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Es scheint also nur ein Weg offenzubleiben,

und das ist der einer Kunst, die das Àsthetische


ablehnt, einer Kunst, die sich gegen sich selbst
wendet, die die Unmôglichkeit der Kunst ein-
gesteht wie jene volientwickelten postmoder-
nen Theorien, die die Unmôglichkeit einer
Théorie verkünden, einer Kunst, kurz gesagt,
die mit der deprimierenden Geschichte gene-
rell SchluB macht, die umstandslos noch vor
den Anfang zurückgeht, noch vor die Morgen-
dâmmerung der gesamten Kategorie des
Àsthetischen und von sich aus jenen Augen-
blick der Geburt der Moderne zunichte zu
machen sucht, in dem das Kognitive, das
V , Ethisch-Politische und das Libidinôs-Âstheti-
\
sche voneinander abgekoppelt wurden. Sie
;X ,
K. will diesmai jedoch nicht nach Art der radika-
len Âsthetisîerer vorgehen und die beiden
anderen Regionen vom Àsthetischen aus kolo-
nisieren, sondern das Àsthetische in diese bei­
den Système einschiieBen und die Kunst wie-
der an die gesellschaftliche Praxis ankoppeln.
Diese Kunst ist die der revolutionaren Avant-
garde. Die Avantgarde behauptet, mit der
Âsthetik allein sei es nicht getan; denn die
Àsthetik sei Teil des Problems, nicht der
Lôsung. Das Problem der Kunst ist ihr zufolge
die Kunst selbst.
TERRY EAGLETON
Âsthetik: die Geschichte ihrer Idéologie.1990, S.3S0
T r “

’ i Werkausschnitte von H. Haacke, M. Broodthaers, D. Peterman, P. Fend \


- P. f C b?j J / /CaU
Kontextkunst
Zur sozialen Konstrukfion von Kunst
(*7 y y ^ P e f e r Weibel

î .'i - 6 <P
F ü r uns is t a b e r K u n s t das, w as w ir u n te r diesem
N a m e n v o rfin d e n . E tw as, das ist u n d g a r n ic h t
nach G es e tzen z u sein b ra u c h t, ein ko m p lizierte s
soziales P ro d u kt.
Robert Musii

I. ( B e n th a m s T h é o r ie d e r F ïk tio n e n ) teres wichtiges Werk, wurde 1824 von Peregrine


Bingham herausgegeben, allerdings unter der Lei-
Fiction e n ab les us to g rasp re a lity tung von Bentham. Wie der Titel dieses Bûches
a n d a t th e s a m e tim e th a t schon anzeigt, kreiste Benthams Philosophie um
w h ich is veile d b y reality. die Funktion der Tâuschungen und Fiktionen.
M a rc e l B ro o d th ae rs Sein diesbezügliches Hauptwerk Th e T h e o ry o f
Fictions erschien aber erst 1932, hrsg. von C. K.
Der britische Beitrag zur Aufklârung besteht Ogden.1 Hundert Jahre war also Benthams wich-
bekanntermaBen aus den Werken von Bacon, tigster Beitrag vergessen und vernachlassigt wor-
Hobbes, Locke, Berkeley, Hume. W eniger den. Erst das sprachkritische Instrumentarium der
bekannt ist hingegen der Beitrag von Jeremy analytischen Philosophie war sensibel genug fur
Bentham (1748-1832). Der Rechtsphilosoph und Benthams Theorien. Bentham war aber als sozia-
soziale Reformer hat zu Lebzeiten wenig verôf- 1er Reformer erfolgreich. Seine geistigen Schüler
fentlicht, obwohl er tausende Seiten schrieb. Vie- James Mil! und dessen Sohn J. St. Mill setzten sei-
le Manuskripte lieiB er unfertig, weil er neue ne ideen fort und um. Die von ihm eingeleitete
anfing, und hatte er weiche vollendet, kümmerte und von diesen weitergeführte Bewegung sozia-
er sich nicht um ihre Publikation. Seine Haupt- 1er Reformen verfügte über eine eigene Zeitschrift
werke wurden also entweder nach seinem Tod und gründete eine eigene Universitât, University
oder zu Lebzeiten in Übersetzungen verôffent- College London.
lichter und unverôffentlichter Schriften bekannt. Dort wurde einer der besten Schüler Benthams,
z. B. Traités d e législation civile e t p é n a le (Paris, John Austin, der erste Professor für Jurisprudenz.
1802), hrsg. von dem Schweizer Etienne Dumont. Dort befindet sich auch der einbalsamierte Kôrper
Der Philosoph John Stuart Mill editierte 1827 aus von Bentham mit einem Wachsmodell seines
unvollendeten Schriften R a tio n a le o fJ u d ic ia l Evi- Kopfes. Dort besuchte ihn auch Marcel Broodt-
den ce. Neben vielen Pamphleten und Auszügen haers, um ihn für seinen Film F ig u re s o f W a x
aus seinem Work in Progress verôffentlichte er (1974), eine allegorische Réflexion von Broodt-
selbst zu Lebzeiten nur ein theoretisches Haupt- haers Werk im Film, zu verwenden. Ist dies nicht
werk In tro d u c tio n to th e Principals o f M o ra ls a n d eine hübsche, wenn auch akzidentielle Inzidenz
Législation (1789). The B ook o f Fallacies, ein wei- für unsere Genealogie des Kontextualismus?

1
nen, z.B. auf die Fiktion des Gesellschaftsvertrags.
Er unterbrach seine Arbeit für ca. 10 Jahre, weil er
gewahr wurde, erst durch eine sprachkritische
Analyse der Fiktionen, die wie Gift den Gesetzes-
Filmsti/I aus: kôrper durchdringen, würde er das Rechtssystem
In sze n iertes In te rv ie w als Wissenschaft begründen kônnen. Besonders
m it Je re m y B enth am ;
die „Fiktionen des Gesetzes" attackierte er. „A
in: M a rc e l B roodthaers,
Figures o f W ax, Fiction of Law may be defined in general as the
Film, 16 mm, Farbe, saying something exists which does not exist, and
London 1974, acting as if it existed." Die Ursache dafürsah er in
Foto: M aria Gillissen einem verhângnisvoilen Verhaltnis von Wort und
Ding; „so close a union has habit connected bet-
«Figures ofWax« ween words and things, that we take one for the
Inszeniertes Interview von Marcel Broodthaers mit other"2. Besonders in der Rechtssprache neige
Jeremy Bentham man dazu, im Namen der Macht Fiktionen als
Realitâten zu interpretieren:.....many an empty
name is considered as the représentative of a cor­
If you hâve... respondent reality; in a word, that mere fictions
a statement to make. .. are in abundance regarded as realities".3Der Aus-
please d o s o ... weg aus dem metaphysischen Irrgarten, der den
if y ou hâve a secret
Rechtsdschungel verhexte, war die logische Ana­
...te ll me lyse der Sprache und insbesondere in den Jahren
. .. or a spécial message 1813-1815 die Entwicklung einer Théorie der
gïve me an indication Fiktionen bzw. der symbolischen Faktoren, wie
if you wish to protest wir heute sagen würden. Als primares rationales
I promise to k e e p it... Instrument seiner Aufklârung der legalen Fiktio­
. ..o r ...
nen nannte er. «Division of entities into real and
you prefer to dream?
a new statem ent...
fictitious; or say, division of noun-substantives
a secret... into names of real entities, and names of fictitious
a spécial m essage... entities." Das Rechtssystem war fur Bentham von
... a protest solchen «fiktiven Entitâten" verseucht.
or an artistic idea... Aus der Untersuchung der Fiktionen des Rechts-
... a dream systems leitete er eine allgemeine Théorie der Fik­
tion ab: „A fiction of law may be defined a wilful
falsehood having for its object the stealing legis­
lm Alter von 16 Jahren, als er begann, sich mit lative power, by and for hands which durst not or
den Rechtswissenschaften auseinanderzusetzen, could not, openly daim it; and, but for the delu-
traf Bentham erstmals auf die «Geister", die ihn sion thus produced, could not exercise it".4 Mit
wenigen Worten, eine Gesetzesfiktion sagt etwas
ein Leben lang beschâftigen sollten und denen er
bzw. verhandelt über etwas, das nicht existiert
spâter den Namen „fiktive Entitâten" gab. Als er
und verhâlt sich, als ob es existiert. Bentham
1775 mit 27 Jahren begann, durch das Dickicht druckte einen ersten Entwurf seiner Kritik des
der Jurisprudenz neue logische Wege zu schlagen Rechtssystems ein Jahr vor Kants K ritik d e r reinen
und zu schneiden, traf er unentwegt auf „falla- V e rn u n ft unter dem Titel Treatise o n Jurispruden­
cies", Trugschlusse, Fallstricke, d. h. auf Fiktio- ce (1780), aber hielt die Publikation zurück. Erst

2
BENTITAM'S TIIEORY OF FICTIONS
9. Fictitioiis Entities appcrtaiuiu* tu Relation as

U. FICHONS IN PSYCHQLOGY
iVh.-cs.mVv oj ,Vm 0/ Malcriai Objccls for the
Désignation of l'nawuttic or hnmaUrial Objccls 59
CCI. ELUITÎCAf. FICTIONS................................ 66
IV. FICTION AND JIETAPHOR
Snbjects of Dhcoatsc, imwaliutc and ulteriur . 70
V. EXPOSITION
CjXAKNESS IK DlStOUftin. HCrtVTO PltOOUCE tT
-UNI» IIEXCU or llxvwmox . . . 7s
l. Seuls oj Vnüearness. The UWt or their
Connexion. Exposition K'iat r . . -75
- Subjttla lo xchîch Exposition h Applicable . -C
ttte Subjttih cm iZhridnJ, Ii/rndmitimi.
Inetividual ami Gencric . . . . -7
4. Mode of £xposi/im échue the Taulier aud
Learner hme no Commun LcPigna^e . . 7g
5. ^posilm i. by Comparison vit!,
Lntrner................................................... Si
r,. Moites of Exposition xrherc the Sidjccl is u
Ç ,w ................................»4
7. Of Exposition by Peuitphrmis, •*•«& ifs Sut-
siiUary Operations, vis. Phmcopicrmis tend
Archetypatiou............................................$û

«cnîiocs cxtity. onuc.vnox. . 35

38 BENTHAM'S THEOR7 OF FICTIONS


the names givea to thèse boxes—to these faotitious
réceptacles.
That it is to the class of fictitious and sot to the class
of real entities that these imaginary, however rcally
useful. réceptacles appertain is at thls time of day suffi- iv .— fictio n an d m e t a p h o r 1
dently cleai ; bat the time bas béas whea they bave
been nùstaken for realities. Subjtcls of Discourse, immédiate and ulkrior
Language is the sign of thought, an instrument for the
8. Foftitcal and Quasi-Polittcaî Fiefliions Etsifises communication of thought from onc mind to another.
I. Etfects. z .Obligation : 2. Right ; 3. Exemption ; Language U the sign of thought, of the thought which
4. Power; 5. Privilège ; 6. Prérogative; 7. Possession, is in the tnind of. htm by whom the discourso is uttèted;
physical ; 8. Possession, lésai ; 9. Property. It may bt 'the sign of other things and other objecte
H. Causes, i . Coramand; 2. Prohibition, Inhibition, in infinité variety, but of this objcct it is always a sîgn,.
etc. ; 3. Pnnishment ; 4. Pardon ; 5. license : 6. Warrant ; and it is cnly througli this that it bccomçs the sign ofjuiy
7. Judgment ; 8. Division. other objcct.
AU these hâve for their efficient causes pleasure and Ou this occasion, and for this purposc. the whole of
pain—but prindpally pain—in whatsoever shape and the mind of m:in may be constdercd as ûistinguishablc
from whtchsoevcr of the fivc sanctions or sources of into two parts, the purcly passive and the active. In
pleasure or pain derived or expcctcû, vis. z. The physical the passive is included the intellectuel ; the active may.
sanction ; 2. The sympathetic sanction, or sanction of atso be styled tbc cemcupiscible. The passive, the seat
sympathy ; 3. The popular or moral sanction ; 4. The oî perception, memory, and judgment, in so far as it is
political, induding the legal sanction ; $. The rçligtous capable (as in steîng) of being excrdsed without any
sanction. consdousress of the intervention of the xcill—the active
Obligation is Ü10 root out of which ail these other the seat of désire, and theace of violition, and thencc of
fictitious entities take their rise. external action.
Of ail the sanctions or sources of pleasure and pain The objcct for the désignation of which a dass of
abçvc brought to view, the political sanction being words, termed by grammamns a verb in the impérative
susceptible of b.cing the strongest and surest in its opera­ mood, is employed, is onc exemple out of scvcral modi­
tion, and, accordingly, üie obligation derived from it the fications, of the State of wbich the concupisrible part ol
strongest and raost effective. this is the sanction which the mind is susceptible. . . .
it sceau advisable to take for considération in the first
instance; the correspondent obligations of the saine Thus far. then, are we advancçd. Hic immédiate
name which may be ccnsidcrcd as cmanating from these subjcct ol a communication made by language U always
other fictitious entities being, in the instance of some of the State ol the spcakcr’s mind ; the State of the passive
these sanctions, of too weak a nature to act with any or fcceptiv: part of it. or the State of the active or cou-
suffident force capable of giving to any of those other cupîsciblepart.
productions any practical value.
4 Se/ten aus Benth am s
T h eory o f Fictions
1789 erschien das gereifte Werk A n In tro d u c tio n mente sind. Aber nicht aus transzentendentalen
to th e Principles o f M o ra ls a n d Législation. Kants G ründen, sondern aus sprachlichen. Diese
Théorie des notw endigen transzendentalen sprachliche Unverm eidbarkeit der Fiktionen
Scheins korrespondiert indirekt mit Benthams begründet in Wirklichkeit schon sein utilitaristi-
Théorie der Fiktionen. Insoferne schlagt Slavoj sches Programm.
Zizek zurecht vor, „Kant mit Bentham" zu lesen, Aus der Existenz des Scheins, durch die Sprache
so wie Lacan „Kant mit Sade" las.5 Das Ergebnis notwendigerweise vorgegeben (Fiktionen sind
ist eine klare Sicht auf die paradoxen Positionen „those sorts of objects, which in every language
Benthams. Aus der Kritik der „legalen Fiktionen" must, for the purpose of discourse, be spoken of
(„l know that fictions are unreal, but I nonethe- as existing"), resultierte Benthams „vulgarer" Uti­
less speak of them as if they are real objects") litarismus, d. h. die Bewertung der Fiktionen nicht
entwickelte er einerseits sein positivistisches Pro- nach ihrem Wahrheitsgehalt, sondern nach dem
gramm der Reduktion der Fiktionen, auf das MaB von Nutzen, den sie fur die Individuen bei
legislative und soziale Reformen folgten. Auf die- ihrer Suche nach dem Gluck haben („the greatest
sem Weg folgten ihm John Stuart Mill, John Aus- happiness of the greatest number"). Spuren die-
tin, Bertrand Russell und die analytische Philoso­ ser ..Maximation der Glückseligkeit" finden wir
phie des Wiener Kreises mit ihren „Protokollsât- noch heute in der pragmatischen Verfassung der
zen". Desgleichen entwickelte er daraus seinen USA, die jedem Bürger Freiheit bei der „pursuit
„hedonistischen Kalkül", die Schule des Utilitaris- of happiness" verspricht. Der Schein w urde
mus. Wenn der Mensch schon keine anderen instrumentalisiert und muBte dem Guten dienen.
Optionen habe, als zwischen diversen Fiktionen Bei Kant hingegen führte die notwendige Exi­
und alternativen Diskursen zu wahlen, von denen stenz des Scheins nicht zu seiner Abwertung, Kri­
keiner der wahre und reale ist, brauche er ein tik, Relativierung oder Reduktion, sondern wurde
neues Beurteilungskriterium, nachdem Wahrheit aufgewertet zu einem absoluten, transzendenta­
und Realitat als solche abgedankt haben. Das len, zwecklosen Guten, das fur sich selbst steht
Die Seite Fiktion, d.h. dss Fik- neue Kriterium, vielleicht ebenfalls fiktiv, ist daher (Pflichterfüllung, nicht weil sie etwas nützt, son­
tive h at sich in ganz besonde- „that property in any object, whereby it tends to dern um des Prinzips der Pflicht willen).
rer Weise abgelôst von dem
produce benefit, advantage, pleasure, good, or Die Notwendigkeit der Fiktionen („To language
U n te rn e h m e n , das M u s é e
d 'A r t M o d e rn e , D é p a rte ­ happiness." then - to language alone - it is that fictitious enti-
m e n t des A ig le s , hieB ... Kant und Bentham entdecken gleichzeitig das ties owe their existence - their impossible, yet
Ich glaube, durch die Ausstel- Reich des Scheins. Kant eliminiert den Schein aus indispensable, existence") brachte letztlich Bent­
lu n g w ird tra nsp a ren t w er- dem Reich des Realen, wo er ja die Erkenntnis- hams Programm der Reduktion der Fiktionen auf
den, daB d er A dler und seine
Darstellung selbst eine Fiktion
fâhigkeit des Subjekts relativiert hatte. Der Schein ihre realen Elemente zum Scheitern. Der Utilitaris­
sind. Zw e i Fiktionen werden wird zu einer transzendentalen Eigenschaft. Aber mus, die Reduktion des Diskurses auf das nützli-
aufeinandertreffen. Das muB dafür dort zu einer Notwendigkeit. Auch Bent­ che Reale, konnte nicht ausgeführt werden. Bent­
p ro v o z ie re n . Es m a c h t die ham will den Schein aus dem Reich des Realen eli- ham war gezwungen, in seiner Th e o ry o f Fictions
Realitât der A usstellung aus,
minieren. Aber seine Kritik des Scheins und der eine minutiôse Klassifikation von fiktiven Entitâ-
daB w ir schlieBlich durch das
A u fe in a n d e rtre ffe n von Fik­
Fiktion führt nicht zur Transzendenz sondern zu ten durchzuführen und z. B. „fictitious entities"
tion. ein starkeres BewuB t- Empirismus, Positivismus, Utilitarismus. (wie Pflicht, legale Person) und ..(imaginary)
sein d e r W irk lic h k e it erlan- Aber bald erkennt Bentham die Fiktionen als not- fabulous non-entities" (wie Pegasus) zu unter-
g e n ; a b e r d e r W irk lic h k e it wendig, allerdings aus sprachlichen Gründen. scheiden. Bentham spricht auch bereits von
eines G edankens. ve rste h t
Benthams Programm, die Reduktion der Fiktionen ..immaterial objects" und „thelematic motion".
sich.
MARCEL BROODTHAERS.
auf das Reale wird daher bald gestoppt. Ein Auf diese Weise produzierte er vor Lacan den
Stadtische Kunsthalle. Umkehrprogramm làuft an. Bentham erkennt, Unterschied zwischen symbolisch (fictitious
Düsseldorf 1972 wie Kant, daB Schein und Fiktion notwendige Ele- entities) und im aginâr (Pegasus) und Lacan

4
konstatierte zu Recht, daB Bentham der erste schen und Imaginâren bei der Konstruktion der
war, der erkannte, daB die Wahrheit die Struktur Realitât zu transzendieren trachtet.
der Fiktion hat. Die Ordnung des symbolischen Eine bevorzugteTechnik bei der Beseitigung der
Diskurses w ürde ohne die Fiktionen ihre fiktiven Elemente war die linguistische Méthode
Koharenz verlieren. („Of nothing, therefore, that der „Paraphrasis". Das Wort, das erklërt werden
has place, or passes in our mind, can we speak, or soll - z. B. der Name einer fiktiven Entitât - wird,
so much as think, otherwise than in the way of nachdem es in einen Satz eingesetzt wurde, in
fiction".) einem anderen Satz angewendet, der den Namen
Bentham nimmt also zwei kontrëre Positionen der korrespondierenden realen Entitât enthëlt.
ein: Einerseits die Reduktion der Fiktion im Die Paraphrasis, jene Verwandlung von einem
Namen des Utilitarismus, andererseits die Aner- Satz, der eine fiktive Entitât enthâlt, in einen Satz,
kennung der Fiktion als unvermeidbar. Letztere der reale Entitëten enthâlt, ist also eine frühe
Position war die fruchtbarere. Sie führte namlich linguistische Méthode, die Sprache von ideologi­
zu der Einsicht, daB wir zwar Realitât von Fiktion schen und fiktiven Momenten zu reinigen und
unterscheiden kônnen, daB aber die Konstruktion sich damit einer Übereinstimmung mit der Rea-
der Realitat, sozialwissenschaftlich gesprochen, litët anzunahem. Die Paraphrasis sollte also die
ohne Idéologie nicht môglich ist und psychoana- Reduktion der Fiktion und die Annâherung an die
lytisch gesprochen, nicht ohne das Symbolische Empirie, an die Wirklichkeit besorgen.6 Damit
und Imaginâre. Mit dem Verschwinden der Fiktio­ nimmt Bentham sprachanalytische, -kritische und
nen verschwindet auch die Realitat. Die relative -philosophische Methoden vorweg, die G. Frege,
Inseparabilitât von Sprache und Objekten, von B. Russell L. Wittgenstein, O. Neurath, und Kon-
Théorie und Realitat ist auch ein Thema des spë- zeptkünstler wie J. Kosuth, Art & Language,
ten Wittgenstein und von W. O. Quine in W o rd L. Weiner spëter anwenden sollten. Wâhrend
and object (1960). Benthams T h éo rie d e r Fiktio­ jene jedoch an die logische Struktur der Sprache
n e n ist also nicht nur ein frühes unbeachtetes und an den logischen Aufbau der Welt glaubten,7
Meisterwerk der Semiotik und Sprachanalyse, innerhalb des Sprachsystems mit ihrer logico-
sondern das Begründungswerk fur eine Théorie analytischen Méthode fast nur seibstreflexiv blie-
des Diskurses wie auch ein Beispiel fur die erste ben, wuSte Bentham, daB Sprache Fiktionen ent-
Diskursanalyse. Die ideologische Konstruktion der halten muB, um eine Sprache, ein Zeichensystem
Wirklichkeit bzw. die Konstruktion der Wirklich­ zu sein. Daher gab es keine Atomsâtze und jede
keit, unvermeidlicherweise auch mit Hilfe von Fik­ Analyse war relativ, eine Folge von Paraphrasen.
tionen, wird hier erstmals genau untersucht und Eine Sprache, welche die Realitat „spi.egelt" (sie-
dargestellt. Die Rolle symbolischer, fiktiver, ideo- he den frühen Wittgenstein, dessen Sàtz „Der
logischer Faktoren bei der Konstruktion von Wirk­ Satz ist ein Bild der Wirklichkeit"8zum Ausgangs­
lichkeit aufzudecken, war also das Ziel von Bent­ punkt fur bestimmte Konzeptkünstler der 60er
hams Théorie der Fiktionen. Jahre wurde) ist unmôglich.
Eine Kunst, die wie die Kontextkunst die Rolle der Hans Vaihingers berühmtes Werk D ie Philo sop hie
ideologischen Faktoren bei der sozialen Konstruk­ cfes /A/s-Ojb (geschrieben 1876, erschienen 1911)
tion von Kunst zu untersuchen vorhat, also Kunst verstârkt den nützlichen Charakter der „unmôgli-
als Diskursanalyse wie -produktion sein will, wird chen aber unvermeidlichen Existenz von fiktiven
Bentham als Ausgangspunkt haben. Wie dieser Elementen" (Bentham), ohne allerdings Bent­
ist sie eingespannt zwischen Empirie, analytischer hams Betonung auf die linguistische Analyse zu
Untersuchung und gesellschaftlichen Reformen folgen. Vaihinger hat in seinem Buch Richard
einerseits und Idealismus andererseits, welcher Wagner ein Kapitel gewidmet, worin er gleich-
die Unvermeidbarkeit der Idéologie, des Symboli­ sam für die Nützlichkeit und Verwendbarkeit des
Wahns, seine praktische Unumgânglichkeit Faktoren bei der Konstruktion sozialer Système.
votierte. Aber für Vaihinger blieben Fiktionen bei Bentham hat also (vor Marx) als Ideologiekritiker
der Konstruktion der sozialen Realitât transparent jenen aufklarerischen Horizont geôffnet, in dem
und transitorisch. auch die Kontextkunst situiert ist. Seine logische
Die Paraphrasis ist also der Beginn der Kontextua- Analyse der Sprache (der Justiz) ist nicht nur
lisierung, das Eingestândnis der Existenz des Sym- Erkenntniskritik und -théorie, sondern auch insti-
bolischen, wie die Méthode der Verminderung tutionelle Kritik avant la lettre. Seine linguistische
C-.smANDESGERICHT W1EW
der symbolischen Faktoren. Bentham, für Goethe und logische Zerlegung der sozialen Système hat
ein „hôchst radikaler Narr", für Foucault der Kon-
nicht nur die analytische Philosophie des 20.
strukteur des „Panopticon“ , eines Reformgefëng-
Jahrhunderts antizipiert, sondern als Méthode
nisses dertotaien Oberwachung (1791), für Marx
auch viele Verfahren der Konzept- wie Kontext­
und Engels „ein Genie in der bürgerlichen
Dummheit", war in Wirkiichkeit ein radikaler kunst. Die Kontextkunst untersucht demnach
Ideologiekritker und Gesellschaftsverânderer, ein den Anteil der ideologischen, fiktiven bzw. sym­
Begründer der Ideologiekritik und der Diskursana- bolischen Faktoren bei der Konstruktion des
lyse, welcher Scheinprobleme der vom Staat kon- sozialen Systems Kunst. Kunst wird überhaupt
struierten Wirkiichkeit attackierte. erst durch die kontextualistische Philiosophie als
Benthams Kritik der Funktion der Fiktionen auf soziales System bzw. als soziale Konstruktion
sprachanalytischer Grundlage führte einerseits zu erkennbar. Kontextkunst ist erkenntnistheoreti-
Empirismus und Utilitarismus (Reduktion der Fik­ sche Analyse der Kunst, logische Zerlegung der
tionen), andererseits eben wegen dieser linguisti- Institutionen und Diskurse der Kunst. Auch das
schen Grundlage und sprachlichen Struktur des Kunstsystem ist (wie das Rechtssystem) von „fik-
Diskurses zu einer Aufwertung und Bestâtigung tiven Entitâten", Fallstricken, lllusionen, ideologi­
der Notwendigkeit von Fiktionen als konstitutive schen und imaginaren Elementen verseucht. Die-
Elemente des Imaginëren und Symbolischen. Die se ebenso axiomatischen wie nicht-expliziten
sprachanalytische Dekonstruktion des Rechtssy- ideologischen Prëmissen der Kunst legen kontex-
P e te r W eibel, stems als ein System von Fiktionen zeigte nicht tuelle Kunstwerke offen, gerade als Kunstwerke,
Anschlage, 1971 nur die Gesetzeswirklichkeit von Fiktionen durch- eben weil sie dies tun. Sie analysieren den Diskurs
setzt, sondern war verallgemeinerbar zur Einsicht, Kunst, die Bedingungen dieses Diskurses, die
daB jede Wirkiichkeit von Fiktionen durchsetzt ist. sozialen, formalen, raumlichen, kognitiven, ideo­
Die Konstruktion des Gesetzes mit Hilfe von Fik­
logischen Konstitutionen dieses Diskurses. Als
tionen, wie legale Personen und Geseilschaftsver-
solche produzieren sie auch einen Diskurs mit
trag, bildete das Modell, von dem aus die
jenen künstlerischen Mitteln, die sie aus dem
Erkenntnis abgeleitet werden konnte, wie jede
soziale Institution, wie jede Realitât mit Hilfe von asthetischen Feld oder aus anderen Diskursen
ideologischen, fiktiven und imaginaren Entitâten beziehen. Kunst als Diskursanalyse der Kunst
konstruiert wird. Benthams Kritik der Fiktion war aber auch anderer Diskurse (siehe den Rechtsdis-
die erste Analyse der ideologischen Konstruktion kurs bei P. Weibel, H. Periman, T. Locher) sind
von sozialen Systemen, und somit der Realitât das Arbeitsfeld der Kontextkunst. Benthams
und der Realitëtsfragmente. Bûcher T heory o f Fictions und B o o k o f Faiiacies
Bentham legte den Anteil der Fiktionen bei der sind also auch als âsthetische Werke zu lesen, als
Hirsch P erim an, Konstruktion des Rechtssystems und damit der eine Art prototypischer Untersuchungen im Sin-
E x h ib it A (W itness), Wirkiichkeit offen, verallgemeinert: Er offenbar- ne der Konzept- wie der Kontextkunst. Sie sind
1990 te den Anteil der Idéologie bzw. symbolischer Diskurstheorie wie -analyse.
P eter Vë'e.fitte

11. (W it t g e n s t e in s S p ra c h s p ie le )

D ie a llg e m e in e S a tz fo rm ist e in e V ariable.


L u d w ig W ittg e n ste in , TLP 4 .5 3

Ludwig Wittgenstein hat im T ractatus lo g ic o -p h i-


losophicus (1921) die Abbildtheorie der Sprache
entworfen, eine Art Übereinstimmungstheorie
von Sprache und Wirklichkeit. Der Satz sei ein Bild
derWirkiichkeit. Das Bild sei ein Modell der Wirk­
lichkeit. Der Satz sei eine Beschreibung des Sach-
verhalts. Besteht der Sachverhalt tatsëchlich, wie
der Satz ihn beschreîbt, dann ist der Satz wahr.
Der Sinn der Sëtze entsteht, wenn sie Bilder der
Sachverhalte der Welt sind. Damit ein Satz und
ein Bild abbilden kônnen, müssen sie etwas mit
dem Sachverhalt gemeinsam haben: die Form.
Joseph K osuth, O n e a n d Th ree Chairs, 1965
Die abbildbare Beziehung besteht aus den „D er Satz ist ein Bild der Wirklichkeit"
Zuordnungen der Elemente des Bildes und der L. Wittgenstein, TLP 4.01
Sachen. Die sprachiichen Entsprechungen der nicht durch die Konstruktion von Idealsprachen
Gegenstënde sind die Namen. Die Gegenstënde zu beseitigen. Aiso kam es zu einer teiiweisen
der Welt seïen bestimmt durch ihr môgiiches Vor- Révision seines Standpunktes im TLP.
kommen in Sachverhalten. in seinen philosophischen Untersuchungen ent-
Aber es zeigte sich, daB die Struktur derWirkiich­ wickelte W ittgenstein um 1930 eine neue
keit und die Struktur der Sëtze schon im T ractatus Sprachphilosophie, die vom tatsëchlichen Sprach-
nicht aufeinander abbildbar waren. Elementarsët- gebrauch (common language, ordinary language)
ze, die sich nicht weiter zerlegen lassen, sprechen in konkreten Situationen ausgeht. Der Sinn der
nicht über Sachverhalte, sondern zeigen bloB die Sëtze entstehe bzw. wird definiert durch ihren
Struktur der abgebildeten Sachverhalte. „Der Gebrauch in bestimmten Handlungszusammen-
Satz zeigt, wie es sich verhëlt, wenn er wahr ist" hëngen, durch die soziale Situation, durch soziale
(TLP 4.022). Kommunikation, durch die Lebensform. Die
Schon im Tractatus war aiso Wittgenstein bei sei- Bedeutung der Wôrter entsteht durch ihren rich-
ner logischen Analyse der Sprache, bei seiner tigen Gebrauch. -Ein spëtes Echo von Benthams
sprachkritischen Analyse der Erkenntnistheorie Utilitarismus? Ob wir Wôrter richtig gebrauchen,
(wie ein femer Schüier Benthams) auf formale erfahren wir dadurch, daB wir vpn anderen ver-
Grenzen, W idersprüche und Paradoxien standen werden. Damit w ir uns verstandigen
gestoBen. Spater erkannte er, daB er erstens dem kônnen, muB der Sprachgebrauch bestimmten
Idéal einer absolut klaren Sprache gefolgt war, Regeln gehorchen. Solche Regelzusammenhënge
das es nicht gibt (siehe Bentham) und daB er nennt Wittgenstein „Sprachspiele". Das Subjekt
zweitens unzulëssigerweise die grammatikalische ist von diesem nicht unabhëngig, weder im Den-
Struktur in eine erkenntnislogische und sogar ken noch im Sprechen. Die kommunikative Hand-
ontologische Struktur verwandelt hatte. Die lung und die Sprache bilden eine Einheit: „Das
Struktur der Grammatik hat ihn zu einem irre- Wort .Sprachspiel' soll hier hervorheben, daB das
führenden Bild verführt. Die „Verhexung unseres Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tatigkeit
Verstandes durch die Mittel unserer Sprache" ist oder einer Lebensform."9 Das Ganze, die Sprache

7
und die Tàtigkeiten, mit denen sie verwoben ist, Macht des Kontexts überschatzt. Wegen seines
nennt er Sprachspiel. im allgemeinen pessimistischen Kulturkonservati-
Diese sogenannte Spâtphilosophie Wittgensteins vismus erschienen ihm Kontextabweichungen als
gibt also dem Kontext der sprachlichen ÂuSerun- Leerlauf der Bedeutung, als mitschuidig am Übel
gen eine privilegierte Position. Wôrter, Satze, der Welt. „Die Verwirrungen, die uns beschafti-
grôGere sprachliche Einheiten beziehen ihre gen, entstehen gleichsam, wenn die Sprache leer-
Bedeutung auch aus dem Kontext, in dem sie ste- lauft, nicht wenn sie arbeitet.",J Über die Gren-
hen. Mit Kontext ist sowohl der Zusammenhang zen des Kontextes hinauszugehen verurteilt Witt­
der sprachlichen Einheiten untereinander wie mit genstein; dies schaffe nur unsinnige sprachliche
den Handlungen gemeint, in die die sprachlichen Ausdrücke. „Dieses Anrennen gegen die Wande
ÂuBerungen eingebettet sind. Wir sprechen also unseres Ksfigs ist vôllig und absolut aussichts-
in einem uns vorgegebenen Rahmen, uns vorge- los."’5
gebenen Bedingungen und Kontexten. Dieser Wittgenstein hat also mit seiner Sprachspiel-
Kontext kann der konkrete Handlungskontext Theorie eine Kontexttheorie geiiefert, deren
einer spezifischen ÂuBerung sein wie auch die Potential er aber wegen seiner bornierten und
gesamte Sprachgemeinschaft. Um ein Kunstwerk konservativen Idéologie selbst nicht ausschôpfen
kompetent beurteilen zu kônnen, müsse daher konnte. Die von der Kunst erôffneten Môglich-
die gesamte dahinterstehende Kultur gekannt keiten der Kontext-Verschiebung, des Kontext-
werden. „Einen Satz ësthetischer Regeln vollstân- Verlustes, der Kontext-Abweichung seit
dig zu beschreiben heiSt in Wirklichkeit die Kultur Duchamp und Dada hat er nicht wahrgenom-
der betreffenen Epoche beschreiben."'0 „Zu men. Die Kunst zeigt, die Konstanz des Kontextes
einem Sprachspiel gehôrt eine ganze Kultur."11 ist aufhebbar, unterbrechbar. Gerade die Ver-
Die Bindung der Bedeutung an den Kontext, an wendung sogenannter sinnloser Laute und zer-
den Gebrauch des Wortes in kommunikativen stückelter Syntax in der modernen Poesie, die
Handlungssituationen, bedeutet aber nicht nur Verwendung und Neu-Kombination von alltâgli-
eine Fesselung des Subjektes an das „Gefange- chen Gegenstânden im Kontext des Kunstbetrie-
nenhaus der Sprache" (Nietzsche), an das Regel- bes (von Duchamp bis Lavier, bei Dada und
system, an den Referenz-Rahmen. Regeln werden Surrealismus) zeigen ein relativ freies Spiel der
nicht nur erlernt, Regeln kann man, wenn auch Bedeutungen im vorgegebenen Rahmen der
geringfügig, ândern bzw. übertreten, zumindest Lebensformen und Sprachspiele. Sprachspiel
von ihnen abweichen. Sprachspiele entziehen heiBt ja gerade wegen des Wesens des Spieles
sich letztlich der Begründung und Legitimierung: auch Veranderbarkeit, Variabilitat, Regelverlet-
„Habe ich die Begründung erschôpft ... Ich bin zung, Regelaussetzung, Regelverënderung. Witt­
dann geneigt zu sagen: So handle ich eben."10 genstein hat also einerseits durch seine Sprach­
Solange Sprachspiele nicht erklart werden müs- spiel-Theorie einen weiteren wichtigen Baustein
sen, sondern sie bloB auch festgestellt werden zur Kontext-Theorie geiiefert, andererseits die
kônnen, gibt es eine Unabhlngigkeit vom Kon­ durch die Kontext- und Sprachspiel-Theorie mit-
text in Form von Regelabweichungen und -ver- gelieferte Unerfüllbarkeit, Unabgeschlossenheit
weigerungen. Der Kontext kann also verschoben und Offenheit des Horizonts der Bedeutungen
bzw. verëndert und erweitert werden. Die Regeln und Handlungssituationen nicht konsequent zu
des Sprachspiels kônnen geandert werden, dies Ende gedacht. Gerade durch diesen ist es nëmlich
gehôrt zur Natur des Spiels. „Verschiedene Zeiten môglich und sinnvoll, gegen die Wande des Kon­
haben ganz und gar verschiedene Spieie."'5 Doch textes und damit unseres Kafigs anzurennen.
Wittgenstein selbst hat diese Konsequenz aus sei- Wenn das „Handeln am Grunde des Sprachspiels
ner Sprachspiel-Theorie selten gezogen. Er hat die liegt” (Wittgenstein), dann bilden gerade abwei-
chender Sprachgebrauch, Sprengung des Kon­ matiken kann ein nichtterminales Zeichen X
textes und Untersuchungen der Rahmenbedin- durch P ersetzt werden, gleichgültig, welche
gungen der Handlungs- und Lebensformen, die Zeichen X umgeben, d. h. unabhangig vom Kon­
zum Sprachspiel als Ganzem gehôren, neue Môg- text. Deshalb nennt man Typ-2-Sprachen kon-
lichkeiten, dem Gefângnis, der Macht des Kon- textfrei. Die Ausdrücke „kontext-sensitiv" und
texts, zu entkommen. Sprachspiel bedeutet auch „kontextfrei" werden auch auf Grammatiken
Spiel mit dem Kontext. ausgedehnt."'6
Die Frage bleibt, ob kontext-sensitive Grammati­
ken mëchtig genug sind, natürliche Sprachen zu
beschreiben. Bei formalen Sprachen scheint es
III. (B a c h tin s d ia lo g is c h e s P rin z ip ) logisch, daS es kontextfreie Sprache gibt. Bei
einer natürlichen Sprache hingegen ist es schwer
D ie In te r p r é ta tio n s y m b o iis c h e r S tr u k tu r e n is t vorstellbar, daB sie vollkommen kontextfrei funk-
g e n ô tig t, in d ie U n e n d lic h ke it sym bolischen Sinns tio n ie rt. Ein entschiedener V ertreter der
e in zu d rin g en . Kontextabhëngigkeit der Bedeutung bei na-
M . M . B ach tin türlichen Sprachen war Michail Michajiovic
Bachtin.
Die Frage, welche Bentham und Wittgenstein Der russische Literaturtheoretiker und Semiologe
angeschnitten haben, namlich wie Bedeutung Michail Michajiovic Bachtin (1895-1973) stand
eindeutig geklart und definiert und damit forma- seinen Produktionen aus verschiedenen inneren
lisierbar gemacht werden k an n , ist mittlerweile zu und âuBeren Cründen âhnlich nachlassig gegen-
einem fundamentalen Forschungszweig gewor- über wie Bentham. Viele seiner Schriften gingen
den: dieTheorie derformalen Sprachen. WerTex- verloren, blieben zu seinen Lebzeiten unpubliziert
te, geschrieben in einer natürlichen Sprache, mit oder erschienen unter einem anderen Namen. Bis
Hilfe einer formalen Grarhmatik beschreiben zum Jahre 1929 ist nur eine einzige von Bachtins
môchte, stôBt bald auf das Problem, ob zur voll- zahlreichen Arbeiten unter seinem Namen
standigen Beschreibung der Bedeutung eines erschienen: K u n s t u n d V e r a n tw o rtu n g (1919).
Wortes ein Kontext notwendig ist oder nicht. in D ie fo rm a te M é th o d e d e r L ite ra tu rw is s e n s c h a ft
der Théorie der formalen Sprachen wie auch in war unter dem Namen seines Freundes Pavel
der theoretischen Linguistik, wie sie von Noam Medvedev verôffentlicht worden.'7 Die Bûcher
Chomsky in den 60er Jahren mitseinen generati- M a rx is m u s u n d d ie P h ilo s o p h ie d e r S p ra c h e
ven Grammatiken vertreten wurde, wird ver- (1919) und D e r Freudian ism us (1927) erschienen
sucht, mit dem Werkzeug derformalen Gramma- unter dem Namen seines Freundes V. N. Voiosi-
tik, rein formai, die natürlichen Sprachen zu nov, waren aber von Bachtin geschrieben, zumin-
beschreiben. Dabei gibt es zwei Haupttypen, dest entworfen und von Volosinov nur. redigiert
Referenzpunkte, an denen sich die Débatte aus- worden. 1929 war unter seinem Namen das Buch
weist: die kontext-sensitiven Sprachen und Gram­ P ro b lè m e d e r P o e tik D o s to je w s k ijs erschienen,
matiken (in der Chomsky-Hierarchie Typ 1) und wo er diesen ais polyphonen Autor pries. Diese
die sogenannten kontextfreien Sprachen und Vielstimmigkeit hat Bachtin offensichtlich von sei­
Grammatiken (Typ 2). nem Helden in sein Leben übertragen. Beginnt
„Gemal3 der Grammatiken von Typ 1 kann also mit Bachtin jene groSe postmoderne Tradition
ein einziges nichtterminales Zeichen X durch ein der multiplen identitëten, wie sie uns auch die
Wort P ersetzt werden, jedoch nur in dem Kon­ Dichter Borges und Pesoa vorführten? In der
text Q1XQ2. Deshalb nennt man Typ-1-Sprachen Stalinzeit war Bachtin mehr als zwei Jahrzehnte
auch kontextsensitiv. GemaB den Typ-2-Gram- untergetaucht. Erst Ende der 50er Jahre publizierte
er wieder. 1965 erschien sein Buch über Rabelais, M a t e r i a l u n d F o rm in d e r W o r t k u n s t (1924,
das 1940 im Manuskript fertiggestellt worden erstpubliziert 1975), A u t o r u n d H e ld in d e r
war. â s t h e t is c h e n A k t i v i t â t (1923, erstpubliziert
Wiederentdeckt wurde Bachtin auf mehrfache 1979), F ü r e in e P h ilo s o p h ie d e r H a n d lu n g
Weise. In Deutschland im Zusammenhang mit der (ca. 1920 geschrieben, erstpubliziert 1986) in
Studenten-Revolte um 1968.18 Bachtins Beschrei- Auseinandersetzung m it den russischen
bung der Lachkultur als Volkskultur, als Kultur der Formalisten, der deutschen Formasthetik und mit
Massen diente im Zeitalter von Pop und Subkultur dem Saussureschen Sprachbegriff seine eigene
als Argument für Gegenkultur, Rébellion, Fort- Methodik, welche die Sprache im Rahmen einer
schritt, Jugend, Utopie, vergleichbar den Ideen semiologischen Kulturtheorie erfaBt. Bachtin
von L. Marcuse und E. Bloch. Seine Théorie des bestimmt Sprache als dialogische Handlung, eine
polyphonen Romans paBte in die Literatursemio- Théorie, die Wittgensteins Sprachspiel-Theorie
tik der Zeit und auch in die herrschende philoso- an Radikalitât und Nuancen übertrifft. Nicht die
phische Strômung, den Strukturalismus. Doch Abstraktion Sprache wird in den Arbeiten des
diese erste Rezeption in Deutschland hatte keine Bachtinkreises erfaBt, sondern die konkrete
Wirkungsgeschichte. Mit der Studentenrevolte soziale ÂuBerung als genuiner Gegenstand der
verschwand auch Bachtin wieder.19 Nachhaltiger Sprachwissenschaft: „ Die wahre Realitât der
entdeckten ihn daher die franzôsischen Struktu- Sprache als Rede ist nicht das abstrakte System
ralisten wieder, insbesondere Julia Kristeva im sprachlicher Formen, nicht die isolierte
Zusammenhang mit ihrer Théorie der Intertextua- monologische ÂuBerung und nicht der psycho-
litat und der poetischen Sprache.20 Über die fran- physische Akt ihrer Verwirklichung, sondern das
zôsische Rezeption wurde er - unterstützt von soziale Ereignis der sprachlichen Interaktion,
dem in den USA lebenden groSen Linguisten welche durch ÂuBerung und GegenâuSerung
Roman Jakobson - zu einem wichtigen Anreger realisiert w ird".22 Im Namen der „lnteraktion"
der amerikanischen postmodernen Theorie- klingt das dialogische Prinzip Bachtins bereits im
szene.21 Von dort her erfolgt nun auch langsam Buch F reudian ism us an: „Every utterance is the
wieder eine zweite Rezeptionswelle in Deutsch­ product of the interaction between speakers and
land. the product of the broader context of the whole
Bachtins ideologiekritische Analysen waren als complex social situation in which the utterance
literarische Studien (statt wie bei Bentham als emerges. Elsewhere we hâve attempted to show
juristische) verkleidet. Nicht ohne Grund wurde that any product of the activity of human
er, der gerade in einer langen Zeit der totalen discourse - from the simplest utterance in
politischen Unterdrückung dem Widerstand in everyday life to elaborate works of iiterary art -
Literatur und Geschichte auf die Spur zu dérivés shape and meaning in ail its most
kommen suchte und mit seinen Studien zur essential aspects not from the subjective
Lachkultur jene Phénomène untersuchte, die expériences of the speaker but from the social
subversiv und radikal die herrschende Ordnung situ a tio n in w h ich th e u tte ra nce appears.
in Frage stellten, in der UdSSR lange Zeit Language and its forms are the products of
totgeschwiegen. Ursprünglich verdanken sich prolonged social intercourse among members of
seine Studien den Auseinandersetzungen mit a given speech com m un ity".23 M it dieser
Kants kritischen Hauptwerken, insbesondere in Kontextualisierung des sprechenden Subjekts,
der Form der neokantianischen Marburger mit dieser Relativierung der Autonomie des
Schule. Aber bald entwickelt er in seinen frühen Sprechens („N ot a single instance of verbal
Arbeiten K u n s t u n d V e r a n t w o r t u n g (1919, utterance can be reckoned exclusively to its
wiederpubliziert 1977), Das P ro b le m von In h alt, utterer's account")22 versucht er Freud und die
subjektive M otivation des BewuBtseins zu durch den Anderen, den Leser und den Helden
enthebeln. Bachtin setzt nicht auf subjektive, als ko-autorisierende Andere. Das Selbst muB in
sondern auf objektive soziale Wurzeln des Kategorien des Anderen wahrgenommen
verbalen Verhaltens: „The verbal component of werden. Wie ein Autor seinen Helden ihre Stim-
behavior is determined in ail the fundamentals me verleiht und dadurch auch sich, so formuliert
and essentiels of its content by objective-social sich auch das Subjekt, indem es Anderen Stim­
factors".2s Bachtin betont die „soziale Situation" men gibt. So entwirft Bachtin eine Dialogik des
als generierenden und konstituierenden Faktor Redens. Die neue Intersubjektivitât der künstleri-
der Bedeutung einer verbalen ÀuBerung. Dieses schen Rede wird durch die besondere Position
Konzept der „sozialen Situation" korrespondiert des Interpreten gegenüber der Welt des Textes
mit Wittgensteins Konzept der „Lebensformen" bestimmt.
bzw. des „Sprachspiels". Was Bachtin ■
unterscheidet ist die Betonung der dialektischen
Natur dieser sozialen Situation, die durch die
Interaktion des Sprechers und der komplexen
Menge der sozialen Umstande entsteht, in der
die ÀuBerung stattfindet. Auf diese Weise
besteht die verbale ÀuBerung nicht nur aus den
verbalen Faktoren, sondern auch aus der ' EIGENE REDE {4 ’ t 1 FREMDE REDE (
extraverbalen Situation. Dieser „extraverbale
Kontext" der ÀuBerung besteht aus 3 Faktoren: 5 Wîedergabe-fremder Rede durch eigene Rede 1
le ^ ^ U ' i
„(1) the common spatial purview of the
interlocutors (the unity of the visible - in this Die Vielstimmigkeit dieser Reden des Ich und des
case, the room, the window, and so on), (2) the Anderen führt zu einer Relativitât des Subjekts,
interlocutors' common knowledge and das sich frem de Reden aneignet und erst
understandig of the situation, and (3) their dadurch, ahnlich wie bei Lacan, seine eigene
common évaluation of that situation."26 Die Rede konstituiert.
Steuerung dieser Situation wird eine Môglichkeit So wird aus der Aktivitat der Wahrnehmung und
der Kunst der 50er Jahre sein, namlich im der Interprétation eine Struktur der Autoren-
Situationismus. Der hardcore-Marxismus der schaft. Eine spezifische Form des Kontextualismus
objektiven sozialen Grundlagen verbalen taucht auf. Die Autonomie des Autors und des
Verhaltens differenzierte sich und wurde zur Textes wird dadurch relativiert: „Every word in,
Définition der Sprache als dialogische Handlung. narrative literature expresses a reaction to ano-
Dieses dialogische Prinzip hat Bachtin aus seiner ther reaction, the authors reaction tothe reaction
Théorie des polyphonen Romans (bei Dostojews- of the hero: that is, every concept, image, and
kij) abgeleitet, der dadurch bestimmt ist, daB in object lives on two plans, is rendered meaningful
ihm die Stimmen der Personen und jene des in two value-contexts, in the context of the h e r o
Autors gleichberechtigt koexistieren. Statt eines and in that of the author."77
monologischen, d. h. reglementierenden Den- In dieser neuen dialogischen Konzeption von
kens votierte er fur eine polyphone Welt. Diese Held, Autor, Interpret sind aile Texte und Reden
Vielstim m igkeit als theoretisches Idéal hat miteinander verbunden und formieren eine groBe
Bachtin, wie schon gesagt, auch auf sein Leben Heteroglossia, einen Dialog von Dialogen. Der
übertragen. In den Schriften A u to r u n d H e ld in „Ursprung" eines Textes ist immer nur ein Glied in
d e r ë sth e tis c h en A k tiv itë t (1923) und D e s P ro - einer langen Kette von môglichen Transmissionen
b le m des A u to rs definiert er erstmals den Autor von Texten. Derridas Grammatologie-Methode

11
kündigt sich an. Die interlokative Relation von Ich nach vorn und nach hinten leuchtet, das den
und Anderen führte zu einer Text-Auffassung als jeweiligen Text am Dialog teilnehmen lâBt. Wir
rein positionales und relatives Konstrukt. Die Kon- unterstreichen, daB dieser Kontakt ein dialogi-
textkunst wiederhoit im bildnerischen Bereich die- scher Kontakt zwischen Texten (ÂuBerungen)
se Auffassung des Kunstwerks als rein positiona­ und nicht ein mechanischer Kontakt von «Oppo-
les und relatives (soziales) Konstrukt. Im Ereignis sitionen" ist, der nur im Rahmen eines einzigen
Kunstwerk kommt dieser Kontext zur Geltung: Textes (nicht aber zwischen dem Text und dem
„ln das ësthetische Objekt gehen aile Werte der Kontext) zwischen abstrakten Elementen (Zeichen
Welt ein, jedoch mit einem bestimmten astheti- innerhalb des Textes) môglich und nur in der
schen Koeffizienten; die Position des Autors und ersten Etappe des Verstehens (des Verstehens von
seine künstlerische Aufgabe sind in der Welt, im Bedeutung und nicht von Sinn) notwendig ist."30
Zusammenhang mit diesen Werten, zu verste- Nach der Autonomie des Autors wird auch die
hen."2a 1m Essay Diskurs im Leben u n d Diskurs in Autonomie des Textes relativiert. Ersteres durch
d e r K u n s t (1926), werden Held, Autor, Leser zu den Interpreten, letzeres durch den Kontext. Ja
«contact points between the social forces of der Text existiert erst durch den Kontext. Diese
extraartistic reality and verbal art. Thanks precise- Konditionierung des Textes durch den Kontext
ly to that kind of intrinsically social structure which reicht vorn semantischen («Jedes Wort des Textes
artistic création possesses, it is open on ail sides to verwandelt sich in einem neuen Kontext."31) bis
the influence of other domains of life.'” 5 Die zum sozialen, auBertextlichen Kontext: «Der Text
soziale Struktur ist also intrinsisch im Kunstwerk - der gedruckte, geschriebene oder mündliche
vorhanden, wodurch Kunst und Leben nicht sepa- (fixierte) - ist nicht dem ganzen Werk in seiner
rierbar sind. Gesamtheit (oder dem «asthetischen Objekt")
In M é t h o d o lo g ie d e r L ite ra tu rw is s e n s c h a fte n gleich. In das Werk geht auch sein notwendiger
(1940, erstpubliziert 1974) wird das dialogische auBertextlicher Kontext ein. Das Werk ist gewis-
Prinzip endgültig zur Kontext-Theorie ausgearbei- sermaBen eingehüllt von der Musik des intentio-
tet: „Das Problem der Grenzen von Text und Kon­ nalen-werthaften Kontextes, in dem es verstan-
text. Jedes Wort (jedes Zeichen) eines Textes führt den und bewertet wird (dieser Kontext wechselt
über seine Grenzen hinaus. Es ist unzulassig, die natürlich je nach der Epoche der Rezeption,
Analyse (von Erkenntnis und Verstândnis) allein wodurch das Werk einen neuen Klang
auf den jeweiligen Text zu beschrânken. Jedes annimmt)."32 Dieser Satz klingt wie von Ferne
Verstehen ist das In-Beziehung-Setzen des jewei­ nach Wittgensteins Sprachspiel: «Verschiedene
ligen Texts mit anderen Texten und die Umdeu- Zeiten haben ganz und gar verschiedene Spieie".
tung im neuen Kontext (in meinem, im gegen- SchlieBlich wird die Kontexttheorie zu einer kon-
wartigen, im künftigen). Der vorweggenommene textuellen eschatologischen Geschichtstheorie, zu
Kontext der Zukunft ist die Empfindung, daB ich einem auch in der Zeit offenen Horizont des Tex­
einen neuen Schritt mâche (mich von der Stelle tes eben durch seine abzàhlbar unendliche Zahl
bewegt habe). Die Etappen dieser dialogischen von Kontexten. «Es gibt kein erstes und kein letz-
Bewegung des Verstehens sind: Ausgangspunkt tes Wort, und es gibt keine Grenzen fur den dia­
- der vorliegende Text, Bewegung zurück - die logischen Kontext (er dringt in die unbegrenzte
vergangenen Kontexte, Bewegung nach vorn - Vergangenheit und in die unbegrenzte Zukunft
Vorwegnahme (und Beginn) des künftigen Kon- vor). Selbst ein vergangener, das heiBt im Dialog
textes. früherer Jahrhunderte entstandener Sinn kann
Der Text lebt nur, indem er sich mit einem ande­ niemals stabil (ein für allemal vollendet, abge-
ren Text (dem Kontext) berührt. Nur im Punkt diè­ schlossen) werden, er wird sich im ProzeB der fol-
ses Kontaktes von Texten erstrahlt jenes Licht, das genden, künftigen Entwicklung des Dialogs ver-
ândern (indem er sich erneuert). In jedem SEE. To be operative the message requires a CON-
Moment der Entwicklung des Dialogs liegen TEXT referred to ('referent' in another, somewhat
gewaltige, unbegrenzte Massen vergessenen ambiguous, nomenclature), seizable by the
Sinns beschlossen, doch in bestimmten Momen- addressee, and either verbal or capable of being
ten derweiteren Entwicklung des Dialogs werden verbalized; a CODE fully, or at least partially, com-
sie je nach seinem Gang von neuem in Erinnerung mon to the addresser and addressee (or in other
gebracht und leben (im neuen Kontext) in erneu- words, to the encoder and décoder of the messa­
erter Gestalt auf. Es gibt nichts absolut Totes: ge); and, finally, a CONTACT, a physical channel
Jeder Sinn wird - in der „groBen Zeit" - seinen and psychological connection between the
Tag der Auferstehung haben."33 Bachtins dialogi- addresser and the addressee, enabling both of
sche Kontexttheorie hat also erstens jeden Text them to enter and stay in communication. Ail thè­
als Knoten in einem dynamischen Netzwerk von se factors inalienably involved in verbal communi­
Texten gesehen, also jeden Text als Produktseiner cation may be schematized as follows:
steten Umformung durch andere vorhandene Each of these six factors détermines a different
Texte gesehen, welche den jeweiligen innertextli- function of language."3''
chen (sprachlichen) Kontext biiden. Jeder Text ist
also Kontext für einen anderen Text. Zweitens hat
er jeden Text definiert als konditioniert und kon-
stituiert durch seinen auBertextlichen Kontext, die
soziale Situation, in der der Text geëuGert wird.
Dadurch geht Bachtin über die Intertextualitëts- ü iï ___
Theorie der russischen Formalisten hinaus und iiiillS ilÉ M iiiili
zeigt jedes Kunstwerk als ein in der sozialen Rea- Bachtin hat also auf zweifache Weise die Kon­
litat verwurzeltes System. Elemente von Pierre texttheorie wesentlich beeinfluBt. Erstens in der
Bourdieus S o zio lo g ie d e r s ym b o lis ch e n F o rm e n Etablierung der strukturalistischen Hypothèse, die
(1970) tauchen auf. Sprache als universales Modell bzw. System für
Dieser kontextuelle Dialog zwischen den Texten aile anderen Système zu nehmen. Zweitens die
selbst wie auch zwischen den Texten und den Sprache selbst als dialogische Handlung aufzufas-
auBertextlichen Situationen führt zu einer Univer- sen, d. h. auch den auBersprachlichen Kontext als
salisierung des Textbegriffes. Im dialogischen Teil des Textes zu erfassen. Jeder Kontext ist Text.
Kontextbegriff werden einerseits nicht nur Sëtze, JederTextist Kontext. Diese Universalisierung des.
sondern auch soziale Situationen zu Texten, Textbegriffs hat in den 60er Jahren sowohl in der
andererseits wird aber jeder „Text" zum Kontext Philosophie des Strukturalismus, der Systemtheo-
eines anderen Textes. So entsteht eine verwickel- rie und der Kybernetik, insbesopdere in den
te Hiérarchie von Texten und Kontexten, also Arbeiten von Lévi-Strauss, Lacan und Derrida; wie
auch ein unendlicher Horizont von Kontexten, d. auch in der Kunst, insbesondere in der Konzept-
h. ein universaler Kontextbegriff. kunst, der systemischen Malerei, der program-
Roman Jakobson hat diesen Transfer vom forma- mierten Kunst, einen Paradigmenwechsel einge-
listischen Impuls zur strukturalistischen Projekti- leitet, der bis heute anhalt, nëmlich vom Modell
on, die Bachtin geleistet hat, ebenfalls in seine der Wahrnehmung (Minimal Art, Op Art etc.)
Spracb-Theorie aufgenommen, wobei er der for- zum Modell der Sprache (z. B. strukturalen Film),
malistischen Autoreferentialitët des Textes die d. h. die sprachliche Strukturierung auch nicht-
referentielle und denotative Offenheit und Varia- sprachlicher Elemente. Dadurch gelingt es, sozia­
bilitat des Kontextes gegenüberstellte: „The le Elemente (Kontext) als sprachliche Elemente im
ADDRESSER sends a MESSAGE to the AD DRES­ „Text" des Werkes selbst zu untersuchen. T, J.
Clark, ein Begründer der „social history"-Kunst- IV. (Foucaults Dispositive der Macht)
theorie, schreibt daher: „the so called context of
a work of art is therefore not a mere surrounding, Der kü nstlerische C o d e als ein S ystem d e r m ô g li-
separable from form", welche Inseparabiltitât von chen U n te rte ilu n g s p rin zip ie n in k o m p le m e n tâ re
Kunst und Leben ja Bachtin bereits 1926 in seiner Klassen d e r g e s a m te n D a rs te llu n g e n , d ie in e in e r
Arbeit über die „soziologische Poetik" (Diskurs im b e s tim m te n G e s e lls c h a ft z u e in e m b e s tim m te n
L eben u n d D iskurs in d e r K unst) behauptet hat. Z e itp u n k t o f f e r ie r t w e rd e n , h a t d e n C h a ra k te r
Kontext ist, so Clark weiter, „what the speaker or e in e r gesellsch aftlich en In stitu tio n .
maker has most concretely to work with: context P ierre B ourdieu
is text, the context is the medium, and thus the
whole idea of having and sustaining 'one's own In den Horizont der Gegenwart ist Jeremy Bent­
word' - ... - is fragile and paradoxical."35 Durch ham nicht durch seine Hauptwerke geraten, son­
Bachtins Methodik der Interaktion, des Dialogs, dern wie so oft in der Geschichte durch ein
des Kontexts entsteht eine polyphone Welt, in der Nebenwerk, obwohl es an Rettungsversuchen
die Kunst nicht auBerhalb der Welt steht, sondern nicht mangelte.36 Wieder bekannt geworden ist
in komplizierten Verschlingungen die Kunst als Bentham auf leicht obskure Weise. Michel
Text der Welt und die Welt als Kontext der Kunst Foucault hat namlich in seinem Werk C lberw a-
fungieren bzw. die Welt als Text für die Kunst und chen u n d S trafe n . D ie G e b u rt des G efangnissesv
die Kunst als Kontext für die Welt. Intrinsische, Benthams Projekt für ein soziales Gefangnis mit
formale Elemente des „Werkes" und extrinsische, dem Titel „Panopticon" als Kronzeuge für seine
soziale Komponenten stehen in einem Dialog, in Hypothèse genommen, daB das Projekt der
Interaktion, kontextualisieren, bedingen und kon- Moderne mit der Macht der sozialen Institutionen
stituieren einander. Das gleiche gilt für die Bezie- steht und fëllt.
hung zwischen Werk und Interpret. Auch sie bil- Bentham hat in der Tat viel Zeit und Energie auf-
den wechselseitige Kontexte. „Das Werk und die gewendet, um seine Zeitgenossen von der Not-
in ihm dargestellte Welt gehen in die reale Welt wendigkeit einer reformierten Strafanstalt zu
ein und bereichern sie, und die reale Welt geht in überzeugen, welche die Diszipiinierung und
das Werk und in die in ihm dargestellte Welt ein, Sozialisierung der Hëftiinge gleichsam ohne kôr-
und zwar im SchaffensprozeB wie auch im ProzeB perliche Gewalt und nur unter dem EinfluB der
seines spateren Lebens, in dem sich das Werk in Ratio vollziehen sollte. Zu diesem Zweck schlug er
der schôpferischen Wahrnehmung durch die 1791 eine Gefëngnis-Architektur vor, deren
Hôrer und Leser stëndig erneuert." GrundriB ein Halbkreis aus Einzelzellen mit 2 Fen-
stern und eigener Toilette bildete und in dessen
Zentrum sich eine Inspektionsloge befënde, von
der aus ein Wërter bzw. ein Team von Wërtern
die Gefangenen beobachten kônne. Umgekehrt
kônnten die Gefangenen vermôgens eines kom­
plizierten Licht- und Jalousiensystems ihre Wach-
ter nicht sehen. Die Gefangenen wüBten also nie,
wann sie gesehen werden oder nicht. Diese
UngewiBheit bedeutet, eigentlich immer unter
P e te r W eibe l,
B eo b a ch tu n g d er Beobachtung zu sein. Daher der Name der Straf­
B eo ba chtung: anstalt „Panopticon" („Allessehender Platz").
U n b e s tim m th e it, Diese sëkulare Parodie auf die Allwissenheit Got-
Künstlerhaus Graz, tes und seine gleichzeitige Unsichtbarkeit, diese

14
konstante Überwachung und Kontrolle durch J i ï i S G i P T l i m prrvnt, SI* KM ’litfifttfJlfcl»jkiitr-

ungesehene Augen sollte ailes Private und Ver-


steckte verunmôglichen und daher den Einge-
sperrten nur eine rationale Wahl lassen, Einsicht
in den Gehorsam. Die Asymmetrie des Blicks und
die UngewiBheit der Überwachung zerstôre jede
Môglichkeit des Aufbegehrens und mâche die
Unterwerfung zur einzigen rationalen Alternative.
Der Strafvoilzug sollte die Erziehung und Resozia-
lisation durch die Kraft derTransparenz môglichst
mild gewâhrleisten, die totale Allsicht sollte die
Einsicht des Eingesperrten in sein Unrecht und in
die Aussichtslosigkeit nichtrationalen Verhaltens
fôrdern. Diese Dialektîk von Überwachung und
Unterwerfung, von Allgegenwart des kontrollie-
renden Blicks und Gehorsam, ursprünglich einge-
setzt als Instrument reformerischen Manage­
ments des Strafvollzugs, erkannte Foucault als
konstituierend für das Funktionieren der Macht in
allen Institutionen der Moderne, in allen ihren B enth am s E n tw u rf des
maBen. Im Zeîtalter totaler elektronischer Über­ Pano pticons (1791)
administrativen Kontexten. Im Panopticon wird wachung, von Radarfallen bis Bankomaten, ist (Gefângnisarchitektur)
erstmals die Administration der Macht als Archi- Foucaults These überzeugender denn je.39
tektur transparent Es nimmt durch seine totale Bei dem Versuch, jenem System der Macht auf
Transparenz und totale Überwachung die urbane die Spur zu kommen, das den Diskurs der Kunst,
Glas-Architektur der Gegenwart vorweg. Denn die soziale Konstruktion der Kunst diktiert, kôn-
auch in dieser geht es um Sicherheit und Wissen,
nen wir nicht anders als den Theorien von Michel
Isolation und Gruppe, Überwachung und Beob­
Foucault zu folgen. Foucault hat namlich jedem
achtung. (Siehe dazu auch die Glaspavillons von
Diskurs (sei es dem der Wahrheit, der Schônheit,
Dan Graham.) Das panoptische Prinzip diffundiert
usw.) nicht die Seinsfrage, sondern die Machtfra-
durch aile sozialen Institutionen: „ Ist es daher
überraschend, daB die Gefângnisse ausschauen ge gestellt. Er hat im System der Zeichen nach der
wie Fabriken, Schulen, Baracken, Spitëler, die Représentation nicht des Realen,, sondern jener
wiederum Gefângnissen àhneln?"36Zur kalkulier- Macht geforscht, welche dieses Reale konstitu­
ten Technolgie der Unterwerfung gehôrt in der iert. Unter verschiedenen Titeln hat Foucault
Moderne die Unabhângigkeit der Macht von der diverse Diskurse der Macht untersucht. Die Macht
Person, die sie ausübt. Die Machtstruktur wird der Medizin, die über Leben und Tod entscheidet,
sogar von denen getragen und gestützt, die ihr beschrieb er als „die Geburt der Klinik"30; die
unterworfen sind. Foucault hatte bei der Aufzâh- Macht der Psychiatrie, die über Vernunft und
Julia Scher, S uperdesk,
lung jene sozialen Institutionen der Moderne, die Wahnsinn entscheidet, als Geburt des Narren- 1993, am Eingang zur
Gefângnissen gleichen, die Galérien vergessen. turms4'; die Macht der Justiz, die über Recht und Sammlung der Neuen
Auch in den Galérien regîert das Spiel des asym- Unrecht entscheidet, als „die Geburt des Gefang- Galerie Graz, kuratiert von
nisses". So kônnten wir aus einem fiktiven Nach- P. Weibel. Das Muséum
metrischen Blicks, das Panopticon-Prinzip von
macht sich selbst als
Überwachung und Unterwerfung, konstituiert laB von Foucault ein Buch mit dem Titel „ die Institution der M acht und
von Wâchtern, Besuchern, Besitzern, Künstlern, Geburt der Galerie" herausgeben, welches jenes der Überwachung
Direktoren, Leitern und Kuratoren gleicher- System der Macht beschreibt, das über-Kùnst und transparent.

15
Nicht-Kunst entscheidet. Wir sehen durch die tens legitimiert sie nur bestimmte Diskursformen
Aneinanderreihung der verschiedenen „Geburts- als wahre, schône und gute. Man kann mit Fou­
orte" Klinik, Gefângnis und Galerie, in welche cault diese Diskursformen des Wissens und der
gefëhrliche institutionelle Nachbarschaften sich Schônheit, der Wissenschaft und der Kunst durch
die Kunst begeben hat und befindet. Klinik, fünf Merkmale charakterisieren:
Gefângnis, Galerie sind die Geburtsstëtten sym- 1) Kunst ist um die Form jener Institutionen zen-
bolischer Ordnungen, welche hôchst effektive triert, die sie produzieren (Kunst als Kunst, Gale-
Système der Macht darstellen. „Die Geburt der riekunst, Marktkunst, die weiBe Wand der Gale­
modernen Kunst aus dem Geiste der Galerie als rie, etc.).
Gefângnis", so kônnten wir Nietzsche paraphra- 2) Sie ist stândigen ôkonomischen und politi-
sieren. Foucault stellte als erster in der Nachfolge schen Anforderungen ausgesetzt, die einen
von Nietzsche dem Diskurs der Kunst die Macht- raschen Wechsel der Stile bedingen, die an und
frage: Wem nützt er? für sich als Diskursformen vollkommen unverein-
„ Die Wahrheit ist von dieser Welt; in dieser Welt bar waren. Nur aus den Notwendigkeiten der
wird sie aufgrund vielfëltiger Zwënge produziert, ôkonomischen Produktion werden sie gewaltsam
verfügt sie über geregelte Machtwirkungen. Jede versôhnt und sanktioniert.
Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Wahr­ 3) Kunst erfreut sich in den verschiedensten For-
heit, ihre .allgemeine Politik' der Wahrheit: d. h. men enormer Verbreitung und Konsumption, ins-
sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wah- besondere durch die Massenmedien. Sie zirkuliert
re Diskurse funktionieren lëBt; es gibt Mechanis- in allen nur erdenklichen Informationsapparaten,
men und Instanzen, die eine Unterscheidung von die sich relativ weit über den sozialen Kôrper des
wahren und falschen Aussagen ermôglichen und Fachpublikums hinaus ausdehnen.
den Modus festlegen, in dem die einen oder 4) Kunst wird aber bei dieser Distribution (wie bei
anderen sanktioniert werden; es gibt bevorzugte ihrer Produktion) der überwiegenden Kontrolle
Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung, einiger weniger groBer politischer und ôkonomi-
es gibt einen Status für jene, die darüber zu befin- scher Apparate (Sammler, Museen, Galérien)
den haben, was wahr ist und was nicht."" unterworfen.
Auch Kunst wird in dieser Welt aufgrund vielfëlti­ 5) SchlieBlich ist die Kunst der Schauplatz und
ger Zwënge produziert und verfügt über geregel­ Einsatz zahlreicher politischer und ideologischer
te Machtwirkungen. Jede Gesellschaft hat ihre Këmpfe.
eigene Ordnung der Kunst, ihre eigenen Spiele. Ausstieg aus der Kunst als hôchste Form der
Sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als Kunst, diese Utopie der Antikunst, heiBt also
wahre und gute Kunst funktionieren lëBt, und sie demnach:
verwirft Diskurse, die sie als unkünstlerisch oder 1) Mit einer Kunst nichts mehr zu tun haben wol-
schlechte Kunst definiert. Es gibt Instanzen und len, die durch diese fünf Merkmale einer Ôkono-
Mechanismen (Sammler, Kritiker, Hëndler, Kura- mie der Macht bestimmt wird.
toren), welche die Modi festlegen, in denen die 2) Ausstieg aus der historischen Form der Kunst
einen oder anderen Diskurse als Kunst sanktio­ als Machtdispositiv.
niert werden. Es gibt bevorzugte und kanonisier- 3) Streben nach einer Kunst als Diskursanalyse der
te Techniken und Verfahren zur Findung von gu- Kunst. Es geht um eine Neuordnung des Diskur-
ter Kunst, und es gibt einen hohen sozialen Sta­ ses in der Kunst, wenn wir versuchen, die Kette
tus für jene, die darüber zu befinden haben, was und den Rhythmus der Transformationen zu
Kunst ist und was nicht, was gute Kunst und was untersuchen, die mit den wahren, guten und
schlechte Kunst ist. Die Macht ermôglicht erstens schônen Werken der Kunst und ihren ontologi-
nur bestimmte Diskurse von Zeichen und zwei- schen Begründungen gebrochen haben.
Bachtins Kontexttheorie würde den „Hëndlern Kunst der politi'sch und wirtschaftlich rhëchtig-
der Macht" zeigen, daB die Wertungen, ob gut sten Lânder auch die mâchtigste, produktivste
oder schlecht, ob Kunst oder nicht Kunst, wech- und distribuierteste Kunst. Auf die gleiche Weise
seln, weil sie von den wechselnden Kontexten wie in einer Gesellschaft Geschichten geschrieben
abhëngen. Insoferne kennt die Kunst keine Gren- werden, so wird in dieser Gesellschaft auch
zen, insoferne enthielte die Kunstgeschichte Geschichte gemacht. Welche Macht aber legiti-
gewaltige, unbegrenzte Massen von nicht beach- miert einen beliebigen Diskurs als Kunst? Es geht
teter, guter Kunst, wenn man sie aufbewahrt hat. darum, jenes ganze Ensemble von Praktiken in
„Es gibt nichts absolut Totes" (M. Bachtin). Die der Kunst, die der Macht als Stütze dienen, in Fra­
Kontexttheorie der Kunst wirderspricht also der ge zu stellen. Denn offensichtlich ist Kunst nicht
Âsthetik der Macht. Eine kontextuelle Kunst der Ort der Freiheit, des Wahren und des Absolu-
untersucht und kritisiert die Mechanismen der ten, sondern Kunst ist eine Praktik, die mit einer
Macht, auch der Kunst als Machtdiskurs (im ganzen Reihe von Institutionen, politischen Not-
Namen einer „ institutionellen Kritik"). wendigkeiten, sozialen Situationen, gesellschaftli-
In unserem sozialen System, auf jenem Schlacht- chen Regeln, ôkonomischen Mechanismen, ideo-
feld, dessen Wachtürme Klinik, Gefângnis und logischen Funktionen verbunden ist, ohne die sie
Galerie heiGen, ist auch die Kunst ein Diskurs der nicht existiert. Kunst ist daher nicht die Gefange-
Macht. Indem der Kunst die Machtfrage gestellt ne, sondern paradoxerweise derWârter — soviel
wird, wird die Kunst selbst in Frage gestellt. Denn zum Geschrei „ Freiheit fur die Kunst".
wer ist Clio, die Gôttin der Geschichtsschreibung? Foucault paraphrasierend kônnen wirzusammen-
Wer hat die Macht, die Kunstgeschichte zu fassen: Kunst ist zu verstehen als ein Ensemble
schreiben? Nur der Künstler, das Kunstwerk, wie von geregelten Verfahren von Produktion,
die Ontologie gerne behauptet? Oder auch der Gesetz, Zirkulation, Rezeption und Wirkungswei-
soziale, produktive und distributive Apparat, der se von Aussagen. Dieses Ensemble von Verfahren
das Kunstwerk umgibt (Sammler, Hëndler, Kura- ist an Machtsysteme gebunden, die sie produzie-
toren, Kritiker, etc.)? Die Ontologen verschwei- ren und stützen, codieren und legitimieren. Inso-
gen den EinfluB dieses sozialen Apparates, um fern reproduziert Kunst Machtwirkungen und
seine Herrschaft als „implizites System" um so man kann von einem Herrschaftssystem der
stërker zu machen. Kunst selbst sprechen. Kunst als historische
Deswegen vernichten die Kontextkünstlerlnnen Diskursform, wie wir sie heute kennen, ist nur zu
nicht die Bedingungen, aus denen ein Kunstwerk denken unter den ôkonomischen und politischen
entsteht, wie es Heidegger in Der U rsp ru n g des Bedingungen - und ganz und gar nicht unter
K u n stw erkes (1965) forderte, das „reine Insich- ontologischen -, welche den Kapitalîsfnus her-
selbststehen" und Insichselbstentstehenlassen ausgebildet haben. Insofern wëre es ein illusionë-
des Werkes, sondern zeigen explizit die Bedin­ res Unterfangen, die Kunst von der Macht zu
gungen des Entstehens, den sozialen Apparat trennen und die Kunst von jeglichem Machtsy-
etc. als Werk selbst oder als Teil des Werkes, gera- stem zu befreien, weil damit auch die Kunst selbst
de um seine Herrschaft als implizites System zu verschwinden würde, vergleichbar jener Ihese
brechen. Benthams, daG mit dem Verschwinden der Fiktion
Es ist die Macht, welche die Erzâhlungen der auch die Realitat verschwënde. Offenbar korrelîe-
Kunst und die Kunstgeschichte schreibt. Selbst- ren, wie Bentham schon bewies, institutionelle
verstëndlich will auch der Künstler an dieser Macht und Fiktion. Es geht vielmehr darum her-
Macht teilhaben, um Teil der Kunstgeschichte zu auszufinden, ob es môglich ist, eine neue Politik
werden. Deswegen werden so viele Künstler per der Kunst zu konstituieren, die nicht in der
se zu Komplizen der Macht. Deswegen ist die Veranderung des BewuGtseins der Menschen
bestünde, sondern in der „Verânderung des poli- formai, sondern auch politisch gegen die Macht,
tischen, ôkonomischen und institutionellen von der sie abhëngig waren, dem Dreieck Musé­
Systems der Produktion von Wahrheit (bzw. von um, Galerie, Medien. Besonders wichtig waren
Kunst, P. W.), die Macht der Wahrheit (bzw. The Art Workers' Coalition (1969-72), die Guéril­
der Kunst, P. W.) von den Formen gesellschaftli- la Art Action Group und Attica Commitee 1974
cher, ôkonomischer und kultureller Hegemonie (John Hendricks, Jean Toché). In ihrer ëstheti-
zu Ibsen, innerhalb derer sie gegenwërtig schen Praxis haben die avanciertesten Künstlerln-
wirksam ist. " Der soziale Kôrper der Kunst ist der- nen der 60er Jahre nicht nur das berühmte Drei­
art von vielfaltigen Machtbeziehungen überzo- eck Studio-Galerie-Museum verlassen, indem sie
gen, ist derart von Institutionen der Macht wie ihre Produktionsweisen auf die StraBe und ande-
Sammlern, Banken, Corporations, Museen, re ôffentlichte Orte, in die Landschaft ausdehnten
Magazinen und Galérien konstituiert, dal3 die oder auch in andere Disziplinen und Wissen-
Kunst, die von diesem Diskurs produziert wird, schaftszweige, sondern in einem politischen Akti-
kaum mehr von der Macht selbst unterschieden vismus auch das Dreieck Galerie-Museum-Me-
werden kann, weil umgekehrt auch diese Macht­ dien attackiert. „Der Ausstieg aus dem. Bild"
beziehungen nicht ohne den Diskurs der Kunst (Laszlo Glozer) bedeutete auch einen Ausstieg
und Künstler funktionieren kônnen. aus der kapitalistischen Gesellschaft und aus dem
Die Abhangigkeit des Künstlers von der Macht kulturellen System, welches diese reprësentierte,
der Institutionen, die Entfremdung von seiner aus dem Markt, dem Handel, den Museen, den
eigenen künstlerischen Produktion durch das Galérien. Robert Morris beschrieb 1970 das
Galeriesystem und die Museen wurde in den 60er „eiserne Dreieck", das den Künstler gefangen
Jahren im Zuge einer allgemeinen Politisierung hielt: „Artists' lives are bound within the répressi­
(Vietnamkrieg, Studenten-Rebellion, Mai 68) und ve structure of the art world. The iron triangle is
im MaBe, in dem die künstlerischen Praktiken den made up of muséums, galleries, and the media.
Raum der Galerie (Land Art) und die bloBe Pro­ Ail three... wield power over artists while main-
duktion von Objekten (Konzeptkunst) transzen- tainig a symbiotic dependence on them. In most
dierten, den Künstlern immer bewuBter. Die Kri- every case status quo économie interests support
tik an den Institutionen des Kapitalismus schloS this iron triangle and effect policies coming from
auch die Museen und Galérien als Instrumente each corner of it. The répressive structures within
der Repression ein. Denn Repression war eine all- the art world parallel those outside it.'"13 Robert
gemeine politische Bedingung in den postfaschi- Smithson, der vom weiBen Raum der Galerie in
stischen autoritaren Systemen der 60er Jahre. Die die verwüstete postindustrielle Landschaft ausge-
Avantgarde-Künstler entwickelten eine Antipa­ wandert war, um dem "eisernen Dreieck" zu ent-
thie gegenüber den Instituionen der Kunstwelt kommen, beschrieb die Institutionen der Kunst
und auch gegenüber ihren historischen Produk- wie M. Foucault die Orte der Gefangenschaft
tions- und Rezeptionsformen. Neue soziale und (Hospital, Gefangnis). Als er 1972 seine Arbeit
kulturelle Aktivitâten sollten die Institutionen und von der Documenta 5 (von Harald Szeemann)
ihren geschlossenen Diskurs herausfordern, ôff- zurückzog, gab er unter dem Titel C u ltu ral C o n ­
nen (Fluxus, Happening, Underground Film, Body f in e m e n t (K u ltu re lle G e fa n g e n s c h a ft ) folgende
Art). Die Künstler bestreikten die Museen, Erklërung: ..Cultural confinement takes place
demonstrierten vor den Museen, stürmten, boy- when a curator imposes his own limits on an art
kottierten und schlossen internationale Messen exhibition, rather than asking an artist to set his
und GroBausstellungen (Art Strike in New York limits... Some artists imagine they've got a hold
1970, Biennale von Venedig 1968 etc.). Die on this apparatus, which in fact has got a hold of
besten Künstler rebellierten nicht nur asthetisch them. As a resuit, they end up supporting a cultu­
ral prison that is out of their control... Muséums, relativiert werden muB. Fur dieses neue politische'
like asylums and jails, hâve wards and cells - in BewuBtsein der gesellschaftlichen Bedingungen
other words, neutral rooms called ,galleries'. ... von Kunst stehe ein unverdachtiger Zeuge, nam-
Works of art seen in such spaces seem to be lich Robert Morris: „Art is always suffused with
going through a kind of esthetic convalescen­ political meanings. One such meaning has to do
ce."" with the class interests any particuiar art serves.
Die kulturellen Grenzen waren im „eisernen Drei­ Ail art serves some class interest since such inte­
eck" schnell erreicht. Daherschrieb Daniel Buren rests provide the very ground upon which art is
1 970 in C u ltu ral Lim its : „What is called for is the sustained. If there is a political context for the
analysis of formai and cultural limits (and not one emergence of any art there is also one for its
or the other) within which art exists and strugg- entombment in history ... The so-called moder-
les.''45 Erkennend, daB „the artist isn't in control nist mainstream is a political document which
of his value... the artist is estranged from his own registers certain class interests besides being a
production" sah Smithson 1972 voraus, daS die collection of physical objects. "47
Künstler in Zukunft zunehmend in die Analyse der
sozialen Krâfte und Beziehungen der künstleri­
schen Produktion involviert sein werden: „This is V. (Diskurse - Diskursanalysen)
the great issue, I think it will be the growing issue
of the seventies: the investigation of the appara- P art o f th e task o f a M a rx is t his to ry o u g h t to b e
tus the artist is threaded through."46 to re v e a l th e w o rk o f a rt as ideology.
In der Tat, solche Investigationen des Appâtâtes T. J. Clark , 1 9 7 4
von Marcel Broodthaers, Daniel Buren, Michael
Asher, Dan Graham, Hans Haacke, Martha Rosier, Die traditionelle Kunstgeschichte beruftsich allein
Allan Sekula, Art & Language, Joseph Kosuth, auf das Werk und betrachtet die Entwicklung der
Richard Kriesche, Valie Export, Gordon Matta- Kunst als autonome Formengeschichte. Die
Clark, André Cadere, Victor Burgin, Yvonne Rai­ geschichtlichen Entstehungsbedingungen wer­
ner u. a. bildeten eine wichtige Strômung der den von einer bloB stilkritisch ausgerichteten
Kunst der70er Jahre. Kunstgeschichte ausgeblendet. Kunst sei auto­
Die Transformationen der Kunst in den 60er Jah- nom und erklare sich aus sich selbst heraus. Kon-
ren durch Minimal Art, Konzeptkunst, Fluxus, servative rechte Àsthetik (Burke, Coleridge, Heid­
Happening, Aktionismus, Land Art, Medienkunst egger, Yeats, Eliot) fordert immer dazu auf, theo-
in Verbindung mit den sozialen Umwalzungen retische Analysen zu unterlassen und das Werk
und politischen Insurrektionen, gemeinsam mit selbst, môglichst sinnlich, sprechen zulassen.' Die
den philosophischen Strômungen des Struktura- traditionelle Sozialgeschichte der Kunst (Hauser,
lismus, der Systemtheorie und der kritischen Werckmeister, Warnke) betreibt zwar Kuristge-
Théorie und der Wiedergewinnung historischer schichte als Gesellschaftsgeschichte und Ideolo-
revolutionërer Positionen in Kunst (Konstruktivis- giekritik, aber ohne die strukturalistischen, semio-
mus, Produktivismus) und Philosophie haben das tischen oder systemischen Diskurse der Postmo­
Gesicht der Kunst unwiederbringlich verândert derne zu involvieren. Die neuen kunstkritischen,
und zwar in der Weise, daB die Kunst nicht mehr kontextuell orientierten Methoden grenzen âuBe-
unabhangig von der Gesellschaft gedacht werden re Faktoren nicht nur nicht aus, sondern versu-
kann, daB also die formale Autonomie durch eine chen, das Verwickeltsein derKunstwerke im Ideo-
Réintégration der künstlerischen Diskurse in logischen und im Okonomischen im Kunstwerk
soziale, philosophische, politische, ôkonomische, selbst zu beweisen, im Sinne der Diskurs-Modelle
ôkologische, naturwissenschaftliche Diskurse (Bentham, Wittgenstein, Bachtin, Foucault), die
ich vorgestetlt habe. Sie wolten ein Netz realer, der Wirklichkeit nicht hinausgelangen. Es werden
komplexer Beziehungen zwischen der künstieri- daher neue künstlerische Strategien wie Aktion,
schen ÂuBerung, den zur Verfügung stehenden bewegtes Bild und Installation entwickelt, die
künstlerischen Sprachen der Zeit und den ande- weit über das Tafelbiid und die Skulptur, die
ren sozialen Diskursen, Ideologien, historischen bevorzugten Medien bloBer Darstellung, hinaus-
Strukturen und Prozessen herstellen. Künstlerln- gehen, um an der Produktion von Wirklichkeit
nen wie Kunsthistorikerlnnen versuchen, die teilzuhaben und nicht nur an der Produktion von
gesellschaftliche Realitët in die Kreation wie Inter­ Idéologie. Obwohl wir klarerweise nicht verges-
prétation des Werkes selbst miteinzubeziehen. sen, daB Ideologieproduktion auch Teil der
Insbesondere die Krise der Représentation in der Reproduktion wie der Produktion von Wirklich­
Moderne, neue asthetische Erfahrungsformen im keit ist. Wiedergewinnung von Wirklichkeit lautet
Zeitalter der Techno-Transformation derWelt und insgeheim das Programm der Avantgarde seit
ihrer Darstellungssysteme haben neue Methoden 1900, Teilhabe an den Prozessen der Gestaltung
der Kunstrezeption und Kunstgeschichte erfor- und Umgestaltung der wirklichen Weit. Die
derlich gemacht, natürlich ebenso neue Metho­ ësthetischen Provokationen der historischen
den der Kunstproduktion. Avantgarden hatten eben diesen Zweck, die Pro­
Conrad Fiedler (1841-1895) hatam Ende des 19. duktion der Wirklichkeit nicht allein den anderen
Jh. auf seine historisch bedingte Weise die Kunst Diskursen wie Politik, Massenmedien etc. zu
schon aus den Fesseln der Àsthetik befreit. Er hat Oberlassen. Die Künstler merkten, J 'a rt pour
Duchamp antizipiert, der seit der Einführung des l'art" und Autonomie der Kunst hatten ihren
Urinoirs ais Skulptur eine Kunst des Geschmacks Preis, sie wurden von der Klasse der Produzenten
und des ësthetischen Urteils desavouiert hat. Das ausgeschlossen. Indem sie an der Produktion von
Schône, die perfekte Ausführung, die gute Wirklichkeit und Gesellschaft nicht mehr teilhat-
Gestaltung, die formale Komposition als zentrale ten, wurden sie unmerklich aus „der Gesellschaft
Kategorie des Àsthetischen existiert seit Duchamp der Produzenten" (Marx) ausgeschlossen.'18
nicht mehr. In seiner Schrift Ü b e r d e n U rsp ru n g Die Künstler der Neomoderne nach 1945 ver-
d e r k ü nstlerischen T â tig k e it (1887) hat er gezeigt, suchten noch einmal, die Ziele der avantgardisti-
daB die Kunst sich nicht nach der Natur richtet, schen Moderne mit deren Mitteln zu erreichen.
sondern eine Erkenntnisfunktion hat. Das Der Schock der Postmoderne besteht gerade in
BewuBtsein ist zwar Abbildung der Wirklichkeit, dieser Einsicht und Erkenntnis der realen Ohn-
aber auch die Wirklichkeit ist Abbildung des macht der Kunst als Produktivkraft. Ein Vordenker
BewuBtseins. Fiedlers These zielte auf eine Pro- der Postmoderne wie Nietzsche hat den Zusam-
duktion von Wirklichkeit durch die Kunst, so wie menhang zwischen Kunst, Macht und Politik bei
eben andere Diskurse wie Justiz, Politik, Ôkono- der Produktion von Gesellschaft in einem ebenso
mie Wirklichkeit herstellen. „Nichts anderes ist aufklërerischen wie verstôrenden Aphorismus
die Kunst, als eines der Mittel. durch die der formuliert: „Schônheit ist eine gnëdige Selbster-
Mensch allererst die Wirklichkeit gewinnt." Statt niedrigung der Macht ins Sichtbare". Wenn wir
Nachahmung und Darstellung der W irklichkeit an die unsichtbaren Augen der Wârter, der
(im Bilde oder in der Skulptur) gehe es der Kunst Reprasentanten der Macht, in Benthams Panopti-
um Umwandlung von Teilbereichen des Wirkli- con denken, verstehen wir Aspekte dieses Apho­
chen und Produktion von Wirklichkeiten. Immer rismus und erkennen die Beziehungen zu Foucaults
wieder gibt es Kunst, die mit den zur Verfügung Hypothèse über die Moderne und die Macht. Die
stehenden Darstellungssystemen nicht aus- Auflôsung der Totalitat ist daher ein Ziel postmo-
kommt, weil sie, insbesondere die Medien Bild derner Kunst, ebenso wie eine Reformulierung
und Skulptur, eben über die bloBe Darstellung des Visuellen, eine Redéfinition der Représenta­
tion. Zu den Strategien dieser Reformulierung tung der Macht einzelner bzw. weniger geht, so
und Redéfinition gehôren die kontextuellen Prak- hat sich auch die Kunst reziprok zu einem Macht­
tiken der Produktion und Rezeption von Kunst. system entwickelt, wo es um die Kontrolle und
Ist Schônheit nur ein Fall-out der Macht, ein Off- Hegemonie einzelner (Klassen, Individuen, Kultu-
spring der Macht, dann ist Âsthetik von Politik ren) geht, aber im Namen der Menschen (Univer-
nicht mehr zu trennen, auch weil Macht von salismus, Humanismus) gesprochen wird. Wenn
Wirklichkeit nicht zu trennen ist. Zugang zur die, in deren Namen angeblich gesprochen wird,
Wirklichkeit hat, wer über die Produktionsmittel anderes sprechen als ihre selbsternannten Inter-
verfügt, welche Wirklichkeit herstellen. Dies preten, dann verkündet die Macht den Mythos
bedeutet Macht. Künstler müssen daher Zugang des Turmbaus von Babel, die Bedrohung einer
haben zu jenen Produktionsmitteln, die Wirklich­ multikulturellen, polyphonen Gesellschaft. Auto­
keit herstellen, d. h. Zugang zu den Institutionen nome Kunstwerke sind gegen die soziale Ohn-
und Diskursen (der Macht), die Wirklichkeit pro- macht der Kunst keine Hilfe, denn auch autono­
duzieren. Gleichzeitig darf dabei nicht Macht aus- me Kunstwerke nennen den Diskurs, der sie
geübtwerden im Sinne von Hegemonie und (kul- befohlen hat. Kontextuelle Kunstwerke analysie-
tureller) Kontrolle. Aber die Machtfrage mul3 ren zumindest den Diskurs, der sie befehlen will.
gestelit und transparent gemacht werden. 1789 Kunst als Diskursanalyse, als Analyse der Bêdin-
war der Moment der Machtergreifung der gungen ihrer Produktion und Rezeption, aber
europaischen Intelligenz. Aber das Dreieck Kultur, auch als Analyse anderer Diskurse der Produktion
Politik, Macht ist bald auseinandergebrochen, dif- von Wahrheit, Gesellschaft, Wirklichkeit (Recht,
fundiert, pervertiert. Zugang zu den Institutionen Medizin, Ethnologie, Ôkologie etc.), ist ein Ver-
und Produktionsmitteln hatte bedeuten sollen, such, den modernen Machtdispositiven zu ent-
da8 die Künstler und Intellektuellen sich an der kommen, aber gleichzeitig jene „ Macht" nicht zu
Produktion der Gesellschaft beteiligen, d. h. an verlieren, welche fur die Produktion von Gesell­
der Organisation der materielien Bedingungen schaft und Wirklichkeit verlangt wird. Daher ist
des Zusammenlebens der Menschen, der kollekti- Kunst als Diskurserzeugung, als Produktion von
ven Aktionen. Wie aber im Kapitalismus die Diskurskontexten notwendig; Kunst als Diskursla-
Beziehungen der Menschen sich reifiziert haben bor. Die Avantgardekunst von heute thematisiert
als Beziehungen von Produkten und dadurch die Kunst als Diskursanalyse. Museumsführun-
soziale Beziehungen zu Produktions-Beziehungen gen, Galeriepraktiken, kunstgeschichtliche
wurden, so hat sich auch die Kunst reifiziert und Bewertungs- und Selektionsmechanismen, kogni-
die Produktion asthetischer Objekte, und zwar in tive Erfahrungen, merkantile Aspekte der Kunst
der vorindustriellen Produktionsweise, hat die werden als Diskurselemente analysiert; und diese
Koordination und Organisation gesellschaftlichen Diskursanalysen werden zu Kunst erklërt. Àsthe-
Lebens ersetzt. Der Künstler wurde zum Experten tik wird ersetzt durch Diskursanalyse. Dabei kann
fur spezifische Kenntnisse und Fâhigkeiten (auf der Anteil des Sozialen bei der Konstruktion des
dem Gebiet der Farbe, der Form usw.), die aber Diskurses der Kunst nicht mehr geleugnet wer­
zunehmend historisch obsolet wurden und nur den. Poststrukturalistische Theorien, vor allem
mehr ideologisch benôtigt wurden. Die Künstler Foucault, haben (im Sinne Benthams sogar) die
verloren dadurch jene Macht, die sie 1789 diskursive Natur von der Konstruktion des Sozia­
gewonnen hatten, namlich Teilhabe an der Pro­ len betont. „ Reale" Entitaten wie Klassen, soziale
duktion von wirklichkeitserzeugenden Diskursen. Institutionen sind nicht denkbar ohne diskursive
Ist die Demokratie zu einem Machtsystem der Elemente, d. h. entstanden durch Artikulationen
Parteien verkommen, wo im Namen aller gespro- in Théorie, Représentation und Diskurs." Eben
chen wird, wenn es um die Erlangung bzw. Erhal- aber gerade darum geht es, die diskursiven
Elennente der Kunst selbst aufzuzeigen - und Interaktion. Diese Fiktionen sind relativ perma­
zwar als (Kontext-) Künstler wie als (kontextueller) nent, wenn auch veranderbar und opak. Die Rea­
Kunsthistoriker. „Art is a social product" lautet litat wird zu einer Art Betriebssystem, aufrecht
daher der erste Satz von Janet Wolffs Buch The gehalten durch eine konzeptuelle Maschinerie
S ocial P ro d u ctio n o f A r t { 1981), in dem die sozia- von „subuniverses of meaning", „symbolic uni-
le Natur von der Produktion, Distribution und verse" (das die subuniverses integriert) und „uni-
Rezeption der Kunst untersucht wird, die sozialen verse maintenance" qua Mythologie, Théologie,
und institutionellen Koordinaten der künst- Philosophie, Wissenschaft. Die von einer Gemein-
lerischen Praktik.™ Von der Charakteristik der schaft geteilte Realitat ist „paramount". „Com-
künstlerischen Produktion als Manufaktur („Poe- pared to the reality of everyday life, other realities
try is manufacture" Majakovski) über die sozialen, appear as finite provinces of meaning, enclaves
psychologischen, neurologischen Faktoren, wel- within the paramount reality marked by circum-
che die Kreativitat determinieren, bis zur kollekti- meanings and modes of scribed expérience. The
ven Produktion von Kunst (Film) bewegt sich paramount reality envelopes them on ail sides, as
Wolff immer mehr weg vom Bild des Künstlers als it were, and consciousness always returns to the
Kreator und zeigt nicht nur die sozialen und ideo- paramount reality as from an excursion."51 Die
logischen Faktoren, die den Autor des Werkes Welt besteht aus multiplen Realitaten. Die Transi­
beeinflussen, sondern auch die aktive und partizi- tion von einer Welt in die andere ist die astheti-
patorische Rolle des Publikums bei der Kreation sche oder religiôse Erfahrung, însoferne „as art
des Werkes („lnterpretation as Re-creation", J. and religion are endemic producers of finite pro­
Wolff). Der Mythos des Autors wird attackiert vinces of meaning".52 In diesem Zusammenhang
und diverse Stimmen des Textes, die Môglichkeit ist auch das Buch D ie F a b rika tio n d e r Fiktio n en
multipier Lesarten eines Textes durch verschiede- von Cari Einstein (wiederaufgelegt 1973) zu
ne Leser, werden analysiert. Dabei wird natürlich erwëhnen. Der Weg geht also von der „Produk-
Bachtins Théorie des polyphonen Romans er- tion der Gesellschaft" über die „soziaie Produkti­
wâhnt, die Piuralitât gleichwertiger BewuBtseine on von Kunst und Kultur" zur „sozialen Kon-
und ihrer Welten, der Verlust einer externen Per- struktion von Realitat".
spektive, die das letzte Wort hâtte. Die versteck- Einen entscheidenden Beitrag in Richtung dieses
ten objektiven Widersprüche der Realitat kom- Weges hat Pierre Bourdieu mit seiner S o zio lo g ie
men durch diese polyphone Struktur des Werkes d e r sym bolischen F o rm e n (1970) geleistet, eine
zum Ausdruck. Die künstlerische Praktik wird als Anspielung auf Ernst Cassirers idealistische Philo­
situierte Praktik, als Médiation von ësthetischen sophie der symbolischen Formen und der von ihr
Codes und ideologischen, sozialen und materiel- abgeleiteten Schrift Erwin Panofskys D ie P erspek-
len Prozessen und Institutionen gesehen. Denn tiv e a ls s y m b o lis c h e F o rm . Insbesondere die
auch die Künstler sind als Subjekte konstituiert Arbeit E le m e n te z u e in e r sozio logischen Théorie
durch soziale und ideologische Prozesse, sind Pro- d e r K u n s tw a h rn e h m u n g (1970) ist wegweisend.53
dukt und Effekt von Diskursen, formieren sich Bourdieu verwehrt „die Illusion des unmittelbaren
teilweise durch diskursive Artikulatîonen, sind Verstehens" und „das Idéal der reinen Wahrneh-
selbst soziale und kulturelle Konstrukte. mung des Kunstwerks im Sinne eines ,reinen'
In ihrem Buch The S ocial C o n stru ctio n o f R eality Werkes", denn beides setzt einen langen histori-
(1966) haben Peter L. Berger und Thomas Luck- schen ProzeB voraus, der die Kunst erst „ reinig-
mann die Realitat als eine Art von kollektiver Fik- te." „Die spezifisch ësthetische Betrachtungswei-
tion entworfen, die konstruiert und erhalten wird se ist ein Produkt (oder Nebenprodukt) einer
von einer Reihe von Prozessen der Sozialisation, Transformation der künstlerischen Produktions-
Institutionalisation und durch tâgliche soziale weise, die durch die Erziehung unablassig repro-
duziert werden muB."5'1Oft wird eine Wahr-neh- bzw. Beobachtung ist eine Beobachtung zweiter
mungsweise fur natürlich gehalten, die doch nur Ordnung. Beobachter erster Ordnung beobach-
klassenspezifisch ist: „Die Illusion des,reinen', im ten Objekte. Aile ausdifferenzierten' Funktionssy-
Sinne eines ,unbebrillten Auges' ist ein Merkmal steme wie die Kunst, die Politîk sind Beobachtun-
derjenigen, die die Brille der Bildung tragen und gen zweiter Ordnung. Selbstbeobachtung ist eine
die gerade das nicht sehen, was ihnen zu sehen Beobachtung zweiter Ordnung. Kunst wird zu
ermôglicht, und ebensowenig sehen, daB sie einem Vorgang unterschiedlichen Beobachtens,
nicht sehen kônnten, nahme man ihnen, was ih­ wobei mit steigender Systemdifferenzierung, die
nen erst zu sehen erlaubt."55 Die Wahrnehmung Ausdifferenzierung von weiteren System/Um-
von Kunst wird zu einem Sonderfall von Klassen- welt-Differenzen innerhalb des Systems, auch die
ethnozentrismus, der sich gar nicht als einen sol- Komplexitët steigt.
chen erkennt. „Als ein historisch entstandenes Die Grenzen des Systems werden zur Regulierung
und in der sozialen Realitat verwurzeltes System, der Differenz benützt. Kunst als Teilsystem redu-
hëngt die Gesamtheit dieser Wahrnehmungs- pliziert das Gesamtsystem, ihre Ausdifferenzie­
instrumente, die die Art der Appropriation der rung stabilisiert das Gesamtsystem. Denn auch
Kunst-Güter in einer bestimmten Gesellschaft zu fur die Kunst gilt, Grenzerhaltung ist Systemerhal-
einem bestimmten Zeitpunkt bedingt, nicht vom tung. Der Konzeptkünstler Me! Bochner hat
individuellen Willen und BewuBtsein ab. Sie schon 1970 mit einer „Theory of Boundaries"
zwingt sich den einzelnen Individuen auf, meist gearbeitet.
ohne daB sie es merken, und bildet von daher die Die Théorie der Kunst als beobachtendes System,
Grundlage der Unterscheidungen, die sie treffen als selbstreferentielies System mit der Fâhigkeit,
kônnen, wie auch derer, die ihnen entgehen."56 Beziehungen zu sich selbst herzustellen und diese
Kunst wird zu einem sozialen Code als eine histo­ Beziehungen zu diffërenzieren gegen Bezîehun-
risch bedingte Institution. Dieser Auffassung gen zur Umwelt, dient zwar unserer Auffassung
widerspricht Luhmann. von der Konstruktion der Kunst („Jede Kognition
Niklas Luhmanns Théorie sozialer Système hat als ist Konstruktion" bzw. „ Ein Kunstwerk unter-
Ausgangspunkt die Differenz von System und scheidet sich, um beobachtet zu werden", sagt
Umwelt. „Draw a distinction" leitet er vom For- Luhmann), aber sie unterschlëgt die historische
menkalkül des Logikers Spencer Brown ab.57 bzw. soziale Komponente. Die Autonomie der
Système kônnen ohne Umwelt nicht bestehen. Kunst verdanke sich der Doppelung von Beob­
„Sie konstituieren und sie erhalten sich durch achtung erster und zweiter Ordnung. Sie bestehe
Erzeugung und Erhaltung einer Differenz zur im Praktizieren dieser Differenz.60Aber wie kônn-
Umwelt, und sie benutzen ihre Grenzen zur te Luhmanns Théorie erklëren, daB die Kunst ihre
Regulierung dieser Differenz."58 Man muB aber Welt auf dieser Differenz begründet, es sei denn
zwischen der Umwelt eines Systems und Syste- durch den geschichtlich-sozialen Kontext?
men in der Umwelt dieses Systems unterscheiden. Die Basis fur die scheinbare Unabhangigkeit von
Es gibt verwirrende wechselseitige System/Um- historischen Bedingungen, die in funktionalen
weltbeziehungen, ahnlich den Text/Kontext- und formalen Ausdifferenzierungen von Syste­
Beziehungen. Diese Wiederholung der Systembil- men bestëtigt werde, liegt aber allein im histori­
dung in Systemen nennt Luhmann Systemdiffe- schen ProzeB, der zum Auftauchen dieses auto-
renzierung. „ Innerhalb von Systemen kann es zur nomen Feldes führte, sagt Bourdieu in Principles
Ausdifferenzierung weiterer System/Umwelt-Dif- o f a S o d o lo g y o f C u ltu ral W o rk s .5' Die Verweige-
ferenzen kommen."59 Der Beobachter einer Un- rung des Historischen bedeutet die Verweige-
terscheidung muB sich als System in einer Umwelt rung, die eigenen sozialen Voraussetzungen der
erkennen. Die Beobachtung anderer Beobachter Môglichkeit dieser Verweigerung zu sehen. Es
sind die sozialen Bedingungen der Geschichte, in Bestimmungen jenseits der Werke und Perso-
denen die Freiheit, diese Bedingungen zu ver- nen"65 untersucht werden und wird dadurch
nachlassigen und von autonomen Produkten zu nicht von anderen Diskursformen wie Wirtschaft
sprechen, d. h. die Unterscheidungen nicht zu und Recht abgekoppelt. In diesem ProzeB, durch
kennen bzw. zu beobachten, institutionalisiert diese Methoden der Diskursanalyse wird das
worden ist. Die Appropriation der kulturellen Soziale der Kunst inversiv. „Derselbe ProzeB ver-
Güter muB also als sozialer Code begriffen wer- wandelt das Soziale der Kunst von einer externen,
den, der geschichtlich konstruiert ist. Der kulturel- reprësentativ-funktionsbedingten in eine interne,
le Kanon muB als gesellschaftlich akzeptiertes funktionsauslosende Kategorie."66Zwischen dem
Herrschaftsinstrument, als sexistische, rassistische institutionellen Aufbau der modernen Gesell-
Hegemonie erkannt werden. Andernfalls legiti- schaft und der modernen Kunst werden gemein-
miert Kunstgeschichte kulturell vermittelte Herr- same vermittelnde Strukturen gesehen.67 Statt
schaft.62 Kontextuelle Kunst und „social art Abkoppelung und Abschirmung der Kunst von
history" versuchen, die Struktur des Herrschafts- der Gesellschaft (im Namen der ..Autonomie"),
diskurses zu unterbrechen, indem sie eben die ohnehin nur fiktiv und imaginâr, aber wahr-
Bedingungen geschichtlicher Produktion und scheinlich gerade deswegen unvermeidlich, fin-
Rezeption von Kunst artikulieren. det ein Rekurs auf das Reale statt Eine Reduktion
der Fiktionen, Benthams Programm, wird auf
T. J. Clark, Serge Guibault, Michael Baxandall und
andere Weise erneut unternommen.
Thomas Crow stehen für neue sozialhistorische,
Gegen den autonomen Kunstbegriff und gegen
strukturanalytische und rezeptionstheoretische
die traditionelle Basis der Kunstgeschichte, das
Ansatze der Kunstgeschichte, die sich auf Bach-
Einzelwerk, argumentiert seit einigerZeitauch die
tins Kontexttheorie berufen.63 Diese Schule,
moderate Kunstgeschichte selbst. Wolfgang
annonciert 1972 als eine Sérié von Studien unter Kemp, Kunstgeschichtler in Marburg, hat ein For-
dem Titel Art in Context, hg. von John Fleming schungsprojekt für eine neue Kunstgeschichte
und Hugh Honour, N.Y. Viking Press, will im entworfen: K o n te x te . F ü r e in e K u n s tg e sc h ich te
Gegensatzzurtraditionellen Méthode, die Kunst­ d e r K o m p l e x i t â t Er wirft den Museen und der
geschichte als autonome Formengeschichte defi- formalistischen Kunstgeschichte „Kontextraub"
niert und sich allein auf das Werk beruft, extrinsi- vor. Daher soll das Kunstwerk durch seinen origi-
sche Kategorien aus der Interprétation und Krea- nalen Kontext, seine Ortsbeziehung und Situati-
tion des Werkes nicht ausklammern und den onsbindung wieder in sein Recht gesetzt werden.
geschichtlichen Kontext im Stil, im Formalismus In Berufung auf E. D. Hirsch umfaSt der Begriff
des Werkes selbst erkennen. Sie versucht, die Kontext: „the entire physical, psychological, so­
Institution Kunst als Diskurs zu analysieren und cial and historical milieu in which the utterance
soziale Diskursformen künstlerischer Praktiken occurs".69 Bachtins Situations-Définition kehrt
jenseits von Werk und Person zu beschreiben. weich wieder. Hinzu 'kommt aber die Einsicht,
Helmut Draxler, der dieser Schule nahesteht, ent- daB Kontexte nicht gegeben sind, sondern gebil-
wirft für die Praxis der Kunstgeschichte 3 Ebenen det werden. Kemp bezieht sich auf die „struktu-
an Kontexten: „Kunst steht immer erstens im relle Koppelung" von Organismus (Werk) und
Umfeld von anderer Kunst, zweitens in Beziehung Milieu (Kontext), wie sie von der ôkologisch ori-
zu Begriffen, Diskursen und Institutionen, die als entierten konstruktiven Systemtheorie (Bateson,
die wichtigsten Trëger von Ideologien zu gelten Maturana, Varela) entwickelt wurde. Für Luh-
haben, und drittens im Dienste von Interessen, manns Begriffskorrelat System/Umwelt setzt er
die da heiBen: Geld, Macht, Prestige e t c " * Wird ein Werk/Kontext und kommt daher zum SchluS:
Kunst als Diskurs definiert, kann sie als „ein „Wie jede ÂuBerung kann Kunst ohne Kontext'
Geflecht von Begriffen, Praktiken und sozialen nicht gedacht werden."70
Die Beziehung Werk und Kontext darf aber ni'cht Guy Debord, Michèle Bernstein, Asger Jorn, Con­
differentiell wie System und Umwelt gedacht stant, Giuseppe Pinot Galiizio, Raoul Vaneigem,
werden, sondem im Sinne Bachtins als verfranst, Jacqueline de Jong etc. Diese Bewegung sollte
als austauschbar, nicht ganz abgrenzbar. Derrida einen unglaublichen EinfluB ausüben.77 Pinot Gal-
hat in einem bedeutenden TexXS ignatur, Ereignis, lizio reichte seine ldeen weiter an eine jüngere
K o n te xt (1972) darauf hingewiesen, daS ein Kon­ Génération von Künstlern in Turin, nâmlich an
text sich niemals exakt bestimmen lâBt und daher Mario Merz, Micheiangelo Pistoletto, Giulio Paoli-
Kontext und Kunst niemals exakt separierbar no und wurde zu einem der Vorvater der Arte
sind: „Abersind die Erfordernisse eines Kontextes Povera. In Britannien wurde die gesamte Subkul-
jemals absolut bestimmbar? Ich môchte zeigen, tur-Szene beeinfluBt, von Alexander Trocchi bis
warum ein Kontext niemals absolut bestimmbar zu den Sex Pistols. Constants urbanistische Ent-
ist, oder vielmehr inwiefern seine Bestimmung würfe, Megastrukturen und hëngende Sektoren
niemals absolut bestimmbar ist, oder vielmehr beeinfluSten die utopische Architektur der 60er
inwiefern seine Bestimmung niemals gesichert Jahre. Viele europëische Künstler hatten direkt
oder gesâttigt ist."7' oder indirekt Kontakte zur S. !., z.B. Daniel Buren,
Art & Language, die MDnchener Gruppe Spur,
Marcel Broodthaers, aber auch Theoretiker wie T.
VI. (Debords konstruierte Situationen)
J. Clark, J. Baudrillard. Ihren Hôhepunkt erreichte
der EinfluB der S. I. bei den Unruhen im Mai 1968
W ir m û ss e n w e ite r k o m m e n , o h n e a n ir g e n d -
in Paris. Guy Debords Buch D ie G eseiischaft des
ein em A s p e k t d e r m o d e rn e n K u ltu r o d e r s o g a r
S p ek ta ke ls (1967) wurde zu einer der meistzitier-
deren N é g a tio n h ë n g e n zu b le ib e n . N ic h t a u f das
ten Schriften der Kultur-, Gesellschafts- und Ideo-
S p e k ta k e l des E n d e s d e r W e lt w o lle n w ir h in -
a rb e ite n , s o n d e rn a u f d a s E n d e d e r W e lt des
logiekritîk. In seinem zentralen situationistischen
Spektakels.
Manifest ra p p o r t s u r la c o n s tru c tio n des s itu a ­
tio n s e t s u r les c onditions d e l'o rg a n is a tio n e t de
G u y D e b o rd , 1 9 5 9
l'a c tio n d e la te n d e n c e s itu a tio n n iste in te rn a tio ­

Die Situationistische Internationale (1957-1972) nal (1957) erkennen wir, daB es Debord nicht
hat das Schicksal der Kunst als virtuose Hypokrisie mehr um die Erschaffung eines Werkes (oder Tex­
im Zeitalter der bürgerlichen Spektakel- und Kon- tes) geht, sondern um die Konstruktion einer
sum-GeselIschaft erkannt und mit einer Radika- Situation (eines Kontextes). Nicht die künstieri-
litët sondergleichen - vielleicht vergleichbar nur sche ÂuBerunç interessiërt, sondern die „soziale
mit der aktionistischen Szene in Wien um 19.65 - Situation" (Bachtin), in der die ÀuBerung
die Konsequenzen daraus gezogen, nâmlich nicht gemacht wird. Die soziale Konstruktion von Situa­
àllein „eine Kritik der revolutionëren Kunst zu tionen zielt nicht auf Kunst, sondern auf Leben..
unternehmen, sondern eine revolutionâre Kritik Henri Lefebvre hat 1947 seine K ritik des A lltè g s lê -
jeder Kunst" (Debord). Die Komplizenschaft der b e n s publiziert, einen Appell, das âlltâgliche
Kunst mit der Hegemonie, mit der dominierenden Leben zu transformieren. Im übrigen ein surreali-
Macht erkennend, war ihr Programm eine Kunst stisches Konzept. Sartres Konzept der Situation
jenseits der Kunst, eine kulturelle Subversion, wo (bei ihm auf die Existenz bezogen) übertrug
Kunst und Soziales untrennbar wâren. Die Grup- Debord auf das âlltâgliche Leben. Lukâcs' Dialek-
pe wurde 1957 gegründet und entstand aus Mit- tik von Subjekt-Objekt und seine Théorie der
gliedem von Cobra, Lettrismus und MIBI (Interna­ Reifikation der Arbeit in der Ware übertrug
tionale Bewegung fur ein imaginistisches Bau- Debord auf die Konsumgesellschaft der Nach-
haus). Zu ihren zentralen Mitgliedern gehôrten: kriegszeit. Die Existenz wurde. so zu einer Sérié

25
G uy D eb o rd , M ém o ires, 1959

Braco D im itrijevic, S e lf P o rtra it a fte r R em brandt,


1968

26
von Situationen alltâglichen Lebens bzw. das ail- Interventionen, Ereignisse, Events, Happenings,
tâgliche Leben wurde zu einer Sérié von Situatio­ Situationen sollten das àsthetische Objekt der
nen. Wollte man das Leben ândern, muBte man historischen Kunst auflôsen. 1959 erscheint in der
also die Situationen des Alltags im Alltag ândern, Nr. 3 des Bulletin der S. I. eine Notiz über das
d. h. konstruieren. Eine „konstruierte Situation" A b s te rb e n d e r K unst. "Ein Gespenst geht um in
ist ein „durch die kollektive Organisation einer der bürgerlichen Zivilisation, das Gespenst der
einheitlichen Umgebung und des Miteinander- Infragestellung ihrer Kultur, die in der modernen
spielens von Ereignissen konkret und .mit voiler Auflôsung ail ihre Kunstmittel zum Vorschein
Absicht konstruierter Moment des Lebens".73Von bringt."77So wie das Umherschweifen (dérive) als
der Situation erweiterte Debord sein Konzept auf „experimentelle Verhaltensweise des beschleu-
die Stadt und von der Stadt auf die Gesellschaft. nigten Durchgangs durch verschiedenartige
Der „ unïtâre Urbanismus" war die „Theorie des Umgebungen" die Arbeit ersetzen sollte, soll das
totalen Gebrauchs der Kunstmittel und Techni- „ détournement" (die Diversion, die Zweckent-
ken, die zur vollstandigen Konstruktion einer fremdung) die Kunst ersetzen: „die Eingliederung
Umwelt in dynamischer Verbindung mit Verhal- jetziger bzw. vergangener Kunstproduktion in
tensexperimenten mitwirken."" Ivan Chtcheglov eine hôhere Konstruktion der Umwelt"... Das. was
alias Gilles Ivain hat 1953 einen „ neuen Urbanis­ wir heute mit einem Ausdruck Bourdieus bzw.
mus'' vorgestellt, dem es darum ging, „die Wirk- von Alfred Sohn-Rethel Appropriation nennen.
lichkeit zu modulieren... und neue bewegliche Im gleichen Bulletin schreibt Debord über D é to u r­
Szenarien zu erfinden".75 Für eine legendâre n e m e n t als N é g a tio n u n d Vorspiel: „Die Zweck-
Nummer von T h e T im e s L ite ra ry S u p p lé m e n t, entfremdung d. h. die Wiederverwendungbereits
Aug./Sep. 1964, faBte Michèle Bernstein in einer bestehender Kunstelemente innerhalb einer neu-
kurzen Synopsis die Ziele der Situationistischen en Einheit... Die beiden grundlegenden Gesetze
Internationale zusammen: „As a start they aimed der Zweckentfremdung sind der Verlust der
to go beyond artistic specialization - art as a sepa- Wichtigkeit - der bis zum Verlust des ursprüng-
rate activity - and delve beneath that whole lichen Sinns gehen kann... und zu gleicher Zeit
movement for breaking-up language and dissolu­ die Organisation einer neuen bedeutungsvollen
tions of forms that had constituted modem art at Gesamtheit..."78 Artefakte der Kunst werden in
its most authentic. It was decided that the first neuen Kontexten revitalisiert. Autor und Original
field of their future creativeness would embrace werden abgewertet bzw. aufgelôst. Die Zeichen
experiments in behaviour, the construction of flottieren frei (Baudrillard). „Jedes Zeichen ist für
complété settings, moments of life freely crea- Verwandlungen in etwas anderes empfanglich,
ted".76 Es ging also um die Erschaffung einesfrei- sogar in sein Gegenteil", schrieben Debord und
en Lebens und nicht bloB freier künstlerischer For- Gil J. Wolman in ihrem Essay M o d e d 'e m p lo i du
men. Die Betonung auf Umwelt und Verhalten im d é to u rn e m e n t (1956). Das 1957 vorbereitete und
alltâglichen Leben als Bühne der Konstruktion 1959 publizierte Buch Guy Debords M é m o ire s
von Situationen desertiert die historische Kunst- mit malerischen Akzenten von A. Jorn ist ein
produktion von asthetischen Objekten. Daher frühes Meisterwerk der Zweckentfremdung und
hatten ab 1962 auch avancierte Künstler wie Jorn der Appropriation: „Debords und Jorns ganz aus
keinen Platz mehr in der S. I. Kunst wird ersetzt vorgefertigten Elementen zusammengesetztes
durch „eine Méthode der experimentellen Kon­ Buch M é m o ire s (in dem jede Seite nach allen
struktion des alltâglichen Lebens" (Debord). Eine Richtungen hin gelesen werden kann und in dem
„neue Wirklichkeit" soll durch die situationisti- die Wechselbeziehungen der Sâtze immer unvoll-
sche Konstruktionen gebildet werden. Eingriffe, endet b Iei b en) " . r- Die polyphone Stimme
Bachtins, wobei die eigene Rede aus Elementen universale Mediatisierung und durch die Techno- J
fremder Reden aufgebaut ist, und der unendliche transformation der Welt entstand. Die Differenz j
Raum der Interprétation sind hier zu hôren, aber zwischen Bild und Sachverhalt, zwischen Reprâ- i
auch die Technik des Cut up von Burroughs wie sentation und Realitât, zwischen Abbildungssy- !
die Methoden der Appropation Art der 80er Jah- stem und Welt wurde erforscht. Diese Krise der I
re. Représentation hat aber nicht nur die Medien- |j
Im Artikel über das A b s te rb e n d e r K u n s t heiBt es kunst erfaBt, sondern auch die traditionelle s
weiter. „Die Situation fassen wir als das Gegenteil Kunst. Die Medienkunst, ob Fotografie, Film oder il
des Kunstwerkes auf. Was wir eine zu konstru- Video hat für die Differenz von Bild und Wirklich- )|
ierende Situation nennen, ist die Suche nach einer keit allerdings spezifische Verfahren entwickelt, |
dialektischen Organisation vorübergehender, teil- z.B. die Isomorphie bzw. formale Selbstreferenz.
weise vorhandener Wirklichkeiten."ao Das Pro- Die Gleichheit der Gestalt bzw. Form in der Wirk- |
gramm der Wiedergewinnung der Wirklichkeit lichkeit und im Abbildungsmedium, die Fort- i
durch die Avantgarde hat mit den künstlerischen führung der Form des Gegenstandes im Foto, im I
Praktiken, Techniken und Topoi der S. I. (Kon- kinematographischen oder videographischen Bild ;j.
struktion, Situation, Zweckentfremdung, Um- selbst nenne ich Isomorphie. Diese künstlerische
welt, Alltag) einen radikaien, neuen Ansatz ge- Praktik der Isomorphie hatte aber nicht das Ziel, |
funden. Die Konstruktion von Situationen bedeu- eine Einheit zwischen Bildwelt und Objektwelt f
tet die künstlerische Teilhabe an der Konstruktion vorzutauschèn bzw. zu stiften, sondern im Ge- \
des (alltaglichen) Lebens, d. h. der Wirklichkeit. genteil auf den Unterschied hinzuweisen, auf |
Die zentraie Idee war die Konstruktion von Situa­ eine prinzipielle Differenz. Diese Isomorphie (glei- !
tionen, d. h. die konkrete Konstruktion von che Form) hat sich selbstverstândlich auf Katego- !
momentanen Lebensumwelten mit neuen leiden- rien des Raumes und der Zeit bezogen. Echtzeit, |
schaftlichen Quaiitâten. Durch methodische Inter- Simultaneitât (gleiche Zeit), 1:1-Abbildung, Ska- |
ventionen, Eingriffe in reale Ereignisse, sollte eine lierung (gleiche GrôBe), Positionierung, Lokalisie- |
interaktion zwischen der materiellen Umgebung rung (gleicher Ort), gleiche Dauer wurden zu s
des Lebens und dem Verhalten, das ihm ent- axiometrischen Pramissen einer neuen Àsthetik '
springt und das es transformiert, stattfinden. der Selbstreferenz. Diese Selbstreferenz war aber |
gleichzeitig als konstruierte bekannt und künstle- f
rische Intention. Die Konstruktion der Selbstrefe- J
VII. (S elb stre fe re n z, R e fe re n tia litât und renz geschah 1. im BewuBtsein einer Beobachter- j
Relationalitât) Relativitât, also einer perspektivischen Position, |
von der aus die Beobachtung und Konstruktion J
T h ere is a „s h e ll" p la c e d b e tw e e n th e e x te rn a l stattfindet, und 2. im BewuBtsein einer Differenz l
„ e m p ty " m a te ria l o f p la c e a n d th e in te rio r, e m p ty von System und Umwelt, von Abbildungssystem j
m a te ria l o f la n g u a g e : Systems o f in fo rm a tio n exist und Wirklichkeit. Die Àsthetik der Selbstreferenz 5
h a lfw a y b e tw e e n m a te ria l a n d c o n c e p t w ith o u t war also systemtheoretisch definiert, und als sol- f
b e in g e ith e r one. che ein Denken der Differenz, eine Kritik des Prin- f
D a n G ra h am , 1 9 7 6 zips der Identîtât (A = A). Indem das Bild „A'' an |
die Stelle des Objektes A rückte und scheinbar |
Wesentliche Aktivitâten der Medienkunst, die beide formai ineinander übergingen, aber doch J
sich in den 60er Jahren zu formieren begann und der Unterschied, wenn auch fein, erkennbar f
P e te r W eibel, Selbst- welche die Maschinenkunst der Zwischenkriegs- blieb, sollte eben die Differenz zwischen Bild „A" |
p o rtrà t als A nonym us, zeit ablôste, beschaftigten sich mit dem neuen und Objekt A betont werden, also die Gleichung |
1967 Wirklichkeitsbegriff, der durch die einsetzende „A";*A aufgestellt werden. Kritik am Identitâts- I

28
prinzip bedeutet daher Kritik an der ontologi- von ihrer formalistischen Konzeption, die sich als
schen Konzeption der Wirklichkeit, an der Wirk- Beschrânkung erwies, befreit. Dan Grahams Weg
iichkeît, wie sie ist. „Gerade das Identitëtsdenken vom selbstreferentiellen Poem S c h é m a (1966)
zu denken, heiBt, gegen die Identitët selbst, über die Kritik des Minimalismus in seinen Foto-
gegen Identisches zu denken, damit aber gegen grafien H o m es f o r A m e ric a (1966/67) zu seinen
das, was ist."8’ Wenn Identitët das ist, was ist, behavioristischen Verhaltensexperimenten ist ex-
dann bedeutet Nichtidentîtât nicht das, was nicht emplarisch. In einem Essay über die Skulptur-De-
ist, sondem eine Ontologie (des Seins) wird ersetzt finition in der Geschîchte der Moderne M ic h a e l
durch eine Semiosis (des Werdens), wo die Wirk­ A s h e r a n d th e C onclusion o f M o d e rn is t S cu lp tu re
lichkeit, das was ist, nur ein Moment ist. Hegel hat Benjamin H. D. Buchloh83 den historischen
selbst war sich bewuGt, dal3 Identitët mit sich Kontext dieser Selbstreferentialitët aufgezeigt.
selbst eine absolute Kontradiktion ist. Innerhalb Die Entdeckung des logischen Positivismus, der
der Hegelschen Dialektik spielt das Nichtidenti- analytîschen Philosophie, der Semiotik, von Mer-
sche die Rolle des Moments. „Etwas ist nur inso- leon-Pontys P h én o m é n o lo g ie d e r P erze p tio n und
fern aufgehoben, als es in die Einheit mit seinem von Wittgensteins Schriften, die Wiederent-
Entgegengesetzten getreten ist; in dieser naheren deckung der plastischen Prinzipien Und theoreti-
Bestimmung als ein Reflektiertes kann es passend schen Positionen von Duchamp und den russi-
Moment genannt werden."82 Im Moment sind so- schen Konstruktivisten führten bei André, Judd,
mit Einheit und Entgegengesetztes in eins ge- Flavin, Stella, Morris zu einem formalistischen
setzt. Bei Hegel aber negiert sich die Nichtiden- Konzept der Selbst-Referentialitët auf der Ebene
titët selbst zugunsten der Identitât. Da es das Sein der Form (shaped canvas), der Farbe, des Ortes,
der Momente ist, in der Bewegung des Ganzen des Materials usw. Das Diktum der Selbstreferenz
zu verschwinden und das Nichtidentische die Rol­ lautete: Ein Werk solle nicht über sich selbst hin-
le des Moments spielt, ist das Sein des Nichtiden- ausweisen, nicht über seine bloBe Materialitët;
tischen begrenzt, endlich. Im Denken der Diffe- seine Form solle nichts widerspiegeln auBer sich
renz hingegen negiert sich die Identitët zur Nicht- selbst; die Struktur solle ein rëumliches Zeichen
identitët, womit die Wahrhéit nicht nur als das seiner selbst sein. Die minimalistische Skulptur hat
Ganze ist, sondem ein Fragment eines unendli- aber selbst bereits die formalistische Konzeption
chen Prozesses der Selbstreflexion des Denkens. der Selbstreferenz zu überschreiten versucht, z. B.
Hegels Dialektik hat zwar das Moment der Diffe- die M irro re d Cubes (1964 - 65) von Robert Mor­
renz,.das Heraustreten des Begriffs in seine Ent- ris. Folgende Begriffe gewannen Bedeutung bei
gegensetzung hervorge'bracht, aber in der Tota- der Transgression der formalistischen.Selbstrefe-
litât seines Wahrheitsbegriffs abgeschlossen. Die rentialitât: Spezifitat (Judd), Ort (André) und Prâ-
Momente der Differenz sind aber unendlich. Der senz (Flavin).
Moment ist nicht nur als Moment des Ganzen Vom heutigen Standpunkt aus kann man den
Moment, sondern das Ganze ist ein besonderer minimalistischen Werken einen pragmatischen
Moment der Momente. Identitët ist also nur ein Reduktionismus vorwerfen. Die historische Be-
Moment in der unendlichen Entfaltung der Nicht- schranktheit des in der minimalistischen und
identitët. Identitët wird in dieser Sicht zu Finitheit postminimalistischen Skulptur (z. B. Serra) formu-
des Daseins, zur Grenze. Eine dynamische, nicht lierten Qberschreitens der bloB formalistischen
abgeschlossene, offene, unendliche Welt, aus der Selbstreferenz ist auf ihr identifizierendes Denken
momenthaft die Identitët heraustritt, ist die Folge zurückzuführen. Die Art und Weise wie die Mini-
des Prinzips der Nichtidentîtât. Dieses Prinzip der malisten Formprobleme und die damit verbunde-
Nichtidentîtât hat die Selbstreferenz der minimali- nen Problème von Ort, Materialitët, Zeit etc. R o b e rt M orris , M irro re d
stischen und konzeptuellen Kunst der 60er Jahre lôsten, erinnert an Wittgensteins satirische Cubes, 1964-65

29
• a wirklichkeit der galerie beim rninoritensaal :
b î 8 ausschnîtte 20x20 cm aüs der wirkiichkéit der galerie beim
rninoritensaal ' _
c 18 repràduktibrien 20x20 cm dër18 ausscHriîttê 20x20 cm ails
der wirkiichkéit der galerie beim mînoritensaài auf den aus-
scbnitteh 20x20 crii aus der wirkiichkéit der galerie beim mlrio-
ntensaal ' .

a wirkiichkéit -
b auswahi der wirkiichkéit •
c kâtaiog
d aüsstellùrig

,-■ V ' 1972


r.krieschë

30
Gottfried Bechtold, Fazilet I, 1978 Gottfried Bechtold, Waagen, 1973

G o ttfrie d B echtold, Fazilet III, 1978 G o ttfrie d Bechtold, P ro je kt H erkules, Entw urf fur eine installation im Festsaal
(Herkulessaal) des Palais Liechtenstein, Wien, 1980-83,
gine that there was a blank left for it, and that
now it fits into it exactly.) Does this spot • ,fit' into
its white surroundïng? - But that is just how it
would look if there had been a hole in its place
and it then fitted into the hole..."3'1Die skulptura-
len Objekte der Minimal Art scheinen Dinge zu
sein, die genau in die Leerstellen passen, die
unsere Imagination fur sie offen gelassen hat. Die
offenen Würfelkombinationen von Sol LeWitt
oder die Platten von André scheinen besonders
solche schwarzen Punkte zu sein, die in ihre
Umgebung passen. Die Lehre des shaped canvas
istin derTat, siehe da, nachdem wirZickzack-Lini-
en auf eine zickzack-geformte Leinwand gemalt
haben, pa8t das Gemâlde erstaunlicherweise
genau in den R.ahmen sowie die Bodenplatten
genau dort eine Leerstelle am Boden finden, wo
wir sie hinplazieren. Diese Leerstellen finden sich
R ichard A rts c h w a g e r, Tisch m itro s a Tischtuch, 1964 natürlich überall, so wie jede Flasche erstaunli­
cherweise in ihre Form paBt. Die offenen Würfel-
strukturen haben in derTat die wahrgenommene
Form, wie wir sie uns schon immer mental vorge-
stellt haben. Wirspielen mitihnen in unsererVor-
stellung und siehe da, sie passen, da „jedes Ding
in seine eigene Form paSt".
Ein AuBenseiter dieser Bewegung hat das mini-
malistische Problem bereits praziser geiôst, Rich­
ard Artschwager, indem er Prasenz nicht iden-
tisch definierte, sondern im Zeichen der Hegel-
schen Entzweiung. In P o rtrë t I (1962) und Table
w ith Pink T a b le d o th (1964) sehen wir eine Ambi-
valenz zwischen Objekt und Biid, eine Unge-
Jasp er Johns, A ccording to W h a t, 1964
wiBheit der Identitât des Ortes, des Objektes. Der
Kasten in P o r t r ë t /schaut aus wie ein Objekt, über
das das Bild eines Kastens gestülpt ist. Das Biid
eines Tischtuches wird als Huile über einen Tisch
Attacke auf das mit sich selbst identische Ding, als Würfel gesteckt (1964). Sowird auch der Tisch
die Hegel nahe kommt: „A thing is identical with dadurch zu einem gemalten Tisch, obwohi er die
itseff. —There is no finer example of a useless pro­ 3-Dimensionalitat eines Gegenstandes hat. Ein
position, which yet is connected with a certain Moment der Identitât tritt heraus aus einer unend-
play of the imagination. It is as if in imagination lichen unaufhebbaren Nichtidentitât. Die Nicht-
we put a thing into its own shape and saw that it identitât des einzelnen Gegenstandes mit seinem
fitted. (We might aiso say: ,Every thing fits into Bild bzw. Begriff wird gerade durch die Hegelsche
itself.' Or again: ,Every thing fits into its own sha­ Dialektikals „Einheit mit seinem Entgegengesetz-
pe.' At thesame time we look ata thing and ima­ ten" gezeigt. Artschwagers Skulpturen sind

32
Gebrauchsgegenstande und nicht, Skulpturen ihre gemalten, skulpturalen und sprachlichen
und nicht, Pop-Objekte und nicht, Bilder und Reprësentationen kohabitieren, wird die Zwang-
nicht, minimalistische Würfel und nicht. Die Kon- haftigkeit ihrer Differenz sichtbar bzw. „perspek-
sistenz, Kohârenz und Identitât der Dinge lôst sich tiviert" als Sprachspiel. Das Bild beginnt bei Johns
auf, gerade indem ihnen ihridentisches Bild auf- vom Modell der Wahrnehmung zum Modell der
gezwungen wird. UngewiBheit über ihren iden- Sprache zu driften, im gleichen Jahr wie bei Art­
titâts-Status ist seit Artschwager ein Kennzeichen schwager die Skulptur.
der postmodernistischen Skulptur. Das postmo­ Artschwagers Werk stellt das Beispiel einer forma-
derne Ding schwankt zwischen Ambivalenz und len Überwindung der formalen Konzeption der
Identitât. Bei Artschwager passen Dinge nicht in Selbstreferenz im Bereich der Skulptur dar. Bis
ihre Form und die Form nicht zu den Dingen. Es heute noch nicht ausgelotet sind die Konsequen-
bleibt eine Lücke, eine befremdende Differenz. zen seiner Verletzung der Demarkationslinie zwi­
Ihr Ort ist der Nicht-Ort, ihre Identitât die Nicht- schen zeichenhafter und gegenstandlicher Welt.
identitàt aus wechselnder Perspektive. Ein Gegen- Thomas Locher z.B. ist ein radikaler Nachfolger,
stand, der mit dem Bild dieses Gegenstandes weil er die Konzeption der Selbstreferenz kontex-
identifizierend bernait bzw. bedeckt wird, müBte tuell erweitert. Für aile drei gilt eine Verletzung
eine Verdoppelung und Verfestigung der Iden- des minimalistischen Gebotes: Wo die Dinge
titat bedeuten. Aber das Gegenteil geschieht: In gegenwartig sind, darf es keine Zeichen geben
der Verdoppelung ereignet sich die Differenz, die (und umgekehrt).85Johns Bild T a rg e t ist als Bild ein
Distanz. Der Ort wird zum Unort, das Bild zum wahres Bild, als Zielscheibe eine falsche Zielschei-
Nichtbild, der Gegenstand zum Nichtgegenstand. be. Der Code ist noch nicht gânzlich verunklërt,
Eine metaphysische Krankheit befiel die selbstre- vertauscht. Die klassische Zeichentheorie schlâgt
ferentiellen positivistischen Objekte der Minimal noch durch, wie sie Augustinus formuiiert hat:
Art. Die auf dem Identitëtsprinzip aufbauende „Wie sollte ein Bild ein wahres Bild sein, wenn es
historische Demarkationslinie zwischen Skulptur nicht zugleich ein falsches Pferd wëre?" Art­
und Malerei, Volumen und Oberflâche, Objekt schwager vertauscht den Code, „derei.n Signifika-
und Bild, Gegenstand und Wort, Kunst und tionssystem ist, das eine Korrelation zwischen
Môbel, Realitât und Illusion ist gefallen. Der binâ- gegenwârtigen undabwesenden Entîtâten her-
re Code des Unterscheidens wird verschârft gera­ stellt".56 Eine Holztür an der Wand, bernait als Bild
de durch die UngewiBheit der Markierung: Prë- einer Holztür, verunsichert die Korrelation. Das
senz durch Absenz. Operationen der Nichtiden- Bild ist als Bild wahr und nicht, die Tür ist wahr
titât, die Jasper Johns auf dem Tafelbild austrug und nicht. Sie sind und sind nicht, identisch und
(Green Target, 1955; Flag, 1954- 55; Canvas, nicht. Eine kontextuelie Kritik der. formalen Selbst­
1955; C o a th an g er, 1958), verfolgt Artschwager referenz in der minimalistischen Kunst wurde von
mit der Skulptur. Michael Asher, Dan Graham, Hans.Haacke, Daniel
Identitât, so lehrt uns auch Johns, entsteht Accor- Buren, Lawrence Weiner, Marcel Broodthaers.
din g to W h a t, so der Titel eines Bildes von 1964. Peter Weibel, Richard Kriesche u. a. Ehde der 60er
Gegenstânde und ihre Bezeichnungen (z.B. Besen Jahre und Anfang. der 70er Jahre yorgetragen.
in Fool's H ouse, 1965), reale Objekte im Bild, Far- Materialien konnten nicht mehr einfach als Mate-
ben und ihre Namen (z.B. rot), finden sich in rialien, identisch mit sich selbst,. und Kunstwerke
einem relationalen und rationalen Gefüge einer nicht einfach mehr autonom angesehén werden,
verunsicherten Identitât, die sich zwanghaft sondern als „prozedural und kontextuel.l be-
GewiBheit verschafft, indem sie fast aile Phé­ stimmt".37 Der Kontext, in dem das Material oder
nomène verdoppelt. Gerade indem reale Objekte das Werk seine Bedeutung erfuhr, war der Kunst-
und ihre visuelle Représentation, reale Farbe und kontext, d. h. das Muséum, die Galerie, die
POEM SCHEMA DAN GRAHAM

1 adjectives
3 adverbs
119214 sq. ems area not oceupied by type
33 754 sq. ems area oceupied by type
1 columns
0 conjunctions
nil dépréssion o f type into surface o f page
0 gerunds
0 infinïtives
363 letters o f alphabet
27 Unes
2 mathematical symbols
38 nouns
52 numbers
0 participies
854 x S page
1754x 2254 paper sheet
offset cartridge paper stock
5 prépositions
0 pronouns
10 pt. size type
Press Roman typeface
59 words
2 words capitalized
0 words italicized
57 words not capitalized
59 words not italicized

D an G raham , Schém a, 1966, in: Art-Language no. 1 (1968), 5. 74 W illiam A nastasi, W e s t W all, D w a n M a in G allery,
1957

Joseph Kosuth, Text/C o n text, 1978 Josef K osuth, F o rt! D a l, 1985


EIN3G* 3GINCHES GROSSIR AUSSCHNITTBIS AUF OSN GRUNODES UP ON (IN) THEAtR
UATTEN- ODERMAUERWERKS AUS EINER GIPSWANO ODER DOWN ON (IN] THE GROUNO
WANOPIATTE

SEING WtTHIN THE CONTEXT OP (A] REACTION

SEING WITHTHECONTÊXTOF REACTION:

UPON (IN)THEAIR
DOWN ON(IN] THS GROUNO

Law rence W efner, o. T., 1968 L aw rence W einer, o. T.r 1974

A PICTURE 1S NO SUBSTITUTE FOR ANYTHING

SHERRIE I-EVINE

Louise Law ier, Sherrie


Levine, A Picture is No
S u bs titute fo r A n y th in g , UOUISE t_AWI_ER 407 GREENWICH STREET. NEW YORK CITY
1981

35
Geschichte der Kunst. Asher sprach von einer Seibstreferenz, wie sie wesentliche Aspekte der
„situational aesthetics", wo das Werk sich erst Minimal Art und Konzept Kunst der 60er Jahre
produziert durch minimale Interventionen („using leitete, hat durch den radikalen Konstruktivismus
just éléments which already existed without a (von Foerster, Maturana, Varela u. a.) und die
great modification to the space"), oft bis an die Systemtheorie von Niklas Luhmann in verwandel-
Grenze einer sichtbaren Materialitât des Werkes, ter und erweiterter Form eine neue relevante
die sich direkt in den raumlich-historischen Kon- Bedeutung fur die Gegenwart gewonnen. Soziale
text eines Codes, eines Muséums einschreiben. Subsysteme wie die Kunst sichern aufgrund ihrer
Die Umstânde und Bedingungen einer parti- autonomen Fahigkeit zur Selbstproduktion den
kularen Situation in einem Ausstellungs-Kontext Bestand des Gesamtsystems Gesellschaft. Auto-
bestimmen das Werk. Die verborgenen Referenz- poeisis als Seibstreferenz im Konstruktivismus
rahmen, die das Kunstwerk bestimmen, wurden bezeichnet die Fahigkeit lebender Système, ihre
das Werk selbst. So durchbrach Asher den ver- eigene Organisation aufrechtzuerhalten, wobei
steckten neo-positivistischen Formalismus in der die Organisation, die aufrechterhalten wird, mit
minimalistischen Konzeption der Seibstreferenz. dem identisch ist, was die Aufrechterhaltung (der
Die formale Seibstreferenz wurde durch kontex- Betriebssysteme) durchführt. Seibstreferenz hat
tueile (râumliche, funktionale, soziale, architektu- also das Problem, zwischen Metaebene und
rale, ideologische) Referenzen aufgebrochen, die
Objektebene nicht unterscheiden zu kônnen. Die
wiederum durch kontextuelle Relationen (der
Kunst als selbstreferentielles soziales Subsystem
Nicht-ldentitat) erweitert wurden.
zu beschreiben und darin die künstlerische Praktik
Die Korrelation zwischen Prasenz und Absenz
einzurichten, ist im freien Spiel von Farbe, Form,
ersetzte den Ort. Referentialitât, Relationaütât
Flëche ausreichend, aber für die Gesamtheit der
und Kontext ersetzen die Spezifitât. Von hier aus
künstierischen Aktivitâten klarerweise nicht hin-
beginnt die künstlerische Suche nach den verbor­
genen Referenzrahmen, die das Kunstwerk und reichend. Der systemtheoretische Zugang zur
seine Bedeutung konstituieren, nach den verbor­ Kunst, die Reflexion bzw. Analyse formaler, sozia-
genen Mechanismen der Macht, denen das ler und biologischer Système in der Kunst wie
Kunstwerk dient oder widerspricht. So bildeten auch die Untersuchung der Kunst selbst als
sich die Grundlagen einer wahrhaft postmoderni- System bestimmen seit den 60er iahren weite
stischen Skulptur heraus, welche die Materialien Bereiche der Kunst. Den radikalen Gedanken der
und Produktionsprozesse der traditionellen Skulp­ Systemtheorie, daG Système nicht ohne Umwelt
tur der Moderne und Neomoderne in Frage stellt. bzw. Kontext denkbar sind und daB die Kunst-
Die zeitgenôssische Skulptur ist gezeichnet von werke Systemzustënde sind, also Eigenschaften
gestôrter Seibstreferenz, von Nicht-ldentitat, von Systemen und nicht von Subjekten, scheuen
„von Interaktionen in einem historisch definierten sich hingegen noch viele, in der Kunst zu akzep-
und konditionierten Raumzeit-Koordinatensy- tieren. Allein die Kontextkunst nimmt diesen
stem".æ Sie ist nicht Skulptur, sondem handelt Ansatz ernst. Von Sherrie Levines und Louise
von skulpturalen Phanomenen wie Beobachtung, Lawlers Statement: A P icture is n o S u b s titu te fo r
Subjekt-O bjektbeziehung, W ahrnehmung, A n y îh in g (1980) bis zu Allen McCollum P laster
Codierung, etc., die sie dekonstruiert, decodiert, S urrog ates (1990), monochromen Bildsurrogaten
deterritorialisiert. Die aus der Kybernetik der 50er aus Gips, reichen hier die Explorationen. Die kon­
Jahre, jener Wissenschaft von den Selbststeue- textuelle Referentialitât setzt die ursprüngliche
rungs- und Selbstregulierungs-Mechanismen bei Arbeit der Isomorphie als Denken der Differenz
Maschinen und Tieren, abgeleitete Théorie der gegen das Identitâtsprinzip fort.
VIII. (Konturen einer Geschichte der Kontext- art of which the material is .concepts', as the
kunst) material of ex.music is Sound. Since .concepts' are
closely bound up with language, concept art is a
M e a n in g is n o t s o m e th in g w h ic h résides w ith in kind of art of which the material is language."90
an o b je c t b u t is a fu n c tio n o f th e w a y in w h ic h Der fundamentale Wechsel vom Modell der
t h a ï o b je c t fits in to a p a rtic u la r c o n te x t... it is lite - Wahmehmung zum Modell der Sprache als Medi­
rally as „ m e a n in g fu i" to c h a n g e th e c o n te x t as it um der Kunst war hiermit formuliert. Philoso-
is to c h a n g e th e o b je c t... a r t m a y b e a c u ltu ra l phisch gesehen ist die Jinguistische Wende" im
relatio n sh ip ra th e r th a n a c u ltu ra l entity. Bereich der Humanwissenschaften das entschei-
V ic to r Burgin. Rules o fT h u m b . 197 1 dende Ereignis in unserem Jahrhundert. Nun wird
auch Kunst als linguistisches System definiert.
Minimal Art hat mit ihrer artikulierten râumlichen Damit wurde auch der Bereich der âsthetischen
Prasenz den Galerieraum als kontextuellen Erfahrung erweitert und ein neuer Erkenntnisan-
Bezugsrahmen für das Werk, und zwar architek- spruch in Bezug auf Philosophie bis Gesellschafts-
tonisch und formai, explizit benützt. Dan Flavins theorie gestellt. Henry Flynt schrieb 1960 ein
standardisierte fluoreszierende Lichteinheiten von Manuskript mit dem Titel S tru c tu re A r t a n d Pure
1963, die in jedem Geschâft gekauft werden M a th e m a tic s . In seinem Concept-Art Manifest
konnten, beziehen sich funktional und architek- heiBt es daher: «Contemporary structure artists...
tonisch auf den Galerieraum. Flavin braucht tend to daim the kind of cognitive value for their
Strom für seine Werke und installiert die Stücke in artthat conventional contemporary mathematici-
bestimmten râumlichen Situationen der Galerie. ans daim for mathematics".51
Die Stücke funktionierten nur wâhrend der Dauer Joseph Kosuth, Art and Language, Bernar Venet
der Ausstellung als Kunstwerk. werden diesen kognitiven Anspruch der linguisti-
Dan Graham hat ein weiteres Feld entdeckt, von schen Konzeptkunst weiter entwickeln. Bernar
dem die Kunstwerke abhângig sind, nSmlich die Venet machte Fotos von Buchseiten, die eine
Kunstmagazine, die durch den Abdruck photo- Analyse dersprachlichen Struktur zeigen, z.B. The
graphischer Reproduktionen des Werkes seinen L o g ic o f D e c is io n a n d A c t io n (1969) von N.
Wert mitbestimmen. Ohne eine Rezension in Rescher. In seinem berühmten Manifest A r t a f t e r
einem Magazin ist es schwierig, den Kunststatus P h ilo so p h y (1969), einer Replik auf Hegels Dik-
eines Werkes zu behaupten. So machte Graham tum, daB die Philosophie die Kunst in ihrer Repré­
Werke direkt für den Kontext von Kunstmagazi- sentation des. Geistigen abgelôst habe, hat
nen: S c h é m a (1966) und H o m e s f o r A m e ric a Kosuth die kognitive Funktlon der Kunst und die
(1966/67). S ch ém a existiert trotz seiner Selbstre- Analyse von Percepten als lîng.uistische Entitâtën
ferentialitât nur in der funktionalen Struktur des am weitesten behauptetund getrieben. Gleich-
Magazins. Im Text O th e r o bservations (1969/73) zeitig etablierte'er Kunst als ein System geselK
schreibt Graham über S c h é m a : „Es gibt keine schaftlicher Herkunft, z.B.S y n o p s is o f C ategories
Komposition. (Das Werk) ist jedoch nicht ,Kunst (1968). Er impliziert, da(3 Kunst ein System von
um der Kunst' willen. Sein kommunikativer Wert Zeichen sei, das nur im Kunst-Kontext.als solches
und seine Verstandlichkeit sind unmittelbar, gilt: „The art consists of my action of placing this
jeweils speziell und veranderbar abhângig von activity (investigation) in an art context (Le., art as
den Bedingungen (und der Zeit) seines Systems idea as idea)".52 Trotz der bekannten Seibstrefe­
oder des Kontextes (in dem es gelesen werden renz der Konzeptkunst war sie sich bewuBt, da8
kann)".59 diese nur aufgrund einer Unterscheidung im Sin-
Der Erfinder des Terminus «Concept Art" Henry ne Luhmanns funktionieren konnte, denn um
Flynt schreibt 1961: «Concept Art isfirstof ail an selbstreferentiell zu sein, muS jedes System zuerst
1,500 Shares

DAN GRAHAM INC.


Price $10 per share
D an Graham , O hne Titel,
1966.
aus der Sérié Hom es fo r
D an G raham , Incom e Piece, 1969
A m erica

In meinem Aufsatz „Homes for America " (der 1 9 6 6 -6 7 Since April 2, 1969, I hâve been perform ing activities
geschrieben wurde und im gleichen Jahr in Arts M aga­ required to allow m e to legally place an advertisement
zine verôffentlicht wurde) übernim m t die Gesamtheit (termed a "tom bstone“) in various magazines offering
d er Inform ation (wie typografisches und photografi- the prospectus describing a public offering o f stock in
sches Schéma) die Stelle der Fakten und w ird als (vom “Dan Graham, Inc. " The "object " o f this company (my
Betrachter/Leser) abstrahierte Inform ation vermittelt.
motive) wiil be to pay Dan Graham, myself, the salary o f
DA N GRAHAM,
the average citizen o ut o f the pool o f income collected
Die Zeitschrift als formaler Kontext, 1967
from the stock's sale. AU other income realized from the
A rt is a social sign. Magazines - ail Systems o f context in activities o f Dan Graham beyond the am ount will be
the art System - also serve as p art o f a social-economic returned to the investors in the form ofdividends. I, Dan
(which in p art détermines a psychological) framework. Graham, am to be the underwriter o f the forthcoming
DA N GRAHAM, 1969 issue. Advertisem ents, it is planned, w ill be placed
sequentially in a num ber o f contexts-magazines. These
are divided into "categories" as, first: The W all Street
Journal (then, in this order), Life, Time, Artforum, Ever-
green Review, Vogue, Psychology Today, The Nation.
M y intention is to solicit responses to m y companyS and
m y motives from a spectrum o f "fields”. A sampling o f
responses will be printed as additional in-form ation as
the advertisements progress. A u th o ra n d place o f publi­
cation will also be printed. In reprinting responses as
additional in-formation, I would be motivated solely to
induce (through “come-ons") the greatest response in
terms o fn ew sto ck buyers. The prospectus outlining the
terms o f the offering will also indude a valuation o f
myself and m y past activities by a friend, an artist, an
astrologer, an anthropologist, a doctor, and others.
These individuels will each take a small percentage o f
D an G raham , mode! for shares o f the stock in exchange for these services.
S k ateb o ard Pavilion,
1989 DAN GRAHAM, Income Piece, in: Rock M y Religion -
Foto: Steven White Dan Graham. Ed. by Brian Wallis, Massachusetts 1993
Joseph Kosuth, T ext/C ontext, München 1979

-L J . j y . .J L

tügwftüikly
■ « î/f t W ir t B i i» (tiQ f

Joseph Kosuth, In fo rm a tio n Room , Dënemark1970

kfWj^MiaxiÆrJpueit

Joseph Kosuth, Zéro & N o t, 1985

39
seine Differenz zur Umwelt als Unterscheidung sein."’5 Dadurch hinterfragten sie auch die Natur
von Selbstreferenz und Fremdreferenz festlegen. des Visuellen („muG visuelle Kunst wirklich visuell
Die Selbstreferenz war also nur beobachtbar in bleiben?"). In einer Sérié von Arbeiten seit 1972,
der Umwelt, dem Kontext, eines anderen die sie In d ex nannten („The index as art-work"),
Systems, z.B. dem Galeriesystem.9' Der linguisti- versuchten einige Mitglieder von Art & Language
sche Konzeptionalismus verlangte also früh nach diese Frage als „the conditions of problems" wie
einer Théorie des Kontextes. William Anastasis Ôl- Studio, Muséum, Malerei in einem neuen Kontext
gemâlde, die etwas verkleinert genau die Wand (A K in d o f C o n te xt), besonders in der Sérié Inci­
malerisch mimetisch reprâsentieren, an der sie den ts in a M u s é u m (seit 1985), zu lôsen.96 Seit
hângen, verweisen auf die Doppelbindung der dem Artikel N o te s o n th e In d e x von Rosalind
Selbst- und Fremdreferenz. Sie bilden einen Text, Krauss (O c to b e r, Nr.3 und 4, New York 1977) 97
der aus seinem Kontext besteht. Die abgebildete ist die indexikalische Natur der Photographie zum
Wand an der Wand ist ein Beispiel von Isomor- Modell postmoderner Werke geworden.
phie. Das (Abbildungs-) System differenziert sich Die konzeptuellen Arbeiten auf der Basis linguisti-
beobachtbar bzw. erkennbar von seiner Umwelt, scher Analyse in Wien nach 1960 von Oswald
aber im System (Medium) selbst redupliziert sich Wiener und Peter Weibel haben die Kontextab-
die Umwelt (Wirklichkeit). Daher geht zurecht der hangigkeit der Kunst auf spezifische Weise aus-
Kontext des Bildes in den Titel des Bildes ein: formuliert. Nach seinen Erfahrungen als experi-
S o u th W all, D w a n M a in O allery (1967). menteller Dichter seit Ende der 50er Jahre hat
Systemtheoretisches und kontextuelles Denken Oswald Wiener (Mitglied der Wiener Gruppe) zu
bestimmt auch die Arbeiten der britischen Kon- Beginn der 60er Jahre ein konzeptuelles Werk
zeptkünstler Mel Ramsden, lan Burn, Terry Atkin­ angefangen, das 1969 unter dem Titel D ie V er-
son, Michael Baldwin, David Bainbridge, Harald be s se ru n g von M itte le u ro p a , R o m an verôffent-
Hurrell. Sie vertreten als die Gruppe Art & Langu- licht wurde. Radikaler als die britischen und ame-
age eine analytische Konzeptkunst. In der Arbeit rikanischen linguistischen Konzeptkünstler sah
The G ra m m a ria n (1970) fragen Burn und Rams­ Wiener die Sprache als Medium der Sozialisation.
den, wie seinerzeit Bentham, ob dem W ort Text, z.B. Rede des Individuums, und Kontext, z.B.
„Kunst" auch eine ontologische Entitât ent- Gesellschaft, konnten bei Wiener nicht mehr so
spricht, oder ob es sich nur um eine „fallacious idealistisch und formalistisch getrennt werden
question" handelt. Um die Fragezu beantworten, wie in der angloamerikanischen Konzeptkunst,
entwerfen sie eine Théorie des Referenzrahmens sondern Wiener vertrat die Auffassung, wie wir
(framework), der als „context of rules and condi­ sie in Ansatzen schon von Bentham, Bachtin, Fou­
tions" definiert wird.,J Art & Language erkannte, cault kennen, nur noch radikaler und differenzier-
daG von Duchamps Readymades bis zu Flavins ter, daG die Sprache eben gerade jener Kontext
Lichtstücken die „Kunst" abhëngig vom Kontext sei, namlich die gesellschaftlich konstruierte Wirk­
der Museen, Galérien und Kunstmagazine ist. In lichkeit, von der sie uns angeblich hilft, sich abzu-
S o m e N o te s on Practice a n d T h eory ( 1969) schrie- grenzen. Indem wir sprechen, konstruiert der
ben lan Burn und Mel Ramsden: „Ein Kunst- Staat mit Hilfe der Sprache die soziale Wirklich­
werk... ist nicht ein Kunstwerk wegen irgendei- keit. Wahrend die anderen Konzeptkünstler der
nes phantastischen ÀuBeren, sondern aufgrund Sprache als Môglichkeit der Analyse und Kritik
seiner spezifischen Rolle innerhalb des Kunstkon- noch vertrauten, miGtraute Wiener gerade jenem
textes... Es bildet einen allgemeinen Zug... der Medium, in dem er seine Kritik ausdrückte, der
jungen Kunstpraxis, daG das Kunstwerk von einer Sprache. Kritik an der Umwelt, an der Wirklichkeit
symbolischen Position innerhalb des Kunstkon- im Medium Sprache ist deshalb zweifelhaft, weil
textes abhângt, soll es als Kunstwerk erkennbar eben die Sprache diese W irklichkeit, diese
Valie Export,
K o n te x t Variationen,
1971

Kontext-Variationen:
Zustandsânderungen

5
T .
Bedeutungsverànderungen

7.
Stein als Fels ist Natur,
Stein als M auer ist
Zivilisation

2.
Energieaustausch Feuer

3.
Négative Leerstelle,
Brandwunden in der Natur

4.
Brandwunden am Stein5

5.
Steine, die zuerst als
Steinmauer in die Natur
eingegriffen haben,
erscheinen nun als
Elemente der Natur, die in
die Zivilisation eingreifen.
Die Steine, die von den
Menschen weggetragen
werden, erhalten ihre
■Bedeutung durch den
persôniichen Kontext, in
den der Mensch sie stellt.
Jeder, der einen Stein
wegtrâgt, was tragt er?
Einen Stein, ein Stück
Natur, ein Stück Brot, ein
Stück Zivilisation, ein
Kunstwerk?

41
In te rio r S itu a tio n - E x te rio r S itu a tio n
Aktion bei einer Familie in der Grazer Triestersiedlung

1. V o rga ng
Ein Innenraum w ird so fotografiert, daB jeweils von der
gegenüberliegenden W and ein Foto gem acht wird. Diè­
ses Foto w ird a u f OriginalgrôBe vergrôBert und a u f der
betreffenden AuBenw and der W ohnung angebracht.
Dam it wird das Innere nach auBen gestülpt.
2. Video
Die M ontage der Fotos w ird m it einem Videorecorder
aufgezeichnet und a u f einem innerhalb des Wohnrau-
m es befindlichen M o n ito r live w iedergegeben. Die
W ohnungsinhaber werden von einer zw eiten Vide o-
R ichard Kriesche, h ie r
Kamera aufgezeichnet, wie sie im M onitor sehen, was
w ird ein ku n s tw erk
drauBen vor sich geht. Diese Aufzeichnung wird wie-
angebracht..., ein Kunst- derum nach drauBen übertragen (Zeichnung)
am-Bau-Projekt,
Radkersburg, 1971 3. P rés en tatio n im K ünstierh au s
Aufstellung zw eier Monitoren, die Qber je eine Kassette
(ca. 10 M in.) gleichzeitig das Innen und AuBen wieder-
geben.

4. D é m o n s tra tio n im K ü n stierhaus


Die Eingangssituation m it Aufseher, Kassa etc. w ird
fotografiert und in OriginalgrôBe a u f der Eingangsfront
des Künstlerhauses befestigt. Kamera innen und auBen
sind diesmal a u f DirektschluB gestellt. Ein M onito r ist
innen, einer auBen.

J . ÏÏ

Richard Kriesche,
In te rio r S ituation -
E xte rio r S ituation,
Aktion bei einer Familie in
der Grazer Triester- R ichard Kriesche, In te rio r S itu a tio n - E xte rio r Richard Kriesche, In te rio r S itu a tio n - E xterior
siedlung, trigon '73, Graz S itu a tio n , Aktion bei einer Familie in der Grazer S ituation, Aktion bei einer Familie in der Grazer
1973 Triestersiedlung, trigon '73, Graz 1973 Triestersiedlung, trigon '73, Graz 1973
Videoinstallation 1
Gleichzeitiges
Sichtbarmachen von zwei
Raumsituationen bezogen
au fd ie Galeriebesucher.
Durch die installation je
einer Videokamera
auBerhalb bzw. innerhalb
der Galerie sehen sich die
Galeriebesucher
gleichzeitig hineingehen
und bereinkommen.

Richard Kriesche, V ideoinstallation 1, Neus Galerie,


Graz 1973

ô ffe n tiic h e b ru c k e r b rid e r

1) ... w ir werden im rahm en der kulturinitiative eine


aktion in derstadtsetzen, die sich m it der büderwelt der
stadt auseinandersetzen wird. w ir werden an hand der
als,bilder' ausgezeichneten gegenstânde (an exponier-
ter stelle gehëngt, gerahmt, von einem besitzer als sol-
ches bezeichnet etc.) a u f den widerspruch von alltags-
realitât und kulturellem überbau hinweisen.
die ausstellung w ird gelegenheit geben, unsere zielvor-
stellung der kulturinitiative d ér ôffentlichkeit vorzu-
stellen.
die ausstellung wird neben den reproduzierten bildern
auch deren eigentüm erin einer audiovisuellen aufbeœi-
tu ngzu w ort komm en lassen. da es sich um ôffentiiche
bilder bzw. skulpturen handeln wird, werden eben die
ôffentlichkeit bzw. deren reprasentanten zu w ort kom ­
men.
die zentrale frage richtet sich nach der wertigkeit von
bildern fur das leben und im leben des von uns ange-
sprochenen.
Richard Kriesche, Peter Gerwin Hoffmann
sus: ôffentiiche brucker bilder, Bruck an der Mur, 1979 P ete r G erw in H o ffm a n n , Richard Kriesche, Ô ffen tiiche Brucker Bilder, 1978

43
Umwelt mitkonstruiert hat. Wenn der Text zum wie auch „künst!erische" Aktivitâten inner- und
Kontext wird, ist das System Sprache gerade jene auGerhalb des Muséums, die allerdings als solche
Umwelt, von der sich das Subjekt absetzen will. nicht erkennbar waren, wurden realisiert, ebenso
Zweifel und Kritik an der Sprache sind also Vorbe- sehr spezifische Interventionen in Galérien und
dingungen einer Kritik an der Wirklichkeit. mit Publikum von kulturellen Veranstaltungen,
Wiener konstruierte daher bereits 1958 und 1959 z.B. P u b lik u m s a u s p e its c h u n g (1968), explodie-
im Rahmen der literarischen Cabarets der Wiener rende Kinoleinwënde, etc. etc.99 Das Programm
Gruppe Ereignisse, „Begebenheiten" (wie er sei­ der K u n s t als K rim in a litë t führte 1971 zur K o n -
ne Aktionen nannte, Happenings wâre eine adâ- te x tth e o rie d e r K u n s t (siehe den Beitrag in diesem
quate Übersetzung), welche die Steuerung kon- Buch, S. 69). Seine fiktionalisierten Kunstraume,
kreter Situationen im Alltag durch die Sprache Künstler und Aktionen (heteronyme, anonyme,
behandeiten. Das verbale Verhalten als Bedin- polyphone Werke) der 60er und 70er Jahre kon-
gung der Wirklichkeit wurde durch die „Steue- vergierten 1988 in einer fiktionalisierten,
rung konkreter Situationen" (O. Wiener) dekon- groBraumigen Ausstellung mit sechs fiktiven
struiert und damit auch die Objektivitat und Nor- Künstlerlnnen im Muséum für angewandte Kunst
mativitât der Wirklichkeit. Situationistische Strate- in Wien (statt einer Retrospektive) unter dem Titel
gien waren hier antizipiert. In s z e n ie r te K u n s t G e s c h ic h te und mit einem
Peter Weibel hat einerseits diese Kontextabhan- gleichnamigen Katalog mit sechs fiktiven Auto-
gigkeit der Sprache direkt auf die visuelle Kunst ren. Peter Weibel hat damit nicht nur die Produ-
übertragen, andererseits den konzeptuellen zenten und Interpreten der Kunst, sondern auch
Impuls der Sprachanalyse intensiv auf die Diskur- den Diskurs der Kunst selbst fiktionalisiert.
se von Mathematik und Logik ausgedehnt. Er hat Es ist bedauerlich, daB es in Ôsterreich selbst kei-
nicht nur wie Bernar Venet logische Texte appro- nen Diskurskontext für die künstlerischen Prakti-
priiert, sondern z.B. mit Werner Schimanovich ken von O. Wiener und P. Weibel gegeben hat
selbst mathematisch-logische Abhandlungen als und daB im Ausland infolge der kulturellen Hege-
konzeptuelle Werke kreiert.98 Die Kunst selbst als monien diese nicht genügend zur Kenntnis ge-
Medium (des Protestes, des Ausdrucks und der nommen worden sind. Auch die darauf folgen-
Kritik) wurde ihm verdâchtig und zum Problem. den Arbeiten von Valie Export, Gottfried Bech-
Die Kunst erschien ihm als Komplize des Systems. told, Richard Kriesche und P. G. Hoffmann, die in
Die Kunst als Ausdrucksystem, als Text, mit dem manchen FSIIen ihrer Zeit voraus waren, haben
gegen die Umwelt, den Kontext, die Wirklichkeit das gleiche Schicksal erlitten.
vorgegangen werden sollte, war in Wahrheit Braco Dimitrijevic, André Cadere und Guillaume
selbst jene Wirklichkeit und jene Umwelt. Das Bijl sind weitere europëische Künstler, die in den
Medium der kritischen Artikulation war gerade 70er bzw. 80er Jahren unabhângig von den
mitverantwortlich an dem, wogegen es prote- genannten ebenfalls Kontextualisierungsstrate-
stierte. So entwickelte Peter Weibel Anti-Kunst, gien entwickelten. In einer Sérié von Ereignissen
Kritik der Kunst, Zweifel an der Kunst. Seine zwischen 1970 und 1978 hinterfragte Cadere die
Rébellion gegen die kontextuellen Bedingungen Beziehungen zwischen dem K u n s to b je k t u n d
der Kunst, gegen die Kunst als Medium derSozia- dem Raum, in dem es ausgestellt wird. Für ihn
lisation und der staatlichen Konstruktion sozialer waren die Grenzen zwischen Galerie, StraBen-
Wirklichkeit hat dazu geführt, daB er radikale ecke, Bau willkürlich. Er verwendete Holzstabe
Anti-Kunst unter dem Titel K u n st als K rim in a litë t aus verschieden gefarbten Ringen, diezusammen
entwickelte: Glasfassaden von Museen wurden mitseiner Person das Kunstwerk bildeten, um sei­
kryptisch zerstôrt, von den Museen unbemerkte ne Auffassung des Werkes zu demonstrieren. Er
Aktionen, wie Verënderungen von Kunstwerken, sprach von ..Travail" (Arbeit) statt „Werk". Einen
Vortrag über seine Arbeiten nannte er P résenta­ Buren, Marcel Broodthaers, Hans Haacke,'Michael '
tio n d 'u n T ra v a il/U tilis a tio n d 'u n T ravail. Niele Asher, John Knight und im vollen AusmaB erst die
Toroni und Claude Rutaud haben diese Arbeit am Künstlerlnnen der90erJahre. Bestimmte Katego-
Tafelbild weitergeführt. Dimitrijevic gehôrtzu den rien der Kontextkunst wie Ortsspezifitët (site spe-
Pionieren des postmodernen Objektes und cifity) sind unmittelbar aus der Minimal Art und
Ambientes. Die Krise der Identitât des Autors, des der raumlichen Prësenz ihrer Werke abgeleitet
Schôpfers hat er in Aktionen seit 1968 demon- worden. Z.B. Cari Andres T im b e r Pièces (1968)
striert. Der „zufâllige Passant" wurde zum Autor nehmen auf den architektonischen Kontext der
und zum Werk. Aus der Ambiguitët des Autors Rëume, in denen sie ausgestellt werden, ebenso
und des Objektes implizierte er konsequent die Rücksicht wie seine S c a tte r Pièces (z.B. The spill,
Ambiguitët der Kunstpraktiken, sowohi ihrer Pro- 1966, zerstreute Kunststoffklôtze und Leinenbeu-
duktion, Rezeption wie Présentation. Posthistori- tel) und die E arth w o rk s (1968) von Robert Mor­
sche Triptychen als Form der Appropriation ent- ris.'01 Die Applizierung von Texten an Wënde,
standen. Auch Paolini hat 1968 S e lb s tp o rtra its Boden, Gebëude, die semantisch auf die rëumli-
nach Poussin, Rousseau hergestellt. In 'der Unie chen Kontexte Bezug nehmen, durch Lawrence
von Magritte und Broodthaers fiktionalisiert auch Weiner sind.ortsspezifische Weiterentwicklungen
Bijl mitseinen «compositions trouvées" die Gale- der Konzeptkunst. Hans Hollein hat schon 1964
rieraume, indem er sie in Krankensâle, Kleiderge- Fotografien von Orten gemacht, die er als O rte
schëfte etc. verwandelt. Der postmoderne Wech- (sites) für Nichtgebëude oder leichte Landschafts-
sel der identitât geschieht in Richtung Nichtiden- veranderngen bezeichnete. Douglas Hueblers
titat des Raumes. Die Selbstreferentialitât der L o catio n Pièces verweisen schon im Titel auf Ort
Minimal Art und Konzeptkunst hat also den Pro- und Ortsspezifitët, insbesondere die Arbeit S ite
blemhorizont der Kontextuaiitët erôffnet, auch S cu lp tu re P ro ject (1968). Von den Lichtinstallatio-
wenn sie ihn nicht direkt durchschritten und bear- nen Flavins galt, daB sie nur wëhrend der Dauer
beitet haben. der Ausstellung als Kunstwerke existierten.
Unter dem Titel Z u m v eran d erte n K u n stverstân d - Neben raumspezifischer Arbeiten entwickelte
nis 1 9 6 5 schreibt Paul Maenz im Katalog K u n st daher Huebler auch zeitspezifische Arbeiten:
ü b e r K u n st (1974): „ Offensichtlich braucht das D u ra tio n pièces. Sein Statement „l prefer, simply,
Werk den .Kunstrahmen', den ,Kontext', das to State the existence of th.ings in terms.of time
'System', worin es als Kunst-Werk funktionieren and/or place" verweist auf die beiden genannten
kann (Ausstellungen, Kunstzeitschriften, kulturel- Strukturen, Zeit und Ra.um. Huebler benutzt die
le Institutionen usw.). Der nëchste Schritt liegt realistische Einheit von Raum und Zeit für ,eine
nahe, wenngleich er die grôBte Unruhe auslôst: Konversion der Signifikanten. Durch dîefotografi-
Wenn ein Kunstwerk nicht notwendig an eine sche Dokumentation und kontextualé Prozedur
bestimmte Erscheinungsform gebunden ist, wëh- wird unklar,' ist das Abgebildete fiktiv, konstruiert
rend der Kontext entscheidet - ist dann der Kon­ oder real. In dieser dialektischen Situation werden
text über den nur die oberflachlichen Fakten Konstante zu Variablen. Daher schuf er ab 1970
bekannt sind, n ic h t das eig e n tlich Intéressante? Variable Pièces: „ W h a t has in te re s te d m e ail
Wàre vielleicht richtiger er der eigentliche Gegen- along is not the pronouncement of meaning but
stand der Untersuchung?"1” Diesen nachsten pointing toward the way meaning is formed. A
Schritt eingeleitet und den Kontext zum eigentli- play between the literal and the referential: a mix­
chen Gegenstand der künstlerischen Investigation ture of truth and fiction." (Katalog Douglas Hue­
gemacht, d.h. diesozialen.formalen, raumlichen, bler, La Jolla Muséum, 1988) „As the locating of
ideologischen Bedingungen, unter denen Kunst .everything else' increasingly.occurred in .social'
môglich wird, haben erst Künstler wie Daniel space, it became clear that not only hâd ail
D ouglas H uebler,
D u ratio n Piece #4,
Bradford, Massachusetts,
1968


D ouglas H uebler, Site
S culpture Project,
Boston - N ew York
Exchange Shape, 1968

►►
D ouglas Huebler,
Location Piece #73,
Washington, D.C. -
Haverhill, Massachusetts,
1969

46
47
subject matter opened up to be used, the use of die Landschaft statt des Tafelbildes als Arena
much more than simple Phenomena was positive- wëhlte. In der gleichen Nummer von A rtfo ru m
ly indicated. I began to use ,human Systems' as (Dez. 1967) publizierte Smithson unter dem Titel
kinds of cultural ready-mades: Behaviour, Fanta- M in u s T w elve auch eine Liste von Begriffen und
sies, Attitudinal clichés. These éditions possess a verbalen lllustrationen, die nicht nur das Problem-
structured randomness wherein .constants' and bewuBtsein der Zeit darstellten, sondern auch
.variables' contend to occupy the .center', there- zukunftsweisend waren, z.B. „Entropy, Absence,
by providing a dialectal situation." (D. Huebler, Dislocation". Smithson entwickelt ortsspezifische
10 +, Northwestern Univ. Dittmar Memorial Gai- Projekte erstmals ausserhalb des traditionellen
lery, Evanston lll., 1980) Kunstrahmens (Museen, Galérien). Dislocation
Die Orientierung der Minimalisten an der Loca­ und Displacement, zwei Schlüsselbegriffe der
tion, die Graham bereits auf serielle urbane Struk- 90er Jahre, hat Smithson als Praktik der Kontext-
turen ausgedehnt hat, setzte Robert Smithson kunst mitentwickelt, um einen zeitgemaBen tele-
fort. Er suchte im industriellen Wasteland jene matischen und postindustriellen Ortsbegriff zu
Orte (sites) auf, die eben auBerhalb des Kunst- entwickeln. „We live in frameworks and are sur-
kontextes liegen und nennt sie daher folgerichtig rounded by frames of references", schrieb er
„Nonsites". Robert Smithson hat 1966 einen 1970-71. Smithson hat den Referenzrahmen der
Essay m it dem Titel E n t r o p y a n d t h e N e w Kunst erweitert, indem er dem Kunstdiskurs neue
M o n u m e n ts verôffentlicht. Diese Monumente Diskurse zuführte und die Kunst an die Wirklich-
fand er nicht in den Galérien, sondern 1967 auf keit andockte.
einer Bus-Reise in seine Heimatstadt Passaic. Was Die Scatter-Technik, Dinge verstreut herumliegen
er dort an verfaliener Industrielandschaft sah, zu lassen, entwickelt von André, Morris, Smithson
fotografierte er und publizierte im Dezember etc. als Anti-Form, hat heute nicht nur fur die
1967 im Magazin A rtfo ru m mit diesen Fotos den Installationen der Kontext-Kunst der Gegenwart
wichtigen Artikel: A T o u r o f th e M o n u m e n ts o f eine groBe Bedeutung. Paul Theks scattered
Passaic, N e w J e rse y .'02 Die Monumente waren Installationen nehmen in dieser Entwicklung eine
The B rid g e M o n u m e n t, The G re a t Pipes M o n u ­ zentrale Rolle ein (siehe z. B. Mike Kelly, Cady
m ent etc. Am Beispiel des S an d -B o x M o n u m e n t Noland).
veranschaulicht er die Irreversibilitât der Zeit auf- Gordon Matta-Clark hat die Strategien von Dislo­
grund der Entropiegesetze: Im Sandkasten gibt es cation und Displacement in den urbanen Raum
zwei Arten von Sand, weiBen und schwarzen. Ein verschoben. Er hat den schon von Buren kritisier-
Kind lâuft in einer Richtung darin herum, dadurch ten Widerspruch in derArbeitvon Smithson gese-
vermischt sich der Sand und wird grau. Das Kind hen, namlich daB die Land-Art-Künstlerzur Doku-
lâuft nun in der anderen Richtung. Der Sand mentation ihrer Arbeit doch wieder in die Galerie
trennt sich nicht zurück in weiB und schwarz, zurückkehrten. Mit der Flucht in die Natur konn-
sondern wird noch grauer. Er beschreibt also ten die politischen Grenzen der Galérien nicht
Chaos und Ordnung. Über den Entropie-Begriff aufgehoben werden. So führte er Geschichte,
gelangte er also zu neuen Auffassungen des Architektur und Stadt zusammen. „There is a
Ortes und der Verbindung von Kunst und Natur kind of complexity; which cornes from taking an
bzw. von Kunst und Ôkologie als Produkt der otherwise completely normal, conventional,
Industrialisierung. Daher kritisierte Smithson den albeit anonymous situation and redefining it,
Kontext der modernen Kunst und die Konsumkul- retranslating it into overlapping and multiple rea-
tur in Galerie und Muséum und erweiterte die dings of conditions past and présent".’03 Seine
Grenzen der Kunst um post-Studio-Praktiken, Schnitte (cuts) enthïillen verborgene historische
indem er multiple Formen der Représentation und Konstruktionsschichten. Er folgt noch dem Idéal
der Konzeptkunst: „My intervention can trans- Haacke ging auch über kunstimmanente Analy-
form structure into an act of communication" ,m sen hinaus. Bei der Ausstellung In f o r m a t io n
Seine architektonischen Dekonstruktionen unter- (1970) im Muséum of Modem Art, New York,
werfen sich dem linguistîschen Paradigma der fragte er die Besucher, ob sie Gouverneur Rocke­
fruhen Kontextkunst: „lt's likejuggiing with syn- feller wiederwâhlen würden, obwohl er sich nicht
tax, or disintegrating some kind of established gegen die Vietnam-Politik Nixons gestellt hat. Am
sequences of parts".105 Der International Style der bekanntesten wurde seine Untersuchung zum
modernen Architektur ist für G. Matta-Clark eine Immobilien-Handél in New York: S h ap o lsky e t al.
Entwicklung des „Post War American Impéria­ M a n h a tt a n R e a l E sta te H o ld in g s , a R e a l-T im e -
lisme The State of that architecture reflects the S ocial-System , as o f M a y 7, 7977, weil deswegen
iconography of the Western Corporate Axis".106 seine geplante Ausstellung im Guggenheim-
Daher gilt „by undoing a building there are many Museum abgesagt wurde. 1986 verôffentlichte
aspects of the social conditions against which I Haacke den Artikel M u séu m s, M a n a g e rs o fC o n s -
am gesturing"."” Zur politischen Architektur Mat- ciousness ."° Haacke problematisiert also die Fra-
ta Clarks siehe auch Dan Grahams Artikel über ge der Autonomie der Kunst und die ideologische
Matta Clark.™ Funktion der Institutionen, welche die Kunst
Was heute Kontext oder Diskurs heiBt, hieB unterstützen bzw. betreiben. F. Jameson gab die-
früher „frame" (Rahmen, Referenzrahmen). Hans ser Form von Kunst in dem Artikel H a n s H a ac k e
Haacke hat sieben Arbeiten aus dem Zeitraum a n d th e C u ltu ral Logic o f P o stm o d e rn is m 1986
1970-75 unter den treffenden Titel F ra m in g a n d den Terminus „instituti.onal critique or institutio-
Being F ra m ed gestellt und damit eine fundamen- nal analysis"."7 Er lobte an Haacke die Transfor­
tale Positon in der Geschichte der Kontextkunst mation „extrinsischer" Determinanten der Kunst
geschaffen.105 Profile von Galeriebesuchern (John in den „intrinsischen" Inhalt eines neuen künstle-
Weber Gallery, 1972), Untersuchungen zu den rischen Textes. Institutionelle Kritik in Form sol-
institutionellen und kommerziellen Verflechtun- cher „künstlerischer Texte" bedeutet das veran-
gen des Board of Trustées des Solomon R. Gug- derte Wiederaufleben von Praktiken der Konzept­
genheim Muséums in New York (1974), Untersu­ kunst, nâmlich "to reinvent a new and heighte-
chungen zu den verschiedenen Besitzern des ned, dialectially transformed practice of ,auto-
Spargel-Stillebens von Manet (Projekt 74, Kôln) referentiality'".” 2 Benjamin Buchloh konnte
ersetzen das klassische Werk. Letzteres Projekt daher die Entwicklung der Konzeptkunst in sei­
wurde abgelehnt, weil es ein kontroversiell emp- nem Artikel. From th e A e sth e tic s o f A d m in is tra ­
fundenes Portrët von H. J. Abs enthielt und auf tio n to In s titu tio n a l C ritiq u e . S o m e A s p e cts o f
dessen Funktionen bei der Deutschen Reichsbank C o n c e p tu a l A r t 1 9 6 2 - 1 9 6 9 in dieSem Sinne
in den 40er Jahren hinwies. Die Ausstellung hatte beschreiben.1’3 Mit seinen Untersuchungen der
K unst b le ib t K u n s t geheiBen. Daniel Buren prote- ôkonomisçhen.und. ideologischen „support.struc-
stierte gegen den AusschluB von Haacke mit dem tu re " der Kunst hat Haacke erstmals „das
Plakat K unst b le ib t P olitik ünd mit Auszügen aus Betriebssystem Kunst" (Th. Wulffen) freigelegt
seinem Manifest K ritis c h e G r e n z e n (1970): und eine spezifische „kontextuelle Qualitat" (K.
„ Kunst, was immer sie sein mag, ist ausschlieBlich Kônig, 1975) eingeführt. Haacke hat die System-
politisch". Die gleiche Untersuchung machte theorie (L. v. Bertalanffy) benutzt (seit 1965), um
Haacke zu Seurats Les Poseuses (1975). In O n sich von der formalistischen Kunst abzugrenzen.
social Grease (1975) zeigte er auf Aluminium- Jedes System muB sich ja von der Umwelt abgren-
Platten die kompromittierenden Aussagen der zen. Es ist einerseits selbststeuernd, andererseits
Prasidenten groBer amerikanischer Firmen über braucht es die Umwelt. So muBte Haacke die Idee
die Beziehung von Kunst und Geschëft. Aber einer „content-free-art" (Jack Burnham)'’"1
Hans Haacke, John
W e b e r G allery Visitors'
Profile, Part 1, ("Do you
hâve a professional interest
in a n - e.g. artist, dealer,
criticetc. ?"), New York
1972

H an s H aacke, M O M A -P o ll, Muséum o f M odem A n, Hans Haacke, G allery-G o ers' B irthplace a n d


N ew York 1970 Résidence P rofile, Parti, Howard Wise Gallery, New
York 1969

„Shapolsky e t al. M anhattan Immobilienbesitz - ein geseüschaftliches Realzeit-System,


Stand 1. M ârz 1972" ist eine Dokumentation über den vom Shapolsky-Familiendan
und seinen Freunden und Geschëftspartnern beherrschten Haus- und Grundbesitz in
Manhattan. Ihre Liegenschaften erstrecken sich vornehmikh au f der Lower East Side
und in Harlem und stellen d o n den grôBten privaten Im m obilienbesitz dar. Die
Geschëfte werden unter m ehr als 100 Firmennamen gefühn. Këufe und Verkâufe und
derAustausch von Hypotheken zwischen diesen Firmen sind hëufig.
Die Dokum entation diesesgesellschaftlichen Realzeit-Systems bestehtausgegenw ënig
(wird bis zu einer Ausstellung in N ew York weitergeführt) 144 Fotos von Hëuserfassa-
den, Immobiliendaten zu je d e m Haus, 2 Kanenauszügen von M anhattan, au fd e n en
der Besitz m arkien ist, und 6 Tabellen, in denen die Geschëftsbeziehungen der Sha-
polsky-Gruppe dargelegt sind.
Aile Inform ationen stammen aus den jederm ann zugënglichen Akten des N ew York
County Clerk's Office, 31 Chambers St. (Grundbuchamt).
„Shapolsky e t al. M anhattan Immobilienbesitz - ein geseüschaftliches Realzeit-System,
Stand 1. M ërz 1971 " w ar eine der 3 Arbeiten, die von Thomas Messer, dem Direktor
des Guggenheim Muséums als„ineppropriate (unpassend)" abgelehnt worden sind, als
ich sie in m einer fur den M ai 1971 im Guggenheim Muséum angekündigten Einzel-
ausstellung zeigen wollte. Die Ausstellung wurde einen M o n a t vor der Erôffnung abge-
sagt, w eil ich nicht bereit war, die 3 inkriminierten Arbeiten zurückzuziehen. Edward
Fry, der die Ausstellung als derzeitiger Associate Curator des Guggenheim Muséums
organisiez hatte, wurde fristlos gekündigt, weil er m eine Arbeiten ôffentlich verteidigt
Hans Haacke, Shapolsky e t al. M a n h a tta n Real hatte.
E state Holdings, HANS HAACKE
A Real- Time Social System, as o f M ay 1, 1971 in: interfunktionen, Kôln 1972

50
Ô yv in d Fahlstrôm , Modell für D e r klein e General,
1958

Ô yvind Fahlstrôm , The Cold W ar, 1963 -1965,


Ausschnitt

Ô yv in d Fahlstrôm , W o rld Politics M o n o p o ly , 1970

Ô yv in d Fahlstrôm , W o rld Bank, 1971

Ô yvind Fahlstrôm , Green P ow e r, 1969 O y v in d Fahlstrôm , W o rld M o d e l (G arden), 1973


ablehnen und den Kontext, die Umwelt in und Museen mit dem Schmutz dieser Welt aus
Betracht ziehen. Für die Guggenheim-Ausstellung globaler Perspektive.
plante Haacke eine Représentation von physikali- Die Frage des Referenzrahmens („frame") hat
schen, biologischen und sozialen Systemen, um auch Daniel Buren exploriert. In seiner Arbeit (seit
sowohl deren Selbstreferenz wie deren Abhân- 1965) rückt der „Kontext" absolut in den Mittei­
gigkeit von der Umgebung, dem Kontext, z u zei- punkt, wahrend der „künstlerischeText" minimal
gen und die Kunst selbst als ein konstruiertes ist (weiBe und schwarze Streifen auf verschiede-
soziales System. Der Ausdruck „Real-Zeit Sozial- nen Materialien). Das Verhaltnis von Text und
System", von Haacke dem Computer-Netzwerk- Kontext, von „Gerahmt" und „Ungerahmt" ist
system entlehnt, bezeugt, wie sehr Haacke bei ihm, vergleichbar der Dekonstruktion Derri-
bestrebt ist, den Diskurs der Kunst an die „ reale das, ambivalent. In der Ausstellung W ith in a n d
Welt" anzudocken, an die Diskurse der Ôkoiogie, B eyo n d th e Fram e, 1973 in New York, war die
Industrie, Wirtschaft, Politik, etc. Damit ist Haacke eine Halfte der schwarz und weiB gestreiften Lei-
- in der historischen Positionierung Artschwager nen (insgesamt 19 Elemente) in der John Weber
vergleichbar, der in den 60er Jahren marginal Galerie, die andere hing über der StraBe, also
schien und erst durch die Môbelskulpturen der auBerhalb des Rahmens der Galerie. Buren ver-
80er Jahre in den Mittelpunkt rückte - zu einer weist andererseits stets auf die Tatsache, daB
zentraien Figur der Kontextkunst geworden. simtliche Kunst im Geschichtszusammenhang
Eine ëhnliche Positon nimmt Ôyvind Fahlstrôm gerahmt, d. h. kontextualisiertsei. Die Leerstellen,
ein, der seit 1961 in New York lebte und sowohl die seine Streifen-Wânde im Muséum hinterlas-
mit Pop- wie Minimal-Künstlern verkehrte. Auch sen, weil sie die ursprünglichen Kunstwerke aus-
er startet früh (1962) mit einer Systemtheorie, lassen, zeigen den Wunsch, seine eigene Kunst
nâmlich der Spieltheorie. 1962 publiziert er A als ..ungerahmt" zu sehen, gleichzeitig aber ver-
G a m e o f C h a ra c te rus und zeigt erste ..variable weisen sie dadurch wieder auf die Rahmen-
Game-Paintings" - wie bei Buren das Kunstspiel Bedingungen jeder Kunst, auch seiner.116 Buren
als Wittgenstein-Sprachspiel. M it Hilfe von geht es in seiner Arbeit darum zu zeigen, daB
Magnetscheiben kônnen die Betrachter Elemente erstens die Rolle der Wahrnehmung nicht mehr
des Bildes verandern, das Bild selbst wird dadurch mit Kant a priori zu sehen ist, sondern mit Fou­
zu einer Art lebendes System. Die Rolle der cault historisch sozial konstruiert, zweitens, daB
Betrachters bzw. Beobachters wird emanzipiert. die Kunst von Wittgensteins Sprachspiel beein-
Die Spieltheorie baut er aus und kommt vom Bild- fluBt, ein Kunstspiel mit Regeln ist. Um die Sicht-
system zu anderen Systemen, namlich zu militari- barmachung der Rahmenbedingungen und der
schen, ôkonomischen, nationalen, sozialen Syste­ Regeln der Kunst im Kunstwerk selbst geht es
men. Diese realen Système behandelt er ebenfalls ihm. Dies geschieht durch eine formale Entgren-
wie „Spiele" (im Sinne des Monopoly-Spiels). zung der Malerei und des Bildfeldes. Seine Arbeit
Arbeiten zur Weltpolitik entstehen, entwederwie wurde dadurch extrem raumbezogen (in situ ist
W e ltk a rte n g e sta lte t od e r als Insta lia tio n e n in der da her ein haufiger T ite l). W ie bei M ichae l Asher
Scatter-Technik: W o rld T rad e M o n o p o ly , W o rld sind seine Instaliationen unmittelbar, direkt, phy-
Politics M o n o p o ly (1970), C IA M o n o p o ly (1971), sisch und konzeptuell mit dem Raum verbunden,
P e n t a g o n D ip ty c h o n (1970) und W o r ld M a p in dem sie stattfinden. Rahmen und Raum und
(1972). Die statistischen Daten über reale Zustân- kultureller Kontext bilden eine inséparable Ein-
de der Welt wurden zu intrinsischen Elementen heit: „Any object placed on exhibition in a musé­
des Kunstwerkes, die der Betrachter gelegentlich um space is framed not only physically by the
noch verandern konnte. Fahlstrôm füllte den muséum architecture but also (and certainly not
„weil3en Würfel" (Brian O'Doherty) der Galérien the less) by the cultural context which a muséum
signifies."1'7Strategien wie die von Smithson, auf Marcel Broodthaers hat den Kontext des Mu­
das Land auszuweichen, empfindet er als Umge- séums zum Inhalt seinerKunst gemacht. Sein Stu­
hung des Problems, als romaritischen Eskapismus, dio in der Rue de la Pépinière in B.rüssel verwan-
als „künstlerische Safaris". Die Enthüllung des delt er 1968 in das M u s é e d 'A r t M o d e r n e ,
„Rahmens" (bzw. Kontextes) kann nur innerhalb D é p a rte m e n t des A igles, S ection X IX è m e Siècle.
des „Rahmens" geschehen. Weil „the prevailing Er zeigte dort Postkarten von Gemalde.n von
ideoiogy and the associated artists try in every Courbet, David, etc., Verpackungskisten für
way to camouflage them, and although it is too Kunstwerke, Diaprojektionen und aus AnlaB der
early-the conditions are not m e t-to blowthem Erôffnung und der SchlieBung einen riesigen lee-
up, the time has corne to unveil them" (s. Anm. ren Lastwagen vor dem Gebâude. Diese Arbeit
116). Wollte Broodthaers die Realitât „unveil", so hat er über mehrere Jahre ausdifferenziert.
Buren den „Rahmen", die formalen und kulturel- Magrittes Problematik der Nicht-ldentitët Dies ist
len Grenzen. „The Museum/Gallery for lack of k e in e P fe ife (über die M- Foucault geschrieben
being taken into considération is the framework, hat), nâmlich den Konflikt zwischen Signifikat
the habit... the inescapable .support' on which und Signifikant, zwischen Représentation und
art history ist painted" (s. Anm. 116). Waren fur Wirklichkeit, hat Broodthaers vom einzelnen
Bentham die Fiktionen u.nmôglich, aber unver- Kunstwerk (This is n o t a wo rk o fa r t , Broodthaers
meidlich, so für Buren der Kontext. 1972) auf das ganze Kunstsystenr übertragen.
Die Inseperabiltatvon Raum und kulturellem Kon­ This Is N o t a M u s é u m o f A r t heiBt daher bezeich-
text biidet auch den Kern der Arbeit von Michael nenderweise ein Artikel über Broodthaers von
Asher.118 Aber über ortsspezifische Kritik und Douglas Crimp.121 Die Fiktionalisierung des. Mu­
..situational aesthetics" (V. Burgin, 1969) hinaus séums ist ein spëter Triumph von BenthamsPro-
geht es Asher um den ProzeG, der ein Objekt mit gramm, aber für uns heutige eine düstere Pro-
Gebrauchswert in eine Ware mit Tauschwert ver- phezeihung. In Broodthaers letztem Buch The
wandelt. Asher verweigert sich diesem Abstrak- C o n q u e s t o f S pace: A tla s f o r th e use o f artists
tionsprozeB der Ware, bzw. macht ihn durch sei­ (1975) adressierte er direkt die
a n d m ilita ry m e n
ne ortsspezifischen Eingriffe, meist durch Sub- Metapher der Avantgarde, die ja auf das Militar
traktion, einsichtig. Spâter entwickelte er auch zurück geht, um auf den Kontext, die Grenzen
eine additive Méthode in seiner Analyse des insti- der Nationalitat hinzuweisen, eine weitere „un-
tutionelien Referenzrahmens, („as historical con­ môgliche, aber unvermeidliche" Entîtat. Sein pri­
ditions change, it becomes questionable wether vâtes Projekt der Fiktionalisierung, des Muséums
situational aesthetics can still be successfully ist eine dialektische Reaktion auf .die Réduktion
applied and remain operative", M. Asher 19B3). der Kunst auf Privatbesitz, die Übernahme der.
Bei Buren wie bei Asher sind aber noch deutlich Kultur durch Firmeninterëssen und die Affiliation
die Referenzialitat zur modernen Malerei bzw. der Kunst mit der Macht, die in de: Reaiitat
Skulptur und deren Ursprung im Kunstwerk als kaschiert und camoufliert wird.133■
«bedingtes Artefakt" (Duchamp, Rodschenko) zu Guillaume Bijl hat in den 80er Jahren diese Fiktio­
sehen.11? Das Objekt bzw. die Malerei in der Tra­ nalisierung von Kunstrâumen (Museen, Kunstver-
dition der Moderne wurde durch die Kontextuali- einen, Galérien) ausdifferenziert. Das readymade-
sierung der Rahmenbedingungen aufgelôst. In Objekt wurde zum readymade-Raum ausge-
seinem Buch Inside th e W h ite Cube. T h e Id e o io - dehnt, das objet trouvé zur composition trouvée,
ç y o f th e G alle ry S pace, (ursprünglich 1976 als wobei der Raum durch Magrittes Passage der
Artikelserie in A r t f o r u m erschienen) zeigt Nonidentitat durchging, sodaB durch Bijls Aus-
O'Doherty diese Entwicklung, insbesondere im 3. stellungen die Kunstrëume scheinbar zu Kleider-
Kapitel C o n te x t as C o n ten t. geschaften, Reisebüros oder Hospitëlern wurden,
#

M a rc e l B roodthaers, M a rc e l Broodthaers, M u sé e d 'A rt M o d e rn e , M arc el B roodthaers, M u sé e d 'A rt M o d e rn e,


M u sé e d 'A rt M o d e rn e, D é p a rte m e n t des A igles, Section d 'A rt M o d e rn e, D e p a rte m e n t des A igles, Section des Figures,
D é p a rte m e n t des Aigles, Installationsansicht, documenta 5, Kassel 1972 Düsseldorf 1972
Section X IX iè m e Siècle,
rue de la Pépinière, Brüssel
1958/69

Installationsansicht der Objekte: Une echelle de briques


(1969), Une pelle (um 1970), a architect (um 1973),
Deux caisses (1975), Centre National d'Art
Contemporain, Paris 1975

M arcel B roodthaers, L 'A ngélus de D aum ier, La


salle blanche, (1968) Broodthaers' Rekonstruktion der
Installation in der rue de la Pépinière, Paris 1975

M arc el B roodthaers, N e dites pas que je ne l'a i pas


d it - Le P erro q u et (Sagt nicht, daB ich es euch nicht
gesagt habe - Der Papagei), Wide White Space Gallery,
Antxverpen 1974

54
readym ades b elo n g to everyo n e ® Installation im
C/VS-Warehouse, Newcastle 1993

Lois Renner, Testbild, 1991 G uillaum e Bi]l, N e u e r Superm arkt, 1990

55
aber gleichzeitig waren die Kleidergeschëfte etc. nism (1983) nach einem Titel von Craig Owens,155
reale Ausstellungen. ebenso wie die Arbeiten von Silvia Kolbowski.
Die in den 60er und 70er Jahren erfolgte Krise des Allan Sekula demontiert gleichfalls den Modernis-
Kunstsystems entstand, als erstmals die ideologi- mus und die Idee der formalen Autonomie der
schen und ôkonomischen Prâmissen des Kunstsy­ Kunst: „We regard art as a mode of human com­
stems enthüllt und analysiert wurden und eine munication, as a discourse anchored in concrète
Entromantisierung und Entmystifizierung in radi- social relations... Meaning is an interprétative act.
kal kritischer Form stattfanden, wo Gesellschafts- Interprétation is ideologically constrainend."126
und Kunstkritik kovariierten, wo also erstmals ein- Die britischen Künstler John Stezaker, Stephen
sichtig wurde, wie jede(r) Künstlerln sein (ihr) Willats, Victor Burgin analysieren und kontextua-
Werk konstruiert in Hinblick auf das System und lisieren desgleichen kritisch die modernistische
die Raume der Kunst und wie die Kunst insge- Représentation des sozialen Lebens. Besonders
samt durch die Künstlerlnnen, die Institutionen, einfluBreich neben seiner künstlerischen Arbeit
die Raume der Kunst, die Magazine, die Kunstin- waren Victor Burgins theoretische Schriften, z.B.
terpretation, die Sammler, den Markt, etc. soziai S itu a tio n a l A esth e tic s (1969)127, siehe z.B. Michael
konstruiert wird. Diese Krise wirkte so verunsi- Asher. In einer ersten konzeptuellen Stufe stellte
chernd und war geistig so anstrengend, daB viele er die Kunst als Klasse von Objekten in Frage: „lf
Künstler in den 80er Jahren in Panik und in frôhli- we reject the notion that art is a sub-class of
cher Affirmation (statt der frôhlichen Anarchie objects, a myth perpetuated through its use as a
der 60er Jahre) zu den alten Modellen und commodity, in favour of the view that art is a sub-
Mythen der Aura, des Individuums, der Kreation, class of information, then art appears in the con-
etc. zurückkehrten. text of an informational complex in which the
In seinem Essay F ro m W o rk to F ra m e 123 beschreibt generative and modificatory action of real-time
Craig Owens einige der Künstlerlnnen, welche die expérience must be acknowledged."125 in der
Arbeit des F ra m in g a n d B e in g F ra m e d (Haacke, zweiten kontextuellen Stufe wird Kunst zu einem
1975) bzw. das Arbeiten W ith in a n d B e yo n d th e Agenten der Sozialisation: „The optimum func-
F ra m e (Buren, 1973) in den 70er und 80er Jahren tion of art... is to modify within theartworld insti-
fortsetzten, ungeachtet der Rückkehr der Kunst tutionalised patterns of orientation to the world
zur Régression und Restauration. Das postmoder­ and thus to serve as an agency of socialisation."'25
ne „displacement" (im Sinne Derridas) vom Werk Sherrie Levine und Louise Lawler untersuchen das
zum Kontext (frame) findet er wieder bei Allan modernistische Reprâsentationssystem selbst.
McCollum, Louise Lawler, Martha Rosier, Mary Barbara Bloom betreibt die Fiktionalisierung der
Kelly, Allan Sekula. Diese Künstlerlnnen und Orte und der Methoden der Kunst (O n Location,
andere wie Willats, Burgin, Bloom bilden die 1978), der Reprâsentationsformen von Kunst,
zweite Génération in der Geschichte der Kontext- aberauch von sozialen Beziehungen in „ künstle­
kunst. rischen Arrangements" im Alltag.
Martha Rosier hat mit ihren Medien-Arbeiten Aus Aspekten der Institutionskritik, Kritik der
(Foto, V ideo ) n ic h t n u r die K o n d itio n ie ru n g des K un st als W a re n p ro d u k tio n un d K ritik de r U n te r-
Kunstkontextes untersucht,'24 sondern insgesamt drückung historischer und sozialer Faktoren, wel­
die soziale Konditionierung der Subjekte, insbe- che die Kunst bedingen, entstand in den 80er
sondere in ihrer Foto-Text Arbeit The B o w e ry in Jahren eine al.legorische Kunst der Appropriation.
tw o in a d é q u a te descriptive Systems (1975). Die Beginnend mit Elaine Sturtevant und Hank Her-
Filme von Yvonne Rainer, aus der Minimal Art ron,'3î der 1971 in New York eine Sérié von
kommend, beziehen sich auf ahnliche Weise auf selbstgemalten Frank Stella-Bildern ausstellte,
Th e discourse o f others: fem inists a n d p o s tm o d e r- über die Fotografien von Sherrie Levine (A f t e r
W a lk e r Evans, S e lf-P o rtra it a ft e r E g o n S chiele, weil die Komplexitât der Regeln ein Teil dieser
1 9 8 2 ) bis zu den Arbeiten von Barbara Kruger, Phantomisierung ist, sondern auch eine Wieder-
Dara Birnbaum, Jenny Holzer, Cindy Sherman. gewinnung an Realitât. Die Prâmissen der Kunst
Essays von Douglas Crimp (1977), Craig Owens zu thematisieren, die raumlichen, formalen, so­
(1980) und Benjamin Buchloh (1982) behandeln zialen Bedingungen der Kunst zu kontextualisie-
diese Epoche signifikant.131 ren, ist eine Arbeit, die erst jetzt geschichtlich
In den 90er Jahren gibt es nun eine dritte Géné­ erfoigreich umgesetzt wird. Es bestand ja die
ration von Kontext-Künstlerlnnen, die aus margi- Gefahr durch die Malerei der 80er Jahre, daB die
nalen Positionen oder Aspekten der 60er und Arbeit von Asher, Buren, und Co marginalisiert
70er Jahre eine zentrale Bewegung der 90er Jah- würde, bevor sie geschichtlich wirksam wird.'32
re machten. Neben dieser dritten Génération gibt Der Unterschied der gegenwârtigen Kontextkunst
es natürlich auch Künstlerlnnen, die der Kontext- zur geschichtlichen Kontextkunst ist, daB die „ kri-
kunst nahestehen, z.B. Lorna Simpson, Betty Par- tischen Grenzen" verschoben und erweitert wor-
son, Rikrit Tiravanija, Bethan Huws, Renée Kool, den sind, indem das Medium Kunst nicht n.ur als
die Erlebnisse inszeniert, Michael Klier, Art Club Medium des freien Àusdrucks probiematisiert
2000, Jon Tower, Mel Chin, Maria Eichhorn, die worden ist, sondern daB durch das Enthüllen
Kindermalklassen im Künstlerhaus Stuttgart 1993 („unveiling") der Rahmenbedingungen des Dis-
eingerichtet hat, oder Kirsten Mosher, die fiktio- kurses der Kunst, die Künstlerlnnen begonnen
nale Parkometer arrangiert, um eine Realitât der haben, entschieden auch an andereh Diskursen
staatlichen Okkupation ôffentlicher Raume zu (Ôkologie, Ethnologie, Architektur, Politik) zu par-
enthüllen, Christine Borland, Gavin Turk, Jorge tizipieren und damit die Grenzen der Institution
Prado, Marc Le Stum, Kate Ericson & Mel Ziegier, der Kunst133 extrem zu erweitem, zu perforieren
Newton Harrison & Helen Mayer Harrison u. a. Sie und aufzuweichen. Die Kritik der Représentation
aile versuchen gesellschaftliche Realitât in das wurde zu einer Kritik der Macht und der Kultur„
Kunstwerk miteinzubeziehen. Readymades aber vor allem der durch die diversen Diskurse
belong to everyone (Phillipe Thomas), Simon Lin- konstruierten Wirklichkeit. So wurde aus dem
ke, der seit 1988 Kunstannoncen in Kunstmaga- Entschleiern („unveiling") der Konstruktion von
zinen, meist nurTextanzeigen, malt, Philippe Par- Kunst (durch die diversen „fiktiven" Diskurse) die
reno und Philippe Cazal u. a. bewegen sich in der Konstruktion von Realitat, die Wîedergewinnung
Tradition der Analyse der-Représentations- und von Teilbereichen der Wirklichkeit.
Vermittlungssysteme der Kunst. Lois Renner fik- Es geht nicht mehr aliein um Krit,i,k-am System
tionalisiert erstmals das Studio, den Ort der Pro- Kunst, sondem um Kritik an der Wirklichkeit, um
duktion von Kunst, und auch die damit verbun- Analyse und Kreation sozialer Prozesse. Kunst-
denen Praktiken der Malerei, der Skulptur, der externe Kontexte werden in den 90er Jahren verr
Fotografie, der Installation, des Raumes. mehrt in den Kunstdiskurs miteinbezogen. Die
Insgesamt ist ersichtlich, daG mehr Künstlerlnnen Künstlerlnnen werden zu autonomen Agenten
denn je die Kunst als Diskursanalyse thematisie- sozialer Prozesse, zu Partisanen des Realen. Die
ren. Die dabei e n tw icke lte n S trategien der Fiktio- Interaktion zwischen Künstlerln und sozialer Si­
nalisierung und Phantomisierung (so gibt es in tuation, zwischen Kunst und extrakünstlerischem
München eîn fiktives Muséum für moderne Kontext hat zu einer neuen Kunstform geführt,
Kunst, das scheinbar nur durch regelmâBig aus- wo beides zusammenfallt, eben die Kontext­
gesendete, sehr professionelle Einladungen zu kunst. Das Ziel der sozialen Konstruktion von
Ausstellungen „in unseren Râumen für zeit- Kunst ist Teilhabe an der sozialen Konstruktion
genôssische Idéologie" existiert) bedeuten nicht von Wirklichkeit.
nur eine Steigerung der Komplexitât der Kunst, Anmerkungen S 65 ff.
Yvonne Rainer, Szene aus dem Film
A b o u ta W o m an W h o ..., 1974,
Shirley Soffer und Yvonne Rainer

Yvonne Rainer, Szene aus dem Film Lives o f Perform ers, 1972,
Valda Setterfield und John Erdman

Yvonne Rainer, Szene aus dem Film


A b o u ta W om an W h o ..., 1974,
Yvonne Rainer

i
j

Yvonne Rainer, Szene aus dem Film K ristina Talking Pictures, 1976,
Ivan und Yvonne Rainer

58
Ausschnitt

M arth a Rosier, The B o w e ry in T w o In ad é q u ate


Descriptive Systems, 4 5 Fotos, 1974-75, Ausschnitt

lusll wino nibbydub


inebriate
a lc o h o lic
barre!house bum

M arth a Rosier, The B o w e ry in T w o in ad é q u ate M a rth a Rosier, The S tre e t a n d O th e r Venues,


Descriptive Systems, 4 5 Fotos, 1974-75, Ausschnitt Installation in derDia A rt Foundation, N.Y. 1989, Foto: OrenSlor

59
1
NOT YOUR KNOWLEDGE
OF THE PRECEDING
NARRATIVE
2
NOT YOUR KNOWLEDGE
OF THE PRECEDING
PHOTOGRAPH
3
NOT THE CRITERIA BY
W HICH YOU MIGHT
DECIDE THAT ASPECTS
OF 1 ARE ANALOGOUS
TO, CORRELATE WITH,
OR M A Y BE PLACED IN
SOME C O M M O N
CONTEXT WITH,
ASPECTS OF 2
4
YOUR INFERENCES FROM
1 AND 2, ON THE BASIS
OF 3

V icto r B urgin, Tsxtzu


P e rfo rm a tiv e /N a rra tiv e V ictor Burgin, Posession, 1975
1971

Victo r Burgin, aus der Sérié U.K.76, 1975 V icto r Burgin, aus der Sérié U.S.77, 1977
The early-morning mist dissolves. And the sun shines on the Pacific. You sîand like Balboe the Patriarchitecture. The man almosî akvays feels his sexual activity hampered by this respect
Conquistador? On The cliff top. Among the last of the Monterey Cypress trees The old for the woman Hence cornes his need for a less e/ahed sexual object, a woman ethically
ivhaler's hut 15 abandoned now. Sur whales svli swim through the wild waves. Sea otters tnfenor, to whom he need ascnbe no aesthetic misgivings, and who does not know the rest
float on the calmer waters Crackmg abalone shells on thair chests. Humming birds take of his life and cannot cnticize him lt is to such a woman that he prefers to devote his sexual
nectar from the red hibiscus. Pélicans splash lazily in the surf. Wander down a windmg path potency, even when ail the tendemess m him belongs fo ong of a htgher type lt has an ugly
Ont0 gentle sands. Océan cystal clear Sea anémones Turquoise waters Total immersion and paradoxical sound, but nevertheless n must be said, that whoever is to be reallv free and
Ecstasy TODA f IS THE TQMORROW YOU WERE PROMI5ED YESTERDAY happy in love must hâve overcome his deference for women and corne to terms with the
idea of mççst with mother or sister

60
Steph en W illats, Two
W o rld s A p a rt, Hayes
West London, 1982

S tephen W illats, Tw o
W orlds A p a rt, Hayes West
London, 1982

61
Our schools are, in a
sense, factories in which
the raw materials are to
be shaped and fashioned
into products to m eet the
various demands o f life,
The spécifications for
manufacturing corne from
the demands o f the
twentieth-century
civihzation, and it is the
business o f the school to
build its pupils to the
spécifications laid down.

Elkvood Oibb?d\. Public School


Administration. Boston, 1916
Aus Allen Sekij/è. School is a
Fecto/}-. 1930

62
John Stezaker, Domestic Allegory, 1976
John Baldessari, Thau m atro p e Sériés: Tw o Gang­
sters (O n e w rth Glasses a n d Pistol), 1975

vciNtKLH II U IL bM B K t 1987 U R E 21

J OSÉ PH
■«■■■H John Stezaker, Corridor, 1979

T O R IN O
pIA Z ZÂ V IT T O R IQ VEN ETO 9. TEL (011) 835527/8308S S

Simon Linke, Joseph Kosuth, 1988

63
B arbara Bloom ,
On Location, 1978
A performancelinstaliation
is announced with the
title "On Location".
As the audience enters
the space they see an B arbara Bloom , On Location, 1978 Barbara Bloom , On Location, The Kitchen, N.Y. 1978
elaborate strongly lit film
set in fuiI action -
including the equipment,
actors, caméra, sound and
light crews, director,
assistents...
Already begun is the
shooting o f different
scenes from a film. The
scenes, the story seems to
be about a studio session
between a photographer
and a mode!.
Through the changes in
scenes, the dialogue, the
changes in set and props,
the sound backgrounds -
one forms some idea
about w hat this (fictional)
film narrative could be.
Innuendo plays a large B arbara Bloom , Vitrine m it
roli. D ie g esa m m elten W erk e von Barbara Bloom ,
(1978, TheKitchen, N ew Edition René Stock, Berlin, 1989
York)

Barbara Bloom , In sta lla­


B arbara Bloom , Detail der Installation, Groninger Barbara Bloom , C h a ir. S tu h l I, Stoffbezug m it einem
tio n , Groninger Muséum
Muséum Groningen, 1980 Rôntgenbildmuster von Zâhnen der Künstlerin, 1989
Groningen, 1980

64
Anmerkungen: 10 L. Wittgenstein, V o rle s u n g e n u n d G e s p rë c h e ü b e r  s t h e -

1 Ogden war selbst ein bedeutender Philosoph in der briti- Gôttingen 1968, S. 28.
tik . P s y c h o lo g ie u n d R e lig io n .

schen Tradition der Aufklârung, die wir nun um ihn selbst 11 Op.at.S.29.
und Mill, Bradley, Russel erweitern kônnen. Ogden stand 12 L. Wittgenstein, P h ilo s o p h is c h e U n te r s u c h u n g e n , Nr. 217.
dem Kreis um Bertrand Russell nahe. Er war Herausgeber 13 L. Wittgenstein, V o rle s u n g e n u n d G e s p r â c h e ü b e r  s t h e -
von Bentham's T h e o r y o f L é g is la tio n , aber vor allem der t i k . . . . S. 28.
In t e r n a t io n a l L ib r a r y o f P s y c h o lo g y , P h ilo s o p h y a n d s c ie n ti- 14 L. Wittgenstein, P h ilo s o p h is c h e U n te r s u c h u n g e n , Nr. 132.
fic M e t h o d , welche die analytische Philosphie (L. Wittgen- 15 L. Wittgenstein, V o r t r a g ü b e r E t h ik u n d a n d e r e S c h rifte n ,
stein, G.E. Moore, R. Carnap, B. Russel, Ch. S. Peirce) und Frankfurt 1989, S. 19.
Psychologie (J. Piaget, K. Koffka, W. Koehler) fôrderte. 16 Arto K. Salomaa, F o r m a te S p ra c h e n . Springer, 1978, S. 15.
Ogdens eigene grôBte philosphische Leistung ist sein Buch 17 Pavel Medvedev, D ie fo r m a t e M é t h o d e in d e r L r te ra tu rw is -
■ T h e M e a n in g o f M e a n in g , (1922)geschrieben mit I.A. Rich­ s e n s c h a ft. Stuttgart 1976.
ards, ein Klassiker der Sprachanalyse und Semiotik. 18 Michail Bachtin, L it e r a t u r u n d K a rn e v a l. Z u r R o m a n th e o rie
2 Der Kampf gegen die fatale Gleichsetzung von Wort und u n d L a c h k u itu r . Hanser Verlag, München 1969.
Ding, von Sprache und Wirklichkeit ist ein Leitmotiv des 19 Daher sind erst wieder mèhr als 10 Jahre spâter Überset-
logischen Empirismus und Positivismus. Siehe dazu zum zungen von Büchern und Schriften Bachtins erschienen:
Beispiel Rudolf Carnap: „Es müBte einmal naher unter- D ie  s t h e t ik d e s W o r te s (Hg. R. GrObel). Suhrkamp 1979;
sucht werden, welche kulturgeschichtliche Bedeutung der P r o b lè m e d e r P o e t ik D o s to je w s k ijs (1971), U n te r s u c h u n ­
Verwechslung von begleitenden Gegenstandsvorstellun- g e n z u r P o e t ik u n d T h é o r ie d e s R o m a n s . Aufbau Verlag
gen mit Sachverhaltsvorstellungen zukommt, genauer: 1986; R a b e la is u n d s e in e W e lt. V o lk s k u ltu r u n d G e g e n k U l-
dem aus dieser Verwechslung entspringenden Versuch, tur. 1987; Formen der Z e it im R o m a n . Fischer, Frankfurt
begleitende Gegenstandsvorstellungen durch (Schein-)
1989.
Aussagen zum Ausdruck zu bringen, Vielleicht haben
20 Julia Kristeva, D ie R é v o lu t io n d e r p o e t is c h e n S p ra c h e .
Magie (als Théorie), Mythus (einschlieBlich der Théologie)
Frankfurt 1978.
und Metaphysik hier ihren Ursprung;" (In: S c h e in p r o b le m e
Tzvetan Todorov, M ik h a il B a k h t in e : L e p r in c ip e d ia lo g iq u e .
in d e r P h ilo s p h ie . Hamburg 1961, Nachdruck Suhrkamp,
Paris 1981.
Frankfurt 1966, S. 73).
Mikhail Bakhtine, L e M a r x is m e e t la p h ilo s o p h ie d u la n g a ­
3 C.K. Ogden, Benthams T h e o r y o f F ic tio n s . Kegan Paul, Lon­
g e . Paris 1977.Vorwortvon Roman Jakobson.
don 1932, S. XXV111.
21 M. M. Bakhtin, A r t a n d A n s w e r a b ility , Hg. M. Holqujst, V.
4 C.K. Ogden, Benthams T h e o r y o f F ic tio n s . Kegan Paul, Lon­
Liapunov. University of Texas Press, Austin 1990.
don 1932, S. XVIII.
Katerina Clark und Michael Holquist, M ik h a i l B a k h t in . Har­
5 Slavoj Zizek, T a r r y in g w i t h t h e N é g a tiv e . Duke University
Press, Durham 1993, S. 85. vard University Press, 1984.
6 Auch W.O. Quine verwendêt in W o r d a n d O b je c t (M.I.T., V. N. Volosinov, F r e u d ia n is m : A C r itic a l S k e tc h . Indiana.
1960, ûbrigens „ Rudolf Carnap, dem Lehrer und Freund" Univ. Press, T987.
gewidmet) hiufig die Technik der Paraphrase, um den V.N. Volosinov, M a r x is m a n d t h e P h ilo s o p h y o f L a n g u a g e .
Gebrauch und die Bedeutung eines Wortes zu erklâren. Seminar Press, N. Y. 1973.
„lm allgemeinen ist es eine gute Regel, mittels Paraphrase M. M. Bakhtin, P. N. Medvedev, T h e F o r m a i -M e th o d . in
L ite r a r y S c h o ta r s h ip ; A c r it ic a l In t r o d u c t io n t o 'S o c io io g ic a i
zu versuchen, die nichtbezeichnenden Positionen durch
explizit undurchsichtige Konstruktionen offenzulegen." (S. John Hopkins Univ. Press, 1978.
P o e tic s .

273). „Was wir anstreben, wenn wir zur Behebung von Fredric Jameson, T h e P r is o n -H o u s e o f L a n g u a g e . Princeton
Mehrdeutigkeiten einen Satz paraphrasieren, ist kein syno- Univ. Press 1972.
nymer Satz, sondern einer, der dadurch, daB er einige M. M. Bakhtin, T h e d ia lo g ic im a g in a t io n . Univ. of Texas
alternative Interpretationen ausschlieBt, informativer ist." Press, Austin 1981.
(S. 279). Zitiert nach Wort und Gegenstand, Redam Stutt­ M. M. Bakhtin, Speech Genres and otherLate Essays. Univ.
gart 1980. of Texas Press.
7 vide Rudolf Carnap, D e r lo g is c h e A u f b a u d e r W e lt. Berlin 22 zitiert nach Michail M. Bachtin, D ie  s t h e t ik d e s W o rte s :
1928; L o g is c h e S y n ta x d e r S p ra c h e . Wien 1934. Hg. Rainer Grübel, Suhrkamp, 1979, S. 32.
8 L. Wittgenstein, T r a c ta tu s lo g ic o - p h ilo s o p h ic u s , 4.01. Vgl. 23 V. N. Volosinov, F r e u d ia n is m , Hg. I. R. Titunik, N. H. Bruss,
auch 4.023 „Der Satz ist die Beschreibung des Sachver- Indiana Univ. Press, 1987. S. 79.
halts". Eine Auffassung, die hinter Bentham zurückfëllt. 24 op. cit-, S. 79.
9 Ludwig Wittgenstein, P h ilo s o p h is c h e U n te r s u c h u n g e n , Nr. 25 op. cit., S 86.
23. In: Werkausgabe, Bd. 1, Frankfurt 1984. 26 Volosinov, op. cit., S. 99.
27 M. M. Bakhtin, A r t a n d A n s w e r a b ilit y . Hg. Michael Hol- 53 Pierre Bourdieu, Z u r S o z io lo g ie d e r s y m b o lis c h e n F o rm e n .
quist, Vadim Liapunov, Univ. of Texas Press, Austin 1990, Suhrkamp, 1970, S. 159.
S. XXX-XXXI. 54 Bourdieu, op. cit., S. 163.
28 Bachtin, Â s t h e t ik d e s W o rte s . S. 29. 55 Bourdieu, op. cit., S. 164.
29 Volosinov, F r e u d ia n is m , S. 115. 56 op. cit., S. 174.
30 Bachtin, A s t h e t ik d e s W o rte s , 5 . 52-53. 57 George Spencer Brown, L a w s o f F o r m . 2. Aufl., N.Y. 1972.
31 op. cit„ 5. 354. 58 Niklas Luhmann, S o z ia le S y s tè m e . Suhrkamp, 1987, S. 35.
32 op. cit., S. 356-357. 59 op. cit., S. 37.
33 op. cit., S. 357. 60 Vgl. Niklas Luhmann, D a s M e d iu m d e r K u n s t. Delfin 4,
34 Roman Jakobson, C lo s in g S t a te m e n t : L in g u is tic s a n d P o e - 1986.
tic s . In: S ty le in L a n g u a g e . Ed. Th. A. Sebeock. Cambridge, Niklas Luhmann, B e o b a c h tu n g e n d e r M o d e r n e , Westdeut-
Massachusetts 1960, S. 353. scher Verlag, Opladen 1992.
35 T. J. Clark. J a c k s o n P o llo c k 's A b s tr a c tio n . In: S. Guilbaut N. Luhmann, F. D. Bunsen, D. Baecker, U n b e o b a c h tb a r e
W e lt. Haux Verlag, Bielefeld 1990.
(Hg.), R e c o n s t r u c t in g M o d e r n is m . Cambridge 1990. S.
117. 61 Pierre Bourdieu, P r in c ip le s o f a S o c io lo g y o f C u ltu r a l W o rk s .
36 Z.8. David Baumgard, B e n t h a m a n d t h e E th ic s o f T o d a y. In: E x p la n a tio n a n d V a lu e in t h e A r ts . Ed. S. Kemai, I. Gas-
1952, Neuauflage 1966. kell, Univ. of Cambridge Press, 1993, S. 173.
37 Michel Foucault, O b e r w a c h e n u n d S t ra fe n . D ie G e b u r t d e s 62 Vgl. Benjamin H. D. Buchloh, P e re s tr o ijk a in d e r K u n s t ? In:
T e x te z u r K u n s t, Nr. 2, 1991, S. 65 ff.
G e fâ n g n is s e s . Suhrkamp, 1976, Paris 1975.

38 zitiert nach David Lyon, T h e E le c tro n ic Eye. T h e R ise o f S u r­ 63 T. J. Clark, T h e c o n d it io n s o f a r t i s t i c c r é a tio n . Times Literary
Supplément, 24. Mai 1974.
v e illa n c e S o c ie ty . Univ. of Minnesota Press, 1984, S. 67.
O n S o c ia l H is t o r y . In: TJ. Clark, Im a g e o f t h e P e o p le ,
39 siehe David Lyon, op. cit., S. 67.
G u s ta v e C o u r b e t a n d th e 1 8 4 8 R é v o lu tio n . Thames & Hud­
Oscar H. Gandy jr„ T h e P a n o p t ic S o rt : A P o lit ic a l E c o n o m y
son, London 1973.
o f P e rs o n a l I n f o r m a t io n . Westview Press, 1994.
64 Helmut Draxler, D ie In v e r s io n d e s S o z ia le n . H is to r is c h e D is -
40 Michel Foucault, D ie G e b u r t d e r K lin ik . E in e A r c h é o lo g ie
k u r s fo r m e n k ü n s tle r is c h e r P ra x is . In: Peter Weibel, Christa
d e s â r t z lic h e n B lic k s . Hanser, 1973, Paris 1963.
Steinle, GStz Pochât (Hg), K o n t in u i t ë t u n d Id e n tita t . F e s t-
41 Michel Foucault, W a h n s in n u n d G e s e lls c h a ft. E in e Ge-
s c h r i f t f û r W ilf r ie d S k re in e r. Bôhlau Verlag, Wien 1992, S.
s c h ic h t e d e s W a h n s im Z e it a lt e r d e r V e m u n f t Suhrkamp,
306.
1969.
65 Draxler, op. cit., S. 308.
42 Michel Foucault, D is p o s itiv e d e r M a c h t. Merve Verlag, Ber­
66 Draxler, op. cit., S. 310.
lin 1978, S. 51. 67 Vgl. auch R. Münch, D ie S t r u k t u r d e r M o d e r n e . G r u n d -
43 zitiert nach Maurice Berger, R o b e r t M o r ris , M in im a lis m a n d m u s t e r u n d d i f f é r e n t i e l l e G e s t a lt u n g d e s i n s t it u t io n e lle n
t h e 1 9 6 0 s . Harper & Row, N. Y. 1989, S. Î09.
A u f b a u s d e r m o d e r n e n G e s e lls c h a fte n . Frankfurt 1984.
44 T h e W r it in g s o f R o b e r t S m ith s o n . Ed. Nancy Holt, N.Y. Uni- 68 Wolfgang Kemp, K o n t e x te . F u r e in e K u n s t g e s c h ic h t e d e r
versity Press, 1979, S. 132. In: T e x te z u r K u n s t, Nr. 2,1991, Kôln, S. 89 ff.
K o m p le x itâ t.
45 zitiert nach Craig Owens, F r o m W o r k t o F ra m e . In: B e y o n d 69 E. D. Hirsch, V a l id i t y i n In te r p r é ta t io n . New Haven, 1967. S.
R é c o g n itio n . Univ. of California Press, 1984, S. 128.
86.
46 Smithson, op. cit, S. 200. 70 W. Kemp, op. cit., S. 98.
47 zitiert nach Maurice Berger, op. cit., S. 110. 71 J. Derrida, S ig n a tu r , E te ig n is , K o n t e x t. In: R a n d g â n g e d e r
48 Vgl. Michael E. Brown, T h e P r o d u c t io n o f S o c ie ty . Rowman P h ilo s o p h ie . Paris 1972, Ullstein, 1976, S. 126.
& Littlefield, New Jersey, 1986. 72 Vgl. die Bûcher t h e s it u a t io n is t i n t e r n a t io n a l 1 9 5 7 - 1 9 7 2 .
Diana Crâne, T h e P r o d u c t io n o f C u ltu r e . Sage, London Ed. Elisabeth Sussman, MIT Press, 1989.
1992. A n e n d le s s a d v e n tu re . T h e S it u a t io n is t In t e r n a t io n a l 1 9 5 7 -
49 Vgl. Gareth Stedman Jones, L a n g u a g e o f C la s s . 1983. Dort 1 9 6 2 . Ed. Iwona Blazwick, Verso, London 1989.
wird explizit „Klasse" nicht als reale, vorsprachliche Entitât Roberto Ohrt, P h a n to m A v a n t g a r d e . Ed. Nautilus,1990.
gesehen, sondern als diskursives Konstrukt. Vgl. auch E. 73 S itu a t io n is tis c h e In t e r n a t io n a le 1 9 5 8 - 1 9 6 9 . Band 1, MaD
Laclau/Ch. Mouffe, H e g e m o n y a n d S o c ia lis t S tra te g y . Ver­ Verlag, Hamburg 1976, S. 18.
so, London, 1985. 74 op. cit., S. 19.
50 Janet Wolff, T h e S o c ia l P r o d u c t io n o f A r t . Mac Millan Press, 75 op. cit., S. 21.
London 1981,2. Auflage 1993. 76 In dieser Ausgabe unter dem Titel A n y A d v a n c e ? T h e
51 Peter L. Berger, Thomas Luckmann, T h e S o c ia l C o n s tr u c ­ c h a n g in g G u a r d gab es auch Texte von Konrad Bayer über

t io n o f R e a lity . Doubleday, 1966, S. 25. die Wiener Gruppe, von Franz Mon, Max Bense, Dieter Rot,
52 Berger/Luckmann, op. cit., S. 25. Bruno Munari (Programmed Art), Isidore Isou etc.
77 MaD Verlag,
S itu a t io n is tis c h e In t e r n a t io n a le 1 9 5 8 - 1 9 6 9 . Siehe auch den Abdruck der Arbeiten R e k o n s tr u k tio n e n
1976, S. 78. von 1970 („Kunst ist das Erkennen sozialer Prozesse") in
78 op. cit., S. 85. der slowenischen Zeitschrift P ro b le m i, April 1971, Laibach.
79 op. Cit., S. 86. Vgl. auch den Bericht Peter Weibel, W ie n e r A k t io n s k ü n s t -
80 op.cit., S. 82. l e r 1 9 6 3 - 7 3 . in: I m N a m e n d e s V o lk e s . D a s „ g e s u n d e
81 Ute Guzzoni, I d e n t i t â t O d e r n ic h t. Verlag Karl Alber, Frei- V o lk s e m p f in d e n " a ls K u n s tm a B s ta b . Wilhelm Lehmbruck

burg 1981, 5.12. Muséum, Duisburg 1979, S. 48.


82' G.W. F. Hegel, W is s e n s c h a ft d e r L o g ik I, Leipzig 1951, S. P h a n to m is ie r u n g . Ein Interview mit I. Graw.Artis, Dez./Jën.
94. 1991, 42. Jahrgang, Heft 12/1, Bern, S. 28.
83 Benjamin H. D. Buchloh, M ic h a e l A s h e r a n d th e C o n c lu s io n In der Ausstellung Id e a S tru c tu r e s , London 1970, publizier-
o f M o d e r n is t S c u lp tu re . In: P e rfo r m a n c e , T e x t(e )s e t D o c u ­ te Keith Arnatt eine vergleichbare Arbeit unter dem Titel Is
m e n ts : Parachute, Montreal 1981. i t p o s s ib le f o r m e t o d o n o t h in g a s m y c o n t r ib u t io n t o th is
84 Ludwig Wittgenstein, P h ilo s o p h ic a l I n v e s tig a tio n s . Black­ e x h ib itio n ? : „Leaving aside a more general semantic issue,
well, Oxford 1976, Paragraph 216. i. e., does the statement ,l hâve done nothing' make any
85 Aleida Assmann, D ie S p ra c h e d e r D in g e . In: M a t e r i a l it a t d e r kind of sense,... how is this statement likely to be taken in
K o m m u n ik a t io n . Hg. H. U. Gumbrecht, K. L. Pfeiffer, Suhr­
the context of this exhibition?"
kamp, 1988, S. 237. 100 Paul Maenz, Z u m v e r â n d e r te n K u n s t v e r s tâ n d n is 1 9 6 5 . In:
86 Umberto Eco, S e m io tik . München 1987, S. 20. K u n s t û b e r K u n s t Kôlnischer Kunstverein, 1974, S. 79. Die
87 Buchloh, op. cit, S. 62. Künstier waren: André, Art St Language, Buren, Burgin,
88 op. cit., S. 62. Burn/Ramsden, Huebler, Judd, Kosuth, Le Witt, Morris,
89 Dan Graham, K u n s t h a lle B a sel, 1976, S. 15. Roehr, Weiner.
90 Henry Flynt, C o n c e p t A r t . In: L a M o n te Y o u n g (H g ), A n A n - 101 Im übrigen betont sogar Cari André die fiktiven Aspekte
t h o lo g y , N. Y. 1963.
der Kunst. In dem Text Q u e s tio n a n d A n s w e r s , 1969, ant-
91 Flynt, op. cit. wortet er auf die Frage: Was ist Qualitat in der Kunst?
92 Joseph Kosuth in: S o ftw a r e , Jewish Muséum, N.Y. 1970.
A. Qualitat in der Kunst ist eine Fiktion des Künstlers.
Im gleichen Jahrfanden zwei weitere wichtige Ausstellun-
B. Qualitat in der Kunst ist eine Fiktion des Kritikers."
gen statt: A r t a n d T e c h n o lo g y . County Muséum, L.A.,. und
Seine Definitionen von Kunst und Künstier verweîsen auf
In f o r m a t io n . MoMA, N.Y.
eine nominalistische Konsenstheorie, das ist eine gemiBig-
93 Kosuth schrieb 1977 dahen „Das Problem des Ausstellens
te Kontexttheorie.
in Galérien ist mehr als einfach ,ein Problem', es ist unver-
102 A r t f o r u m Vol.VI, Nr.4, Dec.1967, New York.
meidbarer Teil des Materials der heutigen Arbeit. Institutio-
103 Zitiert nach Donald Wall, G o r d o n M a t t a - C la r k 's B u ild in g
nelle Einrichtungen wie Galérien, Museen oder Zeitschrif-
D is s e c tio n s . A r t M a g a z in e , Mârz 1976.
ten umschlieBen die Arbeit und geben ihr Bedeutung." In:
Katalog W a s e r w a r t e s t D u . . . ? , Paul Maenz, Kôln 1977. 104 op. cit.
94 zitiert nach Ursula Meyer, C o n c e p tu e l A r t , Dutton, N. Y. 105 Gordon Matta-Clark, A v a la n c h e , Dez. 1974, N.Y.
1972, S. XIX. 106 D.Wall. op. cit.
95 lan Burn/Mel Ramsden. S o m e N o te s o n P r a c tic e a n d T h e o - 107 D.Wall, op. cit.
ry . 1969, zitiert nach: K u n s t û b e r K u n s t, Kôlnischer Kunst-
108 Dan Graham, G o r d o n M a tt a - C la r k . Dan Graham, M u s é u m
f o r G o r d o n M a tt a - C la r k . Beide in: F ly k tp u n k t e r . Moderna
verein, 1974, S. 90.
96 siehe Charles Harrison, Essa ys o n A r t S L a n g u a g e . Basil Museet, Stockholm 1984, S.90-107.
Blackwell, Oxford 1991. 109 Hans Haacke, F r a m in g a n d B e in g F r a m e d . Hg. Kasper
97 Rosalind Krauss, N o te s o n t h e In d e x . P a rt 1 a n d 2. In: T h e Kônig, The Press of the Nova Scotia College of Art and
O r ig in a lit y o f th e A v a n t - G a r d e a n d o t h e r M o d e r n is t M y th s .
Design, Halifax, N.Y. Univ. Press, 1975.
MIT Press, 1985. Siehe auch Trinh T. Minh-Ha, F r a m e r F ra m e d , Routledge,
98 Als Hôhepunkt siehe W. Schimanovich, F. Kaltenbeck, P. N.Y. 1992.
Weibel, E x te n s io n e n d e r M e n g e n le h r e . In: M a n u s k r ip t e 3 1 , 110 Hans Haacke, Unfinished Business. MIT Press, 1986, S.60.
Nov. 71, Graz. 111 Fredric Jameson, H a n s H a a c k e a n d th e C u lt u r a l L o g ic o f
99 Siehe eine Auflistung dieser Aktionen in: Peter Weibel, K ô r- P o s t m o d e r n i s m . In: U n f i n i s h e d B u s in e s s (Anm.110),

p e r - u n d in t e r m e d ia le A k t io n e n 1 9 6 6 - 1 9 7 5 . D e r L ô w e , Nr. S.33-50.
9, Bern 1976, S. 52. 112F. Jameson, op. cit., S.49.
K u n s t a ls K r im in a litâ t . In: T u m u tt, Nr. 11, München 1988, 113 Benjamin H. D. Buchloh, F r o m t h e A e s th e tic s o f A d m in i­
S. 20-35. „Die Kunst der Institutionen war für mich zum s t r a t io n t o In s t it u t io n a l C ritiq u e . In: L ’a r t c o n c e p tu e l, u n e

Sklaven des Kapitals geworden, zum Instrument der Re­ p e r s p e c tiv e . Museé d'Art Moderne de la Ville de Paris,

pression" (S. 22). 1989-90, S. 41-54.


Gekürzt wiederabgedruckt in: U m 7968. Stadtische Kunst- M o d e r n is m : R e t h in k in g R e p ré s e n ta tio n . Ed. Brian Wallis,

halle Düsseldorf, DuMont, Kôln 1990, S. 85-99. N.Y, 1984.


Vgl. zu diesem Thema auch den Artikel von Buchloh: P é ri- 125 Craig Owens, T h e d is c o u r s e o f o t h e r s : fe m in is t s a n d p o s t -
o d iz in g C ritic s . D is c u s s io n s in C o n te m p o r a r y C u ltu re , Dia m o d e r n is m . In: Craig Owens, B e y o n d R é c o g n itio n . R e p ré ­

Art Foundation. N. Y. 1987. s e n ta tio n , P o w e r, a n d C u ltu re . Hg. S. Bryson, B. Kruger, L.

114 Jack Burnham, S te p s in t h e F o r m u la t io n o f R e a l- T im e P o liti- Tillmann, I. Weinstock, Univ. of Calif. Press, 1984.
c a l A r t . In: Haacke, F r a m in g a n d B e in g F r a m e d ( Anm.109), 126 Allan Sekula, D is m a n th in g M o d e r n is m , R e in v e n tin g D o c u -
m e n t a r y (N o te s o n t h e P o litic s o f R e p ré s e n ta tio n ). In: M a s ­
S. 138.
s a c h u s e t t s R e v ie w , vgl. XIX, Nr. 4, Winter 1978, S.
J. Burnham ist auch der Verfasser des einfluSreichen
Bûches S t r u c t u r e o f A r t , 1971, zu deutsch: K u n s t u n d 859-881.
S tr u k tu r a lis m u s . D ie n e u e M é t h o d e d e r K u n s t in t e r p r e t a -
Vgl. auch Allan Sekula, T h e T r a ffic in P h o to g ra p h s . In: A r t
J o u r n a l, Spring 1981, S. 15 - 23.
tio n . DuMont, 1972.
115 cf. A r t e t L itt é r a t u r e , Nr. 3,1954, S o c ié té A n o n y m e d 'E d it i- 127 Victor Burgin, S it u a t io n a l A e s th e tic s . Studio International,
o n s lit t é r a ir e e t a r tis tiq u e s , Lausanne, S. 220, und im Kata-
Okt. 1969, London,
log Ù y v in d F a h ls trô m . 33. Biennale von Venedig 1956. 128 In: D. Lamelas, R e s p o n s e s t o t h r e e s ta te m e n ts . London
115 Daniel Buren, B e w a r e ! Studio International, London 1970. 1970.
129 Victor Burgin. In: D e u r/ e 11/7/73. MTL-Galerie, B rü s s e l 1973.
Daniel Buren, C ritic a l L im its , ln: F iv e T e xts, New York 1973,
130 Siehe Cheryl Bernstein, T h e P a k e a s m o r e . In: Id e a A r t . Hg.
S. 38.
Gregory Battcock, Dutton, N.Y. 1973, S. 41-45.
117 Daniel Buren, M a t r ix 3 3 , D o m in o e s t A M u s é u m B t h ib it io n .
131 Douglas Crimp, P ic tu re s . (Troy Brauntuch, Jack Goldstein,
Wadsworth Atheneum, Hartford, S. 6.
Sherrie Levine, Robert Longo, Philip Smith). Artists Space,
118 Siehe Benjamin Buchloh. M ic h a e l A s h e r a n d t h e C o n c lu ­
N.Y. 1977.
s io n o f M o d e r n is t S c u lp tu re . In: P e rf o r m a n c e , T e x t(e )s &
Craig Owens, T h e A lle g o r ic a l Im p u ls e : T o w a r d a T h e o r y o f
D o c u m e n t s . Ed. Ch. Pontbriand, Montreal 1981, S. 64.
P o s tm o d e r n is m , P a rt 1 a n d 2 . In: O c to b e r 12 und 13,1980.
Michael Asher, W r i t i n g s 1 9 7 3 - 1 9 8 3 o n W o r k s 1 9 6 9 - Craig Owens, R e p ré s e n ta tio n , A p p r o p r ia t io n , a n d P o w e r.
1 9 7 9 . Ed. B. Buchloh, Halifax, The Press of Nova Scotia Col­
N.Y. 1982.
lege of Art and Design, 1983. Beide wiederabgedruckt in: Craig Owens, B e y o n d R é c o g n i­
119 Siehe dazu M. Ryklin, F a k tu r, W o r t, K o n t e x t : C a s O b je k t i n t io n . Ed. S. Bryan, B. Kruger, L. Tîllman, J. Weinstock, Univ.
d e r T r a d itio n d e s M o s k a u e r K o n z e p t u a lis m u s . In: Is k u s s tro ,
of Cal. Press, 1984.
Nr. 10,1989, S.14-17. Benjamin H. D. Buchloh, A lle g o r ic a l P r o c e d u re s : A p p r o b a ­
120 Brian O'Doherty, In s id e t h e W h it e C u b e . T h e I d e o lo g y o f t io n a n d M o n t a g e in C o n te m p o r a r y A r t , In: A r t f o r u m , Sept.
t h e G a lle ry S p a c e . The Lapis Press, San Francisco 1985, S.
1982, N.Y, S. 43-56.
65, 132 1982 beging Jenny Holzer diesen Irrtum im Dienste des
121 Douglas Crimp, T h is Is N o t a M u s é u m o f A r t . In: M a r c e l Mainstream: „As far as the systematic exploration of con-
B r o o d t h a e r s . Rizzoli, New York 1989, S. 71. text is concerned, at that time (ca. 1977) that point had
122 Vgl. Benjamin Buchloh, M a r c e l B r o o d t h a e r s : A llé g o r ie s o f been made." Zitiert nach: Hal Foster, S u b v e rs iv e S ig n s .
t h e A v a n t - G a r d e . In: A r t f o r u m , Vol. 18, Mai 1980, S. T h é o rie s o f C o n te m p o r a r y A r t Hg. R, Hertz, S. 180.
52-59. 133 Jessica Prinz, A r t D is c o u rs e /D is c o u rs e in A r t . Rutgers Univ,
B. Buchloh, T h e M u s é u m F ic tio n s o f M a r c e l B r o o d th a e r s . Press, New Brunswick 1991.
In: M u s é u m s b y A r tis ts . Art Metropol, Toronto 1983, S. R. Wollheim, D ie In s t it u t io n s t h e o r ie d e r K u n s t. In: O b je k te
45-56. d e r K u n s t, Frankfurt 1982.
123 Craig Owens, F r o m W o r k t o F ra m e , o r, Is T h e re L ife A f t e r Fredric Jameson, P o s tm o d e r n is m o r T h e C u ltu r a l L o g ic o f
„ T h e D e a th o f th e A u t h o r " ? In: Craig Owens, B e y o n d R é c o ­ L a te C a p ita lis m . In: N e w L e f t R e v ie w , Nr.146, Juli-August

g n it io n . R e p ré s e n ta tio n , P o w e r, a n d C u ltu re . Hg. S. Bryson, 1984, 5.53-93.


B. Kruger, L. Tillmann, I. Weinstock, Univ. of. Calif. Press, Rosalind Krauss, T h e C u ltu r a l L o g ic o f t h e L a te C a p ita lis t
1984. M u s é u m . In: October 54, Herbst 1990. Deutsche Überset-

124 Marthe Rosier, L o o k e r s , B u y e rs , D e a le r s , a n d M a k e r s : zung in: T e x te z u r K u n s t , Juni 1992, 2.Jahrgang Nr.6,


T h o u g h ts o n A u d ie n c e . Wiederabdruck in: A r t A fte r S. 131—145, Kôln.
Kontext-Theorie der Kunst (1971)
Peter Weibel

Wenn wir uns an die Einteilung der Sprache in auBersprachlicher Mittel beim Umgang mit der
Syntax, Semantik, Pragmatik halten wollen und Sprache bedient. -
unter Syntax die Beziehungen der Wôrter unter- Dabei ist man draufgekommen, daB die auBer-
einander, unter Semantik die Bezüge der Wôrter sprachlichen Mittel selbst von sprachlichen Struk-
zu den Objekten, also die Bedeutung der Wôrter, turen befallen sind. Dadurch ist das Universum
und unter Pragmatik die Beziehungen der Wôrter der Sprache grôBer geworden: Strukturen der
zu den Subjekten, die die Wôrter gebrauchen, Sprache wurden erweitert und neue Sprachstruk-
also die verbale Kommunikation, verstehen, so turen entdeckt. Beispielsweise erstreckt sich die
sehen wir deutlich, daB der GroBteii dessen, was sprachiiche Organisation bis in die iuBersten
als Dichtung verstanden wird, sich in bloB syntak- Grenzen unserer sozialen Organisation! Die Orga­
tischen Erkundungen der Sprache erschôpft. Die nisation unserer Sinnesdaten wie die Organisati­
Rolle der Wôrter im Sprachsystem, nicht jedoch on unserer Akte in der Administration sind mit
die Rolle der Sprache im „System", spielte eine der Organisation dèr Wôrter in der Sprache ver-
Rolle. Der gesellschaftliche Aspekt der Sprache, wandt. (Man denke sich eine Unie durch eine
z.B. wie sehr Sprachmuster und Sprechakte im Stadt gezogen und an dieser Unie die Kôrperteile
sozialen Rollenspiel eine Rolle spielen, blieb so auf der Stadtbèwohner aufgespieBt/sb sieht man
der Strecke. Jene entscheidende Wende fur die einen Satz vor sich, wo jeder Kôrperteil èinen
Avantgarde der Literatur, namlich die Hinwen- Satzteil darstellt: Hânde sind Beistriche, R.ümpfe
dung auf Semantik und Pragmatik, hat Oswald Hauptwôrter, Glieder Zeitwôrter usw. Die FUnk- '
Wiener etwa um 1967 programmatisch für das tionen, die die Kôrperteile gerade innehaben, sei-
literarische c a b a re t (1958 und 1959) der Wiener en es soziale oder intime Funktionen, sind die
Gruppe treffend so formuliert: „wir waren nicht Bedeutungen. Es wird nicht schwerfalien, hînter
nur am verhalten der worte in bestimmten der Monotonie dieses Satzes, dessen Syntax der
sprachsituationen interessiert, sondern auch an Staat diktiert, die Grammatik der Empfindung zur
der steuerung konkreter situationen durch den hôheren Ehre der Gesellschaft zuerkenpen.) Ge-
sprachgebrauch." Um die Sprache selbstzu steu- nauso, wie gewisse gestaltliche Symmetrien sich
em, um den Sprachgebrauch zu untersuchen und von den Molekülen über die Kristalle bis in die
um einersprachlichen Steuerung zu entkommen, Gestaltung der Gebâude fortsetzen, so besteht
hat sich die Avantgarde seit Fluxus & Co. Ltd. auch zwischen Sprache und Wahrnehmung eine

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