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Was nichtsdestoweniger immer wieder zu der abstraktiven 'Tren- nung des »hyletischen«

vom »noetischen« Moment veranlaßt und was zu ihr zu berechtigen scheint, ist der
Umstand, daß beide, wenngleich niemals im absoluten Sinne voneinander trennbar, so
doch in wei- tem Ausmaß voneinander unabhängig variabel sind. Immer mul freilich der
»Stoff« in irgendeiner Form stehen: Aber er ist an keine einzelne Art der Sinngebung
gebunden, sondern kann von einer in die andere übergehen und gewissermaßen
»umschlagen«. Am klarsten tritt dieser Sachverhalt heraus, wenn wir solche Beispiele
heranzichen, bei
denen dieser Übergang die Modalität des Sinnsverändert. Betrach-
ten wir etwa ein Erlebnis der optischen Sphäre, so ist dieses niemals
aus bloßen »Empfindungsdaten«, aus den optischen Qualitäten von
Helligkeit und Farbe zusammengesetzt. Seine reine Sichtbarkeit ist nicmals außerhalb
einer bestimmten Form der »Sicht« und unabhän-
gig von ihr zu denken; es ist als»sinnliches« Erlebnis immer schon Trä-
ger eines Sinnes und steht gewissermaßen im Dienste desselben. Aber eben hierin kann es
nun sehr verschiedene Funktionen erfüllen und
kraft ihrer sehr verschiedene Sinnwelten vorstellig machen. Wir kön- nen ein optisches
Gebilde, wie etwa einen einfachen Linienzug, nach seinem reinen Ausdruckssinn nehmen.
Indem wir uns in die zeichne-
rische Gestaltung versenken und sie für uns aufbauen, spricht uns in ihr zugleich ein
eigener physiognomischer »Charakter« an. In derrein räumlichen Bestimmtheit prägt sich
eine cigentümliche »Stimmung« aus: Das Auf und Ab der Linien im Raume faßt eine innere
Bewegt- heit, ein dynamisches Anschwellen und Abschwellen, ein seelisches Sein und
seelisches Leben in sich. Und hier bei fühlen wir nicht nur unsere eigenen inneren
Zustände in subjektiv-willkürlicher Weise in die räumliche Form hinein: Sondern sie selbst
gibt sich uns als beseelte Ganzheit, als selbständige Lebensäußerung. Ihr stetes und
ruhiges Dahingleiten oder ihr unvermitteltes Abbrechen, ihre Rundung und
Geschlossenheit oder ihre Sprunghaftigkeit, ihre Härte oder Weich- heit: das alles tritt an
ihr selbst, als Bestimmung ihres eigenen Seins, ihrer objektiven »Natur«,heraus. Aber all
dies trittnun alsbaldzurück

und erscheint wie vernichtet und ausgelöscht, sobald wir den Linien- zug in einem anderen
»Sinne« nehmen - sobald wir ihn als mathema- tisches Gebilde, als geometrische Figur
verstehen. Er wird nunmehr zum bloßen Schema, zum Darstellungsmittel für eine
allgemeine geo- metrische Gesctzlichkeit. Was nicht der Darstellung dieser Gesetzlichkeit
dient, was bloß als individuelles Moment in ihm mit- gegeben ist, das sinkt jetzt mit einem
Schlage zur völligen Bedeu- tungslosigkeit herab- es ist wie aus dem geistigen Blickfeld
geschwun-
den. Nicht nur die Farben und Helligkeitswerte, sondern auch die absoluten Größen, die in
der Zeichnung auftreten, werden von dieser Vernichtung betroffen: Sie sind für den
Linienzug als geometrische Gebilde schlechthin irrelevant. Seine geometrische Bedeutung
hängt nicht von diesen Größen als solchen, sondern nur von ihren Bezic- hungen, von ihren
Relationen und Proportionen ab. Wo uns zuvor das Auf und Ab einer Wellenlinie und in ihr
das Gleichmaß einer inneren
Stimmung entgegentrat - da erblicken wir jetzt die graphische Dar- stellung für
einetrigonometrische Funktion, da haben wir eine Kurve vor uns, deren gesamter Gehalt
für uns zuletzt in ihrer analytischen Formel aufgcht. Die räumliche Gestalt istnichts
anderes mehrals das Paradigma für dicse Formel; sie ist nur noch die Hülle, ni die sich ein
an sichunanschaulicher mathematischer Gedanke kleidet.Und dieser
letztere steht nicht für sich allein- sondern in ihmstellt sich eine umfas- sendere
Gesetzlichkeit, die Gesetzlichkeit des Raumes schlechthin, dar. Jedes einzelne
geometrische Gebilde ist, auf Grund dieser Gesetz- lichkeit, mit der Allheit der anderen
möglichen Raumgestalten ver- knüpft. Es gehört einem bestimmten System - einem
Inbegriff von »Wahrheiten« und »Sätzen«, von »Gründen« und »Folgen« - an, und dieses
System bezeichnet die universelle Sinnform, durch die jede besondere geometrische
Gestalt erst möglich, erst konstituiert underst »verständlich« wird. Und wiederin einem
völlig anderen Gesichts- kreis stehen wir, wenn wir den Linienzug als mythisches Wahrzei-
chen oder wenn wir ihn etwa als ästhetisches Ornament nehmen. Das mythische
Wahrzeichen faßt als solches den mythischen Grund- gegensatz, |den Gegensatz
des»Heiligen« und »Profanen«, ni sich. Es ist aufgerichtet, um diese beiden Gebiete
voneinander zu trennen, um zu warnen und zu schrecken, um dem Ungeweihten die
Annäherung an das Heilige oder seine Berührung zu wehren. Und es wirkt hierbei nicht nur
als bloßes Zeichen, als Merkmal, an dem das Heilige e r k a n n t wird; sondern es besitzt
auch eine ihm sachlich innewoh- nende, eine magisch zwingende und magisch abstoßende
Macht. Von einem solchen Zwange weiß die ästhetische Welt nichts.Als Ornament
betrachtet, erscheint die Zeichnung ebensowohl der Sphäre des

»Bedeutens«, mi logisch-begrifflichen Sinne, wie der des magisch- mythischen Deutens


und Warnens entrückt. Sie besitzt in sich selbst ihren Sinn, der sich nur der reinen
künstlerischen Betrachtung, der ästhetischen »Schau« als solcher, erschließt.
Wiedervollendet sich hier das Erlebnis der räumlichen Form erst darin, daß es einem
Gesamt- horizont angehört und diesen für uns aufschließt - daß es in einer bestimmten
Atmosphäre steht, in der es nicht nur einfach »ist«, son- dern in welcher es gleichsam lebt
und atmet. 142
Das gleiche Verhältnis finden wir, auf einen engeren Raum zusam- mengedrängt, wieder,
wenn wir, statt die verschiedenen Modalitäten der Sinngebung cinander
gegenüberzustellen, innerhalb einer einzel- nen von ihnen verharren. Auch hier läßt sich
noch derselbe charakte-
ristische Prozeß der Differenzierung verfolgen, durch den ein Inhalt sehr verschiedene
Nuancen der »Bedeutung« annehmen und von der einenin die andere übergehen kann. So
sahen wir z. B., wie der Inhalt »Farbe« nur scheinbar eine schlechthin gleichförmige
optische Qua- lität darstellt. Je nachdem die Farbe als einfache und selbständige
Bestimmtheit gefaßt oder aber als »Gegenstandsfarbe« einem Objekt anhaftend gedacht
wird, erhält sie selbst eine verschiedene »Valenz«. In dem einen Aspekt geschen, stellt uns
die Welt der Farben, gemäß dem Goethischen Ausdruck, nichts anderes als die »Taten und
Leiden des Lichts« darl43 - ni dem anderen erscheint sie an die Dingwelt ange- schlossen,
aufsic bezogen und ihr gewissermaßen verhaftet. Hier sind uns die Farben gleichsam
freischwebende Lichtgebilde und Lichtge- füge - dort machen sie nicht sich selbst, sondern,
durch sich hindurch, ein anderes sichtig. Und auch in diesem Falle läßt sich nicht etwa ein
indifferentes und gleichgültiges Substrat der Farbe überhaupt auf- weisen, | das späterhin
in verschiedene Formen cintritt und hierdurch ni mannigfacher Weise modifiziert wird. Es
ergab sich vielmehr, daß die Farbphänomene selber, rein in ihrer phänomenalen
Beschaffen- heit, schon von der Ordnung abhängig sind, in der sie stehen - daß ihre reine
Erscheinungsweise durch ebendiese Ordnung be- stimmt wird.I4 Wir suchen diese
Wechselbestimmung dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß wir für sie den Begriff und
Terminusder

»symbolischen Prägnanz« einführen. Unter»symbolischer Prä- gnanz« soll also die Art
verstanden werden, in der ein Wahrnch- mungserlcbnis, als »sinnliches« Erlebnis, zugleich
einen bestimmten nicht-anschaulichen »Sinn« in sich faßt und ihn zur unmittelbaren kon-
kreten Darstellung bringt. Hier handelt es sich nicht um bloß »per- zeptive«
Gegebenheiten, denen später irgendwelche »apperzeptive« Akte aufgepfropft wären,
durch die sie gedeutet, beurteilt und umge- bildet würden. Vielmehr ist esdie
Wahrnehmung selbst, die kraft ihrer eigenen immanenten Gliederung eine Art von
geistiger»Artikulation« gewinnt - die, als in sich gefügte, auch einer bestimmten
Sinnfügung angchört. In ihrer vollen Aktualität, in ihrer Ganzheit und Lebendig- keit, ist sie
zugleich ein Leben »im« Sinn. Sie wird nicht erst nachträg- lich in diese Sphäre
aufgenommen, sondern sie erscheint gewisser- maßen als ni sie hineingeboren. Diese
idcelle Verwobenheit, diese Bezogenheit des einzelnen,hier und jetzt gegebenen
Wahrnehmungs- phänomens auf ein charakteristisches Sinnganzes, soll der Ausdruck der
»Prägnanz« bezeichnen. Wenn wir uns etwa, in einer Grund- und Hauptrichtung unseres
Zeitbewußtseins, der Zukunft zuwenden und gleichsam in sie vorstoßen, so bedeutet
dieser Vorstoß nicht, daß nun einfachzu der Summe
dergegenwärtigenWahrnehmungen,wie sie uns im Jetzt gegebensind,ein neuer Eindruck,
ein Phantasma des Zukünf- tigen sich zugesellt. Die Zukunft stellt sich vielmehr ni einer
völlig eigenartigen Weise der »Sicht« dar: Sie wird von der Gegenwart her
»vorweggenommen«. Das Jetzt ist ein zukunfterfülltes undzukunft- gesättigtes Jetzt:
pracgnans futuri, wie Leibniz es genannt hat. Daß diese Art der Prägnanz sich durch
unverkennbare Charaktere von jeder bloß quantitativen Anhäufung einzelner
Wahrnehmungsbilder, sowic von ihrer assoziativen Verbindung und Verkoppelung, unter-
scheidet und daßsie cbensowenig durchdie Rückführung auf rein »dis- kursive« Akte des
Urteilens und Schließens erklärtwerden kann - dies
hat sich uns allenthalbengezeigt. Der symbolische Prozeß ist wie ein einheitlicher Lebens-
und Gedankenstrom, der das Bewußtsein durch- flutet und der | in dieser seiner
strömenden Bewegtheit erst die Viel- fältigkeit und den Zusammenhang des Bewußtseins,
erst seine Fülle wic seine Kontinuität und Konstanz zuwege bringt.
Von einer neuen Seite her zeigt somit dieser Prozeß, wie die Ana- lysis des Bewußtseins
niemals auf »absolute« Elemente zurückführen kann - weil cbendic Relation, weil die reine
Beziehung es ist, die
den Aufbau des Bewußtseins beherrscht und die in ihm als echtes »Apriori«, als
wesensmäßig Erstes, hervortritt. Nur mi Hin und

Her vom »Darstellenden« zum »Dargestellten«, und von diesem wie- der zu jenem zurück,
resultiert ein Wissen vom Ich und ein Wissen von ideellen wiereellen Gegenständen. Hier
erfassen wir den eigent- lichen Pulsschlag des Bewußtseins, dessen Geheimnis eben darin
besteht, daß in ihm ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. Es gibt keine bewußte
Wahrnehmung, die bloßes »Datum«, die ein lediglich Gegebenes und in dieser
Gegebenheit Abzuspiegelndes wäre;sondern jede Wahrnehmung schließt einen
bestimmten »Richtungscharakter« in sich, mittels dessen sie über ihr Hier und Jetzt
hinausweist. Als bloßes Wahrnehmungs differential faßt sie nichtsdestoweniger das
Integral der Erfahrung in sich. Sol diese Integration, diese Erfas-
sung des Erfahrungsganzen von einem Einzelmomente aus, möglich und durchführbar sein:
so bedarf es bestimmter Gesetze, die den
Übergang vom einen zum andern regeln. Der Einzelwert dermomen- tanen Wahrnehmung
muß - um in dem mathematischen Gleichnis zu verbleiben - als ein solcher erfaßt werden,
der in einer allgemeinen
Funktionsgleichung steht und aus ihr bestimmbar ist. Diese Bestimmung selbst istnicht
durch bloße Häufung von Einzelwerten und durch ihre additive Verbindung, sondern
lediglich durch die Ord- nung erreichbar, die sei innerhalb gewisser kategorialer Grund-
und Hauptformen erfahren. Das Einzelne, Daseiende wird in Hinsicht auf I seine
gegenständliche Bedeutung bestimmt, indem es der raumzeit- lichen Ordnung, der
Kausalordnung, der Ding-Eigenschafts-Ord- nung eingefügt wird. Durch jede solche
Einordnung gewinnt es einen spezifischen Richtungssinn - einen Vektor gleichsam, der auf
einen bestimmten Zielpunkt hinweist. Sowenig sich, mathematisch gespro- chen,
gerichtete und nicht-gerichtete Größen einfach zueinander addieren lassen, sowenig läßt
sich, phänomenologisch und er- kenntniskritisch, davon sprechen, daß »Stoffe« und
»Formen«, daß
»Erscheinungen« und kategoriale »Ordnungen« sich miteinander

»verbinden«. Wohl aber kann nicht nur, sondern es muß jegliches Besondere im
»Hinblick« auf solche Ordnungen bestimmt werden,
wenn »Erfahrung« als theoretisches Gefüge erstehen soll. Die »Teil-
habc« an diesem Gefüge gibt der Erscheinung erst ihre objektive Wirklichkeit und ihre
obiektive Bestimmtheit. Die »symbolische
Prägnanz«, die sie gewinnt, entzicht ihr nichts von ihrer konkreten Fülle - aber sie bildet
zugleich die Gewähr dafür, daß diese Fülle nicht einfach verströmt, sondern sich zu einer
festen, in sich geschlossenen Form rundet.

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