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„SORVETE UN TEMA IS NICH DÜTSCH“

Zur Integration portugiesischer Lehnwörter in drei deutschen Varietä-


ten Südbrasiliens1

Göz Kaufmann

“SORVETE AND TEMA IS NOT GERMAN”

The Integration of Portuguese Loanwords in Three German Varieties


in Southern Brazil

ABSTRACT

In diesem Beitrag wird das Lexikon von 129 südbrasilianischen Sprechern deutscher Außendialek-
te analysiert, die 46 Stimulussätze vom Portugiesischen ins Mennonitenplautdietsche, ins Pom-
mersche beziehungsweise ins Hunsrückische übersetzten. Der Vergleich von Häufigkeit und pho-
netischer Form der portugiesischen Lehnwörter und die Analyse der bei den Übersetzungen vor-
kommenden Verzögerungsphänomene erlauben es, wertvolle Einblicke darüber zu gewinnen, wie
die mehrsprachigen Informanten lexikalische Elemente speichern. Während Häufigkeit und Form
der Entlehnungen hauptsächlich durch die Herkunft, das Alter, das Geschlecht und die Sprach-
kompetenzen der Informant(inn)en erklärt werden können, tauchen (un)gefüllte Pausen, Segment-
dehnungen und Abbrüche vermehrt bei den mennonitischen Übersetzungen auf. Da die Mennoni-
ten nicht schlechter Portugiesisch sprechen als Pommern und Hunsrücker, die deutsche Varietät
und insbesondere das Standarddeutsche aber besser beherrschen als diese, überrascht dieser Unter-
schied auf den ersten Blick. Die Tatsache, dass portugiesische Lehnwörter bei den Mennoniten
seltener vorkommen, lässt allerdings den Schluss zu, dass das dialektale und das portugiesische
mentale Lexikon der Mennoniten weniger konvergiert haben als dies bei Pommern und Huns-
rückern der Fall ist. Infolgedessen erweist sich der lexikalische Zugriff und Abruf bei den Menno-
niten als deutlich kompetitiver.

Stichwörter Wortentlehnung, mentales Lexikon, Verzögerungsphänomene, Sprachvariation,


deutsch-portugiesischer Sprachkontakt

1 Für anregende Diskussionen und wichtige Hinweise danke ich MARTIN PFEIFFER, GERTJAN
POSTMA, PETER ROSENBERG und SASCHA WOLFER. Tatkräftige Unterstützung bei Transkrip-
tion und Kodierung leistete AARON SCHMIDT-RIESE.
KT rechts 3

This article analyzes the lexicon of 129 speakers of German dialects in Southern Brazil, who trans-
lated 46 Portuguese stimulus sentences into Mennonite Low German, Pomeranian, or Hunsrück-
isch. By comparing the number and phonetic shape of the Portuguese loanwords and by analyzing
the hesitation phenomena that occurred during the translation task, we can gain valuable insights
into the informants’ storage of lexical items. While the overall rate and shape of the borrowed
elements are largely determined by the informants’ origin, age, sex, and competence in the contact
languages, (un)filled pauses, segment lengthenings, and break-offs are more frequent among
speakers of Mennonite Low German. Initially, this is puzzling, since the Mennonites are as profi-
cient in Portuguese as their Pomeranian- and Hunsrückisch-speaking counterparts and since their
dialect knowledge and especially their knowledge of Standard German is actually higher. Howev-
er, taking into account that the overall number of loanwords in Mennonite Low German is lower, it
stands to reason that the Mennonites’ German and Portuguese mental lexica have converged less
than the lexica of the Pomeranians and Hunsrückers. Consequently, the Mennonites are faced with
more competition during lexical access and retrieval.

Keywords: lexical borrowing, mental lexicon, hesitation phenomena, language variation,


German-Portuguese language contact

1. ZWEI EINLEITENDE WORTANALYSEN

Das Lexem B u c h gehört zum Grundwortschatz des Deutschen. Im WORT-


SCHATZ-Portal der Universität Leipzig findet es sich 51.209-mal und fällt damit in
die Häufigkeitsklasse 8. Dies bedeutet, dass die Wortform der nur 28-mal, also
circa 256-mal, häufiger vorkommt.2 Es spricht nun nichts dagegen anzunehmen,
dass B u c h in den hier untersuchten Varietäten ebenfalls ein häufig verwendetes
Lexem ist. Aus diesem Grund, so könnte man meinen, sollte es eher selten von
einer entlehnten Wortform ersetzt werden. Tabelle 1 zeigt allerdings, dass dies nur
teilweise stimmt. Untersucht werden hier die Übersetzungen von vier portugiesi-
schen Stimulussätzen durch 129 Mennoniten, Hunsrücker und Pommern aus Rio
Grande do Sul.3

2 Das Leipziger WORTSCHATZ-Portal (http://wortschatz.uni-leipzig.de; letzter Abruf aller An-


gaben: 22.01.2017) bezieht sich auf schriftliche, hauptsächlich aus Deutschland stammende
Quellen und ist deshalb für mündlich verwendete Varietäten in Brasilien nur bedingt aussa-
gekräftig. RUOFFs (1990) Häufigkeitswörterbuch basiert zwar auf einem wesentlich kleineren,
ebenfalls in Deutschland erhobenen Korpus, bezieht sich aber auf gesprochene Sprache. Die
Wortform Buch ist auch hier mit 47 Belegen robust belegt. Wenn man die hier untersuchten
Lexeme in beiden Datensätzen nach Häufigkeit ordnet, erzielt man trotz der unterschiedlichen
Quellen insgesamt eine gute Übereinstimmung. Nur bei zwei Lexemen gibt es auffällige Un-
terschiede, bei einem weiteren ist zwar das ranking unauffällig, die absolute Häufigkeit aller-
dings nicht. Diese Fälle werden im Text angesprochen.
3 Alle Daten wurden im Rahmen eines Forschungsprojekts erhoben, dessen zentrales Anliegen
die Beschreibung der Verbsyntax des Mennonitenplautdietschen war (vgl. KAUFMANN 2007
und 2016). Beim Pommerschen geht es insbesondere um die verbale Doppelbesetzung der
linken Satzklammer. Ein Beispiel für dieses rarissimum ist Jestern hät küüt ik der Fingerring
4 KT links

Tabelle 1: Übersetzungsvarianten für B u c h in vier Stimulussätzen

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 222 96 184 502
Buch 222 (100%) 93 (96,9%) 131 (71,2%) 446 (88,8%)
 (2, n=502)=91.9; p=0,000*** / Cramer-V: 0,43 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

livro 0 (0%) 3 (3,1%) 53 (28,8%) 56 (11,2%)

Die höchstsignifikante und mittelstark assoziierte Verteilung in Tabelle 1 zeigt,4


dass die Mennoniten aus Colônia Nova (40 km südlich von Bagé) nur die
plautdietsche Wortform Buuk5 benutzen, während livro bei den Pommern, die in
mehreren Siedlungen zwischen Canguçu und São Lourenço do Sul leben, schon in
28,8% der Fälle vorkommt. Bei den Hunsrückern aus dem Munizip Brochier (75
Km nordwestlich von Porto Alegre) kommt livro zwar vor, ist aber äußerst selten.
Nur zwei Informantinnen verwenden es dort; eine 16-jährige tut dies zweimal,
eine 41-jährige einmal. Bei den Pommern produzieren 21 der 49 Informanten
livro nie, sieben Informanten benutzen es in allen vier Sätzen. Livro ist also
offensichtlich eine Wortform, die auf dem Weg ist, fest ins mentale Lexikon des
Pommerschen integriert zu werden. Als Logogen weist es also wohl eine ähnlich
niedrige Aktivierungsschwelle auf wie Bauk. Nach RAUPACH (1997, 32) “bieten
sich [Logogene] in dem Maße von sich aus als Kandidaten [für den lexikalischen
Abruf] an, in dem sie mit den spezifischen Merkmalen übereinstimmen, die für
die Produktion eines Wortes oder einer Äußerung verlangt werden.” Für eine

verköft had häwa (Pom-6; Glosse: gestern hat gekonnt ich den Fingerring verkauft gehabt
haben; vgl. hierzu POSTMA 2014, 639–642). Aus Nord- und Südamerika haben bisher 321
Mennoniten (56 aus Südbrasilien; in den Übersetzungsbeispielen als Menno abgekürzt) an
diesem Projekt teilgenommen und aus Südbrasilien 24 Hunsrücker (Hunsr) und 49 Pommern
(Pom). In den jeweiligen Dialekt übersetzt wurden dabei 46 mündlich vorgelesene portugiesi-
sche, spanische beziehungsweise englische Stimulussätze (vgl. KAUFMANN 2016, 19–38 für
eine detaillierte Beschreibung der Sätze und der Erhebungsmethode). Wegen des syntakti-
schen Fokus stellen die vorkommenden Entlehnungen zwar keine intendierte, aber nichtsdes-
totrotz eine ertragreiche Analysemöglichkeit dar. Die pommerschen Daten wurden 2013,
2014 und 2017 erhoben, die Hunsrücker Daten 2002 und die Daten der brasilianischen Men-
noniten 1999 und 2002.
4 Da Pearsons Chi-Quadrat sensibel auf die Größe des untersuchten Datenmaterials reagiert,
wird jeweils auch die Stärke der Assoziation berechnet (Phi beziehungsweise Cramer-V).
Daneben wird die Zahl der Zellen angegeben, die eine erwartete Häufigkeit von unter fünf
Token aufweisen. Ein Asterisk * bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Fehler erster
Art zwischen 1% und 5% liegt (0,01≤p<0,05), zwei Asteriske **, dass sie kleiner als 1% ist
(0<p<0,01), drei Asteriske ***, dass sie nahe bei 0% liegt (p=0,000). Ein eingeklammerter
Asterisk (*) gibt eine statistische Tendenz zwischen 5% und 10% an (0,05≤p<0,1). Für (quasi-
)metrische Variablen wie die Sprachkompetenz, das Alter oder die Dauer ungefüllter Pausen
werden One-Way-ANOVAs und bivariate Korrelationen nach Pearson durchgeführt.
5 In den Tabellen und im Text werden standarddeutsche Wortformen verwendet, wenn auf
mehr als eine Sprachgemeinschaft Bezug genommen wird. In allen anderen Fällen werden di-
alektnähere Zitierformen verwendet.
KT rechts 5

stärker werdende Integration spricht auch die Altersverteilung. Livro wird von
pommerschen Informanten benutzt, die im Schnitt 28 Jahre alt sind, Bauk dagegen
von Informanten, die durchschnittlich 39,5 Jahre alt sind (F(1,182)=23;
p=0,000***). Die 21 Informanten, die livro nie benutzen, sind sogar 43,2 Jahre
alt, während die sieben Informanten, die livro immer benutzen, nur 25,3 Jahre alt
sind. Dass dieser Prozess allerdings noch nicht ganz abgeschlossen ist, zeigen
sechs Übersetzungen, bei denen Reparaturen bei B u c h vorkommen. Fünfmal
wird wie in (1) zuerst livro und dann Bauk produziert, einmal wie in (2) zuerst
Bauk und dann livro. Zumindest in diesem Fall kann livro kaum aufgrund von
Priming durch den Stimulussatz erklärt werden. Eine 33-jährige Informantin ist
für zwei dieser Reparaturen verantwortlich:6

Satz 18 Portugiesisch: Se ele roubou o livro, eu não vou mais confiar nele
(‘Wenn er das Buch gestohlen hat, vertraue ich ihm nicht mehr’)
(1) wenns du det stohle häst dat livr- det Bauk [0,8] ik dau di nie me:hr moige7
(Pom-22)
wenn du das gestohlen hast das Bu- das Buch [0,8] ich tue dich nicht mehr
mögen

Satz 27 Portugiesisch: Eu vou dar uma nota boa para ele porque ele leu o livro
(‘Ich werde ihm eine gute Note geben, weil er das Buch gelesen hat’)
(2) ik dau ihm en schoine Note gewe wege her hät det [0,3] lest det [0,3] Bau- [1,1]
livro (Pom-22)
ich tue ihm eine schöne Note geben weil er hat das [0,3] gelesen das [0,3] Bu-
[1,1] Buch

Bei diesen Übersetzungen fallen neben den Reparaturen, die man mit PFEIFFER
(2015, 75–77) als Reparaturen der Varietät bezeichnen könnte, noch vier Pausen
und ein gedehntes Segment auf.8 Pausen, Dehnungen und Reparaturen können
dabei mit lexikalischen Selektionsproblemen in Verbindung gebracht werden. Bei

6 Die Nummerierung der Sätze folgt den Vorgaben des Gesamtprojekts (vgl. KAUFMANN 2016,
19–38). Die Sprecher werden aufgrund ihrer Herkunft und nach der Nummerierung des Inter-
views identifiziert.
7 Die Wiedergabe der drei Dialekte erhebt keinen Anspruch auf phonetische Korrektheit. Vor-
dringliches Kriterium der Verschriftlichung war es, grundlegende Unterschiede zum Stan-
darddeutschen darzustellen, ohne allerdings dem Leser das Verständnis zu erschweren. Aus
diesem Grund verzichten wir zum Beispiel für das Pommersche darauf, TRESSMANNs (2006)
orthographisches System zu verwenden.
8 Pausen über 0,25 Sekunden werden in eckigen Klammern notiert. Die genaue Länge wird auf
die erste Stelle nach dem Komma auf- beziehungsweise abgerundet. Gefüllte Pausen wie [äh]
oder [ähm] werden ebenfalls mit eckigen Klammern bezeichnet, ein Doppelpunkt markiert
ein gedehntes Segment. Weder gefüllte Pausen noch Dehnungen wurden exakt gemessen.
Wiederholungen, Reparaturen und Abbrüche markiert ein Trennstrich. Die den Übersetzun-
gen beigefügten Glossen dienen nur zur Übertragung ins Standarddeutsche. Viele interessante
Phänomene wie der flektierte Komplementierer wenns in (1), die unerwartete hochdeutsche
Form verursache in (5b) oder die Dative dem acidente, dem caminhão und an ihm in (4b),
(8b) und (11a+b) werden nicht annotiert.
6 KT links

Satz 27 scheinen sich diese Probleme hauptsächlich auf B u c h zu beziehen, bei


Satz 18 ist wohl auch v e r t r a u e n betroffen (WORTSCHATZ: n=4.261, Häufig-
keitsklasse 11 / RUOFF 1990: n=0). Moige in (1) könnte verwendet werden, um ein
lexikalisches Selektionsproblem zu vermeiden, da das portugiesische Lehnwort
confiiere einen ernst zu nehmenden Konkurrenten zum deutschen Erbwort dar-
stellt. Immerhin wird es von neun der 49 Pommern (18,4%) verwendet; bei den
Hunsrückern tun dies sogar 15 von 24 Informanten (62,5%). FAUSEL (1959, 114)
erwähnt confiiere nicht, führt aber Konfiangse als häufig vorkommende hunsrü-
ckische Adaptation von confiança (‘Vertrauen’) an.9 Wir werden in Abschnitt 3.6
auf diesen Satz und dieses Verb zurückkommen. Auf Dauer unterstützen solche
Selektionsprobleme wohl eher die entlehnte portugiesische Wortform als die er-
erbte deutsche. MATRAS (2009, 151) beschreibt diesen Sachverhalt, wobei er al-
lerdings die Problematik bei lexikalischen Elementen als weniger ausgeprägt be-
zeichnet:
There is pressure on the bilingual to simplify the selection procedure by reducing the degree
of separation between the two subsets of the repertoire, allowing the two ‘languages’ to con-
verge. Focusing for the moment on word-forms or linguistic matter, reduction of choices for
selection may be less of a priority around lexical items, where the choice is more conscious
and the meaning more transparent.

Eine interessante syntaktische Besonderheit in (1) und (2) könnte ebenfalls auf
lexikalische Selektionsprobleme zurückzuführen sein. In beiden Übersetzungen
wird das Objekt det Bauk/det livro satzfinal nach allen Verben serialisiert. Dabei
erscheint vor den Verben in (1) beziehungsweise zwischen den Verben in (2) das
Demonstrativum det als eine Art Korrelat.10 Dieser Abfolgetyp könnte dem In-
formanten mehr Zeit für die lexikalische Selektion geben, taucht bei den Pom-
mern aber so häufig auf, dass darin auch der Vorbote eines Wandels von einer
OV-Sprache zu einer VO-Sprache gesehen werden könnte.
Tabelle 2 zeigt die Verteilung eines weiteren Elements des Grundwortschat-
zes. F r e u n d kommt in drei Stimulussätzen vor und taucht im WORTSCHATZ-
Portal 29.434-mal auf. Es gehört damit zur Häufigkeitsklasse 9. Dies bedeutet,
dass es etwa 512-mal seltener ist als die Wortform der ( RUOFF 1990: n=20) .
Wenn seltenere Elemente häufiger entlehnt werden, erwarten wir die portugiesi-
sche Wortform amigo häufiger als livro. Dem ist auch so, und es ist daher wohl
kein Zufall, dass FAUSEL (1959, 71) amigo anführt, livro aber nicht. Neben der
Häufigkeit dürfte allerdings auch die emotionalere Komponente bei F r e u n d eine

9 FAUSEL legte 1959 die erste umfassende Sammlung portugiesischer Lehnwörter im


„Deutschbrasilianischen“ vor. Er (1959, 31) schreibt darüber: „Die folgenden Darlegungen
wie die angeschlossene Wortsammlung beruhen in erster Linie auf dem Wortschatz, der sich
in den alten Hunsrücker Kolonien Rio Grandes, dem ältesten Gebiet der deutsch-
brasilianischen Siedlung, auffinden und ermitteln ließ.“
10 Bei (1) und (2) könnte allerdings auch eine syntaktische Reorganisation angenommen wer-
den. In diesem Fall wäre det ein Determinierer, der wegen lexikalischer Selektionsprobleme
isoliert stehen bleibt.
KT rechts 7

Rolle spielen,11 wobei schwer zu sagen ist, ob dies die Entlehnung von amigo be-
fördert oder bremst. Daneben könnten zumindest im Pommerschen semantische
Unterschiede zwischen amigo und Fründ existieren.12 Trotz dieser Unterschiede
handelt es sich sowohl bei amigo als auch bei livro um core loan words und nicht
um cultural loan words (vgl. MYERS-SCOTTON 1993, 168–170). LOUDEN (1994,
76) klassifiziert solche Entlehnungen als Konsequenz eines “functionally unmoti-
vated lexical borrowing”.

Tabelle 2: Übersetzungsvarianten für F r e u n d in drei Stimulussätzen

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 163 66 141 370
Freund 158 (96,9%) 17 (25,8%) 8 (5,7%) 183 (49,5%)
Bekannter 0 (0%) 0 (0%) 3 (2,1%) 3 (0,8%)
 (2, n=370)=265; p=0,000*** / Cramer-V: 0,85 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

amigo 5 (3,1%) 49 (74,2%) 128 (90,8%) 182 (49,2%)


companheiro 0 (0%) 0 (0%) 2 (1,4%) 2 (0,5%)

Im Pommerschen hat sich amigo fast vollständig durchgesetzt. Fründ taucht hier
nur noch achtmal auf. Ein Informant benutzt dreimal Bekannter, was ein weiterer
Hinweis auf eine semantische Verschiebung von pommerisch Fründ sein könnte.
Bekannter wurde auch von ROSENBERG (persönliche Mitteilung) als Übersetzung
von standarddeutsch Freund elizitiert (vgl. Fußnote 12). Das Plautdietsche der
Mennoniten zeigt sich erneut wesentlich entlehnungsresistenter. Nur drei
Informanten, zwei erwachsene Männer und ein 14-jähriges Mädchen, verwenden
in fünf Fällen amigo. Im Hunsrückischen kommt sowohl die deutsche als auch die
portugiesische Wortform häufig vor. Hierbei zeigen sich wieder Unterschiede im
Alter der Informanten, diesmal aber auch in deren Deutschkenntnissen.
Informanten, die Freund benutzen, sind im Schnitt 9,7 Jahre älter (40,4 vs. 30,7
Jahre; F(1,64)=5,4; p=0,023*) und verfügen über ein höheres Kompetenzniveau
im Hunsrückischen (12,9 vs. 11,5 Punkte; F(1,64)=11; p=0,002**) und im

11 Vergleiche hierzu die frühe Entlehnung von Familienbezeichnungen wie mãe (‘Mutter’), pai
(‘Vater’), vovó (‘Großmutter’), tio (‘Onkel’) oder tia (‘Tante’), die in PUPP SPINASSÉ (2016,
93) aufgeführt werden.
12 TRESSMANN (2006, 146 und 174) listet für das Pommersche aus Espírito Santo Fründ nicht in
der Bedeutung F r e u n d, sondern in der Bedeutung V e r w a n d t e r. Für F r e u n d nennt er die
Wortform Groadfründ, allerdings versehen mit dem Hinweis, dass Fründ in dieser Bedeutung
ebenfalls vorkommt. Die hier häufig elizitierte Form amigo nennt TRESSMANN (2006) nicht.
Sowohl bei ihm als auch bei THIESSEN (2003) darf man allerdings nicht vergessen, dass es
sich um Wörterbücher handelt, die andere Ziele verfolgen als Studien zu Entlehnungen. PE-
TER ROSENBERG (persönliche Mitteilung) weist darauf hin, dass in seinen Untersuchungen
zum Pommerschen in Rio Grande do Sul Fründ die am häufigsten elizitierte Form war. Da
die Stimulussprache seiner Übersetzungen das Standarddeutsche war, muss bei ihm – wie na-
türlich auch bei uns – ein gewisser Einfluss der Stimulusform konstatiert werden.
8 KT links

Hochdeutschen (5,8 vs. 3,2 Punkte; F(1,64)=13,6; p=0,000***).13 Exakt das


gleiche gilt für die pommerschen Informanten. Die wenigen Informanten, die
Fründ benutzen, sind tendenziell älter (45,8 vs. 36 Jahre; F(1,134)=2,9;
p=0,091(*)) und sprechen signifikant besser Pommerisch (12,5 vs. 10,8 Punkte;
F(1,134)=5; p=0,027*) und Hochdeutsch (4,8 vs. 2,4 Punkte; F(1,34)=6,8;
p=0,01*). Es sind also in beiden Fällen nicht höhere Kompetenzen im
Portugiesischen, sondern niedrigere Kompetenzen in den beiden deutschen
Varietäten, die der lexikalischen Entlehnung Vorschub leisten. Bis zu einem
gewissen Grad scheint das Hochdeutsche also das Hunsrückische und das
Pommersche noch zu überdachen (vgl. die Diskussion in Abschnitt 4).
Anhand dieser ersten Wortanalysen sollte deutlich geworden sein, dass der
vorliegende Artikel zwei Ziele verfolgen muss. Zum einen wird es darum gehen,
das Entlehnungsverhalten der drei Sprachgemeinschaften zu vergleichen und die
dabei festgestellten Unterschiede zu erklären, zum anderen muss der Status der
Lehnwörter im mentalen Lexikon der jeweiligen deutschen Varietät untersucht
werden. Dabei gehen wir davon aus, dass es für die Klassifizierung eines mehr-
sprachigen Sprechers entscheidend ist, ob „das mentale Lexikon sprachübergrei-
fend, d.h. in einem einzigen System “verschmolzen”, oder nach Sprachen getrennt
gespeichert ist“ (RAUPACH 1997, 29–30).
In Bezug auf das mentale Lexikon der hier analysierten Informanten lassen
sich drei Hypothesen formulieren, wobei die ersten beiden zusammengefasst lau-
ten: Je häufiger eine portugiesische Entlehnung in den Übersetzungsdaten vor-
kommt und je stärker sie an die phonologischen und morphologischen Regeln der
aufnehmenden Varietät angepasst sind, desto eher stellen sie einen festen Be-
standteil des mentalen Lexikons der deutschen Varietät dar. Der Indikator Häufig-
keit sollte dabei unproblematisch sein, die Frage nach der Anpassung wird aller-
dings kontrovers diskutiert, wie POPLACKs (1980, 598) in Abschnitt 3.1 aufge-
führtes Zitat zeigt (vgl. auch MYERS-SCOTTON 1993, 163). Beide Hypothesen
werden allerdings von unseren Analysen gestützt. Die dritte und für unsere Unter-
suchung wichtigste Hypothese betrifft Verzögerungsphänomene, wie sie bei (1)
und (2) auftauchen: Je weniger die Entlehnungen von Verzögerungsphänomenen
begleitet werden, desto eher sind sie im mentalen Lexikon der deutschen Varietät
zu verorten. Die Ratio hinter dieser Hypothese ist, dass bei der Produktion eines
deutschen Satzes Zugriffe auf Elemente des portugiesischen Lexikons kostspieli-
ger sind als Zugriffe auf Elemente des Lexikons der deutschen Varietät. Die
Wichtigkeit von “editing phenomena (hesitations, false starts, etc.)” wird schon
bei POPLACKs (1980, 596) Analyse des spanisch-englischen code-switching in
New York erwähnt. POPLACK (1980, 601) schreibt, dass “[o]ne of the
characteristics of skilled code-switching is a smooth transition between L1 and L2
elements, unmarked by false starts, hesitations or lengthy pauses.” Auch AUER

13 Vergleiche Tabelle 4 für Erklärungen zu dieser Punkteskala. Wie STEFFEN (2016, 133 – Fuß-
note 3) benutzen wir die von den Informanten verwendete Bezeichnung Hochdeutsch für die
in Brasilien teilweise bis heute benutzte deutsche Standardvarietät.
KT rechts 9

(2000, 173) erwähnt solche Phänomene bei der Positionsanalyse deutscher Kondi-
tionalsätze:
In order to reach an explanation of these findings, this quantitative analysis has to be com-
plemented by an in-depth analysis of individual cases of usage. Such an analysis will pay at-
tention (a) to the in-time emergence of syntactic patterns, including the details of their deliv-
ery such as hesitations, reformulations, break-offs, etc., and (b) to the interactional aspects of
this emergence, including hearer feedback (or lack of it) and sequential placement.

Der von AUER angesprochene Punkt (b) kann bei Übersetzungsdaten nicht be-
rücksichtigt werden; Punkt (a) stellt dagegen einen wichtigen Aspekt unserer Un-
tersuchung dar.

2. DIE INFORMANTEN UND DIE DREI SPRACHGEMEINSCHAFTEN

Das Alter der Informant(inn)en, ihr Geschlecht und die Länge ihrer Schulbildung
(und gegebenenfalls ihrer Universitätsbildung) beschreibt Tabelle 3:

Tabelle 3: Sozialdaten der Informanten

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 / 42 24 49 129 / 115
Männer 27 (48,2%) 12 (50%) 20 (40,8%) 59 (45,7%)
Frauen 29 (51,8%) 12 (50%) 29 (59,2%) 70 (54,3%)
ns
Durchschnittsalter 36,4 32,9 36 35,6
ns
Schulbildung in Jahren 13,1 8,8 9,9 10,8
F(2,112)=9,5; p=0,000***

Weder das Durchschnittsalter insgesamt noch das der beiden Geschlechter zeigen
signifikante Unterschiede. Die Frage, ob die höchstsignifikant unterschiedliche
Zeit der Schul- und Universitätsbildung einem echten Unterschied zwischen den
Sprachgemeinschaften entspricht oder nur Folge der Informantenauswahl ist, kann
zu diesem Zeitpunkt noch nicht beantwortet werden. Diese Information liegt für
14 Mennoniten nicht vor. Neben diesen Sozialdaten haben wir schon beim Lexem
F r e u n d gesehen, dass sich die unterschiedliche Neigung zur Entlehnung auch
anhand der Sprachkompetenzen der Informanten erklären lässt. Diese wurden von
den Informanten selbst eingeschätzt und können zwischen null und 14 Punkten
schwanken (vgl. KAUFMANN 1997, 135–137 für die angewandte Methode). Im
oberen Teil von Tabelle 4 ist die globale Einschätzung der Informanten zu
der/denen von ihnen am besten beherrschten Sprache/n angegeben, der untere Teil
quantifiziert diese Angaben näher.

Tabelle 4: Sprachkenntnisse der Informanten in drei Sprachen (Portug. = Portugiesisch)


10 KT links

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 / 42 24 49 129 / 115
dominant Dialekt 27 (48,2%) 12 (50%) 16 (32,7%) 55 (42,6%)
ambilingual Dialekt/Portug. 10 (17,9%) 5 (20,8%) 11 (22,4%) 26 (20,2%)
dominant Portugiesisch 19 (33,9%) 7 (29,2%) 22 (44,9%) 48 (37,2%)
ns
Kompetenz Dialekt 12,2 11,7 10,9 11,5
F(2,112)=3,5; p=0,034*
Kompetenz Portugiesisch 10,7 10,9 11,3 11
ns
Kompetenz Hochdeutsch 7,5 3,8 2,5 4,6
F(2,112)=44,3; p=0,000***

Die Häufigkeitsverteilung im oberen Teil von Tabelle 4 ist nicht signifikant. Bei
den genauer quantifizierten Angaben im unteren Teil zeigen sich aber zwei signi-
fikante Unterschiede. Während das Portugiesische in allen drei Sprachgemein-
schaften auf vergleichbarem Niveau gesprochen wird – genauere Daten liegen
wiederum für 14 Mennoniten nicht vor –, fallen die Pommern im Vergleich zu
Hunsrückern und Mennoniten in ihrer Dialektkompetenz ab. Das Hochdeutsche
spielt nur noch bei den Mennoniten eine gewisse Rolle. Versucht man, die Tatsa-
che, dass die Ergebnisse der Hunsrücker und der Pommern bei F r e u n d von der
Kompetenz in beiden deutschen Varietäten abhängt, zu verallgemeinern, indem
man die jeweiligen Werte addiert, erreichen die entlehnungsresistenten Mennoni-
ten für ihre allgemeinen Deutschkenntnisse 19,7 Punkte. Die weit entlehnungs-
freundlicheren Pommern kommen dagegen nur auf 13,4 Punkte. Die Hunsrücker
liegen mit 15,5 Punkten dazwischen.
Neben den (weit) besseren Deutschkenntnissen der Mennoniten zeigt sich ein
weiterer aufschlussreicher Unterschied. Obwohl die Kompetenzen im Dialekt und
im Portugiesischen in den drei Sprachgemeinschaften ähnliche Korrelationsstär-
ken aufweisen (Pommern r=-0,446**, Mennoniten r=-0,483**, Hunsrücker r=-
0,527**), sind sie bei den Pommern altersunabhängiger. Nur das Portugiesische
zeigt hier eine schwache negative Korrelation von r=-0.263(*), das heißt, jüngere
Informanten sprechen tendenziell besser Portugiesisch. Bei den Mennoniten kor-
relieren die Kompetenz im Dialekt und im Hochdeutschen mit dem Alter positiv
(r=0,525** und r=0,343*), während die portugiesische Kompetenz eine starke
negative Korrelation aufweist (r=-0,592**). Dies bedeutet, dass ältere Informan-
ten die beiden deutschen Varietäten besser und das Portugiesische schlechter be-
herrschen als jüngere Informanten. Bei den Hunsrückern zeigt sich zwar keine
Korrelation mit dem Hochdeutschen, aber Korrelationen mit der Dialekt- und der
Portugiesischkompetenz bestehen (Hunsrückisch: r=0,458*; Portugiesisch: r=-
0,725**). Es scheint also, dass sich die Deutschkenntnisse der pommerschen In-
formanten auf einem (relativ) niedrigen Niveau stabilisiert haben. Nur bei ihnen
zeigt sich daneben eine mit r=0.296* schwache, aber signifikante positive Korre-
lation zwischen den beiden deutschen Varietäten. Die insgesamt noch (weit) bes-
seren Deutschkenntnisse bei Mennoniten und Hunsrückern scheinen dagegen zum
KT rechts 11

Erhebungszeitpunkt alterssensibel zu erodieren. Da dieser Zeitpunkt jeweils mehr


als zehn Jahre vor dem pommerschen Erhebungszeitpunkt liegt (vgl. Fußnote 3),
könnten sich die Kenntnisse inzwischen angenähert haben. Ein Grund dafür könn-
te auch sein, dass die bilingual deutsch-portugiesische Schule der Mennoniten in
der Zwischenzeit geschlossen wurde (vgl. Fußnote 17).
Neben der häufig zitierten Regel, dass Immigrantensprachen im Regelfall in
oder nach der dritten Generation aufgegeben werden (vgl. MATTHEIER 1994, 334–
335), hängt die Erosion der deutschen Varietäten bei den drei Sprachgemeinschaf-
ten auch mit einem spezifisch brasilianischen Ereignis zusammen. Auch aufgrund
von bei manchen deutschstämmigen Bewohnern Südbrasiliens tatsächlich existie-
renden Loyalitätskonflikten ließ der autoritär regierende Getúlio Vargas in der
Zeit des Estado Novo Portugiesisch 1937 zur einzigen Unterrichtssprache an bra-
silianischen Schulen erklären. Lehrer, die dieser Sprache nicht mächtig waren,
durften von da an nicht mehr unterrichten. Durch diese Maßnahme wurde das sehr
gut organisierte Schulsystem der deutschen Einwanderer von einem Tag auf den
anderen zerstört. Fünf Jahre später, 1942, erklärte Brasilien Deutschland den
Krieg. Daraufhin wurde die Verwendung des Deutschen in der Öffentlichkeit
überhaupt untersagt. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen waren und sind deut-
lich spürbar. Zwar blieben deutsche Dialekte trotz aller Versuche der brasiliani-
schen Seite als Familiensprachen weitgehend erhalten, doch verlor das zumeist
nur durch die Schule vermittelte Hochdeutsche schnell an Boden (vgl. ALTENH-
OFEN 2016, 124–126 und STEFFEN 2016, 133–134). Viele Deutschsprachige be-
zeichnen auch aufgrund dieser fehlenden Überdachung durch die oft als alemão
gramatical bezeichnete Standardvarietät ihre Dialekte häufig als fehlerhaftes
Deutsch, das keine echte Grammatik besitze und in der infolgedessen alles mög-
lich sei. Hierzu passt ein Zitat aus dem Film Walachei, das in PUPP SPINASSÉ
(2016, 83) zu finden ist:
Wir sprechen alles durcheinander. Als Deutsche hier waren, konnten wir nur sagen ›Ich weiß
es nicht‹, ›Ich weiß es nicht‹. Deutsch ist Deutsch, kein Portugiesisch! Sie verstehen nichts
davon, was wir sagen. Was wir sprechen ist weder Deutsch noch Brasilianisch. Es ist nichts.
Es ist ein schlechtes Deutsch. Es fehlte an Ausbildung!

Die Mennoniten wurden von den Maßnahmen Getúlio Vargas’ nicht ganz so hart
getroffen, da sie nicht aus Deutschland, sondern aus der Sowjetunion eingewan-
dert waren und den Behörden glaubhaft machen konnten, dass sie ursprünglich
aus den Niederlanden stammten und nicht wirklich Deutsch sprächen. Daneben
wurde das Hochdeutsche bei ihnen besser konserviert, weil seine Rolle als Kir-
chensprache in dieser zutiefst religiösen Gruppe von größter Bedeutung war.14 Ein
letzter wichtiger Unterschied zwischen den Sprachgemeinschaften bezieht sich
auf den Einwanderungszeitpunkt. Die Mennoniten erreichten Brasilien zwischen
1930 und 1934 und siedelten bis 1950 im nördlich an Rio Grande do Sul angren-

14 Auch bei Pommern und Hunsrückern sind starke religiöse Prägungen vorhanden, für die
mennonitischen Wiedertäufer kann die Religiosität allerdings aufgrund ihrer Geschichte als
stärker eingeschätzt werden. Alle 49 Pommern gehören lutherischen Gemeinden an. Unter
den 24 Hunsrückern befinden sich 20 Protestanten und vier Katholiken.
12 KT links

zenden Bundesstaat Santa Catarina. Die beiden anderen Kolonien wurden dage-
gen schon in den 1850er Jahren gegründet. Die hunsrückische Siedlung Brochier15
gilt dabei trotz der relativ späten Besiedlung als Teil der alten Kolonien. Die erste
deutsche Siedlung in Brasilien wurde nämlich schon 1824 in São Leopoldo in der
Nähe von Porto Alegre gegründet. Unter den Gründern befanden sich bereits viele
Einwanderer aus dem Hunsrück. Die größere Entlehnungsresistenz der Mennoni-
ten erklärt sich also auch aus dem relativ späten Zeitpunkt ihrer Einwanderung.

3. SATZANALYSEN

3.1 Stimulussatz 12: Wenn er die Hausaufgaben macht, kann er Eis essen

Nach der beispielhaften Analyse zweier Entlehnungen in Abschnitt 1 und den in


Abschnitt 2 gegebenen Hintergrundinformationen werden wir im Folgenden das
satzweise Verhalten der Informanten untersuchen. Das folgende Beispiel (3) weist
zwei portugiesische Entlehnungen auf, einmal tema für H a u s a u f g a b e n
(WORTSCHATZ: n=3.226, Häufigkeitsklasse 12 / RUOFF 1990: n=3) und sorvete
für ( S p e i s e ) E i s (in allen Bedeutungsvarianten im WORTSCHATZ-Portal:
n=19.944, Häufigkeitsklasse 9 / RUOFF 1990: n=14). Beide Lexeme sind damit in
der jeweiligen Bedeutungsvariante seltener als B u c h und F r e u n d .
Satz 12 Portugiesisch: Se ele fizer o tema, ele pode comer sorvete
(‘Wenn er die Hausaufgaben macht, kann er Eis essen’)
(3) wenn hei de: [0,7] tema- tema maakt dann kann her sorvete ete (Menno-36)
wenn er die [0,7] Hausaufgaben- Hausaufgaben macht dann kann er Eis essen

Was diese Übersetzung besonders interessant macht, ist der unmittelbar anschlie-
ßende Metakommentar der Informantin, der als Haupttitel dieses Artikels Ver-
wendung fand (vgl. PFEIFFER 2015, 293–307 zu Metakommentaren bei Reparatu-
ren in freier Rede). Die 31-jährige Mennonitin bemerkt lachend: „Sorvete un tema
is nich Dütsch“. Ihre Übersetzung zeigt daneben deutlich, wie sie bei tema zögert.
Schon vor Beginn der Übersetzung lacht sie, dann dehnt sie den tema vorange-
henden Determinierer, produziert eine Pause und wiederholt schließlich das ent-
lehnte Wort. Anders als in (1) und (2) bleibt sie also bei ihrer ersten Wahl, wahr-
scheinlich weil dieses Lehnwort bei den Mennoniten bereits häufig verwendet
wird. Tabelle 5 präsentiert die Verteilung der deutschen und portugiesischen
Übersetzungen für tema. Für den Bereich des Deutschen sind nur die zwei häu-
figsten Formen explizit aufgeführt. Die acht anderen Übersetzungsformen (12
Token) erscheinen nicht, weil sie nicht häufiger als dreimal verwendet wurden. In

15 Der Name Brochier stammt von einem französischen Brüderpaar gleichen Namens, das diese
Siedlung 1832 gründete. Große Teile des Siedlungslandes wurden dann 20 Jahre später an
deutsche Siedler verkauft.
KT rechts 13

dieser und in allen folgenden Tabellen erklärt die geringe Frequenz von einigen
Wortformen die zur deutsch-portugiesischen Gesamteinteilung fehlenden Token.
Die einzige nicht aufgeführte portugiesische Entlehnung in Tabelle 5 ist tarefa,
das einmal bei den Mennoniten vorkommt.16

Tabelle 5: Übersetzungsvarianten für H a u s a u f g a b e n in Stimulussatz 12

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 22 45 123
deutsch 32 (57,1%) 1 (4,5%) 5 (11,1%) 38 (30,9%)
Opgov 19 (33,9%) 0 (0%) 0 (0%) 19 (15,4%)
Hüsopgowe 7 (12,5%) 0 (0%) 0 (0%) 7 (5,7%)
 (2, n=123)=33,5; p=0,000*** / Cramer-V: 0,52 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

portugiesisch 24 (42,9%) 21 (95,5%) 40 (88,9%) 85 (69,1%)


tema 22 (39,3%) 13 (59,1%) 3 (6,5%) 38 (30,9%)
teme 1 (1,8%) 8 (36,4%) 37 (80,4%) 46 (37,4%)

Neben der höchstsignifikanten Verteilung zwischen den Sprachgemeinschaften –


deutsche Wortformen werden bei Hunsrückern und Pommern nur noch sehr selten
verwendet17 – ist die Feineinteilung der portugiesischen Varianten aussagekräftig.
Die Mennoniten produzieren fast durchgehend tema mit einem unbetonten, aber
vollen Endvokal. Bei den Hunsrückern kommt die der trochäischen Grundstruktur
deutscher Varietäten besser entsprechende Variante teme deutlich frequenter vor.
Diese Form ist bei den Pommern fast alternativlos.18 LOUDEN und PAGE (2005,
1390) kategorisieren solch einen phonologischen Unterschied für das
Pennsylvania German folgendermaßen:
Integration occurs when a borrowing is phonologically adapted to the recipient language.
Inclusion describes a borrowing which retains its phonological shape in the recipient lan-
guage and is not phonologically adapted to the recipient language. Historically, words bor-

16 Außerhalb von Rio Grande do Sul wäre tarefa die erwartete Entlehnung; in Rio Grande do
Sul ist das im Stimulussatz verwendete tema allerdings die gebräuchlichste Form für H a u s -
a u f g a b e n.
17 Die Angaben von Pearsons Chi-Quadrat in den Tabellen beziehen sich jeweils auf alle deut-
schen Wortformen und alle portugiesischen Wortformen. Da die hier behandelten Entlehnun-
gen tema/teme mit dem portugiesisch geprägten Schulkontext verknüpft sind – zum Zeitpunkt
der Datenerhebung gab es nur noch bei den Mennoniten eine Schule, deren Unterricht je nach
Fach Hochdeutsch oder Portugiesisch als Lehrsprache verwendete –, dürfte für die meisten
Informanten das gelten, was STEFFEN (2016, 140) für Entlehnungen aus dem landwirtschaftli-
chen Bereich annimmt, nämlich „dass sie schon sehr bald nicht mehr als fremdsprachlich
empfunden wurden […].“ Überraschenderweise erscheint bei FAUSEL (1959) weder tema
noch teme.
18 Die Verteilung von tema und teme zwischen den drei Sprachgemeinschaften ist höchstsignifi-
kant: 2(2, n=84)=48,9; p=0,000*** / Cramer-V: 0,76 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten
Token. Die Abschwächung unbetonter voller Endvokale von portugiesischen Lehnwörtern ist
dabei ein frequenter Prozess. Fürs Hunsrückische zeigt er sich bei Vende (< venda, ‘Kolonie-
laden’), Ville (< vila, ‘Kleinstadt’; Beispiele aus ALTENHOFEN 2016, 112 und 113), Milhe (<
milho, ‘Mais’) und Karre (< carro, ‘Auto’; Beispiele aus AUER et al. 2007, 97 und 98).
14 KT links

rowed from English were phonologically integrated into Pennsylvania German. […] Howev-
er, […] much of this older, integrated vocabulary is now produced in fluent PG speech with-
out any phonological adaptation.

Interessanterweise weisen diejenigen Hunsrücker, die die phonologisch stärker


integrierte Form teme produzieren, mit 5,4 Punkten ein relativ hohes
Kompetenzniveau im Hochdeutschen auf, während das Niveau der Informanten,
die tema produzieren, mit 2,9 Punkten signifikant niedriger ausfällt (F(1,19)=5,1;
p=0,036*). Daneben trifft auch hier zu, was sich im Laufe des Artikels mehrfach
zeigen wird. Frauen bevorzugen prestigereichere, in diesem Fall also
portugiesischere Formen. Während sie tema in 81,8% der Fälle verwenden (11
Token), sinkt der Anteil bei den hunsrückischen Männern auf 40% (10 Token).19
Auf den ersten Blick scheint es zwar paradox zu sein, dass die besonders stark
vom Portugiesischen beeinflussten Hunsrücker und Pommern portugiesische
Entlehnungen integrieren, sie also häufig so deutsch wie möglich klingen lassen,
während die Entlehnungen bei den weniger beeinflussten Mennoniten ihre
portugiesische Form behalten. Tabelle 6 zeigt allerdings, dass dieser
Mechanismus keinen Einzelfall bei tema/teme darstellt.

Tabelle 6: Übersetzungsvarianten für E i s in Stimulussatz 12

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 54 24 47 125
deutsch 21 (38,9%) 0 (0%) 0 (0%) 21 (16,8%)
Ieskrem 13 (24,1%) 0 (0%) 0 (0%) 13 (10,4%)
Ies 8 (14,8%) 0 (0%) 0 (0%) 8 (6,4%)
2(2, n=125)=33,2; p=0,000*** / Cramer-V: 0,52 / 1 Zelle (16,7%) mit weniger als 5 erwarteten Token
portugiesisch 33 (61,1%) 24 (100%) 47 (100%) 104 (83,2%)
sorvete 28 (51,9%) 3 (12,5%) 8 (17%) 39 (31,2%)
sorvet 5 (9,3%) 20 (83,3%) 3 (6,4%) 28 (22,4%)
sorvetsche 0 (0%) 1 (4,2%) 27 (57,4%) 28 (22,4%)
sorvetsch 0 (0%) 0 (0%) 9 (19,1%) 9 (7,2%)

Hunsrücker und Pommern verwenden bei E i s nie eine deutsche Wortform, wäh-
rend die Mennoniten sowohl deutsche als auch portugiesische Formen benutzen.
Es gibt dabei im deutsch-portugiesischen Gesamtvergleich keinerlei Alters- oder
Sprachkompetenzunterschiede. Schauen wir aber auf die vier portugiesischen Va-
rianten, zeigen sich höchstsignifikante Unterschiede.20 Die Varianten sorvetsche
und sorvetsch mit der für viele Varietäten des Brasilianischen typischen Palatali-
sierung des Dentalplosivs – beim Vorlesen des Stimulussatzes wurde sorvete im-

19 Diese Verteilung ist signifikant: 2(1, n=21)=3,9; p=0,049* / Phi: -0,43 / 2 Zellen (50%) mit
weniger als 5 erwarteten Token. Der exakte Test nach Fisher zeigt eine statistische Tendenz
von 0,08(*).
20 Für sorvete, sorvet und die beiden zusammengefassten palatalisierten Varianten sorvetsch(e)
gilt: 2(4, n=104)=107; p=0,000*** / Cramer-V: 0,72 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten
Token.
KT rechts 15

mer palatalisiert ausgesprochen – kommt fast ausschließlich bei Pommern vor.21


Die Mennoniten benutzen dagegen hauptsächlich die Variante sorvete, während
die Hunsrücker sorvet bevorzugen, also eine Variante mit Schwa-Apokope. Fol-
gerichtig erscheint diese Entlehnung bei FAUSEL (1959, 214) auch als sehr häufig
verwendetes Sorwett. Da alle untersuchten Varietäten zur Schwa-Apokope tendie-
ren – in den Übersetzungsdaten zeigt sich dies zum Beispiel bei Reis, Tort und
Leit statt Reise, Torte und Leute22 –, stellt sorvet eine phonologisch stärker inte-
grierte Variante dar. Die portugiesische Entlehnung wird also wiederum dann be-
sonders stark integriert, wenn sie oft verwendet wird. Auch aus diesem Grund
wurden die am Ende von Abschnitt 1 formulierten ersten beiden Hypothesen zu-
sammengefasst. Vergleicht man das Verhalten von hunsrückischen und mennoni-
tischen Männern und Frauen in Bezug auf sorvete und sorvet, zeigt sich in Tabelle
7 ein weiterer berichtenswerter Unterschied:

Tabelle 7: Portugiesische Übersetzungsvarianten für E i s bei Mennoniten und Hunsrückern in


Stimulussatz 12

Männer Frauen insgesamt


Mennoniten Hunsrücker Mennoniten Hunsrücker Mennoniten Hunsrücker

n 27 29 56
15 12 18 11 33 23

sorvete 11 (40,7%) 20 (69%) 31 (55,4%)


11 0 17 3 28 3
 (1, n=56)=4,5; p=0,034* / Phi: -0,28 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

sorvet 16 (59,3%) 9 (31%) 25 (44,6%)


4 12 1 8 5 20

In beiden Sprachgemeinschaften tendieren Männer eher zur phonologisch inte-


grierten Form sorvet, während Frauen eher die inkludierte Form sorvete produzie-
ren.23 Da Frauen in Sprachkontaktsituationen eher zu Prestigeformen neigen, zeigt

21 Dieses Ergebnis überrascht nicht, da das Portugiesische im pommerschen Gebiet stark zur
Palatalisierung neigt. In den Daten des ALERS zeigt sich, dass in Canguçu (Erhebungspunkt
833) und São Lourenço do Sul (Erhebungspunkt 834), den beiden größeren Orten des pom-
merschen Gebiets, sowohl bei mentira (‘Lüge’) als auch bei tio (‘Onkel’) palatalisiert wird
(vgl. KOCH et al. 2011, 191). Allerdings gilt dies auch für den Erhebungsort in der Nähe von
Colônia Nova (Bagé – 762) und für die Erhebungsorte in der Nähe von Brochier (Montenegro
– 773 und Lajeado – 762). Nördlich von Brochier schließt sich aber ein größeres Gebiet an, in
dem nicht palatalisiert wird. Alle Erhebungsorte sind allerdings im Vergleich zu den Siedlun-
gen der hier untersuchten Sprachgemeinschaften sehr groß. Da größere Städte beim Sprach-
wandel fast immer eine Vorreiterrolle spielen, sind diese Informationen für uns also weder
besonders trennstark noch besonders aussagekräftig.
22 Auch hierfür finden sich viele Beispiele in der Literatur, sei es bei deutschen Wörtern wie
Schul statt Schule oder bei Entlehnungen wie Pikood (< picada; ‘Schneise’) oder Badad (<
batata-doce; ‘Süßkartoffel’; alle Beispiele aus ALTENHOFEN 2016, 113 und 119).
23 Wegen der häufigen Palatalisierung werden die pommerschen Daten hier und beim ver-
gleichbaren Fall acidente/acident (‘Unfall’) in Tabelle 11 ausgeschlossen. Allerdings tendie-
ren auch die pommerschen Frauen zu Prestigeformen, in diesem Fall zu den palatalisierten
16 KT links

sich in diesem Verhalten wieder das hohe Prestige des Portugiesischen. Sorvet ist
die unmarkierte Lehnvariante bei den Hunsrückern, wenn aber Informanten den
Endvokal beibehalten, das Lehnwort also in seiner Prestigeform produzieren,
dann sind das eher Frauen. Sorvete dagegen ist die unmarkierte Lehnvariante bei
den Mennoniten, wenn aber Informanten dieses Lehnwort eindeutschen, es also
ohne Endvokal produzieren, dann sind das eher Männer. Männer scheinen also
eine Strategie zu verfolgen, die KAUFMANN (2010, 486) so beschreibt: “One could
also claim that pronouncing a borrowed word in the way of the recipient lan-
guage is an act of non-convergence within convergence.” Auf jeden Fall passt
POPLACKs (1980, 598) Überzeugung sowohl auf tema/teme als auch auf sorve-
te/sorvet:
One type involves switched items which have been referred to by Hasselmo (1970) as social-
ly integrated into the language of the community: segments which are repeated often enough
in a certain language to be regarded as habitualized. These may or may not be phonologically
integrated into the base language […].

Wenn man die Ergebnisse der Tabellen 5 und 6 zusammenfasst, wird deutlich,
dass es im Hunsrückischen und im Pommerschen keine oder kaum noch ererbte
deutsche Wortformen in den analysierten Fällen gibt, die portugiesischen
Lehnwörter aber häufig eingedeutscht werden. Bei den Mennoniten gibt es dage-
gen noch eine echte Variation zwischen deutschen und portugiesischen Wortfor-
men. Die portugiesischen Wortformen scheinen also noch in Konkurrenz zur
deutschen Wortform zu stehen und werden vielleicht deshalb nicht integriert, son-
dern nur inkludiert. Wie bei livro in den pommerschen Beispielen (1) und (2) und
bei tema und sorvete im mennonitischen Beispiel (3) erwarten wir daher Verzöge-
rungsphänomene besonders bei Lexemen, die nicht häufig durch entlehnte Wort-
formen repräsentiert werden. Da dies meistens bei den Mennoniten der Fall ist,
sollten diese auch die häufigsten Verzögerungsphänomene aufweisen. Für neun
der 46 Stimulussätze wurden diese Phänomene bisher untersucht. Tabelle 8 prä-
sentiert die Informationen für Satz 12. Da diese Tabelle auch Übersetzungen ana-
lysiert, die die in den Tabellen 5 und 6 untersuchten Lexeme nicht enthalten, ist
die Gesamtzahl der Token hier leicht höher (128 statt 123 und 125).

Tabelle 8: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 12 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 48 128
keinerlei Auffälligkeiten 10 (17,9%) 19 (79,2%) 25 (52,1%) 54 (42,2%)
 (2, n=128)=29; p=0,000*** / Cramer-V: 0,48 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,67 0,04 0,32 0,42


F(2,125)=8,9; p=0,000***

Varianten. Sorvetsch(e) und acidentsch(e) werden von ihnen in 78,8% von 52 Token benutzt,
von den pommerschen Männern dagegen nur in 48,7% von 39 Token. Dieser Unterschied ist
hochsignifikant: 2(1, n=91)=9; p=0,003** / Phi: +0,32 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarte-
ten Token.
KT rechts 17

Produktionsverzögerungen 57 (1,02) 5 (0,21) 18 (0,38) 80 (0,63)


F(2,125)=7,6; p=0,001**

Die erste Zeile von Tabelle 8 beschreibt den Anteil an Übersetzungen, die
keinerlei auffällige Verzögerungsphänomene aufweisen. Obwohl diese Angabe
von der echten Anzahl an Verzögerungen pro Satz abstrahiert und daher weniger
aussagekräftig ist als die beiden anderen Angaben, erlaubt sie eine erste
Verifizierung der am Ende von Abschnitt 1 formulierten dritten Hypothese.
Während nur bei 17,9% der mennonitischen Übersetzungen keinerlei
Verzögerungsphänomene vorkommen, stellt dies bei den Hunsrückern mit 79,2%
den Normalfall dar. Der pommersche Anteil unauffälliger Token liegt zwischen
diesen beiden Werten. Bei der durchschnittlichen Gesamtlänge ungefüllter Pausen
je Übersetzung existiert wieder ein eklatanter Unterschied zwischen Mennoniten
und Hunsrückern. Die mennonitischen Informanten pausieren mehr als 15-mal so
lang. Die Pommern liegen wieder zwischen diesen beiden Werten. Bei gefüllten
Pausen, bei Dehnungen und bei Abbrüchen, Wiederholungen beziehungsweise
Reparaturen, die hier als Produktionsverzögerungen zusammengefasst werden,
ähnelt das pommersche Verhalten dem der Hunsrücker. In jeder mennonitischen
Übersetzung kommt durchschnittlich eine Verzögerung vor (1,02 pro
Übersetzung), während dies nur in etwa zwei von fünf pommerschen (0,38)
beziehungsweise in einer von fünf hunsrückischen Übersetzungen passiert (0,21).
Da Tabelle 4 gezeigt hat, dass die Mennoniten das Portugiesische genauso gut
beherrschen wie die anderen Informanten, ihren Dialekt aber besser, würde man
bei ihnen eigentlich keine größeren Übersetzungsauffälligkeiten erwarten.24 Diese
existieren in Satz 12 jedoch nachweislich, weshalb die Annahme, dass die
Verzögerungen mit lexikalischen Selektionsproblemen bei H a u s a u f g a b e n und
E i s zu tun haben, plausibel erscheint.
Nun stellt sich natürlich die Frage, inwieweit die hier analysierten Daten uns
überhaupt etwas über das mentale Lexikon von Sprechern deutscher
Außendialekte sagen können. Zum einen stellen die untersuchten Entlehnungen
nicht den ursprünglichen Fokus unserer Forschung dar (vgl. Fußnote 3), zum
anderen aktivieren die vorgelesenen portugiesischen Stimuli in jedem Fall zuerst
das mentale portugiesische Lexikon der Informanten. Daneben sind
Übersetzungen alles andere als natürliche Sprachdaten. Die Natürlichkeit dieser
Daten könnte weiter dadurch geschmälert worden sein, dass viele Informanten,
ohne darauf angesprochen worden zu sein, den Verdacht äußerten, dass dem
Interviewer die Übersetzungen zur Beantwortung der Frage dienten, ob ihre
Varietät portugiesische Lehnwörter enthalte. Metakommentare wie “Sorvete un
tema is nich Dütsch” legen beredtes Zeugnis für diesen Verdacht ab. Für einen an
syntaktischen Fragen interessierten Forscher war dieser Informantenfokus

24 Natürlich hängt die Fähigkeit zum Übersetzen nur bedingt mit den Kompetenzen in der Aus-
gangs- und Zielsprache zusammen. Allerdings gibt es keinen Grund anzunehmen, dass Men-
noniten über allgemein schlechtere Übersetzungsfähigkeiten verfügen als Pommern und
Hunsrücker.
18 KT links

durchaus günstig, hier stellt er nun aber ein Problem dar. Allerdings könnte gerade
dieser Fokus eine natürliche Perspektive repräsentieren, denn das Lexikon stellt
zweifelsohne den salientesten Bereich in Sprachkontaktsituationen dar. Sowohl
HJELDE (2015, 287) als auch EIDE und HJELDE (2015, 259–260; vgl. auch LOU-
DEN 1994, 82) beschreiben die hierbei herrschende Sensibilität bei Sprechern des
Norwegischen in den Vereinigten Staaten:
When the speakers themselves are asked to characterize “Westby norsk” and “Coon Valley
norsk,” they point at all the borrowed lexical elements used.
Lesley Milroy (1987: 186) also noted that in a bilingual society one can often find the idea of
‘pure’ language as an ideal, and this is probably also the case in many Norwegian-American
communities. It is not uncommon to encounter people who regret that they cannot speak
Norwegian like people do in Norway. […] And in an interview situation, many will try to use
words like bil, veg and elv instead of [ka:r] ‘car,’ [ro:d] ‘road’ and [røveɽ] ‘river.’

Da BENCINI (2013, 393) den lexikalischen Zugriffsprozess als sehr fordernd ein-
stuft – sie schreibt, “lexical retrieval is a computationally demanding production
operation […]” – kann vermutet werden, dass der Versuch, norwegische/deutsche
Erbwörter statt englischer/portugiesischer Lehnwörter abzurufen, zeitaufwendig
ist. Ein pommerscher Informant (Pom-4) kommentiert zum Beispiel bei Stimulus-
satz 7 O Pedro está convencido que ele entendeu o livro (‘Peter ist sich sicher,
dass er das Buch verstanden hat’) “eu nao acho a palavra entendeu em
Pomerano” (‘ich finde das Wort entendeu im Pommerschen nicht’). Ein anderer
(Pom-24) bemerkt beim gleichen Wort kürzer “nao sei essa” (‘das kenne ich
nicht’). Andere Informanten benutzen jedoch die portugiesische Partizipialform
entendiert ohne irgendeine Form von Verzögerung. ÅFARLI (2015, 163) be-
schreibt die Probleme beim lexikalischen Zugriff für die norwegisch-englische
Sprachkontaktsituation folgendermaßen:
In situations when they fail to retrieve a Norwegian word for what they want to say (because
of lexical attrition or problems with lexical access), or when they simply want to spice up
their Norwegian, they pick an English word from their parallel English lexicon and integrate
it into the Norwegian structure.

Bei den sieben Pommern und den drei Hunsrückern, die entendiert produzierten,
geht es bei diesem seltenen, aber morphologisch integrierten Lehnwort sicherlich
nicht um den Prestigegewinn durch das portugiesische Wort; es handelt sich viel-
mehr um lexikalische Zugriffs- und/oder Abrufprobleme. Die zitierten Metakom-
mentare zeigen dabei, dass entendiert trotz einiger Wortfindungsprobleme beim
Erbwort noch als Fremdkörper empfunden wird, also noch keinen integralen Be-
standteil des mentalen Lexikons der deutschen Varietät darstellt. Bei amigo (vgl.
Tabelle 2), für das es offensichtlich im Pommerschen kein Erbwort mehr gibt,
finden wir keinen einzigen „entschuldigenden“ Metakommentar.
KT rechts 19

3.2 Stimulussatz 38: Der Mann, der den Unfall verursacht hat, ist verschwunden

Um einen Zusammenhang zwischen lexikalischen Selektionsproblemen und dem


Auftauchen portugiesischer Lehnwörter nachzuweisen, genügt es natürlich nicht,
einen einzelnen Satz zu untersuchen. Wir benötigen weitere positive Nachweise,
die nahelegen, dass die mennonitischen Übersetzungsauffälligkeiten tatsächlich
verstärkt im Zusammenhang mit lehnwortanfälligen Elementen vorkommen. Zum
anderen ist allerdings auch ein negativer Nachweis nötig. Wo solche Elemente
nicht erscheinen, sollten die Mennoniten ein weniger auffälliges Verhalten an den
Tag legen. Diesem negativen Nachweis wird sich Abschnitt 3.5 widmen, drei wei-
tere positive Nachweise liefern dieser Abschnitt und die folgenden Abschnitte 3.3
und 3.4. Tabelle 9 detailliert die Übersetzungsauffälligkeiten bei Stimulussatz 38
O homem que provocou o acidente desapareceu (‘Der Mann, der den Unfall
verursacht hat, ist verschwunden’):

Tabelle 9: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 38 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 49 129
keinerlei Auffälligkeiten 4 (7,1%) 9 (37,5%) 19 (38,8%) 32 (24,8%)
 (2, n=129)=16,6; p=0,000*** / Cramer-V: 0,36 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 1,38 0,23 0,63 0,88


F(2,126)=10,3; p=0,000***
Produktionsverzögerungen 65 (1,16) 15 (0,63) 44 (0,9) 124 (0,96)
ns

Im Vergleich zu Tabelle 8 wird deutlich, dass Satz 38 für alle Informanten eine
größere Herausforderung darstellte. Keinerlei Auffälligkeiten gibt es nur noch in
32 Übersetzungen (Satz 12: 54 Übersetzungen), die durchschnittliche Pausenlänge
beträgt 0,88 Sekunden (Satz 12: 0,42 Sekunden) und die Gesamtanzahl an Verzö-
gerungen 124 (Satz 12: 80). Dabei kann auf den ersten Blick keine größere Kom-
plexität für Satz 38 festgestellt werden. Wie bei Satz 12 handelt es sich um einen
Satz mit einem einzigen Nebensatz. Auch in Bezug auf die temporal-modale Situ-
ierung sind beide Sätze vergleichbar. Satz 38 weist Vergangenheitstempus auf,
Satz 12 konditionalen Zukunftsbezug. Eine Erklärung für die offensichtlich höhe-
re Komplexität von Satz 38 lässt sich allerdings in (4a-c) finden:

Satz 38 Portugiesisch: O homem que provocou o acidente desapareceu


(‘Der Mann, der den Unfall verursacht hat, ist verschwunden’)
(4) a. der Mann waut dem- [0,8] det Unglück provokiert haft der is: verschwunge
(Menno-16)
der Mann der den- [0,8] das Unglück verursacht hat der ist verschwunden
b. der Mensch waut: [1,0] dem acidente provokiert haft is verschwung (Menno-13)
der Mensch der [1,0] den Unfall verursacht hat ist verschwunden
c. der Mann wo die acident provokiert hat is desapareciert (Hunsr-7)
20 KT links

der Mann der den Unfall provoziert hat ist verschwunden

Die hunsrückische Übersetzung (4c) beinhaltet drei entlehnte Wörter, nämlich


acident (‘Unfall’), provokiert (‘verursacht’) und desapareciert (‘verschwunden’).
Auch bei den mennonitischen Beispielen in (4a+b) kommen eine beziehungsweise
zwei der drei Entlehnungen vor. Da wir im Folgenden sehen werden, dass es bei
Satz 38 auch plautdietsche Wortvarianten gibt, ist die Anzahl selektionsproblema-
tischer Lexeme also höher als bei Satz 12. Diesem höheren Produktionsaufwand
entsprechen dann mehr Übersetzungsauffälligkeiten, die sich in den mennoniti-
schen Token (4a+b) an zwei Pausen, zwei Segmentdehnungen und einer Repara-
tur zeigen. Bei der Reparatur in (4a) ist dabei nicht klar, ob das reparierte dem das
Nomen Unfall einleiten sollte oder wie in (4b) acidente. Beide Nomen sind bei
den meisten Mennoniten maskulin. Auf jeden Fall ist die relative Verteilung die-
ser Auffälligkeiten mit der von Tabelle 8 vergleichbar, das heißt, es sind auch hier
die Mennoniten, die die wenigsten unauffälligen Übersetzungen, die längsten
Pausen und die häufigsten Verzögerungssignale produzieren. Allerdings weisen
die Verzögerungssignale hier keinen signifikanten Unterschied zu Hunsrückern
und Pommern auf. Tabelle 10 präsentiert nun die Lehnwortanalyse des Lexems
U n f a l l (WORTSCHATZ: n=30.221, Häufigkeitsklasse 9 / RUOFF 1990: n=23):

Tabelle 10: Übersetzungsvarianten für U n f a l l in Stimulussatz 38

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 53 24 46 123
deutsch 41 (77,4%) 2 (8,3%) 2 (4,3%) 45 (36,6%)
Unglück 30 (56,6%) 2 (8,3%%) 1 (2,2%) 33 (26,8%)
Unfall 11 (20,8%) 0 (0%) 0 (0%) 11 (8,9%)
 (2, n=123)=66,8; p=0,000*** / Cramer-V: 0,74 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

portugiesisch 12 (22,6%) 22 (91,7%) 44 (95,7%) 78 (63,4%)


acidente 11 (20,8%) 6 (25%) 14 (30,4%) 31 (25,2%)
acident 1 (1,9%) 16 (66,7%) 6 (13%) 23 (18,7%)
acidentsche 0 (0%) 0 (0%) 19 (41,3%) 19 (15,4%)
acidentsch 0 (0%) 0 (0%) 5 (10,9%) 5 (4,1%)

Wie bei H a u s a u f g a b e n und E i s werden bei Hunsrückern und Pommern kaum


noch deutsche Wortformen verwendet (vgl. Tabellen 5 und 6). Trotzdem taucht
acident(e) bei FAUSEL (1959) nicht auf. Bei den Mennoniten dominieren die deut-
schen Wortformen und dies sogar stärker als bei H a u s a u f g a b e n und E i s . Dass
acidente/acident bei den Mennoniten einen markierteren Status besitzt als
tema/teme und sorvete/sorvet, kann man auch aus der Tatsache herauslesen, dass
diesmal ein hochsignifikanter Altersunterschied besteht. Informanten, die die
deutschen Wortformen Unfall oder Unglück benutzen, sind durchschnittlich 40
Jahre alt, während diejenigen, die acidente/acident verwenden, nur 24,8 Jahre alt
sind (F(1,51)=11,9; p=0,001**). In Bezug auf die Verteilung der inkludierten Va-
riante acidente, der integrierten Variante acident und der beiden zusammenge-
nommenen palatalisierten Varianten acidentsche und acidentsch zeigt sich erneut
KT rechts 21

ein höchstsignifikanter Unterschied zwischen den Sprachgemeinschaften.25 Inte-


ressant ist daneben wieder die Analyse der hunsrückischen und mennonitischen
Männer und Frauen in Bezug auf acidente und acident (vgl. Tabelle 7).

Tabelle 11: Portugiesische Übersetzungsvarianten für U n f a l l bei Mennoniten und Hunsrückern


in Stimulussatz 38

Männer Frauen insgesamt


Mennoniten Hunsrücker Mennoniten Hunsrücker Mennoniten Hunsrücker

n 15 19 34
4 11 8 11 12 22

acidente 5 (33,3%) 12 (63,2%) 17 (50%)


3 2 8 4 11 6
 (1, n=34)=3; p=0,084 * / Phi: -0,3 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2 ( )

acident 10 (66,7%) 7 (36,8%) 17 (50%)


1 9 0 7 1 16

Auch wenn die Verteilung von Tabelle 11 nur eine schwache statistische Tendenz
aufweist, sind es wieder die Frauen, die die inkludierte Variante bevorzugen. Fasst
man die Schwa-haltigen und die Schwa-losen Formen aus den Tabellen 7 und 11
zusammen, benutzen Frauen die Prestige-Formen acidente und sorvete in 66,7%
von 48 Fällen, während die Männer das nur in 38,1% von 42 Fällen tun. Dieser
Unterschied ist hochsignifikant, weist aber nur eine schwache Assoziationsstärke
auf.26 Tabelle 12 analysiert nun die Übersetzungsvarianten für das Verb v e r u r -
s a c h e n (WORTSCHATZ: n=5.229, Häufigkeitsklasse 11 / RUOFF 1990: n=1):

Tabelle 12: Übersetzungsvarianten für v e r u r s a c h e n in Stimulussatz 38

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 55 23 47 125
deutsch 49 (89,1%) 8 (34,8%) 26 (55,3%) 83 (66,4%)
verursakt 21 (38,2%) 0 (0%) 0 (0%) 21 (16,8%)
gemacht/getan 17 (30,9%) 8 (34,8%) 26 (55,3%) 51 (40,8%)
 (2, n=125)=25,6; p=0,000*** / Cramer-V: 0,45 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

portugiesisch 6 (10,9%) 15 (65,2%) 21 (44,7%) 42 (33,6%)


provokiert 6 (10,9%) 13 (56,5%) 16 (34%) 35 (28%)

Für v e r u r s a c h e n verwenden nun auch Hunsrücker und Pommern vermehrt


deutsche Wortformen. Bei den Pommern sprechen Informanten, die die deutsche
Wortform benutzen, tendenziell besser Hochdeutsch (3,1 vs. 1,7 Punkte:
F(1,45)=4; p=0,051(*)). Einen signifikanten Unterschied gibt es bei den Mennoni-
ten, wo jüngere Informanten weit stärker zu provokiert tendieren als ältere (25 vs.

25 Für den Vergleich acidente, acident und acidentsch(e) gilt: 2(4, n=78)=47,8; p=0,000*** /
Cramer-V: 0,55 / 3 Zellen (33,3%) mit weniger als 5 erwarteten Token.
26 Für den Vergleich der Formen mit beziehungsweise ohne Schwa gilt: 2(1, n=90)=7,3;
p=0,007** / Phi: -0,29 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token.
22 KT links

38,1 Jahre: F(1,53)=4,3; p=0,044*). Allerdings gibt es bei provokiert – im Gegen-


satz zu den Lexemen H a u s a u f g a b e n , E i s und U n f a l l – keine phonologische
und auch fast keine morphologische Variation. Provokt kommt nur jeweils einmal
bei den Hunsrückern und bei den Pommern vor. Diese Form entspricht der von
FAUSEL (1959, 193) als häufig angeführten Form prowocke, ein Infinitiv, der we-
sentlich stärker ins Deutsche integriert ist als das für provokiert anzusetzende pro-
vokiere. Man darf dabei natürlich nicht vergessen, dass FAUSEL seine Sammlung
schon vor mehr als 50 Jahren veröffentlichte. Insofern ist es durchaus möglich,
dass in der Zwischenzeit ein Sprachwandel stattgefunden hat, wie ihn LOUDEN
und PAGE (2005, 1390) im oben angeführten Zitat fürs Pennsylvania German an-
nehmen.
Bei den deutschen Wortformen ist die häufigste Übersetzung nicht verursa-
chen, sondern machen, auf das 51 der 83 Token entfallen (WORTSCHATZ:
n=240.951, Häufigkeitsklasse 6 / RUOFF 1990: n=2.730). Im Hunsrückischen und
Pommerschen ist machen sogar die einzige Variante. Dieses Ergebnis wird durch
Angaben in den konsultierten Häufigkeitswörterbüchern verständlich. Während
das Häufigkeitsverhältnis von machen und Buch im WORTSCHATZ-Portal 4,7 be-
trägt, beträgt es bei RUOFF (1990) 58,1. Machen ist also auch in Deutschland ein
mündlich gebrauchtes Verb par excellence, allerdings auch ein semantisch wenig
differenzierendes Verb. Bei den Mennoniten verwenden fast ausschließlich ältere
Informanten das spezifischere Verb verursake (50,4 vs. 26,6 Jahre: F(1,36)=59,7;
p=0,000***). Diese Informanten sind dabei auch wesentlich kompetenter im
Plautdietschen (13,6 vs. 9,6 Punkte: F(1,29)=26; p=0,000***) und wesentlich
weniger kompetent im Portugiesischen (9,1 vs. 12,8 Punkte: F(1,29)=13,2;
p=0,001**). Unterschiedliche Hochdeutschkenntnisse haben interessanterweise
nichts mit dem Gebrauch von verursake zu tun. Dies überrascht nicht, denn
verursake findet sich in der Form veüasoake in THIESSENs (2003, 286)
plautdietsch-englischem Wörterbuch. Für unsere Analyse entscheidend ist nun,
dass beide Wortformen häufig vorkommen, also von allen Mennoniten zumindest
passiv beherrscht werden. Dass auch diese Variation den lexikalischen
Selektionsprozess schwierig machen kann, zeigen die folgenden Beispiele:

Satz 38 Portugiesisch: O homem que provocou o acidente desapareceu


(‘Der Mann, der den Unfall verursacht hat, ist verschwunden’)
(5) a. der Mann waut- [1,0] waut den Unfall ge- ge- [1,8] ge- gedone haft [0,5] der is
wajchgekomme (Menno-26)
der Mann der- [1,0] der den Unfall ge- ge- [1,8] ge- getan hat [0,5] der ist ver-
schwunden
b. dei Mann dei daut Unglück [0,8] [äh] verursache dät is verschwunge
(Menno-27)
der Mann der das Unglück [0,8] [äh] verursachen tut ist verschwunden
KT rechts 23

Bei (5a) setzt der 28-jährige Informant viermal an, bevor er gedone produziert, ein
semantisch mit gemoakt vergleichbares Verb.27 Unterbrochen wird dieser auf-
wendige Selektionsprozess von einer sehr langen Pause. Aber auch der 57-jährige
Informant von (5b) pausiert relativ lange vor verursache, das einen nur selten
vorkommenden hochdeutschen Konsonantismus aufweist, und produziert danach
noch eine gefüllte Pause. Diese Abrufprobleme passen gut zu ALTMANNs (1997,
71) Überzeugung bezüglich des lexikalischen Zugriffs auf seltene Lexeme:
“[R]eal words that are used infrequently take longer to say ‘yes’ to than words
that are used frequently.” Bei Hunsrückern, Pommern und einigen jungen Men-
noniten gibt es dieses Problem nicht mehr, denn verursachen scheint bei ihnen
nicht mehr Teil des (aktiv verwendeten) Lexikons zu sein, ein klarer Fall von le-
xikalischem Verlust. Wollen sie sich semantisch differenziert ausdrücken, müssen
sie das portugiesische Lehnwort verwenden.28
Neben der gerade beschriebenen Variation benutzt Informant Menno-27 in
(5b) auch ein im Plautdietschen eher selten vorkommendes Relativpronomen.29
Bei Pommern und Hunsrückern kommen nur die Relativpartikeln waut bezie-
hungsweise wo vor, die allerdings in Subjektfunktion häufig mit dem Verb kon-
gruieren (vgl. wenns in (1)). In den beiden hier analysierten Stimulussätzen 36
und 38 produzierten die mennonitischen Informanten acht Relativpronomen, wäh-
rend die unflektierte Relativpartikel waut 74-mal vorkommt. Wer ein Relativpro-
nomen verwendet, ist dabei deutlich älter (56 vs. 35,2 Jahre: F(1,107)=16,2;
p=0,000***), spricht signifikant besser Plautdietsch (14 vs. 12 Punkte:
F(1,80)=4,3; p=0,041*) und Hochdeutsch (9,8 vs. 7,3 Punkte: F(1,80)=7,1;
p=0,01*) und hat tendenziell eine längere Schulbildung genossen (15,5 vs. 12,9
Jahre: F(1,80)=3,3; p=0,074(*)). Ob in diesem Fall allerdings auch lexikalische
Selektionsprobleme bestehen, ist schwer zu sagen. Der Abbruch von waut in (5a)
und die folgende lange Pause mit anschließender Wiederholung von waut könnte
als Indiz hierfür gewertet werden, aber Verzögerungssignale, die so früh im Satz
auftreten, können sich auch auf spätere Elemente wie Unfall und gedone oder auf
die syntaktische Gesamtstruktur beziehen. Dass es aber zumindest in Einzelfällen
zu Selektionskonflikten bei Relativmarkierern kommt, zeigt die folgende Überset-
zung:
Satz 36 Portugiesisch: O médico que quer ver o meu pé está muito preocupado
(‘Der Arzt, der meinen Fuß sehen will, ist sehr besorgt’)

27 Tun kommt zweimal vor. Für den Kolonievergleich von gemacht/getan und verursacht gilt:
2(2, n=72)=26,5; p=0,000*** / Cramer-V: 0,61 / 1 Zelle (16,7%) mit weniger als 5 erwarte-
ten Token.
28 Vor einem ähnlichen Dilemma scheint ein deutschstämmiger Schreiber aus Itapiranga in
Santa Catarina gestanden zu haben, der in einem 1963 verfassten Privatbrief (abgedruckt in
STEFFEN 2016, 151–152) die komplexeste Handlung mit dem einzigen portugiesischen Verb
seines Schreibens ausdrückt. Statt beantragt oder ein Gesuch einreichen schreibt er requerird
(< requerido), eine Partizipialform, die gut zu FAUSELs (1959, 201) Infinitiv rekeriere passt.
29 Vergleiche KAUFMANN (im Druck) für ausführliche Analysen von Relativmarkern und pro-
nominalen Wiederaufnahmen wie in (4a), (5a), (6) und (7).
24 KT links

(6) de Doktor der- [0,3] waut min Fuut sehne will der is sehr opgeregt (Menno-16)
der Arzt der- [0,3] der meinen Fuß sehen will der ist sehr aufgeregt

In (6) wird nach einer kurzen Pause das seltene Relativpronomen der durch die
häufige Relativpartikel waut ersetzt. Auch hier könnte es sich wieder um eine Re-
paratur der Varietät handeln, denn Menno-16 verfügt im Vergleich zu den anderen
Produzenten von Relativpronomen über weit niedrigere Kompetenzen im Hoch-
deutschen (5 vs. 9,8 Punkte) und ist auch wesentlich jünger (26 vs. 56 Jahre). Al-
lein seine lange Ausbildungszeit passt ins Bild (17 Jahre). Zusammenfassend
können wir die im Vergleich zu Satz 12 häufigeren und längeren Verzögerungs-
phänomene in Satz 38 dadurch erklären, dass bei v e r u r s a c h e n auch bei Pom-
mern und Hunsrückern eine deutsch-portugiesische Variation besteht und dass bei
den Mennoniten bei v e r u r s a c h e n und bei Relativmarkierern eine zusätzliche
Variation innerhalb des Plautdietschen existiert. In allen Sprachgemeinschaften
scheinen also zumindest in zwei Fällen zwei Abrufkandidaten zur Verfügung zu
stehen. Acident(e), acidentsch(e) und provokiert sind dabei bei den Pommern und
Hunsrückern sicherlich schon zentrale Elemente des mentalen Lexikons der deut-
schen Varietät. Bei den Mennoniten kann man sie wohl noch in einem peripheren
Bereich dieses Lexikons verorten; Fälle von ad-hoc-Entlehnungen, also von nonce
borrowing (vgl. POPLACK et al. 1988), sind sie allerdings nicht mehr. Dies und die
Tatsache, dass bei den Mennoniten bei verursakt, gemoakt/gedone und provokiert
sogar drei Abrufkandidaten existieren, könnte den lexikalischen Zugriff weiter
erschwert haben.
Der letzte Fall von Variation in Satz 38, v e r s c h w i n d e n (WORTSCHATZ:
n=8.351, Häufigkeitsklasse 10 / RUOFF 1990: n=9), dürfte bei der Erhöhung der
Komplexität kaum ins Gewicht gefallen sein. Das Lehnwort desapareciert aus
(4c) kommt insgesamt nur viermal vor, jeweils zweimal bei den hunsrückischen
und pommerschen Informanten. Hierbei handelt es sich also um einen klaren Fall
von ad-hoc-Entlehnungen, was die Nicht-Nennung bei FAUSEL (1959) erklärt. Ein
Metakommentar im direkten Anschluss an folgende abgebrochene Übersetzung
zeigt jedoch, dass es manchmal auch hier Zugriffsprobleme gibt:

Satz 38 Portugiesisch: O homem que provocou o acidente desapareceu


(‘Der Mann, der den Unfall verursacht hat, ist verschwunden’)
(7) dei- de Mesch wat de acidente provokiert hät der is [ähm] (Pom-29)
der- der Mensch der den Unfall verursacht hat der ist [ähm]

Der 46-jährige Informant bricht die Übersetzung mit den Worten ai, agora me
faltou a palavra (‘oh, jetzt fehlte mir das Wort’) ab.
KT rechts 25

3.3 Stimulussatz 9: Elisabeth besteht darauf, dass du den Lastwagen gesehen


haben musst

Eine vergleichbare deutsch-portugiesische und dialekt-interne Doppelvariation


existiert auch für das seltene Lexem d a r a u f b e s t e h e n (WORTSCHATZ: n=131,
Häufigkeitsklasse 16 / RUOFF 1990: n=0) in Stimulussatz 9 Elisabeth insiste que
tu deves ter visto o caminhão (‘Elisabeth besteht darauf, dass du den Lastwagen
gesehen haben musst’). Die Übersetzung des portugiesischen Stimulus insiste
(‘besteht darauf’) erwies sich dabei für viele Hunsrücker und einige Mennoniten
als so schwierig, dass insiste in 29 Fällen durch diz (‘sagt’) und zweimal durch
está seguro (‘ist sich sicher’) ersetzt werden musste. Die Beispiele (8a+b), in
denen das Stimulusverb insiste zur Anwendung kam, illustrieren die mit diesem
Verb einhergehenden Verzögerungen:

Satz 9 Portugiesisch: Elisabeth insiste que tu deves ter visto o caminhão


(‘Elisabeth besteht darauf, dass du den Lastwagen gesehen haben musst’)
(8) a. Elisabeth: [1,7] blieft darob bestone daut [0,5] du den caminhão gesehne hast
(Menno-14)
Elisabeth [1,7] bleibt darauf bestehen dass [0,5] du den Lastwagen gesehen hast
b. Elisabeth [0,5] [äh] sagt [0,4] daut du hast wirklich dem caminhão gesehne- en-
en Lastwoage gesehne (Menno-5)
Elisabeth [0,5] [äh] sagt [0,4] dass du hast wirklich den Lastwagen gesehen- ei-
nen- einen Lastwagen gesehen

Die gedehnte Verschlussphase des Plosivs beim Eigennamen in (8a) und die sehr
lange Pause danach beziehungsweise die kurze Pause und das [äh] nach Elisabeth
in (8b) sind Indizien für lexikalische Abrufprobleme bei d a r a u f b e s t e h e n . In
(8a) wird das Problem erfolgreich gelöst, in (8b) kommt es zu einer semantischen
Simplifizierung. Die zweite, deutlich kürzere Pause in (8a) könnte entweder mit
der Wortsuche bei L a s t w a g e n zusammenhängen oder mit der komplexen Verb-
konstruktion – ein epistemisches Modalverb regiert hier einen Infinitiv Perfekt –,
die in ein einfaches Perfekt umgewandelt wird. Etwas klarer ist die weitere Pro-
duktion von (8b). Die Pause nach sagt ist wieder schwer zuzuordnen, aber die
Ersetzung von caminhão durch Lastwoage zeigt, dass zumindest bei den Menno-
niten auch bei diesem Lexem (WORTSCHATZ: n=8.314, Häufigkeitsklasse 10 /
RUOFF 1990: n=13) Selektionskonflikte bestehen. Tabelle 13 zeigt die Variation
für das Matrixverb. In ihr und in Tabelle 14 werden nur die Übersetzungen be-
rücksichtigt, bei denen insiste tatsächlich verwendet wurde. Die hunsrückischen
Daten sind wegen der geringen Belegdichte wenig aussagekräftig und werden
deshalb für den statistischen Vergleich nicht berücksichtigt.

Tabelle 13: Übersetzungsvarianten für d a r a u f b e s t e h e n in Stimulussatz 9 (nur Matrixverb


insistir)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


26 KT links

n 43 4 43 90
deutsch 38 (88,4%) 3 (75%) 35 (81,4%) 76 (84,4%)
darop bestohne 10 (23,3%) 0 (0%) 0 (0%) 10 (11,1%)
meine 11 (25,6%) 0 (0%) 0 (0%) 11 (12,2%)
sagen 11 (25,6%) 2 (50%) 30 (69,8%) 43 (47,8%)
behaupten 3 (7%) 1 (25%) 0 (0%) 4 (4,4%)
ns
portugiesisch 5 (11,6%) 1 (25%) 8 (18,6%) 14 (15,6%)
insistiere 5 (11,6%) 1 (25%) 8 (18,6%) 14 (15,6%)

Insistiert als mögliche portugiesische Entlehnung kommt nur 14-mal vor.


Interessant ist dabei, dass die Mennoniten, die insistiert benutzen, sich im
Hochdeutschen tendenziell sicherer fühlen als diejenigen, die deutsche
Verbformen benutzen (10,7 vs. 7,5 Punkte: F(1,30)=3,7; p=0,065(*)). Zumindest
bei ihnen könnte es sich bei insistiert also auch um das hochdeutsche Verb
handeln und nicht um ein portugiesisches Lehnwort, das von FAUSEL (1959, 150)
als insistiere angeführt wird. Im Bereich der deutschen Wortformen weichen
Hunsrücker und Pommern durchgehend auf das semantisch wenig komplexe
sagen aus. Bei den Mennoniten herrscht mehr Variation, aber auch bei ihnen
produzieren nur zehn Informanten das intendierte darop bestohne (bliewe)
(‘darauf bestehen’), das bei THIESSEN (2003, 391) in der Form doarop bestohne
aufgeführt wird, fälschlicherweise jedoch beim englischen Adjektiv insistent statt
beim Verb insist. Fasst man die anderen deutschen Wortformen zusammen und
vergleicht sie mit darop bestohne (bliewe), sind Mennoniten, die die intendierte
Form produzieren, hochsignifikant älter als diejenigen, die die anderen
Wortformen benutzen (51,3 vs. 33,8 Jahre: F(1,36)=12,1; p=0,001**), sprechen
besser Plautdietsch (14 vs. 11,8 Punkte: F(1,27)=4,3; p=0,049*) und schlechter
Portugiesisch (6,9 vs. 11,8 Punkte: F(1,27)=27,1; p=0,000***). Dies stimmt mit
den Ergebnissen bei v e r u r s a c h e n überein (vgl. Tabelle 12). Interessanterweise
haben die Informanten, die darop bestohne (bliewe) produzieren, aber auch eine
deutlich kürzere Schulbildung genossen (9 vs. 15 Jahre: F(1,35)=21; p=0,000***).
Dieses Ergebnis dürfte mit dem Altersunterschied zusammenhängen, denn
jüngere Mennoniten haben fast immer längere Ausbildungszeiten vorzuweisen.
Da die Mennoniten auch die einzigen sind, die caminhão manchmal mit
Lastwoage übersetzten (6 Token insgesamt, 5 in den hier untersuchten Token),30
überrascht es nicht, dass sie auch bei Satz 9 in zwei Bereichen signifikant mehr
Übersetzungsauffälligkeiten aufweisen als die pommerschen Informanten.
Absolut zeigen sie auch mehr Verzögerungsphänomene pro Übersetzung, dieser
Unterschied ist aber nicht signifikant.

Tabelle 14: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 9 (Sek. = Sekunden)

30 Der fast durchgehenden Benutzung der portugiesischen Entlehnung bei den Hunsrückern (23
von 24 Token) entspricht die sehr eingedeutschte Form Kaminjong bei FAUSEL (1959, 94).
Beim plautdietschen Lastwoage ist interessant, dass abweichend von den bisherigen
Ergebnissen die deutsche Wortform von tendenziell jüngeren Mennoniten gebraucht wird (26
vs. 38,3 Jahre: F(1,51)=3,8 ; p=0,058(*)).
KT rechts 27

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 46 4 47 97
keinerlei Auffälligkeiten 5 (10,9%) 0 (0%) 16 (34%) 21 (21,6%)
 (1, n=93)=7,1; p=0,008** / Phi: -0,28 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 1,4 0,7 0,46 0,92


F(1,91)=18,1; p=0,000***
Produktionsverzögerungen 49 (1,07) 4 (1) 37 (0,79) 90 (0,93)
ns

3.4 Stimulussatz 36: Der Arzt, der meinen Fuß sehen will, ist sehr besorgt

Während die Analysen der Stimulussätze 12, 38 und 9 gezeigt haben, dass
konkurrierende deutsche Wortalternativen und das relativ seltene Auftauchen von
portugiesischen Lehnwörtern bei den Mennoniten zu mehr lexikalischen
Selektionsproblemen geführt haben, ist das Ergebnis von Stimulussatz 36 O
médico que quer ver o meu pé está muito preocupado (‘Der Arzt, der meinen Fuß
sehen will, ist sehr besorgt’) nicht ganz so eindeutig. Tabelle 15 präsentiert die
Verzögerungsphänomene in Satz 36:

Tabelle 15: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 36 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 49 129
keinerlei Auffälligkeiten 7 (12.5%) 9 (37,5%) 9 (18,4%) 25 (19,4%)
2(2, n=129)=6,8; p=0,034* / Cramer-V: 0,23 / 1 Zelle (16,7%) mit weniger als 5 erwarteten Token
Ø ungefüllte Pause in Sek. 1,61 0,47 0,82 1,1
F(2,97)=3,4; p=0,039*
Produktionsverzögerungen 53 (0,95) 12 (0,5) 55 (1,12) 120 (0,93)
ns

Auch hier sind es wieder die Mennoniten, die die signifikant wenigsten unauffäl-
ligen Übersetzungen und die signifikant längsten durchschnittlichen Pausen pro-
duzieren. In Bezug auf unauffällige Übersetzungen zeigen die Pommern aber ein
vergleichbares Ergebnis und bei den Verzögerungsphänomenen weisen sie sogar
(nicht signifikant) die höchste Anzahl pro Übersetzung auf. Eine weitere Auffäl-
ligkeit ist, dass Satz 36, obwohl er wie die Sätze 12 und 38 auf den ersten Blick
wenig komplex erscheint, zu ganz erheblichen Verzögerungen führte. Er weist mit
1,1 Sekunden nicht nur die längste durchschnittliche Pausenlänge der neun unter-
suchten Sätze auf, sondern mit 1,69 auch die größte Standardabweichung. Die
anderen Sätze haben hier Werte zwischen 0,52 und 1,23. Diese hohe Standardab-
weichung rührt von acht Token, die jeweils eine Gesamtpausenlänge von mehr als
fünf Sekunden aufweisen. In den acht anderen Sätzen passiert das insgesamt nur
neunmal. Daneben gibt es bei Satz 36 nur 25 völlig unauffällige Übersetzungen.
Nur die Zahl der sonstigen Verzögerungssignale ist mit 120 unauffällig.
28 KT links

Die häufigen Verzögerungsphänomene bei Satz 36, die sich praktisch nicht
von denen bei Satz 38 unterscheiden, erstaunen, weil Satz 36 mit b e s o r g t nur
ein entlehnungsanfälliges Element enthält. Dieses Element muss allerdings als
schriftsprachlich eingeschätzt werden, denn im mündlichen Korpus von RUOFF
(1990) ist es kein einziges Mal belegt, während es im WORTSCHATZ-Portal durch-
aus häufig vorkommt (WORTSCHATZ: n=7.884, Häufigkeitsklasse 10). Ansonsten
sind die beiden Sätze aber sehr ähnlich. Ihnen sind sowohl die geringe Variation
bei den mennonitischen Relativmarkierern als auch ein Fall von ad-hoc-
Entlehnung gemein. Wie bei desapareciert in Satz 38 sind fünf Token mit médico
für A r z t (4-mal bei den Pommern; 1-mal bei den Mennoniten) als ad-hoc-
Entlehnungen zu beurteilen. Bei FAUSEL (1959) ist diese Entlehnung nicht gelis-
tet. Nun kann es durchaus sein, dass der matrixsatzmedial stehende Relativsatz in
den Sätzen 36 und 38 kognitiv-prozessual komplexer ist als der Konditionalsatz in
Satz 12, der den Matrixsatz nicht unterbricht, und dass dies die größeren Überset-
zungsauffälligkeiten erklärt.31 Aber selbst wenn das der Fall sein sollte, müsste
Satz 36 deutlich besser abschneiden als Satz 38, da er ein entlehnungsanfälliges
Element und einen Fall von dialekt-interner Variation weniger aufweist. Die auf
die Übersetzungen (9a-c) folgenden Metakommentare können aber vielleicht er-
klären, warum das nicht der Fall ist:

Satz 36 Portugiesisch: O médico que quer ver o meu pé está muito preocupado
(‘Der Arzt, der meinen Fuß sehen will, ist sehr besorgt’)
(9) a. dei Doktor wat mine Faut kieke dät [ähm] [3,1] is sehr preocupado (Pom-23)
der Arzt der meinen Fuß anschauen tut [ähm] [3,1] ist sehr besorgt
b. dei Doktor wat mie Faut sehe will is:- is sehr preocupado (Pom-24)
der Arzt der meinen Fuß sehen will ist- ist sehr besorgt
c. de Doktor wo will mei Fuß sehn is arg preocupado (Hunsr-20)
der Arzt der will meinen Fuß sehen ist sehr besorgt

Die beiden pommerschen Informanten beenden ihre Übersetzung nach


preocupado mit “preocupado eu nao” (‘preocupado [weiß] ich nicht’) und “isso
eu nao sei” (‘das weiß ich nicht’), der hunsrückische Informant tut dies mit „des
kann ich a net sagen“ (‘das kann ich auch nicht sagen’). Daneben gibt es bei
diesem Satz sieben Übersetzungen, bei denen besorgt vom Interviewer als
Übersetzungshilfe vorgegeben wurde (6-mal bei den Mennoniten, 1-mal bei den
Pommern). Grund hierfür war die Tatsache, dass die Suchphase der Informanten
manchmal für beide Seiten unerträglich lang wurde. Bei 129 Informanten und 46
Stimulussätzen, also bei insgesamt 5.934 Stimuli, wurden insgesamt aber nur 23
Wörter vom Interviewer vorgegeben. Besorgt macht dabei den Löwenanteil von
30,4% aus, ein weiterer Hinweis auf seine schriftsprachliche Prägung. Die
Tatsache, dass bei den Hunsrückern nur ein Metakommentar vorkommt und dass

31 Satz 9 wurde aus diesem Vergleich herausgenommen, da er mit dem problematischen Mat-
rixverb insiste und seinem dreiteiligen Verbkomplex im Komplementsatz weitere, nicht ver-
gleichbare Quellen für Komplexität enthält.
KT rechts 29

es keinerlei Vorgaben durch den Interviewer gab, mag die Unterschiede zu


Pommern und Mennoniten in Tabelle 15 erklären. Tabelle 16 liefert noch einen
weiteren erklärungsrelevanten Hinweis. Übersetzungen nach Interviewervorgaben
sind hier natürlich ausgeschlossen:

Tabelle 16: Übersetzungsvarianten für b e s o r g t in Stimulussatz 36

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 50 24 45 119
deutsch 36 (72%) 0 (0%) 7 (15,6%) 43 (36,1%)
besorgt 23 (46%) 0 (0%) 0 (0%) 23 (19,3%)
 (2, n=119)=49,7; p=0,000*** / Cramer-V: 0,65 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

portugiesisch 14 (28%) 24 (100%) 38 (84,4%) 76 (63,9%)


preocupado 8 (16%) 18 (75%) 30 (66,7%) 56 (47,1%)
preokupiert 6 (12%) 6 (25%) 1 (2,2%) 13 (10,9%)

Bei den Hunsrückern gibt es in Bezug auf das entlehnte Partizip zwar eine mor-
phologische Variation; es gibt allerdings keine deutsch-portugiesische Variation.
Insofern kann kein Zweifel daran bestehen, dass sowohl preocupado als auch pre-
okupiert Teil des mentalen Lexikons des Hunsrückischen sind. Aus diesem Grund
überrascht es ein wenig, dass diese Entlehnung in FAUSEL (1959) nicht auftaucht.
In Bezug auf die Mennoniten, die wieder die ausgeprägteste deutsch-
portugiesische Variation aufweisen, sprechen Informanten, die eine deutsche
Wortform produzieren, signifikant besser Plautdietsch als diejenigen, die eine
portugiesische Wortform verwenden (12,8 vs. 10,4 Punkte: F(1,35)=6,2;
p=0,018*). Bei der Frage, ob das portugiesische Lehnwort morphologisch inte-
griert ist oder nicht, gibt es auch einen hochsignifikanten Unterschied zwischen
den Sprachgemeinschaften.32 Hierbei zeigt sich, dass die Pommern das entlehnte
Verb kein einziges Mal morphologisch anpassen. Die Mennoniten dagegen ver-
wenden die integrierte Form preokupiert besonders häufig. Die Informanten, die
diese Form produzieren, sind dabei signifikant älter als diejenigen, die preocupa-
do sagen (42 vs. 25,5 Jahre: F(1,12)=7,8; p=0,016*). Daneben sprechen sie deut-
lich besser Plautdietsch (13,5 vs. 8 Punkte: F(1,7)=10,9; p=0,013*) und deutlich
schlechter Portugiesisch (7,3 vs. 13,2 Punkte: F(1,7)=13,9; p=0,007**). Bei den
Hunsrückern gibt es solche kolonieinternen Unterschiede nicht.
In den drei Gruppen ist also bezüglich phonologischer und morphologischer
Integration ein gegenläufiges Verhalten festzustellen. Die Mennoniten adaptieren
Lehnwörter wie tema, sorvete und acidente phonologisch kaum, passen Entleh-
nungen aber den morphologischen Regeln ihrer Varietät häufig an. Bei den Huns-
rückern und Pommern zeigt sich der umgekehrte Fall. Morphologische Anpassung
stellt den Ausnahmefall dar, phonologisch wird aber häufig integriert. Hier könnte
man auf unterschiedliche Konvergenzgeschwindigkeiten in Sprachkontaktsituati-
onen hinweisen (vgl. LOUDEN 1994, 73). Vielleicht versuchen Pommern und

32 Für den Kolonievergleich von preocupado und preokupiert gilt: 2(2, n=69)=10,8; p=0,004**
/ Cramer-V: 0,4 / 2 Zellen (33,3%) mit weniger als 5 erwarteten Token.
30 KT links

Hunsrücker die Eigenständigkeit ihrer Varietäten in der Lexik durch phonologi-


sche Integration aufrecht zu erhalten. Mögliche Konvergenzen im syntaktisch-
morphologischen Bereich sind dagegen weniger salient und deshalb vielleicht
konvergenzanfälliger. Die morphologische Variation bei preocupado und preoku-
piert stellt dabei keinen Ausnahmefall im brasilianischen Kontext dar. ALTENH-
OFEN (2016, 118) führt den Infinitiv als Beispiel für einen Kontrast im Hunsrücki-
schen von Santa Catarina und Rio Grande do Sul an, also „[d]ie Beibehaltung des
portugiesischen Infinitivs in tun-Periphrasen, wie z.B. Die tun convidar […], an-
statt des Riograndenser Die tun convideere, oder inloode […].“

3.5 Satzanalysen von Sätzen ohne entlehnungsanfällige Elemente

Bei drei der neun detailliert untersuchten Stimulussätze erwarten wir keine
Unterschiede in Bezug auf Übersetzungsauffälligkeiten. Der Grund hierfür ist,
dass diese Sätze keine entlehnungsanfälligen Elemente enthalten. Satz 29 Ele está
bravo porque ele poderia ter comprado a casa por muito menos (‘Er ist verärgert,
weil er das Haus für viel weniger hätte kaufen können’) ist der erste dieser Sätze.
Nur in drei pommerschen Übersetzungen erscheinen hier portugiesische
Elemente. Dreimal taucht (bem) menos statt (viel) weniger auf und einmal wird
porque realisiert, das dann aber ohne Pause durch weil repariert wird. Diese
Entlehungen sind als ad-hoc-Entlehnungen einzuschätzen und kommen bei
FAUSEL (1959) nicht vor. Nähme man die Token aus der in Tabelle 17
präsentierten Analyse heraus, änderte sich nichts. Wie erwartet, gibt es zwischen
den Sprachgemeinschaften keine signifikanten Unterschiede.

Tabelle 17: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 29 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 49 129
keinerlei Auffälligkeiten 10 (17,9%) 9 (37,5%) 15 (30,6%) 34 (26,4%)
ns
Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,48 0,56 0,62 0,55
ns
Produktionsverzögerungen 67 (1,2) 16 (0,67) 46 (0,94) 129 (1)
ns

Wie Satz 9 enthält Stimulussatz 29 ein dreiteiliges Verbcluster (Modalverb im


Perfekt) und ist in dieser Hinsicht komplexer als die anderen Sätze. Obwohl es in
Satz 29 praktisch keinerlei lexikalische Selektionsprobleme wegen möglicher por-
tugiesischer Entlehnungen gegeben haben kann, zeigt sich diese Komplexität an
der relativ niedrigen Zahl von völlig unauffälligen Übersetzungen und an der bis-
her höchsten durchschnittlichen Zahl von gefüllten Pausen, Dehnungen und Repa-
raturen pro Übersetzung. Nur die durchschnittliche Pausenlänge liegt mit 0,55
Sekunden am unteren Ende der bisherigen Werte, die zwischen 0,42 und 1,1 Se-
kunden changieren.
KT rechts 31

Bei Satz 17 Se ele realmente matou o homem, ninguém pode ajudar ele
(‘Wenn er wirklich den Mann getötet hat, kann ihm niemand helfen’) kommt es
ebenfalls nur viermal zu portugiesischen Wortformen. Die drei relevanten
Übersetzungen finden sich in (10a-c):
Satz 17 Portugiesisch: Se ele realmente matou o homem, ninguém pode ajudar ele
(‘Wenn er wirklich den Mann getötet hat, kann ihm niemand helfen’)
(10) a. wenn der de- wenn der [0,8] re- [0,8] realmente de Mann ge:[1,1]matiert hat is
de:r- [0,3] derf niemand de helfe (Hunsr-12)
wenn der de- wenn der [0,8] wi- [0,8] wirklich den Mann ge:[1,1]tötet hat ist
der- [0,3] darf niemand dem helfen
b. wenn der realm- [0,5] wenn der wirklich de Mann [0,3] kaputtgemoch hot dann
kann man ihm net helfe da (Hunsr-23)
wenn der wirk- [0,5] wenn der wirklich den Mann [0,3] getötet hat dann kann
man ihm nicht helfen da
c. se dei hät der Kerl: [ähm] doutmak ko ke dör de help (Pom-71)
wenn er hätte den Mann [ähm] totgemacht kann keiner dar dem helfen

Auch wenn es in (10a+b) durchaus zu Verzögerungen bei w i r k l i c h kommt –


jeweils einen kompletten Neuanfang der Übersetzung und eine lange Pause vor
realmente in (10a) beziehungsweise eine Reparatur in (10b) –, kann dieser Befund
nicht verallgemeinert werden. Die Produktion von wirklich ist in allen anderen
Übersetzungen unauffällig; allerdings fehlt das Adverb wie in (10c) bei 26 Token.
In dieser Übersetzung wird auch die einmalig vorkommende portugiesische
Subjunktion se produziert. Die vierte Entlehnung, ge:[1,1]matiert in (10a), ist
interessant, da hier das deutsche Präfix ge: nicht nur gedehnt wird, sondern auch
noch eine lange Pause zwischen Präfix und Verbwurzel zu konstatieren ist.
Offensichtlich ist dieser 16-jährigen Informantin die grammatische Form des
Verbs schon bewusst, bevor sie den Zugriff auf die Wortform startet. Der Abruf
des schließlich selegierten matiert passt dann aber nicht mehr mit dem
hunsrückischen Partizipialpräfix ge- zusammen, es handelt sich also
wahrscheinlich um eine vollständige Ersetzung. Auch bei (10b) kommt es bei der
Übersetzung von matou (‘getötet hat’) zu einer kurzen Pause, dann jedoch setzt
sich die bei den Hunsrückern mit 14 Fällen häufigste Wortform kaputtgemoch
durch. In jedem Fall handelt es sich bei den wenigen entlehnten Wortformen nicht
um etablierte Entlehnungen; sie kommen auch bei FAUSEL (1959) nicht vor.
Tabelle 18 präsentiert die Verzögerungsphänomene in Satz 17:
Tabelle 18: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 17 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 49 129
keinerlei Auffälligkeiten 19 (33,9%) 5 (20,8%) 29 (59,2%) 53 (41,1%)
 (2, n=129)=11,9; p=0,003** / Cramer-V: 0,3 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,41 0,75 0,37 0,46


32 KT links

ns
Produktionsverzögerungen 29 (0,52) 17 (0,71) 23 (0,47) 69 (0,53)
ns

Da Satz 17 strukturell weniger komplex ist als Satz 29, überrascht es nicht, dass es
53 völlig unauffällige Übersetzungen gibt und dass die durchschnittliche
Pausenlänge von 0,46 Sekunden nahe dem unteren Ende der bisherigen
Pausenlängen liegt. Die durchschnittliche Anzahl von 0,53 Verzögerungssignalen
pro Übersetzung repräsentiert sogar das bisher niedrigste Vorkommen. Wie
erwartet, gibt es bei den letzten beiden Dimensionen keinen signifikanten
Unterschied zwischen den Sprachgemeinschaften. Im Gegensatz dazu zeigt sich
allerdings bei der Anzahl unauffälliger Übersetzungen ein hochsignifikanter
Unterschied. Warum es in diesem Fall zum ersten Mal die hunsrückischen
Informanten sind, die den niedrigsten Werte aufweisen, ist schwer zu
beantworten. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Dimension der völlig
unauffälligen Übersetzungen die am wenigsten aussagekräftige ist, da sie
mögliche Verzögerungshäufungen in einzelnen Übersetzungen nicht
berücksichtigt. Beim letzten in diesem Abschnitt relevanten Stimulussatz 43 Antes
de sair de casa eu sempre apago as luzes (‘Bevor ich aus dem Haus gehe, mache
ich immer die Lichter aus’) taucht nur bei den Pommern einmal die portugiesische
Verbform sair auf. Übersetzungsauffälligkeiten gibt es sehr wenige:

Tabelle 19: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 43 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 48 128
keinerlei Auffälligkeiten 24 (42,9%) 18 (75%) 25 (52,1%) 67 (52,3%)
 (2, n=128)=7; p=0,031* / Cramer-V: 0,23 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,28 0,13 0,31 0,26


ns
Produktionsverzögerungen 26 (0,46) 4 (0,17) 31 (0,65) 61 (0,48)
( )
F(2,125)=2,7; p=0,073 *

Mehr als die Hälfte der Übersetzungen von Satz 43 (52,3%) sind völlig
unauffällig. Dies ist eine neuer Bestmarke. Daneben ist auch die
Durchschnittspause von 0,26 Sekunden weit kürzer als bei allen anderen bisher
untersuchten Sätzen. Die 61 Verzögerungsphänomene (0,48 pro Übersetzung)
stellen ebenso einen neuen unteren Wert dar. Nach unserer Auffassung hängt
dieses Ergebnis mit der Tatsache zusammen, dass in Satz 43 praktisch keine
Entlehnungen auftauchen und der Satz keinerlei strukturelle Komplexität
aufweist. Unerwarteterweise zeigt sich aber trotzdem ein signifikanter
Unterschied bei gänzlich unauffälligen Übersetzungen und eine statistische
Tendenz bei den Produktionsverzögerungen. Im Gegensatz zu Tabelle 18 sind es
aber diesmal wieder die Hunsrücker, die die meisten unauffälligen Übersetzungen
und die wenigsten Produktionsverzögerungen aufweisen. Wir haben auch hier
keine Erklärung für diese Unterschiede.
KT rechts 33

Zusammenfassend weisen die drei in Abschnitt 3.5 untersuchten praktisch


entlehnungsfreien Sätze einen hochsignifikanten (p<0,01), einen signifikanten
(p<0,05) und einen tendenziellen Unterschied bei den Übersetzungsauffälligkeiten
auf (p<0,1). Diese Unterschiede widersprechen zwar unserer Erwartung; es
handelt sich aber in den beiden signifikanten Fällen jeweils um die am wenigsten
wichtige Dimension der vollkommen unauffälligen Übersetzungen. Theoretisch
wären in diesen Sätzen neun signifikante Ergebnisse möglich gewesen (vgl.
Tabellen 17 bis 19). Bei den vier entlehnungsreichen Sätzen der Abschnitte 3.1
bis 3.4 treten neun der zwölf möglichen Signifikanzen auch tatsächlich auf (vgl.
Tabellen 8, 9, 14 und 15). Neben dem deutlich höheren Anteil an signifikanten
Ergebnissen (75% vs. 22,2%), sind auch die Signifikanzniveaus aussagekräftiger.
Fünf Ergebnisse sind höchstsignifikant (p=0,000), zwei hochsignifikant (p<0,01)
und zwei signifikant (p<0,05) und fünf der neun Signifikanzen (3-mal
höchstsignifikant, je 1-mal hochsignifikant und signifikant) betreffen die beiden
wichtigeren Dimensionen, also die Durchschnittslänge ungefüllter Pausen und die
Häufigkeit von gefüllten Pausen, Dehnungen und Reparaturen. Bei allen neun
Signifikanzen zeigt sich dabei, dass die Mennoniten die meisten
Übersetzungsauffälligkeiten aufweisen, während dies bei den beiden signifikanten
Ergebnissen in Abschnitt 3.5 nur einmal der Fall ist. Dies alles bestätigt die
Hypothese, nach der die größere Konkurrenz zwischen deutschen und
portugiesischen Wortformen und zwischen verschiedenen plautdietschen
Wortvarianten für die vermehrten Übersetzungsauffälligkeiten bei den
Mennoniten verantwortlich sind. Aufgrund dieser Analyseergebnisse kann man
mit einigem Recht annehmen, dass die häufigen Nicht-Effekte in Abschnitt 3.5
nicht bloß auf verrauschte Daten zurückzuführen sind.

3.6 Potentiell problematische Satzanalysen

Der folgende Abschnitt untersucht zwei unserer Hypothese scheinbar


widersprechende Sätze. Die Entlehnungen in Satz 18 Se ele roubou o livro, eu não
vou mais confiar nele (‘Wenn er das Buch gestohlen hat, vertraue ich ihm nicht
mehr’) wurden schon am Anfang dieses Beitrags diskutiert. Tabelle 1, in der vier
Sätze mit dem Lexem B u c h analysiert wurden, zeigte, dass livro fast nur bei
Pommern vorkommt. In Satz 18 taucht livro sogar nur bei ihnen auf und zwar in
elf von 48 Fällen (22,9%). Ein zwölftes Vorkommen wurde in Beispiel (1) durch
Buch repariert. Diejenigen Informanten, die die portugiesische Wortform
benutzen, sind hochsignifikant jünger als diejenigen, die die deutsche Wortform
produzieren (23,3 vs. 39,8 Jahre: F(1,46)=11,3; p=0,002**). Bei dem neunmal,
also etwas seltener vorkommenden Lehnwort confiiere sind die pommerschen
Informanten nicht nur jünger als diejenigen, die löiwe (‘glauben’) verwenden (23
vs. 36,8 Jahre: F(1,44)=7,8; p=0,008**), sondern sie sprechen auch besser
Portugiesisch (12,9 vs. 11 Punkte: F(1,44)=7; p=0,011*) und leicht schlechter
Pommerisch (9,6 vs. 11,1 Punkte: F(1,44)=3,7; p=0,062(*)). Außerdem besuchten
sie die Schule länger (13,2 vs. 9,6 Jahre: F(1,44)=4,3; p=0,043*). Bei den
34 KT links

Pommern muss dieses Lehnwort also synchron noch als Entlehnung eingestuft
werden. Damit korrelierende Selektionsprobleme zeigen sich dann auch bei den
folgenden zwei Übersetzungen:

Satz 18 Portugiesisch: Se ele roubou o livro, eu não vou mais confiar nele
(‘Wenn er das Buch gestohlen hat, vertraue ich ihm nicht mehr’)
(11) a. wenn hei det Bauk: stohle hät [0,3] denn dau ik ihm- [0,6] an ihm nie me:hr
[0,5] [äh] confiiere (Pom-8)
wenn er das Buch gestohlen hat [0,3] dann tue ich ihm- [0,6] an ihn nicht mehr
[0,5] [äh] vertrauen
b. wenn hei dei livro [0,6] roubiert hät [0,3] denn dau ik nie mehr an ihm löiwe
(Pom-20)
wenn er das Buch [0,6] gestohlen hat [0,3] dann tue ich nicht mehr an ihn
glauben

Anders als bei (1) und (2) kommt es bei (11a+b) zu keinen Verzögerungen vor
Bauk: beziehungsweise livro. Deutlich sind allerdings bei (11a) wie schon bei (1)
die Verzögerungsphänomene vor confiiere. Bei dieser im Hunsrückischen 15-mal
vorkommenden Entlehnung (62,5% von 24 Token) ergeben sich in Bezug auf
Alter, Schulbesuch und Sprachkompetenzen keine Unterschiede, aber auch hier ist
eine Konzentration von Verzögerungssignalen festzustellen. So häufig das Wort
also im Hunsrückischen auch vorkommt, ein fester Bestandteil des mentalen
Lexikons scheint es noch nicht zu sein. In (11a+b) fallen daneben noch
Verzögerungen vor dem Lexem s t e h l e n auf (WORTSCHATZ: n=2.115,
Häufigkeitsklasse 12 / RUOFF 1990: n=20). Stehlen kommt bei RUOFF (1990)
häufig vor, während es im WORTSCHATZ-Portal recht selten ist. Trotz der daraus
zu schließenden mündlichen Prägung gibt es bei den Pommern eine sekundäre
Konzentration an Verzögerungen vor diesem Lexem, das heißt, weniger
Verzögerungen als bei v e r t r a u e n, aber mehr als bei B u c h. In (11a) wird das
letzte Segment des vorher realisierten Bauk: gedehnt, in (11b) kommt es zu einer
Pause, nach der dann die insgesamt dreimal bei den Pommern vorkommende
Entlehung roubiert erscheint. Roubiert wird dabei einmal durch eine deutsche
Wortform repariert. In Bezug auf die deutsche Wortform dominiert bei
Hunsrückern und Pommern gestohl(e) (19 Fälle; 79,2%) beziehungsweise stohle
(15 Fälle; 75%).
Bei den Mennoniten ist ebenfalls eine leichte Häufung von Verzögerungen
festzustellen, allerdings ist sie wahrscheinlich auf einen bisher nicht angetroffenen
Typus von Variation zurückführen. Es geht dabei weder um portugiesische
Entlehnungen noch um eine semantische Differenzierung deutscher Wortformen,
sondern um eine stilistische Variation. 31 Mennoniten verwenden gestohle
(55,4%), immerhin 22 aber das stilistisch weniger neutrale geklaut (39,3%).
Interessant ist nun, dass diejenigen, die geklaut verwenden, signifikant jünger sind
(25,5 vs. 33,2 Jahre; F(1,51)=4,5; p=0,04*) und eher männlich. 68,2% der 22
KT rechts 35

Informanten sind Männer, während dieser Anteil bei gestohle nur 35,5% beträgt.33
Zum einen zeigt diese alters- und geschlechtersensible Variation, dass
Plautdietsch wohl wirklich die am wenigsten abgebaute Varietät darstellt, zum
anderen aber auch, mit wie vielen Dimensionen der Variation wir bei der
lexikalischen Analyse rechnen müssen. Tabelle 20 präsentiert die
Verzögerungsphänomene bei Satz 18.

Tabelle 20: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 18 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


N 56 24 49 129
keinerlei Auffälligkeiten 20 (35,7%) 12 (50%) 19 (38,8%) 51 (39,5%)
ns
Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,51 0,48 0,43 0,48
ns
Produktionsverzögerungen 42 (0,75) 10 (0,42) 35 (0,71) 87 (0,67)
ns

Keine der drei Dimensionen zeigt einen signifikanten Unterschied. Da


v e r t r a u e n bei Pommern und Hunsrückern und B u c h bei Pommern jeweils
robuste deutsch-portugiesische Variationen aufweisen, hätte man in Analogie zu
den Ergebnissen bei den Mennoniten erwarten können, dass diesmal ihre
Übersetzungen auffälliger sind. Dass dem nicht so ist, obwohl die Mennoniten in
Satz 18 keine einzige Entlehnung produzieren, könnte entweder daran liegen, dass
die Mennoniten bei s t e h l e n einen Fall von stilistischer Variation aufweisen oder
dass trotz der Verzögerungsphänomene in (1) und (11a+b) die deutsch-
portugiesische Variation bei Pommern und Hunsrückern insgesamt zu weniger
Produktionsauffälligkeiten führt als bei Mennoniten. Pommern und Hunsrücker
können offensichtlich sowohl deutsche als auch portugiesische Wortformen
problemlos abrufen. Daneben scheint auch kein normativer Filter den Zugriff auf
nicht-deutsche Wortformen zu verhindern. Solch ein Filter könnte bei den
Mennoniten mit der weitaus höheren Kompetenz im Standarddeutschen und der
damit verbundenen stärkeren Überdachung des Plautdietschen in Verbindung
gebracht werden (vgl. Tabelle 4). Wir schließen daraus zum einen, dass das
Plautdietsche über ein Lexikon verfügt, das im Bereich der deutschen Wortformen
semantisch und stilistisch stärker differenziert als das pommersche und das
hunsrückische. Zum anderen scheint es aber auch vom Lexikon des
Portugiesischen noch weitgehend getrennt zu existieren. Das dialektale und das
portugiesische Lexikon der Pommern und Hunsrücker scheinen dagegen bereits
teilweise konvergiert zu haben.
Die zweite Satzanalyse in diesem Abschnitt betrifft Stimulussatz 5 O Enrique
não sabe que ele pode sair do país (‘Heinrich weiß nicht, dass er das Land

33 Für den mennonitischen Vergleich gestohle und geklaut gilt in Bezug auf das Geschlecht:
2(1, n=53)=5,5; p=0,019* / Phi: -0,32 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token.
36 KT links

verlassen kann’). Tabelle 21 fasst die Auffälligkeiten bei den Übersetzungen


zusammen:

Tabelle 21: Übersetzungsauffälligkeiten bei Satz 5 (Sek. = Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 48 128
keinerlei Auffälligkeiten 20 (35,7%) 9 (37,5%) 13 (27,1%) 42 (32,8%)
ns
Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,47 0,61 0,85 0,64
ns
Produktionsverzögerungen 43 (0,77) 21 (0,88) 39 (0,81) 103 (0,8)
ns

Auch hier zeigt keine der drei Dimensionen einen signifikanten Unterschied. Man
könnte nun vermuten, dass es wie bei den Sätzen in Abschnitt 3.5 kein Lexem
gibt, das zu portugiesischen Entlehnungen führt. Dem ist aber nicht so, wie die
Übersetzungen in (12a-c) zeigen. In (12a+b) wird L a n d portugiesisch ausge-
drückt und in (12c) wird es sogar ganz vermieden:

Satz 5 Portugiesisch: O Enrique não sabe que ele pode sair do país
(‘Heinrich weiß nicht, dass er das Land verlassen kann’)
(12) a. de Heinrich weit nie wat hei de- von hier- vom país weggo kann (Pom-26)
der Heinrich weiß nicht dass er das- von hier- vom Land weggehen kann
b. der Heinrich weß dass er net [0,5] derf [0,7] von de- aus de- [0,4] de país gehen
(Hunsr-10)
der Heinrich weiß dass er nicht [0,5] darf [0,7] von dem- aus dem- [0,4] dem
Land gehen
c. He- [äh] Heinrich weit nich daut dei kann vom- [äh] [3,2] von hier wajch
(Menno-33)
Hei- [äh] Heinrich weiß nicht dass er kann vom- [äh] [3,2] von hier weg

Neben anderen bemerkenswerten Phänomenen34 finden sich in diesen Beispielen


vier (überlange) Pausen, zwei gefüllte Pausen und sechs Reparaturen und Wieder-
holungen. Bis auf den ersten Abbruch und die erste gefüllte Pause in (12c), bei der
die 17-jährige Informantin offensichtlich schwankt, ob sie wie im Portugiesischen
den bestimmten Artikel setzen soll beziehungsweise ob sie die deutsche oder die
portugiesische Form des Eigennamens benutzen soll, hängen alle anderen Verzö-
gerungssignale mit L a n d zusammen. Ein Metakommentar nach (12c) verdeut-
licht dies, denn die Informantin entschuldigt ihr Ausweichmanöver, indem sie sagt
“eu não sei país” (‘ich weiß país nicht’). Da L a n d im WORTSCHATZ-Portal und

34 Beispiel (12a) dokumentiert das Eindringen der Relativpartikel wat in Komplementsätze;


Beispiel (12b) ist ein nicht bedeutungsneutraler Fall von negative lowering, bei dem das Ne-
gationselement den untergeordneten Satz infiltriert (vgl. KAUFMANN 2016, 321–326 für eine
ausführliche Analyse solcher Fälle im Plautdietschen).
KT rechts 37

bei RUOFF ein äußerst frequentes Nomen ist, selbst wenn man berücksichtigt, dass
hier mehrere Bedeutungen abgedeckt werden (WORTSCHATZ: n=162.205, Häufig-
keitsklasse 6 / RUOFF 1990: n=55), überrascht die Tatsache, dass Informanten
aller Sprachgemeinschaften bei der Übersetzung dieses Worts schwanken. Dane-
ben fällt auf, dass der Gesamtanteil der portugiesischen Wortform país sehr hoch
ist, selbst bei den im allgemeinen entlehnungsresistenten Mennoniten kommt es
zu sieben Übernahmen.

Tabelle 22: Übersetzungsvarianten für L a n d in Stimulussatz 5

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 56 24 47 127
deutsch 49 (87,5%) 7 (29,2%) 14 (29,8%) 70 (55,1%)
Land 44 (78,6%) 4 (16,7%) 10 (21,3%) 58 (45,7%)
Staat 2 (3,6%) 1 (4,2%) 1 (2,1%) 4 (3,1%)
 (2, n=127)=42,5; p=0,000*** / Cramer-V: 0,58 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

portugiesisch 7 (12,5%) 17 (70,8%) 33 (70,2%) 57 (44,9%)


país 7 (12,5%) 16 (66,7%) 33 (70,2%) 56 (44,1%)

Wenn man sich daran erinnert, dass die selteneren Lexeme B u c h und F r e u n d
(Häufigkeitsklassen 8 und 9) bei den Mennoniten nicht (0%) beziehungsweise
marginal (3,1%) entlehnt wurden (vgl. Tabellen 1 und 2), ist eine Erklärung für
den relativ hohen Anteil von país (12,5%) dringlich. Die Grundverteilung in
Tabelle 22 überrascht dabei erst einmal nicht. Die Mennoniten zeigen wie bei
allen anderen Verteilungen die wenigsten Entlehnungen, während Hunsrücker und
Pommern sehr häufig entlehnen, und das, obwohl país bei FAUSEL (1959) nicht
erscheint. Allerdings würden wir wegen dieses Unterschieds deutlich weniger
Verzögerungssignale in diesen beiden Sprachgemeinschaften erwarten, denn país
scheint ein fester Bestandteil ihres dialektalen mentalen Lexikons zu sein. Die
kolonieinternen Unterschiede sind dagegen wieder unproblematisch. Bei den
Hunsrückern sind diejenigen, die Land sagen, signifikant älter als diejenigen, die
país sagen (49,8 vs. 28,8 Jahre: F(1,18)=7,9; p=0,011*). Bei den Mennoniten
kommen die wenigen Entlehnungen bei Personen vor, die eine signifikant
geringere Schulbildung aufweisen (9,5 vs. 13,7 Jahre: F(1,37)=4,7; p=0,036*).
Bei den Pommern schließlich gibt es Unterschiede beim Alter (48,9 vs. 31,7
Jahre: F(1,41)=11,2; p=0,002**) und in der Kompetenz des Pommerschen (10,4
vs. 12,2 Punkte: F(1,41)=5,8; p=0,021*). Die älteren und die im Pommerschen
kompetenteren Informanten benutzen noch Land.
Wie oben bereits erwähnt, darf man allerdings nicht vergessen, dass trotz der
hohen Häufigkeit von L a n d die Bedeutung eines nationalen Verwaltungsbezirkes
nur einen Bedeutungsaspekt dieses Lexems repräsentiert. Wegen der offiziell-
administrativen Bedeutung dürften deutschstämmige Bewohner Brasiliens diesen
Bedeutungsaspekt sehr häufig auf Portugiesisch hören und ihn deshalb auch selbst
so verwenden. Bei Ackerland beziehungsweise bei Land im Gegensatz zu Meer
sieht das wahrscheinlich anders aus. Natürlich existieren auch
38 KT links

Länderbezeichnungen wie Deutschland oder England in den drei Dialekten, aber


Land als Determinatum in diesen Komposita dürfte Land als Simplex kaum
stützen. Deutsche denken schließlich bei Zweibrücken auch nicht an Brücken und
Brasilianer bei Rio de Janeiro (‘Fluss des Januars’) nicht an einen Fluss.
Auch wenn die Entlehnungshäufigkeit von país auf diese Weise
zufriedenstellend erklärt werden kann, bleibt die Frage, wieso die Informanten in
den drei Sprachgemeinschaften so intensiv nach einer anderen Wortform suchen.
Die Lösung dieses Rätsels könnte mit der jambischen Struktur von país
zusammenhängen. Diese Struktur ist dem trochäischen Grundmuster deutscher
Varietäten diametral entgegengesetzt. Verben wie entendieren oder confiieren
kann man problemlos mithilfe des Suffixes -ieren eindeutschen, bei Nomen wie
tema, sorvete oder acidente geht das ebenso leicht, indem man entweder die schon
vorhandene trochäische Struktur (der letzten beiden Silben) durch
Nebensilbenabschwächung verstärkt (teme) oder eine katalektische Form
produziert (sorvet, acident). País jedoch wird weder als Wort an die deutsche
Struktur angepasst, noch fügt es sich gut in die spezifische rhythmische
Umgebung der Übersetzungen ein. Die Sequenzen vom paÍS WEGGO (‘vom
Land weggehen’) und aus de- [0,4] de paÍS GEHen (‘aus dem- [0,4] dem Land
gehen’) in (12a+b) führen erst zu einer Konzentration unbetonter Silben und dann
zu Clustern von drei beziehungsweise zwei betonten Silben. Diese ungünstige
Häufung betonter und unbetonter Silben könnte neben beziehungsweise trotz der
(relativen) Häufigkeit der Entlehnung der Grund für die überraschend lange und
trotzdem vielfach erfolglose Wortsuche in Stimulussatz 5 sein.

4. ZUSAMMENFASSUNG UND ABSCHLIEßENDE ÜBERLEGUNGEN

FAUSEL (1959, 31) weist schon früh darauf hin, dass in deutschen Varietäten in
Brasilien „[d]er Gesamtbestand der übernommenen Wörter 3000 erheblich [über-
steigt]“ und dass „er wohl die meisten Lebensgebiete [umfasst].“ Die Häufigkeit
von Entlehnungen in unserem Datenmaterial überrascht also grundsätzlich nicht.
ALTENHOFEN (2016, 126) beschreibt das Hunsrückische folgerichtig als eine lusi-
tanisierte Varietät:
Auf der anderen Seite stellt sich das Hunsrückische als stark lusitanisierte »brasilianische«
Varietät dar, die sich zunehmend von der hochdeutschen Überdachungsnorm entfernt hat. Un-
ter Einfluss der Schule hat allgemein im Untersuchungsgebiet das Portugiesische die Rolle
der Schriftsprache übernommen.

Die Lusitanisierung des Hunsrückischen und des Pommerschen ist dabei weiter
fortgeschritten als die des Plautdietschen. Diese wegen der kürzeren Aufenthalts-
dauer der Mennoniten wenig überraschende Tatsache hat sich in allen Lexemun-
tersuchungen gezeigt. Die Annahme, dass die Entlehnungsresistenz der Mennoni-
ten auch mit deren besseren Kenntnissen im Hochdeutschen zu tun hat, wird da-
neben durch ALTENHOFENs Erwähnung des Portugiesischen als Schriftsprache der
Hunsrücker untermauert. Dass die 24 hunsrückischen Informanten fast durchge-
KT rechts 39

hend die wenigsten Verzögerungen aufweisen, könnte dabei auch mit der Tatsa-
che zusammenhängen, dass es sich hier um die größte deutschsprachige Einwan-
dergruppe handelt, deren Sprache Vorbildfunktion für Sprecher anderer Varietäten
besitzt. Sowohl FAUSEL (1959, 7) als auch ALTENHOFEN (2016, 117) erwähnen
diese Tatsache:
Die zahlenmäßig größte Gruppe sind diejenigen Siedler, die Mosel- und Rheinfränkisch,
Hunsrückisch und Pfälzisch sprechen. […] Diese fränkische Mundartform ist tonangebend
und setzt sich im allgemeinen kleineren Gruppen oder Einzelvertretern anderer Mundarten
gegenüber durch.
Die besondere Eigenschaft des Hunsrückischen besteht deshalb darin, dass es in vielfältiger
Weise beim Fehlen der nhd. Standardsprache und insbesondere in Kontaktsituationen mit
niederdeutschen Dialektvarietäten oft selber die Rolle der Überdachungsnorm, d.h., der
sprechsprachlichen Standardsprache übernommen hat.

Die überdachende Funktion des Hunsrückischen gilt dabei für das Pommersche in
weit stärkerem Maß als für das Plautdietsche. Auf jeden Fall dürfte sie dazu ge-
führt haben, dass Sprecher des Hunsrückischen weniger für portugiesische
Lehnwörter „zur Rechenschaft gezogen“ werden. Neben dem Vergleich der drei
Sprachgemeinschaften hat sich der Blick auf intrakoloniale Unterschiede als er-
giebig erwiesen. Tabelle 23 fasst die signifikanten Fälle deutsch-portugiesischer
Variation zusammen:

Tabelle 23: Signifikante kolonieinterne Faktoren für deutsch-portugiesische Variationen

Mennoniten Hunsrücker
Unfall > acidente besorgt > preocupado Land > país Land > país
Tabelle 10 Tabelle 16 Tabelle 22 Tabelle 22
-Alter** -Dialekt* -Schule* -Alter*

verursakt/gemoakt > provokiert Freund > amigo


Tabelle 12 Tabelle 2
-Alter* / -Dialekt** /
-Alter*
-Hochdeutsch***

Pommern
löwe > confiiere Bauk > livro Land > país Freund > amigo
ohne Tabelle Tabelle 1 Tabelle 22 Tabelle 2
-Alter** / +Portugiesisch* / -Dialekt* /
-Alter*** -Alter** / -Dialekt*
+Schule* -Hochdeutsch*

Während es bei den Mennoniten und Hunsrückern jeweils vier durch Faktoren
wie Alter, Schulbildung oder sprachlicher Kompetenz bedingte Unterschiede in
der deutsch-portugiesischen Variation gibt (4 Lexeme bei den Mennoniten; 2 Le-
xeme bei den Hunsrückern), erweisen sich die untersuchten Parameter bei den
Pommern achtmal als trennstark (4 Lexeme). Auffällig ist in jedem Fall, dass das
Geschlecht der Informanten in keinem einzigen Fall zu einem signifikanten Un-
terschied führt. Der wichtigste Parameter in allen Sprachgemeinschaften ist das
Alter der Informanten. In sieben Fällen (1-mal höchstsignifikant, je 3-mal hoch-
40 KT links

signifikant und signifikant) benutzen ältere Informanten deutsche Wortformen


häufiger als jüngere. In allen Varietäten zeigt sich also der Sprachwandel nicht nur
in den altersabhängigen Kompetenzangaben (vgl. Tabelle 4), sondern auch in der
unterschiedlichen Entlehnungsrate. Die drei Sprachgemeinschaften repräsentieren
deshalb keinesfalls Konstellationen eines stabilen Bilingualismus, wie ihn LOU-
DEN (1994, 74) definiert. Gleichfalls wenig überraschend führen höhere Dialekt-
und Hochdeutschkenntnisse sechsmal zu einem frequenteren Gebrauch deutscher
Wortformen (1-mal höchstsignifikant, 1-mal hochsignifikant, 4-mal signifikant).
Interessanterweise konzentrieren sich vier dieser Unterschiede auf F r e u n d. Dies
könnte mit der intimen Semantik dieses Lexems zusammenhängen. Die drei letz-
ten, allesamt signifikanten Unterschiede beziehen sich auf die Schulbildung und
die Portugiesischkenntnisse. Während die Portugiesischkenntnisse der Pommern
den erwarteten Effekt bei confiiere zeitigen, also zu mehr Entlehnungen führen,
wirkt eine längere Schulbildung bei den Mennoniten im Fall von país entleh-
nungshemmend, während sie bei den Pommern zu mehr Entlehnungen von confi-
iere führt. Dieser Unterschied mag mit der Tatsache zusammenhängen, dass die
Mennoniten eine Schule besuch(t)en, die das Hochdeutsche als Unterrichtssprache
verwendet (vgl. Fußnote 17), was bei den Pommern nicht der Fall ist. Aus diesem
Grund könnte die Schule bei ihnen stärker als Einfallstor für portugiesische
Lehnwörter fungieren. Angesichts der mennonitischen Schulsituation überrascht
es auf jeden Fall nicht, dass Variationen zwischen semantischen oder stilistischen
Varianten innerhalb des Dialekts nur bei ihnen auftreten. Tabelle 24 präsentiert
diese Fälle:

Tabelle 24: Signifikante Faktoren für lexikalische Variationen innerhalb des Plautdietschen der
Mennoniten

verursakt > darop bestohne Relativpronomen > Rel- gestohle >


gemoakt (bliewe) > meinen ativpartikel geklaut
Tabelle 12 Tabelle 13 Abschnitt 3.2 Abschnitt 3.6
-Alter** / -Dialekt* /
-Alter*** / -Dialekt*** / -Alter*** / -Dialekt* / -Alter*
+Portugiesisch*** /
+Portugiesisch** -Hochdeutsch* -Frauen*
+Schule***

Gerade weil eine semantische oder stilistische Variation innerhalb der deutschen
Varietät nur in vier Fällen nachgezeichnet werden kann, ist die Anzahl von zwölf
trennstarken Parametern beeindruckend. Das Alter spielt dabei wieder eine ent-
scheidende Rolle. Wer älter ist, verwendet zweimal höchstsignifikant und je ein-
mal hochsignifikant und signifikant semantisch spezifischere (verursake, darop
bestohne (bliewe)), sprecherseitig komplexere (Relativpronomen) oder neutralere
Wortformen (gestohle). Bessere Kenntnisse im Plautdietschen (1-mal höchstsigni-
fikant, 2-mal signifikant) und im Hochdeutschen (1-mal signifikant) haben den
gleichen Effekt. Bei den Mennoniten führen also das Alter und die damit korrelie-
renden Deutschkenntnisse nicht nur zu mehr deutschen Wortformen, sondern auch
zu semantisch spezifischeren, sprecherseitig komplexeren und neutraleren Wort-
formen. Interessant ist dabei, dass die Dialektkenntnisse trennstärker sind. Der
KT rechts 41

Einfluss des Hochdeutschen scheint also eher indirekt durch seine Überdachungs-
funktion vermittelt zu sein. Dass das Portugiesische zweimal unter umgekehrtem
Vorzeichen höchst- und hochsignifikant erscheint, mag mit den in Tabelle 4 be-
schriebenen Alterskorrelationen zusammenzuhängen. Die höchstsignifikante Ver-
bindung von geringer Schulzeit und semantisch differenzierter Ausdrucksweise
bei d a r a u f b e s t e h e n dürfte gleichfalls schon im Alter angelegt sein. Das Vor-
kommen des Faktors Geschlecht, das die Verwendung der stilistisch neutraleren
Form gestohle signifikant fördert, dürfte prestige-gesteuert sein. Dieser Faktor
stellt eine gute Verbindung zu den in Tabelle 25 besprochenen portugiesisch-
portugiesischen Variationen her.

Tabelle 25: Signifikante kolonieinterne Faktoren für portugiesisch-portugiesische Variationen

Menoniten Hunsrücker Pommern


sorvetsch(e) / acidentsch(e)
sorvete / acidente > sorvet / acident
> sorvet(e) / acident(e)
Tabelle 7 / Tabelle 11 Fußnote 23
-Frauen* -Frauen**

preocupado > preokupiert tema > teme


Tabelle 16 Tabelle 5
+Alter* / +Dialekt* / +Hochdeutsch*
-Portugiesisch** -Frauen*

Mennonitische und hunsrückische Frauen bevorzugen phonologisch nicht inte-


grierte Formen wie sorvete, acidente und tema während pommersche Frauen die
im Brasilianischen allgemein prestigereiche palatalisierte Variante favorisieren.
Bei Frauen in allen drei Sprachgemeinschaften scheint also das brasilianische Por-
tugiesisch ein höheres Prestige zu genießen als der deutsche Dialekt. Interessan-
terweise zeitigt dieses Prestige aber keine höhere Gesamtrate an Entlehnungen
(vgl. Tabelle 23), sondern nur eine weniger integrierte Form der Entlehnungen.
Daneben sind es die älteren mennonitischen und hunsrückischen Informanten mit
guten Dialekt- und Hochdeutschkenntnissen, die signifikant mehr morphologisch
(preokupiert) beziehungsweise phonologisch (sorvet, acident, teme) angepasste
Varianten verwenden. Die Frage, ob der negative Einfluss des Portugiesischen
einen unabhängigen Effekt oder bloß einen sekundären Alterseffekt darstellt, kann
hier nicht beantwortet werden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die lexikalische Variation der ent-
lehnungsresistenteren Mennoniten durch eine zusätzliche plautdietsch-interne
Dimension charakterisiert ist und dass man bei ihnen anhand der untersuchten
Parameter eine höhere Varianzaufklärung erhält. In 20 Fällen zeigen sich bei
ihnen kolonieinterne Unterschiede (5-mal höchstsignifikant, 4-mal hochsignifi-
kant). Bei den Pommern passiert dies nur in neun Fällen (1-mal höchstsignifikant,
3-mal hochsignifikant), bei den Hunsrückern nur in sieben Fällen (1-mal höchst-
signifikant, 1-mal hochsignifikant). Ein Teil dieses Unterschiedes mag der gerin-
gen Anzahl hunsrückischer Informanten geschuldet sein, der Großteil aber dürfte
die komplexere lexikalische Situation der Mennoniten adäquat repräsentieren.
42 KT links

Anders als bei Hunsrückern und Pommern, die teilweise schon über ein ver-
schmolzenes mentales Lexikon zu verfügen scheinen, muss man insbesondere bei
den älteren Mennoniten noch mit eindeutig nach Sprachen getrennt gespeicherten
Wortformen rechnen.
Aus psycholinguistischer Perspektive dürfte dies bedeuten, dass die Aktivie-
rung portugiesischer Wortformen durch das Vorlesen der Stimulussätze die deut-
schen Wortformen bei den (älteren) Mennoniten zwar semantisch mitaktiviert,
dass die Aktivierungsausbreitung aber relativ langsam verläuft. Grund hierfür ist,
dass die Aktivierung vom portugiesischen zum plautdietschen Lexikon „über-
springen“ muss. Bei Hunsrückern und Pommern könnte dagegen die Aktivierung
durch die portugiesischen Stimulussätze schon in einem teilweise verschmolzenen
Lexikon stattfinden, womit portugiesische Wortformen sowohl semantisch als
auch phonologisch aktiviert würden. Deutsche Konkurrenzformen würden auf
jeden Fall auch semantisch aktiviert, und wenn man dem Modell der kaskadieren-
den Aktivierungsausbreitung folgt, wäre auch eine schwache Aktivierung ihrer
phonologischen Form nicht ausgeschlossen (vgl. SCHRIEFERS / JESCHENIAK 2003,
254–255). Auf jeden Fall kann die Annahme eines teilweise verschmolzenen Le-
xikons den zeitlich schnelleren und weniger konkurrenzbehafteten Abruf sowohl
deutscher als auch portugiesischer Wortformen bei Hunsrückern und Pommern
gut erklären. Somit bietet unsere Analyse einen wertvollen Einblick in die unter-
schiedliche Struktur des mentalen Lexikons der Sprecherinnen und Sprecher die-
ser drei Varietäten. Trotz des Fehlens eines stabilen Bilingualismus in der gesam-
ten Sprachgemeinschaft dürfte dabei für viele Hunsrücker und Pommern das gel-
ten, was RAUPACH (1997, 30–31) über koordiniert Bilinguale schreibt:
[…] die einzelnen Sprachen sind in einem einzigen Speichersystem repräsentiert, wobei die
zur gleichen Sprache gehörenden Elemente wegen ihres ständigen gemeinsamen Gebrauchs
untereinander verbunden sind und ein separates Netzwerk von Verknüpfungen bilden, d.h. ei-
ne Art Subsystem. Für unseren Zusammenhang ist die Ergänzung wichtig, dass es bei Mehr-
sprachigkeit eines Sprechers nicht nur Verknüpfungen zwischen den Elementen derselben
Sprache gibt, sondern ebenso zwischen Elementen der verschiedenen Sprachen.

Deutlicher Ausdruck der mentalen Unterschiede von Mennoniten auf der einen
Seite und Pommern und Hunsrückern auf der anderen Seite sind die unterschied-
lich stark auftretenden Verzögerungsphänomene in den Abschnitten 3.1 bis 3.4.
Trotz der weit geringeren oder nicht existenten Unterschiede in den Abschnitten
3.5 und 3.6 fasst Tabelle 26 die Ergebnisse aller neun Sätze zusammen. Dieses
Zusammenfassen erlaubt einen Gesamtüberblick, der unabhängig davon ist, dass
viele Einfluss nehmende Faktoren in den Einzelanalysen wahrscheinlich nicht
erkannt wurden und deshalb auch nicht berücksichtigt werden konnten.

Tabelle 26: Übersetzungsauffälligkeiten bei der Übersetzung von neun Stimulussätzen (Sek. =
Sekunden)

Mennoniten Hunsrücker Pommern insgesamt


n 494 196 436 1126
KT rechts 43

keinerlei Auffälligkeiten 119 (24,1%) 90 (45,9%) 170 (39%) 379 (33,7%)


 (2, n=1126)=39; p=0,000*** / Cramer-V: 0,19 / 0 Zellen mit weniger als 5 erwarteten Token
2

Ø ungefüllte Pause in Sek. 0,79 0,41 0,54 0,63


F(2,1123)=11,5; p=0,000***
Produktionsverzögerungen 431 (0,87) 104 (0,53) 328 (0,75) 863 (0,77)
F(2,1123)=6,5; p=0,002**

Die Mennoniten weisen 21,8% beziehungsweise 14,9% weniger vollkommen un-


auffällige Übersetzungen auf. Dieser Unterschied ist höchstsignifikant, die Asso-
ziationsstärke ist allerdings schwach. Daneben liegt die durchschnittlich Pausen-
länge bei den Mennoniten höchstsignifikant um 0,38 beziehungsweise 0,25 Se-
kunden über den Werten der anderen Sprachgemeinschaften. Schließlich gibt es
bei ihnen 0,34 beziehungsweise 0,12 mehr gefüllte Pausen, Dehnungen und Repa-
raturen pro Übersetzung. Dieser Unterschied ist hochsignifikant. Aufgrund der
Ergebnisse von Tabelle 26 und der in diesem Artikel vorgestellten Einzelanalysen
können wir an den am Ende von Abschnitt 1 formulierten Hypothesen festhalten.
Die ersten beiden Hypothesen bezogen sich auf Häufigkeit und Integration der
Entlehnungen, die zentrale dritte Hypothese auf Verzögerungsphänomene. Da
Verzögerungsphänomene bei den Mennoniten häufiger anzutreffen sind und da
die Mennoniten weit weniger Lehnwörter produzieren und diese Lehnwörter weit
seltener phonologisch integrieren, kann sowohl ein Zusammenhang zwischen die-
sen Faktoren als auch ein Zusammenhang zwischen ihnen und der Existenz ge-
trennter mentaler Lexika angenommen werden. Im peripheren Bereich des plaut-
dietschen Lexikons befinden sich sicherlich schon einige portugiesische Wortfor-
men, und diese relativ selten aktivierten Formen scheinen den Zugriff auf bedeu-
tungsgleiche plautdietsche Wortformen in ähnlicher Weise zu verzögern wie
Elemente aus dem portugiesischen Lexikon. Daneben konkurrieren die portugiesi-
schen Wortformen im peripheren Bereich noch mit semantisch stark differenzie-
renden plautdietschen Wortformen wie darop bestohne (bliewe) und verursake.
Das Bestreben, deutsche, aber auch semantisch differenzierende Übersetzungen
zu liefern, könnte daher bei den Mennoniten zu einer mehrfachen lexikalischen
Konkurrenzsituation geführt haben. Bei den Hunsrückern und Pommern ist das
Verschmelzen der beiden Lexika schon weiter vorangeschritten. Die portugiesi-
schen Entlehnungen sind deshalb schon deutlich mehr ins Zentrum des dialektalen
Lexikons gerückt und scheinen auf diesem Weg einige semantisch stärker diffe-
renzierenden deutschen Wortformen verdrängt zu haben. Sowohl auf deutsche als
auch auf portugiesische Wortformen wird also beim Sprechen des jeweiligen Dia-
lekts häufig zugegriffen. Diese häufige Aktivierung dürfte die Verwendung dieser
Elemente so weit automatisiert haben, dass Zugriff und Abruf beider Formen kei-
ne zeitaufwendigen Prozeduren mehr darstellen (vgl. die Diskussion zu Tabelle
20). Die im Vergleich zu den Pommern insgesamt etwas unauffälligere Überset-
zungsleistung der Hunsrücker könnte der Tatsache geschuldet sein, dass ihre Dia-
lektkompetenz ein wenig besser ist (vgl. Tabelle 4).
In KAUFMANN (1997, 167–185), KAUFMANN (2003) und KAUFMANN (2004,
281–284) wurde die Frage von Lehnwörtern im Plautdietschen der Mennoniten
Nord- und Südamerikas schon thematisiert. Dabei ging es allerdings nur um eine
44 KT links

sprachliche Varietät und nur um Entlehnungen. Hier war es nun möglich, drei
deutsche Varietäten aus Rio Grande do Sul zu untersuchen. Eine wichtige metho-
dologische Innovation ist dabei die Verbindung der Untersuchung von Entlehnun-
gen mit der Untersuchung von Verzögerungsphänomenen. Um diese korrelative
Analyse noch solider durchführen zu können, wird es nicht nur nötig sein, die
restlichen 37 Sätze der 129 bereits interviewten Informanten zu untersuchen, son-
dern auch die Anzahl hunsrückischer Informanten zu erhöhen. Um die Analyse
weiter zu verfeinern, bedarf es daneben eines stärkeren Fokus auf einzelne Infor-
manten. Man könnte sie zum Beispiel in verschiedene Typen einteilen, also in
besonders vielsprachige, besonders übersetzungstalentierte, besonders entleh-
nungsfreudige oder solche mit häufigen Übersetzungsauffälligkeiten. Danach
könnte man schauen, wie diese Gruppierungen mit (sozio)linguistischen Informa-
tionen korrelieren. Schließlich kann man sich die Form der Entlehnungen und
Verzögerungsphänomene noch genauer ansehen. In Bezug auf Entlehnungen
könnte man zum Beispiel überprüfen, wie stark die Informanten das t bei tema
und teme (‘Hausaufgabe’) aspirieren. Eine starke Aspiration könnte dabei als
Hinweis auf eine fortgeschrittene phonologische Integration verstanden werden,
allerdings nur dann, wenn der betreffende Informant keine Aspiration im Portu-
giesischen aufweist. In Bezug auf Verzögerungen müsste die exakte Länge von
Dehnungen und gefüllten Pausen noch ausgemessen werden. Daneben könnte
man die genauen Positionen der Verzögerungsphänomene noch stärker in den
Blick zu nehmen. Alle diese Maßnahmen könnten dann dabei helfen, besser zwi-
schen lexikalischer Integration und Inklusion zu unterscheiden. Nur mit dieser
Unterscheidung wird es letztendlich möglich sein, Lehnwörter präzise im menta-
len Lexikon der Sprecherinnen und Sprecher zu verorten.

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Adresse des Autors: PD Dr. Göz Kaufmann


Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Deutsches Seminar – Germanistische Linguistik
Platz der Universität 3
79085 Freiburg
E-Mail: <goez.kaufmann@germanistik.uni-freiburg.de>

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