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SONDERDRUCK

Der arabische Frühling 5


Fethi Meskini
Zur Identität der Revolution

26
Hassan Hanafi
Die arabische Revolution

35
Sari Hanafi
Der Einfluss der arabischen

forum
Jugendbewegungen: Die Entstehung
eines »Reflexiven Individualismus«
99
Juan M. Contreras Colín 61
Die Tlamatinime: Philosophen und Weise Adel ben Abdallah
der Nahua Konzeptuelle Transformationen
der Citoyenität in Tunesien
111
Rezensionen & Tipps 75
144
Azelarabe Lahkim Bennani
Vom Rechtsstaat zum Sozialstaat
IMPRESSUM Die Zukunft des arabischen Frühlings aus der

145
Perspektive der sozialen Rechte

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88
Georg Meggle im Gespräch
mit Sarhan Dhouib
Tipps

weitgehend offen ist. Mit Mohamed Turki: Aufklärung (S. 29–52), in einer »Rückkehr zu den
dem Sturz der Despoten ist Humanismus und Interkulturalität. der der Humanismus »von Wurzeln des Islam.« (S. 77)
die Hoffnung auf Demokra­ Ansätze zu einer Neubetrachtung des Kant über Schiller und Fich­ Da der Humanismus in
tie noch nicht erfüllt. Menschen im Zeitalter der Globali- te in Hegels Phänomenolo­ der europäischen Philoso­
Der letzte Abschnitt sierung gie des Geistes seine Ver­ phie in gewisser Hinsicht
»Geld und Macht« lässt Leipzig: Edition Hamouda 2010 vollkommnung erfährt.« durch eine immanente Lo­
strukturelle Zusammen­ ISBN 978–3-940075–35–2 (S. 53) Doch gerade an gik in einen gefährlichen
hänge in der Region deut­ Seit Heidegger, dem Struk­ Hegel entzündet sich nach Nihilismus abgedriftet ist,
lich werden, so z.B. in den turalismus und der post­ Turki im 19. Jahrhundert stellt sich nach Mohamed
Beiträgen von Michael T. modernen Proklamation eine tiefe Skepsis gegenüber Turki »die Frage, ob die­
Klare und Alain Gresh zur des »Endes des Menschen« dem Humanismus, dessen ser Zustand der Entwick­
Rolle Saudi-Arabiens im re­ hat im europäischen Den­ Dialektik »die realhisto­ lung menschlichen Geistes,
gionalen und im Weltkon­ ken ein philosophisch be­ rischen Bedingtheiten des um mit Hegel zu sprechen,
text. Der Beitrag von Kla­ gründeter »Humanismus« Menschen abstrahiere und einfach hingenommen wer­
re, Professor für Peace and einen schweren Stand. Die diesen nur als ein sich selbst den soll … oder ob es Al­
World Security, setzt sich Verwerfungen der ökono­ begreifendes Bewusstsein ternativen zum bisherigen
mit der umstrittenen Frage mischen Globalisierung und erkennt.« (S. 54) Die nachi­ Verlauf gegeben hat und
nach dem wirklichen Um­ die Entwicklungen der Hu­ dealistische Philosophie von noch gibt, die den aufkom­
fang der Ölvorkommen in mangenetik zwingen jedoch Kierkegaard über Marx und menden Nihilismus Einhalt
Saudi Arabien auseinander – dies ist die Ausgangsthese Nietzsche bis hin zu Heide­ gebieten und den Huma­
– und den Konsequenzen von Mohamed Turki – zu gger und Foucault konnte nismus möglicherweise
eventuelle erschöpfter La­ einer neuen Auseinander­ jedoch, wie in einem zwei­ wiederbeleben können?«
gerstätten für Saudi Arabien setzung mit der Frage nach ten Durchgang skizziert (S. 78) An dieser Stelle setzt
selbst, aber auch für die in­ der Bestimmung des Men­ wird, trotz ihrer berech­ Turki zu einer neuen weit­
ternationale Situation. Je­ schen. Ein neuer Humanis­ tigten Motive (Ernstneh­ ausholenden historischen
an-Pierre Serenis schildert mus kann jedoch die weit men der individuellen Exi­ Rekonstruktion an, in der
die »Geschichte des libyschen verzweigte Geschichte des stenz, der Leiblichkeit, des das humanistische Denken
Öls« und Samir Aita be­ humanistischen Diskurses Lebens u.a.) die darin auf­ der arabisch-islamischen
leuchtet die Dominanz der in und außerhalb Europas klaffenden Abgründe eines Philosophie vom Mittelalter
Oligarchen als »Hauptgegner nicht umgehen. Aus diesem radikalen Nihilismus nicht bis zu den philosophischen
der arabischen Demokratie«. Grund entwirft Mohamed bannen. Heideggers ver­ Aufbrüchen der Nahda-Be­
Aufgrund der Vielfalt Turki im ersten Teil seines zweifelten Rückbezug auf wegung im 19. Jahrhundert,
und Ausgewogenheit der Buches eine historisch weit­ die Vorsokratiker vergleicht in der unter dem Schock
Beiträge ein rundum sehr ausholende Rekonstruktion Turki – gestützt auf Sadelk der europäischen Moderne
empfehlenswertes Heft. des europäischen Humanis­ Jala Al Azm – sogar mit das Erbe der arabisch-isla­
Anke Graneß mus von der Antike bis zu islamistischen Versuchen mischen Kultur zur Dis­

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Bücher & medien:

position stand. In der so­ Jabiri, Hassan Hanafi und Turki ist sich bewusst, liches Denken der unter­
genannten Thurat-Debatte Nasr Hamid Abzu Zaid im dass die kritische Verge­ schiedlichsten Disziplinen
bildeten sich nach Turki Anschluss an die eigenen wisserung der Geschich­ in ausgewählten Ländern
zwei paradigmatische Mo­ rationalistische Kulturtra­ te des europäischen und Osteuropas.
delle heraus, nämlich das dition nach einem selbstän­ islamischen Humanis­ Der Herausgeber, Pro­
Modell der Nachahmung digen Weg zur Moderne« mus »noch einer weiteren fessor für die Geschichte
der europäischen Moder­ (S. 114). Insbesondere für Grenzüberschreitung« zu der Hermeneutik an der
ne (Tahtawi, Bustani) und Hanafi erübrigt sich jede den »Kulturkreisen afrika­ Universität Sofia, sieht im
das Modell eines eigenstän­ Anknüpfung an die west­ nischer, asiatischer oder la­ »gemeinsamen Netzwerk
digen Reformkurses auf liche Moderne, die sich in teinamerikanischer Völker« historischer Situationen«
der Grundlage des Islam einen inhumanen Moloch (152f.) bedarf. In diesem (S. 9) ein Autonomiebestre­
(Al-Afgani, Muhammad verwandelt habe. Sinn stellt Turkis Studie ben, das totalitäre und post­
Abduh). Diese beiden Ten­ Im letzten Teil wendet über Humanismus und In­ totalitäre Konstellationen
denzen kehren nach Turki sich Turki Ansätzen eines terkulturalität eine äußerst überdauert hat und das er
auch in den aktuellen De­ Trans- und interkulturellen informative Grundlage für »in den ursprünglichen ost­
batten über die Zukunft der Humanismus (S. 116–149) die »Verwirklichung eines europäischen Situationen
arabisch-islamischen Welt zu, in dem nach Skizzen globalen und interkultu­ einer philosophischen Legi­
wieder. Auf der einen Sei­ zu europäischen Ansätzen rellen Humanismus« dar, timation der Geisteswissen­
te fordern Philosophen wie (Postmoderne, Levinas, der nur in einer geduldigen schaften« (S. 10) verortet.
Muhammad Arkoun, Sadik Waldenfels) schließlich Auseinandersetzung sowohl Die Autoren und Auto­
Djalal al-Azm und Fuad ein Blick auf Edward Said mit den kulturellen Tradit­ rinnen sind alle osteuropä­
Zakkariya eine kritische geworfen wird. So unter­ ionen als auch mit den wis­ ischer Herkunft und lehren
Lektüre des Kulturerbes, schiedlich diese Ansätze senschaftlich-technischen überwiegend Philosophie,
die in Anknüpfung an den sind, so kommen sie nach Innovationen, insbesondere Literaturwissenschaften
arabisch-islamischen Hu­ Turki jeweils darin über­ der Humangenetik, voran­ oder Geschichte an osteu­
manismus des Mittelalters ein, dass sie den Huma­ getrieben werden kann. ropäischen Universitäten.
und an die westliche Auf­ nismus von schmerzlichen Hans Schelkshorn Ginev unterscheidet in
klärung eine rationale und Beschränkungen befreien, seiner Einleitung vier para­
interkulturelle Perspek­ indem sie »den Anderen, Dimitri Ginev (Hg.): digmatische Situationen und
tive ermöglicht« (S 113), d.h. den Mitmenschen in Die Geisteswissenschaften im zugleich auch historische
die zugleich den Weg über seiner Mannigfaltigkeit, wie europäischen Diskurs – Band 2: Konstellationen: in der un­
die Durchsetzung eines auch die Umwelt als Ökosy­ Osteuropa, Studienverlag, Innsbruck garischen Situation­sieht
säkularen Rechtsstaates stem und Gesellschaftsfeld« 2010. ISBN 978 3 7065 4657 7 er ein besonderes Ineinan­
freigibt. »Auf der ande­ (S. 152) systematisch im Der vorliegende Band gibt dergreifen von Theo­ rien
ren Seite streben Denker Begriff des Menschen ver­ einen Einblick in zeitgenös­ immanenter Interpretation
wie Muhammad Abid al- ankern. sisches geisteswissenschaft­ und einer kontextbezogenen

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