Sie sind auf Seite 1von 19

Im Browser lesen

Die Lage am Abend


Ihr tägliches News-Briefing um 18 Uhr
Mittwoch, 21. Juni 2023

Alexander Neubacher

Lieber Stefan Mendling, guten Abend!

Die drei Fragezeichen heute:

1. Expertenrat: Kostet Ihr Partner bei der Krankenkasse künftig


extra?

2. Klopfzeichen: Wo ist das Tauchboot »Titan«?

3. Trainerdebatte: Ist Hansi Flick noch der Richtige für die


Nationalelf?

1. Höhere Kassenbeiträge für Familien?

Familie: Anreize erhöhen, dass beide Eltern arbeiten


Oliver Rossi / Getty Images

Die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern gilt bislang


als großer Pluspunkt in der gesetzlichen Krankenkasse. Sie hält auch
viele Gutverdiener bei der Barmer, Techniker oder AOK davon ab, in
eine private Krankenversicherung zu wechseln. Doch damit könnte
künftig Schluss sein, wenn es nach einer Studie der Akademie für
Technikwissenschaften (Acatech) geht, über die heute die »Frankfurter
Allgemeine« zuerst berichtete.

Ein Expertenteam, zu dem der frühere Wirtschaftsweise Christoph M.


Schmidt zählt, schlägt vor, von Ehepartnern ohne regulären Job einen
eigenen Kassenbeitrag zu verlangen. Jedenfalls dann, wenn es keine
Kinder gibt, um die er oder sie sich kümmern muss. Das Vorbild sei
Österreich, so die Studie.

Der Vorschlag ist im Prinzip nicht neu. Er kam vor Jahren schon
einmal auf, als es der gesetzlichen Krankenversicherung finanziell
schlecht ging. Zwischen acht und 13 Milliarden Euro könnten die
Kassen jedes Jahr extra einnehmen, würde die beitragsfreie
Mitversicherung abgeschafft.

Den Autoren der Acatech-Studie geht es jedoch um etwas anderes: Sie


glauben, dass die aktuelle Regelung insbesondere Frauen oft davon
abhält, einen regulären Job zu ergreifen: »Eine
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird erst attraktiv, wenn
der erzielte Lohn nach Abzug der Krankenkassenbeiträge den Lohn
aus einer nicht sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit bei
gleichzeitiger kostenloser Krankenversicherung deutlich übersteigt.«
Die Argumentation ähnelt der Kritik am Ehegattensplitting. Sie setzt
allerdings nicht im Steuersystem an, sondern bei der
Sozialversicherung.

Für viele Paare und Familien würde die Krankenversicherung deutlich


teurer. Trotzdem halte ich den Vorschlag für diskussionswürdig, weil er
auch dabei helfen könnte, den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Lesen Sie hier mehr: Ökonomen verlangen höhere


Krankenkassenbeiträge für zahlreiche Familien

2. Wer findet »Titan«?


Tauchboot »Titan«: Verschollen im Atlantik
OceanGate Expeditions / dpa

Ein kanadisches Flugzeug hat laut US-Küstenwache


Unterwassergeräusche wahrgenommen, die vom verschollenen
Tauchboot »Titan« stammen könnten: eine Art Hämmern, das alle 30
Minuten einsetzte. An der Suche nach dem Tauchboot sind inzwischen
zahlreiche Rettungskräfte im Nordatlantik beteiligt: Flugzeuge und
Schiffe der Küstenwache und der US-Marine, auch das kanadische
Militär. Frankreich will ein Spezialschiff samt Tauchroboter in die
Region schicken.

Der Kontakt zur »Titan« war am Sonntag abgebrochen, als dieses mit
fünf Insassen zum Wrack der »Titanic« tauchte. Mit an Bord ist der
Gründer der Betreiberfirma OceanGate, Stockton Rush. Meine
Kollegin Ines Zöttl beschreibt den 61-Jährigen als Mischung aus
Unternehmer und Abenteurer. Rush wollte zunächst Astronaut
werden (»Ich wollte jemand sein wie Captain Kirk«), scheiterte wegen
einer Sehschwäche und konzentrierte sich fortan auf die Entdeckung
des Ozeans, denn: Es seien mehr Menschen im All gewesen als in
tausend Meter Tiefe, so Rush.

Er habe allerdings auch Geld verdienen wollen. 250.000 Dollar pro


Person kostete die aktuelle Tour. Es fuhren mit: der britische
Abenteurer Hamish Harding, 58, der französische Forscher Paul-Henri
Nargeolet, 77, der britisch-pakistanische Unternehmensberater
Shahzada Dawood, 48, und dessen 19-jähriger Sohn Suleman.

Kann es noch gelingen, das Boot zu finden und seine Besatzung zu


retten? Im Wettlauf gegen die Zeit könnte entscheiden, wie lange der
Sauerstoffvorrat reicht. Angeblich sind es rund vier Tage.

Der deutsche Unternehmer Arthur Loibl, der vor zwei Jahren an Bord
der »Titan« war, sagte meiner Kollegin Swantje Unterberg (S+) :
»Beim Gedanken an das U-Boot läuft es mir eiskalt den Rücken runter.
Ich bin heute heilfroh, damals lebendig rausgekommen zu sein. Im
Rückblick war das schon ein Himmelfahrtskommando.«

Ich habe mich gefragt, warum wir so großen Anteil am Schicksal der
»Titan« nehmen (das Lese-Interesse an den entsprechenden Artikeln
auf unserer Website ist jedenfalls sehr groß) – und was es über uns
sagt, wenn wir nur wenige Tage vorher den Untergang eines
Flüchtlingsboots vor Griechenland mit mehreren Hundert Toten
vergleichsweise routiniert zur Kenntnis genommen haben. Ist es
ungleich verteilte Empathie? Oder sind, abgesehen davon, dass sich
Menschenleben ohnehin nicht aufrechnen lassen, die beiden Ereignisse
doch allzu unterschiedlich?

Schreiben Sie mir gerne, wenn Sie dazu eine Meinung haben:
alexander.neubacher@spiegel.de.

Lesen Sie hier mehr: »Ich wollte jemand sein wie Captain Kirk«
(S+)

3. Flick rauswerfen?

Bundestrainer Hansi Flick (2. v. l.) beim Spiel gegen Kolumbien


Maik Hölter / Team 2 / IMAGO

Dass die Nationalelf gestern auch noch ihr Spiel gegen Kolumbien
verloren hat, stürzt Fußball-Deutschland in die Krise (S+). Ein Jahr vor
der Europameisterschaft stellt sich die Frage, ob Trainer Hansi Flick
der richtige ist. »Es ist eine Situation, die ich so auch noch nicht erlebt
habe«, sagt Flick selbst: »Wir hatten einen Plan, aber der ist nicht
aufgegangen.«

DFB-Sportdirektor Rudi Völler nennt Flick »die ärmste Sau«. Mein


Kollege Marcus Krämer aus dem Sportressort ist vergleichsweise
gnädig: »Flick ist das Gesicht einer Krise, für die er gar nicht so viel
kann. Vielmehr muss er massenhaft Fehler ausbaden, die der Deutsche
Fußball-Bund in den Jahren nach dem WM-Titel 2014 begangen hat –
und die die Nationalelf geschwächt und an den Rand der
Bedeutungslosigkeit geführt haben.«

Als einer von etwa 80 Millionen Ersatzbundestrainern in Deutschland


würde ich Flick raten, zur Verstärkung seines Kaders auf jene Spieler
des glorreichen 1. FC Köln zurückzugreifen, die sich in der
vergangenen Saison durch ihre Moral und Kampfbereitschaft
ausgezeichnet haben. Vielleicht könnte Kölns Trainer Steffen
Baumgart ja nebenbei auch die Nationalmannschaft übernehmen.
Andernfalls sehe ich für die EM nächstes Jahr leider schwarz.

Lesen Sie hier mehr: Führungsschwach und selbstgefällig

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der


Ukraine:

Russland soll Kühlbecken an Atomkraftwerk Saporischschja


vermint haben: Das größte AKW Europas ist von den Russen
besetzt – und laut ukrainischer Regierung haben diese im
Kühlbecken des Kraftwerks Minen versteckt. Das Risiko wäre
erheblich.
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der
Ukraine: Das News-Update

Was heute sonst noch wichtig ist

Kabinett segnet geändertes Klimaschutzgesetz ab: Beim


Klimaschutz sinkt künftig der Druck auf einzelne Ministerien:
Das Kabinett hat die Novelle des Klimaschutzgesetzes
verabschiedet. Für die FDP ist das ein Erfolg, für
Umweltschutzverbände ein Aufreger.

Durchsuchungen bei Anhängern von »Reichsbürger«-Aktivist


Heinrich XIII. Prinz Reuß: Die Behörden ermitteln weiter im
Umfeld des mutmaßlichen Terrorchefs Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Nach SPIEGEL-Informationen gab es erneut Durchsuchungen –
nun bei fünf Verdächtigen.

AfD will Kanzlerkandidat aufstellen: In Umfragen steht die


AfD so gut da wie nie. Laut Alice Weidel denkt die Partei über
einen eigenen Kanzlerkandidaten für 2025 nach. Zu ihren
eigenen Ambitionen schwieg die Co-Parteichefin.

PiS-Chef Kaczyński kehrt in polnische Regierung zurück: Vor


einem Jahr räumte der Chef der nationalkonservativen
Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, seinen Posten in der
polnischen Regierung. Wenige Monate vor den
Parlamentswahlen kehrt der De-facto-Anführer zurück.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Negative Folgen des


Heroinmangels

Zerstörung einer Schlafmohnplantage in der Provinz Kandahar, April 2023


Sanaullah Seiam / AFP

Seit die Taliban in ganz Afghanistan die Macht haben, geht es mit
einem wichtigen Exportartikel des Landes bergab: Die
Heroinproduktion ist in Teilen zusammengebrochen. Man könnte das
für eine gute Nachricht halten. Doch wie mein Kollege Marco Evers
aus dem Wissenschaftsressort schreibt (S+), hat der Heroinmangel
auch negative und womöglich tragische Folgen für die etwa eine
Million Heroinkonsumenten in Europa.

Marco zitiert aus einem aktuellen Bericht der Europäischen


Drogenbeobachtungsstelle: Im besten Fall werde die Nachfrage nach
Entzugs- oder Substitutionsangeboten sprunghaft steigen. Im
schlimmsten Fall aber werden Heroinsüchtige umsteigen auf
synthetische Opioide, etwa auf Fentanyl, das in Pillenform
konsumierbar ist und in Europa bisher nur eine sehr untergeordnete
Rolle spielt.

Dazu muss man wissen, dass Fentanyl 50- bis 100-mal stärker wirkt als
Morphium. Es wurde in den USA gern als Schmerzmittel verschrieben,
bis Hunderttausende danach süchtig waren. Mehr als 57.000
Menschen starben an Fentanyl im Jahr 2020, mehr als 70.000 im Jahr
2021. Wegen seiner enormen Potenz ist eine Überdosis mit Fentanyl
viel wahrscheinlicher als mit Heroin.

Marco schreibt, Europa sei gut beraten, diese Droge weiter


abzuwehren. Doch wegen der Mangellage beim Heroin könne das
misslingen.

Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Warum ein Heroinmangel in


Europa keine gute Nachricht ist (S+)

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

»Es ist längst nicht mehr nur ein Streit zwischen zwei
Großfamilien«: In Essen und Castrop-Rauxel haben sich
Hunderte Libanesen und Syrer eine Massenschlägerei geliefert.
Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban spricht von
»Platzhirsch«-Kämpfen – und erläutert, was die Behörden tun
sollten (S+).

»Die Ampel braucht einen Neustart«: Heizungszoff,


Kanzlerfrust, Umfragetief: Die Koalition quält sich Richtung
Sommerpause. Politologe Wolfgang Schroeder über die Fehler
der Ampelparteien – und Auswege aus der Misere (S+).

Fünf Dinge, die sich auf deutschen Straßen jetzt ändern


könnten: Vorrang fürs Auto – bisher benachteiligt deutsches
Recht Radverkehr und Fußgänger. Das soll sich ändern: Dank
einer Gesetzesreform sollen Städte und Gemeinden alternative
Verkehrsideen besser umsetzen können. Der Überblick. (S+)

Rücke bis auf Los vor und ziehe DM 40 ein: Die


Währungsreform 1948 war ein Schock. Die Westdeutschen
schoben Panik, standen Schlange für ihr »Kopfgeld«, bangten
ums Ersparte. Doch dann führte die D-Mark ins
Wohlstandswampenland und wurde zum Symbol für Stabilität
(S+).

Was heute nicht ganz so wichtig war


Adele im Februar 2022 in London
Niklas Halle'n / AFP

Andenken: Schauspieler Sylvester Stallone, 76, musste seine


»Rocky«-Statue zurücklassen, als er im vergangenen Jahr seine Villa
in Los Angeles an die Sängerin Adele, 35, verkaufte. Sie habe die
Immobilie nur unter dieser Bedingung haben wollen, sagte Stallone
dem »Wall Street Journal«. Die Statue zeigt den Boxer Rocky Balboa,
den Stallone in seiner Paraderolle mehrfach verkörperte. Adele soll die
Villa von Stallone für 58 Millionen Dollar gekauft haben. Laut
Medienberichten hat sie das Haus vollständig renovieren lassen – die
Statue sei aber noch an ihrem Platz.

Mini-Hohlspiegel
Von deutschlandfunk.de

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Illustration: Klaus Stuttmann

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons


Und heute Abend?
Carolin Pirich
Tobias Kruse / OSTKREUZ Agentur der Fotografen

Die Musikjournalistin Carolin Pirich hat ein Buch über die großen
Stars der Klassikszene geschrieben, über Leute wie Igor Levit und
David Garrett. Man erfährt viel über das harte, zum Teil
erbarmungslose Leben, das Musikern auf diesem Niveau abverlangt
wird. Pirich selbst war auf dem Weg zur Pianistin, bis ihr das
Lampenfieber einen Strich durch die Rechnung machte, sie sagt:
»Dieses Leben wäre nicht meins gewesen.«

Mein Kollege Juan Moreno hat für die jüngste Folge seines Podcasts
»Moreno+1« ein ausführliches Gespräch mit Pirich geführt . Es handelt
von zerstörten Träumen und Eltern voll blindem Ehrgeiz, aber auch
von der tiefen Liebe zur Musik, die Menschen dazu bringt, alles
andere unterzuordnen. Und falls Sie sich in der Klassikszene so wenig
auskennen sollten wie ich: Keine Sorge, Sie müssen keine Noten lesen
können, um Spaß an dem Interview zu haben, nach dem Motto: Was
Sie schon immer über klassische Musik wissen wollten und sich nie zu
fragen trauten.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Herzlich Ihr Alexander Neubacher, Leiter Meinung und Debatte

VERLAGSANGEBOT
Diese kostenlosen Newsletter bietet DER SPIEGEL an.

Möchten Sie ändern, wie Sie diese E-Mails erhalten?


Sie können Ihre Newsletter verwalten oder sich von dieser Liste abmelden.

Email-Adresse für Anregung und Kritik: newsletter@spiegel.de


© 2023 DER SPIEGEL

Jetzt laden: Die SPIEGEL-App für iOS und Android


Folgen Sie uns:

Twitter Facebook Instagram

DER SPIEGEL GmbH & Co. KG


Ericusspitze 1 • 20457 Hamburg
Tel. 040 3007-0
E-Mail: spiegel@spiegel.de

Komplementärin SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG, Sitz und Registergericht
Hamburg HRA 61 755
Komplementärin Rudolf Augstein GmbH, Sitz und Registergericht Hamburg, HRB 13 105
Geschäftsführer Thomas Hass, Handlungsbevollmächtigter Stefan Ottlitz, Ericusspitze 1,
20457 Hamburg, Amtsgericht Hamburg, HRA 123 261,
Umsatzsteuer-ID: DE 212 442 423.
Verantwortlicher i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV: Dirk Kurbjuweit

Impressum Datenschutz Nutzungsrechte Nutzungsbedingungen


Kontakt Hilfe

Das könnte Ihnen auch gefallen