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Seminar zum Praktikum PC IIB

„Physikalische Chemie - Grundpraktikum“

Wintersemester 2022/2023
Donnerstag, 07:30 – 09:00 Uhr
Seminarraum 230, A.-Einstein-Str. 27

Dr. Alexander Wulf


Tel.: 498-6490
Email: alexander.wulf@uni-rostock.de
Folien unter Stud.IP LV 13314, Physikalische Chemie IIA (Praktikum)
Kapitel 1
„Handwerkszeug“ zum Praktikum

1.1 Literaturhinweise
1.2 Protokollgestaltung
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung
1.6 Linearisierung von Gleichungen
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.1 Literaturhinweise

Lehrbücher der Physikalischen Chemie:


• Gerd Wedler & Hans-Joachim Freund: „Lehrbuch der Physikalischen Chemie“
(6. Auflage 2012, Wiley-VCH Verlag)
• Peter W. Atkins & Julio de Paula: „Physikalische Chemie“
(5. Auflage 2013, Wiley-VCH Verlag)
• Ira N. Levine: „Physical Chemistry“
(6. Auflage 2009, McGraw-Hill Higher Education)
• Walter J. Moore, Dieter O. Hummel: „Physikalische Chemie“
(4. Auflage 1986, Verlag Walter de Gruyter)
• Donald A. McQuarrie, John D. Simon: „Physical Chemistry – A Molecular Approach“
(1997, University Science Books)

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.1 Literaturhinweise

Literatur zu Praktikumsexperimenten:
• Horst-Dieter Försterling & Hans Kuhn: „Praxis der Physikalischen Chemie
(3. Auflage 1991, VCH Verlagsgesellschaft Weinheim)
• Hans-Heinrich Möbius, Wolfgang Dürselen: Lehrwerk Chemie
Lehrbuch 4 & Arbeitsbuch 4 „Chemische Thermodynamik“
(5., durchges. Auflage 1988, Dt. Verlag für Grundstoffindustrie)
• Klaus Schwetlick, Gisbert Großmann, Joachim Finster: Lehrwerk Chemie
Lehrbuch 6 & Arbeitsbuch 6 „Chemische Kinetik“
(4., durchges. Auflage 1985, Dt. Verlag für Grundstoffindustrie)
• Wolfgang Gottwald, Werner Puff, Andreas Stiglitz: „Physikalisch-chemisches
Praktikum“ (3., neu bearb. Auflage 1997, Wiley-VCH Verlag)
• Erich Meister: „Grundpraktikum Physikalische Chemie“
(2. Auflage 2012, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich)
• Volker Ender: „Praktikum Physikalische Chemie“
(Springer Verlag 2015)
• W. H. Heini Gränicher: „Messung beendet – was nun?“
(2., überarb. Auflage 1996, vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich)

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Allgemeine Hinweise & Formalitäten (siehe auch Protokollrichtlinien des FSR):

• Wichtigste Regel: Schreiben Sie ein Protokoll so, dass auch eine Person, die den Versuch
selbst nicht durchgeführt hat und die Versuchsvorschrift nicht kennt,
nachvollziehen kann, was Sie getan haben und auf Basis Ihres Protokolls
den Versuch im eigenen Labor jederzeit wiederholen könnte.

• Nutzen Sie Teamwork! (Zweiergruppen: Korrekturlesen, Kommilitonen fragen)


• Rechtschreibung und Grammatik sind zu beachten.
• Original-Messprotokoll (Urliste) im Anhang nicht vergessen.
• Ansprechende und gut lesbare Formatierung wählen, d.h.:
- Zwischenüberschriften hervorheben (Schriftart größer, Unterstreichen o.ä.)
- seriöse Schriftart, Blocksatz (d.h. links- und rechtsbündig), Schriftgröße 11-12 pt.
- Seitenzahlen nicht vergessen!
- Physikalische Größen kursiv, Einheiten aufrecht und Eigennamen in Kapitälchen schreiben.
- Gleichungen, Tabellen & Diagramme nummerieren und möglichst zentriert einfügen.
- Tabellen u. Diagramme mit Über- bzw. Unterschriften versehen.
- Daten, Berechnungen, Diagramme etc. in einer logischen Reihenfolge anordnen.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Grundlegender Aufbau eines Versuchsprotokolls:

1. Deckblatt: Dieses enthält


- Name von Autor und Co-Autor
- Titel des Versuchs (entsprechend dem Praktikumsmanuskript)
- Versuchstag, nicht Abgabetag des Protokolls
- Name des Betreuers
2. Aufgabenstellung
3. Grundlagen / Vorbetrachtung
4. Durchführung
5. Original-Messprotokoll (vom Assistenten am Versuchstag unterzeichnete,
handschriftliche Kladde, auch als Anhang möglich)
6. Auswertung & Ergebnisdarstellung Können auch in einem Teil
7. Diskussion & Fehlerbetrachtung / ggf. Fehlerrechnung zusammengefasst werden.

8. Quellenangaben (v.a. beim Vergleich mit Literaturwerten)


9. Eigenständigkeitserklärung

Die Punkte 3, 6 und 7 sind die Schwerpunkte des Protokolls. 6


1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Anmerkungen zu Punkt 3 (Grundlagen / Vorbetrachtung):

• Schriftliche Ausarbeitung vor Versuchsbeginn kann als Basis dienen.


• Eigene Überlegungen einbringen, keine Kopie des Praktikumsmanuskripts!
• Zusammenfassung von Theorie & Methode, diese sollte folgendes enthalten:
- Idee des Versuchs bzw. Messprinzip
- für die Auswertung wichtige Formeln
- verwendete Näherungen (z.B. ideales Gas, ideale Mischung etc.)
- Reaktionsgleichungen bzw. Reaktionsmechanismen
- Strukturformeln
- Versuchsapparatur (Handskizze, brauchbare (!) Kopie/Scan/Foto
Bild ist nicht zwingend nötig, eine Textbeschreibung aber schon)

Anmerkungen zu Punkt 4 (Durchführung):

• Die Auflistung einzelner kleiner Arbeitsschritte kann in Stichpunkten erfolgen.


• Abweichungen von der Vorgehensweise im Praktikumsmanuskript sind zu kennzeichnen.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Anmerkungen zu Punkt 5 (Original-Messprotokoll):


• Bezeichnung der verwendeten Messgeräte festhalten.
• wichtige Umgebungsparameter wie Raumtemperatur, Luftdruck, Luftfeuchte
festhalten und ggf. im Laufe des Versuchstages kontrollieren.
patm / hPa = …
JR / °C = …
rel. Luftfeuchte / % = …
• Daten sauber und leserlich notieren, keine Nebenrechnungen und sonstige Notizen
darauf schreiben, die nicht im direkten Zusammenhang mit den Messdaten stehen.
• In der Anleitung zum Versuch aufgeführte Tabellenmuster bieten
meist einen Anhaltspunkt für die Gestaltung der Wertetabellen.
• Oft ist eine Nummerierung der Wertereihen zweckmäßig.
• Messwerte sollten zweckmäßig in der Reihenfolge Ursache-Wirkung eingetragen werden.
• Tabellenkopf: immer Messgröße zusammen mit der Maßeinheit angeben.
• Ablesung der Messwerte immer mit der größtmöglichen Genauigkeit.
Digitalanzeigen: alle angegebenen Ziffern
Analoganzeigen: zwischen den Teilstrichen kann meist noch geschätzt werden

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Anmerkungen zu Punkt 5 (Original-Messprotokoll):

Tab. 1.1: Beispiel für eine Tabelle im Messprotokoll.

Nr. x-Wert/Maßeinheit (Ursache) y-Wert/Maßeinheit (Wirkung) Bemerkungen


t/s J / °C
1 60 25,75

2 120 27,80

3 180 30,25 Ausfall Kühlwasser

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Anmerkungen zu Punkt 6 (Auswertung):


• Daten aus dem Originalmessprotokoll nochmal ins Dokument übertragen.
• Messwerte, Zwischenwerte & Ergebnisse in Tabellenform darstellen,
hierbei Werte möglichst in SI-Einheiten umrechnen.
• Darstellung des vollständigen Rechenweges anhand einer Wertereihe (Beispielrechnung!).
• Kritische Bewertung der Messwerte daraufhin, ob diese stark von anderen abweichen.
Falls ja, können sie als „Ausreißer“ aus der Wertung genommen werden (Begründung
in der Diskussion erforderlich!).
• wichtiger Teilaspekt: grafische Darstellung und deren weitere Auswertung
(Anstieg, Achsenabschnitt, siehe Kapitel 1.5)
Diagramme dienen der Veranschaulichung und Beurteilung von Messwerten,
sie sind nicht nur schmückendes Beiwerk.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.2 Protokollgestaltung

Anmerkungen zu Punkt 7 (Diskussion & Fehlerbetrachtung):


• Eine ausführliche Behandlung der Fehlerbetrachtung erfolgt in Kapitel 2 des Seminars.
• Zur Angabe des Ergebnisses gehört immer der Fehlerbereich, innerhalb dessen
das wahre Ergebnis vermutet wird (Messunsicherheit).
• Die Angabe des Ergebnisses erfolgt stets sinnvoll gerundet.
Ergebnis und Messunsicherheit werden mit der gleichen Anzahl von Stellen angegeben.
• Die Angabe der Messunsicherheit erfolgt i.d.R. mit zwei gültigen Ziffern
und hat die Maßeinheit der Messgröße (Details siehe Kapitel 1.3).
Beispiel: Versuch Nr. 2, Molekularmassebestimmung nach V. MEYER:
M = (68,7 ± 2,3) g/mol
• Das Ergebnis sollte kritisch eingeschätzt werden. Dazu gehört u.a.:
- Kontrolle auf Plausibilität (insbesondere Maßeinheiten beachten, Zeitangabe in 1/s
oder Molmassen von mehreren Tonnen sollten zu denken geben).
- Vergleichsdaten aus der Erwartung oder Literatur (Quellenangabe)
- Grenzen oder Fehler im Messaufbau (Was limitiert die Präzision der Messung?)
- Führen Näherungsannahmen zu Abweichungen zwischen Ergebnis und Vergleichswert?
- Welche der bestimmten Messgrößen hat den größten Einfluss auf das Ergebnis?

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Darstellung und Schreibweise physikalischer Größen:


• Als Grundlage und Richtschnur dienen
- Die Festlegungen der „International Union of Pure and Applied Chemistry“ (IUPAC).
- Das Internationale Einheitensystem SI (Système International d‘ Unités, ISO 1000, DIN 1301).
Darin wird festgelegt:
• Jede physikalische Größe ist das Produkt aus einem Zahlenwert und einer Maßeinheit:
Physikalische Größe = Zahlenwert ∙ Maßeinheit
• Für die physikalische Größe wird ein international standardisiertes Formelzeichen
als Symbol gesetzt (leider nicht für alle).
• Wichtig: Formelzeichen für physikalische Größen und Naturkonstanten werden kursiv gedruckt.
z.B.:
• Allgemeines Zeichen für eine Maßeinheit: In eckige Klammern gesetztes Symbol der
physikalischen Größe. Maßeinheiten selbst werden nicht kursiv geschrieben.
z.B.: (Volt)
Wichtig: Die Angabe von Einheiten in eckigen Klammern ist falsch.
• Begriff „Dimension“: Aufspaltung der physikalischen Größe in Basisgrößen des SI-Systems.
z.B.: Die Geschwindigkeit hat die Einheit Meter pro Sekunde:
Die Dimension der Geschwindigkeit ist Länge pro Zeit.
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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rechnen mit physikalischen Größen:


• Physikalische Größen werden wie ein algebraisches Produkt behandelt, d.h. die Grundrechenarten
sind damit ausführbar. Wichtige Größen erhalten dann auch neu definierte Maßeinheiten.

• Maßeinheiten sollten soweit wie möglich sinnvoll gekürzt werden.

Auf diese Weise lässt sich leicht erkennen, ob Gleichungen korrekt umgeformt
wurden, denn die Einheit muss zur physikalischen Größe passen.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rechnen mit physikalischen Größen:


• Rechnen in SI-Einheiten vermeidet Fehler, d.h. immer in SI-Einheiten umrechen.
• Zuweilen werden verschiedene Maßeinheiten (Pa, bar, at (kp∙cm-2), atm, Torr) für dieselbe
physikalische Größe (Druck) verwendet. Verschiedene Maßeinheitensysteme müssen beim
Rechnen auf eines zurückgeführt werden.
101,3 kPa = 1,013 bar = 1,033 at = 1 atm = 760 Torr
Auch bei Verwendung älterer Publikationen ist Vorsicht geboten, da in der Zwischenzeit
häufig Bezugswerte wie der Standard-Druck oder Temperaturfixpunkte geändert wurden.
• Für die physikalische Größe Temperatur gilt:
Verwendung des Formelzeichens 𝜗, wenn die Angabe in Grad Celsius erfolgt.
Verwendung des Formelzeichens T, wenn die Angabe in Kelvin erfolgt.
• Häufig vorkommender Fall: Celsius und Kelvin stehen als Quotient gemeinsam in einer Formel,
z.B. beim Auftreten von Koeffizienten mit der Maßeinheit K-1. Da gilt: J = T – 273,15 K,
sind in diesen Quotienten Grad Celsius und Kelvin als Maßeinheit gleichwertig und können
gekürzt werden.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rechnen mit physikalischen Größen:


• Beispiel aus dem Versuch Nr. 1 (Nullpunkt der absoluten Temperatur): GAY-LUSSAC‘sches Gesetz
bezogen auf die Celsius-Skala bezogen auf die Kelvin-Skala

• Beispiel aus dem Versuch Nr. 9 (Wasserdampfdestillation): Fadenkorrektur

Der Ausdehnungskoeffizient 𝛼 ist in K-1 gegeben, die Größe 𝑎 jedoch in °C. Beide lassen sich
gegeneinander kürzen, denn die Ausdehnung pro Kelvin ist genauso groß wie die pro Grad Celsius.
Oder anders: für Temperaturdifferenzen gilt immer: ∆𝑇 = ∆𝜗. Der Klammerausdruck ist also
für beide Einheiten gleich groß. Dies funktioniert nicht für die Einheit Grad Fahrenheit (F)!

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rechnen mit physikalischen Größen:


• In Logarithmen physikalischer Größen tauchen Maßeinheiten nicht auf! Entweder schreibt
hierfür einen Quotienten, d.h. man teilt die Größe durch ihre Einheit


oder man verwendet das Konzept des Standardzustandes mit dem Bezugswert 𝑝 = 1 bar.

Wichtig: Die Information über die bei der Integration verwendete Maßeinheit muss bewahrt werden,
da sonst folgendes passieren könnte:

Der Zahlenwert ändert sich um einen bestimmten Wert. Wäre ln 𝑝 der y-Wert in einer grafischen
Darstellung würde sich der Achsenabschnitt um den Betrag -11,51 verschieben.
Die Information, in welcher Maßeinheit die logarithmierte Größe gemessen wurde,
sollte daher immer per Division durch die Maßeinheit gekennzeichnet werden.
Die Umrechnung in andere Einheiten erfolgt außerhalb des Logarithmus.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rundungsregeln:
• Bei Angabe von Ergebnissen mit Messunsicherheit wird zunächst die Messunsicherheit gerundet.
• Messunsicherheiten werden immer aufgerundet und mit maximal zwei signifikanten Stellen
angegeben.
• Begriff Signifikante Stellen: Es handelt sich um die aussagekräftigen Stellen einer Zahl.
Man zählt diese von links beginnend von der ersten von Null verschiedenen Zahl bis zur Rundestelle.
Sie dürfen nicht mit der Zahl der Nachkommastellen verwechselt werden.
• Ermittlung der signifikanten Stellen:
- bei Dezimalzahlen: 137,42 2 Nachkommastellen, 5 signifikante Stellen
0,0013742 7 Nachkommastellen, 5 signifikante Stellen
- bei Potenzen: 8 ∙ 102 1 signifikante Stelle
8,00 ∙ 102 2 Nachkommastellen, 3 signifikante Stellen
0,08 ∙ 104 2 Nachkommastellen, 1 signifikante Stelle
- bei Zahlen ohne Nachkommastellen: Hier kommt es auf den Kontext an! In Experiment und in
der Statistik ist die Genauigkeit ausschlaggebend dafür, wie viele Stellen signifikante Stellen sind.
Beispiel: a) Einwohnerzahl Rostocks am 31.12.2020: 209.061 Personen
6 signifikante Stellen, da die Angabe an einem Stichtag erfolgt.
b) Einwohnerzahl Rostocks im Jahr 2020: 209.000 Personen
3 signifikante Stellen, da die Zahl im Laufe des Jahres schwankt. 17
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rundungsregeln:
• Bei Angabe von Ergebnissen mit Messunsicherheit wird zunächst die Messunsicherheit gerundet.
• Messunsicherheiten werden immer aufgerundet und mit maximal zwei signifikanten Stellen
angegeben.
• Ermitteln der Rundestelle der Messunsicherheit:
- Von links beginnend die erste von Null verschiedene Ziffer suchen.
- Ist dies eine der Ziffern 3 bis 9, ist es die Rundestelle.
- Ist dies eine 1 oder 2, ist die Ziffer rechts daneben die Rundestelle.
• Die Ergebniszahl wird dann immer auf die gleiche Anzahl an Stellen gerundet wie die Messunsicherheit.
• Dabei gelten die Regeln des wissenschaftlichen Rundens:
1. Folgt auf die Rundestelle eine der Ziffern 0 bis 4, wird abgerundet.
2. Folgt auf die Rundestelle eine der Ziffern 6 bis 9, wird aufgerundet.
3. Folgt auf die Rundestelle eine 5, gefolgt von weiteren Ziffern ≠ Null, wird aufgerundet.
4. Folgt auf die Rundestelle nur eine 5 oder hinter dieser 5 ausschließlich Nullen, wird so
gerundet, dass die Rundestelle gerade ist (anders als beim kaufmännischen Runden).
Der Sinn dahinter: Bei dieser Rundungsart wird bei großen Datenmengen im Mittel
genauso oft auf- wie abgerundet und dadurch ein statistischer Fehler vermieden.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Rundungsregeln:
• Einige Beispiele:
Ergebniszahl: 7,369717 7,369717 7,36975 7,3698500
Messunsicherheit: 0,00432 0,001641 0,001641 0,001641
Rundestelle: 0,00432 0,001641 0,001641 0,001641
Messuns. gerundet: 0,005 0,0017 0,0017 0,0017
Ergebnis gerundet: 7,370 7,3697 7,3698 7,3698
signifikante Stellen: 4 5 5 5

• Ein Rechenergebnis muss auf die Anzahl signifikanter Stellen derjenigen Zahl mit der geringsten
Anzahl signifikanter Stellen gerundet werden. Das gilt auch beim Umrechnen von Maßeinheiten:
123 cal = 4,1868 J/cal ∙ 123 cal = 514,9764 J → 515 J
Bei Zwischenergebnissen können zunächst alle berechneten Stellen mitgenommen werden.
Erst bei der Angabe des Endergebnisses wird entsprechend gerundet.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.3 Regeln, Konventionen & Schreibweisen

Korrekte Angabe für Messergebnisse physikalischer Größen:


• Das Unsicherheitsintervall der Größe ist immer mit anzugeben. Dazu wählt man eine der
folgenden Schreibweisen (am Beispiel der elektrischen Permittivität im Vakuum):
𝜀0 = 8,854 187 8128 F ∙ m-1 ± 0,000 000 0013 F ∙ m-1 (ausführlich)
𝜀0 = (8,854 187 8128 ± 0,000 000 0013) F ∙ m-1 (kompakt, bevorzugte Variante)
𝜀0 = 8,854 187 8128(13) F ∙ m-1 (im amerikanischen Raum gebräuchlich)
𝜀0 = 8,854 187 812 F ∙ m-1 (erste fehlerbehaftete Ziffer tief)
𝜀0 = 8,854 187 8 F ∙ m-1 (Verzicht auf Fehlerangabe, vorletzte
Ziffer ist sicher, letzte um weniger als
eine Einheit unsicher)
• Die Fehlerangabe erfolgt mit maximal zwei signifikanten Stellen.
• Die letzte angegebene Ziffer des Fehlers wird grundsätzlich aufgerundet.
• Die Angabe des Ergebniswertes erfolgt mit genauso vielen Ziffern wie die Fehlerangabe.
• Die Messunsicherheit hat die gleiche Einheit wie die Größe.
• Die letzte der o.g. Schreibweisen hat praktische Bedeutung: Üblicherweise werden
Naturkonstanten in Nachschlagewerken so dargestellt. Außerdem nutzt man dies als
Fehler skalierter Messeinrichtungen, wenn die Messunsicherheit nicht explizit angegeben ist.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

• In der Wissenschaft ist das SI-System verbindlich anzuwenden. Es basiert auf


sieben Basisgrößen, deren Basiseinheiten fest definiert sind:

Basisgröße Größen- Basiseinheit Einheiten-


symbol symbol
Länge 𝑙 Meter m
Zeit 𝑡 Sekunde s
Masse 𝑚 Kilogramm kg
Stromstärke 𝐼 Ampere A
Thermodynamische 𝑇 Kelvin K
Temperatur
Stoffmenge 𝑛 Mol Mol
Tab. 1.2: SI-Basisgrößen und
Lichtstärke 𝐼V Candela cd Basiseinheiten.

• Eigenschaften des SI-Systems:


a) metrisch, d.h. eine der Basiseinheiten ist das Meter
b) dezimal, d.h. verschiedene Einheiten für eine Größe unterscheiden sich nur um Zehnerpotenzen
c) kohärent, d.h. von den o.g. Basiseinheiten lassen sich SI-Einheiten für andere Größen
als Produkt von Potenzen ohne zusätzlichen Faktor ableiten (1 N = 1 kg ∙ m ∙ s-2)
21
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

• Diese Basisgrößen wurden nach praktischen Gesichtspunkten ausgewählt. Die Definitionen


der Einheiten änderten sich im Laufe der letzten Jahrzehnte mehrfach (Fortschritt in der
Wissenschaft, Verbesserung der Messtechnik).
• Zuständig: Internationales Büro für Maß und Gewicht in Paris (BIPM), gegründet am 20.05.1875,
dem Beschlusstag der sog. „Meterkonvention“. Es veranstaltet alle vier Jahre eine Konferenz zu
wichtigen messtechnischen Angelegenheiten, die „Generalkonferenz für Maß und Gewicht“ (CGPM).
• Umsetzung in nationale Vorschriften erfolgt durch die Metrologie-Behörden der Staaten.
In Deutschland: Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB, Berlin & Braunschweig)
In den USA: National Institute of Standards and Technology (NIST)
• Grundlegende Einheitendefinitionen sollten auf unveränderlichen Eigenschaften der
physikalischen Welt basieren. Das war bis 2018 nur für das Meter, die Sekunde und die Candela so.
Meter: definiert über die Lichtgeschwindigkeit 𝑐0 im Vakuum
Sekunde: definiert über die Anzahl der Schwingungen in der Elektronenhülle des Cäsium-Atoms
• Die Definition der Einheit beinhaltete bisher auch die Vorschrift zur Realisierung der Einheit, also
z.B. der Vorschriften, wie Messgeräte geeicht werden.
Verbesserten sich im Laufe der Jahrzehnte die Verfahren zur Realisierung, musste
auch die Definition der Basiseinheit verändert werden, um sie anwenden zu können.

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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

Probleme im SI-System bis 2018:


• Manche Definitionen basierten auf externen Standards, die schwer zu reproduzieren sind, z.B.
die Definition der Einheit Kelvin von 1967:
„Das Kelvin, die Einheit der thermodynamischen Temperatur, ist der 273,16te Teil der thermo-
dynamischen Temperatur des Tripelpunkts des Wassers.“
• In einigen Definitionen bestand ein Bezug zu anderen Einheiten, die als Messgröße einfließen.
So z.B. die bisherige Definition des Mol mit Bezug zur Masse:
„Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso vielen Einzelteilchen besteht wie
Atome in 12 Gramm des Kohlenstoff-Isotops 12C enthalten sind.“
• Am denkbar ungünstigsten war die Definition des Kilogramms,
die auf der Masse des Internationalen Kilogramm-Prototyps
(Urkilogramm) basierte. Dies ist ein über 120 Jahre alter
Zylinder aus einer Pt-Ir-Legierung, der mittlerweile schon Masse
verloren hat, d.h. die Definition basierte auf einem veränderlichen
Objekt.
Eine Überarbeitung dieser Definitionen war dringend geboten,
da mittlerweile selbst im technischen Alltag so empfindliche
Messtechnik existiert, dass das SI-System zukunftssicher Abb. 1.1: Das Urkilogramm in Paris.
gemacht werden musste.
23
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

• Das neue SI-System wurde beschlossen auf der 26. CGPM im Jahr 2018 und ist offiziell
gültig seit dem 20.05.2019. (Weltmetrologietag, Jahrestag der Gründung der „Meterkonvention“)
Die SI-Basiseinheiten Ampere, Kelvin, Kilogramm und Mol wurden neu definiert.
• Prinzip der Definition:
1. Jede SI-Basiseinheit wird auf eine bestimmte Naturkonstante
zurückgeführt, deren Wert prinzipiell unveränderlich ist.
2. Diese Naturkonstanten wurden in den letzten Jahren mit den
besten derzeit verfügbaren Messmethoden neu bestimmt.
3. Nach Auswertung der Daten wurden für die Konstanten feste
Zahlenwerte ohne Messunsicherheit festgelegt.
4. Die Definition der SI-Basiseinheit erfolgt sinngemäß nach dem
Prinzip:
„Die Konstante X hat den Zahlenwert Y, wenn man sie in
SI-Einheiten ausdrückt.“
• Vorteile: - keine Abhängigkeit mehr von veränderlichen Größen oder Objekten
- die Realisierung ist frei wählbar
- konsistent mit dem alten System: bisherige Daten sind nicht ungültig
- im Alltag ändert sich nichts
- zukunftssicher: mit besserer Messtechnik muss nur die Konstante neu
bestimmt werden, an der Definition ändert sich nichts
24
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

• Folgende Konstanten und ihre Werte sind seit 20.05.2019 verbindlich für die Definition
der SI-Basiseinheiten:

Einheit Konstante Symbol Wert (exakt festgelegt) gültig seit


Meter Lichtgeschwindigkeit a 𝑐0 299 792 458 m/s 1983
Sekunde Frequenz des Hyper- ∆𝜈 9 192 631 770 s-1 1967
feinstrukturübergangs b
Kilogramm PLANCK‘sches ℎ 6,626 070 15 ∙ 10-34 J∙s 2019
Wirkungsquantum
Ampere Elementarladung 𝑒 1,602 176 634 ∙ 10-19 C 2019
Kelvin BOLTZMANN-Konstante 𝑘B 1,380 649 ∙ 10-23 J/K 2019

Mol AVOGADRO-Konstante 𝑁A 6,022 140 76 ∙ 1023 mol-1 2019


Candela Photometrisches 𝐾cd 683 lm/W 1979
Strahlungsäquivalent c
Tab. 1.3: Werte für die definierenden Konstanten des neuen SI-Systems: a im Vakuum;
b des Grundzustandes im 133Cs-Atom; c für monochromatische Strahlung der Frequenz 540 ∙ 1012 Hz.

• Zahlenwerte entnommen von: https://physics.nist.gov/cuu/Constants/


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1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

Damit ändern sich nun die Definitionen für die Einheiten Kelvin und Mol wie folgt:
• Kelvin:
alt: „Das Kelvin, die Einheit der thermodynamischen Temperatur, ist der 273,16te
Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunkts des Wassers.“
neu: „Das Kelvin ist die SI-Einheit der thermodynamischen Temperatur. Ein Kelvin ist die
Änderung der thermodynamischen Temperatur T, die eine Änderung der thermischen
Energie kBT von 1,380 649 ∙ 10-23 J bewirkt.“
• Mol:
alt: „Ein Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das aus ebenso vielen Einzelteilchen
besteht wie Atome in 12 Gramm des Kohlenstoff-Isotops 12C enthalten sind.“
neu: „Das Mol ist die SI-Einheit der Stoffmenge. Ein Mol enthält genau 6,022 140 76 ∙ 1023
Einzelteilchen. Diese Zahl entspricht dem für die AVOGADRO-Konstante 𝑁A geltenden
festen Zahlenwert, ausgedrückt in der Einheit mol-1, und wird als AVOGADRO-Zahl
bezeichnet.“

26
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.4 Das neue Internationale Einheitensystem (SI)

Bestimmung der Naturkonstanten am Beispiel von 𝑁A : Das AVOGADRO-Projekt


• Grundidee: In einem hochreinen, sehr regelmäßigen Kristall eines
Festkörpers „zählt“ man die Atome.
• Hierzu wird eine fast perfekte Kugel aus mit dem Isotop 28Si
angereichertem Silicium genutzt. Mit Si lassen sich große Einkristalle
züchten und die Atome sind besonders regelmäßig angeordnet.
• Zu Bestimmung der Anzahl 𝑁 der Atome in der Kugel benötigt man
das Kugelvolumen 𝑉 und den Gitterparameter 𝑎 der Elementarzelle
des Siliciums. In einer Elementarzelle befinden sich 8 Si-Atome.

• Mit ergibt sich für die AVOGADRO-Konstante:

• Der Gitterparameter 𝑎 wird mittels Röntgeninterferometrie im


Vakuum bei 20 °C sehr präzise gemessen. Mit optischer Interfero-
metrie wird der Durchmesser aus mehreren Raumrichtungen
gemessen, woraus das Volumen berechnet wird.

• Aufwändige Korrekturen für Oberflächenschichten (Oxide) und Kristallfehlstellen. 27


1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Prinzipien bei der Erstellung von Diagrammen:


• Angemessene Größe: mindestens eine halbe Seite, Hoch- oder Querformat
(Hochformat z.B. bei den Versuchen Neutralisationsenthalpie und Phasenübergang von SF6).
• Nummerierung und erläuternder Text als Unterschrift
• Größenachsen mit Messgröße und Maßeinheit beschriften (z.B. J / °C, t / s).
• vorgegebene Größe (Ursache) auf der Abszisse (x-Achse)
gemessene Größe (Wirkung) auf der Ordinate (y-Achse)
z.B. p = f(V), [A] = f(t)
• Skalierung der Achsen so wählen, dass die letzten Ziffern nach dem Komma nicht durchgehend
Nullen sind (z.B. 123,456000). Man setzt maximal eine Null zur Formatierung mit gleicher
Ziffernzahl (z.B. 1,18; 1,20; 1,22; 1,24).
• Achsenmaßstäbe so wählen, dass die Messwerte das Diagramm ausfüllen und nicht in
einer Ecke sitzen (außer im Sonderfall Extrapolation).
• Achsenmaßstab muss physikalisch sinnvoll sein (keine Drücke p < 0, keine Volumina V < 0,
keine Molenbrüche x < 0 oder x > 1)
• Der wesentliche Abschnitt einer Kurve soll unter einem Winkel von etwa 45° verlaufen.
So erhält man bei grafischer Auswertung die größte Genauigkeit.
• Dient das Diagramm der Zuordnung von interpolierten Werten, ist es zweckmäßig,
Gitternetzlinien einzufügen.
28
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Prinzipien bei der Erstellung von Diagrammen:


• Falls möglich, sind in die Messpunkte Fehlerbalken einzuzeichnen,
die die Genauigkeit charakterisieren.
• Bei mehreren Messreihen in einem Diagramm: unterschiedliche Symbole bzw. Farben
und eine Legende zur Zuordnung der Messreihen verwenden.
• Messpunkte werden nicht direkt miteinander verbunden (Zickzacklinie), sondern allenfalls
eine Ausgleichskurve (im einfachsten Fall eine Gerade) eingezeichnet. So erkennt man
offensichtliche Ausreißer besser.
Ausnahmen: p-V-Isothermen des SF6 und Kurven im Siedediagramm
• Sinnvolle Ergänzung: Darstellung von Abweichungen zwischen Ausgleichs- und Messwerten
in einem Diagramm.

Begriffe Interpolation und Extrapolation:


Interpolation: Ermittlung eines Wertes zwischen gemessenen Punkten
Extrapolation: Erweiterung einer Kurve über den gemessenen Bereich hinaus

29
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

CLAUSIUS-CLAPEYRON-Darstellung für Ein Beispiel, wie es nicht aussehen sollte!


Cyclohexan
7,000
6,500 Mängel:
6,000
5,500
5,000 • Diagramm ist zu klein.
4,500
4,000 • Statt eines Titels besser eine sinnvolle Bildunterschrift wählen.
3,500
3,000
2,500
• Der Hintergrund der Zeichnungsfläche sollte weiß sein.
2,000
1,500 • Achsenbeschriftungen fehlen.

1,000
0,500 Datenpunkte sind durch eine Linie verbunden.
0,000
2,95 3,15 3,35 • Skalierung der y-Achse ist ungeeignet.
• Beschriftung der Zahlen an der y-Achse hat zu viele Stellen.
• Skalierung der x-Achse ist zu grob.

30
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

6,4

6,2

6,0

5,8

5,6
ln (p / hPa)

5,4 So ist es besser!


y = -4,1296x + 18,684
R² = 0,9988
5,2

5,0

4,8

4,6
3 3,05 3,1 3,15 3,2 3,25 3,3 3,35 3,4

1000 ∙ T-1 / K-1

Abb. 1.2: Dampfdruckdaten von Cyclohexan, gemessen mit dem Isoteniskop


bei Temperaturen zwischen 18 °C und 60 °C.
31
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung
50

45

40

35

50 °C
30 46 °C
p / 105 Pa

44 °C
40 °C
25
30 °C
20 °C
20 10 °C
5 °C

15

10

5
0 0,5 1 1,5 2 2,5 3 3,5 4
V / cm³

Abb. 1.3: Clapeyron-Diagramm: Acht p-V-Isothermen von SF6 zwischen 5 °C und


50 °C mit gasförmigem und Zweiphasengebiet. Die Isothermen bei 46 °C
und 50 °C befinden sich im überkritischen Gebiet. 32
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Wahl einer für das Problem geeigneten Darstellung:


Beispiel: Versuch Nr. 1 (Nullpunkt der absoluten Temperatur)
Anwendung des 1. GAY-LUSSAC‘schen Gesetzes (Zusammenhang zwischen Volumen und
Temperatur eines idealen Gases bei konstantem Druck)

𝑉0 und 𝛼0 bezeichnen das Volumen bzw. den thermischen Ausdehnungskoeffizienten bei 0 °C.
Gesucht ist im Experiment der Nullpunkt der absoluten Temperatur. Diesen findet man durch
lineare Extrapolation aus den Messwerten auf V = 0.

33
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Wahl einer für das Problem geeigneten Darstellung:

Nullpunkt der absoluten Temperatur


160
- Achsenabschnitt 𝑎0 = 𝑉0 und Anstieg
𝑎1 = 𝑉0 ∙ 𝛼0 der Ausgleichsgeraden
140 werden bestimmt.
120 - Aus deren Quotient ergibt sich die Celsius-
y = 0,4124x + 113,17
Temperatur des absoluten Nullpunkts an der
100
Stelle, an der V = 0 gilt:
V / ml

80

60

40

20

0
-300 -250 -200 -150 -100 -50 0 50 100
J / °C

Abb. 1.4: Extrapolierte Messdaten aus Versuch Nr. 1 zur


Bestimmung des Nullpunkts der absoluten Temperatur.

34
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Wahl einer für das Problem geeigneten Darstellung:


• Vorteilhaft ist in diesem Fall die Umkehrdarstellung des 1. GAY-LUSSAC‘schen Gesetzes,
die ebenfalls linear ist:

Umstellen nach J :

In dieser Darstellung entspricht die gesuchte Nullpunkts-Temperatur bei V = 0 genau dem


Achsenabschnitt.

35
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Wahl einer für das Problem geeigneten Darstellung:

Nullpunkt der absoluten Temperatur


100

50
Der gesuchte Wert kann nun direkt
y = 2,4243x - 274,36 abgelesen werden.
0

-50
J / °C

-100

-150

-200

-250

-300
0 20 40 60 80 100 120 140
V / ml

Abb. 1.5: Umkehrdarstellung der Messdaten aus Versuch Nr. 1.

36
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Grafische Extrapolation nach DICKINSON:


• Diese Methode findet Anwendung im Versuch Nr. 5 (Neutralisationsenthalpie). Im kalorimetrischen
Experiment wird die Temperaturänderung ∆𝑇 als Funktion der Zeit registriert, um daraus auf die
Wärmetönung der Reaktion schließen zu können.
• Im idealen Fall (praktisch nicht realisierbar) wäre die Temperatur vor und nach der Hauptperiode
jeweils konstant und steigt nur während des Ablaufs der Reaktion an.

Nachperiode
𝜗 / °C

Temperaturunterschied Δ𝑇 zwischen
Vor- und Nachperiode soll grafisch
bestimmt werden.

Vorperiode

Abb. 1.6: Idealfall der kalorimetrischen Messung


t / min mit einem anisothermen Kalorimeter.
37
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Grafische Extrapolation nach DICKINSON:


• Bei Messungen mit dem quasi-adiabatischen Kalorimeter erfolgt auch in Vor- und Nachperiode
ein geringer Wärmeaustausch mit der Umgebung. Man findet keine Parallelen zur x-Achse. Daher
muss grafisch eine Ersatzkurve konstruiert werden, die einen plötzlichen Temperatursprung simuliert.
- Verlängern der Strecken 𝐴𝐵 und 𝐶𝐷 (Vor- und
Nachperiode).
- Einzeichnen der senkrechten Strecken 𝐸𝐹 und 𝐺𝐻.
- Von Punkt E und Punkt G aus Abtragung von 63% der
Streckenlänge (entspricht dem Wert 1 – 1/e).
Man erhält die Punkte J und K.
- Verbinden von J und K, die resultierende Strecke
schneidet die Hauptperiode im Punkt L.
- Der Punkt L entspricht der Zeit 𝑡𝑚 , zu der 63%
der Gesamtwärme entwickelt worden sind.
- Durch L zeichnet man eine Parallele zur y-Achse,
welche die Schnittpunkte M und N liefert.
- Von M und N aus trägt man die Temperaturen
𝜗𝑀 und 𝜗𝑁 ab und erhält so die gesuchte Differenz:
Abb. 1.7: Grafische Extrapolation nach DICKINSON.
38
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Darstellung der Abweichungen der Messwerte von einer Ausgleichsfunktion:


• Nach Bestimmung einer Ausgleichsfunktion ist es sinnvoll, die Abweichung der Messwerte 𝑦𝑖
von den Werten 𝑦i,ausgl der Ausgleichsgeraden an der Stelle 𝑥𝑖 ebenfalls grafisch darzustellen,
um Ausreißer zu identifizieren.
• Die Berechnung der Werte 𝑦i,ausgl erfolgt z. B. in Excel mit Hilfe der Funktion „TREND“.
Anschließend wird die Differenz 𝑦𝑖 – 𝑦i,ausgl ( ) grafisch dargestellt.

Dampfdruck von Cyclohexan Dampfdruck von Cyclohexan (Ausschnitt)


6,5 6,29

6,3

6,1 6,24
y = -4,1296x + 18,684
5,9
R² = 0,9988
5,7 6,19
y = -4,1296x + 18,684
ln (Ps / hPa)
ln (Ps / hPa)

y
5,5 R² = 0,9988
y ausgl

5,3 6,14

5,1

4,9 6,09

4,7

4,5 6,04
3 3,05 3,1 3,15 3,2 3,25 3,3 3,35 3,4 3 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06
1000 ∙ T-1 / K-1 1000 ∙ T-1 / K-1

Abb. 1.8: a) Ausgleichsfunktion für Dampfdruckdaten. b) Ausschnitt aus Abbildung 1.9 a) 39


1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.5 Grafische Darstellung & Auswertung

Darstellung der Abweichungen der Messwerte von einer Ausgleichsfunktion:


• Diese Darstellung liefert wichtige Informationen über die Qualität der Messung und
den Zusammenhang zwischen x- und y-Werten. Man sieht z.B. sehr leicht:

- Streuen die Punkte nur um die Ausgleichskurve?


Abweichung von der Ausgleichsgeraden yi – yi,ausgl
0,05 Falls ja, dann beruhen die Abweichungen
auf Messfehlern (siehe Kapitel 2) und der
0,04
angenommene Funktionszusammenhang
0,03 ist physikalisch sinnvoll.
0,02
- Gibt es stattdessen eine systematische Abweichung
zwischen Messpunkten und Ausgleichskurve?
0,01
Falls ja, sollte man überlegen, ob zwischen
yi – yi,ausgl

0 den Messgrößen ein anderer funktionaler


-0,01
Zusammenhang besteht.
- Ausreißer von der Kurve sind leicht identifizierbar.
-0,02
Diese können dann für die weitere Auswertung
-0,03
ausgeschlossen werden.
-0,04
2,95 3 3,05 3,1 3,15 3,2 3,25 3,3 3,35 3,4
1000 ∙ T-1 / K-1

Abb. 1.9: Darstellung der Abweichung von Messwerten von der Ausgleichsgeraden.
40
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Zur Auswertung von Messdaten (grafisch & rechnerisch) sind funktionale Darstellungen in Form
von Geraden vorteilhaft. Das Ergebnis ist eingängiger für das Auge und Abweichungen können
schnell erkannt werden. Ziel ist also die Darstellung als lineare Gleichung der Form:

• Es ist günstig, die Koeffizienten 𝑎𝑖 auf diese Weise zu bezeichnen, da der Index mit der Potenz
von 𝑥 übereinstimmt und so z.B. kompliziertere Datenanpassungen auch mit höhergradigen
Polynomfunktionen in einheitlicher Schreibweise möglich wären:

• In den seltensten Fällen ist der Zusammenhang zwischen den Messgrößen von vornherein linear.
Mit etwas Geschick lassen sich viele Funktionen jedoch durch algebraische Umformung in eine
lineare Form überführen. Das bedeutet, die vorgegebene Gleichung wird linearisiert.
• Vorteile der Linearisierung:
rascher Überblick über Abweichungen der Messwerte vom theoretischen Verlauf.
Qualität der Messung ist schon per Augenmaß überprüfbar.
gesuchte Größen ergeben sich rechnerisch einfach aus Anstieg und Achsenabschnitt.

41
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

Beispiel zur Verdeutlichung der Vorteile:


• Gegeben sei die Funktion 𝑦 = 10𝑥 2 − 𝑥 3 . Im Experiment bestände nun die Aufgabe
darin, die Koeffizienten 𝑎2 = 10 und 𝑎3 = -1 aus Messwerten 𝑥 und 𝑦 zu bestimmen.
Im linken Diagramm ist dieser Zusammenhang nur schwer zu erkennen.
𝑦
• Division der obigen Gleichung durch 𝑥 2 liefert: = 10 − 𝑥 .
𝑥2
Trägt man nun 𝑦/𝑥2 gegen 𝑥 auf, erhält man eine Gerade mit Anstieg -1 und
Achsenabschnitt 10, also eine in 𝑥 lineare Beziehung.
• Knackpunkt: Wie muss umgeformt werden und was muss auf Abszisse und Ordinate
aufgetragen werden, um eine sinnvolle lineare Beziehung zu erhalten?

Messpunkte der Polynomfunktion Linearisierte Polynomfunktion


y = 10x2 - x3 y/x2 = 10 - x
200 10

100 8

6
0
4
Abb. 1.10:
y / x2

-100
y

2 a) Wertepaare einer
-200 Polynomfunktion.
0
-300 b) Linearisierte
-2
Polynomfunktion.
-400 -4
0 2 4 6 8 10 12 14 0 2 4 6 8 10 12 14
x x 42
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Es gibt kein allgemeines Rezept zum Umformen von funktionalen Zusammenhängen in


lineare Funktionen. Mit etwas Erfahrung und „mathematischem Augenmaß“ findet man zu
vielen Funktionen jedoch eine linearisierte Form.
• Im vorangegangenen Beispiel sind wir wie folgt vorgegangen:
gegebene Funktion:
Größe auf der y-Achse:
Größe auf der x-Achse:
linearisierte Gleichung:
• Im folgenden sollen einige Beispiele aus dem physikalisch-chemischen Praktikum diskutiert werden.

43
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 1: Gesetz von BOYLE-MARIOTTE:

Wir wählen 𝑌 = 𝑝 und 𝑋 = 1/𝑉 und erhalten eine Gerade. Aufgetragen wird
also 𝑝 gegen 1/𝑉. Der Achsenabschnitt ist hier gleich Null, der Anstieg die
Konstante „const“.
• Beispiel 2: 1. Gesetz von GAY-LUSSAC:

Wir wählen 𝑌 = 𝑉 und 𝑋 = 𝜗 und erhalten den Achsenabschnitt 𝑉0 und den


Anstieg 𝑉0 ∙ 𝛼0 .
• Wichtig: Je nach gewählter Auftragung haben auch Achsenabschnitt 𝑎0 und Anstieg 𝑎1 immer
klar definierte Einheiten!
Beispiel 2: Achsenabschnitt [𝑉0] = ml
Anstieg [𝑉0 ∙ 𝛼0 ] = ml/K, nicht ml/°C, da sonst eventuell Division durch Null!

44
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 3: Bestimmung des zweiten und dritten Virialkoeffizienten


von Gasen aus der Virialgleichung in der Berliner Form:

Wir subtrahieren 1 und teilen durch 𝑝, so dass sich 𝑌 und 𝑋 entsprechend


ergeben. Aus dem Achsenabschnitt erhalten wir den zweiten Virialkoeffizienten
𝐵‘ und der Anstieg liefert den dritten Virialkoeffizienten 𝐶‘.
• Man beachte: Würde in Beispiel 3 der Druck im Experiment sehr hoch gewählt, könnte es
passieren, dass auch der vierte Virialkoeffizient berücksichtigt werden muss.
Die Virialgleichung erhält den zusätzlichen Summanden 𝐷′𝑝3 . Trägt man die
Daten wie oben beschrieben auf, erhält man dann keine Gerade, sondern eine
gekrümmte Kurve.
Für jede gewählte Auftragung muss kritisch hinterfragt werden, ob ein linearer
Zusammenhang physikalisch auch wirklich gegeben ist.
45
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 4: Dampfdruck-Kurve von Wasser


(u.a. benötigt im Versuch Nr. 9 „Wasserdampfdestillation“)
Die im Manuskript gegebenen Dampfdruckdaten müssen geeignet (!) aufgetragen
werden, um aus den experimentell gemessenen Siedetemperaturen Dampfdrücke
zu bestimmen.

Dampfdruck von Wasser


1100

1050 Auf den ersten Blick scheinen die


1000 Daten einem linearen Trend zu folgen.
y = 31,697x - 2160,5
R² = 0,9978
950 Aber: Diese Auftragung gibt den
900 physikalischen Sachverhalt falsch
p / hPa

850 wieder!
800 Korrekt ist das folgende Vorgehen:
750

700

650
89 91 93 95 97 99 101
J / °C
Abb. 1.11: Unzulässige Linearisierung der Dampfdruckkurve von Wasser. 46
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

Grundlage für die Überlegungen ist das Phasendiagramm von Wasser. Dieses ist in Abb. 1.12 nicht
maßstabsgetreu. Die Zustandsvariablen am Tripelpunkt (T) und am kritischen Punkt (K) kann man
jedoch angeben.
Der Siedepunkt für Wasser ist mit 100 °C für 101,33 kPa angegeben, beim Standarddruck von 100
kPa liegt er mit 99,64 °C etwas niedriger.

Für uns wichtig: Die Dampfdruckkurve (Gleichgewichtskurve


zwischen Flüssigkeit und Dampf).

Mathematisch wird dieser Zusammenhang in guter Näherung


p / kPa

durch die CLAUSIUS-CLAPEYRON-Gleichung beschrieben:

Diese müssen wir integrieren, um 𝑝 = 𝑓 𝑇 zu erhalten.


T / °C

Abb. 1.12: Phasendiagramm von Wasser.

47
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

Variablentrennung:

Integration:

Einsetzen der Integrationsgrenzen:

Einen physikalisch korrekten


linearen Zusammenhang liefert
also nur die Auftragung von ln 𝑝
gegen 1/𝑇.
Aus dem Anstieg erhält man die
mittlere molare Verdampfungsenthalpie
∆V 𝐻 des Wassers.

48
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Logarithmische Zusammenhänge
In der Natur findet man häufig Prozesse und Phänomene, die mathematisch wie folgt
beschrieben werden.
Die Änderung d𝑦 des Wertes einer Größe 𝑦 hängt sowohl von der Änderung d𝑥 einer
Variable 𝑥 als auch vom momentanen Wert der Größe 𝑦 ab:

49
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 5: LAMBERT-BEER‘sches Gesetz


(Versuch Nr. 7 „ Zerfall des Trisoxalatomanganat(III)-Ions“)

Durch eine Auftragung von ln 𝐼 gegen die Konzentration [A] kann aus dem Anstieg
der molare Extinktionskoeffizient 𝛼 bestimmt werden, denn die Schichtdicke 𝑑 der
Küvette ist bekannt.

50
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 6: Chemische Kinetik – Zeitgesetz 1. Ordnung

Mit 𝑌 = ln[A] und 𝑋 = 𝑡 ergibt sich eine Gerade, deren Anstieg die
Geschwindigkeitskonstante 𝑘 der untersuchten Reaktion liefert.

51
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Beispiel 7: ARRHENIUS-Gleichung
(Temperaturabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten)

Mit 𝑌 = ln 𝑘 und 𝑋 = 1/𝑇 ergibt sich eine Gerade, deren Anstieg die
Aktivierungsenergie 𝐸a der untersuchten Reaktion liefert. Diese muss
überwunden werden, damit die Reaktion ablaufen kann.

52
1. „Handwerkszeug“ zum Praktikum
1.6 Linearisierung von Gleichungen

• Gleichungen verschiedenster Form lassen sich geeignet linearisieren. Eine Übersicht gibt die
folgende Tabelle:

Tab. 1.4: Übersicht über die Linearisierung verschiedener Gleichungen.

• Rechenregeln:

53

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