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Klaus Müller-Salget Reclam

Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht

Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht

Von Klaus Müller-Salget

Wie fast alle Prosawerke Max Frischs scheint auch der Homo faber (1957) ein Buch
über die Liebe zu sein, über ihre Unmöglichkeit und ihre gleichwohl zentrale Bedeutung
für den Menschen, und wer statt des Romans nur den Film von Volker Schlöndorff zur
Kenntnis genommen hat (»Homo Faber«, 1991), dürfte an solcher Einschätzung nichts
auszusetzen finden. Doch schon der Titel des Romans, sodann der betont ›nüchterne‹
Ton des Ich-Erzählers Walter Faber, der angeblich einen »Bericht« abliefert, die
Auseinandersetzungen um »Technik statt Mystik« (77)1, um Rationalität und Mythos,
die Projizierung einer modernen Biographie auf antike Grundmuster: all dies verweist
auf das andere große Thema des Romans, die Selbstgewissheit und das Scheitern eines
bloß »instrumentellen Denkens«.2 Allerdings bleiben von Walter Fabers beruflicher
Tätigkeit, aus der er sein Selbstgefühl bezieht, dem Leser nur die entsprechenden
Tiraden im Ohr; die Handlung dagegen wird bestimmt von Fabers Liebe zu zwei Frauen:
zur Jugendgeliebten Hanna Landsberg und, einundzwanzig Jahre später, zu dem
Mädchen Sabeth, in dem er Hanna ahnt und zu spät die eigene Tochter erkennt. Dass
und wie Frisch diese Liebeshandlung mit dem Thema der scheiternden
Zweckrationalität verbunden hat, macht den singulären Reiz dieses Buches aus.
Die enge Verknüpfung der beiden Erzählstränge erhellt schon aus dem Umstand,
dass Frisch der »Ersten Station«, dem eigentlichen ›Bericht‹ Fabers, ursprünglich die
Überschrift »Die Super-Constellation« zugedacht hatte.3 Die ›Super-Constellation‹
bezeichnet zunächst den Flugzeugtyp, den Faber immer wieder für seine Reisen
benutzt, ein höchstentwickeltes technisches Gerät, dessen Störanfälligkeit freilich schon

1 © 1993, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart. 


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Max Frisch: Homo faber. Ein Bericht

beim ersten uns erzählten Flug dramatisch in Erscheinung tritt; nach dem Ausfall
zweier Motoren muss die Maschine in der mexikanischen Wüste notlanden. Wörtlich
genommen verweist die ›Super-Constellation‹ aber auch und vor allem auf die höchst
ungewöhnliche Personen-Konstellation Hanna–Faber–Sabeth, die wiederum, an
entscheidender Stelle, in einer ungewöhnlichen Konstellation der Gestirne gespiegelt
wird, in der totalen Mondfinsternis vom 13. Mai 1957: Die Erde (die Mutter) steht
zwischen der Sonne (dem Rationalisten Faber) und dem Mond (Sabeth), verdunkelt
zwar den ›Trabanten‹, lässt ihn zugleich aber »deutlicher sogar als sonst« erscheinen
(124); in dieser Nacht finden Faber und Sabeth zueinander. Mit gutem Grund ist diese
Erinnerung einmontiert zwischen dem Bericht von der Entdeckung, dass Sabeth Hannas
Tochter ist, und dem von der Wiederbegegnung mit Hanna selbst; nicht umsonst auch
hat die Betrachtung der Mondfinsternis Faber erstmals angeregt, »vom Tod und Leben«
(124 f.) zu sprechen: Sabeth, die doch nur uneigentlich Gemeinte, wird sterben, wenn
Hanna und Faber sich wiederbegegnen; er selbst, der es geradezu als seinen Beruf
angesehen hat, »den Tod zu annullieren« (77), ist längst vom Tod gezeichnet. – Fabers
Verdrängung und dann Verkennung seiner Gefühle haben durchaus zu tun mit der Welt
der Technik, die vom Begriff ›Super-Constellation‹ evoziert wird. Das lehrt ein Blick auf
die Vorgeschichte, die Faber, angestoßen durch die zufällige Begegnung mit Hannas
ehemaligem Schwager Herbert Hencke, nur widerstrebend, in mehreren Anläufen
(Erinnerungsschüben) mitteilt.
Hanna, so hören wir da, erwartete 1936 ein Kind von Faber, und das erfuhr er
»ausgerechnet an dem Tag« (47), als er von einer renommierten Zürcher Firma das
Angebot erhalten hatte, als Ingenieur nach Bagdad zu gehen. Er reagierte so, dass
Hanna meinen musste, er wünsche eine Abtreibung, die auch vereinbart wurde. Dass er
sie dann doch, kurz vor der Abreise nach Bagdad, heiraten wollte, um sie (als deutsche
›Halbjüdin‹) vor der Ausweisung zu schützen, hat sie abgelehnt. Sein Satz: »Wenn du

2 © 1993, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart. 


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dein Kind haben willst, müssen wir natürlich heiraten« (48) – »dein Kind« statt »unser
Kind« – bedeutete den Bruch. Er und Hanna haben einander seither nicht
wiedergesehen.
Die fast schon allzu plakative Gegenüberstellung zweier ›Angebote‹ (Vaterschaft –
Karriere) und die Exponierung von Fabers Entscheidung kennzeichnen sein weiteres
Leben, bis hin zu der gesundheitlichen und emotionalen Krise um seinen 50.
Geburtstag, als eine forciert vereinseitigte Existenz: Sie beruht auf der Verdrängung
des Natürlichen. So, wie der Ingenieur Faber, beschäftigt mit Staudammbauten in
sogenannten ›Entwicklungsländern‹, Natur nicht anders zu sehen vermag denn als
Objekt der Nutzung und der Ausbeutung, so ist ihm auch die eigene Kreatürlichkeit ein
Fremdes geworden. Insbesondere die Sexualität gilt ihm seit einem frühen Erlebnis als
»absurd« (99): »Wieso eigentlich mit dem Unterleib?« (93) Das sadomasochistische
Verhältnis zu seiner New Yorker Freundin Ivy dient lediglich der Triebabfuhr. Diese
umfassende Naturentfremdung spiegelt sich in Fabers Rasierzwang; er erträgt es nicht,
unrasiert zu sein: »Ich habe dann das Gefühl, ich werde etwas wie eine Pflanze« (27).
Dass die Wüste ein »Erlebnis« sein könne, weist er von sich (24 f.), und den
Dschungel, in den er sich mit Herbert Hencke auf der Suche nach seinem ehemaligen
Freund Joachim begibt, schildert er mit unverhohlenem Ekel:

Verwesung voller Keime, [. . .], Tümpel im Morgenrot wie Tümpel von schmutzigem
Blut, Monatsblut, Tümpel voller Molche, nichts als schwarze Köpfe mit zuckenden
Schwänzchen wie ein Gewimmel von Spermatozoen, genau so – grauenhaft. (68)

Zeugung und Tod sind ihm gleichermaßen zuwider. Über den Satz seines
Reisegefährten Marcel: »Tu sais que la mort est femme! [. . .] et que la terre est
femme!« kann er nur lachen »wie über eine Zote« (69). Die Verdrängung des Todes

3 © 1993, 2000 Philipp Reclam jun., Stuttgart. 

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