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Günter Schulze
Die Metallurgie
des Schweißens
Eisenwerkstoffe - Nichteisenmetallische
Werkstoffe
13
Professor Dr.-Ing. Günter Schulze
dokschu@t-online.de
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte
bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Ein Schwerpunkt der Neubearbeitung war die extrem mühsame und langwierige Anpassung
an neue europäische (EURO-Normen) und internationale Normen, soweit sie für Deutsch-
land Bedeutung haben bzw. wichtig sind. Man merkt den Normen vielfach an, dass sehr
viele Nationen und Fachleute an ihrer Bearbeitung beteiligt sind. Daher ist eine gewisse
Inkonsequenz in vielen Normen – vor allem der »wichtigen« – nicht zu übersehen. Außer-
dem ist die Vielzahl und der extrem gesteigerte Umfang der neuen bzw. der überarbeiteten
Normen für den in der Praxis stehenden Ingenieur häufig verwirrend. Ihre Anwendung ist
daher oft unangemessen und mühsam. Von der angestrebten Harmonisierung im europäi-
schen Raum kann also noch längere Zeit nicht die Rede sein.
Mit dem vorliegenden Buch sollen dem Studenten des Maschinenbaus wesentliche Grundla-
gen des ständig an Bedeutung zunehmenden Fügeverfahrens Schweißen in einer möglichst
anschaulichen Form präsentiert werden. Darüber hinaus wird es auch dem bereits in der
Praxis stehenden Ingenieur helfen, theoretische Grundlagen aufzufrischen und zu vertie-
fen. Wegen der Vielfalt und des Umfangs der beteiligten Wissensgebiete musste der Stoff auf
wichtige Themen begrenzt werden. Die Auswahl ist damit naturgemäß subjektiv. Die Ver-
fasser haben sich bemüht, in einem Band die erforderlichen Grundlagen in einer dem Stu-
denten angemessenen und verständlichen Form darzustellen. Dabei wurden gewisse Redun-
danzen bewusst in Kauf genommen, die nach der Erfahrung der Autoren den Lernerfolg in
vielen Fällen günstig beeinflussen.
VI Vorwort
Die Autoren strebten eine anschauliche und nicht übermäßig theoretische Darstellung an,
die im Bereich der Bruchmechanik zwangsläufig nur teilweise gelang. Diesem Ziel dienen
u. a. eine große Anzahl Skizzen, Schaubildern und Tabellen sowie ein sehr ausführliches
und aufwändiges Sachwortverzeichnis. Gefügeaufnahmen sind i. Allg. in einer Größe abge-
bildet, die ein Verständnis des Bildinhalts ermöglicht bzw. erleichtert. Die sehr ausführli-
chen Bildlegenden erlauben in den meisten Fällen eine sofortige Interpretation der Darstel-
lung. Für weitergehende Informationen des Lesers dient ausgewähltes Schrifttum, das am
Ende des jeweiligen Kapitels aufgeführt ist.
Als Problem während der Bearbeitung erwies sich die Umstellung der nationalen auf die
häufig erheblich geänderten europäischen Normen. Aus redaktionellen Gründen konnten
lediglich die bis Ende 1991 als Weißdruck erschienenen EURO-Normen berücksichtigt wer-
den. Die häufig fehlenden Querverbindungen zu anderen (noch nationalen) Normen führten
in einigen Fällen zu einer inkonsistenten Darstellungsweise.
Entsprechend der Tatsache, dass »der Werkstoff die Schweißbedingungen diktiert«, wird
den werkstofflichen Grundlagen beim Schweißen der größte Platz eingeräumt. Erfahrungs-
gemäß bereiten die Besonderheiten der Schweißmetallurgie der verschiedenen (Stahl-)Werk-
stoffe dem Lernenden oft Schwierigkeiten. Um den Umfang des Buches in Grenzen zu hal-
ten, ist nur die Metallurgie der Stahlschweißung ausführlicher behandelt. Eine Beschrän-
kung, die mancher Leser vielleicht bedauernd zur Kenntnis nehmen mag. Die Beschreibun-
gen über das Verhalten der unlegierten, legierten und hochlegierten Stähle beim Schwei-
ßen sind um knappe, einführende Kapitel zur klassischen Werkstoffkunde ergänzt. In ih-
nen werden im wesentlichen einige zum Verständnis der Schweißmetallurgie der Stähle er-
forderliche wichtige Grundlagen besprochen, die in der vergleichbaren Literatur meist nicht
mit dem wünschenswerten Bezug zur Schweißtechnik abgehandelt sind.
Gemäß der Zielsetzung wurde nur eine begrenzte Anzahl typischer schweißmetallurgischer
Probleme behandelt, diese aber verhältnismäßig ausführlich. Dazu gehören die Schweiß-
eignung, die Zusatzwerkstoffe, der Einfluss der Wärmequelle auf die Eigenschaften der Ver-
bindung und die Schweißmetallurgie der wichtigsten Stähle.
Aus der Vielzahl der gegenwärtig vorhandenen Berechnungsverfahren für geschweißte Bau-
teile sind die aktuellsten der beiden wichtigsten Vorschläge, die DIN 18800-1 (November
1990) und die DIN 15018-1 (November 1984), in der gebotenen Kürze dargestellt und ihre
Anwendung mit einfachen Berechnungsbeispielen erklärt.
Die Darstellung der Prüfung von Schweißverbindungen und ihrer praktischen Anwendung
im Kapitel 6 ist als Ergänzung zu den Grundkenntnissen der Werkstoffprüfung für den Stu-
denten und Ingenieur und als Nachschlagwerk für den Schweißpraktiker gedacht. Wegen
des begrenzten Umfangs wurden nur einige und besonders wichtige Prüfverfahren ausge-
wählt. Im wesentlichen sind dies Verfahren zur Werkstoff- und Strukturanalyse, die mecha-
nisch-technologischen Prüfverfahren und schließlich einige bruchmechanische Prüfverfah-
ren und Versagenskonzepte. Besonders hervorgehoben sind die Anwendungsmöglichkeiten
und -grenzen.
Vorwort VII
Die Vielfältigkeit und der Umfang der Werkstoffprüftechnik erforderten vielfach die Beant-
wortung von Fragen zu Details durch die Fachkollegen von Herrn Dr. Krafka in der Bun-
desanstalt für Materialprüfung und -forschung Berlin (BAM). Dem Präsidenten der BAM,
Herrn Prof. Dr. rer. nat. G. W. Becker danken der Verfasser und der Herausgeber für die
Erlaubnis, diesen Abschnitt schreiben und Bild- und Untersuchungsmaterial der BAM ver-
wenden zu dürfen. Herr Dr. Krafka dankt besonders seinen Kollegen, den Herren Dipl.-Ing.
K. Wilken und Dr. V. Neumann, die ihm Unterlagen überließen und für Diskussionen zur
Verfügung standen. Frau Ball dankt er für die Anfertigung zahlreicher metallografischer
Aufnahmen und Herrn Dipl.-Ing. B. Abassi für die Herstellung der Zeichnungen zu diesem
Kapitel.
Ganz besonderen Dank schuldet der Herausgeber Herrn Dipl.-Ing. I. Tanyildiz, dem Ge-
schäftsführer der OTA-Gruppe Berlin, für die großzügige finanzielle und sachliche Unter-
stützung dieses Projektes.
Inhalt
1.4 Phasenumwandlungen 22
1.4.1 Phasenumwandlung flüssig-fest 24
1.4.1.1 Primärkristallisation von (reinen) Metallen 24
1.4.1.2 Primärkristallisation von Legierungen 27
1.4.2 Phasenumwandlungen im festen Zustand 30
1.4.2.1 Diffusionskontrollierte Phasenumwandlungen 32
Ausscheidungsumwandlung 32
Ordnungsumwandlung 33
Massivumwandlung 33
Polymorphe Umwandlung 34
1.4.2.2 Diffusionslose Phasenumwandlungen (Martensitbildung) 34
Gegenmaßnahmen 210
2.8.3.4.2 Sigma-Phase (s -Phase) 210
2.8.3.4.3 475 °C-Versprödung 211
2.8.4 Einteilung und Stahlsorten 214
2.8.4.1 Martensitische Chromstähle 215
2.8.4.2 Ferritische Chromstähle 215
2.8.4.3 Austenitische Chrom-Nickel-Stähle 217
Stickstofflegierte austenitische Stähle 220
2.8.4.4 Austenitisch-ferritische Stähle (Duplexstähle) 221
Messerlinienkorrosion 436
Metallurgie des Schweißens 437
4.3.7.6 Austenitisch-ferritische Stähle (Duplexstähle) 440
4.3.8 Verbinden/Auftragen unterschiedlicher Werkstoffe 446
4.3.8.1 Austenit-Ferrit-Verbindungen 446
4.3.8.2 Schweißplattieren 448
4.3.8.3 Schweißpanzern 451
7 Sachwortverzeichnis 597
XVIII Symbole und Abkürzungen
Abkürzungen
A Austenit
a a-Ferrit (allgemein metallografische Phasen)
B Bainit
d d -Ferrit (allgemein metallografische Phasen)
EKS Eisen-Kohlenstoff-Schaubild
EMK Einlagerungsmischkristall
ESZ ebener Spannungszustand
EVZ ebener Verzerrungszustand
F Ferrit
FF vollberuhigter Stahl (Bezeichnung nach DIN EN 10027-1)
FN nicht unberuhigter Stahl (nach DIN EN 10027-1, nach DIN 17006
unbekannt)
FU unberuhigter Stahl (Bezeichnung nach DIN EN 10027-1)
hdP hexagonal dichteste Packung
HB Brinellhärte
HV Vickershärte
g Austenit (allgemein metallografische Phasen)
iV intermediäre Verbindung (auch V)
IK interkristalline Korrosion
kfz kubisch-flächenzentriert
krz kubisch-raumzentriert
M Martensit
Ms, Mf Martensitstart- bzw. Martensitfinishing-Temperatur
N normalgeglüht (Bezeichnung nach DIN 17006)
P Perlit
R beruhigter Stahl (alte Bezeichnung nach DIN 17006, nach DIN 10027-1
unbekannt)
REM Rasterelektronenmikroskop
RR besonders beruhigter Stahl (alte Bezeichnung nach DIN 17006, neue: FF)
RT Raumtemperatur
SMK Substitutionsmischkristall
SpRK Spannungsrisskorrosion
SRC Stress Relief Cracking (Wiedererwärmungsriss)
trz tetragonal-raumzentriert
TEM Transmissionselektronenmikroskop
TM thermomechanische Behandlung
U unberuhigter Stahl (alte Bezeichnung nach DIN 17006, neue: FU)
V intermediäre Verbindung (auch iV)
WEZ Wärmeeinflusszone
ZTA Zeit-Temperatur-Ausscheidungs-Schaubild
ZTA Zeit-Temperatur-Austenitisierungs-Schaubild
ZTU Zeit-Temperatur-Umwandlungs-Schaubild
1 Grundlagen der Werkstoffkunde
und der Korrosion
1.1 Schweißtechnik erfordert keit und Härte. Sie ist die für die Bauteilsi-
cherheit geschweißter Konstruktionen wich-
die Werkstoffkunde tigste Eigenschaft. Art und Umfang der Än-
derungen sind wie bei jeder Wärmebehand-
Vor allem bei Schmelzschweißprozessen ent- lung von deren Temperatur-Zeit-Führung ab-
stehen im hängig. Für ein tieferes Verständnis ist aller-
dings die Einsicht nötig, dass die Tempera-
Schweißgut und in der tur-Zeit-Verläufe bei den unterschiedlichen
Wärmeeinflusszone (WEZ) Schweißverfahren z. T. beträchtlich von denen
üblicher technischer Wärmebehandlungen
die vielfältigsten Werkstoffänderungen. Das abweichen, Bild 1-1.
Schweißverfahren und die Schweißparame-
ter bestimmen weitestgehend die Ausdeh- Die Aufheizgeschwindigkeiten beim Schwei-
nung und die Eigenschaften der WEZ. Die ßen mit den unterschiedlichen Verfahren be-
Zähigkeit der WEZ nimmt praktisch immer tragen etwa 400 K/s bis 1000 K/s, die Abkühl-
ab, oft verbunden mit einer höheren Festig- geschwindigkeiten einige 100 K/s und die
Haltedauer (Abschn. 4.1.2, S. 309) beträgt
T < TS nur wenige Sekunden. Die Wärmeeinflusszo-
ne wird also nur höchstens einige zehn Sekun-
1
den thermisch beeinflusst. Bei technischen
Temperatur T
Das Gefüge des Schweißguts (Abschn. 4.1.1.1, Die sich beim Schweißen ergebenden werk-
S. 300) ist wegen der extrem raschen Abküh- stofflichen Änderungen sind praktisch im-
lung typisch transkristallin (anisotrop). Die mer das Ergebnis einer extremen metallurgi-
Gefügeausbildung in der Wärmeeinflusszone schen Ungleichgewichtsreaktion. Die Beschrei-
(WEZ) ist außerdem abhängig von der chemi- bung und Deutung dieser Vorgänge ist mit
schen Zusammensetzung des Grundwerk- dem Instrumentarium der »üblichen« Werk-
stoffs und meistens sehr komplex und unüber- stoffkunde nicht einfach. In den meisten Fäl-
sichtlich. Die Gefüge der Wärmeeinflusszo- len sind zusätzliche schweißspezifische Kennt-
ne sind bei den unterschiedlichen Werkstof- nisse erforderlich.
fen durch verschiedene Besonderheiten ge-
kennzeichnet:
– Als Folge der großen Wärmeleitfähigkeit 1.2 Aufbau metallischer
metallischer Werkstoffe kühlt der schmelz- Werkstoffe
grenzennahe Bereich der WEZ z. T. sehr
schnell ab. Daher besteht z. B. bei der 1.2.1 Bindungsformen der Metalle
Werkstoffgruppe »umwandlungsfähiger
(und höhergekohlter, legierter) Stahl« die In einem Metall sind die Atome periodisch
Gefahr, dass sich harte, spröde, d. h. riss- regelmäßig nach einem geometrischen »Mus-
anfällige Gefügebestandteile bilden (hö- ter« kristallin angeordnet. Das Gefüge der
hergekohlter Martensit). Durch Vorwär- Metalle besteht aus Kristallen (genauer Kris-
men (Abschn. 4.1.3.3, S. 327) der Fügetei- talliten). Flüssigkeiten, Gläser und z. T. die
le oder (und) erhöhte Energiezufuhr beim Kunststoffe sind im Gegensatz zu den Metal-
Schweißen muss die Abkühlgeschwindig- len amorph, ihre Atome bzw. Moleküle sind
keit soweit verringert werden, dass mög- also regellos angeordnet.
lichst kein Martensit entsteht bzw. die Bau-
teilsicherheit gewährleistet ist. Die Art des Atomaufbaus (Mikrostruktur) so-
– Die hohe Temperatur begünstigt z. B. die wie die Bindungsart bestimmen die Festig-
Bildung eines grobkörnigen Gefüges, das keits- und Zähigkeitseigenschaften. Die un-
i. Allg. eine deutlich geringere Zähigkeit terschiedlichen Mechanismen der atomaren
besitzt als der Grundwerkstoff. Bindung hängen von der Atomart, bzw. von
– Ausscheidungen aller Art im Schweißgut ihrer Elektronegativität ab.
und vor allem in der WEZ setzen die me-
chanischen Gütewerte herab und verrin- Für ein erstes Verständnis dieser komplizier-
gern die Korrosionsbeständigkeit. ten Einzelheiten ist die Bohrsche Theorie
– Einige Werkstoffe, in erster Linie die sog. hinreichend. Danach besteht jedes Atom aus
hochreaktiven Metalle, wie z. B. Titan, Tan- einem positiv geladenen Kern, um den eine
tal, Molybdän, Zirkonium, nehmen schon negativ geladene Atomhülle angeordnet ist,
bei Temperaturen über etwa 300 C atmo- in der sich die Elektronen nach bestimmten
sphärische Gase (H2, O2, N2) auf, die die Gesetzmäßigkeiten auf bis zu sieben räumli-
Schweißverbindung völlig verspröden kön- chen Schalen (Energieniveaus) befinden. Die
nen. Die über 300 C erwärmten Berei- Schalen werden von innen nach außen als
che der Schweißverbindung müssen da- 1., 2., 3., ... n. Schale (Schale der Hauptquan-
her beim Schweißen großflächig vor einem tenzahl n 1, 2, 3, ...) oder mit den Buchsta-
Luftzutritt geschützt werden. ben K, L, M, N, ... bezeichnet. Jede Schale
– Verbindungs- und Auftragschweißungen kann maximal 2 ¹ n2 2 Elektronen aufneh-
unterschiedlicher Werkstoffe sind kom- men, die K-Schale also 2 ¹ 12, die L-Schale
plexe metallurgische Prozesse. Es entste- 2 ¹ 22 8 Elektronen. Die Anzahl der Elektro-
hen häufig und oft in unvorhergesehenem nen auf der äußersten Schale kann nur zwi-
Umfang Gefüge mit extremer Härte und schen 1 und 8 liegen.
Sprödigkeit. Die Sicherheit des Bauteils
bzw. seine Gebrauchseigenschaften sind Die Eigenschaften eines Festkörpers sind
dann nicht gewährleistet. durch seine Bindungsart vorgegeben. Die
Abschn. 1.2: Aufbau metallischer Werkstoffe 3
elektrische Anziehung zwischen negativ ge- nen an, die der positiven Kernladung Z (Pro-
ladenen Elektronen und den positiv gelade- tonenzahl) entspricht. Innerhalb einer Grup-
nen Atomkernen ist die einzige Ursache für pe sind wegen der gleichen Zahl der Außen-
den Zusammenhalt des Festkörpers. Sie be- elektronen jeweils chemisch ähnliche Elemen-
stimmt daher in der Hauptsache sein Verhal- te angeordnet. In den sieben Perioden (waa-
ten bei mechanischer Beanspruchung. Die gerechte Reihen) werden die Schalen aufge-
wichtigsten Eigenschaften eines Festkörpers, füllt. Die Außenelektronen befinden sich hier
wie das chemische Reaktionsverhalten, die aber immer auf der gleichen Schale. Die Zif-
Festigkeits- und Zähigkeitseigenschaften wer- fer der jeweiligen Periode entspricht damit
den von diesen Außenelektronen bestimmt. der Anzahl der Elektronenschalen des betref-
fenden Elements.
Die periodische Wiederkehr vieler Eigen-
schaften ermöglicht die Einordnung der Ele- Die Außenelektronen der Metalle sind rela-
mente in das Periodensystem. Die Elemente tiv locker an das Atom gebunden, da bei ih-
lassen sich in acht große Gruppen (senkrech- nen die Anziehungskraft des Atomkerns am
te Spalten) einteilen. Die Gruppennummer kleinsten ist. Der leichte Verlust dieser Elekt-
(I bis VIII) gibt die Zahl der Außenelektro- ronen ist die Ursache für die geringe Korro-
sionsbeständigkeit der Gebrauchsmetalle.
Das chemische Verhalten der Elemente wird
durch Zahl und Anordnung der Außenelektro-
nen bestimmt. Die Systematik des Perioden-
systems gibt diese Besonderheit sehr deut-
lich und anschaulich wieder.
Bild 1-3
Verlauf der Kräfte (a) bzw. potenziellen Energien (b)
in einem aus zwei Atomen bestehenden System in Bild 1-4
Abhängigkeit von ihrem Abstand. Metallische Bindung, schematisch.
a) 1 = Anziehende Kräfte zwischen zwei Atomen.
2 = Abstoßende Kräfte der sich zunehmend nä-
hernden positiv geladenen Atomkerne. 1.2.1.1 Metallische Bindung
3 = Resultierende Kräfte F, Fk = Kohäsionskraft. Metalle besitzen nur eine geringe Anzahl
b) 1 = Verlauf der potenziellen Energie der zwei sich schwach gebundener Außenelektronen, die
zunehmend nähernden Atome (alleinige Wirkung im Metallverband praktisch frei beweglich
der anziehenden Kräfte). sind ( Valenzelektronen). Die Metallbindung
2 = Energieverlauf als Folge der abstoßenden Wir-
entsteht durch die Coulombsche Anziehungs-
kung der Atomkerne.
3 = Resultierender Verlauf der potenziellen Ener- kraft zwischen den negativen Elektronen
gie, W0 = Energie, die zum vollständigen Tren- und den positiven Metallionen, wie in Bild
nen der beiden Atome erforderlich ist. 1-4 gezeigt wird.
Abschn. 1.2: Aufbau metallischer Werkstoffe 5
Die anziehenden Kräfte sind nicht gerichtet, unterschiedlich geladenen Teilchen (Ionen)
d. h. nicht nur auf zwei Atome beschränkt, bewirkt ihren Zusammenhalt. Daher wird
sie erfassen vielmehr den gesamten Atom- diese Bindungsform auch heteropolar ge-
verband. Als Folge dieser allseitig wirken- nannt.
den Kräfte ordnen sich die Atomrümpfe in
einem dicht gepackten nach geometrischen Die von den Ionen ausgehenden Kräfte wir-
Gesetzmäßigkeiten aufgebauten Gitterver- ken allseitig. Die Ionen sind daher wie bei
band an. Da die einzelnen Atomrümpfe völ- der Metallbindung regelmäßig in einem Io-
lig gleichwertig sind, erzeugt ihre gegenseiti- nengitter angeordnet, Bild 1-5b. Heteropolar
ge Verschiebung keine wesentlichen Änderun- gebundene Stoffe können nicht plastisch ver-
gen des Gitterzusammenhangs. Metalle kön- formt werden, da sich bei Verschiebungen um
nen daher plastisch verformt werden, ohne nur einen Atomabstand gleichnamig gelade-
dass die metallische Bindung zerstört wird. ne Teilchen gegenüber stünden. Die entste-
Eine weitere Konsequenz dieser Bindungs- henden großen abstoßenden Kräfte würden
art ist die Möglichkeit, zwei oder mehr Atom- den Kristall ohne jede plastische Verformung
sorten in einem Metallgitter zu »verbinden«. trennbruchartig zerstören.
Es muss also nicht ein bestimmtes charakte-
ristisches Atomverhältnis vorliegen wie bei 1.2.1.3 Atombindung
einer »echten« chemischen Verbindung. Diese (kovalente Bindung)
Tatsache ist die Grundlage der »Legierungsbil- Bei dieser Form der Bindung, die vor allem
dung« (Abschn. 1.6). bei Nichtmetallen und Gasen auftritt, kann
der Edelgaszustand der Außenschale weder
1.2.1.2 Ionenbindung durch Elektronenaufnahme noch -abgabe er-
(heteropolare Bindung) reicht werden. Den im Periodensystem rechts
Diese Art der Bindung ist typisch für die Re- stehenden Nichtmetallen fehlen nur wenige
aktion eines Metalles mit einem Nichtmetall. Elektronen, um die stabile Edelgasschale bil-
Der stabile Edelgaszustand der Außenscha- den zu können. Die Bindung ist möglich, in-
len wird erreicht, indem die wenigen schwach dem sich zwei Atome ein Elektron oder meh-
gebundenen Valenzelektronen des Metalls rere Elektronen gemeinsam teilen, je nach-
von dem sehr stark elektronegativen Nichtme- dem wieviel Elektronen zum Auffüllen der
tall angezogen werden, Bild 1-5. Das Metall Achterschale fehlen.
wird also durch Elektronenabgabe negativ
geladen. Die elektrostatische Anziehung der Bei der Atombindung gleicher Atome fällt
der Schwerpunkt der negativen und positi-
ven Ladung zusammen. Bei unterschiedli-
chen Atomen wird die Atomsorte mit der grö-
ßeren positiven Ladung die gemeinsamen
Elektronen stärker anziehen als die andere
und gleichzeitig dessen positiven Kern stär-
ker abstoßen. Das Molekül wird polar, (»Di-
pol«) d. h., die Atombindung hat dann hete-
ropolare Anteile.
form zwischen (engl. intermediate) der Atom- Bild 1-6 zeigt die für Metalle wichtigsten Git-
und der Ionenbindung liegt. tertypen. Das kubisch-flächenzentrierte Git-
ter (kfz) und das Gitter mit der hexagonal
Man beachte, dass die plastische Verformbar- dichtesten Packung (hdP) unterscheiden sich
keit eines Werkstoffes mit zunehmendem bei allerdings unterschiedlicher Packungs-
metallischem Bindungsanteil größer, und dichte nur durch die Reihenfolge der sie auf-
mit zunehmendem Anteil der Ionen- bzw. bauenden »Schichten« (Netz- oder Atomebe-
Atombindung kleiner wird. nen). Dieser scheinbar geringfügige Unter-
schied ist die Ursache für die große Anzahl
dichtest gepackter Netzebenen im kfz Gitter
1.2.2 Gitteraufbau der Metalle und das Vorhandensein nur einer einzigen
(Basisebene) im hdP Gitter. Die hervorragen-
Die zwischen den Metallionen und der sie de Verformbarkeit und die grundsätzlich gu-
umgebenden Elektronenwolke herrschen- te Schweißeignung der kfz Werkstoffe, z. B.
den allseitig wirkenden Coulombschen An- Aluminium, Kupfer, Nickel, lassen sich we-
ziehungskräfte erzwingen eine regelmäßige nigstens z. T. damit erklären.
räumliche Anordnung der Atome. Diese Grup-
pierung nennt man Raum- oder Kristallgit- Der Gitteraufbau einiger Metalle weicht er-
ter. Das kleinste Element, das die Art des Git- heblich von der für Metalle typischen kubi-
teraufbaus eindeutig kennzeichnet, ist die schen Packungsanordnung ab. Antimon, Bis-
Elementarzelle. mut und Gallium z. B. kristallisieren in der
Bild 1-6
Die wichtigsten Arten von Elementarzellen bei Metallen und ausgewählte Gitterebenen. akrz , akfz = Gitterkons-
tanten des krz bzw. kfz Gitters, R = Atomradius, VAtom = Atomvolumen: VAtom = 4p ◊ R3/3 .
a) Kubisch-raumzentriert: krz, Packungsdichte Pkrz = 2 ◊ VAtom/a3krz = 0,68, s. a. Aufgabe 1-2 und 1-3, S. 110;
b) kubisch-flächenzentriert: kfz, Packungsdichte Pkfz = 4 ◊ VAtom/a3kfz = 0,74;
c) hexagonal dichteste Packung: hdP.
Beachte die sehr unterschiedliche Massenbelegung (»Packungsdichte«) der herausgehobenen Gitterebenen! Nur
die vier zueinander nicht parallelen »Oktaederebenen« des kfz Gitters und eine Basisebene des hdP Gitters
sind dichtest gepackt. G1 , G2 , G3 sind bevorzugte Gleitrichtungen in dichtest gepackten Gitterebenen.
Abschn. 1.2: Aufbau metallischer Werkstoffe 7
merklich erschwert werden. Defektreiche Ge- zwischen verunreinigenden und damit die
füge sind daher härter und weniger verform- Werkstoffeigenschaften nachteilig beeinflus-
bar als die defektärmeren, gleichgewichtsna- senden Elementen und absichtlich zugesetz-
hen Gefüge, s. a. Beispiel 5-1, S. 513. ten ( güteverbesserndes Legierungselement)
unterschieden werden.
Die Zahl der Leerstellen n steigt exponen-
tiell mit der Temperatur T gemäß einer ein- Versetzungen sind linienförmige Gitterfehler
fachen Arrhenius-Funktion: unterschiedlicher Bauart (Stufen- und Schrau-
benversetzungen) im Kristall. Sie sind für
Ê Q ˆ
n = N ◊ exp Á - L ˜ . [1-1] das Verständnis der Festigkeits- und Zähig-
Ë RT¯
keitseigenschaften von großer Bedeutung.
In Gl. [1-1] bedeuten N die Anzahl der Gitter- Der Rand einer in den Kristall eingeschobe-
plätze in m3, QL die (Aktivierungs-)Energie nen Halbebene, E-F in Bild 1-8a, wird als Ver-
zum Erzeugen einer Leerstelle und R die Gas- setzung, genauer als Stufenversetzung be-
konstante ( 8,31 J / mol ¹ K). zeichnet. Die zweite Form ist die Schrauben-
versetzung. Der Kristall besteht im Bereich
Leerstellen beeinflussen entscheidend den
Ablauf und das Ergebnis der diffusionsgesteu-
erten Platzwechselvorgänge z. B. bei
– Wärmebehandlungen (Rekristallisation,
Glühbehandlungen) oder
– Hochtemperaturbeanspruchungen (Krie-
chen).
Ein Maß für die Größe und Richtung der Eine Versetzung entsteht, wenn eine Halbebe-
durch die Versetzung erzeugten Gitterver- ne in das Gitter eingeschoben wird. Oberhalb
zerrung ist der Burgers-Vektor b. Bild 1-9 der Gleitebene G – G erzeugt die Versetzung
enthält Einzelheiten für seine Ermittlung. daher Druck- unterhalb Zugspannungen, Bild
Danach steht bei der Stufenversetzung der 1-10. Das Bild zeigt die Richtungen der Kräf-
Burgers-Vektor b senkrecht auf der Verset- te in den einzelnen Quadranten, die eine Stu-
zungslinie V (bAV), bei der Schraubenverset- fenversetzung auf gleichartige Versetzungen
zung liegt b parallel zu ihr (b __ V). Versetzun- als Folge der Wechselwirkung ihrer Spannungs-
gen können nur an der Oberfläche bzw. an felder ausüben. Danach können sich bei Ver-
geeigneten Störstellen im Inneren des Kris- setzungen, die in den Sektoren B angeordnet
talls enden (z. B. Ausscheidungen, Poren, sind, die Druck- und Zugspannungen annä-
verankerte Versetzungen). Es können auch hernd ausgleichen. Wenn genügend Energie
geschlossene Ringe bzw. netzförmige Anord- zugeführt wird, dann nähern sich die Verset-
nungen entstehen. zungen. Sie ordnen sich dabei etwa »senk-
recht« übereinander an, weil durch diese Verset-
zungsumlagerung der Energieinhalt des Ge-
füges abnimmt. Diese metallphysikalischen
Vorgänge spielen auch bei der Vorstufe der
Rekristallisation, Abschn. 1.5.2 – der Polygoni-
sation – eine wichtige Rolle.
Bild 1-12
Glühzwillinge in Kupfer, V = 200 :1.
Bild 1-13
Einfluss der Oberflächenenergie (Oberflächenspannung) an Phasengrenzen auf die Form und Anordnung von
Phasen, die sich im metastabilen Gleichgewicht befinden. Siehe auch Aufgabe 1-10, S. 115.
a) Die Winkel a zwischen den Korngrenzen dreier sich in einem Punkt treffender Körner bzw. beliebiger Pha-
sen (A, B, C) betragen im Gleichgewicht a1 = a2 = a3 = 120 ∞; es gilt: gBC/sin a 1 = gAC/sin a 2 = gAB/sin a 3 .
b) Die unterschiedlichen Oberflächenenergien der Korngrenze (gAA ), und der Phasengrenzfläche (gAB ) bestim-
men die Form der an der Korngrenze ausgeschiedenen Phase B. Es gilt: gAA = 2◊ gAB cos (b/2).
c) Die sich in der Matrix (A) gebildete Phase (B) bzw. inkohärente Ausscheidung hat die Form einer Kugel.
d) Der Winkel b , d. h., die Oberflächenenergie der ausgeschiedenen Phase bestimmt weitgehend deren Form.
b Æ 0 ∞: Phase breitet sich filmartig an den Korngrenzen aus: sie »filmt« die Körner ein.
b Æ 180 ∞: Phase liegt kugelförmig an den Korngrenzen.
e) Anwendung auf technische Benetzungsvorgänge der ausgeschiedenen Phase, z. B. Löten (s. a. Aufgabe 3-4):
b Æ 0 ∞: hervorragende Benetzbarkeit (Lot verläuft als einmolekulare Schmelzenschicht!),
b Æ 180 ∞: Benetzen nicht möglich, oder Werkstückoberfläche entnetzt, Löten ist unmöglich.
12 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
1)
Die Korngröße (d) liegt für viele Werkstoffe
Das kann z. B. durch Kaltverformen und anschlie- zwischen einigen Pm und etwa 1 mm. Quanti-
ßendes Erwärmen auf Temperaturen unterhalb
der Rekristallisationstemperatur erreicht wer- tativ wird sie bzw. die Kornfläche in der Pra-
den. Dabei entsteht abhängig vom Grad der Kalt- xis genügend genau mit Hilfe von Vergleichs-
verformung ein Gefüge mit hoher Subkorngren- bildern ermittelt, die z. B. durch optischen
zendichte. Eine weitere, wirtschaftlich und tech- Vergleich unter dem Mikroskop bei einer Ver-
nisch sehr wichtige Methode ist die Verringerung
der Sekundärkorngröße durch spezielle Maßnah-
größerung von i. Allg. V 100:1 dem Werk-
men bei der Stahlherstellung: Feinkornstähle, s. stoff zugeordnet werden (DIN EN ISO 643).
Abschn. 2.7.6, S. 184. Der Zusammenhang zwischen der mittleren
Abschn. 1.2: Aufbau metallischer Werkstoffe 13
Temperatur, wird der Werkstoff durch eine zu- Die Wirksamkeit elementarer Verunreinigun-
nehmende Korngrenzenfläche ( feinkörni- gen hängt u. a. vom Grad ihrer Löslichkeit
ges Gefüge) zunehmend geschädigt. Hitzebe- in der Matrix ab. Je größer die Löslichkeit
ständige Werkstoffe werden daher meistens der Elemente ist, desto geringer ist die Wahr-
grobkörnig erschmolzen. Außerdem sind die scheinlichkeit, sie im Korngrenzenbereich
mechanischen Gütewerte auch von der Art, »ausgeschieden« zu finden.
Menge und Verteilung der Korngrenzensub-
stanz abhängig. Grundsätzlich gilt, dass mit Niedrigschmelzende (meistens) eutektische
abnehmender Korngröße (große Korngrenzen- Verbindungen verursachen bei gleichzeitiger
fläche) die Wirkung der Korngrenzensubstanz Einwirkung von Zugspannungen den gefähr-
wegen der dann geringeren Belegungsdichte lichen Heißriss (Abschn. 1.6.3.1), der das
abnimmt. Die verwickelten Zusammenhänge Bauteil ohne aufwändige Reparaturmaßnah-
sollen in folgender sehr vereinfachter Form men unbrauchbar macht. Die zulässigen Men-
dargestellt werden.
Beispiel 1-1:
Bei einer Vergrößerung von V = 200:1 wurden in einer
Schlifffläche von AS = 10 000 mm2 280 Körner gezählt.
Die Korngrößen-Kennzahl G des Werkstoffs gemäß
Gl. [1-3] und der mittlere quadratische Korndurch-
messer d sind zu bestimmen (s. Tabelle 1-1), s. a. Auf-
gabe 1-1, S. 110.
Bild 1-16
Die Anzahl (m) der Körner/mm2 werden bei V = 100:1
Verformungs- und Bruchvorgänge in einem idealen
aus einer Gesamtmessfläche AS = 10 000 mm2 ermittelt.
Kristallgitter.
Damit wird m (bei V = 1:1!) bzw. G und d:
a) Vorgänge beim Spalten bei makroskopischer und
2
Ê 200 ˆ K örner atomarer Betrachtungsweise. Für die Schaffung
m= Á ◊ 280 = 4 ◊ 280 = 1120 = 2G + 3
Ë 100 ˜¯ mm 2 der Spaltbruchflächen ist bei spröden Werkstoffen
log 1120 = ( G + 3 ) ◊ log 2 , daraus folgt G = 7,17 die Bruchflächenenergie 2◊g (zwei Bruchflächen!),
bei zähen die um die plastische Verformungsarbeit
und damit wird d :
erhöhte Bruchflächenenergie erforderlich.
1 1 b) Vorgänge beim »Gleiten« bei makroskopischer und
d= = O 0,03 mm.
m 1120 bei atomarer Betrachtungsweise.
Abschn. 1.3: Mechanische Eigenschaften der Metalle 15
Eine Abschätzung dieser theoretischen Trenn- freie Oberfläche erreicht hat oder auf ein
festigkeit st ergibt z. B. für Stahl einen Wert Hindernis stößt, Bild 1-17d, 1-17e, (z. B. Groß-
von etwa st O 21 000 N/mm2 (Abschn. 2.6.2, winkelkorngrenzen, Zwillingsgrenzen, Aus-
S. 158). Die Bruchfestigkeiten technischer scheidungen, Poren oder unbewegliche Verset-
Werkstoffe liegen mindestens eine Größenord- zungen). Hier entsteht eine Gleitstufe, deren
nung, meistens zwei niedriger. Größe dem Betrag des Burgers-Vektors b ent-
spricht, siehe Bild 1-17e.
Bei der plastischen Verformung müssten zwei
benachbarte Kristallblöcke entlang der Gleit- Die makroskopisch sichtbare bzw. messbare
ebene gleichzeitig als Ganzes abgleiten, wenn Verformung entsteht durch das Abgleiten
die äußere Schubspannung größer als die the- einer Vielzahl von z. T. dichtest benachbar-
oretische Schubfestigkeit wird, Bild 1-16b. ter Werkstoff bereiche entlang paralleler
Diese Spannung beträgt nach der Ableitung Gleitebenen. Dieser Vorgang verläuft diskon-
in Abschn. 2.6.2 bei einem Idealkristall ange- tinuierlich, weil durch Verfestigungsvorgän-
nähert tt O G/10. Für die Stähle ergibt sich ge (Abschn. 1.3) das Gleiten auf einigen Ebe-
z. B. mit G 80 000 N/mm2 tt O 8000 N/mm2, nen verhindert bzw. erschwert wird. Für eine
ein Wert, der 100 bis 1000 Mal größer ist als weitere plastische Verformung müssen da-
bei realen Werkstoffen beobachtet wird. her neue Gleitebenen aktiviert werden. Das
Ergebnis der Verformungsprozesse ist auf
der Werkstückoberfläche in Form von Gleit-
1.3.2 Verformungsvorgänge in linienbändern gut erkennbar. Sie sind auch
technischen Metallen die Ursache für das Mattwerden ursprüng-
lich glänzender Metalloberflächen nach einer
Die erheblichen Diskrepanzen zwischen der plastischen Verformung.
Festigkeit idealer und realer Werkstoffe sind
auf die Anwesenheit bestimmter Gitterbau- Um Gleitverformungen zu erzeugen, ist im
fehler (insbesondere Versetzungen, aber auch Gegensatz zur extrem schnellen Zwillingsbil-
Korngrenzen) zurückzuführen. Bild 1-17a dung eine gewisse Beanspruchungsdauer er-
zeigt die Atomanordnungen in unmittelba- forderlich. Die Bildung von Zwillingen ist da-
rer Nähe einer Stufenversetzung. Zwischen her der typische Verformungsmechanismus
einem Endatom B, der eingeschobenen Ebe- bei großer Beanspruchungsgeschwindigkeit
ne und den Atomen A und C bestehen aus (vor allem bei kubisch raumzentrierten und
Symmetriegründen gleiche Bindungskräfte. hexagonal dichtest gepackten Metallen), nied-
In erster Näherung sind daher nur sehr klei- riger Temperatur und (oder) einer mehrachsi-
ne Schubspannungen erforderlich, um Atom gen Beanspruchung. Er ist in erster Linie für
B in den Anziehungsbereich von C bzw. von kubisch flächenzentrierte Metalle charakte-
A zu bringen, Bild 1-17b, 1-17c. Die Verset- ristisch. Die Anwesenheit von (Glüh-)Zwil-
zung bewegt sich also auf der Gleitebene mit lingen bei Metallen ist ein nahezu untrügli-
der »Schrittweite« Atomabstand, bis sie eine cher Hinweis auf ihren kfz Gitterauf bau.
Bild 1-17
Plastische Verformung durch Versetzungsbewegung, s. a. Bild 1-8a.
a) Unverformtes Gefüge mit einer Stufenversetzung (A),
b) Schubspannung t verformt den Kristall,
c) Versetzung wird um einen Atomabstand verschoben,
d), e) Versetzung ist durch den Kristallbereich gelaufen. An der Oberfläche bildet sich eine Gleitstufe b.
Abschn. 1.3: Mechanische Eigenschaften der Metalle 17
Das Abgleiten, d. h., die Versetzungsbewe- Der Ablauf der Verformung in einem korn-
gung erfolgt nicht auf allen Gitterebenen grenzenfreien Werkstoff (er besteht aus ei-
gleich leicht. Die geringsten Schubspannun- nem Korn, enthält aber die für jeden techni-
gen für eine Bewegung der Versetzungen schen Werkstoff typischen Gitterbaufehler!)
sind auf dichtest gepackten Ebenen erforder- lässt sich mit den bisherigen Kenntnissen
lich, weil hier der »Gleitwiderstand« im Ver- wie folgt beschreiben, Bild 1-18. In einem mit
gleich zu den lockerer geschichteten deutlich der Zugkraft F1 belasteten Stab, Bild 1-18a,
geringer ist. Je kleiner die Packungsdichte werden Schnittebenen gelegt, in denen Nor-
der Netzebene ist, desto unwahrscheinlicher mal- und Schubspannungen entstehen s M,tM.
wird damit ihre Funktion als Gleitebene. Es kann gezeigt werden, dass auf den unter
Verformbarkeit und Festigkeit sind daher in 45 zur wirkenden Kraft orientierten Ebe-
unterschiedlichen Richtungen verschieden nen die maximal mögliche Schubspannung
(Anisotropie). Die Anzahl der dichtesten Ebe- der Größe tmax s/2 entsteht (s. a. Bild 3-18).
nen hängt ausschließlich vom Gittertyp ab, Bei kfz Metallen wird daher wegen der gro-
wie Bild 1-6 zeigt. Auf Grund geometrischer ßen Anzahl der vorhandenen Gleitsysteme
Gegebenheiten sind auf dichtest gepackten das Abgleiten auf Ebenen in etwa diesem Nei-
Ebenen grundsätzlich drei Gleitrichtungen gungsbereich stattfinden. Das Abgleiten in
vorhanden, Bild 1-6b. Damit ergeben sich bei hdP Metallen hängt wegen der begrenzten
kfz Metallen mit vier unterschiedlich orien- Gleitmöglichkeiten sehr stark von der Orien-
tierten dichtesten Ebenen 4¹3 12 Gleitmög- tierung der dichtest gepackten Basisebene
lichkeiten (Gleitsysteme), bei hdP Metallen in der Zugprobe ab. Die kritische Schubspan-
aber nur 1 ¹3 3 Gleitsysteme. Das ist die nung t0 ist daher bei hdP Metallen je nach
wichtigste Ursache für die schlechte Verform- Lage der Basisebene zur angreifenden Kraft
barkeit der hdP Metalle im Vergleich zu der außerordentlich klein bzw. groß, bei kfz Me-
hervorragenden der kfz Metalle. tallen dagegen immer relativ gering.
s1
Ft t0
Fs F1 Sj F2 s1/2
s2 F2
x hdP Metalle
t ma
t max s2 /2
45°
S0
j
tj
F1 F1
Verformung beginnt,
wenn in der Gleitebene wird:
F1 Fs Ft s1 - s2
s1 = sj = tj = t = tmax = tj (j = 45° ) ³ t 0 t max = t j (j = 45 ° ) =
S0 Sj Sj 2
a) b) c)
Bild 1-18
Vorgänge bei der plastischen Verformung in realen Werkstoffen (hier Beispiel »Zugprobe«).
a) Normal- und Schubspannungen bei einachsiger Zugbeanspruchung in verschiedenen Schnittebenen: tj , sj .
b) Verformung beginnt, wenn tj auf einer (dichtest gepackten) Gitterebene größer als die kritische Schubspan-
nung t0 wird. Wegen der geringen Anzahl von Gleitsystemen in hdP Metallen ist die Aktivierung der dichtest
gepackten Basisebene nur dann mit geringem t0 möglich, wenn diese in Richtung der tmax(j = 45∞) orientiert
ist. Anderenfalls ist t0 wesentlich größer, d. h., ein Abgleiten ist unmöglich oder sehr erschwert.
c) Bei mehrachsig beanspruchten Proben beträgt die für ein Abgleiten wirksame maximale Schubspannung
(bei j = 45∞) nur noch tmax = (s1 - s2 )/2. Die plastische Verformung wird also erschwert bzw. unmöglich, da die
Gleitbedingung tj > t0 nicht erfüllbar ist. In diesem Fall sind nur verformungslose Trennbrüche möglich.
18 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Bemerkenswert ist, dass durch eine mehrach- Anzahl dichtest gepackter Netzebenen im
sige Beanspruchung das Abgleiten erheblich Werkstoff zu. Jede metallurgische Maßnah-
erschwert wird (Verformungsbehinderung), me, die die Versetzungsbewegung behindern
Bild 1-18c. Die für den Verformungsprozess kann, führt demnach ganz allgemein zu einer
notwendige Schubspannung t kann so klein Erhöhung der Festigkeitswerte. Die technisch
werden, dass die Gleitbedingung t M t0 nicht wichtigsten »Hindernisse« sind (beschrieben
mehr erfüllbar ist. Diese Erscheinung wird in Abschn. 2.6.3, S. 159):
daher auch als Spannungsversprödung be- – Fremdatome (z. B. Mischkristall- und Mar-
zeichnet. Sie ist bei Schweißkonstruktionen, tensithärtung),
in denen außer Last- auch in unterschiedli- – Teilchen (z. B. Ausscheidungshärtung),
chen Richtungen wirkende Eigenspannun- – Gitterverzerrungen (z. B. Mischkristall-,
gen vorhanden sind, sehr zu beachten (Abschn. Martensithärtung, Kaltverformung, ther-
3.4.1, S. 261). momechanische Behandlung).
dt dt ds
= G l G = E
dg dg 300 de
Schubspannung t
wahre Norm.spannung s w
Schubspannung t
III sF
t III
II
t II
I
tI
Bild 1-19
Fließkurven
a) kfz Einkristall,
b) hdP Einkristall,
c) vielkristalliner technischer (metallischer) Werkstoff.
Abschn. 1.3: Mechanische Eigenschaften der Metalle 19
Bereich III sind die Schubspannungen so Als grobe Faustformel kann dem Praktiker
hoch, dass die Versetzungen den Hindernis- der Hinweis dienen, dass eine Kaltverfor-
sen ausweichen können. Der Werkstoff ver- mung von zehn Prozent die Übergangstem-
formt sich bei gleicher Lastzunahme stärker peratur (DVM-Proben, 35 J/cm2) um 25 C bis
als im Bereich II. 30 C erhöht. Die Auswirkung der Kaltver-
festigung auf die Erhöhung der Übergangs-
Mit zunehmendem Kaltverformungsgrad j temperatur ist überraschenderweise bei sehr
nimmt die Kerbschlagzähigkeit des Werk- vielen Baustählen ähnlich. Diese Zusammen-
stoffs in der Hochlage ab und die Übergangs- hänge sind in Bild 1-21 dargestellt.
temperatur deutlich zu, der Werkstoff wird
spröder. In Bild 1-20a ist die Abhängigkeit
der Kerbschlagzähigkeit von der Prüftempe- 1.3.4 Einfluss der Korngrenzen
ratur mit dem Parameter (Kalt-)Verformungs-
grad j für den schweißgeeigneten Baustahl Verformungsvorgänge in technischen Werk-
S355J2 N (St 52-3 N) dargestellt. Bild 1-20b stoffen werden entscheidend durch die Eigen-
zeigt die Ergebnisse für einen unberuhigten schaften und das Verhalten der Großwinkel-
Baustahl USt 37 und einen besonders beru- korngrenzen bestimmt. Die Fließkurve eines
higten S235J2 N (St 37-3 N). Bemerkens- polykristallinen Werkstoffs ist der Ausdruck
wert ist die erhebliche Zunahme der Über- des Werkstoffwiderstandes, der sich aus
gangstemperatur bereits durch alleiniges Er- dem Zusammenwirken aller Einflüsse auf
höhen der Versetzungsdichte (»K« Kaltver- die Festigkeit des Werkstoffs ergibt, Bild 1-
formung). Der freie Stickstoff, d. h., im We- 19c. Es ist die aus der Werkstoffprüfung be-
sentlichen die Art der Einsatzstoffe und der kannte Abhängigkeit Zugspannung als Funk-
Stahlherstellung, übt einen zusätzlich ver- tion der Dehnung. Die Fließgrenze ( Streck-
sprödenden Effekt aus (»A« Alterung). Diese grenze) ist wegen der deutlich stärkeren Ver-
zeitabhängigen Vorgänge werden genauer in festigung viel größer als bei Einkristallen.
Abschn. 3.2.1, S. 239, besprochen, sie sind Die Wirkung der Großwinkelkorngrenzen in
die Grundlage der Verformungsalterung (frü- einem beanspruchten Werkstoff beruht in
her Reckalterung genannt). der Hauptsache auf zwei Faktoren:
200 80
kalt verformt
K kalt verformt + gealtert: 250 ° C, 30 min/Luft
J St 52 - 3 N 60
Änderung der Übergangstemperatur
Verformungsgrad: St 37 - 3 N
A
Kerbschlagarbeit K
160
40
0%
5%
20
K
120
10%
0
20% 80
80 USt 37 - 1
A
30% 60
40
40
K
20
0 0
- 100 - 75 - 50 - 25 0 25 ° C 50 0 3 6 9 % 12
Prüftemperatur J Verformungsgrad j
a) b)
Bild 1-20
Einfluss der Versetzungsdichte (Kaltverformung) auf das Zähigkeitsverhalten unlegierter Baustähle.
a) Kerbschlagarbeit-Temperatur-Verlauf eines S355J2 + N (entspricht einem St 52-3 N: 0,15 % C; 1,4 % Mn).
b) Änderung der Übergangstemperatur der Kerbschlagarbeit von Warmbreitband aus einem unberuhigten
S235JRG1 (entspricht USt 37: 0,08 % C; 0,009 % N) und einem besonders beruhigten S235J2 + N (entspricht
St 37-3 N; 0,14 % C; 0,1 % Al; 0,006 % N). »A« kennzeichnet den Einfluss der Alterung, »K« den einer Kaltver-
formung auf die Lage der Übergangstemperatur, nach Straßburger, Schauwinhold, Dahl.
20 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Bemerkenswert ist der große Einfluss der Werkstoffen, vor allem aber von (Feinkorn-)
Korngrenzen auf die Zähigkeitseigenschaf- Stählen, in großem Umfang eingesetzt (Ab-
ten, Bild 1-23. Die häufige Ab- und Umlen- schn. 2.7.6, S. 184).
kung der Gleitebenen an den Korngrenzen
eines feinkörnigen Werkstoffs erfordert eben- Bild 1-24 zeigt beispielhaft die Hall-Petch-
so wie ihr Verbiegen und Verdrehen einen zu- Beziehung für einen unterschiedlich wärmebe-
sätzlichen Energiebetrag, der der auf das Werk- handelten (Korngröße!) Stahl C10E (Ck 10)
stück durch die äußere Beanspruchung über- in Abhängigkeit vom Grad der Kaltverfor-
tragenen Schlagenergie entnommen wird. mung. Mit zunehmender Kaltverformung
Die für die Sicherheit wichtige Eigenschaft wird naturgemäß der Einfluss der Korngrö-
»Schlagzähigkeit« ist daher bei einem feinkör- ße verdeckt, bzw., er macht sich erst bei einem
nigen Werkstoff deutlich größer als bei einem geringeren Korndurchmesser als fließgrenzen-
konventionellen gleicher chemischer Zusam- erhöhender Einfluss bemerkbar.
mensetzung. Die Korngrenzenhärtung wird
zur Festigkeitssteigerung von metallischen Auf weitere Eigenschaften soll hier nicht wei-
ter eingegangen werden. Einige für die Bau-
Grobkorn: Fstreck = Ft + FG + Fzus,G teilsicherheit wichtige Gütewerte sind in Ab-
( FV = FG )
tV
schn. 6, S. 579, (Anhang) aufgeführt.
Q
t Beispiel 1-2:
Versuche haben ergeben, dass die Streckgrenze eines
G
t
unlegierten Stahls mit einem mittleren Korndurchmes-
( Ft ) ser d1 = 0,25 mm sF.1 = 180 N/mm2 und mit d2 = 0,04 mm
a) sF.2 = 250 N/mm2 beträgt. Welcher Korndurchmesser dx
ist erforderlich, wenn eine Streckgrenze von 350 N/mm2
Feinkorn: Fstreck = Ft + FF + Fzus,F gewünscht wird. Der Festigkeitsanstieg soll ausschließ-
( FV = FF ) lich mit dem Mechanismus der Korngrenzenhärtung
tV
erreicht werden, s. Abschn. 2.6.3.4, S. 165.
Q Gemäß der Hall-Petch-Beziehung, Gl. [1-4], ist:
t
1
( Ft ) σ F.i = σ 0 + k ⋅ .
b) di
Bild 1-23 Für d1 = 0,25 mm und sF.1 = 180 N/mm2 wird:
Einfluss der Korngröße auf die mechanischen Gütewer-
1
te technischer Metalle. Fstreck = Ft + FV + Fzus ist die für den 180 = σ 0 + k ⋅ = σ 0 + 2 ⋅ k.
Beginn der Verformung erforderliche Kraft. Ft (= t) = 0,25
Schubspannungskomponente der äußeren Kraft (F) Für d2 = 0,04 mm und sF.2 = 250 N/mm2 ergibt sich:
in Richtung der Gleitebene G-G. Ft aktiviert in der
Gleitebene die Versetzungsquelle Q. Versetzungen (An- 1
250 = s0 + k ◊ = s0 + 5 ◊ k
zahl n) werden an den Korngrenzen aufgestaut und 0,04
erzeugen ein Spannungsfeld, das auf die Korngren- s0 = 250 - 5 ◊ k = 180 - 2 ◊ k , daraus folgt:
zen zusätzlich zur äußeren (F) die Kraft F V = n◊ b◊t
k = 23, 3 und s 0 = 123 N/mm 2 .
ausübt, (s. Aufgabe 2-7, S. 229).
a) In einem grobkörnigen Stahl ist FV = FG sehr viel
Damit lässt sich der für die gewünschte Streckgrenze
größer als
erforderliche Korndurchmesser dx berechnen:
b) in einem feinkörnigen, FV = FF , d. h. FG >> FV .
1
Zum Überwinden der Korngrenzen bei gleichzeitigem 350 = 123 + 23,3 ⋅
Aktivieren weiterer Gleitprozesse in den angrenzen- dx
den Körnern ist bei a) daher nur noch eine erheblich 23,3
dx = = 0,103 mm d. h. dx = 0,011 mm.
geringere zusätzliche äußere Kraft Fzus (= szus ) erfor- 350 - 123
derlich als bei b). Die Fließgrenze eines feinkörnigen
Stahles ist also größer als die eines grobkörnigen. Da- Die mittlere Korngrößen-Kennzahl G des Stahles be-
zu s. a. Bild 1-24. trägt damit nach Tabelle 1-1 etwa G O 10.
22 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Tabelle 1-2
Charakteristische Merkmale von Phasenumwandlungen, gekennzeichnet durch Keimbildung und Wachstum
der neuen Phase, nach Christian.
Einfluss Temperatur-
athermisch thermisch aktiviert
änderung
Die homogene Keimbildung erfordert keine In den meisten Fällen erfolgt die Keimbil-
fremden Oberflächen. Die wachstumsfähi- dung heterogen, d. h., der Keim bildet sich
gen Keime und ihre Oberflächen müssen in an energiereichen Gitterdefekten (z. B. an
der metastabilen Phase gebildet werden. Die nicht aufgelösten Carbiden, Nitriden, Leer-
hierfür erforderliche Arbeit wird dem Ener- stellen, Korngrenzen, Stapelfehlern, freien
gievorrat der Phase (z. B. Schmelze) entnom- Oberflächen) oder schon festen Teilchen
men. Die Schmelze muss also um einen be- (durch thermische Fluktuation z. B. in der
stimmten Betrag 'T unterkühlt werden, wo- Schmelze gebildeten) bestimmter Größe. Da
durch die benötigte freie Enthalpie 'G zur die »Oberflächen« der Keime z. T. vorhanden
Verfügung steht, Bild 1-26. Die homogene sind, ist die für ihre Bildung aufzuwenden-
Keimbildung ist in der Praxis sehr selten. de Energie sehr viel geringer als bei der ho-
mogenen Keimbildung. Die erforderliche Un-
terkühlung 'T und die Aktivierungsenergie
'GA können daher bis auf Null abnehmen,
D G
1.4.1.1 Primärkristallisation
freie Enthalpie D G
D G = - D G V + D GO
von (reinen) Metallen
D GA
oder sich im Bereich der Schmelztempera- sen. Für die Bildung von Keimen kritischer
tur durch Anlagern »langsamer« schwingen- Größe ist die Arbeit ( Aktivierungsenergie)
der Atome bilden konnten (Eigenkeime). Aus 'GA aufzuwenden.
energetischen Gründen ist für die Bildung
wachstumsfähiger Eigenkeime eine Unter- Die homogene Keimbildung ist äußerst sel-
kühlung 'T TS T notwendig. Je größer 'T ten, weil in jeder technischen Schmelze aus-
ist, umso kleinere Teilchen sind als Keime reichend viele Oberflächen vorhanden sind,
wirksam. von denen aus die Kristallisation beginnen
kann, s. Aufgabe 1-6, S. 112.
Ein (Stoff-)System befindet sich im thermo-
dynamischen Gleichgewicht, wenn die freie Bei der heterogenen Keimbildung sind in der
Enthalpie G ihr Minimum erreicht hat. Bild Schmelze bereits bestimmte wachstumsfähi-
1-26 zeigt den Verlauf der Zustandsgröße G ge Partikel in Form von »Oberflächen« enthal-
in Abhängigkeit von der Temperatur in der ten. Die für die Keimbildung aufzuwenden-
Nähe der Schmelztemperatur TS. Nach dem de Aktivierungsenergie 'GA ist kleiner, weil
Abkühlen unter TS wird GSchmelze > 'GKristall, der zur Schaffung der Keimoberflächen auf-
d. h., die kristalline Phase wird thermodyna- zubringende Energieanteil 'GO geringer ist.
misch stabiler. Die Energiedifferenz 'G wird Die Kristallisation kann daher schon bei
für die Keimbildung verwendet, die mit einer sehr geringen Unterkühlungen 'T erfolgen,
Änderung der freien Enthalpie G verbunden Bild 1-28.
ist. Die bei der Kristallisation des Keims frei-
werdende Umwandlungswärme ( 'GV) ver- In einigen wenigen Fällen liegen Teilchen mit
ringert die freie Enthalpie G. Diese treibt »Oberflächen« vor, deren Gitter nahezu per-
den Umwandlungsvorgang also an, während fekt mit dem der kristallisierenden Phase
die für die Bildung der Keimoberfläche erfor- übereinstimmt, wodurch sehr geringe Kohä-
derliche rücktreibende Energie ( 'GO) G ver- renzspannungen entstehen. Die notwendige
größert wird, wie Bild 1-27 zeigt. Daraus er- Unterkühlung 'T bzw. die Aktivierungsener-
gibt sich die für eine homogene Keimbildung gie 'GA ist daher Null bzw. sehr gering, Bild
charakteristische Energiebilanz 'G: 1-27, Kurve 2. Ein wichtiges und kennzeichnen-
des Beispiel einer derartigen Keimbildung ist
'G 'GV 'GO. [1-6]
die epitaktische Erstarrung von Schweiß-
Nimmt man in erster Näherung kugelförmi- schmelzen, Abschn. 4.1.1.1, S. 300. Hier lie-
ge Teilchen mit dem Radius r an, dann ist gen bereits metallphysikalisch perfekt passen-
'GV dem Volumen und 'GO der Oberfläche de »Keime« in Form der aufgeschmolzenen
der aus der Schmelze wachsenden (kristalli- Werkstückoberflächen vor.
sierenden) Teilchen proportional. Mit der
Oberflächenspannung der Schmelze g und Die Keimzahl und die Kristallisationsge-
der auf die Volumeneinheit bezogenen freien schwindigkeit nehmen mit zunehmender Un-
Enthalpie der festen Phase 'gV wird: terkühlung zu, wie die Bilder 1-28 und 1-26
4 3 schematisch zeigen. An die Keimbildungspha-
D G(r) = - π r ◊ D gV + 4 π r 2 ◊ g . [1-7] se schließt sich die Phase des Kristallwachs-
3 tums an. Die Korngröße des Gefüges hängt
Bild 1-27 zeigt den Verlauf der Funktion dabei entscheidend von der Keimzahl und der
' G(r). Danach ist bei kleinen Keimradien Kristallisationsgeschwindigkeit der Schmel-
der Energiebedarf zum Schaffen der Keim- ze ab. Für Baustähle wird wegen der besse-
oberfläche größer als die freiwerdende Kris- ren Zähigkeitseigenschaften ein möglichst
tallisationswärme, d. h., die Keime sind nicht feinkörniges Gefüge angestrebt, das aber in
wachstumsfähig, sie schmelzen wieder auf, den meisten Fällen mit einer Wärmebehand-
und der Kristallisationsprozess kann nicht lung bzw. besonderen metallurgischen Maß-
beginnen. Erst oberhalb des kritischen Keim- nahmen (z. B. über Erhöhen der Keimzahl in
radius rk nimmt 'G(r) ab, d. h., der Keim ist der Schmelze) eingestellt wird, s. Feinkorn-
stabil und kann unter Abnahme von G wach- baustähle, Abschn. 2.7.6, S. 184.
26 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Das durch die Erstarrung erzeugte »Grund- sig/fest aus in Richtung Schmelze abnimmt,
muster« des Gussgefüges bleibt weitgehend Bild 1-30. Bei diesen Temperaturbedingun-
erhalten. Die Eigenschaften lassen sich na- gen geraten wachsende Keime in den »Sog«
türlich durch die verschiedenartigsten Maß- der unterkühlten Schmelze und wachsen ihr
nahmen der Warm- und Kaltformgebung än- als stängelförmige Dendriten entgegen. Sehr
dern, kaum aber die »Erbanlage«. Sie lässt ähnliche Vorgänge laufen bei erstarrenden
sich durch entsprechende Ätzmittel in vielen Legierungen ab. Die dendritische (bzw. zellu-
Fällen sichtbar machen. läre) Erstarrung wird hier aber unabhängig
von der Größe der thermischen Unterküh-
Das Wachsen des Kristalls beim Erstarren lung durch die konstitutionelle Unterküh-
erfolgt bei Metallen mit krz Gitter bevorzugt lung erzwungen (Abschn. 1.4.1.2).
senkrecht zu den Würfelflächen der Elemen-
tarzellen. Daraus ergibt sich eine räumliche Die Kornform hängt neben anderen Einflüs-
Anordnung des Kristalls, die als Dendrit oder sen sehr stark von der Art der Wärmeabfuhr
Tannenbaumkristall bezeichnet wird, Bild ab. Bei einer allseitig gleichmäßigen Abküh-
1-29. Allerdings muss betont werden, dass lung der Schmelze entstehen rundliche Ȋqui-
die dendritische Erstarrung bei reinen Werk- axiale« Körner. Wird die Wärme vorwiegend
stoffen nur entstehen kann, wenn die tatsäch- in eine Richtung abgeleitet, dann wächst der
liche Temperatur von der Phasengrenze flüs- Kristall von der Phasengrenze flüssig/fest ent-
gegen dem Temperaturgefälle sehr schnell,
K het
in der dazu senkrechten Richtung aber deut-
lich langsamer, s. Aufgabe 1-7, S. 113. Die
Kristallisationsgeschwindigkeit R
K hom
R het
entstehenden länglichen Stängel kristalle
sind z. B. für die Primärkristallisation einla-
R hom gig hergestellter bzw. großvolumiger Schweiß-
güter typisch, Bild 4-20b, S. 319. Bild 1-31
zeigt die ausgeprägte Stängelkristallbildung
Keimzahl K
TS
D T
Temperatur T
Temperatur T
D T
TS
Abstand x Abstand x
a) b)
Bild 1-30
Einfluss des Temperaturgradienten D T/dx auf die
Form der entstehenden Kristallite. Die Schmelze be- Bild 1-31
steht aus einer Atomsorte ( DT = Unterkühlung). Stängelkristalle in einer NiCrAl-Gusslegierung.
a) dT/dx > 0:
Normaler Temperaturgradient in der Schmelze.
Die zum Kristallisieren erforderliche Temperatur- Man beachte, dass selbst technisch »reine«
abnahme erfolgt durch Wärmeableitung an der Werkstoffe, bedingt durch die Art ihrer Her-
Phasengrenze flüssig/fest. Die Kristallisation er- stellung (Art des Herstellprozesses, Art der
folgt in Form einer ebenen Erstarrungsfront. Erze usw.), verschiedene (verunreinigende)
b) dT/dx < 0: Elemente in unterschiedlicher Menge enthal-
Thermische Unterkühlung ( D T = T - TS £ 0) der
ten, die die Eigenschaften in unterschiedli-
Schmelze. Die in Richtung unterkühlte Schmelze
wachsenden (»einschießenden«) Kristallite können cher Weise beeinflussen. Für die folgenden
stängelförmige Dendriten bzw. andere Erstarrungs- Betrachtungen sind daher die meisten Werk-
strukturen (z. B. Zellgefüge) sein. stoffe als »legiert« anzusehen.
28 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Die an der Erstarrungsfront ablaufenden Vor- schung beruhende Erscheinung als konsti-
gänge lassen sich sehr anschaulich mit Hil- tutionelle Unterkühlung.
fe von Zustandsschaubildern (Abschn. 1.6.1)
erklären. Die Legierung L1, Bild 1-32a, schei- Je nach der Abkühlgeschwindigkeit, d. h.
det beim Unterschreiten der Liquidustempe- der Größe des realen Temperaturgradienten
ratur T0 feste Mischkristalle mit einem sehr G in der Schmelze und der Kristallisations-
geringen B-Gehalt (c1) aus. Die in die Schmel- geschwindigkeit R, entstehen Erstarrungsge-
ze zurückgedrängten B-Atome verteilen sich füge mit erheblich voneinander abweichen-
nach den Gesetzen der Diffusion direkt nach den Eigenschaften. Mit zunehmender Kris-
der Ausscheidung nicht gleichmäßig in der tallisationsgeschwindigkeit R nimmt die zum
Schmelze, sondern gemäß einer zeitabhän- Abbau des Konzentrationsstaus an der Pha-
gigen Verteilungsfunktion. In einem schma- sengrenze flüssig/fest zur Verfügung stehen-
len Bereich an der Phasengrenze bildet sich de Zeit ab, d. h., die konstitutionelle Unter-
dadurch in der Schmelze entsprechend Bild kühlung wird größer, Bild 1-33a.
1-32b ein Aufstau von B-Atomen.
Bei rascher Wärmeabfuhr und einer sehr ge-
Von der Phasengrenze fällt der B-Gehalt von ringen Menge gelöster Legierungselemente
cs auf c0. Die Folge ist eine kontinuierliche Ab- entsteht kein unterkühlter Schmelzenbereich,
nahme der Liquidustemperatur, wie Bild 1- sondern eine ebene Erstarrungsfront, Bild
32a zeigt. Die tatsächliche (reale) Tempera- 1-33a. Diese Erstarrungsform wird bei tech-
tur TReal ist in einer dünnen Schmelzenschicht nischen Schmelzen (üblicher Reinheit) prak-
'x stets geringer als TLi, Bild 1-32c. Dieser tisch nie beobachtet.
Schmelzenbereich ist also unterkühlt. Man
bezeichnet diese auf der Schmelzenentmi- Eine kleinere konstitutionell unterkühlte
cs Zone 'x begünstigt die Bildung gerichteter
L1 Zellstrukturen bzw. führt zu einem aus Dendri-
T0 ten und Stängelkristallen bestehenden Misch-
Gehalt an B
c0
Temperatur T
TLi
len Unterkühlung bildet. In der Mitte von Der Konzentrationsunterschied der Elemen-
Schweißnähten kann dadurch ebenso wie te bzw. Verunreinigungen ist innerhalb der
im Bereich der sog. »thermischen Mitte« stängelförmigen Dendriten ( Primärseige-
von Metallschmelzen eine feinkörnige(re) rung) – vor allem im Korngrenzenbereich –
Zone entstehen, wie es die Bilder 1-31 und im Vergleich zu den Zellstrukturen erheb-
4-3c deutlich zeigen. lich größer, Bild 1-33b und 33c.
Mit abnehmender Größe des konstitutionell Sind die an den Korngrenzen vorhandenen
unterkühlten Bereiches bilden sich Zellstruk- Legierungselemente nicht in der Matrix lös-
turen. Diese Gefügeausbildung ist für krz lich, dann ist die Heißrissneigung eines zel-
Metalle weniger typisch. Sie entsteht bei kfz lulären Gefüges geringer als die einer aus
Metallen häufiger, allerdings unter bestimm- dendritischem Gefüge (stängelförmiges oder
ten Bedingungen. globulitisches) bestehenden Matrix.
A B C D
Dendriten, D
säulenförmig
T
Zellen, E
dendritisch Zellen, C
dendritisch
D x
Zellen, B
Zellen, gerichtet
gerichtet x
ebene A
Erstarrung
ebene Erstarrung
G/ R
a)
Schmelze Schmelze
Dendriten Zellstruktur
a a a a
c max
Konzentration c
Konzentration c
c max
c0 c0
c1
c1
b) c)
Bild 1-33
Zur Entstehung der wichtigsten Erstarrungsstrukturen, vereinfacht nach Savage, Nippes und Miller.
a) Einfluss der Kristallisationsgeschwindigkeit R und des Temperaturgradienten G (bzw. der konstitutionell
unterkühlten Zone Dx) auf die Art der entstehenden Primärgefüge in Abhängigkeit von der Menge der gelös-
ten Legierungselemente.
b) Typische Verteilungsform der Legierungselemente (Primärseigerung) in dendritischen Strukturen, cha-
rakteristisch für die Erstarrung von Schweißgütern aus krz Werkstoffen.
c) Typische Verteilungsform der Legierungselemente in Zellstrukturen, charakteristisch für eine mittlere kons-
titutionelle Unterkühlung (häufiger bei kfz Werkstoffen, siehe z. B. Bild 4-98, S. 430).
30 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Die für die homogene Keimbildung bei einer Die Form des (inkohärenten) Keims und des
Umwandlung mit Änderung der Kristall- Umwandlungsprodukts wird von der Größe
struktur erforderliche freie Bildungsenthal- der Verzerrungsenergie und der Oberflächen-
pie beträgt: energie des Keims bestimmt. Sind die Gitter-
konstanten von Keim und Matrix ähnlich,
'G 'GV 'GO 'GH. [1-8]
d. h. die Verzerrungsenergie klein und die
Hierbei ist 'GH die elastische Verzerrungs- Oberflächenenergie groß, dann entstehen
energie, die bei unterschiedlichen Gitterstruk- meistens kugelförmige Keime. Die Verzer-
turen von auszuscheidender Phase und Ma- rungsenergie ist bei scheibenförmigen Teil-
trix aufzubringen ist. Gl. [1-8] entspricht da- chen am kleinsten. Diese Keimform wird da-
mit bis auf den Verzerrungsanteil 'GH der her häufig bei kohärenten Ausscheidungen
für die Erstarrung von Schmelzen gültigen und GP-Zonen beobachtet.
Beziehung Gl. [1-6]. Der Oberflächenanteil
'GO kann zwischen sehr geringen Werten (z. Die Reihenfolge zunehmender Eignung ver-
B. bei kohärenten Ausscheidungen, Zwil- schiedener Gitterdefekte (d. h. zunehmen-
lingsgrenzen) und sehr großen (inkohären- der freien Enthalpie 'GDef ) für Orte einer he-
te Phasengrenzen, z. B. Großwinkelkorngren- terogenen Keimbildung lautet:
zen) variieren. – Leerstellen,
– Versetzungen,
Die homogene Keimbildung bei Umwandlun- – Stapelfehler,
gen im festen Zustand ist ähnlich wie beim – Korngrenzen bzw. Phasengrenzflächen,
Phasenübergang flüssig/fest sehr selten. Vor- – freie Oberflächen.
aussetzung ist die möglichst genaue Über-
einstimmung der Kristallgitter der sich aus- Korngrenzen sind besonders wirksame Be-
scheidenden Phase und der Matrix, anderen- reiche für eine Keimbildung, d. h., in feinkör-
falls wären elastische Verzerrungsenergien nigen Werkstoffen erfolgen Umwandlungs-
(sog. Kohärenzspannungen) die Folge, die die vorgänge – zumindest bei hohen Tempera-
Phasenumwandlung erschweren. Diese Be- turen – deutlich rascher als in grobkörnigen.
dingungen sind nur bei kohärenten Phasen- Versetzungen setzen die Grenzflächenener-
grenzen vorhanden, wie z. B. bei der Entste- gie nicht merklich herab. Allerdings können
hung der metastabilen GP-Zonen in ausschei- durch partielle Versetzungen Stapelfehler ent-
dungshärtenden Legierungen, s. Abschn. stehen, die als perfekt passende Netzebenen
2.6.3.3, S. 161. Ein weiteres wichtiges Bei- die Keimbildung verzerrungsfrei einleiten
spiel ist die nahezu homogene Keimbildung können.
der für Nickel-Superlegierungen wichtigen
g ’-Ausscheidung (Ni3Al, s. Abschn. 5.2.2.2.1, In Bild 1-34 sind einige diffusionskontrol-
S. 525). Die Gitterfehlanpassung beträgt hier- lierte Umwandlungen im festen Zustand und
bei nur maximal 2 % und die Oberflächen- ihre charakteristischen Kennzeichen und
energie ist sehr wahrscheinlich geringer als Merkmale an Hand geeigneter Zustands-
30 mJ/m2. schaubilder zusammengestellt.
Zustandsschaubild Reaktion Charakteristische Kennzeichen der Phasenumwandlung
Die eutektoide Umwandlung erfolgt diskontinuierlich. Diese Art der Umwandlung ent-
g z. B. Perlit steht, wenn die Keimbildungsgeschwindigkeit für eine kontinuierliche Umwandlung zu
gering ist. Da die beiden Phasen - z. B. des Umwandlungsgefüges Perlit a und Fe3C -
Eutektoide Umwandlung: sehr unterschiedliche Kohlenstoffgehalte haben, bilden sich im Korngrenzenbereich
a b
g® a+ b mit seinem höheren Kohlenstoffgehalt bevorzugt Zementitkeime bzw. in der unmittel-
l
baren (kohlenstoffverarmten) Umgebung Ferritkeime. Der Perlit entsteht durch eine ge-
g® a + Fe3C (Perlitreaktion) koppelte Bildung zweier neuer Phasen, wobei die Diffusionswege des Kohlenstoffs im
a+ b
ehemalige Austenit- Austenit nicht lang sind. Der Lamellenabstand l hängt von der Unterkühlung D T ab.
A B korngrenze Mit zunehmender D T wird l kleiner, d. h. die Härte des Gefüges größer.
In verschiedenen Legierungen liegen die Atome nur bei hohen Temperaturen annä-
a S hernd statistisch ungeordnet vor. Mit abnehmender Temperatur bilden sich in be-
T0
stimmter Weise geordnete, atomare Verteilungen. Nahentmischungen sind Anhäufun-
b Ordnungsumwandlung: gen gleicher Atome (Cluster sind ungeordnete, Zonen sind Orte geordneter Anhäufun-
a
gen). In Überstrukturen liegen die Atomsorten geometrisch geordnet vor. Sie bilden
a ungeordnet ® a’geordnet sich bei langsamer Abkühlung, wenn zwischen den Atomen A und B chemische An-
a’ ziehungskräfte herrschen. Je größer diese sind, um so weniger ausgeprägt sind die
b’
durch die metallische Bindung bestimmten Eigenschaften der Legierung: Der Werk-
A BA B stoff ist hart und spröde, d. h. als Bauwerkstoff wenig geeignet.
Bild 1-34
31
(+ Fe3C)
D T
v1: »Gleichgewichtsperlit«
T2
T2
Die Ausscheidung erfolgt kontinuierlich oder
diskontinuierlich. Die b -Phase wächst bei
T3
der kontinuierlichen Ausscheidung wegen
der erforderlichen Ferntransporte der beteilig-
v2: feinstreifiger Perlit ten Atomarten meistens sehr langsam, Bild
T3 1-36a. Die Ausscheidungsphase kann sich
überall in der Matrix bilden, vorzugsweise
Ms
aber an Gitterdefekten (Versetzungen, Korn-
v1 v2 v3
grenzen), wobei sich an diesen Orten die Ma-
v3: feinststreifiger Perlit
trixzusammensetzung zeitabhängig kontinu-
Umwandlungsgeschwindigkeit v um
ierlich ändert.
Bild 1-35
Einfluss der Unterkühlung DT auf Gefügeform und Ausscheidungen, vor allem die an Korngren-
Umwandlungsgeschwindigkeit vum des (g Æ a)-Pha- zen, bilden sich nicht immer in allotriomor-
senübergangs eines eutektoiden Stahles (0,8 % C). Er pher (»nicht von eigenen Kristallflächen be-
wandelt bei T1 isothermisch in den »Gleichgewichts-
grenzt«), Widmannstättenscher oder nadelför-
perlit«, bei T2 in feinstreifigen, bei T3 in feinststreifigen
Perlit um. Mit zunehmender Umwandlungsgeschwin- miger Form, sondern vereinzelt auch diskon-
digkeit werden die Zementitlamellen feiner, die Härte tinuierlich, Bild 1-36b. Morphologisch ähnelt
der Umwandlungsgefüge wird größer. diese sehr der eutektoiden Reaktion. Das cha-
Abschn. 1.4: Phasenumwandlungen 33
massive
Umwandlung sitische Umwandlungsgefüge ➍.
Bild 1-40
Entstehung des Martensitgitters aus dem kfz Gitter
nach Bain.
a) Die im kfz Gitter »vorgezeichnete« rz Zelle
b) wird durch Stauchen in der z- und Dehnen in den
x- und y-Richtungen
c) in die trz – nicht krz! – des Martensits überführt,
weil der eingelagerte C das raumzentrierte (rz)
Gitter in z-Richtung aufweitet (cMart > aMart ).
Eine der ältesten Theorien zur Martensitbil- gen notwendig (Gleitung oder Zwillingsbil-
dung ist der sehr anschauliche Bain-Mecha- dung), die der treibenden Kraft der Umwand-
nismus, Bild 1-40. Man erkennt, dass im kfz lung entgegenwirken, Bild 1-41. Das Ergeb-
Gitter bereits eine raumzentrierte Zelle (rz) nis ist vor allem bei den höher gekohlten Stäh-
»virtuell« vorgebildet ist. Die Abmessungen len ein stark fehlgeordnetes Gefüge (Zwillin-
des krz Martensitgitters lassen sich durch ge, Versetzungen), das die entscheidende Ur-
Stauchen des Gitters in der z-Richtung (et- sache für die beobachtete, extreme Martensit-
wa 20 %) und Dehnen in den anderen (etwa härte ist.
12 %) erreichen. Die gitterverändernde Verfor-
mung bei der Umwandlung des Austenits in Die gebildete Martensitmenge ist bei diesem
den Martensit ist mit dem Bain-Modell zu- athermischen, d. h. thermisch nicht aktivierba-
treffend beschreibbar. ren Umwandlungsmechanismus daher nur
von der Größe der Unterkühlung abhängig.
Aus geometrischen Gründen muss weiter- Diese erzeugt die für eine weitere Umwand-
hin während der Umwandlung an der Pha- lung notwendige plastische Verformung (s. a.
sengrenze Austenit/Martensit eine Gitterebe- Abschn. 1.5.2).
ne unverzerrt und ungedreht (invariant) blei-
ben. Diese sog. Habitusebene ist aber bei der M
einfachen Bain-Umwandlung nicht vorhan-
D GA ®
freie Enthalpie G
Ms TG Temperatur T
GM (GA) Volumenenthalpie des Martensits (Austenits)
TG Gleichgewichtstemperatur (Martensit/Austenit)
D T Unterkühlung
Ms Martensitstarttemperatur
a) b)
Bild 1-42
Abhängigkeit der freien Enthalpie der Phasen Auste-
nit und Martensit eines Stahls von der Temperatur,
schematisch, nach Vöhringer und Macherauch.
99,5 %
60
95 %
50 %
40
20
Bild 1-44
Mikroaufnahme eines martensitischen Gefüges. Werk-
0
stoff: CuAl12, Wärmebehandlung: 900 ∞C/30’/Eis-
0 0,2 0,4 0,6 0,8 % 1,0 wasser, V = 250 :1, Eisenchlorid, BAM.
Kohlenstoffgehalt
Martensitische Umwandlungen werden auch
Bild 1-43
Einfluss des Kohlenstoffgehaltes auf die Höchsthärte in anderen Legierungen beobachtet, z. B. bei
unlegierter und legierter Stähle für unterschiedliche Ti, Fe-Ni, Cu-Sn, Cu-Al, Bild 1-44. Eine wich-
Martensitgehalte, nach Burns, Moore, Archer. tige Besonderheit der martensitischen Ge-
38 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
füge ist ihre bei kleineren Kohlenstoffgehal- Die Bezeichnung metastabiler Zustand ist
ten lanzettenförmige, Bild 2-17, S. 142, bei nicht gleichzusetzen mit geringer Stabilität.
höheren plattenförmige Erscheinungsform, Diese ist ausschließlich von der Größe der
Bild 1-45. Sie beruht auf der bei tiefen Tem- Aktivierungsenergie abhängig, also von der
peraturen ablaufenden athermischen Bil- Neigung des Körpers, seinen gegenwärtigen
dung des Martensits, die zu einem extrem Zustand ändern zu wollen. Ein typisches Bei-
schnellen, »schlagartigen« Wachstum der Mar- spiel ist die metastabile Verbindung Fe3C.
tensitnadeln führt. Die Aktivierungsenergie zum Erzeugen des
stabilen Zustandes »Kohlenstoff« ist so groß,
dass sich bei den meisten technischen Anwen-
1.5 Thermisch aktivierte dungsfällen die Verbindung als ausreichend
Vorgänge stabil erweist.
Die Aktivierungsenergie ist ein Maßstab für Mechanismus könnte auch in völlig »fehler-
die Schwierigkeit, den Diffusionsvorgang ein- freien« Werkstoffen ablaufen. Damit wird z.
zuleiten. D0 ist die Diffusionskonstante, die B. auch die extreme Wirkung des Wasser-
die Schwingungsfrequenz, d. h. die Eigenbe- stoffs wenigstens z. T. verständlich. Wasser-
weglichkeit der Atome kennzeichnet. stoff besitzt den kleinsten Atomdurchmesser
aller Elemente, es kann daher bei gegebener
Temperatur und Zeit größere Bereiche des
Werkstoffs durchdringen (und damit schädi-
freie Enthalpie G
cA1 < 0
D x
D cA
4)
Die Vorgänge laufen in der beschriebenen Form
allerdings nur dann ab, wenn die Korngrenzensub-
Bild 1-47 stanz bei der gewählten Glühtemperatur löslich
Zur Ableitung des durch Diffusionsvorgänge entste- ist. Anderenfalls tritt eine Koagulation ein, wo-
henden Materialflusses J. cA ist die Konzentration der durch die Gütewerte in den meisten Fällen aber
diffundierenden Substanz »A«. auch verbessert werden.
40 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
den Faktor 100 bis 1000 kleiner als im krz Beispiel 1-4:
a-Fe. Bei hohen Betriebstemperaturen ist Es ist die maximale Eindringtiefe des Nickels (sie ist ge-
daher die Verwendung der thermisch weni- ringer als die Hälfte der sog. Diffusionsschichtdicke,
s. a. Aufgabe 3-4, S. 291) beim Löten (Arbeitstempera-
ger stabilen krz Werkstoffe nicht empfehlens-
tur TA O 1000 C) eines austenitischen Cr-Ni-Stahls mit
wert, da bei ihnen thermisch aktivierte Platz- einem Nickelbasislot (z. B. NI 103) abzuschätzen. Mit
wechsel, d. h. Kriechvorgänge, sehr viel leich- QA(Ni Æ kfz Fe) = 267 900 J/mol und der Diffusionskons-
ter stattfinden können. tanten D0(Ni Æ kfz Fe) = 4,1 cm2/s ergibt sich bei einer Löt-
dauer von 120 s der Wert D für die Diffusion von Ni
Den »mittleren« Diffusionsweg xm kann man im kfz Eisengitter nach Gl. [1-11] zu:
mit der Beziehung abschätzen: Ê 267 900 ˆ
D = 4, 1 ◊ exp Á - = 4,17 ◊ 10 - 11 cm 2/s.
Ë 8,314 ◊ 1273 ˜¯
xm = D◊ t. [1-12]
2
Aus Gl. [1-13] ergibt sich xmax zu:
D Diffusionskoeffizient in cm /s,
t Glühzeit in s. cm 2
xmax = 3 ◊ D ◊ t = 3 ◊ 4,17 ◊ 10 - 11 ◊ 120 s
s
Es ist beachtenswert, dass die maximale Ein- xmax = 3 ◊ 71 ◊ 10 - 6 -6
cm = 3 ◊ 0,71 ◊ 10 m O 2 m m .
dringtiefe grundsätzlich nicht mehr als eini-
ge D ⋅ t beträgt. Für Die Eindringtiefe der Atome liegt beim (Hart-)Löten
erfahrungsgemäß im Bereich einiger m m. Der berech-
xmax ≥ 3 ⋅ D ⋅ t ≥ 3 ⋅ xm [1-13] nete Wert gibt die zu erwartende Größenordnung für
xmax damit näherungsweise »richtig« an.
bleibt z. B. abhängig von der Glühzeit t, dem
Diffusionskoeffizienten D – und damit auch
der Temperatur T – die Konzentration c des
diffundierenden Elementes annähernd kons-
tant, d. h., in größeren Tiefen als xmax finden
praktisch keine Diffusionsvorgänge mehr 1.5.1.1 Nichtstationäre Diffusionsvorgänge
Dynamische, d. h., nichtstationäre Vorgänge lassen
statt, s. a. Bild 1-49. sich mit dem wesentlich komplizierteren zweiten
Fickschen Gesetz, Gl. [1-14], beschreiben:
∂c ∂2c
= D⋅ 2 . [1-14]
Beispiel 1-3: ∂t ∂x
Es ist die mittlere Eindringtiefe xm des Kohlenstoffs Für verschiedene nichtstationäre Prozesse existieren
in g -Eisen beim Aufkohlen (TAufk = 1000 ∞C, Glühzeit Lösungen der Differentialgleichung Gl. [1-14] unter
t = 10 h) zu berechnen. Der Diffusionskoeffizient im Berücksichtigung prozesstypischer spezieller Rand-
g -Eisen beträgt bei 1000 ∞C etwa 4◊10-7 cm2/s. bedingungen. Eine für den Aufkohlungsprozess von
Stählen gültige Lösung ist z. B.:
Bei einer Glühzeit von 10 h (O4 ◊ 10 4 s) ergibt sich xm
gemäß Gl. [1-12] zu: cs − cx,t ⎛ x ⎞
= erf ⎜ ⎟ = erf (ζ ). [1-15]
2 cs − c0 ⎝ 2 ⋅ D⋅ t ⎠
-7 cm
xm = 4 ◊ 10 ◊ 4 ◊ 10 4 s O 0,13 cm.
s In Gl. [1-15] bedeuten:
In einem Abstand von xmax ≥ 3◊ xm O 0,39 cm (gemessen cs Konstante Ausgangskonzentration der Atom-
von der Phasengrenze aufkohlendes Mittel/Werkstück) sorte A an der Werkstückoberfläche,
bleibt die dort vorhandene Kohlenstoffkonzentration c0 gleichmäßige Konzentration der diffundie-
bei einer Glühtemperatur von 1000 ∞C und einer Glüh- renden Atome A im Werkstoff,
zeit von £ 4◊10 4 s völlig ungeändert. cx,t Konzentration der Atomsorte A im Abstand
Bei Kenntnis von D0 und QA lässt sich der Diffusions- x von der Werkstückoberfläche zur Zeit t,
koeffizient D nach Gl. [1-11] in Abhängigkeit von der erf (z ) nichtelementares Gausssches Fehlerintegral
Temperatur genauer berechnen. ( Errorfunktion, liegt tabelliert vor).
Mit aus Tabellenwerken entnehmbaren Werten für Damit lässt sich die Konzentration einer diffundie-
QA = 137 700 J/mol und D0 = 0,23 cm2/s, ergibt sich D renden Substanz im Bereich der Oberfläche in Ab-
bei T = 1000 + 273 = 1273 K zu: hängigkeit vom Abstand x und der Zeit t berechnen.
Voraussetzung für die Gültigkeit ist die Konstanz
Ê 137 700 ˆ des Diffusionskoeffizienten D und der Konzentratio-
D = 0, 23 ◊ exp Á - = 5,14 ◊ 10 - 7 cm 2/s.
Ë 8,314 ◊ 1273 ˜¯ nen cs und c0.
Abschn. 1.5: Thermisch aktivierte Vorgänge 41
Beispiel 1-5: In manchen Fällen ist die Kenntnis der zum Homoge-
Die Oberfläche eines unlegierten Kohlenstoffstahls nisieren einer inhomogenen Legierung erforderli-
(c0 = 0,1 % C) soll in einer kohlenstoffhaltigen Atmosphä- chen Zeit notwendig. Die Änderung der Konzentra-
re mit cs = 1,1 % C bis zu einer Tiefe von angenähert tion cA des Legierungselements A im Gefüge lässt sich
xa = 1 mm = 0,1 cm auf cx,t = 0,5 % C aufgekohlt werden. im einfachsten Fall mit einem sinusförmigen Ver-
Der Prozess soll bei verschiedenen Temperaturen statt- lauf beschreiben, Bild 1-50.
finden. Aus Gl. [1-15] ergibt sich:
cA - Verlauf für t = 0
cs - cx , t 1,1 - 0,5 Ê 1 ◊ 10 - 1 ˆ
= = 0,6 = erf Á = erf ( z ). cA - Verlauf für t = t
cs - c0 1,1 - 0,1 Ë 2 ◊ D ◊ t ¯˜
c0
Konzentration cA
⎛ 0,5 ⋅ 10 − 1 ⎞
Aus erf (ζ ) = 0,6 folgt ζ = ⎜ ⎟ = 0,5912.
cm
⎝ D⋅t ⎠
0, 25 ◊ 10 - 2 0,714 ◊ 10 - 2 l
Damit wird : = 0,35 ; D = .
D◊t t
Ortskoordinate x
Für Kohlenstoff in g -Eisen ist D0 = 0,23 cm2/s und
QA = 137 700 J/mol. Damit wird gemäß Gl. [1-11]: Bild 1-50
Konzentrationsänderung bei einem sinusförmigen Ver-
Ê 16 562 ˆ lauf der Konzentration cA .
D = 0,23 ◊ exp Á - 2
˜ cm / s.
Ë T ¯
Durch Gleichsetzen der beiden Beziehungen für D er- Zur Zeit t 0 ist das Konzentrationsprofil cA der Atom-
gibt sich die gesuchte Abhängigkeit t = f ( T) zu: sorte A durch die Beziehung gegeben:
0,714 ◊ 10 - 2 ⎛ π x⎞
Ê 16 562 ˆ cA = cm + c0 ⋅ sin ⎜ ⎟ . [1-16]
= 0,23 ◊ exp Á - ˜ ⎝ λ ⎠
t Ë T ¯
Ê 16 562 ˆ Hierin bedeuten cm die mittlere Konzentration, c0 die
t = 0,031 ◊ exp Á s.
Ë T ˜¯
Amplitude der ursprünglichen Konzentration und
l die halbe »Wellenlänge«. 2 ¹ l entspricht etwa dem
Mit diesen Angaben können verschiedene Wärmebe- mittleren Dendritenabstand. Unter der Annahme,
handlungsvorschriften (aber Entstehung von Grob- dass D DA unabhängig von der Konzentration ist,
korn beachten!) ermittelt werden, z. B.: ergibt die Lösung der Gl. [1-14] für diesen Fall:
T = 900 C = 1173 K, t = 42007 s = 11,67 h, ⎛ π x⎞ ⎛ − t⎞
cA = cm + c0 ⋅ sin ⎜ ⎟ ⋅ exp ⎜ ⎟ . [1-17]
T = 1100 C = 1373 K, t = 5372 s = 1,49 h. ⎝ λ ⎠ ⎝ τ ⎠
Der Konzentrationsverlauf in Abhängigkeit von der In Gl. [1-17] ist t eine Konstante, die auch als Rela-
Aufkohlungstiefe bei verschiedenen Wärmebehand- xationszeit bezeichnet wird. Für diese gilt:
lungszeiten ti ist in Bild 1-49 dargestellt. λ2
τ= . [1-18]
π2 ⋅ DA
cs Die maximale Amplitude des Konzentrationsverlaufs
t1 < t2 < t3 T = konst.
cmax ergibt sich für x l/2 zu:
Konzentration c
xm = D t× 1 ⎛ − t⎞
c0 = cmax = exp ⎜ ⎟ . [1-19]
⎝ τ ⎠
cs + c0
2 Nach einer Glühzeit von z. B. t t wird gemäß Gl.
[1-19] cmax 1/e 1/2,71 0,37, für eine Glühzeit von
xm t1 t2 t3 t 2¹t wird cmax 1/e2 0,14. Der Verlauf für t t ist in
Bild 1-50 als gestrichelte Linie dargestellt. Gl. [1-18]
c0 lässt erkennen, dass der Prozess der Homogenisie-
x max l 3 × x m rung quadratisch von der »Wellenlänge« l des Konzen-
trationsprofils abhängt. Ein Konzentrationsausgleich
Ortskoordinate x ist daher bei den großvolumigen Blockseigerungen
wirtschaftlich nicht erreichbar.
Bild 1-49
Konzentrationsverläufe des diffundierenden Kohlen-
toffs (Beispiel 1-5) für drei unterschiedliche Zeiten Beispiel 1-6:
t1 < t2 < t3 bei T = konst. in einem halbunendlichen Die Ni-Cu-Legierung NiCu60 soll bei 1250 C homo-
Stab. Die Oberflächenkonzentration beträgt während genisiert werden (s. Bild 5-18, S. 519). Aus Schliff-
des gesamten Prozesses c = cs. bildern wird ein mittleres l von 0,1 mm = 0,01 cm ent-
42 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
nommen. Es ist die Glühzeit für t = 2 ◊ t zu berechnen. 1.5.2 Erholung und Rekristallisation
Die Amplitude der Cu-Konzentration soll also auf et-
wa 14 % der ursprünglichen Höhe (c0 ) abnehmen.
Die z. T. extreme Zunahme der Anzahl der
Zunächst ist der Diffusionskoeffizient DCuÆNi von Cu Versetzungen als Folge einer Kaltverformung
in Ni zu bestimmen. Aus Tabellenwerken entnimmt (Kaltverfestigung) führt zu einschneidenden
man QA = 257 500 J/mol und D0 = 0,65 cm2/s. Damit
erhält man mit T = 1250 + 273 = 1523 K aus Gl. [1-11]
Änderungen vieler Werkstoffeigenschaften.
den Diffusionskoeffizienten DCuÆNi: Die sehr wichtige technologische Eigenschaft
Schweißeignung z. B. wird in erster Linie
Ê 257 500 ˆ cm2
DCuÆ Ni = 0,65 ◊ exp Á - = 9,57 ◊ 10 - 10 . durch den starken Anstieg der Festigkeit und
Ë 8,314 ◊ 1523 ¯˜ s
Härte und den erheblichen Abfall der Zähig-
Das gesuchte t wird aus Gl. [1-18] berechnet zu: keitswerte beeinträchtigt.
λ2 10 − 4 ⋅ 10 10
τ= = = 1,06 ⋅ 10 4 s ≈ 3 h.
π 2 ⋅ DCu→ Ni 9,87 ⋅ 9,57 Beim Schweißen kaltverformter Werkstoffe
werden daher in bestimmten Bereichen ne-
Der gewünschte Verlauf der Cu-Konzentration ergibt ben der Schweißnaht die Eigenschaften des
sich nach einer Glühzeit von t = 2◊t = 6 h. Bei einem l
von nur 1 mm ergäbe sich der völlig unrealistische Wert
kaltverformten Werkstoffes durch die Rekris-
von t = 600 h! tallisation weitgehend verändert (s. Abschn.
1.3). Im Wesentlichen beruhen die Schweißpro-
Die Diffusionsvorgänge im Bereich der »Bindestelle« bleme also auf der Entstehung eines Gefüge-
einer stoffschlüssigen Verbindung aus zwei unter-
schiedlich zusammengesetzten Werkstoffen mit den
kontinuums mit extrem unterschiedlichen
Konzentrationen c1 und c2 werden mit der folgenden und ungünstigen mechanischen Gütewerten.
speziellen Lösung der Gl. [1-14] berechnet: Bei unlegierten Stählen muss außerdem mit
dem Auftreten der zähigkeitsvermindernden
Êc +c ˆ Êc -c ˆ Ê x ˆ
c ( x; t ) = Á 1 2 ˜ - Á 1 2 ˜ ◊ erf Á . [1-20] Verformungsalterung gerechnet werden (Ab-
Ë 2 ¯ Ë 2 ¯ Ë 2 ◊ D ◊ t ˜¯ schn. 3.2.1.2, S. 240).
t1
0,12 %
– Kornwachstum.
cM t2 = 10 h = 36 000 s
c2 Während der Erholung werden die mechani-
schen Gütewerte kaum geändert, die physi-
0 x = 0,1 cm
kalischen Eigenschaften erreichen im We-
Ortskoordinate x
sentlichen die vor der Kaltverformung vor-
Bild 1-51
handenen Werte. Die Zahl der Versetzungen
Konzentrationsverläufe c1 und c2 eines diffundierenden
Elementes in zwei halbunendlichen Stäben (verbunden bleibt weitgehend erhalten, sie lagern sich
z. B. durch Schweißen) für zwei unterschiedliche Zeiten aber durch thermisches Aktivieren in ener-
t1 < t2. Zahlenwerte s. Text zu Beispiel 1-7. gieärmere Zustände um (Abschn. 1.2.2.1).
Abschn. 1.5: Thermisch aktivierte Vorgänge 43
Die mechanischen Gütewerte ändern sich Körner des rekristallisierenden Gefüges er-
erst oberhalb der Rekristallisationstempera- setzt, ähnlich wie bei der Primärkristallisa-
tur TRk, bei der sich neue, unverformte (also tion die Schmelze durch Kristallite. Der Vor-
weiche), energiearme Körner zu bilden be- gang ist beendet, wenn sich die Körner gegen-
ginnen. Bild 1-52 zeigt schematisch die Än- seitig berühren.
derung der Bruchdehnung und der Zugfes-
tigkeit von Reinkupfer in Abhängigkeit vom
Kaltverformungsgrad j und der Glühtem-
peratur T.
❐ Bei sehr großen Verformungsgraden ent- wichtiger Faktor für die hervorragenden
steht wegen der damit verbundenen erheb- mechanischen Gütewerte der thermome-
lichen Triebkraft ein sehr feinkörniges chanisch gewalzten Feinkornbaustähle
Gefüge, und der Beginn der Rekristallisa- (Abschn. 2.7.6.2, S. 190).
tion wird zu niedrigeren Temperaturen ❐ Bei einphasigen Werkstoffen (z. B. hoch-
verschoben. Da das Gefüge technischer legierten Stählen, Ni, Al) ist Kaltverfor-
Werkstoffe in den meisten Fällen feinkör- men mit einem anschließenden Rekristal-
nig sein soll, muss der zu rekristallisieren- lisieren die einzige Möglichkeit, die Korn-
de Werkstoff möglichst stark kaltverformt größe gezielt verändern zu können.
werden, wobei natürlich keine Anrissbil- ❐ In Werkstoffen mit interstitiell gelösten
dung erfolgen darf. Atomen (vor allem C, N, aber auch P) kann
❐ Die chemische Zusammensetzung, insbe- nach einem Kaltverformen die sehr uner-
sondere aber die an den Korngrenzen aus- wünschte Verformungsalterung (Reckal-
geschiedenen Teilchen bzw. Elemente, be- terung) entstehen. Technisch bedeutsam
einflussen das Rekristallisationsverhalten ist die Verformungsalterung aber nur bei
erheblich. Die Beweglichkeit der Korngren- un- und (niedrig-)legierten Stählen (z. B.
zen während des Rekristallisierens wird Bild 1-21). Im Wesentlichen werden da-
durch sie merklich beeinträchtigt. Diese durch die Festigkeitswerte mäßig erhöht,
Rekristallisationsverzögerung ist z. B. ein die Zähigkeitswerte aber z. T. erheblich
verringert. Die durch das Kaltverformen
j1
t = konst. t = konst. erzeugte große Zahl der Versetzungen er-
T1 < T2 < T 3 j1 < j 2 < j 3
leichtert das Diffundieren der interstitiell
d
j2
gelösten Atome zu den Versetzungsker-
j3 nen. Dadurch werden die Versetzungen
T3 d
wirksam und schnell blockiert. Stickstoff
d0
T2
0
ist wegen seiner größeren Löslichkeit und
T1 Diffusionsfähigkeit wesentlich gefährli-
j krit,3 j TRk,3 TRk,1 T cher als Kohlenstoff.
a) b) ❐ Bei gegebenem Verformungsgrad nimmt
die Rekristallisationstemperatur zu mit:
j = konst. t = konst.
– Zunehmender Korngröße des zu ver-
formenden Werkstoffs,
T
d
a) b) c)
Bild 1-55
Mikroaufnahmen unterschiedlich kaltverformter Proben aus S235 (St 37), V = 500 :1, 3 % HNO3.
a) Unbeeinflusster Grundwerkstoff, Härte = 120 HV 1 (Originalgröße 5,4 cm x 7,8 cm, s. Aufgabe 1-1, S. 110),
b) 20 % kaltverformt, Härte = 200 HV 1,
c) 45 % kaltverformt, Härte O 250 HV 1.
schlagarbeit in Walzrichtung kann vor allem 1.6.1 Aufbau und Eigenschaften der
im Bereich der Hochlage bis zu zweimal grö- Phasen
ßer sein als quer dazu. Dieser Unterschied
wird i. Allg. mit zunehmendem Warmverfor- 1.6.1.1 Mischkristalle
mungsgrad und zunehmender Plastizität der Jedes Metall nimmt in unterschiedlichen Men-
Einschlüsse größer. Aus diesem Grunde wer- gen andere Atomsorten auf, die im Gitter nach
den Stähle heutzutage mit Elementen ent- zwei verschiedenen Mechanismen »gelöst«
schwefelt, die spröde, unverformbare Sulfide werden können. Derartige »atomare« Mischun-
bilden (s. Abschn. 2.7.6.2, S. 190), z. B. Cer gen werden Mischkristalle (MK) oder auch
(CeS), Titan (TiS), Zirkonium (ZrS). Die Plas- Lösungsphasen, im englischen Schrifttum
tifizierbarkeit der Mangansulfide, die zu in sehr anschaulich solid Solutions (feste Lö-
Walzrichtung lang gestreckten Einschlüs- sungen) genannt. Man unterscheidet die fol-
sen führt, ist eine Hauptursache für die Zä- genden Mischkristallarten, Bild 1-57:
higkeitsanisotropie konventioneller Kohlen- – Substitutionsmischkristalle (SMK ) und
stoff-Mangan-Stähle (s. a. Bild 2-61, S. 194). – Einlagerungsmischkristalle (EMK ).
6)
Die aus Mischkristallen bestehenden Legierun-
5) gen sind wegen der bei ihrer Herstellung i. Allg.
Für eine lückenlose Mischbarkeit müssen Wirts-
atome und Legierungsatome den gleichen Gitter- angewendeten großen Abkühlgeschwindigkeit
typ aufweisen, und ihre Durchmesser ihrer Atome meistens kristallgeseigert (s. Abschn. 1.6.3.1, S.
dürfen sich um nicht mehr als 14 % voneinander 55), also inhomogen. Sie liegen demnach nur nach
unterscheiden. Außerdem müssen sie gleiche Wer- einer relativ aufwändigen Wärmebehandlung –
tigkeit und möglichst gleiche Elektronegativität die in der Praxis aus wirtschaftlichen Gründen da-
besitzen, anderenfalls wird die Bildung intermedi- her kaum angewendet wird – wirklich homogen
ärer Verbindungen begünstigt. vor, s. a. Beispiel 1-6, S. 41.
Abschn. 1.6: Grundlagen der Legierungskunde 47
Die Substitution ist bei Erfüllung verschiede- als Zonen, der Vorgang ihrer Bildung als Nah-
ner Voraussetzungen sehr weitgehend, u. U. entmischung oder einphasige Entmischung
kann jedes Atom des Wirtsgitters durch ein bezeichnet.
Legierungsatom ausgetauscht werden 5). In
diesem Fall entsteht eine lückenlose Misch- Mit zunehmender Affinität der ungleicharti-
kristallreihe. Die bekanntesten Legierungs- gen Atomsorten entsteht durch die Wirkung
systeme dieser Art sind Cu-Ni, Fe-Ni, Fe-Cr. der anziehenden Kräfte eine geordnete Struk-
Alle Legierungen dieser Systeme bestehen tur, die Überstruktur, Bild 1-58b. Sie kann
ausschließlich aus Mischkristallen, es sind sich nur bei bestimmten Anteilen der gelös-
einphasige, aber oft inhomogene Werkstof- ten Atome und unterhalb bestimmter Tempe-
fe 6), vor allem bei den charakteristischen gro- raturen bilden, s. Abschn. 1.4.2.1. Als Folge
ßen Abkühlgeschwindigkeiten beim Schwei- der abnehmenden Anziehungskräfte wird
ßen (Schweißgut!). Sie besitzen i. Allg. ausrei- der ungeordnete Zustand mit zunehmender
chende Festigkeits- und hervorragende Zä- Temperatur thermodynamisch wahrschein-
higkeitseigenschaften (z. B. Cu-Ni-Legierun- licher.
gen), verbunden mit guter Korrosionsbestän-
digkeit. Wegen ihrer großen Zähigkeit ist die Die Einstellung des Ordnungszustandes er-
Schweißeignung dieser aus (inhomogenen) fordert Platzwechsel, er kann sich daher aus
Mischkristallen bestehenden Werkstoffe in ordnungsfähigen Mischkristallen erst bei
den meisten Fällen gut, sie nimmt aber häu- höheren Temperaturen und typischerweise
fig bei einem in der Regel geringen Anteil ei- nach sehr langen Zeiten bilden.
ner zweiten Phase im Gefüge meistens deut-
lich zu, wenn eine Phase für die im Werkstoff Die Festigkeit (und Härte) der Überstruktu-
vorhandenen Verunreinigungen eine höhere ren ist i. Allg. deutlich höher und ihre Zähig-
Löslichkeit aufweist, s. Abschn. 5.1.2, S. 503. keitseigenschaften sind merklich schlechter
als die der ungeordneten Phase, weil die Bin-
Wenn zwischen den am Aufbau des MK.s be- dungskräfte nicht mehr rein metallischer Art
teiligten Atomsorten keine Anziehungskräf-
te herrschten, müssten die Legierungsatome
im Gitter statistisch verteilt sein, Bild 1-58a.
Tatsächlich sind die gelösten Atome B in rea-
len, technischen Werkstoffen nicht statistisch
regellos, sondern in bestimmter und nicht zu-
fälliger Weise angeordnet. In der Regel er-
gibt sich die sog. Nahbereichsordnung, Bild
1-58c. Die gelösten Atome B sind hier vor-
zugsweise von Atomen A umgeben, weil die
durch sie verursachten Gitterverzerrungen
ein direktes Nebeneinanderliegen unwahr-
scheinlicher macht.
lässt sich Eisen (Stahl) mit reinen Bleiloten 1.6.2.1 Zustandsschaubild für
nicht »verbinden«. vollkommene Löslichkeit im
flüssigen und festen Zustand
F=K P+1 Die Elemente bilden eine lückenlose Misch-
K = Anzahl der Komponenten (2), P = Anzahl der Phasen
➊: z. B. L2, Bild 1-61a kristallreihe, d. h., bei jeder beliebigen Kon-
➋: z. B. L1, Bild 1-60 zentration c entstehen bei Raumtemperatur
➌: z. B. L1, Bild 1-61a ausschließlich Mischkristalle a. Legierun-
➊ ➋ ➌ gen derartiger metallurgischer Systeme sind
Se ® A+ B Se ® a + SB Se ® A + SB (F = 1) meistens hinreichend schweißgeeignet, weil
Temperatur T
Se ® A Se ® A + B (F = 0)
das Schweißgut unabhängig vom Grad der
F= 0 Vermischung Grundwerkstoff/Zusatzwerk-
F= 1 F= 1 stoff nur aus den verhältnismäßig zähen, ein-
D T
Zeit t
Die bei langsamer Abkühlung stattfinden-
den Vorgänge bei der Erstarrung sind an-
Bild 1-59 hand der Legierung L1 in Bild 1-60 schema-
Abkühlkurven reiner Metalle und Legierungen, dar- tisch dargestellt. Legierungen besitzen keinen
gestellt mit dem Gibbsschen Phasengesetz.
Schmelzpunkt, sondern ein Schmelzintervall.
Kurve 1, Freiheitsgrad F = 0:
Haltepunkte beim Erstarren reiner Metalle (K = 1,
L1
P = 2) und Eutektika, Peritektika (K = 2, P = 3). TS.A S
1
Kurve 2, F = 1: T1
Temperatur T
a1
Knickpunkte beim Erstarren von Legierungen (Misch- 2 3
T2
a2 S+ a
kristalle, K = 2, P = 2) in Zweiphasengebieten mit dem S3
5 4
Erstarrungsintervall DT. T3
S4 Li
Kurve 3, F = 1, F = 0:
Knick- und Haltepunkte beim Erstarren der Schmelze a So
TS.B
nach einer primären Kristallisation (Mischkristalle,
F = 1) und anschließender Umwandlung in ein Eutek- a b
tikum (F = 0).
A c1 c2 c0 c3 c4 B
Zustandsschaubilder sind grafische Darstel- Konzentration c
lungen der Phasenbeziehungen in heteroge-
nen Systemen. Sie sind ohne spezielle Kennt-
nisse vielfach nicht einfach zu »lesen«. Im
Folgenden werden nur die wichtigsten binä-
ren Typen dieser Schaubilder besprochen.
Die Phasengrenzlinien in diesen T-c-Schau- a
bildern werden meistens mit der sog. thermi- A (60 % A, 40 % B) B
S
Während der Konzentrationsausgleich in der 1
300
Bild 1-34.
S-Sn63Pb37P
Als Folge ihrer werkstofflichen und metall- 200 S+ a S+ b
physikalischen Besonderheiten besitzen die 183 a
1.6.2.3 Systeme mit Die Löslichkeit der Matrix für eine Atomsor-
begrenzter Löslichkeit te nimmt normalerweise mit höherer Tem-
In den meisten Fällen sind die Komponenten peratur zu. Beim Abkühlen (L1) muss sich
A und B des Legierungssystems weder voll- also unterhalb einer von der Zusammenset-
ständig unmischbar noch vollständig misch- zung abhängigen Temperatur TSeg (1) wenigs-
bar, sondern begrenzt mischbar. A kann also tens ein Teil der in der A-Matrix ( a-MK)
eine bestimmte Menge B, B eine bestimmte gelösten B-Atome in Form fester Teilchen
Menge A lösen. Der Konzentrationsbereich, (b Seg) ausscheiden (2), Bild 1-64. Feste Aus-
in dem mehrere Phasen auftreten, wird Mi- scheidungen aus festen Phasen werden Se-
schungslücke M genannt, Bild 1-64. Siehe gregate, die Linien, unterhalb der der Ausschei-
auch Aufgabe 1-9, S. 115. dungsvorgang beginnt, Segregatlinien oder
Löslichkeitslinien (Linie a-b) genannt.
TS.B
L1
TS.A
Platzwechselvorgänge im festen Zustand,
Temperatur T
S
Abschn. 1.5.1, sind nur noch begrenzt mög-
lich, d. h., die Teilchen sind meistens sehr
S+ a S+ b klein (einige tausend nm bis einige tausends-
tel mm). Aus energetischen Gründen beginnt
a b
TLös b e
die Ausscheidung nicht in der »fehlerfreien«
E= a+ b
Matrix, sondern bevorzugt an (Großwinkel-)
1
TSeg 2 Korngrenzen bzw. Orten mit höherem Ener-
a b giegehalt (z. B. Leerstellen, Versetzungen,
+ a + E + bSeg b + E + a Seg +
bSeg a Seg Grenzflächen, Einschlüssen, Zwillingen, s.
a
Abschn. 1.4.2).
A c0 c 1 20 c 2 40 ce 60 80 c 3 % B
Konzentration c
Die Bildung der Ausscheidungen kann durch
Mischungslücke M
a) schnelles Abkühlen wirksam unterdrückt wer-
den. Die bei Raumtemperatur vorliegenden
Mischkristalle sind dann übersättigt. Die
100 zwangsgelösten Atome führen zu Gitterver-
a+ b spannungen, die durch eine anschließende
94
Größe und Verteilung dieser Phasen ab (Ab- Cu-Zn (Messinge) mit mehreren iV.en.
schn. 1.2.2). In der Regel ist ihre Schadenswirk- Die wichtigste ist die g -Phase mit der un-
samkeit am größten, wenn sie auf den Korn- gefähren Zusammensetzung Cu5Zn8. Sie
grenzen flächig (filmartige, geschlossene Be- bildet sich bei Legierungen mit mehr als
läge) angeordnet sind. Mit einer Wärmebe- 50 % Zink, Bild 5-14, S. 516.
handlung ist die schädigende Wirkung in ei- Cu-Sn (Bronzen) mit mehreren iV.en.
nigen Fällen zu beseitigen oder zu verringern, Die wichtigste ist die d -Phase Cu 31Sn 8,
wenn sie zum Lösen oder wenigstens zum Bild 5-16, S. 517.
Koagulieren der intermediären Korngrenzen- Fe-Cr (legierte korrosionsbeständige
phase führt. Stähle) mit der Sigma-Phase, sie ent-
spricht etwa der Zusammensetzung FeCr,
Bild 1-65 zeigt beispielhaft das Zustands- Abschn. 2.8.3.4.2, Bild 2-66, S. 203.
schaubild Al-Mg. Die ungefähre Zusammen-
setzung (meistens als chemische Formel an- Bei den korrosionsbeständigen, legierten, fer-
gegeben) und die Lage der intermediären ritischen Chromstählen treten abhängig von
Phase werden in der Regel mit einem Pfeil der Anzahl und Art der Legierungselemen-
gekennzeichnet. te normalerweise sehr viele intermediäre Pha-
700 sen auf. Die wichtigsten sind Chromcarbide
660
S und die Sigma-Phase. Die beim Schweißen
Al3Mg2
S+ a
Temperatur T
S+ a
200
a a
100 T1 T1
a+ s a+ s
0 a’ s
Al 10 20 30 % Mg
A c0 c1 B A c0 c1 B
Magnesiumgehalt
Konzentration c Konzentration c
Bild 1-65 a) b)
Teil-Zustandsschaubild des Systems Aluminium-
S
Magnesium, nach J. L. Murray. S
S+ a
Temperatur T
Temperatur T
Nur aus Mischkristallen bestehende Werk- Unerwartete Eigenschaften sind daher nicht
stoffe sind i. Allg. gut bis sehr gut schweißge- möglich. Technisch bedeutsam sind z. B. die
eignet. Mehrphasige Legierungen werden bei niedrigster Temperatur schmelzenden
aber häufig dann vorgezogen, wenn die Lös- eutektischen Legierungen, die daher vorzugs-
lichkeit der einzelnen Phasen für Verunreini- weise als Guss- und Lotwerkstoffe eingesetzt
gungen sehr unterschiedlich ist, Abschn. werden. Ihre Eigenschaften werden von denen
5.1.2, S. 505. Als Beispiel seien die Cu-Ni-Le- der Komponenten und des mechanischen Ge-
gierungen, die kupferreichen Messingsorten misches Eutektikum bestimmt. Wegen der in
und die austenitischen Cr-Ni-Stähle genannt, der Regel sehr feinen Gefügeausbildung ist
die ohne eine zweite Phase z. T. extrem heiß- die Härte und Festigkeit des echten – d. h.
rissanfällig sind. Daher werden wegen der nicht entarteten – Eutektikums häufig we-
grundsätzlichen Heißrissgefahr von »gegos- sentlich größer als nach der »Mischungsre-
senen« Schweißgütern für Zusatzwerkstoffe gel« erwartet werden kann (»Korngrenzen-
meistens mehrphasige Werkstoffe, d. h. Le- härtung«). Allerdings ist die durch den Schweiß-
gierungen, verwendet. prozess entstehende mögliche andersartige
Verteilung der Verunreinigungen (z. B. bevor-
Die Schweißeignung hängt außerdem sehr zugt an den Korngrenzen des Schweißguts
stark von der Kristallstruktur ab. Sie ist bei bzw. in ungünstiger Form in den schmelz-
den zähen, praktisch nicht versprödbaren grenzennahen hocherhitzten Bereichen in
Werkstoffen mit kfz Gitter (z. B. Kupfer, Alu- rundlicher oder filmartiger Form!) und der
minium, Nickel) am besten, bei den spröde- Gusszustand des Schweißguts zu beachten.
ren mit krz Gitter (z. B. unlegierte Stähle,
ferritische Chromstähle) schlechter. Die sprö- Die Eigenschaften von Legierungen, die voll-
den hdP Metalle (z. B. Magnesium und Zink) ständig aus Mischkristallen bestehen, kön-
sind so schlecht schweißgeeignet, dass von nen sich dagegen in unvorhergesehener Wei-
einem Schweißen im Allgemeinen abgeraten se in einem extrem großen Bereich ändern.
werden muss. Durch die Aufnahme von Legierungsatomen,
die in der Regel nicht statistisch im Gitter
Abgesehen von diesen sehr vereinfacht dar- verteilt sind, Abschn. 2.6.3.2, S. 160, entste-
gestellten Zusammenhängen beeinflussen hen außer einer merklichen Gitterverspan-
außerdem die nung spezielle Anordnungen der Legierungs-
– Art (oxidisch, sulfidisch), Menge, Form atome (z. B. Nahbereichsordnung, Clusterbil-
(rundlich, filmartig, nadelförmig, koagu- dung) die oft zu einer deutlichen Festigkeits-
liert) und Lage (Korngrenzen, Matrix) der erhöhung führen, verbunden mit einer über-
Verunreinigungen, der raschend hohen Zähigkeit.
– Wärmebehandlungszustand des Grund-
werkstoffs (normalgeglüht, lösungsge- 8)
Im thermodynamischen Gleichgewicht besteht
glüht, gehärtet) und die zwischen der Anzahl der Komponenten (K), der
– Gefügeform und Gefügeart (Guss-, Walz-, Zahl der Phasen (P) und dem Freiheitsgrad (F)
Vergütungsgefüge), das nach Gibbs benannte Phasengesetz (s. a. Bild
1-59, S. 50, und Aufgabe 1-8, S. 114):
– Korngröße (WEZ und Schweißgut) und
F = K + 2 – P.
Kornform sowie die
– Art und Menge der Gefügebestandteile Der Freiheitsgrad gibt die Zahl der möglichen
das Schweißverhalten in einer quantitativ oft Zustandsänderungen (p, T, c) im Gleichgewichts-
fall an, ohne dass sich der Zustand des Systems
nicht zuverlässig beschreibbaren bzw. be-
durch Verschwinden oder Neubilden von Phasen
kannten Weise. ändert. Da die metallurgischen Reaktionen bei
metallischen Werkstoffen bei p konst. ablaufen,
1.6.4.2 Mechanische Gütewerte verringert sich F um 1:
Die Eigenschaften der aus mehreren Phasen F = K + 1 – P.
bestehenden heterogenen Legierungen wer- Zum Festlegen eines ternären Eutektikums (K 3,
den von den Teileigenschaften und den Men- P 1) sind danach drei Zustandsgrößen erforder-
genanteilen der einzelnen Phasen bestimmt. lich, das sind: c1, c2 und T.
Abschn. 1.6: Grundlagen der Legierungskunde 59
20 % A 80
L L
65 % C
40 60
A
%
60 40
%
C
P P
L2 K
80 20
L1
A B A B
0 20 40 60 80 100
15 % B %B 15 % B 65 % C 20 % A
a) b)
Bild 1-69
Konzentrationsdreieck zum Darstellen der chemischen Zusammensetzung von Dreistofflegierungen.
a) Zusammensetzung der Legierung L.
b) Legierungen mit konstantem Gehalt eines Legierungsbestandteiles (hier C) liegen auf einer Parallelen (P-P)
der diesem Element gegenüberliegenden Dreiecksseite (hier A-B).
Legierungen mit einem konstanten Verhältnis zweier Legierungselemente (hier B/C = 4 ) liegen auf einer
Geraden (hier A-K ), die durch den Eckpunkt der dritten Komponente geht (hier A ).
60 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Die Liquidusfläche besteht aus drei Teilflä- ist aber konstant, denn ihre Massenanteile
chen, Bild 1-70c, die durch die eutektischen bleiben unverändert. Die Zusammensetzung
Rinnen voneinander getrennt sind. Das sind der Restschmelze SR ändert sich entlang der
die bei den eutektischen Punkten der binä- Geraden C - Z (s. a. Bild 1-69b, Linie A - K)
ren Eutektika E1, E2, E3 beginnenden räum- und erreicht bei der Temperatur T4 den Punkt
lich gekrümmten Linien im ternären Raum, Z auf der eutektischen Rinne (E1 - Et).
die bis zu ihrem Schnittpunkt Et, dem ter-
Bei T3 besteht L aus C und Schmelze S3:
nären Eutektikum abfallen. L - S3
mC /mS.3 = T1
C- L L
T3
C
T4 S3
T1
E1
T2 L Z
T3 C
S3
Raum der primären T4 E1 Et
Kristallisation E3
Z
C A Et B
A B A
E2
B a) b)
a)
T1 Bild 1-71
Zur Kristallisation ternärer Legierungen.
a) Primärkristallisation reiner C-Kristalle aus der
Raum der binären Legierung L. Die Zusammensetzung der Restschmel-
eutektischen
T = T1 Kristallisation ze SR ändert sich dabei gemäß dem Linienverlauf
T = T1 C-Z. Sie hat nach Erreichen der eutektischen Rinne
bei T4 die Zusammensetzung Z.
b) Die sekundäre Kristallisation der Schmelze SR
C A
erfolgt gemäß Linie Z-Et und endet mit ihrer Er-
starrung zu ternärem Eutektikum Et.
Schnitte für T = konst.
B
b) Die sekundäre Kristallisation der Schmelze
E3
C A SR erfolgt weiter gemäß Linie Z - Et, es ent-
eutektische Rinnen
steht das binäre Eutektikum: SR B C,
Bild 1-71b. Die Restschmelze kristallisiert
Et E2
E1 bei Te konst. zum ternären Eutektikum Et:
E 1, E 2, E 3 SR A B C (tertiäre Kristallisation).
binäre Eutektika
c) B
Tabelle 1-3
Phasenänderungen beim Übergang vom Zweistoff-
Bild 1-70 zum Dreistoffsystem.
Ein aus drei eutektischen Zweistoffsystemen aufge-
bautes Dreistoffsystem. Freiheitsgrad Phasenzahl Art des Phasen-
a) Schaubild mit eingezeichnetem Raum der primä- gebietes
F P
ren Kristallisation: S Æ S + B,
b) Raum der binären eutektischen Kristallisation:
Zweistoffsysteme (F = 3 – P)
S Æ B + C,
c) Schmelzflächenprojektion S auf die Konzentra- 0 3 Dreiphasenlinie
tionsebene mit den drei eutektischen Rinnen Ei-Et 1 2 Zweiphasenfläche
und dem ternären eutektischen Punkt Et. 2 1 Einphasenfläche
Dreistoffsysteme (F = 4 – P)
Während der Primärkristallisation der Le-
gierung L, Bild 1-71a, wird die Liquidusflä- 0 4 Vierphasenebene
che bei T1 durchstoßen. Dabei scheiden sich 1 3 Dreiphasenraum
C-Kristalle aus, wodurch die Restschmelze 2 2 Zweiphasenraum
3 1 Einphasenraum
A- und B-reicher wird. Das Verhältnis B/A
Abschn. 1.6: Grundlagen der Legierungskunde 61
Ein tieferes Verständnis der Schaubilder er- – Quasibinäre Schnitte sind bei Legierungs-
fordert genauere Kenntnisse der Vorgänge systemen mit bestimmten metallurgischen
bei der binären eutektischen Kristallisation, bzw. metallkundlichen Voraussetzungen
Bild 1-70b und Bild 1-71. Diese Räume ha- möglich, z. B. Bild 1-74c. Die Interpreta-
ben die Form einer »Pflugschar«. Sie werden tion dieser Schaubilder kann dann wie bei
daher auch häufig als »Dreikantröhren« be- einem Zweistoffsystem erfolgen.
zeichnet. Es ist notwendig, sich den Verlauf
und den geometrischen Aufbau dieser »Röh- Isothermische Schnitte
ren« vorstellen zu können. Sie sind ein typi- In diesen Ebenen können bei konstanter Tem-
sches Kennzeichen aller Dreistoffsysteme und peratur sämtliche Legierungen vollständig
für das Verständnis dieser Systeme absolut beschrieben werden. Folgende Angaben sind
notwendig. ablesbar bzw. ermittelbar:
– Mengenverhältnisse der Phasen mit dem
1.6.5.1 Ternäre Schaubilder in ebener Hebelgesetz. Diese Berechnungen sind
Darstellung aber nur in isothermischen Schnitten
Die räumliche Darstellung komplizierter Drei- möglich,
stoffsysteme ist in den meisten Fällen unüber- – Zusammensetzung und Grenzen der betei-
sichtlich und schwer interpretierbar. Einzel- ligten Phasen.
ne Zustandspunkte lassen sich nicht exakt
bestimmen, weil Punkte im Raum erst durch Die Art und der Verlauf von Phasenänderun-
drei Koordinaten eindeutig bestimmt sind. gen können in Abhängigkeit von der Tempe-
Daher verwendet man in der Praxis meis- ratur mit Hilfe verschiedener isothermischer
tens bestimmte, sehr viel einfachere, ebene Schnitte ermittelt werden. Bild 1-72 zeigt
Darstellungen: eine Reihe isothermischer Schnitte in einem
– Schmelzflächenprojektionen auf die Kon- einfachen eutektischen Dreistoffsystem bei
zentrationsebene, z. B. Bild 1-70c. drei Temperaturen.
– Isothermische Schnitte (Horizontalschnitte)
sind Ebenen parallel zur Konzentrations- Bei dem bisher besprochenen Dreistoffsys-
ebene bei konstanter Temperatur, z. B. tem scheiden sich nach Unterschreiten der
Bild 1-72. Liquidusfläche die reinen Komponenten in
– Vertikalschnitte (Temperatur-Konzentra-
tionsschnitte). Bei ihnen bleibt eine Kon-
zentration oder ein Konzentrationsverhält- 9)
Eine Konode verbindet in Zweiphasenfeldern mit-
nis konstant, z. B. Bild 1-69b, Linie P-P einander im Gleichgewicht (d. h. T konst.) ste-
und A-K. hende Phasen.
B+
A+
Te
S+
C
A B S+ C
S+ C
C C C
C
a) b) c) d)
Bild 1-72
Isothermische Schnitte durch ein eutektisches Dreistoffsystem bei drei verschiedenen Temperaturen.
a) Eutektisches Dreistoffsystem.
b) Erstarrung im Bereich der primären Kristallisation, Schnitt bei T1 , z. B.: S Æ S + A.
c) Primäre und sekundäre eutektische Kristallisation, Schnitt bei T2 , z. B.: S Æ S + A + B.
d) Tertiäre eutektische Erstarrung unterhalb Te zum ternären Eutektikum, Schnitt bei T £ Te: S Æ A + B + C.
62 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
fester Form aus. Die zur Mengenbestimmung der Linie Li im Gleichgewicht sein. Die tat-
notwendigen Konoden 9) sind dann gerade Li- sächlichen Konoden lassen sich aber nur ex-
nien, die die im Gleichgewicht stehenden Pha- perimentell mit einem erheblichen Aufwand
sen (kristallisierende feste Komponente und bestimmen und werden dann in die isothermi-
die Restschmelze) verbinden. In Bild 1-71a schen Schnitte eingetragen. Ist ihr Verlauf
verbindet z. B. die Konode C - Z die sich bei nicht bekannt, dann sind Mengenberechnun-
T4 im Gleichgewicht befindlichen Phasen C gen mit dem Hebelgesetz nur annähernd mit
und die Restschmelze SR der Zusammenset- dem im Bild 1-73b dargestellten Verfahren
zung Z. möglich.
C C
5 C
1
4
3
I
V
2
2
9 6 1
8 5
7 4 8
II 1 2 3 III 7
6
A B A B A B
8 5 1
6 TS.B
9 S S S
2
S+C S+ B 5 S+A 1 S+C S+V S+B
8 7 4 2
II III A I V B
a) b) c)
Bild 1-74
Vertikalschnitte durch ein eutektisches Dreistoffsystem.
a) Schnitt parallel zur A-B-Achse: II-III, der C-Gehalt ist in allen Legierungen des Systems II-III konstant.
b) Schnitt durch den Eckpunkt A: A-I, das Mengenverhältnis B/C aller in dieser Schnittfläche liegenden
Legierungen ist konstant.
c) Quasibinärer Schnitt.
❐ Konstruktive Mängel. Eine nicht korro- reich 2). Dieses kann gasförmig (Verzundern)
sionsschutzgerechte Gestaltung des Bau- oder flüssig (wässrige Lösungen: z. B. Säu-
teils ist eine sehr häufige Versagensursa- ren, Basen, Salze sowie Wässer aller Art)
che (z. B. Medium kann nicht ablaufen, sein. Tabelle 1-4 zeigt schematisch die dabei
Spalten, fehlende Zugänglichkeit für In- ablaufenden Vorgänge.
spektion und Reparatur!). »Die Korrosions-
beständigkeit beginnt am Reißbrett«. Diese Die Ursache aller Korrosionserscheinungen
plakative korrosionstechnische »Binsen- ist die thermodynamische Instabilität der
wahrheit« wird aber häufig nicht genü- Metalle gegenüber Oxidationsmitteln, wie
gend beachtet. Nähere Hinweise sind im (wasserdampfhaltige) Luft oder wässrigen
Abschn. 1.7.7 zu finden. Medien. (Unedle) Metalle haben daher grund-
sätzlich das Bestreben, mit den sie umgeben-
Zum Verständnis des Phänomens »Korrosi- den Medien Verbindungen aller Art einzuge-
onsbeständigkeit« gehört also die Einsicht, hen, d. h. einen thermodynamisch wesent-
dass der Einsatz von korrosionsbeständigen lich stabileren Zustand einzunehmen. Viele
Werkstoffen noch keine Garantie für die Her- Metalle sind schon bei Raumtemperatur in-
stellung korrosionsbeständiger geschweiß- stabil, d. h., sie reagieren mit Sauerstoff bzw.
ter Bauteile ist! Weitere Einzelheiten wer- sauerstoffabgebenden Substanzen, wenn die
den im Abschn. 4.3.7, S. 414, besprochen. Reaktion kinetisch nicht gehemmt ist.
Tabelle 1-4
Grenzflächenvorgänge bei den wichtigsten Korrosionserscheinungen an Metallen, nach Schatz.
Elektrolytlösungen
Metall Säuren, Basen, Salzlösungen und Elektrochemische Reaktion
natürlicheund technische Wässer
Feuchte Gase
Metall Elektrochemische Reaktion
Atmosphäre
Metall Trockene und heiße Gase Chemische Reaktion
Nichtelektrolyte
Metall Chemische Reaktion
nichtleitende organische Flüssigkeiten
Abschn. 1.7.2: Elektrochemische Vorgänge 65
Tabelle 1-5
Beständigkeitsstufen für Stahl, nach Wendler-Kalsch.
Beständigkeitsstufe h / mm g / m2 h mm / a
Der durch Korrosionsvorgänge verursachte vorgänge durch Wasser und den darin gelös-
Schaden wird überwiegend von der Korro- ten (bzw. in Ionen aufgespaltenen) Bestand-
sionsgeschwindigkeit 10) bestimmt, d. h. von teilen hervorgerufen.
der in der Zeiteinheit abgetragenen Werkstoff-
masse. Die Korrosionsbeständigkeit wird häu- Das chemische Verhalten einer wässrigen Lö-
fig als reziproke lineare Korrosionsgeschwin- sung wird im Allgemeinen durch ihren pH-
digkeit definiert und in h/mm angegeben. Wert angegeben, d. h. durch die Konzentra-
Wendler-Kalsch unterscheidet sechs Bestän- tion der H3O -Ionen 11) (pH 7) und der OH -
digkeitsstufen, Tabelle 1-5. Als in der Pra- Ionen (pH ! 7). Lösungen mit
xis gut verwendbare Schätzung für die Kor-
rosionsbeständigkeit eines Werkstoffs wird pH < 7 verhalten sich sauer, ihr Gehalt
meistens 0,1 mm/a angenommen. an H3O -Ionen beträgt ! 10 7 mol / l;
pH > 7 verhalten sich basisch, ihr Gehalt
an OH -Ionen beträgt ! 10 7 mol / l;
1.7.2 Elektrochemische Vorgänge pH = 7 sind chemisch neutral.
Nahezu jede Flüssigkeit ist im Sinne der Kor- Der für die Korrosion entscheidende Vorgang
rosionsbeanspruchung ein Elektrolyt. Die ist die elektrolytische Auflösung des Metalls
Korrosion in wässrigen Lösungen ist da- an der Grenzfläche Metall/Elektrolyt. Die
her von größter praktischer Bedeutung. In positiv geladenen Metallionen verlassen das
der Mehrzahl der Fälle werden Korrosions- Metall, wobei abhängig von dessen Wertig-
10)
Diese Aussage betrifft nur die gleichmäßig abtra-
11)
Das »Wasserstoffion« (H ) kommt in wässrigen Lö-
gende Korrosion, die berechenbar ist und hinrei- sungen nicht vor, weil es nach seiner Entstehung
chend genau durch die Abnahme der Werkstückdi- mit Wasser reagiert: H H2O H3O. Der Ein-
cke beschreibbar ist. Sie betrifft nicht die Auswir- fachheit halber wird im Folgenden aber mit H
kung lokaler Korrosionsformen (Lochkorrosion), gearbeitet.
12)
bei denen durch einen nur örtlichen Angriff die Das aus Elektrolyt und einem darin eintauchen-
Gebrauchsfähigkeit des Bauteils vollständig ver- den Metallstück ( Elektrode) bestehende Sys-
loren gehen kann. tem wird auch als Halbzelle bezeichnet.
66 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
keit »n« n Elektronen im Werkstück zurück- bei einem Kondensator gegenüber (»elektro-
bleiben. Diese anodische Metallauflösung ist lytische Doppelschicht«), Bild 1-75. Diese Po-
ein Oxidationsvorgang, weil Elektronen ab- tenzialdifferenz ist die treibende »Kraft« der
gegeben werden. Sie ist mit einem positiven Metallauflösung und Maßstab für das Bestre-
(anodischen) Stromfluss verbunden. Bei dem ben der Metalle, anodisch in Lösung zu ge-
Übergang der Metallionen vom Elektrolyten hen. Danach zeichnen sich die unedlen Metal-
zum Metall werden Elektronen aufgenommen. le durch ihre Neigung aus, verstärkt in Lö-
Dieser Prozess entspricht demnach einer (ka- sung zu gehen. Sie haben nach Nernst einen
thodischen) Reduktion. hohen »Lösungsdruck«. Ihre chemische Bestän-
digkeit ist umso geringer (größer), je negativer
Mit fortschreitender Metallauflösung wird (positiver) die Urspannung ist, d. h. je stär-
an der Phasengrenze Metall/Metallionen die ker ihre Tendenz ist, sich negativ (positiv) auf-
anodische Reaktion durch die sich im Elekt- zuladen.
rolyten aufstauenden Metallionen verlang-
samt, während die kathodische Reaktion als Die elektrolytische Doppelschicht erschwert
Folge der erhöhten Anzahl der im Metall an- den Übergang der Elektronen an die reduzie-
gehäuften Elektronen beschleunigt wird. Im rende Substanz ( kathodischen Bereiche).
Gleichgewichtszustand ist die anodische (iA) Der Ablauf dieser Reaktionen wird daher
gleich der kathodischen (iK) Teilstromdich- häufig von Aktivierungsprozessen bestimmt
te, Bild 1-75. Diese Größe wird auch Austausch- (Abschn. 1.7.4), weil diese Barriere durch Zu-
stromdichte i0 genannt. Bei der dann herr- fuhr einer Aktivierungsenergie überwunden
schenden Urspannung 'j0 stehen sich die ne- werden muss. Art und Beschaffenheit dieser
gativen Ladungsträger im (unedlen) Metall elektrolytischen Doppelschicht sind für den
und die positiven im Elektrolyten ähnlich wie Korrosionsablauf von großer Bedeutung. An
der Phasengrenze Metall/Elektrolyt wird zu-
erst eine Schicht der stark polaren H2O-Mole-
küle (Dipole) adsorbiert. Die positiv gelade-
nen Metallionen ziehen ebenfalls Wasserdi-
pole an (Hydratation). Sie können sich der
negativ geladenen Metalloberfläche damit
nur bis auf einen gewissen Mindestabstand
nähern. Die durch diesen äquidistanten Ab-
stand von der Metalloberfläche repräsentier-
te Ebene wird die äußere Helmholtzsche Ebe-
ne genannt, Bild 1-75c.
Die Urspannung 'j0 kann an einer Halbzelle Das unter genormten Bedingungen gemes-
nicht direkt gemessen werden, weil sich die sene Potenzial ist das Standardpotenzial des
0
elektrochemischen Verhältnisse merklich än- jeweiligen Metalls (Me) EMe n+
/ Me
. Dieser Wert
dern, wenn die metallische Messspitze in ei- unterscheidet sich vom wahren Lösungspo-
nen Elektrolyten eintaucht. Dies gelingt erst tenzial lediglich um einen konstanten, aber
mit einer zweiten Bezugselektrode, für die nicht bestimmbaren Betrag. Die Anordnung
häufig die Standardwasserstoffelektrode ver- der Metalle, geordnet nach ihren Standardpo-
wendet wird, der man willkürlich den Span- tenzialen, bezeichnet man als elektrochemi-
nungswert 0 V zuordnet 13). sche Spannungsreihe. Tabelle 1-6 zeigt die
Standardpotenziale einiger Metalle. Diese
Werte beruhen auf der 1953 in Stockholm ge-
troffenen (IUPAC-)Konvention, nach der die
Reduktionsreaktion als konventionelle Rich-
tung einer elektrochemischen Reaktion an-
gesehen wird:
Ox n¹ e Red. [1-21]
In der Gl. [1-21] bedeuten Ox ein Oxidations-
mittel, Red ein Reduktionsmittel. Die mit der
oben angegebenen elektrochemischen Reak-
tion verbundenen Änderung der freien Ener-
gie 'G beträgt:
'G n¹ F¹ E, [1-22]
Bild 1-76
Galvanisches Element. Tabelle 1-6
0
Standardpotenziale EMe n+
/Me
einiger wichtiger Metalle
(Me), gemessen gegen die Standardwasserstoffelekt-
Die das Korrosionselement bildenden anodi- rode, nach der Stockholmer Konvention von 1953.
schen und kathodischen Bereiche können
durch örtlich unterschiedliche Werkstoffeigen- Reaktion Standard- Potenzial
Ox + n · e – → Red potenzial (pH ≠ 0) 1)
schaften (unterschiedliche chemische Zusam-
mensetzung, Kaltverformung) oder durch Kon- V V
zentrationsunterschiede im Elektrolyten ent- Mg + 2 e → Mg
2+ −
− 2,40
stehen. Werkstoffbereiche, die dem thermody- Al3+ + 3 e− → Al − 1,66 − 0,7 c)
namischen Gleichgewicht näher sind, bilden 2 H2O + 2 e− + H2 → 2 OH− − 0,83
i. Allg. die kathodischen Bereiche. Innerhalb Zn2+ + 2 e− → Zn − 0,76 − 0,3 c)
des Werkstoffes können Korrosionselemente Cr3+ + 3 e− → Cr − 0,74 − 0,3 c)
z. B. entstehen zwischen Fe2+ + 2 e− → Fe − 0,44 − 0,3 c)
❐ kaltverformten – nicht verformten Berei- Ni2+ + 2 e− → Ni − 0,25 + 0,04 c)
chen, Sn2+ + 2 e− → Sn − 0,14
wobei n die Anzahl der bei der Reaktion aus- 1.7.3 Korrosionsmechanismen in
getauschten Elektronen, F die Faradaykons- wässrigen Lösungen
tante und E das Halbzellenpotenzial sind.
Durch die elektrisch leitende Verbindung
Der Vorteil der Stockholmer Konvention be- zweier unterschiedlicher Metalle 14) entsteht
steht darin, dass positive Halbzellenpotenzi- in Anwesenheit eines Elektrolyten ein Korro-
ale E negative Werte für 'G ergeben, d. h. sionselement. An den anodischen Berei-
spontane (also von »selbst« ablaufende) Reak- chen wird das Metall durch Oxidationsvor-
tionen anzeigen. Je negativer (positiver) das gänge in Ionenform überführt und zerstört.
Standardpotenzial ist, umso größer (kleiner) Die freiwerdenden Elektronen fließen durch
ist das Lösungsbestreben, d. h. die Neigung den metallischen Leiter zur Kathode und
des Metalls zu Korrosionsprozessen. Jedes werden für die kathodische Reaktion (Reduk-
»unedle« Metall, das in eine Lösung »edlerer« tion der hier befindlichen Substanzen) »ver-
Ionen eintaucht, geht danach in Ionenform braucht«. Das Gleichgewichtspotenzial kann
in Lösung, während sich das edlere Metall also ohne die kathodische Teilreaktion nicht
metallisch abscheidet. Die unedlen Metalle erreicht werden. Die fortschreitende anodi-
sind starke Reduktionsmittel (sie geben leicht sche Zerstörung des Metalls wird erst durch
Elektronen ab), die edlen starke Oxidatoren die Reduktionsreaktionen an der Kathode er-
(sie nehmen leicht Elektronen auf). möglicht. Daraus ergibt sich ein sehr wichti-
ger Zusammenhang aller elektrolytischen Kor-
Diese Zusammenhänge bedeuten weiterhin, rosionserscheinungen: Die Anzahl der an der
dass Säuren – also H -haltige Lösungen – Anode »freigesetzten« Elektronen muss der
normalerweise nur Metalle auflösen (korro- an der Kathode »verbrauchten« entsprechen.
dieren) können, die ein negativeres Standard- Mit der Zunahme der an der Kathode redu-
potenzial als Wasserstoff besitzen. Das sind zierten Elektronen steigt daher auch im glei-
gemäß Tabelle 1-6 z. B. Zinn, Nickel, Eisen, chen Maße die Anzahl der an der Anode frei-
Zink, s. hierzu auch Beispiel 1-8, S. 73. gesetzten Elektronen. Der Korrosionsangriff
wird damit stärker, der Materialverlust durch
Aussagen zum tatsächlichen Korrosionsver- Korrosion ist größer. Auf diese Zusammen-
halten der Metalle mit Hilfe der Spannungs- hänge wird weiter unten in diesem Abschnitt
reihe sind aber nur tendenziell möglich bzw. noch genauer eingegangen.
unsicher, weil:
– Die Korrosionsbedingungen in der Praxis Die Voraussetzung für die Bildung von Kor-
i. Allg. erheblich von den Standardbedin- rosionselementen ist demnach die elektronen-
gungen (Elektrolyt, Konzentration, Tem- leitende und die ionenleitende Verbindung
peratur, Strömungsgeschwindigkeit des der anodisch und der kathodisch wirkenden
Mediums) abweichen, Werkstoffbereiche.
– selten reine Metalle, sondern meistens Le-
gierungen verwendet werden, Das Maß der Zerstörung ist von der wirksa-
– reaktionshemmende Vorgänge (Deckschich- men Potenzialdifferenz und dem Gesamtwi-
ten, Überspannungen, Abschn. 1.7.4) den derstand abhängig. Dieser setzt sich aus dem
Korrosionsablauf erheblich behindern. Widerstand des metallischen Leiters und dem
inneren Widerstand des Elektrolyten zusam-
14)
men.
Ein Korrosionselement liegt auch in Werkstoffbe-
reichen mit unterschiedlicher chemischer Zusam-
mensetzung (z. B. Seigerungen, mehrphasige In Bild 1-77 sind die wichtigsten Korrosions-
Werkstoffe) oder in Bereichen mit unterschied- formen bzw. -mechanismen in wässrigen Lö-
licher Annäherung an den thermodynamischen sungen dargestellt. Die Zerstörung des n-
Gleichgewichtszustand (z. B. kaltverformte Berei- wertigen Metalls Me1 durch anodische Oxida-
che in homogenen Werkstoffen) vor. Gleiches gilt
für homogene Werkstoffe, die mit einem Elektro-
tion, also Elektronenentzug, kann durch un-
lyten unterschiedlicher Zusammensetzung be- terschiedliche Vorgänge erfolgen, die im Fol-
netzt werden. genden näher erläutert werden:
Abschn. 1.7.3: Korrosionsmechanismen in wässrigen Lösungen 69
Tabelle 1-7
Zusammenstellung der wichtigsten kathodischen Reduktions-Reaktionen bei Korrosionsvorgängen.
Me Me n n ¹ e e- Mn3+ 4. Redoxkorrosion
Mn2+ Mn3+ + e- ® Mn2+
und kathodischen Reduktionsvorgängen be- Me 1
schreiben, bei der die freigesetzten Elektro- Me 2 5. Kontaktkorrosion
nen »verbraucht« werden. In Tabelle 1-7 sind e- Ox
Me2 ist edler als Me1
Red
die wichtigsten kathodischen Reduktions-Re- (siehe auch Bild 1-94)
Stromdichte i
i Korr = f (pH) i Korr(1)
n i
Me + n ◊ H + Æ Me n + + ◊ H2 .
Korr(2)
[1-24] i
2 i Korr(4)
Korr(3)
i Korr(5)
Die Bedeutung der Wasserstoffkorrosion ist
in der Praxis im Allgemeinen gering, erst bei 0
E Me/Me n+ Potenzial
einem höheren Gehalt von Wasserstoffionen
H (d. h. für pH
5) ist sie zu beachten, s. a. pH = 5
Bild 1-78. pH = 4
nachgeliefert werden. Die reine Sauerstoff- hen, wenn z. B. durch Zerstören der Passiv-
korrosion wird also durch Entfernen des Sau- schicht (Lokalelementbildung durch »Krat-
erstoffs aus dem angreifenden Medium voll- zer« oder andere mechanische Zerstörung)
ständig vermieden. die Korrosionsbeständigkeit örtlich verloren
geht (s. Abschn. 1.7.6.1.2).
Bild 1-80 zeigt, dass bis zu einem Grenz-
wert mit zunehmender Sauerstoffmenge die 1.7.3.3 Das Korrosionsverhalten
Korrosionsgeschwindigkeiten und die Ruhe- beeinflussende Faktoren
potenziale (Abschn. 1.7.4.1) größer werden (s.
a. Bild 1-83). Da die Diffusion potenzialunab- Ionenkonzentration
hängig ist, verlaufen die kathodischen Teil- Die in Tabelle 1-6 aufgeführten Elektroden-
stromkurven im Wesentlichen parallel zur potenziale gelten nur für die in Fußnote 13
Achse des Potenzials. genannten Standardbedingungen. Insbeson-
dere erreicht die Ionenaktivität der an den
Aus Hydroxidionen und Metallionen entste- Korrosionsvorgängen beteiligten Ionen prak-
hen als meistens feste Korrosionsproduk- tisch nie den den Tabellenwerten zugrunde
te Metallhydroxide, die die Oberfläche be- liegenden Wert »1«. Mit Hilfe der Nernstschen
decken: Gleichung lassen sich die oft erheblich geän-
derten Potenziale bei von 1 abweichenden Io-
Me n n ¹ OH Me(OH)n. [1-27]
nenaktivitäten berechnen. Ausgehend von
Die anodische Teilreaktion kann damit nur der allgemeinen Form der Redoxreaktion ge-
in den Poren der Deckschichten stattfinden mäß Gl. [1-21]:
und führt häufig zur Bildung der gefürchte-
Ox n ¹ e Red
ten Lokalkorrosionsformen.
kann die Nernstsche Gleichung mit Hilfe ther-
Die hochlegierten korrosionsbeständigen modynamischer Berechnungen abgeleitet wer-
Stähle erfordern Sauerstoff zum Erzeugen den. Mit ihr lässt sich das aktivitätsabhängi-
und Aufrechterhalten der passivierenden Ei- ge Potenzial E einer Redoxreaktion berech-
genschaften (Abschn. 2.8.1, S. 200). Die Sau- nen, Gl. [1-28]:
erstoffkorrosion kann bei ihnen nur entste-
RT c RT c
E = E0 + ◊ ln Ox = E0 + 2, 3 ◊ ◊ log Ox .
Metallauflösung:
nF cRed nF cRed
Me ® Men + + n × e-
Hierin bedeuten E0 das Standardpotenzial
Stromdichte i
Für die wichtige Reaktion der Sauerstoffre- Das von Pourbaix entwickelte Schaubild gilt
duktion in neutralen oder alkalischen Lösun- für die Korrosion von Metallen in wässrigen
gen, Gl. [1-26]: Lösungen, Bild 1-81. Die Gleichgewichtsli-
nien wurden mit Hilfe der Nernstschen Glei-
O2 + 2 ◊ H2O + 4 ◊ e - Æ 4 ◊ OH -
chung, Gl. [1-28], für alle chemisch möglichen
bzw. die äquivalente Reaktion in sauren Lö- Reaktionen berechnet. Das Pourbaix-Schau-
sungen, Gl. [1-25]: bild ist damit die grafische Darstellung der
Nernstschen Gleichung. Von besonderem In-
O2 + 4 ⋅ H+ + 4 ⋅ e− → 2 ⋅ H2O
teresse sind dabei die Bedingungen, unter
ergibt sich mit log cOx log (H ) pH und denen Korrosionserscheinungen thermody-
pO2 = 1 bar: namisch überhaupt möglich sind. Wie bei al-
len thermodynamischen Berechnungen gibt
EO2 /H2O = EO0 2 /H2O − 0,059 ⋅ pH. [1-30] das Pourbaix-Schaubild aber lediglich die sich
im Gleichgewicht einstellenden Phasen und
Damit sind die folgenden pH-abhängigen Po- die Reaktionsrichtung an, keinesfalls kann
tenziale berechenbar: damit die Geschwindigkeit der Korrosions-
reaktionen bestimmt werden. Diese lässt sich
– Für den Standardzustand gemäß Tabelle nur mit reaktionskinetischen Methoden ab-
1-6 in 1-molarer H -Lösung (pH 0): schätzen.
EO2 /H2O = EO0 2 /H2O = +1,23 V,
Mit Hilfe dieser Schaubilder lassen sich vor
– in reinem Wasser (pH 7): allem die Richtung einer spontanen Reak-
EO2 /H2O = 1,23 V − 0,059 ⋅ 7 = + 0,82 V, tion, die Zusammensetzung von Korrosions-
produkten und die Maßnahmen abschätzen,
– in 1-molarer OH-Lösung (pH 14): mit denen Korrosionserscheinungen vermie-
EO2 /H2O = 1,23 V − 0,059 ⋅ 14 = + 0,40 V. den werden können.
+ 1,6
Die oxidierende Wirkung dieser Reaktion
V Passivierung (II)
nimmt also mit abnehmendem pH-Wert stark
Potenzial E
+ 1,2 Fe(OH)3
zu. In einer 1-molaren sauerstoffhaltigen H-
Fe3+ (O2)
Lösung (pH 0) geht z. B. jedes Metall in Lö- + 0,8
sung, dessen Standardpotenzial E 1,23 V
ist. Dabei wird O2 gemäß + 0,4 Korrosion
1
O2 + 4 ⋅ H+ + 4 ⋅ e− → 2 ⋅ H2O
0 (H2O)
zu H2O reduziert. In »neutralem«, belüftetem
Wasser (pH 7) werden daher alle Metalle - 0,4
Fe2+
oxidiert (korrodiert), deren Standardpoten- - 0,6
Fe(OH)2
-
a
zial E 0,82 V ist, wobei die freigesetzten - 0,8
HFeO2
+ 1,2
Ni2O3 zu OH reduziert. In sauren Lösungen wird
+ 0,8 Ni 2+ der Sauerstoff wegen der größeren H-Kon-
Korrosion Ni3O4
zentration zu H2O reduziert:
+ 0,4
1
O2 + 4 ◊ H + + 4 ◊ e - Æ 2 ◊ H2O.
0 - 0,06 V
Ni(OH)2
ER Passiv wirkende Fe(OH)2-Schichten bilden
HNiO2-
- 0,4 a
- 0,37 V sich bei pH-Werten über 9. Sie verzögern
- 0,8
den Korrosionsvorgang erheblich.
Korrosionsbeständig
2
- 1,2 In sauerstofffreien wässrigen Lösungen ist
- 2- 1 0 1 2 4 6 8 10 12 14 16
pH - Wert
die Korrosionsgeschwindigkeit sehr gering,
Bild 1-83, weil die einzig mögliche kathodi-
Bild 1-82
sche Reaktion
Vereinfachtes Pourbaix-Schaubild für das System
Ni/wässrige Lösung, mit einer Ionenkonzentration 2 ◊ H2O + 2 ◊ e - Æ H2 + 2 ◊ OH-
von 10 - 4 mol Ni 2+/l bei 25 C. Zur Bedeutung der
Linien 1 und 2 siehe Bild 1-81.
Beispiel 1-9:
Korrosionsgeschwindigkeit
1 2 3 C 1 2
Korr
Korr
Korr
Korr B
v
v
v
1 2
B B
A A A
Beispiele
Bild 1-84
Einfluss einiger Umgebungsfaktoren auf die Korrosionsgeschwindigkeit vKorr , vereinfacht, nach Fontana.
extrem langsam verläuft. Außerdem entfällt len, deren Korrosionsbeständigkeit auf der
die Möglichkeit zur Bildung korrosionshem- Existenz einer chemisch beständigen Oxid-
mender Oxidschichten. Kesselspeisewasser schicht beruht (siehe hierzu Passivität, Ab-
wird daher immer sauerstofffrei aufbereitet. schn. 1.7.5), wie z. B. bei den korrosionsbestän-
Das kann mit verschiedenen Methoden er- digen Chrom-Nickel-Stählen, Abschn. 2.8.1,
reicht werden: S. 200, die ständige (Neu-)Bildung der schüt-
– Mechanische Mittel zenden Oxidschicht erforderlich ist. Diese
Durch Erwärmen des Wassers auf etwa notwendigen chemischen Vorgänge sind na-
80 C, nimmt die Sauerstofflöslichkeit türlich nur bei einem kontinuierlichen und
stark ab, Bild 1-83. Geeignete im Gegen- ausreichenden Sauerstoffangebot möglich,
strom geführte Gase verringern ebenfalls Bild 1-84a.
sehr wirksam den Sauerstoffgehalt.
– Chemische Mittel Elektrolyttemperatur
Mit ihnen gelingt es, die Restsauerstoff- Mit zunehmender Elektrolyttemperatur wer-
gehalte auf sehr kleine Werte zu verrin- den chemische Reaktionen nach den Geset-
gern. Häufig werden Natriumsulfit oder zen der chemischen Reaktionstheorie, also
Hydrazin verwendet, die gemäß der folgen- auch (bestimmte) Korrosionsvorgänge, in der
den Beziehungen den gelösten Sauerstoff Regel beschleunigt. Die Korrosionsgeschwin-
in sehr kurzer Zeit binden können: digkeit vKorr nimmt gemäß einer Arrhenius-
Funktion exponentiell mit der Temperatur T
Na 2SO3 0,5 ¹ O2 Na2SO4, aber nur dann zu, wenn sie ausschließlich
N2H4 O2 N2 2 ¹ H2O. von der Metalloxidation, d. h. einem rein che-
mischen Prozess, bestimmt wird (zur Bedeu-
Allerdings ist zu beachten, dass bei Metal- tung der Bezeichnungen s. Gl. [1-11], S. 38):
76 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
⎛Q ⎞
vKorr = v0 ⋅ exp ⎜ A ⎟ . [1-34] Ein weiterer oft übersehener Einfluss ist die
⎝ R T⎠ Abnahme des pH-Wertes – d. h. die Erhö-
hung der Wasserstoffionen-Konzentration
Der Einfluss der Temperatur auf die Korro- – mit zunehmender Temperatur.
sionsgeschwindigkeit lässt sich beschreiben,
indem die Gl. [1-34] für zwei Temperaturen Strömungsgeschwindigkeit
(T2 ! T1 ) ausgewertet wird: Korrosionsvorgänge, eingeleitet durch die
Aktivierungspolarisation, Abschn. 1.7.4.2,
⎛v ⎞ Q ⎛1 1⎞ werden durch die Geschwindigkeit des Me-
ln ⎜ Korr.2 ⎟ = A ⋅ ⎜ − ⎟ . [1-35]
⎝ vKorr.1 ⎠ R ⎝ T1 T2 ⎠ diums nicht beeinflusst, Kurve B in Bild 1-
84b. Im Gegensatz dazu übt die Geschwindig-
Der einfache Zusammenhang nach Gl. [1- keit bei der diffusionskontrollierten Konzen-
35] gilt z. B. für die Korrosion von Eisen in trationspolarisation, s. Abschn. 1.7.4.3, einen
Salzsäure oder Eisen in Natriumsulfat. Siehe erheblichen Einfluss auf die Korrosionsge-
hierzu auch die Aufgabe 1-12, S. 117. schwindigkeit aus, Bild 1-86. Die Kurven 1
bis 6 repräsentieren die maximale Korrosions-
Die Variable Temperatur bestimmt außer- stromdichte für die Mediengeschwindigkeit
dem häufig die Löslichkeit von Substanzen,
die den Korrosionsablauf entscheidend beein- 6
flussen. Ein bekanntes Beispiel ist die Korro-
5
sion von Stahl in Anwesenheit von Sauerstoff
Stromdichte log i
System geschlossen
Me n +
0,50
i
®
Me
0.Ox
System offen i 0.Me
0,25
0
b) Überspannung h
0
Bild 1-86
0 20 40 60 80 100 120 140 160 ° C
Einfluss der Strömungsgeschwindigkeit des Mediums
Temperatur
(von 1 nach 6 zunehmend) auf das elektrochemische
Bild 1-85 Verhalten von Metallen unter dem Einfluss diffusions-
Einfluss der Elektrolyttemperatur auf die Korrosions- kontrollierter Kathodenprozesse (Konzentrationspola-
geschwindigkeit von Eisen in belüftetem (sauerstoffhal- risation), nach Fontana.
tigem) Wasser, in offenen und geschlossenen Systemen, a) Nicht passivierbares Metall,
nach Speller. b) passivierbares Metall.
Abschn. 1.7.4: Elektrochemische Polarisation 77
1 bis 6. Bei nicht passivierbaren Metallen den bei einem stark strömenden Medium kor-
steigt die Stromdichte i bis Punkt C bei der rosionsbeständiger, weil durch das verstärkte
Geschwindigkeit 3. Mit weiter zunehmender Heranführen von Sauerstoff an die Werkstück-
Geschwindigkeit bleibt ab Punkt D die Korro- oberfläche die oxidische Passivschicht erhal-
sionsgeschwindigkeit ( Stromdichte i) kons- ten bleibt.
tant, weil die Reduktionsreaktionen aktivi-
tätskontrolliert werden, Bild 1-86a. Allerdings kann ein mit sehr großer Geschwin-
digkeit strömendes Medium, das feste, feinver-
Bei passivierbaren Werkstoffen, wie z. B. aus- teilte Partikel enthält, Erosion(skorrosion)
tenitischem Cr-Ni-Stahl oder Titan, Bild 1- hervorrufen, s. Kurve C in Bild 1-84b und Ab-
86b, nimmt die Stromdichte von A B C schn. 1.7.6.2.3.
zu. Oberhalb der Geschwindigkeit 3 erfolgt
der Übergang vom aktiven in den passiven Medienkonzentration
Zustand, Punkt D. Passivierbare Metalle wer- Korrosionserscheinungen an passivierbaren
Werkstoffen sind in der Regel in weiten Gren-
h1 Metallauflösung: zen unabhängig von der Medienkonzentra-
Me ® Me n + + n × e - tion, Kurve A, Bereich 1, Bild 1-84d. Der Kor-
(= anodischer Teilstrom i A)
i 1
rosionsangriff von Säuren, die in Wasser lü-
i A,0 = i K,0 = i 0
ckenlos lösbar sind, lässt sich häufig mit der
Kurve B, Bild 1-84d, beschreiben. Mit zuneh-
E0 E1 mender Medienkonzentration steigt zunächst
i i
die Menge der H-Ionen, wodurch die Korro-
Stromdichte i
A,0 A
sionsgeschwindigkeit zunimmt. Weil der Dis-
i K,0
Potenzial E soziationsgrad aber mit zunehmender Säure-
i K
stärke abnimmt, verringert sich auch der Kor-
rosionsangriff. Der Angriff sehr starker (nicht
Summen - Stromdichtekurve verunreinigter Säuren!) ist daher oft überra-
schend gering.
Metallabscheidung:
Me n + + n × e - ® Me
(= kathodischer Teilstrom i K) 1.7.4 Elektrochemische Polarisation
a)
Die elektrochemischen Reaktionen werden
durch verschiedene chemische, physikalische
Tafelgerade: h = a + b× log i und Einflüsse der Umgebung [z. B. Beschaffen-
Stromdichte log i
n+
2 / 2H
grenze Metall/Elektrolyt – d. h. der Ladungs- Danach betragen die Teilstromdichten iA, iK:
trägeraustausch – durch einen oder einige
(langsamere!) Teilvorgänge kontrolliert wer- Ê a nF ˆ
iA = i0 ◊ exp Á ◊h , [1-37a ]
den. Die Metallauflösung geschieht z. B. nach Ë R T ˜¯
der Reaktionsfolge:
Ê (1 - a ) ◊ n F ˆ
n+
MeGitter Æ MeOberfl n+ iK = i0 ◊ exp Á - ◊ h˜ . [1-37b]
äche Æ Me Lösung . Ë RT ¯
Die Metallatome (MeGitter ) werden von ihren
Gitterplätzen in Ionenform an die Metallober- Im Gleichungssystem [1-37] ist R die Gaskons-
n+
fläche (MeOberfläche ) und von hier in die wässri- tante, T die absolute Temperatur und a der
ge Lösung (MeLn+ösung ) befördert. Symmetriekoeffizient, der die Art der Ener-
giebarriere des Ladungsträgertransports be-
Die kathodische Reduktion des Wasserstoffs schreibt. In den meisten Fälle kann für a 0,5
geschieht z. B. bei Zink (in saurer Lösung) angenommen werden, d. h., die geometrische
durch eine Reihe möglicher Reaktionsschrit- Form der beiden Teilstromdichtekurven sind
te, die experimentell nicht notwendigerweise annähernd gleich.
nachweisbar sind, Bild 1-89. Nach der Adsorp-
tion der Wasserstoffionen an der Metallober- Bei der Aktivierungspolarisation ergibt sich
fläche (1) erfolgt der Elektronenübergang auf durch Umformen der Gl. [1-37a und b] die Be-
die Wasserstoffionen (2), die Bildung moleku- ziehung zwischen der Überspannung h und
laren Wasserstoffs (3) und die abschließende der Korrosionsstromdichte i zu:
Entstehung von Wasserstoffblasen (4). Die
h hA hK a b¹ log i. [1-38]
langsamste Teilreaktion bestimmt im Wesent-
lichen die Reaktionszeit, d. h. die Korrosions- Diese Gleichung ist auch als Tafelsche Be-
geschwindigkeit. ziehung bekannt, mit b als »Tafelneigung«
und a b¹log i0, Bild 1-87b.
Die Polarisationskurve, d. h. die Abhängig-
keit der (Korrosions-)Stromdichte i von der Bei Überspannungen h ≥ 50 mV kann im
Überspannung h ist gemäß der Butler-Vol- Gleichungssystem Gl. [1-37] entweder der
mer-Beziehung i f (h ) berechenbar: erste oder der zweite Term vernachlässigt
werden. Damit ergibt sich die anodische (hA )
i f (h ) iA iK.
bzw. kathodische Teilspannung (hK ) verein-
facht zu:
i i
hA = ba ◊ log A , hK = - bk ◊ log K . [1-39a, b]
i0 i0
Bei einer anodischen Überspannung ist hA
und ba positiv, bei einer kathodischen Pola-
risation ist h K und b k negativ. Die Werte für
die Tafelneigung b a ( b k ) liegen gewöhnlich
im Bereich, Bild 1-87 und Bild 1-90:
0 ,03 bis 0 ,2 È V ˘
ba (b k ) =
1 Größenordnung ÍÎ Stromdichte ˙˚
natensystem besteht zwischen der Korrosions- reduzierenden Substanz aus dem Medium
stromdichte und der Überspannung ein linea- zur Phasengrenze Medium/Metalloberflä-
rer Zusammenhang, Bild 1-90 (s. a. Darstel- che bestimmt. Bei sehr großen Reduktionsge-
lung Bild 1-87b). schwindigkeiten wird c0 0. In diesem Fall
ist die Korrosionsstromdichte iKorr auf den
Die Aktivierungspolarisation ist in höherkon- folgenden Maximalwert imax begrenzt:
zentrierten Medien meistens der wirksame
n F D ◊ (cL - c0 )
»Verzögerungsmechanismus« der elektrolyti- iKorr = , [1-40a]
schen Reaktionen d. h. der Korrosionsreak- d
tionen. für c0 = 0 wird:
n F D cL
1.7.4.3 Konzentrationspolarisation iKorr = imax = . [1-40b]
Bisher wurde angenommen, dass die Korro- δ
sionsgeschwindigkeit vom anodischen oder Im Gleichungssystem [1-40] bedeuten n die
kathodischen Ladungsträgertransport be- Anzahl der an der Korrosions-Reaktion be-
stimmt wird. Wenn die kathodisch reagieren- teiligten Elektronen, F die Faradaykonstan-
de Substanz – z. B. H – in ungenügender te, D der Diffusionskoeffizient und d die Di-
Menge zur Verfügung steht, dann wird der cke der Diffusionsschicht, die in der Regel
Massentransport dieser Substanz der ge- zwischen 0,1 mm und 0,5 mm liegt.
schwindigkeitsbestimmende Vorgang. Bei ei-
nem großen Umsatz der zu reduzierenden Me-
tallionen kann die Konzentration des Reduk-
tionsmittels an der Metalloberfläche im Ex-
tremfall bis auf Null abnehmen. Der Korro-
sionsprozess wird dann nur durch den diffu-
sionsabhängigen Massentransport bestimmt.
Im Allgemeinen fällt aber die Konzentration
cL der reduzierenden Substanz in der Diffu-
sionsschicht der Dicke d bis auf die von Null
verschiedene Konzentration an der Blechober-
fläche c0, Bild 1-91. Die Korrosionsgeschwin-
digkeit wird zumindest teilweise von dem dif-
fusionskontrollierten Massentransport der
Reduktion Oxidation
Stromdichte log i
100 2× -
H+
2×
e
+
2× + +
e-
2×
® H
10 H
2
®
H2
i0
H2 / H+
1
Bild 1-91
Darstellung der Konzentrationspolarisation am Bei-
0,1 spiel der Wasserstoffreduktion, nach Fontana.
zunehmende v Medium
zunehmende cMedium
peratur T (erhöht sehr stark die Diffusions-
zunehmende T
fähigkeit) und gemäß Gl. [1-40] für die Kon- i max.1
zentration c.
i RT ⎛ i ⎞
η ges,K = − β k ⋅ log K + 2,3 ⋅ ⋅ log ⎜1 − K ⎟ . hges,K = hAkt + hKonz
i0 nF ⎝ imax ⎠
i
Bild 1-92b zeigt die grafische Darstellung 0
ist weder ein Stoff- noch Ladungsträger- örtlicher Zerstörung der meistens sehr sprö-
austausch über die Passivschichten mög- den und dünnen Passivschicht – kann der
lich. Werkstoff allerdings sehr rasch durch Formen
der Lokalkorrosion zerstört werden. Bekann-
Passivierbare Metalle müssen einen bestimm- te Beispiele für derartige Werkstoffe sind die
ten Verlauf der (anodischen) Stromdichte-Po- hochlegierten Chromstähle und die austeni-
tenzial-Kurve aufweisen, Bild 1-93. Danach tischen Chrom-Nickel-Stähle, die in Anwe-
fällt nach Überschreiten des von einer äuße- senheit vor allem von Chloridionen durch die
ren Spannungsquelle aufgeprägten Passivie- Spannungsriss- (Abschn. 1.7.6.2.1) und Loch-
rungspotenzials Ep, die anodische Teilstrom- korrosion (Abschn. 1.7.6.1.2) schnell und inten-
dichte von imax auf die wesentlich geringere siv angegriffen werden.
Passivstromdichte ip. Zum Aufrechterhalten
der Passivität muss eine der Passivstromdich-
te ( passive Reststromdichte) äquivalente ka-
thodische Stromdichte ständig durch Oxida-
tionsmittel im Elektrolyten aufgebracht wer-
den. Anderenfalls wird das Metall aktiviert.
i max
anodische Teilstromdichte i
O2 O2 Me n + Me n +
CrNi - 18 - 8 - Plattierung !
zeichnet. Diese schwer entdeckbare und sehr Alle für die Lochkorrosion anfälligen Metal-
schlecht beobachtbare Korrosionsform ist ex- le sind auch besonders empfindlich für die
trem gefährlich, weil in kurzer Zeit verheeren- Spaltkorrosion. Der umgekehrte Schluss gilt
de Schäden entstehen. Sie lässt sich mit La- nicht allgemein.
boruntersuchungen nur unzuverlässig vor-
hersagen. Die Neigung des gewählten Werk- Die Lochkorrosion kann nur oberhalb eines
stoffs zur Lochkorrosion sollte in Feldversu- bestimmten Grenzpotenzials (Lochfraßpoten-
chen unter möglichst praxisnahen Bedingun- zial) und nach Überschreiten der kritischen
gen ermittelt werden. Diese Korrosionsform Konzentration der wirksamen Ionen entste-
kann bei allen üblichen (metallischen) Werk- hen. Die Größe des Lochfraßpotenzials, das
stoffen entstehen. ein zuverlässiger Maßstab der Lochfraßbestän-
digkeit darstellt, wird von verschiedenen Fak-
Die korrosionsbeständigen austenitischen toren bestimmt:
Cr-Ni-Stähle sind für Lochkorrosion anfälli- – Dem Korrosionsmedium, insbesondere
ger als jede andere Stahlart. Selbst unlegier- der Chlorid- und Bromid-Ionenmenge,
te C-Mn-Stähle sind beständiger! Daher muss – der chemischen Zusammensetzung des
diese Korrosionsform, die bei diesen Stählen Werkstoffs und
von großer praktischer Bedeutung ist, sehr – dem Oberflächenzustand.
intensiv kontrolliert werden.
Die die Lochkorrosion stark begünstigenden
Lochkorrosion entsteht bei den Cr-Ni-Stäh- Chloridionen sind praktisch in jedem wäss-
len in chloridionenhaltigen Medien mit pH- rigen Elektrolyten enthalten. Zusätzlich vor-
Werten vorwiegend 7. Die Korrosionsge- handene, stark oxidierende Metallionen (z.
schwindigkeit hängt von der nicht vorhersag- B. in Form von CuCl2 oder FeCl3, die zu Cu2,
baren Bewegung der korrodierenden Substan- Fe3 dissoziieren) führen zu einem extrem
zen von und zu den Vertiefungen ab. Ins- aggressiven Angriff, s. a. Tabelle 1-6. Diese
besondere bei tieferen Löchern muss mit Scha- Metallionen lassen sich auch ohne Sauerstoff
densvorgängen gerechnet werden, wie sie auch kathodisch reduzieren:
bei der Spaltkorrosion auftreten. Dazu ge- Cu2 2 ¹ e Cu,
hört vor allem das Ansäuern des Elektrolyten
durch Hydrolyse (pH 1,5 bis 1!, Bild 1-99) Fe3 e Fe2.
und das Entstehen von Sauerstoff-Konzent- CuCl2 und FeCl3 greifen selbst die korrosions-
rationselementen. beständigsten Werkstoffe an.
86 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
pH-Wert
Der Spalt muss so breit sein, dass das Korro-
ist in Umgebung und Spalt kons- Korrosionsprodukte (z. B. Me+ Cl - )
sionsmedium eindringen kann ( einige hun- tant, z. B. 7 (neutrales Medium). werden zu Metallhydroxid und Säu-
re hydrolysiert:
dertstel Millimeter), aber schmal genug, um Me + Cl - + H2O ® Me + OH - + H + Cl - .
einen stagnierenden Medienstrom erzeugen Starke Ansäuerung des Mediums,
zu können (
2 mm bis 3 mm). pH-Werte bis etwa 3 möglich.
a) b)
produkte (Me Cl ) gemäß der folgenden Re- – Festkörperteilchen sind, wenn dies wirt-
aktionsgleichung: schaftlich vertretbar ist, aus dem strömen-
Me+Cl - + H2O Æ Me +OH- + H+Cl - . den Medium zu entfernen.
– Nichthygroskopische Dichtungen (z. B.
Die Spaltwirkung besteht also in der Ansäue- Teflon) verwenden. Anderenfalls entste-
rung des Elektrolyten (freie H-Ionen ernied- hen unkontrollierbare »Elektrolyte«.
rigen den pH-Wert bis auf 3!), wodurch das
Aktivierungspotenzial merklich erniedrigt 1.7.6.1.4 Selektive Korrosion
wird. Bild 1-99 zeigt schematisch die Vorgän- Unter dem Einfluss eines korrosiven Medi-
ge bei der Spaltkorrosion. ums werden inhomogene Bereiche des Gefü-
ges, das unedlere Element, häufiger die uned-
Der geschilderte Mechanismus macht die lere Phase, anodisch aufgelöst.
Möglichkeiten verständlich, diese gefährliche
und in der Praxis aufwändig zu bekämpfen- Ein bekanntes Beispiel ist das Entzinken
de Korrosionsart zu vermeiden: der (a b)-Messinge. Die Potenzialdifferenz
– Die Oberflächen nichtrostender Stähle zwischen der unedleren b-Phase und der edle-
müssen frei von Ablagerungen jeder Art ren a-Phase führt zur Auflösung der b-Pha-
sein (z. B. Farbschichten, Anlauffarben, se in Form von Kupfer- und Zinkionen. Das
Oberflächenbeläge aller Art). Dies ist mit gelöste Cu2 wird sofort kathodisch reduziert,
Hilfe von Inspektionen in angemessenen d. h. metallisch abgeschieden, während die
Zeiträumen sicherzustellen. unedlen Zinkionen (Zn2) gelöst bleiben. Weil
– Bewegte Flüssigkeiten erschweren die metallisches Zink nicht mehr vorhanden ist,
Bildung von Ablagerungen und verzögern bilden sich lediglich poröse Kupferpfropfen,
das Ansteigen des pH-Wertes. Sie erleich- die das Werkstück zerstören, Bild 1-100.
tern aber die Diffusion des Sauerstoffs
zu den kathodischen Bereichen, Abschn. Diese Korrosionsform tritt nicht nur bei
1.7.3.2. mehrphasigen Legierungen auf. In a- oder
– Kratzer, (Schleif-)Riefen, »Toträume«, die b-Messingen wird das Zink offenbar selek-
die freie Strömung und damit den An- tiv aufgelöst. Der Angriff wird durch oxidie-
transport von Sauerstoff erschweren, sind rende Medien bzw. Zusätze erheblich ver-
zu vermeiden. stärkt (z. B. CuCl2, FeCl3).
Die metallphysikalischen Grundlagen der rend der Grafit, die Carbide und die Nitride
interkristallinen Korrosion (IK), die vor als sprödes Gerüst zurückbleiben. Der Kor-
allem bei korrosionsbeständigen austeniti- rosionsangriff wird entscheidend vom Sauer-
schen und ferritischen Stählen und Nickel- stoffgehalt des Mediums bestimmt. Mit zu-
legierungen, aber auch bei un- und niedrigle- nehmender Sauerstoffmenge wird die Fe(II)-
gierten Stählen entsteht, werden in Abschn. Oxidschicht zu der wesentlich dichteren und
2.8.3.4.1, S. 208, ausführlicher beschrieben. damit beständigeren Fe(III)-Oxidschicht oxi-
Hier soll der Hinweis genügen, dass die Bil- diert. Der Korrosionsangriff nimmt dadurch
dung von Chromcarbiden die IK einleitet. deutlich ab.
Die Carbide scheiden sich bevorzugt an den
Korngrenzen in einem Temperaturbereich 1.7.6.1.5 Korrosionsvorgänge in
zwischen 450 C und 850 C aus. Der chemi- besonderen Umgebungen
sche Angriff ist ausschließlich auf die Korn- Die korrosionsfördernden Einflüsse der na-
grenzenbereiche beschränkt. Bild 1-101 zeigt türlichen Atmosphäre (ländliche, industriel-
den Verlauf der IK in einem unstabilisierten le Atmosphäre und Seewasserbedingungen)
austenitischen Cr-Ni-Stahl. und der industriellen Umgebung (Luftbeschaf-
fenheit, Feuchtegehalt, Art und Menge von
Die sehr unterschiedliche Diffusionsfähig- Verunreinigungen) werden im Folgenden
keit der Chrom- und Kohlenstoffatome ist die kurz angesprochen.
Ursache einer ausgeprägten Chromverar-
mung der Korngrenzenbereiche bis unter die Atmosphärische Korrosion
Resistenzgrenze, d. h. für deren Korrosions- Diese Korrosionsform entsteht im Gegensatz
anfälligkeit in Anwesenheit eines Korrosions- zu den bisher besprochenen Formen nicht in
mediums, Bild 2-71, S. 208. Das Maß der An- wässrigen Lösungen, sondern in der wasser-
fälligkeit ist vom Kohlenstoffgehalt des Stah- dampfhaltigen Atmosphäre, die mit den ver-
les und seinem Wärmebehandlungszustand schiedensten Bestandteilen verunreinigt ist.
(erzeugt durch den Hersteller oder z. B. durch Ihr typisches Kennzeichen ist der ungefähr-
den Schweißprozess) abhängig. liche, weil berechenbare gleichmäßig abtra-
gende Verlauf der Korrosion. Das Sauerstoff-
Die Spongiose (Grafitierung) ist ein weite- angebot bestimmt entscheidend die Korro-
res Beispiel für einen selektiven Angriff, der sionsgeschwindigkeit.
ausschließlich an grauem Gusseisen auftritt.
Ferrit und Perlit werden dabei aufgelöst, wäh- Aus dem Wasserdampf der Atmosphäre bil-
det sich nach Überschreiten des Sättigungs-
1 atmosphärische 1
Korrosion
dampfdrucks auf der Werkstückoberfläche
ein kondensierter Feuchtigkeitsfilm, der für
die elektrochemischen Korrosionsvorgänge
erforderlich ist und sehr dünn sein kann.
2 Spritzzone über Der Luftsauerstoff wird durch diesen Film
Wasserlinie 2
sehr viel leichter an die Oberfläche transpor-
mittlere tiert als durch das große Volumen eines voll-
Gezeitenhöhe
ständig in eine Flüssigkeit eingetauchten
3
Werkstücks.
3 Bereich unter
Wasserlinie Diese Tatsache erklärt auch den typischen
Verlauf des Korrosionsangriffs auf teilweise
in eine Flüssigkeit eingetauchte Körper, Bild
4 sauerstoffarme 4
Zone 1-102. Im Spritzwasserbereich (2) kann sich
Wanddickenabnahme der Sauerstoff leicht anreichern, außerdem
Bild 1-102 wird die Konzentration der Chloride durch
Einfluss der Eintauchtiefe in Seewasser auf das Kor- Trocknung und Kondensation erhöht. Der Kor-
rosionsverhalten von Stahl, nach LaQue. rosionsangriff ist hier auch wegen der sehr
Abschn. 1.7.6: Korrosionsarten 89
unterschiedlich belüfteten Bereiche (Wasser- und verzögert weiterhin die Bildung von mo-
tropfen neben nahezu trockenen Oberflächen) lekularem Wasserstoff an der Werkstückober-
am stärksten. Weiter oberhalb der Wasser- fläche gemäß der folgenden Reaktion:
linie entsteht die normale atmosphärische
H H H2 .
Korrosion. Die Bereiche dicht unter der Was-
serlinie werden noch so gut belüftet, dass sie Dadurch wird die Beständigkeitsdauer des
sich gegenüber der Zone 3 ( Anode) katho- atomaren Wasserstoffs verlängert, d. h., al-
disch verhalten. In größeren Tiefen ist wegen le auf der Wirkung des Wasserstoffs beruhen-
der geringen Sauerstoffzufuhr der Angriff den, vielfältigen Schäden (Fischaugen, SpRK,
deutlich geringer und gleichmäßig. Kaltriss, Druckwasserstoff, Abschn. 3.5.1.1,
S. 270, und Abschn. 3.5.1.6, S. 276) werden
Der für die elektrolytischen Vorgänge notwen- erheblich verstärkt.
dige Flüssigkeitsfilm kann sich erst oberhalb
einer von der Art der Luftverunreinigung ab- Die Abtragrate (m) nimmt im Laufe der Zeit
hängigen relativen Feuchte j bilden. Für die ab. Sie lässt sich in Abhängigkeit von der
sehr häufig anzutreffende Verunreinigung Zeit (t) mit dem folgenden einfachen Potenz-
Schwefeldioxid (SO2) muss j 60 % sein wie gesetz beschreiben:
Bild 1-103 zeigt. Die verschärfende Wirkung
m = K ⋅ t−n .
der Luftverunreinigungen beruht auf der
Bildung hygroskopischer Salze, die die Kon- K und n sind experimentell zu bestimmen-
densation der Luftfeuchtigkeit bei j-Werten de Konstanten. Der Wert für n liegt zwischen
kleiner als 1 ermöglichen. 0,3 (poröse und wenig haftende Rostschicht)
und 0,5 (dichte und gut haftende Rostschicht).
120
mg Die Abtragrate kann also nicht (wie fälschli-
dm2 cherweise häufig vorausgesetzt wird) mit
100
Massenverlust
60 kg
m2 Jahr
40 1,0
0,9
0,8
Massenverlust
20 0,7
0,6
A n:
0 0,5
0 20 40 60 80 % 100 0,32
0,4
0,29
Relative Luftfeuchtigkeit j
0,3 0,40
Bild 1-103
Einfluss der relativen Luftfeuchtigkeit auf den Mas-
senverlust von Eisen bei einem SO2-Gehalt von 0,01 %. 0,2
Punkt »A« entspricht dem Gewichtsverlust in einer 0,49
SO2-freien Atmosphäre nach 55 Tagen, nach Brown
und Masters.
0,1
Zu den wichtigsten die Korrosion begünsti- 1 2 4 8 Jahr
Lagerdauer
genden Luftverunreinigungen gehören neben
NaCl der bei der Verbrennung fossiler Brenn- Stahl 1 mit 0,10 % Cu
Stahl 2 mit 0,18 % Cu
stoffe entstehende Schwefelwasserstoff (H2S), Stahl 3 mit 0,27 % Cu
Stahl 4 mit 0,34 % Cu; 0,13 % P; 0,85 % Cr; 0,01 % S
Schwefeldioxyd (SO2) und in geringerem Ma-
ße Kohlendioxyd (CO2). Schwefelwasserstoff Bild 1-104
ist extrem aggressiv. Er säuert den Flüssig- Mittlere Massenverluste Cu- und CuCr-legierter Stähle
keitsfilm auf pH-Werte von mindestens 4 an in Industrieluft, nach Rahmel und Schwenk.
90 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Die Beständigkeit der Stähle gegen atmosphä- men unterschiedlichster Formen und Arten
rische Korrosion lässt sich durch Zugabe von sind in allen natürlichen Wässern vorhan-
0,2 % bis 0,3 % Kupfer oder von 0,5 % Chrom den. Sie können in Medien mit pH-Werten
verbessern. Diese in DIN EN 10025-5 ge- zwischen 0 und 11 und bei Temperaturen
normten Stähle werden als wetterfest (nicht zwischen 0 C und 55 C existieren.
korrosionsbeständig!) bezeichnet. Der Erfolg
dieser Maßnahme beruht auf der Bildung et- In Anwesenheit anaerober Bakterien, die
was stabilerer Rostschichten auf der Werkstück- zum Aufrechterhalten ihrer Lebensfunktio-
oberfläche, Bild 1-104. nen also keinen Sauerstoff benötigen, kann
die Korrosionsgeschwindigkeit aber beträcht-
Mikrobiologische Korrosion liche Werte annehmen. Es wird angenom-
Un- und hochlegierte Stähle, Aluminium- men, dass sulfatreduzierende anaerobe Bak-
und Kupferlegierungen werden durch die Mit- terien (Desulfovibrio desulfuricans) den den
wirkung von Mikroorganismen in annähernd Korrosionsfortschritt entscheidend beschleu-
neutralen (pH etwa 4 bis 9), vorwiegend unbe- nigenden Sauerstoff gemäß der folgenden
wegten Wässern, meistens örtlich angegrif- Beziehung zu liefern imstande sind:
fen. Pustelähnliche Ausblühungen – oft ge-
SO42- æSulfatreduzierende
ææææææææ Bakterien
Æ S2- + 4 ◊ O.
füllt mit schleimähnlichen Reaktionsproduk-
ten und filmartigen Ablagerungen und Ver- Die aeroben (sauerstoffverbrauchenden) Bak-
krustungen – sind typische äußere Kennzei- terien können Eisen, Schwefel und schwefel-
chen dieser Korrosionsform. Mikroorganis- haltige Verbindungen oxidieren. Dabei entste-
Tabelle 1-8
Kombinationen Werkstoff/Korrosionsmedium, die oberhalb T zur SpRK neigen, RT Raumtemperatur.
NaOH-Lösungen > 50
NaOH-NaSiO2-Lösungen > 255
Calcium-, Ammonium- und Natriumnitrat-Lösungen Siedetemperatur
C-Stahl Nitriersäure (H2SO4-HNO3); entwässerter, flüssiger RT
Ammoniak (NH3); Carbonate; Bicarbonate
saure H2S-Lösungen; Meerwasser; CO/CO2-Lösungen warm
angesäuerte NCN-Lösungen; Amine alle
Hochfeste
wässrige Elektrolyte, insbesondere wenn sie H2S enthalten RT
Stähle
heiße konzentrierte Chloridlösungen (MgCl2, BaCl2, CaCl2); 60 bis 200
Meerwasser
Austenitische
konzentrierte Laugen; NaOH-H2S-Lösungen; mit Chlorid- > 120
Cr-Ni-Stähle
ionen verunreinigter kondensierender Prozessdampf
heißes Druckwasser mit 2 ppm gelöstem Sauerstoff 300
wie austenitische Stähle, aber wesentlich beständiger;
Duplexstähle
völlig beständig gegen H2S2On-Säuren
Ferritische
H2S; NH4Cl; NH4NO3; Hypochlorite
Cr-Stähle
Hoch-Ni-haltige
alkalische Lösungen > 260
Legierungen
α-Messing Ammoniaklösungen; Amine; Nitrite in Wasser RT
Al-Legierungen Luft mit Wasserdampf; Meerwasser; NaCl-Lösungen RT
rote rauchende HNO3 RT
heiße Salze; geschmolzene Salze > 260
Ti-Legierungen
N2O4 30 bis 75
Methanol RT
Abschn. 1.7.6: Korrosionsarten 91
In sehr vielen Fällen fällt die Unterscheidung Der Rissverlauf ist extrem lokalisiert und die
schwer, ob die Risse auf der Wirkung des Was- Rissspitzenbereiche sind stark versprödet.
serstoffs ( wasserstoffinduzierte Kaltrisse, Die Rissfortschrittsraten sind sehr gering (ty-
s. Abschn. 3.5.1.6, S. 276) beruhen oder ein pisch z. B. 106 m/s). Zum Auslösen der Span-
Phänomen der SpRK sind. Im letzteren Fall nungsrisskorrosion sind verhältnismäßig klei-
sind sie meistens stark verästelt, Bild 1-105, ne Spannungen erforderlich, sie liegen oft un-
im ersteren meistens unverzweigt und in vie- ter der (einachsigen) Streckgrenze des Werk-
len Fällen transkristallin, Bild 4-73, S. 393. stoffs, können aber abhängig von der Art des
Auf den Bruchflächen sind oft die charakte- angreifenden Mediums in einem sehr großen
ristischen von eingeschlossenen Wasserstoff- Spannungsbereich liegen. Die beim Schwei-
blasen herrührenden Mikroporen zu erken- ßen der un- und (niedrig-)legierten Stähle ent-
nen, Bild 3-40. Eine kathodische Wasserstoff- stehenden Eigenspannungen sollten bei Be-
beladung verstärkt die wasserstoffinduzier- triebsbedingungen, die die Spannungsriss-
te Rissbildung und verhindert sie aber bei der korrosion begünstigen, durch ein Spannungs-
Spannungsrisskorrosion. armglühen bei hohen Temperaturen ( 650 C)
beseitigt werden. Ebenfalls bewährt hat sich
Die erforderliche untere Grenzspannung ist das Kugelstrahlen, mit dem im Oberflächen-
bei den Cr-Ni-Stählen sehr niedrig oder mög- bereich Druckeigenspannungen erzeugt wer-
licherweise nicht vorhanden. Sie liegt bei et- den, die die Zugspannungen aufheben.
wa 20 N/mm2, also deutlich unter der Streck-
Risse keine Risse
grenze. Die in Schweißverbindungen vorhan- Zahlen geben Anzahl der Proben an
denen Eigenspannungen oder unvorsichtiges 1000
Sauerstoffgehalt
– der Qualität und dem Umfang der periodi- Die fachgerechte Werkstoffwahl erfordert die
schen Wartungsarbeiten (Beseitigen von möglichst genaue Kenntnis der Korrosions-
Ablagerungen, Bewüchsen aller Art, Kon- bedingungen (Art und Menge der Angriffsme-
trolle von »Totwasserecken« usw.); dien einschließlich von »Spurenelementen«)
– der Reparaturmöglichkeit und damit der und der Betriebsbedingungen bzw. -abläufe
Zugänglichkeit, die gewöhnlich durch die (Betriebsparameter wie Temperaturen, Drü-
Konstruktion geschaffen wird; cke, Fließgeschwindigkeiten, intermittierende
– dem betrieblichen Ablauf des Korrosions- Betriebszustände, Produktreinheit, Medien-
prozesses (gleichbleibende Verfahrenspa- konzentration).
rameter und Zusammensetzung des Medi-
ums); Die Zusammenstellung einer Auswahlliste
– den Umgebungseinflüssen (z. B. Luft- geeigneter Werkstoffe kann geschehen mit
feuchte, Temperatur, Art und Menge der Hilfe von:
Luftverunreinigungen). – Erfahrungen aus dem Bau ähnlicher An-
lagen,
Man beachte, dass mit korrosionsbeständi- – Literaturauswertung und
gen Werkstoffen keineswegs auch korrosions- – Spezifikationen, Regelwerken, Werksnor-
beständige Bauteile hergestellt werden kön- men, Herstellervorgaben.
nen! Weil der Konstrukteur meistens weder
über ausreichende Kenntnisse der korrosions- Der nach technischen und wirtschaftlichen
beständigen Werkstoffe, noch über ausrei- Gesichtspunkten gewählte Werkstoff sollte
chende Kenntnisse der Korrosionsmecha- möglichst unter den späteren Betriebsbedin-
nismen und der Korrosionsabwehr verfügt, gungen geprüft werden. Insbesondere ist die
sollte er mit dem Werkstofffachmann, dem Verwendung der wirklichen Angriffsmedien
Fertigungsspezialisten und dem Korrosions- (nicht »ähnliche« Laborlösungen!) dringend
fachmann eng zusammenarbeiten. angeraten. Während des späteren Betriebs
sind periodische Inspektionen der kritischen
60
Bereiche durch fachkundiges Personal not-
% wendig. Auch die periodische Kontrolle von
Fehlerhäufigkeit
Beispiele Bemerkungen
i)
? ren der Passivschicht (i).
Mikrobiologische Kor- Kondensatfilm auf Leichteres Ablaufen Zum Bekämpfen der Wasserlinienkorrosion ist das
rosion erzeugt schleim- waagerechten Flä- und Abtrocknen des periodische Beseitigen der Bewüchse und Ablagerun-
artige Ablagerungen chen, siehe auch Kondensatfilms durch gen (Konzentrationselemente!) mit anschließendem Rei-
und damit Belüftungs- Bilder j) bis n). schräge Flächen. nigen der Bereiche sehr empfehlenswert. Dafür muss
? elemente (Lochkorro-
sion).
das Bauteil gut zugänglich sein (p1).
Beispiele Bemerkungen
Kugel-, Sandstrahlen
s) t)
eingedrückte Schweiß- Schweißgut muss chemisch Durch den Schweißprozess und den damit verbunde-
Späne spritzer edler sein als der Grundwerkstoff nen Handlingsvorgängen können verschiedene »Störun-
? gen« entstehen, die den Korrosionsvorgang einleiten
oder sogar erheblich beschleunigen:
F
F
1 2
y) z)
Bild 1-109
Zusammenstellung einiger typischer Konstruktionsempfehlungen, die für den Entwurf korrosionsbeständiger
Werkstücke beachtet werden sollten. Die grau angelegten Flächen deuten mögliche Korrosionsorte an.
? = zeigt die korrosionstechnisch weniger empfehlenswerte Detaillösung,
! = zeigt die korrosionstechnisch zweckmäßigere Lösung.
98 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Übersichtlichkeit. Grundsätzlich sollten alle Anwesenheit von Chlorid- und H-Ionen diese
bei jeder Form eines Korrosionsangriffs be- Oxidschicht leicht zerstören.
achtet werden. In vielen Fällen sind selbst bei
einer »alle« betrieblichen und korrosionstech- 1.7.7.2 Konzentrationselemente
nischen Gegebenheiten erfassenden Konstruk- Die Konstruktion sollte so beschaffen sein,
tion die Vielzahl der möglichen Korrosions- dass sich möglichst keine stagnierenden Me-
formen nur schwer erkennbar. dienströme, »Toträume« oder nicht bzw. nur
unvollständig ablaufender Elektrolyt oder
1.7.7.1 Spalt-, Berührungskorrosion Kondenswasser bilden können. Die einfache
Diese allgegenwärtige Korrosionsform, die Reinigung der medienseitigen Wände, ver-
auch in die extrem gefährliche Lochkorro- bunden mit guter Zugänglichkeit ist hierfür
sion übergehen kann, ist nur durch Schlie- neben konstruktiven Maßnahmen eine wich-
ßen jedes Spaltes auf der Angriffsseite zu tige Voraussetzung. Die Bilder 1-109j bis 1-
vermeiden. Konstruktiv nicht vermeidbare 109n zeigen einige konstruktive Beispiele.
Spalten sind zu vergrößern ( 2 mm bis 3 mm) In diesen Bereichen entstehen durch Kon-
oder mit geeigneten Massen (z. B. elastische densation und (oder) Verdampfen häufig hö-
oder dauerplastische Werkstoffe) für das Me- here Medienkonzentrationen oder Konzen-
dium unzugänglich zu machen, Bilder 1-109a trationselemente, die den Korrosionsangriff
bis 1-109e. Durch Schweißen bzw. Löten las- oft sehr verstärken.
sen sich Spalten fertigungstechnisch einfach
vermeiden bzw. sie können meistens mit ei- Die an kalten oder schlecht isolierten Behäl-
nem vertretbarem Aufwand geschlossen wer- terwandungen einsetzende Taupunktunter-
den. Ein Entfernen der aggressiven Ionen ist schreitung führt zur Feuchte- oder Medien-
nur in den seltensten Fällen (wirtschaftlich) kondensation (z. B. Säuren!), d. h. zur Tau-
möglich. punktkorrosion. Bild 1-109o zeigt ein prakti-
sches Beispiel.
Sind die beiden sich berührenden Teile Me-
talle, dann werden die chemischen Vorgänge 1.7.7.3 Wasserlinienkorrosion,
von elektrochemischen Reaktionen überla- atmosphärische Korrosion
gert. Diese Kontaktkorrosion lässt sich nur Die Wasserlinienkorrosion lässt sich mit kons-
mit Hilfe einer in aller Regel teuren, vollstän- truktiven Maßnahmen kaum vermeiden. Sie
digen elektrischen Isolation der Metalle ver- wird durch den Sauerstoffgehalt, der Strö-
hindern, Bild 1-110. Hierbei muss beachtet mungsgeschwindigkeit, der Temperatur und
werden, dass das Isolationsmittel bzw. die verschiedene mikrobiologische Reaktionen
Dichtung keine Feuchtigkeit aufnehmen darf hervorgerufen. Das periodische Beseitigen
und dadurch zu einem Elektrolyten werden der Ablagerungen und Bewüchse im Bereich
kann. Sehr bewährt haben sich Dichtungen der Wasserlinie kann diese Korrosionsform
aus Tef lon und anderen Kunststoffen. in Grenzen halten, Bild 1-109p. Beschichtun-
gen und kathodische Schutzmaßnahmen wer-
Für das Verhindern der Berührungskorro- den ebenfalls angewendet.
sion gelten prinzipiell ähnliche Überlegun-
gen. Ablagerungen, örtlich beschädigte Be- Das Ausmaß der atmosphärischen Korrosion
schichtungen und beim Schweißen entstan- hängt ausschließlich von der Art der Atmo-
dene Anlauffarben, Spritzer, Schlackenrück- sphäre und vor allem von ihrem Gehalt an
stände führen zu Konzentrationselementen Verunreinigungen ab. Natriumchlorid und
und damit zu einer meistens sehr starken, Schwefelverbindungen sind die wichtigsten
örtlich begrenzten Schädigung. Die Bilder Luftverunreinigungen. Wetterfeste Stähle,
1-109f bis 1-109i zeigen einige typische Bei- Beschichtungen und Konstruktionen, die ein
spiele zu einigen Korrosionsformen. Ansammeln und (oder) Kondensieren von
Flüssigkeiten erschweren, sind die wichtigs-
Sehr anfällig sind deckschichtenbildende Me- ten Schutzmaßnahmen, Bilder 1-109p2 bis
talle (z. B. die üblichen Cr-Ni-Stähle), die in 1-109p5.
Abschn. 1.7.7: Gestaltungsrichtlinien; Werkstoffwahl 99
gen kann sogar die mit einer spangeben- ren Strömungsgeschwindigkeiten beständi-
den Bearbeitung (z. B. Bohren, Fräsen, Fei- ger als bei stagnierenden Medienströmen.
len, auch Fremdmetalleinschlüsse wahr- Wird der Korrosionsprozess durch die Akti-
scheinlich) verbundene Kaltverformung vierungspolarisation kontrolliert, dann hat
zur SpRK führen, Bild 1-109s. die Strömungsgeschwindigkeit keinen Ein-
fluss auf den Korrosionsablauf.
❐ Die Schweißzusatzwerkstoffe müssen um-
sichtig gewählt werden. Das Schweißgut Das Entfernen des Sauerstoffs und anderer
muss elektrochemisch edler (Kathode) oxidierender Agenzien ist für un- und niedrig-
sein als der Grundwerkstoff (Anode), s. legierte Stähle eine sehr wirksame Methode.
Bild 1-95 und Beispiel 1-11, S. 99. Diese Maßnahme ist aber für die deckschicht-
bildenden hochlegierten Stähle ebenfalls nicht
❐ »Schwarz-Weiß«-Verbindungen sind bei zu empfehlen, weil bei diesen Werkstoffen für
korrosiver Beanspruchung grundsätzlich den Auf bau der Passivschicht Sauerstoff er-
zu vermeiden. forderlich ist.
Geübte Schweißer und umfangreiche quali- Die Medienkonzentration hat bei passivier-
tätssichernde Maßnahmen sind zum Reali- baren Metallen in großen Bereichen eben-
sieren der genannten schweißtypischen Er- falls nur einen geringen Einfluss auf das Kor-
fordernisse notwendig. rosionsverhalten. Wenn bei sehr hohen Kon-
zentrationen die sich bildende Deckschicht
gelöst wird, ist in der Regel mit starkem An-
1.7.8 Hinweise zum griff zu rechnen. Im anderen Fall nimmt er
Korrosionsschutz ab, weil wegen des nicht mehr vorhandenen
Wassergehaltes (H) in der Säure, die Metall-
Im Wesentlichen sind folgende Maßnahmen auf lösung praktisch aufhört.
bekannt:
– Konstruktive Maßnahmen (Abschn. 1.7.7), Inhibitoren
– aktive Schutzverfahren, Inhibitoren sind dem Medium – meist in sehr
– passive Schutzverfahren. geringer Menge – zugesetzte chemische Sub-
stanzen, die die Geschwindigkeiten elektroly-
1.7.8.1 Aktive Schutzverfahren tischer Teilreaktionen verringern. Man unter-
Die Verfahren, mit denen die Korrosionsum- scheidet die anodischen und die kathodischen
gebung, die Korrosionsbedingungen und (oder) Inhibitoren. Erstere unterdrücken die anodi-
das Korrosionsmedium günstig beeinflusst schen (Metallauflösung wird verzögert), letz-
werden können, sollten wirtschaftlich und ef- tere behindern die kathodischen Reaktionen
fektiv sein. Sie erfordern aber meistens ein- (z. B. die Sauerstoffreduktion wird verzögert).
gehende spezielle praktische und theoretische Ihre Wirksamkeit besteht demnach in einem
Kenntnisse des gesamten Korrosionsablau- Abflachen der jeweiligen Teilstromdichte-Po-
fes. tenzial-Kurve, Bild 1-111.
In den meisten Fällen führt eine Senkung der Bei der anodischen Inhibition wird das Ruhe-
Arbeitstemperatur zu einer deutlichen Abnah- potenzial UR in positive Richtung verscho-
me der Korrosionsgeschwindigkeit, weil che- ben. Im Falle einer unvollständigen Inhibitor-
mische Prozesse mit zunehmender Tempe- menge oder anderer Störungen kann daher
ratur prinzipiell schneller ablaufen. ein sehr rascher, oft verheerender Korrosions-
angriff bzw. Lochkorrosion entstehen (iAl’).
Ähnliches gilt für die Strömungsgeschwin- Die anodischen Inhibitoren sind meistens we-
digkeit des Mediums. Allerdings sind Werk- sentlich wirksamer als die kathodischen, aber
stoffe, die passive Deckschichten bilden (z. weniger sicher anwendbar als diese. Letztere
B. hochlegierte Chrom- und Chrom-Nickel- verschieben das Ruhepotenzial zu negativeren
Stähle, Titan und -Legierungen) bei höhe- Werten (UR UA).
102 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Die Wirkungsweise der Inhibitoren ist sehr Medium von der Werkstückoberfläche fern-
komplex und noch nicht in allen Einzelhei- hält. Bekannt ist die »natürliche« Inhibitor-
ten bekannt. Sie wirken an der Phasengrenz- wirkung von Ca2 in hartem Wasser durch
fläche Medium/Metall und bilden korrosions- die Bildung von CaCO3 gemäß folgender Be-
vermindernde in der Regel sehr dünne Ad- ziehungen:
sorptionsfilme oder Passiv- bzw. Deckschich-
ten. Die Zugabe von Inhibitoren ist ein preis- Ca2 2 ¹ HCO3 Ca(HCO3 )2
wertes und einfaches Verfahren des aktiven Ca(HCO3 )2 CaCO3 CO2 H 2O.
Korrosionsschutzes. Sie können sowohl die
Geschwindigkeit der anodischen, der katho- Inhibitoren sind für nahezu jedes Medium
dischen als auch beider Teilreaktionen verzö- und jeden Werkstoff einsetzbar. Besonders
gern. Man unterscheidet: empfehlenswert ist ihre Anwendung aus Kos-
tengründen in geschlossenen (d. h. in aller
Physikalische Inhibitoren, die sich an Regel unzugänglichen!) Systemen. Sie dür-
der Metalloberfläche anlagern (Physisorp- fen keine Ablagerungen bilden, müssen in
tion) und so die aktiven Bereiche der Ober- einem weiten Bereich der Temperatur, der
fläche schützen. Zu ihnen gehören die sog. Wasserqualität und des pH-Wertes wirksam
Dampfphaseninhibitoren, die aus organi- bleiben, dürfen nicht umweltbelastend sein
schen Verbindungen mit einem mittleren und keine toxischen Wirkungen haben.
Dampfdruck bestehen. Diese Substanzen
ohne
verdampfen oder sublimieren und wer- i A’
den auf dem Metall als monomolekulare
Stromdichte i
UA UR U RI UK
Chemische Inhibitoren, sie bilden mit Potenzial
kathodisch
Potenzial
und Natriumsulfit, Abschn. 1.7.3.3, mit
die den für die kathodische Reaktion Inhibitor
erforderlichen Sauerstoff entfernen. i K’
– Neutralisatoren, sie verringern den ohne
Korrosionsangriff durch Reduzieren b)
der Wasserstoffionenmenge, z. B. Am-
moniak (NH3) und Natriumhydroxid Bild 1-111
Einfluss von Inhibitoren auf den Verlauf der Strom-
(NaOH).
dichte-Potenzial-Kurven bei einer
a) anodischen Inhibition, Passivierung,
Kathodische Inhibitoren bilden bei höheren b) kathodischen Inhibition,
pH-Werten einen unlöslichen Film, der das nach Rahmel und Schwenk.
Abschn. 1.7.8: Hinweise zum Korrosionsschutz 103
z. B. granulierter Koks
Die notwendige galvanische Kopplung von
Metall und Opferanode kann durch direkten
Mg - Anode
4 × OH- 2 × Mg+ +
Kontakt – z. B. Aluminiumbarren an Schiffs-
Stahlrohr
körpern, Bild 1-112a – oder durch ihre leiten-
de Verbindung mittels niederohmiger, isolier-
2 × Mg+ + + 4 × OH- ® 2 × Mg (OH)2
ter Kupferkabel geschehen, Bild 1-112b.
O2 + 2 × H2O + 4 × e- ® 4 × OH- 2 × Mg ® 2 × Mg+ + + 4 × e-
Aktiver kathodischer Schutz
b) Der für einen aktiven kathodischen Schutz
hochohmiges Referenzelektrode erforderliche Schutzstrom wird mit Fremd-
Voltmeter z. B. Cu/CuSO4 stromschutzanlagen erzeugt (z. B. Gleichrich-
ter). Die Fremdstromanoden bestehen im Ge-
E Cu/CuSO gensatz zu den Opferanoden aus sich nicht
4
verzehrenden Werkstoffen wie Silicium-Guss-
eisen (FeSi), Grafit oder Magnetit. Zum Erhö-
hen der Lebensdauer werden sie in leitfähi-
gen, granulierten Koks eingebettet.
Stahlrohr
Bild 1-113a zeigt schematisch eine Fremd-
stromanlage zum Schutz erdverlegter Roh-
re. Zu beachten ist, dass hier immer die tech-
c)
nische Stromrichtung – der Strom fließt im
Bild 1-112 äußeren Stromkreis von Plus nach Minus –
Kathodischer Korrosionsschutz erdverlegter Rohre angegeben wird und nicht die physikalisch
mit »Opferanoden«.
korrekte Richtung des Elektronenflusses.
a) Opferanode ist mit dem Bauteil direkt galvanisch
gekoppelt, die Anode wird galvanisch aufgelöst. Der kathodische Schutz ist demnach nur dann
b) Opferanode (z. B. Magnesium, Aluminium) ist vorhanden, wenn der Strom vom Elektrolyten
über Kupferkabel mit dem Bauteil gekoppelt. Es in das Bauteil eintritt. Der negative Pol der
ist zu beachten, dass nicht die technische Strom- Stromquelle muss mit dem Objekt ( Katho-
richtung, sondern die Richtung des Elektronen- de) verbunden sein, Bild 1-113a.
stroms angegeben wurde.
c) Messanordnung zum Feststellen des Potenzials (z.
B. Röhrenvoltmeter) zwischen dem zu schützen- Der kathodische Schutz wird in der Hauptsa-
den Bauteil und der in der Praxis häufig verwende- che für Offshore-Konstruktionen und erdver-
ten Cu/CuSO4- Referenzelektrode. legte bereits mit Schutzschichten versehe-
104 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
nen Rohrleitungen aus unlegierten Kohlen- Der Entwurf, die fachgerechte Installation
stoffstählen bei nicht zu starkem Korrosions- und der zuverlässige Betrieb kathodischer
angriff verwendet. Da die häufig dicken Be- Schutzanlagen sind vielfach nicht wissen-
schichtungen immer Poren oder andere Be- schaftlich »korrekt« durchzuführen. In den
schädigungen enthalten, ist der erforderliche meisten Fällen hilft nur die »Trial and Er-
Schutzstrom gering und das Verfahren wirt- ror-Technik« und begründete Erfahrung! Da-
schaftlich, weil nur diese in geringerer An- her sollten diese Aufgaben nur zuverlässi-
zahl vorhandenen »freiliegenden« anodischen gen Firmen übertragen werden, die nach-
Rohrbereiche vor Korrosionsangriff zu schüt- weislich über das erforderliche Fachwissen
zen sind. verfügen.
zu
schützendes potenzials EH - 0,6 V (dem entspricht Kur-
Bauteil venzug »a«) die Korrosion stark verringert
wird (ECu/CuSO4 = - 0 ,6 V - 0 ,32 V = - 0 ,92 V!),
so dass von einer technisch völlig ausreichen-
Stahlrohr den Korrosionsbeständigkeit gesprochen wer-
den kann. Das Schutzpotenzial Es wird da-
örtlicher Korrosionsangriff
her nach DIN 50927 (und DIN 30676) als Po-
tenzialgrenzwert definiert, bei dem eine Kor-
a) rosionsgeschwindigkeit praktisch vernachläs-
sigbar wird, d. h., es muss werden:
E
Es.
Stromquelle
Bei starker kathodischer Polarisation kann
der entstehende Wasserstoff allerdings zu
Korrosionsschäden führen. In diesen Fällen
darf die Schutzspannung das in Tabelle 1-9
aufgeführte Grenzpotenzial Es’ nicht über-
Anode
Anode
zu
schützendes schreiten.
Bauteil
Die vorhandenen Potenziale lassen sich mit
der in Bild 1-112c schematisch dargestellten
Stahlrohr Messanordnung feststellen. In vielen Fällen
wird hierfür die sehr robuste und einfach zu
isolierte Verbindung
handhabende Cu/CuSO4-Referenzelektrode
verwendet. Der Zusammenhang mit den z. B.
b) in Pourbaix-Schaubildern verwendeten auf
Bild 1-113 die Standardwasserstoffelektrode EH bezo-
Verlauf und Wirkung von Streuströmen beim katho- genen Standard-Potenzialen lautet:
dischen Schutz mit Fremdstromanlagen.
ECu/CuSO4 = EH - 0 , 32 V . [1-44]
a) Ungeeignete Anordnung der Anode und fehlerhaf-
te elektrische Schaltung des Bauteils erzeugen durch In Tabelle 1-9 sind die freien Korrosions- und
Streuströme hervorgerufene Korrosion des Rohrstran-
Schutzpotenziale sowie die Grenzpotenziale ei-
ges im Bereich der Streustrom-Austrittsstelle in
das Erdreich. niger wichtiger metallischer Werkstoffe im Erd-
b) Eine geeignete »Streustromableitung« schützt das boden, in Süß- sowie in Salzwasser nach der
Bauteil und den Rohrstrang, nach Fontana. zurückgezogenen DIN 30676 aufgeführt.
Abschn. 1.7.8: Hinweise zum Korrosionsschutz 105
Bedingungen V V V
Kupfer,
− 0,20 bis ± 0,00 − 0,20 entfällt
Kupfer-Nickel-Legierungen
1)
Die Gefahr einer NaOH-induzierten Spannungsrisskorrosion ist zu beachten!
Die Potenzialangaben beziehen sich auf die Cu/CuSO4 -Bezugselektrode ECu/CuSO = EH - 0,32 V . Die aus
4
Pourbaix-Schaubildern entnommenen auf die Standardwasserstoffelektrode bezogenen Potenzialwerte
sind daher mit der angegebenen Beziehung umzurechnen! Siehe auch DIN 50927.
106 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
Das erforderliche Schutzpotenzial wird mit Vor jeder Beschichtung muss als wichtigste
aufwändigen elektronischen Regeleinrich- vorbereitende Maßnahme die Werkstückober-
tungen erzeugt und konstant gehalten. Diese fläche sorgfältig von Fetten, Ölen, Rost bzw.
Schutzmethode kann im Gegensatz zum ka- von jedem Oberflächenbelag gereinigt wer-
thodischen Schutz auch bei stärkstem Korro- den. Das gilt in besonderem Maße für Konver-
sionsangriff angewendet werden, wobei der sionsschichten, weil anderenfalls die »Metall-
erforderliche Schutzstrom im Allgemeinen umwandlung« nicht vollständig gelingt und
sehr gering ist. Die anzuwendenden Maßnah- die Haftung der Schichten unzureichend ist.
men sind hinreichend genau in Laboruntersu- Die Haftung der Schichten und Anstriche
chungen ermittelbar, weil die wissenschaft- lässt sich auch durch haftvermittelnde Über-
lichen Grundlagen dieser Methode seit länge- züge (z. B. Phosphatschichten) wesentlich
rer Zeit bekannt und ihre Ergebnisse reprodu- verbessern. Die hierbei anzuwendenden Emp-
zierbar sind. fehlungen bzw. Richtlinien sind beispielswei-
se in DIN EN ISO 12944 zu finden.
1.7.8.2 Passive Schutzverfahren
Auf das Werkstück aufgetragene Schutz- Organische Beschichtungen
schichten sehr unterschiedlicher Beschaffen- Für die Schutzschichten – auf den Werkstoff
heit und Wirkungsweise trennen das angrei- in flüssiger, pulveriger oder pastöser Form
fende Medium von dem zu schützenden Bau- aufgebracht – werden in der Hauptsache Ep-
teil. Die Schichten müssen dicht, porenfrei, oxidharze (EP), Vinylester (VE) und Polyure-
nicht zu dünn, aber vor allem möglichst un- thane (PUR) verwendet. Bei ihnen entsteht
durchlässig für Wasser und Sauerstoff sein. die Schutzschicht durch Polymerisation bei
Diese Schutzschichten werden abhängig von Raumtemperatur. Pulverbeschichtungen – z.
dem jeweiligen Bildungsmechanismus einge- B. Polyethylen (PE), Polyamid (PA) – werden
teilt in: auf die vorgewärmten Teile aufgesintert oder
flammgespritzt.
❐ Beschichtungen sind ein allgemeiner Sam-
melbegriff für eine oder mehrere in sich Wegen der immer vorhandenen Poren oder
zusammenhängende Schichten auf einem Verletzungen sollte die Beschichtung aus
Grundwerkstoff, die aus nicht vorgefertig- mindestens zwei Grundbeschichtungen und
ten Stoffen hergestellt sind und deren zwei Deckbeschichtungen bestehen. Die Grund-
Bindemittel meistens organischer Natur beschichtungen enthalten Korrosionsschutz-
ist (DIN EN ISO 12944). Sie haften auf pigmente, die die Korrosionsvorgänge lang-
der Oberfläche durch Adhäsion und Neben- zeitig inhibieren (z. B. Bleimennige oder Zink-
valenzen. Die zum Korrosionsschutz von staub für Stahl), Deckbeschichtungen, Pig-
Metallen häufiger verwendeten Ausklei- mente und Füllstoffe, die das Eindringen von
dungen (organische Halbzeuge) sind da- Wasser und/oder Luft möglichst wirksam be-
nach keine Beschichtungen. hindern.
nung »Bondern«). Die wichtigsten Verfahren setzt werden konnte. Die während des Ein-
sind das Zinkphosphatierverfahren und das brennprozesses entstehenden Gase, vor al-
Alkaliphosphatierverfahren. Diese einige Pm lem das sich aus dem Kohlenstoff des Stahls
dicken relativ korrosionsbeständigen Schich- durch Oxidation gebildete CO, können die
ten haften sehr fest auf dem Untergrund, langsam erstarrende Emailschmelze nur z.
wobei ihre mikroporige Beschaffenheit auch T. verlassen und erzeugen Poren in der Email-
eine sehr feste Bindung der folgenden Schich- schicht. Aus diesem Grund sind für diese Ar-
ten und das Einlagern von Schmierstoffen beiten sehr kohlenstoffarme (C
0,1 %) Stäh-
ermöglicht. Ihr hoher elektrischer Wider- le erforderlich.
stand macht sie auch für Anwendungen im
Elektromaschinenbau sehr geeignet. Beson- Die in letzter Zeit entwickelten Glaskerami-
dere Anforderungen an die zu beschichten- ken besitzen nicht die Sprödigkeit der Email-
den Stähle hinsichtlich ihrer chemischen Zu- lierungen. Durch gesteuertes Kristallisie-
sammensetzung sind nicht zu stellen. ren thermodynamisch instabiler Gläser lässt
sich ein teilkristalliner Überzug mit wesent-
Emaillierungen sind amorph erstarrende, lich besseren mechanischen Eigenschaften
glasartige aus Quarz und anderen Oxiden be- herstellen.
stehende Überzüge, die durch partielles oder
unvollständiges Schmelzen auf die Werk- Metallische Überzüge
stückoberfläche aufgebracht werden. Sie ver- Diese Schichten werden häufig außer zum
bessern vor allem die Korrosionsbeständig- Korrosionsschutz auch zum Schutz gegen
keit der unlegierten Stähle (Haushaltswa- Verschleiß und für dekorative Zwecke ver-
ren, chemische und pharmazeutische Indus- wendet.
trie). Bei dem konventionellen Verfahren wird
der Stahl mit einer Grund- und einer Deck- Beim Schmelztauchen wird das gereinigte
email durch ein doppeltes Einbrennen bei und flussmittelbenetzte (aus Zink-, Ammo-
800 C bis 850 C beschichtet. Daneben wird nium- und Alkalichloriden bestehende Salz-
im großen Umfang das einschichtige Direkt- gemische zum Vermeiden der Oxidation der
emaillieren verwendet, mit dem die Schicht- Stahloberflächen) Werkstück in die Schmel-
dicke auf etwa 0,2 mm bis 0,3 mm herabge- ze des Überzugsmetalls getaucht. Hierfür
450 werden Zink und Zinklegierungen, Alumini-
m m um, Zinn und Blei verwendet. Dieses Verfah-
400 ren bietet eine Reihe von Vorteilen. Es ver-
Schichtdicke
– ähnlich wie beim Löten – Legierungszonen Die Bauteile müssen konstruktiv so vorberei-
(dichte Fe-Zn-Legierungsschichten), deren tet werden, dass das Reinigungsmittel und
Zusammensetzung aus dem Zustandsschau- die Zinkschmelze sämtliche zu behandeln-
bild der Metalle Fe-Zn abgeschätzt werden den Oberflächen der Teile benetzen können.
kann. Die Schichtoberfläche besteht aus wei- Das ist mit Bohrungen und Öffnungen an »ge-
chem Zink. Die Bildung verschiedener uner- eigneten« Stellen erreichbar.
wünschter, spröder intermediärer Phasen
beim Feuerverzinken von Stahl lässt sich Hohlräume jeder Art müssen auch wegen der
durch Zugabe von 0,05 % bis 0,1 % Alumini- sonst entstehenden explosionsartigen Zerstö-
um zum Zink-Schmelzbad modifizieren bzw. rung dieser geschlossenen Räume unbedingt
unterdrücken. Von der gleichzeitig entste- vermieden werden. Die während des Prozes-
henden Hemmwirkung des Aluminium auf ses freiwerdenden Schweißeigenspannungen
die Reaktion zwischen Eisen und Zink macht sind eine wichtige Ursache dieser Zerstö-
man beim Durchlaufverzinken von Bändern rung. In Spalten können die Reinigungsmit-
Gebrauch, weil sich nur dadurch eine sehr tel eindringen und Bedingungen erzeugen,
dünne, gut verformbare Legierungsschicht die zur Dampfbildung und hohen Drücken
herstellen läßt. Beim Stückverzinken muss führen können. Bei komplizierten Bauteilen
der Aluminiumgehalt
0,03 % sein, weil sich ist daher eine vorherige Absprache mit der aus-
aus Aluminium und der Feuchtigkeit des Fluss- führenden Firma sehr zu empfehlen.
mittels Al2O3 bildet, das eine Benetzung der
Oberfläche verhindert. Beim Schweißen feuerverzinkter Halbzeu-
ge ist eine Reihe von werkstoffspezifischer
Das Feuerverzinken ist für Eisen und Stahl Besonderheiten zu beachten:
ein technisch und wirtschaftlich sehr wich- – Heißrissähnliche Defekte bilden sich, wenn
tiges Schmelztauchverfahren. Die sinnvol- flüssiges Zink in das Schweißgut eindringt
len Schichtdicken liegen zwischen 20 Pm und (Lötrissigkeit). Aus diesem Grunde sollte
etwa 100 Pm. Ihre Qualität und Beschaffen- die Zinkschicht im Bereich der Schweiß-
heit hängen sehr stark von der chemischen naht entfernt werden.
Zusammensetzung des Stahles ab. Vor al- – Der Siliciumgehalt des Schweißguts sollte
lem der Siliciumgehalt (neben Phosphor) übt möglichst gering sein, daher sind z. B. ru-
einen großen Einfluss aus, Bild 1-113. Sili- til-umhüllte Stabelektroden besser geeig-
cium begünstigt danach sehr stark die Bil- net als basisch-umhüllte.
dung aufgelockerter, dicker und spröder zum – Das Schweißgut neigt wegen des niedri-
Abplatzen neigender d. h. unbrauchbarer gen Zinkdampfdrucks zu einer deutlichen
Schichten. Vor allem bei Siliciumgehalten im Porenanfälligkeit, Abschn. 5.2.1.1.2, S.
Grundwerkstoff zwischen 0,03 % und 0,12 %, 515. Die Schmelze muss daher ausgasen
wie sie bei Pfannenstählen oder halbberuhig- können.
ten Stählen vorkommen, entstehen dickere,
aufgelockerte Schichten. Diese Erscheinung Beim Plattieren werden unterschiedliche Me-
wird nach dem Entdecker dieses Phänomens tallschichten i. Allg. bei höheren Temperatu-
»Sandelin-Effekt« genannt. Beim Feuerverzin- ren und (oder) Druck durch Walz-, Spreng-
ken können diese dickeren Überzüge wegen oder Schweißplattieren (Abschn. 4.3.8.2, S.
der im Allgemeinen nur geringen Tauchdauer 448) zu einem Verbundwerkstoff vereinigt.
der Erzeugnisse kaum entstehen. Allerdings Die Verbindung entsteht durch Diffusionswir-
muss beispielsweise bei der Stückverzinkung kung, oder durch mechanische Verzahnung.
und dem Verzinken von Einzelteilen mit der Da die Schweißplattierungen meistens mit
Bildung verhältnismäßig dicker Schichten dem UP-Bandauftragschweißen hergestellt
gerechnet werden. Die Zinkschichten auf dem werden, entstehen im Gegensatz zu den mit
in der Regel höher siliciumhaltigen Schweiß- einer wesentlich höheren Leistungsdichte ar-
gut neigen daher aus diesem Grunde häufi- beitenden Laser- bzw. Elektronenschweißver-
ger zum Abplatzen und weisen eine dunkle- fahren umfangreiche metallurgische Reaktio-
re Färbung auf. nen. Diese Vorgänge sind sorgfältig zu kon-
Abschn. 1.7.8: Hinweise zum Korrosionsschutz 109
trollieren, weil bei der normalerweise sehr weder sehr fein verteilt vorliegen bzw. vollstän-
unterschiedlichen Zusammensetzung von dig unterdrückt werden. Der große Tempe-
Grund- und Plattierungswerkstoff die Bil- raturgradient begünstigt grundsätzlich epi-
dung spröder intermediärer Phasen sehr taktische Erstarrungsstrukturen (Abschn.
wahrscheinlich ist, wenn nicht mit Pufferla- 4.1.1.1, S. 300), die zu einer texturähnlichen
gen gearbeitet wird. Anordnung der Körner und der Korngren-
zen führt, Bild 1-114a.
Ein dem Schweißplattieren metallurgisch
umgeschmolzene Laserstrahl
ähnlicher Prozess ist das Randschichtum- Randschicht
schmelzen bzw. Randschichtumschmelzlegie-
ren, Bild 1-114. Diese Schichten bilden sich
im Gegensatz zu den mit Hilfe chemischer Re-
aktionen entstandener Konversionsschichten
als Folge metallurgischer Reaktionen. Die Ge-
füge der Schichten weichen wegen der für ih- Grundwerkstoff
re Erzeugung verwendeten extremen Ener-
giequellen (Energie- oder Partikelstrahlung) a)
in ihren Eigenschaften oft extrem von denen
des Grundwerkstoffs ab. Die Schichten wer- umschmelzlegierte Laserstrahl aufgebrachte
Randschicht Legierungsschicht
den entweder durch die hier nicht näher be-
sprochene Technik der »Ionenimplantation«
(Physical Vapour Deposition: PVD- bzw.
Chemical Vapour Deposition: CVD-Verfah-
ren) oder mit dem Laserstrahl hergestellt.
Grundwerkstoff
Mit dem Laserstrahlverfahren sind folgen-
de Modifikationen der Werkstückoberfläche
b)
erreichbar:
– Martensithärtung bei Vergütungsstählen
Bild 1-114
als Folge der verfahrenstypischen extrem
Oberflächenmodifikation durch Aufschmelzen der
hohen Abkühlgeschwindigkeit. Randschicht.
– Umschmelzen der Oberflächenbereiche a) Randschichtumschmelzen,
(Randschichtumschmelzen) führt bei den b) Randschichtumschmelzlegieren.
nichtpolymorphen Werkstoffen neben ei-
ner (mäßigen) Härtesteigerung vor allem
zu einem sehr feinen Erstarrungsgefüge,
Bild 1-114a.
– Umschmelzen der Oberflächenbereiche,
wobei sich aber mit zusätzlich aufgebrach-
ten Schichten (erzeugt durch Vakuumab-
scheidung, Spritzen, Streichen), die Legie-
rungselemente enthalten, praktisch jede
gewünschte metallurgische Wirkung er-
reichen lässt (Randschichtumschmelzle-
gieren), Bild 1-114b.
3
R= ◊ akrz ,
4
2 2
rtet =
a krz
4
⋅ ( )
5 − 3 = 0,0362 nm. [A1-1a]
2
R= ◊ a kfz Aufgabe 1-3:
4 Der Diffusionskoeffizient des Kohlenstoffs im
2 krz (Dkrz ) und kfz Eisen (Dkfz ) bei der A3-Tem-
2 ◊ R + 2 ◊ rokt = a kfz = ◊ a kfz + 2 ◊ rokt
2 peratur (912 C = 1185 K) ist zu berechnen.
rokt =
a kfz
4
( )
◊ 2 - 2 = 0,0
0523 nm. [A1-2] Zum Lösen der Gl. [1-11] sind erforderlich:
QA,krz 87 500 J /mol, QA,kfz 137 700 J /mol,
Die Hohlräume im kfz Eisen sind merklich D0,krz 1,1 ¹ 10 2 cm2 /s, D0,kfz 0,23 cm2 /s.
größer als die im krz Eisen. Die Menge ge-
löster interstitieller Atomsorten – z. B. Koh- Damit ergeben sich:
lenstoff mit RC 0,071 nm – ist beim kfz Eisen
Ê Q ˆ
sehr viel größer als die im krz Eisen. Dkrz = D0 ,krz ◊ exp Á - A ,krz ˜
Ë RT ¯
Ê 87500 ˆ
Dkrz = 1 ,1 ◊ 10 - 2 ◊ exp Á -
Ë 8 , 314 ◊ 1185 ˜¯
Dkrz = 1 , 53 ◊10 - 6 cm 2 /s . [A1-3a]
Ê 137700 ˆ
Dkfz = 0 , 23 ◊ exp Á -
Ë 8 , 314 ◊ 1185 ˜¯
Dkfz = 0 ,195 ◊ 10 - 6 cm 2 /s < Dkrz . [A1-3b]
GK
GS Aufgabe 1-6:
D T = TS - T1
Die Erstarrung metallischer Schmelzen be-
ginnt, wenn feste Teilchen (Keime) mit dem
T1 TS Temperatur T
kritischen Radius rk in der Schmelze vorhan-
den sind (homogene Keimbildung), s. Abschn.
Bild A1-3
1.4.1 und Bild 1-27, S. 24. Aus der Beziehung
Abhängigkeit der freien Enthalpie G von der Tempe-
ratur im Bereich des Schmelzpunktes. Der Verlauf [1-7], S. 25, ist der von der Unterkühlung der
der Kurven wurde der Einfachheit halber als linear Schmelze DT abhängige kritische Keimradius
angenommen, s. a. Bild 1-26, S. 23. rk zu berechnen.
Abschn. 1.8: Aufgaben zu Kapitel 1 113
Bei r rk besitzt die Abhängigkeit ' G f (r) Folge eine große Anzahl von Keimen, die ein
– Gl. [1-7], S. 25, – eine waagerechte Tan- sehr feines, äquiaxiales Gefüge erzeugen,
gente, d. h., die Ableitung 'G nach r wird Bild A1-4, Bereich 1. Anschließend kristalli-
Null: siert die Schmelze vorzugsweise in Richtung
Blockmitte durch die Schmelze »hindurch«.
d[ Δ G(r = rk )]
= − 4 π ⋅ rk2 ⋅ Δ G V + 8 π ⋅ rk ⋅ γ = 0. Das Ergebnis sind lange, stängelförmige, den-
dr dritische Kristallite. Dieser Vorgang wird als
Daraus ergibt sich rk zu: Transkristallisation bezeichnet, Bild A1-4,
2⋅γ Bereich 2. Die niedriger schmelzenden Phasen
rk = . [A1-8a] werden vor den Kristallisationsfronten der
ΔGV
Stängelkristalle hergeschoben. Sie liegen da-
Die für die Keimbildung erforderliche Akti- her im Bereich der Blockmitte in konzentrierter
vierungsenergie QA erhält man durch Einset- Form vor. Diese häufig als Keime wirkenden
zen von r rk in Gl. [1-7], S. 25: Bestandteile und die hier vorhandene sehr
16 π ⋅ γ 3 große konstitutionelle (aber geringe thermi-
ΔG( r = rk ) = QA = 2.
[A1-9a] sche!) Unterkühlung (Bild 1-33a) sind die Ur-
3 ⋅ ( ΔGV )
sache für die (oftmals) feinkörnige Erstar-
Mit der in Aufgabe 1-5 abgeleiteten Bezie- rung der Restschmelze, Bild A1-4, Bereich
hung Gl. [A1-7] ergeben sich die rechnerisch 3, s. a. Bild 1-31.
einfacher handhabbaren Gleichungen:
⎛ 2 ⋅ γ ⋅ TS ⎞ 1 Die reale Gefügeausbildung ist aber sehr
rk = ⎜ ⎟⋅ , [A1-8b] stark von den Gießbedingungen und der ab-
⎝ HF ⎠ ΔT kühlenden Wirkung der Kokillenwandung ab-
⎛ 16 π ⋅ γ 3 ⋅ TS2 ⎞ 1 hängig. Bei hohen Gießtemperaturen wird
QA = ⎜ ⎟⋅ . [A1-9b] ein größerer Anteil der (heterogenen) Keime
⎝ 3 ⋅ HF2 ⎠ ( ΔT )
2
gelöst und die kühlende Wirkung der Kokillen-
Es ist zu beachten, dass rk und QA mit zuneh- wände erheblich verringert. Dadurch schmel-
mender Unterkühlung 'T abnehmen. zen die wandnahen Körner wieder auf. Nach
dem erneuten Beginn der Kristallisation ent-
Der kritische Keimradius rk bei einer homo- stehen wegen der verringerten Abkühlung
genen Erstarrung einer Eisenschmelze be- als Folge der erwärmten Kokillenwandung
trägt z. B. mit TS 1538 C, HF 1740 J/cm3 und der nur geringen Keimzahl sofort in das
und g 20 ¹ 10 7 J/cm2 für eine typische Un-
terkühlung von ' T O 400 K:
3
Ê 2 ◊ 20 ◊ 10 -7 ◊ 1810 ˆ 1 -8
rk = Á ˜¯ ◊ 400 O 10 cm.
Ë 1740
Aufgabe 1-7:
Es ist schematisch das bei Kokillenguss me- 1
tallischer Schmelzen entstehende Primärge- Kokillenwand
füge zu interpretieren und zu skizzieren, s. a.
Bild 1-31, S. 27. Bild A1-4
Schematische Darstellung des in einer Kokille ent-
stehenden Primärgefüges.
Die rasche Abkühlung der Schmelze an der 1) Äquiaxiales, feines Korn in der Randzone,
Kokillenwandung erzeugt eine große ther- 2) transkristalline Erstarrung,
mische Unterkühlung der Schmelze und als 3) äquiaxiales Korn in Blockmitte.
114 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
2
T2 cS cL
c S.1 c L.1
T1 S+ b
S+ a L2 S+ b a S+ a
a Te b
e
E= a + b
T3 b
3
c2
E= a+ b
T2 c3
a b
+ a + E + b Seg b + E + a Seg +
b Seg a Seg
A c 1 20 40 ce 60 80 % B Ac 20 c 4 c L 40 c e 60 80 c 5 % c 6 B
0
Konzentration c Konzentration c
Temperatur T2 :
Nach Unterschreiten der eutektischen Tem-
peratur Te liegen primär ausgeschiedene Aufgabe 1-10:
Mischkristalle a P – eingebettet in Eutekti- Es ist der Mechanismus der thermisch akti-
kum E (a E b E ) – in den Mengen vor: vierten Korngrenzenbewegung zu beschrei-
ben, s. a. Abschn. 1.3.4, S. 19.
ce - cL
ma .P = ◊ 100 % = 83, 33 %
ce - c4 Ein polykristallines Gefüge ist wegen der An-
mE = 100 - ma .P = 100 - 83, 33 = 16 ,67 %. wesenheit verschiedener Gitterbaufehler –
vor allem der Großwinkelkorngrenzen – nicht
Das Eutektikum E besteht aus aE und bE in im thermodynamischen Gleichgewicht. Wäh-
den Mengen: rend einer Wärmebehandlung stellt sich als
Folge von Korngrenzenbewegungen ein meta-
c5 - ce
ma .E = ◊ 100 % = 50 % stabiles Gleichgewicht ein.
c5 - c4
mb .E = ma = 100 - ma .E = 100 - 50 = 50 %. Ist die Korngrenzenenergie unabhängig von
der Orientierung (d. h. frei von Torsionskräf-
Bei Te liegen demnach mengenmäßig vor: ten), dann verhalten sich die Korngrenzen
ma.P 83,33 %, ma.E 8,335 %, mb.E 8,335 %.
Aus 100 % a ( c4) scheidet sich bei der Tem-
peratur T2 die maximal mögliche Menge an
b -Segregaten (bmax), aus 100 % b ( c5) die ma-
ximal mögliche Menge an a -Segregaten (amax)
aus:
c4 - c2 25 - 10
bmax = = ◊ 100 % = 17, 65 % Bild A1-7
c3 - c2 95 - 10 Größe der Oberflächenspannungen g auf Korngren-
c3 - c5 95 - 85
5 zen unterschiedlicher geometrischer Form.
a max = = ◊ 100 % = 11, 76 %. a) Auf eine zylinderförmige Korngrenze mit dem Ra-
c3 - c2 95 - 10 dius r wirkt die Kraft g/r.
b) Auf einer ebenen Fläche ist die Resultierende g = 0.
Aus den 83,33 % primären a -MK.en scheidet c) Auf einer mit gleichem Radius entgegengesetzt
sich bei T2 die Menge an bSeg.P aus: doppelt gekrümmten Fläche ist g = 0.
116 Kapitel 1: Grundlagen der Werkstoffkunde und der Korrosion
wie Seifenhäute. In diesem Fall muss für die tems, also im wesentlichen die Korngrenzen-
Existenz eines metastabilen Gleichgewichts energie, abnehmen muss. Bild A1-7b zeigt
an der Verbindungsstelle dreier Körner bzw. die Verhältnisse bei alleiniger Wirkung der
Phasen – die flüssig, gasförmig oder fest sein Oberflächenspannung. Auf Körner mit mehr
können – die Oberflächenspannung Null wer- als sechs Grenzflächen wirken Kräfte ein,
den (Bezeichnungen s. Bild 1-13a, S. 11): die das Korn vergrößern, weil das Zentrum
γ BC γ γ der Biegung außerhalb des Kornes liegt, Bild
= AC = AB . [A1-10] A1-8c.
sin α 1 sin α 2 sin α 3
Für g AB g AC g BC wird a 1 a2 a3 120 . Diese Vorgänge sind die metallphysikalische
Grundlage des Kornwachstums (Grobkorn-
Ein aus Körnern aufgebautes Gefüge ist nur bildung) metallischer Werkstoffe.
dann im metastabilen Gleichgewicht, wenn
die Oberflächenspannungen der Phasengrenz-
flächen im Gleichgewicht sind.
b
+ 0,8 O2 + 4 ◊ H + + 4 ◊ e - Æ 2 ◊ H2O,
Korrosion
Cu Æ Cu2+ + 2 ◊ e -
+ 0,4
0 Cu2O
finden an der Phasengrenze Metall / Elektro-
a
lyt bei einem (Misch-)Potenzial ER statt.
- 0,4 Cu
Korrosionsverhalten von Aluminium
- 0,8 Korrosionsbeständig Wie Bild A1-11 zeigt, ist Aluminium sowohl
in Säuren (Al3) als auch in Basen (AlO2) lös-
- 1,2
- 2- 1 0 1 2 4 6 8 10 12 14
lich. Dieses Verhalten ist für amphotere Me-
pH - Wert talle typisch. Zwischen pH 4 und 8,6 verhält
sich Aluminium – ähnlich wie Titan, Tantal
Bild A1-10
Vereinfachtes Pourbaix-Schaubild für das System und Niob – auf Grund der spontan gebilde-
Cu/wässrige Lösung mit einer Ionenkonzentration ten, sehr dichten, nichtleitenden Oxidhaut
von 10 - 6 mol lösliche Ionenart/l bei 25 C. Al2O3 in sehr vielen Medien passiv.
Abschn. 1.8: Aufgaben zu Kapitel 1 119
+ 1,6
V
aus der angegebenen Beziehung [A1-11a]
+ 1,2 mit EFe 0
3+
/ Fe2+
= 0,77 V (Tabelle 1-6, S. 67), n 1
und cFe3+ = cFe2+ = 10− 6 mol / l berechnet:
Potenzial E
+ 0,8
+ 0,4
Korrosion c 3+
Passivierung EFe3+ /Fe2+ = EFe 0
3+
/ Fe2+
+ 0,06 ⋅ log Fe = 0,77 V.
cFe2+
0
Korrosion
- 0,4 Bei großen pH-Werten (! 12,5) existieren im
Gleichgewicht Eisen mit zwei- und dreiwer-
- 0,8
Al 3+ tigen Hydroxiden, Gl. [A1-12a, b, c]:
- 1,2 Al2O3 × 3 H2O
- 2,0
HFeO2- + 3 ◊ H+ + 2 ◊ e - Fe + 2 ◊ H2O,
- 2,4
Korrosionsbeständig
Fe (OH)3 + e - HFeO2- + H2O.
- 2- 1 0 1 2 4 6 8 10 12 14 16 Korrosion ist in Bereichen zu erwarten, in
pH - Wert
denen sich lösliche Ionen bilden; Korrosions-
beständigkeit in Bereichen, in denen feste
Bild A1-11
Vereinfachtes Pourbaix-Schaubild für das System Substanzen (metallische Phasen oder deck-
Al/wässrige Lösung, mit einer Ionenkonzentration schichtbildende Oxide bzw. Hydroxide) ent-
von c = 10 - 6 mol lösliche Ionenart/l bei 25 ∞C. stehen.
0 (H2O)
In sauren Lösungen können sich gemäß den
Fe2+
folgenden Gleichgewichtsbeziehungen zwei - 0,4
Fe(OH)2 -
Eisenionenarten (Fe3+, Fe2+) bilden: - 0,6 a HFeO2
- 0,8
2
Fe3 e Fe2, [A1-11a] Korrosionsbeständig (I)
- 1,2
Fe2 2 ¹e Fe. [A1-11b] (H2)
- 1,6
Die zugehörigen Potenziale, gemessen ge- - 2- 1 0 2 4 6 8 10 12 14 16
gen die Standardwasserstoffelektrode bei pH - Wert
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2 Stähle – Werkstoffgrundlagen
3
hende Zeit ist um Größenordnungen gerin-
ger als bei der Stahlherstellung. Die fehlen- 120
de Reaktionszeit wird daher in den meisten
Fällen gemäß dem Massenwirkungsgesetz 90
1
men zu berücksichtigen.
1: RSt 37- 2, Walzzustand (GB) 4: USt 37- 2, Walzzustand (FS)
2: RSt 37- 2, normalgeglüht (GB) 5: USt 37- 1, Walzzustand (FS)
Die wichtigste Forderung zum Herstellen be- 3: St 37- 3, normalgeglüht (GB)
triebssicherer Schweißverbindungen ist eine
ausreichende Schweißeignung des Grundwerk- Bild 2-1
Kerbschlagarbeit-Temperatur-Kurven (DVM-Längs-
stoffes (Abschn. 3.1.1, S. 238). Diese im We-
proben) von Proben aus Baustählen S235 (St 37) ver-
sentlichen werkstoffabhängige Eigenschaft schiedener Gütegruppen (also unterschiedlichem Ge-
besitzt ein Stahl nur dann, wenn die Bruch- halt an Verunreinigungen!) und Wärmebehandlungs-
zähigkeit in der Wärmeeinflusszone so groß zuständen. GB = Grobblech, FS = Formstahl.
124 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
– Reaktionen der Desoxidationsmittel (z. B. Die unerwünschten Elemente, die bei dem
Mangan, Silicium, Aluminium, Magnesi- Frischprozess entfernt werden, zeigen ein
um, Calcium) mit den Verunreinigungen sehr unterschiedliches Verhalten. Sie kön-
der Einsatzstoffe, die nichtlösliche exoge- nen in folgenden Formen vorliegen:
ne Einschlüsse (Schlacken) bilden (z. B. – In gasförmiger Form entweichen, z. B.
SiO2, Al2O3). Kohlenstoff, Zink, Wasserstoff, Stickstoff,
– Lösen der atmosphärischen Gase (Sauer- z. T. Schwefel;
stoff, Stickstoff, Wasserstoff), die wäh- – vollständig in Form von Oxiden in die
rend der Stahlherstellung in die Schmel- Schlacke übergehen, z. B. Silicium, Alu-
ze eindringen können. minium, Niob;
– in der Schmelze verbleiben, wie z. B. Kup-
Die Roheisenschmelze muss also durch die fer, Nickel, Zinn, Bismut, Antimon, Se-
Verfahren der Stahlherstellung raffiniert (Be- len, Molybdän.
seitigen der Verunreinigungen) und auf die
gewünschte chemische Zusammensetzung Das Frischen erfolgt in birnenförmigen (Kon-
(legiert) gebracht werden. Ein großer Teil verter) oder in flachen, wannenförmigen (Herd)
der sauerstoffaffinen Verunreinigungen wird Behältern. In der Hauptsache wird das Rohei-
durch Frischen, d. h. Oxidation mit festen sen zu Sauerstoffblasstahl und in zunehmen-
(z. B. Erze, Fe2O3) oder gasförmigen (über- der Menge zu Elektrostahl, in sehr geringen
wiegend reiner Sauerstoff) Stoffen beseitigt. Mengen auch noch zu Siemens-Martin-Stahl
Durch das Frischen lassen sich nur Elemen- verarbeitet. Die im Konverter erzeugten Stäh-
te entfernen, deren Sauerstoffaffinität bei der le haben normalerweise noch nicht die gefor-
Reaktionstemperatur größer ist als die des derten Eigenschaften, insbesondere ihre Rein-
Eisens. Danach können Zinn, Molybdän, Ko- heit (vorwiegend silicatische und oxidische
balt, Nickel, Kupfer grundsätzlich nicht ent- Einschlüsse) genügt in den meisten Fällen
fernt werden. Hierfür eignen sich die Verfah- nicht den Anforderungen der Stahlverarbeiter.
ren der Sekundärmetallurgie (z. B. Vakuum- Sie werden daher mit den zunehmend wich-
metallurgie), die in Abschn. 2.3.1.1, S. 128, tiger werdenden sekundärmetallurgischen
besprochen werden. Methoden nachbehandelt.
Sauerstofflanze
Schlacke
Flüssiger
Stahl
Propan
Rührgas Sauerstoff
a) b)
Bild 2-2
Frischen des Roheisens nach dem LD-Verfahren beim
a) Aufblasen des Sauerstoffs,
b) Durchblasen (bodenblasend) des Konverters mit Sauerstoff (z. B. OBM-Verfahren).
Abschn. 2.3: Stahlherstellung 127
Thomasstahl wird in bodenblasenden Kon- te des Stahles lassen sich außerdem durch
vertern mit Luft als Sauerstoffträger im Blas- gleichzeitiges Homogenisieren des Stahlba-
stahlwerk erschmolzen. Wegen seiner ext- des entscheidend verbessern. Diese Überle-
rem schlechten mechanischen Gütewerte (und gungen führten zur Entwicklung der kom-
der erheblichen Umweltbelastung!) wird er binierten Blasverfahren, die in vielfältigen Va-
in der Bundesrepublik Deutschland seit Mit- rianten angewendet werden und zu den Ver-
te der Sechziger Jahre, weltweit seit etwa fahren der Sekundärmetallurgie (Abschn.
1980 nicht mehr hergestellt. Die typischen 2.3.1.1) gehören. Die Baddurchmischung wird
extremen Gehalte an Phosphor (bis 0,09 %) durch Aufblasen von Sauerstoff und gleichzei-
und Stickstoff (bis 0,025 %) können den Stahl tiges Bodenblasen mit Frisch- oder Rührga-
bis zur Unbrauchbarkeit verspröden. sen 17) verbessert. Es ergeben sich die folgen-
den Vorteile:
Grundsätzlich sollte bei Reparatur- und Um- – Die metallurgischen Reaktionen nähern
bauarbeiten an Konstruktionen aus T-Stahl sich weitgehend dem thermodynamischen
(wahrscheinlich, wenn sie vor 1960 in Betrieb Gleichgewicht, wodurch eine wirtschaft-
genommen wurden!) besonders sorgfältig und liche Herstellung und eine weitgehende
umsichtig vorgegangen werden, vor allem, Entkohlung des Stahles möglich ist.
wenn geschweißt werden muss. Die schlech- – Der Gehalt an Verunreinigungen (Phos-
te Schweißeignung dieser Stähle erfordert phor, Schwefel, Sauerstoff) ist deutlich
Zusatzwerkstoffe, die ein ausreichend ver- geringer als beim normalen Sauerstoff-
formbares Schweißgut ergeben. Als besonders aufblasverfahren.
gut geeignet erweisen sich basisch-umhüllte – Der Schrott wird schnell aufgelöst und da-
Stabelektroden, s. Abschn. 4.2.3.1.3, S. 341. durch die Schmelze frühzeitig homogeni-
Die Zähigkeit der (rissanfälligen) WEZ ist siert.
allerdings noch geringer als die des Grund-
werkstoffs, s. hierzu Aufgabe 4-4, S. 480. Die Homogenisierung der Schmelze, ihre
gleichmäßigere Durchmischung und eine
Das Sauerstoffaufblasverfahren (LD-Ver- Verringerung der Prozesszeiten lassen sich
fahren) ist weltweit das weitaus wichtigs- durch Bodenblasen mit Sauerstoff weiter
te Stahlherstellungsverfahren. In der Bun- verbessern. Hierfür sind allerdings Konver-
desrepublik Deutschland wird etwa 85 % der ter besonderer Bauart erforderlich. Die Ge-
gesamten Roheisenproduktion nach diesem fahr des Aufschmelzens der Konverterboden-
Verfahren verarbeitet. auskleidung wird durch Kühlgase (z. B. Pro-
pan, Methan) beseitigt, die zusätzlich kon-
Auf das Roheisenbad wird durch eine was- zentrisch um den Sauerstoffstrahl angeord-
sergekühlte Lanze Sauerstoff geblasen, Bild net sind. Das Kühlgas verhindert die direkte
2-2a. Bei Roheisensorten mit höherem Phos- Bodenberührung des Sauerstoffs. Diese Ver-
phorgehalt wird zusammen mit dem Sauer-
stoff Kalkstaub in das Bad geblasen (LDAC-
17)
Verfahren). Die Verwendung von reinem Sau- Verwendet werden bei den auch als Lanzen-Boden-
blasen/-rühren bekannten Verfahren Sauerstoff-
erstoff ermöglicht die Herstellung sehr stick- Inertgas-, Sauerstoff-CaO-Gemische, Inertgas-
stoffarmer und verunreinigungsarmer Stäh- gemische und eine Vielzahl weiterer Gas-Fest-
le (
0,002 % N; 0,0016 % P; 0,002 % S, in Son- stoff-Gemische. Ein bekanntes Konverterverfah-
derfällen
0,001 %). Der flüssige Stahl kommt ren ist: AOD Argon-Oxygen-Dekarburierung,
im Wesentlichen nur beim Vergießen mit der vorwiegend für die Herstellung hochlegierter kor-
rosionsbeständiger Stähle. Wenn durch die Roh-
Luft in Berührung. eisenvorbehandlung S, P, Si bereits vorher ent-
fernt wurden, kann fast ohne Schlacke nur noch
Durch intensives Mischen der Stahlschmel- entkohlt werden. Das VOD-Verfahren (Vakuum-
ze mit der Schlacke werden die Reaktions- Oxygen-Dekarburierung) entspricht weitgehend
dem AOD-Verfahren. Es wird zum Herstellen hoch-
abläufe erheblich beschleunigt und dem ther- legierter Stähle mit extrem geringem Kohlen-
modynamischen Gleichgewichtszustand be- stoff- und Stickstoff-Gehalt verwendet. Siehe auch
liebig genähert. Die mechanischen Gütewer- Abschn. 2.3.1.1.
128 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
fahrensvariante ist das OBM-Verfahren 18), »sekundäre« Einheiten verlegt. Mit diesen
das das LD-Verfahren wegen seiner erhebli- Verfahren werden die Schmelzen nach dem
chen technischen und wirtschaftlichen Vor- Abstich in der Pfanne weiter behandelt, um
teile weitgehend verdrängt hat, Bild 2-2b. die Stahlqualität den unterschiedlichsten An-
forderungen anzupassen. Die Stahlschmelze
In zunehmendem Umfang werden in diesen wird in der Regel beim Abstich desoxidiert
Blasstahlwerken Anlagen der Pfannenmetal- (Abschn. 2.3.2).
lurgie und Vakuummetallurgie betrieben.
Wie weiter unten beschrieben, lassen sich die Durch die Trennung der ofengebundenen pri-
Stahleigenschaften mit Hilfe dieser Maßnah- märmetallurgischen von den unter günsti-
men deutlich verbessern. geren Bedingungen ablaufenden sekundär-
metallurgischen Maßnahmen kann die Quali-
Bei den Elektrostahl-Verfahren wird die tät der Erzeugnisse in jeder gewünschten
zum Schmelzen erforderliche Wärme mit Hilfe bzw. erforderlichen Weise verbessert und die
elektrischer Energie (überwiegend Lichtbo- Wirtschaftlichkeit der Stahlherstellung er-
gen, Induktionswirkung) erzeugt. Gefrischt höht werden. Diese Verfahren dienen zum Her-
wird mit eingeblasenem Sauerstoff oder Erz. stellen von Stählen mit höchsten Qualitätsan-
Verunreinigungen durch Flammgase (Schwe- forderungen.
fel) entstehen nicht. Der Kohlelichtbogen er-
zeugt eine leicht reduzierende Atmosphäre, Zu den Verfahren der Sekundärmetallur-
d. h., der Sauerstoffgehalt des Stahles ist ge- gie gehören die
ring. Die metallurgische Qualität ist hervor- ❐ Pfannenverfahren ohne Vakuum, die
ragend (aber abhängig von der der Einsatz- ❐ Vakuumverfahren und die
stoffe) und der Abbrand gering. Mit basisch ❐ Umschmelzverfahren.
zugestellten Öfen lassen sich sehr geringe
Phosphor- und Schwefelgehalte (je
0,005 %) Mangan Silicium Sauerstoff
erreichen. Der Stickstoffgehalt der nach dem 60
%
Lichtbogenverfahren erschmolzenen Stähle 40
wird durch die erleichterte Dissoziation der 20
Luft geringfügig erhöht. 0
Legierungen) und vor allem Gase (insbe- Je mehr Kohlenstoff die Stahlschmelze ent-
sondere Wasserstoff). Die Desoxidation hält, desto größer ist die Menge des gebilde-
gelingt ohne Bildung fester Desoxidations- ten Kohlenmonoxids, d. h., umso geringer ist
produkte gemäß der Gleichung: der Sauerstoffgehalt des Stahles. Dieser Zu-
sammenhang lässt sich anschaulich mit Hil-
Cgelöst Ogelöst COgas.
fe der Beziehung C¹O konst. beschreiben.
Die metallurgische Reinheit des Stahles, d. Niedriggekohlte Stähle (
0,1 %) enthalten
h., seine Freiheit von Einschlüssen ist z. B. daher nach dem Frischen erhebliche Men-
für hoch- und höchstfeste Stähle hinsichtlich gen Sauerstoff. Die z. B. bei Tiefziehblechen
ihrer Wirkung als potenzielle Rissstarter geforderten niedrigen C- und O-Gehalte sind
wichtig. nur mit sekundärmetallurgischen Maßnah-
men wirtschaftlich erreichbar.
ZrS, verringern die Anisotropie der Zähig- – Das Ausbringen ist größer als beim Kokil-
keit ganz erheblich (nähere Informationen s. lenguss, da der »verlorene« Kopf nur ein-
Abschn. 2.7.6.2). mal im Strang vorhanden ist.
– Das Herstellen von endabmessungsnahen
2.3.2.1 Vergießen und Erstarren des Flachprodukten verringert die Umform-
Stahles arbeit in den Walzwerken und erhöht da-
Der flüssige Stahl wird als Standguss in Form mit die Wirtschaftlichkeit.
von Blöcken oder in heutiger Zeit wesentlich
häufiger als Strangguss vergossen. In weni- Strangvergossener Stahl muss beruhigt ver-
gen Fällen ist allerdings der Standguss noch gossen werden, weil die beim unberuhigten
immer erforderlich, z. B. für: Stahl an der Strangoberfläche entstehenden
– Stähle für Bauteile, deren Oberflächen CO-Blasen eine nicht tolerierbare Porigkeit
emailliert werden, müssen sehr kohlen- im Produkt erzeugen würden, die sich nur
stoff- und verunreinigungsarm sein, wie z. sehr aufwändig, d. h. extrem unwirtschaft-
B. die Speckschicht unberuhigter Stähle lich – z. B. mit Flammstrahlen – beseitigen
(moderner ist die Vakuumentkohlung im ließe. Strangguss ist dem Standguss in den
flüssigen oder die Offenbund-Glühung im meisten Fällen überlegen.
festen Zustand),
– hochlegierte Werkzeugstähle, Stähle für hoch beanspruchte Konstruktio-
– spezielle Edelstähle und verschiedene nen werden in zunehmendem Umfang vaku-
NE-Metalle, umvergossen, bzw. sekundärmetallurgisch
– große Schmiedestücke müssen wegen der verarbeitet. Der außerordentlich geringe Ge-
notwendigen Steuerung der Erstarrungs- halt an Gasen, Schlacken und anderen Ver-
vorgänge in besonders geformten Kokil- unreinigungen und ist die Ursache für ihre
len abgegossen werden. her vor ragenden mechanischen Gütewerte
(insbesondere die Schlagzähigkeit).
Bei dem früher üblichen Standguss wird der
Stahl in Kokillen fallend oder steigend ver-
Konverter bzw.
gossen. Je nach dem Sauerstoffgehalt in der Pfanne mit Schmelze
Stahlschmelze, d. h., abhängig von dem Grad
der Desoxidation, unterscheidet man mit den Schmelze
Bezeichnungen der DIN EN 10027 den unbe-
ruhigt FU (U), nicht unberuhigt FN (R beru- Kühlwasser (ein)
higt, die Behandlungsart FU ist in der älte-
ren DIN 17006 unbekannt und entspricht nicht wassergekühlte
dem bisherigen beruhigten Stahl!) und beson- Kupferkokille
ders beruhigt FF (RR) vergossenen Stahl. In
Klammern sind die bisher gültigen Bezeich- Kühlwasser (aus)
nungen nach DIN 17006 angegeben.
Gussstrang
Beim Stranggießen wird die Stahlschmelze
in einer wassergekühlten Kupferkokille als gerichtete
Erstarrung
kontinuierlicher Strang vergossen. In der
Bundesrepublik Deutschland wird etwa 95 % Treibrollen
der Rohstahlproduktion als Strangstahl her-
gestellt. Bild 2-5 zeigt die wichtigste Bauform,
die Bogen-Stranggießanlage. Das Verfahren Strang wird z. B. auf Bogen-
bietet gegenüber dem Standguss eine Reihe Stranggießanlage fortgeführt
und als Vorband, Dünnbram-
wesentlicher Vorteile: me oder Vorbramme auf
– Durch die hohe Abkühlgeschwindigkeit Länge geschnitten
Abgesehen vom Strangguss muss der Stahl Die Folge ist die Zunahme der Heißrissanfällig-
in den folgenden Fällen beruhigt vergossen keit (Liquation Cracking, s. hierzu auch Ab-
werden: schn. 5.1.3, S. 506) in den Wärmeeinflusszonen
Stahlguss: Fertigteile aus Stahlguss wer- von Schweißverbindungen. Die Reaktions-
den nicht mehr mit Verfahren der Warm- schlacken sind weiterhin die (Haupt-)Ursache
formgebung weiterbehandelt. Die z. B. für für die beim Schweißen der Feinkornbaustäh-
einen unberuhigten Stahl typischen Gas- le entstehenden Terrassenbrüche (s. Abschn.
einschlüsse lassen sich damit auch nicht 2.7.6.1).
mehr beseitigen.
Hartstahl: In den höhergekohlten Stäh-
len ( 0,25 %) und bei Anwesenheit be-
stimmter Legierungselemente ist die gebil-
dete CO-Menge gemäß C¹O konst. so ge-
ring, dass das Gas die Schmelze entgegen
ihrem statischen Druck nicht mehr voll- s
ständig verlassen kann. Diese Rest-CO-
Menge ist durch Beruhigen zu beseitigen, a) b)
im anderen Fall wären Poren bzw. Randbla-
sen im Halbzeug die Folge. Bild 2-7
Entstehung von Werkstofftrennungen in Stählen mit
Legierter Stahl: In diesen Stählen müs-
sehr hohem Einschlussgehalt unter der Wirkung von
sen die Legierungselemente möglichst ho- Schweißeigenspannungen,
mogen verteilt sein, um hinreichend gleich- a) bei einer Stumpfnaht,
mäßige Eigenschaften über den gesamten b) bei einer Kehlnaht.
Querschnitt zu erreichen.
Die möglichen Werkstofftrennungen, die
2.3.2.4 Besonders beruhigt durch Verflüssigen der niedrigschmelzen-
vergossener Stahl; den Reaktionsschlacken entstehen, machen
Kennzeichen FF (RR) sich in der Hauptsache bei den besonders be-
Durch die zusätzliche Zugabe von Alumini- ruhigten Stählen unangenehm bemerkbar.
um (auch andere Elemente wie Titan, Niob, Diese Eigenschaft wird auch als Spaltfreu-
Vanadium werden verwendet) wird der rest- digkeit bezeichnet, Bild 2-7.
liche Sauerstoff zu Al2O3 und der atomare
Stickstoff zu AlN abgebunden. Die Stick-
stoffabbindung reduziert die Auswirkung 2.4 Das Eisen-Kohlenstoff-
der Verformungsalterung (Abschn. 3.2.1.2, Schaubild (EKS)
S. 240), verbessert die Tieftemperaturzähig-
keit und erhöht die Sprödbruchsicherheit. Das Eisen-Kohlenstoff-Schaubild beschreibt
Die AlN-Teilchen wirken über einen kompli- als Gleichgewichts-Schaubild das Umwand-
zierten Mechanismus als Keime, die die Se- lungsverhalten in realen Stahl-Werkstoffen
kundärkorngröße des Stahles (genauer des nur mit begrenzter Genauigkeit. Es gilt an-
Ferrits) wesentlich verringern. Das Ergebnis nähernd nur für die unlegierten Kohlenstoff-
dieser Behandlung sind hochwertige, sehr stähle. Die erhebliche Wirkung der Legie-
verunreinigungsarme, sprödbruchsichere rungselemente und einer größeren Abkühlge-
und gut schweißgeeignete Feinkornbaustäh- schwindigkeit ist nicht erkennbar. Hierfür
le (Abschn. 2.7.6.1). sind die ZTU-Schaubilder (Abschn. 2.5.3) ent-
wickelt worden, die den Einfluss der Abkühl-
Die Zähigkeitseigenschaften werden maßgeb- geschwindigkeit und der Legierungselemente
lich vom Gehalt atomarer Gase beeinflusst. erfassen. Trotzdem ist das Eisen-Kohlenstoff-
Dieser lässt sich vor allem durch eine Vaku- Schaubild ein grundlegendes Hilfsmittel zum
umbehandlung wirksam verringern. Die Men- Abschätzen des Erstarrungs- und Umwand-
ge an Reaktionsschlacken z. B. MnS, Man- lungsverhaltens und für den Praktiker von
gansilicate, Al2O3 u. a. ist dagegen relativ groß. besonderer Bedeutung.
134 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
Schmelze + g - MK
Elementarzellen des a - und g -Gitters sind einige Ok-
taederlücken (1) und Tetraederlücken (2) eingezeich- 1300
net. Vgl. hierzu auch Aufgabe 1-2, S. 110.
1200
Die Gitteränderungen von reinem Eisen beim E
Bild 2-9
19)
A Arrêt Stillstand, c chauffage Erwärmen, Ausschnitt des Eisen-Kohlenstoff-Schaubildes (EKS)
r refroidissement Abkühlen. für metastabile (Fe-Fe3C) Ausbildung des Kohlenstoffs.
Abschn. 2.4: Das Eisen-Kohlenstoff-Schaubild (EKS) 135
Temperatur T
Cr-Ni-Stähle (Abschn. 2.8.2.3) S+ g S4,3 S + Fe3C
1
im Vergleich zu den krz ferriti- L1 L2 2
schen Chromstählen (Abschn. g
2.8.2.2). 1
2
Ledeburit
1 g + g + Ledeburit 1 + Ledeburit 1 (= L1) +
a2 g 0,8 Fe3C Sekundärzementit
2 Primärzementit
Der Kohlenstoff ist das wichtigste a3 3 3 3
Legierungselement des Stahles. Er 4 4
P+ Perlit + Ledeburit +
4
Ledeburit (= L) +
Perlit
Technische Eisen-Legierungen 3: 3: 3:
enthalten bis ca. 5 % Kohlenstoff
(Gusslegierungen). Höhere Gehal-
te werden wegen der vollständigen g 0,8
a3 g 0,8 L1 L
Versprödung durch den Zementit
technisch nicht genutzt. Kohlen- 4: 4: 4:
Bild 2-10
Die Einteilung der Fe-C-Legierun-
Umwandlungsvorgänge in drei ausgewählten Fe-C-Legierun-
gen kann nach folgenden werkstoff- gen, L1 , L2 , L3 beim Abkühlen. Die Gefügeskizzen sind stark sche-
lich begründeten Überlegungen er- matisiert. Die Indizes in Sx und g y geben den Kohlenstoffgehalt
folgen: dieser Phasen an.
136 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
Temperatur T
Die Glühdauer ist wie bei allen Wärmebe- Ein örtlicher Spannungsabbau ist möglich,
handlungsverfahren weniger kritisch als die wenn ein ausreichend breiter Werkstoffbe-
Glühtemperatur. Sie ist dem der betreffenden reich erwärmt wird. Für Rundnähte im Kes-
Fertigung zugrunde liegenden Regelwerk sel- und Apparatebau muss die Breite B der
zu entnehmen. Für den Bereich des Kessel- erwärmten Zone betragen:
baus gilt z. B. die von der Erzeugnisdicke [2-2]
B ≥ 5⋅ R⋅ t
(und dem Werkstoff) abhängige Glühdauer,
Tabelle 2-2. R mittlerer Radius des Behälters,
t Wanddicke.
Die nach VdTÜV-Merkblatt 451-03-3 anzu-
wendenden Glühtemperaturen für eine Rei- 2.5.1.2 Normalglühen
he artgleicher Schweißverbindungen sind Als Ergebnis dieser Wärmebehandlung ent-
in Tabelle 2-3 zusammengestellt. steht unabhängig von der thermischen und
Tabelle 2-2 der verarbeitungstechnischen Vorgeschichte
Glühdauer in Abhängigkeit von der Stahlsorte und des Werkstoffs ein neues, sehr feinkörniges Ge-
der Bauteildicke, nach VdTÜV-Merkblatt 451-03/3. füge, das als das »normale« Gefüge jedes um-
wandlungsfähigen Stahles angesehen wird.
Stahlsorte Erzeugnisdicke Glühdauer
Sämtliche durch Härten, Überhitzen, Schwei-
mm min ßen, Kalt- und Warmverformung (Pressen,
Walzen, Schmieden, Stauchen) erzeugten Ge-
unlegierte und ≤ 15 mind. 15
(niedrig-)legierte > 15 bis ≤ 30 mind. 30 füge- und Eigenschaftsänderungen werden
Stahlsorten > 30 ca. 60 damit rückgängig gemacht.
Ar1
Ar ’
Ms
Ar B Das Härtegefüge Martensit entsteht nach
Ms unterkritischer Abkühlung (vuk) erstmals bei
Mf
der nur von der chemischen Zusammenset-
Fe 0,5 0,8 % vuk vF vok
zung des Stahles abhängigen Ms-Temperatur
Kohlenstoffgehalt Abkühlgeschwindigkeit vab
zusammen mit bainitischen oder (und) perli-
tischen Gefügen. Oberhalb der oberen kriti-
Bild 2-14 schen Abkühlgeschwindigkeit vok besteht das
Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit auf das Umwand-
Gefüge nur noch aus Martensit. Ausführliche-
lungsverhalten eines unlegierten Stahles (0,5 % C). Be-
achte die Verschiebung der Umwandlungstemperatur re Hinweise zu einigen metallphysikalischen
bei der g /a-Umwandlung zu immer tieferen Tempera- Grundlagen der Martensitbildung sind im
turen: Ar3 Æ Ar’ Æ ArB Æ Ms Æ Mf. Abschn. 1.4.2.2, S. 34, zu finden.
Abschn. 2.5: Die Wärmebehandlung der Stähle 141
Das typische Umwandlungsverhalten eines grenze mit einigen hundert K/s, in den auf
unlegierten Stahls ist vereinfacht in Bild 2- Ac1 erwärmten Bereichen ist sie ungefähr
14 dargestellt. Mit zunehmender Abkühlge- eine Größenordnung geringer. In den schmelz-
schwindigkeit werden grundsätzlich die Um- grenzennahen Bereichen der Wärmeeinfluss-
wandlungspunkte zu tieferen Temperaturen zone bilden sich daher in der Regel Ungleich-
verschoben: gewichtsgefüge, die Entstehung von (meis-
tens sprödem) Martensit ist somit leicht mög-
Ar3 Ar’ ArB Ms Mf ,
lich, Abschn. 4.1.3.2, S. 318.
wobei Ar3 deutlich stärker fällt als Ar1. Bei
der Abkühlgeschwindigkeit vab vF bildet sich Die Neigung umwandlungsfähiger Stäh-
demnach ein ferritfreies, sehr feinstreifiges, le, nach einem beschleunigten Abkühlen
im Lichtmikroskop kaum auflösbares perliti- zu härten, bezeichnet man als Härtbarkeit.
sches Gefüge. Vergleichbare Umwandlungsvor- Dieser Begriff enthält die beiden wichtigen
gänge laufen auch in der WEZ von Schmelz- Teileigenschaften
schweißverbindungen aus Stahl ab (s. Abschn. – Aufhärtbarkeit und
4.1.3, S. 310). Der austenitisierte Teil der Wär- – Einhärtbarkeit.
meeinflusszone kühlt abhängig vom Abstand
von der Schmelzgrenze mit sehr unterschied- Die Aufhärtbarkeit ist ein Maßstab für die
lichen Geschwindigkeiten ab: an der Schmelz- nur vom Kohlenstoffgehalt abhängige Höchst-
härte (»Ansprunghärte«), Bild 2-15 (s. a. Bild
3 1-43, S. 37). Diese lässt sich annähernd nach
1000 der Formel berechnen:
2
Härte
HV10
HVmax 930 ¹ C 283. [2-3]
800
1
In der Wärmeeinflusszone einer Schweiß-
600 verbindung aus dem gut schweißgeeigneten
Baustahl S355J2 + N (St 52-3; C O 0,2 %) kön-
400
nen demnach bei einem nur aus Martensit
bestehendem Gefüge (sehr schwer realisier-
200
bar, da die obere kritische Abkühlgeschwin-
digkeit beim Schweißen kaum erreicht wird)
40 Härtewerte von etwa 470 HVmax entstehen.
Vol-%
30 Härterisse und (oder) wasserstoffinduzier-
te Kaltrisse (s. Abschn. 3.5.1.6, S. 276) wä-
Restaustenit
20
ren in diesem Fall nahezu unvermeidbar.
10
Wasserhärter
(Randhärter oder Schalenhärter)
Unlegierte Stähle, die zum Härten in der Re-
gel in Wasser abgeschreckt werden müssen.
Wegen der sehr hohen kritischen Abkühlge-
schwindigkeit wird nur eine dünne Rand-
schicht von etwa 5 mm Dicke martensitisch.
Ihr Gehalt an Kohlenstoff ist gering, daher
sind diese Stähle in aller Regel gut schweiß-
geeignet, s. a. Aufgabe 2-8, S. 230.
Ölhärter
(Niedrig-)legierte Stähle erlauben das Härten
in Härteölen, die eine deutlich geringere Ab-
schreckwirkung haben. Verzug, Härtespan- Bild 2-17
Mikrogefüge eines niedriggekohlten Lanzettmarten-
nungen und damit die Rissneigung werden
sits, 505 HV 10. Beachte die typische 60 - bzw. 120 -
geringer. Anordnung der Lanzettpakete! Werkstoff: niedrigle-
gierter Feinkornbaustahl mit 0,03 % Kohlenstoff,
Lufthärter V = 500:1, 3 % HNO3 .
Das sind hochlegierte Stähle, deren kriti-
sche Abkühlgeschwindigkeit im Bereich der Nahezu alle Legierungselemente – vor allem
Abkühlgeschwindigkeit in ruhender oder be- aber der Kohlenstoff – setzen die Ms-(Mf-)
wegter Luft liegt. Bei einem entsprechenden Temperatur (Bild 2-16 und 2-24) und die kriti-
Kohlenstoffgehalt (C 0,20 % bis 0,25 %) ist sche Abkühlgeschwindigkeit herab (Bild 1-
damit ihre Schweißeignung schlecht bis ex- 38, S. 34). Die Martensitbildung legierter und
trem schlecht. (oder) höhergekohlter Stähle erfordert eine
größere Unterkühlung (Ms tiefer!), anderer-
In dem mit vok abgekühlten Austenit beginnt seits nimmt durch Behindern der Kohlenstoff-
die Martensitbildung bei Ms, bei Mf ist sie diffusion die kritische Abkühlgeschwindig-
beendet. Das Gefüge besteht dann vollstän- keit ab. Bild 2-16 zeigt den großen Einfluss
dig aus Martensit und besitzt seine maxi- des Kohlenstoffgehalts auf die Ms- bzw. Mf-
mal mögliche Härte (und Sprödigkeit!), s. a. Temperatur.
Bild 1-43, S. 37.
Für niedrig- und mittellegierte Stähle kann
800 nach Stuhlmann die Ms-Temperatur annä-
➊ Lanzettmartensit (massiver Martensit)
°C
➋ Plattenmartensit (nadelförmiger Martensit) hernd mit der folgenden Formel berechnet
➌ Lanzett- und Plattenmartensit treten werden, in die die Elemente in Massenprozent
Temperatur T
600
zusammen auf
einzusetzen sind:
400
Ms [C] 550 350 ¹ C 40 ¹ Mn [2-4]
200 20 ¹ Cr 10 ¹ Mo 17 ¹ Ni
10 ¹ Cu 15 ¹ Co 30 ¹ Al.
RT Ms
0
Mf Beispiel 2-2:
- 200 ➊ ➌ ➋ Für den Feinkornbaustahl P690QL mit der Schmel-
zenanalyse 0,19 % C; 0,26 % Si; 0,75 % Mn; 0,70 % Cr;
Fe 0,4 0,8 1,2 1,6 % 2,0 0,38 % Mo; 2,25 % Ni; 0,12 % V ergibt sich nach dem
Kohlenstoffgehalt ZTU-Schaubild, Bild 4-77, S. 398, Ms= 400 C.
Die Beziehung nach Stuhlmann, Gl. [2-4], liefert:
Bild 2-16
Einfluss des C-Gehalts auf die Größe der Ms- und Mf- Ms = 550 - 350 ◊ 0,19 - 40 ◊ 0,75 - 20 ◊ 0,70 - 10 ◊ 0,38
Temperatur bei reinen C-Stählen und auf die Ausbil- - 17¹ 2,25 = 398,5 C.
dungsformen des Martensits, nach Eckstein. Die Übereinstimmung ist sehr zufriedenstellend.
Abschn. 2.5: Die Wärmebehandlung der Stähle 143
Die Ms-Temperatur kann bei Stählen mit be- Festigkeits-, Zähigkeits- und auch Schweiß-
stimmter Zusammensetzung als Richtgröße eigenschaften sind der Grund für die zu-
für eine werkstofflich begründete Wahl der nehmende Verwendung hochfester niedrig-
Vorwärmtemperatur beim Schweißen dienen gekohlter Stähle für dynamisch hoch bean-
(Abschn. 4.1.3.3, S. 327). spruchte Konstruktionen. Ihr Gefüge be-
steht aus hochangelassenem Martensit
Die mit abnehmendem Kohlenstoffgehalt (Abschn. 2.7.6.3, S. 197). Bild 2-17 zeigt
stark zunehmende Ms-Temperatur, Bild 2- das Mikrogefüge eines niedriggekohlten
16, führt bei niedriggekohlten Stählen schon Martensits, der im Gegensatz zum höher-
während der Martensitbildung zu einem be- gekohlten nadelförmigen Plattenmartensit
grenzten Anlasseffekt (»Selbstanlassen«), des- (Bild 1-45, S. 38) auch als Lanzettmarten-
sen günstige Wirkung (die Martensithärte sit oder massiver Martensit, Bild 2-16, be-
wird nicht reduziert!) aber nicht überschätzt zeichnet wird.
werden darf (Abschn. 4.3.3, S. 398). – Mit zunehmendem Legierungsgehalt sin-
ken die Ms- und Mf-Temperatur, der Rest-
Durch das Selbstanlassen liegt ein (geringer) austenitgehalt nimmt kontinuierlich zu,
Teil des im Martensit gelösten Kohlenstoffs Bild 2-15. Bei den schweißgeeigneten (weil
bereits in Form ausgeschiedener Carbide niedriggekohlten) Stählen ist der Restaus-
vor, Bild 2-17. Das Mikrogefüge des niedrig- tenit relativ bedeutungslos. Die Eigenschaf-
gekohlten Martensits wird daher wegen der ten der Vergütungs- und Werkzeugstäh-
zahlreichen feinsten Carbidausscheidungen le werden aber durch die Anwesenheit die-
»dunkel« angeätzt, im Gegensatz zum hoch- ser sehr weichen Phase sehr stark geschä-
gekohlten, der im Schliffbild wegen der feh- digt, s. Aufgabe 2-4, S. 226.
lenden Carbidausscheidungen wesentlich hel-
ler erscheint. 2.5.2.2 Vergüten
Der gehärtete Stahl ist wegen seiner extre-
Im Vergleich zu hochgekohltem Martensit men Härte (»Glashärte«) und Sprödigkeit
ist der niedriggekohlte deutlich geringer ver- nicht verwendbar. Der zwangsgelöste Koh-
spannt, d. h. sehr viel zäher und deutlich lenstoff kann durch eine Anlassen genann-
weniger rissanfällig: te Wärmebehandlung unter Ac1 erneut diffun-
– Die im Martensit eingelagerte Kohlenstoff- dieren und das tetragonal verspannte Mar-
menge, also die rissbegünstigende Gitter- tensitgitter in Form feinster Carbidausschei-
verspannung, ist geringer. Die günstigen dungen verlassen. Als Folge dieser Wärme-
behandlung nehmen Festigkeit und Härte ab,
100
Prüftemperatur: - 20°C die Zähigkeit z. T. stark zu. Der Martensit
J + 20°C vergütet
wird in Richtung eines gleichgewichtsnähe-
Kerbschlagarbeit (DVM - Probe) K
80
ren Gefüges überführt.
füges hängt aber in entscheidendem Maße beständigkeit unlegierter Stähle ist dahe
von den Bauteilabmessungen ab, d. h. von gering. In Stählen, die starke Carbidbildne
der Art der wirksamen bzw. technisch mögli- wie z. B. Chrom, Molybdän, Vanadium, Wol
chen Temperaturführung. ram enthalten, scheiden sich bis etwa 400
ebenfalls überwiegend Fe3C-Teilchen au
Die während des Anlassens bei verschiede- Bei weiterer Temperaturzunahme nimmt abe
nen Temperaturen stattfindenden Änderun- die Beweglichkeit der Carbidbildner sowe
gen der mechanischen Gütewerte eines gehär- zu, dass sich die nun thermodynamisch stab
teten Vergütungsstahles werden in Vergü- leren Sondercarbide in sehr feiner, d. h. fe
tungsschaubildern dargestellt, Bild 2-19. Die tigkeitssteigernder Form ausscheiden. Di
für die Bauteilsicherheit wichtigen (Schlag-) ser Vorgang ist mit der Auflösung der berei
Zähigkeitseigenschaften sind nur dann in gebildeten Eisencarbide verbunden. Die seh
vollem Umfang vorhanden, wenn das Gefü- geringe Diffusionsfähigkeit der Carbidbild
ge des Stahls nach dem Härten vollständig ner ist damit die Ursache für die hervorragen
martensitisch ist. Enthält das Vergütungs- de Anlassbeständigkeit und Warmfestigke
gefüge auch nur geringe Mengen anderer Ge- (s. genauer Abschn. 2.7.3) der mit Sonderca
fügebestandteile (Perlit, Bainit und vor al- bidbildnern legierten (Vergütungs-)Stähl
lem Ferrit), dann fällt die Zähigkeit z. T. er- s. Aufgabe 2-3, S. 225.
heblich. Das kann z. B. durch eine unter der
2200
oberen kritischen Abkühlgeschwindigkeit
liegenden Abkühlung oder zu tiefe Härtetem- N
peraturen geschehen. mm2
Zugfestigkeit R m, 0,2%-Dehngrenze R p 0,2
1800
Je nach Werkstoff und gewünschter Kombi-
nation von Festigkeit und Zähigkeit für das 1600
Bauteil liegt die Anlasstemperatur zwischen
Rp0,2 Rm
550 C und 650 C. Mit dieser Behandlung 1400
wird ein hohes Streckgrenzenverhältnis ver-
bunden mit einer hohen Zähigkeit erreicht, 1200
Bild 2-19.
1000
Die genaue Einhaltung der Anlasstemperatur
ist wesentlich entscheidender als die der An- 800
600 ° C 7
lasszeit, die im Bereich einiger Stunden liegt. 0 100 200 300 400 500
– wasservergüteter, 70
– ölvergüteter oder
J
– luftvergüteter Stahl,
Kerbschlagarbeit K
det wurde.
40
Die Betriebstemperatur eines aus einem ver-
güteten Stahl gefertigten Bauteils muss un-
terhalb der Anlasstemperatur liegen. Ande- 25
0 100 200 300 400 500 600 ° C 7
renfalls ist ein von der Zeit abhängiger Fes- Anlasstemperatur T
tigkeitsabfall die Folge, der umso rascher b)
Das Vergütungsergebnis, d. h., die Vergü- versprödung genannt wird. Die Ursache
tungsfestigkeit und die Vergütungszähigkeit sind im ersten Fall Ausscheidungen, im zwei-
hängen von dem beim Härten erreichten Mar- ten Legierungselemente, die sich auf den
tensitgehalt ab. Dieser ist abhängig von der Korngrenzen anreichern (seigern). Vor allem
Einhärtbarkeit, dem Abschreckmedium und sind das Phosphor, aber auch Antimon, Zinn
der Werkstückdicke. Zum Bestimmen des und Arsen. Lange Glühzeiten und (oder) lang-
Martensitgehaltes hat sich in der Praxis der sames Durchlaufen des kritischen Tempera-
Härtungsgrad bewährt. Er ist das Verhältnis turbereiches sind für diese Entmischungs-
der erreichten zur maximal möglichen Här- vorgänge verantwortlich. Bild 2-20 zeigt bei-
te. In dickwandigen Werkstücken ist das ge- spielhaft den sehr großen Einfluss des Phos-
wünschte Härtegefüge im Kern meistens phors auf das Ausmaß der Anlassversprö-
nicht oder nur mit höherlegierten Stählen dung, die durch die starke Zunahme der Über-
einstellbar. Die hier vorliegenden Mischgefü- gangstemperatur nachgewiesen wurde.
ge sind aber in der Regel »anlassfähig«, d. h.,
sie ändern ihre Eigenschaften durch Carbid- Die Anlassversprödung kann durch die fol-
ausscheidungen. Wenn kein voreutektoider genden Maßnahmen beseitigt bzw. ihre Wir-
Ferrit vorliegt, entstehen in der Regel An- kung vermindert werden:
lassgefüge mit zufriedenstellenden Eigen- – Rasches Durchlaufen des kritischen Tem-
schaften. Diese intensiv zeitabhängigen Um- peraturbereichs, der zwischen 450 C und
wandlungsvorgänge des Austenits (nicht aber 550 C liegt. Bei dickwandigen Schmiede-
die Anlassvorgänge!) lassen sich sinnvoll nur stücken ist diese Maßnahme aber wegen
mit Hilfe der ZTU-Schaubilder beschreiben, der entstehenden erheblichen Abkühlspan-
s. Abschn. 2.5.3. nungen kaum anwendbar.
– Zulegieren von Molybdän oder Wolfram re-
Beim Anlassen, vor allem Chrom-, Chrom- duziert die Anlassversprödung auf ein ver-
Mangan- und Chrom-Nickel-legierter Stäh- nünftiges Maß, ohne sie aber vollständig
le, entsteht im Temperaturbereich um 300 C zu beseitigen.
(300 C-Versprödung) und 500 C (475 C-Ver-
sprödung) häufig ein ausgeprägter Zähig-
keitsabfall, der zusammenfassend Anlass- 2.5.3 Die Austenitumwandlung
im ZTU- und ZTA-Schaubild
150
100
sich gemäß dem thermodynamischen Gleich-
gewicht ergebenden Phasenänderungen. Ei-
50 ne befriedigende Aussage über die Eigen-
schaften der nach einer technischen Wärme-
behandlung mit ihren weit vom Gleichgewicht
0
liegenden Aufheiz- und Abkühlgeschwindig-
650 °C
keiten (z. B. Schweißen, Härten) entstande-
50 nen Umwandlungsgefüge ist also nicht oder
nur ungenau möglich.
100
0 0,01 0,02 0,03 0,04 0,05 % 0,06 0,07 Für eine gezielte Anwendung technischer Wär-
Phosphorgehalt mebehandlungen ist daher eine genaue Kennt-
Bild 2-20 nis der zeit- und temperaturabhängigen Um-
Einfluss des Phosphors auf die Anlassversprödung – wandlungsvorgänge erforderlich. Ähnliches
ermittelt durch Ändern der Tü, Charpy-V-Proben – für
gilt für die austenitisierten Bereiche der Wär-
zwei Anlasstemperaturen bei einem Vergütungsstahl
34CrMo4 mit der mittleren chemischen Zusammen- meeinflusszone von Schweißverbindungen,
setzung: 0,33 % C; 0,20 % Si; £ 0,025 % P; 0,62 % Mn; die extrem hohen »Austenitisierungstempe-
1,09 % Cr; 0,18 % Mo, nach Erhart u. a. raturen« und geringsten Haltedauern ausge-
146 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
setzt waren (Abschn. 4.1.3, S. 310). Die Aus- Die Austenitumwandlung kann je nach der
wirkungen dieser völlig untypischen Wärme- angewendeten Temperatur-Zeit-Führung
behandlungsbedingungen auf die Eigenschaf- eingeleitet werden durch eine
ten der dabei entstehenden Umwandlungs- – kontinuierliche Abkühlung in einem ge-
gefüge sind mit konventionellen Mitteln nur eigneten Abkühlmedium oder durch
schwer nachweisbar. – isothermisches Halten unter der Gleichge-
wichtstemperatur, Bild 1-35.
Für die quantitative Beschreibung des Um-
wandlungsverhaltens muss die temperatur- Daraus ergeben sich je nach Art der in Bild
und zeitabhängige Diffusion des Kohlenstoffs 2-21 dargestellten Temperaturführung für
und der Legierungselemente bekannt sein. die Austenitumwandlung folgende Möglich-
Die Verteilung des Kohlenstoffs in den Gefü- keiten der bildlichen Darstellung:
gebestandteilen ist für ihre Eigenschaften
entscheidend. Die Vorgänge sind aber wegen ZTU-Schaubilder für kontinuierliche
der im festen Zustand bei relativ niedrigen Abkühlung und
Temperaturen ablaufenden (g a)-Umwand-
lung z. T. sehr kompliziert. Die Folge sind ZTU-Schaubilder für isothermische
leicht unterkühlbare Phasenumwandlungen Wärmeführung.
(sie erfolgen deutlich unterhalb der Gleichge-
wichtstemperatur), die zu einer extrem gro- Die bei der Austenitumwandlung auftreten-
ßen Anzahl unterschiedlichster Umwandlungs- den temperatur- und zeitabhängigen Umwand-
gefügen mit unterschiedlichsten mechani- lungspunkte bzw. -temperaturen werden an
schen Eigenschaften führen. Proben mit sehr geringer Masse dilatome-
trisch oder metallografisch festgestellt. Mas-
Wie das Bild 2-14 exemplarisch zeigt, werden searme Proben sind erforderlich, weil in ih-
mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit nen die notwendigen Temperaturänderun-
die Umwandlungstemperaturen des Auste- gen hinreichend rasch erfolgen müssen. Beim
nits zu tieferen Werten verschoben. Übertragen der aus den ZTU-Schaubildern
entnommenen Informationen auf reale tech-
TA nische Wärmebehandlungen von Bauteilen
Ac 3
mit großer Masse muss man diese Tatsache
berücksichtigen.
Temperatur T
Ac1
die meistens nur ungenau feststellbare Ab- keit) aber gering. Im Temperaturbereich
kühlkurve, sondern durch die Abkühlzeit zwi- zwischen 550 C und 650 C ist die Unter-
schen 800 C und 500 C bzw. zwischen Ac3 kühlung ausreichend groß und die Diffu-
und 500 C zu beschreiben. Dieser wichtige sionsbedingungen sind noch günstig. Die
Wert wird t8/5 genannt. Umwandlungszeit des Austenits ist hier
also kleiner als bei jeder anderen Tempe-
Die Diffusionsmöglichkeiten und der Diffu- ratur, siehe z. B. Bild 2-24a.
sionsverlauf der Legierungselemente im Die C-Form der Linien für den Umwand-
Werkstoff bestimmen weitgehend die grundle- lungsbeginn ist damit die Folge der diffu-
gende Form und Aussehen dieser Schaubil- sionsgesteuerten Austenitumwandlung
der. Die Phasenumwandlung ist abhängig und charakteristisch für alle ZTU-Schau-
von der mit der Temperatur zunehmenden bilder.
Beweglichkeit der Atome und der Größe der
Unterkühlung. Die Umwandlungsgeschwin- Man beachte, dass die in den ZTU-Schaubil-
digkeit ist das Ergebnis der gegenläufigen dern enthaltenen Informationen durch eine
Wirkung von Diffusion und der Austenitun- bestimmte Versuchstechnik gewonnen wur-
terkühlung: den. Sie sind daher keine x, y-Darstellungen
– Bei hohen Temperaturen ist die Diffusion bzw. grafische Darstellungen im üblichen
groß, die Umwandlungsneigung ist aber mathematischen Sinn, sondern sie sind das
wegen der geringen Größe der »Triebkraft« Ergebnis der für ihre Ermittlung angewen-
Unterkühlung klein. deten Messvorschrift. Gemäß der in Bild 2-
– Bei niedrigen Temperaturen ist die Um- 21 dargestellten Versuchstechnik sind diese
wandlungsneigung wegen der erhebli- Schaubilder, bzw. die auftretenden Umwand-
chen Unterkühlung zwar sehr groß, die lungsvorgänge, also immer in bestimmter
Atombeweglichkeit ( Diffusionsfähig- Weise zu deuten:
TA
800
Ac3
Ac1
38
700 62
8
A P
600
F 50
500
B
400
Ms
300 40
M
200
100
HV 10 720 U3 350 U2 225 U1
0
1 10 102 103 104 s 105
Zeit t
Die kontinuierliche Abkühlung des Austenits gemäß den eingetragenen Abkühlkurven führt zu den Umwandlungsgefügen:
U1: 38 % Ferrit, 62 % Perlit (ferritisch-perlitischer Stahl), 225 HV 10
U2: 8 % Ferrit, 50 % Perlit, 40 % Bainit, 2 % Martensit, 350 HV 10
U3: Rein martensitisches Gefüge (= 100 % Martensit), 720 HV 10
Bild 2-22
Kontinuierliches ZTU-Schaubild des Vergütungsstahles 41Cr4, nach Atlas zur Wärmebehandlung der Stähle.
148 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
– Das kontinuierliche ZTU-Schaubild, be- unten noch erläutert wird) im weitesten Sinn
ginnend bei TA und ausschließlich entlang nutzen. Die Methode soll an Hand von Bild
der eingetragenen Abkühlkurven, 2-22, das die Austenitumwandlung des Ver-
– das isothermische, beginnend bei TA mit gütungsstahles 41Cr4 für drei Abkühlkur-
möglichst rascher Abkühlung (theore- ven zeigt, exemplarisch erläutert werden:
tisch unendlich schnell!) auf die Untersu- – Die Mengenanteile und Arten der Um-
chungstemperatur T1 und ausschließlich wandlungsgefüge. Am Schnittpunkt der
entlang dieser Isothermen in Richtung Abkühlkurve mit der unteren Grenzlinie
zunehmender Zeiten. des gerade durchlaufenen Gefügeberei-
ches ist die prozentuale Menge dieses Ge-
Jeder andere »Ableseversuch« entspricht nicht füges angegeben.
den Messvorschriften und führt zwangsläu- Beispiel, Abkühlkurve B: Das Umwand-
fig zu falschen Ergebnissen. lungsgefüge besteht aus 8 % Ferrit, 50 %
Perlit, 40 % Bainit und 2 % Martensit (nicht
2.5.3.1 ZTU-Schaubilder für ablesbar, ergibt sich aus der Differenz zu
kontinuierliche Abkühlung 100 %!).
Der Werkstoff wird von der Austenitisie- – Die Härte des Umwandlungsgefüges. Sie
rungstemperatur TA nach Maßgabe bestimm- wird am Ende der Abkühlkurve in HV 10
ter Temperatur-Zeit-Kurven abgekühlt. Das oder HRC angegeben.
kann mit technischen Abkühlmedien [z. B. Beispiel: Das gemäß Kurve B entstehende
Härteölen, Wasser, (Press-)Luft] oder mit Gefüge hat eine Härte von 350 HV 10.
der intensiven Wärmeleitung in der Wärme- – Die Ms-Temperatur, die für die werkstoff-
einflusszone einer Schmelzschweißverbin- gerechte Abschätzung der Vorwärmtem-
dung erfolgen. peratur zum Schweißen herangezogen
werden kann.
Eine Ablesung entlang der eingezeichneten Beispiel: Die Ms-Temperatur des Stahles
Abkühlkurven liefert grundsätzliche Informa- 41Cr4 beträgt etwa 360 °C.
tionen zum Umwandlungsverhalten des Stah- – Die Inkubationszeit ti, d. h. die Zeit der ge-
les. Sie lassen sich für Wärmebehandlungen ringsten Austenitstabilität. Sie ist umge-
(auch für den Schweißprozess, wie weiter kehrt proportional der kritischen Abkühl-
geschwindigkeit vok. Für den im Bild 2-22
Ac3 oder 800 °C dargestellten Vergütungsstahl beträgt die
Inkubationszeit ti O11 s. Die Abkühlkur-
800
A
ve C schneidet gerade noch keinen Um-
Temperatur T
P
°C
wandlungsbereich, sondern »taucht« nur
F
in das Martensitgebiet ein. Dieser Tempe-
500 ratur-Zeit-Verlauf entspricht gerade der
B (oberen) kritischen Abkühlung. Es ent-
Ms steht ein rein martensitisches Gefüge.
– Kp ist die kürzeste Abkühlzeit, oberhalb her früher anschaulich auch als »Zwischen-
der nur Gefüge der Perlitstufe (Ferrit und stufe« bezeichnet). Bainit ist aus diesem
Perlit) gebildet werden. Diese Zeit ist da- Grund (neben Martensit) die typische Ge-
mit der unteren kritischen Abkühlgeschwin- fügeform legierter Stähle.
digkeit umgekehrt proportional.
– Kf ist die längste Abkühlzeit, unterhalb Die Bildfolge 2-24 zeigt schematisch die
der sich kein Ferrit mehr bildet. grundsätzliche Wirkung der Legierungsele-
mente auf den Verlauf der Umwandlungsli-
Die Form der ZTU-Schaubilder (Lage, Art nien und der Art der Umwandlungsgefüge
und Ausdehnung der Gefügefelder), d. h., das an Hand schematischer isothermischer ZTU-
Umwandlungsverhalten ist von allen Fakto- Schaubilder. Mit Hilfe von Darstellungen die-
ren abhängig, die die temperatur- und zeit- ser Art kann das Umwandlungsverhalten be-
abhängige Diffusion des Kohlenstoffs und liebiger Stähle und damit ihr vermutliches
der Legierungselemente beeinflussen. In der Verhalten z. B. bei der »Wärmebehandlung«
Hauptsache sind die folgenden Faktoren zu Schweißen ausreichend genau abgeschätzt
nennen: werden.
– Die Austenitumwandlung wird durch Koh-
lenstoff und Legierungselemente grund- Die Austenitisierungstemperatur TA und die
sätzlich verzögert, d. h. zu längeren Zei- Haltezeit bei TA beeinflussen die Anzahl der
ten und meistens auch zu tieferen Tempe- vorhandenen Keime, d. h. die Korngröße des
raturen verschoben. Die Inkubationszeit Austenits und damit seine Umwandlungsnei-
ti nimmt also zu, d. h. die kritische Ab- gung. Diese Werte sind daher in ZTU-Schau-
kühlgeschwindigkeit nimmt ab. bildern als Referenz anzugeben.
– Die Austenitstabilität wird mit zunehmen-
dem Legierungsgehalt größer. Die Bil- Bild 2-25 zeigt vereinfacht den Einfluss me-
dung von Ferrit und Perlit, die bei hohen tallurgischer und legierungstechnischer Maß-
Temperaturen innerhalb kürzerer Zeiten nahmen (Art und Menge der Legierungsele-
entstehen, wird zu Gunsten des Bainits mente) auf das Umwandlungsverhalten des
zurückgedrängt. Bainit (oberer, unterer, Austenits. Eine sehr genaue Übersicht liefert
körniger) bildet sich bei tieferen Tempe- die Darstellung Bild 2-26. Die ZTU-Schau-
raturen und i. Allg. längeren Zeiten zwi- bilder der zum Schweißen geeigneten Stahl-
schen der Perlit- und Martensitstufe (da- typen sind grau unterlegt.
ti F
Temperatur T
P P P K
F F P P
B B
B
Ms B
M M M M M
Zeit t Zeit t Zeit t Zeit t Zeit t
a) b) c) d) e)
Mit zunehmendem Legierungsgehalt ändert sich das Umwandlungsverhalten des Stahls gemäß den sehr schematischen Umwandlungsschaubildern
a) bis e). Folgende Besonderheiten sind je nach der chemischen Zusammensetzung des Stahles typisch für die Wirkung einer zunehmenden
Legierungsmenge:
Inkubationszeit t i nimmt zu
Bainit und Martensit werden zunehmend bevorzugte, Ferrit und Perlit zurückgedrängte Gefügeformen
M s -Temperatur nimmt ab
Zwischen der Perlit- und Bainitstufe entsteht ein umwandlungsfreier (-träger) Bereich, Teilbild d), e)
Bild 2-24
Allgemeine Wirkung der Legierungselemente auf das Umwandlungsverhalten von Stählen, dargestellt in (iso-
thermischen) ZTU-Schaubildern, sehr vereinfacht. Der Legierungsgehalt nimmt vom Teilbild a) bis e) zu.
150 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
C, Cr, Mn, Ni, Mo, hohe TA, Ferritaus- Während einer Austenitumwandlung mit iso-
scheidung in der Perlitstufe
thermischer Wärmeführung ist im Vergleich
Bainitstufe
zu einer kontinuierlichen Abkühlung bei Ti
die maximal mögliche Unterkühlung sofort,
Niedrige TA (Sondercarbide!), Ver-
schlagen des Austenits oberhalb der d. h. schon zu Beginn der Wärmeführung vor-
Bainitstufe handen ('T TA Ti). Jede Umwandlung bei
Ms einer kontinuierlichen Abkühlung erfolgt al-
C, Mn, Cr, Ni, Mo, V, hohe TA so im Vergleich zur isothermischen Wärme-
Martensit- und Vorausscheidung in der Co, Al
stufe Bainitstufe erniedrigen Ms erhöhen Ms führung abhängig von der Größe der Abkühl-
geschwindigkeit später und in aller Regel bei
Mf
niedrigeren Temperaturen.
Zeit t
2.5.3.3 Möglichkeiten und Grenzen der
Bild 2-25
Wirkung metallurgischer und legierungstechnischer ZTU-Schaubilder
Einflüsse auf die Lage der wichtigsten Umwandlungs- ZTU-Schaubilder beschreiben die Austenit-
linien im ZTU-Schaubild, nach Kroneis. umwandlung bei jedem möglichen Tempe-
Die Pfeilsymbole geben die Richtung an, in der die ratur-Zeit-Verlauf. Sie sind daher für eine
Umwandlungslinien unter der Wirkung des entspre- abschätzende Vorausschau des Werkstoff-
chenden Einflusses verschoben werden. bzw. Umwandlungsverhaltens bei Wärme-
Abschn. 2.5: Die Wärmebehandlung der Stähle 151
behandlungen unverzichtbare Hilfsmittel. – Das ZTU-Schaubild gilt nur für einen be-
Die Genauigkeit der Aussagen hängt von fol- stimmten Stahl. Analysentoleranzen, un-
genden Faktoren ab: terschiedliche thermische und gefügemä-
Schaubild-Typ X1 Y1 Z1
M M M
0 0 0
Temperatur T
X2 Y2 Z2
Temperatur T
F P B
400 400 400
B B
M M
M
0 0 0
1 10 102 103 104 105 s
Zeit t Y3 Z3
800 800
A A
F P P
°C °C
B
400 400
M B
M
0 0
1 10 102 103 104 105 s
Zeit t Z4
800
A P
° C
400
B
M
0
1 10 102 103 104 105 s
Zeit t
0,57% C Z2
Z2
Y2
0,75 % C bis 0,2 % C X2 0,31% C
0,25% C Z3 Z4
Y3
Bild 2-26
Charakteristische Grundformen isothermischer ZTU-Schaubilder, dargestellt für unterschiedliche Wirksum-
men L der Legierungselemente, vereinfacht nach Peter und Finkler. Die ZTU-Schaubilder der schweißgeeigneten
Stähle (C £ 0,2 %) und die Felder ihrer Wirksummen sind grau unterlegt.
152 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
TA
800 Ac3
Ac1
700
A F P F P
600
B
➊ ➋ ➌
500
B
Härte
400 Ms
M B
300
200
M
100
0
1 10 102 103 s 104 0 20 40 60 80 % 100
Zeit t Gefügeanteil
6s 100 s 7000 s
a) b)
Bild 2-27
ZTU-Schaubild des Stahles 41Cr4 für isothermische Wärmeführung, nach Atlas zur Wärmebehandlung der
Stähle. Siehe auch das kontinuierliche ZTU-Schaubild des gleichen Stahls, Bild 2-22.
a) ZTU-Schaubild,
b) Gefügemengenkurven.
Abschn. 2.5: Die Wärmebehandlung der Stähle 153
P
600
F
A
tens des Stahles und die Ausarbeitung ei-
B ner erfolgversprechende Schweißtechno-
400 Ms
logie. Diese quantitativ kaum beschreib-
M
baren Informationen sind für den kundi-
200 gen Anwender von großer Bedeutung und
mit anderen Hilfsmitteln nur schwer be-
0
HV 10 720 350
schaffbar.
1 10 10 2 10 3 s 10 4 – Die aus den genannten Gründen nicht
Zeit t
sehr zuverlässig bestimmbaren Gefügear-
t 8/5.Rand = 6 s t 8/5.Kern = 200 s
a)
ten und -mengen sowie die zu erwartende
Höchsthärte in der WEZ geben trotzdem
R verwertbare Hinweise auf eine erfolgver-
600 200 sprechende Schweißtechnologie.
HV 10
– Die Aufhärtbarkeit und Einhärtbarkeit,
Härte HV 10
s
400
K 100 d. h., einige für das Schweißverhalten ent-
200
Das austenitisierte Rundmaterial
wird gleichmäßig abgekühlt. Die
scheidende Eigenschaften lassen sich aus
der Martensithärte und der Inkubations-
t 8/5
unterschiedlichen Abkühlzeiten
0 0 (t8/5.Rand = 6 s, t8/5.Kern = 200 s) zeit ti bzw. der Zeit Km recht zuverlässig
führen zu folgenden sehr unter-
schiedlichen Härten in den Rand- abschätzen.
(R) und Kernbereichen (K): – Die Ms-Temperatur ist bei Stählen mit ei-
R = Randhärte (720 HV 10)
ner bestimmten Zusammensetzung [hö-
K = Kernhärte (350 HV 10) hergekohlte und (oder) höherlegierte Stäh-
b)
le] als werkstofflich begründete Vorwärm-
Bild 2-28 temperatur eine sehr geeignete Größe (Ab-
Einfluss unterschiedlicher Abkühlzeiten t8/5 im Rand- schn. 4.1.3.3, S. 327).
(t8/5. Rand ) und Kernbereich (t8/5. Kern ) dickwandiger Bau-
teile auf die Härte der Umwandlungsgefüge (b), darge-
stellt an Hand des kontinuierlichen ZTU-Schaubilds Mit diesen Informationen lassen sich einige
eines Vergütungsstahls 41Cr4 (a), s. Bild 2-22, S. 147, schweißmetallurgische Probleme bei Stäh-
schematisch. len erkennen und lösen, die
154 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
Isothermisches Schweißen
Risssicherheit und ausreichende Zähigkeit
Tmax
der WEZ sind für die Bauteilsicherheit ent-
scheidende Eigenschaften. In den meisten
Fällen ist die Entstehung rissanfälliger und
TA Ac 3 (oder) spröder Zonen durch ein Vorwärmen
Ac 3
Ac 1 der Fügeteile vermeidbar. Die Wirksamkeit
F dieses Verfahrens besteht in der Verringe-
10
15
P rung der Abkühlgeschwindigkeit. Mit Hilfe
der ZTU-Schaubilder lassen sich die zu ergrei-
Temperatur T
B
fenden Maßnahmen aber sehr viel einfacher
tH
M
60
erkennen.
HRC 35
a)
Zeit t
b)
Umwandlungszeit log t Bild 2-30 zeigt das kontinuierliche ZTU-
Schaubild eines schlecht schweißgeeigneten
Aufheizen Abkühlen
Vergütungsstahles. Ein Schweißen ohne Vor-
GW ® g g ® U wärmung (Abkühlkurve 1) erzeugt ein nahe-
Temperatur T
Temperatur T
– Das Gefüge der Wärmeeinflusszone be- austenitisierte Werkstoff kann die entstehen-
steht nach der Umwandlung (etwa 10 bis den Schweißeigenspannungen durch Verfor-
12 min, Zeit tz in Bild 2-30) vollständig men abbauen und damit die Rissneigung er-
aus dem wesentlich besser verformbaren heblich verringern. Bei Verwendung artglei-
und weniger rissanfälligen Bainit. cher (!) Zusatzwerkstoffe ist das Werkstück
nach dem Abkühlen oder einem erneuten Aus-
Stufenhärtungsschweißen tenitisieren mit anschließendem Härten und
Dieses Verfahren wurde zum Schweißen der Vergüten rissfrei und vorschriftsmäßig wär-
extrem schlecht schweißgeeigneten Werk- mebehandelt.
zeug- und Vergütungsstähle entwickelt. Es
setzt allerdings ein spezielles Umwandlungs- 2.5.3.5 ZTA-Schaubilder
verhalten des Austenits voraus, das aus Bild Ähnlich wie die Art der Abkühlung beein-
2-24d erkennbar ist. Die für diese Technolo- flusst auch der Temperatur-Zeit-Verlauf beim
gie entscheidende Voraussetzung ist die Exis- Aufheizen des Stahles den Ablauf und das
tenz eines umwandlungsfreien Bereichs zwi- Ergebnis der Austenitbildung. Die dabei statt-
schen der Perlit- und der Bainitstufe. Wäh- findenden werkstofflichen Änderungen las-
rend des Aufenthaltes in der umwandlungs- sen sich in den Zeit-Temperatur-Austeniti-
trägen Zone kann verhältnismäßig sicher ge- sierungs-Schaubildern (ZTA) sehr anschau-
schweißt werden. lich beschreiben.
Das auf Härtetemperatur erwärmte Werk- Die daraus ableitbaren Informationen las-
stück wird auf die etwa zwischen 500 C und sen sich in folgenden Teilschaubildern dar-
550 C liegende Stufentemperatur abgekühlt stellen:
und während der gesamten Schweißdauer – ZTA-Schaubilder, sie zeigen in Abhängig-
bei dieser Temperatur gehalten. Der zähe, keit von der Aufheizgeschwindigkeit bzw.
der Haltezeit die Eigenschaften des Aus-
900 tenits (z. B. Korngröße, Grad der Homo-
° C genität) und den Verlauf der Austenitauf-
lösung;
Temperatur T
800
F
– ZTA-Kornwachstum-Schaubild;
P
700 – ZTA-Abschreckhärte-Schaubild;
Ac3
– ZTA-Martensitbeginn-Schaubild;
600 – ZTA-Carbidauflösung-Schaubild.
g WEZ ®
500
U
Die Austenitauflösung wird vor allem durch
Carbide – besonders wenn sie kohlenstoffaf-
Tp = 380 ° C
B fine Legierungselemente enthalten – stark
400
Tp verzögert. Die gewünschte Homogenität des
Ms Austenits, d. h., die gleichmäßige Verteilung
300
des Kohlenstoffs und der Legierungselemen-
te in den geseigerten Bereichen lässt sich
200 demnach erst nach sehr langer Haltedauer
erreichen. Häufig sind die hierfür erforder-
100 lichen Zeiten so groß, dass nicht der metall-
M 1 2 3 kundlich homogene, sondern nur der tech-
0 nisch homogene Austenit erreichbar ist.
1 10 102 t z 10
3
104 s 105
Zeit t
Außer der chemischen Zusammensetzung
Bild 2-30
bestimmt auch das Ausgangsgefüge und des-
Einfluss der Vorwärmtemperatur Tp auf die Art des
Umwandlungsgefüges in der WEZ beim isothermi- sen Korngröße das Austenitisierungsverhal-
schen Schweißen eines Vergütungsstahles mit 0,25 % ten. Ein Ungleichgewichtsgefüge (Martensit,
Kohlenstoff und 5 % Chrom, nach Cabelka. Bainit) wandelt bei sonst gleichen Bedin-
156 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
gungen schneller und bei niedrigeren Tempe- dern zusätzlich zu den mit A gekennzeich-
raturen in Austenit um als ein gleichgewichts- neten Umwandlungstemperaturen weitere
nahes. Die im Ungleichgewichtsgefüge ge- mit dem Index »c« (c chauffage; Erwärmen,
speicherte höhere Energie ist Ursache und siehe Fußnote 19, S. 134) gekennzeichnete
treibende »Kraft« dieser beschleunigten Aus- verwendet:
tenitauflösung. Ac1b Temperatur, bei der die Bildung des
Austenits beginnt (es liegt noch 1 %
Die Austenitbildung während des Erwärmens Austenit vor).
lässt sich durch eine kontinuierliche oder iso- Ac1e Temperatur, bei der die Bildung des
thermische Temperaturführung erreichen. Austenits endet (es liegen noch 1 %
Daraus ergeben sich die folgenden Typen der Carbide vor).
ZTA-Schaubilder: Accm Temperatur, bei der die Auflösung des
Zementits im Austenit übereutektoi-
Kontinuierliche ZTA-Schaubilder, der Stähle endet.
sie beschreiben die Wirkung unterschied- Acc Temperatur, bei der die Auflösung von
licher Aufheizgeschwindigkeiten auf die Carbiden im Austenit legierter Stäh-
Vorgänge während der Austenitbildung le endet.
(z. B. Schweißen, Randschichtkurzzeit-
härten, Induktionshärtung). Der sich nach Einstellung des thermodyna-
mischen Gleichgewichts ergebende Existenz-
Isothermische ZTA-Schaubilder, bereich des Austenits wird durch das Eisen-
sie sind für Wärmebehandlungen wesent- Kohlenstoff-Schaubild dargestellt, Bild 2-9.
lich wichtiger. Mit ihnen ist die zeitabhän- Dieses Schaubild wird mit Proben ermittelt,
gige Austenitbildung bei einer konstan- die »unendlich langsam« (etwa 3 K/min) auf
ten (isothermischen) Erwärmungstempe- die Solltemperatur erwärmt werden.
ratur darstellbar.
Isothermische ZTA-Schaubilder
Nach dem Eisen-Stahl-Prüfblatt 1680 wer- In rasch auf die Untersuchungstemperatur
den in diesen Ungleichgewichts-Schaubil- aufgeheizten Proben (vAuf O 130 K/s) wird der
Ablauf der Austenitbildung abhängig von der
1000
720 HV 760 HV
Haltezeit im Austenitbereich festgestellt. Bild
°C 2-31 zeigt das isothermische ZTA-Schaubild
950
700 HV
eines Stahles C45E (Ck 45). Im Bereich des
Temperatur T
10 000 s bildende homogene Austenit hat den Die Umwandlungspunkte werden mit zuneh-
maximalen Gehalt an gelöstem Kohlenstoff mender Aufheizgeschwindigkeit vAuf zu höhe-
und daher auch die maximal mögliche Här- ren Temperaturen verschoben, weil sich nach
te von 760 HV. den Diffusionsgesetzen eine geringe Zeit nur
durch eine erhöhte Temperatur ausgleichen
Bei technischen Wärmebehandlungen wird lässt. In dem z. B. mit vAuf 100 K/s aufgeheiz-
daher wegen der gleichmäßigen Verteilung ten Wälzlagerstahl 100Cr6 beginnt über 790 C
der Legierungselemente d. h. der größeren die Austenitbildung und ist bei etwa 870 C
Gleichmäßigkeit des Gefüges und damit der abgeschlossen. Die höchste Härte von etwa
mechanischen Eigenschaften in den meisten 900 HV ergibt sich nach einem Austenitisie-
Fällen ein homogener Austenit angestrebt. ren bei ungefähr 980 C. Das Gefüge besteht
Die Austenitisierungsbedingungen müssen aus Martensit und eingelagerten Carbiden.
allerdings so gewählt werden, dass es nicht
zu der sehr unerwünschten Vergröberung Der unerwünschten Vergröberung des Aus-
des Kornes kommt. Das wird mit ZTU-Schau- tenitkorns bzw. der Korngröße des Umwand-
bildern erreicht, in denen Linien gleicher lungsgefüges kann wirksam durch Begren-
Korngröße eingetragen sind. Mit diesen Anga- zen der Austenitisierungstemperatur, vor al-
ben lassen sich Wärmebehandlungsparame- lem aber mit Hilfe nicht gelöster Partikel in
ter wählen, mit denen eine gewünschte Auste- der Matrix (z. B. Carbide, Nitride), begegnet
nitkorngröße sicher einstellbar ist. werden.
Kontinuierliche ZTA-Schaubilder
Die von der im Allgemeinen großen Aufheiz- 2.6 Festigkeitserhöhung
geschwindigkeit abhängigen werkstofflichen metallischer Werkstoffe
Vorgänge bei der Austenitumwandlung sind
z. B. bei der Induktionshärtung und bei den 2.6.1 Prinzip der
meisten Schweißprozessen von Bedeutung, Festigkeitserhöhung
Bild 2-32.
Für das Verständnis der Wirkungsweise der
Aufheizgeschwindigkeit vAuf (K /s):
festigkeitserhöhenden Mechanismen sind
2400 1000 300 100 30 10 3 1 0,22
1300 Kenntnisse der metallphysikalischen Vor-
°C Acc gänge während der plastischen Verformung
1200 und deren Auswirkungen auf die Werkstoff-
Temperatur T
Die Versetzungen müssen blockiert bzw. ihre 2.6.2 Abschätzen der maximalen
Bewegung erschwert werden. Hierfür ste- Festigkeit
hen eine Reihe unterschiedlich geeigneter
Methoden zur Verfügung: 2.6.2.1 Theoretische Schubfestigkeit
Die zum plastischen Verformen eines idea-
Kaltverfestigung: len Gitters erforderliche kritische Schubspan-
Die Versetzungsdichte wird erhöht: Ver- nung tmax kann angenähert aus den Bindungs-
setzungshärtung. kräften der Atome im Gitter berechnet wer-
Mischkristallverfestigung: den. Bild 2-33 zeigt schematisch die geomet-
Die Versetzungsbewegung wird durch ge- rischen Einzelheiten der Ermittlung.
löste Atome erschwert.
Ausscheidungshärtung: Das Verschieben der Atomebene I über II
Die Versetzungsbewegung wird durch erfordert die Schubspannung t, deren Ver-
Teilchen erschwert: Teilchenhärtung. lauf in erster Näherung sinusförmig ange-
Korngrenzenhärtung: nommen werden kann 20).
Die Versetzungsbewegung wird durch die
x 2π x
Hindernisse »Korngrenzen« erschwert. t = G ◊g O G ◊ O t max ◊ . [2-5]
Martensithärtung: b a
Die Versetzungsbewegung wird durch Nach dem Hookeschen Gesetz gilt weiter-
übersättigte Mischkristalle und hohe Ver- hin:
setzungsdichte erschwert: Versetzungshär-
tung und Mischkristallverfestigung. 2π x 2π x
t = t max ◊ sin O t max ◊ . [2-6]
Thermomechanische Behandlung: a a
Die Versetzungsbewegung wird durch die
a
Ausscheidungs- und Versetzungshärtung Mit b = ◊ 3 folgt aus Gl. [2-5]:
erschwert. 2
G a G 1 G G
t max = ◊ = ◊ O ... . [2-7]
Die technische Nutzung der hier vorgestell- 2π b π 3 8 10
ten festigkeitssteigernden Methoden wird
durch deren additive Wirkung (d. h. die ge- Für Eisen-Einkristalle ergibt sich z. B. da-
samte Festigkeitssteigerung ist die Summe raus mit G 118 000 N/mm2 in der [111]-
der einzelnen beteiligten festigkeitserhöhen- Richtung:
den Mechanismen!) sehr erleichtert.
t max O 12 000 N/mm2 bis 14 500 N/mm2 ,
Bild 2-33
Zur Ableitung der theoretischen (maximalen) Schub-
festigkeit eines idealen Gitters.
20)
Um das Atom 1 (Bild 2-33) der Atomebene I in Bild 2-34
den Zustand 1’ zu bringen, muss die Schubspan- Abhängigkeit der Spannung s von der Verschiebung
nung t den skizzierten annähernd sinusförmigen z bei Änderung des Abstandes zwischen zwei Atomen,
Verlauf haben. nach Dieter, s. a. Bild 1-3a, S. 4.
Abschn. 2.6: Festigkeitserhöhung metallischer Werkstoffe 159
während bei realen (technischen) Eisenwerk- Daraus ergibt sich mit Gl. [2-10] die theoreti-
stoffen Werte von etwa 20 N/mm2 gemessen sche Kohäsionsfestigkeit der Metalle ange-
werden. Man erkennt, dass die theoretische nähert zu:
Schubspannung etwa um den Faktor 100 bis E ◊g
1000 größer ist als die gemessene, d. h. die smax = . [2-12]
tatsächlich vorhandene. Diese erhebliche Ab- a
weichung von den theoretischen Voraussagen Für Eisen- bzw. Stahlwerkstoffe ergibt sich
lässt sich mit der Anwesenheit bestimmter z. B. smax mit E 21¹106 N/cm2, a 3¹108 cm
Gitterstörstellen – hauptsächlich Versetzun- und g 102 N/cm ein Wert von smax O E/8.
gen – und verschiedener rissähnlicher De-
fekte in realen Metallen erklären. Als grober Schätzwert wird für Metalle ge-
wöhnlich angenommen:
2.6.2.2 Theoretische Kohäsionsfestigkeit E
Der Gleichgewichtsabstand zwischen zwei smax O . [2-13]
Atomen a lässt sich durch Aufbringen einer 10
äußeren Spannung s vergrößern, Bild 2-34.
Die Form und Aussehen der Kurve ist das
Ergebnis der anziehenden und abstoßenden 2.6.3 Methoden zum Erhöhen der
Kräfte zwischen den Atomen, Bild 1-3, S. 4. Festigkeit
Die Atombindung wird bei Erreichen der the-
oretischen Kohäsionsfestigkeit smax zerstört. 2.6.3.1 Kaltverfestigung
Eine weitere Vergrößerung der Verschiebung Im weichgeglühten Zustand beträgt die Ver-
z bzw. x führt dann zu einer Abnahme der setzungsdichte (das ist die Gesamtlänge der
Spannung. Versetzungslinien in jedem cm3 Werkstoff)
106 cm/cm3 bis 108 cm/cm3. Je nach dem Grad
Die theoretische s-z-Kurve lässt sich ange- der Kaltverformung erhöht sich die Verset-
nähert in Form einer Sinusfunktion darstel- zungsdichte auf 1010 cm/cm3 bis 1012 cm/cm3
len. Für hinreichend kleine Verschiebungen (Abschn. 1.3.3, S. 18, Verfestigung). Die Fol-
x z - a, d. h. sin x O x, gilt dann: ge der steigenden Versetzungsdichte ist eine
zunehmende Behinderung der Versetzungs-
2π x 2π x
s = smax ◊ sin O smax ◊ . [2-8] bewegung, d. h., die für eine plastische Verfor-
l l mung erforderliche Schubspannung nimmt
Nach dem Hookeschen Gesetz ist: ständig zu. Die Festigkeit und Härte steigen
x (Kaltverfestigung!), und die Verformungs-
s = E◊e = E◊ . [2-9] bzw. Zähigkeitskennwerte nehmen erheblich
a ab, Bild 2-35.
Daraus ergibt sich smax zu:
Rm
s ◊l E◊l
smax = = . [2-10]
2π x 2πa
Kerbschlagarbeit K
Zugfestigkeit R m
Diese Methode wird üblicherweise für NE- verteilt, sondern es entstehen praktisch im-
Metalle angewendet, bei Stahl ist sie wegen mer bestimmte »nicht zufällige« Atomanord-
der damit verbundenen erheblichen Abnahme nungen (Abschn. 1.6):
der (Schlag-)Zähigkeit weniger gebräuchlich. – Die Atome liegen gehäuft und geordnet
Außerdem wird beim Schweißen der über die bzw. gehäuft und ungeordnet in bestimm-
Rekristallisationstemperatur erwärmte Be- ten Gitterbereichen vor: Zonenbildung
reich der Wärmeeinflusszone durch Rekris- oder einphasige Entmischung mit geord-
tallisationsvorgänge entfestigt. Die Ent- neter Konzentration der gelösten Atome
festigung nimmt mit der Höhe der Kaltver- oder Clusterbildung mit ungeordneter
formung, der Glühtemperatur und der Ver- Konzentration der gelösten Atome. Die-
weilzeit zu, beim Schweißen mit der Größe se Form der Atomanordnung findet man
des Wärmeeinbringens Q und der Vorwärm- vorwiegend als Vorausscheidungszustän-
temperatur Tp. de bei der Ausscheidungshärtung nach
einer thermischen Aktivierung.
2.6.3.2 Mischkristallverfestigung – Zwischen ungleichen Atomen (A-B) wirken
In Mischkristallen sind wegen der unter- stärkere anziehende Kräfte als zwischen
schiedlichen Größe der Matrixatome und der den gleichartigen (A-A, B-B). Es entsteht
gelösten Atome Gitterverspannungen vorhan- die geordnete Atomanordnung, die Über-
den. Sie sind eine Ursache für die höhere Fes- struktur (Fernordnung).
tigkeit und Härte legierter Werkstoffe im – Die Atomart A wird bevorzugt von B-Ato-
Vergleich zu legierungsfreien d. h. »reinen« men umgeben, das ist die Nahordnung
Metallen. Bei Annahme einer völlig statisti- (short range order).
schen Verteilung der gelösten Atome in der – Die Atome lösen sich bevorzugt an Ver-
Matrix werden Versetzungen von den Span- setzungen, Korngrenzen und anderen Git-
nungsfeldern gleich oft angezogen wie abgesto- terstörstellen.
ßen. In erster Näherung wird die für die Ver-
setzungsbewegung erforderliche Schubspan- Nach Cottrell kann damit die Mischkristall-
nung also nicht erhöht. Die Festigkeitszunah- verfestigung durch die Wechselwirkung ge-
me durch gelöste Atome wäre bei alleiniger löster Atome in Form von »Wolken« mit Ver-
Wirkung des Größenunterschiedes der Ato- setzungen beschrieben werden. Die in den
me und ihrer gleichmäßigen Verteilung in Versetzungskernen angehäuften Atome er-
der Matrix nicht zutreffend beschreibbar, schweren die Versetzungsbewegung erheb-
Bild 2-36. Tatsächlich sind aber die gelösten lich, weil zum Losreißen der Versetzung von
Atome nicht statistisch regellos im Gitter den sie umgebenden »Atomwolken« große
Schubspannungen erforderlich sind. Diese
Vorgänge sind im übrigen auch die Ursache
der ausgeprägten Streckgrenze, eine bei un-
legierten niedriggekohlten Stählen charak-
teristische Erscheinung. Das Losreißen der
Atomwolken (Kohlenstoff- und Stickstoff-
atome) von den Versetzungen führt bei Zug-
versuchen zu Kraft-Verlängerungs-Schau-
bildern, die den typischen diskontinuierli-
chen Verlauf im Bereich der Streckgrenze
zeigen.
Die Gitterparameter der kohärenten Ausschei- größer als bei jeder anderen Ausscheidungs-
dungen weichen nur wenig vom Matrixgitter form, wie die Bilder 2-37c, 2-37f und 2-38a
ab. Dieses kann daher geometrisch nahezu anschaulich zeigen.
vollkommen in das Gitter der Ausscheidung
übergehen; die Phasengrenzen sind kohärent. Das Maß der Festigkeitssteigerung bei der
Ihre räumliche Ausdehnung ist in der Regel Ausscheidungshärtung hängt ab von:
sehr viel größer als die der Zonen. Die resul- – der Teilchenfestigkeit,
tierende Gitterverspannung und damit auch – dem (mittleren) Teilchenabstand l und
die mögliche Festigkeitssteigerung ist daher – der Teilchengröße.
Bild 2-37
Möglichkeiten beim Auslagern ausscheidungshärtbarer Legierungen, die mit B-Atomen übersättigt sind.
a) und b) Vorausscheidungszustände: Guinier-Preston-Zonen,
a) ungeordnete Konzentration von B-Atomen: Cluster,
b) geordnete Konzentration von B-Atomen: Zonen,
c) kohärente Ausscheidung,
d) inkohärente Ausscheidung,
e) Struktur der Phasengrenzen,
f) Darstellung der von den Phasengrenzen ausgehenden Verzerrungsfelder in der Matrix.
Abschn. 2.6: Festigkeitserhöhung metallischer Werkstoffe 163
tc
t = konst. ◊ = konst. ◊ . [2-14] Grobgleitung.
l 2◊ R Dadurch Gefahr der Mikroriss-
bildung durch große Gleitstu-
Eine ausscheidungshärtende Legierung ent- fe an der Oberfläche.
hält meistens nur eine geringe Menge gelös- a)
ter Atome, mit denen eine große Anzahl kleins-
ter Teilchen oder wenige große Partikel er- Beim Orowan-Mechanismus
verringern die die Teilchen um-
zeugt werden können. Abhängig von der Grö- gebenden Versetzungsringe
ße und dem mittleren Abstand der Teilchen den wirksamen Teilchenab-
stand l auf l ’. Der Bewegung
l lassen sich folgende Fälle unterscheiden, nachfolgender Versetzungen
Bild 2-39, s. a. Bild 2-38: wird daher zunehmender Wi-
l’ derstand entgegengesetzt. Bei
weiterer Plastifizierung wird ei -
Feinstverteilte Teilchen, ( l A R ). ne größere Anzahl benachbar-
Die von den sehr kleinen Teilchen bzw. Ato- R
ter Gleitebenen aktiviert:
Große Teilchen, ( l S R ).
Eine weitere Erhöhung der Auslagerungs-
temperatur ermöglicht die Bildung größe-
rer Teilchen durch Koagulieren kleinerer
(Überaltern). Die für die Wirkung entschei-
dende Größe der Ausscheidungen und ihr
mittlerer Abstand nehmen dadurch rasch
zu. Zwischen den Teilchen und der Matrix
bildet sich eine normale (Großwinkel-)Korn-
grenze. Die Folge der Koagulation der Teil-
chen ist ein erheblicher Festigkeitsabfall,
oft verbunden mit einer starken Zähigkeits-
abnahme. Das Auftreten inkohärenter Aus- Bild 2-39
scheidungen wird gewöhnlich als die Gren- Versetzungsbewegung in Bereichen mit Hindernissen
ze zwischen dem Kalt- und dem Warmaus- unterschiedlicher Größe und Verteilung.
lagern 21) angesehen. a) Sehr kleine Teilchen bzw. gelöste Atome, l << R,
b) optimaler Ausscheidungszustand (kohärente Berei-
che, Schneidemechanismus), l OR. Die grau ange-
Die Teilchen sind groß und ihre Anzahl
legten Bereiche stellen die Spannungsfelder (Kohä-
ist klein, d. h., die Versetzungen umge- renzspannungen) der Ausscheidungen dar.
hen sie (Orowan-Mechanismus). Diesen c) Ausscheidungen größer als optimal, l >> R (Oro-
Teilchenzustand bezeichnet man auch als wan-Mechanismus).
Abschn. 2.6: Festigkeitserhöhung metallischer Werkstoffe 165
2.6.3.4 Korngrenzenhärtung Die Höhe der Gitterspannung ist von der Men-
Korngrenzen behindern die Versetzungsbe- ge des gelösten Kohlenstoffs und der Legie-
wegung. Die Versetzungen laufen solange rungselemente abhängig. Sie bestimmt die
an den Korngrenzen auf, bis sie sich im Nach- Härte des Martensits und seine Rissneigung.
barkorn weiter ausbreiten können. Meistens Ein höhergekohlter Stahl (C 0,25 %) ist sehr
wird in polykristallinen Gefügen Mehrfach- rissempfindlich. Die Rissentstehung muss
gleiten erzwungen, wodurch das Gefüge in daher beim Schweißen durch entsprechen-
hohem Maß spannungsverfestigt wird. Ne- de Maßnahmen vermieden werden. Die wirk-
ben der verfestigenden Wirkung dämpfen die samste Methode ist ein ausreichend hohes
Korngrenzen durch die vielfache Um- und Ab- Vorwärmen der Fügeteile (Abschn. 4.1.3.3, S.
lenkung der Gleitebenen die dem Werkstück 327). Niedriggekohlter Martensit (C
0,2 %)
zugeführte Schlagenergie sehr stark, Bild 1- ist dagegen relativ wenig verspannt, seine
23, S. 21. Diese Tatsache ist die wichtigste Rissneigung ist daher bemerkenswert ge-
Ursache für die hervorragende Schlagzähig- ring. Außerdem liegt der Kohlenstoff – der
keit der Feinkornbaustähle. Bild 2-40 zeigt »Träger« der Festigkeit – nicht in Form gro-
sehr vereinfacht das Verhalten metallischer ber, harter Zementitlamellen, sondern atomar
Werkstoffe bei einer schlagartigen Beanspru- vor. Er wird durch die immer erforderliche
chung. Anlassbehandlung in Form feinster Carbide
ausgeschieden. Dieses durch Feinstausschei-
Diese Methode ist eine der wirksamsten und dungen in der krz Matrix gekennzeichnete
wirtschaftlichsten zum Erhöhen der Festig- Gefüge besitzt eine sehr große Sprödbruch-
keit metallischer Werkstoffe. Korngrenzen sicherheit (Abschn. 3.4, S. 261).
sind ähnlich wie andere Gitterbaufehler (Zwil-
linge, Versetzungen, Leerstellen usw.) Berei- Bild 1-43 (S. 37) zeigt den Einfluss des Kohlen-
che mit erheblichen geometrischen Fehlanpas- stoffgehalts auf die Martensithärte. Danach
sungen des Gitters. Ihre Oberflächenenergie kann selbst bei schweißgeeigneten unlegier-
(Abschn. 1.2, S. 2) ist wegen der extrem gro- ten Stählen mit C
0,2 % im schmelzgrenzen-
ßen Fehlanpassung daher von allen Gitterbau- nahen Bereich der WEZ Martensit eine »unzu-
fehlern am größten. lässige« Härte von etwa 500 HV entstehen,
wenn die sehr große kritische Abkühlgeschwin-
2.6.3.5 Martensithärtung digkeit dieser Stähle überschritten wird. Das
Durch Abschrecken mit der von der chemi- ist bei halbwegs qualifizierten Fertigungsbe-
schen Zusammensetzung des Stahles abhän- dingungen aber nahezu ausgeschlossen.
gigen kritischen Abkühlgeschwindigkeit ent-
steht aus dem Austenit durch einen diffusions-
losen Umwandlungsvorgang das Ungleichge-
wichtsgefüge Martensit (Abschn. 1.4.2.2, S.
34). Der im trz Gitter zwangsgelöste Kohlen-
stoff und die Verformungen zum Erhalten der
Gitterform (Gleitung, Zwillingsbildung) füh-
ren zu großen Gitterverspannungen, die die
augenscheinlichste Ursache für die z. T. ext-
reme Festigkeit dieser Gefügeform sind.
Bei schlagartiger Beanspruchung ist bei Stählen mit einem Gefüge aus:
Grobkorn: Verformungsgeschwindigkeit geringer
Dämpfung der Schlagenergie geringer
Feinkorn: Verformungsgeschwindigkeit größer
21) Dämpfung der Schlagenergie größer
Die anschaulichen, aber irreführenden Bezeich-
nungen »Kaltauslagern« und »Warmauslagern« Bild 2-40
sollten durch die metallphysikalisch korrekten Verhalten metallischer Werkstoffe mit unterschiedli-
Begriffe »Ausscheidung durch Teilchen mit ko- cher Korngröße bei schlagartiger Beanspruchung.
härenten bzw. inkohärenten Phasengrenzen« er- Man beachte die deutliche Überlegenheit feinkörni-
setzt werden. ger Werkstoffe.
Verformung Thermomechanische Behandlung mit Umwandlung in der Charakteristische Anwendungsbeispiele
166
Perlitstufe Bainitstufe Martensitstufe
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.2.1: (Kontrolliertes Walzen), Warmverformen unter TRk erzeugt verfestigten
T TRk
A3 T T Austenit, der in extrem feinstreifiges perlitisch - ferritisches Gefüge umwan-
A1 delt. In ähnlicher Weise kann die Austenitumwandlung im Bainitgebiet er-
zwungen werden, wodurch ebenfalls das Gefüge feiner wird und damit
eine Verbesserung der mechanischen Gütewerte eintritt (1.2.2). Zu dieser
Tu > TRk
Wärmebehandlung rechnet man auch das in der Praxis wichtige normali-
sierende Walzen, mit dem mechanische Eigenschaften erreichbar sind, die
lg t einem Normalglühen gleichwertig sind.
lg t lg t
1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.3: (Hochtemperatur-TMB), durch Rekristallisieren (Tu < TRk ) des Gefüges ent-
T T T steht nach einem Umformen bei höheren Temperaturen (< 1100 ° C) ein
stabilen Gebiet
feines Austenitkorn und eine starke Verfestigung nach Endwalzen bei 800
bis 850 ° C. Nach Abschrecken entsteht sehr feines, zähes martensitisches
Gefüge.
Tu < TRk
lg t lg t lg t
Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
1.3.1 1.3.2 1.3.3 1.3.2: Eine Warmumformung im Temperaturbereich des metastabilen Austenits
metastabilen
Gebiet
Eigenschaft ist nur bei (höher-)legierten Stählen vorhanden.
lg t lg t lg t
2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.1: Findet die Umformung während der Umwandlung statt, dann wird der
T T T Umwandlungsprozess als Isoforming bezeichnet, insbesondere, wenn fer-
ritisch - perlitische Umwandlungsgefüge entstehen. Das sehr feine ferritische
Gefüge mit eingeformten Carbiden bildet sich hier durch die umwand-
lungsbeschleunigende Wirkung der Verformung(senergie).
während der
Phasen-
umwandlung
2.1.3: Austenitische und halbaustenitische Stähle werden bei T < Md verformt
lg t lg t lg t (Zerorolling). Die örtliche Verfestigung wird sofort durch den entstehenden
sehr feinen Martensit abgebaut, eine lokale Einschnürung entsteht daher
3.1.1 3.1.2 3.1.3 nicht. Die gleichmäßig über den Querschnitt verteilte Dehnung hat auch
T T T eine höhere Gleichmaßdehnung zur Folge. Dieses Verfahren ist die me-
tallphysikalische Grundlage der TRIP - Stähle (= Tr ansformation i nduced
p lasticity). Hier wird der Stahl bei T > Md verformt (= Ausforming) und auf
Raumtemperatur abgeschreckt. Das nun austenitisch-martensitische Gefü-
ge besitzt eine größere Gleichmaßdehnung und ist zusätzlich verfestigt.
nach der
Phasen-
umwandlung
lg t lg t lg t
Bild 2-41
Zur Klassifikation thermomechanischer Behandlungen, Tu = Umformtemperatur, TRk = Rekristallisationstemperatur, nach Dahl u. a.
Abschn. 2.7: Unlegierte und (niedrig-)legierte Stähle 167
chen Eigenschaften nicht, oder nur in unzu- Zusammenhänge lassen sich aus den ZTU-
reichendem Umfang verfügen, z. B.: Schaubildern entnehmen (s. Abschn. 2.5.3.1).
– Korrosionsbeständigkeit, Bild 2-26 zeigt z. B. den Einfluss der Legie-
– Zunderbeständigkeit, rungselemente auf das Umwandlungsgesche-
– Dauerstandfestigkeit, hen des Austenits. Das skizzierte Verhalten
– Schneidfähigkeit bei hohen Temperatu- beruht im Wesentlichen auf der Verringerung
ren. bzw. Änderung der Diffusionsgeschwindig-
keit des Kohlenstoffs in den verschiedenen
Die Wirkung der Legierungselemente be- Gitterformen des Eisens.
ruht weitestgehend auf ihrer im Stahl vor-
liegenden Form und Verteilung:
– Nicht gelöst, d. h. elementar. Die Wirk- 2.7.2 Unlegierte Baustähle nach
samkeit dieser »Legierungsform« ist ge- DIN EN 10025-2
ring und wird bei Stahlwerkstoffen da-
her nicht verwendet. Die unlegierten Baustähle bilden mengen-
– Als intermediäre Verbindungen. Tech- mäßig den größten Anteil an der Gesamt-
nisch wichtig sind vor allem die Carbi- stahlerzeugung. Sie sind ferritisch-perlitisch
de, die z. B. in Werkzeug- und Feinkorn- und werden im warmgeformten Zustand,
stählen (Abschn. 2.7.6.1) weitgehend ver-
wendet werden.
– In der Matrix gelöst, d. h. als Mischkristal- d
le. Aufgrund metallphysikalischer Gesetz- d
Temperatur T
Stahlsorte (Kurzname) nach Desoxida- Chemische Zusammensetzung in Massenprozent, max. KV, min.
tionsart 1) bei Temperatur T °C,
EN 10027-1 EU 25-72 DIN 17006 C für Erzeugnis-Nenndicken t in mm P 3) S 3), 4) N 5) angegeben als J/T für
1)
FN: Unberuhigter Stahl nicht zulässig, FF: Vollberuhigter Stahl.
2)
Bei Profilen mit einer Nenndicke > 100 mm ist der Kohlenstoffgehalt zu vereinbaren.
3)
Für Langerzeugnisse dürfen die Gehalte an Phosphor und Schwefel um 0,005 % höher sein.
4)
Für Langerzeugnisse kann zwecks verbesserter Bearbeitbarkeit der Höchstgehalt an Schwefel um 0,015 % angehoben werden, falls der Stahl zwecks Änderung der Sulfid-
Abschn. 2.7.2: Unlegierte Baustähle nach DIN EN 10025-2
ausbildung behandelt wurde und die chemische Zusammensetzung mindestens 0,0020 % Ca aufweist.
5)
Der Höchstwert für den Stickstoffgehalt gilt nicht, wenn der Stahl einen Gesamtgehalt an Aluminium von mindestens 0,020 % oder einen Gehalt von säurelöslichem Al
169
von mindestens 0,015 % oder genügend andere Stickstoff abbindende Elemente enthält. Diese sind in der Prüfbescheinigung anzugeben.
Tabelle 2-5
170
Technologische Eigenschaften der unlegierten Baustähle nach DIN EN 10025-2 (4/2005): Im Vergleich sind die älteren Bezeichnungen dieser Stähle gemäß
DIN 17006 und EU 25-72 angegeben.
1)
Kurzbezeichnungen der Stähle – bisher genormt in DIN EN 10025-2 (2005+A1) und (in der nicht mehr gültigen) DIN 17100 – nach den bisher gültigen Bezeichnungs-
systemen EU 25-72 und DIN 17006.
2)
In der Stahlbezeichnung sind die Kennbuchstaben KQ (Abkanten), KP (Walzprofilieren) bzw. KZ ( Kaltziehen) anzugeben, z. B.: Fe 510 C KQ.
3)
Der Stahlbezeichnung ist ein Q (Abkanten), ein K (Walzprofilieren) bzw. ein Z (Kaltziehen voranzustellen, z. B.: Q St 37-3 N, Z St 44-2.
Abschn. 2.7.3: Stähle für den Maschinen- und Fahrzeugbau 171
nach einem Normalglühen bzw. einem nor- ❐ Die mechanischen und technologischen
malisierenden Walzen oder nach einer Kalt- Eigenschaften werden bis zu Dicken von
umformung in den verschiedensten Berei- 400 mm (J2, K2) garantiert.
chen eingesetzt.
❐ Der Biegeversuch und der Aufschweiß-
Eine wichtige Eigenschaft unlegierter Bau- biegeversuch wurden gestrichen.
stähle ist eine ausreichende Schweißeignung.
Erfahrungsgemäß darf die Maximalhärte in Die für die Eignung zum Kaltbiegen, Walz-
der Wärmeeinflusszone von Schweißverbin- profilieren und Stabziehen geeigneten Stähle
dungen etwa 350 HV nicht übersteigen, um und ihre Bezeichnung auch nach der bishe-
bei einer praxisüblich ordnungsgemäßen Fer- rigen DIN EN 10027 und DIN 17006 sind in
tigung die Kaltrissbildung auszuschließen Tabelle 2-5 zusammengestellt.
(Abschn. 4.1.3.2, S. 318). Dieser Grenzwert
wird bei Stählen mit einem Kohlenstoffgehalt
von etwa 0,25 % erreicht, wenn der Martensit- 2.7.3 Stähle für den Maschinen-
anteil im Gefüge etwa 50 % beträgt, Bild 1- und Fahrzeugbau
43, S. 37.
Wegen ihrer hervorragenden Eignung für
Die Baustahlnorm DIN 17100 wurde zwi- den Bereich des Maschinen- und Fahrzeug-
schen 1991 und 2005 mehrmals durch die in baus, zusammen mit hoher dynamischer Be-
vielen Einzelheiten sehr viel weitergehende anspruchbarkeit und eine der Verwendung
DIN EN 10025-2 ersetzt. Die wichtigsten Än- angepassten Wärmebehandlung, ist es aus
derungen sind in Tabelle 2-4 vorgestellt: praktischen Erwägungen sinnvoll, die
– Vergütungsstähle,
❐ Sorteneinteilung und Festlegungen der – Stähle zum Randschichthärten und die
Desoxidationsart: – Einsatzstähle
– Einführung der Gütegruppe J0 bei den zusammenfassend zu beschreiben.
Baustahlsorten S235, S275, S335 und
S450. Diese entspricht der Gütegruppe Vergütungsstähle müssen abhängig von der
3 nach DIN 17100 ( Kerbschlagarbeit, Werkstückdicke und dem Verwendungs-
min. 27 J bei 0 C) im warmgeformten zweck nach dem Austenitisieren und einem
bzw. unbehandelten Zustand (3U). Für sich daran anschließenden beschleunigten
sie ist aber nicht wie in der DIN 17100 Abkühlen (Abschrecken) Martensit und (oder)
die Desoxidationsart FF (RR) vorge- Bainit bilden können.
schrieben.
– Die Gütegruppe J2 (3 nach DIN 17100) Vor dem Randschichthärten, das in der Re-
wird nicht mehr mit unterschiedlichen gel nur eine teilweise Härtung anstrebt, wird
Festlegungen für die Lieferart und die das Bauteil in den meisten Fällen vergütet.
Geltung der mechanischen Gütewerte Diese Stähle entsprechen also in ihrer chemi-
in J2G3 und J2G4 unterteilt. schen Zusammensetzung sehr den Vergü-
– Aufnahme der in der bisher gültigen tungsstählen. Auch die Nitrierstähle werden
DIN 17100 nicht enthaltenen Stahlsor- vor der Oberflächenbehandlung mit Stick-
te S450J0 mit einem festgelegten Min- stoff (Nitrieren) »vergütet«.
destwert der Kerbschlagarbeit von 27 J
bei 0 C. Die Einsatzstähle werden nach dem Aufkoh-
len einer einigen zehntel Millimeter dicken
❐ Senkung der Höchstwerte für den P- und Oberflächenschicht im gehärteten Zustand
S-Gehalt (Schmelzenanalyse) abhängig verwendet. Die sehr harte, verschleißfeste
von der Gütegruppe auf je: Oberfläche erfordert einen zähen Kern. Der
JR: 0,035 %, Kohlenstoffgehalt dieser Stähle ist daher auf
JO: 0,030 %, 0,3 % begrenzt und damit niedriger als der
J2, K2: 0,025 %. der Vergütungsstähle.
172
Tabelle 2-6
Chemische Zusammensetzung (Schmelzenanalyse) der Vergütungsstähle (Qualitäts- und Edelstähle) nach DIN EN 10083 Teil 2 und 3 (Auswahl).
C35 0,50 bis 0,80 0,045 ≤ 0,045 0,40 0,10 0,40 430 630 bis 780 17 40
C45 0,50 bis 0,80 0,045 ≤ 0,045 0,40 0,10 0,40 490 700 bis 850 14 35
C-Stahl
C55 0,60 bis 0,90 0,045 ≤ 0,045 0,40 0,10 0,40 550 800 bis 950 12 30
C60 0,50 bis 0,90 0,045 ≤ 0,045 0,40 0,10 0,40 580 850 bis 1000 11 25
Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
38Cr2 0,50 bis 0,80 0,025 max. 0,035 0,40 bis 0,60 − − 550 800 bis 950 14 35
46Cr2 0,50 bis 0,80 0,025 max. 0,035 0,40 bis 0,60 − 650 900 bis 1100 12 35
34Cr4 max. 0,035
C-Cr-Stahl 0,60 bis 0,90 0,025 0,90 bis 1,20 − − 700 900 bis 1100 12 35
34CrS4 0,020 bis 0,040
41Cr4 max. 0,035
0,60 bis 0,90 0,025 0,90 bis 1,20 − − 800 1000 bis 1200 11 30
41CrS4 0,020 bis 0,040
25CrMo4 max. 0,035
0,60 bis 0,90 0,025 0,90 bis 1,20 0,15 bis 0,30 − 700 900 bis 1100 12 50
25CrMo4S4 0,020 bis 0,040
42CrMo4 C-Cr-Mo-Stahl max. 0,035
0,60 bis 0,90 0,025 0,90 bis 1,20 0,15 bis 0,30 − 900 1100 bis 1300 10 40
42CrMoS4 0,020 bis 0,040
50CrMo4 0,50 bis 0,80 0,025 max. 0,035 0,90 bis 1,20 0,15 bis 0,30 − 900 1100 bis 1300 9 40
30CrNiMo8 0,30 bis 0,60 0,025 max. 0,035 1,80 bis 2,20 0,30 bis 0,50 1,80 bis 2,20 1050 1250 bis 1450 9 40
39NiCrMo3 C-Cr-Ni-Mo-Stahl 0,30 bis 0,60 0,025 max. 0,035 1,80 bis 2,20 0,30 bis 0,50 0,70 bis 1,00 785 980 bis 1180 11 40
30NiCrMo16-6 0,30 bis 0,60 0,025 max. 0,025 1,60 bis 2,00 0,25 bis 0,45 3,3 bis 4,3 880 1080 bis 1230 10 45
51CrV4 C-Cr-V-Stahl 0,70 bis 1,10 0,025 max. 0,035 0,90 bis 1,20 − − 900 1100 bis 1300 9 40
20MnB5 1,10 bis 1,40 0,025 max. 0,035 − − − 700 900 bis 1050 14 55
C-B-Stahl
39MnCrB6-2 1,40 bis 1,70 0,025 max. 0,035 0,30 bis 0,60 − − 900 1100 bis 1350 12 50
1)
In dieser Tabelle nicht aufgeführte Elemente dürfen dem Stahl, außer zum Fertigbehandeln der Schmelze, ohne Zustimmung des Bestellers nicht absichtlich zugesetzt
werden. Es sind alle angemessenen Vorkehrungen zu treffen, um die Zufuhr solcher Elemente aus dem Schrott oder anderen bei der Herstellung verwendeten Stoffen zu
Abschn. 2.7.3: Stähle für den Maschinen- und Fahrzeugbau
vermeiden, die die Härtbarkeit, die mechanischen Eigenschaften und die Verwendbarkeit beeinträchtigen.
173
174 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
Die werkstofflichen Grundlagen und die not- Bei geringerer Beanspruchung können Stäh-
wendige Wärmebehandlung dieser Stähle le mit ferritisch-perlitischem Gefüge bzw. sol-
(Härten, Vergüten) sind im Abschn. 2.5.2 zu che mit geringerem Härtungsgrad verwen-
finden. Die Stähle werden vorwiegend im Ma- det werden. Hierfür sind die in Tabelle 2-6 auf-
schinen- und Fahrzeugbau bei hoher dynami- geführten unlegierten Stähle gut geeignet.
scher Beanspruchung eingesetzt. Die speziel-
len Gebrauchseigenschaften müssen durch Vergütungsstähle werden häufig wegen ihres
eine dem Verwendungszweck angepasste Wär- hervorragenden Verschleißwiderstandes ein-
mebehandlung erzeugt werden. Für höchste gesetzt, der im Wesentlichen von ihrer Zug-
dynamische Beanspruchbarkeit ist vor dem festigkeit (bzw. Härte) abhängt. In vielen Fäl-
Anlassen ein rein martensitisches Gefüge len wird die oft komplizierte Form der Bau-
(evtl. Martensit und Bainit) erforderlich bzw. teile durch spangebende Bearbeitungsver-
zweckmäßig. Die Möglichkeit der Martensit- fahren hergestellt. Die technologische Eigen-
bildung ist nur davon abhängig, ob die Abkühl- schaft Zerspanbarkeit ist daher eine wichtige
geschwindigkeit im Kern des Bauteils die kri- technologische Eigenschaft. Sie ist abhän-
tische Abkühlgeschwindigkeit des Werkstoffs gig von der Zugfestigkeit im vergüteten Zu-
erreicht. Die hierfür notwendige chemische stand und wird durch Schwefel und andere
Zusammensetzung wird daher weitestge- Elemente (z. B. Blei, Selen) verbessert. Der
hend von der Werkstückdicke bestimmt. Im erforderliche Schwefelgehalt wird aus wirt-
gegenwärtigen deutschen Normenwerk wer- schaftlichen Gründen als Spanne von etwa
den mechanische Gütewerte bis zu einer Werk- 0,020 % bis 0,035 % angegeben.
stückdicke von 250 mm gewährleistet.
Durch die immer häufiger verwendete Kons- mender Härtbarkeit (zunehmender Legie-
truktionsschweißung vorgefertigter Teile ist rungsmenge) aufgeführt sind:
die Eigenschaft Schweißeignung von gewisser – Stähle mit Mangan bzw. Mangan und Bor
Bedeutung. Als Beispiel kann die Herstellung (evtl. geringe Chromzusätze), z. B.:
geschweißter Rundstahlketten dienen. Die 28Mn6 und 30MnB5. Bor verbessert in
hierfür verwendeten Werkstoffe besitzen Koh- gelöster Form bereits in geringsten Men-
lenstoffgehalte bis etwa 0,30 % (z. B. 27MnSi5 gen (s. Tabelle 2-1) die Härtbarkeit. Die
nach DIN 17115). Sie sind demnach hinrei- erst 1996 genormten borlegierten Vergü-
chend schweißgeeignet, s. a. Aufgabe 4-5, S. tungsstähle sind in der DIN EN 10083-3
481. aufgeführt.
– Stähle mit Chrom bzw. Chrom und Molyb-
Die Einteilung der Vergütungsstähle nach dän, z. B.:
ihrer Leistungsfähigkeit ist kaum möglich, 41Cr4, 42CrMo4.
weil allseits anerkannte und widerspruchs- – Mehrfach mit Cr, Ni, Mo legierte Stähle
freie Bewertungskriterien fehlen. Ihre Eigen- höchster Leistungsfähigkeit, z. B.:
schaften hängen weitgehend von dem nach 30NiCrMo16-6.
dem Härten vorliegenden Gefüge ab, das vor
allem von der 2.7.3.2 Einsatzstähle
– Härtbarkeit, dem Diese Stähle werden für Bauteile verwendet,
– Vergütungsquerschnitt und dem die in der Regel oberflächlich auf 0,8 % bis
– Härtemittel 0,9 % aufgekohlt, anschließend gehärtet und
bestimmt wird. Die Härtbarkeit hängt aus- bei niedrigen Temperaturen (etwa bis 200 C)
schließlich von der chemischen Zusammen- angelassen werden. Die nur wenige zehntel
setzung ab. Sie wird mit zunehmender Legie- Millimeter starke, gehärtete Randschicht ist
rungsmenge besser, Tabelle 2-6. Die Vorteile aufgrund ihrer hohen Härte extrem verschleiß-
der höherlegierten Vergütungsstähle (Zugfes- fest, der sehr viel zähere Kern kann hohe sta-
tigkeit und Brucheinschnürung steigen) sind tische, dynamische und schlagartige Lasten
aus Bild 2-44 zu erkennen. rissfrei aufnehmen.
60
Stahlart:
Die niedrige Anlasstemperatur ist notwendig,
% um die Härte der martensitischen Oberflä-
Mindestwert der Brucheinschnürung
1), 2), 3)
Stahlsorte (Kurzname) nach Chemische Zusammensetzung in Massenprozent
0,24 bis 0,31 ≤ 0,40 0,60 bis 0,90 0,90 bis 1,20 − −
20CrS4 1.7036 20 CrS 4 0,020 bis 0,040
1)
In dieser Tabelle nicht aufgeführte Elemente dürfen dem Stahl außer zum Fertigbehandeln der Schmelze ohne Zustimmung des Bestellers nicht absichtlich zugesetzt wer-
den. In Zweifelsfällen sind die Grenzgehalte nach DIN EN 10020, s. Tabelle 2-1 (entspricht der alten EURONORM 20-74) maßgebend.
2)
Außer bei den Elementen Phosphor und Schwefel sind geringfügige Abweichungen von den Grenzen für die Schmelzenanalyse zulässig, wenn eingeengte Streubänder der
Härtbarkeit im Stirnabschreckversuch bestellt werden.
3)
Der Phosphorgehalt beträgt bei allen Stahlqualitäten ≤ 0,35 %.
Abschn. 2.7.4: Warmfeste Stähle 177
keit des Bauteils. Der Stahl 17CrNiMo6 be- der Betriebstemperaturen reicht von 300 C,
sitzt die höchste Härtbarkeit, die geringste über 500 ... 550 C (z. B. Frischdampftempe-
der niedriglegierten Stähle der Stahl 17Cr3. raturen bei Dampfturbinen), 700 C (z. B. Gas-
Die un- und (niedrig-)legierten Einsatzstäh- turbinen) bis zu der zzt. maximal beherrsch-
le nach DIN EN 10084 sind in Tabelle 2-7 baren von etwa 1100 C, die bei Flugtriebwer-
aufgeführt. ken entsteht.
e = konst.
log Spannung s
Spannung s
tB
t 0,2
de
T = konst. s1 > s 2 > s 3 e=
dt
Dehnung e
log Dehngschwindigkeit e
s1
e B (3)
s1 s2 s3
s2
e
s3
e 0,2
Bild 2-45
Mögliche Auswertungen von Kriechversuchen.
a) Relaxationsversuch: zeitabhängige Spannungsabnahme bei konstanter Dehnung,
b) Zeitstandversuch: Zeit-Dehnungs-Kurven für konstante Spannungen, hieraus c) und d) ermittelbar,
c) Zeitstandversuch: Zeitstand-Schaubild mit eingetragener Zeitbruchlinie (tB ) und Zeitgrenzlinie für 0,2 %
plastischer Dehnung bis zum Brucheintritt (t0,2 ),
d) Schaubild zum Bestimmen der Dehnungsgeschwindigkeit e = de / dt.
178 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
keit der Matrix erhöhen. Die Wirksamkeit Bild 2-45 zeigt schematisch das Verhalten
dieser Maßnahmen beruht auf dem Erschwe- der Werkstoffe unter Kriech- bzw. Relaxa-
ren der Versetzungsbewegung, d. h. der Gleit- tionsbedingungen und die verschiedenen
prozesse. Diese Mischkristallhärtung kann Möglichkeiten der Versuchsauswertung von
bereits mit Mangan erreicht werden. Wesent- Kriechversuchen.
lich effektiver sind fein verteilte möglichst
kohärente Ausscheidungen, die bei den Be- Bei den Zeitstandversuchen (DIN EN 10291)
anspruchungstemperaturen nicht koagulie- werden die bis zum Erreichen bestimmter
ren bzw. in Lösung gehen. Besonders geeig- plastischer Dehnungen bzw. bis zum Bruch
net sind die temperaturbeständigen Sonder- der Probe vergangenen Belastungsdauern
carbide der Elemente Molybdän, Chrom und ermittelt. Die Auswertung von Kriechversu-
Vanadium, die erst bei hohen Temperaturen chen ergibt die für die Bauteil-Bemessung
ihre Hinderniswirkung verlieren, d. h. gelöst wichtigen Festigkeitswerte, wie z. B. in Bild
werden. Bei Langzeitbeanspruchungen ober- 2-45c schematisch dargestellt ist:
halb 550 C müssen die Stähle für eine aus- – Die Zeitstandfestigkeit ist die bei bestimm-
reichende Zunderbeständigkeit mit Chrom le- ter Prüftemperatur ertragene Spannung,
giert werden. Für Beanspruchungen bei die- die nach einer festgelegten Beanspru-
sen hohen Temperaturen werden gewöhnlich chungsdauer zum Bruch führt. Rm/105/550
austenitische Cr-Ni-Stähle verwendet. kennzeichnet die Zeitstandfestigkeit bei
100
550 C für 100 000 h.
% – Die Zeitdehngrenze ist die bei bestimmter
4 Prüftemperatur ertragene Spannung, die
Zugbeanspruchung (N/mm2): 180
nach einer bestimmten Beanspruchungs-
bleibende Dehnung
170 100 80
2
210
10
dauer zu einer festgelegten plastischen
6 Dehnung führt. Rp1/104/500 kennzeichnet
4 die 1%-Zeitdehngrenze bei einer Tempe-
2 ratur von 500 C für 10 000 h.
1
0,6 Für den Stahl X12CrCoNi21-20 zeigt das
700 ° C
0,4 Bild 2-46 die Auswertung von Zeitstandver-
0,2 suchen. Die extrem aufwändige Ermittlung
0,1 dieser Kenngrößen (100 000 h 12 Jahre!) ist
1 10 102 103 104 h 105 notwendig, weil Extrapolationen aus den Er-
a)
Beanspruchungsdauer gebnissen von Kurzzeitversuchen zzt. noch
nicht mit der erforderlichen Genauigkeit mög-
400 lich sind.
15
N 36
mm2 26
25 Statisch beanspruchte, warmgehende Bau-
100 42
teile werden abhängig von der Höhe der Be-
6 triebstemperatur mit unterschiedlich ermit-
Beanspruchung
Ausreichende Zähigkeitsreserven sind für tenitischen Stähle ist dann gering, aber ihre
die Betriebssicherheit von (geschweißten) Schweißeignung wegen der Gefahr der Heiß-
Bauteilen aus warmfesten Stählen von gro- rissbildung im Schweißgut schlechter. Mit
ßer Bedeutung. Sie sind zum Spannungsab- Schweißzusatzwerkstoffen, die zu etwa 5 %
bau in der Nähe konstruktiv bedingter Ker- bis 10 % (primären!) d -Ferrit im Schweißgut
ben im Bauteil und vor allem in den schmelz- führen, lassen sich Heißrisse relativ sicher
grenzennahen Orten der WEZ erforderlich. vermeiden, allerdings kann es dann durch
Weiterhin muss der Werkstoff beim Durch- die Bildung der Sigma-Phase stark versprö-
fahren der z. T. extremen Temperaturdiffe- den. Der borlegierte Stahl X8CrNiMoB16-16
renzen so verformbar bleiben, dass eine Riss- höchster Zeitstandfestigkeit ist wegen des
bildung ausgeschlossen ist. Die Zähigkeits- Entstehens eines borreichen Eutektikums –
eigenschaften werden in zunehmendem Um- vorwiegend an den Korngrenzen – nicht mehr
fang durch die NDT-Temperatur (s. Abschn. (schmelz-)schweißgeeignet.
6.2.2, S. 586) bestimmt, deren Wert unter-
halb der Raumtemperatur liegen muss.
180
Chemische Zusammensetzung (Schmelzenanalyse) warmfester ferritischer Stähle und Stahlgusssorten nach verschiedenen Normen und Regelwerken.
C Si Mn Cr Mo Ni V
17Mn4 0,14 bis 0,20 ≤ 0,40 0,90 bis 1,40 ≤ 0,25 ≤ 0,10 ≤ 0,30 ≤ 0,03
19Mn6 0,15 bis 0,22 0,30 bis 0,60 1,00 bis 1,60 ≤ 0,025 ≤ 0,10 0,30 −
15Mo3 0,12 bis 0,20 0,10 bis 0,35 0,40 bis 0,80 − 0,25 bis 0,35 − −
13CrMo4-5 (13 CrMo 4 4) 3) 0,10 bis 0,18 0,10 bis 0,35 0,40 bis 0,70 0,70 bis 1,10 0,45 bis 0,65 − −
10CrMo9-10 0,08 bis 0,15 ≤ 0,50 0,40 bis 0,70 2,00 bis 2,50 0,90 bis 1,20 − −
14MoV6-3 0,10 bis 0,18 0,10 bis 0,35 0,40 bis 0,70 0,30 bis 0,60 0,50 bis 0,70 − 0,22 bis 0,32
12CrMo19-5 ≤ 0,15 ≤ 0,50 0,30 bis 0,60 4,0 bis 6,0 0,45 bis 0,65 − −
X20CrMoV12-1 0,17 bis 0,23 ≤ 0,50 ≤ 1,00 10,00 bis 12,50 0,80 bis 1,20 0,30 bis 0,80 0,25 bis 0,35
GP240GH (GS-C 25) 3) 0,18 bis 0,23 0,30 bis 0,60 0,50 bis 0,80 ≤ 0,30 − − −
G20Mo5 (GS-22 Mo 4) 3) 0,18 bis 0,23 0,30 bis 0,60 0,50 bis 0,80 ≤ 0,30 0,35 bis 0,45 − −
G17CrMo5-5 0,15 bis 0,20 0,30 bis 0,60 0,50 bis 0,80 1,20 bis 1,50 0,45 bis 0,55 − −
GX8CrNi12 0,06 bis 0,10 0,10 bis 0,40 0,50 bis 0,80 11,5 bis 12,5 ≤ 0,50 0,80 bis 1,50 −
Tabelle2-9
Chemische Zusammensetzung (Schmelzenanalyse) einiger austenitischer hochwarmfester Stähle.
C Cr Mo Ni V Ti B Nb 1) Sonstige
1)
Die Werte geben die Summe Nb % + Ta % an.
2)
Zusätzlich gilt die Bedingung: Nb ≥ 10 C % + 0,4 % ≤ 1,2 %.
3)
Ältere Stahlbezeichnungen (nach DIN 17006) sind in Klammern angegeben, wenn sie wesentlich von den neuen nach DIN EN 10027-1 abweichen.
Tabelle 2-10
Chemische Zusammensetzung (Schmelzenanalyse) kaltzäher Stähle und hoch nickelhaltiger Werkstoffe nach verschiedenen Normen und Regelwerken.
C Si Mn P S Cr Mo Ni V
1)
P275NL2 ≤ 0,16 ≤ 0,40 0,80 bis 1,50 ≤ 0,025 ≤ 0,015 ≤ 0,30 ≤ 0,08 ≤ 0,50 ≤ 0,05
P460NL2 1) ≤ 0,20 ≤ 0,60 1,10 bis 1,70 ≤ 0,025 ≤ 0,015 ≤ 0,30 ≤ 0,10 ≤ 0,80 ≤ 0,20
P265NL 2) ≤ 0,20 ≤ 0,40 0,60 bis 1,40 ≤ 0,025 ≤ 0,020 ≤ 0,030 ≤ 0,08 ≤ 0,30 ≤ 0,05
11MnNi5-3 2) 3) ≤ 0,14 ≤ 0,50 0,70 bis 1,50 ≤ 0,025 ≤ 0,015 − − 0,30 bis 0,80 ≤ 0,05
13MnNi6-3 2) 3) ≤ 0,16 ≤ 0,50 0,85 bis 1,70 ≤ 0,025 ≤ 0,015 − − 0,30 bis 0,85 ≤ 0,05
15NiMn6 2) ≤ 0,18 ≤ 0,35 0,80 bis 1,50 ≤ 0,025 ≤ 0,015 − − 1,30 bis 1,70 ≤ 0,05
12Ni14 2) ≤ 0,15 ≤ 0,35 0,30 bis 0,80 ≤ 0,020 ≤ 0,010 − − 3,25 bis 3,75 ≤ 0,05
11MnNi5-3 2) ≤ 0,14 ≤ 0,50 0,70 bis 1,50 ≤ 0,025 ≤ 0,010 − − 0,30 bis 0,80 ≤ 0,05
X12Ni5 2) ≤ 0,15 ≤ 0,35 0,30 bis 0,80 ≤ 0,020 ≤ 0,010 − − 4,75 bis 5,25 ≤ 0,05
X7Ni9 2) ≤ 0,10 ≤ 0,35 0,30 bis 0,80 ≤ 0,015 ≤ 0,005 − 0,10 8,5 bis 10,00 ≤ 0,05
X8Ni9 2) ≤ 0,10 ≤ 0,35 0,30 bis 0,80 ≤ 0,020 ≤ 0,010 − ≤ 0,1 8,0 bis 10,0 ≤ 0,05
X10Ni9 2) ≤ 0,13 0,15 bis 0,35 0,30 bis 0,80 ≤ 0,020 ≤ 0,010 − ≤ 0,015 0,30 bis 0,80 ≤ 0,02
X5CrNi17-7 4) ≤ 0,07 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,030 77,0 bis 18,0 ≤ 0,80 6,0 bis 8,0 −
X3CrNiN18-10 4) 5) ≤ 0,04 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,030 17,0 bis 19,0 ≤ 0,50 9,0 bis 11,5 −
X6CrNiNb18-10 4) 6) ≤ 0,08 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,030 17,0 bis 19,0 ≤ 0,50 9,0 bis 12,0 −
X6CrNiTi18-10 4) 7) ≤ 0,08 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,030 17,0 bis 19,0 ≤ 0,50 9,0 bis 12,0 −
X2CrNiMo17-12-5 4) 5) ≤ 0,04 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,015 16,8 bis 18,5 2,00 bis 2,50 10,0 bis 12,5 −
X3CrNiCu18-9-5 4) ≤ 0,04 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,015 17,0 bis 19,0 − 8,5 bis 10,5 −
Ni36 8) ≤ 0,07 ≤ 1,00 ≤ 0,50 ≤ 0,030 ≤ 0,030 − − 35,0 bis 37,0 −
2)
X2CrNi18-9 ≤ 0,030 ≤ 1,00 ≤ 2,00 ≤ 0,045 ≤ 0,030 17,5 bis 19,5 − 8,00 bis 11,00 −
NiCr20TiAl 2) 0,04 bis 0,10 ≤ 1,00 ≤ 1,00 ≤ 0,020 ≤ 0,015 18,00 bis 21,00 − ≥ 65 −
1)
Beispiel für einen (kaltzähen) Stahl nach DIN EN 10028-3 (Flacherzeugnisse aus Druckbehälterstählen).
2)
Weitere Einzelheiten s. DIN EN 10028-4, DIN EN 10216-4, DIN EN 10217-4/-6, DIN EN 10269.
3)
Niobgehalt bis max. 0,05 %.
4)
Weitere Einzelheiten s. DIN 17440, DIN EN 10028-7, DIN EN 10088 (11/2001).
5)
Außerdem 0,10 % bis 0,18 % Stickstoff.
6)
Niobgehalt bis max. 1,0 %.
7)
Titangehalt bis max. 0,8 %.
8)
Weitere Einzelheiten siehe DIN 17745 (9/2002).
Abschn. 2.7.4: Warmfeste Stähle
181
182 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
In diesem Zusammenhang ist auch die Ver- Bild 2-48 zeigt den Anwendungsbereich ver-
sprödung bei Langzeitbeanspruchung und schiedener kaltzäher Baustähle in der Flüs-
die in Abschn. 2.5.2 besprochene Anlassver- siggas-Technologie. Der Begriff Tieftempera-
sprödung zu beachten. Beide Versprödungs- turtechnik (Kryogenik) sollte nach dem Natio-
formen werden durch Spurenelemente (P, nal Institute of Standards and Technology
As, Sb, Sn) hervorgerufen, die sich auf Korn- für Temperaturen unter 150 °C angewendet
grenzen anreichern. Die ferritischen Stähle, werden. In Tabelle 2-10 sind die mechani-
Tabelle 2-8, sind daher außer zum Erreichen schen Gütewerte einiger wichtiger kaltzäher
der geforderten Warmfestigkeit zum Unter- Stähle nach verschiedenen Normen und Re-
drücken der Anlassversprödung mit etwa gelwerken zusammengestellt.
0,5 % Molybdän legiert. Schweißverbindun-
gen aus molybdänfreien, warmfesten Stäh- Die Temperaturabhängigkeit der mechani-
len neigen daher beim Spannungsarmglühen schen Gütewerte dieser Stähle muss für ihren
zur Anlassversprödung, die aber mit einer fachgerechten Einsatz bekannt sein. Versprö-
geeigneten Wärmeführung in Grenzen gehal- dungserscheinungen im Schweißgut und der
ten wird. Wärmeeinflusszone sind ein zentrales Pro-
blem und dürfen bei der Betriebstemperatur
2.7.5 Kaltzähe Stähle noch nicht entstehen. Grundsätzlich steigen
mit abnehmender Temperatur die Festigkeits-
Stähle, die bei tiefen Temperaturen (etwa un- werte bei gleichzeitiger Verringerung der Zä-
terhalb 10 C) eingesetzt werden können, higkeitswerte, Bild 2-49. Die Dimensionie-
bezeichnet man als kaltzäh. Ihre wichtigste rung der Bauteile aus kaltzähen Stählen er-
Eigenschaft ist eine ausreichende Zähigkeit folgt aber mit den wesentlich niedrigeren Fes-
bei der Betriebstemperatur. Sie werden z. B. tigkeitskennwerten bei Raumtemperatur.
in der Kälteindustrie, der Petrochemie und Bei den austenitischen Stählen wird in vie-
der Kernforschung zum Herstellen von Ap- len Fällen für die Berechnung auch die 1%-
paraten, Transport- und Vorratsbehältern Dehngrenze verwendet, mit der die extreme
verwendet. Die Betriebstemperaturen dieser Verformbarkeit dieser Stähle berücksichtigt
Konstruktionen erreichen Werte bis zu 2 K. d. h. nutzbar gemacht wird.
Methan
Propen
Propan
Helium
Sauer-
Argon
dioxid
Butan
Äthen
Äthan
Stick-
min.
stoff
stoff
stoff
11MnNi5-3 285 - 60 41
13MnNi6-3 355 - 60 41
Bild 2-48
Anwendungsbereich kaltzäher Baustähle in der Flüssiggas-Technologie. Chemische Zusammensetzung s. Ta-
belle 2-10, nach Degenkolbe und Haneke.
Abschn. 2.7.5: Kaltzähe Stähle 183
200
3,5 % Ni te technologische Eigenschaft eine ausrei-
chende Schweißeignung besitzen (Abschn.
8,5 % Ni 3.2, S. 239).
150
13 % Ni Feinkornstähle sind grundsätzlich vollbe-
ruhigt (FF) und durch ihren Gehalt an Ele-
100
menten gekennzeichnet, die fein verteilte,
erst bei hohen Temperaturen (T 1000 C)
50
in Lösung gehende Ausscheidungen, vor al-
lem von Nitriden und (oder) Carbiden bzw.
0 % Ni Carbonitriden, enthalten. Diese Ausscheidun-
0 gen behindern sehr wirksam das Wachstum
- 200 - 160 - 120 - 80 - 40 ° C 40
0
der Austenitkörner während einer Wärmebe-
Prüftemperatur T
handlung bzw. beim Schweißen und sind die
Bild 2-50 Ursache des feinen Korns im Anlieferzustand
Einfluss des Nickelgehalts auf den Verlauf der Kerb- (ASTM-Ferritkorngröße i. Allg. 8 bis 11). Des-
schlagarbeit-Temperatur-Abhängigkeit verschiedener
halb weisen die Feinkornstähle auch eine sehr
Stähle:
Stähle mit 3,5 % bis 13 % Ni, 0,01 % C, hohe Sprödbruchsicherheit auf, d. h., ihre
Stahl mit 2 % Ni, 0,15 % C, Übergangstemperatur Tü der Kerbschlag-
Stahl mit 0 % Ni, 0,20 % C, nach Armstrong. arbeit liegt meistens deutlich unter 40 C.
Abschn. 2.7.6: Feinkornbaustähle 185
Tabelle 2-11
Chemische Zusammensetzung, Höchstwerte des Kohlenstoffäquivalents CEV und Mindestwerte der Kerbschlagarbeit (Charpy-V-Längsproben) der normal-
geglühten/normalisierend gewalzten Feinkornbaustähle nach DIN EN 10025-3.
Stahlsorte (Kurzname) nach Chemische Zusammensetzung in Massenprozent CEV 1) Kerbschlagarbeit KV in J bei einer Prüftemperatur T in 2C
S275N StE 285 0,18 0,035 0,030 0,015 0,05 0,05 0,40 55 47 43 40 − − −
S275NL TStE 285 0,16 0,030 0,025 0,015 0,05 0,05 0,40 63 55 51 47 40 31 27
S355N StE 355 0,20 0,035 0,030 0,015 0,05 0,12 0,43 55 47 43 40 − − −
Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
S355NL TStE 355 0,18 0,030 0,025 0,015 0,05 0,12 0,43 63 55 51 47 40 31 27
S420N StE 420 0,20 0,035 0,030 0,025 0,05 0,20 0,48 55 47 43 40 − − −
S420NL TStE 420 0,20 0,030 0,025 0,025 0,05 0,20 0,48 63 55 51 47 40 31 27
1)
CEV = Kohlenstoffäquivalent (nach Schmelzenanalyse), die angegebenen Werte gelten für Stähle mit den Nenndicken ≤ 63 mm.
CEV wird nach folgender Formel berechnet:
Mn Cr+Mo+V Ni+Cu
CEV = C + + +
6 5 15
2)
Stahlbezeichnung nach Vorgängernorm DIN 17102 (10/1983).
3)
Bei Langerzeugnissen beträgt der Kohlenstoffgehalt max. 0,15 % für S275 und max. 0,16 % für S355.
4)
Für Langerzeugnisse aus S420 und S460 beträgt der Kohlenstoffgehalt max. 0,18 %.
Tabelle 2-12
Chemische Zusammensetzung, Höchstwerte des Kohlenstoffäquivalents CEV und Mindestwerte der Kerbschlagarbeit (Charpy-V-Längsproben, Erzeugnisdi-
cke 5 mm bis 250 mm, für die Stahlsorten P460NH, P460NL1, P460NL2 bis 100 mm Erzeugnisdicke) der normalgeglühten Feinkornbaustähle (Druckbehäl-
terstähle nach DIN EN 10028-3).
Stahlsorte (Kurzname) nach Stahl- Chemische Zusammensetzung in Massenprozent 1) CEV 3) Kerbschlagarbeit KV in J bei einer
sorte 2) Prüftemperatur T in 2C (Längsproben)
1)
Stahlbezeichnung nach Vorgängernorm DIN 17102 (10/1983).
2)
UQ = unlegierter Qualitätsstahl; UE = unlegierter Edelstahl; LE = legierter Edelstahl.
3)
CEV = Kohlenstoffäquivalent (nach Schmelzenanalyse), die angegebenen Werte gelten für Nenndicken ≤ 60 mm. CEV wird nach folgender Beziehung berechnet:
Mn Cr+Mo+V Ni+Cu
CEV = C + + +
6 5 15
Abschn. 2.7.6: Feinkornbaustähle
187
188 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
800
k = - 0,5
mit einer Endumformung in einem bestimm-
600 ten Temperaturbereich, das zu einem Werk-
stoffzustand führt, der dem nach einem Nor-
Zugfestigkeit
1
400 malglühen gleichwertig ist. Die Sollwerte der
2 mechanischen Eigenschaften werden dem-
200
3 nach auch nach einem zusätzlichen Normal-
glühen eingehalten.
k = - 1,00
0
- 400 - 200 0 200 400 600 N/mm2 1000 Die Vorteile dieser Behandlung sind der Fort-
Unterspannung s u fall des Normalglühens (Energieeinsparung!)
und die nicht mit Glühzunder behaftete bes-
1: Grundwerkstoff geschliffen
2: Grundwerkstoff mit Walzhaut sere Oberfläche. Als großer Nachteil ist al-
3: Stumpfnahtschweißverbindung, überschliffen lerdings die merklich geringere Leistung der
Bild 2-52 Walzstraße zu nennen, da das Halbzeug an
Dynamische Festigkeitseigenschaften des Stahles Luft (etwa 0,5 K/s) auf die Endwalztempera-
P690QL (StE 690), nach Beratungsst. f. Stahlverw. tur abkühlen muss.
Abschn. 2.7.6: Feinkornbaustähle 189
Bild 2-54
Eine übermäßige Wärmebehandlung nach Einige Schweißverbindungen aus Feinkornbaustählen,
dem Schweißen kann die mechanischen Güte- bei denen die Gefahr des Terrassenbruchs besteht.
a) Etwa »parallel« zu den Walzzeilen verlaufende
werte verschlechtern. Wenn beim Spannungs-
Schmelzgrenze (S) ist ungünstig, weil konstant
armglühen (TS) der Parameter P große Schweißeigenspannungen im Bereich von
P TS¹ (20 lg t) ¹10 3 (mit TS in K, t in h) S den Terrassenbruch leicht auslösen können.
b) Schweißnaht »parallel« zu Walzzeilen des dicke-
den kritischen Wert von Pcrit 17,3 überschrei- ren Blechs erzeugt hier hohe Eigenspannun-
tet, sollte der Hersteller prüfen, ob nach einer gen, die auch wegen der mit zunehmender Werk-
stückdicke abnehmenden Verformbarkeit in Di-
derartigen Wärmebehandlung die in dieser
ckenrichtung Risse auslösen können.
Europäischen Norm festgelegten mechani- c), d) Je größer die Schweißnahtquerschnitte sind
schen Eigenschaften noch als gültig zu be- [bei d) größer als bei c)], umso größer werden
trachten sind. die rissauslösenden Spannungen.
190 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
30 mm) häufig Ursache für die Schadens- – Bei den fertigungstechnischen Maßnah-
form Terrassenbruch (lamellar tearing). men wird mit zähen Pufferlagen (eine,
Die Bezeichnung beschreibt die Erschei- besser zwei Pufferlagen), Bild 2-54c, bzw.
nungsform der Risse: längere, parallel zur wirtschaftlicher mit einer Raupenfolge
Oberfläche verlaufende Rissteile (terrace gearbeitet, die einem örtlichen Puffern
fracture) werden von kürzeren annähernd entspricht, Bild 2-54b. Die zähe Puffer-
senkrecht zu diesen verlaufenden Risssprün- schicht kann die rissauslösenden Eigen-
gen (shear walls) unterbrochen. Die Bildfol- spannungen wenigstens z. T. durch plasti-
ge 2-54 zeigt einige terrassenbruchempfind- sche Verformung abbauen und damit ei-
liche Verbindungsformen. Da diese Rissart ne Rissbildung vermeiden.
meist außerhalb der WEZ auftritt, ist Was-
serstoff als Ursache auszuschließen. Bild 2-56 zeigt eine typische Terrassenbruch-
fläche.
Der Terrassenbruch lässt sich mit verschie-
denen Möglichkeiten bekämpfen: 2.7.6.2 Thermomechanisch
– Die werkstofflichen Maßnahmen bestehen gewalzte Feinkornbaustähle
außer im Entschwefeln mit Hilfe sekun- Die Forderung nach einer hinreichend gu-
därmetallurgischer Maßnahmen (Zufüh- ten Schweißeignung wird im Wesentlichen
ren von Calcium) im Wesentlichen darin, durch einen geringen C-Gehalt (C
0,2 %)
die Desoxidationsprodukte nicht in der und möglichst geringe Gehalte der Verunrei-
unerwünschten flächigen Form, sondern nigungen (P, S, As, u. a.) erreicht. Gleichmä-
als rundliche Einschlüsse zu erzeugen (Ab- ßigkeit der Werkstoffeigenschaften (z. B.
schn. 2.7.6.2, Eigenschaften und Verarbei- Zähigkeitseigenschaften in Längs- und Quer-
tung). Das Ergebnis dieser Behandlung richtung) sind besonders bei Erzeugnissen
ist eine deutlich geringere Zähigkeitsan- der Massenfertigung erforderlich.
isotropie und eine in Dickenrichtung we-
sentlich verbesserte Schlagzähigkeit. Nach Ausreichende mechanische Gütewerte soll-
den Stahl-Eisen-Lieferbedingungen 096 ten bei unlegierten Baustählen aus Kosten-
werden drei Güteklassen mit unterschied- gründen bereits im Walzzustand oder nach
lichen gewährleisteten Brucheinschnürun- einem Normalglühen erreichbar sein. Bei
gen Z (Zmittel 15 %, 25 %, 35 %, in der Kern- den thermomechanisch gewalzten Stählen
technik 45 %) in Dickenrichtung angebo- werden außerdem die festigkeitserhöhen-
ten. Bei Z-Werten, die größer als 25 % sind, den Mechanismen Korngrenzenhärtung
ist erfahrungsgemäß die Neigung zum Ter- (Kornfeinung) und Ausscheidungshärtung
rassenbruch gering. (Teilchenhärtung) ausgenutzt.
– Die konstruktiven Maßnahmen sollten
grundsätzlich ergriffen werden. Dabei
sind die Schweißnähte so anzuordnen, dass
die (Eigen-)Spannung senkrecht zur Blech-
oberfläche d. h. die Verformung bzw. die
Verformungswege in Dickenrichtung mög-
lichst gering bleiben, Bild 2-55. Das ge-
lingt konstruktiv durch den Anschluss
aller »Schichten« des Erzeugnisses. Die a) b) c)
Schmelzgrenzen müssen daher möglichst Bild 2-55
»senkrecht« zum Zeilenverlauf liegen, Bild Maßnahmen zum Vermeiden des Terrassenbruchs in
2-55a, nie »parallel« zu ihnen, Bild 2-54a. Schweißverbindungen aus Feinkornbaustählen.
Ein kleineres Nahtvolumen erzeugt ge- a) Schmelzgrenze etwa »senkrecht« zu den Walzzeilen
verlaufend schließt alle »Schichten« an.
ringere Schrumpfwege, d. h. es erfordert
b) Besondere Schweißtechnologie (entspricht einem
vom Werkstoff geringere Formänderun- örtlichen Puffern) oder
gen, vgl. Bild 2-54c und 2-54d, aber in al- c) vor dem Schweißen mit zähem Zusatzwerkstoff
ler Regel größere Eigenspannungen. Puffern (sehr aufwändig und teuer!).
Abschn. 2.7.6: Feinkornbaustähle 191
– Fertigwalzen im rekristallisationsträgen 80
Bereich (800 C bis 900 C) bei erhöhter Ver-
formung. Diese »Quasi-Kaltverformung« 60
Re
Streckgrenze
Tü
Grobblechstraße
Gefügeänderungen
g g U Nb (C, N) - Ausscheidungen
Bild 2-60
Vorgänge beim thermodynamischen Walzen (Warmbreitband- und Grobblechstraße).
194 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
In der Zwischenzeit sind für viele Bereiche Das kontinuierlich gewalzte Warmbreitband
thermomechanisch behandelte Stähle entwi- zeigt wegen seiner streng einsinnigen Ver-
ckelt, zugelassen und genormt worden, Ta- formung bei der Herstellung eine ausgepräg-
belle 2-13 und 2-14. te Zeilenanordnung (Walzzeiligkeit). Die in
Walzrichtung angeordneten carbidischen und
Alle Prüfverfahren, die die Grenze der riss- oxidischen Einschlüsse, vor allem aber die
freien Umformung festzustellen gestatten, plastifizierbaren sulfidischen Bestandteile
sind grundsätzlich zur Kennzeichnung der führen zu einer unerwünschten Anisotropie
Umformbarkeit geeignet. Bewährt haben der Zähigkeitseigenschaften in Längs-und
sich z. B. Kerbschlagbiegeproben, entnom- Querrichtung. Bild 2-61 zeigt beispielhaft
men quer zur Walzrichtung, die auf den ab- den Einfluss der Probenlage auf das Aus-
nehmenden Perlitanteil bzw. eine kürzere maß der Zähigkeitsanisotropie bei einem un-
Sulfidlänge empfindlich reagieren oder die legierten Baustahl. Das Verhältnis der Kerb-
sog. »Taschentuchfaltprobe«, die im »Falten- schlagarbeit von Längs- zu Querproben ver-
bereich« eine extreme, rissbegünstigende hält sich etwa wie 2:1, die Übergangstempera-
zweiachsige Verformung erzeugt. tur der Kerbschlagarbeit wird aber nicht we-
sentlich geändert.
250
J L
200
Die Mangansulfide sind außerdem die Ursa-
che des Terrassenbruchs (Abschn. 2.7.6.1).
Kerbschlagarbeit KV
95
Summenhäufigkeit
1 2 3 4 5
S 5
L Walz-
richtung 0 10 20 30 40 50 60 70 % 80
Q Brucheinschnürung in Dickenrichtung
de Einschlüsse – ist eine weitgehend verwen- (DIN EN 10208-1) und die Qualitätsstufen »B«
dete Methode. Bild 2-62 zeigt den Einfluss (DIN EN 10208-2) und »C« (DIN EN 10208-3)
des Schwefelgehaltes und der Sulfidform auf unterschieden. Die Ausgangswerkstoffe für
die für das Vermeiden von Terrassenbrüchen die Rohrherstellung sind abhängig von der
wichtigen Brucheinschnürung Z in Dicken- Festigkeit normalgeglühte, thermomecha-
richtung. Mit den geschilderten Maßnahmen nisch gewalzte oder vergütete Stähle.
lässt sich die Zähigkeitsanisotropie praktisch
vollständig beseitigen. Die Bezeichnung der Stähle lautet für die Qua-
litätsstufe »A« z. B.:
Thermomechanisch gewalzte Feinkornbau- – L210;
stähle sind in DIN EN 10028-5 und DIN EN für die Qualitätsstufe »B« z. B.:
10025-4 genormt. Nach DIN EN 10027-1 wer- – L240NB (normalgeglüht),
den Stähle für den allgemeinen Stahlbau mit – L360MB (thermomechanisch gewalzt),
S (S Structural steels) und Druckbehälter- – L550QB (vergütet).
stähle für Flacherzeugnisse mit P bezeich-
net, (P Steels for Pressure purpose) Ta- Beispiel 2-3:
belle 2-13 und Tabelle 2-14. Letztere waren Die höherfesten warm- oder kaltgewalzten Dualpha-
bisher in den Stahl-Eisen-Werkstoffblättern sen-Stähle sind »Verbundwerkstoffe«, die aus Ferrit
SEW 083/84 genormt und für den Einsatz in mit inselartig in die ferritische Matrix eingelagertem
Stahlkonstruktionen bestimmt. Ähnlich zu- Martensit (20 % bis 30 %) bestehen. Sie verbinden he-
sammengesetzte Stähle haben sich seit Jah- rausragende Kaltumformbarkeit mit hoher Festigkeit
(Rm bis 1000 N/mm2, abhängig vom Martensitanteil)
ren für Ferngasleitungen bewährt, sie sind
und einem niedrigen Streckgrenzenverhältnis S von
in DIN EN 10208 genormt. 0,4 bis 0,6 [S = Streckgrenze (Rp0,2)/Zugfestigkeit (Rm)].
Der niedriggekohlte (C £ 0,1 %), hervorragend kalt-
Die Mindeststreckgrenze der thermomecha- umformbare und eine große Versetzungsdichte (resul-
nisch gewalzten Stähle nach DIN EN 10028-5 tierend aus der Volumen- und Formänderung bei der
liegt zwischen 355 N/mm2 und 550 N/mm2. Die Austenit-Martensitumwandlung) aufweisende Ferrit
wird durch Substitutionselemente verfestigt. Ein wei-
Bezeichnung der in zwei Reihen lieferbaren
terer Vorteile ist das Fehlen einer ausgeprägten Streck-
Sorten lautet für die Stähle der grenze, die die wichtigste Voraussetzung für Fließfi-
– Grundreihe z. B. P355M, für die der gurenfreiheit und ein starkes Verfestigungsvermögen
– kaltzähen Reihe z. B. P460ML. im Bereich kleiner Verformungsgrade ist. Diese Stäh-
le sind meistens mit Chrom, Silicium und Mangan
Die Kerbschlagzähigkeit der Stähle der Grund- legiert, um die für eine wirtschaftliche Herstellung
wichtige kritische Abkühlgeschwindigkeit zu reduzie-
reihe wird bis 20 C, die der kaltzähen Rei- ren und das Umwandlungsverhalten in gewünschter
he bis 50 C garantiert, falls keine anderen Weise zu beeinflussen (die Perlitbildung muss ausrei-
Vereinbarungen zwischen Hersteller und Ver- chend stark unterdrückt werden). Bei einer Wärme-
braucher getroffen wurden. behandlung im Durchlaufofen kann wegen der hier
möglichen raschen Abkühlung die Menge der Legie-
Die im Vergleich zur DIN 17172 wesentlich rungselemente geringer sein.
umfassendere DIN EN 10208 gibt die techni- Es ist an Hand des EKS, z. B. Bild 2-9, für einen unle-
gier ten Stahl mit C = 0,1 %, der einen Martensitge-
schen Lieferbedingungen für nahtlose und ge-
halt von 30 % haben soll, die Wärmebehandlung zu
schweißte Rohre an, die für den Transport ermitteln, die zu einem im geschilderten Sinn aufge-
und die Verteilung brennbarer Flüssigkeiten bauten »Dualphasen-Stahl« führt.
(z. B. für Erdöl/Erdölerzeugnisse) und verdich- Der Stahl (C = 0,1 %) wird aus dem Zweiphasenfeld
teter und verflüssigter Gase vorgesehen sind. (g + a) von einer Temperatur Tx abgeschreckt, bei der
Nach DIN EN 10027-1 werden Stähle für den 30 % Austenit (entspricht 30 % Martensit) vorhanden
Rohrleitungsbau mit dem Symbol L gekenn- ist. Der Hebelarm für Austenit muss etwa 30 %, der
zeichnet (L Steels for Linepipes). Erstmals für Ferrit etwa 70 % betragen. Aus Bild 2-9, S. 134, ent-
nimmt man für Tx = 830 C. Der nach dieser Behand-
wurden Leitungsrohre genormt, an die sehr
lung erzeugte »dualphasenähnliche« Stahl besitzt be-
unterschiedliche Anforderungen hinsichtlich merkenswerte mechanische Eigenschaften: Streckgren-
Qualität und Werkstoffprüfumfang gestellt ze Rp0,2 = 420 N/mm2, Zugfestigkeit Rm = 610 N/mm2,
werden. Es werden die Grundqualität »A« Bruchdehnung A5 = 9 % und Einschnürung Z = 51 %.
Tabelle 2-13
196
Mechanische Eigenschaften thermomechanisch gewalzter schweißgeeigneter Feinkornbaustähle nach DIN EN 10025-4.
Mindeststreckgrenze, ReH in MPa Kohlenstoffäquivalent (CEV) in Prozent, max., Mindestwert der Kerbschlagarbeit in J
Bezeichnung
für Erzeugnisdicke in mm für Erzeugnisdicke in mm bei der Prüftemperatur in °C 1)
nach EN 10027-1 nach EN 10027-2 < 16 > 16 > 40 < 16 > 16 > 40 + 20 – 20 – 50
und CR 10260 < 40 < 63 < 40 < 63
2)
Dieser Wert enspricht 27 J bei − 30°C
Tabelle 2-14
Mechanische Eigenschaften thermomechanisch gewalzter schweißgeeigneter Feinkornbaustähle nach DIN EN 10028-5.
Bezeichnung Mindeststreckgrenze, ReH in MPa Kohlenstoffäquivalent (CEV) in Prozent, max., Mindestwert der Kerbschlagarbeit in J
für Erzeugnisdicke in mm für Erzeugnisdicke in mm bei der Prüftemperatur in °C 1)
nach EN 10027-1 nach EN 10027-2 < 16 > 16 > 40 < 16 > 16 > 40 + 20 – 20 – 50
und CR 10260 < 40 < 70 < 40 < 70
Die Kohlenstoffgehalte der Stähle der Quali- Ein weiterer Vorteil der niedriggekohlten Ver-
tätsstufe »A« reichen von 0,21 % (L210) bis gütungsstähle besteht darin, dass wegen des
0,22 % (L360), die der thermomechanisch be- niedrigen Kohlenstoffgehaltes und der be-
handelten (Qualitätsstufe »B«) von nur 0,12 % grenzten Legierungsmenge die Ms-Tempera-
(L290MB) bis 0,16 % (L550MB). tur dieser Stähle relativ hoch liegt. Dadurch
erfolgt beim Abkühlen von der weit über Ac3
2.7.6.3 Vergütete Feinkornbaustähle liegenden Temperatur nach Unterschreiten
Stähle mit Mindeststreckgrenzen über etwa der Ms-Temperatur eine Art Selbstanlassen
510 N/mm2 werden im Allgemeinen mit der (Abschn. 2.5.2.1) der schmelzgrenzennahen,
Wärmebehandlung Vergüten erzeugt. Das aufgehärteten (martensitischen) Bereiche.
martensitische Gefüge besitzt die maximal Ms sollte also möglichst hoch sein. Die dabei
erreichbaren Festigkeiten metallischer Werk- entstehenden feinstdispersen Carbidausschei-
stoffe. Niedriggekohlter Martensit ist we- dungen verringern die Gitterspannung und
gen seiner ausgezeichneten Festigkeits- und damit die Rissneigung. Der Selbstanlass-
(Schlag-)Zähigkeitseigenschaften das Gefü- effekt ist zwar sehr erwünscht, seine Wirkung
ge, das bis zu höchsten Werkstofffestigkei- sollte aber nicht überbewertet werden, Bild
ten gewählt wird. Sogar ihre Unempfindlich- 4-75, S. 396.
keit gegenüber Sprödbruch ist größer als die
der ferritisch-perlitischen C-Mn-Stähle. Die- Aus wirtschaftlichen Gründen werden die-
se Eigenschaften beruhen auf folgenden Ursa- se Stähle praktisch ausschließlich wasserver-
chen: gütet. Da sie zur Sicherung einer ausreichen-
– Der Bruch entsteht bei Schlagbeanspru- den Schweißeignung einen niedrigen C-Ge-
chung hauptsächlich im Ferrit. halt (C
0,2 %) besitzen müssen, wird die er-
– Die Kerbschlagzähigkeit steigt i. Allg. mit forderliche kleine kritische Abkühlgeschwin-
abnehmender Größe der »Struktureinheit« digkeit durch Zugabe geeigneter Legierungs-
(z. B. Korngröße, Paketbreite, Größe/Brei- elemente in ausreichender Menge erreicht.
te der Martensitnadeln usw.), s. Aufgabe Die Eigenschaften dieser Werkstoffe hängen
2-4, S. 226. also im Gegensatz z. B. zu den nicht vergüte-
– Mit abnehmendem Kohlenstoffgehalt wer- ten Feinkornbaustählen – bei ihnen werden
den die während der Martensitbildung ent- die Gütewerte außer von der chemischen Zu-
stehenden rissbegünstigenden Umwand- sammensetzung durch (beschleunigtes) Ab-
lungsspannungen geringer, und die Mar- kühlen an Luft nach dem Walzen oder einem
tensithärte nimmt ab.
– Mit abnehmendem Kohlenstoffgehalt steigt 1
140
die kritische Abkühlgeschwindigkeit, d. J
h., die Martensitbildung beim Schweißen
Kerbschlagarbeit KV
2
120
wird zunehmend erschwert.
100
Cr − Mn − Ni − Mo.
Kohlenstoffgehalt
Der niedrige C-Gehalt (C
0,2 %), verbun-
den mit einem geringen Legierungsge-
halt (meistens deutlich unter 5 %), ergibt
eine relativ hohe Ms-Temperatur von oft
über 400 C. Der entstehende Martensit
ist relativ wenig verspannt und daher er-
staunlich (schlag-)zäh. Aus diesem Grun-
Bild 2-64 de ist die Schweißeignung gut. Die Kaltriss-
Mikroaufnahme eines vergüteten Feinkornbaustahls neigung ist bei Beachtung der üblichen
P690QL (StE 690) im Anlieferzustand, V = 800 :1. Vorsichtsmaßnahmen beherrschbar (Ab-
schn. 4.3.2, S. 384). Bei einem martensiti-
Normalglühen bestimmt – erheblich von den schen Gefüge ist aber die schädliche Wir-
jeweiligen im Blechinneren ( Wanddicken- kung selbst geringster Mengen Wasser-
einfluss) herrschenden Abkühlbedingungen stoff zu beachten. Diese Forderung ist
ab. beim Schweißen der niedriggekohlten,
schweißgeeigneten Vergütungsstähle un-
Diese bemerkenswerten Eigenschaften be- bedingt zu berücksichtigen.
sitzen die Stähle aber erst im vergüteten Zu-
stand. Sie werden zwischen 620 C und 720 C Chemische Zusammensetzung
angelassen, also bei deutlich höheren Tempe- Legierungselemente sollen
raturen als die üblichen Vergütungsstähle z. – für eine angemessene Durchhärtung
B. nach DIN EN 10083 (DIN 17200), Abschn. sorgen, d. h. die kritische Abkühlge-
2.7.3.1. Selbst bei niedrigeren Anlasstempera- schwindigkeit soweit verringern, dass
turen sind die Zähigkeits- und Festigkeitsei- wasserhärtbare Stähle entstehen, die
genschaften der (niedrig-)legierten wasserver- – Anlassbeständigkeit verbessern und
güteten Feinkornbaustähle hervorragend. Die – die Ms-Temperatur möglichst wenig sen-
von der Anlasstemperatur abhängigen mecha- ken. Außerdem muss sichergestellt sein,
nischen Gütewerte zeigt schematisch das Ver- dass bei praxisnahen Schweißbedin-
gütungsschaubild Bild 2-65. gungen die austenitisierten Bereiche
der WEZ beim Abkühlen in Martensit
Den Legierungselementen kommt außer der oder besser in Martensit und Bainit
Erhöhung der Festigkeit und Zähigkeit die (nicht in Perlit!) umwandeln können,
Aufgabe zu, die Anlassbeständigkeit so zu s. Abschn. 4.3.3, S. 398.
verbessern, dass in den beim Schweißen über
die Anlasstemperatur erwärmten Bereichen Flüssigkeitsvergütete Stähle sind bisher un-
der WEZ kein unzulässiger »Härtesack« ent- ter anderen in der DIN EN 10028-6 (vergüte-
steht. Optimale Eigenschaften sind von den te Druckbehälterstähle), in DIN EN 10025-6
Elementen zu erwarten, die eine maximale An- (Flacherzeug nisse mit höherer Streckgren-
lassbeständigkeit – das sind die in Abschn. ze im vergüteten Zustand) und in ISO 9328-6
2.5.2.2 näher besprochenen Sondercarbidbild- (Flacherzeugnisse aus Stahl für Druckbean-
ner, wie Chrom, Molybdän, Wolfram – mit ge- spruchungen) genormt. Die Streckgrenzen-
ringstem Abfall der Ms-Temperatur verbin- werte liegen zwischen 460 N/mm2 (P460Q,
den. Daraus ergibt sich folgende Reihenfolge S460Q) und 890 N/mm2 (P690Q, S890Q), Ta-
zunehmender Eignung: belle 2-15 und 2-16.
Tabelle 2-15
Mechanische Eigenschaften vergüteter schweißgeegneter Feinkornbaustähle nach DIN EN 10028-6 (Auszug).
Mechanische Eigenschaften
Bezeichnung Mindeststreckgrenze, ReH in MPa Zugfestigkeit, Rm in MPa Mindestwerte der Kerbschlagarbeit in J für Erzeugnisdicken
für Erzeugnisdicke in mm für Erzeugnisdicke in mm zwischen 10 mm und 70 mm bei der Prüftemperatur in °C 1)
nach EN 10027-1 nach < 50 > 50 > 100 < 100 > 100 0 – 20 – 40 – 60
und CR 10260 EN10027-2 < 100 < 150 < 150
P460Q 1.8870 40 30 − −
P460QL 1.8871 460 440 400 550 bis 720 500 bis 670 40 30 − −
P460QL1 1.8872 60 50 40 30
P500Q 1.8873 40 30 − −
P500QL 1.8874 500 480 440 590 bis 770 540 bis 720 40 30 − −
P500QL1 1.8875 60 50 40 30
P550Q 1.8876 40 30 − −
P550QL 1.8877 550 530 490 640 bis 820 590 bis 770 40 30 − −
P550QL1 1.8878 60 50 40 30
1)
Werte gelten für Spitzkerb-Längsproben
Tabelle 2-16
Mechanische Eigenschaften vergüteter Stähle mit höherer Streckgrenze nach DIN EN 10025-6 (Auszug).
Mechanische Eigenschaften
Bezeichnung Mindeststreckgrenze, ReH in MPa Zugfestigkeit, Rm in MPa Mindestwerte der Kerbschlagarbeit (Spitzkerb-Längsproben)
für Erzeugnisdicke in mm für Erzeugnisdicke in mm in J bei der Prüftemperatur in °C
S460Q 1.8821 30 27 − −
S460QL 1.8833 460 440 400 550 bis 720 35 30 27 −
S460QL1 1.8824 40 35 30 27
S620Q 1.8914 30 27 − −
S620QL 1.8927 620 580 560 700 bis 890 35 30 27 −
S620QL1 1.8987 40 35 30 27
Abschn. 2.7.6: Feinkornbaustähle
S890Q 1.8940 30 27 − −
940 bis 880 bis
S890QL 1.8983 890 830 − 35 30 27 −
1100 1100
S890QL1 1.8925 40 35 30 27
199
200 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
600 60
Z Korrosionsbeständigkeit.
Festigkeitswerte
400 40
Unter einem praxisnäheren Gesichtspunkt
200
A
20
können die Anforderungen an die chemische
0 0 Beständigkeit der Werkstoffe technisch sinn-
720 ° C
600 640 680 760
voller formuliert werden:
Anlasstemperatur T
– Das Abtragen des Werkstoffs sollte gleich-
200
mäßig, d. h. mit den bekannten Methoden
Prüftemperatur - 60 ° C
J/cm2 berechenbar und in flächenförmiger Form
150 erfolgen, wenn Korrosionserscheinungen
Kerbschlagzähigkeit a k
Die Werkstückoberfläche muss von Verunrei- Dazu gehört die möglichst vollständige Kennt-
nigungen aller Art – vor allem vor Wärmebe- nis des Korrosionssystems: Art und Konzen-
handlungen – mit geeigneten Mitteln befreit tration des Mediums, Strömungsgeschwin-
werden. Die mit Werkzeugen (Bohren, Fei- digkeit, pH-Wert, Art und Menge der Verun-
len, Schleifen), Spannvorrichtungen (z. B. die reinigungen, Medientemperatur. Weiterhin
Befestigungsschrauben des Erdanschlusses sind die mechanischen Gütewerte und die
am Fügeteil oder Schweißtisch!), Abkanten, Möglichkeiten und Grenzen der Herstellung
Drücken und Verformen in die Oberfläche ein- festzulegen und zu beachten.
gepressten Fremdmetallpartikel lassen sich
zuverlässig nur mit chemischen Mitteln be- Korrosion in Wässern
seitigen. Sandstrahlen muss mit eisenfreien Die Art der (industriellen) Wässer ist ext-
(extreme Oxidationswirkung!) Strahlkörpern rem unterschiedlich. Sie können hochrein,
erfolgen. Die sicherste Methode zum Beseiti- chemisch behandelt, Frischwasser (Menge
gen von Fremdmetallspänen und schwer ent- der Chloridionen beträgt gewöhnlich
600 ppm)
fernbaren Oberflächenschichten ist das Pas- oder Meerwasser sein und gelöste Stoffe (z.
sivieren. Diese Methode besteht aus einem B. Chloridionen, O2) in unterschiedlicher Men-
Reinigen, einer Behandlung in einer Lösung ge enthalten. Vor allem in chloridionenhalti-
bestehend aus 20 Vol % 50%iger HNO3, Rest gen Wässern kann bei Betriebstemperatu-
Wasser (oft mit Zusätzen von oxidierenden ren über 50 C die SpRK entstehen.
Salzen, z. B. Na2Cr2O7¹2 H2O zum Verstärken
der Chromoxidschicht) und dem abschließen- In Frischwasser sind alle üblichen austeniti-
den Reinigen, s. a. Tabelle 4-37, S. 415. Das schen Cr-Ni-Stähle weitestgehend beständig.
Passivieren ist zum Erzeugen der Passiv- In Meerwasser ebenso, wenn die Strömungs-
schicht nicht erforderlich. Diese bildet sich geschwindigkeit 1,5 m/s ist. Bei stagnieren-
spontan, selbst in Anwesenheit sehr gerin- dem Meerwasser sind höherlegierte Stähle
ger Sauerstoffmengen. erforderlich, weil das verringerte Sauerstoff-
angebot den Aufbau der Passivschicht sehr
erschwert.
2.8.2 Korrosionsverhalten der
Stähle in speziellen Medien Korrosion durch chemischen Angriff
Hier sind die Vorgänge besonders unüber-
Die korrosionsbeständigen Stähle werden sichtlich und komplex und die Auswahl kor-
nahezu ausschließlich durch Schweißen ver- rosionsbeständiger Werkstoffe nur mit gro-
bunden. Die schweißtechnischen und werk- ßer Erfahrung zuverlässig möglich. Selbst
stofflichen Besonderheiten und Erfordernis- wenn ein entsprechender Werkstoff bekannt
se werden ausführlicher in den Abschnitten ist, können z. B. die allgegenwärtigen Chlorid-
1.7.7.6, S. 100, und 4.3.7.1, S. 414, besprochen. ionen zur Spannungsrisskorrosion führen.
Die beim Schweißprozess entstehenden Span- Eine unzureichende Belüftung, unkontrollier-
nungszustände und verschiedene werkstoff- te Streuströme, oder die Kontaktkorrosion
liche Probleme – vor allem des geseigerten können Wasserstoffversprödung oder die was-
Schweißguts – können die Korrosionseigen- serstoffinduzierte Korrosion auslösen. Übli-
schaften geschweißter Bauteile außerordent- che Tests (möglichst unter Einbeziehung des
lich verschlechtern. gesamten »Korrosionssystems«!) liefern eben-
so wie die Datenblätter des Werkstoffherstel-
Die korrosionsbeständigen Stähle werden lers entscheidende Hinweise auf das Korro-
bevorzugt durch die Spannungsrisskorro- sionsverhalten des Stahls.
sion, Lochkorrosion, Spaltkorrosion und die
Kontaktkorrosion angegriffen. Anorganische Säuren
Die chemische Zusammensetzung des Stahls
Die Auswahl geeigneter Stähle wird von der zusammen mit dem Wasserstoffionengehalt
geforderten Korrosionsbeständigkeit be- und der Oxidationsfähigkeit der Säure be-
stimmt (Einzelheiten s. Abschn. 1.7.7, S. 94). stimmen seine Korrosionsbeständigkeit.
Abschn. 2.8.3: Korrosionsbeständige Stähle (Werkstoffliche Grundlagen) 203
Die meisten austenitischen Cr-Ni-Stähle, die (Wässrige) Flusssäure greift alle korrosions-
hochsiliciumhaltigen Gusseisensorten und beständigen Stähle durch Lochkorrosion sehr
vor allem das Titan (Abschn. 5.4.1, S. 554), stark an. Für Konzentrationen größer 60 %
sind in der stark oxidierenden Salpetersäu- bis 100 % können unlegierte Stähle und hoch
re (HNO3) in Konzentrationen zwischen 0 % nickelhaltige Legierungen (z. B. Hastelloy C,
und 65 % bis zum Siedepunkt beständig. Mit Ni-Cu-Legierungen, z. B. Monel) verwendet
zunehmender Korrosionsschärfe oder höhe- werden.
ren Temperaturen sind größere Chromgehal-
te im Stahl erforderlich. Organische Säuren
Sie sind in der Regel wesentlich weniger ag-
Die ferritischen Chromstähle sind in Schwe- gressiv, weil sie in einem viel geringeren Um-
felsäure (H2SO4) wenig, die Superferrite sehr fang dissoziieren, d. h., der Anteil an Wasser-
gut beständig. Die normalen austenitischen stoffionen im Medium ist kleiner.
Cr-Ni-Stähle können für sehr verdünnte und
hochkonzentrierte Schwefelsäure (101 %) ver-
wendet werden. Für Konzentrationen größer 2.8.3 Werkstoffliche Grundlagen
70 % werden im großen Umfang unlegierte
Kohlenstoffstähle verwendet. Die austeniti- Einige wichtige und grundlegende Informa-
schen Stähle werden in der Regel nur für die tionen über die z. T. komplexen werkstoff-
101%ige Säure eingesetzt und wenn Eisen- lichen Vorgänge lassen sich aus den üblichen
verunreinigungen in der Säure unzulässig Zwei- und Dreistoff-Schaubildern ableiten.
sind. Höhere Nickel- und Kupfergehalte ver- Insbesondere das Fe-Cr-Ni-Schaubild liefert
bessern die Beständigkeit erheblich. verschiedene wichtige Hinweise. Da die Stäh-
le aber meistens hoch und mit mehreren Ele-
Die üblichen korrosionsbeständigen Stähle menten legiert sind, ist die Aussagefähigkeit
sind selbst in verdünnter Salzsäure nicht dieser Gleichgewichts-Schaubilder wie schon
verwendbar. Geringe Mengen an Verunreini- mehrfach angesprochen deutlich begrenzt.
gungen – besonders oxidierende Substanzen Der Einfluss einer beschleunigten Abkühlung
und Belüftung – führen zu unübersichtlichen, auf die Umwandlungs- und Ausscheidungs-
z. T. extremen Korrosionserscheinungen. vorgänge – ebenso wie die Wirkung der Legie-
Tantal und spezielle Gläser sind absolut be- rungselemente – können nur sehr angenä-
ständig. Tantal wird aber wegen seines hohen hert abgeschätzt werden.
Preises nur eingesetzt, wenn z. B. selbst ge-
ringste Verunreinigungen nicht zulässig sind, 2.8.3.1 Die Zustandsschaubilder
s. Abschn. 5.4.4, S. 564. Fe-Cr, Fe-Ni
Die für das Verständnis der werkstofflichen
2000
Zusammenhänge grundlegenden Systeme
°C
S S+ d
sind das Fe-Cr- und das Fe-Ni-Zustandsschau-
bild, Bild 2-66 und 2-67. Gemäß Fe-Cr-Schau-
Temperatur T
1600
bild, Bild 2-66, wird bei mehr als 12 % Chrom
1200
das g-Gebiet vollständig abgeschnürt, eine
g g + d d g/a-Umwandlung kann also nicht mehr statt-
finden. Chrom gehört demnach zu den Elemen-
800 ten, die den ferritischen Zustand stabilisieren,
s+ d s s + d’
d’
Bild 2-42. Diese bis unter Raumtemperatur
d
400 umwandlungsfreien Werkstoffe werden kor-
rosionsbeständige ferritische Chromstäh-
0
le genannt (Abschn. 2.8.4.2).
Fe 20 40 60 80 % Cr
Chromgehalt Üblicherweise bezeichnet man den sich aus
Bild 2-66 der Schmelze und aus dem Austenit bilden-
Das Zustandsschaubild Fe-Cr, nach Kubaschewski. den Ferrit als d -Ferrit (primärer). Aus ver-
204 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
schiedenen Gründen sollte der aus der peri- Selbst geringe Kohlenstoffmengen (C
0,1 %)
tektischen Reaktion entstehende Ferrit d - beeinflussen das Umwandlungsgeschehen
Ferrit (wie bei unlegierten Stählen), der aus stärker als jedes andere Legierungselement
dem Austenit entstehende Ferrit a -Ferrit ge- (außer Stickstoff!). Aus den hochlegierten g -
nannt werden, s. a. Aufgabe 2-9, S. 232. Die- Mischkristallen entstehen nach Durchlaufen
se unterschiedlichen Ferritsorten sind auch der g-Schleife kohlenstoffhaltige krz a-Um-
mit metallografischen Hilfsmitteln unter- wandlungsgefüge. Das sind die korrosions-
scheidbar. beständigen (lufthärtenden) martensiti-
schen Stähle.
Unter 820 C beginnt bei höheren Chromge-
halten gemäß Bild 2-66 die Ausscheidung Im Gegensatz zu Chrom erweitert das Le-
der spröden intermediären Sigma-Phase aus gierungselement Nickel den Austenitbereich
dem d(a)-Ferrit (Abschn. 2.8.3.4.2). Da sie sehr stark, wie das Fe-Ni-Zustandsschaubild
etwa 45 % Chrom enthält, kann außer einer Bild 2-67 zeigt. Hierauf beruht die Möglich-
Versprödung des Werkstoffs auch eine uner- keit, korrosionsbeständige austenitische
wünschte Chromverarmung an der Phasen- Chrom-Nickel-Stähle herzustellen. Sie sind
grenze Matrix/Ausscheidung entstehen. In ähnlich wie die ferritischen Chromstähle im
Legierungen mit Chromgehalten zwischen gesamten Temperaturbereich umwandlungs-
etwa 10 % und 85 % entmischt sich der Fer- frei (sie bestehen nur aus g -Mischkristallen)
rit bei Temperaturen unter 600 C. Es entste- und damit im klassischen Sinne nicht mehr
hen sehr chromreiche d’-Mischkristalle und wärmebehandelbar, d. h. weder härtbar noch
chromarme d-Mischkristalle. Auf diesem Vor- normalglühbar.
gang beruht die so genannte 475 C-Versprö-
dung der ferritischen bzw. der ferrithaltigen 2.8.3.2 Das Zustandsschaubild
korrosionsbeständigen Chromstähle (s. Ab- Fe-Cr-Ni
schn. 2.8.3.4.3). Dieses Dreistoffsystem ist für das Verständ-
nis der werkstofflichen Vorgänge ein unver-
Eine weitere Unzulänglichkeit der Zweistoff- zichtbares Hilfsmittel, Bild 2-68. Aus den
Schaubilder besteht darin, dass sich der Ein- Teil-Zweistoff-Schaubildern Fe-Cr, Fe-Ni
fluss des wichtigen Legierungselementes und Ni-Cr wird der Verlauf der wichtigen
Kohlenstoff (und auch jedes anderen Elemen- eutektischen Rinne (Linie I-II in Bild 2-68)
tes) nicht quantitativ erfassen lässt. Hierfür verständlich. Oberhalb dieser Phasengrenze
sind sogar die relativ komplizierten Dreistoff- scheiden sich beim Abkühlen aus der Schmel-
Schaubilder nur bedingt geeignet (Abschn. ze nach dem Durchstoßen der Liquidusflä-
1.6.5, S. 59). che primäre d (a )-Kristalle, unterhalb dieser
Fläche primäre g -Kristalle aus. Der Existenz-
2000
bereich dieser beiden Mischkristallarten ist
° C
S+ d S+ g S
durch einen Dreiphasenraum (»Dreikantröh-
re«, »Pflugschar«, s. Abschn. 1.6.5, S. 59) ge-
Temperatur J
1600
800
Cr
a
S+
Cr
20 80
a
S+
40 60
d (a)
S+
II
+ g
g
)
d(a
60 S+ 40
S
A g
80 20
18
00
00
18
°C
Fe
°C
16
00
00
16
14
00
00
Fe
14
I 20 40 60 80 Ni Ni
1400 g
S+ g
a
°C S
S+a
1600
Bild 2-68
Ternäres Fe-Cr-Ni-Zustandsschaubild mit eingezeichneten Teil-Zweistoff-Schaubildern Fe-Ni, Fe-Cr, Ni-Cr.
Die Linie »A« entspricht dem Konzentrationsschnitt für einen konstanten Eisengehalt von 70 %, vergleiche auch
Bild 2-82.
206 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
Technisch bedeutsam ist die durch Nickel Im Gegensatz zum unlegierten Austenit löst
verursachte Änderung der Form des g -Rau- der mit Chrom und Nickel legierte erheblich
mes. Mit zunehmendem Nickelgehalt wird weniger Kohlenstoff (
0,006 % bei Raum-
er zu größeren Chromgehalten und tieferen temperatur), d. h., auch austenitische Stäh-
Temperaturen verschoben, Bild 2-69. Dieses le scheiden noch bei Kohlenstoffgehalten, die
Werkstoffverhalten zusammen mit sehr ge- ähnlich gering sind wie die der ferritischen
ringen Kohlenstoffgehalten (
0,05 %) ermög- Stähle Chromcarbide aus. Die Ausscheidungs-
lichte die Entwicklung der schweißgeeigne- kinetik ist aber wegen der sehr unterschied-
ten, praktisch deltaferritfreien und extrem lichen Lösungsfähigkeit der krz und kfz Git-
kohlenstoffarmen weichmartensitischen tertypen und der sehr unterschiedlichen Dif-
Stähle fusionseigenschaften der Atome in ihnen sehr
unterschiedlich.
Kohlenstoff
Kohlenstoff begünstigt ähnlich wie Stickstoff Die Diffusionsgeschwindigkeit des Kohlen-
sehr wirksam den austenitischen Zustand. stoffs im Ferrit ist etwa um den Faktor 100
Selbst geringste Mengen erweitern erheb- bis 1000 größer als im Austenit, seine Lös-
lich die (g d)-Schleife des Fe-Cr-Schaubil- lichkeit ist dagegen wesentlich geringer. Bei-
des erheblich, Bild 2-70. Alle Legierungen, de Faktoren begünstigen die Carbidausschei-
die den (g d)-Bereich durchlaufen, wandeln dung aus dem Ferrit und erschweren sie aus
daher beim Abkühlen in einen aus Ferrit und dem Austenit (s. Fußnote 23, S. 208). Die fer-
weiteren Gefügen bestehenden Stahl um, ritische Matrix ist damit thermisch sehr viel
der auch als halbferritischer Stahl be- unbeständiger als die austenitische und neigt
zeichnet wird (Abschn. 2.8.4.2). in größerem Maße zu Ausscheidungen aller
Art. Hochwarmfeste, aber auch die korrosions-
In ferritischen Chromstählen scheiden sich beständigsten Stähle müssen daher das ther-
bereits ab 0,01 % Kohlenstoff Carbide aus, misch stabile (voll-)austenitische Gefüge be-
deren Chromgehalt zwischen 40 % und 65 % sitzen.
liegen kann. Die dadurch hervorgerufene
Chromverarmung der Matrix ist die Ursa- Stickstoff
che für die Entstehung der interkristallinen Ähnlich wie Nickel und Kohlenstoff ist Stick-
Korrosion (Abschn. 2.8.3.4.1). Die Carbidbil- stoff ein sehr starker Austenitbildner und be-
dung ist wegen der sehr großen Affinität des einflusst daher weitgehend die Art der Aus-
Chroms zu Kohlenstoff nahezu unvermeid- tenitumwandlung. Die Löslichkeit dieses bei
lich, s. a. Aufgabe 4-16, S. 494. un- und (niedrig-)legierten Stählen sehr uner-
Nickel in %: 0 1 4 6
wünschten »Stahlschädlings« ist im hochle-
1200 gierten Austenit wesentlich größer als die
°C des Kohlenstoffs. Der Stickstoff scheidet sich
1100 nach Überschreiten der Löslichkeitsgrenze
Temperatur T
Diese sehr geringe Neigung zu gütevermin- mit Eisen verschiedene intermediäre Pha-
dernden Ausscheidungen ist vor allem bei sen, die die Korrosionsbeständigkeit und die
Austeniten wichtig, die mit Molybdän, Sili- mechanischen Eigenschaften merklich beein-
cium und anderen Elementen legiert sind. trächtigen. Die wichtigsten sind die Laves-
Derartige Stähle neigen meistens zum Aus- Phase Fe2Mo, die ungefähr 45 % Molybdän
scheiden verschiedener, sehr unerwünschter, enthält und die Chi-Phase (c-Phase) mit der
weil güteverschlechternder intermediärer Summenformel Fe36Cr12Mo10. Mit der Bildung
Phasen (z. B. die Chi- und die Laves-Phase, der Laves-Phase muss bei mehr als 2 % ... 3 %
verschiedene Carbidmodifikationen). Molybdän gerechnet werden. Höhere Tempe-
raturen und längere Zeiten erleichtern sehr
Der entscheidende Vorteil stickstofflegierter stark ihre Entstehung.
austenitischer Stähle ist aber die deutliche
Erhöhung der jeder Bauteilberechnung zu- Silicium
grunde liegenden Streckgrenze bei nur ge- Silicium (4 % ... 5 %) erhöht die Beständigkeit
ringfügig verminderten Zähigkeitseigenschaf- austenitischer Chrom-Nickel-Stähle gegen-
ten, Tabelle 2-17. Die Korrosionsbeständigkeit über konzentrierter Salpetersäure und ver-
und vor allem die Schweißeignung dieser bessert erheblich ihre Zunderbeständigkeit.
Stähle sind gut. Die Neigung zur Bildung der Sigma-Phase
und verschiedener niedrigschmelzender Pha-
Molybdän sen wird allerdings deutlich vergrößert. Die
Dieses wichtige Legierungselement begüns- Heißrissgefahr vor allem der vollausteniti-
tigt die Ferritbildung, erhöht die Beständig- schen Stähle wird dadurch merklich erhöht
keit gegenüber Lochkorrosion und reduzie- (Abschn. 2.8.4.3).
renden Korrosionsmedien, verbessert die
Festigkeitseigenschaften bei höheren Tempe- Wasserstoff
raturen und verschiebt den Existenzbereich Wasserstoff hat den kleinsten Atomdurch-
der Sigma-Phase zu geringeren Chromgehal- messer aller Elemente (Abschn. 3.3.3.3, S.
ten und zu höheren Temperaturen und be- 258), sein Diffusionsvermögen ist daher grö-
schleunigt ihre Ausscheidung. Es bildet aber ßer als das jedes anderen Elements. Die Was-
serstofflöslichkeit der kfz Metalle ist um ei-
1500
B A
nige Zehnerpotenzen größer als die der krz
°C Metalle. Nickel kann besonders viel Wasser-
stoff lösen, d. h., seine Neigung, beim Schwei-
Temperatur T
1400
2.8.3.4 Ausscheidungs- und Bild 2-71 zeigt schematisch die bei der Aus-
Entmischungsvorgänge scheidung von Chromcarbiden ablaufenden
Vorgänge. Das für die Carbidbildung erforder-
2.8.3.4.1 Interkristalline Korrosion (IK) liche Chrom wird zunächst der unmittelba-
Die mehrfach legierten korrosionsbeständi- ren Nähe der Ausscheidung entzogen, d. h.,
gen Stähle zeigen abhängig von der Art der die Chromverteilung in der Matrix zeigt den
Legierungselemente und ihrer Menge sowie in Bild 2-71a skizzierten muldenförmigen Ver-
ihrem Gittertyp eine ausgeprägte Neigung lauf. Das Nachströmen der sehr trägen, diffu-
zur Bildung unerwünschter Ausscheidun- sionsunwilligen Chromatome aus dem Korn-
gen, die die Korrosionsbeständigkeit, das inneren ist ein diffusionskontrollierter Pro-
Schweißverhalten und (oder) die mechani- zess, also temperatur- und zeitabhängig. Un-
schen Eigenschaften sehr beeinträchtigen terschreitet der Chromgehalt in der »Mulde«
können.
den für die Passivität erforderlichen Wert von sionskoeffizienten DCr (s. Fußnote 23, S.
12 %, dann wird der Stahl in diesem Bereich 206) sehr rasch.
korrosionsanfällig. Diese Vorgänge finden – Die kfz Stähle werden durch ein Glühen im
überwiegend an den energiereichen »Stör- Bereich 600 C bis 800 C am schnellsten
stellen« Korngrenzen statt. Entstehen hier sensibilisiert, also IK-anfällig gemacht.
nichtzusammenhängende Ausscheidungen, Die Annahme liegt nahe, dass die IK-An-
dann ist der chemische Angriff in der Regel fälligkeit bei diesen Stählen eine andere
vernachlässigbar, Bild 2-71b. Ursache hat als bei den ferritischen Chrom-
stählen.
Wenn die Resistenzgrenze durch eine konti-
nuierliche Folge von Ausscheidungen in der Dieses sehr unterschiedliche Verhalten ist
unmittelbaren Nähe der Korngrenzen unter- aber lediglich eine Folge der unterschiedli-
schritten wurde, dann wird dieser Bereich chen Diffusions- und Löslichkeitsbedingun-
durch einen Korrosionsangriff zerstört, und gen der Legierungselemente in den krz und
der Kornverbund zerfällt. Diese nur auf die kfz Gittern. Bild 2-73 zeigt schematisch die
Korngrenzenbereiche beschränkte Form der temperatur- und zeitabhängige Ausschei-
Korrosion wird interkristalline Korrosion dung der Chromcarbide aus einem ferriti-
(IK) oder auch anschaulich Kornzerfall ge- schen Chromstahl und einem austenitischen
nannt. Bemerkenswert ist, dass die Ursache Chrom-Nickel-Stahl.
der IK nicht die Menge ausgeschiedener Carbi-
de ist, sondern ein bestimmter Ausscheidungs- Der eingezeichnete für eine Lichtbogen-
zustand, bei dem die Chromverarmung der schweißung typische Abkühlverlauf (Linie
Matrix ein Maximum erreicht. Daher bezeich- »A«) gibt die Unterschiede sehr deutlich wie-
net man die der interkristallinen Korrosion der. Beim Schweißen des ferritischen Stah-
zugrunde liegenden werkstofflichen Vorgän- les ist die Carbidausscheidung beim Abküh-
ge als Chromverarmungstheorie. len nicht unterdrückbar, der Stahl wird also
sofort nach dem Schweißen kornzerfallsan-
Die bisher geschilderten Ausscheidungsvor- fällig. Der gleiche Vorgang erfordert bei den
gänge lassen sich sehr anschaulich in Zeit- austenitischen Stählen eine sehr viel länge-
Temperatur-Ausscheidungs-Schaubildern
(ZTA-Schaubild) darstellen, Bild 2-72. Die 1100
Ausscheidung von Chromcarbiden (Linien 1 °C
und 4) ist noch nicht gleichbedeutend mit der 1000
Temperatur T
3 4 TL
Neigung zum Kornzerfall bzw. zu seinem Be-
ginn. Dies geschieht erst dann, wenn der in 900
re Zeit; er ist aber sehr stark von der Menge ❐ Zugabe von Sondercarbidbildnern. Die
an Kohlenstoff und anderen Legierungsele- große Affinität der Elemente Ti, Ta, Nb
menten abhängig, Bild 2-74. Ein Kornzerfall führt zum Abbinden des Kohlenstoffs in
direkt nach dem Schweißen ist unwahrschein- Form stabiler Carbide als TiC, TaC, NbC.
lich, s. a. Bild 4-101, S. 432. Der Kohlenstoff wird stabilisiert. Die we-
niger stabilen, unerwünschten Chromcar-
Gegenmaßnahmen bide können sich nicht mehr bilden, d. h.,
Zum Abwenden der gefährlichen IK sind ver- Kornzerfall ist weitgehend ausgeschlos-
schiedene Methoden bekannt, deren Wirksam- sen. Abhängig vom Kohlenstoffgehalt des
keit z. T. von der Stahlsorte abhängt. Die fol- Stahles beträgt die Menge der erforderli-
genden Maßnahmen werden in der Praxis chen Stabilisatoren genannten Sonder-
angewendet. carbidbildner:
Ti 5 ¹ C, Nb (Ta) (10 bis 12) ¹ C.
❐ Lösungsglühen und Abschrecken.
Die Ausscheidungen werden gelöst und Diese Mengen sind größer als dem stö-
ihr Wiederausscheiden durch rasches Ab- chiometrischen Verhältnis entspricht, weil
kühlen verhindert. Diese Methode wird sie als stickstoffaffine Elemente auch den
in der Praxis kaum (wohl aber vom Stahlher- im Stahl immer enthaltenen Stickstoff ab-
steller!) angewendet. Die erforderlichen binden.
hohen Temperaturen führen zu erhebli-
chen Bauteilverzügen (Festigkeit ist ge- Diese Stähle werden stabilisierte Stähle ge-
ring!), verzunderten Oberflächen und ver- nannt, weil bei ihnen der Kohlenstoff fest (sta-
ursachen hohe Kosten. bil) abgebunden ist.
Bild 2-73
Einfluss der Gitterform auf die M23C6 -Ausscheidung
24)
ELI = Extra Low Interstitial, d. h. ein Stahl mit und die IK-Anfälligkeit eines ferritischen Chromstah-
einem sehr geringen Gehalt interstitiell gelöster les (C = 0,05 %, Cr = 17 %) und eines austenitischen
Elemente. Diese Stähle werden auch als Super- Cr-Ni-Stahles (C = 0,05 %, Cr = 18 %, Ni = 8 %), geprüft
ferrite bezeichnet (Abschn. 2.8.4.2, S. 215). im Strauss-Test. Die eingetragene Abkühlkurve »A«
25)
ELC = Extra Low Carbon, also ein Stahl mit ei- entspricht den Schweißbedingungen: Wärmeeinbrin-
nem sehr geringen Kohlenstoffgehalt. gen 5 kJ/cm, Blechdicke 20 mm, Vorwärmtemperatur
ULC = Ultra Low Carbon. 300 C, nach Bäumel.
Abschn. 2.8.3: Korrosionsbeständige Stähle (Werkstoffliche Grundlagen) 211
ten und beginnen erst bei höheren Tempe- kann. Die Ausscheidung der Sigma-Phase
raturen. Es entstehen meistens intermediä- kann daher erst dann erfolgen, wenn der Ge-
re Verbindungen, die die halt dieser Elemente an den Orten beginnen-
– mechanischen Gütewerte, insbesondere der Ausscheidung gegen Null geht. Diese Zu-
die Zähigkeitseigenschaften und die sammenhänge gelten nur für atomar im Git-
– Korrosionsbeständigkeit z. T. extrem ver- ter gelösten Kohlenstoff und Stickstoff. In
schlechtern. stabilisierten Stählen ist Kohlenstoff fest,
Stickstoff z. T. gebunden. Bei diesen Stäh-
Die Sigma-Phase ist eine intermediäre Ver- len ist daher die ausscheidungshemmende
bindung mit der Näherungsformel FeCr. Sie Wirkung des Kohlenstoffs nur noch in einem
setzt die Zähigkeit herab, häufig auch die Kor- geringen Umfang vorhanden.
rosionsbeständigkeit. Bild 2-66 zeigt, dass
in reinen Eisen-Chrom-Legierungen die Aus- Kohlenstoff scheidet sich im Gegensatz zu
scheidung der Sigma-Phase ab 15 % Chrom Stickstoff relativ leicht in Form von Carbi-
unter 800 C beginnt. Ihre Bildung wird u. a. den aus. Die Löslichkeit des Stickstoffs im
durch Molybdän, Niob, Silicium, Titan, Va- (hochlegierten) kfz Gitter ist deutlich größer
nadium erleichtert, durch Nickel und Kobalt als die des Kohlenstoff, daher ist auch seine
erschwert. Molybdän begünstigt sehr stark ausscheidungshemmende Wirkung wesent-
die Bildung der Sigma-Phase. Es verschiebt lich größer.
ihren Bildungsbereich zu niedrigeren Chrom-
gehalten und höheren Temperaturen. Die Die Sigma-Phase scheidet sich aus dem Fer-
Lösungsglühtemperatur molybdänlegierter rit grundsätzlich schneller aus als aus Auste-
Stähle muss daher mit etwa 1150 C deutlich nit. Dies geschieht beim d-Ferrit im Tempera-
höher liegen als die der molybdänfreien (ca. turbereich zwischen 600 C und 900 C und
1050 C). führt zu einer sehr erheblichen Versprödung.
Durch Glühen bei 950 C wird die Sigma-Pha-
Die Ausscheidungskinetik der Sigma-Phase se gelöst und ihre versprödende Wirkung be-
ist wegen der unterschiedlichen Lösungsfä- seitigt. Besonders nachteilig ist ihre Bildung
higkeit für bestimmte Legierungselemente in den austenitisch-ferritischen Duplexstäh-
und ihrer unterschiedlichen Diffusionsmög- len, die ungefähr 50 % d-Ferrit enthalten (Ab-
lichkeit im kfz bzw. krz Gitter sehr stark vom schn. 2.8.4.4).
Gittertyp abhängig. Kohlenstoff und Stick-
stoff verzögern die Bildung der Sigma-Pha- 2.8.3.4.3 475 °C-Versprödung
se stark, da sie beide Elemente nicht lösen Die Versprödung beruht auf einer Nahent-
mischung des d -Ferrits, der sich in Stäh-
900
len mit mehr als 12 % Chrom und sehr lan-
°C gen Glühzeiten (einigen tausend Stunden)
Kohlenstoffgehalt in %:
unterhalb 500 C in eine sehr chromreiche
Temperatur T
800
d’- und eine chromarme d -Phase entmischt.
Bei den austenitisch-ferritischen Stählen
0,09
212
Mechanische Eigenschaften ausgewählter nichtrostender Stähle für die Erzeugnisform C, Werkstückdicke 6 mm [(auch P und H für Werkstückdicken
12 mm (H) bzw. 75 mm (P)], nach DIN EN 10088-2, Auswahl (9/2005).
Austenitische Stähle
Ferritische Stähle
X2CrNi12 1.4003 A 280 450 ... 650 20 − − nein nein
X6CrNiTi12 1.4516 A 280 450 ... 650 23 − − nein nein
X6Cr13 1.4000 A 240 400 ... 600 19 − − nein nein
X6Cr17 1.4016 A 260 450 ... 600 20 − − ja nein
X3CrNb17 1.4511 A 230 420 ... 600 23 − − ja ja
X6CrMo17-1 1.4113 A 260 450 ... 630 18 − − ja nein
X2CrTi17 1.4520 A 180 380 ... 530 24 − − ja ja
X6CrNi17-1 1.4017 A 480 650 ... 750 12 − − ja ja
X2CrTiNb18 1.4509 A 230 430 ... 630 18 − − ja ja
X1CrMoTi29-4 1.4592 A 430 550 ... 700 20 − − ja ja
Martensitische Stähle
6)
X12Cr13 1.4006 QT550 (P/75 5)) 400 550 ... 750 15 − − −
6)
X20Cr13 1.4021 QT650 (P/75 5)) 450 650 ... 850 12 − − −
X30Cr13 1.4028 QT800 (P/75 5)) 600 800 ... 1000 10 − − − −
X39Cr13 1.4031 QT − − 12 − − − −
X46Cr13 1.4034 A − max. 780 12 − − − −
X50CrMoV15 1.4116 A − max. 850 12 − − − −
X39CrMo17-1 1.4122 A − max. 900 12 − − − −
Weichmartensitische Stähle
X3CrNiMo13-4 1.4313 QT780 (P/75 5)) 650 780 ... 980 14 70 min. − − −
X4CrNiMo16-5-1 1.4418 QT840 (P/75 5)) 680 840 ... 980 14 55 min. − − −
Ausscheidungshärtende Stähle
1)
A = Geglüht, AT = lösungsgeglüht, Pwxyz = ausscheidungsgehärtet auf Zugfestigkeit wxyz, SR = spannungsarmgeglüht, QTwxyz = vergütet auf Zugfestigkeit wxyz.
2)
Gilt für Werkstückdicken s = 6 mm und die Erzeugnisform C = altgewalztes Band (andere Erzeugnisformen sind P = warmgewalztes Blech, H = warmgewalztes Band).
3)
Die Werte gelten für Proben mit einer Messlänge von 80 mm und einer Breite von 20 mm.
Abschn. 2.8.3: Korrosionsbeständige Stähle (Werkstoffliche Grundlagen)
4)
Liefer. = IK-Beständigkeit im Lieferzustand, sens. = IK-Beständigkeit im geschweißten Zustand.
5)
Die Zahl nach dem Schrägstrich gibt die für diese Fälle geltenden von s = 6 mm abweichenden Werkstückdicken an.
6)
213
Nach Vereinbarung.
214 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
2.8.4 Einteilung und Stahlsorten testen Beispiele sind die von DeLong,
Schaeffler und vom WRC entwickelten
Je nach chemischer Zusammensetzung wird Chrom- und Nickeläquivalente (Abschn.
eine Vielzahl korrosionsbeständiger Stäh- 4.3.7.2, S. 417).
le mit unterschiedlichsten Gefügen und für
unterschiedlichste Anwendungsbereiche bzw. Aus dem bisher Gesagten wird die folgende
Korrosionsmedien hergestellt. In Tabelle 2- Einteilung der korrosionsbeständigen Stäh-
17 sind einige Stahlsorten mit ihren kenn- le verständlich:
zeichnenden mechanischen Eigenschaften
zusammengestellt. Perlitisch-martensitische
Chromstähle
Das Entstehen der möglichen Gefügeformen Cr 12 % bis 18 %, C 0,15 % bis 1,2 %.
der Stähle lässt sich vereinfacht mit den Zwei- Stähle mit C 0,20 % sind in der Regel
stoff-Zustandsschaubildern Fe-Cr und Fe-Ni Luft- bzw. Ölhärter.
erklären. Die Legierung A (B) in Bild 2-70
erstarrt bei einem Kohlenstoffgehalt
0,13 % Ferritische und halbferritische
(
0,03 %) rein ferritisch. Ist die Menge des Chromstähle
stark austenitstabilisierenden Kohlenstoffs Cr 12 % bis 30 %, C
0,2 %.
gering (C
0,1 %), dann bilden sich überwie- Die Zusammensetzung dieser Stähle ist
gend ferritische Stähle mit geringeren Antei- so beschaffen, dass sie während der Ab-
len von Umwandlungsprodukten. Diese Werk- kühlung den (g d)-Raum durchlaufen, z.
stoffe werden daher »halbferritische« Stähle B. Legierung B in Bild 2-70. Das aus der
genannt. Bei größeren Kohlenstoffgehalten g -Umwandlung entstehende überwiegend
(C ! 0,10 % ... 0,20 %) entstehen nach einer Aus- martensitische Gefüge ist der Grund für
tenitumwandlung die martensitischen korro- diese Bezeichnung.
sionsbeständigen (Vergütungs-)Stähle.
Austenitisch-ferritische Stähle
Austenitische bzw. austenitisch-ferritische (Duplexstähle)
Stähle entstehen nur, wenn außer dem aus Cr 20 % bis 25 %, Ni 5 % bis 7 %, bis 4 %
Gründen der Korrosionsbeständigkeit im- Mo und geringe Mengen N.
mer erforderlichen Chrom noch weitere auste- Das Gefüge dieser Stähle besteht aus
nitstabilisierende Elemente vorhanden sind. etwa 50 % Ferrit und 50 % Austenit.
In jedem Fall wird hierfür – neben anderen
Legierungselementen – Nickel verwendet. Austenitische Chrom-Nickel-Stähle
(oft mit bis zu 10 % Ferrit), Cr 14 % bis
Die Art des entstehenden Gefüges dieser 30 %, Ni 6 % bis 36 %, C
0,1 %.
Stähle hängt in komplizierter Weise von ih- 100
rem Legierungssystem ab. Als Gedächtnis- g Anlasstemperatur :
m2h 700 ° C 650 ° C
hilfe können folgende selbstverständlich er- 80
550 ° C 500 ° C
Bild 2-75
Die ferrit- bzw. austenitbildende Fähigkeit Korrosionsverhalten des Stahles X40Cr13 in Abhän-
der Elemente wird häufig in Form von gigkeit von der Anlasstemperatur in siedender 5%iger
»Wirksummen« festgestellt. Die bekann- Essigsäure, nach Bäumel.
Abschn. 2.8.4: Korrosionsbeständige Stähle (Einteilung und Stahlsorten) 215
instabil, d. h., die Stähle neigen zu Ausschei- dung durch Carbid- bzw. Nitridbildung hin-
dungen aller Art. zu. Wegen dieser temperaturabhängigen
Versprödungsformen sollte die Betriebstem-
Je nach Zusammensetzung unterscheidet peratur von aus diesen Stählen hergestellten
man: Bauteilen auf etwa 250 C begrenzt werden.
Rein ferritische Stähle, d. h., die resul- Die Korrosionsvorgänge sind bei den 17%-
tierende Wirkung der ferrit- und austenit- igen ferritischen Chromstählen durch ver-
stabilisierenden Elemente verschiebt die schiedene werkstoffliche Besonderheiten sehr
Legierung in den reinen Ferritbereich, z. unübersichtlich. Wie Bild 2-70 zeigt, durch-
B. die Legierung A in Bild 2-70. Die Stäh- laufen die Stähle bei einer Wärmebehandlung
le sind umwandlungsfrei. (z. B. Schweißen, Abschn. 4.3.7.4, S. 425) das
Halbferritische Stähle, d. h., sie durch- Zweiphasenfeld (g d). Aus Bild 2-77 erkennt
laufen beim Abkühlen den (g d)-Phasen- man, dass sich über 900 C Austenit zu bil-
raum. Ein größerer Teil der g-MK.e wan- den beginnt, dessen Menge bis etwa 1100 C
delt in Martensit (oder Bainit) um. Die Le- zunimmt. Mit steigender Temperatur geht
gierung B in Bild 2-64 durchläuft den Zwei- ein Teil der Carbide in Lösung. Der freiwer-
phasenraum z. B. dann, wenn C N ! 0,03 % dende Kohlenstoff wird bevorzugt vom Aus-
ist. tenit aufgenommen, da er eine wesentlich grö-
ßere Lösungsfähigkeit für dieses Element be-
Die ferritischen Stähle werden durch Chrom sitzt. Im Bereich des Zweiphasenfeldes exis-
und in noch größerem Umfang durch Molyb- tieren also gleichzeitig der chromärmere Aus-
dän versprödet. Die Ursache ist die Ausschei- tenit und der wesentlich chromreichere d-Fer-
dung der Sigma-Phase oberhalb 550 C und rit. Durch schnelles Abkühlen wandelt der
die 475 C-Versprödung (Abschn. 2.8.3.4.2). Stahl in kohlenstoffreichen Martensit und
Bei nichtstabilisierten Stählen kommt außer kohlenstoffarmen, chromreichen d-Ferrit um,
der IK-Anfälligkeit auch noch die Versprö- der nicht zu Chromcarbidausscheidungen
neigt. In einem korrosiven Medium wird da-
1500
B her nur der Martensit flächenförmig (sehr
°C
viel ungefährlicher!) angegriffen. Die Stär-
Temperatur T
Zum Stabilisieren dieser Stähle werden die Interstitielle Verunreinigungen, die z. B. wäh-
sehr kohlenstoffaffinen Elemente (Sondercar- rend des Schweißprozesses aufgenommen
bidbildner) verwendet (Abschn. 2.8.3.4): werden, Abschn. 4.3.7.4, S. 425, verspröden
die Superferrite extrem.
Ti 5 ¹ C, Nb (Ta) (10 bis 12) ¹ C.
Die sehr schlechte Schweißeignung der ferri- 2.8.4.3 Austenitische
tischen Chromstähle (Abschn. 4.3.7.4, S. 425) Chrom-Nickel-Stähle
beruht im Wesentlichen auf ihrem zu ho- Diese Stähle sind die bei weitem wichtigs-
hen Gehalt an Kohlenstoff und Stickstoff, ten korrosionsbeständigen Werkstoffe. Sie
der zu unerwünschten Ausscheidungen in sind unmagnetisch und bei höchsten Korro-
der WEZ führt. Die Zähigkeitseigenschaf- sionsbeanspruchungen einsetzbar, Bild 2-78.
ten und damit das Schweißverhalten dieser Sie sind wegen der fehlenden Allotropie (Poly-
Stähle kann aber erheblich verbessert wer- morphie) ähnlich wie die rein ferritischen
den, wenn C N
0,015 % wird. Mit den mo- Stähle im klassischen Sinn nicht wärmebe-
dernen Stahlherstellungsverfahren (Vaku- handelbar. Im Vergleich zu den ferritischen
umtechnik, AOD-Verfahren) sind diese Ge- Chromstählen sind sie aber gegen schwefel-
halte erreichbar. haltige Gase unter reduzierenden Bedingun-
gen oberhalb 650 C weitaus empfindlicher.
Diese extrem sauberen bei allen Temperatu- Sie besitzen eine relativ geringe Streckgren-
ren austenitfreien, rein ferritischen Stähle ze von etwa 190 N/mm2 bis 220 N/mm2, her-
vorragende Zähigkeitseigenschaften, vor al-
lem bei tiefen Temperaturen, s. Tabelle 2-17,
und sind aufgrund ihres Gitteraufbaus sehr
stark kaltverfestigbar. Diese Möglichkeit der
Festigkeitserhöhung kann wegen der laten-
ten Gefahr der Spannungsrisskorrosion (Ab-
schn. 1.7.6.2.1, S. 91) nur in den seltensten Fäl-
len genutzt werden. Die Festigkeit dieser ein-
phasigen Werkstoffe lässt sich technisch sinn-
voll nur durch die Verfahren der Kaltverfes-
tigung, Mischkristallverfestigung und Aus-
scheidungshärtung erhöhen.
Je nach dem Gefüge unterscheidet man die Die Gefahr der Erstarrungsrisse kann ver-
folgenden Austenitformen: hältnismäßig leicht mit Zusatzwerkstoffen
beseitigt werden, die die Entstehung einiger
Stabilen Austenit (Vollaustenit), der Prozent primär erstarrten Ferrits im auste-
vollständig aus g-Mischkristallen besteht nitischen Schweißgut ermöglichen. Die aus-
und den tenitischen Chrom-Nickel-Stähle gelten als
labilen Austenit (metastabil), mit einem die am besten schweißgeeigneten korrosions-
d -Ferritanteil bis etwa zehn Massenpro- beständigen Stähle. Weitere Einzelheiten zu
zent (FN
10). den die Schweißmetallurgie betreffenden Fra-
gen sind in Abschn. 4.3.7.5, S. 431, zu fin-
Die vollaustenitischen Stähle sind extrem den.
verformbar, hitze- und korrosionsbeständig,
sie neigen aber vor allem beim Schweißen Ebenso wie die ferritischen Chromstähle nei-
zu ausgeprägter Heißrissbildung. gen auch die austenitischen Chrom-Nickel-
Stähle zur Chromcarbidausscheidung und
Nach den in Abschn. 1.6.2.1, S. 50, besproche- damit zur IK bei Temperaturen zwischen
nen Grundlagen sind die Ursache niedrig- 500 C und 850 C. Die Gegenmaßnahmen
schmelzende, vor allem eutektische Schmel- werden in Abschn. 2.8.3.4.1 besprochen.
zen, die im Korngrenzenbereich kurz vor
dem Erstarrungsende filmartig konzentriert 26)
Die auch Wiederaufschmelzrisse (Liquation cracks)
sind. Die zu diesem Zeitpunkt schon vorhan- genannten Trennungen entstehen unmittelbar
denen Zugspannungen des schrumpfenden neben der Schmelzgrenze in der Wärmeeinfluss-
Schweißguts führen zu dieser gefürchteten zone in dem partiell verflüssigten Bereich durch
Rissbildungsform, die sowohl im Schweiß- Aufschmelzen der hier vorhandenen Einschlüs-
se/Schlacken oder nach dem Mechanismus der
gut als auch in der WEZ 26) auftreten kann. konstitutionellen Verflüssigung, Abschn. 5.1.3,
Bild 4-105, S. 435, zeigt einen typischen Heiß- S. 505. Sie sind in den meisten Fällen nur einige
riss in einem austenitischen Schweißgut. zehntel Millimeter lang.
220 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
mer zulegierte stark austenitisierende Stick- Chemische Zusammensetzung der Stähle, Massenprozent:
a) 30,0 % Cr; 14,2 % Ni; Haltezeit bei 1400 ° C: 30 s bis 45 s.
stoff verschiebt die Phasengrenze zwischen
b) 0,02 % C; 23 % Cr; 7,6 % Ni.
dem Existenzbereich der d -Phase und dem
Zweiphasengebiet (d g ) im oberen Tempe- Bild 2-83
raturbereich zu höheren Temperaturen, Bild Einfluss der Abkühlbedingungen auf den d -Ferritge-
2-82. Die Menge des ausgeschiedenen Aus- halt von zwei austenitisch-ferritischen Duplexstählen,
nach Mundt und Hoffmeister.
tenits nimmt deutlich zu, weil bei höheren Tem-
a) Kontinuierliches ZTU-Schaubild mit beginnender
peraturen Diffusionsvorgänge wesentlich (g + d)-Umwandlung,
schneller ablaufen. Diese Eigenschaft ist vor b) Abhängigkeit des d -Ferritgehalts von den Abkühl-
allem bei großen Abkühlgeschwindigkeiten bedingungen (t12/8 bzw. v12/8 ).
222 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
aus etwa 50 % Austenit und 50 % Ferrit. Die- Lösungsfähigkeit des Austenits für diese Ele-
se im festen Zustand ablaufenden Vorgänge mente überschritten wird, dann scheiden sie
sind stark unterkühlbar. Die mit zunehmen- sich in Form der stark versprödenden Nitrid-
der Abkühlgeschwindigkeit zunehmende Be- (Cr2N), Carbidteilchen (Me23C6) sowie ande-
hinderung der Diffusionsvorgänge führt zu rer Bestandteile (z. B. Chi- und Sigma-Pha-
immer geringeren Austenitmengen. Bild 2- se) extrem schnell aus der ferritischen Ma-
83 zeigt beispielhaft den großen Einfluss der trix aus. Diese Ausscheidungen sind auch
Abkühlbedingungen für zwei austenitisch- nach einerschroffster Abkühlung zum größ-
ferritische Stähle. ten Teil nicht unterdrückbar.
Der für die mechanischen und korrosions- Die ferritstabilisierenden Elemente Chrom
technischen Eigenschaften dieser Stähle ent- und Molybdän scheiden sich dagegen aus dem
scheidende Austenitanteil bildet sich überwie- Ferrit bereits nach relativ kurzen Zeiten in
gend im Temperaturbereich zwischen 1200 C Form der Sigma- und der Chi-Phase aus.
und 800 C. Aus diesem Grunde wird die Ab- Beide Elemente sind in der Sigma-Phase lös-
kühlzeit t12/8 bei allen Wärmebehandlungen lich und erweitern deren Existenzbereich
und Schweißprozessen als charakteristischer hinsichtlich der Konzentration und der Tem-
Kennwert verwendet. Die schweißmetallur- peratur. Die Bildung dieser Phase erfolgt da-
gischen Zusammenhänge werden ausführli- her in diesen hoch chrom- und molybdänhalti-
cher in Abschn. 4.3.7.6, S. 440, besprochen. gen Stählen deutlich schneller als in den rei-
nen ferritischen Chromstählen. Danach führt
Der hohe Ferritanteil dieser Stähle erfordert eine Wärmebehandlung (auch Schweißen!)
eine genau einzuhaltende Temperatur-Zeit- im Temperaturbereich zwischen 700 C und
Führung beim Wärmebehandeln und Schwei- 900 C sehr rasch zur Bildung dieser stark
ßen. Anderenfalls muss bei höheren Betriebs- versprödenden Ausscheidungen. Nach Nors-
temperaturen mit den für den Ferrit typi- tröm erzeugt bereits ein Prozent Sigma-Pha-
schen Versprödungserscheinungen 475 C- se im Gefüge einen Abfall der Kerbschlag-
Versprödung und Sigma-Phase gerechnet zähigkeit um etwa 50 %. Im ZTA-Schaubild,
werden. Aus diesen Gründen sind die Du- Bild 2-84, sind stellvertretend für diese Stäh-
plexstähle nur für Betriebstemperaturen bis le einige wichtige Ausscheidungsphasen des
maximal 250 C zugelassen. Stahls X2CrNiMoN22-5-3 dargestellt.
1000
Bei den Duplexstählen sind wegen der wesent-
°C
lich größeren Kohlenstoff- und Stickstoff lös- Cr2N s - Phase
800
Temperatur T
1000 Mo, W, Si
° C
Temperatur T
Cr p - Phase
Mo e - Phase (Cu)
Cu a´- Phase (475°C -Versprödung)
W G - Phase
300
Cr, Mo, Cu, W
Zeit t
Bild 2-85
Ausscheidungsphasen in Duplexstählen, abhängig
von typischen Legierungselementen, dargestellt in einem
schematischen ZTA-Schaubild, nach J. Charles.
224 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
600
400
b F
900
L a
200 b
Temperatur T
T1
850
T2 g - MK (Austenit) 0
825 a
T3 A c1 c2 c3 c4 B
800 Konzentration c
a+ g
T4
750 Bild A2-2
a Hypothetisches Zustandsschaubild A-B für die Auf-
700 gabe 2-2.
a+ P
Perlit
50
Aufgabe 2-3:
Es sind die unterschiedlichen metallphysika-
lischen Vorgänge beim Anlassen gehärteter 40
unlegierter und legierter Vergütungsstähle zu 0,35 % C
beschreiben. 0,50 % Cr 5 % Mo
30
Aufgabe 2-5:
Es ist der Bildungsmechanismus der im Se-
kundärgefüge warmverformter, untereutektoi-
der Stähle häufig auftretenden Gefügezeilig-
a) b)
keit ( Walzzeiligkeit, Sekundärzeiligkeit) zu
Bild A2-4 erklären. Bild 2-53 zeigt diese typische Fer-
Vorgänge bei der Martensitbildung, schematisch. rit-Perlit-Zeiligkeit im Gefüge eines Feinkorn-
a) Martensit (»Linsen«) beginnt sich zu bilden. Die baustahls.
erste Martensitnadel wächst durch das Austenit-
korn. Ihre Länge entspricht etwa dem mittleren
Die während der Primärerstarrung entste-
Austenitkorndurchmesser.
b) Die weiteren Martensitnadeln wachsen zwischen henden primären Kristallseigerungen (Pri-
der ersten und der Korngrenze. Sie werden somit märseigerung, Abschn. 1.4.1.2, S. 27) können
immer kleiner. vor allem bei polymorphen Werkstoffen zu
einer Kohlenstoffentmischung im festen Zu-
Die Umwandlung des Austenits zum Mar- stand führen. Die Stahlschmelze kristalli-
tensit (s. Packungsdichte, Aufgabe 1-3, S. 111 siert in Form von in die Schmelze einschie-
und Bild 1-6, S. 6) ist mit einer erheblichen ßender Dendriten gemäß dem Mechanismus
Volumenvergrößerung, d. h. Umwandlungs- der konstitutionellen Unterkühlung, Abschn.
spannung verbunden. Die Umwandlungsnei- 1.4.1.2, S. 27. Wie Bild 1-33b zeigt, sind die
gung des zwischen den Martensitnadeln ein- Dendritenstämme sehr viel legierungsärmer
geschlossenen Austenits ist daher wegen der als die zwischen den Dendriten eingeschlos-
hohen Spannungen gering. Das größere Vo- sene Restschmelze. Durch die Warmformge-
lumen des Martensits kann nicht durch Ver- bung werden beide Bereiche in Verformungs-
formen des sehr harten Martensits erzeugt richtung gestreckt, so dass die typische zei-
werden, d. h., entweder entstehen Risse im lenförmige Anordnung von nebeneinander
Martensit oder der Austenit wird nicht umge- liegenden Dendriten und Restschmelzenbe-
wandelt. Mit zunehmendem Kohlenstoffge- reichen entsteht.
halt wird das Martensitvolumen größer, d. h.,
die Menge dieses sehr unerwünschten Rest- Der voreutektoide Ferrit wird aus homoge-
austenits (Festigkeitseigenschaften!) nimmt nem Austenit nach Unterschreiten der A3-Tem-
noch weiter zu. peratur an den Austenitkorngrenzen aus-
Abschn. 2.9: Aufgaben zu Kapitel 2 227
R
2 Ac3 - Temperatur.
ritbildner (z. B. Si, Cr, Al, Ti) schnüren das D
Die Ferritbildung beginnt daher
g-Gebiet ab, d. h., sie erhöhen A3. Liegt z. B. in den Restschmelzenbereichen
in den Restschmelzenbereichen das ferrit- R, (1) der Perlit entsteht anschlie-
ßend in den Zeilen, die die Den-
dritenstämme D bilden (2).
a)
Austenitstabilisierende Elemente
L wie Mn, Ni, Co erweitern das g -
A3
1 Gebiet, d. h. Erniedrigen die Ac3 -
Temperatur T
D Temperatur.
2 R Die Ferritbildung beginnt daher
in den Bereichen der Dendriten-
stämme D (1), der Perlit entsteht
anschließend in den Restschmel-
zenbereichen R (2).
b)
Bild A2-6
Zur Entstehung der Ferrit-Perlit-Zeiligkeit.
a) Siliciumzeiligkeit,
b) Manganzeiligkeit.
ritbildung erfolgt. Bei kontinuierlicher Ab- In Gl. [A2-1] bedeuten ca die Konzentration,
kühlung muss die Abkühlgeschwindigkeit mG,atom die Menge des im Metall atomar gelös-
so gewählt werden, dass die Kohlenstoffdif- ten Gases G und pG,mol der Druck des mole-
fusion genügend stark behindert wird, der kularen Gases G über der Schmelze. Das Sie-
Stahl aber schon in der Ferrit- und Perlits- vertssche Gesetz ist für O2, N2, H2 bei gerin-
tufe umwandelt. gen Gaskonzentrationen unter 1 % anwend-
bar.
menden (Wirkung von t) Kräfte FW (die Län- Der unlegierte Stahl wandelt beim Abkühlen
ge der Versetzungslinie ist nicht 1, sondern von der Austenitisierungstemperatur TA na-
dS, Bild A2-8) und der entgegengesetzt ge- hezu unabhängig von der wirksamen Abkühl-
richteten Kraft FT (aus der Linienspannung geschwindigkeit in ein ferritisch-perlitisches
T) die Beziehung: Gefüge um, wie Bild A2-9a zeigt. Stähle die-
ser Art werden daher weder wärmebehandelt
dΘ
τ ⋅ b ⋅ dS = 2 T ⋅ sin . [A2-5] (nur Walzzustand bzw. unbehandelt) gelie-
2 fert oder eingesetzt. Wegen der sehr großen
Für kleine Winkel 4 wird sin 4 4 und es oberen kritischen Abkühlgeschwindigkeit vok
ist d4/dS 1/R. Damit ergibt sich die Schub- (s. Bild 1-38, S. 34) der unlegierten C-Mn-
spannung t, die zum Krümmen der Verset- Stähle (Wasserhärter) ist selbst bei schroffs-
zungslinie mit dem Biegeradius R führt, zu- ter Abkühlung nicht mit merklichen Marten-
sammen mit Gl. [A2-4] und der üblichen Ab- sitmengen zu rechnen, ebenso gering ist bei
schätzung a 0,5 zu, Gl. [A2-6]: diesen Stählen erwartungsgemäß der An-
teil an (unterem) Bainit. Als Maßstab für
T G◊b G◊b G vok ist in den ZTU-Schaubildern die Inkuba-
t = =a◊ O = konst. ◊ .
b◊ R R 2◊ R 2◊ R tionszeit ti ( 1 s) eingetragen, für die die Be-
ziehung gilt:
Daraus folgt: b konst.
1
ti μ konst. ◊ . [A2-7]
T T = a × G × b2 T vok
Tx In den Bildern A2-9a, b, c ist der bei den
R Handschweißverfahren zu erwartende Be-
reich der Abkühlgeschwindigkeiten als grau
b t b
unterlegte Fläche eingetragen. Bei einem an-
dS
dQ
F
genommenen Kohlenstoffgehalt von 0,22 %
für alle Stähle besteht das Gefüge der WEZ
aus Ferrit und Perlit mit geringen Anteilen
Martensit (geschätzt bis 15 %). Daraus ergibt
Ft = t × b × dS FT = 2 Tx = 2 T × sin (dQ /2)
T T sich ein Schätzwert für die maximale Härte
a) b) der Wärmeeinflusszone von Schweißverbin-
dungen aus dem unlegierten C-Mn-Stahl von
Bild A2-8
Zur Berechnung der Schubspannung t, die in der Ver- etwa 200 ... 220 HV. Die Kaltrissneigung ist
setzungslinie einen Krümmungsradius R erzeugt. damit gering und die Schweißeignung gut.
b = Burgers-Vektor, F ist die durch die äußere Schub- Außerdem wird der Martensit wegen der re-
spannung t auf die Versetzungslinie ausgeübte Kraft, lativ hohen Ms-Temperatur von etwa 420 C
die immer senkrecht auf ihr angreift. bei seiner Bildung »selbstangelassen«, d. h.
a) Ohne die Wirkung einer äußeren Schubspannung
in geringerem Umfang bereits entspannt, s.
bleibt die Versetzungslinie als Folge der Linien-
spannung T gerade. Abschn. 2.5.2.1, S. 140. Ein geringes Vorwär-
b) Die zusätzliche Schubspannung t erzeugt in der Ver- men ist abhängig von der Werkstückdicke
setzungslinie eine Krümmung mit dem Radius R. empfehlenswert, Abschn. 4.3.1, S. 374, s. a.
Aufgabe 3-1, S. 290.
800
A F
800
(O 240 C) und die geringe Beweglichkeit der
A P
Legierungsatome machen einen gewissen
600
F
Restaustenitgehalt jedoch sehr wahrschein-
lich. Bei einer vollständigen Martensitbil-
400 M
B
dung ist mit Höchsthärten in der WEZ von
350
s
etwa 500 HV zu rechnen. Kaltrisse in der
WEZ sind damit ohne weitere vorsorgliche
200
M
Maßnahmen (vor allem sind möglichst was-
serstoffarme Schweißbedingungen zu schaf-
0 fen) sehr wahrscheinlich. Nach dem Schwei-
1
ti = 8 s
10 102 103
Zeit t
s 104 ßen sollte das Werkstück – wenn dies werk-
b) stoffabhängig ohne Probleme möglich ist, s.
1000
Absatz unten – aus der Schweißwärme sofort
° C anlassgeglüht werden. Ein Vorwärmen ver-
TA F ringert zwar kaum die Härte, reduziert aber
Temperatur T
1600
Bild A2-10 ist die obere Begrenzungslinie zum Verbessern der mechanischen Eigen-
für das Auftreten der 475 °C-Versprödung. schaften und zum Verringern des in marten-
sitischen Stählen sehr unerwünschten voreu-
Enthält die Legierung L1 außerdem noch Koh- tektoiden Ferrits zulegiert.
lenstoff, dann ändert sich das Umwandlungs-
verhalten. Die g -Schleife wird etwa gemäß Ihr großer Legierungsgehalt macht sie luft-
Linie »C« in Bild A2-10 selbst bei geringeren härtend. Die Martensitbildung in der WEZ
Kohlenstoffgehalten relativ stark aufgewei- ist als Folge der großen Abkühlgeschwindig-
tet. Diese Fe-Cr-C-Legierung wandelt nach keiten beim Schweißen praktisch nicht unter-
Unterschreiten von »C« bei einer Gleichge- drückbar, Abschn. 2.8.4.1, S. 213, und Abschn.
wichtsabkühlung in kohlenstoffhaltigen a- 4.3.7.3, S. 422.
MK.en, bei technischen Abkühlgeschwindig-
keiten aber in lufthärtenden Martensit (Ver- Die 13%igen Chromstähle können innerhalb
gütungsstahl!) um. Bei martensitischen kor- eines großen Kohlenstoffbereiches ( 0,1 % bis
rosionsbeständigen Stählen, Abschn. 2.8.4.1, etwa 0,6 %) austenitisiert, d. h. gehärtet wer-
S. 215, laufen die gleichen Vorgänge ab. 1600
S
°C S+ d
Legierung L3 (45 % Chrom): S+ d+ g
1400
Diese Legierung hat keinerlei technische Be-
Temperatur T
d d+ g S+ g
deutung. Sie wandelt unter 820 C vollstän- g
dig in Sigma-Phase um und zerfällt unter 1200
machen die Bildung der bei niedrigeren Tem- 0 0,2 0,4 0,6 % 0,8
den, wie Bild A2-11 zeigt. Bei den 17%igen sentlich größer ist als die der krz Werkstof-
Chromstählen ist der g -Bereich vergleichswei- fe, Abschn. 4.3.4, S. 402. Der während des
se sehr viel kleiner (0,4 % bis etwa 0,5 %), wie Schweißens gelöste Wasserstoff, der immer
aus Bild A2-12 entnommen werden kann. Der und unabhängig von der Qualität der Säube-
Härteprozess (Austenitisierungstemperatur rung der Werkstückoberflächen und Schweiß-
und erforderlicher Kohlenstoffgehalt) muss da- mittel vorhanden ist, verbleibt im Schweiß-
her sehr sorgfältig kontrolliert werden, wo- gut. Der Wasserstoff kann nicht mehr in die
durch der Aufwand erheblich steigt. WEZ diffundieren und zur Kaltrissigkeit
führen.
Bei den höhergekohlten Stählen ist wegen ih-
rer niedrigen Ms- (ca. 300 C) bzw. Mf-Tempe-
raturen (ca. 200 C) insbesondere beim Schwei-
ßen bei Raumtemperatur in der WEZ mit
merklichen Mengen an Restaustenit zu rech-
nen. Dieser Gefügebestandteil ist in gehärte-
ten Stählen äußerst unerwünscht, s. Abschn.
2.5.2.1, S. 143. In diesen Fällen ist eine meis-
tens aufwändige Wärmenachbehandlung (z.
B. doppeltes Anlassen) erforderlich, um die
gewünschten mechanischen Gütewerte der
Schweißverbindung zu erzielen.
2.10 Schrifttum
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Teil 2: Allgemeine Lieferbedingungen für
Blech und Band für allgemeine Verwendung,
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Teil 3: Technische Lieferbedingungen für
Teil 3: Technische Lieferbedingungen für
nor malgeglühte/normalisierend gewalzte
Halbzeug, Stäbe, Walzdraht und Profile für
schweißgeeignete Feinkornbaustähle, 3/
allgemeine Verwendung, 9/2005.
2005.
Teil 4: Technische Lieferbedingungen für DIN EN 10130: Kaltgewalzte Flacherzeug-
thermomechanisch gewalzte schweißgeeig- nisse aus weichen Stählen zum Kaltumfor-
nete Feinkornbaustähle, 4/2005. men, 2/2007.
236 Kapitel 2: Stähle – Werkstoffgrundlagen
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ferbedingungen.
DIN EN 10216: Nahtlose Stahlrohre für Druck- Teil 1: Allgemeine Anforderungen, 11/2003.
beanspruchungen – Technische Lieferbedin- Teil 2: Unlegierte und legierte Stähle mit fest-
gungen. gelegten Eigenschaften bei erhöhten Tempe-
Teil 1: Rohre aus unlegierten Stählen mit raturen, 8/2004.
festgelegten Eigenschaften bei Raumtem- Teil 3: Schweißgeeignete Feinkornstähle, nor-
peratur, 7/2004. malisiert, 8/2004.
Teil 2: Rohre aus unlegierten und legierten Teil 4: Nickellegierte Stähle für tiefe Tempe-
Stählen mit festgelegten Eigenschaften bei raturen, 8/2004.
erhöhten Temperaturen, 7/2004. Teil 5: Schweißgeeignete Feinkornstähle, ther-
Teil 3: Rohre aus legierten Feinkornbaustäh- momechanisch gewalzt, 8/2004.
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3 Einfluss des Schweißprozesses auf
die Eigenschaften der Verbindung
barkeit des
Sc Kon
hk
Bauteils
lic
Fe mög
g
sic
schaften
un
st
eiß
rtig
he
– Schweißeignung,
hw
rh
n
– Schweißsicherheit und
eit
Sc
– Schweißmöglichkeit
ersetzt und beschrieben, Bild 3-1.
Bild 3-1
Abhängigkeit des Oberbegriffes Schweißbarkeit von
den Teilproblemen Werkstoff (Schweißeignung), Kons-
27)
truktion (Schweißsicherheit) und Fertigung (Schweiß- Dieser Text stimmt sinngemäß mit der Norm
möglichkeit), nach DIN 8528-1. ISO/TR 581 (2/2005) überein.
238 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
Metallurgische Eigenschaften,
bedingt durch Herstellverfahren, Desoxi- 3.1.3 Schweißmöglichkeit
dationsart, Wärmebehandlung. Sie wer-
den z. B. beeinflusst von: Die Schweißmöglichkeit (fertigungsbedingte
– Seigerungen, Schweißsicherheit) in einer schweißtechni-
– Art, Form und Verteilung von Ein- schen Fertigung ist vorhanden, wenn die an
schlüssen, einer Konstruktion vorgesehenen Schweiß-
– Anisotropie der mechanischen Güte- arbeiten unter den gewählten Fertigungsbe-
werte, dingungen hergestellt werden können.
– Korngröße,
– Gefügeausbildung. Die Schweißmöglichkeit einer für ein bestimm-
tes Bauwerk oder Bauteil vorgesehenen Fer-
Physikalische Eigenschaften, z. B.: tigung ist umso besser, je weniger die ferti-
– Ausdehnungsverhalten, gungsbedingten Faktoren beim Entwurf der
– Wärmeleitfähigkeit, Konstruktion für einen bestimmten Werk-
– Erstarrungsintervall von Legierungen. stoff beachtet werden müssen.
Abschn. 3.2: Schweißeignung der Stähle 239
Der erzeugte Stahl wird seit einigen Jahren Unlegierte Stähle mit einem Kohlenstoff-
überwiegend im Strangguss vergossen. Die- gehalt ≤ 0,2 % sind erfahrungsgemäß sehr
se Technik erfordert aus verschiedenen Grün- gut schweißgeeignet (Abschn. 4.1.3, S. 310).
den ein Beruhigen der Schmelze. Die übli- Die Maximalhärte in der aufgehärteten Zone
chen Blockseigerungen und die damit ver- beträgt dann bei einer angenommenen Mar-
bundenen Probleme beim Schweißen entste- tensitmenge von 50 % etwa 300 HV, Bild 1-43,
hen also nicht. S. 37. Eine Rissbildung durch spröde Gefüge-
bestandteile ist bei diesen Härtewerten nicht
Das Schweißverhalten der beruhigten (Cal- zu befürchten. Selbst die für Zündstellen ty-
cium- und Silicium-Zugaben) und vor allem pischen extremen Aufheiz- und Abkühlbedin-
der besonders beruhigten Stähle (Calcium-, gungen führen bei diesen niedriggekohlten
Silicium- und z. B. Aluminium-Zugaben) ist Kohlenstoffstählen i. Allg. nicht zur Rissbil-
daher i. Allg. gut. Ihr Gehalt an Sauerstoff dung, weil die kritische Abkühlgeschwindig-
ist gering. Die besonders beruhigten Stähle keit vok dieser niedriggekohlten Stähle sehr
sind darüber hinaus noch weitgehend alte- groß ist (ca. 800 ... 1000 K/s), Bild 1-38, S. 34.
rungsbeständig, weil der Stickstoff als AlN Bei einer annähernd fachgerechten Schweiß-
abgebunden vorliegt. Ein weiterer Vorteil ist ausführung und Einhalten der üblichen Be-
die durch AlN bewirkte Feinkörnigkeit des dingungen für eine schweißgerechte Ferti-
Sekundärgefüges, die zu einem Ansteigen gung kühlen die austenitisierten Bereiche der
des Verformungsvermögens und der Schlag- WEZ wesentlich langsamer als vok ab.
zähigkeit und zu einer Abnahme der Über-
gangstemperatur führt. Als Folge der erhöh- C Si Mn P S Al
Stahl 1: 0,21 0,47 1,48 0,025 0,030 0,057
ten Umwandlungsneigung des Austenits (sie- Stahl 2: 0,22 0,41 1,42 0,031 0,019 0,001
he z. B. Bild 2-25, S. 150) entstehen in den 450
Wärmeeinflusszonen von Schweißverbindun-
gen zähere, risssicherere Gefüge. Bild 3-2
Härte HV 10
400
zeigt sehr anschaulich den Einfluss der Korn-
größe auf die maximale Härte in der Wärme-
einflusszone von Auftragschweißungen aus 350
Bild 3-2
3.2.1.2 Chemische Zusammensetzung Einfluss der Korngröße auf die Maximalhärte in der
WEZ von Einlagenauftragschweißungen (Stabelekt-
Die Stahleigenschaften und damit auch die
rode 5 mm) in Abhängigkeit von der Blechdicke. Ver-
Schweißeignung hängen in der Hauptsache glichen wird ein S355J2 + N (St 52-3 N) mit einem
von den folgenden Einflüssen ab: nur beruhigten Stahl sehr ähnlicher Zusammenset-
– Kohlenstoff, der die Neigung zur Aufhär- zung, nach Folkhard.
tung, d. h. zur Bildung von Härte- bzw.
(wasserstoffinduzierten) Kaltrissen in koh- Stähle mit einem deutlich über 0,2 % liegen-
lenstofflegierten Eisenwerkstoffen be- den Kohlenstoffgehalt erfordern für die Her-
stimmt. stellung ausreichend betriebssicherer Bau-
– Verunreinigungen (z. B. P, S, O, N, H, Cu, teile z. T. wirtschaftlich aufwändige schweiß-
Sb, As), die die Zähigkeitseigenschaften und fertigungstechnische Maßnahmen. Da-
stark beeinträchtigen und die Heißriss- zu gehört eine Reihe von Methoden, von
bildung begünstigen (S). denen die wichtigsten sind:
Abschn. 3.2: Schweißeignung der Stähle 241
Die starke Seigerungsneigung ist eine wei- Die Löslichkeit des Sauerstoffs im festen
tere unangenehme Eigenschaft des Phos- Eisen ist sehr gering. Sie hängt offenbar sehr
phors, die bei Schweißarbeiten an (den kaum stark vom Reinheitsgrad des Werkstoffs ab.
noch anzutreffenden) unberuhigten Stählen Sauerstoff kann im Stahl atomar gelöst oder
berücksichtigt werden muss. Mit basischen in Form von Oxideinschlüssen vorliegen (Ab-
Stabelektroden wird der Phosphoranteil im schn. 3.5.1.1, S. 270). Ähnlich wie andere Ga-
Schweißgut durch den hohen Calciumgehalt se wirkt Sauerstoff versprödend. Er begüns-
in der Umhüllung weitgehend verschlackt. tigt außerdem die Bildung des versprödend
wirkenden, unerwünschten groben, polygo-
Ähnlich wie bei Schwefel ist der Höchstge- nalen Hochtemperaturferrits. Die Folge ist
halt des Phosphors im Stahl zu begrenzen. eine merkliche Verringerung der Kerbschlag-
Die zugelassenen Grenzwerte entsprechen arbeit bei gleichzeitiger Zunahme der Über-
in der Regel denen des Schwefels. gangstemperatur.
Bild 3-3 zeigt den Einfluss des Gehalts an Bei großvolumigen Schweißgütern, wie sie
nicht gebundenem Stickstoff auf den Anstieg z. B. beim UP-Schweißen entstehen, sind al-
der Übergangstemperatur gealterter unle- lerdings bestimmte Mindest-Sauerstoffgehal-
gierter Baustähle in unterschiedlichen Wär- te erforderlich, weil für die Bildung des ge-
mebehandlungszuständen. wünschten feinkörnigen Nadelferritgefüges
heterogene, oxidische Keime notwendig sind
Nach einem Abbinden des Stickstoffs mit (Abschn. 4.2.3.3.2, S. 366). Die praktische Er-
starken Nitridbildnern (z. B. Al, Ti, Nb) ent- fahrung zeigt, dass der Sauerstoffgehalt im
stehen die alterungsunempfindlichen beson- Schweißgut etwa 300 ppm betragen sollte.
ders beruhigten Feinkornstähle. Der als Ni-
trid gebundene Stickstoff (z. B. AlN, TiN) Die schädliche Wirkung des Sauerstoffs lässt
kann aber im hocherhitzten Bereich der WEZ sich durch Desoxidation mit stark sauerstoff-
z. T. wieder gelöst werden. affinen Elementen beseitigen. Hierfür wer-
den z. B. Silicium und Aluminium verwen-
Der Stickstoffgehalt wird daher bei den unbe- det. Die entstehenden silicatischen Oxide
ruhigten und beruhigten Stählen begrenzt. verursachen abhängig von ihrer Größe und
Nach DIN EN 10025-2 wird für diese Stähle Verteilung ebenfalls eine Abnahme der Ver-
ein Höchstgehalt von 0,012 % zugelassen. formbarkeit.
Abschn. 3.2: Schweißeignung der Stähle 243
Die Erscheinungsformen der durch Wasser- kennzeichnet durch einen sehr hohen Rein-
stoff verursachten oder begünstigten Schä- heitsgrad, eine vorgeschriebene chemische
den sind außerordentlich vielfältig. Eine Ur- Zusammensetzung, eine sehr gleichmäßige
sache ist sicherlich sein sehr geringer Atom- Korngröße und eine ausreichend geringe
durchmesser. Die Beweglichkeit der Wasser- Überhitzungsempfindlichkeit (Abschn. 2.7.3.1,
stoffatome in der Matrix ist um einige Zeh- S. 175).
nerpotenzen größer als die jedes anderen Le-
gierungselementes. Wasserstoff kann daher Legierungselemente bewirken:
schon bei niedrigen Temperaturen und sehr – Herabsetzen der kritischen Abkühlge-
kurzen Zeiten sehr große Werkstoffbereiche schwindigkeit. Sie beeinflussen in hohem
durchdringen d. h. schädigen. Maße das Umwandlungsverhalten der
Stähle (Abschn. 2.5.3, S. 145). Bei gleichen
Der wasserstoffinduzierte Kaltriss ist die bei Schweißbedingungen und gleichem C-Ge-
weitem gefährlichste Schadensform des Was- halt ist die Maximalhärte in der WEZ
serstoffs (Abschn. 3.5.1.6). Mit zunehmender des legierten Stahles also merklich grö-
Werkstofffestigkeit nimmt die Kaltrissnei- ßer als in der des unlegierten. Die Härt-
gung zu. Beim Schweißen der vergüteten Fein- barkeit wird verbessert, die Schweißeig-
kornbaustähle (Abschn. 4.3.3, S. 398) ist der nung also verschlechtert. Die mit zuneh-
Wasserstoffgehalt des Schweißguts zwin- mender Legierungsmenge entstehenden
gend auf Werte unter 5 ppm zu begrenzen. Lufthärter lassen sich nur bei Beachtung
verschiedener Vorsichtsmaßnahmen zu-
Der Wasserstoffgehalt hochwertiger Stähle friedenstellend schweißen. Dazu gehören
kann z. B. mit Hilfe der Sekundärmetallur- z. B. hohe Vorwärmtemperaturen und Zu-
gie (Abschn. 2.3.1.1, S. 128) auf etwa 5 ppm satzwerkstoffe, mit denen zähe (wasser-
eingestellt werden. Der Wasserstoffgehalt der stoffarme!) Schweißgüter herstellbar sind.
mit trockenen basisch-umhüllten Stabelekt- In den meisten Fällen ist außerdem eine
roden hergestellten Schweißgüter liegt unter Wärmenachbehandlung erforderlich. Bei-
5 ppm, der mit dem WIG Schweißverfahren spiele sind die hochlegierten, martensi-
bei 1 ppm und der mit zellulose-umhüllten tischen, korrosionsbeständigen lufthär-
Stabelektroden bei 40 ppm bis 50 ppm (Ab- tenden Chromstähle (Abschn. 2.8.4.1, S.
schn. 4.2.3.1.3, S. 344). 215, und Abschn. 4.3.7.3, S. 422).
– Erhöhen der Festigkeitswerte durch ge-
ändertes Umwandlungsverhalten, Aus-
3.2.2 Legierte Stähle scheidungshärtung, Carbidbildung und
(oder) Mischkristallbildung.
Die Schweißeignung (hoch-)legierter Stähle – Erhebliche Verringerung der thermischen
ist grundsätzlich schlechter als die der unle- Leitfähigkeit. Bei einer zu geringen Vor-
gierten. Für eine werkstofflich begründete wärmtemperatur oder einem zu schnel-
Aussage ist die Einteilung in niedrig- und hoch- len Vorwärmen (Abkühlen) können die
legierte Stähle sinnvoll und ausreichend. großen Temperaturdifferenzen zwischen
Rand und Kern des Bauteils dann Ver-
Niedriglegierte Stähle werden meistens im formungen bzw. Risse erzeugen.
wärmebehandelten Zustand verwendet. Viel-
fach werden sie vergütet oder in definierter Bei den hochlegierten Stählen sind allgemein-
Weise wärmebehandelt (z. B. bainitisiert oder gültige Aussagen zur Schweißeignung nicht
mit einem anderen gewünschten Gefüge). möglich. Lediglich für die hochlegierten Ver-
Vergütungsstähle enthalten Elemente, die gütungsstähle (Öl- und Lufthärter) kann in
die Durchhärtbarkeit (z. B. Cr, Mo), die An- der Regel eine so extrem schlechte Schweiß-
lassbeständigkeit (z. B. Mo) und die mecha- eignung angenommen werden, dass von einem
nischen Gütewerte verbessern (z. B. Ni). We- Schweißen abgeraten werden muss. Das Aus-
gen des erforderlichen genauen Ansprechens maß der Rissbildung beim Schweißen ist aber
auf die Wärmebehandlung sind sie u. a. ge- in erster Linie vom Kohlenstoffgehalt des
244 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
Stahles, genauer von dem im Martensitgit- nachteilig für das Bauteil. Die Hauptursa-
ter zwangsgelösten Kohlenstoff abhängig. che ist der für den Schweißprozess charakte-
ristische extreme Temperatur-Zeit-Verlauf.
Die schweißtechnischen Probleme der kor- Er ist durch verschiedene Besonderheiten ge-
rosionsbeständigen Stähle sind äußerst viel- kennzeichnet, Bild 1-1, S. 1:
fältig und komplex. Sie werden gewöhnlich – Große Aufheizgeschwindigkeit. Sie be-
im wesentlich geringeren Umfang durch den trägt einige 100 K/s.
Kohlenstoffgehalt bestimmt. Die spezifischen – Große Abkühlgeschwindigkeit. Werte bis
Besonderheiten werden im Abschn. 4.3.7, S. zu 600 K/s werden erreicht.
414, ausführlich besprochen. Im Folgenden – Geringe »Austenitisierungsdauer«. Sie
sollen beispielhaft nur einige grundsätzliche liegt im Bereich einiger Sekunden.
Hinweise gegeben werden.
Der Temperatur-Zeit-Verlauf beim Schwei-
Austenitische Chrom-Nickel-Stähle ßen ist damit die Ursache für:
– Möglichkeit der Chromcarbidbildung ❐ Werkstoffänderungen. Art und Umfang
im Schweißgut und (oder) der WEZ bei werden für Eisen-Werkstoffe im Abschn.
gleichzeitigem weitgehendem Verlust 4.1, S. 299, für Nichteisen-Metalle im Ab-
der Korrosionsbeständigkeit und/oder schn. 5.1, S. 503, beschrieben.
der Zähigkeit. ❐ Maßänderungen der geschweißten Ver-
– Ausgeprägte Gefahr der Heißrissbil- bindung (Konstruktion). Sie entstehen als
dung durch verschiedene Verunreini- Folge der durch örtliche Temperaturdiffe-
gungen (z. B. B, P, S) bereits in sehr renzen hervorgerufenen Eigenspannun-
geringer Menge. gen.
– Seigerungsneigung z. B. der Elemente
1 Gasschweißen
Molybdän und Chrom, die die Korro- 2 E - Handschweißen
sionsanfälligkeit stark begünstigt und 3 Plasmaschweißen
Temperatur T
HVmax,2
1
3.3 Wirkung der Wärmequelle HVmax,1
HVGW
Die verwendete Wärmequelle bewirkt wäh- HVGW = Grundwerkstoffhärte
rend des Schweißens eine Reihe von werkstoff-
Abstand von der Schweißnahtmitte x
lichen, chemischen und (metall-)physikali-
schen Änderungen der Schweißverbindung Bild 3-4
Einfluss der Leistungsdichte verschiedener Schweiß-
und maßlichen Abweichungen des geschweiß-
verfahren auf die Maximalhärte in der WEZ (HVmax,1 ,
ten Bauteils. Werkstoffänderungen treten im HVmax,2 , HVmax,3 ) und auf ihre Breite (b1 , b2 , b3 ), darge-
großen Umfang nur bei den Schmelzschweiß- stellt für unwandlungsfähige Stähle. Stark schema-
verfahren auf. Sämtliche Änderungen sind tisiert.
Abschn. 3.3: Wirkung der Wärmequelle 245
800
DT 300 1
vab = = L in ∞C/s. [3-2]
t8/5 t8/5 t8/5
D T
Die Erfahrung zeigt, dass die berechneten Für thermisch dünne Bleche gilt:
Abkühlzeiten bzw. -geschwindigkeiten trotz 2
dT Ê dˆ
= 2 p l r cp ◊ Á ˜ ◊ (T - T0 ) .
3
der in der Schweißpraxis oft nicht zutreffen- [3-4]
den Annahmen genügend genau sind. dt Ë Q¯
r Dichte des Werkstoffs in kg/m3,
Nach der Art der Wärmeabführung, Bild 3-8, cp spezifische Wärme in J/kg¹K,
unterscheidet man die beiden Fälle: d Werkstückdicke in m.
dT 2 p l
◊ (T - T0 ) . [3-3]
2
=
dt Q
T1 T1 Gleichmäßige Temperaturverteilung im
Stab.
D T
T0 T0
l D l
Bild 3-9
Ausdehnung eines gleichmäßig erwärmten Stabes.
a) Stab bei unbehinderter Ausdehnung wird beim Erwärmen um D l = a ◊ l◊ (T1 - T0 ) länger, beim Abkühlen um
den gleichen Betrag kürzer. Der Stab bleibt völlig spannungsfrei.
b) Stab bei behinderter Ausdehnung (1) dehnt sich aus und versucht, die Widerlager wegzudrücken (2). Diese
müssen die dadurch entstehenden Reaktionskräfte - FR aufnehmen. Beim Abkühlen auf T0 zieht sich der
Stab um den gleichen Betrag D l = D lel + D lpl zusammen. Der plastische Anteil der Verformung erzeugt gemäß
Beziehung [3-8] die Reaktionskraft + FR und die gleichgroße Stabkraft FS (3).
Ungleichmäßige Temperaturverteilung im
Stab als Folge der punktförmigen Wärme-
quelle beim Schweißen.
D T
D T
T0 T0
D x D l D x
Die ungleichmäßige Temperaturverteilung
führt auch im frei aufliegenden Stab zu un-
FR 1 terschiedlichen Verformungen innerhalb je-
des Stababschnittes D x. Der Stab ist also
nicht mehr spannungslos, in ihm entste-
hen mehrachsige (Schweiß-)Eigenspannun-
gen.
l D l Querschnitt S
Nach dem Abkühlen sind im Stab Eigen-
FS 2 spannungen und die als Folge der behin-
FR
derten Verformung des eingespannten Sta-
bes zusätzlich entstehenden Reaktions-
spannungen s = FR / S vorhanden.
a)
Bild 3-10
Behinderte Ausdehnung einer geschweißten Verbindung.
a) Die frei aufliegende Schweißverbindung kann sich bei der für den Schweißprozess typischen ungleichmä-
ßigen Temperaturverteilung nicht frei ausdehnen, weil bei konstanten Wegdifferenzen D xi unterschiedliche
Temperaturdifferenzen D Ti und damit unterschiedliche Verformungen D li entstehen. Die ungleichmäßige
Temperaturverteilung ist auch die Ursache für das Entstehen der Eigenspannungen (nicht Reaktionsspannun-
gen!) und der Bauteilverzüge (Schrumpfung).
b) Bei der eingespannten Schweißverbindung (1) entstehen gemäß Bild 3-9b zusätzlich Reaktionskräfte FR (2),
die sich den hier nicht eingezeichneten Eigenspannungen überlagern (s. Bild 3-11).
Abschn. 3.3: Wirkung der Wärmequelle 249
Der Übergang vom zwei- zum dreidimensi- Ein frei beweglicher Stab mit der Länge l
onalen Wärmefluss geschieht bei der Über- und dem Wärmeausdehnungskoeffizienten a
gangsblechdicke dü, die durch Gleichsetzen wird nach einer Erwärmung um 'T um den
der Beziehungen [3-5] und [3-6] ermittelt Betrag 'l a ◊ l ◊ 'T länger. Wird die Ausdeh-
wird: nung vollständig behindert, dann entsteht
im Stab nach dem Hookeschen Gesetz folgen-
Q ⎛ 1 1 ⎞ de Spannung, Gl. [3-8]:
dü = ⋅⎜ + ⎟. [3-7]
2 cp ρ ⎝ 500 − T0 800 − T0 ⎠ F Dl a l DT
s = =e◊E= ◊E= ◊ E = a ◊ DT ◊ E.
S l l
Das Konzept der Abkühlzeiten erweist sich
vor allem bei den höherfesten (vergüteten) Die Verhältnisse bei einem auf die konstan-
Feinkornbaustählen als zuverlässiges Mittel te Temperatur T1 erwärmten frei beweglichen
zum Bestimmen bzw. Festlegen der erforder- Körper zeigt Bild 3-9a. Beim Erwärmen wird
lichen Abkühl-, d. h. der Schweißbedingun- der Stab kräftefrei um 'l länger, beim Abküh-
gen (d. h. Q). Für diese Stähle existieren len auf T0 um den gleichen Betrag kürzer. Er
verschiedene grafische Methoden und ma- ist nach dem Abkühlen völlig spannungs-
thematische Beziehungen, in denen die phy- los.
sikalischen Eigenschaften der Werkstof-
fe bereits zahlenmäßig berücksichtigt sind Die Ausdehnung des erwärmten fest einge-
(Abschn. 4.3.2.2, S. 385). Die Berechnung spannten Stabes ' l ' lel ' lpl erfolgt zu-
bzw. Bestimmung wird dadurch erleichtert nächst elastisch ('lel), dann plastisch ('lpl).
und übersichtlich. Für die folgenden Betrachtungen soll ange-
nommen werden, dass der Stab frei von me-
chanischen Instabilitäten (z. B. Ausknicken)
3.3.2 Eigenspannung; bleibt. Die Ausdehnung des Stabes erzeugt
Schrumpfung, Verzug in den Widerlagern die Reaktionskraft FR
(Druck). Beim anschließenden Abkühlen ver-
Die Ursache und die Art der werkstofflichen sucht der Stab, um 'l kürzer zu werden. Bei
Änderungen beruhen auf dem typischen Tem- der vorausgesetzten festen Einspannung er-
peratur-Zeit-Verlauf beim Schweißen. Die zeugt der plastische Anteil gemäß der Bezie-
punktförmige und leistungsdichte Wärme- hung Gl. [3-8] im Auflager die Reaktions-
quelle erzwingt Eigenspannungen und Än- kraft FR epl ¹ E¹S, die die gleiche Größe hat
derungen der Bauteilabmessungen 'l. Eigen- wie die Stabkraft FS.
spannungen entstehen nicht wie Lastspan-
nungen durch die Einwirkung äußerer Kräf- In Schweißverbindungen entstehen aufgrund
te und Momente, sondern durch eine Reihe der nicht mehr konstanten Temperaturver-
von Faktoren, die zu ungleichmäßig verteil- teilung bei konstanten Wegstrecken 'x unter-
ten plastischen Verformungen im Bauteil schiedliche Temperaturdifferenzen 'T, d. h.
führen: auch unterschiedliche Verformungen, Bild
– Temperaturdifferenzen 'T, 3-10 zeigt nähere Einzelheiten. Diese un-
– Umwandlungsvorgänge, z. B. g Mar- gleichmäßige Verformungsverteilung ist die
tensit, Ursache der Eigenspannungen im geschweiß-
– plastisches Verformen, ten Bauteil. In der Nähe der Schweißnaht
– Änderung des Stoffschlusses, z. B. durch entstehen wegen der hohen Temperaturen
unterschiedliche Wärmeausdehnungsko- überwiegend plastische, kaum aber elasti-
effizienten der zu verbindenden Werk- sche Verformungen.
stoffe.
In eingespannten Schweißverbindungen ent-
Die Temperaturdifferenzen sind die wichtigs- stehen zusätzlich Reaktionsspannungen, de-
te Ursache für die im geschweißten Bauteil ren Größe vom Grad der Einspannung ab-
entstehenden Eigenspannungen bzw. Defor- hängt, Bild 3-10b. Bei fester Einspannung
mationen. bildet sich durch das Zusammenwirken der
250 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
Eigen-, Last- und Reaktionsspannungen ein – Verringern der Steifigkeit der Kons-
sehr stark rissbegünstigender Beanspru- truktion.
chungszustand aus. Außerdem wird durch
den Mechanismus der Spannungsversprö- ❐ Die Reaktionsspannungen werden nur
dung die Bildung spröder Brüche sehr er- von der Größe der Verformungsbehinde-
leichtert. rung ' l, dem E-Modul und der Steifig-
keit der Konstruktion bestimmt.
Die Werkstückdicke und Verformbarkeit des
Werkstoffs bestimmen neben dem Grad der Grundsätzlich gilt, dass eine geschweißte
Einspannung weitgehend die Größe der Ei- Konstruktion weder eigenspannungsfrei noch
gen- und Reaktionsspannungen. Dünnere verzugsfrei hergestellt werden kann. Die Ur-
Werkstücke können der Last leichter durch sache beider Erscheinungen ist die nicht ver-
Beulen, Knicken oder plastische Verformung hinderbare Schrumpfung ' l der Fügeteile
ausweichen als dickere. Gefährliche Span- bzw. der Konstruktion. Daraus ergeben sich
nungszustände im Schweißteil entstehen in die folgenden Zusammenhänge:
der Regel nicht. Allerdings ist das Bauteil
deutlich stärker verformt. Je größer die Werk- In dünnwandigen, geschweißten Konstruk-
stoffzähigkeit ist, desto leichter werden Span- tionen entsteht als Folge der Schrumpfung
nungen durch plastische Verformungen abge- überwiegend Verzug (Verformungen, Maß-
baut. änderungen). Eigenspannungen können sich
nicht aufbauen. Dickwandige sind so steif,
Damit ergibt sich folgender wichtiger Zusam- dass die Schrumpfbewegung 'l nicht entste-
menhang: hen kann. Nach Hooke wird ' l vollständig
in Spannung »umgesetzt«.
❐ Größe und Verteilung der Eigenspannun-
gen werden ausschließlich von der Tempe- Der Verzug ist bei dünnwandigen Teilen mit
raturverteilung in der Schweißverbindung einer festen Einspannung und einer geeigne-
und der Steifigkeit der Konstruktion be- ten Schweißfolge weitgehend vermeidbar.
stimmt. Die Temperaturdifferenzen neh- Mit den folgenden praxiserprobten Metho-
men mit zunehmender Leistungsdichte den lassen sich die Wirkungen der prinzipi-
des Schweißverfahrens und abnehmender ell nicht verhinderbaren Schweißeigenspan-
Wärmeleitfähigkeit des Werkstoffs zu. Die nungen beseitigen bzw. klein halten:
Eigenspannungen lassen sich demnach – Wahl von Zusatzwerkstoffen, die ein zä-
verringern: hes, risssicheres Schweißgut ergeben. Die
– Durch Vorwärmen der Fügeteile, Schweißeigenspannungen werden dann
– mit einem weniger leistungsdichten durch plastische Verformung weitgehend
Verfahren, »abgebaut«.
– mit einem Werkstoff, der die Spannun- – Spannungsarmglühen ist das wirksamste,
gen durch Plastifizieren abbauen kann aber auch ein verhältnismäßig teures Ver-
und (oder) fahren.
Bild 3-11
Verteilung der Eigenspannungen
in einer Stumpfnaht.
a) Längseigenspannungen,
b) Quereigenspannungen. a) b)
Abschn. 3.3: Wirkung der Wärmequelle 251
Die Verteilung der im Werkstück entstehen- chanik, treten bei der Variante a) Reaktions-
den Eigenspannungen zeigt einige Beson- spannungen in der Stumpf- bzw. Kehlnaht
derheiten, Bild 3-11. Wichtiges Kennzeichen auf, Bild 3-12a, deren Größe mit dem Schweiß-
ist das Spannungs- und Momentengleichge- gutvolumen zunimmt. Die Anwendung leis-
wicht im Bauteil. Eine Störung des Gleichge- tungsdichter Verfahren, z. B. des Plasma-
wichts z. B. als Folge einer spangebenden Be- oder Elektronenstrahlschweißverfahrens,
arbeitung entfernt zusammenhängende Volu- führt bei der Konstruktion zu einer Verringe-
menbereiche, in denen Zug- oder Druckeigen- rung der Reaktionsspannungen, Bild 3-12b.
spannungen wirken. Durch das nun gestörte Bei konventionellen Verfahren muss häufig
Gleichgewicht wird das Bauteil in eine ge- die konstruktive Auslegung an die verfah-
mäß der resultierenden Spannung vorgege- renstechnischen Möglichkeiten bei Beach-
benen Richtung verzogen. Bei hohen Anforde- tung wirtschaftlicher Gesichtspunkte ange-
rungen an die Maßgenauigkeit müssen da- passt werden, wie z. B. Bild 3-12a zeigt.
her solche Schweißkonstruktionen vor der
spangebenden Bearbeitung spannungsarm Unabhängig von der gewählten Schweißtech-
geglüht werden. nologie besteht in großen Nahtbereichen eine
ausgeprägte Spannungsinhomogenität. Bei
Nahtvorbereitung für
unsymmetrischen Profilen bestimmen dann
konventionelle und z. B. für Els - Verfahren
die Steifigkeitsverhältnisse der einzelnen
Bauelemente und die Lage ihrer Schwerachse
(S) im geschweißten Bauteil die Verteilung
der Längsspannungsanteile im Gesamtsys-
a) b)
tem, Bild 3-13.
Je nach Schrumpfart und -richtung unter- Die Querschrumpfung von Bauteilen, die
scheidet man die Längs-, Quer-, Dicken- und durch Kehlnähte an Rippen oder Aussteifun-
Winkelschrumpfung, Bild 3-14. Das Schrump- gen quer zur Richtung der Kehlnaht hervor-
fen beeinträchtigt kaum die Bauteilsicher- gerufen wird, ist hauptsächlich vom Verhält-
heit, wohl aber die Gebrauchseigenschaften nis Nahtdicke zu Werkstückdicke a/t abhän-
der Konstruktion. In diesem Fall muss der gig. Mit zunehmendem Verhältnis a/t wird
Verzug mit meistens aufwändigen Maßnah- die Querschrumpfung größer, wie Bild 3-16
men beseitigt werden. zeigt. Ursächlich hängt sie mit der thermi-
schen Wirkung des geschmolzenen Schweiß-
3.3.2.1 Querschrumpfung gutes zusammen. Um die Querschrumpfung
Die Querschrumpfung erfolgt senkrecht zur gering zu halten, muss entsprechend der
Schweißnaht. Der Hauptanteil der Gesamt- Werkstückdicke die günstigste Nahtdicke
schrumpfung (ca. 85 % bis 90 %) erfolgt in den festgelegt bzw. ermittelt werden.
hocherhitzten Werkstoffbereichen geringer
Festigkeit, die parallel unmittelbar neben 8
70 °
der Schmelzlinie verlaufen. Der Rest geht mm 2
auf das Schwinden des Schweißgutes zu-
Schrumpfung D l
6
rück. Man spricht auch von Parallelschrump-
fung. Die absolute Größe der Querschrump-
60 °
fung ist vom Nahtquerschnitt, der Naht- 4 1
form, der Nahtlänge, dem Schweißverfah- 10 °
3
ren und der Technologie der Ausführung (z.
3
B. Einlagen- Mehrlagentechnik, Größe des 2
Schweißstromes bzw. der Schweißgeschwin- 1 2
Bild 3-16
Querschrumpfung durch Kehlnähte unterschiedlicher Werkstückdicke Elektrodenart Schrumpfungswinkel
Auslegungsart. t in mm Lagenzahl α in Grad
6 dickumhüllt 1
Außermittig liegende Schweißnähte bei un- 2 Lagen
symmetrischen Profilen können eine Krüm- 12 dünnumhüllt 1
3 Lagen
mung des Konstruktionselementes hervor-
12 dickumhüllt 3,5
rufen, wenn der Verformungswiderstand der 5 Lagen
Konstruktion zu gering ist. Die Größe der 18 dickumhüllt 6
Krümmung lässt sich durch gegenüberliegen- 7 Lagen
de oder unterbrochen angeordnete Schweiß-
Bild 3-17
nähte beseitigen bzw. verringern. Für dünn- Einfluss der Werkstückdicke und der Lagenzahl beim
wandige Bauteile sind Beulprobleme typisch Lichtbogenhandschweißen auf den Schrumpfungs-
und unangenehm. winkel a bei Stumpfnähten.
254 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
der überschüssige Wasserstoff in Form von ses weitgehend durch das Sievertssche Ge-
Blasen (Poren) ausscheiden, wenn die Kristal- setz beschrieben:
lisationsgeschwindigkeit der Schmelze nicht [ca ] = pa = K ⋅ pm . [3-9]
größer ist als die »Aufstiegsgeschwindigkeit«
des Wasserstoffs. [ca ] Konzentration ( Druck) des atomar
gelösten Gases,
Beim Kristallisieren einer Aluminiumschmel- pa Druck des im Metall gelösten Gases,
ze, die bei ihrem Schmelzpunkt (660 C) le- pm Partialdruck des molekularen Gases,
diglich 0,05 cm3 H/100 g Schmelze lösen kann, K Gleichgewichtskonstante.
bleibt jede darüber hinausgehende Wasser-
stoffmenge zwangsgelöst im Gitter oder sie Für die Gleichgewichtskonstante K gilt die
wird molekular, d. h. in Form von Poren ausge- allgemeine Beziehung:
schieden. Das ist der wesentlichste Grund für
⎛ ΔG ⎞
die ausgeprägte Neigung zur Porenbildung K = exp ⎜ − ⎟. [3-10]
⎝ RT⎠
von Aluminium beim Schweißen, Abschn.
5.3.1, S. 531. Hierbei ist R die Gaskonstante, T die Tempe-
ratur in K und 'G die freie Lösungsenergie,
In den rasch erstarrenden Schweißschmel- die eine lineare Funktion der Temperatur
zen verbleibt demnach je nach dem Diffusions- ist:
vermögen des Gases ein Teil zwangsgelöst 'G A B ¹ T. [3-11]
im Gitter oder an Werkstofffehlstellen (z. B.
Einschlüssen, Korngrenzen, Versetzungen, Damit wird mit den neuen Konstanten k1,
Mikrorissen) meistens in molekularer (Po- k2 die Gaslöslichkeit ca:
ren) oder sehr viel gefährlicher in der die Zä-
higkeit stark vermindernden atomaren Form, ⎛ c ⎞ k
ln ⎜ a ⎟ = − 1 − k 2 . [3-12]
s. Abschn. 3.5.1.6. ⎝ m⎠
p T
Die in der flüssigen Schweißschmelze ato- Die Löslichkeit cH von (atomaren) Wasser-
mar gelöste Menge (ca) eines unter dem (Par- stoff in einer Aluminiumschmelze wird mit
tial-)Druck pm stehenden molekularen Gases pm = pH2 z. B.:
wird bei den hier vorliegenden »verdünnten«
Ê c ˆ
Lösungen unabhängig von der Art des Ga- ln Á H ˜ = -
6355
+ 6 , 438 in
ml
.[3-13]
Ë pH2 ¯
T 100 g
30
Fe - Schmelze
Die unerwünschten die Zähigkeit vermin-
cm3
dernden atomaren Gase gelangen in das
Wasserstoffgehalt
100 g
Schweißgut als Folge verschiedener Vorgän-
20 ge bzw. Prozesse:
– Atmosphärische Gase,
15 – Schutzgase (O2, CO, CO2 ),
– Reaktionen vor allem oxidischer Schla-
10
cken im Lichtbogenraum und im Schweiß-
e
bad.
g -F
d - Fe
5
Al - Schmelze Die Schweißverfahren, bzw. die Beschaffen-
a - Fe heit der Lichtbögen üben einen großen Ein-
0
200 400 600 800 1000 1200 1400 ° C 1800
fluss auf die Neigung zur Gasaufnahme aus.
Temperatur J Die Lichtbogenlänge (Schweißspannung)
und die Lichtbogenturbulenz beeinflussen
Bild 3-18
Gleichgewichts-Löslichkeit von Wasserstoff in festem neben der chemischen Aktivität des Lichtbo-
und flüssigem Eisen und Aluminium bei p = 1 bar in genraums sehr stark die absorbierte Gasmen-
Abhängigkeit von der Temperatur. ge, Bild 3-19. Der sehr kurze, wenig turbulen-
256 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
Bild 3-19
Typische Sauerstoff- und Stickstoffgehalte in mit aus- a)
gewählten Lichtbogen-Schweißverfahren hergestellten
Schweißgütern, nach Eagar. N-Gehalt im Schweißgut ist etwa proportional dem Umgebungsdruck p!
Gasgehalt
1
und einer mittleren Anzahl auf jeden Qua-
dratmillimeter, die bei einigen 104 liegt. O / Fe
0,1
Die im Lichtbogenraum übergehenden direkt N / Fe
an der Elektrodenspitze befindlichen Werk- g - Fe
stofftröpfchen haben wegen der hier herr-
10 - 2
1 0,100
%
% Ni
Stickstoffgehalt
0,075
Sauerstoffgehalt
Mo
0,1
W
Si
Cr 0,050
Ti
10 - 2
V
0,025
Mn
10 - 3
0
Al 0 500 1000 1500 ppm 2000 2500
Sauerstoffgehalt
10 - 4
10 - 3
10 - 2 %
Bild 3-23
0,1 1 10
Einfluss des Sauerstoffgehalts auf den Stickstoffgehalt
Legierungselement
von Schweißschmelzen (bestehend aus Eisen mit un-
Bild 3-21 terschiedlichem Sauerstoffgehalt), die mit dem MAG-
Einfluss der Legierungselemente auf den Sauerstoff- Verfahren (Ar + 5 % N2 ) niedergeschmolzen wurden,
gehalt von Eisen-Schweißgut, nach Kasamatsu. nach Uda und Ohno.
258 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
tiger werden. Dies gilt nicht für Verfahren, Zur Deutung der durch den Wasserstoffan-
die mit stark turbulenten (unruhigen!) Licht- griff hervorgerufenen unterschiedlichen Schä-
bögen arbeiten, z. B. das Lichtbogenhand- digungsformen bzw. Schädigungsmechanis-
schweißen. Bei den Metall-Schutzgas-Verfah- men existiert eine Vielzahl der unterschied-
ren mit Fülldrähten nimmt der Stickstoffge- lichsten Theorien. Bisher kann keine allein
halt des Schweißguts mit der Stromstärke die vielfältigen Erscheinungsformen der Schä-
zu, siehe z. B. Bild 3-19. digungsphänomene metallphysikalisch rich-
tig beschreiben.
Die stark versprödende Wirkung des Stick-
stoffs (Verformungsalterung) wurde bereits in Wasserstoff verursacht folgende Werkstoff-
den Abschnitten 2.3.2.4, S. 133, und 3.2.1.2, schädigungen:
S. 240, besprochen. – Entfestigen und Entkohlen durch Druck-
wasserstoff.
3.3.3.3 Wasserstoff – Fischaugen und Beizsprödigkeit.
Stahl kann bei Korrosionsvorgängen in neu- – Bildung spröder Hydride in hochreakti-
tralen und sauren Medien als Folge der katho- ven Werkstoffen (z. B. Titan, Tantal, Zir-
dischen Abscheidung Wasserstoff aufneh- konium) durch Eindiffundieren von ato-
men. Die sich an der Stahloberfläche einstel- maren Wasserstoffs bei Temperaturen
lende Wasserstoffaktivität steigt mit zuneh- 250 C.
mender Wasserstoffionenkonzentration d. h. – Wasserstoffinduzierte Kaltrisse (Abschn.
fallendem pH-Wert. Durch Hydrolyse (Hy- 3.5.1.6).
dratation) des anodisch in Lösung gegan-
genes Metall (z. B. Eisen, Chrom; Abschn. In verfahrenstechnischen Anlagen kann hoch-
1.7.6.1.3, S. 86) kann in (Riss-)Spalten der gespannter Wasserstoff (bis 1000 bar) den
pH-Wert des Mediums auf 3 bis 4 fallen und Werkstoff bei hohen Prozesstemperaturen
damit zu einem unterkritischem Risswachs- (bis 600 C) gemäß folgender Reaktion stark
tum führen. schädigen:
Fe3C + 4 ◊ { H} Fe Æ 3 ◊ Fe + CH4 . [3-16]
Wasserstoff schädigt den Werkstoff in einer
komplexen, heute immer noch nicht ganz Nach dieser Beziehung werden die Carbide
verstandenen sehr vielfältigen Weise. Das zersetzt und der Werkstoff entkohlt, d. h. ent-
Ausmaß der Schädigung hängt entscheidend festigt. Das sich an Gitterfehlstellen unter ho-
von der Werkstofffestigkeit (Gefügeart und hem Druck ansammelnde Methan führt durch
-menge) und der Form ab, in der der Was- die entstehende erhebliche »Sprengwirkung«
serstoff im Gitter vorliegt: zu Werkstofftrennungen. Diese Schadensform
– Mit zunehmender Werkstofffestigkeit lässt sich weitgehend mit Werkstoffen ver-
nimmt die Schadenswirksamkeit der in meiden, die mit starken Carbidbildnern (z.
Abschn. 3.5.1.6 genauer besprochenen B. Cr, Mo) legiert sind. Die sich dabei bilden-
wasserstoffinduzierten Kaltrisse sehr stark den sehr stabilen Sondercarbide werden bei
zu. Besonders gefährdet sind martensiti- den vorliegenden Betriebsbedingungen nicht
sche, d. h. harte, wenig verformbare Gefü- mehr vom Wasserstoff reduziert.
ge. Die schweißgeeigneten Vergütungs-
stähle (Abschn. 2.7.6.3, S. 197, und 4.3.3, Wasserstoff kann auf vielfältige Weise in
S. 398) und die höhergekohlten Vergü- den Werkstoff gelangen:
tungsstähle sind hierfür typische Bei-
spiele. ❐ Während des metallurgischen Prozesses
– Gelöst auf Zwischengitterplätzen. der Herstellung.
– Wechselwirkend mit verschiedenen Git- ❐ Während des Schweißens bzw. während
terdefekten oder einer Wärmebehandlung in wasserstoff-
– in Hohlräumen und Gitterdefekten als haltiger Atmosphäre:
molekularer Wasserstoff ausgeschieden, – Das hocherhitzte Schweißgut kann aus
der zu Poren und Schlacken führt. der Atmosphäre, aus
Abschn. 3.3: Wirkung der Wärmequelle 259
cm 2
Der Wasserstoff kann in der Regel nicht genü- s
gend schnell aus der Umgebung in das Poren-
» Überalles« - Diffusionskoeffizient D
10 - 4
zentrum nachdiffundieren, weil die Bean-
spruchung beim Ziehen oder Biegen i. Allg. ion
iffus
verhältnismäßig rasch aufgebracht wird. Ob- Gitt
erd
10 - 5
wohl im Schweißgut gelegentlich Mikroris-
se entstehen – vor allem bei nicht sehr zähen
Schweißgütern – wird die Auswirkung auf
10 - 6
die Bauteilsicherheit aber als gering einge- ferritische austenitische
schätzt. Diese Erscheinung wird in der Praxis 1 Werkstoffe Werkstoffe
häufig lediglich als Indiz dafür gewertet,
10 -
dass die Schweißarbeiten hinsichtlich der
7
Bild 3-24
Der Diffusionskoeffizient D des Wasserstoffs in krz
und kfz Eisenwerkstoffen in Abhängigkeit von der
28)
im englischen Sprachraum wird diese Erschei- Temperatur und dem Reinheitsgrad des Werkstoffs.
nung birdeye, im amerikanischen meistens fish- In Richtung 1 wird die Zahl der »Fallen« (Verunreini-
eye genannt. gungen) kleiner, in Richtung 2 größer.
Abschn. 3.4: Das Sprödbruchproblem 261
Der Werkstoff verformt sich plastisch, wenn Die Verformung des Bauteils ist nicht mehr
die in einer bestimmten Gleitebene vorhande- möglich, seine Zerstörung daher nur durch
ne äußere Schubspannung t größer ist als Normalspannungen möglich. Diese Erschei-
die kritische t0 (Abschn. 1.3, Bild 1-18, S. 17). nung wird als Spannungsversprödung be-
Bei einer einachsigen Beanspruchung (s1) ist zeichnet. Sie ist Voraussetzung für das Ent-
die unter 45 zur Last wirkende Schubspan- stehen spröder Brüche. In Bild 3-25 sind sche-
nung maximal und beträgt: matisch die verschiedenen Beanspruchungs-
zustände mit Hilfe des anschaulichen Mohr-
σ1
′1 ′
τ max = τ ϕ (ϕ = 45°) = . [3-19] schen Spannungskreises beschrieben.
2
Plastische Verformungen finden statt, wenn Die Werkstoffbeanspruchung in Form der
Mohrschen Spannungskreise lässt sich über-
σ1
′1 ′
τ max = > τ0 [3-20] sichtlich mit Hilfe der Leonschen Hüllpara-
2 bel darstellen. Alle Spannungszustände füh-
wird. Bei mehrachsigen Beanspruchungen ren demnach zum Versagen, deren Kreise in-
(s1, s3) kann die für eine plastische Verfor- nerhalb dieser parabolischen Hüllkurve lie-
mung erforderliche Schubspannung so klein gen. In Bild 3-26 sind auch die Versagens-
werden, dass die Gleitbedingung t M ! t0 nicht grenzlinien nach der Hauptschubspannungs-
mehr erfüllbar ist. Für die gefährlichste drei- hypothese eingetragen.
achsige Beanspruchung gilt:
Mit zunehmendem Mehrachsigkeitsgrad
σ1 − σ3
′ 3′
τ max = τ ϕ (ϕ = 45°) = . [3-21] (»Räumlichkeit«) der Spannungen M, der
2 durch die Beziehung
s1 s1 s1 ⎧σ σ ⎫
M = ⎨ 3 ; 2 ;1⎬ [3-22]
s2 s2 ⎩σ 1 σ 1 ⎭
s2 angegeben wird, werden die Hauptnormal-
s2 spannungen si zunehmend größer. Der durch
s3 sie repräsentierte Mohrsche Spannungskreis,
s1 s1 s1 z. B. C in Bild 3-26, wandert auf der Abszisse
in Richtung Scheitelpunkt S der Leonschen
s1 s1 s1
Hüllparabel. Mit dieser Darstellung lassen
sich diese Beanspruchungsbedingungen sehr
tmax anschaulich deuten. Nach Erreichen des
tmax
s2 s3
tmax Punktes S ist die eine plastische Verformung
45°
auslösende Schubspannung Null. Bei diesem
s1 s1 - s 2 s1 - s 3
t max =
2
t max =
2
t max =
2
theoretischen Grenzfall wird s1 s2 s3 sT.
Die Trennfestigkeit σT beträgt etwa:
t t t
sT (2 ... 3) ¹ Rm. [3-23]
s s s
Hierbei ist Rm die Zugfestigkeit. Das Bauteil
wird unter diesen Spannungsbedingungen
s3
s2
ausschließlich durch Normalspannungen zer-
s1 s2
s1 s1 stört. Die Werkstoffbereiche in der Nähe der
a) b) c)
Rissufer zeigen keinerlei Verformungen, der
Makro-Bruchverlauf ist spröde (Sprödbruch).
Bild 3-25 Die für die Bruchentstehung erforderliche Nor-
Darstellung verschiedener Spannungszustände und malspannung liegt (theoretisch) zwischen ei-
der mit ihnen verbundenen maximalen Schubspan-
nigen 10 N/mm2 und dem Grenzwert Trennfes-
nungen mit Hilfe des Mohrschen Spannungskreises.
a) einachsige Zugbeanspruchung, tmax = s1/2, tigkeit des Werkstoffs. Der Bruch in einem
b) zweiachsige Zugbeanspruchung, tmax = (s1- s2 )/2, (geschweißten) Bauteil kann also in einem
c) dreiachsige Zugbeanspruchung, tmax = (s1- s3 )/2. sehr großen Spannungsbereich entstehen.
Abschn. 3.4: Das Sprödbruchproblem 263
Bild 3-27
In jedem Fall wird angenommen, dass die Spannungsverhältnisse beim Bruch.
Bruchfestigkeit RBr größer ist als die Fließ- a) zäher Werkstoff: RBr >> Rp0,2 ,
grenze Rp0,2, Bild 3-27a. Diese Annahme trifft b) spröder Werkstoff: RBr << Rp0,2 .
t
Bei einachsiger Beanspruchung und hinrei-
PA
chend zähen Werkstoffen tritt der Bruch bei
PB RBr ! Rp0,2 ein, Bild 3-28 30). Die Bruchverfor-
tA tB mung e1 ist hoch und größtenteils plastisch.
A
- s1
B
s1
D C
sH s 2
S
sT
s
Diese Beanspruchungssituation (des Werk-
tH stoffs und der Spannungsverhältnisse im
Bauteil) ist mit den konventionellen Berech-
PH nungsmethoden zweifelsfrei bestimmbar, d.
h., das Bauteil kann »sicher« dimensioniert
Versagen gemäß Hauptschub-
spannungshypothese werden.
Die Vorgänge bei einer mehrachsigen Bean- Der Konstrukteur sollte daher beachten:
spruchung werden mit elastischen und plasti- – Der Werkstoff kann durch verschiedene
schen Instabilitäten beschrieben, d. h. mit Vorgänge (z. B. Spannungsversprödung,
Schubspannungen. Die Wirkung mehrachsi- Kaltverformung, Aufhärtung in der WEZ)
ger Beanspruchungen lässt sich mit der nur verspröden. Ein Festigkeitsnachweis mit
für zähe Werkstoffe gültigen, anschaulichen konventionellen Berechnungsmethoden ist
Hauptschubspannungshypothese beschrei- dann nicht möglich und auch nicht sinn-
ben (siehe aber auch Bild 3-26!). Nach dieser voll, weil mit ihnen die Versagensform
Festigkeitshypothese tritt Versagen ein, wenn Sprödbruch quantitativ nicht erfasst wer-
die Schubspannung bei dreiachsiger Beanspru- den kann.
chung gleich der bei einachsiger Belastung – Eine sichere Maßnahme, den Sprödbruch
als kritisch erkannten Schubspannung ist: in geschweißten, mit mehrachsigen Eigen-
¢1 ¢ ¢3¢ spannungen behafteten Konstruktionen
t max = t max . [3-24]
zu vermeiden, besteht in der Wahl schlag-
Durch Gleichsetzen der Beziehungen Gl. [3- zäher Werkstoffe mit ausreichend niedri-
20] und Gl. [3-21] folgt: gen Übergangstemperaturen. Diese Mög-
¢1¢ lichkeit der »Selbsthilfe« zäher Werkstof-
Rp0,2 R¢3¢ - s3
= p0,2 . [3-25] fe wird vom Konstrukteur oft nicht genü-
2 2 gend beachtet oder unterschätzt.
Daraus ergibt sich die Streckgrenze bei
dreiachsiger Beanspruchung ( Tresca-Kri- Die sich im Bereich von (Konstruktions-)Ker-
terium) zu: ben aufbauende mehrachsige Spannung ist
¢3¢ ¢1¢ für die Entstehung des Sprödbruchs bzw. des
Rp0,2 = Rp0,2 + s3 . [3-26]
Bauteilversagens von größter Bedeutung.
Die Verformung bei Brucheintritt ist rein Bild 3-29a zeigt die Kerbgeometrie und be-
elastisch und viel geringer als bei einach- schreibt die Definitionen der Spannungen
siger Belastung: e3 A e1, Bild 3-28. Die die und Spannungsrichtungen. Die in der Rich-
Plastizität u. U. völlig erschöpfenden Eigen- tung der angreifenden Kräfte entstehende
spannungszustände entstehen insbesondere (Kerb-)Spannung syy ist abhängig von der
beim Schweißen dickwandiger Bauteile. Kerbschärfe größer als die Nennspannung.
s1 - s3
Mit Hilfe der Formzahl ak kann die Wirkung
➋ ➋ t ’3’
tmax =
2 der Kerbe auf die Größe der elastischen Span-
nungen mit folgender Beziehung ermittelt
Spannung s
’3’
R p0,2 ’3’
R p0,2 = Rp0,2 + s 3
werden:
s
siehe auch Gl. [3-25] smax = syymax = a k ◊ sn . [3-27]
s3
R Br ➊
s2
Hierbei ist smax die maximale Spannung im
s1
Kerbgrund und sn die mit den Methoden der
elastischen Festigkeitstheorie berechenbare
’1’
R p0,2 s1
mittlere (Nenn-)Spannung. Es bauen sich au-
➊ t ’1’
tmax =
2 ßerdem Zugspannungen in der x- (sxx) und
der z-Richtung (szz) auf, weil eine Einschnü-
rung in Dickenrichtung mit zunehmender
s Werkstückdicke t zunehmend behindert wird.
sxx erreicht in den Bereichen der Kerbumge-
bung ein Maximum, in denen durch die Span-
s1
nungsverteilung die Dehnungsbehinderung
e3
Dehnung e
e1
am größten wird, Bild 3-29b. Die Spannung
in der x-Richtung verschwindet auf den Kerb-
Bild 3-28
Einfluss dreiachsiger Spannungszustände auf das oberflächen (S), die Spannung in z-Richtung
Verformungsverhalten (dargestellt durch die im Zug- auf den freien Probenoberflächen, Bilder 3-
versuch ermittelte Dehnung). 29b und 3-29c.
Abschn. 3.4: Das Sprödbruchproblem 265
R p0,2
s yy s max
s xx
R p0,2
r
b)
Bild 3-29
Spannungsverhältnisse in einem »dicken« gekerbten
Blech (ebener Verzerrungszustand, e zz = 0).
a) Definitionen und Kerbgeometrie, s s
b) Spannungsverlauf in x- und y-Richtung ( z = 0 ), r
c) in z-Richtung für r = konst.
Für seine Auslösung müssen die folgenden 6, S. 579) zum Bestimmen der Sprödbruch-
Voraussetzungen erfüllt sein: empfindlichkeit des Grundwerkstoffs (aber
nicht der Schweißkonstruktion!) bewährt.
❐ Der Werkstoff muss versprödbar sein. Alle Dieser Versuch verbindet
krz (hdP) Metalle verspröden beim Errei- – scharfe, mehrachsige, sprödbruchbegüns-
chen bestimmter Betriebs- bzw. Werkstoff- tigende Beanspruchungen in gekerbten
bedingungen nahezu schlagartig: Proben,
– Die Betriebstemperatur ist kleiner als – schlagartige Beanspruchung und
die nach verschiedenen Prüfverfah- – Prüfen bei beliebig tiefen Temperaturen
ren feststellbare Übergangstempera- – mit Praxisnähe und Wirtschaftlichkeit.
tur der Zähigkeit.
– Der vorhandene Spannungszustand Das Ergebnis einer Auswertung zeigt Bild
führt zur Spannungsversprödung. 3-31. Als Bewertungskriterien werden ver-
– Die zu geringe (Schlag-)Zähigkeit des wendet:
Grundwerkstoffs ist Ursache für das – Die Übergangstemperatur z. B. Tü,27 oder
Verspröden der WEZ und damit der Tü,40,
Verbindung. – die Kerbschlagarbeit in der Hochlage K.
❐ Der Werkstoff muss die für die Entstehung Die Erfahrung aus vielen Schadensfällen
des Sprödbruchs erforderlichen mechani- zeigt, dass zum Vermeiden eines spröden
schen oder metallurgischen Kerben ent- Bruches eine Mindest-Kerbschlagarbeit von
halten. Die hier vorhandenen Spannungs- 27 J, bei den heutzutage geforderten höhe-
spitzen führen zum Anriss. ren Werten bzw. höheren Beanspruchungen
eine von 40 J (bzw. 47 J) erforderlich ist. Die
❐ Die im Bauteil gespeicherte Energie muss zugehörigen Prüftemperaturen werden Über-
für die instabile Fortpflanzung des Ris- gangstemperaturen Tü,27 bzw. Tü,40 genannt.
ses ausreichend sein. Diese sind wegen ihrer im Vergleich zur Pro-
be völlig andersartigen Beanspruchung, Werk-
3.4.3.1 Werkstoffliche Faktoren stückdicke, Kerbschärfe (und Anzahl der Ker-
Ausreichende (Schlag-)Zähigkeitseigenschaf- ben und Größe) nicht mit der Versprödungs-
ten des Werkstoffs und vor allen Dingen der temperatur geschweißter Bauteile identisch.
WEZ sind Voraussetzungen für sprödbruch- Der Kerbschlagbiegeversuch erlaubt trotzdem
sichere Konstruktionen. Alle werkstofflichen eine zuverlässige Einordnung und Einschät-
Veränderungen, die die Verformbarkeit der zung der Stähle hinsichtlich ihrer Sprödbruch-
wärmebeeinflussten Zone (und des Schweiß- sicherheit. Als Bewertungsmaßstab der Sicher-
guts) verringern, begünstigen grundsätzlich heit gegen Sprödbruch ist die Übergangstem-
den Sprödbruch. peratur aus verschiedenen Gründen wesent-
lich besser geeignet als die Kerbschlagarbeit
Die Sprödbruchempfindlichkeit kann erfah- in der Hochlage, Bild 3-31.
rungsgemäß nicht mit Prüfverfahren beur-
teilt werden, die statische Zähigkeitseigen- Als Folge der hohen metallurgischen Quali-
schaften feststellen. Das gilt z. B. für die im tät der heutigen Stähle ist ein Versagen durch
Zugversuch ermittelten Werte der Bruchdeh- Sprödbruch selten, wenn die bekannten Stan-
nung und Einschnürung. dards und Empfehlungen beachtet werden.
Große Vorsicht ist allerdings bei Reparatur-
Die Sprödbruchneigung des Bauteils kann schweißungen an Bauteilen aus früheren
bisher nicht mit der wünschenswerten Zu- Jahren geboten.
verlässigkeit bestimmt werden. Die Vielzahl
der existierenden Verfahren kann nur be- Die Sprödbruchanfälligkeit wird durch alle
stimmte Teilaspekte dieser komplexen Werk- Faktoren größer, die auch die Schweißeig-
stoffeigenschaft feststellen. In der Praxis nung verschlechtern. In erster Linie sind zu
hat sich der Kerbschlagbiegeversuch (Abschn. nennen:
Abschn. 3.4: Das Sprödbruchproblem 267
fügung stehende Reaktionszeit bei Schweiß- Ähnliche metallurgische Probleme wie bei
beginn zu kurz ist. Porenbildung ist dann un- den Nahtansatzstellen findet man auch im
vermeidlich, Bild 3-33a Bereich des Endkraters. Sie machen sich vor
allem bei den Handschweißverfahren mit ih-
Diese Erscheinung kann durch spezielle rem häufigen Stabelektroden- bzw. Schweiß-
Schweißtechnologien vermieden werden: stabwechsel unangenehm bemerkbar.
– Verwenden von Vorschweißblechen. Der
Anfangskrater, d. h., die ersten 2 cm bis Folgende metallurgische Fehler können am
3 cm der Schweißnaht werden nach dem Nahtende entstehen, wenn die Wärmequel-
Schweißen abgetrennt, Bild 3-33b. le zu schnell vom Schweißbad fortgerissen
– Wählen einer besonderen Elektrodenfüh- wird:
rung, Bild 3-33c. Die Elektrode wird etwa – Endkraterrisse und Endkraterporen. Das
2 cm bis 3 cm in der Fuge vor dem Naht- Nahtende kühlt wegen der fehlenden Wär-
ende gezündet (S) und in Richtung des mezufuhr der Wärmequelle sehr rasch
Nahtendes geführt (S 1). Nach dessen ab, und die Zufuhr flüssigen Zusatzwerk-
Aufschmelzen wird die Schweißrichtung stoffs unterbleibt schlagartig. Die Folge
umgekehrt und dadurch der Bereich des ist ein eingefallenes (Endkrater), schlecht
eigentlichen Nahtbeginns erneut aufge- desoxidiertes (Porenbildung wegen zu ge-
schmolzen (1 S). Durch die jetzt höhere ringer Reaktionszeit) Nahtende, in dem
Reaktionstemperatur, die verlängerte Re- sich wegen der hohen thermischen Span-
aktionszeit und die größere zur Verfügung nungen und dem hohen Gehalt an Verun-
stehende Siliciummenge wird dieser Be- reinigungen in der hier erstarrenden Rest-
reich vollständiger desoxidiert und damit schmelze häufig auch noch heißrissähnli-
die Porenbildung unterbunden. che Werkstofftrennungen bilden (Endkra-
terrisse).
– Aufnahme atmosphärischer Gase durch
Startporosität
den weitgehend fehlenden Schutzgas-
schleier.
Lichtbogen vom Endkrater auf die Flan- – Die ungünstige Form der Primärkristal-
ke geführt und im Kurzschluss »ausge- lisation des Schweißguts (Bild 4-8 und
drückt«. Für bestimmte hochlegierte (aus- Abschn. 4.1.1.1, S. 300), die die Heißriss-
tenitische Cr-Ni-Stähle) Stähle ist diese bildung stark begünstigt, und der
Maßnahme wegen der großen Heißrissge- – große Aufschmelzgrade, d. h. der Umfang
fahr häufig auch nicht ausreichend. Ein der Vermischung von Grundwerkstoff und
sorgfältiges Ausschleifen des Endkraters Zusatzwerkstoff, Bild 3-34b, der verbunden
ist dann unumgänglich. mit der normalerweise großen Schweiß-
– Verwenden von Auslaufblechen, Bild 3- gutmenge grundsätzlich stark (heiß-)riss-
33b. Die Schweißnaht wird auf ein außer- begünstigend wirkt.
halb der Naht liegendes angeheftetes Blech
geführt, das man wie das Vorschweißblech Das Verformungsvermögen des Schweißguts
nach dem Ende der Schweißarbeiten ab- nimmt i. Allg. mit zunehmendem Grundwerk-
trennt. stoffanteil ab, weil die metallurgische Rein-
heit der Zusatzwerkstoffe – zumindest bei
3.5.1.3 Probleme des Einbrands konventionellen Stählen – deutlich größer ist
In den meisten Fällen ist ein tiefer Einbrand als die der Grundwerkstoffe.
aus werkstofflichen Gründen unerwünscht
(Abschn. 4.1.1, S. 300), Bild 3-34a. Die ent- Aus technischen Gründen ist eine große Ein-
scheidenden Nachteile sind: brandtiefe nicht erforderlich, sie wird aber in
der Schweißpraxis oft wegen ihrer Fähigkeit
E geschätzt, Anpassungenauigkeiten der Naht-
vorbereitung »auszugleichen«. Beim Verbin-
W
Zur Definition des Einbrandes: dungs-, vor allem aber beim Auftragschwei-
W = Wurzeleinbrand
E = Flankeneinbrand ßen unterschiedlicher Werkstoffe ist wegen
der fast immer zu erwartenden metallurgi-
a) schen Unverträglichkeiten und anderer Prob-
leme ein geringer Aufschmelzgrad erforder-
lich (Abschn. 4.1.1.1, S. 300).
c)
z
d)
Bei der z. B. im Schiffbau vielfach angewen-
deten Doppel-Kehlnahtschweißung, Bild 3-
Bild 3-34 34d, kann durch das gleichzeitige Schweißen
Einbrandverhältnisse bei Stumpf- und Kehlnähten. der Kehlnähte mit Automaten der Steg in kei-
a) Zur Definition des Einbrandes, ne Richtung schrumpfen. Dieses hier durch-
b) Einfluss der Fugenform (und des Schweißverfah-
aus beabsichtigte Ergebnis führt aber zu gro-
rens) auf den Aufschmelzgrad,
c) zusätzlicher Einbrand z bei Kehlnähten, ßen Schrumpfspannungen in den erstarren-
d) verstärkte Heißrissneigung bei gleichzeitig doppel- den Nähten und damit in den meisten Fällen
seitig geschweißten Kehlnähten. zur Heißrissbildung.
274 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
Bild 3-37
Einteilung der Rissarten nach dem Ort der Entstehung Eine ähnliche Wirkung besitzen zu kurze
in Schweißverbindungen, schematisch. Heftstellen. Ihre Aufgabe ist es, die Fügetei-
276 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
le rissfrei zu fixieren. Dies gelingt aber nur Rissart Entstehungs- Rissverlauf Skizze
dann, wenn die Heftstellen ausreichend dicht ort(e)
liegen [(20 ... 30)¹Blechdicke d] und genügend
lang sind (O 20 bis 40 mm), Abschn. 4.1.3.2, Aufhärtungsriss WEZ
S. 318. Unternahtriss transkristallin
g® M Riss
Risse entstehen nach örtlicher Überschrei- Die Definitionen und Klassifizierungen der
tung der Festigkeit durch eine irreversible Rissarten geschieht gemäß Bild 3-38:
Trennung des atomaren Zusammenhalts un-
ter Bildung von Rissoberflächen. ❐ In Abhängigkeit von dem Temperaturbe-
reich, in dem die Rissbildung erfolgt un-
Abhängig vom Entstehungsort in Schweißver- terscheidet man
bindungen unterscheidet man die folgenden – Heißrisse und
Risstypen: – Kaltrisse. Nach DIN EN ISO 6520 wer-
– Risse im Schweißgut, den Kaltrisse in Schweißverbindungen
– Risse im Bereich der Schmelzgrenze und nach Risslage und Ausbildungsform
– Risse im restlichen Bereich der WEZ. eingeteilt in Aufhärtungs-, Wurzel-,
Kerb-, Schrumpf- und Lamellenrisse
Schweißen Spannungsarmglühen (Terrassenbruch, Abschn. 2.7.6.1, S.
Grobkornzone 188). Bild 3-39 gibt einige Hinweise
zur Klassifikation der Kaltrisse.
Temperatur T
1500
❐ Je nach Risslänge werden unterschieden
Heißrisse
°C
1200
– Mikrorisse. Deren Länge liegt häufig
im Bereich eines Korndurchmessers.
Sie sind daher nur mit mikroskopi-
900 Ac3
Relaxationsrisse
schen (metallografischen) Verfahren
Ausscheidungen Relaxationsversprödung erkennbar und die
600 – Makrorisse, die bereits mit unbewaff-
Kaltrisse netem Auge erkennbar sind.
Abkühlung verzögert ❐ Gewaltbrüche treten als
300
Arb.-temperatur
– Verformungsbrüche und als
– Sprödbrüche auf. Sie verlaufen kristal-
RT lin oder interkristallin und entstehen
5 - 50 sec Stunden 0,5 - 6 h durch Spalten (Trennen) der Kristall-
Tage
Zeit t ebenen im Korn (Spaltbruch, Trenn-
Bild 3-38 bruch). Diese Risse erscheinen makro-
Rissbildung beim Schmelzschweißen, nach MPA skopisch verformungslos, obwohl ihre
Stuttgart. Entstehung eine bestimmte Plastizi-
Abschn. 3.5: Fehler in der Schweißverbindung 277
tät im Mikrobereich voraussetzt (Mi- Die Bildung der Kaltrisse erfolgt in folgenden
kroplastizität), Bild 3-40b. Schritten:
– Entstehung von Mikrorissen an Gitterde-
Die gefährlichste Schadensform ist der was- fekten nach einer bestimmten Inkuba-
serstoffinduzierte Kaltriss (s. auch Abschn. tionszeit. Sie sind im Lichtmikroskop
3.5.1.1). Da er nach der Wasserstoffbeladung nicht nachweisbar.
u. U. erst nach Tagen entsteht, wird er im – Langsames Wachsen der Mikrorisse bis
englischen Sprachraum auch als delayed frac- eine kritische Länge erreicht ist. Dabei
ture (engl.; delayed verzögert) bezeichnet. sammelt sich zeitabhängig atomarer (dif-
Daher wird noch gelegentlich die Bezeichnung fusibler) Wasserstoff an. Anschließend er-
verzögerter Riss verwendet. Bild 3-40 zeigt folgt durch Verminderung der Kohäsions-
die Bruchfläche eines typischen Kaltrisses kräfte der Übergang zum
in makroskopischer und rasterelektronenmi- – instabilen Rissfortschritt.
kroskopischer Darstellung.
Der im Werkstoff vorhandene atomare Was-
serstoff diffundiert, sicherlich begünstigt
durch größere Spannungsgradienten, in Be-
reiche mit hoher Fehlstellendichte, die i. Allg.
bereits Zonen erniedrigter Trennfestigkeit
sind. Der Wasserstoff reichert sich in dem
durch die Wirkung des dreiachsigen Span-
nungszustandes hydrostatisch gedehnten
Bereiches vor der »Rissspitze« an. Dadurch
wird die Trennfestigkeit soweit erniedrigt,
dass sich Mikrorisse bilden.
278
Zusammenstellung wichtiger metallurgischer Fehler beim Schweißen.
Risse Kaltrisse gelten als die gefährlichste Rissform. Sie entstehen überwie- Mit zunehmender Werkstofffestigkeit (d. h. Martensitanteil und/oder Koh-
gend durch Wasserstoff, begünstigt durch große Härte des Gefüges: was- lenstoffmenge) nimmt die durch Wasserstoff verursachte Kaltrissneigung
serstoffinduzierte Kaltrisse. Bei Maximalhärten in der WEZ über 350 extrem zu. In den meisten Fällen sind nur einige cm3 H/100 g Schweißgut
... 400 HV ist ihre Bildung wahrscheinlich. Nach der Lage der Risse wer- ausreichend, um ihn auszulösen.
den sie auch manchmal (vor allem in der Praxis) als Unternahtrisse Die wichtigste, sehr rigoros einzuhaltende Fertigungsmaßnahme besteht bei
(neben der Schmelzlinie in der WEZ verlaufend) bezeichnet. Der Rissver- hochfesten Stählen darin, alle wasserstoffhaltigen Substanzen dem Schmelz-
lauf kann trans- oder interkristallin sein. bad möglichst vollständig fernzuhalten.
Mit zunehmendem C-Gehalt nimmt die Rissbildungswahrscheinlichkeit Neben der Luftfeuchtigkeit und anderen vergasbaren Substanzen auf der
grundsätzlich zu, da Härte und Rissempfindlichkeit des extrem fehlge- Werkstückoberfläche sind das in die Zusatzwerkstoffe (Stabelektroden-Um-
ordneten (vor allem des höhergekohlten) Martensits (Versetzungen, Zwil- hüllung, Schweißpulver) absorptiv eingedrungene und das chemisch ge-
linge) stark zunehmen. bundene Wasser (Kristall- und Konstitutionswasser) die entscheidenden
Kaltrisse können sofort nach dem Schweißen oder erst nach einigen Ta- Wasserstofflieferanten. Die Verwendung wasserstoffkontrollierter basisch-
gen entstehen. Ihr Nachweis mit zerstörungsfreien Prüfverfahren ist umhüllter Stabelektroden ist zwingend. Ihre Verarbeitung erfordert aber
nicht immer zuverlässig möglich. Die Kaltrissneigung läßt sich hinrei- Schweißer, die mit deren Besonderheiten vertraut sind.
chend einfach mit dem Implant-Test feststellen. Stabelektroden und Schweißpulver müssen vor dem Verschweißen nach den
Nach DIN 8524 unterscheidet man in Schweißverbindungen nach Riss- Angaben der Hersteller sorgfältig getrocknet werden. Meistens wird nach
lage und Ausbildungsform die Kaltrissarten: dem Schweißen das Bauteil mindestens bei 250 ° C bis 350 ° C/2h wasser-
Aufhärtungs-, Schrumpf-, Kerb- und Lamellenrisse (Terrassen- stoffarmgeglüht (»Soaken«), besser ist ein Spannungsarmglühen.
bruch). Eigenspannungen und Kerben aller Art (konstruktiv bedingte, vom Schwei-
In Schweißverbindungen aus bestimmten ausscheidungshärtenden (warm- ßer erzeugte mechanische Fehler, wie z. B. Nahtüberhöhung, Kantenver-
festen) Stählen können in der WEZ beim Spannungsarmglühen Wieder- satz, Schlacken, Poren, Zündstellen) begünstigen grundsätzlich die Riss-
erwärmungsrisse (Stress Relief Cracking) auftreten. Dies sind Mikro- entstehung. Mit zunehmender Werkstofffestigkeit müssen daher auch »harm-
risse, die überwiegend interkristallin verlaufen. Sie entstehen durch Korn- los« erscheinende Fehler beseitigt werden.
grenzengleitung als Folge der »Versteifung« der Körner durch Ausschei-
dungen, die sich beim Spannungsarmglühen gebildet haben.
Grobkorn Schweißspezifischer »Fehler«, der in Schmelzgrenzennähe (Grobkornzone) Die Korngröße läßt sich bei umwandlungsfähigen Stählen sehr wirksam
in der WEZ der WEZ als Folge der extrem hohen Temperatur unvermeidlich ist und durch die Mehrlagentechnik (Pendellagentechnik) beeinflussen. In kri-
Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
nur bei umwandlungsfähigen Stählen durch eine Wärmenachbehandlung tischen Fällen - z. B. bei Feinkornbaustählen und verschiedenen NE-Me-
bzw. durch die Mehrlagentechnik beseitigt werden kann. tallen - sind Wärmeeinbringen und Vorwärmtemperatur zu begrenzen.
Die Korngröße nimmt zu mit dem Wärmeeinbringen Q und der Höhe
der Vorwärmtemperatur Tp. Das Kornwachstum ist bei krz Werkstof-
fen bei gleichen Bedingungen stärker als bei kfz Metallen.
Mit zunehmender Korngröße nimmt die Festigkeit und Zähigkeit ab.
Fehlerart Entstehung Maßnahmen zu ihrer Vermeidung
Poren Das gelöste Gas kann wegen der raschen Abkühlung nicht das Schweiß- Saubere, trockene Werkstückoberflächen z. B. durch mechanische Verfahren
bad verlassen, sondern scheidet sich im Werkstoff in molekularer Form im Bereich der Schweißnaht (z. B. Bürsten, Schleifen) und Anwärmen auf et-
als Poren aus. wa 100 ° C (Adsorptionswasser wird beseitigt!) erzeugen.
Umgebungsfeuchtigkeit oder vergasbare Ablagerungen auf den Werkstück- Zusatzwerkstoffe nach Herstellervorschrift trocknen (Stabelektroden, Schutz-
oberflächen können Poren erzeugen, wie z. B.: gase, Schweißpulver).
Feuchte, Rost, Farben, metallische Überzüge (z. B. Zink). Naht sorgfältig vorbereiten (Öffnungswinkel, Stegabstand, Steghöhe fachge-
Schweißspezifische Feuchtelieferanten, wie z. B.: recht wählen, Kantenversatz vermeiden), dadurch werden handhabungsbe-
Feuchtigkeit in Schweißgasen, Kristall- und Konstitutionswasser dingte Mängel ausgeschlossen bzw. verringert. Schweißstelle mit Windschutz
in Elektroden-Umhüllungen und Schweißpulvern, Ablagerungen versehen.
auf Stab- und Drahtelektroden, Schweißstäben. Einfluss der Poren wird nach Regelwerk häufig zu konventionell beurteilt.
Als Folge von Fertigungs- bzw. Handhabungsfehlern, wie z. B.: Bei statischer Beanspruchung sind mindestens 6 % Poren zulässig. Repara-
turen erzeugen häufig noch schwerwiegendere Fehler: hoher Eigenspannungs-
falsche Einstellwerte, Lichtbogen zu lang, Vorschubgeschwindig-
zustand, Kerben, Schlackeneinschlüsse, neue Risse.
keit der Wärmequelle zu groß.
Schlacken Unterscheide: Kaltstellen entstehen bei Handschweiß- Nur exogene Schlacken sind i.
exogene (von außen i. Allg. durch Handhabungsfehler in die Schmelze verfahren, Schlackeneinschlüsse bei tief- Allg. bedenklich, sie müssen
gelangende Schlacke, z. B. Umhüllungsbestandteile werden in die Schmel- einbrennenden Schweißverfahren, weil: häufig beseitigt werden.
ze geschwemmt) und
a Nahtvorbereitung (Öffnungs-
endogene Schlacken, die durch die notwendigen Desoxidationsreaktio- Offnungswinkel = zu klein: winkel, Stegabstand, Steghö-
nen entstehen müssen, da sie den ordnungsgemäßen Ablauf der Desoxi- Schlackenreste in Nahtflan- he, Kantenversatz) sorgfältig
dation anzeigen. ken, Ausschleifen erforderlich. durchführen, Handhabungsbe-
Es entstehen oft rundliche, sehr kleine nichtmetallische Verbindungen, dingte Mängel werden damit
Stegabstand c zu klein: ausgeschlossen bzw. verrin-
die z. T. in die Schmelze steigen, z. T. im erstarrenden Schweißgut einge- Bindefehler an Nahtflanken, gert. Zwischenlagen, vor allem
schlossen werden. Die als Folge der notwendigen Desoxidation entstehen- Schlacken, Wurzelfehler.
den Schlacken beeinträchtigen i. Allg. die Tragfähigkeit in einem nur bei einer »Baustellenschwei-
c
geringen Umfang (aber große Vorsicht bei hochfesten Vergütungsstäh- Ungeeignete Elektroden- ßung«, überschleifen.
len!). führung:
Blaswirkung erzeugt Wurzel
Sie entstehen in einem nicht tolerierbaren Umfang durch unzureichende in »Osterei«-Form. Ohne Aus-
Handfertigkeit des Schweißers und Fertigungsfehler, z. B. durch: schleifen erzeugen die festge- Ausbildung der Schweißer
Ungeeignete Elektrodenführung (»Osterei« in der Wurzel) und Hal- krallten, schwer aufschmelz- und laufende Qualitätskon-
tung des Stabelektrodenhalters, Öffnungswinkel und (oder) Steg- baren Einschlüsse Schlacken trolle sind Voraussetzung für
abstand zu klein oder durch ungeeignete Einstellwerte. nach nächster Lage. eine kontrollierte Fertigung.
Zündstellen Zünden des Lichtbogens außerhalb der Schweißnaht erzeugt Zündstellen. Ein Problem der Qualifikation des Schweißers und seines Verantwortungs-
Abhängig vom Kohlenstoffgehalt, der Werkstückdicke und Abkühlge- bewußtseins, der Qualitätskontrolle und der Schweißaufsicht. Es ist beson-
schwindigkeit entsteht aus dem austenitisierten Bereich der WEZ harter, ders auf angeschliffene Bereiche der Oberfläche zu achten: Durch das Schlei-
spröder, rissanfälliger Martensit. Hohe Eigenspannungen begünstigen fen nicht beseitigte, sondern nur »verschmierte« Risse können Probleme be-
Abschn. 3.5: Fehler in der Schweißverbindung
die Rissbildung selbst bei gut schweißgeeigneten Stählen. reiten. Diese sind durch Farbeindringprobe nachweisbar.
Daher: Nur in der Naht zünden.
279
Fehlerart Entstehung
280
Maßnahmen zu ihrer Vermeidung
»Start- Beim Beginn der Schweißarbeiten kann insbesondere bei verschiedenen Abhilfe prinzipiell durch Verlängern
porosität« Stabelektrodentypen eine ausgeprägte Porosität im Anfangskrater bzw. S ta r tp o r o s itä t der für die vollständige Desoxidation
Endkrater entstehen. Die Ursache sind die nur begrenzten Mengen Ferro- erforderlichen Reaktionszeit möglich.
silicium in der Umhüllung (der Kernstab ist bei unlegierten Stählen un- Die sicherste Methode ist bei empfind-
beruhigt!), weil Si > 0,35 % im Schweißgut die Zähigkeitseigenschaften ver- lichen Werkstoffen eine besondere
mindert. Zu Beginn sind die zur Verfügung stehenden Reaktionszeiten zu S c h w e iß b e g in n b e i S b is 1 , z u r ü c k
n a c h 2 , S w ir d e r n e u t a u fg e s c h m o lz e n
Schweißtechnologie: Starten etwa 1
gering, die Temperatur noch nicht hoch genug, die Desoxidation also noch bis 2 cm vor dem eigentlichen Schweiß-
unvollständig. Ähnliches gilt für den Endkrater, wenn der Lichtbogen beginn (S), Elektrode in Richtung
S
plötzlich erlischt. Nahtbeginn (1) führen und Schweiß-
2 1
richtung umkehren.
Einbrandtiefe Kein Fehler im eigentlichen Sinn, ein zu großer Einbrand kann aber zu b Vor allem bei mechanisierten Verfah-
erheblichen metallurgischen Problemen führen. ren mit ihrem meistens großen Ein-
N a h t f o r m v e r h ä l t n i s j: brand und ihrer großen Abschmelz-
t
In Einlagenschweißungen mit einer großen Einbrandtiefe kristallisiert
j = b/ t leistung ist die Kontrolle der Ein-
das Schweißgut in einer sehr unerwünschten Weise. Der ungünstige Naht-
formfaktor erleichtert die Heißrissneigung erheblich. Bei tiefeinbrennen- brandtiefe bzw. des Nahtformverhält-
den Schweißverfahren (z. B. UP) wird daher häufig die hohe Vorschubge- nisses wichtig. Das kann einfach und
schwindigkeit, nicht so sehr die große Abschmelzleistung genutzt. zu- verlässig mit metallographischen
Methoden geschehen.
Aus werkstofflichen Gründen wäre ein Schweißverfahren mit der Ein-
j< < 1 j> 1 Ein größerer Einbrand ist in der Pra-
brandtiefe »Null« optimal und festigkeitsmäßig völlig ausreichend. Me-
xis häufig erwünscht, da Anpassunge-
metallurgische Fehler
tallurgische Probleme beim Verbindungs- bzw. Auftragschweißen unter- H e iß r is s w a h r - H e iß r is s u n w a h r s c h e in -
schiedlicher Werkstoffe sind dann ausgeschlossen. Aus fertigungstechni- nauigkeiten der Nahtvorbereitung leich-
s c h e in lic h lic h , V e r u n r e in ig u n g e n
schen Gründen muss aber wegen der Gefahr von Bindefehlern (Kaltstel- ter »ausgeglichen« werden können.
s te ig e n in d ie S c h la -
len) ein definierter Einbrand vorhanden sein. c k e . Bei Verbindungs- oder Auftragschwei-
Z u g e r i n g e r E in b r a n d ßungen sollte der Einbrand so klein
fü h r t z u B in d e - u n d wie nötig sein.
W u r z e lf e h le r n (K ).
Tabelle 3-3
Grenzwerte für Unregelmäßigkeiten, nach DIN EN ISO 5817, Auswahl.
Es bedeuten: a = Sollmaß der Kehlnahtdicke, b = Breite der Nahtüberhöhung, d = Porendurchmesser, h = Höhe der Unregelmäßigkeit (Höhe und Breite),
l = Länge der Unregelmäßigkeit, s = Nennmaß der Stumpfnahtdicke, t = Wanddicke.
1 Oberflächenunregelmäßigkeiten
1.5 Bindefehler
(unvollständige Nicht zulässig Nicht zulässig Nicht zulässig
Bindung)
³ 0,5
Mikro-Bindefehler Nur nachzuweisen anhand einer
Zulässig Zulässig Nicht zulässig
mikroskopischen Untersuchung
1.6 Ungenügender Nur für einseitig geschweißte ³ 0,5 Kurze Unregelmäßigkeit: Nicht zulässig Nicht zulässig
Wurzeleinbrand Stumpfnähte
Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
h
Tabelle 3-3, Fortsetzung.
1.7 Durchlaufende Weicher Übergang wird verlangt. 0,5 bis 3 Kurze Unregelmäßigkeit: Kurze Unregelmäßigkeit: Nicht zulässig
Einbrandkerbe Wird nicht als systematische Unregel- h £ 0,2 × t h £ 0,1 × t,
Nichtdurchlaufende mäßigkeit angesehen.
Einbrandkerbe >3 h £ 0,2 × t, aber max. 1 mm h £ 0,1 × t, h £ 0,05 × t,
h
aber max. 0,5 mm aber max. 0,5 mm
t
h
t
1.8 Wurzelkerbe Weicher Übergang wird verlangt 0,5 bis 3 h £ 0,2 mm + 0,1 × t Kurze Unregelmäßigkeit: Nicht zulässig
h £ 0,1 × t
h
>3 Kurze Unregelmäßigkeit: Kurze Unregelmäßigkeit: Kurze
t
h £ 0,2 × t, aber max. 2 mm h £ 0,1 × t, aber max. 1 mm Unregelmäßigkeit:
h £ 0,05 × t,
aber max. 0,5 mm
1.9 Zu große Weicher Übergang wird verlangt ³ 0,5 h £ 1 mm + 0,25 × b, h £ 1 mm + 0,15 × b, h £ 1 mm + 0,1 × b,
Nahtüberhöhung aber max. 10 mm aber max. 7 mm aber max. 5 mm
h
b
(Stumpfnaht)
Abschn. 3.5: Fehler in der Schweißverbindung
283
Tabelle 3-3, Fortsetzung.
1.16 Übermäßige In Fällen, bei denen eine symmetrische ³ 0,5 h £ 2 mm + 0,2 × a h £ 2 mm + 0,15 × a h £ 1,5 mm + 0,15 × a
Asymmetrie der Kehlnaht festgelegt worden ist
Kehlnaht (über- h
mäßige Ungleich-
z2
schenkligkeit
a
z1
1.17 Wurzelrückfall Weicher Übergang wird verlangt 0,5 bis 3 h £ 2 mm + 0,2 × a Kurze Unregelmäßigkeit: Nicht zulässig
t
h £ 0,2 × t, aber max. 2 mm h £ 0,1 × t, aber max. 1 mm Unregelmäßigkeit:
h £ 0,05 × t,
aber max. 0,5 mm
1.18 Wurzelporosität Schwammige Ausbildung der Naht- ³ 0,5 Örtlich zulässig Nicht zulässig Nicht zulässig
wurzel als Folge von Blasenbildun-
gen des Schweißgutes bei der Erstar-
rung (z. B. mangelnder Gasschutz
der Wurzel)
1.22 Zündstelle ³ 0,5 Zulässig, wenn die Eigen- Nicht zulässig Nicht zulässig
schaften des Grundwerk-
stoffes nicht beeinflusst
werden.
Tabelle 3-3, Fortsetzung.
2 Innere Unregelmäßigkeiten
2.1 Riss Alle Risstypen außer Mikrorisse und ³ 0,5 Nicht zulässig Nicht zulässig Nicht zulässig
Endkraterrisse
2.2 Mikroriss Ein Riss, der gewöhnlich nur unter dem ³ 0,5 Zulässig Die Zulässigkeit hängt ab von der Art des Grund-
Mikroskop sichtbar ist (50x) werkstoffes und vor allem von der Rissanfälligkeit
a1) Größtmaß der Flache der Unregelmäßig- ³ 0,5 einlagig: £ 2,5 % einlagig: £ 1,5 % einlagig: £ 1 %
keit (einschließlich systematischer Un- mehrlagig: £ 5 % mehrlagig: £ 3 % mehrlagig: £ 2 %
regelmäßigkeit) bezogen auf die proji-
zierte Fläche
Anmerkung: Die Porosität in der Abbil-
dungsfläche hängt von Lagenanzahl ab
3.5.2 Bewertung der Fehler Bei der Angabe der Grenzwerte für die Unre-
gelmäßigkeiten unterscheidet man:
Die Bewertung von Unregelmäßigkeiten in – Kurze Unregelmäßigkeit: eine oder mehrere
Lichtbogenschweißverbindungen aus Stahl, Unregelmäßigkeiten mit einer Gesamt-
Nickel, Titan und deren Legierungen erfolgt länge nicht größer als 25 mm von jeweils
mit der in der Praxis schon seit Jahren weit- 100 mm der Schweißnaht oder höchstens
gehend eingeführten DIN EN ISO 5817 (die 25 % der Gesamtlänge einer Schweißnaht,
Vorgängernorm DIN EN 25817 wurde be- die kürzer als 100 mm ist. Der Bereich
reits 1992 der Öffentlichkeit vorgestellt) mit mit den meisten Unregelmäßigkeiten ist
Hilfe der Bewertungsgruppen. Sie haben die zugrunde zu legen.
Funktion von Referenznormen, mit denen – Systematische Unregelmäßigkeit: Unre-
»Festlegungen zum Bewerten von Schweiß- gelmäßigkeiten, die sich in regelmäßigen
nähten sowohl für die verschiedenen Anwen- Abständen in der Schweißnaht über die
dungsgebiete, z. B. für den Stahlbau, Druck- untersuchte Schweißnahtlänge wiederho-
behälterbau, Maschinenbau als auch für Prü- len; dabei liegen die Abmessungen der ein-
fungsnachweise, z. B. für die Prüfung der zelnen Unregelmäßigkeiten innerhalb der
Schweißer, Verfahrensprüfung« geschaffen Zulässigkeitsgrenzen der Unregelmäßig-
werden. Damit wird auch der Festlegung an- keiten nach Tabelle 3-3.
wendungsbezogener, in Umfang, Auswahl und
Bewertung abweichender, die schweißtech- Die Bewertungsgruppen decken die Mehr-
nische Fertigung belastender Regelungen vor- zahl der praktischen Anwendungen ab. Sie
gebeugt. werden durch die Anwendernorm (geregel-
ter Bereich) oder den verantwortlichen Kons-
Die mechanischen »Fehler« werden in dieser trukteur zusammen mit dem Hersteller und/
Norm als Unregelmäßigkeiten bezeichnet. oder Anwender vor Fertigungsbeginn im An-
Mit dieser Benennung wird der falschen Vor- gebots- oder Bestellstadium festgelegt. In
stellung vorgebeugt, dass jede Abweichung Sonderfällen der Beanspruchung, z. B. bei
von den Zeichnungsmaßen ein zu beseitigen- dynamischer Belastung oder bei geforderter
der Fehler darstellt. Lecksicherheit, können weitere zusätzliche
Anforderungen spezifiziert werden. Metallur-
Mit der Norm DIN EN ISO 5817 werden Un- gische Besonderheiten bzw. Defekte (z. B.
regelmäßigkeiten definiert, die in einer »nor- Korngröße, Art und Härte des Gefüges) wer-
malen« Fertigung erwartet werden können. den von dieser Norm nicht erfasst. Es soll-
Sie kann in einem Qualitätssystem für die ten aus technischen, organisatorischen und
Herstellung von werkstattgeschweißten Ver- wirtschaftlichen Gründen nicht alle aufge-
bindungen benutzt werden. In der Norm wer- führten Unregelmäßigkeiten berücksichtigt
den drei mit D, C und B bezeichnete Bewer- werden, sondern nur die, die für das gewähl-
tungsgruppen für die Unregelmäßigkeiten te Schweißverfahren und das Bauteil wich-
an Schweißverbindungen aus Werkstoffen tig sind. Die Grenzwerte für einige Unregel-
im Dickenbereich von 3 mm bis 63 mm fest- mäßigkeiten nach DIN EN ISO 5817 sind in
gelegt, aus denen eine Auswahl für eine be- Tabelle 3-3 angegeben.
stimmte Anwendung getroffen werden kann.
Die Größe der zulässigen Unregelmäßigkei- Grundsätzlich gelten alle Hinweise nur für
ten ist in der Gruppe D am höchsten, in der das »Maschinenelement« Schweißverbindung.
Gruppe B am geringsten. Objektspezifische Besonderheiten [z. B. Art
der Beanspruchung (stoßartig, statisch, dy-
Bewertungsgruppen sind vorgesehen, um namisch], Höhe der Betriebstemperatur, Scha-
Grundbezugsdatenzur Verfügung zu stellen densgefährlichkeit, Werkstückdicke und Ei-
und beziehen sich nicht auf eine spezielle genspannungszustand) müssen durch Wahl
Anwendung. Sie gelten für die Schweißnäh- der entsprechenden Bewertungsgruppe oder
te in der Fertigung und nicht auf das ganze durch zusätzliche Forderungen berücksich-
Erzeugnis oder Bauteil. tigt werden.
Abschn. 3.5: Fehler in der Schweißverbindung 287
Die Bewertungsgruppen werden im geregel- Bei statischer Belastung werden je nach Aus-
ten Bereich abhängig vom jeweiligen Anwen- nutzung der zulässigen Spannungen die Be-
dungsfall in dem betreffenden Regelwerk anspruchungen nach dem DVS-Merkblatt
festgelegt. Für den zzt. noch ungeregelten Be- 0705 (ohne Ersatz zurückgezogen) einge-
reich werden die Bewertungsgruppen abhän- stuft in
gig von der Beanspruchungsart und -höhe – etwa 50 % (vorh s
0,5¹ zul s),
des geschweißten Bauteils vom Hersteller – etwa 75 % (0,5 ¹zul s vorh s
zul s),
(Auftraggeber) festgelegt. Bei der Beanspru- – bis zu 100 % (0,75¹zul s vorh s
zul s).
chungsart unterscheidet man die
– vorwiegend ruhende Belastung (statisch) Ein entscheidender Faktor für die Wahl der
– und die nicht vorwiegend ruhende (dyna- Bewertungsgruppe bei dynamischer Bean-
mische: schwellende, wechselnde) Bean- spruchung ist hierbei das Ermüdungsver-
spruchung. halten der Schweißverbindung. Die Auswahl
Tabelle 3-4
Empfehlungen für die Auswahl von Bewertungsgruppen nach DIN EN ISO 5817 (DIN EN 25817) für Stumpf-
und Kehlnähte bei vorwiegend ruhender (statischer) Beanspruchung, nach DVS-Merkblatt 0705.
X: Zulässigkeit hängt von der Anwendung ab (z. B. Werkstoff, Korrosionsschutz oder Funktion). Sonder-
bestimmung für D*: Bei Unregelmäßigkeit Nr. 11 (Einbrandkerbe) ist bei Ausnutzung von etwa 50 %
die Bewertungsgruppe C zu wählen.
288 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
der Bewertungsgruppe wird durch das DVS- dungen aus Aluminium und seinen schweiß-
Merkblatt 0705 (ohne Ersatz zurückgezogen) geeigneten Legierungen nach DIN EN ISO
sehr erleichtert. 10042 (DIN EN 30042) vorgenommen. Sie
ist ebenfalls als Referenznorm für Festlegun-
Tabelle 3-4 zeigt beispielhaft die Empfehlun- gen zum Bewerten von Schweißnähten so-
gen für die Auswahl von Bewertungsgrup- wohl für die verschiedenen Anwendungsge-
pen für Schrumpf- und Kehlnähte nach DIN biete (Stahlbau, Druckbehälterbau), als auch
EN ISO 5817 bei vorwiegend statischer Be- für Prüfungsnachweise (Verfahrensprüfung,
lastung gemäß DVS-Merkblatt 0705. Schweißerprüfung) vorgesehen.
Die Richtwerte für die zulässigen Spannun- Die Norm DIN EN ISO 10042 legt die Anfor-
gen für die Schweißverbindungen (zul s) derungen für die mit B, C, D bezeichneten Be-
sind bei: wertungsgruppen von Unregelmäßigkeiten
– Stumpfnähten zul s gleich der zulässigen für Schweißnahtdicken größer als 0,5 mm
Spannung des Grundwerkstoffs, fest. Die Bewertungsgruppen sind ebenfalls
– Kehlnähten (Quer- und Längs-Kehlnähte) nicht objektspezifisch, sondern beziehen sich
zul s gleich 65 % der zulässigen Spannung ausschließlich auf Schweißnahtarten und
des Grundwerkstoffs. nicht auf das gesamte Erzeugnis oder Bauteil.
Mit ihnen wird die Fertigungsqualität und
Bei dynamischer Beanspruchung wird ein nicht die Gebrauchstauglichkeit beurteilt.
Netz von Wöhlerlinien empfohlen, in das die Die Bewertungsgruppen für strahlgeschweiß-
jeweiligen Kerbfälle der Schweißverbindun- te Verbindungen sind in ISO 13919-2 zu fin-
gen und geschweißten Bauteile eingeordnet den.
werden. Die Kerbfälle werden durch zulässi-
ge Schwingbreiten der Spannungen (bei Einzelheiten über die für den Nachweis und
Schwingspielzahlen N 106) angegeben und Größenbestimmung der Unregelmäßigkeiten
durch Schwingfestigkeitsklassen gekenn- zu verwendenden Prüfverfahren werden in
zeichnet, deren Größe für die Wahl der Bewer- der Norm nicht genannt.
tungsgruppe bestimmend ist. Wegen der
grundsätzlich geringeren Belastbarkeit dyna-
misch beanspruchter Bauteile, wird meistens
die Bewertungsgruppe B gewählt.
Die Auswahl der Zusatzwerkstoffe wird von diger Benetzung ist j 0, d. h., der Tropfen
der Notwendigkeit bestimmt, Schweißgüter breitet sich als einmolekularer Flüssigkeits-
zu erzeugen, deren primärer d -Ferritgehalt film auf der Oberfläche aus, s. a. Bild 1-13,
5 % beträgt. Dies gelingt zuverlässig mit S. 11. Dieser theoretische Zustand ist beim
Hilfe der üblichen Konstitutions-Schaubil- Löten nicht erreichbar. Er liegt nach Bild
der (DeLong, WRC-1992, Abschn. 4.3.7.2, S. A3-1 vor, wenn gilt:
417). Die Vermeidung von Heißrissen (Schweiß- γ 1,3 ≥ γ 1,2 + γ 2,3 . [A3-2]
gut und WEZ) ist neben den vielfältigen Mög-
lichkeiten der Beeinträchtigung der Korrosions- Nach DIN 8514 ist eine ausreichende Benetz-
beständigkeit der geschweißten Konstruktion barkeit eine der wichtigsten Forderungen an
(Abschn. 4.3.7.1, S. 414) das wichtigste zu lö- die Eigenschaft Löteignung. Im Gegensatz
senwde Problem. zu den sehr komplexen Werkstoffanforde-
rungen an die Schweißeignung, findet ein
Benetzen bereits statt, d. h., die Löteignung
ist bereits weitgehend vorhanden, wenn Lot
Aufgabe 3-4: und Grundwerkstoff Mischkristalle oder in-
Es sind die metallurgischen Unterschiede termediäre Verbindungen bilden, wobei die
des Fügeverfahrens Löten im Vergleich zum Löslichkeit sehr gering sein kann. Nur bei
Schweißen aufzuzeigen. Die werkstoffabhän- völliger Unlöslichkeit der Metalle werden de-
gige Eigenschaft Löteignung (DIN 8514-1) ren Oberflächen nicht benetzt oder das Lot
– die begrifflich und gedanklich weitestge- »entnetzt«, d. h., der bei höheren Tempera-
hend dem Begriff Schweißeignung entspricht turen noch existierende Lottropfen zieht sich
– ist zu diskutieren. beim Abkühlen kugelförmig zusammen (z. B.
flüssiges Silber auf Stahloberflächen) Nicht
Beim Löten wird im Gegensatz zum Schwei- benetzende Lotschmelzen sind daher in der
ßen nicht die Schmelz- bzw. Solidustempera- Praxis sehr selten. Technisch wichtig sind
tur des Grundwerkstoffs erreicht. Die Ver- Bleischmelzen ( reine Bleilote), die Stahlober-
bindung entsteht durch Reaktionen eines flächen nicht benetzen. Mit reinen Bleiloten
flüssigen Lots mit dem auf Arbeitstempera- lassen sich Stahlteile daher nicht löten.
tur erwärmten Grundwerkstoffs an der Pha-
sengrenze flüssiges Lot / Grundwerkstoff. Die metallurgischen Anforderungen an den
Die Löteignung wird im Wesentlichen be- Grundwerkstoff und das hierfür geeignete
stimmt durch: Lot sind sehr gering, weil die metallurgischen
– Benetzungs- und Ausbreitungsvorgänge Reaktionen an der Phasengrenze Grundwerk-
von Lot und Flussmittel sowie die stoff/Lot unter den sehr erschwerten Diffu-
– wechselseitige Diffusion von Lot- und sionsbedingungen fest/flüssig und nicht wie
Grundwerkstoffatomen während des Pro- bei Schweißprozessen flüssig/flüssig statt-
zesses der Bindung. finden. Metallurgische Reaktionen können
Tabelle A3-1
Typische Schweißfehler und die wichtigsten Gegenmaßnahmen in einer schematisierenden Übersicht.
Rissbildung im Schweißgut
Schwefel im GW oder aus der Zusatzwerkstoff wählen, der S (P) binden (z. B. B-Elektrode) oder (und) Oberflä-
Umgebung aufgenommen chenschichten (Rost, Farben, Öl, Beläge) beseitigen kann.
Kraterfülleinrichtung verwenden, Zusatzwerkstoffe und (oder) Einstellwerte än-
Kraterrisse
dern (Q reduzieren!), Krater mit Hand auffüllen.
Große Verspannung der Füge- Vorwärmen, durch entsprechende Schweißfolge sind Eigenspannungen klein zu
bzw. Bauteile halten.
Zusatzwerkstoffe wechseln, B-Elektroden, UP-Schweißpulver sind zu trocknen
Zusatzwerkstoffe defekt bzw. un-
(min. 250 °C/2 h, bzw. nach Herstellerangaben), Schweißstäbe von Flugrost be-
geeignet
freien (Schleifleinen!), Drahtelektroden sauber halten, nicht knicken.
Unzulässige Aufnahme von Le- Ändern der Einstellwerte, der Polarität, evtl. anderes Verfahren wählen, Auf-
gierungselementen aus GW schmelzgrad möglichst gering halten.
Einstellwerte ändern (I größer, v kleiner), Zusatzwerkstoffe mit größerem Durch-
Schweißgutvolumen zu gering
messer oder leistungsfähigeres Schweißverfahren wählen.
Handfertigkeit des Schweißers überprüfen, Einstellwerte und Führung des
Bindefehler, Kaltstellen
Lichtbogens überwachen, Schweißnahtvorbereitung kontrollieren.
Fehler
294 Kapitel 3: Einfluss des Schweißprozesses auf die Eigenschaften der Verbindung
3.7 Schrifttum
Adams, C. M. jr.: Cooling Rate and Peak DVS-Merkblatt 0713: Empfehlungen zur Aus-
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Die Vorschubgeschwindigkeit der Wärme- Die Kristallisation beginnt an den Orten mit
quelle v beeinflusst die Kristallisationsge- der höchsten Abkühlgeschwindigkeit, d. h. an
schwindigkeit R, die Schweißbadform und der Schmelzgrenze. Die Kristalle wachsen we-
damit die Heißrissneigung. Die auch aus prak- gen der stark gerichteten Wärmeabfuhr von
tischen Gründen erforderliche gleichmäßige der Schmelzgrenze senkrecht zu den Erstar-
geometrische Form des Schweißbades ist nur rungsisothermen – aber natürlich nicht senk-
erreichbar, wenn die aufgeschmolzene Werk- recht zur Schmelzgrenze! – mit der jeweiligen
stoffmenge gleich der kristallisierten ist. Zwi- ortsabhängigen Kristallisationsgeschwin-
schen R und v muss aus geometrischen Grün- digkeit R v ¹ cos b, Bild 4-1b 31).
den folgende Beziehung bestehen, Bild 4-1a:
R
R v ¹ cos b. [4-1] G
vs
Dabei ist b der Winkel zwischen der jeweili-
gen Schmelzflächennormalen und der Rich- Erstarrungsisotherme
tung der Vorschubgeschwindigkeit. x
äquiaxiale
R groß, Dendriten
R= v C R G klein
R = v× cos b
R klein, säulenförmige
G groß Dendriten
b
R= v
a) b)
Bild 4-1
Einfluss der Schweißgeschwindigkeit v auf die
a) Kristallisationsgeschwindigkeit R an ausgewählten Punkten der Schweißbadisothermen. Bei A und B ist
R = 0, bei C ist R = Rmax = v; v = Vorschubgeschwindigkeit der Wärmequelle, nach Savage.
b) Art des entstehenden Schweißgutgefüges als Folge unterschiedlicher Kristallisationsgeschwindigkeit R an
jedem Punkt der Schweißbadisothermen. Die unterschiedlichen Erstarrungsstrukturen hängen gemäß Bild
1-33a von dem Parameter ab, d. h. von einer Größe, die ein Maßstab der konstitutionellen Unterkühlung
der Schmelze ist, s. a. Bild 4-2, nach Matsuda, Hashimoto, Senda. S. a. Aufgabe 5-3, S. 567.
302 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
unreinigungen (besonders Schwefel- und Phos- Die Bildung der Heißrisse erfordert Span-
phorverbindungen, mit einer Erstarrungstem- nungen – bzw. Dehnungen – und niedrig-
peratur von etwa 1000 C) oder solche, die schmelzende Verbindungen an Korngren-
als Folge metallurgischer Reaktionen wäh- zen oder zwischen wachsenden Dendriten.
rend des Schweißens zugeführt wurden (z. B. Bedeutsam ist dabei die Geschwindigkeit,
durch Anschneiden von Seigerungen, Über- mit der die Spannung (Dehnung) aufgebaut
schweißen von Anstrichen, organischen/anor- wird. Rasches Erstarren und Abkühlen führt
ganischen Oberflächenbelägen). Während daher zu einem schnellen Ansteigen der riss-
der weiteren Abkühlung können in ungünsti- auslösenden Spannung, die der Werkstoff
gen Fällen die Schrumpfspannungen Heißris- durch Kriechprozesse nicht mehr abbauen
se in der Schweißnahtmitte im Bereich der kann. Die Heißrissempfindlichkeit ist daher
Restschmelze erzeugen, Bild 4-5. Man unter- unter diesen Bedingungen groß.
scheidet dabei die bei der Kristallisation der
Schweißschmelze entstehenden Erstarrungs- Bei gegebenem Werkstoff lässt sich die Nei-
risse und die sich in der Wärmeeinflusszone gung zur Heißrissigkeit daher nur durch Fer-
unmittelbar neben der Phasengrenze flüs- tigungs- und Schweißbedingungen verrin-
sig/fest bildenden Wiederaufschmelzrisse. gern, die die Schweißspannungen klein hal-
Letztere werden ausführlicher in Abschn. ten. In erster Linie sind folgende Maßnah-
5.1.3, S. 505, besprochen. men zu nennen:
Einbrand j = b / t < 1
Last-, und (oder) Eigenspannungen Ur-
sache der Heißrisse.
Ähnliche Vorgänge entstehen bei tiefein-
brennenden Verfahren. Mit dem UP-Ver-
Steilflankennaht fahren hergestellte Schweißgüter neigen
wegen der besonderen Einbrandverhält-
nisse und der verfahrenstypischen Naht-
niedrigschmelzende geometrie häufig zur Heißrissbildung (z.
Verunreinigungen B. die Wurzel einer Y-Naht). Mit der Naht-
Y - Naht (mit Wurzel, form und häufig auch dem Nahtquer-
UP - geschweißt) schnitt lassen sich aber diese Besonder-
heiten berücksichtigen.
Bild 4-5
Zur Primärkristallisation von Schweißschmelzen in einlagig hergestellten Schweißnähten. Es wird schematisch
der Einfluss des Schweißverfahrens und der Nahtvorbereitung auf die Art der Erstarrung gezeigt.
304 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
TLi
Temperatur T
Temperatur T
D T
a1) b1) a)
Richtung des Kristallwachstums Ts
b)
a2) b2)
Bild 4-7
Bild 4-6 Einfluss der Schweißgeschwindigkeit v auf die Heiß-
Einfluss der Größe des Erstarrungsintervalls DT auf rissneigung, s. a. Bild 4-3b.
die Primärkristallisation und die Art des entstehen- a) Die Kristallite wachsen mit zunehmender Krüm-
den (Primär-)Gefüges in einlagig geschweißten Verbin- mung in Schweißrichtung. Die Verunreinigungen
dungen, schematisch. werden in das Schweißbad gedrückt und können
a) Zustandsschaubild mit großem DT und a1) zuge- in die Schlacke steigen.
ordnetem Erstarrungsmuster: dendritische Erstar- b) Bei großer Schweißgeschwindigkeit und geringem
rung mit ausgeprägter Kristallseigerung und a2) Wärmeeinbringen Q prallen die Kristallisations-
Heißrissentstehung in Nahtmitte. fronten in Nahtmitte zusammen. Die sich aus der
b) Zustandsschaubild mit kleinem DT und b1) zuge- kristallisierenden Schmelze ausscheidenden, nied-
ordnetem Erstarrungsmuster: dendritische Erstar- rigschmelzenden Verunreinigungen konzentrieren
rung mit deutlich geringerer Kristallseigerung und sich in Nahtmitte und begünstigen so erheblich die
b2) Heißrissneigung. Beachte aber auch Bild 4-5. Heißrissbildung.
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (Primärkristallisation der Schweißschmelze) 305
der Grenzwert für diese sehr »wirtschaftli- dingungen der Elemente Schwefel und Phos-
che« Schweißtechnologie bei etwa 8 mm bis phor im Ferrit bzw. Austenit, der Art der Pri-
10 mm. Je geringer der Gehalt an Verunreini- märkristallisation und dem Ausmaß der da-
gungen im Stahl ist, desto unbesorgter kann bei entstehenden Seigerung bestimmt. Der
diese Technik angewendet werden. Auf je- erhebliche Einfluss des Kohlenstoffs beruht
den Fall sollte die Einlagenschweißung aber auf der Art der bei der Primärkristallisation
nicht für hoch beanspruchte Bauteile ange- entstehenden Gefüge. In Stählen mit Kohlen-
wendet werden. Die Kerbschlagzähigkeit (ge- stoffgehalten unterhalb 0,10 % bildet sich pri-
messen mit Kerblage in Schweißnahtmitte) mär d -Ferrit, dessen Löslichkeit für Schwe-
ist meistens selbst bei geringen Beanspru- fel und Phosphor wesentlich größer ist als
chungen unzureichend. die des Austenits. Bei C 0,1 % entsteht bei
T 1493 C durch die peritektische Reaktion
Erfahrungsgemäß neigen die mit dem UP- (d S d g , s. Bild 4-9) Austenit, dessen
Schweißen hergestellten großvolumigen Löslichkeit für die genannten Elemente sehr
Schweißgüter zur Heißrissbildung. Bild 4-8a gering ist. Damit besteht die Möglichkeit,
zeigt einen Heißriss in der Mitte einer UP-ge- dass sich Phosphor und Schwefel an den pri-
schweißten Wurzel. Die REM-Aufnahme der mären Austenitkorngrenzen anreichert. Bild
Bruchfläche einer aus Schweißnahtmitte ent- 4-9 zeigt, dass bei Kohlenstoffgehalten über
nommenen Kerbschlagbiegeprobe einer nicht 0,1 % der zum Unterdrücken der Heißrissbil-
gerissenen in einer Lage geschweißten Ver- dung erforderliche Mn-Gehalt stark zunimmt,
bindung, Bild 4-8b, enthüllt die typische glat- s. a. Aufgabe 4-11, S. 488. Phosphor segre-
te Rissfläche und den charakteristischen in- giert in Korngrenzenbereichen und setzt die
terkristallinen Rissverlauf. Die sehr geringe Schmelztemperatur der »Korngrenzensubs-
Kerbschlagarbeit konnte kaum ermittelt wer- tanz« oder (und) die Kohäsion zwischen den
den. Die »Qualität« dieser Verbindung kommt Kristalliten herab.
der einer schlechten Klebverbindung sehr na-
he! Durch Wahl eines geeigneten Nahtaufbaus Außer den genannten Einflüssen ist für die
und entsprechender Einstellwerte kann die Heißrissneigung auch die von der Führung
Heißrissbildung UP-geschweißter Verbin- des Lichtbogens abhängige Oberflächen-
dungen unterdrückt werden, ohne die Heiß- spannung der Schweißschmelze von Bedeu-
rissneigung aber vollständig zu beseitigen. tung (s. a. Abschn. 4.1.1.1). Bild 4-10 zeigt
die Wirkung unterschiedlicher Oberflächen-
Bild 4-5 zeigt, dass mit fertigungstechni- spannungen, erzeugt mit unterwölbt bzw.
schen Mitteln (Schweißverfahren, Nahtvor-
50
bereitung, Einstellwerten) die Heißrissbil-
1536 A
dung verhindert, in jedem Fall aber gemin- °C d+ S
S
Mn / S - Verhältnis
überwölbt hergestellten Schweißlagen, auf dern ändern auch den Wärmetransport, die
die Heißrissneigung des Schweißguts und Temperaturgradienten, die Einfluss auf das
die Schlackenentfernbarkeit. Mikrogefüge und den Eigenspannungszu-
stand haben, verschiedene »Unregelmäßigkei-
4.1.1.2 Massentransporte im ten« der Schweißverbindung [u. a. Einbrand-
Schweißbad kerben, Einbrandformen (flach, tief, breit,
Auf die flüssige Schweißschmelze wirken fingerförmig), Schuppenform und -art der
eine Vielzahl unterschiedlicher Kräften ein, Nahtoberfläche, sowie das in Abschn. 3.5.1.4,
die sehr schnelle Flüssigkeitsströmungen er- S. 274, näher beschriebene »Hochblasen« der
zeugen können. Die Größe des Schweißbades, Wurzel (»Osterei«)].
also auch der Nahtform, hängt damit nicht
nur von den Schweißparametern und der phy- Die Schmelzenströmung wird durch verschie-
sikalischen und chemischen Charakteristik dene Kräfte erzwungen bzw. beeinflusst, die
des schützenden Gases ab, sondern in einem bei den einzelnen Schweißverfahren unter-
erstaunlich großen Umfang von diesen Badbe- schiedlich groß d. h. wirksam sind. Die wich-
wegungen. Die Flüssigkeitsströme – genau- tigsten sind:
er die sie erzeugenden Kräfte – beeinflussen – Die von Oberflächenspannungs-Tempera-
nicht nur die Schweißnahtgeometrie, son- turgradienten (dg /dT ) in der Schweißbad-
oberfläche erzeugten Kräfte,
– Elektromagnetische oder Lorentz-Kräfte,
die quadratisch von der Schweißstrom-
? ! stärke abhängen,
– Aerodynamische Kräfte, die bei der Bewe-
gung eines Plasmastrahls über die Schweiß-
badoberfläche entstehen und
– Buoyancy-Kräfte (engl.; buoyancy Trag-
Oberflächenspannung erzeugt Überwölbte Schmelzbad- kraft, Auftrieb), die aufgrund der Tempe-
Zugspannung in unterwölbter oberfläche ist praktisch
Schmelzbadoberfläche zugspannungsfrei raturunterschiede ( Dichteunterschiede)
a) b) zwischen dem Schweißbadrand und der
Schweißbadmitte entstehen. Ihre Wirkung
auf die Badbewegung ist normalerweise
verhältnismäßig gering.
Lagen zu breit, Lagen zu hoch und Leicht überwölbte, Bei Schweißverfahren, die mit großen Schweiß-
Schlacke schlecht unterwölbt: schmalere Lagen,
entfernbar, unterwölb- Heißrissgefahr Schlacke gut entfern-
strömen betrieben werden – z. B. das UP-
te Naht: Heißrissgefahr bar, geringe Heißriss- und das MSG-Schweißverfahren – ist die Lo-
neigung
rentz-Kraft die die Massentransporte prak-
c) d) e) tisch allein bestimmende Größe. Sie erzeugt
Bild 4-10 den für diese Verfahren charakteristischen
Einfluss der Form der Oberfläche der Schweißschmelze tiefen Einbrand aus dem sich die in Bild 4-11
auf die Heißrissneigung (und andere Eigenschaften). dargestellten Strömungsverhältnisse in der
a) Die Schweißschmelze unterwölbter Schweißnäh- Schmelze ergeben.
te erzeugt Zugspannungen in der Schmelzbadober-
fläche: Heißrissneigung,
b) die Schweißschmelze überwölbter Schweißnäh- Bei den Schutzgasverfahren – insbesondere
te ist im Wesentlichen zugspannungsfrei, dem mit relativ geringen Schweißströmen
c) unterwölbte, breite Lagen sind daher nicht empfeh- arbeitenden WIG-Verfahren – ist die Lorentz-
lenswert, sie begünstigen den Heißriss und erschwe- Kraft i. Allg. so gering, dass sie keinen Krater
ren den Schlackenabgang, im Schmelzbad erzeugen kann. Massentrans-
d) hohe, unterwölbte Lagen begünstigen ebenfalls
porte und Schmelzenströmungen entstehen
den Heißriss,
e) leicht überwölbte Lagen, die auch die Schlacken- hier vorwiegend durch die Wirkung von Kräf-
entfernbarkeit begünstigen, sind anzustreben, nach ten, die auf den Oberflächenspannungs-Gra-
Lincoln Electric Company. dienten in der Schmelze beruhen, Bild 4-12.
308 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
In reinen Werkstoffen und einer Reihe von Le- wieder erhöht. Die resultierende Kraft und
gierungen nimmt die Oberflächenspannung damit auch die konvergente Schmelzenströ-
mit zunehmender Temperatur ab, Bild 4-12a, mung ist jetzt nach innen gerichtet und er-
d. h., der Oberflächenspannungs-Tempera- zeugt ein tiefes, deutlich schmaleres Schweiß-
turgradient dg /dT ist negativ. Die Oberflä- bad, Bild 4-12b. Diese auf Gradienten der
chenspannung ist dann an den verhältnismä- Oberflächenspannung beruhende Bewegung
ßig kalten Schweißbadrändern am größten. der Flüssigkeit bezeichnet man auch als Ma-
Bei einem Temperaturgradienten über die rangoni-Strömung.
Schmelzenoberfläche von dT/dr – mit r als
Abstand vom »Mittelpunkt« der Wärmequel- Metallschmelzen haben Oberflächenspan-
le – ergibt sich die ent stehende bezogene nungen von etwa 0,5 N/m bis 2 N/m, dabei
Kraft zu: liegt Eisen mit etwa 2 N/m an der Spitze. Das
Ê d g ˆ Ê d T ˆ dg N
ÁË - ˜ ◊Á- ˜=
dg dg
in 2 . < 0 > 0
dT ¯ Ë d r ¯ d r m dT dT
g
Diese positive, d. h. nach außen gerichtete
Kraft ist die Ursache einer Strömung, die
man als divergent bezeichnet. Die durch die r r
intensive divergente Strömung an die Rän-
Massenstrom ist
der des Schweißbads transportierte Wärme divergent konvergent
erzeugt eine breite, flache Schweißnaht mit
einem Nahtformverhältnis j ( Nahtbreite b
zu Nahttiefe t) von etwa 3 ... 5.
Bild 4-11
Typisches Einbrandverhalten und Schmelzenströ-
mung beim UP-Schweißen, schematisch.
ist wenigstens z. T. die Ursache für die ext- Das in Abschn. 3.5.1.4, S. 274, beschriebene
remen Unterschiede der Schmelzenviskosität »Hochblasen« der Wurzel wird hauptsächlich
von Stählen mit unterschiedlichen Gehalten durch Lorentz-Kräfte verursacht, die quad-
oberflächenaktiver Elemente. Geringe Men- ratisch mit der Stromstärke zunehmen, d.
gen dieser Stoffe erzeugen daher beim WIG- h. vorwiegend bei großen Strömen entste-
Verfahren (bei den kratererzeugenden Ver- hen. Sind die Lorentz-Kräfte größer als die
fahren ist die Lorentz-Kraft für das Erzeu- Oberflächenspannung der Schmelze, dann
gen der Schmelzenströmung die bei weitem ist die Entstehung dieses Fehlers wahrschein-
wichtigste Kraft!) extreme Unterschiede des lich. Die Auswirkungen der Lichtbogenkräf-
Einbrands und der Nahttiefe. Für Präzisions- te lassen sich durch Wahl einer geeigneten
schweißungen sollte daher die Menge der Elektrodenführung meistens gering halten.
oberflächenaktiven Spurenelemente sehr ge- Allerdings ist mit erheblichen und kaum be-
nau kontrolliert werden. Dies gilt vor allem hebbaren Schwierigkeiten zu rechnen, wenn
dann, wenn aus unterschiedlichen Schmel- infolge größere Mengen oberflächenaktiver
zen hergestellte Stähle an einem Stoß verbun- Elemente im Werkstoff die Oberflächenspan-
den werden, s. Aufgabe 4-1, S. 478. nung der Schmelze kleiner als die Lorentz-
Kraft wird.
kleiner Härte in der WEZ deutlich größer Bild 4-13 zeigt vereinfacht die wichtigsten
(Stahl)
in der Wärmeeinflusszone von Schweißver-
größer Bauteilverzug kleiner bindungen aus Stahl entstehenden Werkstoff-
i. Allg. geringer, Rissneigung i. Allg. deutlich grö-
bzw. Eigenschaftsänderungen, abhängig von
aber von einer ßer, aber u. a. abhän- der Größe des Wärmeeinbringens und der
Vielzahl anderer gig von der chem.
Faktoren abhängig Zusammensetzung, Vorwärmtemperatur.
(z. B. Heißrissigkeit, Werkstückdicke und
Wiederaufschmelzrisse) der Beanspruchung
Unabhängig von der chemischen Zusammen-
setzung des Werkstoffs und seinem Wärme-
Bild 4-13
Einfluss der »Wärmezufuhr« (Q und Tp ) auf einige behandlungszustand ist prinzipiell mit den
Eigenschaften der WEZ von Stahlschweißverbindun- nachstehenden Änderungen des Werkstoffs
gen, sehr vereinfacht. in der WEZ zu rechnen:
310 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
❐ Als Folge der sehr hohen Temperatur ent- – Thermodynamisch mögliche Ausschei-
steht in den schmelzgrenzennahen Werk- dungsprozesse – vor allem in der Wär-
stoffbereichen ein ausgeprägtes Korn- meeinflusszone von Schweißverbin-
wachstum. Mit zunehmender Korngröße dungen – können nicht oder nicht in
des Gefüges dieser »Grobkornzone« wer- der gewünschten Weise (z. B. unvoll-
den die mechanischen Gütewerte (vor al- ständig oder bevorzugt an den Korn-
lem die Schlagzähigkeit, Abschn. 1.3.4, grenzen) ablaufen. In den meisten Fäl-
S. 19) ungünstiger. Das Ausmaß des Korn- len werden hierdurch die mechani-
wachstums ist abhängig von schen Eigenschaften verschlechtert.
– den Diffusionsbedingungen, d. h. der
Verweildauer (die maximale Tempera- Die Rissanfälligkeit ist allerdings in hohem
tur ist nahezu konstant und liegt im Maße vom Kohlenstoffgehalt abhängig.
Bereich der Schmelztemperatur),
– dem Wärmeeinbringen Q, der Vorwärm- Die besondere Art der Wärmeführung beim
temperatur Tp. Beide Faktoren verlän- Schweißen erzeugt bei einer Reihe von Werk-
gern die Verweildauer, d. h. begünsti- stoffen spezifische Eigenschaftsänderungen
gen die Diffusionsvorgänge, in der WEZ und im Schweißgut:
– der Gitterstruktur. Die thermisch be- – Lösen und Wiederausscheiden von Teil-
ständigen kfz Metalle neigen mit zu- chen, z. B. bei den ausscheidungshärten-
nehmender Temperatur zu einem we- den Werkstoffen (Abschn. 5.1.3, S. 506). In
sentlich geringeren Kornwachstum als vielen Fällen sind ein Zähigkeitsverlust
die krz Metalle (Abschn. 2.8.4.3, S. und (oder) eine verringerte Korrosions-
217). beständigkeit die Folge, Bild 4-14.
– Hochreaktive Werkstoffe wie Ti, Mo u. a.
❐ Die Abkühlgeschwindigkeit ist oft extrem nehmen häufig schon bei Temperaturen
groß, (einige hundert K/s sind verfahrens- im Bereich um 250 C ... 300 C atmosphä-
typisch!) und der Temperaturgradient 32) rische Gase auf, die diese Zonen vollstän-
sehr steil. Eine Reihe von speziellen werk- dig verspröden (Abschn. 5.1.4, S. 507).
stoffabhängigen Problemen ist die Folge:
– Abhängig von der Werkstückdicke und Der Schweißprozess ändert damit die Werk-
den Einstellwerten können hohe und stoffeigenschaften der Wärmeeinflusszone
vor allem dreiachsige Spannungszu- und damit das Bauteilverhalten grundsätz-
stände entstehen, die zu Änderungen lich in nachteiliger Weise.
der Bauteilabmessungen (Schrumpfen,
Verzug) und Zähigkeitsverlust (Folgen:
Sprödbruchneigung, Spannungsver- 4.1.3 Die WEZ in Schweißverbin-
sprödung, Abschn. 3.4, S. 261) führen. dungen aus umwandlungs-
– Der austenitisierte Bereich der WEZ fähigen Stählen
von Schweißverbindungen aus Stählen
härtet merklich auf, wodurch meistens Die werkstofflichen Vorgänge in der WEZ
die Verformbarkeit und die Schlagzä- von Schweißverbindungen aus Stahl sind ver-
higkeit empfindlich abnehmen. Nach hältnismäßig komplex und wegen der viel-
Überschreiten der oberen kritischen fältigen Phasenänderungen z. T. unübersicht-
Abkühlgeschwindigkeit entsteht ein lich. Als Folge der leichten Austenitunter-
rein martensitisches Gefüge. kühlbarkeit kann eine große Anzahl lichtmi-
kroskopisch schwer beschreibbarer Gefüge
mit sehr unterschiedlichen mechanischen Ei-
genschaften entstehen, die die Interpretation
32)
Der Temperaturgradient kennzeichnet die Tem- weiter erschwert. In erster Linie wird die
peraturänderung bezogen auf eine Ortskoordina-
te mit der Maßeinheit [K/cm], die Abkühlgeschwin-
für die Bauteilsicherheit wichtige Eigenschaft
digkeit kennzeichnet die Temperaturänderung (Bruch-)Zähigkeit dieses Gefügekontinuums
bezogen auf die Zeit mit der Maßeinheit [K/s]. verringert.
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 311
Schweißgut S = aufgeschmolzener GW + Z.
Die jeweiligen Anteile hängen hauptsächlich von der Nahtvorbe-
reitung, dem Schweißverfahren und den Einstellwerten ab.
Die sog. hochreaktiven Werkstoffe (z. B. Ti, Ta, Mo, Zr) nehmen
schon bei Temperaturen > 600 K atmosphärische Gase auf, wenn
diese Bereiche nicht großflächig vor Luftzutritt geschützt werden.
GW Die Folge ist eine vollständige Versprödung dieser Zonen.
T > 600 K
Bild 4-14
Typische Werkstoffänderungen im Schweißgut und der Wärmeeinflusszone von Schmelzschweißverbindungen,
schematisch.
312 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
1000 L
°C 1 1500 1
°C
Temperatur T
Temperatur T
Temperatur T
800
F 2 °C 2
75
25
600 P
g - MK (Austenit)
10
B
30 Ac3 3 900 3 a - MK +
400 g - MK
4 4
Ac1
M 723
200 160 5 5
a - MK
Perlit
460 300
a - MK+ Perlit
Ac1
unbeeinflusster
Grundwerkstoff
g® U WEZ
Vorgänge in der WEZ nach einer Abkühlung von der jeweils erreichten Austenitisierungstemperatur, beschrieben mit dem:
kontinuierlichen ZTU-Schaubild Eisen-Kohlenstoff-Schaubild
Feinkornzone, besteht abhängig von der Abkühlgeschwindigkeit Zone 3 Feinkornzone, besteht aus feinstreifigem Perlit und Ferrit
aus Ferrit, feinstreifigem Perlit, Bainit und/oder Martensit
Teilaustenitisierter Bereich, besteht aus in Ferrit eingebettetem Zone 4 Teilaustenitisierter Bereich, besteht aus Ferrit und Perlit
Martensit oder Bainit bzw. Perlit
Zone 5
Unbeeinflusster Grundwerkstoff, aber je nach Stahl (unlegiert, legiert) und Behandlungszustand (vergütet, kaltverformt) sind bestimmte
Eigenschaftsänderungen möglich, z. B. Alterung, Ausscheidungen, Anlasseffekte.
Bild 4-15
Vorgänge in der Wärmeeinflusszone einer Schweißverbindung aus dem umwandlungsfähigen Stahl S355J2 + N
(St 52-3), dargestellt in einem schematischen ZTU-Schaubild und dem Eisen-Kohlenstoff-Schaubild für eine
Fe-C-Legierung L mit 0,2 % Kohlenstoff. Beachte, dass mit dem EKS der Mangangehalt des S355 nicht berück-
sichtigt werden kann!
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 313
Je nach der Höhe der in der WEZ erreichten – Gemäß der Hall-Petch-Beziehung, Gl. [1-
»Austenitisierungstemperaturen« lassen sich 4], S. 20, nehmen die Zähigkeit und (oh-
bei Stahlwerkstoffen mit dem unzureichen- ne eine festigkeitserhöhende allotrope Um-
den Hilfsmittel Fe-C-Schaubild fünf sehr un- wandlungen) auch die Festigkeit ab.
terschiedlich beeinflusste Bereiche der WEZ – Die Austenitumwandlung wird verzögert,
unterscheiden, Bild 4-15. d. h. die Bildung des unerwünschten, ver-
sprödenden, polygonalen Hochtempera-
Bereich 1 (TLi ≥ T ≥ TSo ) turferrits begünstigt, Bild 2-25.
partiell aufgeschmolzene Zone – Die geringere Korngrenzenfläche erhöht
Die sich unmittelbar an die Schmelzgrenze ihre Belegungsdichte mit Verunreinigun-
anschließende Zone wird teilweise aufge- gen, d. h. vergrößert die Neigung zu Wie-
schmolzen, d. h., die Temperatur liegt zwi- deraufschmelzrissen.
schen der Solidus- u nd Liquidustempera-
tur. Wie Bild 1-67, S. 55, zeigt, enthält die Da die Abkühlgeschwindigkeit an der Pha-
zuletzt erstarrte Restschmelze (S4 in Bild 1- sengrenze flüssig/fest ebenfalls einen Maxi-
67) – vor allem nach einem raschen Abküh- malwert erreicht, ist dieses Gefüge gekenn-
len – den Großteil der niedrigschmelzenden zeichnet durch die Eigenschaften:
Phasen, die sich im Bereich der Korngren- – Gefügekontinuum mit in Richtung der
zen konzentrieren. Diese seigerungsähnli- Schmelzgrenze extrem zunehmender Korn-
che »Entmischung« kann in bestimmten Fäl- größe.
len die Heißrissneigung begünstigen. Die – Größte Härte, meistens verbunden mit
Breite dieser Zone beträgt in der Regel nur gering(st)er Zähigkeit (Abschn. 4.1.3.2).
einige hundertstel Millimeter.
Die mechanischen Gütewerte der Grobkorn-
Bereich 2 (TSo ≥ T >> Ac3 ) zone sind daher ungünstiger als die jedes an-
Grobkornzone deren Gefügebereichs der WEZ. Bild 4-16
Trotz der nur geringen Haltezeit ist (bei Ein-
lagenschweißungen) bei Temperaturen ober-
halb 1050 C ... 1150 C mit einem extremen nichtgelöste
Carbide
Kornwachstum zu rechnen. Die Temperatu-
Temperatur T
a+ P® g g® M+ B
Bild 4-16
33)
Man beachte, dass die aus dem Eisen-Kohlenstoff- Zeit-Temperatur-Verlauf in der Grobkornzone der
Schaubild ablesbaren Informationen nur für eine Wärmeeinflusszone einer Stahlschweißverbindung
»unendlich« langsame Abkühlung gelten. Dieser mit Zuordnung der Gefügeänderungen beim Aufhei-
Zustand kann näherungsweise z. B. durch das zen und Abkühlen. Die Abkühlung dieser Einlagen-
Gasschweißen als erreicht angesehen werden. schweißung erfolgte mit vok ≥ vab ≥ vuk.
314 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
zeigt schematisch die werkstofflichen Ände- Martensit. Diese aus einer weichen Ferritma-
rungen in diesem Bereich der Wärmeeinfluss- trix mit eingebetteten harten Bestandteilen
zone während des Aufheizens und Abküh- bestehende Anordnung ähnelt den Dualpha-
lens. Dieser Darstellung liegt die plausible sen-Stählen (s. Beispiel 2-3, S. 195), die bemer-
Annahme zugrunde, dass dieser Teilbereich kenswerte Festigkeits- und und vor allem Zä-
mit vok vab vuk abgekühlt wurde. higkeitseigenschaften besitzen. Eine Beein-
trächtigung der Bauteilsicherheit durch die-
Bereich 3 (T ≥ Ac3 ) se Gefüge besteht nicht. Beachte aber die
Feinkornzone sehr viel komplexeren Gefügeänderungen in
In diesem Bereich der WEZ wurde etwa die diesem Bereich bei Mehrlagenschweißungen,
Normalglühtemperatur erreicht. Trotz der Abschn. 4.1.3.1.
sehr geringen Haltezeit, siehe z. B. Bild 2-
12, S. 137, bewirkt das doppelte Umkristalli- Bereich 5 (T ≤ Ac1 )
sieren eine erhebliche Kornfeinung. Diese keine Gefügeänderungen nach EKS
Möglichkeit der Umkörnung ist bei umwand- Änderungen des Gefüges sind nach dem Fe-
lungsfähigen Stählen eine sehr wirksame C-Schaubild unter Ac1 nicht mehr möglich.
Methode, um bei Mehrlagenschweißungen Trotzdem können bei bestimmten Stählen
die Korngröße in den Grobkornzonen der ein- bzw. Wärmebehandlungszuständen folgen-
zelnen Lagen ohne eine aufwändige Wärme- de Gefügeänderungen entstehen:
behandlung sehr stark verringern zu kön-
nen (Abschn. 4.1.3.1). ❐ Durch Rekristallisieren kaltverformter
Fügeteile im Temperaturbereich um TRk
Bereich 4 (Ac3 ≥ T ≥ Ac1 ) O 650 C. Die Folgen sind unerwünschte
teilaustenitisierte Zone – Entfestigung und Grobkornbildung,
Die Vorgänge sind verhältnismäßig unüber- wenn im Bereich des j krit verformt
sichtlich und hängen stark von den Aufheiz- wurde (Abschn. 1.5.2) oder (und)
bzw. Abkühlbedingungen ab. Das Bild 4-17 – Alterungsneigung, vor allem bei stick-
zeigt schematisch die Gefügeänderungen für stoffhaltigen Stählen (Abschn. 3.2.1.2,
einen knapp über Ac1 erwärmten Bereich, S. 240) durch Ausscheiden von Eisenni-
der rasch (Kurve 1) bzw. langsam (Kurve 2) triden. Bei der Qualität der heute herge-
abkühlte. Beim Erwärmen werden die Per- stellten Stähle ist die Auswirkung
litkolonien in eine Vielzahl g -Körner der Zu- einer evtl. Alterung als relativ gering
sammensetzung g1 umgewandelt (Keimwir- einzuschätzen. Nach DIN 18800-1 müs-
kung der Zementitlamellen!). Abhängig von sen allerdings bestimmte Vorausset-
der Abkühlgeschwindigkeit entsteht aus den zungen erfüllt sein, wenn in kaltver-
sehr C-reichen g1-Körnern erneut Perlit oder formten Bereichen geschweißt wird
a1 g +a g1 g1
723 g1
2 a1 1 2
Perlit
M P
1 P
a1
Fe 0,2 0,4 0,6 0,8 %
C P® g1 g1 ® M g1 ® P
Bild 4-17
Gefügeänderungen in Bereichen der Wärmeeinflusszone von Stahlschweißungen, die beim Schweißen auf
Temperaturen knapp über der Ac1-Temperatur erwärmt wurde. Schematisch dargestellt sind die Vorgänge für
Schweißverfahren mit großer (Kurve 1), geringer Leistungsdichte (Kurve 2).
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 315
a) b)
c) d)
Bild 4-18
Typische Mikrogefüge aus der Wärmeeinflusszone von Stahlschweißungen, Werkstoff S355J2 + N (St 52-3),
V = 500:1, 2 % HNO3.
a) Grundwerkstoff mit ausgeprägter Sekundärzeiligkeit. Beachte die ausgewalzten MnS-Einschlüsse im Perlit.
b) Um Ac1 erwärmter Bereich. Die stattgefundene Perlitauflösung und anschließende Wiederbildung (»retrans-
formierter Perlit«) ist ebenso wie die beginnende Feinkornbildung deutlich zu erkennen, s. a. Bild 4-17.
c) Gefüge im Grobkornbereich nahe der Schmelzgrenze. Typisch für diesen Bereich ist ein ausgeprägtes, sehr
grobkörniges Widmannstättensches Gefüge mit voreutektoiden Ferritausscheidungen an den Korngrenzen.
d) Umgekörntes (Mehrlagenschweißung!) Schweißgutgefüge (oberer Bainit mit nadelförmigem Ferrit) aus dem
Bereich der Wurzellage mit ausgeprägten Ferritbändern an den Korngrenzen, s. a. Bild 4-24.
(Abschn. 4.1.3.4). Deshalb sind Repa- Anlassbeständigkeit des Stahles und der
raturarbeiten an den hoch stickstoff- Länge der Einwirkzeit bestimmt.
haltigen Thomasstählen sehr sorgfäl-
tig und überlegt durchzuführen. ❐ Bildung und Wachstum von Ausscheidun-
Das Ausmaß dieser diffusionskontrol- gen vor allem bei mehrfach legierten Stäh-
lierten Eigenschaftsänderungen ist al- len, die sich gütemindernd auswirken kön-
so temperatur- und zeitabhängig. Lan- nen.
ge Verweilzeiten (z. B. Gasschweißen)
begünstigen die Entfestigung und Al- Wie in Bild 4-15 dargestellt, können mit ZTU-
terung. Schaubildern die Umwandlungsvorgänge in
der WEZ ausschließlich für die vollständig
❐ Beim Schweißen vergüteter Stähle kön- austenitisierten Bereiche der WEZ beschrie-
nen die über Anlasstemperatur erwärm- ben werden (Abschn. 2.5.3.4, S. 152). In dem
ten Bereiche zusätzlich erweichen. Diese vereinfachten für Härtereizwecke entwickel-
ungewollte Anlasswirkung wird von der ten ZTU-Schaubild für einen Stahl S355,
316 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
sind drei charakteristische, realistische Ab- schen Chrom-Nickel-Stähle oder die eben-
kühlkurven eingetragen. Mit folgenden Um- falls nicht umwandlungsfähigen ferritischen
wandlungsgefügen Ui ist zu rechnen: Chromstähle sind bekannte Beispiele für der-
artige Werkstoffe (Abschn. 2.8, S. 200).
U1: 75 % Ferrit, 25 % Perlit mit einer Härte
von 160 HV 10. Dieses Gefüge, entstan- Meistens wird aber in der Praxis das Wärme-
den nach einer t8/5-Zeit von etwa 3000 s, einbringen auch zum Schweißen der NE-Me-
entspricht etwa dem nach dem Eisen- talle begrenzt, weil prinzipiell erhebliche me-
Kohlenstoff-Schaubild entstehenden tallurgische Schwierigkeiten (wie z. B. Heiß-
Gleichgewichtsgefüge. rissgefahr, Ausscheidungsneigung, Kornver-
gröberung, breite Wärmeeinflusszonen) er-
U2: 10 % Ferrit, 30 % Bainit, 60 % Marten- wartet werden können.
sit, Härte 300 HV 10, t8/5-Zeit etwa 6 s.
Das Gefüge der WEZ realer Schweißver- Die güteverbessernde Wirkung der Mehrla-
bindungen entsteht etwa bei diesen Ab- gentechnik bei den umwandlungsfähigen
kühlbedingungen. Stählen beruht auf einer Reihe von Ursa-
chen:
U3: 100 % Martensit, Härte 460 HV 10, t8/5- – Die Gefüge der Grobkornzone und das der
Zeit etwa 1 s. Schweißbedingungen, die jeweils darunter liegenden Lage(n) des
zu einem harten martensitischen Gefü- Schweißguts werden durch die doppelte
ge führen, sind aus Gründen einer ausrei- Umkristallisation beim Erwärmen bzw.
chenden Risssicherheit zumindest bei Abkühlen (a g ) sehr stark gefeint. Der
konventionellen Stählen zu vermeiden. gleiche Mechanismus ist auch die Ursache
Dies gelingt einfach und zuverlässig mit für das beim Normalglühen entstehende
einem Vorwärmen der Fügeteile. Mit sehr feine Korn (Abschn. 2.5.1.2, S. 139).
dieser Maßnahme wird die Abkühlge- – Die mitgeführte Wärme jeder Lage verrin-
schwindigkeit herabgesetzt und die Bil- gert die Härte in der WEZ und im Schweiß-
dung weicherer Gefügebestandteile er- gut (»Anlassglühen«) und mildert den Ei-
möglicht bzw. erleichtert, s. ZTU-Schau- genspannungszustand.
bilder Abschn. 2.5.3, S. 145. – Durch die im Vergleich zur Einlagentech-
nik wesentlich geringere Wärmezufuhr
Die Bildfolge 4-18 zeigt Mikroaufnahmen ty- der einzelnen Lagen, werden die Korngröße
pischer Gefüge des Grundwerkstoffs und der in der Grobkornzone und die Breite der
WEZ einer Schweißverbindung aus dem un- WEZ deutlich verringert.
legierten Baustahl S355J2 N (St 52-3). Man – Die Abkühlgeschwindigkeit wird durch
beachte die sehr verschiedenartigen Gefüge- den »Vorwärmeffekt« der einzelnen Lagen
arten, die auch zu sehr unterschiedlichen Ei- geringer, aber deutlich größer als bei ein-
genschaften in den einzelnen Bereichen der lagig hergestellten Verbindungen.
WEZ führen.
Allerdings sind die Vorteile der Mehrlagen-
4.1.3.1 Der Einfluss des Nahtaufbaus; technik nur nutzbar, wenn die beim Schwei-
Einlagen-, Mehrlagentechnik ßen eingebrachte Wärme ausreichend groß
Der durch den z. T. extremen Temperatur- ist, d. h. ein Umkörnen der Grobkornzone(n)
Zeit-Verlauf beim Schweißen entstehende un- möglich ist.
günstige Gefügezustand der WEZ – vor allem
das grobkörnige Gefüge – lässt sich mit der Bild 4-19 zeigt in einer zusammenfassenden
Mehrlagentechnik erheblich verbessern. schematischen Übersicht die in der WEZ und
Dies trifft aber nur für die umwandlungsfä- im Schweißgut von Stahlschweißungen statt-
higen Stähle zu. Nichtpolymorphe Werkstof- findenden Gefügeänderungen. Der Umfang
fe sind durch keine Wärmebehandlung gefü- der Kornfeinung nimmt mit der Breite des
gemäßig veränderbar, s. Abschn. 5.1, S. 503. über Ac3 erwärmten Bereiches der WEZ zu.
Die nicht umwandlungsfähigen austeniti- Bei geeigneten (durch Versuch festgestellten)
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 317
Schweißparametern kann nahezu die gesam- Verzug des Bauteils nimmt in der Regel er-
te Grobkornzone feinkörnig gemacht werden. heblich zu.
Die hierfür erforderliche Wärmeführung wird
gewöhnlich als Pendellagentechnik bezeich- Diese Technik des Nahtaufbaus ist nicht mit
net. Durch die zunehmende Breite der Grob- der Zugraupentechnik zu verwechseln.
kornzone kann allerdings bei thermisch emp- Bei dieser Methode wird mit so geringen Wer-
findlichen Werkstoffen die Zähigkeit abneh- ten des Wärmeeinbringens gearbeitet, dass
men, es können sich Ausscheidungen in der ein merkliches Umkörnen oder Umschmel-
Wärmeeinflusszone und im Schweißgut bil- zen der darunterliegenden Lage nicht erfol-
den, es können Heißrisse entstehen, und der gen kann. Diese unwirtschaftliche Arbeits-
Mehrlagentechnk (allgemein)
Ac3 Ac1 Der über Ac3 erwärmte Bereich der WEZ und des
Schweißgutes werden umgekörnt. Die Stängelkristalle
des Schweißgutes und die groben Körner der schmelz-
grenzennahen Bereiche wandeln in globulares Gefüge
um. Das Maß der Umkristallisation hängt von dem Wär-
meeinbringen ( Q ) der einzelnen Lagen ab. Mit zuneh-
b
mendem Q steigt der Anteil an umgekörntem Gefüge
Ac3 Ac1 und die mechanischen Gütewerte werden meistens besser.
Mehrlagentechnik (Zugraupentechnik)
Ac1 2. Lage
1. Lage Q der 1. (und der folgenden) Lage(n) ist so gering, dass
praktisch kein Umkörnen stattfinden kann. Wegen der
kurzen zeitlichen Einwirkung sind die Korngrößen, die
Breite der Grobkornzone und der WEZ ( b ) geringer als
bei jedem anderen Nahtaufbau. Die Abkühlgeschwindig-
keit im schmelzgrenzennahen Bereich der WEZ ist da-
gegen am größten. Die Härte dieser Zone ist daher grö-
ßer als die jedes anderen Bereichs, die Zähigkeit dagegen
b Wurzel
Ac3 Ac1 ist in der Regel am geringsten.
Bild 4-19
Schematische Darstellung der Gefügeänderungen im Schweißgut und der Wärmeeinflusszone von Stahlschweiß-
verbindungen bei der Mehrlagentechnik (Pendellagen- und Zugraupentechnik).
318 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
weise muss aber bei allen Schweißaufgaben reich und in der Forschung angewendeten
angewendet werden, die ein kleines Schmelz- »Simulationstechnik« werden größere, d. h.
badvolumen erfordern, z. B.: einfach untersuchbare Prüfstücke mit einem
– Wurzeln in Stumpfnähten, Schweißtemperatur-Zyklus wärmebehandelt.
– Dünnblechschweißen, Die Prüfung kann so an Proben mit einer weit-
– Zwangslagenschweißen, gehend homogenen Mikrostruktur erfolgen,
– Auftragschweißen. die Ergebnisse sind daher leichter interpre-
tierbar. Ihre Übertragbarkeit auf das Verhal-
Bild 4-20 zeigt einen fertigungstechnischen ten bzw. die Eigenschaften geschweißter Bau-
Sonderfall der Pendellagentechnik, der z. B. teile ist aber ebenfalls unsicher.
beim UP-Tandem-Schweißen auftreten kann.
Die von der »hinteren« Drahtelektrode beim Als eine weitere, in der betrieblichen Praxis
Schweißen der zweiten Lage erzeugte Ac3- leicht durchzuführende Prüfmethode hat sich
Isotherme erreicht das Schweißgut und die die Härteprüfung erwiesen. Sie ist eine rela-
WEZ der ersten Lage (Wurzel) noch im auste- tiv zuverlässige Methode zum Feststellen der
nitischen Zustand, d. h., ein Umkörnen der (wasserstoffinduzierten) Kaltrissneigung der
grau angelegten über Ac3 erwärmten Zone in Wärmeeinflusszone (Abschn. 4.1.3.2) und ge-
der Wurzellage, Bild 4-20a, kann zu diesem stattet ebenfalls (mit Hilfe von Umrechnungs-
Zeitpunkt nicht stattfinden. Diese Vorgänge beziehungen) eine hinreichend selektive Ermitt-
sind in der Makroaufnahme, Bild 4-20b, sehr lung der Eigenschaft »Festigkeit«.
deutlich zu erkennen.
Die Bauteilsicherheit geschweißter Konstruk-
4.1.3.2 Eigenschaften und tionen wird demnach außer von den Grund-
mechanische Gütewerte werkstoffeigenschaften weitestgehend von
Die Bauteilsicherheit geschweißter Konst- den Festigkeits-, aber vor allem den Zähigkeits-
ruktionen lässt sich mit Werkstoffprüfver- eigenschaften und dem Verhalten des Gefüge-
fahren ermitteln und bewerten, die die mecha- kontinuums
nischen Eigenschaften des meistens schma-
GW – WEZ – Schweißgut – WEZ – GW
len Gefügekontinuums »WEZ« und des Schweiß-
guts festzustellen in der Lage sind. Die »Gefü- bestimmt. Folgende Eigenschaftsänderun-
gegradienten« sind in der WEZ sehr steil und gen bzw. verfahrenstechnischen Besonder-
die Breite der Zonen mit annähernd gleichen heiten können abhängig von der Werkstoff-
oder ähnlichen Eigenschaften sehr schmal, art (krz, kfz Metalle), der Schweißtechnolo-
Abschn. 4.1.3. Mit den gewählten Prüfverfah- gie (Verfahren, Einstellwerte, Wärmevor-
ren müssen also die Eigenschaften sehr dicht bzw. nachbehandlung, Zusatzwerkstoffe) in
nebeneinander liegender, extrem schmaler unterschiedlichem Umfang und unterschied-
Werkstoffbereiche ermittelbar sein. licher Wirkung auftreten:
Die wichtige Kenngröße Zähigkeit wird mit ❐ Art und Umfang der werkstofflichen Än-
der Kerbschlagbiegeprüfung oder der schwer derungen:
handhabbaren CTOD-Prüfung (Abschn. 6.5, – Entstehen des spröden Umwandlungs-
S. 594) festgestellt. In beiden Fällen kann gefüges Martensit, das die Kaltrissnei-
die Kerbe recht genau in dem zu prüfenden gung extrem begünstigt.
Bereich positioniert werden. Allerdings wird – Durch Gasaufnahme aus der Atmo-
der Werkstoff im Bereich des Kerbgrunds sphäre Verspröden bestimmter Teilbe-
bei den meisten Stählen plastisch verformt, reiche (z. B. hochreaktive Werkstoffe
so dass der Einfluss der daneben liegenden wie Ti, Ta, Zr).
Bereiche in den meisten Fällen »mitgeprüft« – Entstehen von Ausscheidungen bzw.
wird. Mit derartigen Untersuchungen lässt versprödenden (intermediären) Phasen
sich daher nur das Verhalten größerer Be- (Chromcarbide; Ausscheidungsrisse
reiche der WEZ feststellen. Mit der bisher beim Spannungsarmglühen chrom-mo-
überwiegend nur im wissenschaftlichen Be- lybdän-legierter Stähle).
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 319
a) b)
Bild 4-20
Ein zu geringer Abstand der zweiten Drahtelektrode (z. B. beim UP-Tandem-Schweißen) von der ersten hat
zur Folge, dass durch sie der über Ac3 erwärmte Bereich der Wurzellage nicht umgekörnt werden kann, weil
das Gefüge der Wurzellage sich noch immer im austenitischen Zustand befindet, wenn die Wärme der zweiten
Lage die Wurzellage erreicht.
a) Der grau angelegte Teil der Wurzel wurde durch die Wärme der Decklage wegen der geschilderten Be-
dingungen bei der zeitlichen Folge der zu schweißenden Lagen nicht umgekörnt, obwohl in diesem Bereich
die Temperatur Ac3 überschritten wurde, schematische Skizze,
b) Makroaufnahme einer UP-Tandem-Schweißverbindung.
320 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
de Kaltrissbildung erfolgt erfahrungsgemäß – Der Wasserstoff ist für die bei den höher-
oberhalb bestimmter Härtegrenzwerte, d. h. gekohlten (C 0,25 %) und vor allem den
vorzugsweise bei martensitischen bzw. mar- hochfesten vergüteten Feinkornbaustäh-
tensitisch-bainitischen Gefügen in der WEZ. len auftretende Kaltrissbildung entschei-
Die die (Kalt-)Rissbildung begünstigenden dend. Diese Rissform wird daher auch was-
und untereinander wechselwirkenden Fak- serstoffinduzierter Kaltriss genannt.
toren sind:
– Der C-Gehalt, d. h. die von ihm abhängi- Die Höhe der Höchsthärte in der Wärmeein-
ge Maximalhärte des Werkstoffs, die z. flusszone wird damit zumindest für konven-
B. mit folgender Näherungsformel berech- tionelle C-Mn-Stähle in der Praxis als erprob-
net werden kann (Bild 1-43, S. 37): ter und vielfach verwendeter Maßstab für
die Neigung zur Kaltrissbildung verwendet.
HVmax 930 ¹ C 283.
Nach verschiedenen Regelwerken und Spe-
Mit zunehmender Härte wird die Wahr- zifikationen muss die Höchsthärte für eine
scheinlichkeit der (Kalt-)Rissbildung grö- genügende Betriebssicherheit der geschweiß-
ßer, weil durch die damit verbundene ge- ten Konstruktion daher auf bestimmte zuläs-
ringe statische Zähigkeit die Schweißei- sige Maximalwerte in der WEZ begrenzt wer-
genspannungen nicht mehr durch plasti- den. Tabelle 4-1 zeigt die in der Schweißpra-
sche Verformung abgebaut werden kön- xis anerkannten zulässigen Höchstwerte für
nen. verschiedene »Betriebszustände«.
– Eigenspannungen oder äußere Beanspru-
chungen sind notwendig, um die für die Die von der Höchsthärte und dem Wasser-
Bildung der Rissoberflächen erforderliche stoffgehalt abhängige Kaltrissneigung ist
Bruchflächenenergie bereitzustellen. auch bei folgenden »Schweißfehlern« zu be-
HVmax
achten:
geschweißt mit
Q1
HVU Q2 »Zündstellen« sind vom Lichtbogen auf
der Werkstückoberfläche durch Antippen
erzeugte extrem schnell aufgeheizte und
HV
bs
Durch die Vergütungslage a)
erzeugte Ac3 - Isotherme
Jede Lage der Stumpf-
und der Kehlnaht wurde
mit dem gleichen Wärme-
HVmax,k einbringen geschweißt!
bk
Bild 4-22
Schematische Darstellung der Vergütungslagentech- Die Wärme fließt in drei
nik. Richtungen ab, d. h., vab
und damit auch die Här-
te in der WEZ werden grö-
Die maximal mögliche Höchsthärte in der Wär- ßer als bei der Stumpfnaht
meeinflusszone ist nur vom Kohlenstoffge- b)
halt, die beim Schweißen tatsächlich erreich- Bild 4-23
te aber abhängig vom: Wärmefluss in einer
❐ Kohlenstoffgehalt und der chemischen Zu- a) Stumpfnaht,
sammensetzung des Stahles und der b) Kehlnaht, dargestellt durch die Richtungen der
❐ Abkühlgeschwindigkeit (bzw. Abkühlzeit Pfeile. Die Maximalhärte in der WEZ einer Stumpf-
naht HVmax,s ist also bei gleichen Bedingungen
t8/5 ). Sie wird bestimmt von der
(Werkstoff, Werkstoffdicke, Wärmeeinbringen) klei-
– Werkstückdicke, der Vorwärmtempe- ner als die in der WEZ einer Kehlnaht HVmax,k. Die
ratur, den Schweißparametern (I, U, Breite der WEZ der Kehlnaht bk ist geringer als
v), der geometrischen Anordnung der die der Stumpfnaht.
322 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
PF
PF
NF
NF
Das Schweißgutgefüge der schweißgeeigne- zeit t8/5, dem Sauerstoffgehalt, d. h. dem Ge-
ten Stähle (z. T. auch der Wärmeeinflusszo- halt der als Keime wirkenden silicatischen
ne) besteht wegen des sehr kohlenstoffarmen Einschlüsse (Abschn. 4.2.3.3.2) und den die
Zusatzwerkstoffs aus ferritischem Gefüge. Umwandlung beschleunigenden plastischen
Ferrit kann in sehr unterschiedlichen For- Dehnungen bestimmt.
men vorliegen und damit auch sehr unter-
schiedliche Eigenschaften besitzen. Die zu- Das Gefüge des Schweißguts ist üblicher-
nächst naheliegende Annahme eines wei- weise ein Gemisch aus primärem (Korngren-
chen, zähen ferritischen Gefüges kann sich zenferrit, polygonaler Ferrit) und Widmann-
als gefährlicher Fehlschluss erweisen. stättenschem Ferrit. Beim Abkühlen bildet
sich aus dem Austenitgebiet zuerst der Korn-
Für eine sinnvolle Diskussion müssen die grenzenferrit (polygonaler Ferrit oder Hoch-
einzelnen Gefüge zweifelsfrei identifiziert temperaturferrit), Bild 4-24, der auch allo-
werden können. Geeignete im Bereich der triomorpher Ferrit genannt wird. Die Bezeich-
Schweißmetallurgie häufiger verwendete ge- nung bringt zum Ausdruck, dass dieser Fer-
fügebeschreibende Systeme sind die von Du- rit »formlos« ist, d. h., seine Gestalt spiegelt
bé (für Walzstahl) und Abson, Duncan und nicht die kristallographische Symmetrie wie-
Pargeter entwickelten Schemata. Mit ihnen der, die z. B. der Widmannstättensche (Na-
lassen sich die unterschiedlichen Ferritgefü- deln, Platten) oder der nadelförmige Ferrit
ge relativ einfach und zuverlässig klassifizie- aufweist. Bei tieferen Bildungstemperaturen
ren und unterscheiden und einordnen. – hervorgerufen z. B. durch rasches Abkühlen
oder die Zugabe von Legierungselementen
Für das Verständnis der verschiedenen kom- – entsteht der bekannte Widmannstätten-
plexen Erscheinungsformen des Ferrits muss sche Ferrit, der in Form seitlicher »Platten«
bedacht werden, dass Ferrit vorzugsweise oder »sägezahnförmig« angeordnet ist, Bild
an Korngrenzen, aber auch an (meistens si- 4-25. Diese Ferritform ist für rasch abgekühlte
licatischen) Einschlüssen durch heterogene Schweißgüter, die hocherhitzten Bereiche
Keimbildung entsteht. der Wärmeeinflusszone und Gussgefüge cha-
rakteristisch.
Das Umwandlungsverhalten des Schweiß-
guts (s. a. Abschn. 2.5.3, S. 145) wird von der Im Inneren der Austenitkörner entsteht bei
chemischen Zusammensetzung des Stahls noch tieferen Temperaturen der sich vor-
und des Zusatzwerkstoffs, dem Wärmeein- wiegend an Einschlüssen bildende und von
bringen, d. h. der davon abhängigen Abkühl- dort in unterschiedlichen Richtungen wach-
324 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
sende nadelförmige Ferrit, Bild 4-24. Diese Zwischen den zusammenstoßenden Ferrit-
»chaotische« Anordnung der sehr kleinen, platten des nadelförmigen Ferrits bilden sich
nadelförmigen Ferritplatten ist die Ursache feinverteilte »Mikrophasen«. Diese entstehen
für die hervorragende Zähigkeit dieses Gefü- durch die (teilweise) Umwandlung der zwi-
ges. Die Bildung des nadelförmigen Ferrits
erfordert einen
t8/5
Sauerstoffgehalt
Austenitkorngröße
Gehalt an Legierungselementen
2
– gewissen Gehalt silicatischer Einschlüsse,
d. h. einen Sauerstoffgehalt von ungefähr
300 50 ppm (s. Abschn. 4.2.3.3.2),
a) 3
– eine bestimmte Legierungsmenge,
– eine bestimmte Austenitkorngröße und
– eine ausreichende Abkühlzeit t8/5.
b) 1
In einem aus nadelförmigem Ferrit bestehen-
den Gefüge wird der fortschreitende Bruch
am häufigsten gezwungen, seine Richtung
zu wechseln, d. h., die bei der Kerbschlagbiege-
prüfung aufzubringende Arbeit ist am größ- c) Bainit
ten. Der Einfluss der z. B. durch den Sauer-
stoffgehalt ( als Keime wirkende silicatische Lage des Nadel-Ferrit - Feldes ist u. a. von der Größe, Men-
ge und Verteilung der silicatischen Einschlüsse abhängig
Einschlüsse) im Schweißgut erzeugten Men-
ge nadelförmigen Ferrits auf die Übergangs-
Temperatur T
1
temperatur der Kerbschlagarbeit zeigt bei- 2
spielhaft Bild 4-26.
3
P
In der Bildfolge Bild 4-27a bis 27c ist der Ein-
fluss der Abkühlgeschwindigkeit, der Men-
B
ge der Legierungselemente, des Gehalts der
silicatischen Einschlüsse (d. h. des Sauerstoff- M
gehaltes) und der Austenitkorngröße auf die Zeit t
Ausbildung der Ferritgefüge dargestellt. Die 1 Voreutektoider Korngrenzenferrit (= allotriomorpher Ferrit)
Entstehung der unterschiedlichen Ferritfor- 2 Widmannstätten scher Seitenplattenferrit
3 Nadelförmiger Ferrit
men lässt sich an Hand des schematischen
d)
kontinuierlichen ZTU-Schaubildes, Bild 4-
27d, verfolgen. Bild 4-27
Zum Bildungsmechanismus der verschiedenen Ferrit-
50 gefüge im unlegierten C-Mn-Schweißgut, nach Bha-
deshia u. Svensson.
°C WEZ
a) An den Austenitkörnern bildet sich eine gleichmäßi-
Übergangstemperatur Tü,28
0
ge Belegung von allotriomorphem Ferrit, gefolgt
von Widmannstättenschem Ferrit mit anschließen-
der Bildung von nadelförmigem Ferrit.
b) Der Widmannstättensche Ferrit kann sich wegen
- 50 erschwerter Diffusionsbedingungen nicht mehr
über das ganze Austenitkorn ausbreiten. Die sili-
catischen Einschlüsse innerhalb der Austenitkör-
- 100 ner wirken als Keime für die anschließende Bildung
0 200 400 600 ppm 800 nadelförmigen Ferrits.
c) Bei höherem Gehalt an Legierungselementen und
Sauerstoffgehalt im Schweißgut
zunehmender Austenitkorngröße wird die Bildung
Bild 4-26 des allotriomorphen Ferrits im Wesentlichen unter-
Einfluss des Sauerstoffgehalts auf die Übergangstem- drückt, wodurch die Entstehung des oberen Bainits
peratur Tü,27 der Kerbschlagzähigkeit (Charpy-V-Pro- aus dem restlichen Austenit möglich wird.
ben) von C-Mn-Schweißgut im Vergleich zu dem für d) Entstehung der verschiedenen Ferritgefüge, dar-
die WEZ ermittelten Wert, nach Ahlblom. gestellt im ZTU-Schaubild, nach Dolby.
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 325
Grobkornzone
Schweiß- Zone möglicher
schen den Ferritplatten vorhandenen aufge- gut Versprödung
kohlten Austenitinseln – entstanden als Fol-
Kerbschlagzähigkeit
600 ° C
200 ° C
750 ° C
400 ° C
Bereich 1: unveränderte Grobkornzone, Obwohl bisher noch kein Fall bekannt wur-
die entweder nicht oder erneut auf über de, bei dem diese örtlich versprödeten Berei-
1200 C erwärmt wurde. che die Ursache eines Bauteilversagens wa-
Bereich 2: Die Grobkornzone wurde durch ren, sollte durch die Wahl einer geeigneten
Temperaturen T Ac3 umgekörnt, d. h. Schweißtechnologie die Breite dieser Zone
sie wurde feinkörnig. möglichst gering gehalten werden. Das kann
Bereich 3: Die Grobkornzone wurde auf wirtschaftlich z. B. mit einer auf dieses Ziel
Temperaturen Ac1 T Ac3 erwärmt. abgestimmten Mehrlagentechnik, Abschn.
Bereich 4: Die Grobkornzone wurde auf 4.1.3.1, oder bei dickwandigen Bauteilen mit
Temperaturen T Ac1 erwärmt. der ähnlich wirkenden Mehrdrahttechnik
geschehen.
Bild 4-31 zeigt Ergebnisse von Proben aus Bereich 1 4 3 2 1
einem niedriglegierten hochfesten Stahl, die
schweißsimulierend mit einem konstanten 1,0
Temperaturzyklus (Tmax 1400 C; t8/5 20 s) mm
und einen zweiten, mit geänderter Spitzen- CTOD - Wert
0,5
temperatur beaufschlagt wurden. Die CTOD-
Werte der auf Temperaturen gemäß Bereich
3 erwärmten Proben weisen auf eine ausge-
0,2
prägte Versprödung hin, die sich allerdings
nur auf einen sehr schmalen Bereich der
WEZ erstreckt. Die Ursache beruht wie bei 0,1
den Einlagenschweißungen (s. Abschn. 4.1.3)
auf der Bildung örtlich stark mit Kohlenstoff
0,05
angereicherten Martensits in diesem teilaus-
tenitisierten Bereich der WEZ.
Bereich 1 0,02
Ac3
1
Ac1 0,01
Schweißgut
RT 400 600 800 1000 1200 ° C
Spitzentemperatur, Zyklus 2 Tmax,2
Bereich 2
3 Bild 4-31
Ac3 Abhängigkeit der CTOD-Werte schweißsimulierend
Ac1
mit zwei Temperaturzyklen wärmebehandelter Proben
aus einem hochfesten niedriglegierten Stahl. Dem ers-
ten konstanten Zyklus (Tmax = 1400 C; t8/5 = 20 s) folg-
Bereich 3 te der zweite mit unterschiedlicher Spitzentemperatur.
In das Bild wurden die in Bild 4-30 eingeführten vier
Ac3
2 Bereiche (1 bis 4) der Wärmeeinflusszone eingetra-
Ac1 gen, nach Haze und Aihara.
4
Bereich 4
Der Schweißprozess kann auch die Korrosi-
onsbeständigkeit nicht nur der aus korrosions-
Ac3
beständigen Stählen bestehenden Schweiß-
Ac1 Ac3 GW Ac1 konstruktionen beeinträchtigen (Anlauffar-
ben, Eigenspannungen, Gefügeänderungen
in der WEZ, Spannungsspitzen durch Kerbwir-
Bild 4-30 kung, Schweißspritzer). Auch unlegierte Stäh-
Typische Gefüge in der Wärmeeinflusszone mehrlagig
le werden außer durch Spannungsrisskorro-
geschweißter Verbindungen, schematisch. Bei umwand-
lungsfähigen Stählen können prinzipiell vier verschie- sion vor allem in Anwesenheit bestimmter
den »wärmebehandelte« Bereiche unterschieden wer- schwefelhaltiger Verbindungen (in erster Li-
den, nach Haze und Aihara. nie sind H2S-haltige saure Lösungen zu nen-
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 327
Vorwärmtemperatur nicht unter die Zwischen- nigungen usw.) des Werkstoffs, der
lagentemperatur Ti (i interpass) fallen. Da – Werkstückdicke, den
die Werkstücktemperatur in der Regel von – Zusatzwerkstoffen, dem
Lage zu Lage zunimmt, wird sie im Normal- – Verspannungszustand der Konstruktion,
fall als höchste Temperatur angegeben, wie – dem Schweißverfahren und
es in DIN EN ISO 13916 beschrieben wird. – der Temperatur des Werkstücks vor dem
Die Temperaturen Tp und Ti bestimmen neben Schweißen.
der Abkühlzeit t8/5 weitgehend die Gefügeaus-
bildung und die Heißrissneigung. Lediglich die Wirkung der werkstoffabhän-
gigen Faktoren ist bei Inkaufnahme verschie-
Die Unternahtrissigkeit bzw. Kaltrissanfäl- dener Vereinfachungen quantitativ z. B. mit
ligkeit (s. Abschn. 6.2, S. 583) entsteht vor Hilfe des Kohlenstoffäquivalents bestimm-
allem bei den höhergekohlten Stählen und bar. Der Einfluss der übrigen Faktoren ist nur
praktisch bei allen höherfesten – vor allem aufgrund von Erfahrungen beschreibbar bzw.
den vergüteten – Feinkornbaustählen. Sie wird durch Regelwerke aufgrund von Erfah-
lässt sich durch Vorwärmen der Fügeteile rungen »vorgegeben«.
und Wahl wasserstoffkontrollierter Zusatz-
werkstoffe, s. Abschn. 4.3.3, S. 398, ferti- Die Wirkung der Legierungselemente auf die
gungstechnisch sicher vermeiden. Dabei ist (Kalt-)Rissneigung der aufgehärteten Zonen
aber zu beachten, dass unabhängig von even- lässt sich zahlenmäßig z. B. mit dem Koh-
tuellen Schweißunterbrechungen eine nied- lenstoffäquivalent Ceq angeben.
rigste (Vorwärm-)Temperatur einzuhalten
ist, die nach DIN EN ISO 13916 als Haltetem- Diese Methode beruht auf der durch die
peratur Tm (m preheat maintenance tempe- Schweißpraxis begründeten Erfahrung, wo-
rature) bezeichnet wird. nach die Rissneigung eines Gefüges nicht
nur vom Kohlenstoffgehalt, sondern auch in
Mit Hilfe des Vorwärmens wird das Aufhär- unterschiedlichem Umfang von verschiede-
ten der schmelzgrenzennahen Bereiche wirk- nen Legierungselementen bestimmt wird.
sam verhindert bzw. behindert. Die erreichte Der Einfluss der wichtigsten Legierungsele-
Höchsthärte in der WEZ ist nur vom Kohlen- mente im Stahl wird durch experimentell er-
stoffgehalt und dem Gehalt der Legierungs- mittelte Faktoren ( Äquivalentzahlen) be-
elemente abhängig, die zusammen die kriti- schrieben, die ein wahrscheinlicher Maßstab
sche Abkühlgeschwindigkeit bestimmen. für ihre rissbegünstigende Wirkung bezogen
auf den Kohlenstoff sind.
Niedriggekohlte Stähle (C
0,2 %) erfordern
wegen ihrer geringen Aufhärtungsneigung Es existieren einige Dutzend Formeln zum
häufig erst bei größeren Werkstückdicken Berechnen des Kohlenstoffäquivalents. Sie
ein Vorwärmen. Höhergekohlte (C ! 0,25 %) gelten aber jeweils nur für Stähle, deren che-
Stähle müssen grundsätzlich vorgewärmt mische Zusammensetzung in einem bestimm-
werden, weil die Neigung zur Kaltrissbildung ten Bereich liegt. Eine für C-Mn-Stähle häu-
harter Gefügebestandteile in der Regel mit fig verwendete Beziehung ist die für länge-
der Höhe der Höchsthärte zunimmt. re Abkühlzeiten (t8/5 10 s) geltende IIW-For-
mel, die auch in einigen Produktnormen – z.
Die werkstofflich »richtige« Vorwärmtempe- B. der Baustahlnorm DIN EN 10025-2, hier
ratur ist abhängig als CEV bezeichnet – Eingang gefunden hat,
– in der Hauptsache von der chemischen Gl. [4-2]:
Zusammensetzung des Werkstoffs, in er-
Mn Cr + Mo + V Ni + Cu
ster Linie also von der Höhe des Kohlen- Ceq = C + + + in %.
stoffgehalts und damit vor allem von sei- 6 5 15
ner Kaltrissanfälligkeit, Danach wird abhängig von der Größe des
– von der Art (Gefüge, Ausscheidungen, Ceq-Wertes z. B. die in Tabelle 4-2 angegebe-
Menge, Art und Verteilung der Verunrei- ne Vorwärmtemperatur empfohlen.
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 329
det. Sie gilt gewöhnlich als zuverlässiger als korn- sowie der Feinkornzone in der WEZ
die IIW-Beziehung: von Schweißverbindungen. Danach beträgt
der Martensitanteil in der Wärmeeinflusszo-
Si Mn + Cu + Cr Ni ne bei Pcm ! 0,24 % bereits mehr als 50 %.
Pcm = C + + + + [4-6]
30 20 60
Mo V t H Von Yurioka und Oshita wurde das Kohlen-
+ + 5◊ B+ + . stoffäquivalent CEN vorgeschlagen, das die
15 10 600 60
Ito-Bessyo-Beziehung und die IIW-Beziehung
In dieser Beziehung bedeuten: berücksichtigt. Für niedriggekohlte Stähle
t in mm, Erzeugnisdicke, mit C 0,17 % ähnelt sie der Ito-Bessyo-Bezie-
H in cm3/100 g, H-Gehalt im Schweißgut. hung, während sie bei höhergekohlten Stäh-
len weitgehend der IIW-Beziehung (Gl. [4-3])
Die Kaltrissneigung nimmt bei Pcm ! 0,3 % entspricht, Gl. [4-7]:
schlagartig zu. Oberhalb dieses Grenzwer-
⎡ Si Mn Cu Ni Cr + Mo + Nb + V ⎤
tes ist vorzuwärmen. Dieser Wert gilt für die CEN = C + A(C) ⎢ + + + + + 5B⎥.
⎣ 24 6 15 20 5 ⎦
(niedrig-)legierten Feinkornbaustähle. Die
konventionellen C-Mn-(Bau-)Stähle sind erst Hierbei ist A(C) der nur vom Kohlenstoffge-
bei einem kritischen Wert Pcm ! 0,35 % vor- halt abhängige Anpassungsfaktor:
A(C) = 0,75 + tan [20 ⋅ (C − 0,12)].
zuwärmen.
Bild 4-34 zeigt die Abhängigkeit des Kohlen- Die Härte in der WEZ hängt aber nicht nur
stoffäquivalents Pcm vom Martensitgehalt von der chemischen Zusammensetzung des
schweißsimulierend wärmebehandelter Pro- Stahles ab, sondern auch von der Abkühlzeit
ben aus einem niedriglegierten Feinkornbau- t8/5. Für eine Abkühlung, die zu einem rein
stahl mit Spitzentemperaturen von 1350 C martensitischen Gefüge führt, ist das Kohlen-
und 1000 C. Diese Bedingungen entsprechen stoffäquivalent einfach Ceq C.
etwa dem thermischen Geschehen in der Grob-
100 Die Härte der vollmartensitischen schmelz-
1 Tmax = 1350 ° C
grenzennahen Bereiche beträgt dann etwa:
% t 8/5 = 3 s HVmax 930 ¹ C 283.
Martensitgehalt in der WEZ
1
2 Tmax = 1350 ° C
75 t 8/5 = 13 s Für Abkühlgeschwindigkeiten kleiner als
die obere kritische – das Gefüge besteht aus
Martensit und Bainit – lässt sich die Härte
HVWEZ in der WEZ mit folgender Beziehung
50 abschätzen, Gl. [4-8]:
700
Härte HV 10
600
sit
rten g®
500 % Ma B
100 c)
400
Bild 4-36
300 Werkstoffliche Vorgänge beim Schweißen mit Vor-
200
wärmtemperaturen Tp > Ms.
init
100 % Ba a) Temperaturverteilung einer auf Tp vorgewärmten
100 Schweißverbindung,
0 b) Abkühlkurve des schmelzgrenzennahen Bereichs
0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 % 0,6
dargestellt im ZTU-Schaubild,
Kohlenstoffäquivalent Ceq c) V-Naht mit in Bainit umgewandelter WEZ.
Bild 4-35 Der austenitisierte Bereich der WEZ wandelt in kei-
Härte des Martensits und des Bainits in der Wärmeein- nem Fall in Martensit um, sondern abhängig vom
flusszone von Stahl-Schweißverbindungen in Abhängig- Umwandlungsverhalten des Stahls in ein martensit-
keit vom Kohlenstoffäquivalent Ceq , nach Lorenz und freies Gefüge. Im gezeigten Beispiel entsteht ein rein
Düren. bainitisches Gefüge.
332 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Der Vorteil dieser Methode beruht nicht nur 2) Für einen mikrolegierten Stahl mit Ceq = 0,3 % (er-
auf dem martensitfreien Gefüge in der WEZ, rechnet nach Gl. [4-2]) und einer Werkstückdicke
von 30 mm soll die Vorwärmtemperatur gemäß
sondern auch auf der Verringerung der Ei- Tabelle 4-35 bestimmt werden. Es wird mit ba-
genspannungen und der Abnahme des Ver- sisch-umhüllten Stabelektroden geschweißt, die ein
zuges. Während der Schweißzeit befindet Schweißgut mit weniger als 5 cm3 H/100 g liefern.
sich die über Ac3 erwärmte Zone im austeni- Aus Tp = 826◊Ceq - 158 = 826◊0,3 - 158 = 90 C ergibt
tischen bzw. teilaustenitisierten Zustand (ein sich eine Vorwärmtemperatur von etwa 90 C.
Teil des Austenits kann während des Schwei- Aus der in Abschn. 4.3.2.3 angegebenen Beziehung
ßens umwandeln!). Der zähe Austenit kann von Uwer und Höhne, Gl. [4-18], ermittelt man für
diesen Stahl mit Q O 1 kJ/mm und einem Wasser-
durch plastische Verformung die Eigenspan-
stoffgehalt von 5 [cm3/100 g Schweißgut] eine Vor-
nungen wesentlich leichter abbauen als das wärmtemperatur von O 84 C. Die Übereinstimmung
krz Umwandlungsgefüge. Die Kaltrissnei- ist zufriedenstellend.
gung ist erheblich geringer.
3) Der Stahl S355J2 + N (St 52-3) hat eine Ms -Tempe-
ratur von etwa 420 C. Ein Vorwärmen wegen der
Diese werkstofflich überzeugende Methode Gefahr einer eventuellen Aufhärtung ist nicht er-
ist nicht für alle Stähle sinnvoll einsetzbar. forderlich. Trotzdem werden dickwandige Füge-
In Abschn. 2.5.2, S. 140, (s. a. Bild 2-25) wird teile (etwa ≥ 30 mm) zum Schweißen auf 100 C bis
gezeigt, dass Ms mit zunehmender Legie- 150 C vorgewärmt. Diese Maßnahme dient aber
im Wesentlichen dazu, die sprödbruchbegünstigen-
rungsmenge und zunehmendem Kohlenstoff-
den dreiachsigen Eigenspannungszustände zu mil-
gehalt kontinuierlich abnimmt. Unlegierte, dern. Durch eine nicht fachgerechte Schweißaus-
kohlenstoffarme d. h., gut schweißgeeignete führung (z. B. bei Zündstellen oder bei Verwen-
Stähle besitzen demnach eine hohe Ms-Tempe- dung zu dünner Draht- oder Stabelektroden) kann
ratur und eine sehr große kritische Abkühl- nach kritischer Abkühlung allerdings eine Höchsthär-
geschwindigkeit (Bild 1-38, Bild 2-16). Ein te entstehen von:
HRCmax = 30 + 50 ¹ C % = 45 HRC O 450 HV.
Vorwärmen ist bei ihnen nicht, nur bei gro-
ßen Werkstückdicken oder nicht in dieser Hö- 4) Der Stahl X20CrMoVW12-1 mit einer Ms-Tempera-
he erforderlich. Die Wahl der Vorwärmtempe- tur von etwa 270 C, Bild 4-88, wird (auch aus
anderen Gründen) auf etwa 400 C vorgewärmt.
ratur mit Hilfe der Ms-Temperatur ist daher
nur sinnvoll, wenn diese genügend niedrig, 5) Der Stahl 51CrV4 (Ms O 300 C) wird auf etwa
der Stahl also ausreichend legiert d. h. unge- 350 C vorgewärmt. Bei einer Gesamthaltedauer
eignet zum Schweißen ist. Diese Grenztem- von etwa 1000 s O 17 min (diese Angaben sind aus
dem ZTU-Schaubild des Stahles zu entnehmen!)
peratur kann bei etwa 300 C bis 350 C ange- wandelt der gesamte austenitisierte Bereich der
nommen werden. Die Ms-Temperaturen sind WEZ in Bainit um.
aus den ZTU-Schaubildern (s. Abschn. 2.5.3,
S. 145) direkt ablesbar. Kehlnähte:
a) Verfahren mit geringem Ein-
brand schmelzen die Seige-
In DIN EN 1011-1 sind allgemeine Anleitun- ! ? rungszonen nicht auf.
gen für das Schmelzschweißen metallischer b) Tiefeinbrennende Schweißver-
fahren (z. B. UP) sind prinzi-
Werkstoffe zu finden. piell nicht zum Schweißen ge-
seigerter Stähle geeignet: Gro-
ßer Aufmischungsgrad begüns-
tigt Heißrissbildung.
Beispiele 4-1: a) b)
Stumpfnähte:
1) Für den Stahl 51CrV4 (C O 0,5%; Cr O 1%; Mn O 1%; Seigerung c) Aufschmelzen der geseigerten
V O 0,15 %) ist die Vorwärmtemperatur Tp zum Bereiche nicht vermeidbar. Zu-
Schweißen mit dem Kohlenstoffäquivalent gemäß satzwerkstoffe wählen, die Ver-
unreinigungen (z. B. P und S)
Gl. [4-2] und Tabelle 4-2 zu bestimmen. Aus den verschlacken können, z. B. ba-
gegebenen Werten erhält man Ceq = 0,9 %. Damit er- sisch-umhüllte Stabelektroden.
gibt sich Tp O 300 C ... 350 C. Die Werkstückdicke, c)
die Art des Zusatzwerkstoffs und der Wasserstoff-
gehalt des Schweißguts wurden mit dieser älteren Bild 4-37
Beziehung nicht berücksichtigt. Die »ermittelte« Tp Aufschmelzen der geseigerten Bereiche während des
ist daher nur mit Vorsicht anzuwenden. Sie reprä- Schweißens unberuhigter Stähle bei Kehlnähten und
sentiert in aller Regel den Maximalwert. Stumpfnähten, schematisch.
Abschn. 4.1: Aufbau der Schweißverbindung (WEZ in umwandlungsfähigen Stählen) 333
werkstoffe für das Auftrag- bzw. Verbindungs- schmelzgrad klein zu halten. Es kann Z
schweißen sind folgende Maßnahmen und oder ein spezieller Puffer-Zusatzwerkstoff
Methoden bekannt: (P) verwendet werden. Als Folge der ge-
– Wahl von Zusatzwerkstoffen, die mit den ringen Aufmischung ist die entstehende
Legierungselementen keine spröden Ver- Menge der spröden Phase dann so gering,
bindungen bilden können. Besonders ge- dass das Schweißgut nahezu aus Z (P) be-
eignet sind hoch nickelhaltige Zusatzwerk- steht und in vielen Fällen rissfrei bleibt,
stoffe. Nickel bildet mit den meisten Ele- Bild 4-39d. Der restliche Nahtquerschnitt
menten eine lückenlose Mischkristall- wird mit der üblichen Technik des Naht-
reihen bzw. ausgedehnte Mischkristallberei- aufbaus hergestellt. Die verwendeten Zu-
che, selten intermediäre Verbindungen und satzwerkstoffe müssen sich metallurgisch
ist extrem zäh (Abschn. 1.6.2.1, S. 50). mit P und GW »vertragen«. Diese Metho-
– Auftragen von Pufferlage(n) auf eine (oder de ist sehr zuverlässig, aber wegen des
beide) Nahtflanke(n) mit einem möglichst langsamen Arbeitsfortschritts beim Puf-
geringem Wärmeeinbringen, um den Auf- fern extrem teuer.
Z = Zusatzwerkstoff Z
(artfremd oder GW1 bzw. GW2)
S GW1 Z1 S Z2 GW2
GW1 S = Z + GW GW2 S
Zustandsschaubild b1): Z1 Z2
Schweißgut S besteht unabhängig von A aus verformbarem, weitge- WEZ WEZ
hend rissfreiem, einphasigem a ! Wiederaufschmelzrisse in der WEZ
Erstarrungsriss
können aber je nach Beschaffenheit der GW entstehen.
Zustandsschaubild b2): V
Für A = 20 % besteht das Schweißgut S aus 100 % V, für A = 40 %
Wiederaufschmelz- Wiederauf-
besteht das Schweißgut bei der eutektischen Temperatur aus
riss möglich schmelzriss
etwa 37 % a und 63 % E. E besteht aus etwa 5 % a und 95 % V.
c)
Voraussetzung für die Gültigkeit dieser Berechnung ist eine
annähernd gleichgewichtsnahe Abkühlung. V = Z x GWy
S S
a)
Z oder P S+ a
S+ a
Temperatur T
Temperatur T
P = Pufferlage(n) a
a a+ V E V
GW1 GW2
GW1 20 40 60 80 % Z GW2 20 40 60 77 80 % Z
Massenprozent Massenprozent
d) b1) b2)
Bild 4-39
Bei Verwendung artfremder Zusatzwerkstoffe (Z) oder beim Verbinden unterschiedlicher Werkstoffe (GW1 mit
GW2 ) können je nach Aufschmelzgrad A = (GW/Z)◊100 % verschiedene metallurgische Probleme entstehen.
a) Für A = 20 % ... 40 % (entspricht etwa den Verhältnissen bei einer V-Naht) und einem angenommenen
b) Zustandsschaubild mit lückenloser Mischbarkeit (b1) und einem mit einer intermediären Phase V (b2)
können die werkstofflichen Vorgänge nachvollzogen werden.
c) Unterschiedliche Grundwerkstoffe GW1 und GW2 werden mit Z verbunden. Das aus Z und GW1 (Zustands-
schaubild b1) bestehende Schweißgut S ist rissfrei, Wiederaufschmelzrisse können aber entstehen. Das aus
GW2 und Z bestehende Schweißgut enthält intermediäre Phasen V (Zustandsschaubild b2), die das Schweiß-
gut vollständig verspröden können. Erstarrungs- und Wiederaufschmelzrisse sind ebenfalls möglich.
d) Puffern des Grundwerkstoffs (der sich nicht mit dem Zusatzwerkstoff Z verträgt), mit zähem Zusatz- (Z)
oder einem anderen geeigneten Pufferwerkstoff P (z. B. Ni) verhindert in der Regel die Rissbildung, wenn
der Aufschmelzgrad A sehr gering ist (£ 5 %).
336 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
gen Werkstoff zuverlässig vor Luftzutritt flüssige Schweißnaht sehr wirksam und
schützt. Das Auflegieren bzw. Desoxidie- reduziert so die Gefahr entstehender Ker-
ren erfolgt im Wesentlichen über den Schla- ben erheblich.
ckenfilm, weil die Legierungselemente und
die Desoxidationsmittel dem Schweißgut 4.2.3.1.2 Metallurgische Grundlagen
meistens über die Umhüllung (seltener Legierungselemente können dem Schweiß-
über den Kernstab) in Form feinverteilter bad aus dem Kernstab und (oder) der Umhül-
Vorlegierungen zugeführt werden. lung zugeführt werden. Bei komplizierten
metallurgischen Systemen, vor allem bei hoch-
Wie bei der Stahlherstellung muss das legierten Stählen, werden in der Regel kern-
Schweißgut »gereinigt« (raffiniert, d. h. stablegierte Elektroden bevorzugt (homoge-
desoxidiert, entschwefelt usw.) werden. ne Schmelze ist leichter erzeugbar!). Die me-
Die Sauerstoff-, Schwefel-, Phosphor-, Stick- tallurgischen Reaktionen finden überwiegend
stoffmengen sowie die Gehalte anderer Ver- an der Phasengrenze Schlacke/flüssiger Me-
unreinigungen sind also auf Werte zu be- talltropfen statt. Ein Teil der zugeführten Des-
grenzen, die sich nicht mehr schädlich auf oxidations- und Legierungselemente geht als
die mechanischen Gütewerte auswirken. Folge verschiedener physikalischer und me-
Auch diese metallurgischen Aufgaben tallurgischer Prozesse verloren:
übernimmt die (flüssige) Schlacke. Das – Verdampfen im Lichtbogenraum. Dieser
Entgasen und Entschlacken ( Reaktions- Anteil nimmt zu mit abnehmender Ver-
produkte der Desoxidationsbehandlung!) dampfungstemperatur (Schmelztempe-
der Schmelze werden durch die flüssige, ratur) der Elemente.
schlecht wärmeleitende Schlackendecke – Verschlacken sauerstoffaffiner Elemente
erleichtert. Der Sauerstoffgehalt in der wie z. B. Bor, Titan, Zirkonium, Alumini-
Schlacke bestimmt in großem Umfang die um in der meist sauerstoffhaltigen Licht-
Viskosität der Schmelze, d. h. die Tropfen- bogenatmosphäre. Die entstehenden Oxi-
größe und die Tropfenzahl. de können andererseits weniger stabile
Die thermisch isolierende Schweißschla- Verbindungen (z. B. MnO) reduzieren und
cke verringert die Abkühlgeschwindigkeit damit den Legierungshaushalt des Schweiß-
deutlich und damit auch die Härtespitzen guts empfindlich stören. Mit zunehmen-
in den Wärmeeinflusszonen. Schließlich der Sauerstoffaffinität der Elemente wird
formt und stützt die Schlackendecke die ihr Abbrand grundsätzlich größer.
Tabelle 4-4
Wichtige Umhüllungsbestandteile von Stabelektroden, eingeteilt nach ihrer metallurgischen Wirksamkeit.
Der Hauptort der metallurgischen Reaktio- gilt etwa die schematische, vereinfachte Re-
nen ist die Elektrodenspitze (5), Bild 4-41, aktionsgleichung:
weil hier die Temperaturen am größten sind.
MeO Fe FeO Me.
Der Umfang der Reaktionen im deutlich küh-
leren Schweißbad ist daher meistens vernach- Das aufzulegierende Element Me liegt als
lässigbar. Bei Fülldrahtelektroden (Abschn. Oxid MeO in der flüssigen Schlacke vor.
4.2.3.2) schmilzt allerdings der stromführen-
de Metallmantel vor den Füllstoffen. Hier er- Das chemische Verhalten der geschmolzenen
folgen die metallurgischen Prozesse daher Elektrodenumhüllungen – der Schlacken,
zum größten Teil erst im Schweißbad. nicht der Umhüllungsbestandteile! – be-
schreibt die metallurgische Qualität der Stab-
Die unerwünschte Oxidation der Legierungs- elektroden sehr genau. Je nach Zusammenset-
elemente erfolgt im Lichtbogenraum im We- zung verhalten sich die Schlacken chemisch
sentlichen durch freien Sauerstoff: sauer, neutral oder basisch.
Fe O2 2 ¹ FeO
Die Verbindungen des Schwefels und Phos-
Mn O2
2
¹ MnO phors verhalten sich chemisch sauer. Sie kön-
oder durch oxidische Schlacken: nen daher nur durch die Reaktion mit basi-
Fe2O3 Fe 3 ¹ FeO schen Schlacken aus dem Schweißgut ent-
fernt (»verschlackt«) werden. Basisch-umhüll-
SiO2 2 ¹ Cr 2 ¹ CrO Si. te Stabelektroden liefern demnach neben dem
Die Desoxidation der Schmelze erfolgt mit WIG-Schweißen sehr verunreinigungsarme,
Elementen, die eine größere Affinität zum d. h. extrem zähe Schweißgüter.
Sauerstoff haben als Eisen. Die Vollständig-
keit des Auflegierens wird von der Oxidations- Die Umhüllungsbestandteile der Stabelekt-
neigung der Elemente bestimmt, d. h. von roden teilt man je nach ihrem chemischen
deren Sauerstoffaffinität. Für den Vorgang Verhalten ein in
– saure,
– basische,
– oxidierende (sauerstoffabgebende) und
– reduzierende (sauerstoffbindende) Stoffe.
B. Gl. [4-12a]) wird ihre Wirkung daher – Die chemische Charakteristik der Schla-
nur zur Hälfte eingesetzt. cke bestimmt die Art und den Umfang
der Verunreinigungen im Schweißgut. Die
Abhängig von dem chemischen Verhalten stark güteschädigende Verunreinigung
der den Metalltropfen einfilmenden Schla- Phosphor kann im Schweißgut z. B. nur
cke unterscheidet man folgende Grundtypen mit basischen Schlacken, d. h. basischen
der Stabelektroden: Elektroden verschlackt werden.
– sauer-umhüllte (Kurzzeichen A),
– rutil-umhüllte (Kurzzeichen R), 4.2.3.1.3 Eigenschaften der wichtigsten
– basisch-umhüllte (Kurzzeichen B), Stabelektroden
– zellulose-umhüllte (Kurzzeichen C). Die mechanischen Gütewerte und die Ver-
schweißbarkeitseigenschaften der Stabelekt-
Je nach Art der Umhüllung und der Umhül- roden werden bestimmt durch das
lungsdicke ergeben sich also sehr unter- – chemische und physikalische (Schlacken-
schiedliche Eigenschaften der Schweißschla- und Schmelzenviskosität) Verhalten der
cken und damit der Schweißgüter: Schweißschlacke: sauer, neutral, basisch
– Die Viskosität (Maß für innere Reibung und die
in Flüssigkeiten) der Schlacke ist im We- – Art der Lichtbogenatmosphäre: Oxidie-
sentlichen temperaturabhängig. Die Um- rend, desoxidierend (reduzierend). Bild
hüllung der Stabelektroden-Typen ent- 4-42 (s. auch Aufgabe 4-2, S. 478) zeigt
hält unterschiedliche Mengen sauerstoff- schematisch das Verhalten der Schweiß-
abgebender Verbindungen. Die zusätzli- schlacke in der Lichtbogenatmosphäre.
che Verbrennungswärme (Einfluss der
Umhüllungsdicke!) erhöht die Schlacken- Im Folgenden werden die Umhüllungstypen,
temperatur und verringert so die Viskosi- eingeteilt nach Streckgrenze und Kerbschlag-
tät. Sauerstoff ist einer der stärksten Re- arbeit von 47 J, gemäß DIN EN ISO 2560,
gulatoren der Schmelzenviskosität. Systematik »A« besprochen.
– Der Sauerstoffgehalt der Schlacke beein-
flusst das Abbrandverhalten, die mecha- Sauer-umhüllte Stabelektroden (A) 36)
nischen Gütewerte des Schweißguts und Ihre Umhüllung enthält große Anteile von
die Tropfengröße. Vor allem die Schweiß- Schwermetalloxiden (typisch ca. 50 % Fe3O4,
eignung legierter Stähle hängt vom Sauer- Fe2O3, SiO2, Ferromangan). Der Gehalt an
stoffgehalt der Schweißschlacke ab. freiem Sauerstoff und oxidischen Schlacken
im Schweißgut ist mit etwa 0,1 % größer als
100 desoxidierend bei jeder anderen Elektrodentype. Das ist
Verhalten der Licht-
bogenatmosphäre
50
re (Wieder-)Zündfähigkeit besser als bei al-
zellulose-umhüllte
len anderen Elektrodentypen. Stabelektrode
40
Als Folge der erreichbaren großen Schweiß- Die wichtigsten Wasserstoffquellen, die beim
geschwindigkeit und Abschmelzleistung erge- Schweißen zu beachten sind, werden im Fol-
ben sich wesentliche wirtschaftliche Vortei- genden beschrieben:
le. Das Verarbeiten dieser stark spritzenden, – Wasserstoffverbindungen in der Umhül-
große Mengen Qualm und Rauch entwickeln- lung, die bei der Fertigungstrocknung nicht
den Elektroden ist aber lästig und unbequem. entfernt werden können. Vor allem ist hier
Außerdem muss der Schweißer zum Erler- das Bindemittel Wasserglas zu nennen.
nen der schwierigen manuellen Technik be- Diese Wasserstoffverbindungen erzeugen
sonders geschult werden. Zellulose-umhüllte den für die jeweilige Stabelektrode umhül-
Elektroden werden vorzugsweise für Wurzel- lungstypischen Grundwasserstoffgehalt
schweißungen von Rohrleitungen eingesetzt, der Umhüllung. Nach dem DVS-Merkblatt
vor allem beim Verlegen von Pipelines. 0504 wird dieser als Ausgangsfeuchtig-
keit der Stabelektrode bezeichnet. Die Aus-
Bild 4-45 zeigt in einer Zusammenfassung gangsfeuchtigkeit ist der Wassergehalt
das Verhalten beim Schweißen und die wich- der Umhüllung unmittelbar vor dem Verpa-
tigsten Eigenschaften der A-, R- und B-Stab- cken der Elektroden.
elektroden. – Die Umgebungsfeuchtigkeit, die von dem
Wasserstoffpartialdruck, d. h. von der re-
Die Umhüllungstypen, eingeteilt nach Zugfes- lativen Feuchte und der Temperatur der
tigkeit und Kerbschlagarbeit von 27 J, ge- umgebenden Luft abhängig ist. Sie wird
mäß DIN EN ISO 2560, Systematik »B«, sol- je nach der Beschaffenheit der Umhül-
len lediglich anhand Tabelle 4-5 mitgeteilt lung zeitabhängig in die Umhüllung aufge-
werden. Für genauere Hinweise sei auf die nommen und kann durch mangelnde Hand-
DIN-Norm verwiesen, Abschn. 4.2.3.1.5. fertigkeit oder/und Unachtsamkeit des
Schweißers auch in den Lichtbogenraum
39)
englisch: cellulose; Zellulose. eindringen.
Stabelektrodentyp sauer-umhüllt (A) rutil-umhüllt (R) basisch-umhüllt (B)
Merkmal
Lichtbogenatmosphäre Gehalt an freiem und gebundenem O annähernd neutral neutral bis reduzierend
sehr groß.
Abbrand der Legierungs- Desoxidationsmittel (Mn, Si) nahezu geringfügig, für legierte Elektroden klein, aber Verlust durch Verdamp-
elemente: vollständig: » Manganfresser« , daher gut geeignet. fen, Spritzer. Für legierte Elektroden
grundsätzlich nicht für legierte Elek- daher gut geeignet.
Me + O MeO Q V troden geeignet.
Schmelzenviskosität sehr groß durch zusätzliche Verbren- geringer bis größer, abhängig vom am geringsten, weil QV sehr gering.
nungswärme QV. Sauerstoffgehalt im Lichtbogenraum.
Tropfengröße sehr klein, sprühregenartiger Werk- mittel bis groß, abhängig von Um- groß, grobtropfiger Werkstoffübergang
stoffübergang (» heißgehende« Elekt- hüllungsdicke und Schmelzenvisko- ( » kaltgehend« ).
rode). sität.
mechanische Gütewerte schlechter, weil im Schweißgut der gut bis sehr gut, die mit B-Elektro- am besten, Übergangstemperatur des
Gehalt an O, N, H und silicatischen den möglichen Gütewerte in keinem Schweißgutes bis - 70 ° C, Wasser-
Schlacken größer ist als bei jeder an- Fall erreichbar. stoffgehalte im Schweißgut < 5 ppm
deren Elektrodenart. leicht erreichbar.
Besonderheiten mit hohem Strom schweißen; sehr in allen Umhüllungsdicken (d, m, s) Trocknen mind. 250 ° C/2h erforder-
glatte, feingezeichnete Nahtoberflä- lieferbar, d. h. breites Spektrum der lich; Lichtbogen kurz, Elektrode steil
che, aber wegen schlechterer mecha- mechanischen Eigenschaften und halten; kann meist nur mit Gleich-
nischer Gütewerte nur für unterge- des Verschweißbarkeitsverhaltens; strom am Pluspol verschweißt wer-
ordnete Schweißkonstruktionen an- sehr leichtes Wiederzünden; für alle den; i. Allg. nicht für Fallnaht ver-
wendbar; schlechter für Zwangsla- Positionen möglich; universellste wendbar; große manuelle Anforde-
gen geeignet; Nahtübergänge ker- Stabelektrode. rung erfordert besondere Ausbildung
benfrei. des Schweißers.
Abschn. 4.2: Zusatzwerkstoffe und Hilfsstoffe zum Schweißen unlegierter Stähle ...
Bild 4-45
345
Tabelle 4-5
Umhüllungstypen von Stabelektroden, Einteilung nach Zugfestigkeit und Kerbschlagarbeit von 27 J (Auswahl).
Diese Stabelektroden enthalten ein Gemisch aus Titandioxid (Rutil) und Calciumcarbonat (Kalk), so
03 dass sie einige charakteristische Eigenschaften von rutil-umhüllten Stabelektroden und einige
basisch-umhüllter Stabelektroden besitzen. Siehe Umhüllungstyp 13 und 16.
Diese Stabelektroden enthalten in der Umhüllung einen hohen Anteil an verbrennbaren organischen
Substanzen, insbesondere Zellulose. Auf Grund ihres intensiven Lichtbogens eignen sie sich besonders
10 für das Schweißen in Fallposition. Der Lichtbogen wird vorwiegend mit Natrium stabilisiert, so dass
die Stabelektroden überwiegend für das Schweißen mit Gleichstrom geeignet sind, üblich ist positive
der Elektrodenpolung.
Diese Stabelektroden enthalten in der Umhüllung einen hohen Anteil an verbrennbaren organi-
schen Substanzen, insbesondere Zellulose. Auf Grund ihres intensiven Lichtbogens eignen sie sich
11 besonders für das Schweißen in Fallposition. Der Lichtbogen wird vorwiegend mit Kalium stabi-
lisiert, so dass die Stabelektroden für das Schweißen sowohl mit Wechsel- als auch mit Gleichstrom,
Elektrode positiv, geeignet sind.
Diese Stabelektroden enthalten in der Umhüllung einen hohen Anteil von Titandioxid (üblicherweise in
12 Form des Minerals Rutil). Auf Grund ihres weichen Lichtbogens sind sie zum Überbrücken breiter
Spalte bei schlechter Nahtvorbereitung geeignet, d. h. gute Zwangslagenverschweißbarkeit.
Diese Stabelektroden enthalten in der Umhüllung hohe Anteile von Titandioxid (Rutil) und Kalium.
13 Sie besitzen bei niedrigerer Schweißstromstärke im Vergleich zu Stabelektroden des Umhüllungs-
typs 12 einen weichen, ruhigen Lichtbogen und sind besonders für dünne Bleche geeignet.
Diese Stabelektroden enthalten in der Umhüllung hohe Anteile von Titandioxid (Rutil) und Kalium.
14 Sie besitzen bei niedrigerer Schweißstromstärke im Vergleich zu Stabelektroden des Umhüllungs-
typs 12 einen weichen, ruhigen Lichtbogen und sind besonders für dünne Bleche geeignet.
Diese Stabelektroden besitzen eine hochbasische Umhüllung, die zu großen Teilen aus Kalk und
Flussspat besteht. Der Lichtbogen wird hauptsächlich durch Natrium stabilisiert; sie sind in der Re-
15
gel nur zum Schweißen mit Gleichstrom (+) geeignet. Sie liefern ein Schweißgut hoher metallurgi-
scher Güte mit einem niedrigen Gehalt an diffusiblen Wasserstoff.
Diese Stabelektroden besitzen eine hochbasische Umhüllung, die zu großen Teilen aus Kalk und
Flussspat besteht. Die Lichtbogenstabilisierung durch Kalium macht sie zum Schweißen mit Wech-
16
selstrom geeignet. Sie liefern ein Schweißgut hoher metallurgischer Güte mit einem niedrigen Gehalt
an diffusiblen Wasserstoff.
Die Umhüllung dieser Stabelektrode enthält Titan- und Eisenoxide, üblicherweise vereint im Mineral
19 Ilmenit. Obwohl sie nicht basisch-umhüllt sind, d. h. einen niedrigen Wasserstoffgehalt liefern, erge-
ben sie ein Schweißgut mit einer relativ hohen Zähigkeit.
Die Umhüllung dieser Stabelektrode enthält hohe Anteile an Eisenoxid. Die Schlacke ist sehr
20 dünnflüssig, so dass im Allgemeinen das Schweißen nur in waagrechter und horizontaler Position
möglich ist. Die Stabelektroden sind in erster Linie für Kehl- und Überlappnähte vorgesehen.
Diese Stabelektroden besitzen eine Umhüllung wie der Umhüllungstyp 14, aber die Umhüllung ist di-
24 cker und weist einen höheren Gehalt an Eisenpulver auf. Sie sind im Allgemeinen zum Schweißen
nur in waagrechter und horizontaler Position geeignet, hauptsächlich für Kehl- und Überlappnähte.
Diese Stabelektroden besitzen eine Umhüllung wie der Umhüllungstyp 20, aber ihre Umhüllung ist
dicker und besitzt hohe Anteile an Eisenpulver zusätzlich zum Eisenoxid des Umhüllungstyps 20.
27
Stabelektroden des Umhüllungstyps 27 sind zum Schweißen von Kehl- und Überlappnähten mit
hoher Geschwindigkeit vorgesehen.
Diese Stabelektroden besitzen eine Umhüllung wie der Umhüllungstyp 18, aber ihre Umhüllung ist
dicker und enthält mehr Eisenpulver. Dadurch ist ihre Anwendung im Allgemeinen auf die waage-
28
rechte und horizontale Schweißposition beschränkt. Sie ergeben ein Schweißgut hoher metallurgi-
scher Güte mit niedrigem Gehalt an diffusiblem Wasserstoff.
Für basisch-umhüllte Elektroden erweist es Diese ist wesentlich weniger fest an die Um-
sich als notwendig, die Neigung der Umhül- hüllung gebunden als die chemisch gebundene
lung zu definieren, während der Lagerung Ausgangsfeuchtigkeit und wird z. T. während
Feuchtigkeit aufzunehmen. Der Grad der Was- des Schweißens durch Widerstandserwärmung
seraufnahmefähigkeit wird Feuchteresistenz aus der Umhüllung ausgetrieben, ehe sie das
genannt. Die Vorschriften für ihre Ermitt- Schweißgut schädigen kann.
lung sind in DIN EN ISO 14372 genormt.
Sie wird durch die Zeit bestimmt, innerhalb Die über den Lichtbogen praktisch immer
der die Elektrode während der Lagerung in eindringende Feuchtigkeit ist in hohem Ma-
definierten Befeuchtungsräumen eine be- ße von der Lichtbogenlänge, also der Schweiß-
stimmte Wasserstoffaufnahme nicht über- spannung abhängig.
schreitet. Je größer diese Zeitspanne ist, des-
to unkritischer verhält sich diese Elektrode Bei der Entwicklung der extrem wasserstoff-
bei einer nicht vorschriftsmäßigen Lagerung/ armen Elektroden sind einige physikalische
Trocknung durch den Verarbeiter. Hinweise Gesetzmäßigkeiten zu beachten. In erster Li-
auf die Eigenschaften und Verarbeitung der nie ist zu berücksichtigen, dass der Einfluss
feuchteresistenten Elektroden gab das DVS- der Umgebungsfeuchtigkeit umso größer ist,
Merkblatt 0944 (ersatzlos zurückgezogen!). je niedriger der zu messende Wasserstoffge-
halt im Schweißgut ist. Die Messung des auf-
Die qualitätsbestimmenden Eigenschaften genommenen Wasserstoffs für nur ein »Norm-
basisch-umhüllter Stabelektroden hinsicht- klima« ist daher nicht ausreichend. Für alle
lich des Wasserstoffs sind demnach: Schweißarbeiten unter anderen klimatischen
– Der Gehalt an diffusiblem Wasserstoff im Bedingungen müssen die von der Luftfeuchte
Schweißgut. Der Wasserstoffgehalt wird abhängigen – meistens größeren –Wasser-
nach DIN EN ISO 3690 bestimmt. stoffgehalte bekannt sein. Schweißungen z.
– Die Feuchteresistenz der Umhüllung. B. an Konstruktionen im Offshorebereich
oder in anderen Gebieten mit hoher Luftfeuch-
Aufgrund neuerer Entwicklungen auf dem tigkeit sind Beispiele für extreme klimati-
Gebiet der Stahlherstellung (vergütete Fein- sche Bedingungen.
kornbaustähle!) besteht der Wunsch, Elekt-
roden mit Wasserstoffgehalten 3 ml/100 g Der Wasserstoffgehalt in mit basisch-umhüll-
Schweißgut zur Verfügung zu haben. ten Stabelektroden hergestellten Schweißgü-
tern setzt sich aus einem umhüllungstypi-
Die Vorteile dieser extrem wasserstoffarmen schen konstanten Anteil H0 und dem luftfeuch-
Elektroden sind: teabhängigen Anteil HL zusammen. HL ist
– Keine (bzw. geringe) Vorwärmung. nach dem Sievertsschen Gesetz:
– Kein Rücktrocknen der Elektroden, wenn E ⋅ pH O .
Verpackungen zur Verfügung stehen, die 2
keine Feuchtigkeit durchlassen. H0 und E sind konstant und nur von der Art
– Kein Rücktrocknen der Elektroden erfor- der Stabelektrodenumhüllung abhängig. Da-
derlich, da sie Feuchtigkeit aus der Atmo- mit ergibt sich:
sphäre nur langsam aufnehmen können. Hges = H0 + E ⋅ pH O . [4-10]
Damit entfällt die Notwendigkeit, für die 2
rückgetrockneten Elektroden beheizte Hges hängt nach Gl. [4-10] also nur vom Was-
(aufwändig, unwirtschaftlich) Köcher zur serdampfpartialdruck pH O ab.
2
Verfügung stellen zu müssen.
Sehr anschaulich lässt sich der Gehalt des
Bei gleicher Umhüllungsfeuchtigkeit ( Ge- diffusiblen Wasserstoffs im Schweißgut als
samtfeuchtigkeit) hat die Ausgangsfeuchtig- Funktion der Luftfeuchte mit dem von Ruge
keit einen größeren Einfluss auf den Wasser- entwickelten Schaubild vorhersagen, Bild 4-
stoffgehalt des Schweißguts als die durch ka- 46. Im Teilbild a ist der Wasserdampfpar-
pillare (adsorptive) Kräfte aufgenommene. tialdruck in Abhängigkeit von der Tempera-
348 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
tur aufgetragen mit der relativen Luftfeuch- nannten Zusammenhang, wonach mit abneh-
tigkeit als Parameter. Zum Bestimmen der mendem Wasserstoffgehalt im Schweißgut
den entsprechenden Kurven zugehörenden der Einfluss der Umgebungsfeuchtigkeit
Partialdrücken ist die Kenntnis des tempera- stark zunimmt, weil die Neigung der Linien
turabhängigen Sättigungsdrucks ps (hPa) er- konstanten diffusiblen Wasserstoffgehalts
forderlich. Aus der Beziehung für die relati- hier wesentlich größer ist. Daraus ergeben
ve Luftfeuchtigkeit j: sich wichtige, manchmal nicht genügend be-
pH O achtete Konsequenzen beim Verschweißen
j = p2 ◊ 100 in %. [4-11] sehr wasserstoffarmer basisch-umhüllter
s
Elektroden in vom Herstellort der Elektro-
ergibt sich der Wasserstoffpartialdruck zu de abweichenden Gegenden.
j ◊ ps
pH O = in hPa. Die Möglichkeit der Wasseraufnahme (Ad-
2
100 sorption) von Stabelektroden durch Unter-
Für den in Bild 4-46 eingetragenen »Klima- schreiten des Taupunktes 40) wird häufig unter-
punkt« ➊ (j 60 %, T 20 C) wird z. B. schätzt. Dies gilt vor allem unter Baustellen-
bedingungen. Bei den in Bild 4-46 angegebe-
60 ⋅ 23,33 nen klimatischen Bedingungen j 60 % und
pH O = = 14,00 hPa, d.h.
2
100 T 20 C beginnt die Kondenswasserbildung
auf den Elektroden bei Temperaturen unter
pH O = 3,74 hPa. 12 C. Sie dürfen daher z. B. nicht in der
2
Nacht bei den oft stark abnehmenden Tempe-
Bild 4-46b zeigt sehr deutlich den oben ge- raturen im Freien gelagert werden.
relative Luftfeuchte j in %: 100
8 90
80
hPa
7 70
pH O
60
2
50 B
6 2
Wasserdampfpartialdruck
40
5
30
4 20
1 A
3
10
0 10 20 30 ° C 40 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Temperatur T Wasserstoff (diffusibel) im Schweißgut in ml /100 g
a) b)
Bild 4-46
Abhängigkeit des diffusiblen Wasserstoffgehalts im Schweißgut von der relativen Luftfeuchte j, nach Ruge.
a) Bei dem Ausgangsklima ➊, gekennzeichnet durch das Wertepaar j = 60 %, T = 20 C, wird im Schweißgut
ein Wasserstoffgehalt von H0 = 4,3 ml/100 g gemessen (nicht etwa berechnet oder angenommen!). Diese Wer-
te ergeben
b) den Klimapunkt A. Der Wasserstoffgehalt im Schweißgut für geänderte klimatische Bedingungen (mit der
gleichen Elektrode wird an einem anderen Ort geschweißt!), gekennzeichnet durch das Klima ➋ (j = 80 %
und T = 30 C) beträgt dann 6 ml/100 g, Punkt B. Dieser Wert kann beim Schweißen der empfindlichen
vergüteten Stählen bereits zur Bildung der wasserstoffinduzierten Kaltrisse führen.
Abschn. 4.2: Zusatzwerkstoffe und Hilfsstoffe zum Schweißen unlegierter Stähle ... 349
Tabelle 4-6
Kennziffern für Streckgrenze, Festigkeit und Dehnung des reinen Schweißguts, nach DIN EN ISO 2560.
2 2
N/mm N/mm %
35 355 440 bis 570 22
38 380 470 bis 600 20
42 420 500 bis 640 20
46 460 530 bis 680 20
50 500 560 bis 720 18
1)
Es gilt die untere Streckgrenze (Rel). Bei nicht ausgeprägter Streckgrenze ist die 0,2%-Dehngrenze
(Rp0.2) zu wählen.
2)
L0 = 5 ⋅ d.
Tabelle 4-7
Anforderungen an die mechanischen Gütewerte des reinen Schweißguts (Einteilung nach Zugfestigkeit
und Kerbschlagarbeit von 27 J, gemäß Systematik »B« nach DIN EN ISO 2560 (Auswahl).
N/mm2 N/mm2 % °C
Kennbuchstabe/ Temperatur für Mindest- Die Bezeichnung besteht aus den folgenden
Kennziffer kerbschlagarbeit KV = 47 J Teilen (s. a. Abschn. 4.2.1).
°C – Kurzzeichen für das Schweißverfahren
(E Lichtbogenhandschweißen).
Z Keine Anforderung
– Kennziffer für die Festigkeit und Dehnung
A + 20
0 ±0 des Schweißguts, Tabelle 4-6. Die Anforde-
2 − 20 rungen an die mechanischen Gütewerte
3 − 30 des Schweißguts gemäß den Spezifikatio-
4 − 40 nen nach DIN EN ISO 2560, Systematik
5 − 50 »B« zeigt z. B. Tabelle 4-7.
6 − 60
– Kennziffer für die Mindestkerbschlagar-
7 − 70 1) beit (KV) des Schweißguts, Tabelle 4-8.
8 − 80 1) – Kurzzeichen für die chemische Zusammen-
9 − 90 1)
setzung des Schweißguts, Tabelle 4-9.
10 − 100 1)
– Kurzzeichen für die Art der Umhüllung,
1)
Die Werte gelten für die erhöhten Anforderun- die mit Hilfe der folgenden z. T. schon be-
gen an die Stabelektroden nach DIN EN 756 bzw. kannten Buchstaben bzw. Buchstaben-
DIN EN 757 (hochfeste Stähle, s. Abschn. 4.3.3).
gruppen gebildet werden:
352 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
30C (3) erreicht wird. Das Schweißgut ist mit 1,1 % finieren) der Schmelze nur mit der in dem
Nickel legiert (1Ni). Die Stabelektrode kann mit Wech- massiven Schweißstab untergebrachten we-
sel- und Gleichstrom (5) für Stumpf- und Kehlnähte sentlich geringeren Desoxidationsmittelmen-
in Wannenposition (4) geschweißt werden und ist dick-
ge (z. B. Mn, Si) erfolgen muss. Während des
umhüllt mit einer Ausbringung von 140 % (5). Der Was-
serstoff darf 5 cm3/100 g im Schweißgut nicht über- Schweißens können daher keine »zusätzli-
schreiten (H5). Für diese Stabelektrode lautet der ver- chen« Reinigungsvorgänge ablaufen, wie sie
bindliche Teil der Normbezeichnung: z. B. beim Gasschweißen (reduzierende Zone),
E 46 3 1Ni B, der nicht verbindliche: beim Lichtbogenhandschweißen (Reaktio-
5 4 H5. nen der Umhüllungsbestandteile) oder beim
Die vollständige Bezeichnung, die auf Verpackungen UP-Schweißen (Draht-Pulverkombination)
und in den technischen Unterlagen (Datenblätter) des möglich sind, siehe Aufgabe 4-9, S. 486. Der
Herstellers angegeben ist, lautet: WIG-Schweißstab wird dem Schmelzbad wie
DIN EN ISO 2560 – E 46 3 1Ni B 5 4 H5. beim Gasschweißen mit Hand (d. h. strom-
los) zugeführt, Bild 4-47. Eine wassergekühl-
4.2.3.2 Schweißzusätze für das te WIG-Anlage zeigt Bild 4-48.
Schutzgasschweißen
Die metallurgische Qualität und damit die In der Handhabung ähnelt das WIG-Verfah-
mechanischen Eigenschaften des Schweiß- ren dem Gasschweißen, auch die Zusatzwerk-
guts werden außer von der chemischen Zu- stoffe sind äußerlich gleich. Allerdings ent-
sammensetzung des Grund- und Zusatzwerk- halten die Gasschweißstäbe wegen der redu-
stoffs, der Aufmischung, den Einstellwerten, zierenden Zone in der Gasflamme (CO, H2)
der Art des Lagenaufbaus (Einlagen-, Mehr- eine deutlich geringere Desoxidationsmittel-
lagen- Zugraupentechnik), einer evtl. Wärme- menge als die für den gleichen Werkstoff ver-
vor- und Wärmenachbehandlung auch in er- wendeten WIG-Schweißstäbe. Diese können
heblichem Umfang von der Art des Schutzga- daher bei gleichen Legierungssystemen nor-
ses, d. h. von dessen chemischen (Abbrand malerweise zum Gasschweißen ohne Proble-
als Folge der Schutzgasaktivität) und weite- me verwendet werden. Wegen der zu gerin-
ren physikalischen Eigenschaften (Viskosi- gen Desoxidationsmittelmenge entstünden
tät des Schweißbads, Tropfengröße, Art und im umgekehrten Fall Poren und andere metal-
Größe der auf die Tropfen einwirkenden Kräf- lurgische Probleme im Schweißgut, weitere
te) bestimmt. Einzelheiten s. Aufgabe 4-8, S. 485.
WIG-Schweißen
Der Schutz der Schmelze unter inerten Ga-
sen (Ar, He und deren Gemische) ist vollkom-
men, die metallurgische Qualität des Schweiß-
guts und die mechanischen Gütewerte sind
hervorragend. Unerwünschte Reaktionen je-
der Art sind nicht möglich, wenn alle Verun-
reinigungen (Rost, Farbe, Öl) im Schweißbe-
reich durch teure, d. h. unwirtschaftliche fer-
tigungstechnische Maßnahmen restlos besei-
tigt wurden. Bei Einhaltung der genannten
Bedingungen ist der »Edelgaslichtbogen« ei-
ne »reine« Wärmequelle ohne Dämpfe, Schla-
cken und sonstige Verunreinigungen. Der
Lichtbogen ist weitgehend frei von Turbulen-
zen, d. h. Lufteinbrüche sind unwahrschein-
lich. Ein geeigneter Zusatzwerkstoff und eine
fachgerechte Ausführung sind natürlich vo-
rausgesetzt. Außerordentliche Sauberkeit ist Bild 4-47
besonders wichtig, weil das »Reinigen« (Raf- Verfahrensprinzip des WIG-Schweißverfahrens.
354 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-12
Chemische Zusammensetzung (Auswahl) der Stäbe und Drähte zum WIG-Schweißen von unlegierten Stählen
und Feinkornstählen, Einteilung nach Streckgrenze und Kerbschlagarbeit von 47 J, nach DIN EN ISO 636.
6
Schweißstromquelle Kühlwasser - Austritt 4
3 Steuerleitung
5
Elektronisch geregelte Kühlwasser - Eintritt
Stromquelle (= ) Schlauchpaket
2
7
Gleichrichter (= )
Transformator (l )
9 1
Schweißstab von
Hand zugeführt
8
inertes Schutzgas
Werkstück
Bild 4-48
Wassergekühlte WIG-Schweißanlage, schematisch. Die Positionen 7 und 8 sind nur erforderlich, wenn die
nicht mehr zugelassenen Hochfrequenz-Zündeinrichtungen verwendet werden.
Abschn. 4.2: Zusatzwerkstoffe und Hilfsstoffe zum Schweißen unlegierter Stähle ... 355
A V
Kühlwasser - Austritt
2g 2f 2h
2 2e
Schweißstromquelle 2a 2d
Schlauchpaket
Elektronisch geregelte 2b
Stromquelle (= ) 2c
Kühlwasser - Eintritt
Gleichrichter (= )
1
inertes (MIG) oder aktives
(MAG) Schutzgas Vorschubeinrichtung
Werkstück
Bild 4-50
Wassergekühlte MSG-Schweißanlage, schematisch.
356 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-13
Physikalische Eigenschaften einiger für das Schutzgasschweißen verwendeter Schutzgase.
und den von der »Lichtbogenaureole« erzeug- gebenden Nahtfor men. Spezielle oder ge-
ten flachen und breiteren Sekundäreinbrand. wünschte Nahtformverhältnisse bzw. Einbrand-
Mit zunehmender radialer Wärmeleitfähigkeit formen lassen sich danach mit geeigneten Ga-
wird die Wärme gleichmäßiger über den Licht- sen bei Beachtung des zusätzlichen Einflus-
bogenraum verteilt, d. h., der Einbrand wird ses der Schweißparameter »konstruieren«.
tiefer. Diese Einbrandform ist für Helium, He-
lium-Argon und CO2-Argon charakteristisch. Mehratomige Gase, wie z. B. CO2, H2, wer-
Die Bilder 4-51 zeigen schematisch die sich den im Lichtbogen aufgespalten. Die hierfür
bei den einzelnen Gasen (Gasgemischen) er- erforderliche Dissoziationsenergie Q wird
dem Energievorrat des Lichtbogen entnom-
Argon:
vorwiegend für NE - Metalle: Al, men. Beim Auftreffen der Gasbestandteile
Mg, Cu, Ti; leichtes Zünden, sta- auf die relativ kühle Werkstückoberfläche
biler Lichtbogen, erzeugt tiefen,
fingerförmigen Einbrand. erfolgt die Rekombination der Gasatome. Die
Argon / Sauerstoff: freiwerdende Wärme vergrößert merk lich
O2 verbessert LB - Stabilität, ver-
ringert Oberflächenspannung, für die Einbrandtiefe.
legierte Stähle, aber Abbrand be-
Ar Ar + O2 achten.
Aktive oxidierende Gaskomponenten (z. B.
O2, CO2) brennen Legierungselemente ab, er-
Helium/Argon: höhen die Stabilität des Lichtbogens, ändern
hohe Wärmeleitfähigkeit erzeugt
tiefen Einbrand und erlaubt ho- den Werkstoffübergang und verringern erheb-
he Vorschubgeschwindigkeit be-
vor Porenbildung entsteht; für gro-
lich die Oberflächenspannung der Schweiß-
ße Querschnitte aus Al, Cu und schmelze. Die sehr große Anzahl der mikro-
Legierungen. Argon verändert ab-
hängig von Menge stark die Ein- skopisch kleinen, oxidischen Schlacken kann
He He + Ar brandform (Sekundäreinbrand). außerdem die Erstarrungsbedingungen ent-
scheidend beeinflussen, Abschn. 4.1.3.2.
Argon/CO2:
Für C- und niedriglegierte, kaum Beim MSG-Schweißen von Eisen-Werkstof-
für hochlegierte Stähle; bis 20 %
CO2 Sprühlichtbogen, über 18 %
fen unter inerten Gasen ergibt sich ein unru-
bis 20 % Kurzlichtbogen bei sehr higer zur Spritzerbildung neigender Lichtbo-
geringer Spritzerbildung, wenn
dünne Drahtelektroden (£ 1,2 mm) gen. Die Oberflächenspannung des Schweiß-
CO2 Ar + CO2 verwendet werden. guts ist extrem groß und die Benetzungsfä-
higkeit gering. Das Schweißgut ist dickflüs-
Bild 4-51
Einfluss der Schutzgase und Schutzgasgemische auf sig, porös, d. h. völlig unbrauchbar. Sauer-
die Nahtform von Verbindungen, die mit dem MSG- stoff- (1 % bis 15 %) und (oder) CO2-Zusätze
Verfahren geschweißt wurden, sehr vereinfacht. (bis 50 %) stabilisieren den Lichtbogen und
Abschn. 4.2: Zusatzwerkstoffe und Hilfsstoffe zum Schweißen unlegierter Stähle ... 357
Chemisches Anwendung
Schutzgas
Verhalten
Al, Mg, Cu, Ti, (Ti nur I1) Ni und deren Legierungen sowie andere
Ar stark oxidierende Metalle. Hervorragend zum Schweißen der zähen,
inert
(I1, I2, I3) korrosionsbeständigen, Oxidschichten bildenden Metalle geeignet (»Rei-
nigungswirkung«): Al, Mg, Ti.
Ae-He Al, Mg, Cu, Ni und deren Legierungen. He erhöht Temperatur und ver-
inert
20/80 bis 50/50 größert Einbrand, erlaubt höhere Schweißgeschwindigkeiten, ohne
dass Einbrandkerben entstehen. Für hochlegierte Stähle geeignet,
1 % bis 3 % O2 wenn O2-Zusatz gering, wesentlich besser geeignet ist aber die Impuls-
oxidierend
(M13) technik.
Für Kurzlichtbogentechnik > 5 % CO2, für unlegierte Stähle 10 % bis 25 %
Ar-CO2
CO2 erforderlich. Standardgemisch ist Ar + 18 % CO2, in bestimmten Fäl-
(M11, M12, oxidierend
len auch für hochlegierte Stähle anwendbar, aber nur bei geringer
M21, M31)
Korrosionsbeanspruchung empfehlenswert.
Ar-CO2-O2 Mit CO2-Anteilen bis 15 % und O2-Anteilen bis 6 % für un- und (niedrig-)
(M23, M24, oxidierend legierte Stähle, auch FK-Stähle (Rp0.2 ≥ 500 N/mm2). Bei geringer Korro-
M33) sionsbeanspruchung auch für hochlegierte Stähle anwendbar.
Für die meisten unlegierten und viele (niedrig-)legierte Stähle sowie für
CO2 normalgeglühte und thermomechanisch behandelte Feinkornbaustähle
oxidierend
(C1)
geeignet, aber nicht für höhergekohlte Stähle.
358 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-15
Werkstoffübergang und Lichtbogenverhalten beim MSG-Schweißen, abhängig von den verwendeten Schutzga-
sen, stark vereinfacht.
Lichtbogenform Sprühlichtbogen
Lichtbogenform Langlichtbogen:
Gröbere, häufig um die Elektrodenspitze rotierende Tröpfchen mit gelegent-
lichen Kurzschlüssen.
CO2 und hoch CO2-haltige Durch erzwungene, periodische Kurzschlüsse sind energiearme (»kältere«) Trop-
Gase fen erzeugbar. Für Schweißarbeiten zweckmäßig, die ein geringes Wärmeein-
bringen erfordern: Wurzelschweißungen, Dünnbleche, Zwangslagen, Auftrag-
schweißungen. Nur für CO2 und hoch CO2-haltige Mischgase anwendbar. Es
sind Schweißstromquellen mit einer Mindestinduktivität erforderlich.
Lichtbogenform Kurzlichtbogen:
Kleinere, kältere Tröpfchen, die durch gesteuerte (gewollte) Kurzschlüsse mit
einer für diesen Prozess geeigneten Schweißstromquelle erzeugt werden. Die
hohen Kurzschlussströme müssen mit Induktivitäten begrenzt werden.
Inerte und hoch argonhal- Durch Überlagern eines Grundstroms (Gleichstrom) mit Stromimpulsen (Fre-
tige Gase quenz und Amplitude sind vom Anwender nahezu beliebig einstellbar) kann
praktisch jede gewünschte Tropfengröße, Tropfenzahl und Viskosität der über-
gehenden Tropfen unabhängig von der Art des Schutzgases erzeugt werden.
Nur unter inerten und hoch argonhaltigen Schutzgasen möglich, weil der Pinch-
Effekt erforderlich ist.
Lichtbogenform Impulslichtbogen
Tabelle 4-16
Einteilung der Schutzgase für das Lichtbogenschweißen und Schneiden, nach DIN EN ISO 14175.
CO2 O2 Ar He H2 N2
Für diese Einteilung darf Argon teilweise oder vollständig durch Helium ersetzt werden.
Beispiel: Die Bezeichnung eines Schutzgases der Hauptgruppe M2 mit 7 % Volumengehalt CO2 und 4 % Volumengehalt O2 (Rest Argon), Untergruppe 5:
Schutzgas ISO 14175 – M25.
359
360
Tabelle 4-17
Kurzzeichen für die chemische Zusammensetzung von Drahtelektroden zum MSG-Schweißen von unlegierten Stählen und Feinkornbaustählen, nach
DIN EN ISO 17632.
C Si Mn Ni Sonstige
G3Ni1 0,04 bis 0,14 0,50 bis 0,90 1,00 bis 1,60 0,80 bis 1,50 Mo: 0,15
Geeignet zum Schweißen der warmfesten (Mo) und kaltzähen
G2Ni2 0,04 bis 0,14 0,40 bis 0,80 0,80 bis 1,40 2,10 bis 2,70 Mo: 0,15 (Ni) niedriglegierten Stähle. Umfang der metallurgischen Re-
G2Mo 0,08 bis 0,12 0,30 bis 0,70 0,90 bis 1,30 0,15 Mo: 0,40 bis 0,60 aktionen ist begrenzt. Daher sind höchste Gütewerte z. B. mit
Lichtbogenhand- oder WIG-Verfahren erreichbar.
G4Mo 0,06 bis 0,14 0,50 bis 0,80 1,70 bis 2,10 0,15 Mo: 0,40 bis 0,60
Diese Reaktion befindet sich abhängig von Neben den Massivdrahtelektroden werden
der Temperatur im (dynamischen) Gleichge- in zunehmendem Maße Fülldrahtelektro-
wicht. Enthält das metallurgische System den nach DIN EN ISO 17632 (DIN EN 758)
(Schweißgut C CO) z. B. wenig Kohlen- verwendet, die unter CO2 , verschiedenen
stoff, dann verläuft die Reaktion nach rechts, Mischgasen oder schutzgaslos verschweißt
d. h., durch »Zerfall« weiterer CO-Moleküle werden, Tabelle 4-18. Sie bestehen aus einem
wird das Schweißgut aufgekohlt. Dieser me- verschiedenartig geformten Stahlmantel
tallurgische Prozess ist vor allem bei den hoch- (Röhrchendraht oder gefalzter Draht) und
legierten Cr-Ni-Stählen von Bedeutung. Ihre aus (sieben) Füllsystemen, die den Umhül-
Korrosionsbeständigkeit nimmt sehr stark lungsbestandteilen (bzw. der metallurgischen
mit dem Kohlenstoffgehalt im Schweißgut Wirkungsweise) der umhüllten Stabelektro-
ab. Schon geringste Mengen CO2 im Schutz- den bzw. den UP-Schweißpulvern entspre-
gas führen zu einem erheblichen Anstieg des chen. Sie werden nicht mehr – wie in der frü-
Kohlenstoffgehaltes im Schweißgut. Aus die- heren DIN 8559, in der auch nur zwei Typen
sem Grund ist das MAG-Schweißen dieser (SG R1 und SG B1) genormt wurden – ge-
Werkstoffe mit CO2 oder Schutzgasen mit meinsam mit den Massivdrahtelektroden ge-
CO2-Anteilen, zumindest bei hoher Korrosions- normt.
beanspruchung, nicht zu empfehlen.
Kenn- Eigenschaften (S) Einlagen-, Schutz- Eigenschaften und Anwendung der Fülldrahtelektroden
buchstabe der Füllung (M) Mehrlagen- gas
Schweißung
Vorzugsweise in Wannen- und Horizontal-Vertikalposition mit CO2 angewendet, weil sie einen
grobtropfigen Werkstoffübergang besitzt. Sie ergibt eine basische Schlacke (Fluoride und Oxide der
B Basische Schlacke S und M
Erdalkalimetalle) erzeugt ein Schweißgut mit bester Kerbschlagarbeit und niedrigstem Gehalt an
diffusiblen Wasserstoff.
erforderlich
Sehr feintropfiger Werkstoffübergang und sehr dünne Schlackenschicht. Die Füllung besteht im
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Selbstschützend, mit einem grob- bis feintropfigen Werkstoffübergang. Rutiles oder fluorid-basi-
sches Schlackensystem ergibt Bereich von langsamer (bevorzugt für Einlagenschweißung von ver-
Rutil- oder
V S zinkten, aluminierten oder anders beschichteten Blechen in allen Positionen) bis schneller Schla-
Fluoridbasis
ckenerstarrung (bevorzugt für automatisches Schweißen mit hoher Schweißgeschwindigkeit, vor
allem in Wannen- und Horizontal-Vertikalposition).
nicht erforderlich
Fluoridbasis, langsam licht hohe Abschmelzleistungen. Aufgrund des sehr niedrigen Schwefelgehalts ergibt sich ein sehr
W S und M
erstarrende Schlacke risssicheres Schweißgut. Geeignet für Ein- und Mehrlagenschweißungen in Wannen- und Horizon-
tal-Vertikalposition.
Z Andere Typen Alle Fülldrahtelektroden, die durch die vorstehende Beschreibungen nicht erfasst werden.
Abschn. 4.2: Zusatzwerkstoffe und Hilfsstoffe zum Schweißen unlegierter Stähle ... 363
Kurzzeichen Chemische Zusammensetzung in Prozent (m /m) 1), 2), 3) Hinweise zur Anwendung
C Si Mn Mo Ni
S 2Si2 0,07 bis 0,15 0,40 bis 0,60 0,80 bis 1,30 0,15 0,15 Si-zubrennende Drähte sind i. Allg. unerwünscht,
weil Si die (Kerbschlag-)Zähigkeit herabsetzt. Für
S 3Si 0,07 bis 0,15 0,15 bis 0,40 > 1,30 bis 1,85 0,15 0,15 verrostete Werkstücke sind Drahtelektroden mit
höherem Si-Gehalt aber häufig zweckmäßig.
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
S 4Si 0,07 bis 0,15 0,15 bis 0,40 > 1,85 bis 2,25 0,15 0,15
S 1Mo 0,05 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,35 bis 0,60 0,45 bis 0,65 0,15
Vor allem zum Schweißen der warmfesten Stähle
S 2Mo 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,80 bis 1,30 0,45 bis 0,65 0,15 (Mo erhöht entscheidend die Warmfestigkeit). Nied-
rig siliciumhaltige (hoch)basische Pulver haben sich
S 3Mo 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 > 1,30 bis 1,75 0,45 bis 0,65 0,15 besonders bewährt. Wegen der Gefahr der Vermi-
schung sind I-Nähte unzweckmäßig.
S 4Mo 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 > 1,75 bis 2,25 0,45 bis 0,65 0,15
S 2Ni1 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,80 bis 1,30 0,15 0,80 bis 1,20 Vor allem zum Schweißen der warmfesten und der
S 2Ni2 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,80 bis 1,30 0,15 > 1,80 bis 2,40 kaltzähen Stähle (Nickel verbessert entscheidend
die Kaltzähigkeit) vorgesehen. Die große Aufmi-
S 2Ni3 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,80 bis 1,30 0,15 > 2,80 bis 3,70 schung kann bei vielen Stählen metallurgische
Probleme hervorrufen: Falls Si und Ni in größerer
S 2Ni1Mo 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 0,80 bis 1,30 0,45 bis 0,65 0,80 bis 1,20 Menge in das Schweißbad gelangt, dann wird das
S 3Ni1Mo 0,07 bis 0,15 0,05 bis 0,25 > 1,30 bis 1,80 0,45 bis 0,65 0,80 bis 1,20 Schweißgut sehr heißrissanfällig.
1)
Chemische Zusammensetzung des Fertigproduktes, Kupfer einschließlich Kupferüberzug ≤ 0,30 %; Al ≤ 0,30 %.
2)
Einzelwerte in der Tabelle sind Höchstwerte.
3)
Der Phosphor- und der Schwefelgehalt beträgt allen Massivdrahtelektroden max. 0,025 %, der Chromgehalt max. 0,20 %.
Tabelle 4-20
Typische chemische Zusammensetzung und Bestandteile, die wichtigsten Eigenschaften und Anwendungsbereiche sowie Kennzeichen
für den Schweißpulvertyp, nach DIN EN 760.
Für ein Pulver der Klasse 1 kann das Für unlegierte und niedriglegierte Stähle (allg. Bau-
metallurgische Verhalten durch Kenn- stähle, hochfeste und warmfeste Stähle). Pulver enthal-
ziffern nach Tabelle 4-21 ausgedrückt ten i. Allg. außer Mangan und Silicium keine Legie-
werden. Zum Ermitteln des Zu- und Ab- rungselemente. Sie eignen sich für Verbindungs- und Auf-
1
brandverhaltens wird nach DIN EN 756 tragschweißen. Meist auch für Mehrlagen- sowie Ein-
eine Drahtelektrode S2 verwendet. Zu- lagen- und (oder) zum Lage-/Gegenlagenschweißen an-
und Abbrand wird in der Reihenfolge Si- wendbar.
licium Mangan angegeben
Der Zubrand von Legierungselemen- Für Verbindungs- und Auftragschweißen von nicht-
ten, außer Silicium und Mangan, wird rostenden und hitzebeständigen Chrom- und Chrom-
2
mittels des entsprechenden chemischen Nickel-Stählen und (oder) Nickel und Nickellegierun-
Symbols angegeben (z. B. Cr). gen.
Der Zubrand wird durch die entspre- Schweißpulver, bevorzugt zum Auftragschweißen, die
chenden chemischen Symbole angege- durch Zubrand von Legierungselementen − Kohlenstoff,
3
ben (z. B. Cr). Chrom oder Molybdän − dem Pulver ein verschleißfestes
Schweißgut ergeben.
368 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-23
Vollständige Bezeichnung eines UP-Schweißpulvers, nach DIN EN 760.
Pulver EN 760 — A FB 1 65 DC H5
Herstellungsart:
A = Agglomeriert
sich daher bevorzugt zum Schweißen der le- bestimmbar sein. Dies geschieht in der Re-
gierten Stähle. Im Gegensatz zu den Schmelz- gel mit dem Basizitätsgrad, der meistens mit
pulvern ist aber die starke Neigung der porö- der Formel von Tuliani, Boniszewski und Ea-
sen Teilchen(oberflächen) zur Feuchtigkeits- ton berechnet wird, in die die Bestandteile
aufnahme ihr größter Nachteil. Ein Trock- in Massenprozent eingesetzt werden, Gl. [4-
nen ist daher immer erforderlich. Auch die 12a]:
geringe Abriebfestigkeit der Pulverteilchen
CaO + MgO + BaO + Na 2O + K 2O
(großer Staubanteil!) kann Anlass zu Schwie- B= +
rigkeiten geben. SiO2 + 0,5 ⋅ (Al2O3 + TiO2 + ZrO2 )
Li2O + CaF2 + 0,5 ⋅ (MnO + FeO)
Zum Herstellen der hochwertigen agglome- .
rierten Pulver werden ausschließlich Substan- SiO2 + 0,5 ⋅ (Al2O3 + TiO2 + ZrO2 )
zen eingesetzt, die hochgeglüht oder sogar Die Summe der basisch wirkenden Bestand-
geschmolzen sind, d. h. keine Wasser(stoff)- teile wird durch die Summe der sauer wir-
quellen darstellen. Lediglich das als Binde- kenden dividiert. Danach ergibt sich eine auf
mittel erforderliche Wasserglas enthält che- der chemischen Wirksamkeit beruhende Ein-
misch gebundenes Kristallwasser. Durch das teilung der Schweißpulver:
in jedem Fall notwendige Trocknen bei 300 C
bis 500 C, Tabelle 4-35, ergeben sich typi- B ! 1 basische (! 0 nach Mori),
sche Wassergehalte im Pulver von ca. 0,02 %, B O 1 neutrale (O 0 nach Mori),
die zu Wasserstoffgehalten von 3 ppm bis B 1 saure Schweißpulver ( 0 nach Mori).
4 ppm im Schweißgut führen.
Bei dem von Mori entwickelten Basizitäts-
Metallurgisches Verhalten der index BI werden die Komponenten als Molen-
Schweißpulver bruch angegeben, Gl. [4-12b]:
Die Kenntnis des metallurgischen Verhal-
tens des Pulvers, d. h., sein Zu- und Ab- BI = 6,05 ⋅ CaO + 4,8 ⋅ MnO + 4,0 ⋅ MgO +
brandverhalten ist für die zuverlässige Ab- 3,4 ⋅ FeO − 6,31 ⋅ SiO2 − 4,97 ⋅ TiO2 −
schätzung der mechanischen Gütewerte der 0,2 ⋅ Al2O3 .
Schweißverbindung und seines Schweißver-
haltens unerlässlich.
Nach Mori, Gl. [4-12b], ergibt sich ein BI von: ver besitzen ähnlich wie sauer-umhüllte Stab-
BI = 6,5◊ n(CaO) + 4,8◊ n(MnO) - 6,31◊n(SiO2 ) = 3,11; elektroden eine hohe Schmelzenviskosität,
das Pulver ist demnach hochbasisch.
d. h., sie erzeugen glatte, kerbenfreie Nähte,
Nach Boniszewski, Gl. [4-12a], ergibt sich B zu:
ergeben hohe Abschmelzleistungen und er-
B = 45/15 = 3,0; d. h., das Pulver ist hochbasisch.
möglichen große Schweißgeschwindigkeiten.
Die mechanischen Gütewerte der mit ihnen
Wegen der hohen Schmelzbadtemperaturen hergestellten Schweißgüter, vor allem die Zä-
laufen aber statt der vorauszusetzenden che- higkeit, sind in jedem Fall schlechter als die
mischen Reaktionen überwiegend Ionenreak- mit basischen Pulvern hergestellten. Die Vis-
tionen ab. Die oben angegebene (theoretische) kosität der Schlacken beeinflusst aber auch
Einteilung ist daher etwa gemäß Bild 4-54 die für das Entgasen der Schmelze und die
zu korrigieren. Diese Pulvereinteilung und Legierungsarbeit notwendigen Massentrans-
die grundlegenden Eigenschaften sind ver- porte innerhalb der Schmelze. Mit zunehmen-
gleichbar mit den für die Stabelektroden be- der Schlackenviskosität (dickflüssiger!) wird
kannten Bezeichnungen. der Einbrand zwar tiefer, aber die Fähigkeit
des flüssigen Schweißguts zum Entgasen
Mit dem Basizitätsgrad lässt sich allerdings nimmt zunehmend ab.
sehr viel genauer das Sauerstoffpotenzial,
Bild 4-54, als das chemische Verhalten des
50
Pulvers beschreiben. Saure Komponenten (z.
J
B. SiO2, TiO2) sind nicht nur weniger stabil,
Schlagenergie (Izod - Probe)
40
sie spalten im Lichtbogen auch wesentlich
mehr Sauerstoff ab als basische (z. B. MgO,
30
MnO). Als Folge entstehen aus den Desoxi-
dations- und Legierungselementen Oxide,
20 Izod - Probe
die teilweise als Oxideinschlüsse im Schweiß- 7,6 x 7,6 mm
gut eingelagert sind. Ihre Menge, Art und
10
Verteilung sind stark abhängig vom Sauer-
stoffpotenzial des verwendeten Pulvers, d. 0
h. von dessen Basizitätsgrad. 30 40 50 60 70 % 80
Anteil nadelförmiger Ferrit im Schweißgut
Die Reinheit des Schweißguts hinsichtlich
der nichtmetallischen Einschlüsse wird i. Bild 4-55
Allg. mit zunehmendem Basizitätsgrad B grö- Einfluss des Gehalts an nadelförmigem Ferrit im
UP-Schweißgut einer Verbindung aus einem vergü-
ßer. Nach Gl. [4-12a] als sauer bewertete Pul-
teten Feinkornbaustahl (Mn-Mo-Nb-Typ, Q = 30 kJ/cm)
auf die Schlagenergie (gemessen mit nicht genormten
1000 Izod-Proben, Querschnitt 7,6 mm x 7,6 mm, Prüftem-
ppm peratur - 40 C), nach Fleck u. a.
800
Sauerstoffgehalt
die Bildung des unerwünschten Widmann- Die Wirkung des für die Schweißguteigen-
stättenschen Gefüges. schaften wichtigen Sauerstoffs lässt sich da-
mit zusammenfassend beurteilen:
Mit der Menge an nadelförmigem Ferrit – Brennt Legierungselemente ab,
steigt die Zähigkeit des Schweißguts erheb- – erzeugt (oxidische) Einschlüsse,
lich an, wie Bild 4-55 beispielhaft zeigt (s. a. – begünstigt die Porenbildung,
Abschn. 4.1.3.2). Die Größe der silicatischen – reduziert die Härtbarkeit.
Einschlüsse liegt überwiegend im Bereich
von einigen zehnteln Pm. Die Teilchen sind Die mechanischen Gütewerte der Mehrlagen-
damit in der Lage, das Wachsen der Auste- schweißungen sind weitestgehend von der
nitkörner während der Aufheizphase und Draht-Pulver-Kombination abhängig, da der
damit die Grobkornbildung wirksam zu be- Einfluss des aufgeschmolzenen Grundwerk-
hindern, wie Bild 4-56 zeigt. Mit steigendem stoffanteils mit zunehmender Lagenzahl ver-
Sauerstoffgehalt nimmt die Teilchenmenge nachlässigbar wird. Bild 4-57 zeigt beispiel-
zu, also auch die Anzahl der Orte für eine haft den Einfluss der Lagenzahl auf den Man-
bevorzugte Ferritbildung. gangehalt im Schweißgut. Die Legierungs-
vorgänge nähern sich bereits nach der vier-
110
ten Lage dem metallurgischen Gleichgewicht,
m m d. h., Zu- und Abbrandvorgänge finden nicht
mehr statt. Jede Draht-Pulver-Kombination
Austenitkorngröße
100
ergibt abhängig von den gewählten Einstell-
werten ein charakteristisches (dynamisches)
Gleichgewichtsniveau der Legierungselemen-
90 te, das nach unterschiedlicher Lagenzahl er-
reicht wird.
80
Das metallurgische Verhalten der Schweiß-
pulver wird durch Auftragschweißversuche
70 nach DIN EN ISO 6847 (ISO 6847) festge-
stellt. Die zu untersuchenden Pulver werden
0,010 0,020 0,030 0,040 % 0,050
aber nur mit der Drahtelektrode S2 kombi-
Sauerstoffgehalt im Schweißgut niert. Aussagen über das Zu- und Abbrand-
Bild 4-56 verhalten mit anderen Drahtelektroden sind
Einfluss des Sauerstoffgehalts auf die Austenitkorngrö- nicht oder nur unzuverlässig möglich.
ße des Schweißguts (s. Bild 4-55), nach Fleck u. a.
Das Legierungsverhalten einer beliebigen
Nach Bild 4-54 hängt der Sauerstoffgehalt Draht-Pulver-Kombination wird daher meis-
im Schweißgut bei sauren und neutralen Pul- 1,5
vern (B 1,5… 1,7) sehr stark vom Basizitäts-
%
grad B des Schweißpulvers ab. Damit ergibt
Mn-Gehalt im Schweißgut
0,6
rungsgemäß brennen basische Pulver sehr
wenig, saure relativ viel Silicium zu.
0,4 ➊
0,2
Die Ergebnisse der Darstellung nach DVS-
➌ Merkblatt 0907-1 gelten streng nur für die
0
% S4 P1
festgelegten Schweißparameter 41). Der gro-
S1 S2 S3
Mn Dr ße Einfluss geänderter Einstellwerte kann
0,2 also nicht erfasst werden. Bild 4-59a zeigt
Abbrand D Mn
1
Der Einfluss der Schweißspannung auf das lB = k1 ◊ U + k2 ◊ . [4-13]
Zu- und Abbrandverhalten ist für mangan- I
zubrennende Schweißpulver in Bild 4-59c, Die Stromstärke beeinflusst darüber hinaus
für manganabbrennende in Bild 4-59d dar- durch Ändern der Schmelzenviskosität, d.
gestellt. Mit zunehmender Spannung wird h. der Tropfengröße und der Aufenthaltsdau-
die Lichtbogenlänge, d. h. die Reaktionszeit er der Tropfen im Lichtbogenraum die me-
( Verweildauer im Lichtbogenraum) länger. tallurgischen Reaktionen in einem allerdings
Der Zubrand (Abbrand) wird demgemäß grö- nicht quantifizierbaren Umfang. Eine Verrin-
ßer. gerung der Tropfengröße beschleunigt die
metallurgischen Reaktionen, eine geringere
Die in Bild 4-59 dargestellten Ergebnisse be- Aufenthaltsdauer im Lichtbogenraum ver-
legen, dass das metallurgische Verhalten des langsamt sie.
Schweißpulvers nicht so sehr von der den
Tropfen umgebenden Schlackenmenge, son- 400 A/36 V Reaktionsfähigkeit
dern in erster Linie von der Reaktionszeit ➊ maximal: Imin, Umax
➊
+ D Mn
und damit vor allem von der Lichtbogenlänge ➋ minimal: Imin, Umax
a) 580 A/29 V
450 A U = 29 V = konst.
580 A v = 55 cm/min = konst.
+ D Mn
+ D Mn
400 A/36 V
800 A
Mn Dr Mn Dr
0 0
+ D Si
1 2 3 1 2 3
580 A/29 V
- D Mn
- D Mn
+ D Mn
b) Si-Zubrand.
25 V Mn Dr
0
MnDr
0
Zum Bestimmen der Zu- und Abbrandgren-
1 2 3 1 2 3 zen eines Schweißpulvers werden achtlagige
- D Mn
25 V
gestellt, die extreme Reaktionsbedingungen
29 V
I = 580 A = konst. ergeben und in der schon bekannten Weise
v = 55 cm/min = konst. 36 V
ausgewertet. Die gewählten Grenzwerte der
c) d)
Einstellparameter sind in der Praxis aber noch
Bild 4-59 anwendbar. Nach Bild 4-59 entsteht durch
Einfluss der Schweißstromstärke auf den Mangan- Kombinieren von Imax und Umn der minimal
Zu- bzw. Abbrand im UP-Schweißgut bei einem mögliche, durch Kombination von Imin und Umax
a) Mn-zubrennenden (MnO-haltig) Schweißpulver,
der maximal mögliche Reaktionsumfang. In
b) Mn-abbrennenden (MnO-frei) und der Schweiß-
spannung bei einem Bild 4-60 sind beispielhaft die Grenzkurven
c) Mn-zubrennenden, für den Mangan- und Silicium-Abbrand eines
d) Mn-abbrennenden Schweißpulver. Pulvers dargestellt.
374 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-24
Kennzeichen für Streckgrenze, Festigkeit und Dehnung des reinen Schweißguts, hergestellt mit umhüllten
Stabelektroden, mit Mindeststreckgrenzen über 500 N/mm2, nach DIN EN 757 (5/97).
N/mm2 N/mm2 %
größe der Wärmeeinflusszone unzuläs- zen, nahezu laminar und sehr gleichmä-
sig zunähmen, die mechanischen Eigen- ßig strömenden Lichtbogen des WIG-Ver-
schaften vermindert würden und (oder) fahrens!).
unerwünschte werkstoffliche Änderungen – Das Schweißverfahren, die Einstellwer-
(z. B. Ausscheidungen, Phasenänderungen te und die Nahtform bestimmen weitge-
aller Art) einträten. hend die Größe der Aufmischung. Stark
– Der Grad der schützenden Wirkung der aufschmelzende Verfahren sind meistens
im Lichtbogen entwickelten/vorhandenen unerwünscht, weil sie oft metallurgische
Schutzgase ist vom Schweißverfahren ab- Komplikationen erzeugen, die mit geeig-
hängig. Je stabiler und kürzer der Licht- neten Prüfmethoden kontrolliert werden
bogen, und je weniger bewegt der Plasma- müssen (teuer!). Das Schweißgut kann z.
strom ist, umso geringer ist im Allgemei- B. Verunreinigungen aus dem Grundwerk-
nen die Gasaufnahme aus der Atmosphäre stoff (P, S) aufnehmen, wodurch vor al-
(vgl. den »turbulenten« Lichtbogen beim lem UP-Schweißgüter extrem heißriss-
Handschweißen mit dem stabilen, kur- anfällig werden, Abschn. 4.2.3.3.
Tabelle 4-25
Kurzzeichen für die chemische Zusammensetzung des Schweißguts mit Mindeststreckgrenzen über
500 N/mm2, nach DIN EN 757 (5/97). Einzelwerte in der Tabelle sind Höchstwerte.
Mn Ni Cr Mo
Mn2NiCrMo 1,4 bis 2,0 1,8 bis 2,6 0,3 bis 0,6 0,3 bis 0,6
Mn2Ni1CrMo 1,4 bis 2,0 1,8 bis 2,6 0,6 bis 1,0 0,3 bis 0,6
376
Hinweise zur Wahl einiger Lichtbogenschweißverfahren.
Sehr anpassungsfähig, in allen Po- In allen Positionen anwendbar. In allen Positionen anwendbar, für Bau- Nur in w- und h-Position an-
sitionen verarbeitbar. Leichte Naht- Werkstoffübergang und damit stellenbetrieb kaum geeignet. Angewen- wendbar, fast immer mechani-
zugänglichkeit und Verfügbarkeit, physikalische Eigenschaften det für Blechdicken von 0,1 mm (Mi- siert und oft mit aufwändigen,
einfaches, robustes, preiswertes Ver- des Lichtbogens und mechani- kroplasma) mm bis etwa 10 mm (Wur- meist teuren Vorrichtungen be-
fahren, hervorragend für nicht wie- sche des Schweißguts durch zelschweißung, vor allem an Rohren). trieben. Ab etwa 3 mm bis zu
derkehrende Arbeiten und Repara- Sprühlicht-, Kurzlicht- und Im- WIG-Schweißen für komplizierte Schwei- größten Dicken einsetzbar. Sehr
turen einsetzbar, nicht mechanisier- pulslichtbogen sowie vielfäl- ßungen (z. B. Wurzel, Zwangslage, hohe Schweißgeschwindigkeit mög-
Anwendbarkeit
bar. tigst wirksamer Schutzgase in schlechte Passung) besonders gut geeig- lich.
weiten Grenzen änderbar. Für net, weil »Wärme« und Zusatz mit zwei
Blechdicken von 0,5 mm bis ca. Händen getrennt einstellbar. Wie das
30 mm anwendbar. Unter Bau- MIG-Verfahren hervorragend für Leicht-
stellenbedingungen unzweckmä- metalle anwendbar (Beseitigen des Oxid-
ßig: Schutzgas verweht. Ein- films durch »Reinigungswirkung«).
fach mechanisierbar.
Gut, aber stark von Handfertigkeit Gut, aber meist auf Handha- Extrem hohe Qualität erreichbar, wenn Hohe Qualität möglich, aber sehr
des Schweißers abhängig. Rauche, bungsfehler beruhende Porosi- Nahtbereich metallisch blank ist, da von fachgerecht gewählter Draht-
Dämpfe, Verbrennungsgase im Licht- tät und Bindefehler können Lichtbogen »reine« Wärme darstellt, oh- Pulver-Kombination und Ein-
bogenraum und stark bewegter Gas- Probleme verursachen. Anfälli- ne Gütewerte beeinträchtigende Gase stellwerten abhängig. Sehr hoher
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Erreichbare schutz begrenzen erreichbare Quali- ger gegenüber Rost und Ober- und Reaktionsprodukten. Kleine Naht- Aufschmelzgrad möglich (Stumpf-
tät. Bindefehler, Poren, Einschlüsse flächenbelägen als Verfahren, querschnitte erzeugen feineres Korn in nähte ohne Vorbereitung). Weni-
Qualität sind typische Fehlerarten. In Mehr- die mit Pulver/Umhüllung ar- und geringere Breite der WEZ. ger empfindlich für Rost und Blech-
lagentechnik (Umkörnen der unte- beiten. In Schmelze aufgenom- ablagerungen (basische Pulver).
ren Lagen bei Stahlwerkstoffen!) mene O- und N-Mengen kön- Nur sehr geringe Mengen an N
und basischen Elektroden sehr hohe nen sehr gering sein. werden aufgenommen, aber O
Zähigkeit erreichbar. aus Pulver.
Preiswertes Verfahren (> 2500 € bis Teureres Verfahren (> 3000 € Sehr teures Verfahren (> 50000 €). We- Abschmelzleistung kann sehr hoch
5000), hoher Ausbildungsstand des bis 15000 bei Impulsanlagen), gen geringer Abschmelzleistung (3 bis 4 sein (> 25 kg/h). Verfahren und
Schweißers erforderlich. Abschmelz- Abschmelzleistung > 20 kg/h, kg/h) überwiegend für hochwertigste fast immer erforderliche Vorrich-
Wirtschaftlichkeit leistung bis 6 kg/h, geringe Schweiß- hohe Schweißgeschwindigkeit Schweißarbeiten angewendet. tung teuer (> 30000 €). Meistens
geschwindigkeit, für Blechdicken über (bis 2 m/min unter CO2). teure Nahtvorbereitung erforder-
20 bis 30 mm i. Allg. unwirtschaftlich. lich, weil große Menge (dünn-)
flüssiger Schmelze vorhanden.
Geringes Wärmeeinbringen (Zünd-, Geringes bis sehr großes Wär- Relativ geringes Wärmeeinbringen kann Das häufig große Wärmeeinbrin-
Heftstellen) führt zu hoher Abkühl- meeinbringen je nach Verfah- hohe Abkühlgeschwindigkeit erzeugen, gen erzeugt breite WEZ (Grob-
ge-schwindigkeit (Härtesteigerung in rens-Variante einstellbar. Sehr extrem geringer H-Gehalt im Schweiß- korn), geringe Abkühlgeschwindig-
Wirkung auf den WEZ bei Stahlwerkstoffen, mehrach- geringer H-Gehalt im Schweiß- gut möglich. keit (leichtes Ausgasen), große
Grundwerkstoff sige Eigenspannungen). Umhüllung gut möglich. Aufmischung, d. h. evtl. metallur-
stellt »Speicher« für Wasserstoff dar, gische Probleme.
daherB-Stabelektroden trocknen.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Unlegierte/niedriglegierte C-Mn-Stähle) 377
– Vor allem bei den höhergekohlten Stäh- – Heißrisse entstehen meistens durch
len (C 0,2 %) muss das Schweißgut mög- Schwefel und Phosphor bevorzugt in
lichst wenig Wasserstoff enthalten. Hier- großvolumigen Schweißgütern (UP)
für sind geeignete Technologien (Vorwär- und bei großen Schweißgeschwindig-
men), Schweißverfahren bzw. Zusatzwerk- keiten, die tropfenförmige Schweißgü-
stoffe zu wählen. ter erzeugen, Abschn. 4.1.1.1.
– Terrassenbrüche entstehen überwie-
In der Tabelle 4-26 sind für einige wichtige gend in Schweißverbindungen aus
Schweißverfahren Hinweise für eine fachge- Feinkornbaustählen (Abschn. 4.3.2).
rechte Auswahl (technische und wirtschaft- Die besonders beruhigten Stähle mit
liche Gesichtspunkte) zusammengestellt. ihrer ausgeprägten Walzzeiligkeit nei-
gen aber bei größeren Wanddicken eben-
Die Schweißeignung wird von vielen Fakto- falls zu dieser Versagensform.
ren bestimmt (Abschn. 3.2, S. 239):
❐ Der Werkstückdicke. Mit zunehmender
❐ Dem Kohlenstoffgehalt des Werkstoffs. Dicke ändern sich einige für die Bauteil-
Er beträgt bei den meisten der genann- sicherheit wichtige Eigenschaften:
ten Werkstoffe
0,2 % (Abschn. 4.1.3), d. – Der Mehrachsigkeitsgrad und die Hö-
h., gravierende Probleme beim Schwei- he der Schweißeigenspannungen wer-
ßen sind in keinem Fall zu erwarten: den größer, und damit wächst die Ge-
– Die Kaltrissneigung ist als gering ein- fahr der Kaltrissneigung und Span-
zustufen, obwohl sie nicht völlig auszu- nungsversprödung.
schließen ist, s. Aufgabe 2-8, S. 230. – Die Abkühlgeschwindigkeit nimmt zu,
– Die mechanischen Eigenschaften des wodurch ungünstige Gefüge (härter
hocherhitzten Teils der Wärmeeinfluss- und spröder) vor allem in der WEZ,
zone sind selbst bei sorgloser Ferti- aber auch im Schweißgut entstehen.
gung meistens ausreichend. – Die mechanischen Gütewerte werden
bei diesen konventionellen Stählen im
❐ Dem Gehalt der Verunreinigungen. Die Gegensatz z. B. zu den Feinkornbau-
wichtigsten Elemente sind Phosphor, stählen (Abschn. 4.3.2) schlechter, vor
Schwefel und die atmosphärischen Ga- allem quer zur Walzrichtung. Der ge-
se. Ihre Menge, Art und Verteilung sind ringere Durchschmiedungsgrad und
entscheidend für die Zähigkeit, die Nei- Verunreinigungen aller Art bewirken
gung zu verschiedenen Defekten (Poren, oft eine unzureichende Gleichmäßig-
Heiß- und Kaltrisse) und damit für die keit des Gefüges (Zähigkeitsanisotro-
Sicherheit des geschweißten Bauteils: pie) und eine ungünstigere Verteilung
– Die Zähigkeit der Stähle lässt sich pra- der Einschlüsse.
xisnah und relativ zuverlässig mit der
Übergangstemperatur der Kerbschlag- Von größter Bedeutung für die mechanischen
arbeit Tü,40, also z. B. mit dem Konzept Eigenschaften, vor allem für die Zähigkeit,
der Gütegruppen beschreiben (s. Bau- ist Art und Menge der im Stahl vorhande-
stähle nach DIN EN 10025-2, Abschn. nen Verunreinigungen. Aus Gründen der bes-
4.3.1.1). seren Übersicht sollen sie in lösliche (in der
– Poren (Abschn. 3.5.1.1) entstehen im Matrix statistisch verteilt oder als oberflächen-
Schweißgut vor allem durch Gase (CO, aktive in Korngrenzenbereichen segregiert:
N, H), die beim Schweißprozess gebil- z. B. B, P, Sn, Pb) und nichtlösliche (Ausschei-
det oder aufgenommen wurden (Atmo- dungen, Einschlüsse, z. B. Sulfide, Carbide,
sphäre, Rost, Beschichtungen, Fette, Oxide) unterteilt werden. Außer ihrer zähig-
Öle, organische Substanzen). Unberu- keitsvermindernden Wirkung können sie bei
higte Stähle enthalten nur eine gerin- einer unzureichenden thermischen Stabili-
ge Desoidationsmittelmenge, sie sind tät Anlass zur Porenbildung und zur Ent-
daher besonders empfindlich. stehung der Wiederaufschmelzrisse (liquati-
378 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
a) b) c)
Bild 4-61
Mikroaufnahmen der Gefüge verschiedener Baustähle nach DIN EN 10025-2 (DIN 17100), 2 % HNO3.
a) S235JR (St 37), V = 500:1, b) S355J2 + N (St 52-3), V = 800:1, c) E335 (St 60), V = 500 :1.
Tabelle 4-27
380
Schweißeignung der unlegierten Baustähle nach DIN EN 10025-2. Die Angaben gelten jeweils für die gleiche Erzeugnisdicke. Die Wertigkeit der Kreuze ist
für die einzelnen Faktoren unterschiedlich. Versuch einer Einordnung gemäß DIN 8528-1. Einzelheiten zur chemischen Zusammensetzung und mechanische
Eigenschaften s. Tabelle 2-4.
– S235JRG2 Fe 360 BFN RSt 37-2 (FN) (xx) (x) (−) (−)
– S235JRG1 Fe 360 BFU USt 37-2 (FU) (xx) (x) (−) (x)
S235JR S235JR Fe 360 B St 37-2 FN x x − −
S275JR S275JR Fe 430 B St 44-2 FN xx x x −
1)
FN: unberuhigter Stahl nicht zulässig, FF: vollberuhigter Stahl.
2)
Sollen die Erzeugnisse im normalgeglühten/normalisierend gewalzten Zustand geliefert werden, dann ist an die Stahlbezeichnung +N anzufügen. Dadurch wurden
die Kennzeichen für den Lieferzustand (G3, G4) überflüssig. Da auch unberuhigte Stähle in der Norm nicht mehr enthalten sind, wurden auch die Kurzzeichen für
die Desoxidationsart (G1, G2) überflüssig.
3)
−: bedeutet, diese Eigenschaft ist bei den Stählen nicht zu beachten,
x: Mit zunehmender Anzahl der Kreuze wird der Einfluss des betreffenden metallurgischen Einflusses auf die Schweißeignung größer.
4)
Nur in Nenndicken ≤ 25 mm lieferbar.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Baustähle) 381
tegruppen (S185, E295, E335 und E360) wer- Fülldrähte bei einer Vorwärmtemperatur
den keine Angaben zur Schweißeignung ge- von Tp 300 C hergestellt wurde. Das Gefü-
macht und keine Kerbschlagarbeiten gewähr- ge der Wärmeeinflusszone ist bainitisch-per-
leistet. litisch (feinststreifig) mit Anteilen von Mar-
tensit und geringen Mengen voreutektoiden
Die Kennzeichen für die Desoxidationsart ( allotriomorphen) Korngrenzen- und Seiten-
(G1, G2) sind seit dem Erscheinen der neue- plattenferrits. Das Schweißgut besteht im
ren DIN EN 10025 (4/2005) überflüssig, Ta- Bildausschnitt überwiegend aus nadelförmi-
belle 2-4, weil unberuhigte Stähle nicht mehr gem Ferrit und größeren Ferritblöcken. Die
enthalten sind. Der Lieferzustand der Erzeug-
nisse bleibt, wenn nicht anders vereinbart,
dem Hersteller überlassen. Sollten die Erzeug-
nisse im normalgeglühten/normalisierend
gewalzten Zustand geliefert werden, dann ist
an die Stahlbezeichnung N anzufügen. Da-
durch werden die Kennzeichen für den Liefer-
zustand (G3, G4) ebenfalls überflüssig. Be-
stellbar ist auch der Lieferzustand AR ( As
Rolled »wie gewalzt« d. h. der Stahl wird
ohne jegliche besondere Walz- und/oder Wär-
mebehandlungsbedingungen hergestellt).
Eigenspannungszustand
Bild 4-63
Beispiele zum Beurteilen des Eigenspannungszustandes einiger geschweißter Elemente, nach DASt-Richtlinie
009 und Anpassungsrichtlinie zur DIN 18800-1/A1.
II
III JR JO J2 K2
IV
Bild 4-64
Wahl der Gütegruppen für Stähle nach DIN EN 10025-2.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Feinkornbaustähle) 385
Die Wärmezufuhr beim Schweißen ist daher 4.3.2.2 Einfluss der Abkühlbedingungen
zu kontrollieren, genauer zu begrenzen, um auf die mechanischen Gütewerte
die Menge an gelösten Teilchen gering zu der Verbindung
halten. Die hierfür erforderliche Temperatur- Das Umwandlungsverhalten des abkühlen-
führung lässt sich am einfachsten mit dem den Austenits im Temperaturbereich zwi-
Lichtbogenhand-, dem Schutzgas- und dem schen 800 C bis 500 C beeinflusst die Stahl-
Unterpulverschweißen realisieren. eigenschaften am stärksten. Während die-
ser Abkühlzeit t8/5 finden praktisch alle für
Selbst mit einer geeigneten Temperaturfüh- die Eigenschaften des Stahles entscheiden-
rung kann nicht vermieden werden, dass ein den Umwandlungsvorgänge des Austenits
Teil der Ausscheidungen in der WEZ gelöst statt. Sie können daher weitgehend mit der
und beim Abkühlen z. T. in einer nachteili- Abkühlzeit t8/5 beschrieben und beurteilt wer-
gen Form (z. B. spießig, nadelförmig, bevor- den, d. h. mit einem Parameter, Bild 4-65.
zugt an den Korngrenzen und hier zusammen-
hängend) wieder ausgeschieden wird, wo- Der Temperatur-Zeit-Verlauf an beliebi-
durch ein erheblicher Zähigkeitsabfall entste- gen Orten der WEZ wird von den Schweißbe-
hen kann. Der Verlust an Zähigkeit ist bei dingungen (Wärmeeinbringen, Vorwärmtem-
einlagig geschweißten Verbindungen deut- peratur, Werkstückdicke, d. h. der Art der
lich größer als bei mehrlagigen. Die Ursa- Wärmeabfuhr: zwei- bzw. dreidimensionale
chen dürften auf dem »Normalisierungsef- Wärmeableitung, Nahtform, Art des Lagen-
fekt« der folgenden Lagen und dem günstige- aufbaus) bestimmt. Die Höhe der Spitzentem-
ren Ausscheidungszustand in mehrlagig ge- peratur ist abhängig von der Lage des Mess-
schweißten Verbindungen beruhen. punktes innerhalb der WEZ.
Bild 4-66
500
Abhängigkeit der Übergangstemperatur der Kerb-
schlagzähigkeit und der Härte in der wärmebeein-
t 8/5 flussten Zone von der Abkühlzeit t8/5 , schematisch.
( )
Arbeitstemperatur (° C):
440
t8 /5 = 0,67 − 5 ⋅ 10− 4 ⋅ Tp ⋅ Q ⋅ [4-15]
Höchsthärte in der WEZ HV 10
20 100
200 ⎛ 1 1 ⎞
⎜ 500 − T − 800 − T ⎟ ⋅ F3 [s].
400
⎝ p⎠
300
p
100
360
20 20
100 Die Abkühlzeit t8/5 ist im Bereich der dreidi-
300
320 200
Wärmeeinbringen 200 400 mensionalen Wärmeableitung von der Werk-
Q (kJ/cm): 300
280 12 400 stückdicke unabhängig. Bei der zweidimen-
24 sionalen Wärmeableitung ist sie der Größe
36
240 1/ d2 proportional, also stark wanddickenab-
- 120 - 100 - 80 - 60 - 40 - 20 0 20 ° C 40
hängig. Es gilt:
Übergangstemperatur Tü,27
2
Ê Qˆ
Bild 4-67
Einfluss der Höchsthärte in der WEZ von Einlagen-
( )
t8/5 = 0 , 043 - 4 , 3 ◊ 10 - 5 ◊ Tp ◊ Á ˜ ◊
Ë d¯
[4-16]
schweißungen aus dem hochfesten vergüteten Fein-
kornbaustahl P690QL (StE 690), Werkstückdicke ÈÊ 1
2
ˆ Ê 1 ˆ ˘
2
Tabelle 4-30
Einfluss der Nahtformen (F2 , F3 ) auf die nach den Gleichungen [4-15] und [4-16] zu berechnenden t8/5 -Werte.
Nahtfaktor für
Nahtart
zweidimensionale dreidimensionale
Wärmeableitung F2 Wärmeableitung F3
Auftragraupe 1 1
1)
Einlagige Kehlnaht am Eckstoß 0,9 bis 0,67 0,67
1)
Einlagige Kehlnaht am T-Stoß 0,45 bis 0,6 0,67
1) Der Nahtfaktor F2 ist abhängig vom Verhältnis Wärmeeinbringen zu Werkstückdicke. Mit zunehmender Annäherung an die Übergangsdicke
dü wird F2 der einlagigen Kehlnaht am Eckstoß kleiner, bei der einlagigen Kehlnaht am T-Stoß größer.
In Gl. [4-15] und Gl. [4-16] bedeuten: Der Übergang von der drei- zur zweidimen-
sionalen Wärmeableitung erfolgt bei der
t8/5 Abkühlzeit, in s, Übergangsdicke dü , die durch Gleichsetzen
k thermischer Wirkungsgrad des Schweiß- der Beziehungen [4-15] und [4-16] und Auf-
verfahrens, Tabelle 4-29, lösen nach d = dü berechnet oder aus Bild 4-
Q Wärmeeinbringen, Q k ¹ E, in J/cm, 68 entnommen wird.
E Streckenenergie, E U ¹ I/v, in J/cm,
Tp Vorwärmtemperatur, in °C, Damit ergeben sich die Wärmeableitungs-
F2 Nahtfaktor bei zweidimensionaler, bedingungen wie folgt:
F3 Nahtfaktor bei dreidimensionaler Wär-
meableitung, Tabelle 4-30, d > dü , die Wärmeableitung ist dreidi-
d Werkstückdicke in cm. mensional, d. h., es gilt Gl. [4-15].
Arbeitstemperatur Tp (° C):
50 250
d < dü , die Wärmeableitung ist zweidi-
mm
Bereich
200 mensional, d. h., es gilt Gl. [4-16].
40 150
dreidimensionaler 100
Übergangsblechdicke d ü
Wärmeableitung
30
20 Der fachgerechte Ablauf des Schweißprozes-
ses und die Sicherstellung ausreichender me-
20
chanischer Gütewerte wird durch die Größe
des t8/5 -Wertes bestimmt. Er lässt sich be-
15
Bereich
rechnen bzw. grafisch ermitteln:
zweidimensionaler – Der sich aus den Beziehungen Gl. [4-15]
Wärmeableitung
10 und Gl. [4-16] ergebende größere Zahlen-
9
8
wert ist der korrekte, Bild 4-69. Damit
7 ist gleichzeitig die Art der Wärmeablei-
5 10 15 20 kJ/cm 30 40 50
Wärmeeinbringen Q
tung festgestellt.
Erfahrungsgemäß muss dieser Wert bei
Bild 4-68
den normalgeglühten Feinkornbaustäh-
Blechdicke dü für den Übergang von der zweidimen-
sionalen (II) zur dreidimensionalen (III) Wärmeab- len etwa zwischen 10 s und 30 s, bei den
leitung in Abhängigkeit vom Wärmeeinbringen Q und vergüteten Feinkornbaustählen etwa zwi-
der Arbeitstemperatur Tp , nach SEW 088. schen 5 s und 20 s liegen. Anderenfalls
388 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
dü Werkstückdicke d 100
30
20
Bild 4-69
Die Abkühlzeit t8/5 ist immer der größere der nach den
Gleichungen [4-15] bzw. [4-16] berechneten Werte. 20
15
43)
Das Wärmeeinbringen für die Referenz-Auftrag-
schweißraupen gemäß den Bildern 4-68, 4-70, 4-71
wird mit Q oder QRef bezeichnet. Bei beliebigen 10
Nahtanordnungen (F3, F2) muss entsprechend ih- 9
rer unterschiedlichen thermischen Wirksamkeit 8
das gewählte/gesuchte Wärmeeinbringen QRef 7
korrigiert werden, um in den Bildern 4-68, 4-70, 5 10 15 20 kJ/cm 30 40 50
4-71 verwendet werden zu können. Dieser Wert
Wärmeeinbringen Q
wird als Qtherm,äq bezeichnet und ist in den Gl. [4-15],
[4-16] und den genannten grafischen Darstellun- Bild 4-70
gen zu berücksichtigen: Abkühlzeit t8/5 von Auftragschweißungen bei dreidi-
mensionaler Wärmeableitung in Abhängigkeit vom
Qtherm,äq,III = QRef ⋅ F3 und
Wärmeeinbringen Q und der Arbeitstemperatur Tp ,
Qtherm,äq,II = QRef ⋅ F2 . nach SEW 088.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Feinkornbaustähle) 389
30 30
20 20
15 15
Werkstückdicke Übergang zu drei- Werkstückdicke
dimensionaler
d = 10 mm d = 20 mm
Wärmeableitung
10 10
9 9
8 8
7 7
5 10 15 20 kJ/cm 30 40 50 5 10 15 20 kJ/cm 30 40 50
Wärmeeinbringen Q Wärmeeinbringen Q
Bild 4-71
Abkühlzeit t8/5 von Auftragschweißungen bei zweidimensionaler Wärmeableitung in Abhängigkeit vom Wärme-
einbringen Q und der Arbeitstemperatur Tp für Werkstückdicken von 10 mm und 20 mm, nach SEW 088.
390 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Ê dˆ
Tp = 700 ◊ CET + 160 ◊ tanh Á ˜ + sauber ist. Besonders bei UP-geschweißten
Ë 35 ¯ Bauteilen aus Stählen mit Streckgrenzen von
62 ◊ HD0,35 + ( 53 ◊ CET - 32) ◊ Q - 330. mehr als 460 N/mm2 und Werkstückdicken
30 mm ist zum Erhöhen der Kaltrisssicher-
Hierin bedeuten: heit direkt aus der Schweißwärme ein Was-
serstoffarmglühen bei 200 C bis 280 C/
Tp, Ti Mindestvorwärm- oder höchste Zwi- mind. 2 h (auch als »Soaken« bezeichnet) sehr
schenlagentemperatur in C, zu empfehlen (diffusibler Wasserstoff, s. Ab-
CET Kohlenstoffäquivalent in %, Gl. [4-18], schn. 3.3.3.3, S. 258). Die Zwischenlagentem-
d Werkstückdicke in mm, peratur Ti darf während der gesamten Schweiß-
HD Wasserstoffgehalt im Schweißgut nach zeit nicht unter die sog. Haltetemperatur Tm
DIN EN ISO 3690 in cm3/100 g, (Abschn. 4.1.3.3, S. 327) fallen. Sie sollte an-
Q Wärmeeinbringen Q k ¹ E in kJ/mm. dererseits etwa 220 C auch nicht überschrei-
ten.
Beispiel 4-9:
Nach dem Schweißen ist ein Spannungsarm-
Es ist die Vorwärmtemperatur Tp zum Schweißen ei-
nes Feinkornbaustahls zu ermitteln. Gegeben sind:
glühen in folgenden Fällen zweckmäßig bzw.
CET = 0,40 %, ermittelt nach Gl. [4-18], erforderlich:
Werkstückdicke d = 30 mm. – Die Werkstückdicke ist so groß, dass die
Die gewählten Fertigungsbedingungen sind: Gefahr der Spannungsversprödung oder
Zusatzwerkstoff, der ein Schweißgut mit einem der Spannungsrisskorrosion besteht.
Wasserstoffgehalt von HD £ 5 cm3/100 g ergibt, – Die Härte in der WEZ muss wegen der
Q = 1,5 kJ/mm. Gefahr der Kaltrissbildung verringert wer-
Daraus wird nach Gl. [4-19] eine Vorwärmtemperatur den. Diese Behandlung wird üblicherwei-
von Tp (O Ti ) = 150 C berechnet. se als »Anlassglühen« bezeichnet.
– Für bestimmte Konstruktionen ist diese
Behandlung nach den gültigen Regelwer-
Die Gl. [4-19] beschreibt zuverlässig die Er- ken vorgeschrieben.
gebnisse der Kaltrissversuche, wenn die Ei-
genspannungen die Größe der Streckgrenze Die Glühtemperaturen sollten zwischen
des Grundwerkstoffs nicht überschreiten. 530 C und 580 C liegen, die Haltezeit soll
mindestens 30 min, aber bei Mehrfachglü-
Die erforderliche Vorwärmtemperatur lässt hungen nicht mehr als 150 min betragen.
sich mit dem Kohlenstoffäquivalent annä- Das Aufheizen bzw. Abkühlen muss ausrei-
hernd abschätzen, wenn zusätzlich die Bean- chend langsam erfolgen, damit keine rissbe-
spruchung und der Wasserstoffgehalt des günstigenden Temperaturunterschiede, d. h.
Schweißguts bekannt sind. Tabelle 4-35 zeigt Spannungen entstehen. Bei Temperaturen
z. B. die Ergebnisse von Implantversuchen über 300 C betragen die Abkühlgeschwindig-
(s. genauer Abschn. 6.2.1, S. 583) an unter- keiten 50 K/h bis 100 K/h.
schiedlich hoch mit Wasserstoff beladenen
und bis zur Streckgrenze belasteten Proben Die Feinkörnigkeit dieser Stähle beruht auf
aus einem hochfesten vergüteten (Bau-)Stahl Ausscheidungen, die durch das Spannungs-
(P690QL). armglühen in keinem Fall gelöst oder verän-
dert (Korngrenzenausscheidungen!), insbe-
Für die normalgeglühten Feinkornbaustäh- sondere vergröbert werden dürfen. Deshalb
le mit Mindeststreckgrenzen ! 460 N/mm2 – werden die Haltezeiten und vor allem die Tem-
vor allem aber für die wasservergüteten Fein- peraturen begrenzt. Bei verschiedenen Stäh-
kornbaustähle – sind Wasserstoffgehalte im len – es sind vor allem die vanadiumlegierten
Schweißgut von
5 ppm erforderlich. Außer – können die Zähigkeitseigenschaften in der
den entsprechenden Zusatzwerkstoffen (hoch- Wärmeeinflusszone durch Spannungsarm-
getrocknetes Pulver) ist vor allem darauf zu glühen als Folge von Ausscheidungsvorgän-
achten, dass der Nahtbereich trocken und gen erheblich beeinträchtigt werden.
392 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
4.3.2.4 Schweißzusatzwerkstoffe
Die grundlegenden werkstofflichen und fer-
tigungstechnischen Hinweise sind in Abschn.
4.2 zu finden. An dieser Stelle werden nur
die für die höherfesten Feinkornbaustähle
geltenden Besonderheiten der Zusatzwerk-
stoffe genannt.
Stabelektroden
Alle in Abschn. 4.2.3 aufgeführten Zusatz-
werkstoffe sind zum Schweißen der normalge-
glühten mikrolegierten Feinkornbaustähle
und der TM-Stähle mit Mindeststreckgren-
zen bis 500 N/mm2 geeignet. Der im Wurzel-
Bild 4-73
Wasserstoffinduzierter Kaltriss in einer UP-geschweiß- bereich des Schweißguts entstehende größte
ten Verbindung aus dem Stahl 20MnMo5-5. Aufschmelzgrad führt meistens zu einer uner-
V = 50:1, 2 % HNO3 . wünschten Festigkeitssteigerung. Aus die-
sem Grunde werden für die Wurzellagen bei
rissneigung hängt von der Festigkeit der Stäh- Schweißverbindungen aus Feinkornbaustäh-
le, dem Wasserstoffgehalt des Schweißguts, len mit Rp0,2 ! 460 N/mm2 häufig zähe, niedri-
der chemischen Zusammensetzung des Grund- ger legierte Zusatzwerkstoffe (vorwiegend
werkstoffs und des Schweißguts und der Grö- basisch-umhüllte Stabelektroden) gewählt
ße der Schweißeigenspannungen ab. Eine Zu- als für Füll- und Decklagen.
nahme der Legierungsmenge, der Wanddi-
cke, des Wasserstoffgehalts im Schweißgut Bei der Wahl der Zusatzwerkstoffe muss au-
und der (Schweißeigen-)Spannungen erhöht ßerdem der Umfang und die Art der Wär-
die Kaltrissgefahr. Ein größeres Wärmeein- mevor- bzw. nachbehandlungen berücksich-
bringen vermindert sie. tigt werden. In der Regel werden durch ein
Normal- und (oder) Spannungsarmglühen
Bild 4-73 zeigt die Mikroaufnahme eines was- die Festigkeitswerte geringer. Einige Werk-
serstoffinduzierten Kaltrisses in Schmelzgren- stoffe neigen zu zähigkeitsvermindernden
zennähe einer UP-geschweißten Stumpfnaht- Ausscheidungen in den Wärmeeinflusszonen
verbindung (Werkstoff: 20MnMo5-5), s. auch der Schweißverbindung, wenn bestimmte
Bild 4-80. Glühtemperaturen überschritten wurden.
Besonders kritisch verhalten sich in dieser
Besondere Aufmerksamkeit erfordert die Re- Beziehung die vanadiumlegierten FK-Stäh-
paraturschweißung. Nach sorgfältigem Aus- le [z. B. V(C,N)].
schleifen der defekten Bereiche (Einbrand-,
Wurzelkerben, Montagehilfen, Risse, Zünd- Zum Abwenden der gefährlichen Kaltrissbil-
stellen) mit nicht zum Brennen neigenden dung eignen sich besonders gut Zusatzwerk-
Schleifscheiben bei mäßigem Anpressdruck stoffe, die ein zähes, sehr wasserstoffarmes
und anschließender Risskontrolle durch Sicht- Schweißgut ergeben. Diese Forderung erfüllt
oder Farbeindringprüfung ist bei Wanddi- zuverlässig das Lichtbogenhand- und das Un-
cken zwischen 12 mm und 25 mm auf mindes- terpulverschweißen mit basischen Schweiß-
394 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Danach ist ein Wasserstoffgehalt im Schweiß- Für die Praxis bedeutsam ist die Neigung
gut von 15 ml/100 g die oberste Grenze für ba- mancher basisch-umhüllter Stabelektroden
sisch-umhüllte Stabelektroden, der aber für und basischer UP-Pulver, schon in den ers-
diesen Elektrodentyp sehr untypisch wäre. ten Stunden nach ihrer Herstellung relativ
Die gemäß dieser Vorgabe höchste Qualität viel Feuchtigkeit aufzunehmen. Die Entwick-
umhüllter Stabelektroden mit
5 ml Wasser- lung und Produktion ausreichend feuchte-
stoff/100 g Schweißgut lässt sich mit den ba- resistenter Stabelektroden ist für eine wirt-
sisch-umhüllten Elektroden relativ leicht schaftliche und qualitätsbewußte Fertigung
erreichen. Sie spielen daher in Normen- und ein wesentliches Ziel der Zusatzwerkstoff-
Regelwerken eine bevorzugte Rolle. Forschung.
200
+ 20
rissneigung der Stähle ab, d. h. von ihrer Fes-
150 - 20 tigkeit. Wenn der Hersteller nichts anderes
vorschreibt, dann können die in Tabelle 4-
- 40
33 zusammengestellten Angaben als erster
100 Anhalt dienen.
- 50
N/mm2 °C h °C Tage
250 bis 300 2 bis 24 100 bis 150 ≤ 30
≤ 355
300 bis 350 2 bis 10 150 bis 200 ≤ 14
> 355 300 bis 350 2 bis 10 150 bis 200 ≤ 14
Tabelle 4-34
Trocknung und Zwischenlagerung von fluorid-basischen Schweißpulvern, nach SEW 088.
°C h °C Tage
°C B, D °C A, C
D
B A Ac3
C
950 g® M, bzw. 950 g® M
g® M+ B
670
Zeit t Zeit t
Bild 4-76
Mikrogefüge bei unterschiedlichen Spitzentemperaturen schweißsimulierend wärmebehandelter Proben (B
und D) im Vergleich zu den nach üblicher Wärmebehandlungspraxis (gehärtet und angelassen) entstehenden,
Werkstoff P690QL (StE 690), V = 500:1.
398 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Austenitisierungstemperatur: 950 °C
800 Ac 1 Haltezeit: 30 min
700
(F)
A
600 Mit der Bildung von Ferrit muss erst
gerechnet werden, wenn die Abkühl-
500 geschwindigkeit des Austenits t8/5 größer
Ms B als 2000 s wird.
85
400
85
300 85
M
200
100
HV 10 423 375 345 295
0
0,1 1 10 102 10 3 s 10 4
Zeit t
Bild 4-77
Kontinuierliches ZTU-Schaubild eines hochfesten vergüteten Feinkornbaustahls P690QL (StE 690) mit ein-
getragenem, grau unterlegtem Bereich der »zulässigen« Abkühlverläufe beim Schweißen.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Feinkornbaustähle) 399
behandelt. Diese thermischen Bedingungen möglichst geringen Umfang erfolgt (s. ge-
entsprechen weitgehend denen in einer rea- nauer Abschn. 4.3.2.3). Diese Stähle las-
len Einlagen-Schweißverbindung. Unabhän- sen sich mit allen bekannten Schweißver-
gig von der Größe der Abkühlzeit t8/5 sind fahren verbinden. Die Auswahl geeigne-
sämtliche Umwandlungsgefüge versprödet. ter Schweißzusatzwerkstoffe ist nicht pro-
Eine günstige Wirkung des Selbstanlassens blematisch.
ist nicht erkennbar bzw. wird vollständig vom
negativen Einfluss der extremen »Austeniti- Feinkornbaustähle; vergütet
sierungstemperatur« überdeckt. Aus diesen Die typischen Kennzeichen des niedrig-
Gründen wird in der Praxis ausschließlich gekohlten hoch angelassenen (600 C bis
die Mehrlagentechnik angewendet, bei der 680 C) Martensits sind die Feinkörnig-
das bei hohen Temperaturen austenitisierte keit und die hervorragenden Festigkeits-
Gefüge umgekörnt bzw. angelassen wird. und Zähigkeitseigenschaften. Die im Fol-
genden besprochenen werkstofflichen Be-
Die Bildfolge 4-76 zeigt die stark güteverbes- sonderheiten und die fertigungstechni-
sernde Wirkung des Umkörneffektes durch schen Probleme ihrer schweißtechnischen
das zweimalige Passieren der Ac3-Temperatur. Verarbeitung bzw. Umsetzung in der Pra-
Der ungünstige und entscheidende Einfluss xis sind erheblich größer als bei den normal-
der sehr hohen Austenitisierungstempera- geglühten Feinkornbaustählen. Sie er-
tur beim Schweißen (vgl. Bild 4-75a und Bild schweren aus vielerlei Gründen die Her-
4-76b) und das durch sie hervorgerufene ex- stellung (kalt-)rissfreier und betriebssiche-
treme Kornwachstum lässt sich offenbar nur rer Verbindungen:
durch die »Mehrlagentechnik« beseitigen, – Die Schlagzähigkeit und damit die
wie der Vergleich der Bilder 4-75a und 4-76d Sprödbruchsicherheit ist zwar groß,
belegt. Die gewählte Wärmeführung (Wärme- aber die z. B. im Zugversuch gemesse-
einbringen Q und Vorwärmtemperatur Tp ) ne »statische« Verformbarkeit vor al-
sollte das Umkörnen der gesamten Grobkorn- lem der schmelzgrenzennahen Berei-
zone ermöglichen. Die mit dieser Schweiß- che ist relativ gering. Die unzureichen-
technologie erreichbare Kerbschlagarbeit de Duktilität erschwert den Abbau der
(35 J bei 20 C) liegt aber noch deutlich un- rissbegünstigenden dreiachsigen Ei-
ter der des angelassenen Grundwerkstoffes genspannungen erheblich. Diese (und
(110 J bei 20 C). Die aufgehärteten Bereiche auch ihr Mehrachsigkeitsgrad) sind we-
in der WEZ der letzten Lage können mit der gen der höheren Streckgrenzen dieser
Vergütungslagentechnik (s. Abschn. 4.1.3.2) Stähle sehr viel größer als die der nor-
umgekörnt und »angelassen« werden. malfesten. Die Gefahr der wasserstoff-
induzierten Kaltrissbildung nimmt da-
Die wichtigsten werkstofflichen und verfah- durch erheblich zu.
renstechnischen Unterschiede beim Schwei- – Nur der hoch angelassene Werkstoff
ßen der normalgeglühten (thermomechanisch besitzt die hervorragende Sprödbruch-
behandelten) und der wasservergüteten Fein- sicherheit, die für die niedriggekohlten
kornbaustähle werden im Folgenden etwas Vergütungsstähle charakteristisch ist
ausführlicher beschrieben: (Bild 2-63, S. 197). Mit der gewählten
Schweißtechnologie muss daher dieser
Feinkornbaustähle; normalgeglüht, Gefügezustand in der WEZ erzeugbar
thermomechanisch behandelt sein. In erster Linie sind dafür die Mehr-
Sie sind abgesehen von einigen warmfes- lagentechnik und Einstellwerte erfor-
ten Sorten ähnlich gut schweißgeeig net derlich, die den gebildeten grobkörni-
wie die konventionellen niedriggekohlten gen Martensit möglichst vollständig
C-Mn-Stähle. Die wichtigste Schweißemp- umkörnen, Bildfolge 4-75 und Bildfolge
fehlung ist die Wahl einer kontrollierten 4-76 zeigt nähere Einzelheiten.
Wärmeführung, mit der die Lösung der – Schweißen mit zu großer Wärmezu-
Ausscheidungen in der WEZ nur in einem fuhr und (oder) Arbeitstemperatur hat
400 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
0 nach Thyssen.
Ein gut bestätigtes Ergebnis einer Vielzahl stähle meistens zu lang sind. Bei diesen Stäh-
von Untersuchungen ist die Erkenntnis, dass len lässt sich eine ausreichende Zähigkeit nur
die Abkühlzeit t8/5 beim Schweißen der Vergü- mittels einer hohen Härte der Umwandlungs-
tungsstähle zwischen etwa 5 s und 20 s, die gefüge der WEZ erreichen, d. h. mit gerin-
der normalgeglühten zwischen etwa 10 s und gen Abkühlzeiten. Für eine raschere Abküh-
30 s liegen muss. Bild 4-78 zeigt exempla- lung mit t8/5-Zeiten zwischen 2 s und 6 s be-
risch das Zähigkeitsverhalten der WEZ von schreibt Gl. [4-18] und die IIW-Beziehung,
Schweißverbindungen aus einem wasserver- Gl. [4-3] den Zusammenhang zwischen Kalt-
güteten CrMoZr-Stahl mit einer Streckgren- rissneigung und Ceq (in Prozent) genauer:
ze von 700 N/mm2.
Mn Mo Ni Cr V Cu Si
Ceq = C + + + + + + + .
Die Auswahl geeigneter Schweißparameter 20 15 40 10 10 20 25
wird durch Schaubilder der Art gemäß Bild Die Beziehung Gl. [4-3] gilt für Stähle mit Le-
4-79 erheblich erleichtert. Für die (in diesem gierungselementen in den in Massenprozent
Fall konstante) Abkühlzeit t8/5 20 s und einer angegebenen Bereichen:
betriebsüblichen Schwankung der Vorwärm-
temperatur Tp zwischen z. B. 100 C und C 0,02 bis 0,22 Mn 0,4 bis 2,1
150 C ergibt sich für Stumpfnähte bei einer Si 0 bis 0,5 Cr 0 bis 0,5
Werkstückdicke von 30 mm ein maximal zu- Ni 0 bis 3,5 Mo 0 bis 0,5
lässiges Wärmeeinbringen von Q/k O 26 kJ/ Cu 0 bis 0,6 Nb 0 bis 0,1
cm. Daraus lassen sich einfach die aktuellen V 0 bis 0,1.
Einstellwerte U, I und v berechnen. Dabei ent-
sprechen die Festigkeitseigenschaften der Wär- Tabelle 4-35 zeigt die Ergebnisse von Im-
meeinflusszone den Gewährleistungswerten plant-Versuchen (Abschn. 6.2.1, S. 583) an
des Grundwerkstoffs, und die Kerbschlag- 20 mm dicken geschweißten Blechen aus ei-
arbeit (Charpy-V) beträgt bei 40 C mindes- nem hochfesten Stahl P690QL. Angegeben
tens 28 J. Man beachte, dass derartige Schau- ist die zum Vermeiden von Kaltrissen erfor-
bilder genauere Informationen liefern, als derliche Vorwärmtemperatur Tp in Abhängig-
die in Abschn. 4.3.2.2 beschriebene allgemei- keit von der Beanspruchung s Rp0,2 und dem
ne Methode, die nicht auf Prüfergebnissen Wasserstoffgehalt, bei dem die Proben riss-
beruht. frei bleiben. Danach müssen die hochfesten
wasservergüteten Feinkornbaustähle vorge-
Die erforderliche Vorwärmtemperatur zum wärmt werden, wenn bei einer Werkstückdi-
Vermeiden der Kaltrissigkeit kann mit dem cke ! 20 mm Ceq ! 0,25 % ist.
Kohlenstoffäquivalent Ceq berechnet werden.
Wie in Abschn. 4.1.3.2 bereits geschildert, Von entscheidender Bedeutung für den Er-
gilt die IIW-Beziehung Gl. [4-2] für Abkühl- folg jeder Schweißung ist die rigorose Begren-
zeiten, die für die vergüteten Feinkornbau- zung des angebotenen Wasserstoffgehalts.
Tabelle 4-35
Schweißverfahren Wasserstoff- Vorwärmtemperatur Tp Vorwärmtemperaturen Tp in Ab-
gehalt HD Tp = f(Ceq) hängigkeit von dem nach Gl. [4-3]
cm3/100 g °C berechneten Kohlenstoffäquivalent
Ceq bei t8/5 -Werten zwischen 2 s und
Zellulose-umhüllte Tp = 416 ⋅ log (100 ⋅ Ceq) − 456
40 6 s für verschiedene Wasserstoffge-
Stabelektrode Tp = 678 ⋅ Ceq − 52
halte, gültig für warmgewalzte, nied-
Tp = 490 ⋅ log (100 ⋅ Ceq) − 596 riggekohlte, niedriglegierte Stähle.
10 Es wurde mit Streckenenergien zwi-
Basisch-umhüllte Tp = 739 ⋅ Ceq − 104
schen 8 und 9 kJ/cm geschweißt.
Stabelektrode Tp = 597 ⋅ log (100 ⋅ Ceq) − 784
5 Dargestellt sind die Ergebnisse von
Tp = 826 ⋅ Ceq − 158 Implant-Tests (Blechdicke 20 mm,
Tp = 764 ⋅ log (100 ⋅ Ceq) − 1064 Bleche aus dem Stahl P690QL, bei
Schutzgasschweißen 3 einer Beanspruchung von s Rp0,2 ),
Tp = 994 ⋅ Ceq − 233
nach Düren und Schönherr.
402 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Höhergekohlte Stähle sind überwiegend Ver- Die Kaltrissigkeit ist die beim Schweißen
gütungsstähle. Sie werden im vergüteten, höherfester und hochgekohlter Stähle häu-
seltener im normalgeglühten Zustand ver- figste Versagensform. Martensitische Gefü-
wendet. Die zu wählenden Schweißzusatz- ge sind ganz besonders anfällig. Kaltrisse ent-
werkstoffe müssen daher auf die erforderli- stehen vorwiegend in der WEZ, aber auch
che Wärmebehandlung in gleicher Weise an- im Schweißgut beim Abkühlen unter Tempe-
sprechen wie die Grundwerkstoffe. Das ist in raturen von 300 C. Das Bild 4-80 zeigt einen
den meisten Fällen aber nicht möglich, weil Kaltriss in der WEZ einer Schweißverbin-
in aller Regel derartige spezielle Zusatzwerk- dung aus dem Vergütungsstahl C45 (C 45).
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Höhergekohlte Stähle) 403
Die extreme Neigung zur Bildung von Kalt- daher nicht sinnvoll, obwohl es wegen der
rissen ist die entscheidende Ursache für die hervorragenden mechanischen Gütewer-
schlechte Schweißeignung der höhergekohl- te vergüteter Gefüge technisch sehr wün-
ten Stähle. Die Entstehung des nahezu verfor- schenswert wäre.
mungslosen, extrem rissempfindlichen Mar- – Wasserstoffarmglühen (»Soaken«) direkt
tensits lässt sich zuverlässig nur mit einer aus der Schweißhitze bei etwa 200 C bis
ausreichend hohen Vorwärmung der Fügeteile 300 C ist eine sehr wirksame Methode zum
vermeiden. Außerdem sollten zusätzlich die Beseitigen des atomaren Wasserstoffs aus
folgenden fertigungstechnischen Maßnah- dem Schweißgut und den Wärmeeinfluss-
men beachtet werden, s. hierzu a. Aufgabe zonen und ist daher unbedingt zu empfeh-
4-5, S. 481: len.
– Verwenden von Zusatzwerkstoffen, die zu – Wahl geeigneter Schweißfolgepläne, die
einem möglichst geringen Wasserstoffge- es gestatten, eine möglichst wenig ver-
halt im Schweißgut führen. Die Gefahr spannte Konstruktion herzustellen.
der Entstehung von wasserstoffinduzier-
ten Kaltrissen (Abschn. 3.5.1.6, S. 276) Zum Ermitteln der »richtigen« Vorwärmtem-
wird sehr viel geringer. peratur Tp sind folgende Methoden anwend-
– Verwenden von Zusatzwerkstoffen, mit bar:
denen ein möglichst verformbares, zähes – Die Entstehung von Martensit in der WEZ
Schweißgut herstellbar ist. Die basisch- kann durch Vorwärmen über Ms vermie-
umhüllten Stabelektroden sind hierfür den werden. Die Umwandlung des Auste-
her vorragend geeignet (siehe Abschn. nits in den in der Regel wesentlich rissun-
4.2.3.1.3). Die rissbegünstigenden Eigen- empfindlicheren Bainit kann gewöhnlich
spannungen lassen sich dann durch plas- durch ausreichend langes Halten auf der
tisches Verformen des Schweißguts ab- Vorwärmtemperatur erzwungen werden.
bauen, d. h., die spröden, verformungslo- Die hierfür erforderliche Vorwärmtem-
sen, martensitischen Zonen bleiben ver- peratur und die Haltezeit werden aus dem
hältnismäßig unbelastet. Die Rissbildung ZTU-Schaubild des Stahles entnommen.
wird dadurch erheblich behindert. Die Ver- Diese Methode, die auch isothermisches
wendung artgleicher Zusatzwerkstoffe ist Schweißen genannt wird, ist ausführli-
a) b)
Bild 4-81
Aufnahmen des Mikrogefüges eines Vergütungsstahles C45 (C 45) nach unterschiedlicher Wärmebehandlung.
a) normalgeglüht, 220 HV 10, V = 800:1, 2 % HNO3 ,
b) vergütet, Anlasstemperatur 600 C, 250 HV 10, V = 500:1, 2 % HNO3 .
404 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
cher in Abschn. 2.5.3.4 beschrieben. Nähe- grenze zunimmt. Abhängig von der Höhe der
rungsweise lässt sich die Martensit-Start- Vorwärmtemperatur und dem Wärmeeinbrin-
temperatur mit der Beziehung Gl. [2-4] gen bildet sich beim Abkühlen ein mehr oder
berechnen. Diese Methode kann sinnvoll weniger hartes, grobkörniges, rissanfälliges
nur für Stähle angewendet werden, deren Umwandlungsgefüge. Eine hohe Vorwärmung
Ms-Temperaturen unter 300 C liegen. verringert zwar die Höchsthärte, vergrößert
– Die Berechnung des Kohlenstoffäquiva- aber die Breite der Wärmeeinflusszone und
lents mit Hilfe der verschiedenen Bezie- erhöht den Festigkeitsabfall in der »Anlass-
hungen (s. Abschn. 4.1.3.2) ermöglicht zone«.
ebenfalls eine recht genaue Abschätzung
der Vorwärmtemperatur. Die Bildfolge 4-83 zeigt den Einfluss einer
– Ein hohes Vorwärmen auf Temperaturen Vorwärmung auf die Maximalhärte in der
zwischen 250 C und 350 C gilt als allge- WEZ einer mit basischen Stabelektroden ge-
mein gültige, praxiserprobte Empfehlung schweißten Verbindung aus dem Vergütungs-
zum Schweißen der höhergekohlten Ver- stahl C45 (C 45). Sie beträgt ohne Vorwär-
gütungsstähle. Das Adsorptionswasser men 480 HV 1, eine Kaltrissbildung ist damit
auf den Fügeteilen wird dadurch eben- wahrscheinlich. Ein Vorwärmen auf etwa
falls zuverlässig beseitigt, s. Bild 4-62. 300 C verringert die Härte auf 300 HV 1. Die
Verbindung ist jetzt betriebssicher, wenn sie
Die Vergütungsstähle lassen sich im vergü- nicht schlagartig beansprucht wird. Die Er-
teten Zustand schweißen, aber wesentlich fahrung zeigt, dass mit einer ausreichenden
einfacher und risikoloser im verformbareren
normalgeglühten (bzw. weichgeglühten), Bild-
folge 4-81. In den meisten Fällen ist ein nach-
Temperatur T
»Härtesack« HVGW,v
te (Festigkeit) merklich ab. Der maximale Ab-
fall der Härte um Ac1 wird als »Härtesack«
bezeichnet. Die Ursache ist die zunehmende
Beweglichkeit vorwiegend der Kohlenstoff-
atome und seine damit verbundene Ausschei-
dung als Fe3C. Wird der Kohlenstoff mit Son-
dercarbidbildnern (z. B. Cr, Mo) fest abgebun-
den, dann ist der Härteabfall in der Regel ver- 1: unbeeinflusster (vergüteter, HV = HVGW,v) Grundwerkstoff,T £ TAnl
nachlässigbar, s. Anlassbeständigkeit, Abschn. 2: Anlasstemperatur TAnl wird überschritten, Härte nimmt ab
3: maximale Härteabnahme bei T l Ac1
2.5.2.2, S. 143. 4: Werkstoff wird vollständig austenitisiert, Härtezunahme durch
zunehmende Abkühlgeschwindigkeit
a) b)
Bild 4-83
Einfluss des Vorwärmens auf die Gefügeausbildung und Härte der schmelzgrenzennahen Bereiche bei einer
Schweißverbindung aus dem Vergütungsstahl C45 (C 45), Werkstückdicke 10 mm, V = 200 :1, 2 % HNO3.
a) Ohne Vorwärmung. Das Gefüge der aufgehärteten Zone besteht aus Martensit und Bainit mit Gefügen der
Perlitstufe, Maximalhärte 550 HV 10.
b) Vorwärmung Tp = 300 C. Das Gefüge besteht überwiegend aus Bainit, Perlit mit Ferritsäumen an den ehe-
maligen Austenitkörnern, Maximalhärte 300 HV 10.
a) b)
Bild 4-84
Gefügeausbildung einer mit der Stabelektrode vom Legierungstyp CrNiMn-18-8-6 geschweißten Verbindung
aus dem Vergütungsstahl C45 (C 45) in Schmelzgrenzennähe bei verschiedenen Vorwärmtemperaturen Tp.
a) Tp = 20 C, 610 HV 1, überwiegend martensitisches Gefüge, V = 1000 :1, 2 % HNO3.
b) Tp = 250 C, 340 HV 1, durch Diffusion entstandene legierungsreiche in Martensit umgewandelte Zone (grau),
V = 500:1, V2A-Beize.
406 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Vorwärmung und einem zähen, unlegierten Wärmenachbehandlungen ist auch aus ande-
Schweißgut risssichere Schweißverbindun- ren Gründen unzweckmäßig. Das große Kon-
gen herstellbar sind. zentrationsgefälle des Kohlenstoffs an der
Phasengrenze Schweißschmelze (kfz)/hoch-
Verschiedentlich werden zum Schweißen der erhitzte Grobkornzone (krz) führt zu einer
Vergütungsstähle aber auch austenitische Zu- deutlichen Kohlenstoffdiffusion in Richtung
satzwerkstoffe verwendet. Der wesentlichste Schweißgut. Der sich unmittelbar neben der
Vorteil ist ihre große Zähigkeit, verbunden Schmelzgrenze bildende dünne Carbidsaum
mit einer verhältnismäßig geringen Streck- versprödet die Verbindung.
grenze. Der Abbau der thermischen Spannun-
gen und der bei der Martensitbildung entste-
henden Umwandlungsspannungen wird er- 4.3.5 Warmfeste Stähle
leichtert. Die Verformbarkeit dieser mit aus-
tenitischem Zusatzwerkstoff hergestellten Je nach der Höhe der thermischen und me-
Schweißverbindung ist aber häufig deutlich chanischen Betriebsbeanspruchung (kons-
schlechter als die der mit basischen Elektro- tante oder wechselnde) werden für den Bau
den geschweißten Naht. Als Ursache ist die warmgehender Anlagen unterschiedliche
Vermischung des legierten Schweißguts mit Stähle eingesetzt.
dem martensitischen Grundwerkstoff an der
Schmelzgrenze anzunehmen. Der sich bil- ❐ Ferritische Stähle
dende legierte und höhergekohlte Martensit (ferritisch-perlitische, ferritisch-bainitische,
ist sehr hart und spröde. Die Breite dieser martensitische Stähle).
martensitischen Zone nimmt mit zunehmen- Für Betriebstemperaturen bis ungefähr
der Vorwärmtemperatur ebenso zu wie die 400 C genügen die warmfesten Feinkorn-
Rissneigung. baustähle mit ferritisch-perlitischem Ge-
füge nach DIN EN 10025-3 und DIN EN
Austenitische Zusatzwerkstoffe (vor allem 10025-4, (Tabelle 2-11 und Tabelle 2-8),
der CrNi-24-9-Typ) können allerdings eine DIN EN 10028-2 und DIN EN 10216-2. Hier-
sinnvolle Alternative für Reparaturschwei- zu gehören z. B. die niedriglegierten Stäh-
ßungen an höhergekohlten Stählen sein, die le P195, P2355, P355, 8MoB5-4 und der
aus betrieblichen Gründen (Vorwärmtempe- hochlegierte X10CrMoVNb9-1.
ratur gefährdet Bauteilsicherheit und Funk- Für den Zeitstandbereich müssen legierte
tion) nicht vorgewärmt werden können. Au- Stähle mit ferritisch-bainitisch-marten-
ßer dem rissunanfälligen Schweißgut ist vor sitischem Gefüge verwendet werden. Die
allem die wesentlich größere Wasserstofflös- wichtigsten sind die CrMo-legierten Stäh-
lichkeit des austenitischen Schweißguts, d. h. le, z. B. 13CrMo4-5, 10CrMo9-10. Durch
die geringere Kaltrissneigung der WEZ der die zusätzliche Wirkung einer Ausschei-
größte Vorteil. dungshärtung wird die Warmfestigkeit
bei dem Stahl 14MoV6-3 verbessert.
Bild 4-84 zeigt Mikroaufnahmen aus dem Der lufthärtende hochlegierte Vergütungs-
Bereich der Schmelzgrenze einer Verbindung stahl X20CrMoV12-1 wird zwischen 700 C
aus C45, hergestellt mit der sehr heißriss- und 750 C angelassen. In dem martensi-
sicheren Stabelektrode vom Legierungstyp tischen Gefüge sind feinstverteilte Sonder-
CrNiMn-18-8-6. In der nicht vorgewärmten carbide M23C6 eingelagert. Er ist im Dau-
Verbindung, Bild 4-84a, besteht das Gefüge erbetrieb bei Temperaturen bis etwa 600 C
der WEZ aus reinem Martensit mit der Här- (650 C) einsetzbar.
te von 610 HV 1. Durch Vorwärmen der Füge-
teile auf 250 C entsteht ein breiterer Strei- ❐ Austenitische Stähle
fen martensitischen Gefüges, der die Ver- Für Betriebstemperaturen über 600 C
formbarkeit der Verbindung deutlich verrin- müssen austenitische Stähle verwendet
gert, Bild 4-84b. Die Anwendung hoher Vor- werden, wie z. B. der X6CrNi18-11 oder
wärmtemperaturen und insbesondere von der X8CrNiMoNb16-16, Tabelle 2-9.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Warmfeste Stähle) 407
Bild 4-85
Kontinuierliches ZTU-Schaubild des Stahles 10CrMo9-10, nach Atlas zur Wärmebehandlung der Stähle.
408
Tabelle 4-36
Anhaltsangaben zur Wärmebehandlung einiger warmfester Rohrstähle nach Merkblatt 328 der Beratungsstelle für Stahlverwendung, Düsseldorf.
P235G1TH 1100 ... 850 Liegt die Temperatur der Endverformung an Nach starker Verformung ist Kein Vorwärmen. Bei Wanddicken über 20
(St 35.8) der oberen Grenze des Temperaturbereiches, so ein Spannungsarmglühen bei (10) mm Spannungsarmglü-
ist ein Normalglühen bei 900 (870) bis 930 600 bis 650 °C bei einer Hal- hen bei 600 bis 650 °C (Hal-
P255G1TH (900) °C bei einer Haltedauer von mind. 10 min tedauer von mind. 15 min tdauer mind. 15 min). Ab-
(St 45.8) durchzuführen. Abkühlen an Luft. durchzuführen. Abkühlen an kühlen an Luft.
Luft.
16Mo3 1100 ... 850 Liegt die Temperatur der Endverformung an Nach starker Verformung ist Bei Wanddicken über Bei Wanddicken über 10
(15 Mo 3) der oberen Grenze des Temperaturbereiches, so ein Spannungsarmglühen bei 10 mm Vorwärmen mm Spannungsarmglühen
1100 ... 850
ist ein Normalglühen bei 910 bis 940 °C bei ei- 600 bis 650 °C bei einer Hal- auf etwa 150 °C. bei 600 bis 650 °C (Halte-
16Mo5 ner Haltedauer von mind. 10 min durchzufüh- tedauer von mind. 15 min dauer mind. 15 min). Ab-
ren. Abkühlen an Luft. durchzuführen. Abkühlen an kühlen an Luft.
Luft.
13CrMo4-5 1100 ... 850 Liegt die Temperatur der Endverformung an Nach starker Verformung ist Bei Wanddicken über Anlassen bei 690 bis 720 °C
(13 CrMo 4 4) der oberen Grenze des Temperaturbereiches, so ein Anlassen bei 600 bis 650 10 mm Vorwärmen (Haltedauer mind. 15 min).
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
ist ein Normalglühen bei 910 bis 940 °C bei ei- °C bei einer Haltedauer von auf 200 bis 300 °C. Abkühlen an Luft.
ner Haltedauer von mind. 10 min, anschließend mind. 15 min durchzuführen.
ein Abkühlen an Luft durchzuführen. Bei End- Abkühlen an Luft.
verformung an der unteren Temperaturgrenze ge-
nügt ein Anlassen.
14MoV6-3 1100 ... 850 Normalglühen bei 950 bis 980 °C bei einer Halte- Nach starker Verformung ist Bei Wanddicken ab 6 Anlassen bei 690 bis 720 °C
dauer von von mind. 60 min, anschließend ein ein Anlassen bei 670 bis 700 °C mm Vorwärmen auf (Haltedauer 60 bis 120 min).
Anlassen bei 690 bis 720 °C (Haltedauer 240 bis bei einer Haltedauer von min- etwa 200 bis 300 °C. Abkühlen an Luft.
60 min) durchzuführen. Abkühlen an Luft. destens 60 min durchzufüh-
ren. Abkühlen an Luft.
10CrMo9-10 1100 ... 850 Liegt die Temperatur der Endverformung an der Nach starker Verformung ist Bei Wanddicken ab Anlassen bei 730 bis 780 °C
oberen Grenze des Temperaturbereiches, so ist ein Anlassen bei 600 bis 650 °C 10 mm Vorwärmen auf (Haltedauer mind. 20 min).
ein Normalglühen bei 930 bis 960 °C bei einer Hal- bei einer Haltedauer von min- etwa 200 bis 300 °C. Abkühlen an Luft.
tedauer von mindestens 10 min, anschließend ein destens 20 min durchzufüh-
Anlassen bei 730 bis 780 °C (Haltedauer mindes- ren. Abkühlen an Luft.
tens 20 min) und ein Abkühlen an Luft durchzu-
führen. Bei Endverformung an der unteren Tem-
peraturgrenze genügt ein Anlassen.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Warmfeste Stähle) 409
der Teilchen bei höheren Temperaturen mög- keit abnehmen und eine deutliche Rissnei-
lichst wenig abnimmt. gung der schmelzgrenzennahen Bereiche auf-
tritt.
Aus dem kontinuierlichen ZTU-Schaubild z.
B. des Stahles 10CrMo9-10, Bild 4-85, lassen 4.3.5.3 Ferritische Stähle
sich einige für die schweißtechnische Verar- (martensitisch)
beitung wichtige Informationen ablesen. Da- Die lufthärtenden 12%igen Chromstähle ver-
zu gehört u. a. die Ms-Temperatur und die Art binden die höchsten Zeitfestigkeitswerte fer-
und Härte der sich bildenden Umwandlungs- ritischer Stähle mit einer sehr guten Zunder-
gefüge. Das für diesen Stahl typische ferri- beständigkeit. Sie werden im Kraftwerks- und
tisch-bainitische Grundwerkstoff-Gefüge zeigt Turbinenbau für Überhitzer- und Frischdampf-
Bild 4-86. leitungen bei den höchsten für ferritische Stäh-
le möglichen Arbeitstemperaturen zwischen
Die Warmfestigkeit der Cr-Mo-legierten 530 C und 560 C eingesetzt. Der hochlegier-
warmfesten Stähle lässt sich mit V – besser te Stahl X20CrMoVW12-1 ist der typische
mit V und Nb – erheblich verbessern. Ihre Vertreter, Bild 4-87.
Warmfestigkeit hängt von der Verteilung, Grö-
ße und dem mittleren Abstand der ausgeschie- Das Schweißen dieses Stahls erfordert beson-
denen Carbide und Nitride ab. Die Neigung dere Vorsichtsmaßnahmen und ist wegen der
der Niobcarbide zum Koagulieren und/oder umfangreichen Wärmebehandlungen sehr
Wiederauflösen ist besonders gering. Niob- aufwändig und teuer. Die für ein erfolgreiches
haltige Stähle behalten daher auch noch bei Schweißen benötigten Informationen über
höheren Temperaturen ihre kriechhemmen- das Werkstoffverhalten können überwiegend
de Wirkung. aus dem ZTU-Schaubild des Stahles entnom-
men werden, Bild 4-88. Die breite umwand-
Das Schweißverhalten dieser ausscheidungs- lungsfreie bzw. umwandlungsträge Zone des
härtenden Stähle ist ungünstiger. Durch die Austenits zwischen 300 C und 550 C zusam-
beim Schweißen entstehenden Temperatur- men mit der verhältnismäßig tiefliegenden
Zeit-Verläufe wird der optimale Ausschei- Ms-Temperatur von etwa 270 C (Mf 120 C)
dungszustand in der WEZ weitgehend verän- bestimmen die fertigungstechnisch anzuwen-
dert, wodurch die Zähigkeit und Warmfestig- dende aufwändige Schweißtechnologie.
tensit um.
700
P
– Bei längeren Glühzeiten erfolgt eine Teil-
K
umwandlung des Austenits in perlitische
600
Gefügeformen, die sehr schlechte mecha-
500 nische Gütewerte aufweisen.
Bild 4-89 zeigt das typische Mikrogefüge ei- während des Spannungsarmglühens in der
ner Schweißverbindung (X20CrMoVW12-1, WEZ meistens interkristallin verlaufende
Rohr 38 x 5 mm) in Schmelzgrenzennähe. Risse entstehen. Die Neigung zur Rissbil-
Wegen der geringen Wanddicke wurde in die- dung ist von der chemischen Zusammenset-
sem Fall aus der Schweißhitze auf Raumtem- zung des Stahls abhängig, nimmt mit zuneh-
peratur abgekühlt, da die Gefahr der Span- mender Wanddicke zu und ist auch von der
nungsrissbildung gering ist. Temperatur-Zeitführung der Wärmebehand-
lung abhängig.
4.3.5.4 Austenitische Stähle
Einige wichtige hochwarmfeste austeniti- Diese Erscheinung – sie ist phänomenolo-
sche Stahlsorten sind in Tabelle 2-9 aufge- gisch mit den Unterplattierungsrissen sehr
führt. Ein kennzeichnendes Merkmal ist ihr verwandt, Abschn. 4.3.8.2 – wird im engli-
vollaustenitisches, ferritfreies Gefüge. We- schen Schrifttum als Stress Relief Cracking
gen der thermischen Instabilität des Ferrits (SRC) oder reheat cracking bezeichnet. Als
ist dieser Gefügebestandteil bei den hoch- deutsche Bezeichnungen sind Wiedererwär-
warmfesten Stählen unerwünscht bzw. nicht mungsriss, Ausscheidungsriss oder Relaxa-
zulässig. tionsriss gebräuchlich. Grundsätzlich neigen
die meisten Stähle zu dieser besonderen Art
Das entscheidende Problem beim Schweißen der Versprödung. Cr, Cu, Mo, B, Nb und Ti
ist die deutliche Heißrissanfälligkeit dieser begünstigen diese Rissbildung. Mo-V- und
vollaustenitischen Stähle und ihre ausgepräg- Mo-B-Stähle sind besonders bei einem Vana-
te Neigung zur Bildung von Mikrorissen als diumgehalt ! 0,1 % stark rissgefährdet. Die
Folge örtlicher Seigerungen an den Korngren- tendenzielle Neigung zur Bildung von Wie-
zen. Sie lassen sich durch Zusatzwerkstoffe dererwärmungsrissen lässt sich mit den Be-
vermeiden, die zu einem Schweißgut mit et- ziehungen von Nakamura, Gl. [4-20], und von
wa 5 % d-Ferrit führen. Ihr Schweißverhalten Ito, Gl. [4-21], beschreiben:
entspricht weitgehend dem der korrosionsbe-
ständigen austenitischen Stähle. Für weite- PC Cr 3,3 ¹ Mo 8,1 ¹ V 10 ¹ C 2 [4-20]
re Hinweise sei daher auf Abschn. 4.3.7 ver- PSC Cr Cu 2 ¹ Mo 10 ¹ V [4-21]
wiesen. 7 ¹ Nb 5 ¹ Ti 2.
4.3.5.5 Versprödungs- und Die Beziehung von Ito, Gl. [4-21], gilt für
Rissmechanismen Stähle, deren chemische Zusammensetzung
Bei einer Reihe von niedriglegierten Stäh- in den Bereichen liegt:
len, vor allem bei den CrMo-legierten, ent- Cr 1,5 %, Mo 2,0 %,
stehen bei verschiedenen Betriebs- und Wär- Cu 1,0 %, Nb, V, Ti je 0,15 %.
mebehandlungsbedingungen folgende cha-
rakteristische Versagensformen: Stähle sind danach empfindlich für Wieder-
– Wiedererwärmungsrisse und die erwärmungsrisse, wenn die Parameter PC
– Anlassversprödung. bzw. PSC gleich oder größer Null sind.
700
ten geschweißten Konstruktion. In den Scha-
denstatistiken der chemischen Industrie wird 600
als Ursache für das Versagen der Bauteile
500
in der Mehrzahl aller Fälle ein Korrosionsan- Erwärmung:
a Æg
griff genannt! Weitaus am häufigsten wird 400
dabei die Schweißnaht angegriffen. Mecha-
300
nische Beanspruchungen sind relativ selten
für das Bauteilversagen verantwortlich. 200
100
Die Korrosionsbeständigkeit ist u. a. vom a
Oberflächenzustand abhängig (Abschn. 2.8.1, 0
Abkühlung:
S. 200). Sie ist grundsätzlich bei einer polier- - 100
g Æa
Tabelle 4-37
Empfehlungen für das Herstellen von Oberflächen, die denen der Walzprodukte entsprechen,
nach Strassburg.
– Bearbeiten mit Werkzeugen, die schon genannten Gründen zuverlässig beseitigt bzw.
für »schwarze« Werkstoffe verwendet ihre Entstehung verhindert werden. Daher
wurden oder aus »schwarzen« Werkstof- sollte schon bei der Konstruktion des Bau-
fen (unlegierter Stahl jeder Art) beste- teils die Möglichkeit für eine möglichst beid-
hen, z. B. Bohren, Feilen, mechanische seitige Zugänglichkeit der Schweißnähte vor-
Bearbeitung, Schleifen mit Schweiß- gesehen werden.
bürsten aus »schwarzem« Stahl, Schleif-
leinen (!), Topfbürsten. Anlauffarben sind Oxidschichten, die sich
– Durch Transport- oder Handlingsvor- nur in Anwesenheit oxidierender Medien (z.
gänge werden auf dem Hallenboden B. Sauerstoff, oxidierende Säuren) bilden.
liegende »schwarze« Späne in die Ober- Ihre Dicke und Farbe werden von der Höhe
fläche der relativ weichen Stähle ein- des Sauerstoffangebotes bestimmt. Mit zuneh-
gepresst. mender Schichtdicke, d. h. zunehmender Kor-
rosionsneigung des Werkstoffs, ändert sich
Bei einer umfangreichen »weißen« Fertigung der Farbton von hell (gelb) zu dunkel (blau,
muss mit den genannten Problemen in ganz bräunlich). Für anlauffarbenfreie Schweiß-
besonderem Maße gerechnet werden. Am si- nähte muss der Sauerstoff im Nahtbereich
chersten, aber auch am aufwändigsten ist vollständig von einem sauerstofffreien Schutz-
die rigorose räumliche und logistische Tren- gas verdrängt werden. Die Erfahrung zeigt
nung des »weißen« von dem »schwarzen« Fer- aber, dass die Bildung von Anlauffarben nur
tigungsbereich. bei hoher Oberflächengüte der Fügeteile zu-
verlässig verhindert wird. Durch mechani-
Von besonderer Bedeutung sind in diesem sche Reinigungsmethoden (Bürsten, Schlei-
Zusammenhang die Anlauffarben im Bereich fen, Feilen) entsteht leicht eine aufgeraute
der Schweißnaht. Ihre Bildung ist ohne die Oberfläche, in der sich der Sauerstoff sehr
Anwendung spezieller Technologien (Spülen einfach und relativ schwer beseitigbar ad-
mit Formier- oder Edelgas) nicht vermeid- sorptiv anlagern kann, d. h. vom Schutzgas
bar. Die Anlauffarben müssen aus den oben nicht mehr vollständig verdrängt wird.
30 Grundwerkstofftyp (s. Tabelle 2 - 13)
22/5/3: X2CrNiMoN22 - 5 - 3
t
rri
Fe
0%
Nickeläquivalent = Ni + 30 × C + 0,5 × Mn
% 25/20
5% Zusatzwerkstofftyp (s. Tabelle 4 - 37)
%
10 25/20: (Wkst.Nr.: 1.4842)
Austenit
20 %
20 29/9: (Wkst.Nr.: 1.4337)
Austenit+ %
Martensit 2 40 19/9: (Wkst.Nr.: 1.4302)
A
13: (Wkst.Nr.: 1.4309)
80%
F 29/9 13/4: (Wkst.Nr.: 1.4351)
1 19/9
10 22/5/3
Martensit Austenit+Ferrit
A+M+F
13/4
Ferrit + Martensit
13 M+F Ferrit
0
0 10 20 30 % 40
Chromäquivalent = Cr + Mo + 1,5 × Si + 0,5 × Nb + 2 × Ti
Bild 4-92
Das Schaeffler-Schaubild. Eingetragen sind die Toleranzfelder der chemischen Zusammensetzung einiger
Schweißgutsorten (von Stabelektroden nach DIN EN ISO 14343 und des Grundwerkstoffs X2CrNiMoN22-5-3.
Die in den grau unterlegten Symbolen stehenden Ziffern a/b/c geben die prozentualen Gehalte in der Reihenfolge
Cr, Ni, Mo an. Die Grenzlinie 1-2 trennt die Bereiche primärer Austenit- von primärer d -Ferriterstarrung.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 417
Das Herstellen der geforderten Oberflächen- bestimmt. Vor allem beim Auftrag- und
güte geschieht durch Vor- und Fertigschlei- Verbindungsschweißen unterschiedlicher
fen mit Bändern und Scheiben verschiedener Werkstoffe ist der Erfolg von den mecha-
Körnung vorzugsweise in Kautschukbindung. nischen Gütewerten des entstehenden
In Tabelle 4-37 sind einige Empfehlungen Schweißgutgefüges abhängig.
zum Herstellen der unterschiedlicher Oberflä-
chengüten zusammengestellt. ❐ Die Art und Menge der Gefügesorten be-
stimmen maßgeblich die mechanischen
Mit dem elektrolytischen Polieren (Elektro- Eigenschaften und das Korrosionsverhal-
polieren) erreicht man Orte, die mit mechani- ten, z. B.:
schen Verfahren nicht mehr zugänglich sind. – Ein d -Ferritgehalt von 5 % bis 10 % in
Dazu wird das Bauteil in einem Elektrolyse- der Schweißschmelze, der während
gefäß anodisch geschaltet, d. h., die oberflä- der Erstarrung primär ausgeschieden
chennahen Schichten werden abgetragen. wurde, ist für die Heißrisssicherheit
des Schweißguts erforderlich. Unab-
Die chemische Behandlung in Beizbädern hängig von der Art der Nahtvorberei-
oder mit Beizpasten ist wesentlich wirksa- tung, der Schweißtechnologie und den
mer als die mechanische (Bürsten, Schleifen, Einstellwerten muss der vorhandene
Polieren). Säurereste müssen aber vollstän- d -Ferritgehalt im Schweißgut einfach
dig beseitigt werden, da die in Spalten und überprüfbar sein. Vor allem beim Ver-
Hohlräumen durch Verdunsten des Wassers bindungsschweißen unterschiedlicher
entstehende konzentrierte Säure lokalen Kor- Werkstoffe A und B mit einem Zusatz-
rosionsangriff einleiten kann. Nach dem Bei- werkstoff Z ist der d -Ferritgehalt im
zen wird daher mit basischen Lösungen (evtl. Schweißgut mit anderen Mitteln nur
reicht auch Spülen mit Wasser) neutralisiert. sehr aufwändig (chemische Analyse!)
Die Beizbäder können so eingestellt werden, feststellbar.
dass die den Korrosionsschutz bewirkende – Die beim Verbindungs- und Auftrag-
Oxidschicht verstärkt wird. Diese künstli- schweißen unterschiedlicher Werkstof-
che Passivierung ist gewöhnlich nicht erfor- fe häufig entstehenden spröden Gefü-
derlich, da sich die Oxidschicht in sauerstoff- ge (z. B. Martensit, intermediäre Pha-
haltiger Atmosphäre ausreichend schnell bil- sen aller Art, in bestimmten Fällen d -
det. Sie ist aber die einzige Methode, mit der Ferrit) können erkannt und dann häu-
sich eingepresste Fremdmetallspäne besei- fig vermieden werden.
tigen lassen.
Die sich in Abhängigkeit von der chemischen
4.3.7.2 Konstitutions-Schaubilder Zusammensetzung der hochlegierten Stäh-
Aus verschiedenen Gründen (Art der Primär- le und Schweißgüter einstellenden Gefüge
erstarrung, Gehalt an d - Ferrit, zu erwarten- sind näherungsweise mit einer Reihe von
des Schweißverhalten) ist es wünschenswert, Schaubildern feststellbar. Die erste Ende der
die Gefüge der korrosionsbeständigen Stäh- Vierziger Jahre entwickelte Darstellung war
le und der erzeugten Schweißgüter mit mög- das Schaeffler-Schaubild, Bild 4-92. Es
lichst einfachen Methoden feststellen zu kön- wurde für die thermischen Bedingungen des
nen: Handschweißens mit Stabelektroden ermit-
telt 44) und gilt für alle üblichen austeniti-
❐ Die Zusammensetzung des Schweißguts
und damit die Ausbildung des Mikrogefü-
ges hängt nicht nur von der chemischen 44)
Die sich einstellenden Gefüge gelten strenggenom-
Zusammensetzung des Zusatzwerkstoffes men nur für das Lichtbogenhandschweißen mit
ab, sondern auch von dem Aufschmelzgrad, Stabelektroden mit 5 mm Durchmesser an etwa
12 mm dicken Blechen. Die Erfahrung zeigt, dass
d. h. dem Umfang der Vermischung mit es auch für die Abkühlbedingungen bei der Grund-
dem Grundwerkstoff. Dieser wird von dem werkstoff-Herstellung genügend genaue Ergeb-
Schweißverfahren und den Einstellwerten nisse liefert.
418 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
schen Schweißgüter und Cr-Ni-Stähle. Die- den Stickstoff und unterschätzt die d -Ferrit-
ses Schaubild ist demnach kein Gleichge- menge in hoch manganlegierten Stählen bzw.
wichts-Schaubild, sondern wurde mit realen Schweißgütern erheblich und systematisch.
Temperatur-Zeit-Verläufen beim Schweißen Außerdem wird die Ferritmenge in der un-
ermittelt. Es wird aus verschiedenen weiter genauen Einheit Prozent und nicht in der
unten besprochenen Gründen überwiegend sehr viel präziser und einfacher messbaren
nur noch als (zusätzliche) Informationsquel- Einheit Ferrit-Nummer FN angegeben.
le verwendet, wenn unterschiedliche Werkstof-
fe verschweißt werden müssen. Das Schaeff- Allen Konstitutions-Schaubildern ist die Be-
ler-Schaubild macht keine Aussagen über wertung der Legierungselemente hinsicht-
den Einfluss des stark austenitbegünstigen- lich ihrer Wirkung auf die genannten Gefü-
M = 50 % G1+50 % G2 G1 G2
15 % G1 + 70 % Z + 15 % G2 = S
S = 15 % G1+15 % G2 + 70 % Z G1 G2
30
t
rri
Nickeläquivalent = Ni + 30 × C + 0,5 × Mn
Fe
%
0%
5%
%
10
A
20 %
20
%
40
A+M
80%
G2
Z
10 S
M M A + d -F
A+M+F
G1 M+a -F M+d - F d -F
0
0 10 20 30 % 40
Chromäquivalent = Cr + Mo + 1,5 × Si + 0,5 × Nb + 2 × Ti
Bild 4-93
Bestimmen der Schweißgutzusammensetzung mit Hilfe des Schaeffler-Schaubildes. Beispiele:
1) Die Werkstoffe G1: S235 (St 37), G2: X6CrNiTi18-10 werden z. B. durch Punktschweißen verbunden. Die
Schweißlinse M besteht aus 50 % G1 und 50 % G2, ihr Gefüge ist rein martensitisch.
2) G1 und G2 werden mit dem Zusatzwerkstoff (Z) X2CrNi23-12 verbunden. Aus den aufgeschmolzenen glei-
chen Grundwerkstoffanteilen ergibt sich die Zusammensetzung M. Das Schweißgut S besteht aus etwa 1 %
G1, 15 % G2 und 70 % Z. Die Zusammensetzung von S liegt demnach auf der z. B. in zehn Teillängen ge-
teilten Verbindungslinie M-Z drei Längenanteile von Z entfernt.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 419
gemerkmale mit Hilfe von sog. Wirksummen – Die Werkstoffe A und B werden im schmelz-
gemeinsam. flüssigen Zustand ohne Zusatzwerkstoff
verbunden. Diese Situation kennzeichnet
Auf der x-Achse ist die Wirksumme der fer- z. B. das Punktschweißen.
ritisierenden Elemente (Chromäquivalent – Die Werkstoffe A und B werden mit dem
= Cräq), auf der y-Achse die der austenitisie- Zusatzwerkstoff Z verbunden. Informa-
renden (Nickeläquivalent = Niäq) aufge- tionen über die Art der entstehenden Ge-
tragen. Die Wirksummen lassen sich mit fol- füge sind mit anderen Methoden nur sehr
genden Beziehungen, Gl. [4-24] und Gl. [4-25] schwer beschaffbar.
berechnen, Angaben in Prozent:
Eine homogene Mischung der beteiligten Teil-
Cräq = Cr + Mo + 1,5 · Si + 0,5 · Nb + 2 · Ti, schmelzen ist die wichtigste Voraussetzung
Niäq = Ni + 30 · C + 0,5 · Mn. für die Anwendbarkeit des Schaeffler-Schau-
bildes. Diese häufig nicht genau zutreffende
Damit wird das Schweißgut (der Stahl) im Annahme ermöglicht dann die »korrekte« Er-
Schaeffler-Schaubild durch einen Punkt (x, y) mittlung der Zusammensetzung des Schweiß-
(Cräq, Niäq) dargestellt. Die Lage des Punk- guts mit Hilfe der sog. Mischungsgeraden.
tes beschreibt eindeutig das Gefüge des Werk- Das ist die zwischen den Punkten Werkstoff
stoffs. Die einzelnen Felder kennzeichnen den A (Cräq(A), Niäq(A)) und Werkstoff B (Cräq(B), Ni-
Existenzbereich folgender Gefügearten hoch- äq(B)
) gezogene Verbindungslinie im Schaeff-
legierter Stähle: ler-Schaubild. Der Punkt A repräsentiert die
»Mischung« (100 % A, 0 % B), der Punkt B die
A: vollaustenitische Stähle, z. B. »Mischung« (100 % B, 0 % A). Danach wird
X1NiCrMoCuN25-20-6; eine beliebige Mischung auf dieser Geraden
A + F: austenitische Stähle mit einem durch einen dem Mischungsverhältnis ent-
geringen d -Ferritgehalt, z. B. sprechenden Punkt dargestellt.
X5CrNi18-10 oder austenitisch-
ferritische Duplexstähle, z. B. Die sich in einer Punktschweißverbindung
X2CrNiMoN22-5-3; aus dem unlegierten S235 (St 37) (G1) und
F: rein ferritische Stähle, z. B. dem hochlegierten Stahl X6CrNiTi18-10 (G2)
X6CrTi17; ergebende chemische Zusammensetzung der
M: martensitische Stähle, z. B. »Schweißlinse« (M) ist in Bild 4-93 darge-
X46Cr13; stellt. Das Gefüge ist rein martensitisch und
M + F: martensitisch-ferritische Stähle, kann damit abhängig von der Höhe des Koh-
z. B. der weichmartensitische lenstoffgehalts rissanfällig sein.
Stahl X4CrNi13-4.
Die Auswertung für eine Verbindungsschwei-
In Bild 4-92 sind einige bekannte hochlegier- ßung unterschiedlicher Werkstoffe A und B
te Schweißgutsorten und der Duplexstahl mit einem beliebigen Zusatzwerkstoff Z ist
X2CrNiMoN22-5-3 als rechteckige (Toleranz-) ähnlich, aber die formale Berechnung kompli-
Flächen eingetragen. zierter. Je nach Aufschmelzgrad, der von der
Nahtform, dem Verfahren und den Einstellwer-
Die Bedeutung der Konstitutions-Schaubil- ten abhängt, wird ein bestimmter Grundwerk-
der beruht aber nicht so sehr auf der Mög- stoffanteil beim Schweißen aufgeschmolzen.
lichkeit, das Gefüge eines gegebenen Werk- Für die in Bild 4-93 gewählte V-Naht kann
stoffs bestimmen zu können. Ihre besondere als realistische Schätzung 15 % G1 und 15 %
Leistungsfähigkeit besteht darin, auch die Ge- G2 angenommen werden. Wird ohne Zusatz-
füge von in beliebigem Verhältnis hergestell- werkstoff geschweißt, dann ergäbe sich also
ten (Legierungs-)Mischungen zu erkennen. der Punkt M. Aus diesen 30 % Grundwerk-
Diese Kenntnisse sind für die Beurteilung stoff entsteht mit 70 % Z das Schweißgut S.
verschiedener schweißmetallurgischer Pro- Dessen Zusammensetzung liegt damit auf
zesse besonders wichtig: der zwischen M und Z gezogenen Geraden
420 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
drei Teilstriche von Z entfernt, d. h. bei 70 % Das Schaeffler-Schaubild gilt in der ursprüng-
Z und 30 % M (Mischungsgerade). lichen Form nur für Stickstoffgehalte zwi-
schen 0,05 % und 0,10 %, einen Kohlenstoff-
Die in den meisten Fällen erforderliche »ge- gehalt 0,03 % und einen Siliciumgehalt von
naue« Abschätzung des d -Ferritgehalts ist etwa 0,3 %.
bis zu einem Volumenanteil von 15 % mit ei-
ner Genauigkeit von 4 % möglich, s. Auf- Zum Bestimmen der Ferritmenge im Schweiß-
gabe 4-12. Bei höheren Ferritgehalten macht gut ist das DeLong-Schaubild wesentlich ge-
sich die starke Einfluss der Abkühlgeschwin- nauer, Bild 4-94. Die Genauigkeit des mit
digkeit auf die d /g -Umwandlung bemerkbar. metallografischen oder physikalischen (z. B.
Der Ferritanteil nimmt mit der Abkühlge- magnetische Waage bzw. auf dem Ferroma-
schwindigkeit erheblich zu (s. Bild 2-83, S. gnetismus beruhende Verfahren: magnetische
221). Man beachte, dass die 0 %-Ferritlinie Permeabilität) Methoden ermittelten d-Ferrit-
nicht die Grenze zwischen primärer d -Fer- gehaltes ist für die Erfordernisse der Schweiß-
rit- und primärer Austenitkristallisation dar- praxis oft zu gering, die Methoden zu seiner
stellt. Diese für die Heißrissbeständigkeit Bestimmung nicht reproduzierbar oder nicht
(Abschn. 4.3.7.5, S. 431) wichtige Grenze ist international genormt. DeLong führte daher
in Bild 4-92 als Linie 1-2 eingetragen. eine mit Ferrit-Standard-Eichproben arbei-
tende Messmethode ein, die den Ferritgehalt
Eine weitere Quelle der Unsicherheit sind mit einer wesentlich größeren Genauigkeit
die unvermeidlichen Analysenstreuungen bei definierten Messbedingungen festzu-
der Grundwerkstoff- und Zusatzwerkstoff- stellen gestattet. Die Ferritmenge wird nicht
Zusammensetzung wie sie z. B. in den Tole- mehr prozentual, sondern in Form der Fer-
ranzfeldern für die im Bild 4-92 angegebe- rit-Nummer FN angegeben. Die Ferritpro-
nen Schweißgutsorten und des Grundwerk- zentwerte stimmen mit der Ferrit-Nummer
stoffs X2CrNiMoN22-5-3 anschaulich zum bis etwa 8 % hinreichend genau überein.
Ausdruck kommt. Gleichzeitig wurde das stark austenitisieren-
de Element Stickstoff in das Nickel-Äquiva-
In manchen Fällen – vor allem bei den Zusatz- lent des DeLong-Schaubildes aufgenommen.
werkstoffen für die Duplexstähle, Abschn. Der Gültigkeitsbereich des Messverfahrens
4.3.7.6, S. 440 – sind zum Einhalten der ge- reicht von FN 2 bis FN 27. Für Stähle
wünschten mechanischen Eigenschaften sehr mit höherem Ferritgehalt (z. B. die Duplex-
kleine Analysenstreuungen, d. h. verhältnis- stähle mit etwa 50 % Ferrit) musste der Mess-
mäßig aufwendig herzustellende Zusatzwerk- bereich der FN erweitert werden. Mit der
stoffe erforderlich. EFN (Extended Ferrite Number) lässt sich
Bild 4-94
20
Das DeLong-Schaubild wird zum Be-
stimmen der Ferrit-Nummer FN in hoch-
Nickeläquivalent = Ni + 30 × C + 30 × N + 0,5 × Mn
18
Niäq nicht bekannt, dann wird für ein mit
tn
0
rri
Fe
t
rri
14 2
%
1
A
16 Werkstoff A (S235):
Cräq (A) = 0 %
Ni äq (A) = 35 × C = 35 × 0,1 = 3,5 %
24 30 40 50 60 70
12
18
2
14
Cräq (B) = Cr = 18 %
80
Ni äq (B) = Ni + 35 × C = 10 + 2,1 = 12,1 %
FA 90
12 Zusatzwerkstoff Z (X2CrNi23 - 12):
H
F 100 Cr äq (Z) = Cr = 23 %
S Ni äq (Z) = Ni + 35 × C = 12 + 0,7 = 12,7 %
Schweißgut S:
10
Cr äq (S) = 0,7 × Cräq(Z) + 0,3 × Cräq(M) = 18,8 %
Ni äq (S) = 0,7 × Niäq(Z) + 0,3 × Niäq(M) = 11,2 %
18 20 22 24 26 28 % 30
Chromäquivalent C äq = Cr + Mo + 0,7 × Nb
Bild 4-95
Das WRC-1992-Schaubild, nach Kotecki und Siewert. Die dick ausgezogenen Linien repräsentieren Grenzli-
nien, die die Art der Primärerstarrung angeben. A = austenitische, AF = austenitisch-ferritische, FA = ferritisch-
austenitische, F = ferritische Primärerstarrung. Die mit H-H gekennzeichnete Linie trennt also die heißriss-
anfälligen von den heißrissfreien Legierungsbereichen. Der eingezeichnete Punkt S gibt die Chrom- und
Nickeläquivalente des Schweißguts im Textbeispiel an. Die im Schaubild angegebenen Zahlen sind Ferrit-
Nummern (FN) bzw EFN. Die Anwendung dieses Schaubildes auf Duplexstähle erfordert die Angabe der
Ferritmenge in Massenprozent. Als guter Näherungswert für die Umrechnung kann die folgende Beziehung
verwendet werden: 0,70 ◊ EFN = Ferritgehalt [%].
422 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Die Art der primären Erstarrung kann eben- die Wirksummen des daraus resultierenden
falls mit großer Genauigkeit abgelesen wer- Schweißguts errechnet. Die Cr- und Ni-Äqui-
den. Das Schaubild gilt ebenfalls für Stäh- valentzahlen der Mischung M ergeben sich
le, die
10 % Mangan,
3 % Molybdän,
1 % mit den Werten in Bild 4-95 aus den Beziehun-
Silicium und nicht mehr als 0,2 % Stickstoff gen Gl. [4-26] und Gl. [4-27] zu:
enthalten, obwohl diese Elemente in den Be-
ziehungen für die Wirksummen nicht enthal- Cräq(M) 0,5 ¹ Cräq(B) 0,5 ¹ Cräq(A) 9 %,
ten sind. Besonders zu beachten ist, dass z. Niäq(M) 0,5 ¹ Niäq(B) 0,5 ¹ Niäq(A) 7,8 %,
B. durch Lichtbogenlängenänderungen der
stark austenitstabilisierende Stickstoff im die des Schweißguts (S) schließlich zu:
Schweißgut auf Werte bis zu 0,1 % steigen
kann. Die Ermittlung des d -Ferritgehalts Cräq(S) 0,7 ¹ Cräq(Z) 0,3 ¹ Cräq(M) 18,8 %,
mit Hilfe dieses Schaubilds wird dann recht Niäq(S) 0,7 ¹ Niäq(Z) 0,3 ¹ Niäq(M) 11,2 %.
fehlerhaft. Außerdem kann sich die Art der
Primärkristallisation ändern! Die durch diese Wirksummen repräsentier-
te Legierung ( Schweißgut) ist im Bild 4-95
Bild 4-95 lässt erkennen, dass die Trennli- durch »S« dargestellt. Sie enthält O 7,5 % (d.
nie (H – H) zwischen den Legierungsberei- h. FN O 7,5) primär erstarten Ferrits und ist
chen mit primärer ferritischer und primärer daher nicht heißrissanfällig. Aus dem Schaeff-
austenitischer Kristallisation nicht identisch ler-Schaubild, Bild 4-93, ergab sich ein ausrei-
ist mit der Null-Prozent-Ferritlinie. Mit zu- chenden Gehalt an Ferrit von 5 %, der gemäß
nehmendem Legierungsgehalt des Stahls dem Linienverlauf 1 – 2 in Bild 4-92 ebenfalls
(bzw. des Schweißguts) ist für eine primäre primär aus der Schmelze entstand.
Ferriterstarrung ein immer größerer Ferrit-
gehalt bei Raumtemperatur erforderlich. 4.3.7.3 Martensitische Chromstähle
Die Schweißeignung der martensitischen
Die Beziehungen für die Wirksummen lau- Chromstähle (Tabelle 2-17) nimmt mit zuneh-
ten für das WRC-1992-Schaubild: mendem Kohlenstoffgehalt extrem ab. Abhän-
gig von ihrer chemischen Zusammensetzung
Cräq = Cr + Mo + 0,7 · Nb, [4-26] sind sie meistens lufthärtend, aber auch öl-
Niäq = Ni + 35 · C + 20 · N + 0,25 · Cu. [4-27] härtend. Das Gefüge der Wärmeeinflusszone
besteht daher nahezu unabhängig von der
Im Folgenden soll die in Bild 4-93, Beispiel 2, Abkühlgeschwindigkeit beim Schweißen über-
mit dem Schaeffler-Schaubild ermittelte wiegend aus nicht angelassenem Martensit.
Schweißgutzusammensetzung mit dem WRC- Je nach der Höhe des Kohlenstoffgehaltes
1992-Schaubild, Bild 4-95, festgestellt wer- ist die Wärmeeinflusszone grundsätzlich kalt-
den. Die Punkte der Legierung für die Grund- rissgefährdet. Bild 1-43 zeigt, dass selbst bei
werkstoffe und den Zusatzwerkstoff Kohlenstoffgehalten von nur etwa 0,1 % be-
reits Härtewerte von 350 HV bis 400 HV ent-
– (A) S235 Cräq(A) , Niäq(A), stehen können.
– (B) X6CrNiTi18-10, Cräq(B) , Niäq(B),
– (Z) Zusatz: X2CrNi23-12, Cräq(Z) , Niäq(Z), Der im Vergleich zu den ferritischen Chrom-
stählen (Abschn. 2.8.4.2 und 4.3.6.3, Tabel-
liegen z. T. nicht mehr im Bereich des Schau- le 2-17) deutlich höhere Kohlenstoffgehalt
bildes. Sie können daher nicht abgelesen, son- der martensitischen Chromstähle ist auch die
dern müssen »mathematisch« berechnet wer- Ursache für ihre extreme Ausscheidungsnei-
den. Mit den angenommenen Mischungsver- gung der Chromcarbide im Temperaturbe-
hältnissen M werden mit den Massenprozen- reich zwischen 600 C und 700 C. Das isother-
ten G der Legierungsanteile mische ZTU-Schaubild, Bild 4-88, zeigt exem-
plarisch dieses Ausscheidungsverhalten für
M(A) (B) M(M) G(A) / G(B) 0,5 50 %, den hochlegierten, warmfesten, martensiti-
M(S) M(M) (Z) G(M) / G(Z) 0,3 30 % schen Stahl X20CrMoV12-1.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 423
Zum Vermeiden von Kaltrissen ist ein Vorwär- der WEZ wirksam beseitigt. Die martensiti-
men unumgänglich. Bewährt hat sich das in schen warmfesten Stähle (Abschn. 4.3.5) wer-
Abschn. 2.5.3.4, S. 154, besprochene isother- den sehr ähnlich wärmebehandelt. Für ver-
mische Schweißen mit Vorwärmtemperaturen spannte, dickwandige Konstruktionen ist zum
knapp über der Ms-Temperatur, die bei die- Reduzieren der Eigenspannungen und Besei-
sen Stählen in erster Linie abhängig vom tigen des während des Schweißens aufgenom-
Kohlenstoffgehalt bei ungefähr 200 C bis menen atomaren Wasserstoffs eine Glühbe-
350 C liegt. Eine vollständige Umwandlung handlung im Bereich des umwandlungsträ-
in der Bainitstufe ist aber wegen der hierfür gen Bereich (400 C bis 500 C) vor der eigent-
erforderlichen sehr langen Zeit nicht mög- lichen Wärmenachbehandlung zweckmäßig.
lich und meistens auch nicht erwünscht bzw.
erforderlich. Bei den weniger rissanfälligen Wegen der extremen Kaltrissgefahr werden
niedriggekohlten Stählen (C
0,2 %) wird häufig nicht artgleiche, sondern austeniti-
auch häufig im Bereich der Mf-Temperatur sche Zusatzwerkstoffe verwendet, die ein
vorgewärmt, die bei diesen Stählen etwa Schweißgut mit einer Ferritnummer FN 4
100 C unter Ms liegt. Der noch vorhandene bis 6 ergeben müssen. Mit Hilfe dieser Maß-
»weiche« Martensit ist erfahrungsgemäß nur nahme ist das Schweißgut in jedem Fall heiß-
wenig rissanfällig und kann selbst in größe- rissfrei und ausreichend verformbar, erreicht
ren Mengen toleriert werden. aber nicht die Festigkeit des Grundwerk-
stoffs. Außerdem löst der Austenit wesentlich
Aus der Schweißwärme erfolgt zunächst ei- mehr Wasserstoff als der Ferrit (bzw. Mar-
ne Zwischenabkühlung auf etwa 150 C bis tensit), wodurch der vom Schweißgut aufge-
200 C, durch die der Austenit nahezu voll- nommene Wasserstoff nicht mehr in die Wär-
ständig in Martensit umwandelt. Damit wird meeinflusszone diffundieren und im Umwand-
sichergestellt, dass aus dem evtl. wasserstoff- lungsgefüge Martensit dann kaum noch Kalt-
haltigen Austenit beim Abkühlen nicht der ex- risse erzeugen kann. Die Gefahr der Kaltriss-
trem kaltrissanfällige und nicht angelasse- bildung entsteht vorzugsweise bei artgleichen
ne Martensit entsteht. Bei den höhergekohl- Zusatzwerkstoffen. Der Wasserstoff im we-
ten martensitischen Stählen muss der durch nig verformbaren ferritischen Schweißgut
die Zwischenabkühlung erzeugte Martensit- diffundiert in die noch austenitischen Berei-
anteil geringer sein, weil er anderenfalls die che der WEZ. Der sich anschließend bilden-
Rissbildung stark begünstigt. Je höher der de wasserstoffreiche Martensit neigt zu ex-
Kohlenstoffgehalt ist, desto höher muss al- tremer Kaltrissigkeit. Für die Auswahl geeig-
so die zwischen Ms und Mf liegende Tempe- neter Zusatzwerkstoffe lässt sich vorteilhaft
ratur der Zwischenabkühlung sein. das WRC-1992-Schaubildes verwenden, das
ausführlich im Abschn. 4.3.7.2 besprochen
Ms kann aus ZTU-Schaubildern abgelesen wird.
oder z. B. nach der vom »The Welding Insti-
tute« entwickelten Beziehung berechnet wer- In schwierigen Fällen kann auch die Puffer-
den: lagentechnik verwendet werden, bei der die
Nahtflanken der Fügeteile mit austenitischem
Ms = 540 - 497 ◊ C - 6 , 3 ◊ Mn - [4-28] Zusatzwerkstoff aufgetragen, wärmebehandelt
36 , 3 ◊ Ni - 10 ,8 ◊ Cr - 46 ,6 ◊ Mo. und anschließend fertiggeschweißt werden.
Der Aufschmelzgrad (und damit die Rissge-
Durch ein anschließendes Anlassglühen bei fahr) ist bei dieser sehr teuren und damit äu-
650 C bis 750 C wandelt sich der noch vor- ßerst unwirtschaftlichen Methode wesent-
handene Austenit während des Abkühlens lich geringer.
in ein weniger sprödes, feines martensiti-
sches Gefüge um, und die nichtangelasse- In Tabelle 4-38 sind einige Zusatzwerkstof-
nen martensitischen Bereiche der WEZ wer- fe nach DIN EN ISO 14343 für die wichtigs-
den »vergütet«. Außerdem wird der diffusions- ten Lichtbogenschweißverfahren aufgeführt,
fähige Wasserstoff aus dem Schweißgut und s. a. Tabelle 4-39 und Tabelle 4-40.
Tabelle 4-38
424
Anhaltswerte über Schweißzusätze zum Lichtbogenhandschweißen der in Betracht kommenden Stähle sowie über die Wärmebehandlung nach dem Schweißen,
nach DIN EN ISO 14343 (5/2007), Auszug.
1)
Stahlsorte Geeignete Schweißzusätze Wärmebehandlung nach
dem Schweißen
Kurzname Werkst. Kurzzeichen des Schweiß- Schweißstäbe, Drahtelektroden, Schweißdrähte
Nr. gutes der umhüllten Stab-
elektroden Kurzzeichen Werkstoffnummer
Austenitische Stähle
X5CrNi18-10 1.4301 19 9, 19 9 L, 19 Nb X5CrNi19-9, X2CrNi19-9, X5CrNiNb19-9 1.4302, 1.4316, 1.4551
X2CrNi19-11 1.4306 19 9 L, 19 9 Nb X2CrNi19-9, X5CrNiNb19-9 1.4316, 1.4551
X2CrNiN18-10 1.4311 19 9 L, 20 16 3 MnL X2CrNi19-9, X2CrNiMnMoN20-16 1.4316, 1.4455 I. Allg. nicht erforderlich
X6CrNiTi18-10 1.4541 19 9 Nb, 19 9 L X5CrNiNb19-9, X2CrNi19-9 1.4551, 1.4316
X6CrNiNb18-10 1.4550 19 9 Nb, 19 9 L X5CrNiNb19-9, X2CrNi19-9 1.4551, 1.4316
X2CrNiMo17-13-2 1.4404 19 12 3 L, 19 12 3 Nb X2CrNiMo19-12, X5CrNiMoNb19-12 1.4430, 1.4576
X2CrNiMoN17-12-2 1.4406 19 12 3, 20 16 3 MnL X2CrNiMo19-12, X2CrNiMnMoN20-16 1.4430, 1.4455
X6CrNiMoTi17-12-2 1.4571 19 12 3 Nb, 19 12 3 L X5CrNiMoNb19-12, X2CrNiMo19-12 1.4576, 1.4430 I. Allg. nicht erforderlich
X6CrNiMoNb17-12-2 1.4580 19 12 3 Nb, 19 12 3 L X5CrNiMoNb19-12, X2CrNiMo19-12 1.4576, 1.4430
X2CrNiMoN17-13-3 1.4429 19 12 3 L, 20 16 3 MnL X2CrNiMo19-12, X2CrNiMnMoN20-16 1.4430, 1.4455
X2CrNiMo18-14-3 1.4435 19 12 3 L, 19 12 3 Nb X2CrNiMo19-12, X5CrNiMoNb19-12 1.4430, 1.4576
X2CrNiMo18-16-4 I. Allg. nicht erforderlich
1.4438 18 16 5 X2CrNiMo18-16-5 1.4440
X2CrNiMoN17-13-5 1.4439 18 16 5 X2CrNiMo18-16-5 1.4440
1)
Weitere Angaben zu den Schweißzusätzen siehe DIN EN 1600, DIN EN ISO 14172 und DIN EN ISO 18274. Kursive Auszeichnung weist auf eine nur eingeschränkte
Bedeutung des betreffenden Schweißzusatzes hin.
2)
Nur unter Einhaltung bestimmter Maßnahmen schweißbar; über 0,25 % C ist Schweißeignung nur bedingt gegeben.
3)
Decklagen mit artähnlichen Schweißzusätzen.
4)
Stähle mit 17 % Cr sind vorwiegend zum Schweißen mit Verfahren geeignet, die ein geringes Wärmeeinbringen verursachen, wie Punkt- oder Rollennahtschweißen.
Schweißen mit Zusätzen stellt bei diesen Verfahren die Ausnahme dar.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 425
ben. Im Kurznamen für die chemische Zu- denen Menge an Titan (Niob) ist der Chroman-
sammensetzung des Schweißguts von Stab- teil wesentlich größer. Dadurch wird der mitt-
elektroden werden die Legierungsbestandteile lere Abstand zwischen den Chrom- und Koh-
in der Reihenfolge Chrom, Nickel, Molybdän lenstoffatomen zumindest örtlich geringer
hintereinander ohne das chemische Symbol als der zwischen den Ti- und C-Atomen. Die
aufgeführt. Der Zusatzbuchstabe L bedeu- teilweise Bildung der Chromcarbide wird da-
tet ein besonders niedriger Kohlenstoffge- mit reaktionskinetisch verständlich.
halt (L Low; englisch: niedrig).
Bild 4-96 zeigt den Umfang der Wiederauf-
Zum Schweißen der 17%igen Chromstähle wird lösung bereits ausgeschiedener NbC bei ver-
häufiger der austenitische Zusatzwerkstoff schiedenen Grundwerkstoffen und einem hoch-
X5CrNi19-9 (Werkst. Nr.: 1.4302) oder der art- legierten Schweißgut in Abhängigkeit von der
gleiche titanstabilisierte X8CrTi17 (Werkstoff Temperatur. Bei 1400 C liegt danach neben
Nr.: 1.4502) verwendet. In der Regel wird aber der Schmelzgrenze bereits die Hälfte des Ni-
aus bestimmten Gründen mit nichtstabilisier- obcarbids in gelöster Form vor.
ten Zusatzwerkstoffen eine größere IK-Bestän-
digkeit des Schweißguts erreicht, unabhän- Geht ein Teil des ferritstabilisierenden Ti
gig von der Art der stabilisierenden Elemen- durch Abbrand im Lichtbogen verloren, dann
te. Das Schweißgutgefüge wird von der Art entsteht nicht mehr ein rein ferritisches Ge-
und Menge der ferrit- bzw. austenitstabi- füge, sondern ein austenitisch-ferritisches.
lisierenden Elemente bestimmt. Das ferrit- Die Löslichkeit des Austenits für Kohlen-
stabilisierende Titan wird beim WIG-Verfah- stoff ist erheblich größer als die des Ferrits,
ren nicht, beim Lichtbogenhandschweißen da- d. h., der Kohlenstoff wird überwiegend vom
gegen fast vollständig abgebrannt. Das nicht Austenit aufgenommen. Die Phasenum-
sauerstoffaffine Niob brennt bei keinem Ver- wandlung aus dem Zweiphasenfeld (g a)
fahren ab. In dem titan- bzw. niobhaltigen führt zu einem martensitisch-ferritischen
rein ferritischen Schweißgut scheidet sich Gefüge. Die martensitische, chromärmere
fast der gesamte gelöste Kohlenstoff in Form Phase (Abschn. 2.8.4.2, S. 215) wird flächen-
von TiC bzw. NbC und entgegen dem thermo- artig angegriffen. Der Korrosionsangriff bei
dynamischen Gleichgewicht auch Chromcar- martensitisch-ferritischen Stählen ist damit
bid aus. Im Vergleich zu der im Stahl vorhan- erheblich geringer als bei rein ferritischen,
Bild 4-97
Zum Abbrandverhalten der Elemente Titan und Niob beim WIG- und Lichtbogenhandschweißen nichtstabili-
sierter 17%iger Chromstähle mit stabilisierten Zusatzwerkstoffen, schematisch.
Tabelle 4-39
428
Chemische Zusammensetzung und ausgewählte mechanische Eigenschaften des Schweißgutes der umhüllten Stabelektroden für das Lichtbogenhandschweißen
von nichtrostenden und hitzebeständigen Stählen nach DIN EN 1600 (10/1997), Auswahl.
Legierungs- Chemische Zusammensetzung des reinen Schweißgutes in % (m/m) 1), 2), 3), 4) Mechanische Eigenschaften Schweißgut
Kurzzeichen
C Si Mn Cr Mo Ni Sonstige R p0.2 (N/mm2) R m (N/mm2) A min (%)
1)
Einzelwerte in der Tabelle sind Höchstwerte.
2)
In der Tabelle nicht aufgeführte umhüllte Stabelektroden sind ähnlich zu kennzeichnen, wobei der Buchstabe Z voranzustellen ist.
3)
Die Summe von P und S darf 0,050 % nicht übersteigen; dies gilt nicht für 25 7 2, 18 16 5 L, 18 8 Mn und 29 9.
4)
Der Schwefelgehalt jedes Schweißguts beträgt höchstens 0,025 %, der Phosphotgehalt höchstens 0,035 %.
5)
Das reine Schweißgut ist weitgehend vollaustenitisch und kann deshalb anfällig sein für Mikrorisse und Erstarrungsrisse. Das Auftreten von Rissen wird durch Erhöhen
des Mangananteils im reinen Schweißgut reduziert. Daher ist der Mangananteil für einige Legierungstypen höher.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 429
Tabelle 4-40
Kurzzeichen für die chemische Zusammensetzung von Drahtelektroden, Drähten und Stäben zum Lichtbo-
genschweißen von nichtrostenden und hitzebeständigen Stählen nach DIN EN ISO 14343 (5/2007), Aus-
wahl.
Martensitisch/ferritisch
Austenitisch
19 9L 2) 0,03 0,65 1,0 bis 2,5 19,0 bis 21,0 9,0 bis 11,0 −
19 9 Nb 2) 0,03 0,65 1,0 bis 2,5 19,0 bis 21,0 9,0 bis 11,0 −
19 12 3 L 2) 0,03 0,65 1,0 bis 2,5 18,0 bis 20,0 11,0 bis 14,0 2,5 bis 3,0
19 12 3 Nb 2) 0,03 0,65 1,0 bis 2,5 18,0 bis 20,0 11,0 bis 14,0 2,5 bis 3,0
Ferritisch-austenitisch (korrosionsbeständig)
22 9 3 NL 0,03 1,0 2,5 21,0 bis 24,0 7,0 bis 10,0 2,5 bis 4,0
25 7 2 L 0,03 1,0 2,5 24,0 bis 27,0 6,0 bis 8,0 1,5 bis 2,5
25 9 4 NL 0,03 1,0 2,5 24,0 bis 27,0 8,0 bis 10,5 2,5 bis 4,5
Vollaustentisch (hochkorrosionsbeständig)
18 15 3 L 3) 0,03 1,0 1,0 bis 4,0 17,0 bis 20,0 13,0 bis 16,0 2,5 bis 4,0
18 16 5 N L 3) 0,03 1,0 1,0 bis 4,0 17,0 bis 20,0 16,0 bis 19,0 3,5 bis 5,0
19 13 4 L 3) 0,03 1,0 1,0 bis 5,0 17,0 bis 20,0 12,0 bis 15,0 3,0 bis 4,5
20 25 5 Cu L 3) 0,03 1,0 1,0 bis 5,0 19,0 bis 22,0 24,0 bis 27,0 4,0 bis 6,0
20 16 3 Mn L 3) 0,03 1,0 5,0 bis 9,0 19,0 bis 22,0 15,0 bis 18,0 2,5 bis 4,5
25 22 2 NL 3) 0,03 1,0 3,5 bis 6,5 24,0 bis 27,0 21,0 bis 24,0 1,5 bis 3,0
27 31 4 Cu L 3) 0,03 1,0 1,0 bis 3,0 26,0 bis 29,0 30,0 bis 33,0 3,0 bis 4,5
Spezielle Typen
18 8 Mn 3) 0,20 1,2 5,0 bis 8,0 17,0 bis 20,0 7,0 bis10,0 −
20 10 3 0,12 1,0 1,0 bis 2,5 18,0 bis 20,0 8,0 bis 12,0 1,5 bis 3,5
23 12 L 2) 0,03 0,65 1,0 bis 2,5 22,0 bis 25,0 11,0 bis 14,0 −
23 12 Nb 0,08 1,0 1,0 bis 2,5 22,0 bis 25,0 11,0 bis 14,0 −
29 9 0,15 1,0 1,0 bis 2,5 28,0 bis 32,0 8,0 bis 12,0 −
Hitzebeständige Typen
16 8 2 0,10 1,0 1,0 bis 2,5 14,5 bis 16,5 7,5 bis 9,5 1,0 bis 2,5
19 9 H 0,04 bis 0,08 1,0 1,0 bis 2,5 18,0 bis 21,0 9,0 bis 11,0 −
19 12 3 H 0,04 bis 0,08 1,0 1,0 bis 2,5 18,0 bis 20,0 11,0 bis 14,0 2,0 bis 3,0
22 12 H 0,04 bis 0,15 2,0 1,0 bis 2,5 21,0 bis 24,0 11,0 bis 14,0 −
25 4 0,15 2,0 1,0 bis 2,5 24,0 bis 27,0 4,0 bis 6,0 −
25 20 3) 0,08 bis 0,15 2,0 1,0 bis 5,0 24,0 bis 27,0 18,0 bis 22,0 −
25 20 Mn 0,08 bis 0,15 2,0 2,5 bis 2,5 24,0 bis 27,0 18,0 bis 22,0 −
25 20 H 3) 0,35 bis 0,45 2,0 1,0 bis 2,5 24,0 bis 27,0 18,0 bis 22,0 −
18 36 H 3) 0,18 bis 0,25 0,4 bis 2,0 1,0 bis 2,5 15,0 bis 19,0 33,0 bis 37,0 −
1)
In der Tabelle nicht aufgeführte Drahtelektroden sind ähnlich, mit dem vorangestellten Buchstaben Z zu kenn-
zeichnen.
2)
Si ist an das Legierungs-Kurzzeichen anzuhängen, wenn Si > 0,65 bis 1,2 %.
3)
Das reine Schweißgut ist in den meisten Fällen vollaustenitisch und kann daher zu Mikrorissen und Heißrissen
neigen. Das Entstehen von Rissen wird durch Anheben des Mangangehalts im Schweißgut reduziert. Unter
Berücksichtigung dieser Tatsache wurde der Manganbereich für einige Sorten erweitert.
430 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
bei denen die mit Chromcarbiden belegten für den Angriff konzentrierter Salpetersäu-
Korngrenzen linienförmig wesentlich schnel- re – vor allem bei höherer Temperatur – geeig-
ler abgetragen werden. net (Abschn. 4.3.7.5).
– Nur hochreines Schutzgas in ausreichen- ist gut. Sie werden zum Schweißen in der
der Menge (25 bis 30 l/min) verwenden. Regel weder wärmevorbehandelt noch nach
– Auf dichte Verbindungen im gesamten dem Schweißen wärmenachbehandelt. Etwa-
Schutzgassystem achten, um ein An-/Ein- ige die Korrosionsbeständigkeit beeinträch-
saugen von Luft zuverlässig zu vermeiden. tigenden oder die mechanischen Eigenschaf-
Dies lässt sich vor dem Schweißen mit ten verschlechternden Ausscheidungen sind
kreisförmigen Probeauftragschweißungen in der Regel nicht zu befürchten. Die nachste-
kontrollieren, die nach Schweißende (Strom hend aufgeführten werkstofflichen und fer-
aus!) einige Sekunden lang mit weiter tigungstechnischen Besonderheiten müssen
strömendem Schutzgas bespült werden. aber beachtet werden:
Es dürfen keine Verfärbungen entstehen, – Die Wärmeleitfähigkeit l ist etwa um den
d. h., das Schweißgut muss metallisch Faktor 3 geringer als die der unlegierten
blank sein. Stähle, Tabelle 2-18, S. 218. Die Abküh-
– Formiergase dürfen keinen Stickstoff ent- lung der Schweißverbindung erfolgt da-
halten, weil durch Stickstoffaufnahme das her merklich langsamer. Die Neigung
Schweißgut extrem verspröden kann. zum Wärmestau, z. B. beim Ausschleifen
– Brenner senkrecht zur Schweißnaht hal- von Schweißfehlern oder Beschleifen der
ten und nicht pendeln, um Einwirbeln der Nahtoberflächen, ist zu beachten. Ander-
Luft durch Injektorwirkung des ausströ- enfalls besteht die Gefahr von »Brand-
menden Gases zu vermeiden. stellen«, die häufig zu Mikrorissen füh-
– Schutzgasdüsen mit großem Innendurch- ren und damit die Neigung zur Spaltkor-
messer (etwa 20 mm) und Schutzgaslinse rosion begünstigen.
verwenden. – Der Ausdehnungskoeffizient a ist etwa
– Endkrater ausschleifen und mit Farbein- 50 % größer als der der unlegierten Stähle.
dringverfahren auf Risse prüfen, Schleif- Der Verzug geschweißter Bauteile ist also
stäube sorgfältigst beseitigen. erheblich. Bei geringeren Wanddicken
– Das Wärmeeinbringen ist ausreichend sind daher für maßstabstreue Bauteile
klein zu wählen, die Zwischenlagentem- häufig aufwändige Nacharbeiten erforder-
peratur sollte auf etwa 100 C begrenzt lich. Als Folge des starken »Arbeitens«
werden. der Schweißverbindung müssen die Füge-
teile fest gespannt und häufig geheftet
4.3.7.5 Austenitische werden.
Chrom-Nickel-Stähle – Die metastabilen austenitischen Stähle
Austenitische Stähle mit einem d -Ferritge- enthalten d -Ferrit, aus dem sich die stark
halt
10 % bezeichnet man als metastabile versprödende Sigma-Phase ausscheiden
(labile) Austenite, die ferritfreien als Vollaus- kann (Abschn. 2.8.3.4.2, S. 210). Ihre ver-
tenite (stabile Austenite). Die stabilen Aus- sprödende Wirkung wird mit zunehmen-
tenite neigen beim Schweißen zur Heißriss- dem Chromgehalt größer.
bildung. Die Ausbildung des d -Ferrits kann – Die Entstehung der 475 C-Versprödung
abhängig von der chemischen Zusammen- ist in vollaustenitischen Stählen nicht zu
setzung und der Wärmebehandlung sehr un- befürchten, sie wird allerdings mit stei-
terschiedlich sein. Bild 4-98 zeigt eine zellar- gendem Chromgehalt bzw. d -Ferritgehalt
tige Anordnung im Grundwerkstoff, Bild 4- stark beschleunigt. Bis zu einer Ferrit-
99 eine skelettartige Form in einem auste- Nummer von 14 machen sich ihre Auswir-
nitischen Schweißgut. Sie wird auch als ver- kungen aber kaum bemerkbar.
micularer (»wurmförmiger« Ferrit; lat: ver- – Die Bildung von Chromcarbiden im Be-
miculus Würmchen) Ferrit bezeichnet, der reich der Korngrenzen führt bei nichtsta-
in den meisten Fällen durch Primärkristallisa- bilisierten Stählen zur IK, Bild 4-100, (Ab-
tion aus der Schmelze entstand. schn. 2.8.3.4.1, S. 208). Die Carbidausschei-
dung erfolgt am schnellsten bei Tempera-
Die Schweißeignung der umwandlungsfrei- turen zwischen 650 C und 750 C, aber
en, nicht härtbaren austenitischen Stähle um einige Größenordnungen langsamer
432 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Das zum Schweißen dieser Stähle vielfach den. Im Wesentlichen ist sie nur durch rigo-
verwendete Schaeffler-Schaubild (Bild 4-92) roses Verringern der heißrissbegünstigenden
gibt keine Hinweise auf die Art der Ferritent- Elemente im Schweißgut und mit fertigungs-
stehung. Die 0 %-Ferritlinie entspricht nicht technischen Maßnahmen zu bekämpfen, die
dem Verlauf der eutektischen Rinne in dem Kerb- und Schrumpfspannungen herabset-
Gleichgewichts-Schaubild Bild 2-68. Vielmehr zen.
gibt die eingezeichnete Linie 1-2 angenähert
die Grenze der primären Ferrit- bzw. Auste- Mit geeigneten Schweißparametern oder
nitausscheidung an. Wesentlich genauer und (und) -bedingungen lässt sich die Entstehung
damit besser geeignet ist das WRC-1992- dieser Rissart fertigungstechnisch wirksam
Schaubild, Bild 4-95. vermeiden bzw. behindern. Die folgenden
grundsätzlichen Empfehlungen müssen da-
Der Nachweis der ferritischen Primärerstar- zu beachtet werden:
rung im Schweißgut kann sehr zuverlässig – Es sind Einstellwerte wählen, die zu einer
mit der Farbniederschlagsätzung nach Lich- möglichst kurzen Verweilzeit im Bereich
tenegger (Bild 4-103) oder rechnerisch, z. B. zwischen der Liquidus- und Solidustem-
mit der Formel von Suutala und Moisio er- peratur führen. Diese Forderung bedeu-
folgen, Gl. [4-28] und Gl. [4-29], Angaben in tet ein ausreichend geringes Wärmeeinbrin-
Prozent: gen, eine geringe Vorwärmtemperatur so-
wie eine hinreichend große Schweißge-
Cräq = Cr + 1,37 · Mo + 1,5 · Si + 2 · Nb + 3 · Ti , schwindigkeit. Schweißtechnologien, die
Niäq = Ni + 0,3 · Mn + 22 · C + 14,2 · N + Cu. viel Wärme einbringen, sind grundsätz-
lich zu vermeiden (z. B. in s-Position ge-
Danach erstarrt jedes mit praxisüblichen schweißte Nähte).
Verfahren »konventionell« niedergeschmolze- – Wegen der extrem stark austenitisieren-
ne Schweißgut primär ferritisch, wenn das den Wirkung des Stickstoffs muss der
Verhältnis Cräq/Niäq größer als 1,5 bis 1,6 ist. Lichtbogen möglichst kurz gehalten wer-
Dieses Verhältnis steigt allerdings sehr stark den, um einen Lufteinbruch zu verhin-
mit der Kristallisationsgeschwindigkeit. Die- dern. Die Folge wäre eine u. U. unzuläs-
se Bedingungen liegen z. B. beim Elektronen-
strahlschweißen vor. Hier sind Cräq/Niäq-Ver-
hältnisse von etwa 1,7 bis 1,9 erforderlich.
Ähnliche Bedingungen können bei Schweiß-
parametern entstehen, die tropfenförmige
Schweißbäder erzeugen, wie es in Abschn.
4.1.1.1, S. 300, ausführlicher erläutert wird
(s. a. Bild 4-1). Diese Situation tritt auf, wenn
die Vorschubgeschwindigkeit in Schweiß-
nahtmitte größer als die maximal mögliche
Kristallisationsgeschwindigkeit wird, Ab-
schn. 4.1.1.1. Die sich dabei bildende konzen-
trierte Ansammlung von Verunreinigungen
ist nicht nur die Ursache der Heißrissbil-
dung, sondern bewirkt unter bestimmten
Umständen auch einen Wechsel in der Art
der Primärkristallisation, s. a. Bild 4-3c. Bild
4-105 zeigt einen typischen Heißriss in einem
austenitischen Schweißgut.
Bild 4-105
In vollaustenitischem Schweißgut – vor al- Heißriss in einem austenitischen Schweißgut mit wa-
lem bei größeren Wanddicken – ist die Heiß- benförmig verteiltem d-Ferrit, anodisch geätzt (Oxal-
rissbildung reproduzierbar schwer zu vermei- säure), V = 400 :1.
436 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
sige Abnahme des primären d -Ferritge- stoffatomen. Die Bedingungen für eine che-
halts. Mit Versuchsschweißungen, deren mische Reaktion zwischen Chrom und Kohlen-
Schweißgut im einfachsten Fall z. B. mit stoff sind also wesentlich günstiger als die
einem Magneten abgetastet wird, kann zwischen Titan und Kohlenstoff.
sowohl die austenitisierende Wirkung ei-
ner zu großen Aufmischung als auch die Bei einem chemischen Angriff entsteht ein
einer geänderten Lichtbogenlänge hinrei- nur auf eine extrem schmale Zone neben der
chend genau bestimmt werden. Schmelzlinie begrenzter Kornzerfall. Diese
»wie mit einem Messer geschnittene« Korro-
Die Verfahren zum Prüfen der Heißrissnei- sionserscheinung wird in der englischen Lite-
gung werden ausführlicher in Abschn. 6.1, ratur daher als »Knife-Line-Attack«, im deut-
S. 579, besprochen. schen Sprachraum als Messerlinienkorrosion
bezeichnet, Bild 4-106.
Messerlinienkorrosion
Diese besondere Form der Korrosion tritt nur Bei nichtstabilisierten Stählen werden bei
in Schweißverbindungen aus stabilisierten der angegebenen Wärmebehandlung der ge-
austenitischen Stählen auf. Unmittelbar ne- samte Bereich der Schweißverbindung und
ben der Schmelzgrenze geht beim Aufheizen der Grundwerkstoff flächenförmig angegrif-
auf Temperaturen dicht unter Solidus ein merk- fen, Bild 4-101d. Abhilfe schafft ein Absen-
licher Teil des an Titan (Niob) gebundenen ken des Kohlenstoffgehalts auf
0,04 % und
Kohlenstoffs in Lösung (Bild 4-96). Während ein Überstabilisieren des Stahles gemäß fol-
der anschließenden raschen Abkühlung wird gender Empfehlung:
nur ein geringer Teil des Kohlenstoffs als
TiC (NbC) ausgeschieden, der größere bleibt Nb 8 ¹ C, Ti 15 ¹ C.
zwangsgelöst im Austenit. Wird die Schweiß- Allerdings nimmt bei Niobgehalten über 1 %
verbindung aber bei Temperaturen zwischen die Heißrissneigung i. Allg. zu. Möglich, aber
550 C und 650 C wärmebehandelt, dann sehr aufwändig und daher in der Praxis nur
scheidet sich der Kohlenstoff entgegen dem selten angewendet, ist auch eine Glühbe-
thermodynamischen Gleichgewicht nicht als handlung bei etwa 1050 C. Bei diesen Tem-
TiC, sondern als Chromcarbid M23C6 aus. peraturen bilden sich nicht mehr Chrom-,
Wegen der im Vergleich zum stabilisierenden sondern die wesentlich stabileren Niob- bzw.
Element wesentlich größeren Chrommenge Titancarbide.
ist auch der mittlere Abstand zwischen den
Chrom- und den Kohlenstoffatomen kleiner Ungeeignete Schweißnahtquerschnitte oder
als der zwischen den Titan- und den Kohlen- eine ungeeignete Schweißfolge können eben-
falls die Messerlinienkorrosion auslösen. Die
Ti-(Nb-)Carbide im Schmelzgrenzenbereich
2 2 1
M
M
M 1 2
1
A A
Korrosionsmedium Korrosionsmedium
a) b)
Bild 4-107
Einfluss der Schweißfolge und des Schweißnahtquer-
schnitts auf die Messerlinienkorrosion, M = sensibi-
lisierte Bereiche, A = Korrosionsangriff.
Bild 4-106 a) Angriff (A) durch Sensibilisieren der WEZ,
Messerlinienkorrosion (Knife Line Attack) in einem b) kein Angriff durch zweckmäßige Schweißnaht-
austenitischen titanstabilisierten Cr-Ni-Stahl. folge oder angepaßte Schweißnahtquerschnitte.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 437
der Lage 1, Bild 4-107a, werden gelöst. Der Allerdings ist die gewünschte Heißrisssicher-
frei werdende Kohlenstoff scheidet sich durch heit bei den oft als ausreichend erachteten
die Wärme der zweiten Lage in den auf et- FN-Werten 5 aus folgenden Gründen nicht
wa 600 C bis 650 C erwärmten Bereichen immer vorhanden:
z. T. in Form von Chromcarbiden aus (ent- – Da die FN-Werte in Nahtmitte im Deckla-
spricht einem Sensibilisierungsglühen). Bild genbereich gemessen werden, sind bei
4-107b zeigt, wie z. B. durch Änderung der Mehrlagenschweißungen durch Wieder-
Schweißfolge bzw. der Größe der Schweiß- erwärmen im Bereich der Wurzel als Fol-
nahtquerschnitte der sensibilisierte Bereich ge der verlängerten Aufenthaltsdauer im
nicht mehr im Oberflächenbereich der Me- (d g )-Gebiet deutlich geringere Ferrit-
dienseite liegt, d. h., ein Angriff kann nicht gehalte vorhanden, s. Bild 2-83.
mehr stattfinden. Bild 4-108 zeigt die unterschiedlichen d -
Ferritgehalte im austenitischen Schweiß-
Metallurgie des Schweißens gut einer Schweißverbindung im Bereich
Die austenitischen Cr-Ni-Stähle (Tabelle 2- der Wurzel im Vergleich zu dem deutlich
17) lassen sich mit allen üblichen Verfahren größeren Gehalt im Decklagenbereich.
sehr gut schweißen. Voraussetzung ist die Ver- – Durch eine unzureichende Handfertigkeit
wendung von Zusatzwerkstoffen, die 5 % bis des ausführenden Schweißers kann der
10 % primären d -Ferrit im Schweißgut erge- stark austenitbegünstigende Stickstoff
ben. Der Ferritgehalt muss in stabilisierten durch einen zu lang gehaltenen Lichtbo-
Stählen etwas größer sein, um die Heißrissbil- gen in das Schweißbad gelangen, wodurch
dung zu verhindern. Die Grundwerkstoffe die Ferritmenge abnimmt.
werden gewöhnlich mit FN 4 bis 8 herge-
stellt, um Rissbildung in den zu walzenden
Blöcken zu vermeiden. Weitere Hinweise
zum Schweißen der korrosionsbeständigen
Stähle sind in DIN EN 1011-3 zu finden.
– Bei erheblich von der »Norm« abweichen- Stabilisierte Stähle sollten mit niobstabili-
der Abkühlgeschwindigkeit der Schweiß- sierten 45) Zusatzwerkstoffen verarbeitet wer-
schmelze (z. B. kleine Abkühlgeschwin- den. Möglich ist auch die Verwendung nied-
digkeit beim Plattieren: geringe FN-Num- riggekohlter nichtstabilisierter Zusatzwerk-
mer, hohe Abkühlgeschwindigkeit beim stoffe. Allerdings darf dann die maximale Be-
Plasmaschweißen erzeugt u. U. einen un- triebstemperatur wegen der Gefahr des Korn-
zulässig großen Ferritgehalt) ergeben sich zerfalls etwa 300 C nicht überschreiten, d.
sehr unterschiedliche FN-Werte. h., sie ist rund 100 C niedriger als die bei sta-
bilisierten Stählen zulässige. Wegen der Ge-
Aus Korrosionsgründen werden die Stähle fahr der Chromcarbidbildung – auch in sta-
immer artgleich geschweißt, wobei die che- bilisiertem Schweißgut – werden die Zusatz-
mische Zusammensetzung der Zusatzwerk- werkstoffe in aller Regel überstabilisiert und
stoffe so abgestimmt wird, dass ein »edleres« mit einem sehr geringen Kohlenstoffgehalt
( höherlegiertes) Schweißgut entsteht. Die hergestellt.
nichtstabilisierten ELC-Stähle und die stick-
stofflegierten Stähle lassen sich mit stabilisier- Bild 4-109 zeigt den Schmelzgrenzenbereich
ten oder nichtstabilisierten Zusatzwerkstof- einer mit dem WIG-Verfahren geschweißten
fen schweißen. Wegen der stark austenitisie- Verbindung aus dem Stahl X10CrNiNb18-9.
renden Wirkung des Stickstoffs muss die Man erkennt deutlich den skelettartigen (»ver-
Aufmischung mit dem Grundwerkstoff aber micularen«) d -Ferrit im Schweißgut.
möglichst gering bleiben. Die nichtstabilisier-
ten Zusatzwerkstoffe haben im Vergleich zu
den stabilisierten einige Vorteile:
– Der Werkstoffübergang ist ruhiger und
weicher, die Neigung zur Spritzerbildung
daher geringer.
– Versprödende und heißrissbegünstigen-
de Ausscheidungen im Schweißgut wie
bei Verwendung stabilisierter Zusatzwerk-
stoffe als Folge ihres relativ hohen Niob-
gehalts ( 1 %) können nicht entstehen.
– Nichtstabilisiertes Schweißgut (Stahl) ist
hochglanzpolierfähig.
dürfen daher in keinem Fall durchgeführt Bild 4-110. Das sehr grobkörnige Gefüge be-
werden. Ein Lösungsglühen bei Temperatu- steht damit ausschließlich aus Ferrit, der die
ren über 1050 C wird dagegen als Wärme- Legierungsbestandteile (z. B. C und N) in ge-
nachbehandlung geschweißter Bauteile löster Form enthält. Während der Abkühlung
häufiger angewendet. wandelt der d -Ferrit wegen der erheblichen
Unterkühlbarkeit der nur unvollständig in
Die Lochfraßbeständigkeit lässt sich verhält- das Phasengemisch (d g ) um. Die mit zuneh-
nismäßig zuverlässig aus der chemischen Zu- mender Abkühlgeschwindigkeit zunehmende
sammensetzung des Stahls (vorzugsweise Diffusionsbehinderung führt also zu immer
erhöhen Chrom, Molybdän und Stickstoff in geringeren Austenitmengen, siehe hierzu
unterschiedlicher Wirksamkeit die Lochfraß- Bild 2-83, S. 219. In dieser Zone kann sich
beständigkeit) abschätzen. Sehr häufig wird das Ferrit-Austenitverhältnis bei nicht geeig-
dazu folgende Beziehung verwendet, in die neten Schweißbedingungen von ca. 50 %/50 %
die Elemente in Massenprozent einzusetzen bis auf 70 % ... 80 % / 30 %...20 % verschieben.
sind: Die Folge des hohen Ferritanteils ist zunächst
eine extreme Versprödung dieser Zone, d. h.
L Cr 3,3 ¹ Mo 16 ¹ N. [4-30]
der gesamten Verbindung.
Die Werte reichen von etwa 20 bei den ein-
fachen CrMo-25-4-Stählen bis über 40 bei Der für die mechanischen Gütewerte der Ver-
den gelegentlich auch als Super-Duplexstäh- bindung und ihr Korrosionsverhalten ent-
le bezeichneten CrMo-27-4-Typen mit erhöh- scheidende Austenitanteil bildet sich beim
tem Stickstoffgehalt, Tabelle 2-17. Abkühlen vorwiegend zwischen 1200 C und
800 C, Bild 4-110. Die Abkühlzeit t12/8 ist da-
Der für ausreichende Festigkeits- und Korro- her eine sehr aussagefähige Größe zum Be-
sionseigenschaften erforderliche Austenit- urteilen des Erfolges jeder Wärmebehand-
anteil von etwa 50 % wird bei den Grund- lung, d. h. auch des Schweißprozesses. Sie
und Zusatzwerkstoffen mit Hilfe eines aus- muss wegen des angestrebten Austenitan-
reichenden Stickstoff- und (oder) Nickel-Ge- teils von 50 % ausreichend groß, darf aber
haltes (Zusatzwerkstoffe enthalten etwa 8 % wegen der Gefahr der Grobkorn- und der s -
bis 10 % Nickel und oft 0,1 % Stickstoff) er- Phasenbildung (auch MeC und anderer Pha-
reicht. Stickstoff verringert dar über hinaus sen) in der WEZ auch nicht zu groß sein.
die Neigung zur Bildung der Sig ma-Phase
und erhöht die Temperatur der (d g )-Um-
GW Z
1400
WEZ, Abschn. 2.8.4.4, S. 219. Der Stickstoff- Hochtempe- Einfluss N
raturbereich
gehalt im Schweißgut sollte 0,12 % besser
d+ g
0,15 % nicht unterschreiten. 1200
Lösungsglüh- d g
bereich
Die beim Schweißen entstehenden komple-
xen Gefügeänderungen lassen sich annä- 1000
hernd anhand des Konzentrationsschnittes,
Bild 4-110, beschreiben. Die Aussagegenau- GW: 800
igkeit dieses Schaubildes ist begrenzt, weil 50 % g + 50 % d Ni 5 10 15 % 20
Cr 25 20 15 10
es nur für das thermodynamische Gleichge-
wicht gilt und die Wirkung verschiedener Le- Bild 4-110
gierungselemente, z. B. die des stark austeni- Zuordnung des beim Schweißen entstehenden Tempera-
turverlaufs zum Konzentrationsschnitt im Dreistoff-
tisierenden Stickstoffs nicht erfasst.
Schaubild Fe-Cr-Ni bei 70 % Fe (Linie A in Bild 2-68)
für den Stahl X2CrNiMoN22-5-3 (GW), der mit dem
Beim Schweißen wird der etwa über 1300 C mehr Nickel enthaltenden Zusatzwerkstoff vom Typ
erwärmte Bereich vollständig »ferritisiert«, CrNi-22-9 (Z) geschweißt wurde.
442 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Die Löslichkeit des Ferrits für Kohlenstoff Bild 4-111 zeigt die Mikroaufnahme einer
und Stickstoff ist um Größenordnungen ge- Schweißverbindung in Schmelzgrenzennä-
ringer als die des Austenits. Mit abnehmen- he, mit einer Abkühlzeit t12/8 10 s. Sehr deut-
der Austenitmenge bleibt der überwiegende lich sind die extreme Korngröße des Ferrits
Anteil dieser Elemente daher im Ferrit ge- und die Cr2N-Ausscheidungen (dunklere,
löst. Während der Abkühlung scheiden sie verschattete Bereiche) erkennbar. Die Ferrit-
sich daher in Form von versprödenden und menge beträgt etwa 75 %. Die Schweißverbin-
die Korrosionsbeständigkeit verringernden dung ist spröde und korrosionsanfällig.
Nitriden (Cr2N) und Carbiden (M23C6) aus,
Bild 2-83, S. 221. Bild 4-112 zeigt das Mikrogefüge einer durch
zu hohen Ferritgehalt und Cr2N-Ausscheidun-
Diese Werkstoffbesonderheiten erfordern da- gen stark versprödeten Wurzel. In Bild 4-113
her das Einhalten verschiedener fertigungs- ist ein annähernd optimales Schweißgutge-
und schweißtechnischer Maßnahmen sowie füge dargestellt, das mit einem Zusatzwerk-
bestimmter Schweißbedingungen: stoff vom Typ CrNi-22-9 und einer ausreichen-
– Wie für alle hochlegierten Stähle ist pein- den Vorwärmung hergestellt wurde.
liche Sauberkeit aller mit dem Lichtbo-
gen in Berührung kommenden Teile, wie Wegen des sehr hohen Ferritgehalts dieser
Werkstoffe, Zusatz- und Hilfsstoffe (Ga- Stähle ist die Anwendung des Schaeffler-
se, Pulver) oberstes Gebot. Der grund- und des DeLong-Schaubildes zum Ermitteln
sätzlich zu verwendende Wurzelschutz metallurgischer Zusammenhänge nur annä-
(besonders bei Rohren wichtig!) erfolgt hernd, das WRC-1992-Schaubild dagegen
mit Gasen, die Stickstoff (etwa ein Pro- gut brauchbar. Die Ferritgehalte dieser Stäh-
zent) enthalten, weil anderenfalls ein Stick- le werden meistens noch in Ferritprozenten
stoffverlust des Schweißgutes das Korro- angegeben. Die neuere auf den EFN-Werten
sionsverhalten und die Zähigkeitseigen- (Extended Ferrite Number, Abschn. 4.3.7.2)
schaften herabsetzen kann. beruhende Messmethode erlaubt die Ermitt-
– Die Abkühlzeit t12/8 sollte ! 10 s, besser lung größter Ferritgehalte in Form der EFN.
15 s sein. Dies wird durch ein angemesse- Als grobe Umrechnung wird häufig die Be-
nes Wärmeeinbringen (! 12 kJ/cm bis et- ziehung verwendet:
wa 25 kJ/cm) erreicht. Die Vorwärmtem-
peratur sollte auf 150 C begrenzt wer-
den, die Zwischenlagentemperatur 200 C
nicht überschreiten.
– Rasch abkühlende Schweißnähte wie Wur-
zellagen, Decklagen oder Nähte an stark
verspannten Konstruktionen (z. B. Stutzen-
schweißung) sollten mit höherer Vorwärm-
temperatur und (oder) Zusatzwerkstoffen
geschweißt werden, die einen höheren Ni-
ckel- bzw. Stickstoffgehalt haben. Diese
Elemente erhöhen den Austenitanteil und
damit das Verformungsvermögen der Ver-
bindung. Diese Maßnahme sichert vor al-
lem in der stärker aufgemischten Wurzel
einen ausreichenden Austenitanteil. Aus
diesem Grund sind auch I-Stöße grund-
sätzlich zu vermeiden. Wegen der sehr in-
Bild 4-111
tensiven austenitstabilisierenden Wir-
Mikroaufnahme aus dem Bereich Schmelzgrenze einer
kung des Stickstoffs muss das Analysen- Stumpfschweißverbindung, die mit t12/8 < 10 s her-
Toleranzfeld des Stahles entsprechend gestellt wurde, Werkstoff: X2CrNiMoN22-5-3, V =
klein sein, wie Bild 4-92 zeigt. 200:1, elektrolytisch mit Chromsäure geätzt.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Korrosionsbeständige Stähle) 443
0,70 ¹ EFN Ferritgehalt in Prozent. wa 1050 C/1 h bis 1150 C/1 h wärmebehan-
delt, gefolgt von rascher Abkühlung. In erster
Danach haben die Duplex-Schweißgüter EFN- Linie werden dadurch intermediäre Phasen
Werte zwischen 60 und 90. (z. B. Sigma-Phase, 475 C-Versprödung) ge-
löst, ein gewisser Ausgleich der chemischen
Als typische metallurgische Defekte treten Zusammensetzung erreicht und die Schweiß-
unter seltenen Betriebsbedingungen ledig- eigenspannungen beseitigt. Die hierfür ver-
lich Erstarrungsrisse im Schweißgut auf. wendeten Zusatzwerkstoffe müssen aber art-
Eine Rissbildung in der Wärmeeinflusszone gleich sein, weil anderenfalls der Austenitge-
wurde bisher kaum beobachtet. Allerdings halt des Schweißguts als Folge des höheren
können bei großen Wasserstoffgehalten was- Nickel- und (oder) Stickstoff-Gehalts wegen
serstoffinduzierte Risse im Schweißgut ent- der langen Aufenthaltsdauer im (d g )-Ge-
stehen und bei einem geringerem Wasser- biet unzulässig zunehmen würde. Die Bautei-
stoffgehalt Zähigkeitsverluste auftreten. Das le sind sorgfältig zu unterbauen, weil bei die-
übliche Wasserstoffarmglühen ist im Gegen- sen Temperaturen die Kriechfestigkeit der
satz zu den rein ferritischen Stählen wenig Stähle sehr gering ist. Die sich hierbei bil-
effektiv, da die zeilenförmigen austenitischen denden sehr dichten und zähen Oxide müs-
Gefügebestandteile eine Barriere für den (he- sen aus Gründen einer optimalen Korrosions-
raus-)diffundierenden Wasserstoff darstel- beständigkeit mit Hilfe mechanischer Verfah-
len, d. h., für ein wirksames Beseitigen des ren oder besser durch Beizen mit anschließen-
Wasserstoffs sind sehr große, unwirtschaft- dem Waschen beseitigt werden.
liche Zeiten erforderlich.
Tabelle 4-41 zeigt in einer zusammenfassen-
In den meisten Fällen werden geschweißte den, vereinfachenden Darstellung einige für
Bauteile nicht wärmebehandelt. Geschweiß- das Schweißen der korrosionsbeständigen
te Schmiedeteile und reparaturgeschweißte Stähle bewährte und praxiserprobte Schweiß-
Werkstücke werden dagegen häufiger bei et- empfehlungen.
444
Empfehlungen zum Schweißen der korrosionsbeständigen Stähle und die den Hinweisen zugrunde liegenden werkstofflichen Zusammenhänge, schematisch.
1. Wärmezufuhr wählen, so dass t12/8 < 10, bes- 1. Verbinden Vorteile der ferritischen Cr- und austenitischen Cr-Ni-Stähle, GW Z
ser 15 s wird. ohne deren Nachteile: Hervorragende Korrosionsbeständigkeit (SpRK,
1600
2. Vorwärmen auf etwa 200 °C begrenzen. Lochkorrosion), hohe Streckgrenzen (über 450 N/mm2), Zähigkeit ent- Schweißnaht S+ d S S+ d + g S+ g
spricht fast der des Austenits, wegen Primärerstarrung zu d -Ferrit sehr °C
3. Zusatzwerkstoff mit höherem Ni- bzw. N- geringe Heißrissneigung. Aber leichtere Bildung der diese Stähle stark 1400
Gehalt wählen. versprödenden Sigma-Phase (700 °C bis 900 °C). Wegen der Gefahr der Hochtempe-
raturbereich
475 °C-Versprödung beträgt maximale Betriebstemperatur 250 °C.
d+ g
Temperatur T
Allgemeine Hinweise: 2. Mit zunehmender Abkühlgeschwindigkeit wird Bildung des aus dem d - 1200
Lösungsglüh- d g
N-Gehalt im Grundwerkstoff sollte 0,10 %, im Ferrit entstehenden Austenits stark behindert, Bild 2-83, S. 219. Außer- bereich
Schweißgut 0,12 % nicht unterschreiten. Me- dem Ausscheidung des versprödenden Cr2N aus dem Ferrit, dessen Lös-
chanische Bearbeitung nur mit Werkzeugen, lichkeit für N nur sehr gering ist. Der schmelzgrenzennahe Bereich ist 1000
die noch nicht mit » schwarzem« Werkstoff in daher stark ferritisiert (bis 80 %), starke Versprödung ist die Folge. Im
Berührung gekommen sind. Wurzellagen we- Schweißgut wird erforderliche Austenitmenge durch höheren Ni- und N- GW:
gen höherer Aufmischung mit höherlegierten Gehalt erreicht. 50 % g + 50 % d 800
Ni 5 10 15 20
Zusatzwerkstoffen schweißen. Cr 25 20 15 10
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
sprache mit dem Stahlhersteller. Sigma-Phase und der 470 °C -Versprödung führen: Abnahme der Korro-
+Mo Lkr
sionsbeständigkeit und Verschlechtern der mechanischen Gütewerte. +Ni
3. Wärmezufuhr begrenzen, d. h., Zwischenla- 18-8Ti +Ti
IK
gentemperatur max 150 °C, Schweißen in s- 2. Wärmezufuhr begrenzen: Gefahr der Heißrissbildung und Lösen der +Cr, +Mo, - Ni, - C Duplex
18-8 K, SpRK, IK 22/5/3
Position vermeiden, Strichraupen schweißen. TiC (NbC) in der WEZ, wodurch IK-Anfälligkeit entsteht. Stabilisierte 18-8L
- C
IK
Stähle sind thermisch höher beanspruchbar (400 °C) als ELC-Stähle +Mo Lkr
4. Lichtbogen kurz halten. Evtl. Verlust von d - +Ni
(300 °C). +Mo Lkr
Ferrit mit Magnet überprüfen.
3. Wegen stark austenitisierender Wirkung des N ist der Lichtbogen mög- - C - C, +Cr, +Ni
17-12-2,5L 17-12-2,5 25-22-2,5L
5. Anlauffarben verhindern (Formiergas) oder IK - K, red, IK
lichst kurz zu halten, sonst Verlust an d -Ferrit. +Mo Lkr +Mo Lkr +Ni
+N SpRK +Nb K, H2SO4
Beseitigen (Schleifen, Beizen). Beim Schlei- +Cu
fen » Brandstellen« vermeiden. Ansatzstellen 4. Anlauffarben verringern entscheidend Korrosionsbeständigkeit, durch 17-13-5LN
- C, +Mo, +N
18-16-3,5 23-27-2,8-Nb Cu
IK, Lkr, SpRK
» Brandstellen« +Cr Lkr +Ni K
ausschleifen. +Ni SpRK +Mo Lkr
+Mo +Nb SpRK
+N
6. Ausgebildete und erfahrene Schweißer ein-
+Ni, +Cr, +Mo, +Nb Ni-Cr-Mo
setzen 20 25 6LN Ni B i
Tabelle 4-41, Fortsetzung.
1. Vorwärmen auf 30 °C bis 50 °C über Ms. 1. Hochgekohlt und hochlegiert, Lufthärter, extrem schlechte Schweißeig-
900 Ac
nung. Vorwärmen über Ms hält austenitisierten Teil der WEZ während 1
2. Nach dem Schweißen Zwischenabkühlen auf
des Schweißens im austenitischen Zustand. Kaltrissbildung in der WEZ 800
Tz = 150 °C bis 200 °C.
T
dann deutlich geringer. Versprödung durch Wasserstoff ist sehr zu be- °C
3. Gefolgt von anschließendem Anlassglühen von K P
achten, d. h., trockene Zusatzwerkstoffe verwenden, Wasserstoffquellen
Tz auf 650 °C bis 750 °C. 600
rigoros ausschalten.
4. Verwendung austenitischer Zusatzwerkstof- 2. Beim Zwischenabkühlen Umwandlung der austenitisierten Zonen der
Temperatur
fe ist (oft) zweckmäßig. 400
WEZ in Martensit. Dadurch geringere (Kalt-)Rissgefahr, weil Carbidaus- B
scheidung (an Korngrenzen des Austenits!) nach sofortigem Aufheizen Ms
auf Anlasstemperatur unterbleibt. 200
Mf M
Allgemeine Hinweise 3. Austenitischer Zusatzwerkstoff verringert Rissgefahr im Schweißgut und
Vom Schweißen ist i. Allg. abzuraten. Aufhei- in der WEZ, aber keine Wärmebehandlung nach dem Schweißen (Vergü- 0
zen auf Vorwärmtemperatur Tp mit 30 °C/h bis ten) möglich. 1 10 10 2 10 3 min 10 4
50 °C/h. Zeit t
1. Vorwärmen auf 150 °C bis 250 °C über Ms. 1. Geringe Zähigkeit, Übergangstemperatur im Bereich der Raumtempera-
tur, daher sprödbruchanfällig. Vorwärmen mildert Temperaturdifferenz 2000
2. Wärmezufuhr begrenzen: Nahtkreuzungen,
dicke Stabelektroden vermeiden, Zugraupen- im Schweißnahtbereich, verringert Eigenspannungen d. h. Rissanfällig- °C
keit. S S+ d
technik anwenden. 1600
3. Bei nichtstabilisiertem Werkstoff anschlie- 2. Thermisch instabil, weil krz Gitter geringere Packungsdichte als kfz Git-
ßendes Glühen bei 750 °C/1 h zwingend er- ter besitzt und Löslichkeit für die meisten Elemente um Größenordnun-
gen geringer, Diffusionskoeffizient aber um Größenordnungen größer ist 1200
forderlich. g g+ d d
Temperatur T
– Bei unterschiedlichen thermischen Aus- Wurzellagen mit ihrer deutlich höheren Auf-
dehnungskoeffizienten der Grundwerk- mischung. Mit Zusatzwerkstoffen vom Typ
stoffe bzw. des Schweißguts entstehen ho- CrNiMn-18-8-6 lässt sich ein vollausteniti-
he zusätzliche Schubspannungen an den sches Schweißgut erzeugen, das aber wegen
Phasengrenzen Schweißgut/Grundwerk- des hohen Mangangehalts heißrisssicher ist
stoff, die vielfach stark rissbegünstigend und nicht zum Ausscheiden versprödender
wirken. Phasen neigt.
Die größte Schwierigkeit für das Erzeugen Außer den metallurgischen Problemen ist
rissfreier, zäher Schweißverbindungen ist der sehr unterschiedliche Wärmeausdeh-
das Auffinden eines metallurgisch »passen- nungskoeffizient der unlegierten ferritischen
den« Zusatz-Pufferwerkstoffes. Nickelbasis- und der hochlegierten austenitischen Stäh-
Zusatzwerkstoffe sind aus den folgenden le zu beachten (siehe Tabelle 2-18, S. 218).
Gründen besonders geeignet für viele Werk- Die Folge sind große temperaturinduzierte
stoffkombinationen: Spannungen an der Phasengrenze Ferrit/Aus-
– Nickel bildet mit den meisten Elementen tenit, die zu starkem Verzug und (oder) Riss-
ausgedehnte Mischkristallbereiche und bildung führen können, Bild 4-114. Besonders
nur sehr selten – z. B. mit Aluminium – kritisch sind in dieser Beziehung Zeit-Tem-
intermediäre Verbindungen. peratur-Wechselbeanspruchungen, für die
– Nickel behindert wirksam die Diffusion sich hoch nickelhaltige Sonder-Zusatzwerk-
des Kohlenstoffs. Sein unerwünschtes stoffe bewährt haben. Sie haben eine Reihe
Eindringen in das Schweißgut und damit entscheidender Vorteile:
dessen Versprödung wird weitgehend un- – Ihr Wärmeausdehnungskoeffizient ent-
terbunden. Allerdings kann sich dadurch spricht etwa dem der ferritischen Stähle.
im Schmelzgrenzenbereich ein stark ver-
sprödender Carbidsaum bilden. austenitischer Zusatzwerkstoff, a Austenit = 18 × 10 - 6
– Nickel verbessert in hohem Maße die Zä- unlegierter Stahl austenitischer Stahl
higkeit des Schweißguts, d. h. die Risssi-
cherheit der Verbindung und damit die Si-
cherheit des Bauteils. a Ferrit = 14 × 10 - 6
a Austenit = 18 × 10 - 6
– Der Grad der Aufmischung mit dem Grund- Hoch nickelhaltige Zusatzwerkstoffe unter-
werkstoff kann sehr hoch sein, bevor sich binden zwar das Eindiffundieren des Koh-
spröde Gefügebestandteile bilden. lenstoffs in das Schweißgut, aber der nun an
– Das Schweißgut neigt nicht zur Versprö- der Schmelzgrenze aufgestaute Kohlenstoff
dung. führt hier zur Bildung einer dünnen, sprö-
den Carbidschicht.
Der wichtigste Zusatzwerkstoff-Typ ist die
Legierung S-NiCr15Fe10Nb. Bild 4-114 zeigt, Bild 4-115 zeigt das Mikrogefüge einer span-
dass die Lage der Temperaturspannungen nungsarm geglühten Verbindung aus einem
abhängig ist vom Wärmeausdehnungsko- unlegierten, Baustahl (S235), geschweißt mit
effizienten des Schweißguts und der Grund- einem austenitischen Zusatzwerkstoff vom
werkstoffe. Der hochlegierte Zusatzwerkstoff Typ CrNi-19-9. Der massive Carbidsaum und
S-NiCr15Fe10Nb erzeugt demnach nur im die weitgehend entkohlte Grobkornzone auf
Schmelzgrenzenbereich Austenit/Schweiß- der »schwarzen« Baustahlseite sind deutlich
gut Schubspannungen, die aber von den zä- erkennbar.
hen austenitischen Werkstoffen rissfrei auf-
genommen werden. Alle Schweißverfahren, mit denen geringe
Aufschmelzgrade hinreichend einfach reali-
Bei höheren Betriebstemperaturen (größer sierbar sind, eignen sich für diese Aufgabe.
450 C) kann der Kohlenstoff leicht aus dem In kritischen Fällen hilft das sehr teure Ver-
ferritischen Werkstoff in das austenitische fahren des Pufferns einer oder aller Naht-
Schweißgut diffundieren. Die Folgen sind Ver- flanken, vorwiegend mit hoch nickelhaltigen
sprödung des Schweißguts und Entkohlen, Zusatzwerkstoffen.
d. h. Entfestigen der schmelzgrenzennahen
Bereiche der Ferritseite der Schweißverbin- 4.3.8.2 Schweißplattieren
dung. Diese Entfestigung führt vor allem bei Beim Plattieren wird auf einen un- bzw. nied-
zyklischer Temperaturbeanspruchung leicht riglegierten Trägerwerkstoff eine korrosionsbe-
zu thermischer Ermüdung der Verbindung. ständige (verschleißfeste) Werkstoffschicht
aufgetragen. In vielen Fällen wird auch hier
die Werkstückoberfläche zunächst »gepuffert«,
Abschn. 4.3.8.3, um eine zähe Zwischenschicht
zu erzeugen.
Die letzte Lage muss die für die vorliegende Bild 4-116
Korrosionsbeanspruchung erforderliche che- Entstehungsorte der Unternahtrisse beim Schweiß-
mische Zusammensetzung haben. plattieren, schematisch.
450
Tabelle 4-42
Beispiele für die Arbeitsfolge beim Schweißen plattierter Bleche, die eine V-Nahtvorbereitung haben, in Anlehnung an DIN EN ISO 9692-4 und
DIN EN 1011-5.
Arbeitsfolge
t < 5 mm t > 2,5 mm Kupferlegierungen
Schweißen des Grundwerkstoffs mit geeignetem Schweißzusatzwerkstoff. Beim Schweißen der Wurzel darf der
➊ Plattierungswerkstoff nicht angeschmolzen werden.
Plattierungs- Plattierungs-
GW werkstoff GW werkstoff
Wurzel so tief ausarbeiten, dass das fehler- Die Arbeitsfolge nach Ausfüh- Die Arbeitsfolge nach Ausfüh-
Plattierungsseite, Plattierungsseite,
hafte Schweißgut des Grundwerkstoffs erfasst rung B ist für Nickel und Ni- rung A ist für Kupfer und Kup-
Nahtvorbereitung und Nahtvorbereitung und wird. ckel-Legierungen nicht üblich. fer-Legierungen nicht üblich.
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Schweißen der Kapplage Schweißen der Kapplage Kapplage entweder mit dem für den Grund- Wurzel so tief ausarbeiten, dass Kapplage bis Höhe Unterkante
werkstoff gewählten Schweißzusatzwerkstoff das fehlerfreie Schweißgut des der Plattierung mit einem dem
e
oder mit einem geeigneten hochlegierten, der Grundwerkstoffs erfaßt wird. Grundwerkstoff artgleichen Zu-
➋ Plattierung genügenden Schweißzusatzwerk- Kapplage mit einem dem Plattie- satzwerkstoff schweißen. Der
stoff schweißen. rungswerkstoff entsprechen-den Lötrissigkeit kann durch eine
Wird bei der Ausführung A die Kapplage mit dem Schweißzusatzwerkstoff schwei- Zwischenlage, z. B. aus Reinni-
für den Grundwerkstoff geeigneten Schweißzu- ßen. ckel [S Ni 2061 (NiTi3) nach
satzwerkstoff geschweißt, dann ist ein Sicher- DIN EN ISO 18274] begegnet
Plattierungs- Plattierungs-
GW werkstoff GW werkstoff heitsabstand e erforderlich, um ein Anschmel- werden.
zen des Plattierungswerkstoffs zu vermeiden.
Schweißen der Plattierung Schweißen der Plattierung Der Plattierungswerkstoff soll mit einem art- Der Plattierungswerkstoff ist mit Der Plattierungswerkstoff ist
gleichen oder höherlegierten Schweißzusatz- einem ihm entsprechenden Zu- mit einem ihm entsprechenden
werkstoff geschweißt werden; für die Auswahl satzwerkstoff zu schweißen. Zu- Zusatzwerkstoff zu schweißen.
des Schweißzusatzwerkstoffs ist maßgebend, satzwerkstoffe nach DIN EN Schweißzusatzwerkstoffe nach
dass die an die Plattierung gestellten Anforde- ISO 14343 bzw. DIN EN ISO DIN EN ISO 14343 bzw. DIN
➌ rungen auch von der Schweißnaht erfüllt wer- 24373 wählen. EN ISO 24373 wählen.
den. Geeignet sind Schweißzusatzwerkstoffe Die erste Lage ist als Zugraupe Die erste Lage ist als Zugraupe
Plattierungs- Plattierungs- nach DIN EN 1600 und DIN EN ISO 14343. mit möglichst niedriger Strom- mit möglichst niedriger Strom-
GW werkstoff GW werkstoff Angestrebt wird Schweißen in PA-(w-)Position. stärke zu schweißen. stärke zu schweißen.
Abschn. 4.3: Schweißen der wichtigsten Stahlsorten (Schweißpanzern) 451
C st 0,2 bis 0,5 1 bis 6 ≤5 0,5 bis 3 4 1 bis 10 0,1 bis 0,5 − Co Fe
z. B. CrNi-24-13 CrNi-18-18
Bild 4-117
Werkstoffpaarungen, die ein Puffern des Grundwerkstoffs beim Verbindungs- bzw. Auftragschweißen unter-
schiedlicher Werkstoffe erforderlich machen können. Die in den Bildern verwendete Bezeichnung »Stahl«
bedeutet immer einen (niedriggekohlten) unlegierten oder (niedrig-)legierten Baustahl.
heblich voneinander ab. Die großen Span- ter unterschiedlicher Werkstoffe, bei denen
nungsgradienten an der Phasengrenze die Verwendung von Pufferschichten metal-
flüssig/fest können durch Plastifizierung lurgisch sinnvoll sein kann.
der zähen Pufferschicht leichter abgebaut
werden, s. a. Bild 4-112. Eine entscheidende Voraussetzung für das
❐ Eine hohe Stoß-, Schlag- oder Druckbean- Herstellen hochwertiger Schweißverbindun-
spruchung kann zum Abplatzen bzw. Aus- gen mit nickel- bzw. hoch nickelhaltigen Zu-
brechen der Panzerschicht führen. satzwerkstoffen ist die extreme Sauberkeit
❐ Die leicht plastifizierbare Pufferschicht der Schweißstelle. Außerdem muss der Grad
kann Stöße und Schläge rissfrei »aufneh- der Aufmischung des Schweißguts kontrol-
men«. liert werden, da anderenfalls das nickelhal-
tige Schweißgut durch den höheren Schwe-
Bild 4-117 zeigt einige Beispiele von Verbin- fel- und Phosphorgehalt des Grundwerkstoffs
dungs- und Auftragschweißungen bekann- heißrissanfällig wird.
456 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-45
Mechanische Eigenschaften der Stahlgusssorten für allgemeine Verwendung, nach DIN EN 10293, Auswahl.
Unlegierte Stahlgusssorten
(Niedrig-)legierte Stahlgusssorten
27/−30
G17Mn5 + QT 3), 5) ≤ 50 240 450 bis 600 24
60/RT
+ N 3) ≤ 30 300 480 bis 620 20 27/−30
G20Mn5
+ QT 3), 5)
≤ 100 300 500 bis 650 22 27/−40
+ QT1 ≤ 50 550 700 bis 800 12 27/−20
G24Mn6 + QT2 3) ≤ 100 500 650 bis 800 15 27/−30
+ QT3 3) ≤ 150 400 600 bis 800 18 27/−30
+ N 3) ≤ 250 260 520 bis 670 18 27/RT
G28Mn6 + QT1 5) ≤ 100 450 600 bis 750 14 35/RT
+ QT2 5) ≤ 50 550 700 bis 850 10 31/RT
+ QT1 5)
≤ 50 700 850 bis 1000 10 27/RT
G15CrMoV6-9
+ QT2 5) ≤ 50 930 980 bis 1150 6 27/RT
G20Mo5 + QT 5) ≤ 100 245 440 bis 590 22 60/RT
G17CrMo5-5 + QT 3), 5) ≤ 100 315 490 bis 690 20 27/RT
G17CrMo9-10 + QT 3), 5)
≤ 150 400 590 bis 740 18 40/RT
G9Ni14 + QT 5) ≤ 30 380 550 bis 700 20 27/−90
G17NiCrMo13-6 + QT 3), 5) ≤ 200 600 750 bis 900 10 35/RT
Hochlegierte Stahlgusssorten
1)
+ N: Normalisieren; + QT: Abschrecken und Anlassen (Quench and Tempered)
2)
bei zwei Kerbschlagarbeiten
3)
Luftabkühlen (nur zur Information)
4)
J/RT = KV in J bei Raumtemperatur (31/RT) bzw. anderer Temperatur (27/−100)
5)
Flüssigkeitsabkühlen (nur zur Information)
Tabelle 4-46
Mechanische Eigenschaften (Mindestwerte bei Raumtemperatur) und Angaben zum Konstruktionsschweißen der hochfesten Stahlgusssorten nach
SEW 520, Auswahl.
N/mm2 N/mm2 % J °C °C
G12MnMo7-4 GS-12 MnMo 7 4 500 600 bis 750 16 50 EY 50 65 1 NiMo B 300 570
G14NiCrMo10-6 GS-14 NiCrMo 10 6 550 650 bis 800 16 90 EY 55 76 2 NiMo B H5 300 600
4)
550 760 bis 900 15 50 13 4 B 20 300 580
GX5CrNi13-4 G-X 5 CrNi 13 4
920 980 bis 1130 10 27 X 3 CrNi 13 4 4) 5) 300 420
1)
Falls nach dem Schweißen spannungsarm geglüht wird, sind Schweißzusätze zu wählen, die ein Schweißgut ergeben, das im spannungsarmgeglühten Zustand die erfor-
derlichen Werte der mechanischen Eigenschaften aufweist, z. B. DIN EN 757 - ESY 42 65 Mn B.
2)
Mindest-Werkstücktemperatur etwa 20 °C, die zweckmäßige Vorwärmtemperatur ist abhängig von der Wanddicke, Bauteilform und dem Eigenspannungsniveau.
3)
Soweit ein Glühen nach dem Schweißen erforderlich ist (siehe SEW 520, Abschn. 6.6.4).
4)
Schweißzusatz nach DIN EN 1600 bzw. DIN EN ISO 14343.
5)
WIG-Verfahren.
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Stahlguss)
459
460 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Konstruktionsschweißen
Große Bauteile werden häufig aus kleineren
Einzelteilen, die aus gleichen oder unter-
schiedlichen Werkstoffen (z. B. Plattieren) be-
stehen können, durch das Schweißen her-
gestellt. Da im Gegensatz zum Fertigungs-
schweißen dieser Fertigungsablauf im vor-
Bild 4-121
aus festgelegt wird, lassen sich zum Errei- Pumpengehäuse (GX12Cr14) als Stahlguss-Verbund-
chen der im Folgenden genannten techni- Schweißkonstruktion. Die Schweißnähte werden
schen und wirtschaftlichen Vorteile optima- US-geprüft, nach Georg Fischer AG.
le Voraussetzungen schaffen:
– Verbundkonstruktionen mit einer hohen Bild 4-121 zeigt ein typisches Beispiel einer
Bauteilsicherheit, bestehend aus mit Guss- Stahlguss-Verbundkonstruktion. Das Guss-
teilen verschweißten Walzprofilen, Schmie- teil (GX12Cr14) des Pumpengehäuses für
destücken, Blechen und Rohren, sind wirt- den Sekundärkreislauf eines Wärmekraft-
schaftlich herstellbar. werks wird an beiden Vorschuhenden mit
nahtlosen Rohren und geschmiedeten Rin-
³
15
°
Riss gen aus artgleichen (Walz-)Werkstoffen durch
Schmelzschweißen verbunden.
Tabelle 4-47
Mechanische Eigenschaften der nichtrostenden Stahlgusssorten nach DIN EN 10213, DIN EN 283 und
SEW 410 bei Raumtemperatur, Auswahl.
Martensitische Sorten
Ferritisch-carbidische Sorten
GX70Cr29 3) 150 − − − − −
GX120Cr29 3) 150 − − − − −
GX120CrMo29-2 3) 150 − − − − −
GX40CrNi27-4 3) 150 − − − − −
GX40CrNiMo27-5 3) 150 − − − − −
Ferritisch-austenitische Sorten
Austenitische Sorten
Vollaustenitische Sorten
1)
Nach DIN EN 10213-1
2)
Nach DIN EN 10283
3)
Nach SEW 410
462 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Gusseisengefüge
I weiß dünnflüssigen Schmelze beim Schweißen ist
6 IIa meliert
II perlitisch damit selbst für den geübten Schweißer sehr
IIb perlitisch-ferritisch erschwert. Sie muss mit geeigneten Vorrich-
III ferritisch
tungen (z. B. Formkohle) vor einem unkon-
I IIa II IIb III trollierten Fortlaufen gehindert werden. Als
5
Folge der extrem geringen plastischen Ver-
formbarkeit von Grauguss müssen die vor,
beim oder nach dem Schweißen entstehen-
L L+ P Perlit + CG F + P + CG Ferrit + CG den Temperaturdifferenzen möglichst gering
4
0 10 20 30 40 50 60 mm 70 gehalten werden. Eine geringe Abkühlge-
Wanddicke t schwindigkeit während des (artgleichen)
Schweißens ist zwingend erforderlich, weil
Bild 4-123
Gusseisenschaubild mit dem für Formguss üblichen sie die Eigenspannungen und ganz entschei-
Bereich. CG bedeutet Kohlenstoff in Grafitform, dend die Menge des extrem rissanfälligen
L = Ledeburit, P = Perlit, nach Greiner-Klingenstein. ledeburitisch-martensitischen (L M) Gefü-
ges im teilaustenitisierten Bereich der Wärme-
Gusseisen bietet wie die meisten Gusswerk- einflusszone verringert: S g L M. Bild
stoffe eine weitgehende konstruktive Gestal- 4-124 zeigt schematisch die werkstoff lichen
tungsfreiheit. Die wichtigsten Ursachen sind Vorgänge in der Wärmeeinflusszone schmelz-
das gute Fließ- und Formfüllungsvermögen geschweißter Verbindungen bei sehr langsa-
des flüssigen Eisens und die sehr geringe Vo- mer Abkühlung, z. B. beim artgleichen Schwei-
lumenänderung bei der Erstarrung (im Be- ßen und schnellerem Abkühlen z. B. bei Ver-
reich von 0,5 %), die den speisungstechni- wendung artfremder Zusatzwerkstoffe (Guss-
schen Aufwand gering hält. eisenkaltschweißen).
Diese werkstofflichen Zusammenhänge sind Die Art der Beanspruchung des zu reparie-
ursächlich für die schlechte Schweißeignung renden Gussteils kann das Schweißverhal-
dieser Guss-Werkstoffe. Daher werden Kons- ten ebenfalls erheblich beeinträchtigen bzw.
truktionsschweißungen wie bei den anderen bestimmen. Unterschieden werden chemisch
Eisen-Gusswerkstoffen in keinem Fall durch- und thermisch beanspruchter sowie mit Öl
geführt. Allerdings ist die Reparaturschwei- verunreinigter Guss. Die sich bei der thermi-
ßung wegen der in den meisten Fällen un- schen Beanspruchung bildenden Oxidations-
möglichen Wiederbeschaffbarkeit des Bau- produkte haben ein größeres Volumen als das
teils weit verbreitet und erfahrungsgemäß unbeeinflusste Gusseisen. Diese als »Wach-
bei einigen werkstofflichen und schweißtech- sen« des Gusseisens bezeichnete Ausdehnung
nischen Kenntnissen auch erfolg reich. führt leicht zur Rissbildung.
Tabelle 4-48
Mechanische Eigenschaften bei Raumtemperatur von Gusseisen mit Lamellengrafit, nach DIN EN 1561 (8/1997).
DIN EN 1561 DIN 1691 Maßgebende 0,1%-Dehngrenze Zugfestigkeit Rm A5 Bruchzähigkeit KIc Brinellhärte
Wanddicke max. 1)
1)
Werte gelten für eine maßgebende Wanddicke von 40 bis 80 mm.
2)
Zugfestigkeit wird in getrennt gegossenen Probestücken ermittelt.
3)
Zugfestigkeit wird in angegossenen Probestücken ermittelt.
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Gusseisen)
465
466 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Artgleiches Schweißen
(Gusseisenwarmschweißen)
Bei dieser Schweißtechnologie wird das voll-
ständig und sehr langsam auf etwa 650 C
vorgewärmte Bauteil mit artgleichen oder
artähnlichen Zusatzwerkstoffen geschweißt, Formkohle
Tabelle 4-49. Bei einem teilweisen (partiel-
len) Vorwärmen spricht man vom Halb-
warmschweißen.
Bild 4-124
Vorgänge in der WEZ schmelzgeschweißter Graugusswerkstoffe.
a) Umwandlungsvorgänge in der WEZ, dargestellt im Fe-C-Schaubild,
b) Umwandlungsprodukte in der WEZ nach stabilem und metastabilem System. Es bedeuten: L = Ledeburit,
M = Martensit, CG,E = eutektischer Grafit, CG,Seg = entlang der Linie E-S segregierter Grafit, CG = CG,E + CG,Seg ,
sehr vereinfacht.
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Gusseisen mit Kugelgrafit) 467
Verwendet als gegossene Stäbe und basisch-grafitisch umhüllte Stabelektroden mit gegossenem Kernstab aus
Gusseisen mit
FeC-1 E, R GJL GJL. Die Stäbe für das Gasschweißen können blank oder dünn mit Flussmittel umhüllt sein. Das Schweißgut
Lamellengrafit
besteht aus Gusseisen mit Lamellengrafit.
Verwendet als basisch-grafitisch umhüllte Stabelektroden und als selbstschützende Fülldrahtelektroden. Der
Gusseisen mit
FeC-3 E, T GJL Kernstab besteht entweder aus Gusseisen oder aus unlegiertem Stahl. Das Schweißgut besteht aus Gusseisen mit
Lamellengrafit
Lamellengrafit.
Die Zusatzwerkstoffe sind gegossene Stäbe zum Gasschweißen von GJL. Das Schweißgut fließt gut. Ein eisenoxid-
haltiges Flussmittel ist erforderlich, um ein fehlerfreies Schweißgut zu erhalten. In diesem Fall erreicht die
FeC-4 Lamellengrafit R GJL Zugfestigkeit der Verbindung (GJL) im unteren Bereich Werte von 150 MPa bis 250 MPa. Das Schweißgut ist
farbgleich und spanend bearbeitbar, wenn sich nicht wegen unzureichender Vermischung des Schweißzusatzes
mit dem Grundwerkstoff Eisenphosphid gebildet hat.
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Die Zusatzwerkstoffe sind gegossene Stäbe zum Gasschweißen von GJL mittlerer Festigkeit. Es ergeben sich
FeC-5 Lamellengrafit R GJL
höhere Festigkeiten als mit FeC-4. Geeignet für GJL mit 250 MPa bis 300 MPa.
Grundgefüge Verwendet als basisch-grafitisch umhüllte Stabelektroden und als selbstschützende Fülldrahtelektroden. Der
FeC-GF E, T GJV
ferritisch, GJV Kernstab bzw. der Mantel besteht aus unlegiertem Stahl. Die Schweißzusätze ergeben ein Schweißgut aus Gussei-
sen mit Kugelgrafit. In Abhängigkeit von der Wärmeführung und der chemischen Zusammensetzung weist der
Grundgefüge Typ FeC-GF ein überwiegend ferritisches und der Typ FeC-GP2 ein überwiegend perlitisches Gefüge auf.
FeC-GP2 E, T GJV
perlitisch, GJV
Bevorzugte Anwendung ist das Schweißen von GJV und schwarzem Temperguss.
Die Zusatzwerkstoffe sind gegossene Stäbe zum Gasschweißen von GJV und GJL. In richtig ausgeführten Schwei-
ßungen ist der größte Teil des Grafits kugelig ausgebildet, es sei denn, Mg und Ce des Schweißstabes oxidierten
Grundgefüge
FeC-GP1 R GJV infolge ungünstiger Schweißparameter. Das Schweißgut besitzt im Vergleich zum FeC-4- und FeC-5-Typ eine
perlitisch, GJV
verbesserte Zähigkeit. Sie kann durch eine Wärmenachbehabdlung weiter erhöht werden. Festigkeitswerte von 400
MPa beim Gusseisen mit Kugelgrafit sind erreichbar.
Z − E, R, T Jede andere vereinbarte Zusammensetzung
1)
Kurzzeichen E: Umhüllte Stabelektrode
Kurzzeichen S: Drahtelektrode und Schweißstab
Kurzzeichen T: Fülldrahtelektrode
Kurzzeichen R: Gegossener Stab
Tabelle 4-49 (Fortsetzung).
Artfremde Zusatzwerkstoffe zum Schweißen von Gusseisen mit Lamellengrafit (GJL) und Kugelgrafit (GJV) sowie von weißem (GJMW)
und schwarzem Temperguss (GJMB), nach DIN EN ISO 1071, Auswahl.
Umhüllte Stabelektroden mit Sonderumhüllung, geeignet für einlagige Auftragschweißungen auf korrodierten oder verzunderten
Gussstücken (aber wenn möglich, Gussstück vor dem Schweißen säubern!), für Fülllagen wegen Aufhärtungsgefahr nicht geeig-
Fe-1 E, S, T GJWM
net. Für weißen Temperguss (GJMW) geeignet. Hierfür können auch basisch-umhüllte Stabelektroden nach DIN EN ISO 14341
und Fülldrahtelektroden nach DIN EN 758 verwendet werden.
Umhüllte Stabelektroden, die unlegiertes Schweißgut ergeben. Vorwiegend zum Ausbessern kleinerer Löcher und Risse in Guss-
St E, S, T GJL eisen verwendet. Durch Kohlenstoffaufnahme aus dem Grundwerkstoff ist Schweißgut weitgehend martensitisch (rissempfind-
lich) und schlecht bearbeitbar.
GJL, GJS, Umhüllte Stabelektroden und Fülldrahtelektroden. Hülle bzw. Füllung enthält Carbidbildner. Kernstab bzw. Mantel besteht
Fe-2 E, T GJMW, aus unlegiertem Stahl. Da Kohlenstoff von Carbidbildner weitgehend abgebunden, wird Martensitbildung weitgehend vermie-
GJMB den. Auftragschweißung an GJL, GJV und Temperguss.
GJL Umhüllte Stabelektroden, Drahtelektroden, Stäbe, ergeben Schweißgut mit hohem Nickelgehalt. Wenn Phosphorgehalt im Guss-
Ni-Cl E, S
GJS eisen groß ist, dann ist Schweißgut heißrissempfindlich. Ni-Cl-A ähnlich wie Ni-Cl, enthält aber mehr Aluminium, wodurch
Ni-Cl-A E GJL Schweißeigenschaften verbessert, aber Zähigkeit verringert werden (Aluminium löst sich im Schweißgut!).
Umhüllte Stabelektroden, Drahtelektroden, Fülldrahtelektroden. Festigkeit Schweißgut ist höher als beim Ni-Cl-Typ. Nur für
NiFe-1 E, S, T GJL
Einlagenschweißungen geeignet.
NiFe-2 E, S, T GJS, GJMB Umhüllte Stabelektroden, Drahtelektroden, Fülldrahtelektroden. Für Mehrlagenschweißungen an GJS und GJMB geeignet.
Umhüllte Stabelektroden. Schweißgut (40 bis 60 % Nickel) in Gusseisen mit höherem Phosphorgehalt ist heißrissbeständiger als
NiFe-Cl E GJL, GJS
eines mit höherem Nickelgehalt.
NiFe-Cl-A E GJL, GJS Wie NiFe-Cl-Typ, aber höherer Aluminiumgehalt bewirkt größere Porensicherheit, allerdings bei reduzierter Zähigkeit.
Umhüllte Stabelektroden, möglich auch Drähte und Stäbe nach DIN EN 18274 - S Ni 4060 (S NiCu30Mn3Ti). Bevorzugt für
GJL, GJS,
NiCu E, S Fülllagen von Mehrlagenschweißungen an großen Querschnitten aus GJL, GJS und GJMB. Gute Bindung an gealtertem Guss-
GJMB
eisen.
NiCu-A E, S Umhüllte Stabelektroden, Drähte, Stäbe. Es ergeben sich bei richtiger Verarbeitung ein flacher Einbrand. Schweißgut ist zähe
GJL, GJS
NiCu-B E, S und gut spanend bearbeitbar.
1)
Kennziffern siehe Tabelle 4-47
469
Tabelle 4-50
470
Gewährleistete mechanische Eigenschaften von Gusseisen mit Kugelgrafit (GJV), nach DIN EN 1563.
2 2
N/mm N/mm % HB 30 bei – 20 °C bei – 20 °C
EN-GJS-350-22-LT EN-JS1015 ferritisch 350 220 22 unter 160 − 9
EN-GJS-400-18-LT EN-JS1025 ferritisch 400 240 18 130 bis 175 9 −
EN-GJS-400-15 EN-JS1030 ferritisch 400 250 15 135 bis 180 − −
EN-GJS-500-7 EN-JS1050 ferritisch-perlitisch 500 320 7 170 bis 230 − −
EN-GJS-600-3 EN-JS1060 perlitisch-ferritisch 600 370 3 190 bis 270 − −
EN-GJS-700-2 EN-JS1070 perlitisch 700 420 2 225 bis 305 − −
EN-GJS-800-2 EN-JS1080 perlitisch bzw. angelassener Martensit 800 480 2 245 bis 335 − −
EN-GJS-900-2 EN-JS1090 angelassener Martensit 900 600 2 270 bis 360 − −
1)
Gewährleistete Mindestwerte für getrennt gegossene Probestücke.
Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle 4-51
Mechanische Eigenschaften von austenitischem Gusseisen mit Kugelgrafit (GJLA), halbfett = gewährleistete Werte nach DIN EN 13836.
EN-GJLA-XNiMn13-7 390 bis 470 210 bis 260 15 bis 18 140 bis 150 − 16 120 bis 150
EN-GJLA-XNiCr20-2 370 bis 480 210 bis 250 7 bis 20 112 bis 130 14 bis 27 13 140 bis 200
EN-GJLA-XNiCrNb20-2 370 bis 480 210 bis 250 7 bis 20 112 bis 130 14 bis 27 13 140 bis 200
EN-GJLA-XNiCr20-3 390 bis 500 210 bis 260 7 bis 15 112 bis 133 12 − 150 bis 255
EN-GJLA-XNi22 370 bis 450 170 bis 250 20 bis 40 85 bis 112 21 bis 33 20 130 bis 170
EN-GJLA-XNi30-3 370 bis 480 210 bis 260 7 bis 18 92 bis 105 8 − 140 bis 200
EN-GJLA-XNiSiCr30-5-2 380 bis 500 210 bis 270 10 bis 20 130 bis 150 10 bis 16 − 130 bis 170
EN-GJLA-XNi35 370 bis 420 210 bis 240 20 bis 40 112 bis 140 20 − 130 bis 180
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Gusseisen mit Kugelgrafit) 471
Tabelle 4-52
Empfehlungen für das Schmelzschweißen von Gusseisen mit Kugelgrafit mit artgleichem, artähnlichem und
artfremdem Zusatzwerkstoff (DIN EN 1011-8), nach Konstruieren + Gießen, 2/2007.
Verfahren Methode Schweißen von Gussstücken mit artglei- Schweißen von Gussstücken mit
chem oder artähnlichem Schweißzusatz artfremdem Schweißzusatz
Vorbereitende Gusshaut von der Schweißfläche des Gussstücks und dem angrenzenden Bereich
Arbeiten entfernen und die Schweißfläche reinigen.
Verwendung
Grafithaltiger Werkstoff, Lehm, Keramik,
von Schweiß-
Gusseisen mit Kugelgrafit, unlegierter Stahl.
unterlagen
Separate Wärme-
behandlung oder
Wärmenach- Je nach Grundwerkstoff, Größe und Form des Gussstücks und anderen Anforderun-
Nutzung der Rest-
behandlung gen kann jedes Wärmebehandlungsverfahren angewendet werden.
wärme beim
Schweißen
Gasschweißen mit
Sauerstoff-Acety- GJS-Stab Metallpulver
lenflamme (311)
Metall-Lichtbogen-
schweißen mit Füll- Umhüllte Drahtelektroden,
Fülldraht: Schweißgut (GJS)
drahtelektrode ohne nach DIN EN ISO 1071.
Schutzgas (114)
Plasmaschweißen
Mit wenig oder ohne Zusatzwerkstoff
(15)
5
40
40
35 200 170 35
Bild 4-127
Gegossener Gasschieber aus EN-GJS-400-15 mit Anschweißenden aus unlegiertem C-Mn-Stahl, die mit dem
Magnetarc-Verfahren bzw. einem Schmelzschweißverfahren (MAG) verbunden werden. Die Maße sind gerun-
det und ohne Toleranzangaben angegeben, nach Fa. Hundhausen.
474 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
sich die Gießeigenschaften und das Speisungs- das Grafitisierungsglühen zum Beseitigen
verhalten erheblich. Wegen der im Vergleich vorhandener Carbide zwischen 950 C und
zum Gusseisen mit Lamellengrafit wesent- 1050 C durchgeführt.
lich besseren Festigkeits- und Zähigkeits-
eigenschaften haben die Sorten mit Kugel-
grafit nach DIN EN 13835 die weitaus grö- 4.4.3 Temperguss
ßere Bedeutung, Tabelle 4-51. (EN-GJMW, alt: GTW;
EN-GJMB, alt: GTS)
Verschiedene austenitische Gusseisensorten
mit Kugelgrafit neigen abhängig von ihrer Temperrohguss ist eine ohne Grafitausschei-
chemischen Zusammensetzung in der Wärme- dung weiß erstarrende untereutektische Ei-
einflusszone zur Rissbildung. Die Schweiß- sen-Kohlenstoff-Silicium-Legierung. Ihr Ge-
eignung der wichtigsten hochlegierten Sor- füge ist ledeburitisch, d. h. hart und spröde
te EN-GJLA-XNiCr20-2 wird durch Niob er- und für jede technische Anwendung – mit
heblich verbessert (EN-GJLA-XNiCrNb20-2), Ausnahme bei hoher Verschleißbeanspru-
sie hängt aber vom Phosphor-, Silicium- und chung als Hartguss (GH) einsetzbar – völlig
Magnesiumgehalt ab, wie Bild 4-129 zeigt. ungeeignet.
% Risse
perguss überführt. Beide Temperguss-Arten
0,04 sind duktil, sehr gut mechanisch bearbeit-
bar und dem Gusseisen mit Kugelgrafit ver-
gleichbar. Die Bedeutung des schwarzen Tem-
0,02 pergusses hat sehr stark abgenommen.
keine
Risse Die Eigenschaften der Tempergusssorten
0
beruhen auf dem beim Tempern entstehen-
- 2 0 2 4 6 % 8
Si + 64 × Mg - 35 × Nb
den Fe3C-Zerfall, der Entkohlung oberflä-
chennaher Randschichten und dem Einstel-
Bild 4-129
len des erforderlichen Grundgefüges.
Einfluss von Phosphor, Silicium, Magnesium und
Niob auf die Neigung zur (Härte-)Rissbildung beim
Schweißen von austentischem Gusseisen mit Kugel- 4.4.3.1 Weißer Temperguss
grafit EN-GJLA-XNiCrNb20-2, nach Stephenson. (EN-GJMW, alt: GTW)
Weißer Temperguss wird durch Glühen des
Mit einem geringen Wärmeeinbringen wird Temperroh(hart)gusses in oxidierender At-
die Versprödung der Wärmeeinflusszone mosphäre bei etwa 1060 ... 1070 C/50...70 h
durch Carbidausscheidungen und die Riss- hergestellt. Dabei zerfallen die eutektischen
neigung vermieden. Als Schweißzusatzwerk- Carbide und der Perlit gemäß
stoffe werden die üblichen Ni-Fe-Legierun-
Fe3C 3 ¹ Fe C
gen bzw. Reinnickel empfohlen, s. Tabelle 4-
49 und Tabelle 4-52. Artgleiche Zusatzwerk- und die oberflächennäheren Bereiche wer-
stoffe erhöhen die Rissneigung. Die chrom- den durch CO2 und O2 entkohlt:
freien bzw. chromarmen Sorten wie z. B. EN-
C CO2 2 ¹ CO,
GJLA-XNi22 lassen sich kaum rissfrei schwei-
ßen. In diesen Fällen kann ein Puffern der 2 ¹ C O2 2 ¹ CO.
Nahtflanken empfehlenswert sein. Eine Wär- Die Ausbildung des Gefüges ist damit stark
menachbehandlung ist abhängig von der von der Wanddicke abhängig, Bild 4-130.
Stückgröße und dem Umfang der Schweiß-
arbeiten u. U. erforderlich. Das Spannungs- Alle Tempergusssorten sind grundsätzlich
armglühen wird zwischen 650 C und 680 C, schweißgeeignet, der schweiß- und fertigungs-
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Temperguss) 475
technische Aufwand ist aber je nach gewünsch- bei Werkstückdicken bis 8 mm unter 250 HV,
ter Qualität unterschiedlich. Es werden da- womit eine Rissbildung ausgeschlossen ist.
her bei Tempergussschweißungen zwei Güte- Eine Wärmenachbehandlung ist daher auch
klassen unterschieden: nicht erforderlich.
❐ Güteklasse A
Die Eigenschaften der Schweißverbindung Die aus weißem Temperguss herstellbaren
sind denen des ungeschweißten Grund- Werkstücke haben nur eine sehr begrenzte
werkstoffs praktisch gleichwertig. Der Stückmassen (
20 kg). Daher werden Kons-
sehr gut schweißgeeignete Temperguss truktionsschweißungen mit dem hierfür ent-
EN-GJMW-360-12W erfüllt die an die Gü- wickelten EN-GJMW-360-12W sehr häufig,
teklasse A gestellten Anforderungen. Reparaturschweißungen dagegen sehr sel-
❐ Güteklasse B ten durchgeführt.
Die Eigenschaften der Schweißverbin-
dung unterscheiden sich von denen des In Bild 4-131 ist eine Rohrgelenkwelle als Guss-
Grundwerkstoffs, sie erfüllen aber die ge- verbundkonstruktion dargestellt, die aus der
forderten Eigenschaften (»zweckbeding- Tempergusssorte EN-GJMW-360-12W und
te Güte«). Hierunter fallen Schweißarbei- einem Rohr aus unlegiertem Stahl besteht.
ten mit artfremdem Zusatzwerkstoff. Die umlaufende Schweißnaht wurde mit dem
MAG-Verfahren hergestellt.
Bei den schweißgeeigneten Tempergusssor-
ten EN-GJMW-360-12W (GTW-S 38-12) darf
der Kohlenstoffgehalt bis zu einer Wanddi-
cke von 8 mm im Querschnitt nur 0,3 % betra-
gen. Diese geringen Kohlenstoffgehalte wer-
den durch sehr lange Glühdauern von etwa
150 h bis 170 h erreicht, wodurch auch der
sehr viel höhere Preis des schweißgeeigneten
weißen Tempergusses verständlich wird. Die Stahlrohr P235G1TH (St 35.8) Gabelkopf GTW - S 38 - 12
Randzone ist bei diesen Werkstoffen über-
wiegend ferritisch. Bei dem hervorragend
Bild 4-131
schweißgeeigneten EN-GJMW-360-12W (wei- Rohrgelenkwelle als Verbundkonstruktion aus unle-
ßer Temperguss) bleibt die Härte in der WEZ giertem Stahl P235G1TH (St 35.8) und weißem Tem-
perguss EN-GJMW-360-12W, nach Georg Fischer
Kernzone: Perlit + (Ferrit) + Temperkohle
AG.
Übergangszone: Perlit + Ferrit + Temperkohle
Randzone: Ferrit
Weißer Temperguss mit Wanddicken bis et-
wa 10 mm lässt sich gut schweißen, weil das
Gefüge in einem Oberflächenbereich von et-
wa 5 mm bis 6 mm praktisch einem weichen
(C
0,30 %) unlegierten Kohlenstoffstahl ent-
spricht. Allerdings kann sich wegen der Anwe-
senheit von Temperkohle, Bild 4-130, (das
gilt vor allem bei größeren Wanddicken!)
durch Rücklösen harter, sehr spröder Lede-
burit bilden, der sich aber durch ein nachträg-
liches Glühen bei 900 C ... 950 C beseitigen
lässt, Bild 4-132.
476
Gewährleistete mechanische Eigenschaften bei Raumtemperatur von weißem und schwarzem Temperguss, nach DIN EN 1562 (8/2006), Auswahl.
Tempergusssorte (Kurzname) nach Durchmesser Mechanische Eigenschaften, Mindestwerte Kennzeichnende Eigenschaften und
der Probe Gefügebestandteile
DIN EN 1562 DIN 17006 ISO 5922 d R p0,2 Rm A 3, 4 Brinellhärte
EN-GJMB-650-2 GTS-65-02 P 65-02 12 oder 15 430 650 2 240 bis 260 Perlit mit Temperkohle, EN-GJMB-700 mit Ver-
gütungsgefüge. Festigkeit ist wichtiger als Zer-
spanbarkeit. Beide Werkstoffe gute Alterna-
EN-GJMB-700-2 GTS-70-02 P 70-02 12 oder 15 530 700 2 240 bis 290 tiven für Schmiedestähle gleicher Festigkeit.
Abschn. 4.4: Eisen-Gusswerkstoffe (Temperguss) 477
Bild 4-132
Gefüge von weißem Temperguss EN-GJMW-400-5.
In die ferritisch-perlitische Grundmasse sind Temper-
kohleknoten eingelagert, V = 400:1.
478 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
80
40
A S.min
20
Bild A4-1
Schematische Darstellung der Marangoni-Strömung Z
1 2
in der Schweißschmelze bei einer Stumpfschweißung, 0 CS.min 0,10 CS.max 0,20 %
die aus Blechen mit stark unterschiedlichem Gehalt CZ.min CZ.max
oberflächenaktiver Substanzen (z. B. Schwefel) herge- C im Zusatzwerkstoff Z
stellt wurde.
Bild A4-2
Schaubild zum Bestimmen der zulässigen Grenzge-
halte von Legierungselementen im Zusatzwerkstoff
bei gewünschter Zusammensetzung des Schweißguts.
Beispiel:
Aufgabe 4-2: Bei einem Kohlenstoffgehalt des Grundwerkstoffs von
Es sind die zulässigen Grenzgehalte verschie- 0,16 % (CGW ) und einem zwischen 20 % (= Decklagen-
dener Legierungselemente im Zusatzwerk- bereich) und 60 % liegenden Aufschmelzgrad (= Wur-
zel) muss der Kohlenstoffgehalt im Zusatzwerkstoff
stoff von WIG-Schweißstäben zu bestimmen.
zwischen ≥ 0,02 % (CZ.min ) und £ 0,08 % (CZ.max ) liegen,
Die erforderliche bzw. die gewünschte chemi- wenn der gewünschte Mindestkohlenstoffgehalt im
sche Zusammensetzung des Schweißguts ist Schweißgut 0,05 % (= CS.min ) bzw. der Maximalkohlen-
bekannt. stoffgehalt 0,13 % (= CS.max ) betragen soll.
Abschn. 4.5: Aufgaben zu Kapitel 4 479
werkstoff lassen sich damit die extremen Mi- Das Verfahren lässt auch sehr anschaulich er-
schungsgeraden 1 und 2 konstruieren. Sie kennen, dass bei großen Abweichungen der
verlaufen durch das Toleranzfeld und die fol- Schweißgut- von der Grundwerkstoffzusam-
genden Punkte: mensetzung geeignete Zusatzwerkstoffe u.
U. nicht mehr existieren. Bild A4-3 zeigt bei-
(CS.min; AS.min ) bzw. (CS.max; AS.max ).
spielhaft, dass bei der dargestellten Situation
Die Schnittpunkte der Mischungsgeraden nur ein Zusatzwerkstoff mit einer bestimmten
mit der Z-Achse ergibt den zulässigen Tole- Zusammensetzung für das Legierungselement
ranzbereich für C im Zusatzwerkstoff. Da- X XZ 0,02 % die vorgegebenen Bedingungen
nach muss der C-Gehalt in den Schweißstä- erfüllt. Für den Fall X XGW 0,20 % exis-
be zwischen CZ.min ! 0,02 % und CZ.max 0,08 % tiert bei dem vorgegebenen Toleranzfeld kein
liegen. »passender« Zusatzwerkstoff mehr.
1 V 2
80
Temperatur T
60
40 a
E = V+a
A 10 20 30 40 50 60 ca 70 80 90 % B
Z Konzentration an B
ständig aus Mischkristallen a bestehendes, 0,02 0,5 0,1 0,3 0,02 0,01
also weitgehend risssicheres, zähes Schweiß-
gut ergibt (Legierung 2). Daraus folgt, dass
nur die Wahl eines B-Zusatzwerkstoffs bei über der Raumtemperatur liegen. Der große
Einhaltung des Aufschmelzgrades von 10 % Gehalt an Verunreinigungen ist eine weitere
die geforderte Zusammensetzung der Schmel- Ursache der geringen (Schlag-)Zähigkeit und
ze sicherstellt. Hiermit kann bei einer abge- des für diese Stähle typischen »Besenbruchs«.
schmolzenen Menge von 90 % B sicher die Durch den äußerst geringen Kohlenstoffge-
erforderliche geringe Menge (10 %) an aufge- halt entsteht ein sehr kleines Erstarrungsin-
schmolzenem A erreicht werden. tervall, das zu einer sehr dünnflüssigen, hei-
ßen Schmelze führt. Schweißarbeiten in
Möglich ist auch die Wahl von Schweißzu- Zwangslagen sind daher kaum fachgerecht
satzwerkstoffen, die mit A und B metallur- durchzuführen.
gisch verträglich sind. Für diesen Zweck sind
z. B. für das Herstellen von »Schwarz-Weiß- Ein Schmelzschweißen führt zwar wegen des
Verbindungen« (Abschn. 4.3.8, S. 444) hoch geringen Kohlenstoffgehalts kaum zu einer
nickelhaltige Schweißzusatzwerkstoffe be- merklichen Härtespitze in der WEZ, erzeugt
sonders gut geeignet. aber wanddickenabhängige, sprödbruchbe-
günstigende Eigenspannungen in der WEZ
und im Schweißgut.
nur dann verständlich, s. Abschn. 4.1.1.1, S. trolliert (z. B. mit Farbumschlagstiften) vor-
300, wenn angenommen wird, dass die das gewärmt und mit hochgetrockneten (!250 C)
Umwandlungsverhalten bestimmenden Ele- basisch-umhüllten Stabelektroden geschweißt.
mente im Stahl und im Schweißgut offenbar Wegen der hohen Vorwärmtemperatur und
annähernd gleich sind. Das Gefüge der sehr der damit verbundenen großen thermischen
weichen WEZ (untere Bildhälfte) besteht er- Belastung des Brenners und der sehr einge-
wartungsgemäß weitgehend aus Ferrit. schränkten Handhabung bzw. erschwerten
Zugänglichkeit ist das WIG-Verfahren (un-
Die mechanischen Gütewerte des Schweiß- ter Verwendung von W5-Drähten, Tabelle 4-
guts sind hervorragend, wenn mit trockenen 12, S. 354) nicht sehr empfehlenswert. Für
basischumhüllten Stabelektroden geschweißt den Erfolg ist wegen der extremen Kaltriss-
wird. Die Eigenschaften der WEZ – vor al- gefahr ein sehr geringer Wasserstoffgehalt
lem die Zähigkeit – sind noch schlechter als des Schweißguts und der WEZ unabdingbar,
die des (gealterten) Grundwerkstoffs. Wegen Abschn. 4.3.4.
der werkstoffbedingten großen Kaltsprödig-
220
keit der Schweißverbindung ist außer bei ge- 204
ringer mechanischer Beanspruchung und
dem Betrieb bei deutlich über Null liegen-
den Temperaturen von einem Schweißen
grundsätzlich abzuraten. 60°
60
8
4
800
logie zu geben.
derungen sehr gut erfüllt ( 1), siehe Ta- laubt Rückschlüsse auf die Art der Herstel-
belle 4-43: lung (Guss/Walzerzeugnis).
p schlagbeständig (1),
z hitzebeständig (1), Magnettest
r rostbeständig (1), Mit Hilfe eines Magneten lässt sich zuverläs-
rissbeständig (1). sig der Gittertyp (krz oder kfz) feststellen.
Stark magnetische Werkstoffe sind unlegier-
Da Stellite während des Abkühlens bereits te/legierte Stähle, Eisenlegierungen, reines
bei etwa 600 C ihre Endhärte annehmen, Nickel, martensitische nichtrostende Stäh-
ist bei größeren Bauteilen ein Vorwärmen le; schwach magnetisch sind Monel und Stäh-
auf 400 C bis 600 C und unabhängig von le von der Art CrNi-18-8. Die sich bei star-
der ihrer Größe ein sehr langsames Abküh- ken magnetischen Werkstoffen ergebenden
len erforderlich. Vorversuche ergaben, dass Kräfte können am sichersten an einem Stück
diese Auftragungen ohne Vorwärmen ge- bekannten »schwarzen« Stahls mit dem Prüf-
schweißt werden konnte. Damit entfiel auch magneten festgestellt werden. Mit diesen
die erhebliche thermische Beanspruchung »Hand-Referenzkräften« lassen sich schwä-
des WIG-Brenners durch die große Rück- cher magnetische Werkstoffe erfahrungsge-
strahlwärme. Mit Rücksicht auf die erhöhte mäß eindeutig erkennen.
Heißrissneigung des vollaustenitischen Grund-
werkstoffs wurde die Zwischenlagentempera- Härtetest
tur auf 200 C begrenzt. Die Auftrag raupen Mit transportablen (dynamischen) Härteprüf-
wurden in einer Drehvorrichtung mit konti- geräten – Schlaghärteprüfung nach Bau-
nuierlicher Einstellung der Umfangsgeschwin- mann, Poldihammer, Rücksprunghärteprü-
digkeit nahezu in PA-Position (w) in Form fung nach Shore, Equo-Verfahren – lässt sich
von Rundnähten geschweißt. die Härte schnell und einfach bestimmen.
Daraus kann mit einiger Sicherheit mit den
bekannten Umrechnungsformeln auf die
Aufgabe 4-7: Werkstofffestigkeit geschlossen werden. Mit
Ein gerissenes Bauteil, Bild A4-9, (Randriss, einer Feile kann ebenfalls, aber natürlich
Werkstückdicke 10 mm, von beiden Seiten zu- rein subjektiv, die Härte abgeschätzt und
gänglich) aus einem Werkstoff mit unbekann- mit einiger Erfahrung daraus auf die Art des
ter chemischer Zusammensetzung, muss aus Werkstoffs geschlossen werden.
betrieblichen Gründen möglichst schnell re-
1.
pariert werden. Werkstoffuntersuchungen sind 1. Rissende Rissende (evtl. mit Farbeindringver-
damit aus zeitlichen Gründen nicht durch- abbohren fahren feststellen), abbohren,
Bohrerdurchmesser Æ = 4 mm.
führbar. Die Art des Werkstoffs ist mit »Bord- Riss
mitteln« zu bestimmen. Es sind die Methoden 2. Nahtbereich 2.
zum Feststellen des zu erwartenden Schweiß- säubern Rissumgebung mit Lösungsmitteln,
Feilen, durch Schleifen, Schmirgeln,
verhaltens (Schweißeignung) und die Schweiß- o. ä. sorgfältig säubern.
technologie festzulegen.
3.
Riss ausschleifen, Nahtvorbereitung
Das Schweißverhalten lässt sich mit Hilfe 1 (X-Naht) mit Schleifen erzeugen,
Nahtflanken erneut auf evtl. noch
der folgenden Methoden für die Praxis aus- vorhandene Risse prüfen.
reichend genau abschätzen.
4.
3. Nahtvor- V Wenn möglich (abhängig vom
Farbe (Aussehen) bereitung Werkstoff) vorwärmen und mit
Der bloße Augenschein (Farbe!) erlaubt dem (X-Naht) trockenen B10-Elektroden (geübter
Schweißer!) evtl. mit Vorschweiß-
kundigen Verarbeiter in aller Regel hinrei- blech (V) Riss schweißen.
chend leicht die Unterscheidung Stahl oder
Bild A4-9
NE-Metall. »Schwarzer« Werkstoff ist (bei Vorbereitende Maßnahmen zum Schweißen eines ge-
möglichst sauberer Oberfläche!) von »wei- rissenen Bauteils aus niedriger gekohltem (niedrigle-
ßem« unterscheidbar. Die Bauteilform er- giertem) Stahl, Skizze für Aufgabe A4-7.
484 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
Tabelle A4-2
Bezeichnung und chemische Zusammensetzung von Schweißstäben und Schweißgut zum
a) Gasschweißen (Stäbe) von unlegierten und niedriglegierten Stählen (Auswahl), nach DIN EN 12536,
b) WIG-Schweißen (reines Schweißgut) von unlegierten und mikrolegierten Stählen (Auswahl) mit einer
Mindeststreckgrenze bis zu 500 N/mm2, nach DIN EN ISO 636, s. a. Tabelle 4-12, S. 354.
Kurzzeichen Chemische Zusammensetzung der Stäbe zum Gasschweißen in % (m/m) 1), 2), 3)
C Si Mn P S Mo Ni Cr
1)
Falls nicht anders festgelegt: Mo £ 0,3 %, Ni £ 0,15 %, Cu £ 0,35 % und V £ 0,03 %. Der Anteil an Kupfer im Stahl plus
Überzug darf 0,35 % nicht überschreiten.
2) Einzelwerte sind Höchstwerte.
3) Die Ergebnisse sind auf dieselbe Stelle zu runden wie die festgelegten Werte unter Anwendung von ISO 31-0,
Anhang B, Regel A.
a)
C Si Mn P S Mo Ni Cr
W2Si 0,06 ... 0,14 0,50 ... 0,80 0,90 ... 1,30 0,025 0,025 - - -
W3Si1 0,06 ... 0,14 0,70 ... 1,00 1,30 ... 1,60 0,025 0,025 - - -
W3Ni1 0,06 ... 0,14 0,50 ... 0,90 1,00 ... 1,60 0,020 0,020 - 0,80 bis 1,50 -
b)
lagen erlaubt, Bild A4-9. Es ist zu beachten, arm und extrem (schlag-)zäh. Damit ist die
dass Reparaturschweißungen häufig nur in Gefahr der Bildung wasserstoffinduzierter
Zwangslage in Zugraupentechnik durch ge- Kaltrisse gering und die Entstehung von
führt werden können. Schweißfehler sind Spannungsrissen wegen der leichten Plasti-
auch bei geübten Schweißern daher nicht aus- fizierung des Schweißguts praktisch ausge-
zuschließen. Wegen der in der Regel sehr ho- schlossen.
hen Eigenspannungen bei Reparaturschwei-
ßungen, werden grundsätzlich nur basisch-
umhüllte Stabelektroden und im Umgang Aufgabe 4-8:
mit diesen ausgebildete und geübte Schwei- Schweißarbeiten an einem unlegierten C-Mn-
ßer eingesetzt (Abschn. 4.2.3.1.3, S. 341 und Stahl sollen mit dem WIG-Verfahren durchge-
Abschn. 4.2.3.1.5, S. 349). Diese Zusatzwerk- führt werden. Es stehen allerdings für diesen
stoffe sind nur hochgetrocknet einzusetzen. Stahl nicht die erforderlichen WIG-Schweiß-
Je nach Zugänglichkeit kann ein Vorschweiß- stäbe W3Si1, Tabelle A4-2b, sondern nur
blech sinnvoll sein. Schweißstäbe für das Gasschweißen (O II
bzw. O III, Tabelle A4-2a) zur Verfügung. Wel-
Eine Vorwärmen ist sehr empfehlenswert. che schweißtechnischen und metallurgischen
Selbst wenn aus sicherheitstechnischen oder Probleme können entstehen?
anderen Gründen nur geringe Vorwärmtem-
peraturen anwendbar sind (»Handwärme ist Beim Gasschweißen wird der beim Schwei-
häufig schon ausreichend)«, werden die riss- ßen zugeführte Sauerstoff in der sog. ersten
begünstigenden Eigenspannungszustände Verbrennungsstufe gemäß folgender Bezie-
verringert. Mit basischen Elektroden herge- hung für eine unvollständige Verbrennung
stellte Schweißgüter sind sehr wasserstoff- verbraucht, Bild A4-11:
486 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
2000
Schweißen.
1000 – Die verglichen mit dem WIG-Verfahren
0 größere Feldstärke, der relativ ungeordne-
te Übergang der Werkstofftröpfchen, der
zusammen mit den elektrodynamischen
Kräfte im Lichtbogen für große Geschwin-
digkeiten der Tröpfchen im Lichtbogen-
2 bis 5 mm raum sorgt, führt zu erheblichen Turbu-
1 2 3 4 lenzen im Lichtbogen. Die Folge sind fast
Schweißbereich
1 kaltes C2H2 - Gemisch
unvermeidlich Lufteinwirbelungen mit
2 Acetylenzerfall:: 2 × C2H2 ® 4 × C + 2 × H2 all den damit entstehenden metallurgi-
3 1. Verbrennungsstufe (Schweißbereich) besteht in der schen Nachteilen. Diese Neigung wird
Hauptsache aus reduzierenden Flammgasen CO und H2:
2× C + H2 + O2 ® 2 × CO + H2
weiter durch Verbrennungsvorgänge al-
4 2. Verbrennungsstufe (»Streuflamme«): ler Art im Lichtbogenraum (Gasbildung,
4 × CO + 2 × H2 + 3 × O2 ® 4 × CO2 + H2O Dämpfe) begünstigt.
Bild A4-11
Verbrennungsvorgänge in der neutralen Acetylen-Sau- Im Gegensatz hierzu ist der Schutz der Schmel-
erstoff-Flamme, Angaben für Aufgabe 4-8. ze unter inerten Gasen vollkommen, die me-
tallurgische Qualität und die mechanischen
Die Verwendung der nur mäßig desoxidier- Gütewerte sind hervorragend. Unerwünsch-
ten Gasschweißstäbe zum WIG-Schweißen te Reaktionen sind nicht möglich, wenn alle
führt daher zur deutlichen Porenbildung im Verunreinigungen im Schweißbereich (Fet-
WIG-Schweißgut. WIG-Schweißstäbe kön- te, Farben, Öl, Rost) vollständig beseitigt
nen andererseits bedenkenlos zum Gasschwei- wurden. Unter diesen Bedingungen ist der
ßen verwendet werden, wenn die höherlegier- Edelgaslichtbogen eine reine Wärmequelle
te (Mn, Si) und damit merklich dickflüssi- ohne Schlacken, Dämpfe und sonstige Ver-
gere Schweißschmelze den Ablauf des Schweiß- unreinigungen. Der Lichtbogen ist ein nahe-
prozesses (z. B. erschwertes Entgasen) nicht zu laminar strömendes »Gas«, wodurch Luft-
stört. einwirbelungen bei fachgerechter Ausfüh-
rung praktisch ausgeschlossen sind. Der flüs-
sige Werkstoff fällt in das Schmelzbad nur
durch die Wirkung der Schwerkraft bzw. Ober-
Aufgabe 4-9: flächenspannungen. Der schlackenlose, saube-
Es ist die erreichbare metallurgische Quali- re Lichtbogenraum ist auch der Grund für
tät von Schweißgütern zu beurteilen, die mit die weitgehende und erfolgreiche Anwendung
hochwertigen Stabelektroden und mit dem dieses Verfahrens zum Schweißen der hoch-
WIG-Verfahren hergestellt wurden. reaktiven Werkstoffe, Abschn. 5.4, S. 553.
Abschn. 4.5: Aufgaben zu Kapitel 4 487
Der entscheidende Nachteil des Verfahrens Für die Entstehung von Erstarrungsrissen
ist die »apothekenhafte« Sauberkeit, die für ist ein »heißrissempfindliches« Gefüge und
höchste Anforderungen an die Gütewerte an- eine ausreichende (Schrumpf-)Spannung bzw.
zuwenden ist. Diese die Fertigung sehr belas- Dehnung erforderlich. Der Werkstoff ist außer-
tende Maßnahme ist erforderlich, weil das dem mit zunehmendem Spannungs- bzw. Deh-
Reinigen der Schmelze mit der wesentlich nungsgradient immer weniger in der Lage,
geringeren Desoxidationsmittelmenge erfol- diese mechanischen Beanspruchungen durch
gen muss, die in einem massiven Schweiß- Kriechprozesse abzubauen. Daraus folgt, dass
stab unterzubringen ist, s. a. Aufgabe 4-8. alle mit sehr großen Aufheiz- bzw. Abkühlge-
Mit basisch-umhüllten Stabelektroden sind schwindigkeiten arbeitenden Schweißverfah-
dagegen mit erheblich geringerem fertigungs- ren diese Rissform sehr begünstigen.
technischen Aufwand in der Regel ausrei-
chende Gütewerte erreichbar. Die Borlandsche Methode beschreibt den Ein-
fluss verschiedener werkstoffabhängiger Fak-
toren auf die Entstehung der Erstarrungsris-
se in Zweistofflegierungen. Sie geht von der
experimentell vielfach bestätigten Erfahrung
aus, dass die Heißrissneigung einer Legie-
rung mit der Größe ihres Erstarrungsinter-
valls 'T zunimmt, weil die akkumulierten
Aufgabe 4-10: Dehnungen proportional zu diesem sind. 'T
Von Borland wurde eine Methode entwickelt, wird hauptsächlich von der chemischen Zu-
mit der das Heißrissverhalten (binärer) Le- sammensetzung der Legierung bestimmt,
gierungen für die Schweißpraxis ausreichend ist also werkstoffabhängig.
genau quantitative beschreibbar ist. Diese ist
abzuleiten und zu kommentieren. Die Aufga- Für die im binären Zustandsschaubild (Aus-
be kann mit dem im Buch besprochenen Stoff schnitt) eingetragene Legierung L, Bild A4-
allein nicht gefunden werden, sie soll einige 12, gilt gemäß Gl. [A5-6], S. 568:
wichtige mehr theoretische Aspekte der Heiß- mS ⋅ c0 ⋅ ( k − 1)
risstheorie aufzeigen. Die erforderlichen werk- TL − TF = .
stofflichen und mathematischen Grundlagen k
sind in den Ausführungen zu Aufgabe 5-3, In dieser Gleichung bedeuten TL die Liqui-
S. 567, zu finden. dus-, TF die Solidustemperatur der Legie-
rung c0, k das Gleichgewichtsverteilungsver-
TS hältnis, das ist das Verhältnis c0 /cF bei einer
mS × c0
L
bestimmten Temperatur und mS die Neigung
TL der Liquiduslinie, Bild A4-12.
Temperatur T
m S × (c 0 /k)
Temperatur T
a) b)
Bild A4-14
Einfluss der Umwandlungsvorgänge im auf die Korngröße im Bereich der WEZ bzw. Schmelzgrenze von
Schweißverbindungen aus unlegierten Stählen (TU St 37), bei denen die Umwandlung (d + g ) Æ g stattfindet,
V = 400:1, 2 % HNO3.
a) Mikrogefüge der Grobkornzone,
b) Mikrogefüge unmittelbar an der Schmelzgrenze (WEZ im Bild oben links, Schweißgut rechts unten).
– es fehlt eine international vereinbarte und Auf Grund dieser Tatsachen wurde das Kon-
weltweit anerkannte Messmethode, die zept der Ferrit-Nummer oder FN entwickelt.
ausreichend reproduzierbare Ergebnisse Hierbei handelt es sich um die Kennzeich-
liefert. nung des Deltaferritgehalts – aber nicht unbe-
dingt um die »wahre« Ferritmenge – nach ei-
Aus verschiedenen Gründen ist der tatsäch- nem genormten Verfahren. Aus Praktikabili-
liche (Volumen-)d -Ferritgehalt im Schweiß- tätsgründen entspricht allerdings die Ferrit-
gut zurzeit weder zerstörend noch zerstö- Nummer der Ferritmenge nur bis zu einem
rungsfrei bestimmbar. Ferritgehalt von etwa 10 %. Bei höheren FN-
Werten (z. B. die sehr viel größeren Ferritmen-
Die Kenntnis des wahren Ferritgehalts ist gen in Duplexstählen) sind die prozentualen
aber tatsächlich auch nicht notwendig. Es (Volumen-)Ferritmengen in der Regel deut-
ist lediglich ein ausreichend genaues Mess- lich geringer als die Ferrit-Nummern. Meis-
verfahren erforderlich, mit dem ein Mess- tens wird der folgende praxisbewährte Zu-
wert festgestellt werden kann, der den Fer- sammenhang angenommen, siehe hierzu Bild
ritgehalt genügend genau repräsentiert, weil 4-95, S. 421:
in der Praxis lediglich bestimmte Grenzwer-
FN (1,3 bis 1,4) ¹ d -Ferrit [%].
te des Ferritgehalts von Interesse sind. Die-
se Grenzen betreffen den Mindestgehalt zum Nur mit Verfahren, die mit magnetischer
Vermeiden von Heißrissen, den Maximalge- Sättigung arbeiten, lassen sich (Volumen-)
halt für eine noch zulässige Versprödung Ferritmengen ermitteln.
und den optimalen Gehalt hinsichtlich der
Korrosionsbeständigkeit. Bei dem international genormten FN-Eich-
verfahren wird die Abreisskraft eines Perma-
nentmagneten definierter Stärke und Größe
6,0
von einer Schweißgutprobe als Maßstab für
5,0 den Ferritgehalt gemessen. Der Zusammen-
Abreißkraft
4,0
hang zwischen der Abreisskraft und FN wird
g
durch sog. Erst-Bezugskörper (Primary Stan-
3,0
dards) hergestellt, die aus einem unlegier-
ten Stahl mit einem nichtmagnetischen Über-
2,5
zug (Kupfer) bestimmter Dicke d bestehen.
2,0 Die Messung bzw. Eichung erfolgt mit dem
in den USA weitverbreiteten Ferritmessgerät
1,5 Magne-Gage. Die Abreisskraft ist umso ge-
ringer, je dicker die Kupferschicht auf dem
Kalibrierstück ist. Bild A4-15 zeigt den Zu-
1,0
sammenhang zwischen der Abreisskraft und
0,8 den mit unterschiedlich dicken Kupferschich-
ten versehenen Kalibrierstücken. Die Ab-
0,6 hängigkeit der FN von der Schichtdicke d
wird durch die folgende Beziehung beschrie-
ben, wobei die Ferritnummer FN mit der Fer-
0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,8 1,0 mm 1,5 2,0
ritmenge in Prozent möglichst gut überein-
Dicke des nichtmagnetischen Überzugs stimmt, Gl. [A4-2]:
26,3 19,1 15 12,3 10,3 7,7 6,1 3,7 2,5 FN = exp [1, 8059 - 1,11886 ◊ ln d -
Ferritnummer FN
0,17740 ◊ (ln d)2 - 0, 03502 ◊ (ln d)3 -
Bild A4-15
Zusammenhang zwischen der Abreißkraft des Stan- 0, 00367 ◊ (ln d)4 ].
dardmagneten (Größe 3) von den Kalibrierstücken
mit Überzug. Die angegebenen FN-Nummern wurden Zum Messen des Deltaferritgehalts zwischen
mittels der Beziehung A4-2 ermittelt. 0 und etwa 30 FN – bedingt durch die Bau-
Abschn. 4.5: Aufgaben zu Kapitel 4 491
art kann mit dem normalen Magne-Gage-Ge- Erst-Bezugskörper sind nur für die FN-Be-
rät dieser Bereich gemessen werden – er ist stimmung auf Magne-Gage-Geräten geeig-
für nichtrostendes austenitisches Schweiß- net. Andere Ferritmessgeräte müssen mit
gut ausreichend genau – werden mindestens sog. Zweit-Bezugskörpern (Secundary Stan-
acht Kalibrierstücke mit unterschiedlich di- dards) kalibriert bzw. untereinander vergli-
cken Kupferüberzügen verwendet. Wenn der chen werden. Das sind Schweißproben un-
Deltaferritgehalt nicht mit Haftkräften auf terschiedlichen Ferritgehaltes, deren Ferrit-
dem Magne-Gage-Gerät gemessen oder ein Nummern mit einem Magne-Gage-Gerät zu-
vom Standard abweichender Magnet ver- vor ermittelt wurden. In ihnen sollte der Fer-
wendet wird, dann können irreführende bzw. rit möglichst fein verteilt sein, um die Mess-
fehlerhafte Ergebnisse die Folge sein. werte-Streuung ausreichend klein zu halten.
In Schweißgutproben, die mit dem UP-Band-
Für höhere Ferritgehalte – wie sie z. B. für plattieren hergestellt wurden, ist der Ferrit
Duplexstähle erforderlich sind – wird die besonders gleichmäßig und homogen verteilt,
Kalibrierung auf etwa 100 FN erweitert. Die sie eignen sich daher besonders gut als Zweit-
über FN 28 hinausgehenden Werte wer- Bezugskörper. Mit dieser Messmethode ist
den als EFN (Extended Ferrite Number) be- bei Untersuchungen des Ferritgehalts von
zeichnet. Die mit zunehmendem Legierungs- Schweißgütern mit unterschiedlichen Ferrit-
gehalt (das gilt vor allem für Chrom!) abneh- messgeräten mit Abweichungen von max.
mende magnetische Sättigung des Ferrits 10 % zu rechnen. Bei einem Mittelwert von
wird aber bei der Ferritnummer FN nicht be- FN 10 werden demnach Werte zwischen
rücksichtigt. Diese Tatsache bedeutet aber FN 9 und FN 11 gemessen.
lediglich, dass die entsprechenden kritischen
Ferritgehalte bzw. die Ferritnummer für un-
terschiedliche Legierungsmengen unter-
schiedlich sind.
1600 S
°C
Temperatur T
1200
g g+ d Aufgabe 4-13:
Neigt der vollständig austenitisierte Bereich
d - Ferrit einer Schweißverbindung aus einem niedrig-
800 gekohlten einprozentigen Chromstahl zu ei-
a - Ferrit nem stärkeren Kornwachstum oder der einer
Verbindung aus einem 17%igen Chromstahl?
In beiden Fällen wurde mit den »gleichen«
400
Stahl 1: Stahl 2:
Stahl 2:
Schweißbedingungen gearbeitet.
17 % Cr
1 % Cr 17 % Cr
Im Gegensatz zu dem umwandlungsfähigen
0 einprozentigen fehlt die g a -Umwandlung
Fe 10 20 30 % 40 bei dem 17%igen Chromstahl, Bild A4-16,
Chromgehalt
und damit die kornfeinende Wirkung dieser
Bereich der Stahl 1: g ® a einem Normalglühen ähnelnden Wärmebe-
g ® a - Umwandlung Stahl 2: umwandlungsfrei (d - MK)
handlung, d. h., das Korn im austenitisier-
Bild A4-16 ten Bereich der WEZ ist im letzteren Fall
Konstitution und Umwandlungsvorgänge eines einpro- erheblich größer. Diese Erscheinung ist eine
zentigen (Stahl 1) und eines 17%igen Chromstahls Ursache für die sehr schlechten Zähigkeits-
(Stahl 2), schematisch. Die Wirkung des Kohlenstoffs
(beide Stähle sind niedriggekohlt) und anderer Legie-
eigenschaften geschweißter Verbindungen
rungselemente wurde nicht berücksichtigt, s. a. Bild aus ferritischen Stählen, s. hierzu Abschn.
2-66, S. 201. 2.8.4.2, S. 215.
492 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
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498 Kapitel 4: Schweißmetallurgie der Eisenwerkstoffe
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5 Schweißmetallurgie der
nichteisenmetallischen Werkstoffe
– Nickel bildet mit Schwefel das bei etwa diäre Phasen enthält oder diese sich beim
650 C schmelzende NiS. Nickel und ni- Schweißen bilden können. Häufig entstehen
ckellegierte Werkstoffe (z. B. hochlegierte sie bei mehrfach legierten Werkstoffen, weil
korrosionsbeständige Stähle, s. Abschn. die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sich zwi-
4.3.7.5, S. 431) sind in Anwesenheit selbst schen den zahlreichen Legierungselementen
geringster Spuren Schwefel extrem heiß- wenigstens eine intermediäre Phase bilden
rissanfällig, Bild 5-3. kann. Als bekanntes Beispiel sei die Legie-
– In der WEZ von Schweißverbindungen rung AlMg5 genannt. Die bei unsachgemä-
aus sauerstoffhaltigen Kupfersorten (z. ßen Schweißbedingungen entstehende Pha-
B. Cu-ETP, Cu-FRHC ) wird der als Cu2O se Al3Mg2 kann zur Rissbildung führen.
vorliegende Sauerstoff durch Wasserstoff
(Gasschweißen!) gemäß folgender Bezie-
hung reduziert: 5.1.3 Ausscheidungshärtende
Legierungen
Cu2O + 2 ◊ H Æ 2 ◊ Cu + {H 2O}Dampf .
Der entstehende Wasserdampf »sprengt« Die Schweißeignung ausscheidungshärten-
den Werkstoff entlang der Korngrenzen. der Werkstoffe ist i. Allg. unbefriedigend. Die
Es bilden sich interkristalline Risse, s. Ursache sind die komplexen, zähigkeitsver-
Abschn. 5.2.1. mindernden Werkstoffänderungen beim Lö-
– Automatenmessing enthält bis 3 % Blei, sungs- und Wiederausscheidungsprozess in
(z. B. CuZn38Pb3), das in der Messing- der WEZ. Sie sind gekennzeichnet durch fol-
matrix nicht löslich ist. Die spangebende gende Besonderheiten, Bild 5-4:
Verarbeitbarkeit der Automatenmessinge – Die in einem schmalen Bereich neben der
wird erheblich verbessert. Das niedrig- Schmelzgrenze beim Erwärmen gelösten
schmelzende Blei führt aber beim Schwei- festigkeitserhöhenden Teilchen sind über-
ßen zur Bildung von Heißrissen. altert und (oder) scheiden sich während
Aufheizen Abkühlen
TSeg
von der schweißungeeigneteren Phase be-
stimmt. Außerdem ist das Verformungsver-
mögen ebenso wie das Korrosionsverhalten
schlechter als das (homogener) einphasiger
Werkstoffe.
Weg x Weg x
anfälligen (a b )-Bronzen, Abschn. 5.2.1.1.2, 1.2 Beginn der Koagulation 2.2 Je nach Zusammensetzung
(= Beginn der WEZ) auch Wiederaufschmelzrisse
und die ohne d -Ferrit sehr zum Heißriss nei- und Heißrisse möglich
1.3 Ausscheidungen sind voll-
genden austenitischen Chrom-Nickel-Stäh- ständig gelöst (T > TSeg) 2.3 Grundwerkstoff, unbeeinflusst
le, s. Abschn. 4.3.7.5, S. 431.
Bild 5-4
Werkstoffliche Vorgänge in der WEZ ausscheidungs-
Von einem (Schmelz-)Schweißen ist in der Re- härtender Legierungen, Zustand ausgelagert, schema-
gel abzuraten, wenn der Werkstoff interme- tisch. (Bedeutung von TSeg s. Bild 1-64, S. 53).
506 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
– Der Ausscheidungszustand in der WEZ Schweißen der Bauteile. Sie ist teuer und
sollte möglichst wenig geändert werden lässt sich häufig nicht anwenden (z. B. Bau-
und die Breite dieser Zone klein sein. Das teilgröße).
hierfür erforderliche geringe Wärmeein-
bringen kann aber in dem ausgehärteten, Bild 5-6 zeigt schematisch die Härtevertei-
wenig verformbaren Werkstoff hohe mehr- lung über die Schweißverbindung aus einem
achsige Eigenspannungszustände erzeu- ausscheidungsgehärteten (a) und einem lö-
gen, die leicht zur Rissbildung führen. sungsgeglühten Werkstoff (b).
– Ein zu großes Wärmeeinbringen zerstört
den optimalen Ausscheidungszustand über
große Bereiche und führt zu einer nicht to- 5.1.4 Hochreaktive Werkstoffe
lerierbaren Härte- und Festigkeitsabnah-
me und einer meistens unzureichenden Die extreme chemische Reaktionsfähigkeit
Zähigkeit in den schmelzgrenzennahen verschiedener Werkstoffe wie z. B. Titan, Zir-
Bereichen der Schweißnaht. Daraus er- konium, Molybdän, Beryllium ist zusammen
gibt sich das Konzept der kontrollierten mit ihrer oft leichten Versprödbarkeit die
Wärmeführung beim Schweißen aus- Ursache ihrer verhältnismäßig schlechten
scheidungshärtender Werkstoffe: Schweißeignung. Sie nehmen bereits bei Tem-
Das Wärmeeinbringen muss in einem be- peraturen über 600 K begierig die atmosphä-
stimmten experimentell ermittelten Be- rischen Gase Sauerstoff, Stickstoff und Was-
reich liegen. Geeignete Zusatzwerkstoffe serstoff auf, die zu mäßiger Aufhärtung des
sind außerdem von großer Bedeutung. Werkstoffs in der Wärmeeinflusszone, aber
zu einer nahezu vollständigen Versprödung
Die Rissneigung ist geringer, wenn im wei- von Schweißgut und Wärmeeinflusszonen
chen, lösungsgeglühten Zustand mit nicht führen, Bild 5-7.
ausscheidungshärtenden Zusatzwerkstoffen
geschweißt wird. Diese Methode erfordert zu- Ein erfolgreiches Schweißen ist daher nur
mindest bei hohen Ansprüchen an die mecha- möglich, wenn die Fügeteile weitestgehend
nischen Gütewerte der Schweißverbindung vor einem Luftzutritt geschützt werden. Das
eine vollständige Wärmebehandlung (Lösungs- kann mit verschiedenen unterschiedlich auf-
glühen, Abschrecken, Auslagern) nach dem wändigen Methoden realisiert werden:
b b
ausscheidungsgehärtet
(lösungsgeglüht + ausgelagert)
Härte
lösungsgeglüht
Bild 5-6
Härteverlauf in der WEZ ausscheidungshärtender Werkstoffe, schematisch.
a) ausscheidungsgehärtet: Die Breite der WEZ entspricht der Breite der erweichten Zone (b). Sie ist stark
vom Wärmeeinbringen Q beim Schweißen abhängig,
b) lösungsgeglüht: Die Rissneigung beim Schweißen ist in der Regel geringer. Die Breite der WEZ (b) ent-
spricht dem Abstand: Beginn der Ausscheidungen (Härteanstieg!) = Schmelzgrenze. Diese Methode erfor-
dert aber nach dem Schweißen in der Regel eine erneute Wärmebehandlung (Lösungsglühen Abschrecken Ausla-
gern), sie ist daher nur in Sonderfällen vertretbar.
508 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
– Großflächiger Schutz aller von der Wär- stoff in Abhängigkeit vom Kaltverformungs-
mequelle aufgeheizten Bereiche. Das lässt grad j. Mit zunehmendem Wärmeeinbrin-
sich z. B. mit speziellen Schutzgasduschen gen Q wird die Breite der Wärmeeinflusszone
erreichen, Bild 5-52, größer und die Verweilzeit im rekristallisier-
– Austausch der Atmosphäre durch ein in- ten Bereich größer, d. h., der Abfall der Här-
ertes Gas oder te nimmt zu, und die Gebrauchseigenschaf-
– Durchführen des Schweißprozesses unter ten werden schlechter. Der Wiederanstieg
Vakuum. der Härte nach erfolgter Rekristallisation und
beginnendem Kornwachstum beruht auf der
zunehmenden Abkühlgeschwindigkeit mit
5.1.5 Kaltverfestigte Werkstoffe zunehmender Annäherung an die Schmelzgren-
ze. Um den Härteabfall zu begrenzen, sollte
Die mechanischen und die physikalischen mit geringem Wärmeeinbringen und (oder)
Eigenschaften kaltverfestigter (z. B. kaltver- schnell geschweißt werden.
formter) Werkstoffe nähern sich nach einem
rekristallisierenden Glühen denen des unver-
formten, gleichgewichtsnahen, weichen Werk- 5.2 Schwermetalle
stoffs, Abschn. 1.5.2, S. 42. Die treibende Kraft
dieses Kornneubildungsprozesses ist die im Diese Werkstoffe werden aufgrund verschie-
Werkstoff gespeicherte Verformungsenergie. dener Eigenschaften verwendet, die bei den
Das beim Glühen (vor allem bei höheren Tem- Eisenwerkstoffen nicht oder nicht im erfor-
peraturen und (oder) Zeiten) einsetzende derlichen Umfang vorhanden sind. In erster
Kornwachstum wird durch die Oberflächen- Linie sind zu nennen:
spannung der Korngrenzenflächen eingeleitet – Eine gegenüber vielen Medien verbesser-
und ermöglicht. Das Kornwachstum findet te Korrosionsbeständigkeit (z. B. Nickel,
also mit zunehmender Temperatur in jedem Kupfer);
Fall statt. – die hervorragende Tieftemperaturzähig-
keit der kfz Werkstoffe (z. B. Kupfer, Cu-Ni-
Mit zunehmender Temperatur und zuneh- Legierungen);
mendem Verformungsgrad nimmt die Rekris- – extreme physikalische Eigenschaften [z.
tallisationstemperatur TRk ab, siehe Bild 1- B. kleinster Wärmeausdehnungskoeffizi-
54, S. 44. Bild 5-8 zeigt schematisch die Härte- ent der Legierung mit Fe(64 %), Ni(36 %),
verteilung in der Wärmeeinflusszone einer höchste elektrische und thermische Leitfä-
schmelzgeschweißten Verbindung aus einem higkeit bei Kupfer];
einphasigen, nicht umwandelbaren Werk- – verbesserte Hitze- und Zunderbeständig-
keit (z. B. Nickelbasis-Werkstoffe).
Tabelle 5-1
Physikalische Eigenschaften einiger Kupfersorten im Vergleich zum unlegierten niedriggekohlten Stahl.
5.2.1 Kupfer und Kupferlegierungen In Tabelle 5-1 sind einige für das Schweißver-
halten wichtige physikalische Eigenschaften
Kupfer wird wegen seiner hervorragenden des Kupfers im Vergleich zum niedrigge-
thermischen und elektrischen Leitfähigkeit kohlten Stahl zusammengestellt.
sowie seiner guten Korrosionsbeständigkeit
in allen Bereichen vielfach verwendet. Kup- j1 >> j krit j2 l j krit
fer ist kfz, d. h., es besitzt eine hervorragen- HVj 1
de Verformbarkeit (Duktilität) und Tieftempera-
Härte
bei T ³ Ac1
500 renden entarteten Eutektikum (a-)Cu2O be-
steht. Das an den Kupferkorngrenzen liegen-
T ³ T Kw T ³ A c1 de spröde Cu2O wird durch die Rekristallisa-
tion während der folgenden Warmformgebung
zerkleinert und neu verteilt. Beim Schweißen
Kupfer Stahl schmelzen die eutektischen Reste in den über
1065 C erwärmten Bereichen der Wärmeein-
b Cu b Stahl
flusszone aber erneut und sammeln sich im
Bereich der Korngrenzen. Hier erstarren sie
Bild 5-9
nach dem Abkühlen und bilden eine sehr sprö-
Vergleich der Temperaturverläufe beim Schweißen
von Kupfer und Stahl. Die Breite (bCu) und die Korn- de Korngrenzensubstanz, Bild 5-11.
größe des Gefüges der WEZ sind bei Kupfer wesent-
lich größer als bei Stahl (bStahl). In wasserstoffhaltigen Atmosphären, z. B.
beim Gasschweißen, versprödet sauerstoff-
Das Schweißverhalten des Kupfers wird im haltiges Kupfer außerdem durch die Wasser-
großen Umfang von folgenden Werkstoffei- stoffkrankheit genannte Erscheinung, Bild 5-
genschaften und metallpysikalischen Beson- 12. Der im reduzierenden Teil der Gasflam-
derheiten bestimmt:
Kupfer (I) - Oxid Cu2O
– Sauerstoffgehalt, 2,25 4,5 6,75 % 9,0
1200
– Wärmeleitfähigkeit, die durch verschie-
dene Verunreinigungen wie z. B. P, Fe, ° C
Co, Si, Cd, Ag stark beeinflusst wird,
Temperatur T
1160
– Wärmeausdehnung und die
– starke Neigung zur Gasaufnahme. S
1120
Die Wärmeleitfähigkeit des Kupfers ist bei
S + Cu2O
Raumtemperatur etwa sieben, bei 1000 C
aber bis zu 15 Mal größer als die der unlegier- 1080
S+ a
ten Stähle! Die beim Schweißen zugeführte 1065 a
Wärme wird daher sehr rasch in den Grund- < 0,07 % a + Cu2O
1040
werkstoff abgeleitet. Zum Einleiten und Auf- Cu 0,25 0,39 0,5 0,75 % 1,0
rechterhalten des Schmelzflusses ist daher Sauerstoffgehalt
eine sehr konzentrierte Wärmequelle (z. B. Bild 5-10
Elektronenstrahlschweißen) oder bei weniger Zustandsschaubild Cu-O bzw. Cu-Cu2O, nach Han-
intensiven Schweißverfahren eine bis zu 600 C sen u. Anderko.
Abschn. 5.2: Schwermetalle (Kupfer und Kupferlegierungen) 511
Die Abkühlgeschwindigkeit des großflächig peraturen wesentlich geringer als beim Gas-
auf recht hohe Temperaturen erwärmten schweißen. Daher sind auch Heftstellen zu-
Bauteils ist gering. Die WEZ ist extrem breit lässig, da aufgrund des größeren Tempera-
und die Korngröße im Schmelzgrenzennähe turgefälles das »Arbeiten« des Schweißteils
sehr groß, d. h., in einer gasgeschweißten und damit die Rissgefahr geringer ist. Bei
Verbindung sind Härte und Festigkeit die- längeren Nähten empfiehlt sich aber wegen
ser Bereiche zu gering. Daher werden in den der großen Wärmeausdehnung in jedem Fall
meisten Fällen diese Zonen im rotwarmen die Klemmfixierung.
Zustand über 700 C verformt (»hammerver-
gütet«). Durch die während der Verformung Das MIG-Verfahren (Argon, bei größeren
einsetzende Rekristallisation entsteht ein Wanddicken auch Ar/He-Gemische, die ein
wesentlich feineres Korn, d. h. die gewünsch- heißeres Schmelzbad und einen breiteren
te erhebliche Festigkeitssteigerung. Einbrand ergeben) arbeitet mit einem kon-
zentrierteren Lichtbogen, es ist daher für
Die Mikroaufnahme, Bild 5-13, zeigt sehr größere Wanddicken wirtschaftlicher als das
deutlich die typische epitaktische Kristalli- WIG-Verfahren.
sation der Schweißschmelze bei einer gasge-
schweißten Verbindung aus Cu-DHP an der Beispiel 5-1:
Grenze Schweißgut/Wärmeeinflusszone, s. Berechne die Anzahl der Leerstellen im Bereich der
a. Abschn. 5.1.1. WEZ (≥ 1000 °C = 1273 K) in einer dünnwandigen,
rasch abkühlenden, d. h. nur gering vorgewärmten
SG-geschweißten Verbindung aus Kupfer, und einer
Die Schutzgasschweißverfahren sind für dickwandigen, gasgeschweißten, langsam abkühlen-
Kupfer die bei weitem wichtigsten. Die Gü- den Verbindung.
tewerte der mit ihnen hergestellten Schweiß-
Die Anzahl der Leerstellen n (s. Abschn. 1.2.2.1, S. 7)
nähte werden von keinem anderen Schmelz- wird mit einer Arrhenius-Beziehung berechnet:
schweißverfahren erreicht.
Ê Q ˆ
n = N ◊ exp Á - L ˜ .
Das einseitige WIG-Verfahren wird etwa für Ë RT ¯
Wanddicken bis 4 mm, darüber bis etwa 14 Hierin bedeuten N die Anzahl der Cu-Atome/m3, QL
mm das gleichzeitig-beidseitige Schweißen die Aktivierungsenergie für die Erzeugung einer Leer-
in s-Position eingesetzt. Wegen des konzen- stelle in Cu (= 83 700 J/mol). Die Gitterkonstante von
trierten Lichtbogens sind die Vorwärmtem- Cu ist aCu = 0,362 nm. Mit:
4 Cu - Atome/ Zelle È Cu - Atome ˘
N= 3 = 8,44 ◊ 10 28 Í ˙˚ .
(3,62 ⋅ 10 − 10 ) Î m3
erhält man daraus die bei langsamer Abkühlung bei
Raumtemperatur ( T298 = 298 K ) vorhandene (Gleich-
gewichts-)Leerstellenmenge n:
Ê 83700 ˆ
n = 8,44 ◊ 10 28 ◊ exp Á - = 2,07 ◊ 10 14.
Ë 8,31 ◊ 298 ˜¯
Bei rascher Abkühlung von 1273 K und der Annahme,
dass alle bei dieser Temperatur vorhandenen Leer-
stellen bis auf Raumtemperatur erhalten werden konn-
ten, erhält man:
Ê 83700 ˆ
n = 8,44 ◊ 10 28◊ exp Á - = 3,09 ◊ 10 25 .
Ë 8,31 ◊ 1273 ˜¯
514
Physikalische und mechanische Eigenschaften ausgesuchter Kupferlegierungen sowie Hinweise auf ihre Schweißeignung und Anwendung.
Werkstoff Mechanische und physikalische Eigenschaften Schweißeignung für 1) Hinweise zur Anwendung
N / mm 2 N / mm 2 W/m · K 10 - 6/ K
CuSn6 F35 max. 300 350 bis 420 75 18,5 1 2 2 Bleche für Apparatebau, Rohre, Federn, Gleitlagerbuchsen, ab-
CuSn8 F37 max. 300 370 bis 450 67 18,5 1 2 2 rieb- und korrosionsfest
CuNi10Fe1Mn F30 min. 100 min. 300 46 17,0 0 2 2 Apparatebau, Meerestechnik, Meerwasserentsalzung, Kondensa-
CuNi30Mn1Fe F35 min. 120 min. 350 29 16,0 0 2 2 toren, Wärmetauscher, kavitationsbeständig
CuAl8Fe3 F48 min. 210 min. 480 65 17 0 2 2 hohe Festigkeit, chemische Apparatebau
Kondensatorböden, Verschleißteile, Wellen, Lagerteile, Papier-
CuAl10Ni5Fe4 F63 min. 270 min. 630 38 17 0 2 2
industrie (Saugwalzen)
G-CuZn34Al2 min. 250 min. 600 55 bis 59 19,0 0 1 2) 1 3) Ventilsitze, Steuerungsteile, Kegel
2) 3)
Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
1)
Für den Einsatz der Schweißverfahren bedeutet: 0 = nicht geeignet, 1 = geeignet, 2 = empfohlen.
2)
Zinkfreie Zusatzwerkstoffe empfohlen.
3)
Zinkfreie Zusatzwerkstoffe erforderlich.
Abschn. 5.2: Schwermetalle (Kupfer und Kupferlegierungen) 515
Tabelle 5-5
Schweißzusatzwerkstoffe (Massivdrähte und -stäbe) für Kupferlegierungen, nach DIN EN 14640 (Auszug).
Num-
Chemisch Cu Al Fe Mn Ni P Si Sn Zn
merisch
Kupfer – Mangan
Kupfer – Nickel
dener Legierungselemente (z. B. Mn, Si, Al) misch empfindliche Legierungen und zum
in den meisten Fällen schweißtechnisch ein- Auftragschweißen von Kupfer und Kupferle-
facher als Kupfer zu verarbeiten. Ein Vorwär- gierungen auf Eisenwerkstoffe sehr gut ge-
men ist erst bei größeren Wanddicken (etwa eignet.
s 10 bis 15 mm) erforderlich.
Kupfer-Zink-Legierungen (Messinge)
In Tabelle 5-4 sind einige physikalische und Messinge enthalten nach DIN EN 1652 min-
mechanische Eigenschaften sowie Hinweise destens 50 % Kupfer und als Hauptlegie-
zur Verwendung ausgewählter Kupferlegie- rungselement Zink. Automatenmessinge sind
rungen zusammengestellt. zum Verbessern der Zerspanbarkeit mit bis
zu 3 % Blei legiert (z. B. CuZn38Pb3). Sie nei-
Die für Kupferlegierungen geeigneten Zu- gen beim Schweißen zur Bildung von Poren
satzwerkstoffe sind in Tabelle 5-5 aufgeführt. und Heißrissen und sollten daher nicht ge-
Ähnlich wie Kupfer sind für die meisten Kup- schweißt, sondern besser durch Hartlöten
ferlegierungen (außer für das MIG-Verfah- mit Silberloten verbunden werden. Bei Zu-
ren) Flussmittel erforderlich bzw. empfehlens- gabe weiterer Legierungselemente entste-
wert. Sie enthalten oxidlösende Metallsalze hen die so genannten Sondermessinge, mit
auf der Grundlage von Borverbindungen. denen bestimmte mechanische oder (und)
Für CuAl-Legierungen sind wegen der hoch- physikalische Eigenschaften verbessert bzw.
schmelzenden Aluminiumoxidhaut fluorid- geändert werden (z. B. Festigkeit, Korro-
haltige Sonderflussmittel erforderlich. sionsbeständigkeit, elektrische und physika-
lische Eigenschaften).
Kupfer-Zink-Legierungen werden noch in
vielen Fällen gasgeschweißt. Für alle ande- Wesentliche und für den Schweißprozess wich-
ren Kupferwerkstoffe werden vorwiegend die tige Informationen können aus dem binären
Schutzgasschweißverfahren (WIG; MIG) so- (Gleichgewichts-)Zustandsschaubild Cu-Zn
wie das Plasma- und das Mikroplasmaver- entnommen werden, Bild 5-14. Bis etwa 37,5 %
fahren verwendet. Das MIG-Impulslichtbo- Zink liegen einphasige kfz a-Mischkristalle
genschweißen (s. Tabelle 4-13) ist für ther- vor, zwischen 37,5 % und 46 % Zink ein aus
kfz a- und krz b-Mischkristallen bestehen-
1100 1083 ° C des Gemenge, zwischen 46 % und 50 % Zink
°C S+ a S
1000
reine b-Mischkristalle und über 50 % Zink
tritt die intermediäre g-Phase auf, die den
Temperatur T
Die (a b)-Legierungen sind wesentlich fes- überschuss. Die flüssigen Tropfen und
ter und haben wegen des größeren Zinkge- das Schmelzbad überziehen sich mit ei-
halts eine geringere Wärmeleitfähigkeit als ner Oxidhaut, die ein Zinkausdampfen
die a-Legierungen. Ein Vorwärmen ist da- weitgehend verhindert. Die erforderliche
her in den meisten Fällen nicht erforderlich. Flammeneinstellung wird durch Auftrag-
Bei einem Korrosionsangriff (SpRK) sollte schweißungen mit unterschiedlichem Sau-
die Konstruktion zwischen 25 C und 370 C erstoffüberschuss festgestellt. Dieser ist
span nungsarmgeglüht werden. Bild 5-15 normalerweise ausreichend, wenn keine
zeigt eine Mikroaufnahme der Grobkornzone sichtbare Porigkeit auftritt. Der negativen
einer gasgeschweißten Verbindung aus der Wirkung des Sauerstoffs wird durch Fluss-
(a b)-Legierung CuZn40. mittel begegnet.
Ein beim Schweißen aller CuZn-Legierungen Das WIG-Schweißen mit thorierten Wolfram-
zu beachtendes Problem ist das Ausdampfen elektroden hat sich sehr bewährt. Bei Verwen-
(»Entzinken«) des bei 907 C siedenden Zinks. dung von Wechselstrom ist das Schweißbad
Die Folge ist eine extrem große Porigkeit des »kälter«, und es entsteht außerdem die er-
Schweißguts. Dieser auf Diffusionsvorgän- wünschte Reinigungswirkung des Lichtbo-
gen des Zinks beruhende Prozess lässt sich gens. Bei einem Arbeiten mit Flussmitteln
mit verschiedenen Methoden verlangsamen: ist die Porenanfälligkeit in der Regel sehr
– Mit geringem Wärmeeinbringen arbeiten viel geringer als beim Gasschweißen. Ein Vor-
und schnell schweißen. Der auf die Diffu- wärmen (100 C bis 150 C) ist häufig zweck-
sionstemperatur erwärmte Bereich ist mäßig, weil die verringerte Aufheizgeschwin-
dann klein und die für den Diffusionspro- digkeit die relativ große Thermoschockemp-
zess verfügbare Zeit kurz. Mit den Schutz- findlichkeit dieser Werkstoffe reduziert und
gasschweißverfahren lassen sich diese die dadurch mögliche geringere Wärmezu-
Forderungen einfach erreichen. fuhr die Zinkausdampfung und die Porennei-
– Die Zinkausdampfung unterbleibt eben- gung verringern. Als Zusatzwerkstoffe wer-
falls beim Gasschweißen mit Sauerstoff-
1100
L1
°C
1000
Temperatur T
S
1
900
S+ a
800
S+ b
a+ b b
700
g S+ g
a e
b+ g
600
a+ g g+ d e+ g
2
500
a+ d d+ e
400
e+ h
300
a+ e h
200
Bild 5-15
Grobkornzone in der Schweißverbindung einer (a + b )- e + h’
100
Legierung CuZn40. Als Folge der raschen Abkühlung
Cu 10 20 30 40 50 % 60
ist der a-Gehalt wesentlich geringer als im Grundwerk- Zinngehalt
stoff. Nähere Einzelheiten zur Umwandlung b Æ a + b
sind aus dem Zustandsschaubild Cu-Zn, Bild 5-14, Bild 5-16
zu entnehmen. Zustandsschaubild Kupfer-Zinn.
518 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
den überwiegend die zinkfreien Legierun- Die maximale Heißrissneigung liegt bei et-
gen CuSn1, CuSn6P oder CuSi3Mn1 verwen- wa 2 % Sn. Sie nimmt mit dem Zinngehalt
det, Tabelle 5-5. (bis etwa 8 %) und dem Auftreten der b -Pha-
se ab. Die Verwendung des höher zinnhalti-
Kupfer-Zinn-Legierungen (Zinnbronzen) gen Zusatzwerkstoffs CuSn9P führt daher
Nach DIN EN 1652 enthalten die Kupfer- in der Regel zu heißrissfreien Verbindungen.
Zinn-Knetlegierungen 3,5 % bis 7 % Zinn als
Hauptlegierungselement. Ein Verdampfen des Zinns beim Schweißen
ist wegen der hohen Siedetemperatur von
Nach dem Zustandsschaubild Cu-Sn, Bild 5- 2450 C nicht zu erwarten.
16, sind alle Legierungen einphasige aus a-
MK bestehende Werkstoffe. Bemerkenswert Zwischen 400 C und 650 C zeigen a -Legie-
ist das sehr große Erstarrungsintervall, das rungen eine starke Verformungsabnahme,
die Ursache der ausgeprägten Kristallseige- die auf Verunreinigungen an den Korngren-
rung und der Heißrissanfälligkeit des Schweiß- zen zurückgeführt wird. Eigenspannungen
guts ist. Die in Bild 5-16 eingezeichnete Legie- können in diesem Temperaturbereich zu Ris-
rung L1 scheidet nach Unterschreiten der So- sen im Schweißgut und in der WEZ führen,
liduslinie sehr kupferreiche Mischkristalle wenn sie plastische Verformungen erzwin-
aus. Bei rascher Abkühlung kristallisiert der gen. Mit einem ausreichend hohen Vorwär-
sehr zinnreiche (15 % und mehr) Restschmel- men lässt sich der Aufbau der gefährlichen
zenfilm an den primären Korngrenzen we- Schrumpfspannungen und damit diese Riss-
gen des fehlenden Diffusionsausgleichs zu erscheinung verhindern.
b-Mischkristallen (Punkt 1), die später in die
spröde, intermediäre d -Phase (Cu31Sn8) um- Die sehr häufig auftretende Porenbildung
wandeln. Mit dem Auftreten dieser Phase beim WIG- und MIG-Schweißen der vielfach
nimmt die Kaltumformbarkeit sehr stark ab. verwendeten Cu-Sn-Legierung CuSn6 ist er-
Das große Erstarrungsintervall ist auch die fahrungsgemäß mit Zusatzwerkstoffen des
Ursache für grobe zu Mikrolunkern und an- Typs CuSn6P (mit P
0,01 %) vermeidbar.
deren Schwächen neigenden Dendritenstruk- Ein Vorwärmen auf etwa 150 C bis 200 C
turen, die die (Heiß-)Rissbildung des Schweiß- wird empfohlen. Bei größeren Werkstückdi-
guts sehr begünstigen. cken (! 5 mm) erweist sich das gleichzeitig-
doppelseitige Schweißen als vorteilhaft.
1100
1083 ° C S 1037 ° C S+ b
° C Kupfer-Aluminium-Legierungen
S+ a (Aluminiumbronzen)
Temperatur T
8,5 %
1000
Aluminium ist das Hauptlegierungselement
a a+ b b
der CuAl-Legierungen, die in DIN EN 1652
900 genormt sind. Sie sind bis etwa 7,5 % einpha-
b + g1
sig (a) und zwischen 8 % und 14 % zweipha-
sig (a b), wie Bild 5-17 zeigt. CuAl-Legierun-
800
gen enthalten meistens weitere Elemente (z.
B. Fe, Mn, Sn, Ni), die bestimmte Eigenschaf-
700
ten verbessern. Die sich auf der Werkstoff-
oberfläche spontan bildende Oxidhaut muss
b + g2 wie bei Aluminium und den Aluminiumlegie-
600
565 ° C
rungen mit Hilfe der Reinigungswirkung der
9,4 %
Schweißverfahren (WIG-Verfahren mit Wech-
a + g2
500 selstrom, MIG-Verfahren mit Drahtelektrode
Cu 2 4 6 8 10 12 % 14 positiv) beseitigt werden. Bei Minuspolung
Aluminiumgehalt der Elektrode sind sehr aggressive Sonder-
Bild 5-17 flussmittel erforderlich, die nach dem Schwei-
Zustandsschaubild Kupfer-Aluminium. ßen unbedingt zu beseitigen sind.
Abschn. 5.2: Schwermetalle (Kupfer und Kupferlegierungen) 519
Einige zum Schweißen der bekanntesten Kup- Eine wichtige Voraussetzung für fehlerfreie
ferlegierungen (Siliciumbronze, Bronzen, Mes- Schweißungen ist die absolute Sauberkeit
singe, Aluminiumbronzen, Kupfer-Nickel-Le- der Fügeteile und der Zusatzwerkstoffe. Die
gierungen) sehr geeignete Zusatzwerkstoffe Walzhaut sollte vor dem Schweißen durch
(Schweißstäbe, Schweißdrähte, Drahtelekt-
roden, gemäß DIN EN 14640, sind in Tabel-
le 5-5 zusammengestellt.
1500 1453 ° C
°C
S+ a
Temperatur T
S
1300
1200
1100
1083 ° C
a
1000
900
Tabelle 5-6
Chemische Zusammensetzung einiger Nickelwerkstoffe (Knetwerkstoffe und ausscheidungshärtender Le-
gierungen) nach verschiedenen DIN-Normen und dem Bezeichnungssystem nach UNS (Auswahl).
Inconel 706 N09706 0,03 16,0 Rest − 37,0 − 1,8 Ti; 0,2 Al; 2,9 Nb
Inconel 718 N07718 0,04 18,0 Rest − 18,5 3,0 5,1 Nb; 0,9 Ti; 0,5 Al
Inconel X-750 N07750 0,04 15,5 Rest − 7,0 − 2,5 Ti; 0,7 Al; 1,0 Nb
Nimonic 80A N07080 0,06 19,5 Rest − − − 1,4 Al; 2,4 Ti
Nimonic 115 − 0,15 15,0 Rest 15,0 − 4,0 5,0 Al; 4,0 Ti
René 41 N07041 0,09 19,0 Rest 11,0 5,0 max 10,0 1,5 Al; 3,0 Ti; 0,006 B
Inconel 102 N06102 0,06 15,0 Rest − 7,0 3,0 3,0 W; 3,0 Nb; 0,4 Al; 0,6 Ti; 0,03 Zr
M252 N07252 0,15 20,0 Rest 10,0 − 10,0 1,0 Al; 2,6 Ti; 0,005 B
Udimet 630 − 0,03 18,0 Rest − 18,0 3,0 3,0 W; 6,5 Nb; 0,5 Al; 1,0 Ti
Inconel 100 N13100 0,15 10,0 Rest 15,0 − 3,0 5,5 Al; 4,7 Ti; 0,06 Zr; 1,0 V; 0,015 B
Waspaloy alloy N07001 0,08 19,0 Rest 14,0 − 4,3 1,5 Al; 3,0 Ti; 0,05 Zr; 0,006 B
Alloy 625 N07716 0,02 20,0 Rest − 5,0 9,0 5,0 Al; 4,3 Ti; 0,06 Zr; 0,02 B; 0,8 V
522 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
den Medien – im Chemie-Anlagenbau bei als die jedes anderen Elements. Es existiert
Temperaturen meistens unter 260 C verwen- daher eine wesentlich größere Anzahl (einpha-
det. Nickel ist aber in stark oxidierenden Me- siger) Nickellegierungen als austenitischer
dien (z. B. HNO3, H2SO4 in Konzentrationen Stähle. Diese Zusätze verbessern die Korro-
! 60 %) weniger beständig. Nickelwerkstof- sionsbeständigkeit (z. B. Kupfer, Molybdän,
fe gelten i. Allg. als beständig gegen SpRK. Wolfram gegenüber nichtoxidierende Säu-
Diese Beständigkeit nimmt ähnlich wie bei ren), die Zunderbeständigkeit (z. B. Chrom,
den austenitischen Cr-Ni-Stählen mit dem Niob, Tantal und Silicium in geringen Men-
Nickelgehalt zu. Die weitgehend historisch gen) oder die (Warm-)Festigkeit (z. B. Molyb-
»verbürgte« Tatsache einer vollständigen Im- dän, Aluminium gemeinsam mit Titan). Die-
munität der Nickelwerkstoffe gegenüber SpRK se größere Werkstoffvielfalt ist eine wichti-
ist bei der in den letzten Jahren extrem ge- ge Ursache für die korrosionstechnische Über-
stiegenen Anzahl von Angriffsmedien in al- legenheit der Nickelwerkstoffe verbunden mit
len Bereichen der chemischen Prozesstech- hervorragenden mechanischen Eigenschaf-
nik nicht mehr aufrecht zu erhalten. Vor al- ten (Zähigkeit, Kaltverformbarkeit).
lem die folgenden »Korrosionsumgebungen«
können die Spannungsrisskorrosion auslö- Verschiedene Nickelbasis-Legierungen wer-
sen: den häufig außer mit den genormten Kurz-
– Lösungen mit Halogenionen – insbeson- zeichen auch mit in der Praxis sehr bekann-
dere mit Chloridionen – bei Temperatu- ten Handelsnamen bezeichnet. Die z. B. als
ren über 210 C. Hastelloy (Haynes International) und Inco-
– Wässer bei hohen Temperaturen (Prozess- nel (International Nickel) bezeichneten Le-
wasser, Druckwasser-Reaktoren). gierungen sind von großer technischer Be-
– Kaustische Umgebungen bzw. kausti- deutung:
sches, belüftetes Hochtemperaturwasser
(ca. 300 C). Monel: Ni-Cu-70-30-Legierungen,
Inconel: Ni-Cr-, Ni-Cr-Fe- und Ni-Cr-Mo-
Die Löslichkeit des Nickels für sehr viele Le- Legierungen,
gierungselemente (hauptsächlich Chrom, Mo- Incoloy: Ni-Fe-Cr-Legierungen,
lybdän, Wolfram, Kupfer, Kobalt) ist größer Hastelloy: Ni-Mo-(Cr)-Legierungen.
zen erfordern für ihre Bildung zusätzliche beitung (z. B. Schweißen) bilden. Die Menge
Energien, wodurch die Verformbarkeit er- der Sekundärcarbide lässt sich durch Absen-
schwert, d. h. die Werkstofffestigkeit (»che- ken des Kohlenstoffgehalts und der den Aus-
mische Härtung«) erhöht wird. scheidungsmechanismus bestimmenden Tem-
– Mit zunehmender Betriebstemperatur peratur-Zeit-Führung beim Schweißen bzw.
steigt ihre Festigkeit. Wärmebehandeln beeinflussen.
– Sie besitzt im Gegensatz zu den meisten
anderen intermediären Verbindungen ei- Die Temperaturbeständigkeit der ausschei-
ne merkliche Verformbarkeit. dungshärtenden Nickellegierungen wird zu-
sätzlich durch die sehr aufwändige Herstell-
Zunehmende Ti- und Al-Gehalte erhöhen methode der gerichteten Erstarrung verbes-
zwar die Festigkeit dieser Phase, die Verar- sert. Mit diesem Verfahren gelingt es, die Be-
beitbarkeit der Knetlegierungen wird da- anspruchungsrichtung parallel zur Richtung
durch aber schlechter. Daher wird diese Maß- des Kristallwachstums zu orientieren. Die
nahme i. Allg. nur für Gusswerkstoffe ange- von der WEZ einer hochwarmfesten Legie-
wendet. Die Festigkeit ausscheidungshär- rung IN 792 DS (DS Directionally Solidi-
tender Nickelbasis-Werkstoffe lässt sich auch fied) – sie entspricht weitgehend dem Werk-
mit Ni3Nb-Ausscheidungen (g ’’-Phase) stei- stoff GX-NiCr12Co8TiAlWMoHf – ausgehen-
gern. Der Ausscheidungsprozess verläuft de, sehr deutlich erkennbare gerichtete Form
sehr viel träger als der der g ’-Phase. Ge- der Kristallite zeigt Bild 5-22.
schweißte Verbindungen aus diesen Werk-
stoffen neigen daher während des Aufhei-
zens zum Lösungsglühen wegen der fehlen-
den bzw. geringeren Menge an Ausscheidun-
gen nur in begrenztem Maße zur Rissbil-
dung, d. h., ihre Schweißeig nung ist deut-
lich besser, Abschn. 5.2.2.2.
weil durch Agglomerieren der Dispersoide stabile Oxide und Nitride, d. h., die Neigung
die mechanischen Gütewerte erheblich ab- zur Porenbildung ist im Vergleich zu Rein-
nehmen. Daher werden Verbindungen über- nickel und Nickel-Kupfer-Legierungen deut-
wiegend mit mechanischen Mitteln oder mit lich geringer. Die Heißrissempfindlichkeit
Hilfe des Lötens hergestellt. der chromhaltigen Nickelbasis-Legierungen
ist in Anwesenheit anderer Elemente (insbe-
Alle Nickellegierungen – mit Ausnahme der sondere Silicium!) merklich größer als die an-
nicht schweißgeeigneten Ni-Zr-Legierungen derer hoch nickelhaltiger Legierungen. In Ni-
und einiger zur Rissbildung neigender aus- ckel-Basis-Schweißgütern muss z. B. der Si-
scheidungshärtender Legierungen – lassen liciumgehalt auf wenige Zehntel Prozent be-
sich gut bis sehr gut schweißen. grenzt sein, um die Bildung von Heißrissen
sicher auszuschließen. Silicium wird auch
Nickelbasis-Legierungen sind bei ihrer Be- Gusslegierungen zum Verringern der Schmel-
triebstemperatur austenitisch, weitgehend zenviskosität, d. h. zum Verbessern der Gieß-
frei von Ausscheidungen der versprödenden barkeit zugesetzt.
Sigma-Phase und neigen bei Nickelgehalten
über 40 % bis 45 % nicht zur Spannungsriss- Eisen
korrosion. Ni-Cr-Legierungen enthalten bis zu 18 % Ei-
sen in Form von Vorlegierungen, Tabelle 5-6.
Nickellegierungen sind als Walz- und Schmie- Dies geschieht nicht, um die Gütewerte oder
deteile schwierig herzustellen und auch zu die Schweißeignung zu verbessern, sondern
bearbeiten. Daraus resultiert die Tendenz, in erster Linie, um die Kosten dieser Werkstof-
Bauteile wenn möglich durch das konstruk- fe zu reduzieren. Mit zunehmendem Eisen-
tive, wirtschaftliche und anwendungstech- gehalt werden die Ni-Cr-Legierungen wegen
nische Vorteile bietende Gießen herzustel- der im Eisen sehr viel größeren Menge an
len. Verunreinigungen (z. B. S, P) allerdings im-
mer heißrissanfälliger.
5.2.2.1 Einfluss der Legierungselemente
auf das Schweißverhalten Kohlenstoff
Im Folgenden wird der Einfluss einiger Legie- Nickel und hoch nickelhaltige Legierungen
rungselemente auf die Schweißeignung und bzw. Schweißgüter enthalten 0,01 % bis etwa
das Schweißverhalten vorwiegend hoch ni- 0,15 % Kohlenstoff. Die Löslichkeit des Koh-
ckelhaltiger Legierungen beschrieben. lenstoffs im Temperaturbereich zwischen
370 C und 650 C beträgt nur etwa 0,02 %
Kupfer
2000
Kupfer bildet mit Nickel eine lückenlose 1880 ° C
Mischkristallreihe, Bild 5-18. Legierungen mit °C S+ a S
Temperatur T
400
Chrom CrNi2
bis 0,03 %. Jede in der WEZ über der Löslich- zen vollständig zu beseitigen. Ein einfa-
keitsgrenze vorhandene Kohlenstoffmenge ches (manuelles) Bürsten ist erfahrungs-
bleibt wegen der raschen Abkühlung wäh- gemäß unzureichend.
rend des Schweißprozesses im Gitter zwangs- – Geringste Mengen niedrigschmelzender
gelöst. Betriebstemperaturen zwischen 370 C Verunreinigungen, wie z. B. Pb, P, Cd, Zn,
und 650 C führen zum Ausscheiden des Koh- Sn, B und S führen zu extremer Heißris-
lenstoffs in Form des versprödenden Korngren- sigkeit des Schweißguts und der WEZ (Li-
zengrafits. Aus diesem Grunde müssen auch quation cracking) und (oder) Versprödung
in diesem Temperaturbereich beanspruchte bei höheren Temperaturen.
handelsüblich reine Nickelwerkstoffe sehr – Die Oberflächenspannung des flüssigen
niedriggekohlt sein. Das sind die in Tabelle Nickels ist sehr viel größer als die der meis-
5-6 aufgeführten LC-Varianten (LC Low ten anderen Metallschmelzen. Es sind da-
Carbon) mit Kohlenstoffgehalten, die unter her größere Öffnungswinkel und Stegab-
0,02 % liegen. Schweißzusatzwerkstoffe ent- stände zu wählen, um den unbehinder-
halten einige zehntel Prozent z. B. des sehr ten Zugang des Lichtbogens zu den Fugen-
kohlenstoffaffinen Titans. flanken, d. h. dem (geprüften) Nickel-
Schweißer die erforderliche Bewegungs-
Schwefel und andere Elemente freiheit für den Zusatzwerkstoff zu ermög-
Vor allem Schwefel ist wegen seiner extrem lichen. Mit einem größeren Wärmeeinbrin-
geringen Löslichkeit im festen Zustand, der gen lässt sich zwar die Schmelzenviskosi-
sehr niedrigen Schmelztemperatur des Ni- tät verringern, dabei besteht aber die Ge-
NiS-Eutektikums von 650 C und der extrem fahr des unzulässigen Desoxidationsmit-
geringen schadenserzeugenden Menge be- telabbrands und anderer sehr unerwünsch-
sonders gefährlich. Er kann bei handelsübli- ter metallurgischer und thermischer Wir-
chem Reinnickel oberhalb von etwa 320 C, kungen.
bei Ni-Cr-Legierungen über 650 C außer-
dem aus dem Schweißgut in die WEZ diffun- Der Wärmeausdehnungskoeffizient der Ni-
dieren, Bild 5-3. Der Schwefel schädigt also ckelwerkstoffe liegt zwischen 14¹10 6/K (Ni)
Schweißgut und WEZ. Mit Magnesium und und etwa 16¹106/K (Ni-Cr-Fe-Legierung). Die
Mangan wird seine schädliche Wirkung be- Werte liegen zwischen denen der unlegierten
seitigt. Äußerste Sauberkeit der Fügeteile ist und der austenitischen Cr-Ni-Stähle. Nickel-
die wichtigste Schweißempfehlung, weil sehr basis-Zusatzwerkstoffe erzeugen daher bei
viele Substanzen Schwefel enthalten (Fette, den »Schwarz-Weiß-Verbindungen«, Abschn.
Kreiden, Öle) bzw. bei höheren Temperaturen 4.3.8.1, S. 446, an der Phasengrenze Schweiß-
freisetzen. gut/unlegierter Stahl wegen ihrer im Vergleich
zum unlegierten Stahl ähnlichen Wärmeaus-
Blei wirkt in gleicher Weise wie Schwefel, dehnungskoeffizienten nur sehr geringe zu-
auch die für die Heißrissbildung erforderli-
chen Mengen sind ähnlich. In der Schweiß- parziell aufgeschmolzene Zone Korrosionsangriff (K) möglich
5.2.2.2 Schweißmetallurgie
stoffe – von der Schweißschmelze aufgenom- droht) sinnvoll sein. Besonders wichtig ist
men werden. Abhilfe schaffen die bekannten es, die Werkstückoberflächen vor einer Wär-
Maßnahmen zur Abwehr der Wasserstoffauf- mebehandlung sorgfältigst von vergasbaren
nahme, Abschn. 3.5.1.1, S. 270. Substanzen (Fette, Öle, Kreiden, Farben, orga-
nische Bewüchse und organische Substan-
Kohlenmonoxid kann bei einer ausreichen- zen) und Fremdmetallspänen zu befreien.
den Menge an Desoxidationsmitteln wie Si-
licium und Aluminium als Ursache ausge- Ausscheidungshärtende
schlossen werden, weil der restliche Sauer- Nickelbasis-Legierungen
stoffgehalt für die Bildung des Kohlenmon- Erwartungsgemäß ist die schweißtechnische
oxids zu gering ist. Verarbeitung der ausscheidungshärtenden
Legierungen am schwierigsten. Ursächlich
Die Heißrissempfindlichkeit steigt mit der für alle zu erwartenden Probleme sind die
Neigung zur Bildung primär erstarrter in- Eigenschaften und die Änderungen der aus-
termediärer Phasen im Schweißgut. Hastel- härtenden Phase (g ’ oder g ’’) während des
loy C-4 ist die am wenigsten heißrissanfäl- Schweißprozesses.
lige Legierung, Hastelloy C-276 die anfälligs-
te, Tabelle 5-6. Die ausscheidungshärtenden Nickelbasis-
(Super-)Legierungen werden wegen ihrer ho-
Das Segregieren gelöster Elemente – vor al- hen Festigkeit und hervorragenden Kor-
lem des Molybdäns – an den Korngrenzen rosionsbeständigkeit bei hohen Temperatu-
der zellulären Dendriten führt i. Allg. zu einer ren beim Bau von Wärmekraftanlagen viel-
geringfügigen Verringerung der Korrosions- fach eingesetzt. Sie enthalten Aluminium, Ti-
beständigkeit des Schweißguts im Vergleich tan oder Niob, die sich mit zunehmender Tem-
zu den deutlich homogeneren Grundwerk- peratur in zunehmender Menge in der auste-
stoffen. Dabei werden vorwiegend die molyb- nitischen Matrix (g ) lösen, Bild 5-25. Damit
dänärmeren Dendritenstämme angegriffen. ist die wichtigste Voraussetzung zum Erzeu-
Die Verwendung molybdänüberlegierter Zu- gen ausscheidungshärtender Legierungen
satzwerkstoffe schafft in den meisten Fällen gegeben, Abschn. 2.6.3.3, S. 161.
Abhilfe.
Die verfestigende Ausscheidung ist die ge-
Nach dem Schweißen ist eine Wärmebehand- ordnete kfz Phase g ’ oder g ’’, die in die Gleich-
lung nicht erforderlich. Ein Spannungsarm- gewichtsphase g Ni3(Al,Ti) bzw. Ni3Nb über-
glühen kann aber für kritische Korrosionsbe- geht. Durch die Bildung der Ausscheidun-
dingungen (z. B. wenn die Gefahr der SpRK gen werden der g-Matrix Aluminium und Ti-
tan entzogen, womit eine Abnahme der Git-
1200 terparameter verbunden ist. Die entstehen-
°C Ti / Al = 2:1 den Gitterverzerrungen behindern den Ab-
Temperatur T
sungsglühen) in Anwesenheit ausreichend Vor allem die sich bei der Primärkristallisa-
großer (Eigen-)Spannungen. tion der Schweißschmelze bildenden Carbi-
de (MC) und Laves-Phasen (MA 2) können
Der Bildung der Wiederaufschmelzrisse nach während des Schweißprozesses den Wieder-
dem Mechanismus der konstitutionellen Ver- aufschmelzriss einleiten und sich entlang der
flüssigung bzw. durch Verflüssigen niedrig- Korngrenzen als flüssiger Film ausbreiten.
schmelzender eutektischer Bestandteile wur- Verunreinigungen, wie z. B. die Elemente
de bereits in Abschn. 5.1.3 ausführlicher be- Schwefel, Phosphor, Antimon, Arsen, Bismut
sprochen. Diese Risse können beim Schwei- und Zinn segregieren sehr häufig an den Korn-
ßen der ausscheidungshärtenden Nickelba- grenzen.
sis-(Super-)Legierungen zzt. praktisch nicht
verhindert werden. Einige zehntel Millime- Die Neigung zur Bildung der Wiederauf-
ter lange Risse müssen toleriert werden. Die schmelzrisse kann durch die genannte Kon-
Schweißnähte sind allerdings in weniger hoch zentration der Verunreinigungen aus ver-
beanspruchte Bereiche zu legen. Die Risslän- schiedenen Gründen wesentlich erhöht wer-
ge lässt sich im Wesentlichen nur durch die den:
Wahl sehr leistungsdichter Schweißverfah- – Sie können die Benetzungsfähigkeit der
ren begrenzen. Einige erfolgversprechende Korngrenzenschmelze erhöhen und damit
Versuche mit dem Laserstrahlverfahren z. B. ihre Beweglichkeit, d. h. ihre Schadens-
in den USA, bestätigen diese naheliegende wirksamkeit vergrößern.
Vermutung. Bild 5-26 zeigt den typischen – Sie können die Solidustemperatur her-
Verlauf der Wiederaufschmelzrisse in einer absetzen.
Auftragschweißung aus einer hochwarmfes- – Sie können niedrigschmelzende Ausschei-
ten Nickelbasis-(Super-)Legierung. In Bild dungen/Eutektika bilden.
5-27 sind Wiederaufschmelzrisse im Bereich – Sie können die Schmelzenmenge an den
der Schmelzgrenze einer Schweißverbindung Korngrenzen vergrößern.
aus einer Nickelbasis-Legierung dargestellt
(s. Pfeilsymbole). Die Benetzung der Korn- Die Gefahr der Bildung der sehr unerwünsch-
grenzen mit der aufgeschmolzenen Phase ist ten Wiederaufschmelzrissen lässt sich durch
deutlich zu erkennen. Wahl geeigneter Schweißparameter (vor al-
Bild 5-26
Wiederaufschmelzrisse im schmelzgrenzennahen Be- Bild 5-27
reich der WEZ einer Auftragschweißung, z. T. mit Pfei- Wiederaufschmelzrisse im schmelzgrenzennahen Be-
len gekennzeichnet (Zusatzwerkstoff: Inconel 625, reich einer Verbindungsschweißung aus einer Nickel-
Grundwerkstoff: GX-NiCr16Co8TiAlWMo), nach Sie- basis-Legierung, z. T. durch Pfeilsymbole kenntlich
mens AG, Gasturbinenwerk (KWU) Berlin, V = 12,5:1. gemacht, V = 200 :1.
Abschn. 5.2: Schwermetalle (Nickel und Nickellegierungen) 529
lem ein geringes Wärmeeinbringen ist ent- Eine Wärmenachbehandlung wird zum Be-
scheidend!) und eine Reihe metallurgischer seitigen der (Schweiß-)Eigenspannungen (et-
Maßnahmen klein halten: wa 100 C über der Betriebstemperatur) und
– Eine geringe Korngröße im Grundwerk- zum Erzielen der maximalen Festigkeitsei-
stoff und in der Wärmeeinflusszone ver- genschaften angewendet. Während des Lö-
ringert die Belegungsdichte der evtl. riss- sungsglühens (TLös 925 C bis etwa 1150 C)
auslösenden Bestandteile und reduziert durchlaufen die beim Schweißen während
damit die Rissgefahr. der Auf heizphase »lösungsgeglühten« (d. h.
– Der Schmelzpunkt der die Korngröße be- weitgehend ausscheidungsfreien weichen Be-
einflussenden Teilchen sollte im Bereich reiche!) die Auslagertemperatur, die etwa zwi-
der Temperatur der teilverflüssigten Zone schen 650 C und 980 C liegt. Ein Abbau der
liegen. Ein Ausheilen bereits entstande- Spannungen ist wegen des großen Kriechwi-
ner Risse aus dem Vorrat der Schweiß- derstandes und der geringen Kriechzähig-
schmelze ist dann möglich. keit kaum möglich. Die Folge ist eine erheb-
– Die Menge der Werkstoffverunreinigun- liche Festigkeitserhöhung dieser Zonen.
gen ist zu begrenzen.
– Nach dem Schweißen des lösungsgeglüh- Begünstigt durch die noch nahezu in voller
ten Werkstoffs sollte ausreichend schnell Höhe vorhandenen Eigenspannungen sind
abgekühlt werden, um ein Anreichern der diese Bereiche je nach vorhandenem Verfor-
Verunreinigungen im Korngrenzenbereich mungsvermögen relativ rissanfällig, Bild 5-
zu verhindern. 28. Die Zähigkeitseigenschaften werden au-
– Die Viskosität der aufgeschmolzenen Pha- ßerdem durch die Wirkung der Wiederauf-
se sollte möglichst groß sein, so dass ihr schmelzrisse und durch Versprödung der Korn-
Eindringen entlang der Korngrenzen mög- grenzen als Folge eindiffundierten Sauerstoffs
lichst erschwert wird. (sauerstoffhaltige Ofenatmosphäre!) verrin-
gert. Zugaben von Niob bei gleichzeitiger Re-
Schweißen Wärmenachbehandlung duzierung der Aluminium- und Titangehalte
Oft wird direkt nach dem Schweißen ohne verringern die Rissneigung erheblich, weil
ein Lösungsglühen bei TAus ausgehärtet die Bildung der niobhaltigen Ausscheidungen
Temperatur T
Tabelle 5-7
Eigenschaften von nickellegierten Schweißstäben, Schweißdrähten, Drahtelektroden und Bandelektroden
sowie Beispiele für die Verwendung, nach DIN EN ISO 18274, 5/2005, Auswahl.
1)
Legierungs-Kurzzeichen Beispiele für die Verwendung zum SG- und UP-Schweißen der folgen-
den Grundwerkstoffe
Nummerisch Chemisch
Tabelle 5-8
Eigenschaften nickellegierten Schweißguts von umhüllten Stabelektroden sowie Beispiele für die Verwen-
dung, nach DIN EN ISO 14172, 5/2004, Auswahl.
Vorwärmen ist ebenso wie eine Wärmenach- wasser kann zur SpRK führen. Ein Span-
behandlung in den meisten Fällen nicht er- nungsarmglühen ist in diesen Fällen emp-
forderlich. Allerdings werden die im lösungsge- fehlenswert, um die SpRK mit Sicherheit aus-
glühten Zustand zu schweißenden ausschei- zuschließen. Ein Begrenzen der in Korngren-
dungshärtenden Legierungen nach dem Schwei- zenbereichen segregierenden Elementen hat
ßen erneut lösungsgeglüht und ausgelagert. sich zusätzlich als sehr wirksam erwiesen.
Entstehen während des Schweißens höhere
Eigenspannungszustände, dann ist ein Span- Die Zusatzwerkstoffe sollten aus korrosions-
nungsarmglühen vor dem Auslagern sehr emp- technischen Gründen artgleich gewählt wer-
fehlenswert. Geschweißte Bauteile aus alumi- den. Es ist allgemein zu beachten, dass durch
nium- und titanhaltigen Nickellegierungen die begrenzte Diffusionsfähigkeit der Legie-
müssen vor dem erneuten Lösungsglühen rungselemente – vor allem Nickel und Molyb-
spannungsarmgeglüht werden. Die Wärme- dän – das Schweißgut kristallgeseigert ist
behandlung sollte in Schutzgasöfen erfolgen, und damit in bestimmten Umgebungen kor-
um die Oxidation der Oberflächen gering zu rosionsanfällig werden kann. In Tabelle 5-7
halten. Der Aufwand zum Entfernen dieser sind Zusatzwerkstoffe für einige wichtige Ni-
Oxidschichten ist anderenfalls beträchtlich. ckelwerkstoffe, in Tabelle 5-8 die Eigenschaf-
Die Oxide sind aber aus korrosions- und schweiß- ten von mit umhüllten Stabelektroden nieder-
technischen Gründen unbedingt zu beseiti- geschmolzenem hoch nickelhaltigem Schweiß-
gen. gut (DIN EN ISO 14172) und von nickellegier-
ten Schweißstäben und Drahtelektroden
Von größter Wichtigkeit ist sorgfältigstes me- (DIN EN ISO 18274) zusammengestellt.
chanisches oder chemisches Reinigen der
vom Lichtbogen erfassten Werkstückoberflä-
chen. Metallisch völlig blanke Oberflächen 5.3 Leichtmetalle
sind erforderlich.
Leichtmetalle werden in vielen Bereichen der
Wegen der dickflüssigen Nickelschmelze sind Technik eingesetzt. Ihre herausragendsten
die Öffnungswinkel bei Stumpfnähten – vor Eigenschaften sind
allem beim Lichtbogen-Handschweißen – grö- – geringe Dichte r, die sie für den Leichtbau
ßer als für die meisten anderen Werkstoffe sehr geeignet macht;
zu wählen. Der Schweißer muss die Schmel- – hohe Festigkeit einiger legierter (ausschei-
ze dorthin bewegen, wo sie erforderlich ist. dungshärtender) Werkstoffe;
Dazu ist die Elektrode i. Allg. zu pendeln. Die – oft hervorragende Korrosionsbeständig-
Pendelbreite sollte nicht den dreifachen Elekt- keit, und die
rodendurchmesser überschreiten. Das Wär- – bei vielen Leichtmetallwerkstoffen mei-
meeinbringen ist zu begrenzen, und die Naht- stens gute bis hervorragende Schweißeig-
ansätze sollten wegen der Gefahr der Heißriss- nung, und einfache Formgebung, die die
bildung angeschliffen werden. Fertigung sehr erleichtert.
Tabelle 5-9
Aluminium-Knetlegierungen nach DIN EN 573-5 und Aluminium-Gusslegierungen nach DIN EN 1706
(Auswahl). Den bisherigen DIN-Bezeichnungen wurden die neuen (nummerischen, chemisches Symbol)
nach DIN EN 573-3 gegenübergestellt.
AlMg1 EN AW-Al Mg1(C) EN AW-5005A Mit zunehmendem Mg-Gehalt steigt die Festig-
AlMg1,8 EN AW-Al Mg2(B) EN AW-5051A keit und die Schweißeignung nimmt stark ab.
AlMg2,5 EN AW-Al Mg2,5 EN AW-5052 AlMg4,5 ist schweißrissempfindlich. Niedrigle-
AlMg3 EN AW-Al Mg3 EN AW-5754 gierte Sorten werden als Strangpressprofile an-
AlMg4Mn EN AW-Al Mg4 EN AW-5086 geboten. Zerspanbarkeit der höherlegierten Sor-
AlMg4,5 EN AW-Al Mg4,5 EN AW-5082 ten ist gut.
AlMg2Mn0,3 EN AW-Al Mg2 EN AW-5251 AlMgMn-Legierungen sind gut schweißgeeig-
AlMg2Mn0,8 EN AW-Al Mg2Mn0,8 EN AW-5049 net, zerspanbar und seewasserbeständig. Die
AlMg2,7Mn EN AW-Al Mg3Mn EN AW-5454 höchste Festigkeit aller nichtausscheidungshär-
AlMg4,5Mn0,7 EN AW-Al Mg4,5Mn EN AW-5083 tenden Al-Legierungen hat AlMg4,5Mn.
a+ b
Rissneigung
Rissneigung
0 1 2 3 4 5 6 7%8 0 1 2 3 4 5 6 7%8 0 1 2 3 4 5 6 7% 8
Silicium Kupfer Magnesium
b)
Bild 5-29
Binäre Aluminium-Zustandsschaubilder und Heißrissneigung legierter Aluminium-Schweißgüter.
a) Al-Si, Al-Cu, Al-Mg, Ausschnitte.
b) Relative Rissempfindlichkeitskennziffer verschiedener Aluminium-Schweißgüter abhängig vom Legierungs-
gehalt: Al-Si, nach Singer und Jennings, Al-Cu, nach Pumphrey und Lyons, Al-Mg, nach Dowd.
536 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
1300
1200
Schweißeignung ist damit hervorragend, und
die Bildung von Rissen jeder Art weitestge-
1100 hend ausgeschlossen.
S
1000
900
Bild 5-31 zeigt das Mikrogefüge des schmelz-
S+ b grenzennahen Bereichs einer Schweißverbin-
800
dung aus G-AlSi12. Im Bild links oben ist das
700 S+ a Schweißgut (SG-AlSi5) erkennbar. Das Eu-
600 577 ° C tektikum (a-Si) ist deutlich feiner ausgebil-
a 11,7 b det als im Grundwerkstoff.
500
a+ b
400 5.3.1.6 Ausscheidungshärtende
Al 20 40 60 80 % Si
Siliciumgehalt Aluminiumlegierungen
Diese Werkstoffe erhalten ihre Eigenschaf-
Bild 5-30 ten – vor allem eine vergleichsweise hohe
Zustandsschaubild Aluminium-Silicium. Festigkeit, verbunden mit einer häufig hohen
Korrosionsbeständigkeit – durch eine in Ab-
AlMg- und AlMgMn-Legierungen sind die schn. 2.6.3.3, S. 161, ausführlicher beschrie-
wichtigsten nicht ausscheidungshärtenden bene komplexe, mehrstufige Wärmebehand-
Knetlegierungen. Magnesium erhöht erheb-
lich die Festigkeit durch Mischkristallverfes-
tigung. Sie sind gut bis sehr gut schweißgeeig-
net. Mit zunehmendem Magnesiumgehalt
nimmt die Menge der intermediären b-Pha-
se Al3Mg2 zu und damit die Verformbarkeit
und die Schweißeignung extrem ab, Bild 1-
65. Die IK- und die SpRK-Beständigkeit wer-
den geringer, wenn die b-Phase als zusammen-
hängender Korngrenzenbelag vorliegt. Da-
her muss die gewünschte Anordnung der Teil-
chen in Form diskreter Partikel durch ein
Glühen bei etwa 200 C bis 250 C erzwungen
werden (Heterogenisierungsglühen).
lung (Ausscheidungshärtung). Ihre Schweiß- Ähnlich wie bei den Al-Cu-Legierungen ist
eignung ist im Allgemeinen deutlich schlech- die Ausscheidungsfolge bei den oben genann-
ter als die der anderen, nichtausscheidungs- ten Legierungssystemen:
härtenden Aluminium-Werkstoffe, weil sie
abhängig von der chemischen Zusammen- AlCuMg
setzung zu einer ausgeprägten (Heiß-)Riss- MK GP S’ (Al2CuMg)’ S (Al2CuMg),
bildung neigen. AlMgSi
MK GP b ’ (Mg2Si)’ b (Mg2Si),
Aluminium-Zweistofflegierungen sind nicht AlZnMg
ausscheidungshärtend, weil die Ausscheidun- MK GP h ’ (MgZn2)’ h (MgZn2).
gen entweder nicht in der gewünschten Grö-
ße, Form oder Verteilung erzeugbar sind, Die Ausscheidungen S’, b ’, h ’ sind dabei die
ihre festigkeitserhöhende Wirkung im Ver- kohärenten Phasen der jeweiligen Gleichge-
gleich zum Aufwand zu gering ist oder die wichtsphasen S, b und h.
Verformbarkeit des ausscheidungsgehärte-
ten Werkstoffs unzureichend ist. Die Härte einer ausscheidungshärtenden Al-
Cu-Legierung abhängig von den Auslagerbe-
Ausscheidungshärtend sind Legierungen dingungen und dem sich daraus ergebenden
der folgenden Legierungssysteme: Ausscheidungszustand zeigt schematisch das
Bild 5-32. Die maximale Härte des Gefüges
AlCu (kaum verwendet), ergibt sich dann, wenn die größte Menge der
AlCuMg (AlCuSiMn), kohärenten 4”-Teilchen (GP II-Teilchen) im
AlMgSi, Gefüge vorhanden ist, die geringste, wenn
AlZnMg (AlZnMgCu). nur die sich bei höheren Auslagertemperatu-
ren (J 170 C) bildenden inkohärenten Aus-
Die sich während des Auslagerns bildenden scheidungen 4 (Al2Cu) vorliegen.
Ausscheidungen durchlaufen bis zu ihrer in-
kohärenten Form eine Reihe von Zwischen- Der Ausscheidungszustand und damit die
zuständen, die die Festigkeits- und Zähig- mechanischen Eigenschaften werden durch
keitseigenschaften beeinträchtigen, s. a. Ab- den Schweißprozess weitgehend geändert.
schn. 1.4.2.1, S. 32, Aufgabe 5-1, S. 566.
140
120
GP2
sättigten Mischkristall (MK) mit zunehmend
Q ’
verbesserten Diffusionsbedingungen, d. h. 100
GP1
zunehmender Auslagertemperatur nachein-
ander eine Reihe unterscheidbarer Zustän- 80
de und Phasen: Q ’
2
MK GP I GP II (4”) 4’ 4 (Al2Cu). 60
Q
Die inkohärente 4-Phase ist die thermody-
40
namische Gleichgewichtsphase mit der che- 0,01 0,1 1 10 100 1000
mischen Zusammensetzung Al2Cu. Ihre fes- Auslagerzeit (Tage)
tigkeitserhöhende Wirkung ist daher nur ge-
ring. Die beiden kohärenten Phasen GP I Bild 5-32
und GP II (4’’) unterscheiden sich durch ihre Über den Einfluss der Auslagerbedingungen auf die
Härte einer bei zwei Temperaturen »warmausgela-
Größe und der Größe des von ihnen verspann- gerten« AlCu-Legierung (4 % Cu).
ten Gitterbereiches. Die festigkeitserhöhende 1: Auslagertemperatur TAus = 130 C,
Wirkung der semikohärenten Ausscheidun- 2: Auslagertemperatur TAus = 190 C.
gen (4’) ist ähnlich wie die der kohärenten, Ausscheidungsfolge bei Al-Cu-Legierungen:
s. Bild 5-32. MK Æ GP I Æ GP II (Q”) Æ Q’ Æ Q, nach Silcock u. a.
Abschn. 5.3: Leichtmetalle (Aluminium) 539
Im Bild 5-33b ist die Härteverteilung quer alterten« Bereich 2 ist der Härteanstieg dage-
zu einer Schweißverbindung aus einer aus- gen gering. Erst mit einem erneuten Lösungs-
scheidungsgehärteten Aluminiumlegierung glühen und anschließenden Auslagern las-
dargestellt. Mit zunehmender Annäherung sen sich die ursprünglichen Werte wieder
an die Schmelzgrenze nimmt der Anteil der herstellen.
4’-Phase (bei der AlCu-Legierung) bzw. der
S’-Phase (AlCuMg-Legierung) oder der b ’- Die AlZnMg-Legierungen haben eine wesent-
Phase (AlMgSi-Legierung) ständig ab. In lich geringere Neigung während des Ausla-
Bild 5-33a beginnt die Umwandlung der 4’- gerns zu überaltern, d. h. auch beim Schwei-
bzw. b ’-Phase in die jeweilige stabile Phase ßen. Als Folge ihrer geringen Abschreckemp-
bei TRev. Dieser Vorgang ist mit einem erheb- findlichkeit, zusammen mit einem großen
lichen Härte- und Festigkeitsabfall verbun- zulässigen Bereich für das Lösungsglühen
den, Kurve 3, Bild 5-33b. Die Härte der Be- (350 C bis 450 C) lagern sie bei üblichen
reiche in Schmelzgrenzennähe ist wegen der Umgebungstemperaturen »kalt« aus. Nach
vollständigen Lösungsglühung am gerings- Ablauf von etwa 20 Tagen wird in der Wär-
ten, Kurve 1. Der kontinuierliche Härteab- meeinflusszone nahezu die ursprüngliche
fall von 4 nach 1 (gemessen direkt nach dem Härte wieder erreicht. Das Auslagern kann
Schweißen!), ist damit die Folge der ständi- auch bei höheren Temperaturen durchge-
gen Abnahme der Phase S’ auf Kosten der führt werden. Bei 120 C sind etwa 24 h er-
S-Phase, die in ungeeigneter Form (zu groß) forderlich.
und Menge (zu gering) vorliegt.
Die AlZnMg-Legierungen neigen zur Rissbil-
1 Beginn S ’ ® S - oder
b ’ ® b - Umwandlung
A 4 dung, daher werden sie, wie auch alle ande-
ren ausscheidungshärtenden Legierungen,
Härte
2
Temperatur
1/2"
1 (direkt nach dem
Schweißen) 8
Tabelle 5-10
Gruppeneinteilung für Aluminium und Aluminiumlegierungen, Beispiele für Knetaluminium, Aluminium-
knet- und Aluminiumgusslegierungen, in Anlehnung an DIN EN 1011-4 (2/2001) und DIN-Fachbericht
CEN ISO/TR 15608 (1/2006).
Reinaluminium
Reinaluminium 1,5 % Verunreinigungen oder Legierungsbestandteile
Aluminium-Magnesium-Legierungen 3,5 % Mg
EN AW-Al Mn1Cu EN AW-3003
EN AW-Al Mn1Mg1 EN AW-3004
EN AW-Al Mn1Mg0,5 EN AW-3005
22.1 EN AW-Al Mn0,5Mg0,5 EN AW-3105
EN AW-Al Mg2,5 EN AW-5052
EN AW-Al Mg3,5Mn0,3 EN AW-5154B
EN AW-Al Mg2 EN AW-5251
EN AW-Al Mg3 EN AW-5754
EN AW-Al Mg2Mn0,8Zr EN AW-5249
Aluminium-Magnesium-Legierungen mit 4 % < Mg 5,6 %
EN AW-Al Mg4,5Mn0,7 EN AW-5083
22.2 EN AW-Al Mg4 EN AW-5086
EN AW-Al Mg5Mn1(A) EN AW-5456A
EN AW-Al Mg5 EN AW-5056A
Warmaushärtende Legierungen
4 4 4 4 4 4 4 oder 5 4
AlSi Gusslegierungen 3)
24/25 4 4 4 4 4 4 4 4
AlSiCu Gusslegierungen 3) 4 4 4 4 4 4 4 4
5 5 5 5 5 5 5 4 oder 5 5
26 AlMg Gusslegierungen 4) 5 5 5 5 5 5 5 4 5
5 5 5 5 5 5 5 4 5
Tabelle 5-12
Kurzzeichen für die Zusatzwerkstoffe zum Schmelzschweißen der in Tabelle 5-10 aufgeführten Aluminium-
werkstoffe (Massivdrähte und Massivstäbe), in Anlehnung an DIN EN ISO 18273 (6/2004) und DIN EN 1011-4
(2/2001), Auswahl.
Legierungstyp Legierungskurzzeichen (EN ISO 18273) Hinweise zur Anwendung und ihrer werkstoffli-
chen Wirksamkeit
Nummerisch Chemisch
Al 1070 Al99,7
Al 1080A Al99,8(A)
Aluminium Al 1188 Al99,88
Titan, Chrom und Zirkonium verhindern Erstar-
(niedriglegiert) Al 1100 Al99,0Cu
rungsrisse (solidification cracking) in Schweißgü-
Al 1200 Al99,0
tern hoch beanspruchter Verbindungen durch Maß-
Al 1450 Al99,5Ti
nahmen der Kornfeinung.
Aluminium-
Al 2319 AlCu6MnZrTi
Kupfer
Aluminium-
Al 3103 AlMn1
Mangan
weil der Aufschmelzgrad von der Nahtform schmelzrisse muss bei diesen Werkstoffen
und den Schweißparametern bzw. dem Schweiß- sorgfältig beachtet werden.
verfahren abhängt. Bild 5-35 zeigt die Verhält-
nisse bei einer für diese Betrachtung ange- 5.3.1.7 Aluminium-Sonderlegierungen
nommenen homogenen Mischung von Grund- Außer den genannten Legierungen werden
und Zusatzwerkstoff in der Schweißschmel- eine Reihe von Sonderwerkstoffen verwen-
ze. Je nach Aufschmelzgrad ergeben sich det, die die Einsatzmöglichkeiten des Alu-
sehr erhebliche Unterschiede der Schweiß- miniums erheblich erweitern.
gutzusammensetzung, wie der Vergleich der
Beispiele 1 und 2 ergibt. Aluminium-Lithiumlegierungen
Diese Knetwerkstoffe werden zzt. überwie-
Die AlCuMg-Legierungen sind sehr rissemp- gend in der Luftfahrzeugindustrie verwen-
findlich, weil sich spröde, kupferhaltige, eutek- det. Die Al-Li-Mg- und Al-Li-Cu-Mg-Legie-
tische Bestandteile an den Korngrenzen der rungen sind die wichtigsten Werkstoffe:
schmelzgrenzennahen Gefüge bilden. Von ei-
nem Schmelzschweißen wird daher prinzipi- – Al-Li-Mg, mit der beim Auslagern entste-
ell abgeraten. henden verfestigenden Phase d ’ (Al3Li),
– Al-Li-Cu-Mg (S’ Al2CuMg, T1 Al2CuLi).
Grundsätzlich nimmt die Heißrissneigung des
Werkstoffs mit der Anzahl der Legierungs- Die Schweißeignung der Aluminium-Lithi-
elemente (und auch der Verunreinigungen!) umlegierungen wird durch deren extreme
sehr stark zu, weil die Wahrscheinlichkeit Porenneigung bestimmt. Im Schweißgut ge-
der Bildung mehrerer heißrissbegünstigen- löster atomarer Wasserstoff ist die bei wei-
der Verbindungen größer wird. Vor allem tem wichtigste Porenursache. Wasserstoff
die Entstehung der bereits in Abschn. 5.1.3 kann bei diesen besonders porenempfindli-
besprochenen Heißrisse und der Wiederauf- chen Aluminium-Lithiumlegierungen vor al-
lem durch Hydroxide, Kohlenwasserstoffe
Legierungsmenge im Zusatzwerkstoff und Beläge aller Art auf dem Grundwerk-
0 1 2 3 4 % 5 Z 6
0 stoff in das Schweißgut gelangen. Daher hat
es sich als sinnvoll erwiesen, die Blechober-
Naht-
formen
flächen bzw. Nahtflanken chemisch oder tro-
20 cken (!) spangebend zu bearbeiten und mög-
lichst sofort zu schweißen.
60
der Porenbildung sein. Bei größeren Werk-
stückdicken sind außer den üblichen Reini-
1 gungsmaßnahmen (Werkstückoberflächen,
80
Zusatzwerkstoffe) Wurzelschutzgase zum
% Schweißen zu verwenden.
G 100
0 1 2 3 4 5 % 6 Aluminium-Druckgusslegierungen
Legierungsmenge im Grundwerkstoff
Das Druckgießen geeigneter Aluminiumle-
Bild 5-35 gierungen ermöglicht die Herstellung geo-
Abhängigkeit des Aufschmelzgrades von der Art der metrisch komplizierter Teile mit hoher Ober-
Nahtvorbereitung. Die Mischungsgrade Z-G verbin- flächengüte und engen Toleranzen. Die Form-
det den Legierungspunkt »Zusatzwerkstoff « Z (5,5 %)
füllzeiten liegen bei einigen hundertsteln Se-
mit dem Legierungspunkt »Grundwerkstoff « G (1 %).
Bei einer Lage-Gegenlageschweißung (1) ergibt sich kunden, wodurch die Verwendung von Sand-
ein Legierungsgehalt im Schweißgut von nur 2 %, bei kernen wegen der hohen Gießdrücke (bis zu
einer mehrlagigen V-Naht (2) einer von 3,3 %. 1000 bar) nicht möglich ist. Daher lassen
544 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
sich durch Druckgießen Hohlkörper nur mit Bei allen Schweißverfahren ist die absolute
Hilfe der sehr teuren und störanfälligen For- Sauberkeit des Schweißnahtbereichs (und
men mit Losteilen ( Metallkerne) und Kern- der Zusatzwerkstoffe!, d. h. Zusatzwerkstoff
schiebern herstellen. und Schutzgas) von besonderer Wichtigkeit.
Die Walzhaut und die Trennstoffrückstände
Beim Schweißen der konventionellen d. h. sind mit entfetteten Werkzeugen bzw. einer
der schweißungeeigneten Druckgusslegie- vorhergehenden Entfettung – z. B. mit rotie-
rungen, entsteht eine exzessive Porigkeit in renden Bürsten aus nichtrostendem Stahl,
der Wärmeeinflusszone und im Schweißgut. oder Beizen mit Gemischen aus Flusssäure,
Die Poren werden in erster Linie von dem un- Salpetersäure und destilliertem Wasser – voll-
ter hohen Druck eingeschlossenen Wasser- ständig zu entfernen.
stoff verursacht, dessen Volumen durch die
Schweißwärme extrem zunimmt. Der Wasser- Dispersionshärtende
stoff bildet sich z. B. gemäß der folgenden Re- Aluminiumlegierungen
aktion: Die Ausscheidungen in den konventionellen
ausscheidungshärtenden Aluminiumlegie-
2 ¹Al 3 ¹H2O Al2O3 6¹H.
rungen verlieren ihre festigkeitserhöhende
Die Erfahrung zeigt, dass mit schweißtech- Wirkung mit zunehmender Temperatur durch
nischen Maßnahmen jeder Art keine poren- Koagulieren bzw. Lösen in der Matrix. Sie
freien Schweißverbindungen herstellbar sind. sind daher für Kriechbeanspruchungen nur
Untersuchungen in den letzten Jahren führ- sehr bedingt geeignet. Mit neueren pulverme-
ten aber zu einer grundlegenden Verbesse- tallurgischen Herstelltechnologien (»reakti-
rung der Schweißeignung der Druckgussle- vem« Mahlen und »mechanischem Legieren«)
gierungen. Die durch den Gießprozess im sind thermisch sehr beständige Teilchenver-
Druckgusswerkstoff eingeschleppte Gasmen- bundwerkstoffe herstellbar. Die Teilchen (Oxi-
ge muss danach auf unterkritische Werte de, Carbide) werden durch mechanisches
verringert werden. Dazu gehört eine mög- Legieren gleichmäßig verteilt. Diese sehr fes-
lichst effektive Entlüftung der Form, die re- ten, leichten und temperaturbeständigen (bis
lativ einfach realisierbar ist, sowie die Wahl etwa 350 C) Werkstoffe können die bisheri-
geeigneter Formtrenn- und Kolbenschmier- gen ausscheidungshärtenden Aluminium-
stoffe, sowie eine Spülgasbehandlung der und Titan-Legierungen in verschiedenen Be-
Aluminiumschmelze. Aluminiumwerkstoffe reichen des Flugzeug- und Gasturbinenbaus
mit Wasserstoffgehalten unter etwa 3 ppm sowie anderen extremen Leichtbaukonstruk-
lassen sich erfahrungsgemäß praktisch po- tionen ersetzen.
renfrei schweißen.
Die wichtigen Legierungssysteme sind über-
Alle Schweißverfahren, die den Werkstoff eutektische Aluminium-Eisen-Legierungen,
wenig erwärmen und aufschmelzen, aber das die auch Lanthanoide (auch als Metalle der
Schmelzbad möglichst gut entgasen lassen, seltenen Erden bezeichnet, z. B. Cer, Ytter-
sind zum Schweißen der Aluminiumwerk- bium, Neodym), Molybdän, Nickel, Vanadium
stoffe grundsätzlich geeignet. und Silicium enthalten. Diese Legierungszu-
sätze sind in der a-Matrix in sehr geringem
Danach sind das Elektronenstrahl- und vor Umfang löslich und im festen Zustand sehr
allem das mit sehr großer Leistungsdichte diffusionsträge, d. h., sie bilden sehr die fes-
arbeitende Laserschweißen zum Verbinden tigkeitserhöhenden, sehr stabilen Dispersoi-
dünnwandiger Druckgussteile sehr gut geeig- de (Oxide und/oder Carbide). Das für Al-Fe-Le-
net. Die üblichen Schutzgasverfahren (WIG-, gierungen typische große Erstarrungsinter-
MIG-Impuls-, insbesondere aber das WPL- vall führt bei der üblichen Herstellpraxis zur
Schweißen mit positiv gepolter Elektrode) Ausscheidung grober, primärer Al3Fe-Teil-
sind bei ausreichend geringem Wasserstoff- chen in der grobkörnigen a-Matrix. Mit einer
gehalt der Druckgusslegierung ebenfalls gut sehr raschen Schmelzenabkühlung und einer
anwendbar. daran anschließenden thermomechanischen
Abschn. 5.3: Leichtmetalle (Aluminium) 545
Behandlung gelingt die Erzeugung feinster – Verbinde Gleiches mit Gleichem, ausschei-
Dispersoide ( 1 Pm), die in einer sehr feinkör- dungshärtende Legierungen werden aber
nigen, d. h. ausreichend zähen a-Matrix einge- in der Regel nie artgleich geschweißt.
lagert sind. – SG-AlSi-Legierungen sind wegen ihres
kleinen Erstarrungsintervalls und der gro-
Aufgrund der metallurgischen Besonderhei- ßen Menge niedrigschmelzender eutekti-
ten, des Fehlens tauglicher Schweißzusatz- scher Schmelze (sie kann ähnlich wie ein
werkstoffe und der extremen Neigung zur »Steiger« beim Schweißen entstehende Hohl-
Bildung wasserstoffinduzierter Poren ist die räume auffüllen) in der Regel sehr risssi-
Auswahl geeigneter Schweißverfahren für chere Zusatzwerkstoffe. Sie eignen sich
diese Legierungen relativ begrenzt. Ihr gro- aber nicht für höher magnesiumhaltige
ßes Erstarrungsintervall erfordert den Ein- Al-Legierungen wegen der Bildung der
satz möglichst leistungsdichter Verfahren, spröden Verbindung Mg2Si.
weil sich anderenfalls grobe, gleichgewichts- – Gusslegierungen des Typs G-AlMg und
nahe und damit spröde Gefüge bilden. Als be- G-AlMgSi werden mit SG-AlMg5 oder
sonders zweckmäßig erweisen sich damit das SG-AlMg4,5Mn, alle anderen genormten
(Nd-YAG-)Laser- und das Elektronenstrahl- Gusslegierungen werden mit SG-AlSi12
schweißen. oder SG-AlSi5 geschweißt.
– Zum Schweißen unterschiedlicher Alumi-
Die Erfahrung zeigt, dass bei Wasserstoffge- niumlegierungen werden Zusatzwerkstof-
halten von nur 1 ml/100 g Werkstoff extreme fe verwendet, die für die niedriger schmel-
Porenbildung im Schweißgut entsteht. Da- zende Legierung geeignet sind.
her werden die Werkstoffe bei ihrer Herstel-
lung normalerweise vakuumentgast. Ohne Die Wahl des Zusatzwerkstoffs hängt damit
diese Behandlung enthalten die Legierungen vom Grundwerkstoff, dem Ausmaß der Ver-
etwa 1 ml bis 5 ml Wasserstoff/100 g. Sie las- mischung Grundwerkstoff/Zusatzwerkstoff,
sen sich dann nur durch Kaltpressschwei- Bild 5-35, der (Heiß-)Rissneigung und der ge-
ßen oder Löten verbinden. forderten bzw. gewünschten Korrosionsbe-
ständigkeit des Schweißguts ab.
5.3.1.8 Schweißzusatzwerkstoffe
Für die fachgerechte Auswahl der Schweiß- Werkstoffe mit kleinem Erstarrungsintervall,
zusatzwerkstoffe sind eine Reihe von Krite- wie z. B. Reinaluminium und die (nah-)eutek-
rien zu beachten bzw. zu erfüllen, um die ge- tischen Aluminium-Gusslegierungen, kön-
forderten Gebrauchseigenschaften und die nen auch ohne Zusatzwerkstoff heißrissfrei
mechanischen Gütewerte der Schweißver- geschweißt werden.
bindung sicherzustellen:
– Rissfreiheit des Schweißguts und der WEZ Vor allem in den Wärmeeinflusszonen von
ist die wichtigste Forderung; Schweißverbindungen aus ausscheidungs-
– ausreichende mechanische Eigenschaften härtenden Legierungen entstehen sehr leicht
(insbesondere die (Bruch-)Zähigkeit der Wiederaufschmelzrisse. Sie lassen sich ver-
WEZ) und Korrosionsbeständigkeit der hältnismäßig sicher mit Zusatzwerkstoffen
Schweißverbindung; vermeiden, deren Schmelzpunkt niedriger
– Ausgleichen metallurgischer Mängel des ist als der des Grundwerkstoffs. Die in der
Grundwerkstoffs, besonders hinsichtlich Wärmeeinflusszone aufgeschmolzenen Be-
der (Heiß-)Rissneigung; standteile können nahezu spannungslos und
– Farbgleichheit von Grundwerkstoff und damit rissfrei erstarren, weil das Schweiß-
Schweißgut nach einer chemischen Be- gut sich noch im flüssigen Zustand befindet
handlung (Anodisieren). und kaum Schrumpfspannungen in der Wär-
meeinflusszone aufbauen kann.
Die folgenden »Grundregeln« für die fachge-
rechte Zusatzwerkstoffwahl haben sich be- Vor allem Drahtelektroden müssen nach ih-
währt: rer Herstellung in einer geeigneten Verpa-
546 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
A b B b MIG-Verfahren
1,5 A 0
s
2,5 A 0
s /4
G 3
2s 3,5 A 0 - 2,5
Temporäre
Badsicherung B 0 - 1,5
6,5 F 0 - 2,5
5 H 3,2 - 6,5
60 ° , 90 ° , 110° C 10 C - 90 ° 0 - 2,5
F 0 - 2,5
C D
H 6,5 - 9,5
20 C - 60 ° 0 - 2,5
F 0 - 3,2
b
90 °
c = 1,5 ... 2,5
E F 60 °
WIG-Verfahren
1,5 A oder B 0 - 1,5
2,5 A oder B 0 - 2,5
b b 3,5 A oder B 0 - 2,5
5 D - 60 ° 0 - 2,5
6,5 D - 60 ° 0 - 3,2
10 D - 60 ° 0 - 3,2
60 °
b
G H
c = 1,5
s
e
40 40
Bild 5-36
Typische Schweißnahtformen für das MIG- und WIG-Schweißen der Aluminium-Werkstoffe. Die angegebenen
Zahlenwerte (in mm) beziehen sich überwiegend auf das Schweißen in waagerechter und horizontaler Schweiß-
position, in Anlehnung an DIN EN ISO 9692-3.
Abschn. 5.3: Leichtmetalle (Aluminium) 547
ckung vor der Luftfeuchtigkeit geschützt Adsorbierte Feuchtigkeit lässt sich am si-
werden. Wenn nach dem Öffnen der Verpa- chersten durch kurzzeitiges Vorwärmen auf
ckung die Temperatur des Schweißstabes etwa 120 C beseitigen. Trockene Oberflä-
oder der Drahtelektrode etwa 10 C niedri- chen mit einer möglichst dünnen Oxidschicht
ger als die Umgebungstemperatur ist, dann sind unabdingbare Voraussetzung für hoch-
kann Luftfeuchtigkeit auf der Drahtoberflä- wertige Schweißverbindungen.
che kondensieren. Die sich außerordentlich
rasch bildenden Hydroxide [Al(OH)3] sind Bild 5-36 zeigt einige typische Nahtformen
dann Ursache einer exzessiven Porenbildung für das MIG- und WIG-Schweißen der Alumi-
beim Schweißen. Vor allem die Aluminium- niumwerkstoffe. Die Nahtvorbereitung ent-
Magnesium-Legierungen sind in dieser Hin- spricht danach ungefähr der, die auch für
sicht besonders empfindlich. Stahlwerkstoffe angewendet werden. Bei Ein-
seitenschweißungen ist aber zu beachten, dass
Die Zusatzwerkstoffe sind in DIN EN 1011-4 die Oxidschicht auf der wurzelseitigen Werk-
(2001), ISO/TR 17671-4 (2002), DIN EN ISO stückoberfläche sich nicht mit dem Schutz-
18273 (2004) genormt, Tabelle 5-11 und Ta- gaslichtbogen beseitigen lässt. Abhilfe schafft
belle 5-12. ein größerer Stegabstand, aber zuverlässi-
ger ist das großzügige Brechen der Stoßkan-
5.3.1.9 Schweißpraxis ten im Wurzelbereich, Bild 5-37.
Bei zweiseitig hergestellten Schweißverbin- bis 150 C vorzuwärmen, wenn die Werkstück-
dungen ist eine entsprechend vergrößerte dicken 5 mm bis 6 mm (10 mm bis 12 mm)
Steghöhe oft wirtschaftlicher. Für größere überschreiten.
Wanddicken werden die Flanken auch häu-
fig als U-Naht vorbereitet, wobei für ein siche- 5.3.1.9.2 Schweißverfahren
res Handhaben des Schutzgasbrenners aus- Die mit inerten Schutzgasen arbeitenden
reichend große Abstände der Fügeteile von- Schutzgas-Schweißverfahren (WIG, MIG)
einander vorzusehen sind. sind wegen ihrer oxidlösenden Wirkung (Rei-
nigungswirkung) zum Schweißen der Alumi-
Die Fügeteile müssen wegen des großen Wär- niumwerkstoffe (und anderer deckschichten
meausdehnungskoeffizienten wesentlich häu- bildender Werkstoffe, z. B. Titanwerkstoffe)
figer als Eisenwerkstoffe geheftet werden. hervorragend geeignet. Die Reinigungswir-
Die Toleranzen der Nahtabmessungen soll- kung ist bei positiv gepoltem Schweißstab
ten zum Einhalten der erforderlichen Bauteil- (Drahtelektrode) am größten, bei negativ ge-
abmessungen ausreichend klein sein. Umfang- poltem am geringsten, bei Wechselstrom da-
reiche Schweißarbeiten (große niederzuschmel- zwischenliegend.
zende Schweißgutmengen oder viele Schweiß-
nähte) sind einfacher mit Hilfe von mecha- Wolfram-Inertgasschweißen (WIG)
nisch, hydraulisch oder elektrisch betriebe- Dieses Verfahren wird mit Wechselstrom für
nen Spannvorrichtungen durchzuführen, die Werkstückdicken bis etwa 5 mm in jeder
zweckmäßigerweise aus nichtmagnetischen Schweißposition angewendet, Bild 4-47, S.
Werkstoffen bestehen sollten, um eine Beein- 353, und Bild 4-48. Der Lichtbogen ist eine
flussung des Lichtbogens gering zu halten. »reine« Wärmequelle, ohne jegliche Verbren-
Ein zu festes Spannen ist allerdings zu vermei- nungsgase, Dämpfe, Verunreinigungen und
den, weil insbesondere beim Schweißen der weitgehend schlackefrei. Die mechanischen
ausscheidungshärtenden Werkstoffe die durch Gütewerte und die metallurgische Qualität
Dehnungsbehinderung entstehenden Span- des Schweißguts sind hervorragend. Der Um-
nungen Risse im Schweißgut und in der WEZ fang der metallurgischen Reaktionen (Desoxi-
erzeugen können. Bild 5-38 zeigt eine Spann- dations- und Legierungsreaktionen) ist im
vorrichtung zur Aufnahme vorwiegend dün- Vergleich zu den Schlacke erzeugenden Ver-
nerer Werkstücke. fahren (z. B. Lichtbogenhand-, UP-Verfahren)
aber begrenzt. Außerordentliche Sauberkeit
Wegen der großen Wärmeleitfähigkeit, aber der Nahtbereiche ist daher eine der wichtigs-
auch der großen spezifischen Wärme, vor al- ten Forderungen, weil Reinigungsvorgänge
lem des reinen Aluminiums, empfiehlt es des Schmelzbads nur mit den Desoxidations-
sich, beim WIG-(MIG-)Schweißen auf 100 C mitteln des (nicht umhüllten) Schweißstabes
möglich sind.
F F
Der Zusatzwerkstoff und die Wärmequelle
sind vom Schweißer einzeln manipulierbar,
d. h., der Schweißvorgang ist hervorragend
kontrollier- und beobachtbar. Diese Eigen-
schaft macht das Verfahren zum Schweißen
der Wurzelnähte sehr geeignet. Diese Naht-
form erfordert vor allem bei Rohrschweißun-
gen eine hohe Qualifikation des Schweißers.
Schutzgas für Wurzel
erleichtert und damit die Porensicherheit er- – Der Einbrand ist tiefer als bei Wechsel-
höht. Diese Gasgemische werden hauptsäch- strom,
lich mit Gleichstrom und negativ gepolter – der Lichtbogen ist auch ohne zusätzliche
Wolframelektrode verwendet. Maßnahmen sehr stabil.
Die in jüngerer Zeit entwickelten Argon/ Die Nahtflanken bzw. der Nahtbereich müs-
Stickstoff-Gemische mit Stickstoffgehalten sen sehr sauber sein, weil die oxidbeseitigen-
von etwa 150 vpm ( Volumenanteil pro Mil- de Wirkung fehlt. Die Oxidhaut wird ledig-
lion 0,0001 %) bieten wesentliche schweiß- lich als Folge der großen Wärmekonzentra-
technische und wirtschaftliche Vorteile. Der tion durch die Oberflächenspannung aus der
im Lichtbogenraum dissoziierende zweiato- Schmelze gedrückt.
mige Stickstoff rekombiniert an der Werkstoff-
oberfläche und führt dem Schweißbad da- Wegen der unterschiedlichen Emissionsfä-
durch die Dissoziationswärme zusätzlich zu. higkeit der Wolframelektrode und des verhält-
Für das WIG- und das MIG-Schweißen erge- nismäßig kalten Werkstücks entsteht beim
ben sich daraus folgende Vorteile: Schweißen mit Wechselstrom ein sog. Gleich-
– Deutlich tieferer Einbrand durch zusätz- richtereffekt, durch den die reinigende, posi-
liche Dissoziationswärme, tive Halbwelle verkleinert wird. Diese Gleich-
– konzentrierter, ruhig und stabil brennen- stromkomponente sollte daher mit Hilfe von
der Lichtbogen, Sieb- oder Filterkondensatoren beseitigt (»aus-
– geringe Porosität, gesiebt«) werden.
– höhere Schweißgeschwindigkeit bei glei-
chen Nahtabmessungen, Oxideinschlüsse in der Wurzel lassen sich
– geringere Vorwärmtemperaturen und durch Brechen der Wurzelkanten vermeiden,
– geringere »Rußbildung« neben der Naht. Bild 5-37. Sehr häufig verwendet man zum
Schweißen Badsicherungen. Sie bieten eini-
Weitere Schutzgasgemische auf der Basis ge wesentliche fertigungstechnische Vorteile,
Ar-He-N2 – z. B. 0,015 % N2, 15 % bis 50 % He, Bild 5-36:
Rest Ar – bieten ähnliche Vorteile wie Ar-N2- – Das Schmelzbad kann nicht durchbre-
Gemische. chen, die damit verbundenen Stillstand-
und Reparaturzeiten werden vermieden.
Die Schweißstromquellen sind entweder nor- – Das Wärmeeinbringen und die Schweiß-
male Schweißtransformatoren, die einen si- geschwindigkeit können deutlich größer
nusförmigen Wechselstrom liefern – in die- sein.
sem Fall ist eine Zündhilfe (Impulsgenera- – Die sonst für Wurzelschweißungen not-
tor oder andere elektronisch arbeitende Ge- wendige hohe Qualifikation des Schwei-
räte) erforderlich – oder Square-Wave-Ma- ßers ist nicht erforderlich.
schinen, die mit einem rechteckförmigen
Verlauf der Spannung arbeiten. Bei ihnen Als Werkstoff für den Badschutzstreifen kann
ist die Differenz zwischen den Zeitpunkten: Aluminium, Kupfer oder ein austenitischer
Unterschreiten der Lichtbogenbrennspan- Chrom-Nickel-Stahl verwendet werden. Kup-
nung und Wiedererreichen der Zündspan- fer und Aluminium leiten die Wärme sehr
nung nach Passieren des Nulldurchgangs so rasch ab, sie eignen sich daher gut für dünn-
gering, dass die Ladungsträger nicht mehr wandige, verzugsanfällige Bauteile. Kupfer
rekombinieren können. darf normalerweise nicht in die Schweiß-
schmelze (WEZ) gelangen, weil die Korrosi-
Das Schweißen mit minusgepolter Wolfram- onsbeständigkeit verringert wird.
elektrode (aber nur mit den Schutzgasen He
oder He/Ar mit mind. 65 % He möglich) ge- Der Lichtbogen sollte wegen der Gefahr des
winnt aus verschiedenen Gründen – vor al- Auflegierens von Schmelzbad und Elektrode
lem beim mechanischen Schweißen – zuneh- mit Wolfram sowie der Gefahr des Abschmel-
mend an Bedeutung: zens der Wolframelektrode (Einschlüsse!)
550 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
nie im Schmelzbad, sondern immer auf einem fälligkeit ergeben. Die Bilder 4-49 und 4-50,
neben der Naht mitgeführten Kupferblech S. 355, zeigen das Verfahrensprinzip und die
gezündet werden. Einfacher, sicherer und schematische Darstellung einer wasserge-
heutzutage überwiegend verwendet, sind die kühlten MIG-Schweißanlage.
in elektronisch gesteuerten Schweißstrom-
quellen heute üblicherweise vorhandenen be- Für geringere Werkstückdicken werden vor-
rührungslosen Zündeinrichtungen. zugsweise Argon, wegen der sehr viel höhe-
ren Kosten seltener reines Helium, häufiger
Metall-Inertgasschweißen (MIG) (vor allem bei größeren Blechdicken) Argon/
Schweißarbeiten an dickeren Bauteilen (s Stickstoff-, Argon/Helium/Stickstoff-Gemi-
5 bis 6 mm) werden vorzugsweise mit dem sche verwendet. Es ergeben sich die bereits
MIG-Verfahren durchgeführt. Es wird mit für das WIG-Verfahren beschriebenen Vor-
Gleichstrom (Drahtelektrode am Pluspol) teile. Die Schweißschmelze ist wegen der für
mit Stromdichten von etwa 120 A/mm2 bis den Helium-Lichtbogen erforderlichen we-
180 A/mm2 im Sprühlichtbogenbereich ge- sentlich größeren elektrischen Leistung sehr
schweißt. Die Reinigungswirkung ist hier- heiß und dünnflüssig, der Einbrand daher
bei kontinuierlich und wirkt nicht nur wie groß, die Neigung zu Bindefehlern – vor al-
bei dem WIG-Verfahren während der positi- lem in der Wurzel – und zur Porenbildung
ven Stromhalbwellen. Der Drahtführungs- gering.
schlauch muss aus Kunststoff bestehen. In
keinem Fall darf die für die üblichen »festen« Geeignete Zusatzwerkstoffe sind in Tabelle
Metalle vorgesehene Drahtspirale verwendet 5-12 aufgeführt.
werden, weil sie die weiche Drahtelektrode
beschädigen würde. Laserschweißen
Die extreme Leistungsdichte des Laser-
Mit der Impulslichtbogentechnik ist die Art schweißverfahrens erzeugt bei den hoch wär-
des Tropfenübergangs (Tropfengröße, Trop- meleitenden Aluminiumwerkstoffen nur ge-
fenzahl, Wärmeeinbringen) in weiten Gren- ringe metallurgische Änderungen des Werk-
zen einstellbar. Damit entfällt die Notwen- stoffs, verbunden mit sehr schmalen Wärme-
digkeit, dünne (1 mm bis 1,2 mm), teure und einflusszonen, großen Einbrandtiefen und ge-
störanfällige (mangelhafte Knicksteifigkeit!) ringem Verzug. Ein weiterer großer Vorteil
Drahtelektroden verwenden zu müssen. Der ist die verhältnismäßig einfache Automati-
»einstellbare« Tropfenübergang gestattet es, sierbarkeit des Werkzeugs »Lasers«, z. B. in
die wirtschaftlichen dickeren Zusatzwerkstof- Verbindung mit ausreichend bahngenauen
fe zu wählen, die die Drahtförderschwierigkei- Robotern.
ten beseitigen und eine geringere Porenan-
Der CO2-Gaslaser ist mit hoher Strahlleis-
Nd - YAG - Laser CO 2 - Laser
0,30 tung, einer Emissionswellenlänge von 10,6 Pm
Ag Cu und einer bewährten Maschinentechnik seit
0,25
längerer Zeit verfügbar, der Laserstrahl muss
Absorption A
nauer Roboter möglich. Außerdem absorbiert geringste (r 1,74 g/cm3) aller metallischen
Aluminium die Strahlung des Nd-YAG-La- Werkstoffe bei bemerkenswert hoher Festig-
sers sehr viel stärker als die des CO2-Lasers, keit. Gewalztes Magnesium hat eine Zugfes-
Bild 5-39, wodurch die Reflexions- und Ein- tigkeit von etwa 200 N/mm2.
koppelprobleme verringert werden. Der Zu-
satzwerkstoff wird wie beim WIG-Schwei- Magnesium wird von Meerwasser und allen
ßen seitlich zugeführt, Bild 5-40. Mineralsäuren relativ leicht angegriffen, es
ist aber in Flusssäure mit einer Konzentra-
tion größer als 5 % beständig. Die Ursache ist
5.3.2 Magnesium und die Bildung eines völlig unlöslichen Fluorid-
Magnesiumlegierungen films auf der Werkstoffoberfläche.
Magnesium wird überwiegend aus Meerwas- Ein Kontakt mit anderen Metallen führt we-
ser gewonnen (MgCl2), es hat einen Schmelz- gen der großen elektrochemischen Aktivität
punkt von 654 C und ist hexagonal dichtest sehr rasch zur anodischen Auflösung dieses
gepackt. Es ist daher bei Raumtemperatur auch als »Opferanode« verwendeten Werk-
sehr schlecht, zwischen 200 C und 300 C stoffs, Abschn. 1.7.8.1, S. 103. Nahezu alle Me-
allerdings hervorragend verformbar. Unle- talle verhalten sich kathodisch zum Magne-
giertes Magnesium wird selten verwendet. sium, Tabelle 1-6. Außerdem ist zu beachten,
Legierungen mit Aluminium, Zink und Lan- dass in Magnesium nichtlösliche Legierungs-
thanoiden (z. B. La, Ce, Nd, die stark redu- elemente – vor allem Eisen, Nickel und Kup-
zierend wirken und damit Porenbildung und fer – bzw. anderen Verunreinigungen als ex-
auch die Rissneigung reduzieren) erlangen trem aktive kathodische Bereiche wirksam
aber eine ständig zunehmende Bedeutung. werden, Bild 5-41. Diese Schwermetall-Ver-
Sie sind hervorragend zerspanbar und wer- unreinigungen führen auch zu ausgeprägter
den für Sand-, Kokillen- und zunehmend auch Lochkorrosion.
für Druckguss verwendet. Ihre Dichte ist die 40
mm Fe, Ni, Co
Jahr
Korrosionsgeschwindigkeit
30
Cu
20
Ag
10
Na, Si, Pb,
Sn, Mn, Al Zn
Cd
0
1 2 3 4 % 5
Element
Bild 5-41
Einfluss von Legierungselementen und metallischen
Verunreinigungen auf die Korrosionsgeschwindigkeit
von Magnesium, bestimmt durch alternierendes Eintau-
chen in 3 %ige NaCl-Lösung, nach Hanawalt u. a.
EN-MCMgAl8Zn1 EN-MC21110
20 EN-MCMgAl9Zn1(A) EN-MC21120
EN-MCMgAl2Mn EN-MC21210
10 EN-MCMgAl6Mn EN-MC21230
EN-MCMgAl4Si EN-MC21320
0 EN-MCMgZn6Cu3Mn EN-MC32110
0 100 200 300 400 500 600 700 ° C 800 EN-MCMgZn4RE1Zr 1) EN-MC35110
Temperatur T EN-MCMgRE2Ag2Zr EN-MC65210
Bild 5-42 EN-MCMgY5RE4Zr EN-MC95310
Einfluss der Temperatur auf die Bruchdehnung von EN-MCMgY4RE3Zr EN-MC95320
Beryllium in Abhängigkeit von der Korngröße, nach 1)
RE = Seltenerdmetall (= Rare Earths)
McDonald, Eaton und Wright.
Abschn. 5.4: Hochreaktive und hochschmelzende Werkstoffe 553
ten schweiß- und fertigungstechnischen Be- Besonders empfehlenswert ist das Elektro-
dingungen einzuhalten, s. Abschn. 3.5, S. nenstrahlschweißen. Gut geeignet sind auch
268, Aufgabe 4-7, S. 483. das WIG- und das MIG-Schweißverfahren
unter Verwendung eines aus fünf Teilen Heli-
um und einem Teil Argon bestehenden Schutz-
5.3.3 Beryllium gases. Als Zusatzwerkstoff hat sich die eutek-
tische Legierung S-AlSi12 bewährt. Die Oxid-
Beryllium ist ein hdP Metall mit mechani- haut bestimmt in hohem Maße die Schweiß-
schen und physikalischen Eigenschaften, bedingungen. Vor dem Schweißen müssen
die es für den Kernreaktorbau und die Luft- die Oberflächen mit 10%iger Salzsäure oder
fahrtindustrie zu einem wichtigen Werkstoff 40%iger Salpetersäure und 5%iger Flusssäu-
machen. Es hat einen sehr geringen Ein- re gereinigt werden. Das Wärmeeinbringen
fangquerschnitt für thermische Neutronen, ist wegen der Gefahr des Kornwachstums zu
eine Dichte von nur r 1,85 g/cm3 und einen begrenzen. Verunreinigungen können Aus-
E-Modul, der viermal größer ist als der des scheidungen an den Korngrenzen bilden.
Aluminiums. Beryllium wird überwiegend
durch Sintern hergestellt. Wegen der stark toxischen Berylliumdämp-
fe und der Gefahr der Sauerstoffaufnahme
Der hexagonal dichteste Gitteraufbau, die kann das Schweißen auch in argongefüllten
daraus resultierende sehr geringe, aber stark Kammern bzw. mit dem Elektronenstrahl-
korngrößenabhängige Zähigkeit, Bild 5-42, schweißen (ES) vorteilhaft durchgeführt wer-
die hohe Sauerstoffaffinität und die extreme den. Die Breite der Grobkornzone, vor allem
Toxizität (selbst bei Hautkontakt!) sind ur- aber die Korngröße und damit die Rissnei-
sächlich für die extrem schlechte Schweiß- gung werden verringert.
eignung und die aufwändigen Handlings-
und Fertigungsmaßnahmen, die für diesen Außer Beryllium wird in zunehmendem Um-
Werkstoff zu ergreifen sind. Weiterhin ist fang die Legierung Be-38Al verwendet. Sie
die Bildung spröder intermediärer Verbin- besitzt bei einem geringeren E-Modul eine
dungen mit fast allen Elementen (außer Al, deutlich bessere Verformbarkeit und Schweiß-
Si, Ge) sehr unangenehm. eignung als Beryllium.
S
°C S S+ g °C °C
S
Temperatur T
Temperatur T
Temperatur T
S+ b
A xB y
1700 1700 1700
S+ b
b+ g
b
S+ b
a+ b
b
b
Bild 5-43
Typische Titan-Me Zustandsschaubilder.
a) Titanlegierungen Ti-Me mit peritektoider Umwandlung, z. B. Me: Al, C,
b) Titanlegierungen Ti-Me mit eutektoider Umwandlung, z. B. Me: Fe, Mn, Cr, Co, Ni, Cu, Si, H,
c) Titanlegierungen Ti-Me mit begrenzter Löslichkeit, z. B. Me: V, Nb, Ta, Mo.
885
sind spezielle verfahrens- und gerätetechni- b
sche Anpassungen (z. B. großflächiger Schutz
des Schweißnahtbereichs) an die Besonder-
a+ b
heiten des jeweiligen Werkstoffs erforderlich.
Ms
Berührungslos arbeitende Lichtbogen-Zünd-
einrichtungen sind sehr zu empfehlen. Mf
a
Titan ist nicht toxisch, biokompatibel und ebenso zu extremer Lochkorrosion, wie Beiz-
wegen seiner hochschmelzenden, dichten lösungen, denen zum Reinigen der Werkstück-
Oxidhaut (TiO2) gegen außerordentlich viele oberfläche eine nicht ausreichende Inhibitor-
Medien korrosionsbeständig. Es wird weder menge zugesetzt wurde.
von Seewasser und anderen Chlorsalzlösun-
gen, Hypochloriten (ClO) und Salpetersäu- Seine Kriecheigenschaften sind trotz des ho-
re – auch der rauchenden – nicht angegrif- hen Schmelzpunkts von 1670 C nur mäßig.
fen. Oxidierende Salze, wie z. B. FeCl3 und Die maximal zulässigen Betriebstemperatu-
CuCl2, die bei den meisten metallischen Werk- ren liegen bei etwa 600 C.
stoffen extreme Lochkorrosion hervorrufen,
greifen Titan nicht an. Allerdings sind eini- Unlegiertes Titan (a-Phase) wird vorzugs-
ge Besonderheiten des Titans bei einer Korro- weise für korrosionsbeanspruchte Bauteile
sionsbeanspruchung zu beachten. Im Kon- (z. B. Wärmetauscher, Tanks, Entsalzungsan-
takt mit einem korrodierenden Metall absor- lagen) in Form von Blechen verwendet, Ta-
biert das die Kathode bildende Titan Wasser- belle 5-14. Titanlegierungen werden in der
stoff und versprödet. Nicht vollständig durch Regel bei hohen Festigkeitsanforderungen
Beizen beseitigte Fremdmetallspäne führen im Flugzeugbau eingesetzt.
Tabelle 5-14
Titan und Titanlegierungen nach DIN 17850 und DIN 17851 sowie nach Normen der USA.
Titanwerkstoff Werkstoff Nr. DIN Gefüge Hinweise zur Verarbeitung und Anwendung
Titan, unlegiert
Ti1 3.7025 α
Ti2 3.7035 α Hervorragende Korrosionsbeständigkeit, erzeugt durch schüt-
17850
Ti3 3.7055 α zenden TiO2-Film. Es ist beständig gegen: Seewasser und
Ti4 3.7085 α andere Chlorsalzlösungen, Hypochlorite, Salpetersäure, oxi-
dierende Salze (FeCl3, CuCl2). Nicht beständig gegen reine
Titan, niedriglegiert H2SO4 und HCl. Titan ist nicht toxisch und biokompatibel
(für orthopädische Anwendungen geeignet).
TiNi0,8Mo0,3 3.7105 α
Ti1Pd 3.7225 α Mechanische Gütewerte: Rm ≈ 240 bis 500 mm2,
17851
Ti2Pd 3.7235 α A ≈ 15 % bis 25 %.
Ti3Pd 3.7255 α
Titan, hochlegiert
Ti-1100 (6 Al; 2,75 Sn; 4 Zr; 0,4 Mo; 0,45 Si) α Verbesserte Kriecheigenschaften, bis 600 °C einsetzbar.
Corona 5 (4,5 Al; 5 Mo; 1,5 Cr) α+β Mittlere Festigkeit bei höchster Bruchzähigkeit.
Alpha-2-Legierung: Ti-24Al-11Nb α+β Ausscheidungen von TiAl3 (= Alpha-2-Phase), TiAl (= Gam-
Gamma-Legierung ma-Phase), Ti2AlNb (orthorhombische Phase) in (α + β)-Ma-
α+β trix verbessern erheblich die Kriecheigenschaften.
Orthorhombische Legierung (Ti-Al-Nb)
556 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
Titan hat bis TU 885 C eine hdP Gitterstruk- – (a b )-Legierungen bestehen bei Raum-
tur (a-Phase), darüber ist es krz (b-Phase). temperatur aus der a -Legierung und ei-
Die mechanischen Eigenschaften, weniger nem b -Volumenanteil von 5 % bis 40 %.
die Korrosionseigenschaften, lassen sich durch Diese Legierungen härten nach einem Lö-
Legieren erheblich verbessern. Die Legie- sungsglühen dicht unter der b b a -
rungselemente bilden EMK.e (H, O, N, C) Umwandlungstemperatur, Bild 5-44, ge-
oder SMK.e (Al, Cr, Nb, Mn, Fe, Zr, V, Pd). folgt von einem Auslagern zwischen 480 C
Die Legierungselemente lassen sich weiter und 600 C aus. Außerdem ist eine merk-
in a-stabilisierende (O, N, Al, B, C) und b-sta- liche Festigkeitszunahme nach einem kri-
bilisierende (alle anderen) Elemente, eintei- tischen Abkühlen durch Entstehen einer
len. Zirkonium und Zinn verhalten sich legie- martensitähnlichen Struktur erreichbar,
rungstechnisch »neutral«. Alphastabilisieren- Abschn. 5.4.1.1.
de Elemente erhöhen die Temperatur der al- – b -Legierungen bestehen bei Raumtem-
lotropen Umwandlung TU, betastabilisieren- peratur unabhängig von der Abkühlge-
de Legierungselemente erniedrigen sie, wie schwindigkeit aus b -MK, Bild 5-43c. Die
Bild 5-43 zeigt. Die meisten Titanlegierungen metastabilen b -Legierungen scheiden
(nicht die a -Legierungen!) sind wärmebehan- nach einer Wärmebehandlung feine a -Se-
delbar. gregate aus, die zu einer erheblichen Härte-
steigerung führen. Bei den Nah-(near-)b -
Daraus ergeben sich abhängig von dem ent- Legierungen ist der Anteil der b -stabili-
stehenden Mikrogefüge grundsätzlich vier sierenden Elemente so groß, dass sich selbst
Legierungs-Grundtypen. Bild 5-44 zeigt die bei sehr schneller Abkühlung kein Marten-
schematische Einteilung: sit mehr bildet.
– Unlegiertes, handelsüblich reines oder
palladiumlegiertes (a -)Titan. 5.4.1.1 Eigenschaften und Schweiß-
– a-Legierungen sind durch Wärmebehan- verhalten der Titanwerkstoffe
deln nicht verfestigbar und enthalten meis- Die extrem große Affinität des Titans zu Sau-
tens Aluminium, Zinn und (oder) Zirkoni- erstoff ist die Ursache für die Bildung einer
um. Die Zugabe nur sehr geringer Men- stark gütevermindernden Oxidhaut bereits
gen b-stabilisierender Elemente führt zu bei Raumtemperatur. Über 500 C nimmt der
den sog. Nah-(near-)Alpha-Legierungen. Oxidationswiderstand des Titans extrem ab.
Bei rascher Abkühlung aus dem b-Gebiet Die Folge ist eine starke Versprödung durch
entsteht die charakteristische sägezahn- die nun mögliche interstitielle Aufnahme
förmige Form der Korngrenzen der a-Kör- von Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff
ner, Bild 5-45. aus der Atmosphäre. Der Schweißprozess
ist daher vollständig unter einer Schutzga- weil keine die die Feinkörnigkeit erzeugen-
satmosphäre oder unter Vakuum durchzufüh- den Keime in Gestalt der nicht gelösten Ze-
ren. mentitreste des Perlits oder vergleichbarer
Teilchen vorhanden sind.
Unlegiertes Titan
Es wird vor allem bei hoher Korrosionsbean- Bei langsamer Abkühlung eines einphasigen
spruchung und geringeren Festigkeitsanfor- a-Werkstoffs aus dem b-Gebiet liegt bei Raum-
derungen verwendet. Titan ist äußerst be- temperatur ein globulares a -Gefüge vor. Bei
ständig gegen oxidierende und Chloridionen schnellem Abkühlen entsteht ein sägezahn-
enthaltende Prozessdämpfe und die meisten förmiges Gefüge, Bild 5-45, bzw. bei Legierun-
mineralischen Säuren. gen, die b -stabilisierende Elemente enthal-
ten, ein Widmannstättensches Gefüge, das
Unlegierte Titan-Werkstoffe sind sehr gut auch als »Korbflechtgefüge« bezeichnet wird,
umformbar und bei Beachtung der werkstoff- Bild 5-46.
spezifischen Besonderheiten verhältnismä-
ßig gut schweißgeeignet. Die Festigkeitswer- Alpha- und Nah-Alpha-Legierungen
te liegen abhängig von der Menge gelöster Diese Legierungen enthalten Aluminium,
interstitieller Verunreinigungen (vor allem Zinn und (oder) Zirkonium. Sie sind vor al-
Sauerstoff und Eisen) zwischen 170 N/mm2 lem für Hochtemperatur- und kryogene (wenn
und 480 N/mm2. Sie werden mit unterschied- ELI-Qualität, dann behalten sie ihre Zähig-
lichen Gehalten interstitiell gelöster Bestand- keit auch bei kryogenen Temperaturen) An-
teile (und Verunreinigungen) eingestellt. Vor wendungen geeignet. Sie sind im Gegensatz
allem Sauerstoff und Eisen sind selbst in ge- zu den Alpha- und den Beta-Legierungen
ringsten Mengen stark festigkeitssteigernd. nicht wärmebehandelbar, d. h., ihre Festig-
Der Eisengehalt sollte aber unter 0,04 % lie- keits- und Zähigkeitseigenschaften lassen
gen, anderenfalls entstehen bei Angriff von sich nicht mit einer Wärmebehandlung än-
Salpetersäure Korrosionserscheinungen im dern. Sie sind aus diesem Grunde, wegen ih-
Schweißgut. rer guten Zähigkeitseigenschaften und der
Erscheinung der allotropen Modifikation,
Trotz der Erscheinung der Allotropie ist die die das Kornwachstum in der WEZ im Ver-
Korngröße des Titans mit Hilfe einer Wär- gleich zu anderen einphasigen Werkstoffen
mebehandlung – anders als durch ein Nor- begrenzt, gut schweißgeeignet. Diese Werk-
malglühen beim Stahl – nicht veränderbar, stoffe werden überwiegend im geglühten Zu-
b® a - Übergang b® a - Übergang
885
°C b °C b
Temperatur T
Temperatur T
GB a + b b® a+ b a+ b GB a + b b® a+ b a+ b
Intergranulares a Intergranulares a
M s ( a ’)
M s ( a ’’)
GB a + a ’
GB a + a ’’
Zeit t Zeit t
a) b)
Bild 5-47
Einfluss der Legierungselemente auf das Umwandlungsverhalten von Titanlegierungen mit unterschiedlichem
Gehalt b-stabilisierender Elemente, dargestellt im kontinuierlichen ZTU-Schaubild, nach Vishnu.
a) Geringer Gehalt der b -stabilisierenden Elemente, z. B. TiAl6V4,
b) größerer Gehalt der b -stabilisierenden Elemente, z. B. Corona 5, s. Tabelle 5-14.
558 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
stand geschweißt. Alpha-Legierungen mit Die Morphologie der a - und b -Phase in den
geringen Mengen betastabilisierender Ele- (a b)-Legierungen hängt sehr stark von
mente werden als Nah-Alpha-Legierungen der thermomechanischen Behandlung (TM)
bezeichnet. während der Herstellung und der Wärmebe-
handlung ab. Die sich während einer TM-Be-
Alpha-Beta-Legierungen handlung im (a b)-Feld ausscheidende kon-
Diese Werkstoffe sind ähnlich wie die um- tinuierlich verformte a-Phase bildet nach der
wandlungsfähigen Kohlenstoffstähle wegen Rekristallisation ein fast äquiaxiales, feinkör-
der Änderung der Gitterstruktur (a b) wär- niges Gefüge. Die Menge an GB a ist wegen
mebehandelbar. Die bei höheren Tempera- der Vielzahl der durch die Verformung entstan-
turen stabile b-Phase wird bei einem raschen denen heterogenen Keime gering. In über TU
Abkühlen nach einem martensitähnlichen thermomechanisch behandelten Legierungen
Mechanismus, bei (sehr) langsamer Abküh- scheidet sich a während des Abkühlens als
lung über Keimbildungs- und Wachstums- GB a an den Korngrenzen und als Widmann-
prozesse in die a-Phase umgewandelt. Die stättensches a (nadelförmiges Gefüge oder
martensitische Phase hat bei Legierungen »Korbflechtgefüge«, Bild 5-46) innerhalb der
mit einer geringen Menge b-stabilisierender Körner aus. Dieses Gefüge liegt bei unter-
Elemente eine hdP Struktur (a’), bei größe- kritischer Abkühlung in der Regel auch in
ren Mengen eine orthorhombische Struktur der WEZ vor.
(a’’).
Im martensitischen Gefüge, Bild 5-48, schei-
Bild 5-47 zeigt, dass mit zunehmender Men- det sich nach einer anschließenden Wärme-
ge b -stabilisierender Elemente der Beginn behandlung zwischen 480 C und 600 C die
der Umwandlung b intergranularer a zu a-Phase in sehr feiner Form aus der b-Ma-
längeren Zeiten verschoben wird, während trix aus. Die erzielbare Festigkeitserhöhung
die Bildung des allotriomorphen a [Korn- nimmt mit der Menge der die b-Phase stabili-
grenzen-a, meistens als GB a ( Grain Boun- sierenden Elemente zu. Es ist zu beachten,
dary) bezeichnet, s. auch Abschn. 4.1.3.2, S. dass die härtbaren (a b)-Legierungen – ähn-
318] weitgehend unabhängig vom Legierungs- lich wie auch der umwandlungsfähige Stahl
gehalt ist. Legierungen mit einem größeren – abhängig von der Werkstückdicke und dem
Gehalt b -stabilisierender Elemente neigen Wärmeeinbringen vorgewärmt und im Allge-
daher zur Ausbildung eines aus GB a beste- meinen auch wärmenachbehandelt werden
henden Korngrenzennetzwerks. müssen.
Abschn. 5.4: Hochreaktive und hochschmelzende Werkstoffe (Titan) 559
Die Zähigkeit der meisten Alpha-Beta-Le- Kristallisation der Schmelze auch von der
gierungen ist verhältnismäßig gering. Die Korngröße des schmelzgrenzennahen Gefü-
häufig eingesetzte, fast als Standard gelten- ges ab. Die Anwesenheit selbst geringer b-
de a-nahe Legierung TiAl6V4, Bild 5-49, ist Mengen behindert das Wachsen der Kristal-
wegen des geringen b-Anteils die am besten lite entscheidend.
schweißgeeignete Alpha-Beta-Legierung. Au-
ßerdem ist zu beachten, dass der bei ihr ent- In letzter Zeit wurden intensive Versuche
stehende hdP a’-Martensit relativ weich und unternommen, das Kornwachstum der b -
die Härtbarkeit dieser Legierung gering ist. Phase in der Wärmeeinflusszone metallur-
Daher besteht das Gefüge selbst bei höheren gisch zu beeinflussen. Mit elektromagneti-
Abkühlgeschwindigkeiten aus größeren An- schen Rührtechniken und dem Zusatz »kühlen-
teilen der sehr erwünschten Widmannstätten- der« Partikel (seltene Erden und Titan, sie
schen a-Phase und b. Bei den höher b-stabi- werden auch als »Microcooler« bezeichnet)
lisierten Legierungen entsteht der wesent- ist es möglich, die erwünschte nicht epitakti-
lich sprödere orthorhombische a’’-Marten- sche und auf heterogener Keimbildung beru-
sit. hende Erstarrung zu erzwingen. Der Ein-
satz in der Schweißpraxis bereitet zzt. noch
Phasenumwandlungen (a b ) in der WEZ erhebliche Schwierigkeiten.
und im Schweißgut sind die Ursache der
schlechten Verformbarkeit der Schweißverbin- Beta-Legierungen
dungen. Daher werden Zusatzwerkstoffe ver- Diese Legierungen sind metastabil, weil in
wendet, deren b -Anteil geringer ist als der dem bis Raumtemperatur erhaltenen Beta-
des Grundwerkstoffs. Damit ist natürlich nur Gefüge Ausscheidungen der Alpha-Phase
die Schweißgutzähigkeit beeinflussbar und mit Hilfe einer Wärmebehandlung zwischen
nicht die der WEZ. 450 C und 650 C (Auslagern) erzeugbar
sind. Die Folge sind erhebliche Festigkeits-
Die mechanischen Eigenschaften der Ver- steigerungen, die technisch genutzt werden.
bindung werden hauptsächlich von der Form Außerdem ist das Verformungsverhalten bei
und Größe der b-Körner des Grundwerkstoffs Raumtemperatur besser als das der a -Legie-
und dem wirksamen Temperaturzyklus beim rungen. Allerdings sind sehr enge Prozesspa-
Schweißen bestimmt. Die b-Korngröße des rameter erforderlich, um optimale Werte zu
Schweißguts hängt hauptsächlich vom Wär- erreichen.
meeinbringen Q und wegen der epitaktischen
Die Bruchzähigkeit dieser Legierungen ist
Aluminium, Atomprozent
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
bei ähnlichem Festigkeitsniveau größer als
1800 die der Alpha-Beta-Legierungen. Die meis-
°C ten Beta-Legierungen, Tabelle 5-12, lassen
1670 S
1600
sich im geglühten oder ausgelagerten Zu-
Temperatur T
tern. Nach der Rissbildung lösen sich die Hy- 5.4.1.3 Schweißpraxis
dride und der freiwerdende Wasserstoff be- Die Titan-Werkstoffe können mit den meis-
ginnt wieder an die neugebildete Rissspitze ten Verfahren geschweißt werden. Ungeeig-
zu diffundieren. net sind Verfahren, die Pulver (freigesetzte
Gasmenge!) erfordern, wie z. B. das UP-Ver-
Wasserstoffkonzentrationen in der Größen- fahren, hervorragend geeignet ist das WIG-
ordnung von 200 ppm führen – andere inter- Verfahren. Abgesehen von dem weitaus größe-
stitiell gelöste Verunreinigungen verringern ren fertigungs-, gerätetechnischen und damit
allerdings diesen Grenzwert – zu einer Was- wirtschaftlichen Aufwand zum Fernhalten
serstoffversprödung. der Atmosphäre ähneln die Schweißeinrich-
tung und die Schweißvorschriften denen, die
Ductility Dip Cracking (DDC) auch bei den korrosionsbeständigen Stählen
Das Gefüge verschiedener vorwiegend der zu verwenden bzw. zu beachten sind, Abschn.
(a b)-Legierungen ist nach einer Abküh- 4.3.7, S. 414.
lung aus dem b -Gebiet im Temperaturbe-
reich zwischen 750 C und 850 C merklich Unlegiertes Titan und alle a-Legierungen
versprödet. Es neigt bei gleichzeitig einwir- sind bei Beachtung der werkstofftypischen
kender hoher Spannung zur interkristalli- und metallurgischen Besonderheiten gut
nen Rissbildung. schweißgeeignet. Das gilt auch für die a-na-
he Legierung TiAl6V4. Mit zunehmendem
Diese Risserscheinung wurde allerdings bis- b-Anteil versprödet aber gravierend die Wär-
her nur bei Werkstoffuntersuchungen, nicht meeinflusszone, d. h., die Schweißeig nung
aber in Schweißverbindungen festgestellt. nimmt deutlich ab. Die Werkstoffe werden
Die in üblichen Schweißverbindungen entste- gewöhnlich im geglühten bzw. lösungsgeglüh-
henden Eigenspannungszustände sind für ten Zustand geschweißt. Die Zusatzwerkstof-
eine Rissentstehung offenbar unzureichend. fe (nach DIN 1737-1, DIN EN ISO 24034 bzw.
ISO 24034) sind artgleich zu wählen, Tabel-
Porenbildung le 5-15.
An der Phasengrenze Schweißschmelze/Den-
drit reichern sich die gelösten Gase (O, H) Das WIG-Schweißverfahren ist besonders
zwischen den kristallisierenden Dendriten gut geeignet. Der Taupunkt der Schutzgase
durch Ausscheiden aus den Dendriten an, (d. h. sein Feuchtgehalt) sollte bei 60 C lie-
Bild 5-51. Nach Erreichen einer kritischen gen. Es werden vorzugsweise Argon und Ar-
Konzentration bildet sich molekulares Gas, gon/Helium-Gemische (75 Ar/25 He) verwen-
das in den interdendritischen Zwischenräu- det, reines Helium wegen des schlechter kon-
men als Pore eingeschlossen ist oder an die trollierbaren und weniger stabilen Lichtbo-
Schweißnahtoberfläche aufsteigen kann. gens seltener. Die Schweißarbeiten können
Tabelle 5-15
Schweißzusatzwerkstoffe für Titan und Titan-Palladiumlegierungen, nach DIN EN ISO 24034.
S Ti 2253 TiPd0,06 0,03 0,03 bis 0,10 0,012 0,005 0,08 Pd: 0,04 bis 0,08
S Ti 2403 TiPd0,06A 0,03 0,08 bis 0,16 0,015 0,008 0,12 Pd: 0,04 bis 0,08
S Ti 4810 TiAl8V1Mo1 0,08 0,12 0,005 0,01 0,30 Mo: 0,75 bis 1,25
200
Der Erfolg dieser abschirmenden Maßnah-
Stickstoff
men ist an der Anlauffarbe erkennbar. Eine
100
schwach gelbliche Färbung der Bereiche ne- Kohlenstoff
ben der Naht deutet im Allgemeinen auf eine
0
sehr geringe, eine zunehmende Dunkelfär-
bung (bläulich bis bräunlich) auf eine unzu-
lässige Gasaufnahme während des Schwei- - 100
det. Diese auch Zircaloys genannten Werk- Zirkonium kann nur mit sich selbst oder an-
stoffe für den Reaktorbau, die als Hüllrohre deren hochreaktiven Metallen (z. B. Ti, Nb,
von Uranbrennstäben verwendet werden, Ta) verschweißt werden. Eine Verbindung
dürfen kein Hafnium enthalten, weil dieses mit den meisten anderen Werkstoffen ist
Element im Gegensatz zu Zirkonium einen nicht möglich, weil sich spröde intermediä-
sehr großen Einfangquerschnitt für thermi- re Phasen bilden. Daher ist auch die Anzahl
sche Neutronen hat. Die Gehalte an Hafnium geeigneter Legierungselemente (Hf, Nb) sehr
( 0,010 %) und Verunreinigungen sind daher begrenzt.
im Vergleich zu den handelsüblichen Quali-
täten sehr gering.
5.4.4 Tantal und Tantallegierungen
Diese Werkstoffe werden mit dem WIG-Ver-
fahren unter Verwendung thorierter Wolf- Tantal ist krz, erfährt keine allotropen Än-
ramelektroden geschweißt. Wegen der extre- derungen und hat einen Schmelzpunkt von
men Reaktionsfähigkeit des Zirkoniums muss 3000 C und zählt zu den Schwermetallen.
der Schweißbereich sorgfältig vor Luftzu- Trotz seines kubisch-raumzentrierten Gitter-
tritt geschützt werden. Die für Titan verwen- aufbaus bleibt Tantal bis zum Siedepunkt
deten Schweißvorrichtungen, Bild 5-49, sind des Heliums verformbar. Tantal ist vor allem
damit ebenfalls geeignet. Werkstoffbereiche, in starken Säuren bei Temperaturen bis zum
die während des Schweißens auf mehr als Siedepunkt – neben Zirkonium als nahezu
480 C erwärmt werden, sind vor der Berüh- einziges Metall sogar in HCl – hervorragend
rung mit Luft zu schützen. korrosionsbeständig. Der Grund ist die Bil-
dung eines extrem beständigen schützenden
Die Zusatzwerkstoffe sind artgleich. Sie soll- Oxidfilms (Ta2O5) bei anodischen bzw. oxi-
ten ebenso wie die Schweißstelle sorgfältig dierenden Bedingungen. Es oxidiert aber
gesäubert werden. Ein Vorwärmen ist we- bei Temperaturen über 350 C und verliert
gen der ausreichenden Verformbarkeit nicht dadurch seine Korrosionsbeständigkeit. Bild
erforderlich, gleiches gilt für eine Wärmenach- 5-55 zeigt stellvertretend das Korrosionsver-
behandlung. halten des Tantals in HCl im Konzentrations-
bereich von 1 % bis 35 % in Abhängigkeit
200 von der Temperatur. Die angelegten Felder
° C
entsprechen einer Korrosionsgeschwindig-
175
keit 0,025 mm/a.
Temperatur T
H-Versprö-
dung möglich
Wenn in diesem Bereich von T,c HCl bean-
150 sprucht, sind Korrosionstests erforderlich
Auf der Werkstoffoberfläche lässt sich ein
125
Siedepunktskurve
sichtbarer Oxidfilm durch anodisches Oxi-
dieren in verdünnter Phosphorsäure erzeu-
100 gen. Seine große Dielektrizitätskonstante
behindert extrem das Entstehen/Fließen von
75
Korrosionsströmen vom Tantal zum Elektro-
50
lyten, wenn das Metall Anode eines Korro-
In diesem Bereich von T und c HCl ist sionselementes ist. Die sehr große Stabilität
Tantal völlig korrosionsbeständig
25 des Oxidfilms und seine große Permittivität
macht Tantal sehr geeignet zum Herstellen
0 der sehr teuren »Tantalkondensatoren«.
0 5 10 15 20 25 30 % 35
Konzentration der HCl c HCl
Aufgrund seiner hervorragenden Korrosions-
Bild 5-55 beständigkeit gegenüber einer Vielzahl von
Korrosionsverhalten von Tantal in Salzsäure bei unter-
Medien in weiten Bereichen der Konzentra-
schiedlichen Temperaturen und Konzentrationen. Die
Korrosionsbedingungen in den grau angelegten Feld- tion und der Temperatur wird Tantal vor-
ern entsprechen einer Korrosionsgeschwindigkeit von wiegend als Konstruktionswerkstoff in der
< 0,025 mm/a, nach Stern und Bishop. Chemie-Technik verwendet.
Abschn. 5.4: Hochreaktive und hochschmelzende Werkstoffe (Tantal) 565
Die chemischen Eigenschaften des Tantals Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff und Was-
ähneln sehr denen von Glas. Es ist ähnlich serstoff bilden mit Tantal versprödende inter-
wie Glas gegen alle Säuren (außer konzen- mediäre Phasen. Der Gehalt der interstiti-
trierter HF!) beständig. Ergebnisse von Unter- ellen Elemente sollte unter 100 ppm liegen.
suchungen, die im Labor aus Elementen aus Die Schweißeignung von Tantal gilt als bes-
Glas durchgeführt wurden, lassen sich daher te aller hochschmelzenden Metalle.
auf die zu erwartenden Reaktionsabläufe
von aus Tantal bestehenden Bauteilen über- Das WIG-Schweißen in Schutzgaskammern
tragen. Es verhält sich wegen seiner elekt- ist das sicherste Verfahren, um mit dem Grund-
ropositiven Stellung im System der Standard- werkstoff vergleichbare mechanische Eigen-
potenziale im Kontakt mit anderen Metal- schaften der Schweißverbindung zu errei-
len meistens kathodisch. Der durch die ka- chen. Das Wärmeeinbringen sollte begrenzt
thodische Reduktion entstehende atomare werden, die Schweißgeschwindigkeit groß
Wasserstoff kann zur Wasserstoffversprö- sein. Ein Vorwärmen ist nicht erforderlich.
dung des Tantals vor allem bei einem Angriff Damit lässt sich die Bildung der sehr un-
durch Salzsäure (! 150 C) und Schwefelsäu- erwünschten großen, säulenförmigen Kör-
re (! 250 C) bei höheren Temperaturen füh- ner in der WEZ weitgehend vermeiden. We-
ren. Diese Form der Lokalkorrosion ist vor gen des hohen Schmelzpunktes von Tantal
allem bei hohen Betriebstemperaturen sehr und der damit verbundenen Gefahr ihres Auf-
gefürchtet und weit gefährlicher als die gleich- schmelzens sind Schweißbadsicherungen aus
mäßig abtragende Korrosion. Die Ursache Kupfer unzulässig.
ist die Bildung spannungsinduzierter Hyd-
ride. Tantal wird mit Wolfram, Molybdän und Haf-
nium legiert. Einige Tantallegierungen nach
In der Chemie-Technik muss daher in korro- US-amerikanischer Bezeichnungsweise sind
sionsbeanspruchten Mischkonstruktionen im Folgenden aufgeführt:
aus Tantal und einem anderen unedleren Me- – Ta-2,5W-0,15Nb (Tantaloy 63),
tall (z. B. unlegierter Stahl) das Tantal wegen – Ta-5W-2,5Mo,
der Gefahr der Wasserstoffversprödung die – Ta-10W,
Anode dieser galvanischen Zelle sein, was – Ta-9,6W-2,4Hf-0,01C.
durch entsprechende Maßnahmen sicherzu-
stellen ist. Das kann u. a. durch eine vollstän- Wolfram-, vor allem aber Molybdän- und Rhe-
dige elektrische Isolation der Tantal-/Metall- niumzusätze, verringern die Korrosionsge-
oberfläche, durch ein Anodisieren der Tantal- schwindigkeit (3 Tage in H2SO4 bei 250 °C)
oberfläche oder durch die Zugabe ausgewähl- und die Wasserstoffabsorption. Die Schweiß-
ter oxidierender Stoffe geschehen. Als zusätz- güter in Verbindungen aus Tantallegierun-
licher Schutz ist das Anschließen des Tan- gen mit einem Gesamtlegierungsgehalt un-
tals an den Pluspol einer Gleichstromquelle ter 10 % sind ausreichend zähe, solche mit
von etwa 15 V empfehlenswert. mehr als 13 % spröde.
566 Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
Q °C
können sich bei größeren, geometrisch kom-
Q ’ T3 = 420 Q ’ pliziert geformten Bauteilen beim Abschre-
cken von der Lösungsglühtemperatur sehr
unterschiedliche Abkühlgeschwindigkeiten
Q ’’ T2 = 190 Q ’’
im Bauteil ergeben, d. h. sehr unterschiedliche
(GP II) Leestellendichten und damit unterschiedliche
Ausscheidungsbedingungen.
GP T1 = 150
(GP I) GP - Zonen Vor allem die geometrisch stark gestörten
Korngrenzenbereiche sind neben den Verset-
Al Cu Ausscheidungszeit t zungen Orte, die Leerstellen »vernichten«.
a) b)
In diesen Bereichen ist daher die Leerstel-
Bild A5-1 lendichte und damit die Ausscheidungsdich-
Ausscheidungsvorgänge in Al-Cu-Legierungen. te meistens merklich geringer als im Korn-
a) Al-Cu-Zustandsschaubild mit Löslichkeitslinien inneren.
der einzelnen metastabilen Phasen.
b) Isothermes Zeit-Temperatur-Umwandlungsschau-
Mit zunehmenden Auslagertemperaturen
bild (ZTU) für die Legierung L. Die Legierung wird
von TLös auf Raumtemperatur abgeschreckt und entstehen noch verschiedene Übergangspha-
anschließend bei verschiedenen Temperaturen Ti sen, bevor sich die Gleichgewichtsphase 4
ausgelagert. ( Al2Cu) bildet:
Abschn. 5.5: Aufgaben zu Kapitel 5 567
– 4” (GP II-Zonen) hat ein tetragonales Git- Die im Vergleich zu Bild 5-32 deutlich grö-
ter, ist kohärent und erzeugt damit eine ßere Auslagerzeit zeigt, dass beim Ausschei-
merkliche Gitterverzerrung. dungshärten außer der Diffusion noch weite-
– 4’ ist eine tetragonale, teilkohärente Nicht- re weitaus effektivere Transportmechanis-
gleichgewichtsphase mit der ungefähren men wirksam sein müssen. Die während des
Zusammensetzung Al2Cu. Abschreckens vorhandene große Leerstel-
lendichte begünstigt die Diffusion sicherlich
Die inkohärente Gleichgewichtsphase 4 hat am stärksten, s. a. Aufgabe 5-1.
ein kompliziertes, raumzentriertes tetrago-
nales Gitter. Sie entsteht vorwiegend an Korn-
grenzen oder an 4’/Matrix Phasengrenzflä- Aufgabe 5-3:
chen. Die festigkeitssteigernde Wirkung ist Das Erstarrungsintervall der Legierung AlMg3
in der Regel am größten, wenn ein bestimm- beträgt etwa 35 C, wie z. B. aus Bild 1-65,
tes Verhältnis von 4” und 4’ vorliegt, s. Bild S. 54, zu entnehmen ist. Die Schweißgeschwin-
5-32, S. 538. digkeit v soll etwa 0,5 cm/s betragen, der Diffu-
sionskoeffizient D = 3,5◊10-5 cm2/s. Es ist der
für eine ebene Erstarrung in Schweißnahtmit-
te erforderliche Mindest-Temperaturgradient
G (C/cm) zu berechnen.
TL
T
TLi = TS - mS ◊ c0 , TSo = TS - mF ◊ c0 . =
D T
Li
f (c
TLi (x ) S)
m
Mit mF = S wird: T0 T0
k
mF = Neigung der
mS konstitutionell TF Soliduslinie
TSo = TS - ◊ c0 , unterkühlter Bereich
k
und endlich, Gl. [A5-6]: Abstand x A cF0 c0 cS0
m ◊ c ◊ ( k - 1) c) a) Gehalt an B
TLi - TSo = TL - TF = DT = S 0 .
k Bild A5-2
Einfluss der konstitutionellen Unterkühlung auf die
Durch Einsetzen der Beziehung 'T TL TF Erstarrungsstrukturen von Legierungen, Hinweise
in Gl. [A5-5] erhält die gewünschte Gleichung für Aufgabe A5-3.
für G/R, gemäß: a) Hypothetisches Zustandsschaubild A-B, Aus-
schnitt,
b) Zusammensetzung der Schmelzenschicht an der Pha-
G m ◊ c ◊ (1 - k) TL - TF DT
≥- S 0 = = . [A5-7] sengrenze flüssig/fest direkt nach dem Ausschei-
R k◊ D D D den der festen Phase a,
c) konstitutionelle Unterkühlung, s. a. Bild 1-32,
Man erhält mit den vorgegebenen Werten: S. 28.
Abschn. 5.5: Aufgaben zu Kapitel 5 569
lässt außerdem erkennen, dass die ebene Er- den werden, die die Matrix versteifen. Die
starrung umso schwieriger erreichbar ist, je Festigkeits- und Zähigkeitseigenschaften der
größer das Erstarrungsintervall 'T und die Legierung hängen ab von
Schweißgeschwindigkeit v (entspricht R) sind. – dem mittleren Teilchenabstand l,
S. a. Aufgabe 4-10, S. 487. – der Teilchenfestigkeit,
– der Teilchenanzahl und -größe, der
– Teilchenart (kohärent bzw. inkohärent),
– dem Diffusionsvermögen der am Aufbau
Aufgabe 5-4: der Teilchen beteiligten Elemente, d. h.
Es sind einige grundsätzliche Probleme zu der Geschwindigkeit, mit der die Teilchen
schildern, die beim Schweißen ausscheidungs- gelöst bzw. ausgeschieden werden.
härtender Legierungen entstehen (bzw. kön-
nen). Welche Schweißtechnologie ist danach Während des Schweißens entstehen in die-
am aussichtsreichsten? Siehe hierzu auch die sen komplexen metallurgischen Systemen
Ausführungen in den Abschnitten 2.6.3.3, S. beim Lösungs- und Wiederausscheidungs-
161, (Grundlagen) und 5.1.3, S. 505, (Schweiß- prozess eine Reihe von Werkstoffänderungen
verhalten). (entscheidend sind vor allem die in der Wär-
meeinflusszone!), die die Schweißeignung die-
Die ausscheidungshärtenden Legierungen ser Legierungen überwiegend unbefriedigend
werden im lösungsgeglühten (seltener) oder machen. Bild A5-3 zeigt die werkstofflichen
im ausscheidungsgehärteten Zustand ge- Vorgänge in der WEZ ausscheidungshärten-
schweißt. Die Festigkeitserhöhung kann nur der Legierungen.
in geeigneten Legierungen (Abschn. 2.6.3.3,
S. 161) durch eine Folge bestimmter Wärme- Abhängig von der gewählten Streckenener-
behandlungen erreicht werden, bei denen gie Q und anderen Schweißbedingungen (Vor-
kohärente/inkohärente Teilchen ausgeschie- wärmtemperatur, Werkstückdicke, eventu-
ell Schweißverfahren) wird in einem schma-
Aufheizen Abkühlen len Bereich der optimale Ausscheidungszu-
stand ungünstig verändert (Koagulieren, Lö-
sen). Während des (raschen) Abkühlens nach
Temperatur T
– Eine geringe Korngröße im Grundwerk- Die Wirkung der Verunreinigungen auf die
stoff und in der WEZ verringert die Be- mechanischen Gütewerte, sind von der Form
legungsdichte der rissauslösenden Be- abhängig, in der sie im Gefüge vorliegen. Als
standteile d. h. auch die Rissgefahr. Ausscheidungen wirken sie rein mechanisch
– Die Menge der Werkstoffverunreinigun- im Sinne einer Kerbe, sind aber abhängig
gen sollte möglichst gering sein. von ihrem Schmelzpunkt sehr häufig die Ur-
– Die Viskosität der aufgeschmolzenen Be- sache für Heißrissbildung in der WEZ und
standteile sollte so groß sein, dass ihr im Schweißgut. Interstitiell gelöst setzen sie
Eindringen entlang der Korngrenzen er- vor allem in krz Metallen die Zähigkeit oft
schwert bzw. unmöglich wird. extrem herab (z. B. N, P, As in ferritischen
Stählen).
Das Wärmeeinbringen beim Schweißen muss
begrenzt werden, weil anderenfalls der opti- Einphasige kfz Metalle sind wegen ihrer her-
male Ausscheidungszustand des Grundwerk- vorragenden Zähigkeit (die bei vielen Werk-
stoffs zerstört wird, die Breite der geschädig- stoffen bis zum absoluten Nullpunkt erhal-
ten WEZ und die Korngröße ihres Gefüges ten bleibt) in der Regel hervorragend schweiß-
zu groß würden. Andererseits darf es nicht geeignet. Allerdings spielt der Gehalt und die
zu klein sein, weil die scharfen Eigenspan- Art der Verunreinigungen eine große Rolle.
nungszustände in dem ausgehärteten, we- Es ist bekannt, dass gerade kfz Metalle be-
nig verformbaren Werkstoff leicht zur Riss- stimmte Verunreinigungen selbst in kleins-
bildung führen. Ganz allgemein kann festge- ten Mengen nicht lösen können (z. B. S, P).
stellt werden, dass das Schweißverhalten der Die Folgen sind z. B. Heißrissigkeit (S, P, B
ausscheidungshärtenden Legierungen um- in Nickel und Nickel-Legierungen; Pb in Au-
so besser ist, je schwerer ( je höher die tomatenmessingen; S, P, B in vollausteniti-
Lösungstemperatur ist!) die Ausscheidun- schen Stählen; Zr, B in Nickel), Werkstoff-
gen in Lösung gehen und je vollständiger sie trennungen (O2 in Kupfer). Die oft extreme
sich in globularer Form möglichst statistisch Verringerung der Zähigkeit, wie sie bei krz
verteilt im Korn (nicht an den Korngrenzen) Metallen beobachtet wird (z. B. durch H, N),
beim Abkühlen ausscheiden. entsteht nicht. Die Neigung zum Kornwachs-
tum in der WEZ ist wegen der großen ther-
mischen Beständigkeit dieser Werkstoffe ge-
ring. Härte- und Kaltrissbildung ist nicht
möglich.
re Phasen enthalten oder diese sich beim durch Löten herstellbar sein, wenn die er-
Schweißen bilden. Versprödung, Heißrisse, zielbaren Festigkeitseigenschaften ausrei-
(Wiederaufschmelzrisse) sind nur schwer ver- chend sind. Bei diesem Fügeverfahren ist
meidbar, s. a. Aufgabe 5-6. Mit geeigneten der Umfang der metallurgischen Reaktionen
Zusatzwerkstoffen lassen sich häufig die Aus- äußerst gering, s. Aufgabe 3-4, S. 292.
wirkungen gering halten oder sogar die Riss-
bildung vermeiden, Abschn. 4.1.4, S. 334. Je Die wichtigste Forderung sind demnach die
geringer der Aufschmelzgrad beim Schwei- Wahl von Schweißparametern und Schweiß-
ßen ist, desto geringer ist die Menge der sich verfahren, mit denen möglichst geringe Auf-
bildenden intermediären Verbindungen, d. schmelzgrade realisiert werden können. Der
h. die Gefahr von Rissen. Durch Wahl eines Umfang der metallurgischen Reaktionen
geeigneten Lötverfahrens wird der Umfang muss demnach möglichst klein gehalten wer-
der metallurgischen Prozesse normalerwei- den. Die Zusatzwerkstoffe (C) müssen so be-
se soweit verringert, dass betriebssichere schaffen sein, dass sie weder mit A noch mit
Verbindungen herstellbar sein sollten. B intermediäre Phasen bilden. Als beson-
ders geeignet haben sich Nickel bzw. hoch
nickelhaltige Zusatzwerkstoffe erwiesen,
weil es als kfz Metall extrem zäh ist und mit
sehr vielen Elementen lückenlose Mischkris-
tallreihen oder ausgedehnte Mischkristall-
bereiche bildet.
572
Metallurgische und verfahrenstechnische Möglichkeiten für das Verbindungs- und Auftragschweißen unterschiedlicher Werkstoffe.
A, B Risssichere Schweißverbindungen sind nur herstellbar, wenn A und B beim Abkühlen keine
intermediären Verbindungen (iV) bilden. Eine lückenlose Mischkristallreihe zwischen A und
B ergeben eine hohe Risssicherheit des Schweißguts (a) und die günstigsten metallurgi-
schen Bedingungen.
a
A B Prinzipiell kann A oder B als Zusatzwerkstoff gewählt werden. Zweckmäßiger ist aber der
a mit dem kleineren Schmelzpunkt, weil die Vermischung des Grundwerkstoffs mit dem Zu-
A B
satzwerkstoff geringer ist.
V Eine möglichst geringe Vermischung zwischen A, B und dem Zusatzwerkstoff ist für alle
Verbindungs- und Auftragschweißungen wichtig. Die Fertigungsbedingungen und die
Schweißparameter sind entsprechend zu wählen.
Bilden sich iV.en oder sind A und B metallurgisch sehr unterschiedlich - z. B. unlegierter
a b Stahl und hochlegierter Stahl - dann sind folgende Methoden möglich:
Zusatzwerkstoff C wählen, der weder mit A noch B spröde Phasen bildet.
B A A C B Pufferwerkstoff wählen, der iV-freie oder iV-arme Pufferlagen (P) erzeugt. Dies gelingt
gemäß Zustandsschaubild mit B, der sehr B - reiche Zwischenschichten mit geringster
B-Pufferlage(n) B V Menge an iV erzeugt, wenn der Aufschmelzgrad begrenzt wird.
Nickel und hochnickelhaltige Pufferwerkstoffe bieten eine Reihe besonderer Vorteile.
B - Sie erzeugen extrem zähe, wenig rissanfällige Zwischenschichten.
A B
- Sie bilden mit vielen Metallen lückenlose Mischkristallreihen und ausgedehnte
Mischkristallbereiche.
P
A B
- Sie behindern sehr wirksam die Diffusion des Kohlenstoffs in das Schweißgut. Diese
Eigenschaft ist vor allem für Schweißarbeiten an unterschiedlichen Stählen bedeut-
sam.
Kapitel 5: Schweißmetallurgie der nichteisenmetallischen Werkstoffe
Ni - Cu
Ni - Fe
Ni - Co
Ni - Pd
a Ni - Pt
A Ni
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6 Anhang
(spezielle Werkstoffprüfverfahren)
25
25
0
12
80 90 90
12
a) b) c) d)
Bild 6-1
Proben für Heißrissprüfung mit Selbstbeanspruchung.
a) Zylinderprobe, nach DIN EN ISO 17641-2 (DIN 50129),
b) Doppelkehlnahtprobe, nach DIN EN ISO 17641-2,
c) Ringnut-Probe, nach VdTÜV-Merkblatt 1153,
d) Ring-Segment-Probe, nach VdTÜV-Merkblatt 1153.
580 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
Brennerstellung während
der Biegung
der Größe der Biegedehnung, von 0,25 % bis
Ende der Schweißung
5 % in 10 Stufen einstellbar, entstehen mehr
Probe
oder weniger viel Heißrisse. Die Biegegeschwin-
digkeit, mit der die Probe auf die Matrize he-
Dicke d
runtergebogen wird, ist bei Standard-Versuchs-
bedingungen hoch und konstant, sie beträgt
2 mm/s.
veränderliche
Biegegeschwindigkeit
Radius R l1
20 l1
a)
Gesamtriaalänge l ges
Ende der Schweißung
Brennerstellung ln
während der Biegung 15 ln
10 l ges = l 1 + l 2 ... + l n
Dicke d
veränderliche
Biegegeschwindigkeit Radius R
0
0 0,5 1 2 3 % 4
b) Dehnung
10°
5
10
40 10 15
a) b) c)
Bild 6-4
Abmessung der Standardproben zur Prüfung von a) Grundwerkstoff, b) Schweißgut und c) Zusatzwerkstoff.
582 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
Tabelle 6-1
Anwendungsbereich der MVT-Tests.
Varestraint – –
Grundwerkstoff Varestraint
Transvarestraint
Varestraint Varestraint
Reines Schweißgut Varestraint Varestraint
Transvarestraint Transvarestraint
Varestraint Varestraint
Schweißverbindung Varestraint Varestraint
Transvarestraint Transvarestraint
bewährt, bei Bedarf kann die Probendicke Die Biegedehnung eB wird wie folgt berech-
bis auf 2,5 mm und die Probenlänge bis auf net:
80 mm verringert werden. Für Sonderfälle
können auch andere Probenformen, z. B. mit e B = 100 ◊ d in %.
2◊ R
Y-Naht-Vorbereitung, angewendet werden.
d Probendicke in mm,
Versuchsauswertung, Ergebnisse R Matrizenradius in mm.
Zuerst werden in der Umgebung des Biege-
punktes der Probe die an der Probenober- Heißrisse in einer Probe aus einem vollaus-
fläche entstandenen Heißrisse mit dem Ste- tenitischem Schweißguts eines Varestraint-
reomikroskop bei 25-facher Vergrößerung in Tests an sehr heißrissanfälligem Material
ihrer Länge ausgemessen und addiert. Die so zeigt das Bild 6-6.
ermittelte Gesamtrisslänge, lges, wird zu der
an der Probenoberfläche in Abhängigkeit Beurteilungskriterium
vom Biegeradius der aufgebrachten Biege- Als Kriterium für die Heißrissneigung von
dehnung in Beziehung gesetzt. Grund- und Zusatzwerkstoffen ist die auf die
Probenbiegedehnung bezogene Gesamtriss-
In Bild 6-5 sind die Ergebnisse, die Gesamt- länge lges festgelegt worden. Gleichzeitig wird
risslänge auf der Ordinate und die Dehnung dabei auch der Einfluss des Wärmeeinbrin-
auf der Abszisse, dargestellt. gens Q (Schweißstrom I, Schweißspannung
U, Vorschub vs) des Schweißverfahrens (WIG,
MAG usw.), der Biegegeschwindigkeit und
vor allem der chemischen Zusammensetzung
von Grund- und Zusatzwerkstoff erfasst.
Anwendungsgrenzen
Der MVT-Test erlaubt eine schnelle und wirt-
schaftliche Prüfung der ganzen Schweißver-
bindung, die aus Schweißgut, Wärmeein-
flusszone und Grundwerkstoff besteht.
Bild 6-7
Der Implant-Test.
a) Querschnitt durch die Implantprobe und die Einschweißplatte nach dem Versuch,
b) Querschliff einer nichtgebrochenen Implantprobe mit Wendelkerbe. Die Wendelkerbe an der Schmelzlinie
ist mit einem Pfeil gekennzeichnet, nach V. Neumann, BAM.
584 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
– dem Implantprüfstand, bestehend aus der Bricht die Probe nicht während der Belas-
Belastungsvorrichtung, dem Messwertauf- tungszeit, kann die Probe auch auf Unternaht-
nehmer und der Schweißvorrichtung, risse (wasserstoffinduzierte Kaltrisse) ge-
– den Schweißzusatzwerkstoffen und Hilfs- prüft werden. Dazu wird die Probe zum Sicht-
stoffen, einschließlich ihrer Vorbehand- barmachen der Risse bei Temperaturen zwi-
lung, der Methode zum Bestimmen des schen 250 C und 300 C in oxidierender At-
Wasserstoffgehalts des Schweißguts, der mosphäre geglüht und anschließend metal-
Gehalte der Schweißgüter an diffusiblem lografisch untersucht.
Wasserstoff und
– den Proben einschließlich deren Herstel- Bei der Prüfung der Implantprobe erfolgt
lung und der Geometrie der Proben und die Ermittlung des Kaltrissverhaltens im Zu-
der Einschweißplatten und der Beanspru- sammenwirken mit der thermischen (durch
chung der Implantproben. das Schweißen), mit der chemischen (Einbrin-
gen des Wasserstoffs) und der mechanischen
Das Prinzip des Implantversuchs zeigt Bild (durch die konstante Zugkraft) Beanspru-
6-7. Die Rundprobe mit umlaufendem V-Kerb chung.
(Durchmesser 8 mm, Kerböffnungswinkel
40 , Kerbgrundradius 0,5 mm) wird in die Die mechanische Beanspruchung der Im-
Bohrung bündig zur Oberfläche der Ein- plantproben wird als Nettonennspannung
schweißplatte gesteckt und mit einer Auftrag- angegeben. Ihre Größe ist durch die Größe
raupe überschweißt. Nach dem Schweißen der Prüflast und durch den Kerbquerschnitt
wird die Probe mit einer konstanten Zug- gegeben. Berücksichtigt ist dabei die Aus-
kraft belastet, Bild 6-8. Festgestellt wird der wirkung des kerbbedingten Mehrachsigkeits-
Brucheintritt oder eine Anrissbildung. grades des Spannungszustandes, der stark
vom Kerbgrundradius der Wendelkerbe oder
Während des Versuchs werden die Schweiß- Ringnutkerbe abhängt. Nach Neumann lie-
parameter (U, I, v), der zeitliche Verlauf der gen in der Implantprobe drei verschiedene
Temperatur im Schweißgut, in der WEZ und Kerbfälle vor, und zwar:
der Belastung der Probe registriert, Bild 6-8. – Am Übergang von der Probe in die Ein-
Wird als Beurteilungskriterium der erste An- schweißplatte an der Schmelzlinie, Bild
riss in der Implantprobe angesehen, so kann 6-7b,
dieser an einem metallografischen Schliff – an der Ring- oder Wendelkerbe und
durch die Längsachse der Probe nach dem – am Übergang zur Schmelzlinie durch das
Versuch, Bild 6-7, mit einem empfindlichem Zusammenwirken von Ring- oder Wen-
Dehnungsmesser oder mit Hilfe der Schall- delkerbe. Dieser Bereich stellt eine extre-
emissionsanalyseverfahren während des Ver- me metallurgische und mechanische Ker-
suchs nachgewiesen werden. be dar.
Tmax N
Als Maßstab zur Kennzeichnung eines kerb-
bedingten Mehrachsigkeitsgrades des Span-
Last F
°C
Temperatur T
150
100
Eine Möglichkeit der Charakterisierung der
t 8/5
Kaltrissanfälligkeit von Schweißverbindun-
Bruchzeit
gen ist die Ermittlung einer kritischen Span-
Bild 6-8 nung, unterhalb der die Probe nicht mehr
Implant-Test, zeitlicher Versuchsablauf, Schweißen bricht. Diese wird auch als statische Ermü-
– Lastaufbringung – Versuchszeit, nach Düren. dungsgrenze« bezeichnet. Hierbei sind die
Abschn. 6.2: Prüfung auf Kaltrissanfälligkeit 585
Vorwärmtemperatur ° C
160
Bild 6-9
Einfluss der Beanspruchung auf die Bruchzeit von
Implantproben aus einem Feinkornbaustahl StE 460 für
unterschiedliche Wasserstoffgehalte im Schweißgut,
nach V. Neumann, BAM.
Verhalten geschweißter Bauteile, weil der Temperatur (Nil Ductility Transition), ermit-
Größeneinfluss nicht erfaßbar ist. Hierfür telt, die als Werkstoffkenngröße eines Grenz-
sind Bauteilversuche an Großproben bes- temperatur-Versagenskonzeptes für Sicher-
ser geeignet. heit gegen Rissauffangen (Rissauffankonzept)
– Die Einstellung des Gefüges der WEZ dient.
ergibt sich aus der Streckenenergie und
den Bedingungen der Abkühlung, die mit Das Rissauffangkonzept begründet sich in
dem Kennwert t8/5 beschrieben wird. Die der Vorstellung, dass die Werkstoffzähigkeit
Menge des kaltrissbegünstigenden Mar- oder die der Schweißverbindung entspre-
tensits lässt sich unter Berücksichtigung chend groß sein muss, um einen instabil fort-
von t8/5 und der chemischen Zusammen- schreitenden Riss auffangen zu können. Das
setzung des Werkstoffs aus seinem konti- Rissauffangvermögen eines Werkstoffs ist
nuierlichen ZTU-Schaubild (Abschn. 2.5.3) besonders bedeutungsvoll für druckführen-
abschätzen. Die Eigenspannungen sind de Umschließungen, z. B. Rohre und Behäl-
bisher nicht berücksichtigt worden, sie ter mit Gas oder Flüssigkeit unter hohem
werden von der angelegten Zugspannung Druck, weil dadurch eine zusätzliche Be-
überlagert. triebssicherheit für den Fall eines sich aus-
breitenden Risses durch Rissauffangen (Riss-
Bei den eigenbeanspruchenden Kaltriss- stopp) gegeben ist.
tests gibt es strenggenommen nur Riss
oder Nichtriss in der Naht als Beurteilungs- Die Prüfung erfolgt an Flachproben (Abmes-
kriterium und keine Aussage über den sungen: 130 x 50 x 13 ... 25 mm) mit einsei-
Einfluss der Beanspruchungsgrößen. Auf tig aufgebrachter Auftragschweißraupe, die
diese weniger aussagefähigen selbstbe- quer zur Schweißrichtung mit einem Säge-
anspruchenden Verfahren wird deshalb schnitt gekerbt ist, Bild 6-14.
nicht näher eingegangen.
Der Sägeschnitt dient als »Rissstarter« vom
spröden Schweißgut aus. Die Prüfeinrich-
6.2.2 Der Pellini-Versuch tung besteht aus einem 3-Punkt-Biegetisch
mit einem die Durchbiegung begrenzenden
Der Fallgewichtsversuch (Drop-Weight- eingebauten Gegenlager, das eine definier-
Test) nach Pellini eignet sich zum Zähigkeits- te Durchbiegung der Probe zulässt, die so
nachweis dynamisch beanspruchter Konstruk- groß ist, dass an der Randfaser des Flach-
tionen und von Stumpfnahtschweißverbin- stückes die Streckgrenze gerade überschrit-
dungen mit Blechdicken über 13 mm. Mit die- ten wird. Die Energie wird mit einem Fall-
ser Prüfung wird eine Grenztemperatur, NDT- hammer zugeführt. Ihre Größe ist aus der
Abschn. 6.3: Der Kerbschlagbiegeversuch (DIN EN 10045) 587
Masse des Fallgewichts (25 bis 50 kg) und Das Verfahren ist in den Regelwerken
der Fallhöhe mit Hilfe des Fallgesetzes zu – ASTM E 208a,
berechnen und an die Streckgrenze (Re, Rp) – SEP 1325 und
des zu prüfenden Werkstoffs anzupassen. – VdTÜV-Merkblatt Werkstoffe 1256-07.80
Durch Prüfung bei verschiedenen Tempera- genannt.
turen wird die NDT-Temperatur erhalten,
das ist die Temperatur, bei der der von der Die Anwendung des Verfahrens dient zur:
gekerbten Schweißraupe ausgehende Riss – Qualitätssicherung und zum Zähigkeits-
vom Werkstoff nicht mehr aufgefangen wird nachweis von schweißgeeigneten Bau-
und die Probe noch bricht. stählen mit Hilfe der NDT-Temperatur,
die bis auf 3 K ermittelbar ist,
Kriterium für ihre Festlegung ist, dass zwei – Entwicklung und zur Erforschung des
weitere Proben des gleichen Werkstoffs bei Rissauffangvermögens von ferritischen
einer um 5 K höheren Prüftemperatur nicht Stählen.
brechen.
Abschließend ist festzuhalten, dass das Pel-
Im Rissauffang-Versagenskonzept kennzeich- lini-Prüfverfahren sehr wirtschaftlich ist,
net die NDT-Temperatur eine Grenztempe- das Ergebnis aber nur eine Ja-Nein-Entschei-
ratur, also einen Grenzzustand, bei dem klei- dung zulässt.
ne Risse bei einer Beanspruchung von sN L Re
und große Risse bei sN L 0,1 Re gerade noch
aufgefangen werden, wie aus dem Bruch- 6.3 Der Kerbschlagbiegeversuch
analysediagramm (FAD) nach Pellini hervor- (DIN EN 10045)
geht. Zu beachten ist dabei, dass die Rissauf-
fangtemperatur nicht nur von der Höhe der Die Prüfung erfolgt an speziell gekerbten
Nennspannung, sondern auch von der elas- Biegeproben, vorwiegend aus Baustahl, mit
tischen Energie des Bauteils, gegebenenfalls schlagartiger Beanspruchung, die mit Hilfe
auch vom Druckmedium abhängt. eines genormten Pendelschlagwerkes aufge-
bracht wird. Dabei wird die zur Erzeugung
Schweißraupe Sägeschnitt
des Bruches der Kerbschlagbiegeprobe ver-
19 ± 0,2
geben.
Auflage
R0,25
10
Z
D
überschüssige Arbeit
W
F ¹ h1 F ¹ L ¹ (1 cos b ) bezeichnet.
Kerbtiefe N
45°
Breite Aü
55
b
VHS a/b
(Pressschweißnaht)
b
a
RL
Dicke
VWS a/b
b
a
VHS a/b
RL (Schmelzschweißnaht)
RL
b
b
b
b
a a
b
a a
RL RL
Die Bezeichnung basiert auf einem System, das aus Buchsta- 3. Zeichen
ben für die Art, Lage und Kerbrichtung und Ziffern besteht, die S = gekerbte Fläche parallel zur Oberfläche (entspricht der bei der bruchme-
den Abstand (mm) zu den Bezugslinien (RL) angeben. Die Pro- chanischen Prüfung benutzten Benennung »Oberflächenkerbe«)
ben sind so aus der Schweißverbindung zu entnehmen, dass T = Kerbe durch die Dicke
ihre Längsachsen rechtwinklig zur Schweißnahtlänge verlaufen. 4. Zeichen
Die Bezeichnung besteht aus den folgenden Zeichen: a = Abstand Kerbmitte von Bezugslinie (wenn a auf Mittellinie der Schweißnaht
1. Zeichen liegt, ist a = 0 und sollte aufgezeichnet werden)
U = Charpy -U-Kerbe 5. Zeichen
V = Charpy -V-Kerbe b = Abstand zwischen Oberseite der Schweißverbindung (bei Doppel-V, K-
2. Zeichen oder ähnlichen Schweißnähten ist die Oberseite die mit der größeren Naht-
W = Kerbe im Schweißgut (Bezugslinie ist Mittellinie der breite) zur nächstgelegenen Oberfläche der Probe (wenn b auf der Ober-
Schweißnaht an der Probenlage) fläche der Schweißnaht liegt, ist b = 0 und sollte aufgezeichnet werden)
H = Kerbe in der WEZ (Bezugslinie ist die Schmelzlinie)
Bild 6-17
Probennahme, Probenlage und Probenbezeichnung, aus schmelzgeschweißter Stumpfnaht nach DIN EN 875.
Abschn. 6.4: Der instrumentierte Kerbschlagbiegeversuch 591
probe) im AS -T-Diagramm ist unzweck- ben aus der HS-Lage zu entnehmen, liefert
mäßig, weil die Arbeitsbeträge zu unter- nur eine bedingt brauchbare Kerbschlagzä-
schiedlich sind. Bei der Auftragung als higkeit der WEZ.
ak-T-Diagramm wird der Größeneinfluss
z. T. unterdrückt, die Übergangstempe- Mehr Informationen über das lokale Werk-
raturen sind jedoch unterschiedlich. Des- stoffwiderstandsverhalten der WEZ wird mit
halb ist eine Übertragung von an Proben Hilfe einer metallografischen Gefügeunter-
gemessenen Übergangstemperaturen auf suchung im Bereich des Bruchausgangs er-
Bauteile zur Festlegung einer niedrigsten halten. Diese Methode ist aber meistens nur
Betriebstemperatur nicht möglich. für Forschungszwecke üblich.
– Prüfverfahren (DIN, ASTM und ISO)
Der Einfluss des Prüfverfahrens beruht Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit
auf der unterschiedlichen Ausbildung der Hilfe des Kerbschlagbiegeversuches die Zä-
Hammerschneide, der Hammerscheibe higkeit der WEZ ermittelt werden kann. Die
und auf der unterschiedlichen Auftreffge- Ergebnisse beschreiben aber nicht allgemein
schwindigkeit der Hammerscheibe, die das WEZ-Verhalten, sondern sie sind abhän-
5,5 m/s (DIN) und 5,1 m/s (ASTM) beträgt. gig von:
Die Folge ist, dass im Vergleich zu ISO-Ver- – der Lage des Kerbgrundes in der WEZ,
fahren beim ASTM-Verfahren oberhalb von längs oder quer zur Schweißnaht (VWT-
60 J höhere AS-Werte gemessen werden. VWS-Lage),
– der Lage des Kerbgrundes in der WEZ,
Prüfung von Proben mit Schweißnaht ob in einem Grobkornzonen- oder Feinkorn-
Die Ergebnisse des Kerbschlagbiegeversuchs zonenbereich (Abstand von der Schmelz-
eignen sich vor allem für die Überwachung linie),
der Herstellung von Schweißverbindungen – der Breite der WEZ, wenn von den schweiß-
sowie für die Beurteilung von abnahme- technischen Einflüssen (Schweißverfah-
pflichtigen geschweißten Bauteilen für druck- ren, Lagenaufbau, Einstellwerte) abgese-
führende Umschließungen. Dazu ist die hen wird.
Probennahme aus dem Schweißgut, WEZ
und Grundwerkstoff erforderlich, die in DIN
EN 875 festgelegt ist, Bild 6-17. 6.4 Der instrumentierte
Kerbschlagbiegeversuch
Zur Qualitätssicherung von Mehrlagen-
schweißungen ist die Probennahme mit Kerb Zum Beurteilen des Verformungs- und Bruch-
in der S-Lage zu bevorzugen. Bei Einlagen- verhaltens, besonders bei teilplastischer Ver-
schweißungen (z. B. UP- oder Elektroschlacke- formung, aber auch bei plastischer Verfor-
schweißungen) ist das Ergebnis von der Lage mung im Temperaturbereich des Steilab-
des Kerbes (Nahtmitte, Nahtrand) abhängig. falls, ist es von Interesse, den Arbeitsanteil
Bei der häufig verwendeten Anordnung des bei der Risseinleitung und Rissausbreitung
Kerbgrundes in der WEZ ist das Gefüge der getrennt zu erfassen. Das ist mit dem instru-
WEZ und damit auch die Kerbschlagarbeit mentierten Kerbschlagbiegeversuch mög-
an jeder Stelle verschieden. Bei Mehrlagen- lich.
schweißungen gibt es Bereiche, die mehr-
mals umgekörnt worden sind, aber auch sol- Die Prüfung unterscheidet sich von dem Kerb-
che, wo nur Grobkorn (Grobkornzwickel) vor- schlagbiegeversuch nach DIN EN 10045 nur
liegt, Bild 6-17. Problematisch wird die Pro- dadurch, dass mit einer Instrumentierung
bennahme aus Stumpfnähten unter 30 mm der Prüfeinrichtung während des Versuchs
Dicke, weil meist nur eine Probe in WS-La- die Kraft-Zeit oder Kraft-Durchbiegung (Weg)
ge herausgearbeitet werden kann. Bei Stumpf- von Kerbschlagbiegeproben registriert wer-
nähten unter 12 mm Dicke mit einer U-, V- den können, Bild 6-18.
oder X-Nahtvorbereitung ist dies nicht mehr
möglich. Die alternative Möglichkeit, Pro- Die Instrumentierung der Versuchseinrich-
592 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
tung als Blockschaltbild ist in Bild 6-19 dar- Temperaturbereich II, T > Tgy, Über-
gestellt. Während des Versuchs wird die gang von Tieflage zum Steilabfall, Kraft-
Kraft in Abhängigkeit von der Zeit gemes- Weg-Kurve kennzeichnet die dynamische
sen. Die Schlagkraftmessung erfolgt mit Deh- Fließkraft Fgy, Kraft bei Erreichen der
nungsmessstreifen (DMS) an der als Dyna- Vollplastifizierung des Restquerschnitts
mometer ausgebildeten Hammerschneide, (Ligament) und die Maximalkraft Fm Fu,
die bis zu 40 kN kalibriert ist. Die Registrie- Bildung eines stabilen Anrisses vom Kerb-
rung erlaubt die Erfassung der bis in den Ps- grund aus, Spaltbruch.
Bereich reichenden dynamischen Vorgänge
beim Bruch, wobei die Bruchvorgänge von Temperaturbereich III, T ! Ti, Steilab-
denen der Prüfeinrichtung nur schwer zu un- fall, Kraft-Weg-Kurve kennzeichnet Fgy,
terscheiden sind. Fm, Fu und Fa, Bild 6-19,
Fu: Beginn der stabilen Rissausbreitung,
Fm
16
Fa: Rissauffangkraft, Verformungsbruch
Fu
nach Auffangen des von Fu ausgegange-
Kraft
Bild 6-19
Ergebnisse von Kerbschlagbiegeversuchen mit instrumentierter Prüfeinrichtung an Charpy-V-Proben aus
einem C-Stahl in der Auftragung über der Temperatur. Kennzeichnung charakteristischer Temperaturberei-
che I, II, III, IV, und Zuordnung von Brucherscheinungen zusammen mit den Kraft-Weg-Diagrammen, nach
Helms, BAM.
– die Fließspannung sgy und die Bruchspan- tung erst nach makroskopisch messbarer
nung sf, die mit Hilfe des Ansatzes der plastischer Verformung an der Rissspitze ein-
elementaren Biegebalkentheorie für elasti- setzt. Das Konzept basiert auf dem Dugdale-
sches und plastisches Werkstoffverhalten Modell.
berechnet wurden, gemäß:
Der Bruchparameter, die Rissöffnungsver-
Ff (T ) ◊ S schiebung, engl. Crack Opening Displace-
sf = für T > Ti
B ◊ ÈÎW - ( a + as ) ˘˚
2
ment (COD), ist eine Länge (Verschiebung),
eine Grundgröße im physikalischen Maßsys-
für T < Ti ist as 0 und tem.
6.5 Das COD-Konzept von Als Basis des COD-Konzeptes für den An-
Cottrell und Wells wendungsbereich der linear-plastischen
Bruchmechanik (LPBM) (sy sy) dient die in
Die Rissspitzenöffnungsverschiebung d als Bild 6-20 dargestellte Rissspitzensituation:
Bruchparameter dient hier zum Beurteilen
sy Rp0,2 oder ReL.
des Sprödbruchversagens von rissbehafteten
Strukturen, bei denen instabile Rissausbrei- Für eine Zugscheibe mit Innenriss ergibt
Abschn. 6.5: Das COD-Konzept von Cottrell und Wells 595
D a
Berücksichtigung der plastischen Zonenkor- kein Versagen
rektur nach Irwin:
COD, d
4 ⋅σ ∞ ⋅ a
CODmax = 2 v =
E
und für die Rissspitzenöffnungsverschie-
Versagen
bung
di Kerbfläche
4σ∞ 4 K2
CTOD = 2 a rpl = π ⋅ . Schwingungsrissfläche
E Eσ y Beginn Rissfläche des stabilen Rissfortschritts
Restbruchfläche
Die Schwierigkeiten in der Anwendung des
COD-Konzeptes bestehen sowohl in der stabiler Rissfortschritt D a
Q X
CTOD = d
= r pl r pl
= eff = = + r pl
Bild 6-20
Rissspitzenöffnungsverschiebung (CTOD).
6.6 Schrifttum
ASTM E 208a: Fallgewichtsprüfung zur Be- DVS-Berichte, Band 168: Sicherung der Gü-
stimmung der Nil-Ductility-Temperature te von Schweißverbindungen im Europäi-
(höchste Temperatur, bei der eine Probe von schen Binnenmarkt, 1995.
dem Fallgewicht noch gebrochen wird) für Teil 1: Grundlagen und Vorgehensweise, 1982.
ferritische Stähle, 1995. Teil 2: Praktische Anwendung, 1989.
Symbole
25
25
0
12
80 90 90
12
a) b) c) d)
Bild 6-1
Proben für Heißrissprüfung mit Selbstbeanspruchung.
a) Zylinderprobe, nach DIN EN ISO 17641-2 (DIN 50129),
b) Doppelkehlnahtprobe, nach DIN EN ISO 17641-2,
c) Ringnut-Probe, nach VdTÜV-Merkblatt 1153,
d) Ring-Segment-Probe, nach VdTÜV-Merkblatt 1153.
580 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
Brennerstellung während
der Biegung
der Größe der Biegedehnung, von 0,25 % bis
Ende der Schweißung
5 % in 10 Stufen einstellbar, entstehen mehr
Probe
oder weniger viel Heißrisse. Die Biegegeschwin-
digkeit, mit der die Probe auf die Matrize he-
Dicke d
runtergebogen wird, ist bei Standard-Versuchs-
bedingungen hoch und konstant, sie beträgt
2 mm/s.
veränderliche
Biegegeschwindigkeit
Radius R l1
20 l1
a)
Gesamtriaalänge l ges
Ende der Schweißung
Brennerstellung ln
während der Biegung 15 ln
10 l ges = l 1 + l 2 ... + l n
Dicke d
veränderliche
Biegegeschwindigkeit Radius R
0
0 0,5 1 2 3 % 4
b) Dehnung
10°
5
10
40 10 15
a) b) c)
Bild 6-4
Abmessung der Standardproben zur Prüfung von a) Grundwerkstoff, b) Schweißgut und c) Zusatzwerkstoff.
582 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
Tabelle 6-1
Anwendungsbereich der MVT-Tests.
Varestraint – –
Grundwerkstoff Varestraint
Transvarestraint
Varestraint Varestraint
Reines Schweißgut Varestraint Varestraint
Transvarestraint Transvarestraint
Varestraint Varestraint
Schweißverbindung Varestraint Varestraint
Transvarestraint Transvarestraint
bewährt, bei Bedarf kann die Probendicke Die Biegedehnung eB wird wie folgt berech-
bis auf 2,5 mm und die Probenlänge bis auf net:
80 mm verringert werden. Für Sonderfälle
können auch andere Probenformen, z. B. mit e B = 100 ◊ d in %.
2◊ R
Y-Naht-Vorbereitung, angewendet werden.
d Probendicke in mm,
Versuchsauswertung, Ergebnisse R Matrizenradius in mm.
Zuerst werden in der Umgebung des Biege-
punktes der Probe die an der Probenober- Heißrisse in einer Probe aus einem vollaus-
fläche entstandenen Heißrisse mit dem Ste- tenitischem Schweißguts eines Varestraint-
reomikroskop bei 25-facher Vergrößerung in Tests an sehr heißrissanfälligem Material
ihrer Länge ausgemessen und addiert. Die so zeigt das Bild 6-6.
ermittelte Gesamtrisslänge, lges, wird zu der
an der Probenoberfläche in Abhängigkeit Beurteilungskriterium
vom Biegeradius der aufgebrachten Biege- Als Kriterium für die Heißrissneigung von
dehnung in Beziehung gesetzt. Grund- und Zusatzwerkstoffen ist die auf die
Probenbiegedehnung bezogene Gesamtriss-
In Bild 6-5 sind die Ergebnisse, die Gesamt- länge lges festgelegt worden. Gleichzeitig wird
risslänge auf der Ordinate und die Dehnung dabei auch der Einfluss des Wärmeeinbrin-
auf der Abszisse, dargestellt. gens Q (Schweißstrom I, Schweißspannung
U, Vorschub vs) des Schweißverfahrens (WIG,
MAG usw.), der Biegegeschwindigkeit und
vor allem der chemischen Zusammensetzung
von Grund- und Zusatzwerkstoff erfasst.
Anwendungsgrenzen
Der MVT-Test erlaubt eine schnelle und wirt-
schaftliche Prüfung der ganzen Schweißver-
bindung, die aus Schweißgut, Wärmeein-
flusszone und Grundwerkstoff besteht.
Bild 6-7
Der Implant-Test.
a) Querschnitt durch die Implantprobe und die Einschweißplatte nach dem Versuch,
b) Querschliff einer nichtgebrochenen Implantprobe mit Wendelkerbe. Die Wendelkerbe an der Schmelzlinie
ist mit einem Pfeil gekennzeichnet, nach V. Neumann, BAM.
584 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
– dem Implantprüfstand, bestehend aus der Bricht die Probe nicht während der Belas-
Belastungsvorrichtung, dem Messwertauf- tungszeit, kann die Probe auch auf Unternaht-
nehmer und der Schweißvorrichtung, risse (wasserstoffinduzierte Kaltrisse) ge-
– den Schweißzusatzwerkstoffen und Hilfs- prüft werden. Dazu wird die Probe zum Sicht-
stoffen, einschließlich ihrer Vorbehand- barmachen der Risse bei Temperaturen zwi-
lung, der Methode zum Bestimmen des schen 250 C und 300 C in oxidierender At-
Wasserstoffgehalts des Schweißguts, der mosphäre geglüht und anschließend metal-
Gehalte der Schweißgüter an diffusiblem lografisch untersucht.
Wasserstoff und
– den Proben einschließlich deren Herstel- Bei der Prüfung der Implantprobe erfolgt
lung und der Geometrie der Proben und die Ermittlung des Kaltrissverhaltens im Zu-
der Einschweißplatten und der Beanspru- sammenwirken mit der thermischen (durch
chung der Implantproben. das Schweißen), mit der chemischen (Einbrin-
gen des Wasserstoffs) und der mechanischen
Das Prinzip des Implantversuchs zeigt Bild (durch die konstante Zugkraft) Beanspru-
6-7. Die Rundprobe mit umlaufendem V-Kerb chung.
(Durchmesser 8 mm, Kerböffnungswinkel
40 , Kerbgrundradius 0,5 mm) wird in die Die mechanische Beanspruchung der Im-
Bohrung bündig zur Oberfläche der Ein- plantproben wird als Nettonennspannung
schweißplatte gesteckt und mit einer Auftrag- angegeben. Ihre Größe ist durch die Größe
raupe überschweißt. Nach dem Schweißen der Prüflast und durch den Kerbquerschnitt
wird die Probe mit einer konstanten Zug- gegeben. Berücksichtigt ist dabei die Aus-
kraft belastet, Bild 6-8. Festgestellt wird der wirkung des kerbbedingten Mehrachsigkeits-
Brucheintritt oder eine Anrissbildung. grades des Spannungszustandes, der stark
vom Kerbgrundradius der Wendelkerbe oder
Während des Versuchs werden die Schweiß- Ringnutkerbe abhängt. Nach Neumann lie-
parameter (U, I, v), der zeitliche Verlauf der gen in der Implantprobe drei verschiedene
Temperatur im Schweißgut, in der WEZ und Kerbfälle vor, und zwar:
der Belastung der Probe registriert, Bild 6-8. – Am Übergang von der Probe in die Ein-
Wird als Beurteilungskriterium der erste An- schweißplatte an der Schmelzlinie, Bild
riss in der Implantprobe angesehen, so kann 6-7b,
dieser an einem metallografischen Schliff – an der Ring- oder Wendelkerbe und
durch die Längsachse der Probe nach dem – am Übergang zur Schmelzlinie durch das
Versuch, Bild 6-7, mit einem empfindlichem Zusammenwirken von Ring- oder Wen-
Dehnungsmesser oder mit Hilfe der Schall- delkerbe. Dieser Bereich stellt eine extre-
emissionsanalyseverfahren während des Ver- me metallurgische und mechanische Ker-
suchs nachgewiesen werden. be dar.
Tmax N
Als Maßstab zur Kennzeichnung eines kerb-
bedingten Mehrachsigkeitsgrades des Span-
Last F
°C
Temperatur T
150
100
Eine Möglichkeit der Charakterisierung der
t 8/5
Kaltrissanfälligkeit von Schweißverbindun-
Bruchzeit
gen ist die Ermittlung einer kritischen Span-
Bild 6-8 nung, unterhalb der die Probe nicht mehr
Implant-Test, zeitlicher Versuchsablauf, Schweißen bricht. Diese wird auch als statische Ermü-
– Lastaufbringung – Versuchszeit, nach Düren. dungsgrenze« bezeichnet. Hierbei sind die
Abschn. 6.2: Prüfung auf Kaltrissanfälligkeit 585
Vorwärmtemperatur ° C
160
Bild 6-9
Einfluss der Beanspruchung auf die Bruchzeit von
Implantproben aus einem Feinkornbaustahl StE 460 für
unterschiedliche Wasserstoffgehalte im Schweißgut,
nach V. Neumann, BAM.
Verhalten geschweißter Bauteile, weil der Temperatur (Nil Ductility Transition), ermit-
Größeneinfluss nicht erfaßbar ist. Hierfür telt, die als Werkstoffkenngröße eines Grenz-
sind Bauteilversuche an Großproben bes- temperatur-Versagenskonzeptes für Sicher-
ser geeignet. heit gegen Rissauffangen (Rissauffankonzept)
– Die Einstellung des Gefüges der WEZ dient.
ergibt sich aus der Streckenenergie und
den Bedingungen der Abkühlung, die mit Das Rissauffangkonzept begründet sich in
dem Kennwert t8/5 beschrieben wird. Die der Vorstellung, dass die Werkstoffzähigkeit
Menge des kaltrissbegünstigenden Mar- oder die der Schweißverbindung entspre-
tensits lässt sich unter Berücksichtigung chend groß sein muss, um einen instabil fort-
von t8/5 und der chemischen Zusammen- schreitenden Riss auffangen zu können. Das
setzung des Werkstoffs aus seinem konti- Rissauffangvermögen eines Werkstoffs ist
nuierlichen ZTU-Schaubild (Abschn. 2.5.3) besonders bedeutungsvoll für druckführen-
abschätzen. Die Eigenspannungen sind de Umschließungen, z. B. Rohre und Behäl-
bisher nicht berücksichtigt worden, sie ter mit Gas oder Flüssigkeit unter hohem
werden von der angelegten Zugspannung Druck, weil dadurch eine zusätzliche Be-
überlagert. triebssicherheit für den Fall eines sich aus-
breitenden Risses durch Rissauffangen (Riss-
Bei den eigenbeanspruchenden Kaltriss- stopp) gegeben ist.
tests gibt es strenggenommen nur Riss
oder Nichtriss in der Naht als Beurteilungs- Die Prüfung erfolgt an Flachproben (Abmes-
kriterium und keine Aussage über den sungen: 130 x 50 x 13 ... 25 mm) mit einsei-
Einfluss der Beanspruchungsgrößen. Auf tig aufgebrachter Auftragschweißraupe, die
diese weniger aussagefähigen selbstbe- quer zur Schweißrichtung mit einem Säge-
anspruchenden Verfahren wird deshalb schnitt gekerbt ist, Bild 6-14.
nicht näher eingegangen.
Der Sägeschnitt dient als »Rissstarter« vom
spröden Schweißgut aus. Die Prüfeinrich-
6.2.2 Der Pellini-Versuch tung besteht aus einem 3-Punkt-Biegetisch
mit einem die Durchbiegung begrenzenden
Der Fallgewichtsversuch (Drop-Weight- eingebauten Gegenlager, das eine definier-
Test) nach Pellini eignet sich zum Zähigkeits- te Durchbiegung der Probe zulässt, die so
nachweis dynamisch beanspruchter Konstruk- groß ist, dass an der Randfaser des Flach-
tionen und von Stumpfnahtschweißverbin- stückes die Streckgrenze gerade überschrit-
dungen mit Blechdicken über 13 mm. Mit die- ten wird. Die Energie wird mit einem Fall-
ser Prüfung wird eine Grenztemperatur, NDT- hammer zugeführt. Ihre Größe ist aus der
Abschn. 6.3: Der Kerbschlagbiegeversuch (DIN EN 10045) 587
Masse des Fallgewichts (25 bis 50 kg) und Das Verfahren ist in den Regelwerken
der Fallhöhe mit Hilfe des Fallgesetzes zu – ASTM E 208a,
berechnen und an die Streckgrenze (Re, Rp) – SEP 1325 und
des zu prüfenden Werkstoffs anzupassen. – VdTÜV-Merkblatt Werkstoffe 1256-07.80
Durch Prüfung bei verschiedenen Tempera- genannt.
turen wird die NDT-Temperatur erhalten,
das ist die Temperatur, bei der der von der Die Anwendung des Verfahrens dient zur:
gekerbten Schweißraupe ausgehende Riss – Qualitätssicherung und zum Zähigkeits-
vom Werkstoff nicht mehr aufgefangen wird nachweis von schweißgeeigneten Bau-
und die Probe noch bricht. stählen mit Hilfe der NDT-Temperatur,
die bis auf 3 K ermittelbar ist,
Kriterium für ihre Festlegung ist, dass zwei – Entwicklung und zur Erforschung des
weitere Proben des gleichen Werkstoffs bei Rissauffangvermögens von ferritischen
einer um 5 K höheren Prüftemperatur nicht Stählen.
brechen.
Abschließend ist festzuhalten, dass das Pel-
Im Rissauffang-Versagenskonzept kennzeich- lini-Prüfverfahren sehr wirtschaftlich ist,
net die NDT-Temperatur eine Grenztempe- das Ergebnis aber nur eine Ja-Nein-Entschei-
ratur, also einen Grenzzustand, bei dem klei- dung zulässt.
ne Risse bei einer Beanspruchung von sN L Re
und große Risse bei sN L 0,1 Re gerade noch
aufgefangen werden, wie aus dem Bruch- 6.3 Der Kerbschlagbiegeversuch
analysediagramm (FAD) nach Pellini hervor- (DIN EN 10045)
geht. Zu beachten ist dabei, dass die Rissauf-
fangtemperatur nicht nur von der Höhe der Die Prüfung erfolgt an speziell gekerbten
Nennspannung, sondern auch von der elas- Biegeproben, vorwiegend aus Baustahl, mit
tischen Energie des Bauteils, gegebenenfalls schlagartiger Beanspruchung, die mit Hilfe
auch vom Druckmedium abhängt. eines genormten Pendelschlagwerkes aufge-
bracht wird. Dabei wird die zur Erzeugung
Schweißraupe Sägeschnitt
des Bruches der Kerbschlagbiegeprobe ver-
19 ± 0,2
geben.
Auflage
R0,25
10
Z
D
überschüssige Arbeit
W
F ¹ h1 F ¹ L ¹ (1 cos b ) bezeichnet.
Kerbtiefe N
45°
Breite Aü
55
b
VHS a/b
(Pressschweißnaht)
b
a
RL
Dicke
VWS a/b
b
a
VHS a/b
RL (Schmelzschweißnaht)
RL
b
b
b
b
a a
b
a a
RL RL
Die Bezeichnung basiert auf einem System, das aus Buchsta- 3. Zeichen
ben für die Art, Lage und Kerbrichtung und Ziffern besteht, die S = gekerbte Fläche parallel zur Oberfläche (entspricht der bei der bruchme-
den Abstand (mm) zu den Bezugslinien (RL) angeben. Die Pro- chanischen Prüfung benutzten Benennung »Oberflächenkerbe«)
ben sind so aus der Schweißverbindung zu entnehmen, dass T = Kerbe durch die Dicke
ihre Längsachsen rechtwinklig zur Schweißnahtlänge verlaufen. 4. Zeichen
Die Bezeichnung besteht aus den folgenden Zeichen: a = Abstand Kerbmitte von Bezugslinie (wenn a auf Mittellinie der Schweißnaht
1. Zeichen liegt, ist a = 0 und sollte aufgezeichnet werden)
U = Charpy -U-Kerbe 5. Zeichen
V = Charpy -V-Kerbe b = Abstand zwischen Oberseite der Schweißverbindung (bei Doppel-V, K-
2. Zeichen oder ähnlichen Schweißnähten ist die Oberseite die mit der größeren Naht-
W = Kerbe im Schweißgut (Bezugslinie ist Mittellinie der breite) zur nächstgelegenen Oberfläche der Probe (wenn b auf der Ober-
Schweißnaht an der Probenlage) fläche der Schweißnaht liegt, ist b = 0 und sollte aufgezeichnet werden)
H = Kerbe in der WEZ (Bezugslinie ist die Schmelzlinie)
Bild 6-17
Probennahme, Probenlage und Probenbezeichnung, aus schmelzgeschweißter Stumpfnaht nach DIN EN 875.
Abschn. 6.4: Der instrumentierte Kerbschlagbiegeversuch 591
probe) im AS -T-Diagramm ist unzweck- ben aus der HS-Lage zu entnehmen, liefert
mäßig, weil die Arbeitsbeträge zu unter- nur eine bedingt brauchbare Kerbschlagzä-
schiedlich sind. Bei der Auftragung als higkeit der WEZ.
ak-T-Diagramm wird der Größeneinfluss
z. T. unterdrückt, die Übergangstempe- Mehr Informationen über das lokale Werk-
raturen sind jedoch unterschiedlich. Des- stoffwiderstandsverhalten der WEZ wird mit
halb ist eine Übertragung von an Proben Hilfe einer metallografischen Gefügeunter-
gemessenen Übergangstemperaturen auf suchung im Bereich des Bruchausgangs er-
Bauteile zur Festlegung einer niedrigsten halten. Diese Methode ist aber meistens nur
Betriebstemperatur nicht möglich. für Forschungszwecke üblich.
– Prüfverfahren (DIN, ASTM und ISO)
Der Einfluss des Prüfverfahrens beruht Zusammenfassend ist festzustellen, dass mit
auf der unterschiedlichen Ausbildung der Hilfe des Kerbschlagbiegeversuches die Zä-
Hammerschneide, der Hammerscheibe higkeit der WEZ ermittelt werden kann. Die
und auf der unterschiedlichen Auftreffge- Ergebnisse beschreiben aber nicht allgemein
schwindigkeit der Hammerscheibe, die das WEZ-Verhalten, sondern sie sind abhän-
5,5 m/s (DIN) und 5,1 m/s (ASTM) beträgt. gig von:
Die Folge ist, dass im Vergleich zu ISO-Ver- – der Lage des Kerbgrundes in der WEZ,
fahren beim ASTM-Verfahren oberhalb von längs oder quer zur Schweißnaht (VWT-
60 J höhere AS-Werte gemessen werden. VWS-Lage),
– der Lage des Kerbgrundes in der WEZ,
Prüfung von Proben mit Schweißnaht ob in einem Grobkornzonen- oder Feinkorn-
Die Ergebnisse des Kerbschlagbiegeversuchs zonenbereich (Abstand von der Schmelz-
eignen sich vor allem für die Überwachung linie),
der Herstellung von Schweißverbindungen – der Breite der WEZ, wenn von den schweiß-
sowie für die Beurteilung von abnahme- technischen Einflüssen (Schweißverfah-
pflichtigen geschweißten Bauteilen für druck- ren, Lagenaufbau, Einstellwerte) abgese-
führende Umschließungen. Dazu ist die hen wird.
Probennahme aus dem Schweißgut, WEZ
und Grundwerkstoff erforderlich, die in DIN
EN 875 festgelegt ist, Bild 6-17. 6.4 Der instrumentierte
Kerbschlagbiegeversuch
Zur Qualitätssicherung von Mehrlagen-
schweißungen ist die Probennahme mit Kerb Zum Beurteilen des Verformungs- und Bruch-
in der S-Lage zu bevorzugen. Bei Einlagen- verhaltens, besonders bei teilplastischer Ver-
schweißungen (z. B. UP- oder Elektroschlacke- formung, aber auch bei plastischer Verfor-
schweißungen) ist das Ergebnis von der Lage mung im Temperaturbereich des Steilab-
des Kerbes (Nahtmitte, Nahtrand) abhängig. falls, ist es von Interesse, den Arbeitsanteil
Bei der häufig verwendeten Anordnung des bei der Risseinleitung und Rissausbreitung
Kerbgrundes in der WEZ ist das Gefüge der getrennt zu erfassen. Das ist mit dem instru-
WEZ und damit auch die Kerbschlagarbeit mentierten Kerbschlagbiegeversuch mög-
an jeder Stelle verschieden. Bei Mehrlagen- lich.
schweißungen gibt es Bereiche, die mehr-
mals umgekörnt worden sind, aber auch sol- Die Prüfung unterscheidet sich von dem Kerb-
che, wo nur Grobkorn (Grobkornzwickel) vor- schlagbiegeversuch nach DIN EN 10045 nur
liegt, Bild 6-17. Problematisch wird die Pro- dadurch, dass mit einer Instrumentierung
bennahme aus Stumpfnähten unter 30 mm der Prüfeinrichtung während des Versuchs
Dicke, weil meist nur eine Probe in WS-La- die Kraft-Zeit oder Kraft-Durchbiegung (Weg)
ge herausgearbeitet werden kann. Bei Stumpf- von Kerbschlagbiegeproben registriert wer-
nähten unter 12 mm Dicke mit einer U-, V- den können, Bild 6-18.
oder X-Nahtvorbereitung ist dies nicht mehr
möglich. Die alternative Möglichkeit, Pro- Die Instrumentierung der Versuchseinrich-
592 Kapitel 6: Anhang (spezielle Werkstoffprüfverfahren)
tung als Blockschaltbild ist in Bild 6-19 dar- Temperaturbereich II, T > Tgy, Über-
gestellt. Während des Versuchs wird die gang von Tieflage zum Steilabfall, Kraft-
Kraft in Abhängigkeit von der Zeit gemes- Weg-Kurve kennzeichnet die dynamische
sen. Die Schlagkraftmessung erfolgt mit Deh- Fließkraft Fgy, Kraft bei Erreichen der
nungsmessstreifen (DMS) an der als Dyna- Vollplastifizierung des Restquerschnitts
mometer ausgebildeten Hammerschneide, (Ligament) und die Maximalkraft Fm Fu,
die bis zu 40 kN kalibriert ist. Die Registrie- Bildung eines stabilen Anrisses vom Kerb-
rung erlaubt die Erfassung der bis in den Ps- grund aus, Spaltbruch.
Bereich reichenden dynamischen Vorgänge
beim Bruch, wobei die Bruchvorgänge von Temperaturbereich III, T ! Ti, Steilab-
denen der Prüfeinrichtung nur schwer zu un- fall, Kraft-Weg-Kurve kennzeichnet Fgy,
terscheiden sind. Fm, Fu und Fa, Bild 6-19,
Fu: Beginn der stabilen Rissausbreitung,
Fm
16
Fa: Rissauffangkraft, Verformungsbruch
Fu
nach Auffangen des von Fu ausgegange-
Kraft
Bild 6-19
Ergebnisse von Kerbschlagbiegeversuchen mit instrumentierter Prüfeinrichtung an Charpy-V-Proben aus
einem C-Stahl in der Auftragung über der Temperatur. Kennzeichnung charakteristischer Temperaturberei-
che I, II, III, IV, und Zuordnung von Brucherscheinungen zusammen mit den Kraft-Weg-Diagrammen, nach
Helms, BAM.
– die Fließspannung sgy und die Bruchspan- tung erst nach makroskopisch messbarer
nung sf, die mit Hilfe des Ansatzes der plastischer Verformung an der Rissspitze ein-
elementaren Biegebalkentheorie für elasti- setzt. Das Konzept basiert auf dem Dugdale-
sches und plastisches Werkstoffverhalten Modell.
berechnet wurden, gemäß:
Der Bruchparameter, die Rissöffnungsver-
Ff (T ) ◊ S schiebung, engl. Crack Opening Displace-
sf = für T > Ti
B ◊ ÈÎW - ( a + as ) ˘˚
2
ment (COD), ist eine Länge (Verschiebung),
eine Grundgröße im physikalischen Maßsys-
für T < Ti ist as 0 und tem.
6.5 Das COD-Konzept von Als Basis des COD-Konzeptes für den An-
Cottrell und Wells wendungsbereich der linear-plastischen
Bruchmechanik (LPBM) (sy sy) dient die in
Die Rissspitzenöffnungsverschiebung d als Bild 6-20 dargestellte Rissspitzensituation:
Bruchparameter dient hier zum Beurteilen
sy Rp0,2 oder ReL.
des Sprödbruchversagens von rissbehafteten
Strukturen, bei denen instabile Rissausbrei- Für eine Zugscheibe mit Innenriss ergibt
Abschn. 6.5: Das COD-Konzept von Cottrell und Wells 595
D a
Berücksichtigung der plastischen Zonenkor- kein Versagen
rektur nach Irwin:
COD, d
4 ⋅σ ∞ ⋅ a
CODmax = 2 v =
E
und für die Rissspitzenöffnungsverschie-
Versagen
bung
di Kerbfläche
4σ∞ 4 K2
CTOD = 2 a rpl = π ⋅ . Schwingungsrissfläche
E Eσ y Beginn Rissfläche des stabilen Rissfortschritts
Restbruchfläche
Die Schwierigkeiten in der Anwendung des
COD-Konzeptes bestehen sowohl in der stabiler Rissfortschritt D a
Q X
CTOD = d
a r pl r pl
a eff = a + r pl
Bild 6-20
Rissspitzenöffnungsverschiebung (CTOD).
6.6 Schrifttum
ASTM E 208a: Fallgewichtsprüfung zur Be- DVS-Berichte, Band 168: Sicherung der Gü-
stimmung der Nil-Ductility-Temperature te von Schweißverbindungen im Europäi-
(höchste Temperatur, bei der eine Probe von schen Binnenmarkt, 1995.
dem Fallgewicht noch gebrochen wird) für Teil 1: Grundlagen und Vorgehensweise, 1982.
ferritische Stähle, 1995. Teil 2: Praktische Anwendung, 1989.
Symbole