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Repositorium für die Medienwissenschaft

Freda Fiala
Katherine Mezur / Emily Wilcox: Corporeal Politics
Dancing East Asia.
2021
https://doi.org/10.25969/mediarep/16814

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Rezension / review

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Fiala, Freda: Katherine Mezur / Emily Wilcox: Corporeal Politics Dancing East Asia.. In: [rezens.tfm] (2021),
Nr. 1. DOI: https://doi.org/10.25969/mediarep/16814.

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Freda Fiala [rezens.tfm] 2021/1

Rezension zu

Katherine Mezur / Emily


Wilcox: Corporeal Politics
Dancing East Asia.
Michigan: University of Michigan Press
2020. ISBN: 978-0-472-07455-6.
372 Seiten, 80,00 $.
von Freda Fiala

Der vorliegende Band bespricht Körper-Politiken von


Tänzer*innen, Performer*innen und Choreo-
graph*innen aus Ostasien, wobei er durch "radikale
Kontextualisierung" methodologisch auf die ausge-
prägten historischen und kulturellen Verflechtungen
innerhalb der Region verweist. Indes alle darin ver-
sammelten Analysen inner- und transasiatische Logi-
ken und temporale Strukturierungen nachvollziehen,
gelingt diesem kollektiven Projekt ein relevanter Bei-
trag zur Vertiefung des Feldes ostasiatischer Tanzfor-
schung, die als Teil der globalen Tanzforschung zu ver-
stehen ist. Mit einem Ausgangspunkt in den Critical
Area Studies und unter besonderer Berücksichtigung
länderspezifischer, sprachlicher Ressourcen, versteht dinaten innerhalb dieses recht offenen Möglichkeiten-
sich der von Wilcox und Mezur herausgegebene Band Feldes, als anspruchsvolle Analysen. Diese unterneh-
als Beitrag im Feld der Critical Dance Studies. men aufwendige Reisen, wie beispielsweise der Bei-
trag von Suzy Kim, der die spätere künstlerische Kar-
Die Publikation geht dabei von einer ostasiatischen
riere der 1911 geborenen Cheo Seung-hui in Nordko-
Perspektive aus, die eine Re-Zentrierung eigener Nar-
rea erzählt und dabei das beständige Potential einer
rative vornimmt und diese als Teil inter- und transna-
Re-Aktualisierung von Folklore und politisch diktier-
tionaler Tanzgeschichtsschreibung positioniert. Der
ten "Traditionen" durch das einzelne künstlerische
methodisch zu verstehende Titel verweist auf die zent-
Individuum betont. Fallbeispiele wie dieses zeigen
rale Bedeutung des Körpers für den Tanz – der Körper
deutlich Verkehrungen in 'orientalistischen' Vorstel-
kann dabei im Dienste politischer Agenden stehen,
lungen an, die eine Hinwendung zu sogenannten 'tra-
oder auch als Mittel und Methode ihrer Dekonstruk-
ditionellen Formen' mit einem reduzierten Anspruch
tion agieren. Folgerichtig zielt die Publikation weder
an die kreative Leistung der jeweiligen Künstler*innen
auf eine zusammenfassende Theoretisierung noch ein
gleichsetzen.
von Beispielen abgeleitetes Konzept ab. Die fünfteilige
Gliederung orientiert sich dabei an thematischen Wie ein analytischer Blick auf die komplexen Lebens-
Gruppierungen, die die Artikel unter den cluster- geschichten von Seung-hui, Park Yeong-in, Dai Ailian
artigen Überschriften "Contested Genealogies", "Deco- oder Fujikage Shizue zeigen kann, zeugen diese vom
lonizing Migration", "Militarization and Empire", Potential individueller Mobilität als prägendes
"Socialist Aesthetics" und "Collective Technologies" Momentum künstlerischer Entwicklung. Sie durch-
versammeln. Die einzelnen Artikel bestehen als Koor- kreuzen damit kulturnationalistische Lagepläne und

Diese Rezension ist erschienen in [rezens.tfm] 2021/1 | Veröffentlichungsdatum: 2021-05-20


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Vorstellungen homogener Gemeinschaften, wie sie Catherine Yeh, im Anschluss, eröffnet eine weitere
sich zugleich universalistischen Logiken westlicher neue Perspektive auf eine kultige Figur der Peking-
Prägung und dichotomen Unterscheidungen – in 'tra- Oper im 20. Jahrhundert, den Performer Mei Lanfang,
ditionelle' künstlerische Formen des Ausdrucks einer- wobei sie dessen Auseinandersetzungen mit moder-
seits, und 'moderne' Formen andererseits – verweh- nem Tanz ("dancification", S. 44) als Vehikel zur
ren. Die Relevanz der Publikation liegt damit auch Modernisierung chinesischer Theaterformen aner-
darin, Tänzer*innen, Choreograph*innen und Perfor- kennt. Nan Ma’s Kapitel "The Conflicted Monk" endet
mer*innen, die in der englischsprachigen akademi- mit einer Studie zu Adaptionen der Kun-Oper Si fan
schen Literatur bislang keine oder kaum Erwähnung (Longing for the Mundane).
fanden, einer breiteren Leser*innenschaft vorzustel-
Das zweite Kapitel ist Beiträgen zu "Decolonizing
len. Auch ist die jeweils konkrete Praxis jener Tänze-
Migration" gewidmet und besieht, im Bereich des
rinnen, die bewusste Anerkennung disziplinierten
Artistischen, transnationale Zirkulationen in und aus
und routinierten Trainings sowie der übenden Wie-
Ostasien im Kontext von Imperialismus, westlicher
derholung ein Anliegen des Buches, wie sie Mezur
Moderne, Weltkriegspolitik und jüngeren neolibera-
auch in ihrem Nachwort unterstreicht (vgl. S. 319).
len Entwicklungen. Kazuko Kuniyoshi verfolgt dazu
Wilcox zieht hier einen bewussten Vergleich mit mili-
die tänzerischen Einflüsse eines Deutschlandaufent-
tarisierter Disziplinierung von Körpern, wobei sie den
halts auf Murayama Tomoyoshi als Vorbild der Japa-
potentiell liberalisierenden Aspekt ausgebildeten
nischen Avantgarde. Tomoyoshi ist 1922 nach Berlin
Könnens und ein politisches Vermittlungspotential
gegangen, um dort von Mary Wigman zu lernen. Okju
gerade durch die Virtuosität betont, wenn sie schreibt:
Son widmet sich, mit Park Yeong-in einem Protagonis-
"I also argue that gaining these regimented skills
ten der koreanischen Tanzszene, welcher ebenso Stu-
opens and liberates the bodies of the performers, and
dien in Deutschland absolvierte, um sich dort aber
allows them to access a greater variety and range of
verstärkt in eigener Praxis um eine Vorstellung der
physical and expressive skills and practices." (S. 320)
koreanischen Kultur an ein deutsches Publikum durch
In diesem Punkt differiert die Lesart der Herausgebe-
hybride Formen und ästhetische Effekte (vgl. S. 108)
rin stark von jenen, tendenziell der Dekonstruktion
einer gezielt eingesetzten 'Korean-ness' bemühte.
und dem Spektakel-Skeptizismus zugeneigten Positi-
onen, wie sie, zumindest in Europa, wesentlich die Das Thema "Militarization and Empire" im dritten
Entwicklungen im Tanz der letzten Jahrzehnte charak- Teil, diskutiert unter anderem, wie Tanz als Strategie
terisieren. Wiewohl hier ein unmittelbar politisches zur Kommunikation der japanischen 'Großostasiati-
Verständnis der Analysen gefordert wird, antworten schen Wohlstandssphäre' eingesetzt wurde und wel-
glücklicherweise weitaus nicht alle Beispiele im Buch che nachhaltigen Auswirkungen solche hegemoniale
auf eine solche Engführung sensorischer Disziplin mit Körperpolitiken auf künstlerische Arbeiten zeitigen.
realpolitischer Kontrolle. Performances namens 'Miyako Odori' sind eine popu-
läre Tradition in Kyoto, die seit 1872 jährlich im Früh-
Die fünfteilige Gliederung des Bandes beginnt mit
ling für die Öffentlichkeit gezeigt wird. Mariko
dem Abschnitt zu "Contested Genealogies", welcher
Okada’s Besprechung zeigt die propagandistische
die chinesischen (sinophonen) Wurzeln kultureller
Absicht jener Performances im Japan der 1930er Jahre
Praktiken in der Region Ostasien erforscht. Im Fokus
auf, die Kinder als Botschafter*innen einer vermeint-
des Artikels von Beverly Bossler steht die stigmati-
lich idyllischen Beziehung zwischen China und Japan
sierte Motivik weiblicher Unterhaltungskünst-
inszenierten. Auch ein Produkt pan-asiatischer Ideo-
ler*innen im Kontext historischer Opern-Perfor-
logie und bloße Vorstellung blieben die Pläne Itō
mances in China, wobei Bossler das transgressive
Michio’s, auf den Philippinen ein Festival aufzufüh-
Potential beschreibt, das mit diesen Figuren zugleich
ren, über die uns Tara Rodman informiert. Das hinge-
assoziiert wird und ihnen eine Existenz außerhalb
gen realisierte Potential einer – mehrere Generationen
unmittelbarer sozialer Hierarchien ermöglicht.
umfassenden – Übertragung physischer Disziplinie-

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rung, über unmittelbare Zeiträume von Kolonialisie- lichen Entwicklungen in Ostasien in den letzten Jahr-
rung oder die militärische Herrschaft einer Ein- zehnten. Dabei handelt es sich jedoch weniger um
Parteien-Regierung hinausgehend, wird danach am Subsumierungen unter dem Prädikat des Technologi-
Beispiel Taiwans von Ya-ping Chen diskutiert. Ihr schen, als um die Potentiale kollektiver Ausdrucksfor-
Artikel zu Lee-Chen Lin’s Jiao Performance zeigt die men, die jedwede Mittel für sich zu bedienen und zu
Fähigkeit aller Lebewesen zur Verletzlichkeit als mög- (ver-)wenden wissen: In Katherine Mezur’s "Cracking
liche Rebellion. Der Raum der rituellen Begegnung Historie’s Codes in Crocodile Time" adressiert die
wird so zum Befürworter einer leidenschaftlichen Autorin die Arbeiten von Ashikawa Yoko und
Begegnung zwischen den Lebenden und den Toten Furukawa Anzu, welche mehr als bloße produktive
(vgl. S. 198) und räsoniert mit alten schamanistischen Ausnahmen innerhalb der gewöhnlich männlich
Vorstellungen und einer Praxis heilender Begegnung dominierten Genealogien des Butoh-Tanzes darstel-
in Taiwan. len. Soo Ryon Yoon widmet sich den kollektiven Kräf-
ten im Bereich von Evangelischem Aktivismus und
Mit der bereits erwähnten Cheo Seung-hui erlaubt uns
Anti-LGBTQ Performances in Südkorea. Lediglich
Suzy Kim, eine weitere beeindruckende Protagonistin
Yatin Lins abschließendes Kapitel wirft futuristisch-
des Theaters in Ostasien im 20. Jahrhundert kennen-
technologische Funken und beendet den, ansonsten
zulernen. Ihr Artikel eröffnet den Abschnitt des Sam-
weitgehend historisch ausgerichteten Sammelband
melbandes, der mit "Socialist Aesthetics" betitelt ist
mit einer Besprechung von Huang Yi’s Roboter-
und das Potential sozialistischer Stilistik, welche oft-
Performances in Taiwan. Lin stellt so nicht nur eine
mals in ihrer künstlerischen Wertigkeit nicht ernst
innovative künstlerische Position vor, sondern erin-
genug genommen wird, für die Entwicklungen im
nert mit der kategorischen Benennung "digital perfor-
koreanischen bzw. chinesischen Tanz befragt. Dong
mance" vor allem daran, welche Rolle Ostasien in der
Jiang’s und Ting-Ting Chang’s Artikel im selben
heutigen Zeit, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in tech-
Abschnitt befassen sich mit dem klassischen chinesi-
nologischer Hinsicht spielt.
schen Tanz und dessen janusköpfiger Relation zur
Einordnung als repräsentativ und 'traditionell'. Chang Der Aufruf, Ostasien "zu tanzen", ist buchübergrei-
geht dabei am Beispiel von Yang Liping’s Spirit of the fend, daher als Aufbruch in die Komplexität der Bezie-
Peacock vor, deren Verhandlungen von feministischer hungen in der Region zu verstehen, stets im Bestreben,
Position und ethnischer Minorität in ihren internatio- auch deren Widersprüche und Diversitäten anzuer-
nal erfolgreich gezeigten Performances zumeist mit kennen. In seinem cross-regionalen Anspruch, den das
dem Darstellungslabel "Chinesische Identität" assozi- Buch großzügig als Dialog unterschiedlicher Charak-
iert werden. tere, Zeiträume und Genres wiedergibt, bietet es den
Lesenden so Parallelen und Erkenntnisse über glück-
Der fünfte Teil "Collective Technologies" bespricht
lich unvermutete Begegnungen.
künstlerische Antworten auf die rasanten gesellschaft-

Autor/innen-Biografie
Freda Fiala
Doktorandin an der Universität Wien. Sie studierte Theater- Film- und Medienwissenschaft und Sinologie in
Wien, Berlin, Hong Kong und Taipei. Sie beschäftigt sich forschend und schreibend: mit Theater- und
Performancekulturen in Ostasien, interkulturellen Inszenierungsformen, sowie den darstellenden Künsten als
Mittel und Methode internationaler Kulturbeziehungen.

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[rezens.tfm] erscheint halbjährlich als e-Journal für wissenschaftliche Rezensionen und veröffentlicht Besprechungen
fachrelevanter Neuerscheinungen aus den Bereichen Theater-, Film-, Medien- und Kulturwissenschaft; ISSN 2072-2869.

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