Sie sind auf Seite 1von 8

DOI: 10.1002/piuz.

202101606

(Foto: Thom
ann)

Zur Physik
von Xylophon
und Marimba

Das
hölzerne Gelächter Im Fundus eines der Autoren
fand sich das in Abbildung 2 gezeig-
te Metallplättchen. Das Loch in einem
L eopold M athelitsch | I vo V erovnik der Knotenpunkte dient zur Aufhän-
gung. Die drei Kerben wurden zur Feinab-
stimmung gedrillt, auf dem Plättchen ist
­angegeben, dass es auf den Ton Fis gestimmt ist. Sein Fre-
Ein Spielzeug-Xylophon ist meist das erste Instrument quenzspektrum (Abbildung 2) zeigt einen starken Grund-
­unserer Kindheit. Xylophone und Marimbas gab es bereits ton bei f1 = 1485 Hz, was sehr gut mit dem angegeben Ton
(F#6, f = 1480 Hz) übereinstimmt. Eine zweite starke Reso-
in der Antike. Ihre Klangeigenschaften basieren auf einem nanz ist bei f2 = 4 021 Hz zu sehen, eine schwächere bei
interessanten Schwingungsverhalten. f3 = 7 840 Hz. Die Frequenzverhältnisse f2 /f1 = 2,71 und
f3 /f1 = 5,28 stimmen sehr gut mit den Verhältnissen aus der
Formel überein: f2 /f1 = 25/9 = 2,78, f3 /f1 = 49/9 = 5,44.
Die Länge L des untersuchten Plättchens ist 123,6 mm,

E in Stück Holz auf ein anderes zu schlagen erzeugt ein


typisches, angenehm anzuhörendes Geräusch. Darum
ist es nicht verwunderlich, dass solche Anordnungen be-
seine Dicke 4,25 mm, die Dichte r betrug 2 520 kg/m³. Da
wir das Material nicht kannten, haben wir mit Formel (1)
den Elastizitätsmodul E als 73 GPa bestimmt. Dies kommt
reits in der Antike als Musikinstrumente verwendet wur- dem Wert von Aluminium mit 70 GPa sehr nahe.
den, das griechische Wort Xylophon bedeutet „Holzklang“. Die Obertöne bei einem rechteckigen Plättchen sind
Im Mittelalter wurden Xylophone als hölzernes Gelächter keine Harmonischen des Grundtons. Der typisch klirrende
bezeichnet, eine modernere Form sind Marimbas. Klang ist aber nicht besonders unangenehm, da der erste
Klangtechnisch ähnlich, aber physikalisch einfacher zu Oberton sehr hoch, nicht mehr im optimalen Hörbereich
beschreibende Instrumente sind Glockenspiele. Dabei wird des Ohrs liegt.
durch Schlagen auf Metallplättchen ein wohldefinierter
Klang erzeugt, wobei das Plättchen hauptsächlich zu verti-
kalen Schwingungen angeregt wird. Abbildung 1 zeigt die A BB. 1 S CH W I N G U N G E N E I N E S P L Ä T T C HEN S
ersten drei Moden.
Da beide Enden frei schwingen können, ergeben sich
in der einfachsten Mode zwei Knoten. Um die Schwingung
nicht zu beeinträchtigen, sind die Plättchen im Instrument
genau an diesen Stellen aufgehängt oder aufgelegt. Die Fre-
quenzen der Schwingungsmoden n sind durch folgende
­Näherungsformel gegeben [1]:

π h E
ρ ( 2 n + 1) , n = 1, 2, 3, ... (1)
This is an open fn =
2
access article under 8 12 L2
the terms of the
Creative Commons L ist die Länge und h die Dicke des Plättchens, E gibt den
Attribution License, Elastizitätsmodul und r die Dichte des Materials an. Es ist
which permits use, interessant, dass die Breite des Plättchens keinen Einfluss
distribution and
auf die Frequenz seiner Schwingungen hat. Eine nume­
reproduction in any
medium, provided rische Vergleichsrechnung zeigt, dass die niedersten Fre-
the original work is quenzen durch diese Formel besser als 1 % Abweichung Die einfachsten Schwingungsformen eines rechteckigen
properly cited. wiedergegeben werden [2]. Plättchens mit zwei freien Enden.

Online-Ausgabe unter: © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


138 Phys. Unserer Zeit 3/2021 (52) 
wileyonlinelibrary.com Wiley-VCH GmbH
X ylopho n u n d M a r i mba P hys i k un d M us i k

Klingendes Holz A BB. 2 ME T A L L P L Ä T T CH E N


Dies ist nicht mehr der Fall, wenn man Marimbas und
­Xylophons betrachtet, deren hölzerne Klangstäbe tiefere
Grundfrequenzen aufweisen. Meist wird sehr hartes Holz
wie Palisander oder Nuss verwendet, um eine längere Halt-
barkeit und Schwingungsdauer zu erreichen. Abbildung 3
zeigt ein Marimbaplättchen, das auf C4 (f = 261,6 Hz) ge-
stimmt ist, die Messungen ergaben einen Wert von 264 Hz.
Die Obertöne sind sehr schwach ausgeprägt. Der erste
Oberton liegt allerdings nicht gemäß Formel (1) bei 734 Hz,
sondern bei 523 Hz. Damit befindet er sich im harmoni-
schen Verhältnis zum Grundton.
Ursache der Harmonie ist die ungleichmäßige Dicke
des Plättchens (Abbildung 3). Durch eine Änderung der Metallplättchen und dazugehöriges Frequenzspektrum.
Form ist es möglich, Grund- und Oberton separat zu variie-
ren. Die größte Frequenzänderung bewirkt man, wenn man A BB. 3 MA R I MB A
die Masse an den Schwingungsbäuchen ändert, am wenig­
sten bei den Schwingungsknoten. Damit ergibt sich folgen-
de Strategie [3]:
–– Abtragen von Masse an den Enden erhöht die Frequenzen
von Grund- und Obertönen.
–– Abtragen von Masse in der Mitte (Abbildung 3) senkt
die Frequenz des Grundtons ab.
–– Abtragen von Masse weiter außen, aber innerhalb der
Knoten der ersten Oberschwingung (Abbildung 1), redu-
ziert die Frequenz des ersten Obertons.
Traditonell mussten die Instrumentenbauer durch Versuch
und Irrtum – und Erfahrung – die richtigen Stellen finden
und die Menge des dort abzutragenden Holzes abschätzen.
Heute helfen numerische Berechnungen mit finiten Ele-
menten.
Die Plättchen werden durch Schlägel, auch Mallets ge-
Holzplättchen einer Marimba mit Resonator und dazugehöriges Frequenzspektrum.
nannt, angeschlagen. Diese bestehen aus einem Stiel aus
Holz und einem kleinen Kopf aus Holz oder Kunststoff, der
meist mit Garn umwickelt ist. Die Eigenschaften der Mallets signifikant anderes Schwingungsverhalten als solche mit
haben ebenfalls einen Einfluss auf den Klang. Härtere und Holzplättchen. Deren Klang lässt sich durch Feilen an den
leichtere Köpfe produzieren einen obertonreichen, helle- richtigen Stellen in einem weiten Bereich abstimmen.
ren Klang. Weichere und schwerere Köpfe haben länger
Kontakt mit den Plättchen, dämpfen die Obertöne und füh- Stichwörter
ren zu einem dunkleren, runderen Klang. Xylophon, Marimba, Klangstab, Grundton, Oberton, Reso­
Abbildung 3 zeigt auch, dass das Holzplättchen auf nator.
­einem Hohlraum befestigt ist, der als Resonator dient. Sehr
häufig sind Xylophone und Marimbas mit Resonatoren Literatur
­unterschiedlicher Länge ausgestattet. Diese sind auf die [1] Th. D. Rossing, The Science of Sound, Addison-Wesley, Reading 1983.
[2] B. H. Suits, Am. J. Phys. 2001, 69(7), 743.
Grundfrequenz der Stäbchen abgestimmt. Da sowohl die
[3] N. F. Fletcher,Th. D. Rossing, The Physics of Musical Instruments,
Plättchen als auch die Resonatoren harmonische Obertöne Springer, New York 1998.
aufweisen, verstärken diese auch Obertöne und bewirken
damit einen tragfähigen, gut abgestimmten Klang, der man- Die Autoren
chen wie ein hölzernes Gelächter vorkommt. Leopold Mathelitsch und Ivo Verovnik verfassen seit 2013 die Serie „Physik
und Musik“.
Zusammenfassung Anschriften
Ein Spielzeug-Xylophon ist meist das erste Instrument unse­ Prof. Dr. Leopold Mathelitsch, Institut für Physik, Karl-Franzens-Universität
Graz, Universitätsplatz 5, A-8010 Graz, Österreich.
rer Kindheit – wenn auch mit Metallplättchen als Klang­
leopold.mathelitsch@uni-graz.at
erzeuger. Dabei bedeutet das Wort Xylophon im Griechi­ Dr. Ivo Verovnik, Pädagogische Fakultät,
schen „Holzklang“. Xylophone und Marimbas gab es bereits Universität Maribor, Koroska cesta 160, Sl-2000 Maribor, Slowenien.
in der Antike. Instrumente mit Metallplättchen zeigen ein iverovnik@siol.net

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 3/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 139
DOI: 10.1002/piuz.202101600

Zweidimensionale und
Van-der-Waals-Kristalle

Bose-Einstein-
Kondensat aus
Exzitonen?
U rsula W urstbauer | A lexander W. H olleitner

Abb. 1 Lichtmikroskop-Aufnahme einer WS2-Mono- und


Multilage auf einem Siliziumdioxid-Substrat. Der fast trans-
Zweidimensionale Kristallsysteme faszinieren, weil sie stark parente Teil des Kristalls ist eine Monolage, mit zunehmen-
ausgeprägte Vielteilchenphänomene bei den Ladungsträgern der Anzahl der Lagen wird der Kristall immer weniger durch-
sichtig (Bild: V. Döring, D. Tiede, WWU).
zeigen. Das boomende Forschungsgebiet konzentriert sich
längst nicht mehr nur auf einlagige Kristallsysteme wie
­Graphen. Schichtweise aufeinandergestapelt, ermöglichen unterstützt Quanteneffekte und ist daher für die Beobach-
tung der darin auftretenden Vielteilchenphänomene inter-
künstliche Van-der-Waals-Kristalle eine Fülle neuartiger phy­ essant.
sikalischer Systeme. In halbleitenden Heterostrukturen ge­ Ein prominentes Beispiel hierfür sind hochmobile zwei-
lang es uns nun, erste Hinweise für ein optisch generiertes dimensionale Systeme in Siliziuminversionsschichten – sol-
che Schichten sind in konventionellen Halbleiterbauele-
Bose-Einstein-Kondensat von Exzitonen zu finden. menten eigentlich die an Ladungsträgern verarmten Zonen.
Ein anderes Beispiel sind sogenannte Quantentröge aus
modulationsdotiertem Galliumarsenid (GaAs), in denen ver-

M it der Entdeckung des Quanten-Hall-Effekts, für die


Klaus von Klitzing 1985 den Nobelpreis für Physik
erhielt (s. Physik in unserer Zeit 2019, 50(3), 116), wurde
stärkt Elektronenkorrelationen entstehen. Diese Strukturen
können zum Beispiel fraktionale Quanten-Hall-Zustände
oder periodische Anordnungen von Elektronen (Electron
deutlich: Zweidimensionale (2D) Ladungsträgersysteme Solids) ausbilden. Solche und weitere korrelierte Phasen
besitzen ganz besondere, faszinierende Quanteneigenschaf- treten meist bei sehr niedrigen Temperaturen und hohen
ten. Das liegt daran, dass sich die Ladungsträger innerhalb Magnetfeldern auf.
einer Ebene frei bewegen können; ihre Bewegung in der Alle diese Beispiele stehen allerdings noch für eigent-
dritten Dimension hingegen wird entweder direkt durch lich dreidimensionale Strukturen, die so gestaltet sind, dass
die Zweidimensionalität, also Flachheit, des Materials selbst in ihnen zweidimensionale Ladungsträgersysteme entste-
oder durch ein quantenmechanisches Einschlusspotential hen. Noch viel ausgeprägter sind die mit der Dimensio­
eingeschränkt. nalität verbundenen und durch Wechselwirkungseffekte
2D-Systeme (Abbildung 1) sind für die physikalische getriebenen Quantenphänomene in „echten“ 2D-Kristallen.
Grundlagenforschung und innovative Technologien sehr Einige Effekte sind darin sogar erst realisierbar, weil hier
interessant. Sie besitzen hochmobile Ladungsträger, neben die Abschirmeffekte so gering sind, dass die Ladungsträger
Elektronen sind dies in zweidimensionalen Halbleiterkris- stark miteinander wechselwirken. Echte zweidimensionale
This is an open
tallen – unserem eigenen Forschungsgebiet – auch Löcher. Kristalle haben daher nicht nur einen 2D-Charakter im Im-
access article under
the terms of the Vor allem aber reduziert die Zweidimensionalität die Ab- pulsraum, sondern auch im realen Raum. 2D-Kristalle bie-
Creative Commons schirmung der Umgebung im Vergleich zu dreidimensiona- ten überdies die Möglichkeit einer weiteren Miniaturisie-
Attribution License, len Kristallen. Damit „spürt“ ein Ladungsträger die Anwe- rung von aktiven und passiven elektronischen Bauelemen-
which permits use, senheit der anderen Ladungsträger viel stärker über die ten in allen Raumdimensionen. Darüber hinaus lassen sich
distribution and solche 2D-Kristalle durch „Aufeinanderstapeln“ zu hybri-
Coulomb-Wechselwirkung, was zu einem ausgeprägtem
reproduction in any
medium, provided Quanten-Vielteilchenverhalten führen kann. Die Forschung den Systemen aus verschiedenen Materiallagen kombinie-
the original work is spricht von korrelierten bis hochkorrelierten Ladungsträ- ren. Sie bieten damit aufregende Perspektiven für neue
properly cited. gersystemen. Der reduzierte Phasenraum in 2D-Systemen Phänomene und Mate­rial­systeme.

Online-Ausgabe unter: © 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


140 Phys. Unserer Zeit 3/2021 (52) 
wileyonlinelibrary.com Wiley-VCH GmbH
zw e i d i m e n s i o n al e k r i s tall e fes t kö r pe r P H Y S I K

Zweidimensionale Kristalle A BB. 2 Z W E I D I ME N S I O N A L E K R I S T A L L E


Zweidimensionale Kristalle sind hochgeordnete Struktu-
ren mit einer Schichtdicke von nur einem Atom oder we-
nigen Atomen. Die aus ihnen aufgebauten Volumenmate-
rialien sind in der Regel sandwichartige Schichtstrukturen.
In der Ebene sind die Atome der 2D-Kristalle durch kova-
lente oder ionische Bindungen stark gebunden. Bei Volu-
menmaterialien hingegen sind die einzelnen 2D-Kristall-
schichten nur durch schwache Van-der-Waals-Kräfte zu
„Stapeln“ gekoppelt. Der bekannteste Van-der-Waals-Kris-
tall ist Graphit, das in Bleistiften, als trockenes Schmiermit-
tel, aber auch in der Leistungselektronik Anwendung fin-
det (Abbildung 2).
Lange Zeit wurde angenommen, dass rein zweidimen-
sionale Festkörperkristalle thermodynamisch instabil sind,
wenn sie aus Volumenkristallen isoliert werden. Erst 2004 a) Gittermodell einer Monolage Graphen, das aus hexagonal angeordneten Kohlen-
stoffatomen besteht. b) Gittermodell einer Monolage von hexagonalem Bornitrid,
zeigten Andre Geim und Konstantin Novoselov anhand von
das aus Bohr- und Stickstoffatomen besteht. c) Gittermodell einer Monolage eines
Graphit: Tatsächlich können einzelne Monolagen, Graphen Übergangsmetall-Dichalkogenids (ÜMDC), das ebenfalls eine hexagonale Gitter-
genannt, oder auch wenige Atomlagen dünne, lateral mak- symmetrie aufweist. Ein Übergangsmetall M, zum Beispiel W oder Mo, ist hier mit
roskopisch ausgedehnte Kristallmembrane vom Volumen- zwei Chalkogenatomen X, etwa S oder Se, koordiniert. Damit besteht eine Monolage
material isoliert und auf ein beliebiges Trägersubstrat über- aus einer kovalent gebundenen Dreifachstruktur (links). Rechts: Beim Stapeln sind
die Lagen über Van-der-Waals-Kopplung gebunden, und in der natürlichen Stapel-
tragen werden [1]. Dieses mikromechanische Spalten kann
folge besitzt die Doppellage ein Symmetriezentrum (roter Punkt zwischen den
mit einem handelsüblichen Klebefilm erfolgen. Die so über- Lagen).
tragenen, weniger als 1 nm dünnen Kristalle sind sogar auf
vielen Substraten mit einem einfachen Lichtmikroskop und
A BB. 3 MI K R O ME CH A N I S CH E S S P A L T E N
dem menschlichen Auge sichtbar, dank eines hohen opti-
schen Phasenkontrasts durch Interferenz von dünnen
Schichten.
Nach der 2010 mit dem Physik-Nobelpreis gekrönten
Entdeckung von Graphen wurden zahlreiche weitere 2D-
Kristalle mit oft faszinierenden Eigenschaften identifiziert.
2D-Materialien decken eine Vielzahl physikalischer, mecha-
nischer und chemischer Eigenschaften ab. Mittlerweile sind
Materialien mit metallischen, halbleitenden, ferromagneti-
schen und supraleitendenden Eigenschaften bekannt. Hin-
zu kommen niedrigdimensionale Materialien, die besonde- Probenherstellung durch mikromechanisches Spalten, dazu dient ein Klebefilm auf
re topologische Eigenschaften oder das schon erwähnte einem viskoelastischen Stempel. Damit wird die erste Monolage auf ein Substrat
korrelierte Ladungsträger-Verhalten zeigen. Manche 2D- übertragen, das sich auf dem Objektivträger eines Mikroskops befindet (links). Vor
Materialien sind auch als Trägermaterial von Einzelphoto- dem Auflegen der zweiten Monolage wird dieser entweder verschoben und/oder
nen-Lichtquellen einsetzbar. gedreht (Mitte und rechts). Unten: jeweils Seitenansicht.
Viele 2D-Kristalle sind mechanisch erstaunlich robust
und dennoch flexibel. Überdies existieren inerte und (pho-
to-)katalytisch aktive Materialien; und es wurde aufgezeigt, Vielteilchen-Phänomene
dass 2D-Transistoren mindestens gleichwertige, teils besse- Liegen zwei verschiedene 2D-Kristalle aufeinander, dann
re Eigenschaften als etablierte Bauelemente aus Silizium gibt es zwischen ihnen verschiedenste Effekte der Wech-
oder Galliumarsenid besitzen [2]. Auch wurde bereits der selwirkung und damit der Hybridisierung von Orbitalen.
Prototyp eines rein zweidimensionalen Mikroprozessors Daher kann man die physikalischen Eigenschaften durch
aus 2D-Materialien mit Strukturgrößen im Mikrometerbe- geschickte Kombination verschiedener 2D-Einzellagen zu
reich realisiert [3]. neuartigen Van-der-Waals-Kristallen maßschneidern (Abbil-
Der eigentliche Vorteil dieser Materialien besteht aller- dungen 3 und 4). Dazu zählt auch, dass man die Monolagen
dings darin, dass sie durch sogenanntes deterministisches in der Kristallrichtung leicht gegeneinander verdreht kom-
Stapeln beliebig kombiniert werden können. Damit sind binieren kann, wobei bereits minimale Änderungen im Ro-
Van-der-Waals-Materialien nicht den Einschränkungen un- tationswinkel zu völlig unterschiedlichem Verhalten führen
terworfen, die sich in konventionellen 3D-Kristallen aus können.
den starken chemischen Bindungen zwischen den einzel- Kürzlich wurde gezeigt, dass zwei um etwa 1,1° gegen-
nen Kristallebenen ergeben. einander verdrehte Graphenlagen stark korreliertes Ladungs-

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 3/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 141
trägerverhalten zeigen. In einer solchen Doppellage fand Waals-Zweilagen-Systeme vorhergesagt [5, 6]. Eine beson-
sich bei diesem magischen Winkel bei kryogenen Tempe- dere Rolle spielen hierbei halbleitende Übergangsmetall-
raturen um 1 K eine supraleitende Phase. Diese liegt im Dichalkogenide (ÜMDC, Abbildung 2c) wie Molybdän-Di-
Phasendiagramm wiederum in der unmittelbaren Nähe ei- sulfid (MoS2), bekannt auch als Molybdänit, das als
ner entstehenden – emergenten – isolierenden und einer trockenes Schmiermittel zum Beispiel für Motorrad- und
magnetisch geordneten Phase [4]. Dieses korrelierte, also Fahrradketten Verwendung findet, oder Wolfram-Diselenid
durch komplexe Wechselwirkungseffekte induzierte Verhal­ (WSe2) und Molybdän-Diselenid (MoSe2) (Abbildung 6) so-
ten ist das Resultat eines durch die Rotation entstandenen, wie Wolfram-Disulfid (WS2).
periodischen Moiré-Übergitters (Abbildung 5). Im Energie- Diese ÜMDC besitzen eine von der Anzahl der Lagen
bandschema führt es zu einer sehr flachen Minibandstruk- abhängige Bandlücke im sichtbaren bis nahinfraroten Ener-
tur. giebereich zwischen etwa 1,1 und 2,2 eV. Für die Einzella-
Solche über die Ladungsträgerdichte und Rotationswin- gen sind die ÜMDC direkte Halbleiter: Sie lassen im Impuls-
kel durchstimmbaren, emergenten Quantenzustände sind raum einen vertikalen Übergang zwischen Leitungsbandmi-
nicht nur für Graphen, sondern allgemein für Van-der- nimum und Valenzbandmaximum für ein Elektron zu, das
ein entsprechendes Photon absorbiert oder emittiert.
Zwei- und Mehrlagen sind hingegen indirekte Halbleiter
A BB . 4 TRA NS F ER-M I KROS K OP (Abbildung 6a), das heißt für optische Interbandübergänge
ist eine Beteiligung von quantisierten Gitterschwingun-
gen – Phononen – zur Impulserhaltung notwendig.
Die Familie von „gestapelten“ 2D-Kristallen in ihrer Ge-
samtheit nimmt somit eine Sonderstellung innerhalb der
dreidimensionalen Kristalle ein. Sie sind einerseits als Quan-
tenmaterialien wie geschildert durchstimmbar, was ver-
schiedenste Quantenzustände hervorbringt. Andererseits
bieten ihre charakteristischen Eigenschaften ein Potenzial
für Anwendungen in der bislang von Silizium dominierten
Elektronik: Photovoltaik, Spintronik, Sensorik und diverse
Formen der Festkörper-Beleuchtung (Solid-State Lightning)
wie LED oder OLED. Wegen ihrer besonderen elektroche-
mischen Eigenschaften eignen sie sich zudem für die Ent-
wicklung neuer Katalysatoren.

Bei einem solchen Transfer-Mikroskop kann man die Proben- Exzitonen in 2D-Kristallen
plattform (blau) und den Transferarm für die Probe (rot) über Das bislang diskutierte korrelierte Vielteilchen-Verhalten
Mikrometerschreiben und Steppermotoren präzise in x,y,z- wird von Bandelektronen bedingt, die im gitterperiodi-
Richtung einstellen – also die Rotation und Neigung beim schen Potential auf erlaubten Energiebändern wechselwir-
Stapeln verschiedener Monolagen (Bild: nach F. Sigger, TUM).
ken. ÜMDC sind aber Halbleiter, weshalb Elektronenfehl-
stellen im Valenzband des Kristallgitters, also Löcher, als
A BB . 5 M oir é-Ü b ergitter effektiv positive Ladungsträger ins Spiel kommen. Über die
Coulomb-Wechselwirkung ziehen Elektronen und Löcher
sich gegenseitig an und bilden starke gebundene Elektron-
Lochpaare, sogenannte Exzitonen.
Die starke Coulomb-Wechselwirkung lässt sich mit der
reduzierten Abschirmung des elektrischen Feldes zwischen
Elektron und Loch erklären, die ihre Ursache in der spezi-
ellen dielektrischen Umgebung in den 2D-Kristallen hat.
Analog zum Wasserstoffatom kann man die Energieeigen-
werte eines Exzitons nach dem Rydberg-Modell als eine
Folge aus Grundzustand und angeregten Zuständen n an-
nähern (Abbildung 7a):
1 1
E Xn ∝ ,
Moiré-Übergitter aus zwei gestapelten 2D-Kristallen mit
( n − 1/2)2 ε 02ε r2
jeweils hexagonalem Gitter und identischen Gitterkonstan-
ten, also Atomabständen. Sie sind um etwa 4° gegeneinander mit e0 der Permeabilität des Vakuums und er des Kristalls.
verdreht. Die schwarze Raute umschließt eine Einheitszelle Das Besondere ist nun, dass im strikten 2D-Fall die Um-
des Moiré-Gitters. gebung und der Kristall sehr unterschiedliche Permeabili-

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


142 Phys. Unserer Zeit 3/2021 (52) www.phiuz.de Wiley-VCH GmbH
zw e i d i m e n s i o n al e k r i s tall e fes t kö r pe r P H Y S I K

täten besitzen (e0 < er, Abbildung 7c). Meist befindet sich der A BB. 6 Ü b ergangsmetall - Dichalkogeni de
Kristall auf einem isolierenden Substrat und ist entweder
mit einer isolierenden Deckschicht (Abbildung 6) oder Va-
kuum beziehungsweise Luft umgeben. Dies ermöglicht die
gezielte Beeinflussbarkeit der Bindungsenergie der Exzito-
nen durch die dielektrische Umgebung [12, 13].
Regt man nun immer höhere Zustände des Exzitons an,
dehnt es sich mit wachsendem Bohr-Radius weiter aus als
im Grundzustand. Damit fällt ein räumlich immer größerer
Anteil des elektrischen Feldes zwischen Elektron und Loch
innerhalb des 2D-Kristalls ab. Die so erhöhte Abschirmung
durch den Kristall schwächt die Bindung zwischen Elekt-
ron und Loch. Je höher ein solches Exziton angeregt wird,
desto schwächer ist es also durch die dielektrische Umge-
bung, etwa dem Substrat, beeinflussbar. Grundsätzlich
sorgt dieser Sprung zwischen Kristall und Umgebung dafür,
dass der energetische Abstand zwischen Grundzustand und
angeregten Zuständen des Exzitons in 2D-Materialien vom
theoretischen Wasserstoffspektrum abweicht [14, 15].
Insgesamt führt die reduzierte Abschirmung von Elek­
tron-Lochpaaren dazu, dass die Licht-Materie-Wechselwir-
kung in zweidimensionalen Halbleitern von exzitonischen a) Vereinfachte Darstellung der Bandanpassung in einer Hetero-
Effekten dominiert wird und sehr groß sein kann. So wer- struktur aus MX2, WX2 (X = S, Se). b) Diese Van-der-Waals-
Heterostrukur besteht aus einer MoSe2- und einer WSe2-Lage,
den von einem weniger als 1 nm dünnen MoS2-Kristall
zum Schutz gegen Einfluss von Adsorbaten eingekapselt in
mehr als 15 % des Lichts bestimmter Wellenlängen absor- isolierendem, hexagonalem Bor­nitrid (hBN). c) Lichtmikroskop-
biert [16]. Das macht das Material sehr interessant für die bild einer solchen hBN/MoSe2/WSe2/hBN-Heterostruktur (Auf­
Anwendung in Solarzellen. In diesem Zusammenhang ist zu nahme: L. Sigl, M. Troue, TUM).
erwähnen, dass es mittlerweile zunehmend Erfolge bei der
großflächigen und somit kosteneffizienten Herstellung von
A BB. 7 EXZITONEN
2D-Kristallen gibt. Beispiele sind die Abscheidung und das
Kristallwachstum aus der Gasphase oder die chemische
Delamination, also Ablösen von einzelnen Schichten vom
Volumenkristall, in Kombination mit speziellen Beschich-
tungsverfahren.

Exzitonisches Bose-Einstein-Kondensat
Auch für die Grundlagenforschung sind Exzitonen sehr in-
teressant. Als gebundener Zustand von zwei fermionischen
Teilchen, die halbzahligen Spin besitzen, haben Exzitonen
einen ganzzahligen Spin. Quantenmechanisch können sie
daher durch eine bosonische Wellenfunktion beschrieben
werden. Als bosonische Quasiteilchen genügen Exzitonen
somit der Bose-Einstein-Statistik, Elektronen als Fermionen
hingegen der Fermi-Dirac-Statistik. Ein weiterer signifikanter
Unterschied zwischen beiden Teilchenarten besteht darin,
dass Fermionen dem Paulischen Ausschlussprinzip unter- a) Elektronische und exzitonische Dispersion im Vergleich. Die elektronische Band-
liegen und somit zwei Fermionen nicht gleichzeitig an dem- struktur beschreibt das Einteilchenverhalten. Sie kann daher optische Übergänge
selben Ort im identischen Quantenzustand existieren kön- von gebundenen Elektron-Lochpaaren (Exzitonen) nicht korrekt darstellen, weil die
Bindungsenergie zu Zuständen in der Bandlücke zwischen Valenz (VB)- und Lei-
nen. Mehrere ununterscheidbare Bosonen können jedoch tungsband (LB) führen würde (rote Linien). Die optisch gemessene Energie Eoptisch
den gleichen quantenmechanischen Zustand einnehmen. von Interbandübergängen in Emissions- oder Absorptionsexperimenten ist um die
Der Grundzustand eines solchen bosonischen Vielteil- exzitonische Bindungsenergie (Eexc) im Vergleich zur Bandlücke Egap reduziert. Die
chen-Ensembles ist ein Bose-Einstein-Kondensat (Bose-Ein- Rydberg-Zustände der Exzitonen ähneln dem Wasserstoffspektrum und sind in
stein Condensate, BEC). Ein weitestgehend griffiges, klassi- einer Vielteilchen-Dispersion (Exzitonen-Dispersion) dargestellbar. b) Exziton in
einem Volumenmaterial (3D) und c) in der Monolage eines 2D-Kristalls. Im 2D-Fall
sches Analogon sind geeignete gekoppelte Oszillatoren, die führt die reduzierte Abschirmung durch die dielektrische Umgebung zu einer stär-
sich spontan synchronisieren. Ein anschauliches Beispiel keren Bindung zwischen Elektron und Loch. Diese Bindung kann durch die elektri-
sind Metronome auf einer sich frei bewegenden Platte (Ab- sche Umgebung, zum Beispiel das Substrat, beeinflusst werden (b, c nach [14]).

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 3/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 143
bildung 8). Natürlich sind die Exzitonen quantenmecha- gie besitzen. Zudem müssen sich die Exzitonen unterhalb
nisch zu beschreiben. Dennoch sorgen Wechselwirkungen einer kritischen Entartungstemperatur befinden, die unter
wie die exzitonische Dipolwechselwirkung für eine pha- anderem von der Teilchendichte des bosonischen Ensem-
senstarre Synchronisierung der Wellenfunktionen. bles und der Bindungsenergie der Exzitonen abhängt. Um
Während man bei quantenmechanischen Eigenschaften allerdings das Phänomen und die besonderen Eigenschaf-
zumeist an die Zustände einzelner Teilchen oder nanoska- ten eines BEC für moderne Quantentechnologien nutzbar
liger Objekte denkt, die über die zugehörige Wellenfunk­ zu machen, ist ein Kondensat erstrebenswert, das bei ver-
tion mit eindeutiger Amplitude und Phase bestimmt sind, nünftig erreichbaren Temperaturen auf einem skalierba-
ist ein BEC ein makroskopischer Zustand von vielen delo- ren festkörperbasierten Chip realisierbar und steuerbar
kalisierten Bosonen, die durch eine einzige Wellenfunktion ist.
mit identischer Phase beschrieben werden. Dieses faszi­ Bereits 2014 wurde anhand eines einfachen theoreti-
nierende Phänomen eines kollektiven, makroskopischen schen Modells vorhergesagt, dass exzitonische Suprafluidi-
Quantenzustands bewirkt eine langreichweitige Phasenko- tät, also ein exzitonisches BEC, in ÜMDC-Bilagensystemen
härenz. Diese erlaubt es, quantenphysikalische Phänomene nahe der Raumtemperatur realisiert werden kann [8]. Da
im Bereich von klassischen Zeit- und Längenskalen zu be- die Exzitonen wie bereits diskutiert analog zum Wasser-
obachten [7]. Mittlerweile wurden Bose-Einstein-Konden- stoffatom beschrieben werden können, sind die Bindungs-
sate mit unterschiedlichen Atomen in magnetooptischen energie und der effektive Bohr-Radius direkt miteinander
Fallen im Mikrokelvin-Bereich erzeugt. Für verschiedene verknüpft. Der Radius für Exzitonen in 2D-Kristallen ist im
Quasiteilchen, darunter Exzitonen, wird die Möglichkeit Bereich von nur einem Nanometer bis wenigen Nanome-
solcher Kondensate in Zweilagen-Halbleiterkristallen disku- tern zu finden [11]. Der kleine exzitonische Bohr-Radius in
tiert – bislang meist in Systemen, die auf Galliumarsenid ÜMDC hat einen unmittelbaren Einfluss auf die Exzitonen-
(GaAs) basieren [7]. dichte nX und somit auf die Entartungstemperatur
Eine solche Kondensation funktioniert grundsätzlich
nur in Ensembles von stark wechselwirkenden Exzitonen. TE ∝ nX /kB ,
Sie müssen dazu entartet sein, das heißt, die gleiche Ener-
mit dem Boltzmann-Faktor kB [8]. Je kleiner der Bohr-Radi-
us der Exzitonen, umso höher ist ihre Dichte und umso
A BB. 8  BOSE-EINSTEIN-KONDENSAT AUS EXZITONEN
höher die Entartungstemperatur, also die Übergangstempe-
ratur zu einem korrelierten System. Ende 2019 und 2020
gelang es zwei unabhängigen Teams, in den USA und in
unseren Münchner und Münsteraner Gruppen, erste expe-
rimentelle Anzeichen für einen Vielteilchenzustand von
Exzitonen in MoSe2/WSe2-Doppellagen bis zu einer Tempe-
ratur von etwa 10 K zu finden [9, 10], welcher die Signatur
eines Kondensats aufweist.
Die Experimente nutzten aus, dass sich die Elektronen
der Exzitonen im Leitungsband einer ÜMDC-Monolage, ih-
re Löcher hingegen im Valenzband einer anderen Lage be-
finden (Abbildung 6). Das reduziert in diesen Zweilagensys-
temen den räumlichen Überlapp der Wellenfunktionen der
Elektron-Lochpaare signifikant, was die Lebenszeit der Ex-
zitonen verlängert und so experimentell zugängig macht.
Die räumliche Ladungstrennung sorgt für ein Dipolmo-
Oben: Schematische Darstellung eines Ensembles aus Exzito-
ment, das die Wechselwirkung zwischen den Exzitonen
nen mit parallelem Dipolmoment. Grundvoraussetzung für ein verstärkt. Kondensate aus derartigen dipolaren Exzitonen
BEC ist, dass alle Exzitonen gleiche Phase und Energie aufwei- wurden bereits für konventionelle Quantentrogsysteme in
sen, also synchron sind. Synchronisation ist allerdings zwar 3D-Halbleiterstrukturen diskutiert [11]. Dort ist die Bin-
notwendig, aber keine hinreichende Bedingung zur Bose- dungsenergie der Exzitonen jedoch zwei Größenordnun-
Einstein-Kondensation und ein klassisches Phänomen. Unten:
Eine klassische Veranschaulichung bietet die Selbstsynchroni-
gen schwächer und somit die Dichte nX der Exziton-Ensem-
sation mechanischer Metronome, die die einem rollbargela- bles viel geringer als in 2D-Kristallen, wo die Bindungsener-
gerten Brett parallel aufgestellt sind. Anfänglich schwingen gie im Bereich von 0,5 eV liegt.
die Metronome mit leicht verstimmten Frequenzen, also Ener-
gie, und beliebigen Phasendifferenzen untereinander. Durch Ausblick
Impuls- und Energieübertrag über die bewegliche Unterlage
gleichen sich die Metronome in Frequenz und Phase an und
Die beschriebenen Experimente zeigen, dass zweidimensi-
schwingen nach einer gewissen Synchronisationsphase syn- onale Materialien besonders interessant für die Grundlagen-
chron (Video siehe unter Zusatzmaterial). ­ forschung sind. Hinzu kommt: Weil sie nicht durch Kristall-

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


144 Phys. Unserer Zeit 3/2021 (52) www.phiuz.de Wiley-VCH GmbH
zw e i d i m e n s i o n al e k r i s tall e fes t kö r pe r P H Y S I K

bindungen zwischen den Ebenen limitiert sind, können die Literatur


2D-Kristalle nahezu beliebig mit anderen Materialien oder [1] K. S. Novoselov et al., Science 2004, 306, 666.
untereinander kombiniert werden. Damit kann man neuar- [2] B. Radisavljevic et al., Nat. Nanotechnol. 2011, 6, 147.
[3] S. Wachter et al., Nat. Commun. 2017, 8, 14948.
tige Funktionalitäten auf kleinstem Raum realisieren. Man-
[4] X. Lu et al., Nature 2019, 574, 653.
che der 2D-Materialien sind inert und weisen neben chemi- [5] F. Wu et al., Phys. Rev. Lett. 2018, 121, 26402.
scher auch eine hohe mechanische Stabilität auf, was neue [6] Y. Tang et al., Nature 2020, 579, 353.
Anwendungsgebiete in der flexiblen Elektronik, Sensorik [7] J. P. Eisenstein, A. H. MacDonald, Nature 2004, 432, 691.
und Medizin eröffnet. [8] M. M. Fogler, L. V. Butov, K. S. Novoselov, Nat. Commun. 2014, 5, 4555.
[9] Z. Wang et al., Nature 2019, 574, 76.
Neue Freiheitsgrade wie die Rotation zwischen einzel-
[10] L. Sigl et al., PRR 2020, 2, 042044 (R).
nen Lagen, die über den Moiré-Effekt zu einer Modulation
[11] S. Dietl et al., Phys. Rev. B 2017, 95, 85312.
der elektronischen Bandstruktur führt, machen Van-der- [12] J. Klein et al., Appl. Phys. Lett. 2019, 115, 261603.
Waals-Materialien zu enorm flexiblen Quantenmaterialien. [13] M. Florian et al., Nano Lett. 2018, 18, 2725.
Darin ermöglicht die starke Wechselwirkung von (Quasi-) [14] A. Chernikov et al., Phys. Rev. Lett. 2014, 113, 76802.
Teilchen, die zum einen durch die reduzierte Dimensiona- [15] A. Raja et al., Nat. Commun. 2017, 8, 15251.
[16] U. Wurstbauer et al., J. Phys. D: Appl. Phys. 2017, 50, 173001.
lität und zum anderen durch das beeinflussbare dielektri-
sche Abschirmverhalten bedingt wird, exotische quanten-
korrelierte Zustände. Einige davon sind sogar in einem an- Zusatzmaterial
wendungsrelevanten Temperaturbereich realisierbar, wie Das Video zu Abbildung 8b zeigt, wie sich Metronome auf Zusatzmaterial
hier am Beispiel der Bose-Einstein-Kondensation ausge- einer schwingfähigen Unterlage gegenseitig synchronisie-
führt. Neben dem akademischen Wissensgewinn und der ren, im Gegensatz zu einer starren Unterlage. Sie finden es
Erforschung von grundlegenden Vielteilchenquantensyste- auf http://wiley.com/doi/piuz202101600-sup-0001-suppinfo
men eröffnen Van-der-Waals-Kristalle einen Zugang zur Re- unter „Supporting Information“. Alternativ können Sie den
alisierung neuartiger Quantentechnologien. Kurzlink https://t1p.de/Metronome eintippen oder den
QR-Code hier und neben Abbildung 8 mit einer QR-Code-
Zusammenfassung App fotografieren.
Zweidimensionale (2D) Kristalle zeigen verstärkt Vielteil­
chenphänomene, was sie für Forschung und Anwendungen Die Autoren
interessant macht. Dafür sorgt die viel geringere Abschir­ Ursula Wurstbauer studierte Physik an der Universi­
tät Regensburg und promovierte dort 2008. Nach
mung der Ladungsträger im Vergleich zum dreidimensiona­
Postdoc-Aufenthalten u.a. an der Columbia University
len Fall. Verantwortlich dafür sind die Flachheit des Mate­ in New York war sie Gruppenleiterin an der Tech­
rials, die dieelektrische Umgebung und mit der reduzierten nischen Universität München (TUM) und Mitglied
Dimensionalität verbundene Quanteneinschränkungen. des Exzellenzclusters Nanosystems Initiative Munich.
­2D-Kristalle können zudem aufeinander gestapelt werden, Seit 2019 ist sie Professorin am Physikalischen
Institut der Universität Münster und Mitglied des
wobei die einzelnen Schichten nur durch Van-der-Waals-
Center for Soft Nanoscience (SoN).
Kräfte verbunden sind. Solche künstlichen Van-der-Waals-
Kristalle erlauben die Realisierung einer Fülle von neuartigen Alexander Holleitner studierte Physik an der Ludwig-
physikalischen Systemen. In halbleitenden Heterostrukturen Maximilians-Universität (LMU) und promovierte
gelang es nun, erste Hinweise für ein optisch generiertes dort 2002. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der
University of California, Santa Barbara, war er 2006
Bose-Einstein-Kondensat von Exzitonen zu finden.
Juniorprofessor an der LMU. Seit 2007 ist er Profes­
sor für Physik an der TUM und leitet dort das Zen­
Stichwörter trum für Nanotechnologie und Nanomaterialien des
Zweidimensionale Kristalle, 2D-Kristalle,Van-der-Waals-Mate- Walter Schottky Instituts (WSIs). Seit 2020 hält er
rialien, Quanten-Vielteilchenphänomen, korrelierte Ladungs- den gleichnamigen Lehrstuhl an der TUM und ist
Direktor am WSI.
träger, Exziton, Bose-Einstein-Kondensat von Exzitonen.
Anschriften
Danksagung Prof. Dr. Ursula Wurstbauer, Physikalisches Institut,
Open Access Veröffentlichung ermöglicht und organisiert durch Westfälische Wilhelms-Universität Münster,
Projekt DEAL. ­Wilhelm-Klemm-Str. 10, 48149 Münster.
Wurstbauer@uni-muenster.de

Prof. Dr. Alexander W. Holleitner, Walter-Schottky-


Institut und Physik-Department, TU München,
Am Coulombwall 4a, 85748 Garching.
Holleitner@wsi.tum.de

© 2021 The Authors. Physik in unserer Zeit published by


Wiley-VCH GmbH www.phiuz.de 3/2021 (52) Phys. Unserer Zeit 145

Das könnte Ihnen auch gefallen