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Warum Vormenschen-Kinder lange gestillt wurden

(1) Vor mehr als zwei Millionen Jahren lebte in Südafrika die Vormenschenart Australopithecus africanus.
Das Leben war für sie nicht einfach, vor allem in der Trockenzeit, wenn das Nahrungsangebot sehr knapp war.
Um während dieser Periode zu überleben, legten sich die Erwachsenen schon während der Regenzeit ein Fett-
polster für die kommenden Monate der Knappheit an. Der Nachwuchs brauchte seine ganze Energie jedoch
zum Wachsen und konnte diese Strategie daher nicht anwenden. Trotzdem kamen die Vormenschen-Kinder
anscheinend gut durch die Trockenzeit. Wie australische Forscher herausgefunden haben, versorgten näm-
lich die Mütter während dieser Zeit ihre Kinder mit Muttermilch, und das sogar mehrere Lebensjahre lang.

(2) Die Forscher schließen das aus einer chemischen Analyse der Zähne von zwei Individuen, die vor 2,1 bis
vor 2,6 Millionen Jahren auf dem südafrikanischen Hochland gelebt hatten. Schon lange war einigen Wissen-
schaftlern aufgefallen, dass diese Australopithecus-africanus-Vormenschen sehr unterschiedliche Zahnbilder
hatten. „Diese Menschen dürften daher in vielen verschiedenen Lebensräumen von den Steppen und Savan-
nen bis zu den Wäldern Afrikas gelebt haben und dort aßen sie jeweils andere Nahrung, für die wiederum
bestimmte Formen der Zähne am besten geeignet waren“, erklärt einer der Autoren der Studie.

(3) Informationen zur Ernährungssituation liefert der Zahnschmelz bleibender Zähne. Diese wachsen einige
Jahre im Kiefer eines Kindes, manche von ihnen schon vor der Geburt. Dabei bilden sich immer neue, winzig
dünne Schichten des Zahnschmelzes. In diese Schichten lagert der Organismus verschiedene Elemente ein,
die das Kind mit der Nahrung aufgenommen hat. Verändern sich nun die Umweltbedingungen, dann vari-
iert auch die Zusammensetzung dieser Einlagerungen. Jede Schicht des Zahnschmelzes enthält damit eine Art
Fingerabdruck der Zeit, in der sie entstand. Daher verraten die Zähne den Forschern einiges über die Umwelt,
in der die Vormenschen einst lebten, über das Wasser, das sie tranken und eben auch über ihre Ernährung.

(4) Die Untersuchung zeigt, dass die beiden Australopithecus-Vormenschen und wohl auch ihre Gruppe das
ganze Jahr in derselben Region lebten. Wurde in den Trockenzeiten die Nahrung knapp, wanderten sie nicht
wie Gnus, Zebras und andere Säugetiere in andere Gegenden, in denen es mehr Essbares geben könnte, son-
dern blieben trotz der schwierigen Bedingungen in ihrer Heimat. Besonders interessante Ergebnisse erhielten
die Forscher, als sie das chemische Element Barium untersuchten, das sich in der Muttermilch stark anrei-
chert. Solange die Kinder gestillt werden, nehmen sie daher größere Barium-Mengen auf und lagern sie in
die Schichten des Zahnschmelzes ein, die sich in dieser Zeit bilden. Vor der Geburt und nach dem Abstillen
– wenn die Kinder nicht mehr gestillt werden –, liegen die Barium-Werte dagegen deutlich niedriger.

(5) Nach solchen Barium-Analysen haben Australopithecus-africanus-Mütter vor gut zwei Millionen Jahren
ihre Kinder mindestens sechs bis neun Monate nach der Geburt gestillt. Danach sinken die Barium-Werte.
Ungefähr zwölf Monate nach der Geburt scheint der Australopithecus-Nachwuchs dann abgestillt gewesen
zu sein und der Barium-Gehalt in diesen Zahnschichten erreicht sehr niedrige Werte. Während die Bari-
um-Werte bei vielen anderen Tieren nach dem Abstillen dauerhaft auf einem niedrigen Niveau bleiben, stei-
gen sie beim Australopithecus-Nachwuchs etwa ab dem ersten Geburtstag wieder steil an, erreichen ein hal-
bes Jahr später beinahe das hohe Niveau nach der Geburt, um dann wieder zu sinken. Danach wiederholte
sich ein ähnliches Auf und Ab der Barium-Werte regelmäßig, bis die kleinen Australopithecinen vier oder
fünf Jahre alt waren.

(6) Ein vergleichbares periodisches Muster finden die Forscher auch im Zahnschmelz von Orang-Utans, die
in den Regenwäldern in Südost-Asien leben. Anders als bei den vor zwei Millionen Jahren ausgestorben Aus-
tralopitheceten können Zoologen das Leben dieser Menschenaffen dort heute noch beobachten. In regel-
mäßigen Zyklen verändern sich in diesen Wäldern die Niederschläge. Fällt wenig Regen, finden die Orang-
Utans erheblich weniger zum Fressen. Zwar entwöhnen die Menschenaffenmütter ihre Kleinen nach wenigen
Monaten, beginnen aber in Trockenzeiten wieder zu stillen. Diese Zyklen dauern sogar bis ins neunte Lebens-
jahr des Nachwuchses. Paviane verhalten sich auf den Savannen Afrikas ähnlich. Auch in ihren Zähnen sieht
man zwar unregelmäßiger, aber trotzdem noch deutlich die schwankenden Barium-Werte. In den Regenwäl-
dern des Kontinents gibt es dagegen keine längeren Trockenzeiten. Gorillas und Schimpansen können man-
gels Hungerkrisen daher auf ein solches periodisches Stillen und Entwöhnen verzichten.

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