; (10.7)
.2 /3
oder koordinatenfrei
Z
1 E
ı.Er / D d3 k e i kEr : (10.8)
.2 /3
10.2 Fouriertransformation 201

10.2 Fouriertransformation
Sei .kI x/ mit k; x 2 R und 2 C eine einparametrige Funktionenschar.
x wird hier als Variable aufgefasst, k als kontinuierlicher Parameter.
Funktionen .kI x/ heißen orthonormiert, wenn gilt:
Z1

dx .kI x/ .lI x/ D ı.l  k/ (10.9)
1

Der Stern kennzeichnet das komplex Konjugierte: .a C ib/ D a  ib.


Funktionen .kI x/ heißen vollständig, wenn die Darstellung
Z1

f .x/ D dk .kI x/ F .k/ (10.10)
1

für jede stetige und hinreichend glatte Funktion f .x/ möglich ist.
Das soll heißen, wenn für f .x/ ein F .k/ gemäß (10.10) existiert.
Man sagt dann, f lässt sich mit Koeffizienten F nach den entwickeln.
Bezüglich dieser Entwicklung ist Sorgfalt vonnöten; man unterscheidet
 gleichmäßige Konvergenz,
 punktweise Konvergenz und
 Konvergenz im quadratischen Mittel
der Integralsumme in (10.10) gegen f .x/.
Eine prägnante Darstellung hierzu gibt Forster (1976, S. 189).

Satz Die Schar .kI x/ ist vollständig, wenn gilt:


Z1

dk .kI x/ .kI y/ D ı.x  y/ (10.11)
1

Beweis Z1
f .x/ D dy ı.x  y/f .y/
1
Z1 Z1
(10.11) 
D dy dk .kI x/ .kI y/ f .y/
1 1
Z1 Z1

D dk .kI x/ dy .kI y/ f .y/
1 1
Z1

D dk .kI x/ F .k/: (10.12)
1
202 10 Störungen

Wir setzen die Vertauschbarkeit der Integrale voraus (Satz von Fubini).
Die letzte Zeile ist die gewünschte Darstellung (10.10).
Die Koeffizienten F .k/ sind somit gegeben durch

Z1
F .k/ D dx .kI x/ f .x/ (10.13)
1

Wir betrachten nun eine spezielle Funktionenschar der Form

.kI x/ D .kx/; (10.14)

bei der nur über das Produkt kx von k und x abhängt.


Für solche folgt Vollständigkeit (10.11) aus Orthonormiertheit (10.9)!

Beweis Mit den Ersetzungen k; l; x ! x; y; k in (10.9) erhält man (10.11).

Nach diesen Vorbereitungen kommen wir zur Fouriertransformation.


Wir benennen in (10.2) die Variablen um:

k ! x; x !l k .x; l; k 2 R/: (10.15)

Dies ergibt

Z1 Z1
1 ix.lk/ e lx e i kx
dx e D dx p p D ı.l  k/: (10.16)
2 2 2
1 1

Die Funktionenschar
1
.kx/ D p e i kx (10.17)
2

ist nach (10.9) also orthonormiert und wegen D .kx/ auch vollständig.
Die Fouriertransformation ist definiert durch

Z1
1
f .x/ D p dk e i kx F .k/ (10.18)
2
1
Z1
1
F .k/ D p dx e i kx f .x/ (10.19)
2
1

Zur Kontrolle setzen wir (10.19) in (10.18) ein.


Dabei ist x in (10.18) eine gebundene, in (10.19) eine freie Variable.
10.3 Greenfunktion 203

Wir benennen daher x in (10.18) in die Hilfsvariable y um,

Z1 Z1 Z1
1 (10.2)
f .x/ D dk dy e i k.xy/
f .y/ D dy ı.x  y/ f .y/; (10.20)
2
1 1 1

was wieder (10.1) ist. Im Rn gilt dann entsprechend

Z1 Z1 P
1
f .x1 ; : : : ; xn / D dk1 : : : dkn F .k1 ; : : : ; kn / e i j kj xj
;
.2 /n=2
1 1
Z1 Z1 P
1
F .k1 ; : : : ; kn / D dx1 : : : dxn f .x1 ; : : : ; xn / e i j kj xj
: (10.21)
.2 /n=2
1 1

Eine wesentliche Vereinfachung ergibt sich für periodische Funktionen.


f .x/ ist periodisch, wenn 9 2 RC 8n 2 Z 8x 2 R: f .x C n / D f .x/.
Wir nehmen D 2 an; dies ist mit Umskalierung von x immer möglich.
f .x/ sei periodisch, stetig und stückweise stetig differenzierbar.
Dann konvergiert die Fourierreihe von f gleichmäßig gegen f ,
1
X
1
f .x/ D p e i kx F .k/; (10.22)
2 kD0
Z2
1
F .k/ D p dx e i kx f .x/; k D 0; 1; 2; : : : (10.23)
2
0

Zum Beweis siehe Forster (1976, S. 199).


Die Periodizität von f wandelt das k-Integral zur diskreten Summe um.

10.3 Greenfunktion

Wir wollen die Greenfunktion des harmonischen Oszillators bestimmen.


Die Herleitung folgt Wagner (1975, S. 25).
Die Greenfunktion ist die System-Response auf abrupte Störungen.
Letztere werden durch eine ı-Funktion beschrieben.
Wir beginnen mit der Bewegungsgleichung
 
d2 d F .t/
C 2 C !02 x.t/ D ; (10.24)
dt 2 dt m

mit !02 D k=m, Dämpfungskonstante 2 und beliebiger externer Kraft F .


204 10 Störungen

Die Greenfunktion G.t  t 0 / ist definiert durch


 
d2 d
2
C 2 C !02 G.t  t 0 / D ı.t  t 0 / (10.25)
dt dt

Die Lösung x.t/ von (10.24) ist gegeben durch

Z1
1
x.t/ D dt 0 G.t  t 0 / F .t 0 / (10.26)
m
1

Dies ergibt sich leicht durch Einsetzen in (10.24):

    Z1
d2 d 1 d2 d
2
C 2 C !02 x.t/ D 2
C 2 C !02 dt 0 G.t  t 0 / F .t 0 /
dt dt m dt dt
1
Z1  
.a/1 0 d2 d
D dt C 2 C !0 G.t  t 0 / F .t 0 /
2
m dt 2 dt
1
Z1
(10.25) 1
D dt 0 ı.t  t 0 / F .t 0 /
m
1
F .t/
D : (10.27)
m
.a/ t und t 0 sind voneinander unabhängige Variablen:
Um das zu verdeutlichen, schreibt man oft G.t; t 0 / statt G.t  t 0 /.
Der t-Differentialoperator wirkt also nicht auf Argumente t 0 .

Die DGL (10.25) ist lösbar, insbesondere weil ı fast überall 0 ist.
Mit dem bekannten G.t  t 0 / berechnet man dann x.t/ mittels (10.26).
Dies ist keine DGL mehr, sondern lediglich eine Integration.
So ist zu jedem beliebigen F .t/ das gesuchte x.t/ auffindbar.

Wir fassen die Methode abstrakt zusammen.


Sei D t Differentialoperator irgendeines Problems bzgl. der Variablen t.
D t soll linear in Ableitungen sein: d2 =dt 2 ist erlaubt, .d=dt/2 nicht.
Die relevanten Gleichungen sind

D t x.t/ D F .t/;
D t G.t  t 0 / D ı.t  t 0 /;
Z
x.t/ D dt 0 G.t  t 0 / F .t 0 /: (10.28)
10.3 Greenfunktion 205

Zur Begründung der letzten Gleichung:


Z
D t x.t/ D D t dt 0 G.t  t 0 / F .t 0 /
Z
D dt 0 ŒD t G.t  t 0 / F .t 0 /
Z
D dt 0 ı.t  t 0 / F .t 0 /

D F .t/: (10.29)

Hier und im Folgenden sollen alle Integrale von 1 bis 1 gehen.


Man beachte insbesondere die Einführung der Hilfsvariablen t 0 .

Nun muss G.t  t 0 / gefunden werden. Wir verwenden die Darstellung


Z
1 0
ı.t  t 0 / D d! e i !.t t / : (10.30)
2

Dies legt nahe, die Fouriertransformierte g von G zu betrachten,


Z
0 1 0
G.t  t / D p d! g.!/e i !.t t / : (10.31)
2

Einsetzen von (10.30) und (10.31) in (10.25) ergibt


Z   Z
1 i !.t t 0 / d2 d 1 0
d! e D 2
C 2 C !0 2
p d! g.!/ e i !.t t /
2 dt dt 2
Z  2 
1 d d 0
Dp d! g.!/ 2
C 2 C !0 e i !.t t /
2
2 dt dt
Z
1 0
Dp d! g.!/.! 2 C 2i! C !02 / e i !.t t / : (10.32)
2
0
Die Entwicklung nach den Funktionen e i !.t t / ist eindeutig.
Somit müssen deren Koeffizienten übereinstimmen, und es ist

1 1
g.!/ D p : (10.33)
2 !02  !2 C 2i!

Dies nun wieder in (10.31) einsetzen ergibt


Z 0
1 e i !.t t /
G.t  t 0 / D d! : (10.34)
2 !02  ! 2 C 2i!

Solche Integrale kann man mit dem Residuensatz berechnen.


206 10 Störungen

Abb. 10.1 Geschlossener Integrationsweg im Komplexen zur Berechnung der Greenfunktion. Bei
Zeiten t > t 0 wird in der oberen komplexen Halbebene geschlossen. Der Halbkreis verläuft im
Unendlichen und liefert keine Beiträge zum Integral. Beide Pole !N C und !N  aus (10.38) werden
umschlossen

N
Wir machen dazu aus ! eine komplexe Variable !,

! ! !N D ! C i˝; (10.35)

und wandeln das Integral in ein geschlossenes Konturintegral um:


Z I
d! ! d!: N (10.36)

Der Beitrag der neu hinzukommenden Wegstücke muss null sein.


Dazu werden diese Wegstücke ins Unendliche gelegt; genauer:
N
Sie seien Halbkreise im Unendlichen der komplexen !-Ebene.
0
 Für t  t 0 > 0 und ˝ ! C1 ist e ˝.t t / ! 0:
N
Wähle einen Halbkreis in der oberen komplexen !-Halbebene.
0
 Für t  t 0 < 0 und ˝ ! 1 ist e ˝.t t / ! 0:
N
Wähle einen Halbkreis in der unteren komplexen !-Halbebene.
Nach dem Residuensatz gilt:
Komplexe Konturintegrale sind durch eingeschlossene Pole festgelegt.
Pole sind dabei Nullstellen von Nennern; hier also
q
!N ˙ D i ˙ w; mit w D !02   2 : (10.37)

Die Nullstellen eines Polynoms ergeben seine Faktorisierung. Damit ist


I N t 0 /
0 1 e i !.t
G.t  t / D  d!N : (10.38)
2 .!N  !N C /.!N  !N  /
Definition: 1=.z  z0 /n hat bei z D z0 einen Pol n-ter Ordnung.
Beide Pole in (10.38) sind also von erster Ordnung.
Beide Pole liegen in der oberen komplexen Halbebene, siehe Abb. 10.1.
Schließe für t  t 0 < 0 den Integrationsweg in der unteren Halbebene.
Dann wird kein Pol eingeschlossen, und das Integral verschwindet,

G.t  t 0 / D 0 für t  t 0 < 0: (10.39)


10.4 Dispersionsrelation und Greenfunktion 207

Dies ist klar: Eine Kraft bei t 0 kann zu Zeiten t < t 0 nicht wirken.
Für t  t 0 > 0 schließe in der oberen Halbebene: Man umfährt beide Pole.
Der Residuensatz lautet, mit eingeschlossenen Polen zk ,
I X
f .z/dz D 2 i Res f .zk /: (10.40)
k

Für Pole zk erster Ordnung sind die Residuen gegeben durch

Res f .zk / D lim .z  zk /f .z/: (10.41)


z!zk

Hier ist also


 N t / 0
0 e i !.t
G.t  t / D i lim .!N  !N C /
N !N C
!! .!N  !N C /.!N  !N  /
N t 0 / 
e i !.t
C lim .!N  !N  / : (10.42)
N !N 
!! .!N  !N C /.!N  !N  /

Einsetzen der !N ˙ aus (10.37) ergibt für t  t 0 > 0

i 0
h 0 0
i
G.t  t 0 / D  e .t t / e iw.t t /  e iw.t t /
2w
1 .t t 0 /
D e sin.w.t  t 0 //: (10.43)
w
Mittels der Heavisidefunktion können wir für alle Zeiten schreiben

sin.w /
G. / D e  . / . D t  t 0/ (10.44)
w

Wir fassen zusammen: Der Integrationsweg wurde im Komplexen für


 t < t 0 unten geschlossen: 0 Pole werden eingeschlossen, G D 0;
 t > t 0 oben geschlossen: 2 Pole werden eingeschlossen, jGj 0.
t 0 ist Zeitpunkt des Kraftstoßes, t Zeitpunkt der ausgelösten Wirkung.
Gleichung (10.44) ist also der mathematische Ausdruck des Kausalgesetzes:
Wirkung folgt auf Ursache (hier: Oszillation folgt auf Kraftstoß).

10.4 Dispersionsrelation und Greenfunktion

Die Greenfunktion kann aus der Dispersionsrelation bestimmt werden.


Dieser Zusammenhang soll nun hergeleitet werden.
Wir betrachten irgendein elastisches Medium (Festkörper, Gas).
Sei Dxt linearer Differentialoperator der Wellengleichung des Mediums.
208 10 Störungen

Wir setzen an:

Dxt G.x  x 0 ; t  t 0 / D ı.x  x 0 /ı.t  t 0 /: (10.45)

Auf der linken Seite wird eine Fourierentwicklung durchgeführt;


auf der rechten Seite wird die Darstellung (10.2) eingesetzt:
Z Z
1 0 0
dk d! g.k; !/Dxt e i k.xx / e i !.t t /
2
Z Z
1 0 0
D dk d! g.k; !/Æ.k; !/e i k.xx / e i !.t t /
2
Z Z
1 i k.xx 0 / 1 0
D dk e d! e i !.t t / : (10.46)
2 2
Æ ist das in (6.122) und (6.127) eingeführte Dispersionspolynom.
Koeffizientenvergleich ergibt

1
g.k; !/ Æ.k; !/ D : (10.47)
2
Also, indem wir zur Einfachheit x 0 D t 0 D 0 setzen,
Z Z
1 1
G.x; t/ D dk e i kx d! e i !t (10.48)
4 2 Æ.k; !/

Es kommt je 2 von (10.47) und Fouriertransformation bzgl. k und !.


Gleichung (10.48) ist der gesuchte Zusammenhang zwischen G und Æ.

10.5 Gestörte Phasenraumtori

Gegeben sei ein integrables Hamiltonsystem mit n Freiheitsgraden.


Es sollen die in Abschnitt 8.8 genannten Voraussetzungen gelten.
Die  -Phasenraumbahn verläuft also auf einem Torus T n ;
und das System hat kanonische Wirkungs- und Winkelvariablen Ji ; 'i .
Die Tori füllen, indem man alle Werte der Ji durchläuft, den R2n .

Was geschieht dann bei einer kleinen Störung des Systems?


Werden die Tori dabei (topologisch) nur deformiert?
Oder liegt die Phasenraumtrajektorie nicht länger auf einem Torus?
Letzteres war lange Zeit die allgemeine Erwartung (s. Thirring 1997):
Kleinste Störungen sollten komplizierte, chaotische Bahnen ergeben.
Doch nach Kolmogorow (1954), Arnold (1963), Moser (1962) [KAM] gilt:
 Für kleine Störungen werden viele.a/ Phasenraumtori nur deformiert.
 In ihrer Komplementmenge sind Bahnen durch Resonanzen chaotisch.
 Denn zerstört.b/ werden gerade die Resonanztori..c/
10.6 Resonanznenner 209

.a/ „Viele“ steht für eine Menge von endlichem Maß.


.b/ Das Poincaré-Birkhoff-Fixpunkttheorem zeigt, wie das geschieht.
.c/ Das sind Tori mit rationalen Frequenzverhältnissen:
Resonanzen gibt es in periodischen Systemen mit n 2 Freiheitsgraden.
Eine Resonanz liegt vor, wenn Kreisfrequenzen !i kommensurabel sind:

X
n
9 k1 2 Z : : : 9 kn 2 Z W ki !i D 0: (10.49)
i D1

Bei Resonanzen können Bahnen sehr kompliziert sein.


Es sei hier z. B. auf den Begriff homokline Punkte verwiesen.
Damit ein Torus mit Frequenzen !i nicht zerstört wird, muss gelten

ˇXn ˇ
ˇ ˇ c
8k1 2 Z : : : 8kn 2 Z W ˇ ki !i ˇ > 0; (10.50)
k k k˛
i D1

mit der Einsnorm k k kD jk1 j C : : : C jkn j, einer Funktion c.!/ sowie ˛ > 0.
Der triviale Fall k1 D : : : D kn D 0 ist ausgeschlossen.
Gleichung (10.50) bedeutet, dass die Trajektorie nicht „zu stark“ resonant ist.
Daher heißt (10.50) Irrationalitätsbedingung.
Weitere Voraussetzung für das obige Theorem ist die Nichtentartung,
   
@!i @2 H0
det D det ¤ 0; (10.51)
@Jj @Ji @Jj

mit den Wirkungsvariablen Ji der ungestörten Hamiltonfunktion H0 .


Mit (10.51) kann man Tori durch !i nummerieren (Arnold 1989, S. 401):
Trajektorien verschiedener Tori haben verschiedene Frequenzen.

Das KAM-Theorem gilt nur für konservative, reibungsfreie Systeme.


Details findet man in Moser (1973) und Abraham und Marsden (1978).
Thirring (1997, S. 158) gibt einen Beweis auf wenigen Seiten.
Wir betrachten nun, warum Resonanzen so großen Einfluss haben.

10.6 Resonanznenner

Die Lösung des gestörten Systems wird in eine Störungsreihe entwickelt.


Die Reihenglieder fallen mit steigender Potenz der kleinen Störung ab.
Sind die Reihenglieder beschränkt, konvergiert die Reihe.
Doch führen Resonanzen zur Division durch 0 und möglicher Divergenz.
Dieses Problem der kleinen Nenner ist seit etwa 200 Jahren bekannt.
Das Problem soll im Folgenden beispielhaft dargestellt werden.
Wir betrachten dazu die Kolmogorowtransformation im KAM-Theorem.
210 10 Störungen

Diese geht zurück auf Arbeiten von Newcomb, Lindstedt und Poincaré.
Wir folgen hier der Darstellung von Toda et al. (1992, S. 211).
Ein sehr ähnlicher Weg findet sich bei Schneider (1993, S. 405).
Thirring (1997, S. 148) bringt auch explizite Konvergenzbetrachtungen.

Das ungestörte System habe die Hamiltonfunktion H0 .


Das System sei integrabel, die Phasenraumbahn liege auf einem Torus.
Es werden kanonische Wirkungs- und Winkelvariablen Jj ; 'j benutzt.
Die ungestörte Hamiltonfunktion H0 hängt nur von den Jj ab:

@H0
JPj D  D 0;
@'j
@H0
'Pj D D !0j .J /: (10.52)
@Jj

Wir verwenden den Ansatz einer kleinen Störung (" < 1),

H.'; J / D H0 .J / C "H1 .'; J /: (10.53)

Die zentrale Idee ist, eine kanonische Transformation

Jj ! Jj0 ; 'j ! 'j0 (10.54)

auszuführen, für die gelten soll:

H0 .J / D H00 .J 0 /;
H1 .'; J / D "H10 .' 0 ; J 0 /: (10.55)

Ein willkürliches Beispiel für die erste Zeile ist H0 .J / D J 2 D J 0 D H00 .J 0 /.


Einsetzen von (10.55) in (10.53) ergibt

H.'; J / D H00 .J 0 / C "2 H10 .' 0 ; J 0 /: (10.56)

Es wird wieder eine kanonische Transformation ausgeführt, nun mit

H00 .J 0 / D H000 .J 00 /;
H10 .' 0 ; J 0 / D "H100 .' 00 ; J 00 /; (10.57)

also nach Einsetzen:

H.'; J / D H000 .J 00 / C "3 H100 .' 00 ; J 00 /: (10.58)

Nach der dritten entsprechenden kanonischen Transformation ist

H.'; J / D H0000 .J 000 / C "4 H1000 .' 000 ; J 000 /; (10.59)

und so endlos weiter.


10.6 Resonanznenner 211

Wenn die Folge H10 ; H100 ; H1000 ; : : : beschränkt ist,


dann konvergiert H00::: .J 0::: / gegen H.'; J /, wegen limn!1 "n D 0.
Die 'j0::: und Jj0::: sollen dabei gegen 'j1 und Jj1 konvergieren.

Durch kanonische Transformationen wird also H in H0 überführt.


Die Lösung der Bewegungsgleichungen für H0 liegt auf einem Torus.
Also liegt die Bahn in den neuen Koordinaten 'j1 ; Jj1 auf einem Torus.
Definition: Zwei räumliche Objekte M; N heißen topologisch äquivalent
$ Es gibt eine bijektive Abbildung f W M ! N , und f und f 1 sind stetig.
Diese Abbildung heißt Homöomorphismus (nicht Homomorphismus).
Topologisch äquivalente Gebilde können ineinander überführt werden.
Man stellt sich die Gebilde als elastisch vor, und sie werden deformiert.
Die 'j1 ; Jj1 entstehen aus den 'j ; Jj durch kanonische Transformation.
Also ist die Abbildung 'j ; Jj ! 'j1 ; Jj1 sicher ein Homöomorphismus.
(Die kanonische Transformation ist i. A. ein Diffeomorphismus.)
Also sind die 'j ; Jj Koordinaten auf einem deformierten Torus.

Was ist die Erzeugende der kanonischen Transformationen (10.55)?


Wir betrachten nur die erste kanonische Transformation.
Das gleiche Verfahren ist dann für alle weiteren anwendbar.
Es wird wieder S aus (8.97) benutzt, hier also S.'; J 0 /, mit
@S @S
Jj D ; 'j0 D : (10.60)
@'j @Jj0

Wir machen, mit einer vorläufig unbekannten Funktion R, den Ansatz

S.'; J 0 / D 'j Jj0 C "R.'; J 0 /; (10.61)

mit Summationskonvention für j . Einsetzen in (10.60) ergibt


@R
Jj D Jj0 C " ; (10.62)
@'j
@R
'j0 D 'j C " 0 :
@Jj

' ist periodisch, also gibt es Fourierreihen für R.'; J 0 / und H1 .'; J /:

R.'1 ; : : : ; 'n ; J10 ; : : : ; Jn0 /


1
X 1
X
D ::: r.k1 ; : : : ; kn ; J10 ; : : : ; Jn0 /e i.k1 '1 C:::Ckn 'n / ;
k1 D0 kn D0

H1 .'1 ; : : : ; 'n ; J1 ; : : : ; Jn /
1
X 1
X
D ::: h.k1 ; : : : ; kn ; J1 ; : : : ; Jn /e i.k1 '1 C:::Ckn 'n / : (10.63)
k1 D0 kn D0
212 10 Störungen

In abgekürzter Schreibweise ist


1
X
R.'; J 0 / D r.k; J 0 /e i kj 'j ; (10.64)
.k/D0
1
X
H1 .'; J / D h.k; J /e i kj 'j : (10.65)
.k/D0

.k/ soll den Tupel .k1 ; : : : ; kn / bedeuten.


In der letzten Gleichung wird der Summand mit e 0 abgetrennt:
1
X
H1 .'; J / D h.0; J / C h.k; J /e i kj 'j : (10.66)
.k/ D0

.k/ soll bedeuten, dass k1 C : : : C kn > 0 ist.


(10.62) in H0 .J / einsetzen und Entwicklung bis zur 1. Ordnung in " gibt
 
0 @R
H0 .J / D H0 J C "
@'
@H0 0 @R
D H0 .J 0 / C " .J / C O."2 /: (10.67)
@Jj0 @'j

Nun die Hauptrechnung:

(10.53)
H.'; J / D H0 .J / C "H1 .'; J /
1
X
(10.66)
D H0 .J / C "h.0; J / C " h.k; J /e i kj 'j
.k/ D0
 1
X
(10.67) @H0 0 @R
D H0 .J 0 / C " .J / C h.0; J / C h.k; J /e i kj 'j
@Jj0 @'j  .k/ D0
C O."2 /
Š
D H00 .J 0 / C "  0 C "2 H10 .' 0 ; J 0 /; (10.68)
(10.56)

denn nach kanonischer Transformation soll O."/ verschwinden.


Wir definieren neue, gestörte Frequenzen

@H0 0
!j D !j .J 0 / D .J /: (10.69)
@Jj0
10.6 Resonanznenner 213

Also müssen diese beiden Gleichungen gelten:

H00 .J 0 / D H0 .J 0 /;
1
X
@R
0 D !j C h.0; J / C h.k; J /e i kj 'j : (10.70)
@'j  .k/ D0

Wir benutzen im ersten Summanden die Fourierentwicklung (10.63),


1
X  
ikj !j r.k; J 0 / C h.k; J / e i kj 'j C h.0; J / D 0: (10.71)
.k/ D0

Beim Differenzieren fällt der Term mit k1 D : : : D kn D 0 in (10.63) weg.


Daher laufen in (10.71) beide Teilsummen über .k/ .
In (10.71) muss h.0; J / D 0 sein: Dieser Term steht für sich allein.
Alle Fourierkoeffizienten der Nullfunktion (f  0) verschwinden.
Also muss jeder Œ -Klammerterm in (10.71) für sich verschwinden,

ih.k; J /
r.k; J 0 / D : (10.72)
Pn
kj !j
j D1

Zur Deutlichkeit wurde hier die Summe über j wieder ausgeschrieben.


Die r.k; J 0 / müssen beschränkt sein, damit die Reihe (10.64) konvergiert.
Diese Fourierreihe wird i. A. nicht konvergieren, wenn gilt:

X
n
kj !j ! 0; (10.73)
j D1

d. h. wenn die !j über den ganzen Zahlen nahezu linear abhängig sind.
(Es sei kj 2 Z; das Vorzeichen der !j wird in die kj hinein gezogen).
Gleichung (10.73) ist wieder Ausdruck einer Resonanz, vgl. (10.49).
Die Möglichkeit Pvon (10.73) in (10.72) heißt Problem der kleinen Nenner.
Es gilt: Je näher j kj !j an null ist, umso kleinere " zerstören den Torus.
Arnold (1963) und Moser (1962) gelang die präzise Antwort auf die Frage:
In welchem „Abstand“ von Resonanzen konvergiert die Reihe (10.64)?
Das heißt, unter welchen Bedingungen werden Phasenraumtori nicht zerstört?

Wir fassen die obige Rechnung knapp zusammen (aus Arnold 1963, S. 11).
Zur besseren Lesbarkeit benutzen wir q; p anstelle von '; J .
Wir verzichten auf Indizes
P bei q; p;
Pk; !: Alle sind als n-Tupel aufzufassen.
Wir schreiben statt j kj qj und j kj !j abkürzend .k; q/ und .k; !/.
Der Fourierterm 8j W kj D 0 wird gleich weggelassen, geschrieben k ¤ 0.
Für die Fourierkoeffizienten schreiben wir einfach rk .p 0 / statt r.k; p 0 /.
214 10 Störungen

Dann lautet die obige Rechnung, bis auf kleine Veränderungen:

q; p ! q 0 ; p 0 ;

@R @R
p D p0 C " ; q0 D q C " ;
@q @p 0

H.q; p/ D H0 .p/ C "H1 .q; p/


.a/
D H0 .p/ C ".H1C .p/ C H1 .q; p//
.b/ @H0 0 @H C
D H0 .p 0 / C .p /.p  p 0 / C "H1C .p 0 / C " 1 .p 0 /.p  p 0 / C "H1 .q; p/
@p @p

.c/ @H @R
D H0 .p 0 / C "H1C .p 0 / C "
0
.p 0 / C H1 .q; p/ C "2 : : : ; (10.74)
@p @q
.d / X
R.q; p 0 / D rk .p 0 /e i.k;q/ ;
k¤0

.d / X
H1 .q; p/ D hk .p/e i.k;q/ ;
k¤0

@R X
D ikrk .p 0 /e i.k;q/ ;
@q
k¤0

@H0 0 .e/
.p / D !;
@p
X  .f /
i.k; !/ rk .p 0 / C hk .p/ e i.k;q/ D 0;
k¤0

ihk .p/
rk .p 0 / D : (10.75)
.k; !/

.a/ Von H1 .q; p/ wird ein integrabler Anteil H1C .p/ abgespalten
.b/ Taylorreihenentwicklung um p 0 bis zum ersten Glied
.c/ p  p 0 von oben einsetzen und nach Ordnung von " sortieren
.d / Fourierreihenentwicklung der periodischen Funktionen bzgl. q
.e/ Hamiltongleichung
.f /In (10.74) hängt H0 .p 0 / C "H1C .p 0 / nur von p 0 ab.
Dies ist integrabel, die Trajektorie liegt auf einem Torus.
Also muss die eckige Klammer in (10.74)verschwinden!
Literatur 215

Literatur
Abraham R. & Marsden J., Foundations of Mechanics, 2. Aufl., Benjamin Cummings Publishing
Company, London, Amsterdam, 1978
Arnold V., Proof of a Theorem of A. N. Kolmogorow on the Invariance of Quasi-Periodic Mo-
tions Under Small Perturbations of the Hamiltonian, Uspekhi Mat. Nauk 18:5, 1963, S. 13,
Übersetzung in Russian Math. Surveys 18, 1963, S. 9
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Forster O., Analysis 1, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1976
Kolmogorow A., On the Conservation of Quasi-Periodic Motions for a Small Change in the Ha-
miltonian Function, Doklad. Akad. Nauk, SSSR, 98:4, 1954, S. 527
Moser J., On Invariant Curves of Area-Preserving Mappings of an Annulus, Nachr. Akad. Wiss.
Göttingen, Math. Phys. Kl., 1962, S. 1
Moser J., Stable and Random Motions in Dynamical Systems, Princeton University Press, Prince-
ton, New Jersey, 1973
Schneider M., Himmelsmechanik, Band II, Bibliographisches Institut, Mannheim, 1993
Thirring W., Classical Mathematical Physics: Dynamical Systems and Field Theories, 3. Aufl.,
Springer, Berlin, 1997
Toda M., Kubo R. & Saito N., Statistical Physics, Equilibrium Statistical Mechanics, 2. Aufl.,
Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 1992
Wagner M., Elemente der Theoretischen Physik 1, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1975
Drehungen
11

11.1 Drehungen um drei Achsen

Im Folgenden steht .xi / für einen 3-Tupel und .Aij / für eine 3  3-Matrix.
Vereinfacht schreiben wir auch xi und Aij ohne Klammern.
Wir schreiben einen Vektor rE in zwei kartesischen Koordinatensystemen,

rE D x1 {O C x2 |O C x3 kO
D X1 IO C X2 JO C X3 K: O (11.1)

Die Systeme sollen einen gemeinsamen Nullpunkt haben.


Die Drehung eines Vektors in einem System wird später behandelt.
Wir multiplizieren beide Gleichungen skalar mit IO; JO und dann mit K; O
und wir benutzen Orthonormiertheit IO  IO D 1; IO  JO D 0 usw. Dies ergibt

X1 D {O  IO x1 C |O  IO x2 C kO  IO x3 ;
X2 D {O  JO x1 C |O  JO x2 C kO  JO x3 ; (11.2)
X3 D {O  KO x1 C |O  KO x2 C kO  KO x3 :

Nach Skalarmultiplikation von (11.1) mit {O; |O und dann kO ist

x1 D {O  IO X1 C {O  JO X2 C {O  KO X3 ;
x2 D |O  IO X1 C |O  JO X2 C |O  KO X3 ; (11.3)
x3 D kO  IO X1 C kO  JO X2 C kO  KO X3 :

In Matrixschreibweise lesen sich diese beiden Systeme so:


0 1 0 O 1 0 1
X1 {O  I |O  IO kO  IO x1
@X 2 A D B C
@ {O  JO |O  JO kO  JO A  @x2 A (11.4)
X3 {O  KO |O  KO kO  KO x3

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_11, 217


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
218 11 Drehungen

und
0 1 0 1 0 1
x1 {O  IO {O  JO {O  KO X1
@x2 A D @|O  IO |O  JO |O  KO A  @X2 A : (11.5)
x3 kO  IO kO  JO kO  KO X3

Wir kürzen ab (mit Summationskonvention),

Xi D Aij xj ;
xi D A1
ij Xj ; (11.6)

wobei als Abkürzung für die inverse Transformation geschrieben wird

A1 1
ij D .A /ij : (11.7)

Also haben wir die Komponententransformationen

von xj nach Xi : xj 7! Xi mit Xi D Aij xj ;


von Xj nach xi : Xj 7! xi mit xi D A1
ij Xj :

Für die inverse Transformation gilt

xk D A1 1
kj Xj D Akj Aj i xi D ıki xi ; (11.8)

also ist

A1
kj Aj i D ıki : (11.9)

Entsprechend zeigt man Akj Aj1i D ıki .


Aij transformiert von xj nach Xi .
Also ist Aij bestimmt durch |O und IO, nämlich

Aij D IO  |O (11.10)

Aber keineswegs gilt Aij D {O  JO ! Dies ist ein häufiger Fehler.


Es ist somit Aij D cos ˛, mit dem Winkel ˛ zwischen IO und |O.
Aij sind die neun Richtungscosinus von neuen mit alten Achsen.
Entsprechend gilt

A1
ij D {O  J
O (11.11)

Mit der Abkürzung Aij D .A /ij ist daher

A1 O O 
ij D {O  J D J  {O D Aj i D Aij ; (11.12)
11.2 Orthogonale Matrizen 219

nach Definition der Transposition . Also gilt für die Drehmatrizen

A1 D A (11.13)

wie auch in (11.4) und (11.5) zu sehen ist. A steht für die Matrix .Aij /.
Wir wiederholen nochmals die Warnung

Aij D IO  |O ¤ JO  {O D Aj i : (11.14)

Es gilt im Folgenden insbesondere zu merken: Aij geht von xj nach Xi .

11.2 Orthogonale Matrizen

Wir müssen klar unterscheiden zwischen Vektor und Vektordarstellung:


Der Vektor rE bleibt bei Koordinatentransformation unverändert,

RE D rE: (11.15)

Für seine kartesische Darstellung ergab sich dann

Xi D Aij xj : (11.16)

Würden wir diese Gleichung in Vektorform schreiben, ergäbe sich

RE D A  rE (11.17)

im Widerspruch zu (11.15).
Sei also Xi D Aij xj und xi D A1
ij Xj . Nach (11.4) und (11.5) ist

A1 D A : (11.18)

Matrizen mit dieser Eigenschaft heißen orthogonal.


Transformation mit orthogonalen Matrizen ändert Vektorlängen nicht:

Xi Xi D Aij xj Ai k xk
D Aij Ai k xj xk
D Aj i Ai k xj xk
D Aj1
i Ai k xj xk
D ıjk xj xk
D xj xj : (11.19)

Das Koordinatensystem wird gedreht; die Vektorlänge bleibt unverändert.


220 11 Drehungen

11.3 Drehoperatoren und Drehgruppe

Drehungen wurden bisher beschrieben als Matrix  Tupel:


 Der Tupel ist die kartesische Darstellung eines Vektors,
 die Matrix ist die kartesische Darstellung eines Drehoperators.
Wir wollen jetzt die Algebra von Drehungen untersuchen.
Dazu drehen wir die Vektoren selbst (sogenannte aktive Drehungen).
Ein Koordinatensystem wird dabei nicht festgelegt.
Die Drehung wird durch einen Operator A (serifenloses A) beschrieben:

RE D A.Er /: (11.20)

A bildet den Vektorraum V auf den Vektorraum V ab.


Die kartesische Darstellung von A ist wieder eine Matrix.
Anschaulich ist klar, dass Drehungen linear sind, d. h. mit 2 R gilt

A.xE C y/
E D A.x/
E C A.y/;
E (11.21)
E D A.x/:
A. x/ E (11.22)

Die A sind also lineare Operatoren auf einem Vektorraum.

Hintereinander ausgeführte Drehungen schreibt man A ı B.


Was sind die algebraischen Regeln dieser Operatorverknüpfung?
Für Drehungen bilden die Operatoren A; B; : : : mit ı eine Gruppe.
Eine mathematische Gruppe besteht aus
 einer Menge G mit Elementen A; B; C : : :,
 einer binären Verknüpfung ı W G  G ! G,
 einem neutralen Element 1 2 G,
so dass folgende Axiome erfüllt sind (steht kein Quantor, ist 8 gemeint):

(a) .A ı B/ ı C D A ı .B ı C/;
(b) A ı 1 D 1 ı A D A;
(c) 8A 9B 2 G W A ı B D B ı A D 1:

In (c) wird anstelle von B auch A1 geschrieben.


Wie man sich leicht überlegt, gelten (a, b, c) für Drehungen.
Auch die orthogonalen Drehmatrizen bilden eine Gruppe.
Die Gruppenverknüpfung ı ist hier die Matrixmultiplikation.

11.4 Tensoren vom Rang 2

Der Tensorbegriff wurde im späten 19. Jh. u. a. von Ricci entwickelt.


Erste Anwendung fand er in der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Inzwischen gehören Tensoren zum Kanon der Linearen Algebra.
Wir schreiben Tensoren als S; T usw. (serifenlose Buchstaben).
11.4 Tensoren vom Rang 2 221

Sei V ein endlichdimensionaler Vektorraum über R.


Definition: Ein Rang-2-Tensor T ist eine Abbildung

T W V ! V;
xE 7! T.x/;
E (11.23)

die linear ist, so dass mit 2R

T.xE C y/
E D T.x/
E C T.y/;
E (11.24)
E D T.x/
T. x/ E (11.25)

gilt. Steht im Folgenden nur „Tensor“, ist ein Rang-2-Tensor gemeint.


Wir definieren eine Addition von Tensoren durch

.S C T/.x/
E D S.x/
E C T.x/
E (11.26)

und eine Multiplikation mit Zahlen 2 R durch

E D T.x/:
. T/.x/ E (11.27)

Mit (11.26) und (11.27) bilden Tensoren selbst einen Vektorraum.


Gleichungen (11.24) und (11.26) haben die Form von Distributivgesetzen

a  .b C c/ D a  b C a  c;
.a C b/  c D a  c C b  c: (11.28)

Dies legt eine multiplikative Schreibweise nahe, mit neuem ,

E D T  x:
T.x/ E (11.29)

Wir führen dieses  auch bei der Operatorverknüpfung ein, durch

.S ı T/.x/
E D S.T.x//E
D S  .T  x/
E
Š
D .S  T/  x:
E (11.30)

Das in (11.29) und (11.30) eingeführte  heißt inneres Produkt.


In der älteren Literatur wird es auch Tensorkontraktion genannt.
Dies  ist bislang eine rein algebraische, koordinatenfreie Operation.
In kartesischer Darstellung steht für T  xE dann Matrix mal Tupel.
Ebenfalls kartesisch steht für S  T das Produkt zweier Matrizen.
Für Vektoren ist das innere Produkt das Skalarprodukt uE  vE.

Wir bauen den Tensor T durch bekannte Objekte – Vektoren! – auf:

T D uE jE
v: (11.31)
222 11 Drehungen

Dadurch wird das innere Produkt auf das Skalarprodukt zurückgeführt.


Das dyadische Produkt j ist definiert durch

ujE
.E v /  xE D uE .E
v  xE / (11.32)

Links steht das innere Produkt, rechts das Skalarprodukt:


uE.Ev  xE / D .E
v  x/E
E u multipliziert das Körperelement vE  xE mit dem Vektor uE .
Die Dyade uE jE v ist nach Definition (11.32) eine lineare Abbildung V ! V .
aEjE
c C uEjE v wird entsprechend zu (11.26) und (11.27) definiert.
Es gilt wieder Linearität nach (1.184).
Gleichung (11.30) schließlich ergibt für die Verknüpfung zweier Dyaden

ajE
Œ.E c /  .E
ujE
v /  xE D .E
ajE
c /  Œ.E
ujE
v /  x
E D aE .E
c  uE /.E
v  x/:
E (11.33)

Insgesamt ist damit uE jE


v (und aEjE
c ) ein Tensor.
Wir wollen auch das innere Produkt Vektor  Dyade zulassen,

xE  .E
ujE
v / D .xE  uE / vE: (11.34)

Der Tensorvektorraum der T W R3 ! R3 ist 3  3 D 9-dimensional.


Doch das Produkt uE jE
v hat nur 3 C 3 D 6 unabhängige Einträge.
Der allgemeine Rang-2-Tensor ist daher eine Linearkombination,

T D aEjE
c C uE jE
v C::: (11.35)

Dies führt uns zur Basisdarstellung. In einer kartesischen Basis sei

uEjE
v D ui vj eOi jeOj ; (11.36)

mit kartesischen Tupeln .ui / und .vi /, und mit Summationskonvention.


Die Basisdarstellung des allgemeinen Tensors T in (11.35) lässt sich dann

T D Tij eOi jeOj (11.37)

schreiben, mit einer Matrix .Tij /.

Satz S  T D .S  T /ij eOi jeOj .


Hier steht links das innere Produkt , rechts das Matrixprodukt .
Solche kontextabhängigen Verknüpfungszeichen heißen überladen.

Beweis Seien S und T Tensoren mit Darstellungen S D Sij eOi jeOj und T D Tij eOi jeOj .
Die Zahlenschemata .Sij / und .Tij / sind Matrizen S und T .
Matrixmultiplikation S  T ist wie bekannt definiert durch

.S  T /ij D Si m Tmj ; (11.38)


11.5 Dualvektorraum und Tensoren 223

mit Spaltenzahl von S D Zeilenzahl von T . Es ist

.S  T /ij eOi jeOj D Si m Tmj eOi jeOj


D Si m Tnj ımn eOi jeOj
D Si m Tnj .eOm  eOn / eOi jeOj
D Si m Tnj eOi j..eOm  eOn /eOj /
D Si m Tnj eOi j.eOm  .eOn jeOj //
D Si m Tnj .eOi jeOm /  .eOn jeOj /
D Si m eOi jeOm  Tnj eOn jeOj
D S  T: (11.39)

Ein Rang-2-Tensor ist eine lineare Abbildung V ! V .


Oft betrachtet man auch bilineare Abbildungen

T W V  V ! R;
xE ; yE 7! T.x;
E y/:
E (11.40)

Die multiplikative Schreibweise ist hier etwas umständlich.


Eine Möglichkeit dafür ist die Doppelkontraktion (zwei innere Produkte)

E y/
T.x; E D T W .xj
E y/:
E (11.41)

Gemeint ist damit, für T D uE jE


v,

ujE
.E v / W .xj
E y/
E D .E
u  x/.E
E v  y/:
E (11.42)

Man schreibt dafür etwas zügiger

E y/
T.x; E D .xE  uE /.E
v  y/
E D xE  .E
ujE
v /  yE D xE  T  y:
E (11.43)

Die Bilinearität, d. h. Linearität in jedem Argument, ist offensichtlich.


Auch Tensoren T W V  V ! R werden Rang-2-Tensoren genannt.

11.5 Dualvektorraum und Tensoren

Wir führen den zu V dualen Vektorraum V  ein.


V sei wieder ein endlichdimensionaler Vektorraum über dem Körper R.
V  ist dann die Menge der linearen Abbildungen f W V ! R.
Diese wird (mit 2 R) durch die Vorschriften

.f C g/.Eu/ D f .E
u/ C g.E
u/;
u/ D f .E
. f /.E u/ (11.44)
224 11 Drehungen

selbst ein Vektorraum. Die Elemente f 2 V  heißen Dualvektoren.


Die kartesische Darstellung der Abbildung f 2 R3 ist ein Tupel .a; b; c/:
0 1
x
f .Er / D ax C by C cz D .a; b; c/  @y A D d: (11.45)
z

Das erste Gleichheitszeichen gilt, weil f linear in x; y; z ist.


ax C by C cz D d ist die Ebenengleichung: x; y; z sind Punkte der Ebene;
a; b; c legen die Steigungen fest, d verschiebt die Ebene parallel.
Lässt man d alle Werte annehmen, ist der Dualvektor eine Ebenenschar.
Der Dualvektor ist dann wie ein Polarvektor parallel verschiebbar.

Sei  das Vektorskalarprodukt. Dann gilt der Darstellungssatz von Riesz:

8E
u2V 91 f 2 V  8E
v2V W uE  vE D f .E
v /; (11.46)

wobei 91 für „es gibt genau ein“ steht. Man schreibt für f dann uE  .
(Transposition ist hier als abstrakte algebraische Operation zu denken.)
Die Abbildung uE 7! uE  im Satz ist leicht zu gewinnen:
Als Rang-2-Tensoren werden im Folgenden auch lineare Abbildungen

T W V !V
uE 7! T.E
u/ D S.E
u; :/ (11.47)

u/ 2 V  ist definiert durch


bezeichnet; S W V  V ! R sei bilinear, und T.E

.T.E v / D S.E
u//.E u; vE/: (11.48)

Benutzt man für S nun konkret das Skalarprodukt, so ergibt sich

u/ D uE  D uE  _
uE 7! T.E (11.49)

Zur Deutlichkeit wurde die Leerstelle für vE 2 V mit _ bezeichnet.


Dies ist die gesuchte Abbildung uE 7! uE  , siehe z. B. Golan (1995, S. 173).

Wichtiges Beispiel für einen Dualvektor ist der kanonische Impuls:


In der Gleichung H D pi qP i  L sind H; L und damit pi qP i Skalare.
Die qPi sind Komponenten des Tangentenvektors an die Bahnkurve.
Wir fassen .qPi / also als Element eines Vektorraums V auf.
Nach dem Satz von Riesz kann man dann .pi / als Dualvektor auffassen.

Man definiert nun ganz entsprechend T W V  ! V und T W V   V  ! R.


Insgesamt ergeben sich so acht Typen von Rang-2-Tensoren:

V ! V; V ! V ; V  ! V; V  ! V ;
V  V ! R; V  V  ! R; V   V ! R; V   V  ! R: (11.50)

Eine mathematisch exakte Einführung in Tensoren gibt Sternberg (1983).


11.6 Bra-kets nach Dirac 225

11.6 Bra-kets nach Dirac

Wir stellen die moderne Notation für Vektoren und Dualvektoren vor.
Das Skalarprodukt wird geschrieben als

xE  yE D xE  .y/
E D h x j y i: (11.51)

Es bedeutet j jetzt das Skalar- und nicht das dyadische Produkt!


Links steht in (11.51) eine bilineare Abbildung V  V ! R;
rechts dagegen steht eine bilineare Abbildung V   V ! R.
Transposition zwischen V und V  ergab sich in (11.45) und (11.49).
h x j ist ein Dualvektor, d. h. eine lineare Abbildung; j y i ist ein Vektor.
h x j und j y i sind unterschiedliche Objekte, sie heißen bra und ket.
(Die Bezeichnungen stammen von Dirac.) Damit wird j reduzibel,

h x j j y i D h x j y i: (11.52)

Die Wirkung eines linearen Operators auf einen bra und einen ket ist

hxjA bzw. A j x i: (11.53)

Das dyadische Produkt (11.32) wird nun besonders elegant:

. j u ih v j / j x i D j u i.h v j x i/;
h x j . j u ih v j / D .h x j u i/h v j : (11.54)

Rechts stehen wieder bekannte Produkte.


Man kann die Klammern auch weglassen und schreiben

j u ih v j j x i D j u i h v j x i;
h x j j u ih v j D h x j u i h v j : (11.55)

Die Übersetzung von der Vektor- zur bra-ket-Notation erfolgt so:

linearer Operator A A
Vektor xE jxi
Dualvektor xE  hxj
A wirkt auf Vektor A.x/E Ajxi
A wirkt auf Dualvektor A.xE  / hxjA
Skalarprodukt xE  yE hxjy i
Operatorverknüpfung AıB AB
Dyadisches Produkt uE j vE j u ih v j (11.56)
226 11 Drehungen

Die reine Algebra variiert diese Schreibweise, siehe Lang (2002, S. 533).
Neben h x j D j x i definiert man noch eine Operatortransposition durch

h x j A D .A j x i/ : (11.57)

Man zeigt leicht, dass

. j u ih v j / D j v ih u j ;
.AB/ D B A (11.58)

ist. Weiterhin gilt: Sei A die kartesische Darstellungsmatrix zu A;


dann ist A (mit Matrixtransposition ) die Darstellungsmatrix zu A .
Wir betrachten jetzt orthogonale Operatoren

A D A1 :

Sie lassen die Vektorlänge bei Transformation j x 0 i D A j x i invariant:

x 02 D h x0 j x0 i
D h x j A A j x i
D hxj1 jxi
D hxjxi
D x2: (11.59)

Die Schreibweise mit bra und ket ist präzise, aber etwas aufwendig.
Daher wird bis auf Weiteres die einfachere Vektornotation benutzt:
Wir schreiben hier alle , notieren aber statt (11.57) nur xE  A D A  x.
E
Wegen (11.49) können wir auf Vektortranspositon verzichten: h x j D xE  _

11.7 Infinitesimale Drehungen

Wir betrachten wieder die Drehung eines Vektors rE ! rE0 .


Ein infinitesimaler Drehoperator 2 wird angesetzt als

rE0 D A.x/
E D Œ1 C 2.Er /: (11.60)

Zwei hintereinander ausgeführte Drehungen ergeben in 1. Ordnung

.1 C 21 / ı .1 C 22 / D 1 C 21 C 22 C O.22 /
D 1 C 22 C 21 C O.22 /
D .1 C 22 / ı .1 C 21 /: (11.61)

Infinitesimale Drehungen vertauschen also.


11.7 Infinitesimale Drehungen 227

Dies ist jenseits der ersten Ordnung nicht wahr, weil

21 ı 22 ¤ 22 ı 21 (11.62)

gilt, was man z. B. mittels der Dyadendarstellung von 21 und 22 sieht;


denn die Matrixmultiplikation ist nicht kommutativ.

Wir suchen die kartesische Darstellung infinitesimaler Drehungen.


Es soll sich ein Vektor im festen kartesischen Koordinatensystem drehen.
Eine Drehung um ˛ von der x- zur y-Achse wird im R2 dargestellt durch
 
cos ˛  sin ˛
: (11.63)
sin ˛ cos ˛

Diese Matrix wird mit dem Vektor-Darstellungstupel multipliziert.


Im R3 wird daraus, bei sonst unveränderter Situation,
0 1
cos ˛  sin ˛ 0
@ sin ˛ cos ˛ 0A ; (11.64)
0 0 1

und für ˛ ! 0
0 1 0 1
1 0 0 0 ˛ 0
" 1 D @0 1 0 A C @˛ 0 0A : (11.65)
0 0 1 0 0 0

Wir benutzen positive Winkel für Drehungen x ! y, y ! z und z ! x.


Diese zyklische Abfolge x ! y ! z ! x von Drehungen erscheint natürlich.
In einer (Dreh-)Matrix A ist die Anordnung der Elemente aber
0 1
Axx Axy Axz
@Ayx Ayy Ayz A : (11.66)
Azx Azy Azz

Lesen wir wieder Axy als von y nach x, so ergibt sich eben ˛ in (11.65).
Doch Axz als von z nach x entspricht dann einem Cˇ;
die Darstellung der Drehung von der z-Achse um ˇ zur x-Achse ist also
0 1
0 0 ˇ
@ 0 0 0A : (11.67)
ˇ 0 0

Für die Drehung von der y-Achse um  hin zur z-Achse ist wieder
0 1
0 0 0
@0 0  A : (11.68)
0  0
228 11 Drehungen

Für Matrizen "1 ; "2 ; "3 mit infinitesimalen Elementen gilt in 1. Ordnung

.1 C "1 /  .1 C "2 /  .1 C "3 / D 1 C "1 C "2 C "3 : (11.69)

Also ist die Darstellung einer beliebigen infinitesimalen Drehung


0 1
0 ˛ ˇ
@˛ 0  A : (11.70)
ˇ  0

Wir betrachten nur die Änderung durch Drehung; die 1 wird weggelassen.
Explizit ausgeschrieben ist dies

˛ D d'yx ;
ˇ D d'xz ;
 D d'zy : (11.71)

Wir wenden dies auf die Komponenten des Ortsvektors an:


0 1 0 1 0 1 0 1
dx 0 d'yx d'xz x d'xz z  d'yx y
@dy A D @ d'yx 0 d'zy A  @y A D @ d'yx x  d'zy z A : (11.72)
dz d'xz d'zy 0 z d'zy y  d'xz x

Die Drehungen erfolgen hier wie gewünscht: x ! y ! z ! x.


Der Anschluss an (11.6) erscheint natürlicher in der Form
0 1 0 1
dx d'xy y C d'xz z
@dy A D @ d'yx x C d'yz z A : (11.73)
dz d'zx x C d'zy y

Doch lässt (11.72) als alternative Deutung Folgendes zu:


0 1 0 1 0 1 0 1
dx d'xz z  d'yx y d'zy x
@dy A D @ d'yx x  d'zy z A D @d'xz A  @y A : (11.74)
dz d'zy y  d'xz x d'yx z

Dies ist die kartesische Darstellung von

dEr D d'E  rE; (11.75)

was die Eulerformel für rotierende Vektoren ist!


Die Eulerformel wurde hier nahezu geometriefrei hergeleitet.
Tatsächlich gilt folgender rein algebraische Satz:
11.8 Zahl der Drehungen im Rn 229

Satz Für jeden linearen Operator A, für den A C A D 0 gilt,


E so dass für alle rE gilt:
gibt es einen Vektor !,

A.Er / D !E  rE: (11.76)

Der einfache Beweis findet sich in Arnold (1989, S. 127).


Die Umkehrung ist auch richtig: Für jedes !E gibt es ein A, usw.
Gilt A C A D 0, so heißt A schiefsymmetrisch (skew symmetric).
Die infinitesimale Drehmatrix " in (11.70) erfüllt " C " D 0.

11.8 Zahl der Drehungen im Rn

Im R2 gibt es einen, im R3 drei unabhängige Drehwinkel.


Wieviele unabhängige Drehwinkel gibt es im Rn ?
Die Antwort ergibt sich aus der Definition der Drehung:
Drehungen sind lineare Abbildungen von Vektorraum auf Vektorraum.
Die unabhängigen Vektoren sind die n Basisvektoren eOi .
Die unabhängigen Abbildungen sind eOi ! eOj mit i < j :
eOi ! eOi ist keine Drehung; und eOj ! eOi ist nicht unabhängig von eOi ! eOj .
Es gibt n.n  1/ Kombinationen von n Achsen mit n  1 anderen Achsen;
doch jedes Paar eOi ! eOj und eOj ! eOi zählt nur einmal.
Also ist die Zahl der unabhängigen Drehwinkel im Rn

1
N D n.n  1/: (11.77)
2

Da entweder n oder n  1 gerade ist, ist 12 n.n  1/ 2 N.


2 n.n  1/ ist die Zahl der Matrixelemente oberhalb der Hauptdiagonale.
1

Literatur
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Golan J., Foundations of Linear Algebra, Kluwer, Dordrecht, 1995
Lang S., Algebra, 3. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg, New York, 2002
Sternberg S., Lectures on Differential Geometry, 2. Aufl., Chelsea Publishing Company, New York,
1983
Starrer Körper
12

12.1 Translationsinvarianz von !


E

Der starre Körper ist das Komplementärideal zum Massenpunkt:


Er ist ausgedehnt, hat keine inneren Freiheitsgrade, ist absolut starr.
Er besteht aus Massenpunkten mit masselosen Verbindungsstangen.
Oder er kann ein Kontinuum mikroskopischer Bausteine (Atome) sein.
Wir betrachten hier nur kontinuierliche Massenverteilungen.
Der starre Körper wird in Volumenelemente dV der Masse dm zerlegt,

dm D  dV D  dx1 dx2 dx3 : (12.1)

Wir integrieren über dV , statt über Massenpunkte


R zu summieren.
Die Gesamtmasse des starren Körpers ist M D dV.

Die Geschwindigkeit wird in Translations- und Rotationsanteil zerlegt,

vE.Er / D uE C !E  rE: (12.2)

Der Fußpunkt von rE liegt wie in Abschn. 2.6 auf der !-Achse.
E
Die Translationsgeschwindigkeit uE ist im starren Körper konstant.
Da der Körper starr ist, ist !E für alle seine Massenelemente gleich.
Die Zerlegung (12.2) ist für einen Beobachter B eindeutig.
Zwischen zwei Beobachtern B; B 0 soll eine Translation um aE bestehen,

rE0 D rE C aE ; (12.3)

wobei rE und rE0 Vektoren für B und B 0 zum selben Punkt P sind.
Die Verschiebung aE ist ein konstanter, zeitunabhängiger Vektor.
Wie transformiert sich !E zwischen B und B 0 ?
Seien uE und vE Translations- und Gesamtgeschwindigkeit von P bzgl. B.

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1_12, 231


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
232 12 Starrer Körper

Die Gesamtgeschwindigkeit vE ändert sich bei Translation um aE nicht,

vE0 D vE: (12.4)

Doch ändern sich die Translations- und die Rotationsgeschwindigkeit.


Die Eulersche Formel ergibt, mit (12.3) und (12.4),

uE C !E  rE D vE D vE0 D uE 0 C !E 0  rE0
D uE 0 C !E 0  aE C !E 0  rE: (12.5)

Dies ist für beliebige rE nur möglich, wenn

!E 0 D !;E (12.6)
uE 0 D uE  !E  aE (12.7)

gilt. Nach (12.6) ändert sich !E bei Translation nicht.


Damit ist nachgewiesen, dass !E ein mathematischer Vektor ist.
Für diese Argumentation siehe Landau und Lifschitz (1987, S. 119).

12.2 Rotationsenergie

Mit (12.2) ist die kinetische Energie (Translation plus Rotation)


Z
1
T D dV  vE  vE
2
Z
1 2 E 1
D M u C uE  .!E  M R/ C dV  .!E  rE/2 : (12.8)
2 2

Im mittleren Term wurde zyklisch permutiert und benutzt, dass


Z
dV  rE D M RE (12.9)

gilt, mit dem Schwerpunkt RE des starren Körpers.


Der mittlere Energieterm verschwindet im Schwerpunktsystem RE D 0.
Wir betrachten nun die Rotationsenergie
Z
1
Er D dV  .!E  rE/2 : (12.10)
2

Hier steht Er statt Tr , weil T bereits die Darstellungsmatrix von T ist.


Wir benutzen die Formel

.E E 2 D a2 b 2  .E
a  b/ E 2;
a  b/ (12.11)
12.3 Trägheitstensor 233

also ist
Z
1  
Er D dV  ! 2 r 2  .!E  rE/2
2
Z
1  
D dV  ! 2 r 2  .!E  rE/ .Er  !/
E
2
Z
1  
D dV  r 2 !E  1  !E  !E  .Er j rE/  !E
2
Z
1  
D !E  dV  r 2 1  rE j rE  !: E (12.12)
2

12.3 Trägheitstensor

Wir können die Rotationsenergie also schreiben als

1
Er D !E  T  !E (12.13)
2
mit dem Trägheitstensor
Z
 
TD dV  r 2 1  rE j rE (12.14)

Für rotierende starre Körper ersetzt (12.13) den Ausdruck 12 mE v  vE.


Der Trägheitstensor (12.14) verallgemeinert den Begriff der Masse.
Das Ergebnis0 sei
1 auch0in kartesischer
1 Darstellung hergeleitet.
x !x
Seien dazu @y A und @!y A Darstellungen des Orts- bzw. des !-Vektors.
E
z !z
Dann ist
Z
1  
Er D dV ! 2 r 2  .!E  rE/2
2
Z
1  
D dV .!x2 C !y2 C !z2 /.x 2 C y 2 C z 2 /  .!x x C !y y C !z z/2
2
2 0 1 0 13 0 1
Z 1 0 0 xx xy xz !x
1
D .!x ; !y ; !z /  dV4.x 2 C y 2 C z 2 /@0 1 0A  @xy yy yz A5  @!y A:
2 0 0 1 zx zy zz !
z
(12.15)
Hier wurde die erstaunliche Formel (mit einem beliebigen Tupel .a; b; c/)
0 1 0 1
xx xy xz a
.ax C by C cz/2 D .a; b; c/  @xy yy yz A  @b A (12.16)
zx zy zz c
234 12 Starrer Körper

benutzt. Die kartesische Darstellung des Trägheitstensors ist demnach


Z
 
Tij D dV  xk xk ıij  xi xj (12.17)

Hier wurde wieder .x1 ; x2 ; x3 / anstelle von .x; y; z/ geschrieben.


Gleichung (12.17) ist auch direkt aus (12.14) abzulesen.

Entsprechend gilt für den Drehimpuls bei reiner Rotation vE


Z
E D
L dV  rE  vE
Z
.a/
D dV  rE  .!E  rE/
Z
.b/  
D dV  r 2 !E  .!E  rE/ rE
Z
 
D dV  r 2 !E  rE .Er  !/
E
Z
.c/  
D dV  r 2 !E  .Er j rE/  !/
E
Z
 
D dV  r 2 1  rE j rE  !:
E (12.18)

.a/ Eulerformel für rotierende Vektoren


.b/ Entwicklungsformel für doppeltes Kreuzprodukt (Laplace)
.c/ Definition des dyadischen Produkts j
Somit ist

E D T  !E
L (12.19)

oder kartesisch

Li D Tij !j : (12.20)

E und !E stehen i. A. nicht parallel, sondern es herrscht Unwucht.


L
Unwuchtfrei heißt gerade L E k !.
E

12.4 Transformationsverhalten von Tensoren

Wir untersuchen nun, wie sich Tensoren bei Drehung transformieren.


Exemplarisch betrachten wir Rang-2-Tensoren T W V ! V , j u i 7! T j u i.
Ab sofort benutzen wir die ausführliche bra-ket-Schreibweise.
12.4 Transformationsverhalten von Tensoren 235

Sei A ein orthogonaler Drehoperator, und sei

j u0 i D A j u i;
j v 0 i D A j v i: (12.21)

h u j T j v i ist ein Skalar, also invariant unter Drehungen:

h u0 j T0 j v 0 i D h u j A T0 A j v i D h u j T j v i: (12.22)

Also muss sein

A T0 A D T; (12.23)

und damit

AA T0 AA D ATA : (12.24)


1 1

Somit ist die Transformation des Tensors unter einer Drehung

T0 D ATA (12.25)

Die kartesische Darstellung mit Matrizen ergibt hier weiter

Ti0l D Aij Tjk Akl


D Aij Akl Tjk
D Aij Alk Tjk ; (12.26)

wobei Kommutativität von Zahlen benutzt wurde. Nach Umbenennen ist

Tij0 D Ai k Ajl Tkl (12.27)

Transposition wird in kartesischer Darstellung also hinfällig.


Die Transformation der anderen Rang-2-Tensoren findet man leicht.
Wir vergleichen (12.27) mit der Transformation eines Vektors,

u0i D Aij uj ; (12.28)

und der eines Skalars s,

s 0 D s: (12.29)

Aufgrund von (12.28) und (12.29) sagt man:


Ein Vektor ist ein Rang-1-Tensor, ein Skalar ist ein Rang-0-Tensor.
Die Verallgemeinerung auf Rang-n-Tensoren ist dann naheliegend.
236 12 Starrer Körper

12.5 Transformationsverhalten von Gleichungen

Auch die folgenden Rechnungen seien in bra-ket-Notation ausgeführt.


Wir multiplizieren die Drehimpulsgleichung j L i D T j ! i von links mit A,

A j L i D AT j ! i
D AT.A1 A/ j ! i
D .ATA1 /.A j ! i/
D .ATA /.A j ! i/; (12.30)

also ist

j L0 i D T0 j ! 0 i: (12.31)

Der Drehoperator A wirkt hier aktiv auf Vektoren und Tensoren.


Dennoch gilt nach der Transformation dieselbe Gleichung wie zuvor.
Man nennt solche Gleichungen kovariant bzgl. der Transformation.
Wenn eine Transformation „die Physik“ (Experimente) nicht ändert,
dann sollten Gleichungen bzgl. der Transformation kovariant sein.
Beispiele hierfür sind Drehungen, Galilei- und Lorentztransformation.

Tensorgleichungen sind aufgrund der Tensortransformation kovariant!


Somit sind alle Gleichungen der Physik Tensorgleichungen (Einstein).
Diese Aussage ist u. a. wegen Tensorkontraktionen nicht trivial.

Bei passiven Transformationen dreht man das Koordinatensystem.


Hier bleiben die Vektoren und Tensoren selbst unverändert dieselben.
Damit bleiben trivialerweise die Tensorgleichungen unverändert.
Man erkennt hier den Vorteil der koordinatenfreien Schreibweise.

12.6 Hauptachsentransformation

Das Trägheitsmoment J 2 R bezüglich der Achse j n i mit h n j n i D 1 ist

J D h n j T j n i; (12.32)

in kartesischen Koordinaten also J D Tij ni nj , und J ist ein Skalar.


Der Trägheitstensor ist symmetrisch, also ist er diagonalisierbar.
Die drei reellen Eigenwerte J1 ; J2 ; J3 heißen Hauptträgheitsmomente.
Eine Hauptachsentransformation ist eine Drehung A, für die gilt

j L0 i D T0 j ! 0 i D J j ! 0 i: (12.33)
12.6 Hauptachsentransformation 237

Also ist

ATA j ! 0 i D J j ! 0 i (12.34)

und daher

.ATA  J 1/ j ! 0 i D 0: (12.35)

Wir gehen über zur kartesischen Darstellung mit Matrizen.


Für nicht triviale Lösungen muss die Determinante verschwinden,

0 D det.ATA  J 1/
D det.A.T  J 1/A1 /
D det A det.T  J 1/ det.A1 /
D det A .det A/1 det.T  J 1/; (12.36)

mit det.A1 / D .det A/1 . Somit ist die Eigenwertgleichung

det.T  J 1/ D 0 (12.37)

Im R3 ist dies ein Polynom dritten Grades in J , mit drei Lösungen.


Die (normierten) Eigenvektoren j nj i von T nennt man Hauptachsen:

T j nj i D Jj j nj i .j D 1; 2 oder 3/: (12.38)

Die Hauptachsen stehen senkrecht aufeinander.


Jeder starre Körper hat drei Hauptachsen, um die er unwuchtfrei rotiert.

Der Zusammenhang mit der Experimentalphysik ist wie folgt.


Dort schreibt man, wenn die Rotationsachse j n i eine Hauptachse ist,
Z
2
J D dV  r? ; (12.39)

wobei r? der kürzeste Abstand der Masse dV  von der Achse j n i ist.
Und tatsächlich ergibt sich auch mit dem Trägheitstensor
Z
J D h n j T j n i D dV  h n j .r 2 1  j r ih r j / j n i
Z
D dV  .r 2 h n j n i  h n j r ih r j n i/
Z
D dV  Œr 2  rk2 
Z
2
D dV  r? ; (12.40)

mit der Projektion h r j n i D h n j r i D rk von j r i auf j n i.


Demnach ist r 2 1  j r ih r j ein Projektionsoperator.
238 12 Starrer Körper

Abb. 12.1 Verschiebt man


Kräfte am starren Körper
X D Y [ Z entlang ihrer
Wirklinie, so ändert sich die
Dynamik nicht. Nach Planck
(1921, S. 107)

12.7 Dreharme

Wir wenden uns nun den am starren Körper angreifenden Kräften zu.
Wir werden diese reduzieren auf eine Kraft und ein Kräftepaar.
Dafür wird wieder die Vektorschreibweise mit FE usw. benutzt.
Es gilt das Grundprinzip: Kräfte am starren Körper sind linienflüchtig:

I Wenn man Kräfte entlang ihrer Wirklinie verschiebt,


dann ändert sich die Dynamik des starren Körpers nicht.

Beweis (siehe Planck 1921, S. 106)


Die Kraft FEA greife im Punkt A des starren Körpers X an.
B sei ein Punkt von X auf der Wirklinie von FEA .
Lege zwei sich kompensierende Kräfte FEB und FEB in B, mit jFEA j D jFEB j.
Zerlege den starren Körper gemäß Abb. 12.1
 in einen Zylinder Z mit Achse FO und infinitesimalem Radius
 sowie sein Komplement Y D X nZ .
Wegen Symmetrie ist klar, dass FEA und FEB sich bzgl. Z kompensieren.
Dann wirkt auf Z nur FEB , also das auf der Wirklinie verschobene FEA .
Keine der drei betrachteten Kräfte greift an einem Punkt von Y an.
Also ist Y von diesen Betrachtungen nicht betroffen.
(Man stelle sich vor, X sei aus Massenpunkten und Stangen aufgebaut.
Jeder Kraftvektor greift an genau einem Massenpunkt an.)

Wir betrachten nun in (a), (b), (c) Kräfte in einer Ebene.

(a) Seien FE1 und FE2 nichtparallele Kräfte.


Man verschiebt FE1 und FE2 auf ihren Wirklinien zum Schnittpunkt hin.
Dort werden die Kräfte addiert: FE D FE1 C FE2 .
Alle nichtparallelen Kräfte können so auf eine Kraft reduziert werden.

(b) Seien FE und G


E parallele Kräfte auf verschiedenen Wirklinien.
Wir führen folgende Konstruktion durch:
Es wird eine Linie durch die Fußpunkte von FE und GE gelegt.
Entlang dieser Linie werden zwei Vektoren aE und E a gelegt.
12.8 Invarianz von Kräftepaaren 239

a werden an die Fußpunkte von FE und G


aE und E E verschoben.
Für F ¤ G schneiden sich die Wirklinien von FE1 D FE C aE und FE2 D GE  aE .
E E
Mit FE1 und FE2 wird wieder gemäß (a) verfahren.

(c) Es bleibt der Fall von Kräften FE D G E auf verschiedenen Wirklinien.


Hier führt der Trick aus (b) zu F C aE und .FE C aE/, also auf (c) zurück:
E
Der Fall (c) kann nicht auf (a) reduziert werden.

Wir haben somit für jede Ebene gefunden:


Man kann alle Kräfte zu einer Kraft und einem Kräftepaar vereinen.
Die Kraft bewirkt eine Translation des starren Körpers.
Das Kräftepaar bewirkt ein Drehmoment und damit eine Rotation.
Jedes Kräftepaar wirkt, und jede Drehung erfolgt in einer Ebene.
Man verschiebt die Kräfte im Kräftepaar noch entlang der Wirklinien:
Die Verbindungslinie der Fußpunkte sei senkrecht zu den Wirklinien.
Diese kürzeste Verbindungslinie heißt Arm des Kräftepaars.

12.8 Invarianz von Kräftepaaren

Welche Transformationen am Kräftepaar ändern die Dynamik nicht?


Für Kräftepaare gelten stärkere Invarianzen als Linienflüchtigkeit:
Kräftepaare sind wieder echte Vektoren (also parallel verschiebbar)!

Satz 1 Man kann Kräftepaare in ihrer Ebene parallel verschieben


(ohne die Dynamik des starren Körpers zu beeinflussen).

Beweis Verschiebung in Wirkrichtung der Kräfte ist trivial.


Wir zeigen also: Man kann Kräftepaare in Armrichtung verschieben.
Die originalen Kraftfußpunkte in Abb. 12.2 seien A und B.
FEA soll wieder eine Kraft FE mit dem Fußpunkt A bezeichnen.
Das Kräftepaar soll verschoben werden nach A0 und B 0 .
Sei O die Mitte zwischen A und B 0 (und zwischen B und A0 ).
Die Kräfte FEA0 , FEA0 und FEB 0 , FEB 0 in Abb. 12.2 addieren sich zu null.
Gemäß (a) und (b) von oben addieren sich FEA und FEB 0 zu 2FEO .
Ebenso addieren sich FEB und FEA0 zu 2FEO .
Diese Kräfte kompensieren sich also; es verbleiben nur FEB 0 ; FEA0 .
Dies ist gerade das entlang des Arms verschobene Paar FEB ; FEA .

Satz 2 Man kann Kräftepaare in eine Parallebene verschieben.

Auf den einfachen Beweis sei hier verzichtet.


Sätze 1 und 2 besagen allgemeine Parallelverschiebbarkeit:
Kräftepaare am starren Körper sind mathematische Vektoren.
240 12 Starrer Körper

Abb. 12.2 Die Parallelver-


schiebung eines Kräftepaars
entlang seines Arms ändert
die Dynamik des starren
Körpers nicht. Nach Planck
(1921, S. 118) und Bergmann
und Schaefer (2008)

Satz 3 Man kann Kräftepaare in ihrer Ebene beliebig drehen.

Beweis gemäß Abb. 12.3. Es sei jFE j D jGj.E


E E
F und G können gemäß (a) addiert werden;
sie kompensieren sich gegen FE und G. E Es bleiben GE und G.
E
Der Satz sagt lediglich: Es ist unwichtig, wo man an einem Lenkrad dreht.

Satz 1 bis 3 führen zum Begriff des Drehmomentvektors:

E D 1 dE  FE C 1 .dE/  .FE / D dE  FE ;
D (12.41)
2 2

wobei dE die Fußpunkte der Kräfte im Paar verbindet.


Insbesondere können D E aus verschiedenen Ebenen addiert werden:
Man kann alle Kräfte zu einer Kraft und einem Kräftepaar addieren.
Für D EP D D.
E leitet man leicht die Drehimpulsgleichung (4.43) her: L E

Wichtig ist noch folgende Beobachtung:


Der starre Körper dreht sich nicht um den Mittelpunkt des Dreharms.
Das Kräftepaar ist ja ohne Änderung der Dynamik parallel verschiebbar.
Es ist evident, dass ein Kräftepaar keine Translation verursacht.
Der Schwerpunkt bleibt also in Ruhe, wenn nur ein Kräftepaar wirkt.
Die Drehung erfolgt somit um den Schwerpunkt.
(Hier ist vorausgesetzt, dass kein Punkt des Körpers festgehalten ist.)
Eine genauere Diskussion findet man bei Planck (1921, S. 117).

Ort und Ausrichtung eines starren Körpers definieren seine Lage L.


Seien La und Le die Anfangs- bzw. die Endlage bei einer Bewegung.

Abb. 12.3 Man kann Kräfte-


paare in ihrer Ebene beliebig
drehen, ohne die Dynamik
des starren Körpers zu än-
dern. Nach Planck (1921,
S. 119)
12.9 Die Eulerschen Kreiselgleichungen 241

Eine Bewegung ist durch eine andere ersetzbar, wenn La ; Le gleich sind.
Die Zwischenlagen können dabei beliebig voneinander abweichen.

Satz (Euler, Chasle und Ball)


Jede Bewegung ist ersetzbar durch eine Schraubenbewegung;
dies ist eine Drehung um eine Achse nO plus Translation entlang n.
O
Der Beweis findet sich bei Ball (1876).

Korollar (z. B. Klein und Sommerfeld 1897, S. 9)


Infinitesimale Bewegungen sind Schraubenbewegungen.
Das heißt, auch die Zwischenlagen folgen der Schraubenbewegung.
Denn eine infinitesimale Bewegung ist linear, also eindeutig.

12.9 Die Eulerschen Kreiselgleichungen

Wir leiten nun die Bewegungsgleichungen für den Kreisel her.


Der Kreisel ist ein rotierender starrer Körper.
Wir betrachten reine Rotation mit einem festgehaltenen Körperpunkt.
Für das Folgende siehe z. B. Goldstein (1989, S. 175).
Wir transformieren auf das kartesische System x1 x2 x3 , das
 mit dem starren Körper rotiert und
 entlang seiner drei Hauptachsen ausgerichtet ist.
Wir suchen also die Bewegungsgleichungen im Hauptachsensystem.
Dann ist der starre Körper ortsfest, doch gibt es Trägheitskräfte. Es ist
ˇ ˇ
E ˇˇ
dL E ˇˇ
dL
E B .a/
D D D EI .b/
D ˇ
.c/
D EB:
ˇ C !E  L (12.42)
dt ˇ dt ˇ
I B

.a/ Subskripte I und B stehen für Inertial- bzw. Körpersystem.


Geometrisch definierte Vektoren sind gleich in I und B;
nur ihre Zeitableitungen (Kinematik) sind verschieden.
DE D rE  FE enthält aber keine Zeitableitung.
.b/ Newton II für die Drehimpulsänderung
.c/ Eulerformel für den rotierenden Vektor L E
In Koordinatendarstellung gilt in B (wir verzichten auf diesen Subskript)
0 1 0 10 1 0 1
L1 J1 0 0 !1 J1 !1
@L 2 A D @ 0 J2 0 A @! 2 A D @J 2 ! 2 A ; (12.43)
L3 0 0 J3 !3 J3 !3

mit den konstanten Hauptträgheitsmomenten J1 ; J2 ; J3 .


242 12 Starrer Körper

E und !E nicht parallel sind. Somit ist


Zu beachten ist, dass L
0 1 0 1
LP 1 J1 !P1
@LP 2 A D @J2 !P2 A : (12.44)
LP 3 J3 !P3

Weiterhin ist in B
0 1 0 1
!2 L3  !3 L2 .J3  J2 /!2 !3
E D @!3 L1  !1 L3 A D @.J1  J3 /!1 !3 A :
!E  L
(12.43)
(12.45)
!1 L2  !2 L1 .J2  J1 /!1 !2

(12.44) und (12.45) in (12.42) ergibt die Eulerschen Kreiselgleichungen

J1 !P 1  .J2  J3 / !2 !3 D D1 ;
J2 !P 2  .J3  J1 / !1 !3 D D2 ; (12.46)
J3 !P 3  .J1  J2 / !1 !2 D D3 :

Kompakt geschrieben lauten sie, ohne Summationskonvention:

Ji !P i  .Jj  Jk /!j !k D Di (12.47)

wobei .i; j; k/ eine gerade Permutation von .1; 2; 3/ ist.

12.10 Der kräftefreie, symmetrische Kreisel

Für das Folgende siehe Goldstein (1989, S. 179).


Es wirke keine Kraft, also sei D1 D D2 D D3 D 0.
Es sei J1 D J2 (symmetrischer Kreisel), aber J3 ¤ J1 .
Die Achse von J3 ist die Symmetrieachse und heißt Figurenachse.
Es sei speziell ein Punkt der Symmetrieachse festgehalten.
Ein Beispiel ist die Erde ohne den Einfluss von Sonne und Mond. Es ist

J1 !P 1 C .J3  J1 /!2 !3 D 0;
J1 !P 2  .J3  J1 /!1 !3 D 0; (12.48)
J3 !P 3 D 0:

Aus Gleichung drei folgt !3 D const. Gleichung eins und zwei ergeben

!P 1 C J !2 D 0; (12.49)
!P 2  J !1 D 0; (12.50)
12.10 Der kräftefreie, symmetrische Kreisel 243

mit der Konstanten


J3  J1
J D !3 : (12.51)
J1

Gleichung (12.49) nach t differenzieren und (12.50) einsetzen und umgekehrt ergibt

!R 1 C J 2 !1 D 0;
!R 2 C J 2 !2 D 0: (12.52)

Dies sind zwei entkoppelte Oszillatorgleichungen.


Also „oszillieren“ !1 und !2 mit der Winkelgeschwindigkeit J .
Wir erhalten eine Winkelgeschwindigkeit der Winkelgeschwindigkeit!
Als Anfangsbedingungen werden festgelegt

!1 .0/ D max D a;
!2 .0/ D 0: (12.53)

Die Lösung von (12.49) und (12.50) ist dann

!1 .t/ D a cos.J t/;


!2 .t/ D a sin.J t/: (12.54)

Verschiedene Amplituden a ¤ b für !1 und !2 sind nicht möglich.

Der Kreisel bewegt sich dann wie folgt:


E D const.
Weil keine Kraft, also kein Drehmoment wirkt, ist L
E Die Rotationsenergie ist
Also dreht sich !E um L.

1 1 E
Er D !E  T  !E D !E  L: (12.55)
2 2
Da keine Kraft wirkt, ist Er eine Konstante.
Also ist nach (12.55) der Winkel zwischen LE und !E konstant.
E
Das heißt, !E läuft auf einem Kegel um L.
Man findet hier nach Poinsot sogar drei dynamische Kegel.
Sei sO die Körpersymmetrieachse.
 Der Kegel von !O um LO heißt Spurkegel.
 Der Kegel von !O um sO heißt Polkegel.
 Der Kegel von sO um LO heißt Nutationskegel.
 Der Kegel von LO schließlich heißt Präzessionskegel.
Doch tritt der Präzessionskegel erst beim Kreisel mit Kräften auf.
Aus dem Nutationskegel wird dann eine kompliziertere Figur.
Zur Kreiseltheorie siehe Winkelmann und Grammel (1927, S. 390).
244 12 Starrer Körper

Es wäre dann an der Zeit, die Näherung der Starrheit des Körpers aufzugeben. Die-
se Erweiterung der Mechanik hin zu Elastizitätstheorie und Akustik und vor allem
zur Hydrodynamik führte nach ihren Anfängen bei Euler, Lagrange und Laplace zu
eigenständigen Gebieten der Physik und soll daher hier nicht begonnen werden. Das
Gleiche gilt für die mathematische Vertiefung der Mechanik mittels der Methoden
der Differentialgeometrie im Phasenraum; Stichworte sind symplektische Geome-
trie, Vektorflüsse und Differentialformen. Hierfür sei auf die Bücher von Arnold
(1989) und Abraham und Marsden (1978) verwiesen.

Literatur
Abraham R. & Marsden J., Foundations of Mechanics, 2. Aufl., Benjamin Cummings Publishing
Company, London, Amsterdam, 1978
Arnold V., Mathematical Methods of Classical Mechanics, 2. Aufl., Springer, Berlin, Heidelberg,
New York, 1989
Ball R., The Theory of Screws: A Study in the Dynamics of a Rigid Body, Hodges, Foster, and Co.,
Dublin, 1876
Bergmann L. & Schaefer C., Lehrbuch der Experimentalphysik 1. Mechanik – Akustik – Wärme,
de Gruyter, Berlin, 2008
Goldstein H., Klassische Mechanik, 10. Aufl., Aula-Verlag, Wiesbaden, 1989
Klein F. & Sommerfeld A., Über die Theorie des Kreisels, B. G. Teubner, Leipzig, 1897
Landau L. & Lifschitz E., Mechanik, 12. Aufl., Akademie-Verlag, Berlin, 1987
Planck M., Einführung in die Allgemeine Mechanik, 3. Aufl., S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1921
Winkelmann M. & Grammel R., Kinetik der starren Körper, in Handbuch der Physik, Band V,
Hrsg. H. Geiger & K. Scheel, Springer, Berlin, 1927
Sachverzeichnis

A B
Ableitung, 65, 74, 117, 121, 123, 133, 147, Bacon, 154
163, 180, 204 Bahn, 7, 47, 48, 50, 73, 84, 85, 89, 110, 127,
Cartan-, 37 140, 190, 208, 209
Einheitsvektor, 11 Anfangswerte, 96, 110
Euler-, siehe Eulerableitung -differential, 138
Lie-, 44 -ebene, 83, 86
rechts- und linksseitig, 123, 124, 126, 146, -ellipse, 88, 91, 92, 167
147, 200 geschlossene, 167
Richtungs-, 15, 39, 41 -geschwindigkeit, siehe
totale, 16 Geschwindigkeit, Bahn-
Zeit-, siehe Zeitableitung Hyperbel-, 88
Affiner Zusammenhang, 44 in Fläche, 111, 137, 138, 144, 163
Algebra, 11, 71, 159, 169, 178, 179, 181, 196, Kreis-, 59, 88, 91, 92, 96, 97, 111, 137,
220, 225, 226, 228 141, 142, 186
Amplitude, 15, 66, 68, 69, 133, 134, 177, 243 Krümmungsradius, 63
Änderungsrate, 38, 53, 55, 187, 189
kürzeste, 118, 119
Anfangs-
-länge, 52
-bedingungen, 96, 110, 111, 160, 186, 243
Parabel-, 88
-wert, 50, 96
periodische, 162, 209
Aperiodischer Grenzfall, 68
Aphel, 88, 167 schnellste, 118, 119
Äquator, 23, 59, 94, 95 -sekante, 85
Äquivalenz- -tangente, 48, 52
-klasse, 49, 165 -variation, siehe Variation der Bahn
-relation, 48 Ball, 241
Arbeit, 104, 106, 107, 116, 117, 138 Bernoulli, 118
geschlossener Weg, 18 Beschleunigung, 47, 52, 53, 68, 73, 79, 144
konservative Kraft, 65 Coriolis-, 47, 54, 57, 59, 60, 97, 114
virtuelle, 142 entlang Bahn, 52
Wegunabhängigkeit, 18, 19 Gravitations-, 79, 91–93
Zwangskräfte, 138 in Polarkoordinaten, 52
Arnold, 38, 164–166, 175, 198, 208, 229, 244 Schein-, 47, 49, 56, 58–60, 114
Assoziativgesetz, 35, 41 Schwere-, 94, 97, 142
Atwoodsche Fallmaschine, 112 Zentrifugal-, 47, 54, 57, 59, 60, 87, 88, 91,
Azimut, 9, 52, 87 92, 95, 97, 114, 115, 142

A. Feldmeier, Theoretische Mechanik, DOI 10.1007/978-3-642-37718-1, 245


© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
246 Sachverzeichnis

Bewegungsgleichung, 47, 48, 50, 63, 66, 68, Differential, 7, 11, 12, 15, 17, 20, 26, 29, 32,
70, 71, 73, 74, 81, 82, 88–90, 92, 97, 34, 48, 110, 148, 151, 180, 187, 189
110, 113, 115, 116, 132, 139, 141, 158, exaktes, 173, 174
181, 203, 211, 241 -geometrie, 37, 47
Bezugssystem, 49, 60, 236 -gleichung, 7, 47, 51, 66, 67, 69, 81, 89,
Bijektiv, 164, 195, 211 132, 134, 157, 160, 177, 178, 204
Bilanzgleichung, 28, 189 -operator, siehe Operator, Differential-
Bilineare Abbildung, 2, 3, 41, 178, 223, 224 -ordnung, 55, 129
Blätterung, 6–8, 162 partielles, 13
Bogenlänge, 5, 10, 33, 149 totales, 12, 17, 98, 126
Boson, 63 Dirac, 225
Boxer, 70 Dirichlet, 75
Brachistochronenproblem, 118 Dispersionsrelation, 134, 135, 207, 208
Bra-ket, 225, 226, 234, 236 Distribution, 199
Distributivgesetz, 157, 221
Divergenz, 28, 30, 186, 193, 194
C -freiheit, 193, 194
Chaos, 208 Dreh-
Charakteristik, 7 -achse, 56
Chasle, 241 -arm, 238, 240
Concatenation, 40 -impuls, 56, 82, 83, 88–90, 103, 104, 156,
162, 167, 234, 236, 240, 241
-impulserhaltung, 82–84, 86, 87, 104, 156,
D 157, 167
d’Alembert, 60 -moment, 83, 239, 240, 243
Dämpfung, 68, 69 -winkel, 229
Dämpfungskonstante, 203 Drehung, 54, 186, 217, 220, 226, 227, 229,
Darboux-Dreibein, 47 234–236, 239–241
infinitesimale, 156, 226–228
Darstellung
Koordinatensystem, 97, 156, 217, 219
Deltafunktion, 199, 200, 205
Vektor, 11, 42, 54, 217, 220, 226, 227
Drehoperator, 220, 227
Dreieck, 54, 85, 194
Dyade, 227
Dreikörperproblem, 96
Fläche, 6, 7
Dualvektorraum, 223, 224
Gradient, 12, 14
Dyade, 41–43
infinitesimale Drehung, 227, 228
Dyaden-
Kurve, 7
-komponenten, 41
lineare Abbildung, 224 -summe, 42
Operatorprodukt, 221 Dyadisches Produkt, 40–42, 222, 225, 234
Tensor, 220, 222, 233–235 Dynamik, 47, 60, 63, 138, 238–240
Trägheitstensor, 233, 234
Vektor, 4, 193, 219, 220, 224
Deltafunktion, 199, 200, 203 E
Descartes, 1, 5 Ebbe und Flut, 70
Determinante, 72, 148, 194, 195, 197, 198, 237 Ebenenschar, 6, 8, 224, 239
Dichte Eigenwert, 236, 237
Anzahl-, 20 Eindeutigkeit, 6, 19, 23, 30, 110, 125, 126,
Lagrange-, siehe Lagrangedichte 189, 195, 205, 231, 241
Massen-, 44, 79, 131, 185 Eingebettet, 164
Phasenraum-, siehe Phasenraumdichte Einsnorm, 209
Punkt-, 186, 189–191 Einstein, 49, 64, 65, 165, 236
Teilchen-, 28 Elastische Medien, 70, 73, 132, 133, 196, 207,
Diffeomorphismus, 164 211
Sachverzeichnis 247

Elektrodynamik, 10, 64, 130 Fläche, 5–8, 11, 23, 30, 36, 37, 50, 84–86,
ELG, siehe Euler-Lagrange-Glg. 137, 146, 149, 150, 152, 198
Ellipse, 68, 91, 92, 95 explizite Darstellung, 5
Brennpunkt, 91, 92 Hyper-, 6, 140, 144, 163, 188, 198
Exzentrizität, 91, 92 implizite Darstellung, 6
Kepler-, 88, 89, 91, 92, 95, 167 Meeresober-, 10, 59
Parameter, 91 Niveau-, 10, 12–14, 39, 138
Polardarstellung, 91 Parallelogramm-, 3, 56, 84
Energie Parameterform, 7
Bindungs-, 89, 99, 167 Rand-, 20, 21, 30, 36, 80, 98, 130, 185,
-erhaltung, 50, 90, 98, 153, 154, 157, 167 191, 192
kinetische, 3, 50, 58, 65, 87, 105, 112, 115, Seiten-, 188
131, 153, 166, 232, 243 umschlossene, 21, 85, 149
negative, 89, 99, 167 Zwangs-, 138, 139
-nullpunkt, 168 Flächen-
potentielle, 106, 107, 112, 113, 116, 131 -änderung, 192
Rotations-, 232 -darstellung, siehe Darstellung, Fläche
-satz, 51, 64, 65, 67, 68, 87, 90, 91, 107, -element, 20, 26, 27, 30, 56, 78, 185, 190,
119, 142, 196 192
Epsilonsymbol, 2 -familie, 9
Erde, 49, 59, 70, 92, 94–96, 99, 118, 242 -normale, 27, 31, 32, 39
Erhaltungs- -satz, 84–86
-größe, 163–165, 182 -vektor, 30
-satz, 157 Flüssigkeit, 18, 37, 43, 44, 133, 188
Ersetzbare Bewegungen, 241 inkompressible, 138, 185
Erzeugende Funktion, 169, 172, 175, 176, 211 Phasenraum-, 185–187
Euler- Fluxion, 11
-ableitung, 148 Fourier-
-formel, 54–56, 156, 228, 232, 234, 241 -entwicklung, 201, 208, 213
Euler-Lagrange-Formalismus 1. Art, 111, 137 -koeffizient, 202
Euler-Lagrange-Formalismus 2. Art, 109, 111, -reihe, siehe Reihe, Fourier-
112, 140 -transformation, siehe
Euler-Lagrange-Gleichungen 1. Art, 139–141, Transformation, Fourier-
143–146, 149, 150 Freier Fall, 49, 50, 112, 118, 119, 157, 174
Euler-Lagrange-Gleichungen 2. Art, 109–114, Freiheitsgrad, 111–113, 115, 138, 139, 157,
116, 121, 122, 124–127, 129–132, 154, 160, 162, 163, 179, 181, 192, 208, 231
155, 157–160, 177 Frenet-Formeln, 47
Experiment, 63, 112, 154–156, 197, 237 Fundamentallemma der Variationsrechnung,
128, 129
Funktional, 120, 121, 129
F Funktionenschar, 201, 202
Fadenpendel, 73, 111, 138, 141, 142
Fahrstrahl, 84, 86
Faktorisierung, 72, 128, 206 G
Faserung, 6, 160, 164 Galilei-
Federkonstante, 70, 115, 171, 177 -invarianz, siehe Invarianz, Galilei-
Feld -prinzip, 49, 63
elektrisches, 134 -transformation, siehe
Gravitations-, 81, 96, 115 Transformation, Galilei-
Magnet-, 44, 134 Gebiet, 19, 35, 96–99, 121, 130, 198
Skalar-, 10, 12, 14, 19, 30, 39, 40, 152 Gebundener Zustand, 89, 98
Vektor-, 10–12, 26, 30, 39, 48, 186 Geodäte, 50
248 Sachverzeichnis

Geschwindigkeit, 11, 43, 47, 55, 57, 68, 98, Hinreichende Bedingung, 128, 170
110, 153, 196 Höhe
Bahn-, 51, 59 Dreieck, Volumen, 85, 86, 185
Phasenraum-, 187, 190, 192, 193 im Schwerefeld, 134, 142, 151
Relativ-, 63, 155 Holonom, 137–139, 143–145, 149
Rotations-, 231, 232 Homokliner Punkt, 209
Strömungs-, 28 Homöomorphismus, 211
Teilchen-, 20 Hooke, 63, 66
Translations-, 231, 232 Horizont, 95
Wasser-, 10 Horizontal, 73, 94, 95
Wellen-, 132, 133
Huygens, 57, 73
Winkel-, 54, 56, 59, 167, 243
Hydrodynamik, 10, 44, 244
Geschwindigkeits-
-feld, 18, 37, 43, 185
-komponenten, 52, 53
I
-vektor, 1
Identitätsabbildung, 3, 5, 172, 175
Gezeiten, 70, 92–95, 130
-kraft, siehe Kraft, Gezeiten- Imaginär, 67, 98
-potential, siehe Potential, Gezeiten- Impuls, 38, 103, 111, 155, 162, 165, 171
Gipfel und Straße, 151 -erhaltung, 155, 157
Gleichgewicht, 60, 74, 75, 95, 99, 112, 199 kanonischer, 155, 160–163, 176, 224, siehe
Gradient, 12, 14, 16, 19, 39, 41, 65, 80, 93, auch Koordinaten, kanonische
105, 138, 151, 164 -satz, 101, 103, 196
Greenfunktion, 199, 203, 204, 207 Inertialsystem, 49, 56–58, 241
Grenz- Inneres Produkt, 221–223
-produktivität, 116, 118 Integrabel, 163–165, 208, 210
-wert, siehe Limes Integral
Großkreisbogen, 10 der Bewegung, 90, 163, 165–168, 198, 208
Gruppe Hyperflächen-, 198
Dreh-, 220 Kontur-, 165, 206
mathematische, 220 Linien-, 17, 18, 21, 23–25, 35, 84
Güter, 116 Oberflächen-, 17, 20, 22, 23, 30, 33, 197
Riemannsumme, 17–20, 25, 26, 31, 126,
132, 147, 200
H Ring-, 18, 19, 21, 23, 25, 26, 35, 36, 38,
Hamilton- 85, 167
-funktion, 59, 154, 155, 158, 161, 163, 166, Volumen-, 17, 30
167, 169, 210 Invarianz
-gleichungen, 157–160, 163, 164,
bei Drehung, 235
168–170, 175–178, 181, 182, 186,
bei kanonischer Transformation, 169, 197,
187, 190, 194
198
-mechanik, 38, 153
bei Parallelverschiebung, 224
-system, 186, 197, 208
Hamilton-Jacobi-Gleichung, 168, 169, 176, der Vektorlänge, 5, 219, 226
177 des Kräftepaars, 239
Haupt- Galilei-, 63, 64, 155
-achse, 237 Lorentz-, 64
-diagonale, 229 -prinzipien, 157
-trägheitsmoment, 236, 241 Zeitumkehr-, 48, 195
Heavisidefunktion, 200, 207 Investition, 116, 117
Hebel, 138 Involution, 164
Hemisphäre, 23, 36 Irrationalitätsbedingung, 209
Hills Mondtheorie, 96, 99 Isoperimetrisches Problem, 149
Sachverzeichnis 249

J 160, 186, 187, 192, 217, 219–222,


Jacobi, 168, 172 224, 227, 228, 233–236, 241
-determinante, 194, 195, 197, 198 krummlinige, 5–8, 10, 16, 32, 35, 50, 114,
-identität, 178 156, 198
-transformation, siehe Kugel-, 9, 16, 27, 31
Transformation, Jacobi- -linie, 5, 6, 8–10, 16, 23, 31
-masche, 23–26, 30, 34
-netz, 5, 6, 23, 30
K Orthogonal-, 5–8, 16, 32, 35
KAM-Theorem, 209 Orts-, 137
Kanonische Variablen, siehe Phasenraum-, siehe
Koordinaten, kanonische Koordinaten, kanonische
Kapital, 116–118 Polar-, 7, 16, 23, 25, 52, 54, 59, 73, 87, 90,
Kartesisches Produkt, 164 93, 111, 113, 142, 164
Kausalgesetz, 207 sphärische, siehe Koordinaten, Kugel-
Kegel, 55, 243 -system, 7, 49, 97, 156, 219, 220, 227
-mantel, 9 -transformation, siehe
Nutations-, 243 Transformation, Koordinaten-
Pol-, 243 -unabhängig, siehe Koordinatenfrei
Präzessions-, 243 unabhängige, 111, 112, 115, 137, 140, 141,
Spur-, 243 145
Kepler verallgemeinerte, 110–113, 117, 143, 144,
153, 156
1. Gesetz, 91
Wirkungs-Winkel-, siehe
2. Gesetz, 84
Wirkungs-Winkel-Variablen
-ellipse, siehe Ellipse, Kepler-
-würfel, 17
-problem, 77, 162, 166
-zelle, 30–33, 188
Ket, siehe Bra-ket
zyklische, 162–164, 166, 167, 171, 208
Kinematik, 47, 137, 241
Zylinder-, 8, 9
Kommutativgesetz, 4, 67, 235 Kopplung, 73
Kommutator, 178 Körpersystem, 241
Kompakt, 164 Kovariante Gleichung, 236
Komplex konjugiert, 201 Kraft, 74, 207, 238, 239, 242, 243
Komplexe Zahl, siehe Variable, komplexe empirische, 49
Kontinuitätsgleichung, 29, 31, 187, 189 externe, 103, 105, 203
Konturlinie, siehe Niveaulinie Feder-, 66
Konvergenz, 96, 201, 203, 209–211, 213 -freiheit, 49, 50, 74, 114, 239, 242, 243
Konvex, 21, 78–80, 85 Führungs-, 138
Koordinaten -fußpunkt, 239
abhängige, 112, 137, 145 Gezeiten-, 92, 94, 95
-änderung, 32 -gleichgewicht, 60, 63, 75
-differential, 17 Gravitations-, 14, 66, 78, 89
-ebene, 6 konservative, 65
Fläche, 7 Reibungs-, 68, 144
-fläche, 8 Schein-, siehe Beschleunigung, Schein-
-frei, 12, 14, 16, 17, 29, 200, 221 Schwer-, 49
-hyperfläche, 6 -stoß, 207
kanonische, 38, 160, 163, 166, 168, 172, Trägheits-, 47, 49, 60
179, 180, 182, 187 verallgemeinerte, 144
-kante, 16, 17, 23–25, 32, 191, 192 Wechselwirkungs-, 63, 102, 106
kartesische, 1, 6, 12, 14, 16, 24, 27, 29, 31, -zentrum, 85
32, 34, 35, 42, 48, 51, 52, 58, 73, Zug-, 142
74, 80, 93, 110, 111, 139, 155, 157, Zwangs-, 138, 139, 142–144
250 Sachverzeichnis

Kräftepaar, 238–240 -punkt, 7, 11, 63, 65, 77–80, 101, 107,


Kreis- 110–112, 138, 139, 186, 194, 231,
-bogen, 8, 10, 16, 25, 53–55, 77 238
-frequenz, siehe Geschwindigkeit, Winkel- -verteilung, 80, 81, 231
Kreisel, 241, 242 Matrix
Figurenachse, 242 Dreh-, 219, 220, 227, 229
-gleichungen, 241, 242 -produkt, 42, 221, 222, 227
kräftefreier, 242 Menge und Klasse, 49
symmetrischer, 242 Metrische Faktoren, 32, 33
Kreuzprodukt, 1, 3, 39, 56, 59, 234 Mode, 71, 74
Kroneckersymbol, 1 Mond, 70, 92, 94–96, 242
Anti-, 94
-anziehung, 92–94
L -gezeiten, siehe Gezeiten
Lagrange
-dichte, 132
-funktion, 109, 112, 113, 117, 120, 131, N
149, 153 Nabla-Operator, siehe Operator, Nabla-
Lemma von, 151, 152 Nebenbedingung, siehe Zwang
-punkte, 99 Neutrales Element, 220
Laplaceoperator, siehe Operator, Laplace- Newton
Legendretransformation, siehe 1. Axiom, 63
Transformation, Legendre- 2. Axiom, 60, 63, 64, 66, 103, 109, 112,
Leibniz, 5, 11, 65, 124 139, 158, 159, 241
Libration, 162 3. Axiom, 63, 102, 106
Lie-Algebra, 179 Gravitationsgesetz, 63, 78, 81
Limes, 11, 20, 36, 48, 124, 147, 186 Principia, 85
Linear Nicht-
(un-)abhängig, 141, 143, 152, 164, 213 -entartung, 209
-kombination, 71, 173 -linear, 82, 89, 177
Lineare Niveau-
Abbildung, 2, 11, 41, 42, 220, 221, 223, -fläche, siehe Fläche, Niveau-
224, 229, 234 -linie, 10, 99
Gleichung, 134, 148, 196 Noetherscher Satz, 157
Linearität, 4, 67, 241 Normalenrichtung, 20, 31, 32, 39
Linien- Null, 18, 74, 119, 138, 140, 143–145, 206, 239
-element, 43 -abbildung, 128
-flüchtig, 238, 239 -punkt, 56, 101, 113
Longitudinalschwingung, 132 -stelle, 140, 206
Lorentz, 64 Nutationskegel, siehe Kegel, Nutations-
-resonanz, 69 Nutzenfunktion, 116–118

M O
Mannigfaltigkeit, 1 Offene Menge, 164
Maß, 209 Operator
Masse, 47 Differential-, 48, 119, 134, 178, 179, 204,
reduzierte, 82 207
schwere, 49, 78, 81 Dreh-, 220, 226, 235
Test-, 96, 99 Laplace-, 80
träge, 47, 49, 78 linearer, 41, 134, 220, 225
Massen- Nabla-, 15, 34, 35
-dichte, siehe Dichte, Massen- orthogonaler, 226, 235
Sachverzeichnis 251

Projektions-, 237 -hyperfläche, siehe Fläche, Hyper-


Richtungsableitung, 15 -kurve, 50, 160, 162, 165, 190
schiefsymmetrischer, 229 -, 160
-schreibweise, 12 -punkt, 164, 186, 188, 189, 191
-verknüpfung, 220–222 -torus, 163–166, 208, 209, 211
Ordnung -trajektorie, 51, 68, 110, 111, 160,
erste, 8, 55, 157, 178, 194, 206, 207, 212, 162–165, 186, 187, 208, 209, 214
226, 228 -volumen, 188, 189, 191, 195, 197
höhere, 125, 129, 206, 209, 227 Phasenverschiebung, 69, 70, 72
zweite, 47, 66, 75, 89, 157 Poincaré, 64, 209
Orthonormiert, 16, 17, 32, 201, 202, 217 -invariante, 197, 198
Orts-Geschwindigkeits-Raum, 50, 51, 68, 110, Poinsot, 243
160 Poisson-
Oszillator -gleichung, 78, 81
-energie, 67, 68 -klammer, 164, 178, 179, 181, 182
Euler-Lagrange-Formalismus, 112 Pol, 9, 206, 207, 243
gedämpfter, 68 -kegel, siehe Kegel, Pol-
gekoppelter, 70, 71 Polygon, 44
getriebener, 69 Potential, 74, 80, 87, 97, 105
-gleichung, 66, 68, 70, 71, 73, 74, 112, Dipol-, 94
132, 177, 243 Gezeiten-, 92–94
Greenfunktion, 203 Gravitations-, 14, 86, 92
Hamilton-Formalismus, 161, 162 internes, 106, 107
Hamilton-Jacobi-Gleichung, 177 Oszillator-, siehe Oszillatorpotential
harmonischer, 50, 66, 162, 171 Skalar-, 65
-kette, 131, 132 -topf, 86, 88, 89
Phasenraumdiagramm, 50, 51, 68, 165, Wechselwirkungs-, 87
185, 186 Zentrifugalbeschleunigung, 87
-potential, 67, 75 Zwangs-, 145
Präzessionskegel, siehe Kegel, Präzessions-
Prinzip der
P kleinsten Wirkung, 109, 143, 145, 169
Parallelepiped, 191 virtuellen Arbeit (PvA), 138, 142
Parallelität, 50 Problem der kleinen Nenner, 209, 213
Partielle Integration, 127, 129–131 Produktion, 116, 117
Parzellierung, 30, 31 Produktregel, 11, 124, 178
Peanokurve, 47 Projektion, 98, 156, 237
Pendel, 162 Punkt-
Perihel, 88, 167 -masse, siehe Massenpunkt
Periodisch, 69, 162–165, 203, 209, 211 -spiegelung, 56
Permutation, 2, 232, 242
Phase, 68, 69, 134, 177
Anti-, 69–71, 74 Q
gleichphasig, 71 Quadratform, 68, 154
Phasenraum Quantenmechanik, 15, 178
 -, 160, 163, 187, 194, 208
-blätterung, siehe Blätterung
Definition, 50, 110, 160, 187 R
-dichte, 186, 189–191 Rand, siehe Fläche, Rand- und Weg, Rand-
-fläche, 197 Rationales Frequenzverhältnis, 164, 209
-flüssigkeit, siehe Flüssigkeit, Phasenraum- Raum
-geschwindigkeit, siehe Homogenität, 155, 157
Geschwindigkeit, Phasenraum- Isotropie, 156, 157
252 Sachverzeichnis

-winkel, 77, 78, 80 Stammfunktion, 21, 170, 200


Rechteck, 192–194 Stange, 115, 137, 238
Rechtssystem, 55 Starrer Körper, 63, 138, 231, 237–241
Reflexivität, 48 Statik, 60, 112
Reibung, 48, 68, 74, 185 Stationär, 182
Reibungsfrei, 44, 197, 209 Stetig, 47, 165, 199, 201, 203, 211
Reihe differenzierbar, 10, 37, 111
Fourier-, 203, 211, 213 Störung, 75, 199, 203, 208–210
Störungs-, 209 Störungsreihe, siehe Reihe, Störungs-
Taylor-, 74, 94, 130, 147, 148 Stoß
Reihenentwicklung, 96, 209 elastischer, 196, 197
Relativitätstheorie, 220 -front, 10
Residuensatz, 205–207 Streckung, 11, 45, 192
Resonanz, 208, 209, 213 Strömung, 28, 29
Lorentz-, 69 Meeres-, 59, 60
Reziprozität, 146, 152 Phasenraum-, 185, 186, 188–191, 194, 195
Richtung stärksten Anwachsens, 14, 39 Punkt-, 188, 189
Rotation, 70, 162, 232, 239 Scher-, 18
reine, 54, 234, 241 Teilchen-, 20, 28, 29
starre, 186 Summationskonvention, 3, 4, 42, 101, 109,
Rotationsachse, 56, 97, 237 154, 158, 169, 178, 190–192, 194, 211,
Rotierendes System, 56, 57, 97, 217, 219, 231, 218, 222, 242
232, 241 Superposition, 74, 79
Rotor, 21, 26 Symmetrie, 14, 48, 72, 81, 157, 179, 238, 239,
Ruhelage, 70–72, 133 242, 243
Synchron, 73, 74

S
Satz von T
Fubini, 202 Tangential-
Gauß, 28, 30, 36, 38, 80, 185, 190, 191 -ebene, 59, 138
Helmholtz, 37, 38, 165 -vektorraum, 1
Liouville, 185, 187, 191, 196, 197 Taylorreihe, siehe Reihe, Taylor-
Picard-Lindelöf, 160 Teilchen-
Poincaré-Birkhoff, 209 -strömung, siehe Strömung, Teilchen-
Poisson, 182 -system, 101, 105, 107
Riesz, 224 Tensor
Stokes, 21, 23, 25–27, 35, 36, 38, 198 -addition, 221
Scheinkraft, siehe Beschleunigung, Schein- -darstellung, siehe Darstellung, Tensor
Schiefsymmetrisch, 229 Definition, 41–43, 220, 222, 223, 234, 235
Schraubenbewegung, 241 -komponenten, 163, 222
Schwerpunkt, 82, 101, 103, 232, 240 -kontraktion, 221, 223
-system, 83, 92, 101, 232 Trägheits-, 233, 236
Schwingende Saite, 130, 131, 134 Transformationsverhalten, siehe Transfor-
Schwingung, 63, 68–70, 74, 130, 132, 200 mationsverhalten von Tensoren
Separationsansatz, 177 und Dyade, 43
Signal, 134 und Matrix, 222, 233, 234
Skalarprodukt, 1–4, 14, 39, 41, 42, 157, 217, -vektorraum, 221, 222
222–225 vom Rang 2, 43, 221, 223, 224, 234, 235
Sonne, 88, 96, 167, 242 vom Rang n, 235
Sprungfunktion, siehe Heavisidefunktion Thermodynamik, 161
Spurkegel, siehe Kegel, Spur- Topologisch äquivalent, 211
Stabilität, 74, 75 Torus, siehe Phasenraumtorus
Sachverzeichnis 253

Trajektorie, siehe Phasenraumtrajektorie der Zeit, 126, 169


Eindeutigkeit, 110, 111, 160 Rand-, 128, 129, 145, 169
Torus-, 164, 208, 211 Variations-
Transformation -problem, 109, 121, 122, 128
Fourier-, 201, 202, 205, 208 -rechnung, 118, 120, 121, 128, 147
Galilei-, 48, 49, 63, 236 Vektor
Hauptachsen-, 236, 237, 241 axialer, 56
identische, 172, 175 -darstellung, siehe Darstellung Vektor
inverse, 218 dualer, 223, 224
Jacobi-, 168, 176 Einheits-, 1, 5, 8, 11, 50, 56
kanonische, 168–170, 172–175, 179, 180, Flächen-, siehe Flächenvektor
197, 198, 210, 211 -fußpunkt, 54, 238–240
Kolmogorow-, 199, 209 -gradient, 39, 41
Koordinaten-, 7, 56, 153, 219 infinitesimaler, 12, 13, 19, 20, 26, 43, 156
Legendre-, 160, 161 -länge, 4, 11, 33, 42, 56, 219
Lorentz-, 236 Normalen-, 13, 27
Variablen-, 169 Orts-, 1, 4, 19, 78, 79, 228
Transformationsverhalten Parallelverschiebung, 56, 155, 224, 239,
von Gleichungen, 236 240
von Tensoren, 234–236 polarer, 56
von Vektoren, 231, 235 -raum, 1, 41, 187, 220–224
Transiente, 69 -raumbasis, 4, 5, 16, 17, 222, 229
Transitivität, 48 rotierender, 54, 57, 228, 234, 241
Translation, 56, 155, 193, 231, 232, 239–241 Tangenten-, 5, 8, 13, 37, 38, 48, 50, 224
Transposition, 5, 219, 224–226, 235 -transport, 43
Tupel Wirklinie, 238, 239
-, 141 Verbotene Gebiete, 96–99
als Vektordarstellung, 1, 52, 121, 212, 217, Verbrauch, 116, 117
220–222, 224, 227 Viereck, 192, 194
Funktionen-, 121 Virtuelle Verrückung, 138, 139
Vollständig, 201, 202
Volumenelement, 8, 10, 31, 188, 231
U
Überladene Verknüpfung, 222
Umkehrpunkt, 88 W
Umlaufsinn, 38, 84 Wanduhr, 74
Umskalierung, 161, 162, 203 Wechselwirkung, 101, 102
Unstetigkeit, 10 Weg
Unwucht, 234, 237 gerader, 19
geschlossener, 18, 19, 37
gleichwertiger, 44
V infinitesimaler, 19, 26, 106, 151, 152
Variable, 110, 111, 116, 120–122, 130, 131, Integrations-, 18, 23, 25, 27, 36, 165, 166,
146, 150, 161, 162, 174, 177, siehe 206, 207
auch Koordinate kürzester, 14
freie, 122, 202 Rand-, 22–24, 26, 36, 37, 77
gebundene, 202 rückläufiger, 18
komplexe, 67, 72, 201, 206, 207 -stück, 206
Variablensubstitution, 65, 148, 194, 195, 197, -unabhängig, 18, 65
198 Welle
Variation ebene, 15
der Bahn, 122, 123, 126 harmonische, 134, 135
der Wirkung, 123, 124 Kugel-, 15
254 Sachverzeichnis

Schall-, 134 -ableitung rotierendes System, 57, 241


Wasser-, 70, 134 Diskretisierung, 48
Wellen- -entwicklung, 109, 174, 176, 187, 188, 197
-geschwindigkeit, siehe Homogenität, 154, 157
Geschwindigkeit, Wellen- -intervall, 43, 44, 68, 175, 176
-gleichung, 132–134, 207 krummlinige Koordinate, 7
Windungszahl, 165 -richtung, 48
Winkelgeschwindigkeit, siehe totale Zeitableitung, 4, 182, 190
Geschwindigkeit, Winkel- -umkehr, 48, 195
Wirbelröhre, 37 Umlauf-, 60
Wirklinie, siehe Vektor, Wirklinie
und kanonische Transformation, 174, 197
Wirkung, 109, 122
Zirkulation, 18, 37, 44
Wirkungs-Winkel-Variablen, 165–169, 198,
Zu- und Abfluss, 95, 188, 189
210
Zusammenhängend, 164
Zwang, 111, 115, 137, 138, 142, 146, 149,
Y 151, 152
Yield (Ertrag), 20, 116, 117 Zwangs-
Young-Modul, 131 -bedingung, siehe Zwang
-fläche, siehe Fläche, Zwangs-
-kraft, siehe Kraft, Zwangs-
Z -potential, siehe Potential, Zwangs-
Zahlenschema, 222 Zweikörperproblem, 81
Zeit, 1, 47 Zyklische Variablen, siehe
-abhängigkeit, 110, 154, 173 Koordinaten, zyklische
-ableitung, 51, 53, 56, 89, 113, 125, 157 Zyklische Vertauschung, 157, 227, 232

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