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Einführung in die

Literaturvermittlung

3. Einheit

assoz. Prof. Mag. Dr. Michael Pilz


Institut für Germanistik / Innsbrucker Zeitungsarchiv (IZA)
Kolportage
Paratexte

„Ein literarisches Werk besteht ausschließlich oder


hauptsächlich aus einem Text, das heißt […] aus einer
mehr oder weniger langen Abfolge mehr oder weniger
bedeutungstragender verbaler Äußerungen. Dieser Text
präsentiert sich jedoch selten nackt, ohne Begleitschutz
einiger gleichfalls verbaler oder auch nicht-verbaler
Produktionen wie einem Autorennamen, einem Titel,
einem Vorwort und Illustrationen. […] sie umgeben und
verlängern ihn […], um ihn im üblichen, aber auch im
vollsten Sinn des Wortes zu präsentieren: ihn präsent zu
machen, und damit seine ‚Rezeption‘ und seinen Konsum
in […] der Gestalt des Buches zu ermöglichen. Dieses
unterschiedlich umfangreiche und gestaltete Beiwerk hab
ich […] als Paratext des Werkes bezeichnet. Der Paratext
ist also jenes Beiwerk, durch das ein Text zum Buch wird
und als solches vor die Leser und, allgemeiner, vor die
Öffentlichkeit tritt.“

Gérard Genette: Paratexte. Frankfurt/Main: Suhrkamp 2001.


(Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 1510)
Paratext:
• Peritext
• Epitext

Alternatives Konzept:
„bibliographical code“
(Jerome McGann)
„Man muss […] nicht so weit gehen wie Marshall McLuhan (1970) mit seiner
bekannten Behauptung ‚Das Medium ist die Botschaft‘, um anzuerkennen, daß
die Beschaffenheit des Mediums auch selbst schon eine bestimmte Information
enthält. Das läßt sich auch innerhalb des Bereichs literarischer Texte einsichtig
machen: Ein Gedicht beispielsweise wird anders rezipiert, wenn es etwa einem
mündlichen Vortrag (oder auf einer vom Autor besprochenen Schallplatte) zu
Gehör gebracht wird, und anders, wenn es in einer Anthologie, im Feuilleton
einer Zeitung, in einer kostbaren bibliophilen Ausgabe, in einem Schullesebuch
oder in der Handschrift des Verfassers gelesen wird. Der ‚mediale Ort‘ […] und
die Umgebung, in der ein Text erscheint, liefern also Rezeptionssteuerungen für
diesen […].“

Hannelore Link: Rezeptionsforschung. Stuttgart: Kohlhammer 1976, S. 92


„Buch. Eine in einem Umschlag oder Einband
durch Heftung zusammengefasste, meist
größere Anzahl von leeren, beschriebenen oder
bedruckten einzelnen Papierblättern oder Lagen
bzw. Bogen. Bei leichter Heftung und einfachem
Papier- oder Karton-Umschlag spricht man von
Broschur bzw. Broschüre oder Kartonage.“
Codex:
„Buch (frühgermanisch *bok-s: Buchstabe, Stab, auf dem eine
Rune geschrieben ist, die Rune selbst und schließlich der griech.
und lat. Buchstabe; im Plural in der Bedeutung von Schriftstück).
[…] Als materielles bzw. physischer Objekt oder elektronisches
Speichermedium ist das B. Produkt eines handwerklichen oder
maschinell geprägten Herstellungsprozesses. Es besteht aus
einem Trägermaterial […] und den darauf aufgebrachten
Sprach- und Bildzeichen […]. Dieser weite B.-Begriff fasst
unterschiedliche, historisch aktualisierte Repräsentationen der
Textüberlieferung zusammen (→ Buchrolle, → Codexform des
Buches, → Elektronisches Buch). Die physischen Formen
entstehen in Abhängigkeit von den Rohstoffen (→ Papyrus, →
Pergament, → Papier), die für das Trägermaterial zur Verfügung
stehen, sowie deren Weiterbearbeitung und der Art und Weise,
wie die Zeichen auf das physische Substrat aufgebracht werden
(→ Schreiben, → Drucken).“
„Vom Auftreten des → Codex in der Spätantike bis heute ist die
Codexform des Buches die geläufige Buchform. Beim aufgeschlagenen
Buch liegen jeweils zwei → Seiten nebeneinander, die durch die
Symmetrieachse entlang des → Bundes spiegelbildlich aufeinander
bezogen sind und in der Vorwärts- oder Rückwärtsbewegung des
Blätterns um die Achse bewegt werden. Die → Gestaltung des Buches
(→ Typographie) und das → Layout der Seite sowie die →
Textgliederungs- und → Texterschließungsmittel sind auf diese
Eigenschaften bezogen.
Als Zeichenträger speichert das B. nicht nur Sprach- und Zahlzeichen
[…], sondern auch Musiknoten […] und Bilder […]. Entwicklung
und Geschichte des materiellen Gegenstandes B. verweisen aber auf
eine Dominanz der sprachlichen Zeichen, auf die die Ökonomie der B.-
Formen ausgerichtet ist. In der B.-Kommunikation findet Sprache die
ihr gemäße Ausdrucks- und Überlieferungsform durch das Medium
der Schrift. […] Die im B. gespeicherten Texte als Zeichenketten
sowie die Bildzeichen sind potenziell räumlich wie zeitlich
ungebunden. Diese Eigenschaften hängen aber im Gebrauch
wesentlich von den Materialqualitäten des Trägerstoffes ab. Die
Kontinuität der Überlieferung und die räumliche Streuung im B.
festgehaltener geistiger Erfahrungen sind damit von einer mehrfachen
Speicherung in vielen Handschriften und Exemplaren abhängig sowie
von Umschreibungen in neu auftretende B.-Formen mit anderen
Materialqualitäten.“
„Aus der Verdauerung des flüchtigen gesprochenen Wortes
in der Schrift ergeben sich zwei Konsequenzen, die die B.-
Kommunikation formal bestimmen: die Entlastung des
individuellen (persönlichen) Gedächtnisses ebenso wie des
kollektiven gesellschaftlichen Gedächtnisses sowie die
Öffentlichkeit des Aufgeschriebenen, die sich aus der
Verselbständigung des materiellen Schriftträgers ergibt. Die
im B. gespeicherten Zeichenkomplexe müssen über die
Kulturtechnik des Lesens aufgrund von anthropologischen
und kognitiven sowie emotiven Dispositiven in individuellen
mentalen Repräsentationen aktualisiert werden. Auf der
Ebene der Textrepräsentation (Gestaltung der Seite als
Lesefläche im Layout sowie der Textorganisation im B.
insgesamt) hat das B. eine medienspezifische „Grammatik“
entwickelt, die allen Teilnehmern der B.-Kommunikation
geläufig sein muss. Diese arbeitet zwar mit dem Material
der Sprache und Schrift, bildet aber ein unabhängiges
semiotisches System (→ Typographie). Die Bedeu-
tungskonstruktion durch den Leser hängt in nicht
unerheblichem Maß von der Präsentation der Texte im B.
ab, ebenso wie unterschiedliche Leseweisen und Lese-
bedürfnisse Einfluss auf die Buchgestaltung nehmen.“
„Das B. ist Gegenstand des Buchhandels. Die materiell
definierte Differenz zwischen Text und B. bzw. zwischen
geistigem Erzeugnis und Handelsware (→ Buchwirtschaft) ist
verantwortlich für den Doppelcharakter des B. Als materieller
Gegenstand rückt es in die Nähe jeder anderen massenhaft
produzierten Ware, während seine Inhalte nicht ohne weiteres
substituierbar sind. Die kulturelle Sonderstellung des B. im
Kreis der Medien […] (→ Preisbindung) ist eine
Errungenschaft der Moderne und u. a. über die straffe
Organisation des Buchhandels durch die Standesorganisation
des → Börsenvereins [des deutschen Buchhandels] erreicht
worden.“

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