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Institut für Astronomie und Astrophysik

Spinoren in der Relativitätstheorie

Jörg Frauendiener
Institut für Theoretische Astrophysik

22. Juni 2006


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joerg.frauendiener@uni-tuebingen.de.
Inhaltsverzeichnis

1 Einführung und Literaturhinweise 4

2 Die Geometrie der Minkowski-Raumzeit 8


2.1 Der affine Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
2.2 Der metrische Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
2.3 Grundlegende Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3 Spin-Transformationen 15
3.1 Darstellungen der Sphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
3.2 Nullrichtungen und die „Himmelskugel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17
3.3 Lorentz- und Spin-Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18
3.4 Lorentz-Transformationen näher betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

4 Spinorielle Objekte und Spin-Vektoren 23


4.1 Nullfahnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23
4.2 Spin-Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
4.3 Globale Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

5 Spinoralgebra 30
5.1 Grundsätzliches über Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
5.2 Spinoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
5.2.1 ε-Spinoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
5.2.2 Konjugiert komplexe Spinoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
5.2.3 Spin-Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

6 Vierer-Vektoren als Spinoren 41


6.1 Spin-Basen und ihre Tetraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
6.2 Van-der-Waerden Symbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
6.3 Nullvektoren, Nullfahnen usw. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47

7 Spinorielles Handwerkszeug 49
7.1 Symmetrie-Operationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
7.2 Darstellung von Spinor- durch Tensoroperationen . . . . . . . . . . . . . 52
7.3 Haupt-Nullrichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
7.4 Beispiel: Der Maxwell-Tensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

3
8 Die kovariante Ableitung 58
8.1 Krümmung und Torsion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58
8.2 Kovariante Ableitung für Spinoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

9 Krümmung 68
9.1 Die Krümmungs-Spinoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
9.2 Spinorform der Kommutatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
9.3 Spinorform der Bianchi-Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
9.4 Klassifikation des Weyl-Spinors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

10 Der Newman-Penrose Formalismus 75


10.1 Die Spin-Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
10.2 Die NP-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
10.3 Zwei Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

11 Spinor-Gleichungen 83
11.1 ZRM-Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83
11.2 Die Dirac-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88
11.3 Die Rarita-Schwinger-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

4
1 Einführung und Literaturhinweise

Die spezielle Relativitätstheorie Einsteins ist von grundlegender Bedeutung in der heu-
tigen modernen Physik. Sie ist keine Wechselwirkungstheorie, so wie zum Beispiel die
Elektrodynamik, bei der die Eigenschaften von Kräften beschrieben werden. Vielmehr
ist sie eine kinematische Theorie, die den Rahmen absteckt, innerhalb dessen sich die
Physik abspielt. Sie tritt an die Stelle des Weltbildes der Newtonschen klassischen Phy-
sik, die durch das Galileische Relativitätsprinzip geprägt war. Dieses Prinzip stellt fest,
dass alle Bezugssysteme, die durch Galilei-Transformationen auseinander hervorge-
hen, zueinander gleichwertig sind. Damit wird eine Klasse von Bezugssystemen vor
allen anderen ausgezeichnet, die Inertialsysteme. Man erwartete, dass die Naturgeset-
ze in jedem dieser Inertialsysteme gleich aussehen, dass sie also invariant sind un-
ter Galilei-Transformationen. Nachdem jedoch festgestellt wurde, dass die Maxwell-
Gleichungen der Elektrodynamik nicht Galilei-invariant sind, war es Einstein, der das
entstandene Dilemma dadurch löste, dass er ein anderes Relativitätsprinzip postulierte.
Demnach sind es nicht die Galilei-Transformationen, welche die Inertialsysteme defi-
nieren, sondern die inhomogenen Lorentz-Transformationen.

Das Raumzeit-Kontinuum der relativistischen (Quanten-) Mechanik ist der Minkow-


ski-Raum, ein affiner Raum, der mit einer Bilinearform mit Signatur −2 versehen ist.
Die Invarianzgruppe dieses Raumes ist die Poincaré-Gruppe, die Gruppe der inhomo-
genen Lorentz-Transformationen. Die Lorentz-Gruppe selber ist die Untergruppe der
Poincaré-Gruppe, die einen Punkt fixiert, also die Invarianzgruppe des Minkowski-
Vektorraums der Ortsvektoren von diesem Punkt aus. In der relativistischen (Quanten)-
Mechanik wird die fundamentale Bedeutung der Poincaré-Gruppe darin verdeutlicht,
dass man Elementarteilchen nach den irreduziblen Darstellungen der Poincaré-Gruppe
klassifiziert.

Die Tatsache, dass die Poincaré-Gruppe an die globale Struktur des Minkowski-Raums
geknüpft ist (man kann den Minkowski-Raum sogar als einen homogenen Raum der
Poincaré-Gruppe definieren), läßt schon ahnen, dass es beim Übergang zur Einstein-
schen Gravitationstheorie Schwierigkeiten geben wird. Jetzt ist das Raumzeit-Kontinuum
nicht länger ein affiner Raum, sondern eine Mannigfaltigkeit, deren Krümmung durch
den Materieinhalt bestimmt ist. Die einzige Gemeinsamkeit zum Minkowski-Raum ist
die Tatsache, dass an jedem Punkt des Raumes ein Minkowski-Vektorraum angeheftet
ist, der ebenfalls eine Bilinearform mit Signatur −2 trägt. Demzufolge verflüchtigt sich
die Bedeutung der Poincaré-Gruppe, denn nur in den seltensten Fällen wird eine nicht-
triviale globale Invarianzgruppe der Raumzeit existieren, die dann zudem nicht mit

5
der Poincaré-Gruppe übereinstimmt. Ebenso verwischen sich die Konturen des (wohl-
definierten) Teilchenbegriffs der Quantenfeldtheorie. Zusammen mit anderen Schwie-
rigkeiten ist dies Ausdruck der momentan bestehenden Unvereinbarkeit von Quanten-
theorie und Allgemeiner Relativitätstheorie.
Jedoch überlebt die Lorentz-Gruppe den Schritt vom flachen zum gekrümmten Raum.
Sie ist die Invarianzgruppe des Minkowski-Vektorraums, und wirkt daher nur an ei-
nem (jedem) Punkt. Sie ist die wirklich fundamentale Gruppe der relativistischen Phy-
sik und ihre Darstellungen sollten physikalische Bedeutung in allen Bereichen der Phy-
sik besitzen. Die Darstellungen der Lorentz-Gruppe werden ausführlich behandelt in
[3].
Die bekannteste Darstellung ist die Vierervektor-Darstellung der Lorentz-Gruppe im
Minkowski-Vektorraum, wodurch sie definiert wird. Darauf bauen in üblicher Wei-
se Tensordarstellungen auf. Das mathematische Vorgehen führt in natürlicher Weise
zur Entwicklung der bekannten Tensoralgebra. Die Lorentz-Gruppe ist eine halbeinfa-
che Gruppe, deren endlichdimensionale Darstellungen alle vollreduzibel sind. Es ge-
nügt dann, die irreduziblen Darstellungen zu suchen und zu klassifizieren. Unter die-
sen sind zwei Darstellungen ausgezeichnet: die beiden zweidimensionalen Spinordar-
stellungen sind Fundamentaldarstellungen der Lorentz-Gruppe, d.h., alle Darstellun-
gen können aus geeigneten Tensorprodukten dieser beiden gewonnen werden. Damit
kommt ihnen eine grundlegende Bedeutung zu. Die Vektoren der Darstellungsräume
sind die (un)gestrichenen Spin-Vektoren und die Tensoralgebra, die auf diesen Räu-
men aufgebaut werden kann, heißt Spinor-Algebra. Spin-Vektoren können also dazu
verwendet werden, um alle anderen Tensoren aufzubauen.
Die Zweidimensionalität der Spin-Vektorräume macht den entstehenden Spinor-Kal-
kül sehr einfach. Dies ist eine Eigenart der Vierdimensionalität unserer Raumzeit. In hö-
heren Dimensionen kann man ebenso Spinor-Darstellungen der entsprechenden Lorentz-
oder Rotationsgruppen finden. Deren Dimension wächst exponentiell mit der Raumzeit-
Dimension, so dass schon für Dimension 8 der Spin-Vektorraum ebenfalls achtdimen-
sional ist. Es ist also nur in den Dimensionen drei und vier überhaupt zu erwarten,
dass mithilfe des Spinor-Kalküls wesentliche Einblicke in die Raumzeitgeometrie mög-
lich sind.
Die Theorie der Spinoren wurde schon seit dem Beginn dieses Jahrhunderts entwickelt
und angewandt. Der allgemeine Spinorbegriff wurde von Cartan [1, 2] eingeführt, wäh-
rend van der Waerden [9] den Kalkül der zweikomponentigen Spin-Vektoren einführte.
Dirac entdeckte die fundamentale Bedeutung der Spinoren für die relativistische Phy-
sik, als er die Gleichung für das Elektron fand. Mit der Arbeit von Penrose [4] wurde
der Spinor-Kalkül in die Allgemeine Relativitätstheorie eingeführt. Dieser Kalkül, und
der darauf beruhende Newman-Penrose (NP) Formalismus, wurde daraufhin sehr er-
folgreich angewandt in verschiedenen Teilgebieten der Gravitationstheorie, insbeson-
dere beim Studium von asymptotisch flachen Raumzeiten, der Analyse von Gravitati-
onsstrahlung und nicht zuletzt beim Witten-Beweis der Positivität der Energie in der
Einsteinschen Gravitationstheorie. Eine beeindruckende Einführung in die Theorie der

6
Spinoren und zahlreiche Anwendungen findet man in dem zweibändigen Werk von
Penrose und Rindler [6]. Dort wird auch ausführlich auf die Beziehungen zwischen
Spin-Vektoren und der Raumzeitgeometrie eingegangen. Auch in dem Buch von Ste-
wart [8] werden asymptotisch flache Raumzeiten mithilfe von spinoriellen Methoden
untersucht. Auch in [5] werden Spinoren behandelt1 .
Eine weitere gute Quelle für die wechselseitigen Beziehungen zwischen Spinoren, Rela-
tivitätstheorie und Quantentheorie findet man in dem Buch von Sexl und Urbantke [7].
Dort findet man insbesondere die gruppentheoretischen Aspekte sehr gut ausgearbei-
tet. Zum Schluß sei noch auf einen Klassiker hingewiesen, der zwar nicht von Spinoren
handelt, aber eine sehr gute Darstellung der Grundlagen der Allgemeinen Relativitäts-
theorie liefert, deren Lektüre jedem wärmstens empfohlen sei. Es handelt sich um das
Buch von Hermann Weyl [10], das schon 1918 zum ersten Mal erschien und inzwischen
in seiner siebten Auflage herausgegeben wurde.
Im folgenden Kurs wird eine Einführung in den Kalkül der zweikomponentigen Spin-
Vektoren gegeben. Ziel ist, die Scheu abzubauen, die den Unbedarften bei der Lektü-
re von Arbeiten über Spinoren oder den NP-Formalismus überfällt und die Hemm-
schwelle zu überwinden, die ihn von der Anwendung eines effektiven Kalküls abhält.
Die ersten Kapitel befassen sich mit den grundlegenden Eigenschaften der Minkowski-
Geometrie. Allerdings ist der Standpunkt etwas verschieden von den sonst üblichen
Zugängen. Die Geometrie der Lichtstrahlen wird als primär angesehen. Die „Him-
melskugel“ der vergangenheitsgerichteten Lichtstrahlen wird eingeführt und anhand
dieses Objekts werden die Nullfahnen definiert. Dies sind die geometrischen Abbil-
der eines Spin-Vektors. Danach wird ein etwas abstrakterer Standpunkt eingenommen
und formal die Spinor-Algebra konstruiert. Nach einem Kapitel über das wesentliche
Handwerkszeug im Spinor-Kalkül (Haupt-Nullrichtungen, Dualisierung, Symmetrie-
Operationen) werden die so gewonnen Resultate auf Mannigfaltigkeiten übertragen.
Die letzten drei Kapitel sind Anwendungen gewidmet, die Weyl-Tensor Klassifikation,
der NP-Formalismus und schließlich eine Diskussion von einigen Spinor-Gleichungen.
Außer einigen Teilen dieses letzten Kapitel ist der gesamte Stoff Standard und kann in
der angegebenen Literatur gefunden werden.

1 Für diesen Hinweis möchte ich mich bei Markus King bedanken.

7
Literaturverzeichnis

[1] É. C ARTAN, Les groupes projectifs qui ne laissent invariante aucune multiplicité plane,
Bull. Soc. Math. France, 41 (1913), pp. 53–96.
[2] , The Theory of Spinors, Hermann, Paris, 1966.
[3] I. M. G ELFAND , R. A. M INLOS , UND Z. Y. S HAPIRO, Representations of the Rotation
and Lorentz Group and Their Applications, Pergamon Press, Oxford, 1963.
[4] R. P ENROSE, A spinor approach to general relativity, Ann. Phys., 10 (1960), pp. 171–201.
[5] G. L. N ABER, The Geometry of Minkowski Spacetime, Springer-Verlag, Berlin, 1992.
[6] R. P ENROSE UND W. R INDLER, Spinors and Spacetime, vol. 1,2, Cambridge Univer-
sity Press, 1984, 1986.
[7] R. S EXL UND H. U RBANTKE, Relativität, Gruppen, Teilchen, Springer-Verlag, Wien,
3. Auflage, 1992.
[8] J. S TEWART, Advanced general relativity, Cambridge University Press, Cambridge,
1990.
[9] B. VAN DER WAERDEN, Spinoranalyse, Nachr. Akad. Wiss. Götting. Math.-Physik.
Kl., (1929), pp. 100–109.
[10] H. W EYL, Raum, Zeit, Materie, Springer-Verlag, Berlin, 7. Auflage., 1988.

8
2 Die Geometrie der Minkowski-Raumzeit

In diesem ersten Kapitel soll eine kurze Darstellung der geometrischen Grundlagen der
speziellen Relativitätstheorie gegeben werden. Diese wird formuliert in dem einfachs-
ten Modell eines Raum-Zeit-Kontinuums, der sogenannten Minkowski-Raumzeit, be-
nannt nach H ERMANN M INKOWSKI, der ihre geometrischen Eigenschaften als erster
beschrieben hat.1

Die Struktur der Welt der speziellen Relativitätstheorie ergibt sich aus dem empirischen
Relativitätsprinzip von Einstein, welches, mathematisch formuliert, folgendermaßen
lautet:

Die Welt ist ein vierdimensionaler affiner Raum, dem durch eine indefi-
nite quadratische Form der Signatur −2 eine Maßbestimmung (Metrik) auf-
geprägt ist.

Diese Formulierung stammt aus dem Buch Raum-Zeit-Materie von H ERMANN W EYL,
welches trotz seines Alters (erstmals aufgelegt 1918) eine noch heute beispielhaft klare
und durchsichtige Darstellung der mathematischen und physikalischen Begriffsbildun-
gen gibt, die den beiden Theorien der Relativität zugrundeliegen.

2.1 Der affine Raum

Was ist nun der Inhalt des oben angegebenen Prinzips? Zunächst soll kurz an den Be-
griff des affinen Raumes erinnert werden. Bekanntlich gibt es in der affinen Geometrie
zwei Kategorien von „Gegenständen“, nämlich Punkte und Vektoren (Translationen),
und Relationen zwischen ihnen. Ein affiner Raum M läßt sich durch folgende drei For-
derungen charakterisieren:

1. Vektoren: Die Menge der Vektoren bildet einen reellen Vektorraum V.

1 H.Minkowski, Raum und Zeit, Vortrag gehalten auf der 80. Versammlung Deutscher Naturforscher
und Ärzte zu Cöln am 21. September 1908

9
2. Punkte:
−→
a) Zu je zwei Punkten P, Q existiert genau ein Vektor, bezeichnet mit PQ.

b) Ist u irgendein Vektor und P ein beliebiger Punkt, so gibt es genau einen
−→
Punkt Q, so daß u = PQ gilt.
−→ −→ −

c) Ist u = PQ und v = QR, so ist PR = u + v.

3. Die Dimension des Vektorraums V ist n.

Streng genommen müssen wir also unterscheiden zwischen dem Punktraum, hier der
Minkowskischen Raumzeit, und dem zugehörigen Vektorraum. Oft wird dies jedoch
unterschlagen. Die Beziehung zwischen diesen beiden Räumen ist charakterisiert durch
−→
die Eigenschaften 2. Man kann jeden Vektor PQ auffassen als eine Translation, die den
Punkt P auf den Punkt Q abbildet. Die wesentliche Eigenschaft des affinen Raumes,
die aus der Eigenschaft (2a) folgt, ist seine Homogenität. Das heißt, kein Punkt ist vor
einem anderen ausgezeichnet. Dies ist im Gegensatz zu einem Vektorraum, wo der
Nullvektor ein ausgezeichnetes Element darstellt. Man kann sich vorstellen, daß an
jedem Punkt O des Punktraums ein Vektorraum V „angeheftet“ ist, nämlich der Raum
−→
aller Ortsvektoren der Form OP für beliebige Punkte P.

Ein Punkt O, zusammen mit n linear unabhängigen Vektoren e1, . . . , en ist ein (affines)
Koordinatensystem (C). Jeder Vektor x ∈ V kann auf genau eine Weise dargestellt
werden als eine Linearkombination

v = viei. (2.1.1)

(Wir verwenden hier durchweg die Einsteinsche Summenkonvention.) Die Zahlen ξi


sind die Komponenten des Vektors bezüglich des Koordinatensystems C. Zu jedem
−→
Punkt P gibt es den Vektor OP und wir definieren die Koordinaten von P als die Kom-
−→
ponenten von OP bezüglich C.

Ist C ′ = (O ′ ; e1′ , . . . , en
′ ) ein weiteres Koordinatensystem, so gelten Gleichungen der

Form
ek = Aikei′ , (2.1.2)
wobei die Aik eine Matrix mit nicht verschwindender Determinante bilden. Für die
Komponenten des Vektors x bezüglich des Koordinatensystems C ′ erhalten wir dann
die Ausdrücke
i
v ′ = Aikvk. (2.1.3)
Sind xi die Koordinaten eines beliebigen Punktes P bezüglich C, so erhalten wir seine
−−→ −−→ −→
Koordinaten bezüglich C ′ mithilfe der Beziehung O ′ P = O ′ O + OP aus
i
x ′ = Aikxk + αi. (2.1.4)

10
Dabei sind die αi die Koordinaten von O bezüglich C ′ . Wir sehen also wieder, daß
durchaus ein Unterschied besteht zwischen dem Vektorraum und dem Punktraum: die
Koordinaten der Punkte transformieren sich inhomogen, während die Komponenten
der Vektoren homogenen Transformationen unterliegen.

Die Formeln (2.1.4) geben an, wie man von einem Koordinatensystem zu einem ande-
ren übergehen muß. Dies ist der passive Standpunkt einer Transformation, bei dem nur
die Beschreibung eines Sachverhalts geändert wird. Man kann die Formeln jedoch auch
anders interpretieren: vom aktiven Standpunkt aus definieren sie eine affine Transfor-
mation. Das ist eine bijektive Selbstabbildung des Punktraumes, die auf dem Vektor-
raum eine bijektive lineare Selbstabbildung induziert. Sind nämlich xi wieder Koor-
dinaten eines Punktes P bezüglich eines Koordinatensystems C, so sind durch (2.1.4)
Koordinaten eines Bildpunktes P ′ , ebenfalls bezüglich C, gegeben. Die so erklärte Zu-
ordnung P 7→ P ′ definiert eine Abbildung M → M, die die oben genannten Eigen-
schaften besitzt. In der Tat läßt sich jede affine Transformation von M bezüglich eines
Koordinatensystems in der Form (2.1.4) darstellen. Die affinen Transformationen bilden
offensichtlich eine Gruppe, die affine Gruppe der Dimension n. Sie ist die Invarianz-
Gruppe des affinen Raumes, das ist die Gruppe aller Selbstabbildungen des Raumes,
welche die aufgeprägte Struktur erhalten.

Die affine Geometrie abstrahiert gewissermaßen die Längenmessung. Dies verdeutlicht


man sich am besten für eine Raumdimension. Das Messen des Abstands zweier Punkte
besteht ja im Anlegen und Abtragen eines Maßstabs, einer willkürlich gewählten Refe-
renzstrecke, die frei im Raum verschiebbar ist. Der Maßstab entspricht gewissermaßen
dem Vektor zwischen den beiden Endpunkten der Referenzstrecke. Aus den Möglich-
keiten der Aneinanderlegung und Unterteilung der Referenzstrecke ergeben sich das
Additivitätsgesetz und das Gesetz zur Multiplikation von Vektoren mit beliebigen ra-
tionalen Zahlen. Die Ausdehnung auf reelle Zahlen ist eine mathematische Feinheit. In
höheren Dimensionen kommen noch verschiedene Möglichkeiten zur Ausrichtung der
Referenzstrecke hinzu.

Innerhalb des affinen Rahmens gibt es kein Kriterium, das es erlaubt eine bestimmte
Klasse von Referenzstrecken auszuzeichnen. Deshalb gibt es keinen „absoluten“ Ab-
standsbegriff in dieser Geometrie, sondern nur einen „relativen“: von je zwei Strecken
kann man nicht sagen, wie lang sie jeweils für sich genommen sind, sondern nur um
welchen Faktor sich die eine von der anderen unterscheidet. Dabei kommt es nicht dar-
auf an, welcher Maßstab zur Messung verwendet wird, solange nur für beide Strecken
der gleiche benutzt wird. Diese Betrachtung überträgt sich in analoger Weise auf die
höherdimensionalen Maßbegriffe, wie Flächeninhalt, Volumen usw.

Um von der affinen zur metrischen Geometrie übergehen zu können, braucht man eine
zusätzliche Struktur, die es erlaubt jeder Strecke genau eine Länge und (in höheren
Dimensionen) je zwei Vektoren einen Winkel zuzuordnen.

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2.2 Der metrische Raum

Ein metrischer Raum ist ein affiner Raum, auf dessen Vektorraum V ein (reelles) Skalar-
produkt definiert ist. Je zwei Vektoren U, V wird eine reelle Zahl (U · V) zugeordnet.
Es gelten die üblichen Gesetze, die das Skalarprodukt als eine (symmetrische) Bilinear-
form auf V entlarven. Das Skalarprodukt soll nicht ausgeartet, also regulär sein, d.h.,
wenn U · V = 0 für alle V gilt, so folgt U = 0.
Nach Wahl eines Koordinatensystems C erhält man aufgrund der Bilinearität
(U · U) = (ei · ek)UiUk = gikUiUk. (2.2.1)
Die Zahlen gik = (ei · ek) bilden eine symmetrische Matrix mit nicht verschwindender
Determinante. Wir sehen aus (2.2.1), daß das Skalarprodukt eine quadratische Form der
Komponenten definiert. Da die Wahl eines Koordinatensystems völlig willkürlich ist,
kann man sich fragen, ob man nicht ein besonders günstiges finden kann. Es ist eine
bekannte Tatsache, daß man immer lineare Transformationen der Komponenten Ui von
U finden kann, so daß
  2  2  2
(U · U) = U1 + U2 + · · · + (Us)2 − Us+1 − · · · − (Un)2 (2.2.2)

wird. Dies bedeutet, daß man immer ein Koordinatensystem finden kann, so daß die
Matrix der gik die Diagonalform diag(1, . . , 1}, −1,
| .{z . . , −1}) erhält. Die Signatur einer
| .{z
p q
quadratischen Form ist die Differenz p − q zwischen der Anzahl von positiven und
negativen Einträgen in dieser Normalform. Zusammen mit der Dimension n = p + q
ist eine Bilinearform durch ihre Signatur eindeutig festgelegt. Auf einem metrischen
Raum sind alle Bilinearformen mit gleicher Signatur vollständig äquivalent und nicht
zu unterscheiden.
Die Bilinearform auf V erlaubt es, einen Abstandsbegriff für je zwei Punkte in M ein-
zuführen. Dies geschieht bekanntlich dadurch, daß man je zwei Punkten P und Q den
−→ −→
quadratischen Abstand Φ(P, Q) = PQ · PQ zuordnet. In Räumen mit definiter Bili-
nearform (Signatur ±n) hat dieser Ausdruck für beliebige Punkte immer das gleiche
Vorzeichen und man kann ohne weiteres die Wurzel ziehen. Auf diese Weise entsteht
dann der geometrische Abstand. Auf ähnliche Weise lassen sich Winkel definieren.
Die Existenz einer solchen Bilinearform, auch Metrik genannt, schränkt die Invarianz-
gruppe des Raumes ein. Zulässig sind jetzt nicht mehr beliebige affine Transformatio-
nen, sondern nur noch solche, die zusätzlich die Metrik invariant lassen. Ist die af-
fine Transformation bezüglich eines Koordinatensystems gegeben durch die Formeln
(2.1.3), so muß jetzt noch zusätzlich
glmAliAmk = gik (2.2.3)
erfüllt sein. Die affine Gruppe wird reduziert auf die Untergruppe der metrischen Trans-
formationen.

12
Besondere Beispiele für metrische Räume sind die euklidischen Räume, bei denen die
Signatur der Metrik gleich der Dimension des Raumes ist und die Lorentzräume mit
Signatur ±(n − 1). In den euklidischen Räumen gilt die euklidische Geometrie (sic!),
ihre Invarianzgruppe heißt auch euklidische Gruppe; in den Lorentzräumen gilt die
Lorentzgeometrie mit der Poincaré-Gruppe (bzw. inhomogenen Lorentz-Gruppe) als
Invarianzgruppe. Der Lorentzraum mit Dimension 4 und metrischer Signatur ±2 heißt
Minkowski-Raum oder -Raumzeit. Wir werden als Signatur −2 wählen, d.h., die Metrik
kann auf die Diagonalform diag(1, −1, −1, −1) gebracht werden. Der Grund dafür wird
später ersichtlich werden.

2.3 Grundlegende Begriffe

Zunächst soll der Minkowski-Vektorraum V näher untersucht werden. Dieser tritt an


mehreren Stellen innerhalb der Relativitätstheorie auf: nicht nur als Raum der Orts-
vektoren in der Minkowski-Raumzeit, sondern z.B. auch als Tangentialraum an eine
Raumzeit-Mannigfaltigkeit oder als Raum von Vierer-Impulsen.
Wie schon beschrieben bedeutet die Vierdimensionalität des Vektorraums nichts an-
deres als die Existenz von vier Vektoren (e0, . . . , e3), die linear unabhängig sind. Wir
schreiben bei Gelegenheit auch (t, x, y, z) in Anlehnung an die Bedeutung der vier Di-
mensionen. Eine Basis im Minkowski-Vektorraum wird auch häufig als Tetrade be-
zeichnet.
Jeder Vektor U kann als Linearkombination bezüglich einer Basis geschrieben wer-
den:
U = U0e0 + U1e1 + U2e2 + U3e3 = Uiei. (2.3.1)
Die Zahlen U0, U1, U2, U3 sind die kontravarianten Komponenten des Vektors U be-
züglich der Tetrade (e0, . . . , e3).
Je zwei Tetraden (ei), (fk) sind durch eine invertierbare lineare Abbildung miteinander
verknüpft
fk = Aikei. (2.3.2)
Die Determinante der Matrix A k ist von Null verschieden, also entweder streng posi-
i


tiv oder streng negativ. Je nachdem wie das Vorzeichen ausfällt, nennt man die beiden
Basen gleich- oder gegensinnig orientiert. Die Menge aller Basen von V zerfällt in
genau zwei Klassen. Innerhalb einer Klasse sind die Basen gleichsinnig orientiert. Die
Wahl einer Klasse nennt man eine Orientierung von V. Wir werden im folgenden an-
nehmen, daß eine solche Wahl getroffen worden ist und wir nennen die ausgewählte
Klasse von Tetraden die orientierten Tetraden.
Das Skalarprodukt auf V gestattet es, eine weitere Klasse von Tetraden auszuzeichnen.
Wie schon beschrieben, kann man in V immer eine Basis (t, x, y, z) derart finden, daß

t · t = −x · x = −y · y = −z · z = 1 (2.3.3)

13
und alle anderen Kombinationsmöglichkeiten verschwinden. Eine solche Basis nennt
man (Pseudo-) Orthonormalbasis oder auch Minkowski-Tetrade. Die Matrix der Me-
trik bezüglich einer Minkowski-Tetrade hat die diagonale Form
 
1 0 0 0
 0 −1 0 0 
ηik =  , (2.3.4)
 0 0 −1 0 
0 0 0 −1

und das Skalarprodukt zweier Vektoren U und V bezüglich einer solchen Tetrade lautet
demnach
U · V = U0V 0 − U1V 1 − U2V 2 − U3V 3. (2.3.5)

Ein nicht verschwindender Vektor U heißt


 
zeitartig,   >0
lichtartig, falls U · U =0 ausfällt. (2.3.6)
 
raumartig, <0

Ein nicht raumartiger Vektor heißt auch kausal. Für einen kausalen Vektor U gilt of-
fensichtlich die Ungleichung

(U0)2 ≥ (U1)2 + (U2)2 + (U3)2. (2.3.7)

Für je zwei kausale Vektoren U und V gilt dann die Ungleichungskette


  
(U0V 0)2 ≥ (U1)2 + (U2)2 + (U3)2 (V 1)2 + (V 2)2 + (V 3)2
 2
≥ U1V 1 + U2V 2 + U3V 3 ,

unter Benutzung der Cauchy-Schwarz-Ungleichung. Damit haben wir



0 0
U V ≥ U1V 1 + U2V 2 + U3V 3. (2.3.8)

Die Gleichheit gilt hier genau dann, wenn U und V beide lichtartig und proportional
zueinander sind; und dies ist auch der einzige Fall, in dem zwei kausale Vektoren auf-
einander senkrecht sein können (U · V = 0).
In ganz analoger Weise zu oben können wir nun die Menge aller kausalen Vektoren
in genau zwei Klassen zerlegen, innerhalb derer das Skalarprodukt je zweier Vektoren
positiv ist. Die Auszeichnung einer solchen Klasse nennen wir Zeit-Orientierung und
die Vektoren in der so ausgezeichneten Klasse heißen zukunftsgerichtet.
Eine Minkowski-Tetrade heißt orthochron, falls ihr „zeitartiges Bein“ zukunftsgerich-
tet ist. Bezüglich einer orthochronen Minkowski-Tetrade sind die zukunftsgerichteten
kausalen Vektoren gerade diejenigen, für die U0 = U · t > 0 gilt.

14
Man beachte: diese Orientierung gilt nur für kausale Vektoren. Es gibt keine zukunfts-
gerichteten raumartigen Vektoren. Jedoch können wir mithilfe der Orientierung des
gesamten Vektorraums und der Zeit-Orientierung eine Raum-Orientierung definieren:
Man nennt eine Triade, drei raumartige linear unabhängige Vektoren (x, y, z), rechts-
händig, falls für einen (und damit für alle) zukunftsgerichteten, zeitartigen Vektor t die
Tetrade (t, x, y, z) orientiert ist. Je zwei der so definierten drei Arten von Orientierung
bedingen die dritte.
Wir haben nun zusätzlich zum Skalarprodukt noch weitere Strukturen eingeführt und
müssen uns nun fragen, wie die Invarianzgruppe aussieht. Wie immer ist dies diejenige
Gruppe von Transformationen, die alle Strukturen invariant läßt, im vorliegenden Fall
also die affine Struktur der Minkowski-Raumzeit, das Skalarprodukt und die Orientie-
rungen. Eine lineare Selbstabbildung von V, die das Skalarprodukt erhält, heißt Lor-
entz-Transformation und wenn sie zusätzlich noch die Orientierungen erhält, so heißt
sie eingeschränkte, oder orthochrone Lorentz-Transformation. Eine Selbstabbildung
der Minkowski-Raumzeit, also des Punktraums, welche den quadratischen Abstand
Φ(P, Q) zwischen je zwei Punkten P und Q erhält, heißt Poincaré-Transformation.
Jede Poincaré-Transformation der Minkowski-Raumzeit induziert eine Lorentz-Trans-
formation des Minkowski-Vektorraums und kann somit auch als orthochron eingestuft
werden, falls die entsprechende Lorentz-Transformation dies ist. Die Invarianzgruppe
der Minkowski-Raumzeit ist die Gruppe der Poincaré-Transformationen; die der orien-
tierten Minkowski-Raumzeit ist die orthochrone Poincaré-Gruppe.
Zum Schluß wollen wir noch die Charakterisierung der orthochronen Lorentz-Trans-
formationen bezüglich einer Minkowski-Tetrade angeben. Aus der Invarianz des Ska-
larprodukts und aus der Normalform der Metrik (2.3.4) folgt mit (2.2.3)

ηlmLliLmk = ηik, (2.3.9)

wobei Lik die Matrix einer Lorentz-Transformation L bezüglich einer Minkowski-




Tetrade ist. Falls diese Transformation noch zusätzlich die Orientierung von V invariant
läßt, so gilt
det(Lik) > 0, (2.3.10)
und falls auch die Zeit-Orientierung erhalten bleibt, muß gelten

L00 > 0. (2.3.11)

Dies folgt daraus, daß der Bildvektor Lt ebenfalls zukunftsgerichtet ist, so daß L00 =
Lt · t > 0 gilt.

15
3 Spin-Transformationen

Die im letzten Kapitel eingeführten Minkowski-Tetraden sind Koordinaten-Systeme,


die speziell der metrisch-affinen Struktur des Minkowski-Raums angepasst sind. In
diesem Kapitel ist eine andere geometrische Struktur des Minkowski-Raums von Be-
deutung, die Geometrie der Lichtstrahlen. Um diese adäquat beschreiben zu können,
ist es nützlich, verschiedene Koordinatendarstellungen der Kugeloberfläche parat zu
haben.

3.1 Darstellungen der Sphäre

Die erste Beschreibung ist gleichzeitig die Definition: im 3-dimensionalen euklidischen


Raum mit kartesischen Koordinaten (x, y, z) definieren wir die Oberfläche der Einheits-
kugel S = {(x, y, z)|x2 + y2 + z2 = 1}. Weitere Koordinatenbeschreibungen sind unter
anderen die folgenden:

• Polarkoordinaten: Sie sind definiert gemäß x = sin θ cos φ, y = sin θ sin φ, z =


cos θ, für θ ∈]0, π[, φ ∈]0, 2π[. Offensichtlich überdecken diese Koordinaten nicht
die gesamte Kugel, sondern nur die Punkte außerhalb der Halbebene {x ≥ 0} und
man muß entsprechende andere Karten wählen, um eine vollständige Überde-
ckung zu erreichen.
• Stereographische Projektion vom Nordpol: sei N = (0, 0, 1), der Nordpol der Ku-
gel. Wir ordnen jedem Kugelpunkt P einen Punkt Q in der Ebene Σ := {(x, y, z)|z =
0} so zu, dass N, P und Q kollinear werden. D.h., Q ist der Schnittpunkt der Ge-
raden durch N und P mit Σ. Ist Q = (X, Y, 0), so gilt offensichtlich

X 1 Y
= = . (3.1.1)
x 1−z y

Wenn man Σ als komplexe Zahlenebene C (die Gaußsche Zahlenebene) interpre-


tiert und ζ = X + iY schreibt, so gilt

x + iy
ζ= , (3.1.2)
1−z

für alle Punkte der Kugel außer dem Nordpol. Damit erhält man eine Überde-
ckung der Kugel bis auf einen Punkt. Die Umkehrung der Transformationen (3.1.2)

16
Abbildung 3.1: Stereographische Projektion der Kugel auf die Ebene

ist
ζ + ζ̄ ζ − ζ̄ ζζ̄ − 1
x= , y = −i , z= . (3.1.3)
ζζ̄ + 1 ζζ̄ + 1 ζζ̄ + 1

Man sieht daraus, dass alle Punkte außer dem Nordpol mit z = 1 durch (3.1.3)
erfasst werden. Den Nordpol erreicht man nur formal für „ζ = ∞“. Unter Hinzu-
fügen dieses „unendlich fernen“ Punktes wird also die Zahlenebene „kompakti-
fiziert“ zur Riemannschen Zahlenkugel. Man kann sich daher die Kugel auch
als komplexe Ebene plus unendlich ferner Punkt vorstellen. Der Zusammenhang
mit den Polarkoordinaten ist gegeben durch

x + iy
ζ= = cot(θ/2)eiφ. (3.1.4)
1−z

• Homogene Koordinaten: Manchmal ist es störend, „ζ = ∞“ als Sonderfall be-


handeln zu müssen und es ist wünschenswert, Beschreibungen der Kugel zu be-
sitzen, die alle Punkte gleich behandeln. Eine solche Möglichkeit ist die als De-
finition der Kugel angegebene Darstellung. Hier soll noch eine weitere, äußerst
weitreichende Möglichkeit aufgezeigt werden.

Im C2 − {(0, 0)} definieren wir eine Äquivalenzrelation, wonach zwei Paare (ξ1, η1)
und (ξ2, η2) äquivalent sind, falls eine komplexe Zahl λ 6= 0 existiert, so dass
(ξ2, η2) = (λξ1, λη1) gilt. Die Menge von Äquivalenzklassen {[ξ, η]} ist der projek-
tive komplexe Raum CP1 in einer Dimension. Man sieht leicht ein, dass CP1 eine
sphärische Topologie besitzt: wenn η 6= 0 ist, so ist [ξ, η] = [ξ/η, 1]. Durchlaufen
ξ und η alle zulässigen Werte mit η 6= 0, so läuft ζ := ξ/η über die gesamte kom-
plexe Zahlenebene. Der Fall η = 0 liefert nur noch eine weitere Äquivalenzklasse,
denn [ξ, 0] = [1, 0] und man sieht, dass sie formal dem „unendlichen fernen“
Punkt ζ = ∞ entspricht. Die Darstellung der Kugel als projektiver komplexer
Raum ist äußerst hilfreich und hat weitreichende Konsequenzen, insbesondere
im Zusammenhang mit der Minkowski-Geometrie.

17
3.2 Nullrichtungen und die „Himmelskugel“

Wir wählen ein Ereignis O im Minkowski-Raum und betrachten die lichtartigen Rich-
tungen durch O. Eine solche Nullrichtung besteht aus einem Nullvektor (lichtartiger
Vektor) und dessen positiven Vielfachen. Es gibt also Zukunfts- und Vergangenheits-
Nullrichtungen. Wählt man eine Minkowski-Tetrade (t, x, y, z), so besitzt jeder Null-
vektor L Komponenten (T, X, Y, Z) bezüglich dieser Tetrade mit T 2 − X2 − Y 2 − Z2 =
0. Die so definierte Nullrichtung kann repräsentiert werden durch dasjenige Vielfa-
−−→
che OQ von L, dessen Endpunkt Q auf der Ebene {T = 1} oder {T = −1} liegt, je
nach Zeitorientierung der Nullrichtung. Für Zukunftsrichtungen hat Q die Koordina-
ten (1, X/T, Y/T, Z/T ), die somit die Gleichung x2 + y2 + z2 = 1 erfüllen. Folglich liegen
alle so gefundenen Endpunkte auf einer Sphäre. Entsprechendes gilt für vergangen-
heitsgerichtete Nullrichtungen. Diese konkreten Sphären S± sind die jeweilige Darstel-
lung der (abstrakten) Sphären S± der Zukunfts- (Vergangenheits-) Nullrichtungen.

Den so definierten Objekten kann man eine konkrete physikalische Bedeutung zu-
schreiben. Betrachten wir einen Beobachter, der sich in O befindet und sich entlang
t bewegt. Alles, was er in O sieht, kommt entlang Lichtstrahlen aus der Vergangenheit
auf ihn zu. Sein Gesichtsfeld besteht aus den vergangenheitsgerichteten Nullrichtun-
gen, also S− . Die Kugel S− zur Zeit T = −1 liefert ein genaues geometrisches Abbild
dessen, was er tatsächlich sieht, denn der Beobachter stellt sich vor zu jedem Zeitpunkt
im Zentrum einer Einheitskugel zu sitzen, auf die er sein Gesichtsfeld projiziert. Man
nennt daher die beiden Kugeln S− und S− auch Himmelskugel, (celestial sphere).

Mit jeder Nullrichtung, repräsentiert durch einen Nullvektor L, ist durch −L eine Null-
richtung der anderen Zeitorientierung gegeben. Mit L 7→ −L sind also Abbildungen
S± → S∓ bzw., S± → S∓ verknüpft. Bezüglich der konkreten Kugeln S± ist diese Ab-
bildung gegeben durch die Antipoden-Abbildung (x, y, z) 7→ (−x, −y, −z). Bezüglich
der ζ-Koordinate ist diese Abbildung durch

1 θ
ζ 7→ − = − tan eiφ (3.2.1)
ζ̄ 2

gegeben.

Wie sieht S+ aus, wenn wir die homogenen Koordinaten aus Abschnitt 3.1 benutzen?
Die Punkte auf S+ , die die verschiedenen Nullrichtungen repräsentieren, haben Koor-
dinaten  
ξη̄ + ηξ̄ 1 ξη̄ − ηξ̄ ξξ̄ − ηη̄
(1, x, y, z) = 1, , , , (3.2.2)
ξξ̄ + ηη̄ i ξξ̄ + ηη̄ ξξ̄ + ηη̄
unter Benutzung von (3.1.3) und ζ = ξ/η. Diese Darstellung ist gültig für alle ξ und η,
da diese ja nicht simultan verschwinden können und erfasst daher die gesamte Kugel.
Sie ist offensichtlich zudem invariant unter der Skalierung (ξ, η) 7→ (λξ, λη).

18
Um Nullrichtungen darzustellen müssen wir uns natürlich nicht einschränken auf die
Punkte auf S+ . Vielmehr können wir beliebige Vielfache der entsprechenden Nullvek-
toren zu diesem Zweck heranziehen. Im vorliegenden Fall bietet es sich an, Nullvekto-
−→
ren K = OR zu verwenden, deren Komponenten bezüglich der gewählten Minkowski-
Tetrade folgendermaßen aussehen (der Vorfaktor ist Konvention)

1  1 
T = √ ξξ̄ + ηη̄ , X= √ ξη̄ + ξ̄η ,
2 2
(3.2.3)
i  1 
Y = − √ ξη̄ − ηξ̄ , Z = √ ξξ̄ − ηη̄ .
2 2
Es ist leicht zu sehen, dass K · K = 0 ist, und dass die so definierte Nullrichtung un-
abhängig ist von der Skalierung von (ξ, η), also nur abhängt von der Äquivalenzklas-
se [ξ, η]. Der Nullvektor dagegen, ist nicht unabhängig davon. Vielmehr ergibt (λξ, λη)
einen Nullvektor, der um λλ̄ gegenüber K gestreckt ist. Wenn also ξ und η alle erlaubten
Werte durchlaufen, dann erhalten wir durch (3.2.3) den gesamten Zukunftslichtkegel
von O.
Übung 3.1: Zeigen Sie, dass durch die Äquivalenzrelation

(ξ, η) ≡ (ξeiφ, ηeiφ), φ∈R

im C2 − {(0, 0)} genau der Zukunftslichtkegel im Minkowski-Vektorraum beschrieben wird.

3.3 Lorentz- und Spin-Transformationen

Orthochrone Lorentz-Transformationen bilden Nullvektoren auf Nullvektoren ab. Auf-


grund ihrer Linearität bilden sie auch Nullrichtungen auf Nullrichtungen ab und indu-
zieren somit Selbstabbildungen von S± . Wie sehen diese aus?
Wir gehen aus von der projektiven Darstellung von S+ als der Menge aller Nullvek-
toren K, deren Komponenten durch (3.2.3) gegeben sind. Wenn man (ξ, η) einer nicht-
singulären, komplex linearen Transformation der Form

ξ 7→ αξ + βη, η 7→ γξ + δη (3.3.1)

unterwirft (wobei αδ − βγ 6= 0 ist), so ist die Wirkung dieser Transformation auf die
Nullrichtungen gegeben durch
αζ + β
ζ 7→ . (3.3.2)
γζ + δ
Diese Abbildung ist auch sinnvoll für ζ = ∞, wenn man ∞ 7→ α/γ setzt. Ebenso ist ∞
ein Bildpunkt, der für ζ = −δ/γ erreicht wird.
Offensichtlich kommt es bei dieser Abbildung nicht auf die Skalierung von α, β, γ und
δ an: λα, λβ, λγ und λδ liefern die gleiche Abbildung für beliebiges komplexes λ. Wir

19
können also annehmen, dass αδ − βγ = 1 ist. Wir nennen die Matrix
 
α β
A= (3.3.3)
γ δ

eine Spin-Matrix, falls sie durch die Bedingung det A = 1 normalisiert ist, und die
durch sie vermittelte Transformation (3.3.1) eine Spin-Transformation. Die Spin-Trans-
formationen bilden eine Gruppe, die offensichtlich isomorph ist zur Gruppe SL(2, C).
Durch die Normalisierungsbedingung wird erreicht, dass die Zuordnung zwischen ei-
ner Spin-Transformation und der Transformation der Nullrichtungen so eindeutig wie
möglich wird. Dennoch ist der Kern dieser Gruppenabbildung nicht trivial: denn fra-
gen wir nach denjenigen Spin-Transformation, die die identische Abbildung der Null-
richtungen induzieren, so finden wir aus
αζ + β
ζ= (3.3.4)
γζ + δ
nach Koeffizientenvergleich in ζ, β = γ = 0 und α = δ. Wegen der Normalisierungs-
bedingung folgt also α = δ = ±1. Dies bedeutet, dass eine Spin-Transformation durch
ihre Wirkung auf den Nullrichtungen des Minkowski-Raums bis auf ein Vorzeichen
festgelegt ist. Die Transformationen (3.3.2) sind aus der Funktionentheorie bekannt.
Dort heißen sie Möbius-Transformationen und sind diejenigen Transformationen, die
die Riemannsche Zahlenkugel biholomorph auf sich abbilden (ihre Automorphismen).
Wir sehen hier also einen natürlichen Zusammenhang zwischen der komplexen Struk-
tur der Riemannschen Zahlenkugel und der Geometrie des Minkowski-Raums. Dieses
Zusammenspiel kann intensiviert werden.
Durch (3.3.1) wird via (3.2.3) eine Abbildung des Lichtkegels auf sich definiert und, da
die Nullvektoren den gesamten Vektorraum V erzeugen, auch eine lineare Abbildung
von V auf sich. Diese ist reell linear und umkehrbar. Auch lässt sie den Ausdruck T 2 −
X2 − Y 2 − Z2 invariant. Dies sieht man am besten ein, wenn man die Formeln (3.2.3)
umformuliert:
1 1
ξξ̄ = √ (T + Z) , ξη̄ = √ (X + iY) ,
2 2
1 1
ηξ̄ = √ (X − iY) , ηη̄ = √ (T − Z) . (3.3.5)
2 2
Dies lässt sich etwas kompakter schreiben als
   
1 T + Z X + iY ξ
(3.3.6)

√ = ξ̄, η̄ .
2 X − iY T − Z η

Man beachte jedoch, dass dies nur für Nullvektoren gilt. Ist nun
   
ξ ξ
7→ A (3.3.7)
η η

20
eine Spin-Transformation, so folgt für die entsprechende Transformation des Nullvek-
tors    
T + Z X + iY T + Z X + iY
7→ A A⋆ . (3.3.8)
X − iY T − Z X − iY T − Z
Diese Transformationsformel wurde für den Fall hergeleitet, wo (T, X, Y, Z) die Kompo-
nenten eines Nullvektors sind. Wir stellen jedoch fest, dass (3.3.8) linear in den Kom-
ponenten des Nullvektors ist. Da man jeden beliebigen 4-Vektor als Linearkombination
von Nullvektoren schreiben kann, können wir diese Formel aufgrund der Linearität
auf beliebige Vektoren ausdehnen. Da nun
  
T + Z X + iY 
det = T 2 − X2 − Y 2 − Z2 (3.3.9)
X − iY T − Z

folgt aus det A = 1 und (3.3.8) die Invarianz des Skalarprodukts unter den so definier-
ten Abbildungen. Daher induziert eine Spin-Transformation im Minkowski-Raum eine
Lorentz-Transformation. Man kann nun die Matrix L dieser Transformation in Abhän-
gigkeit von der Spin-Matrix A bestimmen, so dass
   
T T
 X  X 
(3.3.10)

 Y  7→ L 
   .
Y 
Z Z

Man findet eine komplizierte 4 × 4-Matrix, deren Einträge alle quadratische Ausdrücke
in den Matrixelementen von A sind (vgl. Penrose-Rindler Bd. 1 Gl. (1.2.26)). Aus der
Form dieser Matrix folgt, dass die Lorentz-Transformation sogar orthochron ist. Dies
folgt auch aus dem topologischen Argument, dass das stetige Bild einer zusammen-
hängenden Menge wieder zusammenhängend ist: die SL(2, C) ist eine zusammenhän-
gende Gruppe, die Abbildung A 7→ L ist stetig, folglich ist das Bild der Abbildung
auch zusammenhängend. Dieses Bild liegt aber sicherlich innerhalb der Zusammen-
hangskomponente der Identität in der Lorentz-Gruppe und dies sind gerade die ortho-
chronen Lorentz-Transformationen. Umgekehrt lässt sich zeigen, dass jede orthochrone
Lorentz-Transformation von einer Spin-Transformation erzeugt wird.

3.4 Lorentz-Transformationen näher betrachtet

Zum Abschluss dieses Kapitels sollen noch einige Eigenschaften von Lorentz-Transfor-
mationen näher beleuchtet werden. Wir tun dies anhand der Möbius-Transformationen
der Himmelskugel. Es ist ein bekannter Satz aus der Topologie, dass jeder Homöomor-
phismus der Kugel auf sich mindestens einen Fixpunkt besitzt. Wie verhält sich das
nun bei den Transformation (3.3.2)? Aus diesen Formeln folgt für einen Fixpunkt ζ die
quadratische Gleichung
γζ2 + (δ − α)ζ − β = 0. (3.4.1)

21
Für Spin-Transformationen, die nicht proportional zur Identität sind, hat diese Glei-
chung höchstens zwei verschiedene Lösungen. Wir erhalten also die Aussage, dass jede
(orthochrone) Lorentz-Transformation mindestens eine und höchstens zwei Nullrich-
tungen invariant lässt. Es gibt also zwei Klassen von Lorentz-Transformationen; die
mit zwei invarianten Nullrichtungen und die mit nur einer.
Betrachten wir zuerst den Fall zweier invarianter Nullrichtungen. Wir können eine
Minkowski-Tetrade so orientieren, dass t und z beide in den von diesen Nullrichtungen
erzeugten Unterraum zu liegen kommen.
Übung 3.2: Warum trägt dieser Unterraum eine Lorentz-Metrik?
Dann liegen t ± z jeweils in einer der invarianten Richtungen und wir können anneh-
men, dass die Fixpunkte auf der Himmelskugel antipodisch liegen. Wir legen die Koor-
dinate ζ so fest, dass die Fixpunkte an die beiden Pole zu liegen kommen. Dann haben
wir Möbius-Transformationen zu suchen, die ζ = 0 und ζ = ∞ fix lassen.
Übung 3.3: Man zeige, dass die allgemeinste Spin-Transformation, die ζ = 0 und ζ = ∞ fix
lässt, durch die Matrix  
α 0
A= 1
0 α
gegeben ist, so dass also
ζ 7→ α2ζ (3.4.2)
.
Aus (3.3.8) bekommen wir die zu dieser Transformation gehörende Lorentz-Transfor-
mation mit ξ = ζ und η = 1
αᾱ(T + Z) α
   
T + Z X + iY ᾱ (X + iY)
7→ ᾱ
X − iY T − Z α (X − iY) αᾱ(T − Z)

Wir sehen, dass sich T und Z mit dem Betragsquadrat von α transformieren, während
sich X und Y mit dem doppelten Argument von α ändern. Daher setzen wir α = weiφ
und bekommen die Lorentz-Transformation
   
1 2 1 2 1
T 7→ w + 2 T + w − 2 Z , X 7→ cos 2φ X − sin 2φ Y
2 w w
    (3.4.3)
1 2 1 2 1
Z 7→ w − 2 T + w + 2 Z , Y 7→ sin 2φ X + cos 2φ Y.
2 w w
Offensichtlich besteht die Klasse der Lorentz-Transformationen mit zwei festen Null-
richtungen aus zwei Sorten: Rotationen, ζ 7→ e2iφζ, und „boosts“, also reine Geschwin-
digkeitstransformationen ζ 7→ w2ζ. Dass es sich dabei tatsächlich um eine Geschwin-
digkeitstransformation handelt, sieht man schnell ein, wenn man
  12
2 1+v
w = (3.4.4)
1−v
setzt. Wie man leicht erkennt, bleiben zwar die durch t ± z bestimmten Nullrichtun-
gen invariant, jedoch nicht die Nullvektoren selber. Dies steht im Gegensatz zu den

22
Rotationen. Die kombinierte Lorentz-Transformation, die (3.4.2) entspricht, heißt auch
Vierer-Schraube (four-screw).
Aus der Formel ζ̃ = wζ für einen reinen „boost“ kann man sehr leicht die Aberrations-
formel für einfallendes Licht bekommen. Dazu betrachten wir zwei Beobachter, die sich
relativ zueinander mit einer Geschwindigkeit V in Richtung θ = 0 bewegen. Dabei be-
obachten beide Licht, das aus einer Richtung θ bzw. θ̃ einfällt. Da das einfallende Licht
durch die Himmelskugel S− beschrieben wird, müssen wir noch die Antipodenabbil-
dung zwischenschalten, so dass sich für die Relation zwischen den beiden Winkeln die
Formel
θ̃ θ
tan = w tan , (3.4.5)
2 2
q
1−V
wobei w = 1+V ergibt. Für einen Beobachter, der sich schnell bewegt und dabei
beschleunigt, scheinen sich alle Objekte auf seinen Zielpunkt zuzubewegen.
Wir kommen jetzt zum Fall mit nur einer invarianten Nullrichtung. Mit ähnlichen Ar-
gumenten wie oben können wir annehmen, dass diese Richtung durch den Nordpol
auf der Himmelskugel gegeben ist. Die allgemeinsten Möbius-Transformationen, die
den Nordpol ζ = ∞, und nur diesen, fest lassen sind die Translationen in der kom-
plexen Zahlenebene ζ 7→ ζ + β. Wir schreiben β = a + ib und bekommen dann die
entsprechende Lorentz-Transformation in der Form

X 7→ X + a(T − Z),
Y 7→ Y + b(T − Z),
1 (3.4.6)
Z 7→ Z + aX + bY + (a2 + b2)(T − Z),
2
1
T 7→ T + aX + bY + (a2 + b2)(T − Z).
2
Bei dieser Transformation bleibt nicht nur die durch t + z definierte Nullrichtung in-
variant, sondern der gesamte Vektor. Solche Lorentz-Transformationen heißen Nullro-
tationen. Sie bilden eine Untergruppe der Lorentz-Gruppe, isomorph zur additiven
Gruppe der reellen Zahlen.

23
4 Spinorielle Objekte und Spin-Vektoren

Im letzten Kapitel haben wir gesehen, dass man die Kugeln S+ und S+ der Nullrichtun-
gen durch die Äquivalenzklassen [ξ, η] beschreiben kann. Wir haben auch gesehen, dass
man jeden (Zukunfts-) Nullvektor ausgehend von einem Ereignis O durch die Angabe
eines Paares (ξ, η) charakterisieren kann, sofern man die Paare (ξ, η) und (eiφξ, eiφη)
(für reelles φ) identifiziert (vgl. Gleichung (3.2.3)). Bei beiden Darstellungen geht In-
formation verloren: nur dreien der vier reellen Dimensionen in C2 können wir so eine
Raumzeitinterpretation geben und es stellt sich die Frage, inwieweit man einem ein-
zelnen Paar (ξ, η) eine geometrische Deutung zukommen lassen kann. Wir suchen al-
so eine geometrische Struktur im Minkowski-Raum, deren Koordinatenbeschreibung
durch ein solches Paar gegeben ist. Dies bedeutet, dass sich die gesuchte Struktur nicht
ändert, wenn man eine (passive) Spin-Transformation auf (ξ, η) anwendet, da dies nur
mit einer Änderung der Beschreibung verbunden ist.
Offensichtlich geht bei der Zuordnung eines Paares (ξ, η) auf einen Nullvektor die In-
formation über eine Phase verloren. Diese Phase gilt es geometrisch darzustellen. Dies
führt uns auf sogenannte „Nullfahnen“.

4.1 Nullfahnen

Wir betrachten zuerst die Situation in S+ , der Kugel der (Zukunfts-) Nullrichtungen.
Jeder Punkt L in S+ , d.h., jede Nullrichtung kann beschrieben werden durch die Äqui-
valenzklasse [ξ, η], bzw. (mit Ausnahme eines Punktes) durch den Quotienten ζ = ξ/η.
Damit haben wir die Hälfte der Information, die in (ξ, η) steckt, nämlich zwei reelle Di-
mensionen, verbraucht. Die beiden weiteren Dimensionen sind in natürlicher Weise in
den Tangentialvektoren an die Sphäre versteckt. Ein Tangentialvektor an S+ im Punkt
L mit der Koordinate ζ lässt sich schreiben als
M = f(ξ, η)∂ζ + f(ξ, η)∂ζ̄. (4.1.1)
Dabei ist f eine beliebige (glatte) Funktion von (ξ, η). Wenn also L zusammen mit M
die gesuchte Struktur sein soll, so darf sie sich nicht ändern, wenn wir (ξ, η) der Spin-
Transformation (3.3.1) unterwerfen. Also ist (ξ̃, η̃) = (αξ + βη, γξ + δη) eine andere
Koordinatendarstellung für L, M, und damit ζ̃ = αζ+β γζ+δ eine andere komplexe stereo-
graphische Koordinate für L. Die Ableitung ∂ζ transformiert sich wie folgt:
1 η2
∂ζ = 2
∂ζ̃ = 2 ∂ζ̃. (4.1.2)
(γζ + δ) η̃

24
Die Invarianz von M verlangt

f(ξ, η)∂ζ + f(ξ, η)∂ζ̄ = f(ξ̃, η̃)∂ζ̃ + f(ξ̃, η̃)∂ζ̄˜ , (4.1.3)

also η2f(ξ, η) = η̃2f(ξ̃, η̃). Wir können also f(ξ, η) = g(ξ, η)/η2 setzen mit invarian-
tem g.
Übung 4.1: Man zeige, dass die Invarianz von g sogar zur Folge hat, dass g konstant sein
muss.
Üblicherweise wählt man g(ξ, η) = − √1 und damit wird
2
 
1 1 1
M = −√ ∂ζ + 2 ∂ζ̄ . (4.1.4)
2 η2 η̄

Ein Paar (ξ, η) ∈ C2 bestimmt also genau eine Nullrichtung L und einen Tangenten-
vektor M an S+ in L. Umgekehrt, wenn L und M gegeben sind, so kennt man zunächst
den Quotienten ζ = ξ/η, und dann durch Koeffizientenvergleich die Komponenten
von M, also η2 und damit auch ξ2 und ξη. Dies erlaubt die Bestimmung von (ξ, η) bis
auf ein gemeinsames Vorzeichen: (ξ, η) und (−ξ, −η) entsprechen den gleichen L und
M. Soweit die Darstellung mithilfe der „Himmelskugel“ S+ vgl. Abb. 4.1.

Abbildung 4.1: Ein Punkt auf der Himmelskugel mit Tangentenvektor

Wie stellt sich nun die Situation im Minkowski-Raum dar? Die Koordinatenbeschrei-
bungen von S+ und S+ sind die gleichen, so dass wir die Ausdrücke für L und M ein-
fach übernehmen können. Der Nullrichtung L entspricht ein Nullvektor mit Endpunkt

25
auf S+ und M entspricht einem Tangentialvektor an S+ . Hier muß man jedoch aufpas-
sen: (4.1.4) definiert einen Tangentenvektor an S+ , aber keinen Vektor im Minkowski-
Raum, denn diese haben vier Komponenten. Diese sind, wenn man sie als Differential-
operatoren auffasst, gegeben durch Ausdrücke der Form


U = Ui = U0∂T + U1∂X + U2∂Y + U3∂Z. (4.1.5)
∂Xi
Die Minkowski-Koordinaten Xi = (T, X, Y, Z) von Punkten auf S+ (vgl. (3.1.3) und
(3.2.2))
ζ + ζ̄ ζ − ζ̄ ζζ̄ − 1
T = 1, X = , Y = −i , Z= , (4.1.6)
ζζ̄ + 1 ζζ̄ + 1 ζζ̄ + 1
und damit folgt

∂T ∂X 1 − ζ2 ∂Y 1 + ζ̄2 ∂Z 2ζ̄
= 0, = , = , = . (4.1.7)
∂ζ ∂ζ (1 + ζζ̄)2 ∂ζ i(1 + ζζ̄)2 ∂ζ (1 + ζζ̄)2

Damit erhält man für den Tangentenvektor den Ausdruck

1 ∂Xi 1 ∂Xi
 
∂ 1 ∂
M = Mi = −√ + 2 (4.1.8)
∂Xi 2 2
η ∂ζ η̄ ∂ζ̄ ∂Xi

mit den Komponenten

ξ2 + ξ̄2 − η2 − η̄2
M0 = 0, M1 =
√ ,
2(ξξ̄ + ηη̄)2
(4.1.9)
ξ2 − ξ̄2 + η2 − η̄2 2(ξη + ξ̄η̄)
M2 = √ , M3 = − √ .
2i(ξξ̄ + ηη̄)2 2(ξξ̄ + ηη̄)2

Dieser Vektor ist offensichtlich raumartig mit Längenquadrat

2
M·M = − . (4.1.10)
(ξξ̄ + ηη̄)2

Man beachte, dass es in diesen Formeln keine Probleme bei η = 0 gibt, sondern dass sie
für beliebige Werte von ξ und η gültig sind. Mithilfe dieser Formeln können wir uns
nun von der Kugel S+ lösen, indem wir die Nullrichtung L durch den Nullvektor mit
Komponenten (3.2.3) repräsentieren und M√durch (4.1.9) definieren. Damit ist M genau
dann ein Einheitsvektor, wenn ξξ̄ + ηη̄ = 2, also genau dann, wenn der Nullvektor
L auf S+ endet. Man stellt fest, dass die Länge von M umgekehrt proportional zur
Ausdehnung des Nullvektors L variiert.
Damit haben wir zunächst einmal jedem Paar (ξ, η) je zwei Vektoren L und M zuge-
ordnet. Wäre dieses Vektor-Paar (L, L) eine invariante Struktur, dann sollte es sich unter
(passiven) Lorentz-Transformationen nicht ändern. Dies ist aber genau nicht der Fall.
Um dies einzusehen, ist es am einfachsten, einen Spezialfall zu betrachten. Wir wählen

26
das Paar (ξ, η) = (1, 0), dem der Nordpol auf der Kugel von Nullrichtungen entspricht.
Das zugehörige Nullvektorpaar (L, M) hat die Komponenten
   
1 √0
1  0  2
L= √   M= 
2 0
  0 
1 0

Nun betrachten wir Spin-Transformationen, die das Paar (1, 0) auf sich abbilden. Dies
sind die Abbildungen
(ξ, η) 7→ (ξ + βη, η).
Die zugehörigen Lorentz-Transformationen sind gerade die Nullrotationen um L, also
diejenigen Transformationen, die den Nullvektor L invariant lassen, vgl. (3.4.6). Nun
kann man sich jedoch leicht davon überzeugen, dass unter einer solchen Transformati-
on der Vektor M auf  √ 
b√ 2
 2
M̃ = 
 0  = M + 2bL


b 2
abgebildet wird. Dies zeigt uns, dass das Paar (L, M) selbst keine invariante Struk-
tur ist. Was jedoch invariant bleibt, ist der von L und M aufgespannte 2-dimensionale
Halbraum. Um der Orientierung von M Rechnung zu tragen, lassen wir nur positive
Vielfache von M zu und erhalten so einen Halbraum, der von L begrenzt wird:

Π = {aL + bM|a, b ∈ R, b > 0}. (4.1.11)

Ein solcher Halbraum bildet zusammen mit L die gesuchte Nullfahne („null-flags“),
die wir jedem Paar (ξ, η) zuordnen können. Sie berührt den Lichtkegel durch O ent-
lang der Nullrichtung, die durch L gegeben ist. Jede andere Richtung in Π, die nicht
mit der von L übereinstimmt, ist raumartig und senkrecht auf L. Zusammen mit dem
Vektor L bestimmt Π ein Paar (ξ, η) bis auf ein gemeinsames Vorzeichen. Denn, bei ge-
gebenem L kennen wir (ξ, η) bis auf eine gemeinsame Phase. Und wenn wir zusätzlich
Π kennen, so wissen wir die Orientierung von M und damit die Phase von η aufgrund
von (4.1.4).
Wieder kann die geometrische Darstellung von (ξ, η) nur bis auf ein Vorzeichen ein-
deutig gemacht werden. Diese Mehrdeutigkeit ist wesentlich. Sie kann mit den Mitteln
der Minkowski-Geometrie nicht behoben werden. Dies kann man sich mit den folgen-
den Argumenten klarmachen. Betrachten wir die Paare (eiφξ, eiφη) mit φ zwischen 0
und 2π. Diese beschreiben eine geschlossene Kurve im C2, entlang der das Anfangspaar
(ξ, η) eine „Rotation“ um 2π durchführt und wieder zum Ausgangspunkt zurückkehrt.
Die entsprechenden Nullfahnen drehen sich um den Nullvektor L, der allen Paaren ge-
meinsam ist. Das wesentliche bei dieser Drehung ist, dass sie „doppelt so schnell“ von-
statten geht, als die entsprechende Drehung der Paare. D.h., wenn φ von 0 bis π läuft,

27
dann wird (ξ, η) auf (−ξ, −η) gedreht, während die Nullfahnen eine volle Drehung
um 2π durchführen und so wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren. Läuft φ wei-
ter von π bis 2π, dann kommen wir zum Ausgangspunkt (ξ, η) zurück, während die
Nullfahnen noch einmal eine volle Drehung um 2π ausführen. Der tiefere Grund für
dieses Verhalten ist in der 2-1-Relation zwischen Spin- und Lorentz-Transformationen
zu suchen, denn die Identität in der (orthochronen) Lorentz-Gruppe entspricht ±I in
der Spin-Gruppe SL(2, C). Daher lässt sich (ξ, η) nicht eineindeutig durch Objekte der
Minkowski-Geometrie darstellen, denn solche Objekte gehen alle in sich selbst über,
wenn man (ξ, η) kontinuierlich mit Spin-Transformationen auf (−ξ, −η) abbildet.
Wollen wir diese Mehrdeutigkeit im Vorzeichen beheben, so sind wir gezwungen, über
die Minkowski-Geometrie hinauszugehen, indem wir Objekten eine geometrische Be-
deutung zuschreiben, die unter Drehungen um 2π nicht auf sich abgebildet werden,
sondern erst nach einer Drehung um 4π. Solche Objekte heißen spinorielle Objekte.
Ein Beispiel dafür sind die Spin-Vektoren.

4.2 Spin-Vektoren

Die einfachsten spinoriellen Objekte sind die Spin-Vektoren. Sie sind diejenigen inva-
rianten Größen, deren Koordinatenbeschreibung durch ein Paar (ξ, η) von komplexen
Zahlen gegeben ist und die wir im Minkowski-Raum bis aufs Vorzeichen eindeutig
durch Nullfahnen darstellen können. Wir nennen den Raum S• aller Spin-Vektoren
den Spin-Raum. Die Elemente dieses Spin-Raums sind die Spin-Vektoren κ.
Welche Operationen sind in S• definiert? Da wir jedem Paar komplexer Zahlen eine
Nullfahne zuordnen können, ist jedes Paar eine zulässige Darstellung eines Spin-Vek-
tors und deshalb sind alle Operationen zwischen Paaren komplexer Zahlen auf Spin-
Vektoren übertragbar, sofern sie unter den Spin-Transformationen invariant sind. Die
Spin-Transformationen sind lineare Abbildungen, dass heisst Summe und komplexe
Vielfache von Paaren komplexer Zahlen (ξ, η) sind mit ihnen verträglich.
Übung 4.2: Man zeige, dass für zwei Paare (ξ1, η1) und (ξ2, η2) der Ausdruck

ξ1η2 − ξ2η1

invariant unter allen Spin-Transformationen ist.


Diese Kombination von zwei Paaren ist offensichtlich bilinear, antisymmetrisch und
regulär. Die beschriebenen invarianten Operationen zwischen Paaren von komplexen
Zahlen geben also Anlass für Operationen im Raum der Spin-Vektoren. Dies sind im
einzelnen
• die Addition zweier Spin-Vektoren (κ, ω) 7→ κ + ω,
• die Multiplikation mit komplexen Zahlen κ 7→ λκ, für λ ∈ C,
• das „symplektische Produkt“ (κ, ω) 7→ {κ, ω} ∈ C.

28
Dabei gelten die folgenden algebraischen Regeln:
1. S• ist bezüglich Addition und Multiplikation mit komplexen Zahlen ein komple-
xer Vektorraum.
2. {·, ·} ist bilinear und anti-symmetrisch: {κ, ω} = −{ω, κ}.
3. Es gilt die Identität {κ, ω}τ + {ω, τ}κ + {τ, κ}ω = 0.
Übung 4.3: Beweisen Sie diese Identität.
Der Spin-Raum ist 2-dimensional, denn sind κ und ω zwei Spin-Vektoren mit {κ, ω} 6=
0, so folgt aus der Identität, dass jeder weitere Spin-Vektor τ eine Linearkombinati-
on der beiden anderen ist. Eine Basis (o, ι) in S• heißt Spin-Dyade oder Spin-Basis
(„spin-frame“), falls {o, ι} = 1. Bezüglich einer solchen Spin-Basis hat jeder Spin-Vektor
die Darstellung κ = κ0o + κ1ι und damit erhält man z.B. für das symplektische Produkt
zweier Spin-Vektoren den Ausdruck

{κ, ω} = κ0ω1 − κ1ω0. (4.2.1)

Der Spin-Basisvektor
√ o hat die Komponenten
√ (1, 0), d.h., ihm wird der Nullvektor
L = (t + z)/ 2 und der Vektor M = √ 2x zugeordnet. Entsprechend werden
√ dem Spin-
Basisvektor ι der Nullvektor (t − z)/ 2 und der raumartige Vektor − 2x zugeord-
net.

4.3 Globale Betrachtungen

In Kap. 2 hatten wir gesehen, dass der Minkowski-Raum M ein affiner Raum ist. An
jedem Ereignis O ist ein Minkowski-Vektorraum angeheftet, der Vektorraum der Orts-
−→
vektoren OP. Bezüglich dieser Vektorräume haben wir die Nullrichtungen, Lichtkegel,
Nullfahnen usw. definiert. Wir müssen uns nun vorstellen, dass an jedem Ereignis O in
M auch ein Spin-Raum angeheftet ist, dessen Elemente in der oben dargestellten Weise
auf die entsprechenden Objekte des Minkowski-Vektorraums am gleichen Ereignis ab-
gebildet werden. Damit erhalten wir eine ganze Kollektion von Spin-Räumen, die sozu-
sagen durch die Ereignisse in M indiziert sind. Die Existenz eines solchen sogenannten
Spin-Bündels ist von grundlegender Bedeutung für alle Betrachtungen innerhalb der
Relativitätstheorie (und auch der Feldtheorie), die mit Spinoren arbeiten.
Für den Minkowski-Raum M ist die Existenz dieses Bündels kein Problem. Einschrän-
kungen treten dann auf, wenn man nach Spin-Bündeln über beliebig gekrümmten 4-
dimensionalen Mannigfaltigkeiten M mit Lorentzmetrik fragt. Auch hier hat man an
jedem Punkt von M einen Minkowski-Vektorraum, den Tangentialraum, angeheftet
und auch dort gibt es Nullfahnen, die bis auf ein gemeinsames Vorzeichen durch Paare
komplexer Zahlen charakterisiert sind. Die Frage ist aber nun, inwieweit es möglich
ist auf stetige und konsistente Art von den jeweils zwei Paaren, die einer Nullfahnen
entsprechen, eines auszuwählen. Zwei notwendige Kriterien, die M erfüllen muß, sind

29
offensichtlich: da die Spin-Transformationen nur orthochrone Lorentz-Transformatio-
nen erzeugen, ist auf den Tangentialräumen automatisch eine Zeit- und eine Raumzeit-
Orientierung definiert. Also
M muß orientierbar und zeit-orientierbar sein.
Dies ist aber noch nicht alles. Es gibt noch eine weitere Einschränkung topologischer
Natur, auf die im Detail einzugehen hier zu weit führen würde. Im wesentlichen muß
folgendes gelten:
Auf jeder geschlossenen zweidimensionalen Fläche S in M gibt es drei ste-
tige Vektorfelder, die an jedem Punkt von S linear unabhängig sind.
Für nicht-kompakte Mannigfaltigkeiten gilt der Satz von Geroch1

Satz 4.1. Ist M eine nicht-kompakte Raumzeit, so ist eine notwendige und hinreichende Bedin-
gung für die Existenz eines Spin-Bündels die Existenz von vier stetigen, linear unabhängigen
Vektorfeldern, die an jedem Punkt von M eine Minkowski-Tetrade bilden.

Wir werden im Folgenden, wenn wir mit gekrümmten Mannigfaltigkeiten zu tun ha-
ben, immer annehmen, dass diese Kriterien erfüllt sind. Meistens sind unsere Betrach-
tungen sowieso nur von lokaler Natur, wo die Existenz eines Spin-Bündels keine Ein-
schränkung darstellt.

1 R. Geroch (1968), Spin-structure of space-times in general relativity, J. Math. Phys. 9, 1739–1744

30
5 Spinoralgebra

Im vorigen Kapitel wurde der Raum der Spin-Vektoren eingeführt, der an jedem Ereig-
nis O des Minkowski-Raums, bzw. allgemeiner an jedem Punkt einer Raumzeit ange-
heftet ist. Ein Spin-Vektor ist im wesentlichen eine Nullfahne, jedoch mit der Verabre-
dung, dass eine Drehung um eine beliebige Achse um den Winkel 2π nicht zum Aus-
gangspunkt zurückführt, sondern zu einem anderen, dem negativen, Spin-Vektor, der
durch die gleiche Nullfahne repräsentiert wird. Erst eine weitere Rotation um 2π stellt
die Ausgangssituation wieder her. Die Spin-Vektoren bilden einen 2-dimensionalen,
komplexen Vektorraum, auf dem als zusätzliche Operation ein symplektisches Produkt
definiert ist. Alle Operationen, die mit Spin-Vektoren möglich sind (Addition, skalare
Multiplikation und symplektisches Produkt), können geometrisch interpretiert werden
(vgl. dazu Penrose-Rindler Vol. 1, Kap. 1.6).
Der bisherige Zugang zu Spin-Vektoren war rein geometrisch. Für spätere Anwendun-
gen ist es aber nützlich, auch über eine algebraische Formulierung zu verfügen. Da-
her wird in diesem Kapitel die Algebra der Spinoren dargestellt. Dabei handelt es sich
im wesentlichen um die Tensoralgebra, die über dem Spin-Vektorraum erhoben wird.
Spinoren sind daher Tensoren über dem Spin-Raum S• . Die meisten Aussagen wer-
den nicht nur für Spinoren an einem Punkt (Ereignis), sondern sogar allgemeiner für
Spinorfelder auf einer Raumzeit-Mannigfaltigkeit M gültig sein (wobei wir natürlich
voraussetzen, dass M so beschaffen ist, dass eine Spin-Struktur existiert).
Mithilfe des algebraischen Aufbaus wird es möglich sein, die geometrischen Eigen-
schaften und Konstruktionen des Minkowski-Raums herzuleiten. Die Geometrie der
Raumzeit läßt sich vollständig aus der Spinoralgebra rekonstruieren. In diesem Sinne
ist die Spinoralgebra fundamentaler als die Algebra von Tensoren über dem Minkow-
ski-Raum.

5.1 Grundsätzliches über Tensoren

Ab jetzt werden wir die abstrakte Indexschreibweise für Tensoren und Spinoren ver-
wenden. Dabei handelt es sich um eine Konvention (oder auch Formalismus), mit der
sowohl die Basisunabhängigkeit als auch die einfache Manipulierbarkeit von Tensor-
ausdrücken gewährleistet werden soll. Ein Symbol V α steht nicht für ein n-tupel von
Zahlen (V 1, . . . , V n), sondern es steht für ein spezifisches Element V aus einem ent-
sprechenden Raum. Der Index α nimmt also nicht nacheinander die konkreten Werten

31
1, . . . , n an, sondern er steht abstrakt als Etikett für den Typ des bezeichneten Objekts,
z.B. eines Vektors. Das gleiche gilt für das Symbol V β, welches auf das gleiche Element
V verweist, wie das Symbol V α. Offensichtlich sind V α und V β verschiedene Symbo-
le, die aber auf das gleiche Element verweisen. Der Grund dafür ist offenkundig, wenn
man Tensorausdrücke betrachtet, wie z.B. UαV β − V αUβ. Wären die jeweiligen Symbo-
le gleich, so wäre der Ausdruck identisch null, im Gegensatz dazu, dass hier eigentlich
eine Antisymmetrisierung zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies ist etwas gewöh-
nungsbedürftig, ansonsten läßt sich der Formalismus intuitiv handhaben. Im übrigen
kann man die abstrakten Indizes auch formal rigoros einführen.
Tensoren werden üblicherweise für Vektorräume über einem gewissen Zahlkörper de-
finiert. Will man aber auch Tensorfelder auf der gleichen algebraischen Grundlage wie
Tensoren behandeln, muß man von den Begriffen „Vektorraum“ und „Körper“ abge-
hen und allgemeiner Moduln über Ringen behandeln. So tritt z.B. bei C∞ -Tensorfeldern
an die Stelle des Zahlkörpers der Ring der C∞ -Funktionen auf einer Mannigfaltigkeit.
In diesem Fall sind solche Funktionen die Skalare, mit denen wir die Tensorfelder mul-
tiplizieren. Man kann sich aber bei allen nun folgenden Definitionen immer einen Vek-
torraum über R oder C vorstellen.
Wir bezeichnen die Menge der Skalare mit S. Diese bilden einen kommutativen Ring
mit Eins, charakterisiert durch die folgenden Eigenschaften für beliebige a, b, c ∈ S
i. a + b = b + a.
ii. a + (b + c) = (a + b) + c.
iii. ab = ba.
iv. a(bc) = (ab)c.
v. a(b + c) = ab + ac.
vi. Es existiert 0 ∈ S mit 0 + a = a für alle a ∈ S.
vii. Es existiert 1 ∈ S mit 1a = a für alle a ∈ S.
viii. Zu jedem a ∈ S gibt es (−a), so dass a + (−a) = 0.
Der Raum, über dem wir das System der Tensoren errichten wollen, werde mit Sα (im
Sinne der abstrakten Indexschreibweise) bezeichnet. Dann muß Sα ein S-Modul sein.
Ein solcher ist charakterisiert durch die Eigenschaften
i. Uα + V α = V α + Uα.
ii. Uα + (V α + W α) = (Uα + V α) + W α.
iii. a (Uα + V α) = aUα + aV α.
iv. (a + b)Uα = aUα + bUα.
v. (ab)Uα = a (bUα) .

32
vi. 1Uα = Uα.
vii. 0Uα = 0α(= 0).
Die Elemente von S nennt man in diesem Zusammenhang Skalare oder Tensoren 0.
Stufe, diejenigen von Sα die kontravarianten Tensoren 1. Stufe. Um auch kovariante
Tensoren zu erhalten, betrachten wir den zu Sα dualen Raum Sα. Dies ist der Raum
aller S-linearen Abbildungen Sα → S. Ist Qα ∈ Sα, so gilt Qα(aUα) = aQα(Uα) und
Qα(Uα + V α) = Qα(Uα) + Qα(V α). Addition und Multiplikation sind „punktweise“
definiert, d.h., es gilt für Uα ∈ Sα

(Qα + Rα)(Uα) = Qα(Uα) + Rα(Uα), (5.1.1)


α α
(aQα)(U ) = aQα(U ). (5.1.2)

Damit wird auch Sα zu einem S-Modul. Oft werden die Funktionsklammern wegge-
lassen und man schreibt einfach QαUα = QβUβ = QγUγ = . . . . Wenn man nach dem
zu Sα dualen Raum fragt, so erhält man i.a. nicht Sα zuück, sondern einen Raum, der
diesen enthält. In allen uns interessierenden Fällen ist jedoch der Doppeldualraum von
Sα gleich Sα (Reflexivität).
Tensoren beliebiger Stufe definieren wir am einfachsten als multilineare Abbildungen.
Jede Abbildung
α...β γ
Tγ...δ : Sα × · · · × Sβ × S · · × Sδ} → S,
× ·{z (5.1.3)
| {z } |
p q

die in jedem Faktor S-linear ist, heißt Tensor vom Typ p q . Es gibt verschiedene ande-
 

re Definitionen für Tensoren, die aber unter den gegebenen Umständen alle äquivalent
sind. Wir schreiben Sα...β
 p
γ...δ für die Menge der Tensoren vom Typ q über S .
α

Wir kommen nun zu den zulässigen Tensoroperationen. Dies ist zunächst die Additi-
on. Die Summe zweier Tensoren vom gleichen Typ ist diejenige Abbildung, die auf die
Summe der Bilder abbildet („punktweise  Definition“). Dann gibt es die äußere
 p+rMultipli-
kation, die aus zwei Tensoren vom Typ p
 r
und einen Tensor vom Typ q+s macht,

q s
indem die jeweiligen Bilder multipliziert werden. Betrachten wir als Beispiel die beiden
Tensoren Aα und Bβγ. Deren äußeres Produkt ist definiert durch die Gleichung
 
(AαBβγ) UβV γQα = (AαQα) BβγUβV γ . (5.1.4)

Im allgemeinen gelten die Regeln


γ... γ... α...
Aα...
β...Bδ... = Bδ... Aβ..., (5.1.5)
Aα...
β... Bγ... γ... α... γ... α... γ...
δ... + Cδ... = Aβ...Bδ... + Aβ...Cδ... . (5.1.6)

Als Spezialfall ist in der äußeren Multiplikation auch die Multiplikation mit Skalaren
enthalten, wenn nämlich einer der beiden Faktoren aus S ist (Tensor vom Typ 00 ).
 

Damit erhält jeder Tensorraum Sα...β


γ...δ die Struktur eines S-Moduls.

33
Die Indexsubstitution ist eine formale Operation im abstrakten Indexformalismus. Sie
besteht nur darin, in einem Tensorausdruck überall einen Index durch einen anderen
zu ersetzen. Ist z.B. Aαβ ∈ Sαβ, so können wir einen weiteren Tensor Bαβ := Aβα
definieren. Wir erhalten also die Abbildung Bαβ, indem wir die Argumente in der Ab-
bildung Aαβ vertauschen. Diese Operation wird einfach dadurch repräsentiert, dass
man die Indizes vertauscht (d.h., man ersetzt α durch β und β durch α).
Schließlich gibt es noch die Kontraktionen. Um diese zu definieren, beachten wir, dass
sich unter den gegebenen Umständen (Reflexivität) jeder Tensor als eine endliche Line-
arkombination von einfachen Tensoren schreiben läßt:
X i i i i i i
Aα...βζ
γ...δη = Uα . . . V βW ζQγ . . . RδSη . (5.1.7)
i

Mit dieser Darstellung erhalten wir die Kontraktion als Abbildung

Sα...βζ α...β
γ...δη → Sγ...δ
X i i
 i i i i
Aα...βζ α...βη
γ...δη 7→ Aγ...δη = W ηSη Uα . . . V βQγ . . . Rδ .
i

Man muß und kann nun zeigen, dass diese Zuordnung nicht von der Darstellung
(5.1.7) abhängt, so dass die Kontraktion wohldefiniert ist. Mithilfe von Indexpermu-
tationen kann man Kontraktionen über beliebige Indizes definieren. Zum Beispiel ist
Aαβ βα αβ βα
γα = Bγα, wobei Bγδ := Aγδ . Kontraktionen sind offensichtlich mit Addition und
äußerer Multiplikation verträglich. Äußere Multiplikation mit anschließender Kontrak-
tion nennt man auch Überschieben. Beispielsweise wird Aβγ
α mit V überschoben, indem
δ

man den Ausdruck V αAβγ α bildet.

Ein wichtiger Tensor ist das Kronecker-Delta (hier ist wirklich eine Abbildung gemeint
und nicht das sonst übliche Symbol vgl. dazu weiter unten). Eine der vielen äquivalen-
ten Definitionen ist wie folgt: man betrachtet die Abbildung

Sβ × Sα → S
 
Uβ, Vα 7→ UαVα
 1
Diese ist bilinear, folglich ein Tensor δα
β ∈ Sβ vom Typ
α
1 . Es gilt also

UαVα = δα β
β U Vα.

Trotzdem es in der bisherigen Darstellung viele (zuviele?) Indizes gibt, ist der Begriff
„Basis“ noch nie erwähnt worden. Alles, was bisher eingeführt wurde, ist vollkommen
koordinaten- und basisunabhängig formuliert. Wenn wir nun Basen einführen, dann
nur um zu zeigen, wie man Tensorausdrücke in Komponenten zerlegt.

34
Eine endliche Basis von Sα ist eine Menge von n Elementen δα
1 , δ2 , . . . , δn, derart dass
α α

für jedes V α eine eindeutige Linearkombination

V α = V 1δα 2 α n α
1 + V δ2 + · · · + V δn (5.1.8)

existiert. Die Zahl n ist dann charakteristisch für Sα und heißt Dimension des S-
Moduls.
Wir nehmen nun an, dass eine solche endliche Basis existiert (dies ist in allen uns inter-
essierenden Fällen gegeben) und bezeichnen die konkreten Indizes 1, 2, . . . , n kollektiv
mit unterstrichenen Buchstaben α, β, . . .. Die Basis von Sα ist also (δα
α)α=1,...,n. Führen
wir für konkrete Indizes die Einsteinsche Summenkonvention ein, dann schreibt sich
die Linearkombination in (5.1.9) einfach

V α = V α δα
α. (5.1.9)

Eine Basis konvertiert sozusagen kontravariante, konkrete Indizes in abstrakte Indi-


zes.
Zu jeder Basis kann man die zu ihr duale Basis (δα
α)α=1,...,n einführen:

δα α
α : S → S, V α 7→ V α. (5.1.10)

Also ist δα
α diejenige Abbildung, die jedem V seine Komponente in Richtung des Ba-
α

sisvektors δα zuordnet:
α

δα α α
αV = V . (5.1.11)
α
Daß (δα )α=1,...,n tatsächlich eine Basis von Sα ist, muß nachgewiesen werden. Die duale
Basis konvertiert kontravariante, abstrakte Indizes in konkrete Indizes.
Offensichtlich gilt
α
δα α
α δβ = δβ (5.1.12)

Dabei ist jetzt δα


β mit konkreten Indizes die n × n-Einheitsmatrix, das sonst übliche
Kronecker-Symbol.
Man erhält die Komponenten von V α durch Überschieben mit der dualen Basis vgl.
(5.1.11). Entsprechendes gilt für Qβ: Qβ = Qβ δββ und für Tensoren höherer Stufe. Bei-
spielsweise können wir (5.1.12) als die Bestimmung der Komponenten des Kronecker-
Tensors auffassen
δα α α β
β = δβδαδβ. (5.1.13)
Oder allgemeiner,
α...β β
Aγ...δ = Aα...β α γ δ
γ...δ δα δβ δγ δδ. (5.1.14)
Sind die Komponenten eines Tensors bezüglich einer Basis bekannt, so kann man den
Tensor als Linearkombination schreiben, z.B.
α...β δγ
Aα...β α β
γ...δ = Aγ...δ δα δβ δγ δδ. (5.1.15)

35
Will man Tensorausdrücke bezüglich einer Basis aufschreiben, so ersetzt man die je-
weiligen Tensoren durch die Linearkombinationen (5.1.15) und erhält so Ausdrücke,
die nur noch die Komponenten enthalten. Beispielsweise gilt für das Skalarprodukt

β
QαUα = (Qβδα) Uα = QβUβ = Q1U1 + Q2U2 + · · · + QnUn. (5.1.16)

α und δα
Sind δα α je zwei Basen für Sα, dann gibt es Matrizen sα und tα
^ ^
α
^ , invers zuein-
α
ander, so dass

^ β ^ ^
γ
δα α γ
α = δγ
^ t α, δα α β
^ = δβ s α
α ^, δα = sβα α
^ δα, δα = tγ^ α δα
α. (5.1.17)

Für die Komponenten eines Tensors ergeben sich ganz charakteristische Transformati-
onseigenschaften unter Basiswechsel. Zum Beispiel erhalten wir für die Komponenten
eines Tensors Tβγ
α :

α ^
α α ^β ^
γ
Tβγ = Tβ^
^γ s α^ t βt γ (5.1.18)

Ähnliches gilt für Tensoren beliebigen Typs. Diese Transformationseigenschaften kön-


nen auch dazu benutzt werden, Tensoren zu definieren („Physiker-Definition“).

5.2 Spinoren

Die allgemeinen Konstruktionen des letzten Abschnitts können nun angewandt wer-
den, um Spinoren und Spinorfelder einzuführen. Dazu nehmen wir für den ersten Fall
die komplexen Zahlen C als den Skalarbereich S und den Spin-Vektorraum S• als S-
Modul (in diesem Fall also als C-Vektorraum). Im zweiten Fall setzen wir für S die
komplexwertigen C∞ -Funktionen auf einer Mannigfaltigkeit M an und als S-Modul
nehmen wir die Spin-Vektorfelder auf M, d.h., die Schnitte im Spin-Bündel über M.

Im vorigen Kapitel wurden die drei Operationen eingeführt, die man mit Spin-Vekto-
ren durchführen kann, nämlich Addition, Skalar-Multiplikation und das symplektische
Produkt. Diese Operationen sind zunächst nur für einen Vektorraum definiert. Indem
man sie aber in stetiger und genügend glatter Weise an jedem Punkt einer Mannigfaltig-
keit ausführt, kann man solche Operationen auch für Spin-Vektorfelder durchführen.

Spinoren werden mit lateinischen Großbuchstaben als Indizes bezeichnet. Wir haben
also SA als Modul und bezeichnen seine Elemente im allgemeinen mit κA, ωB o.ä.
Ganz analog zu den Ausführungen im vorigen Abschnitt können wir nun die Tensoren
über SA definieren.

36
5.2.1 ε-Spinoren

Das symplektische Produkt hat eine wichtige Konsequenz. Es folgt nämlich die Exis-
tenz des ε-Spinors. Offensichtlich ist das symplektische Produkt zweier Spin-Vektoren
eine bilineare Abbildung S• × S• → S. Folglich gibt es ein Element εAB ∈ SAB, so
dass für alle ω, κ ∈ S•
{κ, ω} = εABκAωB = −{ω, κ}. (5.2.1)
Folglich ist εAB antisymmetrisch, εAB = −εBA. Mithilfe des symplektischen Produkts
wird jedem Spin-Vektor κ ein Spin-Kovektor zugeordnet, nämlich die lineare Abbil-
dung
ω 7→ {κ, ω}. (5.2.2)
In Indexschreibweise ist dies ωB 7→ κAεABωB. Wir bezeichnen das so definierte Ele-
ment aus SB mit κB, so dass wir die Gleichung κB = κAεAB erhalten. Der ε-Spinor er-
füllt also die gleiche Funktion wie die Metrik in der Riemannschen Geometrie, er dient
zum „Senken von Indizes“. Für die Anwendung von κB auf ωB erhalten wir, wenn wir
eine Spin-Basis einführen vgl. (5.1.16) und (4.2.1)

κBωB = κBωB = κ0ω0 + κ1ω1, (5.2.3)

und damit die Koordinatendarstellung des Isomorphismus zwischen SA und seinem


Dualraum als κ0 = −κ1, κ1 = κ0. Dies ist offensichtlich invertierbar, so dass es einen
weiteren Spinor εAB ∈ SAB geben muß, der die inverse Abbildung vermittelt:

κA = εABκB. (5.2.4)

Damit ergeben sich die folgenden Relationen, welche zum Ausdruck bringen, dass die
beiden ε-Spinoren invers zueinander sind:

εABεAC = δB
C, εABεCB = δC
A. (5.2.5)

Man kann diese aber auch folgendermaßen interpretieren. In der ersten Gleichung zieht
εAC den Index A nach unten, während in der zweiten Gleichung εCB den Index B nach
oben hebt. Damit ergeben sich dann Gleichungen der Form

εCB = δB C
C = −ε B. (5.2.6)

Man schreibt oft εCB anstelle von δB


C. Aus (5.2.5) ergibt sich auch die Relation

εACεBDεCD = εAB, (5.2.7)

d.h., man kann εAB als εAB mit gehobenen Indizes ansehen. Daraus ergibt sich dann
die Antisymmetrie von εAB. Das Heben und Senken von Indizes ist mit etwas Vorsicht
zu geniessen, weil die Antisymmetrie der ε-Spinoren berücksichtigt werden muß. Hier
noch einmal die Konventionen

T B = εBATA, TA = T CεCA, (5.2.8)

37
d.h., wenn die kontrahierten Indizes direkt nebeneinander stehen, geht die Kontrakti-
onsrichtung von links oben nach rechts unten.

Wir können nun das symplektische Produkt (5.2.1) auch schreiben als

{κ, ω} = κAωA. (5.2.9)

Die Tripelidentität aus Abschnitt 4.2 läßt sich umformulieren:

εABκAωBτC + εABωAτBκC + εABτAκBωC = 0. (5.2.10)

Wenn wir in dieser Gleichung Indizes entsprechend umbenennen, ein weiteres εCD
einführen und alle Indizes nach unten bringen, können wir schreiben

εABεCD + εBCεAD + εCAεBD = 0, (5.2.11)

wobei wir benutzen, dass die Identität für alle κA, ωB, τC gilt und sich daher auf eine
ε-Identität reduziert. Eine sehr nützliche Eigenschaft der Spinoralgebra ergibt sich aus
(5.2.11), wenn wir zwei Indizes heben:

εABεCD − εADεCB = εACεBD. (5.2.12)

Überschieben dieser Form der Identität mit einem beliebigen Spinor TBD ergibt

TAC − TCA = εACTDD. (5.2.13)

Dies bedeutet, dass Antisymmetrisierung äquivalent ist zur Spurbildung. Ist insbeson-
dere TAB = −TBA, so gilt TAB = 1/2εABTDD, d.h., alle antisymmetrischen Elemente in
SAB sind proportional zueinander.

5.2.2 Konjugiert komplexe Spinoren

Die Spinoralgebra wie sie bisher aufgebaut wurde ist noch nicht ganz vollständig. Wie
aus (3.2.3) ersichtlich ist, müssen wir auch komplex konjugierte Spinoren betrachten.
Wir brauchen also eine Operation, die jedem Spin-Vektor κA sein komplex konjugier-
tes Gegenstück κA zuordnet. Natürlich sollen die komplex konjugierten Koordinaten
κ0, κ1 als Koordinaten für den konjugierten Spin-Vektor fungieren können und es soll
auch κA = κA gelten, sowie die Antilinearität λκA = λ̄κA. Die konjugierten Spin-

Vektoren bilden einen Vektorraum, den zu SA komplex konjugierten Raum SA . Die
Komplexkonjugation bildet einen Anti-Isomorphismus zwischen den beiden Räumen.
Im Indexformalismus benutzen wir für konjugiert komplexe Spin-Vektoren gestrichene
′ ′
Spinor-Indizes. Wir schreiben z.B. µA ∈ SA und

κA = κ̄A , (5.2.14)

38

um zum Ausdruck zu bringen, dass der konjugierte Spin-Vektor κ̄A das Bild von κA
unter Komplexkonjugation ist. Wir erhalten dann die Eigenschaft der Antilinearität in
der Form
′ ′
ακA + βωA = ᾱκ̄A + β̄ω̄A . (5.2.15)

Da SA ein komplexer Vektorraum ist, gibt es einen dazu dualen Raum SA′ dessen Ele-

mente als C-lineare Abbildungen auf SA fungieren. Die Komplexkonjugation SA →

SA induziert eine Komplexkonjugation SA → SA′ , die jedem τA die Abbildung τ̄A′
zuordnet, welche über die Gleichung

τ̄A′ κ̄A = τAκA (5.2.16)

für beliebige κA definiert ist. Hier ist der Überstrich auf der rechten Seite die übliche
Komplexkonjugation komplexer Zahlen.

Wir benutzen nun die vier Räume SA, SA, SA , SA′ , um die allgemeine Spinoralgebra
aufzubauen. Wir definieren einen allgemeinen Spinor als eine multilineare Abbildung
von einem beliebigen kartesischen Produkt dieser vier Grundräume
 p r in den Skalarbe-
reich. Wir erhalten damit allgemeine Spinoren vom Typ q s

A...BA ...B ′ ′
TC...DC ′ ...D′ . (5.2.17)

Wie zuvor gibt es die Operationen Addition, äußere Multiplikation und Kontraktion, die
für solche allgemeinen Spinoren zulässig sind (Kontraktionen natürlich nur zwischen
gestrichenen oder ungestrichenen Indizes). Jedoch gibt es nun noch zusätzlich die Kom-
plexkonjugation, die man auch auf allgemeine Spinoren ausdehnen kann. Dabei wird
ein Spinor vom Typ p r
zu einem vom Typ rp
. Wir illustrieren die Definition an-

qs sq
hand eines Beispiels, die allgemeine Definition ist klar, aber aufwendig hinzuschreiben.
AB′ ein Spinor vom Typ 1 1 , also eine multilineare Abbildung S × S ′ ×
Sei also TCDE

′ 21 A B
′ BA′ als die Abbildung S × S ′ × SE ×
SC × SD × SE → C. Dann definieren wir T̄EC ′ D′ B A
′ ′
SC × SD → C, die durch die Gleichung

BA ′ ′
E C D ′ ′ ′
T̄EC ′ D′ κBω̄A′ λ µ̄
AB κ̄ ′ ω λ̄E µCτD
τ̄ = TCDE ′ B A (5.2.18)

definiert ist.
Es ist zu beachten, dass die Reihenfolge innerhalb gleichartiger Indizes wesentlich ist,
jedoch nicht zwischen Indizes unterschiedlichen Typs, so dass zwar TABC′ = TAC′ B =
TC′ AB, aber i.a. nicht TABC′ = TBAC′ gilt. Außerdem ist es bedeutungslos, wenn mit
einem Index auch sein gestrichener Index auftaucht, d.h., TAA′ ist genau das gleiche
wie TAB′ .

Durch die Komplexkonjugation „erbt“ SA alle Strukturen von SA, insbesondere das
symplektische Produkt. Es gibt also auch gestrichene ε-Spinoren,
′ ′
εA′ B′ = εAB, εA B = εAB. (5.2.19)

39
Diese dienen wie ihre ungestrichenen Partner dazu, Indizes zu heben und zu senken
(d.h., sie definieren entsprechende Isomorphismen zwischen den komplex konjugier-
ten Räumen) und die Konventionen, die für jene gelten sind auch mutatis mutandis für
die gestrichenen ε-Spinoren gültig.
Zum Schluß dieses Abschnitts sei noch bemerkt, dass sich alles, was hier über die Kom-
plexkonjugation von Spin-Vektoren gesagt wurde, auch auf die entsprechenden Spinor-
felder übertragen läßt.

5.2.3 Spin-Basen

Im Abschnitt 4.2 wurden Spin-Basen (o, ι) eingeführt, also ein Paar von Spin-Vekto-
ren, die der Normalisierungsbedingung {o, ι} = 1 genügt. Jetzt können wir dies auch
schreiben als
oAιA = 1 = −ιAoA, (5.2.20)
und wegen der Antisymmetrie des symplektischen Produkts gilt auch

oAoA = ιAιA = 0. (5.2.21)

Oft schreibt man εA


A, A = 0, 1 für eine solche Basis, so dass ε0 = o und ε1 = ι . Für
A A A A

die duale Basis εA


A muß gelten
εA A A
A εB = δB (5.2.22)
und man findet schnell, dass ε0A = −ιA, ε1A = oA. Die Komponenten eines Spinors erhält
man wie in Abschnitt 5.1 durch Überschieben mit den entsprechenden Basisspinoren.
Für die ε-Spinoren findet man z.B. sofort
 
A B 0 1
εAB = εAB εAεB = . (5.2.23)
−1 0

Entsprechendes gilt für εAB. Wie ebenfalls in 5.1 gesehen, kann man einen Spinor aus
seinen Komponenten rekonstruieren. Für die ε-Spinoren erhalten wir so

εAB = oAιB − oBιA, εAB = oAιB − oBιA. (5.2.24)

Die Komponenten eines beliebigen Spin-Vektors κA sind gegeben durch κ0 = −κAιA


und κ1 = κAoA, so dass
   
κA = − κBιB oA + κBoB ιA. (5.2.25)

Dies ist wieder ein Beispiel für die Tripelidentität aus Abschnitt 4.2.
′ ′
Eine Spin-Basis (oA, ιA) induziert via Komplexkonjugation eine Spin-Basis (oA , ιA )
im komplex konjugierten Spin-Vektorraum. Alles, was hier für die ungestrichene Spin-
Basis gesagt wurde, gilt ganz analog für die komplex konjugierte Basis.
Zum Schluß noch ein nützliches Resultat:

40
Satz 5.1. Ist αAβA = 0 (an einem Punkt), dann sind αA und βA (an diesem Punkt) propor-
tional zueinander.

Zum Beweis kann man o.B.d.A. annehmen, dass αA 6= 0. Wir ergänzen αA zu einer
Spin-Basis (αA, γA), so dass αAγA = 1. Dann ist βA = aαA + bγA und aus der Annah-
me folgt durch Überschieben mit αA dass b = 0, also βA = aαA.

41
6 Vierer-Vektoren als Spinoren

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie die gesamte Minkowski-Geometrie aus der
Spinor-Algebra rekonstruiert werden kann. Wenn man sich Gleichung (3.2.3) betrach-
tet, liegt die
 Vermutung nahe, dass man Vierer-Vektoren erhält, indem man Spinoren
vom Typ 10 10 betrachtet. Um die Verbindung zwischen Vierer-Vektoren und Spino-


ren herzustellen, können wir so vorgehen, dass wir je einen ungestrichenen und einen
gestrichenen Index mit einem Vektorindex identifizieren. Wir setzen also a = AA ′ ,
′ B′
b = BB ′ , c = CC ′ , usw. Damit können wir einen Spinor ψABA CC′ auch in der Form
ψab
c ′ schreiben. Etwas konventioneller ausgedrückt: wir betrachten den Vektorraum

S AA = S ⊗ S und errichten die Tensoralgebra darüber. Da der Vektorraum selbst
A A

ein Tensorprodukt von Spin-Vektorräumen ist, erhalten wir eine natürliche Einbettung

seiner Tensoralgebra in der Spinoralgebra. Der Vektorraum SAA ist zunächst einmal
ein komplexer Vektorraum. Seine Elemente nennen wir komplexe Vierer-Vektoren.
′ ′ ′
Die Komplexkonjugation bildet aber SAA in sich ab, d.h., mit vAA liegt auch vAA =
′ ′
v̄AA wieder in SAA . Diejenigen Elemente, die unter der Komplexkonjugation invari-
′ ′
ant sind, für die also vAA = vAA gilt, heißen reelle Vierer-Vektoren und bilden einen
4-dimensionalen reellen Vektorraum Ta.
Um zu zeigen, dass Ta tatsächlich ein Minkowski-Raum ist, muß man erst einmal einen
Kandidaten für die Metrik finden. Wir suchen also ein gab ∈ Tab = SABA′ B′ . Die
einzige Möglichkeit ist
′ ′
gab = εABεA′ B′ , gab = εABεA B . (6.0.1)

Aus den Eigenschaften der ε-Spinoren folgt sofort dass gab und gab symmetrisch und

invers zueinander sind und dass gaa = 4. Außerdem gilt z.B. T agab = T AA εABεA′ B′ =
TBB′ = Tb. D.h., gab senkt die Vektorindizes (entsprechend hebt gab solche Indizes).

6.1 Spin-Basen und ihre Tetraden

Um mehr über die Eigenschaften von gab zu erfahren, wählen wir eine Spin-Basis
(oA, ιA). Mit dieser und der komplex konjugierten Basis lassen sich vier Vierer-Vektoren
definieren
′ ′
la = oAoA , na = ιAιA ,
′ ′
ma = oAιA , m̄a = ιAoA .

42
Berechnen wir die Skalarprodukte mithilfe von gab, erhalten wir

lala = nana = mama = m̄am̄a = 0. (6.1.1)

Die vier Vierer-Vektoren sind also allesamt Nullvektoren. Dabei sind la und na reell,
während ma und m̄a zueinander konjugiert sind (wie schon durch die Notation ange-
deutet wurde). Außerdem erhält man

lana = −mam̄a = 1. (6.1.2)

Die übrigen Kombinationen verschwinden. Vier Vektoren mit diesen Eigenschaften bil-

den eine sogenannte Nulltetrade. Sie bilden eine Basis von SAA über C: es gilt z.B.,
B′ ′ ′
δb B
= oAιB − oBιA oA′ ιB − oB ιA′ (6.1.3)
 
a = εA εA′
= lanb + nalb − mam̄b − m̄amb, (6.1.4)

Und damit für jeden Vektor V a

V b = δb a a b a b a b a b
aV = (V la)n + (V na)l − (V ma)m̄ − (V m̄a)m .

Es läßt sich also jeder Vektor als eine Linearkombination dieser vier Basisvektoren dar-
stellen.
Um eine reelle Basis von Ta zu bekommen, bilden wir Linearkombinationen
1 1
ta = √ (la + na) , za = √ (la − na) ,
2 2
1 i
xa = √ (ma + m̄a) , ya = √ (ma − m̄a) .
2 2
Diese vier Vektoren sind reell, erzeugen Ta und haben die Skalarprodukte

tata = −xaxa = −yaya = −zaza = 1. (6.1.5)

Alle anderen Kombinationen verschwinden. Damit aber bilden diese vier Vektoren
eine Minkowski-Tetrade. Die Metrik gab auf Ta hat tatsächlich die Lorentz-Signatur
(+, −, −, −).
Einen beliebigen Vektor Ka ∈ Ta kann man bezüglich der Minkowski-Tetrade entwi-
ckeln und erhält dabei

Ka = K0 ta + K1 xa + K2 ya + K3 za, (6.1.6)

mit K0 = Kata, K1 = −Kaxa, K2 = −Kaya und K3 = −Kaza. Andererseits aber ist


′ ′
Ka = KAA ∈ SAA ein Spinor, den wir auf die Spin-Basis εA
A = (o , ι ) beziehen
A A

können. Man erhält so


′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
Ka = KAA = K00 oAoA + K01 oAιA + K10 ιAoA + K11 ιAιA
′ ′ ′ ′
= K00 la + K01 ma + K10 m̄ + K11 na.

43
Und damit ergibt sich der Zusammenhang zwischen den Spin-Komponenten und den
Minkowski-Komponenten in der Form
 0   00′ ′ 
1 K + K3 K1 + iK2 K K01
√ 1 2 0 3 = ′ ′ . (6.1.7)
2 K − iK K − iK K10 K11
Wenn Ka ein (zukunftsgerichteter) Nullvektor ist, so gilt

0 = KaKa = (K0)2 − (K1)2 − (K2)2 − (K3)2

und damit 00′ 01′



K0 + K3 K1 + iK2
= 2 K ′ K ′

0 = 1 .
K − iK2 K0 − K3 K10 K11

Folglich sind die Spaltenvektoren der Matrizen in (6.1.7) linear abhängig, so dass wir
schreiben können

! ′
!
K00 K01
   
ξ ξ
10 ′ =α und 11 ′ =β , (6.1.8)
K η K η
 
für einen Spaltenvektor ξ η . Da die Minkowski-Komponenten reelle Zahlen sind, folgt
die Hermitizität der Matrix der Spin-Komponenten. Dies ergibt die Realitätsbedingun-
gen
αξ = αξ, βη = βη, αη = βξ. (6.1.9)
Daraus folgt α = rξ̄ und β = rη̄ mit einer positiven reellen Zahl r, die man in die
Definition von ξ und η stecken kann. Damit läßt sich (6.1.7) in der Form
   
1 T + Z X + iY ξ
(6.1.10)

√ = ξ̄, η̄ .
2 X − iY T − Z η

schreiben, wobei noch K0 = T , K1 = X, K2 = Y, K3 = Z gesetzt wurde. Dies ist die-


selbe Gleichung wie (3.3.6). Wenn man also mit einem Minkowski-Raum M (bzw. ei-
ner Mannigfaltigkeit M, die den globalen Bedingungen aus Kap. 4 genügt) startet und
mithilfe der Minkowski-Konstruktionen (Nullfahnen usw.) Spinoren einführt, so erhält
man aus der Spinor-Algebra die Vierer-Vektoren zurück, mit denen man gestartet war.
Insbesondere stimmt die Metrik aus (6.0.1) mit der Minkowski-Metrik überein.

6.2 Van-der-Waerden Symbole

Die komplexe Nulltetrade bzw. die dadurch definierte Minkowski-Tetrade sind die von

der Spin-Basis induzierten Basen der Vektorräume Sa = SAA bzw. Ta. Es ist nicht
immer möglich, diese Basen zu verwenden. Insbesondere, wenn man Koordinaten ein-
geführt hat, sind andere Basen besser geeignet. Der Zusammenhang zwischen Spin-Ba-

sen und beliebigen Basen in Ta bzw. SAA wird vermittelt durch die van-der-Waerden
Symbole.

44
a A
a und δa Basis und duale Basis in T , sowie εA und εA entsprechend für S .
Seien δa a A A

Ein Tensor Ka...b... kann sowohl bezüglich der Ta-Basen in Komponenten Ka...b... zer-

legt werden, als auch bezüglich der Spin-Basen in die Komponenten KAA ...BB′ .... Es ist
aber auch möglich gemischte Komponenten, z.B. Ka...BB′ ... zu definieren. Wir können
insbesondere das Kronecker-Delta so zerlegen und erhalten
′ ′ ′ ′ ′
δb BB BB a B B
a = δa = σa δa εBεB′ ⇐⇒ δb BB B B
a = σa εBεB′ (6.2.1)
′ ′
b b A A b A A
δb b
a = δAA′ = σAA′ δb εAεA′ ⇐⇒ δb
a = σAA′ εAεA′ . (6.2.2)

Wir können diese Gleichungen explizit aufschreiben und bekommen bespielsweise durch
den ersten Satz von Gleichungen die explizite Darstellung
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δa 00 A A
0 = σ0 o o + σ01 A A
0 o ι + σ10 A A
0 ι o + σ11 A A
0 ι ι = σ00 a 01 a 10 a 11 a
0 l + σ0 m + σ0 m̄ + σ0 n ,
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δa 00 A A
1 = σ1 o o + σ01 A A
1 o ι + σ10 A A
1 ι o + σ11 A A
1 ι ι = σ00 a 01 a 10 a 11 a
1 l + σ1 m + σ1 m̄ + σ1 n ,
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δa 00 A A
2 = σ2 o o + σ01 A A
2 o ι + σ10 A A
2 ι o + σ11 A A
2 ι ι = σ00 a 01 a 10 a 11 a
2 l + σ2 m + σ2 m̄ + σ2 n ,
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δa 00 A A
3 = σ3 o o + σ01 A A
3 o ι + σ10 A A
3 ι o + σ11 A A
3 ι ι = σ00 a 01 a 10 a 11 a
3 l + σ3 m + σ3 m̄ + σ3 n

0 , δ1 , δ2 , δ3 ). Offensichtlich bilden die Entwicklungskoeffi-


für die vier Basisvektoren (δa a a a

zienten σAA
a vier 2 × 2-Matrizen. Die Basis δa
a ist reell, und dies bedeutet

′ ′ ′
BC A A ′
δa BC A A
a = σa εB εC′ = σa εB εC′ . (6.2.3)

′ ′ ′
Also gilt σBC
a = σCB
a , (z.B. σa = σa usw.), so dass die vier Matrizen hermitesch sind.
01′ 10
a
Entsprechendes gilt für die „dualen“ Matrizen σBB ′ . Wegen der Dualität der Basen in

Ta bzw. in SA gelten die Gleichungen


b ′ a ′ ′
σAA b
a σAA′ = δa, σAA B B
a σBB′ = εA εA′ . (6.2.4)

Die grundlegende Beziehung (6.0.1) zwischen Metrik und ε-Spinoren läßt sich ebenfalls
in Komponenten aufschreiben
′ ′
AA BB
gab = εABεA′ B′ σa σb . (6.2.5)

AA
Dies ist die fundamentale Identität, die von den van-der-Waerden Symbolen σa
erfüllt wird.
Wir schreiben diese Beziehung etwas um. Die linke Seite in (6.2.5) ist symmetrisch in a
und b. Schreiben wir die rechte Seite explizit symmetrisch erhalten wir
′ ′
BA
εAB σA
a A′ σb + εAB σA BA
b A′ σa = 2gab.

Wir betrachten die linke Seite dieser Gleichung ohne das εAB und stellen fest, dass
′ ′
BA
σA
a A′ σb + σA BA
b A′ σa

45
antisymmetrisch in (A, B) ist. Daher können wir die Beziehung auch in der Form
′ ′
BA
σA
a A′ σb + σA BA
b A′ σa = gabεAB

schreiben. Schließlich bringen wir den Index B nach unten und erhalten
′ ′
A A A
σA A
a A′ σbB + σb A′ σaB = −gabεB .
 
Betrachten wir dies als eine Matrixgleichung zwischen den 2 × 2-Matrizen sa = σA
a A′ ,
erhalten wir
∗ ∗
sasb + sbsa = −gab · 1.
Dabei soll der hochgestellte Stern die hermitesche Konjugation bedeuten und 1 die
Einheitsmatrix im C2 symbolisieren. Schließlich definieren wir vier 4 × 4-Matrizen
√  0 sa 
γa = 2 ∗
sa 0

und bekommen damit zwischen den γ-Matrizen die Antikommutator-Relation

γaγb + γbγa = −2gab1,

d.h., die so definierten γ-Matrizen sind automatisch Dirac-Matrizen; sie erfüllen die
Dirac-Algebra bzw. Clifford-Algebra. Die 1 auf der rechten Seite ist die Einheitsma-
trix im C4. Damit ist schon klar, dass Dirac-Spinoren „kompliziertere“ Dinge sind als
die hier betrachteten zwei-komponentigen Spinoren. Die Tatsache, dass die Dirac-
Spinoren jedoch als zusammengesetzte Größen auftauchen, läßt schon vermuten, dass
sie in vielen Rechnungen durch die zwei-komponentigen Spinoren ersetzt werden kön-
nen. Dadurch kann man auch das Rechnen mit den γ-Matrizen vermeiden.
Zum Schluß dieses Abschnitts noch einige konkrete van-der-Waerden Symbole. Für die
Minkowski-Tetrade aus dem vorigen Abschnitt erhalten wir
   
AB′ 1 1 0 0 AB′ 1 0 1
σ0 = √ = σAB′ , σ1 = √ = σ1AB′ ,
2 0 1 2 1 0
   
AB′ 1 0 −i 2 AB′ 1 1 0
σ2 = √ = −σAB′ , σ3 = √ = σ3AB′ .
2 i 0 2 0 −1
Dies sind die wohlbekannten Pauli-Matrizen.
Wir bestimmen außerdem die van-der-Waerden Symbole für die folgende Tetrade

T a = ta,
Ra = sin θ cos φxa + sin θ sin φya + cos θza,
Θa = cos θ cos φxa + cos θ sin φya − sin θza,
Φa = − sin φxa + cos φya.

46
Diese Tetrade besteht offensichtlich aus den Einheitsvektoren in radialer, longitudina-
ler und azimuthaler Richtung bezüglich den üblichen Polarkoordinaten. Bezüglich der
obigen Nulltetrade lautet diese Vektoren wie folgt
1
T a = √ (la + na)
2
1  
Ra = √ cos θla + sin θe−iφma + sin θeiφm̄a − cos θna ,
2
1  
Θa = √ − sin θla + cos θe−iφma + cos θeiφm̄a + sin θna ,
2
a 1  −iφ a iφ a

Φ = √ −ie m + ie m̄ .
2
Damit erhalten wir die van-der-Waerden Symbole für die polare Tetrade in der Form
cos θ sin θe−iφ
   
AB′ 1 1 0 AB′ 1
σ0 = √ σ1 = √ iφ
2 0 1 2 sin θe − cos θ
− sin θ cos θe−iφ 0 −ie−iφ
   
′ 1 AB′ 1
σ2AB = √ iφ σ = √ iφ .
2 cos θe sin θ 2 ie
3 0
Wir führen eine weitere Nulltetrade ein:
1 1
La = √ (T a + Ra) , Na = √ (T a − Ra) ,
2 2
1 1
Ma = √ (Θa + iΦa) , M̄a = √ (Θa − iΦa) .
2 2
Diese Nulltetrade gehört natürlich zu einer anderen Spin-Basis (OA, IA). Wir wollen die
Transformation zwischen dieser und der ursprünglichen Spin-Basis bestimmen. Dazu
bestimmen wir zuerst die Basistransformation zwischen den beiden Nulltetraden. Eine
kurze Rechnung gibt
1 
La = (1 + cos θ)la + (1 − cos θ)na + sin θe−iφma + sin θeiφm̄a ,
2
1  
Na = (1 − cos θ)la + (1 + cos θ)na − sin θe−iφma − sin θeiφm̄a ,
2
1 
a
M = − sin θla + sin θna + (cos θ + 1)e−iφma + (cos θ − 1)eiφm̄a ,
2
1  
M̄a = − sin θla + sin θna + (cos θ − 1)e−iφma + (cos θ + 1)eiφm̄a .
2
Beachten wir nun, dass
(1 + cos θ) = 2 cos2 θ2 , (1 − cos θ) = 2 sin2 θ2 , sin θ = 2 sin θ2 cos θ2
dann erkennen wir schnell, dass
φ φ
OA = cos θ2 e−i 2 oA + sin θ2 ei 2 ιA,
φ φ
IA = sin θ2 e−i 2 oA − cos θ2 ei 2 ιA.

47
Übung 6.1: Man zeige, dass die van-der-Waerden Symbole der polaren Tetrade bezüglich dieser
neuen Spin-Basis ebenfalls durch die Pauli-Matrizen gegeben sind.

6.3 Nullvektoren, Nullfahnen usw.

Im Kapitel 4 wurden Nullfahnen eingeführt, um eine geometrische Interpretation von


Spin-Vektoren zu ermöglichen. Es stellt sich nun hier die Frage, ob und wie man diese
aus der Spinor-Algebra zurückgewinnen kann. Ist also ein Spin-Vektor κA ∈ SA ge-
geben, welche Raumzeitobjekte (d.h., Raumzeit-Tensoren) kann man allein aus diesem
konstruieren? Die erste Möglichkeit, die sich anbietet, ist

Ka = κAκ̄A . (6.3.1)

Dies definiert einen reellen Nullvektor, denn es ist klar, dass κAκ̄A′ = κAκ̄A und man
sieht auch schnell, dass KaKa = |κAκA|2 = 0 ist. Damit haben wir eine Abbildung
angegeben, die jedem Spin-Vektor einen Nullvektor zuordnet. Jedoch ist diese nicht
umkehrbar. Sie ist nicht einmal surjektiv. Vielmehr gilt für jeden reellen Nullvektor Ka
′ ′
entweder Ka = κAκ̄A oder Ka = −κAκ̄A . Dies folgt aus dem

Satz 6.1. Für jeden komplexen Nullvektor Xa gibt es Spin-Vektoren ξA und ζA , so dass Xa =

ξAζA gilt.

Zum Beweis verwenden wir im wesentlichen das gleiche Argument


 wie im letzten Ab-

′ ′ ′ ′ ′ ′
schnitt. In einer Spin-Basis ist 0 = XaXa = εABεA′ B′ XAA XBB = 2 X00 X11 − X01 X10 .

Das heißt, die Determinante der Matrix XAA verschwindet. Damit sind die Spaltenvek-
toren linear abhängig und daraus ergibt sich die Aussage.

Ist also Ka ein nicht verschwindender reeller Nullvektor, so gilt zunächst einmal Ka =
′ ′ ′ ′ ′
αAβA und wegen der Realitätsbedingung αAβAp= β̄AᾱA folgt βA = λᾱA für ein

relles λ. Damit ist Ka = λαAᾱA . Setzen wir κA = |λ|αA, so folgt die oben behauptete
Darstellung eines reellen Nullvektors.

Mit diesem Resultat ergibt sich übrigens die Tatsache, dass die Existenz einer Spin-
Struktur die Menge von reellen Nullvektoren (6= 0) in zwei disjunkte Teilmengen zer-
teilt und damit die Möglichkeit eröffnet, eine konsistente Zeitorientierung festzulegen,
indem man diejenigen Nullvektoren, die man als „Quadrat“ schreiben kann, als zu-
kunftsgerichtet definiert. Die Nullvektoren, die negative „Quadrate“ sind, nennt man
dann vergangenheitsgerichtet.

Selbst wenn man sich auf das positive Vorzeichen, also zukunftsgerichtete Nullvekto-
ren festlegt, so wie in (6.3.1), folgt nicht die Umkehrbarkeit der dort definierten Ab-
bildung. Jeder Spin-Vektor der Form eiφκA ergibt den gleichen Nullvektor Ka. Dieser

48
Nullvektor ist natürlich nicht der einzige Raumzeit-Tensor, den man allein aus κA kon-
struieren kann. Wir betrachten κAκB. Um auf die nötigen Indizes zu kommen, multipli-
′ ′
zieren wir mit εA B . Dies ergibt einen komplexen Raumzeit-Tensor, von dem wir den
Realteil nehmen. So erhalten wir
′ ′ ′ ′
Pab = κAκBεA B + κ̄A κ̄B εAB. (6.3.2)

Pab ist reell und antisymmetrisch Pab = −Pba. Außerdem gilt, wie man sich leicht über-
zeugt, PabKb = 0. Wir wählen einen Spin-Vektor τA mit κAτA = 1, so dass (κA, τA) eine
Spin-Basis ist. Wegen (5.2.24) haben wir εAB = κAτB − κBτA und in (6.3.2) eingesetzt
folgt
 ′ ′ ′ ′
 ′ ′
 
Pab = κAκB κ̄A τ̄B − κ̄B τ̄A + κ̄A κ̄B κAτB − κBτA

 ′ ′
 ′
 ′ ′

= κAκ̄A κBτ̄B + κ̄B τB − κBκ̄B κAτ̄A + κ̄A τA
= KaMb − KbMa.
′ ′
Dabei ist Ma = κAτ̄A + κ̄A τA ein reeller, raumartiger Vektor mit MaKa = 0 und
MaMa = −2. Da τA nicht eindeutig bestimmt ist, sondern mit τA auch jeder andere
Spin-Vektor der Form τA + λκA für beliebige komplexe λ verwendet werden könnte,
ist auch Ma nicht eindeutig. Ändert man τA wie oben ab, so ändert sich Ma zu Ma +
(λ + λ̄)Ka, ohne dass sich dadurch Pab ändert.
Die positiven Vielfachen der so definierten zulässigen Vektoren Ma + rKa, r ∈ R bil-
den eine Halbebene, die den Zukunftslichtkegel des Ursprungs entlang der durch Ka
definierten Nullrichtung berühren, die gesuchte Nullfahne.
Mit den bisher aufgestellten Formeln kann man schnell auch das Verhalten einer Null-
fahne unter Rotationen bestimmen. Wir definieren einen zweiten reellen raumartigen
′ ′
Vektor Na = iκAτ̄A − iκ̄A τA. Drehen wir κA um den Winkel φ: κA 7→ eiφκA. Wegen
der Normalisierungsbedingung gilt dann τA 7→ e−iφτA und damit folgt
′ ′
Ma 7→ eiφκA eiφτ̄A + e−iφκ̄A e−iφτA = cos(2φ)Ma + sin(2φ)Na.
 

Wenn also κA um φ gedreht wird, dreht sich Ma in der durch Ma und Na aufgespann-
ten Ebene um den Winkel 2φ.

49
7 Spinorielles Handwerkszeug

Gewisse Fertigkeiten im Umgang mit Spinoren sind unerlässlich. Insbesondere die Fä-
higkeit, spinorielle Ausdrücke effektiv zu beurteilen und umzuformen ist nützlich.
Deshalb soll in diesem Kapitel das notwendigste Handwerkszeug zusammengestellt
werden.

7.1 Symmetrie-Operationen

Wir beginnen mit einigen allgemeinen Bemerkungen zu den Operationen der Symme-
trisierung und Anti-Symmetrisierung. Wir betrachten zuerst allgemeine Tensorsyste-
me. Das meiste ist wohl als bekannt vorauszusetzen und dieser Abschnitt sollte als
Erinnerung und Einführung der Notation verstanden werden.
Üblicherweise wird (Anti)-Symmetrisierung mit (eckigen) runden Klammern um die
relevanten Indizes bezeichnet, z.B.
1
T(αβγ) = (Tαβγ + Tβγα + Tγαβ + Tβαγ + Tγβα + Tαγβ)
3!
1
T(αβγ) = (Tαβγ + Tβγα + Tγαβ − Tβαγ − Tγβα − Tαγβ) .
3!
Der Vorfaktor ist 1/n!, wobei n die Anzahl der Indizes ist über die sich die Operation
erstreckt. Senkrechte Striche nehmen die zwischen ihnen stehenden Indizes von der
(Anti)-Symmetrisierung aus, z.B.,
1
T(α|β|γ) = (Tαβγ + Tγβα) .
2
Folgende Eigenschaften sind einfache Folgerungen aus den Definitionen:
• Bei mehrfachen (Anti)-Symmetrisierungen der gleichen oder zusätzlicher Indizes
können alle Operationen außer der letzten ignoriert werden. Z.B. ist

T[α...[β...γ]...δ] = T[α...β...γ...δ] .

• Wird über zwei oder mehr Indizes antisymmetrisiert, über die vorher symmetri-
siert wurde, so verschwindet das Resultat. Ist z.B. Sαβγ = T(αβγ) , so ist S[αβ]γ =
Sα[βγ] = 0. Das gleiche gilt bei vertauschten Rollen von Symmetrisierung und
Anti-Symmetrisierung.

50
• Operationen an oberen und unteren Indizes sind unabhängig voneinander durch-
führbar.

• Operationen an zwei disjunkten Mengen von Indizes sind unabhängig (kommu-


tieren).

Ein Tensor heißt symmetrisch (antisymmetrisch) in einer Gruppe von Indizes, falls
er sich nicht ändert, wenn man über die entsprechende Gruppe symmetrisiert (anti-
symmetrisiert). Symmetrisierung und Anti-Symmetrisierung sind Projektionsoperato-
ren auf der Tensoralgebra. Insbesondere ist das Ergebnis einer (Anti)-Symmetrisierung
(anti)-symmetrisch. Ein Tensor ist genau dann (anti)-symmetrisch, wenn er beim Ver-
tauschen je zweier relevanter Indizes unverändert bleibt (das Vorzeichen wechselt). Ein
Tensor heißt total (anti)-symmetrisch, falls er (anti)-symmetrisch in allen seinen Indi-
zes ist.

Wenn man eine (anti)-symmetrische Gruppe von Indizes eines Tensors mit einer zwei-
ten Gruppe kontrahiert, kann die letztere (anti)-symmetrisiert werden ohne das Resul-
tat zu ändern. Beispielsweise ist

T(α...β) α...β = T(α...β) (α...β) .

Daraus ergibt sich, dass die Kontraktion symmetrischer und antisymmetrischer Grup-
pen von Indizes verschwindet
T(α...β) [α...β] = 0.

Diese Aussagen gelten für beliebige Tensorsysteme, also auch für Spinoren und Raumzeit-
Tensoren. Die Tatsache jedoch, dass der Spin-Vektorraum zwei-dimensional ist, hat zu-
sätzliche weitreichende Konsequenzen. Diese beruhen darauf, dass ein Spinor, der in
mehr als zwei Indizes antisymmetrisch ist, automatisch verschwindet.

Dies ist ein Spezialfall der allgemeinen Tatsache, dass in einem n-dimensionalen Vek-
torraum alle n-Formen (Volumenformen) proportional sind, und alle n + 1-Formen
identisch verschwinden. Wir erinnern daran, dass man auf einem n-dimensionalen ori-
entierten Vektorraum mit Skalarprodukt eine ausgezeichnete Volumenform einführen
kann, nämlich diejenige, die auf einer Orthonormalbasis den Wert 1 annimmt.

Da wir bei gegebener Spin-Struktur automatisch eine Metrik zur Verfügung haben,
fragt sich, wie diese ausgezeichnete 4-Form für den Minkowski-Raum mithilfe von Spi-
noren definiert werden kann. Da sie nur von der Metrik abhängen kann, dürfen also
nur die ε-Spinoren zur Konstruktion herangezogen werden. Schreibt man die 4-Form
eabcd mit Spinor-Indizes, stellt man fest, dass man eine Linearkombination von Termen
mit je zwei ε-Spinoren mit ungestrichenen und zweien mit gestrichenen Indizes bilden
muß. Nach einigem Probieren findet man als erste Möglichkeit

fabcd = εABεCDεA′ C′ εB′ D′ .

51
Die gesuchte 4-Form ist natürlich antisymmetrisch in jedem Index-Paar. So muß bei-
spielsweise fabcd = −fbacd gelten. Dies ist noch nicht der Fall. Deshalb bessern wir
nach, indem wir den Term mit vertauschten (AA ′ ) und (BB ′ ) abziehen:
fabcd = εABεCD (εA′ C′ εB′ D′ + εA′ D′ εB′ C′ ) . (7.1.1)
Jetzt ist fabcd zwar antisymmetrisch in (ab) und (cd), aber noch nicht in (bc). Um dies
zu erreichen, müssen wir über alle Indizes antisymmetrisieren. Da zusätzlich fabcd =
fcdab gilt, erhalten wir drei Terme, proportional zu
fabcd + facdb + fadbc.
In diesen Ausdruck setzen wir den spinoriellen Ausdruck (7.1.1) ein und erhalten ins-
gesamt sechs Terme

εABεCD (εA′ C′ εB′ D′ + εA′ D′ εB′ C′ ) + εACεDB (εA′ B′ εC′ D′ + εA′ D′ εC′ B′ )
+ εADεBC (εA′ C′ εD′ B′ + εA′ B′ εD′ C′ ) .

Mehrfache Anwendung der ε-Identität führt uns auf einen Ausdruck mit nur zwei Ter-
men, nämlich
eabcd = iεACεBDεA′ D′ εB′ C′ − iεADεBCεA′ C′ εB′ D′ . (7.1.2)
Dies ist die gesuchte 4-Form. Der Faktor i steht davor, um den Ausdruck reell zu ma-
chen. Daß es sich bei (7.1.2) tatsächlich um die gesuchte 4-Form handelt folgt daraus,
dass sie auf einer Minkowski-Tetrade ausgewertet den Wert 1 annimmt:
e0123 = eabcdtaxbyczd =
i  ′ ′
 ′ ′
 ′ ′
 ′ ′

eabcd oAoA + ιAιA oBιB + ιBoB oCιC − ιCoC oDoD − ιCιD
4
1  ′ ′
 ′ ′

= − (oCoD′ + ιCιD′ ) (oDιC′ + ιDoC′ ) oCιC − ιCoC oDoD − ιDιD
4
1  ′ ′
 ′ ′

+ (oDoC′ + ιDιC′ ) (oCιD′ + ιCoD′ ) oCιC − ιCoC oDoD − ιDιD
4
= 1,
wie man nach etwas länglicher, aber einfacher Rechnung feststellt. Durch Heben der
Indizes erhält man eabcd und es gilt
eabcdeabcd = −24,
wie man durch Kontraktion von (7.1.2) mit dem entsprechenden Ausdruck mit geho-
benen Indizes feststellt. Außerdem gelten die Identitäten
eabcdeefgh = −24 δa b c d
[eδf δgδh] (7.1.3)
abcd
e eafgh = −6 δb c d
[fδgδh] (7.1.4)
eabcdeabgh = −4 δc[gδd
h] (7.1.5)
eabcdeabch = d
−6 δh. (7.1.6)

52
Der Tensor
′ ′ ′ ′
eabcd = iεACεBDεA′ D εB′ C − iεADεBCεA′ C εB′ D (7.1.7)
wird später noch einmal auftreten. Aus (7.1.5) folgt die Relation

eabef eefcd = −4 δc[aδd


b] . (7.1.8)

Wir kommen nun zu einer wesentlichen Eigenschaft der Algebra von zwei-komponentigen
Spinoren. Dies ist die Tatsache, dass sich jeder Spinor gewissermaßen als ein Satz von
Spinoren darstellen läßt, die alle total symmetrisch sind. D.h., sie sind symmetrisch in
allen ihren ungestrichenen Indizes und ebenso in allen ihren gestrichenen Indizes. Als
Einstimmung betrachten wir den einfachen Fall eines Spinors mit zwei ungestrichenen
Indizes. Wir haben
1
TAB = T(AB) + T[AB] = T(AB) + εAB TCC
2
unter Verwendung von (5.2.13). Damit wird der allgemeine Spinor TAB dargestellt als
die Summe eines total symmetrischen Spinors T(AB) und des äußeren Produkts eines
ε-Spinors mit einem Spinor von niedrigerer Stufe (in diesem Fall ein Skalar). Dieses
Verhalten setzt sich auf Spinoren höherer Stufe fort. Es gilt der
Satz 7.1. Jeder Spinor TA...BC′ ...D′ läßt sich darstellen als die Summe des total symmetrischen
Spinors T(A...B)(C′ ...D′ ) und äußerer Produkte von ε-Spinoren mit total symmetrischen Spinoren
niedrigerer Stufe.

Der Beweis ist ein einfaches Argument mit vollständiger Induktion nach der Anzahl
der Indizes, das hier nicht reproduziert werden soll (vgl. Penrose und Rindler, Vol. 1).
Vielmehr sollen hier noch zwei Beispiele vorgestellt werden. Zuerst die Zerlegung eines
Spinors mit drei Indizes,
1 2 1
TABC = T(ABC) − εA(B TC)DD − εA(B T D|D|C) + εBC TADD. (7.1.9)
3 3 2
Als Beispiel mit beiden Sorten von Indizes betrachten wir

1
HABA′ B′ = H(AB)(A′ B′ ) − εAB HCC(A′ B′ )
2
1 ′ 1 ′
− εA′ B′ H(AB) C C′ + εABεA′ B′ HCCC C′ . (7.1.10)
2 4

7.2 Darstellung von Spinor- durch Tensoroperationen

Hier soll kurz dargestellt werden, welche Auswirkungen einfache Spinor-Operationen


auf die entsprechenden Tensoren haben. Wir beginnen wieder mit dem einfachen Bei-
spiel eines Tensors Tab zweiter Stufe. Zuerst setzen wir Tab als symmetrisch voraus. Es
gilt also
Tab = Tba. (7.2.1)

53
Der entsprechende Spinor TABA′ B′ kann wie in (7.1.10) in total symmetrische Teile zer-
legt werden. Man erhält

1 ′
TABA′ B′ = T(AB)(A′ B′ ) + εABεA′ B′ T CCC C′ . (7.2.2)
4
Die beiden mittleren Teile wären antisymmetrisch, sind also in diesem Falle nicht vor-
handen. Wir haben damit eine Darstellung

1
Tab = Sab + gab Tcc. (7.2.3)
4
Der Tensor Sab = SABA′ B′ = T(AB)(A′ B′ ) ist symmetrisch und spurfrei, der spurfreie
Anteil von Tab.
Wir definieren nun die Spurumkehrung von Tab als den Tensor

1
T^ab = Tab − gabTcc.
2
Dann gilt T^cc = −Tcc. Offensichtlich ist T^ab = Sab − gab Tcc und der äquivalente Spinor
ist
1 ′
T^ABA′ B′ = T(AB)(A′ B′ ) − εABεA′ B′ T CCC C′ = TBAA′ B′ = TABB′ A′ . (7.2.4)
4
Folglich entspricht bei symmetrischen Tensoren zweiter Stufe das Vertauschen zweier
Spinor-Indizes der Spurumkehrung.
Wir betrachten nun antisymmetrische Tensoren Fab zweiter Stufe (2-Formen, Bivekto-
ren), d.h., es gilt nun Fab = −Fba. Wieder folgt aus (7.1.10) die Zerlegung

FABA′ B′ = φAB εA′ B′ + εAB ψA′ B′ . (7.2.5)

Auch hier tragen die anderen beiden Terme nichts bei, da sie die falsche Symmetrie
besitzen. Es gilt

1 ′ 1
φAB = FABC′ C = φBA, ψA′ B′ = FCCA′ B′ = ψB′ A′ .
2 2
Der komplex konjugierte Bivektor ist

F̄ABA′ B′ = εA′ B′ ψ̄AB + φ̄A′ B′ εAB,

Also entspricht Komplexkonjugation der Abbildung φAB 7→ ψ̄AB. Für reelle Bivektoren
gilt also φAB = ψ̄AB, so dass jedem reellen Bivektor genau ein symmetrischer Spinor
φAB entspricht.
Die Dualisierung von Fab, der duale Bivektor, ist definiert als

∗ 1
Fab = eabcd Fcd. (7.2.6)
2

54
Unter Verwendung der Gleichung (7.1.7) erhalten wir für den äquivalenten Spinor

FABA ′ B′ = −iφAB εA′ B′ + iεAB ψA′ B′ = −iFBAA′ B′ = iFABB′ A′ . (7.2.7)

Bei antisymmetrischen Tensoren entspricht also die Vertauschung zweier Spinor-Indizes


einer Dualisierung zusammen mit einer Multiplikation mit ±i.

Ein Bivektor, der Fab∗ = iF , bzw. F∗ = −iF


ab ab ab erfüllt, heißt selbstdual bzw. anti-
selbstdual. Aus (7.2.7) folgt, dass selbstduale Bivektoren die Form FABA′ B′ = εAB ψA′ B′
besitzen und entsprechend sind anti-selbstduale Bivektoren von der Form FABA′ B′ =
φAB εA′ B′ . Damit folgt auch, dass allgemeine Bivektoren eindeutig zerlegt werden kön-
nen in einen anti-selbstdualen und einen selbstdualen Anteil. Bei reellen Bivektoren
sind die beiden Anteile konjugiert zueinander.

Ein allgemeiner Tensor Hab zweiter Stufe hat einen symmetrischen und einen anti-
symmetrischen Anteil. Wollen wir also herausfinden, wie sich das Vertauschen zweier
Spinor-Indizes im allgemeinen Fall auswirkt, müssen wir die oben eingeführten Ope-
rationen kombinieren. Es gilt

HABA′ B′ = Hab = H(ab) + H[ab] ,

und damit
^ (ab) + iH∗ .
HBAA′ B′ = H [ab]

Wir haben damit die folgenden Entsprechungen: vertauschen zweier ungestrichenen


Spinor-Indizes in Hab, HABA′ B′ mapstoHBAA′ B′ entspricht der tensoriellen Operati-
on
1 
Hab 7→ Hab + Hba − gab Hcc + ieabcdHcd .
2
Dagegen entspricht Vertauschen von gestrichenen Indizes der Operation

1 
Hab 7→ Hab + Hba − gab Hcc − ieabcdHcd .
2

Auch für Tensoren höherer Stufe kann man die Vertauschung zweier Spinor-Indizes als
Tensoroperation darstellen. Dies kann beliebig komplizert werden und wird hier nicht
weiter vefolgt.

7.3 Haupt-Nullrichtungen

Da jeder Spinor in geeigneter Weise aus total symmetrischen Spinoren aufgebaut wer-
den kann, genügt es, sich auf solche zu konzentrieren. Total symmetrische Spinoren
kann man noch weiter zerlegen:

55
Satz 7.2. Ist ΦAB...C = Φ(AB...C) 6= 0, dann gibt es Spin-Vektoren αA, βB,. . . ,γC (eindeutig
bis auf Umordnung und Reskalierung) mit

ΦAB...C = α(AβB . . . γC) .

Zum Beweis wählen wir eine Spin-Basis (oA, ιA) so, dass ΦAB...CιAιB . . . ιC 6= 0 ist. Wir
setzen ξA = oA + zιA, mit z ∈ C. Dann ist

pΦ(z) := ΦAB...CξAξB . . . ξC
= Φ0... + nzΦ10... + n(n − 1)z2Φ110... + · · · + znΦ1... (7.3.1)

ein Polynom n-ten Grades in z über C. Nach dem Fundamentalsatz der Algebra zerfällt
dieses Polynom in Linearfaktoren, es gilt also

pΦ(z) = (a1z + a0) (b1z + b0) . . . (c1z + c0) .

Jeder der Linearfaktoren läßt sich als αAξA schreiben für geeignetes αA(= a1oA −
a0ιA). Also ist
    
pΦ(z) = αAξA βAξA . . . γAξA = α(AβB . . . γC) ξAξB . . . ξC.

Damit folgt 
ΦAB...C − α(AβB . . . γC) ξAξB . . . ξC = 0
für alle ξA mit ξ0 = 1. Wegen der Homogenität des Ausdrucks gilt dies aber für alle ξA
und damit muß die Klammer verschwinden. Daraus ergibt sich die Behauptung. Die
Eindeutigkeit der Spin-Vektoren ist dieselbe wie die der Linearfaktoren in pΦ, also bis
auf Umordnung und Reskalierung mit komplexen Zahlen.
Diese Zerlegung eines total symmetrischen Spinors in das symmetrisierte Produkt von
Spin-Vektoren heißt kanonische Zerlegung. Die einzelnen Spin-Vektoren heißen Haupt-
spinoren. Da sie aber nur bis auf komplexe Vielfache definiert sind, ist nur die soge-
nannte Haupt-Nullrichtung (principal null direction, PND) festgelegt, die durch sie de-
finiert wird. Jeder symmetrische n-Index Spinor definiert eine Menge von n Nullrich-
tungen, wobei mit Multiplizitäten gezählt werden muß, da die Nullrichtungen auch
zusammenfallen können. Die Summe aller Multiplizitäten ist immer n. Eine k-fache
Nullrichtung entspricht einem Linearfaktor mit k-facher Multiplizität. Jeder symmetri-
sche n-Index Spinor wird durch seine PND’s bis auf einen komplexen Faktor eindeutig
festgelegt.

7.4 Beispiel: Der Maxwell-Tensor

Als eine kleine Illustration der bisher erhaltenen Ergebnisse betrachten wir den Maxwell-
Tensor der Elektrodynamik. Dies ist ein antisymmetrischer Tensor zweiter Stufe, ein Bi-
vektor, Fab, der das elektromagnetische Feld auf Lorentz-invariante Weise beschreibt.

56
Bezüglich einer Minkowski-Tetrade hat er die Komponenten

Fab taxb = Ex, Fab yazb = Bx,


Fab tayb = Ey, Fab zaxb = By,
Fab tazb = Ez, Fab xayb = Bz,

wodurch das elektrische und magnetische Feld bezüglich der Tetrade definiert wer-
den.
Da es sich um einen reellen Bivektor handelt, können wir den Maxwell-Tensor in der
Form
FABA′ B′ = φAB εA′ B′ + εAB φ̄A′ B′ (7.4.1)
schreiben. Der Maxwell-Tensor sollte also vollständig durch den symmetrischen Spinor
φAB bestimmt sein, und umgekehrt. Wie ist die Relation zwischen den elektrischen und
magnetischen Feldkomponenten und den Komponenten des Spinors? Dazu wählen
wir eine Spin-Basis (oA, ιA) und berechnen die Komponenten von Fab bezüglich der
induzierten Nulltetrade
′ ′
Fab lanb = −Fab tazb = FABA′ B′ oAoA ιBιB = φ1 + φ1,
1 ′ ′
Fab lamb = Fab ta + za xb + iyb = FABA′ B′ oAoA oBιB = φ0,
 
2
1 ′ ′
Fab namb = Fab ta − za xb + iyb = FABA′ B′ ιAιA oBιB = −φ2,
 
2
′ ′
Fab m m̄ = −iFab xayb = FABA′ B′ oAιA ιBoB = φ1 − φ1.
a b

Dabei ist φ0 = φABoAoB, φ1 = φABoAιB und φ2 = φABιAιB. Damit erhalten wir


1 i
φ0 = (Ex − iBx) + (Ey − iBy) ,
2 2
1
φ1 = − (Ez − iBz) ,
2
1 i
φ2 = − (Ex − iBx) + (Ey − iBy) .
2 2
Die gesamte Information über das elektromagnetische Feld steckt jetzt in den drei kom-
plexen Komponenten von φAB.
Wie gelangen wir mithilfe von φAB an die Eigenschaften des elektromagnetischen Fel-
des? Zuerst betrachten wir den Skalar I = φABφAB = 2(φ0φ2 − (φ1)2). Man erhält

2I = E · E − B · B − 2iE · B, (7.4.2)

also die komplexe Kombination der beiden Invarianten des Maxwell-Tensors.


Der Maxwell-Spinor φAB läßt sich weiter zerlegen in seine PND’s. Dabei können drei
Fälle auftreten

57
• φAB = 0. Diesen Fall schließen wir aus.
• φAB = α(AαB) und
• φAB = α(AβB) .
Beginnen wir mit dem entarteten Fall. Es gilt also φAB = α(AαB) und damit folgt I = 0.
Das heißt, die beiden Feldvektoren sind senkrecht aufeinander und gleich groß. Es liegt
also ein Strahlungsfeld vor. Die durch αA definierte Nullrichtung ist zweifach entartet.
Wählen wir die Spin-Basis so, dass αA = oA, dann gilt φ0 = φ1 = 0, also insbesondere
Ez = Bz = 0. Die PND ist die Nullrichtung derjenigen Lichtstrahlen, die in Richtung
positiver z-Achse verlaufen, also in Richtung E × B, der Propagationsrichtung des Fel-
des.
Im zweiten Fall ist φAB = α(AβB) , wo αAβA = 2φ 6= 0. Wählen wir wiederum die Spin-
Basis so, dass αA = oA und βA = 2φιA, dann haben wir
φAB = 2φ o(AιB) . (7.4.3)
Also φ0 = φ2 = 0 und folglich Ex = Bx = Ey = By = 0. Daher sind das elektrische und
magnetische Feld parallel bzw. antiparallel zueinander und die PND’s sind die Null-
richtungen parallel und antiparallel zur Feldrichtung. Damit haben wir also gezeigt,
dass für ein elektromagnetisches Feld mit I 6= 0 immer zwei verschiedene Nullrichtun-
gen existieren und dass man immer ein Lorentz-System (Minkowski-Tetrade) so finden
kann, dass die Nullrichtungen antipodisch sind und das elektrische und magnetische
Feld parallel bzw antiparallel entlang den Polen orientiert sind.
Zum Schluß betrachten wir den Ausdruck φABφ̄A′ B′ . Die Anzahl der Indizes verrät
uns, dass es sich hierbei um einen Raumzeit-Tensor handeln muß, der zudem reell,
symmetrisch und spurfrei ist. Es ist also φABφ̄A′ B′ = Tab = Tba. Die Tatsache, dass er
quadratisch im Maxwell-Tensor ist, läßt vermuten, dass es sich bei Tab um so etwas wie
den Energie-Impuls-Tensor des elektromagnetischen Feldes handelt. Und in der Tat,
wenn man in
1
FacFbc − gabFcdFcd (7.4.4)
4
die Spinor-Darstellung von Fab einsetzt, bekommt man
′ 1 ′ ′
FACA′ C FBCB′ C′ − εABεA′ B′ FCDC′ D′ FCDC D
4
′ ′
= εACφA′ C + εA′ C φAC εBCφB′ C′ + εB′ C′ φAC
 

1 ′ ′
− εABεA′ B′ φCDφCD + φC′ D′ φC D
2

= εBAφA′ C φB′ C′ + εB′ A′ φACφBC − 2φABφA′ B′
1 ′ ′
− εABεA′ B′ φCDφCD + φC′ D′ φC D = −2φABφA′ B′ .
2
Dies soll als kleiner Hinweis über die Brauchbarkeit des Spinorformalismus ausreichen.
Weitere Gelegenheiten werden folgen.

58
8 Die kovariante Ableitung

Für die bisherigen Kapitel war der Unterschied zwischen Tensoren und Tensorfeldern,
bzw. zwischen Spinoren und Spinorfeldern (fast) unerheblich, da hauptsächlich alge-
braische Eigenschaften diskutiert wurden. Nur dort, wo es darauf ankam, ob es Null-
teiler im Skalarbereich gibt, mußte aufgepaßt werden. Ab diesem Kapitel werden wir
grundsätzlich Tensor- und Spinorfelder betrachten und gesondert darauf hinweisen,
wenn eine Aussage nur an einem Punkt gilt. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird
kurz an die Grundlagen von kovarianter Ableitung, Torsion und Krümmung erinnert.
Im zweiten Abschnitt werden diese Begriffe dann auf Spinoren ausgedehnt.

8.1 Krümmung und Torsion

Es sei M eine beliebige C∞ -Mannigfaltigkeit. Wir bezeichnen den Ring der C∞ -Funktionen
auf M mit T. Ein (reelles) Vektorfeld auf M ist eine Derivation von T, also eine Abbil-
dung
U:T→T
mit den folgenden Eigenschaften:
• U(1) = 0, dabei ist 1 die konstante Funktion, die überall den Wert 1 annimmt.
• U(f + g) = U(f) + U(g) und
• U(fg) = U(f) g + f U(g), für beliebige f und g.
In lokalen Koordinaten lassen sich Vektorfelder einfach charakterisieren.

Satz 8.1. Sei U ein Vektorfeld auf M. In jedem lokalen Koordinatensystem xα = (x1, . . . , xn)
hat U die Gestalt

U = Uα α ,
∂x
für geeignete C∞ -Funktionen U1, . . . , Un.

Um vom Vektorfeld zu einem Tangentenvektor an einem Punkt P ∈ M zu gelangen,


muß man U lokalisieren. Dies geschieht so: man definiert eine Relation zwischen Vek-
torfeldern, wobei
U ∼ V ⇐⇒ Uf(P) = Vf(P)

59
für beliebige f ∈ T. Die so definierte Äquivalenzklasse ist ein Tangentenvektor am
Punkt P. Die Tangentenvektoren an einem festen Punkt bilden einen reellen Vektor-
raum.
Die Vektorfelder auf M bilden ein T-Modul, d.h., man kann sie addieren und mit C∞ -
Funktionen multiplizieren. Dabei gelten die Axiome aus Kap. 5. Wir bezeichnen die
so definierte Menge mit Tα und ihre Elemente auch mit Uα, um den Zusammenhang
mit jenem Kapitel herzustellen. Wir können nun wie dort die Tensoralgebra über den
Vektorfeldern Tα errichten, was uns auf die Räume Tα...
β... führt. Damit haben wir Ten-
sorfelder beliebiger Stufe zur Verfügung.
Ganz analog können wir S betrachten, den Ring der komplexwertigen C∞ -Funktionen.
Derivationen von S sind komplexe Vektorfelder Z. Sie sind von der Form Z = U + iV
mit zwei reellen Vektorfeldern U, V und sie bilden ein S-Modul Sα. Indem wir die Ten-
soralgebra über Sα konstruieren, haben wir auch komplexe Tensorfelder eingeführt.
Sei f ∈ T beliebig. Wir betrachten die Abbildung

df : U 7→ U(f).

Sie ist offensichtlich T-linear, folglich definiert sie ein Tensorfeld, das totale Differential
von f. In lokalen Koordinaten gilt mit Satz 8.1
∂f
df(U) = Uα = Uα∂αf.
∂xα
Wir bezeichnen das Tensorfeld, welches durch df definiert wird, mit ∇αf ∈ Tα. Dann
läßt sich df(U) = Uα∇αf schreiben, d.h.,

U = Uα∇α,

eine oft benutzte Schreibweise für die Richtungsableitung einer Funktion entlang dem
Vektorfeld U. Man findet aufgrund der Derivationseigenschaften der Vektorfelder, dass
folgendes gilt:
• ∇α(1) = 0.
• ∇α(f + g) = ∇α(f) + ∇α(g) und
• ∇α(fg) = ∇α(f) g + f ∇α(g) für beliebige C∞ -Funktionen f und g.
Damit ist die Abbildung T → Tα, f 7→ ∇αf nicht T-linear, und daher nicht durch ein
Tensorfeld vermittelbar. Wir bezeichnen diese Abbildung mit dem Symbol ∇α.
Leider ist diese Ableitung nur für Funktionen definiert. Es gibt zwar noch zwei weitere
Begriffe von Ableitung — Lie-Ableitung und äußeres Differential — auf einer Mannig-
faltigkeit, die ohne zusätzliche Strukturen definiert werden können. Aber die äußere
Ableitung ist nicht auf beliebige Tensorfelder anwendbar, sondern nur auf alternieren-
de Differentialformen und beide Begriffe sind keine Verallgemeinerung der Richtungs-
ableitung, die nur vom Wert des Vektorfeldes U am jeweiligen Punkt P abhängt. Um

60
so etwas zu erreichen, muß man eine zusätzliche Struktur definieren, einen affinen Zu-
sammenhang. Dieser gestattet es eine Operation für Tensorfelder, die kovariante Ab-
leitung einzuführen, welche die Richtungsableitung von Funktionen verallgemeinert.
Beide Begriffe werden gleichberechtigt nebeneinander gebraucht.
Der Operator der kovarianten Ableitung kann in Analogie zu oben als eine Abbil-
dung
∇ α : Tβ → Tβ
α

definiert werden, die den folgenden zwei Bedingungen unterworfen ist. Für beliebige
Vektorfelder Uβ und V β und jedes f ∈ T gelten
• die Additivität: ∇α(Uβ + V β) = ∇αUβ + ∇αV β und
• die Leibniz-Regel: ∇α(fUβ) = f∇αUβ + Uβ∇αf.
In der zweiten Bedingung ist unter ∇αf das oben definierte totale Differential von
Funktionen zu verstehen.
Ein solcher Ableitungsoperator läßt sich eindeutig auf die gesamte Tensoralgebra aus-
dehnen, falls man die Gültigkeit der Leibnizregel auch für Ausdrücke 0der
 Form U Vα
α

fordert. So ergibt sich dann beispielsweise für Tensorfelder vom Typ 1


 
Uβ∇αVβ = ∇α UβVβ − Vβ∇αUβ.

Dies definiert ∇αVβ durch die bekannten Wirkungen von ∇α auf T und Tα. Ähnliches
gilt für Tensoren beliebigen Typs. Ebenfalls aus den obigen Bedingungen folgt, dass die
kovariante Ableitung mit Kontraktionen vertauscht.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen kovarianter Ableitung und den Koordinaten-
ableitungen ∂α ist der, dass erstere nicht notwendigerweise vertauschen. Um diese
Nichtvertauschbarkeit näher zu untersuchen betrachten wir den Kommutator

∆αβ = ∇α∇β − ∇β∇α = 2∇[α∇β] .

Zunächst seine Wirkung auf T: es ist offensichtlich ∆αβ(1) = 0 und ∆αβ ist additiv.
Außerdem rechnet man leicht nach, dass

∆αβ(fg) = ∆αβ(f) g + f ∆αβ(g).

Damit ist für ein beliebiges Xαβ ∈ Tαβ die Kontraktion Xαβ∆αβ eine Derivation in T.
Folglich gibt es ein eindeutiges Y γ ∈ Tγ, so dass auf T

Xαβ∆αβ = Y γ∇γ.

Die Abbildung, die jedem Xαβ das Vektorfeld Y γ zuordnet, ist T-linear und daher gibt
γ
es ein Tensorfeld, den sogenannten Torsionstensor Tαβ , so dass
γ
Y γ = Tαβ Xαβ.

61
γ γ
Weil ∆αβ antisymmetrisch ist, gilt auch Tαβ = −Tβα. Zusammenfassend haben wir als
Wirkung des Kommutators ∆αβ auf Funktionen
γ
∆αβf = Tαβ ∇γf. (8.1.1)
Wenn der Torsionstensor verschwindet, heißt der Operator ∇α und der daduch defi-
nierte Zusammenhang torsionsfrei.
Nun zur Wirkung von ∆αβ auf Vektorfelder. Wie vorher ist sie additiv und man rechnet
nach, dass  
γ
∆αβ fV δ = Tαβ ∇γf V δ + f ∆αβ V δ.
Daraus ergibt sich, dass die Abbildung Tδ → Tδαβ
h i
γ
V δ 7→ ∆αβ − Tαβ∇γ V δ

T-linear ist und damit wiederum von einem Tensor, dem Krümmungstensor vermit-
telt wird: h i
γ
∆αβ − Tαβ∇γ V δ = Rαβγδ V γ. (8.1.2)
Diese Gleichung heißt auch (verallgemeinerte) Ricci-Identität.
Wir werden ab jetzt hauptsächlich torsionsfreie Zusammenhänge betrachten. Für sol-
che gilt
∆αβ f = [∇α, ∇β] f = 0, (8.1.3)
∆αβ V δ = [∇α, ∇β] V δ = Rαβγδ V γ. (8.1.4)
Eine einfache Folgerung aus dem bisher Dargestellten ist die Ricci-Identität für kovari-
ante Vektoren
∆αβ Uγ = [∇α, ∇β] Uγ = −Rαβγδ Uδ. (8.1.5)

Für den Krümmungstensor gelten die Bianchi-Identitäten. Diese erhält man, wenn man
eine dreifache kovariante Ableitung betrachtet. Schreibt man die Kombination ∇[α∇β∇γ]
auf zwei Arten ergibt sich in Anwendung auf Funktionen
∇[α∇β∇γ] f = ∆[αβ ∇γ] f = −R[αβγ] δ ∇δ f


= ∇[α ∆βγ] f = 0,
woraus die 1. Bianchi-Identität folgt
R[αβγ] δ = 0. (8.1.6)

In Anwendung auf Vektorfelder haben wir


 
∇[α∇β∇γ] V δ = ∆[αβ ∇γ] V δ = −R[αβγ] ε ∇εV δ + R[αβ|ε|δ ∇γ] V ε
   
= ∇[α ∆βγ] V δ = ∇[α Rβγ]εδ V ε .

62
Unter Verwendung der ersten ergibt sich daraus die 2. Bianchi-Identität

∇[αRβγ]δε = 0. (8.1.7)

Bezüglich der Existenz von Zusammenhängen muß man sich keine Sorgen machen.
Nach einem allgemeinen Existenzsatz1 gibt es auf einer beliebigen Mannigfaltigkeit
immer einen Zusammenhang. Wenn man einen hat, dann gibt es beliebig viele, denn
die Differenz zweier Ableitungsoperatoren definiert einen Tensor Qα βγ (vgl. unten). Da-
her gibt es also ebenso viele verschiedene Ableitungsoperatoren wie solche Tensoren.
Um die Qual der Wahl etwas zu erleichtern, sucht man sich solche Operatoren aus,
die sich mit eventuell schon vorhandenen Strukturen vertragen. Beispielsweise gestat-
tet die Existenz einer Metrik gαβ auf M nur noch einen torsionsfreien Zusammenhang.
Manchmal ist man nicht so glücklich und die geometrischen Strukturen auf M fixie-
ren den Zusammenhang nicht eindeutig. Ein Beispiel aus der Relativitätstheorie sind
Nullflächen, deren entartete Metrik nicht ausreicht, um die kovariante Ableitung zu fi-
xieren. Im Falle, wo es sich bei der Nullfläche um das lichtartig Unendliche J handelt,
kann man so Gravitationsstrahlung charakterisieren und quantisieren2 .
Was geschieht nun beim Wechsel des Ableitungsoperators? Wie schon oben kurz ange-
deutet, betrachten wir die Differenz zweier solcher
˜ α − ∇α.

In Anwendung auf Funktionen verschwindet dies identisch, während, auf Vektoren


angewandt, eine T-lineare Abbildung Tβ → Tβ
α definiert wird. Daher gilt

˜ αV β − ∇αV β = Qβ
∇ γ
αγ V ,

für ein geeignetes Tensorfeld Qβ


αγ. Aus der Leibnizregel folgt wieder

˜ αUγ − ∇αUγ = −Qβ


∇ αγ Uβ.

γ
Seien T̃αβ ˜ α. Dann gilt
und R̃αβγδ der Torsions- und Krümmungstensor von ∇

1 γ ˜ ˜ [α∇
˜ β] f = ∇
˜ [α∇β] f
T̃ ∇γ f = ∇
2 αβ
= ∇[α∇β] f − Qγ ˜
[αβ] ∇γ f.

Damit gilt für die Torsionstensoren die Relation


γ γ
T̃αβ = Tαβ − 2Qγ
[αβ] . (8.1.8)

Ändern wir also einen torsionsfreien Zusammenhang in einen anderen torsionsfreien


Zusammenhang, so muß dies mithilfe eines Qγαβ geschehen, das symmetrisch in den
1 vgl. S. Kobayashi und K. Nomizu, Foundations of Differential Geometry, Wiley 1963
2 A. Ashtekar, Asymptotic Quantization, Bibliopolis 1987

63
unteren Indizes ist. Andererseits können wir zu jedem beliebigen Zusammenhang ∇α
immer einen torsionsfreien Zusammenhang finden, indem wir Qγ 1 γ
αβ = 2 Tαβ setzen.

Für die Krümmungstensoren gilt eine ganz entsprechende Relation


ρ
R̃αβγδ = Rαβγδ − TαβQδργ + 2∇[αQδβ]γ + 2Qδ[α|ρ| Qρβ]γ. (8.1.9)

Wie wird nun ein Ableitungsoperator durch die Metrik festgelegt? Sei also gαβ eine
nicht entartete, symmetrische Bilinearform auf M. Dann gibt es genau einen Ablei-
tungsoperator, der torsionsfrei ist und für den die Metrik konstant ist. Sei ∇α ein be-
liebiger torsionsfreier Zusammenhang, der nach den vorherigen Bemerkungen immer
existiert. Wir suchen einen anderen torsionsfreien Ableitungsoperator ∇ ˜ α, der zudem
noch die Bedingung
∇˜ αgβγ = 0 (8.1.10)
˜ α durch ∇α aus, erhalten wir
erfüllt. Drücken wir ∇

∇αgβγ − 2Qδα(β gγ)δ = 0.

Wegen dieser Gleichung und der Torsionsfreiheit erfüllt Qγ


αβ das folgende Gleichungs-
system (wobei Qγαβ = gγδQαβ)
δ

Qγαβ + Qβαγ = ∇αgβγ, (8.1.11)


Qγαβ − Qγβα = 0. (8.1.12)

Dieses System hat genau eine Lösung. Betrachten wir zuerst die Frage der Eindeutig-
keit. Gäbe es eine weitere Lösung, so wäre die Differenz Sαβγ eine Lösung des homoge-
nen Systems. Dann gilt aber Sαβγ = Sαγβ = −Sβγα. D.h., bei einem Zyklus der Indizes
nach links wechselt das Vorzeichen. Da man nach zwei weiteren Zykeln wieder zum
Ausgangspunkt zurück kommt, folgt Sαβγ = 0, und damit die Eindeutigkeit. Zur Frage
der Existenz betrachten wir

1 γρ

αβ = 2 g (∇αgρβ + ∇βgαρ − ∇ρgαβ) ,

von dem sich durch Einsetzen zeigen läßt, dass es das Gleichungssystem (8.1.11) erfüllt.
Der dadurch definierte eindeutige Zusammenhang ist der Levi-Civita-Zusammenhang.

In der klassischen Differentialgeometrie sieht man oft die folgenden Formeln für die
Torsion und die Krümmung. Dabei sind X, Y und Z beliebige Vektorfelder:

T (X, Y) = [X, Y] + ∇Y X − ∇XY,


R(X, Y) Z = ∇X∇Y Z − ∇Y ∇X Z − ∇[X,Y] Z.

64
Diese lassen sich einfach aus den bisher angegebenen Eigenschaften für Torsion und
Krümmung herleiten. Um die Torsionsgleichung zu bekommen, überschieben wir (8.1.1)
mit XαY β. Dann bekommen wir

γ
XαY βTαβ∇γf = XαY β (∇α∇β − ∇β∇α) f
 
= Xα∇α Y β∇β f − Y β∇β (Xα∇α f)
   
− Xα∇αY β ∇βf + Y β∇βXα ∇αf
= X(Yf) − Y(Xf) − (∇XY − ∇Y X) (f). (8.1.13)

Analoges Vorgehen führt auf die Gleichung für die Krümmung.


Zum Schluß dieses Abschnitts noch ein paar Bemerkungen über die Darstellung in
Komponenten. Wie immer erhält man die Komponenten bezüglich einer lokalen Basis
α (z.B. einer Orthonormalbasis, einer Nulltetrade oder einer Koordinatenbasis), indem
δα
man den entsprechenden Tensor mit den Basisvektoren und den dazu dualen Basisvek-
toren überschiebt. Versucht man dies für den Torsions- und Krümmungstensor, dann
stellt man fest, dass man die Zusammenhangskoeffizienten benötigt. Diese sind folgen-
dermaßen definiert
∇αδβ γ β
β = Γαβ δγ, (8.1.14)

wobei natürlich ∇α = δα α∇α die Richtungsableitung entlang dem Basisvektorfeld mit


Index α ist. Entsprechend gilt für die duale Basis
γ β
∇αδβ = −Γαβγ δβ. (8.1.15)

Die Zusammenhangskoeffizienten heißen auch Christoffel-Symbole.


Betrachten wir nun zum Beispiel die Komponenten des Tensors ∇αVβ, erhalten wir
unter Verwendung von (8.1.14)
   
β β β
δααδβ∇αVβ = ∇α δβVβ − Vβ ∇αδβ = ∇αVβ − Γαβ Vγ.
γ
(8.1.16)

α
In dem Fall, wo δα
α eine lokale Koordinatenbasis ist, gilt für die duale Basis δα = ∇αx .
α

Unter diesen Umständen folgt aus der Definition des Torsionstensors


γ γ γ γ
Tαβδγ = Tαβ∇γxγ = 2 ∇[α∇β] xγ = 2 ∇[αδβ].

Damit sind die Komponenten des Torsionstensors gegeben durch


γ
Tαβ = −2 Γ[αβ] γ.

Für torsionsfreie Zusammenhänge sind die Christoffel-Symbole bezüglich einer lokalen


Koordinatenbasis symmetrisch in ihren unteren Indizes.

65
Die Komponenten des Krümmungstensors bekommt man wie gehabt durch Überschie-
ben mit den Basisvektoren und unter Verwendung von (8.1.14) und (8.1.15) findet man
für einen torsionsfreien Zusammenhang die bekannte Formel

1
Rαβγδ = ∇[αΓβ]γδ + Γ[β|γ|ρΓα]ρδ − Γ[αβ] ρΓργδ. (8.1.17)
2
Ist die Basis eine Koordinatenbasis, so verschwindet der letzte Term.

8.2 Kovariante Ableitung für Spinoren

Wir stellen uns jetzt die Aufgabe, einen Ableitungsoperator für Spinorfelder auf einer
Mannigfaltigkeit M zu definieren. Von dieser werden wir ab jetzt immer annehmen,
dass sie 4-dimensional ist und eine Spin-Struktur zuläßt. Dann haben wir an jedem
Punkt einen Spin-Vektorraum angeheftet und wir haben den Raum der Spin-Vektor-
felder SA zur Verfügung. Zusammen mit dem Skalarbereich S, den komplexwerti-
gen C∞ -Funktionen, sowie dem dualen Raum SA und den dazu komplex-konjugierten
Räumen errichten wir die gesamte Algebra der Spinorfelder auf M. Wie zuvor haben

wir den Isomorphismus zwischen den reellen Elementen aus SAA und den Vektorfel-
dern Ta (wir verwenden jetzt wieder lateinische Indizes, um deutlich zu machen, dass
es sich um Vierervektoren handelt).

Um eine kovariante Ableitung ∇a einzuführen, gehen wir so vor wie im letzten Kapitel
und definieren zuerst einmal die Wirkung von ∇a auf den Skalaren S. Jedes Ua ∈ Ta
wirkt als eine Derivation Ua∇a auf den reellwertigen Feldern T. Wir dehnen diese
Wirkung auf S = T ⊕ iT aus, indem wir einfach Real- und Imaginärteil getrennt be-
handeln: für h = f + ig ∈ S setzen wir Ua∇ah := Ua∇af + iUa∇ag. Zudem definieren
wir durch (Ua + iV a)∇ah := Ua∇ah + iV a∇ah die Wirkung eines komplexen Vektor-
feldes W a = Ua + iV a ∈ Sa auf S. Für jedes feste h ∈ S ist dies eine S-lineare Ab-
bildung Sa nach S und wir erhalten damit wie oben das totale Differential ∇ah ∈ Sa
des komplexen Skalarfeldes h. Offensichtlich ist W a∇ah = W̄ a∇ah̄, so dass allgemein
gilt
∇ah = ∇ah̄. (8.2.1)
Ist insbesondere h ∈ T, also reell, so ist auch ∇ah ∈ Ta reell.

Die Ausdehnung der Ableitung auf Spin-Vektorfelder erfolgt ebenso wie oben, indem
wir den Ableitungsoperator ∇a als Abbildung SB → SB a = SAA′ auffassen, die fol-
B

genden Postulaten genügt:

Für beliebige Spin-Vektorfelder ξB und ηB und jedes f ∈ S gelten

• die Additivität: ∇a(ξB + ηB) = ∇aξB + ∇aηB und

• die Leibniz-Regel: ∇a(fξB) = f∇aξB + ξB∇af.

66

Aufgrund des Isomorphismus Sa mit SAA schreiben wir auch oft ∇AA′ = ∇a. Mithil-
fe der Leibniz-Regel definieren ∇a wie üblich auch als Abbildung SB → SaB = SABA′
durch
(∇aαB)ξB = αB(∇aξB) − ∇a(αBξB). (8.2.2)
Dies definiert ∇aαB als S-lineare Abbildung ξB 7→ ∇aαBξB.
Die kovariante Ableitung der komplex konjugierten Spin-Vektoren wird mit den For-
meln

∇aζB = ∇aζ̄B, ∇aωB′ = ∇aω̄B (8.2.3)
definiert. Dann folgt aus der komplex konjugierten Gleichung (8.2.2), dass auch für
gestrichene Indizes die Leibniz-Regel gilt.
Mit den so definierten Wirkungen auf den „Grundbausteinen“ der Spinor-Algebra,
können wir jetzt die kovariante Ableitung auf beliebigen Spinorfeldern definieren, in-
dem wir wieder die Additivität und die Gültigkeit der Leibniz-Regel fordern. Damit
wird sie eindeutig definiert und wir haben dann die kovariante Ableitung als eine Ab-
bildung
′ P...Q′
∇a : SP...Q
R...S′ → SAA′ R...S′ , (8.2.4)
die folgende Eigenschaften hat.
• ∇a ist additiv:
∇a(φA + ψA) = ∇aφA + ∇aψA.

• ∇a genügt der Leibniz-Regel:

∇a(φAψB) = (∇aφA)ψB + φA(∇aψB).

• ∇a vertauscht mit der Komplexkonjugation (d.h., ∇a ist ein reeller Operator):

∇aφB = ∇aφB.

• ∇a vertauscht mit Kontraktionen.


In den obigen Formeln stehen A und B für beliebige Kombinationen von ko- und kon-
travarianten, gestrichenen und ungestrichenen Indizes.

Eine kovariante Ableitung für Spinorfelder definiert durch ihre Wirkung auf SAA auch
einen Ableitungsoperator für Vektorfelder und damit für beliebige Tensorfelder. Dieser
Operator erfüllt die im vorigen Kapitel gestellten Forderungen an einen Ableitungsope-
rator. Damit können wir auch bei einem Spin-Zusammenhang von Torsion reden.
Wir kommen nun wieder zur Frage der Existenz und Eindeutigkeit eines Spin-Zusam-
menhangs. Die Frage der Existenz von Ableitungsoperatoren für Spinorfelder fällt in
den Bereich der Theorie von Zusammenhängen in Vektorbündeln. Wie im vorigen Ka-
pitel gibt es auch hier eine allgemeine Existenzaussage, die immer die Existenz eines
Spin-Zusammenhangs sichert.

67
Zur Frage der Eindeutigkeit betrachtet man wieder die Differenz zweier Ableitungs-
operatoren. Mit ganz ähnlichen Argumenten und Rechnungen wie im letzten Kapitel
findet man, dass ein Spin-Zusammenhang eindeutig durch die Bedingungen der Tor-
sionsfreiheit und der Kompatibilität der ε-Spinoren charakterisiert wird. D.h., es gibt
genau einen Spin-Zusammenhang so, dass der induzierte Zusammenhang für Vektor-
und Tensorfelder torsionsfrei ist und der zudem noch ∇aεBC = 0 erfüllt.
Es läßt sich zeigen, dass man allein aus dem Levi-Civita-Zusammenhang einen Spin-
Zusammenhang konstruieren kann, der diese Eigenschaften besitzt. Dies ist nicht allzu
verwunderlich, hatten wir doch die Spin-Vektoren bis auf ein globales Vorzeichen allein
durch geometrische Objekte charakterisiert (Nullfahnen). Da wir eine kovariante Ab-
leitung für beliebige geometrische Objekte besitzen, muß diese auch auf die Nullfahnen
und damit für die Spin-Vektoren anwendbar sein. Die Mehrdeutigkeit im Vorzeichen
spielt für differentielle Betrachtungen keine Rolle. Wir werden immer diesen eindeutig
bestimmten Spin-Zusammenhang verwenden.
Als ein kleines Beispiel für das Rechnen mit der kovarianten Ableitung betrachten wir
wieder den Maxwell-Tensor Fab. Im Vakuum gelten die Maxwell-Gleichungen

∇[cFab] = 0, ∇aFab = 0.
∗ = 1 e cdF
Mithilfe des dualen Feldtensors Fab 2 ab cd schreiben wir die erste dieser Glei-
chungen um in

∇aFab = 0.
Ersetzen wir nun die Raumzeit-Indizes durch Spinor-Indizes ergibt sich
′ ′
i∇AA FABB′ A′ = 0, ∇AA FABA′ B′ = 0

unter Verwendung von (7.2.7). Daraus folgt das Verschwinden der Linearkombinati-
on

∇AA FAB[A′ B′ ] = 0.
Setzen wir jetzt die Spinor-Form (7.4.1) des Maxwell-Tensors ein, erhalten wir die Glei-
chung

∇AA φAB = 0 (8.2.5)
für den Maxwell-Spinor φAB. Einsetzen von (7.4.1) in die ursprüngliche Form der Maxwell-
Gleichung zeigt, dass diese genau dann erfüllt sind, wenn (8.2.5) gilt. Dies ist die Spinor-
Form der Maxwell-Gleichung und zugleich ein Beispiel für die Feldgleichung eines
masselosen Teilchens mit Spin, in diesem Fall mit Spin 1.

68
9 Krümmung

Der im vorigen Kapitel eingeführte Spin-Zusammenhang besitzt, wie jeder Zusammen-


hang, eine Krümmung. Verschiedene Aspekte dieser Größe werden in diesem Kapitel
behandelt, insbesondere die Klassifikation des Weyl-Spinors.

9.1 Die Krümmungs-Spinoren

Wie jeder Zusammenhang besitzt auch ein Spin-Zusammenhang Krümmung. Dies ist
ein Spinorfeld RabCD, welches antisymmetrisch ist in den Indizes ab. Bevor wir die-
ses Objekt näher untersuchen, betrachten wir den Riemann-Tensor des Levi-Civita-
Zusammenhangs. Vom letzten Kapitel her wissen wir, dass es sich dabei um ein Tensor-
feld Rabcd bzw. Rabcd handelt und damit auch als Spinorfeld RABCDA′ B′ C′ D′ geschrie-
ben werden kann. Unser Ziel ist hier, dieses Spinorfeld aufgrund der Symmetrien des
Riemann-Tensors in seine irreduziblen Bestandteile zu zerlegen. Wir beginnen mit der
Antisymmetrie von Rabcd in den vorderen und hinteren Indexpaaren. Aufgrund von
(7.2.5) dürfen wir schreiben

RABCDA′ B′ C′ D′ = εA′ B′ εC′ D′ XABCD + εA′ B′ εCD ΦABC′ D′


+ εABεC′ D′ Φ̄CDA′ B′ + εABεCD X̄A′ B′ C′ D′ . (9.1.1)
Dabei sind
1 ′ ′
XABCD = R(AB)(CD)E′ E F′ F
4
und
1 ′
ΦABA′ B′ = R(AB)EEE′ E (A′ B′ )
4
zwei Spinorfelder mit den (offensichtlichen) Symmetrien XABCD = X(AB)(CD) und ΦABA′ B′ =
Φ(AB)(A′ B′ ) .
Die nächste Symmetrie des Riemann-Tensors ist die Paarsymmetrie Rabcd = Rcdab, die
sich, in (9.1.1) eingesetzt, folgendermaßen auf XABCD und ΦABA′ B′ auswirkt:
XABCD = XCDAB, ΦABC′ D′ = Φ̄ABC′ D′ = ΦCDA′ B′ . (9.1.2)
Aus der zweiten dieser Gleichungen folgt, dass ΦABA′ B′ ein reelles Spinorfeld ist, wäh-
rend die erste Gleichung die Paarsymmetrie für XABCD ausdrückt und nach Überschie-
ben mit εCA
XABAD = −XADAB

69
ergibt, also XA(BD)A = 0. Das Spinorfeld ΦABA′ B′ ist schon vollständig irreduzibel, es
kann nicht weiter in total symmetrische Bestandteile zerlegt werden. Dagegen kann
man XABCD zunächst noch wie folgt zerlegen:

XABCD = ΨABCD + εA(CψD)B + εB(CψD)A − 2 εA(CεD)B Λ.

Dabei wurde nur die Symmetrie von XABCD in den vorderen und hinteren Paaren be-
rücksichtigt. Die Spinorfelder ΨABCD und ψAB sind total symmetrisch. Bestimmen wir
hiermit XABAD, erhalten wir

XABAD = −2 ψBD − 3 εBD Λ.

Aus der Paarsymmetrie für XABCD folgt jetzt ψAB = 0, so dass wir schließlich die Dar-
stellung
XABCD = ΨABCD − 2 εA(CεD)B Λ
erhalten. Die letzte Eigenschaft des Riemann-Tensors, die wir betrachten, ist die 1.
Bianchi-Identität (8.1.6). Wir schreiben sie in der Form

Rabce eabcd = 0,

wobei wir den total antisymmetrischen Levi-Civita-Tensor aus (7.1.2) verwenden. Set-
zen wir in diese Gleichung die entsprechenden Spinor-Ausdrücke ein, bekommen wir
eine einzige Gleichung, nämlich die Realitätsbedingung für Λ.

Λ = Λ̄.

Damit haben wir schließlich die folgende irreduzible Zerlegung des Riemann-Tensors
gefunden

RABCDA′ B′ C′ D′ = εA′ B′ εC′ D′ ΨABCD + εABεCD Ψ̄A′ B′ C′ D′


+ εA′ B′ εCD ΦABC′ D′ + εABεC′ D′ Φ̄A′ B′ CD
+ 2Λ (εACεDBεA′ C′ εD′ B′ − εADεCBεA′ D′ εC′ B′ ) . (9.1.3)

Der Riemann-Tensor enthält 20 unabhängige (reelle) Komponenten, die wie folgt auf
die Krümmungs-Spinoren ΨABCD, ΦABA′ B′ und Λ verteilt sind. ΨABCD ist total sym-
metrisch und enthält daher 5 komplexe, also 10 reelle Komponenten. Der Spinor ΦABA′ B′
enthält 3 · 3 = 9 Komponenten, die wegen der Realitätsbedingung reell sind und schließ-
lich ist in Λ noch eine reelle Komponente enthalten.
Berechnen wir den Ricci-Tensor Rab = Racbc aus der Spinor-Darstellung des Riemann-
Tensors. Wir erhalten

Rab = 6Λ εABεA′ B′ − 2 ΦABA′ B′ = 6Λgab − 2Φab. (9.1.4)

Und für die skalare Krümmung R = Raa folgt

R = 24Λ.

70
Also entspricht Λ bis auf einen Faktor der Skalarkrümmung, während ΦABA′ B′ dem
spurfreien Ricci-Tensor entspricht. Daraus folgt auch, dass ΨABCD genau dem Weyl-
Tensor entspricht. Denn ein Riemann-Tensor, dessen Ricci-Anteil verschwindet, hat ei-
nerseits nur noch Weyl-Krümmung und andererseits nur noch ΨABCD-Anteile in der
irreduziblen Zerlegung. In der Tat folgt

Cabcd = εA′ B′ εC′ D′ ΨABCD + εABεCD Ψ̄A′ B′ C′ D′

für die Spinor-Darstellung des Weyl-Tensors. Man vergleiche dies mit derjenigen für
den Maxwell-Tensor. Aus naheliegenden Gründen heißt ΨABCD auch Weyl-Spinor und
ΦABA′ B′ wird auch Ricci-Spinor genannt.

9.2 Spinorform der Kommutatoren

Der Kommutator ∆ab der kovarianten Ableitung ∇a bestimmt durch seine Wirkung
auf Skalare und Vektoren die Torsion (die hier immer verschwindet) und die Krüm-
mung. Betrachten wir das Tensorfeld Vab c = ∆ vc für einen reellen Vektor vc. Ersetzen
ab
wir hier die beiden antisymmetrischen Indizes durch ihre äquivalenten Spinor-Indizes,
dann können wir VABAc
′ B′ wie üblich in zwei Teile zerlegen

c c c
VABA ′ B′ = εA′ B′ VAB + εABV̄A′ B′ .

′ ′
Dabei ist 2VAB ABA′ B′ . Andererseits ist auch
c = εA B V c

c ′ ′ ′
2VAB = εA B [∇AA′ , ∇BB′ ] vc = 2∇A′ (A∇B) A vc.

Wir bezeichnen diese spezielle Kombination der kovarianten Ableitungen mit AB und
die komplex konjugierte Kombination mit A′ B′ so dass gilt

∆ab vc = εA′ B′ ABvc + εABA′ B′ vc. (9.2.1)

Die Krümmungs-Derivationen AB und A′ B′ sind die irreduziblen Bestandteile des
Kommutators ∆ab. Offensichtlich müssen sie sich in ihrer Wirkung auf Vektoren durch
die Krümmungs-Spinoren ausdrücken lassen. Wir interessieren uns aber auch für ihre
Wirkung auf Spinoren. Um diese zu bestimmen, gehen wir folgendermaßen vor. Zuerst
′ ′
bilden wir den (komplexen) Bi-Vektor ξab = ξAξBεA B . Dann gilt

∆abξcd = Rabecξed + Rabedξce.

Durch Einsetzen der Definition von ξcd läßt sich die linke Seite umformen zu
′ ′
∆abξcd = 2 ξ(C∆abξD) εC D .

Die rechte Seite muß zwangsläufig die gleiche Form haben, so dass wir nach Einsetzen
von ξcd und Überschieben mit εC′ D′ die Gleichung

ξ(C ∆abξD) = RabEE′ E (C ξD) ξE

71
erhalten. Da wir ξC 6= 0 annehmen, dürfen wir ξC von beiden Seiten der Gleichung
entfernen und erhalten damit die Wirkung des Kommutators auf einen Spin-Vektor in
der Form

∆abξD = RabEE′ E D ξE.
Nehmen wir hiervon die irreduziblen Bestandteile und setzen gleichzeitig die Spinor-
form des Riemann-Tensors ein, erhalten wir
ABξC = ΨABEC ξE − 2 Λε(ACξB) , (9.2.2)
A′ B′ ξC = ΦA′ B′ ECξE, (9.2.3)
C′ C′ E ′
ABτ = ΦABE′ τ , (9.2.4)
C′ C′ E′ C′
 A′ B ′ τ = Ψ̄A′ B′ E′ τ − 2 Λε(A′ τB′ ) . (9.2.5)
Die Wirkung auf gestrichene Spin-Vektoren ergibt sich einfach durch Komplexkonju-
gation.

9.3 Spinorform der Bianchi-Identität

Jeder Riemann-Tensor erfüllt die 2. Bianchi-Identität (8.1.7)


∇[eRab]cd = 0.
Wie sieht diese aus, wenn man für Rabcd die Spinorform (9.1.3) einsetzt? Es ist einfacher
die Bianchi-Identität in der Form
1
0 = eapqb∇[aRpq]cd = ∇a∗ Rabcd (9.3.1)
2
zu schreiben. Dabei steht ∗ Rabcd für den Riemann-Tensor, der über seine beiden vorde-
ren Indizes dualisiert ist. Die Spinorform dieses Tensors erhält man wie üblich dadurch,
dass man die εAB-Terme mit i und die εA′ B′ mit −i multipliziert. In (9.1.4) eingesetzt,
folgt zunächst

∇BA εCDX̄A′ B′ C′ D′ + εC′ D′ ΦA′ B′ CD =


∇AB′ (εCDΦABC′ D′ − εC′ D′ XABCD) . (9.3.2)


′ ′
Überschieben mit εC D liefert die Gleichung

∇AB′ XABCD = ∇BA ΦA′ B′ CD, (9.3.3)
während durch Überschieben mit εCD die komplex konjugierte Gleichung resultiert.
Es genügt also, (9.3.3) zu betrachten. Es ist nützlich, diese Gleichung in irreduzible Be-
standteile zu zerlegen und gleichzeitig die irreduziblen Bestandteile von XABCD einzu-
setzen. Man erhält

∇AB′ ΨABCD = ∇(BA ΦCD)A′ B′ , (9.3.4)
AA′
∇ ΦABA′ B′ = −3 ∇BB′ Λ. (9.3.5)

72
Konzentrieren wir uns zunächst auf Gleichung (9.3.5). Sie ist eine reelle tensorielle Glei-
chung und enthält nur Ricci-Krümmung. Unter Verwendung von (9.1.4) und der Rela-
tion zwischen Λ und der skalaren Krümmung ergibt sich
 
1 a 1 1
− ∇ Rab − gabR = − ∇bR,
2 4 8
und damit die wichtige Eigenschaft der Divergenzfreiheit des Einstein-Tensors Gab =
Rab − 21 gabR,
∇a Gab = 0. (9.3.6)

Die Einsteinsche Feldgleichung (mit kosmologischer Konstante λ) lautet Gab − λ gab =


κ Tab. Dabei ist κ eine Konstante, die durch die Wahl der Einheiten festgelegt wird.
Diese Feldgleichung verknüpft den Ricci-Teil der Krümmung mit dem Energie-Inhalt
der Materie, die in der Raumzeit enthalten ist. Das heißt, dass die Ricci-Krümmung
allein durch die Materie (und die kosmologische Konstante) bestimmt ist. Die Weyl-
Krümmung hingegen entspricht den „nicht-materiellen“ Freiheitsgraden des Gravita-
tionsfeldes. Diese sind nicht beliebig, sondern auch durch die Materie mitbestimmt.
Dies ist der Inhalt der Gleichung (9.3.4), die unter Verwendung der Einstein-Gleichung
die Form
1 ′
∇AB′ ΨABCD = − κ∇(BA TCD)A′ B′ .
2
Daraus wird ersichtlich, dass die Ableitung des Energie-Impuls-Tensors als eine Quelle
für die gravitativen Freiheitsgrade wirkt. Im Falle einer Vakuum-Raumzeit erfüllt der
Weyl-Spinor die Gleichung
∇AB′ ΨABCD = 0. (9.3.7)
Man beachte die Ähnlichkeit zwischen dieser und der Maxwell-Gleichung in Spinor-
form. Formal sieht (9.3.7) aus wie eine Feldgleichung für masselose Teilchen mit Spin
2. Diese Ähnlichkeit ist jedoch nur oberflächlich. Wollte man diese Gleichung explizit
in Komponenten schreiben, so würde man feststellen, dass man eine nichtlineare Glei-
chung zweiter Ordnung für die Spin-Koeffizienten erhält.
Wenn man jedoch die Einstein-Gleichung um eine Lösung (z.B. die Schwarzschild-
Lösung) herum linearisiert, dann erhält man die linearisierte Form der Gleichung (9.3.7),
in der die kovariante Ableitung durch die Hintergrundlösung bestimmt ist. Diese Glei-
chung beschreibt dann in erster Näherung die Ausbreitung von Störungen des Gravi-
tationsfeldes in Form von Gravitationswellen auf dem gewählten Hintergrund. Im Un-
terschied zu sonstigen Formulierungen dieses Problems ist die linearisierte Gleichung
(9.3.7) eichinvariant.

9.4 Klassifikation des Weyl-Spinors

Der Weyl-Spinor ΨABCD ist die Größe, die die nicht-materiellen Freiheitsgrade des
Gravitationsfeldes repräsentiert. Er ist ein total symmetrischer Spinor, der durch seine

73
PND’s eindeutig charakterisiert werden kann. Es muß hier betont werden, dass diese
Charakterisierung für jeden Punkt einer Raumzeit M separat gemacht werden muß.
Wir betrachten ΨABCD an einem beliebigen Punkt von M. Dann können wir immer
schreiben
ΨABCD = α(AβBγCδD) ,
wodurch die vier PND’s des Weyl-Spinors definiert werden.
Die Petrov-Pirani-Penrose Klassifikation des Weyl-Spinors beruht auf einer Betrach-
tung der verschiedenen Möglichkeiten, wie die Nullrichtungen zusammenfallen kön-
nen. Es können dabei die folgenden Fälle auftreten

{1111} : ΨABCD = α(AβBγCδD) ,


{211} : ΨABCD = α(AαBγCδD) ,
{22} : ΨABCD = α(AαBβCβD) ,
{31} : ΨABCD = α(AαBαCδD) ,
{4} : ΨABCD = α(AαBαCαD) ,
{−} : ΨABCD = 0.

Dabei wird angenommen, dass die Spin-Vektoren alle von Null verschieden und je
paarweise nicht proportional sind. In der Literatur finden sich häufig auch die folgen-
den Bezeichnungen für die verschiedenen Petrov-Typen

I = {1111}, II = {211}, D = {22}, III = {31}, N = {4} O = {−}.

Der Fall {1111} heißt algebraisch allgemein. Alle anderen Möglichkeiten sind algebra-
isch speziell. Der Typ N ist wie im Maxwell-Fall der Typ eines reinen Strahlungsfelds,
während Typ D eher einem Coulomb-Feld entspricht.
Eine Raumzeit ist von einem bestimmten Petrov-Typ, falls der Weyl-Spinor an jedem
Punkt diesen Typ hat. Wandert man von Ereignis zu Ereignis über eine Raumzeit, so
ändern sich die PND’s des Weyl-Spinors in stetiger Weise. So kann es passieren, dass
verschiedene Nullrichtungen zusammenwandern und sich damit der Petrov-Typ än-
dert. Die Spezialisierungen, die von Typ zu Typ möglich sind, kann man in einem Dia-
gramm (Abb. 9.4) veranschaulichen.
Als kleine Illustration bestimmen wir den Petrov-Typ einer kugelsymmetrischen Raum-
zeit. Wir schließen den Fall {−} aus. An jedem Punkt der Raumzeit haben wir eine Axi-
alsymmetrie um die Verbindungslinie zwischen Punkt und Zentrum. Die PND’s des
Weyl-Spinors unterliegen ebenfalls dieser Symmetrie, so dass sie entlang dieser Achse
entweder vom Zentrum weg oder zu ihm hin zeigen. Es gibt also notwendigerweise
nur höchstens zwei verschiedene PND’s, also Typ {22}, {31} oder {4}. Verlangen wir nun
noch zusätzlich die Invarianz unter Zeit-Umkehr, so fallen die Typen {31} und {4} weg
und zwar aus folgendem Grund: bei einer Zeit-Umkehr wird aus einer einwärts ge-
richteten Nullrichtung eine auswärtsgerichtete und umgekehrt. Daher muß es für jede

74
f1 1 1 1g
; ; ;

QQ
QQ
? QQ
Q
f2 1 1g
; ; -s f2 2g;

QQ
QQ
? ? QQ
Q
f3 1g ; - f4g -s f g

Orientierung gleichviel Nullrichtungen geben und damit kann nur der Typ D auftreten.
Eine genauere Untersuchung der Symmetrieverhältnisse zeigt sogar, dass die Annah-
me der Zeitumkehrinvarianz gar nicht notwendig ist. Damit haben wir die Aussage,
dass jede kugelsymmetrische Raumzeit entweder konform flach ist (Typ O) oder aber
vom Typ D ist. Dies ist auch eine weitere Formulierung der Tatsache, dass es in kugel-
symmetrischen Raumzeiten keine wellenartigen Freiheitsgrade des Gravitationsfeldes
geben kann, denn solche hätten einen anderen Petrov-Typ.
Im Gegensatz dazu betrachten wir nun eine pp-Welle, das ist eine Lösung der Vakuum-
Feldgleichungen, die durch die Existenz eines kovariant konstanten Nullvektors ξa
ausgezeichnet ist. Wir haben also die Gleichung

∇aξb = 0.

Wir wenden nun die Krümmungs-Derivation AB auf ξc = ξCξ̄C′ an und erhalten
unter Verwenden der Vakuum-Gleichung

0 = ABξc = AB ξCξ̄C′ = ξ̄C′ ABξC + ξCABξ̄C′

= ΨABCD ξDξ̄C′ + 2 ΛεC(AξB) ξ̄C′ + ξCΦABC′ D′ ξD = ΨABCD ξDξ̄C′ . (9.4.1)

Da ξc nicht verschwindet, folgt


ΨABCD ξD = 0.
Dies bedeutet, dass ξD eine PND für den Weyl-Spinor definiert und sogar eine vierfach
entartete. Damit hat eine pp-Welle den Petrov-Typ N, ist also eine reines Strahlungs-
feld.

75
10 Der Newman-Penrose Formalismus

Wenn man konkrete Rechnungen durchführen will, wie z.B. Feldgleichungen expli-
zit lösen, muß man auch im Spinor-Formalismus Koordinaten und Spin-Basen einfüh-
ren. Der resultierende Formalismus ist der Formalismus der Spin-Koeffizienten auch
Newman-Penrose (NP) Formalismus genannt. Für oberflächliche Betrachter ist das her-
vorstechendste Merkmal dieses Formalismus die Länge der resultierenden Feldglei-
chungen. Bei genauerem Hinsehen stellt sich dies aber natürlich als eine Täuschung
heraus. Der NP-Formalismus ist im Gegenteil so ökonomisch, dass man überhaupt dar-
an denken kann, die Gleichungen in voller Länge auszuschreiben. Wollte man so etwas
z.B. für die tensoriellen Einstein-Gleichungen versuchen, würde man sehr schnell an
Grenzen stoßen (man schaue sich nur manche Mathematica oder Maple Ausdrucke
an).

Man kann den NP-Formalismus auf zwei Arten herleiten. Von der Tensor-Algebra her
kommend kann man alle Größen auf eine komplexe Nulltetrade beziehen (Newman)
oder man kann, von Spinoren her kommend, eine Spin-Basis einführen und alles be-
züglich dieser beschreiben (Penrose). Wir werden den zweiten Weg wählen.

10.1 Die Spin-Koeffizienten

Die Spin-Koeffizienten sind die Zusammenhangskoeffizienten des Spin-Zusammen-


hangs bezüglich einer Basis. Führen wir also eine Spin-Basis (εAA) = (o , ι ) ein. In
A A

der Definitionsgleichung (8.1.14) treten die Richtungsableitungen ∇AA′ = εA A′


AεA′ ∇AA′
entlang der Basisvektoren auf. Diesen gibt man eigene Namen:

D = ∇00′ = oAoA ∇AA′ = la∇a,

δ = ∇01′ = oAιA ∇AA′ = ma∇a,

δ ′ = ∇10′ = ιAoA ∇AA′ = m̄a∇a,

D ′ = ∇11′ = ιAιA ∇AA′ = na∇a.

Man beachte: dies sind kovariante Ableitungen in Richtung der Basis-Vektoren. Auf Ska-
lare wirken sie wie Vektorfelder, sie können aber auch auf indizierte Größen angewen-
det werden. Die Operatoren D und D ′ sind reell; sie entsprechen der kovarianten Ab-
leitung entlang den reellen Nullvektoren la und na. Dagegen sind δ und δ ′ komplex

76
konjugiert zueinander, da sie der Ableitung entlang ma und m̄a entsprechen. In der
älteren Literatur ist auch oft ∆ für D ′ im Gebrauch.
Die Spin-Koeffizienten folgen aus der Entwicklung (vgl. (8.1.14))

∇AA′ εB C B
B = γAA′ B εC. (10.1.1)

Dadurch werden 32 komplexe Skalare definiert, die man alle ebenfalls mit eigenen Na-
men versieht. Man erhält die folgende explizite Darstellung von (10.1.1)

DoA = ε oA − κ ιA, DιA = γ ′ ιA − τ ′ oA,


δoA = β oA − σ ιA, διA = α ′ ιA − ρ ′ oA,
δ ′ oA = α oA − ρ ιA, δ ′ ιA = β ′ ιA − σ ′ oA, (10.1.2)
D ′ oA = γ oA − τ ιA, D ′ ιA = ε ′ ιA − κ ′ oA.

Da unsere Spin-Basen immer normalisiert sind, können die Spin-Koeffizienten nicht


alle unabhängig sein. Vielmehr folgen aus
 
0 = ∇b oAιA = ιA∇boA + oA∇bιA

die vier Relationen α ′ + β = 0, α + β ′ = 0, ε + γ ′ = 0 und ε ′ + γ = 0. Der Grund für die


Redundanz ist eine versteckte Symmetrie in den Gleichungen. Man definiert rein for-
mal eine selbstinverse Operation, die jeder Größe ihre gestrichene Variante zuordnet,
also η 7→ η ′ und η ′′ = η. Wenn man zudem o ′ = ι und ι ′ = o definiert, dann ist das
System der obigen Gleichungen invariant unter dieser Operation. Dies läßt sich auf alle
weiteren Gleichungen fortsetzen. Damit besitzt man ein gutes Mittel, um Gleichungen,
die man durch Expansion von Spinor-Gleichungen erhält, zu kontrollieren. Oder man
verwendet die Strich-Operation, um aus der einen Hälfte der Gleichungen die andere
Hälfte zu erzeugen. Wir werden noch Beispiele dafür sehen.
In der älteren Literatur (insbesondere in dem Originalartikel von Newman und Pen-
rose1 ), als die Strich-Operation noch nicht bekannt war, werden die gestrichenen Spin-
Koeffizienten noch anders bezeichnet: κ ′ = −ν, ρ ′ = −µ, σ ′ = −λ und τ ′ = −π.

10.2 Die NP-Gleichungen

Genauso wie die Komponenten des Riemann-Tensors durch die Christoffel-Symbole


ausgedrückt werden, können die Komponenten der Krümmungs-Spinoren durch die
Spin-Koeffizienten dargestellt werden. Dazu müssen wir erst wieder explizite Namen
für alle Komponenten der Krümmungs-Spinoren vergeben.
1 E.T. Newman and R. Penrose, An approach to gravitational radiation by a method of spin-coefficients, J. Math.
Phys. 3, 896–902,(1962)

77
Üblicherweise werden die Komponenten von Spinoren so bezeichnet, dass klar ist wie
′ ′
man sie bekommt. Beispielsweise ist T001′ 0′ = TABA′ B′ oAoBιA oB usw. Bei total sym-
metrischen Spinoren reicht die Angabe darüber wieviele ι’s in der Komponente stecken
aus, um sie eindeutig zu charakterisieren. Die Komponenten des Weyl-Spinors sind
standardmäßig Ψ0 = ΨABCDoAoBoCoD, Ψ1 = ΨABCDιAoBoCoD, . . . , Ψ4 = ΨABCDιAιBιCιD.
′ ′ ′ ′
Der Ricci-Spinor hat die Komponenten Φ00 = ΦABA′ B′ oAoBoA oB , Φ01 = ΦABA′ B′ oAoBoA ιB ,
usw.
Mit diesen Vorbereitungen wollen wir nun exemplarisch zwei der NP-Krümmungs-
gleichungen herleiten. Alle diese Gleichungen bekommt man, indem man den Kom-
mutator der kovarianten Ableitung auf die Basis-Spinoren anwendet, z.B.

[∇AA′ , ∇BB′ ] oC = εABA′ B′ oC + εA′ B′ AB oC,

und dann mit allen möglichen Kombinationen der Basis-Spinoren überschiebt. Wir
′ ′
überschieben mit oAoBoCoA ιB . Auf der linken Seite erhalten wir zunächst
′ ′
oC (Dδ − δD) oC − oCD(oBιB )∇BB′ oC + oCδ(oAoA )∇AA′ oC.

Nun verwenden wir die Definition (10.1.2) der Spin-Koeffizienten (und ihre komplex
konjugierte Version) und es ergibt sich

oCD(β oC − σ ιC) − oCδ(ε oC − κ ιC)


′ ′ ′
− oC(ε oB − κ ιB)ιB ∇BB′ oC − oCoB(γ̄ ′ ιB − τ̄ ′ oB )∇BB′ oC
′ ′ ′
+ oC(β oA − σ ιA)oA ∇AA′ oC + oCoA(ᾱ oA − ρ̄ ιA )∇AA′ oC. (10.2.1)

Nochmalige Verwendung von (10.1.2) ergibt schließlich

βκ + Dσ + γ ′ σ − εσ − δκ − κα ′ − εσ + κτ − γ̄ ′ σ + τ̄ ′ κ + βκ − σρ + ᾱκ − ρ̄σ.

Auf der rechten Seite der Kommutator-Gleichung ergibt sich einfach Ψ0, so dass wir
die erste NP-Gleichung in der Form

Dσ − δκ = σ(ρ + ρ̄ + γ̄ ′ − γ ′ + 2ǫ) − κ(τ + τ̄ ′ + 2β + ᾱ − α ′ ) + Ψ0 (10.2.2)

gefunden haben.
′ ′
Die zweite NP-Gleichung erhalten wir, indem wir mit oAιBoCoA oB überschieben. Wie
vorher ergibt sich auf der linken Seite zunächst der Ausdruck
′ ′
oC Dδ ′ − δ ′ D oC − oCD(ιBoB )∇BB′ oC + oCδ ′ (oAoA )∇AA′ oC.


Verwenden wir wieder (10.1.2) erhalten wir damit

oCD(α oC − ρ ιC) − oCδ ′ (ε oC − κ ιC)


′ ′ ′
− oC(γ ′ ιB − τ ′ oB)oB ∇BB′ oC − oCιB(ε̄ oB − κ̄ ιB )∇BB′ oC
′ ′ ′
+ oC(α oA − ρ ιA)oA ∇AA′ oC + oCoA(β̄ oA − σ̄ ιA )∇AA′ oC. (10.2.3)

78
Nochmalige Verwendung von (10.1.2) ergibt dann schließlich die nächste NP-Gleichung
Dρ − δ ′ κ = ρ2 + σσ̄ − κ̄τ + ρ(ε + ε̄) − κ(τ ′ + 2α + β̄ − β ′ ) + Φ00. (10.2.4)

Mithilfe der Strich-Operation können wir zwei weitere NP-Gleichungen hinschreiben,


nämlich
2
D ′ ρ ′ − δκ ′ = ρ ′ + σ ′ σ̄ ′ − κ̄ ′ τ ′ + ρ ′ (ε ′ + ε̄ ′ ) − κ ′ (τ + 2α ′ + β̄ ′ − β) + Φ22, (10.2.5)
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
D σ − δ κ = σ (ρ + ρ̄ + γ̄ − γ + 2ε ) − κ (τ + τ̄ + 2β + ᾱ − α) + Ψ4. (10.2.6)

Dabei wurde verwendet, dass unter der Strich-Operation Ψ0 ↔ Ψ4 und Φ00 ↔ Φ22.
Die übrigen Gleichungen bekommt man in ganz analoger Art und Weise. Da sie für
das weitere nicht von sonderlicher Bedeutung sind, sei auf die entsprechende Litera-
tur2 verwiesen. Die Krümmungsgleichungen, die erste Gruppe der NP-Gleichungen,
verknüpfen die Komponenten der Krümmungs-Spinoren mit den Richtungsableitun-
gen der Spin-Koeffizienten. Die zweite Gruppe der NP-Gleichungen besteht aus den
Komponenten der Bianchi-Identitäten (9.3.4) und (9.3.5). Auch für deren explizite Form
sei auf die Literatur verwiesen.
Schließlich muß man sich Gedanken machen, wie man die NP-Nulltetrade, die durch
die Spin-Basis definiert ist, mit einer konkreten Koordinatenbasis verknüpft. Dazu dient
wieder der Kommutator ∆ab, aber in seiner Wirkung auf Funktionen. Es gilt (wegen
Torsionsfreiheit) für alle Skalare f ∈ S
∆abf = [∇a, ∇b] f = 0.
Überschieben dieser Gleichung mit allen möglichen Kombinationen der Spin-Basis-
vektoren (bzw. Nulltetrade) ergibt die letzte Gruppe der NP-Gleichungen. Auch hier
soll eine dieser Komponenten exemplarisch hergeleitet werden. Wir überschieben mit
′ ′
lanb = oAoA ιBιB und erhalten
′ ′
oAoA ιBιB [∇AA′ , ∇BB′ ] f
′ ′
= DD ′ − D ′ D f − D(ιBιB )∇BB′ f + D ′ (oAoA )∇AA′ f

′ ′ ′
= (DD ′ − D ′ D) f − (γ ′ ιB − τ ′ oB) ιB ∇BB′ f − (γ̄ ′ ιB − τ̄ ′ oB ) ιB∇BB′ f
′ ′ ′
+ (γoA − τιA) oA ∇AA′ f + (γ̄oA − τ̄ιA ) oA∇AA′ f

= DD ′ − D ′ D + (γ + γ̄) D − (γ ′ + γ̄ ′ ) D ′ + (τ ′ − τ̄) δ + (τ̄ ′ − τ) δ ′ f. (10.2.7)
Wir schreiben diese und die übrigen Kommutator-Gleichungen als Beziehungen zwi-
schen den Vektorfeldern D, D ′ , δ, δ ′ :
D ′ D − DD ′ = (γ + γ̄) D − (γ ′ + γ̄ ′ ) D ′ + (τ̄ ′ − τ) δ ′ + (τ ′ − τ̄) δ, (10.2.8)
′ ′ ′ ′
δD − Dδ = (β + ᾱ + τ̄ ) D + κ D − σ δ − (ε + γ̄ + ρ̄) δ, (10.2.9)
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δD − D δ = κ̄ D + (τ + β̄ + α ) D − σ̄ δ − (ε̄ + γ + ρ ) δ, (10.2.10)
′ ′ ′ ′ ′ ′ ′ ′
δ δ − δδ = (ρ − ρ̄ ) D − (ρ − ρ̄) D − (α + ᾱ) δ + (α + ᾱ ) δ. (10.2.11)
2 z.B. J. Stewart,
Advanced general relativity, Cambridge University Press, 1990 oder R. Penrose, W. Rindler,
Spinors and space-time, Vol. I, Cambridge University Press, 1984

79
Alle übrigen Komponenten ergeben sich aus diesen mithilfe der Strich-Operation und
Komplex-Konjugation.

Wir haben gesehen, dass die NP-Gleichungen in drei Gruppen zerfallen, die Kommutator-
Gleichungen, die Krümmungs-Gleichungen und die Bianchi-Identitäten. Alle diese Glei-
chungen sind Gleichungen erster Ordnung, d.h. es werden erste Ableitungen der Grö-
ßen mit den Größen selbst verknüpft. Sie sind zum Teil nicht linear, aber immer quasi-
linear.

Die große Bedeutung der NP-Gleichungen rührt daher, dass sie sehr gut geeignet sind
um Strahlungsphänomene zu beschreiben. Dies ist z.B. die Absicht im Originalartikel
von Newman und Penrose. Mit dieser Formulierung war es auch auf relativ einfache
Weise möglich, die asymptotische Lösung der Einstein-Gleichungen in der Form einer
formalen Reihenentwicklung anzugeben3 . Eine weitere Stärke des NP-Formalismus ist
seine Fähigkeit, algebraisch spezielle Lösungen einfacher handhaben zu können. Bei-
spielsweise war es mit seiner Hilfe möglich, die sogenannte Kerr-Metrik zu bestim-
men4 .

Die NP-Gleichungen haben aber auch für numerische Untersuchungen eine gewisse
Bedeutung. Es gibt Arbeiten über das sogenannte charakteristische Anfangswertpro-
blem, wo die NP-Gleichungen numerisch gelöst werden.

10.3 Zwei Beispiele

Wie berechnet man die Spin-Koeffizienten, wenn eine Metrik vorgegeben ist? Im Grun-
de ganz einfach: man wählt erstens eine Nulltetrade, die man durch die Koordinaten-
basis ausdrückt. Wendet man dann, zweitens, die Kommutator-Gleichungen auf alle
vier Koordinaten an, bekommt man 4 · 6 reelle Gleichungen. Hinzu kommen die vier
komplexen Bedingungen aus der Normierung der Spin-Basis. Zusammen ergibt dies
32 reelle Gleichungen für die 16 komplexen Spin-Koeffizienten, die man immer lösen
kann. Zur Illustration berechnen wir die Spin-Koeffizienten für zwei verschiedene For-
men der Minkowski-Metrik.

Zuerst schreiben wir die Minkowski-Metrik in Bondi-Koordinaten auf


 
g = du2 + 2 du dr − r2 dθ2 + sin2 θ dφ2 . (10.3.1)

Man erhält diese Form der Metrik indem man t = u + r bzw. u = t − r setzt. Die
wesentliche Eigenschaft der Bondi-Form ist die Tatsache, dass u eine retardierte Zeit-
koordinate ist. Das heißt, die Flächen u = const. sind Nullhyperflächen — Lichtkegel,
3 E. T. Newman und T. W. J. Unti, Behaviour of asymptotically empty spaces, J. Math. Phys. 3, 891–901, 1962
4 R. P. Kerr, Gravitational field of a spinning mass as an example of algebraically special metrics, Phys. Rev. Lett.
11, 237–238, 1963

80
die von den Punkten mit r = 0 auslaufen. Die Vektoren ∂r sind Nullvektoren, tangential
an die Lichtkegel.
Wir wählen nun eine Nulltetrade, die dieser Geometrie angepaßt ist. Als ersten Null-
vektor nehmen wir
la∇a = ∂r
und den zweiten wählen wir so, dass er nur Komponenten in u- und r-Richtung hat

1
na∇a = ∂u − ∂r.
2
Schließlich wählen wir den komplexen raumartigen Vektor tangential an die Kugeln
mit konstantem u und r
 
a 1 i
m ∇a = √ ∂θ + ∂φ .
2r sin θ

Lassen wir nun die Vektorfelder D, D ′ , δ, δ ′ auf die Koordinaten wirken ergeben sich
folgende Relationen

Du = 0 D ′ u = 1 δu = 0 δ ′u = 0
Dr = 1 D ′ r = 1/2 δr = √0 δ ′r = √0

Dθ = 0 D θ = 0 δθ = 1/( 2r) δ ′ θ = 1/(
√ √ 2r)
′ ′
Dφ = 0 D φ = 0 δφ = 1/( 2r sin θ) δ φ = −1/( 2r sin θ)

Wenden wir nun alle Kommutator-Gleichungen auf u und r an. Dann verschwinden
alle linken Seiten und die Koeffizienten der Vektorfelder D und D ′ auf den rechten
Seiten müssen einzeln verschwinden. Dabei verwenden wir nun ε ′ = −γ, γ ′ = −ε,
α ′ = −β und β ′ = −α. Das liefert die Gleichungen

γ + γ̄ = 0, ε + ε̄ = 0,

β + ᾱ + τ̄ = 0, τ − ᾱ − β = 0,
′ ′
ρ = ρ̄, ρ = ρ̄ , κ = κ ′ = 0.

Anwenden des DD ′ -Kommutators auf θ und φ liefert die Gleichung

τ = τ̄ ′ .

Der δD-Kommutator auf θ und φ liefert

1
σ = 0, ε − ε̄ + ρ̄ = − ,
r
und analog dazu kommen vom δD ′ -Kommutator die Gleichungen

1
σ ′ = 0, γ − γ̄ + ρ ′ = .
2r

81
Und schließlich ergibt sich aus dem δ ′ δ-Kommutator die Gleichung
1
α − β̄ = − √ cot θ.
2r

Kombinieren wir die so erhaltenen Gleichungen, ergeben sich als die einzigen nichtver-
schwindenden Spin-Koeffizienten
1 1 1
ρ=− , ρ′ = , α = − √ cot θ = −β̄.
r 2r 2 2r
Alle anderen Koeffizienten verschwinden.
Eine ganz√andere Form der Minkowski-Metrik
√ erhält
√ man, wenn man die Koordinaten

u = (1/ 2)(t − z), v = (1/ 2)(t + z), ζ = (1/ 2)(x + iy) und ζ̄ = (1/ 2)(x − iy)
einführt. Dann lautet die Metrik

g = 2 du dv − 2 dζ dζ̄. (10.3.2)

Wir wählen wieder eine angepaßte Nulltetrade, nämlich

la∇a = ∂v, na∇a = ∂u, ma∇a = ∂ζ.

In diesem Fall ist die Bestimmung der Spin-Koeffizienten sehr einfach. Die Entwick-
lungskoeffizienten der Nullvektoren bezüglich der Koordinatenbasis sind konstant. Es
verschwinden alle Kommutatoren, auf die Koordinaten angewandt. Daher verschwin-
den alle Terme in den Kommutator-Gleichungen einzeln. Folglich verschwinden auch
alle Spin-Koeffizienten.
Es lassen sich mit dem NP-Formalismus nicht nur Gravitationsfelder behandeln. Grund-
sätzlich kann man alle Spinor-Gleichungen, die auf Lorentz-Mannigfaltigkeiten leben,
entsprechend dem NP-Formalismus in Komponenten zerlegen. Dies soll hier anhand
der Maxwell-Gleichungen in Spinor-Form demonstriert werden. Sie lauten (vgl. (8.2.5))

∇AA′ φAB = 0.
Wir bestimmen die explizite Darstellung dieser Gleichung, indem wir wie immer al-
le freien Indizes mit allen möglichen Kombinationen der Basis-Spinoren überschieben.
Um dies etwas systematischer zu tun, suchen wir erst einen Ausdruck für die Ablei-
′ ′
tungsoperatoren oA ∇AA′ und ιA ∇AA′ . Die sind schnell gefunden:
′ ′
oA ∇AA′ = oA δ ′ − ιA D, ιA ∇AA′ = oA D ′ − ιA δ.

Wir bestimmen nun die Kontraktion der Gleichung mit ιBιA . Wir erhalten

0 = ιB oAD ′ − ιAδ φAB = D ′ φ1 − δφ2 − D ′ oAιB φAB + δ ιAιB φAB


  

= D ′ φ1 − δφ2 − (γoA − τιA)ιBφAB − oA(ε ′ ιB − κ ′ oB)φAB


+ 2(α ′ ιA − ρ ′ oA)ιBφAB. (10.3.3)

82

Die Bestimmung der Kontraktion mit oBιA verläuft ganz analog. Damit haben wir
zwei der vier Maxwell-Gleichungen bestimmt. Die übrigen beiden bekommen wir wie-
der mithilfe der Strich-Operation. Zusammengefaßt sehen die Maxwell-Gleichungen in
NP-Form folgendermaßen aus:

D ′ − 2ρ ′ φ1 − δ + 2β − τ φ2 + κ ′ φ0 = 0, (10.3.4)
 
′ ′
(10.3.5)
 
D − 2ρ φ1 − δ − 2α − τ φ0 + κφ2 = 0,
′ ′
(10.3.6)
 
D − 2γ − ρ φ0 − δ − 2τ φ1 − σφ2 = 0,
′ ′ ′
(10.3.7)
 
D + 2ε − ρ φ2 − δ − 2τ φ1 − σ φ0 = 0.

Diese Form der Maxwell-Gleichungen gilt auf beliebigen Lorentz-Mannigfaltigkeiten.


Die konkrete Darstellung dieser vier Gleichungen als PDE’s ergibt sich schließlich,
wenn man die Spin-Koeffizienten als Raumzeitfunktionen und die Ableitungsopera-
toren mit Koordinatenableitungen ausdrückt.
Beispielsweise ergibt sich für die zweite Form der Minkowski-Metrik das einfache Glei-
chungssystem

∂uφ1 − ∂ζφ2 = 0, (10.3.8)


∂uφ0 − ∂ζφ1 = 0, (10.3.9)
∂vφ1 − ∂ζ̄φ0 = 0, (10.3.10)
∂vφ2 − ∂ζ̄φ1 = 0. (10.3.11)

Dies wird uns später noch einmal begegnen.

83
11 Spinor-Gleichungen

In diesem Kapitel sollen Feldgleichungen für Spinoren behandelt werden. Eine wesent-
liche Gruppe bilden die Feldgleichungen für Teilchen mit verschwindender Ruhmas-
se mit Spin im Minkowski-Raum, kurz ZRM-Gleichungen genannt. Sie sind dadurch
eindeutig bestimmt, dass ihr Lösungsraum eine irreduzible Darstellung der Poincaré-
Gruppe trägt. Weitere Gleichungen, die auf natürliche Weise auftreten, sind die Dirac-
Gleichung für ein Elektron oder auch die Rarita-Schwinger-Gleichung.

11.1 ZRM-Gleichungen

Die ZRM-Gleichungen sind schon verschiedentlich aufgetreten. Ihre allgemeine Form


ist
∇AA′ φAB...C = 0. (11.1.1)
Der Spinor φAB...C ist total symmetrisch. Ein Feld mit Spin s wird beschrieben durch
einen Spinor mit n = 2s Indizes. In die Klasse der ZRM-Gleichungen fallen die Weyl-
Gleichung für das Neutrino (n = 1), die Maxwell-Gleichungen (n = 2) und die Glei-
chung für das linearisierte Gravitationsfeld (n = 4). Die höheren Spins sind nicht mehr
ganz so bedeutend. Der Grund dafür wird demnächst geliefert.

Betrachten wir die Gleichungen zunächst einmal im Minkowski-Raum. Dort ist der
Kommutator der kovarianten Ableitungen immer Null. Man kann leicht zeigen, dass
jede Lösung der ZRM-Gleichung (11.1.1) auch die Wellengleichung erfüllt. Dazu nimmt
man eine weitere Ableitung von (11.1.1) und erhält

0 = ∇EA ∇AA′ φAB...C.

Da die Krümmung verschwindet ist der Differentialoperator auf der linken Seite nichts
anderes als 12 εAE, so dass sich tatsächlich

φAB...C = 0 (11.1.2)

ergibt.

Für jede lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten kann man eine Lö-
sung in Form einer Fourier-Reihe darstellen. So auch hier. Zuvor jedoch führen wir

84
noch kurz ein Hilfsmittel ein: im flachen Raum existiert das sogenannte Ortsvektor-
feld xa. In Minkowski-Koordinaten ist es gegeben durch

xa∇a = T∂T + X∂X + Y∂Y + Z∂Z.

Es hat die Eigenschaft ∇axb = δb a. Mit diesem Vektorfeld können wir für die Lösung
von (11.1.1) einen Ansatz in Form einer ebenen Welle machen:
^ AB...C exp(ikbxb).
φAB...C = φ

Dabei ist kb ein zunächst völlig beliebiger Kovektor. In (11.1.1) eingesetzt ergibt sich
^ AB...C∇AA′ exp(ikbxb) = iφ
0=φ ^ AB...C exp(ikbxb) kc∇AA′ xc.

Verwenden wir die Eigenschaft des Ortsvektorfeldes, so ergibt sich die Gleichung

kAA φ^ AB...C = 0. (11.1.3)

Dies ist ein System von 2n algebraischen Gleichungen für n + 1 Unbekannte, also für
alle n > 1 überbestimmt. Wir suchen solche ka, für die dieses Gleichungssystem nicht-
triviale Lösungen besitzt. Dazu überschieben wir mit kEA′ und erhalten

2 kEA′ kAA φ^ AB...C = εEA k2 φ
^ AB...C = k2 φ
^ EB...C = 0.

Da wir nichtverschwindende Lösungen suchen, folgt k2 = kAA′ kAA = 0. Also ist ka
ein Nullvektor und wir können

kAA′ = ±kAk̄A′

für einen Spinor kA schreiben. Für die Lösbarkeit der Gleichung (11.1.3) ist es also not-
wendig, dass ka ein Nullvektor ist. Dann folgt, in (11.1.3) eingesetzt

kAk̄A φ^ AB...C = 0.

^ AB...C = φ
Das bedeutet aber, dass φ ^ k(AkB . . . kC) ist.

Eine Lösung von (11.1.1) läßt sich als Überlagerung von ebenen Wellen schreiben
Z
′ ′
φAB...C(x) = k(AkB . . . kC) φ+ (kA) exp(ikAk̄A′ xAA ) dkAdkAdk̄A′ dk̄A
Z
′ ′
+ k(AkB . . . kC) φ− (kA) exp(−ikAk̄A′ xAA ) dkAdkAdk̄A′ dk̄A . (11.1.4)

Die Funktionen φ± sind dabei auf dem gesamten Spin-Vektorraum definiert. Sie müs-
sen genügend starkes Abfallverhalten haben, damit die Integrale existieren und sie
müssen die Eigenschaft

φ± (kA) = λnφ± (λkA), für λλ̄ = 1

85
besitzen. Diese Eigenschaft bedeutet, dass der Ausdruck k(AkB . . . kC) φ± (kA) nur vom
Nullvektor ka = kAk̄A′ abhängt. (Man erinnere sich, dass es eine bijektive Beziehung
zwischen zukunftsgerichteten Nullvektoren und Spin-Vektoren modulo Phase gibt).
Damit läßt sich die Integraldarstellung des ZRM-Feldes aber so interpretieren: es be-
steht aus zwei Anteilen, dem mit positiven Frequenzen und dem mit negativen Fre-
quenzen. Geometrisch ausgedrückt bedeutet dies nichts anderes als dass die Anteile
jeweils als Integral über den Zukunftslichtkegel (positive Frequenzen) oder Vergangen-
heitslichtkegel (negative Frequenzen) geschrieben werden können. Dies ist natürlich ei-
ne wohlbekannte Tatsache und tritt in den traditionellen Darstellungen von Lösungen
der Maxwell-Gleichung oder auch der Wellengleichung gleichermaßen auf.

Wir kommen jetzt zu einer vollständig anderen Darstellung von Lösungen der ZRM-
Gleichungen. Auch diese sind im Falle der Wellengleichung1 und der Maxwell-Gleichung2
altbekannt. Die Darstellung für beliebige ZRM-Felder wurde von Penrose gegeben3.
Dazu schreiben wir zuerst einmal die allgemeine ZRM-Gleichung (11.1.1) in NP-Komponenten
auf. Für r = 1, . . . , n ist

D − (n − 2r) ε φr − δ ′ − (n − 2r + 2) α φr−1
 

= (r − 1) σ ′ φr−2 − r τ ′ φr−1 + (n − r + 1) ρ φr − (n − r) κ φr+1, (11.1.5)


D ′ − (n − 2r + 2) γ φr−1 − δ − (n − 2r) β φr
 

= (n − r) σ φr+1 − (n − r + 1) τ φr + r ρ ′ φr−1 − r − 1 κ ′ φr−2. (11.1.6)

Um die Dinge möglichst einfach zu gestalten, wählen wir jetzt die Form (10.3.2) der
Minkowski-Metrik und die ihr angepaßte Tetrade, dann verschwinden alle Terme in
denen Spin-Koeffizienten stehen und die Gleichungen reduzieren sich auf

∂vφr − ∂ζ̄φr−1 = 0, (11.1.7)


∂uφr−1 − ∂ζφr = 0. (11.1.8)

Will man die erste dieser Gleichungen lösen, stellt man zunächst fest, dass φ = v + ζ̄
eine Lösung wäre, wenn die Indizes r und r − 1 nicht wären. Um diese unterzubringen,
kann man für beliebige λ ∈ C Funktionen φr = λr(v + λζ̄) definieren und diese lösen
tatsächlich die erste Gleichung. Ganz analog wird die zweite Gleichung von Funktio-
nen φr = λr(ζ + λu) gelöst. Die nächste Beobachtung ist, dass jede Familie von Funk-
tionen φr = λrf(λ, ζ + λu, v + λζ̄) für festes λ beide Gleichungen löst. Dabei sollte f
eine holomorphe Funktion seiner Argumente sein. Schließlich erhalten wir wegen der
Linearität der Gleichungen, dass jedes Integral
I
1
φr = λr f(λ, ζ + λu, v + λζ̄) dλ (11.1.9)
2πi
1 H. Bateman, The solution of partial differential equations by means of definite integrals, Proc. Lond. Math. Soc.
1, 451–458, (1904).
2 E. T. Whittaker, On the partial differential equations of mathematical physics, Math. Ann. 57, 333–355 (1903).
3 R. Penrose, Solutions of the zero-rest-mass equations, J. Math. Phys. 10, 38–39, (1969).

86
die ZRM-Gleichungen löst. Dabei ist dieses Integral als Linienintegral in der komplexen
Zahlenebene zu verstehen. Der Wert des Integrals hängt (Residuensatz!) nur von der
Struktur der Singularitäten des Integranden als Funktion von λ innerhalb der Kontur
ab.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie diese Formel arbeitet, nehmen wir an, dass
f so beschaffen ist, dass im Inneren der Kontur nur ein Pol sitzt. Wir können z.B. für
beliebige komplexe Konstante A, B, und C

1
f(λ, ζ + λu, v + λζ̄) = k
A + B(ζ + λu) + C(v + λζ̄)

nehmen und die Kontur so legen, dass der Pol innerhalb liegt. Dann kann man das
Integral auf die übliche Weise berechnen. Man beachte, dass der Pol als Funktion der
Koordinaten u, v, ζ und ζ̄ über die komplexe Zahlenebene wandert und die Kontur mit
ihm. Nehmen wir an, der Pol sei erster Ordnung und es sei

1
f(λ, ζ + λu, v + λζ̄) = .
(α + βλ)

Dann ist I
(α + βλ) λr f(λ, ζ + λu, v + λζ̄) dλ = 0.

Also gelten die Gleichungen αφr + βφr+1 = 0, für r = 0, . . . , n − 1. Definieren wir den
Spin-Vektor ηA = αoA + βιA, dann können wir diese Gleichungen zu einer Relation
zwischen Spinoren zusammenfassen:

φAB...C ηA = 0.

Wir haben also folgendes Resultat: Hat der Integrand nur einen Pol erster Ordnung in-
nerhalb der Kontur, dann ist das entsprechende ZRM-Feld ein Nullfeld. Das heißt es
gibt einen n-fachen Hauptspinor. Analog erhält man Aussagen über Pole k-ter Ord-
nung: Hat der Integrand nur einen Pol k-ter Ordnung innerhalb der Kontur, dann be-
sitzt das entsprechende ZRM-Feld einen n − k + 1-fachen Hauptspinor.

Der natürliche Kontext innerhalb dessen diese Integralformeln diskutiert werden kön-
nen, ist die Theorie der Twistoren. Innerhalb dieser Theorie folgen die Integralformeln
auf ganz natürliche Weise. Die Tatsache, dass es nur auf die Singularitäten des Inte-
granden ankommt, findet ihre Erklärung darin, dass man zwischen den ZRM-Feldern
und gewissen (Kohomologie-) Klassen von homogenen holomorphen Funktionen eine
eineindeutige Beziehung herstellen kann.

Zum Schluß dieses Abschnitts wollen wir auf die Frage eingehen, inwieweit die ZRM-
Gleichungen auch auf gekrümmten Lorentz-Mannigfaltigkeiten sinnvoll sind. Nun fragt
sich zunächst einmal, was hier „sinnvoll“ bedeuten soll. Grob gesprochen soll sinnvoll

87
hier heißen, dass der Raum der Lösungen maximal ist. Im Minkowski-Raum ist eine Lö-
sung vollständig charakterisiert durch die Angabe von zwei Funktionen von drei Varia-
blen. Dies sind z.B. die beiden Funktionen φ± . Es könnten aber auch die zwei transver-
salen Freiheitsgrade sein, die man bei den ZRM-Gleichungen spezifizieren kann oder
ähnliches. Dann wird man die ZRM-Gleichungen auf gekrümmten Lorentz-Mannig-
faltigkeiten als sinnvoll bezeichnen, wenn deren Lösungen ebenfalls vollständig durch
die Angabe von zwei Funktionen von drei Variablen fixiert ist.
Am Anfang dieses Kapitels hatten wir darauf hingewiesen, dass die ZRM-Felder mit
festem Spin eine irreduzible Darstellung der Poincaré-Gruppe bilden. Diese ist die In-
varianzgruppe des Minkowski-Raums. In allgemeinen gekrümmten Lorentz-Mannig-
faltigkeiten gibt es keine solche Invarianz-Gruppe. Insofern ist es zumindest fraglich,
ob die ZRM-Gleichungen in voller Allgemeinheit sinnvoll sind.
Ein weiterer Hinweis folgt aus den sogenannten Buchdahl-Bedingungen. Diese erhält
man aus (11.1.1), indem man eine weitere Ableitung nimmt. Wie oben erhalten wir
 
EA′ A 1 AE AE
∇ ∇ A′ φAB...C = ε + φAB...C.
2
Nun jedoch fällt der Term mit der Krümmungs-Derivation nicht mehr weg. Nehmen
wir hiervon die Kontraktion über E und B, ergibt sich die folgende Gleichung

ABφAB...CD = (n − 2) ΨABE(C φ...D)ABE = 0. (11.1.10)

Dies ist die Buchdahl-Bedingung für die ZRM-Felder. Sie ist eine algebraische Ver-
knüpfung zwischen Lösungen der ZRM-Gleichung und der konformen Krümmung
der Mannigfaltigkeit. Sie sagt, dass im generischen Fall eine Lösung der ZRM-Gleichung
notwendigerweise diese Bedingung erfüllt. Daher kann der Lösungsraum in diesen Fäl-
len nicht maximal sein. Dies heißt nicht, dass es nicht doch Lösungen geben kann. Es
heißt aber, dass man nicht soviele Lösungen findet wie im flachen Fall.
Es gibt gewisse Fälle, in denen die Bedingung (11.1.10) leer ist, also identisch erfüllt.
Dies ist für alle Werte von n der Fall, wenn der Weyl-Spinor verschwindet. Dann ist
die Mannigfaltigkeit konform flach und man hat die volle Lösungsmannigfaltigkeit der
ZRM-Gleichungen zur Verfügung. Dies stimmt damit überein, dass die ZRM-Gleichungen
konform invariant sind. Das heißt man kann eine Transformation der Lösungen der
ZRM-Gleichungen im flachen Fall durchführen, um Lösungen der ZRM-Gleichung auf
einer konform flachen Mannigfaltigkeit zu erhalten.
Weitere Fälle, in denen die Buchdahl-Bedingung identisch erfüllt ist, sind die Weyl-
Gleichung mit n = 1 und die Maxwell-Gleichungen mit n = 2. Für alle höheren Spins
ist die Bedingung nicht leer und daher der Lösungsraum dieser Gleichungen stark ein-
geschränkt.
Nun mag man sich fragen, wie dies mit der Bianchi-Identität

∇AA′ ΨABCD = 0

88
zusammen geht. Hier ist ΨABCD normalerweise von Null verschieden und auch n = 4.
In der Tat ergibt die gleiche Rechnung wie oben die Bedingung

ΨABC(D ΨE)ABC = 0.

Der glückliche Umstand, dass hier das Feld mit dem Krümmungs-Spinor überein-
stimmt rettet die Lage, denn man überzeugt sich leicht, dass die obige Bedingung eine
Identität ist.

11.2 Die Dirac-Gleichung

Die Weyl-Gleichung für das Neutrino ist die ZRM-Gleichung für Spin 1/2

∇AA′ φA = 0.

Sie beschreibt ein Teilchen mit Ruhemasse Null und Spin —h/2. Die entsprechenden
physikalischen Teilchen sind die drei Arten von Neutrinos und ihre Antiteilchen4 . Wol-
len wir dagegen ein massives Teilchen mit Spin —h/2 beschreiben, müssen wir die
Weyl-Gleichung verallgemeinern. Es sollte eine lineare Gleichung bleiben und, wenn
möglich auch von höchstens erster Ordnung. Dies bedeutet, dass wir zwangsläufig
einen gestrichenen Spinor einführen müssen, um einen nichtdifferenzierten Term zu
erzeugen. Wegen der Linearität darf es sich dabei nicht um den komplexkonjugierten

Feldspinor handeln. Wir sind also gezwungen, einen weiteren Spinor ψA einzuführen,
den wir dann aber ebenfalls einer Feldgleichung unterwerfen müssen. Die einfachste
Möglichkeit ist
′ ′
∇AA φA = µ ψA , (11.2.1)
A′
∇AA′ ψ = µ φA. (11.2.2)

Dabei haben wir von der Freiheit Gebrauch gemacht, die beiden Spinoren mit beliebi-
gen komplexen Zahlen zu skalieren, um die Koeffizienten auf den beiden rechten Seiten
gleich zu machen. Die Bedeutung des zunächst beliebigen Koeffizienten µ ergibt sich,
wenn wir eine weitere Ableitung von (11.2.1) nehmen. Dann erhalten wir mit (11.2.2)
′ ′
∇CA′ ∇AA φA = µ ∇CA′ ψA = µ2 φC.

Die Kombination der zweiten Ableitungen auf der linken Seite ist ∇CA′ ∇AA = 12 εCA +
CA. Der Krümmungsterm, der von der Krümmungs-Derivation her kommt, verschwin-
det identisch auch in beliebig gekrümmten Räumen. Daher erhalten wir das Ergebnis

( − 2µ2) φA = 0.
4 Zur Zeit wird ernsthaft diskutiert, dass die τ-Neutrinos massiv sind. Sollte sich dies auch für die anderen

beiden Neutrino-Sorten bewahrheiten, müßte man mit Nick Woodhouse sagen: „What a waste of a
good equation!“

89
Dies ist die Klein-Gordon-Gleichung. Wollen wir Tachyonen ausschließen, dann müs-
sen wir −2µ2 = m2 > 0 fordern. Wir schreiben also µ = i √m , so dass die Dirac-
2
Gleichung die Gestalt
′ m ′
∇AA φA = i √ ψA , (11.2.3)
2
A′ m
∇AA′ ψ = i √ φA, (11.2.4)
2
annimmt. Dieses System von Gleichungen ist konsistent auch auf beliebig gekrümmten
Mannigfaltigkeiten. Analog dem Vorgehen für ZRM-Gleichungen läßt sich auch für
die Dirac-Gleichung die allgemeine Lösung (im flachen Raum) mithilfe von Fourier-
Transformation finden. Es ergibt sich auf ganz analoge Weise wie im vorigen Abschnitt
die Integraldarstellung
Z
φA(x) = φ+ a
A(kb) exp(ikax ) d V
3
+
Hm
Z
+ φ− a 3
A(kb) exp(ikax ) d V,

Hm
√ Z
′ 2 ′
ψA (x) = kAA φ+ a
A(kb) exp(ikax ) d V
3
µ Hm +
√ Z
2 ′
+ kAA φ− a 3
A(kb) exp(ikax ) d V.
µ H−m

Dabei handelt es sich jeweils um Integrale über den zukünftigen und den vergangenen
Teil des zweischaligen Hyperboloids Hm im Fourier-Raum, der durch die Gleichung
±
kaka − m2 = 0 gegeben ist. Die beiden Funktionen φA ± definierte zwei-
(ka) sind auf Hm
komponentige Spinorfelder. Folglich ist eine Lösung der Dirac-Gleichung durch vier
Funktionen von jeweils drei Variablen charakterisiert.
Die Dirac-Gleichung ist nicht konform invariant. Deshalb lassen sich Twistormethoden
nicht so einfach anwenden. Es gibt jedoch auch für massive Teilchen eine twistorielle
Behandlung.

11.3 Die Rarita-Schwinger-Gleichung

Diese Gleichung hat einige Berühmtheit erlangt im Zusammenhang mit der Supergra-
vitationstheorie, einer Art Vereinheitlichung von Supersymmetrie und der Graviati-
onstheorie von Einstein. Dabei tritt ein spin-(3/2) Feld auf, dessen Quantisierung als
Gravitino bezeichnet wird.
Wegen Abschnitt 11.1 kann es sich bei der Gleichung für ein Gravitino nicht um eine
ZRM-Feldgleichung handeln, denn diese ist im allgemeinen nicht konsistent. Vielmehr

90
hat die Rarita-Schwinger-Gleichung für das Gravitino einen ähnlichen Ursprung wie
die Gleichung für das Potential des elektromagnetischen Feldtensors. Konzentrieren
wir uns zunächst auf diesen Fall.
Wir haben den elektromagnetischen Feldtensor F, der zusammen mit seinem Dualen
∗F die Gleichung
d(F + i ∗ F) = 0
erfüllt. Das Spinoräquivalent dieser Gleichung ist natürlich die ZRM-Gleichung für den
elektromagnetischen Spinor ΦAB. Andererseits folgt aus dieser Gleichung die Existenz
einer komplexen 1-Form ψ, so dass

F + i ∗ F = dψ

gilt. Wir haben also folgende Gleichung



εA′ B′ φAB = ∇AA′ ψBB′ − ∇BB′ ψAA′ = εAB∇C(A′ ψCB′ ) + εA′ B′ ∇(AC′ ψB) C .

Folglich erfüllt das komplexe Potential ψa die beiden Gleichungen

∇C(A′ ψCB′ ) = 0, (11.3.1)


C′
∇C′ (AψB) = φAB. (11.3.2)

Die ZRM-Gleichung für φAB und die Gleichungen (11.3.1) und (11.3.2) implizieren eine
Feldgleichung für ψAA′ , die man nach etwas länglicher Rechnung in der Form

ψa − ∇a∇bψb + Rabψb = 0

erhält. Das Potential erfüllt also eine Art Wellengleichung.

Durch (11.3.1) und (11.3.2) wird das Potential noch nicht eindeutig festgelegt. Vielmehr
kann man eine Eichtransformation

ψa 7→ ψa + ∇aΛ

durchführen, mit einer beliebigen komplexwertigen Funktion Λ, ohne dass sich der Maxwell-
Spinor φAB ändert. Oft fixiert man eine Eichung, d.h., man stellt eine zusätzliche Be-
dingung an das Potential, die die Invarianz unter der obigen Eichtransformation bricht.
Eine beliebte Wahl (weil Lorentz-invariant) ist die Lorenz-Eichung5

∇aψa = 0.

Dann lautet die Wellengleichung für das Potential wie folgt

ψa + Rabψb = 0
5 nach L. Lorenz, nicht H.A. Lorentz

91
und aus (11.3.1) und (11.3.2) wird

∇CA′ ψCB′ = 0,

∇C′ AψBC = φAB.

Für spin-3/2 haben wir die Gleichung

∇A′ AφABC = 0, (11.3.3)

die ja nur in konform flachen Mannigfaltigkeiten konsistent ist. Um diese Situation zu


verallgemeinern, versuchen wir, analog zum spin-1 Fall, das Feld durch ein Potential
′ A′
BC = σCB darzustellen:
σA

φABC = ∇A′ (AσA BC) . (11.3.4)
Wir verlangen, dass das Potential die Rarita-Schwinger-Gleichung
′ ′
∇AA σB
AB = 0 (11.3.5)

erfüllt. Diese zerfällt in zwei irreduzible Teile


′ B′ )
∇A(A σAB = 0, (11.3.6)
B′
∇B
B′ σAB = 0. (11.3.7)

Wieder ergibt sich aus (11.3.5) mit einer einfachen, aber länglichen Rechnung eine Wel-
lengleichung für das Potential
′ ′
σB C B
AB + 2(A σB)C = 0.


D.h., im Minkowski-Raum, wo der zweite Term verschwindet, erfüllt σB BC eine Wellen-
gleichung. Betrachten wir nun das durch das Potential erzeugte Feld, so finden wir die
Gleichung

∇AA′ φABC = −A(BσC)AA′ − A′ C′ σC BC.

Also erfüllt das so definierte Feld die ZRM-Gleichung, falls wir uns im Minkowski-
Raum befinden, denn dann verschwindet die rechte Seite.
Wie im Falle der Maxwell-Gleichungen ist das Potential nicht eindeutig, sondern es
gibt Eichtransformationen. In Analogie zum Maxwell-Fall setzen wir einen Eichterm
′ B′
von der Form σB BC = ∇(BνC) an. Dann erhalten wir durch Einsetzen in (11.3.4)

′ ′
∇A′ (AσA A D
BC) = ∇A′ (A∇ BνC) = (ABνC) = ΨABCDν . (11.3.8)

Einsetzen in (11.3.6) ergibt


′ B′ ) ′ ′ ′ ′
∇A(A σAB = 2ΦACA B νA + ∇C(A ∇B )BνB. (11.3.9)

92
′ ′
D.h., im Minkowski-Raum ist σB BC = ∇(BνC) eine Lösung von (11.3.6), falls νA ein
B

Neutrino-Feld ist. Wir nehmen dies für das weitere an und erhalten durch Einsetzen in
den zweiten Teil der Rarita-Schwinger-Gleichung
′ ′
∇A′ A∇AA νB = ∇A′ A∇BA νA = 2ABνA = −6ΛνB. (11.3.10)

Folglich ist im flachen Raum die Transformation


′ ′ ′
σA A A
AB 7→ σAB + ∇(AνB) (11.3.11)

eine Eichtransformation; das ZRM-Feld welches durch das Potential σA
BC definiert wird,
bleibt durch diese Transformation unverändert und das transformierte Potential erfüllt
die gleichen Feldgleichungen.
Die Idee ist nun folgende: man versucht, von dem ZRM-Feld, welches im Minkow-
ski-Raum auch durch das Potential modulo Eichtransformationen darstellbar ist, als
wesentlicher Größe abzurücken und zu sehen, inwieweit die Darstellung durch das
Potential auf gekrümmte Mannigfaltigkeiten zu verallgemeinern ist. Dazu benötigen

wir noch eine weitere Relation. Falls σA AB nur den ersten Teil der Rarita-Schwinger-
Gleichung, Gleichung (11.3.6), erfüllt, dann ist µA := ∇B B′
B′ σAB nicht notwendigerweise
null. Vielmehr erfüllt µA die Gleichung
′ ′
∇AA µA = −2Φ B′ σB
AB. (11.3.12)

Im flachen Raum ist also µA ein Neutrino-Feld.



Wir bezeichnen mit 12 bzw. 32 die Lösungsräume der beiden Gleichungen ∇AA νA =
   
′ B′ )
0 bzw. ∇A(A σAB = 0, also der Neutrino-Gleichung und der ersten Teilgleichung (11.3.6)
der Rarita-Schwinger-Gleichung. Im Minkowski-Raum sind beide Gleichungen kon-
sistent mit maximalem Lösungsraum, nämlich zwei bzw. sechs Funktionen von drei
Variablen, d.h., eine Lösung der Gleichungen hat zwei bzw. sechs Freiheitsgrade.
Damit haben wir im Minkowski-Raum folgende Eigenschaften:
• Die Lösungsräume 12 und 32 sind maximal.
   

• Jedes Neutrino-Feld νA liefert eine Lösung von (11.3.6). D.h. es gibt eine Abbil-
dung
1 3 ′
L: → , νA 7→ ∇B
(BνA) .
2 2
• Jede Lösung von (11.3.6) liefert ein Neutrino-Feld. D.h. es gibt eine Abbildung
3  1  B′ B′
N: → , σAB 7→ ∇B
B′ σAB.
2 2

• Jedes Neutrino-Feld liefert via L und N das Nullfeld, es gilt also

im L ⊂ ker N.

93
Hu H
HHH
HHH HNHH
u
H
-u HHHH HHHju
L
u
HH
u u
HHHju
  3 1
1
2 2 2

Symbolisch haben wir das folgende Diagramm:


Dieses Diagramm zeigt, dass von den sechs Freiheitsgraden einer Lösung von (11.3.6)
vier mit Neutrino-Feldern zu tun haben. Zum einen erfüllen zwei Freiheitsgrade nicht
die volle Rarita-Schwinger-Gleichung, denn das entsprechende Neutrino-Feld µA ver-
schwindet nicht. Außerdem sind von den übrigen vier Freiheitsgraden, die die Rarita-
Schwinger-Gleichung erfüllen, zwei Stück reine Eichung, nämlich diejenigen, die durch
L in 32 hinein abgebildet werden. Daher bleiben nur zwei wirklich „physikalische“
 

Freiheitsgrade übrig und das sind genau diejenigen, die dem spin-(3/2) Feld φABC ent-
sprechen. Wir können also solche Felder im Minkowski-Raum auch als Faktorraum
ker N\im L auffassen.
Wie sieht nun die Situation in gekrümmten Räumen aus? Klarerweise kann nicht die ge-
samte dargestellte Struktur in gekrümmte Räume hinüber gerettet werden, denn φABC
ist dort nicht konsistent definierbar. Man findet aber eine gewisse Überraschung. Zu-
nächst gilt es festzustellen, dass sowohl die Neutrino-Gleichung als auch Gleichung
(11.3.6) konsistent sind in beliebig gekrümmten Mannigfaltigkeiten. Dies ist für die
Neutrino-Gleichung wohlbekannt und folgt aus der Tatsache, dass sie zu einem sym-
metrisch hyperbolischen Gleichungssystem führt, für das ein sachgemäß gestelltes Cauchy-
Problem formuliert werden kann. Für Gleichung (11.3.6) war dies bis vor kurzem nicht
bekannt und folgt als Spezialfall aus einem Satz von Frauendiener und Sparling6 . Da-
mit sind beide Lösungsräume in beliebig gekrümmten Mannigfaltigkeiten definierbar
mit jeweils der richtigen Anzahl von Freiheitsgraden. Nun stellt sich die Frage nach
den Abbildungen L und N. Aus den Gleichungen (11.3.9) und (11.3.12) folgt, dass die
beiden Abbildungen wohldefiniert sind, sofern der Ricci-Spinor verschwindet, also

ΦABA′ B′ = 0.

Zum Schluß stellt man fest, dass auch die letzte Eigenschaft, im L ⊂ ker N überlebt,
falls die skalare Krümmung verschwindet (vgl. (11.3.10), also

Λ = 0.
6 J. Frauendiener und G. Sparling, On a class of consistent higher spin equations, erscheint in J. Geom. and
Physics

94
Wir finden also, dass wir das Diagramm ohne Änderung auf Mannigfaltigkeiten über-
tragen können, die ricci-flach sind, in denen also die Einsteinschen Vakuumgleichungen
gelten. Zwar haben wir nun keine explizite Darstellung des Faktorraums ker N\im L
durch spin-(3/2) Felder mehr, dennoch ist dieser Faktorraum wohldefiniert.
Diese Konstruktion erlangt eine gewisse Bedeutung dadurch, dass sie es gestattet, die
Einsteinschen Vakuumgleichungen als eine Art von „Integrabilitätsbedingungen“ für
ein lineares Gleichungssystem aufzufassen, nämlich des Rarita-Schwinger-Systems. Dies
ist eine sehr wichtige Eigenschaft in der Theorie der vollständig integrablen Systeme
und erlaubt es sehr weitreichende Konsequenzen über die Struktur der Lösungen ei-
nes Systems zu machen. Man erhofft sich natürlich auch im vorliegenden Fall solche
Aussagen machen zu können, ist aber noch sehr weit davon entfernt.

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