lungsraum), die von Maingueneau offen- Mit dem Begriff der Polyphonie, der auf
sichtlich nicht rezipiert wurde, sicher Michail Bachtin verweist, setzt sich
weiterführende Ergebnisse bringen kön- Maingueneau im 4. Kapitel auseinander.
nen. Dabei greift er die von Ducrot (1984)
Im zweiten Kapitel führt Maingueneau herausgearbeitete Unterscheidung zwi-
die von Benveniste (1966) getroffene Un- schen dem Urheber eines Sprechakts
terscheidung von Diskurs und récit als (locuteur), dem Sprecher (sujet parlant)
zwei verschiedenen Äußerungsebenen ein, und dem Urheber einer Äußerung (énon-
wobei er nach der Verteilung beider ciateur) auf, der im Zusammenhang lite-
Äußerungssysteme in literarischen Tex- rarischer Texte eine besondere Relevanz
ten fragt. Benveniste bezeichnet (in Ab- zukommt.
grenzung zu anderen, üblicheren Be- Die Formen der »Redewiedergabe« in
griffsbestimmungen) mit dem Begriff literarischen Texten sind Thema des 5.
Diskurs »jede sprachliche Äußerung, ge- Kapitels. Untersucht werden hier die
schrieben oder gesprochen, die sich auf sprachlichen Mittel der Integration einer
den Moment der Äußerung selbst bezieht Äußerung in eine wiedergebende Rede
[…], oder die, anders gesagt, einen deik- für die Fälle der direkten Rede, der
tischen Ausdruck impliziert« (49). Unter indirekten Rede, der erlebten Rede und
dem Begriff récit ist dagegen eine »Art des inneren Monologs und deren jewei-
erzählender Äußerungsform, die von der lige Relevanz in literarischen Texten.
Äußerungssituation unabhängig ist« Welche Rolle Adjektive im Zusammen-
(ebd.), zu verstehen. Diese Differenzie- hang einer stilistischen Analyse literari-
rung ist eng mit dem französischen Tem- scher Texte spielen, ist unter dem Titel
pus-System verbunden, da z. B. das passé »Klassifizierung und Nicht-Klassifizie-
simple ausschließlich im récit Verwen- rung« im 6. Kapitel der Arbeit diskutiert,
dung findet. Für die Frage, inwieweit wobei Maingueneau sich hier vor allem
eine solche Unterscheidung auch für das für den Zusammenhang »zwischen
Deutsche von Relevanz ist, wäre ein nicht-klassifizierendem Gebrauch, Sub-
Hinweis des Bearbeiters der deutschen jektivität und literarischem Diskurs«
Ausgabe auf Weinrich (21971: 224) hilf- (149) interessiert.
reich gewesen, der seine Differenzierung Im 7. Kapitel »Elemente der Textgramma-
zwischen besprochener und erzählter tik«, das – wie auch Albrecht immer
Welt zu den Begriffen Benvenistes ins wieder anmerkt − zum Teil erheblich von
Verhältnis setzt. Die unterschiedliche der im deutschen Forschungszusammen-
sprachliche Handlungsfunktion ver- hang gewohnten textlinguistischen Ter-
schiedener Tempusformen im Deutschen minologie abweicht, diskutiert Maingue-
und ihr Einsatz in literarischen Texten neau Probleme der Textkohärenz. Bedau-
findet sich darüber hinaus bei Riedner erlich ist hier allerdings, daß – wie auch
(1996) diskutiert. Maingueneau selbst andeutet – aufgrund
Im Kapitel »Reliefgebung und Beschrei- der »Fülle der zu untersuchenden
bung« greift Maingueneau unmittelbar sprachlichen Erscheinungen« (151) die
die von Weinrich (21971) herausgearbei- detaillierte sprachlich-literarische Ana-
tete sprachliche Differenzierung zwi- lyse in diesem Kapitel deutlich zu kurz
schen Vordergrund und Hintergrund auf, kommt, die analysierten Textausschnitte
die er mit Roland Barthes erzählanalyti- also vorwiegend als Illustrationsmaterial
schen Kategorien der fonctions und indices für die besprochenen linguistischen
korreliert (Barthes 21981). Sachverhalte fungieren.
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Fazit: Trotz einiger Kritik bieten Main- den die ganze Breite linguistischer An-
gueneaus Linguistische Grundbegriffe zur wendungen gewinnbringend ergänzen
Analyse literarischer Texte dem Leser eine können« (7). Es geht hier um eine Ausein-
Fülle von Anregungen für die Analyse andersetzung mit grundlegenden Fragen
und stellen eine wichtige Diskussions- der Prototypentheorie (Abgrenzung
grundlage dar, auf deren Basis eine für ›Prototyp‹ vs. ›Steretoyp‹, Status des Pro-
die Literaturwissenschaft relevante lin- totypenansatzes als Theorie und/oder
guistische Analyse literarischer Texte Empirie, Art und Weise der linguisti-
weiter ausgearbeitet werden kann. schen Adaption der kognitionspsycholo-
gischen Prototypentheorie), aber auch
darum, die vorwiegend angelsächsisch
Literatur dominierte Diskussion um eine europäi-
Benveniste, Émile: Problèmes de linguistique sche Perspektive zu ergänzen. Die acht
générale I. Paris: Gallimard, 1966.
Barthes, Roland: »Introduction à l’analyse Beiträge des Sammelbandes reflektieren
structurale des récits.« L’analyse structu- die Vielfältigkeit der mit dem Prototy-
rale du récit: Recherches sémiologiques. Pa- penansatz in Zusammenhang stehenden
ris: Le Seuil, 2. Aufl. 1981, 7–33 (Commu- Fragestellungen: Er führt von eher gene-
nications 8). rellen Darstellungen der Prototypentheo-
Ducrot, Oswald: Le dire et le dit. Paris: Les rie und ihrer Methoden (Mangasser-
Editions de Minuit, 1984.
Ehlich, Konrad: »Deiktische und phorische Wahl, Schmid), über interdisziplinäre
Prozeduren beim literarischen Erzählen.« Anwendungen der Prototypenmethodik
In: Lämmert, Eberhard (Hrsg.): Erzählfor- (Müller/Weiss: Neurobiologie, Harras/
schung. Stuttgart: Metzler, 1982, 112–129. Grabowski: Psychologie) bis hin zu einer
Riedner, Ursula Renate: Sprachliche Felder Auswahl an linguistischen Anwen-
und literarische Wirkung. München: iudi- dungsmöglichkeiten (Sandig: Text;
cium, 1996.
Weinrich, Harald: Tempus. Besprochene und Knipf-Komlósi: Lexikographie; Dobro-
erzählte Welt. 2. Aufl. Stuttgart: Kohlham- vol’ski: Idiome sowie Brdar/Brdar-
mer, 1971. Szabó: Wortbildungselemente).
In ihrem einführenden Beitrag »Roschs
Prototypentheorie – Eine Entwicklung in
drei Phasen« plädiert Mangasser-Wahl
Mangasser-Wahl, Martina (Hrsg.): für ein sorgfältiges Quellenstudium zur
Prototypentheorie in der Linguistik. besseren Anwendung der Rosch’schen
Anwendungsbeispiele – Methodenre- Prototypentheorie in der Linguistik:
flexion – Perspektiven. Tübingen: Stauf-
fenburg, 2000 (Stauffenburg Linguistik »Die Gesamtschau der Rosch’schen Arbei-
ten soll als solide Grundlage für eine
10). – ISBN 3-86057-36118-1. 164 Seiten, erneute Bewertung der Prototypentheorie
€ 35,– im Rahmen der Gegenwartslinguistik die-
nen, damit in Zukunft verkürzte und ver-
(Mathilde Hennig, Timişoara / Rumänien) mischte Rezeptionen vermieden werden
können.« (9)
Der vorliegende Sammelband zur Proto-
typentheorie in der Linguistik ist auf der In seinem anschließenden Beitrag »Me-
Grundlage der Überzeugung entstanden, thodik der Prototypentheorie« kritisiert
daß »die Prototypentheorie nicht nur für Schmid die Theorielastigkeit des Ansat-
semantische Problemstellungen herange- zes und fordert eine Ausdehnung empi-
zogen werden kann, sondern daß ihre rischer Anwendungen und Überprüfun-
theoretischen Postulate und ihre Metho- gen. Zu diesem Zwecke stellt er experi-