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Vorlesung

Einführung in die pädagogisch-psychologische Diagnostik

3. Sitzung: Methodische Grundlagen der psychologischen


Diagnostik I: Messen

Prof. Dr. Hanna Dumont


Ablauf der heutigen Sitzung

• Messen
• Operationalisierung
• Klassische Testtheorie

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Messen

3
Messen im Alltag

 Im Alltag meinen wir mit Messen in der Regel physikalische Messungen

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Messen in der Psychologie

• Auch psychologische Merkmale lassen sich messen.


• Funktion des Messens ist es, möglichst exakte und vergleichbare
Informationen über Merkmale zu erhalten.
• Messen bezeichnet dabei den Vorgang, die Ausprägung eines Merkmals bei
einem Objekt numerisch zu quantifizieren.
• Aber: Nicht jede beliebige Zuordnung einer Zahl zu Ausprägungen eines
Merkmals stellt einen Messvorgang dar!
• Die Zuordnung von Zahlen zu den Ausprägungen eines Merkmals muss so
erfolgen, dass die Eigenschaften der Zahlen die Eigenschaften des
Merkmals repräsentieren.

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Messen in der Psychologie

Definition:

„Unter Messen versteht man die homomorphe Abbildung


eines empirischen Relativs in ein numerisches Relativ.“

Spinath & Brünken (2016)

= relationserhaltend, d.h. die Zahlen müssen so gewählt


sein, dass die Beziehungen der Zahlen untereinander
die Beziehungen der Ausprägungen des zu messenden
Merkmals wiedergibt.

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ

 In welcher Beziehung stehen


die beiden Äpfel zueinander?

Der eine Apfel ist größer als der andere!

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

 Welche Zahlen würden diese


Beziehung korrekt wiedergeben
und somit eine homomorphe
Abbildung darstellen?

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

1 Hierbei handelt es sich um eine


homomorphe Abbildung, da dem
kleineren der beiden Äpfel auch
die kleinere Zahl und dem
größeren der beiden Äpfel auch
die größere Zahl zugeordnet
2 wird.

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

23

Auch hierbei handelt es sich um


eine homomorphe Abbildung.

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

Keine homomorphe Abbildung

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

1
Wenn man eine Aussage
darüber treffen wollen würde,
dass beide Objekte ein Apfel
sind, dann wäre das auch eine
homomorphe Abbildung.
1

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

Keine homomorphe Abbildung


1

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

Hierbei handelt es sich um eine


homomorphe Abbildung, da
2 unterschiedlichem Obst,
unterschiedliche Zahlen
zugewiesen werden.

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

67

Auch hierbei handelt es sich um


eine homomorphe Abbildung,
32 da unterschiedlichem Obst,
unterschiedliche Zahlen
zugewiesen werden.

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Messen in der Psychologie

• Die Zuordnung von Zahlen zu den Ausprägungen eines Merkmals hängt von
den interessierenden Eigenschaften des zu messenden Merkmals ab.
• Dabei muss festgelegt werden, welche Aussagen über die Relationen des
empirischen Relativs auf Basis der Zahlen getroffen werden können und
welche mathematischen Operationen vorgenommen werden dürfen!

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Messen in der Psychologie

Empirisches Relativ Numerisches Relativ

1
 Welche Aussagen können
getroffen werden?
 Welche mathematischen
2
Operationen sind zulässig?

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Mess- bzw. Skalenniveaus

• Welche Aussagen auf der Basis einer Messwertreihe getroffen werden


können und welche mathematischen Operationen zulässig sind, gibt das
sogenannte Mess- bzw. Skalenniveau an.
• Je höher das Skalenniveau einer Messung, umso informationshaltiger sind
die Messwerte und desto mehr mathematische Operationen dürfen
durchgeführt werden.
• Es lassen sich folgende Skalenniveaus unterscheiden:
 Nominalskala
 Ordinalskala
Exaktheit der Messung steigt
 Intervallskala mit dem Skalenniveau!
 Verhältnisskala
 Absolutskala
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Operationalisierung

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Psychologische Konstrukte

• Beim Beurteilen von Schülerverhalten benutzen Lehrkräfte oft


psychologische Merkmale (z.B. Intelligenz).
• Psychologische Merkmale sind sogenannte hypothetische/theoretische
Konstrukte, die sich nicht direkt beobachten lassen und erst aus
beobachtbaren Verhaltensweisen erschlossen werden müssen.

Welche psychologischen Konstrukte spielen im


Alltag von Lehrkräften eine Rolle?

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Psychologische Konstrukte

• Um ein Konstrukt messbar zu machen, muss es zunächst durch eine


theoretische Begriffsbestimmung präzisiert bzw. definiert werden.
• Anschließend folgt die Operationalisierung: die Überführung eines
theoretischen Konstrukts in beobachtbare Indikatoren.
• Je komplexer und weniger direkt beobachtbar ein Merkmal, desto
schwieriger ist seine Operationalisierung.

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Operationalisierung

Gewissenhaftigkeit Diagnostisches Urteil

22
Operationalisierung

Konstrukt

Gewissenhaftigkeit Diagnostisches Urteil

Gewissenhafte Personen
sind ordentlich, zuverlässig,
hart arbeitend, diszipliniert,
pünktlich, penibel, ehrgeizig
und systematisch.

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Operationalisierung

Beobachtbare Indikatoren

?
Konstrukt

Gewissenhaftigkeit Diagnostisches Urteil

Gewissenhafte Personen
sind ordentlich, zuverlässig,
hart arbeitend, diszipliniert,
pünktlich, penibel, ehrgeizig
und systematisch.

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Operationalisierung

Theoretisch fundierte Indikatoren


hält seine Sachen
ordentlich und sauber.

arbeitet hart, um seine


Ziele zu erreichen.
Konstrukt
ist sehr zuverlässig.
Gewissenhaftigkeit Diagnostisches Urteil
strebt bei allem nach
Gewissenhafte Personen Perfektion.
sind ordentlich, zuverlässig,
erledigt seine Aufgaben
hart arbeitend, diszipliniert,
verlässlich.
pünktlich, penibel, ehrgeizig
und systematisch.
Arbeitet sehr systemisch.

beginnt mit der Arbeit sofort.

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Operationalisierung

Auf impliziten Theorien basierende Indikatoren


Kann sich sprachlich
sehr gut ausdrücken.

Ist sehr ehrgeizig.

Konstrukt Versteht neue


Aufgabenstellungen sofort.
Gewissenhaftigkeit Diagnostisches Urteil
Kann sich gut auf eine
Gewissenhafte Personen Aufgabe konzentrieren.
sind ordentlich, zuverlässig,
hart arbeitend, diszipliniert, Ist sehr wissbegierig.
pünktlich, penibel, ehrgeizig
und systematisch.
Geht strukturiert an ein
Problem heran.

Erledigt seine Aufgaben


in kurzer Zeit.

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Operationalisierung

• Je theoretisch fundierter das Wissen über psychologische Merkmale,


desto bessere Indikatoren können ausgewählt werden und desto valider
und exakter das diagnostische Urteil.
• Je geringer das theoretische Wissen, desto häufiger wird unreflektiert auf
implizite Theorien zurückgreifen und desto unzuverlässiger das Urteil.

„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie!“

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Übung

Operationalisierung des Merkmals Extraversion


Definition des Konstrukts: Extravertierte Menschen sind gesellig, aktiv, gesprächig,
personenorientiert, herzlich, optimistisch und heiter.

Welche der folgenden beobachtbaren Indikatoren erfassen Extraversion?


Der/die Schüler:in…
1. …hat gerne viele Mitschüler:innen um sich herum.
2. …ist leicht zum Lachen zu bringen.
3. …arbeitet lieber mit anderen zusammen, als mit Ihnen wettzueifern.
4. …unterhält sich gerne mit anderen Menschen.
5. …ist gerne im Zentrum des Geschehens.
6. …ist ein fröhlicher, gut gelaunter Mensch.
7. …verhält sich gegenüber seinen Mitschüler:innen rücksichtsvoll und sensibel.
8. …übernimmt in einer Gruppenarbeit gerne die Führung.
9. …wird von den anderen Mitschüler:innen gemocht.
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Übung

Operationalisierung des Merkmals Extraversion


Definition des Konstrukts: Extravertierte Menschen sind gesellig, aktiv, gesprächig,
personenorientiert, herzlich, optimistisch und heiter. Sie möglichen Anregungen und Aufregungen.

Welche der folgenden beobachtbaren Indikatoren erfassen Extraversion?


Der/die Schüler:in…
1. …hat gerne viele Mitschüler:innen um sich herum.
2. …ist leicht zum Lachen zu bringen.
3. …arbeitet lieber mit anderen zusammen, als mit Ihnen wettzueifern.
Diese Indikatoren erfassen Verträglichkeit.
4. …unterhält sich gerne mit anderen Menschen.
5. …ist gerne im Zentrum des Geschehens. Verträgliche Personen sind altruistisch,
mitfühlend, verständnisvoll und wohlwollend.
6. …ist ein fröhlicher, gut gelaunter Mensch. Sie neigen zu zwischenmenschlichem Vertrauen,
7. …verhält sich gegenüber seinen Mitschüler:innen rücksichtsvoll und sensibel. zur Kooperativität, zur Nachgiebigkeit und sie
haben ein starkes Harmoniebedürfnis.
8. …übernimmt in einer Gruppenarbeit gerne die Führung.
9. …wird von den anderen Mitschüler:innen gemocht.
29
Klassische Testtheorie

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Herausforderung beim Messen

Der „wahre Wert“ eines Merkmals kann nie exakt


gemessen werden, sondern muss auf der Basis
des Messwerts geschätzt werden!

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Herausforderung beim Messen

Sportlehrer Deutschlehrer

Leistung im Weitsprung Deutschleistung

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Herausforderungen beim Messen
in den Sozialwissenschaften

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Klassische Testtheorie

• Die Klassische Testtheorie (KTT) befasst sich damit, wie der wahre Wert
und der Messwert eines Merkmals zusammenhängen.
• Die KTT geht davon aus, dass sich ein gemessener bzw. beobachteter Wert
aus dem wahren Wert und einem Messfehler zusammensetzt.
• Messfehler sind alle unkontrollierten und unsystematischen Störeinflüsse,
die sich auf das Messergebnis auswirken.
z.B. Tagesform, störende Geräuschkulisse, Urteilstendenzen

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Klassische Testtheorie

x=T+E

https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/lernpsych/Paedagogische_Diagnostik/BL_Testtheorie_Testguete/200/210/index.html

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Klassische Testtheorie

d.h. aus dem


beobachteten Messwert
wird auf den wahren
Wert geschlossen.

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Klassische Testtheorie

• Bei wiederholter Messung würde der


Messfehler immer ein bisschen anders
ausfallen.
• Die KTT geht davon aus, dass bei
unendlich vielen Messwiederholungen
der Mittelwert der Messfehler Null ist.

https://www.ewi-psy.fu-berlin.de/einrichtungen/arbeitsbereiche/lernpsych/Paedagogische_Diagnostik/BL_Testtheorie_Testguete/200/210/index.html

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Klassische Testtheorie

• Da unendlich viele Messwiederholungen unter gleichen Bedingungen nicht


zu realisieren sind, bleibt der wahre Wert eine theoretische Größe.
• Aber: je mehr Messungen vorgenommen werden, desto besser kann der
wahre Wert geschätzt werden.
• Ein zentrales Anliegen der KTT besteht darin, Verfahrensweisen und
Gütekriterien zu entwickeln, die es erlauben, den wahren Wert möglichst
messfehlerfrei zu erfassen.

 Nächste Sitzung!

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Lernziele der heutigen Sitzung

Nach der heutigen Sitzung sollten Sie:


 Messen in der Psychologie definieren können.
 wissen, wie man theoretische Konstrukte messbar machen kann.
 die Grundannahmen der Klassischen Testtheorie in eigenen Worten
erklären können.

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Literatur zur heutigen Sitzung

Literatur zu heutigen Sitzung:


Hesse, I. & Latzko, B. (2017). Diagnostik für Lehrkräfte. Opladen &
Torono: Verlag Barbara Budrich.  Kapitel 2.2
Spinath, B. & Brünken, R. (2016). Pädagogische Psychologie –
Diagnostik, Evaluation und Beratung. Göttingen: Hogrefe.  Kapitel 2.1
Tröster, H. (2019). Diagnostik in schulischen Handlungsfeldern.
Methoden, Konzepte, praktische Ansätze. Stuttgart: Kohlammer.
 Kapitel 3.4

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