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Friedrich Ostermann

Anwendungstechnologie Aluminium
Friedrich Ostermann

Anwendungstechnologie
Aluminium

2., neu bearbeitete und aktualisierte Auflage

Mit 577 Abbildungen und 111 Tabellen

123
Professor Dr.-Ing. Friedrich Ostermann
Aluminium Technologie-Service, Meckenheim
ostermann@aluminiumtechnologie.de

Autor und Verlag danken der TRIMET ALUMINIUM AG, Essen, für die Unterstützung der
Drucklegung dieses Buches.

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ISBN 978-3-540-71196-4 2. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York


ISBN 3-540-62706-5 1. Auflage Springer Berlin Heidelberg New York

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Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg
Gedruckt auf säurefreiem Papier 68/3180/YL – 5 4 3 2 1 0
Vorwort zur 2. Auflage

Seit dem Erscheinen der 1. Auflage von ANWENDUNGSTECHNOLOGIE


ALUMINIUM im Jahre 1998 haben sich zahlreiche Entwicklungen in der
Aluminiumkunde und Anwendungsforschung, im Einsatz des Werkstoffs
und im wirtschaftlichen Umfeld der Hersteller und Verarbeiter vollzogen,
denen bei der Neuauflage des Buches Rechnung getragen werden soll.
Gleichzeitig bietet der kritische Rückblick auf die damalige Themenaus-
wahl die Möglichkeit, die Schwerpunkte an den sichtbar gewordenen Ent-
wicklungstrends neu auszurichten.
Einerseits haben sich durch die Forderungen aus der Anwendungspraxis,
aber auch durch die Weiterentwicklung von wissenschaftlichen Methoden
und theoretischen Erkenntnissen in jüngster Zeit neue Einsichten und Per-
spektiven bei den Aushärtungsprozessen ergeben, die als wohl die wich-
tigste metallurgische Grundlage für Aluminiumkonstruktionswerkstoffe
anzusehen sind, und deren Entdeckung vor genau 100 Jahren von Alfred
Wilm patentiert wurde. In der Anwendungsforschung werden Konzepte für
die Vorhersage des Verhaltens unter Crash-Bedingungen und Schwingbe-
anspruchung entwickelt, die zunehmend die metallphysikalischen Basis-
prozesse des plastischen Fließens und Bruchs einschließen. Daher wurde
den metallkundlichen Prozessen ein breiterer Raum eingeräumt in der Ab-
sicht, durch verständliche Beschreibung die z.T. sehr komplexen Vorgänge
im Werkstoff für den mit Anwendungsentwicklungen befaßten Werkstoff-
ingenieur zugänglich zu machen. Im Vordergrund steht eine möglichst um-
fassende Dokumentation der beobachteten Phänomene des Werkstoffver-
haltens und weniger dessen rechnerische Simulation, die anderen Werken*
vorbehalten sein mögen. Berechnungskonzepte sind nur dann wirklich zu-
verlässig, wenn sie mit den metallphysikalischen Vorgängen in Einklang
stehen.
Andererseits ist in den vergangenen Jahren die Akzeptanz des Alumi-
niums als Leichtbauwerkstoff für den Fahrzeugbau so weit gestiegen, daß
jeder Automobilhersteller heute Teile, Baugruppen oder vollständige Ka-

*)
z.B. Hirsch, J. (Hrg.): Virtual Fabrication of Aluminium Products. Microstruc-
tural Modeling in Industrial Aluminium Production. Weinheim: Wiley-VCH
Verlag, 2006
VI Vorwort zur 2. Auflage

rosserien aus diesem Werkstoff baut, ohne dessen generelle Tauglichkeit


mehr in Frage zu stellen. Die gewonnenen Erfahrungen und das Interesse
der Automobilindustrie sind deshalb auch die treibende Kraft für zahlrei-
che Entwicklungen und Innovationen in den Verarbeitungstechnologien,
eine Rolle, die früher vor allem von der Luft- und Raumfahrtindustrie
wahrgenommen wurde. Hinter all diesen Entwicklungen steht die Frage
nach der Wirtschaftlichkeit solcher Anwendungen in einem wettbewerbs-
orientierten Markt, d.h. die Senkung der Verarbeitungskosten durch intel-
ligente Vermeidung unnötiger Verarbeitungsschritte. Auch dieser Lö-
sungsweg verlangt nach detaillierten Kenntnissen des Werkstoffverhaltens,
das in der Beschreibung technologischer Verarbeitungsprozesse gegenüber
der 1. Auflage des Buches stärker betont wird.
Sorge bereitet die Kontinuität innovationsträchtiger Forschungs- und
Entwicklungsarbeit. In jüngster Zeit hat sich ein struktureller Wandel in
der deutschen Aluminiumindustrie eingestellt mit problematischen Folgen
für Forschung und Innovation und damit letztlich für die Zukunft der Alu-
miniumindustrie in Deutschland. Mengenmäßig ist der deutsche Alumini-
ummarkt der größte in Europa und erreicht technologisch die größte Verar-
beitungstiefe. Um so besorgniserregender ist der Umstand, daß die Indu-
strie- und Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahre bis in die Gegenwart
zu einem Ausverkauf der Aluminiumhüttenindustrie geführt hat, die Initia-
tor und wichtigster Förderer der Aluminiumforschung und Anwendungs-
entwicklung in diesem Lande war. Die Wertschöpfung in der Primärerzeu-
gung war immer die wichtigste finanzielle Grundlage für die Alu-
miniumforschung. Mit der Übernahme der nationalen Aluminiumkonzerne
durch ausländische Konzerne wandert die industriedominierte Aluminium-
forschung als Quelle von Innovationen ab oder wird durch ausländische
Forschungszentralen fremdgesteuert. Die notwendige Nähe des Forschers
zum Anwender schwindet. Die für diesen Industriestandort fatale Ener-
giepolitik in Vergangenheit und Gegenwart hat das Schließen zahlreicher
Aluminiumhütten zu verantworten. Um so beachtenswerter ist die jüngste
Initiative eines Privatunternehmers, eine bereits geschlossene Aluminium-
hütte zu übernehmen und weiter zu betreiben.
Die Rolle der Primärhütten kann durch die Sekundärhüttenindustrie
nicht aufgefangen werden, die Wertschöpfung ist geringer und die Versor-
gungsbasis zu volatil. Ob ohne direkte und kontinuierliche Industriebetei-
ligung die Aluminiumforschung an den Hochschulen und anderen For-
schungseinrichtungen aufgefangen werden kann, ist zweifelhaft, da die
Kontinuität von Wissen und Erfahrung dort nicht gewährleistet werden
kann. Ein Ausweg wäre ein ausschließlich der Aluminiumforschung und -
lehre gewidmeter Lehrstuhl. Zu denken gibt weiterhin, daß schon heute die
aktive Beteiligung von Aluminiumfachleuten an der Steuerung der
nationalen Industriellen Gemeinschaftsforschung und der internationalen
Vorwort zur 2. Auflage VII

nalen Industriellen Gemeinschaftsforschung und der internationalen Nor-


mungsarbeit alles andere als lebhaft ist, und dadurch weder die eigenen Er-
fahrungen eingebracht noch die eigenen Interessen vertreten werden kön-
nen. Es ist zu hoffen, daß die mittelständische Aluminiumindustrie diese
Rolle als gemeinschaftliche Aufgabe zur Zukunftssicherung übernimmt.

Ich hoffe, daß das Buch dazu beiträgt, über den fachlichen Diskurs hin-
aus die Faszination der Beschäftigung mit diesem Werkstoff auf Lehrende,
Lernende und im Beruf stehende Ingenieure auszustrahlen. Das Potential
des Werkstoffs ist keineswegs ausgeschöpft, und phantasievolle Kreativi-
tät, Nutzung und Fortentwicklung der Aluminium-Anwendungstechnolo-
gien werden den Erfolg bei heutigen und künftigen Produkten gewährlei-
sten.

Mein herzlicher Dank gilt allen Kolleginnen und Kollegen, die durch In-
formationen, Diskussionen und Bildmaterial zu diesem Buch beigetragen
haben, Herrn Gerd Bulian für das fachkritische Lesen des Manuskriptes
sowie meiner Frau für ihre Geduld, Ermutigung und liebevolle Unter-
stützung.

Meckenheim, im Januar 2007 Friedrich Ostermann


Inhalt

Tabellenverzeichnis................................................................ XVII

1 Einführung...................................................................... 1
1.1 Der Wettbewerb der Werkstoffe in den Märkten ....................... 1
1.2 Innovationsgrundlagen .................................................... 3

2 Märkte und Anwendungen ................................................... 9


2.1 Aluminium im Automobilbau ............................................ 10
2.1.1 Aluminium im Antriebsbereich .................................. 13
2.1.2 Aluminium im Fahrwerksbereich ................................ 22
2.1.3 Aluminium im Karosseriebau .................................... 27
2.2 Aluminium im Nutzfahrzeugbau ......................................... 41
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau .................................... 46
2.3.1 Entwicklung aluminiumgerechter Baukonzepte ................ 47
2.3.2 Aluminiumwerkstoffe für die Schienenfahrzeugbau ........... 51
2.3.3 Schweißverbindungen im Schienenfahrzeugbau ............... 53
2.4 Aluminium im Schiffbau.................................................. 58
2.5 Aluminium im Flugzeugbau .............................................. 61
2.6 Architektur und Ingenieurbau ............................................ 67
2.7 Sonstige Anwendungsmärkte............................................. 72
2.7.1 Maschinen-, Apparate- und Werkzeugbau ...................... 72
2.7.2 Elektrotechnik ..................................................... 74
2.7.3 Verpackung ........................................................ 75

3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen ......................... 79


3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffe............................. 80
3.1.1 Gefügematrix ...................................................... 80
3.1.2 Gitterfehler ......................................................... 83
3.1.3 Korngrenzen ....................................................... 91
3.1.4 Mischkristallbildung .............................................. 94
3.1.5 Primärphasen (Gußphasen) ....................................... 100
3.1.6 Sekundärphasen ................................................... 100
3.1.7 Warmverformungs-, Faser-, Erholungs-
und Rekristallisationsgefüge ..................................... 110
3.1.8 Poren................................................................ 111
3.1.9 Oxideinschlüsse ................................................... 112
3.2 Aufbau und Wärmebehandlung der Knetwerkstoffe ................... 112
X Inhalt

3.2.1 Unlegiertes Aluminium ........................................... 113


3.2.2 AlMn-Legierungen ................................................ 115
3.2.3 AlMg(Mn)-Legierungen .......................................... 117
3.2.4 AlCu(Mg,Si)-Legierungen........................................ 131
3.2.5 AlMgSi-Legierungen.............................................. 138
3.2.6 AlZnMg(Cu)-Legierungen........................................ 157
3.2.7 Sonstige Knetlegierungen......................................... 168
3.2.8 Durchführung von Wärmebehandlungen ........................ 170
3.3 Legierungsaufbau und Wärmebehandlung von Gußlegierungen ..... 185
3.3.1 Schmelze und Schmelzereinigung ............................... 186
3.3.2 Erstarrungsvorgang (Kristallisation) ............................. 189
3.3.3 Erstarrungsfehler .................................................. 196
3.3.4 Fließ- und Formfüllungsvermögen............................... 200
3.3.5 Aluminium-Gußlegierungen...................................... 201
3.3.6 Verarbeitungs- und Anwendungshinweise ...................... 207
3.3.7 Gießgerechte Gestaltung .......................................... 209
3.4 Einführung in die Normen über Aluminiumlegierungen ............... 209
3.4.1 Einführung in die Bezeichnungssysteme der Aluminium-
werkstoffe .......................................................... 210
3.4.2 Bezeichnungssystem für Knetlegierungen und deren
Werkstoffzustände................................................. 212
3.4.3 Bezeichnungssystem für Formgußlegierungen, Gießver-
fahren und für die Werkstoffzustände von Formgußteilen .... 215
3.4.4 Halbzeugnormen................................................... 218
3.4.5 Garantierte und typische Eigenschaften ......................... 218
3.4.6 Legierungsauswahl – frei oder eingeschränkt?.................. 220

4 Physikalische Eigenschaften.................................................. 221


4.1 Physikalischen Eigenschaften des Aluminiums......................... 221
4.1.1 Dichte............................................................... 222
4.1.2 Elektrische Leitfähigkeit .......................................... 223
4.1.3 Magnetische Eigenschaften....................................... 223
4.1.4 Wärmeleitfähigkeit ................................................ 223
4.1.5 Reflexions- und Emissionseigenschaften........................ 224
4.2 Physikalische Eigenschaften von Aluminiumoxid...................... 225

5 Korrosionsverhalten von Aluminium ....................................... 227


5.1 Allgemeine Grundlagen ................................................... 227
5.1.1 Einflüsse auf das Korrosionsverhalten........................... 228
5.1.2 Korrosionsverhalten von Aluminium in Freibewitterung
und Meerwasser.................................................... 229
5.2 Oxidschicht und Korrosionsmechanismus des Aluminiums .......... 232
5.2.1 Aufbau und Bedeutung der Oxidschicht......................... 232
5.2.2 Verstärkung der natürlichen Oxidschicht........................ 234
5.2.3 Beständigkeit der Oxidschicht.................................... 234
5.2.4 Korrosionsmechanismus .......................................... 236
Inhalt XI

5.2.4 Freie und kritische Korrosionspotentiale ........................ 238


5.2.5 Stromdichte-Potentialkurven ..................................... 241
5.3 Einfluß der Legierungselemente ......................................... 242
5.3.1 Bedeutung der Gefügestruktur ................................... 242
5.3.2 Korrosionsbeständigkeit .......................................... 243
5.4 Erscheinungsformen der Korrosion bei Aluminium und seinen
Legierungen ................................................................ 246
5.4.1 Lochkorrosion (LK) ............................................... 246
5.4.2 Selektive Korrosion (SK) ......................................... 248
5.4.3 Spannungsrißkorrosion (SpRK) .................................. 252
5.4.4 Interkristalline Korrosion unter Spannung ...................... 255
5.4.5 Spaltkorrosion ..................................................... 256
5.4.6 Kontaktkorrosion .................................................. 258
5.4.7 Korrosionsermüdung .............................................. 263
5.4.8 Reibkorrosion ...................................................... 271
5.4.9 Filiformkorrosion.................................................. 272
5.5 Beispiele für korrosionsgerechtes Konstruieren ........................ 272

6 Mechanische Eigenschaften .................................................. 279


6.1 Statische mechanische Kennwerte ....................................... 280
6.2 Fließkurve, Verfestigung, Anisotropie, Verformbarkeit ............... 286
6.3 Bruchvorgang und Bruchverhalten....................................... 298
6.4 Schwingfestigkeitsverhalten von Aluminiumwerkstoffen ............. 318
6.4.1 Phänomenologie der Ermüdungsschädigung.................... 321
6.4.2 Zyklisches Spannungs-Dehnungsverhalten ..................... 334
6.4.3 Rißfortschrittsverhalten ........................................... 337
6.4.4 Dehnungs-Wöhlerkurve (ε/N-Kurve)............................ 344
6.4.5 Spannungs-Wöhlerkurve (S/N-Kurve) .......................... 350
6.4.6 Langzeitfestigkeit („Dauerfestigkeit“) von Aluminium-
werkstoffen......................................................... 353
6.4.7 Mittelspannungsempfindlichkeit ................................. 355
6.4.8 Einfluß von Kerben auf die Schwingfestigkeit ................. 359
6.4.9 Wirkung von Eigenspannungen auf die Schwing-
festigkeit............................................................ 364
6.5 Einfluß hoher Dehngeschwindigkeit..................................... 368
6.6 Verhalten bei unterschiedlichen Temperaturen ......................... 376
6.6.1 Elastizitätsmodul bei unterschiedlichen Temperaturen ........ 377
6.6.2 Mechanische Eigenschaften bei tiefen Temperaturen .......... 378
6.6.3 Mechanische Eigenschaften bei höheren Temperaturen ....... 380
6.6.4 Umformbarkeitseigenschaften bei höheren Temperaturen..... 384
6.7 Einfluß des Spannungszustands .......................................... 388
6.7.1 Fließbedingungen (Fließhypothesen) ............................ 388
6.7.2 Fließortkurven ..................................................... 391
6.7.3 Grenzformänderung bei ebenem Spannungszustand ........... 394
6.7.4 Einfluß der Mehrachsigkeit auf die Duktilität .................. 397
XII Inhalt

7 Gießverfahren .................................................................. 399


7.1 Stranggießverfahren ....................................................... 399
7.2 Formgießverfahren ........................................................ 402
7.3 Vergleich der Formgießverfahren ........................................ 419

8 Walzen ........................................................................... 423


8.1 Walzprozeß................................................................. 423
8.2 Qualitätsmerkmale von Warm- und Kaltwalzblechen .................. 425
8.3 Oberflächenbeschichtete Walzfabrikate ................................. 430
8.4 Verbundhalbzeuge ......................................................... 432

9 Strangpressen................................................................... 435
9.1 Strangpreßverfahren ....................................................... 436
9.2 Grundformen von Profilen und Werkzeugen............................ 439
9.3 Strangpreßbarkeit von Aluminiumlegierungen ......................... 440
9.4 Prozeßkette im Strangpreßwerk .......................................... 444
9.5 Strangpreßgerechte Profil- und Werkzeuggestaltung................... 446
9.6 Gestalten von Strangpreßprofilen ........................................ 450
9.6.1 Funktionalitätsgruppen ............................................ 450
9.6.2 Konstruktionen mittels Profilverbindungen ..................... 452
9.7 Sonderverfahren des Strangpressens von Aluminium .................. 455
9.7.1 Strangpressen nach dem „Conform“-Verfahren ................ 455
9.7.2 Hydrostatisches Strangpressen ................................... 455
9.7.3 Verbundstrangpressen............................................. 456
9.7.4 Warmbiegen von Profilen beim Preßvorgang................... 456

10 Schmieden von Aluminium ................................................... 459


10.1 Prozeß des Gesenkschmiedens ........................................... 460
10.2 Schmiedegesenke .......................................................... 462
10.3 Stofffluß und Faserverlauf ................................................ 464
10.4 Schmiedelegierungen, Vormaterial, Gefüge und Arbeitsablauf ...... 467
10.5 Gestalten von Schmiedeteilen ............................................ 473

11 Kaltfließpressen von Aluminium ............................................ 475


11.1 Charakteristische Merkmale von Kaltfließpreßteilen................... 475
11.2 Aluminium für technische Fließpreßteile................................ 477
11.2.1 Vormaterial: Butzen ............................................... 477
11.2.2 Aluminiumlegierungen für das Kaltfließpressen................ 479
11.2.3 Alternative Ausgangszustände für das Kaltfließpressen ....... 481
11.3 Fließpreßverfahren......................................................... 484
11.3.1 Grundverfahren des Fließpressens ............................... 484
11.3.2 Werkzeuge für das Kaltfließpressen ............................. 487
11.3.3 Kraftbedarf beim Kaltfließpressen ............................... 487

12 Aluminiumblechumformung ................................................. 491


12.1 Werkstoffeigenschaften für die Blechumformung ...................... 492
Inhalt XIII

12.1.1 Werkstoffeigenschaften aus Zugversuchen ..................... 492


12.1.2 Werkstoffeigenschaften aus technologischen Prüfungen ...... 493
12.1.3 Biegefähigkeit ..................................................... 502
12.1.4 Rückfederung ...................................................... 509
12.1.5 Aluminiumlegierungen für Karosserieanwendungen .......... 511
12.2 Tribologisches Verhalten ................................................. 516
12.2.1 Reibungsmechanismus............................................ 516
12.2.2 Das Tribosystem Blech-Werkzeug-Schmierstoff............... 518
12.3 Scherschneiden ............................................................ 525
12.3.1 Trennvorgang beim Normalschneiden........................... 526
12.3.2 Genauschneiden ................................................... 531
12.3.3 Feinschneiden...................................................... 533

13 Sondergebiete der Umformtechnik.......................................... 535


13.1 Weiterverarbeitung von Profilen und Rohren ........................... 535
13.1.1 Biegen und Biegeverfahren....................................... 536
13.1.2 Örtliche Querschnittsänderungen ................................ 542
13.1.3 Innenhochdruckumformen........................................ 545
13.2 Halbwarmumformen ...................................................... 547
13.3 Superplastische Umformung ............................................. 549
13.3.1 Mechanismen und Werkstoffe ................................... 549
13.3.2 Verfahren der superplastischen Blechumformung.............. 552

14 Spanende Formgebung von Aluminium.................................... 555


14.1 Spanbildung ................................................................ 556
14.2 Spanformen bei Aluminiumwerkstoffen ................................ 559
14.3 Aluminiumwerkstoffe für Zerspanungszwecke ......................... 561
14.4 Zerspanbarkeit ............................................................. 564
14.5 Werkzeugverschleiß....................................................... 565
14.6 Schneidwerkstoffe für die Aluminiumzerspanung...................... 568
14.7 Kühlschmierstoffe ......................................................... 570
14.8 Oberflächen spanend bearbeiteter Al-Werkstoffe ...................... 572
14.9 Funkenerosive Bearbeitung............................................... 573

15 Oberflächenbehandlung ...................................................... 577


15.1 Reinigungsprozeß ......................................................... 579
15.2 Vorbehandlung............................................................. 582
15.3 Beschichtungen ............................................................ 583
15.3.1 Anodische Oxidation.............................................. 583
15.3.2 Metallische Beschichtungen aus wäßrigen Lösungen .......... 586
15.3.3 Verschleißfeste Oberflächen durch thermisches Spritzen...... 588
15.3.4 Beschichten mit organischen Stoffen (Lackieren) .............. 588

16 Schmelzschweißen von Aluminium ......................................... 591


16.1 Schweißeignung der Aluminiumwerkstoffe............................. 592
16.2 Eigenschaften von Aluminiumschweißverbindungen .................. 602
XIV Inhalt

16.3 Schmelzschweißverfahren für Aluminium .............................. 607


16.3.2 Strahlschweißverfahren ........................................... 616
16.4 Schweißimperfektionen ................................................... 621

17 Widerstandsschweißen ........................................................ 625


17.1 Widerstandspunktschweißen (WPS) ..................................... 625
17.1.1 Verfahrensprinzip.................................................. 625
17.1.2 Übergangswiderstände der Fügeteiloberfläche.................. 627
17.1.3 Elektrodenverschleiß und Elektrodenreinigung................. 629
17.1.4 Schweißeignung von Legierungen ............................... 630
17.1.5 Maschinen und Elektroden........................................ 630
17.1.6 Festigkeitsverhalten von Aluminium-WPS-Verbindungen .... 634
17.2 Buckelschweißen .......................................................... 636

18 Mechanisches Fügen........................................................... 639


18.1 Merkmale mechanischer Fügetechniken................................. 639
18.2 Durchsetzfügen ............................................................ 642
18.3 Nieten ....................................................................... 646
18.3.1 Vollniete............................................................ 647
18.3.2 Blindniete .......................................................... 647
18.3.3 Schließringbolzen.................................................. 648
18.3.4 Stanzniet............................................................ 649
18.4 Schraubverbindungen ..................................................... 652
18.5 Festigkeitseigenschaften mechanisch gefügter Verbindungen......... 655

19 Sonderverfahren der Fügetechnik........................................... 659


19.1 Rührreibschweißen (Friction Stir Welding / FSW) ..................... 659
19.2 Reibschweißen ............................................................. 664
19.3 Explosivschweißen ........................................................ 668
19.4 Hartlöten.................................................................... 669

20 Einführung in das Konstruieren mit Aluminium ......................... 677


20.1 Gestaltungsgrundsätze..................................................... 677
20.2 Elastizitätsmodul und Leichtbau ......................................... 680
20.3 Schweißkonstruktionen ................................................... 686
20.3.1 Grundsätze zur Gestaltung von Schweißverbindungen ........ 686
20.3.2 Eigenspannungen in Schweißverbindungen..................... 691
20.3.3 Schwingfestigkeitsnachweis von Schweißverbindungen....... 699
20.3.4 Nachbehandlung zur Schwingfestigkeitsverbesserung ......... 713

21 Sonderwerkstoffe............................................................... 717
21.1 Aluminiumpulvermetallurgie ............................................. 717
21.1.1 Herstellen von Legierungspulvern ............................... 717
21.1.2 Kompaktieren von Pulvern zu Formteilen....................... 720
21.1.3 Sprühkompaktieren................................................ 722
21.1.4 PM-Legierungen ................................................... 724
Inhalt XV

21.2 Aluminiummatrix-Verbundwerkstoffe .................................. 725


22.2.1 Grundlagen und Eigenschaften................................... 725
21.2.2 Anwendungsbeispiele ............................................. 729
21.3 Aluminiumschaumwerkstoffe ............................................ 731
21.3.1 Metallschaumherstellung ......................................... 732
21.3.2 Eigenschaftsspektrum metallischer Schäume ................... 733
21.3.3 Anwendungsaspekte .............................................. 734

22 Gewinnung, Recycling, Ökologie ............................................ 737


22.1 Primäraluminium .......................................................... 737
22.1.1 Vorkommen, Bauxiterze .......................................... 737
22.1.2 Gewinnungsprozeß ................................................ 739
22.2 Sekundäraluminium ....................................................... 742
22.2.1 Ressourcen und Verwendung .................................... 743
22.2.2 Materialkreislauf („Recycling“).................................. 743
22.3 Versorgungslage in Deutschland ......................................... 745
22.4 Ökologische Betrachtungen .............................................. 746
22.4.1 Ökobilanzen (Life Cycle Assessment) .......................... 746
22.4.2 Energiefragen der Aluminiumgewinnung ....................... 749

Anhang .............................................................................. 753

Literatur............................................................................. 803

Sachverzeichnis..................................................................... 871
Tabellenverzeichnis

Tabelle 1.1 Einige vorteilhafte Gebrauchseigenschaften von Aluminium ..... 2


Tabelle 2.1 Endverbrauch von Aluminiumhalbzeugen, Formguß, Folie
und Pulver im Jahr 2004 ............................................................ 9
Tabelle 2.1.1 Eigenschaften von Aluminium-Kolbenlegierungen.............. 15
Tabelle 2.1.2 Aluminiumlegierungen für Zylinderköpfe ........................ 16
Tabelle 2.1.3 Aluminiumlegierungen für Motorblöcke.......................... 18
Tabelle 2.1.4 Legierungen von Halbzeugen und Hartloten für Wärmetauscher 21
Tabelle 2.1.5 Karosserieblechlegierungen für Motorhauben.................... 28
Tabelle 2.1.6 Strangpreßlegierungen für Stoßfänger ............................ 30
Tabelle 2.1.7 Merkmale der Audi Modelle A8 und A2.......................... 34
Tabelle 2.1.8 Aluminiumlegierungen für Beplankungs- und Strukturteile .... 37
Tabelle 2.1.9 Karosserieblechlegierungen ausländischer Provenienz .......... 38
Tabelle 2.1.10 Fertigungsschema von Blechkarosserieteilen aus Stahl
und Aluminium ...................................................................... 41
Tabelle 2.2.1 Aluminiumlegierungen für Bordwandprofilsysteme............. 43
Tabelle 2.2.2 Äquivalente Mindestwanddicken .................................. 45
Tabelle 2.2.3 Mindestwanddicke für Tankkörper nach DIN EN 13094 ....... 45
Tabelle 2.2.4 Für den Tankbehälterbau geeignete Aluminiumlegierungen .... 46
Tabelle 2.3.1 Aluminiumlegierungen für den Schienenfahrzeugbau........... 52
Tabelle 2.3.2 Mindesteigenschaften von Schweißverbindungen für
den Schienenfahrzeugbau .......................................................... 54
Tabelle 2.4.1 Aluminium-Knetlegierungen für Anwendungen in tragenden
Konstruktionen (n. Germanischer Lloyd, 2005) .................................. 60
Tabelle 2.4.2 Gußlegierungen, die dem Seewasserklima ausgesetzt werden
können (n. Germanischer Lloyd, 2005) ........................................... 61
Tabelle 2.5.1 Ausgewählte Luftfahrtlegierungen ................................ 63
XVIII Tabellenverzeichnis

Tabelle 2.5.2 Zusammensetzung neuerer Flugzeugbaulegierungen ........... 65


Tabelle 2.5.3 Eigenschaften von Luftfahrtplattenwerkstoffen .................. 65
Tabelle 2.6.1 Aluminiumlegierungen für rollgeformte Trapezprofile ......... 69
Tabelle 2.6.2 Konstruktionslegierungen nach DIN 4113-1 ..................... 70
Tabelle 2.7.1 Knetlegierungen für den Formenbau .............................. 74
Tabelle 3.1.1 Gefügebausteine der Aluminiumlegierungen ..................... 81
Tabelle 3.1.2 Übersicht über Art und Zahl der aktivierbaren Gleitsysteme.... 82
Tabelle 3.1.3 Stapelfehlerenergie von Aluminium............................... 88
Tabelle 3.1.4 Hall-Petch-Konstanten ............................................. 93
Tabelle 3.1.5 Thermophysikalische Eigenschaften von Legierungselementen 96
Tabelle 3.2.1 Zuordnung von AlMn-Legierungen zu Anwendungsbereichen . 116
Tabelle 3.2.2 AlSi-Knetlegierungen und ihre Anwendungsbereiche ........... 169
Tabelle 3.2.3 Kritische Abschreckgeschwindigkeit für Legierungen .......... 178
Tabelle 3.2.4 Wärmebehandlung aushärtbarer Konstruktionslegierungen ..... 183
Tabelle 3.3.1 Typische Aluminiumgußlegierungen ............................. 202
Tabelle 4.1.1 Physikalische Eigenschaften von Reinaluminium ............... 221
Tabelle 4.2.1 Physikalische Eigenschaften von Aluminiumoxid ............... 226
Tabelle 5.2.1 Typische Oxidschichtdicken von Aluminium .................... 233
Tabelle 5.2.2 Lochfraß-Potentialwerte von Aluminiumlegierungen ........... 240
Tabelle 5.3.1 Elektrochemische Potentialwerte intermetallischer Phasen ..... 243
Tabelle 5.3.2 Wirkung wichtiger Legierungselemente auf
die Korrosionsbeständigkeit ........................................................ 243
Tabelle 5.3.3 Korrosionsbeständigkeit von Aluminiumlegierungen ........... 245
Tabelle 5.4.1 Spannungsreihe ausgewählter Metalle ............................ 259
Tabelle 5.4.2 Kontaktkorrosionsgefahr in verschiedenen Korrosions-
umgebungen ......................................................................... 261
Tabelle 6.1.1 Wahre Bruchdehnung im Zug- und Torsionsversuch ........... 286
Tabelle 6.2.1 Koeffizienten der Fließkurvenextrapolationen .................. 291
Tabelle 6.4.1 Kennwerte für die zyklische Spannungs-Dehnungskurve ...... 348
Tabelle 6.4.2 Mikrostützwirkungskonstante s nach Neuber .................... 362
Tabelle 6.4.3 Ersatzstrukturlängen für einige Konstruktionswerkstoffe ....... 362
Tabellenverzeichnis XIX

Tabelle 6.7.1 Streckgrenze und „wahre“ Bruchdehnung ermittelt


an Zugproben mit verschiedenen Kerbgeometrien .............................. 398
Tabelle 7.2.1 Übersicht über Formgießverfahren für Aluminium .............. 403
Tabelle 7.3.1 Vergleich der verschiedenen Gießverfahren ..................... 420
Tabelle 9.3.1 Herstellbare Mindestwanddicken von Profilen .................. 441
Tabelle 9.3.2 Strangpreßbarkeit der Aluminiumwerkstoffe..................... 444
Tabelle 10.4.1 Schmiedelegierungen und ihre Verwendungszwecke .......... 468
Tabelle 10.4.2 Schmiedelegierungen der Klasse B .............................. 469
Tabelle 10.4.3 Schmiede- und Schmelztemperaturbereiche .................... 472
Tabelle 11.2.1 Fließpreßbarkeit von Legierungen ............................... 479
Tabelle 11.2.2 Festigkeitseigenschaften von kaltfließgepreßten Teilen ....... 480
Tabelle 12.1.1 Aluminiumblechlegierungen für den Karosseriebau ........... 513
Tabelle 12.1.2 Zusammensetzung von Aluminiumkarosserieblech-
legierungen........................................................................... 514
Tabelle 12.1.3 Eigenschaften von Aluminiumkarosserieblechlegierungen .... 514
Tabelle 12.3.1 Versuchsergebnisse des Genauschneidverfahrens .............. 532
Tabelle 12.3.2 Feinschneidbarkeit von Aluminiumlegierungen ............... 534
Tabelle 13.1.1 Richtwerte für Biegefaktoren von Strangpreßlegierungen ..... 538
Tabelle 13.3.1 Superplastisch umformbare Aluminiumlegierungen ........... 552
Tabelle 14.3.1 Plattenwerkstoffe für Zerspanungszwecke ...................... 562
Tabelle 14.3.2 Eigenschaften von Pb-freien Automatenlegierungen........... 563
Tabelle 14.4.1 Überblick über die verschiedenen Zerspanbarkeitsgruppen ... 565
Tabelle 15.1 Oberflächenbehandlungsverfahren ................................. 578
Tabelle 15.3.1 Typische Dimensionen von anodischen Oxidschichten ........ 584
Tabelle 16.1.1 Relevante Faktoren für das Schweißen von Aluminium ....... 592
Tabelle 16.1.2 Gruppeneinteilung der Knetlegierungen bezüglich ihrer
Schweißeignung ..................................................................... 595
Tabelle 16.1.3 Gruppeneinteilung der Gußlegierungen bezüglich ihrer
Schweißeignung .................................................................... 595
Tabelle 16.1.4 Gruppeneinteilung für Schweißzusatzwerkstoffe ............... 598
Tabelle 16.1.5 Auswahl von Schweißzusatzwerkstoffen........................ 599
XX Tabellenverzeichnis

Tabelle 16.1.6 Einfluß der Legierungsgehalte auf die Schweißriß-


empfindlichkeit ...................................................................... 600
Tabelle 16.2.1 Mindestfestigkeitswerte von Schweißverbindungen
der Legierung EN AW-7020-T5 nach 3 Monaten RT-Auslagerung ........... 603
Tabelle 16.3.1 Vergleich zwischen gebräuchlichen Schweißverfahren ....... 615
Tabelle 16.4.1 Gruppeneinteilung der Schweißimperfektionen................. 622
Tabelle 19.1.1 Statische Festigkeitseigenschaften von FSW-Stumpfstoß-
verbindungen ........................................................................ 663
Tabelle 19.2.1 Reibschweißeignung von Aluminium ........................... 666
Tabelle 19.4.1 Legierungen und Schmelzdaten für Aluminium-Hartlote ...... 670
Tabelle 19.4.2 Beispiele für Knetlegierungen mit Angabe zur Lötbarkeit ..... 671
Tabelle 19.4.3 Eigenschaften von hartgelöteten Legierungen .................. 672
Tabelle 19.4.4 Flußmittel für das Hartlöten von Aluminium ................... 674
Tabelle 20.2.1 Vergleich typischer Konstruktionswerkstoffe bezüglich
Dehngrenze und Elastizitätsmodul................................................. 680
Tabelle 20.2.2a Massenverhältnis Aluminium/Stahl von dünnwandigen
Hohlstrukturen unter Torsionsbeanspruchung .................................... 682
Tabelle 20.2.2b Massenverhältnis Aluminium/Stahl von vollwandigen
Hohlstrukturen unter Torsionsbeanspruchung .................................... 682
Tabelle 21.1.1 Löslichkeitsgrenzen von Legierungselementen durch
rasche Erstarrung ................................................................... 719
Tabelle 22.1.1 Elementare Zusammensetzung der Erdkruste ................... 737
Tabelle 22.1.2 Zusammensetzung des Bauxits .................................. 738
Tabelle 22.1.3 Prozeßdaten für die Aluminiumelektrolyse ..................... 741
Tabelle 22.4.1 Europäisches Energieressourcenmodell für Aluminium ....... 750
1 Einführung

1.1 Der Wettbewerb der Werkstoffe in den Märkten

Aluminiumanwendungen findet man auf fast allen Gebieten der Wirtschaft


und des modernen Lebens. Sie reichen von der Architektur über Verkehr,
Maschinenbau, Elektrotechnik und Verpackung bis hin zu Freizeit und
Sport, Unterhaltung und Kommunikation, Kunst und Kultur. Auf den mei-
sten dieser Anwendungsgebiete steht Aluminium in direktem Wettbewerb
mit anderen Werkstoffen und muß sich gegenüber technischen und wirt-
schaftlichen Herausforderungen dieser Konkurrenten behaupten. Gesi-
cherter Erfolg wird nur beschert, wenn ein Anwendernutzen deutlich er-
kennbar ist. Neben ästhetischen Gründen, Langlebigkeit, Servicefreund-
lichkeit und wirkungsvoller Recyclingfähigkeit wird der Anwendernutzen
vorrangig an der Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit der Produkte ge-
messen. Die Herausforderung besteht deshalb darin, angesichts eines ge-
genüber anderen Werkstoffen höheren Materialpreises dennoch zu wett-
bewerbsfähigen Lösungen zu kommen.
Daß dies gelingen kann, belegt offensichtlich die weltweite mengenmä-
ßige Entwicklung der Aluminiumproduktion seit dem historischen Beginn
der industriellen Aluminiumproduktion Ende des 19. Jahrhunderts, die in
Bild 1.1 dargestellt ist und die jährlichen Erzeugungsmengen von Primär-
aluminium („Hüttenaluminium“) enthält. Der wesentliche Anteil der Alu-
miniumproduktion betrifft die sog. „westliche Welt“, die nicht nur Europa,
Nord- und Südamerika, Australien und afrikanische Länder, sondern auch
die GUS-Staaten, Japan und Südkorea umfaßt. Im letzten Jahrzehnt haben
darüber hinaus rasante Entwicklungen in den sog. „östlichen Ländern“ be-
gonnen, allen voran in China, wo die Produktion, Verarbeitung und Ver-
wendung auf der Grundlage modernster „westlicher“ Technologien aufge-
baut wird. Hinzuzurechnen ist noch ein erheblicher Anteil (2004:
7.800.000 t) von „Sekundäraluminium“ aus Recyclingkreisläufen, der in
Deutschland und Europa bereits über 30% des Gesamtbedarfs abdeckt, s.
unten und Kap. 21.
2 1 Einführung

Bild 1.1 Entwicklung der Weltaluminiumproduktion

Der offensichtliche Grund für die rasante Verbrauchsentwicklung sind


die vielseitigen Gebrauchs- und Verarbeitungseigenschaften, durch die
sich Aluminium gegenüber anderen Gebrauchsmetallen auszeichnet. Hier-
zu zählen die Eigenschaften in Tabelle 1.1.

Tabelle 1.1 Einige vorteilhafte Gebrauchseigenschaften von Aluminium


• Geringes spezifisches Gewicht: 1/3 so hoch wie Stahl
• Vielfältige Herstellungs- Gießen, Walzen bis zu 5 µm Dicke,
möglichkeiten: Strangpressen, Schmieden,
Kaltfließpressen, Ziehen
• Vielseitige Formgebungs- Spanen, Tiefziehen, Streckziehen,
möglichkeiten: Biegen, Stanzen u.a.
• Gute Korrosionsbeständigkeit: durch Anodisieren und Beschichten
noch zu verbessern
• Großes Festigkeitsspektrum: von 70 bis 800 N/mm²
• Ungiftig: verwendbar als Verpackungsstoff für
Lebensmittel
• Hohe elektrische Leitfähigkeit: 2x so hoch wie Kupfer, wenn bezogen
auf das gleiche Gewicht
• Hohe Wärmeleitfähigkeit: 3x so hoch wie Stahl
1.2 Innovationsgrundlagen 3

So wurde Aluminium nach Stahl zum wichtigsten Gebrauchsmetall. Die


Zunahme des Aluminiumverbrauchs wurde getragen von der gesamtwelt-
wirtschaftlichen Entwicklung nach dem Ende des 2. Weltkriegs, aber auch
durch Substitution anderer Werkstoffe durch Ausschöpfung seines beson-
deren Eigenschaftsspektrums. Die herausragenden Eigenschaften – gerin-
ges Gewicht, hohe Korrosionsbeständigkeit und Lebensmittelverträglich-
keit – sind die Grundlage für die Eroberung der Märkte Transport und
Verkehr, Bauwesen und Verpackung, die zusammen mehr als 2/3 des Ge-
samtaluminiumbedarfs darstellen.1 Detailliertere Ausführungen zu anwen-
dungstechnischen Entwicklungen in diesen Märkten enthält Kap. 2.
Ohne Zweifel geht es auf allen Märkten – aber besonders auf dem be-
deutenden Automobilsektor – um die Wahrung der Position der einzelnen
Werkstoffgruppen, so daß weitere Substitutionen gegen äußerste Wider-
stände erkämpft werden müssen. Hierbei spielen immer neue Innovationen
und die gezielte Weiterentwicklung und Beherrschung des „gewußt-wie?“
eine entscheidende Rolle.
Allerdings gibt es auch nur wenige Anwendungsgebiete, in denen durch
weitere Entwicklungen bei anderen Werkstoffen – z.B. bei den hochfesten
Stählen, Magnesium sowie glas- und carbonfaserverstärkten Kunststoffen
– Aluminiumanwendungen nicht resubstitutiert werden können. Damit
dies nicht geschieht und die positiven Wachstumstrends andauern, sind In-
novationen bei den Werkstoff- und Verarbeitungstechnologien unabding-
bar. Darüber hinaus ist Kreativität bei den konstruktiven Konzepten gefor-
dert, die sich zu einem harmonischen Dreiklang mit den Werkstoff- und
Verarbeitungstechnologien gesellen müssen.

1.2 Innovationsgrundlagen

Grundlage für die Entwicklung der Werkstoffeigenschaften ist die Kon-


trolle und gezielte Veränderung des Makro- und Mikrogefüges. Die Wahl
des geeigneten Ausgangszustands sowie die bewußte Veränderung des Ge-
füges in der Verarbeitungsprozeßkette sind die Voraussetzung für bere-
1
Aktuelle statistische Zahlen findet man online in folgenden Datenbanken:
Gesamtverband der dt. Al.-Industrie (GDA) www.aluinfo.de
European Aluminium Association (EAA) www.eaa.net
The Aluminum Association (AA) www.aluminum.org
Australian Aluminium Council www.aluminium.org.au
Aluminium Federation of South Africa www.afsa.co.za
Associação Brasileira do Alumínio (ABAL) www.abal.org.br
World Bureau of Metal Statistics (WBMS) www.world-bureau.com
International Aluminium Institute (IAI) www.world-aluminium.org.
4 1 Einführung

chenbares Verhalten im Einsatz. Die Vielfalt der Veränderungsmöglich-


keiten und ihre Nutzung für die Optimierung von Prozessen, Kosten und
Bauteilverhalten sind Ressourcen für Innovationen. Neben der mechani-
schen ist vor allem die thermische Gefügebeeinflussung von Interesse.
Aufgrund des relativ geringen Schmelzpunktes des Aluminiums kann das
Gefüge bereits bei Temperaturen bis 250 °C starken Veränderungen un-
terworfen werden. Solche thermischen Prozesse lassen sich in geschlos-
sene oder teilweise geschlossene Prozeßketten integrieren und damit wei-
tere Freiheitsgrade für die Ausnutzung des Werkstoffpotentials gewinnen.
Andererseits können durch notwendige thermische Prozeßstufen wie dem
Aushärten von Klebstoffen oder organischen Beschichtungen Gefügever-
änderungen verursacht werden, die auch zur Festigkeitssteigerung genutzt
werden können, vorausgesetzt, der Werkstoff liegt zuvor in einem geeig-
neten Werkstoffzustand vor.
Aus konstruktiver Sicht ist es weiterhin wünschenswert, das Verhalten
während der Verarbeitung und vor allem während der Einsatzdauer vor-
herzusagen. Die Einsatzbedingungen stellen dabei häufig Anforderungen,
die durch die üblichen Werkstoffkenndaten nicht befriedigt werden kön-
nen, wie z.B. das Crash-Verhalten. Entscheidend dabei ist das Bruchver-
halten, welches sensibel auf Gefügezustand und -veränderungen reagiert.
Die Kenntnis des Bruchverhaltens – sei es unter statischer, dynamischer,
schwingender oder korrosiver Beanspruchung – und seine Abhängigkeit
von Gefügezuständen und Spannungszuständen ist eine wesentliche
Grundlage für die verläßliche Vorhersage, Modellierung oder Simulation.
Schwachstellen im Werkstoff oder Bauteil – wie Schweißverbindungen –
stellen besonders hohe Anforderungen an Detailkenntnisse der Gefügever-
änderungen, die durch den Schweißprozeß hervorgerufen wurden. Der
Schwerpunkt der Anwendungstechnologie im Rahmen dieses Buches liegt
daher auf einer verständlichen Darstellung des aktuellen Wissensstandes
über z.T. sehr komplexe metallkundliche Vorgänge bei der Verarbeitung
und beim Produkteinsatz. Die Kap. 3–6 sollen dieses Grundwissen vermit-
teln.
Das Spektrum der Herstellungsverfahren für Aluminiumhalbzeuge und
Formgußteile wird in den Kap. 7–11 erläutert. Dabei beschränken sich die
Ausführungen auf diejenigen Aspekte, die für die Anwendung wichtig
sind. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Halbzeugformen und Formguß-
teile hängen entscheidend mit den Verfahrensprinzipien und ihren Grenzen
zusammen. Berücksichtigung der verfahrensbedingten Freiheitsgrade in
der Gestaltung von Vor- und Endformen bringt wirtschaftliche Vorteile.
Die spanlosen und spangebenden Formgebungsverfahren in der Weiter-
verarbeitung von Halbzeugen sind in den Kap. 12–14 beschrieben. Sie ge-
hören zu den Schlüsseltechnologien der Anwendungstechnik wie auch die
1.2 Innovationsgrundlagen 5

Fügeverfahren. Die Anwendbarkeit von Fügeverfahren dominiert die


Werkstoffwahl, wirkt auf das Bauteilverhalten und entscheidet über die
Wettbewerbsfähigkeit der Produktlösung. Eine kurze Einführung in die
Oberflächenbehandlung enthält Kap. 15. Die für Aluminium geeigneten
Fügeverfahren werden in den Kap. 16–19 beschrieben.
Kapitel 20 befaßt sich mit konstruktiven Aspekten der Aluminiuman-
wendung, die einen möglichst hohen Gewinn an wirtschaftlichem Leicht-
baugrad, aber gleichzeitig an Steifigkeit, Sicherheit und Zuverlässigkeit
gewährleisten sollen. Es wird deutlich, daß der Erfolg einer konstruktiven
Lösung nur durch Anwendung aluminiumgerechter Rahmenbedingungen
gewährleistet ist, die in der Gestaltung und Fertigung notwendige Frei-
heitsgrade einräumen. In der Vergangenheit war die werkstofftechnische
Ingenieuraufgabe meistens beschränkt auf eine „Insellösung“, d.h. in der
arbeitsteiligen Wirtschaft wurde jeweils für eine bestimmte Teilaufgabe
oder -funktion eine Lösung gesucht. Das Ziel solcher Arbeitsweise war er-
reicht, wenn die Lösung anforderungsgerecht und zu wettbewerbsfähigen
Kosten produziert werden konnte. Dabei wurden vielfach die Erfahrungen
mit anderen Werkstoffen zugrunde gelegt und auf die Aluminiumkon-
struktion und -verarbeitung übertragen. Viele Aluminiumanwendungen
scheiterten an starren räumlichen Vorgaben oder an bereits vorhandenen
Fertigungseinrichtungen, die für die Aluminiumverarbeitung nicht geeig-
net waren. Für viele erfolgreiche Aluminiumanwendungen waren eine
ganzheitliche werkstoffspezifische Arbeitsweise und in der Tat eine eigen-
ständige Fertigung der Schlüssel zum Erfolg.
Auf einen wirtschaftlichen Aspekt konstruktiv-konzeptioneller Arbeits-
weise sei hier hingewiesen. Daß die Gesamtkosten eines Produktes die
Summe aller Einzelkosten sind, ist eine triviale Aussage. Daß aber die Op-
timierung der Gesamtkosten nicht gleichbedeutend sein muß mit der Mi-
nimierung aller Einzelkosten, ist nicht immer einsichtig. So können höhere
Kosten im Einzelfall dennoch zu einem wirtschaftlicheren Gesamtergebnis
führen, wenn durch Synergieeffekte sich in anderen Bereichen Kostenein-
sparungen ergeben. Da das Rohmetall Aluminium, d.h. das unverarbeitete
Material, üblicherweise teurer ist als andere Rohmaterialien, ist das syste-
matische Nachdenken über Synergieeffekte eine Grundvoraussetzung in
der Aluminium-Anwendungstechnik. Die Aufgabe heißt also: werkstoffge-
recht planen, konstruieren und fertigen.
Die Konstruktions- und Fertigungspotentiale des Werkstoffs Aluminium
sind in der Tat größer als bei anderen Werkstoffen. Die ausgezeichneten
Gieß-, Strangpreß-, Schmiede- und Fließpreßeigenschaften des Werkstoffs
ermöglichen Einsparungen von Fertigungsschritten durch endkonturnahe
Vorformen, die nur noch geringer Nacharbeit bedürfen. Um das „near net
shape“ Potential zu nutzen, sollte man sich immer über das unbedingt ein-
6 1 Einführung

zuhaltende Toleranzspektrum Rechenschaft ablegen. Unnötige hohe Tole-


ranzforderungen sollten möglichst konstruktiv vermieden werden. Eine be-
sondere Faszination stellt weiterhin die formgebende Weiterverarbeitung
von stranggepreßten Profilen dar. Traditionell werden Profile mit einheitli-
chen Querschnitten und möglichst engen Toleranzen über der geraden Pro-
fillänge verwendet. Dreidimensionale Querschnittsänderungen durch Kalt-
umformverfahren wie Biegen, hydromechanisches Umformen und lokales
Fließpressen aber öffnen erst das ganze Spektrum der Formgebungsmög-
lichkeiten gerade in der Massenfertigung.
Die Wahl des geeigneten „near net shape“ Ausgangsmaterials (im Sinne
von Formguß oder Halbzeugformen) ist abhängig von der Legierungswahl
und den Legierungseigenschaften sowie von den weiteren Formgebungs-
und Bearbeitungsprozessen. Bei Bauteilen aus hochfesten Legierungen
kann manchmal aufgrund der ausgezeichneten Zerspanbarkeit und der Ein-
sparung von Fügeoperationen die spangebende Formgebung aus einer
massiven Walzplatte günstiger sein als aus konturnahen Strangpreßprofi-
len. Das Spektrum der werkstofflichen Möglichkeiten wird darüber hinaus
durch zahlreiche Sonderwerkstofformen erweitert, die durch Pulvermetal-
lurgie, Metallmatrix-Faser- und -Partikelverbunde, sowie durch Alumini-
umschaumstoffe angeboten werden. Hierüber wird in Kap. 21 ein kurzer
Überblick gegeben. Die Aluminiumwerkstoffwahl bei der Bauteilent-
wicklung ist eine anspruchsvolle Optimierungsaufgabe.
Betrachtungen über Ressourcen, Gewinnung, Recycling und Ökologie
in Kap. 22 schließen den Inhalt des Buches ab. Für ein Gebrauchsmetall
mit hohem Einsatzvolumen sind diese Aspekte für langfristige Perspekti-
ven wichtig. Tatsache ist, daß die Aluminiumgewinnung nach heutigen
Technologiestandards einen hohen Energieeinsatz erfordert. Es ist aber
auch unbestritten, daß das Recycling von Altschrotten aus ausgedienten
Aluminiumprodukten eine wirtschaftlich attraktive industrielle Spartentä-
tigkeit ist, und die Wiedergewinnung von „sekundärem“ Aluminium eine
hohe Energieeinsparung ermöglicht. Zudem kann das wirtschaftliche Re-
cycling von Aluminium auf eine über 100-jährige Tradition zurückgreifen,
wie durch den Ausschnitt aus der Familienzeitschrift „Die Gartenlaube“
aus dem Jahr 1893 belegt ist, der in Bild 1.2.1 wiedergegeben ist. Damals
ging es um die Markteinführung von Aluminium-Küchengeschirr, die das
gängige Kupfer- und Messinggeschirr ersetzen sollten. Heute geht es um
die Eroberung des Automobilsektors, und der Recyclingprozeß spielt dabei
eine ähnlich wichtige Rolle zur Wahrung der Ressourcen. Bereits heute
deckt rezykliertes Aluminium mehr als 30% des Metallbedarfs in Deutsch-
land und Europa.
1.2 Innovationsgrundlagen 7

Bild 1.2.1 Ausschnitt aus einem Artikel in der Familienzeitschrift „Die Garten-
laube“ aus dem Juli-Heft des Jahres 1893, in dem auf das wirtschaftliche Recyc-
ling von Altaluminium hingewiesen wird

Für vertiefendes Studium ist die im Text erwähnte Literatur in einer ak-
tuellen, nach Kap. geordneten Literatursammlung am Ende des Buches zu-
sammengestellt. Darüber hinaus sei auf eine Reihe von frei zugänglichen
Internetdatenbanken hingewiesen2, die zum Inhalt dieses Buches ergän-
zende Informationen über metallkundliche und anwendungstechnische As-
pekte bieten.

Der Anhang enthält tabellarische Übersichten über ausgewählte Alumi-


niumlegierungen und deren physikalische und typische mechanisch-tech-
nologischen Eigenschaften sowie eine Normenübersicht. Bei der Angabe
von Eigenschaften wurde weitgehend darauf verzichtet, genormte Eigen-
schaften wiederzugeben, da diese Änderungen unterworfen sind und sich
der Konstrukteur verbindlich auf die jeweils gültigen genormten Werk-

2
Das Ausbildungsprojekt AluMatter: www.aluminium.matter.org.uk, und das
anwendungsorientierte Aluminium Automotive Manual: www.eaa.net/aam.
8 1 Einführung

stoffangaben und garantierten Mindesteigenschaften beziehen muß. Typi-


sche Werkstoffangaben dagegen sind für den Entwicklungsprozeß sinn-
voller; sie geben das wirkliche Werkstoffverhalten – die gegenseitige Ab-
hängigkeit von Festigkeit und Duktilität – richtiger wieder.
2 Märkte und Anwendungen

Die wichtigen Märkte in Deutschland und Europa mit ihren Mengenantei-


len am Aluminiumverbrauch1 gehen aus Tabelle 2.1. hervor. Analysiert
man den Werkstoffeinsatz in diesen Märkten, fällt auf, daß im Transport-
und Verkehrssektor, im Bauwesen sowie im Maschinenbau ein hoher An-
teil des Aluminiumeinsatzes auf konstruktive, strukturelle Anwendungen
entfällt mit entsprechenden hohen Anforderungen an Tragfähigkeit, Si-
cherheit und Langlebigkeit. Hier sind in besonderem Maße Kenntnisse der
Aluminium-Anwendungstechnologie gefordert.

Tabelle 2.1 Endverbrauch (in %) von Aluminiumhalbzeugen, Formguß, Folie und


Pulver in verschiedenen Marktsegmenten in Deutschland und Europe im Jahr
2004 (Quelle: EAA, GDA)
Marktsegment Europa, in % Deutschland, in %
Transport und Verkehr 36 43
Bauwesen 26 15
Verpackung 17 10
Maschinenbau, Elektrotechnik 14 14
Sonstige Märkte 7 18
Endverbrauch 2004 absolut 8,9 Mio. t 3,1 Mio. t

Die technologisch interessantesten Anwendungsmärkte für Aluminium


aus der Sicht der Konstrukteure, Fertigungsingenieure und Werkstoffach-
leute sind heute zweifellos der Transport- und Verkehrssektor. Wie auf
kaum einem anderen Gebiet spielt hier jedoch der Wettbewerbsstreit der
Werkstoffe um Marktanteile, – und dieser Streit fördert Forschungs- und
Entwicklungsanstrengungen in allen technischen Disziplinen. Die neueren
Entwicklungen hoch- und höchstfester Stahlwerkstoffe sind ein Beispiel

1 Der in volkswirtschaftlichen Statistiken verwendete Begriff „Verbrauch“ ist für


Aluminium insofern irreführend, als der Werkstoff sich nicht verbraucht, son-
dern zu hohen Prozentsätzen durch Recyclingprozesse wieder gebrauchstauglich
gemacht wird, s. Kap. 22.
10 2 Märkte und Anwendungen

für die Herausforderungen in diesem Werkstoffwettbewerb. Substitution


und Resubstitution sind das wechselvolle Spiel. Energieeinsparung als
treibende Kraft für den Einsatz von Leichtbauwerkstoffen war in der Ver-
gangenheit und wird auch in Zukunft eine wichtige Motivation sein.
Längst aber scheint der Wettbewerb um wirtschaftlichste Lösungen des
Leichtbaus die dominierende Rolle übernommen zu haben.
Die Vielfältigkeit der Aluminiumanwendungen in den in Tabelle 2.1 ge-
nannten Marktsektoren macht es notwendig, Beispiele auszuwählen, die
typisch für den Stand der Technik sind. Zudem erfordern die verschiede-
nen Bereiche des Verkehrssektors unterschiedliche Lösungsansätze be-
züglich Werkstoffauswahl und Anwendungstechnologien. Aus diesem
Grunde werden die nachfolgenden Betrachtungen für die einzelnen Ver-
kehrsbereiche – Automobilbau, Nutzfahrzeugbau, Schienenfahrzeug- und
Schiffsbau sowie Flugzeugbau – getrennt herausgestellt. Einige Betrach-
tungen zum Bauwesen und weiteren Anwendungsmärkten schließen dieses
Kapitel ab.
Die dargestellten Beispiele sollen das Interesse wecken, sich mit den
werkstofflichen, gestalterischen und fertigungstechnischen Grundlagen zu
befassen, die den Hauptteil dieses Buches ausmachen.

2.1 Aluminium im Automobilbau

Unter den mengenmäßig bedeutenden Absatzmärkten für Aluminium-


werkstoffe gilt der Automobilsektor als derjenige mit dem größten Ent-
wicklungspotential hinsichtlich Werkstoffbedarf und -technologien. Als
Leichtbauwerkstoff für Motorkomponenten, Fahrwerk und Karosserie
wurde Aluminium bereits über fast ein Jahrhundert in verschiedenen Fahr-
zeugmodellen serienmäßig2 verwendet, um anfänglich den Reifenabrieb zu
verringern, später die Fahreigenschaften bei noch mangelhafter Motoren-
technik und schließlich – seit den Ölkrisen der 70-ger Jahre und dem ge-
stiegenen Umweltbewußtsein – den Energiebedarf und die Umweltbela-
stung zu reduzieren. Großserienproduktionen von Voll-Aluminium-Fahr-
zeugen waren jedoch vorübergehende Ausnahmeerscheinungen. Ein Bei-
spiel ist der Dyna Panhard 1954, der bereits Werkstofftechniken verwen-
dete, die auch heute noch z.T. Grundlagen des Aluminium-Karosseriebaus
sind, s. Bild 2.1.1. Das Gewicht der 6-sitzigen, 4-türigen Limousine: 650
kg. Motorisierung: luftgekühlter 2-Zylinder-Motor mit 850 cm³. Maximale
Geschwindigkeit: 140 km/h, Autobahndauergeschwindigkeit: 120 km/h.
2
Die Seriengrößen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts waren je-
doch verglichen mit den heute üblichen relativ bescheiden.
2.1 Aluminium im Automobilbau 11

Karosserieblechwerkstoffe waren die Legierungen AlMg3, AlMg4 und


AlMg5, z.T. in fließfigurenarmer Qualität. Fügetechnik der Karosserie:
Punktschweißen. Dichtschweißen des Tanks aus 1,2 mm AlMg3 erfolgte
mit Rollennahtschweißen (Baron 1954).

Bild 2.1.1 Dyna Panhard 1954 mit selbsttragender Blechkarosserie aus Alumi-
nium

Während in den 70-, 80-er und auch noch in den 90-er Jahren die Moto-
rentechnik erhebliche Fortschritte bei der Treibstoffbedarfsminderung
machte und dadurch der Leichtbau, der gewöhnlich mit höheren Kosten
verbunden ist, immer wieder nachrangig wurde, haben die zunehmenden
Treibstoffpreise, die Gewichtszunahme der Fahrzeuge im vergangenen
Jahrzehnt und die Emissionsgesetzgebungen in Europa und den USA den
Leichtbau in den Vordergrund gerückt. Vor allem Sicherheits-, Qualitäts-
und Komfortverbesserungen der Fahrzeuge haben eine Gewichtsspirale
ausgelöst, die beispielhaft für den VW-Golf in Bild 2.1.2 dargestellt ist.
Ähnliche Verhältnisse gelten für alle Fahrzeugtypen und -klassen interna-
tionaler Hersteller.
Gleichzeitig hat sich die Automobilindustrie im Jahr 1998 verpflichtet,
den CO2-Ausstoß bis zu den Jahren 2008 und 2012 von derzeit ca. 180 bis
200 g/km auf 140 bzw. 120 g/km zu reduzieren, s. Bild 2.1.3. Dieses Ziel
ist nach dem gegenwärtigen Stand der Technik nur durch erhebliche Ge-
wichtsreduzierung der Fahrzeuge erreichbar. Änderungen der Antriebs-
technik mit geringeren CO2-Emissionen, wie Hybrid- und Gasantriebe,
Wasserstoffantrieb bzw. Brennstoffzellen, sind teilweise noch Zukunftsvi-
sionen, führen in der Regel aber ebenfalls zu höheren Fahrzeuggewichten
mit entsprechenden Einschränkungen der Fahrdynamik oder erfordern
stärkere Motorisierung. Die Notwendigkeit des Leichtbaus wird durch die-
se Entwicklungen nicht überflüssig.
12 2 Märkte und Anwendungen

Bild 2.1.2 Gewichtsentwicklung des VW-Golf zwischen 1975 und 2003 auf Basis
einheitlicher Motorleistung (Quelle: v. Zengen, EAA)

Bild 2.1.3 Selbstverpflichtung der Automobilindustrie aus dem Jahr 1998 zur Re-
duzierung des CO2-Ausstoßes (CEC: Europäische Kommission, ACEA: Dach-
verband der Europäischen Automobilhersteller) (Quelle: IKA, RWTH Aachen)

Jahrzehntelang war der Einsatz von Aluminium im Automobil weitge-


hend beschränkt auf Formgußanwendungen bei Kolben und Aggregatege-
häusen im Antriebsbereich sowie bei Rädern. Zwei Drittel der gesamten
Aluminiumgießereiproduktion wurden und werden in diesen Markt gelie-
fert. Im (west-)deutschen Automobilbau wurden 1955 knapp 14.000 t
2.1 Aluminium im Automobilbau 13

Leichtmetall eingesetzt, was etwa einem durchschnittlichen Aluminium-


anteil von 2 % pro Fahrzeug (Gesamtproduktion an Fahrzeugen 1955:
718.400) entsprach (Annon. 1956). Im Jahre 2004 hat sich die Liefermen-
ge an deutsche Automobilwerke auf etwa 750.000 t Aluminium erhöht,
wovon Gußmaterial einen Anteil von etwa 75 % ausmacht. Bei einer Ge-
samtproduktion von 5,6 Mio. Fahrzeugen und unter Berücksichtigung von
Fertigungsverschnitt entspricht dies einem durchschnittlichen Anteil von
fast 10 % oder 110–120 kg/Fahrzeug. Nach amerikanischen Angaben be-
trägt im Jahr 2005 der durchschnittliche Aluminiumanteil pro Neufahrzeug
144,8 kg, eine Zunahme um 16 % seit 2002. In den vergangenen zehn Jah-
ren hat sich der Aluminiumanteil am Fahrzeuggewicht daher annähernd
verdoppelt. Dieser gewaltige Anstieg bedeutet eine deutliche Durchdrin-
gung des Motorenbaus (Zylinderkopf, Motorgehäuse und sonstige An-
triebsaggregate), aber auch eine erheblich stärkere Verwendung von Alu-
minium in Fahrwerk und Karosserie. Angesichts des politischen Umfelds
wird mit weiteren Steigerungen gerechnet, sofern die wachsenden Roh-
stoffpreise nicht nachteilige Auswirkungen haben.

2.1.1 Aluminium im Antriebsbereich

In den vergangenen 50 Jahren hat sich Aluminium als Leichtbauwerkstoff


im gesamten Antriebsstrang – im Motor und Getriebegehäuse, Wärmetau-
scher, Wärmeabschirmung, bei Flüssigkeitsleitungen sowie gelegentlich
bei der Kardanwelle – etabliert. Kolben und Zylinderköpfe von Otto- und
Dieselmotoren, Wärmetauscher und Wärmeabschirmbleche bestehen heute
aus Aluminium, wie auch bereits etwa 50% der Zylinderblöcke. Neben
dem geringen spezifischen Gewicht war die hohe Wärmeleitfähigkeit,
Gießbarkeit und Korrosionsbeständigkeit des Werkstoffs in Verbindung
mit werkstofftechnischen Entwicklungen der Warmfestigkeit, Wärmeaus-
dehnung, Tribologie sowie der Gießtechnologie maßgebend für den Er-
folg. Für eine ausführliche Darstellung des Entwicklungsstandes wird auf
das Aluminium Automotive Manual (www.eaa.net/aam) verwiesen.

Kolben
Kolben in Benzin- und Dieselmotoren sind extremen thermischen Bela-
stungen ausgesetzt, die durch Spitzentemperaturen des Gases im Brenn-
raum von 1800 bis 2600 °C und beim Auslaß von 500–800 °C gekenn-
zeichnet sind. Sie müssen einem Gasdruck bis zu 75 bar in Benzinmotoren
und bis zu 180 bar und mehr in turbogeladenen Dieselmotoren widerste-
hen. Die Wärmelast wird durch die Kolbenringe und durch die Öl-Spritz-
14 2 Märkte und Anwendungen

kühlung soweit abgeführt, daß nur noch Spitzentemperaturen bis zu 300 °C


vom Kolbenboden ertragen werden müssen (Röhrle 1994). Die Kontrolle
der Wärmedehnung wird überwiegend durch eingegossene Stahlverstär-
kungen oder – bei Nutzfahrzeugmotoren – durch eingegossene Alumini-
umoxidfaserverbunde gewährleistet. Die Wärmeausdehnung verringert
sich mit zunehmendem Silizium-Gehalt. Abgesehen von geschmiedeten
Kolben für Hochleistungsmotoren werden Kolben im Schwerkraft-
kokillenguß sowie durch Squeeze-Casting, s. Abschn. 7.1, hergestellt.
Als Kolbenlegierungen dienen hypoeutektische, eutektische und hyper-
eutektische AlSi-Legierungen mit 10 bis 18 % Si und geringen Beimen-
gungen von Cu, Mg und Ni. Warmfestigkeit und Verschleißfestigkeit sind
die wesentlichen Forderungen an den Kolbenwerkstoff. Die Komplexität
der Kolben und der Legierungsgehalt der Kolbenlegierungen richten sich
nach den jeweiligen Anforderungen und variieren mit den Spezifikationen
der Hersteller. Kolbenlegierungen sind bis auf eine Ausnahme, der eutekti-
schen Legierung AlSi12CuMgNi (EN AC-48000K-T5 bzw. T6, entspricht
AA336), nicht in den europäischen Standards enthalten. Tabelle 2.1.1 ent-
hält die Eigenschaftsmerkmale einiger typischer Kolbenlegierungen.

Zylinderköpfe
Zylinderköpfe sind ebenfalls hohen mechanischen und thermischen Bean-
spruchungen ausgesetzt. Die Betriebstemperaturen erreichen 260 °C in Ot-
tomotoren und höhere Temperaturen in Dieselmotoren. Hohe RT-Fe-
stigkeit und hoher Kriechwiderstand bei Betriebstemperatur sind gefordert,
um optimale mechanische Bearbeitbarkeit, Formbeständigkeit und Dich-
tigkeit der Zylinderkopf-Zylinderblock-Fuge zu gewährleisten. Der Wech-
sel von Temperatur und mechanischer Belastung während des Betriebs
führt zu thermomechanischer Werkstoffermüdung, weshalb – anders als
bei Kolben – eine gewisse Duktilität des Materials erforderlich ist (Sehito-
glu et al. 2002, Feikus 2001, Loeprecht et al. 2000).
Die Komplexität der Zylinderkopfformen hat durch die moderne Viel-
ventil- und Ventilsteuerungstechnik erheblich zugenommen, was die Be-
anspruchung des Materials speziell im brennraumseitigen Bereich des Zy-
linderkopfes weiter steigert. An die Gußlegierungen und Gießverfahren
werden daher hohe Anforderungen gestellt, die neben den genannten Ei-
genschaften ein gutes Formfüllungsvermögen und Erstarrungsverhalten
sowie eine porenarme Gußqualität gewährleisten müssen.
2.1 Aluminium im Automobilbau 15

Tabelle 2.1.1 Eigenschaften von typischen Aluminium-Kolbenlegierungen für


mittlere bis hohe Anforderungen (Quelle: Nüral)
Merkmal bei Eutektische Übereutektische Eutektische
Temperatur, Legierung Legierung Sonderlegierung
°C AlSi12CuMgNi AlSi18CuMgNi AlSi12Cu4Ni2Mg
gegossen geschmiedet gegossen geschmiedet gegossen
Dehngrenze Rp0,2 [MPa]
20° 190 - 230 280 - 310 170 - 200 220 - 280 200 - 280
150° 170 - 220 230 - 280 150 - 190 200 - 250 -
200° 120 - 170 - 100 - 150 - 150 - 200
250° 80 - 110 90 - 120 80 - 120 100 - 140 100 - 150
300° 50 - 80 - 60 - 80 - 85 - 100
Zugfestigkeit Rm [Mpa]
20° 200 - 250 300 - 370 180 - 230 230 - 300 210 - 290
150° 180 - 230 250 - 300 170 - 210 210 - 260 -
200° 160 - 200 - 160 - 190 - 170 - 210
250° 100 - 150 110 - 170 110 - 140 100 - 160 130 - 180
300° 80 - 100 - 90 - 130 - 100 - 120
Bruchdehnung A5 [%]
20° 0,3 - 1,5 1-3 0,2 - 1,0 0,5 - 1,5 0,1 - 0,5
Biegewechselfestigkeit σbW [MPa]
20° 80 - 120 110 - 140 80 - 110 90 - 120 90 - 120
150° 70 - 110 90 - 120 60 - 90 70 - 100 90 - 120
250° 50 - 70 60 - 70 40 - 60 50 - 70 60 - 80
300° - - - - 45 - 60
Elastizitätsmodul E [x1000 MPa]
20° 80 - 81 81 83 - 84 84 82
200° 73 - 74 - 75 - 76 - 78
250° 68 - 72 74 - 76 72
300° - - - - 70
-6
Mittlerer linearer Wärmeausdehnungskoeffizient [1/Kx10 ]
20° - 200 °C 20,5 - 20,5 - 21,5 18,5 - 19,5 18,5 - 19,5 20,5 - 21,5
Wärmeleitfähigkeit [W/cmK]
20° 1,43 - 1,55 1,47 - 1,34 - 1,43 - 1,55 1,30 - 1,40

Als Gießverfahren für Zylinderköpfe wird überwiegend der Schwer-


kraftkokillenguß eingesetzt, wobei sehr komplexe innere Hohlräume und
Kanäle durch Sandkerne eingebracht werden können. Als Variante wird
das Rotacast®-Verfahren, das Kernpaket-Sandgußverfahren (CPS®-Verfah-
ren) sowie neuerdings das Vollformgießen verwendet, s. Abschn. 7.1.
Die Wahl der Gußlegierungen richtet sich nach den Anforderungen des
jeweiligen Motortyps. Aus Kostengründen und bei mäßig hohen Anforde-
rungen werden die Sekundärlegierungen AlSi6Cu4 und AlSi8Cu3 in den
Wärmebehandlungszuständen F, T4 oder T5 eingesetzt sowie die Fe-ärme-
16 2 Märkte und Anwendungen

ren Varianten AlSi7Mg und AlSi10Mg(Cu) im Zustand T6 3. Wenn höhere


Duktilitätsanforderungen gestellt werden, muß man auf die teueren, reine-
ren Primärlegierungen AlSi7Mg0,3 oder AlSi9Mg zurückgreifen, deren
Warmfestigkeit jedoch begrenzt ist. Neuere Legierungsentwicklungen auf
Primäraluminiumbasis mit Cu- und Ni-Beimengungen bieten höhere
Warmfestigkeiten und gutes Duktilitätsniveau, wie z.B. Legierung Al-
Si7MgCu0,5. Die chemische Zusammensetzung geeigneter Legierungen
enthält Tabelle 2.1.2.
Eine Wärmebehandlung mit abschließender Warmaushärtung ist erfor-
derlich, um Eigenspannungen aus dem Gießprozeß abzubauen und die ho-
hen Toleranzanforderungen bei der maschinellen Bearbeitung zu gewähr-
leisten.

Tabelle 2.1.2 Häufig und gelegentlich verwendete Aluminiumlegierungen für Zy-


linderköpfe. Zusammensetzung gemäß DIN EN 1706 mit Ausnahme der Legie-
rung AlSi7MgCu0,5
Legierung
Si Fe Cu Mn Mg Ni Zn Ti
EN AC-
1)
AlSi8Cu3 7,5 - 9,5 0,8 2,0 - 3,5 0,15 - 0,65 0,05 - 0,55 0,35 1,2 0,25
2)
AlSi6Cu4 5,0 - 7,0 1,0 3,0 - 5,0 0,2 - 0,65 0,55 0,45 2,0 0,25
AlSi7Mg0,3 6,5 - 7,5 0,19 0,05 0,10 0,25 - 0,45 0,03 0,07 0,08 - 0,25
AlSi7Mg 3) 6,5 - 7,5 0,55 0,20 0,35 0,20 - 0,65 0,15 0,15 0,05 - 0,25
4)
AlSi7MgCu0,5 6,5 - 7,5 0,19 0,4 - 0,6 0,10 0,25 - 0,45 0,03 0,07 0,08 - 0,25
AlSi9Mg 9,0 - 10,0 0,19 0,05 0,10 0,25 - 0,45 0,03 0,07 0,15
AlSi10Mg(Cu) 9,0 - 11,0 0,65 0,35 0,55 0,25 - 0,45 0,15 0,35 0,15
1) 2) 3) 4)
A380.2, VDS 226 A319, VDS 225 356.0 nicht genormt

Aluminiummotorblöcke
Der Einsatz von Aluminium in Motorblöcken erlaubt – ähnlich wie bei Zy-
linderköpfen – eine Gewichtseinsparung bei den Gehäusen bis zu 50% ge-
genüber den Ausführungen in Grauguß. Zudem werden Kompatibilitäts-
probleme zwischen Zylinderkopf und Motorblock infolge unterschiedlicher
thermischer Ausdehnung gegenstandslos. Die kompakte Bauweise moderner
Motoren erfordert eine sehr gute und gleichmäßige Wärmeableitung über die
engen Brücken zwischen den Zylindern. Die Temperaturbeständigkeit des
Materials muß bis mindestens 150 °C – im Bereich der Kurbelwellenlage-
rung bis 200 °C – gewährleistet sein. Von besonderer Bedeutung sind An-
forderungen an den Verschleißwiderstand der Zylinderlaufflächen.

3
Die normgerechten Bezeichnungsweisen von Legierungen und Werkstoff-
Zuständen sind in Abschn. 3.4 dargestellt.
2.1 Aluminium im Automobilbau 17

Im Laufe der Entwicklung haben sich verschiedene technische und wirt-


schaftliche Lösungskonzepte herausgestellt. Aus wirtschaftlichen Gründen
wird die Herstellung von Motorblöcken mit dem Druckgießverfahren oder
dem Schwerkraftkokillenguß unter Verwendung von preiswerteren Sekun-
därlegierungen EN AC-AlSi9Cu3(Fe) bzw. EN AC-AlSi8Cu3 und EN
AC-AlSi6Cu4 vorgenommen. Wegen mangelnder Verschleißfestigkeit der
Zylinderlaufflächen werden in diesen Fällen Zylinder aus Grauguß sowie
seit einigen Jahren auch aus pulvermetallurgisch (s. Sprühkompaktieren,
Kap. 21) hergestellten und stranggepreßten hoch Si-haltigen (27 – 32 %
Si) Aluminiumlaufbuchsen beim Gießprozeß eingegossen, s. Bild 2.1.4.
Das bei der Erstarrung ausgeschiedene primäre Silizium in Form von fei-
nen Partikeln ist äußerst hart und verschleißfest.

Bild 2.1.4 Druckguß-Kurbelgehäuse des MB-V-6-Motors mit Zylinderlaufbuch-


sen aus PM-AlSi-Legierung (Quelle: DaimlerChrysler, 1998)

Nach einem anderen Verfahren wird der Motorblock im Niederdruck-


gießverfahren als Aluminium-Monoblock ohne eingegossene Elemente aus
einer hypereutektischen AlSi17Cu4Mg-Legierung auf Primäraluminium-
basis hergestellt, wobei nach dem Bearbeiten und Honen der Zylinderlauf-
flächen die Primärsiliziumausscheidungen durch Anätzen oder neuerdings
auch durch „elastisches Fertighonen“ gezielt freigelegt werden. Bei einer
weiteren Methode werden im Squeeze-Casting-Verfahren hochporöse, zy-
lindrische Pre-Forms aus gesinterten Si-Partikeln, mit oder ohne zusätzli-
che Al2O3-Fasern, unter Druck mit Aluminiumschmelze getränkt und so
eine örtliche verschleißfeste Verbundmaterialschicht eingebracht (Loka-
sil®–Verfahren der Fa. KS Aluminium Technologie AG), s. Bild 2.1.5.
Auch bei diesem Verfahren können kostengünstigere Sekundärlegierungen
verwendet werden. Geeignete Legierungen für die Motorblockherstellung
nach verschiedenen Verfahren s. Tabelle 2.1.3.
18 2 Märkte und Anwendungen

Bild 2.1.5 Mikrogefüge des „Lokasil“-Verbundwerkstoffs mit 25 % Si (links) und


mit zusätzlich 5% Al2O3-Fasern (rechts)(Quelle: KS Aluminium Technologie AG)

Tabelle 2.1.3 Häufig und gelegentlich verwendete Aluminiumlegierungen für Mo-


torblöcke
Legierung
Si Fe Cu Mn Mg Ni Zn Ti
EN AC-
1)
AlSi8Cu3 7,5 - 9,5 0,8 2,0 - 3,5 0,15 - 0,65 0,05 - 0,55 0,35 1,2 0,25
2)
AlSi6Cu4 5,0 - 7,0 1,0 3,0 - 5,0 0,2 - 0,65 0,55 0,45 2,0 0,25
3)
AlSi9Cu3(Fe) 8,0 - 11,0 1,3 2,0 - 4,0 0,55 0,05 - 0,55 0,55 1,2 0,25
AlSi7Mg0,3 6,5 - 7,5 0,19 0,05 0,10 0,25 - 0,45 0,03 0,07 0,08 - 0,25
4)
AlSi7Mg 6,5 - 7,5 0,55 0,20 0,35 0,20 - 0,65 0,15 0,15 0,05 - 0,25
5)
AlSi17Cu4Mg 16,0 - 18,0 0,3 4,0-5,0 0,15 0,5 - 0,65 0,10 0,10 0,20
1) 2) 3) 4) 5)
A380.2, VDS 226 A319, VDS 225 A380, VDS 226D nicht genormt nicht genormt

Motorblöcke werden heute auch sehr effizient mit dem CPS®-Verfahren


(Kernpaketverfahren) hergestellt, einem speziellen, automatisierten Sand-
gießverfahren, das sich durch hohe Flexibilität des Formenbaus und der
Gußteilgestaltung und durch besondere Erstarrungsbedingungen auszeich-
net.

Wärmetauscher
Aluminiumwärmetauscher haben in fast allen Automobilen den Buntme-
tallwärmetauscher aus Kostengründen und wegen der ca. 50-prozentigen
Gewichtseinsparung verdrängt. Sie dienen in vielfältiger Weise zum Ma-
nagement der Wärme im Motor, Getriebe und Fahrgastraum. Hierzu gehö-
ren Wasserkühler, Ölkühler und Ladeluftkühler sowie Verdampfer, Ver-
dichter und Heizerkern der Klimaanlage. Die überwiegende Zahl solcher
Aggregate werden durch Rohr/Rippen- bzw. durch Profilrohr/Rippen-Kon-
struktionen dargestellt. Kühlmittel- oder luftführende Rohre, häufig mit
inneren Lamellen zur Unterstützung laminarer Strömung, sind über Kopf-
und Bodenbleche mit den Kühlmittelkästen aus glasfaserverstärktem Po-
2.1 Aluminium im Automobilbau 19

lyamid oder aus Aluminium miteinander verbunden. Zur Verbesserung der


Effizienz sind die Rohroberflächen mit gestanzten oder gewellten Kühlrip-
pen umgeben, s. Bild 2.1.6.

Bild 2.1.6 Rohr/Rippen-Kühler am Beispiel eines Ladeluftkühlers. Rechts: sche-


matische Prinzipdarstellung (Quelle: Corus Aluminium, Koblenz)

Die Schlüsseltechnologien des Aluminiumkühlerbaus sind die Verbin-


dungstechnik für den Kühlerblock – bestehend aus Rohren, Rippen, Bo-
denblechen und Seitenteilen – und die Legierungstechnik. Beide Techno-
logien sind aufeinander abgestimmt. Preiswerte Kühler beruhen auf me-
chanischer Verbindung zwischen runden oder ovalen Kühlrohren und ge-
stanzten Rippenblechen. Nach dem Zusammenstecken des Kühlerblocks
werden die Rohre mechanisch aufgeweitet. Ein Ausschnitt eines derartigen
Klemmkühlers ist in Bild 2.1.7 dargestellt.

Bild 2.1.7 Mechanisch gefügter Rohr/Rippenkühlkörper (sog. Klemmkühler) be-


stehend aus ovalen Rohren und gestanzten Lamellen und Rohrbodenblechen
20 2 Märkte und Anwendungen

Für höchste Wärmeübertragungsleistung werden die Elemente des Küh-


lerblocks (Rohre, Wellenrippen und Bodenbleche) durch Hartlöten mitein-
ander verbunden. Hartgelötete Wärmetauscher stellen heute den größten
Anteil. Das Hartlot – Legierungen des Typs AlSi mit 8 bis 12 % Silizium –
wird als Plattierschicht beim Walzen des Bandmaterials aufgebracht. Das
rollgeformte Band wird entweder mittels HF-Rohrschweißen oder beim
Lötprozeß zu dünnwandigen Rohren gefügt. Speziell für den Wärmetau-
scher werden auch dünnwandige Flachrohre mit inneren Rippen und
Wandstärken bis herunter zu 0,5 mm stranggepreßt, s. Bild 2.1.8.

Bild 2.1.8 Stranggepreßte Wärmetauscherrohre (Quelle: Fa. Hydro Aluminium,


Tonder)

Nach dem Zusammenstecken des gesamten Kühlblocks geschieht der


Lötvorgang einerseits flußmittelfrei entweder mit dem Vakuumlötprozeß
oder unter sauerstofffreier kontrollierter Stickstoff-Ofenatmosphäre
(VAW-Prozeß) (Schoer et al. 1972) oder andererseits mit dem Nocolok®-
Prozeß, einem Hartlötprozeß mit nichtkorrosivem Flußmittel. Die Löt-
temperaturen von korrosionsresistenten Hartloten liegen etwa zwischen
590 °C und 620 °C (abhängig von der Lotzusammensetzung).
Die hohen Löttemperaturen sowie die Anforderungen an die Korrosi-
onsbeständigkeit schränken die Legierungswahl stark ein. Für Wärmetau-
scher geeignete Halbzeuglegierungen sind in DIN EN-683-2 („Finstock“)
genormt und in Tabelle 2.1.4 zusammen mit gängigen Hartloten aufgelis-
tet.
Ein entscheidendes Kriterium ist die Korrosionsbeständigkeit der Rohr-
und Kühlrippenelemente der Wärmetauscher. Zur Verbesserung des Kor-
rosionswiderstandes werden daher Plattierungen – z.B. Legierungen vom
2.1 Aluminium im Automobilbau 21

Tabelle 2.1.4 Legierungen von Halbzeugen und Hartloten für Wärmetauscher


Numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen Solidus [°C] Liquidus [°C]
Knethalbzeug......
EN AW-1050A EN AW-Al 99,5 646 657
EN AW-1200 EN AW-Al 99,0 643 657
EN AW-3003 EN AW-Al Mn1Cu 643 654
EN AW-3103 EN AW-Al Mn1 640 655
EN AW-5005 EN AW-Al Mg1(B) 632 652
EN AW-6063 EN AW-Al Mg0,7Si 615 655
EN AW-6951 EN AW-Al MgSi0,3Cu 612 655
Hartlote......
EN AW-4343 EN AW-Al Si7,5 577 613
EN AW-4045 EN AW-Al Si10 577 591
EN AW-4047A EN AW-Al Si12(A) 577 582
EN AW-4004 EN AW-Al Si10Mg1.5 554 569
EN AW-4104 EN AW-Al Si10MgBi 552 568

Typ AlZn1 (EN AW-7072), s. Bild 5.2.7 – aufgebracht, die durch die stär-
kere Elektronegativität als Opferanode zum Schutz des Kernmaterials –
z.B. EN AW-3003 (Al Mn1Cu) – dienen und den Korrosionsangriff auf
weniger kritische Bereiche lenken, s. Bild 2.1.9. Weitere Angaben zur
Elektronegativität enthält Abschn. 5.2.4.

Bild 2.1.9 Korrosionsgerechter Legierungsaufbau von Kühlrohr und Kühlrippe für


hartgelötete Wärmetauscher (n. Corus Aluminium, Koblenz)
22 2 Märkte und Anwendungen

In den letzten Jahren wurden sog. „Long Life Alloys“ für Wärmetau-
scher entwickelt, die durch eine ausgewogene Kombination von Hartlot,
Legierungszusammensetzung und Gefügeaufbau des Rohrmaterials in Ab-
stimmung mit den thermischen Prozeßparametern des Hartlötvorgangs ei-
ne mindestens fünffache Lebensdauer unter den korrosiven Betriebsbe-
dingungen ergeben. Auch hier dient eine abgestimmte Elektronegativität
des endgültigen Gefüges zur Verbesserung des Korrosionsverhaltens des
Werkstoffsystems (Miller et al. 2000).

2.1.2 Aluminium im Fahrwerksbereich

Neben dem Antriebsstrang ist der Fahrwerksbereich die nächst wichtige


Domäne für Leichtbaukomponenten aus Aluminium, das als Gußteil,
Schmiedeteil, Strangpreß- oder Blechformteil und als Kaltfließpreßteil
zur Anwendung kommt. Die Reduzierung ungefederter Massen verbes-
sert den Fahrkomfort und natürlich das Fahrzeuggewicht durch sekundä-
re Einsparungen an Federungs- und Dämpfungselementen. Eine grobe
Einteilung kann in Achsenhilfsrahmen, Achslenker und Achslager, Räder
und Bremssystemkomponenten sowie Lenkungsbereich vorgenommen
werden.
Moderne Fahrwerkskonstruktionen bestehen aus einem starren Hilfs-
rahmen, an den Achsen und Federung/Dämpfung mittels Quer- und Kop-
pellenker angebunden sind und der mit Schwingungsdämpfern an der Ka-
rosserie angebracht wird. Das Konstruktions- und Fertigungskonzept der-
artiger Hilfsrahmen richtet sich nach den jeweiligen Anforderungen der
Fahrzeugmodelle und kann entweder aus integral gegossenen Formguß-
teilen oder aus Schweißkonstruktionen mit Blechformteilen, Rohrelemen-
ten, Strangpreßprofilen und/oder Gußteilen bestehen. Einen Hinterachsträ-
ger als integral gegossenes Sandgußteil zeigt Bild 2.1.10.
Ein Beispiel ist die Hinterachse des BMW-5 – Bild 2.1.11 – die zur
Hauptsache aus kaltgeformten Rohren aus Legierung AlMg3,5Mn-0/H111
(nicht genormte Sonderlegierung) mit Wanddicken von 3,5–4 mm mittels
MIG-Schweißen zusammengesetzt ist. Die engen Toleranzen der 3D-
geformten Rohre werden durch Innenhochdruckumformen, s. Abschn.
13.1.3, gewährleistet. Bei einem Gewicht des Rahmens von etwa 11,5 kg
wird gegenüber einer gleichwertigen Stahlausführung eine Gewichtsein-
sparung von 40% erreicht.
2.1 Aluminium im Automobilbau 23

Bild 2.1.10 Hinterachsträger in automatisiertem Sandguß aus Legierung EN AC-


AlSi7Mg für Volvo Modelle S60, V70 und XC70 Cross Country, SOP: 2003
(Quelle: Honsel GmbH & Co KG, Meschede)

Bild 2.1.11 Geschweißte Rohrrahmenkonstruktion als Hinterachsträger der BMW


5er-Modellreihe (Werksfoto BMW AG)

Ein Beispiel für die Verwendung von Blechformteilen ist der Hinter-
achshilfsrahmen der S-Klasse Modelle von DaimlerChrysler in Bild
2.1.12. Die Blechformteile bestehen aus 2,5 bis 3,5 mm dickem Warm-
walzmaterial der Legierung EN AW-5454-0/H111, wiederum durch MIG-
Schweißen zusammengefügt. Auch hier wird bei einem Rahmengewicht
von 12,5 kg eine Gewichtseinsparung von 40 % gegenüber einer Stahlaus-
führung realisiert.
24 2 Märkte und Anwendungen

Bild 2.1.12 Hinterachshilfsrahmen der S-Klasse von DaimlerChrysler

Fahrwerkskomponenten aus Aluminium, wie Querlenker und Längslen-


ker, sind traditionell die Domäne des Schmiedeteils oder auch des Guß-
teils. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden derartige Lenker auch als Ab-
schnitte von Profilen hergestellt. Beispiele für geschmiedete Koppellenker
sind in Bild 2.1.13 dargestellt und bestehen aus der Legierung EN AW-
6082-T6.

Bild 2.1.13 Beispiele für geschmiedete Querlenker aus EN AW-6082-T6 (Al-


Si1MgMn-T6) (Quelle: Otto Fuchs Metallwerke)

Aluminiumräder haben sich vorwiegend aus Styling-Gründen einen be-


deutenden Markt erobert und decken nach Schätzungen heute etwa 50%
des Erstausrüstermarktes ab. Hierbei handelt es sich zu 90 % um Gußräder,
die mit dem Niederdruck-Kokillengießverfahren hergestellt werden. Als
Gußlegierungen werden die warmaushärtbare EN AC-AlSi7Mg0,3 Legie-
rung sowie die nicht warmaushärtbare EN AC-AlSi11Mg Legierung ver-
2.1 Aluminium im Automobilbau 25

wendet. Wegen der hohen Duktilitätsanforderungen werden hauptsächlich


Legierungen auf Primäraluminiumbasis eingesetzt.
Ein bestimmtes Marktsegment (ca. 5 %) ist auch geschmiedeten Alumi-
niumrädern vorbehalten, die durch eine Folge von Schmiede- und Drück-
walzoperationen hergestellt werden. Die Standardlegierung für Schmiede-
räder ist die aushärtbare Legierung EN AW-6082-T6 (AlSi1MgMn).
Durch Kompromisse im Styling konnte der aufwendige Schmiedeprozeß
vereinfacht, das Radgewicht deutlich verringert und die Kosten auf das
Niveau von Gußrädern gebracht werden (Klein et al. 1996).
Geschweißte zweiteilige Blechräder aus Aluminium, sog. Aluminium-
bandräder, gehören zu den leichtesten Radausführungen. Trotz höherer
Kosten als vergleichbare Stahlräder sind diese Räder von Interesse, weil
sie die ungefederten Massen reduzieren und dadurch zum Fahrkomfort und
zur Bodenhaftung beitragen. Hierbei wird die Felge aus widerstandspreß-
geschweißtem Band walzprofiliert und mit der gezogenen Radschüssel
durch MIG-Impulsschweißen verbunden. Als Werkstoff kommt vorzugs-
weise die Legierung EN AW-5454 (EN AW-AlMg3Mn) zum Einsatz.
Beispiele für gegossene, geschmiedete und aus Walzmaterial hergestellte
Leichtmetallräder zeigt Bild 2.1.14.

Bild 2.1.14 Aluminiumräder für PKW in drei verschiedenen Fertigungsvarianten:


a) Gußrad (Fa. Montupet), b) Schmiedeleichtrad (Fa. Otto Fuchs Metallwerke),
c) zweiteiliges Bandrad (Fa. Michelin-Kronprinz)

Verschiedene weitere Fertigungsvarianten wurden und werden verfolgt,


z.B. die Fertigung des Felgenbetts durch Runden von Strangpreßprofilen.
Aus umformtechnischer Sicht interessant ist das sogenannte „Spaltrad“.
Hierbei wird von einer Ronde ausgehend die Schüssel kalt geprägt und das
Felgenbett im Drückwalzverfahren durch Spalten und Auswalzen des
Rondenrandes angeformt. Sieht man von dem Kaltprägevorgang des Rad-
schüsselbereichs ab, ist der Fertigungsgang dem des Schmiederades ver-
wandt. Das einteilige Spaltrad hat gegenüber dem geschweißten Blechrad
26 2 Märkte und Anwendungen

den fahrzeugtechnischen Vorzug des größeren Bremsenraums. Als Werk-


stoffe wurden aushärtbare Legierungen vom Typ 6082 bzw. 6061 verwen-
det. Trotz der offenkundigen Vorteile des einteiligen Spaltrades hat es sich
bisher – vermutlich aus wirtschaftlichen Gründen – nicht durchsetzen kön-
nen. Die wichtigsten Herstellungsvarianten werden in Bild 2.1.15 bezüg-
lich charakteristischer Merkmale miteinander verglichen.

Bild 2.1.15 Vergleich der Merkmale von PKW-Rädern nach verschiedenen Her-
stellungstechnologien. Vergleichsbasis: 6Jx15 ET45 Radlast 550kg (Quelle: Otto
Fuchs Metallwerke, 1996)

Aus der Sicht der Werkstofftechnologie können künftig auch die Ent-
wicklungen von Bremsscheiben aus partikelverstärktem Aluminium von
Interesse werden, s. Abschn. 21.2, da sie ebenfalls die ungefederten Mas-
sen und den Verschleiß deutlich vermindern helfen.
Auch der intensivere Einsatz von technischen Kaltfließpreßteilen im
hochbeanspruchten Fahrwerksbereich ist denkbar. In einer Reihe von
Fahrzeugmodellen wird seit Jahren erfolgreich die Lenkungsgelenkwelle
aus Kaltfließpreßteilen – s. Kap. 11 – aus der Legierung EN AW-6351-T6
eingesetzt, s. Bild 2.1.16. Die komplexen Formgebungsmöglichkeiten von
Aluminiumlegierungen mit mittleren bis hohen Festigkeiten durch Kalt-
fließpressen erlauben das Einsparen von Einzelteilen bei mehrteiligen
Stahlkomponenten und somit von Fertigungsgängen.
2.1 Aluminium im Automobilbau 27

Bild 2.1.16 Kaltfließgepreßte Lenkungsgelenkwellenteile (Quelle: Raufoss)

2.1.3 Aluminium im Karosseriebau

Neben Antrieb und Fahrwerk ist der Karosseriebau der Bereich, bei dem
der Leichtbau mit Aluminium die größte absolute Gewichtsminderung am
Fahrzeug erreichen kann: gegenüber der Stahlausführung von ca. 300 bis
350 kg lassen sich Einsparungen von ca. 35 bis 40 %, entsprechend 100 bis
140 kg erzielen. Die heutige Verwendung von Aluminium im Karosserie-
bau kann man grob unterteilen nach dem Einsatz
− als bewegliche Anhängeteile (Türen, Hauben, etc.)
− als feste Anschraubteile (Stoßfänger, Kotflügel, etc.) und
− in der Struktur des Rohbauwagenkastens.

Anhängeteile
Hauben und Türen sind selbsttragende, steife Bauteile, deren metallische
Elemente aus mehreren Schalen und Rahmen oder Aggregateträgern zu-
sammengesetzt sind. Insbesondere Motorhauben werden bei zahlreichen
Klein-, Mittel- und Großserienfahrzeugen zur Gewichtsreduzierung des
Vorderwagens in Aluminiumbauweise ausgeführt. Beispiel einer Motor-
haube für ein Großserienfahrzeug zeigt Bild 2.1.17.
An die Werkstoffe für Innen- und Außenschale werden unterschiedliche
Anforderungen gestellt. Außenbleche müssen nach der Umformung voll-
kommen fließfigurenfrei sein und in den stärker verformten Randbereichen
28 2 Märkte und Anwendungen

noch mit engen Radien falzbar sein. Außerdem erfordert die notwendige
Beulsteifigkeit eine möglichst hohe Festigkeit von > 200 N/mm². Aus Stei-
figkeitsgründen entspricht die Blechdicke etwa dem 1,45-fachen Wert ei-
ner vergleichbaren Stahlblechdicke, s. Kap. 20. Gegenüber der Außen-
schale wird die Innenschale stärker verformt und vom Material eine gute
Streckziehbarkeit gefordert. Die Gewichtseinsparung gegenüber der Stahl-
ausführung beträgt knapp 50%, – etwa 5 bis 10 kg/Stück je nach Hauben-
größe. Als Karosserieblechlegierungen kommen die in Tabelle 2.1.5 aufge-
führten Legierungen zum Einsatz.

Bild 2.1.17 Aluminium-Motorhaube des Audi A6 (Quelle: Alcan / Novelis)

Tabelle 2.1.5 Karosserieblechlegierungen für Motorhauben


Anwendung numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen Blechdickenbereiche [mm]
Außenblech EN AW-6016-T4 1) EN AW-Al Si1,2Mg0,4 1,0 - 1,25
AA 6111-T4 2) (Al Mg0,8Si0,9Mn) 0,9 – 1,20
Innenblech EN AW-5052-0 EN AW-Al Mg2,5 0,8 - 1,15
EN AW-5754-0 EN AW-Al Mg3 "
EN AW-5182-0 EN AW-Al Mg4,5Mn0,4 "
EN AW-6181A-T4 EN AW-Al Si1Mg0,8(A) "
1)
Die Legierung wird auch in einer schnell härtenden Variante „T4+“ geliefert
2)
vornehmlich in USA verwendet
2.1 Aluminium im Automobilbau 29

Türen bestehen ebenfalls aus der Außenschale und einem Türinnenteil,


in das der Aggregateträger zur Aufnahme der Tür- und Fenstermechanik –
häufig als Zulieferteil – montiert. Türinnenteil und Aggregateträger beste-
hen aus einer Schweiß- oder Schraubkonstruktion aus Blech-, Profil-
und/oder Gußformteilen. Ein Beispiel für einen Aggregateträger ist in Bild
2.1.18 gezeigt.

Bild 2.1.18 Innenteil der Fronttür des Audi A8 (D3) (Quelle: Wagon plc)

Eine weitere, auch in Stahltürausführungen eingesetzte Aluminium-


komponente ist das aus Strangpreßprofil bestehende Tür-Verstärkungspro-
fil als seitlicher Aufprallschutz. Verschiedene Ausführungsbeispiele zeigt
Bild 2.1.19. Für den optimalen Energieverzehrs werden die Bauteile so

Bild 2.1.19 Tür-Verstärkungen als Seitenaufprallschutz aus Aluminium-Strang-


preßprofilen (Quelle: Alusuisse (Alcan))
30 2 Märkte und Anwendungen

wohl hinsichtlich der Querschnittsgestaltung als auch der Legierungsaus-


wahl und Wärmebehandlung speziell ausgelegt, z.B. EN AW-6082-T66.

Anschraubteile
Als „Anschraubteil“ ist vor allem das Stoßfängersystem zu nennen, das bis
zu mittleren Geschwindigkeiten von 16-18 km/h den gesamten Energie-
verzehr eines Zusammenstoßes bewältigen muß. Die Verwendung von A-
luminium beim Stoßfängersystem hat einerseits den Vorteil der Ge-
wichtsreduzierung, andererseits aber auch des höheren elastischen Verhal-
tens, das zur Schadensminderung und auch zur Insassen-schützenden Mil-
derung der Stoßbeschleunigung (g-Wert) beiträgt, s. Abschn. 20.1. Das
energieverzehrende System besteht im wesentlichen aus dem Stoßfänger-
balken und den Befestigungselementen einschließlich sog. „Crashboxes“
bzw. hydraulischer oder Schaum-Stoßverzehrelemente. Stoßfängerbalken
werden als Blechformteil sowie auch als Strangpreßprofil ausgeführt, bei
letzterem häufig mit geschlossenem Querschnitt.
Die Anwendung von Strangpreßprofilen hat den Vorteil, daß die Mate-
rialverteilung den Anforderungen entsprechend vorgenommen werden
kann. Andererseits muß das stranggepreßte Profil über der Wagenbreite
der Wagenstruktur angepaßt werden und unterschiedliche Steifigkeits-
merkmale aufweisen. Stranggepreßte Stoßfängerbalken werden daher einer
z.T. starken Umformung unterzogen, s. Abschn. 13.1. Als Legierungen für
stranggepreßte Stoßfänger werden überwiegend höherfeste AlZnMg-Le-
gierungen verwendet. Für Stoßfängerprofile mit Mehrkammerquerschnit-
ten werden wegen der besseren Strangpreßbarkeit auch AlMgSi-Legie-
rungen eingesetzt. Eine Auswahl von Strangpreßlegierungen für Stoß-
fänger enthält Tabelle 2.1.6. Die Stoßfänger werden warmausgehärtet
eingesetzt, wobei der spezielle Zustand T6, T7 den Anforderungen jeweils
angepaßt wird.

Tabelle 2.1.6 Ausgewählte Strangpreßlegierungen für Stoßfänger


Numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen
EN AW-7108 EN AW-Al Zn5Mg1Zr
EN AW-7003 EN AW-Al Zn6Mg0,8Zr
EN AW-6061 EN AW-Al Mg1SiCu
EN AW-6082 EN AW-Al Si1MgMn
EN AW-6063 EN AW-Al Mg0,7Si
2.1 Aluminium im Automobilbau 31

Rohbauwagen
Die Art der Verwendung von Aluminium in der Rohbauwagenstruktur ist
abhängig von der Seriengröße, da bei Klein- und Mittelserien die Investi-
tionen in den Werkzeug- und Vorrichtungsbau anderen Kostenkriterien un-
terliegen als bei Großserienfertigungen. Die Konstruktionskonzepte müs-
sen sich daher an der beabsichtigten Seriengröße ausrichten. Die höchsten
Investitionskosten entstehen bei Blechformteilen und setzen daher eine
Großserienfertigung voraus. Auch Gußteile aus Dauerformen (Druckguß,
Schwerkraftkokillenguß) erfordern eine mittlere Seriengröße. Die ver-
gleichsweise geringsten Werkzeugkosten fallen bei Profilkonstruktionen
an, sofern nicht durch zusätzliche Formgebung und Toleranzreduzierungen
weitere Werkzeugkosten (z.B. für das Innenhochdruckumformen) entste-
hen.
Man kann daher eine grobe Einteilung der Konstruktionskonzepte der-
gestalt vornehmen, daß bei Kleinserien vorzugsweise Profilkonstruktionen,
bei Mittelserien Mischkonstruktionen aus Profilen und Formgußteilen und
bei Großserien überwiegend Blechkonstruktionen verwendet werden. Die-
se Konstruktionskonzepte betreffen die in der Regel nicht sichtbare Trag-
struktur des Vorderbaus und der Fahrgastzelle ohne Anbauteile. Bei allen
drei Konzepten werden die Formgebungsmöglichkeiten so weit wie mög-
lich ausgeschöpft, um die Teilezahl zu minimieren und so den Fü-
geaufwand gering zu halten.

Bild 2.1.20 Rohbauwagenstruktur des Ferrari 599 GTB Fiorano, SOP Okt. 2005
(Quelle: Alcoa)

Typisch für Kleinserienfahrzeuge sind z.B. der Ferrari F360 Modena


und F430, der GTB Fiorano sowie der 612 Scagliatti, der BMW Z8, der
Aston Martin Vanquish, der Lamborghini Gallardo, u.a.. Diese Fahrzeuge
besitzen eine Tragstruktur des Rohbauwagens, die überwiegend aus gera-
32 2 Märkte und Anwendungen

den Strangpreßprofilabschnitten besteht, s. Bild 2.1.20. Die Formen der


Dachlang- und Dachquerträger und des Windlaufs erfordern jedoch meis-
tens ein 2D- oder 3D-Streckbiegen des Profils. Vereinzelt werden für be-
sonders komplexe Strukturteile – wie der Anbindung zwischen A-Säule
und Vorderbau – Gußteile eingesetzt. Die Verbindung der verschiedenen
Strukturelemente erfolgt überwiegend mit dem MIG-Verfahren. Blecheile
in den Schubfeldern werden mechanisch (durch Stanznieten, Clinchen,
Blindnieten oder Fließbohrschrauben, s. Kap. 18) ohne oder mit gleichzei-
tiger Applikation von Strukturklebern verbunden.
Für mittlere Seriengrößen von etwa 25.000 Stück/Jahr wurde das Audi
Spaceframe Konzept ASF® entwickelt, das zum ersten Mal im Audi A8
(D2, SOP4 1994) verwirklicht wurde. Die Struktur besteht aus einer Mi-
schung aus Strangpreßprofilen, Formguß- und Blechformteilen, die mittels
MIG-Schweißen verbunden wurden. Als weitere Fügeverfahren wurden
Stanznieten, Durchsetzfügen („Clinchen“) und Widerstandspunktschwei-
ßen eingesetzt. Auf dem gleichen Konstruktionskonzept beruhte der Audi
A2 (SOP 1999), bei dem jedoch die Integration von Einzelteilen durch
Formgußteile – wie z.B. bei der B-Säule – weiter entwickelt wurde. Als
Fügeverfahren kamen ausschließlich MIG-Schweißen und Stanznieten so-
wie Laserstrahlschweißen zum Einsatz. Die Seitenwände wurden auf
Großteilpressen einteilig hergestellt. Die überwiegend gebogenen und mit
veränderten Querschnitten versehenen Strangpreßprofilteile wurden durch
Innenhochdruckumformen geformt, geprägt, gestanzt und kalibriert. Ein
typisches Beispiel für die Profilbearbeitung ist der Dachlängsträger des
Audi A2, s. Bild 2.1.21. Mit den genannten Änderungen war es möglich,
den Automatisierungsgrad der Rohbaufertigung gegenüber dem A8 (D2)
von etwa 25% auf 80% zu erhöhen.

Bild 2.1.21 Durch Vorbiegen und Innenhochdruck umgeformtes Dachlängsträ-


gerprofil mit Skizzen der veränderten Querschnitte, sowie mit Lochstanzungen
und Prägungen (Quelle: Audi AG)

4 SOP = Serienanlauf (Start of Production)


2.1 Aluminium im Automobilbau 33

Ähnlich wie beim A2 wurde beim A8 der zweiten Generation (D3, SOP
2002), s. Bild 2.1.22, durch die Verwendung großer funktionsintegrierter
Formgußteile die Teilezahl weiter reduziert und ein auf etwa 85% erhöhter
Automatisierungsgrad der Rohbaufertigung erreicht. Die Fügetechnik
schließt Stanznieten, MIG- und Laserstrahlschweißen sowie Laser-MIG-
Hybridschweißen, und Rollenfalzen mit Kleben der Anhängeteile ein. Das
Audi-AFS®-Konzept führt zu über 40% Gewichtseinsparung gegenüber
einer vergleichbaren Stahlausführung. Ausführliche Beschreibungen der
Konstruktion und Fertigung des A8(D3) findet man u.a. in (Ruch 2002,
Mayer 2002, Venier 2002, Koglin 2002, Bangel 2003, von Zengen 2003).

Bild 2.1.22 Rohbauwagen des Audi A8 der zweiten Generation (D3) in photo- und
computergraphischer Darstellung mit Angabe der wichtigsten Materialarten
(Quelle: Audi AG)
34 2 Märkte und Anwendungen

Die Fortschritte im Konstruktions- und Fertigungskonzept der Audi-


ASF®-Bauweise erkennt man an der folgenden tabellarischen Übersicht,
Tabelle 2.1.7. Darüber hinaus profitierte der Audi A8 (D3) von der Ent-
wicklung schnell warmaushärtender Blechwerkstoffe, s. Abschn. 3.2.5, die
während der KTL-Einbrennlackierung ausreichende Festigkeitswerte
erzielen. Dadurch wurde eine separate Warmaushärtungsstufe im Ferti-
gungsprozeß der Karosserie überflüssig.

Tabelle 2.1.7 Charakteristische Merkmale der Audi Modelle mit ASF®-


Spaceframes A8 (D2), A8 (D3) und A2
Modell A8 (D2) A2 A8 (D3)
SOP 1994 1999 2002
Gewicht [kg] 1) 249 156 277
Gewichtseinsparung [%] k.A. 42 41
Teilezahl 334 225 260
Serie [Stck./Jahr] 2) 16.000 70.000 25.000
Länge [mm] 5.034 3.826 5.051
Breite [mm] 1.880 1.673 1.894
Höhe [mm] 1.436 1.553 1.444
Profilteilezahl 47 22 59
Gußstückteilezahl 50 20 31
Blechteilezahl 237 183 170
Fügetechnik
WPS/Zahl 500 0 0
Stanznieten/Zahl 1100 1800 2400
Durchsetzfügen/Zahl 179 0 0
MIG [m] 70 20 64
Laser [m] 0 30 20
Laser/MIG Hybrid [m] 0 0 5
Falzen ja ja ja
Kleben ja ja ja
1)
inkl. Anbauteile, Türen, Hauben
2)
Planungsvorgaben

Im Vergleich zum Spaceframe-Konzept des Karosseriebaus für Klein-


und Mittelserien ist die selbsttragende Blechbauweise in der Großserie üb-
lich, – allerdings bis heute fast ausnahmslos der Stahlausführung vorbe-
halten. Eine aktuelle Ausnahme ist die Ganzaluminiumkarosserie des Ja-
guar XJ (SOP: 2002), die als Mittelserie konzipiert ist, aber auch als Test-
fall für die Großserienausführung dienen kann. Strangpreßprofile und
2.1 Aluminium im Automobilbau 35

Gußteile spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle (Komponentenzahl


aus Profil und Formguß 7% bzw. 5%).
Gegenüber der Ganzaluminiumausführung hat die Mischbauweise nach
Meinung verschiedener Autobauer deutliche Vorteile in der Großserien-
fertigung. Sie erlaubt, die Gewichtsvorteile durch Leichtbauwerkstoffe
dort wahrzunehmen, wo besondere Gewichtsprobleme bestehen, nämlich
im Vorderwagenbereich. Ein Beispiel für dieses Baukonzept ist der
BMW5 (E60, SOP 2003), dessen vorderer Rohbauwagen in Ganzalu-
miniumbauweise ausgeführt wird und mittels geeigneter Fügetechnik
(Stanznieten, Kleben, PVC-Dichtmasse) mit der übrigen Stahlkarosserie
verbunden wird, s. Bild 2.1.23. Einschließlich Motorhaube, vorderer Sei-
tenwand und Stoßfängerbalken beträgt der Aluminiumanteil an der Rohka-
rosse 18%. Außer Strangpreßprofilen, und Blechformteilen wird ein
druckgegossenes Federbeingehäuse (AlMg5Si2Mn-F – Magsimal59®) ver-
wendet.

Bild 2.1.23 Teilansicht des Aluminiumvorderbaus des BMW5 (E60)

Ein anderes Mischbaukonzept wurde im neuen Audi-TT (SOP 2006)


verwirklicht. Aufgrund der geringeren beabsichtigten Seriengröße (ca. 275
Fzge./Tag) wurde nicht nur der Vorderbau, sondern auch die Fahrgastzelle
auf der Basis des Spaceframe-Baukonzeptes in Aluminium ausgeführt,
wobei zugleich auf kostspieliges Profilbiegen und IHU-Kalibrieren weit-
gehend verzichtet wurde. Die Stahlkomponenten der Karosserie befinden
sich im Heckbereich des Fahrzeugs und sind mit spezieller Verbindungs-
36 2 Märkte und Anwendungen

technik, s. Abschn. 18.3–4, mit der Spaceframe-Struktur der Fahrgastzelle


verbunden. Mit Ausnahme der Seitentüren sind Außenflächen und Hauben
in Aluminiumblechbauweise ausgeführt. Die Rohkarosserie besteht zu
69% aus Aluminium (31% Blech, 22% Guß, 16% Profile) und zu 31% aus
Stahlblech bei einem Gewicht von 206 kg (ohne Anbauteile) (Bangel et al.
2006).

Bild 2.1.24 Innenansicht der Rohkarosserie des Audi-TT bestehend aus Stahl-
blechformteilen im Heckbereich (im Vordergrund, dunkler) und der Aluminium-
Spaceframe-Struktur mit aussteifenden Blechelementen (hellere Elemente)

Die Palette der Knet- und Gußlegierungen, die im Karosseriebau einge-


setzt werden, wurden in den letzten Jahren durch zahlreiche Varianten er-
weitert. Die wichtigsten Blech-, Profil- und Gußlegierungen sind in Tabel-
le 2.1.8 zusammengestellt. Bei den Karosserieblechlegierungen ist zwi-
schen den naturharten AlMg- und aushärtbaren AlMgSi-Legierungen
hinsichtlich ihres Einsatzbereichs zu unterscheiden. Durch die Ausbildung
von Fließfiguren bei der Umformung sind die AlMg-Legierungen nicht für
sichtbare Außenhauteile geeignet. Wegen ihrer ausgezeichneten Umform-
barkeit werden sie vornehmlich für schwierige Umformoperationen bei In-
nenteilen verwendet. Bei der Bedeutung des Marktes und bei den unter-
2.1 Aluminium im Automobilbau 37

schiedlichen Anforderungen an Festigkeit und Umformverhalten – z.B.


ausreichendes Falzverhalten von Außenhautblechen in verfestigten Berei-
chen – wurden über die angegebenen AlMgSi-Legierungen hinaus zahlrei-
che herstellerspezifische Legierungsvarianten und Werkstoffzustände ent-
wickelt. Das gleiche gilt für AlMgSi-Profilwerkstoffe, die für optimales
duktiles Faltverhalten beim Crash-Vorgang ein feinkörniges Gefüge (Va-
nadium-Zusatz) mit nur geringfügigem interkristallinen Bruchverhalten
(Mangan-Zusatz) und gegebenenfalls geringem Eisengehalt benötigen, s.
Abschn. 6.2. Bei den Blechwerkstoffen ist außerdem auf die besonders auf
den Karosseriebau abgestimmten Oberflächen (u.a. Rauhigkeit, Konversi-
ons- und Schmierstoffschichten) hinzuweisen, s. Kap 12.

Tabelle 2.1.8 Aluminiumlegierungen im Anlieferungszustand für Beplankungs-


und Strukturteile der Rohkarosserie (Auswahl)

Numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen Anwendung


Blechwerkstoffe
EN AW-6016-T4 1) EN AW-Al Si1,2Mg0,4 Außenblech
AA 6014-T4 (Al MgSiV) Außenblech
AA 6501-T4 Außenblech
AA 6106-T4 Außenblech
EN AW-5754-0/H111 EN AW-Al Mg3 Innenblech
EN AW-5042-0/H111 EN AW-Al Mg3,5Mn Innenblech
EN AW-5182-0/H111 EN AW-Al Mg4,5Mn0,4 Innenblech
EN AW-6181A-T4 EN AW-Al Si1Mg0,8(A) Innenblech
Profilwerkstoffe
EN AW-6060-T4/T6 EN AW-Al MgSi Strukturteile
AA 6014-T4/T6/T7 AA Al MgSiV Strukturteile
EN AW-6106-T4/T6 EN AW-Al MgSiMn Strukturteile
EN AW-6005A-T6 EN AW-Al SiMg(A) Strukturteile
EN AW-6082-T6 EN AW-Al Si1MgMn Strukturteile
Gußwerkstoffe
EN AC-43000-T6 EN AC-Al Si10Mg Strukturteile
EN AC-42100-T6 EN AC-Al Si7Mg0,3 Strukturteile
NN (-F) 2) Al Mg5Si2Mn Strukturteile
1)
die Legierung wird auch in einer schnell-härtenden Variante T4+ geliefert
2)
nicht in EN genormt; Magsimal59®

Neben den angegebenen Blechlegierungen werden weitere Legierungen


in der ausländischen Automobilindustrie eingesetzt, die im Inland bis heu-
te jedoch keine wesentliche Rolle spielen. Diese Legierungen sind in Ta-
38 2 Märkte und Anwendungen

belle 2.1.9 aufgeführt. Die früher im Ausland für den Karosserieblechbau


verwendeten AlCuMg-Legierungen (AA2002, AA2008, AA2036 und
AA2038) haben gegenüber den AlMgSi- und AlMg-Legierungen völlig an
Bedeutung verloren. Zu den in Japan entwickelten AlMg(Cu)-Legierungen
AA5022 (früher KS5030) und AA5023 (früher KS5032) enthält Abschn.
3.2.3 weitere Ausführungen. Die AlMg(Cu)-Legierungen dürften auch im
europäischen Karosseriebau künftig an Bedeutung gewinnen.

Tabelle 2.1.9 Karosserieblechlegierungen ausländischer Provenienz

numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen Anwendung


AA 5022-0/T4 AA Al Mg4,5Cu0,3 Innen- & Außenblech
AA 5023-0/T4 AA Al Mg5,5Cu0,3 Innen- & Außenblech
AA 6009-T4 AA Al Si0,8Mg0,6CuMn Innenblech
AA 6022-T4 AA Al Si1,3Mg0,6CuMn Außenblech
AA 6111-T4 AA Al Si0,9Mg0,7CuMn Außenblech

Hohlprofile und Rohre aus Aluminiumlegierungen haben durch die Fal-


tenbildung beim Crash ein günstiges Energieabsorptionsvermögen, das
sich durch die Wahl der Querschnitte − z.B. Mehrkammerhohlprofile −
den Anforderungen entsprechend einstellen läßt. Um die Höhe der An-
fangsstoßkraft zur Verringerung der physiologischen Belastung der Passa-
giere gering zu halten, kann man eine weiche Zone in den Crash-Gliedern
durch eine lokale T7-Wärmebehandlung, s. Bild 2.1.25, oder durch eine
Formschwächung vorsehen.

Bild 2.1.25 Crash-Verhalten von Rohr-Profilkonstruktionen mit und ohne lokale


Überhärtung (Ruch 1992)
2.1 Aluminium im Automobilbau 39

Strangpreßprofile für Spaceframes, sowie auch für andere konstruktive


Anwendungen, bestehen in der Regel aus aushärtbaren Legierungen, die
im warmausgehärteten Zustand für Kaltverformungen ungeeignet sind. Die
Verwendung von kaltausgehärteten Legierungen setzt allerdings ein enges
Toleranzspektrum der Fließkurve für reproduzierbares Rückfederungs-
und Eigenspannungsverhalten, d.h. eine gewisse Lagerfähigkeit voraus,
s. hierzu den Abschn. 3.2.5 Verbesserung der Warmaushärtungskinetik
durch Stabilisierungsglühen. Außerdem ist eine abschließende Warmaus-
lagerung zur Erzielung höherer Festigkeitswerte erforderlich.
Die Biegetechnik von Hohlprofilen ist für den Automobilbau ein wich-
tiges Fertigungsverfahren, an das hohe technische und wirtschaftliche An-
forderungen gestellt werden. Kaltgebogene Profile enthalten Eigenspan-
nungen, deren Höhe vom Grad der Biegeverformung und ihrer Verteilung
über dem Querschnitt, von der Fließkurve des Materials und der Art des
Biegeverfahrens abhängen. Die Störung der Eigenspannungsfelder z.B.
durch Ausklinkungen, Bohrungen oder Schweißen kann zu geometrischen
Formabweichungen führen. Die rechnerische Simulation von Eigenspan-
nungen infolge von Biegevorgängen in unregelmäßigen Profilquerschnit-
ten oder von Schweißoperationen hat in den letzten Jahren deutliche Fort-
schritte gemacht. Durch Halbwarmumformen oder besonders durch das
Biegen von Profilen im Strangpreßvorgang bei Preßtemperatur lassen sich
eigenspannungsarme Profile erzeugen, s. Kap. 9. Verbesserungen der Ver-
formbarkeit von Profilen im T4 oder T6 Zustand lassen sich auch durch
Rückbildungsglühungen erzielen, die z.T. auch in der Prozeßkette durch-
geführt werden können, s. hierzu den Abschn. 3.2.5 Rückbildungsglühen
zum Zwecke verbesserter Umformbarkeit.

Für die Herstellung von Aluminium-Karosserieblechteilen werden


grundsätzlich die gleichen Anlagen und Prozesse zugrunde gelegt wie für
die Herstellung von Stahlkarosserien. Der Vorteil besteht in der Nutzung
des vorhandenen Maschinenparks und des damit gebundenen Kapitals.
Daraus resultieren erwartungsgemäß Kompatibilitätsprobleme, verursacht
bei unbehandeltem, blanken Aluminium durch die empfindlichere Ober-
fläche, die undefinierte Oxidschicht, den höheren Bedarf an Schmierstoff,
die z.T. geringere Umformbarkeit, die ungünstige Punktschweißbarkeit
und das unterschiedliche chemische Verhalten bei den Vorbehandlungsstu-
fen zum Lackieren. Diese Unterschiede zwingen zu einer Reihe von zu-
sätzlichen Fertigungsschritten mit entsprechenden wirtschaftlichen Konse-
quenzen.
Um bessere Ziehergebnisse zu erzielen, muß die Umformtechnik dem
Werkstoff angepaßt werden, d.h. durch Maßnahmen, die den Werkstoff-
40 2 Märkte und Anwendungen

fluß im Werkzeug präzise steuern und die gefürchteten Abrieberscheinun-


gen am Werkzeug sowie die Flitterbildung bei Stanzvorgängen vermeiden
helfen. Die Tribologie (s. Abschn. 12.2) hat damit eine entscheidende Rol-
le in der Ziehteilfertigung mit den Forderungen:
• Schützen der vorhandenen Oxidschicht
• Trennung zwischen frischer (oxidfreier) Werkstückoberfläche und
Werkzeug
• genügend großer Reibbeiwert µ zur Steuerung des Materialflusses
• Kostenreduzierung
• geringe Umweltbelastung
• Kompatibilität mit nachfolgenden Operationen (z.B. Kleben, Lackieren)
• Prozeßsicherheit.

Die Applikation von Trockenschmierstoffen und tribologisch aktiven


Beschichtungen des Halbzeugs, die gleichzeitig weitere Funktionen in den
nachfolgenden Lackierprozeßstufen übernehmen können, gehören mittler-
weile zum Stand der Technik. Coil-Coating Systeme können die CrVI-freie
Konversionsbehandlung, Anodisierung, Grundierung und Füller umfassen.
Insgesamt läßt sich potentiell auf diese Weise eine Reihe von problemati-
schen Fertigungsschritten einsparen, s. Tabelle 2.1.10 (Ostermann 1994).
Die „Chemie“ bei Automobilproduzenten wird entlastet und auf die Pro-
zeßstufe des Halbzeugs rückverlagert, wo die Prozeßführung bei der Be-
schichtung umweltfreundlicher durchgeführt und werkstoffspezifischer
kontrolliert werden kann.
Ohne gleichzeitige Anpassung der Werkzeugtechnik können diese Mög-
lichkeiten jedoch nicht voll ausgeschöpft werden, da Beschädigungen der
Beschichtung vermieden werden müssen. Ansatzpunkte für Verbesse-
rungen sind Werkzeugbeschichtungen, die mit den Beschichtungssystemen
des Halbzeugs kompatibel sind.

Die Verwendung des Aluminiums als Leichtbauwerkstoff im Automo-


bilbau stellt eine große Herausforderung an die Werkstofftechnik dar und
hat bezüglich der technologischen Gewichtung mindestens die gleiche Be-
deutung wie die Verwendung des Werkstoffs in der Luft- und Raumfahrt
in früheren Jahren. Solche Umstände erhöhen den Innovationsdruck und
führen gewöhnlich zu einer Entfaltung von Kreativität bei den beteiligten
Ingenieuren und Wissenschaftlern.
2.2 Aluminium im Nutzfahrzeugbau 41

Tabelle 2.1.10 Fertigungsschema von Blechkarosserieteilen aus Stahl und Alu-


minium. Einsparung von Fertigungsstufen durch im Coil beschichtetes Aluminium
Fertigungsstufen Stahl Aluminium Aluminium
blank beschichtet
I. Preßwerk
1. Platinenschnitt X X X
2. Entfetten und definiert Befetten – X –
3. Karosserieteilziehen X X X
II. Rohbau
1. Entfetten, Spülen, Trockenen – X –
2. Rohbaumontage: Fügen X X X
3. Nacharbeit (Schleifen) X X –
III. Lackierung
1. Entfetten, Spülen..... X X –
2. Phosphatieren, Nachbehandeln .... X X –
3. KTL-Grundieren, Trockenofen X X (X)
4. Füller, Trockenofen X X X
5. Decklack, Trockenofen X X X
6. Klarlack, Trockenofen X X X

2.2 Aluminium im Nutzfahrzeugbau

Aluminium hat sich durch das geringe Gewicht von Komponenten (leichte
Handhabbarkeit, weniger Personal), seine Witterungsbeständigkeit und de-
korativen Oberflächenbeschichtungen für Bordwände (Profilsysteme), La-
debordwände (Profilschweißkonstruktionen), für Pritschenaufbauten und
Kofferaufbauten (Blech / Profilsysteme / Schichtverbunde) mit Ausrüstun-
gen für die Ladungssicherung seit Jahrzehnten im Nutzfahrzeugbau etab-
liert. Darüber hinaus gehören Druckluftbehälter, Treibstofftanks sowie Un-
terfahrschutz und Stoßfänger aus Aluminium zur Standardausrüstung.
Auch geschmiedete und gegossene Räder werden zur Gewichtsreduzierung
und – wegen der exakteren Laufeigenschaften – zur Schonung der Berei-
fung eingesetzt.
Leichtbau mit Aluminium im Nutzfahrzeugbau beruht vor allem auf den
gesetzlichen Beschränkungen der zulässigen Achslasten – und damit der
Zuladungsgrenzen – und künftig sicherlich auch auf möglichen Treibstoff-
einsparungen und Minderungen des CO2-Ausstoßes. Der Leichtbaugewinn
kann je nach Größe und Art des Fahrzeugs zwischen 0,5 bis 2,5 t betragen.
42 2 Märkte und Anwendungen

Die Erhöhung der Nutzlast durch Leichtbau des Fahrzeugs ist von erhebli-
cher wirtschaftlicher Bedeutung besonders für bestimmte Fahrzeugtypen,
wie Tank- und Silofahrzeuge, s. Bild 2.2.1 und Schüttguttransporter, die
regelmäßig oder häufig die Zuladungsgrenzen ausnutzen müssen. Die hö-
heren Investitionskosten für Leichtbaufahrzeuge, Auflieger und Anhänger
amortisieren sich dadurch in wenigen Jahren.
Für den flexiblen Bordwandaufbau von Nutzfahrzeugen haben sich in
der Vergangenheit zahlreiche Profilsysteme eingeführt. Einige Beispiele
solcher Bordwandsysteme zeigt Bild 2.2.2 mit verschiedenartigen Lösun-
gen der Profilverbindungen. Die Wanddicke der Systemprofile beträgt üb-
licherweise 25 oder 30 mm. Als Profilwerkstoffe werden je nach Bean-
spruchungskategorie die in Tabelle 2.2.1 angegebenen Legierungen
verwendet.

Bild 2.2.1 Aluminium-Silofahrzeug (Hersteller: Fa. Spitzer, 2005)

Bild 2.2.2 Verbindungssysteme für Bordwandprofile. a) und b) Schnappverbin-


dungen (Groß-Aluminium Snaplok®, bzw. Kaiser Aluminium), c) Einhängeprofil
(VAW), d) mit Schraubkeilen (VAW), e) mit Wendelfeder (Alusingen). Nach
(Koewius 1986)
2.2 Aluminium im Nutzfahrzeugbau 43

Tabelle 2.2.1 Aluminiumlegierungen für Bordwandprofilsysteme


Leg.-Bez. Chem. Symb. Zustand
EN AW 6060 Al MgSi T66
EN AW 6005 Al SiMg T6
EN AW 6005A Al SiMg(A) T6
EN AW 6082 Al Si1MgMn T6

Je nach Bauart finden bei Tank- und Silofahrzeugen entweder die frei-
tragende Bauweise oder die Bauweise mit Tanks auf einem Fahrgestell-
rahmen („Brücke“) Anwendung. Im letzteren Fall einer Aluminiumrah-
menkonstruktion besteht der Langträger aus einem Doppel-T-Träger, der
jedoch am sog. „Schwanenhals“ in der Profilhöhe verjüngt ist. Die alumi-
niumgerechte Herstellung dieses Trägers ist eine Schweißkonstruktion aus
zwei Strangpreßprofilen bestehend aus einem Ober- und Untergurt, wobei
das untere T-Profil durch einen Biegevorgang dem Verjüngungsverlauf
angepaßt ist, s. Bild 2.2.3. Das untere T-Profil enthält bereits die integrier-
te Nut und Schweißkantenvorbereitung für die Schweißverbindung. Die
Lang- und Querträgerprofile werden üblicherweise in den Legierungen EN
AW-6005A oder EN AW-6082 ausgeführt.

Bild 2.2.3 Schemazeichnung eines Langträgers für einen Sattelauflieger als


Schweißkonstruktion aus zwei Strangpreßprofilen. Querträger sind im obigen Bei-
spiel im Stegbereich des Langträgers über Laschen angeschraubt
44 2 Märkte und Anwendungen

Das Achsaggregat in üblicher Stahlbauweise wird über gegossene Luft-


federstützen mit dem Fahrzeugrahmen durch Schrauben, Nieten oder
Schweißen verbunden. Auch Aluminiumguß-Radnaben können zur Ge-
wichtsreduzierung beitragen, s. Bild 2.2.4. Ein Beispiel für die selbsttra-
gende Bauweise des Tanksattelanhängers zeigt Bild 2.2.5.

Bild 2.2.4 Luftfederstützen und Radnaben für Lastkraftwagen (Quelle: BPW Ber-
gische Achsen KG)

Bild 2.2.5 Tanksattelauflieger-Fahrzeug in selbsttragender Aluminium-Bausweise,


hergestellt von Fa. Schrader T.-A., Werk Ellinghaus

Tankfahrzeuge unterliegen den Sicherheitsvorschriften über den Trans-


port gefährlicher Güter (ADR/GGVSE) und der Druckbehälterverordnung
(seit 2003 in die harmonisierte europäische Druckgeräterichtlinie und Be-
triebssicherheitsverordnung überführt), da die Tanks mit einem Überdruck
von max. 0,5 bar befüllt werden. Auslegung und Bau müssen sich nach
den Vorschriften der DIN EN 13094:2004 (s. Tabelle Anh. A4) richten.
Die Umsetzung der ADR/GGVSE Sicherheitsvorschriften in Konstrukti-
onsvorgaben hat zu einer Festlegung von Mindestwanddicken der Tank-
körper geführt. Als Referenz gelten nach der neuen EN 13094:2004 für
2.2 Aluminium im Nutzfahrzeugbau 45

Tanks aus Baustahl, die nicht zusätzlich durch eine Doppelhülle geschützt
sind, Mindestwanddicken von 5 und 6 mm bei Tankdurchmessern bis zu
1,80 m bzw. über 1,80 m. Für Tanks aus anderen Werkstoffen muß eine
äquivalente Wanddicke t1 in Abhängigkeit von Zugfestigkeit Rm,1 und
Bruchdehnung A1 der verwendeten Werkstoffe nach der folgenden empiri-
schen Beziehung errechnet werden:
2

⎛ Rm , 0 × A0 ⎞ 3
t1 = t 0 × ⎜⎜ ⎟
⎟ (2.2.1)
R ×
⎝ m ,1 1 ⎠ A

wobei t0 die Wanddicke und Rm,0 und A0 die Zugfestigkeit und Bruchdeh-
nung des Referenzwerkstoffs bedeuten. Als Grundlage gilt die Vorstellung
ausreichender Arbeitsaufnahme (Verformungsenergie) beim Unfall bzw.
Umstürzen eines beladenen Tankfahrzeugs.
Für einige Aluminiumtankwerkstoffe sind nach Gl. (2.2.1) die äquiva-
lenten Wanddicken in Tabelle 2.2.2 aufgeführt und mit Stahlwerkstoffen
verglichen, wobei Baustahl mit einer Zugfestigkeit Rm,0 = 370 MPa und ei-
ner Bruchdehnung A0 = 27% als Referenzwerkstoff dient. Die äquivalente
Wanddicke darf in keinem Fall die absolute Mindestwanddicke nach Ta-
belle 2.2.3 unterschreiten, die die frühere Berechnungsgrundlage war.

Tabelle 2.2.2 Äquivalente Mindestwanddicken nach Gl. (2.2.1)


Referenz Rostfreier EN AW-5083 EN AW-5186 EN AW-5059
Baustahl Stahl 0/H111 0/H111 0/H111
(Rm,0, t0) 1.4301
Rm ·A [MPa] 370 · 0,27 500 · 0,45 275 · 0,16 275 · 0,24 330 · 0,24

Mindestwand- 6 3,4 10,4 7,9 7,0


dicke [mm]

Tabelle 2.2.3 Absolute Mindestwanddicke für Tankkörper nach DIN EN 13094:


2004 für verschiedene Werkstoffgruppen
Durchmesser des Mindestwanddicke des Tankkörpers
Tankkörpers Austenitische Sonstige Unlegiertes Aluminium-
Stähle Stähle Aluminium legierungen
[m] [mm] [mm] [mm] [mm]
≤1,80 2,51) 3 6 4
≥1,80 3 4 8 5
1)
für Tanks, die nicht gegen Beschädigung geschützt sind, muß die Wanddicke
unabhängig vom verwendeten Werkstoff mindestens 3 mm betragen
46 2 Märkte und Anwendungen

Aluminiumlegierungen, die in DIN EN 14286:2004 (s. Tabelle Anh.


A3) für die Verwendung in Tanks empfohlen werden, enthält Tabelle
2.2.4. Dabei handelt es sich ausschließlich um nicht aushärtbare Al-Mg-
Mn-Legierungen in weichen (Zustand 0, H111) oder verfestigten (Zustand
H116, H321) Ausgangszuständen.

Tabelle 2.2.4 Für den Tankbehälterbau geeignete Aluminiumlegierungen n. DIN


EN 14286:2004. Angegebenen Eigenschaftswerte sind garantierte Mindestwerte

Leg.-Bez. Chemische Symbole Zustand Nenndicke Rm Rp0,2 A Biege-


EN AW- [mm] [MPa][MPa] [%] radius
bei 180°
3,0 - 6,0 190 80 21 t
5754 Al Mg3 0, H111 6,0 - 12,0 190 80 19 2t
3,0 - 6,0 215 85 19 t
5454 Al Mg3Mn 0, H111 6,0 - 12,0 215 85 19 2t
3,0 - 6,0 240 100 18 1,5t
5086 Al Mg4 0, H111 6,0 - 12,0 240 100 17 3t
5182 Al Mg4,5Mn0,4 3,0 - 6,0 275 125 24 t
0, H111 6,0 - 12,0 275 125 24 2t
5186 Al Mg4,3Mn0,4Zr
3,0 - 6,0 290 145 17 1,5t
0, H111 6,0 - 12,0 290 145 17 4t
5083 Al Mg4,5Mn0,7
5383 Al Mg4,5Mn0,7(A) H116, 3,0 - 6,0 305 220 12 3t
H321 6,0 - 12,0 305 220 12 6t
5059 1) Al Mg5,5Mn0,8ZnZr 0, H111 2,0 - 40 330 160 24
1)
Alustar®, noch nicht in DIN EN 14286:2004 enthalten

2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau

Aluminium als Leichtbauwerkstoff im Schienenfahrzeugbau geht auf eine


lange Tradition zurück. Zwei technologische Entwicklungen des vergan-
genen Jahrhunderts haben das Fundament für den heutigen erfolgreichen
Aluminiumleichtbau gelegt: die MIG- und WIG-Schweißtechnik in den
50-er und die Großprofil-Strangpreßtechnik in den 70-er Jahren. Diese
Entwicklungen in Verbindung mit geeigneten Konstruktions- und Ferti-
gungskonzepten haben diesem Werkstoff die tragende Rolle im Leichtbau
von Wagenkästen für den Personen-Nah- und -Fernverkehr eingeräumt
(Ostermann 1985). Der Aluminium-Schienenfahrzeugbau ist ein klassi-
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 47

sches Beispiel für wirtschaftlichen Leichtbau mit Aluminium, und es ist


lohnend, diese Entwicklungen kurz im folgenden nachzuzeichnen.

2.3.1 Entwicklung aluminiumgerechter Baukonzepte

Als in den zwanziger und dreißiger Jahren die Stahl-Holz-Bauweise durch


die Blech-Gerippebauweise abgelöst wurde, wurde neben Stahl bereits A-
luminium als Beplankungsblech eingesetzt. Bild 2.3.1 enthält Beispiele für
die Blech-Gerippe-Bauweise in Stahl und Aluminium aus den 60-er Jah-
ren.

Bild 2.3.1 Schienenfahrzeugleichtbau in Blech-Gerippe-Bauweise

Später wurden gekantete Blechprofile und dann zunehmend Strangpreß-


profile für das Traggerippe von Aluminiumwaggons verwendet. Gefügt
wurde mit Hilfe der Niettechnik, bis sich in den sechziger Jahren die
Lichtbogen-Schutzgasschweißtechnik durchsetzte und 1961 mit dem ET
202/210 der Köln-Bonner Eisenbahn das erste voll geschweißte Schienen-
fahrzeug unter Verwendung von Profilen aus der Legierung AlZn4,5Mg1
(EN AW-7020) gebaut wurde. Hierbei handelte es sich überwiegend um
offene Strangpreßprofile. Allerdings war für diese Bauweise kennzeich-
48 2 Märkte und Anwendungen

nend, daß wegen der vielen kurzen Schweißnähte keine mechanisierte


Schweißausführung möglich war. Kosteneinsparungen waren deshalb ge-
genüber der Stahlleichtbauweise nach gleichem Bauprinzip nicht zu reali-
sieren. Bild 2.3.2 zeigt beispielhaft das Spektrum an Profilen für die Bau-
reihe des ET 420/421, die Ende der 60-er Jahre entwickelt wurde.

Bild 2.3.2 Aluminium-Blech-Profil-Bauweise des ET 420/421 Nahverkehrswa-


gens

Ein entscheidender Entwicklungsschritt war die Waggonbauweise mit


Aluminium-Großstrangpreßprofilen in der Mitte der siebziger Jahre, die
dem wirtschaftlichen Leichtbau mit Aluminium zum Durchbruch verhol-
fen hat, s. Bild 2.3.3. Der wirtschaftliche Leichtbau von Rohbauwagenkä-
sten mit Aluminium basiert auf dem Konstruktionskonzept mit „integralen
Großstrangpreßprofilen“. Dieser Integralleichtbau unterscheidet sich von
der früher verwendeten und heute noch im Stahlleichtbau üblichen Blech-
Gerippe-Bauweise dadurch, daß steife Flächenelemente durch strangge-
preßte Hohlfachplatten in Wagenlänge erzeugt werden, in die zusätzliche
Elemente als Montagehilfe und sonstige Funktionsträger bereits integriert
sind. Derartige Integralprofile werden ausschließlich aus warmausgehär-
teten Legierungen erzeugt und durch mechanisiertes Schweißen in Portal-
schweißanlagen verbunden. Durch die Einführung der Integralbauweise
mit Großprofilen konnten die Fertigungszeiten und -kosten erheblich ge-
senkt werden, s. Bild 2.3.3. Die heutige Großprofilbauweise ist durch die
Einsparungen an Fertigungs- und Montagearbeit so wirtschaftlich wie die
Stahlleichtbauweise, jedoch mit kürzeren Fertigungszeiten und einem zu-
sätzlichen Leichtbaugewinn.
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 49

Bild 2.3.3 Einfluß der Integralbauweise mit Großprofilen auf die Entwicklung von
Baukosten, Fertigungszeit und Wagengewicht im Vergleich zur üblichen Stahl-
bauweise (Aluminium-Zentrale 1992)

Der erste in Deutschland in Integralbauweise gebaute Waggon war der


Bx-Wendezugwagen für das Rhein-Ruhrgebiet, Bild 2.3.4. An diesem
Fahrzeug entstanden im Service zunächst eine Reihe von Schäden (Moro-
tini 1986), die als vermeidbare werkstofftechnische Fertigungs- und Kon-
struktionsfehler bei der Instandhaltung behoben werden mußten. Bei der
Entscheidung im Jahre 1987, den Mittelwagen des ICE-1, Bild 2.3.5, in
Aluminium-Integralbauweise zu bauen, wurde auf diesen Erfahrungen
aufgebaut und ein Gemeinschaftsexpertenteam der Aluminiumindustrie

Bild 2.3.4 Wendezugwagen Bx der DB, Baujahr 1979


50 2 Märkte und Anwendungen

beauftragt, die Entwicklung in allen aluminiumspezifischen Fragen zu be-


gleiten (Ostermann 1992). Nach 15-jährigem Einsatz und einer Laufleis-
tung, die einem 30-jährigen Fahrbetrieb entspricht, hat die ICE-1-
Bauweise sich ohne Mängel an der Aluminiumstruktur bewährt.

Bild 2.3.5 Mittelwagen des ICE-1 und Struktur des Wagenkastens aus Groß-
strangpreßprofilen, 1990. Bodenprofil (unten links) und C-Kanal-Befestigung (un-
ten rechts)

Bild 2.3.6 Aluminiumwaggonbau in spantenloser, doppelwandiger Großprofil-


bauweise: Pendelzug „Pendolino“ ETR-460 (links) und ICE-2 (rechts) (Quellen:
VAW aluminium AG und DUEWAG-Siemens)
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 51

Bild 2.3.7 Innenansicht des ICE-2 Rohbauwagens (links), Kopfwagen des ICE-3
(rechts)

Die Doppelwandstruktur führt jedoch in weniger beanspruchten Berei-


chen – wie z. B. in Flächenbereichen des Wagendaches – zu einer Überdi-
mensionierung, so daß die Festigkeitsanforderungen an den Profilwerk-
stoff gesenkt werden konnten. Damit ergab sich gleichzeitig die Möglich-
keit, die herstellungsbedingten Mindestwanddickengrenzen der Großpro-
file durch Legierungsmaßnahmen herabzusetzen, s. hierzu Abschn. 9.3.

2.3.2 Aluminiumwerkstoffe für die Schienenfahrzeugbau

Die Einführung der Großprofiltechnik ging einher mit der Einführung der
Legierung EN AW-6005A-T5 (AlMgSi(A)). Die reduzierten Festigkeits-
anforderungen führten im weiteren Entwicklungsverlauf zur Legierung EN
AW-6106-T5 (AlMgSi0,5Mn). Neben diesen Strangpreßlegierungen wer-
den im Schienenfahrzeugbau noch weitere Legierungen und Halbzeug-
formen verwendet, die für untergeordnete oder für spezielle, höhere An-
forderungen sowie für Walz-, Schmiede- und Gußmaterialien eingesetzt
werden. Sie sind in der nachfolgenden Übersicht zusammengestellt. Alle
zugelassenen Legierungen sind schweißgeeignet.
Für konstruktiv erforderliche dickwandige Querschnitte und insbeson-
dere dort, wo eine Anhäufung von Schmelzschweißnähten nicht vermieden
werden kann, wurde vielfach die Legierung EN AW-7020-T5 (AlZn4,5
Mg1) eingesetzt, die nach dem Schweißen im Bereich der Wärme-
einflußzone wieder aushärtet und daher hohe statische Festigkeitswerte
bietet. Wegen der Neigung dieser Legierung zu Schichtkorrosion in der
nicht thermisch nachbehandelten Wärmeeinflußzone und wegen der in der
Wagenreinigung verwendeten aggressiven Reinigungsmittel waren z.B.
beim Bx-Wagen Korrosionsschäden aufgetreten, die durch aufwendige Re-
Konstruktion und Legierungswechsel beseitigt werden mußten. Darüber
hinaus sollte diese Legierung wegen der schlechteren Preßbarkeit mög-
lichst nur in Form von offenen Profilquerschnitten verwendet werden. Die-
52 2 Märkte und Anwendungen

se Einschränkungen führten dazu, daß in neueren Schienefahrzeugkon-


struktionen diese Legierung nicht mehr verwendet wird.
Werkstoffe für den Schienenfahrzeugbau unterliegen Restriktionen, die
durch Regelwerke der Bahngesellschaften – z.B. DIN 5513 (Werkstoffe
für Schienenfahrzeuge: Aluminium und Aluminiumlegierungen) und re-
gelwerksähnlichen Merkblättern wie DVS 1608 (Schmelzschweißen von
Aluminium im Schienenfahrzeugbau) – festgelegt sind. Auf europäischer
Ebene gelten für die Werkstoffwahl die Normen (s. Tabelle Anh. A3):
− DIN EN 13981-1:2003 für Strangpreßerzeugnisse
− DIN EN 13981-2:2004 für Platten und Bleche
− prEN 13981-3 für Gußstücke
− prEN 13981-4 für Schmiedestücke

Die zugelassenen Legierungen und Halbzeuge sind in Tabelle 2.3.1 zusam-


mengefaßt.

Tabelle 2.3.1 Aluminiumlegierungen für den Schienenfahrzeugbau nach DIN EN


13981, Teile 1 bis 4. Zusammensetzung s. Anh. 1.1 und 2.1
numer. Bezeichnung Bez. mit chem. Symbolen
EN AW-5454-0/H112 1) EN AW-Al Mg3Mn
EN AW-5754-H112 2) EN AW-Al Mg3
EN AW-5083-H112 2) EN AW-Al Mg4,5Mn0,7
EN AW-6060-T66 3) EN AW-Al MgSi
EN AW-6063-T66 3) EN AW-Al Mg0,7Si
EN AW-6106-T6 3) EN AW-Al MgSiMn
EN AW-6005-T6 3) EN AW-Al SiMg
EN AW-6005A-T6 3) EN AW-Al SiMg(A)
EN AW-6008-T6 3) EN AW-Al SiMgV
EN AW-6061-T6 2) EN AW-Al Mg1SiCu
EN AW-6082-T6 2) EN AW-Al Si1MgMn
EN AC-42000-T6 4) EN AC-Al Si7Mg
EN AC-43300-T6 EN AC-Al Si9Mg
EN AC-43000-T6 EN AC-Al Si10Mg
EN AC-21100 5) EN AC-Al Cu4Ti
1)
nur als Walzmaterial
2)
Strangpreß-, Walz- und Schmiedematerial
3)
nur Strangpreßmaterial
4)
Sand- und Kokillenguß
5)
Kokillenguß
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 53

2.3.3 Schweißverbindungen im Schienenfahrzeugbau

Die statischen Festigkeitswerte von Schweißverbindungen an schweißge-


eigneten Aluminiumlegierungen sind u.a. abhängig von der Legierung, der
Wanddicke des Schweißstoßes, vom gewählten Zusatzdraht, vom
Schweißverfahren und von den verwendeten Schweißparametern, s. Kap.
16. Bei verfestigten bzw. ausgehärteten Legierungen sinkt die Festigkeit
im Bereich der Wärmeeinflußzone bis auf die Werte des weichen Zustan-
des des Grundwerkstoffs. Das Ausmaß der Festigkeitseinbuße ist abhängig
von der Intensität der Wärmeeinbringung beim Schweißprozeß. Im Schie-
nenfahrzeugbau wird überwiegend mit dem MIG-Verfahren gearbeitet.
Andere Verfahren, wie z.B. das WIG-Helium-Gleichstromschweißen, das
Doppeldrahtschweißen, das Laserstrahlschweißen oder das MIG-Hybrid-
schweißen sind ebenfalls geeignet und bieten Vorteile in der Wärmeein-
bringung und bei den Verbindungseigenschaften. Zunehmend werden heu-
te Schweißverbindungen auch durch Rührreibschweißen (Friction Stir
Welding FSW, s. Kap. 19) erzeugt. Aus Tabelle 2.3.2 gehen die statischen
Festigkeitseigenschaften von einigen MIG-Schweißverbindungen an Pro-
filwerkstoffen (n. DIN EN 13981-1) hervor.
Zu der erst vor einigen Jahren für Schweißkonstruktionen des Schienen-
fahrzeugbaus zugelassenen Strangpreßlegierung EN AW-6005 ist kritisch
anzumerken, daß diese Mn-freie Legierung sich zwar durch günstigeres
Strangpreßverhalten für dünnwandigere, komplizierte Profilformen eignet,
aber wegen Neigung zu interkristallinem Bruchverhalten und problemati-
scher Kornkontrolle nicht für dickwandige, hochbelastete und kritische
Schweißkonstruktionen eignet ist. Aus diesen Erfahrungen wurde die Le-
gierung EN AW-6005A entwickelt und ist seit Jahrzehnten im Schienen-
fahrzeugbau eingeführt. Einen gewissen Fortschritt stellt die jüngere Ent-
wicklung der Legierung EN AW-6008 dar, die sich durch ein fein-
körnigeres Gefüge insbesondere für solche Profilkonstruktionen aus-
zeichnet, in denen Korngrenzenanschmelzungen („micro-fissuring“) in der
Schweißnaht problematisch sein könnten, s. Kap. 16 und Kap. 20.
Bezüglich der Werte für weitere Legierungen für den Schienenfahr-
zeugbau wird auf DIN 5513-1989-02 (Werkstoffe für Schienenfahrzeuge;
Aluminium und Aluminiumlegierungen) verwiesen. Die Qualitätssiche-
rung in der Ausführung von Schweißarbeiten hat im Aluminium-Schienen-
fahrzeugbau einen hohen Stellenwert. Seit 1997 gibt es als Ersatz für DS
952 01 und DS 952 02 für das Schweißen im Schienenfahrzeugbau ein
neues Regelwerk in Deutschland, die Normenreihe DIN 6700-Teil 1–6
(Schweißen von Schienenfahrzeugen und -fahrzeugteilen). Betriebe, die
Schweißarbeiten in der Neufertigung oder in der Instandhaltung ausführen
wollen, müssen ihre Eignung nach DIN 6700 Teil 2 nachgewiesen haben.
54 2 Märkte und Anwendungen

Tabelle 2.3.2 Mindesteigenschaften von Profilmaterial und Schweißverbindungen


für den Schienenfahrzeugbau nach DIN EN 13981-T.1
Legierung Grundwerkstoff MIG-Stumpfstoß
numer. Bezeichnung Rp0,2 Rm A Rp0,2 Rm
[N/mm²] [N/mm²] [%] [N/mm²] [N/mm²]
1)
EN AW-5754-H112 80 180 14 80 180
EN AW-5083-H112 1) 125 270 12 125 270
EN AW-6060-T66 4) 160 214 8 65 110
EN AW-6063-T66 2) 200 245 8 75 130
EN AW-6106-T6 2) 200 250 8 95 160
EN AW-6005-T6 3) 215 255 8 90 160
EN AW-6005A-T6 3) 225 270 8 115 165
EN AW-6008-T6 3) 215 255 8 115 165
EN AW-6061-T6 3) 240 260 9 115 175
EN AW-6082-T6 3) 250 290 8 125 185
1)
Wanddicke < 15 mm, 2) Wanddicke < 10 mm, 3) Wanddicke < 5 mm
4)
Wanddicke < 3 mm

Die Schweißzusatzwerkstoffe müssen auf die jeweilige Legierung abge-


stimmt werden. Die Wahl der möglichen Zusatzwerkstoffalternativen ist
jedoch durch die speziellen Forderungen der langlebigen Schienenfahr-
zeuge eingeschränkt, da bei Reparaturarbeiten auch noch nach vielen Jah-
ren der verwendete Schweißzusatz bekannt sein muß. Verwechslungen von
Schweißdrahtlegierungen, z.B. von AlMg4,5Mn und AlSi5, können zu
minderwertigen Verbindungseigenschaften führen.
Auf die Möglichkeit der Entstehung von Warmrissen bzw. sogenannten
„Korngrenzenöffnungen“ an der Grenze zwischen Schweißgut und Wär-
meeinflußzone bei EN AW-6005, EN AW-6005A und EN AW-6082 soll
an dieser Stelle hingewiesen werden. Sie entstehen durch bevorzugtes
Aufschmelzen von heterogenen Korngrenzenzonen und können durch die
Wahl des Zusatzwerkstoffs AlSi5 und durch feinkörniges Gefüge des
Grundwerkstoffs, s. Legierung EN AW-6008, weitgehend vermieden wer-
den. Umfangreiche Untersuchungen haben gezeigt, daß die Existenz sol-
cher Korngrenzenöffnungen im Normalfall die zulässigen Beanspruchbar-
keitswerte auch in bezug auf die Schwingfestigkeit nicht erniedrigen
(Schwellinger 1992, Borst et al. 1992). Im Rahmen der statistisch ermittel-
ten Mindestfestigkeitswerte sind diese Effekte bereits summarisch berück-
sichtigt worden.
Beim Auslegen von Profilquerschnitten lassen sich im Bereich der spä-
teren Schweißnaht Badstützen, Positionierhilfen und Schiebesitze für den
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 55

Toleranzausgleich anbringen. Diese Hilfsmittel sind wesentlich für die


wirtschaftliche Fertigung. Andererseits müssen Forderungen an die Di-
mensionierung dieser Hilfsmittel im Zusammenspiel mit der Ausbildung
der Schweißnaht beachtet werden mit dem Ziel, zusätzliche Kerbspannun-
gen so weit wie möglich zu vermeiden.

Weitere Leichtbaupotentiale
Die Integralbauweise mit Großstrangpreßprofilen hat jedoch zu Einbußen
im erzielbaren Leichtbaugrad geführt, der sich gegenüber der Blech-Ge-
rippe-Bauweise von 30–35 % auf 25–30 % im Verhältnis zu Stahlausfüh-
rungen verringert hat. Die Gründe hierfür liegen in den gegenüber der
Blech-Gerippe-Bauweise schwereren Integralprofilen, in den Grenzen der
Strangpreßtechnik, der eingesetzten Schweißtechnik sowie bei den heute
verwendeten Methoden des Festigkeitsnachweises und in den geltenden
Lastannahmen. Die Ausschöpfung der vorhandenen Leichtbaupotentiale
hängt daher sowohl von der Weiterentwicklung der Werkstofftechnik, als
auch der konstruktiven Bemessungsmethoden, der Lastannahmen und der
Fertigungstechnologien ab, insbesondere auf dem Gebiet geschweißter
Profilkonstruktionen.
Weitere Impulse für die Erhöhung des Leichtbaugrades geschweißter
Aluminiumprofilkonstruktionen im Schienenfahrzeugbau können von fer-
tigungstechnischen Verfahrensentwicklungen geschweißter Verbindungen
erwartet werden. Die Erfahrung, daß die Schwingfestigkeitseigenschaften
von Schweißverbindungen an Aluminiumkonstruktionswerkstoffen kaum
von den Eigenschaften des Grundwerkstoffs beeinflußt werden, läßt ver-
muten, daß Eigenspannungen und geometrische Imperfektionen die Ver-
bindungsfestigkeit stärker beeinflussen als die werkstofflichen Einfluß-
faktoren. Folglich ist zu erwarten, daß durch verbesserte Schweißverfah-
ren, die die Kerbwirkungen reduzieren, und durch Nachbehandlungen der
Schweißnaht auch günstigere Schwingfestigkeitswerte erzielt werden. Pro-
blematisch ist sicherlich die Einführung zuverlässiger Werte für verbes-
serte Eigenschaften nachbehandelter Schweißverbindungen in die entspre-
chenden Regelwerke. Wegen der zusätzlichen Kosten solcher Nachbe-
handlungen wird man sie nur dort einsetzen, wo der Gewinn an Sicherheit
bzw. an Werkstoffausnutzung entsprechend groß ist.
Perspektiven für den wirtschaftlichen Aluminiumeinsatz im Schienen-
fahrzeugbau ergeben sich aus der Doppeldraht-MIG-Schweißtechnik, der
Laserstrahlschweißtechnik und auch aus der weiteren Entwicklung des
FSW-Reibschweißens von Profilstößen (Midling et al. 1994), – ein Ver-
fahren, mit dem verzugsarme Verbindungen mit hoher Schweißnahtgüte
und ohne Zusatzwerkstoff an aushärtbaren AlMgSi-Werkstoffen erreicht
werden können (s. Kap. 19). Dort, wo man aus preßtechnischen Gründen
56 2 Märkte und Anwendungen

bei Großprofilen an die Grenzen der herstellbaren Mindestwanddicke


stößt, können mit dem Einsatz wirtschaftlicher Fügeverfahren Leichtbau-
gewinne durch kleinere, dünnwandigere Profile erzielt werden.
Weitere Leichtbaupotentiale werden in Hybridstrukturen gesehen, bei
denen Sandwichelemente in nicht hochbelasteten Bereichen des Wagenka-
stens die schwereren, integral versteiften Großprofile ersetzen (Zehnder
1997). Solche Bereiche befinden sich z.B. in den Dachbereichen und in der
Seitenwand.
Im Mittelpunkt der bisherigen Leichtbauanstrengungen mit Aluminium
steht der Rohbauwagenkasten von Personenfahrzeugen im Nah-, Fern- und
Schnellbahnverkehr. Betrachtet man jedoch die typische Gewichtsvertei-
lung zwischen den Bereichen Aluminium-Rohbauwagen (30–33%), Lauf-
werke (30–50 %) und Innenausbau (20–40 %), so besteht bei Dreh-
gestellen und Radsätzen grundsätzlich das größte Potential für Ge-
wichtseinsparungen, da sie heute überwiegend in Stahl ausgeführt werden.
Die Entwicklung einer entsprechenden Aluminium-Werkstofftechnik für
den Fahrwerksbereich ist sicherlich noch eine interessante Herausforde-
rung für die Zukunft.
Der Einsatz von SiC-partikelverstärkten Bremsscheiben ist ein weiterer
Leichtbauschritt mit neuerer Werkstofftechnologie, s. Abschn. 21.2. Ge-
gossene Bremsscheiben aus SiC-partikelverstärktem AlSi7Mg wurden für
den ICE-1 und ICE-2 entwickelt und erprobt, s. Bild 2.3.8. Jeder Wagen
verfügt über 8 Bremsscheiben mit 640 mm Durchmesser und einem
Stückgewicht von 120 kg in Grauguß bzw. von 76 kg in SiC-verstärktem
Aluminiumguß (einschließlich einer Stahlnabe). Die durch Aluminium-
Bremsscheiben erzielbare Gewichtsreduzierung entspricht ca. 350 kg pro
Fahrzeug.

Bild 2.3.8 Bremsscheiben aus SiC-partikelverstärktem AlSi7Mg Guß für ICE-1


und ICE-2 (Quelle: Honsel AG)
2.3 Aluminium im Schienenfahrzeugbau 57

Reparaturerfahrungen mit der Integralbauweise


Selbst bei schienengebundenem Verkehr sind Kollisionen gelegentlich
nicht zu vermeiden. Die Reparatur solcher Schäden an einer aus Hohlpro-
filen bestehenden Wagenstruktur bedarf einer sorgfältigen Analyse des
Schadens und der Entwicklung eines geeigneten Reparaturkonzeptes. Die
für die Integralbauweise typische Hohlprofilstruktur macht einen 1:1 Er-
satz beschädigter Bereiche durch identische Ersatzprofile häufig schwierig,
da die inneren Versteifungsstege nicht für den Schweißprozeß zugänglich
sind. Außerdem müssen die Festigkeits- und gegebenenfalls Steifigkeits-
einbußen an den Reparaturschweißstellen mit den Beanspruchungsforde-
rungen in Einklang gebracht werden. Schäden an Seitenwänden, Dach oder
Bodenplatte werden deshalb z.B. durch Heraustrennen der Schadensstelle
freigelegt, durch einen eingeschweißten Rahmen versteift und durch ein
Paßstück des Originalprofils geschlossen, wie in Bild 2.3.9 skizziert ist.

Bild 2.3.9 Reparatur einer integral versteiften Bodenplatte durch a) Heraustrennen


der Schadstelle, b) Einschweißen eines Versteifungsrahmens und c) Einschweißen
des Ersatzprofils (n. Fa. KAMMERHOFER GERT GmbH., Kaisheim)

Bei Schäden an hochbeanspruchten Längsträgern ist eine solche Vorge-


hensweise nicht geeignet. Deshalb sieht das Reparaturkonzept vor, den be-
schädigten Bereich herauszutrennen und durch Einschweißen von Platten-
elementen wieder aufzubauen, wie in Bild 2.3.10 dargestellt ist. Diese Re-
paraturvorgehensweisen haben sich bewährt und sind wegen der guten Be-
arbeitbarkeit des Aluminiums auch vergleichsweise kostengünstig. Als
Schweißverfahren wird üblicherweise das MIG-Verfahren eingesetzt. An
die Schweißnahtvorbereitung, Schweißfolge und eventuelle Nachbehand-
lung werden hohe Anforderungen gestellt, damit Verzug und Aufbau von
Eigenspannungen vermieden werden. Ein nachträgliches Richten sollte
vermieden werden.
58 2 Märkte und Anwendungen

Bild 2.3.10 Reparaturverlauf an einem Langträger eines ICE-3 nach Kollision.


a) Schadensbild, b) Heraustrennen des beschädigten Materials des Langträgers,
c) und d) Wiederaufbau des Langträgers durch Einschweißen von Plattenelemen-
ten (Quelle: G. Kammerhofer, Siemens Verkehrstechnik, 2006)

2.4 Aluminium im Schiffbau

Der Leichtbau von Schiffskörpern nicht kommerzieller Art in Aluminium-


bauweise hat eine lange Tradition basierend auf der guten Korrosionsbe-
ständigkeit und guten Verarbeitbarkeit des Werkstoffs. Von wirtschaftli-
cher Bedeutung ist der Aluminiumleichtbau jedoch erst bei Schiffen mit
kommerzieller Bestimmung. Besondere Beachtung hat daher der Bau von
Schnellfähren und Katamaranen für den Kurzstrecken-Seeverkehr gefun-
den, der seit mehr als einem Jahrzehnt weltweit in Ganzaluminiumbauwei-
se ausgeführt wird. Solche Fähren in Stahlbauweise verbrauchten bisher
bis zu 90% der Antriebsenergie für den Transport des Eigengewichts und
nur etwa 10 bis 30% für die Nutzlast. Eine Gewichtsreduktion um 50–60%
durch Aluminiumleichtbau spart daher erhebliche Mengen Treibstoff, ver-
ringert die Instandhaltung und verbessert die Transportleistung aufgrund
höherer Geschwindigkeiten (Vollrath 1998). Bild 2.4.1 zeigt eine solche
Schnellfähre in Katamaranbauweise. Wenn bisher der Schwerpunkt bei
Schnellfähren und Katamaranen lag, dürften angesichts der steigenden Öl-
preise in den nächsten Jahren zunehmend auch Frachtschiffe aus Alumini-
um gebaut werden.
2.4 Aluminium im Schiffbau 59

Bild 2.4.1 Schnellfähre Benchijigua Express (Teneriffa, La Gomera und La Pal-


ma). Es ist das größte Schiff aus Aluminium. Maximale Ladung 1.350 Passagiere
und 341 Fahrzeuge. Länge: 126,7m | Breite: 30,4m | Tiefgang: 4,0m | Höchstge-
schwindigkeit: 40kn | Bj.: 2005 | Werft: Austal Ships, Australia | Reeder: Fred Ol-
sen & Co. © Coxy

Konstruktiv ist die Aluminiumbauweise überwiegend mit der Stahlbau-


weise identisch. Es handelt sich vornehmlich um eine Schweißkonstrukti-
on aus Blechen und Blechformteilen, mit einem geringen Anteil an
Strangpreßprofilen. Bild 2.4.2 gibt einen Eindruck von dieser Bauweise
am Beispiel eines Katamarans.

Bild 2.4.2 Rohbau eines Katamarans in Aluminium-Leichtbauweise (Quelle: Co-


rus Aluminium, Koblenz)
60 2 Märkte und Anwendungen

Der kommerzielle Schiffbau unterliegt den Regelungen und der Auf-


sicht der verschiedenen Regulierungsbehörden und Klassifikationsgesell-
schaften, wie DNV (Det Norske Veritas) oder GL (Germanischer Lloyd).
Die für die Anwendung in tragenden Strukturen zugelassenen Knetlegie-
rungen enthält Tabelle 2.4.1 (Germanischer Lloyd 2005). Die Zusammen-
setzung der Legierungen entsprechen den Angaben der DIN EN 573-
3:2003, jedoch weichen die mechanischen Mindestwerte von der Norm
DIN EN 485-2:2004 ab. An Walzerzeugnissen aus den Legierungen der
Reihe 5xxx in den verfestigten Zuständen H116, H32 oder H321 muß eine
Prüfung der Beständigkeit gegen Schichtkorrosion und interkristalline
Korrosion gemäß ASTM-G66 und ASTM-G67 durchgeführt werden.

Tabelle 2.4.1 Aluminium-Knetlegierungen, Erzeugnisformen und Werkstoffzu-


stände, die für Anwendungen in tragenden Konstruktionen empfohlen werden. (n.
Germanischer Lloyd, 2005)
Leg.-Bezeichnung Bez. chem. Symbole Walzprodukte Profile Schmiedestücke
_ _
GL AW-5059 AlMg5,5Mn0,8ZnZr O/H111
®
(„Alustar “) H112
H116
H321
GL AW-5083 AlMg4,5Mn0,7 O/H111 H112 H112
alternativ: alternativ: H112
GL AW-5383 AlMg4,5Mn0,9 H116
H321
_
GL AW-5086 AlMg4 O/H111 H112
H112
H116
H32/H321
_
GL AW-5454 AlMg3Mn O/H111 H112
H112
H32/H321
GL AW-5754 AlMg3 O/H111 H112 H112
H112
H32/H321
_ 1) _
GL AW-6005A AlSiMg(A) T6
_
GL AW-6061 AlMg1SiCu T6 1) _

1)
GL AW-6082 AlSi1MgMn T6/T651 T6 T6
_ 1) _
GL AW-6106 AlMgSiMn T6
1)
Die Eigenschaften dürfen auch durch Abschrecken an der Presse erzielt werden

Aluminiumgußlegierungen werden im Schiffbau praktisch noch nicht


für tragende Schweißkonstruktionen verwendet, sind aber in Qualitäten
zugelassen, deren Cu-Gehalt geringer als 0,1 Gew.-% beträgt. Tabelle
2.5 Aluminium im Flugzeugbau 61

2.4.2 enthält die empfohlenen Gußlegierungen des Germanischen Lloyd


mit Angaben über die Eignung bezüglich Seewasserbeständigkeit im unge-
schützten Zustand. Die Zusammensetzung und Eigenschaften entsprechen
der DIN EN 1706:1998. Weitere Informationen über Kneterzeugnisse und
Gußstücke für Seewasseranwendungen finden sich in DIN EN 13195-
1:2002 (s. Tabelle Anh. A3).
Tabelle 2.4.2 Gußlegierungen, die ungeschützt dem Seewasserklima ausgesetzt
werden können (n. Germanischer Lloyd, 2005)
Legierungs- Bezeichnung mit Gießverfahren Zustand Seewasser-
Bezeichnung Chem. Symbolen eignung
EN AC-41000 Al Si2MgTi S, K F, T6 gut
EN AC-42100 Al Si7Mg0,3 S, K, L T6, T64 gut
EN AC-42200 Al Si7Mg0,6 S, K, L T6, T64 gut
EN AC-43100 Al Si10Mg(b) S, K, L T6, T64 gut/mittelmäßig
EN AC-44100 Al Si12(b) S, K, L, D F, T6, T64 gut/mittelmäßig
EN AC-51000 Al Mg3(b) S, K, L F sehr gut
EN AC-51300 Al Mg5 S, K, L F sehr gut
EN AC-51400 Al Mg5(Si) S, K, L F sehr gut
S – Sandguß, K - Kokillenguß, Niederdruckkokillenguß, D – Druckguß, L - Feinguß

Als Schweißverfahren werden traditionsgemäß MIG- und WIG-


Schweißen unter Argon und/oder Helium als Schutzgasen eingesetzt. Zu-
nehmend gibt es jedoch auch Erfahrungen mit dem Einsatz des Rührreib-
schweißens (FSW, s. Abschn. 19.1) bei Schiffbauanwendungen.

2.5 Aluminium im Flugzeugbau


Der erste bemannte Motorflug der Geschichte wird Karl Jatho am 18. Au-
gust 1903 auf der Vahrenwalder Heide bei Hannover zugeschrieben – 4
Monate vor den Gebrüdern Wright in den USA. Noch waren die Flugge-
räte eine Konstruktion aus Holz, Draht und Tuch, obwohl die Beschläge
teilweise schon aus „Magnalium“ bestanden, einer Aluminiumlegierung
mit etwa 10% Mg und einer Zugfestigkeit zwischen 18 und 24 kg/mm² im
Zustand weich (Krüger 2006). In der Pionierzeit des Flugzeugbaus zu Be-
ginn des 20. Jahrhunderts waren die Entdeckung der Aushärtbarkeit von
AlCuMnMg-Legierungen („Duralumin“) im Jahre 1906 durch Alfred Wilm
(s.a. Abschn. 3.1.6) sowie die Entwicklung des ersten Ganzmetallflug-
zeugs „J1“5 im Jahre 1915 durch Hugo Junkers, Professor für Wärmetech-

5
Gebaut aus dünnem Eisenblech, bevor mit der J4 der Duralumin-Leichtbau be-
gann.
62 2 Märkte und Anwendungen

nik an der TH Aachen, die entscheidenden Schritte zur heute noch grund-
legenden Werkstofftechnologie des Flugzeugbaus.

Bild 2.5.1 Flugzeugbau in den 30er Jahren. Rohbau der Ju52, Junkers-Werke,
Dessau (Quelle: Pletschacher 1989)

Auf dem fast hundertjährigen Entwicklungsweg zum Airbus A380 ha-


ben sich zwar die Grundprinzipien des Metalleichtbaus nicht wesentlich
verändert, vgl. Bilder 2.5.1 und 2.5.2, und der Gewichtsanteil der Alumi-
niumwerkstoffe beträgt immer noch über 60%, aber Legierungen, Halb-
zeuge und Fertigungstechniken wurden wesentlich verfeinert und erwei-
tert.
Ziele der werkstofflichen Entwicklungen waren höhere Festigkeiten und
Steifigkeiten und besonders die Verbesserung von Schadenstoleranzeigen-
schaften und Schweißbarkeit sowie eine verbesserte Kosteneffizienz. Im
folgenden wird ein kurzer Überblick gegeben. Eine ausführliche Übersicht
über die werkstofflichen Entwicklungen der Luft- und Raumfahrt geben
z.B. Williams und Starke, Jr. (Williams et al. 2003).
Höhere statische Festigkeiten können einerseits durch höhere Legie-
rungsanteile – z.B. von Zn in AlZnMgCu- oder von Cu in AlMgSiCu-Le-
gierungen – erzielt werden, anderseits müssen die nutzbaren Festigkeitsei-
genschaften abgestimmt werden auf weitere Eigenschaften, insbesondere
auf die Beständigkeit gegen Spannungsrißkorrosion (SpRK) und interkri-
stalline Korrosion (IK). So können die hohen Festigkeiten von vollausge-
härteten AlZnMgCu-Legierungen im T6-Zustand nicht sicher ausgenutzt
werden. SpRK- und IK-Korrosionsbeständigkeit werden erst durch eine
gewisse Überhärtung abgesichert. AlZnMgCu-Legierungen werden daher
nur noch im T7X-Zustand verwendet, s. Tabelle 2.5.1.
2.5 Aluminium im Flugzeugbau 63

Bild 2.5.2 Vordere Rumpfzelle des Airbus A380 (Quelle: Airbus Ind.; Corus Alu-
minium, Koblenz)

Tabelle 2.5.1 Ausgewählte Luftfahrtlegierungen, zugehörige Halbzeugart und


Verwendungszweck (Fridez 2004)
Bez. Bez. mit chem. Zustand Beispiele für Halbzeugart und Verwen-
AA Symbolen dungszweck
2024 Al Cu4Mg1 T351 Bleche und Platten für Flügelunterseite
2524 Al Cu4Mg1(A) T3/T351 Bleche und Platten für Rumpfbeplankung
2026 Al Cu4Mg1Zr T3511 Stranggepreßte Versteifungsrippen für Flügel

6013 Al Mg1Si0,8CuMn T6 Bleche für Rumpfbeplankung


6056 Al Si1MgCuMn T78 Bleche für Rumpfbeplankung, höhere IK-
Beständigkeit als AA6013-T6
7040 Al Zn6MgCuZr T7X Platten für Holme und Flügeloberseite
7050 Al Zn6CuMgZr T74511 Platten für Flügeloberseite, gepreßte Stangen

7150 Al Zn6CuMgZr(A) T7751 Platten für Versteifungsrippen


7055 Al Zn8CuMgZr T7951 Platten für Flügeloberseite
T79511 Stranggepreßte Versteifungsrippen für Flügel
T762/T76511 Strangpreßprofile für Rumpfversteifungsrippen
und Bodenträger
7085 Al Zn7,5CuMgZr T7651 Platten für Querholme (spars)
T7652/T7452 Schmiedeteile für Querholme
7449 Al Zn8MgCuZr T79 Bleche und Platten für Flügeloberseite
7475 Al Zn5,5MgCu(A) T76/T7651 Bleche und Platten für Rumpfbeplankung
64 2 Märkte und Anwendungen

Im Flugzeugbau ist es üblich, tragende Bauteile und Paneele durch


Zerspanen aus dicken Platten zu fertigen, um die Zahl von Verbindungen
zu verringern, die immer ein gewisses Sicherheitsrisiko in sich bergen
können und durch Materialdopplungen und notwendige Materialverstär-
kungen unerwünschte Zusatzgewichte bringen. Ein typisches Beispiel ist
in Bild 2.5.3 dargestellt. Eine solche Bauweise verlangt gleichmäßige Fe-
stigkeitseigenschaften in allen Richtungen, insbesondere in der Dicken-
richtung (short transvers Richtung, ST), und daher eine geringe Ab-
schreckempfindlichkeit der Legierung, s. Kap. 3.2.8. Die neueren hoch-
festen AlZnMgCu-Legierungen verzichten daher auf Mn- und Cr-Gehalte
zugunsten von Zr-Gehalten, s. Tabelle 2.5.2.

Bild 2.5.3 Aus hochfester dicker Walzplatte gefrästes Strukturteil (Quelle: Corus
Aluminium Koblenz)

Weiterhin können die hohen Schadenstoleranzforderungen nur erfüllt


werden, wenn eine ausreichend homogene Gefügequalität vorliegt und
Primärphasenanteile und -partikelgröße sowie Mikroporosität und Oxidge-
halt extrem eingeschränkt werden. Deshalb wurden die Si- und Fe-Gehalte
bei den neueren AlCuMg- und AlZnMgCu-Legierungen drastisch einge-
schränkt, s. Tabelle 2.5.2, und die Halbzeuge einer 100% zerstörungsfreien
US-Prüfung sowie laufender Bruchzähigkeitsprüfungen unterzogen. Au-
ßerdem muß sichergestellt werden, daß der Abschreckvorgang über der
gesamten Plattenfläche gleichmäßig erfolgt und keine „hot spots“ gebildet
werden, die im fertig zerspanten Teil weiche Zonen hinterlassen. Einige
charakteristische Festigkeitseigenschaften und Bruchzähigkeitswerte von
Plattenmaterial ausgewählter Luftfahrtlegierungen enthält Tabelle 2.5.3.
Eine Erläuterung zu den Rißorientierungen (L-T, T-L und S-L) von
Bruchmechanikproben im Verhältnis zu den Halbzeugkoordinaten wird in
2.5 Aluminium im Flugzeugbau 65

Tabelle 2.5.2 Zusammensetzung neuerer Flugzeugbaulegierungen im Vergleich


zu den traditionellen Legierungen AA2024, AA6061 und AA7075
AA- Si Fe Cu Mn Mg Cr Zn Ti Sonstige1)
No.
2024 0.50 0.50 3.8-4.9 0.30-0.9 1.2-1.8 0.10 0.25 0.15
2524 0.06 0.12 4.0-4.5 0.45-0.7 1.2-1.6 0.05 0.15 0.10
2026 0.05 0.07 3.6-4.3 0.30-0.8 1.0-1.6 .... 0.10 0.06 0.05-0.25 Zr
6061 0.40- 0.7 0.15- 0.15 0.8-1.2 0.04- 0.25 0.15
0.8 0.40 0.35
6013 0.6-1.0 0.50 0.6-1.1 0.20-0.8 0.8-1.2 0.10 0.25 0.10
6056 0.7-1.3 0.50 0.50-1.1 0.40-1.0 0.6-1.2 0.25 0.10-0.7 ....
7075 0.40 0.50 1.2-2.0 0.30 2.1-2.9 0.18- 5.1-6.1 0.20
0.28
7475 0.10 0.12 1.2-1.9 0.06 1.9-2.6 0.18- 5.2-6.2 0.06
0.25
7040 0.10 0.13 1.5-2.3 0.04 1.7-2.4 0.04 5.7-6.7 0.06 0.05-0.12 Zr
7050 0.12 0.15 2.0-2.6 0.10 1.9-2.6 0.04 5.7-6.7 0.06 0.08-0.15 Zr
7150 0.12 0.15 1.9-2.5 0.10 2.0-2.7 0.04 5.9-6.9 0.06 0.08-0.15 Zr
7055 0.10 0.15 2.0-2.6 0.05 1.8-2.3 0.04 7.6-8.4 0.06 0.08-0.25 Zr
7085 0.06 0.08 1.3-2.0 0.04 1.2-1.8 0.04 7.0-8.0 0.06 0.08-0.15 Zr
7449 0.12 0.15 1.4-2.1 0.20 1.8-2.7 .... 7.5-8.7 .... 0.25 Ti+Zr
1)
Andere Elemente 0.05 einzeln bzw. 0.15 gesamt, Rest Aluminium

Tabelle 2.5.3 Charakteristische mechanische Eigenschaften von Luftfahrtplat-


tenwerkstoffen nach verschiedenen Literaturquellen
AA-No. Zustand Dicke Rm Rp0,2 A KIc(L-T) KIc(T-L) KIc(S-L)
mm MPa MPa % MPa√m MPa√m MPa√m
2024 T351 25 430 310 12 45 41
T851 100 485 427 7 35 27
6061 T6 75 315 265 9 33 30 23
6082 T651 30 305 250 9 39
7075 T651 35 565 517 9 31 25
T7351 25 505 448 8 36 29
7050 T7451 75 460 410 8 26 24 23
7150 T651 35 580 540 7 24 22
7055 T7951 35 605 580 7 23 21
7449 T7651 30 570 520 8 24 22
7049 T73 (Extr.) 76 545 515 7 31 27 22
KO82501) T7X51 30 520 460 12 38,5 29,5 28,5
1)
Werksbezeichnung Corus Aluminium, Koblenz
66 2 Märkte und Anwendungen

Bild 2.5.4 gegeben. Die L-T Probenlage ergibt gewöhnlich die höchsten,
die S-L Probenlage die geringsten Bruchzähigkeitswerte.

Bild 2.5.4 Definition der Orientierungen von Bruchmechanikproben im Halbzeug:


L = Walz-, Strangpreß- oder Schmiederichtung; T = Querrichtung; S = kurze
Querrichtung (Dickenrichtung)

Die geometrischen Toleranzforderungen stellen hohe Ansprüche an die


Eigenspannungsfreiheit der Walzplatten, um Verzug während der Zerspa-
nung zu vermeiden. Um minimale Eigenspannungen und optimale Eigen-
schaften durch den Abschreckvorgang zu erzielen, muß ein bestimmtes
Temperatur-Zeit-Profil eingehalten werden und die Platten anschließend in
entsprechend ausgelegten Reckanlagen spannungsfrei gereckt werden, s.
Bild 3.2.47.
Die hochfesten Luftfahrtlegierungen der AlCuMg- und AlZnMgCu-Le-
gierungssysteme sind mit den herkömmlichen Lichtbogen- und Laser-
strahlschweißverfahren nicht schmelzschweißbar. Schweißkonstruktionen
haben deshalb bei Flugzeugzellenstrukturen lange Zeit keine Rolle ge-
spielt. Die vorherrschende Verbindungstechnik war das Nieten, meistens
in Kombination mit Kleben oder Dichtmitteln. Mit der Entwicklung
der schweißbaren höher festen AlMgSiCu-Legierungen (AA6013 und
AA6056) bieten sich Möglichkeiten der Gewichts- und Kosteneinsparung
bei der Herstellung von Rippenblechen für den Flugzeugrumpf durch La-
serstrahlschweißen, s. Bild 2.5.5. In der Tat werden beim Airbus A318 und
A380 Teile des Rumpfbauchs mit derart geschweißten Paneelen ausgerü-
stet. Auch das Rührreibschweißen (FSW, s. Abschn. 19.1) bietet für die
Verbindung von Blech- und Profilelementen im Flugzeugbau noch weite-
res Potential. Da bei diesem Verfahren die Solidus-Temperatur nicht über-
schritten wird, lassen sich auch nicht schmelzschweißbare Legierungen der
2xxx und 7xxx Gruppen mit diesem Verfahren stoffschlüssig verbinden.
2.6 Architektur und Ingenieurbau 67

Bild 2.5.5 Verbindung von Versteifungsrippen auf Blechfeldern durch Nieten


(links) und Laserstrahlschweißen (rechts)

Im Bestreben, gegenüber den „traditionellen“ Aluminiumwerkstoffen


weitere Gewichtseinsparungen zu erzielen, werden im modernen Flug-
zeugbau zunehmend kohlefaserverstärkte Kunststoffe und andere Ver-
bundwerkstoffe eingesetzt. Zum ersten Mal im Airbus A380 wird ein
Aluminium-Faserverbundwerkstoff verwendet, der unter dem Markenna-
men GLARE® hauptsächlich von der TU Delft entwickelt wurde. GLARE
besteht aus mehreren, jeweils nur wenige Zehntel mm dicken Schichten
aus Aluminium und einem Glasfaserlaminat. Ein Vorteil ist das gegenüber
monolithischem Aluminiumblech günstigere Rißfortschrittsverhalten,
nachteilig ist der geringere E-Modul (57.000 MPa) und der etwa 6-fache
Preis.

2.6 Architektur und Ingenieurbau

Nach dem Sektor Transport und Verkehr ist das Bauwesen der zweitwich-
tigste Anwendungsbereich für Aluminiumprodukte geworden. Dafür gibt
es mehrfache Gründe: die sehr gute Witterungsbeständigkeit, eine breite
Palette von dekorativen organischen und anorganischen Oberflächenbe-
schichtungen, niedrige Instandhaltungskosten, gute Verarbeitbarkeit – vor
allem auch aus der Sicht des Handwerks – und nicht zuletzt die außerge-
wöhnlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Strangpreßtechnik. Nicht von
ungefähr ist daher der Bausektor für die Strangpreßwerke der wichtigste
Abnehmermarkt. Fensterrahmen, Türen und Fassadenelemente stellen die
Hauptanwendungsgebiete dar. Blechanwendungen findet man in der Form
von walzblanken oder oberflächenveredelten, walzgeprägten oder rollge-
formten Flächenelementen als Dach- und Wandverkleidung im Industrie-
bau und behördlichen Objektbauten, aber auch an Kulturbauten. Ein Bei-
68 2 Märkte und Anwendungen

spiel von überregionaler Bedeutung ist das Imperial War Museums in


Manchester, das vom Architekten Daniel Libeskind entworfen wurde, Bild
2.6.1, und dessen Dach- und Wandverkleidung aus Aluminium besteht.

Bild 2.6.1 Imperial War Museum, Manchester. Entwurf: Büro Daniel Libeskind,
Berlin. Die sog. „Earth Shards“ sind mit Aluminium verkleidet. Projektleiter: Ar-
chitekt Martin Ostermann. Fertigstellung: 2002 (Foto: F. Ostermann)

Die Dachverkleidungen sowie die Wandverkleidungen im Industriebau


werden allgemein als rollgeformte Trapezprofile ausgeführt, die eine ge-
wisse Tragfähigkeit zu erfüllen haben. Die Anforderungen an Konstruk-
tion, Tragfähigkeit und den Nachweis der Gebrauchstauglichkeit von A-
luminium-Trapezprofilen sind in DIN 18807, Teile 6–9, geregelt. Die
bauaufsichtlichen Zulassungen von Bauprodukten obliegen dem Deut-
schen Institut für Bautechnik (DIBt), Berlin. Im Rahmen dieser Zulassun-
gen werden den Bauprodukten die Legierungszusammensetzungen und
Werkstoffzustände zugeordnet. Die am häufigsten für Trapezprofile einge-
setzten Legierungen und Werkstoffzustände sind in Tabelle 2.6.1 enthal-
ten. Die Wahl des geeigneten Werkstoffzustands ergibt sich aus den gefor-
derten Festigkeits-, Stabilitäts- und Verbindungseigenschaften sowie aus
den Anforderungen des Rollformprozesses. Nach DIN 18807-9 wird eine
Mindest-0,2%-Dehngrenze von 165 N/mm² gefordert. Die wegen ihrer ho-
hen Korrosionsresistenz vorwiegend eingesetzten Legierungen der Gruppe
AlMn (EN AW-3xxx) erreichen das geforderte Festigkeitsniveau durch er-
hebliche Kaltverfestigung (sog. H-Zustände). Die verwendeten Blechdi-
cken betragen typischerweise 0,5 bis 1,5 mm. Aus wirtschaftlichen Grün-
2.6 Architektur und Ingenieurbau 69

den wird bei geforderter Tragfähigkeit die Blechdicke durch ein Optimum
zwischen Stützlänge und Flächengewicht bestimmt. Außer den in Tabelle
2.6.1 angegebenen Legierungen und Zuständen ist der Einsatz weiterer
Legierungen und Werkstoffzustände möglich, sofern für die Produkte eine
entsprechende Zulassung durch das DIBt erwirkt wurde.

Tabelle 2.6.1 Aluminiumlegierungen für rollgeformte Trapezprofile für Dach-


und Wandverkleidungen (nach DIN 18807-9)
Numerische Bezeichnung mit Anwendbare Werkstoff-
Bezeichnung chem. Symbolen zustände
EN AW-3103 AlMn1 H18, H28
EN AW-3004 AlMn1Mg1 H14, H34, H44, H46, H28
EN AW-3005 AlMn1Mg0,5 H16, H44, H48
EN AW-3105 AlMn1Mg0,5 H18, H28, H48
EN AW-5005A AlMg1(C) H18, H38, H48
Zur Bezeichnungsweise der Werkstoffzustände s. Abschn. 3.4.2

Gegenüber den Dach- und Wandverkleidungen stellen Ingenieurbau-


konstruktionen gewöhnlich höhere Anforderungen an die Tragfähigkeit der
Struktur und erfordern Legierungen mit höheren Festigkeitswerten und
ausreichender Schweißbarkeit. Der konstruktive Ingenieurbau unterliegt
einschlägigen Regelwerken zur Konstruktion, Bemessung und Herstellung,
s. Stahlbaunormen DIN 18800, 18801, etc. Für die Auslegung von Alumi-
niumkonstruktionen und Aluminiumschweißkonstruktionen gilt die DIN
4113:2002 (s. Tabelle Anh. A4). Im Rahmen europäischer Vereinheitli-
chung wurde der Eurocode 9 (EC9) (prEN 1999-1-1:2004) entwickelt, der
in Methodik und Umfang über den Rahmen der DIN 4113 deutlich hinaus-
geht. Der Entwurf ist z.Zt. noch in der Erprobung, mit der Einführung wird
in 2007 gerechnet. Die Konstruktionslegierungen nach DIN 4113-1 mit
Angabe der Halbzeug- oder Formgußart sowie der zugehörigen Werk-
stoffzustände enthält Tabelle 2.6.2. Die Angaben entsprechen weitgehend
auch dem EC9 (zusätzlich dort enthalten: EN AW-5052, EN AW-5454,
EN AW-8011A).
Zu den herausragenden Ingenieurbauprojekten zählt der Brückenbau,
der hierzulande als Stahlbaudomäne gilt. Dennoch gibt es einige Beispiele
für den Aluminiumbrückenbau, die die Vorteile dieses Werkstoffs deutlich
machen. Bild 2.6.2 zeigt die Schwansbellbrücke über den Datteln-Hamm-
Kanal bei Lünen, die 1956 als Nietkonstruktion mit AlSi1MgMn-Profilen
erbaut wurde und sich nach 50 Jahren in einem baulich ausgezeichneten
Zustand befindet. Es wurde damals weder ein Korrosionsschutz aufge-
70 2 Märkte und Anwendungen

bracht, noch war eine Instandsetzung erforderlich. In Stahlausführung hät-


te die Brücke ein Eigengewicht von 60 t gehabt, die Gewichtseinsparung
durch den Aluminiumleichtbau betrug somit 58 %!

Tabelle 2.6.2 Konstruktionslegierungen nach DIN 4113-1(2002-09)


Numerische Bezeichnung mit Halbzeug bzw. Werkstoff-
Bezeichnung chem. Symbolen Gießverfahren Zustand
EN AW-3103 Al Mn1 W H18
EN AW-3004 Al Mn1Mg1 W H14, H24, H34, H16, H26, H36
EN AW-3005 Al Mn1Mg0,5 W H16, H18, H28
EN AW-5005A Al Mg1(C) W, P, R 0/H111, H112, H12, H22, H32, H14,
H24, H34
EN AW-5049 Al Mg2Mn0,8 W 0/H111, H112, H14, H24, H34
EN AW-5754 Al Mg3 W, P, R, Schm. 0/H111, H112, H12, H22, H32, H116
EN AW-5083 Al Mg4,5Mn W, P, R, Schm. 0/H111, H112, H12, H22, H32, H14
EN AW-6060 Al MgSi P, R T6, T66
EN AW-6063 Al Mg0,7Si P, R T6, T66
EN AW-6005A Al SiMg(A) P T6
EN AW-6106 Al MgSiMn P T6
EN AW-6061 Al Mg1SiCu W, P, R T6, T651
EN AW-6082 Al Si1MgMn W, P, R, Schm. T6, T651, T61, T6151, T5
EN AW-7020 Al Zn4,5Mg1 W, P, R T6, T651
EN AC-42100 Al Si7Mg0,3 K T6, T64
EN AC-42200 Al Si7Mg0,6 K T6, T64
EN AC-43000 Al Si10Mg(a) K F
EN AC-43300 Al Si9Mg K, S T6, T64(K)
EN AC-44200 Al Si12 K, S F
EN AC-51300 Al Mg5 K, S F
W = Bleche, Platten; P = gepreßte Profile, Rohre, Stangen; R = gezogene Rohre;
Schm. = Schmiedeteile; K = Kokillengußteile, S = Sandgußteile

Ein moderneres Beispiel für Aluminiumbrückenbau ist die Forsmo-


Brücke in Nordland, Norwegen, s. Bild 2.6.3, die eine ältere Stahlbrücke
ersetzte und 1996 erbaut wurde. Hierbei handelt es sich um eine Schweiß-
konstruktion aus Blech- und Profilelementen, die in einem Fabrikationsbe-
trieb erbaut und im Straßentransport zur Baustelle gebracht wurde. Die
Gewichtseinsparung soll erlaubt haben, die bestehenden Fundamente wei-
ter zu nutzen und die Nutzlastgrenze zu erhöhen.
2.6 Architektur und Ingenieurbau 71

Bild 2.6.2 Die Schwansbellbrücke über den Hamm-Datteln-Kanal im Jahre 2006.


Stützweite 44,20 m, Gesamtbreite 5,10 m, nutzbare Brückenbreite 4,50 m, Fahr-
bahnbreite 3,50 m. Brückengewicht: 25 t, Verkehrsgewichtzulassung bis 12 t
(Quelle: W. Mader, GDA)

Bild 2.6.3 Aluminiumbrückenbau in Norwegen: Die Forsmo-Brücke (Quelle:


Hydro Aluminium)
72 2 Märkte und Anwendungen

2.7 Sonstige Anwendungsmärkte

Die besonderen Eigenschaften des Aluminiums erschöpfen sich nicht al-


lein in den vorstehend betrachteten Anwendungsmärkten, in denen das ge-
ringe Gewicht, gutes Korrosionsverhalten, hohe Festigkeiten und Duktilität
sowie die guten Formgebungs- und Verarbeitungseigenschaften die we-
sentliche Rolle spielen. Der nachfolgende kurze Überblick über weitere
Anwendungsbereiche soll das tatsächlich größere Spektrum der nutzbaren
Aluminiumeigenschaften beleuchten.

2.7.1 Maschinen-, Apparate- und Werkzeugbau

Im Maschinen- und Apparatebau spielen neben der chemischen Bestän-


digkeit und den mechanischen Eigenschaften vor allem die guten Formge-
bungsmöglichkeiten durch Gießen und Strangpressen sowie die hervorra-
gende spanende Bearbeitbarkeit, s. Kap. 14, eine wesentliche Rolle. Die
vergleichsweise geringen Werkzeugkosten beim Gießen und Strangpressen
und die hohe Zerspanbarkeit sind Voraussetzung für die Verwendung des
Werkstoffs auch bei geringen Seriengrößen. Neben den bekannten Profil-
systemen für Maschinenrahmen werden vor allem vielfältige Funktions-
elemente (Hydraulik, Pneumatik) und Maschinenbauteile mit komplexen
Geometrien mit Hilfe von Strangpreßprofilen ausgeführt, s. Bild 2.7.1.
Zum Einsatz kommen je nach Herstellungsart und Bauteilanforderungen
die verschiedenen Standardknet- und Gußlegierungen.
Ein weiteres Anwendungsgebiet sind Werkzeugbauelemente, die vor-
wiegend aus spannungsarmen hochfesten Walzplatten durch spanende Be-
arbeitung hergestellt werden. Einerseits dienen sie dazu, die Massenkräfte
bei schnellaufenden Werkzeugmaschinen zu reduzieren. Ein Beispiel ist in
Bild 2.7.2 gezeigt. Andererseits werden die Walzplatten (und bei extremen
Dickenabmessungen auch geschmiedete Platten) für den Bau von Spritz-
gußformen für die Kunstoffteileherstellung eingesetzt. Gegenüber Stahl-
formen bietet Aluminium eine um das 5- bis 10-fache kürzere Bearbei-
tungszeit und eine etwa 5-fach höhere Standzeit der Bearbeitungswerk-
zeuge. Hinzu kommt wegen der hohen Wärmeleitfähigkeit des Alumini-
ums gegenüber Stahl eine um etwa 50% kürzere Zykluszeit des Spritzvor-
gangs. An die Gefügequalität werden hohe Anforderungen gestellt, um den
Ansprüchen der Oberflächenqualität der Spritzgußteile zu genügen. Als
Legierungen kommen mittel- bis hochfeste Standard-Legierungen zum
Einsatz sowie firmenspezifische Rezepturen, s. Tabelle 2.7.1.
2.7 Sonstige Anwendungsmärkte 73

Bild 2.7.1 Portalroboterachse aus EN AW-6060-T6 (Quelle: VAW/Corus Alumi-


nium Bonn)

Bild 2.7.2 Werkzeugbauteile durch spanende Bearbeitung aus spannungsarmen,


hochfesten Walzplatten hergestellt (Quelle: Alusuisse/Alcan)

Die Verschleißeigenschaften der Schneidkanten von Blasformen aus


den genannten Legierungen lassen sich durch Aufhärtung mit Hilfe des
Pulver-Plasma-Auftragschweißens (PPA-Schweißen) verbessern (Bala-
chov et al. 2002, Dilthey et al. 2003).
74 2 Märkte und Anwendungen

Tabelle 2.7.1 Knetlegierungen für den Formenbau. Nominelle Zusammensetzung


und Festigkeitsbereiche

Nominelle Zu- Marken- max. Dicke Rm 2) Rp0,2 2) A50 2)


sammensetzung name 1) [mm] [MPa] [MPa] [%]
Al Zn7Mg2Cu2Zr HOKOTOL 100 - 400 485 - 575 415 - 535 2 - 7,5
AlCu6MnMn0,2Zr0,2 WELDURAL 100 - 700 345 - 455 295 - 350 1,5 - 7,5
AlMg4Mn1Si1 GIGANTAL 100 - 1000 200 - 260 105 - 155 2,5 - 16,5
1)
Fa. Corus Aluminium Koblenz
2)
gemessen in L-T Richtung bei 1/4 Plattendicke

2.7.2 Elektrotechnik

Die hohe elektrische Leitfähigkeit bei geringem spezifischen Gewicht ist


die wesentliche Grundlage für vielfältige Verwendungen von Aluminium
als elektrischer Leiter (Hochspannungsleitungen, Stromschienen, etc.).
Bild 2.7.3 zeigt den Querschnitt einer Verbundstromschiene für die Strom-
versorgung von U-Bahnen, s. auch Abschn. 9.7.3. Der metallurgische Ver-
bund zwischen dem Aluminiumprofil und der Schicht aus abriebfestem
Stahl wird beim Strangpreßvorgang erzeugt. Für diese stromleitende Ver-
wendung werden Reinaluminium und sog. E-Al-Sorten eingesetzt, wie EN
AW-EAl99,7 (1370), EN AW-EAl99,5 (1350), EN AW-EAl MgSi (6101)
u.a., s.a. DIN EN 14121:2003 (s. Tabelle Anh. A3).
In der Elektrotechnik spielt Aluminium aber auch für die konduktive
und konvektive Wärmeleitung eine wichtige Rolle. Vor allem in der Form
von Strangpreßprofilen kommt Aluminium für Elektronikkühlkörper und
als Gehäuse von Elektromotoren zum Einsatz. Durch die Verrippung der
Oberfläche dieser Bauelemente und gleichzeitig durch die exzellente
Wärmeleitung wird eine spezifisch hohe Kühlleistung möglich.
Für den Bau von Elektronikelementen wird höchstreines Aluminium mit
Reinheitsgraden von 99,9999% (Kryal® der Fa. Hydro, ehem. VAW) ver-
wendet. Eine weitere elektrotechnische Anwendung betrifft den Bau von
Kondensatoren. Die hierzu notwendigen Folien in Dicken zwischen 70 und
150 µm erlauben aufgrund ihrer speziellen Textur Ätzkanäle senkrecht zur
Folienoberfläche zu bilden und – nach der isolierenden Anodisierung – auf
diese Weise die effektive Oberfläche um das 100-fache zu vergrößern.
Bild 2.7.4 zeigt die Tunnelstruktur in einem Querschnitt durch eine Hoch-
volt-Ätzfolie nach dem Herausbeizen des metallischen Stützgerüstes.
2.7 Sonstige Anwendungsmärkte 75

Bild 2.7.3 Verbundstromschiene aus Aluminium und Stahl (Quelle: Fa. Alcan-
Singen)

Bild 2.7.4 REM-Aufnahmen einer Aluminiumätzfolie mit besonderer Textur zur


Erzeugung einer maximalen Oberflächenvergrößerung für den Einsatz in Konden-
satoren (Quelle: Hydro Aluminium (ehem. VAW aluminium AG, Bonn))

2.7.3 Verpackung

Der Verpackungssektor ist für die Aluminium-Walzwerke der bisher größ-


te singuläre Absatzmarkt. Entscheidend für den Einsatz als Verpackungs-
material sind weniger das spezifische Gewicht des Aluminiums als viel-
mehr das für Mensch und Tier nicht-toxische Verhalten, die Undurch-
lässigkeit für Sauerstoff und andere Gase und die einzigartige walz-
technische Verarbeitbarkeit. So können Walzbarren von 600 mm Dicke
bis zu Folienstärken von ca. 6 µm gewalzt werden, entsprechend einer
100.000-fachen Oberflächenvergrößerung oder einem ebenso großen Ab-
walzgrad. Für Folien und flexible Verpackungsmaterialien wird Reinalu-
minium verwendet. Für starre Verpackungen (Dosen für Getränke, Fisch
und Fleisch) werden Legierungen der AlMn-Gruppe 3xxx eingesetzt. Die
verwendeten Legierungen müssen lebensmitteltauglich sein, was durch die
76 2 Märkte und Anwendungen

EN Normen DIN EN 602:2004 und prEN 14392:2003 (s. Tabelle Anh.


A3) geregelt ist.
Eines der fertigungstechnisch interessanten Verpackungsprodukte ist die
zweiteilige Getränkedose, s. Bild 2.7.5. Der Dosenkörper wird aus einer
0,21–0,23 mm dicken Ronde mit 140 mm Durchmesser aus Legierung EN
AW-3004 oder EN AW-3104 in 5 Stufen gezogen und abgestreckt. Die
endgültige Wanddicke beträgt etwa 0,1 mm. Das Dosenband wird in hoch-
verfestigtem Zustand H19 eingesetzt, in dem es nur 2–3 % Dehnung auf-
weist.

Bild 2.7.5 Zweiteilige Aluminiumdose mit Aufreißdeckel (Quelle: Alcan Göttin-


gen)

Der Deckel mit der Aufreißlasche wird aus Legierung EN AW-5182-


H48 mit einer Bruchdehnung von maximal 5% gefertigt, s. Bild 2.7.6. Die
Lasche wird durch einen Hohlniet befestigt, der über mehrere Stufen aus
dem Deckel gezogen wird. Die letzte Stufe ist ein Prägevorgang, mit dem
die Sollbruchrille in den Deckel eingebracht wird, bevor die Lasche durch
abschließendes Zusammendrücken des Hohlniets befestigt wird, s. Bild
2.7.7. Die reproduzierbare Qualität des Aufreißverhaltens („Easy Ope-
ning“) verlangt eine extrem enge Dickentoleranz des gezogenen Deckels
vor dem Prägevorgang. Dosenkörper und Deckel werden auf Schnelläufer-
pressen mit Hubzahlen zwischen 180 und 600 pro Minute gefertigt. Eine
2.7 Sonstige Anwendungsmärkte 77

sichere Fertigung muß gewährleistet sein, damit die Forderungen von ma-
ximal 3 ppm Ausfallrate beim Abfüller erfüllt werden können.

Bild 2.7.6 Dosendeckel EN AW-5182-H48 mit Hohlnietbefestigung der Auf-


reißlasche (Quelle: Alcan Göttingen)

Bild 2.7.7 Formgebungsschritte des Hohlniets eines Getränkedosendeckels mit


Sollbruchstellen für die Aufreißlasche (Quelle: Wootton, E., Alcan, 1994)
3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Legierungsaufbau und Wärmebehandlung sind zunehmend wichtige The-


menbereiche für den Fertigungstechniker und Konstrukteur, um das Po-
tential des Werkstoffs Aluminium in der Verarbeitung und Anwendung
differenzierter auszuschöpfen, als die Verwendung herkömmlicher Halb-
zeug- und Legierungszustände gewöhnlich ermöglicht. Solche Themen
betreffen u.a. die beschleunigte Warmaushärtungskinetik, verbessertes Fe-
stigkeitsniveau nach Warmaushärtung, gleichbleibende Eigenschaften bei
der Lagerung zwischen Anlieferung und Verarbeitung, Rückbildung der
Kalt- oder Warmaushärtung zum Zwecke besserer Umformbarkeit. Durch
gezielte Wärmebehandlungen im Fertigungsablauf können die Verarbeit-
barkeitsgrenzen des Ausgangswerkstoffs und seines Werkstoffzustandes
erweitert werden. Neuere Legierungsentwicklungen und Vorbehandlungen
ermöglichen die Verkürzung von langen Wärmebehandlungszeiten, so daß
solche Prozesse heute auch in mechanisierte Fertigungsabläufe integriert
werden können.
Der Konstrukteur trifft die für den Anwendungsfall geeignete Legie-
rungsauswahl aufgrund der geforderten Gebrauchseigenschaften und deren
Stabilität während der Produktlebensdauer. Je nach Legierungsart und Zu-
stand liegt das zu verarbeitende Material jedoch häufig nicht in einem
thermodynamisch stabilen Gleichgewichtszustand vor, und es ist abzuwä-
gen, ob der vorliegende metastabile Zustand während der Einsatzdauer und
unter den zu erwartenden mechanischen, thermischen und Umweltbela-
stungen ausreichende Stabilität aufweisen wird.
Darüber hinaus umfaßt die Verarbeitung von Halbzeugen und Vormate-
rialien zu Endprodukten in vielen Fällen mechanische und thermische Be-
handlungsstufen, wie Schweißen, Kleben, Lackieren, Vorwärmen und
Halbwarmumformen. Alle thermischen Prozesse können die Gefügestruk-
tur und Eigenschaften des Grundwerkstoffs erheblich verändern, so daß
die Kenntnisse dieser Einflüsse auch ein besseres Verständnis des Werk-
stoffverhaltens erlauben.
Das Eigenschaftsprofil eines Werkstoffs wird durch die Legierungszu-
sammensetzung, den Herstellungs- und Verarbeitungsprozeß und den
Wärmebehandlungszustand bestimmt. Diese Faktoren wirken sich auf das
Gefüge aus, das aus verschiedenen Bausteinen aufgebaut ist, deren Art,
80 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Größe, Menge und Verteilung unmittelbar und mittelbar auf Eigenschaften


und Verhalten Einfluß nehmen. Das Gefüge besteht aus Elementen, deren
Ausdehnungen im Nanometer- (nm) und Mikrometerbereich (µm) liegen
und sich somit weitgehend einer äußerlichen, visuellen Beurteilung entzie-
hen. Erst lichtmikroskopische, elektronenmikroskopische und röntgeno-
graphische Methoden in Verbindung mit entsprechenden Präparations-
techniken bringen die Gefügebausteine zum Vorschein, die für die Verar-
beitungs- und Gebrauchseigenschaften des Werkstoffs verantwortlich sind.
Die Bedeutung dieser Gefügeelemente für die Werkstoffeigenschaften
und die gezielte Beeinflussung des Gefügeaufbaus durch metallurgische,
thermische und mechanische Prozesse zur Einstellung besonderer Verar-
beitungs- und Gebrauchseigenschaften sind Gegenstand dieses Kapitels.
Nach einer Beschreibung der gemeinsamen Gefügebausteine von Alumi-
niumlegierungen – in Abschn. 3.1 –, die das mechanische Verhalten steu-
ern, werden in den Abschn. 3.2 und 3.3 der Aufbau der anwen-
dungstechnisch wichtigen Gruppen von Knet- und Gußlegierungen sowie
die allgemeinen und legierungsspezifischen Grundlagen der Wärmebe-
handlung erläutert. Abschn. 3.4 gibt eine Übersicht über die heute gültigen
Legierungs- und Zustandsbezeichnungen.

3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffe

Die wichtigsten Gefügebausteine, aus denen Aluminium und seine Legie-


rungen aufgebaut sind, enthält Tabelle 3.1.1 und werden nachfolgend kurz
beschrieben. Eingehendere Darstellungen findet man in der Fachliteratur,
u.a. in (Altenpohl 1965, Altenpohl 1994, Hatch 1984, Grzemba et al. 1991,
Kammer 2002) sowie in der Internet-basierten metallkundlichen Daten-
bank AluMatter der European Aluminium Association, EAA, unter
www.eaa.net („Education“).

3.1.1 Gefügematrix

Aluminium besitzt wie alle Metalle einen kristallinen Aufbau und hat ein
kubisch flächenzentriertes (kfz) Raumgitter. Das bedeutet, die Atome sind
in der Elementarzelle so angeordnet, daß sie die Ecken eines Würfels bil-
den mit einem Atom in der Mitte jeder Würfelfläche, Bild 3.1.1. Die kfz
Gitterstruktur ist bei allen Temperaturen unterhalb der Solidustemperatur
stabil, eine Allotropie wie bei Eisen und Titan gibt es nicht.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 81

Tabelle 3.1.1 Gefügebausteine der Aluminiumlegierungen

Gefügematrix kfz-Kristallgitter
Gitterfehler Leerstellen,
Versetzungen,
Stapelfehler,
Kleinwinkelkorngrenzen,
Korngrenzen,
Phasengrenzen
Mischkristall Legierungselemente auf Gitterplätzen (Substitutionsmisch-
kristall),
Elemente auf Zwischengitterplätzen (elementarer Wasser-
stoff)
Primärphasen Intermetallische Phasen von Verunreinigungs- und Legie-
rungselementen aus dem Erstarrungsprozeß beim Strangguß
und Formguß
Sekundärphasen Intermetallische Phasen aus thermischen Behandlungen
– disperse Kornfeinungsphasen (Cr-, Mn-, Zr-, Ti-haltige
Phasen)
– Ausscheidungsphasen
a) kohärente Phasen (Cluster, Guinier-Preston Zonen)
b) teilkohärente, metastabile Phasen
c) inkohärente Gleichgewichtsphasen
Ausscheidungs- an Legierungselementen verarmte Zonen an Korngrenzen,
freie Zonen Primärphasen oder stabilen Sekundärphasen
Fasergefüge durch Warmumformung gestreckte Körner
Textur kristallographische Vorzugsorientierung der Körner, z.B.
Würfeltextur
Anschmelzungen durch Überhitzung entstandene, lokale Anschmelzungen,
vorzugsweise an Korngrenzen und Korngrenzentripelpunk-
ten
Poren durch Leerstellen-Cluster oder übersättigt gelösten Wasser-
stoff
Karbide, Oxide Einschlüsse aus der Elektrolyse und aus dem Gießprozeß

Die Länge einer Würfelkante der Elementarzelle ist die Gitterkonstante


„a“ und beträgt bei Reinaluminium mit einem Reinheitsgrad von 99,99%
unter Normalbedingungen a = 0,40496 nm, (s. Tabelle 4.1.1). Die Anord-
nung der Atome auf den {111} Ebenen (z.B. Ebene C-E-H in Bild 3.1.1)
im kfz Raumgitter erfüllen die Bedingung für die dichteste Kugelpackung.
Auf den Diagonalen der {100} Würfelflächen haben die Atome den
kleinstmöglichen Abstand, nämlich a/2·√2. Die Versetzungsbewegung –
der Mechanismus der plastischen Verformung – findet bevorzugt auf den
{111} Ebenen in Richtung der Fächendiagonalen <110> mit dem gering-
82 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

sten Atomabstand statt. Es gibt 4 verschiedene Orientierungen für {111}


Ebenen mit jeweils 3 verschiedenen Flächendiagonalen <110>, d.h. insge-
samt 12 verschiedene Gleitmöglichkeiten für Versetzungen im kfz-Gitter.
Nach v. Mises müssen für plastische Verformbarkeit mindestens 5 Gleitsy-
steme aktivierbar sein. Eine Übersicht über Art und Zahl der Gleitsysteme
von metallischen Werkstoffen enthält Tabelle 3.1.2.

Bild 3.1.1 Elementarzelle des kubisch flächenzentrierten Raumgitters. Zur Be-


zeichnung der Raumgitterebenen werden üblicherweise die Millerschen Indizes
verwendet, die sich aus den ganzzahligen reziproken Achsabschnitten ergeben,
z.B. (100) für die Fläche A-B-C-D. Analog werden die Bezeichnungen der Orien-
tierungsrichtungen gebildet, z.B. [011] für die Flächendiagonale F-G

Tabelle 3.1.2 Übersicht über Art und Zahl der aktivierbaren Gleitsysteme von me-
tallischen Werkstoffen, nach (Dieter 1961)
Kristall- Metall (Beispiele) Gleitebenen Gleitrichtungen Zahl der bei
gitter RT aktiven
Gleitsysteme
krz α-Fe, V, Nb, Ta, {110},{112}, <111> 48
Cr, Mo, W {123}
kfz Al, Cu, Ni {111} <110> 12

hdp Mg, α-Ti, Zn {0001}, <11-20> 12 *)


{10-10},
{10-11}
*) abhängig von Metall, Temperatur und Verformungsgrad. Beispiel: unlegiertes
Mg hat bei RT nur 3 aktive Gleitsysteme und daher eine begrenzte Plastizität
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 83

3.1.2 Gitterfehler

Bedingt durch den Erstarrungsprozeß und die thermomechanische Weiter-


verarbeitung enthält der kristalline Aufbau von Metallen eine Reihe von
Baufehlern im idealen Gitteraufbau nach Bild 3.1.1. Sie werden in nulldi-
mensionale, ein-, zwei- und dreidimensionale Gitterfehler eingeteilt. Diese
natürlichen Abweichungen vom idealen Kristallgitteraufbau haben große
Auswirkungen auf das Eigenschaftsprofil des Materials und geben in ih-
rem Zusammenwirken eine Fülle von Möglichkeiten zur Veränderung der
Eigenschaften des Grundmetalls.

Leerstellen (nulldimensionale Fehlstellen)

Leerstellen sind nulldimensionale Kristallfehler (Punktfehler) und kenn-


zeichnen das Fehlen von Atomen auf regulären Gitterpositionen. Der Ge-
halt an Leerstellen im Kristallgefüge wird durch thermodynamisches
Gleichgewicht geregelt und beträgt für Aluminium bei Temperaturen um
500 °C ~ 10-2 %. Mit abnehmender Temperatur nimmt der Leerstellenge-
halt exponentiell sehr stark ab und zwar um bis zu 8 Größenordnungen bei
Raumtemperatur (Altenpohl 1961, Altenpohl 1965, Altenpohl 1994).
Durch Abschrecken von höheren Temperaturen, z.B. nach dem Lösungs-
glühen, wird eine Leerstellenübersättigung erzeugt, die alle thermisch ak-
tivierten Prozesse signifikant beeinflußt. Über die Gleichgewichtskonzent-
ration hinausgehende Leerstellengehalte werden weiterhin durch pla-
stischen Verformung infolge von bestimmten Versetzungsbewegungen
(Bewegung von Sprüngen in Schraubenversetzungen) erzeugt.
Trotz ihrer geringen Konzentration (z.B. gegenüber dem Gehalt an Le-
gierungs- und Verunreinigungselementen in technischen Legierungen)
spielen Leerstellen bei der Wärmebehandlung eine überragende Rolle.
Leerstellen steuern die Selbstdiffusion und beschleunigen die Diffusion
von Legierungselementen bei Ausscheidungsprozessen. Die Beweglichkeit
von Leerstellen ist erheblich größer als die von Gitteratomen bei der
Selbstdiffusion: Die Aktivierungsenergie für Selbstdiffusion von Alumi-
nium beträgt 1,28 eV, für die Diffusion von Leerstellen etwa 0,62 eV
(Haasen 1994) bzw. für Doppelleerstellen 0,35 bis 0,40 eV (Altenpohl
1961). Beginnt die Selbstdiffusion in Aluminium bei normaler Leerstel-
lenkonzentration erst bei ca. 160 °C, so werden Diffusionsvorgänge bei
Leerstellenübersättigung bereits bei -50 °C beobachtet.
Das Ausheilen von überschüssigen Leerstellen geschieht durch Diffu-
sion zu sog. Leerstellensenken (Fremdatome, Versetzungen, Korngrenzen,
Oberflächen) oder auch durch Kondensation zu Versetzungsringen
(„loops“). Bei Raumtemperatur dauert das Ausheilen von Leerstellen in
84 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Reinaluminium nur wenige Stunden, wird jedoch bereits durch sehr ge-
ringe Gehalte an Legierungselementen behindert. Andererseits kann ein
Leerstellenüberschuß durch eine kurzzeitige Erwärmung auf mittlere Tem-
peraturen (200 bis 250 °C) verringert werden.
Besonders wirksam ist Magnesium infolge des großen Unterschieds der
Atomradien von Magnesium und Aluminium. Bereits in geringen Mengen
von z.B. 0,2 Gew.-% in binären Al-Mg Legierungen (Panseri et al. 1958)
wird infolge der Bildung von Magnesium/Leerstellen-Komplexen mit ho-
her Bindungsenergie die Ausheilung von Leerstellen bei Raumtemperatur
fast vollständig unterdrückt. Mg/Leerstellen-Komplexe sind relativ stabil
und lösen sich erst bei höheren Temperaturen oberhalb 100 °C auf (Panseri
1958).
Leerstellen ermöglichen das Klettern von Versetzungen bei Temperatu-
ren über 180-190 °C. Die Auflösung der Mg/Leerstellen-Komplexe dürfte
die Ursache für die deutliche Entfestigung von Al-Mg-Legierungen ober-
halb von 100 °C sein (Altenpohl 1961). Außerdem verursacht die Wech-
selwirkung zwischen Mg, Leerstellen und Versetzungen die Lüdersdeh-
nung und den Portevin-LeChatelier-Effekt (dynamische Reckalterung) bei
AlMg-Legierungen, welche in Abschn. 3.2.3 ausführlicher behandelt wer-
den.
Leerstellen steuern die Kinetik der Ausscheidungsprozesse über den
Diffusionsprozeß sowie bei der Bildung von Clustern und GP-Zonen,
wenn sie zu deren Aufbau notwendig sind. In diesem Fall werden Leer-
stellen in Clustern und GP-Zonen gebunden und bei deren Auflösung wie-
der freigesetzt. Ob Leerstellen für die Keimbildung von Ausscheidungen
erforderlich sind, hängt vom jeweiligen Legierungssystem und vom Legie-
rungsgehalt ab.
Leerstellenverarmung in Korngrenzennähe kann zur Ausbildung aus-
scheidungsfreier Zonen führen, wenn Leerstellen für die Keimbildung der
Ausscheidungsphasen erforderlich sind.
Die wesentliche Funktion von Leerstellen bei den Ausscheidungspro-
zessen und ihre empfindliche Wechselwirkung mit Legierungsatomen, und
Spurenelementen ist von eminenter Bedeutung für die Entwicklung ther-
mischer Prozesse und für die Legierungsentwicklung.

Versetzungen (eindimensionale Fehlstellen)


Versetzungen sind linienförmige Fehlstellen im Kristallaufbau. Ihre Be-
wegung durch das Gitter bei plastischer Verformung ist die Grundlage der
Plastizität der Metalle. Versetzungen bewegen sich unter Wirkung von
Schubkräften auf bestimmten Gleitebenen und in bevorzugten Richtungen
(s. Tabelle 3.1.3.). Die Höhe der für die Versetzungsbewegung erforderli-
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 85

chen Schubkräfte ist ein Maß für die Festigkeit bzw. den Verformungswi-
derstand des Metalls oder der Legierung.
Kristallographisch unterscheidet man Stufenversetzungen und Schrau-
benversetzungen. In vereinfachter Weise kann man sich eine Stufenverset-
zung gedanklich durch Einschieben einer zusätzlichen halben Gitterebene
ins Kristallgitter vorstellen, wie Bild 3.1.2 schematisch zeigt. Das Fußende
dieser Halbebene erzeugt eine Verzerrung des umgebenden Raumgitters
und stellt damit einen Ort höherer innerer Energie dar. Im Durchstrah-
lungselektronenmikroskop erscheinen Versetzungen infolge ihrer elasti-
schen Störfelder als Kontrastlinien, s. z.B. Bild 3.1.5. Den Betrag der Ver-
zerrung nennt man Burgersvektor. Eine Schraubenversetzung macht aus
den Kristallebenen eine kontinuierliche Schraubenfläche. Ein in sich ge-
schlossener Versetzungsring besteht aus Segmenten von Stufenversetzun-
gen und von Schraubenversetzungen.

Bild 3.1.2. Schematische Darstellung der Bewegung einer Stufenversetzung auf


einer Gleitebene durch ein Kristallgitter

Metalle haben selbst in weich geglühten Zuständen eine (eingewach-


sene) Versetzungsdichte von ρ ~ 10-7 cm/cm³. Die Versetzungsdichte er-
höht sich mit dem Verformungsgrad durch Aktivieren von Versetzungs-
quellen. Versetzungsquellen sind innere Grenzflächen des Kristalls, wie
Korngrenzen und Phasengrenzen sowie verankerte Versetzungen (Frank-
Read-Quellen). Bei plastischer Verformung reagieren Versetzungen mit-
einander, indem sie sich gegenseitig annihilieren oder durch Gleiten auf
verschiedenen Gleitsystemen gegenseitig verankern und sogen. Kinken
und Sprünge (engl. kinks, jogs) bilden. Wechselt eine Versetzung von ei-
ner Gleitebene auf eine andere, spricht man von Quergleitung („wavy gli-
de“). Quergleiten von Versetzungen wird bei plastischer Verformung
86 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

durch Hindernisse in der Gleitebene (stationäre Versetzungen, nicht


schneidbare teil- oder inkohärente Sekundärphasen) und durch die Lage
des Spannungstensors im Verhältnis zu den Orientierungen der Gleitsy-
steme erzwungen. Quergleitung ist der vorherrschende Gleitmodus von
Versetzungen in Aluminium und seinen Legierungen und ist eine Vorbe-
dingung für den Aufbau einer räumlichen Versetzungsstruktur. Eine weite-
re Vorbedingung ist die Verfügbarkeit von nicht ko-planaren Burgersvek-
toren (Kuhlmann-Wilsdorf et al. 1994), die durch Kondensation von
Leerstellen in Versetzungsringen („loops“) bereitgestellt werden.
Die Behinderung von Quergleitung führt zu planarem Gleitverhalten
(„planar glide“), verhindert oder verzögert die Bildung von Versetzungs-
zellstrukturen, steigert die Verfestigungsrate und dadurch die plastische
Stabilität. Die Steuerung des Quergleitverhaltens ist daher für die plasti-
schen Eigenschaften von Aluminiumlegierungen von erheblicher Bedeu-
tung. Quergleitung kann durch verschiedene Mechanismen behindert wer-
den:
1. durch vorhandene schneidbare Ausscheidungsteilchen (Cluster, GP-
Zonen), da der Gleitwiderstand durch den Schneidvorgang vermin-
dert wird, wodurch weitere Versetzungsbewegung sich bevorzugt in
der aktiven Gleitebene vollzieht (T4 Zustand in aushärtbaren Alumi-
niumlegierungen);
2. durch Aufspaltung von Versetzungen in Teilversetzungen, wodurch
ein Fehler in der Stapelfolge der Gleitebenen entsteht. Allerdings
spielt die Aufspaltung von Versetzungen bei Aluminium und seinen
Legierungen höchstens eine untergeordnete Rolle (s. Abschn. Stapel-
fehler).
3. durch Verhinderung von Leerstellenkondensation zu Versetzungsrin-
gen, z.B. durch Mg/Leerstellenkomplexe mit hoher Bindungsenergie
in AlMg-Legierungen (Kuhlmann-Wilsdorf 2000).

Multiplikation der Versetzungen und Behinderung der Versetzungsbe-


wegung verursachen eine Verfestigung, die für die makroskopische Stabi-
lität der plastischen Verformung entscheidend ist. Plastische Stabilität be-
deutet, daß der Fließwiderstand bezogen auf den momentanen Querschnitt,
ausgedrückt durch die Fließspannung kf, mit dem Verformungsgrad steigt.
Das Ausmaß der Verfestigung – das sog. Verfestigungsvermögen, s.
Abschn. 6.2 – ist für das Umform- und Bruchverhalten eminent wichtig.
Die Versetzungsdichte ρ ändert sich annähernd linear mit dem Ver-
formungsgrad in den Bereichen niedriger und hoher Verformung, s. Bild
3.1.3. Die Abhängigkeit zwischen Fließwiderstand und Versetzungsdichte
folgt einer Quadratwurzel-Beziehung: kf ~ ρ1/2.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 87

Bild 3.1.3 Gesamtversetzungsdichte in Abhängigkeit von der Scherverformung


bei Aluminium, nach (Zehetbauer 1993 und Nes 1998)

Stapelfehler (zweidimensionale Fehlstellen)

Im Aluminiumgitter entspricht die Stapelung der dichtgepackten {111}


Gleitebenen der Reihenfolge ABCABC..., wobei die Ebenen A, B und C
um jeweils a/6 in <112> Richtung gegeneinander versetzt sind, s. Bild
3.1.4. Die Aufspaltung von Versetzungen ist im Aluminiumgitter aller-
dings wegen der hohen Stapelfehlerenergie, die zur Erzeugung eines Sta-
pelfehlers erforderlich ist, gering, s. Tabelle 3.1.3.

Bild 3.1.4 Stapelfolge der dichtest gepackten Ebene im kfz Gitter: ABC. Nach je-
der dritten Schicht folgt wieder eine Schicht in der ursprünglichen Lage A
88 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Fehler in der Stapelfolge werden als „Stapelfehler“ bezeichnet und wer-


den durch Versetzungsreaktionen erzeugt, bei denen sich die Versetzungen
in Teilversetzungen aufspalten, s. Bild 3.1.5. Ob sich ein Stapelfehler bil-
det, hängt von der Energiebilanz der Versetzungsaufspaltung und der E-
nergie ab, die zur Erzeugung des Stapelfehlers aufgebracht werden muß.
Die Breite der Aufspaltung ist umgekehrt proportional zur sog. Stapelfeh-
lerenergie (Energie pro Flächeneinheit), die eine spezifische Eigenschaft
des jeweiligen Metalls ist. Aluminium hat von allen wichtigen metalli-
schen Grundwerkstoffen die höchste Stapelfehlerenergie, s. Tabelle 3.1.3.
In reinem Aluminium konnten keine Stapelfehler röntgenographisch nach-
gewiesen werden (Seemann et al. 1961, Deléhouzée et al. 1967). Aus theo-
retischen Erwägungen treten Stapelfehler in krz-Gittern nicht auf (Friedel
1956).

Bild 3.1.5 Aufspaltung einer Versetzung in Teilversetzungen und Stapelfehler im


kfz Gitter, nach (Hornbogen 1994)

Tabelle 3.1.3 Stapelfehlerenergie von Aluminium im Vergleich zu anderen Metal-


len
Metall/Legierung Stapelfehlerenergie Lit., s.u.
(10-7 J/cm²)
Aluminium 200–250 [1, 2, 2]
Nickel 80 [1]
Kupfer 40–150 [1, 3]
Messing CuZn10 25 [3]
Messing CuZn20 10 [3]
Messing CuZn30 7 [3]
18/8 CrNi Stahl 7–13 [1, 3]
Magnesium 10 [4]
[1] (Dieter 1961), [2] (Kammer 1998), [3] (Hornbogen 1994), [4] (Kammer 2000)
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 89

Je geringer die Stapelfehlerenergie und je breiter infolgedessen der Sta-


pelfehler ist, desto mehr können sich die Versetzungen im Gitter nur auf
ihrer bevorzugten Gleitebene bewegen (planares Gleitverhalten). Ein
Quergleiten (von Schraubenversetzungen) ist dann nicht möglich oder tritt
erst bei hohen Verformungsgraden und höheren Temperaturen auf. Verset-
zungshindernisse (z.B. Ausscheidungsphasen, Versetzungen, Korngren-
zen) können dann nur mit höheren Schubkräften umgangen werden. Da-
durch erhöht sich die Versetzungsdichte in den aktivierten Gleitebenen,
was wiederum zu einer starken Verfestigungswirkung führt. Durch seine
hohe Stapelfehlerenergie erklärt sich somit, daß unlegiertes Aluminium
z.B. gegenüber Magnesium oder austenitischem Stahl ein geringeres Ver-
festigungsvermögen hat. Aus dem gleichen Grunde tritt bei Aluminium
keine Zwillingsbildung auf – außer bei einigen höher legierten Werkstof-
fen unter extremen Bedingungen wie Stoßwellenbelastung bei –180 °C
(Gray 1988) – , und es gibt deshalb bei diesem Werkstoff im unverformten
Zustand keine größeren Unterschiede zwischen Stauch- und Streckgrenze
und nur einen geringen Bauschinger-Effekt.
Substitutionell gelöste Legierungselemente in kfz-Metallen können zwar
die Stapelfehlerenergie reduzieren, was jedoch bei Aluminiumlegierungen
mit üblichen Legierungsgehalten nicht erwartet wird (Seemann et al. 1961,
Deléhouzée et al. 1967). Das bei Al-Mg-Legierungen beobachtete planare
Gleitverhalten wird daher weniger auf höhere Stapelfehlerhäufigkeit zu-
rückgeführt als vielmehr auf einen speziellen Mechanismus (Kuhlmann-
Wilsdorf 2000), nämlich auf die vorzugsweise Bindung der erzeugten
Leerstellen an Mg-Atome, so daß deren Kondensation zu Versetzungsrin-
gen verhindert wird und dadurch die vorhandenen Burgervektoren auf die
aktive Gleitebene beschränkt bleiben. Letzteres ist typisch für planares
Gleitverhalten (Laird et al. 1970).

Versetzungszellen, Ausheilen von Versetzungen

Versetzungsbewegung und gleichzeitige Zunahme der Versetzungsdichte


bei plastischer Verformung führen zu gegenseitiger Verankerung der Ver-
setzungen auf unterschiedlichen Gleitsystemen. Es bilden sich Verset-
zungsanhäufungen, die eine räumliche Struktur annehmen und kleine, un-
regelmäßige und versetzungsfreie Kristallbereiche einschließen, die sog.
Versetzungszellen. Die Zellwände stellen Rotationsgrenzen zwischen den
Versetzungszellen dar und sind gleichzeitig auch eine energetisch günstige
Versetzungsanordnungen. Durch das ausgeprägte Quergleitverhalten von
Aluminium und seinen Legierungen entstehen Versetzungszellen bereits
im frühen Stadium der plastischen Verformung. Ein Beispiel für derartige
Versetzungszellen zeigt Bild 3.1.6 für Al99,5, bei dem sich ausgehend
90 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

vom rekristallisierten Zustand durch 5% plastische Verformung ausgepräg-


te Versetzungszellen gebildet haben. Mit zunehmendem Verformungsgrad
nehmen der Zelldurchmesser ab und die Versetzungsdichte in den Zell-
wänden zu. Die Abmessungen der Zellen liegen je nach Verformungsgrad
typischerweise zwischen 1 und 5 µm.
Die zunehmende Versetzungsdichte in den Zellwänden führt zur Auslö-
schung einzelner Versetzungen. Dieser Prozeß wird durch sogen. Klettern
von Versetzungen unterstützt, die bei ihrer Bewegung durch das Gitter
übersättigte Leerstellen „aufgesaugt“ haben. Von Klettern spricht man,
wenn eine (Stufen-) Versetzung durch Ansammlung von Leerstellen aus
der Gleitebene herauswandert. Klettern von Versetzungen ist ein thermisch
aktivierter Prozeß und dominiert daher besonders bei höheren Temperatu-
ren (Kriechen, Erholungsglühen). Da sich Versetzungen mit umgekehrten
Vorzeichen gegenseitig anziehen, fördert das Klettern die Ausheilung, d.h.
die gegenseitige Auflösung und energetisch günstige Anordnung von Ver-
setzungen im Kristall. Abhängig von Temperatur und Verformungsge-
schwindigkeit ergibt sich bei weiterer Verformung ein Gleichgewichtszu-
stand zwischen der Bildung neuer und der Vernichtung alter Versetzungen.
Die Verfestigung wird dadurch geringer. Das Phänomen abnehmender
Verfestigungsrate mit zunehmendem Verformungsgrad beruht also auf der
energetisch günstigen Versetzungsanordnung in Zellstrukturen in Verbin-
dung mit der Ausheilung von Versetzungen. Dieser Prozeß wird als dyna-
mische Erholung oder dynamische Entfestigung bezeichnet. Dynamische
Entfestigung bedeutet eine Lokalisierung der plastischen Verformung im
Korngefüge, welche nach Erreichen eines kritischen Zustandes die Aus-
gangssituation für den statischen und dynamischen Bruchvorgang ergibt.
Das vorstehend beschriebene Versetzungsverhalten ist typisch für Alu-
minium und Aluminiumlegierungen mit ausgeprägtem Quergleitcharakter
(„wavy glide“) aufgrund hoher Stapelfehlerenergie. Demgegenüber gibt es
bestimmte Legierungen (Al-Mg) und Werkstoffzustände (T4), bei denen
ein mehr planares Gleitverhalten („planar glide“) vorliegt, wodurch die
Versetzungen auf ihre kristallographischen Gleitebenen beschränkt blei-
ben, d.h. koplanare Burgersvektoren haben. Dadurch kann die Zellbildung
ganz oder teilweise unterdrückt werden, s. Abschn. Versetzungen und Bild
3.2.6. Anstelle dessen bilden sich sogen. Taylor-Strukturen (Kuhlmann-
Wilsdorf 2000), bei denen sich die Versetzungen in parallelen Gleitbän-
dern anordnen, die im 3D-Raum eine isometrische Gitterstruktur aufbauen.
Vermutlich trägt ein ähnlicher Mechanismus (Leerstellenbindung an Clu-
ster und GP-Zonen) zu dem beobachteten planaren Gleitverhalten von
kaltausgehärteten Legierungen bei, wie die Taylor-Struktur der Verset-
zungsanordnung in Bild 3.2.34 a) andeutet.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 91

1 µm 1 µm

Al99,5 - 5% kalt gereckt AlMg1,5 - 5% kalt gereckt


Bild 3.1.6 Versetzungszellbildung bei der Kaltverformung von Al99,5 und
AlMg1,5, geglüht und 5% kalt gereckt (Quelle: B. Grzemba, VAW aluminium
AG)

Kleinwinkelkorngrenzen (Subkorngrenzen)

Die bei höheren Temperaturen stattfindende Auflösung und energetisch


günstigere Umordnung von Versetzungen führt zur schärferen Ausbildung
der Versetzungswälle (Polygonisation). Zwischen benachbarten Zellen gibt
es geringfügige Orientierungsunterschiede von < 4°. Man bezeichnet das
Zellgefüge als Subkorngefüge und die Subkorngrenzen als Kleinwinkel-
korngrenzen. Die Subkorngrößen betragen je nach Grad der Verformung
und Glühtemperatur < 10 µm im Durchmesser. Sie lassen sich bei entspre-
chender Präparation im Lichtmikroskop erkennen. Die Subkorngröße be-
einflußt die Festigkeit des Materials entsprechend der Hall-Petch-Bezie-
hung (Hatch 1984), s. auch Abschn. 3.1.3.

3.1.3 Korngrenzen

Korngrenzen begrenzen Kristallbereiche gleicher Gitterstruktur mit unter-


schiedlichen Orientierungen zueinander, die durch größere Winkelabwei-
chungen als bei Subkorngrenzen und zusätzlich durch Drehung zwischen
benachbarten Körnern beschrieben werden können. Körner entstehen zu-
nächst als Gußkörner (s.a. Dendriten) bei der Erstarrung durch individuel-
92 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

les Wachstum von Erstarrungskeimen in der Schmelze. Nach Homogeni-


sierung, Warm- und Kaltumformung mit Zwischenglühungen oder an-
schließendem Weichglühen wird die ursprüngliche Kornstruktur durch
Rekristallisation ersetzt.
Rekristallisation in kaltverformten Legierungen ist ein thermisch akti-
vierter Prozeß von Keimbildung und -wachstum. Rekristallisationskeim-
bildung ist ein heterogener Prozeß, der typischerweise an Verformungshe-
terogenitäten im Gefüge beginnt, z.B. in Scherbändern und Verformungs-
konzentrationen an Primärphasen. In stark verformten technischen Legie-
rungen spielen die Primärphasenpartikel die überragende Rolle bei der Re-
kristallisationskeimbildung (particle-stimulated nucleation (PSN)) (Mar-
thinsen et al. 2003). Die Rekristallisationskeime stellen Versetzungszellen
mit kritischem Energieinhalt dar. Die Keimbildungszahl nimmt mit zu-
nehmendem Kaltverformungsgrad zu und die rekristallisierte Korngröße
(bei ansonsten gleichen Glühbedingungen) entsprechend ab. Übliche
Korngrößen in Kaltwalzprodukten von naturharten Legierungen betragen
25 µm oder weniger. Die kleinsten rekristallisierten Korngrößendurchmes-
ser liegen bei etwa 0,5 µm (Hornbogen 1994 S. 95).
Die atomare Unordnung der Korngrenzen bedeutet einen höheren Ener-
gieinhalt und höhere Diffusionsgeschwindigkeiten für Eigen- und Fremd-
atome. Korngrenzen sind daher bevorzugte Orte für Keimbildung und
Wachstum von Fremdphasen.
Versetzungen können die Korngrenzen nicht überwinden. Sie stauen
sich an ihnen auf, und ihre Spannungsfelder aktivieren entsprechend ori-
entierte Gleitsysteme in benachbarten Körnern. Auf diese Weise wird die
Fließspannung von der Korngröße abhängig. Die Hall-Petch-Beziehung:

σy = σ0 + kd-1/2 (3.1.1)

gibt die Abhängigkeit der Fließgrenze (σy) von der Korngröße d an, wobei
σ0 die Ausgangsspannung ist, die hauptsächlich durch innere Reibung
(Peierls-Spannung) des Materials bestimmt wird. Der Koeffizient k stellt
den Grad der Abhängigkeit der Fließspannung von der Korngröße dar. A-
luminium und seine Legierungen haben im Vergleich zu Stahl eine deut-
lich geringere Abhängigkeit der Fließgrenze von der Korngröße. Bild 3.1.7
illustriert diese Korngrößenabhängigkeit der Fließspannung (bei 1,7%
Dehnung) für eine Reihe von AlMg-Legierungen (Rossig 1971, Hirsch
1997). Tabelle 3.1.4 enthält einige Angaben zu Aluminiumwerkstoffen im
Vergleich zu Stahl. In der geringeren Korngrößenabhängigkeit der Fließ-
grenze von Aluminium äußert sich das ausgeprägte Quergleitverhalten in-
folge seiner hohen Stapelfehlerenergie.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 93

Bild 3.1.7 Hall-Petch Beziehung zwischen Fließspannung (bei 1,7% Dehnung)


und Korngröße bei AlMg-Legierungen (Rossig 1971) sowie veröffentlicht in
(Hirsch 1997)

Tabelle 3.1.4 Hall-Petch-Konstanten für Reinstaluminium, Al-Mg-Legierungen


und Stahl
Legierung σ0 k Lit., s.u.
[MPa] [MPa µm-1/2]
Al99,99 ~ 10 68 [1]
AlMg0,4 30 83 [2]
AlMg3 87 87 [2]
AlMg5 115 132 [2]
Fe 70 670 [3]
[1] (Kammer 2002), [2] (Hirsch 1996), [3] (Conrad 1963)

Mit der Entwicklung neuer, extremer Umformmethoden unter der Be-


zeichnung „Severe Plastic Deformation“ (SPD), z.B. mit dem „Equal-
Channel Angular Pressing“ (ECAP) oder Dissimilar-Channel Angular
Pressing (DCAP), öffnen sich Möglichkeiten, die Kornstruktur in den Na-
nobereich (ungefähr 100 bis 1000 nm) weiter zu verfeinern und dadurch
ein neues Spektrum von Eigenschaften bei herkömmlichen Legierungen zu
schaffen (Zehetbauer 2004). Obwohl die Kommerzialisierung solcher Pro-
94 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

zesse noch erheblicher Entwicklungsanstrengungen bedarf, werden die


Perspektiven der Werkstoffentwicklung durch die neuen Techniken zwei-
fellos bereichert.

3.1.4 Mischkristallbildung

Den Ersatz von Aluminiumatomen im Kristallgitter durch zulegierte


Fremdatome bezeichnet man als Substitutionsmischkristallbildung und ih-
re Wirkung auf die Festigkeit als Mischkristallverfestigung. Es handelt
sich dabei um eine homogene Lösung von Legierungselementen im Alu-
miniumgitter ohne die Bildung von Fremdphasen. Die Löslichkeit von
Fremdatomen in homogener fester Lösung ist bei Aluminium allerdings
begrenzt.
Die unterschiedlichen Atomradien der Legierungsatome verzerren das
Wirtsgitter und erschweren durch ihr Spannungsfeld die Versetzungsbe-
wegung. Die Behinderung der Versetzungsbewegung steigert die Festig-
keit. Die Modellvorstellung der Mischkristallwirkung auf die Verset-
zungsbewegung ist schematisch in Bild 3.1.8 dargestellt. Die Mischkri-
stallfestigkeit nimmt mit steigendem Legierungsgehalt zu, s. z.B. den Ein-
fluß von Mg als Legierungselement in Bild 3.2.4.

Bild 3.1.8 Modellvorstellung der Mischkristallbildung durch Substitution von Le-


gierungsatomen im Wirtsgitter

Die Kristallisation des Mischkristalls erfolgt bei der Erstarrung durch


Keimbildung und Keimwachstum. Zur Keimbildung dienen Kornfei-
nungsphasen, in technischen handelsüblichen Legierungen vorwiegend
TiB2 Partikel, die in der Schmelze unlöslich sind und bei Knetlegierungen
gezielt als Fremdkeime zur Erzielung eines feinen globulitischen Guß-
korngefüges zugesetzt werden. Bei Knetlegierungen und untereutektischen
Gußlegierungen erstarrt zunächst der α-Mischkristall überwiegend in den-
dritischer Form (s. Abschn. 3.3.2). (Bei der Erstarrung heterogener, über-
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 95

eutektischer Al-Si-Gußlegierungen kristallisiert zuerst primäres Silizium,


umgeben von Eutektikum.) Der Dendrit weist im Gußzustand zu seinen
Grenzen hin eine steigende Konzentration (Kristallseigerung) von übersät-
tigt gelösten Legierungselementen auf. Die Grenzen zu benachbarten
Dendriten sind mit auskristallisierter Restschmelze bzw. Resteutektikum
belegt. Hierbei handelt es sich um ein Phasengemisch aus α-Mischkristall
und einem Netzwerk aus intermetallischen Phasen (sog. Primärphasen
oder Gußphasen), bestehend aus Verbindungen des Aluminiums mit Ver-
unreinigungselementen (Fe, Si) und Legierungselementen. Bei Knetwerk-
stoffen wird zur Verbesserung des Warmumformverhaltens durch eine
Barrenhochglühung eine Einformung des Zellgefüges der intermetalli-
schen Phasen und gleichzeitig ein Abbau der Kristallseigerung erreicht.
Dabei kommt es zur Ausscheidung übersättigt gelöster Legierungs-
elemente (Fe, Mn, Cr, Zr, V) in Form feiner intermetallischer Phasen als
Sekundärausscheidungen, die thermodynamisch sehr stabil sind und durch
nachträgliche Wärmebehandlungen nicht mehr verändert werden können.
Bei der nachfolgenden Abkühlung der Barren bilden sich bei aushärtbaren
Legierungen die Gleichgewichtsphasen des Legierungssystems als weite-
rer Typ von Sekundärausscheidungen.
Angaben über die maximale Löslichkeit wichtiger Legierungselemente
im flüssigen und festen Zustand, über die Atomradiendifferenz zu Alumi-
nium, den Erstarrungstyp und die Lösungsenthalpie enthält Tabelle 3.1.5.
Alle Legierungen mit nennenswerter Löslichkeit im flüssigen und festen
Aluminium erstarren eutektisch, d.h. die Angabe der maximalen Löslich-
keit eines Elementes bezieht sich auf die jeweilige eutektische Temperatur.
Die Löslichkeit sinkt deutlich mit abnehmender Temperatur, s. Bild 3.1.9.
Wegen ihrer extrem geringen Löslichkeit in flüssigem und festem Alu-
minium spielen Gase – mit Ausnahme von Wasserstoff – keine Rolle für
die Legierungsbildung. Wasserstoff wird interstitiell gelöst, d.h. es besetzt
Zwischengitterplätze. Seine Gleichgewichtskonzentration in defektarmen
Legierungen ist äußerst gering (350 °C: 0,0012 cm³/100 g Al (Brandes et
al. 1992), allerdings nimmt die Wasserstofflöslichkeit mit steigender Tem-
peratur (600 °C: 0,030 cm³/100 g Al) und bei plastischer Verformung
meßbar zu. Die Beweglichkeit des Wasserstoffs im Aluminiumkristallgit-
ter ist bei Raumtemperatur hoch. Durch Reaktion mit korrosiver, chlorid-
haltiger Umgebung wird atomarer Wasserstoff an frischer metallischer
Oberfläche gebildet und im Kristallgitter durch Leerstellen und Versetzun-
gen eingefangen (s.a. Wasserstoffversprödung von Korngrenzen bei der
Spannungsrißkorrosion von AlZnMg Legierungen, Abschn. 5.4.3). Die
Wasserstoff-Leerstellen Komplexe sind bis hinauf zu einer Temperatur
von 295 K stabil, sie lösen sich bei RT und höheren Temperaturen mit der
Zeit auf, und sowohl der Wasserstoff als auch die Leerstellen heilen aus
96 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

(Zamponi 2004). Zur Bedeutung der Wasserstofflöslichkeit für die Poren-


bildung beim Gießen und Schweißen s. Abschn. 3.1.8 sowie Abschn. 3.3
und 15. Die gelegentlich beobachtete Bildung von Glühblasen bei der
Wärmebehandlung von Aluminiumteilen bei höheren Temperaturen wird
ebenfalls auf das Eindiffundieren von atomarem Wasserstoff zurückge-
führt, der sich durch Reaktion des Metalls mit feuchter Ofenatmosphäre
gebildet hat (Ibe et al. 1979).

Tabelle 3.1.5 Löslichkeit und thermophysikalische Eigenschaften von Legie-


rungselementen in Aluminium nach (Hatch 1984)
Element Atom- Eutektische Eutektische Zu- Löslichkeit im Diff. der Diff. der Lösungs-
gewicht (E), monotek- sammensetzung festen Zustand Atom- Gitter- enthalpie in
Al = tische (M) und radien konstante Aluminium
27,0 peritektische rE l - rAl ∆a/∆y ∆H
(P) Tempera-
tur
g/mol °C Gew.-% At. % Gew.-% At. % nm nm/At.% kJ/mol
Ag 107,9 570 E 72 60,9 55,6 23,8 + 0,0013 0,0000 26,7
B 10,8 660 E 0,022 0,054 <0,001 <0,002 - 0,0449 .... ....
Bi 209,0 660 M 3,4 0,45 <0,1 <0,01 + 0,0347 .... ....
Cr 52,0 660 P 0,41 0,21 0,77 0,4 - 0,0153 - 0,001 67,8
Cu 63,5 547 E 33,15 17,39 5,67 2,48 - 0,0153 - 0,00051 41,0
Fe 55,9 655 E 1,87 0,91 0,052 0,025 - 0,0169 .... 95,8
Ga 69,7 30 E 98,9 97,2 20 8,82 - 0,0025 + 0,00012 19,2
Li 6,9 600 E 9,9 30 4 13,9 + 0,012 - 0,000016 26,8
Mg 24,31 450 E 35 37,34 14,9 16,26 + 0,0169 + 0,00046 18,8
Mn 54,9 660 E 1,95 0,97 1,82 0,9 - 0,0161 - 0,00066 60,7
Na 23,0 660 M 0,18 0,21 <0,003 <0,003 + 0,0467 .... ....
Ni 58,7 640 E 6,12 2,91 0,05 0,023 - 0,0185 .... 95,8
Pb 207,2 660 E 1,52 0,2 0,15 0,02 + 0,0275 .... ....
Sb 121,8 660 E 1,1 0,25 <0,1 <0,02 + 0,0228 .... ....
Sc 44,96 660 E 0,52 0,31 0,38 0,23 + 0,0191 .... 69,5
Si 28,1 580 E 12,6 12,16 1,65 1,59 - 0,0054 - 0,00018 49,4
Sn 118,7 230 E 99,5 97,83 <0,01 <0,002 + 0,0194 .... ....
Ti 47,9 665 P 0,15 0,084 1 0,57 + 0,0038 - 0,00105 64,0
V 50,9 665 P 0,25 0,133 0,6 0,32 - 0,0091 - 0,00075 73,6
Zn 65,4 380 E 95 88,7 82,8 66,4 - 0,0090 - 0,000075 8,5
Zr 91,2 660 P 0,11 0,033 0,28 0,085 + 0,0168 .... 86,2
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 97

Bild 3.1.9 Temperaturabhängigkeit der Löslichkeit der Legierungselemente in bi-


nären bzw. quasibinären Aluminiumlegierungen nach (Hansen 1958, Phillips
1959, Nielsen 1974, Mondolfo 1976)

Gallium (Ga) ist in Aluminium ein Verunreinigungselement, das als Be-


gleitelement aus dem Elektrolyseprozeß stammt. Das Zustandsdiagramm
Al-Ga zeigt ein Eutektikum bei 26,4 °C (Zoller 1957). Gallium in Kontakt
mit Aluminium wird daher in Nähe der Raumtemperatur flüssig und kann
– ähnlich wie der Kontakt mit Quecksilber – zu Lotbrüchigkeit führen.
Wegen der hohen Löslichkeit des Galliums in Aluminium kann Lotbrü-
chigkeit jedoch durch Glühbehandlung beseitigt werden (Old 1980). Als
Legierungselement hat Gallium keine Bedeutung.
Silber (Ag) wird aus ökonomischen Gründen nicht für handelsübliche
Legierungen, sondern meistens nur für Sonderlegierungen, z.B. für den
Flugzeugbau, eingesetzt, obwohl es in letzter Zeit neue Aufmerksamkeit in
der Legierungsentwicklung gewinnt, und mit Zusätzen von nur 0,1 Gew.-
% bemerkenswerte Änderungen des Ausscheidungsverhaltens erzeugt
werden können, wodurch das Kriechverhalten insbesondere von AlCuMg-
Legierungen in Verbindung mit besonderen Wärmebehandlungsmaßnah-
men deutlich verbessert werden kann, s. Abschn. 6.6.3 (Polmear 1999,
Somoza et al. 2000, Lumley et al. 2002, Raviprasad et al. 2003).
Die übrigen in Tabelle 3.1.4 aufgeführten Legierungselemente lassen
sich der besseren Übersicht halber in die Funktionsgruppen Hauptlegie-
rungselemente, Begleitelemente (Verunreinigungselemente in technischen
Legierungen) und Sonderlegierungselemente einteilen, s. Bild 3.1.10. Die
Zuordnung der Legierungselemente zu einzelnen Legierungsgruppen wird
im Abschn. 3.4.4 beschrieben.
98 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Bild 3.1.10. Zuordnung der Legierungselemente des Aluminiums zu bestimmten


Funktionsgruppen

Hauptlegierungselemente
Die Aufgabe der Legierungselemente Si, Mg, Mn, Cu und Zn ist die Fe-
stigkeitssteigerung durch Mischkristallverfestigung und – bei ausschei-
dungshärtenden Legierungssystemen – durch Teilchenhärtung.

Begleitelemente

Fe und Si sind die am häufigsten in technischen Legierungen vorkommen-


den Begleitelemente aus dem Herstellungsprozeß der Elektrolyse. Der Ei-
sengehalt wird üblicherweise als Verunreinigung angesehen und bildet
wegen der niedrigen Löslichkeit intermetallische Phasen mit Al und Si
(Alx(Fe, Si)), die je nach Volumenabteil und Partikelgröße sich nachteilig
auf die Duktilität und das Ermüdungsverhalten auswirken können. Ande-
rerseits dient Fe auch als Legierungselement zur Verbesserung der elektri-
schen Leitfähigkeit durch Bindung von Si-Verunreinigungen, zur Verbes-
serung der Warmfestigkeit (in Verbindung mit Ni) und zur Verminderung
der „Klebneigung“ von Druckgußlegierungen in den Stahlformen.

Sonderlegierungselemente
Die Elemente Ti, B, Zr, Cr, V und Sc dienen zur Kornfeinung und Kon-
trolle der Rekristallisation, Ni wird in Verbindung mit Fe und anderen Le-
gierungselementen zur Verbesserung der Warmfestigkeit genutzt. Bi, Pb,
Sn werden zur Verbesserung des Spanbruchs bei Zerspanungslegierungen
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 99

eingesetzt und Li und Sc für besondere Luftfahrtlegierungen. An dieser


Stelle wird darauf hingewiesen, daß insbesondere für Pb- und Li-haltige
Legierungen eine strenge Schrottsortierung einzuhalten ist, um Gefahren
der Bleisprödigkeit – s. unten – und der „Lithium-Vergiftung“ zu verhin-
dern. Geringe Mengen von Lithium können zu Problemen beim Stranggie-
ßen und bei der Lackhaftung führen.

Bleisprödigkeit
Es sei an dieser Stelle auf das Phänomen der „Bleisprödigkeit“ hingewie-
sen, das bei Pb-Gehalten von > 30 ppm (>0,003 Gew.-%) in AlMgSi-Le-
gierungen auftreten kann (Guttmann et al. 1983, Quantin et al. 1986, Le-
wandowski et al. 1992). Derartige Verunreinigungen durch Pb können bei
längerer Beanspruchung bei Temperaturen um 100 °C in AlMgSi-
Legierungen interkristalline Rißbildung auslösen, s. Beispiel in Bild
3.1.11. Blei hat bei niedrigen Temperaturen eine extrem geringe Löslich-
keit. Als Rißbildungsursache wird die Segregation von Pb an AlFeSi-, Al-
FeMnSiCr- und Mg2Si-Phasen angesehen, wo durch Benetzung der Grenz-
flächen zwischen Phasen und Matrix mit Pb Rißkeime entstehen. Da diese
Phasen bevorzugt an Korngrenzen auftreten, wachsen die Rißkeime unter
den gegebenen Beanspruchungen zu interkristallinen Anrissen. Die Tole-
ranzgrenze für Verunreinigungselemente wird in den EN Legierungsnor-
men mit maximal 500 ppm je Element angegeben und gilt folglich auch
für Pb-Gehalte in AlMgSi-Legierungen. Diese Grenze liegt damit weit
über der Toleranzgrenze von 30 ppm Pb für die Vermeidung von Bleisprö-
digkeit in AlMgSi-Legierungen mit Ausnahme der Legierungsvarianten
EN AW-6351A, EN AW-6061A und EN AW-6082A.

Bild 3.1.11 Ungeätztes Schliffbild an einem Schmiedeteil aus Legierung Al-


Si1MgMn-T6 (EN AW-6082) mit einem Pb-Gehalt von 0,014 Gew.-%, das bei
einer Einsatztemperatur von 105 °C vorzeitig gerissen ist
100 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

3.1.5 Primärphasen (Gußphasen)

Die interdendritisch angeordneten Primärphasen sind nach der Barren-


hochglühung wegen ihrer äußerst geringen Löslichkeit im Mischkristall
thermisch stabil. Im normalen Stranggießverfahren hergestellte Barren
enthalten je nach Barrenquerschnitt Primärphasen in Größen bis zu ca.
40 µm. Größe, Menge, Verteilung und Zusammensetzung variieren je nach
Erstarrungsgeschwindigkeit, Gußkorngröße und Gehalt an Legierungs-
und Verunreinigungselementen. Die verschiedenen Primärphasen sind hin-
sichtlich Kristallstruktur und Zusammensetzung ausführlich in der ein-
schlägigen Literatur (Hatch 1984, Kammer 2002) beschrieben. Sie haben
keine kristallographische Kohärenz mit dem Aluminium-Mischkristall,
werden durch die Warm- und Kaltumformungsprozesse zum Teil fragmen-
tiert und im Gefüge zeilenförmig in Verformungsrichtung angeordnet.
Die Primärphasen stellen bei plastischer Verformung Orte mit Span-
nungs- und Dehnungskonzentrationen dar. Sie sind daher Orte für Rekri-
stallisationskeime bei der Warmumformung bzw. während der Glühpro-
zesse nach Kaltumformung und beeinflussen Korngefüge und Textur
(Hirsch 2001). Sie sind aber auch Auslöser der Lochbildung beim duktilen
Bruch (s. Abschn. 6.3) und der Bruchvorgänge beim Ermüdungsbruch (s.
Abschn. 6.4.1). Die zeilenförmige oder ebenenförmige Anordnung dieser
Phasen ist Ursache für eine Anisotropie der Bruchdehnungs- und Bruchzä-
higkeitswerte in Längs- (L-), Quer- (T- bzw. TL- oder LT-) und Kurzquer-
(ST-) Richtung.

3.1.6 Sekundärphasen

Mit Sekundärphasen werden solche Phasen bezeichnet, die erst durch eine
Wärmebehandlung des Gußbarrens (Hochglühung) oder des Halbzeugs
entstehen und sich durch Entmischung einer übersättigten, festen Lösung
bilden. Man unterteilt in zwei Arten von Sekundärphasen: die thermisch
weitgehend stabilen Dispersionsphasen und die löslichen Ausscheidungs-
phasen in aushärtbaren Legierungen.

Dispersionsphasen
Die bei der Barrenhochglühung entstehende Dispersion von Al3Fe, Al6Mn,
Al7Cr und Al3Zr sowie von ternären Modifikationen (z.B. Al12Mn3Si in
AlMgSi-Legierungen und Al12Mg2Cr in AlZnMgCu-Legierungen) sind
thermisch sehr stabil, was sich auch in einer äußerst geringen Löslichkeit
dieser Legierungselemente bei hohen Temperaturen äußert, s. Bild 3.1.9.
Die Partikel haben eine Größe von 0,02 bis 0,5 µm, sind mit Ausnahme
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 101

von Al3Zr weitgehend inkohärent und lassen sich durch nachfolgende


Wärmebehandlungen nicht merklich verändern. Größe und Anordnung
dieser Phasen im Gefüge werden durch die Aufheizgeschwindigkeit, Glüh-
temperatur und –zeit bei der Barrenhochglühung gesteuert. Die Aufgabe
dieser Dispersionen ist die Kontrolle des Kornwachstums bei der Re-
kristallisation, sie sind somit in Verbindung mit den thermomechanischen
Parametern verantwortlich für die Ausbildung des Warmverformungsge-
füges. Sie haben praktisch keine direkte Wirkung auf die Festigkeit, führen
jedoch durch Reaktion mit Versetzungen zu homogenerem Gleitverhalten
und dadurch zu verbesserter Duktilität und Zähigkeit. Die inkohärenten
Fe-, Cr- und Mn-haltigen Dispersoide erhöhen die Abschreckempfindlich-
keit, da die Grenzflächen die Keimbildung der aushärtenden Phasen för-
dern. Legierungen mit kohärenten Al3Zr-Dispersoiden sind dagegen weni-
ger abschreckempfindlich.
Demgegenüber spielt Scandium (Sc) eine Sonderrolle. Es kontrolliert
nicht nur die Entwicklung der Korn- und Subkorngröße, sondern führt
auch durch Ausscheidungshärtung in binären Al-Sc-Legierungen und in
einigen Legierungssystemen (Al-Mg, Al-Zn-Mg, Al-Cu-Mg, Al-Li) zu er-
heblichen Verbesserungen der Eigenschaften. Ein gleichzeitiger Si-Gehalt
kann die Bildung der Al3Sc Dispersion beim Guß und bei der Hochglü-
hung unterdrücken, weshalb bisher Scandium in der wichtigen Gruppe der
AlMgSi-Legierungen keine Rolle spielt. Der Sc-Einfluß kann allgemein
unterteilt werden in:
• Günstiger Effekt beim Gießen und Schweißen: Al3Sc bildet sich als er-
ste Phase bei der Erstarrung und dient somit sehr effektiv als Keim-
bildner mit der Folge geringer Gußkorngröße und geringerer Warmris-
sigkeit. Durch nachfolgende thermomechanische Weiterverarbeitung
kann eine sehr geringe Korngröße eingestellt werden, die für superpla-
stische Verarbeitung geeignet ist.
• Wärmebehandeln bei Temperaturen zwischen 400 und 600 °C führt zu
einer dichten Dispersion von Al3Sc-Partikeln, die die Korngrenzenbe-
wegung blockieren und die Rekristallisation bis zu sehr hohen Tempe-
raturen (manchmal bis zur Solidustemperatur) verhindern.
• Ausscheidungshärtung aus übersättigter Lösung durch kohärente Al3Sc-
Teilchen in sehr dichter und gleichmäßiger Verteilung bei Temperaturen
zwischen 250 bis 300 °C.

Zr und Ti können Sc in der feinen Dispersion von Al3(Sc,Ti,Zr) teilweise


substituieren, so daß der Gehalt an Sc als Kornfeinungselement gering
gehalten werden kann. Die Entwicklungen von Sc-haltigen Legierungen
wird seit einigen Jahren sehr aktiv betrieben und vielversprechende Eigen-
102 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

schaftsverbesserungen bezüglich Schweißbarkeit, Warmfestigkeit und


Kriecheigenschaften hochfester Legierungen (Tempus et al. 1998, Royset
et al. 2002, Fuller et al. 2003, Zakharov 2003, Riddle et al. 2004). Im Sys-
tem AlZnMgCu konnten Legierungen mit extrem hohen Festigkeiten (Rm
= ca. 800 MPa, Rp0,2 = 740 MPa, A = 5–8 %) erzeugt werden (Milman et
al. 2002). Mit Sc-Zusatz zu Schweißzusatzdrähten hofft man, sowohl die
Festigkeit als auch die Schweißrissigkeit von üblicherweise nicht zum
Schweißen geeigneten AlCuMg- und AlZnMgCu-Legierungen zu verbes-
sern (Norman et al. 2003). Wegen der hohen Kosten dieses Legierungs-
elementes wird seine Verwendung jedoch vorerst auf Legierungen für den
Flugzeugbau beschränkt bleiben.

Ausscheidungsphasen

Als Sekundärphasen bezeichnet man auch die löslichen Ausscheidungs-


phasen in aushärtbaren Legierungen mit den Hauptlegierungselementen Si,
Mg, Cu und Zn. Ternäre und quaternäre Legierungen der Systeme Al-Mg-
Si, Al-Cu-Mg und Al-Zn-Mg-Cu zeichnen sich durch eine größere Lös-
lichkeit der vorherrschenden Gleichgewichtsphasen Mg2Si, Al2CuMg,
MgZn2 und (Al,Zn)49Mg32 bei hohen Temperaturen aus, die zu niedrigen
Temperaturen hin stark abnimmt, s. auch Bild 3.1.9. Durch Lösungsglühen
und Abschrecken bilden sich aus der übersättigten Lösung heraus bei
nachfolgender Kalt- und Warmauslagerung zunächst eine homogene Ent-
mischung (Cluster und GP-Zonen, s. unten) und bei weiterer Auslagerung
feinste metastabile Phasen. Je nach Art, Volumenanteil und Verteilung er-
zeugen die Ausscheidungsphasen durch Behinderung der Versetzungsbe-
wegung hohe bis höchste Festigkeitswerte. Teilchengröße und Teilchenab-
stand betragen bei maximaler Legierungsfestigkeit nur wenige Nanometer.
Die Aushärtbarkeit von Aluminiumlegierungen wurde zuerst von Alfred
Wilm im Jahre 1906 bei der Entwicklung von Al-Cu-Mn-Mg-Legierungen
entdeckt und als „Nachreifung“ bezeichnet (Wilm 1909, Wilm 1911). Bild
3.1.12 zeigt eine Kopie von Aushärtungskurven aus einem Laborbericht
von Alfred Wilm an der „Zentralstelle für technisch-wissenschaftliche Un-
tersuchungen“ in Neubabelsberg. (Lesenswert ist die Wilm-Biographie
von M.H. Haas (Haas 1935).
Die ausscheidungshärtenden Phasen sind mit dem α-Mischkristallgitter
kohärent bis teilkohärent, s. schematische Darstellung in Bild 3.1.13; ihre
Anordnung hat einen bestimmten Bezug zur Kristallorientierung des Alu-
miniumgitters. Grenzflächenenergie und elastische Verzerrungsenergie
bestimmen die Morphologie der ausgeschiedenen Phase (kugel-, platten-
oder nadelförmig). Mit zunehmender Überalterung geht die Kohärenz bzw.
Teilkohärenz verloren; die Festigkeit nimmt ab. Die Ausscheidungsphasen
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 103

können durch erneutes Lösungsglühen oder gegebenenfalls durch eine


Rückbildungsglühung (bei Temperaturen unterhalb der Lösungsglühtem-
peratur) wieder aufgelöst und erneut zur Ausscheidung gebracht werden.

Bild 3.1.12 Kopie aus dem Laborbericht von Alfred Wilm „Einfluß von Tempe-
raturen von 400 bis 560°Cels. auf Härte von Aluminium-Magnesium-Legierungen
mit verschieden hohem Magnesium-Gehalt. 5 Tage gelagert“ (AlCu4Mg-Le-
gierungen mit 0,5 bis 2,5 % Mg) (Haas 1937)

Bild 3.1.13 Schematische Darstellung von Ausscheidungsstadien: Clusterbildung,


kohärente, teilkohärente und inkohärente Ausscheidungen in ternären aushärtbaren
Aluminiumlegierungen (ohne Berücksichtigung von Leerstellen).
104 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Bei der Kaltaushärtung entsteht im übersättigten α-Mischkristallgitter


zunächst eine homogene Entmischung in Form von sog. Clustern. Hierbei
handelt es sich um eine örtliche Ansammlung von Legierungsatomen oder
Komplexen aus Legierungsatomen und Leerstellen ohne erkennbare Struk-
tur und Ordnung. Im weiteren Verlauf der Kaltaushärtung entwickeln die
Cluster eine innere Struktur, z.B. eine kugel-, stäbchen- oder plättchen-
förmige Anordnung von Legierungsatomen mit bestimmter Orientierung
zum Kristallgitter der Matrix und mit Ausdehnungen von nur wenigen Na-
nometern. Diese Zonen mit innerer Struktur der Atomanordnung werden in
Abgrenzung zu den Clustern als GP-Zonen bezeichnet (nach Guinier und
Preston, die unabhängig von einander als erste die Zonenbildung röntge-
nographisch an Al-Cu-Legierungen nachgewiesen haben) (Guinier 1939,
Preston 1938). Die Form der Zonen hängt vom Gitterparameterunterschied
zur Matrix ab. Ist dieser gering, bilden sich, wie bei AlZn- und AlZnMg-
Legierungen, kugelförmige Zonen. Ist der Gitterparameterunterschied grö-
ßer, tendieren die Zonen zwecks Verringerung der Kohärenzspannungen
zur Platten- (AlCuMg-Legierungen) bzw. zur Stabform (AlMgSi-Legie-
rungen). Die Ausscheidungsfolge bei der Kaltaushärtung ist demzufolge:

αübers  Cluster  kohärente GP(II)-Zonen.

Die Kinetik der Zonenbildung ist von der Bildungsenthalpie, der Umge-
bungstemperatur, vom Grad der Übersättigung an Legierungselementen
und Leerstellen und von der Diffusionsgeschwindigkeit der betreffenden
Legierungselemente abhängig. Der Temperaturbereich für die Kaltaushär-
tung wird definiert durch die ausschließliche Bildung von Clustern und
GP-Zonen während der Auslagerungsdauer und erstreckt sich je nach Le-
gierungssystem bis auf etwa 80 bis 100 °C. Bei höheren Temperaturen lö-
sen sich die GP(I)-Zonen auf bzw. wachsen auf Kosten nicht wachstums-
fähiger Zonen und wandeln sich dabei in die nächst stabileren Formen, d.h.
(GP(II)-Zonen und teilkohärente Ausscheidungen, um. Wenige Minuten
nach dem Abschrecken beginnt die Cluster- und Zonenbildung bei RT-
Auslagerung, die Härtesteigerung wird nach ca. 30 Minuten deutlich meß-
bar. Die Aushärtung nimmt zunächst schnell, dann (nach etwa einem Tag)
immer langsamer zu. Der Kaltaushärtungsprozeß kann jedoch jahrelang
andauern. Mit empfindlichen Messungen (z.B. Positronenspektroskopie)
werden selbst nach mehreren Jahren immer noch Änderungen in der Zu-
sammensetzung der GP(I)-Zonen gemessen. Auch eine meßbare Festig-
keitszunahme wird noch nach vielen Jahren beobachtet.
Für die Cluster- und GP(I)-Zonenbildungen sind Leerstellen erforder-
lich, um die Verzerrungsenergie zwischen GP-Zone und Mischkristallgit-
ter zu reduzieren und die Diffusion der Legierungselemente zu beschleuni-
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 105

gen, woraus sich ein Einfluß auf die Abschreckempfindlichkeit und Aus-
scheidungskinetik ableiten läßt.
Die Kaltaushärtung erreicht nicht so hohe Festigkeitseigenschaften wie
die Warmaushärtung, bietet aber höheres Verfestigungsvermögen (n-Wert,
Rm/Rp0,2-Verhältnis) und höhere Zähigkeit und Verformbarkeit. Bei plasti-
scher Verformung werden Cluster und GP(I)-Zonen von Versetzungen ge-
schnitten. Die blockierende Wirkung der Teilchen in den aktiven Gleitebe-
nen wird dadurch verringert, wodurch sich die weitere Versetzungsbewe-
gung vorzugsweise in den aktivierten Gleitebenen konzentriert, was einem
quasi-planaren Gleitverhalten entspricht.
Bei der Warmaushärtung bilden sich je nach Höhe der Auslagerungs-
temperatur metastabile Phasen, deren Zusammensetzung und Struktur zu-
nehmend der jeweiligen Gleichgewichtsphase entsprechen. Das erreich-
bare Härtemaximum wird durch die Anzahl, Größe und Verteilung der
Ausscheidungsphasen bestimmt. Je nach Legierungsart wird das Härtema-
ximum vorwiegend durch kohärente GP(II)-Zonen (z.B. AlMgSi-Legie-
rungen) oder teilkohärente Übergangsphasen (z.B. AlZnMg(Cu)-Legie-
rungen) erzeugt. Die Ausscheidungsprozesse und Ausscheidungsfolgen
sind überaus komplex, da die Abschreckgeschwindigkeit nach Lösungs-
glühen und eine eventuelle Zwischenlagerung bei Raumtemperatur die
Ausscheidungskinetik und die Ausscheidungsfolge erheblich beeinflussen
können. Die allgemeine Ausscheidungsfolge bei der Warmaushärtung
kann wie folgt angegeben werden:

αübers  Cluster  kohärente GP(II)-Zonen  teilkohärente metastabi-


le Übergangsphase  Gleichgewichtsphase

In dieser Ausscheidungsfolge nimmt die thermische Stabilität der Aus-


scheidungen zu und die Löslichkeit ab (s. Bild 3.2.14). Die damit verbun-
dene größere Übersättigung liefert zusätzliche Legierungselemente für das
Wachstum der Ausscheidungen. Der Übergang von einem Ausscheidungs-
stadium zum nächsten geschieht je nach Legierungssystem durch das
Wachstum wachstumsfähiger Teilchen auf Kosten von Teilchen mit unter-
kritischer Größe, wobei durch die Zunahme der Kohärenzspannungen die
Gitterkohärenz teilweise oder ganz verloren gehen kann. Der Kohärenz-
verlust bedingt den Einbau von Versetzungen in der Grenzfläche zwischen
Matrix und Ausscheidungspartikel, wodurch sich auch die bevorzugte Bil-
dung von teilkohärenten Ausscheidungen an Versetzungen – verursacht
z.B. durch eine Kaltverformung – erklärt (s. Thermomechanische Behand-
lung).
Bei genügend hoher Aushärtungstemperatur und längerer Auslage-
rungszeit wandeln sich die teilkohärenten Ausscheidungsphasen schließ-
106 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

lich in die jeweilige stabile Gleichgewichtsphase um. Diese Umwandlung


wird begleitet von einer Vergröberung und vom vollständigen Kohärenz-
verlust der Phasen sowie von einem zunehmenden Partikelabstand, wo-
durch die Festigkeit abnimmt. Man spricht dann von Überhärtung oder
Überalterung. Der Temperaturbereich für die Warmaushärtung richtet sich
nach der jeweiligen Legierung und kann grob mit 100°C bis 250°C ange-
geben werden.
Höchste Härtesteigerung bei der Warmauslagerung erfordert eine mög-
lichst hohe Teilchenzahl, geringen Teilchenabstand und gleichmäßige Ver-
teilung. Die dafür erforderliche Keimbildung wachstumsfähiger Teilchen
wird stark durch die Temperaturführung beeinflußt. Bei Legierungen, bei
denen die Vorgängerphase die Keime für das nächste Stadium der Aus-
scheidungsfolge liefert (z.B. bei AlZnMg(Cu)-Legierungen), kann die Här-
te durch langsames Aufheizen auf Warmauslagerungstemperatur bzw.
durch eine Stufenauslagerung deutlich verbessert werden. Bei anderen Le-
gierungssystemen, z.B. AlMgSi-Legierungen, ist eine schnellerer Aufheiz-
geschwindigkeit günstiger, um die Bildung nicht keimbildender Zwi-
schenphasen zu unterdrücken, (s. Abschn. 3.2.5).

Zwischenlagerung zwischen Abschrecken und Warmauslagerung

Die Zeit bei Raumtemperatur zwischen Abschrecken und Warmauslage-


rung ist ein kritischer Parameter für das Erreichen maximaler Aushärtung.
Der Einfluß einer solchen Zwischenlagerung ist allerdings abhängig vom
Legierungssystem und der Legierungszusammensetzung, s. Abschn. 3.2.4–
3.2.6. Eine Vorauslagerung mit oder ohne Kaltverfestigung hat bei Al-
CuMg-Legierungen keinen wesentlichen Einfluß auf die Warmaushärtung.
Bei AlZnMg(Cu)-Legierungen ist eine Zwischenlagerungszeit von minde-
stens 3 Tagen erforderlich, bevor die Warmaushärtung bei 120°C und evtl.
höheren Temperaturen erfolgen sollte. Demgegenüber nimmt bei mittel-
bis höherfesten AlMgSi-Legierungen die Warmaushärtbarkeit und auch
die Ausscheidungskinetik durch eine RT-Zwischenlagerung deutlich ab.
Da wegen der günstigeren Umformbarkeit größere Formgebungen zweck-
mäßigerweise im abgeschreckten oder kaltausgelagerten Zustand (T1, T4
Zustand) durchgeführt werden, ist dieser negative Zwischenlagereffekt,
z.B. bei der Umformung von Karosserieblechen und Profilen, zu beachten.
Abhilfe stellt eine Stabilisierung dar, die je nach Methode auch eine länger
andauernde Konstanz der Eigenschaften bei Raumtemperaturlagerung bie-
tet. Weitere Hinweise finden sich in Abschn. 3.2.5.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 107

Unterbrochene Warmauslagerung (Sekundäre Aushärtung)


Es war bisher das allgemeine Verständnis, daß Al-Legierungen nach der
Warmaushärtung einen stabilen Zustand erreichen, in dem bei niedrigeren
Temperaturen keine Änderungen der Eigenschaften zu erwarten waren.
Zwischenzeitlich haben Untersuchungen mit der Positronenspektroskopie
(Positron Annihilation Spectroscopy (PAS)) ergeben, daß in warmausge-
härteten Legierungen nach Abschrecken genügend Leerstellen in der Mat-
rix bei RT zurückbehalten werden, die die Diffusion von noch gelösten
Legierungselementen ermöglichen und weitere Ausscheidungshärtung bei
niedrigeren Temperaturen, z.B. bei RT, verursachen können.
Von besonderem Interesse ist, daß durch Unterbrechung der Warmaus-
lagerung das Potential der Warmaushärtung vollständiger nutzbar ist als
durch eine kontinuierliche ein- oder mehrstufige Warmaushärtung. Der po-
sitive Effekt der unterbrochenen Warmaushärtung wurde bei verschiede-
nen Al-Legierungen (AlCu4, AA2014, AA6061, AlZn4Mg3, AA7075,
AA7475, AA8090 und AA357) festgestellt (Lumley et al. 2002, Macchi et
al. 2003, Lumley et al. 2003, Lumley et al. 2003, Dupasquier et al. 2004,
Riemelmoser et al. 2005). Hierbei wurde die Aushärtung bei normalen
Warmaushärtungstemperaturen bei etwa 50 bis 80% der maximalen Här-
tewerte des T6-Zustandes unterbrochen, das Material auf Raumtemperatur
abgeschreckt, und anschließend eine Kaltaushärtung bei Raumtemperatur
bzw. bei 65 °C oder weitere Warmaushärtung vorgenommen. Hierdurch
lassen sich nicht nur die Festigkeitseigenschaften um weitere 10 bis 15%
steigern, sondern es werden auch andere Eigenschaften, wie Korrosi-
onsverhalten, Duktilität und Bruchzähigkeit verbessert (Aran 1989). Da es
noch keine genormten Wärmebehandlungsvorgaben für bestimmte Legie-
rungen gibt, muß vor Einsatz derartiger Maßnahmen die Verwendbarkeit
des erzielten Gesamteigenschaftsprofils überprüft werden.

Rückbildungsglühung
Durch kurzzeitiges Glühen von kalt- oder warmausgehärtetem Material
kann die Härte wieder teilweise oder ganz bis auf die Härte des abge-
schreckten (W-) Zustands zurückgeführt werden und auf diese Weise die
Umformeigenschaften verbessert werden. Da solche Stoßglühbehandlun-
gen nur kurze Zeiten im Bereich von Sekunden oder wenigen Minuten be-
anspruchen, können solche Behandlungen durchaus in den Produktions-
ablauf, z.B. durch Induktionsheizung mit Luft-/Wasserabschreckung, inte-
griert werden. Glühtemperatur und -zeit hängen vom vorliegenden Aus-
scheidungszustand (T4 oder T6) ab und sind so zu wählen, daß die Lös-
lichkeitsgrenze der Aushärtungsphase (z.B. Cluster und GP(I) Zonen im
T4-Zustand) überschritten wird und die Ausscheidung stabilerer Aushär-
108 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

tungsphasen (z.B. GP(II)-Zonen oder teilkohärente Phasen) noch nicht er-


folgt. Bei der Stoßglühung werden die Ausscheidungsphasen zurückgebil-
det, d.h. aufgelöst. Anschließende Kalt- oder Warmaushärtung können die
Festigkeitswerte wieder auf die Sollwerte des entsprechenden Werkstoff-
zustands bringen. Wird nach der Rückbildungsglühung eine Kaltverfor-
mung vorgenommen, sind Auslagerungstemperatur und -zeit entsprechend
zu reduzieren. Wegen der unterschiedlichen Stabilität der Aushärtungspha-
sen in den verschiedenen Legierungssystemen kann keine Angabe einheit-
licher Glühparameter für Rückbildungsglühungen gemacht werden, wes-
halb auf die entsprechenden Abschn. 3.2.4-3.2.6 für die verschiedenen Le-
gierungsgruppen verwiesen wird.

Thermomechanische Aushärtungsbehandlung

Die Bildung der teilkohärenten Zwischenphasen geschieht durch Wach-


stum und Umwandlung der GP(II)-Zonen sowie auch durch direkte Keim-
bildung an Versetzungen, Zellgrenzen und Klein- und Großwinkelkorn-
grenzen. Einbringen von Versetzungen und Versetzungsstrukturen vor der
Warmaushärtung unterstützt deshalb die heterogene Keimbildung, sofern
die homogene Keimbildung nicht bereits wachstumsfähige Teilchengrößen
erzeugt hat. Da durch die erhöhte Diffusionsgeschwindigkeit entlang der
Versetzungen (pipe diffusion) auch das Teilchenwachstum beschleunigt
wird, kommt es zu einer Beschleunigung der Aushärtung, aber durch die
heterogene Keimbildung und Teilchenanordnung auch zu einer Reduzie-
rung des Festigkeitsmaximums. Aushärtungstemperaturen und -zeiten
müssen entsprechend angepaßt werden. Der Effekt einer Kaltverformung
auf die erzielbare Festigkeit ist abhängig vom jeweiligen Legierungssy-
stem. Bei AlZnMg(Cu)-Legierungen ist der Effekt einer Kaltverfestigung
zwischen Abschrecken und Warmaushärten eher negativ, bei AlCuMg-Le-
gierungen dagegen positiv. AlMgSi-Legierungen erfahren durch eine
Kaltverfestigung nach dem Abschrecken eine gewisse Festigkeitssteige-
rung, die jedoch eine Versprödung hervorrufen kann (Rack et al. 1977).
Geringe plastische Deformation von < 2% – die zum Recken und Richten
von Walz- und Preßprodukten industriell verwendet werden – haben noch
keinen wesentlichen Einfluß auf das Ausscheidungsverhalten.
Wegen der bevorzugten Keimbildung von teilkohärenten Aushärtungs-
phasen an Versetzungen ist für eine möglichst große Festigkeitssteigerung
eine homogene Versetzungsverteilung erforderlich. Diese wiederum wird
durch Versetzungsreaktionen mit vorhandenen Ausscheidungen (durch
Schneiden oder Umgehen von kohärenten oder teilkohärenten Teilchen)
und von der Stapelfehlerenergie beeinflußt. Die gezielte Erzeugung von
homogenen Versetzungsnetzwerken durch plastische Verformung setzt al-
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 109

so eine abgestimmte thermische Vorbehandlung voraus. Die thermische


Vorbehandlung muß dabei sowohl auf die gleichmäßige Versetzungsver-
teilung als auch auf die Erzeugung stabiler, wachstumsfähiger Ausschei-
dungskeime für die nachfolgende Warmaushärtung abgestimmt sein. Eine
derartige Vorgehensweise wird als thermomechanische Behandlung be-
zeichnet. Auf diese Weise lassen sich höhere Festigkeitseigenschaften er-
zielen und häufig auch weitere mechanische Eigenschaften verbessern.
Strategien für thermomechanische Behandlungen müssen das Legierungs-
system und die vorliegende Legierungszusammensetzung berücksichtigen
(Ostermann et al. 1969, Ostermann et al. 1970, Ostermann 1971, Di Russo
et al. 1973, Welpmann et al. 1974, Rack et al. 1977).
Wegen der Komplexität und Legierungsabhängigkeit der zuvor be-
schriebenen, für die Entwicklung der Eigenschaften wichtigen Ausschei-
dungsprozesse werden detailliertere Angaben bei der Behandlung einzel-
ner aushärtbarer Legierungssysteme gemacht.

Ausscheidungsfreie Zonen

Durch die an Phasengrenzen und Korngrenzen erhöhte Diffusionsge-


schwindigkeit von Legierungselementen und Leerstellen und durch bevor-
zugte heterogene Keimbildung stabilerer Phasen kommt es zur Verarmung
von Legierungselementen und zum Abbau der Übersättigung in der Um-
gebung von Korn- und Phasengrenzen. Korn- und Phasengrenzen sind be-
vorzugte Leerstellensenken, so daß in deren Umgebung infolge der Leer-
stellenarmut keine Keimbildung von Sekundärausscheidungen erfolgen
kann, wenn diese auf die Mitwirkung von Leerstellen angewiesen ist. In
den ausscheidungsfreien Zonen (AFZ) mit Abmessungen zwischen 1 nm
bis 15 µm findet dadurch keine Ausscheidungshärtung statt.
Die AFZ sind weicher als das Kornvolumen und plastische Verformung
kann sich in ihnen konzentrieren. Eingezwängt zwischen den starreren
Körnern entwickelt sich in der AFZ eine hohe Mehrachsigkeit (Pardoen et
al. 2003), die die Lochbildung und das Lochwachstum an den Ausschei-
dungsphasen beschleunigt, s. Abschn. 6.3. Dadurch erhöht sich die Gefahr
von Korngrenzenbruch. Ausscheidungsfreie Zonen haben daher im allge-
meinen einen negativen Effekt auf die Duktilität und Zähigkeit.
In den AFZ wird das elektrochemische Potential gegenüber der Korn-
matrix und den Korngrenzenphasen verändert, so daß in diesen Bereichen
bevorzugt Korrosionsangriff stattfinden kann (s. Interkristalline Korrosion,
Abschn. 5.4).
Je schneller die Abschreckgeschwindigkeit, um so schmaler sind die
AFZ, je geringer ist die Bildung von Korngrenzenphasen und um so ho-
mogener ist die plastische Verformung. Die Breite der AFZ nimmt mit zu-
110 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

nehmender Aushärtungstemperatur zu. Darum kann bei der Warmauslage-


rung bei hohen Temperaturen durch eine Stufenaushärtung bzw. eine lang-
same Aufheizung auf Aushärtungstemperatur die Breite der AFZ verrin-
gert werden.

3.1.7 Warmverformungs-, Faser-, Erholungs-


und Rekristallisationsgefüge

Walzplatten und Warmwalzband sowie Schmiedeteile und Strangpreßpro-


file werden durch Warmumformung hergestellt. Die hohen Warmverfor-
mungstemperaturen zwischen 300° und ca. 500°C erniedrigen den Fließ-
widerstand und bewirken im Prozeß dynamische Erholungsvorgänge.
Durch die Warmverformung wird das Gußkorn in Verformungsrichtung
gestreckt. Beim Strangpressen und Schmieden entsteht ein langgestrecktes
Korn (Fasergefüge), das beim Walzen auch in Dickenrichtung gedrückt
und in Querrichtung gebreitet wird (Warmwalzgefüge). Die Warmverfor-
mung erzeugt innerhalb der Körner ein Versetzungszellgefüge, das durch
Versetzungserzeugung und -vernichtung infolge dynamischer Erholung in
ein Subkorngefüge überführt wird. Trotz extremer Kornstreckung ist das
Subkorngefüge allerdings nicht gestreckt. Voraussetzung für den Erhalt ei-
nes Faser- oder Warmwalzgefüges ist, daß Rekristallisation durch geeig-
nete Wahl der Legierungszusammensetzung und der Fertigungsparameter
vermieden wird. Reibungswärme und hohe Scherverformung an Werk-
zeugwandungen führt jedoch häufig bei Strangpreßprofilen und Schmie-
deteilen in einer dünnen Oberflächenzone zu Rekristallisation und Korn-
wachstum (Grobkornbildung).
Die große Kornstreckung erzeugt eine Anisotropie der Festigkeitseigen-
schaften, da die Gleitvorgänge quer zur Faserrichtung durch die geringen
Kornquerschnitte stärker behindert werden als in den Querrichtungen.
Hinzu kommt eine durch die Streckung des Gefüges unterschiedliche Ver-
teilung der Primärphasen längs und quer zur Verformungsrichtung, wo-
durch sich eine Anisotropie der Duktilitätseigenschaften ergibt.
Bei niedrig legierten Werkstoffen, z.B. AlMgSi0,5, die aus preßtechni-
schen Gründen keine oder nur geringe Mengen an Dispersionsbildnern
enthalten, kommt es bei der Warmumformung zur Ausbildung eines Re-
kristallisationsgefüges, insbesondere bei hohen Umformgraden oder bei
dünnwandigen Profilen.
Kaltverformung von Warmwalzband oder Preßstangen zu Kaltwalzband
oder Ziehprodukten erzeugt ein verfestigtes Gefüge, das durch Zwischen-
glühungen oder nachfolgende Entfestigungs- oder Weichglühvorgänge in
ein Erholungs- und Rekristallisationsgefüge umgewandelt werden kann.
3.1 Gefügebausteine der Aluminiumwerkstoffen 111

Textur

Gegenüber der gewöhnlich regellosen Kornorientierung im Gußzustand


erzeugen die Warm- und Kaltverformungen in Verbindung mit Glühpro-
zessen eine mehr oder minder stark ausgeprägte Vorzugsorientierung der
Kristallagen im Korngefüge, die mit Textur bezeichnet wird. Die durch die
Gleitsysteme bedingte Anisotropie der plastischen Eigenschaften des Kri-
stalls wird dadurch im gesamten Kornverband deutlich meßbar. Am
schärfsten ausgeprägt sind die unterschiedlichen Kaltwalz- und Glühtextu-
ren bei Kaltwalzband. Die Walztexturen sind parallel zur Walzrichtung
gekennzeichnet durch die Ideallagen {110}<112>, {112}<111> und
{123}<634>. Typische Rekristallisationstexturen von Walzhalbzeug sind
{100}<001> und {123}<634>.
Aber auch bei Strangpreßprodukten und Schmiedeteilen kann sich dem
Fasergefüge eine Preßtextur überlagern, die zum sog. Preßeffekt führt, der
eine deutliche Erhöhung der Festigkeitseigenschaften in Preßrichtung her-
vorruft.

Anschmelzungen
Eine Überhitzung des Gefüges bei Glühprozessen kann zu örtlichen
Anschmelzungen führen, die das Gefüge zerstören und die mechanischen
Eigenschaften erheblich beeinträchtigen. Anschmelzungen lassen sich
durch nachträgliche Wärmebehandlungen nicht mehr beseitigen. Die Ge-
fahr von Anschmelzungen bei thermischen Behandlungen ist besonders
groß bei höherfesten, aushärtbaren Legierungen. Anschmelzungen begin-
nen in Trippelpunkten von Korngrenzen und folgen weiter den Korngren-
zen. Da alle technischen Aluminiumlegierungen eutektisch erstarren, und
da die eutektische Temperatur (s. Tabelle 3.1.6) die niedrigste Solidustem-
peratur des Legierungssystems ist, sollten Wärmebehandlungen nur unter-
halb dieser Temperaturschwelle durchgeführt werden, da Restseigerungen
im Gefüge nicht gänzlich ausgeschlossen werden können. Korngrenzen-
anschmelzungen können in der Übergangszone von Schmelzschweiß-
nähten zum Grundwerkstoff auftreten (s. micro-fissuring, Kap. 16). Auf-
treten und Ausmaß solcher Korngrenzenanschmelzungen sind legierungs-
und herstellungsabhängig und wirken sich besonders bei grobkörnigem
Gefüge auf die mechanischen Eigenschaften aus.

3.1.8 Poren

Poren im Kristall- und Korngefüge von Aluminiumlegierungen entstehen


durch Koagulieren von Leerstellen zu kugelförmigen Hohlräumen und
112 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

durch deren Stabilisieren durch gelösten Wasserstoff (Mikroporosität). Da


die Wasserstofflöslichkeit von Aluminiumschmelzen bei der Erstarrung
um ca. das 20-fache abnimmt, kann eine Übersättigung an Wasserstoff
entstehen, s. Bild 3.3.15. Die Porenbildung wird zudem begünstigt durch
vorhandene innere Oberflächen, wie z.B. Oxideinschlüsse oder Phasen-
grenzen. Porosität ist ein bei Aluminiumgußteilen und Schmelzschweiß-
verbindungen häufig beobachtetes Phänomen, insbesondere wenn das
Schmelzschweißbad nicht genügend vor feuchter Atmosphäre geschützt
wird oder feuchte Zusatzstoffe in den Schmelzprozeß eingeführt werden
(s.a. Schmelze und Schmelzereinigung, Abschn. 3.3). Durch die Beweg-
lichkeit von Leerstellen und Wasserstoffatomen im Kristallgitter können
die Poren geschlossen werden, wenn z.B. durch Warm- und Kaltumfor-
mung das Gefüge durchknetet wird. Die Porosität ist daher bei Knetwerk-
stoffen vernachlässigbar gering. Feuchte Ofenatmosphäre bei der Wärme-
behandlung von Halbzeug kann jedoch zu Blasenbildung an der
Oberfläche führen. Die Blasenbildung erfolgt dabei an der Grenze zwi-
schen rekristallisierter Oberflächenschicht und dem anschließenden
Warmverformungsgefüge.

3.1.9 Oxideinschlüsse

Aluminiumoxid, Al2O3, hat einen Schmelzpunkt von 2050 °C und ist mit
einem spezifisches Gewicht von 3,9 g/cm³ etwa 60% schwerer als die
Aluminiumschmelze. Die Oxidhaut einer Aluminiumschmelze ist extrem
dünn und zäh. Oxidpartikel sind gegenüber der Schmelze inert. Beim Bar-
ren- und Formguß wird die Oxidhaut und der Oxidgehalt der Schmelze
durch Glasfasernetze und Filter zurückgehalten. Dennoch läßt sich nicht
völlig vermeiden, daß Oxidflitter in die Schmelze gelangen, aufgrund des
höheren spezifischen Gewichtes herabsinken und bei der Erstarrung als
Fremdpartikel in das Gefüges eingebaut werden können. Die Qualitätssi-
cherung des Gefüges verlangt eine Begrenzung von Menge und Größe der
Einschlüsse, wie in Bild 3.3.4 dargestellt ist (s.a. Abschn. 3.3.1, Schmelze
und Schmelzereinigung).

3.2 Aufbau und Wärmebehandlung der Knetwerkstoffe

Maßgebend für die Einteilung der Knetlegierungen sind die jeweiligen


Hauptlegierungselemente. Eine Übersicht dazu wurde im vorherigen Ab-
schnitt gegeben. Diese Einteilung ist auch Grundlage der Bezeichnungs-
normen für Aluminiumknetlegierungen in Abschn. 3.4. Im folgenden wer-
3.2 Aufbau und Wärmebehandlung der Knetwerkstoffe 113

den die Besonderheiten der verschiedenen Legierungsgruppen beschrie-


ben, wobei besonderes Gewicht auf die Legierungsgruppen gelegt wurde,
die für die konstruktiven Anwendungen heute eine überragende Rolle spie-
len. Hierzu gehören vor allem die AlMg(Mn)- und AlMgSi-Legierungen
sowie für die besonderen Anforderungen der Luft- und Raumfahrt die Al-
CuMg- und AlZnMg(Cu)-Legierungen. Unter dem Abschn. 3.2.7 „Sonsti-
ge Knetlegierungen“ werden der Vollständigkeit halber einige Legierungs-
gruppen beschrieben, die heute noch auf sehr spezielle Anwendungen
beschränkt sind.
Die Informationen über Legierungsaufbau und Wärmebehandlung sind
die Grundlage für die Abschätzung des chemischen und mechanischen
Verhaltens, das in den Kap. 5 und 6 behandelt wird. Zahlreiche Zusatzin-
formationen zu einzelnen Legierungsbeispielen sind in diesen Kapiteln
enthalten. Außerdem sei auf die tabellarische Auflistung der Legierungs-
zusammensetzung und von typischen Legierungseigenschaften im Anhang
A.1 und A.2 verwiesen.

3.2.1 Unlegiertes Aluminium

Unter Reinaluminium versteht man Aluminium mit einem Masseanteil von


mindestens 99,00 % bis 99,90 %. Für sog. Glänzqualitäten wird üblicher-
weise Al99,8 (EN AW-1080A) eingesetzt. Höhere Reinheitsgrade mit über
99,98% Masseanteil werden durch Raffination erzeugt. Für die elektroni-
sche Komponentenfertigung werden Reinheitsgrade von über 99,999 %
hinaus verwendet, die durch spezielle Raffinationsverfahren hergestellt
werden.
Die heute übliche Handelsqualität von Reinaluminium-Masseln ist
Al99,7 (EN AB-1070A), die als Mindestreinheitsgrad von Primäralumi-
nium im Elektrolyseprozeß gewonnen wird. Als Standardqualität von tech-
nisch reinem Aluminiumknethalbzeug wird Al99,5 (EN AW-1050A)
verwendet mit zulässigen Beimengungen von maximal 0,25% Si und
0,40% Fe sowie eventuell mit Spuren von weiteren Elementen wie Cu, Zn,
Mn und Ti.
Al99,5 hat im Zustand 0 (weich) nur geringe Festigkeitswerte, jedoch
eine ausgezeichnete Duktilität, die selbst nach starker Kaltverfestigung
(z.B. H18-Zustand) noch eine nennenswerte Bruchdehnung ergibt, vgl.
Bild 3.2.1. Rückglühungen zur Verbesserung der Verformbarkeit (H2X
Zustände) sind deshalb nicht üblich.
Wegen der guten Verarbeitbarkeit, sehr guter Korrosionsbeständigkeit
und toxikologischer Unbedenklichkeit sowie wegen vieler interessanter
physikalischer Eigenschaften (z.B. geringes Absorptions- und hohes Re-
114 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

Bild 3.2.1 Einfluß von Kaltverformung durch Walzen auf die Festigkeitseigen-
schaften von Al99,5 (EN AW-1050A-0) mit Angaben der Verfestigungszustände
H12 bis H19. Nach (Lenz et al. 1970)

flexionsvermögen, hohe Wärmeleitfähigkeit und elektrische Leitfähigkeit)


wird Reinaluminium vor allem für funktionale, weniger für strukturelle
Aufgaben eingesetzt. Zur Verbesserung der Steifigkeit werden Walzbänder
häufig mit einer Struktur versehen, die darüber hinaus die Oberflächen-
empfindlichkeit gegen Kratzer mildert. Bild 3.2.2 illustriert die Anwen-
dung von derartigen Strukturblechen als Wärmeabschirmbleche im Unter-
bodenbereich von PKW dar.

Bild 3.2.2 Einsatz von Strukturblech aus EN AW-1050A als Wärmeabschirm-


blech im PKW (Quelle: Alcan (vorm. Alusuisse))
3.2 Aufbau und Wärmebehandlung der Knetwerkstoffe 115

Als Walzmaterial wird Reinaluminium bis herunter zu 5 µm Foliendicke


hergestellt und gegebenenfalls mit anderen Materialien (Papier, Kunst-
stoffolien) kaschiert. Selbst in Folienstärke stellt Aluminium eine wirk-
same Diffusionssperre für Sauerstoff und andere Gase dar, wodurch die
Haltbarkeit leicht verderblicher Lebens- und Arzneimittel wesentlich ver-
längert wird.
Reinaluminium ist als Offsetplatte heute unverzichtbar für die Druckin-
dustrie. Durch Herstellung von Folien mit besonderer kristallographischer
Textur werden Kondensatorfolien erzeugt, die durch einen Ätzprozeß eine
Vergrößerung der Oberfläche um fast zwei Größenordnungen erfahren und
dadurch hohe Kapazitäten bei geringstem Bauraum ermöglichen, s. Bild
2.7.4.
Eine andere Gruppe von speziellen Walzqualitäten stellen die Glänz-
qualitäten dar. Hierbei handelt es sich meistens um Reinaluminiumquali-
täten mit mehr als 99,8% Reinheitsgrad, die durch Glattwalzen und nach-
folgende chemische und elektrochemische Behandlungsverfahren ihren
Glanzgrad erhalten. Für die Leuchtenindustrie werden neben Glänzquali-
täten spezielle Oberflächen geliefert, die eine hohe, ungerichtete Reflexion
haben und ein diffuses Licht verbreiten.

3.2.2 AlMn-Legierungen

AlMn-Legierungen, Legierungsgruppe EN AW-3xxx, werden fast aus-


nahmslos als Knetlegierungen und vorwiegend in der Form von Walzpro-
dukten, gezogenen und geschweißten Rohren sowie Profilen verwendet.
Sie gehören zur Gruppe der nicht aushärtbaren Legierungen und werden je
nach Festigkeitsanforderungen überwiegend in kaltverfestigten Werkstoff-
zuständen eingesetzt. AlMn-Legierungen zählen zu den niedrig festen Le-
gierungen und werden daher weniger zu den Konstruktionslegierungen als
vielmehr zu den Funktionslegierungen gerechnet. Wegen des sehr guten
Korrosionswiderstandes finden diese Legierungen vor allem Anwendun-
gen für Dosenkörper in der Verpackungsindustrie, für den Gerätebau in der
chemischen Industrie, für unbeschichtete Dach- und Wandverkleidungen
im Bauwesen sowie für alle Anwendungen im Wärmeaustauscherbereich,
einschließlich der Radiatoren für Motorenkühlung, Klimaanlagen und gas-
und flüssigkeitsleitende Rohrleitungen. Eine Zuordnung verschiedener Le-
gierungsvarianten zu einzelnen Anwendungsgebieten zeigt Tabelle 3.2.1.
Mangan hat eine begrenzte Löslichkeit im α-Mischkristall von maximal
1,8 Gew.-%, die mit abnehmender Temperatur stark abnimmt, s. Bild
3.1.9, und nur einen geringen Einfluß auf die Schmelztemperatur des Alu-
miniums ausübt. Mn gehört zur Gruppe der langsam diffundierenden Le-
116 3 Legierungsaufbau, Wärmebehandlung, Normen

gierungselemente im Aluminium und scheidet sich bei der Barrenhomoge-


nisierung abhängig von Glühtemperatur und -zeit als eine feine, nicht ko-
härente Teilchendispersion der Gleichgewichtsphase MnAl6 im Gefüge
aus, s. Bild 3.2.3, die im mittleren Temperaturbereich thermisch sehr stabil
sind. Dadurch wird eine Dispersionshärtung erzeugt, die dem weichge-
glühten Material gegenüber unlegiertem Aluminium eine Festigkeitssteige-
rung von etwa 25% verleiht, s. Tabelle A.1.2 im Anhang. Die Dispersion
der Mn-haltigen Phase wirkt auch bei der Kornfeinung und erschwert die
Rekristallisation. Allerdings ist der Beitrag der geringeren Korngröße zur
Festigkeitssteigerung von AlMn-Legierungen gering.

Tabelle 3.2.1 Zuordnung von AlMn-Legierungen zu verschiedenen Anwen-


dungsbereichen
Legierungsbe- AlMn1 AlMn1- AlMn0,5 AlMn1- AlMn1- AlMn1- AlMn0,2
zeichnung Cu -Mg0,5 Mg0,5 Mg1 Mg1Cu
Numerische Bez. 3103 3003 3105 3005 3004 3104 3102
Dachdeckung, Fas- x x
sadenbekleidung
Rolläden, Rolltore x x
Druckbehälter x
Druckgasbehälter x
Rohrleitungen x
Wärmetauscher x x x x
Verpackung x x x x
(Dosenkörper)

Bild 3.2.3 MnAl6-Dispersion mit einer Teilchengröße von etwa 0,1 µm in Legie-
rung AlMn1Mg1Cu (Elektronenmikroskopische Durchstrahlungsaufnahme)
3.2 Aufbau und Wärmebehandlung der Knetwerkstoffe 117

Zur Mischkristallhärtung werden geringe Mengen von Mg zulegiert so-


wie bis maximal 0,20 Gew.-% Cu, letzteres jedoch auch zur Beeinflussung
des Korrosionsverhaltens. Wegen der hohen Duktilität der AlMn-Legie-
rungen werden diese überwiegend in verfestigten Zuständen verwendet.
Gegenüber dem Zustand „weich“ (0) vervierfacht sich die Streckgrenze
bzw. verdoppelt sich die Zugfestigkeit im Zustand „hart“ (H18).
AlMn(Cu)-Legierungen eignen sich wegen ihrer hohen Solidustempe-
ratur ausgezeichnet zum Hartlöten. Zu diesem Zweck werden sie einseitig
oder beidseitig mit einer 10-prozentigen Lotplattierschicht, z.B. aus den
Lotlegierungen AlSi10Mg1,5 (4004), AlSi10 (4045), oder AlSi7,5 (4343),
versehen. Zur weiteren Verbesserung des Korrosionsverhaltens bei Wär-
metauschern dient auch eine Plattierung mit einer Zn-haltigen Legierung,
z.B. AlZn1 (7072), s. Abschn. 2.1 .

3.2.3 AlMg(Mn)-Legierungen

Al-Mg-Legierungen der Legierungsgruppe 5xxx werden üblicherweise als


nicht aushärtbaren Legierungen mit niedrigem bis mittlerem Festigkeitsni-
veau eingestuft. In jüngerer Zeit wurden jedoch auch AlMg-Legierungen
entwickelt, die durch Zusatz bestimmter Elemente (Cu, Li, Sc) auch aus-
härtenden Charakter haben. Die folgenden Darstellungen befassen sich zu-
nächst mit der industriell wichtigen Gruppe der nicht aushärtbaren, natur-
harten AlMg- bzw. AlMgMn-Legierungen. Ergänzend werden die Ent-
wicklungen aushärtbarer AlMg-Werkstoffe dargestellt, da diese Legierun-
gen aus Sicht der Anwendungstechnik und des Leichtbaus ein interessantes
Zukunftspotential haben.

Naturharte AlMg(Mn)-Legierungen
Die Festigkeitssteigerung beruht auf Mischkristallverfestigung durch Ma-
gnesium. Die maximale Löslichkeit von Mg in Aluminium im festen Zu-
stand beträgt bei 450 °C 17,4 Gew.-% (Mondolfo 1976). Die Löslichkeit
reduziert sich mit abnehmender Temperatur und beträgt bei 230 °C ca.
3,2% und bei Raumtemperatur 1,9 Gew.-% (Hansen et al. 1958, Mondolfo
1976), s. Bild 3.1.9. Trotz dieser starken Temperaturabhängigkeit der Sol-
vuskurve wird bei den handelsüblichen AlMg(Mn)-Legierungen keine
Ausscheidungshärtung beobachtet. Der α-Mischkristall steht im Phasen-
gleichgewicht mit der β-Phase Mg5Al8. Ihr Schmelzpunkt ist 450 °C
(Hatch 1983). Die Erstarrung erfolgt eutektisch. Die Diffusion von Magne-
sium in Aluminium ist äußerst träge, so daß bei normalen Erstarrungsbe-
dingun