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Zusammenstellung,

Dokumentation und Interpretation


kognitiv anspruchsvoller
und offener Aufgaben
für den Wirtschaftslehreunterricht
Gesamtkonzept: Britta Göckede, Karin Howe, Wolfgang Kuhn, Alícia Torres
Aufgabenbeschreibung und Layout: Alícia Torres
© 2005 Lehrstuhl Wirtschaftsdidaktik Universität Kassel
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung.................................................................................................................................. 1

2. Aufgabe 1 – Die Kaffeekasse................................................................................................ 8

3. Aufgabe 2 – Die AG............................................................................................................. 13

4. Aufgabe 3 – Die Quittung ................................................................................................... 18

5. Aufgabe 4 – Markt- und Preisbildung ............................................................................... 22

6. Aufgabe 5 – Konjunkturzyklen........................................................................................... 27

7. Aufgabe 6 – Organisation.................................................................................................... 31

8. Aufgabe 7 – Die Steuer ........................................................................................................ 37

9. Aufgabe 8 – Die Goldschnecke.......................................................................................... 42

10. Anlagen ................................................................................................................................. 48


Einleitung

Die Aufgabendidaktik

Mit diesem Handbuch haben wir versucht, für interessierte Lehrer, Referendare und
Studenten eine Einführung in neue Perspektiven der Aufgabengestaltung für den Wirt-
schaftsunterricht zu geben. Bei der Auswahl haben wir uns für Aufgaben entschieden, die
sowohl von teilnehmenden Lehrkräften des Modellversuches ProAkzEnt als auch von
Studierenden der Wirtschaftspädagogik an der Universität Kassel entwickelt wurden. Ziel
dieser Sammlung ist es, dem Leser Ideen zur Konstruktion strukturähnlicher Aufgaben
anzubieten.
Warum legen wir einen starken Akzent auf das Thema „Aufgabenentwicklung“?
Nach unserer Meinung herrscht heutzutage in den meisten Wirtschaftsunterrichten eine
so genannte „Planungsdidaktik“, die darauf zielt, den Schülern einen im vorab festgeleg-
ten Unterrichtstoff entlang einer strukturierten Route zu vermitteln. Der Schwerpunkt bei
dieser Didaktik liegt im Vermitteln eines festgelegten Wissens, das anhand Instruktionen
bzw. verschiedener methodischer Wege durchgeführt wird, aber dessen Substanz unver-
ändert und unkritisch dargestellt bleibt.
Mit dem Begriff „Aufgabendidaktik“ wird für einen Wechsel der Lehrer- und Schülerrolle
plädiert. Anstatt seinen Unterrichtsplan genau einzusetzen und die Schülerhandlungen zu
steuern, wird vom Lehrer erwartet, dass er problemhaltige Aufgaben entwickelt, die
interessante Warum-Fragen an den Unterrichtsstoff stellen und die Schülern auffordern,
sich aktiv mit dem dargestellten Problem auseinander zu setzen.

Fokus: Planungsdidaktik Aufgabendidaktik

Konstruktion, Einführung,
Planung Diagnose, Intervention,
Lehrerverhalten
Plan umsetzende Steuerung und Bewertung Auswertung (im Plenum),
Kultivierung

kognitive Aktivierung, Selbststeuerung, Komplexitäts-


Befolgen der im Plan des Lehrenden angelegten
aufbau und -bewältigung, Schülerinteraktion –
Aufträge oder Reaktion auf Steuerungsimpulse des
Schülerverhalten insb. beim Problemverständnis und beim Generieren
Lehrenden (kognitive und emotionale Anforderungen
und Diskutieren von Lösungen, metastrategische
variieren mit der Art der Aufträge)
Reflexion

Solche Aufgaben sind in keinem Lehrbuch zu finden. Ihre Entwicklung setzt eine
ernsthafte Auseinandersetzung des Lehrers mit dem zu vermittelnden Wissen voraus
(Fachanalyse), so dass die Thematik hinsichtlich verschiedener Perspektiven behandelt
werden kann. Daraus entwickeln sich zahlreiche Konstruktionsansätze, die dem Lehrer

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erlauben, neuartige Aufgaben in den Unterricht einzuführen. Als Beispiel haben wir eine
offene Liste mit einigen dieser Konstruktionsansätze zusammenfasst.

- Verfremdung, Metapher, unerwarteter Zusammenhang (z.B. Anwendung des Or-


ganisationsbegriffs auf die Ehe)

- Kognitive Dissonanzen, Paradoxien, Erschütterung der Alltagserwartungen

- Historische Herangehensweise (z.B. Welche Rahmenbedingungen lagen bei be-


stimmten Entscheidungen vor?)

- Welches Problem sollte ursprünglich gelöst werden? (z.B. Warum entstand die
Aktiengesellschaftsform vor 300 Jahren?)

- Vergleichen (mit anderen Epochen, Gesellschaften, Kulturen)

- Gegenüberstellung extremer Pole / Gegensätze

- Aufforderung zur Bildung von Hypothesen bzw. Aufforderung zum Widerlegen


einer These

- Provokation als Ausgangspunkt (z.B. Übertreibungen)

- Suche nach Ähnlichkeiten/ Übereinstimmungen/ Differenzen

- Gedankenexperimente (z.B. Was wäre, wenn es diese Norm nicht geben würde?
bzw. Was wäre, wenn diese Norm anders ausgestaltet wäre?)

- Berücksichtigung aktueller Streitfragen

Didaktisch interessante Merkmale von Aufgaben

Die in diesem Reader präsentierten Aufgaben haben wir einzeln nach acht verschiedenen
Dimensionen bewertet. Es handelt sich insgesamt um Gesichtspunkte, die sich in der
didaktischen Arbeit der letzten Jahre als zentral erwiesen haben, wenn die Eigenständig-
keit gehaltvollen Lernens eine herausgehobene Rolle einnimmt. Anhand der so genannten
„didaktischen Spinne“, die vom Lehrstuhl Wirtschaftsdidaktik der Universität Kassel als
Bewertungsinstrument entwickelt wurde, sind diese acht Dimensionen anschaulich
erfasst.

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Beschreibung der Aufgabendimensionen

Damit der Leser sich genau vorstellen kann, was wir unter den oben dargestellten
Kategorien verstehen, fügen wir eine kurze Erläuterung ein:

1. Grad der Motiviertheit der Lernenden: Bei jeder Aufgabe haben wir versucht, die
erwartete Motiviertheit der Schüler einzuschätzen. Dafür haben wir uns nach verschiede-
nen Ansichtspunkten orientiert, wie die Situiertheit der Aufgabe in der Alltagswelt der
Schüler, ihre berufsbezogene Bedeutung, der Grad der Selbststeuerung,
u. a.

2. Grad der Nutzung der Offenheit der Aufgabenstellung: Idealerweise ist der Ausgangs-
punkt bei allen Aufgaben eine problematische Fragestellung, die einen gewissen Offen-
heitsgrad enthält. Die Offenheit kann sich auf die Bestimmung des zu bearbeitenden
Problems, auf den Kontext, auf die Lösungswege, die Handlungen und die Anzahl der
Ergebnisse beziehen und ist von den Lehrerimpulsen stark abhängig.

3. Grad der Selbststeuerung: Lernende, die ihr eigenes Lernen steuern, sind in der Lage,
sich selbständig Lernziele zu setzen, dem Inhalt und Ziel angemessene Techniken und
Strategien auszuwählen und sie auch einzusetzen. Ferner halten sie ihre Motivation
aufrecht, bewerten die Zielerreichung während und nach dem Abschluss des Lernprozes-
ses und korrigieren – wenn notwendig – die Lernstrategie. Dafür ist es notwendig, dass

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die Schüler im Laufe des Lernprozesses ein kontinuierliches Feedback von ihrem Lehrer
bekommen.

4. Ausmaß der gewünschten Kommunikation zwischen den Lernenden: Für den Unter-
richtsablauf ist es wesentlich, dass sich die Schüler an dem Lernprozess aktiv und kom-
munikativ beteiligen. Die Kommunikation im Unterricht kann sich – ausgehend von einer
gemeinsamen Problemdefinition – durch die Phasen der Modellierung, Ergebnisfindung,
Lösungsdiskussion und Evaluation erstrecken.

5. Problemhaltigkeit: Im Gegensatz zu Aufgaben mit einem geschlossenen Format , die in


der Regel eine bloße logische Transformation der gegebenen Informationen erfordern,
sind problemhaltige Aufgaben in Hinsicht auf das zu erreichende Ziel und die Mittel zur
Lösungsfindung i. d. R. diffus und schlecht strukturiert. Durch die aktive Auseinanderset-
zung der Schüler mit der Aufgabe können sowohl das Ziel und die Mittel festgelegt
werden.

6. Komplexität: Diese Größe kann aus zwei verschiedenen Blickwinkeln beschrieben


werden. Bevor eine Aufgabe in den Unterricht eingesetzt wird, verfügt sie über eine
objektive Komplexität, die aus einer Anzahl von Elementen, Entscheidungslagen und
eingebundenen Bewertungsregeln besteht. Eine fruchtbare Entfaltung dieser objektiven
Komplexität ist, sowohl von den produktiven Impulsen des Lehrenden, als auch von den
verschiedenen Modellierungen der Lernenden, stark abhängig.

7. Die Situiertheit: Lernen ist und wirkt produktiver, wenn das Individuum Gelegenheit
hat, das zu erwerbende Wissen und die zu lösenden Probleme als Teile eines subjektiv
bedeutungshaltigen Kontextes aufzufassen (Weinert, 1996). Dadurch finden bereits
während des Lernens, d. h. bei der mentalen Repräsentation des zu Lernenden, Bedeu-
tungszuweisungen auf lebensweltliche Phänomene statt.

8. Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens: Laut PISA (OECD, 2005) besteht ein voll-
ständiger Bearbeitungsbogen zur Aufgabenlösung aus einer Reihe folgender Arbeitsschrit-
te: Identifikation des Problems, Suche nach relevanten Informationen und eventuellen
Einschränkungen, Darstellung der möglichen Lösungswege, Auswahl der Strategie,
Lösungsmodellierung, Reflexion über die Modellierungen und Ergebnisevaluation.

Die Aufgabenformate

Mit dem Ausdruck Aufgabenformat soll vor allem die Art bezeichnet werden, in der eine
Aufgabe als Modell von Wirklichkeit gemeint ist oder zum Modell wird (Gerdsmeier,
2004). Für unsere Analyse scheint es hilfreich, mehrere Arten zu unterscheiden. Da aber
jede Aufgabe dieser Art viele Ausgestaltungen erfahren kann, repräsentieren die Formate
nur ein recht grobes Raster.

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In der Regel werden Schüler mit Aufgaben konfrontiert, die sehr gut strukturiert sind und
ein sehr deutliches Modell der Wirklichkeit enthalten (traditionelles Aufgabenformat):
Traditionelle Lernumwelten unterscheiden sich – je nachdem wie hoch die Anzahl der in
der Lernumgebung dargestellten Themen ist – in einfache und komplexe Aufgaben.
Einfache Aufgaben (Format 1) stellen Situationsbeschreibungen dar, z. B. über eine
Kaufvertragsstörung oder über eine betriebliche Investitionsentscheidung, und beanspru-
chen traditionellerweise für sich, alle relevanten Faktoren abzubilden und für die Bearbei-
tung der Arbeitsaufträge verfügbar zu machen. Die eigentliche Leistung der Schüler bei
solchen Aufgaben besteht darin, die Lösung in der Aufgabe selbst oder im Lehrwerk zu
finden.

Andererseits verbreitet sich in der aktuellen didaktischen Diskussion die Tendenz,


Lernumwelten zu gestalten, die die geringe Komplexität von Schulbuchaufgaben über-
winden. Das führt zur zunehmenden Gestaltung von sogenannten „Komplexen Lern-
umwelten“, wie simulierte Unternehmen, Planspiele, von Schülern betriebene Schulläden,
usw. Diese Lernumgebungen (Format 2) werden so konzipiert, dass immer nur ein Teil
dieser wohlstrukturierten Komplexität bei der Bearbeitung zu berücksichtigen ist. Die
Leistung der Schüler besteht dann darin, relevante Informationen innerhalb der komple-
xen Aufgabe zu identifizieren, um den klar ausformulierten Arbeitsauftrag zu lösen (ebd.).

Die Aufgaben, die wir in diesem Handbuch gesammelt haben, verfügen über ganz andere
Formate (fließend und ungewöhnlich). Die beiden Aufgabenformate gehen von einem
eher diffusen Wirklichkeitsbild aus, das i. d. R. von der Lerngruppe mit Hilfe des Lehrers
strukturiert werden muss, um die Aufgabe gehaltvoll lösen zu können.

Fließende Aufgaben zielen darauf, dass Schüler und Lehrer die Problemstellungen und die
eigentliche Komplexitätsentwicklung und -reduktion der Aufgabe von der Problemdefini-
tion bis zur Lösungsdiskussion zusammen bestimmen. Dafür müssen wirtschaftliche
Situationen präsentiert werden, die ein nicht ganz fassliches Problem beinhalten.

Aufgaben mit einem ungewöhnlichen Format zielen darauf, die Schüler über interessante
Störungen ihrer Vorverständnisse zu elaborierten Begriffsbildungen, zur Entdeckung
spezifischer Zusammenhänge, zur Reflexion der Grenzen fachwissenschaftlicher Modell-
bildung usw. anzuregen. Stilmittel sind hier i. d. R. Verfremdungen, Überraschungen,
Provokationen, Widersprüchlichkeiten, u. Ä. (Gerdsmeier, 2003).

Wichtig ist es auch zu erwähnen, dass die Qualität einer Aufgabe von ihrer konkreten
unterrichtlichen Inszenierung und der Lehrerimpulse stark abhängig ist.

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Kurze Aufgabenbeschreibung

Im Gegensatz zur Mehrheit der traditionellen Aufgabenformate, die i. d. R. von den


Schülern ein bloßes Reproduktionswissen verlangen, kennzeichnen sich die hier beschrie-
benen Aufgaben durch ihr fließendes oder ungewöhnliches Format und verfügen über
besondere Konstruktionsansätze, die im Folgenden erläutert werden.
Die erste Aufgabe (die Kaffeekasse) schildert ein authentisches Problem aus der Alltagswelt
der Schüler, das strukturähnlich zum ursprünglichen ökonomischen Problem der Waren-
beschaffung und -lagerung ist.
Anhand der zweiten Aufgabe (die A. G.) werden die Schüler kognitiv in eine historische
Problematik versetzt, die zur Gründung der ursprünglichen Form der Aktiengesellschaft
führte.
Bei der dritten Aufgabe (Quittung) wird von den Schülern erwartet, dass sie ihre Alltagser-
fahrungen mit Quittungen zur Lösungsfindung einfließen lassen und darauf aufbauend
einige Lösungen gestalten. Die Aufgabe lässt die Schüler erfahren, welches ursprüngliche
Problem mit der Quittung gelöst werden sollte.
Die vierte Aufgabe präsentiert das Thema der Markt- und Preisbildung aus einer Alltags-
und einer Wissenschaftsperspektive. Anhand von Zeitungsartikeln erfahren die Schüler
die eigentliche Komplexität des Ölmarktes mit seinen verschiedenen Akteuren und deren
konkurrierenden Interessen. Andererseits lernen sie das neoklassische Preisbildungsmo-
dell kennen und versuchen, seinen Inhalt in Hinsicht auf seine Komplexität, Realitätsnä-
he, Quantifizierbarkeit, Prognosefähigkeit, u. a. zu bewerten.
Ähnlich wie die vorige Aufgabe zielt die fünfte Aufgabe (Wo sind die Konjunkturzyklen?)
darauf, den Schülern ein volkswirtschaftliches Thema aus zwei Blickwinkeln darzustellen.
Einerseits und ähnlich wie die Regierungsexperten erstellen sie Prognosen für die
wirtschaftliche Entwicklung der BRD, um anschließend ihre Eigenmodellierungen mit
den idealen Modellen der VWL in Beziehung zu setzen.
Die sechste Aufgabe (Organisation) präsentiert diese Thematik in einem anderen, eher
ungewöhnlichen, aber andererseits den Schülern sehr vertrauten Zusammenhang: den der
Familie. Gerade aufgrund des ungewöhnlichen Kontextes, in dem sich das Beispiel

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befindet, können die Schüler auf ihre Alltagskenntnisse zurückgreifen (z. B. Freunde,
Familienangehörige und Bekannte, die sich in einer ähnlichen Situation befinden), um den
Organisationsbegriff im betrieblichen Bereich besser zu verstehen und zu bearbeiten.
Die siebte Aufgabe „die Steuer“ konfrontiert die Schüler mit denselben Schwierigkeiten, die
normalerweise Politiker haben, wenn sie Entscheidungen im Bereich der Finanzpolitik
(Steuererhöhungen und deren Konsequenzen) treffen müssen.
Zuletzt stellt die achte Aufgabe (die Goldschnecke) einen Versuch dar, den Schülern eine
alternative Einführung zum Fach Buchführung anzubieten. Anstatt die Schüler von
Anfang an mit abstrakten Begriffen wie „Inventur“, „Inventar“, „Bestandskonten“ und
„Eigenkapital“ zu konfrontieren, wird ihnen anhand einer kurzen Geschichte die Mög-
lichkeit geboten, ihr vorhandenes ökonomisches Vorwissen zur weiteren Modellierung
dieser Erzählung einzubringen. Somit sind die Schüler diejenigen, die ihr eigenes Buchhal-
tungssystem entwickeln.

Die einzelnen Aufgaben sind nach einem einheitlichen Schema präsentiert: Als Einfüh-
rung bekommt der Leser einen kurzen Überblick über das Thema jeder einzelnen
Aufgabe und eine Beschreibung des Konstruktionsansatzes.

Nachher werden ein (oder mehrere) denkbarere Unterrichtsverläufe der bestimmten


Aufgabe beschrieben. Die von uns gewählte Verlaufsfolge entspricht dem, was PISA
(OECD, 2005) als „vollständigen Bearbeitungsbogen“ bezeichnet. Ausgehend von einer
problemhaltigen Situation, die den Schülern in der Implementierungsphase dargestellt
wird, werden sie aufgefordert, bei der Problemdefinition Schwerpunkte zu setzen. In der
Bearbeitungsphase wird von den Schülern erwartet, dass sie mit oder ohne zusätzliche
Hilfsmaterialien nach einer (oder mehreren) Lösungsmöglichkeiten gemeinsam suchen,
um abschließend die Schülerergebnisse in der Gruppe zu beurteilen und mit der wissen-
schaftlichen oder Expertenlösung gegenüberzustellen (Beurteilungsphase).
Zu guter Letzt haben wir die Aufgabe nach ihrem Format beschrieben und mit dem
Instrument der didaktischen Spinne bewertet.

Dieses Handbuch wurde bewusst so konzipiert, dass der interessierte Leser Ideen zur
Konstruktion strukturähnlicher Aufgaben bekommen kann. Die Mehrheit der hier
dargestellten Aufgaben wird wahrscheinlich in dem Unterricht nicht eins zu eins umsetz-
bar sein. Aber dies ist nicht das Ziel unserer Aufgabensammlung. Unsere Sammlung soll
den Lesern kleine Hinweise geben, damit er ein Gespür zur Gestaltung offener und
anspruchsvoller Aufgaben gewinnt.

Damit hoffen wir, Anregungen und Irritationen zu geben, sich näher mit neuen Sichtwei-
sen auf das Entwickeln, Implementieren und Erproben von neuartigen Lernumwelten
einzulassen.

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Literatur

Gerdsmeier, G. (2003): Modellversuch ProAKzEnt. Modellversuchsinformation Nr. 1.


Lernaufgaben – Konstruktion, Implementierung und Reflexion.
Gerdsmeier, G. (2004): „Lernaufgaben für ein selbstgesteuertes Lernen im Wirtschafts-
lehreunterricht“. In: Sowi-online. Onlinejournal für Sozialwissenschaften und ihre
Didaktik 2-2004. Federführender Herausgeber: Andreas Fischer.
OECD (2005): Problem solving for the world of tomorrow. First measures of cross-
curricular competencies from PISA 2003.
Weinert (1996): Psychologie des Lernens und der Instruktion. In: Enzyklopädie der
Psychologie. Pädagogische Psychologie II. Göttingen.

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Aufgabe 1: Die Kaffeekasse

Ist noch Kaffee da??

Anbei sehen Sie die „Kaffeeliste“ unserer Schule. Auf ihr sind u.a. sämtliche an

der Kaffeekasse beteiligten Lehrerinnen und Lehrer verzeichnet. Diese sind

berechtigt, nachdem sie einen bestimmten Betrag eingezahlt haben, Kaffee, der

im Lehrerzimmer gekocht wurde, zu trinken.

Wie man schon an der äußeren Form der „Kaffeeliste“ erkennen kann, gestaltet

sich die Organisation manchmal recht schwierig. So fehlt es öfters an Kaffee-

pulver und keiner geht rechtzeitig los, um neuen Kaffee zu kaufen, der eine zahlt

zu viel, der andere zu wenig und irgendwann geht das Geld aus ...

Arbeitsauftrag

Wie können Sie der Kaffeegruppe helfen?

Halten Sie Ihre Handlungsanweisungen zur Neuorganisation der Kaffeegruppe


schriftlich fest!

© 2003 Casten Huber, BBS Münden

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Beschreibung

Diese Aufgabe befasst sich mit einem echten Problem, das im Lehrerzimmer einer
Beruflichen Schule entstanden ist. Da die Lehrer ständig Probleme mit der Organisation
ihrer Kaffeekasse hatten, wurden die Schüler einer Klasse gebeten, ein alternatives,
effizienteres Konzept zu gestalten.
Der Arbeitsauftrag besteht darin, die Kaffeegruppe neu zu organisieren und die Hand-
lungsanweisungen schriftlich festzuhalten.
Als einzige Hilfe erhält die Lerngruppe eine Liste der Lehrerinnen und Lehrer, die an der
Kaffeekasse beteiligt sind.

Konstruktionsansatz

Hierbei wird ein authentisches Problem geschildert, das der Alltagswelt der Schüler
entstammt und strukturähnlich zum ursprünglichen ökonomischen Problem der Waren-
beschaffung und -lagerung ist.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
In der Einführungsphase bringt der Lehrer ein Problem in den Unterricht ein, das noch
nicht fest strukturiert ist, und bittet seine Schüler um Hilfe. Wenn die Schüler die Bearbei-
tung dieses Problem als sinnvoll beurteilen, weil sie sich auf Grund des Hilfe-Motivs oder
der Herausforderung motiviert fühlen, ist eine gemeinsame Diskussion über die Vorge-
hensweise und weitere Strukturierung der Aufgabe notwendig.
In der Implementierungsphase könnten Schüler und Lehrer in einem gemeinsamen
Gespräch verschiedene Schwerpunkte setzen und das dargestellte Problem mit eigenen
Ideen ausarbeiten (z. B. Suche nach einer ökologischen und einer ökonomischen Lösung
oder Einführung anderer Kaffeesorten in die Liste). Denkbar wäre auch, die Aufgabe
anhand weiterer Thematisierungen zu öffnen, wenn die Rahmenbedingungen des
Unterrichts es erlauben.
Anschließend würde eine gemeinsame Festlegung der nächsten Arbeitsschritte erfolgen.
Dabei könnte diskutiert werden, ob man in kleinen oder großen Gruppen arbeitet und
welche weiteren Strategien der Informationsbeschaffung folgen könnten.

b) Bearbeitungsphase
Zur Lösungsfindung verfügt die Lerngruppe über einen geringen Informationsbestand:
Die Auflistung der Lehrer/innen, die Kaffee trinken (siehe Anlage 1), und die Beschrei-
bung des Problems.
Die Authentizität der Aufgabe erlaubt aber, dass sich die Schüler zusätzliche Daten
selbstständig beschaffen können, die nicht auf dem Aufgabenblatt vorgegeben sind.
Dafür könnten sie die benötigten Informationen in kleinen Gruppen aus dem Lehrer-

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zimmer besorgen (z. B. die tägliche Anzahl an Kaffeekannen, die im Lehrerzimmer
gekocht werden oder wie lange es dort dauert, bis eine Packung Kaffee verbraucht ist).
Ebenfalls könnten Schüler ihre eigenen Erfahrungen, Wissensstrukturen und Strukturie-
rungsmuster zur Problemlösung einbringen.

c) Beurteilungsphase
Wenn die Gruppen die benötigten Mittel zur Lösung gesammelt haben, können sie ihre
Kaffeekassenmodelle entwerfen, um sie nachfolgend im Plenum zu präsentieren.
Anhand der Präsentation werden der Vergleich der verschiedenen Eigenmodellierungen
und die Abschätzung nach ihrer Plausibilität ermöglicht (z. B. wäre der Vorschlag
„Kaffeevorräte für zwei Jahren kaufen“ praktisch, aber seine Umsetzung könnte dazu
führen, dass der Kaffee mit der Zeit nicht mehr schmeckt).
Vorstellbar wäre auch, dass sich alle Gruppen abschließend für eine gemeinsame Lösung
entscheiden, um sie im Laufe der nächsten Wochen an der Realität des Lehrerzimmers
mit dem Einverständnis der Lehrer zu überprüfen.

d) Gegenüberstellung Eigen- und Fremdmodellierung


Eine Beendigung des Unterrichts an dieser Stelle wäre unter fachlichen Gesichtspunkten
ineffizient. Um dies zu vermeiden, ist eine Abschlussphase erforderlich, in der die
Schülerentwürfe mit den Modellierungen der Ökonomie in Beziehung gesetzt werden, so
dass den Schülern die innere Logik dieser Fremdmodellierungen plausibler wird.
In diesem bestimmten Fall könnten Schüler mit dem Thema „Bestellverfahren“ konfron-
tiert werden und zwei der in der Schulbuchökonomik dargestellten Lösungssysteme
(Bestellpunkt- und Bestellrhythmusverfahren) kennen lernen. Diese beiden Systeme
sollten vom Lehrer nicht als endgültige Lösungen, sondern als weitere mögliche Kon-
struktionen präsentiert werden.
Durch diese Gegenüberstellung könnten die Schüler besser verstehen, warum die
Experten damals die bestimmten Lösungswege wählten, welche zentrale Eigenschaften
die Konstrukte haben, wo ihre Grenzen beginnen, in wie weit sie ergänzende soziale
Variablen mitberücksichtigen, wie aussagekräftig sie sind, usw.
Zum Beispiel schlägt eine Gruppe vor, dass die Schulcafeteria jeden Tag den Kaffee für
das Lehrerzimmer gegen eine pauschale Bezahlung kochen sollte, dann wäre dieser
Lösungsweg weder unter dem Bestellrhythmus- noch dem Bestellpunktsystem zuzuord-
nen. Trotzdem könnte er als weitere Möglichkeit vom Lehrenden akzeptiert werden,
wenn er für den Fall geeignet wäre.
Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass die Lernenden am Ende ihr eigenes
Konstrukt gestalten und die ökonomischen Modellierungen kritisch betrachten. Dafür
beschäftigen sie sich, wie die Experten, mit denselben Problemen der Informationsbe-
schaffung, des Informationsvergleichs, der Selektion, der Verknüpfung und Bewertung
und können die Vorzüge und Schwächen des eigenen und wissenschaftlichen Modells
durchschauen.

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Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Die Aufgabe „Kaffeekasse“ kennzeichnet sich durch ihr fließendes Format, d. h., die
Arbeitsgruppe befasst sich zuerst mit einem Aufgabenkern (Fragestellung und Kaffeelis-
te), der von Schülern und Lehrenden allmählich weiterentwickelt wird. Über die Phasen
der Implementierung (vertiefende Problematisierung und Schwerpunktsetzung), der
Informationsstrategie (Suche nach zusätzlichen Variablen aus der Schülerumwelt) und
Strukturierung (Ausgrenzung wichtiger Aspekte) ist die Lerngruppe mit Unterstützung
des Lehrenden diejenige, die diese Aufgabe weiterentwickelt und anschließend bearbeitet.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: Die Offenheit bezieht
021 Problemoffenheit 5 sich auf das dargestellte
022 Kontextoffenheit 5 Problem, weil die Lerngruppe
023 Lösungswegoffenheit 4 Schwerpunkte bei der
024 Handlungsvollzugsoffenheit 5 Problemdefinition und
025 Ergebnisoffenheit 5 dem Lösungsweg setzen kann,
03 Steuerung denn den Schülern steht es
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 4 frei, wie sie ihre endgültigen
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, Modelle gestalten.
5
Interventionen usw.)
Zu 03: Die Offenheit erlaubt
04 Kommunikation zwischen Lernenden 5
der Lerngruppe einen hohen
041 Bei Problemdefinition 4
Selbststeuerungsgrad
042 Bei Modellierung 5 (Beschaffung von weiteren
043 Bei Ergebnisfindung 4 Informationen und
044 Bei Lösungsdiskussion 5 Einbringen von eigenen
045 Bei Evaluation 4 Strukturierungsmustern).
05 Problemhaltigkeit 5
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen - Zu 06: Der Komplexitätsgrad
052 Ziele und Mittel bekannt - in dieser Aufgabe ist potentiell
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht X hoch. In ihrem Kern verfügt
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt - sie über eine geringe Anzahl
055 Ziele und Mittel unbekannt - von zu verknüpfenden
056 Problemstellung noch diffus - Elementen, die sich im Laufe
06 Komplexität (antizipierend) 4 des Unterrichts durch die
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) - Selbsttätigkeit der Schüler
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi- vervielfältigen und graduell
- einen hohen wachsenden
on/Gehalt)
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) - Komplexitätsgrad erreichen.
064 Eingebundene Bewertungsregeln -
07 Situiertheit Zu 072: Durch die
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5 Gegenüberstellung von
Eigen- und Fremdmodellie-
072 Bezug: (berufs)-praktische Relevanz 2
rungen, findet man eine
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz 4
höhere berufspraktische
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der Relevanz der Aufgabe..
5
Lernenden
081 Problemdefinition - Zu 08: Die Aufgabe enthält
082 Modellierung - die fünf Phasen des
083 Ergebnisfindung - Bearbeitungsbogens (von der
084 Lösungsdiskussion - Problemdefinition bis zur
085 Evaluation Evaluation der Schülermodel-
-
lierungen)

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c) Strukturähnliche Aufgaben
Ein weiteres ähnliches Aufgabenbeispiel entstammt dem Bereich der VWL: In der
Aufgabe „Wiesenkuppe“ (Anlage 29 – 33) werden die Schüler gebeten, für ein kleineres,
neu entstehendes Wohngebiet am Rande einer Siedlung ein Konzept zur Feststellung der
dortigen Wertschöpfung zu erstellen. Durch ihr bestehendes Vorwissen und durch
Recherche von weiteren Informationen sollen Schüler in einem kleinen Maßstab das
Bruttoinlandsprodukt berechnen. Genau so wie in der Aufgabe „Kaffeekasse“ wird von
den Gruppen nicht erwartet, dass sie die professionelle Lösung nacherfinden, sondern
dass sie aus einer unstrukturierten Lernumwelt ihre eigenen Methoden verwenden und die
Begrifflichkeiten im Rahmen der Lernumgebung selbst bilden. Hierbei ist es ebenfalls
sinnvoll, die Schülermodellierungen untereinander zu vergleichen und diese Eigenproduk-
tionen mit dem Wissenschafts- bzw. Expertenwissen gegenüberzustellen.

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Aufgabe 2: Die AG

Pfeffer für £ 7450 das Kilo


„Darf’s ein bisschen mehr sein?“

Eine geschichtliche Geschichte über den Gewürzhandel zwischen England und


Holland.

Die Engländer sind auf den Geschmack gekommen, Gewürze für ihre Speisen zu
benutzen. Zucker, Pfeffer, Kaffee, Tee und Schokolade rangierten ganz oben
auf der Beliebtheitsskala von Königen, Adel und reicheren Kaufleuten. Denn das
kulinarische Leben war bisher ohne Gewürze nur fade und langweilig.

In der Kolonialzeit im 16. Jahrhundert war der Gewürzhandel auf seinem Höhe-
punkt. Der neue Geschmack in der Suppe, durch Gewürze wie Pfeffer, hatte eine
Revolution in der Oberschicht ausgelöst: Keine Festlichkeiten ohne Kolonialwa-
ren. Der „fünf Uhr Tee“ wurde zu einer festen Institution in England.

Das Verlangen nach den Gewürzen aus Übersee stieg in


England ins Unermessliche. Das ließ die Preise in kürzester
Zeit explodieren, da bis dato die Holländer eine Monopolstel-
lung auf dem europäischen Gewürzmarkt hatten. Das erklär-
te sich darin, dass die Engländer ausschließlich „nordsee-
taugliche“ und keine „hochseetauglichen“ Schiffe hatten und
benötigten, da sich ihr bisheriger Handel auf Europa beschränkte. Darüber
hinaus fehlten den Engländern an den Seewegen zu den Gewürzländern in Ostin-
dien Handelsniederlassungen, die eine große Bedeutung hatten. Diese lag darin,
dass die Schiffe auf dem Weg von Holland bis Ostindien und zurück durch-
schnittlich zwei Jahre unterwegs waren und die Handelsniederlassungen dafür
benötigten, Frischwasser, neue Lebensmittel und Munition für die Bordkanonen
aufzunehmen. Außerdem bestand hier die Möglichkeit kranke Seemänner zu
versorgen; die wertvollen Waren blieben in den Niederlassungen vor Räubern gut
geschützt.

Als die Holländer die Preise für Pfeffer und andere Gewürze mit purem Gold
aufwiegten, platzte den englischen Händlern der Kragen, da sie nichts mehr an
den Gewürzen verdienten.

1569 beschlossen sie dem holländischen Preisdiktat ein Ende zu setzen. Nun
wollten auch sie das „dicke Geld“ mit dem Gewürzhandel machen.
Aber wie???

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Wie geht die Geschichte eurer Meinung nach weiter?

Bitte beachtet dabei folgende Gesichtspunkte:

Die Engländer hatten keine hochseetauglichen Segelschiffe. Der Preis eines


Schiffes belief sich so hoch, dass ein Kaufmann all sein „Hab und Gut“ für ein
Schiff hätte hergeben müssen (Anmerkung: Heute kostet ein hochseetaugliches
Containerschiff
ca. £ 104 482 500,-).
Verlor der Kaufmann das Schiff, war er ruiniert.
Ein Schiff auf der langen Fahrt zu den Gewürzinseln zu
verlieren, war durchaus möglich. Piraterie, Stürme und
Meuterei waren nicht selten. Die Schifffahrt war ein
Risikogeschäft, bei dem man schnell reich oder arm werden
konnte.
Zudem brauchten sie mehr als ein Schiff. Um den Holländern „Paroli“ zu bieten
und selbst erfolgreich im kontinentalen Warentransport zu sein, brauchten sie
eine ganze Flotte.
Es müsste eine Flotte sein, die sich gegen Piraten wehren und mehrere Tonnen
Gewürze transportieren konnte.

Aber hochseetaugliche Segelschiffe waren nicht das einzige, was die Engländer
brauchten. Handelsniederlassungen in Küstennähe und Kontakte zu „ostindischen
Fürsten“ mussten ebenfalls aufgebaut werden.

Wie geht die Geschichte eurer Einschätzung nach weiter???

- Schreibt bitte die Geschichte zu Ende.


- Denkt bitte möglichst ökonomisch. Wie könnte dieses geschichtliche Er-
eignis vor ca. 400 Jahren wirklich zu Ende gegangen sein?
- Es sind mehrere Lösungen möglich. Entscheidet euch bitte für eine,
schreibt diese in eine Lösungsskizze und sprecht sie kurz mit uns durch.
- Visualisiert bitte eure Lösung auf Flipchartpapier
- und stellt euren Lösungsvorschlag später den anderen Gruppen vor und
begründet eure Entscheidungen.
- Fragen an uns sind jederzeit erwünscht!!!
- Viel Spaß & Erfolg ☺

© 2003 Berufschulwerkstatt,
Universität Kassel

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Beschreibung

In dieser Aufgabe wird ein wirtschaftliches Problem aus dem 16. Jahrhundert in Form
einer Geschichte beschrieben. Der Arbeitsauftrag besteht darin, Lösungen zum geschil-
derten Problem der Finanzierung und Aufstellung einer eigenen Handelsflotte in England
zu entwickeln. Ziel dieser Aufgabe ist es, den Schülern einige Merkmale der Aktiengesell-
schaft durch die Beschreibung ihrer historischen Entstehung plausibler zu machen.
Als Hilfe stehen den Schülern die Informationen aus dem Arbeitsblatt und die Hilfestel-
lung des Lehrers zur Verfügung.

Konstruktionsansatz

Die Aufgabe stellt eine problemhaltige Situation dar, die die Schüler mit einem anderen
epochalen Zusammenhang konfrontiert. Anhand der Fülle von Informationen, die sie
erhalten, müssen sie eine Lösung für das damals real existierende Problem der Finanzie-
rung einer kostspieligen Handelsflotte finden. Dadurch werden die Schüler kognitiv in
eine historische Situation versetzt, die zur Gründung der ursprünglichen Form der
Aktiengesellschaft führte. Dazu erlaubt diese Aufgabe, dass die Schüler später in der Lage
sind, Merkmale dieser Unternehmensrechtsform wie die Haftung, die Kapitalsumme oder
die Gewinnverteilung besser zu verstehen.
Aufgaben wie diese, die eine geschichtliche Komponente enthalten oder die Entstehungs-
geschichte einer Institution oder eines Modells beschreiben, sind ein gutes Werkzeug, um
feststehende Elemente dieser Fremdmodellierungen plausibler zu schildern.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Nachdem die Schüler den Inhalt der Geschichte erfahren haben, werden sie aufgefordert,
deren Verlauf fortzuschreiben und damit Lösungen für die Problematik der englischen
Händler zu suchen. Trotz ihrer Strukturiertheit kann man allein aus den Angaben des
Arbeitsblattes keine Lösung erstellen. Vielmehr müssen die Schüler Entscheidungen
treffen, indem sie auf eigene kreative Ideen zurückgreifen.

b) Bearbeitungsphase
Zur Lösungsentwicklung verfügt die Lerngruppe über den unterbrochenen Geschichts-
verlauf und einige Variablen, die berücksichtigt werden müssen (z. B. Preis eines Schiffes,
Hinweis auf Gefahren wie Piraterie oder Stürme, Bedarf von Handelsniederlassungen,
usw.).
Zweck dieser Variablen ist es, den Schülern ein realistisches Bild der damaligen Situation
zu liefern und gleichzeitig ihre Lösungsfindungsmöglichkeiten innerhalb des historischen
Kontextes einzuengen.

16
Bei der Lösungsweggestaltung wäre wünschenswert, dass die Gruppe – statt einer
Nacherfindung des historischen Ergebnisses – möglichst viele unterschiedliche Lösungen
entwickelte.

c) Beurteilungsphase
Nachdem die Gruppen ihre Ideen entworfen haben, könnten sie im Plenum präsentiert
werden.
Anhand der Präsentation wird der Vergleich der verschiedenen Eigenmodellierungen
(z. B. Gründung einer englisch-holländischen Handelsgemeinschaft, Zusammenarbeit der
englischen Händler mit ihrer Armee) ermöglicht. Anschließend könnten die Lösungsvor-
schläge auf inhaltliche Stärken und Schwächen diskutiert werden: Beispielsweise wäre die
Piraterie eine sehr praktische Idee, aber ethisch nicht vertretbar. Andere Lösungen wie
z.B. die Verhandlungen mit den Holländern wären ein besserer Vorschlag. Dazu müsste
auch mitbedacht werden, ob die Schüler in ihre Lösungen Variablen wie die Mitbestim-
mung oder die Risikobereitschaft der Investoren eingeführt haben.

d) Gegenüberstellung Eigen- und Fremdmodellierung


Nach der Diskussion werden die Schüler wahrscheinlich wissen wollen, wie diese Ge-
schichte endet. Dafür werden sie in einer Anschlussphase ihre eigenen Schülerentwürfe
mit der historischen Modellierung gegenüberstellen (siehe Anlage 2), so dass sie die
Entstehungslogik der Aktiengesellschaft vertieft erfahren können. Durch diese Synopse
können die Schüler die Eigenschaften der AG, die in den konventionellen Lehrwerken
systematisch und klar strukturiert dargestellt werden, besser verstehen.

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Auch wenn diese Aufgabe eine Menge an gut strukturierten Informationen enthält und
den Arbeitsauftrag sehr deutlich formuliert, verfügt sie auf Grund ihrer Offenheit bei der
Lösungsfindung über ein fließendes Format. Im Gegensatz zu anderen Aufgaben, in
denen der Kern erst durch eine gemeinsame Definition des Problems und die zusätzliche
Beschaffung von Informationen entwickelt werden muss, beginnt hierbei die Aufgaben-
konstituierung in der späteren Modellierungsphase.
Dennoch ist die hier betrachtete Aufgabe in der Lage, einen vollständigen Bearbeitungs-
bogen mit den Phasen der Problemstellung, Gestaltung, Evaluation und Gegenüberstel-
lung zu bieten.

17
b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig


Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit 4 Zu 02: Trotz der Vollständig-
021 Problemoffenheit 1 keit aller zur Verfügung
022 Kontextoffenheit 1 stehenden Informationen
023 Lösungswegoffenheit 5 bietet diese Aufgabe offene
024 Handlungsvollzugsoffenheit 4 Wege zur Entscheidungs- und
025 Ergebnisoffenheit 5 Lösungsfindung an.
03 Steuerung 4
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 4 Zu 03: Die Möglichkeit,
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, mehrere Lösungen zu finden,
2 erlaubt den Schülern, selbst
Interventionen usw.)
gesteuert zu arbeiten.
04 Kommunikation zwischen Lernenden 5
041 Bei Problemdefinition 1
Zu 04: Erst in der Phase der
042 Bei Modellierung 5 Modellierung bis zur
043 Bei Ergebnisfindung 4 Evaluation ist Kreativität und
044 Bei Lösungsdiskussion 5 eine rege Kommunikation
045 Bei Evaluation 4 unter den Lernenden
05 Problemhaltigkeit 5 erwünscht.
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen -
052 Ziele und Mittel bekannt 5 Zu 052: Die Schüler verfügen
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht - über eine bestimmte Menge
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt - an Informationen (Mittel) und
055 Ziele und Mittel unbekannt - müssen damit die Geschichte
056 Problemstellung noch diffus - fortsetzen und eine Lösung
06 Komplexität (antizipierend) 4 (Ziel) entwickeln.
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) -
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi-
- Zu 07: Auch wenn die
on/Gehalt)
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) - Aufgabe eher wenig situiert
064 Eingebundene Bewertungsregeln - ist, können die Schüler eigene
07 Situiertheit 2 kreative Lösungen
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 3 miteinbeziehen.
072 Bezug: (berufs)-praktische Relevanz 1
Zu 073: Historische
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz 3
Aufgaben sind je nach
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der Interesse für die Schüler
5
Lernenden unterschiedlich relevant.
081 Problemdefinition -
082 Modellierung -
083 Ergebnisfindung -
084 Lösungsdiskussion -
085 Evaluation

c) Strukturähnliche Aufgaben
Ähnliche Aufgaben könnten auf die Entstehung von Institutionen, wie die Europäische
Zentralbank oder die Europäische Union verweisen oder die nicht gerade einfache
Entwicklung der ersten ökonomischen Modelle beschreiben. Dazu können die Schüler
ebenfalls ihre alternativen Lösungswegen zur damaligen Situation gestalten.

18
Aufgabe 3: Die Quittung

Wie viele Elemente hat eigentlich eine

Quittung?

© 2001 Marcus Vogt,


Universität Kassel

19
Beschreibung

Bei dieser Aufgabe werden die Schüler aufgefordert, die fünf Bestandteile einer Quittung
aus einer Liste von acht vorgegebenen und zwei offenen Möglichkeiten auszuwählen. Um
ein willkürliches Ankreuzen zu vermeiden, müssen sie zusätzlich begründen, warum die
ausgewählten Elemente ihrer Ansicht nach zu einem Quittungsschein gehören müssen.

Konstruktionsansatz

Da Quittungen keine vornormierten, sondern nur sinnvolle Bestandteile in bestimmten


Anwendungskontexten haben, soll der Arbeitsauftrag „Die fünf Bestandteile nennen“ zu
konkurrierenden Lösungen zwischen den Schülern führen. Bei dieser Aufgabe wird
erwartet, dass die Schüler ihre Alltagserfahrungen mit Quittungen zur Lösungsfindung
einfließen lassen und darauf aufbauend einige Lösungen gestalten. Über diese verschiede-
nen Lösungen können die Schüler erfahren, welches ursprüngliche Problem mit der
Quittung gelöst werden sollte.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Um bloße Reproduktionen der Schüler zu vermeiden, ist es sehr wichtig, dass der Lehrer
in der Anfangsphase die Aufgabe losgelöst vom Unterrichtskontext vorstellt, d. h. im
vorherigen Unterricht sollte keine Präsentation oder Erarbeitung der Quittungs-
bestandteile stattgefunden haben.
Die Arbeit des Lehrers in der Implementierungsphase besteht darin, die Aufgabe seinen
Schülern zu präsentieren, ohne ausdrücklich zu sagen, dass es mehrere Antwort-
möglichkeiten gibt.

b) Bearbeitungsphase
Während der Bearbeitungsphase sollen die Schüler in Gruppen entscheiden, welche der
acht aufgelisteten Bestandteilen zu einer Quittung gehören und welche zwei gegebenen-
falls noch fehlen könnten.
Die hohe Situiertheit der Aufgabe erlaubt den Schülern, dass sie aufbauend auf ihrem
Alltagshintergrund modellieren können (z. B. versuchen sich die Schüler daran zu
erinnern, ob sie beim Erhalt ihrer letzten Quittung unterschreiben mussten oder ihre
Kontonummer brauchten).

c) Beurteilungs- und Kontrastierungsphase


In der Beurteilungsphase präsentieren die Gruppen ihre Lösungen, die anschließend im
Plenum verglichen und weiter diskutiert werden können. Durch diesen Vergleich sollte
den Schülern allmählich deutlich werden, dass bei der Aufgabe verschiedene Lösungen
möglich sind.

20
Beim nächsten Schritt der Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdmodellierungen
könnte der Lehrer einige Quittungen mitbringen, die sich in ihren Bestandteilen unter-
scheiden. Das würde ermöglichen, dass die Schüler ihre angekreuzten Lösungen mit
diesen Quittungen kontrastieren und selbstständig zum Ergebnis kommen, dass es bei der
Anzahl und Art der Bestandteile einer Quittung immer auf den bestimmten Anwen-
dungsbereich ankommt.
Nachdem die Aufgabe bearbeitet wurde, könnte der Lehrer seine Schüler fragen, welchen
Kontext sie vor Augen hatten, als sie die Aufgabe lösten. Dadurch kann man detaillierter
feststellen, welche Funktion die Quittung in jedem Einzelfall übernimmt (z. B.: Hat eine
Quittung für Bürobedarf andere Elemente als eine Quittung für Steuern?).

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Die Quittungsaufgabe kennzeichnet sich durch ihr ungewöhnliches Format.
Aufgaben mit diesem Profil versuchen über kognitive Störungen der Schülervorverständ-
nisse zu selbstständigen Begriffsbildungen, zum entdeckenden Lernen oder zur Reflexion
der Grenzen fachwissenschaftlicher Modellierungen anzuregen.
In diesem Fall ist die kognitive Dissonanz keine Voraussetzung, um die Aufgabe bearbei-
ten zu können. Sie entsteht erst, nachdem die Schüler wirklich verstanden haben, welche
eigentliche Funktion die Quittung hat.
Bei dieser Aufgabe wird vielmehr erwartet, dass sich die Schüler durch die begrenzende
Zahl Fünf veranlasst sehen, Merkmale abzuwägen und eigene Lösungen zu entwickeln.
Dadurch können sie besser verstehen, wie sich Normierungen (gesetzliche und nicht
gesetzliche Formvorlagen) entwickeln.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 3
02 Offenheit Zu 025: Die Offenheit dieser
021 Problemoffenheit 1 Aufgabe besteht darin, dass sie
022 Kontextoffenheit 5 keine eindeutige, festgelegte
023 Lösungswegoffenheit 4 Lösung hat. Dadurch dürfen die
024 Handlungsvollzugsoffenheit 4 Schüler entscheiden, welche
025 Ergebnisoffenheit 5 Elemente der Quittung nach
03 Steuerung ihren Erfahrungen am
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 4 sinnvollsten sind. Außerdem
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, können sie ggf. noch zwei
Interventionen usw.) weitere Bestandteile bestimmen
und begründen.
04 Kommunikation zwischen Lernenden
041 Bei Problemdefinition 1
Zu 04: Außer bei der
042 Bei Modellierung 5 Problemdefinition ist die
043 Bei Ergebnisfindung 4 Kommunikation zwischen den
044 Bei Lösungsdiskussion 5 Lernenden im Laufe des
045 Bei Evaluation 5 Lösungsprozesses erforderlich,
05 Problemhaltigkeit damit sie ihre Alltagserfahrungen
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen - austauschen können.
052 Ziele und Mittel bekannt -

21
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht X
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt -
055 Ziele und Mittel unbekannt -
056 Problemstellung noch diffus -
06 Komplexität -
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) 2
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi-
2
on/Gehalt)
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) 3
064 Eingebundene Bewertungsregeln 4
07 Situiertheit
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5
072 Bezug: (berufs-)praktische Relevanz 4
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz 4
Zu 08: Die Aufgabe enthält die
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
5 fünf Phasen des Bearbeitungs-
Lernenden
bogens (von der Problemdefini-
081 Problemdefinition
tion bis zur Evaluation der
082 Modellierung Schülermodellierungen)
083 Ergebnisfindung
084 Lösungsdiskussion
085 Evaluation

c) Strukturähnliche Aufgaben
In vielen anderen Geschäftsbereichen – vor allem im Bankbereich – sind weitere Normie-
rungen entstanden, die gesetzlich oder kontextspezifisch reguliert werden. Eine ähnliche
Aufgabe könnte sich auf den Scheck beziehen mit der Besonderheit, dass die Schüler die
festgelegten Elemente nachmodellieren müssten.

22
Aufgabe 4: Markt- und Preisbildung

Zu hohe Benzinpreise?

Oft schimpfen wir über die ständig


A
steigenden Benzinpreise und fragen

uns wohin das Ganze soll.

Aber … nach welchen Gesetzmäßigkeiten

kommen diese Preise zustande?

Wird die Preisbildung im Ölmarkt aus-

schließlich von Angebot

und Nachfrage beeinflusst? N

© 2002 Berufschulwerkstatt, Universität Kassel

22
Beschreibung

Die folgende Aufgabe bietet den Schülern die Möglichkeit, das Markt- und Preisbil-
dungsmodell aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.
Als Ausgangspunkt und anlehnend an das Beispiel des Ölmarktes werden sie mit Infor-
mationen aus Zeitungsartikeln konfrontiert, die das Thema der Preisbildung aus der Sicht
verschiedener agierender Akteure auf dem Ölmarkt (Staat, OPEC, Mineralölkonzerne
und Verbraucher) behandeln. Nach der Bearbeitung dieser Informationen und Entwick-
lung eines eigenen Preisbildungsmodells für diesen Markt setzen sich die Schüler kritisch
mit dem neoklassischen Fremdmodell auseinander.

Konstruktionsansatz

Diese Aufgabe präsentiert das Thema der Markt- und Preisbildung aus einer Alltags- und
einer Wissenschaftsperspektive. Anhand von Zeitungsartikeln erfahren die Schüler die
eigentliche Komplexität des Ölmarktes mit seinen verschiedenen Akteuren und deren
konkurrierenden Interessen. Andererseits lernen sie das neoklassische Preisbildungsmo-
dell kennen und versuchen, seinen Inhalt in Hinsicht auf seine Komplexität, Realitätsnä-
he, Quantifizierbarkeit, Prognosefähigkeit, u. a. zu bewerten. Da die Schüler den exempla-
rischen Fall des Ölmarktes kennen und dessen Modell rekonstruiert haben, kann ihnen
die Bewertung einfacher fallen.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Bevor sich die Klasse direkt mit der Aufgabe auseinander setzt, wäre es vorstellbar, dass
der Lehrer eine Einführung zur Thematik des Ölmarktes verschafft. Eine Idee wäre, dass
die Schüler einzuschätzen versuchen, in welchem Maße Faktoren wie die Mineralölsteuer,
der Einkaufspreis oder die Mehrwertsteuer den Benzinpreis ausmachen (Anlage 11). So
könnte der Lehrer einen Einstieg zur Aufgabe bauen und gleichzeitig das Vorwissen
seiner Schüler überprüfen.
Die Implementierung der eigentlichen Aufgabe beginnt mit der Aufteilung der Klasse in
vier unterschiedliche Interessengruppen (Staat, OPEC, Mineralölkonzerne, Verbraucher)
und der Verteilung von gruppenspezifischen Zeitungsartikeln und Arbeitsblättern
(Anlagen 4 bis 10).

b) Bearbeitungsphase
Nach dem Lesen der Zeitungsartikel sollten die Schüler ausreichendes Wissen über ihre
jeweilige Interessengruppe gesammelt haben und in der Lage sein, selbstständig ökonomi-
sche Wenn-Dann-Beziehungen zu erstellen (z. B. „Wenn der Ölpreis steigt, dann sinkt die

23
Kaufkraft der Haushalte“ oder „Wenn der Ölpreis steigt, dann steigt auch der US-Dollar
Kurs“, u. a.).
Nach der Erarbeitung der Texte beginnt die zweite Phase des „Expertenpuzzles“, in der
jedes Gruppenmitglied mit den Vertretern der anderen Arbeitsgruppen eine sogenannte
Expertengruppe bildet, so dass sich in jeder Gruppe mindestens ein Vertreter von jeder
Interessengruppe befindet. Durch diese neue Zusammensetzung können die jeweiligen
Vertreter ihre Ergebnisse präsentieren, um sie innerhalb der Gruppe zu diskutieren.
Besonders an dieser Methode ist, dass sie die umfangreiche Verarbeitung aller Informati-
onen erleichtert und die Schüler in ihrer Rolle als Experte motiviert.
Anschließend wird jede Expertengruppe ein Netzmodell auf einer Wandzeitung erstellen,
in dem alle gefundenen Kausalketten grafisch dargestellt werden (Arbeitsauftrag in der
Anlage 13). In diesem Fall handelt es sich um eine Rekonstruktion der in Texten enthal-
tenen Informationen (Nachmodellierung). Sinn und Zweck dieser Rekonstruktion ist es,
ein Modell auf Grund erhaltener Daten selbst zu erstellen und die Zusammenhänge und
Verbindungen innerhalb dieses komplexen Themengebietes zu erschließen.
Sinn und Zweck dieser Nachmodellierung ist es, dass die Schüler die Probleme und
Schwierigkeiten einer Modellgestaltung selbst erfahren. Bevor die Schüler mit dem
neoklassischen Fremdmodell konfrontiert werden, wäre es denkbar, dass sie ihre Netz-
modelle im Plenum präsentieren.

c) Gegenüberstellung eigenes und ideales Preismodell


Nachdem die Schüler eigene Erfahrungen zu den Schwierigkeiten einer eigenen Modellie-
rung zum Thema „Ölmarkt“ gesammelt haben, werden sie sich mit dem neoklassischen
Preisbildungsmodell auseinander setzen. Hierbei ist wichtig, dass der Lehrer dieses
Wissenschaftsmodell nicht als endgültige Lösung, sondern als alternatives Konstrukt zur
Erklärung dieser Zusammenhänge darstellt.
Zu guter Letzt werden die Schüler ihre Eigenmodellierungen mit dieser Fremdmodellie-
rung in Beziehung setzen. Dafür gibt es zwei alternative Möglichkeiten:

- Die Schüler sollen mit Hilfe der Metaplantechnik die Vergleichskriterien selbst
erarbeiten. Der Vorteil wäre hierbei, dass die Schüler selber die Vergleichskriterien
finden und somit ihre eigenen Erfahrungen bei der Modellbildung noch einmal re-
flektieren. Es besteht allerdings die Gefahr, dass der Vergleich auf einem relativ
niedrigen Niveau bleibt und unklare Begriffsbildungen entstehen.

- Alternativ könnte man den Schülern bei dem Modellvergleich einen Kriterienkata-
log vorgeben, um die beiden Modelle gezielt zu beurteilen. Mögliche Bewertungs-
kriterien wären z. B. die Realitätsnähe der Modelle, ihre Komplexität, zeitliche
Bindung, das darin enthaltene Menschenbild, die Übertragbarkeit, u. a.

24
Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Die Aufgabe „Markt und Preisbildung“ charakterisiert sich durch ein komplexes und
geschlossenes Format (Aufgabenformat 2).
Aufbauend auf den verschiedenen Zeitungsartikeln, die die vier Interessengruppen in der
ersten Phase erhalten, werden die Schüler aufgefordert, ökonomische Zusammenhänge
aus den verschiedenen Akteurperspektiven zu erstellen und sie anschließend mit dem
Wissenschaftswissen zu vergleichen.
Da alle Handlungsschritte vom Lehrer stark vorgegeben werden, handelt es sich um eine
fremdgesteuerte Aufgabe.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: In dieser Aufgabe
021 Problemoffenheit 2 werden sowohl das Problem
(Modell gestalten) als auch der
022 Kontextoffenheit 3 Kontext (Ölmarkt) vorgegeben.
023 Lösungswegoffenheit 2 Auch wenn verschiedene
024 Handlungsvollzugsoffenheit 2 Nachmodellierungen erlaubt
025 Ergebnisoffenheit sind, gibt es hierbei Lösungen,
2
die optimaler als andere sind.
03 Steuerung Daraus lässt sich folgern, dass
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 2 die Aufgabe über einen geringen
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, Grad an Offenheit verfügt.
4
Interventionen usw.)
Zu 03: Da die Einzelschritte der
04 Kommunikation zwischen Lernenden Aufgabe von der Problemstel-
041 Bei Problemdefinition 2 lung bis zur Lösungsfindung
042 Bei Modellierung 5 vorab festgelegt sind, handelt es
043 Bei Ergebnisfindung 4 sich um eine fremdgesteuerte
Aufgabe.
044 Bei Lösungsdiskussion 5
Die Selbsttätigkeit bezieht sich
045 Bei Evaluation 4 hierbei auf die Gestaltung des
05 Problemhaltigkeit Netzwerkmodells, die stark von
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen - den Textinhalten beeinflusst
052 Ziele und Mittel bekannt X wird.
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht - Zu 06: Der Komplexitätsgrad in
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt - dieser Aufgabe ist potentiell sehr
055 Ziele und Mittel unbekannt - hoch. In ihrem Kern verfügt sie
056 Problemstellung noch diffus - über eine hohe Anzahl von zu
verknüpfenden Elementen, die
06 Komplexität
sich im Laufe des Unterrichts
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) 5 durch die Nachmodellierung der
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi- Schüler in Form eines
5
on/Gehalt) Netzwerkes vervielfältigen. In
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) 3 der letzten Phase kann die
064 Eingebundene Bewertungsregeln 3 Aufgabe einen sehr hohen
Komplexitätsgrad erreichen.
07 Situiertheit
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5
072 Bezug: (berufs)-praktische Relevanz 4
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz ?
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
3
Lernenden
081 Problemdefinition -

25
082 Modellierung -
083 Ergebnisfindung -
084 Lösungsdiskussion -
085 Evaluation -

c) Strukturähnliche Aufgaben
Im Bereich der VWL lassen sich weitere Aufgaben entwickeln, die über ein ähnliches
Muster verfügen. Ziel und Zweck solcher Aufgaben ist es, den Schülern einen alternativen
didaktischen Zugang zum Thema der ökonomischen Modellbildung zu bieten.
Die gängige Darstellung von Lehrbuchtexten zu diesem Thema lässt sich didaktisch als
problematisch einstufen. Da sie fast ausschließlich auf der theoretischen Sicht der
Neoklassik basieren, beschreiben sie ganz bestimmte Marktzustände aus dem rationalen
Verhalten von Anbietern und Nachfragern. Sonstige abweichende Verhaltensweisen,
andere Perspektiven oder Ausnahmen zu diesen Modellen werden i. d. R. nicht präsen-
tiert. Daraus folgend müssen Schüler ihr bisher erworbenes ökonomisches Wissen an
diese fremdbestimmten, rationalen Modelle anpassen.
Aufgaben, die versuchen, diese kognitive Problematik zu überwinden, zielen darauf,
anhand der Einführung alltäglicher Komponenten, Ausnahmen oder Störungen, die
Grenzen und das Nutzen solcher ökonomischen Modelle aufzuzeigen.

26
Aufgabe 5: Konjunkturzyklen

Wo sind die Konjunkturzyklen ?!?

? ?
?

? ?
?
?

© 2005 Marcus Vogt, BBS Münden

27
Beschreibung

Diese Aufgabe thematisiert die konjunkturelle Entwicklung der Bundesrepublik Deutsch-


land vom 1951 bis 2004. Die Thematik wird aus zwei Blickwinkeln dargestellt: Zuerst
beschäftigen sich die Schüler mit einem Säulendiagramm vom Statistischen Bundesamt,
indem sie seinen Verlauf auf Regelmäßigkeiten und wiederkehrende Konjunkturzyklen
analysieren. Anschließend sollen sie versuchen, Entwicklungsprognosen für die nächsten
sechs Jahren zu stellen.
Die zweite Perspektive mit der die Lerngruppe sich hinterher befasst ist die des Lehrbu-
ches. Ziel dieser Auseinandersetzung ist der kritische Vergleich ihrer Eigenproduktionen
mit dem Wissenschaftswissen (Konradtief Zyklen, konjunkturelle Schwankungen und
Saisonschwankungen).

Konstruktionsansatz

Ähnlich wie die Aufgabe „Markt- und Preisbildung“ zielt die hier betrachtete Aufgabe
darauf, den Schülern ein volkswirtschaftliches Thema aus zwei Blickwinkeln darzustellen.
Die Schüler werden mit einem Säulendiagramm des Statischen Bundesamtes konfrontiert
und versuchen selbstständig Regelmäßigkeiten und Prognosen festzustellen. Anschließend
setzen sie Prognosen für die wirtschaftliche Entwicklung der BRD mit den idealen
Modellen des Lehrbuches in Beziehung. Dadurch können sie erfahren, welche Grenzen
ideale Modelle der VWL bzgl. der Aussagekräftigkeit und Prognostik enthalten.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Nachdem der Lehrer das Thema „Konjunktur“ kurz eingeführt hat, teilt er den Schülern
den ersten Arbeitsauftrag (Anlage 14) auf.
Damit sich die Lerngruppe unvoreingenommen mit diesem Arbeitsauftrag befassen kann,
ist es zu empfehlen, dass der Lehrer seinen Schülern keine Vorinformationen bezüglich
den unterschiedlichen Konjunkturzyklen gibt.

b) Bearbeitungsphase
Während der Bearbeitungsphase beschäftigen sich die Gruppen mit dem erteilten
Arbeitsauftrag. Der Grundgedanke der Bearbeitungsphase besteht darin, eigene Lösungs-
vorschläge zu erarbeiten, damit die Schüler ein tieferes Verständnis bzgl. der in der
Fachliteratur gefundenen Darstellungen (Fremdmodellierungen) entwickeln.
Bei der hier betrachteten Aufgabe versuchen die Gruppen anhand des Säulendiagramms
konjunkturelle Regelmäßigkeiten und wiederkehrende Muster festzustellen um anschlie-
ßend eine Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung bis 2010 zu stellen. (Z. B. kann eine
Gruppe der Meinung sein, dass seit 1951 bis heute fünf Konjunkturzyklen abnehmende-
rer Schwingung entstanden sind und 2005 der Anfang eines neuen Konjunkturzyklus bis

28
zum Jahr 2010 sein könnte). Die Hauptidee dieses Vorgehens besteht darin, dass die
Schüler aus der Analyse von Einzelfällen der Vergangenheit (1973: Ölkrise, 1991: Wieder-
vereinigung, u. a.) allgemeine Regelungen finden, die dabei helfen sollen, Prognosen für
die Zukunft herzustellen.
Als Präsentationsmedium könnten sich die Gruppen einer Wandzeitung mit einem
vorbereiteten Zeitstrahl bedienen. So wären die verschiedenen Gruppenergebnisse mit
der Erläuterung der einzelnen Schritten auf einer Blick zu überschauen.
Bei der Präsentation müsste man bedenken, dass die Schülerlösungen nach ihrer Konsis-
tenz und Plausibilität geprüft werden sollten.

c) Gegenüberstellung Eigen- und Fremdmodellierung


Nachdem die Gruppen ihre Prognosen präsentiert und gemeinsam diskutiert haben,
erhalten sie den zweiten Arbeitsauftrag (Anlage 15).
Auf einem Blatt finden die Schüler den Auszug eines Schulbuches, wo das Thema
„Konjunktur und Konjunkturpolitik“ behandelt wird. Anhand dieses Textes, in dem die
Schwankungen in drei Gruppen (strukturelle, konjunkturelle und saisonbedingte Schwan-
kungen) klassifiziert werden, müssen die Schüler kritisch prüfen, in wie weit Ihnen der
Text hilft, die von Ihnen als besonders charakteristisch empfundenen Zeiträume zu
erklären.
Bei diesem Kontrastierungsvorgang ist es wichtig, dass die Schüler die eigenen Lösungen
und die im Buch enthaltenen Fremdmodellen nicht nur in Hinsicht auf die Gemeinsam-
keiten sondern auch auf die Differenzen analysieren. Durch die Feststellung von Diffe-
renzen werden die Eigenmodellierungen der Schüler als alternative Lösungsmöglichkeit
betrachtet und die ökonomischen Modellen als Beschreibungs- und Prognoseinstrument
kritisch geprüft.
Nach diesem In-Beziehung-setzen wird den Schülern die Möglichkeit gegeben, ihre
Prognosen bis 2010 zu verändern, falls sie es für nötig halten.

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformate


Diese Aufgabe kennzeichnet sich durch ein fließendes Format.
Schüler erhalten ein Säulendiagramm, mit dem sie ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und
Prognosen entwickeln um sie anschließend zu kommentieren und diskutieren (Aufgaben-
bearbeitung). Im Gegensatz zur Aufgabe „Öl- und Marktpreis“ – in der Lehrer und
Schüler nach einem aussagekräftigen Eigenmodell streben, das die Komplexität des
Ölmarktes abbildet - ist die vorliegende Aufgabe bezüglich der Ergebnisse offen, aber
fremdgesteuert. Über die Phasen der Implementierung (vertiefende Problematisierung),
der Informationsstrategie (Suche nach zusätzlichen Variablen aus der Schülerumwelt) und
Strukturierung (Ausgrenzung wichtiger Aspekte) verfügt diese Aufgabe aber nicht. Sie
werden automatisch in die Lernumgebung hingenommen und bleiben der Lerngruppe
erspart.

29
b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: Die Offenheit der
021 Problemoffenheit 2 Aufgabe bezieht sich exklusiv
022 Kontextoffenheit 2 auf ihre unterschiedlichen
023 Lösungswegoffenheit 2 möglichen Ergebnissen. Die
Problemstellung, Kontextfin-
024 Handlungsvollzugsoffenheit 2 dung und Lösungswegsuche sind
025 Ergebnisoffenheit 5 in der Aufgabe enthalten.
03 Steuerung
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 2
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge,
4 Zu 03: Die Einzelschritte von
Interventionen usw.)
der Problemstellung bis zur
04 Kommunikation zwischen Lernenden Suche des Lösungsweges sind im
041 Bei Problemdefinition 2 vorab festgelegt. Die
042 Bei Modellierung 5 Selbsttätigkeit bezieht sich
043 Bei Ergebnisfindung 5 hierbei auf die kreative
Lösungsgestaltung..
044 Bei Lösungsdiskussion 5
045 Bei Evaluation 5
05 Problemhaltigkeit
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen -
052 Ziele und Mittel bekannt
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht -
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt -
055 Ziele und Mittel unbekannt -
056 Problemstellung noch diffus -
06 Komplexität
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) 4 Zu 06: Die Aufgabe selbst
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi- enthält in ihrem Kern verfügt
4
on/Gehalt) über eine relativ hohe Anzahl
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) 3 von zu verknüpfenden
Elementen, die sich durch die
064 Eingebundene Bewertungsregeln 3
Schülerlösungen vervielfältigen
07 Situiertheit könnten.
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5
072 Bezug: (berufs-)praktische Relevanz 3
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz ?
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
3
Lernenden
081 Problemdefinition -
082 Modellierung -
083 Ergebnisfindung X
084 Lösungsdiskussion X
085 Evaluation X

c) Strukturähnliche Aufgaben
Wie wir in dieser als auch im vorigen Beispiel gesehen haben, ist im Bereich der VWL
möglich, Aufgaben zu entwickeln, die darauf zielen, die ökonomischen Modelle nach
ihrer Aussagekräftigkeit – v.a. der Prognosefähigkeit – und Konsistenz zu prüfen.
Ähnliche Aufgaben können ebenfalls im einigen Gebieten der BWL entwickelt werden,
die auf mathematischen Modellbildungen basieren.

30
Aufgabe 6: Organisation

Familie als Betrieb...?


Opa

Sekretärin Vater Mutter

Kind Kind Kind Kind Kind Kind Kind Kind Kind

...oder Betrieb als Familie?

Chef
Praktikant

Auszubildender
Personalchef

Ausbilder
Marketingchef
Arbeiter 1
Arbeiter 2

Chefsekretärin Finanzchef

© 2004 Forschungsseminar
Universität Kassel

31
Familienorganisation: eine kleine Geschichte

Sven und Viola Berger sind seit drei Jahren ein Paar und seit vier Monaten stolze
Eltern der kleinen Lea. Mit Lea kamen auf die bislang kleine und gut durchorganisier-
te Familie ganz neue Anforderungen zu. Der Alltag musste neu organisiert werden
und die Beziehung zueinander veränderte sich durch die neue Rollenverteilung von
Sven und Viola. Vor dem Baby waren die Aufgaben in Haushalt und Beruf gleich
verteilt. Beide waren ein eingespieltes Team, das sein Leben Hand in Hand durch
unausgesprochene Regeln und Abläufe organisierte. Seit vier Monaten organisiert
Lea das Leben der Bergers komplett um. Viola hat die Elternzeit beantragt und ist
von nun an fast allein für den reibungslosen Ablauf des Familienlebens verantwort-
lich. „Anfangs war es sehr ungewohnt für Viola, die Hausarbeit, den Einkauf und
ihren Schlaf nach Leas Bedürfnissen auszurichten. Mittlerweile ist sie aber zu einem
großartigen Organisationstalent geworden und bringt alles unter einen Hut“, sagt
Sven anerkennend. Auch er befindet sich plötzlich in einer neuen Rolle. Als alleiniger
Ernährer übernimmt er die Finanzierung seiner Familie.

Viola möchte spätestens in einem Jahr wieder ihren Beruf als Bürokauffrau aufneh-
men. Doch wohin dann mit Lea? Bei ihrem Arbeitgeber kann sie nur als Vollzeitkraft
wieder einsteigen und Leas Großeltern wohnen weit entfernt, deshalb sind Sven und
Viola auf externe Institutionen angewiesen. Die Gesellschaft müsste Infrastruktur und
Ressourcen für die Organisation der Kinderbetreuung zur Verfügung stellen. Die
Öffnungszeiten der meisten Kinderkrippen, falls diese überhaupt vorhanden sind,
beschränken sich auf die Zeit zwischen 8.00 Uhr und 13.00 Uhr. Diese Möglichkeit
der Kinderbetreuung stellt für Sven und Viola keine befriedigende Lösung dar. „Wir
haben auch schon über eine Tagesmutter für Lea nachgedacht. Die könnte dann zu
uns kommen und sich um Lea in ihrer gewohnten Umgebung kümmern“, so Viola
und fährt fort: „Wir haben bislang noch keine wirklich gute Lösung für uns gefunden.
Da wäre dann mal Vater Staat gefragt. Aber wir haben ja noch ein wenig Zeit, um
eine befriedigende Lösung für uns alle zu finden.“

32
Fragen

1. Worin liegen Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede bei familiärer und betrieblicher Organi-
sation?
2. Wie kann ein plötzlich auftretendes Ereignis die Organisationsstruktur von Familie
und Betrieb beeinflussen?
3. Erläutere ein betriebliches Ereignis, welches dazu führen kann, dass die Organisati-
onsstruktur eines Betriebes neu überdacht werden muss!
4. Wie müssen Organisationsstrukturen verlaufen, damit auf plötzlich eintretende Ereig-
nisse reagiert werden kann? Beziehe dich bei der Beantwortung auf eine Institution
(z. B. Familie, Betrieb, Schule, Sportvereine usw.)!

33
Beschreibung

Diese Aufgabe führt das Thema „Organisation“ unter zwei, auf den ersten Blick sehr
unterschiedlichen, Gesichtspunkten ein. Beim Lesen einer kurzen Geschichte, die die
Situation einer kleinen Familie beschreibt, befassen sich die Schüler mit dem familiären
Organisationsbegriff, um anschließend Verknüpfungen in Form von Ähnlichkeiten und
Differenzen zu dem betrieblichen Organisationsbegriff festzustellen.

Konstruktionsansatz

Diese Aufgabe präsentiert die Thematik der betrieblichen Organisation in einem anderen,
eher ungewöhnlichen, aber andererseits den Schülern sehr vertrauten Zusammenhang:
den der Familie.
Gerade aufgrund des ungewöhnlichen Kontextes, in dem sich das Beispiel befindet,
können die Schüler auf ihre Alltagskenntnisse zurückgreifen (z. B. Freunde, Familienan-
gehörige und Bekannte, die sich in einer ähnlichen Situation befinden), um den Organisa-
tionsbegriff im betrieblichen Bereich besser zu verstehen und bearbeiten.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Bevor sich die Klasse direkt mit der Lektüre des Textes auseinander setzt, wäre es
vorstellbar, dass der Lehrer eine Einführung zur Thematik der Organisation verschafft.
Zum Beispiel könnte er seine Schüler fragen, in welchen Lebensbereichen „Organisation“
vorhanden ist. Die Implementierung der eigentlichen Aufgabe beginnt mit der Aufteilung
der Schüler in Paare und mit der Aufforderung, den Text zu lesen und die beigefügten
Fragen zu beantworten. Selbstverständlich wäre auch eine narrative Einführung denkbar.

b) Bearbeitungsphase
Die vier zu bearbeitenden Fragen versuchen eine Brücke zwischen den beiden Organisa-
tionskonzepten aufzubauen. Interessant ist hierbei, dass das Vorwissen der Schüler mit
Hilfe des vertrauten Themas der Familie aktiviert wird, um zum Bereich der betrieblichen
Organisation zu gelangen. Die erste Frage fordert die Schüler auf, Unterschiede und
Ähnlichkeiten in familiärer und betrieblicher Organisation zu suchen. Zur Hilfestellung
ließen sich Punkte angeben, auf die sie sich bei der Beantwortung schwerpunktmäßig
stützen können. Z. B. könnten sie sich mit dem Begriff „Stelle“ auseinander setzen. Dabei
entdecken sie möglicherweise, dass sich betriebliche Stellen ohne große Probleme
erweitern lassen, während Stellen in der Familie (z. B. eine zweite Frau) nicht ohne
weitreichende Konsequenzen verändert werden können.
Die nächsten drei Fragen beziehen sich auf den Anpassungsprozess von Organisationen
im Falle eines plötzlich auftretenden Ereignisses. Wie es sich auf die Familie auswirken
kann, können die Schüler aus dem Text erfahren. Sie können und sollten ihre Antworten

34
jedoch auch mit eigenen Erfahrungen anreichern. Bei der Bearbeitung der letzten Frage
lassen sich weitere Themen wie „Wirtschaftskrisen“, „Fusionen“, „Unternehmenskultur“
oder „Unternehmensumwandlungen“ einführen.

c) Beurteilung und Gegenüberstellung


Nachdem die Schüler den Text und den Arbeitsauftrag bearbeitet haben, werden die
verschiedenen Antworten im Plenum verglichen und diskutiert. Ziel dieser Phase ist, dass
die Lerngruppe einen allgemeinen Überblick über die Ideen und Einfälle erhält, die sich
während der Bearbeitungsphase entwickelt haben.
Nachfolgend und basierend auf diesen Schülerergebnissen könnte der Lehrer das Thema
„Unternehmensorganisation“ einführen, ohne auf die herkömmlichen Klassifikationen
(Einlinien-System, Stablinien-System, Matrixsystem) zurückzugreifen. Als Alternative
wäre denkbar, dass der Lehrer Organisationskonzepte aus dem betrieblichen Alltag
präsentiert, damit die Schüler einen Eindruck der Unternehmenspraxis gewinnen und
sehen, dass jedes Unternehmen aus bestimmten Gründen ein individuelles Organisations-
konzept schafft, das im Laufe der Zeit weiterentwickelt wird.
Zuletzt – als Zusammenfassung – könnten sich die Schüler mit dem beigefügten Text
„Wer organisiert Organisation?“ (Anlage 16) befassen, der einen gesamten Überblick über
die Thematik verschafft.

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Auf Grund des eher unkonventionellen Zusammenhangs, in dem die Thematik präsen-
tiert wird, und des metaphorischen Gehalts des Arbeitsauftrages kann diese Aufgabe
unter das ungewöhnliche Format geordnet werden. Ungewöhnliche Aufgaben zielen
darauf, den Schüler zur Entdeckung neuer Zusammenhänge, zur Bildung neuer Begriffe,
usw. anzuregen. Um dies erreichen zu können, enthalten solche Aufgaben verschiedene
Formen der kognitiven Störung, wie Verfremdungen, Paradoxien, Provokationen, u. Ä.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Gegenüberstellung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: Die Offenheit dieser
021 Problemoffenheit 2 Aufgabe bezieht sich exklusiv
auf die Ebene der Ergebnissu-
022 Kontextoffenheit 1 che: Die Schüler können
023 Lösungswegoffenheit 1 Ähnlichkeiten und Differenzen
024 Handlungsvollzugsoffenheit 2 zwischen den beiden
025 Ergebnisoffenheit 4 Organisationsformen frei
herausfinden, indem sie auf ihre
03 Steuerung
Erfahrungen zurückgreifen.
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 2
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, Zu 03: Wir haben es mit einer
4
Interventionen usw.) überwiegend fremdgesteuerten
04 Kommunikation zwischen Lernenden Aufgabe zu tun, die alle

35
041 Bei Problemdefinition 2 Bearbeitungsschritte bis zur
042 Bei Modellierung 3 Lösungsfindung im Voraus
043 Bei Ergebnisfindung 4 festlegt. Selbstgesteuertes Lernen
findet bei der Lösungssuche
044 Bei Lösungsdiskussion 5 statt.
045 Bei Evaluation 4
05 Problemhaltigkeit
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen - Zu 05: Anhand des Textes und
ihres Alltagswissens sollen die
052 Ziele und Mittel bekannt -
Schüler genügend Mittel suchen,
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht X um auf die Fragen antworten zu
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt - können.
055 Ziele und Mittel unbekannt -
056 Problemstellung noch diffus -
06 Komplexität
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) 3
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi-
3
on/Gehalt)
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) 3
064 Eingebundene Bewertungsregeln 3
07 Situiertheit
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5
072 Bezug: (berufs-)praktische Relevanz 4
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz ?
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
2
Lernenden Zu 08: Diese Aufgabe ist bzgl.
081 Problemdefinition - des Bearbeitungsbogens i. S. v.
082 Modellierung - Pisa nicht vollständig, weil sie
083 Ergebnisfindung - keine Problemdefinition und
Modellierung anbietet.
084 Lösungsdiskussion -
085 Evaluation -

c) Strukturähnliche Aufgaben
Aufgaben, die über ein ähnliches Muster verfügen, können in allen Bereichen des Wirt-
schaftsunterrichts entwickelt werden. Ihre Gestaltung ist aber nicht einfach. Der Lehrer
muss in der Lage sein, aus alltäglichen Situationen analoge Musterbilder zu einem
wirtschaftlichen Thema zu erkennen und daraus eine anspruchsvolle Lernumgebung zu
entwickeln.

36
Aufgabe 7: Die Steuer

Wie kann man 35 Milliarden Euro sparen?

2001 verschuldete sich die Bundesrepublik Deutschland um 35 Milliarden Euro.

Dadurch wurde die 3% Grenze des Maastricht-Stabilitätspaktes deutlich

überschritten. Wie können Schüler diese 35 Milliarden Euro Neuverschuldung

durch Steuererhebungen stoppen, ohne die konjunkturelle Lage des Landes zu

beeinträchtigen?

© 2003 Berufschulwerkstatt,
Universität Kassel

37
Beschreibung

Bei dieser Aufgabe, die auf das Thema „Fiskalpolitik“ verweist, wird von den Schülern
verlangt, eine Empfehlung an die Bundesregierung abzugeben, um die Neuverschuldung
2001 in Höhe von 35 Mrd. € durch Steuererhöhungen auszugleichen. Die Steuern, mit
denen die Schüler dieses Verschulden beseitigen dürfen, sind die Einkommen-, die Öko-
und die Vermögenssteuer. Bei letzterer besteht die Möglichkeit, sie erneut einzuführen.

Konstruktionsansatz

Anhand dieser Aufgabe werden die Schüler mit denselben Schwierigkeiten konfrontiert,
die normalerweise Politiker haben, wenn sie Entscheidungen im Bereich der Finanzpolitik
(Steuererhöhungen und deren Konsequenzen) treffen müssen. Exemplarisch hat man sich
dabei auf drei Steuern beschränkt, die repräsentativ für verschiedene Gesellschafts-
schichten sind.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
Bevor die eigentliche Aufgabe vorgestellt wird, könnte der Lehrer auf die noch heute
aktuelle Problematik der Neuverschuldung in der Bundesrepublik verweisen: 2001 betrug
sie 35 Mrd. € und heutzutage (Jahr 2005) hat sie 40 Mrd. € erreicht. Die zu bearbeitende
Frage lautet dann: „Wie hätte man damals anhand von Steuererhöhungen diese Neuver-
schuldung ausgleichen können?“
Die Implementierung der Aufgabe fängt mit der Aufteilung der Klasse in drei Steuer-
gruppen (Einkommen-, Öko- und Vermögenssteuer) und dem Verteilen von gruppen-
spezifischen Informationen und Arbeitsblättern an (Anlagen 17-25).

b) Erste Bearbeitungsphase
Beim Lesen der Informationen und bei der Bearbeitung der Arbeitsunterlagen sollten die
Schüler das notwendige Wissen über die Hauptmerkmale jeder Steuer, ihre Berechnung
und die gesellschaftspolitischen Auswirkungen einer eventuellen Erhöhung des Steuersat-
zes erwerben. Der Arbeitsauftrag sieht für alle drei Steuerarten identisch aus: Zuerst
sollen die Schüler anhand einfacher mathematischer Berechnungen erfahren, auf welche
Weise die entsprechende Steuer erhöht werden muss, um eine Neuverschuldung zu
vermeiden. Mögliche Lösungen wären z. B.: „Wenn man die Einkommensteuer 2002 um
7,02 % für alle Steuerpflichtigen erhöht hätte, wäre die Neuverschuldung damals beseitigt
worden“ oder „eine neunfache Erhöhung der Mineralölsteuer und der Stromsteuer hätte
ebenfalls dazu geführt, die Neuverschuldung auszugleichen“.
Nach den Berechnungen muss jede Gruppe überlegen, welche Auswirkungen eine so
hohe einseitige Steuererhöhung haben könnte, und eine Wirkungskette mit allen mögli-
chen Konsequenzen aus gesellschaftlicher und konjunktureller Sicht erstellen.

38
Diese erste Bearbeitungsphase endet, nachdem sich alle drei Gruppen mit jeder Steuerart
beschäftigt haben (ungefähr nach 6 Unterrichtsstunden).

c) Zweite Bearbeitungsphase
Nachdem die Schüler durch die Bearbeitung der Arbeitsblätter einen Überblick über den
Umfang jeder Steuererhöhung gewonnen haben, werden sie aufgefordert, eine Empfeh-
lung an die Bundesregierung hinsichtlich einer Steuerumgestaltung mit möglichst geringen
negativen Auswirkungen auf die Konjunktur abzugeben. Durch diese Umgestaltung der
Steuer soll die Neuverschuldung des Staates in 2001 vermieden werden.
Jede Gruppe erhält eine Wandzeitung vom Lehrer, auf der sie ihre Lösung der Klasse
(dem Plenum) präsentieren kann. Damit alle Plakate die gleichen Informationen enthalten
und somit vergleichbar sind, erhält jede Gruppe ein Arbeitsblatt mit den folgenden zu
bearbeitenden Fragen:
- Welche Steuer(n) möchten Sie erhöhen/einführen?
- Um wie viel Prozent müsste(n) diese Steuer(n) erhöht werden, um
35 Mrd. € einzunehmen?
- Auf welcher Wirkungskette basiert Ihre Überlegung? Stellen Sie diese dar.

d) Beurteilungsphase
Ziel der Beurteilungsphase ist die Präsentation der einzelnen Gruppenergebnisse im
Plenum. Nachdem jeder Vertreter den Vorschlag präsentiert hat, sollte der Lehrer dafür
sorgen, dass eine Diskussion unter den Schülern zustande kommt. Mögliche Themen, die
angesprochen werden könnten, wären z. B. der Realitätsbezug und die Sinnhaltigkeit der
Schülervorschläge, welche Gesellschaftsschichten bei der Umsetzung am meisten
betroffen sind, alternative Wege, usw.

e) Gegenüberstellung eigene und Fremdmodellierung


Dadurch, dass sich die Schüler mit den Steuern und Fragen zur Erstellung der Wandpla-
kate beschäftigen, sammeln die Schüler eigene Erfahrungen zu den Schwierigkeiten einer
Eigenmodellierung und stellen anschließend fest, dass eine Steueränderung auf verschie-
dene Parameter Einfluss hat (Beschäftigung, private Investitionen, öffentliche Investitio-
nen, Inflation, usw.).
An dieser Stelle wäre es sinnvoll, den Bezug zur Praxis herzustellen und auf die Methode
der Bundesregierung bezüglich einer solchen Vorhersage einzugehen. Dafür ist es nötig,
dass die Schüler, anhand einer kurzen Erklärung, mit dem Instrument der ökonometri-
schen Modelle konfrontiert werden und erfahren, dass sich die Experten zur Prognosen-
bildung aus einer Fülle von mathematischen Variablen und Zusammenhängen bedienen,
ohne die aktuelle sozialpolitische Lage des Landes zu vernachlässigen.

f) Die Störthese
Nach der Gruppenarbeit zur Bearbeitung der Einkommen- und Ökosteuer, bei der sich
die Gruppen mit dem Problem auseinandergesetzt haben, wie man durch eine Erhöhung
einer Steuer 35 Milliarden € zusätzlich in die Staatskassen bringen könnte, und dazu

39
Wirkungsketten erstellt haben, könnte man alternativ die Schüler mit einer Störthese
konfrontieren.
Diese These versucht, gewisse Parameteränderungen, die die Schüler in ihren Wirkungs-
ketten bedacht haben sollten, in Frage zu stellen.

Sie lautet wie folgt:

„Steueränderungen haben keine Effekte auf die Beschäftigung, weil Steuereinnahmen direkt zu
Staatsausgaben werden.
Da der Staat aus seinen Einnahmen nichts spart (anders als die privaten Haushalte, die von
dem Einkommen, das ihnen „weggesteuert“ wird, ja x % gespart hätten), ist der Multiplikatoref-
fekt bei den Staatsausgaben sogar größer als bei den Konsumausgaben der privaten Haushalte.
Da der Staat auf der anderen Seite bei dieser Vorgehensweise weniger Kredite aufnehmen muss
und so die privaten Ersparnisse weniger angezapft werden, sinken die Kreditzinsen (was mehr
Investitionen rentabel macht) und es bleibt genug Masse an Ersparnissen für private Investitionen
übrig. Eine Steuererhöhung, die eine staatliche Neuverschuldung verhindert, verändert also die ge-
samtwirtschaftliche Nachfrage nicht und ist somit in den Wirkungen eher konjunkturneutral bis
leicht konjunkturfördernd.“

Mit dieser Störthese werden einige Grundgedanken der Makroökonomie, die die Schüler
im Laufe ihres Unterrichts gelernt haben, in Frage gestellt. Gemeint sind z. B. die
keynesianische Idee: „Steuererhöhungen dämpfen den Konjunkturzyklus“ oder der
neoklassische Leitgedanke: „So viel Markt wie möglich und so viel Staat wie nötig“.

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Diese Aufgabe charakterisiert sich durch ihr fließendes Format. Aufbauend auf verschie-
denen Informationen, die die Schüler über die drei Steuerarten erhalten, müssen sie die
weiteren Modellierungsschritte der Lösungssuche (sinnvolle Kombination der drei
Steuerarten) und Ergebnisevaluation (Vergleich der unterschiedlichen Lösungen) selb-
ständig durchführen.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: Hierbei finden wir sowohl das
021 Problemoffenheit 2 Problem (hohe Neuverschuldung) als
auch den Kontext (Steuererhöhungen)
022 Kontextoffenheit 3 vorgegeben. Die Modellierungsleistung
023 Lösungswegoffenheit 4 erstreckt sich von der Suche nach
024 Handlungsvollzugsoffenheit 3 Lösungswegen bis zur Präsentation und
025 Ergebnisoffenheit 4 Evaluation der verschiedenen
Ergebnisse.
03 Steuerung

40
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 2
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, Zu 03: Trotz hoher Lösungsweg- und
4 Ergebnisoffenheit gilt diese Aufgabe als
Interventionen usw.)
04 Kommunikation zwischen Lernenden vorwiegend selbstgesteuert.
Die Selbsttätigkeit bezieht sich hierbei
041 Bei Problemdefinition 2 auf die Gestaltung der Empfehlung an
042 Bei Modellierung 5 die Bundesregierung.
043 Bei Ergebnisfindung 5
044 Bei Lösungsdiskussion 5
Zu 06: Der Komplexitätsgrad in dieser
045 Bei Evaluation 5
Aufgabe ist sehr hoch. Sie verfügt über
05 Problemhaltigkeit eine hohe Anzahl von zu verknüpfen-
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen - den Informationen, die sich im Laufe
052 Ziele und Mittel bekannt X des Unterrichts durch die Eigenmodel-
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht - lierungen der Schüler vervielfachen. In
der letzten Phase kann die Aufgabe
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt - einen sehr hohen Komplexitätsgrad
055 Ziele und Mittel unbekannt - erreichen.
056 Problemstellung noch diffus -
06 Komplexität
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) 5
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi-
5
on/Gehalt)
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) 3
064 Eingebundene Bewertungsregeln 3
07 Situiertheit
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5
072 Bezug: (berufs-)praktische Relevanz 4
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz ?
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
3
Lernenden
081 Problemdefinition -
082 Modellierung -
083 Ergebnisfindung -
084 Lösungsdiskussion -
085 Evaluation -

c) Strukturähnliche Aufgaben
Diese Aufgabe versucht, die Schüler in eine komplexe Entscheidungslage zu versetzen, in
der nicht nur ökonomische, sondern auch soziale Zusammenhänge berücksichtigt werden
müssen. Damit werden sie mit Problemen konfrontiert, mit denen selbst die Experten der
Bundesregierung Schwierigkeiten haben.
Ähnliche Aufgaben könnten z. B. im Bereich der VWL oder der BWL gefunden
werden (z. B. problematische Entscheidungssituationen im Unternehmen oder im
makro-ökonomischen Bereich).

41
Aufgabe 8: Die Goldschnecke

Anekdote „Goldschnecke“

Wenn man von Bamberg aus dem Main flussaufwärts folgt, erreicht man in der Nähe
von Staffelstein zwei berühmte Kirchen am Mainufer. Auf der rechten Uferseite
befindet sich die Wallfahrtskirche „Vierzehnheiligen“, auf der anderen Seite steht das
Kloster Banz.
Bei einer Besichtigung des Klosters fällt dem aufmerksamen Besucher im ersten
Gebäudeteil der Verweis auf ein Naturkundemuseum mit dem ausdrücklichen
Hinweis auf Fossilien auf. An der Rezeption des kleinen Museums arbeitet ein Mann,
der neben dem Kartenverkauf sogenannte Goldschnecken anbietet. Bei diesen
Fossilien handelt es sich um Ammoniten aus der Jurazeit, die über einen minerali-
schen Überzug aus Pyrit verfügen. Dieser Überzug ist durch Kontakt mit der Luft
(Oxidation) goldfarben geworden und spricht dadurch auch bei solchen Menschen, die
sich ansonsten für Versteinerungen nicht so interessieren, eine besondere (wa-
ren)ästhetische Empfindung an. Die meiste Zeit des Tages verbringt der Mann an der
Kasse damit, diese Steine, die aus der Tongrube östlich von Bamberg stammen, zu
bearbeiten: mit einfachem und kleinem Handwerkzeug kratzt, schabt, schmirgelt er
die Fossilien aus dem Gestein.
Die Stadt Staffelstein oder Klosterverwaltung – oder wer immer hier zu entscheiden
hat – entschließt sich aus finanziellen Gründen, die Öffnung, Bewachung und den
Kartenverkauf gegen eine kleine Entschädigung einem Dritten zu übertragen. Man
wird mit einer ansässigen Antiquitätenhändlerin handelseinig, die einige Räume des
an das Naturkundemuseum angrenzenden Kellergewölbes gegen Mietzahlungen
mitnutzen will, und die sich überlegt, um den bisherigen Arbeitsplatz des Mannes
herum eine neue Geschäftssparte zu eröffnen: die Produktion und den Vertrieb von
Goldschnecken.
Unser Mann arbeitet also fortan für die Antiquitätenhändlerin und putzt und bearbei-
tet täglich neben dem Kartenverkauf die Steine, um deren Pyritschicht herauszuprä-
parieren. Das Rohmaterial bekommt er dabei von einem älteren Mann, einem Fossi-
liensammler, der ihm wöchentlich einen Rucksack voll mit Versteinerungen aus der
nahe Bamberg gelegenen Tongrube verkauft. Von der Ziegelei, der die Tongrube
gehört, hat er sich eine entsprechende Konzession besorgt.
Als Zusatzverdienst hat er das Angebot eines Händlers angenommen, der vor einiger
Zeit das Kloster Banz besuchte. Unser Mann nimmt dessen Mineralien auf Kommissi-
on entgegen und verkauft sie. Außerdem werden Päckchen mit Goldschnecken auf

42
Anforderung deutschlandweit an Antiquitätenhändler und Fossiliensammler ver-
schickt, weil sie sich in ihren Geschäften und auf Messen auch an Laien gut verkau-
fen lassen. Dazu ist es meistens notwendig, die Poststelle der nahe liegenden Stadt
einmal wöchentlich aufzusuchen.
So arbeitet unser Goldschneckenverkäufer jeden Tag in dem Naturkundemuseum von
9 – 17 Uhr. Die Preise für die Ammoniten schwanken je nach Größe und Schönheit
zwischen 10 und 20 Euro das Stück. Im Winter ist es in den alten, dicken Gemäuern
sehr kalt, sodass er unbedingt einen kleinen Ofen zum Wärmen zusätzlich zur
schwachen Beheizung des Museums benötigt. Die Tage sind ziemlich eintönig und im
Winter wegen der wenigen Besucher auch langweilig. Jeden Tag gönnt er sich eine
Stunde Mittagspause für einen Spaziergang, und meistens schaut nachmittags seine
Chefin herein und nimmt sich die Zeit, mit ihm einen Kaffee zu trinken und ausgiebig
zu schwatzen.

Frage:
- Verdient die Antiquitätenhändlerin an ihrer neuen Geschäftssparte?

© 2004, Berufschulwerkstatt
Universität Kassel

43
Beschreibung

Die Aufgabe „Goldschnecke“ stellt einen Versuch dar, den Schülern eine alternative
Einführung zum Fach Buchhaltung anzubieten. Anstatt die Schüler von Anfang an mit
abstrakten Begriffen wie „Inventur“, „Inventar“, „Bestandskonten“ und „Eigenkapital“
zu konfrontieren, wird ihnen anhand einer kurzen Geschichte die Möglichkeit geboten,
ihr vorhandenes ökonomisches Vorwissen zur weiteren Modellierung dieser Erzählung
einzubringen. Somit sind die Schüler diejenigen, die ihr eigenes Buchhaltungssystem
entwickeln.

Konstruktionsansatz

Hierbei wird eine Modellierungsaufgabe geschildert, die ökonomisch an die Thematik der
Unternehmensgründung anknüpft. Auch wenn sie nicht unbedingt der Alltagswelt der
Schüler entstammt, handelt es sich um eine situierte Aufgabe, die keineswegs die Verwen-
dung der herkömmlichen, abstrakten Begriffe des Rechnungswesens erfordert.

Denkbarer Verlauf

a) Implementierung
In der Implementierungsphase wird die Anekdote „Goldschnecke“ schriftlich an die
Schüler verteilt bzw. vom Lehrer vorgetragen. Denkbar wäre es auch, dass der Lehrer eine
Goldschnecke als Exemplar in den Unterricht mitbringt.
Da der dargestellte Arbeitsauftrag noch nicht fest strukturiert ist, ist eine gemeinsame
Diskussion über die weitere Vorgehensweise und Strukturierung der Aufgabe notwendig.
Am Anfang könnten Schüler und Lehrer in einem gemeinsamen Gespräch verschiedene
Schwerpunkte setzen (z. B. welche Informationen der Geschichte sind wichtig? Welche
unwichtig? Welche fehlen, um zu Ergebnissen zu kommen?).
Als Unterstützung für den Lehrer wird in der Anlage 26 eine Liste von eventuellen
Modellierungsschritten zur Weiterentwicklung dieser Lernumgebung beigefügt, die im
Unterrichtsgespräch ausgehandelt werden könnten.
Hinter allen Modellierungsschritten dieser Liste verbergen sich Entscheidungs-
notwendigkeiten, die bei einer Nichtbehandlung – wie in den einschlägigen Lehrbüchern
der Fall ist - zu Verständnisschwierigkeiten führen können.

44
b) Bearbeitungsphase
Zur Lösungsfindung verfügt die Lerngruppe über einen relativ geringen Informations-
stand: Die Arbeitsstunden des Angestellten, evtl. Preis der Goldschnecken, Zusatzkosten,
Lieferanten, u. a.
Die Situiertheit der Aufgabe erlaubt aber, dass sich die Schüler fehlende Informationen
beschaffen können, die nicht in der Schilderung vorgegeben sind, z. B. durch eigene
Annahmen oder durch Erkundigungen.
Anschließend – wenn die Schüler über die notwendigen Informationen verfügen –
können sie die wichtigen von den unwichtigen Aspekten des Problems abgrenzen und die
Entscheidungsparameter festlegen.
Bei der Beantwortung der Frage, ob sich der neue Geschäftszweig für die Antiquitäten-
händlerin lohnt, können die Schüler selbst entscheiden, welche Methode sie nehmen. In
diesem Fall ist es aber wahrscheinlich, dass sie die geschätzten Betriebsausgaben von den
Betriebseinnahmen abziehen werden. Trotzdem sollte die Wahl der Methode den
Schülern frei überlassen werden.

c) Beurteilungsphase
Wenn die Gruppen ihre Einschätzungen und Empfehlungen an die Antiquitätenhändlerin
fertiggestellt haben, können sie ihre Ergebnisse im Plenum zur Diskussion präsentieren.
Während dieser Diskussion werden wahrscheinlich weitere ökonomische Variablen
thematisiert, die im Aufgabenkern noch nicht vorhanden waren. Das könnte dazu führen,
dass die Klasse im Laufe des Gesprächs eine Lernumgebung entwickelt, die neue Räume
für weitere Aufgaben anbietet.

d) Gegenüberstellung Eigen- und Fremdmodellierung


Um eine oberflächliche Bearbeitung des Problems zu vermeiden, ist eine Abschlussphase
erforderlich, in der die Schülervorgehensweisen mit den vorhandenen Methoden des
Rechnungswesens in Verbindung gesetzt werden. An dieser Stelle könnte der Lehrer kurz
die Methoden der Einnahme-Überschussrechnung, der einfachen und der doppelten
Buchführung erläutern (diese Themen wurden in der Anlage 27 zusammengefasst). An
dieser Stelle wäre es wünschenswert, dass die Schüler diese drei Verfahren nach ihrer
Sinnhaltigkeit bewerten würden. Im Falle dieser Bewertung könnte den Schülern das
Verfahren der Einnahme-Überschussrechnung plausibel erscheinen. Trotzdem müssten
alternative, sinnvolle Bewertungen mitberücksichtigt werden.

e) Denkbarer Übergang zur doppelten Buchführung


Durch ihre Methode sind die Schüler zu einem vorläufigen Ergebnis gekommen. Sollte
sich ein Gewinn ergeben haben, würde man die Frage nach dem Verdienen der Antiquitä-
tenhändlerin bejahen, analog würde der Verlust die Aufnahme bzw. Weiterführung der
Geschäftstätigkeit infrage stellen.
An dieser Stelle stellt sich eine weitere Frage: Wie kann der Lehrer die abstrakten Begriff-
lichkeiten „Bestandskonten“, „Erfolgskonten“ oder „Eigenkapital“ in den Unterricht
einführen? Eine bloße Vermittlung dieser Konzepte nach der Aufgabenbearbeitung

45
würde bedeuten, dass die Eigenmodellierungen der Schüler nicht ernst genommen
werden. Daher wäre in diesem Fall eine Weiterentwicklung der Lernumgebung durch
Einzelfälle ratsam. Einige Beispiele wären:

- Die Antiquitätenhändlerin kauft einen Laptop für ihren Angestellten.


Sie bezahlt ihn erst in zwei Wochen.
- Ein Versandkunde, der 50 Schnecken gekauft hat, verspricht, in einem Monat zu
bezahlen.
- Der Mitarbeiter hat zum Jahresende kaum Besucher. Er kann sich voll auf die
Bearbeitung der Goldschnecken konzentrieren. Dies führt dazu, dass er im Monat
Dezember 100 verkaufsfähige Goldschnecken fertiggestellt hat. Aufgrund der ge-
ringen Nachfrage hat er noch 60 Goldschnecken auf Lager.

Bei diesen Einzelfällen könnten die Schüler überlegen, wie sie die Vorgänge buchen
könnten. Interessant ist hierbei, dass eine Einnahme-Überschussrechnung nicht genügt,
Begriffe wie „Geschäftsausstattung“, „Verbindlichkeiten“ oder „Forderungen“ zu
beschreiben, und dementsprechend werden sich die Schüler eine neue Systematik
überlegen müssen.
In einer zweiten Gegenüberstellung könnte der Lehrer die o. g. Begriffe der doppelten
Buchführung einführen.

Charakterisierung

a) Typisierung nach Aufgabenformat


Die Aufgabe „Goldschnecke“ charakterisiert sich durch ihr fließendes Format, d. h., die
Arbeitsgruppe befasst sich zuerst mit einem nicht strukturierten, offenen Aufgabenkern
(Modellierungsfrage). Über die Phasen der Implementierung (vertiefende Problematisie-
rung und Schwerpunktsetzung), der Informationsstrategie (Suche nach zusätzlichen
Variablen durch Annahmen) und Strukturierung (Ausgrenzung wichtiger Aspekte) ist die
Lerngruppe mit Unterstützung des Lehrenden diejenige, die diese Aufgabe gestaltet und
anschließend bearbeitet.

b) Ausgewählte didaktische Merkmale (ohne Fremdmodellierung)

5: hoch 4: eher hoch 3: mittel 2: eher niedrig 1: niedrig

Bewertung Anmerkungen
01 Schülermotivation (geschätzt) 4
02 Offenheit Zu 02: Die Offenheit bezieht
021 Problemoffenheit 5 sich auf alle Bearbeitungsphasen
022 Kontextoffenheit 5 dieser Aufgabe. Die Schwer-
023 Lösungswegoffenheit 4 punkte erstrecken sich von der
024 Handlungsvollzugsoffenheit 5 Problemdefinition bis zur
025 Ergebnisoffenheit 5 Ergebnisfindung..
03 Steuerung
031 Selbststeuerung (bez. der Tätigkeiten) 4 Zu 03: Die große Offenheit
032 Fremdsteuerung (durch Aufgabengestaltung, Aufträge, dieser Aufgabe erlaubt der
2 Lerngruppe einen hohen
Interventionen usw.)

46
04 Kommunikation zwischen Lernenden 5 Selbststeuerungsgrad
041 Bei Problemdefinition 4 (Beschaffung von weiteren
042 Bei Modellierung 5 Informationen durch Annahmen
043 Bei Ergebnisfindung 4 und Einbringen von eigenen
044 Bei Lösungsdiskussion 5 Strukturierungsmustern).
045 Bei Evaluation 4
05 Problemhaltigkeit 5
051 Bloß logische Transformation der gegebenen Informationen -
052 Ziele und Mittel bekannt -
053 Ziele bekannt, Mittel gesucht X
054 Ziele unbekannt, Mittel bekannt -
055 Ziele und Mittel unbekannt -
056 Problemstellung noch diffus -
Zu 06: Der Komplexitätsgrad in
06 Komplexität (antizipierend) 4
dieser Aufgabe ist potentiell
061 Enthaltene Elemente (Anzahl, Operationalisierung...) -
hoch und abhängig von den
062 Enthaltene Verknüpfungen (Anzahl, Art, Sicherheit, Präzisi- Lehrerimpulsen. In ihrem Kern
-
on/Gehalt) verfügt sie über eine eher
063 Entscheidungslagen (Anzahl, Typ...) - geringe Anzahl von zu
064 Eingebundene Bewertungsregeln - verknüpfenden Elementen, die
07 Situiertheit sich im Laufe des Unterrichts
071 Bezug: Alltagswelt (Problemverständnis, Anwendung/Literacy) 5 durch die Selbsttätigkeit der
072 Bezug: (berufs-)praktische Relevanz 3 Schüler vervielfältigen könnten.
073 Bezug: subjektive (persönliche) Relevanz 4
08 Vollständigkeit des Bearbeitungsbogens/Beteiligung der
5
Lernenden Zu 08: Die Aufgabe enthält die
081 Problemdefinition - fünf Phasen des Bearbeitungs-
082 Modellierung - bogens (von der Problemdefini-
083 Ergebnisfindung - tion bis zur Evaluation der
084 Lösungsdiskussion - Schülermodellierungen)
085 Evaluation -

c) Strukturähnliche Aufgaben
Für das Fach „Rechnungswesen“ könnten ähnliche Aufgaben mit anderen thematischen
Schwerpunkten (Verkauf von Handys, Eröffnung einer Cafeteria, usw.) entwickelt
werden.
Für fortgeschrittene Schüler wäre eine Aufgabe denkbar, in der sie sich für eine Über-
nahme eines bestehenden (kleinen) Geschäfts entscheiden müssten.

47
Anlage 1:

48
Anlage 2:
Die „East India Company“ Sie erbringt mit 234 Prozent einen fantastischen Gewinn. Dann aber dreht sich der Wind.
Amsterdam lässt die englischen Agenten derart massiv bedrohen, dass König Jakob 1617 eine
Strafexpedition unter Sir Thomas Dole in Marsch setzt. Zur Warnung kapert7 dieser im überfüllten
Zu den wohl spektakulärsten Ereignissen des 17. Jahrhunderts sind die Gründungen der
Hafen von Batavia ein holländisches Indienschiff mitsamt seiner kostbaren Ladung Pfeffer. Zur
Ostindischen Handelskompanie1 zu zählen […]
demonstrativen Vergeltung plündert der holländische Gouverneur gleich zwei englische Schiffe,
und ohne Skrupel lässt er eine englische Niederlassung niederbrennen. Schließlich inszenieren die
Der Handelskompanie geht es ausschließlich um möglichst
Niederländer das Massaker von Amboina. Sie lassen zehn englische Kaufleute aufknüpfen8. Und so
große merkantile2 Vorteile aus dem kolonialen Handel.
kommt es zum erzwungenen Rückzug der Engländer von Java, Sumatra und den vielen
In dem noch relativ jungen südostasiatischen Handel kommt es
gewinnträchtigen Inseln ringsum. […]
fast ausschließlich auf Gewürze an, als im September 1569 Sir
Stephen Soame, Lord Mayor von London, den Vorsitz über
Die britische Ostindienkompanie unterhält im Jahre 1612 30 Schiffe. Manche dieser Indienschiffe,
eine Versammlung besorgter Handelsherren übernimmt, weil
ob englisch oder holländisch, sehen wie Kriegsschiffe aus, denn man hat bei ihnen als Attrappe ein
diese sich über die steigenden Preise beklagen. Man müsse, so
Band von Geschützpforten angebracht. Der Indische Ozean ist nicht
argumentieren sie alle, gemeinsam gegen das holländische
nur wegen seiner Seeräuber berüchtigt, sondern auch wegen der
Monopol vorgehen. Das Ergebnis ist einmütig. Man gründet
zeitweise französischen, zeitweise holländischen Kaper, die auf ein
eine Interessengemeinschaft3: die Kompanie Londoner
reich beladenes Ostindienschiff hoffen.
Kaufleute für den Ostindienhandel. […]
Die Kapitäne dieser Indienschiffe bilden eine Klasse für sich. Sie
Das Direktorium der Gesellschaft kauft […] mit einem Kapital von 72 000 Pfund sofort fünf
werden später oft als Elite der Seefahrt und bedeutende Leute geehrt.
Schiffe, darunter einen bemerkenswert stattlichen Segler, der den herausfordernden Namen RED
[…] Doch die Hauptsache sind die „Zugeständnisse“: Bei
DRAGON erhält. […] Sie segelt mit drei kleineren Schiffen 1601 die Themse hinunter. Ihr
Auslandsreisen stehen dem Kapitän und den Offizieren 56 ½ von 97
Reiseziel ist Ostindien, auf dem langen Weg ums Kap der Guten Hoffnung herum, angeführt von
t Frachtraum zur eigenen Nutzung zu. Der Kapitän eines Ostindienfahrers schätzt seinen
Sir James Lancaster, einem erfolgreichen Seefahrer […].
Gesamtgewinn aus drei Reisen von je 18 bis 20 Monaten auf reichlich 18 300 Pfund. So mancher
Die RED DRAGON hat 36 Kanonen, die Begleitschiffe je 24. Die Agenten4 an Bord sollen
feudale Landbesitz entstammt diesen Privilegien.
Handelsniederlassungen gründen. Die Schiffe haben als Tauschgüter Eisen, Blei, Zinn und Tuch
geladen und Geschenke im Wert von 15 000 Livres für „indische Fürsten“ mitgenommen. […]
Die englische Ostindiengesellschaft ist schließlich fast einem souveränen Staat gleichzusetzen. Sie
Skorbutfälle5 zwingen die RED DRAGON in die Tafelbai, wo man die Kranken an Land in Zelten
verfügt über eine eigene Armee, eine eigene Handels- und Kriegsflotte, über eigene Behörden, eine
unterbringt und mit frischem Obst und Zitronensaft zu heilen versucht. Kaum ist ein Teil der
eigene Münze und eigene Gerichtsbarkeit. Die „East India Company“ büßt erst 1858 nach dem
Besatzung genesen, setzt Lancaster die Reise fort, zuerst zu den Nikobaren, dann nach Sumatra, wo
großen Aufstand in Indien ihre politische Macht ein. 1874, nach 274 Jahren, hört die „Ehrenwerte
ihn zu seiner Verwunderung holländische Agenten willkommen heißen.
britische Ostindienkompanie“ auf zu existieren.
In Atjim auf Sumatra begeistert er mit viel Prunk und Paradieren6 den eingeborenen König und er
lässt zwei Agenten zurück, die Pfefferfrachten besorgen sollen.
Lancasters Rückkehr nach England wäre ein Triumph gewesen, hätte er nicht von insgesamt 480
Quelle: „Geschichte der Schiffahrt“ von Jochen Brennecke; Siegloch Verlag
Mann 180 unterwegs verloren, die meisten an Skorbut. LexiROM © 1995-1997 Microsoft Corporation und Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG.
Der zweiten Reise von 1604 folgt dann eine dritte im Jahre 1610 […].

1
Kompanie: veraltete Bez. für [Handels]gesellschaft. Heute Company genannt, Abk. Comp., Handelsgesellschaft;
limited company: [etwa] GmbH; jointstock company: [etwa] Aktiengesellschaft (Großbritannien) bzw. [etwa
Kommanditgesellschaft auf Aktien (USA).
2
Merkantilismus: Wirtschaftspolitik im Zeitalter des Absolutismus, die den Außenhandel u. damit die Industrie
förderte, um den nationalen Reichtum u. die Macht des Staates zu vergrößern.
3
Interessengemeinschaft: der Zusammenschluss rechtlich selbstständig bleibender Unternehmungen zur
Gewinnerzielung.
4
Agent: allg.: jeder im Auftrag oder Interesse eines anderen Tätige.
5
Skorbut: auf einem Mangel an Vitamin C beruhende Krankheit, bei der es vor allem zu Blutungen des Zahnfleischs
7
kommt. Kaper: Schiff, das (im Seekrieg) feindliche Handelsschiffe erbeutet.
6 8
paradieren: Milit. In einer Parade vorüberziehen; geh. für aufgereiht sein. aufknüpfen: aufbinden, töten.
49
Anlage 3:

Aufgabe:
Welches sind die fünf Bestandteile einer Quittung?
Kreuzen Sie die fünf Bestandteile an! Begründen Sie!

Begründung:

a) Unterschrift des Zahlers

b) Name des Zahlers

c) Ort und Tag der Ausstellung

d) Kontonummer des Empfängers

e) Name des Empfängers

f) Unterschrift des Empfängers

g) Grund der Zahlung

h) Bankleitzahl

i) Empfangsbestätigung

j) ____________________

k) ____________________

Anmerkungen:

50
Anlage 4:

ARBEITSAUFTRAG

Bitte bearbeitet den vorliegenden Artikel in drei Schritten:

1. Schritt: Lest den Text sorgfältig durch!

2. Schritt: Markiert diejenigen Sätze, die Zusammenhänge von zwei Faktoren beinhalten!

Beispiel 1:
„Durch den hohen Ölpreis haben die Haushalte weniger Geld für andere Käufe
übrig.“

3. Schritt: Alle Zusammenhänge sollen nun so umformuliert werden, dass sie mit den
Verben „sinken“ und „steigen“ beschrieben werden können. Dadurch werden Ursache
und Wirkung der Beziehungen gegenübergestellt.

Beispiel 2:
“Wenn der Ölpreis steigt, dann sinkt die Kaufkraft der Haushalte.“

Tipp:
Die Nutzung von „Wenn... dann...“-Formulierungen erleichtert diesen Arbeitsschritt
erheblich.

Am Ende der Gruppenarbeit soll jeder von euch die gemeinsamen erarbeiteten Beziehungen vorliegen
haben.

Viel Spaß!

51
Anlage 5:

Spritpreise auf historischem Höchststand


Die Regierung unter Druck: Die Benzinpreise haben in Deutschland einen historischen
Höchststand erreicht. Hohe Energiepreise bedrohen den Aufschwung in Deutschland.

Steigende Energiepreise und somit hoch mit den US-$- besonders befreundet waren, so
versetzen Notenbanker, Kurs und runter mit dem Euro. dass der Ölpreis binnen weniger
Regierungschefs, Wirtschafts- · Allenfalls kurzfristig ist die Wochen um das Vierfache stieg.
führer und die Bürger in Euro-Schwäche ein Segen für In New York taumelte die
Aufregung. Die Regierung ist die deutsche Exportwirtschaft. Börse, in Europa begann die
bemüht, die Folgen des Autos von Porsche oder Inflation zu traben, in der
Preisanstiegs zu mildern. Das Waschmaschinen von Miele – Bundesrepublik wurden die
Vertrackte: Die Regierung sieht die Produkte lassen sich zwar Autobahnen sonntags zu
sich Kräften gegenüber, die sie besser in alle Welt verkaufen; Fußgängerzonen.
nicht wirklich kontrollieren doch es gibt ebenso einen Könnten die Unruhen in Nahost
kann: der Opec, den Ölkonzer- umgekehrten Effekt, von dem heute ähnliches bewirken?
nen und den Spekulanten an den auch Deutschland nicht Möglich ist das: Denn der
Rohstoffbörsen. Die Opec, ein verschont bleibt: Computer aus Weltmarkt handelt mit „politi-
1960 gegründetes Kartell von 13 Japan, T-Shirts aus China, schem“ nicht mit „realem“ Öl.
erdölexportierenden Staaten, Joggingschuhe aus den USA – Mit der Unsicherheit über die
verfolgt das Ziel einer gemein- der schwache Euro verteuert Entwicklung in Nahost steigt die
samen Preis- und Mengenpoli- sämtliche Waren, die aus Nervosität an den Börsen,
tik. Das Opec-Kartell hatte dafür Übersee eingeführt werden. obwohl derzeit kein Ölscheich
gesorgt, dass der Rohölpreis seit Steigende Importpreise treiben von einem Lieferboykott spricht.
Anfang 1999 um 150 Prozent die Inflation nach oben. Doch im Ölhandel regiert mehr
anzog. Ökonomen sprechen von einer noch als an anderen Märkten die
Wie kaum ein anderes Thema „importierten Inflation“. Psychologie und die Erinnerung
bewegte deshalb der Benzinpreis · Besonders gebeutelt sind die an vergangene Ereignisse.
im Jahr 2000 die politische Verbraucher. Teures Öl entzieht Aber die schlechte Nachricht
Diskussion in Deutschland. den Bürgern und Unternehmen muss nicht einmal aus dem
Schon ist der Aufschwung in in den Industrieländern Nahen Osten kommen. Wenn
Deutschland ins Stocken Kaufkraft, die ihnen für den hier in Europa eine Kältewelle
geraten: Kauf anderer Konsumgüter und kommt, gehen die Energiepreise
· Der Ölschock kann das für Investitionen fehlt. ebenfalls hoch.
Wachstum verlangsamen, wenn Im Januar 1999 kostete
sich die Bürger mit Blick auf die Sollten sich die Befürchtungen Normalbenzin in Deutschland
steigenden Energiekosten zu mancher Wirtschaftsforscher 1,45 DM je Liter, bis zum
weniger Konsum entschließen bewahrheiten und die Konjunk- Herbst 2000 war das Benzin um
und die Firmen daher ihre tur dauerhaft Schaden nehmen, 60 Pfennige je Liter teurer
Investitionen zurückfahren. wäre das zentrale Vorhaben von geworden. Eine beachtliche
· Die Ölwährung Dollar ist aufs Rot-Grün bedroht: eine Preissteigerung, die jedoch zu
Engste an das Geschehen an den deutliche Senkung der Arbeits- 77% durch die gestiegenen
Rohstoffbörsen gekoppelt. Mit losenzahlen unter 3,5 Millionen. Rohölpreise und den Wertverfall
jedem Anstieg des Barrelpreises Jeder Prozentpunkt weniger des Euro und nur zu 23% durch
(ein Barrel = 159 Liter) strömt Wachstum, so rechnen die die Ökosteuer verursacht wurde.
neues Geld in die US-Währung, Ökonomen vor, kostet rund Die Ökosteuer ist ein Teil der
Tag für Tag werden Milliarden- 300.000 Jobs. Mineralölsteuer. Seit 1999 wird
beträge gehandelt, damit die Welche verheerenden Auswir- sie jährlich bis 2003 um 6
Ölempfänger die Ölproduzenten kungen ein plötzlicher Anstieg Pf/Liter erhöht. Die Erlöse aus
bezahlen können. Fast im des Ölpreises haben kann, das der Ökosteuer fließen zur Zeit in
Gleichschritt geht es voran – in hat die Regierung erstmals 1973 die Rentenversicherung, um die
unterschiedliche Richtungen erlebt, als die arabischen Beitragssätze zur Rentenversi-
allerdings: Rauf für den Ölpreis Ölproduzenten einen totalen cherung und somit die Beiträge
heißt mehr Nachfrage nach US-$ Lieferboykott gegen Staaten zur Sozialversicherung zu
beschlossen, die mit Israel reduzieren. Neben ihrem Beitrag

52
zur Senkung der Arbeitskosten höhere Entfernungspauschale globalisierten Wirtschaft. Doch
hat die Ökosteuer eine positive umzuwandeln, die nun auch wie lange noch? Der Rohöl-
ökologische Lenkungswirkung. Radfahrern sowie Bus- und verbrauch liegt bei 3,5 Milliar-
Kontinuierlich ansteigende Bahnkunden zugute kommt. den Tonnen pro Jahr, die
Energiepreise regen zum Dadurch soll eine steuerliche bekannten Reserven umfassen
Energiesparen an und senken Entlastung der Berufspendler 140 Milliarden Tonnen. Das
dadurch unsere Abhängigkeit erreicht werden. Unabhängig bedeutet: In gut 40 Jahren ist der
vom Rohölimport. von dem gewählten Beförde- Vorrat erschöpft. Es ist eine
Treffsicher nutzen Oppositions- rungsmittel können Steuerpflich- Rechnung mit vielen Unbekann-
politiker deshalb den Preisstei- tige 0,70 DM bis zu 10 ten doch gleichwohl bedrohlich.
gerungsschock und fordern den Kilometern, 0,80 DM ab dem Die westlichen Regierungen
sofortigen Stopp der Ökosteuer. 11. Entfernungskilometer pro haben solche Szenarien bislang
Was die Oppositionsparteien Kilometer für Fahrten zwischen nur zu gern verdrängt. Dabei ist
erzürnt, ist der hohe Steueranteil Wohnung und Arbeitsstätte in ein Umsteuern in der Energie-
bei den Spritpreisen. Seit der der Steuererklärung geltend und Verkehrspolitik längst
Ökosteuerreform zahlt der machen. Steuerlich geltend überfällig – auch das zeigt der
Autofahrer für jeden Liter machen heißt in dem Fall, dass neuerliche Ölschock. Immerhin:
gezapftes Benzin 1,16 Mark man für das Einkommen, Über 37 Milliarden Mark will
Mineralölsteuer und Ökosteuer welches man für die Fahrt zum die Regierung in den kommen-
zusammen an den Staat. Arbeitsplatz wieder ausgibt, den 10 bis 15 Jahren in das
keine Steuern zu zahlen braucht. marode Schienennetz stecken,
Benzinpreis und die Steuer* Zu beachten ist jedoch, dass nur um die Bahn endlich zu einem
solche Personen davon attraktiven und wettbewerbsfä-
Kosten/Abgabe Pfennig Prozent
1. Mineralölsteuer + 116,0 55,0 profitieren, die auch Steuern higen Verkehrsmittel zu
Ökosteuer zahlen. Personen mit niedrigen machen.
2. Rohölpreis 32,9 15,6
3. Verarbeitung, Gewinn 32,2 15,3 Einkommen, die keine Steuern Und auch über die Ökosteuer,
4. Mehrwertsteuer 29,1 13,8
5. Bevorratungsbeitrag 0,7 0,3
zahlen, können auch keine deren Einnahmen ja gar nicht in
Staatliche Abgaben 145,8 69,1 Steuern sparen. ökologische Projekte, sondern in
insgesamt
Die Regierung sieht darin einen die Rentenkassen fließen, wird
*210,9 Pfennig pro Liter = 100 Prozent
umwelt- und verkehrspolitisch neu nachgedacht. So will
sinnvollen Ausgleich für die Finanzminister Hans Eichel die
Eine Aussetzung der Ökosteuer gestiegenen Fahrtkosten von Sonderabgabe zwar erhalten,
wird von der Opposition Arbeitnehmern zu ihrem aber von der nächsten Legisla-
gefordert. Im Falle einer Arbeitsplatz auf Grund der turperiode an gezielt für
Aussetzung müssten die gestiegenen Kraftstoffpreise. umweltfreundliche Verkehrspro-
Rentenversicherungsbeiträge Weiterhin schaffe die Einfüh- jekte und für Energiesparmaß-
wieder angehoben und damit die rung einer Entfernungspauschale nahmen nutzen. So wird derzeit
Lohnkosten des Standorts Wettbewerbsgleichheit zwischen über mehr Geld für die
Deutschland wieder erhöht den Verkehrsträgern und Solarenergie, über eine
werden. Am 1. Januar 2001 verbessere die Ausgangslage für Förderung der Energiespartech-
wurde der Rentenbeitragssatz den öffentlichen Personennah- nik und über eine mobile
zum dritten Mal von damals verkehr. Zukunft, die nicht so einseitig
19,3 auf 19,1 Prozent herunter Wie wirksam der Energiepreis auf die Straße setzt, nachge-
gesetzt. Ohne Ökosteuer würde als Regulator des Verbrauches dacht.
der Beitragssatz bis zum Jahr ist, zeigt die Energiestatistik: Womöglich gewinnt auch jener
2002 auf 21,5 Prozent ansteigen. Durch die Erhöhung der Satz von Willy Brandt neue
Das bedeutet, dass der Nettolohn Mineralölpreise nahm der Aktualität, den er als Bundes-
der Arbeitnehmer durch die Energieverbrauch im 1. Halbjahr kanzler auf dem Höhepunkt der
Ökosteuer höher ist als er ohne 2000 im Vergleich zum Vorjahr ersten Ölkrise 1973 an den
Ökosteuer wäre. zum ersten Mal seit 20 Jahren Schluss seiner berühmten
Um die Verbraucher zu um 1,7 % ab, der Mineralöl- Fernsehansprache setzte: „Die
entlasten, entschied die verbrauch sank sogar um 6,1 %. Energiekrise kann auch zu einer
Regierung im Gegenzug zur 3. Eines führt die derzeitige Chance werden.“
Stufe der Ökosteuer, die am Energiekrise vor Augen: Das
1.1.2001 in Kraft trat, die Rohöl ist immer noch das
Kilometerpauschale in eine entscheidende Schmiermittel der

53
Anlage 6:

Zusammenhänge STAAT

WENN... DANN...

die Ölpreise steigen sinkt die Kaufkraft der HH


die Kaufkraft sinkt sinken die Konsumausgaben und Investitionen
1. Konsum und Investitionen sinken sinkt die Wachstumsrate der Wirtschaft
die Wachstumsrate der Wirtschaft sinkt sinkt die Beschäftigung
die Beschäftigung sinkt steigt die Arbeitslosigkeit

der Ölpreis steigt steigt die Nachfrage nach US-Dollar


die Nachfrage nach Dollar steigt steigt der Dollarkurs/Eurokurs sinkt
2. der Euro sinkt steigen die Exportpreise (-einnahmen) aus
Nicht-Euroländern
der Euro sinkt steigen die Importkosten (-preise) aus Nicht-
Euroländern
die Importpreise steigen steigt die Inflation (importierte Inflation)

3. der Ölexport sinkt (Embargo) steigt der Ölpreis

4. die Nervosität an den Börsen steigt steigt die Irrationalität (steigt der Ölpreis)

5. der Winter kalt wird steigt die Nachfrage nach Öl


die Nachfrage nach Öl steigt steigt der Ölpreis

der Ölpreis steigt sinkt die Wählerzufriedenheit


6. der Euro fällt
die Wählerzufriedenheit sinkt steigen die staatlichen Subventionen

9. die Energiepreise steigen steigen die Steuereinnahmen des Staates

der Ölpreis steigt steigt die Suche/Förderung nach alternativen


Energiequellen/Verkehrsmitteln
10. die Nutzung von Alternativen steigt sinkt der Verbrauch von Öl
der Verbrauch von Öl sinkt sinkt die Abhängigkeit vom Öl(-preis)

11. die Ökosteuer steigt sinken die Beiträge zur Rentenversicherung


die Beiträge zur Rentenversicherung sinken sinken die Sozialversicherungsbeiträge/ Arbeits-
kosten in Deutschland

54
Anlage 7:

Die Opec am Hahn


Erneute Einigkeit unter den Mitgliedstaaten, zähes Ringen um den Ölpreis

Ende der 50er Jahre überstieg preise sehr stark ansteigen. eigentlich sollten. Der Irak sah
die Weltproduktion an Öl Somit sorgte die Opec für darin Grund genug, den
deutlich die herrschende autofreie Sonntage. Die Versuch zu starten, sich das
Nachfrage. Die Ölpreise fielen. internationale Nachfrage hat das Land Kuwait gewaltsam
Damit sanken die Geldbeträge, Angebot überstiegen. Mit dieser anzueignen, um damit den
welche die internationalen neuen Situation konfrontiert, politischen Druck auf den
Ölgesellschaften den Erdöl saßen die Förderländer nun das Ölpreis zu verstärken. Dies
erzeugenden Ländern zahlten. erste Mal am längeren Hebel, da führte 1990 zum Golfkrieg.
Als Reaktion auf diesen die Konzerne vom Nahostöl
Zahlungsrückgang wurde die abhängiger wurden und die Im Laufe der 90er Jahre hatte
Opec gegründet. Opec die „Hähne“ zudrehen sich der Ölpreis stabilisiert und
konnte. Ende 1998 hatte kaum jemand
Die Organisation Erdöl in der westlichen Welt eine
exportierender Länder (Opec) 1979 und 1980 stimmten die Renaissance des Kartells für
zählt elf Mitglieder. Sie wurde Opec-Mitglieder für eine zweite möglich gehalten. Als der Preis
am 14. September 1960 in Preissteigerungsrunde, welche pro Barrel irgendwo unter zehn
Venezuela gegründet und setzte die Mineralölpreise über die 30 US-Dollar notierte, glaubten
sich anfangs aus folgenden US-Dollar pro Barrel anhob und alle Experten, die Opec sei nun
Mitgliedern zusammen: die Inflation in den Industrie- wirklich am Ende. Als jedoch
Venezuela, Kuwait, Iran, Irak staaten drastisch ansteigen ließ die Ölminister sich im März
und Saudi-Arabien. Sie wurden (Zweite Ölkrise). 1999 in Wien trafen, vereinbar-
somit der größte Ölexporteur Zum ersten Mal wurde deutlich, ten sie nicht nur niedrigere
weltweit. Die Länder schlossen dass die Opec-Staaten, von Förderquoten. Zur allgemeinen
sich zusammen, weil sieben denen die meisten im Nahen Verwunderung hielten sich die
Ölkonzerne die Steuern gekürzt Osten liegen, die wichtigsten Kartellbrüder auch weitgehend
hatten, die sie dem Land zahlen Ressourcen an Erdöl haben. Auf an ihre Absprachen.
mussten, in dem sie Erdöl die Organisation entfallen 77
förderten (royalties). Das hatte Prozent der weltweit nachge- Die Opec hatte Anfang der 90er
den Ländern erhebliche wiesenen Erdöl-Reserven. Jahre bei Beginn der ersten
Einkommensverluste einge- Irak-Krise den Ausfall des
bracht. Bis 1975 kamen zur Nach der letzten Preissteige- Landes am Ölmarkt durch eine
Opec noch Katar, Indonesien, rungsrunde 1986 scheiterte eine Verteilung der Liefermenge auf
Libyen, die Vereinigten Verständigung innerhalb der die anderen Länder ausgegli-
Arabischen Emirate, Algerien Opec, da sich einige Opec- chen. Das war auch im Interesse
und Nigeria hinzu. Seitdem ist Länder nicht an ihre Förder- der Verbraucherländer, weil so
der Hauptsitz der Opec in Wien. mengen hielten und mehr Öl die Preiserhöhungsgefahr
verkauften. Sie erhöhten ihre schnell aus der Pipeline
Die Opec wurde 1973 durch die Fördermengen von zwei auf 4,5 genommen war.
Ölkrise weltweit bekannt. Millionen Barrel pro Tag, und
Die Ölproduzenten hatten die der Erdölpreis fiel von 27 auf Die Rückkehr Iraks auf die
westlichen Industrieländer unter zehn US-Dollar. internationalen Ölmärkte kam
wegen des israelisch-arabischen Damit siechte das Kartell Opec für das Opec-Kartell zu einem
Krieges mit einem Ölembargo mehrere Jahre dahin, denn hielt denkbar ungünstigen Zeitpunkt,
belegt; es konnte kein Öl mehr sich ein Förderland nicht an da die Fördermengen wieder
außer Landes gebracht und seine Quote, wurden alle sanken. Um den Markt in ihrem
somit auch nicht verkauft Förderländer geschädigt. Die Sinne zu beeinflussen, haben
werden. Das vervierfachte den Konflikte waren deswegen die Opec-Staaten bei der
Preis für ein Barrel (1 Barrel = schon vorprogrammiert. Vor Rückkehr Iraks eine Sonderkon-
159 Liter) Öl auf fast zwölf US- allem die Vereinigten Arabi- ferenz einberufen, um die
Dollar pro Barrel und ließ schen Emirate und Kuwait Förderquoten neu zu verteilen.
dementsprechend die Benzin- verkauften weit mehr Öl, als sie Als der Ölpreis auf eine für die

55
Erzeuger schmerzhaft niedrige Die vereinbarte Förderhöchst- Ölkonzerne pressen die Öllager
Tiefe sank, hat es die Opec aber grenze liegt bei 25 Millionen immer stärker aus. Die
immer wieder geschafft, die Barrel am Tag. Diese Förder- Ölquellen in der Nordsee, die
Disziplin und den Zusammen- höchstgrenze ist das größte eigentlich um die Jahrtausend-
halt ihrer Mitglieder neu zu regulierende Instrumentarium wende langsam versiegen
stärken. Wenn sich die Opec- der Opec auch mit den größten sollten, sind jetzt auf einmal
Mitglieder auch sonst nicht an Auswirkungen. noch steigerungsfähig. Die
ihre abgesprochenen Förder- bekannten Ölvorräte, die bisher
mengen hielten, ist es ihr doch Aber auch der Druck auf die für 30 Jahre Förderung langten,
gelungen, den Preis hoch zu Opec dürfte noch zunehmen. reichten nun für 40 Jahre.
treiben, aber Stabilität – ihr Das Opec-Kartell hat etwa ein
erklärtes Ziel – hat sie nicht Drittel der weltweiten Ölpro- „Jeder Preis für ein Barrel Öl,
erreicht. Der Markt ist und duktion unter Kontrolle. der die Menschen veranlasst,
bleibt extrem unbeständig. Die Russland und einige GUS- verstärkt nach alternativen
Opec reagiert zu langsam, um Länder erschließen neue Energiequellen zu suchen“, sagt
die Märkte auf Dauer beeinflus- Ölquellen an die bis vor kurzem Opec-Generalsekretär Luk-
sen zu können. noch keiner gedacht hat. Dazu mann, „ist aus unserer Sicht zu
kommt, dass die Ölfördertech- hoch.“
nik immer raffinierter wird. Die

56
Anlage 8:
Zusammenhänge OPEC

WENN... DANN...

1. die Produktion von Öl steigt sinkt der Ölpreis

2. der Ölpreis sinkt sinken die Zahlungen an Erdöl erzeugende Länder

3. die royalties sinken sinken die Einkommen

4. die Nachfrage steigt, aber das Angebot sinkt, steigt der Ölpreis
z. B. wegen eines Krieges

5. die Opec-Verständigung sinkt sinkt die Marktmacht der OPEC

6. die Fördermenge einzelner Mitglieder steigt steigt der Zorn anderer Mitglieder

7. die Ölpreise steigen steigen die Einnahmen

8. die Macht der Länder mit großem steigt der Wunsch nach moderaten Preisen
Ölvorkommen steigt

9. die Mitgliederzahlen sinken steigt die vereinbarte Fördermenge pro Mitglieds-


land

10. die Fördermenge sinkt steigt der politische Druck

11. alternative Ölquellen erschlossen werden steigt der Druck auf die OPEC

12. die Ölförderungstechnologie steigt steigt die Ausbeutungsmöglichkeit der Quellen

13. die Ausbeutungsmöglichkeit der Quellen steigt der Förderzeitraum pro Quelle
steigt

14. der Ölpreis steigt steigt die Suche nach alternativen


Energiequellen

15. die Suche nach alternativen Energiequellen sinkt die potentielle Nachfrage nach Öl
steigt

16. die Suche nach alternativen Energiequellen sinkt der Ölpreis


steigt

57
Anlage 9:
Maßgebliche Beeinflussung des Weltölmarktgeschehens durch die Ölkonzerne

Die Erdölkonzerne beliefern 10% des Welt- b) untereinander fusionierten. Ziel war es,
marktes mit ihren Produkten. Dies ermöglicht Synergien (wechselseitige Effekte zur Kosten-
ihnen am Weltmarkt maßgeblich mitzuregieren. senkung durch Unternehmenszusammenschlüs-
Bis auf die Opec besteht der Weltmarkt für Öl se) zu schaffen und dem niedrigen Öl- und
sonst nur aus kleinen Splitterunternehmen. Benzinpreis dadurch entgegenzuwirken.

Die Kostensenkungen der Ölkonzerne


bewährten sich. Für die Shareholder konnten
vortreffliche Renditen erzielt werden.

Kleinere Ölkonzerne fusionierten in der Regel


nicht. Sie wurden hingegen von einer Pleitewel-
le heimgesucht, oder wurden von den größeren
Ölkonzernen übernommen. Die Fusionen waren
also ein Mittel der großen Ölkonzerne, ihre
Kosten zu senken. Die beschriebene Konzentra-
tionswelle hatte zur Folge, dass sich der
Marktanteil der fusionierten Ölkonzerne
Dabei sind die Erdölkonzerne in alle Stufen der verschob.
Wertschöpfungskette des Ölmarktes und des
Marktes an Erdölderivaten, wie Benzin, Durch die Konzentration ändern sich allerdings
eingebunden: Sie sind bei der Förderung von nicht nur die Marktanteile. Je größer die
Öl, bei der Raffinierung, am Handel, an der Ölkonzerne werden und je weniger Konkurren-
Rohstoffbörse und beim Verkauf von Benzin an ten es untereinander gibt, desto mehr Möglich-
den Tankstellen am Geschäft beteiligt. keiten haben die Ölkonzerne, das Geschehen
am Benzinmarkt zu beeinflussen und die Preise
Niedrigpreise in der Vergangenheit erhöhen zu bestimmen.
den Druck auf Ölkonzerne ihre Kosten zu
reduzieren Das Steigen der Benzinpreise beschert den
Ölkonzernen hohe Gewinne
Bis zum Jahr 1998 war der Ölpreis ständig von
einem niedrigen Preisniveau geprägt. Die Durch das Ansteigen der Öl- bzw. Benzinprei-
Ölkonzerne hatten das Problem, dass der Preis se, machen die Ölkonzerne so viel Gewinne,
für ihr Produkt „Rohöl“ in der Vergangenheit wie nie vorher in ihrer Geschichte.
zu niedrig war, um ihnen einen ausreichenden Die Kosten der Ölkonzerne konnten, wie oben
Gewinn zu sichern. Die Shareholder (Kapital- erläutert, stark gesenkt werden.
eigner) forderten eine solch hohe Verzinsung Durch das Steigen der Benzinpreise steigen die
auf ihre Einlage (Rendite), die die Ölkonzerne Umsätze der Ölkonzerne, da pro verkaufter
nicht bieten konnten. Die Ölkonzerne mussten Einheit an Erdöl bzw. Erdölprodukten ein
sich eine Strategie überlegen, mit der sie die höherer Preis verlangt werden kann.
Forderung nach einer Mindestrendite nach- Diese Begebenheit führt dazu, dass die
kommen konnten. Gewinne der Ölkonzerne steigen. Diese
Um den Forderungen von den Shareholdern Gewinnsteigerung hat letztendlich auch positive
gerecht zu werden, senkten die Ölkonzerne in Auswirkungen auf die oben bereits angespro-
starkem Maße ihre Kosten. Im Wesentlichen chene Rendite.
machten sie das, indem sie:
Vermutungen seitens der Bundesregierung
a) ihre Kosten der Erölförderung reduzierten. über wettbewerbswidrige Absprachen der
Hier wurden die teureren Tiefenbohrungen und Ölkonzerne
Tiefseebohrungen eingestellt. Letztendlich
führte das jedoch auch dazu, dass das Öl, der Wegen des hohen Benzinpreises Mitte bis Ende
Rohstoff für Benzin, am Weltmarkt knapper des Jahres 2000 ließ die Bundesregierung die
wurde. Ölkonzerne auf wettbewerbswidrige Abspra-
chen hin untersuchen. Es wurde vermutet, dass
58
die Ölkonzerne untereinander einen hohen Preis schaffen. Dies geschieht nicht nur mit Aktien,
am Markt abgesprochen haben. sondern auch mit realen Gütern, wie dem Erdöl.
An den Warenbörsen (einem Zweig der Börse)
Die Bundesregierung begründete dies damit, werden also Kaufverträge (Futures) über
dass in der Vergangenheit Senkungen des zukünftige Geschäfte schon in der Gegenwart
Rohölpreises von den Mineralölkonzernen nie abgeschlossen. Händler versuchen von den
an die Verbraucher von Benzin weitergegeben extremen Preisschwankungen zu profitieren.
wurden. Bei Erhöhungen hingegen geschah dies Sie werden als Spekulanten bezeichnet. Die
sofort. starken Schwankungen in den Kursen nutzen
Der Verdacht der Bundesregierung konnte sie, um Gewinne zu realisieren...
jedoch nicht erhärtet werden. Das mit der Die Ölkonzerne beteiligen sich in der Rolle der
Untersuchung beauftragte Bundeskartellamt Spekulanten rege am Terminmarkt und können
konnte keine gesicherten Beweise über eine durch ihre starke Marktposition in diesem Glied
wettbewerbswidrige Absprache seitens der der Wertschöpfungskette den Ölpreis beeinflus-
Ölkonzerne liefern. sen:
Wetten die Spekulanten auf hohe Preise in der
Der Terminhandel: Zukunft, nehmen viele Anleger an, dass sich
diese Spekulation bewahrheiten wird. Sie
Neben dem enormen Einfluss, den die großen decken sich also aus Angst vor steigenden
Ölkonzerne dadurch haben, dass sie an jedem Preisen sofort mit Öl ein. Diese steigende
Glied der Wertschöpfungskette beteiligt sind, Nachfrage hat zur Folge, dass die Anbieter
ist ihre starke Position beim Terminhandel ein versuchen, ihren Gewinn zu steigern, in dem sie
weiterer Machtfaktor auf dem Öl-, und somit die Preise langsam hochsetzen. Das Resultat ist
auch auf dem Benzinmarkt. verblüffend:
Der Terminhandel entwickelte sich aus der Die Ölpreise steigen langsam an und die Wetten
Absicht heraus, Waren an einem späteren der Spekulanten haben sich bewahrheitet!
Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis zu Dieses Phänomen tritt natürlich auch auf, wenn
erwerben. So wird es Nachfragern von die Spekulanten auf fallende Preise setzen. So
Terminkontrakten möglich, eine gewisse verdiente BP 1998 rund 215 Millionen Dollar
Kalkulationsgrundlage und Absicherung ihrer allein mit dem Handel von Terminkontrakten.
Einkaufspreise für eine bestimmte Ware zu

59
Anlage 10:
Zusammenhänge MINERALÖLKONZERNE

WENN... DANN...

1. der Ölpreis sinkt sinkt der Gewinnanteil der Ölkonzerne (ÖK)

2. die ÖK die Kosten senken steigen die Rendite der Shareholder

3. die Anzahl der Tiefenbohrungen sinken sinken die Kosten

4. die Anzahl der Tiefenbohrungen sinken sinkt das Ölangebot auf dem Weltmarkt

5. die ÖK-Fusionen steigen sinken die relativen Kosten

6. der Ölpreis sinkt steigt der Fusionsdruck

7. die Fusionen der ÖK steigen steigt der Marktanteil der Unternehmen

8. der Marktanteil der Unternehmen steigt steigt die Macht der ÖK

9. die Konzentration der ÖK steigt sinkt die Anzahl der Konkurrenten

10. die Anzahl der Konkurrenten sinkt steigt die Marktbeeinflussungsmacht

11. die Marktbeeinflussungsmacht steigt steigt die Preisbeeinflussungsmacht

12. der Umsatzanteil eines ÖK am Weltmarkt steigt die Preismacht des ÖK


steigt

13. die Kosten der ÖK sinken steigen die Gewinne aus Ölpreisanstiegen

14. der Ölpreis steigt steigen die Umsätze der ÖK

15. die Umsätze steigen steigt der Gewinn der ÖK

16. der Ölpreis steigt steigen die Preise für Verbraucher (nicht
umgekehrt!!!!!!!)

17. die Preisähnlichkeit der Angebote steigt steigt Verdacht auf Unregelmäßigkeiten
(Absprachen)

60
Anlage 11:
Spritwucher, Ökosteuer und schwacher Euro
Private Verbraucher schwer getroffen
Der Ölpreisschock trifft den land mehr für das Öl zahlen. Vorstandsvorsitzender Jürgen
Lebensnerv der Industriegesell- Jeder Urlauber kennt diesen Husmann.
schaft, die eben vom Auto nicht „Wechselkurseffekt“: steigt der Die Regierung ist bemüht, die
weniger lebt als vom Computer. Kurs der Urlaubslandwährung, Folgen des Preisanstiegs zu
Nach der Preisexplosion beim wird der Urlaub „teurer“, sinkt mildern und hat sich nach
Erdöl schossen im Herbst 2000 der Kurs der Urlaubslandwäh- langem Zögern zu einer Geste
die Kosten für Benzin und den rung, wird der Urlaub „günsti- des Entgegenkommens
früheren Sparsprit Diesel in die ger“. Genauso ist es beim durchgerungen. Bundeskanzler
Höhe: Mit bis zu 1,75 DM für Ölpreis. Im Verlauf des Jahres Gerhard Schröder entschied,
den Dieselkraftstoff zahlen die 2000 hat der Euro gegenüber künftig eine so genannte
Autofahrer 26% mehr als im dem Dollar zeitweise bis zu Entfernungspauschale zu
Herbst 1999. Der Preis 25% an Wert verloren und gewähren, die um zehn Pfennig
Normalbenzin erreichte die allein durch diesen Effekt die über der bislang geltenden
psychologisch wichtige Marke Einfuhren deutlich verteuert. Kilometerpauschale liegt und
von zwei Mark. Die hohen Mit der dritten Stufe der nun auch Radfahrern sowie
Energiekosten reißen teils Ökosteuer ist im Januar der Bus- und Bahnkunden zugute
kräftige Löcher in die Porte- Kraftstoffpreis um weitere 7 kommt. Zudem will er
monnaies von Autofahrern und Pfennig pro Liter (6 Pfennig Sozialhilfe-, Wohngeld- und
Hausbesitzern. Haushalte, die Ökosteuer + 1 Pfennig Bafög-Empfänger mit einem
im September 2000 ihren Mehrwertsteuer) gestiegen. einmaligen Heizkostenzuschuss
Heizöltank mit 5000 Litern für Auch wenn sich die Bürger über den Winter helfen.
den Winter füllten, mussten im über die hohen Steuerabgaben Anhaltend hohe Ölpreise
Schnitt 1750 Mark mehr als beim Benzin ärgern, hat die drücken zunehmend auf die
noch im Mai 2000 hinlegen. Ökosteuer auch Vorteile. Zum Konjunktur. Die hohen
100 Liter Brennstoff für rund einen werden die Rentenversi- Energiepreise für Sprit und
100 Mark sind keine Seltenheit cherungsbeiträge gesenkt und Heizöl verringern die verfügba-
mehr. Weltmarktpreis für zum anderen regt es die ren Haushaltseinkommen, die
Rohöl ist zum Teil starken Verbraucher dazu an, sparsa- private Nachfrage leidet und für
Schwankungen unterworfen. So mer mit knappen Energieres- andere Käufe fehlt demnach
verdreifachte er sich in den sourcen umzugehen. das Geld.
letzten zwei Jahren von einem Eine vollständige Rücknahme Rutscht der Eurokurs noch
Tiefstand von rund 10 Dollar der Ökosteuer würde die tiefer ab, befürchtet Friedrich
pro Barrel (1 Barrel = 159 Rentenversicherungsbeiträge Heinemann vom Zentrum für
Liter) auf zeitweise rund 35 wieder deutlich über die 20- Europäische Wirtschaftsfor-
Dollar pro Barrel. Auslöser Prozent-Marke treiben. Der schung in Mannheim einen
waren unter anderem eine Beitragssatz würde auf bis zu Teufelskreis: Für die Europäer
Verknappung der Fördermen- 20,5 Prozent ansteigen, statt – wird das in Dollar abgerechnete
gen durch die Organisation wie von Arbeitsminister Riester Öl noch teurer. Jetzt spüren die
erdölexportierender Staaten geplant – von derzeit 19,3 auf Verbraucher die hohen Preise
(OPEC), die mit erhöhter 19,1 Prozent zu sinken, rechnet vor allem, wenn sie Heizöl
Nachfrage aufgrund niedriger der Verband Deutscher ordern oder ihren Wagen voll
Lagerbestände in großen Rentenversicherungsträger tanken.
Abnehmermärkten wie den (VDR) in Bad Homburg vor. Für die Lebenshaltung mussten
USA und des Wirtschaftsauf- Allerdings ist bei Fortbestand die Deutschen im August 2000
schwungs in Fernost zusam- der Ökosteuer noch unklar, wie bereits 1,8% mehr ausgeben als
mentrafen. sich der Beitragssatz im Jahr im Jahr zuvor. Ohne die
Mineralöl wird in Dollar 2001 entwickeln wird. Ob es drastisch gestiegenen Energie-
gehandelt und beeinflusst so die bei den angestrebten 19,1 kosten läge die Quote unter
deutschen Benzin- und Prozent bleibt, „wird sich erst einem Prozent.
Heizölpreise. Sinkt der später noch herausstellen“, Oper des großen Reibachs ist
Eurokurs gegenüber dem erklärt VDR- die Automobilindustrie. Sie
Dollar, müssen wir in Deutsch- trägt am schwersten am Ölpreis

61
und der dazugehörenden Wachstum der Branche. Bei Bundesregierung eine gewalti-
Hysterie. Besonders für die einer Jahresfahrleistung eines ge Jobmaschine in Gang setzen
Käufer von Diesel-Fahrzeugen Trucks von 150.000 Kilometern und die Abhängigkeit von
ist der Preisanstieg fatal. Auf kommen 70.000 Mark fossilen Rohstoffen mindern.
der Flucht vor den steigenden zusammen (1999: 25.500 DM). Auto- und Ölindustrien haben
Kraftstoffpreisen war so Bei den Speditionen zeichnet bereits mit den Zukunftsinvesti-
mancher Autofahrer auf einen sich – von den steigenden tionen begonnen. So setzen
dieselgetriebenen Wagen Spritkosten angeheizt – ein Autohersteller auf die Entwick-
umgestiegen. Zwischen Januar Trend ab, der an die Ausflag- lung von benzinfreien Autos
und Juli 2000 stieg der Diesel- gungswelle unter den Fracht- und die Ölkonzerne Shell und
Anteil aller Modelle der reedereien erinnert. Immer BP investieren im Milliarden-
Mercedes-Flotte in Deutschland mehr Brummis geben Jobs an Dollar-Volumen in Strom, der
auf 38% - ein Drittel mehr als billigere osteuropäische aus Sonne, Wind und Biomasse
1999. Und vom VW Passat Fuhrunternehmen, die dabei gewonnen werden soll.
wurden im Juli fast 75 Prozent sind, auch den deutschen Markt Unter dem Druck steigernder
aller Fahrzeuge mit sparsamem zu beliefern. Rohölpreise, drohender
Dieselmotor geordert. Nun Auch die Luftfahrtgesellschaf- Klimagefahren und technologi-
befürchtet die Automobilin- ten blieben von den steigenden scher Durchbrüche bei Solar-
dustrie eine Absatzflaute. Dass Ölpreisen nicht verschont und und Wasserstoffnutzung wird
sie im Jahr 2000 ca. zwölf so mussten sie im September die Wende zu weniger
Prozent weniger Fahrzeuge als 2000 schon fast 50 Prozent Verbrauch und der Umstieg auf
im Vorjahr verkauft haben, mehr für Kerosin ausgeben als umweltgerechte schonende
führen die Bosse von Daimler noch im Januar. Einige Airlines Quellen endlich attraktiv.
Chrysler, Porsche, VW und haben deshalb die Flugpreise Höchste Zeit also über
BMW zu einem Teil auch auf bereits erhöht. Vorgesorgt hatte effizienteren Energieeinsatz
die höheren Spritkosten zurück. die Lufthansa. Sie hatte den und neue Technologien
Die deutschen Speditionen richtigen Riecher und orderte nachzudenken, und dabei
schlagen nach dem Anstieg der bereits frühzeitig für feste können hohe Preise für den
Dieselpreise Alarm. Halbleere Beträge Treibstoff. Deshalb ungemein altmodischen
Fahrzeuge sind bei Speditionen trifft sie die Krise nicht so hart. Energieträger Öl durchaus
die Regel, was sich bei diesen Die Ölkrise bietet eine große aufmunternd wirken.
Spritpreisen kaum noch lohnt. Chance. Mit einer neuen
Der Dieselpreis zerstört das Energiepolitik könnte die

62
Anlage 12:

Jede Benzinpreiserhöhung trifft den Kunden. Staat und OPEC bestimmen den Preis zu mehr als 95%
und Tankstellengesellschaften haben nur wenig Spielraum, Verteuerungen aufzufangen. Benzin- und
Heizölpreise steigen, weil Mineralölgesellschaften momentan sehr dünne Margen haben. Eine Verteue-
rung des Rohölpreises wird sofort an den Verbraucher weitergegeben, um nicht in die „Verlustzone“ zu
rutschen.

Warum ist es so wichtig, dass Freie Tankstellen überleben können?


Mit einem Marktanteil von rund 20% garantieren sie
Wettbewerb beim Spritpreis. In Großbritannien
wurden die Freien aus dem Markt gedrängt. Folge:
Britische Autofahrer zahlen die höchsten
Benzinpreise in Europa.

Warum gibt es beim Benzin Preisunterschiede bis


zu 20 Pfennig je Liter innerhalb Deutschlands?
Die Preisunterschiede sind Beweis für
funktionierenden Wettbewerb. Wo Autofahrer
konsequent preisbewusst tanken, gibt es wenig
Chancen für Nepp an der Zapfsäule.

Wer legt den Preis fest – Konzernzentralen oder


Tankstellenpächter?
Über eine Anhebung der Preise entscheidet generell
die Konzernzentrale. Sie gibt häufig einen
Preiskorridor vor, auf dessen Grundlage der
Tankstellenpächter je nach Konkurrenzlage den
Preis festsetzt.

63
Anlage 13:
Zusammenhänge VERBRAUCHER

WENN... DANN...

1. die Rohölpreise steigen

2. der Euro sinkt


sind die V schwer getroffen
3. die Ökosteuer steigt

4. der Spritwucher steigt

5. der Ölpreis steigt steigt der Kraftstoffpreis

6. der Ölpreis steigt steigt der Heizölpreis

7. der Ölpreis steigt steigt der Erdgaspreis

8. der Ölpreis steigt sinkt die Kaufkraft der HH

9. die Opec die Fördermenge verringert steigt der Ölpreis

10. die Lagerbestände der Nationen sinken steigt die Nachfrage nach Öl

11. die Nachfrage nach Öl steigt steigt der Ölpreis

12. der EURO fällt steigt der Wechselkurseffekt

13. die Ökosteuer steigt steigt der Benzinpreis

14. der Benzinpreis steigt steigen die Ausgaben für Benzin

15. der Benzinpreis steigt steigt die Sparsamkeit mit knappen


Energieressourcen

16. die Ökosteuer steigt sinken die Rentenversicherungsbeiträge

17. der Ölpreis steigt sinken die Konjunkturwerte

18. der EURO sinkt steigen die Exporteinnahmen aus Nicht-


Euroländern

19. der EURO sinkt steigen die Importausgaben aus Nicht-


Euroländern

20. der Ölpreis steigt steigt die Forschung in Alternativen

21. die Alternativen steigen sinkt die Ölabhängigkeit


64
22. der Energiebedarf sinkt steigt der Gewinn eines Unternehmens

23. die Rohstoffpreise steigen steigen die Kosten für die Endverbraucher

24. der Benzinpreis steigt sinkt die Nachfrage nach Autos

25. der Dieselpreis steigt steigen die Kosten für Speditionen

26. die Speditionspreise steigen steigt die Nachfrage nach Billiganbietern

27. der Kerosinpreis steigt steigen die Flugticketpreise

65
Anlage 14:
ARBEITSAUFTRAG – MODELLBILDUNG

Stellt euch zuerst gegenseitig die von euch bearbeitete Interessengruppe vor. Diskutiert gemein-
sam über die Interessen der verschiedenen Akteure und versucht euch ein Bild über ihr Zusam-
menspiel auf dem Ölmarkt zu machen.

Vergleicht anschließend die herausgearbeiteten Beziehungen auf Gemeinsamkeiten und Unter-


schiede und fasst gleiche Aussagen zusammen.

Erstellt dann sogenannte Kausalketten, d. h. die Wirkung einer Ursache hat wiederum eine neue
Wirkung zur Folge usw.

Beispiel:
„Wenn der Ölpreis steigt, dann sinkt die Kaufkraft der Haushalte.
Wenn die Kaufkraft der Haushalte sinkt, dann sinkt ihr Konsum.

Wenn der Konsum der Haushalte sinkt, dann...“

Tipp: Dabei könnt ihr folgende Verkürzungen verwenden:


Ölpreis , dann Kaufkraft , dann Konsum

Stellt danach alle gefundenen Zusammenhänge und Kausalketten nach der vorgestellten
Darstellungsform in einem Netzwerk grafisch dar.
Der Ölpreis soll das Zentrum dieses Netzwerkes sein.
Stellt zuerst eine Bleistiftskizze her. Übertragt diese daraufhin auf eine Wandzeitung.

ZIEL

66
Anlage 15:
Stellen Sie sich vor, Sie sind Mitglied in einem Haushaltsausschuss des Bundestages in Berlin. Dieser Ausschuss beschäftigt sich mit der Abschätzung der zukünftigen
wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik. Von dieser ist schließlich abhängig, wie viel Geld den einzelnen Ressorts zur Verfügung steht. Dies gilt für den
Bundeshaushalt, aus dem Institutionen wie das Bundeskriminalamt finanziert werden. Dies gilt aber auch für die Länderhaushalte, aus denen die Polizeibeamten bezahlt
werden.
1) Beschreiben Sie den Verlauf des Säulendiagramms. Machen Sie sich dazu Notizen.
2) Analysieren Sie den Verlauf auf Regelmäßigkeiten und wiederkehrende Muster. Sofern Sie solche Muster finden, wagen Sie bitte eine Prognose der wirt-
schaftlichen Entwicklung bis 2010.
3) Versuchen Sie besonders charakteristische Jahre oder Zeiträume zu finden. Spekulieren Sie über mögliche Gründe!
Die Ergebnisse der Aufgabe 2) veranschaulichen Sie bitte auf dem Zeitstrahl an der Wand. Wählen Sie eine Form, die Sie für geeignet halten.
Die Ergebnisse aus Aufgabe 3) notieren Sie bitte auf den Ihnen ausgegebenen Karten und bringen diese ebenfalls auf dem Zeitstrahl an!

Viel Spaß mit dieser


anspruchsvollen
Aufgabe!!!

Quelle:
Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Bruttoinlands-
produkt 2004 für Deutschland. Informations-
materialien zur Pressekonferenz am 13.Jan. 2005
in Wiesbaden. Download unter: www.destatis.de
67
Anlage 16:
Quelle: Hartmann, G. (2000): Volks- und Weltwirtschaft, 21., akt. Aufl., Rinteln, 420f.

Arbeitsauftrag:

Obiger Text entstammt einem Fachbuch und behandelt das


„Auf und Ab“ der Wirtschaftsentwicklung. Prüfen Sie bitte
kritisch, inwieweit Ihnen der Text hilft, die von Ihnen als besonders
charakteristisch empfundenen Zeiträume/Jahre zu erklären!
Prüfen Sie in einem weiteren Schritt, ob Sie nach der Lektüre des
Textes Ihre Prognose bis 2010 verändern würden!
68
Anlage 17:
Organisation in Familie und Betrieb

Einführung
Viele Dinge muss man gar nicht selbst organisieren, sie werden von der Kultur, Natur
und Gesellschaft vorgegeben. Sie ergeben sich aus den kulturellen Gegebenheiten,
aus der Infrastruktur und den gesetzlichen Rahmenbedingungen.
Auch in der Ehe gibt es feste Regelungen und „Gesetze“, die aber meist unausge-
sprochen bleiben. Die Ehe erscheint zunächst als ein System von Gefälligkeiten, in
dem nicht erkennbar organisiert wird. Doch bei genauerer Betrachtung sieht man,
dass jeder Partner fast automatisch eine bestimmte Rolle übernimmt: Nach traditio-
nellem Muster spielt der Mann die Rolle des Ernährers und die Frau übernimmt den
Großteil der Kindererziehung und die Haushaltsorganisation. Viele Ehen verlaufen
heute allerdings individueller: Zum Beispiel tragen beide Partner gleichberechtigt zur
Lebensfinanzierung bei und teilen sich die Arbeiten im Haushalt. Diese Organisati-
onsform wird allerdings meist dann durchbrochen, wenn sich etwas an der Lebenssi-
tuation beider Partner ändert, sie zum Beispiel Kinder planen. Die kleine Familie wird
auf Grund zahlreicher Faktoren von heute auf morgen vollkommen auf den Kopf
gestellt und umorganisiert.
Mit veränderten Aufgabenbereichen ist eine zunehmende Organisation notwendig;
dies gilt sowohl in der Familie als auch im Betrieb. Je weniger Personen sich in einer
(betrieblichen) Arbeitsgruppe befinden, desto eher können die Organisationsstruktu-
ren gleichberechtigt ablaufen. Während in Kleingruppen die Arbeit meist selbsttätig
ausgeführt wird und auch die Arbeitsverteilung durch die Gruppe festgelegt wird, ist
es in größeren Betrieben notwendig, eine Organisationsstruktur vorzugeben.

69
Anlage 18:

Arbeitsauftrag

Wir befinden uns im Jahr 2001 und planen den Staatshaushalt für das Jahr 2002. Die Bundes-
regierung bittet Sie, eine Empfehlung abzugeben, wie durch eine Steuererhöhung die Neuver-
schuldung von 35 Mrd. € vermieden werden kann.

Exemplarisch haben wir drei Steuer ausgewählt (siehe Anlagen), die hinsichtlich ihrer
Ergiebigkeit und Gerechtigkeit untersucht werden sollen:

- Vermögensteuer
- Einkommensteuer
- Ökosteuer

Es soll analysiert werden, welche Auswirkungen eine Veränderung der jeweiligen Steuer
vermutlich auf die konjunkturelle Lage Deutschlands und speziell auf die Beschäftigung hat.

70
Anlage 19:

Vermögensteuer

Die Vermögensteuer ist seit dem 1.1.1997 ausgesetzt. Bis dahin galt für private Vermögen (= Geld-
und Immobilienvermögen) ein Steuersatz von 1 Prozent.

Warum wurde die Vermögensteuer ausgesetzt?


- 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die unterschiedliche Bewertung von Immobi-
lien- und Geldvermögen als verfassungswidrig eingestuft.
- Immobilienvermögen wurde steuerlich bevorzugt, weil als Bemessungsgrundlage nicht die
aktuellen Verkehrswerte, sondern lediglich sog. Einheitswerte herangezogen wurden, die auf
das Jahr 1964 zurückgehen und lediglich einen Bruchteil der aktuellen Werte erfassten.
- Laut Bundesverfassungsgericht hätte diese Ungleichbehandlung für die weitere Steuererhe-
bung bis 1996 beseitigt werden müssen.
- Da die Neubewertung noch nicht in Angriff genommen wurde, bleibt die Vermögensteuer
weiterhin ausgesetzt.

Problem Neubewertung
Für die Bewertung des Immobilien- und Grundstückvermögens liegen mit dem Abschlussbericht der
Sachverständigenkommission zur Wiedereinführung der Vermögensteuer vom Mai 2000 praktikable
Verfahren vor.

Verwaltungstechnische Kosten
Nach Berechnungen der Landesregierung NRW betrugen die Erhebungskosten Mitte der 90er Jahre
5,5 Prozent.

Zustimmung in der Bevölkerung


In einer Umfrage für die ARD Ende September 2002 zeigten sich 67 Prozent zustimmend zu den
Plänen für die Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Potenzielles Aufkommen der Vermögensteuer im Jahre 2000 bei verschiedenen Freibeträgen


und Steuersätzen:

Freibetrag je 4-Pers.- Steuersätze


Haushalt in € 0,5 % 1,0 % 1,5 %

250.000 13,3 Mrd. € 26,5 Mrd. € 39,8 Mrd. €

500.000 8,0 Mrd. € 15,9 Mrd. € 23,9 Mrd. €

Literatur: ver.di (2002). “Vermögen- und Erbschaftsteuer. Ergebnisse der Untersuchung des Deutschen Instituts
für Wirtschaftsforschung“. Aus: http://www.verdi.de/hintergrund/wirtschaftspolitik

71
Anlage 20:

Arbeitsauftrag Vermögensteuer

Szenario:

Wir befinden uns im Jahr 2001 und planen den Staatshaushalt für 2002. Die Bundesregie-
rung bittet Sie, eine Empfehlung abzugeben, wie durch die Wiedereinführung der Vermö-
gensteuer die Neuverschuldung von 35 Mrd. € vermieden werden kann. Dabei sollen auch
die Auswirkungen auf Gesellschaft und Konjunktur berücksichtigt werden.

1. In welchem Umfang müsste die Vermögensteuer erhoben werden, um eine Neuver-


schuldung zu vermeiden?

2. Welche Teile der Gesellschaft scheinen von dieser Steuerumgestaltung besonders


betroffen?

3. Analysieren Sie, welche Auswirkungen eine Erhöhung der Vermögensteuer vermut-


lich auf die konjunkturelle Situation und insbesondere auf die Beschäftigung hat.
Erstellen Sie eine Wirkungskette und begründen Sie diese!

72
Anlage 21:

Informationen zur Ökosteuer

1. Was ist Ökosteuer?

Mit Wirkung zum 01. April 1999 trat das "Gesetz zum Einstieg in die ökologische
Steuerreform" in Kraft. Dieses Gesetz beinhaltet in Art. 1 das neu geschaffene
Stromsteuergesetz, sowie in Art. 2 Änderungen im Mineralölsteuergesetz mit ent-
sprechenden Mineralölsteuererhöhungen. Beide Steuern zusammen (Stromsteuer
sowie die entsprechenden Teile der Mineralölsteuer) werden landläufig als "Öko-
steuer" bezeichnet.

Die beiden Komponenten der "Ökosteuer"

= +

Teile der
Die Strom-
Mineralöl-
Ökosteuer steuer
steuer

Beide Steuern sind Verbrauchssteuern. Somit sind die Hauptzollämter und nicht die
Finanzämter zuständig für die Erhebung.

Ziele der Ökosteuer:

Die Ziele der ökologischen Steuerreform lassen sich im Wesentlichen in folgende


Bereiche unterteilen:

Versteuerung und somit Senkung des Energieverbrauches durch


"...nachhaltige Umsteuerung der Nachfrage in Richtung energiesparender und
ressourcenschonender Produkte..."

Senkung der Sozialversicherungsbeiträge, speziell der Rentenversicherungs-


beiträge (eine Senkung erfolgte nicht!).

Förderung regenerativer Energiequellen

73
Erreicht werden soll dies durch eine schrittweise Anhebung der Mineralölsteuer auf
Kraftstoffe, steuerliche Förderung schwefelarmer bzw. -freier Kraftstoffe und Einfüh-
rung mit nachfolgender schrittweiser Anhebung der Stromsteuer.

Auswirkungen für Privatpersonen


Im Rahmen der "Ökosteuer" wurden verschiedene Ausnahmetatbestände, Steuerbe-
freiungen, Steuerbegünstigungen usw. geschaffen. Diese sind nachfolgend detailliert
dargestellt.
Für große Teile der Bevölkerung in Ihrer Eigenschaft als "Privatpersonen" sind
allerdings kaum Vergünstigungen vorgesehen. Als entlastende Komponente im
Rahmen der Ökosteuer war lediglich die Senkung der Lohnnebenkosten (speziell der
Rentenversicherungsbeiträge) geplant, diese erfolgte jedoch nicht. Ob diese entlas-
tenden Aspekte die Mehrbelastung des Einzelnen durch die Ökosteuer kompensie-
ren könnte, darf bezweifelt werden.
Einige von der Rentenversicherungspflicht befreite Personengruppen (z.B. Freiberuf-
ler, Selbständige, Beamte...) könnten von einer Senkung der Rentenversicherungs-
beiträge nicht profitieren und müssten somit die Mehrbelastung durch die Ökosteuer
komplett tragen.

Der Deutsche Bundestag hat am 11. November 1999 das "Gesetz zur Fortführung
der ökologischen Steuerreform" beschlossen. Das Gesetz sieht sowohl Änderungen
im Stromsteuergesetz als auch im Mineralölsteuergesetz vor.

Die derzeitige "Bilanz" der ökologischen Steuerreform stellt sich wie folgt dar:

Seit dem 1. April 1999 werden Ökosteuern erhoben und in fünf jährlichen Schritten bis 2003 erhöht. Die Einnahmen waren
ursprünglich zur Stabilisierung und Senkung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gedacht (dies erfolgte nicht).
Die Steuersätze im Einzelnen:
Steuer bis 1998 Ökosteuer-Erhöhungsschritte
(vor Einführung der Ökosteuern)
1. April 99 1. Januar 00 1. Januar 01 1. Januar 02 1. Januar 03
Normal- und
50 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents/l 3 Cents/l
Superbenzin
Diesel 31 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents./l 3 Cents/l 3 Cents/l
Heizöl 4 Cents./l 2 Cents./l - - - -
Erdgas 0,17Cents./kWh 0,16Cents./kWh - - - -
Strom - 1 Cents./kWh 0,25 Cents/kWh 0,25 Cents/kWh 0,25 Cents/kWh 0,25 Cents/kWh

74
2. Was ist Stromsteuer?

Die Stromsteuer ist eine völlig neue Verbrauchssteuer für Deutschland. Wie bei allen
Verbrauchssteuern (Biersteuer, Mineralölsteuer, Tabaksteuer usw.) wird der
"Verbrauch" einer Ware besteuert und die Steuer über den Preis auf den Letzt-
verbraucher abgewälzt. Das Stromsteuergesetz trat mit Wirkung zum 01. April 1999
in Kraft und wurde durch das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform
mit Wirkung zum 15. Februar 2000 geändert.

Die Stromsteuer wird (in der Regel) durch den Stromversorger erhoben und zuzüg-
lich Mehrwertsteuer auf der Rechnung ausgewiesen.

Die Mengeneinheit welche das Stromsteuergesetz (StromStG) zur Bemessung zu


Grunde legt, ist die Megawattstunde (MWh) als Einheit für die elektrische Arbeit. Die
Energieabrechnung von Seiten des Stromversorgers erfolgt im Normalfall in Kilo-
wattstunden (KWh).

Zwischen MWh und KWh besteht folgender Umrechnungsfaktor:

1 MWh = 1.000 KWh


Voller
Steuersatz
100 %

Grundlage : § 3 StromStG

Personenkreis : private Haushalte


sonstige (nichtbegünstigte) Gewerbe

z. B.:
Handel
Gastgewerbe
Grundstückswesen
Kreditgewerbe
sonstige Dienstleistungen

75
Steuersätze :
Stromsteuer pro MWh

ab ab
Jahr 04/1999 2000 2001 2002 2003

Euro 10,30 12,80 15,30 17,90 20,50

Ermäßigter Steuersatz
– 20 %

Grundlage : § 9 Abs. 3 StromStG

Personenkreis : Verwendung des Stromes durch:

Unternehmen der Land- u. Forstwirtschaft


Teichwirtschaft und Fischzucht
Unternehmen des produzierenden Gewerbes

z. B.: Bergbau und Gewinnung von Steinen


u. Erden
Verarbeitendes Gewerbe
Energie- und Wasserversorgung
Baugewerbe

Steuersätze : Stromsteuer pro MWh *

ab ab
Jahr 04/1999 2000 2001 2002 2003

Euro 2,10 2,60 3,10 3,60 4,10

3. Was ist Mineralölsteuer?

Die Mineralölsteuer ist als alt hergebrachte Verbrauchssteuer eine der Hauptein-
nahmequellen des Bundes im Bereich der Verbrauchssteuern. Durch Art. 2 des
Gesetzes zum Einstieg in die ökologische Steuerreform wurde das Mineralölsteuer-
gesetz in wichtigen Punkten geändert. Der Schwerpunkt liegt dabei auf einer Steuer-

76
erhöhung sowie auf umfangreichen Änderungen im Bereich der steuerlichen Entlas-
tung.

Das Mineralölsteuergesetz in der ab 01. Januar 2000 geltenden Fassung steht.

4. Ökosteuer- Ermäßigungen/Sonderregelungen

Neben den regulären Steuersätzen gibt es zahlreiche Sonderregelungen, die im


Folgenden zusammengefasst sind. Die Ermäßigungen/Sonderregelungen dienen zur
Information und sollen in der Modellrechnung nicht berücksichtigt werden, da die
Berechnung sehr komplex und undurchschaubar werden würde. Daher sind die zur
Verfügung stehenden Daten Durchschnittsdaten.

Wirtschaft

Ermäßigter Steuersatz in Höhe von 20 % des Regelsatzes für Strom, Heizöl und
Gas:

• Produzierendes Gewerbe (Bergbau, Verarbeitendes Gewerbe, Energie- und


Wasserversorgung, Baugewerbe)
• Land- und Forstwirtschaft
• Teichwirtschaft und Fischzucht
• Behindertenwerkstätten

Verkehr

Ermäßigter Stromsteuersatz in Höhe von 50 % des Regelsatzes:

• Schienenbahnverkehr
• Oberleitungsomnibusse

Energieerzeugung

Stromsteuerbefreiung für Eigenerzeugung und Contracting bis 2 MW

77
5. Erhoffte Wirkungen der Ökosteuer:

• Förderung der Umsetzung von Innovationen bei der Stromerzeugung/


energiesparende Technik
• Förderung ökologischen Denkens
• Schafft 250.000 Arbeitsplätze im Bereich der ökologischen Energiegewinnung
(3-Liter-Auto, Heizung, Wärmedämmung).
• Umstieg von Auto auf Bahn/Bus

6. Kritik

• Hohe Belastung für Haushalte und mittelständische Betriebe


• Preisniveauanstieg
• Sozialschwächere werden übermäßig belastet (Mietwohnungen können nicht
selbst wärmegedämmt werden.)
• Das Wirtschaftswachstum wird gehemmt.
• Eine Verringerung der Rentenbeiträge erfolgte nicht.

Informationen im Internet: www.stromsteuer.de und www.oeko-steuer.de

78
Anlage 22:

Arbeitsauftrag Ökosteuer

Wir befinden uns im Jahr 2001 und planen den Staatshaushalt für das Jahr 2002. Die
Bundesregierung bittet Sie, eine Empfehlung abzugeben, wie durch eine Erhöhung
der Ökosteuer die Neuverschuldung von 35 Mrd. € vermieden werden kann. Die
Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Konjunktur sollen berücksichtigt werden.

Mineralölsteuer

Berechnen Sie die Einnahmen aus dem Ökosteueranteil für das Jahr 2001!

Verbrauch Mineralölsteuer Mineralölsteuer


in l in €/l zuzüglich Ökosteuer
(Erdgas in kWh) (Erdgas in €/kWh) in €/l (Erdgas in €/kWh)
vor 1999 im Jahr 2001
Benzin 38.000.000.000 0,5000 0,5900
Diesel 35.000.000.000 0,3100 0,4000
Heizöl 38.000.000.000 0,0400 0,0600
Erdgas 790.000.000.000 0,0017 0,0033

Stromsteuer

Berechnen Sie die Einnahmen aus der Stromsteuer für das Jahr 2001!

Steuersatz Verbrauch Stromsteuer Stromsteuer


in % in MWh in €/MWh in €/MWh
vor 1999 im Jahr 2001
Private Haushalte:
133.000.000
100 0 15,30
Dienstleistungen:
92.000.000
Industrie:
241.000.000
20 0 3,10
Dienstleistungen:
37.000.000

1. Auf welche Weise(n) könnte die Ökosteuer erhöht werden, um eine Neuver-
schuldung zu vermeiden?
2. Welche Teile der Gesellschaft scheinen von dieser Steuerumgestaltung be-
sonders betroffen?
3. Analysieren Sie, welche Auswirkungen eine Erhöhung der Ökosteuer vermut-
lich auf die konjunkturelle Situation und insbesondere auf die Beschäftigung
hat. Erstellen Sie eine Wirkungskette und begründen Sie diese!

79
Anlage 23:
Einkommensteuer

Die Einkommensteuer ist eine Personensteuer, bei der das Einkommen Grundlage
und Gegenstand der Besteuerung ist.
Die Einkommensteuer ist eine progressive Steuer. Das bedeutet, dass die Steuern
stärker ansteigen als die Einkommenszuwächse.
Die Einnahmen aus der Einkommensteuer fließen zu 42,5% an den Bund. Die
Länder erhalten ebenfalls einen Anteil von 42,5% und der Rest von 15% geht an die
Gemeinden.

Die Einkommensteuer umfasst die Lohnsteuer und die veranlagte Einkommensteuer.


Für die Berechnung der Steuern unterscheidet man sieben verschiedene Einkunfts-
arten:

• Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft


• Einkünfte aus Gewerbebetrieb
• Einkünfte aus selbständiger Arbeit
• Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit
• Einkünfte aus Kapitalvermögen
• Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
• Sonstige Einkünfte
(z. B. Einkünfte aus einer mit dem Ertragsanteil zu erfassenden Rente, aus der gesetzlichen Rentenversicherung

oder Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften).

Diese Einkunftsarten spielen bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens


eine große Rolle. (siehe unten)
Der größte Teil der Einkommensteuerpflichtigen (27,68 Mio. Bürger) erhält Einkünfte
aus nichtselbständiger Arbeit. Aus diesem Grund bezieht sich die folgende Informati-
on fast ausschließlich auf Steuerpflichtige aus diesem Bereich.
Die Lohnsteuer wird bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit durch direkten
Abzug vom Arbeitslohn erhoben. Die Einkommensteuer wird am Jahresende vom
Finanzamt festgesetzt.
Grundlage für diese Festsetzung ist das zu versteuernde Einkommen des Steuer-
pflichtigen.

80
Zu versteuerndes Einkommen

Das zu versteuernde Einkommen eines Steuerpflichtigen setzt sich aus den folgen-
den Positionen zusammen:

Gesamteinnahmen
(-) Werbungskosten

= Gesamteinkünfte

(-) Sonderausgaben
(-) Außergewöhnliche Belastungen

= zu versteuerndes Einkommen

a) Die Gesamteinnahmen
Unter diesem Begriff werden alle Einnahmen der verschiedenen Einkunftsar-
ten (siehe oben) zusammengefasst, die der Steuerzahler in einem Jahr erzielt
hat.

b) Werbungskosten:
Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen
(Fachliteratur...).

c) Sonderausgaben:
bestimmte Aufwendungen der privaten Lebenshaltung (Versicherungsbeiträge
für Lebensversicherungen,…)

d) Außergewöhnliche Belastungen:
Mehrbelastungen, die einem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstanden sind,
im Vergleich zu den Belastungen der anderen Steuerpflichtigen mit gleichen
Vermögensverhältnissen. (Behinderungsbedingte Fahrten,…)

Anhand des zu versteuernden Einkommens lässt sich mit der Einkommensteuerta-


belle der Steuersatz (durchschnittlicher Steuersatz) für die zu bezahlende
Einkommensteuer ermitteln.

81
Der Durchschnittssteuersatz gibt das Verhältnis zwischen dem Steuerbetrag und
dem zu versteuernden Einkommen wieder.
Durchschnittssteuersatz = festgesetzte Einkommensteuer
zu versteuerndes Einkommen

Das verfügbare Einkommen

Das verfügbare Einkommen setzt sich aus den folgenden Positionen zusammen:

Gesamteinnahmen
(-) Sozialabgaben
(-) Veranlagte Einkommensteuer

= verfügbares Einkommen

a) Die veranlagte Einkommensteuer:


Unter Veranlagung versteht man die Festsetzung der zu zahlenden Einkom-
mensteuer durch das Finanzamt.
Der Einkommensteuerbetrag ergibt sich aus der folgenden Operation:
vESt = zu versteuerndes Einkommen * Durchschnittssteuersatz

b) Bereits abgeführte Lohnsteuer:


Der Lohnsteuerbetrag wird anhand einer Tabelle ermittelt, in der das monatli-
che Bruttoeinkommen und die Steuerklasse zugrunde gelegt werden. Der er-
mittelte Betrag wird monatlich vom Arbeitgeber einbehalten und an das Fi-
nanzamt abgeführt. Die bereits gezahlten Steuern sind auf der Lohnsteuerkar-
te verzeichnet. Diese wird am Jahresende mit der Steuererklärung beim Fi-
nanzamt eingereicht.
Ist der bereits abgeführte Lohnsteuerbetrag geringer als die veranlagte Ein-
kommensteuer, muss man eine Nachzahlung leisten. Übersteigt der
Lohnsteuerbetrag die veranlagte Einkommensteuer, erhält man eine Steuer-
rückzahlung.

Da ca. 42 % aller Lohnsteuerpflichtigen zur Lohnsteuerklasse I (ledige Arbeitnehmer)


gehören, bezieht sich das zu berechnende Beispiel auf diese Steuerpflichtigen-
gruppe.

82
Anlage 24:
Beispiel zur Einkommensteuer

Helmut Pfennig erhält ein jährliches Bruttoeinkommen aus nichtselbständiger Arbeit


in Höhe von 30.000 €. Daneben erhält er weitere Einkommen aus Vermietung und
Verpachtung in Höhe von 12.000 €.

Herr Pfennig kann Werbungskosten für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
in Höhe von 2.300 € geltend machen.
Außerdem beträgt der Weg von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte 55 km. Außer
seinem Urlaub, der 28 Tage im Jahr beträgt, war Herr Pfennig jeden Tag an der
Arbeit. Das Jahr 2001 hatte 254 Arbeitstage.
Er bezahlt monatlich 200 € für seine private Lebensversicherung.
Der Arbeitgeber von Herrn Pfennig hat monatlich einen Lohnsteuerbetrag in Höhe
von 448,75 € abgeführt. Die Sozialabgaben (Arbeitnehmeranteil) betragen 20,4 %
vom Bruttoeinkommen.

Informationen zur Berechnung

Werbungskosten:

Werbungskosten bei Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit

Kilometergeld
Unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel für die kürzeste, verkehrsgünstigste Entfernung zwischen
Wohnung und Arbeitsstätte für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht,
können für die
ersten 10 km je km 0,36 €
für jeden weiteren km je km 0,40 € abgerechnet werden.
Jedoch max. 5.112 € pro Jahr.

Werbungskosten bei Einkommen aus Vermietung und Verpachtung:

Auch bei Einkommen aus Vermietung und Verpachtung sind Werbungskosten abzugsfähig. Hier
handelt es sich jedoch nicht um die vorher definierten Arten der abzugsfähigen Werbungskosten, da
sich diese nur auf die Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit beziehen.
Im Bereich der Vermietung und Verpachtung können Grundsteuer, Straßenreinigung, Müllabfuhr,
Wasserversorgung, Heizung, Schonsteinreinigung, Hausversicherungen,…abzugsfähig werden.

83
Arbeitsauftrag zur Einkommensteuer

Wir befinden uns im Jahr 2001 und planen den Staatshaushalt für das Jahr 2002. Die
Bundesregierung bittet Sie, eine Empfehlung abzugeben, wie durch eine Erhöhung
der Einkommensteuer die Neuverschuldung in Höhe von 35 Mrd. € vermieden
werden kann.

1. Lesen Sie die vorliegenden Informationen zur Einkommensteuer.

2. Kalkulieren Sie das zu versteuernde Einkommen des Helmut Pfennig.

3. Wie hoch ist das verfügbare Einkommen, das Herr Pfennig nach Abzug aller
Steuern und Abgaben jährlich zur Verfügung hat?

4. Um wie viel Prozent muss die Einkommensteuer erhöht werden, damit die
Neuverschuldung von 35 Milliarden € vermieden werden kann?

5. Welche Teile der Gesellschaft scheinen von dieser Steuerumgestaltung be-


sonders betroffen?

6. Analysieren Sie, welche Auswirkungen eine Erhöhung der Einkommensteuer


vermutlich auf die konjunkturelle Situation und insbesondere auf die Beschäf-
tigung hat.
Erstellen Sie eine Wirkungskette und begründen Sie diese!

84
Anlage 25:

Tabelle 1

Einkommensteuer Grundtabelle Der Grenzsteuersatz

Der Grenzsteuersatz der


zu versteuerndes Einkommensteuer Durchschnitts- Grenz-
Einkommen in € in € Einkommen-steuer zeigt
steuersatz auf, wie hoch die Steuer-

7.000 0 0 0 belastung jedes


8.000 133 2,1 21,1 zusätzlich verdienten €
9.000 378 4,3 22,7
ist. Er drückt somit die
10.000 611 6,1 23,4
11.000 850 7,7 24,0 prozentuale Belastung
12.000 1.095 9,1 24,6
jedes Mehrverdienstes
13.000 1.345 10,3 25,1
14.000 1.592 11,4 25,7 aus.
15.000 1.853 12,4 26,2
16.000 2.121 13,3 26,8
17.000 2.393 14,1 27,3 Beispiel:
18.000 2.672 14,8 27,9
19.000 2.946 15,5 28,4 Der Steuerpflichtige, der
20.000 3.235 16,2 29,0
ein zu ver-steuerndes
22.000 3.831 17,4 30,1
24.000 4.439 18,5 31,2 Einkommen von 65.000
26.000 5.080 19,5 32,4 € besitzt, hat einen
28.000 5.732 20,5 33,5
30.000 6.418 21,4 34,6
Grenz-steuersatz von
32.000 7.113 22,2 35,7 48,5%. Somit wird z.B.
34.000 7.844 23,1 36,8
eine Einkom-
36.000 8.598 23,9 37,9
38.000 9.360 24,6 39,0 mensverbesserung von
40.000 10.158 25,4 40,2 500 € mit 48,5%
42.000 10.964 26,1 41,3
44.000 11.808 26,8 42,4 besteuert und der
46.000 12.658 27,5 43,5 Steuerpflichtige muss
48.000 13.546 28,2 44,6
242,50 € davon
50.000 14.440 28,9 45,7
55.000 16.798 30,5 48,5 abführen.
60.000 19.225 32,0 48,5
65.000 21.652 33,3 48,5
70.000 24.078 34,4 48,5
80.000 28.932 36,2 48,5
90.000 33.786 37,5 48,5
100.000 38.623 38,6 48,5
110.000 43.477 39,5 48,5
120.000 48.330 40,3 48,5

85
Anlage
Tabelle 2

Anteil am zu Anteil in € am zu
% der durchschnittlicher
Einkünfte in € versteuernden versteuernden Einkommensteuer
Steuerpflichtigen Steuersatz
Einkommen Einkommen
20% bis 8.385 1,30% 6.480.500.000 1,54% 99.799.700
5% 8.385 - 11.708 1,10% 5.483.500.000 5,87% 321.881.450
5% 11.709- 15.389 1,70% 8.474.500.000 10,76% 911.856.200
5% 15.391 -18.763 2,30% 11.465.500.000 14,05% 1.610.902.750
5% 18.764 - 21.678 2,80% 13.958.000.000 16,30% 2.275.154.000
5% 21.679 - 24.336 3,30% 16.450.500.000 17,96% 2.954.509.800
5% 24.337 - 26.944 3,70% 18.444.500.000 19,34% 3.567.166.300
5% 26.945 - 29.552 4,00% 19.940.000.000 20,60% 4.107.640.000
5% 29.553 - 32.619 4,50% 22.432.500.000 21,85% 4.901.501.250
5% 32.620 - 35.994 5,00% 24.925.000.000 23,18% 5.777.615.000
5% 35.995 - 39.624 5,50% 27.417.500.000 24,55% 6.730.996.250
5% 39.625 - 43.868 6,20% 30.907.000.000 26,16% 8.085.271.200
5% 43.869 - 48.572 6,90% 34.396.500.000 27,60% 9.493.434.000
5% 48.573 - 54.554 7,70% 38.384.500.000 29,40% 11.285.043.000
5% 54.555 - 63.092 8,70% 43.369.500.000 31,63% 13.717.772.850
5% 63.093 - 80.784 10,90% 54.336.500.000 34,54% 18.767.827.100
5% ab 80.784 24,40% 121.634.000.000 42,39% 51.560.652.600
100% 100% 498.500.000.000 146.169.023.450

Quelle: Bundesfinanzministerium "Datensammlung zur Steuerpolitik in Zahlen" Stand 03.12.2001


Aus: http://www.bundesfinanzministerium.de/Steuern-und-Zoelle/Steuern-und-Zoelle-.376.5812/.htm
86
Anlage 27:
Begründung des In die Lösung einfließende Bei der Lösung
Modellierungsschritt Problemstellung Lösungsmöglichkeit Begründung der Lösung verwendete Konzepte
Arbeitsschrittes Setzung

Welche Aufschlüsselung in
Informationen der einzelne Bereiche: Gewährleistung der
Vorstrukturierung
Auswahl relevanter Anekdote sind - Einkauf Übersichtlichkeit; Einkaufstätigkeit, Verarbei- Geschäftsabläufe, Geschäftsvor-
zur Bearbeitung
Informationen wichtig, welche - Lieferung Präkonzepte zur ersten tung, Lieferung und Verkauf fälle
der Fragestellung
fehlen, welche - Bearbeitung Strukturierung nutzen
sind unwichtig? - Verkauf
Berechnung ist nicht
Zeitlich fester Periodenlänge, Zeitbezug statt Auftragsbe-
Periodisierung Jahr saisonalen Schwankungen Jahresabschluss, Kalenderjahr
Bezugsrahmen Beginn und Ende zug
unterlegen

Auf welcher
Grundlage wird
Mehrere Jahre im Wichtig, um generelle
Vergleichbarkeit über Wirtschaft- Tendenzen ermitteln (z. B.
Periodenzuordnung Zusammenhang Aussagen zur Wirtschaftlich- Planung
schaffen lichkeit der besser als im Vorjahr)
sehen keit machen zu können
Tätigkeit
entschieden?

Begründung des In die Lösung einfließende Bei der Lösung


Modellierungsschritt Problemstellung Lösungsmöglichkeit Begründung der Lösung
Arbeitsschrittes Setzung verwendete Konzepte

Wie können Datengrundlage stimmt


Erfragung der Daten
Zahlen zu den in überein (eindeutige Lösung
Ermittlung von beim Lehrer
Berechnungs- der Episode möglich) / Betriebliche Abläufe können
Zahlenwerten zur (Fremdmodellie-
grundlagen beschriebenen viele (unterschiedliche) durch Geld- und Güterströme Wertströme
Konkretisierung der rung)/Generierung
schaffen ökonomischen Lösungen, deshalb abgebildet werden
ökonomischen Vorgänge eigener Daten
Infos gefunden gegebenenfalls größerer
(Eigenmodellierung)
werden? Lerneffekt

Für Schüler nachvollzieh- Andere denkbare


Festlegung des Welche Gewinn: Es lohnt sich/
Komplexität bar, entspricht den (nicht ökonomische)
Entscheidungs- Informationen Verlust: Es lohnt sich Einnahmen-Überschussrechnung
reduzieren Präkonzepten der Entscheidungsparameter
parameters liefert der Saldo? nicht
Lernenden bleiben unberücksichtigt

Vollständigkeits- Ist eine


Nicht alle Ausgaben sind
grundsatz/ vollständige
für die Frage zu berück- Vermögenszuwachs
Bestimmung aller Trennung von Auflistung und Simulation der
sichtigen, ob sich die (z. B. Vorratsproduktion) Unternehmenszweck
relevanter Ausgaben privaten und scharfe denkbaren Ausgaben
Tätigkeit des Mannes bleibt unberücksichtigt
betrieblichen Abgrenzung
rechnet
Ausgaben möglich?
Begründung des In die Lösung einfließende Bei der Lösung verwendete
Modellierungsschritt Problemstellung Lösungsmöglichkeit Begründung der Lösung
Arbeitsschrittes Setzung Konzepte

Aus Gründen der Wie werden z. B.


Vollständigkeit Arbeitsart, Gehälter so aufteilen,
Eine genaue Ermittlung der Es handelt sich bei den
Analyse und Quantifizie- müssen alle Arten Arbeitstempo, dass die Einflussfakto-
Personalkosten ist sonst ermittelten Zahlen um Aufschlüsselung der Arbeitszeit
rung der Arbeitsleistung der Arbeitsleis- Arbeitszeit, ren quantifizierbar
nicht möglich repräsentative Werte
tung quantifiziert Arbeitspausen werden
werden berechnet?

Unterschiedliche
personalrechtliche
Notwendige Angestellter:
Situationen
Arbeitsrechtliche Voraussetzung Kombination aus Anreizmechanismus; Kombination aus Stück- und
bewirken Akzeptanz des „Mannes“
Stellung des Mannes zur Ermittlung der Stundensatz und einfache Kalkulation Stundenlohn
unterschiedliche
Kalkulation Stücklohn (Schnecke)
Personal-
ausgaben

Vollständigkeits-
Schätzgröße: fiktiver,
grundsatz/ Welcher fiktive Tägliches Vorbeischauen
Ermittlung des angemessener
Voraussetzung für Unternehmerlohn Objektivierter Wert wird als Arbeitszeit Kalkulatorische Kosten
Unternehmerlohns Stundenlohn +
die Ermittlung des ist angemessen? verstanden
Fahrtkosten
VKP

Begründung des In die Lösung einfließende Bei der Lösung verwendete


Modellierungsschritt Problemstellung Lösungsmöglichkeit Begründung der Lösung
Arbeitsschrittes Setzung Konzepte
Vollständigkeit; Saisonale und Jahresdurchschnittswerte
Ermittlung der Jahresdurchschnitts- Verbesserung der
Ermittlung des wetterbedingte sind ermittelbar und Durchschnittswerterrechnung
Heizkosten preis der letzten Jahre Kalkulation
VKP Schwankungen repräsentativ

Wer bekommt
Entschädigung für Entschädigung für
Vollständigkeit; Entschädigung? Kulturelle Angebote sind
Eintrittskartenverkauf? Entschädigung für Antiquitätenhändlerin liegt Kostenminimierung der
Ermittlung des Klosterverwaltung grundsätzlich Verlustgeschäf-
Ausgaben an Kloster- Antiquitätenhändlerin unter den orginären Kosten Klosterverwaltung
VKP oder Antiquitäten- te
verwaltung? des Selbstverkaufs
händlerin?

Notwendig zur
Branchenübliche
Versandkosten und Vollständigkeit; Ermittlung des
Provision und Akzeptanz des Kommissi- Gegebenenfalls höherer VKP
Provision für Kommissi- Ermittlung des (höheren) VKP für
durchschnittliche onärs oder geringere Gewinnmarge
onsgeschäft VKP Kommissions-
Versandkosten
geschäft
Begründung des In die Lösung einfließende Bei der Lösung verwendete
Modellierungsschritt Problemstellung Lösungsmöglichkeit Begründung der Lösung
Arbeitsschrittes Setzung Konzepte

Die Antiquitätenhänd-
lerin übernimmt den
Vollständigkeit; Sind zusätzliche Akzeptanz der Mehrkosten
Versandkosten für Transport zur Post;
Ermittlung des Kosten entstan- Synergieeffekt beim VKP beim Versandhan- Durchlaufender Posten
Versandverkauf Versandkosten
VKP den? del
werden in Rechnung
gestellt

Erfassung der
tatsächlichen
(nachgewiesenen)
Ermittlung der Vollständigkeit; Pauschalkostenbe- Die Häufigkeit der Fahrten ist
Fahrtkosten oder Einfachere, stabilere
Fahrtkosten der Ermittlung des rechnung der bekannt, ebenso die Handelskalkulation
Pauschalkosten- Kalkulation
Antiquitätenhändlerin VKP Kilometerleistung Fahrtstreckenlänge
berechnung der
gefahrenen
Kilometer
89
Anlage 28:

GOLDSCHNECKE – METHODEN DES RECHNUNGSWESENS

ZU UNTERSCHEIDEN SIND…

1. Einnahme-Überschussrechnung
2. Einfache Buchführung
3. Doppelte Buchführung

Zu 1.: Bei der EÜ werden die tatsächlichen Einzahlungen und Auszahlungen eines Wirtschafts-
jahres erfasst und gegebenenfalls um die laufenden Abschreibungen modifiziert. Es werden keine
Bestandskonten geführt, beispielsweise keine Kassenführung und keine Inventur. Ausgaben in
Form von Verbindlichkeitszunahmen oder Einnahmen in Form von Forderungszunahmen finden
keine Berücksichtigung. Es werden im Wesentlichen die reinen Zahlungsströme erfasst.
Zu 2.: Die einfache Buchführung berücksichtigt die jeweiligen Bestandsveränderungen, es fehlt
lediglich die entsprechende Gegenbuchung.
Zu 3.: Die doppelte Buchführung ist historisch als Kontrollmechanismus eingeführt worden. Zu
jeder „Sollbuchung“ gibt es entsprechende Gegenbuchung im „Haben“.
Die EÜ als Möglichkeit der Gewinnermittlung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der Gewinn-
und Verlustrechnung in der doppelten Buchführung. Es ist jedoch zu beachten, dass die EÜ andere
Vorgänge als die Erfolgsrechnung der doppelten Buchführung erfasst. Während in der doppelten
Buchführung Aufwendungen und Erträge (Sollbeträge, nach dem Prinzip der wirtschaftlichen
Verursachung) erfasst werden, berücksichtigt die EÜ grundsätzlich Betriebseinnahmen und
Betriebsausgaben (Ist-Beträge). Es gilt also das Zufluss-Abfluss-Prinzip.
Bei der EÜ wird gegenüber der doppelten Buchführung jeder Geschäftsvorfall nur einmal er-
fasst, dadurch bleibt ein Zugang und Abgang von Werten hier unberücksichtigt.
Der Vorteil liegt insbesondere darin, dass sie keine Inventur, kein Inventar und keine Bestand-
konten voraussetzt, dadurch entfällt auch die Einführung der Bilanz mit ihren schwierigen Fachbeg-
riffen, z. B. Eigenkapital.
Auf diese Weise kann zusätzlich der Vorteil genutzt werden, den Schülern zunächst die Grund-
kenntnisse der Gewinnermittlung zu erläutern (sprich EÜ-Rechnung) und sie danach erst langsam
zu der schwereren, einfachen und dann doppelten Buchführung hinzuführen.
Der Realitätsbezug wird dadurch plausibel, dass es sich chronologisch in der Unternehmenspra-
xis zumeist genau auf diese Weise vollzieht: ein Unternehmer gründet ein kleines Unternehmen und
beginnt mit der EÜ. Erst später, wenn das Unternehmen wächst und der Überblick durch die
zahlreichen Geschäftsvorgänge verloren zu gehen droht, wechselt er zur Gewinnermittlung durch
Bestandsvergleich.

90
Die EÜ wird nach folgendem Rechnungsschema ermittelt:1
Betriebseinnahmen
- Betriebsausgaben
= Einnahmen-/Ausgabenüberschuss
+ Ausgaben für langlebige, während der Periode angeschaffte oder hergestellte
Wirtschaftsgüter (WG) des Anlagevermögens (AV)
- Absetzung für Abnutzung (AfA) auf die abnutzbaren WG des AV
- Buchwert veräußerter oder entnommener WG des AV
= korrigierter Einnahmen-/Ausgabenüberschuss
- (Sach)einlagen
+ (Sach)entnahmen
= (steuerpflichtiger) Periodengewinn/-verlust
Neben dem bereits erwähnten Zu- und Abflussprinzip, dass im Bereich des Umlaufver-
mögens gilt, findet bereits bei dem Anlagevermögen das Periodisierungsprinzip Anwen-
dung.
Der Begriff der Betriebseinnahme ist weder handels- noch steuerrechtlich definiert. Die
Rechtssprechung hat analog zur Definition der Betriebsausgabe gem. §4 (4) EStG die
Betriebseinnahme als „allen Zugängen, die in Geld oder Geldeswert durch den Betrieb
veranlasst sind“ erklärt2. Die Betriebsausgaben und Betriebseinnahmen berücksichtigen
nicht die Tilgungen bzw. Gewährungen von Darlehen.

1
vgl. Biergans,E.: Einkommensteuer, 6. Auflage, München 1992, S. 673
2
vgl. Deutsches wissenschaftliches Steuerinstitut der Steuerberater e.V.: Handbuch der Steuerveranlagung, Auflage
2004, S. 268

91
Anlage 29:

Die neue Siedlung „Wiesenkuppe“

Beschreibung der Ausgangssituation

Auf einer Anhöhe in Kassel ist ein Neubaugebiet von 3 ha (1 Hektar = 10.000 m²) geplant, das
bereits im kommenden Frühjahr erschlossen werden soll. Innerhalb dieses Areals ist die Errichtung
von etwa 30 Ein- bis Dreifamilienhäusern vorgesehen. Um die neue Siedlung mit der nötigen
Infrastruktur auszustatten, plant das Bauamt der Stadt Kassel zwei neue Straßen (davon eine als
Ring angelegt und die andere als Verbindung zwischen zwei bereits vorhandenen Wohnsiedlun-
gen) mit einigen kleineren Sackgassen als Zufahrten. Viele Menschen aus einer der nahe gelege-
nen alten Siedlungen arbeiten bei Volkswagen in Baunatal und könnten, wenn die Anhöhe mit
Straßen erschlossen ist, sich einen 5 km langen Umweg zur Arbeit sparen. Darüber hinaus wird
auch ein Ärzte- und Geschäftshaus mit Einkaufszentrum für Lebensmittel, Apotheke, anderen
Ladenlokalen und mit ausreichenden Parkmöglichkeiten geplant. Einige Bürger hoffen, dass durch
den Zuzug vieler Familien und der Errichtung weiterer öffentlicher Einrichtungen die Attraktivität
der Gegend steigt. Auch wird der sich verkürzende Weg zur Arbeit positiv gesehen.
Die befürwortenden Sachverständigen raten vor allem aus ökonomischen Gründen das Projekt
durchzuführen. Sie führen im Wesentlichen die stagnierende Auftragssituation für die kleineren
Industrie- oder Familienbetriebe der Umgebung an. Für die Bauarbeiten der geplanten Infrastruktur
muss von städtischer Seite ein Ausschreibungsverfahren eingeleitet werden. In jedem Fall wird
davon ausgegangen, dass die beiden nahansässigen Bauunternehmen entweder am Straßenbau
oder zumindest an den Aushubarbeiten für den Häuserbau beteiligt sein und davon profitieren
werden. Auch für die nahe gelegenen Handwerksbetriebe erhofft man sich eine verbesserte
Auftragslage. Allerdings wird auch davon ausgegangen, dass viele Arbeiten der neuen Eigentümer
in Eigenleistung erbracht werden. Das bedeutet aber wiederum, dass umliegende Baumärkte ihren
Umsatz steigern können.
Zudem ist bereits eine Prüfung des Mutterbodens, der sowohl von den Grundstücken als auch für
den Bau der Straßen abgetragen werden muss, hinsichtlich seiner Eignung für die Errichtung eines
Lärmschutzwalls entlang des Wohngebiets neben der A49 angelaufen. Hierzu muss er eine
gewisse Fähigkeit besitzen. Ist dies nicht der Fall, ist er auf einer Deponie zu ‚entsorgen’.

Ein Teil der Bewohnerinnen und Bewohner der angrenzenden alten Siedlung steht dem Vorhaben
jedoch sehr kritisch gegenüber. Einige überlegen eine Bürgerinitiative zu gründen, da ihrer Ansicht
nach die artenreiche Flora und Fauna Schaden nehme.

92
Anlage 30:

Interview mit einer der Initiatorinnen und Initiatoren der geplanten Bürgerinitiative
Frau Liebewies1

Frau Liebewies, es ist mir zu Ohren gekommen, dass Sie eine entschiedene Gegnerin der
Neubausiedlung „Wiesenkuppe“ und sogar an der Gründung einer Bürgerinitiative beteiligt sind.
Bitte erläutern sie mir und unseren Lesern Ihren Standpunkt.

Ja, wo soll ich da anfangen ... Meine Gründe sind vielschichtig. Kennen Sie das Gebiet über das
wir hier reden? Es handelt sich um eine der wenigen in Kassel überhaupt noch vorhandenen
Stellen mit altem – und in jedem Falle erhaltenswerten – Baumbestand und weiten Wiesen. Dieses
sollte man unbedingt erhalten und die aus meiner Sicht vollkommen unnötige Versiegelung der
Landschaft nicht weiter vorantreiben. Das Gebiet ist Lebensraum für zahlreiche Kleintiere und
Insekten. Von dem Roten Milan ganz zu schweigen. Aber auch die Vielfalt der Pflanzen ist
beachtlich. Die sämtlichen Wiesenblumen und Gräserarten dürfen nicht weiterem Wohnraum zum
Opfer fallen! Wie in der Presse des öfteren zu lesen war, ist die Wohnlage in Kassel derzeit sehr
entspannt, so dass diese Siedlung schlicht und ergreifend überflüssig ist und ein Stück Natur
zerstört, ohne dass es meiner Meinung nach sinnvoll begründet werden kann. Wir würden uns mit
der Entscheidung für eine neue Siedlung sogar weiter die Luft zuschnüren, schließlich hat das
Gebiet die wertvolle Funktion einer „grünen Lunge“ für Kassel, was insbesondere aufgrund der
Kessellage und der damit ohnehin verbundenen schwierigen Frischluftsituation von besonderer
Bedeutung ist.
Als Anwohnerin genieße ich den idyllischen Blick ins Tal und auf den Herkules immer wieder aufs
Neue. Und beides würde durch den Bau der Siedlung gefährdet und da stimme ich mit der ganzen
Nachbarschaft überein!

1
Durchgeführt von einem Redakteur der lokalen Tageszeitung HNO

93
Anlage 31:

Interview mit einem zukünftigen Hauseigentümer der Siedlung „Wiesenkuppe“


Herrn Eigenmann2

Sie, Herr Eigenmann, wollen ein Grundstück im Gemarkungsbereich „Wiesenkuppe“ kaufen und
bebauen. Bitte erzählen Sie mir und unseren Lesern, aus welchen Gründen Sie sich zu diesem
Schritt entschlossen haben.

Bislang wohnen meine Frau und ich in der Friedrich-Ebert-Straße. Die Wohnung ist auch nicht
schlecht, vielleicht etwas klein, aber auf jeden Fall ist es dort schon recht laut. Und wissen Sie ...
wir beide kommen ursprünglich aus einer Kleinstadt und sind mit Haus und Garten groß geworden.
Das vermissen wir schon sehr. Das ist doch auch alles eine Frage der Lebensqualität. Deshalb
wollen wir uns den Traum erfüllen von einem schönen Häuschen mit Garten, so 700-800 m². Der
Quadratmeterpreis ist mit 130,- Euro noch recht günstig für Kasseler Verhältnisse, außerdem sind
die Bauzinsen sehr günstig im Moment. Da muss man doch zuschlagen.
Wir freuen uns bereits darauf, endlich der eigene Herr, oh Entschuldigung: natürlich auch die
eigene Frau (lacht und schaut zu seiner Frau hinüber) in unseren vier Wänden zu sein. Wegen
unserer Wohnung hatten wir schon mehrfach Krach mit dem Vermieter, weil dieser unsere
Fenster, durch die der Wind pfeift, nicht reparieren oder austauschen möchte. Aber das wird bald
ein Ende haben. Der Garten ist auch was für unsere zweijährige Sarah, außerdem planen wir noch
weiteren Nachwuchs. Am liebsten möchten wir noch zur Wiesenkuppe ziehen, bevor Sarah in den
Kindergarten kommt, dann kann sie gleich dauerhafte Freundschaften knüpfen und muss sich
nicht nach kurzer Zeit wieder umstellen. Uns sind sowieso die sozialen Kontakte zu der Nachbar-
schaft wichtig. Ich glaube, man kommt viel schneller ins Gespräch als es in der Anonymität im
Stadtzentrum möglich ist.
Na ja, und dann sind da die rein praktischen Gründe: Endlich finde ich problemlos einen Parkplatz.
Außerdem ist das Gebiet näher an meiner Arbeitsstätte. Kurzum: Ich freu mich drauf!

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durchgeführt von einem Redakteur der lokalen Tageszeitung HNO

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Anlage 32:

Der Rote Milan

Vom geschätzten Weltbestand des Roten Milans mit 17.400 bis 22.600 Brutpaaren (BP) brüten in
Deutschland anteilmäßig 9.200 bis 12.100 BP. Der Bestand in Ostdeutschland betrug 1991 7.300
BP. Eine der größten Konzentrationen ist in Sachsen / Anhalt mit 2.000 BP zu beobachten.
Gebiete mit hohen Siedlungsdichten bilden dabei die Magdeburger Börde und das Harzvorland.
Die weltweit größte Siedlungsdichte ist mit etwa 150 regelmäßig jährlich brütenden Paaren im
Hakel (Sachsen / Anhalt) zu verzeichnen. Im Gebiet der Stadt Halle an der Saale nisten rund 30
Brutpaare und zwar vorrangig in der Elster-Saale-Aue. Diese Bestandszahlen belegen – verglichen
mit unseren anderen heimischen Brutvögeln – eine einmalige Konstellation, die von allen deut-
schen Vogelschützern auch ein besonderes Engagement für den Schutz des Roten Milans
erfordert. Denn die Berichte von Johann Andreas Naumann (1803), der den Roten Milan als „... ein
so gemeiner Raubvogel, dass ihn jedermann kennt“ bezeichnete, gehören tatsächlich der Vergan-
genheit an. Die Ursachen dieser Entwicklung liegen in den grundlegend veränderten landwirt-
schaftlichen Anbauverhältnissen seit der deutschen Einheit im Osten Deutschlands. Mit den
gesunkenen Rinderbeständen reduzierte sich auch die Grünfutterfläche zugunsten einer immen-
sen Ausweitung des Rapsanbaus.
Damit änderte sich auch die nutzbare Nahrungsfläche für den Roten Milan. Parallel zu dieser
Entwicklung verschwand das Hauptnahrungstier des Milans, der Feldhamster, und zwar so, dass
aus einem „Anbauschädling“ ein Tier der Roten Liste wurde. Die Folge sind sinkende Reprodukti-
onszahlen. Flogen im Zeitraum von 1978 bis 1989 im Mittel noch 2,29 Jungvögel pro BP aus,
waren es von 1990 bis 1996 nur noch 1,5 Jungvögel pro BP. Diese Zahlen und Fakten können nur
aufgrund einer exakten Beobachtungs- und Erfassungstätigkeit ermittelt werden und sind wichtige
Diskussionsgrundlagen für einen effektiven Schutz dieses Greifvogels. Da der Rote Milan als
Zugvogel – nach der Erschließung der Müllkippen für sich als neue Nahrungsquellen – zunehmend
auch in Deutschland überwintert, ergeben auch die gesammelten Winterbeobachtungen Auf-
schluss über weitere Entwicklungstendenzen der Art.

Aufgabe
• Entwickeln Sie ein Konzept zur Feststellung einer „Wertschöpfung“, die durch die neue Siedlung
erreicht wurde!
Wie viel mehr oder auch weniger Wert ist nach dem Bau im Vergleich zu vor dem Bau der Siedlung
vorhanden?
• Welche Informationen müssen Sie beschaffen, um die Wertschöpfung mit Ihrem Konzept zu
bestimmen?

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Anlage 33:

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