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2016
Kunstjahr
en
Alle wichtign und
e
Ausstellung e
Term in
Sie war die Pracht-Avenue von Palmyra, eine Palmyra vor dem Einmarsch der IS-Miliz: nungen zu sehen«, schrieb Cassas 1787 nach
der längsten Säulenstraßen der antiken Welt, die Säulenstraße und das Hadrianstor im der Rückkehr. Kein Wunder, denn auf Hun-
um 220 nach Chr. errichtet. Endlose Kolon- Mai 2010. Unten: Im vergangenen derten von Blättern zeigte er Bauwerke, die
naden, fast zwei Kilometer insgesamt, säu- Oktober sprengten die Zerstörer den Bogen kaum ein Europäer zuvor gesehen hatte. In
men den Weg von der syrischen Wüste in die Palmyra hat er alles so akribisch festgehalten,
Oasenstadt mit ihren Bauwerken wie dem dass die Ansichten auch für moderne Ar-
Baal-Tempel oder dem Amphitheater. Ein un- chäologen noch von Gewinn sind. Unser Ti-
vergesslicher Eindruck für jeden, der dort war. telbild zeigt einen Kupferstich, den Cassas
Das Foto, dass der Aachener Bauforscher nach seinen Zeichnungen für den 1799/1800
Daniel Lohmann im September 2010 auf- erschienenen Bildband »Voyage pittoresque
nahm, zeigt das sogenannte Hadrianstor, de la Syrie, de la Phénicie, de la Palestinie et
kurz vor dem Eintritt ins Innere der Stadt. de la Basse Egypte« anfertigen ließ.
Fast genauso sah es 1785 der französi- Leider sind solche Ansichten mittler-
sche Architekturzeichner Louis-François weile noch kostbarer als zuvor. Denn im Ok-
Cassas (1756–1827). Er war damals hoch ge- tober fiel der Bogen des Hadrianstores dem
schätzt für seine stimmungsvollen Bauauf- »Islamischen Staat« zum Opfer. Das ist nur
nahmen. Drei Jahre lang reiste er durch den einer der schrecklichen Kulturverluste im Na-
östlichen Mittelmeerraum. »Alle Welt hen Osten, denen wir unsere Titelgeschichte
kommt in Scharen zu mir, um meine Zeich- ab Seite 22 widmen. SEBASTIAN PREUSS
3
INHALT
Kolumnen
10 Die Marktfrau D as
Galerien und Auktionshäuser ja h r
halten auch im mittleren Kunst
Preissegment Erstaunliches bereit 20 1 6
7
12 Drei Wünsche ab S . 3
Eine Plastik von Grit Richter,
Eduard Thönys Mäzenkarikatur
und ein Pfau auf blauem Teller
Bilder: Pool House; Digital Image 2008/White Images/Photo Scala, Florence/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Repro: Kai-Annett Becker/Berlinische Galerie, Leihgabe des Landes Berlin/VG Bild-Kunst Bonn, 2015
14 Heimliche Zwillinge
Botticellis Venus und die
Schauspielerin Chloë Sevigny
Kritikerfrage
Passen Kunst und Religion noch
z
usammen?
4
Palmyra S. 30
84 Messen
Stuttgarter Antiquariatsmesse,
Antiquaria Ludwigsburg, Arco,
Art Karlsruhe, Art Innsbruck, Brafa,
Antik & Kunst Sindelfingen
94 Kunsthandel
Meret Oppenheim bei Levy,
Ulrich Pietsch wird Berater beim
Kunsthandel Röbbig
Bilder: Nikos Economopoulos/Magnum Photos/Agentur Focus; Van Ham, Köln; Antiquariat Solder
96 Stilkunde
Anamorphosen
76
Italienische Romanze
Die Hamburger Kunsthalle Messen S. 84
entdeckt den Landschaftsmaler
Franz Ludwig Catel neu 106 Kunststück
Hartmut Böhme seziert Thomas
78 Neo Rauch und Karl Blossfeldt Schüttes »United Enemies« (1993)
Eine botanisches Gipfeltreffen
in Aschersleben 114 Bild meines Lebens
Warum über dem Schreibtisch des
80 Ausstellungen heute-journal-Moderators Claus
»Kunst & Jazz« in Stuttgart, die Kleber Thomas Höpkers Fotografie
Kunstsammlung NRW würdigt »Williamsburg« hängt
Agnes Martin, Franz Xaver
Winterhalters Porträts, »Dark
Mirror« in Wolfsburg, »Große
Utopie Jugendstil«, das Liebieg- 6 Editorial
haus zeigt »Französisches 8 Impressum
Rokoko«, Ludwigshafen malt 9 Mitarbeiter des Monats
Zukunftsbilder, Werke von 111 Termine
Ruth Baumgarte in Salzgitter 113 Vorschau
5
EDITORIAL
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
Wohin geht die Reise? Zumindest im Bereich der
Kunst erwartet uns 2016 viel Gutes. In der Redak-
tion haben wir gründlich alle Vorschauen durch-
forstet und informieren Sie ab Seite 37 mit einer
detaillierten Übersicht über Ausstellungen und
Termine im neuen Jahr, auf die wir uns jetzt
schon freuen. Dazu zählt auch die bisher größte
Präsentation des amerikanischen Künstlers
Raymond Pettibon, von dem auf dieser Seite
eine Tuschezeichnung aus dem Jahr 1986 abge-
instagram.com/WeltkunstMagazin
twitter.com/WeltkunstNews
facebook.com/weltkunst
6
Höfische Louis XV. Kommode
Paris vor 1750
Furnier: Amaranth, Rosenholz und roter Satinè,
signiert (Schlagstempel) Garnier (1720-1800), Meister 31.12.1742,
vorzüglich gerbeitete, feuervergoldet Bronzebeschläge, mit „C“-Couronne-Marke (1745-1749).
Höhe 86cm, Breite 113cm,Tiefe 62cm.
www.zeitkunstverlag.de
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Hartmut Böhme
Er schlägt Brücken zwischen Medizin und Kunst. Hartmut
Böhme, emeritierter Professor für Kultur- und Literaturwis-
senschaft an der Berliner Humboldt-Universität, hat sich als
Mitherausgeber des Buchs »Das Orale« schon einmal auf ge-
dankliche Expedition in die Mundhöhle begeben. Nun folgt,
im Quintessenz Verlag, auf knapp 500 Seiten »Das Dentale«.
Was das mit Thomas Schütte zu tun hat, lesen Sie auf S. 106.
Anette Froesch
Die Museen in Kopenhagen und Stockholm kennt sie
besser als die in Deutschland. Denn jahrelang betreute
Anette Froesch eine Privatsammlung skandinavischer
Kunst. Dazu gehörte dänisches Silber, wodurch sie zu
einer Kennerin dieses Gebiets wurde. Ihr Wissen gibt sie
nun in einem Sammlerseminar (S. 62) weiter. »Mich fas-
ziniert, wie sich beim Silber Gebrauchswert und elegante
Bodenständigkeit verbinden«, schwärmt die Kunsthisto-
rikerin, die heute für eine Bank in Kiel arbeitet.
9
DI E M A R K T F R AU
10
Galleria Canesso
LUGANO
altmeister gemälde
Donato Creti
Cremona, Bologna,
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DR E I W Ü N S C H E
4500 €
Kalte Schnauze
»Keine Angst vor falschen
Bilder: Courtesy the artist and Galerie Tanja Wagner, Berlin; Kunkel Fine Art, München; 1stdibs.com
Hunden»: Was auch immer hinter
den poetischen Titeln der gebür-
tigen Dresdner Künstlerin Grit
Richter steckt– ihre Werke wie die
110 cm hohe Plastik aus
Holz, Lack, Metall, Leinwand
und Acrylglas verbreiten gute
Laune. Uns ist die Arbeit in der
Berliner Galerie Tanja Wagner
(030 86430120) aufgefallen.
8000 €
Möchtegern-Mäzene
1907 sorgten im Simplicissimus die Bierbrauer von
Eduard Thöny für ein Schmunzeln. Sie geben sich als
Kunstmäzene: »Mir lassen jetzt an Etikett’ für unsere
Bierflaschen von an Maler machen.« Kunkel Fine Art
(089 21869034) in München verkauft die Zeichnung.
6500 €
Pfau vor Blau
Wen es nach Biarritz verschlägt,
der sollte der Galerie Carré Rouge
(+33 6 18046143) einen Besuch
abstatten. Dort gibt es so schöne
Dinge wie den emaillierten Teller
mit Pfau (Durchmesser 60 cm), den
Eugène Collinot um 1865 entwarf.
Online unter 1stdibs.com zu finden.
12
K l e i n o d d e r Pat r i z i e r fa m i l i e L ö f f e l h o l z , N ü r n b e r g d at i e r t 1 5 4 7
Büttenmann
Silber, teilvergold et
Bilder: Jörg P. Anders/Staatliche Museen zu Berlin; ddp images/United Archives; Alessandra Schellnegger; Frank Röth/F.A.Z.
Botticellis Venus Chloë Sevigny
K R I T I K E R F R AG E
Samuel Herzog Kia Vahland Niklas Maak Lindsay Pollock Hanno Rauterberg
Neue Zürcher Zeitung Süddeutsche Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Art in America DIE ZEIT
Warum nicht? Aber fassen Die Kunst fühlt sich gerne Der White Cube ist ja die Es ist ein Klischee, dass die Jedenfalls scheinen jetzt
wir den Begriff »Religion« selbst als Religion, und die Kirche von heute: Man Museen die Kathedralen Kunst und Buddhismus
heute nicht ohnehin so Religion müht sich mit der muss vor den Werken leise von heute sind, aber es ist ganz herrlich zu
weit, dass fast alles darunter jüngeren Rivalin. Vielleicht sein wie vor einem Altar, etwas Wahres daran. Was harmonieren, siehe
fallen könnte? müssen beide Parteien erst andächtig schauen, auf die Kombination von Marina Abramović oder
einmal zu sich selbst finden Erleuchtung hoffen. So Kunst und Religion betrifft, Jeppe Hein.
und stehen. gesehen täte der Kunst sind natürlich die alten
etwas weniger Religion Meister unschlagbar.
ganz gut!
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S E I T 17 0 7
Heinz Mack, 1971, erzielter Preis € 296.000 · Giovanni Battista Salvi, gen. il Sassoferrato (1609–1685), erzielter Preis € 418.000
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H A N D DE S M E I S T E R S
W
1 3
Louis Vuitton reist, fällt auf.
Wie jemand, der aus einer al-
Bilder: LOUIS VUITTON MALLETIER/François Coquerel (4); LOUIS VUITTON MALLETIER/Patrick Galabert; Michael Biedowicz
ten Welt kommt. Einer Welt,
in der man nicht seinen Koffer auf Rollen
hinter sich herzerrt, sondern ihn trägt. Dabei
ist der klassische Louis-Vuitton-Koffer ein
echtes Kind der modernen Zeiten. Als der
junge Louis Vuitton 1854 im Alter von 33 Jah-
ren in Paris sein erstes eigenes Geschäft,
Louis Vuitton Malletier, eröffnete, hatte er
eine Revolution im Sinn. Die Koffer für die
Oberschicht waren zu dieser Zeit nämlich
2 4
eher vergleichbar mit Möbelstücken. Sie wa-
ren schwer, mit Leder beschlagen und
mannshoch: Für die Pariser Gesellschaft
kein Problem, denn einen Koffer packte man
ja nie selbst an. Dafür hatte man Personal,
denn Arbeitskraft war billig.
Schrankkoffer mussten stets mit einer
runden Kuppel versehen sein, damit der Re-
gen abperlen konnte. Vuitton aber bespann-
te seine Koffer mit einem neuartigen Ober-
material, einem imprägnierten Leinenstoff,
der wasser- und luftdicht war. Außerdem lös-
ten die Koffer von Louis Vuitton ein moder- der Schweizer Schriftsteller Blaise Cendrars: Bis zum 21. Februar ist der Tradition von
nes Problem. Im 19. Jahrhundert wurden Rei- »Aufbrechen heißt, zu Vuitton zu gehen.« Louis Vuitton eine Ausstellung im Pariser
sen mit dem Dampfer populär. Die Kabinen Das Hauptgeschäft der Marke Louis Grand Palais gewidmet – links unten ein
der Schiffe waren allerdings eng. Und wenn Vuitton sind heute Taschen. In der Manufak- Koffermodell von 1924 speziell für’s Auto-
man seinen Koffer ausgeräumt hatte, stand tur in Asnières bei Paris werden aber auch mobil. Die Werkzeuge (1) zur Herstellung
(2–4) sind seit 150 Jahren die gleichen
er ständig im Weg. Der regenfeste Louis- noch immer Koffer hergestellt – in Handar-
Vuitton-Koffer aber war quaderförmig und beit. Jeder hat eine eigene Produktionsnum-
ließ sich perfekt unter dem Bett verstauen. mer. Der Korpus wird aus abgelagertem tionsbesteck. Grundsätzlich sind die Hand-
Bei Louis Vuitton gab es auch früh Koffer, Pappel- und Buchenholz geschreinert. Von werksmeister zu allem bereit, unter einer Be-
die sich auf die neu aufkommenden Automo- innen wird der Koffer ausgepolstert. Die dingung: Alles, was sie bauen, muss
bile schnallen lassen konnten. Louis Vuitton Schalen werden mit Scharnieren aus Baum- transportabel sein. Interessanterweise sind
war die Marke der neuen Mobilität. So sagte wolle verbunden. Dann werden sie mit dem bei den Sonderanfertigungen heute etliche
berühmten Canvas mit dem Louis-Vuitton- aufrecht stehende Schrankkoffer mit Schub-
Logo bezogen. Zum Schluss kommen die laden und Griffen an der Seite, damit das Per-
Metallbeschläge, die mit Kalbsleder bezoge- sonal sie tragen kann. Manche Menschen rei-
nen Griffe und das Kofferschloss. Es ist sen eben noch immer gerne mit Möbeln, die
ebenfalls eine Erfindung des Gründers. ihnen hinterhergetragen werden. ×
Asnières ist auch für Spezialanferti-
gungen bekannt. Karl Lagerfeld ließ sich ei- Tillmann Prüfer ist Style
nen Koffer für seinen iPod gestalten, Hel- Director des ZEITmagazin.
mut Lang eine Transportmöglichkeit Er stellt hier jeden Monat
für seine Vinylalben, Damien herausragende Leistungen der
Hirst einen Koffer für Opera Handwerkskunst vor
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Erfolg mit Qualität
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(Auracher Kirchl), 1944
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Bilder: Solomon R. Guggenheim Museum, New York/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Pool House; Ikou Tschüss; Luur Design; Daniel Reiter
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Kunsthandel
WA S H A B E N SI E G E SE H E N , H E R R OB R I S T ?
Bilder: David Head/Peggy Guggenheim Collection, Venice; Peggy Gugenheim-Art Addict/Film still; Courtesy of the Peggy Gugggenheim Collection Archives, Venice/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Milena Carstens; Illustration: Andrea Ventura
Kunstmuseen mit dem frühen Blick für die Moderne
Herr Obrist, was haben Sie gesehen? Was faszinierte Sie an dem Film? tet. Es ist deshalb schön, dass der Film von
Ich war gestern Abend im Kino und Peggy Guggenheim hat, von heute aus Lisa Immordino Vreeland davon erzählt.
habe den neuen Dokumentarfilm »PEGGY betrachtet, ein sehr modernes, postnationales
GUGGENHEIM: ART ADDICT« (2) gesehen. Es Leben geführt, über Kontinente hinweg. Sie Die Filmemacherin konnte viele Interview-
geht also um Kunstsucht … wollte ihr Museum eigentlich in England bau- Sequenzen verwenden.
en, musste wegen des Zweiten Weltkriegs ins Ja, Lisa Immordino Vreeland hat die be-
… ein Ihnen durchaus vertrautes Thema. Exil, hat es nach dem Krieg dann in VENEDIG rühmten, stundenlangen Interview-Aufnah-
Ja (lacht). Es ist ein hochinteressanter (1) eröffnet und natürlich auch in New York. men der Biografin von Guggenheim gefun-
Film, der mich dazu gebracht hat, über das Heute kennen wir solche Biografien, aber da- den, von denen man immer mal wieder
Jahr 2015 nachzudenken, das ja von zahlrei- mals haben Menschen nicht so gelebt. gehört hatte, die aber lange Zeit als verschol-
chen Privatmuseumseröffnungen geprägt len galten. Der ganze Film basiert im Grun-
war. Nehmen Sie die Fondazione Prada in Was ist eigentlich das Besondere an ihrer de auf diesen Gesprächen, die kurz vor ihrem
Mailand, die Garage in Moskau, die Aishti Sammlung? Tod 1979 geführt wurden. Der Film löst
Foundation in Beirut und natürlich The Sie hat früh an ganz verschiedene übrigens den gleichen Impuls aus, den die
Broad in Los Angeles. Die Häuser sind alle- Künstler geglaubt, die damals keineswegs be- brillante Tschechow-Biografie der Journalis-
samt sehr unterschiedlich, auch in ihren rühmt waren. Sie hat die allererste Ausstel- tin Janet Malcolm bei vielen Lesern, auch bei
Strukturen, aber es ist eben doch frappierend, lung von Jackson Pollock gemacht, sie hat mir, ausgelöst hat: Man wird wieder neugie-
dass sie alle im selben Jahr eröffnet wurden. Leonora Carrington gesammelt, Max Ernst, rig auf das eigentliche Werk, im Fall von
die ganzen Modernen des 20. Jahrhunderts. Peggy Guggenheim auf ihre Sammlung.
Und dann kommt auch noch ein Film über Man will ihre Arbeit sofort neu entdecken!
die Pionierin des Privatmuseums ins Kino. Mit Max Ernst war sie sogar für kurze Zeit Gleichzeitig ist im Film die große Traurigkeit
Peggy Guggenheim war nicht nur un- verheiratet. zu spüren, die Peggy Guggenheim ihr Leben
glaublich früh dran, ihre Arbeit ist auch Genau. Sie hat diese Künstler unter- lang begleitet hat. Sie hat ihre Tochter früh
nachhaltig. Obwohl sie 1979 gestorben ist, stützt, hat vielen während des Kriegs gehol- verloren, ihr Vater ist früh gestorben, es gab
hält ihre Wirkung an. Denn die Frage ist bei fen zu fliehen. Der Kult um ihre Person, ihre viele Todesfälle in ihrer Familie. Wie Ger-
solchen Initiativen immer: Wie kann man sie frühe Prominenz, die ganzen Sex-Geschich- hard Richter sagt: »Kunst ist die höchste
über mehrere Generation hinweg absichern? ten haben diese Seite ihres Lebens überschat- Form der Hoffnung«. Für PEGGY GUGGEN-
HEIM (3) trifft das zu: Sie hat in der Kunst ver-
sucht, Hoffnung zu finden.
20
KARLSRUHE
Klassische Moderne
und Gegenwartskunst
Persepolis im Iran, Baalbek im Libanon oder die Oasenstadt beginnen, denn ihre Schön- brandschatzen. Die Spanier bauten in Cusco
Petra in Jordanien sind imposant, gewaltig, heit ist Vergangenheit. Am 20. Mai 2015 wur- auf den Fundamenten der Inka-Paläste ihre
beeindruckend. Die Oasenstadt Palmyra in de Palmyra von Kämpfern des »Islamischen Kirchen. Immer sollte damit die Unterwer-
der syrischen Wüste aber ist geradezu ergrei- Staates« (IS) besetzt – einer Miliz schwarz ge- fung vollendet, die Erinnerung an alte Göt-
fend und überirdisch schön. Wer in den Mor- kleideter Extremisten, die inzwischen ganze ter und Mächte ausgelöscht werden.
genstunden, nach zwei Stunden Autofahrt Landstriche in Nord- und Zentralirak sowie In den vergangenen zwei Jahrzehnten
aus Damaskus, in dieser antiken Ruinenstadt in Syrien von der türkischen Grenze fast bis waren es vor allem der Orient und die musli-
eintraf, wurde mit einem grandiosen Schau- zur Hauptstadt Damaskus beherrschen. Auf mischen Länder, in denen durch Krieg, Ter-
spiel belohnt: Zuerst tauchten die Grabtür- ihrem Eroberungsfeldzug haben die IS- ror und Chaos unersetzliche Kulturschätze
me aus dem Dunkel auf, dann die fast einen Kämpfer nicht nur Hunderte Menschen er- verloren gingen. Wo immer im Nahen und
Kilometer lange Säulenstraße, die Mauern mordet, sie verwüsteten auch gezielt das kul- Mittleren Osten, in Nord- und Zentralafrika
des Amphitheaters, der Thermen und Markt- turelle Erbe dieser Region. oder in Asien radikal-extremistische Islamis-
anlagen, die Tempel der Gottheiten Baal und Zu allen Zeiten und auf fast allen Kon- tengruppen Gebiete eroberten oder zumin-
Allat. Stein und Sand waren in Zartrosa ge- tinenten war die Zerstörung von Städten, dest zeitweise kontrollierten, verwendeten
taucht, bekamen später einen goldenen von Palästen und Tempeln eine Waffe im sie viel Energie darauf, heilige Stätten oder
Schimmer und strahlten in den Mittagsstun- Krieg. Eroberer ließen die Denkmäler ihrer antike Kunstdenkmäler zu zerstören. So
den fast weiß. Beduinenfamilien mit ihren Gegner schleifen, Gotteshäuser schänden, Bi- sprengten die sunnitischen Taliban im Früh-
Eseln oder Kamelen lagerten dann im Schat- bliotheken niederbrennen, Kunstwerke rau- jahr 2001 die berühmten Buddha-Statuen im
ten der Säulen und Mauern. ben oder vernichten. Die Römer zerstörten afghanischen Bamiyan, Provinzhauptstadt
»Kan Zaman …«, so fangen die Bedui- den Tempel in Jerusalem. Alexander der Gro- im Siedlungsgebiet der schiitischen Hazara-
nen ihre Geschichten an: Es war einmal. So ße soll nach der Eroberung von Persepolis Minderheit. Mit den Buddhas wurden die
müssen künftig auch die Erzählungen über den Befehl gegeben haben, die Stadt zu Hauptwerke einer einzigartigen buddhisti-
24
IR A K U ND SY R IEN
schen Kunst vernichtet, die dort vom 3. bis ten zu brüskieren. So gehörte es auch zu den
zum 10. Jahrhundert entstanden war. ersten Anweisungen von IS-Chef Abu Bakr
Im Irak entfesselte der Sturz Saddam al-Baghdadi, Feiern zum Geburtstag des Pro-
Husseins und seiner sunnitischen Elite durch pheten Mohammed zu verbieten, wenn ih-
die US-Invasion im März 2003 den bis dahin nen nur der geringste Anschein von Perso-
ruhenden Konfessionskonflikt im Land. nenkult anhaftet. Jüngste Drohungen
Sunnitische Milizen verübten in den folgen- richten sich gegen die Schiitenhochburgen
den Jahren Anschläge auf Heiligtümer der Nadschaf und Kerbala in Zentralirak, denn
an die Macht gekommenen Schiiten. So at- dort befinden sich Moscheen mit den Grä-
tackierten sie die Goldene Moschee mit dem bern der Prophetennachfolger Ali und Hus-
Al-Askari-Schrein in Samara, einem der sein, die den Schiiten heilig sind. Und ein IS-
wichtigsten Pilgerorte der Schiiten. Bei ei- Vertreter verbreitete sogar über Twitter: »So
Bild vorherige Doppelseite: akg-images/Tarek Camoisson; Bild links: Daniel Lohmann; Bilder rechts: Lazhar Neftien/Wikimedia; privat; Jean-Baptiste Rabouan/laif
nem Anschlag im Februar 2006 wurde das Allah will, werden wir den Götzenstein in
Gebäude schwer beschädigt, die goldene Mekka sprengen und die Kaaba zerstören.«
Kuppel stürzte ein. In Libyen haben nach Schon vor gut einem Jahr listete die
dem Sturz Muammar al-Gaddafis im August Unesco auf, dass über 300 Kulturstätten im
2011 militante Sunniten das Machtvakuum Herrschaftsgebiet des IS stark beschädigt
gefüllt und in den von ihnen kontrollierten oder zerstört worden seien. Nicht alle diese
Gebieten die Schreine von muslimischen Schäden gehen auf den IS zurück. Die Alt-
Heiligen, Gelehrten und Dichtern zerstört. stadt von Aleppo wurde Opfer der Kämpfe
All diese Gruppen – die Taliban in Af- zwischen den Regierungstruppen von Präsi-
ghanistan, die Dschihadisten im Irak, die Sa- dent Assad und den Rebellen. Die Mauer der
Die prächtige Ammar-Ibn-Yasir-Moschee in
lafisten in Libyen und auch die IS-Miliz – be- Zitadelle und mehrere Karawansereien wur-
Raqqa g. o. war ein wichtiges Pilgerziel der
rufen sich auf die besonders rigide Auslegung Schiiten. Deshalb wurde sie von den sunni- den von Granaten getroffen, viele Häuser in
des Islam, die in Saudi-Arabien Staatsdoktrin tischen IS-Kämpfern geschleift. Das Bild dem Weltkulturerbe-Ensemble sind zerstört.
ist und im Westen als Wahabismus bezeich- aus einem IS-Propagandavideo darunter In Bosra, einer Stadt im Süden Syriens mit
net wird, benannt nach ihrem Gründer zeigt die Sprengung des Heiligtums des Ruinen aus römischer, byzantinischer und
Scheich Mohammed bin Abdel Wahab. Die Imam Yahyia aus dem 13. Jh. in Mossul. frühislamischer Zeit, hatten Rebellen ein
Vertreter dieser extrem puristisch-konserva- Unten die Souks in der Altstadt von Aleppo Trainingslager eingerichtet, das dann von der
tiven Lehre, die Anfang des 19. Jahrhunderts im Jahre 2010. Heute sind von ihnen nur syrischen Armee angegriffen wurde.
entstand, beanspruchen für sich, die »reine noch Trümmer übrig. Linke Seite: Der dem Andere antike Stätten werden von
Form« des Islam zu repräsentieren. Anhän- mesopotamischen Fruchtbarkeitsgott Raubgräbern heimgesucht. Der Verkauf von
ger anderer muslimischer Ausrichtungen Baal (Bel) gewidmete Tempel in Palmyra Fundstücken aus Raubgrabungen soll zu den
wie die Schiiten, Alawiten oder Jesiden gel- Haupteinnahmequellen des IS gehören. So
ten ihnen als Ketzer, Angehörige anderer Re- zeigen Satellitenaufnahmen die Gegend um
ligionen als Ungläubige. Der Wahabismus Apameia am Orontes im Norden Syriens: Die
geißelt aber auch alle Formen des Volksglau- antike römische Anlage, einst Hauptstadt der
bens und religiöser Traditionen, die Vereh- Landschaft Apamene, später der römischen
rung von Heiligen oder die Wallfahrten zu Provinz Syria Secunda, ist von Hunderten
Gräbern als Gotteslästerung. Schon als die Grabungslöchern zerfurcht. Ebenso erging
Wahabiten 1803 mit Mekka und Medina das
Grab des Propheten und Religionsbegrün-
ders Mohammed eroberten, schleiften sie
dort Gräber und Heiligenschreine. Und im-
mer wieder tauchen Gerüchte auf, dass die
saudischen Herrscher – selbst ernannte Hü-
ter der heiligsten islamischen Stätten und
Nutznießer der Pilgerfahrten von Abermil-
lionen Muslimen – planen, die Gebeine des
Propheten in ein Massengrab umzubetten.
Die Zerstörung von vorislamischem
wie islamischem Kulturgut gehört damit
praktisch zur Software aller Gruppen radika-
ler Muslime. Doch bei keiner anderen Orga-
nisation ist dieser Vandalismus ein so wich-
tiger Teil der Strategie wie beim IS. Er
verfolgt sie nüchtern und pragmatisch, über-
aus flexibel und stringent: um seinen religiö-
sen Alleinvertretungsanspruch durchzuset-
zen, um Einfluss und Macht gegenüber
konkurrierenden Milizen zu demonstrieren,
um Regierungen in der Region und im Wes-
25
IR A K U ND SY R IEN
es der griechischen Ruinenstadt Dura Euro- Tuns und der Wille, die ganze Welt fast in
pos an der syrisch-irakischen Grenze. Echtzeit an ihrem Vernichtungsfeldzug ge-
Doch die enormen Zerstörungen in Pal- gen Mensch und Kunst teilhaben zu lassen.
myra, in Ninive, Nimrud und Dur Šarrukin In Nimrud, einst Hauptstadt des neuas-
hat allein der IS zu verantworten. Der Ver- syrischen Reiches, rund 30 Kilometer südöst-
nichtungsfeldzug der radikalen Organisati- lich von Mossul, sollen die Extremisten im
on, die ihre Wurzeln im irakischen Nach- April 2015 die antiken Palastanlagen planiert
kriegschaos hat und 2013 im Bürgerkriegsland haben. Ein nicht genau datiertes Videos lässt
Syrien Fuß fasste, begann mit der Eroberung vermuten, dass die Stätte vollständig zerstört
von Raqqa im Frühjahr 2014 – was damals in- wurde. Im antiken Dur Šarrukin, im 8. Jahr-
ternational noch kaum beachtet wurde. Der hundert v. Chr. Hauptstadt des assyrischen
IS erklärte die kleine Provinzmetropole im Reiches unter Sargon II., sprengten IS-Kämp-
Norden Syriens zur Hauptstadt seines künf- fer offenbar im März 2015 Ruinen von Tem-
tigen Staates. Sofort nach der Besetzung von peln und Palästen. Im selben Monat suchten
Raqqa zerstörte die Terrormiliz die prächtige sie Hatra heim, in der Antike die Hauptstadt
Bilder links: ddp images; Polaris/laif; laif; Grafik: Katharina Weiss/Johanna Dreyer; Bild rechts: picture alliance/Luisa Ricciarini/Leemage
Ammar-Ibn-Yasir-Moschee, auch sie ein eines mesopotamischen Kleinfürstentums.
wichtiges Pilgerziel der Schiiten. Ibn-Yasir Die Anlage war für ihre gut erhaltenen Tem-
war ein früher Gefährte des Propheten Mo- pel und seine hellenistisch-römische Archi-
hammed, einer der Ersten, der zum Islam tektur berühmt.
übertrat, von Sunniten und Schiiten glei- Es war also absehbar, dass auch Palmy-
chermaßen verehrt. ra nach der Eroberung durch die IS-Miliz im
Von Raqqa aus rückte der IS dann so- Mai nicht ungeschoren davonkommen wür-
wohl gegen Aleppo und Damaskus als auch de. Schon in der Steinzeit siedelten sich in
in Richtung Bagdad vor. Aber erst mit der der Oase um die Efqa-Quelle Menschen an,
Einnahme der Millionenmetropole Mossul später entwickelte sich der Ort zu einem
wachte die internationale Öffentlichkeit auf. Knotenpunkt von Handelskarawanen zwi-
Im Juni 2014 vertrieben IS-Kämpfer binnen schen Mesopotamien und dem Mittelmeer,
weniger Tage die irakische Armee aus der zwischen dem Jemen und Anatolien. Aus der
Stadt, eroberten deren Waffenarsenale und hellenistischen Periode ist kaum etwas erhal-
Militärlager, plünderten die Banken und be- ten, die meisten Ruinen der einstigen Han-
setzten das dortige Nationalmuseum. Mit ei- delsmetropole stammen aus römischer Zeit.
nem Kran entfernten sie die Statuen des abas- Nachdem Kaiser Aurelian die Stadt im
sidischen Dichters Abu Tammam (788–845) Oben: Nimrud war einst Hauptstadt des 3. Jahrhundert zerstörte, versank der Ort in
und des irakischen Musikers und Lyrikers neuassyrischen Reiches, davon zeugten die Bedeutungslosigkeit – bis Europäer die
Osman al-Mawsali (1854–1923). Wie es heißt, die Türwächterstatuen der Palastruinen. Anlage im 18. Jahrhundert wiederentdeckten.
wurden die Skulpturen später auch ge- Sie wurden inzwischen demoliert. Mitte: Knapp eine Woche nach dem Ein-
sprengt. IS-Kämpfer stürzten die hoch auf- Die Schätze des Nationalmuseums von marsch des IS in Palmyra zertrümmerten die
ragende steinerne Marienstatue vom Turm Mossul ließ der IS planmäßig zerstören. Milizionäre die Löwenskulptur vor dem Ein-
der chaldäisch-katholischen Kathedrale von Unten: Die zur Zeit der Kreuzzüge errichte- gang des lokalen Museums. Es war eine Kalk-
Mossul. Die Grabstätte des muslimischen te Festung Krak des Chevaliers in Syrien steinfigur aus dem ersten vorchristlichen
Historikers Ibn al-Athir (1160–1223) wurde wurde von Bomben und Granaten getroffen Jahrhundert. Am 18. August enthaupteten
von einem Bagger demoliert. Auch die Mo- die Schergen den früheren Chefarchäologen
schee des Propheten Jona, der Schrein des Palmyras, den 83-jährigen Khaled al-Asaad.
Propheten Daniel und die al-Khidr Moschee Sein Tod war der Auftakt zum Feldzug gegen
fielen dem Zerstörungswahn zum Opfer.
Anfang 2015 begannen die IS-Milizionä-
TÜRKEI
re, im Mossuler Nationalmuseum zu wüten.
Dur Šarrukin
Mit Vorschlaghämmern und Pressluftboh- Ninive
Mossul IRAN
rern zertrümmerten sie die assyrischen und Aleppo Nimrud
Raqqa
parthischen Skulpturen. Bei einigen der Stü- Hatra
cke handelte es sich zwar um Gipsrepliken,
Eu
Dura Europos
ra
Tigr
26
Mitten in der Wüste, 110 Kilometer süd-
westlich von Mossul, liegt die irakische
Ruinenstadt Hatra. Die »Stadt des Sonnen-
gottes« verfügte über einzigartige
Skulpturen. Der IS wütete hier im März 2015
die Steine. Sechs Tage später sprengten die Blick auf die antike Ruinenstadt von Nomaden zu sesshaften Bauern, zu einer Ar-
Fanatiker den Baalschamin-Tempel. Bald da- Palmyra im Mai 2010: Vor dem Grün der beitsteilung, die das Entstehen der ersten
rauf erschütterten mehrere Explosionen den Oasengärten hebt sich der große Komplex Stadtstaaten ermöglichte. Hier wurde die
2000 Jahre alten Baal-Tempel, das Herzstück des Bel-Tempels ab, errichtet auf einem Schrift erfunden, das Zahlensystem, die Ver-
der antiken Stadt. Nur die gewaltigen Au- Siedlungshügel. Unten: der Baalschamin- waltung, das Privateigentum, die Töpfer-
ßenmauern, so belegen Satellitenfotos, blie- Tempel, dessen Säulen Konsolen mit scheibe, das Rad. Dieses kulturelle Erbe
Inschriften trugen. Sie fielen der Spren-
ben stehen. Am 4. September wurden drei prägt nicht nur unsere europäischen Glau-
gung durch den IS zum Opfer
Grabtürme vernichtet, der mächtige Bogen bens- und Wertvorstellungen, sondern ge-
des Hadrianstors stürzte am 4. Oktober ein. hört fest zur kulturellen Identität der Men-
Dass die Oasenstadt an der Kreuzung schen dieser Region, die mit den sichtbaren
von Karawanenwegen lag, sich dort eine an- Zeichen dieser Kultur leben – also den Rui-
tike multikulturelle Gesellschaft, eine gelun- nen der Tempel und Paläste, den Statuen.
gene Symbiose von westlicher und östlicher Nach Informationen der amerikani-
Kultur herausgebildet hatte: Auch dies war schen Association for the Protection of Syri-
wohl Antrieb für die IS-Kämpfer, ihr zyni- an Archeology (APSA) befinden sich etwa
sches Zerstörungswerk fortzusetzen. Wel- ein Drittel der bekannten 10 000 archäologi-
ches Ziel aber verfolgen die Extremisten mit schen Stätten auf syrischem und irakischem
diesem Sturm auf das Kulturerbe der Gebiet in der Kontrolle des IS. Wie aber kön-
Menschheit? Der IS habe offenbar sehr genau nen diese Stätten geschützt werden?
verstanden, erklärt Markus Hilgert, Direktor Westliche Staaten, aber auch die Türkei
des Vorderasiatischen Museums in Berlin, und Russland wollen den IS militärisch zu-
»dass die beispiellose Respektlosigkeit gegen- rückdrängen. Zerschlagen lassen sich seine
über allem, das wir zur Grundlage unserer Verbände nicht, sie werden – wie in den ver-
Narrative über unsere eigene Geschichte und gangenen Jahren vielfach geschehen – ein-
die zivilisatorische Entwicklung der Mensch- fach unter neuem Namen wieder auftauchen.
heit gemacht haben, für uns nur schwer zu So wird versucht, den Zustrom von Kämp-
verkraften sind. Für die Menschen im Irak fern aus dem Ausland durch schärfere Grenz-
und in Syrien ist das vorislamische Kulturer- kontrollen und Geheimdienstobservierun-
be identitätsstiftend und einigend.« gen in den Herkunftsstaaten zu stoppen.
Syrien wie der Irak und auch Teile der Und man will die Finanzierungsquellen des
Türkei gehören zum alten Kulturkreis von IS austrocknen: den Spendenzustrom von
Mesopotamien. Hier begann rund 10 000 bis privaten Geldgebern in den Golfstaaten blo-
12 000 Jahre vor Christus der Übergang von ckieren, die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland
28
IR A K U ND SY R IEN
unterbinden und vor allem den Handel mit Bald nach Beginn des Bürgerkrieges bildete zen die Fotos, um 3-D-Modelle von Bauten
Beutekunst aus Museen und Raubgrabungen sich ein internationales Netzwerk von Wis- und Artefakten zu erstellen – auch um später
erschweren. Weltweit soll der Umsatz für il- senschaftlern und Archäologen, um die Öf- eine Rekonstruktion der zerstörten Stätten
legal gehandelte Antiken bei fünf bis acht fentlichkeit angesichts der Raubgrabungen zu ermöglichen. Die Webseite ist für die Öf-
Milliarden Euro liegen. Es gibt nur Schätzun- und katastrophalen Kulturzerstörung zu mo- fentlichkeit nicht zugänglich, um das Leben
gen darüber, wie viel der IS damit verdient. bilisieren. Bereits einige Dutzend Initiativen der Freiwilligen nicht zu gefährden.
Belegt ist jedoch, dass der IS das Raubgra- suchen, unterstützt von Regierungen, inter- Hermann Parzinger, Präsident der Stif-
bungsgeschäft systematisch organisiert, nationalen Organisationen oder Universitä- tung Preußischer Kulturbesitz in Berlin,
Schürfrechte vergibt, gefundene Objekte ten, nach Wegen, konkret etwas tun. So be- schlug sogar vor, eine Luftbrücke für bedroh-
aufkauft und über den Libanon oder die Tür- müht sich Heritage for Peace, alle te Kunstschätze einzurichten und den Wer-
kei ins Ausland schafft. Konfliktparteien zu kontaktieren und mit ih- ken in Europa Asyl zu gewähren. Zwei Tage
Die Abnehmer der geplünderten Objek- nen zu kooperieren, berichtet der in Spanien nach den Novemberanschlägen in Paris bot
te sitzen offenbar vor allem am Golf, in Chi- lebende syrische Archäologe Esber Sabreen. der französische Präsident François Hollande
na, Russland, aber auch im Westen. Häufig Heritage for Peace arbeite sowohl mit dem vor der Unesco an, eine Taskforce aus west-
heißt es, Deutschland sei eine wichtige Dreh- Kulturministerium und der Antikenbehörde lichen Archäologen und lokalen Verantwort-
scheibe des illegalen Markts mit Antiken. in Damaskus als auch mit Vertretern der sy- lichen zusammenzustellen, um bedrohte An-
Gern werden dafür die Lücken im deutschen rischen Opposition zusammen. Im Libanon tiken aus Syrien in die Obhut Frankreichs zu
Kulturgutschutzgesetz angeführt. Dessen zum Beispiel, sagt Sabreen, »werden Freiwil- bringen.
Bilder links: Daniel Lohmann; akg-images/Gerard Degeorge; picture alliance/AP Photo; Bild rechts: Mappo/Wikimedia
Novellierung wird gerade lautstark und kon- lige trainiert, die in die Krisengebiete fahren Rund 250 000 Menschen sollen laut
trovers diskutiert, denn in unguter Verbin- und Informationen sammeln. Ihnen wird Schätzungen im syrischen Bürgerkrieg umge-
dung wird der Handel von antikem Raubgut auch vermittelt, welche Schutzmaßnahmen kommen sein. Fast 12 der 23 Millionen Syrer
mit einer aufgeblähten Rasterfahndung nach für Museen und antike Stätten getroffen wer- irren umher oder sind aus dem Land geflo-
national bedeutsamer Kunst in Privatbesitz den können.« hen. IS-Stellungen werden von einer interna-
verbunden. Die wesentlichen Neuerungen Im Rahmen einer weiteren Initiative, tionalen Koalition bombardiert; das Bürger-
für den Antikenhandel: Wer künftig Antiken dem Projekt »Million Image Database«, sind kriegsland ist zerfallen, und niemand weiß,
einführen will, braucht eine Ausfuhrgeneh- bereits Tausende preiswerte, leicht handhab- wo Feind oder Freund steht. Die Ideen, eine
migung des Herkunftslandes, die Stücke be- bare 3-D-Kameras an Freiwillige in den Luftbrücke einzurichten oder Einsatzkom-
nötigen einen exakten Herkunftsnachweis, Kriegsgebieten verteilt worden, um antike mandos zu bilden, sind ehrenwert. Aber sie
und die Rückgabe von Antiken an die Her- Stätten und Kunstwerke zu erfassen. Techni- zeigen auch, wie groß die Verzweiflung über
kunftsländer soll vereinfacht werden. Inwie- ker an der Universität Oxford laden diese Bil- die Zerstörung dieser einzigartigen Kulturgü-
weit deutsche Händler tatsächlich Werke aus der auf die Webseite des Projekts und benut- ter und letztlich unsere Hilflosigkeit sind. ×
IS-Provenienz hereinschleusen, ist äußerst
unklar. Noch immer wird da mehr behaup-
tet als bewiesen. Selbst Archäologen bezwei-
feln mittlerweile, ob wirklich so viele kost-
bare Stücke aus dem Nahen Osten nach
Europa kommen. Was im Internet oder über
Mittelsmänner angeboten wird, stammt of-
fenbar meist aus obskuren Quellen im Mitt-
leren Osten.
Derweil erweist sich der direkte Schutz
der Museen und antiken Stätten in den von
Bürgerkrieg, Terror und Chaos heimgesuch-
ten Ländern als schwierig. Die syrische Anti-
kenbehörde in Damaskus unter Leitung von
Maamun Abdulkarim sorgte bereits kurz
nach Ausbruch der Kampfhandlungen dafür,
dass das Inventar vieler Provinzmuseen in
Tresoren oder Bunkern in Damaskus einge-
lagert wurde. Dort ist es sicher – zumindest
solange, wie sich Präsident Assad hält. Auch
die rund 2500 Mitarbeiter der Behörde arbei-
ten noch, halten Kontakt zu den Kollegen in
den Regionen und versuchen, Schadenslisten
aufzustellen oder sogar erste Restaurierungs-
arbeiten durchzuführen, so der Chef der An-
tikenverwaltung.
29
Palmyras verlorene Pracht
Griechen, Römer und Perser gaben der antiken Stadt Palmyra ihr
vielgestaltiges Gesicht. Die Monumente, die dieser faszinierende Melting Pot
hinterließ, machten die syrische Oase seit dem 18. Jahrhundert zum
Sehnsuchtsort für Orientreisende. Doch was Jahrtausende stand, fällt nun
dem Wüten der IS-Miliz zum Opfer. Am Ende bleiben nur Bilder
32
PA L M Y R A
Bild vorherige Doppelseite: Universitätsbibliothek Heidelberg/C 3014 Gross RES::1-3;/Tafel 87 Bild links:Bilder:
Wallraf-Richartz-Museum
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
& Fondation Corboud, Köln; Bilder rechts; Antonia Reeve/Scottish National Gallery; Christie’s Images Ltd-Artothek
Bilder: XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
33
34
Bilder: W. Robert Moore/National Geographic Creative/Corbis; Nikos Economopoulos/Magnum Photos/Agentur
Bilder:
Focus;
XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX
Inge Morath/The Inge Morath Foundation/Magnum Photos/Agentur Focus; ullstein bild/histopics; Matson Collection, Library of Congress
PA L M Y R A
Einer der ersten Fotografen in der Ruinenstadt Palmyra war Félix Bonfils.
Der französische Fotograf und Buchbinder betrieb seit 1867 ein Foto
studio in Beirut, auf seinen Reisen zwischen 1867 und 1878 entstand die
Fotografie von Fragmenten palmyrischer Statuen (o. re.). Im Jahr
1910 hielt ein unbekannter Fotograf die engen Gassen Palmyras und sei
ne Bewohner fest (re.). Stolz posieren einheimische Reiter oben im
Jahr 1938 vor dem Hadrianstor für den National-Geographic-Fotografen
W. Robert Moore. Mitte der 1950er-Jahre reiste die österreichische
Fotografin Inge Morath in den Irak und nach Syrien, damals nahm sie
die atemberaubend schöne Wüstenlandschaft um Palmyra auf (g. o. re.).
2004, nur wenige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkriegs, entstand
die Impression li. des Magnum-Fotografen Nikos Economopoulos
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wiederentdeckt und als Erste in der Hansestadt vor und por-
Barriques ausgebaut. trätieren die interessantesten
Sammler und Händler.
20
16
Bild: MHK, Deutsches Tapetenmuseum
Das Kunstjahr
Januar.
Bilder: Brigitte Bühler und Dieter Hormel; Peter Schibli, Basel/2015, ProLitteris, Zürich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Kathleen Dittrich/Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Ingrid Geske/Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie
»GENIALE DILLETANTEN«
Anfang der Achtzigerjahre gründe-
ten junge Leute in deutschen Groß-
städten schwer zu lesende Zeit-
schriften. Fingen an, neoexpressiv
zu malen. Oder drehten sehr schnell
geschnittene Filme in bewusst mie-
ser Bildqualität (li.: Still aus dem
Super-8-Film »a-b-city« von Brigitte
Bühler und Dieter Hormel, 1985).
Bands wie die Einstürzenden Neu-
bauten machten schreienden Lärm
zum Pop, Künstler wie Martin Kip-
penberger lustwandelten zwischen
Spott und Eskalation, ungebändigte
Jungkreative entwarfen Punkmode.
Die vom Goethe-Institut konzi
pierte Ausstellung über die »Genia-
len Dilletanten« gastiert nach
Stationen in Minsk und München
nun in Hamburg.
Museum für Kunst und Gewerbe,
Hamburg, 23. Januar bis 1. Mai
38
VOR S C H AU
RAYMOND PETTIBON
Februar.
Sammlung Falckenberg,
Bilder: Gerhard Richter, 2016; Rik Klein Gotink for the Bosch Research and Conservation Project/Gent, Museum voor Schone Kunsten; Courtesy David Zwirner, New York/Raymond Pettibon; Museo Thyssen-Bornemisza, Madrid
Termine
Retrospektive. Der Maler, dessen Bilder
von anmutigen Frauen
mit eleganten, schlanken
Hälsen heute auf Auktio- ART KARLSRUHE
nen bis zu 170 Millionen 18. – 21. Februar
Dollar bringen, starb 1920
jämmerlich an der Spani- ARCO MADRID
schen Grippe. Seinem 24. – 28. Februar
kurzen Schaffen gilt die- WIKAM
se Überblicksschau, Wien,
ergänzt durch Werke von 27. Februar – 6. März
Picasso oder Brancusi.
39
VOR S C H AU
Bilder: The Museum of Modern Art, New York/Mrs. Simon Guggenheim Fund/2015 Estate of Pablo Picasso/Artists Rights Society (ARS), New York/VG Bild-Kunst, Bonn 2015;
bunten Trachten der
Alte Nationalgalerie, erhält, diese Frage be-
PICASSOS SKULPTUREN Menschen und das Licht
Berlin, 17. März bis 17. Juli schäftigt Thomas Struth
des Südens: Wie kein
Picasso und kein Ende in Sicht: Nach der August Kopisch war ein
schon seit Langem. Viele
Zweiter hat Joaquín
umjubelten Schau »Picasso Sculpture« deutscher Romantiker in
Orte, die der Künstler im
Sorolla (1863–1923) in
im MoMA letzten Herbst zieht nun das Lauf des mehrjährigen
seinen Bildern die Strahl- Italien, ein Naturforscher
Museo Sorolla, Madrid, Inv.-Nr. 965; Wolfgang Pfauder Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg; Thomas Struth
Pariser Musée Picasso nach und zeigt Projekts aufsuchte, sind
kraft leuchtender Farben und Entdecker, Lyriker
normalerweise nicht zu-
»Picasso. Sculptures«. Der Plural im Titel und Gelehrter, der Dante
gänglich. Nun werden in
hat hier einen tieferen Sinn, denn die übersetzte und die »Hein-
Essen drei Dutzend sei-
Ausstellung konzentriert sich, anders zelmännchen« schrieb.
ner ab dem Jahr 2007
als in New York, auf einen bisher eher Wie ihn die Landschaft
vernachlässigten Aspekt des Œuvres: die rund um Neapel zu Ge-
mälden inspirierte, die ei-
kleinen, feinen Unterschiede, die sich aus
nem heute in ihrer grellen
verschiedenen Varianten und Abgüssen Farbigkeit fast surrealis-
von Picassos Werken ergeben. Das klingt tisch vorkommen, ist in
erst mal recht trocken, doch da muss ausgereizt. Da das hier- Berlin bald in einer seiner
man sich beim Erfinder des »Stierkopfs« zulande noch zu wenige viel zu seltenen Einzel-
(Fahrradsattel und Lenker), des »Seil wissen, verdient die ausstellungen zu sehen.
hüpfenden Mädchens« (geflochtener Kunsthalle ein Extralob:
Die umfangreiche Retro- entstandenen groß
Bastkorb) oder der großartigen FESTE FEIERN
spektive ist die erste formatigen Bilder von Ro-
stoischen »Ziege« (u.) nicht den Kopf Kunsthistorisches
Ausstellung des in Valen- boterfabriken und
zerbrechen – das macht Picasso durch cia geborenen Malers in
Museum, Wien,
Kernfusionsreaktoren,
seinen Einfallsreichtum und die immer Deutschland.
8. März bis 18. September
Spaceshuttles und klini-
wieder verblüffende Sicherheit in der Bilder von Festen präsen- schen Operationssälen
Form spielend wett. Im Rahmen der tiert das Kunsthistorische ausgestellt. Zur Erholung
Ausstellung findet am 23. und Museum anlässlich seiner ist das idyllische »See-
24. März außerdem ein internationales Eröffnung vor 125 Jahren stück, Donghae City«
Kolloquium zum Thema statt. – von Bruegels »Bauern- (2007, o.) dabei.
tanz« bis zu den fêtes
Musée Picasso, Paris, 8. März bis 18. September
galantes des Rokoko, von
Goya bis zu Brüsseler
Tapisserien dreht sich der
Jubiläumsreigen. Termine
ALBERTO BURRI THE ARMORY
Kunstsammlungen NRW – SHOW
K21, Düsseldorf, New York, 3. – 6. März
5. März bis 3. Juli TEFAF
Pastose, aufgebrochene, Maastricht,
mit allen möglichen Din- 11. – 20. März
gen beklebte, benähte BADA ANTIQUES &
und beheftete Oberflä- FINE ART FAIR
chen kennzeichnen die London, 9. – 15. März
Materialbilder des Itali-
ners Alberto Burri (1915– ART & ANTIQUE
1995), der damit seine SALZBURG
eigene Art des Informel 19. – 28. März
begründete. Die Retro- ART BASEL
spektive kommt aus dem HONGKONG
Guggenheim New York. 24. – 26. März
ERÖFFNUNG
THE MET BREUER
Metropolitan Museum,
New York
40
VOR S C H AU
CANDICE BREITZ
Kunstmuseum Stuttgart,
9. April bis 28. August
Mit Untersuchungen zur
Popkultur, dargeboten in
großen Videoinstallatio-
BARNETT NEWMAN nen hat sich die Südafri-
Kunstmuseum Basel, kanerin Candice Breitz
19. April bis 7. August einen Namen gemacht.
Barnett Newman ist be- Neue, zum Teil eigens für
kannt für seine Streifen- diese Ausstellung herge-
bilder. Die Zeichnungen stellte Arbeiten zeigt das
Bilder: Hannah Höch/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Barnett Newman/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Kunstmuseum St. Gallen; MHK/Deutsches Tapetenmuseum
April.
zur Eröffnung seines
Neubaus ausstellt, zeigen
den Abstrakten Expres-
sionisten einmal von sei-
ner spielerischen Seite.
Zudem präsentiert eine WOLFSBURG
Sonderschau zur Eröff- UNLIMITED
nung »Sculpture on the Kunstmuseum Wolfsburg,
Move 1946–2016«. 24. April bis 11. November
Die Stadt als Weltlabor im
Museum: John Bock,
Nevin Aladag, der Foto-
realist Don Eddy und
der Fotograf Peter Bia-
lobrzeski sind einige der
Künstler, die sich in der
WUNDER & VISIONEN ersten Schau des neuen
Kunstmuseum St. Gallen, Direktors Ralf Beil mit
9. April bis 11. September Wolfsburg, seinen Eigen-
heiten und Möglichkeiten
Die Schenkung von 150 beschäftigen.
Ikonen aus der Sammlung
Gürtler hat das Kunstmu-
seum St. Gallen vor drei
Jahren mit einem Schlag
zum Zentrum nachbyzan-
tinischer Kunst in der
Schweiz gemacht. Eine
Auswahl wird jetzt dem
Publikum vorgestellt, in
HANNAH HÖCH einer Inszenierung des
Sie erfand das Bild, das aus dem Lot geraten war. In Techno-Pop-Minimalisten
dem die Größenverhältnisse nicht mehr stimmten Gerwald Rockenschaub.
und Unsinn neuen Sinn ergab. Nur wenige Künstler
im 20. Jahrhundert waren so einflussreich und so SCHÖNER SCHEIN!
modern wie Hannah Höch. Zwar existierten colla- Neue Galerie, Kassel,
gierte Fotos schon davor, doch eher als Kuriositäten. Termine 29. April bis 24. Juli
Mit der Fotocollage, wie wir sie kennen, eröffnete Für seine Tapeten, die
Höch eine bis dahin unbekannte Bildergalaxie. KUNST & ANTIQUITÄTEN Seide, Leder oder Brokat
Heute sind die Prinzipien Montage und Sampling Schloss Laxenburg, 9. – 17. April perfekt imitierten, wurde
der Pariser Paul-Marie
allgegenwärtig. Damals waren sie ästhetisch ein ART COLOGNE Balin (1832–1898) in ganz
Quantensprung. Die Schau in der Kunsthalle Mann- Köln, 14. – 17. April Europa verehrt. Das
heim konzentriert sich auf Höchs Werke nach 1945 Deutsche Tapetenmu-
KUNST UND ANTIQUITÄTEN MÜNCHEN
(o. »Das ewig Weiblich II«, 1967) – auch um sie aus seum verfügt über reiche
23. April – 1. Mai
dem zeitlichen Korsett der Dada-Epoche zu befreien. Bestände. Und richtet
Kunsthalle Mannheim, 22. April bis 14. August GALLERY WEEKEND dem Mann der schönen
Berlin, 29. April – 1. Mai Wände, der im Ruin ende-
PARIS PHOTO LOS ANGELES te, die erste – wirklich:
29. April – 1. Mai erste! – Ausstellung aus.
41
VOR S C H AU
Mai.
MONA HATOUM
Mona Hatoum war schon öfter zu Gast in
Bilder: Sébastien Normand/Courtesy of the artist and Galerie Chantal Crousel, Paris; Staatliche Graphische Sammlung München; Andy Keate/Courtesy of the artist, Rob Tufnell, London and Studio Voltaire London
der Tate, doch zum ersten Mal hat eine Aus-
stellung der 1952 in Beirut geborenen Paläs-
tinenserin dort Retrospektivformat. Über
100 Arbeiten aus den Achtzigern bis heute
hat das Kuratorenteam von Tate Modern
und dem Pariser Centre Pompidou ausge-
wählt. Dort war die Schau bereits zu sehen.
Auch in London findet sich alles, womit
Hatoum zu einer der wichtigsten Künstle-
rinnen der Gegenwart wurde: Videos von
ihren frühen Performances wie »Road
Works«, als sie sich filmen ließ, wie sie bar-
fuß durch den Londoner Brennpunkt-Stadt-
teil Brixton ging, Installationen, Skulpturen
(li.: »Hot Spot« von 2013), fotografische Wer-
ke und Arbeiten auf Papier. Darin verhan-
delt Hatoum, die seit 1975 in England lebt,
subtil die großen Themen der Zeit: Identi-
tät, Entwurzelung, die Erfahrung von
Fremdheit und globalisierter Instabilität –
und wie sich diese auf das Subjekt und des-
sen Körper auswirken.
Tate Modern, London, 4. Mai bis 21. August
Termine
ihren italienischen Gene ständen beantworten will. getöpferten Hinterhof field in der Nähe von
rationsgenossen kaum Die Chronologie setzt ein »Molybdenum Bell Court Leeds sogar ein eigenes
nachstehen, dem breiten bei den ausladenden yards« (2015, u.) des Lon Museum gewidmet ist,
Publikum jedoch eher un FRIEZE NEW YORK Schlepproben des Eng doner Nachwuchstalents gehört zu den prägenden
bekannt geblieben sind. 4. – 8. Mai länders Charles Frederick Aaron Angell. Künstlern des 20. Jahr
Die Staatliche Graphische Worth aus den 1880er- hunderts. Die Ausstellung
Sammlung verwahrt ERÖFFNUNG Jahren und endet mit ist eine Übernahme der
das größte Konvolut von SFMOMA- neuesten Chanel- großen Retrospektive
den virtuosen Zeich ERWEITERUNG Entwürfen von 2015. der Tate Britain.
San Francisco,
14. Mai
42
VOR S C H AU
Juni
Images/Photo Scala, Florence/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Tapio Wirkkala/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Herbert Boswank/SKD Kupferstich-Kabinett Dresden; H. Zwietasch/Landesmuseum Württemberg, Stuttgart
WAHRE SCHÄTZE –
ANTIKE, KELTEN, KUNSTKAMMER
Das aus dem Mittelalter stammende Alte
MANIFESTA 11 Schloss in Stuttgart wurde in den vergangenen
Zürich, diverse Spielorte, Jahren saniert. Nachdem man im zweiten Ober-
11. Juni bis 18. September geschoss die Präsentation »Legendäre Meister-
Die »Europäische Bienna-
werke« bereits eröffnet hat, ist diesen Sommer
le für zeitgenössische das erste Stockwerk an der Reihe: Die neue
Kunst«, die alle zwei Jah- Schausammlung »Wahre Schätze« wird zum
re in unterschiedlichen Pflichtbesuch für Freunde des Alten und
Städten stattfindet, ist Schönen. Der hochkarätige Bestand an
mehr als eine Ausstel- Antiken, Artefakten der rätselhaften Kel-
lung. Sie ist ein Festival ten und kunsthandwerklichen Objekten
der Kunst und des Re- der ehemals herzoglichen Wunderkammer
dens über Kunst, diesmal umfasst Sensationelles wie die bronzene
in Zürich, mit eigenem
FRANCIS PICABIA Sitzbank aus dem Fürstengrab von Hoch-
schwimmenden Pavillon
Kunsthaus Zürich,
auf dem Zürichsee.
dorf, den faszinierenden, aus schwarzem
3. Juni bis 25. September Stein gemeißelten Porträtkopf eines
Impressionist, Dadaist, ägyptisch-römischen Priesters, einen
Surrealist und Maler von kostbaren Trinkpokal Hans Petzolds
Pin-up-Girls: Francis aus Nürnberg (spätes 16. Jahrhundert, li.)
Picabias Laufbahn war so oder komplizierte barocke Automaten,
bewegt wie sein Leben. für die die württembergischen Herr-
Den Sohn einer Französin scher einst ihr letztes Hemd gaben.
und eines Kubaners
Landesmuseum Württemberg,
scherten weder Ismen
noch Konventionen – was
Stuttgart
ihm im Dada-Jahr 2016
diese große Ausstellung
mit 150 Gemälden, Colla-
gen und Zeichnungen VERKEHRTE WELT
einbringt, die danach Bucerius Kunst Forum,
noch ans MoMA in New Hamburg, 4. Juni
York wandert. bis 11. September
Die Furcht vor göttlicher
TAPIO WIRKKALA – Bestrafung und die Fan-
GLAS UND SILBER tasie, die sich diese Stra-
Grassimuseum, Leipzig, fen ausmalt, sind eins bei
2. Juni bis 3. Oktober Hieronymus Bosch und
seinen zahlreichen Nach-
Ein eisiger Hauch liegt
Termine
folgern. Die Schau zeigt
auf den Oberflächen der Grafiken wie die von Phi-
Gefäße, die der finnische lips Galle (o.), bei denen
Designer Tapio Wirkkala das kleinste Detail zählt.
(1915–1985) entwarf. Eine ARTMUC MÜNCHEN
leichte matte Unschärfe 2. – 5. Juni
in der Polierung, die an PIONIERE DES COMICS
Schirn Kunsthalle, ART BASEL
die Kühle des Nordens 16. – 19. Juni
gemahnt. Wie nur wenige Frankfurt, 17. Juni
andere Gestal- bis 18. September MASTERPIECE
ter des Mid- Langsam entdeckt die London, 30. Juni – 6. Juli
Century Hochkultur die avantgar- BRUNEAF
verstand es distische Sprengkraft der Brüssel, 8. – 12. Juni
Wirkkala, or- gezeichneten Geschich-
ganische Formen ten des frühen 20. Jahr- BRUSSELS ANCIENT
Bilder: Digital Image 2008/White
43
VOR S C H AU
KOLLWITZ, BARLACH stand 1938 das Bild »Park stellung, ihre größte in
Museum Wiesbaden, bei Lu.« (li.). Es scheint, Europa seit mehr als
28. Juli bis 23. Oktober als seien die Silhouetten 20 Jahren, beantwortet
Eine enge Freundschaft der Bäume zu magischen dies mit einem Bogen von
verband die beiden sozi- Zeichen einer exotischen ihren frühen abstrakten
alkritischen Künstler. Die Schrift geworden. Experimenten bis zum rei-
Kabinettausstellung mit fen Spätwerk und unter-
GEORGIA O’KEEFFE streicht die Bedeutung
Tate Modern, London, der Künstlerin als eine der
Juli
6. Juli bis 30. Oktober wichtigsten Stimmen der
PAUL KLEE
Zeit. Li. u.: »Abstraction
Zentrum Paul Klee, Bern Welche Position hat Geor-
White Rose«, 1927. den in Berlin zu sehen
7. Juli bis 30. Oktober gia O’Keeffe (1887–1986)
im Kanon der amerikani- sein, darunter Gemälde
»Die Farbe hat mich ... Ich von berühmten Meistern
Bilder: Zentrum Paul Klee, Bern; Georgia O‘Keeffe Museum; Jörg P. Anders/Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie; Paris, Comité Caillebotte
schen Moderne? Die Aus- EL SIGLO DE ORO
dem Untertitel »Im Tod bin Maler«, schrieb der wie El Greco, Velázquez
Gemäldegalerie, Berlin
vereint« präsentiert unter Künstler 1914 in sein Ta- (oben sein »Bildnis einer
1. Juli bis 30. Oktober
anderem poetische Zeich- gebuch. Die Ausstellung Dame«, um 1630/33), Mu-
nungen von Barlachs verfolgt Klees kreative Die Ära Velázquez’, das rillo und Zurbarán, aber
Russlandreise im Jahr Entwicklung von seinen goldene Zeitalter der es gilt auch die farbig ge-
1906. Leihgaben aus dem Zeichnungen über frühe Künste in Spanien, er- fassten Barockskulpturen
Kölner Käthe Kollwitz Mu- Werke in Öl bis hin zur wacht in dieser großen von hierzulande weniger
seum ergänzen die Skulp- beeindruckenden Malerei Sonderausstellung zu bekannten Künstlern zu
turen und selten seines späten Schaffens. neuem Leben. Mehr als entdecken.
gezeigten Grafiken aus In Öl- und Kleisterfarbe 100 Werke aus interna-
eigenen Beständen. auf Papier und Jute ent- tionalen Sammlung wer-
Termine
ART BODENSEE
8. – 10. Juli
BAMBERGER KUNST-
UND ANTIQUITÄTEN-
WOCHEN
22. Juli – 19. August
44
VOR S C H AU
August.
40 JAHRE LUDWIG
Museum Ludwig, Köln,
27. August bis
8. Januar 2017
Runde Jahrestage: 1946
legte Josef Haubrich mit
einer Schenkung moder
ner Kunst an die Stadt
Köln den Grundstein des
Museums, 1976 kamen
350 Werke von Peter und
KARL BALLMER
Bilder: Jörg Müller/Karl Ballmer; Museum Rietberg Zürich; Kunstmuseum Basel; Winterthur, Kunstmuseum
45
VOR S C H AU
September
POINTILLISMUS
Albertina, Wien,
Bilder: Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen/Sturzenegger Stiftung; Iconic Images, Alan Aldridge; Louisiana Museum of Modern Art/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Washington, National Gallery of Art
16. September bis
8. Januar 2017
In den Jahren um 1900
brachte er es auf den
Punkt: George Seurat
entwickelte mit Farb-
46
VOR S C H AU
prägte die Performance- auch durch seine Motive, Schau weiter in Richtung Laufe seines Lebens
kunst in den Siebziger- die Sakrales und Profanes Franken: Mit 150 Kunst-
jahren, indem er die verbanden. Neben Wies- werken, Urkunden und
Forderung, Kunst und Le- Landesgrenzen kennt baden begibt man sich in Alltagsdokumenten wird
ben zusammenzubringen, man ihn nur in Experten- London auf die Spuren ein Blick auf den Herr-
in seinen Körperstudien kreisen: Nikolai Astrup von Caravaggios Erben. scher geworfen, der das
wahr machte. Zu sehen hat Ende des 19. Jahr- 14. Jahrhundert politisch
sind neben frühen Wer- hunderts mit seinen Gra- und kulturell prägte.
fiken und Gemälden der KAISER KARL IV.
ken auch neue Perfor- Germanisches National-
mance-Arbeiten, die Landschaft Skandina-
viens ein Denkmal ge- museum, Nürnberg, JAN TOOROP
eigens für die Ausstel- 20. Oktober bis Villa Stuck, München,
lung entstehen werden. setzt. Der Zeitgenosse
Edvard Munchs steht für 5. März 2017 27. Oktober bis
klare Farben und den ro- Anlässlich des 700. Ge- 29. Januar 2017
NIKOLAI ASTRUP mantischen Blick auf die burtstags Kaiser Karls IV. Seine fließende Linien-
Kunsthalle, Emden, unberührte Natur. Emden führung, die sich überla- mehrfach zwischen Stilen
1. Oktober bis widmet dem Einzelgän- gernden Figuren und wechselte. Kein Wunder,
22. Januar 2017 ger die erste museale Kompositionen fand man dass ästhetische Grenz-
In Norwegen ist er ein Su- Einzelausstellung in in Zeitschriften wie überschreitungen bei ihm
perstar, außerhalb der Deutschland. »Jugend« und »Pan«: Teil des Programms sind.
FRA BARTOLOMMEO
Er gehörte zu den treuesten Anhän
gern von Girolamo Savonarola, der
mit seinen Bußpredigten Ende des
15. Jahrhunderts Florenz in Atem
hielt. Fast hätte Fra Bartolommeo
nach dessen Hinrichtung nicht mehr
gemalt, doch es kam anders: Sechs
Termine
Jahre verbrachte er als Dominikaner FRIEZE/
mönch in einem Kloster, dann FRIEZE MASTERS
begann er wieder zu arbeiten. Er ließ London,
sich von Bellini inspirieren und 5. – 8./9. Oktober
tauschte sich mit Raffael aus, seine
FIAC
biblischen Szenen und Faltenwürfe Paris, 20. – 23. Oktober
machten ihn berühmt. Zum bevor
stehenden 500. Jubiläum seines Todes KUNSTHERBST
MÜNCHEN
tages im Jahr 2017 widmet man ihm
letzte Woche
eine umfassende Schau: Gewürdigt
im Oktober
werden neben Zeichnungen (li. eine
Studie, um 1515) und Gemälden auch
zwei Altarbilder, die zum ersten Mal
außerhalb von Italien zu sehen sind.
Museum Boijmans Van Beuningen,
Rotterdam, 15. Oktober bis 15. Januar 2017
47
VOR S C H AU
November.
komplexe Thema breitet Warhols konnte sie sich
die Ausstellung mit rund sicher sein!
140 Werken von Künst
lern wie Cézanne, Manet, TÜRGRIFFE
Klimt, Liebermann, Dix Grassimuseum, Leipzig,
HENRY MOORE GESCHLECHTERKAMPF und Leonor Fini aus. Den 24. November
LWL-Museum für Kunst Städel Museum, Frank- Besucher erwarten nicht bis 14. Mai 2017
und Kultur, Münster, furt, 23. November bis nur Malerei, Skulptur und
Grafik, sondern auch Fo »Begreifbare Baukunst«
11. November 19. März 2017 ALICE NEEL
University of California, Berkeley Art Museum und Pacific Film Archive/Schenkung von Hans Hofmann, 1965/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
nossen entziehen. Henry Neel, die damals schon von Otto Wagner für die
Moore dominierte die Bild MESOPOTAMIEN 70 Jahre alt war, Andy Postsparkasse in Wien
hauerei der Moderne – wie Louvre-Lens, Lens, Warhol: mit nacktem und von Walter Gropius
sehr, das will die Ausstel November bis Januar Oberkörper und von den für das Bau
lung neben Skulpturen, Die Wiege der Zivilisation: Narben eines Attentats hausgebäude
Plastiken und Zeichnun Wo heute, vor allem auf gezeichnet (o.). Vor allem in Dessau (re.)
Bilder: Städel Museum - ARTOTHEK/Städel Museum, Frankfurt am Main; Whitney Museum of American Art; GRASSI Museum
gen des großen Briten mit dem Gebiet des Irak, der Bildnisse von ihren Freun werden eben
Beispielen von Hans Uhl Krieg wütet, entstanden den, Musikern und Kom so zu bewun
mann, Bernhard Heiliger einst die Schrift, die munisten prägen das dern sein wie
und Joseph Beuys zeigen. moderne Ökonomie, die Œuvre der New Yorker David Chip
Neben den Bronzen von zum Ende des 2. Welt ersten Städte. Archäo Künstlerin, die immer an perfields Modell für das
Moore sind auch Wilhelm kriegs reicht der Bogen, logische Objekte vom der figurativen Malerei Eingangsgebäude der
Lehmbruck, Jean Arp, anhand dessen traditio dritten bis ins erste vor festgehalten hatte, wäh Berliner Museumsinsel,
Alberto Giacometti und nelle Geschlechterrollen christliche Jahrtausend rend sich um sie herum das derzeit noch eine
Pablo Picasso mit dabei. untersucht werden. Das legen davon Zeugnis ab. alles in Abstraktion auf Baustelle ist.
Termine
ART & ANTIQUE
Wien, 5. – 13. November
BASEL ANCIENT
ART FAIR
11. – 16. November
COLOGNE FINE ART
Köln,
16. – 20. November
HANS HOFMANN
Er prägte weit von seiner Heimat eine ganze
Künstlergeneration: Hans Hofmann wurde 1880
im bayrischen Weißenburg geboren, emigrierte
1932 in die USA und wurde dort bis zu seinem
Tod 1966 zu einem der einflussreichsten Lehrer
der sogenannten Abstrakten Expressionisten.
Jackson Pollock, Lee Krasner und Helen Franken-
thaler gehörten zu seinen Fans. Unter dem Titel
»Creation in Form and Color« richtet ihm die
Kunsthalle Bielefeld eine Ausstellung aus, die
anschließend nach Luxemburg und nach Berkeley
reist. Links: »The Lark« aus der Zeit um 1960.
Kunsthalle Bielefeld, 5. November bis 19. März 2017
48
VOR S C H AU
Dezember
Bilder: Thomas Bayrle/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Pinakothek München/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Wadsworth Atheneum, Hartford, Connecticut/Gift of Susan Morse Hilles/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Rochelle Feinstein
THOMAS BAYRLE
Er ist ein Pionier computergenerierter Bilder: Der 1937 in sisch gesprochen wird.
»Übersetzung«, so Um-
Berlin geborene Künstler hat mit Werken wie »Chrysler«
berto Eco, sei die Spra-
(1970/2013, oben) eine eigene Ästhetik geschaffen und sich auch
che Europas. Unter
schon früh mit bewegten Bildern beschäftigt. Seine Siebdru- diesem Motto präsen-
cke wirken wie dreidimensionale Gewebe. Manche seiner tiert das MuCEM Manu-
technoiden Motive, die auf serielle Massenproduktion und die skripte, Dokumente und
Welt des Konsums anspielen, bewegen sich in der Nähe der Installationen, aber
amerikanischen Pop-Art – und schlagen doch viel poetischere auch Performances.
Töne an. Auf der documenta 13 ließ er Motoren laufen, um die
Schönheit der Maschine in den Vordergrund zu heben – wir ROCHELLE FEINSTEIN
sind gespannt auf das, was er sich jetzt einfallen lässt! RAUSCHENBERG Kestnergesellschaft,
Kunstbau/Lenbachhaus, München, 13. Dezember bis 5. März 2017 Tate Modern, Hannover, 3. Dezember
London, 1. Dezember bis 12. Februar 2017
bis 2. April 2017 Mit viel Humor widmet
Die erste posthume Re- sich die 1947 geborene
trospektive, die gemein- Amerikanerin und
RENGER-PATZSCH lichkeit dokumentierte len Zauberer beklem- sam mit dem MoMA langjährige Professorin
Pinakothek der die Landschaften des mender Architekturen. organisiert wird, vereint
Moderne, München, Ruhrgebiets: Zechenan- Gregor Schneider, bedeutende Werke aus
16. Dezember lagen, Schrebergärten, Jahrgang 1969, ist allen Schaffensphasen
bis 30. April 2017 Hinterhöfe und Land- nach John Bock ein von Robert Rauschen-
Über 100 Schwarz- straßen zeigen eine Re- weiterer deutscher berg. Neben seinen
Weiß-Aufnahmen aus gion im Wandel. Künstler der »neuen Siebdrucken (oben »Re-
der Stiftung Ann und Generation«, dem die troactive I«, 1963) dür-
Jürgen Wilde sind die GREGOR SCHNEIDER Bundeskunsthalle eine fen auch die Combines,
Früchte eines Projekts, Bundeskunsthalle, Ausstellung widmet. die Malerei und Skulptur
das Albert Renger- Bonn, 2. Dezember bis Ob er auch hier wieder verbinden, nicht fehlen.
Patzsch von 1927 bis 26. März 2017 Räume zum Verschwin-
1935 verfolgte: Der Fo- den bringen wird? NACH BABEL
Seit er 2001 den Golde- für Malerei an der
tograf der neuen Sach- nen Löwen der Vene- MuCEM, Marseille,
Yale University ihrem
dig-Biennale für sein 14. Dezember bis
Medium: oben das
20. März 2017
Termine
»Totes Haus ur« ge- Fresko »Love Your
wann, das auf dem ei- »Babel, Fluch oder Work« von 1999. Die
genen Elternhaus in Chance?« Das fragt sich Schau e ntsteht in
Rheydt basiert, kennt ART BASEL MIAMI BEACH das junge, auf die Kultu- Zusammenarbeit mit
ihn die Welt als dunk- 1. – 4. Dezember ren des Mittelmeer- dem Lenbachhaus in
raums spezialisierte München, wo sie zuerst
TATE MODERN PROJECT Museum in einer alten zu sehen ist, und dem
Eröffnung, London Hafenstadt, in der Centre d’Art Contem
längst nicht nur Franzö- porain in Genf.
49
M A X BECK M A N N
Familientreffen
Wie wichtig Berlin für das Werk Max Beckmanns war, führt zum ersten Mal
eine Ausstellung in der Berlinischen Galerie vor. Wir besuchten sie
gemeinsam mit seiner Enkelin Mayen, die die Verantwortung für den Nachlass
des Malers trägt, und sprachen mit ihr über den Umgang mit seinem Erbe
VON FOTOS
SE B A S T I A N P R E U S S WOL F G A N G S TA H R
50
In der Schau »Max Beckmann und Berlin«
in der Berlinischen Galerie: Mayen
Beckmann zwischen zwei Selbstbildnis
sen ihres Großvaters, 1919 (li.) und 1923
M A X BECK M A N N
Bilder: Stiftung Moritzburg-Kunstmuseum; Kai-Annett Becker; Blauel/Gnamm/ARTOTHEK; Renno Weimar/Klassik Stiftung Weimar; Kai-Annett Becker/Berlinische Galerie, Leihgabe des Landes Berlin; VG Bild-Kunst, Bonn 2015 (alle Bilder)
1
2 3
4 5
52
ben Beckmanns. Er verlangt unbedingte nicht zurück, sondern er suchte Obhut bei
Hingabe von seinen Frauen. Minna muss Freunden in Frankfurt. Schließlich blieb
für ihn die Malerei aufgeben, dafür er- er 17 Jahre in der Stadt am Main.
kennt sie ihr sängerisches Talent und wird Beckmann besuchte seine Familie re-
zur gefeierten Opernsängerin. Sie heira- gelmäßig in Berlin oder dort, wo Minna
ten 1906, und zwei Jahre später kommt ihr gerade sang. Wichtiger aber war ihm die
Sohn Peter auf die Welt – Mayens Vater. Zurückgezogenheit in Frankfurt, wo er
Beckmanns Werk kreist in dieser seine Kunst neu erfand. Die impressionis-
Zeit um den Impressionismus, auch um tischen Kompositionen der Vorkriegszeit
Cézanne und Munch, die er vergöttert. Er wichen klar umrissenen Figuren mit kräf-
saugt alles auf und tastet sich durch die tigen Konturen. Schwere, derbe Gesichter
Stile. 1906 beeindruckt er mit seinem ers- sitzen auf festen Körpern, verzerrte For-
ten Hauptwerk, dem großen Gemälde men und Perspektiven zollen zwar dem
»Junge Männer am Meer«. Der Strand, das Expressionismus einigen Tribut, doch do-
Wasser, der Himmel sind flirrend in der miniert am Ende eine strenge Figürlich-
Binnenstruktur, die nackten Jünglinge da- keit. Den Gegensatz zwischen Raum und
gegen treten mit klassischer Monumenta- Fläche trieb Beckmann auf die Spitze. Die
lität in den Vordergrund. Hier schon sieht Menschenfiguren türmen sich übereinan-
man: Alles ergibt sich bei Beckmann aus der, stürzen umher und zwängen sich eng
der Figur, die er fest umreißt und mit ex- gedrängt zwischen den Bildrändern. Mit
pressiven Farbvaleurs moduliert. seinem Realismus ging es Beckmann
Fast jedes Gemälde ist stilistisch an- nicht um Abbilder der Welt, sondern um
ders in diesen Jahren. Da gibt es gewaltige, »transzendentale Sachlichkeit« hinter den
ekstatisch aufgeladene Historiendramen
oder auch ziemlich konventionelle, aber
Figuren und Dingen. Die bloße Gegen-
ständlichkeit wollte er überwinden durch
Sie haben die
virtuose Porträts, schillernd wie bei Lie-
bermann. Immer wieder sieht man gestri-
das »Metaphysische«, wie er es nannte: ein
überreales Welttheater voller Rätsel und
besten
chelte Flächen à la Cézanne. Von Munch
lässt Beckmann sich zu düsteren Sterbe-
Verklärungen.
Das »Frauenbad« von 1919 ist eine
Auktions-
szenen mit vereinzelten starren Figuren
inspirieren, dann sind da aber auch Bilder
wichtige Station auf dem Weg zum neuen
Stil, mit dem der Maler bald Furore mach-
objekte?
wie »David und Bathseba« von 1910, wo te. Mayen Beckmann bleibt vor dem Bild
sich alles in flackernden Farbflächen zer- stehen und verweist auf die spätgotische
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setzt. Offensichtlich hat sich Beckmann Malerei, die sich ihr Großvater für seine
hier mit den Expressionisten auseinander- »gestapelten« Kompositionen genau an- O
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gesetzt, die er doch eigentlich ablehnt. schaute. Dann spekuliert sie, ob er beim in
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Mayen Beckmann hat »David und »Frauenbad« vielleicht ostasiatische Bilder in
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Bathseba«, das einem Privatsammler ge- vor Augen hatte. Das Thema liegt ihr am s
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hört, noch nie im Original gesehen. »Es Herzen, denn sie ist Vorsitzende der Deut- s
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ist ja ganz anders als alle anderen Bilder schen Gesellschaft für Ostasiatische
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aus dieser Zeit«, staunt sie. Viele andere Kunst. »Aber das wildeste Bild ist natür-
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sind »gute alte Bekannte«, doch auch bei lich der Leiermann«, sagt sie und lenkt
ihnen entdeckt sie immer wieder Neues. uns zu dem Gemälde von 1935. »Es ist A
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Beckmann bezeichnete die erste Ber- wahnsinnig schwer, dahinterzukommen, K
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liner Zeit immer als seine Lehrjahre. Über was hier eigentlich geschieht.« Wie immer d
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mangelnden Erfolg konnte er sich nicht bei Beckmann spielt sich ein allgemein- fü
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beklagen: Er stellte regelmäßig in der Ber- gültiges menschliches Drama ab, verbor-
liner Secession und bei Paul Cassirer aus, gen hinter Masken, Verkleidungen, My-
verkaufte ganz gut, und die junge Familie then und Travestien. »Aber da gibt es auch Together we
konnte, nach Plänen von Minna, ein Ate- eine merkwürdige Geschlechterverwir-
lierhaus in Hermsdorf bauen. Doch der rung. Schauen Sie, der Leiermann ist ja of-
make magic!
Maler erkannte, wie er von den Expressio- fensichtlich eine Frau.«
nisten, den Kubisten und anderen Avant- Beckmanns erfolgreichste Jahre wur-
garden überholt wurde. Er geriet in eine den 1933 jäh unterbrochen. Er hatte gerade
malerische Krise. endlich einen eigenen Saal im Berliner
Dann kam der Erste Weltkrieg, zu Kronprinzenpalais, dem Moderneteil der
dem er sich freiwillig als Sanitäter melde- Nationalgalerie, erhalten. Es gab erste Er-
te. An der belgischen Front brach er kör- folge in New York, und er war auf dem
perlich und seelisch zusammen, er wurde Weg vom deutschen zum europäischen
beurlaubt, ins sichere Straßburg versetzt Künstler, da warfen ihn die Nazis bald
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und 1917 aus dem Militärdienst entlassen. nach der Machtübernahme aus dem Pro-
Zu Minna und Peter in Berlin kehrte er fessorenamt in Frankfurt, schlossen den
M A X BECK M A N N
Bilder: Wolfgang Stahr/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; privat/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Museumssaal in Berlin und polemisierten ge- Interessen, lebte fortan »zweigleisig«, wie sei- he von bedeutenden Werken. Darum rea-
gen seine Malerei. Mit seiner zweiten Frau ne Tochter erzählt – für die Medizin und für giert Mayen Beckmann so empfindlich auf
»Quappi«, die er 1925 geheiratet hatte, zog das Werk seines Vaters, das er in Museen plat- das geplante Kulturgutschutzgesetz und
Beckmann nach Berlin, wo er in Zurückge- zierte, vor Fälschungen sicherte, ausstellen droht sogar an, Leihgaben aus dem Leipziger
zogenheit seinen wuchtigen Figurenstil vo- und erforschen half und in einigen Büchern Museum abzuziehen. »Da wird staatliche
rantrieb. In der Schandausstellung »Entarte- selbst analysierte. Sie habe das eigentlich nie Willkür zum Gesetz. Ich muss schließlich si-
te Kunst« von 1937 war Beckmann dann mit machen wollen, sagt Mayen Beckmann, die cherstellen, dass ich Bilder einmal an meine
22 Werken vertreten. Zwei Tage vor Eröff- in München als Papierrestauratorin arbeitete amerikanische Enkelin vererben und dafür
nung verließ er das Land für immer. und ab 1994 in Berlin neun Jahre lang die Ga- außer Landes schicken kann.«
Im Museumscafé erzählt Mayen Beck- lerie Pels-Leusden leitete. Hier und in Köln Ansonsten sollten Künstlerfamilien
mann, wie es mit der Familie nach 1945 wei- lebt sie heute noch, ist geschieden und hat nicht den Fehler machen, die Kuratoren und
terging. Ihren Vater, einen Lungenarzt, hatte zwei Söhne. Als aber ihr Vater 1990 starb, Kunsthistoriker zu reglementieren, betont
es vor Kriegsende nach Gauting bei Mün- stand im Testament, dass sie sich künftig um sie. »Ich möchte die Arbeit den Profis über-
chen verschlagen. So flüchtete auch seine Beckmanns Werk kümmern müsse. »Er hat- lassen. Schon gar nicht will ich mir die Inter-
Mutter Minna, aus Angst vor den Bomben, te mir das vorher nicht einmal gesagt.« pretationshoheit vorbehalten.« Von inbrüns-
aus Berlin dorthin. Seit Jahren führte sie Seit 1995 sind die Verhältnisse um das tiger Identifizierung mit dem Werk, wie bei
trotz des Trennungsschmerzes wieder einen Erbe von Quappi, die 1986 in Amerika starb, ihren Großmüttern Minna und Quappi, ist
liebevollen Briefwechsel mit dem berühm- geklärt; vieles kam nach Deutschland. Im- sie weit entfernt. »Ich habe ihn ja nie kennen-
ten Maler. Peter hatte inzwischen geheiratet, mer noch besitzt die Familie eine ganze Rei- gelernt. Es sind wunderbare Bilder eines mir
und im November 1948 meldete Minna an ziemlich unbekannten Menschen. Warum
den Exmann Max Beckmann in St. Louis die soll ich mich mit seinen Federn schmücken?«
Geburt der Enkelin Mayen. Seit dem Tod ihrer Mutter Maja 2014 ist
Unter Schwierigkeiten konnten die es möglich, alle Materialien aus den beiden
meisten Bilder und Dokumente aus Berlin Nachlässen der Öffentlichkeit zugänglich zu
geholt werden. Das Leben der ganzen Fami- machen. »Jetzt kann ich aufräumen«, erklärt
lie kreiste nun um eine große Aufgabe: das die Tochter. Sie hat das Jahr 2020 im Blick,
Werk nach der Verfemung durch die Nazis denn 70 Jahre nach Beckmanns Tod erlö-
dem Publikum wieder nahezubringen. Min- schen die Rechte der Erben. Bis dahin will
na – Mayens »Märchenoma« – befriedete sich sie alle Dokumente in einer Institution zu-
für diese Mission sogar mit Quappi, die alle gänglich machen. Der Schenkungsvertrag ist
zwei Jahre aus New York nach Ohlstadt bei gerade in Verhandlung, darum hüllt sie sich
Murnau kam, wo die Familie nun lebte. Dort über den Namen des Museums noch in
hatte Peter ein Sanatorium für Herzkranke Schweigen. Eines steht aber für sie fest: »Max
gegründet und eine Kurmethode entwickelt, Beckmanns Werk ist ein öffentliches Werk.«
die bald in ganz Deutschland, Österreich Peter Beckmann mit dem »Leiermann« im Die Enkelin will loslassen. ×
und der Schweiz Anwendung fand. Haus von Lilly von Schnitzler in Murnau,
Minna Beckmann-Tube starb 1964. Ihr Mitte der Sechziger. O. seine Tochter Mayen »Max Beckmann und Berlin«, Berlinische Galerie,
Sohn Peter, ein Mann mit weit gespannten Beckmann vor »Frauenbad«, 1919 Berlin, bis 15. Februar
54
56
Bild: Antonio Idini/Rome, GNAM - Galleria Nazionale d‘Arte Moderna e Contemporanea
K U N S T U N D R E L IG ION
VON
T I M AC K E R M A N N
I
Im Rauschgefühl der Geschwindigkeit mach-
ten die italienischen Futuristen des frühen
Bild: Gaudenzi Collection
57
»Wer heute über die Wiederkehr der Religio-
nen spricht«, schreibt der Philosoph Boris
Groys, »der meint, dass religiöse Meinungen
aus den Zonen der Marginalität in den Main-
stream gewandert sind.« Im Wettkampf der
Meinungen hätten die Religionen den Vor-
teil, dass sie »alte Brands« seien: »Was immer
man sagen mag, Christus, Mohammed und
Buddha sind wahre Superstars.«
Religion und Kunst ähneln sich darin,
dass sie als große Ideenkonstrukte Anspruch
auf Realitätsdeutung und Weltveränderung
erheben. Erst waren sie Bündnispartner, spä-
ter Konkurrenten. Als zu verehrende Ikone
in der oströmischen Kirche und als didakti-
sches Lehrmittel in Gotteshäusern des west-
römischen Reiches festigte das Bild die
Bilder: RMN-Grand Palais /René-Gabriel Ojéda; Milan, Museo Diocesano, from Lombardia Region/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Machtposition des Christentums, bis es dann
in der Renaissance eine gewisse Autonomie
gewann. Die »Verwandlung zum Kunstwerk«
(Hans Belting) hat dem Bild zunehmende
Macht und Einfluss beschert, sodass es heute
in einem eigenen Reich, dem Museum, selbst
eine quasireligiöse Verehrung erfährt. Inhalt-
lich sind in der Kunst nach 1945 nur noch
Restspuren des Religiösen zu entdecken: in
dem abstrakten Gemäldezyklus der Rothko-
Chapel in Houston etwa, in den ritualisier-
ten Happenings von Joseph Beuys oder den
allegorischen Bildern der DDR-Maler.
Dass die Religion in der Gesellschaft er-
neut eine Rolle spielen könnte – an diesen
Gedanken muss sich die Kunst erst wieder
gewöhnen. Doch das Interesse für das neue,
alte Themenfeld wächst: In unbeabsichtigter
doch aufschlussreicher Gleichzeitigkeit zu
Die Stilwechsel der Moderne haben auch »Divine Beauty« in Florenz zeigt das K21 in
die christliche Bildsprache beeinflusst: Düsseldorf die Ausstellung »The Problem of
Gustave Moreaus »Heiliger Sebastian« (um God«, die sich mit dem Erbe der christlichen
1890) leidet symbolistisch. Fast gänzlich Bildsprache in der zeitgenössischen Kunst be-
abstrakt ist dagegen der »Kreuzweg – schäftigt. Nach der »Göttlichen Schönheit«
Station III« (1955–56, re.) von Lucio Fontana folgt also das »Gottesproblem« (oder das »Pro-
blem von Gott«). Wie lassen sich diese merk-
Kreuzigungen, gemalt vom späteren Kom- lich verschiedenen Fragestellungen deuten?
munisten Picasso und vom Juden Chagall. Ganz ohne ironischen Rettungsschirm
»Divine Beauty« heißt eine Ausstellung im führt die Ausstellung im Palazzo Strozzi den
Palazzo Strozzi in Florenz, die diese Werke Kunstdiskurs zurück zum Religiösen. Die
versammelt. Sie erzählt eine alternative Ge- Bilder sind nicht nach Stilen, sondern nach
schichte der Moderne, berichtet von einer re- christlichen Themen auf tiefblauen Wänden
ligiösen Unterströmung der Epoche, die in arrangiert und werden durch Nischen war-
Vergessenheit geriet oder eher noch: nie ganz men Scheinwerferlichts hervorgehoben –
ins Bewusstsein kam. eine Stimmung so fokussiert wie sakral-feier-
Es ist wohl kein Zufall, dass die Ausstel- lich. Man müsste die Präsentation für einen
lung in einem Moment stattfindet, in dem billigen Kniff halten, wenn sie nicht die Wer-
die Aufmerksamkeit für Religion wächst. ke ideal zur Geltung bringen würde: So kann
Ein Grund dafür ist die offensichtliche Men- man sich ganz auf die symbolistische Kohle-
schen- und Bilderfeindlichkeit religiös-extre- fantasie von Giovanni Segantini konzentrie-
mistischer Gruppen im Nahen Osten, ein an- ren, auf der der Erzengel Gabriel, kopfüber
derer die Beobachtung, dass die Religion bei aus den Wolken hängend, der Vorstadt-Maria
zunehmender Säkularisierung der westli- auf der Gartenmauer ein Geheimnis ins Ohr
chen Gesellschaft ein Revival als Kulturphä- flüstert. Und so bringt man auch die nötige
nomen oder im weitesten Sinne Stil erfährt. Geduld auf, damit sich aus dem abstrakten
58
K U N S T U N D R E L IG ION
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60
K U N S T U N D R E L IG ION
Bild: Courtesy the artist und Galerie Barbara Weiss, Berlin/Boris Mikhailov/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
K U N S T U N D R E L IG ION
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S A M M L E R SE M I N A R
SAMMLER
SEMINAR Nº 27
Dänisches Silber
Modernes dänisches Silber begeistert durch klare Formen und große Handwerkskunst.
Neben dem Meister Georg Jensen liefern auch andere Schmieden Sammlerstücke
VON
A N E T T E F ROE S C H
S A M M L E R SE M I N A R
D
Der Sinn für gutes Silber sei so etwas wie
eine dänische Nationaltugend, heißt es. Wer
in Kopenhagen durch die Bredgade oder
über den Amagertorv schlendert, wird dem
bald zustimmen. Das feine Schimmern, die
klare Gestaltung, die herausragende hand-
werkliche Verarbeitung, vor allem aber der
hohe Gebrauchswert der vielerorts angebote-
Bilder: Christie’s Images Ltd. 2005; Georg Jensen A/S
63
S A M M L E R SE M I N A R
64
S A M M L E R SE M I N A R
men nach dem Zweiten Weltkrieg entschei- navia und gehören heute zu Georg Jensen. Kaffee- und Teeservice von Georg Jensen,
dend prägte, von bleibendem Wert und Silber aus diesen Werkstätten wird vornehm- 1915, Ausf. nach 1945, Zuschlag 4000 Euro
erzielen zuverlässig Bestpreise. lich im dänischen Kunst- und Auktionshan- bei Quittenbaum. Oben re. Salz und Pfeffer
Einige besonders erfolgreiche Modelle, del angeboten. Abgesehen von Stücken he- von Svend Weihrauch, 1940er, Gallery 925,
inzwischen sind es Klassiker, stellt das Unter- rausragender Gestalter wie Svend Weihrauch 1850 Dollar. U. Henning Koppels Fisch
Bilder: Quittenbaum; Gallery 925; Christie’s Images Ltd. 2005
65
liche Verbundenheit mit der Natur und dem
einfachen Leben, dem nordischen Licht, der
klaren Luft. Bei dem im ländlichen Raadvad
aufgewachsenen Jensen zeigt sich dies in der
sinnlichen Hinwendung zu naturalistischem
Dekor: Er lässt Magnolien oder Weintrauben
sprießen und das Licht auf den gehämmer-
ten Oberflächen seiner Arbeiten schimmern.
Neben Dekor und Oberflächenbehandlung
zeigt auch die grundsätzliche Gestaltung die-
se Naturverbundenheit. Die Rückkehr zu
den organischen Ursprüngen, die sich für die
Vierzigerjahre beobachten lässt, ist hierfür
ein gutes Beispiel. Inspiriert durch die For-
men der Natur, brach vor allem Henning
Koppel mit dem strengen Funktionalismus
und entwarf in den Fünfzigern herrlich le-
bendig wirkende Gefäße und biomorphen
Schmuck, der viele spätere Entwerfer prägte.
Aber auch wenn die Sinne angespro-
chen sind, braucht es handfeste Kriterien zur ßigern mit Rautenmustern oder
Beurteilung von Silber. Ein Qualitätsmerk- aufgelöteten Stäben Akzente auf
mal muss der eigenständige künstlerische den Oberflächen seiner kühlen Korpusarbei-
Ausdruck eines Entwurfs sein. Jensen selbst ten und brachte damit Elemente des Neo-
war Bildhauer und Silberschmied. Dem klassizismus ein. Die Stücke dieser Entwerfer
66
S A M M L E R SE M I N A R
und in immer gleicher Qualität liefern zu entwarf, ist die maschinelle Fertigung klar jahren im meisterhaften Tafelsilber Henning
können, wurde es notwendig, zumindest ablesbar – nicht zuletzt aufgrund der glatten Koppels: Seine exquisiten, sinnlich-organi-
halbmaschinelle Verfahren wie das Drücken Oberflächen, die undekoriert bleiben. Hier schen Metallarbeiten mit ihren polierten
runder Korpusteile in den Herstellungspro- stehen Funktion und technisch solide Verar- Oberflächen wirken wie expressive Skulptu-
zess aufzunehmen – was man nachher durch beitung im Vordergrund, nicht mehr das ren. Sie gelten als Ikonen des skandinavi-
Hammerschläge zu überdecken suchte. handwerkliche Können um seiner selbst wil- schen Designs der Nachkriegszeit. Sieben
Wer Jensen-Vintage aus den Zwanzi- len. Der geniale Svend Weihrauch nahm die- Monate Handarbeit steckt ein Jensen-Silber-
gern und Dreißigern erwirbt, sollte genau se Anregungen auf und gestaltete für die schmied heute in eine Reedition von Kop-
hinschauen und auf die Marken achten: Ein Schmiede Vilhelm Hingelberg funktionalis- pels einzigartiger Fischplatte aus dem Jahr
einwandfreier Zustand und zeitliche Nähe tische Korpusarbeiten, die zwar zum Teil ma- 1954, nur unterstützt durch halbmaschinelle
zum Entwurf beziehungsweise zu einer ers- schinell produziert wurden, durch solide Drückwerkzeuge.
ten Ausführung rechtfertigen einen höheren handwerkliche Bearbeitung aber höchsten Sammler können sich auch am hohen
Preis. Und Achtung beim Preisvergleich: Ei- Ansprüchen standhalten. Weihrauchs asketi- Gebrauchswert dänischen Silbers erfreuen.
nige Entwürfe wurden in verschiedenen sche Handschrift bescherte ihm internatio- Es gehört tatsächlich auf den Tisch, auf die
Größen oder unterschiedlichen Varianten nalen Ruhm und begeisterte Sammler, etwa Kommode oder das Sideboard und nur im
ausgeführt. So erklärt sich schnell der eine die dänische Königin Margrethe II. Einzelfall in die Vitrine. Die Pflege ist un-
oder andere Preisunterschied. Auch können kompliziert: ein weiches Tuch, ein sanftes
auf den ersten Blick komplett erscheinende Hoher Gebrauchswert Pflegemittel aus dem Fachhandel – fertig.
Sets oder Services unvollständig oder nach- Wie Weihrauch, der es nicht mit seinem Mit Silber aus dem Norden lebt es sich ganz
träglich aus Einzelteilen verschiedener Entste- Selbstverständnis vereinbaren konnte, in Se- ausgezeichnet, denn selbst musealen Stü-
hungszeit zusammengestellt sein; das senkt rie zu produzieren, nutzten in der Folgezeit cken geht das Höfisch-Repäsentative ab, das
ihren Wert. Eine neue Versilberung, eine viele anspruchsvolle Silberschmiede die man gemeinhin mit Silber in Verbindung
nachträgliche Vergoldung oder gar später Möglichkeiten maschineller Produktion nur bringt. Der Ausgangspunkt war der Wunsch
hinzugefügte Marken sind nicht akzeptabel. mit Bedacht, ersetzten die Treibarbeit nicht nach gutem und erschwinglichem Kunst-
Eine neue Haltung zur Serienfertigung vollends und arbeiteten von Hand nach. Vie- handwerk für das Bürgertum eines kleinen,
Bilder: Dénes Szy Kunsthandel, Düsseldorf; Sotheby’s
entwickelte sich schließlich außerhalb der le Jensen-Mitarbeiter, aber auch Werkstätten agrarisch geprägten Landes. Kein Wunder,
Jensen-Schmiede, die dem Stil des Gründers wie Hans Hansen unter der Ägide von Karl dass Gestaltungsleitsätze wie »Form follows
verhaftet blieb. Impulse hierzu kamen etwa Gustav Hansen hielten so an ihrem hohen function« in der dänischen Silberbranche
von Bauhaus-Künstlern wie Christian Dell handwerklichen Ethos fest. auf besonders fruchtbaren Boden fielen.
und Marianne Brandt, die angesichts der An- Ihren Höhepunkt erreichte die däni- Nach den Weltkriegen öffnete man sich zu-
forderungen industrieller Produktion mit sche Silberschmiedekunst in den Fünfziger- nehmend den Anforderungen demokrati-
Verve stereometrische Formen ad- schen Designs – in den seit den Dreißigern
dierten. Ganz in Sinn des Funk- sozialdemokratisch dominierten Gesell-
tionalismus begriff so der Archi- schaften Skandinaviens sicher nachhalti-
tekt Kay Fisker die Mechanisierung als ger als andernorts.
ein adäquates Mittel zur Herstellung zeit- Dänisches Vintage-Silber ist ein wun-
gemäßer Arbeiten. An seinen Gefäßen, die derbares Sammelgebiet. Hat man sich erst
er Mitte der Zwanziger für Anton Michelsen einmal ein wenig schlau gemacht, ist mit
dem Erwerb eines qualitätvollen Einzel-
stücks der Grundstock für eine Sammlung
gelegt. Sei es der sprichwörtliche Silberlöffel,
ein ausgefallenes Schmuckstück oder gleich
Georg Jensen selbst gestaltete 1918 die
eine skulpturale Schale – in jedem Preisseg-
große Trauben-Tazza. Ausgeführt um 1950,
ment findet man Stücke, die dem Alltägli-
ist das Prachtstück bei Dénes Szy für
chen einen subtilen Schimmer verleihen.
12 000 Euro zu haben. U.: Schale von Harald
Nielsen, 1930 für Jensen, Ausführung nach Wer durch Kopenhagen schlendert,
1945, 15 000 Dollar bei Sotheby’s kann auch erkennen: Nach zaghaften Aus-
flügen in die Postmoderne sucht eine kleine,
aber feine Avantgarde von Silberschmieden
derzeit nach neuen gestalterischen Lösungen
im Spannungsfeld zwischen Kunst und
Handwerk. Sie fertigen handwerkliche Uni-
kate, produzieren gelegentlich auch in Serie
und beziehen dabei unprätentiös das reiche
Erbe ein. Die meisten wurden bei Georg Jen-
sen ausgebildet oder haben schon einmal für
das Unternehmen entworfen. Wer Lasse Baeh
ring, Per Sax Møller, Claus Bjerring, Allan
Scharff, Carsten From Andersen oder Yuki
Ferdinandsen bei der Arbeit über die Schul-
ter schaut, dem wird die zeitlose Qualität dä-
nischer Silberschmiedekunst bewusst. ×
67
S A M M L E R SE M I N A R
Gut zu wissen
Wie formt man einen Silberkorpus, und was will die Georg Jensen Society? Wer verkauft
dänisches Silber, und wo schult der Sammler sein Auge? Unsere kompakte Übersicht
Glossar Schauen
Drücken In Dänemark hat sich neben dem
Halbmaschinelle Produktionstech- Designmuseum Danmark in
nik. An einer Drückbank wird eine Kopenhagen das Museum Schloss
sich drehende Scheibe aus Koldinghus mit einer bedeutenden
Silberblech mit Drückwerkzeugen Silbersammlung als Spezialmu-
an einem Hartholzblock zu einer seum etabliert. Im Stammhaus von
Hohlware geformt. Komplizierte Georg Jensen A/S in Frederiksberg
Gefäßformen muss man aus arbeitet man an einem Verzeichnis
Einzelteilen zusammensetzen. Das aller Jensen-Objekte in Sammlun-
im 19. Jh. entstandene Verfahren gen weltweit. Neben Archivalien
68
Weltkunst-Tipp
Andrea Büttner
über ihr
London
1 3
Bilder: privat; Diliff/Wikimedia; National Gallery, London; Stanfords; picture-alliance/G Jackson/Arcaid; Sofia Achaval
2 4
Holzschnitte treffen auf Sound, Siebdrucke Knauf mit einem Totenkopf aus Narwalzahn Ein kulturelles Ereignis, das wir nicht ver-
auf Glasmalerei: Andrea Büttner führt in ih- verziert ist. Die Labels und Beschreibungen passen dürfen?
rer Medienwahl nicht nur eine vielschichti- der Objekte sind fantastisch. »Brixton Splash« im August – ein Stra-
ge Ästhetik vor, sondern vor allem den Um- ßenfest, das lokaler ist als der Notting Hill
gang mit künstlich geschaffenen Mythen. Können Sie uns ein Restaurant empfehlen? Carneval und sehr londonerisch.
Ihre Arbeiten analysieren sich im Schaffens- Ein italienisches Restaurant, das mir in
prozess selbst und entlassen den Betrachter Reggio Emilia empfohlen wurde: Enoteca Was müssen wir über Ihre Lieblingsstadt
mit Fragen nach privater Produktion und Turi in 28 Putney High Street. Außerdem gehe wissen, um dort wirklich anzukommen?
öffentlicher Zurschaustellung. Bis zum ich gerne, wie viele andere auch, ins St. John. Man kann für eine gute Sicht auf Lon-
10. April präsentiert das Walker Art Center don auf dem Hampstead Heath spazieren ge-
ihre erste Einzelausstellung in den USA. Wo trinkt man das beste Bier der Stadt? hen. Andere gute Spaziergänge: der GREEN-
»The Charlie Chaplin« in Elephant and WICH FOOT TUNNEL (1). The Lea Valley den
Wie heißt Ihre momentane Lieblingsstadt? Castle. Der Pub befindet sich am Geburtsort Kanal entlang. Man nimmt London häufig
Im Augenblick ist es London. von Charlie Chaplin und ist im Erdgeschoss über die U-Bahnen, Doppeldeckerbusse und
eines postmodernen Shoppingcenters, was Blackcabs wahr, aber es ist toll, sich die Stadt
Was unternehmen Sie dort am liebsten? ihn authentisch wirken lässt. gehend anzueignen.
Freunde treffen, schlafen, Ausstellun-
gen anschauen und arbeiten. Ich wohne di- Ein Gebäude in der Stadt, das Sie besonders Zum Schluss: ein Tipp, den wir in keinem
rekt an der Themse und liebe es, in Richtung lieben? Reiseführer finden?
Barnes zu gehen, an den Ruderclubs vorbei. GOLDFINGERS HOCHHÄUSER (4) in Poplar STANFORDS (3) in Covent Garden: ein
Außerdem habe ich in London kein Internet, (Balfron Tower) und Ladbroke Grove (Trel- Laden, der moderne und antiquarische Kar-
was das Leben angenehm macht. Ich bin lick Tower). Das eine ist arm, das andere ist ten verkauft. Dort kann man die Verände-
hauptsächlich zum Arbeiten dort – mein fancy, aber es sind Zwillingsgebäude. Oben rung Londons von einem mittelalterlichen
Drucker und mein editor sind in London. war eine Polizeistation untergebracht. Der Dorf zu einer Metropole des 21. Jahrhunderts
James-Bond-Film »Goldfinger« ist nach dem nachvollziehen und die unterschiedlichen
Welches Museum besuchen Sie dort gerne? Architekten Ernő Goldfinger benannt. Formen begutachten, in denen die Stadt re-
Ich gehe sehr gern in die NATIONAL GAL- präsentiert und gezeichnet worden ist. ×
LERY (2), deren Sammlung dem britischen Bestes Kino oder Theater?
Volk gehört, weshalb der Eintritt frei ist. Mei- Die BFI-Mediathek – man kann dort Elisabeth von Thurn und Taxis
ne liebsten Räume sind die Säle mit Sienesi- das gesamte Archiv des British Film Institute ist Autorin der US-Vogue und
scher Malerei. Auch der Reading Room in in einer eigenen Kabine mit Monitor und stammt aus einer Familie von
der Wellcome Collection ist großartig. Man Kopfhörern auf einen Knopfdruck ansehen Kunstsammlern. Für uns entwi-
kann dort Darwins Gehstock sehen, der am und erforschen. ckelte sie diesen Fragebogen.
70
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Winterauktion 14.1. bis 16.1.2016 Ausstellungen in den
Museen der Stadt Köln
Eine Auswahl für das
1. Halbjahr 2016
bis 31. Januar 2016
Madonna trifft Uma –
5 Jahre Museen im Kulturquartier
(Sammlungsausstellung)
Rautenstrauch-Joest-Museum und
Museum Schnütgen
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r Fritz Bauer. Der Staatsanwalt
NS-Dokumentationszentrum
AGENDA
Bild: F. Perrodin/Dijon, musée archéologique
Vor 1000 Jahren wurde der Grundstein des Straßburger Münsters gelegt, das bald für seine
gotischen Skulpturen berühmt wurde. Noch bis zum 14. Februar zeigt das Museum Œuvre N otre-Dame
in der Ausstellung »Straßburg 1200–1230« unter anderem diesen Kopf einer Mosesstatue
73
AG E N DA
NACHRICHTEN
PORZELLAN-FEST IN GOTHA verhindert, verlässt die Porzel-
Die Pauls-Eisenbeiss-Sammlung lankollektion nun das Museum.
ist Porzellanliebhabern zweifel- Ein Verlust für Basel – und ein
Bilder: Stiftung Schloss Friedenstein Gotha; Antonio Quattrone; National Gallery Prague; Oliver Helbig; Daniela Beranek; Städtisches Museum Braunschweig; Museen Böttcherstraße
los ein Begriff: Über Jahrzehnte Gewinn für Gotha: Denn die
sammelte das Ehepaar Erika Stiftung Friedenstein hat sich
Pauls-Eisenbeiss und Emil Pauls die Sammlung mit Stücken aus
rund 750 Objekte, darunter viele Manufakturen wie Meissen,
Porzellanfiguren, die aus dem Frankenthal oder Ludwigsburg
19. Jahrhundert stammen. Die für das Herzogliche Museum
Kollektion mit Schmuckstü- Gotha gesichert.
cken wie Johann Joachim
Kändlers »Der Herzdosenkauf«
(um 1738, u.) war fast 40 Jahre FLORENZ HAT EINEN NEUBAU
lang im Historischen Museum Das Museo dell’Opera del Duo-
Basel ausgestellt. Aufgrund mo könnte geschichtsträchtiger
einer programmatischen Neu- kaum sein – Michelangelo hat
ausrichtung des Hauses, die hier seinen »David« geschaffen Platz wie zuvor: 750 Statuen zum ersten Mal überhaupt aus-
eine Präsentation der Samm- – und war doch einfach zu und Reliefs, darunter die bedeu- gestellt. Die 700 Jahre alte Dom-
lung in gewohntem Umfang klein. Jetzt ist ein spektakulärer tendsten Künstler des Mittelal- bauhütte Opera di Santa Maria
Anbau eröffnet worden, den die ters und der Renaissance von del Fiore hat 45 Millionen Euro
Architektenbüros Adolfo Nata- Andrea Pisano, Verrocchio und in den Umbau investiert. Ein
lini und Guicciardini & Magni der Familie della Robbia bis zu Clou: Die Rekonstruktion der
entworfen haben. Die Ausstel- Michelangelo. Domfassade, die Arnolfo di
lungsfläche verteilt sich über 25 Frisch restauriert sind Cambio im späten 13. Jh. errich-
Räume auf drei Stockwerken. Ghibertis Nordportal für das tet hatte und die 1586/87 abge-
Mit knapp 6000 Quadratmetern Baptisterium und Donatellos baut wurde, dient als Kulisse
hat das Museum für seine »Magdalena«. Einiges war seit für 40 Skulpturen, die einst für
Schätze mehr als doppelt so viel Jahrzehnten im Depot oder ist die Fassade entstanden (oben).
Personalien im Dezember
Sein Weg zur Arbeit wird ab stiftung der Länder. Als neu selt vom Bank Austria Kunstfo- renz tritt die Historikerin ihren
nächstem Jahr ein wenig länger: gewählte Vorsitzende des Kura- rum, wo er die vergangenen Posten als Direktorin der Galle-
MARIUS WINZELER muss nicht toriums des Deutschen Zen- 14 Jahre als Kurator tätig war, ria dell’Accademia an.
mehr täglich von Görlitz nach trums Kulturgutverluste trifft an die Kunsthalle Krems. Hier Bremen ist das neue Ziel
Zittau fahren, wo er seit 2008 man sie nicht nur in Berlin, son- wird er – auf fünf Jahre befristet von FRANK SCHMIDT, der bisher
die Städtischen Museen führt, dern auch in Magdeburg, wo – als künstlerischer Leiter die als wissenschaftlicher Direktor
sondern pendelt ab Januar nach die Einrichtung ihren Sitz hat. Wiedereröffnung des Museums an der Kunsthalle Emden tätig
Prag. Hier wird er Leiter der Der Fokus liegt hier vor allem strategisch betreuen, die für war. Zum 1. Februar wird er die
Sammlung alter Kunst an der auf Provenienzforschung. Frühjahr 2017 ansteht. Museen Böttcherstraße mit dem
tschechischen Nationalgalerie. Für FLORIAN STEININGER Einen weiteren Weg hat Paula Modersohn-Becker Muse-
Pendeln wird künftig auch geht die Reise ab 1. Juli 2016 von CECILIE HOLLBERG vor sich, die um, dem Ludwig Roselius
ISABEL PFEIFFER-POENSGEN, die Wien nach Krems: Der österrei- bislang das Städtische Museum Museum sowie der Sammlung
Generalsekretärin der Kultur- chische Kunsthistoriker wech- in Braunschweig führte: In Flo- Bernhard Hoetger leiten.
74
tungsort in der portugiesischen
Hauptstadt konnte das Gebäude
EINWÄNDE AUS PARIS
Emil J. Sennewald schrieb in
Hammerpreise
der Fábrica Nacional da Cor der Oktober-Ausgabe unter dem
doaria (unten links), eine ehema- Titel »Magische Multiplikation«
Bilder: Victoria and Albert Museum, London; Arco Lisboa; RMN-Grand Palais/Hervé Lewandowski/Sucesión Pablo Picasso, VEGAP, Madrid, 2015/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Fischer, Luzern; Artcurial Paris; Gerhard Hirsch, München
75
AG E N DA
AUSSTELLUNGEN
Es gibt eine Wiederentdeckung zu feiern: Mit Catel hat die Sehnsucht einer Gesellschaft be- eifernd, Heerscharen von Touristen das arka-
einer großen Retrospektive wird in der Ham- dient, die gerade dabei war, in Italien das dische Italien, das »Land, wo die Zitronen
burger Kunsthalle das Werk des 1778 gebore- Land der vermeintlichen Sorg- und Zeitlosig- blühn«. Allen voran ging für seine interna-
nen Landschaftsmalers Franz Ludwig Catel keit, der sich über die Zeitläufte geretteten tionalen Auftraggeber Franz Ludwig Catel.
gewürdigt. Idylle zu entdecken. Goethe hatte die Devise Schon während seiner Ausbildung an
Wohlhabende Bürger und der Adel vom dazu bereits in seiner »Italienischen Reise« den Kunstakademien in Berlin und Paris fiel
russischen Zaren bis zum preußischen Kö- Ende des 18. Jahrhunderts ausgegeben. Er er als großes Talent auf. Catel begann früh,
nigshaus zählten zu seinen Auftraggebern. stellte seinem berühmt gewordenen Reisebe- Bücher zu illustrieren. Darunter waren auch
Die Ausstellung zeigt mit gut 200 Gemälden, richt das seitdem geltende Italienmotto »Et Werke von Goethe. So wurde er schnell mit
Aquarellen, Zeichnungen und Grafiken, wa- in Arcadia ego« (Auch ich in Arkadien) vo- dem breiten Themenrepertoire der gebilde-
rum sein Werk so beliebt war. ran. Spätestens seitdem suchen, ihm nach ten Gesellschaft vertraut. Als er 1811 erstmals,
76
zusammen mit seinem Bruder Louis, nach
Rom reiste, war es um ihn geschehen. Italien
wurde sogleich seine zweite Heimat. Er be-
gann, die Landschaften um Rom in Malerei
festzuhalten. Um möglichst viele Motive um-
setzen zu können, nutzte er modernste Tech-
nik. Mit der Camera lucida projizierte er die
Umrisslinien seiner Sehnsuchtslandschaften
auf Papier. Damit konnte er deutlich unkom-
plizierter ein Landschaftspanorama auf die
Fläche bannen. Sein Motivrepertoire ge-
wann schnell an Umfang und diente ihm als
Grundlage für sein weiteres Werk, das sich
mit der Anmut italienischer Landstriche ge-
gen den Schrecken der beginnenden Indus-
Bilder: Fabio Gallo, Fondazione Paolo di Tarso/Rom, Fondazione Catel; Jörg P. Anders/Berlin, Staatliche Museen zu Berlin,Nationalgalerie/bpk
77
AUSSTELLUNGEN
Bilder: Uwe Walter, Berlin/Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin und David Zwirner, New York/London/VG Bild Kunst Bonn, 2015; Archiv Ann und Jürgen Wilde, Zülpich
Diese Ausstellung ist eine Zeitreise. Im Jahr
1865 erblickt in Schielo bei Harzgerode im
Harz der Fotograf Karl Blossfeldt das Licht
der Welt, der später mit seinen Aufnahmen
von Pflanzen weithin Berühmtheit erlangt.
Knapp hundert Jahre später, 1960, wird in
Aschersleben, im östlichen Harzvorland,
Neo Rauch geboren – heute einer der be-
rühmtesten lebenden Maler Deutschlands.
Und nun, 2015, sind Rauch und Blossfeldt in
einer Ausstellung zu sehen. Wo? Natürlich in
Aschersleben am Nordostrand des Harzes,
wo die Grafikstiftung Neo Rauch dem Leip-
ziger Maler eine Herzensangelegenheit ist.
Die Zusammenkunft der beiden Künst- Die Tuschelithografie »Guß« (2015) schuf nicht gesehen. Man nehme nur den »Holzer«
ler wirkt vorherbestimmt – dabei war Rauchs Neo Rauch speziell für die Ausstellung in von 2015 mit seinem Alraunenkopf, der eine
erste Begegnung mit Blossfeldt Zufall. Der Aschersleben. Er hatte dabei Fotografien riesige Pusteblume anstarrt. »Ein Bild sollte
Maler berichtet, wie er im Alter von zehn Karl Blossfeldts wie »Sambucus racemosa, immer etwas von einer Pflanze haben«», sagt
oder zwölf Jahren in der Wohnung eines ver- Hollunder« (1915–1925, u.) im Kopf. Man Rauch. »Es sollte mit der Selbstverständlich-
storbenen Verwandten den Blossfeldt-Bild- meint, die Reverenz deutlich zu sehen keit einer Naturerscheinung auftreten. Viel-
band »Urformen der Kunst« (1928) entdeckte: leicht ist es das, was meine Nähe zu Blossfeldt
»Ich nahm dieses Buch an mich, und es be- markiert.«
gleitet mich bis zum heutigen Tage.« Blossfeldt hat seine Wildpflanzen im
Kein Wunder also, dass Neo Rauch be- Harz gepflückt. Rauch hat Bildmotive in sei-
geistert auf die Ausstellungsidee reagierte. Er ner Geburtsstadt Aschersleben eingesam-
schuf sogar zahlreiche neue Werke. Zu die- melt. Noch ein Parallele. Und wenn Rauch
sen zählt die schöne Tuschelithografie »Guß«, sagt, er habe in zwei großen Öl-auf-Papier-
ein Blatt in starker Rot-Grün-Farbigkeit, des- Arbeiten »ein Farbklima schaffen wollen, das
sen Figurenpersonal sich in einer etwas dif- kompatibel ist mit den dezenten Silbergrau-
fusen Tätigkeit zwischen Hausbrandlöschen Nuancen der Blossfeldt’schen Fotografie«,
und Gartenbau verausgabt. Dreht sich der dann ist das eine kleine Verbeugung vor dem
Besucher zur Seite, steht er sogleich vor einer geschätzten Kollegen. »Pflanztag« (2015)
Wand mit Blossfeldts klassisch künstlerisch- heißt eins dieser Bilder. Es schimmert in
botanischen Fotografien und blickt auf die Grau- und Grüntönen und scheint einige der
»Hieronymus-Blumenbachie«, den »Orienta- Blossfeldt’schen Spezies aufgenommen zu
lischen Mohn«, die »Osterluzei«. haben. Drei Arbeiter buddeln Setzlinge ein,
Das Wundervolle an dieser Ausstellung: tragen Blumenzwiebeln herum.
Blossfeldts Aufnahmen, die ja ursprünglich Wie ist das Verhältnis des Malers Neo
gar nicht als Kunstwerke gemeint waren, Rauch zum Gärtner Neo Rauch? »Zu Hause
sondern größtmöglich nüchterne und präzi- bin ich Hilfsgärtner an der Seite meiner Frau,
se Wiedergaben sein sollten, werden in Wir- einer diplomierten Gartenbauingenieurin«,
kungsnähe von Rauchs verrätselten Bilder- erklärt der Künstler. »Aber als Maler bin ich
zählungen mit einer Prise Magie bestäubt. natürlich auch ein Verwalter des Gartens auf
Umgekehrt liefert der Blick auf Blossfeldts meiner Leinwand. Den muss ich jäten, roden
Ranken einen neuen Zugang zu Neo Rauchs und hegen – sonst entsteht Wildwuchs.« Und
Malerei: Die Natur nahm ja schon früh einen das wäre, bei aller Liebe zum Blossfeldt’schen
wichtigen Raum in den Bildern des Künst- Sprießen, doch fatal. TIM ACKERMANN
lers ein. Aber derart selbstbewusst wuchernd,
derart transformierend-subversiv wie unter »Karl Blossfeldt & Neo Rauch«, Grafikstiftung
dem Einfluss Blossfeldts hat man sie noch Neo Rauch, Aschersleben, bis 24. April
78
BunDesKunsTHAlle
Alles gute.
HAnne DArBoven
Zeitgeschichten DAs BAuHAus
bis 17. Januar 2016 Alles ist design
1. April – 14. August 2016 Der rHein
eine europäische Flussbiografie
jApAns lieBe zum 9. september 2016 – 22. Januar 2017
impressionismus pinA BAusCH
Von Monet bis Renoir und das Tanztheater
bis 21. Februar 2016 4. März – 24. Juli 2016 AussTellung und gARTen
pArKomAnie
die gartenlandschaften des Fürst Pückler
isA GenzKen 14. Mai – 18. september 2016
Modelle für Außenprojekte
15. Januar – 17. April 2016
juerGen Teller
10. Juni – 25. september 2016
Bilder: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Ellen Page Wilson/Courtesy Pace Gallery/Kunstsammlung NRW/VG Bild-Kunst, Bonn 2015
mehr brechen sie über einen herein, mit der den ethnischen und sexuellen Subtext dieser
Macht des gegenseitigen Erkennens und dem Obsession heraus. Man kann sich zwei her-
Sog von Gesprächen, die nie abzubrechen vorragende Drip-Paintings von Jackson Pol-
scheinen. »I Got Rhythm«, die Ausstellung lock anschauen und dazu den Free Jazz hö-
im Kunstmuseum Stuttgart, die sich ihren ren, zu dem er diese Bilder komponiert hat.
Titel vom bekannten Louis-Armstrong-Song Von Andy Warhol sind die Plattencover zu
leiht, stellt dar, dass es sich bei der Beziehung sehen, die er für das Jazzlabel Blue Note Re-
zwischen dem Jazz und der Kunst um genau cords entwarf, aber auch ein Siebdruck aus
eine solche Wahlverwandtschaft handelt. seiner »Race Riot«-Serie, in der es um Polizei-
Die Schau spielt mit hochkarätigen gewalt gegenüber Schwarzen geht.
Leihgaben die Tonleiter der Moderne und ih- Die Ausstellung erzählt die Geschichte
rer Ausläufe mühelos rauf und runter: von einer Explosion von Formen, Tönen und Far-
Grosz zu Basquiat, von Mondrian zu Stella, ben – eine Explosion, die mit einer Implosion
von Matisse zu Nauman und Palermo. Prä- Jazztanz à la Josephine Baker: Litho-Mappe von sozialen, sexuellen und politischen Ideo-
sentiert werden die Werke stimmungsvoll auf »Le tumulte noir« von Paul Colin, 1929 logien einherging und somit die Kultur des
schwarzen Wänden, unterlegt von der jeweils 20. Jahrhundert formte. DANIEL SCHREIBER
dazu passenden Jazzmusik aus den Kopfhö-
rern des Media-Guides. All das bringt Farben, »I Got Rhythm. Kunst und Jazz seit 1920«, Kunst-
Themen und Motive zum Leuchten. museum Stuttgart, bis 6. März
80
NATUR
Landschaft im 19. Jahrhundert
ALS
in Malerei und Fotografie
KUNST
14.2.– 5.6.2016
Sponsors
AUSSTELLUNGEN
gesetzt, und Vik Muniz’ »Clown einfach am Ende. Zeit also für
Skull« (1989–199, u. li.) trägt auf ein bisschen Optimismus und
dem bleichen Knochen noch diese Schau mit kühnen künst-
sein Arbeitsgerät: Schönheit lerischen Visionen seit der Däm-
und Scheitern, Tod und Scherz merung der Moderne. Kasimir
vermischen sich in der Schau Malewitschs »Suprematistische
»Dark Mirror«, die ein Panora- Komposition« (1915–16) bietet
ma lateinamerikanischer Kunst hier den Ausgangspunkt der
seit 1968 aus den Bestände der befreiten Form, auf den Künst-
Bilder: Hans-Peter Vieser/Augustinermuseum-Städtische Museen Freiburg; Peter Schälchli, Zürich/Daros Latinamerica Collection, Zürich/VG Bild-Kunst, Bonn 2015;
Zürcher Daros Collection ent- ler wie Gerhard Richter und
wirft. 41 Künstler aus zehn Län- Bernd & Hilla Becher sowie
dern reflektieren ihr Leben. So avantgardistische Designer wie
verweist Antonio Caros Schild FRANZÖSISCHES ROKOKO Verner Panton (u. li.: »Phantasy
BFI National Archive; Les Arts Décoratifs/Cyrille Bernard/Paris, Musée des Arts décoratifs; Verner Panton Design; Ruth Baumgarte
»Columbia« im Cola-Schriftzug Liebieghaus, Frankfurt a. M., Landscape«, 1970) folgen.
FRANZ XAVER WINTERHALTER auf die Einflussnahme globaler bis 28. März
Augustinermuseum, Freiburg i. Br., Konzerne, und ein Fußball mit
bis 20. März Brustwarzen der Argentinierin Das Rokoko war das Zeitalter
Nicola Costantino spielt mit der sentimentalen Liebe und
Fürstin Pauline von Metternich dem Klischee des sportbesesse- der Zärtlichkeiten, alles vor
zeigte er als junge Schönheit mit nen Südamerikaners. ländlich idyllischer Kulisse.
einer Rose in der Hand. Kaiserin Knusprige junge Menschen trei-
Eugenie von Frankreich durfte ben darin ihre neckischen Spiel-
bei ihm hold in die Ferne sinnie- chen, die nicht ohne versteckte
ren. Und selbst die anonyme Abgründe sind. Das Liebieg-
»Briefleserin« (1860/65, o.) porträ- haus entführt uns nun in diese
tierte der Maler so, als wäre er Welt der artifiziellen Gefühle.
gerade frisch verliebt. Kein Wun- Die Kunst entschädigt dafür,
der, dass im 19. Jahrhundert die dass das reizvolle Thema etwas
blaublütigen Herrscher Europas blutleer abgehandelt wird: herr-
vor seiner Staffelei Schlange liche Bilder von Watteau, Bou-
standen: Kaiser Napoleon III., GROSSE UTOPIE JUGENDSTIL cher und Fragonard, arkadische FARBRAUSCH AM KESSEL
Queen Victoria oder Sisi – ihnen Museum für Kunst und Gewerbe, Skulpturen von Falconet und Städtische Kunsthalle Salzgitter,
galt Franz Xaver Winterhalter Hamburg, bis 7. Februar ihre Nachformungen in Porzel- bis 31. Januar
(1805–1873) als Warhol seiner lan. In allen Gattungen tobten
Zeit. Man staunt heute über so So bewegt und bewegend ist sich die Liebesspiele aus wie in Wie Arbeiter sich selbst sehen,
viel Ehrgeiz und Erfolg! Jugendstil noch nie zu sehen der französischen Uhr mit Meis- hat in der Kunst kaum interes-
gewesen: Die Neupräsentation sener Schäferszene, um 1745/50 siert. Ihre Porträts waren Mittel
der eigenen reichen Bestände (o.). Seit 1789 weiß man: Es war zum Zweck: entweder zur
wird von einer Ausstellung ein Tanz auf dem Vulkan. Heroisierung oder zur Verbildli-
begleitet, die durch ihre Origi- chung katastrophaler Arbeits
nalität ebenso beeindruckt wie bedingungen. Die Malerin und
durch ihre Bandbreite. »Das Galeristin Ruth Baumgarte
Kapital« von Karl Marx, ein (o.: »Frühes Selbstbildnis«, 1947)
Solarbad, Reformkleider und gehört zu denen, die nach 1945
der intarsierte Flügel aus dem das Genre neu definierten. In
Haus von Peter Behrens veran- Zeichnungen und Aquarellen
schaulichen neben Werken von rückt sie den Menschen ins Zen-
Klimt und Munch die Umwäl- trum – ihn und seinen virtuosen
zungen der Zeit. Neben einer Umgang mit den Maschinen.
Fayencevase mit Fischmotiven Die knapp 100 Arbeiten der Aus-
von Alf Wallander flackert ein stellung »Farbrausch im Kessel«
früher Schwarz-Weiß-Film mit zeigen aber auch, dass es dabei
DARK MIRROR Unterwasseraufnahmen. Die ZUKUNFTSBILDER nicht blieb. Baumgarte nutzt das
Kunstmuseum Wolfsburg, Sehnsucht nach ungeahnten Wilhelm-Hack-Museum, Thema ebenso als Folie unge-
bis 31. Januar Ufern reichte gar bis zum Ludwigshafen, bis 28. Februar genständlicher Malerei. Ihre Far-
Mond: So findet auch George ben bindet sie so locker an den
Betsabée Romero hat ihren mit Méliès’ Film »Voyage dans la Die Zukunft mag nicht immer Gegenstand, dass diese sich
Rosen gefüllten Ford am Grenz- Lune« von 1902 (o.) einen rosig erscheinen, aber ohne den jederzeit lösen und ein Eigen
zaun der USA in den Sand anspielungsreichen Kontext. Blick nach vorn ist die Kunst leben führen könnten.
82
Yves Netzhammer, Möbel der Proportionen, 2008, Videostill
AFTERIMAGES
Nachhall der Schwarzen Romantik
in der Videokunst
Videos
KUNSTSAMMLUNG JENA
Markt 7 · www.kunstsammlung.jena.de
Di, Mi, Fr 10 – 17 Uhr · Do 15 – 22 Uhr
Sa, So 11 – 18 Uhr
TICHA
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EINTRITT FREI
Hans Ticha, Klatscher, 1983, Öl/Lwd., Galerie LÄKEMÄKER, VG Bild-Kunst, Bonn 2015
KUNSTSAMMLUNG. Städtische Museen Jena. JenaKultur
AG E N DA
MESSEN
ANTIQUARIATSMESSE mit den Mitteln der Abstrakti-
STUTTGART on ist bei Hans Lindner für
29. bis 31. Januar 29 000 Euro zu haben. Beim
Stand von Gottfried und Mat-
In Erwartung günstiger Syner- thias Ruetz wird ein japanischer
gien und größerer Aufmerk- Farbholzschnitt von Tsunetomi
samkeit bei Sammlern wie Kitano mit dem Titel »Frau im
Händlern finden die Antiqua- Schnee« aus den 1920er-Jahren
riatsmessen in Stuttgart und angeboten (750 Euro). Ein lange
Ludwigsburg nahezu zeitgleich verschollenes Gedicht des 20-jäh-
statt: die Stuttgarter Messe im rigen Bert Brecht mit dem Titel
Württembergischen Kunstver- »An die Tänzerin Leistikow!«
ein, ihr Ludwigsburger Pendant (1918) von der Hand und mit der
in der dortigen Musikhalle. Seit Unterschrift des Dichters soll
2002 gibt es eine gemeinsame beim Antiquariat Die Schmiede
Veranstaltung im Literaturhaus 9500 Euro kosten. Die größte
Stuttgart zum Messeauftakt. Aufmerksamkeit wird jedoch
Trotz dieser freundlichen Annä- ein mittelhochdeutsches Ritter- 2
herung pflegen beide ihr Profil. epos auf sich ziehen. Es trägt
Mit einem illustrierten den Titel »Wigalois mit dem nierten Exemplar um eines der ausgabe von 1927. Erschienen in
84
wilhelmhackmuseum
6 8, Archiv Mack
, ncen a e autt A rchitectures
Edwin Braun, „Heinz Mack während Film-Aufna m en zum Film Tele-Mack“, 196
Vincent Callebaut, „ASIAN CAIRNS“, Shenzhen, na,
Zukunfts-
bilder
von Malewitsch
bis Fujimoto
5.12.15
28.2.16
Hauptsponsor:
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n -ludwigshafen.de
HIMMELWÄRTS
©Mischa Kuball, Saturn, Lichtinstallation, 1999
Präsentiert wird der ganze thematische Kosmos zwischen Erde und Unendlichkeit, zwischen Gravitation und Schwerelosigkeit in
Gemälden, Fotografien, bewegten Rauminstallationen und Videoarbeiten.
MUSEUM SINCLAIR-HAUS
Löwengasse 15 | 61348 Bad Homburg
www.museum-sinclair-haus.de
MESSEN
ARCO ART KARLSRUHE
Madrid, 24. bis 28. Februar 18. bis 21. Februar
Ein Jubiläum steht ins Haus: Die Als Nachbarn haben sie lan-
Arco findet zum 35. Mal statt. Ihr ge zugeschaut, wie sich die
Slalom durch die Höhen und Tie- Messe in ihrer Stadt entwi-
fen des spanischen Kunstmarktes, 1 ckelt. Nun scheinen auch
das Bestehen im Reigen der inter- Meyer Riegger überzeugt zu
nationalen Messen, die freie Termi- Urroz. Ob die Expansion auch als Durham und Haegue Yang sein: Auf der 13. Art Karlsru-
ne im Kalender für Sammler wie Probebühne für ein mögliches aus, während sich Ivan aus he ist die Galerie mit Künst-
Galeristen immer knapper werden Übersetzen nach Amerika dient, Bukarest auf Geta Brătescu lern aus ihrem Programm,
lassen, müssen gefeiert werden. lässt er offen. 2001 waren die Pläne und Iulia Toma konzentriert darunter Meuser, Franz
Die spanische Messe wird das lang- unter der damaligen Leiterin Rosi- oder Marta Cervera (Madrid) Ackermann und Daniel
same Ende der schweren Finanz- na Gómez-Baeza schon fast so weit, das Werk von Laida Lertxun- Roth, vertreten. Aber auch
und Wirtschaftskrise mit interna- da kam ihr die Art Basel mit dem di mit Gemälden von David andere Neuzugänge ver-
tionalen Gästen und einem Sprung neuen Ableger in Miami zuvor. Ihre Reed arrangiert. Hinzu kom- zeichnet die Plattform für
ins Nachbarland Portugal begehen: Nachfolgerin Lourdes Fernández men die ganz jungen Ausstel- Kunst der klassischen
Im Mai soll die erste Arco Lisboa wollte nach São Paulo gehen, die ler in der Sektion Opening Moderne bis in die Gegen-
stattfinden. Leitung der Messegesellschaft zog und die Solo Projects mit wart, deren Sonderschau
Messedirektor Carlos Urroz ist Dubai vor. Geworden ist aus all ihrem aktuellen Fokus auf Fotografien von Ernst Lud-
STUTTGART
29. – 3 1 .1 . 201 6
Württembergischer Kunstverein 55. A N T I Q UA R I ATS M E S S E
stuttgarter-antiquariatsmesse.de
KÜNSTLERHAUS
Karl von Saar Wien 1797 – 1853 Wien
Junge Dame vor dem Ball
Elfenbein signiert, 9,2 x 7,4 cm
WIEN KARLSPLATZ 5
27. Februar bis 6. März
2016 Täglich 11 bis 19 Uhr
Jubiläumsmesse
20. WIKAM im Wiener Künstlerhaus
WWW.WIKAM.AT
MESSEN
ein von Georges Jacob gestalte- ANTIK & KUNST
1
tes Sofa »à la Turque« von 1765 Sindelfingen, 14. bis 17. Januar
(Galerie Steinitz) zusammen
mit einer römischen Marmor- Fünf Jahrhunderte Papierkunst
statue des Dionysos und aktuel- offenbaren sich im Kunstkabi-
len Glasobjekten des ungari- nett Strehler. Die Heimat der
schen Designers György Gáspár beiden Inhaberinnen ist be-
(Galerie Clara Scremini) in kanntlich Sindelfingen – was sie
Augenschein zu nehmen. Ein zu einem Angelpunkt der dorti-
Gang durch die Zeiten mit gen Messe werden lässt, die
ihren ästhetischen Vorlieben, an dank der Strehlers neben Me-
denen man den eigenen Blick rian-Kupferstichen auch Grafi-
und Geschmack schulen kann. sches von Dürer und diesmal ja-
Der Austausch mit Experten panische Farbholzschnitte aus
zählt zu den Stärken der Brafa, dem frühen 20. Jahrhundert an-
die sich noch einmal vergrößert. bieten kann. Darüber hinaus
Um knapp zehn Prozent auf 136
Bilder: Galerie Chiale Fine Art; Kunstkabinett Strehler; Lars Landmann/Kunstmuseum Wolfsburg 2014
Aussteller ist sie gewachsen, von 2
denen einige wie der Gemälde-
spezialist Alexis Bordes oder K.
Grusenmeyer mit dem Fokus auf
Stammeskunst für eine Weile
pausiert haben und nun zurück
BRAFA Jacques Barrère aus Paris, die in die Halle Thurn & Taxis keh-
Brüssel, 23. bis 31. Januar Claes Gallery, Cybele oder die ren. Unter den Neuzugängen
Galerie De Jonckheere regelmä- versprechen die Galerie Boulakia
Mit einem auf Augen und Nase ßig aus. Letztere ist aktuell mit und Jean-Christoph Charbon-
reduzierten Alabasterkopf, den einer Winterlandschaft von Pie- nier aus Paris neue Sammelfel-
Safani mit nach Brüssel bringt, ter Brueghel d. J. und einer Gou- der: Die eine hat Impressionisten
knüpft die Galerie an die Traditi- ache von René Magritte vertre- im Gepäck, der andere einen
on der Kunst- und Antiquitäten- ten, die der Surrealist um 1957 Akzent auf alten Waffen und versammelt die Antik & Kunst
messe an: Die Stele stammt aus mit Buntstiften und Pastellkrei- Rüstungen. CHRISTIANE MEIXNER historischen Schmuck (Brigitte
dem ersten vorchristlichen Jahr- den zu Papier gebracht hat. & Saskia Seewald), Interieur des
tausend und war seit den Siebzi- Diese Vielfalt an einem ein- Biedermeier (Schlapka) und Ma-
gerjahren in der Hand eines bel- zigen Stand steht für die Ent- 1 »Woman in Armchair« von Natalija lerei von Jean-Frédéric Schall
gischen Privatsammlers. wicklung, die die Brafa über die Gontscharowa (1904) im Angebot (Galerie Fine Arts) oder Johann
Besondere Objekte mit klarer Zeit vollzogen hat. Zwischen der Galerie Chiale Fine Art Heinrich Tischbein, von dem
Provenienz, dafür steht die Mes- den Epochen spannen sich meh- 2 Japanischer Farbholzschnitt von der Grazer Kunsthändler Ro-
se seit nunmehr sechs Dekaden. rere Jahrtausende. Was es mög- 1910 mit dem Motiv einer Irisblüte chus V. Probst ein antikisieren-
Neben Safani stellen hier lich macht, entlang der Stände (Kunstkabinett Strehler) des Motiv im Gepäck hat. CMX
28-31
jänner 2016
20. jubiläum
sonderschau mel ramos
„my age of pop“
KUNSTHANDEL
Schaufenster
»Souvenir du Déjeuner
en fourrure«
Künstler
Meret Oppenheim (1913–1985)
Werkdaten
Mixed-Media-Collage unter ovalem
Glas, Auflage: 120 + 10 A. P., 1970
Höhe: 17,5 cm, Breite: 20 cm,
Tiefe: 4 cm
Kunsthandlung
Preis
10 000 Euro
Lasziv und erotisch, frech und schockierend Fortan überstrahlte die Tasse alles und war plare (die Nummern VI und VIII HC). Der
zweckentfremdet – ihre herrlich verrückte streckenweise bekannter als ihre Schöpferin. Hamburger Galerist Thomas Levy hatte sei-
Pelztasse machte die junge Schweizerin Me- Obwohl man sie häufiger dazu drängte, hat ne rote Variante 2013 für die große Oppen-
ret Oppenheim mit einem Schlag berühmt. sich die Künstlerin bis zu ihrem Tod 1985 ge- heim-Ausstellung nach Berlin ausgeliehen.
Das mit Gazellenfell überzogene Geschirr, weigert, Duplikate vom »Frühstück in Pelz« Nun hängt »Souvenir du Déjeuner en
von André Breton »Déjeuner en fourrure« ge- herzustellen. Lieber kommentierte sie mit fourrure« in seinen Hamburger Räumen.
tauft und gleich nach der ersten Ausstellung ironischen Multiples die weltberühmte Der Spezialist für Surrealismus, Nouveau
1936 von Alfred Barr Jr. für das New Yorker »Alte«, wie sie ihr frühes surrealistisches Réalisme und Pop-Art hat Meret Oppenheim
Museum of Modern Art gekauft, wurde zur Werk nannte. So fungiert das 1969 entstande- seit 1978 im Programm, betreute sie exklusiv
Ikone des Surrealismus. Der Einfall zum ne »Eichhörnchen«, ein Bierglas mit Tier- und verwaltet seit ihrem Tod gemeinsam mit
sinnlich-weichen Gedeck kam der in Berlin schweif, unverkennbar als männliches Pen- ihrer Familie den Nachlass. Mit sorgsam do-
geborenen Kunststudentin im Pariser Café dant zur Tasse. Noch expliziter banalisierte sierten, posthumen Realisationen wie im
de Flore, als sie Dora Maar und Pablo Picasso 1970 »Souvenir du Déjeuner en fourrure« das Jahr 2003 Merets rot lackierten Porzellanze-
einen mit Pelz beklebten Armreif aus Metall große Vorbild: Das famose Gefäß ruht dort, hen unter Pastellnerz in schwarzen Stöckel-
zeigte. Wie ihre Freunde Marcel Duchamp, von falschem Edelweiß verziert, unter Glas – schuhen hält Levy das Interesse wach. In sei-
Francis Picabia, Alberto Giacometti und ihr als Kunstpelz-Applikat vor rotem, grünem ner jüngst abgebauten Jubiläumsschau »45
Lover Max Ernst verfremdete sie schon da- oder blauem Hintergrund auf Damastimitat. Jahre Levy – 45 Künstler« war Oppenheim
mals mit viel Fantasie lapidar Alltägliches Die kitschig schöne Collage erinnert an die mit ihrem »Eichhörnchen« aus einer Grup-
spektakulär zu Objets trouvés. »Fallenbilder« von Oppenheims Berner penausstellung vom September 1978 präsent.
Das hintersinnige »Déjeuner en fourru- Freund und Landsmann Daniel Spoerri. Dazu zeigte ein Foto von damals die ergraute
re« blieb lebenslang Meret Oppenheims Das Erinnerungsstück gilt heute als sel- Mittsechzigerin, die Man Ray einst als nack-
kunstgeschichtliches Etikett. Der frühe ten und teuer und ist – wie das »Eichhörn- te androgyne Schöne an der Druckerpresse
Ruhm hatte allerdings Tücken: Auf die Pelz- chen« – ein Favorit in Privatsammlungen. ins kollektive Bildgedächtnis hob, neben ih-
tasse folgte eine 18-jährige Schaffenskrise. Das Kunstmuseum Bern besitzt zwei Exem- rem jungen Galeristen. ULLA FÖLSING
94
NEUE AUFGABEN FÜR DEN gen hat. Ihre erste Zusam-
PORZELLANKENNER menarbeit fand 1997 mit der
Kunsthandel, Sammler und Schau »Frühes Meissener
Museen – eine glückliche Porzellan. Kostbarkeiten
Trias, verbunden durch die aus Privatbesitz« statt, die
Liebe zur Kunst. Ulrich im Düsseldorfer Hetjens-
Pietsch wechselte mit seiner Museum und anschließend
Pensionierung als Direktor in den Staatlichen Kunst-
der Porzellansammlungen sammlungen in Dresden zu
im Dresdener Zwinger im sehen war. 2004 folgte
Herbst 2015 als Senior Con- »Meißen für die Zaren. Por-
sultat zum Kunsthandel zellan als Mittel sächsisch-
Röbbig, der führenden russischer Politik im 18.
Adresse für frühes Meissener Jahrhundert« mit Stationen
Porzellan in Europa. »Ich in der Eremitage St. Peters-
möchte einerseits nicht burg und im Dresdener
»Le Dimanche« Marc Chagall, Farblithographie, 38 x 28cm
untätig sein, andererseits Zwinger. Zu diesen und
meine in den 21 Dresdener anderen Ausstellungen ver-
Jahren erworbenen Kennt- mittelte Röbbig eine Viel- K U N S T
nisse zur Geschichte des Por- zahl an Leihgaben aus Pri-
zellans weitergeben», sagt vatsammlungen und den K A B I N E T T
Ulrich Pietsch. Kunsthandel Kontakt zu Sponsoren.
auf höchstem Niveau kann Gegenwärtig entsteht
heute nicht mehr ohne wis- eine umfassende Gemein- S T R E H L E R
senschaftliches Engagement schaftspublikation unter
betrieben werden. Dafür ist dem Titel »Invention und
nun Pietsch zuständig: »Die Vollendung. Kunstwerke 4 0 J A H R E
kaufmännische Seite obliegt des 18. Jahrhunderts«, die in
selbstverständlich weiterhin Kürze bei der Arnoldschen 1 9 7 5 - 2 0 1 5
Alfredo Reyes. Ich bin der Verlagsanstalt in Stuttgart
Bild: privat
Dresdner Kunstsammlun- Pietsch vertritt dort die Antik und Kunst 14.-17. Jan 2016 www.Messe-Sindelfingen.de
Stuttgarter-Antiquariatsmesse 29.-31. Jan 2016
gen gewirkt. Nun berät er kunstwissenschaftliche www.Stuttgarter-Antiquariatsmesse.de
das Traditionshaus Röbbig Komponente. GLORIA EHRET
W E LT K U N S T
STILKUNDE Nº 10 2
Anamorphosen
VON
G L OR I A E H R E T
N
ur aus einem bestimmten gia universalis naturae et artis« auf. Aus dem schen 1490 und 1540 setzten sich Künstler der
Blickwinkel ist der große ver Griechischen abgeleitet, bezeichnet er eine Renaissance mit den Problemen der Perspek
zerrte Totenschädel in seinen absichtlich nach den Gesetzen der Perspekti tive auseinander. Damit ging die Erfindung
richtigen Proportionen zu er ve verzerrte Darstellung, die nur unter einem der Anamorphose einher.
kennen, der im Vordergrund der »Gesand speziellen Blickwinkel (Längsanamorpho Hat Leonardos Skizze eines verzerrten
ten« über dem Steinboden schwebt. Hans sen) beziehungsweise mithilfe besonderer Kinderkopfes eher experimentellen Charakter,
Holbein d. J. hat dieses Gemälde 1533 datiert. Spiegel (katroptische Anamorphosen) oder so erfüllt Holbeins Totenkopf auf dem Ge
Über ein Jahrhundert später taucht der Be eines Prismensystems (dioptrische Anamor sandtenporträt höchste künstlerische Ansprü
griff »Anamorphose« erstmals in Caspar phosen) zu verstehen ist. Ob Leonardo da che. Selbst in die Literatur fanden die ver
Schotts 1657 in Würzburg erschienener »Ma Vinci, Albrecht Dürer oder Holbein – zwi schlüsselten Perspektivbilder Eingang, wie in
96
Shakespeares Drama »König Richard II.«
nachzulesen ist. Georg Füsslin und Ewald
Hentze zeigen in ihrem 1999 erschienenen
Buch »Anamorphosen« einen Stich von Hans
Tröschel, um 1625, der eine Gruppe Satyrn
beim Betrachten einer Zylinderanamorphose
schildert und auf ein Gemälde Simon Vouets
zurückgeht. Da es solche schon um 1580 in
China gegeben haben soll – lange bevor sie
in Europa bekannt wurden –, könnte Vouet,
der zur Entourage des französischen Botschaf-
ters in Konstantinopel gehörte, ihre Kennt-
nis von dort mit nach Hause gebracht haben.
Bilder: Galerie Bassenge, Berlin; Sinar Back/Staatliche Kunstsammlungen Dresden; Germanisches Nationalmuseum Nürnberg; Christoph Vohler, München
97
AG E N DA
AUKTIONEN
98
ANTIQUES & ART FAIR LUXEMBOURG 2016
4 DAYS OF DISCOVERY FOR EVERY ANTIQUES AND CONTEMPORARY ART LOVER
Some hundred antiques and art galleries coming from Belgium, France, Germany and
Luxembourg will present a varied offer of objects, paintings and furniture.
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Furthof 1 | 88633 Heiligenberg-Hattenweiler | Telefon: +49(0)75 52-59 69 Biedermeier Sesselpaar
aus Nussbaum mit Inventar-
etiketten aus Schloss Jegenstorf (CH), Schweiz um 1820.
Bilder: Christie’s New York; Sotheby’s/VG Bild-Kunst, Bonn 2015; Lempertz, Brüssel
Lempertz,
ckung, die für die Modernen im hatte er das Bild ans Metropoli frische von Cézannes »Ferme en Brüssel, 26. Januar
Frühjahr und Herbst 2015 so tan Museum of Art geliehen. Normandie« von 1882 (Taxe
schön funktionierte, wird im Dazu steuert eine römische 4,5 bis 6,5 Mio. Pfund). Der Der Januar steht bei Lempertz
Januar auch bei Altmeister Sammlung 35 italienische Vedu Maler schildert hier einen licht traditionell im Zeichen der
gemälden angewandt. Sie wan ten und Porträts aus der Zeit flimmernden Blick durch fri afrikanischen und ozeanischen
dern vom angestammten der Grand Tour bei. sches Grün auf den Landsitz Kunst. In der Brüsseler Depen
Auktionsplatz in einen Katego BARBARA KUTSCHER von Victor Chocquet, seinem dance kommt ein seltenes
rienmix aus Antiken, Skulptu damals wichtigsten Mäzen. Schild mit stilisierten Tiermoti
ren und dekorativer Kunst Mit Als sein großformatigstes Staffe ven aus Sissano an der Nord
te April. »Classic Art Week« IMPRESSIONISMUS UND leigemälde überhaupt wird Juan küste Papua Neuguineas zum
nennt sich das und findet unter MODERNE IN LONDON Gris’ melancholischer »Pierrot Aufruf, eine Gegend, die einst
dem Thema »Revolution« statt. Christie’s, 2. Februar mit Gitarre« von 1929 angeprie zur deutschen Kolonie gehörte
Aber so ganz mag Christie’s die Sotheby’s, 3. Februar sen. Das beliebte Motiv des Spa und 1998 schwer vom Erdbeben
Altmeisterwoche nicht verlas niers ist nun auf 800 000 bis 1,2 verwüstet wurde. Das Objekt
sen und bietet weiterhin Zeich Sie beide liebten Musik: Henri Mio. Pfund geschätzt. Zwei Jah stammt aus der Sammlung der
nungen an. Das harmoniert gut Matisse, der Maler, und die jun re früher malte Max Beckmann, belgischen Fotografenlegende
mit der 10. Master Drawings ge Ballerina Henriette Darri damals auf dem Höhepunkt Martien Coppens (Taxe 7000 bis
Week (23. bis 30. Januar). Zu carrere. Sie war eine exzellente seines Ruhms, ein Rosenstill 9000 Euro).
den Höhepunkten gehört Jean- Geigerin, hier aber platziert sie leben, das jetzt zu 500 000 bis Flankiert wird das Los von
Antoine Watteaus Kreideporträt der Künstler in seinem Studio 800 000 Pfund erblühen soll. einer größeren Gruppe von
seines Freundes und Malerkolle kerzengerade ans Klavier. Hin HEIDI BÜRKLIN Waffen: Keulen, Paddeln, zwei
gen Nicolas Vleughels, Direktor speerförmigen, im Nahkampf
der Academie de France à genutzten Maori taiaha (Taxe
Rome, der seine Geige stimmt 2000 bis 3000 Euro) sowie einer
(Taxe 120 000 bis 180 000 Dollar). adze-Axt aus Neukaledonien,
Marktführer Sotheby’s tritt die ehemals zur Sammlung des
dafür besonders stark auf. Engländers James Hooper
Zuerst wird die seit den frühen gehörte, der in den 1950er-Jah
1980ern angelegte große Alt ren sein Wohnhaus in Sussex in
meistersammlung Alfred Taub
mans zerschlagen. Sie reicht
1 Jean-Antoine Watteau, »Porträt
von der italienischen Renais
von Nicolas Vleughels«, Kreide/
sance – hier sticht Raffaels win Papier, 24,5 x 18,9 cm, Christie’s, New
ziges Tondo, das einen Durch York, Taxe 120 000 bis 180 000 Euro
messer von nur knapp 13 cm 2 Henri Matisse, »Enfants au piano«,
hat, mit dem Porträt seines 1923, Sotheby’s ,Taxe 12 bis
Freundes Valerio Belli von 1517 18 Mio. Euro
(Taxe 2 bis 3 Mio. Dollar) heraus 3 Nkanu-Panel, Süd-Kongo,
– über barocke Gemälde bis ins H. 112 cm, Lempertz, Brüssel, Taxe
2
19. Jahrhundert. Schön ist auch 10 000 bis 15 000 Euro
100
Sonderauktion
Sammlung Gert K. Nagel
anlässlich seines 80. Geburtstages
V.l.n.r.: (Detail): Stern-Kasak, Kaukasus, um 1800, 176 x 164 cm | Uhrengehäuse, Johann Andreas Fiechthorn,
Bayreuth, um 1750, H. 36 cm | Neunteiliges Salonameublement, Johannes Klinkerfuß, Stuttgart, 1. Drittel 19. Jh.
(Detail): Eduard von Grützner (1846-1925), Bruder Schneider, 1873, Öl/Lwd., 49 x 39, 5 cm
Nagel Auktionen GmbH & Co. KG | Neckarstraße 189 – 191 | 70190 Stuttgart | Postfach 103554 | 70030 Stuttgart
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AUKTIONEN
ein seinerzeit berühmtes Totem- auf 1500 bis 18000 Euro
museum verwandelt hatte. Im geschätzt sind.
afrikanischen Teil der Auktion Beim herkömmlichen inter-
dürfte eine feine Zande-Harfe nationalen Design wartet ein
mit elegantem Kopfende aus Armlehnsessel mit Ottoman
dem Norden des Kongo viel von Grete Jalk aus dem Jahr
Anklang finden (Taxe 5000 bis 1964 zum Schätzpreis von 3000
8000 Euro). Mit einer Taxe von bis 4000 Euro auf Liebhaber.
20 000 bis 25 000 Euro markiert Aus dem Nachlass von Günther
ein Luba-Stuhl, der von einer Förg stammen zwei Clubsessel
Frauenfigur gehalten wird und 2
(1930) mit auberginefarbenem
aus der Sammlung des belgi- Lederbezug von Jean-Michel
schen Künstlers Jean Willy Mes- ter Nautiquitäten: Theodoliten, DESIGN UND MURANOGLAS Frank und Adolphe Chanaux
tach (1926–2014) stammt, die Chronometer, Sextanten, Quittenbaum, (Taxe 2800 bis 3200). Gewohnt
preisliche Spitze. Mikroskope, Kompasse und München, 23. bis 25. Februar qualitätvoll ist außerdem das
Rituellen Zauber strahlt das ähnliche Navigationshilfen, Angebot an Muranoglas.
farbig bemalte, 112 cm hohe nicht zuletzt auch mehrere Olivier Mourgues futuristische SUSANNE LUX
Nkanu- oder Initiationspanel Segelschiffsmodelle, deren Taxe Djinn-Möbelserie, aus der das
aus, das mit reliefartigen im Schnitt bei 300 bis 400 Euro mit rotem Kunstleder bezogene
Schlangen und Schildkröten liegen. Bei dem Konvolut han- Zweifersofa (1965) stammt, wur- KUNST UND ANTIQUITÄTEN
verziert ist (10 000 bis 15 000 Euro) delt es sich um das in diesem de durch Stanley Kubricks »2001 Kühling,
und von einem Missionar in Jahr übernommene, mehr als – Odyssee im Weltraum« 1968 Kempten, 15./16. Januar
den 1950er-Jahren gesammelt 100 Objekte umfassende Inven- bekannt. Das organisch geform-
102
Berlin-Auktion 2016
am 4. Februar im Estrel Hotel Berlin
KURFÜRSTENTUM BAYERN
Maximilian I. (IV.) Joseph, 1799 - 1806 - 1825. Konv.-Taler 1802.
Von allergrößter Seltenheit. Kabinettstück mit feiner Patina,
Erstabschlag, fast Stempelglanz.
KÖNIGREICH FRANKREICH
Consulat, 1799 - 1804. 5 Francs AN 10 (1801/1802) A, Paris.
Von allergrößter Seltenheit, einziges bekanntes Exemplar in
Privatbesitz. Prachtexemplar, fast Stempelglanz.
KURFÜRSTENTUM SACHSEN
Friedrich August I., 1694 - 1733 (August der Starke). Reichstaler o. J. (1705),
Dresden. Von großer Seltenheit. Kabinettstück mit prachtvoller Patina, fast
Stempelglanz.
Berlin-Auktion 2016
Deutsche Münzen und Medaillen KAISERREICH RUSSLAND
Elisabeth, 1741 - 1761. Rubel 1757, St. Petersburg.
Europäische Münzen und Medaillen Von großer Seltenheit. Prachtexemplar, fast Stempelglanz.
104
DR. FISCHER
KUNSTAUKTIONEN
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W E LT K U N S T
KUNSTSTÜCK Nº 6 0
VON
H A RT M U T B ÖH M E
Thomas Schütte,
»United Enemies«, 1993, Privatsammlung
106
D
a stehen sie – aus Modellier- gewitzten, grübelnden, neugierigen, starren- die eigentümlichen Figurationen des oralen
masse geknetete Männchen den Gesichtern. Karikaturen sind sie alle. Systems einzuführen vermag, ja auch in die
auf Stelzbeinen, eingehüllt Die winzigen Köpfe hat er in Schwarzweiß politischen Bedingungen und Konflikte des
in grobe Sackkleider, die fotografiert und auf überlebensgroße Forma- Gesundheitssystems, in die Zwangsregulie-
wie Zwangsjacken in alten Irrenhäusern die te vergrößert. Unter dem ironischen Titel rungen und sozialen Symbiosen, die mit je-
Arme zur Bewegungslosigkeit verurteilen. »Innocenti« ist der Bilderfries in dreieinhalb nen Körperzonen verbunden sind, die etwa
Umgürtet und umschlungen bilden sie eine Metern Höhe angebracht, sodass der Be- als unser Gesicht, unser Mundraum, unsere
groteske Zwangsgemeinschaft behinderter trachter zu ihnen aufblicken muss. Der Ein- Zähne so selbstverständlich erscheinen, dass
Männer, die aus deformierten Gesichtern druck ist unheimlich, beängstigend und un- es einer distanzierten Position bedarf, um
hochnäsig ins Nichts, so der eine, oder ver- widerstehlich belustigend. Die Gesichter, die die biopolitischen Steuerungen, die wissen-
dutzt auf irgendetwas im Rechtsaußen bli- so gar nichts Unschuldiges zu haben schei- schaftlichen Verfahren und Techniken, die
cken, so der andere. In dessen Mantel steckt, nen, ähneln in ihrer entrückten Position ei- kulturellen Semantiken und künstlerischen
wie ein Schwert, eine Zahnbürste: Wie sollte ner Versammlung von Masken einer schau- Darstellungen zusammenzubringen, die sich
man sie gefesselt zum Einsatz bringen? Auf erlichen Macht. um Gesicht und Mundraum historisch ent-
den Kopf gestülpt ein weißer Eimer, mit ro- Doch das Dämonische löst sich, je län- wickelt haben.
tem Kreis markiert, eine Kokarde, die indes ger man verweilt, ins Groteske auf. Alle Köp- Das sind die Hintergründe, warum wir,
auch wie ein Rotkreuz auf einer Schwestern- fe wirken alterslos, von greisenhafter Ewig- die Herausgeber Beate Slominski, Bernd Kor-
haube wirkt. Nichts von alledem trifft wirk- daß und ich, mit den »United Enemies« kom-
lich zu; so ist es bei Thomas Schütte, der gern mentarlos ein Buch eröffnen, das prima facie
mit unseren Deutungen seinen Spott treibt. im Kunstraum fremdartig daherkommt:
So bleibt nur, sich seiner absurden Hu- Hochnäsig blickt die »Das Dentale. Faszination des oralen Systems
moreske zu überlassen, diesem Meister der in Wissenschaft und Kultur« (2015). Hier stel-
Fimo-Figürchen, die er mit seinen Fingern groteske Zwangsgemeinschaft len wir das fast völlig übersehene Funktions-
knetet, als sei er Kind und nicht ein großer
Künstler. Stets sind die Knetfiguren in Ge-
aus deformierten ensemble des Mundraums dar, dessen vielfäl-
tige Dimensionen bislang nur in der
wänder hüllt, die aus ihnen Gefesselte eines Gesichtern ins Nichts. Perspektive jeweils einzelner Wissenschaften
abgründigen Witzes machen. Das Gewitzte entwickelt wurden, sei es der Physiologie, der
in der Manier E. T. A. Hoffmanns lässt schrill Zahnmedizin, der Linguistik, der Psycho-
auflachen, aber dann bleibt das Rätsel, was analyse oder der Kunstgeschichte.
es denn zu lachen gibt. »United Enemies«? keit oder infantiler Regression. Die Wülste Der Mundraum ist eine Körperzone von
Will das sagen, dass Feinde eine groteske, im- und Verformungen beginnt man als Entstel- anthropologisch fundamentaler Bedeutung.
mobile, ja verkrüppelte und irrsinnige lungen der Macht zu lesen. Die Münder, stets Nicht nur zahnmedizinische, ethnologische
Zwangsgemeinschaft bilden, ob nun United geschlossen, verraten die mümmelnde Zahn- und folkloristische, evolutionsbiologische
Nations, United Kingdom, United States, losigkeit der Alten. Die Macht, die laut Elias und paläoanthropologische Dimensionen
United Domains? Feindschaften sind es, die Canetti von der glatten, kraftvoll-aggressiven finden Berücksichtigung, sondern auch die
aneinanderbinden und fesseln. Zahnreihe ausgeht, ist eingefallenen Wangen, Evolution des Gesichts, die Gesichts- und
Eine Zahnärztin schaut auf diese grotes- verschrumpften Mündern, faltigem Fett ge- Schädelchirurgie, die medizinische Ästhetik
ke Figuration und lacht kurz auf: »Ist doch wichen. Die Augen: verkniffen oder ausge- und die kulturelle Physiognomik des Ge-
klar, das ist der Inbegriff des Gesundheitssys- stochen, umrandet von Wülsten und schlaf- sichts. Höhlenforscher sind sie alle, diese
tems, Arzt und Patient als unselbstständige, fen Fleischsäcken. Der Eindruck des Bösen Künstler, Mediziner, Literaten, Evolutions-
reglementierte Zwangsgemeinschaft, Gefan- löst sich: eine Schwadron deformierter Män- biologen, Anthropologen, die sich hier ein
gene des staatlichen Systems!« Ist das so ab- nergesichter ohne die klassischen Attribute Stelldichein geben. Niemals zuvor wurde der
wegig? Handelt es sich womöglich um dege- auratischer Macht. Wenn dieser Fries die Ge- Mundraum derart intensiv zum Gegenstand
nerierte Vorfahren von Schüttes Skulptur sichter der Macht darstellt, dann ist er deren unseres Wissens, unserer Erfahrung, aber
»Vater Staat« (2010)? Hier schrumpft der radikale Dekonstruktion. Das Große wird eben auch des Auges gemacht: und deswegen
Künstler die Figur nicht ins Kleine, sondern wieder zum Kleinen, wovon es seinen Aus- spielen die Künste dabei eine so herausragen-
monumentalisiert sie. Aber auch von »Uni- gang nahm, den Knetfigürchen, »Innocenti« de Rolle. Wo Wissenschaftler und Künstler,
ted Enemies« gibt es eine überlebensgroße oder »United Enemies«. Das Lachen, das in die alle auch Patienten sind, sich derart auf
Variante in Bronze von 2011. der satirischen Groteske immer disponiert eine gemeinsame Reise in den Inner Space
Diese gewaltige, unnahbare Figur des ist, bleibt indes im Halse stecken. Hier sind begeben: da dürfen denn auch, selbstiro-
Staates hat Schütte öfter mit den greisen Ge- wir, die Betrachter in ihrer bedeutungslosen nisch, die Fimo-Figuren von Thomas Schütte
sichtern der Macht aus dem Zyklus »Inno- Normalität – und da sind sie, die Bewohner den Introitus zu einem Buch geben. Sind sie
centi« (1994) umgeben: einunddreißig kleine des politischen Narrenturms in ihrer bedeu- doch alle »United Enemies«. ×
Fimo-Figuren mit seltsam zerknautschten, tungslosen Monstrosität.
schrumpligen, entstellten, grimmigen, bö- Man ahnt, dass die Kunst nicht nur in Prof. Dr. Hartmut Böhme arbeitet derzeit in Wien
sen, verschlagenen, bedrohlichen, lächerli- die Formen und Gestalten des Gesichts, der am Internationalen Forschungszentrum Kultur-
chen, grinsenden, lauernden, echsenhaften, Mimik und der Masken, sondern ebenso in wissenschaften der Kunstuniversität Linz
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