Henning Theißen
Die evangelische
Eschatologie und
das Judentum
Strukturprobleme
der Konzeptionen
seit Schleiermacher
Herausgegeben von
Reinhard Slenczka und Gunther Wenz
Band 103
Henning Theißen
ISBN J-525·S62S6·X
elyeriteN
Staat,~bnolhek
MOnehen
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Inhalt
Vorwort 9
Erster Teil
Zweiter Teil
3. Problemgeschichllicher Ertrag 68
111. Die chiliastische Eschalologie der HeilsgeschichIlichen Theologie 79
I. Analyse 80
1.1. Person und Natur als eschatologische Grundbegriffe 80
1.2. Implikalionen für die Wahrnehmung des Judentums 118
2. Erhebung von Wahrnehmungsschemala 124
2.1. Natur und Person? 124
2.2. Wahrsagung und Weissagung? 126
3. Problemgeschichtlicher Ertrag 130
6 Inhalt
Driller Teil
Inhalt 7
Ex.kurse
Anhang
Bibliographie 296
I. Quellen 296
2. Sekundärliteratur 304
Register 319
I. Namen 319
2. Sachen und Begriffe 326
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Vorwort
Vorwort
stiftung des deutschen Volkes hat meine Arbeit von November 2000 bis Juli
2002 mit einern Promotionsstipendium gefördert und mir so erst die Ausar·
beitung in der jetzigen Form ermöglicht. In diesem Zusammenhang danke
ich neben Prof. Sauter Dr. Roland Hain sowie Prof. Dr. Wolfram Kinzig
und Prof. Dr. Johannes von Lüpke für wertvolle und unkomplizierte Unter-
stützung. Dankbar erwähne ich auch die Stipendiatengruppe von Prof. De.
Wolfram Steinbeck, die meine Überlegungen in einern sehr frühen Stadium
mit Wohlwollen und sachlicher Kritik entgegengenommen hat. Die syste-
matisch-theologische Sozietät meines Doktorvaters, die interdisziplinäre
Doktoranden- und Habilitandensozietät der Bonner evangelisch-theolo·
gisehen Fakultät, das Graduiertenkolleg des Theologischen Arbeitskreises
Pfullingen und die systematisch-theologische Sozietät an der Kirchlichen
Hochschule Wuppertal haben mir an verschiedenen SchlüsselsteIlen meiner
Arbeit Gelegenheit zu Referat und kritischer Diskussion geboten. Dafür sei
allen Beteiligten herzlich gedankt.
Unter den vielen Menschen, die das Entstehen dieses Buches ebenso ide-
ell wie tatkräftig begleitet haben, möchte ich besonders meinen Vikarskol-
legen Dirk Dörpholz nennen, der in einem Akt praktischer Eschatologie
mein Manuskript davor bewahrt hat, im elektronischen Orkus zu versinken.
Für die Drucklegung habe ich das Manuskript durchgehend überarbeitet
und dabei um ein Sechstel seines ursprünglichen Umfangs gekürzt. Für
mancherlei Rat hierbei danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Herzlich danke ich auch der Evangeli-
schen Kirche im Rheinland, der Buber-Rosenzweig-Stiftung, der Evangeli-
schen Kirche der Union (jetzt Union Evangelischer Kirchen) und der Ver-
einigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, die allesamt das
Erscheinen dieses Buches mit namhaften Druckkostenzuschüssen gefördert
haben. Prof. Dr. Reinhard Slenczka und Prof. Dr. Gunther Wenz als Her-
ausgebern danke ich für die Aufnahme in die "Forschungen zur systemati.
sehen und ökumenischen Theologie".
Erste Denkerfahrungen mit der systematischen Bedeutung der Eschato-
logie verdanke ich dem ökumenischen Austausch mit dem erfahrenen
Theologen und Religionspädagogen sowie langjährigen Ökumenebeauf-
tragten des Bistums Aachen, Monsignore Dr. Josef Schütt. Er war mir ein
unvergeßlicher Lehrer im theologischen und philosophischen Gespräch ge-
worden, ehe er vor meiner Inangriffnahme dieses Buches am 29. Mär.l 1999
starb. Das Buch ist darum zum Zeichen meines Dankes seinem Andenken
gewidmet.
1 Vgl. den Sammelband AuschK'it: (1980) und Äußerungen wie: Eliezer BERKQVrrs. Failh af·
ter lhe HolocauSl. New Yor\: 1973. 18: ..From lhe poinl of view of lhe spinl. lhe hoIocauSl has
been a ChriSlian C8laSlrophc much l'l'"IOR: than a Jewish one" oder Elie WIESEL Die Masscnver-
nichlung als Iitc:nuische Inspiralion. in: Gon nxh Auschwitt. Dimensionen des Massenmords am
jüdischen Volk.. hg.v. Eugen Kogon. FreiburgIBascl/Wien 1979. 21-SO. 44f.: _Wenn die Opfer
mein Probkm sind - die Mörclrr sind es n;chl! Die Mörder sind das Probkm anderer (... 1. so wer-
den andere vefSlehen müssen (... 1. warum die Mörder OtriSlen - sicher schlechle Chrislen. aber
doch O1rislen _ waren.M
] Neben den Gesanlldars!ellungen in Monographien werden auch Lexika und Dogmatiken so-
wje einschlägige Monographjen und Aufsitze: zu Einzelfragen der Eschatologje Ilerangezogen.
nichl jedoch solche Werl:e. aus denen sich dk Eschatologie nur implizil erheben lißI. wie dies für
wichtige AUllmn der Zeil um den 2. Wehkrieg gih. V.L K. Banh (in seiner •.Kirchlichen Dogma-
likj und D. Bonhodfer.
4 Zur Begriffs< und 1beoriegesc:hichte von Eschatologie vgl. übertMicbartig SAUT'ER (1999)
156lff.
.5 Vgl. HOlM~OM (1936) 7If.; 93f.; HJElDE (1987) 23J.:l45f. zur Bedc:UIUllg von Weiß und
Schweitzcr.
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1. Christliche Eschatologumena
aus jüdischer Traditionsgeschichte
und donher stammt auch die Erwartung eines Jüngsten Gerichts, die eben-
falls über das Judentum Eingang ins Christentum fand. 6
Ein weiteres Element christlicher Eschatologie, das aus dem Judentum
stammt, ist die zumindest in Teilen des christlichen Traditionskreises ver-
breitete Erwanung eines Antichrist, der als endzeitlicher Gegenspieler lesu
Christi Gottes eschatologisches Heilswerk zu verhindern trachtet und damil
zugleich zum Anzeichen dieses Heilswerks wird. Im Judentum galt eine
derartige Gestalt freilich nicht als Widersacher lesu Christi. sondern des
erwaneten Messias. Aber genau darin scheint ein Merkmal der Modifika-
tionen zu bestehen, die das Christentum als •.Judentum mit modifizierter Es-
chatologie" an seinen traditionsgeschichtlichen Wurzeln vornimmt: Verhei-
ßungsgehalte, die dem Gonesvolk Israel gelten, werden in einer traditions-
geschichtlich ihrerseits komplex.en, Abgrenzung und Identifikation mitein-
ander verbindenden Weise auf das Christentum bezogen, das sich dann als
Gonesvolk, Volk des Bundes usw. begreift. In diesem Sinne gehören auch
Topoi wie das Volk bzw. dessen "Rest" oder der Bund zu den jüdisch ver-
wurzelten Eschatologumena. Als im engeren Sinne eschatologisch wäre die
Erwartung zu nennen. daß das Christentum im Zuge einer endzeillichen
Mission universelle Geltung erlangen wird; die emsprechende jüdische Er·
wartung, die sich auf das Judentum richtet, scheint aber weniger missionari-
sche Züge zu tragen. In bestimmten Fällen kann der jüdische Traditions-
hintergrund auch zur Negativfolie stilisien werden, wenn z.B., wie in Tei·
len des amerikanischen Dispensationalismus, aus der jüdischen Erwartung
7
eines Antichrist die Erwanung eines jüdischen Antichrisl wird.
2. Charaktere von Eschatologie. Über solche Einzeltopoi hinaus hat das
Christentum auch Traditionselemente vom Judentum übernommen, die
größere Ideenzusammenhänge darstellen. Die bedeutendsten Beispiele hier-
für sind Chiliasmus, Apokalyptik und Messianismus. Auch sie enthalten
einzelne Topoi der Zukunftserwartung; so kennzeichnet den Chiliasmus,
daß er mit einer tOOO·jährigen Herrschaft der Gläubigen auf Erden rechnet.
8 CA 17 (Bek~nnlnissf! {199711,46).
9 FIUEDIUCH (1999) 233 zeigl analoge Mechanismen impliziler Kritik an westeuropäischen
Chiliaslen um 1650.
10 Vgl. Guslav PurT, Einleilung in die Augustana 11, Leipzig 1868.421 mil ALTHAUS (1949)
30 I Anm. 1. Die Quelle dürflen entsprechende Geständnisse eines 1530 hingerichleIen Täufers
sein. auf die R. MAU verweisl (Bd~nnlnisse [1997)1,46 Anm. 55).
11 Dieser Eindruck mag allenfalls ftlr einen binnenkirchlichen Chiliasmus gellen. wie er im 19.
Jh. in der Nachfolge J.A. Bengels in SüddeulSChland verbreileI war. v.a. in Wünlemberg, wo der
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16 Ersler Teil
Chiliasmus unter dem Einfluß P.J. $peners seit 1694 als Adiaphoron kirchenrechtlich geduldet war
(vgl. JUNG [19921 53). Dagegen läßt diese: Wahrnehmung außer Betracht. daß der Chiliasmus
zumeist unter bedrängenden äußeren Umständen entstand. deren Verlängerung gerade nicht erhofrt
werden konnte.
12 Bei V. FRANK (1878/80) 11,452 fallt das Millennium (§ 47.7) unter das ... vorläufige Ziel ..•.
in dem das .Ziel des Werdens" (Überschrift a.a.O. 11,418) bereits ,.festen Bestand des Seins"
(a.a.O. 11,463) gewonnen hat: zu v. Hofmann und Luthardt s. Kap. IIJ (S. 79ff.).
13 KUERYrH (1886) 346.
14 HILGENFELD(1857) 16.
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Die Eschalologie hat es I... ) nicht mit der Endgeschichte oder mit dem Geschichtsen-
de. sondern mit dem Jenseits der Geschichte zu tun. Sie isl keine Apokalyptik. l '
15 Wie KONKEL (2003) 8 Ir. nabdegt. opüert WELLHAUSEN (1905) 409-424 im kuhurge-
schichllichen Kontexl mit seiner Aurwertung des staallichen Israel vor dem sog.•.späljudenlum~
ru.r den PfeuBischen NatiooalSlaal.
16 So LB. 80KLEN (1902) 110 Anm. I: BouSSET (1903) 198: Vou (1903) 68r. Anders
OIARLES (1899) 19f.: Du \'orsa:uliche Isrxl kennl demnach keine Eschalologie. das Slulliche
l.sracl bildet dann eine IndiYiduale5chalOlogie IUS.
17 Zu diesem Bild von Apobl)'P'ik MOUH (1983). für das Alle Testamenl KUSCHE (1991).
18 AL1lIAUS (1922) 95.
18 Ersler Teil
ptik sucht die Vollendung in der menschlichen Geschichte selbst. während dagegen
die christliche Apokalyptik die Vollendung von dem Zusammenhang der menschli-
chen Geschichte loszulösen und ausschließlich ins Jenseits zu verlegen such!. Aber
dabei kommen leicht und vielfach Rückfalle in die jüdische VorstelJungsweise vor.
Die in dem Abbruch der Geschichte sich vollziehende Vollendung wird als eine durch
Gott bewirkte Umgestaltung der irdischen Welt verslanden. 19
Es muß doch wohl gesagt werden, daß die christliche Theologie diesem Paradox nie
voll gerecht worden (sie! I ist Entweder hai sie mit der jüdischen Apokalyptik das
Endgeschehen als ein dramatisches Schlußslück der Geschichte verstanden und es in
den Bildern einer kosmischen Katastrophe von ungeheuerlichem Ausmaß geschildert.
um ihm den Charakter wirX.lichen Geschehens zu verleihen. Odu aber sie hat in der
richtigen Erkenntnis. daß diese apokalyptische Dramatik eben darum. weil sie sich in
den Strukturfonnen der irdisch-zeitlichen Geschichtlichkeit abspielt - mag sie im
übrigen die Dimensionen des Geschehens noch so sehr vergrößern - eben doch nicht
das zukommend Ewige sein kann. auf die Vorstellung eines Endgeschehens über-
haupt verzichtet und das Ende in den statischen Begriffen zeitlos ewigen Seins zur
Geltung zu bringen versucht. 20
Das letzte Zitat deutet an, was von der Dreierfolge Israel - Judentum -
Christentum, in der die ReligionsgeschichtIer die Apokalyptik veronen, her
ohnehin naheliegl: Die Apokalyptik kann auch als charakteristisches Zeit·
verständnis erscheinen. In Anlehnung an die erwähnte dreifache Staffelung
kann dann eine Dreiheit von Zeitverständnissen geltend gemaCht werden:
Während der Alte Orient die Zeit zyklisch denke, habe das Judentum einen
linearen Zeitbegriff eßlwickelt, der vom Christentum beibehalten. aber
durch die Pointierung auf Christi Gebun als die Mitte der Zeiten zugespitzt
und SO erst mit einem klaren Ziel versehen werde. 21 Seide Elemente dieses
Zeitkonzeples. sowohl die Entgegenselzung von zyklischem und linearem
Zeitverständnis als auch die Hervorhebung Christi als Zeitenwende, sind in
der Eschatologie- und Theologiegeschichle des Untersuchungszeitraumes
nachweisbar. - Des weiteren sind für den skizzicnen Apokalyptikbegriff
die Stufenschemata kennzeichnend. in denen das Judentum als eine Vorstu-
fe des Christentums wahrgenommen wird. Diese Einschätzung, die für das
Verhältnis beider Religionen im ganzen während unseres Untersuchungs-
sfen Abschnitten der Kapitel tl-V. Dabei lassen sich die im vorliegenden
Abschnitt vorgestellten thematischen Charaktere der Eschatologie mit be-
stimmten eschatologiegeschichtlichen Komplexen verbinden: Am Anfang
steht F. Schleiennacher (Kap. 11), der als Impulsgeber der neuzeitlichen
evangelischen Theologie auch für die Eschatologie weichenstellend gewirkt
haI. Daran schließen sich die eschatologischen Entwürfe derjenigen theolo-
gischen Strömung an, die im Anschluß an den Begründer des Begriffs der
"Heilsgeschichte",21 lCK. v. Hofmann, als Heilsgeschichlliche Theologie
bezeichnet werden kann und deren Kennzeichen das lnteresse am Chilias-
mus ist (Kap. m). Es folgt M. Kählers von ihm selbst als "soterologisch,,28
bezeichnete Eschatologie (Kap. IV). Damit ist ihr methodischer Grundan-
satz bei der Reflexion über die Personalität des Messiastums und also die
Nähe zum Messianismus ausgedrückt. Schließlich wird die Eschatologie
von P. Althaus (jun.) sowie die Debatte um sie erörtert (Kap. V). Althaus
sticht hervor durch eine schroffe Front gegen die von ihm sog. "endge-
schichtliche Eschatologie" ,29 die er exemplarisch in der Apokalyptik vorfin-
det. mit der er so auf negativem Wege eng verbunden ist.
Ein weiser, christlicher Leser sollte bei den prophetischen Verheißungen dieser Regel
folgen: Wir lehren. daß dasjenige. was die Juden und die, die jüdisch denken bei den
22 Erster Teil
Unsrigen. - oder vielmehr nicht den Unsrigen - in fleischlicher Weise als zukünftig
beanspruchen. in geistiger Weise schon eingetroffen ist, damit wir nicht anläßlich
deraniger Erzählungen oder schier unlösbarer apostolischer Fragestellungen gezwun-
gen sind. jüdisch zu denken. 30
30 CChr.SL LXXIII, 1963. 157,43-48: ..Prudens el christianus leclor hanc habcat repromissio-
num prophetalium regulam, ut quae ludaei el nostri, immo non nostri ludaizantes. camaliler futura
contendunt. nos spirilsliter iam transac1a doceanlUs. oe per occasionem iSliusmodi fabularum ct
inextricabilium iuxta apostolum quaestionum iudaizare cogamur" (zu Jes 11.15f.).
31 Zu den eschatologischen Schemata von Aeisch und Geist. Noch nicht und Schon jelzt, Par-
tikularit5t und Universalilät vgJ. SCHOLEM (1963) 121 f. bzw. M....ROU....RDT (1993196) 1,25 (Abriß
der Eschalologie seit der Reformation) bzw. T ....LMON (1976). In Verbindung der Schemata folgern
z.B. Teile der christlichen Rezeplion des Messianismus aus dem Noch nicht des Erwanelen, daß
sein Eintreffen an die tätige Geslaltung im sozialen Menschenleben (Aeisch) gebunden sei. vgl.
kritisch dazu VAl.VI NAGV (1993) I24f.'Zu den Schemala im ganzen vgl. ntOM.... (2000) 13 und
Konstruktion (2003).
32 MAlER (1976) 132 kritisiert. daß das Schema .,Schon jetzt - Noch nichl" dem jüdischen Ge-
schichIsbewußtsein christliche Parameter unterlegt. Z.B. übersehen Chrislcn oft. daß die Tempel-
zerstörung 70 n. Chr. im Judentum nicht bloß Ende und Abbruch, sondern auch Anfang eigener
Traditionsbildung sei (so ZAAS 119921 135-148).
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33 Das bcreilS mil S. 20 Anm. 24 belegle Schema (z.B. bei Hege!) des Judenlums als einer Re-
ligion der Tal wird aufgenommen. aber auch krilisch gespiegelt im Iilerarischen Zionismus eines
M3lI Brod (vgl. STÄllLER 12003]).
34 Der Sammelband KonSlmJaion (2003) unlersuchl im Sinne solcher Funktionsgeschichle
Wahrnehmungen des Jüdischen in Theologie. Literalur-, Medizin- und Profangeschichle der Kai·
semit und der Weimarer Republik.
35 Vgl. FIUEORICII (1999) 239 (Triniläl): 227.229 (Schriftinspinllion); 228 (Prädeslinalion).
Vgl. S. 15 Anm. 9.
36 S. bei S. 17 Anm. 15 zu Wellhausens pro-preußischer GeschichIsschreibung Jsrnels und vgl.
DQRNER (1879180) II.938f.. bei dessen pro-uniener Eschatologie die Krilik jildischcr und kalholi·
scher Anschauungen verschwimmt. Die HislOrikerin VOLKOv (2000) haI ähnliche argumenl3live
Gemengelagen im damaligen Antisemitismus als •.kuhurtllen Code" rekonstruien. Ich spreche in
ähnlicher Absicht von ..Wahmchmungsschemata".
24 Erster Teil
37 Nach ARNOlDI (1993) 240 "'ermindlen die pktislischt:n Theol.n in Halle zwischen Ju-
<kn und ehristlkher Qbrigkdl und waren so Vorläufer <kr Emanzipalion vor <krm Durchsclzung.
38 Nach Ct.AIIK (1995) dringen J.H. CIlknbl:rgs InstilUlum Juda.icum und A. Graf ....d. Reckes
Konv~nit~nkolonknIUS <km ..pidist notion of rebinh- (l.a.O. 61) ht:raus (Idls unter <km Druck:
von Aufsehern: I.LO. 114) luf .,oa:upalional rc.intregralion" (l.a.O. 56) <kr Juden. während die
Berliner Missionsgescllschaft im 19. JI\. der Ans;chl sei: ..OnI)' Christilnil)' and not emancipation
rould rn.'lke Iht: Jews .happ)' Ind frce'" (LI.O. 164).
I. Exposition der Fragestellung 25
39 Jüdische Slimmen zur Eschatologie kommen in den Quellen vorliegender Untersuchung di-
rekt (d.h. nicht auf den in Kap. 1.1-2 geschildenen Wegen) nur sehr selten zu Won: am ehesten in
der Tradition des christlichen Kabbalisten F.C. Getinger in der zweilen Hälfte des 19. Jh.
(AUBERLEN 11854197 erwähnt lsaac Abrabanel [so bei S. 29 Anm. 581: LEsSING [1858J 89 mit
Anm. zilien ohne Namensnennung einen Rabbiner seiner ?.eil; ähnlich ALTHAUS [1856/571 71:
v. OHlTINGEN 11895/26 nimmt möglicherweise kabbalistische Gedanken auf: s. S. 253 Anm. 273)
und ausnahms....'Cise im Zusammenhang des frühen Zionismus (HAOORN 11914/ 123).
40 Dazu am Beispiel des 20. Jh. GoWMANN (1997): das Zitat entstammt seinem Untenitel.
41 Für brieniche Auskünfte zu Titeln jüdischer Eschatologie danke ich folgenden Forschern:
Michael Brenner. München: lohann Maier. Weinheim: Günter Stemberger. Wien: Clemens Tho-
ma, Lu:r.em.
26 Erster Teil
47 A.a.O. 111,221-225 mit lI.a. Cohen als Beleg; a.a.O. 111.225-231 werden christliehe Stirn·
men gcnannr, darunler W. Bou.~sc:t und H. Gunkel.
48 A.a.Q. IV, 158-165 mit jüdischen und christlichen Quellenbelegcn.
49 A.a.O. IV,96-106 mit jOdischen und christlichen Quellenbelegen.
50 Vgl. 3.a.0. das Vorwort zum erslen Band.
51 WIESE (1999) widmet zwei Abschnitte (Kap. 3.2/3) der zeilgleichen differenzierten jüdi.
schen Einschätzung der christlichen Jud::J.isten, aber auch BefUrwoner und Förderer der Judenmis·
sion. F. Delitzsch und H.L. Stnck.
52 Zu scharf scheint daher das Uneil des Literaten BROO (1921) 1.72. der den .Uhren des Ju-
dentums" vorwirft, dutt"h bloße Umkehrung der Schemata ..vom flachsten Standpunkt aus" zu
argumentieren. Frc.ilteh ist anderenei1.li auch das kritische Rcfenlll der (proteSlalltischen) Schemata
durch EscHElBACHER (1907) 9.11.13f. u.O. eher infonnativ als argumentativ belangvoll.
53 Vgl. tum Folgenden an deutschsprachigen Beiltigc:n v... dje Sammelbände blbnft (1976);
Zu1.unft (1980); JeSIU (1982); blbnfty,.....'Ortung (1983); Mt'ssias (1993); Mt'Ssias.Vorstt'ilungt'n
(1993).
28 Ersler Teil
54 T AU.tON (1982) 34f. belont. daß das Messiaskonzcpl das biblische (davidische) KÖfligsideal
vonlJSselZt. um es dann im Sinne eines herrschenden oder cines im Kampfe fallenden Messias zu
differenzieren - beides im Untcrschied zum christlichen Konzcpl des Messias als des ErI6sers
durch Leiden (so WERBLOWSKY (1982181).
55 Dazu SCHÄfER (1976) 100.
56 MAlER (1976) 137 zu Saadja Gaon.
57 Die Glaubenssätzc sind abgedruckl LB. bei FR.lE()U.ENQER (1922) 19. der IrOCZ einer natu-
ralistischen Maimonidesinterpretation durch ein Ignoramus gegcnUber Gottes Möglichkeiten ruf
die supranaluralis1ische Erwanung offen iSI (z.B. l.a.O. 129f. zur nationalen Rcslilution Ismels).
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6S Nach WURZBURG€R (1993) 79f. ist Maimonides' Zukunftgerwanung daher durchaus mes-
sianisch. &wanele aber die Tradition vor Maimonides lohn und Strafe in der kommenden Weh.
so sieht er diese selbst als lohn bzw. ihre Versagung als Sinfe (vgl. MAtER [19761 169f.). Inhah-
lich ist der Lohn die Vollendung de5 Intel1eklS (Seele) durch die ToralJ'euc. die zuvor in der davon
streng zu unterscheidenden Messiaszcit (a.8..0. I SM.) durch das siuliche Regimenl eines (irdi-
schen) Königs ermöglichl wurde.
66 AVNERlJ'GROSSMAN}REINES (1971) 106 (A. GROSSMAN).
67 Z.B. die Lehre von den göttlichen Wirk weisen (SefirOl). die in den jlklisch-ehrisdichcn Re-
ligionsgesprächen des Millelalters oft als Vergleichspunkt zur Trinitätslehre diente: so noch bei
F.C. Octinger (JUNG 119921203).
68 Aus seinen grundlegenden Forschungen Uber die Myslik des Sabbatai Zwi ergab sich ftir G.
SCHOI..ßM das wirtmächlige Konzept: des Messianismus als einer "KatllSlrophentheorie" (DERS.
(19631 130). die der Erlösung die Gestalt einer Sozialutopie gibt (ebd.) und zugleich ,u~n im
A.uf~huh" (a.a,O, 167) bedeuten kann.
69 SCtIATZ-UFfelHEIMER (1970) 209-211. die den nkhtnationalen Charakler solcher ..self·
redemplion" betont,
70 Zu Hirsch und besonders der menschhcillkhen Dimension seiner Eschatologie vgl.
BA1..J..HORN (2003) 94--98.
71 Für SCHATZ-UFfelHEl'lER (1976) 194 denk! Kook damit ..nichts Alltägliches"; ähnlich
STEMSERG€R (1992) 629. Für GEWIRTZ (1986) 110 entsprichl freilich Koots Auf~'eI1ung des
bkl8en Volkskörpers der ma.imonidischen Lehre (a.a.0. 32f.) vom Leib als Bewthrungsort dc:r
Seele (Ißlelld:l: s. S. 30 Anm. 6S). also einer eher reformerischen Tooition.
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72 Zum ZioniSIllUS nach 1948 vgl. RAVrrzKY (1991). der a.a.O. 34ff. solchen religiösen Zio-
nismus als unmessianisch bezeichneI, der das Werk des Messias an sich zu reißen sucht. Christli-
cherseils wird die Staatsgründung Israels ähnlich krilisch gesehen vom sog. Dispensationalismus
(s. S. 14 Anm. 7). dem in Deulschland l.B. die ApokalaStaliker HEl.J...ER (1949) und FüNNtNO
(1949) anhängen (vgl. Hol.TIIAUS '1993] 443f.).
73 Dazu LEVtNSON (1994) 124.
74 Zitat MAlER (1983) 160. Weitere Beispiele rur Relativierungen der eschatologischen Sche-
mata im Judentum nennt GRAl:.Tl (1983) 170-181.
75 Zitat v. HARNACK 119001 (1999) 91: zur Abwehr von Weiß vgl. :I.a.O. 89 und zur Abgren-
zung gegen das Judentum a.a.O. 84f. Daß Hamack das Judentum als kirclrlichr Erslarrung des
Glaubens galt. steht in vollem Einklang mil WEU.HAUSENS Begriff der Theokratie als ,,Anstalt"
(DERS. '190514091T.) und mil BOUSSCIS Einschätzung der Synagoge. Nach seiner bekanlllen Defi·
nilion des Dogmas betrachtet Hamack auf der anderen Seile den Hellenismus als die Ihrologischt
Verfremdung des Jesusglaubens.
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32 Erster Teil
Dagegen wendet sich 1905 der liberale Berliner Rabbiner Leo Baeck.
wie schon der Titel seines Buches "Das Wesen des Judentums" erkennen
läßt, das dann in der Zweitgestalt von 1922 berühmt wurde. Hier erscheint
das Judentum als die Religion des religiös·sittlichen Paradoxes: Z.B. zeigt
sich die für das Judentum schlechthin grundlegende Einzigkeit und Abso-
lutheit Gottes darin, daß sein Gebot unbedingt wirklich ist; dennoch ist der
Mensch gefordert, es zu venvirkliche1l. 76 Daher drückt sich Israels Erwäh-
lung darin aus, daß es die Tora befolgt und durch dieses sittliche Men-
schenhandeln den Monotheismus verkündigt. Baeck versteht so das Juden-
tum als die eigentlich missionarische Religion. 77 Damit ergreift er eine für
sein rabbinisches Herkommen durchaus unkonventionelle Position. Zwar
kennt der Rabbinismus seit seinen Anfangen in der Spätantike den Übertritt
zum Judentum, doch galt in der halachischen Tradition grundsätzlich das
Geborenwerden von einer jüdischen Mutter als Kriterium des Judeseins. 18
Freilich hängt gerade mit der Verabsolutierung dieses genealogischen Kri·
teriums die Abwertung des Judentums als Nationalreligion oder Volkstum
zusammen, die im rassisch motivierten Antisemitismus gipfelt, sich aber
auch in der christlichen Eschatologie beobachten läßt. 79 Wenn Baeck dage-
gen das Judentum als missionarisch versteht, ergibt sich für die Es-
chatologie das Bild des Judentums als sittlicher Menschheitsreligion. In
diesem Sinne kann Baeck ausdrücklich den Messianismus als die letzte
Spitze des missionarischen Monotheismus begreifen, auf der Sittlichkeit
sich in Politik weitet und jüdische Religionsgeschichte in die Wehge·
schichte der Völker. so Indem Baeck das Judentum auffalligerweise als die
eigentliche missionarische Religion bestimmt, stellt er also das es-
chatologische Schema von Partikularilät und Universalität in Frage.
b) Herma1l1l Cohe1ls Konzept eines menschheitlichen Messianismus.
Baeck veröffentlicht sein ..Wesen des Judentums" erstmals im vom libera-
len Berliner Rabbinerseminar veranstalteten "Grundriß der Gesamtwissen-
schaft des Judentums". Hier erscheint auch 1919 in der Erstaunage das po-
stume Spät werk des vormaligen Marburger Neukantianers Hermann eohen,
,,(Die) Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums". Tatsächlich
76 ß"ECK (1922) IO6f. IJ2f. 155 nennt drei Paradoxien; die genannte ist die z.weite davon.
77 A.a.O. 77: ..Das Judentum hat dcnn auch das GCbol des Weges z.ur Menschheit. der Missi-
on. die der Besitz der Religion forden. en.eugl."
78 Auch wenn das anlikjüdische GeschichlSdenken sonsl eher palrilincar geprägl scheinl.
79 Für die chriSlliche EschalOlogic vgl. 7..B. BULTMANN (1949) 183: ..Das wahre Gouesvolk iSI
die EkJdesia. die eine eschalologische Einheit ist. [... ) Man gelangt in sie nichl durch Gebun oder
Volkszugehörigkeit...
80 ßAECK (1922) 282f.
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steht in der Vernunft, die Gott als sittliche in seiner Willenskundgabe durch
die Tora anspricht, und im heiligen Geiste. der nach dem hebräischen Text
von Ps 51,6 der Geist der Heiligung ist. Da sich Heiligung am Mitmenschen
vollzieht, kann eohe" die Korrelation von Gou und Mensch auch auf der
Ebene der Mehrheit, des Volkes. ausdrucken und mit R. Akiba sagen: Gott
ist der Einzige, weil einzig vor ihm Israel sich reinigen kann. 86 Die es·
chatologische Konsequenz dieses Korrelationskonzeptes ist ein Messianis-
mus, der als die menschheitliche Aufgabe einer unabschließbaren Selbst-
heiligung schroff der Eschatologie entgegengesetzt wird, die diesen im-
merwährenden Prozeß durch die Setzung einer jenseitigen Welt abbricht.87
Cohenfoigert also allS seinem tragenden Begriff der Korrelation eine alls-
schließende Alternative von Messianismlls lind Eschatologie.
Messianismus bezeichnet hier die sich als unverwechselbar jüdisch ver-
stehende Erwartung, daß die Menschheit begriffen ist in einem Prozeß der
Heiligung, der fortschreitend. aber unabschließbar und darum auch ein Ge-
schehen in der einen raumzeitlichen Welt ist. Wenn dem die christliche Jen-
seitseschatologie entgegengesetzt wird. so hat Cohen dabei noch nicht die
Diastase von Diesseits und Jenseits in der frühen Dialektischen Theologie
vor Augen, sondern die Jenseitserwartung, die am Ende des 19. Jh. unler
dem Einfluß von Schleiennachers Kritik der Eschatologie den Locus prägt
und dabei von einer bloßen Unsterblichkeitsgewißheit für die individuelle
Persönlichkeit bis zum detailfreudigen Zukunftsgemälde die ganze Band-
breite von Zukunftserwartung enthält. Cohens Konzept des menschheitli-
chen Messianismus zieh also nicht nur wie Baeck auf das Wahmehrnungs-
schema von Partikularität und Universalität. Vielmehr steht Cohens Partei·
nahme Hir eine soziale Gestaltung des Messianismus zugleich jenseits des
Schemas von sinnenfalliger Gestalt der Hoffnung und ihrer übersinnlichen
Vergeistigung. da die Gestallungja eben, heide vermittelnd. im Geiste stau·
finden soll, wie es Cohens Theorem der Korrelalion von GOIt und Mensch
ausdrückt.
c) Franz Rosenzweigs Neubestimmllng des Verhöl",isses vo" VerheIßung
lind Erfüllllng. Cohens Gedanken werden fortgeführt von Franz Rosen-
zweig in seinem noch in den Schützengräben des erslen Weltkriegs begon-
nenen Hauptwerk ..Der Slern der Erlösung". Auch hier sei der gedankliche
Duktus nachgezeichnet. wobei sich die Darslellung wiederum auf die für
unsere Fragestellung einschlägigen Linien beschränkt:
86 A.a.O. 261. Zugrunde ltegt ein talmudischer Ausspruch R. Akibas (Joma 85b). der das
Buchmono bildec.
81 A.a.O. 331.
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36 Erster Teil
93 A.a.O. 128f. mil Maimonides gegen den Islam. rur den GOlt auch ohne eine Schöpfung
volllr:.ommen ist.
94 A.a.O. 133-135 mit Maimonidcs gegen die islamische Lehre von nur einer besonderen Vor-
sehung.
95 Vgl. a.a.O. 278f.
96 A.a.O. 305 3m Beispiel des Gebets um den Tod des Anderen. da der Andere ab Anduer
doch schon 101 ist: Durch die Schöpfung ist er vielmehr Milgeschöpf (man vgl. Cohen zur Entdclr:.-
kung des Mitmenschen).
97 A.a.Q. 298.
98 A.a.Q. 360.
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Rosenzweig stellt dem die christliche Liturgik gegenüber, die eine derartige
Feier der Erlösung nicht oder. wie in der Taufe. nur als Anfang eines Le-
bensweges, nicht als Vorwegnahme der Erlösung kennt." So korreliert er
das Judentum als Religion des ewigen Lebens mit dem Christenlum als Re-
1OO
ligion des ewigen Weges. Das Judentum hat in der Vorwegnahme bereits
das. was es als Eschalon erhofft, nämlich ewiges Leben, jedoch auf Kosten
des zeitlichen Lebens - Rosenzweig erinnert daran, daß das Diasporaju-
dentum Verzicht leistet auf eigenes Land, eigene Sprache und eigene Na-
lionalität 101 -, das Christentum hingegen schreitet den ganzen Weg der
Hoffnung auf das Eschaton, also den Weg zum ewigen Leben aus, ohne
doch ewiges Leben zu besitzen. So stehen beide Religionen in je ihrer Es-
chatologie sich entgegen, bilden aber erst in ihrer Korrelation aufeinander
die Wahrheit Gottes, die zwar beiden zuleil wird, in diesem ZUlei/werden
aber auch nur einen Teil der ganzen Wahrheil darstellt. 102
Es iSI also zu beobachten, daß sich Rosenzweigs Neubestimmung des
Verhältnisses von Verheißung und Erfüllung, die er im Anschluß an Cohens
differentialmathematischen $chöpfungsgedanken vornimmt, durch sein ge-
samtes Hauptwerk zieht und unmiuelbar in eine escilOtoJogische Kritik ei-
nes Verheißungskonzepls mündet, das auf der Unterscheidung zwischen
"schon jetzt" und .. noch nicht" geschehener Er!üJJung fußt. Damit ist das
chrislliche Zeitverständnis in der Eschatologie grundsätzlich in Frage ge-
steilt.
d) Mnrtin Bubers Kritik einer Zäsur in der Geschichte. Auf solche zeitli-
chen Wahmehmungsschemata zielt nun die Anfrage, die Rosenzweigs Mit~
arbeiter im Frankfurter Jüdischen Lehrhaus und Initiator der gemeinsamen
Bibelübersetzung, Martin Buber. in einem eindrucksvollen Gespräch mit
dem Bonner Neutestamentler Karl Ludwig Schmidt im Januar 1933 geäu-
ßert hat, wenige Tage vor der nationalsozialistischen Machtergreifung.
Themen dieses Gesprächs waren "Kirche, Staat, Volk, Judentum".
Schmidts Einlassung zielI, wie er zu Beginn darlegt, angesichts eines wach-
senden, rassisch begründeten Antisemitismus darauf, die vier einschlägigen
Themen, damit nicht ..das Volkharte überbetont" wird. als religiöse zu be-
handeln. Hierzu nimmt er dann als Theologe Stellung und erklärt, daß das
Judenlum seit seiner Ablehnung Jesu als des Messias und der Zerstreuung
99 A.a.O. 416.
100 z'B. a.3.0. 459. Der Vergleich mil dem Christenlum prägt aber den ganzen drillen Teil.
der unter dem MOllo ..in tyrannos!" (3.a.0. 295) steht. womit die gcnlCinl sind. die das Eschaton
vorwegnehmen (vgl. 3.a.0. 319).
101 A.a.O. 333.334.336 zu den Slichworten Land. Sprache und Nationalität.
102 A.a.O. 462.
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38 Ersler Teil
103 Die Zilale SCHMIDT 11933 J (1981) 153.155 sind verbunden durch den a.3.0. 152f. dreimal
geäußerten Gedanken vom Verlust der Mine.
104 Zilale BUBER (1933) 563.562 (hier eröffneI der lel:r.le zitierte Salz einen neuen Absatz).
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40 Erster Teil
107 Zitale MOllLlNü (1997) 239.240.240.240: vgl. früher: V.O. OSTEN-SACKEN (1978) 142.
108 Darum ist nicht das von Buber ..dialektisch dem ,Noch nicht' hinzugefLIgle .Schon' ent·
sprechend dem christlichen .Schon'. dem dialektisch das .Noch nicht' hinzugehörr' (STf.GEMANN
[19881 145). das zukunftsweisende Morncnt des Gesprächs.
109 Diese Frage weist WERBLOWSKY (1%8) 44 rurdas Judentum ab und dem christlichen
Fundamentalismus zu.
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"Mitten in der Endlichkeit Eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein
in einem Augenblick, das ist die Unsterblichkeit der Religion:<! Wenn der
30-jährige reformiene Krankenhausprediger an der Berliner Charite,
FRIEDRICH SCHLElERMACHER, mit diesen vielzitienen Worten die zweite
seiner berühmt gewordenen Reden "Über die Religion" beendet, gibt er auf
der einen Seite dem Kemgedanken einer der fortan wohl wirksamsten
theologischen Grundanschauungen der protestanlischen Modeme Aus-
druck. Der Satz zur Unsterblichkeit machte seinen Autor schon zu Lebzei-
ten in einem umgangssprachlichen Sinne unsterblich und scheint schon auf
diese Weise die theologische Einsicht zu bestätigen, die dahinter steht: Un-
sterblichkeit iSI im Leben zu finden. Die Ewigkeit, für die hier der Aus-
druck "Unendliches" und sonst in Schleiennaehers Reden von 1799 das
"Universum", erst in späteren AuOagen "Gou" steht, ist nicht der Abschluß
einer unendlichen Reihe und auch kein Rahmen, der von außen um die Welt
als Ganzes gelegt wird. Nichl wer die Tiefen des Alls erforscht, findet
Ewigkeit, sondern wer sie als das erkennl, was in allen Einzelnen das Glei-
che, doch in keinem von ihnen auf die gleiche Weise, vielmehr individuell
ist. Dies ist die Textur, die Schleiermachers Denken zusammenhält: Ewig-
keil ist das Allgemeine als Einzelnes, ist Alles und ist Eines, ein individu-
elles Allgemeines.
Schleiennaehers Auffassung vom Wesen der Religion begründet aber
nicht nur eine ganze Epoche theologischen Denkens im Protestantismus.
Sein Satz zur Unsterblichkeit reißt auf der anderen Seile zugleich "das es-
chatologische Loch" auf,2 in dem für ein ganzes Jahrhunden die theologi-
sche Besinnung auf die religiöse Zukunftserwartung zu versinken scheint.
Wenn wir die Unsterblichkeit "schon in diesem zeitlichen Leben unmiuel·
bar haben können", wie Schleiennaeher in der Drittaunage seiner Reden
von 1821 hinzufügt,J scheint es nur konsequent, wenn er ein Jahr später
I SCIlLEIERMACIIER 117991 (1958) 74. In späteren Auflagen heißt es .jn jedem Augenblick"; s.
auch S. 42 Anm. 3.
2 Emil BRUNNER, Die Mystik und das Won. Der Gegensatz zwisenen modemer Religionsauf-
fassung und chrisllichem Glauben dargeslellt an der Theologie Schleiermachers, Tübingen 1924.
268.
3 SCHLEIERMACIIER (18211 (1995) 128; noch nicht in der ZweilDunage von 1806; vgl. ebd.
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auch über die sonstigen Topoi der Eschatologie schreibt, daß ihnen "dersel-
be Wenh wie den übrigen Glaubenslehren nicht kann beigelegt werden".4
In der Zweitausgabe seines Buches "Der christliche Glaube" von 1830/31
findet diese Grundsatzkritik der Eschatologie dann ihre ausgereifte Gestalt. 5
Der Bogen, der mit diesen Schlaglichtern vom Anfang bis zum Ende von
Schleiermachers literarischem Schaffen geschlagen wurde, deutet bereits
ein Grundproblem von Schleiermachers Eschatologie an: Einerseits gründet
seine Wirkung zu etlichem Teil auf Gedanken zu einem eschatologischen
Thema, der Ewigkeit. Andererseits war diese Wirkung selbst "das es-
chatologische Loch", das Schleiermacher in die Theologiegeschichte des
19. Jh. gerissen haben soll. Man muß daher Schleiermachers eschatologi-
sche Kritik als positiven Beitrag zur Lehrgeschichte würdigen.
I. Analyse
benslehre": §§ 86--169) im Abschnitt über die Beziehung der Gnade auf die
Welt (§§ 113-163) als dessen drilles HauplSlück. Die umgebenden Ab-
schnille handeln von der Beziehung der Gnade auf den Menschen (§§ 91-
112) bzw. von GOII in bezug auf die Gnade (§§ 164-169) und spiegeln
damit die drei Dimensionen dogmatischer Sätze als Aussagen über das
Selbst·, Welt- und Gouesverhältnis des Menschen,9 in denen auch auf
seiten der Sündenlehre (§§ 65-85) sowie im ersten Teil (Voraussetzungen
des Gegensatzes von Sünde und Gnade: §§ 32-6 J) die Dogmatik entfaltet
wird. IO Es fallt nun auf, daß in der GnadenJehre die individuelle Dimension
der Dogmatik in zwei Hauptstücken dargestellt wird, die überindividuelle
aber in dreien. Über die Frage des EIl1stehens und des Bestehens von (indi-
viduellem bzw. gemeinschaftlichem) Gnadenbewußtsein hinaus handelt
hier nämlich die Eschatologie von dessen überindividueller Vollendung.
Vollendung. so wird argumentiert. ist dabei deshalb der gemeinschaftlichen
und nicht der individuellen Dimension zugeordnet. weil für Schleiermacher
die Gnade ohnehin nur an einem ..Gesamtleben" besteht. in dieser gemein-
11
schaftlichen also die individuelle Dimension miteingeschlossen ist. So
wird die zunächst befremdliche Eingliederung der Eschatologie in das Gan-
ze von Schleiermachers Dogmatik plausibel.
Jedoch bei der internen Gliederung der Eschatologie kehrt dieselbe
Spannung von individueller und sozialer Dimension wieder. Hier stellt zu-
nächst je ein Paragraph die beiden Aufgabenfelder der Eschatologie vor,
nämlich die gemeinschaftliche Dimension als Vollendung der Kirche (§
157) bzw. die individuelle Seite als Fortdauer der Persönlichkeit (§ 158),
ehe der eigentliche Schlüsselsatz in § 159 Eschatologie als ..Lösung beider
Aufgaben" definiert}2 Von diesen drei Grundlegungsparagraphen deutlich
unterschieden durch die Zählung von vier ..prophetischen Lehrstücken".
thematisieren die §§ 160-163 vier Ansätze zur Lösung dieser doppelten
Aufgabe; Schleiermacher greift damit die protestantische Überlieferung von
der Vier.lahl der letzten Dinge auf und verbindet so auch hier. wie bei der
Stellung der Eschatologie im Ganzen der Dogmatik, seine originären Ein-
13 S. S. 43 Anm. 7. Zur schwankenden Vienahf der Eschata vgl. HJELDE (1987) 71.84 u.ö. Bei
SCBLJHERMACIIER 11830/311 (1960) §§ 160-163 sind diese Lehrslücke die Wiederkunfl Chrisli.
die Auferslehung des Fleisches, das JUngsle Gerichl sowie die ewige Seligkeit. Der .Zusatz" zu
diesen (in der Zweit3uOage der ..Glaubenslehre·') ist kein eigenes Lehrslück.
14 A.a.0.1J,418 (§ 159.2): vgl. 3.a.0. IIAI6f. (§ 159. LehrsalZ).
15 Hier selzen, völlig zu Recht, die Überlegungen von WEE8ER (2000) an.
16 Die Formulierung des Lehrsalzes in § 16 (SCHLElERMACtIER 11830/311 119601 1.107) Ilißt
mil dem zitierten Nachsatz zunächst noch offen, ob die größtmögliche Beslimmlheil eine der dar-
stellend belehrenden Redeweise inhärente Eigenschaft oder eine zusätzliche Qualifikation ist: s. S.
54 Anm. 44.
17 A.a.Q. 1,110 (§ 16. Zusatz). Diese Rückbindung unterscheidei fUr Schleiennacller a.9.0.
J.lll Dogmalik von Spekulation. Ein viertes, "besonderes Sprnchgebicl". das er mit Rückgriff auf
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46 Zweiter Teil
Allein wenn diese Sätze (sc. neutestamentliche Weissagungen bezüglich der Kirche]
auch nicht Glaubenssätze sind, insofern ihr Inhalt als unser Fassungsvennögen über-
steigend keine Beschreibung unseres wirklichen SelbstbewußlSeins ist: so stellt sich
die Sache doch anders, wenn wir I... ] dabei stehenbleiben. daß sie nichts von demje-
nigen enthalten dürfen. was in unsern jetzigen Zuständen von den Einwirkungen der
Welt heITÜhr1. Daß diese. auch weiter als die Mitwirkung eines jeden dazu reicht.
eingeschränkt werde. ist immer der Gegenstand unseres Gebetes. und die vollendete
Kirche ist sonach der Ür1 der vollständigen Erhörung desselben. l ,)
§ 16 als ..llia/~klisch" bezeichne!. erinncn durch seine ..Verwandlschafl mit der wissenschaftlichen
Tenninologie jener Gebiete (sc. der Philosophie]" (alle Zitale 0..0..0. 1.155 (§ 28.1 J) zwar an die
bewußtseinsunabhängige Spekulation. ist aber doch wohl eher als ein ideeller Grenzbegriff der
theologischen Rede gemeint und steht dem oben Gesagten also nicht entgegen.
18 Es ist daher verständlich. wenn HERMS (Im) 109-112 regelmäBig von ..Glaubensaussa-
gen" spricht. die Unterscheidung von Glaubens- und dogmatischen Sälzen überbrückend. Auch
WEEBER (2000) 29 macht den Unterschied zwar thematisch. schränkt seine Bedeutung aber sofon
ein und bez.ieht die Exklusion der Eschatologie aus dem Gebiet der Lehrsätze 0..3.0. 114f. 117f.
ebenso auf Glaubens- wie auf dogmatische Sätze.
19 SCIlLfIERMACHER (1830/311 (1960) IIA 10 (§ 157.2). Der Absatz schließt daher nur schein-
bar die Vollendung der Kirche 3US dem christlichen Selbstbewußlsein aus. wenn es zunächst heißt
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(11.11.0. 11,4(9): .Slrenggenommcn kann uns also auf unserm Standpunkl keine Lehre von der
Vollendung der Kirche entstehen, da unser christliches Selbstbcwußtsein geradezu nichts über
diesen uns ganz unbekannten Zustand aussagen kann:'
20 HERMS (1990) 11I verallgemeincn diesen Sachverhalt. wenn er ,,die gf'gem4'Örtige Per-
spektive des unmittelbaren Selbstbcwußtseins auf den ncxh ausstehenden Zustand" als ebenso real
begreift wie eine gegenwärtige Bestimmtheit, denn beide haben ,,denselben Gegenstand" (ebd.).
21 Entscheidend ist hicr. daß es, wie ..ein unfrommes Leugnen dcr Unsterblichkeit", so auch
ein •.ganz anderes (.sc. frommes 1 Entsagen auf die Fondaucr der Persönlichkeit" gibt (Zitate
SCmEIERMAOtER [18301311 [19601 11,412 [§ 158,11). Bewiesen wird also wiederum bloß das
mögliche Vorkommen solcher Vorstcllungen.
22 Zitate a.a.O. 11,413.413.415 (alle § 158,2). Der naheliegende Einwan<L der Unterschied zwi-
schen der allgemeinmenschlichen Natur und derjenigen Jesu. nämlich dessen Sündlosigkeit. besa-
ge gerade die Sterblichkeit der Menschen (wie der Tod ja durch die Sünde in die Welt gekommen
sei), ist als völlige Zerstörung der Schöpfung von Schleiennachers Sündenversländnis aus unvoll-
ziehbar (u,o. 11.415), da Sünde fUr ihn wie Irrtum (a.a.O. 15Of.11 7.31) immer nur am Wahre"
bestehen kann.
48 Zweiler Teil
23 Nur als Vermutung wird dies erwogen von WEEBF.R (2000) 161. Die ErKlärung von HERMS
(1990) 109 Anm. I. daß Sehleierrnachcr ..eher im mathematischen Sinn" von Wen spreche. wie
dies nach ihm ..erst wieder in der sprachanalytischen Philosophie des 20. Jahrhundens" der Fall
sei. scheint geKünstelt.
24 SCHLEIERMACllER {1830/311 (1960) [,114 (§ 17.2).
25 Ebd.
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g~rtständlidl Konkuus. wie es gegenwlittige Be.~innung chrisllicher 11lrologic auf das Judcnlum
ofl auffa&. FUr Schleicnnacher zählt dagegen unler das Sinnliche L8. auch das Sillliche (ebd.!).
Die beiden Beg.riffsgebriuche von Sinnlichkeil kurzzltSChlie8en. i~ das Problem des in vielen
Punklen reprisenlaliven Aufsalzcs von STEIGER (1994) 3 13 U.O.
34 SCtILEIERMACHEJI. 117991 (1958) 30_
35 Zilale DERS. 1183CV311 (1960) 1,33.33.34 (alle § 5.2). Das Verhältnis der Religion zu WiS5Cn
und Tun priglt ja durchgingig Schleiermachers ..Reden~ '"on 1799.
J6 Zitale lI.LO. 1.35 (§ 5.3).
52 Zweiter Teil
schließt",J1 hervorbringt. Der hier genannte Gegensatz ist jedoch nicht der
des mannigfahigen Einzelnen im sinnlichen Selbstbewußtsein wie in § 5.3.
sondern der von Lust und Unlust, unter dem alles sinnliche Selbstbewußt-
sein steht. Beide Gegensätze sind zu unterscheiden. Angenommen, die Ge-
gensätze von Lust versus Unlust und Einheil versus Mannigfaltigkeit seien
gleichzusetzen, so entsteht der Eindruck. Schleiennaeher begreife die Se-
ligkeit als ...Lust'. religiös qualifizien als sündloses Leben", und kraft der
angenommenen Gleichsetzung zudem als Ausschluß des Mannigfaltigen.
also der Trübung der Seligkeit durch die ..,Unlust' [... J, religiös qualifiziert
als sündiges Leben".31 Mit diesem Ausschluß des Mannigfaltigen wäre aber
der Widerstreit von universeller (§ 157) und individueller (§ 158) Es-
chatologie im Sinne ersterer gelöst. es bliebe ein identisches GesamtbUd
universeller Seligkeit zurück, also die Apokatastasis, die sich dann auch als
Bestimmung des unmittelbaren Selbstbewußtseins auf einen dogmatischen
Lehrsatz bringen ließe. Auch diese Interpretation, die sich mit der bereits
erwähnten, auf das Stichwort der Vergeistigung hinauslaufenden, berühren
J9
kann, ist schon kurz nach Schleiermacher nachweisbar.
Gegen sie steht jedoch. daß Schleiermacher selbst es ausdrücklich ab·
weist. den Gegensatz der zwei Stufen von Selbstbewußtsein mit demjenigen
von Lust und Unlust kongruent zu setzcn.40 Schleiermacher begreift die
Seligkeit daher präziser nicht als Lust. sondern als "Leichtigkeit frommer
Erregungen als beharrlichen Zustand,,41 - eine bedenkenswerte Formulie·
rung. weil sie die Möglichkeit einschließt, daß fromme Erregungen auch
andere Empfindungen als solche der Lust auslösen können.
c) Regulative Eschatologie bei Schleiern/aeher? Zugleich macht diese
Formulierung aber auch klar, warum es durchaus sinnvoll war, ein, wenn-
gleich bloß gedachtes, höchstes Selbstbewußtsein "an und für sich" von
aller Sinnlichkeit abzulösen, das sich selbst immer gleich bleibt. Denn die-
ses reine Gedankending vermag zu erklären, daß die Frömmigkeit zwie-
spältige Empfindungen mit sich bringt, eben weil sie auf zwiespältige, der
umfassenden Einheit bedürftige, sinnliche Bewußtseinszustände, so zu sa-
gen, "aufgetragen" wird. Dies zu erläutern, ist der Gedanke eines völlig un-
sinnlichen höchsten Selbstbewußtseins nötig. Wie ihm jedoch keine objek-
tive Realität vindiziert werden kann - dies wäre die Apokatastasis -, so ist
es nicht einmal möglich, ihm den Status einer regulativen Idee zuzuschrei·
ben, die zumindest als ideelles Ziel der Theologie immer wieder die Ge-
samtausrichtung vorgibt. Auch diese an kanlischem Denken geschulle Auf-
fassung hat im Gefolge Schleiermachers ihre ehrbare Tradition entfaltet. 42
Sie ist für Schleiermacher jedoch deshalb unannehmbar, weil ein Selbstbe-
wußtsein abgelöst von aller Sinnlichkeit gar kein Ziel, auch kein ideelles,
darstellen kann, denn ein derartiges reines Gedankending würde aJlerdings
"ein unvollkommner Zustand sein; denn es würde ihm die Begrenztheit und
Klarheit fehlen, welche aus der Beziehung auf die Bestimmtheit des sinnli-
chen Selbstbewußtseins entsteht",43 Damit ist ausgesprochen. daß die Be-
stimmtheit des unmittelbaren Selbstbewußtseins in seinem das Einzelne zur
Einheit und Totalität zusammenfassenden Bezug auf das sinnliche Selbst-
bewußtsein besteht und daß eine vom Sinnlichen abgelöste Eschatologie
nicht Schleiermachers Konzept von Dogmatik entspräche.
Aus diesen Rezeptionen VOll Schleiermachers Eschatologie wird deut·
lich, daß eine lehrbare Eschatologie die Aufgabe hätte, die im chrisl1ich
frommen Selbstbewußtsein enthaltenen Zukunftserwartungen in einem um-
fassenden Gesamtbild zu bestimmen. Dieses Ergebnis kann nun angewandt
werden auf unsere Ausgangsfrage nach der Bestimmtheit dogmatischer Sät-
ze, d.h. nach dem Wert von Lehrsiitzen, und damit auch nach dem Wert der
eschatologischen Sätze. Dogmatische Sätze als bestimmte Erklärung der in
rednerischen und dichterischen Glaubenssätzen vorkommenden Bilder er-
streben nicht deren Eliminierung, sondern die Zusammenfassung ihrer ein-
zelnen Bilder zu einem, die Mannigfahigkeit als Einheit und Totalität erklä-
renden Gesamtbild, Wenn sich in Glaubenssätzen bild liehe Ausdrücke einer
solchen umfassenden Einheit entziehen und als partikulare, disparate Bilder
54 ZweilerTeil
Abv.·6chungcn zwischen Erst· u.nd Z...~il.usgabe berikkJichtigi WEEBF..R (2000): LO. 1.1.0.
113.121. htera.a.O. 115f. Anm. 412.
56 ZweilerTeil
diesen uns ganz unbekannten Zustand aussagen kann" bzw. daß das. "was
die Apostel darüber sagen, nur als Ahndung und mit dem Geständnis eines
Mangels an bestimmter Erkenntnis ausgesprochen" sei.so Dennoch kann
man diese Einwände den Bedenken gegen die vier prophetischen Lehrstük-
ke nicht gleichstellen. Denn bei persönlicher Fondauer und Vollendung der
Kirche ergibt sich die mangelnde Bestimmtheit einfach dadurch, daß sie
den größten gemeinsamen Nenner der eschatologischen SälZe, ihre umfas·
sende Einheit. nicht abgeben können. immerhin aber überhaupt jeweils ei-
nen gemeinsamen Nenner bilden. der verschiedene Topoi der Eschatologie
lusammenfaßt. Vollendung der Kirche und persönliche Fortdauer können
daher in einer wenigstens gradweisen Bestimmtheit die Aufgabe der Es-
chatologie eingrenzen, was die vier prophetischen Lehrstücke nicht vennö-
gen. M.a.W. die Themen einer Vollendung der Kirche sowie einer persönli-
chen Fondauer haben nicht die Bestimmtheit dogmatischer Sätze, sondern
nur eine panikulare Bestimmtheit. Diese Partikularität ist das Höchste. was
sich im Sinne Schleiennaehers dogmatisch über die Eschatologie sagen
läßt. Sie ist der Gipfel und die Grenze, von wo aus die Eschatologie in das
Land der dogmatischen Sätze wohl hineinblicken, das sie aber nicht betre-
ten kann. Durch diese Grenze ist die Panikularität scharf geschieden von
der Individualität; denn diese ist der Allheit faltig, jene nicht. Ja, die Vor-
stellung, daß in einem Einzelnen das All gegeben ist, kennzeichnet im Kon-
zept des individuellen Allgemeinen gerade Schleiennaehers Denken, wäh-
rend das Partikulare ebenso charakteristischerweise ohne diesen Bezug auf
die Allheit bleibt.
Das Herz von Schleiennaehers Erwägungen zur Eschatologie liegt im
Aufdecken dieser Panikularität, im Nachweis eines eschatologischen Di-
lemmas von Individual- und Universaleschatologie. Entwicklung und Ver-
geltung. Daß tatsächlich diese Zweipoligkeit, der dilemmatische Charakter,
Kern von Schleiermachers Ausführungen ist und nicht etwa die Unbe-
stimmtheit und Undurchführbarkeit schon eines jeden einzelnen Satzes der
Eschatologie, spricht Schleiermacher in dem Zusatz aus, den er in der
Zweitauflage der "Glaubenslehre" seiner gesamten durchgefühnen Es-
chatologie angefügt hae 1
Indem dieser Passus sich im ersten Kolon der Protasis ("Wenngleich ...")
implizit auf § 159 rück bezieht und im zweiten ("und wenn auch ...") auf die
Ergänzung dieses Paragraphen in der Zweitausgabe der "Glaubenslehre",
macht er abschließend deutlich. daß Schleiermacher die Eschatologie nicht
einfach als problematisch begreift, sondern im präzisen Sinne von Zweipo-
ligkeit als dilemmatisch, weil, wie die vorstehenden Analysen gezeigt ha-
ben. Individual- und Universaleschatologie ebenso partikular bleiben wte
der Entwicklungs- und der Vergeltungsbegriff.
sieHt. die Zusammenfügung zu ..t'intm sinnlichen Ganzen" zuschreibt. leistet diese Vereinheitli-
chung im dogmatischen Sinne 3usweislich ihrer Einzeldarstellung in § 160 nicht.
52 A.a.a. 11,439 (Zusalz nach § 163).
53 A.a.a. 11,411.416.424.427 (§§ 158.1: 158.3: 161.1; 161.2). Die erste Stelle konstatiert das
Überwiegen des Auferstehungsglaubens im antiken Judentum: dabei richtet sich die zweite gegen
sinnlich verstandene Fortdauer der Person. d.h. gegen materiale Identität des irdischen mit dem
AufeTStehungslcib. während die drille dem Judentum eine irgend wie geanete Identität beider kon-
zediert. Die vierte weist die Vorstellung von einem "verringerten Leben in der Unterwelt". also der
ScheoJ. ab.
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58 Zweiter Teil
54 A.a.O. 11.416.427.
55 A.a.O. 1.110.
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56 A.a.O. 1.56 (§ 8.4). Bereits § 7(.3) skht die Annahme:. daß es neben dem Christentum ..an-
dere. aber auf gleicher Entwicklungsstufe mit ihm stehende" Religionen gibc••.nicht im Wider-
spruch mil der bei jedem ChriSien vorauS"Luselzendcn Überzeugung von der ausschlk8c:nden Vor-
trtffiichkeit des Quistentums" (l.a.O. 1.50).
57 ur anzumerken iS!. daß SchleiemlaChcrs gegenüber der Tradition neuanigc Z\lo-eiteiJung
lkr GOlleslehrc diesen beiden Momenten enlSpricht. wenn §§ 53-55 die AIJeigenschaften Goues
behandeln (Allgegcnwan. Allnuchl. Allwissenheit) und §§ 164-169 die Eigenschaften. die sich
aus seiner rinhritlichul WeltTCgicrung ergeben. wie § 164<.3) als EinkilUng zu den Paragraphen
über Gones Liebe und Weishcil ~lont (.I.LO. 11.443(.).
58 Zilate u.O. 1.5 1.52.52 (alle § 8.1).
60 Zweiter Teil
ten davon (Vollendung der Kirche, persönliche Fortdauer): damit bleibt sie
durch jüdische Einnüsse geprägt. Sie kann es nicht zur vollendeten Christ-
lichkeit bringen, weil dieses für Schleiennacher ja bedeutet, daß das cha-
rakteristisch Christliche immer reiner ausgeprägt und damit andersreligiö-
ser, also auch und gerade jüdischer Einnuß, ausgeschieden wird. Man
könnte demnach zuspitzend, doch durchaus treffend formulieren, daß
Schleiennacher die Eschatologie letztendlich als ein jüdisches Stückwerk
kritisiert. 63
Wir können somit als Ergebnis unserer Analyse festhalten, daß Schlei-
ennachers Kritik, die Eschatologie bleibe in dogmatischer Hinsicht ein par-
tikulares Unterfangen, seiner Wahrnehmung des Judentums genau ent-
spricht: Auch das Judemum zeichnet sich ihmzufolge als partikulare, auf
das eigene Volk beschränkte Gestalt der Religion aus, die einer Eingliede-
rung in das umfassende Ganze der christlichen Religion nicht fahig ist. 64
Nur anzumerken ist, daß Schleiermacher das Judentum bereits 1799 sowohl
theologisch wie gesellschaftlich als eine partikularistische Religionsgestalt
wahrgenommen hat. In den "Reden" von 1799 charakterisiert er das Ju-
denlUm durch das Bewußtsein "einer allgemeinen unmittelbaren Vergel-
tung", d.h. ,.einer eigenen Reaktion des Unendlichen gegen Jedes einzelne
Endliche".6s Wenn auch diese Bestimmung des Judentums als "Vergel-
tungsreligion" bei Schleierrnacher nicht den pejorativen Sinn des vermeint-
lich zornigen Rachegottes hat, den dieser Ausdruck später unter falschlicher
Berufung auf Ex 21.23 gewann, so impliziert Schleiennacher doch eine
kritische Wertung, da eine eigene göttliche Reakt'ion auf jedes endliche We-
sen ,.nur auf einen kleinen Schauplatz ohne Verwickelungen,,66 anwendbar
sei - also die partikularistische Beschränkung des Religiösen auf das eigene
Volk mir sich bringe. Auch Schleierrnachers zeitgleicher Vorschlag. die
Emanzipation der Juden nicht an die Taufe als gesellschaftliches .,Entree-
billet" (H. Heine) zu koppeln, sondern öffentlich-rechtliche Körperschaften
- vergleichbar den christlichen Konfessionen - für solche Strömungen im
63 Die Krilik an einer versinnlichenden Eschatologie. wofür der Islam SIeht. hat nicht densel·
ben Rang. da sie nichl in den grundlegenden Paragraphen. sondern nur bei den vier einzelnen
Lehrslücken geäußen wird.
64 BECKMANN (2002) krilisien Schleiennacher v.a. dafür. daß er aufgrund der ..Prämissen sei-
ner Theologie slringcnt" (a.a.O. 101) •.ein spezifisches. singuläres Verhällnis" (a.8.0. 94) des
Christentums zum Judenlum bestreiten muß. M.E. kennl Schleiennacher ein solches. freilich eher
negalives. durchaus, wenn er das Judenlum als Religion der Panikulariläl vom Islam unlerschci·
deI.
65 Zilale SCm.EIERMACUER 117991 (1958) 160.
66 Ebd.
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62 Zweiler Teil
eher hat daher Christus, den ..Gipfel" der Weissagung, zugleich als deren
"Ende" verstanden zumindest im Sinne der "Vorhersagung" zufalliger Be-
gebenheiten; diese sei das Kennzeichen des (alttestamentlichen) Judentums
gewesen. 70 Tatsächlich haben derartige, auch begrifflich griffige Gegen-
überstellungen einer jüdischen und einer christlichen Art von Weissagung
bald nach Schleiermacher Furore gemacht, so daß hinreichend dichte Bele-
ge gegeben sind, um von einem Wahmehmungsschema zu sprechen. 71 Das
Problem liegt dabei nicht allein in der polaren Zuordnung von Weissa-
gungsbegrifflichkeiten an Judentum bzw. Christentum, wofür das Schema
von Verheißung und Erfüllung nur das exponierteste Beispiel wäre. Die
Tatsache, daß derartige Begriffspaare aus Binnendifferenzierungen des
Weissagungskonzeptes hervorgehen, wie bei Schleiennaeher noch klar zu
beobachten, zeigt vielmehr, daß die Frage nach dem "Ende" der Weissa-
gung eine Anfrage an das christlich-theologische Verständnis von Verhei-
ßung als solcher ist; m.a.W. was Verheißung ist, kann nicht erst durch den
Bezug au/ihre Eifül/ung (oder ihr "Ende") bestimmt werden. Damit ist ein
Kemproblem christlicher Eschatologie in ihrem Verhältnis zum Judentum
benannt, das im folgenden noch genauerer Untersuchung bedarf.
Wie das Konzept der Weissagung durch das der Erfüllung zu einem polaren
Wahmehmungsschema ergänzt werden kann, so verbindet sich der Begriff
der Partikularität oftmals mit dem der Universalität zu einem Schema, das
bis weit in landläufige Antijudaismen und Antisemitismen hinein nachzu-
wirken vermag. Daß dabei dem Judentum ebensosehr Nationalismus, also
übersteigerte Partikularität, wie angemaßte Universalität, etwa im Topos
der Weltverschwörung, nachgesagt wird, deutet an, wie auch hier der Kern
des Problems nicht in der (im Extremfall eben auch austauschbaren) Zuord-
nung an Judentum und Christentum, sondern im Konzept von Partikularität
(und Universalität) selbst liegt
Dieses Konzept sei darum nun an seinem wohl wirkungsvollsten escha-
tologiegeschichtlichen Ort untersucht; in der Debatte, die in sachlich, zeit-
lich und räumlich recht engem Anschluß an Schleiennaeher unter den
Schülern seines großen Berliner Philosophenkollegen stattfand:
72 Dies sind die bei MARIlE.INE,KE (1827) drei Lclzlcn Dinge: Aufcrstchung (§§ 602--6(7).
JUngster Tag (§§ 608-611) und Gericht (§§ 612--615).
73 A.a.O. 383 (§ 596).
74 A.a.O. 396 (§ 600).
7.5 Die Differenz zwlschen diesen bciden Ve~ändnissc:n von Unsterblichkeil prägt in der Ei·
chalologiegeschichte des 20. Jh. den Streil zwischen P. Althaus und C. Stange. $. Exkurs 7 (S.
199f.).
76 Für CORNEUL (1971) 284 ist daher der ..sachliche Enrag der UnsterblichkeilSdeballe"' das
VertWtnis von Individuum und Gauu"g, das dem von Einzelnem und Allgemeinem entspricht, da
es um kein besrimmtes Einzelnes, sondem das Einzelne überhaupc geht (vg!. 1.1.0. 288 Anm. 3:
291 Anm. 8). Comehl z~ht allerdings die. univcrsaleschatologischen Te),le. dK nach dem eigentli-
chen Streit erscheinen (s.u.). nicht mehr heran.
77 Zitat RICmER (1833/44) 1.238.
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66 Zweiter Teil
viduelles in seinem Bezug zum Allgemeinen. Unsterblich ist das Individuelle dem-
nach nicht qua Natur, sondern nur, sofern dieser Bezug besteht. Weiße vertritt damit
eine bedingte Unsterblichkeit: Nur die im bewußten Gottesverhältnis stehende Seele
ist unsterblich. die Seele als solche ist endlicher Geist, Unsterblichkeit ist also kein
eigenschaftlicher Besitz der Seele, sondern etwas. das ihr passiv widerfahrt; Unsterb-
lichkeit der Seele ist ihr Gedachtwordensein vom ewigen Gcist.8~ Weißes Kritik an
Richters Universalisierung des Diesseits läßt sich damit auf den Nenner bringen, daß
rur Richter dem Individuum Unsterblichkeit zukommt. fijr Weiße dagegen dem Un·
sterblichen Individualität.86 Damit ist die Richtungsumkehr, die wir al~ Richters ent-
scheidendes Argument erkannten. wieder exakt zurückgenommen.
Ähnlich wie Richter hat auch Weiße seine Position späler auf die theologische
Universaleschatologie ausgedehnt. Dabei geht er nicht vom Individuum, sondern der
menschlichen Ganung aus und konstatiert deren ursprüngliche Unsterblichkeit. 87 Der
Eintritt des Todes durch den Sündenfall sei präzise der Tod der allgemeinen Unster~
lichkeit, die zwar fortan noch als Möglichkeit rur alle Menschen Geltung habe. 88
wirklich aber nur rur die bei Lebzeiten zu Christus bekehrten Einzelnen sei. Das Ver-
hältnis zwischen Individuum und Allgemeinheit wird hier durch die eschatologische
Lehre vom Zwischenzustand ausgedruckt. die die allmähliche Wiederherstellung all-
gemeiner Unsterblichkeit bewerkstellige. also die Aufbewahrung und Summierung
der seligen Einzelnen zur seligen Gesamtheit. Bemerkenswerterweise nimmt Weiße
mit diesem Konzept einen ebenso unproblematischen Zusammenhang von Einzelnem
und Universellem an wie sein Antipode Richter: Die seligen Einzelnen werden im
Zwischenzustand einfach aufbewahrt und zusammengezählt zur Allgemeinheil. Ent-
sprechend versteht Weiße die Ewigkeit der Unsterblichkeit ausdrücklich als eine nach
der Zeit beginnende, endlose Zeil.89
4. Unbedingte Unsterblichkeit. Ähnlich wie Weiße argumentiert auch der zeitwei-
se als Sprecher der Hegelschule auftretende Jurist CARl FRIEDRICH GÖSCHEl gegen
das substanzmetaphysische Konzept einer unsterblichen Person mit einem im Sinne
Hegels dialektischen Verständnis persönlicher Unsterblichkeit. die sich nur im Bezug
des Individuellen zum Allgemeinen. des Endlichen zum Absoluten ereignet. Anders
als Weiße legt Göschel den Akzent jedoch nicht auf die Individualisierung des All-
gemeinen im Gedachtwerden des endlichen vom unendlichen Geist. also nicht auf die
Antithese der Dialektik. sondern auf die Herstellung eines Bezugs dieses Endlichen
85 A.a.Q. 41: ..nichl ein Wissen der Individuen von sich oder von dem Weltinhahe [... J, son-
dem ein Wissen des absoluten Geisles von dem Geiste": von MÜLLER (1835) 724 ols unhegelisch
kritisien. Ähnliche Gedonken prägen im 2Ü. Jh. das Konzept einer Unsterblichkeitols Weiterleben
in Gottes Gedächtnis.
86 WElSSE (1834) 36: ..Nicht mehr so wird diese Frage fernerhin zu stellen seyn: ob der
menschlichen Persönlichkeil und Individualiläl Unsterblichkeit, sondern vielmehr so. ob dem
UnSLCrblichcn menschliche Individualität und Persönlichkeill.ukomme."
87 DERS. (1836) 282-289.
88 A.a.O. 322. Weiße nähen sich damil der vomegelianischen Position des frühen MAR-
IfEINEKE (1819) an. der in Anlehnung an Kanl die Unsterblichkeit in §§ 726.730 apper-I.eptions-
ttlCorelisch begründet haue.
89 WElSSE (1834) 45.
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zum Allgemeinen, also die Synthese als den dritten Schritl; ja, Göschel will die all-
gemeine Unsterblichkeit der menschlichen Seele charakteristischerweise ausschließ-
lich allS der Triplizität ihres Begriffes erweisen. Dazu unlerscheidel er analog zu
Kanls Einteilung der GOllesbeweise in kosmologische, teleologische und onlologi-
sche dreierlei Unsterblichkeitsbeweise, von denen keiner in dogmalischem Sinne. d.h.
fur sich genommen beweiskräftig isl; der spekulalive Durchgang durch alle drei je-
doch beweisl die Unsterblichkeil in Übereinslimmung mit dem historischen Beweis e
consensu genlium.90 Auf dieser Linie nun hai Göschei, ähnlich wie Richter und Wei-
ße. in einem nach der hegelianischen Schuldebaue erschienenen und darum wenig
beachteten Beilrag .Zur Lehre von den letzten Dingen"\ll sein Konzept individueller
Unsterblichkeil auf die Universaleschalologie angewandt. Das Buch ist eine ent-
schlossene Verteidigung der Lehre vom Zwischenzustand,\l2 der als ein Letztes bereits
die eschatologische Universalisierung des Individuums in seinem Verhältnis zum
Ewigen beinhaltet. zugleich aber auch noch auf das Allerletzte. den Abschluß der
Universalisierung aller lndividuen. zugehl. 93 Während also auf individuales·
chatologischer Ebene der Leib als der Weltbezug der Seele verstanden wird. den sie
in der Auferslehung zurückerhält. so beSlehl auf universaleschatologischer Ebene der
Weltbezug in der Gesamtheit aller Einzelnen, die sich durch den Zwischenzusland bis
hin zum Tode aller Einzelnen wieder vervollständigt.\14 Zwischen Einzelnem und Ge-
samtheit bestehl so das Analogieverhälmis von Mikro-- zu Makrokosmos,\I~ das
Göschel u.a. auch mil dem Verhältnis des jüdischen Sabbat zum chrisllichen Sonntag
parallelisieren kann.\16 Göschei zeigl damit dasselbe Charakterislikum wie Richler und
Weiße, obwohl alle in der Unstcrblichkeitsfrage Slark voneinander abweichen.\I1
68 Zweiter Teil
3. Problemgeschichtlicher Ertrag
98 Das Verhältnis beider hält auch CORNEIIL (1971) 293f. fUr das SachprobJem der Debatte.
99 SCIiLEIEMMACHER 11830/311 (1960) 11.440 (Zusatz nach § (63).
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100 Ersteres ist die Grundthesc von WEE8ER (2000) 110 u.ö.. der dabei jedoch mit zweilerem
einen Vorläurer hat in MARTENSEN (1856) 426 (§ 213 Anm.).
101 Für jenes vg1. SCHLEIERMACIIER [1830{31] (1960) 1.119 (§ 19), rur dieses OCRS. 118301
(1910) 2 (§ 3).
102 WEEBF.Jl. (2000) 38.
103 In der Tal kennt Schleiermachcr ein nur nliherungsweise erreichbares Sprachgebiet ohne
jeden Einfluß von DichTung und Rede. doch ist dieses nicht das dogmatische. sondern das dialekti-
sche. das der philosophischen Spekulation zugehön und als solches von der Dogmatik streng zu
unTerscheiden iSI (5. S. 45 Anm. 17). Es hai eine ähnliche Slellung wie das von allem Sinnlichen
abgelöste Sclbslbewußtscin (5. Kap. 11.1.1. hier S. 53).
104 Besonders wirksam BARm (1947) 522r.
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70 Zweiter Teil
105 GRAF (2001) 727 nennl neben diesen Punkten noch die Venniltlung zwischen •.Iiberal"
und ..konservaliv".
106 Sleffens. schon 1799 unter den ruhrenden Köpfen der deutschen Romaßlik zu finden. er-
langt in Breslau 18t3 Berühmtheit. als er noch vor dem König zum Befreiungskrieg gegen Napo-
leon ruft. Er wendet sich am selben On jedoch 1819 von der Nalionalidee der Tumerbewegung ab
und SUChl seine Naturphilosophie stau dessen religiös zu entfallen. wobei er. der von Hause aus
Refonniene. nunmehr gegen die preußische Union die Panei der schlesischen Ahluthernner er-
greift. Der wichtige theologische Impulsgeber der Vennittlungstheologen ist also kirchenge-
schichtlieh keiner der Ihren; das Invotulionskonzept entwickelt er im Anschluß an Schelling.
11. Friedrich Schleiermachers eschatologisches Dilemma 71
innerlichung (Involution), d.h. ihre Organisationsfahigkeit richtet sich auf kein positiv
gegebenes Organ. sondern auf sie selbsl. I07 Die Involution ist demnach zugleich der
Grund rur die Auferstehung des Leibes. in der die Seele kraft dieser Organisalionsfa·
higkeit ein solches Organ ausbildet. das dann mit dem im Tode verlorenen Leib nichl
identisch zu sein braucht. Deswegen implizien die vermiulungslheologische Involuti-
onslehre die Auferstehung des Leibes. während sie eine Auferstehung des Aeisches
zumeist explizit abweist. 108 Stau ihrer denkt sie Seele und Leib zusammen als Orga·
lIisariofl der Seele oJme Organ. - Entsprechendes ergibt sich ftir die Frage nach Got-
les Willen und menschlicher Freiheit. Gottes Wille müßte rur sich betrachtet zur ewi-
gen Durchsetzung des Guten gegen alles Böse führen. so daß der Mensch zu seinem
Heil gezwungen würde. Menschliche Freiheit für sich genommen ließe dagegen das
Böse gegen alles Gute die Oberhand behalten. so daß die Sünde in Ewigkeit über
Gottes Willen triumphieren müßte. 109 Eine Vermittlung iSI hier nur so denkbar, daß
das Gute mit dem Bösen zugleich verewigt wird; dies ist aber nur hypothetisch mög-
lich. IIO D.h. die Durchsetzung des Gulen ist nur als Intention zu beschreiben; eine
ewige Durc,hsetzung des Bösen muß daneben als hypolhetische Möglichkeit ange-
nommen werden. damit die Durchsetzung des Guten nicht zwanghaft. sondern als
freie Entscheidung des Menschen gegen das Böse geschieht. 111 Das Böse wird also
eschatologisch erhalten mit der Inlention seiner Hinkehr zum Guten. und deswegen
kann die Vermiulungstheologie die Möglichkeit einer Bekehrung des Bösen zum
Guten nie ausschließen, auch nicht für die postmortale Existenz des Menschen. 112
107 Auf Sleffens greifen zurück KLING (1846) 105: MARTENSEN (1856) 431 (§ 276): ..das
Todlenrcieh iSI das Reich der Innerlichkeir' samt Zitat von Steffens. den Manensen persönlich
kannte; GERLACH (1869) 88r. 76: .nin zustöndliche uiblkhkeif': DoRNER (1879/80) 11.955 mit
Zitat von Sleffens und Manensen: daneben noch KERN (1840) 115. NrrLSCll (1851) 408 (§ 217
Anm. 2) mit der Annahme einer ..Wiederverleiblichungsrlihigkeit" erinnert auch stark an Steffens.
108 So GERLACU (1869) 97. Anders LANGE (1841) 234f.. doch mit ähnlichen Interessen.
109 Z.B. MARTENSEN (1856) 450 (§ 286).
110 Paradigmatisch NrrLSCH (1851) 417 (§ 220 Anm.••). der seine gesamte materiale Dog-
matik einteilt nach dem Guten. dem Bösen und dem Heil als der Dun::hsetzung des Guten gegen
das Böse: ..Die Thesis der gÖlIliehen allgemeinen Gnade strebt, nachdem sie selbst ihre Antithesis
in der Selbstbestimmung des Menschen gesetzt hat. zur Synthese der Freiheit und Seligkeit der
Kinder Goues in ihrem ganzen Reiche hin. Der Antithese wegen. da das Moment der Willkühr
Bedingung der freien Entwicklung iSI. bleibt zwar die ewige Verdammniß oder ckr andere Tod die
nOlhwendige Hypothese: allein die Ur.;prUnglichkeit der 1öesis steIlI ihr ebenso IlOIhwendig eine
Hypothese des allgemeinen Seligwerdens enlgegen. Mitten in der Zeit und Geschichte kann kein
Dogmatismus geduldei werden. der die eine oder andre Hypothese zum absoluten Satze erheben
wollte." Sodann MARlCNSEN (1856) 455 (§ 288); DQRNER (1879180) 11.968.971 (§ 154.5f.). -
ÖLSNER (1929) 51 kritisiert den venniltlungstheologiscnen Ansatz bei GUI und Böse. da so die
Ethik Grundlage der Dogmatik werde.
111 So neben Nrrzscll (1851) 411 (§ 219): •.keine erzwungene Heiligkeit" auch DoRNER
(1879180) 11.968 (§ 154,5) und schon 3.a.O. 11.917. Das Argument der menschlichen Freiheit ist
auch rur LANGE (1841) 272f. und GERLACH (1869) I59f. zentral. die beide freilich eher die Reali·
tät der Verdammnis annehmen.
112 NrrzscH (185t) 417 (§ 220) zur ewigen Verd:munnis als Postulat neben dem universellen
Gnadenwillen GOlles; DQRNER (1879180) tl,968: ewige Verdammnis kommt dann bloß .Jider
langer Unseligkeit" gleich.
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72 Zweiter Teil
Eben wegen dieser eschalologischen Inlentionaliläl des Bösen ist seme Bekehrung
aber nicht als aktives Tun des Menschen zu verSlehen.
An dieser Stelle nun berühren sich die Vermittlungen der beiden Gestalten von
Schleiermachers Dilemma. denn mit der hypothetischen Koexislenz von Gut und
Böse wird aus den ewigen Zusländen ein Millelzustand. dem weder Seligkeit noch
Verdammnis klar zugeordnet werden kann. Die Eschalologie handelt damil nicht
mehr von der Ewigkeit. sondern dem Interim zwischen Zeit und Ewigkeit. also von
dem. was im Blick auf die erste Gestalt von Schleiermachers Dilemma Zwischenzu-
Sland hieß. Und wie rur den Zwischenzustand zwischen dem Tod des Einzelnen und
der Auferstehung Aller die Lehre von der Involution auf das Konzept einer Organisa-
lion der Seele ohne Organ fUhrte. so ergibl sich ftir den MiUelzustand zwischen Se-
ligkeit und Verdammnis durch die Annahme einer postmortalen Bekehrung der Bösen
die Vorstellung einer Tätigkeit des Menschen ohne Tun. lu Beide Konzepte. die Orga-
nisalion ohne Organ im Zwischenzustand und die Tätigkeit ohne Tun im MiUelzu·
stand, ergeben sich unmittelbar. wenn die Involution vorausgesetzl wird; und dieser
Zusammenhang erklärt sich daher, daß Zwischen- und Mittelzusland. obwohl in ih·
rem Sinn unterscheidbar, sachlich dasselbe bezeichnen. Die Aussagen über Zwi·
schen- und Miuelzustand müssen daher kompatibel miteinander sein. 114 und tatsäch-
lich weisen sie im Fall der Vermilliungstheologie auf dieselbe Sache hin. nämlich
darauf. daß der Mensch als Objekt der Eschatologie nicht in der Allemative von Seele
und Leib (Zwischenzusland). von Aktiv und Passiv (Milleizustand) aufgeht.
In diesem Problem einer theologischen Anthropologie Iiegl auch die Brisanz der
vermiulungstheologischen Eschatologie ftir die Frage nach der Wahrnehmung des
Judentums. Denn ISAAK AUGUST DoRNER sieht als ein ftihrender Vertreter dieser
Eschatologie den Ursprung christlicher Eschatologie gerade in der Spannkraft, die
zwischen Seele und Leib einen Zwischenzustand, zwischen Aktiv und Passiv einen
Miuelzustand setzt. grundsätzlich gesprochen: die das Auftreten des Messias und das
damit verbundene Ende aller Dinge auf die zwei Parusien Christi, historisch und zu-
künftig. verteilt - im Gegensatz zum Judentum. das beides nur in eins fallend denken
könne. 1lj
113 Den Zusammenhang beider Gedanken erkennt man bei KLING (1846) 105. der auf dic In-
volution unmittelbar aus Anlaß möglicher Bekchrung im Jenseits zu sprechen kommt. und zwar
mit Hilfe des Gleichnisses vom armen Mann und reichen Lazarus. Kling zufolge können die Gc-
rechten ihr Lichl in die Unlerwell der Ungcrechtcn Icuchten lassen und sic so reUen (ebd.).
114 Nicht so bei A. ALTIlAUS. Er argumentiert "im Rückschlusse von dem Endgericht aus"
(DERS. [1856/571 109) ftlr einen Zwischcnzusland. in dem die Sccle die ..hier unterbrochene Iieili-
gung" (a.a.O. 28) fort.sc:tzt. Zugleich bestreilet cr aber cinen ..Millcl[zu]stand" (a.a.O. 20). weil
"dic große Entscheidung über entweder selig oder verdammt" (a.a.O. 35. außer "fl1r die abgcschie-
denen Heiden") im Zwischenzustand schon real sei (3.a.0. 21) und nur noch der Vollendung be-
dürfe. indem daran •.auch der Leib theilnehmen" solle (a.a.O. 92). Einer solchen Iieiligung der
Seligcn. bzw. "Ialnderscils" Enthcil.igung dcr Unseligen. jeweils •.bis zu deren äußerstem Gradc"
(Zitate a.a.O. 110) widerspricht freilich. daß Althaus ..Grade der Herrlichkcit" (a.a.O. 95. Original
gesperrt) lehn. Sein Problem ist. daß dic Angel seiner Argumenl8lion zugleich deren Beslaooleil
ist. das Gericht zuglcich hypothelisch und real gedacht wird.
115 DQRNER (1879180) 11,920.
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116 Anders freilich A. SCHWEIZER. der K. BARTH 1Iis Inbegriff des Vermiulungslheologen gilt
(oeRs. 119471 516). Versieht die Vennilliungslheologie Eschatologie als hypothetische Einheit der
Du:t1itäten von Schleiennachcrs Dilemma. so akzenlUiert SCHWEIZER umgekehrt. die Eschatologie
sei "von judaisircnden Vorslcl1ungen zu befreien, namentlich vom finalen Dualismus" des dop-
pelten Ausgangs beim Jüngslen Gerichl (OeRs. (1863n21 Ilfl,377 ILeitsalz zu § 198]). So komml
Schweizer negll.liv zur Abrogalion der jüdischen Eschatologie 1I1s dualistischer Gesctzesn::1igion
(a.a.O. 11/2,392f. [§ 200,21) und positiv zur dogmatischen Behauplung der Apokalastasis (a.a.O.
1I12,409f. (§ 202.21). -In diesem apokatllstlltischen .Ftuchtpunkl", an dem Theologie mil Philoso-
phie .,ineins {"dllt", sehe ich mit BAUMGARTNER (1991) 143 (Zilate) Schweizers Schwäche.
117 So 2..8. SCIlMtDT(1868f70) 11.457; MARTENSEN (1856)425 (§ 273 Anm.).
118 Der Realismus der Eschatologie beschäfligl v.a. GeRLACH (1869) und LANGE (1841), die
ihn doppelt abgrenzen: Gerlach gegen SchJeiennachers Spirilualismus und allprolcslantischen
Materialismus (a.a.O. 8.10 bzw. 116), Lange gegen ungläubigen Rationlilismus und abergläubi-
schen Sainl-Simonismus (a.a.O. 27 bzw. 24-26).
119 Besonders KUNG (1846) unterscheidei die Involutionslehre von der traditionellen Vierzahl
der Eschata als allgemeine Voraussclzungen von spezifischen LehrgegenSländen, bellllspruchl aber
Hir erslere. daß sie letzteren "nalürlicherweisc" vorangehen (a.a.O. 97), versteht" Voraussetzung"
also in einem Sinn. der dem spekulativen Char.tkter der Involulionslehn: schwerlich gerechi wird.
120 Diese Verschiebung iSI das Hauplinten:sse der Unlersuchung von HJELDE (1987). der es
rur die Vcnnilllungslhcologie freilich kaum zur GellUng gebrachi hai.
121 SCIIMIDT (1868/70) 11.501 fordert einen .JCgulativen Gebrauch" der Eschatologie (ob-
gleich er a,a.O. 11.462 diesen Gedanken krilisch auf Schleiennaehers Eschlltologiekrilik bezieht
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74 Zweiter Teil
Im Ergebnis zeigt sich, daß die Venninlungstheologie den Ort der Escha-
tologie im Ganzen der Theologie verändert, indem sie sie einem anderen
Locus, eben der PrinzipienJehre oder Fundamentaltheologie, zuweist und
also "dis-loziert" oder "um-setzt". Die Eschatologie wird so zur regulativen
Leitvorstellung, und "Umsetzung" geschieht dabei auch noch in einem
weiteren Sinne, denn wenn die Eschatologie als Leitvorstellung nicht nur
der sonstigen Theologie, sondern der kirchlichen Praxis erscheint, wie dies
seit Martensen 122 auf venniulungstheologischer Linie vorgeschlagen wird,
dann muß solche Leitvorstellung eben noch in die Realität ..umgesetzt"
werden, sie bedarf dann der Konkretion in der sinnenfalligen Wirklichkeit
von Kirche und Welt.
Und genau solche Konkreliofl wird in der Rezeption Schleiermachers als
ein jüdisches Korrektiv zum christlichen Vollendlingsbewußtsein geltend
gemacht, wenn es heißt. daß Schleiennacher in seiner "Glaubenslehre"
durch die "Geringschätzung des AT gleichzeitig eine folgenschwere Ent-
schärfung der biblisch-ntl. Eschatologie" in Kauf nehme, daß er aber in sei-
ner späten Predigtpraxis "das jüdische Nein zu Christus als dem Messias als
eschatologisches Mahnmal verstehen" lehre: "Die Tatsache. daß Israel noch
auf seine Errettung wartet und die Bekehrung Israels zu Christus als dem
Messias noch aussteht, wird für Schleiermacher zur unüberhörbaren Erinne-
rung daran, daß auch die Christen auf die endgültige Erfüllung alles Ver-
heißenen und auf die Parusie Christi in Herrlichkeit noch warten".l2J
Christlicher Eschatologie wird hier zu einem Mehr an sinnenfalliger, ge-
genständlicher Konkretion geraten, zur "Sinnlichkeit, dem Bilder-, Meta-
phern- und Erzählreichtum des Ar', 124 um das christliche Erlösungsver-
ständnis gleichsam zu "erden". Diese Auffassung von jüdischer Zu-
kunftserwartung läßt sich tatsächlich als charakteristisches Kontrastschema
zu einer dementsprechend abstrakten und vergeistigten christlichen Escha-
tologie gerade im gegenwärtigen Diskurs nachweisen. 12'
Entscheidend ist aber auch hier, daß sich unabhängig von den Zuordnun-
gen an Christen- und Judentum die Frage einer geschichtlichen Gestaltwer-
und gegen diese die objektive Realiläl der Eschala beh:lUplen möchte). Die Bestimmung der Es-
chatologie als regulaliver Idee hat nachgewirkl bei PfLElDEREA (1880) 240 (§ 266); WOBBERMIN
(1926) 111,253; HOF1'MANN (1929) 117f.
122 S. S. 69 Anm. 100.
123 Zilale STEIGER (i994) 309.322.323.
124 A.a.Q. 313 - dies gegen SchJeiennachers Begriff von SinnJichkeil (s. S. 50 Anm. 33).
125 So oft im Zuge der Ergänzung des Grundanikels der meinischen Kirchenordnung (1996).
z.B. STuHLMANN (1998) 303: ,Das iSI die erdverbundene Dimension der Hoffnung. Diese genuin
jüdische Kontur unserer Hoffnung darf in der chrisllichen Theologie nichl zu kurz kommen:'
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78 Zweiler Teil
80 Zweiler Teil
I. Analyse
sische Darstellung der HeilsgeschichIlichen Theologie durch WE"n1 (1931) beschränkl sich nuf die
drei Hauplvertreler im 19. Jh. und begnügt sich ansonSlen mil einer Erhebung ihrer unminelbaren
lradilionsgeschichtlichcn Quellen.
5 BARTII (1947) 557: näher ausgeruhrt von Barths Schüler HÜBNER (1956). der v. Hofmanns
Interesse an der Schrift freilich immer wieder von demjenigen an der Wiedcrgebunserfahrung
überlagen siehl (a.a.O. 16.22.33.63), wie auch STECK (1959) 32f. U.Ö. in einer ebenfalls unter
Banhs Ägide (und Herausgeberschaft) entstandenen Studie von v. tlofmann slärkere Orienlierung
am ..Won" forden.
6 Für v. HOFMANN (1841144) iSI dies aus der Dreileilung des exegelischen Corpus in allieSla-
menlliche Weissagung. neutestamentliche Erfullung und Weissagung ohne weiteres ersichtlich:
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DERS. (1857160) zeigt den Zusammenhang zur Wiedergebunscrfahrung in der Zuordnung von
Lehrganzem und Durchruhrung des Schriftbeweises. Die bei DERS. (1862/78) l.ugrundeliegende
ekklesiologische Auffnssung der Bibel entspricht schon seinem sechsten Lehrsll1ck (Zitat DERS.
r185716011.50 [Lehrstück VIA J) und iSI ein Spezifikum v. Hofmanns.
7 Diese Frage prägt die Beschäftigung der Banhschulc (s. S. 80 Anm. 5) mit v. Hofmann. Die-
se ganze Frage nach einem wissenschaftlichen Ansatz bei der individuellen Erfahrung ist eher
diejenige der im engeren Sinne sog. Erlanger Theologie. also v.a. F.H.R. v. Franlts. der hier viel
stärker als v. Hofmann auf Schleiennocher zurlkkgreifl. Will man daher auch v. Hofmann in die-
ser Linie eines objektiven Subjektivismus sehen. muß man seine Differenz zu Schleiennacher
eOlweder beStreilen (so schon F.A. Philippi. der beiden Subjektivismus vorhielt: vgl. BACUMANN
[ 19101 32) oder dahin variieren. daß Schleiennacher im Subjektivismus befangen bleibe. den erst
v. Hofmann überwinde (SlUFEN r 1910133; WAPLER r 1914191 f.).
8 V. HOFMANN (1857160) 1.29: ..Es muß aber das Thatsächliche. welches wir bewiesen sehen
wollen. um wirklich von der Schrift bezeugl1.u sein. in Schrift und Syslem auch wirklich dasselbe
und gleiche: sein." Vgl. SWARAT (1986) 231 und a.a.O. 217 zur entsprechenden Dreiheit von
v. Bofmanns Werk.
9 So nimmt MILOENBERGER (1986) 478 an. daß v. Hofmann sich damit gegen historische Kri-
tik ..immunisien".
10 Zilllie V. HOFMANN 118441 (1910) 2.3.
11 DERS. (1857160) 1,24. Vgl. DERS. (1862/18) Ij2: ..Nur einen Theit der hier beschriebenen
Arbeit unternehme ich jelZl zu lhun."
82 Zweiter Teil
gieren haben nach der späteren Dreiheit, zumal sie nur im Interesse dessen
geschieht, daß auf jedem einzelnen der Wege dasselbe Ergebnis erzielt
wird: "Freilich müssen, wo es recht hergeht. Schrift und Kirche uns ganz
das Gleiche bieten, was wir aus uns selbst erheben.',12
Die analytische Aufgabe. die v. Hofmanns Werk stellt, besteht also we·
niger in der Priifung der Beweisgrunde ftir das Phänomen der Wiederge·
bun~ vielmehr ist zu fragen. wie sich die Übereinstimmung und Korrelation
der drei Aspekte der Theologie auf den Begriff bringen läßt. Ein solcher
Begriff wäre der tragende axiomatische Grund, auf dem v. Hofmanns
Theologie aufbaut und hinter den sie nicht zurückgehen kann. 13 Im folgen-
den sollen daher zunächst (a-b) v. Hofmanns vollendete Hauptwerke auf
eine solche tragende Begrifnichkeit hin untersuchl werden. Dazu wird sich
die Analyse an v. Hofmanns eigene Begrifflichkeil anlehnen. Das so ennil-
lehe Ergebnis kann dann selbst analysiert werden (c).
a) "Weissagung und Erfüllung". v. Hofmanns Jugendwerk behandelt
nach sieben kunen Grundlegungskapilein in drei Kapiteln mit mehreren
Unterabschnitten zunächst die altteslamentliche Weissagung (Kap_ VUI.I-
12), dann die neutestamentliche Erfüllung (Kap. IX.l-lO) und schließlich
die neulesiamentliche Weissagung (Kap. X.I-4). Schon durch diesen
Aufriß positioniert sich das Werk in der zeitgenössischen Diskussion, denn
die durch Schleiermachers Wirkung herrschend gewordene theologische
Richtung bestritt die Möglichkeit einer neutestamentlichen Weissagung
über das Auftreten Christi hinaus. 14
Dagegen versteht v. Hofmann die ganze Geschichte als Stufengang von
Weissagung und Erftillung. Schon dadurch gibt sich sein lheologisches in-
teresse an der "Geschichte" zu erkennen, das im folgenden noch genauer
untersucht werden muß. 1S Daß ihm die Geschichte in der Abfolge von
Weissagung, Erfüllung und neuer Weissagung als organisches Ganzes gilt.
iSI als ideengeschichtliche Ableitung von BedeulUng,I6 erklärt aber inner-
halb seines syslematischen Konzepts noch nicht, wie es zum Gedanken ei-
17 Diese Akzenle liegen nahe. wenn man v. Hormann in idcaliSlischer bzw. hegelianischer
Ableitung verslehl.
18 So besoodeß PROCKSCH (1910) 1034.
19 ZiLale v. HOf)tM'N (1841/44) 1.33.
84 Zweiter Teil
Zukunft in sich trägt"; sie verbindet so Einzel- und Gesamt'sinn, sie erfüllt
sich in einzelnen Geschichtsdaten und erreicht doch in keinem davon den
Gesamrsinn. 20 Denkbar ist dieses Zugleich von Erfüllen und NichterfUlien.
weil die Weissagung der Erfüllung retrospektiv zugeordnet werden kann;
dann läßt erst die Erftillung die Weissagung als solche erkennen, weil sie
erst von don aus in ihrer Gewißheit erkannt wird?l Daraus folgen
v. Hofmann ruf die Weissagung, daß sie nur durch Inspiration erfaßt wer-
den kann, als Wirkung des Geistes Gottes. der auf die Seele des Weissa-
genden durch leibliche Vennittlung aus dem Bereich der Natur. d.h. durch
Naturwunder, einwirkt und ihn das Ende der Geschichte, die volle Gemein-
schafl der Menschheit mit Gon, vorweg erkennen läßt im Leben des Men-
schen Jesus Christus?2
Dies ist das systematische Grundgerüst für v. Hofmanns Darlegungen zu
"Weissagung und Erfüllung". Zur Verdeutlichung ist in historischer Sicht
zu betonen, daß dieses Verständnis ideengeschichtlich vom romantischen
Konzept der Weissagung als seelenkundlieh bestimmbarer Einfühlung oder
Ahnung scharf unterschieden ist. Der weissagende Prophet erkennt das En-
de der Geschichte nicht deshalb vorweg, weil er als religiöser Virtuose mit
besonders geniehaftem Geist ausgestattet wäre; gegen solche Vorstellungen
unterstreicht v. Hofmann vielmehr, daß Geist nie eine anthropologische.
sondern immer eine pneumatologische Größe sei. 2J Deswegen beharn er
auf einer nur zweigliedrigen Amhropologie: Der Mensch ist Seele und ist
Leib. Er steht in einem Gottes- sowie einem Naturverhältnis. Die Seele ver-
bindet ihn mit allen Menschen. sie macht seine Persönlichkeit aus. Der Leib
macht ihn zu unverwechselbar diesem Menschen. er macht seine Natürlich-
keit aus?' In der Seele vollzieht sich das Verhältnis des Menschen zu Gott,
im Leibe das zu der umgebenden Natur. Inspiration als Wirkung des Gei-
20 Zitat 4.a.0. 1.8. Vgl. a.a.O. 1.7 zur Altematj.,'e von ..Weissagung als Ganzes" und ..einzelnen
Wcissagungen".
21 Vgl. a.o.O. 1,15: don auch der Umkchrschluß, daß dic Erfllllung schon in der Weissagung
cnthaltcn sei.
22 A.a.O. 1.27 beslimmt v. Hofmann Inspiration als ..Gcistcswirkung auf den Menschen in der
Unfreiheit seiner individuellcn Natur" und schreibt l\.a.O. 1.33f.: ..In diesem heiligcn und seligcn
Menschen (sc. Jesusl ist die Geschichte. welche zwi§chen Gou und Menschen gcschieht. zu cinem
vorläufigen Abschlusse gekommen, dessen wir durch das Zeugniß des Geistes Gottes (sc. dureh
Inspiration) untrüglich gewiß wcrden."
23 A.a.O. 1.21.
24 Zu Seek und Leib vg!. La.O. 1,19f. und a.LO. 1,24: .Jn der Seek treffcn die Einwirtungen.
wekhe des Menschen Leiblichkeit erfähn, mit der Selbstbezeugung des Geistes zusammen." Und
wenig späler ebd.: Jene innerliche Sclbslbezeugung des Geistes gilt der PcJSOfl. der persönlichen
Menschensede: diese Einwirkung auf Wegen der Leiblichkeil gilt der 50 oder andc:rs geanclcn
Natur. der Individualität:'
00040222
stes Gones auf die Seele ist darum einfach ein persönliches Gottesverhält-
nis, das sich über das Naturverhältnis vennittelt.
Hier wird der Unterschied zu einer romantischen Psychologie der Weis-
sagung erneut greifbar: Was ihr zufolge die Weissagung auszeichnet, ist ihr
Ausnahmecharakter, das Wunderhafte. Wenn auch v. Hofmann Inspiration
als Naturwunder beschreibt, dann unbeschadet ihres Ausnahmecharakters
als vennittelnden Behelf in der soeben gezeigten Verhältnisbeslimmung des
Natürlichen zum Persönlichen. Jesus nun steht als natürlicher Mensch in
wahrhafter persönlicher Gouesgemeinschaft. d.h. in ihm ist die Natur nicht
mehr bloß Behelf der Person, sondern bildet mit ihr eine Einheit, und des-
wegen ist es diese Einheit von Person und Natur, welche die Inspiration als
das Ende der Geschichte vorwegerkennt. Das in der Weissagung vorweger-
kannte Ende der Geschichte ist also Jesus Christus. und weil es vorweger-
kanntes Ende ist, richtet sich die Weissagung auf die zukünftige Parusie
Christi. 2:5
Was die Inspiration in Jesus Christus vorwegerkennt, ist somit, auf den
Begriff gebracht, die Einheit von Person und Natur, wie sie in der Parusie
Christi besteht, und deswegen das Ende der Geschichte. Der Mensch kann
ein persönliches Verhältnis zu Gott nur vennittelt über die Natur erlangen,
Jesus besitzt ein persönliches GOllesverhältnis auch ungeachtet der Natur,
und die eschatologische Verheißung fügt beide Seiten zusammen. Mit Hilfe
der Begrifflichkeit von Person und Natur läßt sich nun das o.g. Problem der
Dreiteilung in der ausgeführten Darstellung von "Weissagung und Erfül-
lung" präzise erklären: Das Alte Testament, an dessen Eingang das Gottes-
verhältnis in seiner Zerstörung durch die Sünde gezeigt wird, kennt eine
Weissagung persönlichen Gottesbezugs nur unter Vennittlung über die
Natur (Kap. VlU). Im Neuen Testament bringt Jesus Christus dagegen ein
solches erfülltes Gouesverhältnis unmittelbar, auf der Ebene der Person, zur
25 A.a.O. 1.40: "Sonach haben wir an der Selbsldarslellung Chrisli in der Weil zugleich Ge·
schichte und Weissagung: Geschichte, nämlich immer fortschreitende Geslaltung der Gemein-
schaft von GOlt und Mensch: Weissagung. nämlich immer bestimmlere Hinweisung auf die endli-
che 11elztlichel Gestalt der Gemeinschaft von GOlt und Mensch." A.a.O. 1.38: "Nachdem wir nun
dureh Wirkung des Geistes Gottes und Jesu Christi in persönlicher, doch nicht in natürlicher Le·
bensgemeinschaft mit GOl! unscnn Vater stehen: haben wir uns I... ) zu überzeugen, daß durch
jene persönliche Gouesgemeinschaft die Natur aus ihrer Gebundenheit befreit und verklärt werde.
demnach von der NOlhwendigkeil einer zweiten Thai Goues in Christo". Diese Tal, die Parusie,
bedeulel auch Hir Jesus die Verk.lärung der Natur: .•Hieraus folgt, daß Jesus da überall, wo er sein
Verhältniß zu GOlt denen k.und zu Ihun haue, mit welchen er in einer durch seine Geburt bedinglCn
Naturgemeinschafl sland, der Inspinttion so bedürftig als fahig war"' (a.a.O. 1,57) und ~iter a.a.O.
[,59: "Wir I... ) geben nicht zu, daß seine Erscheinung im Fleische die völlige OlTenbarung GoUes
heiße".
000-4022~
86 Zweiter Teil
Anschauung (Kap. IX) und weissagt damit die Erfüllung auch der vermit-
telnden, natürlichen Seite, er weissagt also die Einheit von Person und Na-
tur (Kap. X)."
Mit diesem begrifflichen Gespann von Person und Natur ist die systema-
tische Grundlegung von v. Hofmanns Jugendschrift beschrieben; dieses
Doppelkonzept organisiert die Geschichte als ein Ganzes. Es strukturiert die
gesamte Geschichte vom Ende her, wie es v. Hofmann grundsätzlich gefor-
dert hat: zunächst Weissagung auf dem Gebiet der Natur. dann Erfüllung
auf dem Gebiet der Person, zuletzt Weissagung beider. Somit wird auch die
Bedeutung der Eschatologie durch die Korrelation von Person und Natur
verständlich; denn Dreh· und Angelpunkt der Eschatologie. die Parusie
Christi, ist die Einheit von Person und Natur, so daß mit Recht gesagt wur-
de, die Heilsgeschichtliche Theologie kenne eigentlich "nur eine Grund-
weissagung" , eben die Parusie Christi. Zugleich erweist sich mit dieser'
Konzentration auf die Parusie Christi der andere Satz als treffend: "Gerade
als Eschatologen sind alle Heilsgeschichtler christozentrisch." Man wird
daher mit dem Konzept von Person und Natur die systematisch tragende
Begrifflichkeit in v. Hofmanns Werk vor sich haben. 21 - Mit diesen Ergeb-
nissen ist nun v. Hofmanns zweites Hauptwerk zu vergleichen.
b) "Der Schriftbeweis". "Was soll bewiesen werden" im "Schriftbe-
weis"? Die Frage, mit der v. Hofmanns Argumentation in seinem wichtig-
sten Werk einsetzt,28 ist keineswegs bloß rhetorisch. Zwar bezieht sich der
drei Bände füllende Beweisgang offensichtlich auf das "Lehrganze", das
v. Hofmann auf zwanzig Seiten voranstellt. Doch noch davor betont der
Autor in seinen Überlegungen zu "Wesen und Gesetz des Schriftbeweises",
daß das Christentum keine abstrakte Lehre, sondern ein geschichtlicher
"Thatbestand,,29 ist, der dem Christen in seiner Wiedergeburtserfahrung
zueigen ist oder den er sich aus dem kirchlichen Bekenntnis ange-eignet
hat. Dieser Tatbestand stellt durch Christi Vennitllung den Christen in ein
26 A.a.O. 1.61: ..Von der Natur erwartet der Mensch des alten Testaments das Heil seiner Per-
sönlichkeit: der des neuen hat in seiner Persönlichkeit das Heil ftir seine Nntur:'
27 Diese Bedeutung der Begriffe Person und Natur fUr v. Hofrnanns eschatologisch orientiertes
Geschichtsverständnis haI am deutlichsten Wrn~ (1931) 87 hervorgehoben. von dern auch die
Zitate stammen (a.a.O. 58.156). PROCKSCII (1910) 1034 geht bei sciner Betonung des eschatologi-
schen Aspekts gar nicht auf Person und Natur ein, während HÜBNER (1956) IOSff. und BEHR
(1995) 76ff. die Termini hervorheben. aber abgelöst vorn Geschichtskonzcpt betrachten.
28 Zitat v. HOFMANN (1857/60) 1.5. Ich zitiere das Werk grundsätzlich nach seiner Lctztgestah
in der Zweitauflage. Obwohl sie v. Hofmann als Neuschrifl erschien (WAPLER [1914] 259). bestä-
tigt sie doch die Erslauflage. Deren Ver'Jnderungen berühren neben der Versöhnungslehre am
ehesten die alttestamentliche Geschichte.
29 Zitate V. HOFMANN (1857/60) LI.7.
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30 A.a.O. 1.8: ,.das Chrislenlhurn iSI die in Jesu ChriSIO vemliuclte pel'SÖflliche Gemeinschaft
Goues und der Menschheil".
31 A.a.O. 1.10.
32 A.a.0. 1.31: •.Es gehön zur LaUierkeil derselben Isc. BcweisfUhrungl. daß man Vornusge-
se.tztes und eigens Ausgesagtes in dem Verhähni.sse. belasse. in .....elchem die Schrifl es biete!".
33 So LB. mit der zitienen FOfTfIulicrung (im Inhaltsverzeichnis) nJr Jesu Sündlosigkeil und
völlige Me.nschheit (a.•.O. 11/1,31.40). Dieselbe Fonnulierung deUiel a.•.O. 11/2.462 aber für den
Zwi.schenzusland eher an. daß er ein offenes Problem sei: und •.a.O. 11/1.413 legt sie Ablehnung
der fraglichen Lehre (hier deT HöllenJ'ahn) nahe.
34 A.a.O. 1.61: ..e..... ige Voraussel2ung~. Zu den folgenden Oberblictsangaben vgl. die Inhaltli-
\'erukhnisse ......0.
35 So HÄRLE (1995) 42. der da\'OO gruodSil2lich die lrinitarische Gliederung unterscheidet.
88 Zweiler Teil
Die so venniuelte Liebesgemeinschaft Gottes und des Christen hat zu ihrer Voraus-
setzung eine Gemeinschaft Gottes und Jesu Christi. welche. da an ihr Theil haben und
in persönlicher Gemeinschaft mit Gott stehen eins und dasselbe ist. indem Verhältniß
Gottes zu dem Menschen Jesus. zugleich innergöttliches VerhältniB sein muß. als
jenes geworden. als dieses ewig."
36 S. S. 79 Anm. I.
37 W"PUR (1914) 211: ROtlu( 1997) 683: BECKMANN (2002) 284.
38 In analogem Sinne sagl BRElOERT (1977) 164: ..Diese Differenzierung in ewige und gt'-
schichlliehe. immanenle und ökonomische Triniläl ist der Schlüssel zum Verslaoonis VOll Hor·
manns System der HeilsgeschichlC M
•
)9 So v. HO':MANN (18S1/SS) I.3S (Lchrslikl 1.3). Der Satz ist grammalikalisch allerdings
unmöglich. weil dem mit .,indem" cingclcitclen NebensalZ das Pridikal rehl!. Deswegen iSi •.in-
dem" in zwei Wönem zu schreiben. und das Komma nach .Jesus" ist zu ~rejchen. so daß sich
ergibt: ..eine Gemeinschaft Gones und Jesu Christi. welche (... ) in dem Vertl5l!niB Goues zu dem
Menschen Jesus zugleich innergöllliches Verhälrniß .sein muß. als jenes geworden. als dieses
ewig~.
00040222
90 Zweiter Teil
ID]ie Selbstaussage Jesu. durch seine Geschichte bestätigt. sie ist es gewesen. welche
gelehrt hai. daß zwischen Gon. dem Vater Jesu Christi. und zwischen Jesus. dem
Sohne Gones, ein innergöuliches Verhältniß besteht, welches nicht geworden, son-
dern ewig ist. welches aber geschichtlich aus einem Verhältnisse GOlles zu Gott ein
Verbältniß Gones zu dem Menschen Jesus geworden ist.oll>
Die in sich selbst ungleich gewordene Dreieinigkeil ist es. welche mit ihrer ersten
Selbstbelhäligung den Anfang der geschichllichen Verwirklichung des ewigen GOI-
teswillens gesetzl haI. r... )
Das Verhältniß Gottes des Valers und des Menschen Jesus im Geiste Beider ge-
staltet sich. hieher übertragen. zum Verhältnisse Gottes des überweltlichen Schöpfers
46 A.a.O. 1.173. Die Präexistenz des götllichen Ichs Chrisli explizien v. Hofmann mit den loci
c1assici aus dem Johannesevangelium sowie mit v. Hases sog. Aerolith aus dem johanneischen
Himmel (a.3.0. 1.139). Die Existenz des Menschen Jesus wird dagegen. ebenso klassisch. llffi
Philippe.rhymnus erläuler1 (a.a.O. 1,149-152), Die enlsprechende Erschließung der Personalitäl des
Geistes aus dem Neuen Testament geschieht a.a.O. 1.190.197.
47 Zilal a.a.O. 1.37 (lehrslück 11.3).
00040222
und Gottes des urbildlichen Weltziels in Gott dem inwelllich wirksamen Lebensgrun-
de.
Dieses innergöulichen Verhüllnisses AbbiJd. weil Verwirklichung des ewigen
Goneswillens [... 1. ist das Verhällniß zu Gon, in welches der Mensch geschaffen
worden. Geschaffen nämlich einerseilS als das Ich. rur welches die Weh und welches
ftir die Liebesgemeinschaft mit Gon ist, und andererseits als gleichartiger Theil der in
ihm zum Abschlusse gekommenen Welt. dort als Person selbstbestimmbar. hier als
Natur sich zum Minel seiner selbst dienend, ist er das geschöpfliche Abbild Gottes
des urbildlichen Wellziels."
Solange nur die Kategorie des Personalen zur Verfügung steht, kann der
geschichtliche Vollzug des ewigen innergötllichen Verhältnisses nicht aus-
gedrückt werden; dies erlaubt erst der Bezug zur geschaffenen Welt, der im
letzten Absatz des Zitats auf den Begriff des Naturhaften gebracht wird.
Das für v. Hofmanns Systematik grundlegende Verhältnis von Ewigkeit
und Geschichte, immanenter und ökonomischer Trinität läßt sich damit in
den Begriffen Person und Natur ausdrucken, die sich uns als die tragende
Struktur schon seines Jugendwerkes erwiesen. Damit wird auch kJar, war-
um v. Hofmann die immanente zur ökonomischen Trinität werden sieht.
Immanente Trinität ist ein reines Personenverhältnis. ökonomische Trinität
aber ist Personen- und Natlln'erhältnis.
In der Differenzierung von Person und Natur also vollzieht sich die ewi-
ge Trinität geschichtlicherweise; das Begriffspaar ist das Scharnier am
Übergang vom ersten zum zweiten Lehrstück. v. Hofmann kann von dieser
grundlegenden Differenzierung aus die gesamte weitere Durchführung des
Lehrganzen durch die Zuordnung von Person und Natur strukturieren. So
fonnulien er in der Sündenlehre (im drillen Lehrstück) den Gedanken, daß
der Anlaß für die Sünde im Natürlichen liegt, aber zurückwirkt auf die Per-
son, die als sündige von einem anderen als Gottes Geist, einem dämoni-
schen Geist also, abhängig iSl. 49 In einer weniger komplexen Gestalt ge-
braucht v. Hofmann dieselbe Regel bei der alttestamentlichen Geschichte
(im vienen Lehrstück), wenn er die Daten dieser Geschichte auf den Nen-
ner bringt, daß Gottes Geist stets zu der Menschen ..leiblichen Ohren"
spricht und darin naturvennittell auf ihre persönliche Rückwendung zu ihm
· . k1.,.
hmWlr
48 Die drei zilienen Absätze a...O. l,36r. (IUS Lehrstück 11.2.4.05). De1 ktzle Absa12 steht fast
identisch 1.1.0. 1,283r. im ll.lSgertilu1C:n Schriflbeweis zum zweiten Lehrstück..
49 A...O. 1.40 mit der Konsequenz einer eigenen DämDnologic (Lettnlück 111).
50 litll u.O. 1,573. A.a..0. 1,41-405 nennt die Urgeschidlle. Israels VolkJgrOndung, Priesler-.
KÖflig- und Prophelenaml sow;c den aJl1cswnc:nllK:hen KIIIOO ab Elappen dieser t)'JlOlogisch
versundenen Geschichte.
92 Zweiter Teil
Kein Teil des "Schriftheweises" zeigt jedoch das Profil der Verhältnisbe-
stimmung von Person und Natur so scharf wie sein rneislumstrinener, die
Christologie und Soteriologie (im ftjnften Lehrstück). Die folgenden Über-
legungen zu heiden Themen konzentrieren sich daher und in Anbelracht der
reichen Erforschung der historischen Streitigkeiten 51 auf jene Verhältnisbe-
stimmung. Dies scheint um so eher gerechtfertigt, als nach dem Urteil die-
ser Erforschung v. Hofmanns Gegenentwurf weniger auf den begriffsge-
schichtlichen Aspekt (z.B. StraOeiden, Stellvenretung) der Versöhnungs-
52
lehre zielte.
Christologie versteht v. Hofmann im ..Schriftbeweis" grundsätzlich als
den Locus, wo sich das eigentlich zu Beweisende. das Verhältnis von GOIt
und Menschheit, realisiert. Wirklich ist dieses Verhältnis zwar, wie gese-
hen, schon mit der aufkommenden Korrelation von Person und Natur durch
die Schöpfung. Doch ist das Schöpfungsleben durch natürliche Einflüsse
fehlgeleitet worden unter einen anderen als Gottes Geist. Realisierung des
gott-menschheitlichen Verhältnisses heißt in der Christologie darum Her-
stellung dieses Verhältnisses als eines nicht von der Sünde bestimmten. S3
Wenn aber Sünde heißt, daß der Mensch sich durch sein Naturverhältnis an
einen ungöttlichen Geist leiten läßt, dann ist die Überwindung der Sünde so
zu beschreiben, daß die Natur fiihig gemacht wird, den Menschen zu einem
persönlichen Verhältnis zu Gottes Geist zu fUhren. Venninlung des Perso-
nenverhältnisses über das Naturverhältnis ist nun zwar auch Gottes kenn-
zeichnende Handlungsweise in der Geschichte der alttestamentlichen Zeit;
v. Hofmann versteht sie dort aber als bloße Indienstnahme der Natur, wäh-
rend es ihm in der Christologie um eine Veränderung der Natur, ihre ,.Gut-
machung" aus der Verderbtheit heraus, gehtS4 - freilich zum Zwecke ihrer
künftigen, ungeminderten Indienstnahme. Daher ist es völlig konsequent.
51 Einschlägig sind v.a. STEFFEN (1910): BACUMANN (1910): WAI'WR (1914) 237-262:
GRÄOER (1922). aber auch Rmu.s (1997) 684-688. Zu allemlltiven theologiegeschichllichcn Be-
zügen s. freilich Exkurs 3 (5. 98ff.).
52 In der Zweitaunage des .,Schriftbeweises" greif! v. Hofmann bereits. wie BACIIMANN
(1910) 53f. zeigl. die lraditionelle Begrifnichkeil durchaus wieder auf. ohne doch seine Posilion zu
verändern.
53 Z.B. V. HOfMANN (1857160) 1U1.214.
54 Für das VeßÖhnung,sgeschehen finden \'erschiedcne Ausdruckslol.'eisen Gebrauch. :t.B.
....0. IVI,275: "Wandelung des Verhiltnisscs GOlles und der Menschheir' (vg!. a.I.O. IVI,455).
Von .•Gulmachung der Sünde und nichl Ersatz der Strafe" (DElIs. 11856) 119931 239: dazu
BACHMANN 119101 46) sprichl v. Hofmann in der ersten seiner Schutz.sehrifu~n. Wk Bachm3nn
....0.22 weilerhin erwähnl, ist v. Hofmann im .Schriftbeweis" wichlig. daß Jesus am Kreuz die
menschliche Ilur unler den Bedingungen äu6cßler Enlfremdung ..bewlhn; LB. v. HOFMANN
(18S716O) lVI ,319.455. 0ERs. (1&41/44) 1.38.58.60 sprach zudem von einer Verltllirung der Nalur.
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55 KeoOlische Chrislologie behandelt demnach rur v. Hofmann die Bewegung von immanenler
zu ökonomischer Trinität. nichl den Lebenslauf Jesu von hoheitlichem Auftreten im ..galiläischen
Frühling" zur Erniedrigung in der Passion, wus wenig später die durch E. Renan angeregte Leben-
Jesu-Forschung beschäftigte. v. Hofmann ist durch seinen Frngehorizonl. wie BRElDERT (1977) 23
beslätigl. auch über die Streitfrage hinweg. die im 17. Jh. zwischen dt:n Gießencr uoo Tübinger
Fukutlälen verhandelt wurde. ob lesus in seiner irdischen Erniedrigung den Gebrauch seiner gÖII-
lichen Eigem.chaflen geradezu preisgegeben (Gießener Keoosechrislologie) oder nur verborgen
geübt (Tübinger Krypsischristologie) habe.
56 v. HOfMANN (1841/44) 11.18 sagt bereits. daß Jesus .,Person gewesen. ehe er Mensch ward.
und also schon in Gemeim;chaft de.c; Geistes mit GOll stand, als er Mensch ward", Vgl. DERS,
(18.57160) IVI.21: .,die menschliche Nalur haI er zu seiner. des e .....igen GOlles. Nlllur". Vg1.
BREIDERT(l977) 175,
57 Hierin siehl STEff'EN (1910) I [9 den Unterschied zu RilSChls Interesse an der Person (vgl.
das Zilal aus v, UOFM....NN 118.57/6011.48 ILehrstück V,61). Die Krilik. daß es Y. Hofmann nicht
um die Natur des Menschen gehe (BeIIR 1199.5199). scheinl kenOli.sche mit doketischer Christolo-
gie:zu yerwechseln.
94 Zweiler Teil
der Zielvorstellung einer Einheit von Person und Natur. 58 Was das Alte Te~
stament von der Natur erhoffte - die Vennittlung eines persönlichen GOI-
tesverhältnisses -. soll in Christi Parusie zusammentreffen als Verklärung
der Natur zur Gottesgemeinschaft: Das ist der heilsgeschichlliche Span-
nungsbogen, mit dem v. Hofmann alle Geschichte vom Eschaton her orien-
tien. Darum kann er auch nach der Christologie die Kanonfixierung und die
Ekklesiologie samt christlicher Gesellschaftslehre anhand der Begrifnich-
keil von Person und Natur entfalten: Die Festlegung des neutestamentlichen
Kanons (sechstes Lehrstück) läutet eine Zwischenzeit der christlichen Ge-
meinde ein, in welcher der Geist Gottes das Person- und nun auch das Na-
lurleben leitet, die aber, heilsgeschichtlich gesprochen, ein bloßes Warten
auf die abschließende Verklärung der Natur ist. 59 Ebenso die Kirche (sieb-
tes Lehrstück) hat in den Sakramenten die Vollendung der Natur nur als
,jenseitiges BesilZthum". weil sie. für die Christi Geist •.ihres Person lebens
wirksamer Grund und ihres Naturlebens bestimmende Macht ward". doch
noch ..inner der angebornen [also sündigen] Natur" steht. 60
Erst die Eschatologie (achtes Lehrstück) bedeutet die Vollendung der
Natur zu ihrer Einheit mit der Person und handelt damit ebenso von einer
Verwandlung der Natur wie schon die Christologie. Ging es dieser darum,
daß die infolge der Sünde an widergöltlichen Geist fehlgeleitete Natur eine
Vermittlung göttlichen Geistes nicht mehr hindern soll. so wird in der Es·
chatologie nun endgültig ausgeschlossen, daß die Natur Mittel widergöuli·
cher Geistwirkung sein könne. Die eschatologisch vollendete Gemeinschaft
von Gott und Menschheit bedeutet demnach die Einheit von Person und
Natur, während das persönliche Verhältnis zu widergönlichem Geist61 ohne
eine vermittelnde Naturbasis wirkungslOS bleibt. 62 Schon das zeigt, wie
S8 v. HO';MANN (1857/60) 1.,55 (Lehrstück '111I.5): Die Gemeinde wird ,,durch Wandlung ihrer
menschlichen Natur zur Unbedingtheit ihrer Gouesgemeinschaft vollendet".
59 Vgl. a.a.O. 1I/2.97f.: •.Für die Zwischenzeit. sagen wir weiter. ist die Kirche Christi. welche
also eine heidnische sein wird, lediglich der heilig~n Schrift unterstellt. weil so lange die Heilsge·
schichte keinen Fongang nimmt. der ein Neues brächte:'
60 Zitate a.a.O. 1.,51.49.5 I (L.ehrstUck VIV1.4: VI,I: VIVI.2).
61 v. Hofmann bearbeitet so das venniulungstheologische Problem der hypothetisch noc.....-en·
digen Verdammnis.
62 Die Eschalologie ist durchgehend von diesem Gedanken bestimmt. Das hei& zum ~iflf'n.
daß die natürlkhen Formen. unt~r denen die kirchlkhe Sakrament.sJam:ichung den Geist Gones
miueill. ihre Voriäufigkeil und Zweideutigkeit ablegen und steh zu fester. sichtbarer Gestall wan·
dein. Als solche Gestalten lehn v. Hofmann die Bekehrung Isrzls und das Millennium in ge·
meindlkhem sowtc die Auferstehung und dtc Neuschöpfung von Hinunel und Erde in mensch-
heitlichem Horizont (LehT51ück VIII.,5). Durch denselben Wandel zur Eindeutigkeit kommen zum
oTld~f'~n diese.lben natürlkhen FClm'len als Betäligungsfeld eines anden:n als des göttlichen Cki5te5
in Fonfall. SO daß die sündige ..Abhingigkeil von dem Atgen~ ohne Betätigung ist. So khn
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wichtig das Konzept der Natur für v. Hofmanns Eschatologie ist. Es-
chatologie als Vollendung der Natur korrespondiert sodann genau dem, was
v. Hofmann bei Einführung der tragenden Begrifnichkeil von Person und
Natur als Erwartungshorizont der aluestamentlichen Geschichte ausmachte:
die ungehinderte Venniltlung eines persönlichen Gouesverhältnisses durch
die Natur. Christliche Eschatologie als Vollendung der Natur richtet sich
auf nichts anderes, als was auch aluestamentliche Zukunftserwartung er-
hofft; beide stehen in einem Spannungsbogen, der mit der Ungleichheit
beim Übergang der ewigen in die geschichtliche Trinität eröffnet wird und
erst im Eschaton selbst zur Ruhe kommt. In dieser Gemeinsamkeit von
Christentum und alttestamentlichem Israel ist es begründet, daß für
v. Hofmann die gesamte Geschichte, wenn sie als Heilsgeschichte, also im
Blickwinkel jenes Spannungsbogens betrachtet wird, israelitisches Gepräge
trägt: "Daß die in der Schrift enthaltene Geschichte israelitisch ist, das
macht sie zur heiligen Schrift, zum Worte Goues: denn Israel ist das Volk
des heilsgeschichtlichen Berufs.,,63
Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß v. Hofmann in seinem
Hauptwerk ebenso wie in seiner Jugendschrift mit Hilfe der Begriffe Person
und Natur auf eine theologische Deutung des umfassenden Geschichtslu-
sammenhangs als eines von der Geschichte Israels eröffneten eschatolo-
gischen Spannungsbogens zielt. Das religiöse Thema der Geschichte ist
demnach die Gutmachung und schließliche Verklärung der Natur zur Ein-
heit mit der Person, d.h. die allmähliche Befahigung des menschlichen
Weltverhältnisses, Träger des Gottesverhältnisses zu werden. Sofern die
Geschichte in dieser theologischen Betrachtung erscheint, ist sie Heilsge-
schichte. Die Begrifflichkeit von Person und Natur strukturiert so die theo-
logische Thematisierung der Geschichte als ganzer und kann darum als die
theologische Axiomatik von v. Hofmanns Konzept gehen,64 und die Einheit
beider in Christi Parusie bildet den Ausgangspunkt seiner Eschatologie.
Zugleich liegt hier auch der Ansatzpunkt für v. Hofmanns eschatologische
Sicht auf das Judentum, die im zweiten Unterabschnitt dieses Kapitels be-
handelt wird. Zuvor soll jedoch das Begriffspaar "Person und Natur" auf
Y. Hofmann den AntichriSI als innergemeindliches GeriChl neben dem uniyersellen (Zitat a.a.O.
1.57lLehrslück Vlll8]).
63 A.a.Q. 1.27.
64 Darauf weist schon v. Hofmanns schärfster Kritiker Kl.lEF0111 (1860) 205 hin. um sofort zu
bemerken. daß beide Bcgriffe bei v. Hofmann inkommensurabel seien. da er Nalur als Subslanz
denk~ und auf Seele und Leib beziehe (a.a.O. 207). Pcrson dagegen relalional auffasse und mit
dem Willen verbinde. Unserer Analyse zufolge bezeichnen freilich beide Begriffe Verhältnisse
und keine Substanzen.
% Zweiter Teil
65 Z.8. Y. HOFMANN (185US5) 1.235. Weitere Retrllkulionen: ....0. 1.258 Anm. 100.108:
1.260 Anm. I 16.
66 A.a.O. 1.26Of.: Der GeiSi gill als sill..Iich Bedingendes. die Scde als Bedingtes am Men·
,,""'.61
A.a.O. 1.2.59. Khefoths Kritik (s. S. 95 Anm. 64) mag freilich auf das o.g. suggeriene Ver·
51indnis zurückgehen.
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ehen Geistes gestellt, der auf Seele und Leib einwirkt: nämlich auf die See-
le, und dies auch durch Venninlung des Leibes, Für die Dämonologie häh
v, Hofmann im "Schriftbeweis" dies sogar als Regel fest,68 und sein Ver-
ständnis von Geschichte überhaupt zielt ja auf eine Einheit von Seele und
Leib, die solche Vernliulung zur Unmittelbarkeit aufhebt Es scheint daher,
daß v, Hofmann sein Verständnis des Verhällnisses von Person und Natur
1852 njcht geändert, sondern nur in einen größeren Rahmen gestellt hat.
Gerade weil aber das Verhältnis von Person und Natur die durchgehende
Konstante seines theologischen Denkens ist, könnte die genannte Selbstkor-
rektur den Eindruck verstärken. daß bei v, Hofmann eben die Aßlhropolo-
gie und nicht die Eschatologie den Horizont des theologischen Geschichts-
verständnisses bildet. 69 Die Beziehung von Person und Natur auf Gottes
Geistwirken, die v, Hofmann im "Schriftbeweis" vornimmt, erschiene dann
als ein AnalogieSChluß, der Gottes Sein aus der Beschaffenheit des Mensch-
seins zu folgern erlaubte,70 Die Theologie handelte demnach, wenn sie von
Christi Geist redete, eigenliich vom Christengeist 71 und entwickelle ledig-
lich die Geschichte der letztlich ungebrochenen Frömmigkeit des Men-
schen, denn die ihr entgegenstehende Sünde müßte in der Systematik von
Person und Natur als schuldloses Ausgeliefertsein der menschlichen Natur
an dämonische Geistwesen ohne Beeinträchtigung der menschlichen Person
gedacht werden. 72 In dieser Entwicklungsgeschichte der Anthropologie
bliebe der Eschatologie dann keine produktive Rolle mehr zu spielen üb-
.
ng. "
Dies sind die Einwände, welche die Forschung des 20. Jh, in sehenem.
überkonfessionellem Konsens von reformierten und lutherischen Autoren
68 DERS. (1857160) 1,359. Zu Beginn des chrislologischcn Lehrslücks liest man freilich a.a.O.
1,45: "Wir slehen in einer nicht blos sachlich, sondern persönlich venniuellen Gerneinschafl mil
GOII", wo in der Erstaunage gar stand (OERS. 11852/551 1.44): ..nicht sachlich. sondern persön-
lich", Doch der Satz nennt als Vernlilllllngsinst31lz die göltliche Person Christi. nichl die mensch-
liche Persönlichkeil.
69 Nach WENDEBOURG (1953) will Y. Hofmalln diese anthropologische Beziehung von Person
und N:llur auf den Geist (a.ll,O. 39) mit dcr kenolischen Verhältnisbcslimmung beider in der Chri-
slologie (a.3.0. 99-101) in eine Reihe, eben die Heilsgeschichle, stellen, was aber das Problem der
Sünde vernachlässige (a.a.O. 102).
70 Vgl. HOONER (1956) 120.121: "Gotl ist [sc. bei Y. Hofm3nn) eine anthropologische SeI-
zung"; ygl. BEIIR (1995) 81 f. und a.a.O. 76 (,.amhropologische Struktur göulictlcn Wirkens" als
Behrs Forschungsergebnis).
71 HOBNER (1956) 18: ..Er meint das lcsl[imoniuml sp[ irilusl s[ancli I inl[ernuml. auch wenn er
in Wirklichkeit vom subjekliven Glauben rede!."
72 A.a.O. 123 1.U Dämonologie und "RelatiYierung der SUnde"; ygl. BEIIR (1995) 85.90 zu
denselben Themen.
73 HÜBNER (1956) loor.: vg1. BEIIR (1995) 112.
B.yeriscM
Staatslltibllothllk
Münchon
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98 Zweiter Teil
82 So mit Recht ß ...CHM...NN (19103) 938f. Die Bedeutung v. Hofmanns ftir die Überwindung
des Supranaturalismus betont dennoch sein Biograph W",PLER (1914) 238.261 u.Ö. Und ftir
BEYSCIIlJ\O (1993) 61 ist v. Hofmann ,,der Erlanger Erfahrungstheologe schlechthin".
83 Dazu W .....LEk (1905) und wieder WENDEBOURG (t955), v.n. 3.3.0. 97f.
84 z.a. LEsStNG (1858) 11: ..Es soll nun aber nachgewiesen werden. wic durch diesen Glauben
an den aufcrstandenen Hciland [... 1schon jetzt ein Aufcrslehungsle~n. ein Hoffnungslt'~n in uns
gezeugt wird". Vgl. a.a.O. 9 zum Zusammenhang von Glaubens-, Liebes- und Hoffnungslehre.
85 Zitate 3.3.0. 42.41.41.
86 Zimte a.3.0. 112.110; don auch zur Entnahme der Heiligen aus dcm Gericht.
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Seele der Chrislen erhäll in dcr Auferstehung den Leib, den sie zu Lebzeiten durch
VerLehr des Leibes Christi im Abendmahl schon in sich angelegt haL ll1 Dieses ge-
samte Konzept einer durchgeistigtcn Leiblichkeit ist weniger der heilsgeschichtlichcn
Axiomatik als theosophischer Naturspekulation geschuldet und die recht auffallige
Abendmahlslehre ist direkt von dem christlichen Kabbalisten und Theosophen F.c.
Oetinger übernommen, der auch die Möglichkeit jenseitiger Bekehrung und die apo-
katastalische Tendenz teilt. 88
Genau gegen diese Tendenz schreibt der aus Jena stammende und in Basel und
Bem wirkende Arzt und Theologe ERNST JOSEPH GUSTAV OE VALENTI schon 1840
seine Eschatologie. Er hat dabei mit J. Böhme einen weiteren evangelischen Theoso-
phen und Kabbalisten vor Augen. Auch flir de Valenti ist das Zentralproblem der Es-
chatologie der Tod. und zwar der natürliche Tod89 als Trennung von Leib und Seele.
Entsprechend Luthers Ablaßthesen folgert er seinen Kernsatz, daß jegliche Beeinflus-
sung der individuellen Seligkeit oder Unseligkeit nach dem Tode ausgeschlossen isr,
weil sie der Alleinverdienstlichkeit des Todes Christi widerspräche. Stattdessen for-
dert er eine diesseitige...wahre Bekehrung".90 Gerade deswegen aber untersuchl de
Valent i in sieben kurren Abhandlungen die anthropologischen Möglichkeitsbedin-
gungen von Bekehrung; und hier hat der Arzt dcn Theologcn fest im Griff. Voraus-
setzung einer Bekehrung ist das Vorhandensein eines klaren und verständigen Be-
wußtseins. also einer Seele. Eine solche nimml nun der Traduzianer de Valenti 91 ftir
den gesamten Zeitraum ab der Zeugung bis zum natürlichen Tode an. Jedoch schiebl
er die Todesgrenze hinaus durch die zur selben Zeit auch von I.H. Fichte vertretene
Scheintodlehre. de Valenti trägt sie mit aller Autorität des medizinischen Fachmannes
vor: .. Es ist nämlich beinahe keinem Zweifel unterworfen, daß zwischen dem eigent-
lichen Todeskampfe und dem wahren vollkommenen Tode immer ein Jängerer oder
kürLerer Zwischenraum des bloßen Scheintodes minen inne steht';, in dem der ..Ver-
kchr der Seele mit dem bereils empfindungslosen Leibe" noch funktioniert. 92 Dcswe-
87 A.a.O. 68: ..Wer in den Himmel kommen will, muß den Himmel mit hinüberbringen, wer
zur Auferstehung der Seligen kommen will, muß den verborgenen Lebenskein Isic!l des himmli-
schen Auferslchungsleibes schon in sich lragen", allein: ..Unser Aufel1ilehungsleib wird also von
dem zweilen Adam, von dem Herrn Jesu. Slammen" (0.0.0. 67), d.h...wir nehmen besonden im
heiligen Abendmahl den verkJänen Leib des Herrn. der nichl blos zur lebendigen Seele. sondern
zum lebendigmachenden Geist geworden ist, in uns aur' (ebd.).
88 Vgt. a.a.O. 68 Anffi. zur Berufung auf Oetinger beim Thema Abendmahlsleib; Lessings
Schluß auf eine Entnahme der Gläubigen aus dem Gerichl verwirft Oelinger aber gegen bestimmte
hemlhulischc Ansichlen (WEYEJ!.-MENICIlOfF 120001 43f.). Die jenseilige Bekehrung leitel Delin-
ger aus einer kabbalistischen Etymologie des Wones ..Hades" von ch"dosch (erneuern) ob: "Der
Hades ist eine ElIleucrungsanstoll" (0.0.0. 45).
89 DE v .... t.Dm (1840) 2fT. unterscheidei daneben pcrsonifizienen. f1"IOf'8.lischen und ewigen
Tod.
90 Z.B. 3.0.0. 22 (Zitat) bezeichnet er ,.den nalürlichen Tod als den äußentcn Grenzpunkt
gölllichcr Erbannung". Vgl. a.a.O. 19 zum Bezug auf die Refonnalion.
91 A.a.O. 66 Anm.
92 Zitate a.3.0. 87 wegen Muskelzuckungen bei TOlen sowie post ellitum austragbarer
Schwangerschaften. Ähnlich behauptet Ul. FtCHTE (1855) l60ff. gegen Göscheis spekulative
Unsterblichkeit (s. Exkurs I, hier S. 66f.) deren Ausweisbarkeit an der Himphysiologie.
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gen kann rur keinen Sterbenden die Möglichkeit einer nach außen nicht wahrnehmba-
ren Bekehrung im Tode ausgeschlossen werden, und so schränkt de Valenti den Kreis
der Verdammten trotz seines Beharrens auf der Notwendigkeit diesseitiger Bekeh-
rung immer weiter ein; miß- und totgeborene sowie ungetaufte Kinder von Christen
sind ebenso ausgenommen wie Menschen. die nie christlich missioniert wurden.'B
Zuletzt ist rur de Valenti wie fUr Lessing nur noch die willentliche Verwerfung Chri-
sti verdammlieh.
3. Eschatologische Aml/ropologie als Ergebnis. Gerade der Vergleich mit dem
ausdrücklich um die Theosophie kreisenden Diskurs zeigt den deutlichen Abstand
v. Hofmanns zu naturphilosophischen Gedanken. Das Problem, um das trotz gegen-
sätzlicher Positionen sowohl Lessing als auch de Valenti ringen, ist. die Ausschließ-
lichkeit von Christi Heilswirksamkeit zusammen mit der Tathaftigkeit der Bekehrung
festzuhalten,94 um die es beiden aufgrund ihrer pietistischen Herkunft gehl. Dies ist
das Problem von menschlicher Aktivität und Passivität in bezug auf das Heilsgesche-
hen. und beide nehmen ihre Zuflucht zu Theoremen von Bewußtseinstrübung und
Scheintod, also zu einem Kapitel medizinischer Anthropologie (Pk1. 2). Gefordert
wäre jedoch eine theologische Anthropologie, und genau eine solche erstrebt
v. Hofmann. wenn er in Abkehr von der christologischen Tradition (Pkt. I) die Be-
griffe Person und Natur eschatologisch von der Parusie Christi her interpretiert. Ge-
wiß folgt v. Hofmanns Einftihrung der Begriffe auch der zeitgenössischen Ansicht,
daß die geistige Sphäre des Menschseins sich über die leibliche erhebe, wie man es
mit der Gegenüberstellung von Geschichte und Natur ausdrückte. Aber indem er die-
se anthropologische Anschauung auf die Parusie Christi bezieht. erreicht er im Ansatz
und Grundsatz eine eschatologische Anthropologie. die sich noch als belangreich ruf
eine evangelische Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum erweisen wird.
93 Vgl. 00 VALEI'm (1840) 67: •.Für Aftergewächse wird ja ohnehin Niemand Unslerblichkeit
begehren" bzw. 70.67 fUr Ungel8ufte bzw. Unmissionierte (anders a.a.O. 74 filr getaufte Chrislen
aoderer Konfessionen).
94 Dies verbindet beide mit der Eschatologie von T. HARMS. dem Bruder des bekanrllen Her-
mannsburger Missionars. Sie ziell in sechs erwecklichen Predigten ab auf das diesseitige Leben als
einzige Mögliehkeit zur vollkommenen Bekehrung. zu der dann am Ende der Predigten eltplizit
aufgerufen wird mil der Verheißung. doß die Bekehrten nicht ins Gerichl kommen (DERS. [18751
80.74; vgl. T. Lessing). Sie haben nach Harms auch gar keine Sünden. soodem nur gute Werke
vorzuweisen (a.a.O. 82). Gleichwohl dient die Eschatologie ihnen als Bckehrungsaufruf zum Er-
schrecken über ihre Süoden (a.a.O. 97).
95 LaUI dem Fazit bei BECKMANN (2002) 299f. 311 kompromiuien v. Hofmann die refonnato-
rische Lehre von unfreiem Willen und Verstockung. wenn er dem Judentum die Ablehnung Jesu.
durch die die Kirche in die Heilsgeschichle eintriII. als Schuld vorhält. Diese zutrerrende Beob-
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achtung stellt allerdings nicht in Rechnung. daß hcilsgcschichlliche Theologie als eschalOlogische
Amhropologie :loch das Verhältnis von gönlicher und menschlicher Beteiligung am Heilsgesche-
hen rdonnulieren muß.
96 So Becks Hernusgeber und Schwiegersohn J. Lindenmeyer: BECK (1886/81) LV. Er war es
auch, welcher der separaten Eschatologie. materialilcr § 25 der Glaubenslehre, wenige $c:ilen aus
deren § 24 (nämlich a.a.O. 11,635--6(2) voranstellte und damit eine bestimmte Interpretation na-
helegte. Ich zilien: aus der Eschalologie im folgenden mil der Paginierung nur der Glaubenslehre.
97 ZOO. a.a.O. 1.395: 1I.670. Ein Eintrag "Heilsgeschichte" fehlt im Register a.8.0. 11,776.
98 Betont von HOl'FMA/liN (1975) 145.147 u.ö.
99 BECK (1886187) 11.779.
100 A.a.O. 11.636. Aa.O. 11,637 zur Unterscheidung von Reich Gones und Reich Christi.
101 Zitate 8.a.0. 1J,638.707.
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102 A.a.O. 11.639f. fUhrt ..das Reich der Heiligen auf. oder vielmehr Christi Reich in dieser
Form".
103 A.a.O. [1.638.755.
104 Geist und Leib korrespondieren in den Passagen zur Parusie 8.a.0. 1I.676f. dem Reich
Christi und dem Reich des Vaters a.a.0.1I.716.761.
105 Die Himmelfahrt erscheint als Einheit von Geist und Leib a.3.0. 11.497.567f. 633.
106 S. S. 93 Anm. 55. Bei BRElDERT(1977) 115.252 erscheint Beck denn auch nicht selbsl als
Kenotiker. wohl aber als Lehrer zweier entschiedener KellOliker: W.F. Geß und J.F. v. Reiff.
107 BECK (1886/87) 11675. A.a.O. 11.673 bezieht er dies zwar auf .,die erste Erscheinung".
führt aber mit "der Vollendung nämlich des Versöhnungswerks" (also mit Himmelfahrt) fort.
Noch deutlicher ist 8.a.0. 11.668 ..die Möglichkeit einer vollkommenen Umbildung der Menschen-
OOO~0222
nm ur I... J in Jesus Christus bereits f:IClisch gelöst"·. Diese Stelle ist. da die anschließende "Centr.ll-
stellung. die Christus im Weltganzen einnimmt", nichts anderes ist als .. di~ Sulll/n8 (/~s ~rhahlen
Chrisws :ur ",...JI im AlIgl'ml'inell" (a.a.O. 11,635), nicht mit liOFfMANN (1975) 297 auf das
"Koml1lt!n Jesu Chrisli in der Vergangenhcil" zu beziehen. soodcrn auf Uimmelfahn.
lOS UAKE (1999) 62 unlerscheidel unter der Überschrift "Das mehrfache Kommen Chrisli"
.Arei verschiedene. chronologisch gestufte Parusien", weil sie die geislige Anwesenheil Chrisli in
der Kirche ntehl mitzählt. zu der aber UOfFMANN (1975) 30 I mit Recht bemerkl: ,.eine vOflauftn-
de Gwalt der Parusit".
109 DEas. (1975) 308319 kritiSiert 8ecks Einreihung der Parusie in ein kOOlinuierltehes Ge-
schchtn: tbenso mit fast denselben Wonen HAKE (1999) n, die freilich a.a.O. 69 sagen kann:
•.EnISChc:idcnd iSI das eschatcMogische Moment, lriu doch als Zielpunkl der Bcck'schcn 1bcologte
klar die zukünflige Parusie Christi hervor.-
110 Reo: (1886181) 11,677.
111 Ilienauf wti51 zu Recht PAE (1989) 73 hin.
106 Zweiter Teil
Was die Prophetie perspektivisch zusammenschaut, das legt die AJX)kalyptik in seine
einzelnen Enlfallungen und Zeiträume auseinander. So sind bei Daniel einerseits die
vier Wellmonarchieen die aJX)kalyptische Entfaltung der einen Weltmacht. welche die
Propheten je nach ihrer geschichtlichen Stellung Assur oder Babel u. dgl. benannl
halten; andererseits ist die messianische Weissagung des 9. Kap. nichts Anderes als
die Auseinanderlegung des typischen und des antitypischen Heiles. der vorläufigen
Erlösung aus dem Exil und der vollen messianischen Erlösung. welche von den Pr0-
pheten noch zusammengeschaut worden waren. 1I6
112 Auberlen geht es nicht um die Trennung sakraler von profaner Geschichte. da er auch die
Deutung auf die Kirchengeschichte abweist und so E. W. Hengstcnberg gegcn sich hat (AUBERLEN
[18541221 u.ö.). Vielmehr sieht er das Heil gerade in einer dcr Kirchengeschichte jenseitigen
Geschichte verwirklichl. eben der Offenbarungsgeschichte (z.O. a.a.O. 16: ..Der ofrenbarungsge.
schichtliche Ausgangspunkt"). und darum ist der Anlipode dieses .Jenseitsrealisten" niemand
anders als der ..Geschichtsrealisl'· v. Hofmann (die Tennini bei Wem [19311 115)1
113 AUBERILN (1854) 21.18 mit Blick auf Daniel. den er lIufgrund 5Ciner Ablehnung zeitge.
schichtlicher Auslegung an den Beginn des Exils dalien (11.11.0. 14): entsprechend rur den Seher
Johannes am Ende der Aposlelzeit.
114 A.•.O. 14.
115 A.•.O. 2; vgl. ....0. 22 nebst Datierung Danieis ins babylonische Exil. Auberlen ergänzt
•.LO. 26r.• daß Da ja im hebriischen Kanon nicht zu den ,,~bj' im. sondern den lnubim gehöre.
116 A.•.O. 15.
111 A.a.O. 97 ruhn Aubcrlen den jüdischen Gelehnen Abarbanel (d.i. der ~i S. 29 Anm. 58
vorgeslellte lsaac Abrabanel) zur 8eslliligung an. Gegen die Deutung der Zeilgc:schichller (.Iso
v. Hofmanns) hei81 es ..a.O. 155; .Jhre Berechnung isa im Prinzip verfehlt.
M
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sagung überbrückt nach Auberlen, gut apokalyptisch,1I8 die bis in seine ei-
gene Zeit reichende Geschichte der Welthegemonien Babyion, Persien,
Griechenland und Rom samt dessen Translation ins deutsche Reich. 1I9 So
handelt diese Weissagung von der messianischen Zeit als Millennium: 120
ein organisiert verfaßtes Reich der Christen, das zugleich im Gegensatz zur
Zeit der Weltreiche nicht bloß äußerlich ist. 12I
Diese beiden exemplarischen offenbarungsgeschichtlichen Exegesen
Auberlens führen im Vergleich mit v. Hofmann zu dem verblüffenden Re-
sullat, daß er sich im ersten Beispiel schroff gegen dessen zeitgeschichtliche
Exegese absetzt, im zweiten FaIJ (beim innerlich-äußerlichen Chiliasmus)
dessen Konzept einer Vollendung der Natur zur Einheit mit der Person aber
genau übemimml. 122 Vollends kann Auberlen von seiner Chiliasmustheorie
aus eine universalgeschichtliche Skizze ansetzen, die die heilsgeschichtli-
che Axiomatik von Geist und Natur nun auch explizit aufgreift. Demnach
slellt sich die alttestamentliche Geschichte bis zu Christus als eine Indienst-
nahme von Natur und Geschichte durch Gottes Offenbarungshandeln dar,
während von der neutestamentlichen Zeit bis zum Millennium Christi le-
ben zur .,Macht der Naturverklärung" wird. Das Millennium und die altte-
stamentliche Geschichte entsprechen sich hier komplementär, so daß "don
im Geiste" geschieht, "was hier im Buchstaben und daher in nationaler Ein-
schränkung geschah".123 So endet Auberlen, dessen offenbarungsgeschicht-
liehe Methode doch gerade gegen v. Hofmann entworfen war. zuletzt doch
als ein Schüler der v. Hofmann'sehen Axiomatik von Person und Natur, und
zwar ist die Apokalyptik dabei auf jene zu beziehen. die Prophetie aber auf
124
diese.
Grund für diese Diskrepanz dürfte sein. daß Auberlen sein eigenes Kon-
zept von Apokalyptik als ..Auseinanderlegung" der Prophetie selbst nicht
durchhält. wenn er über die seinem Entwurf so unentbehrliche Stelle Da
9.24-27 im Widerspruch zu seiner These vom weltlichen Standpunkt des
Apokalyplikers schreibt: .•Alle diese Ge,ichle [Da 2.7f. 10-121 gehen vom
Standpunkt der Weltmacht aus. das unsrige (Da 91 dagegen durch und
durch von dem des Bundesvolks:'12S Wir können somit festhalten, daß Au-
herlen gerade in seinem Widerspruch zu v. Hofmann diesem nahe ist hzw.
in jenem Widerspruch sich selbst widerspricht. Allerdings weist Auberlen
auf ein SachprobJem hin, daß nämlich die für die Apokalyptik angeblich
kennzeichnende offenbarungslose Zeit. die Zwischenzeit, wie v. Hofmann
sie genannt hätte, zwiespältig ist Heilsgeschichllich eher wirkungslos, ist
sie doch die Zeit der Kirche. der die Heilsgeschichte gilt. Das Problem wird
126
uns noch beschäfligen.
c) Geist und Natuf. Der Leipziger Dogmatiker CHRISTOPH ERNST
LUTHARDT publiziert in dichter Folge 1855 und 1856, unmiuelbar nach Ab-
schluß von v. Hofmanns .,Schriftbeweis". in der von diesem herausgegebe-
nen ,,Zeitschrift für Protestantismus und Kirche" drei Aufsätze. die den
Grundstock seines zwischen 1861 und 1885 in drei Aunagen veröffentlich-
ten Sammelbandes zur Eschatologie bilden. Kirchenhistorischer Hinter-
grund der Veröffenllichungen ist die auf E. lrving zurückgehende Kalhe-
lisch-AJX)Stolische Gemeinde, die in jener Zeit starken Zulauf findet. Sie
triu als kirchliche Refonnbewegung auf und lehrt. nur eine Kirche in den
Strukturen urchristlicher Ämter könne durch Entrückung dem kommenden
Gericht entnommen werden. das dann vielmehr Israel treffe. 127
In den fünf Abhandlungen. die in Luthardts Buch die Grundlegung zu
sechs einschlägigen Schriftauslegungen bilden, stellt der Autor die Es-
chatologie jeweils entlang demselben Grundgedanken dar. Dieser Gedanke
ist der Gegensatz von Gottesreich und Weltreich. 128 Er trin mit dem baby-
125 AUßERILN (1854) 161. Vgl. damil a.a.O. 75 (bei S. 106 Anm. 116) in Verbindung mit
l.a.O. 22 (S. 106 Anm. 115).
126 Es laOChle schon bei Bed: auf. der auS~rtthncl die Himmelfahrt als Parusie verslehen
~onnte.
127 LUihanhs einschlägige Aufsitze erscheinen auf dem Scheilelpunkt der Kalholisch·
Aposlolischen Bewegung (von ihm als .JrvingianismllS·· beu;chnel). da 1855 die crslen ihrer
Apostel sierben. Bezug auf die Bcv.-cgung nimml die Rede über •.manches Krwtkhafte und Un·
richlige" bzw. die: .xhwännerischcn Gedanken" (LunIARDT II86t) VI bzw. OERS. (18701 VII) in
den Vorwonen zur ersten und selbst noch Zv.-eilen Aunage des Sammelbandes. die 1870 ~rKheim
- bt.reils nach Spaltung der Bewegung (1863) in Kalholisch·Aposlolische Gemeinde und (später
sog.) Neuaposlolisc.he Kirche.
128 Grundsiu.lich CERS. (1861) 23. daneben •.•.0. 10. Hier sind Einnüsse Aubt.rIcns denkbar.
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Ionischen Exil ein: '29 Das Volk Gottes verliert sein Reich, d.h. seine organi-
siene Verfaßtheit als jüdisches Königtum, und ein anderes Staatswesen tritt
mit hegemonialem Anspruch auf, was es unvereinbar mit der ebenso
menschheitsumspannenden Reichweite des Gottesreiches macht. l30 Mit
dem Weltreich kann das Gottesreich darum nur so koexistieren, daß es, wie
das Christentum seit dem Neuen Testament grundsätzlich, allein auf geisti-
ge Weise, ohne organisiene Verfaßtheit als Reich besteht. lJI Eine solche
kann es nicht von der Staatlichkeit weltlicher Reiche übernehmen, sondern
nur von Israel, in dem das geistige Reich eine "nationale Naturbasis" be-
saß. 132 Eine solche geistig-natürliche Restitution des Gottesreiches wäre
wegen des Gegensatzes beider notwendig das Ende des Weltreiches und
damit das Eschaton. Luthardts Eschatologie läuft so zu auf das Millennium
als jüdisch-christliche Einheit von geistigem Gottesreich und natürlicher
VerfaBtheit desselben. 133 Darin besteht die eschatologische Bedeutung des
Judentums,l34 und deswegen ist für Luthardt die Wiederherstellung und Be-
kehrung des in der Diaspora lebenden Israel das entscheidende Vor.leichen
des Endes. 1J5
Auch wenn Luthardt den tragenden Grundgedanken hinter diesem es-
chatologischen Konzept nur ausnahmsweise auf prägnante Begriffe bringt,
liegt er doch, wie die gegebenen Zitate zeigen, unübersehbar in der Korre-
lation von Geist und Natur. Sie bestand im alttestamentlichen Judentum der
Königszeit als Einheit von Sinaibund und Davidsbund, wird im Neuen Te-
stament auf den gegenwärtigen Geist reduziert und eschatologisch durch die
chiliastische Einheit von christlichem Geist und jüdischer Naturbasis voll-
129 So a.a.O. 10; a.a.O. 23 denkl Luthardt an die Reichslcilung. ohrK: daB dies viel zur Sache
läte: cs geht jeweils um den Wegfall der verfaßten Gestalt des Gottesreiches.
130 Zum. wcnigstens intenlional, menschheillichen Horizont des GOlles- wie des Wehreiches
a.a.O. 10 bzw. 14f.
131 A.a.O. 19: .,Paulus hat die Kirche daher lediglich auf die Basis des Geistes Bufgebaut und
in seinen Grund eingesenkt:' Vgl. a.a.O. 25: .Das iSI der Gcistesanfang des Reiches, den er lJesusl
zu schaffen begehn: aber die geschichtliche Verwirklichung und Aufrichtung des Reiches ist S:I-
che der Zukunft."
132 Zilat a.a.O. 18: vgl. zur ..Naturbasis'· (a.a.O. 17) als der bleibenden .,Bedeulung" Israels
fUr das Christentum (a.a.O. 20). Luthardt nimmt hier viele Gedanken gegenwliniger Beilräge zum
christlich-jüdischen Dialog vorweg, besonders mil seiner Ablehnung der spätcr sog. Substitutions-
theorie (a.a.O. 17f. 20).
133 A.a.O. 18.25 zur Identifikation Israels als Boden des Chiliasmus, der a.a.O. 33-35 aus-
flihrlicher themalisien ist.
134 Z.B. a.B.O. 18.20.25.27 und der ganze Aufsalz ..Die Zukunfllsraels" (a.a.O. 106-123).
135 A.a.O. 21: ..H:lt die Vollendung der Kirche Isrnels Bekehrung urKl Wiederherstellung zur
Voraussetzung, so iSI dieB also die erste weilcrführende ThBlsache, die überhaupt einzutreten hat"
Vgl. a.a.O. 25.42.77.115f.
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1J 0 Zweiter Teil
endet. In diesem bei Luthardt fast auf jeder Seite nachweisbaren Entwurf
von Heilsgeschichte entdeckt man sofort die Stufung von persönlicher Er-
füllung und natürlicher Weissagung in v. Hofmanns Jugendwerk. l36 Mit-
unter zitiert Luthardt v. Hofmanns Schlüsselsätze der Eschatologie gerade
da, wo es um ihre Bedeutung für die Wahrnehmung des Judentums gehl. So
nennt er die Bibel "Denkmal der Geschichte Israels", um den israelitischen
Charakter der Heilsgeschichte zu betonen: ,,zwischen Anfang und Ende
Israels nun ist die Zeit und Kirche der Heiden zwischeneingeschoben" ,137
und er hält fest: "Alle andem Völker haben nur kirchengeschichIlichen Be-
ul38
ruf, Israel ist das Volk des heilsgeschichtlichen Berufs.
Freilich führt diese Betonung des jüdischen Charakters christlicher Es-
chatologie dazu, daß die systematische Bedeutung, welche bei v. Hofmann
die Parusie Christi hat - die Einheit von Person und Natur darzustellen -,
bei Luthardt eher das Millennium als Einheit von Geist und Natur über-
nimmt. Doch dies ändert nichts an der streng eschatologischen Ausrichtung
seines Konzepts von Heilsgeschichte, da er das Millennium engstens an
Christi Parusie anbindet und beide als Eschaton scharf abhebt von den Vor-
zeichen des Endes. 139 Auch die andere und auffallende Differenz zu
v. Hofmann, daß nämlich Luthal'dt die chiliastische Einheit von Geist und
Natur als Wiederherstellung des alttestamentlichen Gottesreiches erwartet.
ändert nichts an der eschatologischen Ausrichtung, da Luthardt andernorts
mehrere Eschatologumena als Verzukünftigung alttestamentlicher Erwar-
tung darstellt. l40 Dies entspricht v. Hofmanns Annahme einer heilsge-
schichtlichen Zwischenzeit der Kirche, der eben erst das Eschaton selbst
zum Fortschreiten verhelfen kann.
Auf Grund dieser weitreichenden Ubereinstimmungen wird man resü-
mieren können, daß Luthardts Axiomatik von Geist und Natur derjenigen
141
von Person und Natur bei v. Hofmann entspricht.
136 Dies umso mehr. als LUTHARDT (1861) 77 rur das Millennium v. Hofmanns Begrifflich-
keil von Person und Natur gebraucht: ..Das kann aber nichls anderes sein. als daß. nachdem die
GOllesgemcinschaft des Personlebens hergestellt isl. auch das Nalurleben in dieselbe aufgenom-
men, d.h. also verklän werde."
137 Zitate 8.a.0. 19: das erste Zilal greif! V. HOFMANN (1857/60) 1.22 auf.
138 LlJTllARDT (1861) 120; der zweite Halbsalz ist ziticr1 aus v. HOFMANN (1857160) 1.27.
139 Diese Unterscheidung von Vorleichen und Ende selbst ist im hislori.schen KonteJL:1 gerade
die arguffiCnlalive Poinle. mil der Luthardt die katholisch-aposlOlische Lehre einer Entrückun8
zum Millennium \'0' der Parusie Chrisli zum Gericht als Melabasis eis allo geoos abweis!.
140 LUTlIARDT (1882) 363.365 rur die eschatologische Mission und die Parusie.
141 Das Ergebnis der einzigen größeren wi.ssenschafllichen Unlersuchung zu Luthardl. daß
seine Sozialethik im Anschluß an A. v. Harleß ".zwei Lebenssphären'" (RIESKE-BRAUN 119931
143 mil LuthanilziIBI). nämlich den religiös-sittlichen Bereich und die natürlich'geschichtlichen
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Lebensordnungen. unlerscheide und in "harmonische[rl Teleologie" (a.a.O. 148) auf die ..Durch-
dringung" (ebd. u.ö.) lelZlerer mil der .,ChriSllichen Gesinnung" (a.a.O. 142: •.LuthardIS ethischer
Zentralbegrirr') erslerer ziele, stützt sich genau auf Luthardls Unterscheidung von Person und
Nalur: Er wolle damil in Abgrenzung von Luther ausdrücken, daß der Mensch nur als gleichartiger
Teil der Natur unfrei sei, in seiner Siulichkeit aber als von Golt angeredete Person frei (a.a.O.
138). so daß die persönliche Freiheil allCh das Leben in den natürlichen Ordnungen durchdringen
könllC (z.B. a.a.O. 145). - Wenn Rieske-Brnun in dieser Verhällnisbeslimmung von Person und
Natur cillC ..semipelagianisierende" (a.a.O. 136 u.ö.) Tendenz ausmachl, dann m.E. deshalb, weil
er ihren eschalologischen BegrUndungszusamlllCnhang nicht einbez.ieht, in dem sie. wie gezeigt. in
LUlhardts ..Lehre von den letzten Dingen" steht.
142 KARSTEN (1858) 7 (Kap. I). A.a.O. VII über das Verhällnis zu v. Hofmann.
143 A.a.O. 32 (Kap. 11): "die Rechtfertigung 1... 1 iSI als göttliche Gabe vollkommen [... ]. Da-
gegen muß die Heiligung täglich in uns zunehmen."
144 A.a.O. 64. Dabei behandeln Kap. U1-V die Individual- und Kap. VI-X die Univemles-
chatologie.
145 A.a.O. 75 (Kap. 11I); a.a.O. 63f. zum Tod als Abschluß der individuellen Heilsgeschichle.
146 So rur die Unseligen a.a.O. 75 (Kap. 11I) in individual- und a.a.O. 300 (Kap. X) in univer-
saleschalologischer Hinsicht, was dle Bedeutung des BegrilTspaarcs von Geist und Körper rtlr
Karslens gan1.e Eschatologie zeigt.
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schichte. Ihr Motor ist die Spannung von christlichem Glauben und jüdi.
schem Unglauben an Christus, durch den die Christen allererst Zweige am
147
Baum der Geschichte Israels werden. Dementsprechend lenkt die Parusie
als universelles Ende die Geschichte wieder in israelitische Bahnen, d.h. sie
mündet in "ein einiges seliges, christliches Israel" ,148 das während lausend
Jahren das verklärte ,)erusalem und das heilige Land" beherrscht. Dieses
Millennium wird in seiner Verklärtheit als "geistleibliches Dasein" be-
schrieben, und auch diese Verbindung von Geist und Leib kann Karsten mit
149
dem paulinischen Ölbaumgleichnis illustrieren.
In der phasenweisen Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung, indi-
vidualeschatologisch als Ergänzung des Geistes durch den Körper, univer-
saleschatologisch als organische Eingliederung der Christen in das jüdische
Volk, erkennt man unschwer v. Hofmanns Begriffspaar von Person und
Natur wieder. Die Vorstellung, daß Heilsgeschichte die Einspeisung der
Heiden in Israels Geschichte sei, ist in v. Hofmanns Qualifikation der
Heilsgeschichte als israelitischer Geschichte stets präsent. Wie v. Hofmann
spricht Karsten von einem goumenschlichen Personleben des wiederkeh-
renden Christus als dem eigentlichen Ende, in dem beide Seiten vereinigt
sind. Freilich lassen sich auch Unterschiede nicht übersehen, so bei Kar·
stens stärkerer Betonung der Individualeschatologie. Vor allem aber lenkt
Karstens Kerngedanke, daß die Heilsgeschichte Gnadenfrist sei, den Blick
genau auf die Zeit der Kirche, die v. Hofmann als heilsgeschichtlichen Still-
stand eher auszuklammern scheint. Man kann somit festhalten, daß trotz
einiger Verschiebungen v. Hofmanns Axiomatik von Person und Natur bei
Karsten in den Termini Rechtfertigung und Heiligung zur Geltung kommt.
e) Unendlichkeit und Endlichkeit. 1866 erscheint in Rostock eine Vor-
tragsserie zur Eschatologie aus der Feder des Pfarrers WILHELM FLOERKE.
Sein Grundgedanke, dargelegt im ersten Abschnitt. ist. einen Zentralsalz
lutherischer Christologie auf die Eschatologie anzuwenden: finitum capax
infinili.l~ Die zweiten bis vierten Abschnitte handeln von der stufenweisen
151 Aa.D.9 mit der Gliederung ..zunächst"· - ..zweitens·· - ..driUens··. der die Folge der Kap.
11. 111. IV entsprichl.
152 A.a.D. 9: •.Also nicht von der Kirche. sondem vom Heml aus enl~teht der Begriff der
letzten Dinge:' A.a.Q. 75: ..Nicht die Weh mil ihrer Elllwicklung. sondern der Herr fllhn solehen
ISC'. Jüngsten) Tag herbei".
153 Aa.D. 19 kann ..der Eingang in den Hades daher auch nur Sieg und Herrlichkeitsoffenba-
rung sein".
154 A.a.D. 26 (Kap. 11).
155 Für die Geschichle ist der jüngste Tag •.freilich noch keineswegs ihr niichster und aus-
schließlicher"' Zweck: erst in der Periode der Vorzeichen werden .,alle ihre Entwicklungspunktc
nicht mehr durch ihre eignen. sondern durch die direkten Zwecke des jüngsten Tages bedingt wer-
den" (a.a.D. 32(, 33f. IKllp. 1111).
156 Aa.D. 55(, (Kap. 111).
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157 So gebe es mit der Parusie ,.kein chronologisches. sondern nur ein sachliches Nacheinan-
der"' (a.a.O. 72: Hervorhebungen aufgehoben).
158 A.a.O. 66 (Kap. IV) nebst der Feststellung, Chiliasmus sei seinem Wesen nach immer
Prämillenniarismus.
159 A.a.O. % (Zitat) sowie a.a.O. 108 zur Überhöhung der beiden ersten Bräuche des Gesetzes
durch den usus in renalis. Aoer\:e ergänzt a.a.O. 97, daß die unterschiedliehen Herrlichkeitsgrade
innerhalb der allen gleiehen Seligkeit durch die Verschiedenheit der ...höhern ßeamtung" in der
Ewigkeit ausgedrückt würden.
160 Zitate 3.a.0. 83.93 (heide Kap. IV).
161 A.a.O. 110 (Kap. IV).
162 Vgl. die Abgrenzungen a.&.O. 8 bzw. &.a.O. 19.
163 A.a.O. 33. Bei den endgeschichtliehen Vorzeichen treibt F10erkes Einzelauslegung zudem
besonders konfessionalistische Blüten. Demnach sind die Judäer unter den 144.000 Versiegelten
aus Offb 7.4 die lutherische Kirche (a.a.O. 44). Das irenische Laodieea aus Offb 3.14ff. steht für
die Kirche der altpreußischen Union (a.3.0. 57). Der Antichrist schließlich wird vorn Katholizis-
mus verkörpert (a.8.0. 6O.63f.).
164 A.a.O. 75.
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165 KLlEFQTH (1886) 4.5 (§ I): •.AlIe diese die Vollendung verhindernden Dinge 1... 1 hebl
keine Enlwickelung auf:' - •.Demnach werden wir neue Goltesthalen erwarten müssen".
166 Zitate a.a.O. 226.26: überhaupt a.a.O. 26f. (§ 4) und das Inhallsverzcichnis zur Zweitei-
lung der Eschatologie nach Vorbereitungen des Endes (U 5-18: Zwischenzustaod IU 6-121 und
Vorl.eichen des Endes IU 13-18]) und Ende selbst (U 19-26: als Parusie IU 20-241 und Ewig-
keill§§ 25-261).
167 A.a.O. 86.
168 Dies ist Klicfolhs Ergebnis zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele (§ 6).
169 Dagegen a.a.O. 74: ..Es wird zwischen dem über jeden Menschen bei seinem Ableben er-
gehenden Gerichl und dem Endgericht der Parusie ein Unterschied stall finden mUssen:' Diese
Unlerscheidung ist Them.1 des § 7.
170 A.a.O. 86 zur sprunghaften EnlsUndigung und a.8.0. 111f. zur Nachberufung. Der Unttr-
schied von berufenem und unberufenem Zwischcnzustand iSI Thema der §§ 10 bzw. 11.
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111 A.a.O. 75. KliefOlh nennl das Gerichl im Tode hier auch ein ••Vorgerichf'.
172 A.a.O. 287.
173 Auf Asymmelrien macht auch HJElDE (1987) 192 aufmen:sam: Der erste Teil ist nach
dem Schema von IndiYidual· und UniYersalesc:hatologie lInlerglieden. der zweite nach dem von
Heil lind Unheil.
174 KUEfOTtI (1886) 190.344f. mit Verweis auf § 16 (WKlerlegung des Chiliasmus). wo es
La.O. 162 hieB: ..diese Weissagung muB ih~ Erlüllung finden. so ",,"Cit sie sie nicht schon gefun-
den bat. und zwar n'alilcr und yoll".
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sehe, ja raumzeitliche Struktur der Ewigkeit, eben der neuen Erde, vorgege-
ben habe.
Kliefoths Eschatologie muß somit im Zusammenhang mit dem Konzept
v. Hofmanns gesehen werden. Daß er diesen wohl mit der Kritik an "der
jetzt beliebten lsraelolatrie" im Auge hat 115 und auf annähemd fünfzig Sei-
len den Chiliasmus in Bausch und Bogen verwirft, gibt Kliefoths Enlwurf
kaum eigene Konsistenz, denn sein entscheidendes Argument gegen den
Chiliasmus: daß er ein ,,Zwitterding" sei, welches den ,.Grundfehler'· bege-
he, "zweimalige Parusie" und "doppehe Auferstehung" anzunehmen,176
überzeugt wenig in einem Konzept, das ganz auf Doppelungen und Zwei-
teilungen gebaut ist.
Während nämlich bei v. Hofmann die Pointe der Axiomatik von Person
und Natur inhaltlich auf ihrer Verklärung zur Einheit im Christus der Paru-
sie liegt, wendet Kliefoth die entsprechenden Begrifflichkeiten mechanisch
als Formprinzip an. Während die Heilsgeschichtliche Theologie Unseligkeil
gerade nicht als bloß negativ gespiegelte Form der Einheit von Person und
Natur, sondern als deren Verfehlung denkt, ist sie für Kliefoth das exakte
Spiegelbild zur Seligkeil. 177 Die eigentliche Absicht der heilsgeschichtli-
chen Eschatologie, daß sie auf die Herrlichkeit Christi und die Neuschöp-
fung der Welt zieh, kann Kliefoth daher nicht ausdrücken. Seine Es-
chatologie wirkt trotz ihres anschaulichen Materialreichtums wie ein vom
Inhalt abgelöstes fonnales Konstrukt, das ohne den abgrenzenden Bezug
auf die Heilsgeschichtliche Theologie kaum verständlich wäre. Auch Klie-
foths Eschatologie ist daher, wie diejenige Aoerkes, im Zusammenhang der
Heilsgeschichllichen Theologie zu sehen. 118
Das hier zusammengetragene Material erlaubt ein Fazit: v. Hofmann
strukturiert die Eschatologie im Ausgang von der Parusie mit Hilfe der
Axiomatik von Person und Natur als allmähliche, stufenweise Vollendung
des Weltverhällnisses (Natur) zu seiner Einheit mit dem Gottesverhältnis
(Person). Diese Axiomatik findet sich in mehr oder weniger abgewandelter
Form auch bei Beck, Auberlen, Luthardl, Karsten, Floerke und Kliefoth.
Zudem bestehen zwischen den genannten Theologen auch kirchenge-
schichtliehe Beziehungen, die mehr sind als untergründige Strömungen,
deren Aufspüren den wissenschaftlichen Wert von Wünschelrulengängen
175 Zilat a.a.O. 346, dort auch. mit Yielen Bedenken. zum eyentuellen Vorzug ISflleiS.
176 Zitate 3.3.0. 190.189.189.189.
177 Y. Uofmanns und Karslens Poinle im Umgang mit dem Problem der ewigen Verdammnis
ist dagegen. dnß die Unseligen als Geister ohne Körper (s. S. 94 Anm. 62 bzw. S. 111 Anm. 146)
weder seJbslleiden noch jemandem Leid anlun können.
178 WEBER (1955/62) 11,738 Anm. 3 7.ähh Kliefoth zur Heilsgeschichtlichen Theologie.
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179 Späler lrill noch ein baltischer Zweig hinzu (5. Kap. V.2.2. hier S. 253-255).
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ist keine andere als die alttestamentliche Zukunftserwartung, Israel ist die
Zukunft der Kirche. Deswegen steht zum einen mit den Verheißungen des
Alten Testaments die eschatologische Verheißung immer gleich mit zur
Debatte, deswegen wird zum anderen mit dem Chiliasmus notwendig auch
die Frage einer christlichen Bekehrung Israels zum Thema. Letzteres zeigt
sich daran, daß Chiliasmus nicht ohne Bekehrung Israels und diese nicht
gegen jenen vertreten werden kann; man vergleiche etwa Kliefoth mit den
übrigen Genannten. Ersteres war besonders gut bei Auberlen zu beobach-
ten, der ursprünglich gegen v. Hofmann für die rein eschatologische Deu-
tung alttestamentlicher Verheißung eintrat, ihm letztlich aber doch in einer
Korrespondenz von zeitgeschichtlicher und eschatologischer Interpretation
beipflichten mußte. Beides zeigt sich deutlich auch bei v. Hofmann. Wenn
er in seinem Jugendwerk in neuartiger Weise mit einer offenen neutesta-
mentlichen Weissagung schließt, ist diese sachlich alttestamentliche Er-
wartung, da sie ja dem mit dem Neuen Testament gegebenen wahrhaftigen
Gottesverhältnis (Person) das rechte Wehverhähnis hinzufügt, also die Ver·
klärung der Natur, die eben schon Gegenstand alttestamentlicher Erwartung
war. l80 Für v. Hofmann ergibt sich eine protologisch-eschatologische
Klammer um die Geschichte also schon aus seiner axiomatischen Begriff-
lichkeit von Person und Natur. Die Ansicht, daß Anfang und Ende sich ent-
sprechen, ist in christlichem Geschichtsdenken freilich nichts Außerge-
wöhnliches, charakteristisch für die Heilsgeschichtliche Theologie ist aber,
daß Anfang und Ende beide auf Israel und das Judentum konzentriert sind.
So sind durchweg schon aufgrund der Axiomatik von Person und Natur das
Judentum der alttestamentlichen Zeit und das Israel des Eschaton die beiden
Brennpunkte heilsgeschichllichen Interesses am Judentum.
Man muß nun aber sogleich die Beobachtung anschließen: Mit ebensol-
cher Ubereinslimmung wird ein Judentum anderer Epochen aus der Be-
trachtung ausgeblendet. Das ergibt sich aus der heilsgeschichtlichem Den-
ken zugrundeliegenden Axiomatik ebenso klar wie andererseits die Fokus-
sierung auf früh- und endzeitliches Judentum. Demnach ist ja das Alte Te-
stament die Zeit natürlicher Erwartung, das Neue Testament die Zeit per-
sönlicher Erftillung und das Eschaton die Zeit auch natürlicher Erfüllung.
Die Zeit zwischen Christi historischem Auftreten und seinem zukünftig er·
homen Kommen ist dann, heilsgeschichtlich betrachtet, ohne escha-
180 So auch BECKMANN (2002) 293. womit dessen BehauplUng. bei v. Hofmann weise das
Alte Testament nur auf den .,Anfang des Endes". ,,nichi wie das NT auf das Ende selbsr· (a.a.O.
285), in Spannung steh!. Angemessener scheinl mir. das Problem nicht bei der Zukunfl.scrwanung
des Alten Testamenls, sondern bei v. Hofmanns Ausdruck .,Anfang des Endes" zu suchen.
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188 Ein komplementäres Problem der zeitgleichen katholischen Eschalologie der Ti.ibinger
Schule kritisien MOUER-GoLDKUHl.,.E (1966) 123 als ..Terrassen-Eschatologie"; Stufung ohne
innere Stetigkeit.
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Wie der Abschluß der Analyse schon andeutele, nimml gerade die Begriff-
lichkeit, welche den eschatologischen Grundgedanken der HeilsgeschichlE-
chen Theologie prägt und also auch ihr Interesse am Alten Testament und
Judenlum erklärt. den Menschen nicht als Individuum, sondern nur als Ex-
l94
emplar der Menschheil in den Blick. Geschichtliche Differenzierungen
von Geslallen des Menschscins entfallen damil tendenziell dem Auge des
Betrachters. Dies kann sich auch so niederschlagen. daß die Art und Weise.
wie Israel als Volk sich aus den übrigen Völkern der Anlike ausdifferen-
ziert. nicht thematisch wird. Israel wird dann unmiuelbar als menschheitli-
che Größe beanspruch I, und die ihr zugeschriebene Zukunflserwanung wird
mit dem gleichgesetzt, was für alle Menschheit, also als Abschluß der Na-
turvollendung erwartet wird. 19S Die auf die Personalität gerichtete Zu-
kunftserwanung wird dann dem Judentum abgesprochen und bleibt dem
Chrislentum vorbehalten. So bildet sich das Gegenüber von gegenständli-
cher, sichtbarer Zukunftserwanung im Judenlum und geistiger, innerlicher
Hoffnung im Christentum aus, das z.B. in v. Hofmanns Jugendwerk eine für
den Aufbau der Argumentation wichüge Rolle spielt 196 Zu einem Wahr-
nehmungsschema, dessen Belege sich in hinreichender Dichte nachweisen
lassen, wird das Begriffspaar von Person und Natur freilich erst dadurch,
daß es im Gefolge der Heilsgeschichtlichen Theologie eine charakteristi-
sche Rezeption findet: Von ihrem eschatologischen Grundansatz in der
Heilsgeschichtlichen Theologie her ist die Einheit von Person und Natur
nur auf die Parusie Christi zu beziehen. Durch die impliziten Schwierigkei-
ten, deren Verhältnis zum historischen Auftreten Christi zu bestimmen,
bürgen sich aber etwa eine Generation nach der Blüte der Heilsgeschichtli-
chen Theologie die Ansicht ein, die Parusie sei nach christlichem Verständ-
nis zweigeteill in Jesu Erdenleben und seine Wiederkunft. Was also bei
v. Hofmann noch ein klärungsbedürfliges Problem ist, weil von ihm eine
inkonzinne Wahrnehmung des JudenlUms ausgeht. wird nun als Lehre von
den "zwei Adventen Christi" in Siellung gebracht gegen die jüdische Er-
wartung nur einer Parusie, in der das persönliche Erscheinen des Messias
und die Umwandlung der Weil zusammentreffen müßten. Das Judentum, so
die Folgerung, besäße nichl die Spannkrafl, das erhoffte Eschaton auf die
Welt zu beziehen, ohne diese sogleich in es hinein aufzulösen. Dieses
Schema wird zunächst bei LA. Domer wirksam. durchzieht aber verschie-
denste theologische RiChtungen bis weit ins 20. Jh. hinein. 191 Man bemerke,
daß diese Wahrnehmung des Judentums als weltnüchtig oder zukunfts-
süchtig zwar im Anschluß an die Heilsgeschichtliche TheOlogie entsleht,
195 Daß eine vorschnelle Beanspruchung des Judentums als menschheillicher Größe dieses zu
"einem imaginären Typus" machl. zeigt BRENNER (1993) 190 (Zitat) on Antisemitismen im kaiser-
zeilliehen Philosemilismus. Hier liegt auch das Problem von PFlSTERER (1959) 266ff.. dcr den
..Bund" als Oberbegriff ftir Christen und Juden gebrJuehl. daneben aber die endzeilliche Chrislia-
nisierung der Juden aufgrund von Röm I1 ,25ff. erwanet.
196 S. aueh S. 86 Anm. 26 z.ur Zuteilung von Person und Natur an Neues bzw. Alles Tesla-
menl.
197 Die Belege sind brcilgeslreul: neben dem VermillJungslheologen DoRNER (1879/80)
11.920 (§ 151.3) (dazu auch HJELDE '19871 201) der Rilschlschüler KAFTAN (1920) 664 (§ 71) und
der modem-konservative !'lEIM (1937) 1n.237. Zuvor schon der liberal-kritische KERN (1840) 4.
Ebenso der theologisch konserv:uive Missionar DAH1.E. (1900) 2.29. Andeutllngsweise auch
v. HOFMANN (1857/60) 1112.663 selbst: AUBERLEN (1854) 78. JüngSI noch der evangelikal ge-
prägle: GÄCKLE (1999) 93 (hier auch das Zilat von den ..zwei Advenlcn ChriSli·').
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Bündelt sich die Frage nach der Menschheit theologisch im Gedanken der
Parusie als der Verheißung menschheitlicher Bedeutung Jesu, so ist das
Konzept der Verheißung zugleich der Punkt, an dem die Auseinanderset-
zung der Heilsgeschichtlichen Theologie am klarsten im Durchgang durch
Schleiennaehers Kritik das Gespräch mit der traditionellen Eschatologie
anknüpft. Hier ist v. Hofmanns Konzept einer offenen neutestamentlichen
Weissagung als Antwort an Schleiennaehers Auffassung von Christus als
Ende der Weissagung einschlägig. l99 Welches Problem ist mit diesem Dis-
kurs berührt?
I. Extensiver Begriff der Weissagung. Gegenstand der Eschatologie ist
nach allgemeiner Auffassung Goues Zukunftsverheißung. Strittig ist frei-
lich, auf welche Art diese der theologischen Reflexion zugänglich ist. Denn
da zukünftiges Geschehen nicht Gegenstand der Erfahrung sein kann, trifft
eine Verheißung von zukünftigem Geschehen eine Aussage über einen un·
abgeschlossenen Gegenstandsbereich und ist darum in ihrem Wahrheilsan-
spruch unausweisbar. Für eine Eschatologie, wie Schleiermacher sie kri·
tisch vor Augen haI, wäre kennzeichnend, daß sie dieses Problem suprana-
turalistisch mit dem Offenbarungsanspruch der Bibel zu lösen beabsichtigt.
Offenbarung wird hier verstanden als empirische Erkenntnis überempiri.
scher Gegenstände vennöge des überempirischen Charakters dieser Gegen-
stände selbst, und der spezifisch eschatologische Modus von Offenbarung
ist die biblische Verheißung. Eschatologie ist dann besonders Auslegung
der biblischen Verheißung oder die Theorie dazu. Dies sei an einem Bei-
spiel aus dem Untersuchungszeitraum erläutert:
200 He~ lebte von 1816 bis 1865 und v.;rkle also nach $chkiermacher. Wenn er hier den·
noch Hir eine rrühere Geslall evangelischer Eschatologie stehl. dann deshalb, weil seine Henne·
neulik der Weissagung eiMn zu allen Zeilen glek:hbkibenden Zugriff aur die Bibel rddamiert,
Werden biblische Texte darüberflinaus noch unmillelbar mll Ereignissen der jeweiligen Gegenwart
verbunden, kann man von Biblirismus sprechen. So v.a. E.W. Hengstenbergs Applikatton der
biblischen Eschalologie auf das Problem \'on Monarchie und KonSlitultonalismus im 19. Jh. (vgl.
BECKMAN 120(2) 249-260), aber auch die exklusive Beanspruchung der eschalologischen Ver·
heißungen für die Zchmission bei deren Gründer J. VETTER (191 S) 71: Tem:strische Begleiler.
scheinungen der PllrUSje werden Bodenschälze zu Tage fördem, die der Ze\lmission im Millenni·
um zur Deckung ihrer jetzt so drilckenden Koslen dienen. Der Biblizist Veller bestehl daher gegen
(I) die biblische Schilderung aur einer pyramidalen (:: zehanigen!) Form des himmlischen Jerusa·
lern (a.a.O. 77).
20 t I1E8AIIT (18S0) 8f. ALTBAUS (1924(25) 621 fUhrt die ,..Gesctze[ ... J der prophetischen Per-
spektive'" aur Aubcrlen zurück, dessen escMlologische Hermeneutik 18S4 erscheint.
202 B10B in umgekehrter Reihenfolge trifft dieselbe Unterscheidung ISO Jahre später auch
salMID (1999) 12: .Zunächst ist zu sehen. daß sich Verheißungen in mehreren Schrillen erfullen
kOnnen. ( ... 1 Die andere Möglichkeit besteht darin. daß sich eiM Verheißung mehnnals erfullt.
I ... ) Bei vielen Verheißungen ist außerdem zu beobachlen, daß eine Ietzle Konkretion rehlI. So
wurde Isnel durch Mose eine Stelle venprochen. an der Gol:I seinen Namen wohnen lassen wird
1... ).1 ... ) Erst mit der Erfüllung wurde klar, daß sich die Verheißung mil dem Tempetbau in Jeru·
sakm erfüllle:'
203 § 10 bei HEBAJl:T (18SO) S9 argumentien eigens für ..den indi,duff Charakter"' der Weis.
SIIungen \'011 Vorzeichen. da noch keiM abschlie6ende Eriüllung eingetreten sei. Unter den Weis-
squngen des Endes selbst ragt die der Parusie als perspektivische her1lWi (u.O. 9), die sich in d'e
Konsequenzen der Parusie entfallei.
128 Zweiter Teil
dringen will und so die Zukunft aus der Gegenwart als deren Überbietung
erschließen. 2os Eschatologie redet demnach via eminentiae von der Zukunft,
und dies berührt sich mit Hebarts Interesse, durch extensive Weissagung die
Unverfügbarkeit der Zukunft herauszustellen.
Am grundsätzlichsten wird die Alternative von extensiver und intensiver
Weissagung jedoch durch die Heilsgeschichtliche Theologie in Frage ge-
steilt. v. Hofmann weist gleich eingangs seines Jugendwerkes sowohl
Nitzschs intensive Weissagung ab als auch das seinerzeit aktuelle extensive
Verständnis Hengstenbergs. Statt dessen rechnet v. Hofmann mit einer
mehrmaligen Einzelerfüllung, die jedoch immer vom eschatologischen Ge-
samtsinn der Weissagung zu unterscheiden sei.206 Indem z.B. Hebart hier
nicht unterscheidet, sondern sowohl direkte als auch indirekte Weissagung
auf eine "chronologische Darstellung" (z.B. in Offb) der Zukunftsereignisse
zielen sieht. liest er Stellen wie Offb 11,1 als Weissagung: Die Juden wür-
den in der Endzeit den Tempel wiederaufbauen, der dann vom Antichrist
zum Teil wieder zerstört werde.2°7 Hier zeigt sich die Schwierigkeit des
Schemas von Wahrsagung und Weissagung (direkter und indirekter Weis-
sagung): Das Verheißungskonzept wird damit bloß unterteilt und auf einen
linearen Zeitstrahl aufgeteilt. Zu fragen wäre demgegenüber nach einem
Verständnis von Verheißung, das auf derartige Aufteilungen nicht angewie-
sen ist.
Gerade das heilsgeschichlliche Konzept v. Hofmanns steht im Ansatz
solchen Aufteilungen entgegen. Mit seinem Eintreten für die zeitgeschicht-
liche Auslegung biblischer Weissagungen wirkt v. Hofmann als "Ge-
schichtsrealist" im Unterschied zu ,Jenseitsrealisten;', welche die Heilsge-
schichte als eine bis ins EschalOn ständig mitlaufende Parallel weil zur Ge-
schichte begreifen.208 Demgegenüber nimmt v. Hofmann an, daß die Ge-
schichte selbst auf die Ewigkeit zuläuft. Der Begriff bedeutet also nicht, daß
v. Hofmann die eschatologische Wirklichkeit auf die Geschichte be-
schränkte; vielmehr ist dies gerade die Schwierigkeit Hebarts. Um sie zu
205 SlEINMI:.!Z (1888) 60 nennt zum Vergleich das Beispiel eines Generals. der in der Erobe-
rung nur vom sicheren Temtin aus operien. In der DurchHihrung (a.lI.O. 62-75) erinnert Sleinmclz
freilich an die Auslegungsregel qal wachomer des R. Hille!. dcn Schluß a mioori ad maius.
206 v. HOFMANN (1841/44) 1.8 sowie a.a.O. 1.3.6 gegen Hengslenberg bzw. Nilzsch.
207 Zitat HE8ART (1850) 68: vgl. a.a.O. 69 zur angeblichen Voraussclzung eines dritten Tem·
pels in Offb 11,1. Dies spiegelt ein mittelallerliches Schema eschalologischer Wahrnehmung des
Judentums: Die Juden halten den Anlichrisl Hir den Messias und bauen ihm darum den Tempel auf
(vgl. die Abbildungen bei Antichrist [ 14801119791).
208 Die Tcnnini bei WEm (1931) 115, wo Beck und Auberlen als JenseilsrealiSlen finnieren,
was m.E. nur flir Auberlen und auch hier nur mil Einschränkungen zUlriffl (s. Kap. 111.1.1. hier S.
103--108).
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3. Prob1emgeschichllicher Ertrag
Aufgrund der Analysen im ersten Abschnitt dieses Kapitels erschien uns als
Ausgangspunkt der heilsgeschichtlichen Eschatologie die Verheißung der
Einheit von Person und Natur in Christi Parusie. Die Erhebung von Sche-
mata der Wahrnehmung des Judentums zeigte sodann, daß die Heilsge-
schichtliche Theologie damit Schleiennachers Kritik an der orthodoxen Es-
chatologie aufnimmt, aber die Wahrheitsmomente letzterer festhalten will.
Man kann somit die Eschatologie der Heilsgeschichtlichen Theologie pro-
blemgeschichtlich als den Versuch beschreiben, Schleiennachers escha-
tologisches Dilemma durch den Ansatz bei der Parusie zu überwinden. Die-
se theologiegeschichtliche Situierung wird bestätigt durch die Schwierig-
keiten, auf die ein solches Parusieverständnis stößt, denn es muß in dem
Konzept einer Einheit von Person und Natur das Gottes- mit dem WeItver-
hältnis des Menschen vereinen und die Stetigkeit der Geschichte mit ihrer
Stufung. Ersteres führt aber ja auf die Frage nach der Individualität im Ver-
hältnis zur Universalität und zweiteres ist das Problem von Entwicklung
und Vergeltung, so daß die heiden Punkte, welche die Parusie im Es-
chatologiekonzept der Heilsgeschichtlichen Theologie vereinen soll, sich
mit den Polen von Schleiennachers eschatologischem Dilemma in seinen
zwei Gestalten decken. Die Heilsgeschichtliche Theologie führt so unmit-
telbar die Auseinandersetzung mit Schleiennacher.
I. Das Problem VOll Individualität und Menschheitlichkeit. Der vorlie-
gende Abschnitt hat nun die Aufgabe, den so rekonstruierten Problemkom-
plex auf die im ersten Teil dieser Untersuchung geschilderten jüdischen
Anfragen zu beziehen, um mögliche Fragestellungen einer evangelischen
Eschatologie im Blick auf das Judentum zu erheben. Dabei ergeben sich für
beide der geschilderten Schwierigkeiten Berührungspunkte:
So ist die Aufgabe, den Menschen nicht nur als Exemplar der Mensch-
heit. sondern auch als einzelnen Menschen neben anderen, also als Indivi-
duum zu denken, genau der Differenzpunkt, an dem H. Cohen die jüdische
Religion der Vernunft vom Idealismus unterscheidet. Cohen kleidet dieses
Spezifikum in den Begriff der Mehrheit jenseits von Einheit und Allheit
und begründet so sein Konzept menschheitlicher Religion. 2lo Wie schon der
vorige Abschnitt nahelegte, ergibt sich also im Anschluß an die Heilsge-
schichtliche Theologie für eine Eschatologie im Gespräch mit dem Juden-
tum die wichtige Aufgabe, die menschheitliche Dimension von Es-
chatologie zu begründen.
2. Das Problem des Geschichtsverständnisses. Wiederum ansetzend bei
der Paradoxie von Entwicklung und Vergeltung, läßt sich die Schwierigkeit
der Heilsgeschichllichen Theologie in der Begrifflichkeil M. Buhers als
Problem einer Zäsur in der Geschichte beschreiben, denn als eine solche
Zäsur erschien in der Heilsgeschichtlichen Theologie das historische Auf-
treten Jesu, das ein nachbiblisches Judentum aus der Betrachtung ausklam-
mert. Dabei geht, wie gesehen, Bubers Anfrage über das Problem der Epo-
cheneinteilung von Geschichte hinaus und rührt an die Frage der theologi-
schen Valenz von Geschichte überhaupt, denn in Bubers Kontroverse mit
KL. Schmidt war ja strittig, ob für ein theologisches Datum außertheologi-
sche Gültigkeit beansprucht werden kann,2l1 so daß die Theologie in der
Profangeschichte einen nachträglichen Beweis fande, der diese dann wieder
theologisch imprägniert. Genau diese Frage nach der theologischen Ein-
deutigkeit von Geschichte bzw. dem geschichtlichen Geltungsanspruch der
Theologie wird ja aber durch den Begriff der Heilsgeschichte ausgedrückt,
in dem Heil und Geschichte miteinander verbunden werden. 2t2 Der es-
chatologische Topos, an dem sich dieses Problem beinahe klassisch manife-
stiert, ist daher nicht ohne Grund der so oft als janusköpfig wahrgenomme-
ne Chiliasmus, auf den sich gerade die Heilsgeschichtliche Theologie kon-
zentriert. Deswegen konnte ihre Eschatologie in der Überschrift des vorlie-
genden Kapitels als chiliastisch charakterisiert werden.
Das eschatologische Thema, das sich aus Bubers Anfrage ergibt, ist also
die Klärung des Begriffs der Heilsgeschichte. Der Begriff wird. wie ange-
deutet, erstmals von v. Hofmann gebraucht, um gegen das noch recht junge
geschichtliche Denken des Rationalismus die Verbindung von Geschichte
und Heil auszusagen, die für die Orthodoxie vor dem Rationalismus noch
so einerlei war, daß sie gar keinen Begriff dafür hatte. Als weiteres Merk-
mal von Heilsgeschichte kommt zu dieser grundsätzlichen geschichtlichen
Dimension des Heils das ebenfalls kennzeichnend geschichtliche Moment
des Nacheinander hinzu, also die zeitliche Erstreckung 2lJ eines Spannungs~
bogens von Heilsgeschichte, wie es die Analyse der einschlägigen Eschato-
logiekonzepte bestätigte.
Aufgrund dieser Voraussetzungen könnte Heilsgeschichte als eine be-
stimmte. theologisch qualifizierte Abfolge geschichtlicher Ereignisse ver-
standen werden. und tatsächlich ist ein derartiger Begriffsgebrauch vielfal-
tig nachweisbar. Heilsgeschichte wird etwa verstanden als die alttestament-
liche Vorbereitung der Christusgeschichte oder als diese selbst, d.h. als der
Zeitrdum des Lebens Jesu. 214 Oie entsprechenden Geschichtsdaten werden
dann mit einem kennzeichnenden Tenninus als "Heilstatsachen" identifi-
ziert. 21S Freilich muß diese Identifikation bestimmter Geschichtszeiträume
als Heilsgeschichte sich implizit gegen nicht ebenso heilsmäßig qualifi-
zierte geschichtliche Räume abgrenzen, also zumindest partiell die Tren-
nung von Geschichte und Heil wieder einführen, die die Heilsgeschichtliche
Theologie am Rationalismus bekämpfen wollte. 216 Deswegen ist das Kon-
zept der Heilsgeschichte oft als widersprüchlich kritisiert worden; es lebe
von Voraussetzungen, deren Konsequenzen es ablehne, und falle so zuletzt
in den Rationalismus zurück. 217
Das Problem der Heilsgeschichte als Aussonderung bestimmter Ge-
schichtsereignisse ließe sich lösen, wenn man das fragliche Konzept auf die
Geschichte allgemein ausdehnte: Heilsgeschichte ist dann keine Ansamm-
lung theologisch hervorgehobener Geschichtsereignisse, sondern eine theo-
213 Erstreckung gehön nach OTT (1959) 187: WEISER (1995) 1336 konstitutiv zur Ikilsge-
schichte hinzu.
214 P. Ahhaus hat im Laufe seiner Entwicklung beide Positionen vertreten. s. S. 236 Anm. 195
bzw. S. 237 Anm. 198. Die erste Position hält STANGE (1930) 22n-226 fest. jedoch im Sinne sei-
nes Gesamtkonzepts (s. bkurs 7 [S. 199f.I).
215 Auf das eigenc Problemfeld der ~Icilstatsachen weist in diesem Konlext mil Rechl Lolll-"'F
(1974) 1033 hin.
216 Dieses Problem ruft M ILDENBERGER (2000) 1586 ins Bewußtsein.
217 Z.B. STf-CK (1959) 53: .. Und doch war. wie man weiB. hier ein Gast an dcn Tisch der
TIleologie gebeten worden. der mehr als ein Danaergeschenk mitbrachle. Auch änderte er sehr
rasch sein Auftreltn. nachdem er einmal Zutrin bekommen hallt. Es war das historische Denken.
der Historismus. der im Gewand der heilsgeschichtlichen BeIrachtung auch dort seinen Einzug
hielt. wo man ihm bis dahin widerstanden halle:-
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218 Fakten ulld ihre Deutung zu vemlCngcn. ist bei HESSE (1971) 6Of. dcr Vorwurf gegen die
Heilsgeschichte,
219 SCHMnT (1982) 34 hält F. Hesses Trennung von Faklcn und DeulUng m.E. zu Recht für
unzureichend: sein eigener Vorschlag. Hcilsge.schichle als theologische Qualifikalion historisch
erfaßbarer DeUlczusammcnhänge zu begreifen (a.8.0. 45). verschiebt allerdings das Problem wo-
möglich nur in die Wissenssoziologie.
220 Einschlägig ist 7..8. W. Windclbands Unterscheidung idiogrnphischer von nomothetischen
Wissenschaflen sowie die AbsclZung der Geschichts- von der Naturwissenschaft bei dem Le·
bensphilosophen W. Dilthey.
0004022~
tiefsten Gegensätze seiner Zeit zum Ausdruck und hält zugleich fest, daß
diese Überwindung, eben weil sie Gegenstand der religiösen Zukunftser-
wartung ist, von Menschen nicht geleistet werden kann, sondern von Gott
erhofft wird.
In diesem Sinne hat in neuerer Zeit K. Rahner den Gedanken der Heils-
geschichte rezipiert. 221 Er interpretiert sie als ..Freiheitsgeschichte", in der
Menschen mit Gott in freier menschlicher Entscheidung für die unvorgäng-
liehe freie Gnade Gottes zusammenwirken unter keiner weiteren Vorausset-
zung als der, daß ein ewiges Leben als Realität erwartet wird;222 m.a.W.
Heilsgeschichte bezeichnet die nur eschatologisch aussagbare, jedoch ge-
schichtlich wirkliche Beteiligung von Gott und Mensch am Heilsgeschehen.
Gerade diesen Zusammenhang von göttlichem und menschlichem Tun ha-
ben jüdische Autoren gegenüber christlichen Verhältnisbestimmungen von
Heil und Geschichte immer wieder angemahnt. Im ersten Teil unserer Un-
tersuchung waren Baecks und Cohens religionsphilosophische Entwürfe
wichtige Beispiele dafür. Daß dies auch ein zentrales Anliegen der Heilsge-
schichtlichen Theologie ist, zeigte die Charakterisierung ihrer Eschatologie
22J
gegenüber der lutherischen Orthodoxie und der Theosophie. Es scheint
also, daß die Heilsgeschichtliche Theologie hier mit ihrem Ansatz bei der
Parusieerwartung ein wichtiges Thema evangelischer Eschatologie im Ge-
spräch mit dem Judentum berührt. Für die evangelische Eschatologie ergibt
sich daraus vorrangig die Aufgabe. ihr Verständnis der Parusie neu zum
Thema zu machen, denn hierin bündeln sich die vorgenannten Themen, fußt
doch die Parusieerwartung auf der Verheißung einer menschheitlichen Be-
deutung Jesu, also den heiden Themen, die auch die Analyse der Wahrneh-
mungsschemata als einschlägig für eine christliche Eschatologie im Ge-
spräch mit dem Judentum auswies.
Es scheint daher plausibel, die Heilsgeschichtliche Theologie aufgrund
ihrer besonderen Einschätzung der Parusieerwartung als einen schulmäßi-
gen Gesprächszusammenhang zu verstehen,224 von dem sich etwas lernen
läßt für eine evangelische Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum,
auch wenn der konzeptionelle Ansatz bei der Begrifflichkeit von Person
und Natur seine Grenzen hat. So soll im folgenden Kapitel der es-
chatologische Enlwurf eines Autors betrachtet werden, der bei der Heilsge-
schichtlichen Theologie in die Schule ging. seinen Lehrern aber nicht bloß
mit dauerndem Schülerdasein vergelten wollte: Martin Kähler.
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I. Analyse
11 Zitat KÄIllER [18671 (1913) 183. A.a.O. 172 läßt das •.gebildete Publikum" (vgl. den Titel
der Reihe. in welcher der Erstdruck dieses Vonrags erschien) Kontur gewinnen: •.sie wohnen
inminen der rauchenden Essen der Eisenhämmer und Kohlenzcchen. [siel und sahen selbst unrern
eine Stadt entstehen [sc. das 1862 durch Zusammenlegung mehrerer Gemeinden entstandene
Oberhausen, das freilich erst acht Jahre naeh dem Vonrag Stadtrechte erhielt], das Kind der ne·
senmäßig wachsenden Industrie. Ihre Söhne arbeiten jenseit des Oceans in Geschäften. welche im
vollsten Sinne kosmopolitisch sind; auf Ihren Schreibtischen kreuzen sich Correspondcnzen aus
allen Weltteilen, deren Beförderung der Zeit zu spotten scheint:'
12 KORNER (1957) 65. der Kähler hier "dem Geist der Zeit" folgen sieht. Körner meint mit
,,Entwicklung" anscheinend zugleich Fonschrin. also eine mehr geslallbare Entwicklung.
13 SO DE BDOR (1990) 66.
14 Die zitiene These KÄHLER (18671 (1913) 175, aufgenommen a.a.O. 177.181.191; zur Be-
gTUndung a.a.O. 176: ..Der siuliche Charokter als solcher ist derselbe auf dem Thron und in der
HÜlle" und m.a.O. 180 zum Gewissen als Sitz der Siulichkeil. womit Kähler seine Dis.senalion über
das Gewissensthema (1859) aufgreift.
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15 VgJ. 3.a.0. 181f. und a.a.O. 171 zur Gleichheil. die •.ein reich gegliedenes Volksleben in
eine: mathematisch geordnete Masse gleichgeaneter Atome zerschlug": ebd. zum FreiheilSkon1.ept
der Französischen Revolution.
16 Im drillen Abschnül seines Vortrags: OERS.118671 (1913) 175-185. nachdem der zweite
(a.a.O. 170--174) die entgegengeselzte Position referiert hat. - Im Erstdruck (DERs.118671 120)
sind beide Abschniue nicht getrennI.
17 Zilat a.a.O. 185. Das Problem des Anteils verstorbener Generationen am Ganzen der Gene:·
ralionen(olge (a.a.O. 183) ist eine: V.rilUlte des als .,Zwischenzustand" bekannten Problems der
ef'SlCß Gestall "on Schleiermachers eschatologischem Dilemma (zwischen IndivKiual- und Uni,-er-
sakschatologie).
18 Die •./zJ....-ei ent.scheKkndelnllrrtümer des Fonschrinsdenkens. die KlihleT a...O. 182 be-
kämpfl. betreffen genau die zwei Dimenstonen individuelkr Freiheil ab Freiheit von der Gesell·
sch3fi (•.a.O. 182f.) und vom Tode: (•••.0. 1&4)••och wenn Kihkr im vorliegenden Konlexl nur
einmal beiläufig von Freiheit spricht: ~ Was wir an der unfr~jn, Natur sehen. übertrigt sie (sc.
..eine in unseren Tagen weil verbreitete Lehre"l auf das menschliche Gcschlecht~ (a.•.0. 181:
Hervorhebung ,'on mir).
140 Zweiter Teil
19 Zitat 8.8.0. 171; vgl. zur nOlwcndigcn Entfaltung der Anlagcn 8.8.0. 181.
20 Der Kählcr der 1860cr Jahre crscheint UNK (1975) 220 als .,aristokratischer Individualisl"
(lOgt auch a.•.O. 189 zu Kählers Abhängigkeit von romantischen Anschauungen Schlctermachers
und v. Rankes: anders der spätc Kihler: a••.O. 386): cr zilier1 dafUr a.a.O. 120 Anm. 129 auch den
Vorbehalt von KAHl..EII (18671 (1913) 190 gegen •.eine Verherrlichung der niederen Schichten und
eine Proscripcion der herrschenden Krei.5C menschlicher GeselJschaft~. - Zu dieser Stelle s. S. 14\
Anm.28.
21 Zitale ••LO.185.183Anm.I.
12 Zitate La.O. 171,185.185.170. Nur an der k1Zlgcnannten Stelle (und par. LLO. 184) be-
gründet Kihkr. wie OE 800R (1990) 65 bemerkt, individuelle EwigkeilSerwar1ung mil einem
alncscamenllichen Zitat (Pred 3.11).
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23 KÄHLER 118671 (1913) 175 mil Anspielung auf die Wone WagllCrs in QoE11iES Faust
1.570-573. dllrch die sich der Fonschriusglaube als epigonales Bauen auf fremdem Fundament
entlarvt.
24 KÄIlLER r 18671 (1913) 170.194 zum ,.Ragen",
25 So der viene Abschnitt voo Köhlers Vortrag: a.a.O. 185-191.
26 A,a.O. 187.
27 Zilal~ a.3.0. 188.
28 A.a.O. 177 Anm, I; 118.179 ("Großmacht christlicher Sitlenlehre") und besonders a,8.0,
187-190. wobei diese Stellen z.T. ausdrücklich neben Kählers Grundlhese geslelll werden, Köh-
lers bevorl.ugtc Beispiele sind die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau und die
Abschaffung der Sklaverei. Aber auch der Protest dagegen, ,.daß Millionen nur das Fußgestell sind
I., ·1. auf dessen höchster Spitze sich die einsamen Geslalten der herrschenden Männer und der
hervorragenden Frauen erheben" (a,a.O. 183). ist dem Zusammenhange nach zuerst im Sinne eines
in der Ewigkeit gründenden Fortschrills und nicht eillCs Eintretcns rur die soziale Frage zu lesen
(gegen OE BooR 119901 66f.); ebenso der von Link (s, S. 140 Anm, 20) inkriminierte Vorbehalt.
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33 A.a.O. 194.
34 A.a.O. 19.5 (der sechsie Abschnitl: 3.a.0. 194f.). Zilien ist Oskar WÄC.lTER. Johann AI-
brechl Bengel. LebensabriB. Charakter. Briefe und Aussprüche nach handschrif!lichen Mittheilun-
gen dorgcstclh. Slungart \86.5.206.
3.5 Zitate K},HUiR 11861] (1913) 194. Vgl. DERs.11911j 72: ..Man wird die Wege Gotles von
hinlen vcrstehen:'
36 DERS.11861] (1913) 193; 8.8.0. 167 Jautcl der Relativsatz: ..in dem doch kein Tröpnein ei·
ner reich wechselnden zeillichen Enlwickelung verloren ist".
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I. Zum Begriff der liberalen Dogmatik. Kählers Ewigkeitskonzept ist. wie gesehen. in
der Auseinandersetzung mit dem Fortschrinsgedanken entstanden. Zur Verdeutli-
chung ist daher der Vergleich mit solchen Entwürfen von Eschatologie hilfreich, die
ausdrücklich auf einem Begriff von Fortschritt basieren. Daft.ir kommen besonders
einige Autoren in Betracht. die sich unter dem Titel einer ..liberalen Dogmatik" zu-
sammenfassen lassen. Der Tenninus "liberal" soll dabei keine dogmatische Richtung
oder theologiegeschichtliche Schule bezeichnen,J7 sondern ist zu verstehen von einer
methodischen Grundsatztendenz in der Theologie des 19. Jh. überhaupt. welche durch
das Aufkommen der historisch-kritischen Methode gekennzeichnet ist. [m Unter-
schied zur sog. Positiven Theologie.3Jl die. im einzelnen mit unterschiedlicher Be-
gründung. die in Bibel und Credo genannten ,.Heilst3tsachen'· als feststehend gegebe-
ne (in diesem Sinne "positive") Grundlage der theologischen Arbeit voraussetzt. sol-
len im folgenden unter dem Stichwort ..liberale Dogmatik" diejenigen systematischen
Theologen zusammengefaßt werden. die die kritische Methode in ihre Darstellung
biblischer und kirchlicher Theologie integrieren.
2. Infinirer Progreß als unendliche Durchdringung von Geist find Leib. Hier ist
vor anderen der Tübinger FR1EDRICH HEtNRICH KERN zu nennen. der nicht nur als
gleichaltriger Schüler von F.C. Baur an der Wiege der historisch-kritischen Methode
steht. sondern auch zugleich eine heute wenig beachtete Monographie zur Es-
chatologie verfaßt hat. In ihr will er Schleiernlachers Dilemma überwinden. daß die
beiden Pole. persönliche Fortdauer und Vollendung der Kirche. jeweils nur entweder
auf den Gedanken der Entwicklung ocIer den der Vergeltung (des Abschlusses) bezo-
gen werden können. Kern dagegen eint sie, indem er heide •.nach der negativen s0-
wohl. als nach der positiven Seite des Begriffs" betrachtet und so ein umfassendes
Gesamtbild herstell!.J\! Demnach ist die persönliche Fortdauer zwar die Entwicklung
der im frommen Selbstbewußtsein des Individuums positiv gegebenen Gemeinschaft
mit Christus, sie ist aber zugleich negativ beschreibbar als Befreiung ..von allem
Sündhaften" und damit als Gericht oder Vergeltung. Und ebenso ist die Vollendung
der Kirche zwar negativ als gerichtliche Befreiung von der ihr noch anhaftenden Sün-
de zu beschreiben. Sie ist damit aber zugleich durch logische Negation positiv .,we-
sentlich auch Entwicklung". weil sie Befreiung zu weiterer und dann ungehinderter.
also unendlicher Verklärung bedeulet. 40 Kern erläutert diesen Gedanken mit einem
doppelten Rückgriff auf Eschatologeme der Venninlungstheologie: Er erklärt die
individuelle Tilgung der Sünde mit H. Steffens' Theorem der Involution so. daß auf
das vom Leib beherrschte Erdenleben ein geistdominierter Zwischenzustand folge. an
den sich als Ausgleich beider die jenseitige Entwicklung zu unendlicher Einheit von
Geist und Leib in der Auferstehung anschließen müsse. 41 Auf universales-
chatologischer Ebene entspricht dem der später vor allem durch I.A. Dorner zur Wir-
kung gebrachte Gedanke. daß mit Christi Auftreten die Eschata in einer geistigen
Zwischenzeit bereits angebrochen sind. auch wenn sie noch der endgültigen leibli-
chen Konkretion durch dje zukünftige Parusie bedürfen. Kern kann also mit diesem
doppelten Rückgriff auf die Venniltlungstheologie42 sowohl die Unsterblichkeit leh-
43
ren als auch den Gedanken einer vollendeten Kirche als infiniten Progreß anschau-
lich machen. Eschatologie bietet damit. Schleiennachers partikulare Anschauungen
überwindend, das Gesamtbild einer immer vollkommeneren Durchdringung von
Geist und Leib sowohl im Individuum als auch in der Kirche als Gesanllheit aller
Individuen im Verhältnis zu jedem einzelnen. Kern kann so gegen Schleiennaehers
Verdikt der Nichtlehrbarkeil die Eschalologie als Apokalastasis dogmatisch bewei-
sen, indem "der Begriff der Vollelldullg selber. und ihre NOfhwelldigkeit ins Klare
gesezt" werden. 44
Gewiß ist der in diesem Konzept tragende Gedanke der Involution Spekulation.
Doch liberale Theologie und Spekulation schließen sich im 19. Jh. nicht aus, wie das
wirkmächtige Beispiel von RICIlARD RQTIIE zeigt, der als später Begründer des Prote-
slantenvereins der Inbegriff liberaler Theologie vom Schlage des Kulturprotestantis-
mus zu sein scheint und doch ein eschatologisches Konzept von infinitem Progreß
40 Zitate KERN (1840) 78.77; vgl. ebd.: .,ein ins Unendliche sich steigernder Fortschriu".
41 KERN (1840) 115 greift Sterfens' Involution (s. Exkurs 2. hier S. 70f.) auf. auch wenn die
Begrimichkeit von Geist und Leib an die heilsgeschiehlliche Axiomatik von Person und Natur
erinnern mag. Diese versteht aber nicht den Zwischenzustand. sond(1Tl gerade die nach Kern leib-
dominierte Gegenwan als geistbcslimmt.
42 KERN {I 840) 4 strukturiert die biblische Eschatologie (Kap. I) so: Gegen die antikjUdische
Unterscheidung zweier Äonen. die durch das eine Auftreten des Messias getrennt sind. nimmt das
Neue Testament eine Endzeit an, die durch die zwei Parusien Christi gerahmt ist. S. S. 125 Anm.
t 97.
4) Kern verteidigt diese ewige Unsterblichkeit der persönlichen Geist-Leib-Einheit gegen die
aus der hegelianischen Deballe (s. Exkurs I IS. 64ff.J) bekannten Beschränkungen. also gegen
P.K. Mnrheinekes ..rechlShegelianische" Unslerblichkeit in ..einem blos diesseitigen Sinne" (a.a.O.
92). gegen C.H. Weißes Unsterblichkeit nur der christlichen Persönlichkeit (a.a.O. 83f.) und gegen
die Unsterblichkeit nur der menschlichen Gallung (a.a.O. 86 als Linkshc:gelianismus eingestuft).
44 A.a.O. 94. Bereits das Kap. I zur biblischen Eschatologie nennt die "Wiederherstellung al-
I~r Menschen in Christo zur Einheit mit GOIl die ein:ig richlig~ Conseqll~n:" (a.a.O. 37) der neu-
teStamentlichen Anschauungen und begrlIndei dies damit. daß nach Paulus zuletzt •.ganz Israel
gereltet werden wird" (a.a.O. 38).
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45 Da die bei Rothe meist auf Einnüsse der 1lleosophie (s. Exkurs 3. hier S. 99-102) zurück·
geführte Spekulation das historisch-krilische Interesse überlagen. kann ROlhe nur mit Einschrän-
kungen unter meinen Begriff liberaler Dogmatik fallen. Vgl. das Charakterbild des Theologen
Rothe bei BARTIt (1947) 544-552.
46 RonlE (1869n I) 11,481 f. (§ 457).
47 A.a.Q. 1I,482f. (§ 457 Anm.) zur höheren Geistigkeit späterer Schöpfung.
48 A.a.O. 11,483 (§ 458). Grade der Seligkeit sind daneben niehl ausgeschlossen (u.a.O. 111, 194
I§ 5951), doch jedes Individuum SIeht mit der Seligkeit aller Kreatursphären in völligem Austausch
(a.3.0. 11.480 [§ 4561).
49 So wird der im Gericht Verworfene als "sieh allmälig in sich selbst aufzehrend" (a.a.O.
U1,1941§ 5961) gedachl: vgl. a.a.O. 11,478 (§ 452 Anm.) zum Gericht über die Natur: Dort "wird
die Chemie ihren Triumph feiem".
50 Rothe wird m.E. zu sehr von Hegel aus gelesen. wenn man seine chiliastische Eschatologie
auf die Vorstellung beschrJnkl, daß die Kirche im Staal aufgehen werde. Dagegen bemerkt
ÜSTHOF (1999) 286 (vgl. a.a.O. 273 Anm. 382), dieser Zusammenfall geschehe ..erst im Escha·
ton". Ungesagt bleibt dabei aber. daß Rolhe dieses Eschnlon als infinit denkt. Seine Eschatologie
hat so die Weite der Spekulation eines Origenes und ist daher ähnlich umstrinen wie diese.
51 LtPS1US (1893) 849 (§ 970) faßt den dogmatischen Negalivbeweis zusammen aus §§
947.950.958 zur alt- bzw. neuleslamentliclten bzw. kirchlichen Eschatologie. Vgl. a.a.O. 855
(§ 982) mit den Begriffen Zeit und Ewigkeit.
52 A.a.O. 840 (§ 956) fUhrt Lipsius diese Vorstellung auf den Hebräerbrief zurück.
53 A.a.O. 852 (§ 978).
54 Zitat 3.a.0. 835 (§ 947): zu den beiden Vorstellungen vgl. a.a.O. § 945 bzw. § 946.
OOO~O<22
zum Ziel fUhn. jedoch nicht auf dem Wege der Entwicklung. Mit diesem Gedanken
der sprungweisen Vollendung fuße die kirchliche Eschatologie auf einer contradictio
in adjeclo.~~ Dagegen steht bei Lipsius die Vorstellung eines progredierenden Ziels.
Sie iSI dann nichl ebenso comradictio in adjecto. wenn es sich gleichsam um das fort-
gehende Ausschreiten eines Gipfelplate3us handelt. eben um einen ..pr0gre5sus in
infinitum...56 Dieser müßle aber. soHle er dogmatischen Wert haben. religiös verstan-
den werden. Erst in der postumen Letztaunage hat Lipsius damr die theologische
Begriffiichkeil gefunden: Eschalologie handelt von einem unendlichen Fortschritt als
dem ..donum perseverantiae'·. ~7
Lipsius bestimmt diese Perseveranz inhaltlich als Beharrlichkeit des persönlichen
Ich ..im Wechsel seiner Zustände und Thätigkeiten··. Darin declcl er sich ausdrücklich
mit dem schweizerischen Theologen ALDIS EMANUEL BIEDERMANN. Gegen ihn will
Lipsius aber die Beharrlichkeit des Ich gegenüber seiner Umwelt religiös als Un-
slerblichkeit (persönliche Fondauer) verstanden wissen. um nichl eine canesische
Überlegenheit von Geist- über Nalursubslanz assoziieren zu lassen.~8 Doch auch Bie-
dem13nn zielt nicht auf einen Substanzdualismus. wenn er in der teils poslumen
Zweitaunage seiner Dogmalik das eschalologische Grundkonzept eines in der Weil
slatthabenden Sich-Erhebens über die Weil zur Freiheit von der Welt ausdrücklich
nicht als Unsterblichkeit versteht. Vielmehr kritisiert er die traditionelle Anschauung
von Unsterblichkeit der Seele und Auferslehung des Aeisches gerade deshalb. weil
sie den Substanzdualismus impliziere.)') Biedennann fonnulien seine eigene Konzep-
lion statt dessen in hegelianjscher Diktion als Durchdringung von absolutem und
endlichem Geist 60 und rezipiert zur lIIuslTation den Chiliasmus. 61 Dieser Gedanke
entspricht Kerns an Steffens geschulter Spekulatioo. über den Zwischenzustand sowie
der Vorstellung Lipsius' vom donum perseverantiae als Erreichung einer sich unend-
lich fortsetzenden Entwicklungsstufe. Es scheinl also. daß Lipsius und Biedennann
1I 991 J) gelten.
60 A.LO. 1I.66Of. U 985).
61 [)rer Oriliasmus fasse das diakklische Verhältnis des Reiches Gones zur Weh - die Weh ist
sein Boden. doch ,.nichl die Weil als Weil" - in die Vorstellung ,.einer posiliven V~rWrllng der-
sdben- (Zilale LLO. 11.390 1I 5781).
148 Zweiter Teil
Diesem Progreßgedanken und seiner Sicht auf das Judentum tritt nun Käh-
lers Konzeption eines Fonschritts entgegen, dessen einziger Grund und ein-
zige Grenze die in die Zeit hineinragende "große Verheißung" der Ewigkeit
ist. Doch muS diese Grundidee noch präzisien werden. Denn der liberale
Progreßgedanke wird nicht nur von Kähler kritisien, sondern auch von
ALBRECHT RITSCHL, der theologiegeschichtlich in manchem als Weggenos-
se Kählers erscheint. In der Eschatologie kommt Ritsehl jedoch zu ganz
anderen Ergebnissen. Er selzt hier an der Wurzel des infiniten Progreßge-
dankens ein: Dessen Vorstellung einer unendlichen Vervollkommnung des
Verhältnisses von Geisl und Leib fußt auf einer traditionellen es-
chatologischen Zuordnung von Rechtfenigung und Heiligung. Genau dieser
Zusammenhang besteht nach Rilschl jedoch nicht. weil die Rechtfenigung
nicht gegen die Unzulänglichkeit der Werke des Gesetzes gerichtel sei,
sondern gegen Werklichkeit überhaupt. 64 Dementsprechend zielt in christli-
62 Der Unterschied beider liegt vielmehr in der Kanlinlerprctlltion: Lipsius Hihrt Religion auf
die praktische Notwendigkeit zurilck, daß das Ich sich gegenUber der Welt behaupten muß wie
gegenUbcr einer Bedrohung (UOlTENltof'F 11991]147). da die Welt dem Ich nicht nur als seine
eigene subjeklive Konslitutionsleislung (Erscheinung), sondern auch als deren reales Objekl
(..Ding luRer uns~) gegenUbenrill (vgl. 1.1.0. 153f.). Biedennann kennt eine solche Nötigung zur
Religion nichl, da er Lipsius' Verdoppelung der kanlischen Lehre vom Ding an sich zum Ding
lußer uns nichl leih, sondern den absolulen Wehgrund als logisch zugänglich ansieht (vgl. a.I.O.
I 73f.). Dies wäre fUr Lipsius der RadJa" hinter die kopernikanische Wende (vgl. La_O. 17or.).
63 Für Lipsius s. bei S. 147 Anm. 58 und für Biedermann s.. S. 147 Anm. 59. Auch KERN
(1840) 58 SlChl gegen Du.alismen.
64 Iki Rrrsou. (1882183) 111.450 (f SI) _..ird die Unvollkommenheil 1... 1 nicht 1.. _1 bkls
quanlitaliv. sondern qualitaliv beunheill".
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65 A.3.0. 1lI.457f. (§ 52) zum Zusammenhang mit dem ewigen Leben anslatt mit der Heili-
gung. Zur gemeindlichen Wirklichkeit des ewigen Lebens vgl. a.a.O. 111.467 (§ 52): RilSChl ver-
knüpft Individual- mit Univcrsale....c hatologie. so daß die ,.geislige Freiheit des Individuums" ge·
meinsam mit der ..Offenbarung des allgemeinen Endz.....e ckes der Welf" die .,geistige Herrschaft
der Genossen des göttlichen Reiches über dieselbe und ihr ewiges Leben" begründe!.
66 A.3.0. 111.480 (§ 53).
67 Zil:lIe 3.a.0. 111.314 (§ 41). Das ..Reich der Sünde" iSI das Ergebnis von Ritschis Krilik der
ErbsUndenlehre.
68 A.a.O. 11].505 (§ 56): ..Denn je höher die gÖlIliche Gnade in dieser Verleihung geschätzi
wird. um $0 schärfer muß sich der Contrasi zwischen den Venchu1dungen und der Aufnahme in
Gottes Gemeinschaft ftihlbar machen.·' Zur Wellbehemchung vgl. 3.3.0. § 62.
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69 Die Darlegung der These im zweiten Abschnin des Vonrags: KÄtlLER (1896) 491-500. ihre
Anwendungen im drillen: a.a.O. 500--514. ZiuHe a.a.O. 497.50 1.503.506.511.
70 Vgl. a.a.O. 502 (Beispiel Christologie): "dann kommt kein Menschenleben zu einem Ab-
schluß. ohne ihm zu begegnen" mit a.a.O. 512 (Beispiel Theodizee): •.daß kein Menschenlos sein
Ende findet. ohne daß er vor Christi Angesicht gestellt wird".
71 Zitate a.a.O. 502.505.505. Daß mir das Heil nur unter Absehung von mir selbst gewiß ist.
betont Kähler (DERS. [1905j4231§ 4901: ..non propter sed per fidem") mit Frage 61 des Heidel-
berger Katechismus.
72 Die Zitate (DERS. 118961 508.503) halten den ethischen Lohngedanken fest (der jedoch qua
..Überschwang" vom Verdacht der Verdienstliehkeit befreit ist) bzw. den soteriologischcn Be-
kennlnissatz von der $ündhaftigkeit der Neugeborenen (CA 9): beides ergibt sieh aus dem Argu-
ment in der vorigen Anmerkung.
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greifendes geschichtliches Bewußtsein; denn mit der Linie. welche der er-
leuchtete Blick von dem einheitlichen schöpferischen Anfange zu dem von
Gott verbürgten Abschlusse zieht, ist auch die Erkenntnis von dem Subjekte
der Weltgeschichte, nämlich von der einheitlichen Menschheit gegeben".
Ihrer Funktion für dieses Geschichtskonzept nach ist die besagte einheitli-
che Menschheit ein "verbürgtes Ziel" der Geschichte; auf ein solches läuft
dieses Geschichtsverständnis hinaus. so
Wir können somit festhalten, daß Kählers These von der Eschatologie als
Erschließung des Sinns für Geschichte zwei Momente enthält, nämlich die
Personalität von Eschatologie und ihre Geschichtlichkeit. Ersteres schlägt
sich darin nieder, daß Christus als erste und letzte Person der eigentliche
Gegenstand der Eschatologie ist. Zweiteres zeigt sich darin, daß zwischen
dem Ersten und dem Letzten ein gegliederter Zusammenhang besteht, der
sich krafl Verheißung von einem historischen Ereignis auf dessen zukünfti-
ge Vollendung erstreckt. Diese beiden Begründungsmomente haben auch
Eingang gefunden in einen 1898 erschienenen grundlegenden Lexikonarti-
kel Kählers zur Eschatologie. Hier wird als Ertrag der biblischen Es-
chatologie ebenfalls der alttestamentliche Gedanke der Geschichtlichkeit
festgehalten: "Bezeichnend für die alttest. Hoffnung ist die offenbarungsge·
schichtliche Begründung", was für die christliche Eschatologie dann auf die
Person Jesu bezogen wird: "Die Hoffnung bleibt durchaus an die Person des
auferweckten und wiederkommenden Christus, mithin an die Offenbarung
Gottes und an sein erlösendes und vollendendes Thun gebunden".81 Seide
Momente, Geschichtlichkeit und Personalität. werden auf den Begriff ge·
bracht, wenn es zusammenfassend über die Eschatologie heißt, .,daß alle
ihre Aussagen soterologische sein müssen" .82 Der Terminus der Soterologie
umfaßt also Geschichtlichkeit und Personalität theologischer Verheißungs·
sätze. Soterologische Eschatologie bezieht demnach die religiöse Zukunfts-
hoffnung auf die Person des auferweckten und wiederkehrenden Christus
als Vollendung der Geschichte. Geschichte unter diesem Blickwinkel der
Parusie zu sehen, heißt Soterologie.
Der Begriff "Soterologie" ist eine Neuschöpfung Kählers, abgeleitet
nicht von soreria, sondern von soter, was die Personalität unterstreichen
sol1.83 Im Zentrum steht somit die Person Christi. d.h. mit Blick auf die
Eschatologie: die Erwartung des persönlich Kommenden. Sie ist der Inhalt
80 Zitate ebd.
81 Zitate OERS. (1898) 492.
82 A.a.Q. 495.
83 Die Bedeutung der Personalilät belOnt zu Rechl auch LEIPOLO (1962) 61.
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dessen. was Kähler in seinem Vortrag von 1866 die "große Verheißung"
nannle.
Der Terminus .,SoIerologie" hat einen festen Platz in Kählers theologischem Den-
ken. IW In der aus drei sog. l.ehrkreisen. nämlich Christlicher Apologetik. Evangeli-
scher Dogmatik und 1lleologischer Ethik. bestehenden ..Wissenschaft der christlichen
l.ehre"~ fUhrt Kähler ihn im 2. Teil der Dogmatik. in dem nach dem Bekehrungs·
glauben (I. Teil) und vor dem Verherrlichungsglauben (3. Teil) der ..Versöhnungs·
glaube" behandelt wird. als Überschrift des I. Hauptstücks unter dreien ein. Dieses
behandelt. nach traditioneller Terminologie zu sprechen. Chrislologie in zwei Stücken
als immanente Trinitätslehre und als Problem der Zweinaturenlehre: während die
beiden übrigen Hauptstücke sich mit der Soteriologie als Lehre vom Heilswerk (2.
Hauplstück) und dessen Zueignung (3. Hauplslück) beschäftigen.
1. Sorerologie als gegliederter Zusammenhong der Theologie. Das Konzept der
Soterologie nun soU verhindern. daß eine derartige Einteilung der Theologie zu einer
Zerteilung fUhrt in eine von Gones wegen feststebcnde Voraussetzung und deren um
der Menschen willen aktualisierende Anwendung. Am Beispiel der Vef'SÖhnungsleh-
re. anläßlich derer der Begriff gebildet wird. droht eine solche Zcrteilung. wenn Ver-
söhnung als Heilsbeschaffung von Rechtfertigung als Heilsergreifung abgetrennt
wird. 86 Kähler selbst unterscheidet freilich von der Versöhnung als der "Umwandlung
des allgemein vorhandenen Verhältnisses der Entfremdung" die Rechtfertigung als
..die entscheidende Zueignung der Versöhnung"." D.h. aber. Kähler wendet sich mit
dem Konzept der Soterologie auch gegen die Verabsolutierung seines eigenen Aufris·
ses des dogmatischen Stoffes - ebenso. wie ihm auf der anderen Seite Versöhnung
und Rechtfertigung nicht austauschbare Imerpretamenle eines und desselben Wesens
von Heil sein können." Soterologie bedeutel also weder Distraktion noch Kontrakli·
on der theologischen 1bemen. sondern bezeichnet ihren gegliederten Zusammen-
84 Zu allen Angaben über den Aufriß von KÄllLERS Theologie vgl. OOKS. ( 1905) XLV-XLVIII
(Inhalt).
85 Dies i51 KUhlen Titel rur das. was bei den meisten Auloren ..Syslemalische Theologie"
heißI (vgl. a.8.0. 47(1 43]).
86 Gerade umgekehn verwendel A. RrrscHL (1882183) bcidc Begriffe. Zum Problem vgl.
WEBER (1966) 258ff.
87 Zitale KÄHLER (1905) 317 (§ 354) b7.W. 1.1.0. 42Of. (§ 488).
88 Y&I. dazu HAKLE (1995). der a.I.O. 496 die Unlerschiede der .jeViCils zugehörigen VOf-
stellungsweh" in das ..Gemeinsame zwischen beiden Begriffen". Gones bedingungslosen Zu-
spruch des Heils. lUfhebt und gcflCrell zur ..Vielfah und Einheil des Heils" (a...O. 494) bemerkt;
..Dit- Vielflh der Erschdnungsformen. in denen Unheil und Heil Geslah gewinnen. i~ gnmdsiit:-
Ji;h unINgufl;r (a.a..O. 495). Der Unterschied dieser Auffassung gegenüber Kähler ist. daß sie
Geschichtlichkeit des Heils mit ihren "kOflkrelen Erscheinungsformen" (....0. 499 Anm. 10)
gleichsetZI. was nichl Klhlen Begriff der Geschichllichkeit ist.
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hang. 89 Sie ist dabei aber mehr als der Kin eines regulativen Prinzips, welches das
theologische System zusammenhält; sie hat einen angebbaren Inhalt. Dieser soll nun
um genannten Beispiel ftir die Versöhnungslehre. zu der sich Kähler auch monogra·
phisch geäußert hat, skizziert werden, wobei ich mich auf einige Konturen beschrän·
ke.
2. Sorer%gische Versöhnungs/ehre. Die soterologische Eigenart der Versöh-
nungslehre läßt sich in den knappen Ausspruch zusammenfassen, ..daß Jesus Christus
in Person die Sühne" ist.90 Damit ist gemeint. daß in Christi Tod am Kreuz die ge-
nannten Aufteilungen überwunden sind, ohne die dieser Tod immer nur entweder als
Strafe oder als Sühne verstanden werden kann:'.ll Entweder erleidet Christus das Ge-
richt als Strafe ftir die Schuld der Menschheit. und dann erlitte er, der Gerechte. sie
ungerechterweise;92 oder er gibt das vollkommene Beispiel gehorsamer ErfulJung von
Galtes sittlicher Forderung, und Jesu Tod wäre das Siegel auf seinen unvergleichli·
chen Opfennut;'.l3 in beiden Fällen wäre die Verbindung zwischen Christi Person und
seinem Werk rur die Menschen durchschnitten. Denn im ersten Fall ist der von Chri-
sti Tod behauptete Nutzen rur die Menschen. die stellvertretende Genugtuung, selber
widersinlich. weil ungerecht: im zweiten Fall hat Christi Tod zwar unvergleichlich
sittlichen Wert, fUr die Menschen aber wegen dieser selben Unvergleichlichkeit kei-
nen Nutzen. 94 Erst wenn Christi Tod soterologisch, als Personopfer, verstanden wird.
geHngt ..die Beseitigung dieses Entweder-Oder, des WechseIns von Strafe und Süh·
ne", die "völlige Einheit des leidenden und tätigen Gehorsams, der HeiIigung des
strafenden und des fordernden Golteswillens".9~ Denn wie Kähler in der Christologie
im engeren Sinne ausgefUhrt haue.96 ist die Personalität des Heilswerkes Jesu die
völlige willentliche Bezogenheit seines Lebens auf Gott, und infolgedessen besagt
Stellvertretung zwar nicht, daß Jesus Schuld hat. wohl aber, daß er Schuldbewußtsein
hai, eben indem er seinen Willen ganz dem Willen Gottes und damit auch dem Ge-
89 Das ist die Grundlhese von GOu.s Untersuchung zu Kählers Rochtfertigungslehre. z.B.
DERS. (1991) 200: ... Versöhnung' und ,Rechtfertigung' bezeichnen vielmehr argumentativ entfal-
tete Wahrnehmungen des Handeins Goues. das als ein in sich gegliedertes erkannt wird".
90 KÄHLER (1898a) 387: vgl. das programmatische Schlagwort DERS. (1905) 376 (§ 436. Ober-
schrift): ..Christus selbst die SOhne".
91 DERS. (189811) 388: ..lm alten Testamente gilt: entweder Sühne oder Strafe. also: wo Sühne,
da keine Strafe:'
92 "Tragen der Sündenfolge. der Schuld. ist fUr den sündlosen Jesus eine sittlich/! Unmöglich,
k~if' (a.a.O. 397).
93 In dieser Auffassung wirkl die Aufteilung nach ..aktivem" und ..passivem" Gehorsam }esu
nach. die KAHLER (1905) 362 {§ 418) durch die "Hingabe des eignen Willens an den Willen Got-
les" ersetz!.
94 DERS. (1898a) 396: .,Nun, wenn er allerdings wie ein frommer Mann gcstorben ist. wer
Jwnn ihm das nachmachen. der nicht ebenso fromm ist wie er. nämlich sündlos'!"
95 Zitate a.a.O. 401 bzw. DERS. (1905) 364 (§ 421). So werden die binären "DiSlinktionen al-
lerdings ge11lde in Bewegung geb11lcht und aufgehoben" durch die Kategorie des "Personopfers
Jesu" (Zitate SAl]1"ER [1997aI23 Anm. 9).
96 KÄIIJ..ER (1905) 339 (§ 388: Leitsatz zur .2weinaturenlehre") in Umsetzung des "Kanon",
..daß alle Christologie Soterologie sein" muß: "Dagegen wird die Vereinigung der Gouheit und der
Menschheil als eine Wechselwirkung zweier persönlicher Bewegungen verständlich werden".
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richt unterstellt. 91 Vor allem aber liegt der Charakter des Todes Jesu als Opfer, "wie
die Propheten hervorheben, in der Beteiligung des Willens bei der Gabe, welche eben
die Beteiligung der ganzen Person einschließt".98 Wenn Kähler resümiert. daß Jesus
als die ,.Sühne in Person" zur .,völligsten Zusammenfassung des von Gou geordneten
Opfers mit dem von GOtl vollzogenen Gericht" ruhn. dann betont er durch die zwei-
malige Nennung des Goneshandelns in Gericht (Strafe) und Opfer (Sühne), daß die
problematischen Aufieilungen der Versöhnungslehre nur durch die soterologische
Ausrichtung auf Gottes Willen selbst überwunden werden. 99 Die a1nestamentltchen
Vorstellungen von Suafe und Sühne erscheinen dann nicht als Anwendungen eines
abstrakten JudiziaJ- oder Ritualgesetzes. das unabhängig von Gott in Geltung stünde,
sondern in beiden tut sich Gottes ewiger Wille kund: Die Strafe dient der ..Aufrecht·
erhaltung der Weltordnung", die kein Gesetz ist. sondern ein "Grundgesetz", also der
Inbegriff dessen, worauf alle Gesetze zielen; und die Sühne ist eine ,.Gabe Gottes an
die Israeliten", die im Falle von Jesu völliger Willenseinheit mit Gou dessen eigenen.
Goltes Willen und also sich selbst gibt, d.h. mit dem technischen Ausdruck: Gon of-
fenbart sich. Deshalb korrespondiert dem einen Satz, daß Jesus Christus in Person die
Sühne sei. der andere: ..Christus ist die Offenbarung in Person".IOO Der soterologisch
verstandene Christus ist also durch das an ihm ergangene Versöhnungsgeschehen der
Stmfe und Sühne mit seinem alttestamentlichen Herkommen verbunden und zugleich
mit Gones ewigem Willen. der sich darin offenbart: Jesu Kommen ist so eine Ge·
schichte. die, so zu sagen. vom ersten Schäpfungslage bis zum Jüngsten Tage reicht
- ein durchgehender. aber gegliederter Zusammenhang gönlichen Handelns. Das
Konzept der SOIerologie ist so als theologische Würdigung der Geschichte im ganzen
eine Präzisierung des Grundgedankens heilsgeschichtlicher 11leologie.
Vor dem Hintergrund dieses Exkurses ist interessant, daß Kähler für sein
soterologisches Eschatologiekonzept den Tenninus ..Heilsgeschichte" weit-
IOI
gehend meidet und vielmehr von einer "Ökonomie" spricht. Darin könnte
ein kritischer Anschluß an die Heilsgeschichtliehe Theologie liegen. Wie
diese versteht Kähler zwar die Geschichte Jesu vom Eschaton her. betont er
97 Ol!R;S. (t898a) 399: "War unser lleiland Mensch [... 1, so kann der Einzige f••• ) sich nicht
individulllpersönJich in abstraktem Ethicismus mit der Toga seiner SündJosigkeit decken. Er muß
die Gesamthaftbarkeil bewußt und persönlich Uber sich nehmen. Und er hat es gekonnt:'
98 Zilat DERS. (1905) 362 (§ 419); die I-lingllbe des Person~bens wiederum ist nach Kähler
chantkTeristisch mr das SUhnopfer und seine Blutdarbringung: DERS. (1898a) 381: ..das Blut
kommt als Lebensträger in Betracht. l I Das iSI dann das Besondre der Sühne:'
99 ZitaT DaS. (1905) 369 (f 428). Die zweimalige Betonung des Goueshandelns i~ die Kehr-
Stile des christologischen Satzes von S. 154 Anm. 96. denn dieser beruhte ja auf Wechselseitig.
keit. DemenlSpttChend kritisien Kähkr u.O. 366 die Vorstellung des stellvertretenden Straf-
k:ideM (f 425) für ihre ..Ablösung~ von der Person Chrisu.
tOO Zuate OERS. (I 898a) 367.368.380: OERS. (1905) 326 (f 363).
lOtz.o. u.O. 250 (I 276); DERS. (1896) 497. Ein StKh",·Oft .J-kilsgeschKhle- wt:i~ das sehr
umf:uJgreiche Register zu KÄBUR (1905) nicm aus. obwohl es freilich vereinzelt begegnet (LB.
a.a.O. 224). Vielleicht wiri:! hier der lkgriffsgebrauch von Kihlers ~hter Beek (5. S. 103 AnOl.
97) nach.
156 Zweiter Teil
doch ausdrücklich, erst die Eschatologie begTÜnde überhaupt den Sinn für
Geschichte. Aber diese Geschichte unterteilt er nicht nach Person und Na-
tur, sondern beschränkt sich in seinem charakteristisch soterologischen An-
satz auf die Personalität. Das erlaubt ihm, die Geschichte in eschalologi·
scher Hinsicht als einen Gesamlzusammenhang aufzufassen. Er kann daher
mit größerem Recht die Geschichte überhaupt, ganz wie die Geschichte
Jesu, von der Eschatologie her verstehen, indem er in einem der Kemtheo-
reme seiner Dogmatik feslhält. daß das StrukturgeselZ der Kosmologie auch
das der Soteriologie sein muß. daß der Weltlauf der Heilsökonomie ent-
spricht l02
3. Das Ubergeschichtliche. Kählers Eschatologiekonzept. das soeben
unter dem Begriff der Soterologie anhand der Geschichte lesu expliziert
wurde, läßt sich nun auf das theologische Problem von Geschichte über-
haupt anwenden. Sie stellt sich in eschatologischer Hinsicht als ein geglie-
derter Zusammenhang dar. in dem auch die Rechtfertigung ihren organi-
schen - d.h. ja gegliederten - Ort hat. Kähler kann sie geradezu definieren
als Unterscheidung des Sünders von seiner Sünde. als Begnadigung, soweit
die Sünde entschuldbar. d.h. soweit sie Zustandssünde ist im Unterschied
zur Tatsünde. 'OJ Schon diese Definition bedeutet aber ja. daß der Rechtfer-
tigungsglaube angewiesen ist auf fortgehende Betätigung in der Theologi-
schen Ethik, Kählers drittem Lehrkreis. Zugleich findet dann die Rechtfer-
tigung erst im eschatologischen Gericht ihren Abschluß. IOt wie schon die
semantische Verwandtschaft beider nahelegt. Kähler nimmt also einen Zu-
sammenhang von Geschichte und Ewigkeit an. der, da die Ewigkeit ja als
reale Vollendung der Geschichte gedacht ist, seinerseits geschichtlich sein
muß. obwohl - und das ist entscheidend für Kählers Eschatologiekonzept -
die Ewigkeit selbst nielli geschichtlich ist. Sie kann der Logik des Konzep-
tes nach gar nicht geschichtlich sein, weil es ja ihr Wesen ist, als Ewigkeit
allererst den Grund abzugeben für geschichtliche Verhältnisse wie das des
Fortschritts der Geschichte auf sie, die Ewigkeit. hin. Kähler denkt also die
Ewigkeit als nichlgeschichllich und gleichwohl teil haft geschichtlicher
Verhältnisse. Diese besondere Auszeichnung der Ewigkeit, geschichtliche
Verhältnisse zu begründen und an ihnen teilzuhaben, ohne doch in ihnen
102 A.a.O. 235 (I 261). ein Paragraph. auf den unzählige Male verwtesen wird.
103 A.a.O. 421 (1488): .Jn AnbelnKhl der Erllschuldbarteil der Fleischeslo\o'erte 1... 1 nimmt
Gon ihnen ihren Schuldwen oder vergibe die Sünden ein für allemal jedem. den das Evangelium
dazu flihn. sich von seiner Sünde zu unterscheiden. 1..•1 Das grr«lrtrrkJärrndr Urtri/l ... 1 heb!
rur den einzelnen das Rechtsverhiltnis zu Gott (... 1 auf und setZI das der Begnadigung an die
Sielle." Zur zweierlei Sünde vgl. LLO. 308r. (U 344--346).
104 A.LO. 446 (I 519).
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105 Seine Definilion laulet: ..Und um einen kennzeichnenden Ausdruck ftir diese bestimmt ge-
gebene Beschaffenheit der gÖl1lichen Tat in Christo zu gewinnen, nennen wir diescn lebendigen
Zu....ammenschluß des Bleibend-Allgemeingültigen mit dem Geschichtlichen in einem Wirksam-
Gegenwänigen das Üfnorgcschichtliche" (a.a.O. 14f. I§ 13». - Dagegen iSI das Uncergeschichlli.
ehe eine Bedingungsstruktur ftir alles positiv gegebene Geschichlliche (a.a.O. 13 I § 12».
106 SO HJF.l..DE (1987) 214.
107 Beide Zitate KÄIII..ER (1898) 493.
108 Zitate DEkS. (1905) 445 (§ 518).
109 DERS.11911134.
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4. Die Wiederkunft Christi zum Gericht. Die Parusie Christi ist also der
Dreh- und Angelpunkt von Kählers Eschatologie, ähnlich wie schon für die
Heilsgeschichtliche Theologie. Gerade hieran macht sich aber auch die
grundlegendste Kritik an Kählers soterologischem Entwurf fest: Er öffne
die Geschichte nicht für die Zukunft Christi. sondern lege sie im Gegenteil
fest auf die Gegenwart des Menschen. 11o 1m Kern wirft diese Kritik Kähler
metaphysischen Kausalismus vor, d.h. Kähler wende das lediglich in der
Physik gültige Kausalitätsgesetz auf metaphysische bzw. ethische Sachver-
1I1
halte wie z.B. Personalität an. indem er von der geschichtlichen (Nach-)
Wirkung Jesu - z.B. der Erwartung seines Kommens - auf die Wirklichkeit
seiner Person, also sein historisches Kommen, schließe, voraussetzend, daß
eine Ursache mindestens so real sein müsse wie ihre Wirkung (ex nihilo
nihil fit).ll2 Dieser Schluß ist jedoch, so die Kritik. zirkulär, da die Ge-
schichtlichkeit, aus der die Personalität erschlossen wird, schon als Nach-
wirkung eben der Person definiert sei. ll3 Als Folge dieses Fehlschlusses
ergibt sich dann. daß die so untergeschobene Personalität den Verlauf der
Geschichte determiniere. die Geschichte nur noch "Bürgin eines spezifi-
114
schen Menschenbildes" sei. Die Eschatologie hat dann nur noch den
Nachlaß der Geschichte abzuwickeln, und bei einem von ontologischer Per-
sonalität festgelegten Geschichtsverlauf nillt jeder zweifelnde, irrende
Glaube, jedes Gericht unter den Tisch. 115
110 So die These der großangelegtcn Untersuchung von WIRSCIUNG (1963). die cr a.lI.O.
150.163.196 auf das Stichwort des Synergismus bringt.
1I1 Die Ahemalive von Physik und Metaphysik enlspricht der klassischen philosophischen
Tradition. diejenige von Physik und Ethik dcr vom Gegensatz von Geist und Nalur dominierten
L.1ge im 19. Jh.• z.B. Schleiermllchers Wissenschaftssyslcm.
112 V.a. W1RscmNG (1963) 87 U.ö. sieht die Personaliläl, "Kählers Grundmotiv des theologi-
schen Erkennens, erslarrt zu einem Kausaltückschluß des Gerechlfenigtcn aus seiner Glaubenser-
fahrung". - Aus dieser Not machl MENCKE (2001) eine Tugend: Demnach macht erst die Erfah-
rung den Glauben wirklich: gleichwohl iSI der Glaube allerersi die Möglichkeitsbedingung von
Erfahrung (a.a.O. 107), so daß von der Wirkung auf die Ursache (a.a.O. 127). vom Wirklichen auf
das Mögliche (a.a.O. 121) geschlossen werden kann. Diese glallc Umkehrung Wirschings iSI
Mencke möglich. weil er mit seinem Lehrer E. Jüngel das ontologische Vcrhältnis von Wirklich-
keit und Möglichkeil umkehrt (a.a.O. 265 mit Anm. 95). Zur objektiven Realiläl des Glaubens
genügt es daher. daß die Tatsachen dcs Glaubens historisch möglich sind (a.a.O. 85.156.265).
m.a.W. Gegenstand der Erfahrung des Glaubens iSI der Glaube selbst (a.a.O. 2(6). In dieser ge-
schlossenen Struklur einer ,..Erfahrung mit der Erfahrung" (z.B. a.a.O. 213.263) haI die Es-
chatologie freilich keinen Raum mehr. Ober Kählers Eschatologie schreibt Mcncke: .•Für das Ver-
ständnis der Erfahrung bietet dieser Teil [... 1nichts Neues" (a.a.O. 174f.).
113 WIRSC.IING (1963) 86 mil Bezug auf KÄI'tLER (1892).
114 Zilal WlltSCHING (1963) 150: vgl. a.a.O. 197f. zur Detemlinicrung; vgl. auch 3.a.0. 153.
115 Wie Wirsching immer wieder betont: a.a.O. 69 ("Der Glaube yerwirklicht sich lbei Käh·
lerJ ohne enlSlhaflc Bedrohung durch den Z.....eifel [... J ohne ernsthafte Selbstkritik"): a.a.O. 81
0004022~
gegen die Ausnahme des Willens vom ..rellende[n] Gerichl Gones"; a.a.O. 146 (•.der bleibende
Transilus von der eigenen HeiJlosigkeil turn geschichtlich verwirklichlen Heil erslarrt" bei Köh-
ler); a.a.O. 164 (Krilik an Kählers ..lheologia resurreclionis"; vgl. auch a.a.O. 203 zur Verbindung
Kählers mil A. Osiander); 8.a.0. 182 (es gehe Kähler ..nicht um die 1I1lesverzc:hrende Wirklichkeil
des biblischen Goltes und seine richlerliche Gewah").
116 KÄul,.ER (1896) 492. Vgl. a.8.0. 502: •.Nur der Richler kann Heiland sein"; a.a.O. 514:
..Botschaft von dem Wellrichler. welcher der Weltheiland iSI"; a.a.O. 516: ,.Wer da weiß. was er
an seiner Taufe und an seiner Berufung haI. den erschreckt die Aussicht auf die Rechnungslegung
nicht".
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eine Fußnote beigegeben hat, die auf den Abschluß des letzten der drei
Hauptstücke aus der Christlichen Apologetik in der "Wissenschaft der
christlichen Lehre", der sog. "Apokalyptik", verweist, und zwar auf dieje·
nigen Paragraphen, die das Verhältnis des Christentums zum Judentum be·
handeln. 117 Kähler selbst hat also seinen frühen Vortrag im Rückblick als
einschlägig für unsere Fragestellung angesehen, und diese Einschätzung
kann noch dahingehend ausgedehnt werden, daß dieser Vortrag die Argu·
mentation der ganzen Christlichen Apologetik, nicht nur ihrer Apokalyptik.
vorwegnimmt.
a) Menschheitsreligion lind positive Religionen. Der frühe Vortrag ent·
wickelt die religiöse Vorstellung einer Ewigkeit, die nicht nur, wie im libe-
ralen Progreßgedanken, Ziel des geschichtlichen Fortschritts ist, sondern
zuallererst dessen Grund. Sittlichen Fortschritt gibt es nur aufgrund der
Ewigkeit, so Kählers Ergebnis. Deswegen bündelt sich das Problem erst am
Schluß des Vortrags darin, daß das Christentum als die ewige Religion sei·
ber eine geschichtliche Erscheinung ist. Die Lösung lag darin, die Ewigkeit
selbst nochmals vom Christentum als der ewigen Religion zu differenzie·
ren. IIS Die Bedeutung dieses Gedankens ist nun auch an Kählers Apologe·
tik zu überprüfen.
Die Christliche Apologetik, der erste Lehrkreis in Kählers "Wissenschaft
der christlichen Lehre", umfaßt drei Hauptstücke, nämlich Theologische
Anthropologie, Theologische Theologie und Apokalyptik. Sie haben eine
Doppelaufgabe zu erfüllen: sie sollen vom Christentum als Religion aus
einen Allgemeinbegriff von Religion bilden und das Christentum als Reli-
119
gion im Vergleich mit den übrigen Religionen darstellen. Von vornherein
ist festzuhalten, daß Kählers Christliche Apologetik nicht den Sinn einer
Fundamentaltheologie hat, die in einer idealtypischen Trennung des Glau·
bens von der Theologie die Fundamente der letzteren außerhalb des ersteren
ennitteln könnte, also je nach theologischer Schulrichtung die philosophi-
schen oder die wissenschaftstheoretischen oder die fundamentalanthropolo·
117 DERS.11867j (1913) 193 Anm. I verweist auf DEIl.s. (1905) §§ 222-240: die •.Apokaly-
ptik" nennl Kähler a.a.O. 87 (§ 86) so. weil sie die geschichtliche Offenbarung der Religionen
behandelt.
118 So mit Bezug auf den Vonrag von 1867 auch SCIIÄR (1940) 80 mit Anm. I. der ansonsten
im Anschluß an seinen Lehrcr M. Wemer Köhlers Apologclik durchgehend zu einer ÜberbiclUng
der Geschichle durch das Übergeschichtliche driften siehl: Köhler •.schiebt also offensichllich die
Lösung flir alle Schwierigkeiten. mit denen er nicht zurecht kommi. in die Eschatologie und End-
vollendung ab" (a.a.O. 119).
119 KÄllLER (1905) 86 (I 86) ordnei den Allgemeinbegriff der Grundlegung und seine christli-
che Perspektive der Ausführung der Apologclik. zu.
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gischen Prinzipien. l20 Vielmehr ist für Kähler die notwendige Vorausset-
zung der Theologie der Glaube. so daß dieser nicht von ihr zu trennen iSl. 121
Deswegen wird die Apologetik wie auch die beiden anderen Lehrkreise als
christliche. ,.von dem Standpunkte des Christen aus". durchgeftihrt. Damit
..steht das chrislliche Urteil über die positiven Religionen im voraus fest";
jede ..bereitet ihre eigne Aufhebung in die Vollendung vor". wie anläßlich
des Judentums ausdrücklich vermerkt wird. 122 Für KähJers eschatologische
Wahrnehmung des Judentums scheint damit alles gesagt; die zitierten Äu-
ßerungen fügen sich scheinbar in das Schema von Verheißung und Enlil-
lung, was sowohl die ewige Bedeutung des Christentums als der es-
chatologischen Fülle des Religiösen erklären würde als auch die Stellung
des Judentums, das durch das Christentum gleichermaßen überholt wäre,
wie es als seine Vorstufe unentbehrlich gewesen wäre. Man müßte sich
eben nur klarmachen, daß Kählers Wissenschaftsbegriff, den er gerade sei-
nem Hauptwerk zugrundelegt, anders als der der modemen Wissenschaft,
keine weltanschauliche Neutralität gegenüber den Ergebnissen der wissen-
schaftlichen Arbeit beanspruchte. ln
Doch ist damit der Charakter von Kählers "Wissenschaft" getroffen'! Es
ist ja bedeutsam, daß sich Kähler gerade von seinem dezidiert christlichen
Standpunkt aus in der Grundlegung zur Christlichen Apologetik wie gese-
hen eine Doppelaufgabe stellt, indem er vom Christentum aus nicht nur die
übrigen Religionen bewertet. sondern auch einen Allgemeinbegriff von Re-
ligion bestimmt. Man kann das Eigengewicht dieser zweiten Aufgabe nicht
mit dem Hinweis darauf mindern. daß ja auch der gesuchte allgemeine Re-
ligionsbegriff vom Christentum aus gewonnen wird. also das Wesen des
Christentums schlechthin mit dem Allgemeinbegriff der Religion identisch
und die zweite Aufgabe somit überOüssig wäre. Kähler dagegen unter-
120 Gegen dieses Verständnis von Prinzipien als ,ß~grifJ~1f1 I, aus denen sich beliebige In-
halte deduzieren lassen". iSl das Buch von GOu. (1991) 14f. u.ö. geschrieben. Zu den drei Bei·
spielen vgl. S.... UTER (I 998a) 310--319.
121 KÄttLER (1905) 17 (I 15): ,.vorausutzung für das th~%gischt' Erk~ml~1f iSI der Glaube."
Dieser SalZ iSl noch vor dem Einlrill in die lchrkreise in der zur allgemeinen Einleilung gehören-
den Enzyklopädie gesagt - ohne daß deswegen nun diese als Fundamenlalthcologle im 0.1. Sinne
verslandcn .....erden dürfte.
122 Zitale a.a.O. 76.171.199 (11 76.196.226). Die drille (nicht zl4icite) Sieile dirferenzlert Ju-
den- voo Heidentum.
123 Wissenschafllachteil der TbeoIogte bedeutete dann. daß sie sach über ihre Gehalte in
.•mchnhcologischer Begrifflichkeit" (GOu.. 11991) 205: vgl. La.O. 40) mit auJlcnheologischem
Denken v«Slindigie. So apeh WIRSQ1L"Ki (1963) 272 exemplarisch anhand der aJlkin:hJichen
..Obenuhme des phi'osophischen Logosbegrirfes-. BeKie Iuilisien:n Kihlers Vorgehen in der
Christlichen Apok>gelit jedoch zugleich als au8ertbeologiscb!
162 Zweiter Teil
124 Im Register (KÄIH.ER 11905 J 712) erscheint als Beleg flir den Tenninus der Menschheits-
religion der 1 113 (•.Der maßgebende Religionsbegrifr·). obwohl er diesen nicht gebraucht. Das
o.g.•.AlIgemeingUhige" (a.a.O. 108) des Religionsbegriffs. \o"e1ches an scinc:r Stelle auflrill. ist
aber ja dessen menschheitliche Bedeutung.
125 A.a.O. 42 (I 40). Vgl.•.•.0. 475 (I 551) zum Anspruch des ChriSlentums..,die Mensch·
heit!ireligion zu sein".
126 Zital im Leitsatz zum Absehnin .Das Christentum das Reich Goues und darum die
Menschheits.Religion" &.8.0. 99 (I 105). A.a.O. 100.101 (I 107) macht KAhler dies am "weltum·
spannenden Abschluß" fest. hat also das ".lIbergeschichlJK':he WeltzKI Slets im Auge" und fußt so
auf einem ~halologischen Ekgriff.
127 Zilal a.a.O. 204 in der Oberschrirl von 1 229. Vgl. auch D€JlS. (1908) 363.
128 Vgl. die .Jzlwd enlSCheKk:ndelnl Imümer" im vienen Abschniu des Vortrags (D€JlS.
118671 (19131 182) mil den zwei Slikk:en im I. HauplSlück der Chrisdichen Apologelik: (1905).
000-40222
zur Gesamtheit, in dem jener sich einzig 129 das "AlIgemein~ und Gleichar-
tig-Menschliche" zum Zwecke setzt (so 1905) und doch ,jeder Mensch be~
stimmt ist, Anteil zu haben" am sittlichen Ertrag der Gesamtgeschichte (so
1867), nur möglich ist aufgrund religiöser Freiheit von ebendieser Gesamt-
heit durch ..Abhängigkeit von der Gottheit" (so 1905) oder "Gemeinschaft
mit dem Ewigen" (so 1867).1JO Wie 1867 die ..Religion der tragende Grund
echter Sinlichkeit" genannt wurde, so heißt es daher auch 1905: "Die Zu-
sammenfassung des sittlichen und des religiösen Lebens ist also von dem
letzten aus zu suchen".I)1 - Der zweite Schritt zeigt aber dann, daß diese als
Bewußtsein der Freiheit von der Geschichte begriffene Religion doch selbst
"eine geschichtliche Erscheinung" ist (so 1867), ihr Begriff also im Ver~
gleich mit den positiven Religionen bewährt werden muß (so 1905),132 dar~
unter besonders dem Judentum, weil das Christentum nur zu ihm, nicht zum
Heidentum, in einem geschichtlichen Verhältnis steht. Kählers Wahrneh-
mung des Judentums steht also durch den Aufriß der Christlichen Apologe-
tik von vornherein in demselben eschatologischen Spannungsbogen, den die
ihrerseits "apologetische" Argumentation des Vortrags von 1867 133 be-
schreibt.
Damit aber kann die Bedeutung des Judentums sich nicht in der Selbst-
aufhebung ins Christentum erschöpfen, und dann geht die Zuordnung von
Judentum und Christentum als Verheißung und Erfüllung nicht mehr auf.
Auf der einen Seite kann das Christentum nicht als Erfüllung im absoluten
Sinne verstanden werden und ebensowenig seine lmperfektibilität. In un-
mittelbarer Nachbarschaft zu diesem Stichwort schreibt Kähler vielmehr:
"Der neue Bund begründet eine neue Weltzeit. Diese ist freilich auch noch
Geschichte; deshalb kann die Vollkommenheit ihrer Eröffnung nicht darin
bestehen. daß die begonnene Entwickelung fertig, sodann nur darin, daß ihr
befriedigender Abschluß ausreichend verbürgt ist. u Demgemäß heißt es
weiterhin nur, "daß der neue Bund die Menschheitsreligion begründet
129 In dieser Ausschließlichkeilliegl der Unlerschied zwischen Siulichkcil und Gesiltung. den
Kähler a.3.0. 175 einschärft in Vorwegnahme von DEMS. (1905) § 138.
130 Zit:lIe a.a.O. 129 (§ 138): DEM.s. 118671 (1913) 183 sowie DERS. (1905) 143 (§ 162): DERS.
11867J (1913) 186.
131 Mun vergleiche die beiden Zitate: a.3.0. 187 (Hervorhcbungen aufgehoben) bzw. DERS.
(1905) 144 (§ 162). Die Abgrenzung der sittlichen und religiösen Freiheit gegen die NivelIierung
von Geschichle und Nalur (DERs. 118671119131 181) kehn zudem bei DERS. (1905) 183 (§ 209)
als ..Naturalismus··. ein Kennzeichen des Heidentums. wieder.
132 Vgl. den ftinften Abschniu des Vonrngs (l867)(Zilal DERS. 118671 119131 192) mit dem
3. I-lauplsltick der Christlichen Apologetik (1905). welches dllS Christentum mit Heidenlum und
JLldenlLlm ins Verhä.ltnis setzt.
133 S. nach S. 138 Anm. 13.
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hat" .134 Ist aber das Christentum nicht schlechthin Erfüllung, dann ist wei-
terhin auf der anderen Seite auch zu fragen, ob mit der Weissagung einer
Vollendung, in welche sich aufzuheben das alttestamentliche Judentum be·
reit ist. tatsächlich das Christentum gemeint ist oder nicht vielmehr die da-
von zu differenzierende Menschheitsreligion. 135 Denn Kähler sieht eine
"bleibende Bedeutung jener [alttestamentlichen] Geschichte für die
Menschheit", die er (freilich ausschließlich) religiös bestimmt: "ihr letzter
Ertrag ist die lautere, wahre und wirkliche Menschheitsreligion" .136 Die
Menschheitsreligion ist also eine dem alttestamentlichen Judentum wie dem
Christentum zuzuschreibende Erwanung, und damit ist dann auch die ge·
radlinige Verrechnung von Judentum und Christentum mit Verheißung und
Erfüllung nach heiden Seiten dieses Schemas durchkreuzt.
Dieser Eindruck der referierten Stellen empfangt nun seine Bestätigung
von der Gesamtanlage der Apokalyptik, denn sie führt ganz stringent auf
den von der Grundlegung zur Christlichen Apologetik bereits vorgezeich·
neten Begriff der Menschheitsreligion in seiner charakteristischen Unter·
schiedenheit vom Christentum: "Es ist der von dem Christentum als ge-
schichtlicher Erscheinung abgezogene Religionsbegriff, welcher sich als
ausreichender Maßstab erweist, nicht nur für das Verständnis und die Be·
urteilung alles sonstigen religiösen Lebens, sondern auch für das Verständ·
nis und die Beurteilung der befremdenden Erscheinungen an der Kirche und
ihrer Geschichte". lJ7 Dieser Abschluß der ausgeführten Apologetik ent-
spricht in jeder Hinsicht dem ihrer Grundlegung. Sie führte den Begriff der
Menschheitsreligion ein als einen "Hilfsbegrifr', anhand dessen das ihn
sprengende Christentum mit den anderen Religionen verglichen wird,138 der
aber doch der "maßgebende" Begriff religiöser Wirklichkeit ist, an dem
sich auch das Christentum "als Verwirklichung oder als Verkümmerung
ihres Wesens" messen lassen muß. 139
b) Begriff und Wesen der Religion. Dies gibt nun Anlaß zu einer weiter-
gehenden Überlegung: Die soeben zitierten Sätze sprechen explizit aus, daß
der Allgemeinbegriff der Religion als Menschheitsreligion nicht leer ist,
sondern das Wesen der Religion enthält, das ohne ihn blind wäre. Begriff
und Wesen der Religion sind also nicht voneinander zu trennen; und wenn
das Christentum zur Menschheitsreligion bestimmt ist, wenn es das Wesen
religiöser Wirklichkeit verwirklichen soll, dann muß es diesen Begriff der
Religion verwirklichen. Der Begriff ist also zwar vom christlichen Stand-
punkt aus geprägt, jedoch "behufs der Vergleichung mit andem entspre-
chenden Lebenserscheinungen"; er hat also eine das Christentum über-
schreitende Reichweite, und in dieser Funktion auch geschieht es, daß das
Christentum sich ihm "unterstellen kann", 140 weil er das Wesen der Religi-
on enthält, welches das Christentum zu verwirklichen beansprucht.
D.h. der Begriff der Menschheitsreligion gibt Möglichkeiten an die
Hand, auch in anderen Religionen als dem Christentum das Wesen der Re-
ligion verwirklicht zu denken, weil er selbst dieses Wesen enthält. M.a.W.
das Wesen der Religion, wie es im Begriff der Menschheitsreligion enthal-
ten ist, ist nicht kongruent mit dem Wesen des Christentums, so gewiß nur
an ihm dieser Begriff gewonnen werden kann. Was aber ist das Wesen des
Christentums? Man mag zunächst überrascht sein. festzustellen, daß gerade
der Soterologe Kähler, der zufolge K. Barth als einziger neuerer evangeli-
scher Theologe den articulus stantis et cadentis ecclesiae ins Zentrum seiner
Dogmatik stellt,141 als "das Wesentliche" des Christentums, "wodurch es
sich von an dem Religionen unterscheidet". nicht die Rechtfertigung durch
Christus anführt, sondern das Übergeschichtliche! 142 Dies entspricht aber
durchaus der Christlichen Apologetik, die ausweislich ihrer Grundlegung
das "Wesen des Christentumes vom Standpunkte des Rechtfertigungs-
Glaubens aus betmchtel,·143 und dabei, wie wir sahen, zur Menschheilsreli-
gion als dem AllgemeinbegriffderReligion geführt wird. Beide Auskünfte
- das Übergeschichtliche und die Menschheilsreligion als Wesen des Chri-
stentums - widersprechen sich keineswegs, sondern decken sich vielmehr,
da die Menschheilsreligion als Übergeschichtliches zu verslehen ist,l44 wie
140 ZitaTe a.4.0. 85 (§ 84). FUr Kähler .,beslehl dagegen vom chrisllichen Slaodpunkl aus kein
Bedenkeo" (ebd.).
141 Vgl. Karl BARm. Die Kirchliche Dogmalik lVII, ZollikonlZürich 1953.582. Es bestehl
kein Anlaß, mil der Kählerkritik von FOIIRER (1993) 49 die SOlerologische Einheil von Person und
Werk Chrisli bei Kühler gegen die Rechlfenigungslchre auszuspielen.
142 Zilalc KÄHLER (1905) 64 (I 63.2).
143 Überschrift zur Grundlegung der Chrisllichen Apologelik l1.a.O. 88.
144 Zum ÜbergeschichIlichen s. bei S. 157 Anm. 105.
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166 ZweilerTeil
es ihre bisherigen Charak:terisierungen als einer Größe, auf die das Chri-
stentum, wie auch das Judentum. noch zugeht. ohnehin nahelegten. Es er-
gäbe sich dann, daß das Christentum sein Wesen nicht in sich hat. so wie es
ja auch nicht die Menschheitsreligion ist. Vielmehr stteckt es sich auf bei-
des aus als auf Gottes "große Verheißung". 145
Dies hätte Konsequenzen für die Wahrnehmung des Judentums. Das ge-
schichtliche Verhältnis zwischen Judentum und Christentum - z.B. die
Übernahme des jüdischen Geschichtsverständnisses ins Christentum - wür-
de dann für beide Seiten jeweils bezogen auf ein Verhältnis zur Mensch-
heitsreligion als zum Übergeschichtlichen, ein Verhältnis, das seinerseits
geschichtlich wäre und das auf jeder der beiden Seiten sehr unterschiedlich
aussehen könnte. Deswegen kann das Christentum im Begriff einer überge-
schichtlichen Menschheitsreligion zwar denken, daß auch etwa das Juden-
tum das Wesen des Religiösen erfüllen kann; eine Anschauung davon kann
es aber immer nur für die eigene Religion haben. Dies dürfte erklären, war-
um Kähler nur für das Christentum die Bestimmung zur Menschheitsreligi-
on beansprucht. Er kann freilich ähnliche Ansprüche anderer Religionen
ebensowenig erheben wie abweisen; sie sind ihm vielmehr als deren jewei~
liger Tradition angehörig nicht nachvollziehbar. l46 Er kann sie daher nur
hören im Gespräch über die Ausrichtung auf dieselbe Ewigkeit, in diesem
Gespräch hört er sie jedoch als Gegenstimme. Anders gesagt: Christentum
und Judentum haben eine gemeinsame. doch nicht die gleiche Zukunftshoff-
nung.
Kählers Konzept der Menschheitsreligion läßt sich so weiterführen zu
einer eschatologischen Verhältnisbestimmung zwischen Judentum und
Christentum, die auf einen konstitutiven, jedoch konstitutiv antagonisti-
schen Dialog hinausläuft. Kähler nennt in der "Wissenschaft" zwei Arten,
wie das Christentum zur MenschheilSreligion ,.wird", und beide sind mit
einer derartigen Verhältnisbestimmung kompatibel. Einerseits nennt er die
Anlagenenlfaltung. die sich auch schon bei der Analyse seines Escha-
tologiekonzepts im ganzen als von der Ewigkeit gesteuert erwies,147 ande-
rerseits die Mission, die ebenfalls schon in Kählers frühem Vonrag ein-
t48
schlägig war. Diese Entsprechung legt nahe, auch die Mission nicht als
Kulturleistung im Sinne einer "Ausbreitung des Christentums" zu verste-
hen, in der eine Linie, auf die das Christentum die Menschheit gesetzt hätte,
nur noch auszuziehen wäre, sondern, solche Linien im Gegenteil durch-
kreuzend, als das Bekenntnis zu Gottes "großer Verheißung" einer
Menschheitsreligion, die mit keiner positiven Religion gleich- oder auch
nur auf eine Linie gesetzt werden kann. Kählers ausführliche Beschäftigung
mit dem Missionsgedanken weist gegen zeitgenössische Bestrebungen aus-
149
drücklich in diese Richtung. Man kann von einer eschatologischen Dia-
logik des jüdisch-christlichen Verhältnisses sprechen.
Nun läßt sich allerdings gegen diese ganze unter b) aufgeführte Gedan-
kenreihe einwenden, daß sie auf einer falschen Voraussetzung beruhe,
nämlich der Vereinerleiung von Begriff und Wesen der Religion, was für
Kähler selbst der "idealistische Grundirrtum, nämlich die Verwechselung
des abstrahierten Gauungsbegiffes mit einer Wesenserkenntnis" ,150 ist. Tat-
sächlich ist Kähler in diesem Sinne bleibende Verhaftung an den Idealismus
vorgehalten worden. Gerade die Christliche Apologetik ist dafür kritisiert
worden, daß sie mit der Rede von einer Anlage zur Sittlichkeit und Religion
eine Allgemeingültigkeit beanspruche, die doch von Kählers Konzept aus
erst eschatologisch möglich sei, kurz: daß der Begriff der Anlage ein ab-
strahierter Allgemeinbegriff sei, dem nachträglich jeder Inhalt beigelegt
werden könne. 1St
148 KÄHLeR (1905) 205 (§ 230. also in der Konsequenz der n 228f. über die Menschheitsreli-
gion und die Jmpcrfelaibililä! des Christentums; s. bei S. 162 Anm. 127 und S. 164 Anm. 134)
spricht sehr enthusiastisch von einem ,.Erobenmgszug durch die MenSChheitsgeschichte"; auch
a.II.O. § 107 redet von der Sache der Mission ohne ihren Begriff. Vgl. DERS.[18671 (1913) 192
und s. bei S. 142 Anm. 30.
14950 sagt KÄIlLER (1908) 347 zur Propaganda: ..Man breitel eben nur das Eigene aus". An-
ders die Mission a.a.O. 365: •.slau der wissenschaftlich erweisbaren Absolutl\cit des Christeniums
steht UllS hinler seinem Anspruch der bestimmte Wille des persönlichen Gones. dessen unantastba-
re Majestät unsere lieilsgewißheil trägt. r... 1 Das ist der Grund der Missionspnicht. und damit
eben die Berechtigung des Chrislentums zur Mission:'
150 OcHS. (1905) 63 (§ 62).
151 W1RscmNG (1963) kann seinen Haupteinwand des metaphysischen Kausalismlls (s. 5. 158
Anm. 110) traditionsgeschichtlich als Kählers ..liIdealistische Denktechnik" (Überschrifl a.a.O.
77) bezeichnen, die gegen den Idealismus .•Wesensschau" erstrebt. aber dafUr doch zuletzt den
Begriff. die Kategorie einsetZl (a.8.0. 79f.). - Und GOu. (1991) zeigt zwar überzeugend. daß
KähJers Gedanke des Überge.schichtlichen ein eigenes wissenschaftstheoretisches Konzept theolo-
gischer AlIg~meingUltigkeit darstellt. die nur eschatologisch in der über Ostern und liimmeJfahn
hinausreichenden Wirksamkeit Christi und in der Erwartung .seiner Parusie Bestand hai (vg1. a.a.O.
30.63.97.126 zur eschatologischen und 8.a.0. 23.51.131 zur Chrislusgebundcnheil der AJlgemein.
heit); er deutel aber 3.a.0. 77.88.209 weder den Gedanken einer einheitlichen Menschheit noch
den der sittlichen Weltordnung noch den der Anlage im eschatologischen Sinne. vennutel an letz·
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157 Zitate KÄIILCR [18961 (1965) 20.21.21 (zu These I): vgl. 8.a.0. 18 über die ..kirchlichcn
Klimpfc" um das Altc Testament. Eine Trennung zwischen kritischcm und theologischem Ge·
schichtsbegriff hieße "Dogmatiker" und "ChriSl"' (3.3.0. 21). hieße Theologie und Glauben aus-
einandemißen und wlire weder im Sinne Klihlers (s. bei S. 161 Amn. 121) noch der kritischen Ge-
schichtswissenschaft. die mehr ist als bloße Faktenerhcbung. Beide erheben einen noml:uivcn
Anspruch.
158 Der 3. Abschnitt zieht daraus ..Folgerungen ftir unsere Stellung zur Bibel", die als unmit-
telbare Wahrnehmung des Allcn Testaments flir unsere Fragestellung ebenfalls von Belang sind,
während der 2. Abschniu die Ergebnisse durch ,Jesu Unfehlbarkeit und seine Benutzung der ahle·
stamcntlichcn Schrift.. illustriert, was dem im vorliegenden Abschniu unserer Untersuchung ver-
folgten Ansatz bei der geschichtlichen Seite weniger entspricht (vgl. die Übersicht Uber die Thesen
3.0.0. 13-17).
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prägung" des Verhältnisses von Jesus und dem Alten Testament einleitet,
"das Ganze meiner grundlegenden Ausführung", was die folgenden Thesen
159
desselben Abschnitts noch begründen.
Kähler entwickelt hier einen Begriff von Geschichte in impliziter Aus·
einanderselzung mit dem der kritischen Geschichtswissenschaft. Sein Be-
griff soll nun rekonstruiert werden. Er deckt sich mit dem geschichtswis-
senschafllichen nicht, nimmt aber denselben Ausgangspunkt bei der Fakti·
zilät, dem positiven Gegebensein des Geschichtlichen. In diesem Sinne ruft
Kähler bei der Erläuterung seiner These 4 aus: "Das ist eine geschichtJiche
Tatsache ersten Ranges", daß das Alte Testament im abendländischen Den-
ken eine nicht weg zu diskutierende Wirkung gehabt hal. l60 Freilich geht es
Kähler über diese Feststellung hinaus um die Prüfung der Gründe für ihre
Geltung. Er antwortet darauf zunächst (in These 5), die epochemachende
Bedeutung des Alten Testaments rühre daher, daß Jesus selbst in einem
"mit seinem inneren Leben verwachsenen" Verhältnis der Treue zum Alten
Testament gestanden habe. 161 Er weiß aber, daß er damit nur erklärt, wie
"das Alte Testament zur Geltung gekommen" ist, und fragt daher weiter
nach dem "Sachgrund" der Geltung, dem dann die Thesen 6 und 7 gewid-
met sind: "Ist das Zufall, ist das nur eine Abhängigkeit Jesu von geschicht-
lichen Verhältnissen, die keine Bedeutung hat, oder hat es einen inneren
Zusammenhang?,,162
Solch ein innerer Zusammenhang läge vor, wenn nicht nur die Wir-
kungsgeschichte des Alten Testaments auf Jesu Stellung zu diesem fußte,
sondern auch diese wiederum im Alten Testament, noch abgesehen von
jener Wirkung, wurzelte. Der innere Zusammenhang bestünde dann präzise
darin, daß die Thesen 6 und 7 über These 5 auf These 4 zurückgreifen
könnten. Und genau dies fühn Kähler aus.
Daß Jesus aus dem Alten Testament lebt, wie These 5 festgehalten haue,
sagt nämlich nicht nur etwas darüber aus, mit welchen Augen Jesus die hei-
ligen Schriften seines Volkes liest, sondern auch, daß er selbst mit den Au-
gen dieser Schriften gelesen werden muß: Jesus selbst, sein Selbst bewußt-
sein ist nur aus dem Alten Testament verstehbar, so daß "die alttestamentli-
che Offenbarung zur wirksamen Voraussetzung seiner inneren Entwicklung
geworden ist" (These 6).163
159 Zitale a.a.O. 13 in der Überschrift des fraglichen Abschnins bzw. a.a.O. 31 (zu These 4);
zu den Thesen 5-8 vgl. den Überblick a.a.O. 32.
160 A.a.O. 32 (zu These 4).
161 A.a.O. 33 (zu These 5).
162 Zitate a.a.O. 32.32.34. jeweils als überleitende Bemerkungen zur Gliederung.
163 A.8.0. 35 in der AusfUhrung '" a.8.0. 13 in der Thesenreihe.
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Mit diesem Gedanken bezieht Kähler implizit Stellung gegen die damals
schon jenseits ihres Zenits stehende Leben-Jesu-Forschung. Für sie ist das
Alte Testament Voraussetzung für Jesu innere Entwicklung nur als traditi-
onsgeschichtlicher Verstehenshintergrund, vor dem Jesus sich erst aLlmäh-
lich bewußt wurde, der im Alten Testament verheißene Messias zu sein.
Denn dann wurzelt Jesu Stellung zum Alten Testament in seiner Messiani-
tät und nicht, wie für einen "inneren Zusammenhang" erforderlich, im Al-
ten Testament selbst. Kähler lehnt einen deranigen alttestamentlichen Vor-
bau für Jesu Selbstbewußtsein daher ab mit dem Hinweis, dieses sei "von
Anfang an"l64 dasselbe gewesen.
Zugleich wendet Kähler sich jedoch gegen W. Hemnann, der ebenfalls
gegen die Leben-Jesu-Forschung ein allmähliches Werden des Selbstbe-
wußtseins Jesu bestritten und statt dessen für Jesus eine fertig abgeschlos-
sen gegebene religiöse Persönlichkeit angenommen hatte. die bei denen, die
ihm enlgegentreten, zu einer "Überwältigung" führe. 165
Mit dieser Doppelfront bestreitet Kähler sowohl ein unfertiges als auch
ein fertiges Selbst bewußtsein Jesu. Statt dessen schreibt er:
Jesus ist sich von Anfang an (ich kann es wenigstens in den Evangelien nicht anders
finden) bewußt gewesen, nicht bloß fur Israel, ja sogar dem Erfolge nach gar nicht fur
Israel, sondern unter Verwerfung Israels fur die Menschheit dazusein. Dieses Be-
wußtsein hat sich ihm einfach über dem Allen Testamenl erschlossen. Wie es so vor
uns liegt und wie es vor Jesus lag. anfangend mit der Schöpfungsgeschichte und aus-
gehend in die große Prophetie von dem Gericht und der Vollendung. ist es durchaus
universalislisch: mitten in der zerklüfteten Völkerwelt kennt es ohne die toten Ab-
straklionen der Philosophie eine einheitliche Menschheit. eine Menschheit mil einem
Ausgang und einem Ziel. Hili
selbst ins Auge. Der Sachgrund für JesIl Stellung zum Alten Testament isl
also dos Alle Testament selbst. und damit ist der innere Zusammenhang
erreicht, den These 5 forderte.
Damü ist auch kJar. daß Kählers Rede von einer inneren EnlwickJung
des Selbst bewußtseins Jesu weder auf sein Verhältnis zum Allen Testament
zu beziehen ist wie in der Leben-Jesu-Forschung noch. wie W. Herrmann es
in einem Buchtitel ausdrückte. auf Jesu unvergleichlichen "Verkehr mit
Gotr' - denn "der innere Haushalt einer unsündlichen Entwicklung ist für
uns so unvorstellbar wie das Leben auf den Sandwichinseln für einen Lap.
pen"167 _. sondern auf die menschheitliche Geschichte. deren Horizont das
Alte TeSlament eröffnet. Jesu Selbstbewußtsein entwickelt sich auch zufol-
ge Kähler, aber nicht "von rückwärts", sondern ..nach vorne" auf den Hori·
zont dieser Geschichte zu. Diesen aber steckt nach Kählers Eschatologiebe·
griff die Ewigkeit selbst ab. M.a.W. für Kähler ist Jesu Selbstbewußtseill
dessen Wissen um die eigene zukünftige Parusie. Das ist Kählcrs es-
chatologischer Begriff von Selbstbewußtsein Jesu.
b) Eschatologischer Begriff des Alten Testaments. Dieser eschatologi·
sche Begriff des Selbstbewußtseins Jesu entspricht genau dem Konzept der
Geschichl1ichkeit, das Kählers Eschatologieentwurf prägt: die Erstreckung
eines historischen Ereignisses auf seine zukünftige Vollendung"" These 7
von Kählers Vortrag zieht die entsprechenden eschatologischen Folgerun-
gen. Jesus fUgt sich demnach in eine .,große geschichtliche Entwicklung,
die bis heute reicht. und die er vorwärts und rückwärts beherrscht". Mit
Blick auf diese menschheitliche Geschichte kann Kähler die alttestamentli-
chen Schriften "ein gewachsenes Ganzes" nennen. das er inhaltlich mit "ih·
rem letzlen vormessianischen Ergebnis'; gleichsetzt. l69 Dies ist sein es·
chatologischer Begriff des Alten Testaments.
Er wirkt freilich dadurch doppeigesichtig, daß hier als Ganzes das Vor-
messianische. also etwas Unabgeschlossenes angegeben wird. Das hat in
These 9 des Vortrags zur Folge, daß einerseits die christliche Bedeutung
des Alten Testaments auf seine messianische Erwartung, diese aber ande·
rerseits nicht auf den Charakter einer Vorstufe zum Christentum festgelegt
wird. M.a.W. das Alte Testament hat nach Kählcr für das Christentum nur
167 KAuLa. (189611) 53: nichl abgedNCkl in der Ausgabe VOll E. Wolf (CERS. (1892) (1956».
168 O€RS. (1896) (1965) 46 nennt mit Bezug auf H. v. Trcil.sc:hke als Beispjcl einer gC5Chichl-
lichen Auffassung ..im großen Stil" die Beziehung aller Einzcldalcn der deutschen Geschichte auf
die Reichsgriindung 1871, was UNK (1975) 175 Anm. 146 scharf kritisicn. Jedoch verSIeht Kihlcr
dieses Beispiel nichl eschalologisch. d.h. die Reichsgrundung wird nichl Dbergeschichllic:h über-
höht. sondern soll nur das Konzepl der Gcsc:hic:htlichkeil als sokhc.s erläutern.
169 ZilalC KÄIIID 11896) (1965) 41.42.42 (alle zu These 7; Hervorhcbungt:n aufgehoben).
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Es ist der Bibel gegenüber willkürlich. Jesus in seinen Aeischestagen. den irdischen
Christus. ftir den anzusehen. in dem alle Verheißungen Ja sind. Der geschichtliche
Christus ist der gepredigte Jesus Christus!"']. Seine Predigt. d.h. die Predigt, deren
Inhalt er ist. gehört nach dem Neuen Testament in das alttestamentliche messianische
Programm!···t.m
Diese Sätze zielen durch den Verweis sowohl an den gepredigten Christus
als auch an den alttestamentlichen Messianismus auf die Parusie Christi.
Diese Zukunftshoffnung kann daher für Kähler nur mit "alttestamentlichen
Anschauungsfonnen" ausgesagt werden. Jesu "Stellung zur ganzen
Menschheit, und zwar rückwärts wie vorwärts, ist unfaßbar, wenn man ihn
lediglich zeitgeschichtlich ansieht und schätzt (... ]; das Alte Testament ist
unentbehrliches Mittel für ihre KlarstelJung".173 In diesem Satz ist die Klar-
stellung nicht als Zweck von ihrem alttestamentlichen Minel abzulösen;
Jesu Stellung zur Menschheit ist kein Abstraktum. das auch unabhängig von
der Konkretion gedacht werden könnte; d.h. die Unentbehrlichkeit des alue·
stamentlichen Messianismus ist eine unbedingte. weil sie ebenso es-
chatologischen Rang hat wie die Parusie Christi selbst. Chrisllls ist eine es-
chatologische Gestalt nur als der alllestamelllliche Messias, und der altte·
sramentliche Messias gewinnt Gesralr ersr als der eschatologische Christus
170 A.a.O. 47f. (zu These 9), die christliche Geselzesfreiheil ist allerdings eingeschränkl
..durch den geprediglen ChrisluS" (a.a.O. 49), so daß a.a.O. 48 auch eine .,chriSlliche Würdigung
des Siuliehen in aller Gesetzgebung" in Betracht kommt.
171 [)r,RS. (1892) 39f. polemisien gegen die .jüdische Th~Qlogi~ und ihr~ EschotoJogi~" als
Quelle ruf das Verständnis Jesu. die zur selben Zeit J. Weiß epochemachend in den Vordergrund
steIlI. Kahkn Losung von ~d~m g~sdichllichm Christus du BilNl" bzw.•.der ganzen Bibel" hat
also auch diru SI06richtung gegen das Frilhjudenlum. das O€RS. 118961 (196's) 58f. nur in Fragen.
die nicht die Ganzheil des Alten T~amenls belreffen. zum Verständnis Jesu herangezogen wissen
will.
172 A.a.O. 75 (These 13. auf die bereits '.'.0. 49 ein Vorverwcis gegeben wurde).
173 Zitale a.•.O. 76. Ein ..Verzteht auf die alltest:amentltehe Verht'iBung" (Überschrift OE
8<X>R /19901 120) ließe sich bei Kähkr nur konstaticren. wenn man diese auf Bibelzilale festkgte.
174 Zweiter Teil
174 KÄI1LER [18961 (1965) 33 (zu These 5) und a.a.O. 42 (zu These 7).
175 Zitate 8.a.0. 42.41 (Hervorhcbungen aufgchoben).
IV. Manin Kählers messianisch-solerologische Eschatologie 175
176 Dies iSI die Gefahr z.O. der altonhodoxen christologischen dicta probanlia.
171 Das entspricht unseren melhodischen Grundentscheidungen (s. bei S. 20 Anm. 26).
178 Zilale KÄHLER 119061 (1913) 198.200: zur Parusie a.a.O. 212. Der erste Abschnin (a.a.O.
196-200) emfaltel die •.GeschichlSanschauung'· als Grundlegung, wozu der Z\l..e i,e Abschnin
(a.a.O. 200-208) die AusftJhrung und der drille (a.a.O. 208-212) das Resiimee bietet.
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Wie aus der Puppe des Judenvolkes der Falter der chrisLlichen Mission aufflog. so
niegt derselbe Faller nun aus dem verwesenden Leichnam der Antike hinüber zu den
herandrängenden Gennanen und Slaven.
Die kirchliche Cultunnission vollzieht sich während des folgenden Jahrtausends
in nördlicher Richtung. lll
Die christliche Mission setzt dabei zufolge Kähler die Einheit der Mensch-
heit als von Gottes Ewigkeit motivierte gegen verschiedene Kräfte durch, so
besonders gegen die beiden einseitigen Abstraktionen der Einheit in den
theoretischen. vom Bezug auf den Menschen gelösten Monotheismus des
Islam einerseits und in die ..anthropocentrische", von Gott gelöste "Con-
ventikelreligion" des Buddhismus andererseits; sodann gegen eine bloß
formale goltgegebene Einheit des Menschlichen wie im starren Hierarchie-
denken des römischen Katholizismus. 182 Die stärkste Front, welche die
christliche Mission als von Gottes ewiger Zukunft begründeter Fortschritt
im Gang der Menschheit zu durchbrechen hat, sieht Kähler allerdings in
folgendem:
solches anerkannte "Element der Decomposition" lsic!], der ewige Jude. das Ge-
spenst des messianischen VoLkes, seit es seinen Messias verworfen hat. Die goldene
Internationale mit ihrer Weltpolitik im Dienste des Mammonismus, mit ihrem gonlo-
sen Rassenegoismus. mit ihrer Ausnützung eines abstracten Humanitarismus und
imaginären Kosmopolitismus, hält das lell.le und schwerste Problem auf dem Wege
zur Einheit der Menschheit vor Augen und prägt es damit ein (Eph 2; Röm 9-1 I)."J
Diese Tirade ist unverkennbar auf das Judentum der nachbiblischen Zeit bis
zu Kählers Gegenwart bezogen, und es rallt nicht schwer, verschiedenste
Schemata des landläufigen Antisemitismus bis in die Formulierungen hin-
ein nachzuweisen: so die Ahasverlegende, die theoretisch auf der substituti-
onstheologischen Annahme der Enterbung Israels infolge der Verwerfung
Christi beruht;l84 so die Behauptung vom jüdischen "Weltkapital" (verbun-
den mit dem Vorurteil jüdischer Geldgier), welche die bis weit in die Zeit
der Emanzipation wirksamen ökonomischen Restriktionen an das gewerbe-
treibende Judentum, also dessen Abdrängung vom zünftigen Handwerk in
den Handel. mit einem Nationalcharakter verwechselt; 185 einhergehend da·
mit die Verquickung von jüdischer Diasporaexistenz mit der sozialistischen
Internationale, gegen die Kähler sich kurz vor diesem Zitat eigens abge-
grenzt hatte: eine Zuschreibungsfigur, die als Vorwurf einer angeblichen
jüdischen Wehverschwörung bekannt ist. 186 Theologische Varianten solcher
Wahrnehmungen sind in dem Absatz ebenfalls enthalten,
Über den Grund für diese gegenüber Kählers sonstiger Wahrnehmung
des Judentums auffallende Verschiebung läßt sich nicht in einem Satz Auf-
schluß geben; es rallt jedoch auf. daß in dem fraglichen Passus das Juden-
tum als Hindernis der christlichen Mission geschildert wird, die in den vo-
rigen Zitaten z.T. ausdrücklich als Kulturleistung (..kirchliche Cultunnissi-
[83 DERS. 119061 (1913) 208. Die Passage hat gewisse Entsprechungen in einem Abschniu
von KähJers später EschalOlogievorJesung (DERS. 119111 67--69). wo das Verhälmis Israels zur
"vollkommenen Offenbarung" (gemeint: lesu irdisches Auftrelen) behandelt wird: vg!. daneben
DERS. (1913) 426-428.
184 KähJer spricht in dem genannten Zitat (DERS, [19061 [19131 208) vom "ewigen Juden·'.
Mit der Rede vom ,,Elemenl der Decomposition" zilien Kähler ungenau Theodor MOMMSEN,
Römische Geschichte, Ber[in 91902/04. 11I,550. der das antike Judentum ein "wirksames ~rmenl
des Kosmopolitismus und der nationalen Dekomposition" im römischen Reich nannte. Ungenaue
b7.w. kontelttfremde Zitalion dieses Diclums. zunächst durch H. v. Treilschke, löste den sog. Ber-
liner Antiscmitismusstreil aus, in dem. wie HOFFMANN (1988) 98-103 zeigt. verschiedene Ab-
wandlungen des MommscnziulIS Hir antisemitische Zwecke herangezogen wurden, so die Variante
als •.Elemenl" von A. Stoecker im preußischen Abgeordnetenhaus.
185 KÄHLER 119061 (1913) 208 spricht von Mammonismus.
186 Kahler ebd. gebraucht die Ternlini "imaginfircr Kosmopolitismus" und Weltpolitik. Wich-
ligsles Beispiel des Stereotyps der Wehverschwörung ist die um 1914 in Rußlarxl enlst:mdene
antiscmilische Erfindung angeblicher ,.Protokolle der Weisen vom Zion",
178 Zwciler Teil
191 S. bei S. 168 Anm. 152(. zur Mcnschhc:ilmligion und zur Wc:llordnung.
192 S. Kap. IV.1.2, hic:t" S. 159-168.
180 Zweiler Teil
"Tröpnein" - d.h. doch wohl: des speisenden Flusses - verloren iSl. 193 Sinn
der gesamten Metaphorik ist also von diesem Ende her. die Ewigkeit als
l94
Grund des Fortschritts zu markieren.
2. Sirah/ und Sonne. In demselben Sinne gebraucht KähJer in diesem
Vortrag auch die aus der Christologie allbekannte Metapher des Strahls und
der ihn erst hervorbringenden Sonne, um das Verhältnis des Fortschritts zu
Christus auszudrücken, und zwar zur Geschichte Christi. die sich von sei-
nem Erdenleben aus auf die Ewigkeit erstreekt. 195 Besonders im Vergleich
mit dem Bemer Theologen und Schüler von Kählers Weggenossen
H. CremeT, W. Hadom, der dasselbe Bild für die eschatologische Wahr-
nehmung des Judentums gebraucht, wird kenntlich, daß die Sonne für
Kähler den Christus der Parusie, also die Ewigkeit bedeutet, und nicht etwa
bloß den historischen Christus (während Hadom hier auf das Christentum
als positive Religion Bezug nimmt).I96
3. Puppe und Schmelterling. Freilich bedeutet zuweilen auch bei Kähler
die Ewigkeitsmetaphorik das Christentum. So steht in seinem universalge-
schichtlichen Versuch "Der Gang der Menschheit" das Bild des Schmetter-
lings (Falters) einmal ausdrücklich für die "kirchliche Culturmission'" die
zunächst das Judentum und dann die klassische Antike verwandeh habe, die
dann als "Puppe" bzw. .,Leichnam" bezeichnet werden. Wenn zwar auch
hier dem Sinne nach nicht an ein bloßes Entwicklungsschema gedacht ist -
die Entsprechung zwischen ..Puppe" und "Leichnam"197 suggeriert hier
doch zu sehr Abbruch -, so ist hier jedenfalls das historische Christentum
als Gipfel der Universalgeschichte gedacht 198 - anders als in dem Aufsatz
,.Mit Christo auferweckt sein". wo dieselbe Metaphorik festhäll. Christus
der Erhöhte sei im Vergleich zum Irdischen nicht einfach der ,.Schmener-
ling, wenn er das verdeckende Puppenkleid abgestreift har,:'99 Kähler sieht
hier vorbehaltlich des Christus der Parusie anscheinend keine Entwick-
193 KAHLER 11867] (1913) 170 zur Mündung; a.a.O. 193 bzw. 3.a.O. 167 zur Inclusio.
194 Ebenso OERS. (1896) 496. wenn es heißt. die - freilich eschatologisch begründete - •.Ent-
wicklung der Menschheir' trage als ein Strom •.die Schiffe zum Meere" eines silllichen Gesamt-
zieles,
195 DERS. 118671 (1913) 188: ••Was wir heute als die erhabensten Ideen der Humanität preisen.
es sind nur Strahlen jener Sonne. welche der Welt am See Geneureth aufging und auf Golgatha
nur scheinbar erlosch. um vom OstemlOrgen ab mit unwandelbarer Klarhc:il zu leuchten."
196 HAOORN (1914) 37.
197 KOEPP (1921) 35 wird das Judentum wegen seines Konzepts von E....igkeit als ..Mumie"
bezeichnen. so Eigenschaften von Puppe und Leichnam verbindend.
198 Zilate KAlUn 119061 (1913) 203. dessen Rede von Kulturmission seinem MissK>ns,'er-
slindnis wtdersprichl.
I99DERs.(I906) 180.
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lungslinie, die vom Irdischen zum Auferweckten führt, genauso wenig also
auch vorn irdischen Menschen zum Mitauferweckten (worum es dem Auf~
salzlitel nach ja geht), sondern er macht hier vielmehr einen nur von Gottes
Zukunft her bestehenden Zusammenhang gehend. Darin zeigt sich wieder~
um sein Konzept von Eschatologie im Unterschied zur Auffassung etwa des
Serner Reformierten E. GÜder. der zur Verdeutlichung seiner Unterschei~
dung von vier Lebensständen Christi die Abfolge von Ei, Raupe, Puppe und
Schmetterling als naturhafte Entwicklung heranzieht. 200
4. Keim und Frucht. Besonders verbreitet und am unmittelbarsten der
Naturbeobachtung angelehnt scheint aber die Metaphorik von Keim und
Frucht. Mit ihr erläutert Kähler in Ausführung seiner These von der ge~
schichtsstiftenden Kraft der Eschatologie 1896 den Lehrsatz von der Sünd~
haftigkeit der ungetauflen Neugeborenen: Hier werde der "Keim schon an
der voll ausgetragenen Fruchl,,201 gemessen. In diesem Fall erhellt der Zu·
sammenhang von Sinn und Bedeutung besonders klar Kählers Metaphern-
gebrauch, denn indem die Frucht hier das Endgericht und den ewigen Tod
bedeutet und zudem der ganze Satz zur Entfaltung der These vom Vorrang
der Eschatologie vor der Geschichte dient, ist klar, daß sein Sinn ist, den
natürlichen Wachstumsprozeß, der vom Keim zur Frucht geht, zu durch·
kreuzen. Und dies trifft ja gerade im Falle des Keimes, der die Erbsünde
bedeutet, wiederum genau den theologischen Sinn, denn wenn die dogmatj~
sche Tradition die Erbsünde bevorzugt mit botanischem Bildmaterial be~
schreibt, dann ja als die Wurzel eines mit Stumpf und Stiel auszurollenden
M I"ß wuc hses. '02
Kähler kann dieses neuartige Verständnis der Metaphorik von Keim und
Frucht daher auch mit der "Aufstellung von Typus und Antitypus" gleich~
setzen, um klarwmachen, daß das Verhältnis, in dem Jesus zum Alten Te-
stament steht, kein naturhafter Enlwicklungsprozeß ist, sondern ein Ver-
wachsensein. 203 Gerade in diesem Ausdruck, der nicht nur gegenseitige
Durchdringung, sondern auch Mißbildung besagen kann, kommt zur Spra-
200 GODER (1853) 355 in dem Bestreben. den Zwischenzustand zwischen Diesseits (Ei) und
Jenseits (Schmetterling) soteriologisch auf Christus anzuwenden. was einen diesseitigen und einen
jenseiligen ZwischenZUSland. also den Erdenwandel vor Himllleifahn (Puppe) und die Höllenfahn
(Raupe) annehmen läßt (a.a.O. 346).
20 I KÄIIL...ER (1896) 503.
202 So FC SO 1.5 (BSLK 846.95) und besonders die Rede vorn Zunder. also bereits abgebro.-
chenem und vcrdomem Gehölz: AC 11.1 (BSLK 148.21 mit den scholastischen Belegen ebd.
Anm. I).
203 Zila! KÄItLER (18961 (1965) 46 neben dem umstriuenen Beispiel Hir geschichtlictlCS Den-
ken ..im großen Stil". der Reichsgrundung von 1871. Zum Vcrwachsensein vgl. a.a.O. 33.42;
oeRS. (1906) 182.
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che. daß Kähler die Wachslumsmetaphorik nur per nefas gebraucht. um ihr
seine Vorstellung einer eschatologisch begründeten Entwicklung aufzuprä-
gen.
Der Grund für diesen so unnatürlichen, ja unphysiologischen Meta·
pherngebrauch könnte schlicht und einfach in Kählers Bibellektüre liegen.
Denn liest man das Gleichnis vom vierfachen Acker. das als altkirchliches
Evangelium zu Sexagesimä zugleich der locus c1assicus der Metaphorik
von Keim und Frucht ist, so hat man in den vier ausgeführten Szenen ja
weder ein "Wachstumsgleichnis" im eigentlichen Sinne vor Augen noch
eine Typologie menschlicher Herzensbeschaffenheit. sondern dem Be-
trachter bietet sich eine Saat· und Emtesaison im Zeitraffer dar. bei der bis
zur Ernte ein Teil der Saat nach dem anderen vergeht, so daß man aufgrund
der Zeitphänomenologie dieses Gleichnisses204 also tatsächlich sagen kann,
erst die Ernte selbst - also die Frucht - erhalte den Keim am Wachstum.
Mit solch eschatologischem Sinn dieser Metaphern korrespondiert dann
auch ihre bei Kähler allermeist eschatologische Bedeuwng, m.a.W. wo die
Metapher zwar eschatologischen Sinn, aber keine eschatologische Bedeu-
tung hat, da liegt ein Hinweis auf ein dem theologischen Konzept innewoh-
nendes Problem. da kann das sprachliche Potential der Metapher wieder
zum Schematischen erstarren und die Metapher zum Wahrnehmungssche-
ma werden. Und im Falle Kählers zeigten die Beispiele. daß immer dann.
wenn mit den eschatologisch gemeinten Metaphern auf das Christentum als
positive Religion referiert wurde. eine Abwertung des Judentums zur blo-
ßen Vorstufe damit verbunden war. 205 während da, wo die Metaphorik in
Sinn und Bedeutung eschatologischen Charakter hat. wo also der Unter-
schied zwischen Christentum und MenschheilSreligion gewahrt bleibt,
Kählers größtes Potential für eine Erneuerung christlicher TheOlogie in ih-
rem Verhältnis zum Judentum liegt. 206
In Kählers Metapherngebrauch bündelt sich also zum einen sein gesam-
tes eschatologisches Konzept, und zum anderen wird hier zugleich die Be-
204 Zuerst vergeht der Teil auf dem Weg (noch vor dem Aufgehen), dann der auf dem Slein
(,,sofort" nach dem Aufgehen), dann der unter den Domen (nach deren Mitaufgehen). Vgl. Micha-
el WOLTER. Interaklive Erzählungen. Wie aus Geschichten Gleichnisse werden und was Jesu
Gleichnisse mit ihren Hörern machen, in: GILem 13 (1998) 120-134, 132.
205 S. bei S. 177 Anm. 183.
206 KÄIIL.ER kann in Abwandlung der Melliphorik von Keim und Frucht auch da.<; Schema von
Frucht und Schale so eschalologisch akzentuieren, daß sein verbreiteter Unterton gegen das (ver-
meinllich schalenhafl äußerliche) Judentum wegfallt: DEkS. (1906) 188 vergleichl das Leben der
Getauften mit einem österlichen Keim, der solange nicht beherrschend sei, wie die Christen ihr
altes Wesen noch nichl wie eine Schale abgestoßen hätten: Hier ist (alles) Wl!'St'n Schale!
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deutung dieses Ansatzes für die Frage nach der Wahrnehmung des Juden-
I"h'·'
rums kenntlC .
207 ErheiJend ist ein Abschniu der noch unpubJizienen AJtersvorlesung. KÄIII..fR 1191 tl J6f.:
..Freilich sagten wir eben; die Erflillung habe erst klBr gemacht. was Bn der Vorhersagung Bild und
was Ding sei. Das ist eine andere Wendung dBfilr: nicht die Juden haben die Erfüllung gebracht.
sondem der sich offenbBrende Gotl. Wie unser Christentum nicht dllS geschichtliche Ergebnis des
Zusammenwachsens von Judenlum und Heidentum iSI. sondern wie es rur die Apostel durchaus in
das Bewußtsein trat: Neuschöpfung. koine k,üis. - so wird auch unser christliches Leben nicht zur
Vollendung kommen könntn ohne ein neues Eingreifen. eine neue TBt GOlles. Wir erwarten und
dürfen und soJlen erwanen große Taten Goues. welche dic Vollendung bringen. die aus Unserem
einfach nicht hervorgehen:'
208 Zu der doppelten Positionierung gegenüber liberaler Theologie und Ritschi s. Ellkurs 4 (5.
l44ff.).
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turn und seiner erhofften ewigen Zukunftsgestalt zu finden ist. Hier stießen
wir in der Apologetik innerhalb der "Wissenschaft der christlichen Lehre"
auf das Konzept der Menschheitsreligion, die das Christentum seiner Hoff-
nung für die eigene Zukunft gegenüberstellt. Die eigene ZukunJtshoffnllfig
tritt dem Christentum also als etwas Fremdes gegenüber lind venveist es so
an eine andere, nämlich jüdische, Gestalt von Hoffnung auf dieselbe Zu-
kunft. Schon diese Erwägungen zeigen, daß der Begriff der Menschheitsre-
ligion bei Kähler eine wichtige mögliche Fragestellung evangelischer Es-
chatologie im Gespräch mit dem Judentum ist, denn die hier geschilderte
Konstellation erinnert an F. Rosenzweigs Vorstellung eines Dialogs von
Judentum und Christentum, in dem beide Seiten aufeinander gespannt sind
in der gegensätzlichen Ausrichtung auf dieselbe ewige Zukunft. 209 Daneben
aber ist der Begriff der Menschheitsreligion in sich ein Anknüpfungspunkt
für die jüdische Gesprächslage der Zeit, denn gerade die im ersten Teil die-
ser Untersuchung vorgestellten L. Baeck und H. Cohen verstanden das Ju-
dentum als sittliche Menschheitsreligion. 2LO Darin erblickten beide Autoren
den missionarischen (so besonders Baeck) und messianischen (so besonders
Cohen) Charakter des Judentums, und in vergleichbarer Weise ist Kählers
Verständnis der Menschheitsreligion gekoppelt mit seinem Missionsver-
ständnis und seinem Konzept von Soterologie, also Messiaslehre.
Die entscheidende Frage ist freilich, wie der Begriff der Menschheit je-
weils gebildet wird. Und hier scheinen charakteristische Unterschiede zu
bestehen. Cohen sieht das Spezifikum seines Religionskonzeptes gegenüber
dem Idealismus darin, daß es den Einzelnen nicht nur als Exemplar des All-
gemeinen in den Blick nimmt, sondern am logisch dazwischenliegenden
Begriff der Mehrheit den Einzelnen in seiner Eigenheit erfaßt, und zwar am
Mitmenschen (spätere jüdische Philosophie prägt hier den Begriff der An-
derheit). Auch Kähler grenzt sich von idealistischer Verrechnung des Ein-
zelnen mit dem Ganzen ab und betont den Eigenanteil des Einzelnen, ohne
jedoch einen spezifischen Begriff des Mitmenschen zu prägen. Dies dürfte
mit der Eigenart von Kählers Begriffsbildung zusammenhängen, die wir im
analytischen Abschnitt dieses Kapitels als eschatologische Begriffsbildung
rekonstruiert haben?" Dabei wurde schon die Bedeutsamkeit eines solchen
begrifflichen Verfahrens gerade im Unterschied zum idealistischen kennt-
lich. Das Konzept der Menschheit macht den Unterschied freilich noch auf-
falliger, worauf der Rabbiner Max Wiener 1928 hingewiesen hat: Demnach
186 ZweilerTeil
215 Dieser Frage nach der Erfahrung des Glaubens widme! sich fUr Kähler v.a. die Dissenalion
...on MENCKE (2001).
216 S. Kap. 1.1, hier S. 19f., ....8. bei Anm. 25.
217 S. bei S. 168 Anm. 155 bzw. S. 174 Anm. 175.
218 Manin K.AHLER. Das schriflgemäße Bekenntnis zum GeiSIe Chrisli (18841. in; dcrs.. An-
gewandte Dogmen (Dogmatische Zeitfragen. Allc und neue AusfUhrungcn zur WiSSCl15Chafl der
christlichen l...t:hre. 2. AuO.. Bd. 11), l...t:ipzig 1908. 193-233,222.
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219 Zilate LINK (1975) 391. Links gesamte Kählerinterpretation fußI auf der Unterscheidung
einer ersten idealistischen Elappe. in der Kiihler bei der Zuordnung von Glaube und Geschichte
dem TOInlvermilllungsanspruch des Hegel'schen Idealismus erlegen sei, von einer spälen chrislo-
logischen, in der die Zuwendung des Glaubens zum positiv Gcschichllichen angebahnt werde.
Dazwischen liege eine Übergangsphase, in der Kählcr Geschichte und Glnuben schroff gelrennl
habe. Link folgl hier. wie SCHMIO (1918) 449f. richtig angemerkt hai, dem GeschichLSvefSländnis
5(ines Le~rs J. Moltmann.
220 ulale MA YBAUM (1928) 111.112.113.113.113.
221 S. S. 20 Anm. 25 zu G. Scholcm Verständnis der rdig~n Dimension von Messianis·
mus. Kihlers Messianismus zieh $0 auch auf eine: Überwindung von Cohcns Altemalive von
EschalOlogie und Messianismus (s. Kap. 1.3, hier S. 34).
188 Zweiter Teil
Dann aber ist das Problem geschichtlicher Gestaltwerdung ein Thema, das
für die Eschatologie im Gespräch mit dem Judentum wichtig ist.
3. Das Problem metaphorischer Rede. Der vorige Punkt wies auf ein
Problem hin. das die Interpretation Kählers nicht unwesentlich erschwen:
Kähler gebraucht Begriffe in einem sehr speziellen - für die vorliegenden
Beispiele könnte man sagen: eschatologischen - Sinne. der quer zur Be·
griffsgeschichte liegt Dies gilt nicht nur für sein Verständnis von Ge-
schichtlichkeit, sondern auch für das der Konkretion. Dieser Tenninus
tauchte in seinen eschatologischen Schriften zwar nicht an prominenter
Stelle auf, wohl aber hat die deutsche Übersetzung des lateinischen Wortes
als ..Zusammenwachsen" herausragende Bedeutung. 222 Die Sichtung von
Kählers Gebrauch der Wahrnehmungsschemata ergab ja. daß er für zentrale
Gedanken seines Eschatologiekonzepts Metaphern heranzieht, die Natur-
wüchsigkeit suggerieren. um sie dann gegen den Strich zu bürsten. Der Ge-
brauch von Bildern in der Eschatologie wäre im Sinne von Kählers Konzept
also keinesfalls der Beliebigkeit überlassen und auch nicht auf die Aufgabe
zu beschränken, einen feststehenden theoretischen Gehalt nachträglich pla-
stisch werden zu lassen. Vielmehr ist die Frage des eschatologischen Bild-
gebrauchs eine direkte Fonflihrung der Frage nach der konkreten Gestalt.
welche die Zukunftshoffnung in der geschichtlichen Lebenswelt findet
Kähler behandeh daher auch diese Frage in Enrsprechung zu seinem ganzen
Eschatologiekonzept, und sie ist denn auch einschlägig für die es-
chatologische Wahrnehmung des Judentums. denn an ihr hängt in besonde-
rem Maße der Umgang mit den alttestamentlichen und frühjüdischen Tra-
ditionsmateriaJien, die in die chrislliche Eschatologie Eingang fanden.
Kählers eigener Gebrauch eschatologischer Metaphern ist zudem ebenso
geprägt vom Umgang mit den biblischen Texten.22J Das Problem der Meta-
phorik bündelt sich somit in der Frage, welche Bedeutung die Bibel für die
Eschatologie hat. und zwar gerade auch eingedenk dessen, daß der für diese
Metaphorik einschlägigere. alttestamentliche Teil der Bibel auch von Juden
als religiös autoritativer Text gelesen wird.
Mit diesen drei Themen ist Kählers Konzeption in problemgeschichtli-
cher Hinsicht sehr ergiebig für eine christliche Eschatologie im Gespräch
mit dem Judentum. Aber auch auf die Eschatologiegeschichte im engeren
Sinne fällt durch dieses Verständnis von Kählers Ausftihrungen ein anderes
Licht:
222 S. Kap. IV. 1.2. hier $.168-174 und bei S. 168 ARm. 152.
223 S. S. 182 Anm. 204.
IV. Martin Kählers mcssianisch-soterologische Eschalologie 189
224 Der Streit wurde 19.51 durch E. Kllscmann in der .,Zeitschrift rur Theologie und Kirche"
ausgelöst. 19.53 und erweitert 19.56 gab E. Wolf Kählers Schrift Uber den ..historischen Jesus" neu
heraus.
22.5 Zitate aus dem VOl1rag: KÄIILf.R (1892) 37.39.44 (alle Hervorhebungen aufgehoben).
226 Zitat UIPOLD (1962) 161, der a.3.0. t39 ausdrück.lich Buhmann her1lIlzieht. nachdem er
a_a.O. 132r. rur Kähler Eschalologie und Kerygma ineinander übergehen läßI.
227 Z.O. Rudolf BULTMANN. Das Problem der Hermeneulik. 119501. in: ders.• GuV 11. Tübin-
gen s 1968. 211-23.5. hier 221.228.230. Dagegen KÄHlH. (1905) 12f. (§ 12a).
228 Vgl. Lt"iK (197.5) 250. der die kerygmalheologischc Kihlerdeulung überwinden will. sie
rur den Vonntg von 1892 aber übernimm!. da er diesen a.a.O. 267 rur einen .Jheo~ischen Bc-
lriebsunfaH- hält. mil dem Kähler •.mehr die Probleme seiner eigenen theologischen Vergangen-
heit" (1_1.0. 264 AnnL 4(9) aufartx:ile_ Link beharrt so danluf. d:ts (emmal$ von ihm geskhlete)
hiSlor1SChc Material zu Kähler rein biographisch anSIau zur theologiegeschichllichen SilUierung zu
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verwenden. Auch die Forderung nach einem hüischen Vergleich der zwci Auflagen des Vortrags
(a.a.O. 266f. mit Anm. 424.427) erhebt Link v.a. aus biographischem Interessc.
229 Es verdient Beachtung, daß Buhmann selbst. jedenfalls in seinen gedrud:.ten Texten.
Kählers Vortrag niemals ftIr die Trennung von Geschichte und Historie herangezogen hai. sondern
nur Hlr vorweggenommene formgeschichtliche Erkenntnisse. Dies gilt neben der beiläufigen Be-
zugnahme in BULTMANN: GuV IV,33 auch fLir die vielzitierte Stelle DERS.. Geschichte der synop-
tischen Tradition [2 t 9311, hg.v. Gerd Theißen, Göuingen 1° 1995 ,6 Anm. 2, da hier Slilcke aus der
1896 erweiterten Buchausgabe von Kählers Vortntg ziliert werden. die nicht zum Vortrag selbst
gehören.
230 So nach dem Vorgang Bultmanns im Vorwort zu WEISS 118921 (1%4) V 'l.B. die große
Untersuchung von HJElJ)E (1987) 233.345f. zu Weiß und Schweil'ler und jüngst wieder ROSENAU
(1999) 1568.
231 Zitate SOIWEI17.ER (1906) 399: BURI (1935) 137.
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chalOlogie nun doch den Inhalt von der Form zu trennen: "Unser Verhähnis zum hi-
storischen Jesus muß zugleich ein wahrhaftiges und ein freies sein. Wir geben der
Geschichte ihr Recht und machen uns von seinem Vorstellungsmaterial frei" - so
Schweitzer. Und Buri: ..Nur durch die Unterscheidung von Inhalt und Fonn. von ethi-
schem Willen und zeitgeschichtlich bedingtem Ausdruck desselben kann das tragi-
sche Verhängnis der neutestamentlichen Eschatologie erkannt und ihr damit ihre wah-
re Bedeutung zurückgegeben werden:; Die abzustreifende Form ist dabei die "spätjü-
disch-eschatologische Apokalyptik". m
Die Konsequente Eschatologie bietet somit trotz ihrer scheinbaren Nähe zu Kähler
ein Musterbeispiel flir diejenige Metaphorik, die dieser überwinden will: die Meta-
phorik von Form und Inhalt. Schale und Kern. Bild und Sache, welche die beiden
Momente auf Judentum bzw. Christentum verteilt und so die jüdische Theologie rur
das christliche Denkgebäude zu einem nach Bauschluß abbruchreifen Gerüst
macht. 233 Dieses janusköpfige Gesicht der Konsequenten Eschatologie erklärt sich so.
daß sie die Naherwanung Jesu durch das Ausbleiben des erwarteten Weitendes rur
widerlegt hält und damit eben wegen der Zusammengehörigkeit von Inhalt und Fonn
auch die ganze jüdische Zukunflserwartung. Die Konsequente Eschatologie heißt aber
gerade danach. daß sie die Konsequenz besitzt. ihren Irrtum bezüglich der Nah-
erwartung durch Retraktion zu quinieren: Konsequente Eschatologie bedeutet deswe-
gen mit Schweitzers typischem Stichwort konsequente - ,.Enteschatologisierung". die
Jesu Erwartung aufgibt. aber den Geist Jesu in der Sprache der modemen Neuzeit
festhält. 2J4
Der entscheidende Unterschied zu Kähler besteht also im Verständnis der Parusie
Christi. Während der Kern von Kählers Eschatologie, die Umkehr des liberalen Pro-
greßgedankens. gerade an der Angel des ..Grunddogmas" Parusieverheißung hängt,
die alle Zeit an das Konzept der Ewigkeit ruckbindeI. grundet flir die Konsequente
Eschatologie Zeit in der Parusieverzögerung. also darin. daß die Parusieverheißung
sich nicht erfüllt.
Das Ergebnis des vorstehenden Exkurses ist. daß Kählers Eschatologie we-
der mit der Kerygmalheologie Bulrmanns noch mit der Konsequenten Es-
chatologie Schweitzers die immer wieder behauptete Magistrale bildet, auf
der sich der eschatologische Diskurs fortbewegt. Es scheint daher plausibel,
I. Analyse
Die Art und Weise, wie Althaus in intensiver Auseinandersetzung mit den
verschiedensten Gesprächspartnern erst allmählich seine theologische Posi-
tion bezieht, legt nahe, die Untersuchung seiner Eschatologie als Vergleich
der maßgeblichen Auflagen seines eschatologischen Hauptwerkes anzule-
7
gen. Im Sinne einer problemgeschichtlichen Vorgehensweise ist damit
freilich keine theologische Biographie angestrebt, sondern die Herausar-
beitung charakteristischer argumentativer Konstellationen und der ihnen
gemeinsamen Problemstellungen.
.5 So ALlliAUS {I 926) VIII bzw. IX gerade zu dem gegenüber 1922 Am stärblC:n verändenen
Kap. 111.
6 AllliAUS (1949) XII zur Wir\;lichkeil des Endgerichls bzw. DERS. (1961) XUI.
7 S. bei S. 20 Anm. 26.
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ein das Buch abschließender Teil korrespondiert, 1922 und 1926 "Ausbau",
1933 .. Entfaltung" genannt. 8 Die Grundlegung umfaßt 1922 und 1926 zwei
Kapitel (LU), die die Eschatologie einmal religionsphilosophisch und ein·
mal theologisch-dogmatisch begründen; 1933 ist diese Zweiteilung formal
erhalten geblieben, aber ein drittes Kapitel über die Methode der Es-
chatologie hinzugefügt. Der abschließende Teil umfaßt 1922 und 1926 zwei
Kapitel (IV. V) zu den Lehrstücken Gericht und Ewigkeit. Sie werden 1933
beide übernommen, doch während das Ewigkeitskapitel als Kap. VIlI seine
Schlußposition behält, wird davon das Kapitel über das Gericht (V) nach
einem neuen über den Tod (IV) durch zwei weitere zum "Kommen des
Reiches" und zur endgeschichtlichen Eschatologie (VI.VO) getrennt. Diese
beiden eingeschobenen Kapitel behandeln den Stoff des Kap. 1II von 1922
und 1926. das zwischen Grundlegung und Ausbau als "Abgrenzung" "aller
endgeschichtlichen Eschatologie" einen eigenen, dritten Abschnitt bildete.
Als solcher ist er t 933 nicht mehr vorhanden.
Durch alle Auflagen bleibt also die Konstellation von zwei voranstehen-
den, begründenden und einem letzten, die Ewigkeit behandelnden Kapitel
erhalten, und diese zunächst rein formale Beobachtung gewinnt an sachli-
chem Interesse, wenn man den Inhalt der fraglichen Kapitel heranzieht,
wenn man also Althaus' Begründung der Eschatologie (Grundlegungs-
kapitel) in ihrem Verhältnis zum Ewigkeitsbegriff (Schlußkapitel) näher ins
Auge faßt.
2. Axiologie lind Teleologie. Sowohl die religionsphilosophische als auch
die dogmatische Begründung von Eschatologie vollzieht Althaus t 922 und
1926 in der Doppelgestalt zweier "Grundformen,,9 von Eschatologie als
..axiologisch" bzw. "teleologisch". Bei heiden Formen handelt es sich um
die gedankliche Ausbildung von Zukunftserwartung, die durch religiöse
Erfahrung oder metaphysische Besinnung notwendig gemacht wird. Den
sachlichen Gehalt solcher durch denkerische Notwendigkeit gewissen Zu-
kunft nennt Althaus "letzte Dinge" oder "das Ewige".lo Althaus versteht
unter Eschatologie also die denknotwendige Beziehung von Religion oder
Metaphysik auf das Ewige und unterscheidet zwei Weisen der Bezugnahme
je nach Art dessen, was auf das Ewige bezogen wird: Axiologische Es-
chatologie bezieht einen unbedingten sittlichen, d.h. normhaften, Wert auf
das Ewige, indem sie seine Unbedingtheit erkennt als Gegensatz der Zeit,
die der ..Ort des Bedingten" ist. und somit als ewig. 11 Teleologische Es-
chatologie dagegen bezieht die Geschichte. verstanden als Stätte personalen
Tuns und seiner Bestrebungen. auf das Ewige. welches ihr ein Ziel setzt,
das sie erreichen oder verfehlen kann. J2 In der axiologischen Eschatologie
tritt also gewissenna8en die Ewigkeit in die Zeit. in der teleologischen
streckt sich die Zeit in die Ewigkeit aus. Axiologische Eschatologie ist da-
her Gegenwart des Ewigen. teleologische aber Zukunft des Ewigen. Im
Falle des Christentums wird axiologische Eschatologie durch die Endgül-
tigkeit von Gericht und Heil begründet, teleologische dagegen durch die
Spannungen, in denen der Christ zwischen Versöhnung und Erlösung steht
und die nach einer Auflösung rufen. 13 Zugleich stehen so Axiologie und
Teleologie selbst in Spannung zueinander.
Axiologie und Teleologie können nur dann als Begründung der Es-
chatologie fungieren, wenn sie nicht bloß zwei beliebig unter vielen heraus-
gegriffene Formen sind, sondern zusammen die Eschatologie vollständig
14
beschreiben. Deswegen betrachtet Althaus sie nicht nur einzeln, sondern
sodann auch in ihrem Verhältnis zueinander, in welchem sie "sich innigst
zusammenschließen" .1.5 Sachlich besteht dieser Zusammenschluß in dem
Konzept der Unsterblichkeil oder der persönlichen Fortdauer, was Althaus
freilich erst 1926 ausdrücklich betonl. 16 Für die teleologische Eschatologie,
in der sich die Zeit in die Ewigkeit ausstreckt, liegt der Zusammenhang mit
der persönlichen Fortdauer auf der Hand; 17 für die axiologische, in der um-
gekehrt die Ewigkeit selbst schon in die Zeit eintritt. ergibt er sich erst in
zweiter Linie: Die ewige Unbedingtheit des sittlichen Wertes ist so umfas·
send. daß sie zuletzl auch die Fortdauer einschließen muß. 18 Wenn somit
11 DERS. (1922) 16f. (Zitat 17)= DERS. (1926) 14f. (Zital 15).
12 DERS. (1922) 21 = OEIlS. (1926) 20: Die Zeit wird .,zur Geschichte 11926 gespeml. zur Be·
wegung auf ein Ziel hin".
13 Grulldsälzlich DERS. (1922) 33 '" DERS. (1926) 28: .,Auch hier Isc. in der christlichen E.~
chutologie] sind die beiden Wurleln 11926: Fonnen]. der a.riologischt' ulld der teleologische 11926
kursiv) Gedank~nkr~is. festzustellen und zunächst gesande" zu untersuchen." Im einzelnen dann
DERS. (1922) 33--38 par. DERS. (1926) 28-35 (Axiologie) bzw. DERS. (1922) 39-58 par. [)ERS.
(1926) 36--68 (Teleologie).
14 Das betont besonders der Schluß von Kap. II über Axiologie und Teleologie in der christli·
chen Eschalologte: DERS. (1922) 5~3 par. DERS. (1926) 69-76.
15 DERS. (1922) 26:: DEItS. (1926) 15.
16 OERs. (1926) 15 bemerttl..Aaß sowohl der axiologische wte der tekologische Gedanke
letz.Ier Dinge auf einen effiSlhaften und edlen GfO/lMII Oll das fWrsö,.fic~ Fonl~lN,. fl.ihren".
J7 OERS. (1922) 24:: DERS. (1926) 22 leitt'-t dies ab aus der ..Gewißheit. ganz persönlich von
Gon ge..... ollt und erzogen zu ....-erden...
18 OERS. (1922) 20 par. DERS. (1926) 18: .Ja. diese Gewißheit. von dem Ewigen erfa& und auf
lewe Dinge bezogen zu sein. kann 11926: auf den AnfangSSlufen des GOllesglaubens) mil dem
OOO~0222
Dieser Begriff der Ewigkeit hat also mit dem naiven der endlosen Dauer in der Zeit
(Gegensatz: die Begrenztheit in der Zeit) und mit dem erkenntnistheoretischen der
Zeitlosigkeit (Gegensalz: die Zeitform überhaupt) nichlS zu lun. Sein Gegensatz ist
die Zeit als Ort des Bedingten.
Daher ist der philosophische Begriff der Ewigkeil als des veränderungslosen. still in
sich ruhenden Seins - wir können ihn den eleatischen nennen -, so viel anspruchs-
voller er auch auftriII. ebenso unbrauchbar wie die naive Vorstellung der Ewigkeit als
der endlosen Dauer in der Zeit. 1... 1
11926: sich in d3S Menschheilslos ergebendenl Verzichte auf persönliches Fortleben über den Tod
hinaus verknüpft sein. Die atllcstamentliche Freudc an der GOllesgemeinschaft ist ein ergreifendes
Zeugnis davon. allerdings auf ihren herrlichsten Höhepunklen (z.B. Psalm 73) zugleich ein Beweis
daHir. daß die Ewigkeitserfahrung. wenn sie als Erschließung von wirklicher persönlicher Ge-
meinschafl ZUSlande kommt, einmal nOlwendig weilerdrängt zu der Gewißheit. daß ein solcher
L..cbensinhah durch den Tod brechen muß - persönliche Gemeinschaft mit dem von Ewigkeil zu
Ewigkeit Lebendigen!"
19 DERS. (1926) 243 = DEII.5. (1933) 317 [3291: DERS. (1922) 127 nur: .,Formproblem" (im
Original je gespern).
20 Für das Gewicht dieser Sälze dürfte schon sprechen. daß Allh3US sie durch alle Aunagen
fast unveränden beibehalten haI: DERS. (1922) 17 '" DERS. (1926) 15 par. DERS. (1933) 191201
bzw. DERS. (1922) 129.130 '" DERS. (1926) 245.246 par. DElIS. (1933) 318.319 [331.332]. Die
Abweichungen sind minimal: D€RS. (1933) 19120j schreibt im Grundlegungskapilei "Dieser idea-
listische Begrifr' usw.. da der Satz hier in einem Anhang über die philosophische Eschatologie
stehl. A.a.O. 319[3321 finden sich zwei Änderungen: •.Ewigkeit als Zeitlosigkeil, als des" usw.
und: "das Jenseits unserer Zeitlichkeit".
198 Zweiter Teil
21 In Anlchnung an SCHROER (1960) 35 soll der Ausdruck ,'polarität" hier die theologisch
konslJUktiYc, positiYC Intcrpretation cines paraOOJ;cn Widcrsftt:its andeutcn. Den grundsitzlich
cbenso ycntchbarcn Tcnninus ..Dialektik" bcZKhc ich hier nur auf thcologicgeschichllichc: Zu·
sammenhingc. in deren Quellcn cr vorkommt.
22 Man crkcnnt in diesem Zugleich den Vcnuch. Schkiermac:hc:rs cschalologischc:s Oikmma
YOIl Vcrgcltung und Emwic.kJung zu überwinden. den schon Ahhaus' Großyater AuguSi untcr·
nommen haltC (s. S. 72 Anm. 114).
23 HOlMST1I:OM (1936) 295 Anm. 2.
24 V.I. durch Kar! Hou... LuttlC:r (GAufs. I), Tüb\ngen 11)1923.
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Auch rur <:ARL STANGE ist die Ewigkeit der eigentliche Gegenstand der Es-
chatologie.n doch denkt er dabei nicht an das Problem von Zeit und Ewigkeit, son-
dern an eine ..bestimmte Qualität des Lebens", und zwar in Form einer durch nichts
aufzuhebenden ,.inneren Verbundenheit mit GOI!", wie sie Jesu eigen war.2€> Stange
versteht Ewigkeit also in eminent theo-Iogischer Weise als innere Gonverbundenheit.
oder in eher begrifflicher Sprache: als einen unmittelbaren Gottesbezug. In einem
solchen Gottesverhältnis sind das Selbst- und Weltverhältnis bereits unmittelbar eot·
halten. weswegen Stange betont, daß das ewige Leben nach christlicher Anschauung
..schon hier auf Erden'; beginnt.27 Dies richtet sich gegen alle Eschatologumena, die.
wie das Millennium und die Vollendung der Mission. eine übergangsweise Vervoll-
ständigung des Gonesverhältnisses oder die ein neutrales Gouesverhältnis als
Grundlage der Alternative von seligem und unseligem Gouesverhältnis annehmen -
flir Stange Kennzeichen der jüdischen Apokalyptik. 28 Im Unsterblichkeitsstreit lehnt
Stange daher gegen Althaus die allgemeine Auferstehung auch der Gottlosen als logi-
sche Voraussetzung des Gerichts ab: Die Auferstehung sei als Mitteilung von Leben
per se seliger Gonesbezug. und die Goulosen hällen nicht ein unseliges. sondern gar
kein Gouesverhältnis. 29 Dementsprechend ist das Gericht fUr Stange keine Zuteilung
von Lohn oder Strafe an ein bestimmtes Gottesverhältnis. sondern unmittelbar mit
diesem selbst gegeben im Gewissen als Bewußtwerdung des bestehenden oder des
verlorenen und damit gar nicht vorhandenen Gonesverhältnisses. )(l
Da Stange aber mit der Lutherrenaissance das Gewissen als Ort des Gouesverhält·
nisses versteht und ein gottloses Gottesverhältnis nicht kennt, geraten beim Gericht
über den Gottlosen Gerichts· und Gewissenskonzept in Konnikt. Stange versteht das
verwerfende Gericht. weil es im Gewissen (das den Gottesbezug repräsentiert) ge-
schieht. noch als Werbung um BekehrungJI und damit nicht als verwerfend; endgültig
verwerfend kann er es nur denken als Gewissen von einem verlorenen Gewissen (d.h.
2S STANoe (1930) 96f. und das ganze Kap. I als Erörterung von EwigkeilSverstliodnissen.
26 Zillue a.a.O. 73.88; vgl. 96 (alle Stellen mil Bezug auf Luther).
27 A.a.O. IS6.
28 Gegen den Chiliasmus merkt Slange 8.a.0. 227 an. daß er kein Beginn der universellen
Vollendung schon auf Erden in Entsprechung zum Beginn der individlJCllen Vollendung ..schon
hier auf Erden" (a.a.O. IS6) sei. Die universelle Vollendung fängt vielmehr ab individlJClle an.
Mit diesem Verhältnis von Individual· und Universaleschalologie will Stange ..den gesamten VOIf-
stellungskl'tis" der Eschatologie abdecken (8.1.0. 109) - also Schleicrmachers eT$te Gestalt des es-
chatologischen Dilemmas. Von da aus versieht man. warum gel1ldc an den genannten Slcllen die
jüdische Eschatologie als panikulal't Vorstufe der christlich universellen erscheint.
29 A.a.O. 198 AeMt Stange dies die ..Vollendung ihrer Nichtigkeit'· im Gegensatz zu einer
Vernichlung.
JO A.a.O. 154 gegen den .jüdischen Vergchungsbegritr. Vgl. DEJtS. (1932b) 442-446. v.a.
a...O. 446 zum Gewissen als On des Gerichts.
J I A.a.O. 448.
200 Zweiter Teil
32 A.a.O. 451: .Das Gericht des Goulosen ist deshalb das unfenige Gericht."
33 Zur Zusammenfassung vgl. AlTIIAUS (J933) 109 Anm. 2[114 Anm. 11.
34 DERs. (1922) JO "" DEJlS. (1926) 32 trOlZ einiger UnlCrschiede in den hier ausgelassenen
Stellen: der letzte HalbsalZ auch DEJlS. (1933) 110 [114f.).
35 OERs. (1922) 32 (Kap.II!) "" DERS. (1926)27 (Kap. I!).
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zehrt. Zwischen die ursprüngliche Bestimmung und ihre Erfüllung tritt der
Tod als Gericht, das den ganzen Menschen trifft.,,36 Althaus hat damit alle
Eschatologie, die religionsphilosophische und auch die christlich-theo-
logische, an den Durchgang durch das Gericht geknüpft. So ergibt sich bei
Althaus wie bei Stange das Gerichtsthema als systematischer Kern der Un-
sterblichkeitsdebatte; speziell für Althaus heißt dies aber, daß der Unsterb-
lichkeitsgedanke, in dem sich axiologische und teleologische Eschatologie
zum Ewigkeitskonzept zusammenschließen, diese systematische Tragweite
nur unter Voraussetzung der Gerichtslehre hat - unter dieser Voraussetzung
aber hat er sie freilich auch wirklich.
M.a.W. der Spannungsbogen zwischen Axiologie und Teleologie einer-
seits sowie der Ewigkeit andererseits, der unseren fonnalen anfanglichen
Beobachtungen zufolge Althaus' Eschatologiebuch umspannt, hat seine
Spannung thematisch gesehen daher, daß er den Durchgang durch das Ge-
richt bezeichnet. In der Gerichtslehre bündelt sich also das für Althaus'
konzeptuellen Ansatz grundlegende Verhältnis von Diesseits und Jenseits,
von Axiologie und Teleologie einerseits sowie der Überwindung ihres Wi-
derspruchs in der Ewigkeit andererseits. Das Gericht wird daher ebenso im
Grundlegungsteil bei der Axiologie und Teleologie verbindenden Unsterb-
lichkeitsproblematik thematisch, wie es, v.a. 1922 und 1926, im "Ausbau"
der Eschatologie zusammen mit dem Ewigkeitskonzept herangezogen wird.
Althaus kann daher von der Gerichtsproblematik, wie vom Formproblem
der Ewigkeit, zugleich aussagen, was für das von der Anschauungsfonn der
Zeit bestimmte Verstandesdenken nur alternativ ausgesagt werden kann,
das Miteinander nämlich zweier sich ausschließender Pole, die traditionell
als Apokatastasis und doppelter Ausgang bezeichnet werden: "Wir müssen
jedes Melischen mit heiden Gedonken gedenken,,?7 Ewigkeit als Gericht
bedeutet demnach in Anlehnung an ihre bereits genannten paradoxen Be-
stimmungen auch die Aufhebung des Gegensatzes von Apokatastasis und
doppeltem Ausgang. Allerdings scheint solche Aufhebung in diesem Fall
weniger zu bedeuten, daß beide Pole miteinander auftreten, als vielmehr,
daß die Ewigkeit den Gegensatz der beiden Pole als unangemessen er-
weist. 38
4. Ewigkeit als Gericht über die Geschichte. Nachdem so geklärt ist, daß
die "neutrale" Eschatologie, auf die Althaus mit seinem Zusammenschluß
von Axiologie und Teleologie im Unsterblichkeitsgedanken zielt, im Unter-
schied zu einer natürlichen Eschatologie durch das Gericht hindurch muß,
ist noch zu fragen, welches Phänomen denn mit diesem Neutrum bezeichnet
sein soll: Was ist es, das durchs Gericht muß? Hier ist wichtig, daß Althaus
die "neutrale" Eschatologie aus Axiologie und Teleologie herleitet, also aus
geschichtsphilosophischen Begriffen, wenn man darunter in einem weiteren
Sinne die philosophische Beschäftigung mit dem Problem der Geschichte
versteht. Es ist demnach die Geschichte, die als solche eschatologisch
"neutral" ist. Althaus nennt 1922 und 1926 W. Windelbands Wertephiloso-
phie und W. Mundles Religionspsychologie als seine Quellen für den Be·
griff der Axiologie bzw. Teleologie. Vor allem aber hat Althaus' Tennino·
logie in der evangelischen Eschatologiegeschichte mit E. Troeltschs Lexi-
konartikel in der ersten Auflage von "Die Religion in Geschichte und Ge-
genwart" einen Vorläufer. Althaus nennt ihn 1933 denn auch ex.plizit. 39 Die
von Troeltsch nachgelassene Fragestellung ist nun ausdrücklich diejenige
nach der Geschichte, nämlich "Das Problem des Historismus und seine
Überwindung". Althaus selbst hat einen durchaus weiten Begriff von Ge-
schichte; auch in seiner Eschatologie notiert er, daß darunter das ganze per-
sonale "Entscheidungsleben" des Menschen zu verstehen sei. 40 Das darin
enthaltene Moment des Personalismus verbindet Althaus mit der Lutherre·
naissance; sein Spezifikum stellt dagegen die Betonung des escharologi.
sehen Entscheidungscharakters dar. Dies erklärt, warum Althaus' Eschato·
logie die Geschichte grundsätzlich als Spannung von Axiologie und Teleo·
logie einführt.
Es ist also festzuhahen, daß das mit den Begriffen Axiologie und Teleo-
logie in eschatologischer Hinsicht beschriebene Phänomen die Geschichte
41
ist. Es ist also auch dieser Begriff einer spannungsvollen Geschichte, dem
Althaus das Ewigkeitskonzept als Jenseits der zeitlichen Gegensätze gegen·
überstellt. Damit ergibt sich freilich, daß Althaus' Eschatologie von einer
39 Vgl. OERS. (1922) 17f.; 21 Anm. 2 par. DERS. (1926) 15f.; 20 Anm. I für die Berufung auf
Windelband bzw. Mundle und DERS. (1933) 18 1181 fUr die Erwähnung Troehschs.
4QA.a.Q.244 [253); ygl. a.a.O. 40 [42].
41 DERS. (1922) 11 fUhn die AAiologie sogleich am Gegensatz yon Geschichtlichem und
ÜbergeS(;hichllichem ein (woflir DEil.S. 11926) 15 freilich yon Zcillichem bzw. Überzeitlichem
spricht). und DERS. (1926) 20 definien die Teleologie so: .Die ait wird jelzt zur G~schichft!" (par.
D€RS.(I922) 21). AusdrUcklich sagt auch DERS. (1933) 8181. daß .Jlliteinander die Eschatologie
und die lheologiS(;he Erkenntnis der Geschichte geboren" werden. und weiter: ..Nur von der Es-
chatologie her ist das Wesen der Geschichte theologiS(;h gültig zu bestimmen".
00040222
42
doppelten Spannung gekennzeichnet iSt: Dies ist zum einen die Spannung
von Axiologie und Teleologie, die innerhalb der Geschichte besteht da-
durch, daß menschliche Entscheidungen nicht spannungslos nebeneinander
herlaufen. Zum anderen steht diese Spannung als ganze, also in der dop-
pelten Gestalt von Axiologie und Teleologie, der Ewigkeit als ihrem Jen·
seits gegenüber, das die Spannung auflöst. Der Gegensatz von Spannung in
diesem zweiten Sinne ist also nicht Spannungslosigkeit, sondern Auflösung
der Spannung, so daß man mit einem Bild sagen könnte, die beiden Dimen-
sionen von Spannung stehen zueinander wie die Achsen in einem Koordi·
4J
natenkreuz.
Althaus, so läßt sich zusammenfassen, fragt also gerade angesichts der
Zweideutigkeit, die der Geschichte als dem Bereich willkürlicher Entschei-
dungen anhaftet, nach einer eschatologischen Bedeutung der Geschichte
und gibt zur Antwort, daß die Geschichte eine Bedeulllng für die Ewigkeit
hat nur im Durchgang durch das Gericht. Das zunächst formal festgestellte
Korrespondenzverhältnis der Grundlegungs- mit dem Schlußkapitel von
Althaus' Eschatologie läßt sich also auf die Begriffe der zweidimensionalen
Spannung zwischen Axiologie und Teleologie sowie zwischen diesen bei-
den und der Ewigkeit bringen und zieh auf das Phänomen der ihrem Wesen
als Raum der Betätigung menschlicher Sittlichkeit nach zweideutigen Ge·
schichte und der Überwindung dieser Zweideutigkeit. Es geht Althaus bei
seiner doppelten Begründung der Eschatologie als "neutral" und als theolo-
gisch also jeweils um dasselbe Problem: um die Ewigkeitsbedelltung des
zweideutigen Phänomens Geschichte.
5. Die begri.ff1ichen Gestalwngefl von Althaus' Konzept. Die vorstehende
Rekonstruktion von Althaus' EschalOlogiekonzept geschah mit dem An-
spruch, alle Auflagen seines Entwurfs zu erfassen; jedoch haben gerade die
Grundlegungskapitel durch die Auflagen hindurch Änderungen erfahren,
die sich vor allem im Wechsel der tragenden Begrifflichkeit von Axiologie
und Teleologie sowie in der durch die Auseinandersetzung mit Stange ver-
änderten Einschätzung der Unsterblichkeit als dem Zusammenschluß beider
niederschlagen. Am ersten Moment hängt das Verständnis von Geschichte,
am zweiten ihr Verhältnis zur Ewigkeil. Die hier geleistete Rekonstruktion
42 ••Kennzeichnend" (BEISSER [19931175) rur Althaus is! daher weder die Spannung seines
Eschatologidonzepu als solche noch eine •.E$cholofogie (tu Sponnung$f6$ung" (HOA'MANN
11929125: vgl. aa.O. 43 zu Allhaus).
43 Vgl. Al.nlAUS (1922) 26f. "" DERS. (1926) 25; .Senon im voraus ahnen wir, daß dann das
Vtrhätmi$ du Gtschicllle und du letzltn Dingt tin diolektisches wird: die letzten Dinge als über-
geschichlliehe Gegenwansbe1.iehung der Geschichte und die lelzlen Dinge als - irgend wie .eooge-
schichllicner' - Enrag der Geschich!e:'
00040222
des Althaus'schen Konzepts muß sich darum mit diesen beiden Punkten
auseinandersetzen.
a) A.xiologie/Teleologie - Bleiben/Kommen, Glaube/Hoffnullg. Althaus
spricht 1933 in den Grundlegungskapiteln nicht mehr von Axiologie und
Teleologie,44 sondern vom Bleiben und Kommen des Ewigen bzw., syn-
onym dazu. von Eschatologie als Glaube und als Hoffnung auf das Ewige.
Seine eigene Behauptung. daß diese neuen Begrifflichkeiten sachlich mit
der vorigen kongruent seien. scheint insofern vertrauenswürdig, als Althaus
4s
sie bereits 1926 neben dieser gebraucht haue. Ein etwaiger Unterschied
könnte allenfalls darin gesehen werden. daß eine philosophische durch eine
theologische oder biblische Begründung von Eschatologie abgelöst worden
wäre. Diese Alternative verliert allerdings ihre Ausschließlichkeit. wenn es
Althaus, wie hier vorgeschlagen, tatsächlich um die theologische Würdi-
gung der philosophisch erfaßbaren Zweideutigkeit der Geschichte geht. Ln
diesem Sinne können jedenfal1s die wichtigsten Änderungen der Grundle·
gungskapitel von 1926 gegenüber der Fassung von 1922 erklärt werden,
auch wenn die Entwicklung 1933 wieder ihre eigene Wende genommen hat.
So hat Althaus z.B. ab 1926 in Absetzung von der eschatologischen
Methode G. Wobbennins die religionspsychologische Dimension der Es-
chatologie ausdrücklich zurücktreten lassen. um die Zweideutigkeit der Ge-
schichte im Sinne der o.g. Rekonstruktion seines Eschatologiekonzepts kla-
rer herauszustellen. Dazu wird 1926 in der Darlegung der axiologischen Es-
charologie ein früherer Abschniu zum seelischen Niederschlag der charak-
46
teristisch axiologischen Doppelheit von Gericht und Heil gestrichen und,
um ein anderes Beispiel zu nennen, in einer zusammenfassenden Bemer-
kung zur Doppelheit von Axiologie und Teleologie die auch psychologisch
deutbare Rede von einer "Polarität der seelischen Haltung von ,Erfahren'
und ,Hoffen'" durch diejenige "von Glaube und Hoffen, Haben und Har-
ren" ersetzt. 47 - 1933 freilich hat Althaus in Auseinandersetzung mit dem
Wobbenninschüler G. Hoffmann neben einem Akzent auf der zweideutigen
48 DERS. (1933) 41-43 [43-45). S. zur Auseinandersetzung mil Hoffmann Kap. V.2.2 (S.
247ff.).
49 Die Einteilung OERS. (1922) 41.45.47 kehrt wieder als DERS. (1926) 4O.44f. 48, wobei hier
die Ietzlen heiden Ableilungen als a) und b) unter 2. zusammengefaßt werden.
50 Zimle DERS. (1922) 41. die Parallelstelle PERS. (1926) 39 und a.a.O. 63 (alle Hervorhcbun-
gen aufgehoben). Die beabsichtigte KorresporKIenz der beiden Slellen von 1926 ist deutlich.
51 DERS. (1922) 58-63 par. OERS. (1926) 69-76 zum Zusammenhang Axiologic - Teleologie.
52 DERS. (1922) 21 par. DERS. (1926) 20. In demselben Sinne hat DERS. (1926) 36 vgl. DERS.
(1922) 39 ergänzt.
53 DERS. (1926) 74 vgl. DERS. (1922) 61.
54 Dazu s. Kap. V.I.2. hier S. 230-234.
55 DERS. (1922) 28: ..Daraus folgl die UnslerblichkeilSgewiBhcit des Chrislen"; das Zitat OERS.
(1926)31.
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keit entspricht, von der "Heilsgewißheit".56 Erst 1933 wird die Unsterblich-
keitslehre sogar formell verworfen und der fragliche Gedanke durch den
Begriff des personal verstandenen "Gonesverhältnisses" ausgedrückt 57
Der Zusammenhang dieser drei Fassungen des Gedankens wird schon
daraus ersichtlich, daß Althaus jedesmal gemeinsam mit den genannten
Stellen das berühmte Wort Luthers zitien: "Wo er oder mit wem Gott redet,
es sei im Zorn oder in der Gnade. derselbe ist gewißlich unsterblich."'s Da-
bei ist aufschlußreich, wie Althaus dieses Zitat in den verschiedenen Aufla-
gen in die jeweilige Argumentation einfügt. 1922 und 1926 steht der betref-
fende Passus in Kap. 1I über die Begründung der christlichen Eschatologie.
Dieses Kapitel eröffnet Althaus 1922 mit einem "Exkurse von der Unsterb-
lichkeitsgewißheit,,59 und darin der fraglichen Passage, ehe er die Darle-
gung der axiologischen und teleologischen Eschatologie im Christentum
anschließt. 1926 ist der Exkurs gestrichen, und das Kapitel beginnt sogleich
mit der Gegenüberstellung von Axiologie und Teleologie, doch in die von
1922 übernommenen Ausführungen zur Axiologie inkorporien Althaus
diejenige Hälfte des Exkurses, die das Lutherzitat enthält. 60 Er fügt ihr aber
noch etwa eine Druckseite neuen Text hinzu, ehe er den Duktus der axiolo-
gischen Eschatologie von 1922 wieder aufnimmt: die unmittelbare Ewigkeit
in Form von Gericht und Heil. Auffallend ist, daß Althaus den Exkurs dabei
genau auf der Nahtstelle zwischen Gericht und Heil einschaltet: 1922 wird
die axiologische Eschatologie im Christentum so dargestellt:
Freilich. das Letzte auf Seiten des Menschen, das durch die Erscheinung des Heiligen
unwidersprechlich offenbar wird, ist die Schuld und der Tod. Gottes Nahekommen
heißt Gericht und Enthüllung des Todescharakters in allem Menschenwesen. Aber
diese Eschatologie des Gerichtes und Todes wird von Gott aus überboten. mitten in
ihrer Bejahung.lt1
1926 dagegen trennen nicht weniger als vIer Druckseiten den vorletzten
dieser Sätze vom letzten, also das Gericht vom Heil - eben die vier Seiten
des (erweiterten) Unsterblichkeitsexkurses. Dabei verstärken die Erweite-
rungen durchgehend diejenige Seite der Unsterblichkeit, nach der sie Vor-
aussetzung des Gerichts ist. Zu dem Passus mit dem Lutherzitat, 1922 als
Einleitung der Thematisierung der inhaltlichen Axiologie von Gericht und
Heil dargeboten, wird nun übergeleitet mit den neuen Sätzen:
Die Begegnung mit Gott erfahren wir als Gericht, das Gericht Gones aber trägt in
sich Unendlichkeit, Ewigkeit. Es wäre nicht mehr das Gericht Gottes, wenn ihm (... ]
entfliehen könnten. (... ] Hier hat es seinen Grund, wenn wir sagen: 62
- und nun folgt der Passus mit dem Lutherzitat, dem die schon zitierte Klar-
stellung über die Gottesgewißheit als Gerichtsgewißheit folgt, ehe sich nach
zwei weiteren Seiten endlich die Überbietung der "Eschatologie des Ge·
richtes und Todes" durch das eschatische Heil anschließt. 63
Althaus bezieht also dasselbe Lutherzitat 1922 auf eine eschatologisch
ungebrochen aufnehmbare Unsterblichkeit, 1926 dagegen auf die gerichtli-
che Brechung jedes Ewigkeitswertes von Geschichte. Und diese Tendenz
scheint sich 1933 fortzusetzen, da das Zitat jetzt kommentiert wird mit dem
Satz: "Im Wissen um Gottes ,Reden im Zorne' mit uns, also um Gottes Ge-
richt wissen wir um ,Unsterblichkeit'" - das "Reden in der Gnade" wird
hier vorerst gar nicht mehr erwähnt. Zudem erfahren die philosophischen
Unsterblichkeitsgedanken jetzt eine regelrechte Widerlegung: "Nun verlie-
ren alle jene Gedanken [... ] ihre Schlagkraft gegenüber der niederschmet-
ternden Frage: ist der Sünder wert weiterzuleben?,,64 - hinzu kommt, daß
die philosophische Eschatologie 1933 aus der Grundlegung in einen An-
hang derselben ausgegliedert wird.
Die Eindrücke dieser Veränderungen lassen sich so zusammenfassen,
daß zwar einerseits das Konzept einer eschatologischen Bedeutung der
theologisch zweideutigen Geschichte in allen Auflagen von Althaus' Buch
gleichgeblieben und als solches auch durch die wechselnde Begrifnichkeit
nicht verändert ist, daß aber andererseits Tendenzen zu einer allmählichen
Hervorhebung der durch Gericht und Heil bestimmten Dimension der Es-
chatologie gegenüber der geschichtlichen Dimension (a) sowie zu einer
Aufwertung der theologischen vor der philosophischen Argumentation (b)
aufkommen. Dieses Bild ist nicht ohne Widersprüche und fordert auf zu
einer detaillierten Analyse der einzelnen Gestalten von Althaus' Es·
chatologie. Zwar hat man es durchgehend mit dem Interesse einer es-
65 Es scheint freilich überspitzt. wenn bei SCliMIOT (1927) 125-134 Allhaus' Verständnis der
Geschichte als zweidcUlig im Grundsatz wie ein ••unvollkommener Versuch" (a.3.0. 126) gewertet
wird, die radikale Entgegensctzung von Geschichte und Ewigkeit in der Dialektischen Theologie
zu ermäßigen. Althaus' Einsicht. daß die Geschichte allererst theologischer Würdigung bedarf.
wird damit nicht getroffen.
66ALTItAUS (1922) 100 Anm. 1-= DERS. (1926) 185 Anm. 3 (Reflexivpronomen umgestellt).
67 DERS. (1924/25) 629 -= DERS. (1926) 118. Vgl. auch a.a.O. 108 kritisch: "Überall machl sich
naturgemäß das jUdische Geschichls- und Zukunftsbild gellend:' Allhaus dürfte hier Klicfoths
endgeschichtliche Eschatologie vor Augen stehen, auch wenn er diesen 1926 noch nicht nennt. wie
EBERT (1927) 755.756.758 massiv kritisien.
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sätzlich fonnulierten Zitate zeigen, daß Altbaus sein Konzept der Ewigkeit
als Jenseits der Geschichte gegen eine als jüdisch wahrgenommene Endge-
schichte profiliert, ja daß möglicherweise sein Konzept schon in sich als
strenge Alternative zu jüdischer Eschatologie verstanden sein will. Das in-
teresse eschatologischer Würdigung der Geschichte erweist sich also als
einschlägig ftir eine sehr dezidierte Wahrnehmung des Judentums, das as-
soziiert wird mit einer als problematisch empfundenen Verbindung von Ge-
schichte und Eschatologie. Wie bereits angedeutet, kann Althaus eine der-
artige Verbindung als charakteristisches Merkmal der jüdischen Apoka-
lyptik bezeichnen.611 und 1933 wird er dies verstärkt tun. Hier liegt der
Grund dafür. daß die schroffe Absetzung gegen die endgeschichtliche Es-
chatologie auch 1933, nach Wegfall des als .,Abgrenzung" überschriebenen
Teils, nicht zurückgenommen wird, ja daß vielmehr Altbaus' Konzept im
ganzen von hier aus den Namen einer antiapokalyptischen Eschatologie
tragen kann.
Die Stadien von Altbaus' Würdigung der Geschichte seien nun im ein-
zelnen untersucht - nicht, um eine Entwicklungsgeschichte nachzu-
zeichnen, sondern um im Vergleich verschiedener Fassungen desselben
Konzepts das systematische Problem offenzulegen, um das die Fassungen
gerade in ihrer Verschiedenheit ringen: daß nämlich die Ewigkeit die Ge-
schichte. wie gesehen, einerseits ausschließen, andererseits aufnehmen
muß. Hierfür kommen dann mehrerlei Abschnitte aus den unterschiedlichen
Auflagen in Betracht. und zwar die Abgrenzung gegen die Endgeschichte
einerseits sowie die Punkte, an denen Althaus ausdrücklich eine geschicht-
liche Begründung bestimmter Eschatologumena fordert, andererseits. letz-
teres geschieht in der EwigkeilSlehre mit Blick auf die Wellhaftigkeit der
Erlösung und die Leiblichkeit der Auferstehung sowie in der Gerichtslehre
hinsichllich der Notwendigkeit eines ewigen Gerichts. 69 Damit ergeben sich
als wiederkehrende Gliederungspunkte des vorliegenden Untenabschnitts
Endgeschichte, Ewigkeit und Gericht.
I. Die Geschichte als Ethik ulIler dem Gericht (/922). Die grundlegenden
Konturen der Althaus'schen Würdigung der Geschichte treten in der
Erstauflage seiner Eschatologie klar zutage.
70 ALlliAUS (1922) 92: Die Endgeschichte ,.wUrde dann ja nur von einer Generation erlebt,"
71 Zilalc a.I.O. 71.73.84.84.
72 Zilale u.O. 86.85.85. Zum Gedankcn des MiuclzuSWKb vgl. auch a.a.0. 44.99.110. S. S.
236 Anm. 197.
73 A.a.O. 86 (vgl. u.O. 87.88): ..Mil jeder neuen Genemion i.$l die Aufgabe (der Weltmissi-
onI v.ieder neu:' A.a.O. 94: .Jedes Geschkchl soll die Machl des Antichrisdichen in seiner Ge·
gcnwar1 suchcn.- A.a.O. 96: .Das Gericht bezieht sich auf jede Genel1lllion.- - ..Die Parusie ist als
überzeitliches Ereignis jedem Geschlechte glcich nahe".
74 A,a.O. 78.
75 Zitatc l.a.O. 52 (im Original gcspem) bzw. a.a.O. 52.53.54 U.Ö.
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76 A.a.O. 94.95.•.Reichsgcschichllich" ist ....'Ohl die Anl......on auf Althaus' eigene: Frage nach
dem ..irgendwie .endgeschichtJichelnl''' Ertrag der Geschichte (....0. 27).
77 Zitate 1.1.0. 84.
78 S. bei S. 203 Anm. 42.
79 Zilale 3.a.0. 98.%.
80 A.a.O. 133. Vor Augen SIcht die Theologie der Ritsehl.schule (a.3.0. 133 Anm. I).
81 Zilale a.a.O. 132.135.135.133.137.138 (alle Hervorhebungen aufgehoben).
212 Zweiter Teil
An den Beispielen der Kulturarbeit und der Heiligung wird das Profil
von Althaus' Würdigung der Geschichte deutlich: Ewigkeilsbedeulung hat
die Geschichte da, wo und insofern sie Gegenstand der Ethik ist. Althaus
versteht also den Ewigkeitssinn der Geschichte nicht zeitlich, sondern
ethisch; wenn er an der Gliederung der Zeit in Epochen oder Generationen
festhält, dann deshalb, weil diese jeweiligen Epochen und Generalionen das
Feld der Ethik sind. Die Ethik ist dabei der Dogmatik nicht nach-, sondern
nebengeordnet. Dies entspricht Althaus' personalistischem Geschichlsbe-
griff. und daher kann die geschichtliche Begründung der fraglichen Es-
chatologumena auch als ,.ausschließlich in der christlichen Ethik" liegend
bezeichnet werden. Ja, Althaus kann schreiben: .,Ethik und Eschatologie
suchen einander.,,82 Diesem Verständnis der Geschichte als Ethik entsprichl
auch Althaus' Gerichlslehre.
c) Gerichrslehre. Althaus entfaltel die Gerichtslehre (Kap. IV) nicht in
dem tntditionellen und semantisch naheliegenden Zusammenhang mil der
Rechtfertigung des Sünders, sondern im Rahmen des sittlichen Personalis-
mus, wobei er freilich das Spezifikum seiner Eschatologie. den jenseitigen
Ewigkeitsbegriff, wahrt. Er unterscheidet drei Dimensionen des Gerichts als
Gericht über den "Glauben", Gericht nach den ..Werken" und als Gericht
zur Ernte der sittlichen "Frucht" eines Lebens. 8J Althaus' argumentatives
Ziel ist. für jede dieser drei Dimensionen zu zeigen, daß aus den geschichl-
lichen Ereignungen von Gericht ein ewiges Gericht folgt, also die O.g. ge·
schichtliehe Begründung. Diese Begründung führt Althaus in zwei nicht
weiter gekennzeichnelen Abschnitten zum geschichtlichen bzw. ewigen
Gericht mit jeweils drei Punkten zu den Dimensionen des Gerichts durch. 84
Daß die Begründung geschichtlicher Art ist. gewährleistet er dabei, indem
er das Jüngste Gericht mit dem Personalismus der Lutherrenaissance als
Bewußlwerden des geschichtlichen Gerichts 85 und so als in diesem begrün·
det begreift. Althaus' Spezifikum gegenüber der Lutherrenaissance ist nun.
daß das Verhältnis zwischen geschichtlichem und Jüngstem Gericht nOl·
wendig, aber paradox ist und darum weder Reduktion des einen auf das an·
dere noch Entwicklung vom einen zum anderen erlaubt. Es besteht vielmehr
86 A.a.O. 119 zur Spannung von Apokatastasis und doppeltem Ausgang. die a.a.O. 112-114
gegen den Entwicklungsgedanken abgegrelll.t wird. Das Argument des Millelzustands gebraucht
Ahhaus a_a.O. 110.
87 A.a.O. 122 mit Anm. 1.
88 Oie seinerzeil geläufige. in unserem Exkurs 7 (S. 199f.) fUr Stange belegle Krilik des Ver-
geltungsgedanlr.::em als kennzetchnend jüdischer Vomellung wird seil K. Kochs Untersuchungen
zum Tun-&gehem-Zusammenhang aur bttiter Front hinlerfragl.
89 A.a.O. 123.
214 Zweiter Teil
Althaus' erster Entwurf der Eschatologie ist charakterisiert durch ein kritisches Inter·
esse an der Geschichte. Ein solches kennzeichnet auch die zeitgleich auftretende
Dialektische Theologie. Bei aller Eigenständigkeit. die deren Vel1retem je einzeln
zuzuschreiben ist (wie bei den meisten theologischen Schulgestalten). hat sie einen
gemeinschaftlichen Schwerpunkt auf der Paradoxie von Geschichte und Eschatologie.
Tatsächlich ist in der Forschung die Eschatologie des frühen Althaus oft mit derjeni-
gen der frühen Dialektischen ll\eologie parallelisiert worden; Allhaus habe 1922 wie
sie den schroffen Einbruch der Ewigkeit in die Geschichte vertreten und sich erst
später traditionellen Gedanken einer zeitlichen Erstreckung der Eschatologie zuge-
wandt. 9 • Zugleich wird flir die einzige ausgeftihrte Eschatologie der frühen Dialekti-
schen Theologie, Karl Barths einstündige Vorlesung vom Wintersemester I925n6.
neuerdings angenommen. daß sie mit der zeitlichen Differenzierung von Versöhnung
und Erlösung über die Augenblickseschatologie der Dialektischen Theologie hinaus·
gehe und die Eschata als ..zeitliches Ereignis" denken lehre. 92 In dieser komplexen
Diskurslage will der vorliegende Exkurs Position beziehen. indem er beide Fragen
nacheinander behandelt.
I. Die unterschiedliche WUllmg der Geschichte. Beide, Althaus und die Dialekti-
sche Theologie. sehen eine Paradoxie: Einerseits sind Geschichte und Eschaton un-
verträglich mheinander. Allhaus profiliert sein gesamtes Konzept gegen die endge-
schichtliche Eschatologie. die diese Unvenräglichkeit mißachtet und die Ewigkeit als
Teil der Geschichte behandelt: die Dialektiker betonen. daß Gones eschatisches
Kommen das Gericht über die Welt ist. Doch andererseits wird. was bei beiden Auto-
ren zunächst wie ein planer Gegensatz scheint, zur Paradoxie, wenn Allhaus seine
Gerichtslehre auf die Frage nach einer Ewigkeitsbedeutung der Geschichte zuspitzt'l
und wenn das Wesen der Dialektischen Theologie darin besteht. daß das Gericht als
die Grenze. auf die alle Welt stößt. zugleich die Gnade ist. die neues Land begrun-
det. 94 Die Dialektische 11leologie wird nicht müde einzuschärfen. daß im Nein des
Gerichtes Gottes über die Welt zugleich sein Ja zu ihr liegt," daß das Gericht, wenn
der Mensch es annimmt. zugleich die Gnade ist. 96
Dennoch besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden Konzeptionen. Für
Althaus sagt das Gericht zur Geschichte. d.h. zu ihrem Ewigkeitswen. gerade auf-
grund ihrer Doppeldeutigkeit zugleich Ja und Nein. 97 Für die Dialektische 1lIeologie
hingegen spricht das Gericht zur Geschichte als ganzer sein blankes Nein. und erst
auf der Basis dieser Voraussetzung erkennt der Glaube im Gericht die Gnade und läßt
so die Geschichte doppeldeutig im Sinne des lutherischen simul iustus et peccator
werden. Bei Althaus ruft also die Geschichle wegen ihru Doppeldeuligkeit nach dem
Gerichl. während in der Dialektischen Theologie das Gericht erst die Doppeldeulig-
keit der Geschichte hen'orruft. Damit kennt die Dialektische 11leologie zwar einen
Ewigkeitswen der Geschichte. aber nur als einen Negativwen: ..Ihr unverkennbarer
Unsinn ist ihr einziger Sinn". wie Althaus treffend schreibt. 9lI Dagegen steht bei Alt-
haus das Beharren auf einer positiven geschichtlichen Begründung verschiedener Es-
chatologumena.
Ein rein negatives Verständnis von Geschichte beherrscht nun auch die grundle-
gende Argumentation in KARL BARTHS Eschatologievorlesung von 1925/26: Ihr
Grundthema ist. wie schon in Banhs .•Römerbrief' von 1922. die Hoffnung." Hoff-
nung läßt sich laut 8anh nicht mit der Erfüllung irgendeiner Vorgegebenheit. etwa
der Fülle Gones oder der Gonebenbildlichkeit des Menschen. begründen. lOO sondern
nur mit dem Theologumenon des Bundes. aber einzig so. daß der Mensch immer der
Übertreter dieses Bundes ist. dem Gott als Erbarmer des Gnadenbundes hoffnungs-
stiftend gegenübertriu. IOI Die Geschichte des Menschen ist hier also schlechterdings
das Gericht. welches nur die Hoffnung auf Gottes Gnade zu wenden vennag. Das ist
für Barth in dialektisch-theologischer Diktion ..der Mensch. der eben in dieser ihm
widerfahrenden Begegnung mit GOIt sich selber schlechterdings nur als Geschöpf
1... 1 und als in seinem ganzen Tun gerichteter Sünder, aber nun gerade als das: gerade
als Geschöpf und verlorener Sünder sich von Gott angenommen weiß". 102 Zwar be·
streitet Barth. daß die Eschatologie. wie wir es bei der Venninlungslheologie beob-
achlen konnten, nur der virtuell bleibende Bezugspunkt aller Theologie sei. indem er
in einer an Kähler gemahnenden Metaphorik die erhoffte Zukunft als reale Wurzel
der Hoffnung bezeichnct. I03 Doch was da erhofft wird. ist ganz im Sinne der Dialekli-
sehen Theologie die Ewigkeit als .Negation der Zeit" und Überwindung der Ge-
schichte, wenn im VerlauF der Vorlesung die Hoffnung als bezugslos in Raum und
Zeitlo- charakterisien wird. lOS
2. Restitutionseschatologie in der Dialektischen Theologie. Wenn Banhs Vorle~
sung gleichwohl betonen kann. daß die Parusie als das Eschaton schlechthin eine die
Geschichte abschließende und damit der Zeit zugekehne Dimension habe. so wird
damit zwar in der Tat eine Zeitlichkeit der Eschatologie behauptet, jedoch nur als
Abschluß im Verhältnis zu einem AnFang. also im Sinne einer ,.resÜtutio ad inte-
grum".I06 Dies aber deckt sich mit der reinen Negalivwenung der Geschichte. wie
bereits zwei Jahre vor Althaus HORST STEPHAN in der Erstaunage seiner Dogmatik
bemerkt. Demnach darf die Eschatologie keine Ursland~Eschalon-Klammer um die
Geschichte bilden und diese so als theologisch lelztlich belanglos ausklammern. 107
101 Zur Begründung heißt es a.a.O. 395: .•Weil wir \'om M~nscMn nichts Anderes wissen. als
daß er diesen von Gou zwischen sich und ihm aufgerichteten Bund gebrochen haI." Vgl. das bibli~
sche Beispiel •.•.0. 477. 'NO Röm 7 erscheint als negative EingangsvOTausselZung zum Kapitel
Röm 8. das .in keinem Augenblick anders zu haben ist als eben in dem Schrill von Röm. 7 her".
\02 A.a.O. 402.
t03 A.a.O. 407: ..Nicht so S1ehl es. als ob der Baum der chriStlichen Wahrheit. nachdem seine
Wurzeln und Äste nach allen möglichen Seiten sich ausgebreitel haben über und unler der Erde:.
nun 1... 1 auch noch ein ach so fadenscheiniges Würzelchen in den ach so hanen Fclsenboden der
eschatologischen Möglichkeiten oder vielmehr UntTJÖglichkeiten zu treiben versuchen müßte,
sondern so steht es, daß er vielmehr gerade von donher 8~l'I'ochs~fl ist. don gerade seine ursprüng-
liche eigentlich tragende und nährende Wunel hat:' Ebd.: "Nicht die Fragen sind das Erste. son·
dem die Anlwon." Vgl. Kählers Metaphorik (s. $.168 Anm. 156; $.174 Anm. 174).
104 Zitat 8.a.0. 430. Vgl. a.a.O. 412 zur Zeit als "Hülle" und a.a.O. 414 zur Raumlosigkeit:
•.darum muß es SO sein, daß der GIOUM blind is....
t05 Bemerkenswen ist. daß die Dialekliker die nur negaliv theologisch verwenbare Geschichte
öfter mit dem Judenlum assoziieren. Es kann dann als Prototyp des Menschen fungieren. doch so.
Wtc er vor GOltes Gerichl vergeht. Bei BARlli (t922) (1999) t6 stehl der Jude" filr den religiösen
Menschen. dem der Glaubende entgegengesetzt wird (vgl. $TADTl.AND (1966) 150 zum Judenlum
in Barths Eschatologie). Und BULTMANN (1940) 38 ....'('ilel seine am jüdischen GeseIZ begonnene
Argumenlalion• ..so merkwürdig es zu sein scheint". ins Anthropologische.
106 Zitat DARm (1925/26) 12003)474. Zur Zeillichkeit der Parusie außen sich Banh a.a.O.
451-453 sehr zurückhaltend bis abwägend.
107 STEPttAN (1921) 116 (I 14), dcr in diesem Qcschichtsinleressc die "Weltanschauung" in
die DoglTUltik aufnimmt, den Ausdruck aber später durch "Weltverständnis" ersetzt. um sich VOll
0004022~
Eschatologie würde sich dann auf die Restitution des Urstandes beschränken, und
tatsächlich sind für einige Dialektiker dahingehende Tendenzen nachweisbar. 108 Wie
das Vorwort zur Zweitauflage von Stephans Buch zeigt, hat am meisten Diskussion
gerade sein Paragraph zur EschalOlogie ausgelöst, der als Verzicht auf deren zeitliche
Dimension und damit als Entsprechung zur Dialektischen Theologie aufgefaßt wur·
de.HI') Da Stephan eigens deshalb einen neuen Paragraphen konzipiert, darf man an-
nehmen, daß seine Kritik an einer Ausklammerung der Geschichte eben der Dialekti-
schen Theologie gilt. 1lo Einer solchen Ausklammerung entspricht es, wenn Dialekti-
sche Theologie die Geschichte nur via negationis theologisch zu würdigen vermag.
Wenn Althaus dagegen ftir einen positiven Ewigkeitswert der Geschichte plädiert,
dann will er nicht behaupten, daß irgendein Geschichtsdatum der Verfallenheit aller
Geschichte entnommen sei. wie später Barth an früheren Weggenossen kritisierte;lll
auch geht es Althaus nicht darum. daß alles Nein doch in einem ursprünglichen Ja
wurzele. das es bloß verneine, wie P. Tillich etwa zur selben Zeit gegen Barths Dia-
lektik einwandte. '12 Althaus will vielmehr einfach die Doppeldeutigkeit der Ge-
schichte vor dem Eschaton festhalten, ohne sie damit zum System zu machen und so
doch wieder zu vereindeutigen - denn dieser System wille ist für Althaus gerade der
Fehler der Dialektischen Theologie, die er darum in einem grundlegenden Aufsatz
mit einer spannungslosen Mystik gleichsetzl. l13
seiner N$-freundlichen Interpretalion durch A. Roscnberg abgrenzen zu können (DERS. [19411 258
Anrn.2).
108 Vg1. die Rede von einer ursprünglichen Schöpfung bei BARTH (1919) 55; GoGARTEN
(1920) 118. A.a.O. 111 ist zudem das Gericht, das zugleich die Gnade LSI, deshalb nur für den
GI:lUben erkennbar. weil nur er sich an die Güte der Schöpfung 7.U erinnern vemJag. von der ihn
der .,furchtbare Fall" trennt (mit Bezug auf Lk 15.17f.).
109 $TEPflAN (1928) VIII. Stephan wurde also, ähnlich wie Ahhaus. unzulreffend eingeschätzt.
110 Eine VorJ.eichenumkehr vor Stephans Urstand-Eschaton-Klammer nimm1 w. KONNETH
(1933) vor: Christi GOllheit und Menschhcil sind erst mit dem "Urwunder" der Auferslehung ganz
geeint (a.3.0. 1(4), so daß Christus. wenn er bei der Reichsübergabe (I Kor 15,28) den Kyrioslitel
preisgibt (a.a.O. 260), den Ur.tustand restituiert. Urstand und Eschaton klammem hier die Ge-
schichte zwar nicht aus. aber doch ein. ALTHAUS (1933) 334f. 13491 krilisiert daher, daß Künneth
(wie die Dialektische Theologie) Theologie auf Christologie beschränke.
111 $. Kap. 1.3. hier S. 39f.
112 Tll.L1C1l11923j (1987) 96f. erwähnl mehrfach die ..positive Wunei" aller Paradoxie.
113 ALTIlAUS (I924f25a) 309 Anm. 1 will zwar mit E. Brunner als einem Vertreter der Dia-
lektischen Theologie gegen die spannungslosc MySlik angehen. nennt als deren Beispiel aber
a.a.O. 313 Anm. I eine Christologie des ..ruhenden Ausdrucklsi". ftIr deren Kritik er auf seine S.
215 Anm. 98 zitierte Auseinandersetzung mit der Dialektischen Theologie verweist. so daß mit der
..MYSlik" diese gemeint ist (so auch BEJSSER 119931 180 Anm. 17).
114 MEJSER (1993) 69f. zeigt zudem, daß Althaus 1926, angeregt durch K. Barth. die Bibel
stärker berücksichtigl.
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218 ZweiterTeil
115 Ich ziehe ALTHAUS (1924125) durchgängig heran, zitiere daraus aber nur bei Unlerschie·
den zu OERS. (1926).
116 Die genannlen Änderungen fUhrt ALTBAUS (1926) VUlf. selbst an.
117 DERS. (1926) Kap. 111 ist im einzelnen SO gegliedert (Vergleich mit 1922 kursiv):
Theologiegeschichtlicher Vorspann: a.a.O. 77-83 = VERS. ((922) 64-69.
Vorstellung des Aufrisses: DERS. (1926) 83f. = DERS. (1924/25) 605f.
Kritik der Heilsgeschichte: DERS. (1926) 85-96 = DERS. (1924/25) 606--616:
Schriftverständnis: DERS. (1926) 87-90 par. DERS. (1924/25) 608-611. DERS. (/922) 72-8/:
systematischer Begriff: DERS. (1926) 90-96 = DERS. (1924/25) 611-616, DERS. (/922) 8/ft.;
- bzgl. Urgeschichle: DERS. (1926) 91-93= DERS. (1924/25) 611-613. vgl. DERS. (1922} 83:
- bzgl. Religionsgeschichte: DERS. (1926) 93-96 = DF.RS. (1924/25) 613--616, DERS. (/922) 83.
Kritik der Endgeschichte: DERS. (1926) 96-174 vgl. DERS. (1924/25) 616--668;
ihre biblische Begrllndung: DERS. (1926) 97-119 = DERS. (1924/25) 617-629:
unkritisch; DERS. (1926) 97-112 par. DERS. (1924/25) 616--625, vgl. VERS. (1912) 72-8/;
kritisch: DERS. (1926) 112-119 par. DERS. (1924/25) 625-629. mIr angedeutet VERS. (/912) 90.
ihr systematischer Begriff des FortsehrillS: DERS. (1926) 119-149 = DERS. (1924/25) 630-651;
positiv; DERS. (1926) 121-143 par. DERS. (1924/25) 631-647. vgl. DERS. (/922) 86--89:
- Mission: DERS. (1926) 121-126 par. DERS. (1924/25) 631-635, I'gl. DERS. (/922) 86: 122f.;
- Erkenntnis: DERS. (1926) 127-134 par. DERS. (1924/25) 635-640. nicht in VERS. (/922):
- Ethik: DERS. (1926) 134-143 = DERS. (1924/25) 641-647. angedeutet VERS. (1922) 87.7/.
negativ: DERS. (1926) 143-149 par. DERS. (1924/25) 647-651. VERS. (/922) 9/: 93 Anm. 2.
Anwendungen: DERS. (1926) 149-174 = DERS. (1924/25) 651-668, vgl. DERS. (/922 ) 89-98:
Parusie: DERS. (1926) 149-153 = DERS. (1924/25) 651-655. vgl. DERS. (1922) 95;
Chiliasmus: DERS. (1926) 153-162 = DERS. (1924/25) 655-661, vgl. DER!>. (/922) 95:
Anlichrisl: DERS. (1926) 162-174 par. DERS. (1924/25) 662-668, vgl. DERS. (/922) 90-94.
Geschichte: DERS. (1926) 174--186 par. DERS. (1924/25) 668-676, vg/. VERS. (/922) 94-100.
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Das fonnllie Ergebnis des Vergleichs lautet demnach: Was 1922 oft nur angedeutel war. haI
AhhllUS 1924n5 und 1926 an den verschiedenen Stellen des neuen Aufrisses ausgebreilel. nur der
Abschnill Ober theologischen Eric.ennlnisronschriu ist ohne jeden Vortäurer. - Also ist ein inhallJi·
cher Vergleich durchHihrbar.
118 Zitat DERS. (1926) 95: zum degeneraliven Schenlll vgJ. a.a.O. 91. Dieser Begriff von
Heilsgeschichle leitete ja 1922 die Begründung des MiuelzuslatKls. s. bei S. 210 Anm. n.
119 Zitat CERS. (1924(25) 615: übernommen DERS. (1926) 95: DERS. (1922) 81 bereits als
mögliche Definition erwogen. aber nicht dun:hgefUhn.
120 Zitat CERS. (1926) 149 (Übc:tsehrift). Althaus behandeh auch die endgeschichtliche Be-
hauptung endzeitlicher Vollendung von Mission. ErkeMtnis und Sittlichkeit. Doch bieten diese
1bemen keine Peripetie VOfl •.negativer'" Heilsgeschichte zu ...positiver'" Endgeschichle wie dje
anderen und sind daher weniger kennzeichnend.
121 Zitale CERS. (1924/2.5) 6SJ :: CERS. (1926) 151.
220 Zweiter Teil
zur Erwartung des Antichrist: "Was heraustritt in der Geschichte, ist nicht
unbedingt. Und was unbedingt ist, tritt nicht heraus.',122 - 1926 hat dieser
(und nur dieser) Abschniu eine Änderung erfahren, die gerade den zitierten
Spitzensatz streicht. Jetzt wird gegen den Antichrist vielmehr mit der Dop-
peldeutigkeit der Geschichte argumentiert. die es l.B. verbietet. eine ge-
schichtliche Größe wie die römische Kirche eindeutig mit dem Antichrist
als einer eschatologisch geistigen Größe zu idenlifizieren. 123 Im Hinter·
grund dieser feinen Verschiebung dürfte diese Überlegung stehen: Wenn
die Postulate der Endgeschichte unter den Bedingungen der Geschichte nur
geglaubt werden können, dann ist die Geschichte eine Bedingung des Glau-
bens; dies aber verbietet, sie zum kontradiktorischen Gegensatz des Escha-
ton zu machen. Sie muß dann vielmehr auch eine positive Bedeutung für
den Glauben haben. Dies deckt sich mit der Ablehnung des Konzepts einer
rein durch den Sündenfall bedingten Geschichte, also mit dem, was sich aus
unseren Überlegungen zur Gliederung nahelegte.
In diesem Sinne hat Althaus in den grundsätzlichen Überlegungen zum
Verhältnis von Geschichte und Eschaton diejenigen Sätze zurückgenom-
men, die 1922 den Eindruck erwecken konnten, als würde die ,.Längslinie'·
der Geschichte ganz von ihrer "SenKrechten", dem Eschaton, verschlungen.
Es heißt daher jetzt nicht mehr, daß sich alle Senkrechten in der Ewigkeit in
einem Punkte treffen,124 dafür malt Althaus das ausdrucksstarke Bild:
"Nicht nur die letzle Welle. sondern jede Welle schlägt an den Strand der
Ewigkeit."I25 Bei der Aufwertung der einzelnen Welle dürfte an den
..Selbstwert jeder Epoche" gedacht sein. 126 Des weiteren verwirft Althaus
die Frage nach dem Wann des Endes nicht mehr als sinnlos,127 schreibt aber
dennoch: ,.Ich antworte daher ausdrücklich: die geschichtliche Seite der
Vollendung kommt dadurch zur Geltung, daß die Geschichte ein Ende
hot."128
In diesem Zitat findet sich das Interesse von Althaus' Überarbeitung der
Abwehr endgeschichtlicher Eschatologie zugespilZt: Gegen eine einlinige
Ableitung der Geschichte aus dem Sündenfall, die ihr nur eine negative Be-
deutung für die Ewigkeit zuerkennen könnte. setzt Althaus eingedenk der
Doppeldeutigkeit der Geschichte deren auch positiv inhaltliche Bedeutung,
erblickt diese aber in der Endlichkeit der Geschichte. Dieses paradoxe Bild
wird bestätigt von der Ewigkeitslehre, wie Althaus sie 1926 modifiziert:
b) Ewigkeirslehre. Die geschichtliche Begründung von Welthaftigkeit
und Leiblichkeit der Ewigkeit beschränkt sich 1926 nicht mehr auf das
Schlußkapitel, sondern wird bereits in Kap. 1I thematisch. Auf kritische An-
frage von K. Heim, der den Zusammenhang der lndividual- mit der Univer-
saleschatologie vermißt hat,I29 ergänzt Althaus hier Abschnitte zur welt-
haften Dimension von axiologischer und teleologischer Eschatologie. l30
Dabei heißt es im Abschnitt über die teleologische Eschatologie, die Be-
deutung der Welt für das Kommen des Ewigen bestehe darin, "daß der gan-
ze Welrbesrand. in dem wir leben, aufgehoben wird", im ,,Ende unseres
Welrbesrandes", der "überall eine Welt des Kampfes und daher des Todes"
ist. Und in der axioJogischen Eschatologie ist zufolge Althaus jetzt die
Welt, "einschließlich des Dämonischen und Bösen, Gortes Well:,l3I Althaus
nennt als Momente der eschatologischen Bedeutung der Welt hier also
durchweg ihre Endlichkeit.
Dem entspricht die geschichtliche Begründung für Welthaftigkeit und
Leiblichkeit der Ewigkeit in Kap. V. Sie wird nun nicht mehr, wie noch
1922, ethisch akzentuiert, t32 sondern eher ästhetisch: Welt und Leib sind als
eigene Gestalten und Gestaltungen von Ewigkeit bedeutsam für die Es-
chatologie. 133 Mit diesem auch 1922 schon gebrauchten Interpretament will
129 A.a.O.IX.
130 Zur einhergehenden Neugliederung der teleologischen Eschatologie s. bei S. 205 Anm. 49.
131 Zitate a.a.O. 43.48.51 zu den drei teleologischen Paradoxa (s. bei S. 205 Anm. 49) bzw.
a.a.O. 35 wr Axiologie. A.a.O. 43 explizit zum Zusammenhang dieser Stellen: er zeigt sich auch
in den Rückverweisen ersterer auf die letzte.
132 In einigen Schlüsselsätzen hat Althaus den Begriff der Sittlichkeit 1926 gestrichen: Be-
stand ftir DERS. (1922) 139 .jn dem sittlicht!N Verhältnis von Seele und Leib ein selbständiger
Gollcsgcdanke", so flir DERS. (1926) 261 ..in dem lebendigen Verhältnis" usw. Erblickte DERS.
(1922) 142 einen .,wesentlichen Zusammenhang" •.zwischen der sinlichen Treue. in der wir das
Körperliche zum Gepräge der Seele werden lassen. und unscrer ewigen Gesta!l". so spricht DERS.
(1926) 265 von einem .....escntlichen Zusammenhang" •.zwischen der persönlichen Geschichte, in
der das Leibliche zum Gepräge der Seele wird. und unserer ewigen Gestalt... stall von sinlicher
Treue also von persönlicher Geschichte. Auch die S. 212 Anm. 82 zitierten Sätze fehlen 1926.
133 Die ..sinnliche Schönheil" der ,.Natur in ihrer Sclbstzweck.lichkeit" ftihrte auch schon
DERS. (1922) 135 an: doch DERS. (1926) 255.254 flankiert dies durch neue Erwägungen zur es-
chatologischen Bedeulllng der Kunst. die aber abwägend gehalten siocl (o.a.O. 253f.).
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Althaus nun noch stärker als vier Jahre zuvor dem Eindruck entgegentreten,
die eschatologische Bedeutung von Welt und Leib sei nicht Selbstzweck,
sondern ein bloßes Mittel zum Zweck der Ewigkeit. Inhaltlich aber zeigt die
Aufwertung beider als Gestalten von Ewigkeit dasselbe Doppelgesicht wie
die Abwehr der Endgeschichte. In einem gegenüber 1922 neuen Absatz
schreibt Althaus: "zwischen hier und dort steht auch für die ,Gestalt', die
die Seele sich prägt, der Tod und das Gericht Gottes" .134 Und hatte es 1922
geheißen: "Die irdische Natur weist als Verheißung auf eine Erfüllung", so
fügt Allhaus dem 1926 hinzu: "aber eine Erfüllung (das sei gegen alle
christlich-theosophische Naturphilosophie gesagt!) jenseits des Todes die-
ser unserer Natur". mAlthaus wertet also die positive Ewigkeitsbedeutung
der Geschichte auf, erblickt sie aber umso mehr in der Endlichkeit und
Sterblichkeit. Erst recht dürfte dies für die Lehre vom Gericht gelten, das in
sich schon die Begrenztheit der Geschichte bedeutet.
c) Gerichts/ehre. Althaus hat 1926 seine Gerichtslehre nach einem Auf-
satz von Emanuel Hirsch zum Thema umstrukturiert. Hirsch hatte vor dem
Hintergrund von Althaus' Eschatologie die Aufteilung des Gerichts in ein
Gericht nach dem Glauben und eines nach den Werken kritisiert und dage-
gen als strenger Vertreter des Personalismus die Einheit beider in der Per-
son, nämlich der Person Christi. zum einzigen Maßstab des einen Gerichts
erklärt. 136 Althaus gliedert daraufhin Kap. IV nicht mehr nach dem Schritt
vom geschichtlichen zum ewigen Gericht, der an zwei unabhängige Ge-
richtsereignisse erinnern könnte, sondern nach den Dimensionen des Ge-
richts, deren er jetzt zwei unterscheidet: das "Gewissensgericht" vertritt das
vonnalige Gericht über das Sein, und das "Geschichtsgericht" vertritt zu-
sammenfassend das frühere Gericht nach den Werken und dem Werk. 131
Trotz dieser Anpassung an Hirsch bleibt der entscheidende Unterschied zu
dessen Personalismus bestehen, nämlich die geschichtliche Begründung des
ewigen Gerichts, die Althaus in jeden der neu gegliederten Abschniue in-
korporiert. 138 Ja sie erfahrt sogar eine zusätzliche Akzentuierung. So sagt
139 AlntAUS (1926) 235. DERS. (1922) 125 sah noch eine ..ernste Bedeulung" des Werdens
flir die Ewigkeit.
140 DERS. (1926) 232: auf die frühere 5lelle DERS. (1922) 122 Anm. 1 (,.Wahrheilsmomenr')
verweisl DERS. (1926) 227 Anm. (Fortselzung von a.a.O. 226 Anm. 3) selbst.
141 A.a.O. 198f.: der ganze Passus a.a.O. 194-200; a.a.O. 231 al.s ..Th~olo8i~ d~s Tod~s" auf-
gegriffen.
142 5. Exkurs 2 (5. 69ff., besonders bei Anm. 111).
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143 Hierflir ist die Auseinanderselzung mit Heim bei ALntAUS (1932) maßgeblich. a.a.O. 335:
.,Auch rur uns ist die Geschichte mit ihren Bedingungen. dem Kampf und Tode usw.• nicht Gones
tndgültiger Wille. Aber sein ursprünglicher Wille. Die Geschichte ist nicht zwischeneingekom-
men. sondern auch sie ist Gottes .sehr gute' Schöpfung." Gegen Heim DER.S. (1926a) 98f.: •.Nun
lehren auch wir. daß die Weh als geschichtliche nicht Gottes lauer Wille 1...1 ist I... ). Aber ob-
gleich nicht sein fe/rltr Wille. so ist sie doch sein ursprünglicher Wille:'
144 DERS. (1932) 337.
145 A.a.O. 333: "Man darf sagen: der Begriff. unter dem das Sterben hier eingeordnet wird.
gehört dem ursprilnglichen Verhältnisse zwischen GOIt und Mensch an. Denn darin ist Gou Gon
und dazu ist der Mensch Mensch. daß er sein Leben Gott zum Opfer hingebe:' A.a.O. 334 wird
dies am Soldalentod exemplHizien!
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Auch das hauptsächliche Interesse der Übemrbeitung von 1926, die positive
Ewigkeitsbedeutung der Geschichle stärker zu betonen, findet Aufnahme.
So wird in einem neugeschaffenen Kapitel über den Tod die seit 1926 ent-
deckte drille, schöpfungs mäßige Dimension der Todeslehre gegenüber den
146
früheren Ausführungen zum Thema erkennbar ergänzt. Und das andere
147
neue Kapitel über die Methode der Eschatologie häll - neben der schon
bekannten Begründung auf dem Christusereignis statt auf den biblischen
l48
Weissagungen - fest, daß von Ewigkeit nicht nur in Negationen der Ge-
schichte zu reden ist, sondern auch via anaJogiae, so daß ,,{ulnser Leben
und unsere Welt f...] doch auch Gleichnis des Ewigen Lebens und der neu·
en Welt" sind.'49 Freilich wird damit die ursprüngliche Einsicht, daß alle
Geschichte durch das Gericht hindurch muß, nicht zurückgenommen; das
Gerichtskapitel erfahrt 1933 trotz einer hemach zu erwähnenden deutlichen
Zuspitzung keine wesentliche Veränderung und bleibt am ehesten unbeein-
druckt von der Neubearbeitung. Vielmehr scheint es, daß ein entscheiden·
des Kennzeichen dieser Neubearbeitung darin liegt, die 1926 begonnene
Aufwertung der positiven Ewigkeitsbedeutung von Geschichte fortzufüh-
ren. In diesem Sinne wird auch das tragende Korrespondenzverhällnis von
Grundlegungs· und Ewigkeitskapitel modifiziert. So macht Althaus im
Schlußkapitel (Kap. VII[) für die geschichtliche Begründung der Welthaf·
tigkeit und Leiblichkeit der Ewigkeit 1933 eine bestimmte Art von Realis-
mus geltend: "Die Frage nach der kommenden Leiblichkeit und die Frage
nach der Welt müssen einheitlich beantwortet werden. I... J Hier wie dort
muß der gleiche ,Realismus' - wenn auch eben nicht der Realismus der
orthodoxen Auferstehungs-Lehre - zur Geltung gebracht werden."I50 Diese
Unterscheidung eines eschatologischen Realismus von einem "orthodoxen"
Realismus ist ein Rückbezug auf Kap. VU, wo Althaus wiederum in Ab-
wehr eines "orthodoxen" (d.h. altprotestantischen) Gedankens, diesmal der
146 DERS. (1933) 84 [871: ..Aber er [der Tod] hat als solcher dann doch J I949ff.: doch dann]
selbsländige Bedeutung gegenllber dem Sinne des Todes als Zornes- uod Gnadcngerichles über die
Sünde" und 3.0.0. 84 [881 (Hcrvorhebungen aufgchoben): .,Der Tod will von unserer Geschichte
mit Gou aus und z.war nach aUrfl [1949ff.: reclel ihren Beziehungen verstanden werden: vom
S<:höpfungs-. Zornes· und Gnadenverhältnis alls" sind Nachträge gegenüber DERS. (1926) 194-200
aufgrund von PERS. (1932) 337. Ebenso DERS. (1933) 330 (3441 zum dreislclligen Versländnis von
Welt: ..Wir erfahren darin. daß Goltes nicht nllr die Wahrheit llnd die Liebe, sondern auch die
Schönheit ist."
147 Kap. VI und VII können inhaltlich kaum als neu gelten: sie bringen das Zllvor in Kap. 111
gebotene Malerial.
148 S. bei S. 210 Anm. 75.
149 Atnu.us (1933) 78 {81].
150 A.a.O. 344 (359].
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151 WIMMER (1979) 323 bemerkt die Differenzierung von zweierlei Realismus. aber nicht ih-
ren konzeptionellen Zusammenhang mit ALTHAUS' Kap. VIIt. Die zitierte begriffliche Unterschei-
dung (DERS. 11933] 298 [3(91) findet sich in der Erörterung des chiliastischen ..Realismus"-
Df.RS. (1926) 154-159.162 Anm. I nennt "eschatologischen .Realismus'''. doch ohne Gegenbe-
griff - noch nicht; a.3.0. 110f. ist sie nur erst angebahnt z.B. in folgenden Sätzen; "Viele der herr-
lichsten. Israel betreffenden Weissagungen seien einfach noch nicht erfullt, z.B. die von Israels
HerrscllCTSlellung in der erlösten Menschheit, der künftigen Bedeutung von Jerusalem u. dergl.
[... ] die ,Erfllllung' ist al/eh Kritik und Überwindung der ,Weissagung'. Christus ist nicht nur
Erfullung der messianischen Weissagung, sondern Christus ist auch de.f Messias Ende; d.h. die
Verheißungen der Weltslellung Israels sind in Christus nicht nur ,geistlich· erfüllt, sondern in ihrer
nationalen An auch zerbrochen und abgetan. I... J Wenn Jesus das nationale Messiasidc:al seiner
Zeitgenossen abweist. so steht er damit zum Teil auch wider die großen Propheten:' DERS. (1933)
297-2991308-310] spitzt diese Sätze dann in der Abgrenzung gegen das Judentum noch zu (Än-
derungen gegenüber 1926 kursiv; Originalhervorhebungen aufgehoben): "Viele der klarste" und
herrlichsten. Israel betreffenden Weissagungen seien einfach noch nicht erfUlh. z.B. die von Israels
Wiederbri/l8ung IIIld HerrschersteIlung in der erlösten Menschheit, der künftigen herrliche" Wil"
derherstl'lIung Jerusalems und des Tempds und .teiner Menschheitsbedel/wng u. dergl. [... 1 die
,Erftillung' des Alten Testaments durch Christus ist auch Kritik und AbI/in der Weissagung. näm-
lich des irdisch-nationalen Realismus. Christus ist der Israd \'erheißene Messias. aber Christus ist
auch des Messias Ende. d.h. die Verheißungen der WeilSteIlung Israels sind und ....erdl!n in Chri-
stus nicht nur .geistlich' erfüllt, sofern der Sohn und Ml!ssias Israels :um .Herrn· über aUl!
Menschheit ....;rd. sondern eben diese EnWirtungen sinti in ihrer irdisch·nationalen, Jlldaisti.fchen·
An dllrch Chris/lls mit ,/er geistlichen Erfüllung zerbrochen und abgetan. 1... 1 Wenn Jesus das
nationale Messiasidc:al seiner Zeitgenossen feidenschaf/lich abweist, so steht er damit zum Teil
auch wider die groBen Propheten."
152 Die Kontinuität dieser aktualisierenden Kritik betont ALTIIAUS (1933) 267 [2771 selbst.
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153 Zitale 3.3.0. 260.261 1270.271 1(Kap. VII. 1) zur Endgcschichle im Prinzipiellen.
154 Zitate a.3.0. 271.272 [282.2821.
155 Die beiden ersten Zitale: DERS. (1926) 170. vgl. damit den Kontext des drillen (DERS.
r 1933128612961).
156 Zilate a.3.0. 298.298 1310.309].
157 A.ll.O. 29813091: ..Man kann es nicht historisch scheiden. aber theologisch unlerscheiden,
in Hinsicht auf die Frage der ErfUllung."
228 Zweiter Teil
greift, wie sonst nach Althaus' Esch3toJogiekonzept erst die Ewigkeit Ge·
gensätze umgreift. 158 Althaus kann daher behaupten. daß dem christlichen
Realismus der Verheißung. im Unterschied zum jüdischen. in der Ewigkeit
eine Erfüllung zuteil werde. 159 Es ist also zu erwarten, daß der zweifache
Realismusbegriff Auswirkungen auf die Erönerung des Ewigkeitsthemas
hat.
b) Ewigkeitslehre. Grundsätzlich besteht eine derartige Auswirkung vor
allem in der o.g. Aufnahme des zweifachen Realismusbegriffs im Ewig.
keitskapilel. Daneben weisen aber auch die Ausführungen zur geschichtli-
chen Begründung von Wehhaftigkeit und Leiblichkeit der Ewigkeit in diese
Richtung. Zum Thema der ..neuen Welt" verfaßt Althaus 1933 einen
zehnseitigen theologiegeschichtlichen Exkurs, der gegen die Weltvemich-
lUngslehre des orthodoxen Luthertums nachdrücklich für eine es-
chatologische Weltverwandlung argumentiert l60 und so das Anliegen eines
"eschatologischen Realismus" stärkt. Zugleich betont Althaus allerdings.
daß dieser Realismus sich auf irdische Entitäten wie ,,[u]nsere Natur" und
"unseren Leib" nur insofern richte, als sie "ganz dem Durchdringen des
Geistes offen" sind; 161 Althaus statuiert also das schon vom Chilias-
musthema bekannte Verhältnis von Irdischem und Geistlichem: 162 und wie
es dort als Verheißung und Erfüllung beschrieben werden konnte, so nennt
Althaus auch hier Verheißung und Erfüllung als die angemessenste Be-
grifnichkeit. l63 um zu erfassen, welche eschatologische Bedeutung der Ge-
1.58 Die DiaslaSC von Geistlichem und Irdischem spricht z,B. aus dem Satt La.O. 298 13101:
,.diese Erwanungen sind in ihrer irdisch-nationalen..judaistischen' An durch OnislllS mit der
g~isllich~n Erf1.iIIung zerbrochen und abgetan": daß der christliche Realismus das Irdische aber
auch umgreif!, sagt Ahhaus a.a.O. 298 13091: ,.wo immer echle Verheißung des Heils geschenkt
wird. da geht sie aur das Ganze. leiblich·reale Erlösung. nicht nur geistli<:hen Frieden. sondern
auch äußeren. nicht nur inneres Leben. sondern auch reale TodesUberwindung".
1.59 Ebd.: "Die Spannung des neutestamentlichen Heilsbewußtseins aur die kommende Erlö-
sung hin lebt geradezu von der noch uncrflilllen alttestamentlichen Weissagung. zu der Jcsus sich
mit dem Christus-Namen bekannt hai,"
160 A,a.O. 33.5-34.5 13.50-3.591 mit Fazit a.a.O. 34.5 13601: "Umdenken von dcr weltlosen
,Himmels'-Hoffnung zur biblischen Erwanung einer neuen ,Weh"·.
161 Zitale a.a.O. 347.347.348 1362.362.3631 (alle Hervorhebungen aurgehobcn).
162 Den Ebenenunterschied beider drilckl Althaus beim 1933 in das Todeskapilel verscnobe·
nen Parallelthema des neuen Leibes dadurch aus, daß nkht der Leib, sondern die: Leiblichkeit zur
Begründung henangezogen wird. Der Akze-ntlie:gt kaum. wie MElSER (1993) 78 mit Anm. 161 von
seinem exegetischen Standpunkl aus nahelegt. daraur. daß die Leiblichkeit eine biblische An-
schauung i~. Dieser Annahme: widerrät die parallele Unterscheidung von Sterblichem (d.h. Leib)
und Sterblichkeit bei ALruAUS (1933) 123.127 (128.132).
163 Das ~Vtrhiillnjs der kommenden Welt zu der jetzigen" (a.a.O. 347 (361 1) i~ 3.a.O. 349
(364I..das Vertlällnis von Verheißung und Erf"tillung": vgl. a.&.O. 348(363): ~Erf"tillung der Ver-
heißung~. Ebenso schon OEKS. (1926) 2.56 ::: DERS. (1922) 137.
00040n~
schichte zukommt, m.a.W. wie das Verhältnis der Geschichte zu ihrem po-
sitiven Ewigkeitswerl ausgedrückt werden kann. 164
c) Gerichts/ehre. Die Unterscheidung von zweierlei eschatologischem
Realismus wirkt sich auch in der geschichtlichen Begründung des ewigen
Gerichts aus, da Althaus hier 1933 in zuvor nicht gekanntem Maße das
ewige Gericht nach seinen beiden Dimensionen mit dem Tode des Einzel-
nen in Verbindung bringt: Zur ersten Dimension heißt es bündig, daß "der
Ausblick auf die Todesstunde und der Ausblick auf das Jüngste Gericht,
theologisch genommen, eins und dasselbe" sind, und bei der zweiten vertritt
Althaus nunmehr nachdrücklich gegen die Purgatoriumslehre, daß die not-
wendige Vollendung der Heiligung im Tode "mit einem Male" geschehe,
was er 1922 noch bestritten haue. 16S Diese Verbindung von Tod und Ge-
richt rückt das ewige Gericht merklich an das geschichtliche heran, was
einerseits dem Interesse des eschatologischen Realismus an einer positiven
Bedeutung der Geschichte entspricht, andererseits aber Althaus' Gerichts-
lehre immer näher an die personalistische heranführt, für die sich das ewige
Gericht auf die Enthüllung der im geschichtlichen Gericht gefallenen Ent-
scheidung beschränkt. Dem stellt Althaus zwar für das zukünftige Gericht
nach seiner ersten Dimension 1933 noch den Charakter einer "letzten Ent-
scheidung" zur Seite. doch das zukünftige Gericht nach seiner zweiten Di-
mension, als Läuterungsgericht für die Gläubigen, beschränkt sich darauf,
daß das, was "als totaler Akt mit ihnen schon geschehen ist", "aus der Ver-
borgenheit herausbricht".I66 Die Metaphorik von Verbergung und Enthül-
lung aber stellt ein bestimmtes Interpretament des Zusammenhangs von
Verheißung und Erfüllung dar, also desjenigen Themas, auf das Ahhaus'
zweifacher Realismusbegriff in der Abwehr der Endgeschichte und in der
Ewigkeitslehre hinauslief. So spitzt sich die Argumentation in allen Einze/-
punkten der Würdigung der Geschichte auf das Verltelßungstltema ZII.
d) Auswertung. Damit liegt die Aufgabe, die sich zusammenfassend aus
Althaus' abschließender Überarbeitung seines Eschatologiekonzepts ergibt,
164 DERS. (1933) 349 [gestrichen ab der 5. Auflage] behauptet Althaus selbst beim Thema der
neuen Welt freilich. 1933 gegenüber 1926 größere Zurückhaltung in der eschatologischen Wer-
tung der Kultur zu zeigen: numlehr. daß sie "über sieh hinausweise". könne er behaupten. Dazu ist
aber zu sagen. daß dieser Verweischarakter 1933 eben nicht nlehr wie 1926 via negalionis. son-
dern via analogiae gedachl ist.
165 Zitate 3.3.0. 175 1181 ] zur ersten Dimension (jeIZI: "Das Gericht als Entscheidung". a.8.0.
168 (1751) bzw. zur zweilell (jetzt: "Das Gerichl der Wirkung", 3.a.0. 18911961) a.8.0. 204.216
1211.2231: dagegen DERS. (1922) 123.
166 Zitate DERS. (1933) 172.217.217 1179.224.2241. ETI.ELMÜLJ.ER (2001) 21 f. hebt diese Ver-
ällderung im Althaus'schen Gerichlskonzept sehr kritisch hervor. da er sieh besonden Hir die posi-
tive Funklion des Gerichts beim Aufbau des Reiches Gottes interessiert.
230 Zweiter Teil
auf der Hand: Althaus transfonniert das 1926 dominierende Interesse an der
Geschichte als einer "Hingabe" an die Ewigkeit in die Betonung eines es·
chalologischen Realismus, womit eine bestimmte, von einem jüdischen
Realismus abgegrenzte Gestalt des Verheißungskonzepls gemeint ist. Im
folgenden ist also zu klären, wie Althaus in der vierten Auflage der Es-
chatologie von Verheißung redet und welches Phänomen von Judentum
damit indirekl in den Blick genommen wird.
Hierfür ist aufschlußreich. daß für Althaus die Unterscheidung von zwei-
erlei Realismus zuletzt in der Person Christi grundet: "Seil Christus da ist",
heißt es zweimal, ist geschichtliche Weissagung abgetan. 161 Und gegen den
jüdischen Realismus sagt er: "Dabei wird verkannt, daß die Zeit für diese
Weissagungen und ihre Erfüllung mit dem Kommen Christi zu Ende ge-
gangen iSt."I68 In geradezu methodischer Grundsätzlichkeit beendet Althaus
den Abschnitt zum zweifachen Realismus mit einem schon 1926 verwen-
deten Lutherzitat: "urgemus Christum contra scripturam". 169 Mit dieser
Hervorhebung Christi folgt Althaus exakt den Grundsätzen seines Metho-
denkapitels, in dem er gegen eine auf der Bibel begründete Eschatologie
"ein Prinzip der Sichtung rur den biblischen Stofr d70 sucht und dieses fin-
det in Luthers "was Christum treiber': "Dieses Prinzip kann kein anderes
sein als das soeben schon genanme: die Verheißung, die Jesus Christus, der
Gekreuzigte und Auferstandene selber ist... l11 Allhaus spricht von einer
..Verheißung", "Weissagung", einem "Won", was er jeweils singularisch
gebraucht und den pluralischen "Verheißungen", ..Weissagungen" und
"Wonen" gegenüberstellt. l12 Den Tenninus "Christustatsache", mit dem
Allhaus 1926 in den z.T. 1933 übernommenen methodischen Passagen l7J
OERS. (1933) 64f.[68 oben] par. DERS. (1926) 53 Mine. nichl in DERS. (1922);
CERS. (1933) 65 Anm. 2168 Anm. 11 "" DERS. (1926) 56 AnlTl. I. nichl in DERS. (1922);
CERS. (1933) 66 Mille 169 Mittel par. DERS. (1926) 55f. "" DERS. (1922) 54.
174 "Wer [... 1 die in sich cinheitliche .biblische Wcissagung' erheben1.U können mcilll. der
judaisicrt clllweder die neuleSlamentliche Hoffnung oder er deulet heimlich die alueslamenlliche
ErwlIrtung nach der neuteslamcntlichen und läßt Jüdisch-Nalionales stillschweigend beiseitc··
(DERS. /19331 62 [65 J).
175 Dagegen spricht nicht der Nach.....eis von MEISER (1993) 77f.. daß Allhaus 1933 durchaus
die biblische Argumentation verstärkt. Denn fUr Althaus bezeugt die Bibel ja gerade die Überord-
nung Christi über sie.
176 ALTI1AUS (1933) 36 [37].
177 Dies sind die zwei Gestallen des Paradoxes der Ideologischen Eschatologie von 1926 (5.
bei S. 205 Anm. 49). die 1933 als Eschatologie des Kommcns der Ewigkeillinnien.
178 Zilal a.a.O. 35 1371. Vgl. a.a.O. 35 (361: ..weil er Gon iSl und als Gon frei erkannt sein
will. SIeHt er uns in den WidersIreil; und: weil er Gon ist und als Gott herrlich sein will. hebt er
den Widerstreil auf' mit a.a.O. 35f. 1371: •.Die verborgene Wirklichkeit. fLir den Glauben gegen-
wänig. muß. weil Gott Gott ist. die sie verhüllende Wirklichkeit einmal zerbrechen".
232 Zweiter Teil
Heil kund" ,119 Daraus ergibt sich aber. daß die Erfüllung ihrem Gehalle
nach mit der Verheißung identisch ist und nur dem Modus der Gegebenheit
nach differien: Für die Christen wird der "Glaube (... ) zur Hoffnung auf die
[...) Verwirklichung dessen. was sie aller empirischen Wirklichkeit ihres
Daseins zum Trotz ,in Christo' schon heute verborgen sind:.I80 Gleich im
ersten AbsalZ bezieht Allhaus daher die Verheißung auch gar nicht auf Er·
ftillung. sondern auf Enthüllung: ..Die Verborgenheit der Offenbarung
Gottes und des Heiles bedeutet Verheißung kommender Enthüllung", und in
streng logischer Umkehr eröffnet er den fUnflen Absatz: "Verheißung,
Grund der Hoffnung ist Gottes Heils-Offenbarung durch die Verhüllung.
den Widerstreit, in dem sie erscheint."l8l
Althaus behauptet damit, daß die Verhüllung der Grund für die Hoffnung
auf Enthüllung sei. In der angeblich parallelen Argumentation zur Auflö-
sung der Spannung würde dem entsprechen, daß die Polarität. in der die
Spannung erscheint. selbst deren Auflösung verbürgte: Althaus' gesamter
Grundansatz bei der Ewigkeit als Jenseits der geschichtlichen Polaritäten
unter Beibehaltung ihrer Pole besagt aber genau das Gegenteil. D.h. Althaus
weicht in den vorliegenden Absätzen von seinem grundlegenden Ansatz ab;
in den beiden letzten Zitaten werden Verhüllung und Enthüllung der Offen-
barung zu Modalbegriffen. die von der Offenbarung abgelöst und beliebi-
gen Sachverhalten übergestreift werden können wie ein Mantel. den man
aus- oder anziehen kann. Wird Offenbarung als Apo-kalypsis in diesem
pr'.ignanten Sinne verstanden, dann ist es freilich nur konsequent, daß der
Verheißung auch eine Ent-hüllung korrespondieren muß. die dann nur ein
Modus jener ist, sachlich von ihr aber nicht zu unterscheiden. Dies sagt
Althaus nun ausdrücklich, indem er die Verheißung mit Christus gleich-
setzt: .Jesus Christus, wie der Glaube ihn kennt, ist Verheißung. Der Inhalt
aber der Verheißung ist kein anderer als: Jesus Christus selber. Weil er ge-
genwärtig in seiner Verborgenheit der ist, als den der Glaube ihn kennt,
darum ist die Zukunft: Er. Der Glaube braucht und vermag auf nichts ande-
res, auf keinen anderen zu warten als auf ihn als den, der er ist." Und für die
Eschatologie folgert Ahhaus sogleich: "Das fromme Judentum wartet auf
das Kommen des Messias, nicht auf Jesu Kommen, denn es glaubt nicht an
Jesus als Christus. Der Glaube an Christus wartet auf das Wieder-kommen
Jesu Christi, den er kennt.,,182
183 SAUTER (19M) 123 u.ö.: freilich meist mit Bezug auf K. Banh. doch vgl. 3.a.0. 120-122
fUr Allhaus. Auch MOI.TMANN (1964) 208 krilisiert die Reduktion von Erflillung auf Emhüllung.
184 SO V.R. AI.THAUS (1933) 74.261 177.2111.
234 Zweiter Teil
Althaus beruft sich rur sein Verständnis der jüdischen Apokalyptik. auf das Standard-
werk des Hauplvenreters der Religionsgeschichtljchen Schule. WII..HELM BOUSSET.
über die Religion des antiken JudenlUms. Boussel häll hier zur Eschatologie weithin
anerkannte Beobachtungen fest, die durch die nicht im engeren Sinne der Religions-
geschichtlichen Schule zugehörige Monographie von PAUl Vou zum Thema bestä-
tigt, wenn auch anders bewenet wurden. llS Nach dieser religionsgeschichtlichen
Schulmeinung zeichnet sich die jüdische Eschatologie durch eine Zweisträngigkeil
aus: l86 Eine ältere, ,.a1tnational" oder ..messianisch" genannte Zukunftserwanung
läuft neben einer in die Spätzeit des Alten Testaments datienen ..apokalyptischen'·
Eschatologie her. Inhaltlich ist damit gemeint, daß die Erwartung einer nationalen
Blütezeit unter messianischer Führung durch die einer geistigen Höhe sinlichen GOI-
tesglaubens ersetzt wird, den eschatologisch der ,jenseitige" oder "individuelle Ver-
geltungsgedanke,,111 kennzeichnet. d.h. das Gericht über den mit dem Tode abge-
schlossenen siulichen Ertrag jedes Ein7.elnen und nicht das Jüngste Gericht am Ende
einer Reihe von kosmischen Vorzeichen. Anders als Althaus sehen also sowohl Bous-
set als auch Volz (den Althaus freilich nicht erwähnt) die Apokalyptik nicht als natio-
nal-irdische Beschränkung der Zukunftserwartung an. sondern im Gegenteil als deren
Ausweitung ins Geistige und Universelle!
Althaus stellt also den Begriffsgebrauch seines Kronzeugen gewissermaßen auf
den Kopf. freilich mag dies daran liegen. daß Bousset als das Wesen der antikjüdi-
sehen Eschatologie gerade ihre Widersprüchlichkeit und Vermischung ansieht. die sie
daran hindere, prophetisch-messianische und ..spätjüdisch··-apokalyplische Erwartung
zu scheiden. IU Allerdings stimmt gerade hier sein ungleicher Zwilling Volz nicht zu:
185 Althaus nennt Bousset Y.3. a.a.Q. 13 Anm 2: 136 Anm. I: 286 Anm. 3 113 Anm.2: 142
Anm. I: 297 Anm. I). BousselS urspriinglich monographisches Werk von 1903 gelangte in der
postumen Drilt3uflage 1926 als Ergänzungsband zum ..Handbuch zum Neuen Testament" zu gro-
ßer Wirksamkeil. Volz (zu ihm vgl. KRAUS [1956) 349.363) wird bei Althaus nicht erwähnt. ob-
wohlllUCh sein Buch in der Zweitauflage von 1934 große Verbreitung fand (Nachdruck 1966).
186 Die Zweisträngigkeit bezeugt viu ncgationis klar der krasse Außenseiter MF..sSEL (1915)
v.a. in seinem § I. der gegen sie die Einheitlichkeil der jüdischen Eschatologie als nur national
nachweisen will: Uniyersalität kenne die jüdische Zukunftserwartung nur als Herrschaft Israels
über tributpflichtige Vasallenvölker.
187 Eine •.allnationale" Eschatologie erwähnt Vou (1903) 3: in den §§ 21-25 stellt er sie dann
(je\\,t:ils im ersten Kolon der PllTagraphenüberschriften) einem allgemeinmenschlichen Eschatolo-
gumenon (als zweitem Kolon) gegenüber: dasselbe Verhältnis besteht zwischen § 26 und § 27. Die
Stichworte •.messianisch" und ..apokalyptisch" entstammen den KapitelOberschriflen bei BouSSET
(1903) Kap. 1113 bzw. Kap. 111,4 ( ::0: OERS. 119061 Kap. IV.12 bzw. Kap. IY,I3). Vgl. sodann
•.a.O. 335 ( '" DERS. (19031 279) zum jensdtigu bzw. VOLZ (1903) 128 (::0: DERS. (1934195) zum
individuellen Vergellungsgedanken (a.a.Q. 134: .Jndil·iduolisi('rt, /lnd spirit/ld/, W('ltonsdKJ/I-
..nS" par. 0ERS·11903116t).
188 BOUSSET (1903) 287 '" DERS. (1906) 343; ..Wie überall ist auch hier das Judentum seinem
Wesen nxh widersprochsvoll und ve""","OTTCfl": vg!. dazu STANGE (1930) 227 (5. S. 17f.).
V. Die antiapokalyptische Eschatologie von Paul Althaus 235
189 Vgl. Vou (1903) 1-3 zur Methode und 3.•.0. 8.161 zum Zusammenhang von .pokal)'-
pcisch·jüdischer und chrislhcher Eschatologie.
190 Diesen Unlerschied deute. Vou (1903) 3 selbst an.
191 8OlISSET(I903) Kap. 111 •.5: in 0€JtS. (1906) Kap.IV,I] als Anhang. Boussel hal 1906 den
Aufriß verinden (3.a.0. VII): Stand die Eschatologte 1903 im Abschnill Übt.r die nalionale Fixie-
rung. so erscheini sie 1906 von \'omherein in der geschildenen ZweiSlfingigkeil. der Boussel
zudem einen neuen Einleilungsabschnill widmet.
236 Zweiter Teil
192 SOMMERLATH (1927) 11 behaulXel gegen Allhaus eine endgeschichllkhe Eschatologie als
..Epiphanie des Neuen. das schon jetzt in die Geschichte eingetreten ist"; ebenso argumentien der
HofmannschUler BACHMANN (1928) 106f.: Wenn in Jesus das Eschaton in der Geschichte auftre-
ten kann. wieso dann nichl auch sonst? - Man sieht. wie weitreichend die Folgen von Althaus'
Auskillmmerung des Christusereignisses aus der eschatologischen Spannung sind.
193 ALlllAUS (1922) 85.
194 DERS. (1923124) 763 (Überschrifl).
19.5 DERS. (192412.5) 61.5.
196 Den Beleg DERS. (1922) 8.5 hai DERS. (1926) 9.5f. zwar gestrichen. a.a.O. 43f. 229f. 237
sind aber eindeulig.
197 Den Zusammenhang beider Lehren (s. bei S. 211 Anm. 113) scheint Althaus nie \'011 be-
jaht zu haben: dabei ist er schon aus der Anmerkung zur Millelzustandskhn: OERS. (1922) 8.5
Anm. 1 zu erkennen: Sie bildet deren Problem auf das Vernällnis von 1ndividual- und Universales-
chalologie. also den ZwischenzUSland. ab. was dann a.a.O. 12.5 Anm. I aufgenommen wird. Letz·
tere Stelle formt DERS. (1926) 238 Anm. 2 zur Kritik der Zwischenzustandslehre um. während er
La.Q. ISOf. mit Anm. 3 vorsichtig bleibe. DERs. (1933) 135-IS21141-1S91 verwirft diese Lehre
dann in alkr foml. bleibe aber bei jener anderen undeutlich; so ersetzt er a.a.O. 222 1229) das
Won vom ..Millelzu$land"" aus der P311111elSlclie DERS. (1926) 231 durch .Ubensstand-.
0004022~
stus" gibt es nur noch die Verheißung Christi. In genau diesem Sinne wird
Allhaus 1937 über ..Völker vor und nach Christ.us" schreiben,198 und daher
scheint für Althaus seit 1933 die Heilsgeschichte Christus selbst zu sein als
eine Zäsur in der Geschichte - in ebendem Sinne, den Buber im selben Jahr,
kurz vor der nationalsozialistischen Machtergreifung, kritisiert hatte, weil
damit das nachbiblische Judentum als Thema für die christliche Theologie
ausf.ilIl. Althaus zieht in dieser Zeit auch verstärkt sozialethische Konse-
quenzen aus seiner eschatologischen Geschichtsdeutung, die den geschil-
denen Wandel in seiner Theologie weiter verdeutlichen, müssen sie sich
Ahhaus doch gerade aufgrund seines Interesses an einer theologischen
Würdigung der Geschichte nahelegen:
1935 veröffentlicht Althaus seinen aufsehenerregenden Aufsatz zur "Ur-
Offenbarung". Er erscheint kaum zufallig in der Zeitschrift "Luthertum";
wie die frühere "Neue kirchliche Zeitschrift" seit dem Vorjahr heißt. Denn
die Umbenennung rührt daher, daß hier lutherische Theologen, vor allem
aus den sog. intakten Landeskirchen, die ..Stunde" des Nationalsozialismus,
auf die, durchaus im Bewußtsein ihrer weltanschaulichen Aufladung, im-
mer wieder Berufung geschieht, nutzen wollen zur Einung des deutschen
Luthertums. Verfassung, Bekenntnis, Ordnung, Einheit der Kirche. die von
der damaligen nationalsozialistischen Kirchenpolitik der Gleichschaltung
am offensichtlichsten betroffen sind, werden programmatisch bevorzugte
Themen der Zeitschrift, 199 wohl auch deshalb, weil sie lutherischer Theolo-
gie traditionell näher liegen als reformierter. In diesem topologischen, nicht
theologischen oder politischen Sinne nimmt die Zeitschrift als ganze ein
Interesse am Nationalsozialismus. wo Vielmehr lehnt sie die offen national-
sozialistisch geprägte Fonn von Kircheneinung. die Glaubensbewegung der
Deutschen Christen, ganz überwiegend ab. Auf der anderen Seite kenn-
zeichnet gerade den ersten Jahrgang 1934 die Kritik an der Banner Theolo-
gischen Erklärung, in der das lutherische Interesse an der Geschichte im
Sinne der Schöpfungslehre, wie Althaus es 1932 dargestellt hat. zu kurz
komme. Und genau diese (dort sog.) dritte Dimension von Geschichte
198 ALTIlAUS (1937) 17 milcht, WI1$ ja 1922 sein Motiv rur die MiuclzuSlandslehre war, zwar
Zugt:sländnissc an die vorchristlichen Völker: ..Echles Heidenlum fUrchlel die GOllheit"; er mhrl
aber a.a.O. fon: .. E..~ iSI nur \'or ChrislUs möglich:' Allhaus denkt also zwar nichl die Völker vor
ChriSluS vom Heilliusgeschlossen, wohl aber, daß das Heil seilher ausschließlich rur die christli·
chen Völker sei.
199 Vgl. den Kopfaufsatz (von S. Schöffel) der neuen Folge und die Inhaltsvcn.eichnisse der
ersten Bändc.
200 Im ..Lulherlurn".Jahrgang von Allhaus' Uroffenbarongsaufsatz (1935) lransponiert freilich
1.B. das Pamphlet von H. Goebel nalionalsozialistische GeschichlSauffassung reinSlen Wassers.
00040222
theologisch zur Geltung zu bringen, ist nun die grundsätzliche Absicht von
201
Althaus' Konzept der Uroffenbarung.
Uroffenbarung erscheint hier in Entsprechung zu Althaus' eschatologi·
scher Geschichtslehre als "das Gemeinsame in Glaube und Unglaube", das
vom Gericht "gehalten, gefordert, gerichtet,,202 wird. So weit wird man die
Uroffenbarung nicht anders bewerten können und dürfen als das Interesse
an einem Verständnis des Geschichtslaufs aus dem Glauben heraus, das
Althaus' Eschatologie kennzeichnet. Freilich erweckt Althaus' Uroffenba-
rung durch die ein Jahr zuvor geführte Auseinandersetzung zwischen
E. Brunner und K. Barth sogleich den Anschein, natürlich-theologische
"Anknüpfungspunkte" im Sünder für die Gnade zu liefern und so die Radi-
kalität der Erbsünde und der Rechtfertigung gleichermaßen zu verwässern.
Althaus bemerkt dazu gewissermaßen vorsorglich, daß gerade das Gericht
über die völlige Sündigkeit etwas voraussetze, woran der Mensch sündig
werde: eben Uroffenbarung, die dann als Offenbarung des Heils freilich
dennoch zum Gericht führt. 203 Althaus will also mit dieser Uroffenba-
rungslehre gerade die volle Gottheit Gones, d.h. seinen offenbaren Gna-
denwillen für alle Menschen, als Sinn und höchsten Punkt der reformatori-
schen Theologie herausstellen, bei dem daher auch die Dogmatik an- und
einzusetzen habe - damit nicht Gottes Verborgenheit die Spitze des theolo-
gischen Oenkgebäudes bilde, wie Althaus an Luthers "Oe servo arbitrio"
kritisiert. 204 Althaus versteht daher unter Gottes Gottheit nicht im Sinne
Luthers die absolute und für den Menschen undurchdringliche Majestät.
sondern seine Größe, die in der Alternative von Offenbarung und Verbor-
genheit nicht einzufangen ist. Damit aber steht Gottes Gottheit jenseits von
Offenbarung und Verborgenheit;20S beide sind hier also zu bloßen Modi der
201 Die UroITenbarungslehre legl sich also wohl schon aufgrund der früheren Aunagen der Es·
ehalologie nahe. wie mit KNITTER (1973) 142 Anm. 22 (Terminierung auf 1923) gegen MANl'l
(1987) 27.92 zu sagen isl. Nach PöIlLMANl'l (1970) 255 zieh die Uroffenbarungslehre auf eine:
melhodische Korrelalion von Philosophie und Theologie im Sinne Tillichs. Dies verwechselt m.E.
Allhaus' ..neutrale" mil einer nalürlichen Eschatologie.
202 Zitate ALTHAUS (1935) 24.21.
203 A.a.O. 11.
204 Bei ALTHAUS iSI der Kern von ..GOlles GOllheit als Sinn der Rtthlfertigungslehre LUlhcrs"
(Aufsatzlilel von 1931) die Eindeutigkeit des gönlichen Gnadenwillens (z.B. DERS. [1947/481
1.111). die Luther durch die Annahme eines verborgenen Willens Goltes in seiner Majeslät ver-
dunkelt habe (a.3.0. 11,428).
205 Mehr. als er in der Offenbarung von sich gib!. und insofem verborgen iSI GOlt freilich auch
nach Ahhaus ("Die Offenbarung wird durch dil!sn Verborgenbleiben nicht in Frage gestelli. aber
auch die bleibende Verborgenheit durch die Offenbarung nichl aufgehoben". a.a.O. 1.34). doch sei
diese Verborgenheit einfach der Unterschied des Schöpfers vom Geschöpf (a.a.O. 1.288). so daß
Schöpfung jenseits von Offenbarung und Verborgenheil steht. DF.Rs. (1932) 333 stellt Goltes
00040222
GOllheil (..darin iSI GOll GOII") dagegen als schöpfungslheologische Dimension der Geschichte
f1cbel/ Gnade (Offenbarung) urKI Sünde (Verborgenheil).
206 Diese behandelt DERS. (1947/48) 11.161 in paradoJL:cn Sälzen über den Salan, ähnlich dem
Ewi gkeilskon7.ept.
207 Auf den Allar des unbekannlen Gotles spielt DERS. (1935) 23 selbst an.
20S Zum Überblick vgl. KNTTTER (1973). Nach MANN (1987) 29 bUßte die Eschatologie bei
Ahhaus 1933 ihre Funklion ein. die (grurKISälzlich zugeslandene) Eigengesetzlichkeit der Ordnun·
gen wieder auf das (theologisch versumdene) Eschaton hinzuordncn, und trägt dann zu einer Ver-
selbslärKIigung der Ordnungen bei, Ähnlicher Auffassung wie Mann scheinl SMRI (1993) zu sein,
der eine ..eschatologische ,Erhöhung'" der Ordnungen. durch die diese ..umgewandelt" werden.
annimml, sie allerdings vom ..gegenwärtigen GOllesverhältnis" erwartet (Zitale a.a.O. 225). Dies
stuft m.E. den Jensc:ilscharakler von Ahhaus' Ewigkcitskonzcpl zu gering ein.
209 At.m....us (1933) 21412841. noch nicht so DERS. (1926) 165. Eine weitere wichtige zeitge-
schichtliche Bezugnahme ist. daß DER$. (1949) 245 emphalisch einen ..Ubemationalen Slaaten-
bund" begrußI. während DERS. (1933) 236 ( ;; DERS. 119261 138) noch unschlUssig war gegenUber
dem Völkerbund. (Bekanmlich lral das nalionalsozialiSlische Deutschland wenig später aus diesem
aus.) MEISER (1993) 76 Anm. 149 bescheinigl AIlh3US rur seinen doppelten Realismusbegriff
ähnliche UnschlUssigkeit und nennt 3.3.0. 229 Beispiele daftlr. wie Ahh3US seine theologische
Wahrnehmung des Judcmums zur Abgrenzung von den Deutschen Christen umakzentuien.
240 Zweiter Teil
210 Ein Beispiel. wie Althaus' eschatologischer AnS3tz ohne die Vcreinscitigungen fartgerührt
werden kann. die er beim Autor selbst ab 1933 erlitten hai. bietet die Eschatologie von WEBER
(1955/62) 11.744: .Axiologie kann nicht eine .Übeneitlichkeit'. und .Teleologie' kann nicht vcr·
laufsmäßige .Endzeitlichkeil' sein:' Für Weber wanet die christliche Gemeinde auf Christus als
den Kommenden. also einen. wie die partizipiale Formulierung zeigt. gegenwiir1ig Kommenden
(vgl. a.a.O. 11.751). Sie hat ihn also nur. indem sie ihn erwartet (a.a.O. 11,749). Weber expliziert
diese Paradoxie mit wthen Wooen so, daß die Gegenwart des ZukOnftigen ..extnl 005" liegt
(a.a,O. 11.7.50). Dies scheint eine adäquate ~immung der von Althau! anvisierten Ewigkeitsbe-
deUlung von Geschkhle zu sein. Sie unlerscheidet sich präzise von BRUNNER (1953) 36f.. der- die
Gegenwan des Zukünftigen im Auftreten Christi als der Poinlierung des linearen (jüdischen) Zeit-
verständnisses sieht (s. dazu bei S. 18 Anm. 21).
211 Zum für Altbaus ebenfalls wichligen Schema von Wahrsagung und Weissagung s. bei S.
227 Anm. 156.
00040222
Der Ausdruck "Paradoxie" ist hier in einem "weiteren Sinne,,212 als Sam-
melbezeichnung gewählt für die sehr unterschiedlichen Ausprägungen von
irgendwie dem Verständnis aufgegebenen Gegensätzen, die in der es-
chatologischen Debalte zwischen Geschichte und Ewigkeit angenommen
und die als Polarität, Antinomie, Dialektik usw. akzentuiert werden können.
Für Althaus' Eschatologie hat das Konzept der Paradoxie213 unmittelbar
Auswirkungen auf seine Sicht des Judentums, da sein spezifisches Ver-
214
ständnis einer doppelt paradoxen Spannung von Geschichte und Ewigkeit
im Gegenzug zu einer Verbindung dieser beiden Größen entworfen ist, die
Althaus als Anschauung der "jüdischen Apokalyptik" kennzeichnet. Als
Allhaus' Partner im Gespräch um ein derartiges Verständnis von Paradoxie
kommen dabei vor allem K. Dunkmann, T. Siegfried und K. Heim in Be-
tracht.
I. Paradoxie als kamisches Regulativ der Ewigkeit. Althaus schließt sich
mit seinem Konzept der Ewigkeit als Jenseits der Geschichte 1922 geradezu
emphatisch an KARL DUNKMANN an, denn dieser hat 1918 in seiner Dog-
matik Eschatologie als "Auflösung der Antinomien,,215 verstanden. Zugrun-
de liegt hier jedoch der Antinomiebegriff Kants, und daher ist solche Auflö-
sung streng kanlisch gemeint als Aufdeckung fehlerhaften Vemunftge-
brauchs. Solche Fehler rühren daher, daß sich die spezielle Dogmatik, wie
Dunkmann die einzelnen Loci im Unterschied zur allgemein materialdog-
matischen Frage nach dem Wesen des Christenrums nennl, "fremdartiger
Kriterien'; bedient. um nicht die .,esoterische" Binnensprache der Kemge-
meinde sprechen zu müssen. Diese Kriterien sind mit der Rationalitätsfonn
der Wissenschaft gegeben; sie ist aber Dunkmann zufolge dem Gegenstand
der Theologie, wie er im Credo vorgegeben ist, von vom herein nichl ange-
212 SCWI.ÖER (1960) 30 versieht Paradoxie in ..diesem weiteren Sinne" als das lheologische
Problem der Iknneneulik im Unlerschied zur Paradoxie im logischen Sinne als einer beslimmlen
Aussagefonn dieses Problems.
213 In ALTUAUS' Eschalologie iSlll"(){l. gewiß pal1ldoxer Anlage der Tenninus der Paradoxie
freilich kaum hervorgehoben, wohl aber in seiner Christologie (1..8. OERS. 11947/481 11.222 u.ö.).
vgl. RAl'SCIlOW (1982) 92[ 96f.
214 S. bei S. 203 Anm. 42.
215 So DUNKMANN (1918) X im Inhahsvel7.eichnis: a.a.O. 362 freilich: ,.Aunösung der Para-
doxien", was ALnlAUS (1922)41 Anm. 2 = OERS. (1926) 39 Anm. I Ubemimml. SCllRÖER (1960)
35 differenzien so, daß die Anlinomie ..die Gren7.t der Logik negativ" inlerprelien. die Paradoxie
aber positiv. Dunkmann lul ersteres.
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216
messen. Die Eschatologie kann daher nicht dogmatisch gelehrt werden,
sondern dient der Wissenschaft nur als regulative Idee. 217 Dunkmann radi·
kalisiert damit Schleiennacher: Hatte dieser festgehalten, daß Eschatologie
nicht lehrbar sei, so ist für Dunkmann in dieser Frage das "Gesamtresultat"
für alle spezielle Dogmatik "ein durchgehend negatives".218 Der Gegensatz
zu Althaus könnte also nicht schärfer sein: Für Dunkmann ist Dogmatik
überhaupt nicht lehrbar.219 aber Althaus schreibt ein "Lehrbuch der Es-
chatologie".22O
Relevant für die Wahrnehmung des Judentums wird dieser Gegensatz
1933 mit der vierten Auflage von Althaus' Eschatologie. Dunkmann ver·
steht den Chiliasmus als "rein intellektualistisch" motivierten Versuch, die
bloß erkenntnisregulierende Eschatologie doch selbst erkenntnisf:ihig zu
machen; er begreift ihn also nicht als den Ausdruck einer "bild lichen Vor-
stellungsweise",221 als den ihn Althaus 1933 unter dem Begriff des jüdi-
schen Realismus rubriziert. Doch dieser Gegensatz zu Althaus wird erst
1933 vom Apokalypsismotiv aus bestimmend; von seinem antiapokalypti-
schen Ansatz her war Althaus der Chiliasmus noch 1926 durchaus wie
Dunkmann als Vennischung von geschichtlicher Erkenntnis mit der es-
chatologischen Bedingung ihrer Möglichkeit erschienen. 222 Als hätte AIt-
haus diese allmähliche Entfernung von Dunkmann bemerkt, glaubt er von
diesem 1926 nicht mehr wie noch vier Jahre zuvor "am meisten", sondern
nunnehr "viel" zu lernen; 1933 wird Dunkmann bloß noch zitiert. 223
2. Paradoxie als Symbol der Ewigkeit. Gerade für sein kritisches Interes·
se an einer Ewigkeitsbedeutung der Geschichte nennt Althaus 1926 zu-
stimmend als einen weiteren Zeugen THEODOR SIEGFRIEDS Konzept einer
216 Zitate DUNKMANN (1918) 164.163 (t§ 79.78, jeweils im Leitsatz): zur Unangemessenheil
1..8. a.a.O. 302.
217 Die von Dunkmann bemängelte Antinomie vcr1ritl H.E. WEBER (1926), der a.a.O. 304 die
universale, unsichtbare Kirche als eschatologisches Regulativ versteht. zugleich aber ihre objekli-
ve Realität betont (a.a.O. 308). Ähnlich argumentierte schon A. Allhaus (s. S. 72 Anm. 114).
218 DUNKMANN (1918) 368 in seinem § 168. dcr die ganze spezielle MalcriaJdogmulik ab-
schließt. Neben der EschalOlogie münden daher auch Goueslehre und Christologie in die Aunö-
sung von Antinomien.
219 Dunkmann haI persönlich die Konsequenzen aus der NichtJehrbarkeil von Dogmalik gezo-
gen, indem er 1917 seinen lheologischen Lehrsluhl freiwillig aufgegeben und einen Berliner Lehr-
auflrag ftjr Soziologie angenommen hat: nach 1922 hat er :lUch keine theologischen Werke mehr
veröffenllichl (vgl. WOLFES 119991406).
220 So im Unter1ite1 des Buches ,J)ie letzten Dinge" ab der flinften Aunage (1949).
221 Zilate DUNKMANN (1918) 364.
222 AI...TIIAUS (1926) 156: Der Chiliasmus .Jcbt von seiner eigenen Unklarheit". DERS. (1928)
354 wertel den identisch beschriebenen Sachverhalt elwas positiver.
223 Zitale DERS. (1922) 15: par. DERS. (1926) 11: vgl. DERS. (1933) 35 Anm. I 136 Anm. 11.
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h 224
paradoxen "aktuellen Eschatologie ihre Paradoxie besteht darin, daß
•
224 DERS. (1926) 12: 81 Anm.4; 162 Anm. I (!): 256 Anlll. I.
225 SlEGFRlEO (1923n4) nennl370.362f. als Beispiel den lanuschamkter von Mönch und Rit-
ler bzw. von Heiligem und Iielden: Seiner Sünde sich bewußt. lriU er nir die neue Weltordnung
ein. die er doch nicht verwirt.lichen kann.
226 A.a.O. 36M.
227 ALlliAUS (1926) 162 Anm. 1 vgl. DUS. (1933) 350 (gewichen: DBtS. 119491 363: dazu s.
S. 229 Anm. 164).
228 OERS. (1932) (Zitat a.a.O. 326) hal neben Heim zwar auch Hinchs Personalismus vor Au-
gen: CERS. (1926a) 98 Anm.. 2 und der Verweis darauf (CERS. 11926) IX) konzentrie~n steh aber
auf Heim.
244 Zweiter Teil
29
dele.2 Heims gesamte Eschatologie von 1937 basien dann darauf. daß Zeit
und Geschichte als dieses Aufzuhebende nichts anderes bedeuten denn das
Problem der Sünde, nämlich daß Sünde und Übel, Schuld· und Machtfrage
auseinandenreten. Das mit diesen beiden Tennini benannte Paradox. daß
Christus ..schon jetzt" die Versöhnung der Welt und ihrer Sünde bedeutet.
diese Versöhnung sich aber in der Weil .,noch nicht" vollends manife-
stien,2JO hat nun Althaus bei seinem Monitum gegen Heims hamaniozentri-
sehe Geschichtsdeutung im Blick; so spieh er selbst mit der wiederholten
Rede vom ..Machtkampr,231 möglicherweise bereits kritisch auf Heim an.
Um so überraschender ist es, daß Althaus später gerade Heims Konzept
von Schuld- und Machlfrage heranziehen kann, um seine J 933 getroffene
Verhältnisbestimmung von Verheißung und Erfüllung nachträglich plausi·
bei zu machen?J2 Dieser Umschwung 2JJ erklärt sich jedoch, wenn man Alt·
haus' Hinwendung zum Apokalypsismotiv als Kennzeichen der Überarbei-
tung von 1933 in Rechnung stellt. Denn auch Heims Paradoxmethode zielt
zuletzt auf eine Art Apokalypsismoliv. da er unter der Paradoxie eine Pola-
rität versteht, die auf einer höheren Ebene aufgelöst werden kann. Wenn
don auch wieder höherrangige Polaritäten denkbar sind. SO verhindert Heim
hier doch einen unendlichen Rcgreß, indem er den Begriff "überpolare Ur-
wirklichkeif' zur Bezeichnung der Wirklichkeit Gottes prägt, die alle pola-
ren Räume erst begründet. 2J4 Freilich läßt sich rein logisch auch an die
Wirklichkeit Goltes eine Polarität anlegen: Entweder GOIt ist. oder er ist
nicht. Diese Frage ist denkerisch oder logisch nicht zu entscheiden. Doch
gerade hier zeigt sich die Absicht von Heims Paradoxiekonzept: Angesichts
229 So will HEIM (1926) 422f. die ..Hauptfrage" der Eschatologie (das Slichwon aus dem Auf·
5atzlitcl) lösen.
230 DERS. (1937) Kap. 1/3 widmet sich ganz ,Sc:huldfr,lge und Mac:hlfrage", a.a.O. 44fr. am
Beispiel von Sündenvergebung und Krnnlr:enhc:ilung in Mir: 2.1-12: die Folgerungen rur die Es-
chalologie a.a.O. K3p. U4 unlcr der Überschrift •.Weltvcl"SÖhnung und Wellvollcndung".
231 ALTltAUS (l926a) 96.98.
232 DEIl.S. (1949) 39 Anm. 2: sclbstverstilndlich noch nichl in dcr vicnen Aunagc.
233 DERS. (1926) 29 Anm. I '" DEIl.S. (1933) 106 Anm. I 1110 Anm. 21 zitien zudem rur die
Auffassung. daß die Geschichte nur im Durchgang durch das Gericht Ewigkeilswen haben könne.
HEtM (1921) 344. wo dieser die natürliche GOllesgewi6heit als Gcrichtsgewi6hcit bezeichnet. Da
dieser Gedanke von den Verschictxmgen in Althaus' Esdt3tologie \'on 1933 nicht berüh" ist (s.
nach S. 225 Anm. 149). e~in SK:h. daß das Zitat erft3lten bleib!:.
234 z..8. DERS.• Jcsus der HefT. Die Führcrvollmac:hl Jcsu und die Gotlcsoffenbarung in Chri-
SlUS (Der evangelische Glaube und das Denken der Gcgcnwan. Grundzüge einer christlichen lc:.
bcnsanschauung 11). Berlin 1935, 108 u./S. WIlD (1976) 151 zeigt die Konsequenzen fUr die Es-
chaloktgae: In überpolarer Sic:hl erscheint die polare üidic:hlt:eil als Heilsgeschkhte. d.h. als Er-
füllung der Zeil; die Enthüllung dtcscr Erfüllung ist das EschatOll. Man ...ergleiche beim Althaus
von 1933 das Verhältnis von Erfüllung und Enthüllung.
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der Gottesfrage ist die Entscheidung zum Glauben oder Unglauben unaus-
weichlich gestellt. 235 Mit ihr entscheiden sich dann auch wie in einer Ket-
tenreaktion alle darunter abgestuften polaren Paradoxien. Die Paradoxie ist
so gewissermaßen die Schwelle zur Wahrheit. die in der Glaubensentschei-
dung überschritten werden kann. 236 In der Eschatologie zeigt sich dies dar-
an. daß die Weltversöhnung die Weltverwandlung unfehlbar im Gefolge
hat. obwohl heide zeitlich auseinandertreten. Dieser Gedanke ist mit Alt-
haus' Apokalypsismotiv verwandt, nicht zuletzt, weil Heim mit der seit LA.
Domer belegbaren Tradition das spezifische Verhältnis von Weltversöh-
nung und -verwandlung für das entscheidende Charakteristikum christli-
231
cher Zukunftserwartung gegenüber dem Judentum hält. Ähnlich war ja
Althaus' Neuhestimmung von Verheißung und Enthüllung gegen den jüdi-
238
schen Realismus in der Eschatologie gerichtet.
4. Ergebnis. Althaus' Konzept einer eschatologischen Würdigung der
Geschichte steht durch seine verschiedenen Auflagen hindurch im Aus-
tausch mit anderen Verhältnisbestimmungen von Geschichte und Ewigkeit.
Dabei vollzieht Althaus 1933 gegenüber allen einschlägigen Gesprächs-
partnern eine Kehrtwende. so daß man folgern kann, die auch bei der werk-
immanenten Analyse für diese Auflage beobachtete Verschiebung in der
Wahrnehmung des Judentums hänge eben mit dem Problem der Paradoxie
von Geschichte und Ewigkeit zusammen. M.a.W. das Begriffspaar von Ge-
schichte und Ewigkeit fungiert im hier vorgestellten Diskurszusammenhang
als Wahmehmungsschema, das ein systematisches Problem chrisllicher
Theologie repräsenliert,239 nämlich die Paradoxie in der Eschatologie.
235 Daß nur dic GI3ubcnsgewißheit der Paradoxien Uerr wird. die dcr erkenntnismiißigen Ge-
wißheit aus dem subjektiv-objektiven Doppelcharakter ihrer Vorstel1ungsfomlCn erwachsen. be-
hauptet schon HEIM (1920) 120f.
236 SCItItÖEIt (1960) 18Of. bezieht diesen Punkt nicht mehr zurück auf Heims Paradoxiever-
ständnis und sieht darum bei Heim die Antinomie das letzle Won behalten. Treffender scheint mir.
daß Hir Heim die Oberpolarität alle Paradoxie löst. nur kennt er IIcben der Oberpolarität GOlles
auch eine solche Satans (z.B. HEIM [ 1937] 39).
237 A.ll.O. 177.237: a.a.O. 185 zur •.Auferstehung Christi als Anbruch der Endzeit"". S. S. 125
Anm.197.
238 Die Pragmatik von Heims Konzept einer Aunösung der Paradoxien durch den Glauben
könnte allerdings von Allhaus' Absichten abweichen. So versteht HILLE (1990) 122f. U.ö. die zur
GI:tubcnsfrage nötigende Paradoxie des fUr HEIMS Stil typischen Entweder-Oder (z.B. fUr die
Goltcsfrage: DElts. 11937) 217) programmatisch als die missionarische Ausrichtung seiner ganzen
Theologie. während WILD (1976) 122-124 betont. daB die Entscheidungsfrage nicht den ..sprung"
in dcn Glauben. sondern .Zwiesprache auf der Basis des Denkens" beabsichtige. Wild rekonstru-
ien dabei Heims systematische Argumentation. während ~lilIe eine biographische Pl:lusibilisierung
i)eranzieht.
239 S. lU dieser Bedeutung der Schemata Kap. 1.2. hier S. 23f.
0004022~
Während sich jedoch die Paradoxie bei Dunkmann, Siegfried und Heim
bloß als Regulativ, Symbol bzw. Schwelle zur Ewigkeit darstellt, fungiert sie
für Althaus vom Grundans3tz seiner Eschatologie her als Ausdruck der
Ewigkeit, wird diese doch dort paradox bestimmt als Aufhebung der ge-
schichtlichen Polaritäten, doch unter Beibehaltung ihrer Pole. Noch zuge-
spitzter wäre jedoch die Identifikation von Paradoxie und Ewigkeit, so daß
die logische Paradoxie zum Bürgen für theologische Wahrheit würde. Ge-
nau dies ist Althaus auch von F. Holmström vorgehalten worden;240 es ist
aber vielmehr die Position der Dialektischen Theologie und ihrer Rezepti-
on, und hier kristallisiert sich denn auch im Verhältnis von Geschichte und
Ewigkeit die Wahrnehmung des Judentums. So kann R. Bultmanns These,
daß die "Geschichte von der Eschatologie verschiungen..24J werde, das Ju-
dentum zur (geschichtlichen) Folie christlicher Eschatologie werden lassen,
selbst wo versucht wird, der christlichen Eschatologie nachträglich einen
242
geschichtlichen Anstrich zu geben. Im Gegenzug versteht sich der Ver-
such seit den 1960er Jahren, Eschatologie als Geschichte zu begreifen. 24)
zugleich als Hinwendung zu jüdischen Themen der Eschatologie und polt
so das polare Wahrnehmungsschema von Geschichte und Eschatologie um.
Das Schema als solches zeigt aber in beiden Blickrichtungen dasselbe sy-
stematische Problem an, nämlich die theologische Valenz der logischen
Paradoxie, oder anders gesagt: Wieweit ist die Eschatologie fähig des Lo-
gos? Das ist die grundsätzliche Frage an die Wissenschaftlichkeit der
Eschatologie: Wenn nämlich Eschatologie, wie es gerade an Althaus' Kon-
zept von Paradoxie zu beobachten war, nicht auf der Logik vom Satz des
ausgeschlossenen Dritten aufruht, wie läßt sie sich dann noch in vernünftige
Rede (Logos) fassen? Es ist dieses, wohl das wissenschaflstheoretisch gra-
vierendste, Problem der Eschatologie, das sich in der, nicht zuHillig so um-
fassenden, Begrifnichkeit von Geschichte und Ewigkeit ausdrückt. Diesem
Problem sinnt Althaus nach, und ihm gilt auch die Behandlung der Wahr-
nehmungsschemata in der vorliegenden Untersuchung. 244
240 HOu.1STROM (1936) 297fr. grundsätzlich und 3.a.0. 406ff. ftir den Althaus von 1933.
241 BULTMANN (1958) 42 (don mit Bczug auf neutestamentliche Texte).
242 Dies will Bullmanns Interpret KÖRNER (1957); doch vgl. a.a.Q. 22.42.111.94 zur Einschät-
zung des Judentums.
243 Zu denken wäre an PANNENBERO (1961) 93 (Aufnahme der jildischen Apokalyptik);
MOl1'MANN (1964) 1200. (dasselbe) und auch CUUMANN (1%5) 14Of.. der die bleibende Beson-
derheil des Judelllums rur die christliche Eschatologie mit der ..Einreihllng" (a.a.O. 150) Christi in
die alttestamenlliche Geschichte begründcl.
244 Auch das riesenhafte Buch .,AllveTSÖhnung" von JANOWSKt (1999) will den eschatologi-
schen Dualismus im Satz des ausgeschlossenen Drillen wissenschaftlich überwinden. doch. wie
der Titel sagt. durch den Monismus.
00040222
Und darum wird der Glaube. der sich das gegenwärtige Heil aneignet, unmillelbar zur
Hoffnung, daß das gegenwärtige Heil ..offenbar werde" (Röm. 8.19: Kol. 3,4). Das
Verhällnis von Gegenwart und Zukunft ist also das von verborgener und offenkundi-
ger Heilswirklichkeit. Der Glaube wird nicht der Gegenwart von einer in Gottes Zu-
sage verheißenen Zukunft her, sondern der Zukunfl von einer in Gottes Zusage be-
reifeten Gegenwan aus gewiß.1' 5
Diese Sätze sind unmittelbar gegen GEORG HOFFMANN gerichtet, der 1929
in einer eschatologiegeschichtlichen Studie in Auseinandersetzung mit AIt-
haus den Vorrang der Hoffnung vor dem Glauben behauptet hane. Sein ent-
scheidendes Argument läßt sich 50 rekonstruieren: Die Wirklichkeit des
Eschaton. die völlige GOllesgemeinschaft, liege, so Hoffmann mit Althaus'
Abwehr der Endgeschichte, so sehr jenseits der Geschichte, daß sie - dies
nun gegen Althaus - auch in Chrislus keine geschichtliche Heilsgegenwart
finden könne, sondern nur unmittelbar in der verheißenen Zukunft jenseits
der Geschichte selbst wirklich sei. In Hoffmanns Worten: "Wenn wir den
Glauben auch nicht völlig in der Hoffnung aufgehen lassen [, ..], so be-
haupten wir allerdings doch l...], daß die Hoffnung, die Beziehung auf die
ewige Zukunft der Erfüllung das .schlechthin entscheidende Merkmal am
246 HOI'FM....NN (1929) 68 (vgl. a.a.O. 72) gegen E. Schaeder; doch vgl. a.3.0. 87 bei Anm. 3
auch gegen Allhaus.
247 A.a.O. 93. Hoffmann liegt damit auf der Linie der im kanlischcn Sinne regulativen Es·
chatologie (s. S. 73 Anm. 12 t) als eines jenseitigen Bezugspunktes der Theologie (a.a.O. 117f.). er
versieht aber diesen Ewigkeilsbezug als retigionspsyehologisches Phänomen und folgt damit sei-
nem Lehrer G. Wobbennin (s. S. 204 Anm. 46).
248 M....VER (1900) 65 u.ö. - Mayer. tätig als Pfam:r hauplsäehlich im brandenburgischen Jü-
terbog. halle scincneit als Herausgeber der O. Baumganens Konzept der Modemen Prcdigl nahe-
sIehenden Reihe ..Das Neue Testamcnl in religiösen Belrdchtungen rur das gegenwänige Bedürf-
nis" einiges Renommee. Seine Boffnungs1ehrc erinncn durch den Titel und die gütenheorctischc
Melhode an die Erlanger Erfahrungstheologie eines F.B.R. v. Frank. der in seinem ..system der
christlichen Gewißheit" ftir alle dogmalischen Loci den Erfahrungsbezug im christlich frommen
Selbstbewußtsein nachzuweisen suchte.
249 A.a.O. 137. Dies iSI nach Mayer der ,.Kern aller chiliaslischcn Verirrung" (ebd.).
250 Nach Mayer sind sie "begehrenswene Güter. weil sie leils Millel der Verwirklichung, teils
Vorslufen der absolUlen Gonesgemeinschaft sind. Nur wegen dieses ihres Charakters werden sie
erhofft' (a.II.0. 138). Mayer nutzi hier aus. daß tipis im christlichen (anders im profangriectti-
sehen) Gebrauch immer auf ein Gm bezogen iSI.
251 Wie .,das absolUle Gut "Zu einem relaliven. so verhüll sieh subjektiv die Hoffnung zum
Glauben" (a.a.O. 48).
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nicht aus sich heraussetzen,252 sondern empHingt sie von der Zukunft, wie
die Morgenröte ihr Licht von der noch hinter dem Horizont liegenden Son-
ne empfangt. Diese Metaphorik von Sonnenaufgang und -strahl gehön zu
den Ausdrucksmitteln des zeitgenössischen Zionismus, den Hadorn als Zei-
chen der Hoffnung hervorhebt;253 sie implizien, daß auch nach Hadorns
Differenzierung von Grund und Wesen der Hoffnung der Inhalt der Escha-
tologie nicht die Zukunft als solche ist, sondern der Zukunftsbezug der Ge-
genwan. 254
Hadorn folgt damit ebenso wie Mayer und noch deutlicher Hoffmann der
Tradition der Vennittlungstheologie: Weil die Realität des Gegenstandes
der Eschatologie gerade als Regulativ der Theologie rein hypothetischer An
ist, handelt sie von der Zukunft nicht als solcher, sondern als Bezugsrahmen
der Gegenwan. Die genannten Autoren drücken dieses Problem eschatolo-
gischer Realitätsan gerade durch die Akzentuierung der Hoffnung vor dem
Glauben aus, also in einem Begriffsschema, das, wie gesehen, die Frage der
Wirklichkeit von Eschatologie zum Thema hat.
2. Vorrang des Glaubens. Ein anderes, doch in sich ebenso gerundetes
Bild bieten solche Autoren, die zur sei ben Zeit teils nachdrücklich den Vor-
rang des Glaubens vor der Hoffnung betonen.
Hier ist zuerst WILHELM KOEPP zu nennen, dessen kleine Monographie
über "Die Welt der Ewigkeit" schnell Althaus' Zustimmung findet. Koepp
geht es mit diesem Titel um die "Zukunftswelt des Glaubens", die als zeit-
und wandellose Ewigkeit im "absoluten Gegensatz zu der endlichen Sphä-
re" stehe2SS und darum über den rocher de bronze "Ewigkeitsglaube" hinaus
auch mittels "Hilfsvorstellungen" nicht in .,Einzelheiten" entfaltet werden
könne; der darauf zielende "Typus der christlichen Hoffnung" komme zu
..absoluten Widersprüchen" und könne "nur in Antinomien reden... 2s6 Hoff-
nung ist hier ein problematischer Grenzbegriff. der in die Eschatologie nur
252 IIADORN (1914) 34: "Eine Hoffnung. die sich nicht auf ein gegenwäniges Erleben stützen
kann. ist unwirksam": a.a.Q. 38 zu Grund bzw. Wesen der Uoffnung (Kap. 1.112); a.a.O. 115f.
gegen die Folgerbarkeit der Uoffnung aus dem Glauben am Beispiel der Überwindung des Bösen.
ALnlAUS (1922) 15"" DERS. (1926) 12 erwlihnt Hadom zunlichst1.USlimmend, findet in ihm aber
1933 keinen Gcsprächspanncr mehr.
253 UADORN (1914) 123 zum Zionismus und u.O. 36f. zur Sonncnmctaphorik (mit der Sonne
iSl dort das Christentum gemeint). Zu entsprechender Emblematik im Zionismus vgl. STÄItUR
(2003) 146.148 mit Abb. 2. 3.
254 HADORN (1914) 23f. zeigt. daß sich der Inhall der Uoffnung (Kap. 1.3) nichl gegenständ-
lich beschreiben läßt.
255 Zitate KQEPI> (1921) 27.23 (alle Hervorhcbungen aufgehoben). Zu Kocpps Ewigkeilskon-
zcpt vgl. a.a.O. 24f.
256 Zitate a.a.O. 24.39.38.31.28.31 (alle Hervorhebungen aufgehoben).
250 Zweiter Teil
per nefas Eingang findei; und es sind gerade die EschatoJogumena jüdischer
257
Provenienz, die Koepp dabei abweist.
In den ähnlich gelagerten Erörterungen von FRIEDRICH TRAUB sieht an
Stclle des Begriffspaares von Glaube und Hoffnung das Gegenüber von
Glauben und Wissen (Denken), und zwar fraglos wegen Traubs kantischen
Grundansatzes, demzufolge die Erkenntnistheorie für die Eschatologie nur
kritische, nicht begründende Funktion haben kann. da sie ihr nur Postulate
liefert. 258 Eschatologie baut vielmehr ihre theologische, nicht philosophi-
sche "Begründung auf die geschichtliche Offenbarung" in Christus;259 dar-
um sind ihre Lehrgegenstände ausschließlich Glauhensgegenslände und was
damit logisch oder zur Veranschaulichung unmittelbar zusammenhängt,
jedoch keine bloßen Wissensfragen wie z.B. das Problem von Apokatastasis
und doppeltem Ausgang. 260
Das Problem dessen, was in die Eschatologie hineingehöT1 und was
nicht, findet bei dem Ritschlschüler THEODOR HAERLNG Ausdruck in der
Unterscheidung und Inhalt und Fonn, die dem Glauben bzw. der Hoffnung
zu- und untereinander nachgeordnet werden: "Nur die Glaubensnorm der
Offenbarung kann bestimmen, was christliche Hoffnung ist." Der so durch
den Glauben vorgegebene Inhalt der Eschatologie stoße in der Fonn auf das
Zeitproblem, das nicht die Dogmatik, sondern allenfalls die Spekulation
261
abschließend behandeln könne. Praktisch gleichbedeutend schreibt
JULIUS KAFTAN, daß "die Grundgedanken der christlichen Hoffnung aus
inneren Gründen des christlichen Glaubens zu entwickeln" seien und damit
das ..Dass" vom ..Wie" der Eschatologie zu unterscheiden. 262
257 Koepp. als SchUler H. Cremers der Positiven Theologie vcrpnichtcl wie Hadorn. nennt
kritisch a.a.O. 38-40 den Chiliasmus. den Gerichtsgedanken, den Zwischcnzustand. die Auferste-
hung der Toten und die Parusieerwanung. Dazu slimmt, daß ALTItAUS, der Koepps Ansutz be-
grußt (DERS. [19221 15 = DERS. [1926] 11), die Kritik an dessen Vernachlässigung der Zukunfts-
hoffnung nicht erneuert, als er sich 1933 selbst sl1irker von jüdischer Eschatologie abgrenzl (OERS.
11922]58 Anm. I = DERS. 11926] 69 Anm. I: vgl. DERS. [19331 53f. [56J). Die Rezeplion Kocpps
durch Ahhaus gleicht damit derjenigen Dunkmnnns, Siegfrieds und Hadorns.
258 TRAU8 (1925) 33f. An.O. 29 zum Problem des Wissens und a.a.O. 91 zu Glauben und
Denken. Vgl. KAN'rs Ausspruch .•lch mußle also das Wisst'rr aufheben. um zum Glauben Platz zu
bekommen" (DERS. (1787) B XXX).
259 TRAU8 (1925) 42 nlervorhebungen aufgehoben). Traub war es. der mit diesem betont
Ihcologischen Ansatz Althaus bewog. die Begriffe ,Axio1ogie" und "Teleologie" allercrst durch
die biblischen .,Glaube" und "Hoffnung·' zu ersetzen (vgl. ALTHAUS [19261 16 Anffi. 2).
260 Dies gehl gegen Allhaus (TRAU8 (19251 Illf. 116); lehrbar ist nur die Vollendung im Jen-
seits (a.a.O. 91 f.).
261 Das Zital des Inhalts von Eschatologie: HAERINO (1912) 643: zum Fonnproblcm vgl.
a.a.O. 669.
262 Zitale KAfTAN (1920) 670 (§ 73,2) bzw. 3.a.0. 671 (§ 73,3).
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263 KOEPP (1921) 28-31 übernimmt in den Fragen der persönlichen Fondlluer und der zu-
künftigen Leiblichkeit alle ArguffiCme Schleiennllchers; HAERtNG (1912) 66.5ff. rekonstroicn das
Fonnproblem der Eschatologie (Zeil und Ewigkeit) im Anschluß an Schleiermacher.
264 Die Kritik an Bllnhs HoffnungscschlilOlogie stehl bei SCHAEDER (1924) 39; die Zilate
lI.a.O. 149.199: ersteres wird erwähnl von ALTIIAUS (1933).5.5 Anm.3 [.58 Anm. 21; lelzteres
zitien DERS. (1926) 72 Anm. I '" DERS. (1933) 58 Anrn. t [61 Anm. I].
0004022~
265 SCliAEOOR (1909/14) 11.275: ,,Es gibt auch hier kein Glouben ohne ein Sehen, ohne Glau-
bensslülZCn in kundbarcr Erfahrung".
266 Der Buchtilel erklän sich v.a. flir die Erstaunage durch die Doppelfront von Christo1.cn-
Irismus und Anlhropozemrismus. die Schaeder weniger mit konkrelen Autoren ~selll, sondern als
Anlagonismus von biblizistischem Supranaluralislllus und llCuprotestantischcm Subjektivismus bei
verschiedensten Theologen konsilitien. In der Lclzlgestalt des Buches wird der Christozcntrislllus
jedoch abgelösl durch Banhs Dialektische Theologie (SCUAEDER [1925/28]11.63 Anm. I im Ver·
bund mil a.a.O. I,Vf.), an der Schaeder bemängelt. daß sie nicht GOlt in Chrislus, sondern ab-
Slrakterweise den Abstand zwischen GOII und Mensch als Ausgangspunkt nehme (a.a.O. II.VII:
der ,J'Jlional-dialeklischc Subjclaivismus").
267 DERS. (1909/14) 1I.277f. 276.273.
268 DERS. (1925/28) 11.263.
269 Zitale DERS. (1909/14) 11.272.285. Vgl. OERS. (1925/28) 11,263 zur Bedeutung der Es·
chatologie: Sie iSI •.in der Fonn gewisser Hoffnung vom Glau~n unablrennba(·.
270 Das mit dem ersten Zitat betitelle Buch OERS. (1924) erschien. als nur dcrerste Band dcr
Theozenlrischcn Theologie in z..... eiter Auflage vorlag (1916), nichl auch der zweite, so daß die
spätere Rede vom ..Übergang" (DERS. II92.'l/28]I. VI) wönlich gemeint ist.
0004022~
271 Zitat v. OElTINGEN (189S) 39 und vgl. 0.3.0. 40 zur ..Dissonanz zwischen gÖlllicher AI·
lein wirksamkeit und melIschlicher Selbsllhätigkeil'",
272 Aa.O. M.
273 Dieses. vielleichl von der Kabbala (und ihrer Lehre von Gottes SelbslkOflzcnlralion im
sog. ZiffiZum) beeinflußte, Konzepl soll die kenOlische Otrislologie v. Hofmanns korrigieren (Zi-
tat a.a.O. 122). freilich kaum deren Idealismus (so PAWV.S 119901 209), solidem eher deren
Axiomatik (s. S. 253 Anm. 27S).
274 v. OElTINGf..NS pneumolologische Fronlstellung ist vielflihig: vgl. DERS. (189S) 57.79.34
gegen ein naturalislisches (alttestamentliches) bzw. personalislisches (hypost3siencs) bzw, kon-
grc:glllionalistisches Geislvcrsländnis: jeweils in AuseinanderselZung mit H. Gunkel bzw.
R. Seeberg bzw, A. RilSChJ.
27S Aa.o. 59. Daß der Geisl persönlich und individuell zum Glauben beruft (a.a.O. 101 vgl.
DEll.s.1 1897/1902111/2.299), verbindet demnoch Eschatologie und Pneumatologie (a.a.O. 11/2.723
und schon die Habilitation 1856), Indem der Geist die Stufung von Person und Natur Uberwindel.
rutin v. Qeningen v. Hofmunns Konzcpl weiter und gehön daher auch eschatologiegeschichtlieh in
dessen Tradilion (gegen PAWLAS [1991121 Anm. 15).
000-40222
dem bis in das 20. Jh. hinein gerade die baltische Landeskirche zu Iragen
haue. 216
Dies läßt verständlich erscheinen, warum der aus Westfalen stammende
Tallinner Missionar TRAUGOlT HAHN, als Student in Dorpal zeitweise Hö-
rer v. Oeuingens,211 die Frage nach dem Leid in den Mittelpunkt seiner bei-
den Bücher zur Eschatologie stellte. 278 Eschatologie handelt demnach von
der Durchsetzung des Guten gegen das Böse. Dies kann jedoch gegen eine
innerliche. "geistige Macht" wie das Böse nicht durch die Wirkung göttli-
cher Allmacht geschehen, denn diese gilt nach Hahn nur ..der äußeren Re-
gierung der Welt" und gehört nicht zu Goues Wesen, das Hahn unter -
m.W. analogieloser - Berufung auf das Bilderverbot des alttestamentlichen
Judentums in der Geistigkeit erblickt. 279 Aus dieser für Hahn kennzeich-
nenden Allmachtskritik ergibt sich, daß Gott das Böse nur in innerer Aus-
einandersetzung mit ihm überwindet, indem er es durchleidet, und dement-
sprechend wird "am Ende der Zeit die leidende Gemeinde der Märtyrer sie-
gen". Hahn hat diesen, ohne v. Oeuingens dreifache Leidensbegrifflichkeit
und ihre Folgerungen für eine Theologie des Leids kaum denkbaren,
Grundgedanken später noch zugespitzt und damit wohl auch überspitzt.
Denn ein Jahrzehnt später beschränkt er Eschatologie auf die innerliche
Überwindung des Bösen, und die Erwartung einer auch äußeren Überwin-
dung des Leids wird als fleischliches Motiv und als Leidensscheu abqualifi-
2w
ziert. Wenn sich diese Kritik auch historisch gegen die Entrückungsleh-
ren der lrvingianer richtet. so geht mit dieser Veränderung doch auch eine
gewandehe Wahrnehmung des Judentums einher. 1929 lehrt nicht mehr das
Judentum die Christenheit den Vorrang des Geistigen vor dem Anschauli-
chen, sondern lernt diesen umgekehrt erst daran, wie die Christen ..stand~
276 V.OETTlNGEN stehl gegen eine verbreitele Lesart des Wahmchmungsschcmas .,Schon
jelzr' - ..Noch nichl". wenn er die ..fertigen Chrislen" (!>ERS. [18951 111) mahnen will. daß ..noch
nicht" alles Leid behoben. damil aber auch Gones Langmul •.noch nicht" am Ende sei (a.a.O. 6f.).
277 HAHN hörte im zweilen Semesler v. Oeningen. bei dem er mittwochs Freitisch halle. gegen
dessen Ral und war. auch späler bei der Lektüre. von seiner unerbaulichcn Theologie enuäuscht;
DERS. (1919) 272.276.
278 Das ersle Buch erschien erstmals 1919 - wenige Monale, nachdem Hahns Sohn. der Dor-
paler praktische Theologe Traugoll Hahn jun.. von Bolschewislen emlOroel worden war.
279 Zitale HAIIN (1920) 48.47. Zur Allmachlslehre a.a.O. 46-48 vgl. die Zuspit'lung DERS.
(1929) 79: ..es iSI nichl anders möglich gewesen. Samn zu Uberwindcn. als durch das uittl'n und
den Tod des Erlösers". Vgl. DERS. (1920) 35 zum Bilderverbol des alttestamenllichen Judenlums
(das Hahn a.a.O. 38ff. 42f. vom gegenwärtigen und vom zukUnftigen Judentum diffcrenzier1).
280 A.a.O. 57 (Zitat) vgl. DERS. (1929) 101. Wagte HAIIN (1920) 67 .,nicht zu enlscheiden". ob
der Chiliasmus als verklärtes Irdischsein oder himmlisch zu denken sei. so legt sich DERS. (1929)
102 auf lelzteres fesl und kritisiert a.a.O. 82 jedes ..ungeistlichc. fleischliche Denken" (woflir die
••Leidensscheu"la.a.O. 19] ein Beispiel wäre).
00040222
281 A.3.0. 91. Daduf{;h würden die Juden aus ihrer ..Chrislusfcindschaf"· aufwachen (ebd.).
282 Die Frage nach dem Vcrhältnis von göttlicher und menschlicher Beteiligung am Heilsge-
schehcn kann sich auch. unter ~Iinzunahme der drillen theologischen Tugend. im Schema von
Glaube und Liebe ausdrUcken, wie es in Teilen der pietistischen Trndilion einschlägig war H1r die
Wahrnehmung des Judcnlums (s. bei S. 24 Anm. 37f.).
283 S. dazu Kap. 1.2. hier S. 23f.
256 Zweiter Teil
3. Problemgeschichtlicher Ertrag
284 Vgl. R. BULn1ANNS These (DEltS. [1924) 50) von der Identität des Sünders mit dem Ge·
rechlfenigten, die: ..geglaubt' wird; zur Hoffnung bei K. Barth s. Exkurs 8. hKr S. 214-216.
285 Dieser problemgeschichtliche Enrag aus Allhaus' Eschalologie unlersm:icht die: BedeulUng
des Wahmehmungsschemas von Geschichte und Ewigk.eit rur das Problem einer EschatologK im
Gespräch mit dem Juderllurn. denn das Schema iSi besondef'S virulent eben bei Althaus und der
Dialeklischen Theologie (I. S. 246 Anm. 241). und don findet es seine Zuspitzung eben an der
Frage, WK das Judentum eingescllälZl wird (5. S. 246 Anm. 243).
286 Die vCl'tttilClC gegenteilige Ansicht (5. S. 214 Anm. 91) hal jedenfallS an der Problemgc'
schichte keinen Anhalt.
OOO~0222
287 Vgl. ALTII....US (1933) 67-70 [70-731. wo er in allen Punklcn Material der früheren Aunll-
gen verarbeitet (s. S. 230 Anm. 170). S. auch die AusfUhrungen zu Allhaus' Bcgriffsgebl1luch von
.Jlcilsg~hichte·· bei S. 236 Anm. 193--195.
288 DERS. (1922) 78 Anm. I "" CERS. (1926) 104 Anm. 1 beruf! sich auf Hlupl. krilisien aber
11.11.0.78 Anm. 1 "" CERS. (1922) 65 Anm. I dessen über"..cllliche EschalOlogk: 1933 wird Haupt
nichl erwähn!.
289 Laut Wl\lMER (1979) 143 bleibt Allhaus' Anlhropologk deshalb l.wiespähig. ~il er das
OOcthilllllSChe Konzept der Person als Substanz durch den Verhä.ltnisbegriff der Persooa1itäl ersetzl
und ~ die menschliche Nalur durch das nach reformatorischer Einsichi sündige Gonesverllältnis
definieren. also die Person mit der (sündigen) Nalur identifizkren muß. Der Mensch habe so keine
posllive Bedeutung mehr fiir die Eschalologie (a.a.0. WS).
258 Zweiter Teil
290
K. Rahner oder, in den Augen der finnischen LUlherforschung. wie die
kantischen BürgeJ1ürner zweier Welten in Natur- und Sillengesetz. 291 In all
diesen Fällen erscheint Althaus als Vertreter einer theologischen Anthro-
pologie. die je nach Standon des betreffenden Autors aufgefaßt wird als
natürliche Theologie bzw. als Fundamentalanlhropologie bzw. als Ethik der
Zweireichelehre im Sinne des Personalismus der Lutherrenaissance. Doch
ersteres deckt sich, wie gesehen, nicht mit Althaus' Interesse an einer "neu-
tralen" Theologie (in AuseinanderselZung mit C. Slange292 ), und zweiteres
übergeht Althaus' Differenz zur Kerygmatheologie (besonders R. Bult-
manns 29J ) ebenso wie letzteres sein eschatologisches Spezifikum gegenüber
dem Personalismus (etwa bei E. Hirsch 294).
Unsere Analyse ergab demgegenüber, daß theologische Anthropologie
für Althaus eine Überwindung des Alternativschemas von Aktiv und Passiv
verlangt, daß aber gerade in der statt dessen vorgeschlagenen Begrifnich-
keit des Opfers und der Hingabe diejenigen Tendenzen Vorschub erfahren.
die, besonders in Althaus' Sozialethik, mit einer Abwertung des Judentums
zusammenhängen. 295 Erst die Erhebung der Wahrnehmungsschemata zeigte
dartiberhinaus, daß in jenem Verständnis von Anthropologie ebenso wie in
dieser Problematik der Wahrnehmung des Judentums Parallelen bestehen
zur pneumatologischen Eschatologie des baltischen Luthenums,296 die dar-
in. nicht anders als Althaus, einen weiteren Zweig am Stamm der Heilsge·
schichtlichen Theologie darstellt.
Man kann daher ftir die Problemgeschichte folgern, daß Althaus mit sei·
nem Komept eines dreisteIligen Geschichlsbegriffs, das ihn mit der Heils-
geschichtlichen Theologie verbindet. das Thema einer theologischen An-
thropologie anschlägt. das sich uns ja als die Frage enthüllte. die in dem
Begriffsschema von Glaube und Hoffnung implizien ist. Ein Blick auf die
jüdischen Anfragen an die christliche Eschatologie zeigt nun, daß gerade
die theologische Anthropologie ein Thema ist, das für eine Eschatologie im
290 Dieses Konzepl ähnelt der proIcslamischcn Existemialtheologie, beansprucht aber rur dic
Ebene des Exislentialen. also ftir die Nalur als ein durch den persönlichen Glauben auszuftilleodes
Raster des Glaubens, Offenbanmgsrang, KNITTER (1974) 82 sprichl daher mil Bezug auf Allhaus
von einem ,,supernatural existenlial",
291 MARnKAINEN (1988) 6 siehl gegen Wimmer bei Althaus eine theologische Bedc:U1ung des
Menschen rur die Eschatologie: ,,das Gewissen iSI das üntrum der Person. Somit iSi das Gewissen
nicht vom Naturgc:sctz abhängig. sondern von GoUes unminelbarem Willen".
292 S. Exkurs 7 (S. 199f.).
293 S. Exkurs 8 (5. 214f.).
294 S. bei 5. 202 Anm. 40 b1.w. S. 212 Anm. 85 bzw. S. 222 Anm. 138.
295 S. Kap. V.I.2. hier S. 235-240.
296 S, Kap. V.2.2, hier 5. 253--255, v.a. zu T. Hahn (bei 5. 254 Anm. 279-281).
00040222
Die vorliegende Untersuchung hat sich die Aufgabe gestellt (Kap. 1), The-
men für ein evangelisches Verständnis von Eschatologie besonders im Hin-
blick auf eine theologische Würdigung des Verhältnisses zum Judentum zu
ermitteln. Die Ergebnisse, welche die problemgeschichtliche Analyse im
Hauptteil (Kap. li-V) hierzu erbracht hat. sollen nun zunächst für die ein·
zeinen Rubriken der analytischen Kapitel zusammengefaßt (Kap. Vl.l-3)
und dann in einem Entwurf von Eschatologie als Lehre von der Verheißung
systematisch entfaltet werden (Kap. V1.3.1-4).
) S. S. 73 Anm. 120.
4 S. S. 148 Anm. 62.
5 S. S. 250 Anm. 258.
65. Exkurs 2 (5. 69ff.) zur Vennilllungsthcologie und zur Involulionslehre.
75. EXKUrs 6. hier S. 190-192.
8 VgJ. Joh:mn Peler LANGE. Das Leben Jesu nach den Eyangelien dargestelll 1-111, Heidelberg
1844/47: Hennann GERU.CH. Gegen Renan. Leben Jesu. Berlin 1864: Hennann Christoph
SCItMIOT über Aufgaben und Grenzen eines Lebens Jesu. in: ThStKr 51 (1878) 393-457.
9 S. Kap. 111.1.1. hier S. 103-118 und ygl. dazu TIIElSSE/II (2002).
262 Driller Teil
anbahnt, bei A. Tholuck ausdrücklich wird und dann vor allem bei
P. Althaus (als Apokalypsismoriv) wirksam wird. 14 Auf diesem Schema
baut wiederum eine charakteristische Auffassung von einer bestimmten
Verheißung, nämlich der der Parusie, auf: die Lehre von den zwei Adventen
Christi (im Unterschied zur nur einen Ankunft des Messias im Judentum),
die wohl auf LA. Domer zurückgeht und bei den unterschiedlichsten Auto-
ren bis weit ins 20. Jh. hinein wirkt 15 - ein weiteres Indiz dafür, diese Zeit
nicht auf den eschatologischen Aufbruch um Weiß, Schweitzer, Buhmann
und Barth zu reduzieren. Dies gilt auch für die Unterscheidung von Glaube
und Hoffnung. deren Betonung im Diskurs vor 1922 oftmals theologische
Einschätzungen des Judentums transponiert, ehe die Dialektische Theologie
mit ihrem beherrschenden Auftreten beide Tennini sinngleich gebrauchen
kann. 16
Die Themen, die sich aus unseren Analysen für eine evangelische Eschato-
logie ergaben, sollen im vorliegenden Abschnitt zunächst für die jeweiligen
Kapitel zusammengefaßt werden. Danach können sie auch abgelöst von der
Bindung an bestimmte Autoren in einer systematischen Betrachtung vor
dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussionslage in der christlichen
Theologie sowie der Eschatologie und ihrer Beziehung zum Judentum ent-
faltet werden.
I. Schleiermacher: Verheißung lind Zeitverstö"dnis. Schleiennachers Es-
chatologie läuft auf den Aufweis hinaus, daß die im Protestantismus obli-
gaten vier letzten Dinge kein geschlossenes Gesamtbild ergeben, sondern
immer in partikularen Vorstellungen hängen bleiben. Diese Partikularilät ist
nach Schleierrnachers Religionsauffassung das charakteristisch jüdische
Moment der Eschatologie und mit dem christlichen Konzept der Universa-
lität unvereinbar. Schleiermacher hat seit seinen "Reden" dieses Gegenüber
von Judentum und Christentum am Phänomen der Weissagung festmachen
können, denn hier stehen die auf einen "Schauplatz ohne Verwickelungen"
berechnete Weissagung des (at 1.) Judentums und der christologische "Gip-
fel" der Weissagung, der zugleich ihr "Ende,,17 ist, zueinander wie Paniku-
14 S. S. 127 Anm. 204 zu Tholuck und bei S. 227 Anm. 157 zu Althaus.
15 S. S. 125 Anm. 197.
16 S. Kap. V.2.2 (S. 247ff.).
17 Zu den Zil:lIen s. S. 61 Anm. 66 bz.w. S. 63 Anm. 70.
00040~ZZ
se an Israel auf Ur- und Endzeit beschränkt?l Man kann vor diesem Hinter-
grund sagen, daß Bubers Einwand gegen eine Zäsur in der Geschichte22
besonders heilsgeschichtlichen Entwürfen von Eschatologie gilt, eben dem
Verständnis einer mit Jesu Kommen angebrochenen höheren Geschichte.
Da Heilsgeschichtliche Theologie aber gerade beim Kommen Jesu, freilich
seinem zukünftig verheißenen Kommen ansetzt, bedeutet Bubers Einwand,
daß die systematische Kernfrage des Konzepts der Heilsgeschichte in der
Klärung der Parusieerwal1ung besteht, besonders in ihrem Bezug auf das
Kommen Jesu in Zeit und Geschichte.
3. Kähler: Metaphorische Rede. Wie die Heilsgeschichtliche Theologie
an Schleiermachers Verheißungskonzept ansetzt, so greift auch Kähler den
neuralgischen Punkt der vorangegangenen Tradition auf. Das ist die Paru·
sieerwal1ung, die für Kähler wie für die Heilsgeschichtliehe Theologie ge-
schichtserschließende Funktion hat, bei jenem aber die heilsgeschichlliche
Stufung nach Person und Natur aufhebt. An ihre Stelle tritt Kählers Kon-
zept einer soterologischen. d.h. an der Person des Messias (Soter) orien-
tierten, Eschatologie, die darum mit dem Messianismus assoziiert werden
kann. 23 Kähler befolgt dabei ein Verfahren eschatologischer Begriffsbil-
dung,24 in dem die erhoffte Zukunft selbst - Kähler spricht vom Überge-
schichtlichen - zugleich Grund und Grenze geschichtlicher Ausrichtung auf
sie (z.B. in Hoffnung oder in Fortschritt) ist und darum an der Geschichte
teilhat und sie doch zugleich übersteigl. 25 Hierin liegt das metaphorische
Potential eschatologischer Rede, so daß sich Kählers Konzept am gebün-
deltsten zeigt in seinem Bibelverständnis und dem Gebrauch von Bildem,26
mit denen er sein Verständnis von Menschheit - im Konzept der Mensch-
heitsreligion, das sich, etwa im Vergleich mit dem Spätwerk H. Cohens, als
besonders einschlägig für die Einstellung zum Judentum herausstellte 27 -
konkretisiert. Kähler positioniert sich damit auch in den einschlägigen
Kontroversen des Untersuchungszeitraums, in denen über die Fronten ver-
schiedener Gestalten des Messianismus hinweg der menschheitliche Hori-
zont und die geschichtliche Konkretion der Zukunftshoffnung das kenn-
zeichnend messianische Moment bilden,28 mag dieses nun auch im einzel-
29 Dies sind die Standpunkte in der Dcbatle zwiS(;hen H. Gollwitzer und G. Scholern (s. S. 20
Anm.25).
30 S. Kap. 1.1. hierS. 16-19. ALTtIAUS (1933) 74 [771 nennt selbst einmal die Eschatologie Je-
su und des Paulus. auf die er sich beruft...wider.apokalyptisch".
31 Erst 1933 versteht Ahhaus Apokalyptik eher einseitig als Vergegenständlichung stall als
Vermischung und setzt dem. ebenso einseitig. eine vergeisligte Eschatologie enlgegen. Ursprüng-
lich galt sein Interesse in charaktcristiS(;hem Unterschied zur Dialektischen Theologie (s. Exkurs 8
[So 214ff.)) gerade dem Problem, wie die Zweideutigkeit der Geschichte angesichls des Eschaton
zu erfassen sei. ohne vercindeutigt zu werden.
32 S. Kap. V.LI (S. 194ff.).
33 S. S. 224 Anm. 145.
34 Diese Frage steckt im Wahmehmungsschema von Geschichte und Eschatologie (5. K:lp.
V.2.1 [So 24Iff.]).
3S Zur Wirklichkeitsfrage im Wahmehmungsschema von Hoffnung und Glaube s. Kap. V.2.2
(S.247ff.).
0004022~
36 S. Kap. 1.3. hier S. 31L und bei S. 26 Anm. 46 zu Baeck bzw. Kap. 1.3, hier S. 32-34 zu
Cohcn.
37 Auch bei den Wahmehmungsschemala (5. Kap. II-Vn) ist das Thema ..Verheißung" in sei-
nen verschiedenen Binnendifferenzierungen SIelS pr'.isenl.
000402<2
38 S. dazu (anhand der Frage von Panikularitäl und Universaliläl) Kap. 11.2.2 (S. 63fT.) mil
Ell;kurs I (5. 64ff.).
395. Exkurs 8 (5. 214ff.) zur Eschatologie in BUlTMANNS Dialeklischer Theologie (Zilal
DERS.jI949J 183).
40 Beides zusammen nimml etwa K. Barlh im Ewigkeilsversländnis aus Bd. 1/1 seiner ..Kirch-
lichen Dogmalik" an. wenn cr die Ewigkeit als die GOlleszeit begreift. welche die Menschenzeit
umgrenzt. indem sie ihr gegenüber überzeitlich und zugleich vor- und nachzeitlich isl. Vgl. dazu
QBL..AU (1988).
000-40222
nung, aber Wirkung dieser Ursache und damit Inhalt dieser Hoffnung ist
nur die Erfüllung: Christliche Zukunftshoffnung hätte demnach im letzten
Sinne alles zu erwarten, nur keine Verheißung, die Verheißung selbst wäre
kein Eschaton, sondern als Ursache, die der Wirkung notwendig vorangeht.
eine sub specie aetemitatis vergangene Größe. Dies widerspricht aber schon
der sprachlichen Struktur von Verheißung, denn bereits der Ausdruck be-
rührt ja wie gesehen Ewigkeit und Zeit, Hoffnungsgut und Hoffnung glei-
chennaßen. Gegen ein lineares Zeitverständnis muß daher ein eschatologi-
sches Konzept von Zeit betonen, daß die Verheißung eine bleibend zukünf-
tige Größe ist; sie ist nicht nur Ursache der Zukunftshoffnung, sondern auch
deren Sache, ihr Grund und ihr Gehalt. Die Verheißung, so ergibt sich aus
unseren Überlegungen, ist nicht erst durch die Erfüllung vollwertig ge-
macht,41 das Begriffsgespann von "Verheißung und Erfüllung" ist zu erset-
zen durch die Korrelation von .,zukunft und Verheißung".42
Was diese Entkoppelung der Verheißung von ihrem vermeintlichen Kor-
relat der Erfüllung bedeutet, wird wiederum vom Thema "Zeit und Ewig-
keit" her klar. Setzt die Verheißung nämlich Zeit und Ewigkeit ins Verhält-
nis, dann verbindet sie menschliches Hoffen mit der Zukunft Gottes, dann
ist Verheißung kein bloßer Redemodus, sondern verbindet zeitliche und
ewige Gestalt der Zukunft Gones, die Verheißung ist also ein im wörtlichen
Sinne theo-Iogisches Konzept. Dieses Verständnis der Zeit aufgrund der
Verheißung ist nicht auf die Alternative festgelegt, die Zeit entweder onto-
theologisch aus einem Begriff von Ewigkeit Gottes abzuleiten oder subjek-
tivitätstheoretisch als Produkt der Verstandestätigkeit des Ich zu begrün~
den,4 3 sondern kann einen differenzierten Zusammenhang von göttlicher
44
und menschlicher Beteiligung am Verheißungsgeschehen annehmen. Der
Grund menschlicher Zukunftshoffnung ist dann - im Unterschied zu einem
linearen Kausaldenken, für das die Ursache der Wirkung vorangehen muß-
die Zukunft selbst, nämlich das Kommen Gottes zu den Menschen und sei-
ner Schöpfung, das sich in Gestall seiner Verheißung vollzieht. Wenn Gott
nach refonnatorischer Anschauung mit den Menschen nicht anders handeIl
als durch Wort und Glauben, dann charakterisiert das Verheißungswort, auf
das hin der Glaube glaubt, Golles Handeln an den Menschen. Verheißung
ist de"",ach ein Begriff. der ebenso wie das erinnerte vergangene lind das
gegenwärtig eifahrene auch das zukünftig erhoffte Handeln Gottes ken,,·
zeichnet und nicht etwa eschatologisch von einem damit zu kontrastieren-
den Elfü//ungshandeln abgelöst wird. Mit diesen Erwägungen ist keines-
wegs behauptet, daß die Verheißung sich selbst genüge und nicht etwa über
sich hinausweise; im Gegenteil ist die Verheißung ihrem Wesen nach Ver-
weisung über sich hinaus. Allein worauf sie verweist, wäre als Erfüllung
nicht nur linear gedacht, sondern auch losgelöst vom verheißenden Gott
selbst. Daß jede Verheißung über sich hinausweist, beruht aber ja darin, daß
sie eben auf nichts anderes als Gott verweist. Das Thema der Verheißung
geht an diesem Punkt über in das andere nach der metaphorischen Rede-
form von Verheißung, die durch eben diese Art von Verweisungszusam-
45
menhang gekennzeichnet ist. Besonders konzentriert drückt sich dieser
Zusammenhang von Gott und Verheißung aus, wenn Jesus Christus im
Neuen Testament das Ja Goues zu seinen Verheißungen genannt wird
(2 Kor 1,20).
2. Okumenischer Ertrag eines eschatologischen Zeitverständnisses. Mit
diesen Überlegungen zum Thema "Zeit und Ewigkeit" ist ein zentraler
Punkt des gegenwärtigen christlich-jüdischen Gesprächs getroffen, denn
auch hier plädieren mit z.B. Wolfhart Pannenberg, Jürgen Mollmann und
Friedrich-Wilhelm Marquardt gewichtige Stimmen für ein eschatologisches
46
Zeitverständnis. Zugrunde liegt auch hier die Einsicht, daß die Verhei-
ßung selbst als erfüllte nicht, wie die israeltheologische SubstiWlionstheorie
annahm, abgegolten und gleichsam erledigt ist. Vielmehr bringe das über-
bordende Hoffnungspotcntial, wie es Israel in den Verheißungen des Alten
47
Testaments gegeben ist, einen "Überschuß" über jede Erfüllung. Escha-
tologie als Lehre von der Verheißung handelt daher von "zukunftsweisen-
den Erinnerungen" und geschieht materialiler als Wiederholung der Ge-
schichte Israels. 4 & Wiederholung bedeutet hier jedoch keine Repetition, die
für die Zukunft nichts Neues unter der Sonne erwarten ließe, sondern heißt,
die im Lauf der Geschichte "verhinderten Möglichkeiten" in ihrer unver-
brauchten Potentialität, wie sie im Hoffnungspotential des alttestamentli-
chen Verheißungsüberschusses gegeben ist, wieder an die Oberfläche zu
49
holell, so daß sie "ständig diese Weh in Frage" stellen. Zeittheoretisch
werden daher der Vorrang der Zukunft und deren Neuheit gegenüber den
geschichtlichen Gegebenheiten betont. 50 Diese Zukunft sei, wie im An-
schluß an die frühjüdische Apokalyptik und ihre Auffassung vom "Ende"
gesagt wird, der geschichtlichen Wirklichkeit selbst nur ausnahmsweise auf
dem Wege der Antizipation zugänglich: 51 indem nämlich das Wirkliche
sich durch das Mögliche, durch das, was auch anders und wie es auch an-
ders sein könnte, hinterfragen läßt. Tatsächlich ist die Möglichkeit die
Schlüsselkategorie solcher Konzeptionen, und zwar nicht die kantische
Modalkategorie im Unterschied zu Wirklichkeit und Notwendigkeit, son-
dern M. Heideggers Konzept der Möglichkeit: Sie ist gegenüber der Wirk-
lichkeit "die ursprünglichste und letzte positive ontologische Bestimmung
des Daseins", das eigentlich in ihm "Vermögend-Mögende". Denn sie ist
nicht der normativen Kraft des Faktischen unterworfen und kann darum
gerade angesichts des Geschichlslaufs und gegen ihn als das Wahre angeru-
fen werden - mit der Pointe, daß die so mit der Wahrheit verknüpfte Mög-
lichkeit gar nicht auf Verwirklichung zielt, wie dies noch in dem traditio-
nellen, problematischen Begriffsgespann von Verheißung und Erfüllung der
Fall iSt. 52
48 Vgl. die Vorstellung der Pesachhaggada. daß die Generation jeder Sederfeier mit der des
Exodus yerschmilzt. So auch Marquardt und MOLTMANN (Zitat OERS. [1989J 40 [dort kursiv)).
49 Diesen gesellschaftskritischen Akzent setzt MOLTMANN (1964) 247.149 (Zitate).
50 Z.B. MARQUARl>T (1993196) 1.73ff. in der Rehabilitation des Lohngedankens: MOLTMANN
(1995) 42f. mit der Unterscheidung von Futur und Adyent.
51 Der Antizipationsgedanke ist zentrnI rur MOLThlANN. der ihn 3.3.0. 44 am Sabbat als einer
rhythmisch wiederkehrenden .• Vorwf'8!1tlhme der messianischen Zeit' (Äonenzeit) entfaltet. und
rur PANNENBERG (1961) 96.103. dcr mit der jüdischen Apokalyptik das Ende der Zeit als Offenba-
rung ihres Gesamlsinns versteht, den historische Ereignisse vorwegnehmen könnten: vgl. DERS.
(1988193) 111,692.694 zum ,.sichzuyorkommen" Gones.
52 Zitate HEIDEGGER (1927) 143f.: DERS. (1946) 8. Dieses MöglichkeilSkonzept versteht
E. JONGEL (1971) eschatologisch, wcnn er die Auferstehung als "Verewigung gelebtcn Lebens"
(a.a.O. 160) versteht: sie holt LebensffiÖglichkeiten wieder (DERS. 11977J 292 Anm. 58). Auch
solches Reden von ..Wieder.Holung" geht. wie KLAPPERT (1995) 55 ftir Marquardt 7.eigt. auf Hei-
degger zurück. Der einhergehende Akzent auf der Wahrheit stall der Wirklichkeit trifft dabei we-
niger rur Marquardt und Mollmann zu. spricht aber aus der Metaphemtheorie von JONGEL (1974)
und schlägt sich bei dessen Schüler Mencke nieder im Begnügen bei der historischen Möglichkeit
der Glaubenstlltsachen (5. S. 158 Anm. 112): ebenso PANNENBERGS rein wisscnssoziologischcs
Verständnis der Historizität etwa von Ostern (DERS. 119641 95).
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Dies kann freilich dazu führen, daß das Eschaton, nunmehr als Bewahr-
heilung (Verifikation) der Geschichte begriffen, zugleich als Ende einer
linearen Zeit verstanden werden muß, weil sonst mit der Geschichte kein
abgeschlossener Gegenstandsbereich vorläge, wie ihn eine Verifikation
voraussetzt. B Auch wenn die Eschatologie als Wieder-Holung von Mög-
lichkeiten in Entsprechung zur Protologie gedacht wird, ergibt sich ein re-
stitutives (zyklisches) Zeitverständnis, das mit dem grundsätzlich ange-
nommenen Vorrang der Zukunft jedenfalls in Konnikt steht. 54
Im Unterschied dazu verstehe ich im Rahmen eines eschatologischen
Zeitverständnisses die erhoffte Verheißung weder vom Primat der Wahrheit
noch der Möglichkeit her, sondern als eine Wirkljchkeit, nämlich die Wirk-
lichkeit des verheißenden Goues selbst. Es gehl in Auseinandersetzung mit
der berechtigten israellheologischen Kritik an der Vorstellung von Erfül-
lung als Verwirklichung der Verheißung nicht darum, die Dimension der
Wirklichkeit in die Wahrheit auf- oder untergehen zu lassen und dieser so
den Realitätsbezug zu verstellen, sondern darum, zur Geltung zu bringen,
daß GOIl selbst in der Verheißung zu den Menschen kommt und darum in
diesem Kommen. seiner Zukunft, selbst ihre letzte und tragende Wirklich-
keit ist. ln diesem menschheitlichen Horizont sind auch Christentum und
Judentum miteinander verbunden - in einer Weise freilich, die der folgende
Unterabschnitt weiter zu klären hat.
mel fahren sehen" (Apg I, I I), kommen werde. trim keine Aussage über
den Modus der Wiederkehr, sondern hält die Identität des Kommenden mit
dem Gekommenen fest. 55 Die christliche Parusiehoffnung erwartet, in dem
Kommenden den zu erkennen, zu dem sie sich bekennt. Auf diesen Zu-
sammenhang von Bekenntnis und Erkenntnis zielt womöglich auch die
zweimalige Schilderung der Himmelfahrt durch den Evangelisten Lukas:
Die erste mündet in das anbetende Bekenntnis zum Gekommenen (Lk
24,52f.), die zweite in die Zusage der Erkenntnis des Kommenden (Apg
I, I I). Auch die für neuzeitliches Denken befremdlichen Auslassungen tra-
ditioneller Eschatologie darüber, unter welchen kosmischen Begleitumstän-
den die Parusie zu denken ist, sollen diese ja gar nicht als physikalisch
"möglich" erweisen, sondern wollen erklären, wie der Kommende sich al-
len Menschen als Christus zu erkennen geben kann. Daß dies aber der Dis-
kussion bedarf, zeigt, wie wenig selbstverständlich es der eschatologischen
Tradition scheint, daß die Menschen den Kommenden als den erkennen
werden, den sie kennen und bekennen. Die Parusie ist demnach nicht als
Bewährung oder Bewahrheitung (Verifikation) des Glaubens zu verstehen,
auch nicht in dem bloß umgekehrten Sinne, daß die Parusie, etwa im Inter-
esse einer produktiven Aufnahme des jüdischen Neins zu Christus als dem
Messias,56 verstanden würde als der Lackmustest (Falsifikation), der den
christlichen Glauben nachträglich als wahr oder falsch erwiese. In beiden
Fällen würde an die Parusievorstel1ung das klassische Wahrheitskriterium
der Adäquation (adaequatio rei et intellectus) wie eine Meßlatte von außen
angelegt; es ist aber der Wirklichkeit der Parusie nicht adäquat, weil es vor-
aussetzt, daß die eschatologisch verheißene Erkenntnis Christi den Glauben
in ein Wissen im mechanischen Sinne "überführt" wie die Gebeine eines
Heiligen, ohne daß der Glaube selbst davon berührt wäre. Dies widerspricht
aber dem Wesen des Glaubens, dessen grundlegende Frucht, seine "Äuße-
rung" am Glaubenden. ja nach der refonnatorischen Rechtfertigungstheolo-
gie die Heilsgewißheit (certitudo) ist;51 und die kann im Unterschied zu ei-
nem Wissen (securitas) nicht bei sich bleiben, ja sie muß ganz von sich ab-
55 Im rabbinischen Judentum kann der Modus der erhofften Parusie des Messias mit dem des
Handeins der Hoffenden verbunden werden: Zeigt sich Israel würdig. so kommt der Messias mil
den Wolken des Himmels: zeigt es sich unwürdig. so kommt er auf einem Esel.
56 Dieses lnleresse machen 7..8. MARQUARDT (1977) 311 und (mit Zitat davon) MOLTMANN
(1989) 52 gellend.
57 So KÄllLER (1905) 428 (§§ 497f.). Die Allemalive. Heilsgewißhcil im ZusammenhliIlg der
Prädestioalionslehre zu behandeln und als Frucht des Glaubens vielmehr die Liebe hervorzuheben.
eröffnet dagegen eine lineare Gcfalls(recke von der Christologie über die Ethik zur Eschalologie
(vgl. WEBER 11955/62111.352 zu Gal 5.6).
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sehen und auf Gottes Verheißung blicken - und wird genau darin ihrer
selbst gewiß. Anstalt also dem menschlichen Bekenntnis das göttliche Sie-
gel der Erkenntnis aufzuprägen, "überführt" die Parusie den Glauben in
einem ganz anderen, rechtfertigungstheologischen Sinne: sie überführt ihn
nämlich des unhintergehbaren ErkannlSeins 58 durch Gott (I Kor 13,12), das
Paulus so erklären kann, ..daß Christus für uns gestorben ist, als wir noch
Sünder waren" (Röm 5,8); und in diesem Zusammenhang ist die menschli-
che Erkenntnis des kommenden Christus zugleich Sündenerkenntnis und
das Bekenntnis zu ihm zugleich Sündenbekenntnis. Beide sind aber, wie
Paulus mit seiner Schilderung des Lebens unter dem Gesetz in der Retro-
spektive des Lebens aus der Gnade sagt (Röm 7