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4 Die Informationswirtschaft

Gegenstand der Informationswirtschaft ist die Gestaltung und Bewältigung der vielfältigen,
in allen Bereichen des Unternehmens auftretenden Informationsflüsse, die zum großen Teil
mithilfe der automatisierten Datenverarbeitung abgewickelt werden. Informationen dienen
insbesondere der Abbildung von betrieblichen Vorgängen und der von ihnen ausgelösten
Geld- und Güterflüsse, der zum Teil gesetzlich vorgeschriebenen Dokumentation von Sach-
verhalten sowie der Fundierung von Entscheidungen. Neben der Buchführung (Abschnitt
4.1), der Bilanzierung (Abschnitt 4.2), der Kostenrechnung (Abschnitt 4.3) und dem Control-
ling (Abschnitt 4.4) als den verschiedenen Teilbereichen des Rechnungswesens zählt der in
Abschnitt 4.5 behandelte Einsatz von Informationssystemen zu den Aufgaben der Informati-
onswirtschaft.

4.1 Buchführung
Die Buchführung ist der Teil des Rechnungswesens, der die durch die betrieblichen Tätigkei-
ten ausgelösten Geld- und Güterströme zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt
zahlenmäßig erfasst und abbildet. Jedes Unternehmen, das die Kaufmannseigenschaft nach
§§ 1ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) besitzt, ist nach § 238 HGB zur Buchführung ver-
pflichtet:
„Jeder Kaufmann ist verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsge-
schäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Buchführung ersichtlich zu machen.“
Darüber hinaus müssen sämtliche Gewerbetreibenden – auch unabhängig von der Kauf-
mannseigenschaft – aufgrund von steuerrechtlichen Bestimmungen in der Abgabenordnung
(§§ 140, 141 Abgabenordnung) ab einem bestimmten Geschäftsvolumen Bücher führen und
Aufzeichnungen über ihre Geschäfte vornehmen.
Am Anfang der Buchführung eines Geschäftsjahrs stehen die als Inventur bezeichnete Be-
standsaufnahme von Vermögen und Schulden des Unternehmens sowie die darauf aufbauen-
de Erstellung des Inventars (Abschnitt 4.1.1). Aus dem Inventar wird die Eröffnungsbilanz
abgeleitet. Diese wird in Konten aufgelöst (Abschnitt 4.1.2), auf denen die während eines
Geschäftsjahrs anfallenden Geschäftsvorfälle nach bestimmten Regeln durch Buchungsvor-
gänge (Abschnitt 4.1.3) festgehalten werden. Am Ende eines Geschäftsjahrs erfolgt der Ab-

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schluss sämtlicher Konten. Neben der Abschlussbilanz wird die Gewinn- und Verlustrech-
nung (Abschnitt 4.1.4) aufgestellt, die den vom Unternehmen erwirtschafteten Erfolg aus-
weist.

4.1.1 Inventur und Inventar


Jeder Kaufmann ist weiter dazu verpflichtet, einmalig bei der Aufnahme seiner Geschäftstä-
tigkeit und danach regelmäßig zum Schluss eines Geschäftsjahrs ein als Inventar bezeichne-
tes Verzeichnis seiner Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufzustellen. Das Ge-
schäftsjahr muss nicht mit dem Kalenderjahr identisch sein, es kann im Prinzip an jedem
beliebigen Kalendertag beginnen. Bei den meisten Unternehmen endet das Geschäftsjahr am
31.12. jeden Jahres, es gibt jedoch auch eine Reihe von Abweichungen, die zum Teil histo-
risch begründet sind, zum Teil aus Markterfordernissen resultieren. So endet z.B. das Ge-
schäftsjahr der ThyssenKrupp AG am 30.09. jeden Jahres.
Den Ausgangspunkt bei der Aufstellung des Inventars bildet die Inventur. Darunter versteht
man die genaue, auf einen bestimmten Stichtag bezogene, art- und mengenmäßige Bestands-
aufnahme der im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände und Schulden. Bei
Sachgütern sind ihre Bestandsmengen durch Zählen, Messen und Wiegen zu erfassen, so
dass ein Abgleich mit den Buchwerten möglich ist. Bei immateriellen Vermögensgegenstän-
den, Forderungen und Verbindlichkeiten wird ihr buchhalterischer oder kontenmäßiger Be-
stand festgehalten.
Die Grundform der Inventur ist die Stichtagsinventur, die im Prinzip als körperliche Be-
standsaufnahme für sämtliche im Unternehmen vorhandenen Güter erfolgen muss. Da die
Durchführung dieser Tätigkeiten mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden ist, der
vielfach einen geregelten Geschäftsbetrieb unmöglich macht, darf bei der ausgeweiteten
Stichtagsinventur die Bestandsaufnahme innerhalb einer Zeitspanne von jeweils 10 Tagen
vor und nach dem Stichtag erfolgen. Weitere Erleichterungen bieten die permanente Inven-
tur, bei der die Bestandsentwicklung über ein Warenwirtschaftssystem ständig erfasst und
der Bestand jeder Position mindestens einmal jährlich mit dem Buchwert abgeglichen wird,
und die Stichprobeninventur, bei der anerkannte statistische Stichprobenverfahren eingesetzt
werden und nur ein Teil der Bestände körperlich erfasst werden muss.
Die in den Inventurlisten zusammengestellten Bestände werden anschließend bewertet und
mit ihren Mengen und Werten in einem als Inventar bezeichneten Verzeichnis geordnet auf-
gelistet. Dabei werden zunächst die Vermögensgegenstände nach steigender Liquidität ange-
geben und anschließend die Schulden nach Fälligkeit angeordnet. In Abb. 4.1 ist ein Beispiel
für den Aufbau eines Inventars angegeben. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit kann das
Inventar lediglich die Summen der verschiedenen Positionen enthalten und auf separate
Übersichten, z.B. Inventurlisten, verweisen, in denen die einzelnen Posten detailliert aufge-
führt sind.

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4.1 Buchführung 187

A. Vermögen
I. Anlagevermögen
1. bebaute Grundstücke
2. unbebaute Grundstücke
3. Maschinen
4. Fuhrpark
5. Betriebs- und Geschäftsausstattung
II. Umlaufvermögen
1. Rohstoffe
2. Hilfsstoffe
3. Betriebsstoffe
4. Unfertige Erzeugnisse
5. Fertigerzeugnisse
6. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
7. Guthaben bei Banken
8. Kassenbestand

B. Schulden
I. Langfristige Schulden
1. Hypothekenschulden
2. Darlehensschulden
II. Kurzfristige Schulden
1. Verbindlichkeiten ggü. Kreditinstituten
2. Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
III. Sonstige Verbindlichkeiten

Abb. 4.1 Inventar

4.1.2 Bilanzen und Konten


Aus dem üblicherweise wie in Abb. 4.1 in Staffelform aufgestellten Inventar wird die Bilanz
abgeleitet. Die Bilanz ist eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung von Vermögen und
Schulden des Unternehmens in Kontenform. Die Vermögenswerte werden auf der als Aktiv-
seite bezeichneten linken Bilanzseite eingetragen, die Schulden bzw. Verbindlichkeiten auf
der als Passivseite bezeichneten rechten Bilanzseite. Die Bilanz verdeutlicht somit, inwieweit
die Verbindlichkeiten des Unternehmens durch die vorhandenen Vermögensgegenstände
abgedeckt sind.
Wie bereits in Abschnitt 3.3 erläutert, wird die Mittelherkunft aus verschiedenen Maßnah-
men der Eigen- oder Fremdfinanzierung auf der Passivseite der Bilanz und die Mittelver-
wendung in Form von Investitionen in das Anlage- oder Umlaufvermögen auf der Aktivseite
dargestellt. Eine Bilanz muss stets ausgeglichen sein, d.h. es muss die folgende Bilanzglei-
chung gelten:

 Aktiva   Passiva
Da bei einem solventen Unternehmen üblicherweise der Wert der Vermögensgegenstände
größer ist als die Summe der Verbindlichkeiten, kann die aus dem Inventar abgeleitete Bi-
lanz zunächst noch nicht ausgeglichen sein. Um die Bilanz zum Ausgleich zu bringen, wird

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daher auf der Passivseite das Eigenkapital des Unternehmens hinzugefügt, das sich rechne-
risch als Differenz aus Vermögen und Schulden ergibt. Dieser Zusammenhang ist in Abb.
4.2 dargestellt.

Bilanz
Aktiva Passiva

Eigenkapital

Vermögen
Verbindlichkeiten

Abb. 4.2 Bilanz

Abb. 4.3 zeigt die Grundstruktur einer Handelsbilanz, wie sie in § 266 HGB für kleine Kapi-
talgesellschaften vorgeschrieben ist. Sie beschränkt sich auf die wichtigsten Bilanzpositio-
nen. Bei mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften (zur Definition der Größenklassen
vgl. Abschnitt 1.1.2) müssen die einzelnen Bilanzpositionen zum Teil noch weiter unterglie-
dert werden. Grundsätzlich gilt, dass die Aktivseite der Bilanz nach zunehmender Liquidität
und die Passivseite nach abnehmender Nähe zum Eigenkapital gegliedert ist.

Aktiva Passiva
A. Anlagevermögen A. Eigenkapital
I. Immaterielle Vermögensgegenstände I. Gezeichnetes Kapital
II. Sachanlagen II. Kapitalrücklage
III. Finanzanlagen III. Gewinnrücklagen
B. Umlaufvermögen IV. Gewinnvortrag / Verlustvortrag
I. Vorräte V. Jahresüberschuss / Jahresfehlbetrag
II. Forderungen und sonstige B. Rückstellungen
Vermögensgegenstände C. Verbindlichkeiten
III. Wertpapiere D. Rechnungsabgrenzungsposten
IV. Zahlungsmittel E. Passive latente Steuern
C. Rechnungsabgrenzungsposten
D. Aktive latente Steuern
E. Aktiver Unterschiedsbetrag aus der
Vermögensverrechnung

Abb. 4.3 Grundstruktur einer Handelsbilanz

Neben der Handelsbilanz muss eine Steuerbilanz erstellt werden, die die Grundlage für die
Besteuerung des Unternehmens bildet. Für den handelsrechtlichen Jahresabschluss findet

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4.1 Buchführung 189

dann eine Korrektur um die Sachverhalte statt, die nach Handels- und Steuerrecht unter-
schiedlich behandelt werden.
Um die laufenden Geschäftsvorfälle zu erfassen, wird die Bilanz in Konten aufgelöst. Ein
Konto ist ein zweiseitiges Rechenschema, in dem Bestands- oder Stromgrößen in sachlich
geordneter Weise aufgeführt werden. Dadurch lässt sich jederzeit der Saldo eines Kontos als
Differenz der beiden Kontenseiten ermitteln. Die linke Seite eines Kontos wird als Sollseite
und die rechte Seite als Habenseite bezeichnet.
Als Beispiel für ein Konto ist in Abb. 4.4 ein Kassenkonto angegeben, auf dem im Laufe
eines Quartals mehrere Ein- und Auszahlungen verbucht worden sind. Der aus der Bilanz
übernommene Anfangsbestand und die laufenden Einzahlungen sind auf der Sollseite des
Kassenkontos in chronologischer Reihenfolge verbucht, die Auszahlungen entsprechend auf
der Habenseite, auf der sich auch der Saldo als der Endbestand des Kontos ergibt. Zum
31.03. wird das Konto abgeschlossen, indem der Saldo gebildet wird. Der Saldo ergänzt die
betragsmäßig kleinere Kontenseite so, dass das Konto ausgeglichen ist. Da bei dem Konto in
Abb. 4.4 die Summe der Einzahlungen während des betrachteten Quartals größer ist als die
Summe der Auszahlungen, ist auch der Saldo größer als der Anfangsbestand, d.h. der Kas-
senbestand hat sich erhöht.

Kasse
Soll Haben
Anfangsbestand 5.637,28 Auszahlung 05.01. 100,00
Einzahlung 09.01. 750,00 Auszahlung 01.02. 825,75
Einzahlung 17.02. 232,55 Auszahlung 19.02. 352,89
Einzahlung 25.02. 975,00 Auszahlung 22.03. 211,40
Einzahlung 11.03. 1.441,37 Saldo 7.969,72
Einzahlung 19.03. 23,56
Einzahlung 30.03. 400,00
9.459,76 9.459,76

Abb. 4.4 Konto

Das Kassenkonto zählt zu den Aktivkonten, denn der Kassenbestand wird auf der Aktivseite
der Bilanz unter den Zahlungsmitteln ausgewiesen. Bei allen Aktivkonten werden der An-
fangsbestand und die Zugänge auf der Sollseite, die Abgänge und der Endbestand auf der
Habenseite verbucht. Umgekehrt weisen die Passivkonten, die sich aus der Passivseite der
Bilanz ableiten lassen, ihren Anfangsbestand und die Zugänge im Haben und die Abgänge
sowie den Saldo im Soll aus. Ein typisches Passivkonto ist ein Darlehenskonto, auf dem der
am Periodenanfang noch ausstehende Kreditbetrag und die laufenden Tilgungen verbucht
werden. Sein Saldo gibt dann den Kreditbetrag zum Ende der Periode an.

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Neben den Bestandskonten, die sich direkt aus der Bilanz ergeben und auf denen die wäh-
rend des Geschäftsjahrs erfolgenden Zu- und Abgänge bei den entsprechenden Bilanzpositi-
onen verbucht werden, werden Erfolgskonten eingerichtet, auf denen die laufenden Erträge
im Haben und die Aufwendungen im Soll verbucht werden. Ertragskonten werden vor allem
für die Erfassung von Umsatzerlösen eingerichtet, Aufwandskonten z.B. für Löhne, Ab-
schreibungen, Materialkosten, Zinsaufwendungen usw.
Am Ende eines Geschäftsjahrs werden sämtliche Konten abgeschlossen und die Salden
gegengebucht. Während die Salden der Bestandskonten direkt auf das Schlussbilanzkonto
gebucht werden, das als Grundlage für die Erstellung der Schlussbilanz dient, werden die
Salden der Erfolgskonten zunächst auf ein spezielles, als Gewinn- und Verlustrechnung
bezeichnetes Konto gebucht (vgl. Abschnitt 4.1.4). Der Saldo der Gewinn- und Verlustrech-
nung weist den Erfolg aus, den das Unternehmen im Geschäftsjahr erwirtschaftet hat. Sind
die Erträge höher als die Aufwendungen, so liegt positiver Erfolg bzw. ein Gewinn vor, im
umgekehrten Fall ein negativer Erfolg, der als Verlust bezeichnet wird. Bei Personengesell-
schaften wird der Erfolg anteilig zu den bestehenden Beteiligungsverhältnissen direkt auf
den Kapitalkonten der Gesellschafter verbucht. Ein Gewinn bedeutet eine Vermehrung des
Eigenkapitals und ein Verlust eine Eigenkapitalverminderung. Bei Kapitalgesellschaften
hingegen wird der Erfolg als Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag in der Bilanz ausgewie-
sen (vgl. nochmals die Darstellung in Abb. 4.3).
Hinsichtlich der Anzahl und der Bezeichnung der innerhalb der Buchführung einzurichten-
den Konten gibt es keine speziellen Vorschriften. Viele Unternehmen orientieren sich beim
Aufbau ihrer Buchführung an einem Musterkontenrahmen, aus dem sie ihren eigenen Kon-
tenplan entwickeln. Die bekanntesten Kontenrahmen sind der 1986 überarbeitete Industrie-
kontenrahmen (IKR) und der bereits 1950 entwickelte Gemeinschaftskontenrahmen der
Industrie (GKR), daneben gibt es eine Vielzahl von branchenspezifischen Kontenrahmen.
Um die DV-technische Abwicklung der Buchführung zu unterstützen, sind die Kontenrah-
men dekadisch aufgebaut, indem zehn Kontenklassen hierarchisch mit bis zu vier- oder
fünfstelligen Kontennummern unterteilt werden. Die Kontenklassen im Industriekontenrah-
men lauten:
Klasse 0: Immaterielle Vermögensgegenstände und Sachanlagen
Klasse 1: Finanzanlagen
Klasse 2: Umlaufvermögen und aktive Rechnungsabgrenzung
Klasse 3: Eigenkapital und Rückstellungen
Klasse 4: Verbindlichkeiten und passive Rechnungsabgrenzung
Klasse 5: Erträge
Klasse 6: Betriebliche Aufwendungen
Klasse 7: Weitere Aufwendungen
Klasse 8: Ergebnisrechnungen
Klasse 9: Kosten- und Leistungsrechnung
Dieser Kontenrahmen ist nach dem Prinzip der Abschlussorientierung aufgebaut, d.h. er
erleichtert die Erstellung des Jahresabschlusses. Dies kommt darin zum Ausdruck, dass Ak-
tivkonten (Klassen 0, 1 und 2), Passivkonten (Klassen 3 und 4), Ertragskonten (Klasse 5) und

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4.1 Buchführung 191

Aufwandskonten (Klassen 6 und 7) streng voneinander getrennt sind. In der Kontenklasse 8


werden die Abschlussbuchungen durchgeführt, die Kontenklasse 9 dient der Verknüpfung
der Buchführung mit der in Abschnitt 4.3 dargestellten Kosten- und Leistungsrechnung.

4.1.3 Buchungen
Durch die betriebliche Tätigkeit werden Geschäftsvorfälle ausgelöst, die aufgrund der Buch-
führungspflicht des Unternehmens zeitnah, chronologisch und ordnungsgemäß zu erfassen
sind. Grundlage jeder Buchung ist ein Beleg, aus dem die wesentlichen Daten des Geschäfts-
vorfalls – Datum, Betrag, Vorgang, Geschäftspartner usw. – hervorgehen. Zur Dokumentati-
on der Vollständigkeit und zur Verbesserung der Übersichtlichkeit werden die Belege fort-
laufend nummeriert. Neben von außen stammenden Belegen, z.B. Rechnungen, Quittungen,
Lieferscheinen, Kontoauszügen, kann es sich auch um vom Unternehmen selbst erstellte
Belege (Eigenbelege) handeln, z.B. Lohnlisten, Anlagenspiegel, Umbuchungsbelege. Die
Buchhaltung wird in der Regel elektronisch mithilfe von Standardprogrammen, z.B. von
DATEV oder SAP, durchgeführt.
Die Buchung wird als Buchungssatz formuliert, wobei zuerst das im Soll berührte Konto und
dann das im Haben berührte Konto genannt wird. So wird der Eingang eines Betrags, der
zuvor einem Kunden für eine Lieferung in Rechnung gestellt wurde, auf dem Bankkonto wie
folgt verbucht:
Bankkonto an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen
Da das Bankkonto ein Aktivkonto ist, wird der Zugang des Betrags dort im Soll verbucht.
Durch die Zahlung der Rechnung erlischt die Forderung an den Kunden, d.h. auf dem eben-
falls der Aktivseite der Bilanz zugehörigen Forderungskonto findet ein Abgang statt, der im
Haben verbucht wird.
In Abhängigkeit davon, welche Arten von Konten durch eine Buchung verändert werden,
lassen sich anhand ihrer Auswirkungen auf die Bilanz vier Grundtypen von Geschäftsvorfäl-
len unterscheiden:

1. Aktivtausch
Bei einem Aktivtausch findet eine Vermögensumschichtung zwischen zwei Aktivpositionen
statt. Der Bestand eines Aktivkontos wird um einen bestimmten Betrag erhöht und der eines
anderen entsprechend vermindert. Dadurch verändert sich die Zusammensetzung der Aktiv-
seite der Bilanz bei gleich bleibender Bilanzsumme. Ein Aktivtausch liegt z.B. bei den fol-
genden Geschäftsvorfällen vor:
 Barverkauf von Waren: Es erfolgt ein Zugang bei dem Kassenkonto und ein Abgang bei
dem Warenkonto. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Kasse an Warenvorräte

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 Einreichung eines Schecks auf das Bankkonto: Es erfolgt ein Zugang bei dem Bankkonto
und ein Abgang bei der Position Schecks. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Bankkonto an Schecks
 Abhebung vom Bankkonto: Es erfolgt ein Zugang bei dem Kassenkonto und ein Abgang
beim Bankkonto. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Kasse an Bankkonto

2. Passivtausch
Ein Passivtausch bedeutet eine Umstrukturierung auf der Passivseite der Bilanz, d.h. einen
Wechsel zwischen verschiedenen Finanzierungsarten, z.B. zwischen langfristiger und kurz-
fristiger Finanzierung. Einem Zugang bei einem Passivkonto steht ein gleich hoher Abgang
bei einem anderen Passivkonto gegenüber. Wie beim Aktivtausch bleibt auch hier die Bi-
lanzsumme unverändert. Beispiele für einen Passivtausch sind:
 Umbuchung der Gewinnbeteiligung eines Kommanditisten: Es findet ein Zugang auf dem
Kapitalkonto des Kommanditisten und ein Abgang bei der Position Bilanzgewinn statt.
Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Bilanzgewinn an Einlage XY
 Umwandlung eines Kontokorrentkredits in ein langfristiges Darlehen: Es erfolgt ein
Zugang bei dem Konto Darlehen und ein Abgang bei dem Kontokorrentkonto. Der zuge-
hörige Buchungssatz lautet:
Kontokorrent an Darlehen
 Zahlung an einen Lieferanten mittels Wechsel: Es erfolgt ein Zugang bei der Position
Wechselverbindlichkeiten und ein Abgang bei der Position Verbindlichkeiten aus Liefe-
rungen und Leistungen. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen an Wechselverbindlichkeiten

3. Bilanzverlängerung
Bei einer Bilanzverlängerung findet sowohl auf der Aktiv- als auch auf der Passivseite der
Bilanz ein Zugang statt. Damit steigt die Bilanzsumme auf beiden Seiten um den gleichen
Betrag, die Bilanzgleichung gilt damit weiterhin. Beispiele für eine Bilanzverlängerung sind:
 Kauf einer Maschine auf Ziel: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition Maschinen
und bei der Passivposition Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Der zuge-
hörige Buchungssatz lautet:
Maschinen an Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen
 Aufnahme eines langfristigen Bankdarlehens: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition
Bank und bei der Passivposition langfristige Darlehen. Der zugehörige Buchungssatz lau-
tet:
Bank an langfristige Darlehen

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4.1 Buchführung 193

 Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen: Es erfolgt ein Zugang bei der Aktivposition Kasse
und bei der Passivposition Eigenkapital. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Kasse an Eigenkapital

4. Bilanzverkürzung
Ein Geschäftsvorfall, der zu einer Bilanzverkürzung führt, bewirkt einen gleich hohen Ab-
gang auf der Aktiv- und der Passivseite der Bilanz und damit eine entsprechende Verminde-
rung der Bilanzsumme. Beispiele für eine Bilanzverkürzung sind:
 Zahlung einer Tilgungsrate für ein langfristiges Darlehen über das Bankkonto: Es erfolgt
ein Abgang bei der Aktivposition Bank und bei der Passivposition langfristige Darlehen.
Der zugehörige Buchungssatz lautet:
langfristige Darlehen an Bank
 Bareinlösung eines von einem Lieferanten bei Fälligkeit vorgelegten Wechsels: Es erfolgt
ein Abgang bei der Aktivposition Kasse und bei der Passivposition Wechselverbindlich-
keiten. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Wechselverbindlichkeiten an Kasse
 Ausschüttung von Dividende: Es erfolgt ein Abgang bei der Aktivposition Bank und bei
der Passivposition Jahresüberschuss. Der zugehörige Buchungssatz lautet:
Jahresüberschuss an Bank
Neben diesen einfachen Buchungssätzen sind auch zusammengesetzte Buchungen möglich,
bei denen auf der Soll- und/oder Habenseite mehrere Konten angesprochen werden. Die
übliche Bezeichnung der Buchführung als „doppelte Buchführung“ rührt daher, dass die
Verbuchung jedes Geschäftsvorfalls mindestens zwei Konten berührt, davon mindestens eins
im Soll und mindestens eins im Haben. Die Summe der bei einer Buchung im Soll bzw. im
Haben verbuchten Beträge muss stets gleich hoch sein.

4.1.4 Gewinn- und Verlustrechnung


Die Gewinn- und Verlustrechnung dient der Ermittlung des Erfolgs, den das Unternehmen
innerhalb des Geschäftsjahrs erwirtschaftet hat. Der Begriff Erfolg wird in diesem Zusam-
menhang als Oberbegriff für Gewinn und Verlust bzw. für Erträge und Aufwendungen ver-
wendet.
 Erträge entstehen in erster Linie durch die Erzeugung der betrieblichen Leistung, sie
werden durch den Verkauf von Endprodukten, Zwischenprodukten, Handelswaren oder
Dienstleistungen realisiert. Weitere Erträge resultieren aus Zinseinnahmen, Ausschüttun-
gen aus Wertpapieranlagen oder Mieteinnahmen. Als neutralen Ertrag bezeichnet man
solche Erträge, die nicht in direktem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ste-
hen, z.B. einen Spekulationsgewinn beim Verkauf von Wertpapieren.

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194 4 Die Informationswirtschaft

 Aufwendungen fallen beim Einsatz von Gütern und Dienstleistungen im betrieblichen


Umsatzprozess an, z.B. in Form von Materialaufwand, Lohn- und Gehaltszahlungen, So-
zialaufwendungen, Abschreibungen, Mieten, Versicherungen oder Steuerzahlungen. Ne-
ben diesen betrieblich veranlassten Aufwendungen gibt es die neutralen Aufwendungen,
die betriebsfremd, periodenfremd oder außerordentlich sind, z.B. eine Spende, eine
Nachzahlung für Strombezug im letzten Geschäftsjahr oder die Reparatur eines durch
Blitzschlag beschädigten Gebäudes.
Für jede Ertrags- und Aufwandsart wird ein separates Konto eingerichtet, auf dem während
des gesamten Geschäftsjahrs die anfallenden Geschäftsvorfälle verbucht werden. Im Gegen-
satz zu den aus der Bilanz hervorgegangenen Bestandskonten werden diese Konten als Er-
folgskonten bezeichnet, sie werden ohne Anfangsbestand eröffnet. Grundsätzlich werden auf
Ertragskonten nur Habenbuchungen und auf Aufwandskonten nur Sollbuchungen vorge-
nommen, eine Ausnahme bilden Stornobuchungen, durch die eine falsche Buchung korrigiert
wird. Beispiele für Erfolgsbuchungen sind:
 Die Bank schreibt Zinsen aus einem Festgeld auf dem Bankkonto gut. Der Buchungssatz
lautet:
Bank an Zinsertrag
 Am Monatsende erfolgt die Überweisung der laufenden Lohn- und Gehaltszahlungen
sowie der Sozialversicherungsbeiträge für die Mitarbeiter vom Bankkonto. Dieser zu-
sammengesetzte Buchungssatz lautet:
Löhne
Gehälter
Sozialaufwand an Bank

Löhne
Soll Haben
Januar 10.500,83 Saldo 138.258,22
Februar 9.275,14
März 10.500,83
April 10.150,37
Mai 10.500,83
Juni 10.150,37
Juli 15.226,25
August 10.500,83
September 10.150,37
Oktober 10.500,83
November 20.300,74
Dezember 10.500,83
138.258,22 138.258,22

Abb. 4.5 Aufwandskonto

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4.1 Buchführung 195

Am Ende des Geschäftsjahrs werden sämtliche Erfolgskonten über ein spezielles Sammel-
konto, das Gewinn- und Verlustkonto, abgeschlossen, indem ihre Salden dort gegengebucht
werden. Das Gewinn- und Verlustkonto nimmt die Salden der Ertragskonten, die auf dem
jeweiligen Konto im Soll stehen, im Haben und dementsprechend die Salden der Aufwands-
konten im Soll auf. Als Beispiel für den Abschluss eines Aufwandskontos ist in Abb. 4.5 ein
Lohnkonto angegeben, auf dem während eines Geschäftsjahrs die monatlichen Lohnzahlun-
gen verbucht worden sind.
Der Buchungssatz zum Abschluss dieses Kontos auf das Gewinn- und Verlustkonto (GuV)
lautet:
GuV an Löhne
Der Saldo des Gewinn- und Verlustkontos gibt den Erfolg des Unternehmens im abgeschlos-
senen Geschäftsjahr an. Das Gewinn- und Verlustkonto wird bei Personengesellschaften
(vgl. Abschnitt 1.4.1) über die Kapitalkonten der Gesellschafter, bei Kapitalgesellschaften
(vgl. Abschnitt 1.4.2) über die Bilanzposition Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag abgerech-
net. Ein Gewinn führt zu einer Erhöhung des Eigenkapitals des Unternehmens, ein Verlust zu
seiner Reduzierung.

1. Umsatzerlöse
2. Herstellungskosten der zur Erzielung der Umsatzerlöse erbrachten Leistungen
3. Bruttoergebnis vom Umsatz
4. Vertriebskosten
5. Allgemeine Verwaltungskosten
6. Sonstige betriebliche Erträge
7. Sonstige betriebliche Aufwendungen
8. Erträge aus Beteiligungen
- davon aus verbundenen Unternehmen
9. Erträge aus anderen Wertpapieren und Ausleihungen des Finanzanlagevermögens
- davon aus verbundenen Unternehmen
10. Sonstige Zinsen und ähnliche Erträge
- davon aus verbundenen Unternehmen
11. Abschreibungen auf Finanzanlagen und auf Wertpapiere des Umlaufvermögens
12. Zinsen und ähnliche Aufwendungen
- davon aus verbundenen Unternehmen
13. Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit
14. Außerordentliche Erträge
15. Außerordentliche Aufwendungen
16. Außerordentliches Ergebnis
17. Steuern vom Einkommen und vom Ertrag
18. Sonstige Steuern
19. Jahresüberschuss / Jahresfehlbetrag

Abb. 4.6 Gewinn- und Verlustrechnung nach HGB

Zum Jahresabschluss gehört neben der Bilanz eine Gewinn- und Verlustrechnung, die die
wesentlichen Erfolgspositionen in verdichteter Form enthält. Die Gewinn- und Verlustrech-

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nung wird in Staffelform angegeben. Für Kapitalgesellschaften ist ihr Aufbau in § 275 HGB
vorgeschrieben. Er orientiert sich am Umsatzkostenverfahren, d.h. zunächst werden den
erzielten Umsatzerlösen die dafür angefallenen Aufwendungen gegenübergestellt. In Abb.
4.6 sind die Positionen, die eine Gewinn- und Verlustrechnung nach dem deutschen Han-
delsgesetzbuch enthalten muss, aufgeführt.

4.2 Bilanzierung
Das externe Rechnungswesen dient der Information verschiedener Anspruchsgruppen (vgl.
Abschnitt 1.3.2) über die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens. Der Jah-
resabschluss bildet den Abschluss der laufenden Buchführung. Er besteht grundsätzlich aus
der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung, bei Kapitalgesellschaften sind zusätzlich
ein Anhang, in dem bestimmte Bilanzpositionen zusätzlich erläutert werden, und ein Lagebe-
richt, in dem der Geschäftsverlauf und die Lage des Unternehmens dargestellt werden, erfor-
derlich. Für einen Konzern gilt nach § 297 HGB, dass im Konzernabschluss die Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage der in den Abschluss einbezogenen Konzernunternehmen so darge-
stellt werden muss, als ob es sich insgesamt um ein einziges Unternehmen handeln würde.
Ein Konzernabschluss besteht aus der Konzernbilanz, der Konzern-Gewinn- und Verlust-
rechnung, dem Konzernanhang, der Kapitalflussrechnung und dem Eigenkapitalspiegel. Er
kann um eine Segmentberichterstattung erweitert werden.
In Abschnitt 4.2.1 werden zunächst die Grundsätze erläutert, nach denen die Bilanzierung
vorzunehmen ist; dabei werden neben den deutschen Vorschriften auch die im angelsächsi-
schen Sprachraum üblichen Regelungen behandelt. Abschnitt 4.2.2 geht auf die wichtigsten
Bilanzpositionen ein und erläutert die jeweiligen Ansatz- und Bewertungsmöglichkeiten.
Abschnitt 4.2.3 zeigt auf, welche Informationen über das Unternehmen mithilfe der Bilanz-
analyse aus den im Jahresabschluss veröffentlichten Daten gewonnen werden können.

4.2.1 Bilanzierungsgrundsätze
Nach § 242f. HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, zum Schluss eines Geschäftsjahrs inner-
halb bestimmter Fristen einen Jahresabschluss aufzustellen. Dabei greift er auf die in der
laufenden Buchführung gesammelten Daten und Informationen zurück (vgl. Abschnitt 4.1).
Der Jahresabschluss nach dem Handelsgesetzbuch hat im Wesentlichen die folgenden vier
Aufgaben:
 Dokumentationsfunktion: Durch die Bündelung der Buchführungsdaten im Abschluss
werden diese übersichtlich zusammengefasst und gegen nachträgliche Veränderungen ge-
schützt.
 Informationsfunktion: Der Jahresabschluss stellt Informationen über die Vermögens-,
Finanz- und Ertragslage des Unternehmens für verschiedene Adressaten, insbesondere für
die Eigen- und Fremdkapitalgeber, bereit.

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4.2 Bilanzierung 197

 Ausschüttungsbemessungsfunktion: Der im Jahresabschluss ermittelte Bilanzgewinn


bildet die Grundlage für die Ausschüttungen an die Unternehmenseigner und für be-
stimmte Steuerzahlungen.
 Gläubigerschutzfunktion: Bei Kapitalgesellschaften dürfen Ausschüttungen an die An-
teilseigner lediglich aus Gewinnen erfolgen, nicht jedoch aus dem festen Nennkapital
(Stammkapital oder Grundkapital, vgl. Abschnitt 1.4.2). Durch diese Ausschüttungssper-
re wird verhindert, dass die Haftungsmasse des Unternehmens gegenüber seinen Gläubi-
gern durch Ausschüttungen unter den Betrag des Nennkapitals sinkt.
Neben diesen nach außen gerichteten Funktionen können die Informationen des Jahresab-
schlusses auch unternehmensintern zur Planung und Kontrolle von betrieblichen Aktivitäten
sowie zur Ermittlung der Vermögens- und Schuldenpositionen genutzt werden.
Damit der Jahresabschluss seine Funktionen erfüllen kann, schreibt der Gesetzgeber im HGB
die Einhaltung bestimmter Vorschriften hinsichtlich seiner Aufstellung, des Aufbaus sowie
der anzuwendenden Bewertungsverfahren vor. In Deutschland haben sich im Geschäftsver-
kehr die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) herausgebildet, die als Grundlage
für die Aufstellung des Jahresabschlusses dienen. Teilweise sind diese zusätzlich im Han-
delsgesetzbuch kodifiziert, teilweise ermöglichen sie als unbestimmter Rechtsbegriff eine
ständige Weiterentwicklung und damit eine flexible Anpassung an veränderte Verhältnisse.
Man unterscheidet bei den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung formelle Dokumen-
tationsprinzipien und materielle Rechenschaftsprinzipien (vgl. Abb. 4.7).

Grundsätze
ordnungsmäßiger
Buchführung

Dokumentations- Rechenschafts-
prinzipien prinzipien

Belegprinzip Nominalwertprinzip
Bilanzklarheit Periodenabgrenzung
Vollständigkeit Vorsichtsprinzip
Stetigkeit Realisationsprinzip
Stichtagsprinzip Imparitätsprinzip
Going Concern Prinzip

Abb. 4.7 Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung

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198 4 Die Informationswirtschaft

Die Dokumentationsprinzipien gelten bereits für die laufende Buchführung. Sie werden ein-
gehalten, wenn die Buchführung und der Jahresabschluss gemäß den einschlägigen Vor-
schriften aufgestellt wurden. Dazu zählen folgende Prinzipien:
 Nach dem Belegprinzip dürfen nur solche Geschäftsvorfälle in der Buchführung erfasst
und in den Jahresabschluss aufgenommen werden, für die ein externer oder interner Be-
leg vorliegt.
 Das Prinzip der Bilanzklarheit bedeutet, dass die Bilanz klar und übersichtlich aufgebaut
sein muss. Dies lässt sich insbesondere erreichen, indem die in § 266 HGB vorgegebene
Gliederung eingehalten wird (vgl. auch Abb. 4.3).
 Das Prinzip der Vollständigkeit und Richtigkeit verlangt, dass in der Buchführung sämt-
liche im Geschäftsjahr aufgetretenen Geschäftsvorfälle zeitnah, lückenlos und vollständig
festgehalten werden und dass der Jahresabschluss sämtliche Vermögensgegenstände,
Schulden, Erträge und Aufwendungen enthält. Es verbietet insbesondere eine Saldierung
von Vermögen und Schulden bzw. von Erträgen und Aufwendungen und verlangt eine
Einzelbewertung der Bilanzpositionen.
 Das Prinzip der Stetigkeit bzw. der Bilanzverknüpfung stellt eine Beziehung zwischen
aufeinander folgenden Bilanzen her, indem die Eröffnungsbilanz eines Geschäftsjahrs mit
der Schlussbilanz des Vorjahrs identisch ist. Weiter wird durch die Forderung nach Bi-
lanzkontinuität sichergestellt, dass die Gliederung von Bilanz und Gewinn- und Verlust-
rechnung sowie die gewählten Bewertungsansätze soweit wie möglich beibehalten wer-
den.
 Das Stichtagsprinzip verlangt, dass im Jahresabschluss sämtliche Tatbestände berück-
sichtigt werden, die bis zum Bilanzstichtag eingetreten sind.
Die materiellen Rechenschaftsprinzipien beziehen sich auf die Wertansätze, mit denen die
einzelnen Positionen in die Bilanz aufgenommen werden. Sie lauten wie folgt:
 Das Nominalwertprinzip verlangt, dass der Jahresabschluss aufgrund tatsächlicher Zah-
lungen in Euro aufgestellt wird.
 Nach dem Prinzip der Periodenabgrenzung sind Aufwendungen und Erträge unabhängig
von dem Zeitpunkt, in dem die Zahlung erfolgt, dem Geschäftsjahr zuzurechnen, in dem
sie entstanden sind.
 Das Vorsichtsprinzip stellt darauf ab, dass ein Kaufmann seine Vermögenslage nicht zu
optimistisch beurteilen darf. Daher sollte bei der Bewertung von Aktiva aus mehreren
möglichen Wertansätzen stets der niedrigste gewählt werden (Niederstwertprinzip), wäh-
rend die Bewertung von Schulden im Zweifelsfall eher zu hoch als zu niedrig erfolgen
sollte. Dieser Grundsatz wird durch die beiden folgenden Prinzipien auf Erfolgsgrößen
übertragen.
 Nach dem Realisationsprinzip dürfen Erträge erst dann ausgewiesen werden, wenn sie
tatsächlich entstanden sind. Das bedeutet insbesondere, dass fremdbezogene Leistungen

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4.2 Bilanzierung 199

mit Anschaffungskosten und selbst erstellte Leistungen mit Herstellkosten bewertet wer-
den und nicht mit den Marktpreisen, die sich bei ihrem Verkauf voraussichtlich erzielen
lassen.
 Das Imparitätsprinzip verlangt, dass Verluste bereits dann ausgewiesen werden, wenn sie
abzusehen sind. Dies gilt sogar für Verluste, die im Zeitraum zwischen dem Bilanzstich-
tag und der Aufstellung der Bilanz erkennbar werden. Sinkt z.B. der Preis für ein am La-
ger befindliches Produkt unter seine Herstellkosten, so muss es entsprechend niedriger
bewertet werden.
 Das Going-Concern-Prinzip besagt, dass bei der Bewertung der einzelnen Bilanzpositio-
nen grundsätzlich davon auszugehen ist, dass das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit
fortführt.
Für Jahresabschlüsse amerikanischer Unternehmen gelten ähnliche Grundsätze, die General-
ly Accepted Accounting Principles (US-GAAP) und das auf ihrer Grundlage entwickelte
Rahmenkonzept des IASB (International Accounting Standards Board). Da in den USA die
Eigenfinanzierung der Unternehmen über den Kapitalmarkt eine große Rolle spielt, ist die
amerikanische Rechnungslegung stärker auf die Informationsinteressen der Investoren als
auf den Gläubigerschutz ausgerichtet. Im Gegensatz zu den GoB sind die US-GAAP und das
Rahmenkonzept nicht in Gesetzen kodifiziert, sondern haben sich als allgemeine Leitlinien
der Bilanzierung zwischen den Unternehmen, den Wirtschaftsprüfern und der Börsenaufsicht
herausgebildet.
Für amerikanische Jahresabschlüsse gelten weitaus geringere Formvorschriften als im deut-
schen Bilanzrecht, vielmehr gilt der Grundsatz „substance over form“. Die Darstellung der
Ertrags- und Finanzlage des Unternehmens orientiert sich weniger am Vorsichtsprinzip als
an einer „fair presentation“. Der Jahresabschluss besteht aus der Bilanz, der Gewinn- und
Verlustrechnung, einem Anhang, einer Kapitalflussrechnung (vgl. Tab. 3.6) und einer Dar-
stellung der Eigenkapitalentwicklung. Für deutsche und europäische Unternehmen gewinnen
die amerikanischen Rechnungslegungsstandards aufgrund der zunehmenden Internationali-
sierung der Kapitalmärkte immer mehr an Bedeutung. Weiter wird ein nach diesen Grund-
sätzen erstellter Jahresabschluss verlangt, wenn ein Unternehmen eine Börsenzulassung in
den USA beantragt.
Auf verschiedenen Ebenen wird eine Harmonisierung der unterschiedlichen nationalen
Rechnungslegungsnormen angestrebt. In der Europäischen Union wurden verschiedene EG-
Richtlinien verabschiedet, die bis 1992 in nationales Recht umzusetzen waren; in Deutsch-
land erfolgte dies bereits 1985 durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG). Das 2009 in
Kraft getretene Bilanzrechtsmodernisierungs-Gesetz (BilMoG) ist auf Grundlage verschie-
dener EU-Richtlinien entstanden und verstärkt die Tendenz zur verstärkten Ausrichtung an
den IFRS.
Noch weiter gehen die Bemühungen des 1973 in London gegründeten International
Accounting Standards Committee (IASC), heute International Accounting Standards Board
(IASB) um die Erarbeitung von weltweit geltenden, einheitlichen Rechnungslegungsnormen.
Das Komitee besteht aus ca. 150 Organisationen von Wirtschaftsprüfern aus mehr als 110

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200 4 Die Informationswirtschaft

Ländern und legt in einem gemeinsamen Diskussionsprozess sukzessiv Rechnungslegungs-


normen in Form von International Accounting Standards (IAS) bzw. International Financial
Reporting Standards (IFRS) fest, die teilweise von den beteiligten Ländern in nationales
Recht umgesetzt werden, teilweise ihre Bindungswirkung dadurch erreichen, dass sie als
Zulassungsvoraussetzung für die Zulassung an den internationalen Börsen verlangt werden.
Europäische kapitalmarktorientierte Mutterunternehmen müssen – unabhängig von ihrer
Rechtsform – ihren Konzernabschluss seit Anfang 2005 nach IFRS aufstellen. Für den Ein-
zelabschluss der Konzernunternehmen gilt nach wie vor nationales Recht. Anfang 2011 sind
37 Standards verpflichtend anzuwenden, wenn der Konzernabschluss nach IFRS erstellt
wird. verabschiedet, von denen 38 bereits in Kraft sind. Im Vergleich zu den Vorschriften
des deutschen Handelsrechts eröffnen die IFRS weniger Bilanzierungs- und Bewertungs-
wahlrechte und verlangen teilweise umfangreichere Angaben im Anhang sowie ausführliche-
re Erläuterungen. Übereinstimmungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Anwendung
des Periodenprinzips und des Going-Concern-Prinzips.
Die Jahresabschlüsse von großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften können erst festge-
stellt werden, wenn sie von einem Wirtschaftsprüfer geprüft worden sind und einen Bestäti-
gungsvermerk erhalten haben. Bei der Abschlussprüfung wird geprüft, ob die Buchführung,
der Jahresabschluss und der Lagebericht sich im Einklang mit den geltenden Gesetzesvor-
schriften, den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und den Bestimmungen der Sat-
zung bzw. des Gesellschaftsvertrags befinden. Werden keine Beanstandungen gefunden, so
erteilt der Wirtschaftsprüfer den folgenden formelhaften Bestätigungsvermerk (§ 322 HGB):
„Die Buchführung und der Jahresabschluss entsprechen nach meiner pflichtgemäßen
Prüfung den gesetzlichen Vorschriften. Der Jahresabschluss vermittelt unter Beach-
tung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhält-
nissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalge-
sellschaft. Der Lagebericht steht im Einklang mit dem Jahresabschluss.“
Liegen Beanstandungen vor, so wird der Bestätigungsvermerk mit entsprechenden Ein-
schränkungen erteilt, bei schwerwiegenden Beanstandungen kann er auch versagt werden.
Entspricht der Jahresabschluss gleichzeitig den US-GAAP oder den IFRS, so kann der Ab-
schlussprüfer dies in einem separaten Vermerk bestätigen.
Bei Konzernen (vgl. Abschnitt 1.4.5) muss – zusätzlich zu den Einzelabschlüssen der Kon-
zernunternehmen – das Mutterunternehmen einen Konzernabschluss aufstellen, der sich
durch Konsolidierung der Jahresabschlüsse der in den Konzernabschluss einbezogenen Un-
ternehmen ergibt. Bei der Konsolidierung werden insbesondere gegenseitige Beteiligungen,
konzerninterne Forderungen und Verbindlichkeiten sowie Aufwendungen und Erträge ge-
geneinander aufgerechnet, so dass lediglich die gegenüber Dritten relevanten Beträge in den
Konzernabschluss aufgenommen werden. Die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung
bzw. die relevanten internationalen Rechnungslegungsnormen gelten entsprechend, und auch
der Konzernabschluss unterliegt einer Abschlussprüfung.

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4.2 Bilanzierung 201

4.2.2 Bilanzpositionen
Nach dem Grundsatz der Vollständigkeit sind im Prinzip sämtliche Vermögensgegenstände,
Schulden und Rechnungsabgrenzungsposten in die Bilanz aufzunehmen. Dennoch gibt es
Ausnahmen, die in Bilanzierungsgeboten, Bilanzierungsverboten und Bilanzierungswahl-
rechten zum Ausdruck kommen. Im Folgenden werden die einzelnen Bilanzpositionen der
Aktiv- und der Passivseite einer Handelsbilanz gemäß § 266 HGB (vgl. Abb. 4.3) durchge-
gangen und jeweils die bilanzierungsfähigen Tatbestände sowie die zugehörige Bewertung
herausgearbeitet.

4.2.2.1 Bilanzpositionen auf der Aktivseite


Die Aktivseite der Bilanz enthält die Vermögensgegenstände des Unternehmens, die nach
zunehmender Liquidität angeordnet werden (vgl. Abb. 4.3). Das Anlagevermögen (Aktiva
A) umfasst die Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dem Unternehmen länger-
fristig, d.h. länger als ein Jahr, zu dienen. Dem Umlaufvermögen (Aktiva B) hingegen wer-
den die Vermögensgegenstände zugerechnet, die typischerweise innerhalb eines Jahres das
Unternehmen wieder verlassen. Hinzu kommen aktivische Rechnungsabgrenzungsposten,
die der eindeutigen Trennung der Aktivitäten verschiedener Geschäftsjahre dienen, aktive
latente Steuern und aktive Unterschiedsbeträge aus der Vermögensverrechnung.

Aktiva A.I.: Immaterielle Vermögensgegenstände


Immaterielle Vermögensgegenstände sind körperlich nicht fassbare, jedoch selbstständig
bewertbare vermögenswerte Vorteile. Dazu zählen z.B. Patente, Lizenzen, Fabrikationsver-
fahren, Warenzeichen, Gebrauchsmuster, Lieferungsrechte oder auch EDV-Programme. Sie
sind aktivierungspflichtig, soweit sie entgeltlich erworben wurden, und müssen über einen
bestimmten Zeitraum abgeschrieben werden. Für unentgeltlich erworbene immaterielle Ver-
mögensgegenstände im Anlagevermögen besteht hingegen ein Aktivierungsverbot. Diese
Bilanzposition wird untergliedert in:
 Konzessionen, gewerbliche Schutzrechte und ähnliche Rechte und Werte sowie Lizenzen
an solchen Rechten und Werten
 Geschäfts- und Firmenwert: Dieser darf nur in der Höhe aktiviert werden, in der er beim
Erwerb eines Unternehmens gezahlt worden ist, er ist über maximal 15 Jahre planmäßig
abzuschreiben.
 Geleistete Anzahlungen für aktivierungspflichtige immaterielle Wirtschaftsgüter

Aktiva A.II.: Sachanlagen


Sachanlagen sind materielle Vermögensgegenstände, die dazu bestimmt sind, dem Unter-
nehmen dauerhaft zu dienen. Sie sind regelmäßig zu aktivieren, falls ihre Anschaffungs-
bzw. Herstellkosten eine bestimmte Grenze überschreiten. Soweit diese Vermögensgegen-
stände einer Abnutzung unterliegen, wird die dadurch hervorgerufene Wertminderung durch

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202 4 Die Informationswirtschaft

planmäßige Abschreibungen erfasst. Abschreibungen bzw. Absetzungen für Abnutzung


(AfA) dienen der Verteilung der Anschaffungs- oder Herstellkosten von Anlagegütern auf
ihre voraussichtliche Nutzungsdauer (zu Abschreibungen vgl. Abschnitt 4.3.3). Für die Bi-
lanzierung sind vor allem die lineare Abschreibung mit gleich hohen jährlichen Abschrei-
bungsbeträgen und die geometrisch-degressive Abschreibung mit fallenden Abschreibungs-
beträgen von Bedeutung. Die Bilanzposition Sachanlagen wird unterteilt in:
 Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf frem-
den Grundstücken: Während Gebäude der Abnutzung unterliegen, findet bei Grundstü-
cken in der Regel keine Abschreibung statt. Sie werden zu ihren Anschaffungskosten ein-
schließlich der Anschaffungsnebenkosten (z.B. Erschließungsbeiträge, Grunderwerbsteu-
er, Maklergebühren) aktiviert, solange nicht eine dauerhafte Wertminderung eintritt.
 Technische Anlagen und Maschinen umfassen alle unmittelbar der Produktion dienenden
betrieblichen Einrichtungen, z.B. Produktionsanlagen, Fließbänder, flexible Fertigungs-
systeme, NC-Maschinen, Öfen, Tanks, Lagerhäuser, Transportanlagen usw.
 Andere Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung: Dies sind zum einen sämtliche
Anlagen, die nicht direkt der Produktion dienen, z.B. Gleisanlagen oder Fahrzeuge, zum
anderen die Einrichtung des Verwaltungsbereichs, z.B. Büromöbel, Telefonanlagen,
Zeiterfassungsgeräte usw.
 Geleistete Anzahlungen werden mit ihrem Nominalbetrag und Anlagen im Bau mit dem
Wert der erbrachten Vorleistungen ausgewiesen; Abschreibungen sind nicht zulässig.

Aktiva A.III.: Finanzanlagen


Zu den Finanzanlagen zählen Wertpapiere, Beteiligungen und Ausleihungen, die auf Dauer
angelegt sind. Sie sind aktivierungspflichtig und nach dem Niederstwertprinzip mit dem
Anschaffungswert oder einem geringeren Börsen- oder Marktpreis am Bilanzstichtag auszu-
weisen. Lässt sich kein Börsen- oder Marktpreis feststellen, so wird der nach vernünftiger
kaufmännischer Beurteilung beizulegende Wert herangezogen. Eine Wertminderung im
Finanzanlagevermögen wird durch Wertberichtigungen erfolgswirksam erfasst. Die Bilanz-
position Finanzanlagen ist wie folgt gegliedert:
 Anteile an verbundenen Unternehmen sind konzerninterne Beteiligungen.
 Der separate Ausweis von Ausleihungen an verbundene Unternehmen dient dazu, die im
Konzern bestehenden Finanzverflechtungen offen zu legen.
 Beteiligungen sind Anteile an anderen Unternehmen, die einer dauerhaften Geschäftsver-
bindung dienen. Ab einem Anteil von 20% am Eigenkapitel eines Unternehmens wird ei-
ne Beteiligungsabsicht vermutet.
 Ausleihungen an Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, werden wie
Ausleihungen an verbundene Unternehmen separat ausgewiesen.

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4.2 Bilanzierung 203

 Wertpapiere des Anlagevermögens sind Finanzanlagen, bei denen keine Beteiligungsab-


sicht besteht, sondern die Erzielung einer Verzinsung im Vordergrund steht.
 Sonstige Ausleihungen sind langfristige Forderungen, die nicht gegenüber Konzern- oder
Beteiligungsunternehmen bestehen, z.B. GmbH- oder Genossenschaftsanteile ohne Betei-
ligungscharakter.

Aktiva B.I.: Vorräte


Die Vorräte umfassen materielle Güter, die nur zum kurzfristigen Verbleib im Unternehmen
bestimmt sind. Sie sind immer aktivierungspflichtig, ihr Wertansatz erfolgt nach dem stren-
gen Niederstwertprinzip zu Anschaffungs- oder Herstellkosten, Börsen- oder Marktpreisen
oder dem beizulegenden Wert. Teilweise besteht die Möglichkeit, Festwerte oder Durch-
schnittswerte im Rahmen einer Gruppenbewertung anzusetzen. Vorräte lassen sich wie folgt
unterteilen:
 Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sind das Ausgangsmaterial für die industrielle Produktion
(vgl. Abschnitt 2.1.1). Hierunter fallen auch Werkzeuge, die zum Austausch an den Ma-
schinen vorgehalten werden.
 Unfertige Erzeugnisse und unfertige Leistungen sind Vorräte an noch nicht verkaufsfähi-
gen Produkten, in die durch im abgelaufenen Geschäftsjahr vorgenommene Bearbeitun-
gen bereits Aufwendungen eingegangen sind. Diese Aufwendungen dürfen lediglich bei
materiellen Produkten, jedoch nicht bei immateriellen Leistungen in den Wertansatz ein-
gehen.
 Fertige Erzeugnisse und Waren sind auslieferungsfähige Produkte, die selbst erstellt bzw.
zugekauft worden sind. Während eigene Produkte mit Herstellkosten anzusetzen sind,
werden Waren mit Einstandspreisen bewertet.
 Bei geleisteten Anzahlungen handelt es sich um Anzahlungen, die vom Unternehmen für
bestellte, noch nicht gelieferte Vorräte, Maschinen, Fahrzeuge usw. geleistet worden
sind, aber auch für noch nicht vollständig erbrachte sonstige Leistungen, z.B. Abschläge
für ein im Bau befindliches Gebäude.

Aktiva B.II.: Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände


Diese Position umfasst kurzfristige Forderungen an verschiedene Typen von Schuldnern und
den Sammelposten der sonstigen Vermögensgegenstände. Forderungen werden mit ihrem
Nominalbetrag angesetzt, bei riskanten Forderungen kann eine Wertberichtigung vorge-
nommen werden. Die Position gliedert sich in:
 Forderungen aus Lieferungen und Leistungen resultieren aus Kauf-, Werk- oder Dienst-
leistungsverträgen, bei denen die Leistung bereits erfolgt und in Rechnung gestellt wor-
den ist, die Zahlung jedoch noch aussteht. Mit der Lieferung eines Produkts bzw. der Er-
bringung einer Leistung findet der betriebliche Leistungsprozess seinen Abschluss, mit

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204 4 Die Informationswirtschaft

der Rechnungsstellung wird der zugehörige Erfolg realisiert. Auch in Wechseln verbrief-
te Forderungen werden hier ausgewiesen.
 Forderungen gegen verbundene Unternehmen umfassen sowohl Forderungen aus Liefe-
rungen und Leistungen als auch andere kurzfristige Forderungen, z.B. aus kurzfristigen
Darlehen.
 Forderungen gegen Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht, sind
ebenfalls unabhängig von ihrer Entstehung an dieser Stelle auszuweisen.
 Sonstige Vermögensgegenstände sind alle Vermögensgegenstände des Umlaufvermö-
gens, die sich keinem anderen Posten zuordnen lassen, z.B. Vorschüsse an Arbeitnehmer,
geleistete Kautionen, Ansprüche auf Steuerrückzahlung, Anzahlungen für Dienstleistun-
gen usw.

Aktiva B.III.: Wertpapiere


Wertpapiere sind Urkunden, die bestimmte Vermögensrechte verbriefen, insbesondere Ak-
tien und Schuldverschreibungen. Ihre Zuordnung zum Anlage- oder Umlaufvermögen hängt
davon ab, für welchen Zeitraum sie im Unternehmen gehalten werden. Beteiligungen, d.h.
Anteile von mehr als 20%, zählen immer zum Anlagevermögen. Wertpapiere werden grund-
sätzlich mit ihren Anschaffungskosten bewertet, bei Wertminderungen greift das Nie-
derstwertprinzip. Zu der Position gehören:
 Anteile an verbundenen Unternehmen sind Aktien von Unternehmen, die zum selben
Konzern gehören.
 Eigene Anteile dürfen von Kapitalgesellschaften nur beschränkt erworben werden, damit
die Gläubigerschutzfunktion ihres festen Nennkapitals nicht verwässert wird. Sie können
am Bilanzstichtag z.B. zur späteren Abfindung von Aktionären oder zwecks Ausgabe von
Belegschaftsaktien an die Arbeitnehmer des Unternehmens gehalten werden.
 Sonstige Wertpapiere sind z.B. kurzfristige Geldanlagen in Schuldverschreibungen oder
zu Finanzzwecken gehaltene Wechsel.

Aktiva B.IV.: Zahlungsmittel


Diese Position lautet korrekt „Kassenbestand, Bundesbankguthaben, Guthaben bei Kreditin-
stituten und Schecks“, womit ihr Inhalt hinreichend beschrieben ist, sie wird nicht weiter
untergliedert. Es handelt sich somit um liquide Mittel, die unmittelbar zur Begleichung von
Verbindlichkeiten eingesetzt werden können (vgl. Abschnitt 3.1.2). Der Ansatz dieser Ver-
mögensgegenstände erfolgt zu ihrem Nominalwert, ausländische Währungen sind zum Kurs
am Bilanzstichtag umzurechnen.

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4.2 Bilanzierung 205

Aktiva C.: Rechnungsabgrenzungsposten


Rechnungsabgrenzungsposten dienen dem korrekten Ausweis des Periodengewinns. Dazu
wird bei Geschäftsvorfällen, die am Bilanzstichtag nicht abgeschlossen sind, der Erfolg an-
gemessen auf die betroffenen Geschäftsjahre aufgeteilt. Bei Rechnungsabgrenzungsposten
auf der Aktivseite der Bilanz handelt es sich um transitorische Ausgaben, d.h. Ausgaben, die
zum Teil das folgende Geschäftsjahr betreffen. Ein Beispiel ist eine Versicherungsprämie,
die im abgelaufenen Geschäftsjahr für ein Jahr im Voraus gezahlt wurde. Bei der Zahlung
wird zunächst der gesamte Betrag als Aufwand verbucht. Beim Jahresabschluss wird dann
der Anteil für das folgende Geschäftsjahr dem entsprechenden Aufwandskonto gutgeschrie-
ben und als Rechnungsabgrenzungsposten in die Aktivseite der Bilanz eingestellt. Zu Beginn
des folgenden Geschäftsjahrs wird der Rechnungsabgrenzungsposten aufgelöst und der Be-
trag dem entsprechenden Aufwandskonto wieder belastet. Grundsätzlich besteht eine Ver-
pflichtung, in derartigen Fällen eine Rechnungsabgrenzung vorzunehmen, bei kleineren
Beträgen kann jedoch davon abgesehen werden.

Aktiva D.: Aktive latente Steuern


Latente bzw. verborgene Steuern entstehen nach § 274 HGB, wenn die handels- und steuer-
rechtlichen Wertansätze von Vermögensgegenständen, Schulden und Rechnungsabgren-
zungsposten voneinander abweichen. Aktive latente Steuern liegen vor, wenn die abwei-
chenden Wertansätze zu einer Steuerentlastung führen.

Aktiva E.: Aktiver Unterschiedsbetrag aus der Vermögensverrechnung


Grundsätzlich sind Vermögensgegenstände, die als Absicherung u.a. für Altersvorsorgever-
pflichtungen gehalten werden, mit entsprechenden Rückstellungen zu saldieren. Ist der Wert
der Vermögensgegenstände höher als die zugehörigen Altersvorsorgeverpflichtungen, so
wird der Differenzbetrag in dieser Bilanzposition ausgewiesen.

4.2.2.2 Bilanzpositionen auf der Passivseite


Die Passivseite der Bilanz zeigt, wie das Vermögen des Unternehmens finanziert ist. Sie
enthält das Eigenkapital (Passiva A) und das Fremdkapital (Passiva B und C), das in Rück-
stellungen und Verbindlichkeiten untergliedert wird. Hinzu treten auch hier passivische
Rechnungsabgrenzungsposten und passive latente Steuern. Das Eigenkapital ergibt sich
rechnerisch als Differenz zwischen dem Wert der Vermögensgegenstände und den Schulden
eines Unternehmens (vgl. auch Abschnitt 4.1.2). Während sich das Eigenkapital von Perso-
nengesellschaften aus den Kapitalkonten der Gesellschafter zusammensetzt, wird das Eigen-
kapital einer Aktiengesellschaft wie folgt gegliedert:

Passiva A.I.: Gezeichnetes Kapital


Das gezeichnete Kapital ist das in der Satzung bzw. im Gesellschaftsvertrag festgelegte und
im Handelsregister eingetragene feste Nennkapital, das als Haftungsmasse des Unterneh-

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206 4 Die Informationswirtschaft

mens gegenüber seinen Gläubigern dient und dessen Höhe sich grundsätzlich nicht verän-
dert.

Passiva A.II.: Kapitalrücklage


In die Kapitalrücklage sind die Beträge, die bei der Ausgabe von Anteilen als Agio über den
Nennbetrag hinaus erhoben wurden, einzustellen.

Passiva A.III.: Gewinnrücklagen


Gewinnrücklagen werden aus im Unternehmen zurückbehaltenen Gewinnen in folgenden
Fällen gebildet:
 In die gesetzliche Rücklage werden jährlich mindestens 5% des Jahresüberschusses ein-
gestellt, bis diese zusammen mit der Kapitalrücklage mindestens 10% des Nennkapitals
erreicht hat.
 Eine Rücklage für eigene Anteile ist zu bilden, wenn unter der Aktivposition B.III. eigene
Anteile bilanziert werden. Sie darf nur aus freien Gewinnrücklagen, dem Jahresüber-
schuss oder einem Gewinnvortrag gebildet werden und muss in ihrer Höhe dem korres-
pondierenden Aktivposten entsprechen. Dies dient dem Gläubigerschutz, da das ausge-
wiesene Nennkapital nicht durch den Erwerb eigener Anteile reduziert werden soll.
 Satzungsmäßige Rücklagen sind aus einbehaltenen Gewinnen in der in der Satzung vor-
geschriebenen Höhe zu bilden.
 In den Posten andere Gewinnrücklagen werden einbehaltene Gewinne eingestellt, die
nicht für die zuvor genannten Zwecke benötigt werden. Es dürfen maximal 50% des Jah-
resüberschusses eingestellt werden. Diese Rücklagen dienen als freie Gewinnrücklagen
insbesondere der Selbstfinanzierung, die durch den Vorstand bzw. die Geschäftsführer
veranlasst wird (vgl. Abschnitt 3.3.3).

Passiva A.IV.: Gewinnvortrag/Verlustvortrag


Ein Gewinnvortrag steht in der Bilanz, wenn die Hauptversammlung bzw. Gesellschafterver-
sammlung im Vorjahr beschlossen hat, einen Teil des Bilanzgewinns auf die neue Rechnung
vorzutragen. Ein Verlustvortrag wird in Höhe des im Vorjahr erzielten Bilanzverlusts aus-
gewiesen.

Passiva A.V.: Jahresüberschuss/Jahresfehlbetrag


Diese Position gibt den im abgelaufenen Geschäftsjahr erzielten Erfolg an. Sie entspricht in
ihrer Höhe dem Ergebnis der Gewinn- und Verlustrechnung. Ein Jahresüberschuss kann als
Bilanzgewinn zur Ausschüttung an die Gesellschafter verwendet oder im Rahmen der gesetz-
lichen Vorschriften der Gewinnrücklage zugeführt werden.

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4.2 Bilanzierung 207

Passiva B.: Rückstellungen


Rückstellungen werden für ungewisse Verbindlichkeiten angesetzt, bei denen der Grund, der
Gläubiger, die Höhe oder der Zahlungszeitpunkt noch nicht feststehen (vgl. auch Abschnitt
3.3.3). Ihr Ansatz erfolgt in Höhe des Betrags, der nach vernünftiger kaufmännischer Beur-
teilung erforderlich ist. Da es sich um Verbindlichkeiten handelt, zählen sie zum Fremdkapi-
tal. Rückstellungen werden entsprechend ihrem Verwendungszweck wie folgt gegliedert:
 Rückstellungen für Pensionen und ähnliche Verpflichtungen weisen die für die spätere
Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung an die Arbeitnehmer benötigten Beträge
aus. Sie sind in der Regel der größte Posten bei den Rückstellungen. Ihre Auflösung er-
folgt erst viele Jahre später durch die regelmäßigen Zahlungen an die im Ruhestand be-
findlichen Arbeitnehmer.
 Steuerrückstellungen werden für die vom Unternehmen voraussichtlich zu zahlenden
Steuern gebildet und aufgelöst, sobald mit dem Steuerbescheid die tatsächliche Höhe der
Zahlung feststeht.
 Sonstige Rückstellungen werden für alle weiteren ungewissen Zahlungen gebildet, z.B.
für die Kosten laufender Prozesse, für Gewährleistung ohne rechtliche Verpflichtung, für
drohende Verluste aus laufenden Geschäften, für eine mögliche Inanspruchnahme aus ei-
ner Bürgschaft oder für unterlassene Instandhaltungen.

Passiva C.: Verbindlichkeiten


Als Verbindlichkeiten bezeichnet man die Schulden des Unternehmens, die dem Grund und
der Höhe nach eindeutig feststehen. Sie sind mit der Höhe ihres Rückzahlungsbetrags aus-
zuweisen. Verbindlichkeiten mit einer Laufzeit unter einem Jahr bzw. über fünf Jahren sind
gesondert auszuweisen. Durch diese zusätzliche Angabe soll die Beurteilung der Liquidität
des Unternehmens erleichtert werden (vgl. Abschnitt 3.1.2 sowie Abschnitt 4.2.3). Die Ver-
bindlichkeiten werden wie folgt gegliedert:
 Anleihen sind vom Unternehmen am Kapitalmarkt ausgegebene Wertpapiere, die der
langfristigen Fremdfinanzierung dienen, insbesondere Schuldverschreibungen (vgl. Ab-
schnitt 3.3.1).
 Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten sind die bei Banken aufgenommenen Kre-
dite, die unabhängig von ihrer Art oder Laufzeit in diesem Posten zusammengefasst wer-
den.
 Auch erhaltene Anzahlungen auf Bestellungen, bei denen die zugehörige Leistung noch
nicht bzw. nicht vollständig erbracht wurde, zählen zu den Verbindlichkeiten.
 Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen entstehen dadurch, dass das Unter-
nehmen am Bilanzstichtag von einem anderen Unternehmen eine Leistung, z.B. eine Wa-
renlieferung, eine Dienstleistung oder eine Werkleistung, bereits erhalten hat, diese aber
noch nicht bezahlt wurde.

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208 4 Die Informationswirtschaft

 Verbindlichkeiten aus der Annahme gezogener Wechsel und der Ausstellung eigener
Wechsel umfassen alle Wechselschulden, bei denen das Unternehmen sich zur Zahlung
verpflichtet hat.
 Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen sind analog zu den entsprechen-
den Forderungspositionen auf der Aktivseite separat auszuweisen, um finanzielle Ver-
flechtungen innerhalb eines Konzerns offen zu legen.
 Entsprechendes gilt für Verbindlichkeiten gegenüber Unternehmen, mit denen ein Betei-
ligungsverhältnis besteht.
 Sonstige Verbindlichkeiten sind ein Sammelposten für alle Schulden, die sich keinem der
zuvor genannten Posten zuordnen lassen, z.B. gegenüber Mitarbeitern, Sozialversiche-
rungsträgern oder Finanzbehörden. Die Verbindlichkeiten aus Steuern und im Rahmen
der sozialen Sicherheit sind separat anzugeben.

Passiva D.: Rechnungsabgrenzungsposten


Passive Rechnungsabgrenzungsposten werden analog zu den aktivischen Rechnungsabgren-
zungsposten für transitorische Einnahmen gebildet. Eine solche liegt vor, wenn im abgelau-
fenen Geschäftsjahr eine erfolgswirksame Zahlung erfolgt ist, deren Ertrag ganz oder teil-
weise dem folgenden Geschäftsjahr zuzurechnen ist. Analog zu dem Vorgehen bei aktiven
Rechnungsabgrenzungsposten wird die Zahlung zunächst in voller Höhe auf dem entspre-
chenden Ertragskonto verbucht, beim Jahresabschluss erfolgt eine Gegenbuchung in Höhe
des auf das folgende Geschäftsjahr entfallenden Betrags, der als Rechnungsabgrenzungspos-
ten ausgewiesen wird. Im neuen Geschäftsjahr wird der Rechnungsabgrenzungsposten zu
Gunsten des Ertragskontos wieder aufgelöst.

Passiva E.: Passive latente Steuern


Liegt nach der Berechnung latenter Steuern per Saldo eine Steuerbelastung vor, so ist der
entsprechende Betrag unter dieser Bilanzposition auszuweisen.

4.2.3 Bilanzanalyse
Die Bilanzanalyse dient der Beurteilung eines Unternehmens mithilfe der Aufbereitung und
Strukturierung ausgewählter Daten aus seinem Jahresabschluss. Dadurch befriedigt sie die
Informationsinteressen der verschiedenen Anspruchsgruppen, die in Beziehungen zu dem
Unternehmen stehen (vgl. Abschnitt 1.3.2). Während Eigenkapitalgeber in erster Linie an
Informationen über die erwartete Finanz- und Ertragslage des Unternehmens interessiert
sind, benötigen Fremdkapitalgeber für ihre Kreditentscheidungen insbesondere Informatio-
nen über die zukünftige Zahlungsfähigkeit.
Externe Interessenten können nur auf solche Informationsquellen zugreifen, die das Unter-
nehmen ihnen bzw. der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt. Z.B. verlangen Banken bei der
Kreditwürdigkeitsprüfung, die der Gewährung eines Betriebsmittelkredits vorausgeht, re-

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4.2 Bilanzierung 209

gelmäßig die Vorlage der letzten Jahresabschlüsse sowie weiterer Unterlagen, aus denen
Informationen über die laufende Geschäftstätigkeit hervorgehen. Für Kapitalgesellschaften
sowie für Großunternehmen, die dem Publizitätsgesetz unterliegen, besteht eine Verpflich-
tung zur Veröffentlichung ihrer Jahresabschlüsse, so dass nicht nur die Anteilseigner, son-
dern auch die interessierte Öffentlichkeit bei Bedarf Einblick in die Lage des Unternehmens
nehmen kann. Die Veröffentlichung erfolgt regelmäßig durch Einreichung des Jahresab-
schlusses beim öffentlich einsehbaren Handelsregister, bei großen Unternehmen zusätzlich
durch Abdruck im Bundesanzeiger sowie gegebenenfalls weiteren Zeitungen.
Bei der Bilanzanalyse werden die verfügbaren Daten aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrech-
nung, Anhang und Lagebericht zunächst aufbereitet, d.h. bereinigt, zerlegt, umgruppiert,
verdichtet oder saldiert. Anschließend werden durch geeignete Zusammenstellung von aus-
gewählten Daten Kennzahlen gebildet, die näheren Aufschluss über den jeweils interessie-
renden Sachverhalt geben. Diese Kennzahlen lassen sich auf mehrfache Weise einsetzen
(vgl. zu Kennzahlen auch Abschnitt 4.4.2):
 Bei einem Soll/Ist-Vergleich werden die realisierten Werte zuvor ermittelten Sollgrößen
gegenübergestellt.
 Beim Zeitvergleich werden die Kennzahlen mehrerer aufeinander folgender Geschäfts-
jahre herangezogen, um die Entwicklung des Unternehmens zu beurteilen.
 Bei einem Betriebsvergleich werden die Kennzahlen des analysierten Unternehmens mit
den Werten anderer Unternehmen derselben Branche verglichen.
Im Rahmen der Bilanzanalyse unterscheidet man die in den folgenden Abschnitten behandel-
ten Struktur-, Liquiditäts- und Erfolgsanalysen sowie die vor allem aus gesamtwirtschaftli-
cher Sicht relevante Wertschöpfungsanalyse.

4.2.3.1 Strukturanalyse
Bei der Strukturanalyse wird die Zusammensetzung der Aktiv- und der Passivseite der Bi-
lanz des Unternehmens untersucht. Die Kennzahlen der vertikalen Strukturanalyse beziehen
sich auf Positionen derselben Bilanzseite, bei der horizontalen Bilanzanalyse werden Posten
beider Bilanzseiten zueinander in Beziehung gesetzt.
Wichtige Kennzahlen bei der vertikalen Strukturanalyse der Aktivseite sind die Vermögens-
struktur, die Investitionsquote, der Anlagenabnutzungsgrad und die Abschreibungsquote.
Anlagevermögen
Vermögensstruktur:
Gesamtvermögen

Umlaufvermögen
Gesamtvermögen

Diese Kennzahlen lassen sich wie folgt interpretieren: Mit zunehmendem Anteil des Um-
laufvermögens am Gesamtvermögen nimmt die Flexibilität des Unternehmens zu, gleichzei-

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210 4 Die Informationswirtschaft

tig steigt durch den gleichzeitig abnehmenden Anteil des Anlagevermögens der Kapazitäts-
nutzungsgrad. Andererseits kann ein hoher Anteil des Umlaufvermögens darauf hinweisen,
dass das Unternehmen unnötig viel Kapital in Lagerbeständen bindet.
Zugang zu Sachanlagen
Investitionsquote 
Bestand an Sachanlagen

Die Investitionsquote kann als Anhaltspunkt für das Unternehmenswachstum interpretiert


werden. Eine sinkende Investitionsquote deutet darauf hin, dass dem Unternehmen entweder
die finanziellen Mittel für weitere Anschaffungen oder der Ansporn zur Besetzung neuer
Geschäftsfelder fehlen; eine steigende Investitionsquote lässt auf eine expansive Geschäfts-
politik schließen.
kumulierte Abschreibungen auf Sachanlagen
Anlagenabnutzungsgrad 
Bestand an Sachanlagen

Je größer diese Kennzahl ausfällt, desto älter sind die Produktionsanlagen des Unternehmens.
Ein hoher Anlagenabnutzungsgrad lässt auf einen veralteten technischen Stand und einen
zukünftigen Nachholbedarf an Investitionen schließen.
Abschreibungen auf Sachanlagen
Abschreibungsquote 
Bestand an Sachanlagen

Im Gegensatz zum Anlagenabnutzungsgrad, der die kumulierten Abschreibungen heranzieht,


lässt das in der Abschreibungsquote berechnete Verhältnis von aktuellen Abschreibungen zu
den Sachanlagen Rückschlüsse auf die Abschreibungspolitik des Unternehmens zu. Eine
hohe oder im Zeitablauf ansteigende Abschreibungsquote deutet auf die Bildung stiller Re-
serven durch maximale Ausnutzung von Abschreibungsmöglichkeiten hin.
Die vertikale Strukturanalyse der Passivseite gibt Aufschluss über die Kapitalstruktur sowie
den Bilanzkurs eines Unternehmens:
Eigenkapital
Eigenkapitalquote 
Gesamtkapital

Fremdkapital
Fremdkapitalquote 
Gesamtkapital

Fremdkapital
Verschuldungsgrad 
Eigenkapital

Ein hoher Verschuldungsgrad bzw. eine hohe Fremdkapitalquote deutet auf ein hohes Unter-
nehmensrisiko hin, das die Kapitalgeber bei ihren Anlage- bzw. Kreditentscheidungen be-
rücksichtigen müssen.

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4.2 Bilanzierung 211

Net Debt
Gearing 
Eigenkapital

Diese Kennzahl ähnelt dem Verschuldungsgrad. Jedoch bildet der Zähler nicht das gesamte
Fremdkapital, sondern lediglich die Netto-Finanzschulden ab, die den verzinslichen Verbind-
lichkeiten abzüglich der liquiden Mittel entsprechen. Bei sehr guter Liquiditätslage kann das
Gearing auch negative Werte annehmen.
bilanzielles Eigenkapital
Bilanzkurs   Nennwert der Aktie
gezeichnetes Kapital

Im Unterschied zu dem täglich schwankenden Börsenkurs gibt der Bilanzkurs den Sub-
stanzwert einer Aktie an. Durch Vergleich dieser beiden Werte lässt sich erkennen, in wel-
cher Höhe stille Reserven, der Goodwill oder aktuelle Informationen über das Unternehmen
ihren Niederschlag im Börsenkurs gefunden haben.
Die bei der horizontalen Strukturanalyse ermittelten Kennzahlen geben Aufschluss darüber,
inwieweit die Fristigkeiten von Anlagevermögen und Finanzierungsquellen aufeinander
abgestimmt sind.
Eigenkapital
Anlagendeckungsgrad I 
Anlagevermögen

Eigenkapital  langfristiges Fremdkapital


Anlagendeckungsgrad II 
Anlagevermögen

Der Grundsatz der Fristenkongruenz besagt in seiner strengen Formulierung, dass das Anla-
gevermögen durch Eigenkapital finanziert werden soll, d.h. der Anlagendeckungsgrad I soll-
te bei 1 liegen. Die abgeschwächte Formulierung, die im Anlagendeckungsgrad II zum Aus-
druck kommt, lässt auch eine Finanzierung des Anlagevermögens durch langfristiges Fremd-
kapital zu.

4.2.3.2 Liquiditätsanalyse
Die Liquiditätsanalyse soll das Risiko abschätzen, dass das Unternehmen illiquide, d.h. zah-
lungsunfähig, wird. Dieses Risiko ist umso größer, je früher die Verbindlichkeiten fällig
werden und je langfristiger die Kapitalbindung in den Vermögensgegenständen auf der Ak-
tivseite ist. Zur Liquiditätsanalyse werden zum einen die bereits in Abschnitt 3.1.2 darge-
stellten Liquiditätsgrade (Liquidität 1., 2. und 3. Grades) herangezogen. Jedoch kann auch
ein Unternehmen, dessen Bilanz eine hervorragende Liquidität ausweist, im Laufe des Ge-
schäftsjahrs illiquide werden, da die Bilanzdaten zum einen vergangenheitsorientiert sind
und zum anderen lediglich Forderungen und Verbindlichkeiten zum Bilanzstichtag, jedoch
keine laufenden Zahlungsverpflichtungen abbilden.
Weitere wichtige Liquiditätskennzahlen sind die working capital ratio und die Effektivver-
schuldung:

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212 4 Die Informationswirtschaft

Umlaufvermögen
working capital ratio 
kurz - und mittelfristiges Fremdkapital

Je größer der Wert dieser Kennzahl ist, die der Liquidität 3. Grades ähnelt, desto besser ist
die Liquiditätslage des Unternehmens einzuschätzen.
Effektivverschuldung = langfristiges Fremdkapital
+ kurz- und mittelfristiges Fremdkapital
– Zahlungsmittel
– kurzfristige Forderungen
Die Effektivverschuldung gibt an, welcher Teil des Fremdkapitals nicht durch kurzfristig
liquidierbare Vermögensgegenstände abgedeckt ist, d.h. welche Schulden dem Unternehmen
dauerhaft zuzurechnen sind.

4.2.3.3 Erfolgsanalyse
Ausgangspunkt der Erfolgsanalyse ist die Tatsache, dass der im Jahresabschluss ausgewiese-
ne Jahresüberschuss bzw. Jahresfehlbetrag als Indikator für den Erfolg eines Unternehmens
nur bedingt geeignet ist, da er häufig durch die Ausnutzung von steuerlichen Wahlmöglich-
keiten sowie Ansatz- und Bewertungswahlrechten im Rahmen der Bilanzpolitik verzerrt ist.
Daher werden andere, aussagekräftigere Kennzahlen herangezogen, die eher geeignet sind,
eine tragfähige Prognose über die zukünftige Entwicklung des Unternehmenserfolgs vorzu-
nehmen. Diese bauen teilweise auf dem Cashflow (vgl. Abschnitt 3.3.3) oder auf Rentabili-
tätskennzahlen (vgl. Abschnitt 3.1.1) auf.
Cashflow
Cashflow - Umsatzrate 
Umsatz
Mithilfe dieser Kennzahl lässt sich abschätzen, wie sich in Zukunft der Cashflow im Ver-
hältnis zum Jahresumsatz entwickeln wird.
Effektivverschuldung
dynamischer Verschuldungsgrad 
Cashflow
Der dynamische Verschuldungsgrad gibt an, in wie vielen Jahren das Unternehmen bei
gleich bleibender Entwicklung seine langfristigen Schulden aus den erwirtschafteten Mitteln
tilgen könnte. Diese Kennzahl erhält ihren dynamischen Charakter dadurch, dass der Cash-
flow eine zeitraumbezogene Größe ist.
Cashflow
Innenfinanzierungsgrad 
Zugänge zum Anlagevermögen

Diese Kennzahl gibt an, welcher Anteil der Investitionen des Geschäftsjahrs durch den Cash-
flow abgedeckt ist. Ein hoher Innenfinanzierungsgrad kann allerdings auch dadurch zustande
kommen, dass notwendige Investitionen unterlassen wurden.

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4.2 Bilanzierung 213

Eine wichtige Kennzahl im Rahmen der Erfolgsanalyse ist der bereits in Abschnitt 3.1.1
eingeführte Return on Investment (ROI). Dieser bildet den Ausgangspunkt für das DuPont-
System, das wohl bekannteste Kennzahlensystem, das erstmals 1919 von der Firma DuPont
eingesetzt wurde. Der ROI wird über mehrere Stufen hinweg in seine Bestandteile zerlegt, so
dass man Einblick in die wesentlichen Einflussgrößen des Unternehmenserfolgs erhält. Auf
der ersten Stufe ergeben sich durch Erweiterung der Definition des ROI mit dem Umsatz die
folgenden Beziehungen:
Gewinn Umsatz
ROI  
investiertes Kapital Umsatz
Gewinn Umsatz
 
Umsatz investiertes Kapital
 Umsatzrendite  Umschlaghäufigkeit des Kapitals

Somit ist der ROI das Produkt aus der Umsatzrendite und der Umschlaghäufigkeit des Kapi-
tals. Diese beiden Größen werden auf den nachfolgenden Stufen auf ihre Bestimmungsgrö-
ßen zurückgeführt, bis man zu elementaren Positionen aus der Bilanz und der Gewinn- und
Verlustrechnung gelangt.
In Abb. 4.8 ist der Aufbau des DuPont-Kennzahlensystems angegeben. Dieses Schema lässt
sich auf verschiedene Weise einsetzen: Zum einen kann man analysieren, welche Verände-
rungen von einzelnen Positionen der Bilanz oder der Gewinn- und Verlustrechnung für eine
festgestellte Veränderung des ROI verantwortlich sind. Zum anderen lässt sich abschätzen,
wie sich eine bestimmte Veränderung einer Einflussgröße auf die verschiedenen Kennzahlen
innerhalb des Schemas sowie auf den ROI als Spitzenkennzahl auswirken wird.
Im Rahmen einer wertorientierten Unternehmensführung werden vermehrt am Unterneh-
menswert orientierte Kennzahlen eingesetzt, die die Erfolgsrechnung mit den Methoden der
dynamischen Investitionsrechnung verknüpfen. Schlüsselkennzahl ist hier der Economic
Value Added (EVA), der sich als Differenz aus dem operativen Ergebnis (NOPAT, Net Ope-
rating Profit after Taxes) und den Kapitalkosten ergibt.
EVA  NOPAT  Capital  Cost of Capital 

Der NOPAT wird aus dem operativen Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT, Earnings
before Interest and Taxes) berechnet, indem man die Steuerzahlungen abzieht. Als Kapital
wird das Nettobetriebsvermögen herangezogen, das mit den durchschnittlichen Kapitalkosten
bewertet wird.
EVA
MVA  Gesamtkapital  investiertes Kapital 
Cost of Capital

Der Market Value Added (MVA) ergibt sich als Differenz aus dem Gesamtkapital und dem
investierten Kapital. Er kann als Kapitalwert des Unternehmens aufgrund zukünftiger Ge-
winnerwartungen interpretiert und alternativ als Quotient des EVA und der Kapitalkosten
berechnet werden.

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214

Return
on
Investment

Umsatz- Umschlags-
rentabilität × häufigkeit

Abb. 4.8 DuPont-Kennzahlensystem


Investiertes
Gewinn Umsatz Umsatz
: : Kapital

Deckungs- Anlage- Umlauf-


- Fixkosten +
beitrag vermögen vermögen

Vorräte
Variable Abschrei- Sonstige Sach- Finanz-
Umsatz - Zinsen + + liquide Mittel
Kosten + bungen + Fixkosten anlagen anlagen
+ Forderungen

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4 Die Informationswirtschaft
4.2 Bilanzierung 215

4.2.3.4 Wertschöpfungsanalyse
Bei der Wertschöpfungsanalyse wird der Beitrag ermittelt, den das Unternehmen insgesamt
bzw. die einzelnen Produktionsfaktoren zum betrieblichen Ergebnis geleistet haben. Die
Wertschöpfung, die das Unternehmen in einem Geschäftsjahr erbracht hat, lässt sich auf
zwei Wegen ermitteln: Die direkte Ermittlung ist eine Verwendungsrechnung, sie berechnet
die Wertschöpfung als Summe aus Arbeitserträgen, Kapitalerträgen und dem Staat zuflie-
ßenden Gemeinerträgen. Bei der indirekten Ermittlung ergibt sich die Wertschöpfung als
Differenz aus dem Wert der hergestellten Produkte und dem Wert der in die Produktion
eingegangenen, von außen bezogenen Vorleistungen.
Im Rahmen der Wertschöpfungsanalyse werden Kennzahlen zur Produktivität, zur Vertei-
lung der Wertschöpfung auf die Produktionsfaktoren und zur Wertschöpfungsquote gebildet.
Wertschöpfung
Arbeitsproduktivität 
Zahl der Arbeitnehmer

Tendenziell steigt die Arbeitsproduktivität an, wenn das Unternehmen Maßnahmen zur Rati-
onalisierung und Automatisierung durchführt, die eine Reduktion des für die Produktion
benötigten Arbeitseinsatzes ermöglichen.
Wertschöpfung
Kapitalproduktivität 
Gesamtkapital

Die Kapitalproduktivität bildet eine Obergrenze für die Verzinsung des eingesetzten Kapi-
tals.
Arbeitserträge
Lohnquote 
Wertschöpfung

Kapitalerträge
Kapitalquote 
Wertschöpfung

direkte Steuern
Steuerquote 
Wertschöpfung

Eine hohe Arbeits- bzw. Kapitalquote ist ein Anzeichen dafür, dass die Arbeitnehmer bzw.
die Kapitalgeber einen großen Anteil der Wertschöpfung erhalten. Eine geringe Steuerquote
zeigt, dass es dem Unternehmen z.B. durch bilanzpolitische Maßnahmen gelungen ist, seine
Steuerbelastung zu reduzieren.
Wertschöpfung
Wertschöpfungsquote 
Gesamtleistung

Die Wertschöpfungsquote erlaubt eine Aussage über die Leistungsfähigkeit eines Unterneh-
mens innerhalb der Gesamtwirtschaft. Mit ihrer Hilfe lassen sich z.B. auch Erkenntnisse über
Konzentrationsvorgänge gewinnen.

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216 4 Die Informationswirtschaft

Die Bedeutung der Bilanzanalyse ist in erster Linie darin zu sehen, dass sie auch Außenste-
henden eine Beurteilung eines Unternehmens erlaubt. Sie wird z.B. bei Kreditvergabeent-
scheidungen in Banken (Rating, vgl. Abschnitt 3.3.1), bei Anlageentscheidungen von In-
vestmentfonds oder anderen Großanlegern, aber auch beim Erwerb von Beteiligungen und
im Vorfeld von Unternehmenszusammenschlüssen eingesetzt.

4.3 Kostenrechnung
Die Aufgabe der Kostenrechnung besteht in der quantitativen und wertmäßigen Abbildung
der Güterflüsse innerhalb des Unternehmens, durch die seine Wirtschaftlichkeit überwacht
werden kann. In Abschnitt 4.3.1 wird zunächst als Grundlage für die weiteren Ausführungen
der Kostenbegriff definiert, in Abschnitt 4.3.2 werden die wichtigsten Kostenrechnungssys-
teme kurz erläutert. In den nachfolgenden Abschnitten wird der Ablauf einer ausgebauten
Kostenrechnung systematisch dargestellt: Zunächst werden in der Kostenartenrechnung
sämtliche angefallenen Kosten nach sachlichen Kriterien erfasst (Abschnitt 4.3.3), anschlie-
ßend werden sie in der Kostenstellenrechnung auf die Bereiche verrechnet, in denen sie an-
gefallen sind (Abschnitt 4.3.4), schließlich erfolgt in der Kostenträgerrechnung eine mög-
lichst verursachungsgerechte Zurechnung auf die hergestellten Produkte (Abschnitt 4.3.5).
Die hier ermittelten Selbstkosten der Produkte dienen unter anderem als Kalkulationsgrund-
lage bei der Preisbestimmung und der Abgabe von Angeboten. In der Betriebsergebnisrech-
nung wird durch Gegenüberstellung von Erlösen und Kosten einer Periode der kurzfristige
Erfolg des Unternehmens ermittelt (Abschnitt 4.3.6). Die Kostenrechnung wird auch als das
interne Rechnungswesen des Unternehmens bezeichnet, da sie sich im Wesentlichen an in-
terne Interessengruppen wendet (vgl. zu den Anspruchsgruppen nochmals Abschnitt 1.3.2).
Während die Bilanzierung lediglich einmal je Geschäftsjahr erfolgt, beträgt der Abrech-
nungszeitraum der Kostenrechnung ein Quartal oder sogar einen Monat, so dass wesentlich
aktuellere Informationen bereitgestellt werden können.

4.3.1 Kostenbegriff
Kosten sind der bewertete Verzehr von Gütern und Dienstleistungen zur Erstellung der be-
trieblichen Leistung einer Periode. Diese grundlegende Definition des Kostenbegriffs weist
vier Bestimmungsmerkmale auf, die zur Verdeutlichung und zur Abgrenzung gegen andere
Wertgrößen herangezogen werden können:
 Mengengerüst: Kosten fallen dadurch an, dass bestimmte Einsatzmengen an Sachgütern
und Dienstleistungen im betrieblichen Wertschöpfungsprozess verbraucht werden.
 Wertgerüst: Durch die Bewertung des zunächst mengenmäßig erfassten Produktions-
faktoreinsatzes mit Preisen werden heterogene Mengengrößen in eine einheitliche Wert-
größe, das Geld, überführt.

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4.3 Kostenrechnung 217

 Leistungsbezug: Kosten liegen nur dann vor, wenn der Faktoreinsatz in direktem Zu-
sammenhang mit der Erstellung der betrieblichen Leistungen steht. Dieses Merkmal dient
zur Abgrenzung der Kosten von neutralen Aufwendungen.
 Periodenbezug: Kosten liegen weiter nur dann vor, wenn der Faktoreinsatz in der jeweili-
gen Abrechnungsperiode erfolgt. Hierdurch wird eine Abgrenzung der Kosten von perio-
denfremden Aufwendungen vorgenommen.
Bei der Bewertung der Faktoreinsatzmengen stellt sich die Frage, welche Preise herangezo-
gen werden sollen:
 Auf den ersten Blick scheint es nahe liegend, die beim Kauf der Produktionsfaktoren
gezahlten Einstandspreise als Wertmaßstab heranzuziehen. Jedoch kann z.B. bei Maschi-
nen die Anschaffung bereits weit zurückliegen. Weiter können im Zeitablauf schwanken-
de Einstandspreise dazu führen, dass auch die für ein Produkt ausgewiesenen Kosten
schwanken.
 Beim Ansatz von Wiederbeschaffungspreisen werden die Produktionsfaktoren unabhän-
gig vom Zeitpunkt des Kaufs mit den jeweils aktuellen Marktpreisen bewertet. Das Prob-
lem schwankender Preise und damit Kosten besteht jedoch weiterhin.
 Zur Vermeidung derartiger Schwankungen kann auf Durchschnittspreise zurückgegriffen
werden, denen es allerdings an Exaktheit bzw. Aktualität mangelt.
 Einsatzgüter, die nicht vom Markt bezogen, sondern im eigenen Unternehmen erstellt
werden, z.B. selbst gefertigte Bauteile oder der Strom aus einem eigenen Kraftwerk, wer-
den mit internen Verrechnungspreisen bewertet, die im Rahmen der Kostenrechnung be-
stimmt werden müssen.
 Aus theoretischer Sicht exakt ist die Bewertung mit Opportunitätskosten. Diese entspre-
chen dem entgangenen Gewinn aus der besten nicht realisierten Verwendung eines Pro-
duktionsfaktors. Wird z.B. ein Bauteil, das auch als Ersatzteil verkauft werden könnte, in
der Produktion eingesetzt, so ergeben sich Opportunitätskosten in Höhe des Gewinns, der
beim Verkauf angefallen wäre. Umgekehrt entsprechen beim Verkauf des Bauteils die
Opportunitätskosten dem Gewinn, der beim Einsatz in der Produktion erzielt würde. Of-
fensichtlich bereitet die Bestimmung der Opportunitätskosten oft große Probleme, so dass
in der Praxis auf die zuvor genannten Wertmaßstäbe zurückgegriffen wird.
Ein Ziel der Kostenrechnung besteht in der Ermittlung des Unternehmenserfolgs. Der Ge-
samterfolg eines Unternehmens ergibt sich, indem man von der Summe aller Einzahlungen
die Summe aller Auszahlungen subtrahiert. Diese Größe lässt sich jedoch erst bei der Auflö-
sung des Unternehmens bestimmen, wenn alle Vorräte und Anlagegüter verkauft, die Forde-
rungen eingetrieben und die Gläubiger und Anteilseigner ausgezahlt werden. Da die Unter-
nehmensführung zur Steuerung der Geschäftstätigkeit zwischenzeitliche Erfolgsgrößen benö-
tigt, muss eine geeignete Periodisierung und Abgrenzung der Zahlungen von anderen Wert-
größen erfolgen.

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218 4 Die Informationswirtschaft

Die für das Rechnungswesen relevanten Wertgrößen lassen sich den folgenden vier Wert-
ebenen zuordnen (vgl. auch Abb. 4.9):

Bestandsgrößen Zuflüsse Abflüsse

Zahlungsmittel = Bargeld + liquide Mittel Einzahlungen Auszahlungen


Geldvermögen = Zahlungsmittel + Forderungen
Einnahmen Ausgaben
– Verbindlichkeiten

Reinvermögen = Geldvermögen + Sachvermögen Erträge Aufwendungen


Betriebsvermögen = Reinvermögen – nicht betriebs-
Betriebserträge Kosten
notwendiges Vermögen

Abb. 4.9 Wertebenen

 Der Zahlungsmittelbestand setzt sich aus dem Bargeld und den Beständen an liquiden
Mitteln, z.B. auf Bankkonten, zusammen. Zuflüsse bei den Zahlungsmitteln werden als
Einzahlungen bezeichnet, Abflüsse als Auszahlungen. Zahlungen werden anhand von
Zahlungsbelegen erfasst.
 Das Geldvermögen besteht aus den Zahlungsmitteln zuzüglich der Forderungen und
abzüglich der Verbindlichkeiten. Zuflüsse beim Geldvermögen heißen Einnahmen, Ab-
flüsse sind Ausgaben; ihre Erfassung erfolgt anhand von Rechnungen.
 Man erhält das Reinvermögen, indem man zum Geldvermögen das mit Preisen bewertete
Sachvermögen addiert. Ein Zufluss beim Sachvermögen ist ein Ertrag, ein Abfluss ein
Aufwand. Erträge und Aufwendungen werden in der Finanzbuchhaltung erfasst.
 Das Betriebsvermögen ergibt sich, indem man vom Reinvermögen das nicht betriebsnot-
wendige Vermögen subtrahiert. Zum nicht betriebsnotwendigen Vermögen zählen Ver-
mögensgegenstände, die nicht der betrieblichen Tätigkeit dienen, z.B. Werkswohnungen,
brachliegende Grundstücke oder zu Spekulationszwecken gehaltene Wertpapiere. Zuflüs-
se zum Betriebsvermögen nennt man Betriebserträge, Abflüsse heißen Kosten. Die Be-
stimmung der Betriebserträge und Kosten erfolgt in der Kostenrechnung.
Bei Vorgängen, die sich innerhalb einer Abrechnungsperiode vollständig abwickeln lassen,
werden sämtliche vier Wertebenen berührt. Bestellt z.B. ein Kunde ein spezielles Ersatzteil
für eine Maschine, das in derselben Periode angefertigt, ausgeliefert und bezahlt wird, so
liegen aus Sicht des liefernden Unternehmens eine Einzahlung, eine Einnahme, ein Ertrag
und ein Betriebsertrag vor; aus Sicht des Kunden bedeutet dieser Vorgang gleichzeitig eine
Auszahlung, eine Ausgabe, einen Aufwand und Kosten. In der Praxis tritt jedoch – gerade
angesichts der kurzen Abrechnungsperiode der Kostenrechnung – häufig der Fall auf, dass
Vorgänge am Periodenende nicht abgeschlossen sind, z.B. wenn eine Produktion begonnen,
aber noch nicht fertig gestellt ist, wenn eine Rechnung eingegangen, aber noch nicht bezahlt

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4.3 Kostenrechnung 219

ist. Derartige Abweichungen zwischen den Wertebenen lassen sich wie folgt systematisieren
(vgl. auch Abb. 4.10):

Auszahlungen 2 4 Einzahlungen

1 Ausgaben 6 8 Einnahmen 3

5 Aufwendungen 10 12 Erträge 7

9 Kosten Betriebserträge 11

Abb. 4.10 Abgrenzung der Wertebenen

 Eine Abweichung zwischen der Zahlungsmittel- und der Geldvermögensebene liegt im-
mer dann vor, wenn Kreditvorgänge auftreten. Dabei lassen sich folgende Fälle unter-
scheiden:
(1) Auszahlung, keine Ausgabe: z.B. Tilgung eines Kredits
(2) Ausgabe, keine Auszahlung: z.B. Einkauf auf Ziel
(3) Einzahlung, keine Einnahme: z.B. Eingang einer Forderung
(4) Einnahme, keine Einzahlung: z.B. Lieferung auf Ziel
 Abweichungen zwischen der Geldvermögens- und der Reinvermögensebene lassen sich
insbesondere auf Lagerbestandsveränderungen zurückführen:
(5) Ausgabe, kein Aufwand: z.B. Kauf und Einlagerung von Material
(6) Aufwand, keine Ausgabe: z.B. Einsatz von gelagertem Material in der Produktion
(7) Einnahme, kein Ertrag: z.B. Verkauf von zuvor gelagerten Erzeugnissen
(8) Ertrag, keine Einnahme: z.B. Produktion auf Lager
 Unterschiede zwischen der Reinvermögens- und der Betriebsvermögensebene beruhen
darauf, dass einerseits der Erfolg des gesamten Unternehmens und andererseits der Erfolg
aus der betrieblichen Tätigkeit ermittelt werden soll. Sie bestehen zum einen in neutralen
Erträgen und Aufwendungen, die zwar in der Finanzbuchhaltung, aber nicht in der Kos-
tenrechnung erfasst werden. Neutrale Erträge und Aufwendungen sind Erfolgskomponen-
ten, die einer anderen Abrechnungsperiode zuzurechnen sind (periodenfremd), nicht aus
der betrieblichen Tätigkeit hervorgehen (betriebsfremd) oder in ungewöhnlicher Höhe
anfallen (außerordentlich). Zum anderen fallen kalkulatorische Kosten an, die in der Kos-
tenrechnung abweichend von der Finanzbuchhaltung (Zusatzkosten) oder in anderer
Höhe (Anderskosten) verbucht werden.

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220 4 Die Informationswirtschaft

(9) Aufwand, keine Kosten: neutrale Aufwendungen


(10) Kosten, kein Aufwand: kalkulatorische Kosten
(11) Ertrag, kein Betriebsertrag: neutraler Ertrag
(12) Betriebsertrag, kein Ertrag: kalkulatorischer Betriebsertrag
Bei einer analytischen Betrachtung der Kosten lassen sich die Kostendefinition und die Kos-
tenfunktion unterscheiden. Die bereits zu Beginn des Abschnitts verbal angeführte Kostende-
finition gibt an, wie die Kosten als Summe der mit ihren Preisen ci bewerteten Faktor-
einsatzmengen ri berechnet werden:
n
K   ri  ci
i 1

Die Kostenfunktion hingegen beschreibt die Kosten in Abhängigkeit von der Produktions-
menge x:
K  K ( x)

Der Zusammenhang zwischen der Kostendefinition und der Kostenfunktion wird durch die
Produktionsfunktion hergestellt (vgl. Abschnitt 2.2.1), die die Abhängigkeit zwischen der
Faktoreinsatzmenge und der Produktionsmenge mathematisch beschreibt. Grundsätzlich
lassen sich in einer solchen Kostenfunktion die folgenden Bestandteile unterscheiden (vgl.
Abb. 4.11):

Gesamtkosten

Fixkosten Variable Kosten Sprungfixe Kosten

Gehälter Löhne Zusätzliche Fixkosten


einer neuen Anlage
Versicherungen Materialkosten
Zinsen Energieverbrauch
Miete, Pacht Logistikkosten
Abschreibungen

Abb. 4.11 Kostenkategorien

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4.3 Kostenrechnung 221

 Fixkosten K F fallen unabhängig von der produzierten Menge für die Aufrechterhaltung
der Betriebsbereitschaft an. Dazu zählen z.B. Gehälter, Versicherungen, Zinsen für lang-
fristige Kredite, Miete, Pacht oder Leasingraten sowie Abschreibungen auf die Gebäude
und Maschinen.
 Variable Kosten KV sind Kosten, die direkt mit der Produktionsmenge x steigen oder
fallen, z.B. Lohnkosten, Materialkosten, Energiekosten, aber auch Entsorgungs- und Lo-
gistikkosten.
 Sprungfixe Kosten verlaufen innerhalb eines bestimmten Bereichs konstant, steigen je-
doch bei Überschreiten einer kritischen Produktionsmenge sprunghaft an. Ein Beispiel
sind die zusätzlichen Fixkosten, die bei der Anschaffung einer neuen Anlage zur Befrie-
digung gestiegener Nachfrage auf das Unternehmen zukommen.
Lässt man die sprungfixen Kosten außer Acht, so lautet die Kostenfunktion nunmehr:
K ( x)  K F  KV ( x)

Da die variablen Kosten direkt von der Produktionsmenge abhängen, ist ihr Verlauf genauer
zu untersuchen. Dabei lassen sich die folgenden drei Grundtypen unterscheiden, deren Kos-
tenverläufe in Abb. 4.12 beispielhaft abgebildet sind:

K(x)
Progressive
Kosten
Degressive
Kosten

Proportionale
Kosten

KF

Abb. 4.12 Verlauf der Kostenfunktion

 Der einfachste Fall ist der proportionale Kostenverlauf, bei dem jedes produzierte Stück
immer gleich viel kostet. Dieser Kostenverlauf ist typisch für den Materialverbrauch, so-
weit er sich aus Stücklisten (vgl. Abschnitt 2.1.3) ableiten lässt.
 Ein degressiver Kostenverlauf liegt vor, wenn bei Ausdehnung der Produktion jedes
zusätzlich produzierte Stück weniger kostet, dadurch verläuft die Kostenfunktion immer

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222 4 Die Informationswirtschaft

flacher. Dieser Kostenverlauf lässt sich z.B. mit Lerneffekten oder Mengenrabatten be-
gründen.
 Bei einem progressiven Kostenverlauf steigt die Kostenfunktion überproportional an, da
die Produktion jedes zusätzlichen Stücks immer teurer wird. Ein solcher Anstieg beruht
z.B. auf erhöhtem Energieverbrauch bei Ausdehnung der Produktion durch intensitäts-
mäßige Anpassung (vgl. Abschnitt 2.2.1) oder auf zunehmendem Ausschuss aufgrund
von Ermüdungserscheinungen.
Im Rahmen der Kostenrechnung geht man in der Regel aus Gründen der Vereinfachung von
einem linearen Kostenverlauf aus. Diese Annahme stellt eine gute Annäherung an den tat-
sächlichen Kostenverlauf dar, wenn sich progressive und degressive Kosteneinflussgrößen
insgesamt ungefähr ausgleichen.
Bei der Analyse einer Kostenfunktion sind die folgenden Größen von Bedeutung:
 Als Durchschnittskosten bzw. Stückkosten bezeichnet man den bei einer bestimmten
Produktionsmenge auf das einzelne Stück entfallenden Betrag, der sich durch Division
der Gesamtkosten durch die Produktionsmenge ergibt. Da sich bei steigender Produkti-
onsmenge die Fixkosten auf eine immer größere Stückzahl verteilen, verlaufen die
Stückkosten in Abhängigkeit von der Produktionsmenge tendenziell fallend.
K ( x) K F  KV ( x)
k ( x)  
x x
 Die variablen Durchschnittskosten ergeben sich, indem man lediglich die variablen Kos-
ten durch die Produktionsmenge dividiert. Sie sind immer geringer als die gesamten
Durchschnittskosten. Bei proportionalem Verlauf der variablen Kosten sind die variablen
Durchschnittskosten konstant, bei degressivem Verlauf sinken und bei progressivem Ver-
lauf steigen sie.
KV ( x) K ( x)  K F
k v ( x)  
x x
 Die Grenzkosten geben an, um welchen Betrag die Kosten steigen, wenn ein zusätzliches
Stück produziert wird. Sie werden daher auch als Kosten der letzten produzierten Einheit
bezeichnet und lassen sich als erste Ableitung der Kostenfunktion berechnen. Ähnlich
wie die variablen Durchschnittskosten sind die Grenzkosten bei proportionalem Kosten-
verlauf konstant, bei degressivem Kostenverlauf sinken und bei progressivem Kostenver-
lauf steigen sie mit der Produktionsmenge.
d K ( x)
K ' ( x) 
dx

Kosten lassen sich nach unterschiedlichen Kriterien klassifizieren. Stellt man darauf ab,
inwieweit sich die Kosten durch eine betriebliche Entscheidung, z.B. die Entscheidung über
die Höhe der Produktionsmenge, beeinflussen lassen, so erhält man die bereits bekannte

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4.3 Kostenrechnung 223

Einteilung in entscheidungsunabhängige Fixkosten und entscheidungsabhängige variable


Kosten. Nach der Art der Weiterverrechnung unterscheidet man Einzelkosten, die sich direkt
den Produkten zurechnen lassen, und Gemeinkosten, die nur indirekt von der Produktions-
menge abhängen und daher zunächst anderen Abrechnungseinheiten zugerechnet werden
müssen. Beispiele für Einzelkosten sind die Kosten des Materialeinsatzes, der Verpackung
und die direkt erfassten Fertigungslöhne. Als Gemeinkosten fallen z.B. Maschinenkosten,
Energiekosten, Gehälter, Mieten und Verwaltungskosten an.

4.3.2 Kostenrechnungssysteme
Im Laufe der Zeit sind verschiedene Systeme der Kostenrechnung entwickelt worden, die
sich vor allem hinsichtlich ihres Zeitbezugs und des Umfangs der Kostenverrechnung unter-
scheiden. Nach dem Zeitbezug der Kosten unterscheidet man:
 Die Istkostenrechnung ist vergangenheitsorientiert und verrechnet die tatsächlich angefal-
lenen Kosten einer Periode. Istkosten ergeben sich durch Multiplikation von Istver-
brauchsmengen mit Istpreisen.
 Die Normalkostenrechnung ist ebenfalls vergangenheitsorientiert, arbeitet jedoch mit
festen Verrechnungspreisen anstelle von Istpreisen.
 Die Plankostenrechnung ist zukunftsorientiert. Plankosten werden auf Basis geplanter
Mengengrößen und geplanter Preise berechnet und dienen vor allem der späteren Kos-
tenkontrolle.
Nach dem Umfang der verrechneten Kosten unterscheidet man die Vollkostenrechnung, bei
der sämtliche in der Abrechnungsperiode angefallenen Kosten auf die Produkte verrechnet
werden, und die Teilkosten- bzw. Deckungsbeitragsrechnung, die lediglich die variablen
Kosten auf die Produkte verrechnet und die Fixkosten separat analysiert. Ein grundlegendes
Prinzip der Kostenrechnung ist das Verursachungsprinzip, nach dem die Kosten genau dort
angelastet werden sollten, wo sie verursacht worden sind. Während der Teilkostenrechnung
das Verursachungsprinzip in seiner strengen Fassung zugrunde liegt, stellt die Vollkosten-
rechnung darauf ab, dass letztlich auch die Fixkosten durch die betriebliche Tätigkeit verur-
sacht werden und daher den Produkten anzulasten sind.
Wie das folgende Beispiel zeigt, sind bei der Vollkostenrechnung gravierende Fehlentschei-
dungen möglich, da sie weniger Einblick in die Kostenstruktur gibt. In einer Süßwarenfabrik
werden Schokoladenriegel, Müslikekse und Weingummi hergestellt. Dabei fallen Fixkosten
in Höhe von insgesamt 1.200 € an. In Tab. 4.1 sind die relevanten Daten und die Erfolgskal-
kulation bei einer Vollkostenrechnung dargestellt.

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224 4 Die Informationswirtschaft
Tab. 4.1 Vollkostenkalkulation

Produkt Menge Preis Stückkosten p–k Erfolg


Schokoriegel 4.000 0,50 € 0,55 € –0,05 € –200 €
Müslikekse 2.000 1,00 € 0,70 € 0,30 € 600 €
Weingummi 1.000 1,50 € 1,00 € 0,50 € 500 €

Offensichtlich verursacht jeder Schokoriegel 0,05 € mehr Kosten, als sein Erlös beträgt, so
dass das Unternehmen aus der Produktsparte Schokoriegel einen Verlust von 200 € erwirt-
schaftet. Für die beiden anderen Produkte ergibt sich ein Gewinn von 600 € (Müslikekse)
bzw. 500 € (Weingummi), der Gesamtgewinn beträgt somit 900 €. Als die Unternehmenslei-
tung diese Zahlen sieht, beschließt sie, die Produktion der Schokoriegel aufzugeben und
erwartet, dass der Gewinn anschließend auf 1.100 € steigt. Tatsächlich sinkt er jedoch um
weitere 200 € auf 700 €. Die Ursache für dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis
liegt in der Verwendung der Vollkostenrechnung, bei der auch die Fixkosten auf die Produk-
te verrechnet werden, und die in diesem Fall falsche Informationen hinsichtlich der Ertrags-
lage der Produkte liefert.

Tab. 4.2 Teilkostenkalkulation

Produkt Menge Preis Variable Stückkosten p – kv Erfolg


Schokoriegel 4.000 0,50 € 0,45 € 0,05 € 200 €
Müslikekse 2.000 1,00 € 0,50 € 0,50 € 1.000 €
Weingummi 1.000 1,50 € 0,60 € 0,90 € 900 €

Tab. 4.2 zeigt, wie sich im vorliegenden Beispiel derselbe Gewinn in Höhe von 900 € aus
Sicht der Teilkostenrechnung zusammensetzt. In der fünften Spalte ist nunmehr nicht der
Stückgewinn, sondern der Stückdeckungsbeitrag angegeben, in der sechsten Spalte der Ge-
samtdeckungsbeitrag der einzelnen Produkte. Der Deckungsbeitrag ist der Betrag, den ein
Produkt über seine variablen Kosten hinaus erwirtschaftet und der zur Abdeckung der Fix-
kosten verwendet werden kann. Im Beispiel betragen die Fixkosten insgesamt 1.200 €, so
dass von der Summe der Deckungsbeiträge in Höhe von 2.100 € ein Gewinn in Höhe von
900 €, d.h. in gleicher Höhe wie bei der Vollkostenrechnung, verbleibt.
Im Unterschied zur Vollkostenrechnung, bei der die Fixkosten willkürlich – in diesem Fall
zu je 1/3 – auf die Produkte verteilt wurden, zeigt die Teilkostenrechnung die Quellen des
Erfolgs eindeutig auf: Da alle drei Produkte einen positiven Stückdeckungsbeitrag liefern,
sollte keines aus dem Sortiment genommen werden. Die Verschlechterung des Ergebnisses
der Vollkostenrechnung nach der Einstellung der Schokoriegelproduktion resultiert daraus,
dass die Fixkosten in unveränderter Höhe anfallen, jedoch der Deckungsbeitrag der Schoko-
riegel in Höhe von 200 € verloren geht. Eine Elimination der Schokoriegel aus dem Sorti-
ment wäre nur dann sinnvoll, wenn sich innerhalb des Fixkostenblocks abbaufähige Fixkos-
ten der Schokoriegelproduktion von mehr als 200 € identifizieren ließen, denn in diesem Fall

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4.3 Kostenrechnung 225

würde der Gesamtdeckungsbeitrag dieser Produktart nicht ausreichen, um die ihr eindeutig
zurechenbaren Fixkosten abzudecken.
Der in den folgenden Abschnitten dargestellte Ablauf der Kostenrechnung entspricht einer
Istkostenrechnung auf Vollkostenbasis, kann jedoch mit entsprechenden Modifikationen
auch auf die übrigen Kostenrechnungssysteme übertragen werden. Abb. 4.13 gibt einen
Überblick über die auf den einzelnen Stufen der Kostenrechnung vorgenommenen Verrech-
nungsschritte.

Gesamtkosten gegliedert nach Kostenarten

Kostenarten-
rechnung

Kostenträger- Kostenträger-
einzelkosten gemeinkosten

Kostenstellen- Kostenstellen-
einzelkosten gemeinkosten

direkt indirekt

Kostenstellen-
Hilfs- und Hauptkostenstellen rechnung

direkt direkt oder indirekt

Hauptkostenstellen

indirekt

Kostenträger-
Gesamtkosten gegliedert nach Kostenträgern rechnung

Abb. 4.13 Ablauf der Kostenrechnung

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226 4 Die Informationswirtschaft

Offensichtlich besteht die Aufgabe der Kostenrechnung darin, die zunächst nach Kostenarten
gegliederten Kosten in mehreren Schritten so umzuverteilen, dass sich schließlich eine Glie-
derung nach Kostenträgern, d.h. Produkten oder Aufträgen, ergibt. Dazu werden zunächst in
der Kostenartenrechnung die Kosten nach Kostenarten erfasst und entweder als Einzelkosten
der Produkte direkt in die Kostenträgerrechnung weitergeleitet oder als Gemeinkosten in die
Kostenstellenrechnung gegeben. Als nächstes erfolgt eine Zurechnung auf Kostenstellen, d.h.
organisatorische Einheiten mit Kostenverantwortung. Kostenstelleneinzelkosten, z.B. Ab-
schreibungen auf Maschinen oder Gehälter, lassen sich nach dem Verursachungsprinzip
direkt einer Kostenstelle zuordnen, während Kostenstellengemeinkosten, z.B. Raumkosten
oder Energiekosten, für mehrere Kostenstellen gemeinsam anfallen und über Schlüsselgrö-
ßen verteilt werden müssen. Das Ziel der Kostenstellenrechnung besteht darin, sämtliche
Kosten auf den Hauptkostenstellen, die direkt zu der Herstellung der Kostenträger beitragen,
zu sammeln. Dazu werden in der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung, dem zweiten
Schritt der Kostenstellenrechnung, die Kosten der vorgelagerten Hilfskostenstellen entspre-
chend ihrer Inanspruchnahme auf die Hauptkostenstellen verrechnet. In der Kostenträger-
rechnung bzw. Kalkulation werden dann die Hauptkostenstellen auf die Kostenträger abge-
rechnet und diese anteiligen Gemeinkosten mit den direkt abgerechneten Einzelkosten zu den
Produktkosten zusammengeführt.

4.3.3 Kostenartenrechnung
Die Kostenartenrechnung ist die erste Stufe der in Abb. 4.13 dargestellten Kostenrechnung,
sie gibt die Antwort auf die Frage:
Welche Kosten fallen an?
Ihre Aufgabe ist die systematische Erfassung aller in der Abrechnungsperiode angefallenen
Kosten in einem Kostenartenplan. Der Kostenartenplan ist eine unternehmensspezifische
Zusammenstellung der regelmäßig auftretenden Kostenarten; er ist ein wichtiges Hilfsmittel
bei der Kontierung und anschließenden Verbuchung der Kostenbelege. Die sorgfältige Auf-
stellung des Kostenartenplans ist eine wesentliche Voraussetzung für eine aussagekräftige
Kostenrechnung. Die Einteilung der Kostenarten muss nach den Grundsätzen der Reinheit
und Einheitlichkeit erfolgen, damit eine schnelle und einheitliche Zuordnung der anfallenden
Belege sichergestellt ist. Typischerweise orientiert sich die Gliederung der Kostenarten an
den eingesetzten Produktionsfaktoren, z.B. unterscheidet der Gemeinschaftskontenrahmen
der Industrie folgende Kontengruppen:
 Materialeinzelkosten
 Materialgemeinkosten
 Kosten für Brennstoffe und Energie
 Lohn- und Gehaltskosten
 Sozialkosten und andere Personalkosten
 Instandhaltungskosten und Fremdleistungen

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4.3 Kostenrechnung 227

 Steuern, Gebühren, Beiträge


 Mieten, Verkehrs-, Büro- und Werbekosten
 Kalkulatorische Kosten
 Sondereinzelkosten
Im Folgenden wird auf die Erfassung der wichtigsten Kostenarten eingegangen.

1. Materialkosten
Unter der Kostenart Materialkosten werden die für den Einsatz von Roh-, Hilfs- und Be-
triebsstoffen, Zukaufteilen sowie Verbrauchsmaterial in der Produktion anfallenden Kosten
erfasst. Dabei lassen sich die Kosten des Materialeinsatzes in der Regel als Materialeinzel-
kosten den Produkten zuordnen, während die Kosten der Beschaffung, der Lagerung und der
Bereitstellung des Materials als Materialgemeinkosten anfallen.
Bei der Erfassung der Kosten des Materialverbrauchs sind zwei Teilprobleme zu lösen (vgl.
Abb. 4.14): Die Ermittlung des Mengengerüsts der Kosten greift auf die in der Materialab-
rechnung erfassten Verbrauchsdaten zurück, für die Bewertung des Materialverbrauchs wer-
den Daten aus der Finanzbuchhaltung herangezogen.

Materialkosten

Mengengerüst Wertgerüst

Inventurmethode Istpreise: LIFO


FIFO
Skontrationsmethode HIFO
Retrograde Methode Durchschnitts-
preise

Planpreise

Abb. 4.14 Erfassung der Materialkosten

Zur Ermittlung des Materialverbrauchs stehen folgende Verfahren zur Verfügung:


 Bei der Inventurmethode werden die laufenden Materialzugänge festgehalten sowie der
Materialbestand an bestimmten Stichtagen durch eine körperliche Bestandsaufnahme (In-

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228 4 Die Informationswirtschaft

ventur) erfasst. Der Materialverbrauch zwischen zwei Stichtagen lässt sich dann wie folgt
ermitteln:
Verbrauch = Anfangsbestand + Zugänge – Endbestand
Diese Methode verursacht durch die häufigen Inventuren einen hohen Aufwand. Ihr we-
sentlicher Nachteil ist, dass zum einen im Materialverbrauch auch Unregelmäßigkeiten
wie Schwund, Verderb oder Diebstahl enthalten sind, zum anderen lässt sich der so er-
mittelte Gesamtverbrauch nicht mehr einzelnen Kostenstellen oder Kostenträgern zu-
rechnen.
 Die Skontrationsmethode schreibt die bei der jährlichen Inventur ermittelten Materialbe-
stände fort. Die laufenden Materialzugänge werden durch Lieferscheine erfasst, die Mate-
rialabgänge durch Materialentnahmescheine, die eine eindeutige Zuordnung zur verbrau-
chenden Kostenstelle erlauben. Der Gesamtverbrauch einer Periode ergibt sich als Sum-
me der Entnahmemengen. Bestandsminderungen durch Unregelmäßigkeiten lassen sich
durch Vergleich des Buchbestands mit dem nächsten Inventurbestand erkennen. Die
Skontrationsmethode liefert detaillierte und exakte Verbrauchsdaten, erfordert allerdings
eine aufwändige Informationsverarbeitung.
 Die retrograde Methode ermittelt den Materialverbrauch durch Rückrechnung aus dem
hergestellten Produktionsprogramm. Anhand der Stücklisten wird ermittelt, in welcher
Menge ein Teil in das Produkt eingeht, durch Multiplikation mit der Anzahl der herge-
stellten Produkte ergibt sich der Materialverbrauch. Da sowohl Stücklisten- als auch Pro-
duktionsprogramminformationen in einem Fertigungsunternehmen regelmäßig vorliegen,
sind diese Berechnungen schnell und einfach durchführbar, eine eindeutige Zurechnung
des Materialverbrauchs zu den verursachenden Kostenstellen und Kostenträgern ist mög-
lich. Ein Nachteil der Methode ist, dass sich Abweichungen vom Sollverbrauch, z.B.
durch Ausschuss, sowie Bestandsminderungen aufgrund von Unregelmäßigkeiten erst im
Rahmen der jährlichen Inventur erfassen lassen.
Die Bewertung des Materialverbrauchs kann mit Istpreisen, d.h. den gezahlten Anschaf-
fungspreisen, oder mit festen Planpreisen, die auf der Basis der Istpreise für einen längeren
Zeitraum vorgegeben werden, erfolgen. Planpreise bieten den Vorteil, dass sie eine konstan-
te, von Preisschwankungen unabhängige Kalkulationsgrundlage bieten. Bei der Verwendung
von Istpreisen tritt häufig das zusätzliche Problem auf, dass das eingesetzte Material nicht
direkt aus einer bestimmten Lieferung, sondern aus dem Lager entnommen wird, in dem sich
Bestände aus verschiedenen Lieferungen mit unterschiedlichen Preisen vermischen. In die-
sem Fall muss der Anschaffungspreis einer eingesetzten Materialmenge mithilfe eines der
folgenden Verbrauchsfolgeverfahren ermittelt werden, die den tatsächlichen Lagerabgang
möglichst gut widerspiegeln sollen:
 Bei der FIFO-Methode (First in first out) wird unterstellt, dass die Bestände aus der am
längsten zurückliegenden Lieferung zuerst verbraucht werden. Dies ist z.B. bei der Lage-
rung in Silos oder in von der Rückseite befüllten Regalen der Fall.

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4.3 Kostenrechnung 229

 Bei der LIFO-Methode (Last in first out) wird hingegen angenommen, dass die zuletzt
gelieferten Einheiten zuerst verbraucht werden. Dies tritt z.B. bei der Lagerung in einem
Stapel oder in von der Vorderseite befüllten Regalen auf.
 Die HIFO-Methode (Highest in first out) geht davon aus, dass der Verbrauch zuerst aus
der zum höchsten Preis eingekauften Lieferung erfolgt. Diese Rechnung entspricht keiner
realen Verbrauchsfolge, sondern wird allenfalls aus bilanzpolitischen Gründen eingesetzt.
Dies ist jedoch nach deutschem Bilanzrecht nicht zulässig.
 Falls sich die Bestände aus verschiedenen Lieferungen im Lager vollständig vermischen,
wie es z.B. bei Schüttgütern oder Flüssigkeiten der Fall ist, wird die Methode der gleiten-
den Durchschnitte angewendet. Bei jedem Lagerzugang Lneu wird ein neuer Durch-
schnittspreis ermittelt, indem man den gewichteten Mittelwert aus dem alten Durch-
schnittspreis p alt und dem Preis des neuen Lagerzugangs p neu berechnet:
p alt  Lalt  p neu  Lneu
p neu 
Lalt  Lneu

2. Personalkosten
Zu den Personalkosten zählen sämtliche Kosten, die unmittelbar oder mittelbar im Zusam-
menhang mit dem Einsatz von Arbeitskräften anfallen (vgl. Abb. 4.15). Sie setzen sich aus
dem Arbeitsentgelt, das in Form von Löhnen, Gehältern, Zuschlägen z.B. für Überstunden
und Prämien gezahlt wird, und den Personalnebenkosten zusammen. Personalnebenkosten
sind insbesondere die Arbeitgeberanteile zu den verschiedenen Zweigen der Sozialversiche-
rung – der Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Pflegever-
sicherung und der vom Arbeitgeber allein getragenen Unfallversicherung. Weiter zählen
dazu freiwillig vom Unternehmen erbrachte Sozialleistungen wie Essenszuschüsse, Gratifi-
kationen, medizinische Dienste oder ein Betriebskindergarten sowie sonstige Personalneben-
kosten für Umzüge, Abfindungen usw. Das Statistische Bundesamt weist für das Jahr 2010
die Personalnebenkosten in Deutschland mit durchschnittlich 28% aus.
Die Personalkosten werden in der Lohnbuchhaltung mithilfe von Lohnscheinen, Akkord-
scheinen, Stempelkarten oder Gehaltslisten erfasst. Soweit es sich um Akkordlöhne oder um
separat erfasste Zeitlöhne handelt, lassen sie sich den Produkten direkt als Lohneinzelkosten
zurechnen; pauschal erfasste Zeitlöhne und Gehälter hingegen sind Fertigungsgemeinkosten,
die auf der entsprechenden Kostenstelle verbucht werden.
Neben den regelmäßig gezahlten Löhnen und Gehältern, die der Produktion in der Abrech-
nungsperiode zuzurechnen sind, leistet das Unternehmen unregelmäßige oder einmalige
Zahlungen z.B. in Form von Weihnachtsgeld, Lohnzahlungen während des Urlaubs, Lohn-
fortzahlung im Krankheitsfall, denen in der Periode der Auszahlung keine Leistungen gegen-
überstehen. Um auch diese Zahlungen verursachungsgerecht zu verrechnen, ist eine Perio-
denabgrenzung vorzunehmen. Dabei wird entweder durch eine Zwölftelung der Zahlungen
eine gleichmäßige Belastung der einzelnen Monate oder durch eine Verteilung proportional

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230 4 Die Informationswirtschaft

zu den in den einzelnen Monaten gezahlten Fertigungslöhnen eine gleichmäßige Belastung


der Produkte erreicht.

Personalkosten

Personal-
Arbeitsentgelt
nebenkosten

Löhne Gesetzliche Sozialabgaben


Gehälter Freiwillige Sozialkosten
Zuschläge Umzugskosten
Prämien Abfindungen
.....

Abb. 4.15 Personalkosten

3. Dienstleistungskosten
Zu den Dienstleistungskosten zählen sämtliche Zahlungen für Leistungen, die von fremden
Personen oder Institutionen erbracht werden, z.B.:
 Reparatur-, Wartungs- und Instandhaltungskosten
 Fracht- und Transportkosten
 Versicherungsprämien
 Bankgebühren
 Gebühren für behördliche Leistungen
 Beiträge zu Verbänden
 Rechts- und Steuerberatungskosten
 Kosten für Leistungen von Unternehmensberatungen oder Werbeagenturen
 Telekommunikationskosten
 Portokosten
Dienstleistungskosten lassen sich anhand von Zahlungsbelegen oder der Rechnungen erfas-
sen, mit denen der Dienstleister seine Forderungen geltend macht. Bei jährlich erfolgenden
Zahlungen für Leistungen, die über das Jahr hinweg in Anspruch genommen werden, ist eine
zeitliche Abgrenzung – analog zu den Sonderzahlungen bei den Personalkosten – erforder-
lich. Ein großer Teil der Dienstleistungskosten sind Gemeinkosten, eine direkte Zurechnung

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4.3 Kostenrechnung 231

auf Kostenträger ist lediglich bei den Transportkosten möglich, soweit sie als Sondereinzel-
kosten des Vertriebs erfasst werden.

4. Steuern und öffentliche Abgaben


Steuern und Abgaben an öffentliche Kassen werden in der Kostenrechnung erfasst, wenn sie
in direktem Zusammenhang mit der Erstellung der betrieblichen Leistungen oder der Auf-
rechterhaltung der Betriebsbereitschaft stehen. Typische Kostensteuern sind z.B. die Gewer-
besteuer, die Grundsteuer auf Betriebsgrundstücke, die Kraftfahrzeugsteuer und die Versi-
cherungsteuer. Gewinnsteuern wie die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer hinge-
gen sind keine Kostensteuern, da ihre Steuerbemessungsgrundlage an keinen betrieblichen
Tatbestand anknüpft. Auch Abgaben für Betriebsgrundstücke, Abwasserabgaben, Anlieger-
und Erschließungsbeiträge, IHK-Beiträge usw. zählen zu den Kosten.
Die Erfassung der Steuern und Abgaben erfolgt anhand der Steuerbescheide bzw. Festset-
zungsbescheide, bei jährlichen Zahlungen ist wiederum eine Abgrenzung erforderlich. Typi-
scherweise handelt es sich bei diesen Kosten um Gemeinkosten, die über die Kostenstellen-
rechnung auf die Produkte verrechnet werden.

5. Kalkulatorische Kosten
Kalkulatorische Kosten sind Kosten, denen in der Finanzbuchhaltung ein Aufwand in ande-
rer Höhe gegenübersteht (Anderskosten) oder die dort überhaupt nicht erfasst werden, da sie
nicht mit Auszahlungen verbunden sind (Zusatzkosten). Der Ansatz kalkulatorischer Kosten
ist in der Finanzbuchhaltung verboten, in der Kostenrechnung jedoch erforderlich, um den
für die Leistungserstellung tatsächlich angefallenen Werteverzehr korrekt zu erfassen. Die
wichtigsten kalkulatorischen Kostenarten sind kalkulatorische Abschreibungen, kalkulatori-
sche Zinsen und kalkulatorische Wagniskosten.
Abschreibungen dienen dazu, die Kosten des Einsatzes von Maschinen und anderen langle-
bigen Gebrauchsgütern korrekt zu erfassen, indem der durch die Nutzung eintretende Wert-
verlust verursachungsgerecht auf die Nutzungsperioden verteilt wird. Dieser Wertverlust
lässt sich auf folgende Abschreibungsursachen zurückführen, von denen in der Regel mehre-
re gemeinsam auftreten (vgl. Abb. 4.18):
 Bei verbrauchsbedingten Abschreibungen nimmt das mit der Anlage verbundene Nut-
zungspotenzial ab. Technischer Verschleiß ist mit Abnutzung verbunden oder tritt als
Verschleiß am ruhenden Aggregat auf. Durch den Abbau z.B. von Bergwerken erfolgt
eine Substanzverringerung; Katastrophenverschleiß liegt vor, wenn eine Maschine z.B.
aufgrund eines Unfalls nicht mehr nutzbar ist.
 Durch wirtschaftlich bedingte Abschreibungen wird die wertmäßige Verringerung des
Nutzungspotenzials einer Anlage erfasst. So kann es durch technischen Fortschritt zur
technischen Veralterung bzw. durch Nachfrageverschiebungen zur wirtschaftlichen
Veralterung einer Maschine kommen, die eine zusätzliche Abschreibung erforderlich

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232 4 Die Informationswirtschaft

macht. Auch Fehlinvestitionen und bilanzpolitische Gründe zählen zu den wirtschaftli-


chen Abschreibungsursachen.

Abschreibungen

Verbrauchs- Wirtschaftlich Zeitlich


bedingt bedingt bedingt

Technischer Verschleiß Technische


Ablauf von
Veralterung
Substanzverringerung Nutzungsrechten
Wirtschaftliche
Katastrophenverschleiß Veralterung
Fehlinvestitionen
Bilanzpolitik

Abb. 4.16 Abschreibungsursachen

 Zeitlich bedingte Abschreibungen sind erforderlich, wenn der Wertverlust der Anlage
durch den Ablauf von Nutzungsrechten eintritt, z.B. beim Ablauf eines Mietvertrags für
eine Maschinenhalle vor dem Ende der Nutzungsdauer der dort installierten Maschinen,
sowie beim Ablauf von Schutzrechten, Patenten oder Konzessionen.
Während bei den Abschreibungen in der Finanzbuchhaltung das Prinzip der nominellen
Kapitalerhaltung gilt und daher als Ausgangsbasis für die Berechnung der Abschreibungsbe-
träge die Anschaffungskosten vorgeschrieben sind, darf in der Kostenrechnung auf der Basis
von Wiederbeschaffungskosten abgeschrieben werden, die dem Prinzip der Substanzerhal-
tung entsprechen. Obwohl sich eine korrekte Erfassung des nutzungsbedingten Wertever-
zehrs am besten durch nutzungsabhängige Abschreibungen, die sich auf den in der Abrech-
nungsperiode in Anspruch genommenen Anteil am Gesamtnutzungspotenzial der Anlage
beziehen, erreichen lässt, wird in der Regel aus Vereinfachungsgründen eine zeitabhängige
Abschreibung vorgenommen. Dazu ist eine Abschätzung der voraussichtlichen Nutzungs-
dauer sowie eine Vorstellung vom Verlauf des Werteverzehrs erforderlich.
Die beiden gebräuchlichsten Abschreibungsmethoden sind die lineare Abschreibung und die
geometrisch-degressive Abschreibung. Die lineare Abschreibung geht davon aus, dass der
Werteverzehr gleichmäßig über die Nutzungsdauer verläuft. Daher wird in jeder Periode ein
konstanter Betrag d als Abschreibung verbucht, der sich wie folgt aus dem Anschaffungs-
preis A0 und einem eventuellen Restwert R zum Ende der Nutzungsdauer T berechnet:

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4.3 Kostenrechnung 233

A0  R
d
T
Der Buchwert Bt , mit dem die Anlage zum Zeitpunkt t in den Unterlagen geführt wird, hat
damit einen linear fallenden Verlauf:
Bt  A0  t  d t  1,..., T

Bei der geometrisch-degressiven Abschreibung wird angenommen, dass der Wertverlust der
Anlage in den ersten Nutzungsperioden am höchsten ist und im Zeitablauf gleichmäßig ab-
nimmt. Die Abschreibungsbeträge d t werden daher als konstanter Prozentsatz q des Buch-
werts am Periodenanfang berechnet. Der Buchwert Bt fällt gemäß einer geometrischen Rei-
he. Für viele Anlagegegenstände, z.B. für Kraftfahrzeuge, ist eine solche Wertentwicklung
als realistisch anzusehen.
d t  q  Bt 1 t  1,..., T

Bt  A0  1  q t t  1,..., T

In Tab. 4.3 ist die Entwicklung der Abschreibungsbeträge und des Restbuchwerts für das
folgende Beispiel angegeben: Der Anschaffungspreis einer Anlage beträgt 20.000 €, die
Nutzungsdauer 8 Jahre, ein nennenswerter Restwert wird nicht erwartet. Als Abschreibungs-
satz für die geometrisch-degressive Abschreibung werden 25% zugrunde gelegt.

Tab. 4.3 Abschreibungsmethoden

Geometrisch-degressive
Periode Lineare Abschreibung Gemischte Abschreibung
Abschreibung
T dt Bt dt Bt dt Bt
1 2.500 € 17.500 € 5.000,00 € 15.000,00 € 5.000,00 € 15.000,00 €
2 2.500 € 15.000 € 3.750,00 € 11.250,00 € 3.750,00 € 11.250,00 €
3 2.500 € 12.500 € 2.812,50 € 8.437,50 € 2.812,50 € 8.437,50 €
4 2.500 € 10.000 € 2.109,38 € 6.328,12 € 2.109,38 € 6.328,12 €
5 2.500 € 7.500 € 1.582,03 € 4.746,09 € 1.582,03 € 4.746,09 €
6 2.500 € 5.000 € 1.186,52 € 3.559,57 € 1.582,03 € 3.164,06 €
7 2.500 € 2.500 € 889,89 € 2.669,68 € 1.582,03 € 1.582,03 €
8 2.500 € 0€ 667,42 € 2.002,26 € 1.582,03 € 0€

Abb. 4.17 stellt die Entwicklung des Buchwerts bei den beiden Abschreibungsmethoden
einander gegenüber.

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234 4 Die Informationswirtschaft

Bt

20.000
Lineare Abschreibung

Geometrisch-degressive
Abschreibung

t
1 2 3 4 5 6 7 8

Abb. 4.17 Entwicklung des Buchwerts

Wie dieses Beispiel verdeutlicht, sind die Abschreibungsbeträge bei der geometrisch-
degressiven Abschreibung zu Beginn der Nutzungsdauer deutlich höher als bei der linearen
Abschreibung, fallen dann aber recht schnell ab. Weiter lässt sich das mit der geometrisch-
degressiven Abschreibung verbundene Problem erkennen, dass der Restwert innerhalb der
Nutzungsdauer nicht bis auf Null absinkt. Als Lösung dieses Problems bietet es sich an, nach
einigen Perioden zur linearen Abschreibung des Restwerts zu wechseln. Diese als gemischte
Abschreibung bezeichnete Vorgehensweise ist in der dritten Spalte von Tab. 4.3 dargestellt,
wobei im vorliegenden Beispiel der Wechsel der Abschreibungsmethode nach der vierten
Periode erfolgt. Ein solcher Wechsel der Abschreibungsmethode ist nur einmal und nicht von
der linearen zur degressiven Abschreibung zulässig.
Kalkulatorische Zinsen dienen der verursachungsgerechten Verrechnung von Kapitalkosten,
die für die Kapitalbindung im Umlauf- und Anlagevermögen angesetzt werden müssen.
Auch wenn das Anlagevermögen tendenziell mit Eigenkapital finanziert werden sollte und
einige Kredite in engem Zusammenhang mit bestimmten Investitionsmaßnahmen stehen,
dient doch letztlich die Gesamtheit der Finanzierungsmaßnahmen der Bereitstellung des für
die Gesamtheit der Investitionen benötigten Kapitals (vgl. Abschnitt 3.2.4). Daher wird für
die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen ein einheitlicher kalkulatorischer Zinssatz zu-
grunde gelegt. Dieser kann sich an der im Unternehmen geforderten Mindestrendite, am
Kapitalmarktzins oder am durchschnittlich gezahlten Fremdkapitalzins orientieren. Bei einer
Marginalbetrachtung würde man den Zinssatz des teuersten in Anspruch genommenen Kre-
dits heranziehen, nach dem Opportunitätskostenprinzip die potenzielle Rendite der besten,
nicht mehr realisierten Kapitalanlage.
Der Gesamtbetrag der kalkulatorischen Zinsen wird berechnet, indem man den kalkulatori-
schen Zinssatz mit dem betriebsnotwendigen Kapital, das aus dem betriebsnotwendigen
Vermögen abgeleitet wird, multipliziert. Die einem einzelnen Vermögensgegenstand zuzu-
rechnenden kalkulatorischen Zinsen ergeben sich durch Multiplikation des kalkulatorischen
Zinssatzes mit dem in dem Vermögensgegenstand gebundenen Kapital. Dieses entspricht

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4.3 Kostenrechnung 235

beim Anlagevermögen der durchschnittlichen Kapitalbindung, die sich als Mittelwert der
Buchwerte zum Beginn und zum Ende der Periode ergibt. Beim Umlaufvermögen wird das
gebundene Kapital berechnet, indem man den durchschnittlichen Periodenbestand mit dem
aktuellen Preis bewertet.
Eine weitere kalkulatorische Kostenart sind die kalkulatorischen Wagniskosten. Unter einem
Wagnis versteht man ein Risiko, das zu einem sowohl zeitlich als auch in der Höhe unvor-
hersehbaren Werteverzehr führt. Neben dem allgemeinen Unternehmerwagnis, das durch den
Gewinn des Unternehmens abgegolten wird und daher nicht in der Kostenrechnung erfasst
werden sollte, sind für das Unternehmen folgende Einzelwagnisse von Bedeutung:
 Das Bestandswagnis bezieht sich auf die Gefahr, dass Lagerverluste durch Schwund,
Verderb oder Diebstahl auftreten oder dass ein Lagerbestand aufgrund eines Preisverfalls
entwertet wird.
 Das Gewährleistungswagnis resultiert aus der Tatsache, dass sich die zukünftigen Kosten
für Qualitätsmängel oder Konstruktionsfehler nicht exakt prognostizieren lassen.
 Ein Anlagenwagnis beruht auf der Gefahr, dass eine Anlage vorzeitig aus dem Betrieb
ausscheidet, d.h. die Nutzungsdauer von Maschinen und anderen Anlagen zu lang ange-
setzt wurde.
 Vertriebswagnisse entstehen durch die Möglichkeit von Forderungsausfällen.
 Ein Entwicklungswagnis wird durch den möglichen Fehlschlag von Forschungs- und
Entwicklungsprojekten begründet.
Einige dieser Wagnisse lassen sich durch eine Versicherung abdecken, für die dann auf-
wandsgleiche Kosten anfallen. Für die nicht versicherbaren oder bewusst nicht versicherten
Risiken werden kalkulatorische Wagniskosten angesetzt, um die unregelmäßig auftretenden
Aufwendungen für tatsächlich eingetretene Schäden, die in ihrer tatsächlichen Höhe perio-
dengenau in der Finanzbuchhaltung erfasst werden, in der Kostenrechnung gleichmäßig auf
die Perioden zu verteilen. Der Ansatz der Wagniskosten erfolgt entweder nach dem Oppor-
tunitätskostenprinzip in Höhe der ersparten Versicherungskosten oder aufgrund von statis-
tisch ermittelten Erfahrungswerten.
Die in der Kostenartenrechnung erfassten Kosten werden wie folgt verrechnet: Einzelkosten,
die sich eindeutig bestimmten Produkten zurechnen lassen, werden direkt auf die entspre-
chenden Kostenträger verrechnet. Gemeinkosten hingegen, die lediglich in mittelbarer Be-
ziehung zu einzelnen Produkten stehen, werden an die nächste Stufe der Kostenrechnung, die
Kostenstellenrechnung, weitergeleitet (vgl. nochmals Abb. 4.13).
Während die Unterscheidung der Kosten in variable Kosten und Fixkosten nach der Abhän-
gigkeit von der Produktionsmenge bzw. anderen Entscheidungen erfolgt (vgl. Abschnitt
4.3.1), wird die Einteilung in Einzel- und Gemeinkosten nach ihrer Zurechenbarkeit vorge-
nommen. Dabei gilt, dass Einzelkosten immer zugleich variable Kosten sind und Fixkosten
immer zu Gemeinkosten führen. Jedoch lässt sich ein Teil der variablen Kosten nicht direkt

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236 4 Die Informationswirtschaft

auf die Produkte verrechnen und muss daher als Gemeinkosten in der Kostenstellenrechnung
verteilt werden. Den Zusammenhang zwischen diesen Begriffsebenen zeigt Abb. 4.18.

Kriterium

Entscheidungs-
Einzelkosten Gemeinkosten
abhängigkeit

Zurechen-
variable Kosten Fixkosten
barkeit

Abb. 4.18 Zusammenhang der Kostenbegriffe

4.3.4 Kostenstellenrechnung
Die Kostenstellenrechnung als zweite Stufe der Kostenrechnung hat die Aufgabe, die in einer
Abrechnungsperiode angefallenen Gemeinkosten so auf die Kostenstellen zu verteilen, dass
sich Verrechnungssätze für innerbetriebliche Leistungen und Kalkulationssätze für nach
außen abgegebene Leistungen ermitteln lassen. Sie antwortet auf die Frage:
Wo fallen die Kosten an?
Unter einer Kostenstelle versteht man einen räumlich oder organisatorisch abgegrenzten
betrieblichen Teilbereich, dem die Verantwortung für die dort entstehenden und eindeutig
zurechenbaren Kosten übertragen wird. Voraussetzung für die Durchführung einer aussage-
kräftigen Kostenstellenrechnung ist – ähnlich wie bei der Kostenartenrechnung – die Aufstel-
lung eines auf die betrieblichen Bedürfnisse abgestimmten Kostenstellenplans. Die Eintei-
lung des Unternehmens in Kostenstellen sollte so erfolgen, dass keine Kompetenzüber-
schneidungen auftreten und sich jeweils Schlüsselgrößen ermitteln lassen, die die Kostenver-
ursachung möglichst genau widerspiegeln. Im Prinzip ist eine beliebig detaillierte Gliederung
bis hin zu einzelnen Arbeitsplätzen (Kostenplätzen) möglich, so dass eine sehr genaue Kos-
tenkontrolle erfolgen kann, jedoch bildet die Wirtschaftlichkeit der Kostenrechnung eine
Grenze für die Feinheit der Gliederung.
Üblicherweise werden in einem funktional gegliederten Industrieunternehmen die Kostenbe-
reiche Material, Fertigung, Vertrieb und Verwaltung unterschieden, die jeweils weiter in
einzelne Kostenstellen unterteilt werden. Nach der Art der Weiterverrechnung der einer
Kostenstelle zugewiesenen Kosten unterscheidet man:
 Haupt- bzw. Endkostenstellen erbringen ihre Leistungen zum großen Teil für die am
Markt verwertbaren Endprodukte, zum Teil auch in Form von innerbetrieblichen Leis-
tungen; die auf ihnen gesammelten Kosten werden in der Kostenträgerrechnung abge-
rechnet.

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4.3 Kostenrechnung 237

 Hilfs- bzw. Vorkostenstellen erbringen ausschließlich innerbetriebliche Leistungen, die


von anderen Kostenstellen in Anspruch genommen werden. Diese innerbetrieblichen
Leistungen werden im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung bewertet
und auf die Hauptkostenstellen abgerechnet.
Der erste Schritt der Kostenstellenrechnung ist die verursachungsgerechte Verteilung der aus
der Kostenartenrechnung übernommenen Kostenträgergemeinkosten, die für von außen be-
zogene Leistungen anfallen und auch als primäre Gemeinkosten bezeichnet werden, auf die
Kostenstellen. Diejenigen primären Gemeinkosten, die sich nach dem Verursachungsprinzip
eindeutig bestimmten Kostenstellen zuordnen lassen, werden als Kostenstelleneinzelkosten
bezeichnet. Dazu zählen z.B. die in einer Abteilung angefallenen Zeitlöhne und Gehälter, die
auf die Maschinen entfallenden kalkulatorischen Abschreibungen und Zinsen, Kosten für
Reparaturen und Wartungen an den Maschinen sowie für die dort eingesetzten Werkzeuge
und Schmiermittel. Auch solche Kosten, die sich grundsätzlich direkt auf Kostenträger ver-
rechnen ließen, jedoch wegen ihres geringen Umfangs nicht einzeln erfasst werden, z.B.
Kosten für Kleinmaterial, werden wie Gemeinkosten behandelt und als unechte Gemeinkos-
ten bezeichnet.
Weiter gibt es eine Reihe von primären Kostenarten, die für mehrere Kostenstellen gemein-
sam anfallen, z.B. Gebäudekosten, Energiekosten, Verwaltungskosten. Um auch diese als
Kostenstellengemeinkosten bezeichneten Kosten auf die Kostenstellen verteilen zu können,
ist eine Schlüsselung erforderlich. Als Schlüsselgrößen werden Merkmale herangezogen, die
sich gut messen lassen und möglichst in einem proportionalen Zusammenhang zur tatsächli-
chen Kostenverursachung stehen. Man unterscheidet Zeitschlüssel, z.B. Rüstzeiten oder
Maschinenlaufzeiten, Mengenschlüssel, z.B. die Anzahl der Produkte oder der Mitarbeiter,
und Wertschlüssel, z.B. der Wert des Lagerbestands oder die Lohnsumme. In der Regel
kommen für die Verteilung einer bestimmten Kostenart mehrere Schlüsselgrößen in Be-
tracht, die jeweils zu einer anderen Kostenverteilung führen. So lassen sich z.B. die Energie-
kosten anhand der den einzelnen Abteilungen zugewiesenen Fläche, aber auch nach der ma-
ximalen Leistungsaufnahme der jeweils installierten Maschinen verteilen. Daher muss die
Auswahl der verwendeten Schlüsselgrößen im Einvernehmen mit den betroffenen Kosten-
stellen erfolgen.
Tab. 4.4 zeigt an einem Beispiel, wie die Verteilung von primären Gemeinkosten auf die
Kostenbereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb vorgenommen werden kann.
Während sich die Lohnkosten, Gehälter und Wartungskosten als Kostenstelleneinzelkosten
eindeutig den Kostenbereichen zuordnen lassen, werden die nachfolgenden Kostenarten
anhand von verschiedenen Schlüsselgrößen verteilt, die vom Betriebsleiter als charakteris-
tisch ermittelt worden sind.

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238 4 Die Informationswirtschaft
Tab. 4.4 Verteilung von primären Gemeinkosten

Kostenart Betrag Verteilungsgrundlage Material Fertigung Verwaltung Vertrieb


Zeitlöhne 100.000 Lohnliste 20.000 70.000 0 10.000
Gehälter 60.000 Gehaltsliste 5.000 5.000 30.000 20.000
Wartungskosten 5.000 Wartungsvorgänge 1.500 2.000 500 1.000
Raumkosten 20.000 m2 3.000 12.000 1.000 4.000
Energiekosten 8.000 Installierte Leistung 1.000 6.000 200 800
Lagerkosten 12.000 Lagerwert 5.000 1.000 0 6.000
Transportkosten 15.000 Transportvorgänge 3.000 2.000 0 10.000
Summe 220.000 38.500 98.000 31.700 51.800

Durch die Verteilung der primären Gemeinkosten werden die einzelnen Kostenstellen mit
den Kosten der von ihnen in Anspruch genommenen, von außen bezogenen Leistungen be-
lastet. Im zweiten Schritt der Kostenstellenrechnung, der innerbetrieblichen Leistungsver-
rechnung, werden anschließend die als sekundäre Gemeinkosten bezeichneten Kosten der
Hilfskostenstellen entsprechend den innerbetrieblichen Lieferbeziehungen auf die Hauptkos-
tenstellen verrechnet (vgl. nochmals Abb. 4.13). Diese Umlage erfolgt mithilfe von innerbe-
trieblichen Verrechnungspreisen, die im Rahmen der innerbetrieblichen Leistungsverrech-
nung ermittelt werden. Die innerbetriebliche Leistungsverrechnung ist umso aufwändiger, je
komplexer die gegenseitigen Lieferbeziehungen zwischen den Kostenstellen sind.
Für die innerbetriebliche Leistungsverrechnung stehen drei Verfahren zur Verfügung, die
jeweils anhand des in Tab. 4.5 angegebenen Beispiels veranschaulicht werden. Die bereits im
vorhergehenden Beispiel eingeführten Kostenbereiche Material, Fertigung, Verwaltung und
Vertrieb nehmen in unterschiedlichem Umfang Leistungen der beiden Hilfskostenstellen
Kraftwerk, gemessen in Megawattstunden, und Instandhaltung, gemessen in Arbeitsstunden,
in Anspruch; auch zwischen den Hilfskostenstellen bestehen gegenseitige Lieferbeziehun-
gen. Das Ziel der innerbetrieblichen Leistungsverrechnung besteht darin, die primären Ge-
meinkosten der beiden Hilfskostenstellen entsprechend der Inanspruchnahme auf die Haupt-
kostenstellen abzurechnen.

Tab. 4.5 Beispiel zur innerbetrieblichen Leistungsverrechnung

Leistungsabgabe
Primäre Kraftwerk Instandhaltung
Gemeinkosten [MWh] [ h]
Kraftwerk 49.000 0 50
Instandhaltung 5.000 100 0
Material 38.500 150 100
Fertigung 98.000 650 300
Verwaltung 31.700 50 20
Vertrieb 51.800 50 30
Summe 274.000 1.000 500

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4.3 Kostenrechnung 239

1. Anbauverfahren
Das Anbauverfahren geht von der stark vereinfachenden Annahme aus, dass keine innerbe-
trieblichen Lieferbeziehungen bestehen. Daher werden die primären Gemeinkosten der
Hilfskostenstellen direkt auf die Hauptkostenstellen verrechnet, ein – wie im Beispiel – tat-
sächlich bestehender Leistungsaustausch zwischen den Kostenstellen wird vernachlässigt.
Die mit diesem Verfahren ermittelten Verrechnungspreise weichen umso mehr von den tat-
sächlichen Werten ab, je ausgeprägter die vernachlässigten Lieferbeziehungen sind. Der
Verrechnungspreis einer innerbetrieblichen Leistung wird ermittelt, indem man die der Kos-
tenstelle zugeordneten primären Gemeinkosten durch die von ihr an die Hauptkostenstellen
abgegebenen Leistungseinheiten dividiert:
primäre Gemeinkosten
Verrechnungspreis 
Leistung an Hauptkostenstellen

Für das in Tab. 4.5 angegebene Beispiel lautet der Verrechnungspreis des Kraftwerks:
49.000
qK   54,44 € / MWh
900
Der Verrechnungspreis für die Instandhaltung beträgt:
5.000
qI   11,11 € / h
450
Das Anbauverfahren ist ein recht grobes Näherungsverfahren, das in vielen Fällen nur sehr
ungenaue Verrechnungspreise liefert.

2. Stufenleiterverfahren
Das Stufenleiterverfahren berechnet die innerbetrieblichen Verrechnungspreise schrittweise,
indem zunächst die Kostenstellen abgerechnet werden, die keine oder nur wenige Leistungen
von anderen, noch nicht abgerechneten Kostenstellen empfangen. Bei der Ermittlung des
Verrechnungspreises einer Kostenstelle werden die Leistungen der bereits abgerechneten
Kostenstellen mit ihren innerbetrieblichen Verrechnungspreisen bewertet und zu den primä-
ren Gemeinkosten der Kostenstelle hinzugefügt, die von noch nicht abgerechneten Kosten-
stellen empfangenen Leistungen hingegen werden vernachlässigt. Daher sind die mit dem
Stufenleiterverfahren ermittelten Verrechnungspreise umso genauer, je besser es gelingt, die
Kostenstellen entsprechend dem Umfang der von ihnen empfangenen innerbetrieblichen
Leistungen anzuordnen. Da sich bei dem in Tab. 4.5 angegebenen Beispiel die beiden Hilfs-
kostenstellen gegenseitig beliefern, können die Verrechnungspreise lediglich näherungsweise
bestimmt werden. Im vorliegenden Beispiel sind zwei Vorgehensweisen möglich, indem
zuerst das Kraftwerk oder zuerst die Instandhaltungsstelle abgerechnet wird.
Beginnt man mit dem Kraftwerk, so wird dessen Verrechnungspreis berechnet, indem man
die primären Gemeinkosten durch die gesamte an andere Kostenstellen abgegebene Leistung
dividiert:

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240 4 Die Informationswirtschaft

49.000
qK   49,00 € / MWh
1.000
Bei der Ermittlung des Verrechnungspreises für die Instandhaltungsstelle ist zu berücksichti-
gen, dass diese 100 MWh Strom vom Kraftwerk erhält. Die vom Kraftwerk in Anspruch
genommenen 50 Reparaturstunden können diesem jedoch nicht mehr angelastet werden, da
es bereits abgerechnet ist. Daher werden im Zähler die bewerteten Kraftwerksleistungen zu
den primären Gemeinkosten addiert, im Nenner wird die Gesamtleistung um die Leistung an
das Kraftwerk reduziert:
5.000  49  100
qI   22,00 € / h
500  50
Rechnet man die Instandhaltungsstelle zuerst ab, so lautet der Verrechnungspreis:
5.000
qI   10,00 € / h
500
Der Verrechnungspreis des Kraftwerks ergibt sich als:
49.000  10  50
qK   55,00 € / MWh
1.000  100
Offensichtlich hängen die mit dem Stufenleiterverfahren ermittelten innerbetrieblichen Ver-
rechnungspreise davon ab, in welcher Reihenfolge die Hilfskostenstellen abgerechnet wer-
den. Da man bei komplexen innerbetrieblichen Lieferbeziehungen im Voraus nicht über-
blickt, in welcher Richtung der Leistungsaustausch den größeren Umfang hat, besteht die
Gefahr, mit Verrechnungspreisen zu operieren, die weit von den exakten Werten entfernt
sind.

3. Gleichungsverfahren
Einen exakten Lösungsweg zur Bestimmung innerbetrieblicher Verrechnungspreise für den
allgemeinen Fall, dass ein gegenseitiger Leistungsaustausch zwischen den Hilfskostenstellen
vorliegt, bietet das Gleichungsverfahren, das die Preise mithilfe eines linearen Gleichungs-
systems ermittelt. Für jede abzurechnende Kostenstelle wird eine Gleichung nach dem Prin-
zip der exakten Kostenüberwälzung aufgestellt:

 empfangene Leistungen   abgegebene Leistungen


Die von einer Kostenstelle empfangenen Leistungen sind zum einen die mit den primären
Gemeinkosten bewerteten, von außen bezogenen Kostengüter, zum anderen die mit den noch
unbekannten Verrechnungspreisen bewerteten innerbetrieblichen Leistungen von anderen
Kostenstellen. Bewertet man die an andere Kostenstellen abgegebenen Leistungen mit dem
ebenfalls noch unbekannten Verrechnungspreis der Kostenstelle, so muss sich der gleiche
Betrag ergeben. Im Beispiel lauten die Gleichungen:

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4.3 Kostenrechnung 241

für das Kraftwerk: 49.000  50 q I  1.000 q K

für die Instandhaltung: 5.000  100 q K  500 q I

Als Lösung dieses Gleichungssystems ergeben sich die Verrechnungspreise:


q K  50 € / KWh

q I  20 € / h

Rechnet man die innerbetrieblichen Leistungen mithilfe dieser Verrechnungspreise ab, so


erhält man eine verursachungsgerechte Verteilung der sekundären Gemeinkosten. Auch eine
Beurteilung der mit den anderen Verfahren ermittelten Lösungen ist nun möglich: Offen-
sichtlich liefert das Stufenleiterverfahren bei Abrechnung zuerst des Kraftwerks und dann
der Reparaturstelle Preise, die recht nahe an den exakten Werten liegen, während die andere
Reihenfolge beim Stufenleiterverfahren und das Anbauverfahren für die Instandhaltungsstel-
le einen um ca. 50% zu niedrigen Verrechnungspreis ermitteln. Als Argument gegen das
Gleichungsverfahren wird häufig der im Vergleich zu den anderen Verfahren hohe Rechen-
aufwand genannt, der jedoch angesichts der heute verfügbaren Rechnerleistungen keine
Bedeutung mehr hat.
Wie die Umlage der in den Hilfskostenstellen angefallenen Kosten auf die Hauptkostenstel-
len anhand der mit dem Gleichungsverfahren ermittelten Verrechnungspreise erfolgt, ist in
Tab. 4.6 dargestellt.

Tab. 4.6 Verrechnung der innerbetrieblichen Leistungen

Hilfskostenstellen Hauptkostenstellen Summe


Kostenart Kraftwerk Instandhaltung Material Fertigung Verwaltung Vertrieb
PGK 49.000 5.000 38.500 98.000 31.700 51.800 274.000
Umlage
-50.000 5.000 7.500 32.500 2.500 2.500 0
Kraftwerk
Umlage
1.000 -10.000 2.000 6.000 400 600 0
Instandhaltung
Summe 0 0 48.000 136.500 34.600 54.900 274.000

Wie man sieht, hat sich die Summe der Gemeinkosten nicht verändert, jedoch sind nunmehr
die beiden Hilfskostenstellen entlastet und die vier Hauptkostenstellen gemäß ihrer Inan-
spruchnahme mit deren Kosten belastet worden. Die in der letzten Zeile gesammelten Kosten
werden in der sich anschließenden Kostenträgerrechnung auf die betrieblichen Leistungen
abgerechnet.
Zur übersichtlichen Darstellung der beiden Schritte der Kostenstellenrechnung – Verteilung
der primären Gemeinkosten und innerbetriebliche Leistungsverrechnung – sowie zur Ver-
knüpfung von Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung lässt sich der Betriebsabrechnungs-
bogen einsetzen. Dabei handelt es sich um eine Tabelle, in der zeilenweise die Kostenarten

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242 4 Die Informationswirtschaft

und spaltenweise die Kostenstellen, sortiert nach Hilfs- und Hauptkostenstellen, aufgeführt
sind. Die Bearbeitung dieser Tabelle kann mit den üblichen Tabellenkalkulationsprogram-
men erfolgen. Der prinzipielle Aufbau eines Betriebsabrechnungsbogens ist in Abb. 4.19
dargestellt, dabei wird für die innerbetriebliche Leistungsverrechnung aus Gründen der An-
schaulichkeit das Stufenleiterverfahren verwendet.

Gemeinkostenarten Verteilung Betrag Hilfskostenstellen Hauptkostenstellen


1 2 3 4 5 1 2 3 4
Verteilung der
Kostenstellen- direkt
Kostenarten
einzelkosten
Gemeinkosten

auf Kostenstellen
Summe
Primäre

Verteilung der
Kostenstellen- indirekt
Kostenarten
gemeinkosten
auf Kostenstellen
Summe
Summe Kostenarten
        
Gemeinkosten

       
Sekundäre

Innerbetriebliche
       Leistungs-
verrechnung
     
    
Summe der Stellenkosten х х х х
Kalkulationssätze

Abb. 4.19 Betriebsabrechnungsbogen

Im oberen Teil des Betriebsabrechnungsbogens werden die primären Gemeinkosten auf die
Kostenstellen verteilt, wobei zwischen den direkt zurechenbaren Kostenstelleneinzelkosten
und den indirekt, d.h. über eine Schlüsselung zu verteilenden Kostenstellengemeinkosten
unterschieden wird. Die anschließend auf den Kostenstellen ausgewiesenen Kosten stellen
sekundäre Gemeinkosten dar, die für die Hilfskostenstellen im Rahmen der innerbetriebli-
chen Leistungsverrechnung entsprechend der Inanspruchnahme auf die Hauptkostenstellen
umzulegen sind. Die nunmehr auf den Hauptkostenstellen gesammelten Kosten dienen als
Grundlage für die Bildung von Kalkulationssätzen in der Kostenträgerrechnung sowie für die
Ermittlung von Unter- bzw. Überdeckungen bei einem kostenstellenbezogenen Soll/Ist-
Vergleich.

4.3.5 Kostenträgerrechnung
In der Kostenträgerrechnung als der dritten und letzten Stufe der Kostenrechnung erfolgt die
Kalkulation der Herstell- bzw. Selbstkosten der im Unternehmen hergestellten Produkte. Sie
antwortet auf die Frage:
Wofür fallen die Kosten an?

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4.3 Kostenrechnung 243

In der Kostenträgerrechnung werden die direkt aus der Kostenartenrechnung übernommenen


Kostenträgereinzelkosten mit den über die Kostenstellenrechnung verrechneten und verursa-
chungsgerecht auf die Kostenträger abgerechneten Gemeinkosten zusammengeführt. Die
hierbei ermittelten Kosteninformationen werden zur Ermittlung von Preisuntergrenzen und
zur Bewertung von Lagerbeständen an unfertigen und fertigen Erzeugnissen eingesetzt. Eine
Kalkulation kann zu folgenden Zwecken erfolgen:
 Die Vorkalkulation dient der Abschätzung der voraussichtlichen Kosten eines Produkts,
für das ein Angebot erstellt werden soll.
 Mithilfe der Nachkalkulation lässt sich im Nachhinein feststellen, ob ein Produkt einen
positiven Deckungsbeitrag erwirtschaftet hat.
 Eine Zwischenkalkulation wird in erster Linie zur zwischenzeitlichen Erfolgsermittlung
bei sehr langer Fertigungsdauer, z.B. im Maschinen- und Anlagenbau, vorgenommen.
Welches der im Folgenden dargestellten Kalkulationsverfahren eingesetzt wird, hängt insbe-
sondere von dem Fertigungstyp ab (vgl. Abschnitt 2.2.3).

4.3.5.1 Divisionskalkulation
Das Prinzip der Divisionskalkulation besteht darin, dass die Gesamtkosten des Unterneh-
mens oder eines Abrechnungsbereichs durch die Anzahl der hergestellten Produkte dividiert
werden. Dabei ist keine Differenzierung der Kosten in Einzel- und Gemeinkosten und damit
auch keine Kostenstellenrechnung erforderlich. Der Anwendungsbereich dieses Kalkulati-
onsverfahrens ist die Massenfertigung, bei der ein einheitliches Produkt in großen Stückzah-
len erzeugt wird. Man unterscheidet die einfache Divisionskalkulation, die für einstufige
Produktionsprozesse ohne Lagerbestandsveränderungen eingesetzt wird, und die mehrstufige
Divisionskalkulation, die sich auch für mehrstufige Produktionsprozesse mit Lagerbestands-
veränderungen auf den einzelnen Stufen eignet.
Die Vorgehensweise der einfachen Divisionskalkulation lässt sich an dem folgenden Beispiel
veranschaulichen: In einem Kalksandsteinwerk wurden im Monat Mai 6.000 m3 Kalksand-
steine hergestellt. Dabei sind Gesamtkosten in Höhe von 120.000 € angefallen. Die Kosten je
m3 Kalksandstein betragen:
120.000
k  20,00 € / m 3
6.000
Bei diesen Kosten handelt es sich um einen Vollkostensatz, da bei der Berechnung sämtliche
Kosten, also auch die Fixkosten, auf die Produktionsmenge umgelegt werden. Aufgrund der
restriktiven Voraussetzungen und der beschränkten Informationsverarbeitung findet die Di-
visionskalkulation allenfalls in sehr kleinen Unternehmen oder für Teilbereiche der Ferti-
gung Anwendung.

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244 4 Die Informationswirtschaft

4.3.5.2 Äquivalenzziffernkalkulation
Die Äquivalenzziffernkalkulation ist eine Erweiterung der Divisionskalkulation für den Fall,
dass ein Unternehmen mehrere, fertigungstechnisch miteinander verwandte Produkte her-
stellt. Dies ist insbesondere bei der Sortenfertigung der Fall, bei der mehrere Produkte durch
Differenzierung innerhalb einer Produktlinie entstehen. Eine Äquivalenzziffer gibt an, in
welchem Verhältnis die Kosten einer Produktvariante zu den Kosten eines Standardprodukts
stehen. Dem Standardprodukt wird die Äquivalenzziffer 1 zugeordnet. Die Festlegung der
Standardsorte und die Bestimmung der Äquivalenzziffern werden nicht in jeder Abrech-
nungsperiode erneut vorgenommen, sondern erfolgen für einen längeren Zeitraum. Das Ver-
fahren geht wie folgt vor:
 Die in der Abrechnungsperiode produzierten Mengen der verschiedenen Produktvarian-
ten werden mit ihren Äquivalenzziffern multipliziert, um eine einheitliche Bemessungs-
grundlage für die Kosten zu erhalten.
 Die Durchschnittskosten des Standardprodukts werden berechnet, indem man die Ge-
samtkosten durch die Summe der in das Standardprodukt umgerechneten Produktions-
mengen dividiert.
 Die Stückkosten der einzelnen Produktvarianten ergeben sich, indem man den Durch-
schnittskostensatz mit den jeweiligen Äquivalenzziffern multipliziert.
Die Vorgehensweise der Äquivalenzziffernkalkulation wird an folgendem Beispiel verdeut-
licht: In einem Glaswerk werden in einem technisch identischen Fertigungsprozess Geträn-
keflaschen in den Farben weiß, grün und braun aus Altglas unter Zugabe von Primärrohstof-
fen hergestellt. Während für die Herstellung von braunem Glas Altglas in beliebigen Farben
eingesetzt werden kann, stellt weißes Glas die höchsten Anforderungen an die Sortenreinheit
des Altglases bzw. erfordert den höchsten Anteil an Primärrohstoffeinsatz. Grünes Glas liegt
bezüglich seiner Anforderungen zwischen braunem und weißem Glas. Definiert man braunes
Glas als Standardsorte mit der Äquivalenzziffer 1, so ergeben sich Äquivalenzziffern von 1,2
für grünes Glas und von 1,5 für weißes Glas. Im Monat August wurden 200 t braunes Glas,
250 t grünes Glas und 100 t weißes Glas hergestellt, die Gesamtkosten betragen 32.500 €.
Die in die Standardsorte transformierten Produktionsmengen betragen:
Braunes Glas: 200 t  1,0  200 t

Grünes Glas: 250 t  1,2  300 t

Weißes Glas: 100 t  1,5  150 t

Somit ergeben sich die Durchschnittskosten je Tonne der Standardsorte als:


32.500
 50 € / t
200  300  150

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4.3 Kostenrechnung 245

Durch Multiplikation dieses Kostensatzes mit den Äquivalenzziffern erhält man die Kosten
je Tonne für die verschiedenen Sorten:
Braunes Glas: 50  1,0  50 € / t

Grünes Glas: 50  1,2  60 € / t

Weißes Glas: 50  1,5  75 € / t

Ähnlich wie die Divisionskalkulation lässt sich die Äquivalenzziffernkalkulation auch als
mehrstufige Rechnung durchführen, wobei auf jeder Produktionsstufe unterschiedliche
Äquivalenzziffern verwendet werden können. Auch bei diesem Kalkulationsverfahren han-
delt es sich um eine Vollkostenrechnung.

4.3.5.3 Zuschlagskalkulation
Die Zuschlagskalkulation ist ein Kalkulationsverfahren für die Einzel- und Serienfertigung.
Dieser Fertigungstyp ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Produkte gekennzeichnet, die
auf unterschiedlichen Wegen durch die Fertigung laufen, verschiedene Maschinen in unter-
schiedlichem Umfang in Anspruch nehmen und in verschiedenen Fertigstellungsgraden und
wechselnden Mengen auf Lager genommen werden können. Die einzelnen Produkte weisen
unterschiedliche Einzelkosten auf, die als Zuschlagsbasis für die Verrechnung der Gemein-
kosten dienen. Abb. 4.20 zeigt das Kalkulationsschema der Zuschlagskalkulation. Hierbei
werden die Gemeinkosten der vier Bereiche Material, Fertigung, Verwaltung und Vertrieb
anhand von wertmäßigen Bezugsgrößen mit einheitlichen Zuschlagssätzen auf die Einzelkos-
ten aufgeschlagen.
Den Ausgangspunkt der Zuschlagskalkulation bilden die einem Produkt eindeutig zurechen-
baren Materialeinzelkosten und Lohneinzelkosten. Zu den Materialeinzelkosten wird mittels
eines einheitlichen Zuschlagssatzes, der als Verhältnis der Materialgemeinkosten zu den
gesamten Materialeinzelkosten ermittelt wird, ein Materialgemeinkostenzuschlag addiert,
wodurch sich die Materialkosten des Produkts ergeben. Ähnlich wird zu den Lohneinzelkos-
ten ein prozentualer Zuschlag für die Fertigungsgemeinkosten addiert. Berücksichtigt man
zusätzlich die eventuell anfallenden Sondereinzelkosten der Fertigung, so erhält man die
Fertigungskosten des Produkts. Sondereinzelkosten der Fertigung sind z.B. Kosten für die
Anfertigung einer Konstruktion oder von Werkzeugen für einen Auftrag, die sich dem Auf-
trag insgesamt, aber nicht der einzelnen Produkteinheit zurechnen lassen. Die Summe aus
Materialkosten und Fertigungskosten bezeichnet man als Herstellkosten, diese werden z.B.
als Wertansatz für Lagerbestände verwendet. Gleichzeitig dienen die Herstellkosten als Zu-
schlagsbasis für die Verrechnung von Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten, deren Zu-
schlagssätze ebenfalls wie oben beschrieben gebildet werden. Die Summe aus Herstellkos-
ten, Verwaltungsgemeinkosten, Vertriebsgemeinkosten und Sondereinzelkosten des Ver-
triebs, z.B. den für einen Auftrag anfallenden Versandkosten, gibt die Selbstkosten des Pro-
dukts an, die häufig als Preisuntergrenze angesehen werden.

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246 4 Die Informationswirtschaft

Zuschlagsbasis
Materialeinzelkosten
+ Materialgemeinkosten Materialeinzelkosten
= Materialkosten
Lohneinzelkosten
+ Fertigungsgemeinkosten Lohneinzelkosten
+ Sondereinzelkosten der Fertigung
= Fertigungskosten

Materialkosten
+ Fertigungskosten
= Herstellkosten
+ Verwaltungsgemeinkosten Herstellkosten
+ Vertriebsgemeinkosten Herstellkosten
+ Sondereinzelkosten des Vertriebs
= Selbstkosten

Abb. 4.20 Zuschlagskalkulation

Zur Veranschaulichung der Zuschlagskalkulation wird das Beispiel aus Abschnitt 4.3.4,
anhand dessen die innerbetriebliche Leistungsverrechnung dargestellt wurde, fortgesetzt,
indem die Zuschlagssätze, die Herstellkosten und die Selbstkosten eines Auftrags berechnet
werden. Die dem Materialbereich in der Kostenstellenrechnung zugeordneten Materialge-
meinkosten betragen 48.000 € (vgl. Tab. 4.6). Daneben sind den Produkten eindeutig zure-
chenbare Materialeinzelkosten – d.h. Kosten für Rohstoffe, Hilfsstoffe und Bauteile – in
Höhe von insgesamt 192.000 € angefallen. Somit beträgt der Zuschlagssatz für die von je-
dem Produkt zu tragenden anteiligen Materialgemeinkosten:
48.000
 25%
192.000
Den Fertigungsgemeinkosten von 136.500 € (vgl. Tab. 4.6) stehen Lohneinzelkosten in Höhe
von 682.500 € gegenüber, so dass der Zuschlagssatz für die Fertigungsgemeinkosten lautet:
136.500
 20%
682.500
Die Herstellkosten eines Auftrags, für den 100 € Materialeinzelkosten und 500 € Lohnein-
zelkosten angefallen sind, betragen:
Materialkosten: 100 € + 25% = 125 €
Fertigungskosten: 500 € + 20% = 600 €
Herstellkosten: 125 € + 600 € = 725 €

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4.3 Kostenrechnung 247

Die Zuschlagssätze für die Verwaltungs- und Vertriebsgemeinkosten erhält man, indem man
die Verwaltungs- bzw. die Vertriebsgemeinkosten aus Tab. 4.6 durch die Summe der Her-
stellkosten (Materialeinzel- und -gemeinkosten, Lohneinzel- und Fertigungsgemeinkosten),
die in diesem Fall 1.059.000 € beträgt, dividiert.
34.600
Zuschlagssatz für Verwaltungsgemeinkosten:  3,27%
1.059.000
54.900
Zuschlagssatz für Vertriebsgemeinkosten:  5,18%
1.059.000
Anhand dieser Zuschlagssätze lassen sich die auf den Auftrag entfallenden Zuschläge für die
Verwaltungs- und Vertriebskosten berechnen:
Verwaltungskosten: 3,27% von 725 €  23,71 €
Vertriebskosten: 5,18% von 725 €  37,56 €
Da für den Auftrag keine Sondereinzelkosten anfallen, ergeben sich seine Selbstkosten als
Summe aus den Herstellkosten und den anteiligen Verwaltungs- und Vertriebskosten:
725 € + 23,71 € + 37,56 € = 786,27 €
Die Selbstkosten je Stück erhält man, indem man diese Kosten durch die bei dem Auftrag
hergestellte Produktionsmenge dividiert.
Bei der hier vorgestellten Zuschlagskalkulation werden die Gemeinkosten anhand einheitli-
cher Zuschlagssätze verteilt, d.h. es wird ein proportionaler Zusammenhang zwischen den
jeweiligen Einzel- und Gemeinkosten unterstellt. Ist diese Annahme nicht mit hinreichender
Näherung erfüllt, so kann die Bezugsgrößenkalkulation verwendet werden. Diese verfeinert
die Vorgehensweise der Zuschlagskalkulation, indem sie für jede Kostenstelle separate Zu-
schlagssätze anhand unterschiedlicher Bezugsgrößen ermittelt. Dadurch soll sich die Vertei-
lung der Gemeinkosten noch stärker am Verursachungsprinzip orientieren. Als Bezugsgrö-
ßen kommen nicht nur Wertgrößen wie bei der Zuschlagskalkulation in Betracht, sondern
auch Mengen- oder Zeitgrößen. Während die Zuschlagskalkulation notwendigerweise zu
einer Vollkostenrechnung führt, lässt sich die Bezugsgrößenkalkulation auch im Rahmen
einer Teilkostenrechnung anwenden.
Die Kostenträgerrechnung dient bei der Vorkalkulation dazu, anhand der voraussichtlich
anfallenden Kosten den Angebotspreis für einen Auftrag festzulegen. Die bei der Nachkalku-
lation ermittelten Selbstkosten der Produkte werden häufig als Untergrenze für den am Markt
zu verlangenden Preis angesehen. Der Listenpreis wird dann ermittelt, indem man auf die
Selbstkosten den im Unternehmen üblichen Gewinnzuschlag aufschlägt. Bei einem Gewinn-
zuschlag von 5% würde der oben kalkulierte Auftrag dem Kunden zu folgendem Preis ange-
boten:
786,27 € + 5% = 825,58 €
Je nach Anwendungsbereich kommen die folgenden Preisuntergrenzen zum Einsatz:

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248 4 Die Informationswirtschaft

 Die langfristige Preisuntergrenze entspricht dem oben ermittelten Vollkostenpreis. Ihr


Ausgangspunkt ist das langfristige Unternehmensziel der Gewinnerzielung (vgl. Ab-
schnitt 1.1.3), das dann erreicht wird, wenn die Summe der Erlöse größer ist als die
Summe der Kosten. Überträgt man dieses Prinzip auf die einzelnen Produkte, so muss je-
des Produkt Erlöse mindestens in Höhe seiner gesamten Stückkosten erzielen. Wie je-
doch in Abschnitt 4.3.2 gezeigt wurde, kann die Orientierung an den Vollkosten zu Fehl-
entscheidungen führen. So würde sich das Unternehmen durch einen Angebotspreis, der
zwar die Vollkosten deckt, jedoch über den Preisen der Konkurrenz liegt, „aus dem
Markt herauskalkulieren“ und seine Aufträge verlieren. Es ist daher sinnvoll, die Abde-
ckung der Vollkosten zwar für das Unternehmen insgesamt anzustreben, jedoch kann bei
einzelnen Produkten durchaus darauf verzichtet werden.
 Die kurzfristige Preisuntergrenze liegt unterhalb der langfristigen Preisuntergrenze und
entspricht den einem Produkt nach dem Verursachungsprinzip zurechenbaren Teilkosten,
d.h. seinen variablen Stückkosten bzw. den Grenzkosten (zu den Begriffen vgl. Abschnitt
4.3.1). Sie stellt das maximale Preiszugeständnis dar, das ein Unternehmen seinen Kun-
den machen kann und kommt z.B. bei der Entscheidung über die Annahme eines Zusatz-
auftrags bei nicht voll ausgelasteten Kapazitäten zum Tragen. Wird ein Preis in Höhe der
variablen Stückkosten verlangt, so erwirtschaftet dieses Produkt keinen Deckungsbeitrag,
d.h. die Abdeckung der im Unternehmen anfallenden Fixkosten muss über die anderen
Produkte im Sortiment erfolgen. Da es für die langfristige Existenz eines Unternehmens
unerlässlich ist, sämtliche Kosten abzudecken, darf man den Preis nur kurzfristig und
nicht bei allen Produkten bis auf die variablen Stückkosten senken.
 Die strategische Preisuntergrenze wird nicht von kostenrechnerischen, sondern von ab-
satzpolitischen Erwägungen bestimmt und kann sogar unterhalb der variablen Stückkos-
ten liegen. Besonders niedrige Preise, die nicht einmal die variablen Kosten decken, wer-
den z.B. bei zeitlich befristeten Sonderangeboten, bei Einführungspreisen und bei Probe-
angeboten verlangt, von denen man sich die Gewinnung neuer Kunden erhofft, deren
Umsätze langfristig nicht nur die Verluste aus der Anfangsphase ausgleichen, sondern
auch positive Deckungsbeiträge erwirtschaften.

4.3.6 Betriebsergebnisrechnung
Die letzte Stufe der Kostenrechnung ist die Betriebsergebnisrechnung. Diese kurzfristige
Erfolgsrechnung hat die Aufgabe, den in der Abrechnungsperiode erzielten Betriebserfolg
durch Gegenüberstellung der angefallenen Erlöse und Kosten zu ermitteln. Durch eine an-
schließende Analyse des Betriebserfolgs lassen sich erfolgreiche und weniger lohnende Pro-
dukte ermitteln und andere Informationen für kurz- bis mittelfristige Entscheidungen bereit-
stellen. In Abhängigkeit vom Informationsbedarf und vom eingesetzten Kostenrechnungssys-
tem lässt sich die Betriebsergebnisrechnung nach einem der beiden folgenden Verfahren
durchführen:

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4.3 Kostenrechnung 249

4.3.6.1 Gesamtkostenverfahren
Das Gesamtkostenverfahren ist eine Produktionsrechnung, die den gesamten in der Abrech-
nungsperiode erzielten Erlösen die gesamten Kosten, gegliedert nach Kostenarten, gegen-
überstellt (vgl. Abb. 4.21). Sind in der Abrechnungsperiode Veränderungen des Lagerbe-
stands an unfertigen und fertigen Produkten aufgetreten, so werden die Erlöse um die zu
Herstellkosten bewerteten Lagerabgänge reduziert und um Lagerzugänge erhöht, damit man
die tatsächlich angefallenen Kosten mit dem zugehörigen Umsatz vergleicht.

Summe der Erlöse


+ Lagerzugänge zu Herstellkosten
- Lagerabgänge zu Herstellkosten
= Gesamtleistung der Periode
- Materialkosten
- Personalkosten Gesamtkosten
- Dienstleistungskosten gegliedert nach
- kalk. Abschreibungen Kostenarten
- kalk. Zinsen
- .....
= Betriebsergebnis

Abb. 4.21 Gesamtkostenverfahren

Das Gesamtkostenverfahren erlaubt die Bildung von Kostenkennzahlen sowie Aussagen über
die Kostenstruktur und ihre Veränderung im Zeitablauf. Da jedoch die Kosten nach Kosten-
arten und die Erlöse nach Kostenträgern gegliedert werden, ist keine Aussage über den mit
einzelnen Kostenträgern erzielten Erfolg möglich. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass
zur Ermittlung der Bestandsveränderungen eine regelmäßige Inventur erforderlich ist. Daher
wird das Gesamtkostenverfahren vor allem in kleineren Betrieben eingesetzt, deren Produk-
tionsstruktur überschaubar und deren Produktionsprogramm nur wenig differenziert ist.

4.3.6.2 Umsatzkostenverfahren
Das Umsatzkostenverfahren geht von dem Grundgedanken aus, dass das Betriebsergebnis im
Wesentlichen durch den Absatz der Produkte erzeugt wird, und stellt daher den nach Produk-
ten differenzierten Erlösen die dafür angefallenen Kosten gegenüber. Bestandsveränderungen
werden nicht berücksichtigt, da diese lediglich innerbetriebliche Wertumschichtungen dar-
stellen, jedoch zunächst noch keinen Erlös generieren. Diese Vorgehensweise erfordert eine
ausgebaute Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung sowie eine differenzierte Verteilung
der Gemeinkosten, wie sie z.B. in der in Abschnitt 4.3.5.3 dargestellten Zuschlagskalkulation
erfolgt. In Abb. 4.22 ist das Rechenschema des Umsatzkostenverfahrens für ein Produkt
dargestellt; das Betriebsergebnis ergibt sich als Summe der Produktergebnisse.

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250 4 Die Informationswirtschaft

Produkterlöse
- Materialeinzelkosten
- Materialgemeinkosten
- Lohneinzelkosten
- Fertigungsgemeinkosten
- Sondereinzelkosten der Fertigung
= Herstellkosten
- Verwaltungsgemeinkosten
- Vertriebsgemeinkosten
- Sondereinzelkosten des Vertriebs
= Betriebsergebnis

Abb. 4.22 Umsatzkostenverfahren

Aufgrund der differenzierten Erfassung der Kosten und Erlöse lässt sich beim Umsatzkos-
tenverfahren der Erfolg für unterschiedliche Abrechnungsobjekte berechnen, z.B. für einzel-
ne Kostenträger, für Produktgruppen oder Kundengruppen, für Absatzgebiete oder für be-
triebliche Verantwortungsbereiche. Durch diese Aufgliederung des Betriebsergebnisses sind
die Quellen des Erfolgs eindeutig feststellbar.

4.4 Controlling
Das Controlling ist eine betriebliche Funktion, deren Einordnung und Aufgaben sowohl in
der betriebswirtschaftlichen Literatur als auch in der Praxis nicht eindeutig abgegrenzt sind.
Mögliche Konkretisierungen erstrecken sich von einer erweiterten Kostenrechnung bis hin
zu umfassenden Managementaufgaben. Aus dem Begriff „to control“ lässt sich ableiten, dass
sich das Controlling mit der Planung, Steuerung und Kontrolle der im Unternehmen ablau-
fenden Prozesse befasst. Im Folgenden werden zunächst in Abschnitt 4.4.1 die wesentlichen
Aufgaben des Controllings herausgearbeitet und anschließend einige wichtige Instrumente
des operativen Controllings in Grundzügen dargestellt. Abschnitt 4.4.2 befasst sich mit
Kennzahlen und Kennzahlensystemen, Abschnitt 4.4.3 mit der Budgetierung, Abschnitt 4.4.4
mit der Prozesskostenrechnung und Abschnitt 4.4.5 mit dem Target Costing.

4.4.1 Aufgaben des Controllings


Das Controlling ist auf der Schnittstelle von Unternehmensplanung, Rechnungswesen, Orga-
nisation und Informationsversorgung angesiedelt. Es dient der ergebnisorientierten Unter-
nehmenssteuerung, indem es eine Koordination von betrieblichen Teilplänen und Teilberei-
chen durchführt und entscheidungsorientierte Informationen bereitstellt. Im Gegensatz zur
weitgehend vergangenheitsbasierten Informationsverarbeitung im traditionellen externen und

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4.4 Controlling 251

internen Rechnungswesen, auf die es zurückgreift, sind Controlling-Informationen im We-


sentlichen zukunftsorientiert. Folgende eng miteinander verknüpfte Aufgaben werden durch
das Controlling wahrgenommen:
 Zur Planungsaufgabe des Controllings gehört die Unterstützung der Aufstellung von
Unternehmensplänen in den verschiedenen betrieblichen Teilbereichen unter anderem
durch Vorgabe von einheitlichen Planungsrhythmen und die Auswahl geeigneter Pla-
nungsverfahren.
 Die Koordinationsaufgabe des Controllings bezieht sich zum einen auf die Koordination
der betrieblichen Einzelpläne zu einem Gesamtplan sowie auf die Koordination von kurz-
und langfristiger Planung, zum anderen auf die Rückkopplung zwischen Planung und
Kontrolle.
 Die Kontrollaufgabe des Controllings besteht in dem regelmäßigen Vergleich von Soll-
vorgaben und realisierten Istwerten sowie den zugehörigen Abweichungsanalysen. Er-
gebniskontrollen beziehen sich auf die Einhaltung von vorgegebenen Terminen, Mengen,
Qualitäten und Wertgrößen, Prozesskontrollen hingegen stellen auf die Einhaltung von
Regeln und die Anwendung der vorgesehenen Prozesse ab.
 Weiter hat das Controlling die Aufgabe, die Unternehmensführung und die betrieblichen
Teilbereiche mit den jeweils relevanten Planungs- und Steuerungsinformationen zu ver-
sorgen. Dazu ist ein regelmäßiges sowie ein projektbezogenes Berichtswesen erforder-
lich, das in das betriebliche Informationssystem eingebettet werden muss.
Generell lassen sich zwei Ausprägungen des Controllings unterscheiden: Das strategische
Controlling ist als Teilfunktion der Unternehmensführung eher auf die Sicherung der Exis-
tenz des Unternehmens in seiner Umwelt mithilfe von Instrumenten der strategischen Pla-
nung ausgerichtet, diese werden in Abschnitt 5.1 behandelt. In den folgenden Abschnitten
stehen die Instrumente des operativen Controllings im Vordergrund, das sich vorrangig mit
der Steuerung und der Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der im Unternehmen ablaufenden
Prozesse befasst.

4.4.2 Kennzahlen und Kennzahlensysteme


Kennzahlen dienen der kompakten Darstellung von quantitativ erfassbaren Sachverhalten
mithilfe von Mengen- oder Wertgrößen. Im Rahmen des Controllings werden Kennzahlen
und Kennzahlensysteme zur Steuerung von betrieblichen Prozessen eingesetzt. Weiter die-
nen sie der Überwachung, ob zuvor formulierte Mengen- oder Wertziele erreicht wurden.
Kennzahlen lassen sich wie folgt klassifizieren (vgl. Abb. 4.23):
 Zum einen können Kennzahlen in Form von absoluten Zahlen auftreten, die sich als Ein-
zelkennzahlen, als Summen oder als Differenzen von Kennzahlen erheben lassen. Bei-
spiele für absolute Kennzahlen, die im Controlling Verwendung finden, sind der monatli-
che Umsatz mit einem bestimmten Produkt als Einzelkennzahl, der Jahresumsatz oder der

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252 4 Die Informationswirtschaft

Umsatz einer Produktgruppe als Summenkennzahlen oder der mit einem Produkt erwirt-
schaftete Deckungsbeitrag als Differenz aus Umsatz und variablen Kosten.
 Zum anderen sind Kennzahlen in Form von Verhältniszahlen von großer Bedeutung, bei
denen zwei oder mehrere absolute Zahlen, die in einem sinnvollen Sachzusammenhang
stehen, zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Hierbei lassen sich Gliederungszahlen,
Beziehungszahlen und Indexzahlen unterscheiden. Bei einer Gliederungszahl werden
gleichartige Größen betrachtet, üblicherweise ist die Größe im Zähler des Quotienten eine
Teilgröße des Nenners, die Kennzahl wird typischerweise als Prozentsatz angegeben. Ein
Beispiel für eine Gliederungszahl ist der Umsatzanteil eines bestimmten Produkts. Eine
Beziehungszahl setzt sich aus verschiedenartigen Größen zusammen, wobei häufig eine
Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Größe im Zähler und der Größe im Nenner
besteht. Ein Beispiel für eine Beziehungszahl ist die Arbeitsproduktivität, die im Rahmen
der Wertschöpfungsanalyse verwendet wird (vgl. Abschnitt 4.2.3). Bei einer Indexzahl
schließlich wird eine Größe auf die korrespondierende Größe eines Basisjahrs bezogen,
so dass sich eine Zeitreihe von relativen Werten ergibt.

Kennzahlen

Absolute Zahlen Verhältniszahlen

Einzelkennzahlen Gliederungszahlen

Summen von Beziehungszahlen


Kennzahlen Indexzahlen
Differenzen von
Kennzahlen

Abb. 4.23 Kennzahlen

Bereits die isolierte Erhebung bestimmter Kennzahlen kann wichtige Aufschlüsse über die
Erfolgswirkungen der betrieblichen Tätigkeit liefern. Ihren Wert als Controllinginstrument
erhalten Kennzahlen allerdings erst, wenn man sie einsetzt, um die Zielerreichung von be-
trieblichen Einheiten zu überprüfen. Ein solcher Kennzahlenvergleich kann entweder mit
internen oder mit externen Werten erfolgen und lässt sich als Zeitvergleich, bei dem die
gleichen Kennzahlen zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben werden, als Soll/Ist-Vergleich,
bei dem den aktuellen Kennzahlen Vorgabewerte gegenübergestellt werden, oder als Be-
triebsvergleich, bei dem gleichartige Kennzahlen zum gleichen Zeitpunkt für verschiedene
Betriebe oder Betriebsteile ermittelt werden, durchführen (vgl. Abb. 4.24).

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4.4 Controlling 253

Zeitvergleich Soll/Ist-Vergleich Betriebsvergleich


Interner Interne Abweichungs- Internes
Vergleich Zeitreihenanalyse analyse Benchmarking
Externer Externe Legal Externes
Vergleich Zeitreihenanalyse Compliance Benchmarking

Abb. 4.24 Formen des Kennzahlenvergleichs

 Der Zeitvergleich erfolgt in Form von Zeitreihenanalysen, wobei entweder nur betriebs-
interne oder auch externe Daten zum Vergleich herangezogen werden. Zum Beispiel
kann die Entwicklung der eigenen Umsatzrendite sowohl isoliert als auch im Branchen-
vergleich betrachtet werden.
 Der interne Soll/Ist-Vergleich wird als Kontrollinstrument eingesetzt, um Abweichungen
von den Vorgabewerten zu identifizieren und zu analysieren. Beim externen Soll/Ist-
Vergleich werden als Vorgabewerte z.B. gesetzlich oder behördlich vorgeschriebene
Emissionsgrenzwerte herangezogen, so dass sich Aussagen über die Gesetzeskonformität
(Legal Compliance) des Unternehmens ergeben.
 Der zwischenbetriebliche Kennzahlenvergleich führt zu verschiedenen Formen des
Benchmarking (vgl. Abschnitt 5.1.2): Beim Vergleich der Kennzahlenausprägungen mit
den Werten anderer Betriebseinheiten im selben Unternehmen liegt internes
Benchmarking vor, beim Vergleich mit Werten, die andere Unternehmen erzielt haben,
handelt es sich um externes Benchmarking.
Die Auswahl der im Controlling zu erhebenden Kennzahlen sollte so erfolgen, dass einerseits
die interessierenden Größen der einzelnen betrieblichen Bereiche hinreichend genau abgebil-
det werden, andererseits nicht durch eine zu große Zahl an Einzelkennzahlen der Blick auf
die wesentlichen Zusammenhänge verloren geht. In einem möglichst konsistent aufgebauten
Kennzahlensystem erfolgt eine sinnvolle Verknüpfung der Einzelkennzahlen durch folgende
Operationen:
 Bei der Aufgliederung wird eine Kennzahl in ihre Bestandteile aufgespalten, z.B. lassen
sich die Selbstkosten eines Produkts anhand des verwendeten Kalkulationsschemas in ih-
re einzelnen Komponenten zerlegen (vgl. Abschnitt 4.3.5).
 Die Substitution geht so vor, dass sie eine Kennzahl auf Größen zurückführt, durch die
diese erklärt wird. So lässt sich z.B. die Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität (vgl.
Abschnitt 3.1.1) besser untersuchen, wenn man sie in ihre Bestandteile Gewinn und Ei-
genkapital aufspaltet.
 Bei der Erweiterung werden neue, aussagekräftige Kennzahlen dadurch gebildet, dass
ausgehend von einer Verhältniszahl der Zähler und der Nenner mit derselben Größe mul-
tipliziert werden und der dadurch entstandene Ausdruck in zwei multiplikativ verknüpfte
Verhältniszahlen aufgespalten wird. Nimmt man in dem in Abschnitt 4.2.3 behandelten

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254 4 Die Informationswirtschaft

DuPont-Kennzahlensystem als Ausgangspunkt die Definition des Return on Investment


als Gewinn bezogen auf das investierte Kapital, so erhält man durch Erweiterung mit dem
Umsatz eine Darstellung des ROI als Produkt aus Umsatzrendite und Umschlagshäufig-
keit des Kapitals.
Ein in jüngerer Zeit entwickeltes Kennzahlensystem ist die Balanced Scorecard. Diese be-
trachtet nicht nur die traditionellen finanzwirtschaftlichen Kennzahlen, sondern fasst diese zu
einer finanziellen Perspektive zusammen, die durch weitere Perspektiven, eine externe Kun-
denperspektive, eine interne Geschäftsprozessperspektive und eine mitarbeiterorientierte
Lern- und Entwicklungsperspektive, ergänzt wird (vgl. Kaplan/Norton 1996). Für jede dieser
Perspektiven werden strategische Ziele vorgegeben, wenige, aussagekräftige Schlüsselkenn-
zahlen definiert und operative Maßnahmen zur Erreichung der Ziele vorgeschlagen. Der
Kerngedanke dieses Kennzahlensystems besteht darin, die einzelnen Perspektiven sinnvoll
miteinander zu verknüpfen, die Konzentration der einzelnen Entscheidungsträger auf ihre
jeweiligen Bereichsziele zu vermeiden und dadurch letztlich ein übergreifendes betriebswirt-
schaftliches Denken zu fördern.
Abb. 4.25 zeigt den grundsätzlichen Aufbau einer Balanced Scorecard. Von ihrer Konzepti-
on her setzt die Balanced Scorecard eher im Bereich des strategischen Controllings an, je-
doch müssen die dort vorgegebenen Kennzahlen und Maßnahmen mithilfe der oben vorge-
stellten Methoden bis auf den operativen Bereich konsistent heruntergebrochen und umge-
setzt werden.

Kundenperspektive
• Marktanteil
• Kundenzufriedenheit
• Service

Finanzielle Perspektive Geschäftsprozesse


• Kapitalrentabilität • Innovationen
• Cash-Flow
Unternehmen • betriebliche Prozesse
• Unternehmenswert • Kundendienst

Mitarbeiterperspektive
• Zufriedenheit
• Produktivität
• Mitarbeitertreue

Abb. 4.25 Balanced Scorecard

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4.4 Controlling 255

4.4.3 Budgetierung
Unter einem Budget versteht man einen kurz- bis mittelfristigen Plan, der die Allokation von
finanziellen Mitteln innerhalb des Unternehmens steuert. Bei der Budgetierung werden peri-
oden- oder projektbezogen die von den einzelnen betrieblichen Teilbereichen zu erbringen-
den Leistungen und die dafür zulässigen Kosten festgeschrieben. Die Kosten für eine geplan-
te Leistungsmenge werden als Sollkostenvorgaben mithilfe der Daten der Kostenrechnung
ermittelt, für ihre Einhaltung ist der Bereichsleiter verantwortlich. Damit ein Budget eine
Motivationswirkung hinsichtlich einer kosteneffizienten Leistungserstellung entfaltet, darf es
nicht zu leicht erreichbar sein, aber auch nicht zu anspruchsvoll angesetzt werden. Abb. 4.26
gibt einen Überblick über verschiedene Budgetarten.

Budgets

Abhängigkeit
Umfang der Entscheidungs-
von der Geltungsdauer
Kostenvorgaben einheit
Bezugsgröße

Funktionsbudgets Unterjährige
Fixe Budgets Vollkostenbudgets
Budgets
Flexible Budgets Teilkostenbudgets Spartenbudgets
Jahresbudgets
Projektbudgets
Mehrjahresbudgets

Abb. 4.26 Budgets

 Nach der Abhängigkeit von einer Bezugsgröße unterscheidet man fixe Budgets, bei de-
nen ein fester Betrag unabhängig von der tatsächlichen Leistungsmenge vorgegeben
wird, und flexible Budgets, deren Höhe in Abhängigkeit vom Leistungsumfang
schwankt. Fixe Budgets eignen sich für Bereiche, deren Leistungen sich nur schwer mes-
sen lassen oder in einem bestimmten Umfang erbracht werden müssen, z.B. F&E-
Abteilungen oder die Verwaltung. Sie dienen in erster Linie einer Kostenbegrenzung, je-
doch keiner systematischen Kostenkontrolle. Flexible Budgets hingegen sind ein wirksa-
mes Steuerungs- und Kontrollinstrument, durch das sich die Wirtschaftlichkeit der Leis-
tungserstellung beurteilen lässt.
 Nach dem Umfang der Kostenvorgaben lassen sich Budgets auf Vollkostenbasis und auf
Teilkostenbasis unterscheiden. Während die Vollkostenrechnung sämtliche anfallenden
Kosten durch Schlüsselung den Kostenträgern anlastet, werden bei der Teilkostenrech-

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256 4 Die Informationswirtschaft

nung nur die unmittelbar von den Kostenträgern verursachten Kosten auf diese verrech-
net und die Fixkosten als Block in die Betriebsergebnisrechnung gegeben (vgl. Abschnitt
4.3.2). Obwohl ein Vollkostenbudget notwendigerweise höher ausfällt als das für die
gleiche Leistungsmenge vorgesehene Teilkostenbudget, eröffnet es doch keine größeren
Handlungsspielräume, denn definitionsgemäß lassen sich die Fixkosten durch die Ver-
antwortlichen nicht beeinflussen.
 In welcher Weise die Budgets den betrieblichen Entscheidungseinheiten zugeordnet wer-
den, hängt stark von der Organisation des Unternehmens ab (vgl. Abschnitt 1.1.4). So
werden bei einer funktional gegliederten Linienorganisation Funktionsbudgets für die Be-
reiche Beschaffung, Produktion, Absatz, Finanzierung usw. aufgestellt, während bei einer
objektorientierten Spartenorganisation Budgets für die einzelnen Sparten, d.h. Produkt-
oder Kundengruppen, vorgegeben werden. Bei langfristigen Projekten wird eine separate
Budgetierung mit einer Zuordnung der Kosten zu bestimmten Projektabschnitten vorge-
nommen.
 Schließlich lassen sich Budgets nach ihrer Geltungsdauer klassifizieren. Ausgehend von
einem aus der Unternehmensgesamtplanung abgeleiteten Jahresbudget werden unterjäh-
rige Budgets auf Quartals- oder Monatsbasis für die einzelnen operativen Einheiten ent-
wickelt. Daneben können für langfristige Projekte oder Investitionsmaßnahmen auch
Mehrjahresbudgets aufgestellt werden.
Im Idealfall wird die Budgetierung als iterativer Koordinationsprozess durchgeführt, durch
den die Produktions- und Maßnahmenpläne der verschiedenen Teilbereiche optimal aufei-
nander abgestimmt werden. In der Praxis werden Budgets allerdings häufig durch Fort-
schreibung von Werten aus vergangenen Perioden festgelegt. Die Einhaltung der Budgets
sowie die Erfüllung der Leistungsziele werden nicht nur am Ende der Budgetierungsperiode
überprüft, sondern es wird zusätzlich ein regelmäßiger Soll/Ist-Vergleich vorgenommen, um
voraussichtliche Budgetabweichungen rechtzeitig erkennen und ihnen entgegensteuern zu
können.

4.4.4 Prozesskostenrechnung
Die Prozesskostenrechnung ist ein neuerer Ansatz der Kostenrechnung, der sowohl zur Vor-
gabe von Budgets als auch zur Bestimmung der Produktkosten im Rahmen der Nachkalkula-
tion eingesetzt werden kann. Ausgangspunkt der Entwicklung der Prozesskostenrechnung
war die veränderte Kostenstruktur in den produzierenden Unternehmen: Durch zunehmende
Rationalisierung und Automatisierung ist der Anteil der Gemeinkosten an den Fertigungs-
kosten stark angestiegen, so dass sich in der traditionellen Zuschlagskalkulation (vgl. Ab-
schnitt 4.3.5) vielfach Zuschlagssätze von mehreren hundert bis tausend Prozent ergeben.
Dies führt dazu, dass Produkte mit hohen Einzelkosten bei einer Vollkostenrechnung als
nicht lohnend erscheinen, d.h. die Kostenrechnung wird ihrer Informationsfunktion nicht
mehr gerecht. Insbesondere treten folgende Effekte auf:

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4.4 Controlling 257

 Der Komplexitätseffekt besteht darin, dass die durch die Komplexität einzelner Produkte
verursachten zusätzlichen Kosten, die z.B. in der Konstruktion, der Materialbeschaffung
und der Arbeitsvorbereitung anfallen, nicht diesen Produkten direkt zugerechnet, sondern
über Zuschlagssätze auf alle Produkte verteilt werden. Dadurch werden die Kosten der
komplexen Produkte tendenziell zu niedrig und die der einfachen Produkte zu hoch aus-
gewiesen.
 Der Degressionseffekt ergibt sich dadurch, dass die zusätzlichen Gemeinkosten, die
durch die Variantenvielfalt einzelner Produkte hervorgerufen werden, gleichmäßig auf al-
le Produkte verteilt werden.
 Der Allokationseffekt führt dazu, dass bei einer Zuschlagskalkulation maschinenintensive
Produkte durch lohnintensive quersubventioniert werden, da letzteren über den Ferti-
gungsgemeinkostenzuschlag ein überhöhter Anteil an Fertigungsgemeinkosten zugerech-
net wird.
Der Ansatzpunkt der Prozesskostenrechnung besteht darin, die Kosten nicht mehr auf Pro-
dukte, sondern auf Prozesse, d.h. betriebliche Aktivitäten, zu verrechnen. Durch weitgehende
Vermeidung von Schlüsselungen soll eine verursachungsgerechte Verteilung vor allem der
Gemeinkosten in den indirekt an der Leistungserstellung beteiligten Bereichen und damit
eine größere Kostentransparenz erreicht werden. Die Prozesskostenrechnung geht wie folgt
vor (vgl. Abb. 4.27):

Tätigkeiten erfassen Verdichten zu Prozessen Zuordnung von Kosten

Leistung 1

Leistung 2

Leistung 3

Leistung 4

Kosten

Abb. 4.27 Prozesskostenrechnung

Zunächst werden elementare Vorgänge als Teilprozesse identifiziert, d.h. repetitive Tätigkei-
ten mit geringem Entscheidungsspielraum, die in den indirekten Bereichen des Unterneh-
mens auftreten. Beispiele für solche Tätigkeiten sind im Bereich der Materialbeschaffung:
 Einholen eines Angebots für ein Standardteil
 Bearbeiten des Angebots und Auslösung der Bestellung

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258 4 Die Informationswirtschaft

 Kontrolle des Wareneingangs


 Überprüfung der Rechnung und Weiterleitung an die Buchhaltung
Diese Teilprozesse werden – gegebenenfalls über mehrere Stufen – kostenstellenübergrei-
fend zu Prozessen und schließlich zu Hauptprozessen zusammengefasst. Die im Beispiel
genannten Tätigkeiten lassen sich zu einem Prozess „Beschaffung von Standardteilen“ zu-
sammenfassen. Für jeden Prozess werden dann Kostentreiber bestimmt, d.h. Bezugsgrößen,
anhand derer die durch den Prozess verursachten Gemeinkosten verrechnet werden können.
Dabei unterscheidet man leistungsmengeninduzierte (lmi-)Prozesse, bei denen ein direkter
Zusammenhang zwischen der Höhe der Kosten und der Anzahl der Prozessdurchführungen
besteht, und leistungsmengenneutrale (lmn-)Prozesse, denen sich kein solches Mengengerüst
zuordnen lässt, da sie nur einen indirekten Bezug zum Leistungsprozess aufweisen, z.B.
unterstützende Tätigkeiten. Beispiele für indirekte Tätigkeiten und die zugehörigen Kosten-
treiber sind:
 Bestellabwicklung: Anzahl der Bestellungen
 Lagerhaltung: Anzahl der Lagerbewegungen
 Arbeitsvorbereitung: Anzahl der Rüstvorgänge
 Datenverarbeitung: Anzahl der Jobs einer Klasse
 Leitungsaufgaben: leistungsmengenneutral
Anschließend werden die Prozesskostensätze bestimmt, indem die Prozesskosten durch die
Prozessmengen dividiert werden, und mit deren Hilfe die Kosten entsprechend der Inan-
spruchnahme der verschiedenen Prozesse auf die Produkte verteilt. Eine Schlüsselung erfolgt
lediglich für die lmn-Kosten, diese werden proportional zu den lmi-Kosten auf die Prozesse
verrechnet. Dieses Vorgehen gewährleistet eine weitgehend verursachungsgerechte Abrech-
nung der Gemeinkosten der indirekten Bereiche und damit eine größere Gemeinkostentrans-
parenz als die traditionelle Zuschlagskalkulation. Auch Kostenabweichungen lassen sich
besser erkennen und den Verantwortlichen zuordnen. Da es sich bei der Prozesskostenrech-
nung vom Grundsatz her um eine Vollkostenrechnung handelt, werden den Produkten aller-
dings auch nicht entscheidungsrelevante Kosten zugerechnet, so dass Fehlentscheidungen
hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit einzelner Produkte möglich sind.

4.4.5 Target Costing


Ausgangspunkt des Target Costing ist die zunehmende Markt- und Kundenorientierung der
Unternehmen, die sich auch auf das Rechnungswesen auswirkt. Das auch als Zielkostenrech-
nung bezeichnete Target Costing ist in der japanischen Managementlehre entwickelt worden.
Es handelt sich um ein Instrument zur Kostenplanung, -steuerung und -kontrolle, das bei der
Entwicklung neuer Produkte eingesetzt wird, um durch ein systematisches Kostenmanage-
ment die Produktkosten von vornherein auf einem wettbewerbsfähigen Niveau zu halten. Die

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4.4 Controlling 259

Zielkosten sind produktbezogene Kostenvorgaben, die sich auf unterschiedliche Weise be-
stimmen lassen:
 Bei der am häufigsten angewendeten Methode „Market into Company“ werden die Ziel-
kosten wie folgt aus dem für das Produkt erzielbaren Marktpreis abgeleitet: Nach Abzug
der Umsatzsteuer und der Handelsspanne ergibt sich der Stückerlös, den das Unterneh-
men erhält. Zieht man von diesem noch die gewünschte Gewinnspanne ab, so erhält man
die Zielkosten, die der Fertigung vorgegeben werden. Abb. 4.28 zeigt die Ermittlung der
Zielkosten an einem Beispiel.

Erzielbarer Marktpreis 19,98 €


- Umsatzsteuer (19%) - 3,19 €
- Handelsspanne - 3,40 €
Stückerlös 13,39 €
- Gewinnspanne - 2,00 €
Zielkosten 11,39 €

Abb. 4.28 Ermittlung der Zielkosten

 Bei der Methode „Out of Company“ werden die aufgrund der im Unternehmen vorhan-
denen Fertigungstechnologie als realistisch angesehenen Kosten als Zielkosten vorgege-
ben und anschließend untersucht, ob sich das Produkt zu diesen Kosten am Markt abset-
zen lässt. Diese Vorgehensweise eignet sich für Produktinnovationen, bei denen noch
keinerlei Markterfahrungen vorliegen.
 Die Methode „Into and out of Company“ nimmt eine Kombination der beiden zuvor
genannten Verfahren vor. In einer Zielvereinbarungsdiskussion gelangen der Marketing-
und der Produktionsbereich zu einer Kompromisslösung, die sowohl die Marktanforde-
rungen als auch die Produktionsmöglichkeiten angemessen berücksichtigt.
 Bei der Methode „Out of Competitor“ werden die Zielkosten aus den – in der Regel nur
näherungsweise bekannten – Kosten der Konkurrenz hergeleitet. Hier steht nicht die
Markt-, sondern die Wettbewerbsorientierung im Vordergrund, so dass das Verfahren
sich für im Markt etablierte Produkte eignet.
 Eine Zielkostenermittlung „Out of Standard Costs“ hingegen wird als Abschlag auf die in
der eigenen Kostenrechnung ermittelten Sollkosten vorgenommen. Diese Methode lässt
sich nur für bereits hergestellte Produkte einsetzen, jedoch nicht für Neuentwicklungen,
für die keine entsprechenden Kosteninformationen vorliegen.
Zeigt sich bei der Vorkalkulation, dass das geplante Neuprodukt mit den vorhandenen Ferti-
gungsanlagen nicht zu den Zielkosten produziert werden kann, so bestehen zwei grundsätzli-
che Ansatzpunkte: Zum einen kann man versuchen, durch Ausnutzung von Rationalisie-

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260 4 Die Informationswirtschaft

rungsmöglichkeiten und Kostensenkungspotenzialen die Fertigungskosten zu reduzieren.


Eventuell lässt sich auch anfänglich eine geringere Gewinnspanne hinnehmen, wenn die
Absatzprognosen erwarten lassen, dass durch die Ausnutzung des Erfahrungskurveneffekts
(vgl. Abschnitt 5.1.2) die Fertigungskosten in absehbarer Zeit bis auf die Zielkosten sinken.
Zum anderen lassen sich die Kosten senken, indem man einzelne Produktkomponenten ge-
gen günstigere Varianten austauscht, d.h. die Produktkonstruktion muss nochmals hinterfragt
werden.
Diese Vorgehensweise ist nicht grundsätzlich neu, sondern wurde im Prinzip bereits in den
1930er Jahren bei der Entwicklung des VW Käfer angewendet, für den ein Marktpreis von
990 Reichsmark nicht überschritten werden sollte. Um dieses Preislimit einzuhalten, wurden
verschiedene technische Komponenten daraufhin untersucht, ob sie sich nicht zu geringeren
Kosten realisieren ließen, und z.B. hydraulische Bremsen durch Seilzugbremsen ersetzt, da
durch diese Maßnahme 25 Reichsmark eingespart werden konnten. Als neu ist hingegen die
systematische Vorgehensweise sowie die konsequente Umsetzung im Rahmen des Target
Costing anzusehen.
Ansatzpunkt für eine Kostensenkung durch Änderungen bei der Produktkonstruktion sind die
von den Kunden wahrgenommenen Produktfunktionen. Diese lassen sich einteilen in harte
Funktionen, die auf der technischen Spezifikation des Produkts beruhen, und weiche Funkti-
onen, die zur Benutzerfreundlichkeit beitragen und damit den subjektiven Wert des Produkts
wesentlich bestimmen. Diese Produktfunktionen sind hinsichtlich ihrer Bedeutung für den
Kundennutzen zu gewichten. Zunächst werden die relativen Gewichte der harten und der
weichen Funktionen bestimmt und diese jeweils in Gewichte für die einzelnen Teilfunktio-
nen aufgegliedert. Aus den Gewichten der Teilfunktionen lassen sich die für die zugehörigen
Produktkomponenten zulässigen Kostenanteile ableiten, d.h. letztlich wird die Zielkosten-
vorgabe für das Produkt auf seine Komponenten aufgeteilt.
Setzt man nun den Nutzenanteil einer Komponente ins Verhältnis zu ihrem Kostenanteil bei
der vorläufigen Produktkonstruktion, so erhält man ihren Zielkostenindex. Dieser nimmt im
Idealfall den Wert 1 an, d.h. der Kostenanteil entspricht genau dem Nutzenanteil. Ist der
Zielkostenindex kleiner als 1, so ist die Ausgestaltung dieser Komponente zu aufwändig. Bei
Werten über 1 hingegen ist die Komponente im Verhältnis zu ihrem Kundennutzen zu ein-
fach ausgestaltet und es sollte über eine Funktionsverbesserung nachgedacht werden. Je
weiter sich ein Zielkostenindex außerhalb der in Abb. 4.29 dargestellten Zielkostenzone
befindet, desto wichtiger ist es, entsprechende Änderungen bei der zugehörigen Komponente
vorzunehmen.
Die Bedeutung des Target Costing ist vor allem darin zu sehen, dass durch die frühzeitige
und konsequente Ausrichtung der aufgrund der Konstruktion erwarteten Produktkosten am
erzielbaren Marktpreis die Misserfolgswahrscheinlichkeit eines neuen Produkts erheblich
reduziert wird. Zu späteren Zeitpunkten lässt sich das Target Costing immer wieder einset-
zen, um auch bei bereits gefertigten Produkten nach weiteren Kostensenkungspotenzialen zu
suchen.

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4.5 Informationssysteme 261

Kosten-
anteil (%) Zielkostenindex < 1

• Zielkostenzone

• •
Zielkostenindex > 1
• •

Gewichtung (%)

Abb. 4.29 Zielkostenzone

4.5 Informationssysteme
Aufgrund der zunehmenden Komplexität und Dynamik der Umwelt sind die Entscheidungs-
träger auf allen Ebenen des Unternehmens immer mehr auf Unterstützung durch geeignete
Informationssysteme angewiesen. Abschnitt 4.5.1 befasst sich mit der diesen Informations-
systemen zugrunde liegenden Datenmodellierung in Datenbanken und Data Warehouses. In
Abschnitt 4.5.2 wird mit den Produktionsplanungs- und -steuerungssystemen ein für produ-
zierende Unternehmen wichtiger Anwendungsbereich von Informationssystemen dargestellt.
Abschnitt 4.5.3 schließlich geht auf die Chancen und Risiken ein, die die erweiterten Ge-
schäftsmöglichkeiten des e-Business mit sich bringen.

4.5.1 Datenbanken und Data Warehouses


Datenbanken dienen der Speicherung der im Unternehmen anfallenden und der Bereitstel-
lung der für betriebliche Entscheidungen benötigten Informationen. Als Daten bezeichnet
man in der Wirtschaftsinformatik Informationen, die in standardisierter, maschinenlesbarer
Form formatiert sind. Sie beschreiben Objekte des Unternehmens und seiner Umwelt sowie
deren Beziehungen. Man unterscheidet folgende Datentypen:
 Stammdaten bilden längerfristig bestehende Tatbestände und Strukturen ab, z.B. Stücklis-
ten, das Produktionsprogramm, Konstruktionsdaten oder die Organisationsstruktur des
Unternehmens.
 Bestandsdaten stellen zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehende Zustände dar, z.B.
Lagerbestände, Auftragsbestände, den Kassenbestand oder den Personalbestand.

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262 4 Die Informationswirtschaft

 Durch Bewegungsdaten lassen sich betriebliche Vorgänge und die daraus resultierenden
Veränderungen der Stamm- und Bestandsdaten erfassen, z.B. Lagerzu- und -abgänge,
Auslieferungen von Kundenaufträgen, innerbetriebliche Materialbewegungen, Ein- und
Auszahlungen.
In vielen Unternehmensbereichen, z.B. im internen und externen Rechnungswesen, in der
Auftragsabwicklung, in der Materialwirtschaft oder in der Personalwirtschaft, aber auch
zunehmend in der inner- und außerbetrieblichen Logistik, fallen laufend große Datenmengen
an, die sich nur noch mithilfe der automatisierten Datenerfassung und Datenverarbeitung
(DV) bewältigen lassen.
Daten mit gleichartigen Datensätzen werden in Dateien zusammengefasst. Um die aus einer
verteilten Datenhaltung resultierenden Probleme der Redundanz und Inkonsistenz zu ver-
meiden, werden Dateien aus verschiedenen Anwendungsbereichen unternehmensweit in
einer Datenbank zusammengeführt, auf die sämtliche Entscheidungsträger in dem jeweils
benötigten Umfang zugreifen und aus der sie die für ihren Arbeitsbereich erforderlichen
Informationen abrufen können.
Die Beziehungen innerhalb einer Datenbank werden durch ein Datenmodell strukturiert.
Vorherrschend ist das relationale Datenmodell (Entity Relationship Model, ERM), bei dem
die Dateien weitgehend redundanzfrei in der so genannten Normalform gehalten und über
standardisierte Relationen miteinander verknüpft werden können.
Beispiele für unternehmensweite Datenmodelle zur Unterstützung verschiedenartiger Ge-
schäftsprozesse sind das von IDS Scheer entwickelte ARIS-System sowie das im folgenden
Abschnitt behandelte R/3-System der Firma SAP. Wesentlich für den Aufbau von moder-
nen Informationssystemen ist die Trennung der vom Benutzer wahrgenommenen Anwen-
dungsebene von der informationstechnischen Realisierung, die – wie in Abb. 4.30 dargestellt
– über mehrere Stufen realisiert wird.
Bei dieser Vorgehensweise werden zunächst die in den einzelnen Bereichen auftretenden
realen Probleme strukturiert und mittels formaler Beschreibungsmethoden in ein Fachkon-
zept umgesetzt. Diesem wird dann ein adäquates DV-Konzept zugeordnet, das mithilfe einer
geeigneten Programmiersprache in einer Software abgebildet und schließlich auf der Ma-
schinenebene physisch realisiert wird.
Als Weiterentwicklung herkömmlicher Datenbanken werden zur Entscheidungsunterstüt-
zung vielfach Data Warehouses eingesetzt, die – ähnlich einem Lager im Bereich der Mate-
rialwirtschaft – die Fülle an Daten aus den verschiedenen operativen DV-Anwendungen im
Unternehmen sowie auch aus externen Datenquellen zusammenführen, aktualisieren, verein-
heitlichen und je nach Bedarf aggregieren, um einerseits Dokumentationsaufgaben zu erfül-
len und andererseits dem Management Auswertungen über längere Zeiträume oder über
mehrere Bereiche hinweg zu ermöglichen. Im Gegensatz zu operativen DV-Anwendungen
kann der Nutzer eines Data Warehouse die von ihm angeforderten Daten nicht verändern,
sondern erhält lediglich einen lesenden Zugriff.

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4.5 Informationssysteme 263

Reale Probleme

Fachkonzept

DV-Konzept

Programmierung

Physische Realisation

Abb. 4.30 Aufbau eines Informationssystems

Ein weiteres Kennzeichen von Data Warehouses ist, dass hier Bestands- und Bewegungsda-
ten, die im operativen Bereich durch Aktualisierung regelmäßig überschrieben werden, mit
ihren Werten zu verschiedenen Zeitpunkten gespeichert sind und für spätere Zugriffe zur
Verfügung stehen. So lassen sich z.B. Bestands- oder Verkaufsübersichten sowohl aggregiert
als auch detailliert und nach zeitlichen oder sachlichen Kriterien gegliedert erstellen. Ein
derartiger Zugriff von Benutzern, die keine formalen Datenbankabfragesprachen beherr-
schen, wird durch OLAP (On-line analytical processing) unterstützt, das eine dynamische,
mehrdimensionale Sicht auf alle für Führungsentscheidungen relevanten Daten bietet (vgl.
Abb. 4.31).
In OLAP sind gleichartige Bezugsobjekte, z.B. Artikel, Regionen, Zeitpunkte, in Dimensio-
nen angeordnet, die die Achsen eines multidimensionalen Raums bilden. Damit lässt sich
z.B. eine produktbezogene, regionale und zeitlich abgegrenzte Sicht auf die Unternehmens-
daten erreichen. OLAP-Abfragen erfolgen als Dimensionsschnitte, bei denen die Elemente
bestimmter Dimensionen als konstant betrachtet und die Daten der anderen Dimensionen in
den gewünschten Größen dargestellt werden. Innerhalb einer Dimension sind die Bezugsob-
jekte in der Regel zusätzlich hierarchisch strukturiert.
Derartige Datenstrukturen werden als Hyperwürfel bezeichnet, aus denen der Benutzer durch
Schnitte (Slicing) die gewünschten Informationen extrahieren kann. Der Zugriff erfolgt in-

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264 4 Die Informationswirtschaft

teraktiv und mit kurzen Responsezeiten. Durch die vielfältigen möglichen Sichten auf die
vorhandenen Informationen sind unterschiedlichste Zugriffe auf die zugrunde liegenden
unternehmensinternen und externen Daten möglich. OLAP-Abfragen und Data Warehouses
werden insbesondere in Management-Support-Systemen (MSS) eingesetzt und bieten eine
äußerst flexible Unterstützung des herkömmlichen Berichtswesens. Zunehmend werden
diese Anwendungen auch in Standardsoftware-Paketen wie Oracle und SAP R/3 angeboten
und individuell an die Bedürfnisse der Anwender angepasst.

Abb. 4.31 Hyperwürfel-Struktur bei OLAP

4.5.2 Produktionsplanungs- und -steuerungssysteme


Unter einem Produktionsplanungs- und -steuerungssystem (PPS-System) versteht man ein
umfassendes, computergestütztes Informations-, Dispositions- und Steuerungssystem, das
auf einer zentralen Datenbank aufbaut und die Abstimmung von Entscheidungen im Bereich
der mittelfristig-taktischen Produktionsplanung bis hin zur kurzfristig-operativen Produkti-
onssteuerung unterstützt. In Abb. 4.32 ist die Grundstruktur eines marktüblichen PPS-
Systems dargestellt.
Der Produktionsplanung werden üblicherweise die Programmplanung mit der Festlegung des
Produktionsprogramms aufgrund von Kundenaufträgen oder Nachfrageprognosen, die Mate-
rialwirtschaft mit der Stücklistenauflösung und Losgrößenbestimmung sowie die Zeitwirt-
schaft mit einer vorläufigen Durchlaufterminierung und dem Kapazitätsabgleich zugeordnet,
während die Produktionssteuerung die Ablaufplanung mit der Auftragsfreigabe und der Auf-

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4.5 Informationssysteme 265

tragsüberwachung sowie die Qualitätskontrolle umfasst. Ein typischer Planungszyklus läuft


folgendermaßen ab:

Programmplanung
• Prognoserechnung
• Grobplanung

Produktions- Materialwirtschaft
Grunddaten-
• Stücklistenauflösung Verwaltung
planung • Losbildung

• Strukturdaten

Zeitwirtschaft • Bestandsdaten
• Terminplanung
• Bewegungs-
• Kapazitätsplanung daten

Ablaufplanung
Produktions- • Auftragsfreigabe
steuerung • Auftragsüberwachung
• Qualitätskontrolle

Abb. 4.32 Grundstruktur eines PPS-Systems

 In der Programmplanung werden die während eines mittelfristigen Planungshorizonts


herzustellenden Endprodukte nach Art, Menge und Termin festgelegt. Bei auftragsorien-
tierter Fertigung dienen die hereingenommenen Kundenaufträge als Ausgangsdaten, bei
marktorientierter Fertigung hingegen beruht die Programmplanung auf Absatzprognosen
(vgl. Abschnitt 2.1.2). Da in der Praxis Mischtypen vorherrschen, sind in den meisten
PPS-Systemen Module sowohl zur Auftragsverwaltung als auch zur Absatzprognose im-
plementiert. Die Produktionsanforderungen werden zunächst mit den verfügbaren Lager-
beständen an Endprodukten abgeglichen. Soweit die Nachfrage aus dem Lager befriedigt
werden soll, müssen die entsprechenden Bestände reserviert werden, um eine anderweiti-
ge Verwendung zu verhindern. Die verbleibenden Nachfragemengen sowie eine
eventuell vorgesehene Vorratsproduktion von Produkten, die für künftigen Bedarf auf
Lager genommen werden sollen, ergeben das Produktionsprogramm einer Periode auf
Endproduktebene.

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266 4 Die Informationswirtschaft

 Dieses Produktionsprogramm liefert die Ausgangsdaten für die Materialwirtschaft. Hier


wird zunächst eine Stücklistenauflösung durchgeführt, um die für das geplante Endpro-
duktprogramm erforderlichen Bruttobedarfsmengen an Rohstoffen, fremdbezogenen Tei-
len und Zwischenprodukten zu ermitteln (vgl. Abschnitt 2.1.3). Nach Abgleich mit den
verfügbaren Lagerbeständen werden für die einzelnen Materialarten optimale Losgrößen
ermittelt und entsprechende Einkaufs- bzw. Fertigungsaufträge für die nicht aus dem La-
ger zu befriedigenden Nettobedarfsmengen sowie gegebenenfalls zur Aufstockung der
Lagerbestände erteilt.
 Im Rahmen der Zeitwirtschaft erfolgt zunächst eine vorläufige Einplanung der Ferti-
gungsaufträge auf den beteiligten Produktionsstufen. Um sicherzustellen, dass die auf
vorgelagerten Produktionsstufen gefertigten Teile zum Bedarfszeitpunkt zur Verfügung
stehen, wird eine Vorlaufverschiebung für diese Zwischenprodukte durchgeführt. Bei der
Einlastung der Aufträge auf die Fertigungsanlagen ergibt sich weiter das Problem, dass
weder deren Durchlaufzeiten noch die verfügbaren Kapazitäten exakt bekannt sind. Die
Durchlaufzeit eines Auftrags setzt sich aus weitgehend feststehenden Rüst-, Bearbei-
tungs- und Transportzeiten sowie stark schwankenden Warte- und Liegezeiten zusam-
men, wobei letztere häufig bis zu 90% der gesamten Durchlaufzeit ausmachen. Die effek-
tiv für Bearbeitungsvorgänge verfügbare Kapazität einer Maschine liegt aufgrund von im
Planungszeitpunkt noch nicht bekannten, ablaufbedingten Leerzeiten unterhalb ihrer Re-
gelkapazität. Daher ergibt die vorläufige Einlastung der Lose auf einzelnen Maschinen
und in einzelnen Perioden in der Regel eine unzulässige Kapazitätsbelastung, die durch
einen anschließenden Kapazitätsabgleich zu beseitigen ist. Dabei wird versucht, Belas-
tungsspitzen durch Maßnahmen wie Vorproduktion, Überstunden oder teilweisen Fremd-
bezug von Bauteilen zeitlich zu verlagern oder abzubauen. Als Ergebnis der Termin- und
Kapazitätsplanung werden die Fertigungsaufträge freigegeben und in der anschließenden
Ablaufplanung in das Fertigungssystem eingelastet.
 In der Ablaufplanung werden die freigegebenen Fertigungsaufträge auf die Maschinen
eingelastet und ihr ordnungsmäßiger Durchlauf überwacht. Die Planung erfolgt kurzfris-
tig, ihr Planungshorizont beträgt ca. eine Woche. Vielfach wird diese Aufgabe unter Be-
rücksichtigung der Vorgaben aus der Termin- und Kapazitätsplanung dezentral auf der
Meisterebene oder mithilfe von Leitständen durchgeführt. Die Belegungspläne werden
als Vorgaben an die Fertigung weitergeleitet und dort umgesetzt. Im Rahmen der Produk-
tionskontrolle wird der Planvollzug an die Ablaufplanung zurückgemeldet und führt dort
gegebenenfalls zu Revisionen der Maschinenbelegungsplanung. Auch die Überwachung
der Produktqualität ist auf dieser Planungsebene angesiedelt (vgl. Abschnitt 5.4.1).
Das dargestellte Planungskonzept ist modular angelegt, d.h. die einzelnen Teilbereiche kön-
nen unabhängig voneinander mit verschiedenen Methoden geplant werden. Dabei dient je-
weils die Lösung eines Teilproblems als Vorgabe für das nachfolgende Modul, das seine
Planung unter Berücksichtigung der durch diese Vorgaben gesetzten Rahmenbedingungen
ermitteln muss. So legt z.B. die Zeitwirtschaft die Anfangs- und Endtermine der bei der
Losgrößenbestimmung gebildeten Fertigungslose fest. Bei dieser Top-Down-Vorgehens-
weise werden die Planungsbereiche nacheinander mit zunehmendem Detaillierungsgrad und

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4.5 Informationssysteme 267

abnehmendem Planungshorizont durchlaufen. Rückkopplungsinformationen hinsichtlich der


Umsetzung der Pläne dienen hauptsächlich der Aktualisierung der Daten für den nächsten
Planungslauf. Daten und Entscheidungen der einzelnen Teilbereiche werden in einer zentra-
len Datenbank, die sämtliche Grunddaten verwaltet, gespeichert und den anderen Teilberei-
chen über geeignete Schnittstellen zugänglich gemacht. Die verschiedenen am Markt ange-
botenen PPS-Systeme unterscheiden sich stark hinsichtlich der Anzahl und der Differenzie-
rung ihrer Module. Vielfach bieten sie im Rahmen der Modulstruktur alternative Bausteine
an, durch deren individuelle Kombination, Erweiterung und Aktualisierung die Abstimmung
eines Systems auf die jeweiligen Kundenanforderungen möglich ist.
Die Ursprünge derartiger Systeme liegen Anfang der 1960er Jahre, aufbauend auf den ersten
DV-Anwendungen im Bereich der Materialwirtschaft. Als eines der ersten PPS-Systeme
wurde damals von der Firma IBM das Programm PICS (Production Information and Control
System, später COPICS) auf den Markt gebracht. Inzwischen ist der Markt für PPS-Systeme
fast unüberschaubar; ständig kommen neue Anbieter und Produkte hinzu, die ein sehr unter-
schiedliches Funktionsspektrum abdecken. Die Auswahl des für ein Unternehmen am besten
geeigneten PPS-Systems ist eine schwierige Entscheidung, die nur bedingt durch Marktüber-
sichten und -analysen unterstützt wird. Viele Unternehmen setzen das nachfolgend beschrie-
bene R/3-System der SAP AG in Walldorf ein.
Mit der Implementierung eines PPS-Systems in einem Unternehmen sind erhebliche Kosten
für die Anschaffung und Installation der Software und für die Schulung der Mitarbeiter, oft
auch umfangreiche organisatorische Maßnahmen verbunden. Um eine Anpassung ihrer Sys-
teme an veränderte Anforderungen oder an neue Entwicklungen zu ermöglichen, achten die
Anbieter standardisierter PPS-Systeme auf weitgehende Aufwärtskompatibilität ihrer Pro-
dukte. Dennoch sind laut Umfrageergebnissen sowohl die Produktionsleiter als auch die
Manager von Unternehmen, die PPS-Systeme einsetzen, mit deren Arbeitsweise und Ergeb-
nissen häufig unzufrieden.
Ausgangspunkt der Entwicklung von PPS-Systemen waren DV-Anwendungen zur Stücklis-
tenauflösung. Durch Integration weiterer materialwirtschaftlicher Aufgaben wie Nettobe-
darfsermittlung, Losbildung und Vorlaufverschiebung entstanden Programme zum Material
Requirements Planning (MRP). Diese wurden durch Einbeziehung der Kapazitätswirtschaft
und die Möglichkeit zur Rückkopplung in frühere Planungsschritte bei unzulässigen Planun-
gen zum Manufacturing Resource Planning (MRP II) weiterentwickelt, dessen Konzept noch
heute als Basis der meisten PPS-Systeme dient. Noch weiter gehen Enterprise Resource
Planning Systeme (ERP-Systeme), die sämtliche Interdependenzen und Ressourcen im ge-
samten Prozess der Leistungserstellung umfassend berücksichtigen.
Das bis 2004 angebotene R/3-System der Firma SAP ist ein solches ERP-System, dessen
Anwendungsbereich als betriebliche Anwendungssoftware weit über die Produktionsplanung
und -steuerung hinausgeht. Mit mehr als 100.000 weltweiten Installationen, ca. 12 Mio.
Anwendern, einem europäischen Marktanteil von 44% im Jahr 2005 und einem Weltmarkt-
anteil von ca. 30% ist die SAP AG der Weltmarktführer im Bereich der Standard-PPS-
Systeme. Der Kundenkreis reicht in Deutschland von Großunternehmen wie Siemens und der
Deutschen Telekom bis hin zu kleinen und mittelständischen Unternehmen; vielfach wird das

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268 4 Die Informationswirtschaft

System sogar als Industriestandard bezeichnet. Seit 2004 bietet die SAP AG als Nachfolge-
produkt des R/3-Systems das Produktpaket SAP Business Suite an, dessen Produktkompo-
nenten teilweise über den klassischen ERP-Ansatz hinausgehen.
Wegen der nach wie vor weiten Verbreitung des R/3-Systems in der Industrie wird dieses
bei der nachfolgenden Darstellung zugrunde gelegt. Wesentlich für den Aufbau des R/3-
Systems ist die Client/Server-Architektur des Informationssystems, bei der die Datenbank-
ebene, die Applikationsebene mit den Anwendungsprogrammen und die Präsentationsebene
mit der Benutzeroberfläche auf unterschiedlichen Rechnern mit verschiedenen Betriebssys-
temen verwaltet werden können. Die Verbindung dieser Ebenen, die auch an unterschiedli-
chen Standorten angesiedelt sein können, erfolgt durch betriebsinterne Netzwerke (Local
Area Networks, LAN) oder auch über das Internet, das zwischen die Anwendungs- und die
Präsentationsebene geschaltet werden kann.
Das R/3-System ist wie seine Vorgänger im Bereich der klassischen PPS-Systeme modular
aufgebaut. Für die wichtigsten betriebswirtschaftlichen Anwendungsbereiche sind Module
implementiert, die gemeinsam oder auch separat arbeitsfähig sind. Abb. 4.33 gibt einen
Überblick über die Modulstruktur des R/3-Systems.

FI
SD Finanz-
Vertrieb wesen
MM
CO
Material-
Controlling
wirtschaft
IM
PP
Investitions-
Produktions-
management
planung

SAP R/3
QM
Qualitäts- PS
management Projekt-
system
PM
Instand- WF
haltung Workflow
HR IS
Personal- Branchen-
wirtschaft lösungen

Abb. 4.33 Modulstruktur von SAP R/3

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4.5 Informationssysteme 269

Die dargestellten Module lassen sich verschiedenen betriebswirtschaftlichen Bereichen zu-


ordnen:
 Logistik: Vertrieb (Sales and Distribution, SD)
Materialwirtschaft (Materials Management, MM)
Produktionsplanung (Production Planning, PP)
Qualitätsmanagement (Quality Management, QM)
Instandhaltung (Plant Maintenance, PM)
 Rechnungswesen: Finanzwirtschaft (Financial Accounting, FI)
Controlling (CO)
Investitionsmanagement (Investment Management, IM)
 Projektsystem (Project System, PS)
 Personalwirtschaft (Human Resources, HR)
 Workflow (WF)
 Branchenlösungen (Industry Solutions, IS), z.B. PP-PI für die Produktionsplanung und -
steuerung in der prozessorientierten Industrie oder IS-Oil für die Ölindustrie
Die Datenverwaltung ist modulübergreifend so organisiert, dass jeder Datensatz nur einmal
gespeichert werden muss und Anwendungen aus allen Modulen zur Verfügung steht. Häufig
sind die Datensätze so strukturiert, dass Informationen aus verschiedenen Modulen zusam-
mengefasst werden. So besteht ein Lieferantenstammdatensatz aus allgemeinen Daten, z.B.
der Adresse des Lieferanten, Daten aus der Materialwirtschaft, z.B. den Lieferbedingungen
des Lieferanten, und Daten aus der Finanzbuchhaltung, z.B. der Bankverbindung des Liefe-
ranten oder den mit ihm getroffenen Zahlungsvereinbarungen.
Als Reaktion auf die häufig geäußerte Kritik, dass PPS- und auch ERP-Systeme zwar eine
sehr aufwändige Datenverwaltung und Informationsverarbeitung realisieren, jedoch kaum
optimierende Verfahren zur Lösung der in den einzelnen Modulen auftretenden Planungs-
probleme einsetzen, hat die SAP AG ihr R/3-System um die Komponente APO (Advanced
Planner and Optimizer) ergänzt, die nach Unternehmensangaben für zahlreiche Teilaufgaben
standardisierte oder auch maßgeschneiderte Algorithmen des Operations Research einsetzt.
Auch andere Anbieter von ERP-Systemen sind derzeit bemüht, die Arbeitsweise ihrer Pro-
dukte durch die Implementation von optimierenden Lösungsverfahren und Heuristiken in
einzelnen Modulen zu verbessern.
Eine Weiterentwicklung der klassischen PPS-Systeme, die vor allem auf die Verknüpfung
der ingenieurwissenschaftlichen und der betriebswirtschaftlichen Sichtweise der Produkti-
onsplanung und -steuerung abstellt, ist das Computer Integrated Manufacturing (CIM). Im
Mittelpunkt des CIM steht die Integration von Datenbeständen des Produktionsbereichs mit
technischen Daten, so dass die Abstimmung zwischen verschiedenen Teilbereichen der Pla-
nung vereinfacht wird. Das Ziel einer CIM-Einführung besteht in der Abstimmung des Ge-

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270 4 Die Informationswirtschaft

samtplanungsprozesses, der für den Produktionsbereich sämtliche Funktionen von der Pro-
grammplanung bis hin zum Versand und der Abrechnung der Aufträge umfasst. Weiter sol-
len DV-technische Insellösungen im Fertigungsbereich vermieden bzw. bereits vorhandene
miteinander verknüpft werden. Durch diese Integration und die Straffung der Abläufe kön-
nen Kostenvorteile realisiert und die Flexibilität der Fertigung erhöht werden. Abb. 4.34
zeigt die CIM-Definition, die 1985 vom Ausschuss für wirtschaftliche Fertigung (AWF)
entwickelt wurde.

CIM

CA-Techniken PPS-Funktionen

Programmplanung
CAD Materialwirtschaft
Zeitwirtschaft
CAP CAQ Auftragsfreigabe und
-überwachung
(Kostenrechnung)
CAM
(Buchführung)

Abb. 4.34 CIM-Konzept

Ein wesentlicher Bestandteil von CIM sind neben den PPS-Funktionen die in den Ingenieur-
wissenschaften entwickelten CA-Techniken. Diese umfassen eine Reihe von Planungs-,
Steuerungs- und Konstruktionsverfahren, die durch die Möglichkeit der Computerunterstüt-
zung eine weite Verbreitung in Fertigungsunternehmen gefunden haben. Hierzu zählen im
Einzelnen:
 Computer Aided Design (CAD): CAD dient der rechnerunterstützten, interaktiven Kon-
struktion von Produkten und deren Bauteilen. Aus vordefinierten Grundelementen (Li-
nien, Flächen, Körpern) werden anwendungsbezogene Modelle aufgebaut, mittels geeig-
neter Operationen bearbeitet und am Bildschirm dreidimensional dargestellt. Die geomet-
rischen Daten der konstruierten Teile können direkt an die Arbeitsplanung weitergegeben
werden.
 Computer Aided Planning (CAP): CAP umfasst mit der Arbeitsplanung und Arbeitsvor-
bereitung die Planungsmaßnahmen, die der Koordination von Menschen und Betriebsmit-
teln zur wirtschaftlichen Durchführung der Produktion dienen. Dazu zählen insbesondere
die Montageplanung, die NC-Programmierung und die Prüfplanung. Zur Erfüllung seiner
Aufgaben greift das CAP auf die Ergebnisse anderer CA-Bereiche zu, z.B. auf die
Konstruktionsdaten aus dem CAD.

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4.5 Informationssysteme 271

 Computer Aided Manufacturing (CAM): CAM steht in engem Zusammenhang mit der
automatisierten, rechnergesteuerten Fertigung und der NC-Programmierung (vgl. Ab-
schnitt 2.2.3). Weiter zählen hierzu automatisierte Transport-, Lager- und Montagesyste-
me sowie die für ihre Steuerung und Koordination erforderliche Software.
 Computer Aided Quality Assurance (CAQ): Die Qualitätssicherung und -kontrolle ist
sowohl in Bezug auf die selbst hergestellten Produkte als auch bei zugekauften Teilen
und Rohstoffen von besonderer Bedeutung für einen reibungslosen Produktionsablauf
und für die Qualität der Endprodukte (vgl. Abschnitt 5.4.1). Der DV-Einsatz ermöglicht
eine schnelle, in den Produktionsablauf integrierte und umfassende Durchführung dieser
Aufgaben. Dazu wird ein Prüfplan erstellt, der die Prüfungshäufigkeit, die Soll-Werte
und die zulässigen Toleranzen für die Prüfmerkmale enthält. Die Prüfung erfolgt durch
Soll/Ist-Vergleiche, der Prüfungsablauf und seine Ergebnisse werden in einem Prüfproto-
koll festgehalten.
Im Rahmen von CIM erfolgt zum einen eine Integration und gegenseitige Unterstützung der
einzelnen CA-Techniken, durch die sich ihre Leistungsfähigkeit erheblich steigern lässt.
Zum anderen ist die Verknüpfung der CA-Techniken mit den PPS-Funktionen und möglichst
auch mit weiteren betriebswirtschaftlichen Funktionen wie der Kostenrechnung und der
Buchführung von großer Bedeutung. Durch das Zusammenwachsen von technischer und
kaufmännischer Datenverarbeitung ist es möglich, dass kaufmännische Planungs- und Ab-
rechnungsverfahren direkt auf Daten zurückgreifen, die durch den Einsatz der CA-Techniken
erstellt wurden, so dass viele Routineberechnungen einfacher, schneller und kostengünstiger
vorgenommen werden können.
Eine unabdingbare Voraussetzung für die Einführung und den Betrieb von CIM ist ein ein-
heitlicher Aufbau der Hard- und Software für sämtliche einbezogenen Unternehmensberei-
che sowie die Realisierung eines betriebsinternen Daten- und Rechnernetzes (Intranet), durch
das eine bereichsübergreifende Kommunikation ermöglicht wird. Die Realisierung von CIM
verspricht den Unternehmen erhebliche Kosten- und Wettbewerbsvorteile, die durch die
Beschleunigung der Prozesse sowie durch schnelle, flexible Reaktionsmöglichkeiten auf den
Wandel in der Umwelt erreicht werden sollen.

4.5.3 e-Business
Mit der zunehmenden Verbreitung von DV-Anwendungen in den Unternehmen und der
Ausweitung des elektronischen Informationsaustauschs über das Internet (WWW, World
Wide Web) sind gegen Ende der 1990er Jahre der elektronische Handel (e-Commerce) und
das e-Business aufgekommen. Das e-Business lässt sich definieren als netzbasierter elektro-
nischer Informationsaustausch, verbunden mit der Abwicklung von geschäftlichen Transak-
tionen mithilfe der Informations- und Kommunikationstechnologie. Die offizielle Definition
der Europäischen Kommission und des Bundes der Deutschen Industrie (BDI) lautet:
e-commerce = every business in which participants prepare or transact
business or conduct their trade electronically

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272 4 Die Informationswirtschaft

Die Vorläufer des e-Business waren standardisierte Übertragungsprotokolle für den Daten-
austausch zwischen Unternehmen, die auf speziellen Netzwerken, zum Teil auch auf Stand-
leitungen, eingesetzt und z.B. für kurzfristige Lieferabrufe bei Just-in-Time-Zulieferung
genutzt wurden. Bereits in den 1970er Jahren wurde in diesem Zusammenhang für die In-
dustrie das Netzwerk EDI (Electronic Data Interchange) mit dem Dokumentenstandard
EDIFACT eingeführt. Als Basis des e-Business dient heute in der Regel das WWW, das
jedem Beteiligten nicht nur einen schnellen und kostengünstigen Zugriff auf alle relevanten
Informationen ermöglicht, sondern auch über kundenorientierte Homepages und Portale der
Bereitstellung von Informationen über ein Unternehmen und seine Produkte dient.
In Abhängigkeit von den Beteiligten lässt sich das internetbasierte e-Business einteilen in
Anwendungen zwischen verschiedenen Unternehmen (Business to Business, B2B) und zwi-
schen Unternehmen und Endverbrauchern (Business to Customer, B2C). Werden die glei-
chen Informations- und Kommunikationsinstrumente auch innerbetrieblich eingesetzt, so
spricht man von einem Intranet oder von Intra-Business. Da bei der heutigen stark arbeitstei-
ligen Wertschöpfung in Supply Chains (vgl. Abschnitt 2.5.3) und anderen Netzwerkstruktu-
ren das Liefervolumen zwischen Unternehmen ca. zehnmal so groß ist wie die Verkäufe an
Endverbraucher, weist das B2B-Geschäft gegenüber dem B2C ein entsprechend größeres
Potenzial auf. Je nachdem, welche betrieblichen Funktionen durch den elektronischen Da-
tenaustausch unterstützt werden, finden auch die Begriffe e-Procurement für die Schnittstelle
zu den Beschaffungsmärkten, e-Manufacturing für die elektronische Steuerung der Ferti-
gung, e-Commerce für die Schnittstelle zu den Absatzmärkten und e-Logistics für die netz-
basierte Abwicklung der Warentransporte Verwendung (vgl. Abb. 4.35).

Intra-Business

Unternehmen A

B2B

Unternehmen B Endverbraucher

e-Procurement
e-Manufacturing
e-Commerce
e-Logistics

B2C

Abb. 4.35 Formen des e-Business

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4.5 Informationssysteme 273

Aufgrund der Beschleunigung der Kommunikation zwischen den Beteiligten, der Erhöhung
der Transparenz auf den beteiligten Märkten und der Möglichkeit einer gezielten, individuel-
len Ansprache der Kunden wird erwartet, dass sich die Leistungen der Unternehmen in Zu-
kunft schneller, besser und kostengünstiger erbringen lassen.
Beim dem im B2C-Bereich angesiedelten e-Commerce dominieren Internet-Portale und
-Shops von einzelnen Unternehmen oder von Anbietern, in denen auf eine bestimmte Kun-
dengruppe ausgerichtete Leistungsangebote zusammengefasst werden. Über Links lassen
sich vielfältige Waren und Dienstleistungen auch anderer Anbieter einbinden, so dass die
Bedürfnisse der Kunden umfassend abgedeckt werden können. Auch eine gezielte, kunden-
individuelle Ansprache beim wiederholten Besuch einer Homepage ist möglich, dies wird als
one-to-one-Marketing bezeichnet. Beispiele für Aktivitäten im B2C-Bereich sind der Inter-
net-Buchhändler amazon.de, der neben Print- und Audio-Medien auch Computerspiele, Mer-
chandising-Produkte und weitere verwandte Produktgruppen anbietet, die Internet-Auftritte
der großen Elektronik-Fachmärkte, Versand- und Warenhäuser oder einiger Zeitschriftenver-
lage.
Der Abschluss von Geschäften im e-Commerce lässt sich in vier Phasen gliedern:
 Wissensphase (inform): Der Kunde navigiert von seinem Internet-Anschluss aus durch
das Angebot von Informationen und Waren und sucht bewusst nach Informationen zu den
Produkten, die er kaufen will.
 Absichtsphase (interact): Wenn der Kunde sich für einen Anbieter entschieden hat, wählt
er online mithilfe von Warenkorbfunktionen die von ihm gewünschten Leistungen nach
Art und Menge aus. Die Vorgehensweise ähnelt im Grunde der Auswahl aus einem Ver-
sandhauskatalog, die Unterschiede bestehen im Wesentlichen in der Breite und Aktualität
des Angebots.
 Vereinbarungsphase (transact): Der rechtsgültige Kaufvertrag kommt durch die Bestel-
lung über das Internet zustande, und zwar nicht mit dem Bereitsteller des Internet-Portals,
sondern mit dem Unternehmen, das die jeweilige Leistung anbietet.
 Abwicklungsphase (deliver): Mit Ausnahme von digitalisierten Produkten, z.B. Musikti-
teln, die gegen Zahlung eines Entgelts direkt aus dem Internet heruntergeladen werden
können, ist zur Erfüllung des im Internet abgeschlossenen Kaufvertrags die physische
Auslieferung der Produkte an den Kunden erforderlich. Da die Kundenzufriedenheit we-
sentlich von der reibungslosen Abwicklung dieser letzten Stufe abhängt, kommen durch
das e-Business neue Anforderungen auf die Logistik zu.
Im B2B-Bereich besteht ein großes Potenzial darin, dass nicht nur eine individuelle Anspra-
che der Kunden durch one-to-one-Marketing möglich ist, sondern dass sich mithilfe der
elektronischen Kommunikation auch kundenindividuelle Produkte, die in Einzelfertigung
hergestellt werden, schnell und kostengünstig konfigurieren und vertreiben lassen. In Ab-
hängigkeit von der Komplexität sowie dem kundenindividuellen Zuschnitt der Produkte
lassen sich folgende Prozesstypen unterscheiden:

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274 4 Die Informationswirtschaft

 Pick to order: Einfache Produkte mit wenigen Varianten, z.B. Standard- und Ersatzteile,
lassen sich mittels Warenkorbfunktionen auswählen und im Idealfall direkt vom Lager
liefern. Da die Produkte vorgefertigt sind, liegt der Schwerpunkt auf der Abwicklung der
Lieferung.
 Assemble to order: Die Produkte lassen sich durch Nutzung des Baukastenprinzips (vgl.
Abschnitt 2.2.2) aus standardisierten, vorgefertigten Komponenten entsprechend der vom
Kunden gewünschten Konfiguration fertigen. Man spricht hier auch von kundenindividu-
eller Massenfertigung (mass customization), die z.B. vom Computerhersteller Dell, aber
auch in der Automobilindustrie Anwendung findet.
 Make to order: Aus einem vorgegebenen Produktsortiment werden die einzelnen Produk-
te gemäß den Kundenwünschen individuell angefertigt. Dabei kann der Kunde Wünsche
hinsichtlich der Ausgestaltung einzelner Parameter äußern, z.B. im Maschinenbau oder
bei der Möbelindustrie. Eine Vorfertigung ist bezüglich der Komponenten möglich, die
keinen Gestaltungsspielraum aufweisen.
 Engineer to order: Das Produkt wird nicht nur kundenindividuell gefertigt, sondern auch
gemäß den Kundenanforderungen konstruiert. Hier ist kaum noch Vorfertigung möglich
und es liegt Einzelfertigung vor.
Die Vorteile des e-Business gegenüber einer konventionellen Geschäftsabwicklung zeigen
sich vor allem bei den komplexeren Prozesstypen. Der Kunde wird bei der Produktauswahl
und -konfiguration durch einen automatisierten, über das Programm geführten und wissens-
basierten Dialog unterstützt, so dass er im Vergleich mit der Auswahl aus traditionellen Ka-
talogen schneller das für seine Bedürfnisse passende Produkt findet. Auch Kunden, die das
Sortiment noch nicht kennen, gelangen über eine Beschreibung ihres Anwendungsproblems
in einem mehrstufigen Prozess zu der geeigneten Produktkonfiguration. Dies erhöht tenden-
ziell die Kundenzufriedenheit. Für das Unternehmen besteht ein wesentlicher Vorteil darin,
dass – obwohl der Kunde ein individuelles Produkt erhält – auf Komponentenebene dennoch
ein erheblicher Anteil an Vorfertigung erfolgen kann. Weiter sind die Auftragsdaten direkt
im DV-System erfasst und können für die Steuerung und Überwachung des Auftrags durch
die Produktion und Distribution sowie für die abrechnungstechnische Abwicklung eingesetzt
werden.
Auch für die Kooperation von Unternehmen im Rahmen des Supply Chain Management
(vgl. Abschnitt 2.5.3) bietet das e-Business zahlreiche Ansatzpunkte zur Verbesserung der
Geschäftsprozesse:
 Informationstechnische Integration der Wertschöpfungspartner
 Beschleunigung von Kommunikationsprozessen
 Reduktion von Transaktionskosten
 Möglichkeit zur Sendungsverfolgung während der Auslieferung (tracking and tracing)

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4.5 Informationssysteme 275

Nachdem das e-Business zunächst durch kleine, stark spezialisierte startup-Firmen geprägt
wurde, wenden sich inzwischen auch die großen Konzerne diesem Geschäftsfeld zu. Für die
Zukunft ist eine noch weitergehende Integration des Internet in sämtliche im Unternehmen
ablaufenden Prozesse sowie eine strategische Neuausrichtung der Unternehmensführungen
zu erwarten.

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