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Theoretische Physik
Theoretische Physik
Björn Feuerbacher
Timm Krüger
Dieter Lüst
Anton Rebhan
Andreas Wipf
Theoretische
Physik
Theoretische Physik
Matthias Bartelmann Björn Feuerbacher
Timm Krüger Dieter Lüst Anton Rebhan
Andreas Wipf
Theoretische Physik
Mit mathematischen Beiträgen von Florian Modler und
Martin Kreh
Matthias Bartelmann Dieter Lüst
Institut für Theoretische Astrophysik Department für Physik
Universität Heidelberg Ludwig-Maximilians Universität München
Heidelberg, Deutschland München, Deutschland
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte
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Springer Spektrum
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015
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Vorwort und einleitende Bemerkungen
Dieses Buch unternimmt den Versuch, die Grundlagen der theoretischen Physik in einem Band darzu-
stellen, wie sie in den Bachelor- und Masterstudiengängen an Universitäten in Deutschland, Österreich
und der Schweiz gelehrt werden. In vier großen Teilen führt es ein in die klassische Mechanik, die
Elektrodynamik, die Quantenmechanik sowie in die Thermodynamik und die statistische Physik. Da-
bei stehen diese Teile nicht nebeneinander, sondern sind durch zahlreiche Querverweise aufeinander
bezogen, sodass die inneren Verstrebungen zwischen den Säulen der theoretischen Physik sichtbar
werden. Erheblich erleichtert durch die weitestgehend einheitliche Notation wird so ein zusammen-
hängender Überblick über die Grundlagen der theoretischen Physik vermittelt.
Zahlreiche Beispiele, fast 700 Verständnisfragen, Vertiefungen, mathematische Ergänzungen und wei-
terführende Überlegungen reichern den Text an und sind grafisch ansprechend abgesetzt. Über 500
genau auf den Text abgestimmte Abbildungen verdeutlichen die Darstellung. Mehr als 300 Übungs-
aufgaben mit kommentierten Lösungen bieten sich für ein intensives Selbststudium an.
Größen treten. Die dafür benötigte Mathematik wird dabei parallel zur Physik entwickelt, so wie es
sich auch in der Geschichte der Mathematik und Physik weitgehend zugetragen hat. Dies ersetzt nicht
die separate Ausbildung in Mathematikvorlesungen, soll aber mit einem Fokus auf das Wesentliche
eine schnelle Orientierung erleichtern.
Die in Teil I behandelte klassische Mechanik benötigt für die Formulierung ihrer Aufgabenstellung
Vektorräume und Differenzialoperatoren. Besonderer Wert wurde auf die Beschreibung beschleunigter
Bezugssysteme gelegt, da dies in der Literatur häufig unzureichend behandelt wird. Erhaltungssätze,
die mit Symmetrien verbunden sind, spielen eine entscheidende Rolle, die für die gesamte übrige
theoretische Physik von grundlegender Bedeutung sind. Der Lagrange- und Hamilton-Formalismus
der klassischen Mechanik und seine funktionale Methodik stellt auch eine bedeutende mathematische
Grundlage für alle weiteren Entwicklungen, Feldtheorien wie der Elektrodynamik, der Quantentheorie
sowie der Thermodynamik dar. Wellenphänomene, die vor allem in der Elektrodynamik und Quan-
tenmechanik eine zentrale Rolle spielen, werden bereits in Teil I eingeführt und anhand einiger
mechanischer Phänomene diskutiert. Dabei wird auch von den Fourier-Reihen Gebrauch gemacht.
Teil I beinhaltet einige Themen, die häufig nicht in Einführungskursen der klassischen Mecha-
nik vorgestellt werden. Dazu gehören Gezeitenkräfte, das reduzierte Dreikörperproblem sowie die
Grundlagen der Fluiddynamik. Diese Abschnitte sind optional, liefern aber wertvolle Einblicke in
weiterführende Themen.
Bereits in Teil I wird die Erweiterung der Newton’schen Mechanik durch die spezielle Relativitätstheo-
rie Einsteins behandelt, die traditionellerweise erst im Anschluss an die Elektrodynamik systematisch
entwickelt wird. Hier erlaubt dieses Lehrbuch zwei Vorgangsweisen: Die spezielle Relativitätstheo-
rie kann noch vor der Elektrodynamik im Rahmen der Mechanik ausführlich studiert werden, aber
ebenso ist es möglich, diese Kapitel in die Elektrodynamik zu integrieren und an den Anfang von
Kap. 18 zu stellen, in dem mit einer relativistischen Formulierung der Maxwell’schen Elektrodynamik
fortgefahren wird.
Die Elektrodynamik in Teil II beginnt mit einer nichtrelativistischen Formulierung, wie sie für die
meisten Anwendungen auch naheliegender ist. Anders als in vielen Lehrbüchern zur Elektrodynamik
üblich werden aber bereits im ersten Kapitel von Teil II alle Grundgleichungen der Elektrodynamik
eingeführt und diskutiert, einschließlich der Energie- und Impulserhaltungssätze der Elektrodynamik,
die erkennen lassen, wie bedeutsam der revolutionär neue Feldbegriff von Faraday und Maxwell ist.
Tatsächlich errang dieser in der Folge in der fundamentalen theoretischen Physik eine immer wichtige-
re Rolle. Gleichzeitig machte es eine Weiterentwicklung des mathematischen Apparats erforderlich.
Dementsprechend werden in Teil II Vektoranalysis, partielle Differenzialgleichungen und verallge-
meinerte Funktionen eingeführt. Die weiteren Kapitel widmen sich der Entwicklung der spezifischen
Problemstellungen und Lösungsmethoden der Elektrodynamik. Der historischen Entwicklung fol-
gend werden zunächst die Lösungsmethoden der Elektrostatik vorgestellt, die sich ursprünglich aus
der noch als Fernwirkungstheorie verstandenen Newton’schen Gravitationstheorie entwickelt hatten.
Daran schließt sich ein Kapitel an, in dem mehrere weitere grundlegende mathematische Metho-
den wie die Funktionentheorie und vollständige Funktionensysteme eingeführt werden. Die ebenfalls
darin behandelte Multipolentwicklung bildet in der Folge die Grundlage für die phänomenologische
Elektrodynamik in Anwesenheit von Materie. Diese beginnt mit elektro- und magnetostatischen Phä-
nomenen und wird schrittweise auf dynamische Situationen ausgedehnt. Die allgemeine Ausbreitung
von Wellen und optische Phänomene im Besonderen werden in zwei getrennten Kapiteln besprochen,
da Letzteres nicht immer Teil einer Vorlesung über Elektrodynamik ist.
Nach diesen Kapiteln und vor der Behandlung des Problems der Abstrahlung von elektromagnetischen
Wellen widmet sich ein eigenes Kapitel der relativistischen Formulierung der Elektrodynamik. Die-
ses beginnt mit einem Repetitorium der speziellen Relativitätstheorie, die schon am Ende von Teil I
in zwei Kapiteln – eines zur Kinematik und eines zur relativistischen Mechanik – behandelt wurde.
Die relativistische Formulierung der Elektrodynamik lässt erkennen, dass Magnetismus ein spezifisch
relativistisches Phänomen ist, und erlaubt in seiner vierdimensionalen Formulierung eine elegante Dar-
stellung aller Grundgleichungen. In einem abschließenden, optionalen Abschnitt zur relativistischen
Elektrodynamik in Materie wird dies auch auf die phänomenologische Elektrodynamik ausgedehnt,
was über das übliche Niveau einer Einführungsvorlesung hinausgeht, aber wertvolle tiefere Einblicke
liefert. In dem darauf folgenden Kapitel wird schließlich die Abstrahlung von Wellen besprochen. Das
letzte Kapitel von Teil II enthält eine Diskussion des Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der
Vorwort und einleitende Bemerkungen VII
Elektrodynamik. Dieses schließt mit einem Ausblick, in dem das allgemeine Konzept der Eichfeld-
theorien und seine Bedeutung für die Physik fundamentaler Wechselwirkungen besprochen werden.
Teil III verlässt die klassische Physik und wendet sich der nichtrelativistischen Quantenmechanik zu.
Anhand von ernsthaften Problemen der klassischen Physik wird die Notwendigkeit für eine neue Me-
chanik – eine Quantenmechanik – begründet. Viele Konzepte der klassischen Physik, wie z. B. der
Zustand eines physikalischen Systems oder dessen beobachtbare Größen, gewinnen in der Quan-
tenmechanik eine neue Bedeutung. Im Schrödinger’schen Zugang stehen die Wellenfunktion, deren
zeitliche Entwicklung und die mit ihrer Hilfe berechneten Erwartungswerte von Observablen im
Vordergrund. Im Gegensatz zur klassischen Mechanik ist die Quantenmechanik eine lineare Theo-
rie – Wellenfunktionen können überlagert werden und interferieren. Anstelle des Phasenraumes der
klassischen Mechanik tritt ein linearer Hilbert-Raum. Der mathematische Formalismus der Quan-
tenmechanik, d. h. Eigenschaften von Hilbert-Räumen und linearen Operatoren auf Hilbert-Räumen,
werden in Teil III ausgiebig besprochen. Die Quantenmechanik, so wie sie von den meisten Physikern
interpretiert wird, ist nicht deterministisch. Dies kommt bei den wichtigen Unbestimmtheitsrelationen,
z. B. für Ort und Impuls eines Teilchens, oder beim quantenmechanischen Messprozess ganz klar zum
Ausdruck.
Einen großen Raum nimmt in Teil III die Untersuchung von einfachen Systemen ein, z. B. von eindi-
mensionlen Potenzialproblemen, dem harmonischen Oszillator und dem Wasserstoffatom. Man findet
darunter auch optionale Themen, wie kohärente Zustände, Bandstrukturen in periodischen Systemen
oder die algebraische Lösung des Wasserstoffatoms. Das Wechselspiel zwischen Symmetrien und Er-
haltungssätzen spielt in der Quantenmechanik eine noch größere Rolle als in der klassischen Physik
und wird deshalb ausführlich vorgestellt. Der Elektronenspin mit seinen doch etwas ungewöhnlichen
Eigenschaften wird aus gutem Grund behutsam eingeführt, und einige mit dem Spin verbundene
Effekte werden sorgfältig diskutiert. Auch Näherungsmethoden zur Behandlung komplexer Quan-
tensysteme, und insbesondere Mehrteilchensysteme, sind ein wichtiger Bestandteil von Teil III. Die
gewonnenen Resultate über Systeme mit identischen Teilchen sind von großem Nutzen bei der Un-
tersuchung von ultrakalten Quantengasen in Teil IV. Man findet hier auch weiterführende optionale
Themen, z. B. die Hartree-Fock-Näherung. Im abschließenden Kapitel wird die für die Untersuchung
von mikroskopischen Strukturen in Festkörper-, Kern- und Teilchenphysik wichtige Streutheorie be-
handelt.
Teil IV geht in fünf Schritten durch die Thermodynamik und die statistische Physik. Zunächst wird die
Thermodynamik phänomenologisch als diejenige Theorie der Physik eingeführt, die den Energieaus-
tausch und den Verlauf von Ausgleichsprozessen zwischen physikalischen Systemen mit sehr vielen
Freiheitsgraden beschreibt. Drei Hauptsätze bilden das Fundament dieser Theorie: Sie postulieren die
Existenz der Temperatur als einer Zustandsgröße, die Energieerhaltung und die Zunahme der Entropie
bei spontanen Ausgleichsprozessen. Die wesentlichen Aussagen der Thermodynamik werden zwar
häufig am Beispiel des idealen Gases verdeutlicht, gelten aber wegen ihrer Allgemeinheit weit dar-
über hinaus und umfassen das Verhalten beliebiger physikalischer Systeme, sofern diese sehr viele
Freiheitsgrade haben.
Im zweiten Schritt wird die Thermodynamik erneut begründet, diesmal aber ausgehend von statisti-
schen Überlegungen statt von der makroskopischen Phänomenologie der Wärme. Dieser Zugang führt
die gesamte Thermodynamik auf Wahrscheinlichkeitsaussagen im Zustandsraum zurück, wobei sich
der Phasenraum der klassischen Mechanik ebenso wie der Hilbert-Raum der Quantenmechanik für
die Konstruktion des Zustandsraumes eignen. Viele ganz verschiedenartige Erscheinungen lassen sich
damit bereits verstehen und begründen. Das dritte Kapitel von Teil IV widmet sich im Wesentlichen
verschiedenen Anwendungen der Aussagen, die in den beiden ersten Kapiteln gewonnen wurden.
Im vierten Schritt werden Zustandssummen eingeführt, um die unterschiedlichen Beschreibungs-
weisen thermodynamischer Systeme durch verschiedene Ensembles formal zu vereinheitlichen.
Wesentliche, aber ganz diverse Aussagen wie der Gleichverteilungssatz, das Massenwirkungsgesetz
bei chemischen Reaktionen und Phasenübergänge in einfachen magnetischen Systemen werden so auf
eine einheitliche formale Behandlung zurückgeführt.
Der fünfte Schritt führt schließlich in die statische Physik von Quantensystemen, ersetzt den
Zustandsraum der klassischen Physik durch denjenigen der Quantenmechanik, führt die nötigen quan-
tentheoretischen Operationen ein und kehrt dann zu dem im Wesentlichen unveränderten Apparat
VIII Vorwort und einleitende Bemerkungen
der statistischen Physik zurück. Die Anwendungen des bereits bekannten, aber nun auf eine quan-
tenmechanische Basis gestellten Formalismus auf Fermi- und Bose-Gase führen zur Bose-Einstein-
Kondensation, zum Planck’schen Strahlungsgesetz und zur Wärmekapazität von Festkörpern und
münden schließlich in eine weiterführende Betrachtung zum Aufbau weißer Zwergsterne.
Weiterführende Lehrbücher
Mechanik
Budo, A.: Theoretische Mechanik. Wiley (1990) – älteres aber sehr gutes und erschöpfendes Stan-
dardwerk zur klassischen Mechanik. Vorbild für viele spätere Lehrbücher über Mechanik. Neuere
Entwicklungen, z. B. aus der analytischen Mechanik, werden natürlich nicht behandelt.
Goldstein, H., Poole, C.P., Safko, J.L.: Klassische Mechanik. Wiley (2006) – wie Budo ein Klassiker;
umfangreich und gründlich mit Schwerpunkt auf Theorie sowie dem Lagrange- und Hamilton-
Formalismus. In den neuen Auflagen findet man auch eine Einführung in die Chaostheorie.
Kuypers, F.: (2010) Klassische Mechanik. Wiley (2010) – didaktisch sehr gute Darstellung der Me-
chanik mit verständlichen Erklärungen und schönen Anwendungen sowie einer großen Anzahl von
Aufgaben und Lösungen. Man findet hier eine ausführliche Behandlung der Lagrange’schen und Ha-
milton’schen Dynamik.
Scheck, F.: Mechanik. Von den Newtonschen Gesetzen zum deterministischen Chaos. Springer (1992)
– zeitgemäße und mathematisch anspruchsvollere Behandlung der klassischen Mechanik. Im Text und
in den Übungsaufgaben werden sehr viele Probleme der klassischen Mechanik behandelt.
Becker, R., Sauter, F.: Theorie der Elektrizität, Band 1: Einführung in die Maxwellsche Theorie,
Elektronentheorie, Relativitätstheorie. Teubner (1973) – älteres, aber sehr gutes und umfassendes Stan-
dardwerk zur Elektrodynamik.
Griffiths, D.J.: Elektrodynamik: Eine Einführung. Pearson (2011) – sehr pädagogische Einführung in
die Elektrodynamik und Relativitätstheorie mit ausführlichen Erklärungen der physikalischen Kon-
zepte sowie von vielen Subtilitäten, die in anderen Lehrbüchern oft implizit bleiben.
Jackson, J.D.: Klassische Elektrodynamik. De Gruyter (2013) – Standardwerk, das eine sehr umfas-
sende Darstellung der theoretischen Elektrodynamik bietet, mit vielen exakt gelösten Aufgabenstel-
lungen.
Purcell, E.M.: Elektrizität und Magnetismus. Vieweg (1989) – zweiter Teil des inzwischen ver-
griffenen Berkeley-Physikkurses, der eine der didaktisch besten elementaren Einführungen in die
Elektrodynamik darstellt, mit äußerst vielen hilfreichen Illustrationen.
Römer, H., Forger, M.: Elementare Feldtheorie. Elektrodynamik, Hydrodynamik, Spezielle Relati-
vitätstheorie. Wiley-VCH (1993) – als Buch vergriffen, aber online frei erhältlich unter http://www.
freidok.uni-freiburg.de/volltexte/405/. Eine sehr empfehlenswerte gründliche Einführung in die Feld-
theorie, die mit elementarer Hydrodynamik beginnt, um im Anschluss die Konzepte der Elektrodyna-
mik greifbarer zu machen.
Quantenmechanik
Cohen-Tannoudji, C., Diu, B., Laloë, F.: Quantenmechanik Teil I und Teil II. De Gruyter (1999) – eine
kompetente und beinahe lückenlose Darstellung der Quantenmechanik mit vielen Erklärungen in zwei
Vorwort und einleitende Bemerkungen IX
Bänden. Hier findet man auch sorgfältige Begründungen, die man in anderen Büchern oft vergeblich
sucht.
Gasiorowicz, S.: Quantenphysik. Oldenbourg (2012) – gut verständliche und sorgfältige Darlegung der
Quantenmechanik mit hilfreichen Übungsaufgaben. Ähnlich strukturiert wie Teil III des vorliegenden
Buches.
Griffiths, D.J.: Quantenmechanik. Pearson (2012) – schöne, elementare und detaillierte Einführung in
die nichtrelativistische Quantenmechanik mit vielen Übungsaufgaben.
Münster, G.: Quantentheorie. De Gruyter (2010)– kompakte Darstellung der Quantenmechanik. Hier
findet man auch eine schöne Einführung in die Pfadintegralmethode.
Weinberg, S.: Lectures on Quantum Mechanics. CUP (2012) – sehr erhellende, präzise und klare
Darstellung der Quantenmechanik von einem Nobelpreisträger. Hier findet man auch eine ausführliche
Diskussion von Interpretationsfragen. Die Notation ist stellenweise leider etwas gewöhnungsbedürftig.
Huang, K.: Introduction to Statistical Physics. CRC Press (2010) – interessante Darstellung, die phä-
nomenologische und statistische Thermodynamik weitgehend parallel entwickelt.
Kittel, C., Krömer, H.: Thermodynamik. Oldenbourg (2013) – anregend insbesondere wegen seiner
stellenweise unkonventionellen Perspektive.
Reif, F.: Statistische Physik und Theorie der Wärme. De Gruyter (1987) – eine von grundlegenden
statistischen Überlegungen ausgehende Einführung in die Thermodynamik und die statistische Physik.
Stierstadt, K.: Thermodynamik. Von der Mikrophysik zur Makrophysik. Springer (2010) – interessant
vor allem wegen der besonders sorgfältigen Einführung grundlegender Begriffe der Thermodynamik.
Straumann, N.: Thermodynamik. Springer (1986) – eine knappe, dennoch umfassende, mathematisch
fundierte Darstellung der phänomenologischen Thermodynamik.
Neben den genannten Lehrbüchern existieren mehrere Lehrbuchreihen, die den gesamten Stoff der
theoretischen Physikvorlesungen abdecken. Davon sind folgende deutschsprachigen Reihen zum Ein-
stieg in die theoretische Physik oder zu einer Vertiefung der Kenntnisse geeignet:
Die speziellen mathematischen Methoden der theoretischen Physik werden im vorliegenden Buch pa-
rallel zum physikalischen Stoff entwickelt, zum Teil im Haupttext und zum Teil in ergänzenden Kästen
zum mathematischen Hintergrund. Diese fassen das Wesentliche zusammen, ersetzen aber nicht voll-
wertige mathematische Vorlesungen und entsprechende Lehrbücher. Ein mathematisches Lehrbuch,
das in seinen didaktischen Elementen ganz ähnlich strukturiert ist wie dieses und sich speziell an die
Bedürfnisse von Ingenieuren und Naturwissenschaftlern richtet, ist:
Arens T. et al. (2012) Mathematik. Springer Spektrum
Darüber hinaus sehr empfehlenswert:
Großmann S. (2012) Mathematischer Einführungskurs für die Physik. Vieweg-Teubner – eine bewähr-
te, übersichtliche, gut verständliche Einführung in eine Vielzahl mathematischer Methoden, die in der
Physik angewandt werden.
Jänich K. (1995) Analysis für Physiker und Ingenieure. Funktionentheorie, Differentialgleichungen,
Spezielle Funktionen. Springer – eine wirklich lebendige Darstellung der speziellen mathematischen
Methoden der theoretischen Physik mit einer gründlichen Einführung in die komplexe Funktionen-
theorie und zahlreichen gelungenen Illustrationen des Autors.
Dank
Dieses Buch ist das Ergebnis der gemeinsamen, intensiven Anstrengung vieler Menschen, denen die
Autoren zu großem Dank verpflichtet sind. Ganz besonders möchte Anton Rebhan seinen Kollegen Dr.
Dietrich Grau und Dr. Helmut Nowotny sowie seiner Frau und Mitphysikerin Dr. Ulrike Kraemmer
für umfangreiches kritisches Korrekturlesen und wertvolle Hinweise zu den Kapiteln über spezielle
Relativitätstheorie und Elektrodynamik danken. Andreas Wipf dankt Frau Johanna Mader und seiner
Frau Ingrid Wipf für eine kritische Durchsicht der Kapitel über Quantenmechanik sowie Studenten
seiner Vorlesungen in Jena, die Vorschläge zur besseren Darstellung des Stoffes in Teil III machten
und viele nützliche Hinweise gaben. Matthias Bartelmann bedankt sich herzlich bei seinen Mitarbei-
tern und vielen engagierten Studenten seiner Vorlesungen, die durch kritische Fragen und klärende
Diskussionen wesentlich dazu beigetragen haben, Teil IV zu verbessern.
Bedanken möchten wir uns auch bei Herrn Prof. Stephan Wagner von der Landessternwarte Hei-
delberg für die freundliche Überlassung von Materialien zum Astronomie-Praktikum der Sternwarte,
Herrn Prof. Bernd Thaller von der Universität Graz für die Erstellung des dem Teil III vorangestellten
Bildes, Herrn Prof. Rudolf Grimm vom Institut für Experimentalphysik der Universität Innsbruck für
die Überlassung des Bildes zu Beginn von Kap. 22 „Wellenmechanik“, Prof. Alexander Szameit von
der Friedrich-Schiller-Universität Jena für die Bereitstellung des Bildes zu Beginn des Kap. 25 „Zeit-
entwicklung“ und Ruth Bartelmann für das Porträt des Maxwell’schen Dämons bei der Arbeit, das im
Kap. 34 „Statistische Begründung der Thermodynamik“ erscheint.
Zu ganz großem Dank sind wir Frau Dr. Kristin Riebe verpflichtet, die mit großem Engagement, Kom-
petenz und Ideenreichtum die Grafiken dieses Buches gestaltete. Drs. Martin Kreh, Florian Modler und
Michael Kuss halfen bei der Erstellung der mathematischen Einschübe und Christoph Kommer beim
wissenschaftlichen Lektorat. Frau Bianca Alton vom Verlag Springer Spektrum stellte ihre große Er-
fahrung zur Verfügung. Nicht zuletzt danken wir besonders herzlich Frau Dr. Vera Spillner, die uns
zu diesem Projekt zusammengeführt und mit unermüdlichem Enthusiasmus, großer Kreativität, hilf-
reichen Ideen und inspirierenden Diskussionen angetrieben und motiviert hat. Ohne sie wäre dieses
Buch nicht zustande gekommen.
Teil I Mechanik
6 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
6.1 Freie Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212
6.2 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219
6.3 Erzwungene Schwingungen und Resonanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
Inhaltsverzeichnis XIII
7 Hamilton-Formalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . 244
7.2 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
8 Kontinuumsmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271
8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
8.2 Schwingende Saite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.3 Fourier-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
8.6 Ideale Fluiddynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
8.7 Viskosität und Navier-Stokes-Gleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313
Antworten zu den Selbstfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318
Teil II Elektrodynamik
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
12 Elektrostatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484
Inhaltsverzeichnis XV
17 Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585
17.1 Wellenoptik kontra geometrische Optik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
17.2 Brechung und Reflexion an Grenzflächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586
17.3 Die Eikonalgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592
17.4 Beugung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 612
XVI Inhaltsverzeichnis
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
22 Wellenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729
22.1 Unbestimmtheit für materielle Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 730
22.2 Materiewellen für kräftefreie Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732
22.3 Wellenmechanik mit Kräften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740
22.4 Erhaltung der Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759
32 Streutheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1045
32.1 Potenzialstreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1046
32.2 Partialwellenanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1052
32.3 Resonanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1060
32.4 Elastische Streuung identischer Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1061
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1066
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1069
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1071
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1072
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1077
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1171
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1181
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1215
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1222
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1252
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1259
Inhaltsverzeichnis XXI
37 Quantenstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1261
37.1 Grundlagen der Quantenstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1262
37.2 Besetzungszahldarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1264
37.3 Ideale Quantengase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1266
37.4 Ideale Fermi-Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1269
37.5 Ideale Bose-Gase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1271
37.6 Relativistische ideale Quantengase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1277
37.7 Wärmekapazität fester Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1282
So geht’s weiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1287
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1289
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1291
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1292
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1297
Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1299
Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .1301
Verzeichnis der mathematischen Hintergründe
1.1 Vektorräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
1.2 Metrische und normierte Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8
1.3 Skalarprodukt, euklidische Räume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.4 Differenzialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15
1.5 Differenzialgleichungen – Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16
1.6 Vektorprodukt und Levi-Civita-Symbol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
1.7 Differenzialoperatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31
1.8 Taylor’scher Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
1.9 Der Satz von Stokes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.1 Matrizen I – Definition und grundlegende Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . 52
2.2 Matrizen II – Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
2.3 Matrizen III – Matrixinversion und Rechenregeln für Determinanten . . . . . . 59
2.4 Gruppen – Einführung in die Gruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
4.1 Tensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
4.2 Diagonalisierbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140
5.1 Mannigfaltigkeiten – Eine Verallgemeinerung euklidischer Räume . . . . . . . 168
5.2 Funktionale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
6.1 Lineare Differenzialgleichungen – Homogene und inhomogene Differenzial-
gleichungen, Fundamentalsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
6.2 Komplexe Zahlen – Definition und Rechenregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216
6.3 Lineare Differenzialgleichungen – Lösungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
7.1 Legendre-Transformationen – Grundlagen und anschauliche Bedeutung . . . 246
8.1 Funktionenfolgen und Funktionenreihen – Punktweise und gleichförmige
Konvergenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
9.1 Dualraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
11.1 Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
11.2 Rechenregeln für Distributionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
11.3 Integralsätze der Vektoranalysis – Satz von Gauß und Satz von Stokes . . . . . 388
13.1 Komplexe Funktionen I – Definition von holomorphen Funktionen und die
Cauchy-Riemann’schen Differenzialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
13.2 Komplexe Funktionen II – Potenzreihen und Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 454
XXIII
XXIV Verzeichnis der mathematischen Hintergründe
XXV
XXVI Die Autoren
Teil I
Inhaltsverzeichnis
1
Die Newton’schen Axiome
1
Teil I
Was bedeutet „klassische
Mechanik“?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 3
4 1 Die Newton’schen Axiome
Das vorliegende Kapitel liefert eine Einführung in die grundle- Galileis Erkenntnisse, was auf die Beschreibung der Schwer-
genden Konzepte der klassischen, nichtrelativistischen Mechanik. kraft führte. Nach Newton wurde die Mechanik zur analytischen
Teil I
Ein wichtiges Fundament dieser Theorie ist das physikalische Ver- Mechanik weiterentwickelt. Johann Bernoulli (1667–1748) lös-
ständnis der Begriffe „Raum“ und „Zeit“, „Körper“ und „Masse“, te damit das Problem der Brachistochrone (dies ist die Kurve,
„Kraft“ und „Inertialsystem“. Auf der Basis dieser Größen wer- auf der eine Punktmasse reibungsfrei am schnellsten von einem
den wir die Newton’schen Axiome kennenlernen und erarbeiten. Sie Punkt zu einem anderen fällt; sie wird in Aufgabe 5.5 bespro-
bestimmen, auf welchen Bahnkurven sich Punktmassen bewegen. chen), was die Entwicklung der Variationsrechnung einläutete.
Zusätzlich werden wir zahlreiche mathematische Begriffe definie- Auch weitere Mitglieder der Bernoulli-Familie lieferten wichti-
ren und Techniken kennenlernen, die ein tieferes Verständnis der ge Beiträge zur Mathematik und Physik.
Mechanik überhaupt erst ermöglichen.
Für die Entwicklung der analytischen Mechanik war auch
Leonhard Euler (1707–1783) entscheidend mitverantwortlich.
Nach ihm wurden zahlreiche Gleichungen benannt, die in der
1.1 Definitionen und Grundlagen Variationsrechnung, der Hydrodynamik und der Kreiselbewe-
gung fundamentale Bedeutung besitzen. Jean-Baptiste le Rond
In diesem Abschnitt finden Sie eine kurze historische Einfüh- d’Alembert (1717–1783) legte die Grundsteine für die Kontinu-
rung in die klassische Mechanik. Anschließend werden wir umsmechanik. Joseph-Louis Lagrange (1736–1813) begründete
zentrale physikalische und mathematische Größen einführen so- den Lagrange-Formalismus, dem eine wesentliche Rolle in die-
wie das Relativitätsprinzip der klassischen Mechanik vorstellen. sem Buch zukommt. Die Hamilton’sche Mechanik, die von
William Rowan Hamilton (1805–1865) ausgearbeitet wurde, ist
heute in der Quantenmechanik unverzichtbar. Die moderne Be-
trachtungsweise von Symmetrien und Erhaltungsgrößen wurde
Eine kurze historische Einführung von Amalie Emmy Noether (1882–1935) entwickelt. Schließlich
in die klassische Mechanik entwickelte Albert Einstein (1879–1955) die spezielle und all-
gemeine Relativitätstheorie fast im Alleingang.
Im Studium der theoretischen Physik beginnt man in den meis- In Teil I wird zunächst die klassische Mechanik behandelt.
ten Fällen mit der Mechanik. Das ist sinnvoll, da sie die älteste Sie beinhaltet sowohl die Newton’sche als auch die Lagrange’
der theoretischen Physikdisziplinen darstellt und sich die grund- sche, die Hamilton’sche sowie die relativistische Mechanik. Die
legenden physikalischen Begriffe in der Mechanik einführen Quantenmechanik jedoch wird als nichtklassisch bezeichnet. Ihr
und auf andere Theorien übertragen lassen. Darüber hinaus ist ist Teil III gewidmet.
die theoretische Mechanik auch die anschaulichste Disziplin, da
sie überwiegend Alltagsphänomene beschreibt. Historisch bau- Die theoretische Mechanik beschreibt die Gesetze, nach denen
en viele andere Physikdisziplinen auf der klassischen Mechanik sich Massen unter dem Einfluss von Kräften mit der Zeit im
auf (z. B. die Quantenmechanik und die statistische Mechanik). Raum bewegen. Kräfte sind dabei die Ursache der Bewegung
Ursprünglich wurde sogar versucht, sämtliche Naturbeobach- und mathematisch und physikalisch noch genauer zu definie-
tungen im Rahmen der Mechanik zu verstehen (mechanisches ren. Die Analyse der klassischen Mechanik führt zu Begriffen
Weltbild). Obwohl dies letztlich nicht möglich ist, spielt die Me- und Methoden, die sich durch die gesamte theoretische Physik
chanik noch immer eine fundamentale Rolle in der Physik; sie ziehen und vor allem für die Quantenmechanik und Quanten-
kann als allgemeine Grundlage der Physik angesehen werden. feldtheorie außerordentlich fruchtbar sind.
Die geschichtliche Entwicklung der Mechanik könnte ein eige- Die klassische Punktmechanik, mit der wir uns zuerst beschäf-
nes Buch füllen. Hier sollen nur die grundlegendsten Meilen- tigen werden, kennt dabei eine Vierheit von Objekten: Körper,
steine zusammengefasst und die wichtigsten Personen genannt Kräfte, Raum und Zeit. Die modernen Theorien für eine Ver-
werden. Archimedes (287–212 v. Chr.) formulierte die soge- einheitlichung der Physik werden später fundamental an diesen
nannten Hebelgesetze und das nach ihm benannte Prinzip. Rund Begriffen einsetzen. Die Feldtheorie, geschichtlich zuerst die
1700 Jahre später wurden die Planetenbahnen von Nikolaus Ko- Elektrodynamik, wird dazu Kräfte und den Raum miteinan-
pernikus (1473–1543) und Tycho Brahe (1546–1601) studiert. der verbinden, die spezielle Relativitätstheorie dann Raum und
Johannes Kepler (1571–1630) gelang es, diese Beobachtungen Zeit, und die allgemeine Relativitätstheorie schließlich ver-
im Rahmen des heliozentrischen Weltbildes zu verstehen. Ga- knüpft Körper mit der Raum-Zeit-Struktur.
lileo Galilei (1564–1642) leistete mit seinen Fallversuchen und
Pendelexperimenten wichtige Beiträge zur Mechanik. Ebenso
formulierte er das nach ihm benannte Relativitätsprinzip.
Der Gültigkeitsbereich
Der wohl wichtigste Physiker in der Geschichte der Mecha- der klassischen Mechanik
nik war Isaac Newton (1643–1727). So formulierte er nicht
nur die fundamentalen Axiome der Mechanik, er entwickelte
auch parallel zu Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) die Dif- Um physikalische Systeme verstehen zu können, müssen häufig
ferenzial- und Integralrechnung und kombinierte Keplers und Vereinfachungen und Idealisierungen vorgenommen werden.
1.1 Definitionen und Grundlagen 5
Dabei versucht man, für das Problem wichtige und unwichtige Die Zeit ist in der nichtrelativistischen Mechanik ein absoluter,
Effekte voneinander zu trennen. Eine dafür wesentliche mathe- kontinuierlicher und unabhängiger Parameter. Das heißt unter
Teil I
matische Methode ist die sogenannte Taylor-Entwicklung, die anderem, dass sich jedem Ereignis ein eindeutiger Zeitpunkt t
im Laufe dieses Kapitels erläutert wird. Erst durch dieses Vor- zuordnen lässt und sich alle Ereignisse eindeutig zueinander an-
gehen wird es überhaupt möglich, Theorien und Naturgesetze ordnen lassen (ein Ereignis kann somit gleichzeitig, früher oder
zu formulieren. Unser erstes Beispiel für dieses Vorgehen ist später als ein anderes Ereignis eintreten). Es wird im Rahmen
die Approximation von ausgedehnten Körpern durch Punktmas- der Newton’schen Mechanik postuliert, dass es eine für alle Be-
sen. Hierbei werden die räumliche Ausdehnung und mögliche zugssysteme universelle Zeit gibt. Von dieser Hypothese muss
innere Freiheitsgrade der Objekte vernachlässigt. So gelten die man in der speziellen Relativitätstheorie abrücken.
Newton’schen Gesetze beispielsweise zunächst auch nur für
Punktmassen. Die Auswirkungen der Ausdehnung der Objekte Der Nullpunkt der Zeit ist im Allgemeinen frei wählbar. Letz-
kann allerdings später durch zusätzliche Gleichungen beschrie- teres wird als Homogenität der Zeit bezeichnet. Um Zeiten zu
ben werden. messen, benötigt man nicht zuletzt periodische Vorgänge (z. B.
die Tageslänge, die Schwingungsdauer eines Pendels oder einer
In der klassischen Mechanik werden Körper als Punkte be- Lichtwelle).
stimmter Masse, sogenannte Punktmassen, beschrieben. Ihre Kräfte wirken in der nichtrelativistischen Mechanik instan-
Ausdehnung ist dabei klein gegenüber den Dimensionen des tan, d. h. von ihrer Wirkung wird angenommen, dass sie sich
Gesamtsystems. Die Begriffe „klein“ und „groß“ sind hier als mit einer unendlichen Geschwindigkeit ausbreitet; Ursache und
relative Bezugsangaben zu verstehen. So ist beispielsweise die Wirkung einer Kraft ereignen sich also gleichzeitig.
Erde im Vergleich zu einer Raumstation, die sie umkreist, groß.
Relativ zur Ausdehnung der Sonne oder sogar der Milchstraße Die klassische, nichtrelativistische Mechanik ist gültig in alltäg-
ist die Erde jedoch klein. lichen Dingen, bei denen
Eine Punktmasse wird allein durch ihre Masse m und ihren Ort Geschwindigkeiten klein gegenüber der Lichtgeschwindig-
x.t/ zur Zeit t beschrieben. Ausgedehnte starre Körper kön- keit sind,
nen dann als Systeme von Punktmassen aufgefasst werden, Abstände groß gegenüber Atomdurchmessern sind,
deren Abstände untereinander konstant sind. Punktmassen sind Abstände klein gegenüber kosmologischen Ausdehnungen
Idealisierungen, da sämtliche Alltagsgegenstände eine Aus- sind,
dehnung besitzen. Andererseits können beispielsweise einige Massen hinreichend klein sind.
Elementarteilchen wie Elektronen doch als Punktmassen ange-
sehen werden, da es experimentell bisher nicht gelungen ist,
eine innere Struktur von Elektronen zu beobachten. Die obere Die spezielle Relativitätstheorie wird sich als eine Erweiterung
Grenze für den Elektronenradius liegt bei weniger als 1018 m. der Newton’schen Mechanik erweisen, in der Geschwindigkei-
ten nicht auf Werte beschränkt sind, die klein gegenüber der
Der physikalische Raum, in dem sich die klassische Mechanik Lichtgeschwindigkeit sind. Sie wird in Kap. 9 diskutiert. Im
abspielt, ist ein kontinuierlicher, dreidimensionaler Vektorraum Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie, die in diesem Buch
(siehe „Mathematischer Hintergrund“ 1.1). Dieser Raum ist nicht behandelt wird, werden sowohl kosmologische Abstän-
flach, also nicht gekrümmt, d. h., dass die Summe der Innenwin- de als auch beliebig große Massen, die den Raum krümmen,
kel eines Dreiecks stets 180° beträgt. Beispiele für gekrümmte betrachtet. Systeme, bei denen die Abstände in der Größenord-
zweidimensionale Räume sind die Oberflächen einer Kugel nung von Atomdurchmessern liegen, werden durch die Quan-
oder eines Sattels. tenmechanik in Teil III beschrieben.
Im Rahmen der klassischen Mechanik sind die Eigenschaften
des Raumes unabhängig von der Existenz von Körpern und
deren Bewegung. Die Lage von Körpern wird stets relativ zu Einführung der mechanischen Grundgrößen
anderen Körpern, den Bezugssystemen, angegeben. Ein häufig
anzutreffendes Bezugssystem ist das sogenannte Laborsystem,
das durch die Wände desjenigen Labors definiert ist, in dem Die Gleichungen der klassischen Mechanik lassen sich mithil-
Experimente durchgeführt werden. Wir werden später darauf fe der linearen Algebra formulieren. Zu diesem Zweck führen
zurückkommen, welche Bezugssysteme am geeignetsten sind, wir hier alle für den Anfang relevanten Größen ein und begin-
um physikalische Gesetze zu formulieren. nen mit dem Ortsvektor x. Ein Ortsvektor x einer Punktmasse
m beschreibt ihre Position im Raum relativ zu einem Koordina-
Im Allgemeinen gelten die Annahmen der Homogenität und tensystem. Ausgedehnte Körper werden zusätzlich durch ihre
Isotropie des Raumes, d. h., ein Bezugssystem kann beliebig Orientierung relativ zu den Achsen des Koordinatensystems
(aber zeitunabhängig) verschoben und gedreht werden. Typi- charakterisiert. Sie werden in Kap. 4 behandelt. Die grundle-
scherweise wird ein kartesisches Koordinatensystem für das Be- genden Konzepte der klassischen Mechanik lassen sich jedoch
zugssystem gewählt (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 1.2 anhand von Punktmassen veranschaulichen, bevor der Schritt zu
und darauf aufbauend den „Mathematischen Hintergrund“ 1.3). ausgedehnten Objekten unternommen wird.
6 1 Die Newton’schen Axiome
Auf den ersten Blick haben die Menge der Verschiebun- Nachdem wir den Begriff „Körper“ definiert haben, kön-
gen im R3 , die Menge der Polynome einer Veränderlichen nen wir den Begriff Vektorraum präzisieren. Dieser enthält
mit rationalen Koeffizienten vom Grad kleiner gleich n und Elemente, sogenannte Vektoren, die sich addieren und mit
die Menge der Paare von reellen Zahlen nicht viel gemein- Elementen des Körpers vervielfachen lassen.
sam. Tatsächlich jedoch handelt es sich bei allen dreien um
Vektorräume, denn man kann die Elemente dieser Mengen Definition Vektorraum Eine Menge V ist ein Vektorraum
addieren und vervielfachen, und dabei gelten gewisse Re- über einem Körper K, wenn
geln, z. B. das Kommutativ- und Assoziativgesetz. Um den
Begriff „Vektorraum“ allgemein fassen zu können, müssen es eine Addition V V ! V: .x; y/ 7! x C y gibt, sodass
wir zuerst die relevanten Eigenschaften der reellen Zahlen .V; C/ eine abelsche Gruppe ist;
formulieren. es eine skalare Multiplikation K V: .; x/ 7! x gibt
mit den Eigenschaften
Definition Körper Eine Menge K ist ein Körper, wenn es – .x C y/ D x C y,
– . C /x D x C x,
eine Addition K K ! K; .x; y/ 7! x C y gibt, sodass – ./x D .x/,
K n f0g bezüglich der Addition eine additive abelsche – 1x D x
Gruppe ist (Gruppen werden im „Mathematischen Hin- für alle ; 2 K und x; y 2 V.
tergrund“ 2.4 vertieft.):
– Assoziativgesetz: Es gilt x C .y C z/ D .x C y/ C z für
alle x; y; z 2 K. Die Anforderungen an die skalare Multiplikation stellen da-
– Existenz des neutralen Elements: Es gibt ein Element bei nur sicher, dass die skalare Multiplikation im Vektorraum
0 2 K, sodass für alle x 2 K gilt x C 0 D x. und die Multiplikation innerhalb des Körpers zueinander
– Existenz des Inversen: Zu jedem Element x 2 K gibt kompatibel sind. Die Untersuchung von Vektorräumen ist
es ein inverses Element x mit x C .x/ D 0. Gegenstand der linearen Algebra. Wichtige Ergebnisse sind:
– Kommutativgesetz: Für alle x; y 2 K gilt xCy D yCx. Existenz einer Basis Es gibt Vektoren fb1 ; b2 ; : : : g V,
eine Multiplikation K K ! K; .x; y/ 7! xy gibt, sodass Vektor v 2 V eindeutig als (endliche) Li-
sodass sich jeder P
K n f0g bezüglich der Multiplikation eine multiplikative nearkombination i i bi schreiben lässt.
abelsche Gruppe ist:
– Assoziativgesetz: Es gilt x.yz/ D .xy/z für alle x; y; z 2 Dimension eines Vektorraumes Alle Basen eines Vektor-
K. raumes sind gleich mächtig, d. h., zwischen beliebigen zwei
– Existenz des neutralen Elements: Es gibt ein Element Basen B1 und B2 eines Vektorraumes V gibt es eine bijektive
1 2 K, sodass für alle 1 2 K gilt 1x D x. (d. h. umkehrbare) Abbildung B1 ! B2 . Besteht eine Ba-
– Existenz des Inversen: Zu jedem Element 0 ¤ x 2 K sis eines Vektorraumes V nur aus endlich vielen Elementen,
gibt es ein inverses Element x1 mit x.x1 / D 1. dann haben alle Basen von V die gleiche Länge. Diese Länge
– Kommutativgesetz: Für alle x; y 2 K gilt xy D yx. bezeichnet man als Dimension von V.
das Distributivgesetz erfüllt ist: Es gilt x.y C z/ D xy C xz Koordinaten eines Vektors Ist fe1 ; e2 ; : : : ; en g eine Basis
für alle x; y; z 2 K.
des n-dimensionalen Vektorraumes V, kann man jeden Vek-
tor v 2 V eindeutig schreiben als v D x1 e1 C x2 e2 C : : : C
Die Gruppen .K; C/ bzw. .K n f0g; / nennt man abelsch xn en . Das n-Tupel
(nach dem norwegischen Mathematiker Niels Henrik Abel, 0 1
1802–1829), da die Gruppen das Kommutativgesetz erfül- x1
len. Beispiele für Körper sind die rationalen Zahlen Q und Bx2 C
B C
die reellen Zahlen R. Die Menge der rationalen Funktionen B :: C
@:A
einer Veränderlichen mit reellen Koeffizienten R.X/ bildet
xn
ebenfalls einen Körper. Es gibt auch endliche Körper, z. B.
die Restklassen modulo 7.
nennt man die Koordinaten von v bezüglich der Basis
In der Physik werden die Elemente eines Körpers als Skalare fe1 ; e2 ; : : : ; en g und notiert diese als Spaltenvektoren. Um
bezeichnet. Es handelt sich dabei praktisch immer um reel- Platz zu sparen, werden in diesem Buch die Koordinatenvek-
le und komplexe Zahlen (R und C). Zu komplexen Zahlen toren auch als transponierte Zeilenvektoren .x1 ; x2 ; : : : ; xn />
siehe Kap. 6. notiert.
1.1 Definitionen und Grundlagen 7
Die Koordinaten eines Vektors hängen von der Wahl der Ba- Literatur
sis ab. So hat z. B. das Polynom f .X/ D 1 C C 3X
12X
2
Teil I
bezüglich der Basis f1; X; X 2 g die Koordinaten 2 und be- Jänich, K.: Lineare Algebra. 10. Aufl., Springer (2004)
3 Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
der Basis f1; 1 C X; 1 C X C X g die Koordinaten
2
züglich
Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
1
1 .
3
Vektorräume spielen in der Physik eine zentrale Rolle. Mit ihrer dv .t/ d2 x.t/
a.t/ D D DW xR .t/; (1.5)
Hilfe lassen sich alle Größen beschreiben, deren Linearkombi- dt dt2
nationen wieder einen Vektor ergeben. Man begegnet Vektoren und somit die zweite Zeitableitung des Ortes.
über die Mechanik hinaus in praktisch allen physikalischen Dis-
ziplinen. In Aufgabe 1.1 wird die Vektorrechnung vertieft.
Die Bahnkurve x.t/ einer Punktmasse ist die zentrale Größe in Das klassische Relativitätsprinzip
der Mechanik von Punktmassen. Sie gibt an, wie sich ihre Ko-
ordinaten im gewählten Bezugssystem mit der Zeit t ändern. Das Relativitätsprinzip besagt, dass zwei mit konstanter Ge-
Die Bahnkurve enthält alle Raumpunkte, welche die Punktmas- schwindigkeit relativ zueinander bewegte Koordinatensysteme
se im Laufe der Zeit durchläuft. Dies ist in Abb. 1.1 dargestellt. äquivalent sind, d. h., keines dieser beiden Systeme ist irgend-
In Kap. 2 werden wir detailliert untersuchen, wie die Koordi- wie vor dem anderen ausgezeichnet. Durch eine Messung lässt
naten einer Punktmasse von der Wahl des Koordinatensystems sich folglich nicht entscheiden, ob ein gegebenes System ruht
abhängen und wie man zwischen verschiedenen Koordinaten- oder sich mit konstanter Geschwindigkeit bewegt. Nur die rela-
systemen transformieren kann. tive Geschwindigkeit zweier Systeme ist messbar.
8 1 Die Newton’schen Axiome
Metrische und normierte Räume werden eingeführt, um den kxk D jj kxk (Homogenität)
Abstandsbegriff zwischen Punkten im R3 auf beliebige Men- kx C yk kxk C kyk (Dreiecksungleichung)
gen zu verallgemeinern. Dies geht wie folgt:
Definition Metrik Eine Metrik auf einer Menge X ist eine für alle x; y 2 V und 2 K.
Abbildung d W X X ! R mit den Eigenschaften Ein Vektorraum V mit Norm kk wird als normierter Raum
bezeichnet. Jeder normierte Raum ist durch d.x; y/ WD kx
d.x; y/ 0, d.x; y/ D 0 , x D y (Definitheit)
yk auch ein metrischer Raum. Ein vollständiger normierter
d.x; y/ D d.y; x/ (Symmetrie)
Raum heißt Banach-Raum.
d.x; z/ d.x; y/ C d.y; z/ (Dreiecksungleichung)
Vektoren v 2 V mit kv k D 1 nennt man Einheitsvektoren
für beliebige x; y 2 X. Die Dreiecksungleichung besagt an- bezüglich der Norm kk. In diesem Buch werden Einheitsvek-
schaulich nichts anderes, als dass jeder Umweg von x nach toren in der Regel fett und mit einem Hut dargestellt, z. B. vO .
z über y länger ist als der direkte Weg von x nach z. Eine
Menge X mit einer Metrik d wird als metrischer Raum be- Beispiele
zeichnet. p
Rn mit kxkk WD k jx1 jk C jx2 jk C : : : C jxn jk
Mithilfe der Metrik kann der aus R bekannte Konvergenz- Rn mit kxk1 WD max.jx1 j; jx2 j; : : : ; jxn j/ (Maximums-
begriff auf X übertragen werden: Eine Punktfolge .xn / aus norm)
X konvergiert gegen x 2 X, wenn die Folgenglieder irgend- der Vektorraum der integrierbaren Funktionen f W Œ0; 1
R1
wann beliebig nahe bei x liegen, d. h. wenn es zu jedem " > 0 ! R mit der Norm kf k WD 0 jf .x/j dx
ein n" 2 N gibt, sodass d.xi ; x/ < " für alle i n" gilt. der Vektorraum der beschränkten Funktionen f W I ! R
auf einem Intervall I R mit der Supremumsnorm
Auch der Begriff einer Cauchy-Folge lässt sich aus R über-
kf k1 WD supff .x/ j x 2 Ig (das Supremum einer nach
tragen: Eine Folge .xn / aus X heißt Cauchy-Folge, wenn die
oben beschränkten nichtleeren Menge M R ist die
Folgenglieder irgendwann beliebig nahe beieinander liegen,
kleinste obere Schranke aller Elemente von M)
d. h. wenn es zu jedem " > 0 ein n" 2 N gibt, sodass
d.xi ; xj / < " für alle i; j n" gilt. Hat der metrische
Raum die Eigenschaft, dass jede Cauchy-Folge konvergiert, Die euklidische Norm kk2 im Rn entspricht genau der Länge
so nennt man den Raum vollständig. des durch die Komponenten .x1 ; x2 ; : : : ; xn / beschriebenen
Verschiebepfeiles. Außerdem ist kxk1 D limk!1 kxkk .
Definition Norm Sei V ein reeller oder komplexer Vektor-
raum über K (d. h. über K D R oder K D C). (Komplexe Äquivalenz von Normen In einem Vektorraum kann es
Zahlen werden in Kap. 6 besprochen.) Eine Norm auf V ist mehrere verschiedene Normen geben (siehe obige Beispie-
eine Abbildung kk W V ! R, v 7! kv k mit le). In endlich-dimensionalen Vektorräumen sind allerdings
alle Normen äquivalent und führen auf den gleichen Konver-
kxk 0, kxk D 0 , x D 0 (Definitheit) genzbegriff.
Sämtliche physikalischen Gesetze, die im Rahmen der klassi- Kräften verknüpft sind, welche diese Beschleunigungen erzeu-
schen Mechanik aufgestellt und abgeleitet werden, liefern daher gen.
identische Resultate in allen Bezugssystemen, die sich rela-
tiv zueinander mit einer konstanten Geschwindigkeit bewegen.
Dies kann man sich folgendermaßen veranschaulichen: Sitzt
man im Zug und beobachtet durch das Fenster einen anderen 1.2 Die Newton’schen Axiome
Zug und physikalische Phänomene in seinem Inneren, so kann
man daraus nicht ableiten, ob der eigene Zug vorwärts oder der Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit den Newton’schen Axio-
andere rückwärts fährt. Nur die Relativgeschwindigkeit der Zü- men, welche die Grundlage der klassischen Mechanik bilden.
ge ist direkt bestimmbar, wenn man nicht zusätzlich die Gleise Sie können als fundamentale Naturgesetze innerhalb eines be-
oder die Landschaft beobachtet (und damit ein weiteres Bezugs- stimmten, in der Einleitung beschriebenen Geltungsbereichs
system heranzieht). angesehen werden. Weiterhin werden Inertialsysteme definiert,
in denen die Grundgleichungen der Mechanik eine besonders
Im Gegensatz zu Geschwindigkeiten sind Beschleunigungen je- einfache Form annehmen. Der Begriff des Inertialsystems ist
doch stets messbar. Wir werden in Kürze sehen, dass sie eng mit eng mit dem der Kräfte und Beschleunigungen verbunden, was
1.2 Die Newton’schen Axiome 9
Teil I
Das Skalarprodukt von Vektoren im Rn ist schon aus der Vektoren einer Basis fe1 ; e2 ; : : : ; en g und die Koordinaten
Schule bekannt. Es gilt nun, dieses Konzept auf Vektorräume von
P x und y bezüglich
P dieser Basis bekannt Psind. Für x D
zu verallgemeinern. x e
i i i und y D y e
j j j ergibt sich hx; yi D i;j xi yj hei ; ej i.
Definition Skalarprodukt Sei V ein Vektorraum über dem Orthogonalität von Vektoren Zwei Vektoren x und y in
Körper K. Ein Skalarprodukt ist eine Abbildung V V ! K V heißen orthogonal (bezüglich des Skalarprodukts h; i),
(wobei wir hier nur die Körper K D R oder K D C wenn hx; yi D 0 ist. Eine Basis von V, bei der verschiedene
betrachten; wer mit den komplexen Zahlen noch nichts an- Basisvektoren zueinander orthogonal sind, also hei ; ej i D 0
fangen kann, kann sich hier immer K D R vorstellen), für alle i ¤ j gilt, nennt man Orthogonalbasis von V.
.x; y/ 7! hx; yi mit den Eigenschaften Für eine Orthogonalbasis vereinfacht sich das Skalarprodukt
P
N 1 ; y1 i C hx zwischen x und y zu hx; yi D i xi yi hei ; ei i. Gilt jetzt auch
hx1 C x2 ; y1 i D hx N 2 ; y1 i (Bilinearität) noch hei ; ei i D 1 für alle i, sind also alle Basisvektoren Ein-
hx1 ; y1 C y2 i D hx1 ; y1 i C hx1 ; y2 i heitsvektoren, so spricht man von einer Orthonormalbasis
hx; xi 0, hx; xi D 0 , x D 0 (Definitheit) von V. Bezüglich einer Orthonormalbasis kann das Skalar-
produkt zweier Vektoren einfach ausPden Koordinaten der
für alle x; x1 ; x2 ; y1 ; y2 2 V und ; 2 K. Hierbei bezeichnet Vektoren berechnet werden: hx; yi D i xi yi .
N das komplex Konjugierte zu . Im Falle K D R kann die
Ausgehend von einer beliebigen Basis von V kann man in
komplexe Konjugation weggelassen werden.
endlich vielen Schritten eine Orthonormalbasis von V finden
Bei Vektoren x; y 2 R3 wird in diesem Buch für das Skalar- (Gram-Schmidt’sches Orthogonalisierungsverfahren).
produkt auch die Schreibweise x y verwendet. Man spricht
häufig auch vom inneren Produkt. Geometrische Bedeutung Im R3 bezüglich der Standard-
basis (kartesische Koordinaten) gilt xy D jxjjyj cos ˛, wobei
Definition euklidischer Raum Ein Vektorraum über R mit ˛ der zwischen x und y eingeschlossene Winkel ist. Dies
Skalarprodukt heißt euklidischer Raum. rechtfertigt auch die Verwendung des Begriffs orthogonal für
xy D 0, denn nur in diesem Fall stehen die Vektoren x und y
Jeder euklidische Raum ist durch kv k WD .hv ; v i/1=2 auch
im R3 genau senkrecht aufeinander. Ist yO ein Einheitsvektor,
ein normierter Raum. In euklidischen Räumen sind die Ein-
dann ist im R3 das Skalarprodukt x yO genau gleich der Länge
heitsvektoren genau die Vektoren mit hv ; v i D 1.
der Projektion von x auf yO . Ist fe1 ; e2 ; : : : ; en g eine Orthogo-
Im Folgenden sei V endlich-dimensional. Aufgrund der Bi- nalbasis von V, dann können die Koordinaten von x mithilfe
linearität des Skalarprodukts kann man den Wert von hx; yi des Skalarprodukts berechnet werden: xi D hx; ei i. Auch hier
berechnen, wenn alle Skalarprodukte hei ; ej i zwischen den sind die Skalarprodukte gleich den Projektionen von x auf ei .
Erstes Newton’sches Axiom wenn Kräfte abwesend sind. Die Begriffe „Masse“ und „Kraft“
verwenden wir hier zunächst rein intuitiv, sie müssen noch defi-
Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder niert werden. Die Masse m, die im Bewegungsgesetz auftritt, sei
gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht hier jedoch als die träge Masse eingeführt, auf die wir in Kürze
zurückkommen werden.
10 1 Die Newton’schen Axiome
Das zweite Newton’sche Axiom Punktteilchen drei Freiheitsgrade besitzt, jeweils einen für die
Bewegung entlang jeder Raumrichtung. Die Anzahl der Frei-
Teil I
Unter der Trägheit einer Masse versteht man also den Wider- führt. Dieser Fall wird in Abschn. 1.3 anhand der Raketenglei-
stand gegen eine Beschleunigung: je größer die träge Masse m, chung diskutiert. In den meisten mechanischen Problemen ist
desto kleiner die Beschleunigung xR für eine gegebene Kraft F. die Masse jedoch konstant und m P D 0.
Teil I
te der allgemeinen Relativitätstheorie ins Spiel kommen. J
Inertialsysteme
m F1
Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in denen sich ein
Abb. 1.3 Die Gesamtkraft F auf eine Punktmasse m ist die Superposition der kräftefreier Körper geradlinig-gleichförmig bewegt.
beiden Einzelkräfte F1 und F2 . Diese Aussage gilt für beliebig viele Einzelkräfte,
wird hier aber aus Gründen der Übersichtlichkeit nur für zwei Kräfte gezeigt
Ein Beispiel für ein Bezugssystem, in dem das erste New-
ton’sche Axiom in der Form (1.7) nicht gilt, ist eine rotierende
Das vierte Newton’sche Axiom Scheibe. Auf ihr kann eine Punktmasse nur dann in Ruhe blei-
ben, wenn sie durch eine Kraft festgehalten wird. Es ist zu
betonen, dass Naturgesetze im Allgemeinen und das zweite
Es gibt eine wichtige Erweiterung zu den Newton’schen Axio- Newton’sche Axiom im Speziellen auch in Nichtinertialsyste-
men. Von Newton selbst als Zusatz formuliert, bezeichnet man men formuliert werden können, dabei aber in der Regel kom-
den folgenden Zusammenhang heute häufig als Lex Quarta. plexer sind. Eine entsprechende Erweiterung der Bewegungs-
gleichungen (1.9) auf beschleunigte und krummlinige (d. h.
Viertes Newton’sches Axiom nichtkartesische) Bezugssysteme wird in Kap. 2 besprochen.
Da Kräfte nicht ohne Klarheit über Inertialsysteme und Iner- Aus dieser Beobachtung lässt sich ableiten, dass schwere und
tialsysteme nicht ohne Klarheit über Kräfte definiert werden träge Massen proportional sind.
Teil I
Im Kraft-Bild existiert die Kraft F21 .x2 x1 / nur dann, wenn Tab. 1.1 Wichtige mechanische Größen und ihre SI- und CGS-Einheiten. Die
zwei Punktmassen m1 und m2 im Abstand jx1 x2 j gravitativ Einheiten für Länge, Zeit und Masse sind die Grundeinheiten, alle anderen sind
abgeleitete Einheiten. In Abschn. 11.3 werden die Einheiten der Elektrodynamik
Teil I
wechselwirken.
aufgelistet
Das Gravitationsfeld g1 .x/ ist jedoch auch in Abwesenheit
der Punktmasse m2 definiert, und zwar an jedem Punkt im Größe SI-Einheit CGS-Einheit
Raum. Befindet sich nun m2 am Ort x2 , so führt dies auf eine Länge m cm
Anziehungskraft, die F21 .x2 x1 / entspricht. Zeit s s
Masse kg g
Geschw. m s1 cm s1
In der Physik, insbesondere bei der Beschreibung der Ele- Beschl. m s2 Gal D cm s2 (Gal)
mentarteilchen, ist der Begriff der Kopplung sehr wichtig. Man Kraft N D kg m s2 (Newton) dyn D g cm s2 (Dyn)
sagt, dass bestimmte Größen (z. B. Masse oder Ladung) an ein Energie J D N m (Joule) erg D dyn cm (Erg)
Feld koppeln (z. B. an das Gravitations- oder elektromagneti- Leistung W D J s1 (Watt) erg s1
sche Feld). Kopplungskonstanten geben dann die Stärke der
Wechselwirkung an. Es ist sinnvoll, in diesem Bild zu denken,
da gewisse Teilchen bestimmte Felder nicht wahrnehmen bzw.
nicht an sie ankoppeln. Ein Beispiel ist eine ungeladene Punkt- Der Grund ist das zweite Newton’sche Axiom in (1.9), das Mas-
masse im elektromagnetischen Feld. se, Raum und Zeit (in Form der zweiten Ableitung des Ortes
nach der Zeit) und die Kraft in Relation setzt. Die vier Grund-
Frage 3 größen sind daher nicht unabhängig voneinander.
Man mache sich klar, dass die Gravitationskraft F21 .x2 x1 /
gleichwertig in den Formen F21 D m2 g1 .x2 / und F12 D Genau wie für die Impulsänderung und Kraft im zweiten New-
m1 g2 .x1 / geschrieben werden kann. ton’schen Axiom lässt sich die Proportionalität von schwerer
und träger Masse in eine Gleichheit umwandeln. Hierfür ist es
nötig, die Gravitationskonstante G entsprechend zu definieren.
Das physikalische Konzept von Feldern spielt in der theoreti- Zur Veranschaulichung gehen wir von der Kraft aus, die eine
schen Physik eine zentrale Rolle, wird aber in der klassischen Masse m1 auf eine Masse m2 ausübt (1.14). Die Masse der Er-
Mechanik noch nicht benötigt. Es wird daher erst in Teil II aus- de sei m2 , und eine Testmasse mit m1 D 1 kg befinde sich auf
führlich besprochen. Dort wird sich schließlich herausstellen, der Erdoberfläche und somit etwa 6378 km vom Zentrum der
dass ein physikalisches Feld wesentlich mehr als eine mathe- Erde entfernt, r D 6378 km. Durch eine Messung wird festge-
matische Hilfsgröße darstellt. stellt, dass eine Gravitationskraft von F D 9:81 N auf m1 wirkt.
Die Gravitationskraft in (1.14) beschleunigt m1 , sodass aus dem
zweiten Newton’schen Axiom
Die Einheiten der mechanischen Größen Gms1 ms2
mt1 a1 D (1.19)
r2
Die Gültigkeit des zweiten Newton’schen Axioms (1.9) setzt ei-
ne geeignete Wahl der Einheiten von Masse, Beschleunigung folgt. Hier wird explizit zwischen trägen (mt ) und schweren
und Kraft voraus. Dies kann man sich anhand der Gleichung Massen (ms ) unterschieden. Nimmt man Proportionalität von
schwerer und träger Masse an,
pP D F (1.18)
1.3 Eindimensionale Bewegung oder Impuls) ein zentraler Aspekt der gesamten theoreti-
schen Physik. Dies wird im Verlauf dieses Buches vielfach
im homogenen Schwerefeld
Teil I
deutlich werden.
Teil I
Differenzialgleichungen (DGLs) sind Gleichungen zwischen Das wichtigste Ergebnis zur Existenz und Eindeutigkeit
Funktionen und deren Ableitungen. Dies bedeutet, dass die von Lösungen eines Anfangswertproblems ist der Satz
gesuchte Lösung einer DGL bzw. eines Systems von DGLs von
Picard-Lindelöf
: Das Anfangswertproblem y0 .x/ D
aus einer bzw. mehreren Funktionen besteht, die die DGL f x; y.x/ ; y.x0 / D y0 mit y W R 7! Rn , f W R ! Rn und
erfüllen, und zwar nicht nur für vereinzelte Argumente, y0 2 Rn ist lokal eindeutig lösbar (d. h., es gibt eine Umge-
sondern im gesamten Definitionsbereich der Lösungsfunk- bung Œt0 "; t0 C", in der die Lösung eindeutig ist), wenn f in
tion(en). x stetig und in y lokal Lipschitz-stetig (steigungsbeschränkt)
ist, d. h., zu jedem .x; y/ gibt es eine Umgebung U um .x; y/,
Eine DGL heißt gewöhnlich, wenn die Funktionen in der sodass für alle .; y1 /; .; y2 / 2 U, y1 ¤ y2 die Steigung
DGL nur von einer Veränderlichen abhängen. Hängen die jf .;y2 /f .;y1 /j
jy2 y1 j
beschränkt ist.
Funktionen in der DGL von mehreren Veränderlichen ab,
enthält also die DGL partielle Ableitungen, so spricht man
Beweisidee Man konstruiert eine Folge .gn / von
von einer partiellen DGL. Beispiele für gewöhnliche und
gn W R ! R ausgehend von g0 .x/ D y0
n n
Näherungslösungen
partielle DGLs sind jeweils 0
über gnC1 .x/ D f x; gn .x/ und gn .x0 / D y0 . Unter Verwen-
dung der Stetigkeitsbedingungen an f kann man zeigen,
df .x/ @g.x; t/ @2 g.x; t/ dass die Folge .gn / gegen eine Lösungsfunktion konvergiert.
D f .x/ und D :
dx @t @x2 Auch die Eindeutigkeit der Lösung kann aus den Stetigkeits-
bedingungen von f gefolgert werden.
Partielle Ableitungen werden im Kasten „Vertiefung: Voll-
ständiges Differenzial“ genauer besprochen. Unter der Ord- Einige Lösungsverfahren für DGLs werden im „Mathemati-
nung einer DGL versteht man den Grad der höchsten auf- schen Hintergrund“ 6.3 vorgestellt.
tretenden Ableitung in der DGL. Die Suche nach Lösungen
einer DGL mit vorgegebenen Werten der Lösungsfunktion
und deren Ableitungen in einem Punkt bezeichnet man als Literatur
Anfangswertproblem.
Walter, W.: Gewöhnliche Differenzialgleichungen: Eine
Im Folgenden wird die häufige Notation y0 .x/ für die Ablei- Einführung. 7. Aufl., Springer (2000)
tung von y nach x verwendet (siehe auch den „Mathemati- Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 2 und Lineare
schen Hintergrund“ 1.7) Algebra 2. 2. Aufl., Spektrum (2012)
die Gleichung für die x3 -Komponente ist inhomogen, vP3 D g. Man sagt auch, dass die Bewegungen entlang der drei Raum-
(Homogen heißt eine Differenzialgleichung, wenn keine additi- richtungen entkoppelt sind, da die Bewegung der Punktmasse
ven konstanten Terme auftreten; ansonsten ist sie inhomogen.) in eine beliebige Richtung keinen Einfluss auf die Bewegung
Ihre Lösung folgt sofort durch Integration: in eine der beiden übrigen Richtungen hat. Im Folgenden
beschränken wir uns daher auf die Beschreibung der reinen
v3 D gt C C1 : (1.26) Fallbewegung, d. h. auf die Bewegung der Punktmasse entlang
der x3 -Achse. Hierbei unterschlagen wir zur Vereinfachung den
Die Integrationskonstante C1 ist offenbar die Geschwindigkeit Index 3 in der Geschwindigkeit und schreiben v anstatt v3 . Au-
v3 zur Zeit t D 0, also C1 D v3 .t D 0/ D v3;0 . Eine weitere ßerdem notieren wir z anstelle von x3 .
Integration liefert
Zur Zeit t D 0 befinde sich die Punktmasse bei z0 D h > 0 mit
1 Geschwindigkeit v0 D 0. Die Lösung der Bewegungsgleichung
x3 D gt2 C v3;0 t C C2 : (1.27) lautet dann
2 1
z D gt2 C h: (1.28)
Demnach ist die zweite Integrationskonstante C2 die x3 -Position 2
der Punktmasse zur Zeit t D 0: C2 D x3 .t D 0/ D x3;0 . Die Punktmasse benötigt daher die Zeit
Frage 4 s
2h
Überprüfen Sie, dass die Lösungen der Bewegungsgleichungen tD ; (1.29)
für die x1 - und x2 -Komponenten entsprechend xi D vi t C xi;0 g
(i D 1; 2) lauten und somit eine Bewegung mit konstanter Ge-
schwindigkeit innerhalb der x1 -x2 -Ebene beschreiben. um den Erdboden bei z D 0 zu erreichen. Daher wird diese Zeit
auch als Fallzeit bezeichnet. Im Moment des Aufschlags ist die
16 1 Die Newton’schen Axiome
Lösungsverfahren
Es gibt kein festes Lösungsverfahren, mit dem man beliebige mit b ¤ 0 geht nach Substitution von g.t/ D at C by.t/ C c
Differenzialgleichungen (DGLs) lösen kann. Manchmal hilft wegen g0 .t/ D a C by0 .t/ über in
ein geschickter Lösungsansatz, oder eine Lösung kann erra-
ten werden. Folgende „Kochrezepte“ sind beim Lösen von g0 .t/ D a C bf .g.t//;
DGLs nützlich.
welche durch Trennung der Veränderlichen gelöst werden
Trennung der Veränderlichen für y0 .t/ D f .t/g.y.t// Um kann.
das Anfangswertproblem (AWP)
Substitution bei y0 .t/ D f .y.t/=t/ Eine DGL der Form
y0 .t/ D f .t/g.y.t//
y.t/
y0 .t/ D f
t
mit f ; g W R ! R stetig, y.t0 / D y0 und g.y0 / ¤ 0 lokal
zu lösen, dividieren wir zunächst durch g.y.t//. Dies ist zu- geht nach der Substitution g.t/ D y.t/=t über in
lässig, da g und y stetig sind und deshalb wegen g.y.t0 // D
g.y0 / ¤ 0 auch g.y.t// ¤ 0 in einer Umgebung U von t0 gilt. f .g.t// g.t/
In ganz U hat g.y.t// ferner das gleiche Vorzeichen. Danach g0 .t/ D :
t
integrieren wir von t0 bis t und erhalten
Diese DGL kann anschließend durch Trennung der Variablen
Zt 0 Zt gelöst werden.
y ./
d D f ./ d; P
t0
g.y.//
t0
Lineare DGL y.n/ .t/ C n1 D0 a .t/y
./
.t/ D f .t/ Die
Lösungsverfahren für lineare DGLs (y.n/ .t/ ist die n-te
was aufgrund des Hauptsatzes der Differenzial- und Integral- Ableitung von y nach t) werden im „Mathematischen Hin-
rechnung zur vorigen Gleichung äquivalent ist. Mithilfe der tergrund“ 6.3 beleuchtet.
Kettenregel lässt sich die linke Seite umformen, sodass wir
Numerische Verfahren Selbst wenn ein AWP eindeutig lös-
bar ist, bedeutet dies noch lange nicht, dass man die Lösung
Zy.t/ Zt Zt
d explizit angeben kann. Für viele Fragen (z. B. Wettervorher-
D f ./ d bzw: H y.t/ D f ./ d sage oder „In welcher Entfernung passiert ein Meteorit die
g. /
y0 t0 t0 Erde?“) spielt es auch gar keine Rolle, ob die Lösung ei-
ner DGL bzw. eines Systems von DGLs explizit oder nur
R z d implizit angegeben werden kann. Tatsächlich interessiert nur
mit H.z/ D y0 g./ erhalten. Da g in ganz U das glei-
die näherungsweise Berechnung von bestimmten Werten von
che Vorzeichen hat, ist H streng monoton wachsend bzw.
1 y.t/; y0 .t/; : : : mit ausreichender Genauigkeit. Hierzu gibt es
fallend und besitzt Umkehrfunktion H . Somit
R t in U eine
1 zahlreiche numerische Verfahren, deren Beschreibung aller-
ist y.t/ D H t0 f ./ d eine Lösung des AWP. Die er- dings den Umfang dieses mathematischen Hintergrunds oder
folgten Umformungsschritte lassen sich sehr leicht merken,
des Buches sprengen würde.
wenn man die Ableitung y0 .t/ als Differenzialquotient dy=dt
schreibt, dann formal mit dem Differenzial dt multipliziert
und die Variablen trennt („alles mit y nach links, alles mit Literatur
t nach rechts“), danach integriert und schließlich das Ganze
nach y.t/ auflöst. Walter, W.: Gewöhnliche Differenzialgleichungen: Eine
Einführung. 7. Aufl., Springer (2000)
Substitution bei y0 .t/ D f at C by.t/ C c Die DGL Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 2 und Lineare
Algebra 2. 2. Aufl., Spektrum (2012)
y0 .t/ D f .at C by.t/ C c/
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld 17
Teil I
Ein Beispiel ist der Fall eines Steines in einem Gefäß mit Sirup.
Reibungskraft
FR Wir beschränken uns für das nächste Beispiel wieder auf eine
Bewegung entlang der x3 -Achse und bezeichnen die Geschwin-
m digkeit und den Ort wie schon zuvor mit v und z. Die Bewe-
gungsgleichung für die Bewegung entlang der z-Achse lautet
Gewichtskraft dann
F G = −mg e
b3 mRz D mvP D mg K v : (1.32)
Gleichung (1.32) lässt sich durch Separation der Variablen lö-
sen: Z Z
dv
D g dt: (1.33)
Abb. 1.5 Fällt ein Körper mit Masse m in einem Medium (z. B. in einer Flüs- 1 C mgK
v
sigkeit oder der Atmosphäre), muss zusätzlich zur Gewichtskraft FG D mg eO 3
eine Reibungskraft FR berücksichtigt werden (Siehe hierzu auch den „Mathematischen Hintergrund“ 1.5.)
Die Lösung lautet
Fallgeschwindigkeit mg Kv
ln 1 C D gt C C1 (1.34)
s K mg
2h p
v D gt D g D 2gh: (1.30) mit einer Integrationskonstanten C1 . Die Fallgeschwindigkeit
g ist somit
Der verwandte, sogenannte schiefe Wurf wird in Aufgabe 1.2 mg K.C1 gt/
behandelt. vD exp 1 : (1.35)
K mg
Wir haben gesehen, dass für die vollständige Lösung einer
Nach sehr langer Zeit, für t ! 1, nähert sich v der Endge-
Differenzialgleichung zweiter Ordnung zwei Integrationskon-
schwindigkeit
stanten benötigt werden. In dem hier besprochenen Beispiel mg
handelt es sich um eine Differenzialgleichung in der Zeit, womit vE D <0 (1.36)
K
die Integrationskonstanten den Anfangsbedingungen (der An-
fangshöhe und der Anfangsgeschwindigkeit) entsprechen. an, sodass die Lösung in der Form
C1 gt
v D jvE j 1 exp (1.37)
Lösung der Bewegungsgleichungen jvE j
Für die vollständige Lösung der Bewegungsgleichungen geschrieben werden kann.
einer Punktmasse entlang einer Achse benötigt man zwei
Integrationskonstanten. Dies können beispielsweise die Frage 5
Anfangsbedingungen für Ort und Geschwindigkeit sein. Machen Sie sich den Zusammenhang zwischen (1.35), (1.36)
und (1.37) im Grenzfall t ! 1 klar.
Hohe
¨ wobei K 0 ein entsprechender Reibungskoeffizient ist, der genau
z(t) wie K in (1.31) von der Beschaffenheit des fallenden Körpers
Teil I
z0 Frage 7
v 0 = −v E Machen Sie sich klar, dass der Reibungsterm in (1.45) stets der
Geschwindigkeit v entgegenwirkt.
v 0 = − 12 v E
v 0 = 12 v E v0 = 0 Für einen fallenden Körper gilt wegen der Orientierung der Ko-
ordinatenachsen v < 0 und somit
0 t
K0 2
Abb. 1.6 Fallkurven z.t/ entsprechend (1.43) für Stokes’sche Reibung und ver- zR D g C v : (1.46)
schiedene Anfgangsgeschwindigkeiten v0 . Die Endgeschwindigkeit ist vE
m
Abbildung 1.6 zeigt einige Beispielkurven für z.t/ für verschie- Frage 8
dene Anfangsgeschwindigkeiten. Überprüfen Sie die Gültigkeit der Partialbruchzerlegung 2=.1
Frage 6 x2 / D 1=.1 x/ C 1=.1 C x/ und den Schritt von (1.48) nach
Die Endgeschwindigkeit vE lässt sich auch einfacher bestim- (1.49). Zeigen Sie ferner, dass (1.50) tatsächlich eine Lösung
men. Man leite sie aus (1.32) und der Annahme her, dass im von (1.49) ist.
Endzustand vP D 0 gilt.
Wir wählen die Integrationskonstante so, dass v D v0 bei t D 0
In Aufgabe 1.3 kommen wir auf die Stokes’sche Reibung zu- gilt:
vE vE v0
rück. C1 D ln : (1.51)
2 vE C v0
Nach einer algebraischen Umformung folgt
Der Fall mit Luftwiderstand jvE j v0 .jvE j C v0 / exp .2gt=jvE j/
v D vE : (1.52)
jvE j v0 C .jvE j C v0 / exp .2gt=jvE j/
Fällt der Körper sehr schnell oder ist die Dichte des Mediums
klein, so nimmt die Reibung quadratisch mit der Geschwindig- Für sehr große Zeiten, t ! 1, fallen die Exponentialterme weg,
keit zu, und die Geschwindigkeit nähert sich der asymptotischen Endge-
mRz D mg K 0 v jv j; (1.45) schwindigkeit: v ! vE .
1.3 Eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld 19
Teil I
z z0 D v .t0 / dt0 (1.53)
t0
was sich zu Abb. 1.7 Start des GOES-N-Satelliten an Bord einer Boeing-Delta-IV-Rakete
(© NASA)
vE2 0 s
z z0 D s C 2 ln 1 C a exp.s0 / s0
(1.56)
2g
die Gesamtmasse der Rakete und des ausgestoßenen Materials
integrieren lässt. Wir wählen t0 D 0 und somit s0 D 0 und erhalten ist.
setzen die Definitionen von a und s wieder ein. Das Endergebnis
ist Im Folgenden wird angenommen, dass eine Rakete im ho-
mogenen Gravitationsfeld senkrecht nach oben beschleunigt
v2 wird und Luftwiderstand vernachlässigbar ist. Im Bezugssys-
z D z0 jvE jt E ln ˛ mit
g tem der Rakete wird der verbrannte Treibstoff dann mit einer
(1.57) Geschwindigkeit u nach unten ausgestoßen. In einem kleinen
1 v0 v0 2gt
˛D 1 C 1C exp : Zeitintervall dt verliert die Rakete somit eine Masse dm. Damit
2 jvE j jvE j jvE j ändert sich der Impuls der Rakete in diesem Zeitintervall auf-
Nach einer hinreichend langen Zeit, t jvE j=g, und für v0 D 0 grund des Ausstoßes um
ist der asymptotische Verlauf dpa D dm u: (1.60)
v2 Im homogenen Gravitationsfeld wird die Rakete zusätzlich nach
z ! z0 jvE jt C E ln 2: (1.58)
g unten beschleunigt, wobei die entsprechende Impulsänderung
Im Gegensatz dazu haben wir für die Stokes’sche Reibung in dpg D mg dt (1.61)
(1.44) gesehen, dass für v0 D 0
ist. Die Geschwindigkeit der Rakete ändert sich dadurch um
v2
z ! z0 jvE jt C E (1.59) dpa C dpg
g dv D : (1.62)
m
gilt. Wegen ln 2 < 1 ist die durchfallene Höhe bei Luftwider-
Generell nennt man eine Impulsänderung p durch eine wir-
stand kleiner als bei Stokes’scher Reibung. Dieser Vergleich gilt
kende Kraft F über eine Zeitspanne t den Kraftstoß:
allerdings nur, wenn die beiden Endgeschwindigkeiten iden-
tisch sind, was im Allgemeinen nicht der Fall ist. Z
tCt
Wir sind nun so weit, dass wir uns mit einer Gleichung beschäf- dm
dv D u g dt: (1.64)
tigen können, in der die Masse keine Konstante mehr ist. Eine m
Rakete wird durch den Rückstoß des von ihr ausgestoßenen Ma- Die allgemeine Lösung erhält man durch eine einfache Integra-
terials beschleunigt (Abb. 1.7). Dabei nimmt die Masse m der tion. Sie lautet
Rakete kontinuierlich ab. Somit ist die Rakete die einzige An-
wendung im nichtrelativistischen Abschnitt von Teil I, bei der m.t/
v .t/ v0 D u ln gt; (1.65)
die Masse nicht konstant ist. Es ist aber erneut zu betonen, dass m0
20 1 Die Newton’schen Axiome
wobei v0 D v .0/ und m0 D m.0/ die Anfangsgeschwindig- Beschleunigung von M führt. Eine allgemeine Diskussion ohne
keit und Anfangsmasse der Rakete sind. Die Geschwindigkeit diese Einschränkungen wird in Kap. 3 nachgeholt.
Teil I
˛mPr
mPrrR D : (1.68)
1.4 Energiesatz in einer Dimension r2
Dies führt direkt auf
Die eindimensionale Bewegung im homogenen Schwerefeld m d 2 d 1
aus Abschn. 1.3 wird hier nun auf allgemeinere Kraftfelder in rP D ˛m : (1.69)
2 dt dt r
zunächst einer Dimension erweitert. Dabei wird der Begriff der
Energie einer Punktmasse eingeführt. Es wird gezeigt, dass die Die Zeitableitungen werden nun auf der linken Seite gesammelt,
Energie unter bestimmten Umständen erhalten ist; dabei kom- und eine einmalige Zeitintegration liefert sofort
men wir auch auf dissipative Kräfte zu sprechen, die in der
Regel zu einer Energieabnahme führen. Der Energieerhaltungs- 1 2 ˛
m rP DW E D T C V D const: (1.70)
satz vereinfacht das Lösen der Bewegungsgleichung. Dies wird 2 r
anhand des harmonischen Oszillators – als Beispiel einer peri-
odischen Bewegung – verdeutlicht. Die Größe E wird als Energie bezeichnet. Sie ist wegen (1.70)
zeitlich konstant; es gilt also Energieerhaltung. Der erste Term,
1 2
TD mPr ; (1.71)
Der freie Fall aus großer Höhe 2
ist die kinetische Energie und der zweite Term,
Fällt eine Punktmasse m, bei vernachlässigter Reibung, im Gra-
˛m
vitationsfeld der Erde über eine Strecke, die nicht klein im VD ; (1.72)
Vergleich zum Erdradius ist, so sieht die Punktmasse im Lau- r
fe des Fallens ein zunehmendes Gravitationsfeld im Abstand r die potenzielle Energie der Punktmasse m im Gravitationsfeld.
zum Erdmittelpunkt (siehe (1.14)): Energie ist eine Größe, die in der gesamten Physik eine fun-
damentale Rolle spielt. Sie ist ein Maß für die Fähigkeit eines
GMm
FG D eO r : (1.66) Systems, Körper entgegenwirkender Kräfte zu bewegen und
r2 somit Arbeit zu verrichten (Arbeit wird später in (1.86) defi-
Hierbei ist anzumerken, dass (1.66) gültig ist, obwohl die Erde niert). Die kinetische Energie T entspricht derjenigen Arbeit,
nicht als Punktmasse approximiert werden kann. Wir werden in die benötigt wird, die Punktmasse m aus der Ruhe auf die Ge-
schwindigkeit rP zu beschleunigen. Sie ist somit eng mit der
Aufgabe 2.7 sehen, dass für radialsymmetrische Massenvertei-
lungen die Näherung einer Punktmasse und das entsprechende Trägheitskraft mRr der Punktmasse m verknüpft. Die potenziel-
Kraftgesetz (1.66) tatsächlich gelten, wenn man sich auf das le Energie V allerdings wird durch äußere Kraftfelder bestimmt.
Wir werden in Kürze genauer über Arbeit und Energie sprechen.
Gravitationsfeld außerhalb der Massenverteilung (d. h. oberhalb
der Erdoberfläche) beschränkt. Wir werden weiterhin finden, Die Fallgeschwindigkeit v lässt sich somit als Funktion des Ab-
dass das Gravitationsfeld im Inneren der Erde eine andere Form stands r angeben. Es ist im Allgemeinen nicht möglich, eine
annimmt, die an dieser Stelle jedoch keine Rolle spielt. geschlossene Gleichung für v als Funktion der Zeit t zu er-
halten. Für die meisten Anwendungen ist dies auch gar nicht
Für die weitere Beschreibung ist es nicht nötig, die Gravita-
erforderlich, und man begnügt sich damit, v .r/ zu bestimmen.
tionskonstante G und die Erdmasse M getrennt zu behandeln.
Stattdessen ist es sinnvoller, die Größe ˛ WD GM einzuführen.
Die Bewegungsgleichung der Punktmasse entlang des Vektors Fluchtgeschwindigkeit
eO r ist nun
˛m Gleichung (1.70) besagt, dass sich die Energie einer
mRr D 2 : (1.67)
r Punktmasse im Gravitationsfeld der Erde nicht ändern
Wir beschränken uns hier auf eine radiale, d. h. eindimensiona- darf: E.t/ D E0 D const. Hier ist E0 die Energie, die
le Bewegung mit v D v eO r D rP eO r . Weiterhin ist zu betonen, durch die Anfangsbedingungen des Problems gegeben ist,
dass an dieser Stelle der Einfluss der Bewegung der Testmasse
1 2 ˛m
m auf die Bewegung der Erde vernachlässigt wird. In Wirklich- E0 D mv ; (1.73)
keit aber wird auch die große Punktmasse M von der kleinen 2 0 r0
Punktmasse m angezogen, was zu einer kleinen, aber endlichen
1.4 Energiesatz in einer Dimension 21
E
wobei v0 D rP .t D 0/ und r0 D r.t D 0/ sind. Angenom-
Teil I
men, die Punktmasse m ruht anfangs im Unendlichen,
r0 D 1 und v0 D 0, so ist E0 D E.t/ D 0 und damit v > v∞
1 2 ˛m GMm gR2Erde m 0
mv D D D : (1.74)
2 r r r
v < v∞
V (r)
Die letzte Identität folgt aus der Tatsache, dass die Gra-
vitationsfelder mg aus (1.23) und GMm=r2 aus (1.66)
an der Erdoberfläche identisch sein müssen:
GMm
mg D : (1.75)
R2Erde
0 RErde r
Fällt nun eine Punktmasse aus dem Unendlichen auf die
Erdoberfläche bei r D RErde , so ist die Geschwindigkeit
Abb. 1.8 Startet eine Punktmasse auf der Erdoberfläche bei einem Radius r D
beim Aufschlag RErde mit einer Geschwindigkeit v , so kann sie das Gravitationsfeld der Erde
p verlassen, wenn v > v1 und damit die Energie positiv ist: E > 0. In diesem Fall
v1 D 2gRErde D 11;2 km s1 : (1.76) besitzt die Punktmasse noch einen Geschwindigkeitsüberschuss im Unendlichen,
da dort das Potenzial verschwindet, V D 0, und demnach die kinetische Energie
Diese Geschwindigkeit nennt man im Umkehrschluss T positiv bleibt. Ist E < 0, so gilt v < v1 , und die Punktmasse kann das
Potenzial nicht überwinden, da an einem endlichen Abstand T D 0 wird und die
auch die Fluchtgeschwindigkeit von der Erde, denn ein Punktmasse zur Ruhe kommt. Dieser Punkt kann zeichnerisch bestimmt werden
Körper muss an der Erdoberfläche mindestens diese Ge-
schwindigkeit besitzen, um das Gravitationsfeld der Erde
verlassen zu können.
die Bewegung in drei Dimensionen wird in Abschn. 1.6 disku-
Angenommen, eine Punktmasse m startet bei t D 0 auf tiert.
der Erdoberfläche mit einer nach oben gerichteten Ge-
schwindigkeit v0 . Ist v0 v1 , so ist E 0, und die Die Bewegungsgleichung für eine Punktmasse m unter dem
Punktmasse wird stets eine positive Geschwindigkeit be- Einfluss einer ortsabhängigen Kraft F.z/ lautet
halten und somit nicht auf die Erde zurückfallen. Ist die
mRz D F.z/: (1.77)
Geschwindigkeit beim Start kleiner, v0 < v1 , so ist
E < 0, und die Punktmasse wird an einem Punkt r < 1 Definiert man eine Funktion V.z/ mit der Eigenschaft
zunächst zur Ruhe kommen, rP D 0, und direkt danach
wieder auf die Erde zurückfallen. Der Grund ist, dass die dV.z/ dV.z/
D zP D F.z/Pz (1.78)
kinetische Energie T nicht negativ werden kann, da sie dt dz
positiv-semidefinit ist. Dies ist in Abb. 1.8 anschaulich
bzw.
dargestellt. J
dV.z/
F.z/ D ; (1.79)
dz
Frage 9 so kann (1.77) nach Multiplikation mit zP in der Form
Wie groß ist die Gravitationsbeschleunigung auf der Jupiter-
m d 2 dV.z/
oberfläche im Vergleich zur Beschleunigung auf der Erdober- zP D (1.80)
fläche, wenn die Masse von Jupiter 318 Erdmassen und sein 2 dt dt
Radius 10,9 Erdradien entspricht? Nutzen Sie dazu (1.75) aus. geschrieben werden. Offensichtlich ist dabei
Zz
V.z/ WD F.z0 / dz0 : (1.81)
z0
Der Energieerhaltungssatz in einer Dimension
Frage 10
Mit (1.70) haben wir bereits die Energieerhaltung für den ein- Man zeige, dass die untere Integrationsgrenze z0 in (1.81) frei
dimensionalen, freien Fall im Gravitationsfeld aus großer Höhe gewählt werden kann. Überlegen Sie dabei, dass bei der Kraft-
gefunden. Wir werden diese Aussage nun zunächst im eindi- berechnung nach z und nicht nach z0 abgeleitet wird.
mensionalen Raum verallgemeinern. Die Energieerhaltung für
22 1 Die Newton’schen Axiome
Aus den obigen Überlegungen folgt, dass die Zeitableitung Wird eine Punktmasse m in einem Kraftfeld F.z/ von Punkt za
nach zb bewegt, so wird dabei die sogenannte Arbeit
d m 2
Teil I
m
E WD zP 2 C V.z/ D T C V.z/ D const (1.83) vom Kraftfeld am Teilchen verrichtet. Für W > 0, „fällt“ die
2 Punktmasse im Potenzial. Die dabei verrichtete Arbeit wird in
kinetische Energie umgesetzt. Ist dagegen W < 0, so wird ki-
erhalten, wobei T wieder die kinetische Energie bezeichnet.
netische Energie in potenzielle Energie umgewandelt, und die
Gleichung (1.82) repräsentiert den Energieerhaltungssatz. Er-
Punktmasse wird abgebremst. Während dieser Vorgänge bleibt
haltungsgrößen, die sich aus einer Integration der Bewegungs-
T C V stets konstant. Unter der Leistung
gleichungen ergeben (wie die Energie), nennt man auch Inte-
grale der Bewegung. dW
P WD D F.z/Pz (1.87)
Man nennt die Größe V.z/ die potenzielle Energie oder das dt
Potenzial zur Kraft F.z/. Es kann für eindimensionale Proble-
me stets über das Integral (1.81) aus der Kraft F.z/ berechnet versteht man die Rate, mit der Arbeit verrichtet wird.
werden, solange diese nur vom Ort z abhängt. Für allgemeine
geschwindigkeits- und zeitabhängige Kräfte lässt sich dagegen
kein Potenzial definieren. Da z0 in (1.81) beliebig ist, ist das Po-
Dissipation von Energie
tenzial nur bis auf eine Konstante bestimmt. Dies wird häufig
ausgenutzt, um die Gesamtenergie auf einen bestimmten Wert in mechanischen Systemen
zu setzen (z. B. E D 0).
Geschwindigkeitsabhängige Kräfte, z. B. Reibungskräfte, las-
Energieerhaltungssatz in einer Dimension sen sich nicht in der Form F D dV=dz schreiben. Die Energie
E D T C V ist dann im Allgemeinen nicht erhalten. In solchen
Ist die Kraft F.z/ nur eine Funktion des Ortes, so kann Fällen spricht man von dissipativen Kräften. Eine Kraft lässt
in einer Dimension durch (1.81) stets ein Potenzial V.z/ sich stets als Summe einer nichtdissipativen und einer dissipati-
definiert werden. Die Energie ist dann erhalten. ven Kraft schreiben:
Teil I
In vielen Fällen hängt eine Funktion f nicht nur von einer abhängig. Man nennt eine Funktion des Raumes, also eine
Veränderlichen ab. Ist f D f .x; y/, so nennt man Funktion aller drei Ortskoordinaten, ein Feld. Dann ist das
vollständige Differenzial
@f @f
df D dx C dy
@x @y @f @f @f @f
df D dx1 C dx2 C dx3 C dt
@x1 @x2 @x3 @t
das vollständige Differenzial von f . Dies kann ohne Proble-
me auf beliebig viele Veränderliche erweitert werden. Die und die vollständige Zeitableitung
Terme @f =@x nennt man partielle Ableitungen, bei denen alle
Veränderlichen außer x bei der Ableitung festgehalten (d. h. df @f dx1 @f dx2 @f dx3 @f
als Konstanten behandelt) werden. Anschaulich bedeutet das fP D D C C C :
vollständige Differenzial, dass alle Veränderlichen zur Varia- dt @x1 dt @x2 dt @x3 dt @t
tion von f beitragen.
Ist f D f .x.t/; t/, so sagt man, f ist explizit zeitabhängig, da f
In der Physik tritt häufig der Fall auf, dass eine Funktion für festgehaltenes x immer noch eine Funktion von t ist. Hin-
vom Ortsvektor x.t/ D .x1 .t/; x2 .t/; x3 .t//> und der Zeit t gegen hängt f D f .x.t// nur implizit von der Zeit ab, da die
abhängt: f D f .x.t/; t/. Dabei ist der Ortsvektor selbst zeit- Zeitabhängigkeit nur über die Bahnkurve x.t/ in f eingeht.
Wärme aber ein mikroskopisches Konzept ist. Wärme ist eng V (z)
mit der „inneren Energie“ von Körpern verknüpft, die wir in der
klassischen Mechanik nicht behandeln. In Abschn. 33.4 kom-
men wir darauf zurück. J
E
Periodische Bewegungen
für nichtdissipative Kräfte
ED zP C !02 z2 : (1.97)
2
Für E > 0 existieren stets zwei Umkehrpunkte, welche die Glei-
m chung
m
F E D !02 z21;2 (1.98)
−z 2
erfüllen und daher durch
s
Abb. 1.10 Ist der Oszillator um z nach unten ausgelenkt, wirkt die Rück- 2E
stellkraft F nach oben. Die Gravitationskraft für den senkrecht aufgestellten z1;2 D ˙ (1.99)
m!02
Federoszillator führt lediglich zu einer Verschiebung der Schwingung entlang der
z-Achse und ändert ihre Schwingungsdauer nicht
gegeben sind.
Die Bedeutung von !0 wird klar, wenn man die Schwingungs-
reichen des ersten Umkehrpunktes, z1 , ändert die Punktmasse periode berechnet. Einsetzen des harmonischen Oszillatorpo-
ihre Richtung und bewegt sich bis zum Umkehrpunkt z2 , wo tenzials (1.94) und der Energie am Umkehrpunkt (1.98) in die
sie abermals ihre Richtung wechselt und im Anschluss wieder Gleichung für die Schwingungsperiode (1.93) ergibt nach kur-
zum Punkt z1 gelangt. Die beiden Vorzeichen in (1.90) drücken zer Umformung und unter Berücksichtigung von z2 D z1 > 0
aus, dass die Punktmasse in diesem Bereich in beide Richtungen
laufen kann. Während dieser Bewegung ist die Geschwindigkeit Zz2
2 dz 2
der Punktmasse durch die Differenz mv 2 =2 D E V festgelegt. t D q D : (1.100)
Die Schwingungsperiode ist die Zeit, welche die Punktmasse !0 z22 z2 !0
z2
von Punkt z1 zu Punkt z2 und zurück benötigt:
Das Integral kann in einer Integrationstabelle nachgeschlagen
p Z
z2
dz oder nach Substitution mit y D z=z2 mit der Stammfunktion
t D 2.t2 t1 / D 2m p : (1.93)
EV arcsin.y/ berechnet werden. Offensichtlich ist !0 die Oszillati-
z1 onsfrequenz.
Frage 12
Man überprüfe, dass die angegebene Stammfunktion
p arcsin.y/
Der harmonische Oszillator
mit ihrer Ableitung d arcsin.y/=dy D 1= 1 y2 auf das ange-
gebene Ergebnis führt.
Das Integral in (1.93) ist für einige Potenzialformen V.z/ ana-
lytisch lösbar. Ein für die Physik extrem wichtiges Potenzial ist
das des harmonischen Oszillators: Aus (1.95) folgt
mRz D kz (1.101)
k 2
V.z/ D z C V0 : (1.94)
2 für die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszillators. Die
allgemeine Lösung ist
Der Begriff „harmonisch“ bedeutet, dass sich die Lösung durch
Sinus- und Kosinusfunktionen ausdrücken lässt. Der harmo- z.t/ D A cos.!0 t 0 /: (1.102)
nische Oszillator wird in Kap. 6 noch gründlicher untersucht
werden. Das Potenzial aus (1.94) führt auf die in z lineare Kraft Hier ist A 0 die Amplitude der Schwingung, und 0 ist
ein Phasenwinkel, der durch die Anfangsbedingungen festge-
F.z/ D kz (1.95)
legt wird. Man kann diese Lösung durch direkte Integration von
mit der Federkonstanten k. Zur Vereinfachung wählen wir (1.92) erhalten, indem man
V0 D 0. Die Auslenkung wird dabei relativ zur Ruhelage an-
Zy
gegeben, in der sich die Punktmasse befindet, wenn sie nicht dy0
schwingt. Dieser Punkt entspricht dem Minimum des Potenzi- arcsin.y/ arcsin.a/ D p (1.103)
1 y02
als V.z/. Ein Beispiel für einen harmonischen Oszillator ist in a
Abb. 1.10 gezeigt.
ausnutzt. Es ist dem interessierten Leser überlassen, dieses Er-
Definiert man r gebnis zu überprüfen (man findet dabei, dass die Amplitude A
k durch die Energie E bestimmt wird). In Aufgabe 1.7 wird ein
!0 WD ; (1.96)
m alternativer Weg verfolgt, um zu diesem Ergebnis zu kommen.
1.5 Bewegung in drei Dimensionen 25
Frage 13 x3
Wirkt zusätzlich eine Gravitationskraft der Form mg, z. B.
Teil I
wenn der Oszillator wie in Abb. 1.10 senkrecht aufgestellt ist, so
lässt sich eine neue Koordinate zQ D z h einführen, wobei h die
Verschiebung der Ruhelage unter dem Einfluss der Gravitation
ist. Man zeige, dass h D mg=k gilt. Weiterhin mache man sich
klar, dass (1.102) ihre Gültigkeit behält und dass insbesondere
!0 unverändert bleibt, wenn z durch zQ ersetzt wird.
xS
ϕ
In diesem Abschnitt wird die Kinematik einer Punktmasse in x1 x2
drei Dimensionen diskutiert. Neben dem Konzept der Bahnkur-
ven, Tangential-, Normalenvektoren und Bogenlänge werden Abb. 1.11 Die Schraubenlinie mit Radius R erfüllt (1.106) mit '.t/ D !t und
x3 .t/ D v3 t, wobei ! und v3 Konstanten sind. Der Winkel ' ist definiert als der
weiterhin das Drehmoment und der Drehimpuls eingeführt. Da-
Winkel zwischen der Projektion von xs auf die x1 -x2 -Ebene und der x1 -Achse
zu benötigt man das Kreuzprodukt zweier Vektoren, das sich mit
dem Levi-Civita-Symbol darstellen lässt. Es wird gezeigt, wie
sich Kurvenintegrale ausführen lassen. Dieser Abschnitt dient
vor allem als Vorbereitung auf Abschn. 1.6, in dem die Energie- bestimmt. Berechnen Sie ferner aus xK .t/ in (1.105) die Bahn-
erhaltung in drei Dimensionen behandelt wird. geschwindigkeit und Beschleunigung. Die Lösung finden Sie
im anschließenden Beispiel.
Wie bereits in Abschn. 1.1 beschrieben, ist der dreidimensiona- Die obigen Beispiele führen durch einmalige Zeitablei-
le Ortsvektor x einer Punktmasse im Allgemeinen eine Funktion tung auf die Bahngeschwindigkeiten
der Zeit t, x D x.t/. Als Bahnkurve bezeichnet man die Menge 0 1
der Punkte, die während einer Zeit t D t2 t1 von der Punkt- 'R
P sin '.t/
masse durchlaufen werden. In drei Dimensionen lässt sich die v K .t/ D @ 'R
P cos '.t/ A ;
Bahnkurve durch ihre drei kartesischen Komponenten 0
0 1 (1.107)
0 1 'R
P sin '.t/
x1 .t/ v S .t/ D @ 'R
P cos '.t/ A :
x.t/ D @x2 .t/A (1.104) xP 3 .t/
x3 .t/
Durch eine weitere Zeitableitung erhält man die Be-
darstellen. Beispiele sind eine Kreisbahn in der x1 -x2 -Ebene mit schleunigungen
Radius R, 0 1 0 1
R cos '.t/ R sin '.t/ 'P 2 R cos '.t/
'R
xK .t/ D @ R sin '.t/ A ; (1.105) R cos '.t/ 'P 2 R sin '.t/ A ;
aK .t/ D @ 'R
0 0
0 1 (1.108)
oder eine Schraubenlinie längs der x3 -Achse mit Radius R, R sin '.t/ 'P 2 R cos '.t/
'R
0 1 R cos '.t/ 'P 2 R sin '.t/ A :
aS .t/ D @ 'R
R cos '.t/ xR 3 .t/
xS .t/ D @ R sin '.t/ A ; (1.106)
x3 .t/ J
Selbst wenn der Betrag der Geschwindigkeit konstant ist, d. h. Tangential- und Normalenvektoren
jv .t/j D const, kann die Punktmasse beschleunigt sein. Dies ist
von Bahnkurven
Teil I
Teil I
Im R3 kann man zu je zwei Vektoren einen dritten, zu die- .1 2 3/ überführt werden kann, und 1, falls dies nur durch
sen beiden orthogonalen Vektor bestimmen. Dies macht das eine ungerade Anzahl Vertauschungen möglich ist, bzw. null
Vektorprodukt, das noch weitere schöne geometrische Ei- für nicht paarweise verschiedene i; j; k (mit dieser Definiti-
genschaften besitzt. on kann "ijk auch auf mehr als drei Indizes verallgemeinert
werden). Permutationen werden im „Mathematischen Hin-
Definition Vektorprodukt Sei fe1 ; e2 ; e3 g eine rechtshändi- tergrund“ 2.2 genauer besprochen.
ge Orthonormalbasis von R3 (zeigt der Daumen der rechten
Hand in Richtung von e1 , der Zeigefinger in Richtung von Rechenregeln für das Levi-Civita-Symbol Für Summen
e2 , dann zeigt der Mittelfinger nach e3 ). Ferner seien x und von Produkten von Levi-Civita-Symbolen gelten folgende
y Vektoren im R3 , deren Koordinaten bezüglich fe1 ; e2 ; e3 g Rechenregeln (die Regeln ergeben sich leicht aus der Tat-
gegeben sind durch x D .x1 ; x2 ; x3 /> bzw. y D .y1 ; y2 ; y3 /> . sache, dass das Levi-Civita-Symbol nur für verschiedene
Unter dem Vektorprodukt x y versteht man dann den Vektor Indizes nicht verschwindet):
0 1
x2 y3 x3 y2
"ijk "imn D ıjm ıkn ıjn ıkm ,
x y WD @x3 y1 x1 y3 A :
"ijk "ijn D 2ıkn ,
x1 y2 x2 y1
"ijk "ijk D 6.
Das Vektorprodukt (also die Abbildung R3 R3 ! R3 ,
.x; y/ 7! x y) ist bilinear, d. h. Dabei ist ıij das Kronecker-Symbol, das definiert ist durch
.x1 C x2 / y1 D .x1 y1 / C .x2 y1 /; (
0; falls i ¤ j
x1 .y1 C y2 / D .x1 y1 / C .x1 y2 /; ıij WD :
1; falls i D j
und antisymmetrisch, d. h. xy D yx. Häufig wird dieses
Produkt auch als ein äußeres Produkt bezeichnet (im Gegen-
Rechenregeln für das Vektorprodukt Unter Verwendung
satz zum Skalarprodukt, das ein inneres Produkt ist).
der oben angegebenen Regeln kann man zeigen, dass
Levi-Civita-Symbol Die Definition des Vektorprodukts lässt
sich elegant formulieren, wenn das Levi-Civita-Symbol "ijk x x D 0,
verwendet wird, das für i; j; k 2 f1; 2; 3g definiert ist durch ei ej D "ijk ek ,
x .y z/ Cy .z x/ Cz .x y/ D 0 (Jacobi-Identität)
C1 D "123 D "231 D "312 ;
1 D "132 D "321 D "213 ;
für alle x; y; z 2 R3 gilt. Außerdem ist die Graßmann-Iden-
0 sonst: tität sehr nützlich, die man sich am besten durch die „bac-
Die k-te Koordinate von x y schreibt sich dann als minus-cab-Regel“ merken kann: a.bc/ D b.ac/c.ab/.
X
3 X
3 Geometrische Eigenschaften Schließlich sollte noch er-
.x y/k D "ijk xi yj ; wähnt werden, dass das Vektorprodukt einige wichtige geo-
iD1 jD1 metrische Eigenschaften hat:
und für das Vektorprodukt x y ergibt sich die Darstellung
Das Produkt x y steht senkrecht auf x und y, d. h.
X
3 X
3 X
3
xy D "ijk xi yj ek ; x .x y/ D y .x y/ D 0:
iD1 jD1 kD1
Die Vektoren .x; y; x y/ bilden ein Rechtshandsystem.
die unter Verwendung der Einstein’schen Summenkonven- Der Betrag von x y ist gleich der Fläche des durch x und
tion kurz geschrieben wird als y aufgespannten Parallelogramms, also
x y D "ijk xi yj ek : jx yj D jxjjyj sin ;
Es wird dabei über doppelt auftretende Indizes summiert, wobei der von x und y eingeschlossene Winkel ist.
ohne dies explizit anzugeben. Mathematisch ist das Levi-Ci- Der Betrag des Spatprodukts .xy/z ist gleich dem Volu-
vita-Symbol bei verschiedenen i; j; k gleich dem Vorzeichen men des von x, y und z aufgespannten Spats. Daher stellt
der Permutation .i j k/, d. h. C1, falls .i j k/ durch eine gera- das Levi-Civita-Symbol ein orientiertes Einheitsvolumen
de Anzahl von Vertauschungen (Transpositionen) wieder in dar: "ijk D .ei ej / ek .
28 1 Die Newton’schen Axiome
Abb. 1.12 An einem Punkt P einer Bahnkurve lassen sich der Tangentialvektor
, der Hauptnormalenvektor nH sowie der Binormalenvektor nB (senkrecht aus
der Papierebene hinaus) definieren. Der lokale Krümmungsradius entspricht
dem Radius eines Kreises, der am Punkt P die Bahnkurve approximiert
Drehmoment und Drehimpuls von Punktmassen
x2 x3
Teil I
C1
v
L C2
A
x B
C3
x1 x2
x1
zuordnen. Ist F.x/ beispielsweise eine Kraft, die auf eine Punkt-
masse wirkt, so entspricht dieses Skalarprodukt der Arbeit, die
Abb. 1.13 Der Drehimpuls L für eine Punktmasse mit momentaner Geschwin- an der Punktmasse verrichtet werden muss, um sie um ıx zu
digkeit v und Position x steht senkrecht auf v und x. Das Symbol ˇ bedeutet,
verschieben. Nun kann man sich eine Kurve C im Raum vorstel-
dass ein Vektor aus der Papierebene hinaus zeigt. Im Gegensatz dazu verwendet
man ˝, um Vektoren darzustellen, die in die Papierebene hinein zeigen len, die aus lauter kleinen und kontinuierlichen Verschiebungen
zusammengesetzt ist. Die Kurve werde durch den Kurvenpa-
rameter s beschrieben, der aus dem Intervall I D Œsa ; sb
entnommen wird:
Kurvenintegrale
C W I ! R3 ; s 7! x.s/: (1.132)
Das Ergebnis aus Abschn. 1.4 war, dass die Energie in einem Die Anfangs- und Endpunkte der Kurve C sind xa D x.sa / und
eindimensionalen System erhalten ist, wenn die Kraft als nega- xb D x.sb /. Das Kurvenintegral über die Funktion F.x/ entlang
tive Ableitung eines Potenzials nach dem Ort dargestellt werden des Weges x.s/ ist dann
kann:
Zxb
Zz ˚D F.x/ dx: (1.133)
dV.z/
F.z/ D () V.z/ D F.z0 / dz0 : (1.130) xa
dz
z0
In dem speziellen Fall, dass die Anfangs- und Endpunkte iden-
Der Anfangspunkt z0 der Integration ist dabei beliebig. Es ist tisch sind, xa D xb , nennt man die Kurve geschlossen und
wünschenswert, eine ähnliche Aussage in drei Dimensionen zu schreibt das geschlossene Wegintegral
formulieren. Hierbei ergibt sich allerdings die Frage, welcher Zxb I
Integrationsweg zwischen zwei Punkten im R3 gewählt werden
F.x/ dx D F.x/ dx: (1.134)
muss. Im Gegensatz zu der Integration in (1.130), die entlang
der reellen Achse stattfindet, kann im dreidimensionalen Raum xa C
prinzipiell eine unendliche Zahl von Wegen verfolgt werden
(Abb. 1.14). Wir werden bald sehen, dass ein Potenzial V.x/ Zur Berechnung des Kurvenintegrals entlang einer gegebenen
genau dann definiert werden kann, wenn die Integration von der Bahnkurve mit der Parametrisierung x.s/ schreibt man
Wahl des Weges unabhängig ist. Hierzu ist es sinnvoll, sich die
Kurvenintegrale genauer anzusehen. Zxb Zsb
dx
F.x/ dx D F.x/ ds: (1.135)
Es sei F.x/ eine vektorwertige Funktion im dreidimensionalen ds
xa sa
Raum R3 . Einer kleinen Verschiebung vom Punkt x nach x C ıx
lässt sich der Skalar Hier wurde der Integrand in die eindimensionale Funktion F.x/
dx=ds umgewandelt. Die Integration lässt sich daher wie ge-
ı˚ D F.x/ ıx (1.131) wohnt durchführen.
30 1 Die Newton’schen Axiome
Teil I
Im Rn , und besonders im R3 , gibt es einige besondere Ablei- Beispielsweise kann man die totale Zeitableitung einer Funk-
tungsoperatoren, die in der Physik oft benutzt werden. Diese tion f .x.t// mithilfe der Kettenregel als df =dt D .r f / xP
wollen wir hier kurz erklären. schreiben.
Ableitung und partielle Ableitung Eine skalare Funktion Divergenz Unter der Divergenz eines Vektorfeldes g ver-
f W R ! R, x 7! f .x/ ist differenzierbar in x, wenn der steht man den Differenzialoperator, der dem Vektorfeld die
Grenzwert Summe der i-ten partiellen Ableitung der i-ten Komponente,
df f .x C "/ f .x/ also einen Skalar, zuordnet:
f 0 .x/ D .x/ D lim 0 1
dx "!0 "
g1 X 3
existiert. Den Grenzwert bezeichnet man als Ableitung von f . div g WD div @g2 A D @i gi :
Anschaulich beschreibt f 0 .x0 / die Änderungsrate (Steigung) g3 iD1
von f in der Nähe von x0 (vorausgesetzt, dass f hinreichend
glatt ist in einer Umgebung um x0 . Details siehe den „Mathe-
matischen Hintergrund“ 1.8). Rotation Unter der Rotation eines Vektorfeldes versteht
man den Differenzialoperator
Um das Änderungsverhalten skalarer Funktionen mehrerer 0 1
Veränderlicher g W Rn ! R, x 7! g.x/ zu untersuchen, lässt @2 g3 @3 g2
man alle Veränderlichen bis auf xi konstant und betrachtet für rot g D @@3 g1 @1 g3 A :
festes x das Änderungsverhalten der durch gi .t/ WD g.xCtei / @1 g2 @2 g1
auf R ! R definierten Funktion. Dies führt auf die partielle
Ableitung Wie bei der Ableitung auch, bezeichnet man mit Gradient,
Divergenz und Rotation nicht nur den Differenzialoperator
@g g.x C "ei / g.x/
.x/ D g0i .0/ D lim : selbst, sondern auch das Ergebnis seiner Anwendung.
@xi "!0 "
Die partielle Ableitung @x@g
.x/ ist also die Ableitung von g Symbolische Schreibweise In der Physik ist es üblich, Gra-
i
@
an der Stelle x in Richtung des Vektors ei . Statt @x wird oft dient, Divergenz und Rotation mithilfe des Nabla-Operators
auch nur kurz @i notiert.
i auszudrücken. Dieser ist zunächst formal nur der Vektor der
Symbole @1 , @2 , @3 , also
Differenzialoperatoren Ein Differenzialoperator ist eine 0 1
Abbildung, die einer Funktion eine (andere) Funktion zuord- @1
net, die (partielle) Ableitung(en) der ursprünglichen Funkti- r WD @@2 A :
on enthält. Zum Beispiel ist die gewöhnliche Ableitung dx d @3
ein Differenzialoperator, der einer differenzierbaren Funkti-
on f ihre Ableitung dxd
f D f 0 zuordnet. Beim formalen „Rechnen“ mit dem Nabla-Operator fasst
man Produkte des Symbols @i mit einer Funktion f als An-
Gradient Eine Funktion R3 ! R (der Gradient wird hier wendung von @i auf f auf. Dann lässt sich der Gradient von
nur für R3 eingeführt; die Definition lässt sich aber problem- f formal als skalare Multiplikation zwischen r und f schrei-
los auf Rn verallgemeinern) wird als Skalarfeld bezeichnet. ben, die Divergenz von g als Skalarprodukt zwischen r und
Den Differenzialoperator, der einem Feld den Vektor der par- g und die Rotation von g als Vektorprodukt zwischen r und
tiellen Ableitungen des Feldes zuordnet, bezeichnet man als g, also
Gradienten von f :
0 1 grad f D r f ; div g D r g; rot g D r g:
@1 f
grad f WD @@2 f A :
@3 f Rechenregeln Sind f bzw. g Skalarfelder und v ein Vektor-
feld, so gilt
In diesem Buch wird der Gradient als Spaltenvektor definiert.
Vereinzelt wird der Gradient auch als Zeilenvektor einge- r .fg/ D f .rg/ C g.r f /;
führt. Funktionen von R3 ! R3 werden als Vektorfelder r .f v / D f .r v / C v .r f /;
bezeichnet. Der Gradient ist also ein Vektorfeld. Er zeigt in r .f v / D .r f / v C f .r v /:
Richtung des stärksten Anstiegs des Skalarfeldes. Insbeson-
dere steht der Gradient senkrecht auf Flächen, auf denen das Diese sind leicht in Komponentenschreibweise nachzurech-
Skalarfeld konstant ist. nen.
32 1 Die Newton’schen Axiome
Es ist leicht zu sehen, dass die Kraft in (1.143) senkrecht auf die nur vom Abstand r abhängen und stets entlang der Richtung
Äquipotenzialflächen (Flächen mit konstantem Potenzial, V D von r wirken. Diese Kräfte können anziehend (F.r/ < 0) oder
Teil I
const) steht. Dazu betrachte man eine Verschiebung dx, die in- abstoßend (F.r/ > 0) sein. Das Potenzial lautet
nerhalb einer Äquipotenzialfläche liegt:
Zr
0 D dV D r V dx D F dx: (1.145) V.r/ V.r0 / D F.r0 / dr0 ; (1.151)
r0
An dieser Stelle bietet es sich auch an, die Richtungsableitung
des Feldes V.x/ entlang des Vektors nO zu definieren:
wobei r0 und somit V.r0 / beliebig ist.
@V
@nO V D WD nO r V: (1.146) Es ist zu beachten, dass es auch nichtradialsymmetrische Zen-
@nO tralkräfte gibt, die zwar entlang des Vektors r wirken, aber nicht
nur vom Abstand r abhängen. Im Gegensatz zu den radial-
Sie gibt die Steigung von V entlang des Vektors nO an. Liegt nO
symmetrischen Zentralkräften in (1.150) können solche Kräfte
innerhalb einer Äquipotenzialfläche, d. h. ist nichtkonservativ sein. Eine wichtige Eigenschaft aller Zentral-
kräfte ist, dass sie den Drehimpuls L erhalten, da F k r und somit
V.x/ V.x C n/
O D0 (1.147) LP D M D r F D 0 gilt.
Energieerhaltung k 2
V.r/ D r ; (1.152)
Die Energie eines mechanischen Systems ist erhalten, 2
wenn alle Kräfte konservativ sind.
wie wir es bereits in (1.94) für den eindimensionalen Fall gese-
hen haben. Die Kraft in drei Dimensionen berechnet sich zu
Treten zusätzlich nichtkonservative (also dissipative) Kräfte Fd
auf, so lautet die Energiegleichung F.r/ D r V.r/ D kr D kr eO r : (1.153)
Wichtige Potenzialkräfte Sowohl der harmonische Oszillator als auch die Gravitation sind
Spezialfälle der Potenz-Potenziale,
r
F.r/ D F.r/ D F.r/ eO r ; (1.150) wobei ˛ und ˇ reelle Zahlen sind (ˇ D 2 für das Oszillatorpo-
r tenzial und ˇ D 1 für das Gravitationspotenzial).
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 33
Teil I
Es ist oftmals sinnvoll, differenzierbare Funktionen als Po- Im Falle x ! a und f 2 O .x a/k spricht man davon,
tenzreihe oder als Polynom mit einem Fehlerterm zu schrei- dass f für x ! a mindestens mit k-ter Ordnung abfällt. Glei-
ben. Dafür gibt es die sogenannte Taylor-Entwicklung. chung (2) besagt also, dass das Restglied RnC1 .x/ für x ! a
mindestens mit (n C 1)-ter Ordnung abfällt.
Taylor-Polynome Sei I ein Intervall reeller Zahlen, f W I !
R eine mindestens .nC1/-mal differenzierbare Funktion und Die sehr gebräuchliche Schreibweise
a 2 I. Das r-te (1 r n) Taylor-Polynom Tr .x/ ist das Po- f .x/ D Tn .x/ C O.xnC1 / für x ! 0
lynom vom Grad r, das mit f in a im Funktionswert und den
ersten r-Ableitungen übereinstimmt. Durch diese Forderun- ist so zu lesen, dass O.xnC1 / eine Funktion ist (die sich aus
gen ist das Polynom Tr .x/ eindeutig bestimmt. der Gleichung ergibt), die in der Menge O.xnC1 / enthalten
ist. Die O-Notation kann man in analoger Weise auch für
Wie man leicht nachprüft, sind die Taylor-Polynome gege-
x ! 1 einführen. Dann bedeutet f 2 O.g/, dass f höchs-
ben durch
tens so stark ansteigt wie g.
T0 .x/ WD f .a/
Beispiele Verwendet man die Taylor-Polynome als Appro-
T1 .x/ WD f .a/ C f 0 .a/.x a/
ximation, so erhält man für x ! 0 folgende Näherungen:
::
: 1 x
p D1 C O x2 ;
X n
f .k/ .a/ 1˙x 2
Tn .x/ WD .x a/k : x2
kD0
kŠ cos.x/ D 1 C O x4 ;
2
Dabei bezeichnet kŠ WD k .k 1/ 2 1 die Fakultät von sin.x/ D x C O x3 :
k. Ergänzend ist 0Š WD 1 definiert. Das erste Taylor-Polynom
T1 .x/ ist genau die Tangente an f in a.
Taylor-Reihen Wenn f W R ! R unendlich oft differen-
Restglied Wie gut lässt sich f durch ein Taylor-Polynom an- zierbar ist, konvergiert dann die Folge der Taylor-Polynome
nähern? Für das Restglied RnC1 .x/ WD f .x/ Tn .x/ gilt Tn .x/, also die Taylor-Reihe
X1 .k/
Zx f .a/
1 .x a/k ‹
RnC1 .x/ D .x t/n f .nC1/ .t/ dt: (1) kD0
kŠ
nŠ
a
Wenn ja, konvergiert die Reihe nur für feste x in einer Umge-
Dies ist die Aussage des Taylor’schen Satzes, den man bung U von a oder sogar gleichmäßig in U (d. h. bezüglich
über vollständige Induktion ausgehend vom Hauptsatz der der Supremumsnorm kk1 )? Beides muss im Allgemeinen
Differenzial- und Integralrechnung beweisen kann. verneint werden. Selbst wenn die Taylor-Reihe einer Funk-
tion konvergiert, konvergiert diese nicht zwangsläufig gegen
Restgliedabschätzung Wenn die (n C 1)-te Ableitung von f die Funktion. Notwendig und hinreichend ist, dass Rk .x/ für
beschränkt ist in einer Umgebung U um a, dann folgt aus (1) k ! 1 gleichmäßig gegen 0 konvergiert.
die Abschätzung
ˇ ˇ Taylor-Entwicklung für Funktionen f W Rn ! R Existie-
ˇ ˇ
jRnC1 .x/j C ˇ.x a/nC1 ˇ für x 2 U (2) ren die partiellen Ableitungen bis zur zweiten Ordnung von
f W Rn ! R, so gilt für x ! 0
mit einer geeigneten Konstanten C > 0.
f .a C x/ D .grad f .a// x C O jxj2 ;
Landau-Notation Für eine Funktion f W I ! R, I R und
a 2 I versteht man unter O.f / die Menge aller Funktionen wobei O offensichtlich auf Funktionen Rn ! R verallge-
g W I ! R, durch die f lokal in einer Umgebung Ug um a meinert ist. Existieren auch die partiellen Ableitungen dritter
beschränkt werden kann. Dies sind also die Funktionen g, zu Ordnung von f , dann gilt für x ! 0
denen es eine Umgebung Ug .a/ um a gibt, sodass 1
f .a C x/ D .grad f .a// x C x Hf .a/ x C O jxj3 ;
jf .x/j C jg.x/j für alle x 2 Ug .a/ 2
wobei die Hesse-Matrix Hf die (n n)-Matrix der zweiten
gilt mit einer geeigneten Konstanten C 2 R. Bei der Schreib- partiellen Ableitungen ist, d. h.
weise O.g/ wird, etwas unsauber, auf die Angabe von a
verzichtet, da sich a immer aus dem Zusammenhang ergibt. .Hf /ij WD @i @j f :
34 1 Die Newton’schen Axiome
annähern (siehe „Mathematischer Hintergrund“ 1.8). Somit Der Satz von Stokes erlaubt es, ein geschlossenes Wegintegral
muss F der Gradient des skalaren Feldes ˚ sein: F D r ˚. über ein Vektorfeld F.x/ durch das Flächenintegral über die Ro-
Ist umgekehrt F D r ˚, so ist das Wegintegral wegunabhängig, tation von F auszudrücken:
denn I Z
F ds D .r F/ dS: (1.160)
Zxb Z b/
˚.x
@S S
r ˚ dx D d˚ D ˚.xb / ˚.xa / (1.159)
xa ˚.xa / Hier ist S eine Fläche, die von einer Randkurve @S entlang ds
begrenzt wird (Abb. 1.15). Man nennt
hängt nur noch von den Endpunkten der Kurve ab.
I
WD F ds (1.161)
Wegunabhängigkeit und Gradientenfeld
@S
Ein Kurvenintegral über ein Vektorfeld F.x/ ist genau
dann wegunabhängig, wenn es ein Skalarfeld ˚ gibt, des- auch die Zirkulation oder Wirbelstärke des Vektorfeldes F.x/
sen Gradient F ist, d. h. F.x/ D r ˚.x/. längs des geschlossenen Weges @S. Das infinitesimale Flächen-
element dS erfüllt
dS D dS n;
O (1.162)
Es stellt sich sofort die Frage, nach welchem Kriterium man
entscheiden kann, ob F ein Gradientenfeld ist. Hier bietet sich wobei dS der Betrag des Flächenelements und nO ein Einheits-
die Rotation r F des Feldes F an (siehe „Mathematischer normalenvektor ist, der lokal senkrecht auf der Fläche steht. Das
Hintergrund“ 1.7). Da die Rotation eines Gradienten identisch Vorzeichen von nO wird über die Rechte-Hand-Regel bestimmt:
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 35
Teil I
H
Der Satz von Stokes ist wohl der Höhepunkt in jedem Ana- 1. Es gilt @S F ds > 0, wenn die Vektoren von F in Tan-
lysiszyklus. Man findet ihn in der Literatur in den verschie- gentialrichtung zu @S zeigen. Physikalisch bedeutet dies,
densten Formen, wobei wir uns hier auf die physikalische dass sich die Flüssigkeit im mathematisch positiven Sin-
Interpretation konzentrieren wollen. In der tiefsten und all- ne dreht. H
gemeinen Form sagt der Satz von Stokes etwas über die 2. Wir haben @S F ds < 0, falls die Vektoren von F ent-
Integration von Differenzialformen und verallgemeinert so gegen der Richtung der Tangentialvektoren des Randes
den Hauptsatz der Differenzial- und Integralrechnung, der zeigen. H
aus der Schule schon bekannt ist. 3. Es gilt natürlich @S F ds D 0, wenn F senkrecht auf
Wichtige Spezialfälle sind der klassische Satz von Stokes, dem Rand @S steht. Physikalisch bedeutet dies, dass die
der Gauß’sche Integralsatz und der Satz von Green, die alle Flüssigkeit nicht entlang des Randes rotiert.
in der Vektoranalysis behandelt werden. H
Insgesamt stellt das Integral @S F ds damit die Gesamt-
Der klassische Satz von Stokes Eine Version (meistens rotation der Flüssigkeit im mathematischen positiven Sinne
wird diese so in einer Physikvorlesung gegeben) des Satzes entlang @S dar. Daher kann dieses Integral auch als Zirkula-
von Stokes lautet wie folgt: tion bzw. Wirbelstärke der Flüssigkeit gedeutet werden. Der
Sei S R3 eine Fläche und @S ihre Randkurve (Abb. 1.15). Satz von Stokes sagt uns nun, dass die Wirbelstärke von F
Weiter sei das Vektorfeld F W R3 ! R3 stetig differenzier- entlang der Randkurve @S gleich dem Integral der Normal-
bar. Dann gilt komponente der Rotation rot F über der Fläche S ist.
I Z
F ds D .rot F/ dS; Weitere Anwendungen Eine weitere Anwendung des allge-
meinen Stokes’schen Satzes ist der sogenannte Integralsatz
@S S
von Gauß, der vor allem in der Elektrodynamik eine außer-
wobei die Randkurve @S die von S induzierte Orientierung ordentlich wichtige Rolle spielt und dort noch wesentlich
trage, ds das vektorielle Linienelement des Randes @S und ausführlicher besprochen wird. Er soll hier bereits der Voll-
dS das vektorielle Flächenelement von S bezeichnet. Der ständigkeit halber notiert werden. Sei V R3 ein Volumen
Nutzen liegt vor allem darin, dass im Allgemeinen das Kur- und @V die geschlossene Fläche, die V berandet. Dann gilt
venintegral einfacher als das Flächenintegral zu berechnen für jedes stetig differenzierbare Vektorfeld F W R3 ! R3
ist. I Z
Physikalische Interpretation Die physikalische Interpreta- F dS D div F dV;
tion (siehe Literatur) des Satzes von Stokes kann man sich @V V
folgendermaßen verdeutlichen. Dazu stellen wir uns vor,
dass F ein Geschwindigkeitsfeld einer Flüssigkeitsströmung wobei die Randfläche @V nach außen orientiert ist (die Au-
darstellt. Wie oben bemerkt, stellt Fds die tangentiale Kom- ßenseite von @V gilt als positiv).
ponente von F längs der Randkurve @S dar. Man kann daher
das Integral darüber als eine Größe interpretieren, die an-
gibt, wie sich die Vektoren von F entlang @S drehen. Wir Literatur
unterscheiden dazu drei Fälle (Abb. 1.16), wenn wir die
Randkurve @S im mathematisch positiven Sinne durchlau- Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
fen: mischer Verlag (2012)
Der Integrationspfad läuft im mathematisch positiven Sinn („ge- r F D 0, so ist F D r ˚. Dies kann man folgendermaßen
gen den Uhrzeigersinn“) um den Normalenvektor. Für weitere sehen: Verschwindet die Rotation von F, so ist gemäß (1.160)
Details wird auf den „Mathematischen Hintergrund“ 1.9 ver-
wiesen.
I
Aus dem Satz von Stokes folgt sofort die hinreichende Bedin- F ds D 0; (1.163)
gung, die uns im vorherigen Abschnitt noch gefehlt hatte: Gilt @S
36 1 Die Newton’schen Axiome
Teil I
∂S
Frage 22
Man mache sich klar, dass (1.163) zur Folge hat, dass das Weg-
integral vom gewählten Weg unabhängig ist. Dazu zerlegt man
wie in Abb. 1.15 ein beliebiges geschlossene Wegintegral in
zwei Integrale, eins von Punkt A nach Punkt B, das andere auf
B
einem anderen Weg wieder zurück.
Die hinreichende Bedingung r F D 0 H) F D r ˚ Abb. 1.17 Gibt es ein „Loch“ in einem Vektorfeld F.x/, so ist das Definiti-
onsgebiet von F W x 7! F.x/ nicht einfach zusammenhängend. Die beiden
gilt nur dann, wenn F.x/ überall längs des Integrationsweges dargestellten Wege von Punkt A zu Punkt B müssen energetisch nicht gleichwer-
definiert ist und keine Löcher hat, wie in Abb. 1.17 dargestellt. tig sein, da sich beide Wege nicht kontinuierlich ineinander überführen lassen,
Mathematisch spricht man von einem einfach zusammenhän- ohne dabei durch das Loch zu laufen
genden Gebiet: Ein Gebiet G heißt einfach zusammenhängend,
wenn jede geschlossene Kurve in G stetig zu einem Punkt zu-
sammengezogen werden kann, ohne das Gebiet zu verlassen. schreibt man
F.x/ D r V.x/
Zusammenhang zwischen Wirbelfreiheit und Gradient Zx
(1.165)
Felder F.x/, die auf einem einfach zusammenhängenden H)V.x/ V.x0 / D F.x0 / dx0 :
Gebiet G definiert sind, haben genau dann ein Potenzial x0
V.x/, wenn sie in G wirbelfrei (rotationsfrei) sind:
Der Bezugspunkt x0 ist beliebig, da der Term r V.x0 / ver-
r F D 0 () F D r V: (1.164) schwindet und die Kraft nicht beeinflusst. Das Potenzial V und
die Energie E sind damit bis auf eine beliebige additive Kon-
stante festgelegt.
Wir haben gesehen, dass der Integrationsweg von x0 nach x kei-
In Aufgabe 1.6 wird ein konkretes Beispiel gerechnet. ne Rolle spielt, wenn F konservativ ist. Daher lässt sich das
Integral in (1.165) lösen, indem ein Weg C gewählt wird, für
den die Berechnung möglichst einfach wird. Dazu wählt man
eine geeignete Parametrisierung x0 .s/ und schreibt
Die Berechnung des Potenzials aus einer
Zs
konservativen Kraft dx0
V.x/ V.x0 / D F.x0 / ds; (1.166)
ds
s0
Während es verhältnismäßig einfach ist, eine Kraft F.x/ mit
0 0
(1.143) aus dem zugehörigen Potenzial V.x/ zu berechnen, ist wobei x D x .s/ und x0 D x .s0 / gilt. Dies wird in Aufgabe 1.6
die Umkehrung, also die Integration, anspruchsvoller. Zunächst vertieft.
1.6 Energieerhaltung und konservative Kräfte 37
x3
Zx2
Teil I
F2 .x1 ; x02 ; x3;0 / dx02
x3 x x2;0
C
C3
Zx3
x3,0
x0 F3 .x1 ; x2 ; x03 / dx03 :
x2 C1 C2
x3;0
x2
x2,0
Da F voraussetzungsgemäß eine konservative Kraft ist,
x1,0 kann auch zunächst entlang der x2 - oder der x3 -Achse
x1 integriert werden. Es kann aber auch ein vollständig ande-
x1 rer Weg gewählt werden, etwa entlang eines Kreisbogens
oder einer Geraden, die direkt von x0 nach x führt.
Abb. 1.18 Um das Potenzial V.x/ zu einer gegebenen konservativen Kraft
F.x/ zu berechnen, kann man einen beliebigen Integrationspfad von x0 nach Konkret soll dies für das einfache Beispiel F.x/ D
x verfolgen. In diesem Fall wird zunächst entlang der x01 -Achse integriert (Ab- Cx D C.x1 ; x2 ; x3 /> mit einer Konstanten C gezeigt wer-
schnitt C1 ), im Anschluss entlang der x02 -Achse (Abschnitt C2 ) und schließlich den. Wir integrieren von einem Punkt .a1 ; a2 ; a3 /> zu
entlang der x03 -Achse (Abschnitt C3 ) .b1 ; b2 ; b3 /> und sehen
V.b/ V.a/
Potenzial aus Kraft Zb1 Zb2 Zb3
D C x01 dx01 C x02 dx02 C x03 dx03
Ein einfaches Beispiel ist eine abschnittsweise definierte
a1 a2 a3
Parametrisierung, bei der zunächst ein Weg entlang der (1.169)
x1 -Achse, daraufhin ein Weg entlang der x2 -Achse und C 2
D a b21 C a22 b22 C a23 b23
abschließend ein Weg entlang der x3 -Achse gewählt wird. 2 1
Dies ist in Abb. 1.18 dargestellt. In diesem Fall besteht C a2 b2
aus den drei miteinander verbundenen Abschnitten C1 , C2 DC :
2
und C3 mit
8 Für die spezielle Wahl b D x und a D .0; 0; 0/> be-
ˆ
<.1; 0; 0/
>
auf C1 kommt man also
dx0
D .0; 1; 0/> auf C2 : (1.167)
ds :̂.0; 0; 1/> auf C C
3 V.x/ D x2 ; (1.170)
2
Gleichung (1.166) wird somit zu was wieder direkt auf
Zx1 F.x/ D r V.x/ D Cx (1.171)
V.x/ V.x0 / D F1 .x01 ; x2;0 ; x3;0 / dx01 (1.168)
x1;0 führt. J
38 1 Die Newton’schen Axiome
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
1.1 Vektorrechnung Das Rechnen mit Vektoren, xN enthalten) auf dem Intervall Œ1; 1. Das Skalarprodukt
Skalar- und Vektorprodukten soll hier geübt werden. sei durch
Z1
(a) Wir betrachten n Vektoren vi aus einem Vektorraum V. Man hp; qi D p.x/q.x/ dx (1.177)
kann diese Vektoren verknüpfen, um die Linearkombination 1
nur dann erfüllt werden kann, wenn alle Skalare i ver- Zeigen Sie, dass es verschwindet, wenn einer der Vektoren
schwinden: i D 0. In diesem Fall lässt sich ein Vektor v als Linearkombination der beiden anderen geschrieben wer-
als eindeutige Linearkombination der vi darstellen, d. h., die den kann. Dies ist dann der Fall, wenn alle drei Vektoren in
i sind für einen gegebenen Vektor v eindeutig. einer Ebene liegen. Die drei Vektoren spannen dann einen
Überprüfen Sie, welche der folgenden Sätze von Vektoren Spat mit Volumen null auf.
im R3 linear unabhängig sind: (d) Zeigen Sie die Lagrange-Identität
(b) Der Wurfwinkel zwischen Anfangsgeschwindigkeitsvektor (a) Zeigen Sie ohne weitere Rechnungen, dass der Betrag der
und dem Boden (x-Achse) ist ˛. Stellen Sie zunächst jeweils Geschwindigkeit des Teilchens konstant ist und dass keine
Teil I
einen Zusammenhang zwischen dem Betrag der Anfangsge- Arbeit am Teilchen verrichtet wird. Die Energie ist somit er-
schwindigkeit, v0 , dem Wurfwinkel ˛ und den Projektionen halten und die Kraft konservativ. Greifen Sie dazu auf die
der Anfangsgeschwindigkeit auf die x- und z-Achsen, vx;0 Ergebnisse zurück, die in Abschn. 1.5 und 1.6 erarbeitet
und vz;0 , auf. wurden.
(c) Leiten Sie eine Gleichung ab, die die Reichweite des Wur- (b) Stellen Sie die Bewegungsgleichungen für das Teilchen auf.
fes als Funktion der Anfangsgeschwindigkeit v0 und des Die Anfangsbedingungen lauten x.t D 0/ D 0 und xP .t D
Wurfwinkels ˛ beschreibt. Gehen Sie dabei davon aus, dass 0/ D .0; vy;0 ; vz;0 /> . Die Lösung für die Bewegung entlang
sowohl die Abwurf- als auch die Endhöhe z0 sind. Für der z-Achse kann direkt hingeschrieben werden. Wie lautet
welchen Wurfwinkel wird die Reichweite bei festem v0 ma- sie?
ximal? (c) Wie lauten die Lösungen der Bewegungsgleichungen ent-
(d) Kann ein Fußballtorwart einen Fußball direkt ins gegneri- lang der x- und y-Achsen? Um die beiden gekoppelten
sche Tor schießen, wenn der Ball mit v0 D 100 km h1 aus Gleichungen zu entkoppeln, integrieren Sie zunächst eine
dem eigenen Torraum abgeschlagen wird? Ein Fußballfeld der beiden Bewegungsgleichungen und setzen Sie das Er-
ist etwa 100 m lang. Reibungseffekte sollen vernachlässigt gebnis in die andere ein.
werden. (d) Wie lauten der Tangential- und der Hauptnormalenvektor
der Bahnkurve? Bestimmen Sie den Krümmungsradius.
1.3 Schiefer Wurf mit Stokes’scher Reibung Be-
trachten Sie den schiefen Wurf mit Stokes’scher Reibung 1.5 Differenzialoperatoren In dieser Aufgabe
(Reibungskoeffizient K). Die Bewegung erfolge in der x-z- wird die Anwendung der Differenzialoperatoren vertieft.
Ebene, und die homogene Gravitationskraft zeige in negative
z-Richtung. Die Anfangsbedingungen für den Ort und die Ge- (a) Berechnen Sie die Rotation einer allgemeinen radialsymme-
schwindigkeit sind x.0/ D x0 , z.0/ D z0 und vx .0/ D vx;0 , trischen Zentralkraft:
vz .0/ D vz;0 .
r
(a) Zeigen Sie, dass die Bewegungsgleichungen entkoppelt F.r/ D F.r/ : (1.183)
r
sind.
(b) Schreiben Sie die allgemeine Lösung der Bewegungsglei- Verwenden Sie dazu r2 D x21 C x22 C x23 . Es bietet sich an, die
chungen für x und z auf. Orientieren Sie sich dabei an den Rotation mithilfe des Levi-Civita-Symbols in Indexschreib-
Schritten, die auf (1.43) geführt haben. Für das weitere Vor- weise zu bestimmen.
gehen bietet es sich an, die Endgeschwindigkeit vE nicht als (b) Wie lautet die Rotation der Kraft
Abkürzung einzuführen. 0 1
(c) Berechnen Sie die allgemeine Bahnkurve z.x/. Dazu muss x2 =%2
die Zeit aus der Lösung z.t/ mithilfe von x.t/ eliminiert wer- F.r/ D @ x1 =%2 A (1.184)
den. 0
(d) Zeigen Sie, dass der Grenzfall K D 0 auf die Lösung für die
Bahnkurve ohne Reibung aus Aufgabe 1.2 führt. Achtung: mit %2 D x21 C x22 ? Verwenden Sie hier die Schreibweise
Es ist nicht möglich, einfach K D 0 zu setzen. Stattdes-
sen muss der Logarithmus in z.x/ für kleine K entwickelt r F.r/ D "ijk eO i @j Fk : (1.185)
werden. Danach kann der Grenzfall K ! 0 durchgeführt
werden. Nutzen Sie aus, dass ln.1 C x/ x x2 =2 gilt. Berechnen Sie weiterhin das Kurvenintegral über die Kraft
Warum muss an dieser Stelle die zweite Ordnung der Tay- entlang des Weges
lor-Entwicklung ebenfalls mitgenommen werden?
0 1
cos '
1.4 Lorentz-Kraft Auf ein geladenes Teilchen r.'/ D R @ sin ' A ; 0'2 : (1.186)
(elektrische Ladung q) wirkt im elektrischen Feld E und ma- 0
gnetischen Feld B die Lorentz-Kraft (in SI-Einheiten)
Was ist die Interpretation dieser Resultate?
F D q .E C v B/ : (1.181)
(c) Gegeben sei ein Skalarfeld g.x/. Zeigen Sie, dass die Rich-
Es soll die Bewegung in einem reinen Magnetfeld, das homo- tungsableitung entlang der Achse eOj , also @Oej g.x/, identisch
gen und zeitunabhängig ist, untersucht werden. Hierzu wird das ist mit der partiellen Ableitung @j g.x/.
Koordinatensystem so gelegt, dass (d) Zeigen Sie, dass die Divergenz eines Rotationsfeldes ver-
schwindet:
B D B eO z (1.182) r .r h.x// D 0; (1.187)
gilt. Das elektrische Feld wird vernachlässigt: E D 0. wobei h.x/ ein zweifach differenzierbares Vektorfeld ist.
40 1 Die Newton’schen Axiome
(e) Man berechne die Rotation eines Rotationsfeldes: r mit konstanten Koeffizienten cj (j D 1; : : : ; 1). Zeigen Sie,
.r h.x//. Stellen Sie das Ergebnis in Komponenten- dass zwischen den Koeffizienten der folgende Zusammen-
Teil I
Teil I
1.1 Dies hätte man auch direkt daran erkennen können, dass der
Integrand eine ungerade Funktion von x ist, die Integrati-
(a) Die Vektoren in (1.174) sind linear unabhängig, da (1.173) onsgrenzen aber symmetrisch sind. Allerdings sind p.x/ und
nur für 1 D 2 D 3 D 0 erfüllt werden kann. Dies r.x/ nicht orthogonal:
ist trivial zu sehen. Auch die Vektoren in (1.175) sind line-
Z1
ar unabhängig. Um dies zu sehen, betrachtet man zunächst
die x3 -Komponente. Sie kann nur dann verschwinden, wenn hp; ri D x4 C x2 dx
1 D 0 ist. Die x2 -Komponente verschwindet nur, wenn 1 (1.199)
dann auch 2 D 0 ist. Weiterhin muss auch 1 D 0 erfüllt 5 3 1
x x 4
sein. Für (1.176) muss man ein lineares Gleichungssystem D D :
lösen. Es lautet 5 3 1 15
Weiterhin findet man, dass wegen
31 C 12 C 23 D 0;
21 C 22 13 D 0; (1.194) Z1
1 C 32 33 D 0: hq; ri D x5 x3 2x dx D 0 (1.200)
1
Zunächst addieren wir Vielfache der zweiten Gleichung zur
ersten und zur dritten, sodass jeweils 3 verschwindet, und die beiden Polynome q.x/ und r.x/ orthogonal sind. Die Po-
betrachten die beiden resultierenden Gleichungen: lynome lassen sich normieren, indem man beispielsweise
Z1
11 C 52 D 0; 2
(1.195) hp; pi D x2 dx D (1.201)
51 32 D 0: 3
1
p
Wir addieren das Fünffache der ersten Gleichung zur zwei- berechnet und entsprechend pQ .x/ WD p.x/= 2=3 als nor-
ten und finden zunächst 2 D 0. Durch Einsetzen in die miertes Polynom definiert.
vorherigen Gleichungssysteme ergeben sich dann 1 D 0 (c) Ohne Einschränkung der Allgemeinheit können wir c D
und 3 D 0. Die Vektoren sind also ebenfalls linear un- 1 a C 2 b schreiben. Das Spatprodukt lautet dann
abhängig. Ersetzt man allerdings den dritten Vektor durch
v 3 D .2; 4; 3/> , ergibt sich statt (1.194) zunächst .a b/ c D 1 "ijk ai bj ak C 2 "ijk ai bj bk : (1.202)
31 C 12 C 23 D 0; In beiden Termen auf der rechte Seite haben wir das Pro-
dukt einer antisymmetrischen Größe (Levi-Civita-Symbol)
21 C 22 43 D 0; (1.196)
und einer symmetrischen Größe (ai ak bzw. bj bk ) unter Ver-
1 C 32 43 D 0: tauschung der Indizes i $ j bzw. j $ k. Summiert man über
alle Indizes, fallen alle Terme gegeneinander weg, denn
Wir addieren diesmal Vielfache der dritten Gleichung, um in
den beiden anderen 1 zu eliminieren: "123 a2 a3 C "132 a3 a2 D ."123 C "132 /a2 a3
(1.203)
D .1 1/a2 a3 D 0:
102 103 D 0;
(1.197) (d) Die linke Seite von (1.180) schreiben wir zunächst in der
42 C 43 D 0:
Form
Diese beiden Gleichungen sind Vielfache voneinander. Sie "kij ai bj "kmn cm dn D "kij "kmn ai bj cm dn : (1.204)
führen somit nur auf die Bedingung 2 D 3 . Beide Skalare
können beliebige, aber identische Werte annehmen. Die drei Hier verwendet man die Identität
Vektoren sind in diesem Fall also nicht linear unabhängig.
(b) Die beiden Polynome p.x/ und q.x/ sind orthogonal, denn "kij "kmn D ıim ıjn ıin ıjm (1.205)
(a) Die allgemeinen Lösungen der Bewegungsgleichungen für mRx D K xP ; mRz D KPz mg: (1.215)
das beschriebene Problem sind (siehe (1.27))
Die Bewegungsgleichungen sind also entkoppelt.
gt2 (b) Gleichung (1.43) beinhaltet bereits die Lösung der Bewe-
x x0 D vx;0 t; z z0 D vz;0 t : (1.207) gungsgleichung für z:
2
mg
Die Bahnkurve erhält man, indem man t eliminiert: z z0 D t
K
vz;0 g mg m K (1.216)
z z0 D .x x0 / 2 .x x0 /2 : (1.208) C vz;0 C 1 exp t :
vx;0 2vx;0 K K m
Diese ist offensichtlich eine nach unten geöffnete Parabel. Die Lösung für x erhält man, indem man g D 0 setzt und x
Der Scheitelpunkt ist durch dz=dx D 0 definiert. Dies führt durch z ersetzt:
auf
vx;0 vz;0 mvx;0 K
xS x0 D ; (1.209) x x0 D 1 exp t : (1.217)
g K m
wobei xS die x-Koordinate des Scheitelpunktes ist. Einge- (c) Man erkennt, dass die Zeit t in (1.216) an zwei Stellen vor-
setzt in (1.208) folgt kommt: einmal als linearer Term, das zweite Mal innerhalb
der Exponentialfunktion. Da die Exponentialfunktionen in
vz;0
2
den Lösungen für x.t/ und z.t/ identisch sind, kann man zu-
zS z0 D : (1.210)
2g nächst
mg mg x x0
Dies ist die maximale Wurfhöhe. Dieser Punkt wird nach der z z0 D t C vz;0 C (1.218)
Zeit K K vx;0
vz;0
tS D (1.211) schreiben. Es verbleibt noch die Zeit im linearen Term. Hier-
g
zu lösen wir (1.217) nach t auf,
erreicht.
(b) Eine einfache geometrische Überlegung führt auf m K
t D ln 1 .x x0 / ; (1.219)
K mvx;0
v02 D vx;0
2
C vz;0
2
; vx;0 D v0 cos ˛;
vz;0 D v0 sin ˛:
(1.212) und setzen das Ergebnis in (1.218) ein:
(c) Um herauszufinden, wie weit der Speer fliegt, setzen wir
z D z0 . Dies führt auf zwei Lösungen. Die erste Lösung m2 g K.x x0 /
z z0 D 2 ln 1
(Anfangsbedingung x D x0 ) ist trivial. Die zweite lautet K mvx;0
mg x x0
(1.220)
2vx;0 vz;0 C vz;0 C :
x x0 D K vx;0
g
(1.213) (d) Wir wollen den Grenzfall K ! 0 untersuchen. Einsetzen
2v 2
v2
D 0 sin ˛ cos ˛ D 0 sin.2˛/: von K D 0 führt auf Probleme, daher muss zunächst der
g g Logarithmus entwickelt werden. Für K ! 0 ist die folgende
Näherung gültig (indem man um x D 0 entwickelt):
Dies ist gerade die Weite des Wurfes. Sie wird offensichtlich
für ˛ D =2 maximal. Der Speer muss also genau diagonal
K.x x0 /
geworfen werden, um für eine gegebene Anfangsgeschwin- ln 1
mvx;0
digkeit die größte Weite zu erreichen. (1.221)
(d) Nein, dies ist nicht möglich. Die maximale Reichweite des K.x x0 / K 2 .x x0 /2
:
Fluges ist bei v0 28 m s1 und mit g 10 m s2 ungefähr mvx;0 2m2 vx;0
2
(a) Die Bewegungsgleichung in Vektorform lautet Dies ist genau (1.208), die schon beim schiefen Wurf ohne
Reibung gefunden wurde. Da der Faktor vor dem Loga-
mRx D K xP mg: (1.214) rithmus in (1.220) K 2 im Nenner enthält, muss im Zähler
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 43
mindestens bis zur zweiten Ordnung entwickelt werden, da- Zeitableitung von (1.230) berechnet und mit der Anfangsbe-
mit kein K im Nenner übrig bleibt. Würde man höhere dingung yP .t D 0/ D vy;0 vergleicht. Der letzte Schritt ist die
Teil I
Terme der Entwicklung des Logarithmus berücksichtigen, Integration von (1.227), in die zuvor (1.230) eingesetzt wird:
würden diese wegen K ! 0 keine Rolle spielen.
qB
xD Ay cos.!B t/ C C1
m!B
1.4 vy;0 (1.231)
D cos.!B t/ C C1 :
!B
(a) Aus (1.181) folgt
q Die Anfangsgeschwindigkeit xP .t D 0/ D 0 ist automatisch
xR D xP B: (1.223)
m erfüllt, da sie bereits für (1.227) verwendet wurde. Die letzte
verbleibende Integrationskonstante, C1 , ergibt sich aus der
Somit steht der Beschleunigungsvektor stets senkrecht auf
letzten Forderung: x.t D 0/ D 0. Die Lösung der Bewe-
dem Geschwindigkeitsvektor. Es gibt keine Beschleuni-
gungsgleichung lautet zusammengefasst
gungskomponente entlang der Bahnkurve bzw. entlang des
Tangentialvektors . Wegen (1.124) und (1.125) bedeutet vy;0
xD Œ1 cos.!B t/ ;
dies aber gerade, dass der Betrag der Bahngeschwindig- !B
keit konstant ist. Gleichung (1.181) besagt weiterhin, dass vy;0 (1.232)
die Kraft F und die Geschwindigkeit xP senkrecht aufein- yD sin.!B t/;
!B
ander stehen. Ihr Skalarprodukt verschwindet somit. Wegen z D vz;0 t:
(1.149) ist die Energie erhalten. Es wird also keine Arbeit
am Teilchen verrichtet. Das Teilchen bewegt sich auf einer Schraubenlinie ähnlich
(b) Zunächst ist das Kreuzprodukt auszuwerten. Mit zu der in Abb. 1.11. Der Unterschied hier ist, dass der Ur-
sprung nicht auf der Achse der Schraubenlinie liegt. Er ist
.v B/i D "ijk vj Bk (1.224) um vy;0 =!B entlang der x-Achse verschoben.
(d) Zunächst berechnen wir die Geschwindigkeit:
und (1.182) folgt 0 1
vy;0 sin.!B t/
qB qB xP D @ vy;0 cos.!B t/ A : (1.233)
xR D yP ; yR D xP ; zR D 0: (1.225) vz;0
m m
q
Unter Berücksichtigung der Anfangsbedingungen lautet die Ihr Betrag ist v WD vy;0 2
C vz;0
2
D const. Der Tangential-
Lösung für die Bewegung entlang der z-Achse einfach
vektor erfüllt wegen (1.124)
0 1
z D vz;0 t:
1 @vy;0 sin.!B t/A
(1.226)
xP
D D vy;0 cos.!B t/ : (1.234)
(c) Die Bewegungsgleichungen für x und y sind noch gekoppelt. jPxj v v
z;0
Wir integrieren zunächst die Gleichung für x einmal nach der
Zeit. Wegen xP .t D 0/ D 0 und y.t D 0/ D 0 folgt Der Bahnparameter und die Zeit sind demnach über
qB ds
xP D y: (1.227) Dv (1.235)
m dt
verbunden, da wegen der Definition des Tangentialvektors
Dieses Ergebnis kann in die Bewegungsgleichung für y ein- jj D jdx=dsj D 1 erfüllt sein muss. Der Hauptnormalen-
gesetzt werden: vektor aus (1.114) ist
yR D !B2 y: (1.228)
ˇ ˇ ˇ ˇ
d ˇˇ d ˇˇ1 d ˇˇ d ˇˇ1
Hier wurde nH D D
qB ds ˇ ds ˇ dt ˇ dt ˇ
!B WD (1.229) 0 1 (1.236)
m cos.!B t/
als Abkürzung definiert. Man nennt !B die Zyklotronfre- D @ sin.!B t/A :
quenz. Die allgemeine Lösung von (1.228) kann in der Form 0
Schließlich fehlt noch der Krümmungsradius, der wegen
y D Ay sin.!B t y/ (1.230) (1.123) den Wert
ˇ ˇ1 ˇ ˇ
ˇ d ˇ ˇ d dt ˇ1
ˇ D v mv 2
geschrieben werden. Die beiden Integrationskonstanten er- 2
geben sich aus den Anfangsbedingungen. Man kann schnell D ˇˇ ˇˇ D ˇˇ ˇ D (1.237)
ds dt ds vy;0 !B qvy;0 B
nachprüfen, dass y D 0 aus y.t D 0/ D 0 folgt. Weiter-
hin ist Ay D vy;0 =!B . Dies erkennt man, wenn man die erste annimmt.
44 1 Die Newton’schen Axiome
1.5 Die Kraft muss als Funktion des Winkels ' geschrieben
werden. Dies ist möglich, indem x1 und x2 durch die ent-
Teil I
(a) In Indexschreibweise lautet die Rotation des Kraftfeldes sprechenden Ausdrücke in (1.186) ersetzt werden:
h 0 1
r i
1 @ sin ' A
xk
r F.r/ D "ijk rj F.r/ : (1.238)
r i r F.r.'// D cos ' : (1.245)
R 0
Statt rj könnte man genauso gut @j schreiben; beide Terme
sind identisch. Es ist unbedingt zu beachten, dass die Ablei- Gleichung (1.244) lautet dann
tung rj auf alle Terme wirkt, die rechts von ihr stehen. Als
Hilfsgleichung verwenden wir I Z2
q F.r/dr D sin2 ' C cos2 ' d' D 2 6D 0: (1.246)
xj xj
rj r D rj x21 C x22 C x23 D q D : (1.239) 0
x21 C x22 C x23 r
Wählt man einen Weg, der um den Pol bei x1 D x2 D 0 her-
umläuft, verschwindet das geschlossene Wegintegral nicht,
Wir wenden zunächst die Produktregel an und sehen, dass obwohl die Rotation des Kraftfeldes null ist. Die Erklärung
wir es mit drei Faktoren zu tun haben, die wir im Einzelnen ist, dass das Kraftfeld nicht einfach zusammenhängend ist.
untersuchen wollen: In der Tat gibt es bei x1 D x2 D 0 eine Definitionslücke, die
das beobachtete Verhalten erklärt.
xk xj xk dF.r/
rj F.r/ D 2 ; (c) Die Richtungsableitung entlang einer Achse nO ist definert als
r r dr
F.r/ F.r/ @nO g.x/ D nO r g.x/ D nO i @i g.x/: (1.247)
rj xk D ıjk ; (1.240)
r r
1 xj xk Für nO D eOj ist offensichtlich eOj;i @i D ıij @i D @j und somit
F.r/xk rj D 3 F.r/:
r r
@nOj g.x/ D @j g.x/; (1.248)
Bei der Summation über j und k treten die beiden Kombina-
tionen "ijk ıjk und "ijk xj xk auf. Sowohl ıjk als auch xj xk sind was zu zeigen war.
symmetrisch unter Vertauschung der beiden Indizes, aber (d) Wir schreiben die Divergenz in Komponenten und sortieren
"ijk D "ikj ist antisymmetrisch. Bei der Summation fallen um:
daher alle Terme mit xj xk paarweise gegeneinander weg:
r .r h.x// D @i ijk @j hk D ijk @i @j hk : (1.249)
"ijk xj xk C "ikj xk xj D "ijk xj xk "ijk xj xk D 0: (1.241)
Dieser Ausdruck muss verschwinden, wenn die beiden Ab-
Die Kontraktion "ijk ıjk verschwindet, da "ijk nur für j 6D k, ıjk leitungen vertauschbar sind, da über symmetrische (@i @j ) und
allerdings nur für j D k ungleich null ist. Damit ist gezeigt, antisymmetrische (ijk ) Terme summiert wird.
dass die Rotation von F.r/ verschwindet. (e) Zunächst ist
(b) Man erkennt an der Form der Kraft, dass alle Ableitungen,
die F3 oder x3 betreffen, verschwinden. Somit reduziert sich r .r h.x// D ijk eO i @j .klm @l hm /
die Rotation direkt auf (1.250)
D ijk klm eO i @j @l hm :
@F2 @F1 Hier nutzt man das bekannte Ergebnis
r F.r/ D eO 3 : (1.242)
@x1 @x2
ijk klm D kij klm D ıil ıjm ıim ıjl (1.251)
Aus
@% x1 @% x2 aus. Es folgt
D ; D (1.243)
@x1 % @x2 %
r .r h.x// D eO l @l @m hm eO m @l @l hm
folgt weiterhin, dass sich die beiden verbleibenden Ablei- (1.252)
D grad div h .@l @l /h:
tungen in (1.242) gegenseitig aufheben. Somit ist auch hier
das Kraftfeld rotationsfrei. Das Kurvenintegral lautet
Der sogenannte Laplace-Operator
I Z2
dr WD @l @l (1.253)
F.r/ dr D F.r.'// d': (1.244)
d'
0 wird uns in Kap. 2 wieder begegnen.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 45
Teil I
(a) Wir berechnen die Rotation von F.x/: @1 V.x/
0 1 F.x/ D r V.x/ D @@2 V.x/A
x3 2k2 x3 @3 V.x/
r F D ijk eO i @j Fk D C @ 0 0 A 0 1 (1.259)
2x1 x2
2x1 k1 x1 D @x21 C x23 =2A :
0 1 (1.254)
.1 2k2 /x3 x2 x3
D C@ 0 A:
.2 k1 /x1 Dies ist offensichtlich das richtige Ergebnis.
1.7
Die Rotation verschwindet für k1 D 2 und k2 D 12 . Da das
Kraftfeld einfach zusammenhängend ist (es gibt keine Defi- (a) Wir berechnen zunächst die zweite Zeitableitung der Potenz-
nitionslücken), muss es dann ein Potenzial V.x/ geben. reihe:
(b) Der einfachste Weg in kartesischen Koordinaten ist eine Ge- 1
X
rade mit der Parametrisierung xP .t/ D j!0 cj .!0 t/j1 ;
jD1
x.s/ D sa; s 2 Œ0; 1: (1.255) 1
(1.260)
X
xR .t/ D j.j 1/!02 cj .!0 t/j2 :
Für s D 0 und s D 1 befindet man sich jeweils am Anfangs- jD2
punkt (Ursprung O) und Endpunkt (a). Selbstverständlich
könnte man auch entlang der einzelnen Achsen integrieren Es wurde dabei berücksichtigt, dass die Ableitung von t0
oder irgendeinen anderen Weg verfolgen. Die geleistete Ar- verschwindet. In der zweiten Zeitableitung wird der Index
beit lautet verschoben, sodass die Summe wieder bei j D 0 beginnt:
1
X
Za Z1 xR .t/ D .j C 2/.j C 1/!02 cjC2 .!0 t/j : (1.261)
dx.s/
WD F.x/ dx D F.x.s// ds (1.256) jD0
ds
O 0 Durch Einsetzen der Potenzreihe (1.190) in die Schwin-
gungsgleichung (1.189) folgt
mit der Ableitung dx.s/=ds D a. Da s die Integrationsva-
1
X
riable ist, müssen die Koordinaten x durch s ausgedrückt
.j C 2/.j C 1/cjC2 C cj .!0 t/i D 0: (1.262)
werden. Dies ist aber mit (1.255) bereits geschehen. Wir ver-
jD0
wenden also xi D ai s (i D 1; 2; 3). Zu lösen ist somit das
Integral Damit diese Gleichung zu allen Zeiten erfüllt werden kann,
müssen alle Summanden einzeln verschwinden. Dies führt
Z1 auf die Rekursionsgleichung
WDC 2a21 a2 C a21 a2 C a2 a23 =2 C a2 a23 s2 ds cj
cjC2 D : (1.263)
0 .j C 2/.j C 1/
Z1
Für bekanntes c0 sind alle cj mit geraden j gegeben. Genauso
DC 3a21 C 3a23 =2 a2 s2 ds folgen aus bekanntem c1 alle cj mit ungeraden j. Somit sind
0 nur c0 und c1 nicht festgelegt. Die Wahl dieser beiden Ko-
effizienten entspricht den beiden Anfangsbedingungen des
D Ca2 a21 C a23 =2 : (1.257)
Problems, da es sich um eine Differenzialgleichung zweiter
Ordnung handelt.
Die geleistete Arbeit ist je nach Vorzeichen von a2 positiv (b) Die explizite Form soll nicht mit mathematischer Strenge
oder negativ. Ist a2 D 0, wird gar keine Energie umgesetzt. gezeigt werden (man könnte sie jedoch mit vollständiger
(c) Das Potenzial erhält man direkt aus (1.257). Dazu muss Induktion beweisen). Zunächst nehmen wir an, c0 sei be-
man sich überlegen, dass das Potenzial am Ort x die nega- kannt. Dann folgt sofort c2 D c0 =.1 2/, daraus wiederum
tive Arbeit ist, die man benötigt, um eine Punktmasse von c4 D Cc0 =.1234/ usw. Offenbar wechselt das Vorzeichen
einem Bezugspunkt nach x zu bewegen. Wählt man als Be- von Iteration zu Iteration, und im Nenner steht der Term jŠ.
zugspunkt den Ursprung und benennt a in x um, lautet das Analog findet man den expliziten Ausdruck, wenn man mit
Potenzial c1 beginnt. Die Exponenten in (1.192) stellen sicher, dass die
V.x/ D Cx2 x21 C x23 =2 : (1.258) Vorzeichen stimmen.
46 1 Die Newton’schen Axiome
(c) Um die Taylor-Entwicklung von Sinus und Kosinus zu er- Sinus der Entwicklung für ungerade j. Man kann daraus
halten, müssen die ersten Ableitungen berechnet werden. Es folgern, dass sowohl der Kosinus als auch der Sinus die
Teil I
Teil I
Antwort 9 Die Beschleunigung ist etwa um einen Faktor 2,7
größer.
Literatur
Teil I
Weiterführende Literatur
Teil I
und beschleunigte
Bezugssysteme
Wie lassen sich Drehungen
mathematisch
beschreiben?
Warum werden
Kugelkoordinaten
verwendet?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_2, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 49
50 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
Die Untersuchung des Verhaltens eines physikalischen Systems un- seine Komponenten .x1 ; x2 ; x3 / bezüglich einer geeigneten Ba-
ter einer Koordinatentransformation ist ein zentraler Punkt in der sis .Oe1 ; eO 2 ; eO 3 / als
Teil I
e
b2 Die neuen Basisvektoren lassen sich somit aus den alten berech-
e
b2 nen:
eO 01 D cos eO 1 C sin eO 2 ;
Teil I
eO 02 D sin eO 1 C cos eO 2 ; (2.6)
b1
e
φ eO 03 D eO 3 :
φ
e3 e3 e1 Allgemein gilt
Abb. 2.1 Ein ungestrichenes Koordinatensystem (schwarz ) wird um einen Win- eO 0i D .Oe0i eO 1 /Oe1 C .Oe0i eO 2 /Oe2 C .Oe0i eO 3 /Oe3
kel um die x3 -Achse gedreht und geht somit in ein neues, gestrichenes (2.7)
D ai1 eO 1 C ai2 eO 2 C ai3 eO 3 :
Koordinatensystem (blau ) über
In der Mathematik und der Physik sind lineare Abbildungen Rechenregeln für die Matrixmultiplikation Für das Ma-
zwischen Vektorräumen von großer Bedeutung. Im Falle des trixprodukt gelten folgende Rechenregeln, sofern man die
R3 sind dies beispielsweise Drehungen oder Spiegelungen. beteiligten Matrizen addieren bzw. multiplizieren kann:
Solche linearen Abbildungen lassen sich mithilfe von Matri-
zen beschreiben. .AB/C D A.BC/ (Assoziativgesetz)
Matrizen Matrizen (singular: Matrix) sind Zahlenschemata .A C B/C D AC C BC (rechtes Distributivgesetz)
aus M N Zahlen eines Körpers K, die in M Zeilen und N A.B C C/ D AB C AC (linkes Distributivgesetz)
AI D IA D A (Identitätsabbildung)
Spalten angeordnet sind:
0 1
a11 a12 a1N
B a21 a22 a2N C Im Allgemeinen gilt jedoch AB ¤ BA.
B C
ADB : :: :: :: C DW .aij /:
@ :: : : : A Matrix-Vektor-Multiplikation Indem man die Koordina-
aM1 aM2 aMN tendarstellungen von Spaltenvektoren aus N-dimensionalen
Die Zahlen aij heißen Matrixelemente. Eine Matrix mit M Vektorräumen VN als N 1-Matrizen auffasst, ist damit auch
Zeilen und N Spalten nennt man auch M N-Matrix. Jeder eine Multiplikation von M N-Matrizen mit N-dimensiona-
linearen Abbildung kann man (nachdem in den betreffenden len Spaltenvektoren definiert, deren Ergebnis ein Vektor aus
Vektorräumen eine Basis gewählt wurde) genau eine Matrix einem M-dimensionalen Vektorraum VM ist:
zuordnen, und umgekehrt definiert jede Matrix (bei fester
MMN VN ! VM ; .A; v / 7! .aij vj /;
Basis) eine eindeutige lineare Abbildung. Eine spezielle Ma-
trix ist die Einheitsmatrix wobei 1 i M und 1 j N sind. Ebenso kann man
I D .aij / mit aij D ıij : Zeilenvektoren aus VN als 1 N-Matrizen auffassen und sie
von rechts mit N M-Matrizen multiplizieren, um M-di-
Diese Matrix beschreibt die Identitätsabbildung. mensionale Zeilenvektoren zu erhalten:
Vektorraum der Matrizen Die MN-Matrizen bilden selbst VN MNM ! VM ; .v ; A/ 7! .vi aij /:
wieder einen Vektorraum MMN über K, wenn man die Ad-
dition und die Multiplikation mit Skalaren elementweise Man schreibt die Multiplikationen auch kurz in der Form Av
definiert: und v > A.
C WMMN MMN ! MMN ; .A; B/ 7! .aij C bij /;
Transponierte Die Transponierte einer Matrix wird defi-
WK MMN ! MMN ; .; A/ 7! .aij /: niert, indem man die beiden Indizes und damit Zeilen und
Man kann nur Matrizen addieren, bei denen sowohl die Zei- Spalten vertauscht:
len- als auch die Spaltenanzahl übereinstimmt.
A> D .aij /> D .aji /:
Matrixmultiplikation Man definiert eine Matrixmultiplika-
Somit gilt dann
tion so, dass man L M-Matrizen mit M N-Matrizen
multiplizieren kann, um L N-Matrizen zu erhalten: v > A D vi aij D aji> vi D A> v :
MLM MMN ! MLN ; .A; B/ 7! AB D .aij bjk /: Es gelten die folgenden Rechenregeln:
Hier sind 1 i L, 1 j M und 1 k N. Die Sum-
> >
mation über doppelte Indizes (hier über j von 1 bis M) wird .AB/> D .aij bjk /> D .akj bji / D .ajk> b>
ij / D B A ,
implizit vorausgesetzt, d. h. > > >
.A C B/ D A C B ,
X
M .A> /> D A,
aij bjk WD aij bjk : I> D I.
jD1
Teil I
beliebigen kartesischen Koordinatensystemen gilt
0 1
eO 01 eO 1 eO 01 eO 2 eO 01 eO 3
A D @eO 02 eO 1 eO 02 eO 2 eO 02 eO 3 A (2.10)
eO 03 eO 1 eO 03 eO 2 eO 03 eO 3
R1 R2 D
Die Reihenfolge der Ri ist dabei derart, dass dasjenige Ri , das 0 1
cos cos sin cos sin (2.14)
als Erstes auf einen Vektor wirken soll, ganz rechts und somit @ sin cos cos sin sin A
unmittelbar „vor“ dem Vektor steht (und folglich zuerst multi-
sin 0 cos
pliziert wird).
Achtung Die Matrixmultiplikation ist im Allgemeinen nicht führen. Offensichtlich sind beide Ergebnisse unterschied-
kommutativ, das Ergebnis hängt von der Reihenfolge der Mul- lich. J
tiplikation ab. Physikalisch bedeutet dies, dass das Ergebnis
aufeinanderfolgender Drehungen im Raum von deren Reihen-
folge abhängt (Abb. 2.2). J Frage 4
Rechnen Sie die beiden Produkte in (2.13) und (2.14) kompo-
nentenweise nach, wobei Sie die Regeln der Matrixmultiplika-
Reihenfolge von Drehungen
tion verwenden.
Betrachten wir zwei Drehungen, die erste um einen Win-
kel um die eO 3 -Achse, die zweite um einen Winkel In Kap. 4 werden wir sehen, dass eine räumliche Drehung um
eine beliebige Achse stets durch drei sukzessive Drehungen um
54 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
Determinanten
Wir haben bereits Matrizen und deren Bedeutung kennenge- der Nebendiagonalen (von rechts oben nach links unten) ge-
lernt. Hier wollen wir uns nun noch etwas genauer mit ihnen nommen werden.
beschäftigen. Außerdem werden wir die Determinante ken-
nenlernen, die für Matrizen eine große Bedeutung hat. Dafür Normalerweise wird die Determinante etwas anders definiert
benötigen wir Permutationen. und die obige Formel daraus gefolgert. Für uns werden die
obige Definition und die folgenden Rechenregeln (die im
Permutationen Eine Permutation ist eine bijektive Abbil- Wesentlichen alle Details der „richtigen“ Definition der De-
dung einer endlichen Menge in sich selbst. Anders gesagt, terminante enthalten) jedoch ausreichen.
vertauscht (permutiert) eine Permutation nur die Reihenfol-
ge der Elemente einer Menge. Meist werden Permutationen
auf einer endlichen Indexmenge (d. h. einer endlichen Menge Rechenregeln für die Determinante
von Zahlen f1; : : : ; Ng) betrachtet. Die Menge dieser Permu- det.AB/ D det.A/ det.B/
tationen bezeichnet man dann mit SN . det.A> / D det.A/
Findet eine gerade Anzahl von Vertauschungen (von je zwei det.A/ D N det.A/
Elementen) statt, so nennt man die Permutation gerade, an- sind in A zwei Zeilen oder Spalten linear abhängig, so ist
sonsten ungerade. Entsprechend ist für eine Permutation det.A/ D 0
das Signum sgn . / definiert als 1, wenn gerade ist, und det.I/ D 1
als 1, wenn ungerade ist. Da die Indizes f1; : : : ; Ng auf
N .N 1/ 1 D NŠ verschiedene Arten permutiert werden Orthonormale Transformationen Mit Matrizen lassen sich
können, enthält SN genau NŠ Elemente. Davon sind genau Koordinatentransformationen beschreiben, die eine alte Ba-
NŠ=2 gerade. sis eO i in eine neue eO 0i überführen. Besonders wichtig sind
Transformationen für Orthonormalbasen, d. h. für Basen, für
Determinante Die Determinante einer Matrix A D .aij / 2
die hOei ; eOj i D ıij bzw. hOe0i ; eOj0 i D ıij gilt. Ist A D .aij / eine
MNN ist definiert als
solche Matrix, so muss
X
det.A/ WD sgn . /a1 .1/ a2 .2/ aN .N/ :
ıij D haik eO k ; ajl eO l i D aik ajl ıkl D aik ajk D aik a>
kj ;
2SN
Statt det.A/ schreibt man auch jAj. Die Determinante ist nur also
für quadratische Matrizen definiert. Für N D 2 lautet die
obige Formel AA> D I D A> A;
det.A/ D a11 a22 a12 a21 gelten. Eine solche Matrix heißt orthogonal, während man
die Transformation orthonormal nennt. Wegen der Rechen-
und für N D 3 regeln für Determinanten gilt
det.A/ D .a11 a22 a33 C a12 a23 a31 C a13 a21 a32 / 1 D det.I/ D det.AA> / D det.A/ det.A> / D .det.A//2 ;
.a12 a21 a33 C a11 a23 a32 C a13 a22 a31 /
D "ijk a1i a2j a3k : also det.A/ D ˙1. Ist det.A/ D 1, nennt man die orthonor-
male Transformation eigentlich, ansonsten uneigentlich.
Diese Formel nennt man auch Regel von Sarrus, die man sich
folgendermaßen grafisch vorstellen kann: Anschaulich gibt die Determinante einer Transformations-
matrix an, wie sich das orientierte Volumen eines Körpers
+ + + − − − unter dieser Transformation ändert. Insbesondere lassen or-
thogonale Transformationen das Volumen höchstens bis auf
a11 a12 a13 a11 a12 das Vorzeichen invariant.
Teil I
In Kurzform können wir auch
x2
x0 D Rx: (2.19)
x2 b1
e schreiben.
φ x1 Achtung Ausdrücke der Form rij ai bj oder rij rkj sind Abkür-
φ zungen P (und nichts anderesP als das) für die längeren Schreib-
x1 weisen i;j rij ai bj oder j rij rkj . Dabei wird stets über doppelt
e1 auftretende Indizes summiert. Einzelne Indizes müssen auf bei-
den Seiten einer Gleichung auftreten, z. B. ai bj D rij ck dk oder
Abb. 2.3 Darstellung einer passiven Drehung, bei der das ungestrichene Koor-
dinatensystem (schwarz ) durch eine Drehung um die x3 -Achse in das gestrichene
ai bj D rik cj dk . Gleichungen wie ai bi D ci , rij D dk oder
Koordinatensystem (blau ) überführt wird. Der Vektor x wird davon nicht berührt, ai bj D rik ci dk sind nicht korrekt! Indizes können also entweder
allerdings hängt seine Darstellung vom Koordinatensystem ab, wie man an den einfach vorkommen, müssen dann aber auf beiden Seiten einer
Projektionen auf die entsprechenden Koordinatenachsen erkennen kann Gleichung stehen oder auf einer oder beiden Seiten doppelt.
Dann wird über sie summiert. Zum Beispiel sind die Glei-
chungen ai bi D cj dj und ak bk D ck dk beide gültig und sogar
die drei Koordinatenachsen dargestellt werden kann. Drehun- gleichwertig. Indizes dürfen nicht häufiger als zweimal auf einer
gen im dreidimensionalen Raum lassen sich daher durch drei Seite einer Gleichung vorkommen, da stets paarweise summiert
unabhängige Drehwinkel beschreiben. wird. Summationsindizes können also im Rahmen der oben ge-
nannten Regeln umbenannt werden. J
Wir wollen nun untersuchen, wie sich die Darstellung des Orts- Der Koordinatenvektor des Ortes transformiert unter pas-
vektors x ändert, wenn das Koordinatensystem gedreht wird. siven Drehungen vermittelt durch die Matrix R wie
Eine Punktmasse befinde sich am Ort mit den Koordinaten
x. Abhängig von der Wahl des Koordinatensystems hat dieser x0 D Rx: (2.20)
Ort verschiedene Darstellungen. Wir schreiben die Darstellun-
gen vor und nach der Drehung als x D .x1 ; x2 ; x3 /> bzw.
x0 D .x01 ; x02 ; x03 /> . Die Drehung ist in Abb. 2.3 illustriert. Wir
wissen, dass für die Koordinaten des Ortes in den beiden Koor- Frage 5
dinatensystemen Machen Sie sich anhand des Beispiels in Gleichung (2.9) und
Abb. 2.3 klar, dass die Drehmatrix R verwendet wird, um die
xi D x eO i bzw: x0i D x eO 0i (2.15) neue Darstellung des Ortsvektors zu finden.
ergibt. Hier gilt ebenfalls (2.19); dies ist jedoch anders zu in- O0 hat in S0 natürlich die Koordinaten b0 D .0; 0; 0/> .
terpretieren, da die Basisvektoren von der Transformation nicht
betroffen sind. Wie bereits erwähnt ist für solch eine Drehung e
b3 e3
eine Kraft nötig; sie ist daher von einer passiven Transformation
zu unterscheiden.
x x
Passive und aktive Drehungen
e
b2 e2
Möchte man die Rückseite einer auf dem Tisch stehen-
den Vase betrachten, kann man um den Tisch herum
gehen. Dies entspricht einer passiven Transformation, da O b O
sich die Vase nicht dreht, das Bezugssystem (festgelegt e1 e 1
durch die Blickrichtung) schon. Die andere Möglichkeit
ist, die Vase zu nehmen und umzudrehen. Dabei än- Abb. 2.4 Transformation zwischen kartesischen Koordinatensystemen.
dert sich das Bezugssystem nicht, aber die Vase wird Der Ursprung des gestrichenen Koordinatensystems S0 befindet sich
im Raum gedreht. Mathematisch werden beide Vorgänge vom ungestrichenen Koordinatensystem S aus betrachtet am Ort b. Eine
durch dieselbe Drehung beschrieben, physikalisch kann Punktmasse hat in S die Ortskoordinaten x (blau ), in S0 x0 (schwarz )
es jedoch Unterschiede geben: So könnte beispielswei-
se der Lichteinfall von der Richtung abhängen, sodass Wird der Ort einer Punktmasse beschrieben, so lauten die
man die Rückseite der Vase im einen Fall gut, im ande- Koordinaten in S zunächst x. Ein Beobachter in S0 gibt
ren nur schlecht sehen kann. Außerdem muss eine aktive dagegen die Koordinaten x0 D x b für dieselbe Punkt-
Drehung jeweils genau entgegengesetzt zu einer passiven masse an. Legt man nun eine zweite Punktmasse genau in
sein, damit man dasselbe Ergebnis erhält. J den Ursprung O0 und fragt nach dem Verschiebungsvek-
tor d, der beide Punktmassen verbindet, so lautet dieser
Vektor d D x b bzw. d0 D x0 b0 D x0 . Man sieht
In Aufgabe 2.1 wird gezeigt, dass Winkel zwischen Vektoren sofort, dass dann d D d0 gilt, wohingegen x 6D x0 ist. So-
und Längen (Beträge) von Vektoren invariant unter orthogona- mit ist x ein Beispiel für einen gebundenen, d für einen
len Transformationen sind. ungebundenen Vektor. Allgemein kann man sagen, dass
ungebundene Vektoren ihre Darstellung unter Translatio-
nen des Koordinatensystems nicht ändern. J
Teil I
toren. "pjk apq ajl akm D det.A/"qlm : (2.30)
Dies wiederum führt mit der Drehmatrix R statt A auf
Frage 6
"pjk rpq rjl rkm riq D det.R/"qlm riq : (2.31)
Machen Sie sich die Gültigkeit von (2.22) zeichnerisch klar.
Es folgt sofort der transformierte Drehimpuls
Fragt man nach dem Transformationsverhalten des Geschwin- L0i D det.R/riq ."qlm rl pm / D det.R/riq Lq (2.32)
digkeitsvektors der Punktmasse, so sieht man direkt, dass
bzw.
xP 0 D RPx (2.25) L0 D det.R/ RL (2.33)
gilt. Geschwindigkeiten transformieren unter Drehungen daher in Vektorform.
wie ungebundene Vektoren. Eine gleichzeitige Verschiebung
Im Gegensatz zu Geschwindigkeiten bzw. Impulsen, die ent-
des Ursprungs spielt dabei keine Rolle.
sprechend p0 D Rp transformieren, tritt beim Drehimpuls ein
Frage 7 zusätzlicher Faktor det.R/ auf. Dies ist typisch für Größen,
in deren Definitionen das Levi-Civita-Symbol auftaucht. Der
Überprüfen Sie das Ergebnis in (2.25), indem sie von (2.22) aus-
Drehimpuls ändert daher sein Vorzeichen, wenn die Matrix R ei-
gehen und bP D 0 und R
P D 0 verwenden.
ne uneigentliche Transformation mit det.R/ D 1 ist. Beispiele
hierfür sind Spiegelungen oder das paarweise Vertauschen von
Wir werden auf das Transformationsverhalten von xP bei all- Koordinatenachsen. Eigentliche Drehungen sind dagegen stets
gemeinen zeitabhängigen Verschiebungen und Drehungen in durch det.R/ D C1 ausgezeichnet.
Abschn. 2.3 zurückkommen.
Spiegelung
Die Matrix 0 1
Transformation des Drehimpulses unter 1 0 0
Drehungen, polare und axiale Vektoren A D @0 1 0A (2.34)
0 0 1
Der Drehimpuls L D x p einer Punktmasse am Ort x mit vermittelt eine Spiegelung an der x1 -x2 -Ebene, d. h., die
Impuls p lautet in Komponentenschreibweise Koordinaten x des Ortsvektors werden folgendermaßen
transformiert: .x1 ; x2 ; x3 /> ! .x1 ; x2 ; x3 /> . Offen-
Li D "ijk xj pk : (2.26) sichtlich ist det.A/ D 1. Es handelt sich also um eine
uneigentliche orthogonale Matrix. Die neuen Basisvekto-
Wir betrachten erneut eine durch eine Rotation R vermittelte ren sind wegen
Transformation vom ungestrichenen System S zum gestriche- eO i eOj D ijk eO k (2.35)
nen System S0 . Zur Vereinfachung seien beide Koordinatensys-
teme nicht gegeneinander verschoben. In S0 lautet der Drehim- nicht mehr rechtshändig, sondern linkshändig. Man sagt
puls auch, dass die Helizität vertauscht wurde. J
L0i D "ijk xj0 p0k D "ijk .rjl xl /.rkm pm / D "ijk rjl rkm xl pm : (2.27)
Man unterscheidet physikalische Vektoren entsprechend des ändert er also bei einer uneigentlichen Transformation das
Verhaltens ihrer Darstellungen unter orthogonalen Trans- Vorzeichen, so ist diese Größe ein axialer Vektor. All-
formationen R, die sie von einem ungestrichenen in ein gemein ist das Kreuzprodukt zweier polarer Vektoren ein
gestrichenes Koordinatensystem überführen. Transformiert axialer Vektor. Das Skalarprodukt zweier polarer Vektoren
ein Darstellungsvektor wie der Impuls, ist ein Skalar, der unter uneigentlichen Transformationen
p0 D Rp; invariant ist. Das Produkt eines skalaren und eines po-
laren Vektors, z. B. p L, ist ein Pseudoskalar, der sein
d. h. unabhängig von det.R/, so ist diese Größe ein polarer Vorzeichen ändert, wenn det.R/ D 1 ist. Die physikali-
Vektor. Transformiert ein Darstellungsvektor wie der Dreh- schen Begriffe der polaren und axialen Vektoren sind von
impuls, der mathematischen Definition eines Vektors zu unterschei-
L0 D det.R/ RL; den.
Teil I
Matrixinversion und Rechenregeln für Determinanten
Hier wollen wir nun noch einige Hilfsmittel zur Berechnung wobei aij die Matrixelemente von A sind. Dies kann man sich
von Determinanten bzw. inversen Matrizen bereitstellen. Ein so vorstellen, dass man eine Zeile auswählt (am besten eine,
Hilfsmittel dafür werden Unterdeterminanten sein. in der es viele Nullen gibt) und sich dann jedes Element in
dieser Zeile nimmt, das nicht null ist. Für jedes solche Ele-
Existenz der inversen Matrix Man nennt eine Matrix A in- ment berechnet man den Wert der Unterdeterminante (z. B.
vertierbar, wenn es eine Matrix B gibt, sodass wieder durch die Laplace-Entwicklung). Die berechneten
Werte summiert man dann gewichtet mit den aij und entspre-
AB D BA D I
chenden Vorzeichen auf. Das Ganze funktioniert auch mit
gilt. In diesem Fall nennt man B die inverse Matrix und Spalten statt Zeilen.
schreibt dafür A1 . Nicht jede Matrix besitzt eine Inverse. Das Vorzeichen kann man sich nach folgendem Schachbrett-
Eine Inverse existiert aber genau dann, wenn det.A/ ¤ 0. muster merken:
Eine solche Matrix nennt man auch regulär. Eine nichtregu-
läre Matrix heißt auch singulär. 0 1
C C
Betrachtet man wieder die linearen Abbildungen, die durch B C C
B C
eine Matrix beschrieben werden, so ist eine Matrix genau BC C C
@ A
dann invertierbar, wenn die zugehörige lineare Abbildung in- :: :: :: : :
: : : :
vertierbar ist, und die inverse Matrix beschreibt gerade die
Umkehrabbildung.
Cramer’sche Regel Die Cramer’sche Regel ist ein Schema
Rechenregeln für inverse Matrizen zum Lösen von linearen Gleichungssystemen. Mit ihrer Hil-
fe kann man eine Formel herleiten, die zur Berechnung der
det.A1 / D .det.A//1 Matrixelemente der inversen Matrix dient. Es gilt
.A1 /1 D A
sind A und B invertierbar, so ist auch AB invertierbar, und
es gilt .AB/1 D B1 A1 .1/iCj A.ji/
A1 D B D .bij / mit bij D :
.A> /1 D .A1 /> det.A/
ist A orthogonal, so gilt A1 D A>
Die Cramer’sche Regel erfordert viel Rechenaufwand, des-
Unterdeterminanten Ist A eine N N-Matrix, so schreiben halb lohnt sie sich nur für kleine Matrizen. Für N D 2 lautet
wir Aij für die Matrix, die man aus A erhält, wenn man die i- die Regel
te Zeile und die j-te Spalte streicht. Da dies dann wieder eine
quadratische Matrix ist, können wir hiervon die Determinan- 1
a11 a12 1 a22 a12
te berechnen. Wir schreiben D :
a21 a22 a11 a22 a12 a21 a21 a11
A.ij/ D det.Aij /
Hier werden also in der Matrix die Diagonalelemente ver-
und nennen dies Unterdeterminante oder Minor. tauscht; bei den beiden anderen wird das Vorzeichen geän-
dert und am Schluss durch die Determinante geteilt.
Laplace’scher Entwicklungssatz Der Laplace’sche Ent-
wicklungssatz ist eine Möglichkeit, Determinanten zu be-
rechnen. Diese Methode ist besonders dann geeignet, wenn Literatur
die Matrix viele Nullen enthält. Es gilt
X
N Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
det A D .1/iCj aij A.ij/ ; Algebra 1. 3. Aufl., Spektrum (2014)
jD1 Bosch, S.: Lineare Algebra. 4. Aufl., Springer (2007)
60 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
Es stellt sich nun die Frage, welchen Einfluss die oben einge-
führten Transformationen auf die Bewegungsgleichungen einer Kovarianz des ersten Newton’schen Axioms unter Gali-
Teil I
durch eine konstante orthogonale Matrix R auseinander her- Kovarianz des zweiten Newton’schen Axioms
vorgehen (drei Parameter),
um einen konstanten Vektor b0 verschoben sein (drei Para-
unter Galilei-Transformationen
meter),
sich mit konstanter Geschwindigkeit v 0 relativ zueinander Im weiteren Verlauf beschränken wir uns auf Galilei-Transfor-
bewegen (drei Parameter) und mationen und werfen einen Blick auf das zweite Newton’sche
verschiedene Zeitnullpunkte besitzen (ein Parameter). Axiom:
mRx D F.t; x; xP /: (2.41)
Transformationen, welche diese Eigenschaften besitzen, nennt Hier ist F eine Kraft, die zur Zeit t auf die Punktmasse m wirkt,
man Galilei-Transformationen. welche sich am Ort x befindet und sich mit der Geschwindigkeit
xP bewegt. Wird eine Galilei-Transformation auf (2.41) ange-
wendet, nimmt sie die Form
Allgemeine Galilei-Transformation
Eine eigentliche Galilei-Transformation zwischen zwei mRx0 D F0 .t0 ; x0 ; xP 0 / (2.42)
Inertialsystemen überführt die Darstellung des Ortsvek-
tors x und der Zeit t in an, wobei offensichtlich
Die Drehmatrix R, Relativgeschwindigkeit v 0 , Verschie- gilt. Obwohl F und F0 im Allgemeinen unterschiedliche Funk-
bung b0 und Verschiebung t0 der Zeitnullpunkte sind tionen der Koordinaten sind, bleibt die Form des zweiten New-
konstant. ton’schen Axioms invariant unter Galilei-Transformationen,
d. h., es treten keine Zusatzterme auf. Das zweite Newton’sche
Axiom ist somit ebenfalls kovariant unter Galilei-Transforma-
Ist S0 gegenüber S beschleunigt, d. h. sind R oder bP nicht tionen. Physikalisch sind die beiden Beschreibungen in (2.41)
konstant, so treten Zusatzterme auf, welche die Kovarianz auf- und (2.42) völlig gleichwertig, da es sich lediglich um eine pas-
heben. Diese Zusatzterme sind bereits in (2.39) enthalten. Eine sive Koordinatentransformation handelt. Insbesondere sind die
gründliche Diskussion wird allerdings erst in Abschn. 2.3 und Ausdrücke F und F0 nur zwei verschiedene Darstellungen in
2.4 erfolgen, was schließlich auf die sogenannten Scheinkräfte den Koordinatensystemen S und S0 für dieselbe physikalische
führen wird. Kraft.
2.3 Beschleunigte Bezugssysteme 61
Auswirkung einer Drehung auf eine Kraft lassen. Wir werden in Kap. 9 sehen, dass sich diese Situation än-
dert, wenn relativistische Effekte (jv 0 j nicht klein gegenüber der
Teil I
Lichtgeschwindigkeit) berücksichtigt werden. Stattdessen wer-
Zur Veranschaulichung betrachten wir ein Inertialsystem
den dort die Lorentz- bzw. Poincaré-Transformationen einge-
S, in dem sich die Punktmasse m am Ort x D r eO 1 be-
führt, die im Grenzfall kleiner Relativgeschwindigkeiten wieder
findet, wobei r der Abstand zum Ursprung ist. Auf die
in die Galilei-Transformationen übergehen.
Punktmasse wirke eine Kraft F.x/ D F eO 2 . Nun stellen
wir uns ein anderes Inertialsystem S0 vor, das nur durch Mathematisch bilden die Galilei-Transformationen eine Gruppe
eine Rotation R um 90ı um die eO 3 -Achse aus S hervor- (siehe „Mathematischer Hintergrund“ 2.4). Insbesondere gibt es
geht (Abb. 2.6). eine triviale Transformation, die das Inertialsystem unverändert
lässt,
b1
e b2
e R D I; v 0 D 0; b0 D 0; t0 D 0; (2.44)
und zu jeder Galilei-Transformation gibt es eine inverse Trans-
formation. Zwei aufeinanderfolgende Galilei-Transformationen
bilden wieder eine Galilei-Transformation (Aufgabe 2.2). Die
für die theoretische Physik wichtige SO(3)-Drehgruppe (das S
in SO(3) bedeutet, dass spezielle orthogonale Matizen, nämlich
F jene mit det.R/ D C1 betrachtet werden) beinhaltet alle Dre-
hungen im dreidimensionalen Raum um den Ursprung und ist
somit eine Untergruppe der Galilei-Gruppe.
e2 x e1
Frage 9
Abb. 2.6 Eine Punktmasse befindet sich vom ungestrichenen Koordi- Überlegen Sie sich, warum die Galilei-Gruppe keine abelsche,
natensystem (schwarz ) aus gesehen am Ort x D r eO 1 , vom gestrichenen d. h. keine kommutative Gruppe sein kann. Der Schlüssel liegt
(blau ) aus betrachtet bei r eO 02 . Auf sie wirkt eine Kraft F in Richtung in den mathematischen Eigenschaften der Drehmatrizen (Ab-
eO2 bzw. F0 in Richtung eO 01 . Physikalisch sind beide Betrachtungen völlig schn. 2.1).
äquivalent
Teil I
Allgemeinen beschleunigte Bezugssystem B mit Basisvekto- Boden des Fahrstuhls befinden. Ein Beobachter im Fahr-
ren eO 0i .t/ ein. Da B rotieren kann, sind seine Basisvektoren stuhl befinde sich am Ort x.
in der Regel zeitabhängig. Wir werden ausschließlich passive
Transformationen betrachten, durch die lediglich das Koordi- Im freien Fall werden der Beobachter und der Fahrstuhl
natensystem gewechselt wird. Weiterhin wollen wir annehmen, mit der Erdbeschleunigung beschleunigt, wenn sie aus S
dass es sich bei R um eine Drehmatrix handelt, da diese in der beobachtet werden, d. h. xR D g und bR D g. Im Koor-
Physik am wichtigsten ist. Der Vektor b beschreibt die Lage des dinatensystem des Fahrstuhls ist der Beobachter somit
Ursprungs des Systems B von S aus gesehen, x ist der Ort ei- unbeschleunigt, da xR 0 D 0 folgt. Der Beobachter ist im
ner Punktmasse m. Sowohl b.t/ als auch R.t/ sind vorgegebene Fahrstuhl daher schwerelos, da sich hier die Scheinkraft
Funktionen der Zeit, wobei wir zur Vereinfachung den Ursprung in B und die Schwerkraft verursacht durch die Erdan-
der Zeit unverändert lassen, t0 D t, was keine Einschränkung ziehung gerade aufheben. Dies ist der Ansatzpunkt für
darstellt. die allgemeine Relativitätstheorie. Einstein fragte sich, ob
die Schwerkraft nicht generell als Scheinkraft angesehen
Wir haben in Abschn. 2.2 bereits erkannt, dass zeitabhängige werden könne, was ihn schließlich darauf brachte, die-
Transformationen zu Zusatztermen führen, welche die Kova- se mit Raumkrümmung in Verbindung zu bringen. Der
rianz der Newton’schen Axiome verletzen. Diese Zusatzterme freie Fall wird in der Forschung häufig verwendet, um
sind letztlich die Ursache für die Zentrifugal- und die Coriolis- ein schwereloses System zu simulieren. Beispiele hierfür
Kraft in rotierenden Bezugssystemen, wie wir in Abschn. 2.4 sind Falltürme oder Parabelflüge (Abb. 2.7).
sehen werden.
P
xP 0 D R.Px b/; R
xR 0 D R.Rx b/: (2.46)
Aufgrund der Eigenschaften der Drehmatrix, RR> D I, können P 6D 0) einen Zusatzterm aufweist, der über den naiv
(d. h. für R
wir die erste Zeitableitung in (2.45) in der Form zu erwartenden Term RdP hinausgeht. Der Grund ist die Zeit-
Teil I
Man sieht daran, dass die Matrix B WD R> R P ihr Vorzeichen Physikalische Bedeutung von !
wechselt, wenn man sie transponiert. Solche Matrizen heißen
schiefsymmetrisch. In drei Dimensionen gilt für sie
Um zu verstehen, welche Bedeutung ! hat, untersuchen wir
0 1 0 1 eine Drehung zwischen einem Zeitpunkt t0 und einem infini-
b11 b12 b13 b11 b21 b31
tesimal späteren Zeitpunkt t0 C dt, die durch die Drehmatrix
B D @b21 b22 b23 A D @b12 b22 b32 A (2.50)
b31 b32 b33 b13 b23 b33 P 0 / dt
R.t0 C dt/ D R.t0 / C R.t
(2.55)
oder in Kurzform bij D bji . Die Diagonalelemente müssen ver- P 0 / dt
D R.t0 / I C R> .t0 /R.t
schwinden: b11 D b11 D 0 usw. Aus diesem Grund kann eine
schiefsymmetrische 3 3-Matrix nur drei unabhängige Kompo- ausgedrückt wird. Der erste Schritt folgt aus der Taylor-Ent-
nenten enthalten. wicklung bis zur ersten Ordnung in dt. Man spricht in diesem
Zusammenhang auch von einer infinitesimalen Drehung. Aus
Frage 10
der Definition von ! in (2.52) folgt
Begründen Sie, dass eine symmetrische 3 3-Matrix im Allge-
meinen sechs unabhängige Komponenten hat.
rik .t0 C dt/ D rij .t0 / ıjk C jkl !l .t0 / dt : (2.56)
Teil I
Drehwinkel auch in Vektorform geschrieben:
0 1
0 ! 0
d WD ! dt: (2.60) P D @! 0
R> .t/R.t/ 0A
0 0 0
0 1 (2.66)
0
Achtung Die hier vorgeführten Rechnungen sind nur für in-
H) ! D @ 0 A :
finitesimale Drehungen gültig. Eine Darstellung der Drehungen
!
wie in (2.60) könnte dazu verleiten, aufeinanderfolgende Dre-
hungen als Vektoraddition von 1 , 2 etc. zu schreiben. Dies ist
allerdings falsch, wie wir in Abb. 2.2 gesehen haben: Drehungen Dieses Beispiel ist auch gültig, wenn die Drehung nicht
kommutieren im Gegensatz zur Vektoraddition im Allgemeinen infinitesimal ist. Der Grund ist, dass stets um dieselbe
nicht. Im Kasten „Vertiefung: Infinitesimale Transformationen“ Achse gedreht wird. Es ist anschaulich klar, dass sukzes-
werden wir nochmals darauf zurückkommen. J sive, also aufeinanderfolgende Drehungen um dieselbe
Achse kommutieren. J
Man findet sofort B0 D RBR> bzw: b0ij D rim bmn rjn (2.68)
0 1
sin.!t/ cos.!t/ 0 gilt, wobei R die Drehmatrix ist, die das ungestrichene in das
P D ! @ cos.!t/
R.t/ sin.!t/ 0A (2.64) gestrichene Koordinatensystem überführt. Wir schreiben
0 0 0
1
und !l0 D ijl rim rjn bmn (2.69)
2
0 1
cos.!t/ sin.!t/ 0 und wegen (2.52)
R .t/ D @ sin.!t/
>
cos.!t/ 0A : (2.65)
0 0 1 1
!l0 D ijl rim rjn kmn !k : (2.70)
2
66 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
Wir haben in Abb. 2.2 gesehen, dass die Reihenfolge von schreiben, wobei d k die infinitesimalen Drehwinkel um die
sukzessiven endlichen Drehungen wichtig ist: Endliche Dre- Achse d sind. Allgemein definieren die Elemente jeder
hungen sind im Allgemeinen nicht kommutativ. Der Begriff schiefsymmetrischen 3 3-Matrix einen Pseudovektor. Für
der infinitesimalen Transformationen ist in vielen Bereichen die Änderung des Ortes gilt dann
der Physik sehr wichtig, insbesondere in der Quantenmecha-
nik und in der Feldtheorie. Wir beschränken uns hier auf eine dx D x0 x D dRx D x d:
infinitesimale Drehung. Gleichung (2.36) wird zu
Zwei aufeinanderfolgende infinitesimale Transformationen
x0 D Rx mit R D I C dR: erfüllen
.I C dR/> .I C dR/ D I H) dR> C dR D 0: Im Gegensatz zu endlichen Drehungen spielt hier die Rei-
henfolge keine Rolle. Auf diese Weise kann man auch direkt
Da dR eine infinitesimale Größe ist, können quadratische zeigen, dass die Inverse von R D I C dR gerade I dR
Terme vernachlässigt werden. Deshalb müssen infinitesima- ist. Drehmatrizen sind eine Untergruppe der orthogonalen
le Drehmatrizen dR stets schiefsymmetrisch sein. Analog zu Matrizen, die det.R/ D C1 erfüllen. Es ist bereits intuitiv
(2.52) können wir klar und hier offensichtlich, dass es nur infinitesimale Dre-
hungen, aber keine infinitesimale Spiegelungen geben kann,
drij D ijk d k denn für Spiegelungen ist x0 x keine infinitesimale Größe.
b3
e
ableitungen
!
Teil I
d D R> d0 ; (2.74)
dP D R> dP 0 C !0 d0 ; b2
e
b3
e
dR D R> ŒdR 0 C !
P 0 d0 C !0 dP 0 C !0 .dP 0 C !0 d0 /:
b1
e
b O
Dies wird in Aufgabe 2.3 gezeigt.
c
in (2.74) folgt mit b D 0, bP 0 D 0 und bR 0 D 0 sofort wobei F0ext D RFext die gedrehte Kraft in B ist (siehe (2.43)).
Wir schreiben die Gleichung noch um, indem wir allein den
Teil I
Achtung Es ist zu betonen, dass es sich bei der Erddrehung Scheinkräfte in rotierenden Bezugssystemen
um eine aktive, d. h. physikalische Drehung handelt: Ein Punkt Auf eine Punktmasse am Ort x0 in einem mit !0 rotieren-
auf der Erdoberfläche ändert seine Lage relativ zu S. Die Dreh- den Bezugssystem B wirken äußere Kräfte und Schein-
matrix R.t/, die S nach B überführt, beschreibt eine passive kräfte. Die Bewegungsgleichung für eine Punktmasse in
Drehung des Koordinatensystems wie zu Beginn dieses Kapitels B lautet
beschrieben. Allerdings wird in diesem Fall R.t/ gerade so ge-
wählt, dass das Koordinatensystem B genau mit einem Fixpunkt mRx0 D F0ext m!
P 0 .x0 b0 / 2m!0 xP 0
c.t/ auf der Erdoberfläche mitrotiert. Dies ist keine Notwen- (2.80)
m!0 !0 .x0 b0 / :
digkeit, vereinfacht die mathematische Beschreibung allerdings
grundlegend, da das somit gewählte Koordinatensystem B ei-
Der Vektor b0 zeigt vom Ursprung von B zum Drehzen-
nem Laborsystem auf der Erdoberfläche entspricht. Somit ist
trum.
R.t/ eine Funktion von c.t/. J
Kreisbahn und Winkelgeschwindigkeit Gleichung (2.80) ist die Verallgemeinerung des zweiten New-
ton’schen Axioms auf rotierende Bezugssysteme und reduziert
sich für !0 D 0 auf seine ursprüngliche Form in Inertial-
Wir wollen untersuchen, mit welcher Geschwindigkeit
systemen (2.41). Offenbar ist ein in S kräftefreies Teilchen in
sich ein Punkt auf der Erdoberfläche von S aus betrachtet
B beschleunigt. Man nennt die drei übrigen Terme in (2.80)
bewegt, wenn sich die Erde mit der Winkelgeschwindig-
Scheinkräfte, die in Kürze genauer untersucht werden. Der Be-
keit ! dreht. Ausgehend von (2.54) fordern wir zunächst
griff Scheinkraft kommt daher, dass sie für einen Beobachter
dP 0 D 0, da sich der Punkt auf der Erdoberfläche befinden
im Inertialsystem nicht auftritt und daher scheinbar nicht exis-
soll und somit in B ruht. Es folgt sofort
tiert.
dP D ! d: (2.76) Scheinkräfte sind reale Kräfte, die durch die Transformation in
ein beschleunigtes Bezugssystem auftreten und ihren physikali-
Legt man zur Vereinfachung die Ursprünge von S und B schen Ursprung in der Trägheitskraft mRx haben. Das Auftreten
in den Erdmittelpunkt, ist b D b0 D 0 und von Scheinkräften zeigt an, dass ein Bezugssystem kein Inter-
tialsystem ist. Alle Scheinkräfte sind proportional zur trägen
xP D ! x: (2.77) Masse, während die Schwerkraft proportional zur schweren
Masse ist. Wie bereits in Kap. 1 erwähnt, fordert Einsteins Äqui-
Diese wichtige Gleichung wird in der Mechanik häufig valenzprinzip der allgemeinen Relativitätstheorie, dass schwere
verwendet: Die momentane Bahngeschwindigkeit xP einer und träge Massen äquivalent sind.
Punktmasse kann direkt aus dem Abstandsvektor x zum
Hierdurch wird deutlich, dass die Gesetze der Mechanik in
Drehzentrum und der Winkelgeschwindigkeit ! berech-
rotierenden Bezugssystemen zwar formulierbar, aber in der
net werden. Bewegt sich die Punktmasse mit konstanter
Regel deutlich aufwendiger zu lösen sind, da die Koordinaten-
Winkelgeschwindigkeit auf einer Kreisbahn, finden wir
achsen selbst zeitabhängig werden. Dennoch hat es für viele
das korrekte Ergebnis
Anwendungen Vorteile, die Bewegungsgleichungen in rotieren-
2 r U den Bezugssystemen zu diskutieren, da die Gleichungen dort
VD D (2.78) unter Umständen eine einfachere Form annehmen können. Dies
T T werden wir in Kap. 4 noch ausnutzen.
für die Bahngeschwindigkeit, wobei r und U Radius und
Umfang der Bahn und T die Umlaufdauer sind. J
Klassifikation der Scheinkräfte
Gleichung (2.75) beschreibt die Beschleunigung xR 0 einer Punkt-
masse im erdfesten System B. Fasst man mRx, also die Beschleu- Die Scheinkräfte in (2.80) haben drei Beiträge:
nigung der Punktmasse in S, als eine externe Kraft Fext D mRx,
1. Die Kraft m!P 0 .x0 b0 / taucht nur auf, wenn die Winkel-
auf, so lautet die Bewegungsgleichung in B
geschwindigkeit !0 sich in B ändert. Die Rotation der Erde
wird in guter Näherung durch !0 D const und ! D const
F0ext D mRx0 C m!
P 0 .x0 b0 / C 2m!0 xP 0 beschrieben. Ausnahmen bilden die Präzession und die Pol-
(2.79)
C m!0 !0 .x0 b0 / ; schwankungen. Erstere beschreibt eine Änderung von ! im
2.4 Kräfte in rotierenden Bezugssystemen 69
Teil I
an, dass !0 konstant ist.
! O
2. Der Term
F0C WD 2m!0 xP 0 (2.81)
l
heißt Coriolis-Kraft (nach dem französischen Mathemati- b
ker und Physiker Gaspard Gustave de Coriolis, 1792–1843)
und führt zu seitlichen Ablenkungen von sich bewegenden θ ϑ
Punktmassen in B. Diese Kraft steht senkrecht auf !0 und xP 0 O
und verschwindet für Bewegungen parallel zur Drehachse O
!0 .
3. Der dritte Term ist die Zentrifugalkraft:
Abb. 2.9 Darstellung der Erddrehung, wie sie ein Beobachter am Punkt O0 auf
Bedeutung der Zentrifugalkraft der Erdoberfläche sieht. Die Zentrifugalkraft ist entlang des Vektors l0 gerichtet,
der senkrecht von der Drehachse !0 zum Ursprung O0 von B zeigt. Somit weist
und Erdabplattung die Richtung der Zentrifugalkraft stets von der Drehachse fort. Die geografische
Breite # misst den Winkel zwischen dem Ursprung von B und dem Äquator
gebracht werden, wobei b D jb0 j und ! D j!0 j sind. Hierbei ist Frage 15
l0 der senkrechte Abstand des Ursprungs O0 von der Drehachse
Überlegen Sie sich, dass g0eff im Allgemeinen nicht direkt zum
!0 und erfüllt
Erdmittelpunkt zeigt. Für viele Anwendungen ist die damit ver-
bundene Abweichung allerdings vernachlässigbar.
l D jl0 j D b sin D b cos #: (2.84)
Frage 16
Abb. 2.10 Der Hurrikan Isabel richtete im Jahre 2003 große Schäden im Nord-
Machen Sie sich aus der Geometrie klar, dass (2.87) die Dreh- atlantikraum an. Ohne die Drehung der Erde um ihre Achse und die damit
achse der Erde in B beschreibt. Berücksichtigen Sie dabei, dass verbundene Coriolis-Kraft könnten keine tropischen Wirbelstürme entstehen: Be-
sich die Erde „nach Osten“ dreht. wegt sich eine Luftmasse von einem Hochdruck- auf ein Tiefdruckgebiet zu, wird
sie durch die Coriolis-Kraft seitlich abgelenkt. Auf der Nordhalbkugel führt dies
zu einem Wirbel, der sich im Gegenuhrzeigersinn dreht (© NASA)
Die Winkelgeschwindigkeit lässt sich in Komponenten senk-
recht und tangential zur Erdoberfläche zerlegen:
0 1 0 1 in der Ebene der Erdoberfläche statt, so lauten die relevanten
0 ! cos # Komponenten der Bewegungsgleichung
!0? D @ 0 A ; !0k D @ 0 A: (2.88)
! sin # 0 mRx01 2m! xP 02 sin # D F10 ;
(2.91)
mRx02 C 2m! xP 01 sin # D F20 :
Folglich hat die Coriolis-Kraft in (2.81) zwei Komponenten:
Ist die Punktmasse m an einem langen Faden der Länge l auf-
F0C D 2m.Px0 !? / C 2m.Px0 !0k /: (2.89)
gehängt und wirkt lediglich die Gravitationsbeschleunigung geff
Der zweite Term führt bei einer Bewegung auf der Erdober- auf m, so sind die Kräfte durch
fläche zu einer aufwärts oder abwärts gerichteten Kraft und F10 mgeff ıx01 =l;
schwächt die Gravitationskraft ab oder verstärkt sie. Der erste (2.92)
Term führt bei einer Bewegung auf der Erdoberfläche zu einer F20 mgeff ıx02 =l
seitlichen Ablenkung, auf der Nordhalbkugel stets nach rechts, gegeben. Hier beschreiben ıx01 und ıx02 die seitliche Auslenkung
auf der Südhalbkugel stets nach links relativ zur Richtung von der Masse entlang der eO 01 - und eO 02 -Achsen. Gleichung (2.91)
xP 0 . Diese seitlich gerichtete Kraft ist von wesentlicher Bedeu- und (2.92) bilden zusammen die Bewegungsgleichungen für das
tung für Stürme (Abb. 2.10), Meeresströmungen und Ballistik. Foucault’sche Pendel (nach dem französischen Physiker Jean
Bernard Léon Foucault, 1819–1868), dessen Pendelebene sich
Frage 17
mit der Winkelgeschwindigkeit ! sin # relativ zum Erdboden
Naiv könnte man annehmen, dass sich Wirbelstürme auf der
dreht (Abb. 2.11), wie wir in Kap. 6 sehen werden. Demnach
Nordhalbkugel im Uhrzeigersinn drehen, da dort Massen bei ih-
beobachtet man am Äquator keine Drehung der Pendelebene, an
rer Bewegung nach rechts abgelenkt werden. Tatsächlich ist der
den Polen ist sie jedoch maximal. Die Erde dreht sich sozusa-
Drehsinn jedoch genau anders herum. Begründen Sie dies. Dazu
gen unter der Pendelebene hinweg, was man sich insbesondere
muss man wissen, dass Stürme durch Tiefdruckgebiete erzeugt
an den Polen (# D 90ı ) leicht vorstellen kann.
werden. Luftmassen bewegen sich anfänglich radial in Richtung
des niedrigeren Druckes im Zentrum und werden dabei durch Frage 18
die Coriolis-Kraft zu einer Rotation gezwungen.
Überprüfen Sie die Gültigkeit von (2.91) und (2.92).
Teil I
xR 1 0
@xR 02 A D @2Px03 ! cos # A : (2.94)
xR 03 geff
nach unten (entlang der eO 03 -Achse) beschleunigt werden. Wir und somit
1
nehmen an, dass die durch die Rotation der Erde verursach- x02 D !geff t3 cos #: (2.98)
te Zentrifugalbeschleunigung bereits in eine effektive Erdbe- 3
schleunigung geff absorbieren würde. Die Coriolis-Kraft führt Die Anfangsbedingungen für x02 sind x02 .0/ D xP 02 .0/ D 0. Elimi-
allerdings zu einer seitlichen Ablenkung der Punktmasse, und niert man t zugunsten von s, findet man schließlich die östliche
zwar stets nach Osten. Ablenkung als Funktion der durchfallenen Strecke:
s
Dies kann man sich anschaulich so vorstellen, dass die Punkt- 0 2 2s3
x2 D ! cos #: (2.99)
masse an einem Punkt startet, der sich oberhalb der Erdoberflä- 3 geff
che befindet und sich – in S betrachtet – daher schneller um den
Erdmittelpunkt dreht als die Erdoberfläche. Diesen tangentialen Frage 19
Geschwindigkeitsüberschuss nimmt die Punktmasse aufgrund Würde eine Masse von der Spitze des Burj Khalifa in Dubai
ihrer Trägheit mit, sodass sie – in B beobachtet – nach Osten, (h D 820 m, # D 25ı ) fallen gelassen, wäre die östliche Ab-
also in die Drehrichtung der Erde, abgelenkt wird (Abb. 2.12). lenkung am Erdboden unter Annahme von geff D 9;8 m=s2 und
Umgekehrt wird eine Rakete, die nach oben beschleunigt wird, ! D 2 =86:400 s etwa 46 cm. Rechnen Sie dies nach.
nach Westen abgelenkt.
72 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
a b
t=0
b3
Teil I
t = th h
O (0) h
O b2
e
O (th ) ΔO
ΔO
Abb. 2.12 Ein Objekt fällt auf der rotierenden Erde von einem Turm der Höhe h. In a ist die Bahnkurve dargestellt, wie sie im Inertialsystem erscheint. Da die
Bahngeschwindigkeit auf dem Turm größer ist als auf der Erdoberfläche, kommt es zu einer Ostabweichung. Dieselbe Situation ist in b aus dem mitrotierenden
Bezugssystem gezeigt
Satellit
aufweisen muss, damit er auf der Kreisbahn mit Radius r
Wir betrachten einen Satelliten der Masse m auf einer verweilt. Ist seine Geschwindigkeit kleiner, nähert er sich
Kreisbahn um die Erde und wählen den Ursprung O0 von der Erde. Ist sie größer, entfernt er sich von ihr. Die Sa-
B so, dass O0 mit dem Ort des Satelliten zusammenfällt. tellitenbahnen sind in Abb. 2.13 dargestellt.
Somit sind x0 D 0 und xP 0 D 0, d. h., es gibt keine Co-
riolis-Kraft. Offensichtlich kann der Satellit nur auf der
Kreisbahn verweilen, wenn keine Nettokraft in B auf ihn
FZ
wirkt. Dies bedeutet, dass sich die Zentrifugal- und die
Gravitationskraft stets genau aufheben müssen. Da bei- FG
de Kräfte in radialer Richtung wirken, ist es ausreichend,
den Betrag zu betrachten. V < VK V = VK V > VK
2.5 Nichtkartesische Hier sind die dxi die Abstände entlang der drei Koordina-
tenachsen. Da das Koordinatensystem kartesisch ist und die
Koordinatensysteme
Teil I
Einheitsvektoren paarweise orthogonal sind, ist der quadrati-
sche Abstand ds2 über den Satz von Pythagoras gegeben:
In diesem Abschnitt werden weitere mathematische Grundlagen ds2 D dx21 C dx22 C dx23 : (2.104)
besprochen, die für die theoretische Physik von entscheiden-
der Bedeutung sind: nichtkartesische Koordinatensysteme und
Was passiert aber, wenn man in ein krummliniges Koordi-
ihre Auswirkungen auf die Differenzialoperatoren. Dabei liegt
natensystem übergeht? Nun müssen die drei Koordinaten xi
der Schwerpunkt vor allem auf den Zylinderkoordinaten und
als Funktion der neuen Parameter qj formuliert werden: xi D
den sphärischen Polar- bzw. Kugelkoordinaten. Diese Koordi-
xi .q1 ; q2 ; q3 /. Hier und im restlichen Verlauf des Abschnitts
natenysteme werden gewöhnlich verwendet, wenn das zugrunde
beschränken wir uns auf orthogonale Koordinatensysteme, bei
liegende physikalische Problem eine Zylinder- bzw. eine Kugel-
denen die Basisvektoren an jedem Punkt paarweise orthogonal
symmetrie aufweist. In der Regel vereinfachen sich in diesen
sind, d. h. eO 0i eOj0 D ıij . In solchen Fällen gilt lokal wieder der
Fällen die Bewegungsgleichungen gegenüber den Gleichungen
Satz von Pythagoras, und man kann sich überlegen, dass der
in ihrer kartesischen Form.
quadratische Abstand die Form
ds2 D .h1 dq1 /2 C .h2 dq2 /2 C .h3 dq3 /2 (2.105)
Krummlinige Koordinatensysteme annimmt. Die drei Größen hi dqi spielen dabei die Rolle des Ab-
stands entlang der drei neuen Koordinatenachsen eO 0i . Es gilt
Kartesische Koordinatensysteme zeichnen sich dadurch aus, 3
dass alle drei Basisvektoren paarweise orthogonal sind und X @xj 2
h2i D .1 i 3/; (2.106)
nicht vom Ort abhängen. In solchen Koordinatensystemen las-
jD1
@qi
sen sich drei raumfeste Koordinatenebenen einführen, in denen
jeweils eine Koordinate konstant ist (x1 in der x2 -x3 -, x2 in der was sich aus dem Kasten „Vertiefung: Die Metrik und ihre Be-
x1 -x3 - und x3 in der x1 -x2 -Ebene). In einer Vielzahl physikali- deutung in der Physik“ ergibt. Dies hat Auswirkungen auf die
scher Systeme sind jedoch physikalische Größen auf Flächen Formulierung des Gradienten einer Funktion in den neuen Ko-
konstant, die zylinder- oder kugelförmig sind. Ein Beispiel ist ordinaten.
das Gravitationsfeld einer Punktmasse: Dieses ist radialsymme-
trisch und hängt nur vom Abstand zu der Punktmasse ab; es
Gradient in allgemeinen Koordinatensystemen
hat somit Kugelsymmetrie. Kartesische Koordinaten lassen sich
dort für eine Beschreibung zwar verwenden, allerdings ist dies Der Gradient einer skalaren Funktion f hängt von der
ungeschickt und mathematisch wesentlich aufwendiger. Wahl des Koordinatensystems ab:
Koordinatensysteme lassen sich in der folgenden Weise verallge-
@ @ @
meinern: Wir stellen uns drei zunächst beliebige Scharen von Ko- r f D eO 1 C eO 2 C eO 3 f
ordinatenflächen vor, die der Symmetrie des Problems angepasst @x1 @x2 @x3
0 (2.107)
sind. Auf jeder dieser Fläche sei ein Parameter qi (i D 1; 2; 3) eO 1 @ eO 0 @ eO 0 @
D C 2 C 3 f:
konstant. Orte x im Raum werden dann dadurch angegeben, dass h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
man drei Koordinatenflächen so wählt, dass sie sich in x schnei-
den, und die zu ihnen gehörenden Parameter .q1 ; q2 ; q3 / als Ko-
ordinaten verwendet. Die Einheitsnormalenvektoren der Koor- Frage 20
dinatenflächen werden als neue Basisvektoren eO 0i (i D 1; 2; 3) Zeigen Sie, dass sich die rechte Seite von (2.107) im Spezial-
verwendet. Obwohl diese für Zylinder- und Kugelkoordinaten fall kartesischer Koordinaten auf die bekannte kartesische Form
paarweise orthogonal sind, muss dies nicht zwangsläufig der Fall reduziert.
sein. Im Allgemeinen sind die eO 0i Funktionen des Ortes.
Der Abstand zweier Punkte im Raum ist eine skalare phy- Als erstes konkretes Beispiel beginnen wir mit Koordinaten
sikalische Größe und darf daher nicht von dem gewählten .q1 ; q2 ; q3 /, die sich für Systeme mit Zylindersymmetrie eignen.
Koordinatensystem abhängen. Man betrachte zwei infinitesimal Die ursprünglichen kartesischen Koordinaten seien .x1 ; x2 ; x3 /.
voneinander getrennte Punkte im euklidischen Raum mit dem Wir legen den Ursprung auf die Symmetrieachse des physi-
Abstandsvektor kalischen Systems. Die Symmetrieachse wird willkürlich als
Koordinatenachse eO 3 des alten kartesischen und eO z des neuen
ds D dx1 eO 1 C dx2 eO 2 C dx3 eO 3 : (2.103) Zylinderkoordinatensystems gewählt, d. h. eO z D eO 3 .
74 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
Das Konzept des metrischen Tensors oder der Metrik spielt Ist die Koordinatentransformation qi .xj / umkehrbar, d. h.,
immer dann eine große Rolle in der Physik, wenn man es mit lässt sich xj .qi / angeben, so lautet die Metrik
nichtkartesischen Räumen zu tun hat. Dies können gekrümm-
te Räume sein (die in der allgemeinen Relativitätstheorie be- @xk @xl
gij D ıkl :
handelt werden) oder flache Räume mit krummlinigen Ko- @qi @qj
ordinaten (wie Kugel- oder Zylinderkoordinaten). Die Auf-
gabe der Metrik ist es, Längen- und Winkelberechnungen in Im dreidimensionalen Raum kann man gij offensichtlich
dem entsprechenden Raum zur Verfügung zu stellen. Hier be- durch 3 3 Komponenten angeben, und es gilt
schränken wir uns allerdings nur auf flache Räume.
g11 D h21 ; g22 D h22 ; g33 D h23 :
Um besser zu verstehen, wie uns die Metrik hilft, betrachten
wir das quadratische Wegelement in kartesischen Koordina- Die drei Größen hi (i D 1; 2; 3) sind in (2.106) definiert.
ten x:
Für Kugelkoordinaten lauten die nicht verschwindenden Ele-
ds2 D ıij dxi dxj ; mente von gij beispielsweise
wobei ıij das Kronecker-Symbol ist und die Einstein’sche g11 D grr D 1; g22 D g# # D r2 ; g33 D g' ' D r2 sin2 #:
Summenkonvention verwendet wird. Für allgemeine Ko-
ordinatensysteme mit Koordinaten q0i .xj / im flachen Raum Die Metrik ist somit im Allgemeinen selbst koordinatenab-
schreibt man entsprechend hängig. Darum kann das Wegelement nur in differenzieller
ds2 D gij dqi dqj : Form angegeben werden. Um eine endliche Strecke zwi-
schen zwei Punkten A und B zu berechnen, muss entlang
Durch die Kettenregel kann man berechnen, wie die Metrik eines spezifizierten Weges integriert werden:
gij aussieht, denn das quadratische Wegelement ds2 ist in bei-
den Beschreibungen identisch (Längen hängen nicht von der ZB ZB q
Wahl der Koordinaten ab): s12 D ds D gij .qi / dqi dqj
@qi @qj Š A A
gij dqi dqj D gij dxk dxl D ıkl dxk dxl : ZtB q
@xk @xl
D gij Œqi .t/Pqi .t/Pqj .t/ dt:
Also wird die Metrik durch die Transformation von xi nach
qi definiert: tA
@qi @qj Im letzten Schritt wurde die Zeit als Bahnparameter verwen-
gij D ıkl :
@xk @xl det.
a b
b3
e b3
e
Teil I
P ( , ϕ, z)
P
z
b1
e b2
e b1
e b2
e
Abb. 2.14 Veranschaulichung und Definition der Zylinderkoordinaten. In a sind die Flächen konstanter Zylinderkoordinaten gezeigt (gelb : % D const, blau :
' D const, rot : z D const). Jedes Tripel solcher Flächen schneidet sich in einem Punkt P, der durch die entsprechenden Werte .%; '; z/ dargestellt wird. Die
Relation (2.109) zwischen Zylinderkoordinaten und kartesischen Koordinaten lässt sich aus b ablesen
a b
b3
e b3
e
Teil I
P P (r, ϑ, ϕ)
ϑ r
b1
e b2
e b1
e b2
e
Abb. 2.15 Veranschaulichung und Definition der Kugelkoordinaten. In a sind die Flächen konstanter Kugelkoordinaten gezeigt (gelb : r D const, rot : # D const,
blau : ' D const). Jedes Tripel solcher Flächen schneidet sich in einem Punkt P, der durch die entsprechenden Werte .r; #; '/ dargestellt wird. Die Relation (2.115)
zwischen Kugelkoordinaten und kartesischen Koordinaten lässt sich aus b ablesen
1. Kugelflächen: r 2 Œ0; 1/ was aus Abb. 2.15 abgeleitet werden kann. Daraus folgt mit
2. Kegelflächen: # 2 Œ0; / (2.106)
3. gedrehte x1 -x3 -Halbebenen: ' 2 Œ0; 2 /
h2r D cos2 ' sin2 # C sin2 ' sin2 # C cos2 # D 1;
Man kann zeigen, dass die Einheitsnormalenvektoren über
h2# D r2 cos2 #.cos2 ' C sin2 '/ C r2 sin2 # D r2 ; (2.116)
eO r D sin # cos ' eO 1 C sin # sin ' eO 2 C cos # eO 3 ;
eO # D cos # cos ' eO 1 C cos # sin ' eO 2 sin # eO 3 ; (2.114) h2' D r2 sin2 #.sin2 ' C cos2 '/ D r2 sin2 #
eO ' D cos ' eO 2 sin ' eO 1
und für das Wegelement
mit den kartesischen Basisvektoren zusammenhängen.
Achtung Auch für die Kugelkoordinaten hängen die Koordi- ds2 D dr2 C r2 d# 2 C r2 sin2 # d' 2 : (2.117)
natenachsen in (2.114) vom Ort ab. J
Der Gradient in sphärischen Polarkoordinaten lässt sich ausge-
Frage 23 hend von (2.107) daher in der Form
Zeigen Sie, dass die drei Basisvektoren in (2.114) paarweise or-
thogonal sind. @f 1 @f 1 @f
r f D eO r C eO # C eO ' (2.118)
@r r @# r sin # @'
Die Umrechnung von Kugelkoordinaten in kartesische Koordi-
naten erfolgt über darstellen. Für den speziellen Fall, dass die Funktion f nur von
r abhängt, f D f .r/, lautet der Gradient schlicht
x1 D r sin # cos ';
x2 D r sin # sin '; (2.115) df .r/
r f .r/ D eO r : (2.119)
x3 D r cos #; dr
2.5 Nichtkartesische Koordinatensysteme 77
Teil I
Wir haben in (2.107) bereits gesehen, dass die Darstellung des
Wir haben bereits in (2.108) und (2.114) gesehen, dass – im Gradienten vom gewählten Koordinatensystem abhängt. Auch
Gegensatz zu kartesischen Koordinatensystemen – die Basis- die Divergenz und Rotation eines Vektorfeldes haben eine andere
vektoren vom Ort abhängen können. Dies hat zur Folge, dass bei Form, wenn das Koordinatensystem gewechselt wird (Großmann
der Berechnung von Ableitungen berücksichtigt werden muss, 2000). Wir betrachten einen abstrakten Vektor A mit Komponen-
dass die Basisvektoren nicht konstant sind. ten .A1 ; A2 ; A3 / in kartesischen bzw. .A01 ; A02 ; A03 / in krummlini-
gen Koordinaten. Dann lautet die allgemeine Vorschrift für die
Achtung Wie in Abschn. 2.3 und 2.4 diskutiert, ist die Zeit-
Divergenz in krummlinigen orthogonalen Koordinaten
abhängigkeit der Basisvektoren in rotierenden Systemen der
Grund für das Auftreten von Scheinkräften. Hier sprechen wir
eO 01 @ eO 0 @ eO 0 @
allerdings nicht von rotierenden kartesischen, sondern von nicht div A D C 2 C 3 A
rotierenden nichtkartesischen Koordinatensystemen. J h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
1 @.h2 h3 A01 / @.h1 h3 A02 / @.h1 h2 A03 /
Wir berechnen zunächst die Ableitungen der Basisvektoren der D C C ;
Zylinderkoordinaten. Man kann sich ausgehend von (2.108) h1 h2 h3 @q1 @q2 @q3
(2.125)
leicht davon überzeugen, dass folgende Zusammenhänge gültig
wobei A nach den paarweise orthogonalen Basisvektoren ent-
sind:
wickelt wird:
@Oe% @Oe' @Oez
D 0; D 0; D 0; A D A01 eO 01 CA02 eO 02 CA03 eO 03 ; A0i D A eO 0i .i D 1; 2; 3/: (2.126)
@% @% @%
@Oe% @Oe' @Oez
D eO ' ; D Oe% ; D 0; (2.120) Wir führen an dieser Stelle die Rechnung, die auf die zweite
@' @' @' Zeile in (2.125) führt, nicht vor. Es handelt sich dabei im We-
@Oe% @Oe' @Oez sentlichen um Fleißarbeit ohne tieferen Einblick in die Physik
D 0; D 0; D 0:
@z @z @z des Problems. Der interessierte Leser kann gerne die Rechen-
schritte auf eigene Faust nachvollziehen.
Für die Geschwindigkeit einer Punktmasse gilt wegen (2.111)
zunächst Sowohl die drei Komponenten A0i als auch die drei Basisvekto-
xP D
ds
D %P eO % C %'P eO ' C zP eO z : (2.121) ren eO 0i sind in der Regel eine Funktion der drei Koordinaten qi .
dt Mithilfe der Kettenregel müssen dann alle Ableitungen berück-
Um die zweite Zeitableitung – also die Beschleunigung – zu sichtigt werden, was im Gegensatz zu einer kartesischen Basis
erhalten, müssen die Zeitableitungen der Basisvektoren berück- auf Zusatzterme der Form @Oe0i =@qj führt, die für Zylinderkoordi-
sichtigt werden. Dabei gilt wegen der Kettenregel beispielswei- naten bereits in (2.120) angegeben wurden.
se
dOe% @Oe% @Oe% @Oe% Frage 25
D %P C 'P C zP : (2.122) Zeigen Sie, dass die Divergenz von A in kartesischen Koordi-
dt @% @' @z
naten
Nutzt man die Ableitungen in (2.120) aus, so findet man nach @A1 @A2 @A3
kurzer Rechnung div A D C C (2.127)
@x1 @x2 @x3
xR D %R %'P 2 eO % C .%'R C 2%P '/
P eO ' C zR eO z : (2.123) lautet. Gehen Sie dabei von (2.125) aus.
Dies ist gerade die Kraft, welche die Masse auf der Kreisbahn 1 @.r2 Ar / 1 @.sin #A# /
hält, z. B. die Gravitations- oder die Spannkraft in einem Fa- div A D C
r 2 @r r sin # @#
den. Zeigen Sie, dass dies genau der negativen Zentrifugalkraft (2.128)
1 @A'
m%! 2 eO % entspricht, die man ausgehend von Abschn. 2.4 für die- C :
r sin # @'
se Bewegung findet.
78 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
f D C 2 C 3
h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
0
eO 01 @ eO 0 @ eO 0 @ eO 1 @ eO 02 @ eO 0 @
rot A D C 2 C 3 A C C 3 f
h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3 h1 @q1 h2 @q2 h3 @q3
eO 0 @.h3 A03 / @.h2 A02 / 1
D 1 D
h2 h3 @q2 @q3 h1 h2 h3
(2.129) @ h2 h3 @ @ h1 h3 @ @ h1 h2 @
eO 02 @.h1 A01 / @.h3 A03 / C C f:
C @q1 h1 @q1 @q2 h2 @q2 @q3 h3 @q3
h1 h3 @q3 @q1
0 (2.131)
eO @.h2 A2 / @.h1 A01 /
0
C 3 : Hier gelten erneut die Anmerkungen wie zu Divergenz und Ro-
h1 h2 @q1 @q2 tation: Die Basisvektoren eO 0i hängen im Allgemeinen von den
Koordinaten qj ab, werden aber als paarweise orthogonal ange-
nommen.
Es gelten die gleichen Bemerkungen wie bei der Divergenz, ins-
besondere muss A wie in (2.126) entwickelt werden. Frage 26
Zeigen Sie, dass der Laplace-Operator, angewandt auf eine ska-
lare Funktion f in kartesischen Koordinaten,
Rotation in Kugelkoordinaten @2 f @2 f @2 f
f D C 2 C 2 (2.132)
@x12
@x2 @x3
Für einen Vektor A mit der Darstellung .Ar ; A# ; A' / in
Kugelkoordinaten gilt lautet. Gehen Sie dabei von (2.131) aus und nutzen Sie aus, dass
die Basisvektoren konstant und paarweise orthogonal sind und
eO r @.sin #A' / @A
rot A D vor die Ableitungen gezogen werden können.
r sin # @# @'
eO # 1 @Ar @.rA' /
C (2.130) Der Laplace-Operator in Kugelkoordinaten wird in Aufgabe 2.6
r sin # @' @r
abgeleitet.
eO ' @.rA# / @Ar
C :
r @r @#
Laplace-Operator in Kugelkoordinaten
Der Laplace-Operator, angewandt auf eine skalare Funk-
tion f , hat in Kugelkoordinaten die Gestalt
Konkrete Berechnungen von Divergenz und Rotation können Häufig separiert man den Laplace-Operator in Kugelkoordina-
sehr langwierig sein. Dies sieht anders aus, wenn das Problem ten in der Form
beispielsweise kugelsymmetrisch ist und alle #- und '-Abhän- f D r f C f ; (2.134)
gigkeiten verschwinden. wobei r die Radialableitungen und alle Winkelableitun-
gen enthält. Ist ein Problem kugelsymmetrisch, d. h., gibt es
keine Winkelabhängigkeiten, reduziert sich (2.133) auf
Der Laplace-Operator ist für die theoretische Physik von
entscheidender Bedeutung, da viele physikalische Gleichungen 1 @ 2 @f
(insbesondere in Feldtheorien) zweite Ortsableitungen in der f D r f D r : (2.135)
r2 @r @r
Form f D r 2 f D r r f enthalten. Der Laplace-Operator
ist äquivalent zur Hintereinanderausführung von Gradient und Eine konkrete Anwendung des Laplace-Operators wird in Auf-
Divergenz und kann daher mit den Gleichungen, die wir bis gabe 2.7 diskutiert: Es ist dort das Gravitationsfeld innerhalb
hierhin gefunden haben, für allgemeine Koordinatensysteme be- und außerhalb der Erde zu berechnen.
Aufgaben 79
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
2.1 Orthogonale Transformationen Zeigen Sie, oberen Seilendes vom Erdmittelpunkt beschreibt. Wie groß
dass Längen von Vektoren und Winkel zwischen Vektoren unter ist rS ?
orthogonalen Transformationen invariant bleiben. Untersuchen
Sie dazu, wie ein Skalarprodukt a b D ai bi transformiert. Ver-
wenden Sie hierbei die Einstein’sche Summenkonvention für
doppelt auftretende Indizes. 2.5 Beschleunigung in Kugelkoordinaten Be-
rechnen Sie die Beschleunigung einer Punktmasse in Kugelko-
2.2 Galilei-Transformation Es sind zwei Galilei- ordinaten. Orientieren Sie sich dabei an den Rechnungen, die
Q vQ 0 ; bQ 0 ; Qt0 / wie in (2.40)
Transformationen .R; v 0 ; b0 ; t0 / und .R; auf die Beschleunigung in Zylinderkoordinaten (2.123) geführt
gegeben. Berechnen Sie diejenige Galilei-Transformation, die haben.
sich ergibt, wenn beide hintereinander ausgeführt werden. Be-
stimmen Sie ausgehend von diesem Ergebnis die Inverse einer 2.6 Laplace-Operator in Kugelkoordinaten Be-
allgemeinen Galilei-Transformation. rechnen Sie den Laplace-Operator (2.131) in Kugelkoordinaten
und zeigen Sie somit (2.133). Hierfür sind Teilergebnisse von
2.3 Umgekehrtes Transformationsverhalten von Aufgabe 2.5 nützlich.
polaren Vektoren und ihren Zeitableitungen Zeigen Sie,
dass die umgekehrten Transformationsgleichungen in (2.74) aus 2.7 Gravitationsfeld der Erde Es ist das Gravitati-
(2.23), (2.54) und (2.73) folgen. Fangen Sie dabei mit d und d0 onsfeld .r/ D V.r/=m (m ist eine kleine Testmasse) im Innen-
an und überlegen Sie sich dann den entsprechenden Zusammen- und Außenraum der Erde zu berechnen. Wir nehmen hier an,
hang für dP und dP 0 . dass das Problem kugelsymmetrisch ist. Verfolgen Sie dazu die
2.4 Geostationärer Orbit Satelliten im geostatio- beiden folgenden Ansätze unabhängig voneinander.
nären Orbit um die Erde befinden sich in einer kreisförmigen
Umlaufbahn über dem Äquator und bewegen sich relativ zur (a) Man kann zeigen (ohne Beweis an dieser Stelle), dass bei
Erdoberfläche nicht. einer radialsymmetrischen Massenverteilung das Gravitati-
onsfeld bei Radius r nur von der Masse abhängt, die sich
(a) Leiten Sie die Bedingung für einen geostationären Orbit ab innerhalb einer Kugel mit ebendiesem Radius r befindet. Es
und berechnen Sie den notwendigen Abstand des Satelliten gilt dann
von der Erdoberfläche. Die nötigen Parameter (z. B. Erdmas-
se) finden sich in der Literatur. d GM< .r/
Fr D .r/ D : (2.137)
(b) Seit einigen Jahren wird die Möglichkeit diskutiert, einen dr r2
Orbitalaufzug zu bauen. Dabei handelt es sich im Wesent-
lichen um ein Seil, das vom Äquator senkrecht nach oben Dabei bezeichnet M< .r/ die Masse, die sich innerhalb einer
läuft. Die Gravitations- und die Zentrifugalkraft, die insge- Kugel mit Radius r befindet, und Fr ist die radiale Kompo-
samt auf das Seil wirken, heben sich dabei auf. Das Seil nente der Gravitationskraft, die zum Zentrum hin zeigt.
ist sozusagen ein geostationärer Satellit, der allerdings nicht (b) In Teil II werden sogenannte Feldgleichungen diskutiert. Mit
durch eine Punktmasse beschrieben werden kann. Man neh- den dort besprochenen Hilfsmitteln lässt sich zeigen, dass
me an, dass das Seil pro Längeneinheit dr eine konstante der Zusammenhang
Masse hat,
dm D dr: (2.136) .x/ D 4 G .x/ (2.138)
Stellen Sie eine Integralgleichung auf, die die Kräftebilanz
des gesamten Seiles beschreibt. Führen Sie dazu einen zu- zwischen Massendichte .x/ und Gravitationspotenzial .x/
nächst unbekannten Radius rS ein, der den Abstand des besteht. Aufgrund der Kugelsymmetrie bietet es sich an,
80 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
.x/ D .r/. weiterhin an, dass die Massendichte der Erde konstant ist:
.r/ D const.
Berechnen Sie sowohl aus (2.137) als auch aus (2.138) das
Gravitationspotenzial .r/. Berücksichtigen Sie dabei die ge-
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 81
Teil I
2.1 Es ist zunächst der Zusammenhang zwischen dem trans- die direkt vom ungestrichenen zum doppelt gestrichenen Sys-
formierten Skalarprodukt a0i b0i und dem ursprünglichen Skalar- tem führt. Durch einen Vergleich findet man
produkt ai bi gesucht. Es sei S die Matrix, die eine orthogonale
Transformation vom ungestrichenen in das gestrichene System N D RR;
R Q
darstellt. Dann gelten a0i D Sij aj und b0i D Sij bj und somit vN 0 D v 0 C R> vQ 0 ;
(2.146)
a0i b0i D Sij aj Sik bk : (2.139) bN 0 D b0 C R> bQ 0 vQ 0 t0 ;
Nt0 D Qt0 C t0 :
Hier muss das zweite Indexpaar j durch k ersetzt werden, da
Summationsindizes nicht häufiger als zweimal auf einer Seite Eine Galilei-Transformation gefolgt von ihrer Inverse muss als
einer Gleichung auftreten dürfen. Orthogonale Transformatio- .I; 0; 0; 0/ darstellbar sein. Dies führt zunächst auf
nen erfüllen aber gerade Sij Sik D ıjk . Es folgt sofort
Q D R>
R und Qt0 D t0 : (2.147)
a0i b0i D aj bk ıjk D aj bj D ai bi : (2.140)
Weiterhin gilt
Im letzten Schritt kann das Indexpaar j durch i ersetzt werden. vQ 0 D Rv 0 (2.148)
Dies ist möglich, da über diese Indizes summiert wird und sie und schließlich
noch nicht auf dieser Seite der Gleichung verwendet werden. bQ 0 D R .v 0 t0 C b0 / : (2.149)
Es dürfen stets nur beide Indizes eines Indexpaares gleichzeitig
durch ein anderes Indexpaar ersetzt werden.
2.3 Zunächst ist es trivial zu sehen, dass
Betrachtet man nun den Spezialfall bi D ai und b0i D a0i , so
folgt, dass die Länge eines Vektors invariant ist: d0 D Rd H) d D R> d 0 (2.150)
was gerade die Komponentenschreibweise von !0 d0 ist. So- Seil kann nur als Ganzes beschleunigt werden. Daraus er-
mit ist auch der Zusammenhang zwischen dP und dP 0 gezeigt. Die gibt sich als Bedingung für das Orbitalseil:
Teil I
Hieraus ergeben sich die Zeitableitungen der Basisvektoren. Für Es ist weiterhin zu beachten, dass der Laplace-Operator auf
eO r gilt Funktionen f .r; #; '/ anzuwenden ist. Um dies zu berücksichti-
Teil I
gen, schreiben wir eine beliebige Funktion f hin. Wir beginnen
dOer @Oer @Oer @Oer mit den Termen, bei denen links die r-Ableitung steht:
D rP C #P C 'P D #P eO # C 'P sin # eO ' : (2.167)
dt @r @# @'
eO r @ eO r @ @ @ @2
Analog hat man f D eO r eO r f D 2 f ;
hr @r hr @r @r @r @r
eO r @ eO # @ @ eO # @
dOe#
D #P eO r C 'P cos # eO ' ; f D eO r f D 0; (2.172)
dt hr @r h# @# @r r @#
(2.168) eO r @ eO ' @ @ eO ' @
dOe0' f D eO r f D 0:
D '.sin
P # eO r C cos # eO # /: hr @r h' @' @r r sin # @'
dt
Die Beschleunigung ist die Zeitableitung von (2.165): Nun betrachten wir die Terme, bei denen links die #-Ableitung
steht, und berücksichtigen dabei (2.166), in der die #-Ableitun-
dOer dOe# gen der Basisvektoren abgelesen werden können:
xR D rR eO r C rP C rP #P eO 0# C r#R eO # C r#P
dt dt
C rP sin # 'P eO ' C r cos # #P 'P eO ' (2.169) eO # @ eO r @
f D
eO # @ @
eO r f D
1 @
f;
dOe' h# @# hr @r r @# @r r @r
C r sin # 'R eO ' C r sin # 'P : eO # @ eO # @ eO # @ eO # @ 1 @2
dt f D f D 2 2f; (2.173)
h# @# h# @# r @# r @# r @#
Es müssen nun alle Zeitableitungen der Basisvektoren durch eO # @ eO ' @ eO # @ eO ' @
die entsprechenden Terme in (2.168) ersetzt werden. Eine etwas f D f D 0:
mühsame, aber unkomplizierte Sortierung nach den drei Basis- h# @# h' @' r @# r sin # @'
vektoren liefert letztlich
Es verbleiben noch die drei Terme, bei denen links die '-Ablei-
h i
xR D eO r rR r #P 2 C sin2 # 'P 2 tungen stehen:
h i
C eO # 2Pr#P C r #R sin # cos # 'P 2 (2.170) eO ' @ eO r @ eO ' @ @ 1 @
f D eO r f D f;
h i h' @' hr @r r sin # @' @r r @r
C eO ' .r'R C 2Pr'/ P sin # C 2r#P 'P cos # : eO ' @ eO # @ eO ' @ eO # @ cos # @
f D f D 2 f;
h' @' h# @# r sin # @' r @# r sin # @#
Die Terme in (2.170), die nur erste Zeitableitungen erhalten,
eO ' @ eO ' @ eO ' @ eO ' @ 1 @2
sind gerade die Coriolis- und die Zentrifugalbeschleunigungen. f D f D f:
Dies kann man sich überlegen, wenn man die entsprechenden h' @' h' @' r sin # @' r sin # @' r2 sin2 # @' 2
Kräfte in (2.80) in Kugelkoordinaten formuliert. (2.174)
Die Rechnungen sind fast abgeschlossen. Man erkennt, dass
2.6 Für Kugelkoordinaten gilt aufgrund des Wegelements keine gemischten Ableitungen auftreten. Der Grund ist, dass al-
(2.117) le gemischten Ableitungen mit Skalarprodukten verschiedener
Basisvektoren zusammenhängen und somit verschwinden müs-
hr D 1; h# D r; h' D r sin #: (2.171) sen.
Die Ableitungen der Basisvektoren sind in (2.166) zu finden. Abschließend fassen wir noch die Ableitungen zusammen. Die
Wegen (2.131) sind insgesamt neun Terme zu berücksichtigen. r-Ableitungen lauten in kombinierter Form
Die Reihenfolge der Ableitungen in diesen Termen kann in der
Regel nicht vertauscht werden, da die koordinatenabhängigen @2 2 @ 1 @ @
Basisvektoren dazwischenstehen. Es können jedoch teilweise C f D 2 r2 f ; (2.175)
@r2 r @r r @r @r
Faktoren vor die Ableitungen gezogen werden. Zum Beispiel
hängen sämtliche Basisvektoren nicht vom Radius r ab und kön- wie man schnell überprüft. Analog gilt für die #-Ableitungen
nen mit r-Ableitungen vertauscht werden.
Im Folgenden schauen wir uns alle Kombinationen an und ver- 1 @2 cos # @ 1 @ @
C 2 f D sin # f:
einfachen zunächst so weit wie möglich. Man beachte, dass alle r2 @# 2 r sin # @# r2 sin # @# @#
Basisvektoren senkrecht aufeinander stehen und Skalarproduk- (2.176)
te verschiedener Basisvektoren somit identisch verschwinden. Da es nur einen Term mit '-Ableitungen gibt, muss dort nichts
Um die Übersichtlichkeit zu verbessern, verzichten wir an die- zusammengefasst werden. Die drei verbleibenden Ableitungs-
ser Stelle auf die Punkte, die das Skalarprodukt kennzeichnen. terme ergeben das Endergebnis in (2.133).
84 2 Koordinatentransformationen und beschleunigte Bezugssysteme
(a) Zunächst überlege man sich, dass die Masse, die sich in einer
Kugel mit Radius r und konstanter Massendichte befindet, 1 @ 2@
durch r .r/ D 4 G : (2.184)
r2 @r @r
4
M< .r/ D r3 (2.177)
3 Im Innenraum der Erde ist die Massendichte , außerhalb 0.
gegeben ist. Dies gilt, so lange man sich innerhalb der Erde Wir beschäftigen uns zunächst mit der Lösung für den In-
befindet. Außerhalb ist in jeder Kugel mit Radius r > R (R nenraum. Multiplikation mit r2 und eine erste Integration
ist der Erdradius) M< .r/ D M D 4 R3 =3. Wir integrie- führen auf
@ 4
ren also (2.137) zunächst vom Erdmittelpunkt bis zu einem r2 .r/ D G r 3 C C1 : (2.185)
Punkt r < R und erhalten @r 3
Man kann schnell überprüfen, dass auch die Gravitations- und zum anderen
kraft (wie gefordert) stetig ist. Dazu leitet man .r/ wieder 2 K1
nach r ab und vergleicht die beiden Terme in (2.182) bei G R2 C C2 D : (2.190)
r D R. 3 R
(b) Für ein kugelsymmetrisches Problem verschwinden sämtli- Insgesamt führt dies wieder auf (2.182).
che Winkelableitungen. Der Laplace-Operator kann deshalb
in der Form
1 @ @
D r D 2 r 2 (2.183)
r @r @r
Literatur 85
Literatur
Teil I
Großmann, S.: Mathematischer Einführungskurs für die Physik.
Teubner (2000)
Riley, K.F., Hobson, M.P., Bence, S.J.: Mathematical Methods
For Physics And Engineering. Cambridge University Press
(2006)
Systeme von Punktmassen
3
Teil I
Was sind abgeschlossene
Systeme?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_3, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 87
88 3 Systeme von Punktmassen
Bewegung des Schwerpunktes Punktmassen sind daher als Idealisierungen für ausgedehnte
Körper geeignet, wenn man sich für die innere Dynamik nicht
Teil I
interessiert. Dazu gehören beispielsweise thermische Schwin-
Die Gesamtmasse des Systems ist gungen der Atome (Wärme).
X Um eine Transformation in das Schwerpunktsystem durchzufüh-
M WD mi : (3.3)
ren, werden die alten Koordinaten xi durch
i
Wirken keine äußeren Kräfte, Fi.a/ D 0, oder, weniger streng Achtung Wir hatten bereits gesehen, dass der Gesamtimpuls
P
gefordert, verschwindet lediglich ihre Summe, i Fi.a/ D 0, so des Systems erhalten ist, wenn keine äußeren Kräfte wirken.
ist In diesem Fall ist das Schwerpunktsystem ein Inertialsystem.
M XR D 0; (3.7) Für die meisten Anwendungen ist es dann sinnvoll, das Schwer-
punktsystem zur Beschreibung zu verwenden. J
und der Gesamtimpuls des Systems ist erhalten:
X X
P WD M XP D mi xP i D pi D const: (3.8)
i i Drehimpuls und Drehimpulssatz
In diesem Fall bewegt sich sein Schwerpunkt geradlinig-gleich-
Bis auf die Einschränkung durch das dritte Newton’sche Axi-
förmig entlang der Bahnkurve:
om, Fij D Fji , wurden die Wechselwirkungskräfte zwischen
P den Punktmassen des Systems bisher nicht näher festgelegt. Es
X.t/ D X0 C .t t0 /: (3.9) soll nun weiterhin angenommen werden, dass die inneren Kräf-
M te Fij Zentralkräfte sind, die also entlang der Verbindungslinie
zwischen mi und mj wirken. In diesem Fall hat man
Impulserhaltung eines Systems von Punktmassen
Fij .xi xj / D 0: (3.14)
Der Impulssatz eines Systems von Punktmassen lautet
X Dies gilt insbesondere für die Gravitationskraft zwischen zwei
PP D Fi.a/ D F.a/ : (3.10) Punktmassen oder die Coulomb-Kraft zwischen zwei Punktla-
i dungen.
Die Bewegung des Schwerpunktes wird nur durch äu- Der Gesamtdrehimpuls eines Systems von Punktmassen ist die
ßere, nicht jedoch durch innere Kräfte beeinflusst. Ver- Summe der Drehimpulse aller Punktmassen bezüglich des Ko-
schwindet die Summe aller äußeren Kräfte, so ist der ordinatenursprungs:
Gesamtimpuls erhalten, d. h., der Schwerpunkt bewegt X X
sich geradlinig-gleichförmig. L WD Li D mi xi xP i : (3.15)
i i
90 3 Systeme von Punktmassen
LP D mi xP i xP i C mi xi xR i
„ƒ‚…
i
D0
i M1 M2
X X X
D xi Fij C xi Fi.a/ m1 x1 x2 m2
(3.16)
i j i
1X X
D .xi Fij xi Fji / C xi Fi.a/ :
2 i;j F 21
i
Drehimpulserhaltung eines Systems von Punktmassen Energie, konservative und dissipative Kräfte
Der Drehimpulssatz eines Systems von Punktmassen,
zwischen denen nur Zentralkräfte wirken, lautet Um eine Aussage über die Energie des N-Teilchen-Systems
X machen zu können, verfahren wir ähnlich wie in (1.137): Die
LP D M i.a/ D M .a/ : (3.20) Bewegungsgleichungen der Punktmassen werden mit ihrer Ge-
i schwindigkeit multipliziert und aufsummiert:
X X
Der Gesamtdrehimpuls dieses Systems wird lediglich von mi xR i xP i D Fi xP i : (3.23)
den äußeren Kräften bzw. äußeren Drehmomenten beein- i i
flusst. Verschwindet das Gesamtdrehmoment der äußeren
Kräfte, so ist der Gesamtdrehimpuls des Systems erhalten. Die linke Seite von (3.23) entspricht der zeitlichen Änderung
der kinetischen Energie des Systems:
!
Gleichung (3.20) wird für die Beschreibung der Rotation star- X d X mi 2 dT
rer Körper in Kap. 4 von entscheidender Bedeutung sein. In mi xR i xP i D xP i D : (3.24)
i
dt i
2 dt
Abb. 3.2 ist ein (zugegebenermaßen etwas künstliches) Bei-
spiel für ein nichtzentrales Kräftepaar illustriert, bei dem das
Wir fordern nun, dass alle inneren Kräfte aus paarweisen Wech-
Drehmoment nicht verschwindet (dazu bräuchte man Grund-
selwirkungspotenzialen Vij abgeleitet werden können, die nur
gleichungen, die nicht drehinvariant sind).
vom Abstand beider wechselwirkender Punktmassen abhängen:
Durch Einsetzen von (3.11) in (3.15) lässt sich der Dreh-
impuls im Schwerpunktsystem, d. h. in den Koordinaten x0i , Fij D r i Vij .jxi xj j/: (3.25)
3.1 Allgemeine Aussagen und Erhaltungssätze 91
Hier wird nicht über i summiert. Diese Potenziale erfüllen Vij D Achtung Der Faktor 1=2 taucht in der letzten Umformung
Vji . Weiterhin fordern wir, dass Selbstwechselwirkungen ausge- auf, da die Ableitung
Teil I
schlossen sind, und setzen Vii D 0. Hier und im Folgenden gilt
die Vektorgleichung d
Vji .xij / D r i Vji .xij / xP i C r j Vji .xij / xPj (3.30)
@ dt
r i WD : (3.26)
@xi
aufgrund der Kettenregel zwei gleiche Beiträge besitzt. J
Des Weiteren führen wir xij WD xj xi mit xij D jxij j als Ab- Fasst man die Zwischenergebnisse zusammen, findet man den
kürzung ein, sodass die Wechselwirkungspotenziale die Form Energiesatz in der Form
Vij .xij / bekommen. Solche Potenziale führen durch (3.25) auf
Kräftepaare Fij und Fji , die das dritte Newton’sche Axiom er- dT dV
füllen und stets entlang der Verbindungslinie xij wirken, also C D0 oder E D T C V D const: (3.31)
dt dt
Zentralkräfte sind.
Frage 5
Zeigen Sie ausgehend von r D x1 x2 , dass r 1 V.r/ D
Teil I
a b c S
m2 = m1 S m2 = 2 m1 m2 = 10 m1
Teil I
S
m1 m1 m1
Abb. 3.4 Veranschaulichung der Schwerpunktslage für N D 2 Punktmassen verschiedener Masse. a Beide Massen sind gleich groß, m1 D m2 , und der Schwer-
punkt S liegt genau in der Mitte. Je größer die Masse m2 im Vergleich zu m1 wird, desto näher liegt der Schwerpunkt an der zweiten Punktmasse (b und c)
3.2 Das Zweikörper- Die Schwerpunktsbewegung ist mit (3.9) bereits gelöst. Das Er-
gebnis folgte direkt aus der Erhaltung des Gesamtimpulses, da
Zentralkraftproblem das System isoliert ist. Die eigentliche Herausforderung ist es,
die Lösung für die Relativbewegung von m1 und m2 in (3.40) zu
In Abschn. 3.1 wurden grundlegende Aussagen über Systeme finden. Ist schließlich die Lösung r.t/ bekannt, können die Orte
von N wechselwirkenden Punktmassen getroffen, ohne die Be- aus
wegungsgleichungen zu lösen. Der Spezialfall N D 2 wurde m2 m1
x1 D X C r; x2 D X r (3.41)
dort bereits vorgestellt. Wir werden die Diskussion in diesem Ab- m1 C m2 m1 C m2
schnitt fortsetzen und zunächst allgemeine Aussagen über das
Zweikörperproblem im Zentralkraftfeld treffen. Die Ergebnisse berechnet werden.
und physikalischen Inhalte sind von zentraler Bedeutung für die Da es sich bei den Bewegungsgleichungen für die Punktmassen
gesamte theoretische Physik, insbesondere für das Studium der m1 und m2 um insgesamt sechs Differenzialgleichungen zweiter
Planetenbahnen (Abschn. 3.3), der Streuung (Abschn. 3.4), der Ordnung handelt (drei für x1 und drei für x2 ), sind zwölf Inte-
Bremsstrahlung in der Elektrodynamik (Teil II) und des Wasser- grationskonstanten für die Lösung notwendig. Die ersten sechs
stoffatoms in der Quantenmechanik (Kap. 28). wurden bereits mit X0 und P D const in (3.9) verwendet. Die
übrigen sechs beziehen sich auf die Relativbewegung der bei-
den Punktmassen und können z. B. in der Form r.t0 / und rP.t0 /
bereitgestellt werden. Wir werden jedoch in Kürze sehen, dass
Impulserhaltung und Separation es Integrationskonstanten gibt, die besser für das vorliegende
der Bewegungsgleichungen Problem geeignet sind.
Frage 6
Wir betrachten zwei Punktmassen m1 und m2 mit reduzierter
Zeigen Sie die Gültigkeit von (3.41). Nutzen Sie dazu (3.4) und
Masse (3.38). Die beiden Punktmassen befinden sich an den
r D x1 x2 aus.
Orten x1 und x2 , der gemeinsame Schwerpunkt (3.36) am Ort X.
Auf beide Punktmassen sollen nur die Wechselwirkungskräfte
F12 D F21 wirken, die aus einem Wechselwirkungspotenzial
V.r/ D V12 .x1 x2 / mit r WD x1 x2 ableitbar seien. Äuße- Impulserhaltung und Separation
re Kräfte werden ausgeschlossen, d. h., das System sei isoliert. der Bewegungsgleichungen
Dies bedeutet, dass wegen (3.9) der Gesamtimpuls erhalten ist Aus der Gesamtimpulserhaltung des Zweikörperproblems
und sich der gemeinsame Schwerpunkt geradlinig-gleichförmig folgt direkt die Separation der Schwerpunkts- und der
bewegt. Die Schwerpunktsbewegung ist unabhängig von der Re- Relativbewegung. Es müssen nur noch drei anstatt sechs
lativbewegung der beiden Punktmassen. Differenzialgleichungen zweiter Ordnung gelöst werden.
Letztere muss separat untersucht werden. Ihre Bestimmungs-
gleichung (3.39) ist
a b
Teil I
x2 x3
L = Le
b3
ṙ dt
x2
r r
ϕ
x1
x1
Abb. 3.5 a Der Fahrstrahl r überstreicht in einer infinitesimalen Zeit dt das infinitesimale Flächenelement dA D r rP dt=2. Der Betrag jdAj entspricht der rot
markierten Fläche, die Richtung von dA steht senkrecht auf r und dPr. b Die Bewegung findet vollständig in einer Ebene (gelb ) statt. Das Koordinatensystem wird
so gewählt, dass die x3 -Achse senkrecht auf dieser Ebene steht
eine Zentralkraft ist, die nur vom Abstand r, nicht aber von der Wegen L D 2 dA=dt folgt sofort das zweite Kepler’sche Ge-
Richtung abhängt. Der Drehimpuls L ist dann wegen (3.20) er- setz.
halten. Um den Drehimpuls der beiden Punktmassen m1 und m2
relativ zum Schwerpunkt X anzugeben, schreiben wir zunächst
Zweites Kepler’sches Gesetz
P C m2 .x2 X/ .Px2 X/:
L D m1 .x1 X/ .Px1 X/ P (3.43)
Der Fahrstrahl r überstreicht im Zentralkraftfeld in glei-
Wegen (3.38) und (3.41) ist chen Zeiten gleiche Flächen. Die Flächengeschwindigkeit
1
L D .r/
m2
rP C .r/
m1
rP AP D r rP (3.47)
m1 C m2 m1 C m2 (3.44) 2
D r rP: ist konstant.
Teil I
(3.49) in L D r rP einsetzen.
L2 L2 r
FZ D r D (3.55)
2r 2 r3 r
Eigentlich sind drei Differenzialgleichungen zweiter Ordnung
zu lösen, je eine für %, ' und z. Die Bewegungsgleichung für z stets von der Drehachse fortzeigt und als Zentrifugalkraft inter-
ist durch die Drehimpulserhaltung und die Wahl des Koordina- pretiert werden kann.
tensystems bereits trivial gelöst: z 0. Dies entspricht wegen
zP .t D 0/ D 0 und zR.t D 0/ D 0 einer willkürlichen Fest- Das bisherige Vorgehen ist ein Beispiel dafür, welche wichtige
legung von zwei Integrationskonstanten. Mit (3.50) haben wir Rolle Symmetrien und Erhaltungsgrößen in der Physik spielen.
weiterhin eine Bewegungsgleichung erster Ordnung für ' erhal-
ten. Der Betrag L des Drehimpulses spielt dabei die Rolle einer 1. Aufgrund der Gesamtimpulserhaltung können die Bewe-
weiteren Integrationskonstanten. Es bleiben somit noch drei In- gungsgleichungen separiert werden. Es sind nur noch drei
tegrationskonstanten zu bestimmen. statt sechs Differenzialgleichungen zweiter Ordnung zu lö-
sen, und es sind nur noch sechs statt zwölf Integrationskon-
stanten zu bestimmen.
2. Die Winkelunabhängigkeit der Kraft führt auf eine weite-
Energieerhaltung und reduzierte re Erhaltungsgröße, den Drehimpuls L. Dies entspricht drei
Bewegungsgleichung weiteren Integrationskonstanten.
3. Aufgrund der Konstanz der Energie erhält man die Diffe-
Wir haben in Abschn. 1.6 bereits gefunden, dass die Energie er- renzialgleichung (3.53) erster Ordnung für r. Somit sind nur
halten ist, wenn sich die Kräfte aus Potenzialen ableiten lassen: noch zwei Integrationen durchzuführen (eine für r, eine für
') und zwei Integrationskonstanten zu bestimmen.
1 2
E DTCV D Pr C V.r/ D const: (3.51)
2
Selbstverständlich könnte man statt der Energie E und des Dreh-
Ausgehend von (3.49) lässt sich die Energie in der Form impulses L andere, äquivalente Integrationskonstanten wählen.
2 In der Quantenmechanik spielen die Energie und der Drehim-
ED %P C %2 'P 2 C V.r/ D const (3.52) puls allerdings grundlegende Rollen, sodass es sich bereits hier
2
anbietet, E und L zu verwenden.
schreiben. Wegen z D 0 können wir im Folgenden auch % durch
r ersetzen.
Erhaltungsgrößen und Bewegungsgleichungen
Frage 9
Machen Sie sich klar, dass Zylinderkoordinaten für z D 0 und Das Ausnutzen von Erhaltungsgrößen vereinfacht in der
Kugelkoordinaten für # D =2 gleichwertig sind und somit Regel das Lösen der Bewegungsgleichungen. Der erste
% D r gesetzt werden kann. Vergleichen Sie dazu (2.109) und Schritt bei der Analyse eines physikalischen Problems
(2.115). sollte daher das Identifizieren von Symmetrien und Erhal-
tungsgrößen sein.
effektives Potenzial
dr0
t t0 D p : (3.56)
2.E U.r0 //=
r0
Ist dieses Integral gelöst, folgt zunächst r.t/ durch Umkehrung, E > 0,
r1 ungebundene Bewegung
falls dies in analytisch geschlossener Form möglich ist. An-
sonsten müssen die Gleichungen numerisch behandelt werden. 0
Handelt es sich um eine periodische Funktion, beschränkt man Radius r
sich bei der Umkehrung auf eine bzw. eine halbe Periode. An- r1 r2
schließend kann der Zeitverlauf des Winkels über E < 0,
gebundene Bewegung
Zt Zt
L dt0
' '0 D P 0 / dt0 D
'.t (3.57)
r2 .t0 /
t0 t0
erhalten werden. Hier sind r0 und '0 nun schließlich die beiden
letzten Integrationskonstanten. In Aufgabe 3.5 kommen wir auf Abb. 3.6 Potenzial, Zentrifugalpotenzial und zugehöriges effektives Potenzial.
das Problem zurück, dass sich der zeitliche Verlauf der Bahn im Das Potenzial (schwarz ) entspricht hier dem Gravitationspotenzial / 1=r. Für
Allgemeinen nicht in geschlossener Form ausdrücken lässt. negative Energie (blau ) sind gebundene Bewegungen zwischen r1 und r2 mög-
lich. Für positive Energie (grün ) gibt es nur einen Umkehrpunkt bei r10 (Streuung)
In vielen Fällen ist man nicht unmittelbar daran interessiert, die
Zeit als Bahnparameter zu verwenden. Anstatt r.t/ und '.t/ zu
bestimmen, steht dann eine Diskussion der Bahnkurve r.'/ im
überhaupt in analytischer Form angegeben werden können. Wir
Mittelpunkt der Bemühungen. Zum Beispiel erkennt man an der
werden in Abschn. 3.3 sehen, dass dies beispielsweise für das
Gestalt von r.'/, ob die Bahnkurve gebunden (endlich) oder un-
Gravitationspotenzial der Fall ist. Die expliziten Lösungen wer-
gebunden (unendlich) ist. In der Tat werden wir in Abschn. 3.3
den dort angegeben und diskutiert.
eine Reihe möglicher Bahnkurven im Gravitationspotenzial fin-
den, von denen einige gebunden und einige ungebunden sind.
Die Bahnkurve lässt sich über
p
dr dr dt rP 2 .E U.r// = Allgemeine Eigenschaften der Bahnkurven
D D D (3.58)
d' dt d' 'P L=.r2 /
Es lassen sich bereits allgemeine Aussagen über die Form
berechnen.
der Bahnkurven machen, indem man sich die Gestalt und das
Grenzverhalten (r ! 0 und r ! 1) von U.r/ ansieht. In
Bahnkurve im Zentralkraftfeld Abb. 3.6 ist ein Beispiel für ein effektives Potenzial U.r/ ge-
zeigt. Eine Bewegung kann wegen (3.53) und rP 2 0 nur in
Ist das effektive Potenzial U.r/ bekannt, so lautet die solchen Bereichen stattfinden, für die E U.r/ gilt. Die Diffe-
Bahnkurve allgemein in impliziter Form renz EU.r/ gibt die kinetische Energie der radialen Bewegung
und damit die radiale Geschwindigkeit an. Punkte ru , für die
Zr
dr0 E D U.ru / gilt, sind Umkehrpunkte (Abschn. 1.4). Dort ändert
' '0 D L p : (3.59) sich das Vorzeichen von rP und somit die radiale Bewegungsrich-
r02 2 .E U.r0 //
r0 tung.
Die erhaltene Energie E und der konstante Drehimpuls L Die folgenden allgemeinen Aussagen lassen sich anhand der
sowie die Anfangsbedingungen r0 und '0 bilden die sechs Form von U.r/ treffen (Abb. 3.6):
Integrationskonstanten und legen die Form und Orientie-
rung der Bahnkurve fest. Ist die Bewegung in beide Richtungen durch Umkehrpunkte
r1 und r2 , die sogenannten Apsiden, beschränkt, r1 r
r2 , spricht man von gebundenen Bahnen. Die Punktmassen
Die gesamte Information steckt in der Gestalt des effektiven Po- können niemals zusammenstoßen und nicht ins Unendliche
tenzials U.r/ und den Werten der konstanten Parameter E und davonlaufen. Planetenbahnen (Abschn. 3.3) sind Beispiele
L. Formal ist somit das Zweikörperproblem für radialsymmetri- für gebundene Bahnen. Für den Spezialfall r1 D r D r2 fin-
sche Zentralkräfte gelöst. Praktisch hängt es allerdings von dem det man eine Kreisbahn, da dann stets rP D 0 gelten muss.
Potenzial V.r/ ab, ob die Integrale ((3.56), (3.57) und (3.59)) In diesem Fall besitzt U ein lokales Minimum bei r, und die
3.3 Das Kepler-Problem 97
Teil I
muss. Dies ist offensichtlich korrekt: Bewegt sich eine
sprung divergiert, gibt es aufgrund des Zentrifugalpotenzials Punktmasse in einem Inertialsystem auf einer Geraden,
für L 6D 0 stets einen Mindestabstand, den die beiden Punkt- kann die Kraft höchstens entlang der Bewegungsrichtung
massen nicht unterschreiten können. wirken, nicht jedoch zu einem Punkt zeigen, der außer-
Gibt es nur eine einzige Potenzialbarriere r10 < r, laufen die halb der Bahnkurve liegt. J
Punktmassen bis zum Abstand r10 aufeinander zu, wo sie ih-
re Richtung ändern und ins Unendliche davon laufen. Diese
ungebundene Bewegung wird als Streuung bezeichnet und in
Abschn. 3.4 ausführlich besprochen. Gleichung (3.59) besagt somit, dass nach einem vollen Umlauf
Für L D 0 laufen beide Punktmassen entweder zentral von- (z. B. von rmin nach rmax und weiter nach rmin ) gerade der Winkel
einander fort oder aufeinander zu. Gibt es im zweiten Fall
Zrmax
keine Potenzialbarriere, fallen beide Punktmassen aufeinan- dr
der zu und stoßen schließlich zusammen. ' D 2L p (3.63)
r2 2.E U.r//
rmin
Mit den Konventionen in Abschn. 3.2 lautet die Gravitations- rC gibt. Die Bewegung ist dann auf Bereiche r rC ein-
kraft geschränkt. Bei kleineren Abständen ist U.r/ > E, und das
Teil I
Es gibt keinen Umkehrpunkt, wenn ˛ 2 C 2L2 E= negativ Die allgemeine Gleichung (3.59) für die Bahnkurve nimmt für
wird, was nur bei hinreichend niedriger Energie passieren das Gravitationspotenzial die Form
kann, E < ˛ 2 =.2L2 /. Dies entspricht dem Fall, dass E
Zr
niedriger als der absolute Tiefpunkt von U.r/ liegt und somit dr0
nicht möglich ist, da rP 2 stets negativ wäre. ' '0 D L r (3.69)
Es gibt genau einen Umkehrpunkt, wenn ˛ 2 C 2L2 E= D 0 r0 r02 2 E C ˛r0
L2
2r02
gilt. In diesem Fall entspricht der Umkehrpunkt dem absolu-
ten Tiefpunkt von U.r/. Entlang der gesamten Bahn ist dann
rP D 0; es handelt sich also um eine gebundene Kreisbahn. an. Um diese Gleichung zu lösen, substituieren wir
Für E > 0 und L2 > 0 ist r stets negativ und rC stets po-
sitiv. Da der Abstand r nur positive Werte annehmen kann, 1 dr
u WD ; du D ; (3.70)
entspricht dies dem Fall, dass es nur einen Umkehrpunkt bei r r2
3.3 Das Kepler-Problem 99
was auf die Form annimmt. Wir sind an der Bahnkurve in der Form r.'/ interes-
siert und finden zunächst
Zu
Teil I
du0 p
' '0 D q (3.71) r.'/ D : (3.79)
u0
2E
C 2˛ 0
u u02 1 C " sin.'00 '/
L2 L2
führt. Der Term unter der Wurzel lässt sich mithilfe der quadra- Um die Lösung in eine Form zu bringen, die gewöhnlich in der
tischen Ergänzung umformen: Literatur zu finden ist, ersetzen wir den Term sin.'00 '/ durch
cos.' 'p /, wobei 'p D '00 =2 ist und cos x D cos.x/
2E 2˛ 0 02 2E ˛ 2
0 ˛ 2 ausgenutzt wird.
C u u D C u
L2 L2 L2 L2 L2
D C .u0 u0c /2 ; (3.72) Allgemeine Bahnkurve im Gravitationspotenzial
Die Bahnkurve im Gravitationspotenzial lautet allgemein
wobei C und u0c Konstanten sind. Somit lautet die Bahnkurve in
impliziter Form p
r.'/ D ; (3.80)
1 C " cos.' 'p /
Zu
du0
' '0 D p : (3.73) wobei p der Bahnparameter, " die Exzentrizität und 'p ei-
C .u0 u0c /2
u0 ne weitere Integrationskonstante ist.
Die Konstante '00 enthält '0 und die Konstante der letzten Inte- Achtung Von den vier Integrationskonstanten, die für die Lö-
gration. sung der Bewegungsgleichungen für r und ' nötig sind, findet
Frage 11 man in (3.80) nur drei in der Form p, " und 'p . Die vierte
tritt nicht in Erscheinung, da sie dem Anfangspunkt auf der
Überprüfen Sie alle Rechenschritte, die auf (3.75) führen. Bahnkurve zur Zeit t0 entsprechen würde. Die Bahnkurve selbst
enthält allerdings keine Information über den zeitlichen Verlauf.
Erst wenn die Lösungen in der Form r.t/ oder '.t/ angege-
Die Lösung liegt noch in einer unpraktischen Form vor. Aus ben werden sollen, muss entweder r.t0 / oder '.t0 / spezifiziert
diesem Grund werden zwei konstante Parameter definiert: die werden. Beide Möglichkeiten sind wegen r.t0 / D r.'.t0// äqui-
Exzentrizität s valent. J
2L2 E
" WD C1 0 (3.76) Mathematisch handelt sich sich bei (3.80) um einen Kegelschnitt
˛ 2
mit der Exzentrizität " und einem Brennpunkt im Ursprung. Die
und der Bahnparameter Kegelschnitte werden in Abb. 3.7 klassifiziert. Im Folgenden
werden die verschiedenen Bahnkurven genauer diskutiert.
L2
p WD 0 .˛ > 0/: (3.77)
˛
Die Bedeutung dieser beiden Größen wird in Kürze deutlich Kreis- und Ellipsenbahnen
werden. Man rechnet schnell nach, dass die Bahnkurve somit
die Form
Die einfachste Bahnkurve erhält man für " D 0:
pu 1
' '00 D arcsin (3.78) r.'/ D p: (3.81)
"
100 3 Systeme von Punktmassen
Teil I
Abb. 3.7 Veranschaulichung der Kegelschnitte. Von links nach rechts: Kreis (" D 0), Ellipse (0 < " < 1), Parabel (" D 1) und Hyperbel (" > 1) lassen sich durch
geeignete Schnitte eines Doppelkegels mit einer Ebene konstruieren. Der Neigungswinkel der Ebene nimmt von links nach rechts zu. Für einen Kreis ist die Ebene
senkrecht zur Symmetrieachse des Kegels. Im Falle einer Parabel ist der Neigungswinkel der Ebene identisch zum Öffnungswinkel des Kegels. Nur für größere Winkel
können beide Kegel gleichzeitig geschnitten werden, was auf eine Hyperbel führt
Wegen r C r0 D 2a ist weiterhin kann man die Ellipsenfläche auch in der Form
s
Teil I
r02 D .2a r/2 D 4a2 C r2 4ar: (3.85) a3 L
AD L D T (3.91)
0 ˛ 2
Kombiniert man (3.84) und (3.85), um r zu eliminieren, findet
man zunächst
schreiben.
4r.f cos ' C a/ D 4.a f /:
2 2
(3.86)
Das dritte Kepler’sche Gesetz
Aufgelöst nach r hat man
Die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten
sich wie die Kuben ihrer großen Bahnhalbachsen:
a f
2 2
a.1 " / 2
rD D : (3.87)
f cos ' C a 1 C " cos ' 4 2
T2 D a3 : (3.92)
˛
Im letzten Schritt wurde f D "a eingesetzt. Identifiziert man
nun den Bahnparameter als p D a.1 "2 /, findet man die Der Term 4 2
=˛ ist dabei näherungsweise eine Kon-
Bahnkurve in (3.80) wieder. Wir können daraus direkt das erste stante.
Kepler’sche Gesetz ableiten.
a b
x2 x2
Teil I
r r
p
r r
p
ϕ ϕ
B x1 B2 M B1 x1
2f a
f
Abb. 3.9 Zur Definition einer Parabel (a) und Hyperbel (b). Jeder Punkt auf einer Parabel hat zum Brennpunkt B und der Leitlinie (x2 -Achse) den gleichen Abstand
(jrj D jr0 j). Die Länge f entspricht dem Abstand vom Brennpunkt zum Scheitelpunkt der Parabel bzw. dem Abstand zwischen Scheitelpunkt und Leitlinie. Bei einer
Hyperbel ist für jeden Punkt die Differenz der Abstände zu einem Brennpunkt und der Leitlinie eine Konstante. Eine Hyperbel besteht aus zwei getrennten Ästen,
einer mit Brennpunkt B1 , der andere mit Brennpunkt B2 . Beide gehen durch eine Spiegelung an der Leitlinie (x2 -Achse) ineinander über. Man beachte die Definition
des Winkels ' für eine Parabel und Hyperbel einerseits und für eine Ellipse (Abb. 3.8) andererseits. In allen Fällen entspricht ' D 0 dem kleinsten Abstand zum
Brennpunkt
die zu dem Brennpunkt und der Leitlinie den gleichen Abstand wie bei der Ellipsengleichung führt schließlich auf
haben (Abb. 3.9). Aus dieser Abbildung erkennt man, dass
p
rD ; (3.96)
2f 1 C " cos '
r D 2f r cos ' H) rD (3.94)
1 C cos '
wobei " D f =a die Exzentrizität und p D a."2 1/ der Bahn-
gilt. In diesem Fall sind der Abstand des Brennpunktes von der parameter einer Hyperbel sind.
Leitlinie und der Bahnparameter über p D 2f verknüpft. Frage 15
Der letzte verbleibende Fall ist " > 1 und damit E > 0. Dies Der interessierte Leser darf die Rechnung, die auf das Zwi-
entspricht einem der beiden Äste einer Hyperbel. Hier divergiert schenergebnis p D a."2 1/ führt, nachvollziehen. Dazu
der Abstand r, wenn 1 C " cos ' D 0 wird: verwende man die Definitionen und Konventionen für eine Hy-
perbel in Abb. 3.9 und orientiere sich an der entsprechenden
Rechnung für eine Ellipse.
1
'1 D arccos > : (3.95)
" 2
Achtung Ist das 1=r-Potenzial abstoßend, z. B. für zwei iden-
Winkel, die auf negative Abstände führen, sind auszuschließen, tische Ladungen, ist ˛ < 0. Man erkennt sofort, dass die
da stets r 0 erfüllt sein muss. Daher ist die Bewegung auf Exzentrizität " der Bahn unabhängig vom Vorzeichen ist, der
Winkel j'j '1 eingeschränkt. Diese Art der Bewegung Stoßparameter p wird allerdings negativ. Aus (3.80) folgt dann,
nennt man Streuung (Abschn. 3.4), da die Punktmassen aus dem dass es Werte für ' geben muss, für die 1 C " cos ' negativ ist,
Unendlichen kommend wechselwirken und daraufhin mit einem da stets r 0 erfüllt sein muss. Somit können für das abstoßen-
Streuwinkel 2'1 zurück ins Unendliche laufen. de Potenzial nur Bahnen mit " > 1 und damit keine gebundenen
Bahnen existieren. J
Eine Hyperbel ist die Menge aller Punkte in einer Ebene, die
von zwei Brennpunkten die Abstände r0 und r besitzen und für Genau wie die Kreisbahn findet man die Parabelbahn nur für
die r0 r D 2a D const gilt (Abb. 3.9). Ein ähnliches Vorgehen einen exakt eingestellten Energiewert (E D ˛=.2p/ für einen
3.4 Elastische Stöße und Streuung 103
Kreis und E D 0 für eine Parabel). In der Realität beobachtet Energieerhaltung wichtige Aussagen über Stöße getroffen wer-
man in der Regel Ellipsenbahnen bei gebundenen und Hyper- den können, die sogar in der Quantenmechanik ihre Gültigkeit
Teil I
belbahnen bei ungebundenen Himmelskörpern. behalten.
Bei der Streuung werden die einfallenden Teilchen um einen
Winkel, den Streuwinkel, abgelenkt. Wir werden sehen, dass der
Streuwinkel eng mit dem Wechselwirkungspotenzial zusam-
Periheldrehung menhängt. Dabei kommt der Wirkungsquerschnitt der Wechsel-
wirkung ins Spiel.
Gleichung (3.80) besagt, dass bei einem vollen Umlauf auf ei- In Experimenten lassen sich durch die Vermessung der Streu-
ner Ellipsenbahn (" < 1) im Gravitationspotenzial die Bahn winkel und des Wirkungsquerschnitts Aussagen über die Art
geschlossen ist. Das Perihel befindet sich immer am gleichen der Wechselwirkung zwischen den Teilchen treffen. Dies wurde
Ort. Dies gilt nicht, wenn das Potenzial von der 1=r-Form ab- zwischen 1909 und 1913 von Rutherford zuerst mit der Streu-
weicht. In Wirklichkeit gibt es viele Ursachen für geringfügige ung von Heliumkernen an einer Goldfolie durchgeführt. Dies
Korrekturen dieses Potenzials: Einfluss der übrigen Planeten, führte auf das Rutherford’sche Atommodell: Die gesamte posi-
Abweichung der Sonnenform von der Kugelgestalt, relativisti- tive Ladung des Atomkerns ist in einem sehr kleinen Volumen
sche Effekte. Dies ist besonders bei Merkur zu sehen, dessen im Zentrum konzentriert.
Perihel sich pro Erdjahr um 5,74 Bogensekunden verschiebt.
Merkur ist der sonnennächste und schnellste Planet und erfährt
somit die stärksten Bahnstörungen.
Elastischer Stoß zwischen zwei Teilchen
Ist die Störung klein, kann man
V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/; ıV V0 (3.97) Wir untersuchen das Verhalten zweier Teilchen (z. B. zweier
Elementarteilchen oder Himmelskörper), die, aus dem Unendli-
schreiben, d. h., man schreibt das Potenzial als Summe des chen kommend, miteinander wechselwirken und danach wieder
ungestörten Potenzials und einer kleinen Korrektur. Für das ins Unendliche fortlaufen. Die Wechselwirkung sei elastisch,
Kepler-Problem ist V0 .r/ D ˛=r. In Aufgabe 3.3 wird gezeigt, d. h., die mechanische Energie wird nicht in andere Energie-
dass die durch die Störung verursachte zusätzliche Periheldre- formen wie Verformung oder Wärme umgewandelt: Die Sum-
hung nach einem vollen Umlauf me aus kinetischer und potenzieller Energie ist erhalten. Der
Energieerhaltungssatz ist – zusammen mit dem Impulserhal-
0 1 tungssatz – der zentrale Ausgangspunkt für diesen Abschnitt.
Z
@ @ 2 Selbstverständlich setzen wir auch stillschweigend voraus, dass
ı' D r2 ıV.r/ d' A (3.98)
@L L die Massen der beiden Teilchen sich nicht ändern. Man be-
0 zeichnet die Masse, den Impuls und die Energie auch als
Kollisionsinvarianten oder Stoßinvarianten. In Kap. 10 wird
ist. Zur Berechnung von (3.98) muss zunächst das Störpotenzial die inelastische Streuung behandelt, wo diese Voraussetzungen
ıV.r/ spezifiziert und das Integral unter Berücksichtigung von nicht mehr erfüllt sind.
r D r.'/ gelöst werden. Hierzu verwendet man die ungestör-
te Bahnkurve, d. h. diejenige, die sich aus dem Potenzial V0 .r/ Die beiden Teilchen haben die Massen m1 und m2 und Ge-
ergibt. schwindigkeiten v i;1 und v i;2 vor dem Stoß und v f;1 und v f;2
nach dem Stoß (i für initial und f für final, wie in der Physik
Der Grund ist, dass ıV.r/ bereits eine kleine Größe ist. Würde üblich). Die Wechselwirkung habe die Eigenschaft, dass im Un-
man statt r.'/ die gestörte Bahnkurve r.'/ C ır.'/ verwenden, endlichen keine Kraft zwischen den beiden Teilchen wirkt. Dies
würde man mit ır.'/ eine weitere kleine Korrektur einbringen, ist beispielsweise für gravitative Wechselwirkungen der Fall, da
die letztlich von zweiter Ordnung in ı und damit vernachläs- die Kraft mit 1=r2 für r ! 1 gegen null geht. Wir gehen davon
sigbar ist. Im Allgemeinen hängt die Bahnkurve und damit das aus, dass die beiden Teilchen zusammen ein isoliertes System
Integral von L ab, sodass im letzten Schritt die Ableitung nach bilden und die Wechselwirkung dem dritten Newton’schen Axi-
L durchgeführt werden kann. Dies wird anhand eines einfachen om gehorcht. Dann ist der Gesamtimpuls erhalten:
Beispiels in Aufgabe 3.3 durchgeführt.
m1 v i;1 C m2 v i;2 D m1 v f;1 C m2 v f;2 : (3.99)
Aufgrund der bereits verlangten Energieerhaltung gilt weiterhin
3.4 Elastische Stöße und Streuung m1 2
v i;1 C
m2 2
v i;2 D
m1 2
v f;1 C
m2 2
v : (3.100)
2 2 2 2 f;2
Stöße von zwei Teilchen und die Streuung von Teilchen an so- Eine potenzielle Energie im Unendlichen ist unerheblich, da sie
genannten Targets spielen eine große Rolle in der Physik. Es vor und nach dem Stoß gleich ist und nicht in die Bilanzglei-
zeigt sich, dass allein aufgrund der allgemeinen Impuls- und chung eingeht. Außerdem lässt sich die Integrationskonstante
104 3 Systeme von Punktmassen
Vertiefung: Laplace-Runge-Lenz-Vektor
Teil I
Eng verbunden mit dem idealen Kepler-Problem (d. h. oh- nicht erhalten wäre. Dazu muss man anmerken, dass im
ne Periheldrehung) ist der sogenannte Laplace-Runge-Lenz- Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie sehr wohl eine
Vektor (nach dem französischen Mathematiker und Physiker Periheldrehung existiert, die nichts mit äußeren Störeffekten
Pierre-Simon Laplace, 1749–1827, dem deutschen Mathe- zu tun hat, sondern durch die Raumkrümmung verursacht
matiker Carl Runge, 1856–1927 und dem deutschen Physi- wird, welche die beiden sich umkreisenden Massen erzeu-
ker Wilhelm Lenz, 1888–1957). Er ist definiert als (Goldstein gen.
1975, 1976)
Achtung Gelegentlich wird Q in der Literatur mit einem
1 r
Q WD .Pr L/ abweichenden konstanten Vorfaktor definiert. Bis auf seinen
˛ r Betrag ändert dies nichts an seinen Eigenschaften. Andere
und hat folgende Eigenschaften (siehe Aufgabe 3.4): Autoren bezeichnen den Vektor mit . J
Der Vektor Q erfüllt im 1=r-Potenzial QP D 0 und ist dort
somit eine Erhaltungsgröße.
Sein Betrag entspricht der Exzentrizität, jQj D ". Literatur
Er liegt in der Bahnebene und zeigt vom Ursprung zum
Perihel bzw. Perigäum. Goldstein, H.: Prehistory of the “Runge-Lenz” Vector.
Am. J. Phys. 43, 737 (1975)
Dies bedeutet vor allem, dass es im Newton’schen Gravi- Goldstein, H.: More on the Prehistory of the Laplace or
tationspotenzial keine Periheldrehung gibt, da sonst Q dort Runge-Lenz Vector. Am. J. Phys. 44, 1123 (1976)
a b
v i,2
Teil I
Ẋ
ϑ Ẋ ϑ2
v f,1
v f,1
v f,2 v f,2
ϑ ϑ2
ϑ1
Abb. 3.11 Zum Transformationsverhalten der Streuwinkel #1 und #2 im Laborsystem S und # 0 im Schwerpunktsystem S0 . In a wird dargestellt, wie der Streuwinkel
P beeinflusst wird. Das Dreieck, das in b durch die Vektoren v 0f;2 , v f;2 und v 0i;2 bzw. X
#1 durch die Schwerpunktsgeschwindigkeit X P gebildet wird, ist gleichschenklig,
0 0
da jv f;2 j D jv i;2 j gilt
Frage 16 ist. Nach dem Stoß ist die Geschwindigkeit von m1 im Labor-
Zeigen Sie durch geeignete Kombination der Gleichungen in system S
(3.103), dass folgende Eigenschaften gelten: m1
v f;1 D v 0f;1 C XP D v 0f;1 C v i;1 : (3.108)
jv 0i;1 j D jv 0f;1 j; jv 0i;2 j D jv 0f;2 j: (3.105) M
Aus Abb. 3.11 erkennt man die Relationen zwischen den Streu-
Die Beträge der Geschwindigkeiten im Schwerpunktsystem S0 winkeln in S und S0 :
vor und nach dem Stoß sind also gleich.
0
vf;1 sin #1 D vf;1 sin # 0 ;
0 m1 (3.109)
vf;1 cos #1 D vf;1 cos # 0 C vi;1 ;
M
Transformation der Streuwinkel wobei (3.106) benutzt und mit #1 der Streuwinkel von m1 im
vom Schwerpunkt- ins Laborsystem Laborsystem eingeführt wurde. Diese Gleichungen beinhalten
die Geschwindigkeiten in beiden Koordinatensystemen. Darum
gehen wir einen Schritt weiter und schreiben mit (3.105) und
Ohne genauere Aussagen über die Form des Potenzials V.x1 (3.107) den Tangens des Streuwinkels in S:
x2 / zu machen, ist es nicht möglich, den Streuwinkel # 0 zu be-
0
rechnen. Bevor wir dies jedoch unternehmen, wollen wir noch sin #1 vf;1 sin # 0
untersuchen, wie sich der Streuwinkel beim Übergang in das tan #1 D D 0
cos #1 vf;1 cos # 0 C mM1 vi;1
Laborsystem S transformiert. Das Laborsystem ist jenes Ko-
ordinatensystem, in dem m2 anfangs ruht. Der Gesamtimpuls sin # 0
D : (3.110)
verschwindet daher nicht, und wir werden sehen, dass die Streu- cos # 0 C m1
m2
winkel der beiden Teilchen nicht identisch sind und in der Regel
nicht dem Schwerpunktstreuwinkel # 0 entsprechen. Die Re- Frage 17
levanz der Streuwinkeltransformation vom Schwerpunkt- ins
Überprüfen Sie das Endergebnis in (3.110).
Laborsystem ist direkt ersichtlich: Häufig werden in Experi-
menten Teilchen auf ruhende Targets geschossen. Es ist daher
von großer Bedeutung, die Beobachtungen in beiden Bezugs- Gleichung (3.110) erlaubt es, nur mit Kenntnis des Massenver-
systemen miteinander in Relation zu bringen. hältnisses m1 =m2 , den Streuwinkel für m1 zwischen Labor- und
Ruht die Masse m2 in S vor dem Stoß, v i;2 D 0, bewegt sich Schwerpunktsystem umzurechnen. Aus Abb. 3.12 liest man die
der Schwerpunkt von m1 und m2 gemäß folgenden Eigenschaften der Transformation ab:
ϑ1 Wir gehen wieder davon aus, dass v i;2 D 0 ist. Dann gilt wegen
m1 /m2 = 0,01
(3.106)
Teil I
180◦
m1 /m2 = 0,05 2 m1 2
m1 /m2 = 0,09 v 2f;1 D v 0f;1 C XP D v 0f;1 C v i;1
m1 /m2 = 1 M
(3.114)
135◦ m1 /m2 = 1,1 2m m2
D v 02 jv 0f;1 jjv i;1 j cos # 0 C 12 v 2i;1 :
1
m1 /m2 = 2 f;1 C
M M
m1 /m2 = 10
Die Energieerhaltung verlangt, wie bereits erwähnt,
90◦
v 02 02
f;1 D v i;1 D v i;1 X
P 2
m1 2 m1 2 (3.115)
45◦
D v i;1 v i;1 D v 2i;1 1 :
M M
Kombiniert man (3.114) und (3.115), folgt
0◦ m1 2 2m1 m1 m2
0◦ 45◦ 90◦ 135◦ 180◦ ϑ v 2f;1 D v 2i;1 1 C 1 cos # 0 C 12
M M M M
h m1 m1 i
Abb. 3.12 Funktionaler Zusammenhang zwischen den Streuwinkeln # 0 im 0
Schwerpunktsystem S0 und #1 im Laborsystem S. Wegen (3.110) hängt #1 .# 0 /
D v i;1 1 C 2
2
1 .cos # 1/ :
M M
vom Massenverhältnis m1 =m2 ab (3.116)
Teil I
Wahl des Moderators
Werden Neutronen in einem Kernreaktor an Atomen elas- keit zu einer Kernspaltung führen als schnelle, müssen die
tisch gestreut, übertragen sie kinetische Energie an die Tar- schnelleren zunächst abgebremst (moderiert) werden. Da-
getatome und werden dadurch abgebremst. Der Vorfaktor zu eignen sich am besten Moderatoren mit einem geringen
y.1 y/ mit y WD m1 =M in (3.117) wird maximal, wenn Atomgewicht. Hierbei muss zusätzlich berücksichtigt wer-
y D 1=2 bzw. m1 D M=2 und somit m1 D m2 ist. Die den, dass der Moderator keine Neutronen einfangen soll, da
effizienteste Abbremsung eines Neutrons wird daher mit ei- diese sonst der Kettenreaktion entzogen werden. Häufig ver-
nem Target der gleichen Masse erreicht. Dieser Effekt ist für wendete Moderatoren sind Deuterium (ein Wasserstoffisotop
den Betrieb von Kernreaktoren von großer Bedeutung: Da mit einem Neutron und einem Proton im Kern) oder Kohlen-
langsame Neutronen mit einer viel höheren Wahrscheinlich- stoff in Form von Grafit.
a b c
Abb. 3.13 Funktionsweise des Newton’schen Pendels. Lenkt man die beiden linken Kugeln aus und lässt sie los (a), stoßen sie mit den übrigen drei Kugeln
zusammen, welche anfangs in Ruhe waren (b). Energie und Impuls können nur dann gleichzeitig erhalten werden, wenn die beiden rechten Kugeln nach dem Stoß
die Schwingung fortsetzen und die übrigen ruhen (c). Die Aussage ist auch dann gültig, wenn anfangs eine, drei oder vier Kugeln ausgelenkt werden
Teil I
b ϑ
db dϑ
Abb. 3.15 Skizze eines Streuexperiments. Teilchen mit Stoßparameter b werden durch ein Target gestreut und anschließend unter einem Streuwinkel # 0 mit
einem Detektor nachgewiesen. Idealerweise befindet sich der Detektor in einem sehr großen Abstand vom Streuzentrum (hier ist der Abstand nicht maßstäblich
eingezeichnet)
Als Koordinatensystem wählen wir Zylinderkoordinaten mit der Es ist einleuchtend, dass der Detektor pro Zeiteinheit t ei-
Symmetrieachse entlang der Einfallsrichtung des Strahles. Wir ne Zahl n.# 0 / von Teilchen nachweist, die sowohl proportional
nehmen an, dass die Teilchen nicht miteinander wechselwirken. zum einfallenden Teilchenstrom I als auch zur Detektorfläche
Der Strahl sei auf eine Folie gerichtet, in der sich eine große An- d ist. Der entsprechende Proportionalitätsfaktor lautet
zahl von Targets befinde. Die Folie sei allerdings so dünn, dass
man annehmen kann, dass jedes einfallende Teilchen höchstens d n.# 0 /
WD (3.128)
an einem Target gestreut wird. Die Teilchen werden dann statis- d It d
tisch unter verschiedenen Winkeln # 0 gestreut.
und wird differenzieller Wirkungsquerschnitt genannt.
Wir legen für die Wechselwirkung mit dem Target ein Potenzial
der Form V.r/ zugrunde. Daher ist die Streuung unabhängig vom Frage 22
Azimutwinkel '. Ein Detektor befinde sich im Abstand r vom Der Name Wirkungsquerschnitt liegt darin begründet, dass
Streuzentrum und im Winkel # 0 zum Teilchentrom. Er habe eine d=d die Dimension einer Fläche hat. Überzeugen Sie sich
infinitesimale Fläche df (Abb. 3.15). Die Oberfläche einer Kugel davon.
mit Radius r ist 4 r2 . Der Detektor deckt also einen Bruchteil
d df
D (3.126) Im Experiment lässt sich n.# 0 / als Funktion des Streuwinkels
4 r2 vermessen. Dies erlaubt Rückschlüsse auf die Art des streuen-
des gesamten Raumwinkels 4 ab. Das Raumwinkelelement den Potenzials, da der differenzielle Wirkungsquerschnitt und
d lässt sich dann in der Form das Potenzial eng miteinander verbunden sind, wie wir in Kür-
df ze sehen werden.
d D d' sin # 0 d# 0 D (3.127)
r2 Der totale Wirkungsquerschnitt ist das Raumwinkelintegral des
schreiben. differenziellen Wirkungsquerschnitts:
Frage 21 Z Z
d d
R R2 R D d D2 d# 0 sin # 0 : (3.129)
Man rechne D d D 0 d' 0 sin # 0 d# 0 D 4 nach. d d
0
110 3 Systeme von Punktmassen
Hier wurde die Integration über ' bereits ausgeführt, da der dif- Raumwinkelbereich gestreuten Teilchen identisch sein. Glei-
ferenzielle Wirkungsquerschnitt nur vom Winkel # 0 abhängt. chung (3.130) führt dann direkt auf
Teil I
Der Zusammenhang b.# 0 / für ein gegebenes Potenzial Es folgt der Stoßparameter als Funktion des Streuwin-
V.r/ kann aus (3.122) abgeleitet werden. kels:
b D D cos.# 0 =2/ .b D/: (3.136)
Achtung Es ist anschaulicher, sich vorzustellen, dass der Hier ist zu beachten, dass alle Stoßparameter b > D zu
Streuwinkel # 0 eine Funktion des Stoßparameters ist, # 0 D keiner Streuuung führen und damit # 0 D 0 zur Folge ha-
# 0 .b/, und nicht umgekehrt. Mathematisch sind beide Betrach- ben. Darum beschränken wir uns im Folgenden nur auf
tungsweisen völlig äquivalent. Man beachte jedoch, dass die den Bereich b D. Der differenzielle Wirkungsquer-
Funktion # 0 .b/ eindeutig ist, b.# 0 / aber nicht unbedingt: Ein schnitt (3.131) hängt wegen
Teilchen, das mit Stoßparameter b einfällt, wird in eine eindeu-
tige Richtung # 0 gestreut. Teilchen mit verschiedenen Stoßpara- d D cos.# 0 =2/ D D2
metern b können im Prinzip allerdings in gleiche Richtungen # 0 D 0
sin.# 0 =2/ D (3.137)
gestreut werden. In diesem Fall ist b.# 0 / mathematisch gesehen d sin # 2 4
keine Funktion mehr, sondern eine Relation. J nicht vom Streuwinkel ab; man sagt, der Wirkungsquer-
Streuexperimente werden häufig im Laborsystem durchgeführt, schnitt ist isotrop. Im letzten Schritt wurde die Identität
in dem m2 vor dem Stoß ruht. Insbesondere bewegt sich der De-
sin # 0
tektor nicht mit dem Schwerpunkt von m1 und m2 mit. Daher cos.# 0 =2/ sin.# 0 =2/ D (3.138)
müssen die Streuwinkel # 0 in #1 umgerechnet werden. In bei- 2
den Bezugssystemen (S und S0 ) muss die Anzahl der in einen
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem 111
Teil I
Entwicklung des Rutherford’schen Atommodells
Historisch wurden im Jahr 1909 zuerst Heliumkerne der tronischen Atomhülle einnimmt. Die Wechselwirkung der
Kernladungszahl Z1 D 2 an einer dünnen Goldfolie mit Heliumkerne mit den Goldelektronen spielt kaum eine Rol-
Z2 D 79 gestreut. Das Coulomb-Potenzial lautet dann le, da ihr Massenverhältnis etwa 7 500 ist und der damit
V.r/ D Z1 Z2 e2 =r, wobei e die Elementarladung ist. Im verbundene Energieverlust der Heliumkerne vernachlässigt
Gegensatz zum Gravitationspotenzial ist ˛ negativ und das werden kann. Da andererseits das Massenverhältnis m1 =m2
Potenzial repulsiv. Die Experimente bestätigten letztlich den von Helium- und Goldkernen etwa 1=50 ist, ist # 0 #1 und
1911 berechneten Wirkungsquerschnitt und damit das Ru- die Streuquerschnitte in Schwerpunkt- und Laborsystem sind
therford’sche Atommodell. Es besagt, dass der Atomkern praktisch identisch.
nur ein sehr kleines Raumvolumen im Vergleich zur elek-
Das N-Körperproblem ist für N > 2 nicht allgemein in ana- oder die Abweichung der Sonne von der Kugelgestalt zu
lytischer Form lösbar. Für praktische Anwendungen bieten berücksichtigen.
sich verschiedene Möglichkeiten an: Die perturbative Methode ist nur dann zuverlässig, wenn
Störungen klein sind. In anderen Fällen, wenn beispiels-
weise mehrere vergleichbare Massen im System vor-
Bei der perturbativen bzw. störungstheoretischen Metho- kommen, bieten sich numerische Verfahren an (Dehnen
de nimmt man an, dass das Problem als Zweikörpersys- & Read 2011). Hier werden z. B. die exakten Bewe-
tem angesehen werden kann, wobei der Einfluss einer gungsgleichungen zeitlich diskretisiert und abschnitts-
dritten oder mehrerer anderer Massen in Form von Stö- weise aufintegriert.
rungen in die Rechnungen eingeht. So lässt sich das
Zweikörperpotenzial V2 z. B. durch V D V2 C ıV erset-
zen, wobei ıV eine kleine Störung darstellt, ıV V2 . Literatur
Auf diese Weise lassen sich die Einflüsse der anderen
Planeten auf die Erdbahn abschätzen. Ebenso kann die- Dehnen, W., Read, J.I.: N-body simulations of gravitatio-
se Methode verwendet werden, um relativistische Effekte nal dynamics. Eur. Phys. J. Plus 126, 55 (2011)
Bewegungsgleichungen
m3
Das Dreikörperproblem kann nicht in allgemeiner Form ge-
löst werden. Näherungslösungen sind allerdings möglich, z. B.
wenn man annimmt, dass eine der drei Punktmassen klein ge-
genüber den anderen beiden ist (m3 m1 ; m2 ) und dass sich d1
x3
d2
m1 und m2 auf Kreisbahnen umeinander bewegen. Dabei wird
m3 als Testmasse betrachtet, die keinen Einfluss auf die Bewe-
gung von m1 und m2 nimmt und sich in der Bahnebene von m1
und m2 bewegt. Diese Situation wird häufig näherungsweise im m1 x1 O x2 m2 x1
Sonnensystem angetroffen, wenn z. B. Asteroiden dem Einfluss
der Schwerefelder von Sonne und Jupiter unterliegen. Abb. 3.16 Geometrie des reduzierten Dreikörperproblems. Die beiden Punkt-
massen m1 und m2 befinden sich auf der x1 -Achse mit ihrem Schwerpunkt im
Das eingeführte Koordinatensystem soll den Ursprung O im ge- Ursprung O. Eine dritte Masse m3 befindet sich in der x1 -x2 -Ebene mit den Ab-
meinsamen Schwerpunkt von m1 und m2 haben und mit ihrem ständen d1 und d2 zu m1 und m2
Verbindungsvektor mitrotieren, sodass m1 und m2 ortsfest sind
(Abb. 3.16). Man spricht daher auch von einem gleichläufigen
oder synodischen Koordinatensystem. Die x1 -Achse zeige von wird:
m1 zu m2 , deren Abstand d ist. Zur Vereinfachung definieren wir 4 2 d3
T2 D : (3.145)
m1 m2 G.m1 C m2 /
q WD < 1 und 1 q WD < 1: (3.143)
m1 C m2 m1 C m2 Da sich m1 und m2 auf Kreisbahnen bewegen, ist die Winkelge-
schwindigkeit
Die Koordinaten der beiden Punktmassen m1 und m2 sind somit 0 1 r
0 2 G.m1 C m2 /
0 1 0 1 0 1 0 1 ! D @0A ; ! D D (3.146)
x1.1/ .q 1/d x.2/ qd ! T d3
.1/ B .1/ C @ A .2/ B 1.2/ C @ A
x D @x2 A D 0 ; x D @x2 A D 0 :
x3.1/ 0 x3.2/ 0 konstant. Hier haben wir die x3 -Achse so gewählt, dass ! D
(3.144) ! eO 3 gilt. Dies ist offensichtlich möglich, da ! senkrecht auf der
Bahnebene und damit senkrecht auf der x1 -Achse steht. Folglich
Die Umlaufzeit von m1 und m2 lässt sich sofort aus dem dritten ist x D .x1 ; x2 ; 0/> der Koordinatenvektor von m3 (wir lassen
Kepler’schen Gesetz in (3.92) bestimmen, wobei a D d ent- für die Koordinaten von m3 den hochgestellten Index .3/ aus
spricht und die reduzierte Masse durch m1 und m2 definiert Übersichtsgründen weg). Die Abstände von m3 zu m1 und m2
3.5 Das reduzierte Dreikörperproblem 113
Teil I
d1 D .x1 .q 1/d/2 C x22 ;
q (3.147) 1 L5
d2 D .x1 qd/2 C x22 :
Teil I
2 @x1 @x2 @x1 @x3
x1 x2 B @@x2 1 C
O m2
DB
@ @x2 @x1
@2
@x22
@2 C
@x2 @x3 A : (3.166)
@2 @2 @2
@x3 @x1 @x3 @x2 @x23
nennt man die Hesse-Matrix (nach dem deutschen Mathemati- Sie fällt mit der dritten Potenz des Abstands d und damit
ker Otto Hesse, 1811–1874) der Funktion .x/. Wir nehmen wesentlich schneller als die Gravitationskraft selbst ab und
hier an, dass .x/ zweimal differenzierbar ist und die Ab- weist in Richtung des Kraftzentrums am Ort x2 . J
leitungen vertauscht werden können, d. h. @i @j D @j @i . In
116 3 Systeme von Punktmassen
Achtung Im Allgemeinen zeigt die Gezeitenkraft nicht in der Abstand etwa 400-mal größer. Man findet damit, dass die
Richtung des Kraftzentrums, da ij eine tensorielle Größe ist. J durch die Sonne verursachten Gezeitenkräfte auf der Erde etwa
Teil I
halb so groß sind wie die durch den Mond bedingten. Dies ist
Frage 27 übrigens die Ursache von Spring- und Nipptiden. Im ersten Fall
Man zeige ausgehend von den Rechnungen im Beispielkas- befindet sich der Mond näherungsweise zwischen Sonne und
ten, dass die Gezeitenkraft auf der von m2 abgewandten Seite Erde, und die Gezeiteneffekte verstärken sich. Im zweiten Fall
in erster Näherung vom Betrag her auf dasselbe Ergebnis wie steht die Erde näherungsweise zwischen Sonne und Mond. Die
(3.169) führt. Allerdings ist die Richtung der Kraft entgegenge- Effekte schwächen sich gegenseitig ab.
setzt. Man verwende dazu den Punkt x1 C ıx0 D x1 ıx und
berücksichtige, dass (3.168) bereits für beide Vorzeichen aufge-
schrieben wurde.
Stabilität von Planeten, Roche-Grenze
x2
3.7 Mechanische Ähnlichkeit
und der Virialsatz
Teil I
C
gung in einem bestimmten Potenzial V.r/ / rk gerade t0 =t D (3.183). Weiterhin wissen wir, dass pP i D Fi die Kraft
˝P ist, die ˛ auf
.l0 =l/1 gilt. Die Periodendauer würde sich dann für die doppel- die Punktmasse mi wirkt. Man nennt die Größe i Fi xi t das
te Amplitude halbieren. Man zeige, dass das Potenzial V / r4 Virial. Wir haben somit den Virialsatz gefunden.
erfüllen muss. Die Form der Bahnkurve ist für diese Analyse
unerheblich. Virialsatz
Ist die Bewegung eines Systems von Punktmassen end-
lich, dann gilt bei hinreichend langer Zeitmittelung der
folgende Zusammenhang zwischen der mittleren kineti-
Der Virialsatz schen Energie und dem Virial:
* +
Für eine beliebige homogene Funktion f .x/ vom Grad k in x gilt 1 X
hTi t D Fi x i : (3.186)
df .ax/ @f .ax/ @ ak f .x/ 2 i
t
xD D D kak1 f .x/: (3.180)
d.ax/ @a @a
Da diese Gleichung insbesondere für a D 1 gültig ist, folgt das
Euler-Theorem über homogene Funktionen: Achtung Für periodische Bewegungen reicht es aus, über
eine Periode T zu mitteln, da G.T/ D G.0/ gilt. Für nichtpe-
x r f .x/ D kf .x/: (3.181)
riodische Bewegungen ist es in der Regel nicht möglich, den
Zeitmittelwert über einen unendlichen Zeitraum zu betrachten.
Frage 31 Allerdings wird der zweite Term in (3.183) beliebig klein, wenn
Man überprüfe die Richtigkeit von (3.181) an dem einfachen man t nur groß genug wählt. J
eindimensionalen Beispiel f .x/ D cxk , wobei x durch x und r
Betrachten wir nun eine einzelne Punktmasse in einem externen
durch die Ableitung nach x ersetzt wird.
Potenzial V.x/, das homogen vom Grad k in x sein soll. Wegen
F D r V und (3.181) kann man den Virialsatz in der Form
Betrachten wir nun ein System vonP Punktmassen mi an den Or-
ten xi . Die kinetische Energie T D i Ti ist homogen von Grad k
hTi t D hV.x/i t : (3.187)
2 in den Geschwindigkeiten xP i . Man kann sich schnell davon 2
überzeugen, dass für ein System von Punktmassen
schreiben.
X @T
xP i D 2T (3.182)
i
@Pxi Virialsatz für Oszillator und Kepler-Problem
gilt. Mit dem Impuls pi D mi xP i folgt weiterhin @T=@Pxi D pi und Für den harmonischen Oszillator und das gebundene
X d X X Kepler-Problem sind die Bahnkurven periodisch. Im ers-
2T D xP i pi D .pi xi / pP i xi : (3.183) ten Fall ist k D 2 und damit hTi t D hVi t . Die
dt i
i i mittlere kinetische und potenzielle Energie des harmo-
nischen Oszillators sind gleich. Dieses Ergebnis spielt
Im Folgenden wollen wir das über die Zeit gemittelte, sta-
in der Quantenmechanik und der Thermodynamik eine
tistische Verhalten der Bewegung genauer untersuchen. Dazu
sehr wichtige Rolle. Im zweiten Beispiel ist k D 1 und
definieren wir zunächst
X hTi t D hVi t =2, was vor allem in der Astrophysik eine
G WD pi xi : (3.184) große Bedeutung hat. J
i
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
3.1 Energieerhaltung Man zeige, dass die Energie zunächst als Ableitung nach dem Betrag des Drehimpul-
des Zweikörpersystems erhalten ist, selbst wenn man annimmt, ses L, wodurch die Wurzel aus dem Nenner in den Zähler
dass die Punktmasse m2 stets ruht: xP 2 D 0. Das Wechselwir- geschoben wird. Entwickeln Sie dann das Potenzial in der
kungspotenzial V D V.r/ D V.jx1 x2 j/ hängt dann nur von Form V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/ und nehmen Sie dabei an, dass
der Position x1 ab, da x2 fest ist. Man beginne mit der Auswer- ıV klein gegenüber allen vorherrschenden Energien ist. Im
tung von dV=dt und zeige, dass die Summe von potenzieller und letzten Schritt wird die Integrationsvariable r mithilfe der
kinetischer Energie konstant ist. Bahnkurve '.r/ in ' überführt.
(b) Berechnen Sie die Periheldrehung ı' für das Störpotenzial
3.2 Radialgleichung ıV.r/ D ˇ=r2.
(a) Überprüfen Sie, dass (3.60),
3.4 Laplace-Runge-Lenz-Vektor Zeigen Sie die
L2 dV folgenden Eigenschaften des Laplace-Runge-Lenz-Vektors
Rr D ; (3.189)
r3 dr (Abschn. 3.3)
1 r
Q D .Pr L/ (3.194)
auf (3.53) führt: ˛ r
im Gravitationspotenzial V.r/ D ˛=r:
2 L2
ED rP C C V.r/ D const: (3.190) P D 0.
(a) Es gilt Q
2 2r2
(b) Der Vektor Q liegt in der Bahnebene und zeigt vom Ur-
(b) Leiten Sie (3.61), sprung zum Perihel bzw. Perigäum. Der Betrag ist jQj D ".
Berechnen Sie dazu r Q D rQ cos '.
L2 u2 d2 u
C u D F.1=u/; (3.191) 3.5 Exzentrische Anomalie Gleichung (3.56) ist
d' 2
die formale Lösung der Radialgleichung t.r/. Sie gibt diejeni-
her, wobei u.'/ D 1=r.'/ ist. ge Zeit an, zu der sich die beiden Punktmassen im Abstand r
(c) Verwenden Sie (3.191) für die weitere Rechnung. Die Bahn- voneinander befinden. Für das Kepler-Problem erhält man mit
kurve des reduzierten Zweikörperproblems sei t.r D r0 / D 0
r Zr
r.'/ D a cos.3'/ (3.192) r0 dr0
t.r/ D ˙ q : (3.195)
2˛ 0 r02 a.1"2 /
r0 r
mit einer Konstanten a > 0. Zeigen Sie, dass die entspre- 2a 2
chende Zentralkraft die Form Das positive Vorzeichen ist zu verwenden, wenn sich die beiden
Massen voneinander entfernen (dr0 > 0), das negative, wenn sie
2L2 4 9a2 sich annähern (dr0 < 0). Obwohl sich dieses Integral elementar
F.r/ D 5 (3.193)
r3 r aufintegrieren lässt, kann die Lösung nicht in eine geschlossene
Form r.t/ gebracht werden. Dies bedeutet, dass der Abstand r
haben muss. In welchem Winkelbereich kann die Bewegung zu einer gegebenen Zeit t nicht unmittelbar angegeben werden
nur stattfinden? kann. Ebenso kann '.t/ nicht explizit aufgeschrieben werden.
3.3 Periheldrehung Mithilfe der exzentrischen Anomalie , die über
(a) Man zeige, dass die durch eine Störung verursachte Peri- r D a.1 " cos / (3.196)
heldrehung ı' durch (3.98) gegeben ist. Beginnen Sie mit
(3.63) und schreiben Sie die rechte Seite dieser Gleichung definiert ist, wird das oben genannte Problem teilweise gelöst.
120 3 Systeme von Punktmassen
(a) Zeigen Sie, dass der Polarwinkel ' und die exzentrische An- Abbildung 3.20 zeigt einige Bahnkurven für verschiedene Para-
omalie die folgende Relation erfüllen: meter .
Teil I
ab. Diese Gleichung erlaubt für gegebene Zeit t eine ver- ausgehen, wobei Fy D @V=@y diejenige Kraftkomponente
hältnismäßig leichte numerische Berechnung von , was entlang der y-Achse ist, die m1 durch m2 erfährt. Das Po-
mithilfe von (3.196) auf den gesuchten Radius r zur Zeit t tenzial sei von der Form V.r/. Das Integral in (3.202) soll
führt. entlang des ungestörten (also geradlinigen) Weges ausge-
wertet werden, da Fy und somit #1 klein sind. Das Ergebnis
lautet
3.6 Streuung Gegeben sei ein Potenzial V.r/ D
ˇ=r2 . Z1
2b dV dr
#1 D p : (3.203)
(a) Berechnen Sie mithilfe von (3.61) die Bahnkurve und zeigen m1 v1
2 dr r2 b2
Sie, dass sie in der Form b
p
r.'/ D (3.200) (b) Zeigen Sie, dass – laut des Ergebnisses aus Teilaufgabe (a) –
cos.'/ ein Lichtstrahl im Gravitationsfeld um den Winkel
geschrieben werden kann. Wie lautet der Ausdruck für ?
Welche Einschränkungen für das Potenzial ergeben sich dar- 2Gm2
#1 D (3.204)
aus? Zeigen Sie, dass keine gebundenen Bahnen möglich c2 b
sind und bestimmen Sie den Streuwinkel im Schwerpunkt-
system. abgelenkt wird, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Im
(b) Berechnen Sie den Zusammenhang b2 .# 0 / und schließlich Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wird gezeigt,
den differenziellen Wirkungsquerschnitt. Beachten Sie da- dass die tatsächliche Lichtablenkung doppelt so groß ist wie
zu, für welche Winkel r divergiert. diese nichtrelativistische Abschätzung vorhersagt.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 121
Teil I
3.1 Die Zeitableitung der potenziellen Energie ist (c) Für die weitere Rechnung schreibt man zuerst
dV 1
D r 1 V xP 1 C r 2 V xP 2 D r 1 V xP 1 ; (3.205) u.'/ D (3.213)
dt a cos.3'/
da die Punktmasse m2 ortsfest ist. Wegen und berechnet die zweite Ableitung:
du.'/ 3 sin.3'/
r 1 V D F1 D m1 xR 1 (3.206) D ;
d' a cos2 .3'/
!
gilt d2 u.'/ 3 cos.3'/ sin2 .3'/
D 3 C 6
dV dV d m1 d d' 2 a cos2 .3'/ cos3 .3'/
0D Cm1 xR 1 xP 1 D C xP 1 D .VCT/: (3.207) !
dt dt dt 2 dt
3 cos2 .3'/ C sin2 .3'/ 3
D 6
Hier wurde die kinetische Energie T D m1 xP 21 =2 eingeführt. Die a cos .3'/
3 cos.3'/
Punktmasse m2 trägt nicht dazu bei, da ihre Geschwindigkeit
3 3 3
null ist. Wegen E D T C V ist die Energie offensichtlich erhal- D 6a u 3au : (3.214)
ten. a
Eingesetzt in (3.61) ergibt sich
3.2
L2 u2 3 3 3
(a) Das Vorgehen ist zunächst identisch zu dem, das bereits aus F.1=u/ D 6a u 3au C u
a
(1.137) bekannt ist. Man multipliziert (3.189) mit rP und sor-
2
tiert die Differenziale um: L
D 18a2 u5 8u3 (3.215)
L rP2
dV
PrrR D rP 2L2 3
r3 dr D 4u 9a2 u5 :
(3.208)
d 2 d L 2
dV
H) rP C D : Dies führt auf das gesuchte Endergebnis. Da der Radius im-
dt 2 dt 2r2 dt
mer positiv sein muss, folgt aus der Definition des Kosinus
Integriert man nach der Zeit, findet man, dass =2 < 3' < =2 bzw. j'j < =6. Der Fall r D 0
würde einer unphysikalischen Singularität mit unendlicher
2 L2 Geschwindigkeit entsprechen, da V.0/ D 1 ist.
ED rP C C V.r/ (3.209)
2 2r2
3.3
eine Konstante ist, die man als Energie identifiziert.
(b) Führt man u D 1=r ein, gilt (a) Gleichung (3.63) kann direkt als Ableitung nach dem Betrag
des Drehimpulses geschrieben werden:
du 1
D 2 D u2 : (3.210) Zrmax
dr r dr
' D 2L p
Wegen (3.50) kann die Zeitableitung durch eine Winkel- r2 2.E V.r// L2 =r2
rmin
ableitung ersetzt werden: (3.216)
Zrmax p
@
d L d Lu2 d D 2 dr 2.E V.r// L2 =r2 :
D D : (3.211) @L
dt r d'
2 d' rmin
Es ist die zweite Zeitableitung von r zu berechnen: Mit dem Ansatz V.r/ D V0 .r/ C ıV.r/ folgt zunächst
r
d dr Lu2 d Lu2 d 1 L2 u2 d2 u L2
rR D D D 2 : 2.E V/ 2
dt dt d' d' u d' 2 v
r
(3.212) u !
u L2 ıV
Im letzten Schritt wurde d.1=u/ D du=u verwendet.
2
D t 2.E V0 / 2 1 :
L2
Setzt man dieses Zwischenergebnis und dV=dr D F.r/ D r .E V0 / 2r 2
gegenüber 1, da ıVpeine hinreichend kleine Störung sein (a) Die Zeitableitung lautet
soll. Die Näherung 1 x D .1 x/1=2 1 x=2 führt
dann auf P D 1 rR L C rP LP rP C r rP :
Q (3.222)
s ! ˛ r r2
L2 ıV
2.E V0 / 2 1 L2
: Wegen mRr D ˛r=r3 im Gravitationspotenzial und der dor-
r 2.E V0 / r 2 tigen Drehimpulserhaltung gilt
(3.218)
Wir wissen, dass die Periheldrehung ı' für ıV D 0 ver-
schwindet, da dies dem ungestörten Fall entspricht. Eine P D r L rP C r rP D r .r rP / rP C r rP : (3.223)
Q
mr3 r r2 r3 r r2
Abweichung davon kann also nur vom Bruch mit ıV erzeugt
werden: Das doppelte Kreuzprodukt kann wie gewohnt umgeschrie-
r ben werden und ergibt
rZmax 2.E V0 / Lr2
2
@ r .r rP/ D r .r rP / rP r2 : (3.224)
ı' D 2 dr ıV
@L L2
2.E V0 / r 2
rmin
Weiterhin gilt
Zrmax
@ dr ıV (3.219)
D 2 q r r dr2 r dr2 r .r rP /
@L 2.E V0 / L2 P
r D D D : (3.225)
rmin r2 r2 2r3 dt 2r3 dt r3
Z
@ d' r2 ıV Setzt man alle Zwischenergebnisse in (3.222) ein, ergibt sich
D 2 : P D 0.
@L L Q
0 (b) Der Vektor Q liegt in der Bahnebene, da
Im letzten Schritt wurde (3.58) verwendet, um die r-Integra- 1 1
tion in eine '-Integration umzuwandeln. Dabei ist auf die LQ D L .Pr L/ L r D 0 (3.226)
˛ r
Integrationsgrenzen zu achten: Bei der größten Annäherung
ist ' D 0, beim größten Abstand ' D . Außerdem wurde gilt. Hierbei sei an L D r p erinnert. Wir fahren fort mit
das volle Potenzial V durch den führenden Term V0 ersetzt, der Berechnung von
da der Integrand bereits von der Ordnung ıV ist.
Es folgt also das Endergebnis mit explizit ausgeschriebener r .Pr L/
funktionaler Abhängigkeit: rQD r: (3.227)
˛
0 1
Z Das Spatprodukt kann durch zyklische Permutation umge-
@ @ 2
ı' D r2 .'/ ıV.rŒ'/ d' A : (3.220) formt werden:
@L L
0
L2
r .Pr L/ D L .r rP / D : (3.228)
Es ist so zu interpretieren, dass das Störpotenzial in der Form
ıV.r/ vorgegeben wird, ebenso die Bahnkurve r.'/, die sich
aus dem ungestörten Potenzial V0 .r/ ergeben würde. Der In- Somit hat man
tegrand ist dann eine reine Funktion von ', die prinzipiell
aufintegriert werden kann. Hängt das Ergebnis noch von L L2
rQD r D rQ cos ': (3.229)
ab, muss dies bei der Ableitung nach L berücksichtigt wer- ˛
den.
(b) Am einfachsten ist die Berechnung für das Störpotenzial Eine einfache Umformung führt auf
ıV D ˇ=r2 . In diesem Fall ist die Integration trivial, und
das Ergebnis lautet L2 =.˛/ p
rD D : (3.230)
0 1 1 C Q cos ' 1 C Q cos '
Z
@ @ 2 @ 2 ˇ 2 ˇ
ı' D ˇ d' A D D : Dies entspricht offenbar der Bahnkurve, wenn man Q D "
@L L @L L L2
0 identifiziert und Q in Richtung des Perihels zeigt. Denn nur
(3.221) dann ist 'p D 0 in (3.80).
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 123
3.5 (d) Die Kepler’sche Gleichung (3.199) folgt sofort durch Inte-
gration: r
(a) Wir schreiben (3.196) mit p D a.1 "2 / zunächst als ˛
Teil I
t D " sin : (3.241)
p.1 " cos / a3
rD (3.231)
1 "2 Hier muss nur noch das dritte Kepler’sche Gesetz (3.92)
und vergleichen dies mit (3.80): ˛
!2 D (3.242)
p a3
rD : (3.232)
1 C " cos ' verwendet werden.
Eliminierung von r durch Gleichsetzen und Auflösen nach
cos ' führt auf das gesuchte Ergebnis (3.197). 3.6
(b) Wir zeigen, dass der Zahlenwert des Bruches auf der rechten
Seite von (3.197) für alle im Intervall Œ1; C1 liegt. Aus (a) Die Kraft, die sich aus dem Potenzial ergibt, ist
der zu überprüfenden Ungleichung dV ˇ
F.r/ D D 3 H) F.1=u/ D ˇu3 : (3.243)
cos " dr r
1 (3.233)
1 " cos Gleichung (3.61) kann dann durch einfache Umformung als
folgt wegen 1 " cos > 0 nach kurzer Umformung
d2 u ˇ
D 1 2 u (3.244)
cos 1: (3.234) d' 2 L
cos " ˇ
1 (3.235) 2 WD 1 (3.245)
1 " cos L2
und sehen, dass die resultierende Differenzialgleichung auf
folgt analog
eine Sinusfunktion führt:
cos 1: (3.236)
Dies bedeutet, dass der Bruch in der Tat durch 1 und C1 u.'/ D A sin..' '0 //: (3.246)
beschränkt ist, egal welchen Wert annimmt. Somit sind Die beiden Integrationskonstanten sind die Amplitude A und
alle Werte zwischen 0 und 2 für erlaubt. Für D 0 ein Phasenwinkel '0 . Offensichtlich ist nur dann reell,
folgt cos ' D 1, also ' D 0. Weiterhin führt D auf wenn 2 0 ist. Daher muss ˇ L2 = gelten. Der
cos ' D 1 bzw. ' D . Tatsächlich laufen ' und bei Koeffizient ˇ kann auch einen beliebigen negativen Wert
einem vollen Umlauf beide von 0 bis 2 . annehmen. Dann ist das Potenzial V.r/ wie das Zentrifu-
(c) In das Integral (3.195) wird (3.196) eingesetzt; dabei ist galpotenzial abstoßend. Selbstverständlich kann auch ˇ >
dr0 D a" sin 0
d 0
(3.237) L2 = erfüllt sein, allerdings kann die Bahngleichung dann
nicht mehr als eine Sinusfunktion geschrieben werden. Statt-
zu berücksichtigen. Es folgt zunächst dessen handelt es sich um eine Exponentialfunktion:
r Z ˇ
a3 .1 " cos 0
/" sin 0
d 0 u.'/ D A exp.˙ 0 .' '0 //; 02 WD 1: (3.247)
tD˙ q : L2
2˛ 0/ .1" cos 0 /2 .1"2 /
0
.1 " cos 2
2 Diesen zweiten Fall wollen wir nicht weiter betrachten. We-
(3.238) gen sin x D cos.x =2/ kann '0 so gewählt werden, dass
Der Nenner im Integral lässt sich vereinfachen zu schließlich p
r r r.'/ D (3.248)
1 2 1 ˇˇ ˇ cos.'/
" .1 cos2 0 / D " sin 0 ˇ : (3.239)
2 2 gilt, wobei p D 1=A substituiert wurde.
Der Sinus kann gekürzt werden. Da die Vorzeichen von dr 0 Eine gebundene Bewegung ist nur dann möglich, wenn der
und sin 0 =jsin 0 j stets gleich sind, fällt dabei auch das ˙ Radius r nicht divergiert. Die Bahnkurve divergiert jedoch
fort. Das Ergebnis lautet dann für alle Werte p 6D 0 und 6D 0. Der Fall D 0 entspricht
r D p, und das Zentrifugalpotenzial und V.r/ heben sich an
r Z jedem Punkt genau auf. Dies führt auf eine Kreisbahn, die
a3 0 0
tD .1 " cos /d : (3.240) jedoch nicht stabil ist, da das effektive Potenzial dort kein
˛ Minimum aufweist. Für p D 0 folgt r D 0, was aus phy-
0
sikalischen Gründen ausgeschlossen werden soll. Somit ist
Es wurde dabei noch t. D 0/ D 0 verwendet. keine gebundene Bewegung möglich.
124 3 Systeme von Punktmassen
x2 3.7
Teil I
Z
C1 Z
C1
@V
m1 vf;y D Fy dt D dt
x1 @y
1 1
(3.252)
γ = 0,5 Z
C1
dV @r
D dt:
dr @y
γ=3 1
p
Wegen z D 0 ist r D x2 C y2 , und es gilt @r=@y D
γ = 0,1 γ = 0,75 γ=1
γ=2 y=r. Weiterhin kann man dt durch dx=v1 ersetzen, da die
Geschwindigkeit von m1 entlang der x-Achse in erster Nä-
Abb. 3.20 Verschiedene Bahnkurven im 1=r 2 -Potenzial. Die Kurven entspre- herung konstant und daher stets v1 ist. Außerdem kann man
chen verschiedenen Werten für den Parameter aus (3.245). Die Punkte größter y D b D const annehmen, da #1 klein ist. Man findet somit
Annäherung liegen auf der x1 -Achse und haben den Abstand p zum Ursprung.
In dieser Abbildung sind alle Bahnparameter p identisch. Man erkennt, dass sich Z1
2b dV dx
die Massen mehrfach umlaufen können (rot ) oder gar keine Streuung auftreten m1 vf;y D : (3.253)
kann (grün ). Für < 1 ist die Wechselwirkung attraktiv, jedoch lässt sich keine v1 dr r
stabile gebundene Bahn finden 0
#0 1 Gm1 m2
D1 q : (3.249) V.r/ D : (3.255)
ˇ r
1 2b2 E
Diese Gleichung kann nach b2 aufgelöst werden: Nimmt man an, dass ein Lichtstrahl aus einem Strom von
Teilchen der Geschwindigkeit v1 D c besteht, lautet der
ˇ=.2E/ Streuwinkel im Laborsystem
b2 D : (3.250)
1 .1#10 = /2
Z1
Den Wirkungsquerschnitt (3.131) erhält man durch Diffe- 2Gm2 b dr
renziation: #1 D p
ˇ 2ˇ c2 r 2 r 2 b2
d 1 ˇ db ˇ b
ˇ1 (3.256)
D ˇ ˇ p
d 2 sin # ˇ d# 0 ˇ
0 2Gm2 b r2 b2 ˇˇ 2Gm2
D ˇ D 2 :
ˇ 1 c2 b2 r ˇ c b
D ˇ 2 ˇˇ (3.251) b
2 E sin. / ˇ ˇ
.1 /3
1 1 ˇ
ˇ .1 /2 ˇ Im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wird kon-
sistent gezeigt, dass ein Lichtstrahl tatsächlich durch ein
ˇ j1 j
D Gravitationsfeld abgelenkt wird. Allerdings ist die Licht-
2 E sin. / 2. 2/2 ablenkung doppelt so groß, wie das Ergebnis in (3.256)
mit WD # 0 = . voraussagt.
Antworten zu den Selbstfragen 125
Teil I
Antwort 10 Die Verhältnisse sind umgekehrt proportional.
Dies lässt sich direkt aus dem zweiten Kepler’schen Gesetz ab-
leiten, da an Perihel und Aphel r und rP orthogonal sind.
126 3 Systeme von Punktmassen
Literatur
Teil I
Weiterführende Literatur
Teil I
Was ist ein starrer Körper?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_4, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 127
128 4 Starre Körper
Starre Körper sind ausgedehnte Objekte ohne innere Freiheitsgrade, Genau wie eine Punktmasse ist das Konzept eines starren Kör-
die für viele Bereiche der Physik ein wichtiges Modell darstellen. pers eine Idealisierung. So wie eine Punktmasse in der täglichen
Teil I
Die in Kap. 2 diskutierten orthogonalen Transformationen führten Erfahrungswelt nicht vorkommt, gibt es in der Realität auch kei-
auf mathematische Gleichungen für die Änderungsgeschwindigkeit ne perfekt starren Körper. Dies wird klar, wenn man sich einen
eines Vektors in rotierenden Bezugssystemen. Die dort erlernten Stab vorstellt. Stößt man an dem einen Ende gegen den Stab, so
Methoden werden hier verwendet, um die Dynamik starrer Körper würde sich jeder seiner Punkte instantan in Bewegung setzen,
zu beschreiben. da die Abstände ja jederzeit konstant sein müssen. Dies steht
allerdings im Widerspruch zur speziellen Relativitätstheorie, die
Wir werden sehen, dass die Bewegungsgleichungen starrer Kör- besagt, dass sich keine Information schneller ausbreiten kann
per zwar eine formale Ähnlichkeit mit dem zweiten Newton’schen als das Licht. Außerdem würde ein starrer Körper unendlich
Gesetz für Punktmassen aufweisen. Doch sind diese sogenannten große Kräfte zwischen den Molekülen erfordern. Tatsächlich
Euler-Gleichungen aufgrund des darin auftauchenden Trägheitsten- zeigen alle scheinbar starren Körper elastische Eigenschaften:
sors anspruchsvoller und erlauben eine Vielzahl von Lösungen (z. B. Unter äußeren Einflüssen verformen sie sich, auch wenn die-
für den symmetrischen oder schweren Kreisel), die teilweise der In- se Verformung häufig für den Menschen nicht wahrnehmbar ist
tuition zu widersprechen scheinen. und in vielen Anwendungen vernachlässigt werden kann.
Im Laufe des Kapitels werden Volumenintegrale, Tensoren und die Es kommt auf die Situation an, ob das Modell eines starren
Diagonalisierung von Matrizen diskutiert, die allesamt extrem hilf- Körpers angemessen ist oder nicht. Es bietet sich allerdings
reiche mathematische Werkzeuge für die gesamte Physik darstellen. als vereinfachte Beschreibung für viele Systeme an, z. B. für
Das Gebiet der Kreisel ist sehr weitläufig und kann im Rahmen die- die rotierende Erde, einen Kreisel auf der Tischplatte oder ein
ses Lehrbuches nur einführend besprochen werden. So verzichten physikalisches Pendel. Einen Eimer mit Wasser kann man da-
wir beispielsweise auf eine Diskussion der Dynamik nichtsymmetri- gegen nicht als starren Körper ansehen. Als Faustregel gilt, dass
scher Kreisel. starre Körper dann eine gute Näherung sind, wenn man davon
ausgehen kann, dass die wirkenden Kräfte keine oder nur eine
vernachlässigbare innere Dynamik anregen (wie beispielsweise
die Deformation des Körpers).
4.1 Freiheitsgrade
des starren Körpers
Anzahl der Freiheitsgrade
Nach der Definition des starren Körpers werden seine Frei-
heitsgrade und Koordinaten diskutiert. Es wird gezeigt, dass Ein System von N Punktmassen kann höchstens f D 3N Frei-
man genau sechs Koordinaten benötigt, um Lage und Orien- heitsgrade besitzen (z. B. drei Ortskomponenten in der Form
tierung eines freien starren Körpers eindeutig festzulegen. Dies xa .t/ für jede Punktmasse). Durch innere Zwangsbedingungen,
können beispielsweise seine drei Schwerpunktskoordinaten und z. B. jxa .t/ xb .t/j D const, wird deren Anzahl reduziert. Im
drei Drehwinkel sein. Anschließend werden die meistverwende- starren Körper gibt es offensichtlich eine große Anzahl von sol-
ten Euler’schen Winkel eingeführt. chen Zwangsbedingungen. Doch wie viele Freiheitsgrade bzw.
voneinander unabhängige Koordinaten bleiben übrig? Für einen
starren Körper gibt es stets f D 6 Freiheitsgrade, wenn er
nicht zusätzlich äußeren Zwängen unterworfen ist. Ein äußerer
Definition und Gültigkeitsbereich Zwang liegt beispielsweise bei einem Kreisel auf einer Tisch-
eines starren Körpers platte oder einem Jo-Jo an einer Schnur vor.
Man kann sich leicht überlegen, warum ein starrer Körper maxi-
Ein starrer Körper ist ein Objekt, das aus N Punktmassen ma mal sechs Freiheitsgrade haben kann. Eine einzelne Punktmasse
besteht, die alle einen zeitlich konstanten Abstand zueinander m1 hat drei Freiheitsgrade, z. B. ihre kartesischen Koordinaten
besitzen, rab D jxa .t/ xb .t/j D const (a; b D 1; : : : ; N). Es x1 .t/ in einem beliebigen Bezugssystem. Verbindet man eine
handelt sich dabei um einen Spezialfall der N-Teilchen-Systeme zweite Punktmasse m2 mit der ersten, kommen nicht drei, son-
in Abschn. 3.1. Insbesondere sind Gesamtmasse M und Schwer- dern nur zwei Freiheitsgrade hinzu, da der Abstand r12 konstant
punkt X durch (3.3) und (3.4) gegeben. ist, was einer Zwangsbedingung entspricht. Eine dritte Punkt-
masse m3 mit festem Abstand zu den beiden ersten (r13 und
Beim starren Körper sind die Wechselwirkungspotenziale so, r23 ) führt auf nur noch einen zusätzlichen Freiheitsgrad. Diese
dass die Abstände rab allesamt konstant gehalten werden. Die drei Punktmassen haben zusammen sechs Freiheitsgrade. Die
genaue Form dieser Potenziale wird für die Diskussion des Lage jeder weiteren Punktmasse ist aber durch Angabe ihrer
starren Körpers allerdings nicht benötigt, da sie nicht an der Abstände zu drei anderen Punktmassen (bis auf das Vorzeichen)
Dynamik beteiligt sind und nur die konstanten Abstände garan- festgelegt, solange diese nicht alle auf einer Linie liegen. Die
tieren. Stattdessen ist es sinnvoller, von Zwangsbedingungen zu Anzahl der Freiheitsgrade kann somit nicht mehr erhöht wer-
sprechen, auf die wir in Kürze zurückkommen. den (Abb. 4.1).
4.1 Freiheitsgrade des starren Körpers 129
m1 b3
e
r14 b∗
e 3
m4
Teil I
r13
b∗
e 2 b∗
e 1
r34
r12
r24
b3
e
O O∗
b1
e b2
e
m3
r23
m2
Abb. 4.1 Die Lage einer Punktmasse m4 ist (bis auf das Vorzeichen) eindeutig O
festgelegt, wenn die drei Abstände r14 , r24 und r34 (blaue Linien ) zu den drei b1
e b2
e
Punktmassen m1 , m2 und m3 bekannt sind
Die sechs Freiheitsgrade eines starren Körpers werden in der Abb. 4.2 Überblick der Koordinatensysteme, die zur Beschreibung des starren
Regel in der Form eines Punktes und dreier Winkel angegeben Körpers verwendet werden. Das Laborsystem (S, schwarz ) ist raumfest und ein
(Lage und Orientierung). Wird ein beliebiger Punkt eines star- Inertialsystem. Das Schwerpunktsystem (S0 , blau ) ist gegenüber S nicht gedreht,
ren Körpers im Raum festgehalten, ergeben sich drei weitere ist aber an den Schwerpunkt des starren Körpers gebunden. Das körperfeste
äußere Zwangsbedingungen. Man spricht dann von einem Krei- System (S , rot ) dreht sich mit dem starren Körper mit
sel. Hält man zusätzlich einen weiteren Punkt im Raum fest,
bleibt nur noch ein Freiheitsgrad übrig, und der starre Körper
Betrachten wir nun einen beliebigen Punkt des starren Körpers
ist ein physikalisches Pendel.
mit Koordinaten xa .t/ in S. Ein beliebiger anderer Bezugspunkt
Achtung Da die Zahl der Freiheitsgrade von der Zahl der des starren Körpers befinde sich am Ort x0 .t/. Dies kann, muss
Punktmassen unabhängig ist, kann man auch den Grenzfall aber nicht der Schwerpunkt sein. Wir definieren den Verschie-
N ! 1 und ma ! 0 mit M D const betrachten. Dies führt bungsvektor da .t/ WD xa .t/ x0 .t/ und erkennen sofort, dass
schließlich auf eine kontinuierliche Massenverteilung, auf die sein Betrag konstant sein muss, jda .t/j D const, da es sich um
wir in Abschn. 4.5 erneut zu sprechen kommen. J einen starren Körper handelt. In S sind x
a , x0 und da offen-
sichtlich konstant. In S hingegen ist
xP a .t/ D xP 0 .t/ C dP a .t/ D xP 0 .t/ C .t/ da .t/: (4.1)
Koordinatensysteme
Die letzte Gleichheit gilt, da die zeitliche Änderung des Vektors
In diesem Kapitel werden verschiedene Koordinatensysteme da .t/ nur seine Orientierung, nicht aber seine Länge betreffen
benötigt. Da dies auf den ersten Blick verwirrend sein kann, kann. Die Änderung von da .t/ steht daher senkrecht auf da .t/
gehen wir hier gründlich vor. Wir führen drei kartesische Koor- selbst. Dabei ist .t/ ein Vektor, den es zu bestimmen gilt. An-
dinatensysteme ein: dererseits haben wir bereits (2.54) abgeleitet:
1. Das erste, S, ist raumfest und ein Inertialsystem, also ein dP D R dP ! d : (4.2)
Laborsystem. Die Basisvektoren werden ungestrichen dar-
Dies beschreibt das Transformationsverhalten der Zeitableitung
gestellt, eO i (i D 1; 2; 3), und sind zeitunabhängig. Der
eines Verschiebungsvektors d, wenn man von einem kartesi-
Ursprung ist beliebig.
schen Inertialsystem zu einem beliebigen anderen kartesischen
2. Das Schwerpunktsystem des starren Körpers, S0 , wird mit ei-
Koordinatensystem wechselt, das von S aus gesehen mit der
nem Strich bezeichnet. Der Ursprung liegt im Schwerpunkt
Winkelgeschwindigkeit ! rotiert. Dabei ist R die momentane
des starren Körpers. Die Basisvektoren eO 0i sind stets parallel
Drehmatrix, welche die Basisvektoren der beiden Systeme in-
zu den eO i . S0 ist kein Inertialsystem, wenn der Schwerpunkt
des starren Körpers beschleunigt wird. einander überführt. Da in unserem Fall dP D 0 ist, muss
3. Das dritte System, S , sei so gewählt, dass alle Punkte des P D !.t/ d.t/
d.t/ (4.3)
starren Körpers darin ruhen (Abb. 4.2). Die Basisvektoren
werden mit einem Stern markiert und sind zeitabhängig, gelten. Wir können also .t/ D !.t/ als die momentane Win-
wenn der starre Körper rotiert: eO i .t/ (Beispiel Erddrehung kelgeschwindigkeit desjenigen Bezugssystems interpretieren, in
in Abschn. 2.4). Die Wahl des Koordinatenursprungs und die dem alle Punkte des starren Körpers ruhen. Da die Wahl der
genaue Orientierung der Achsen lassen wir zunächst offen. Punkte xa .t/ und x0 .t/ bei diesen Überlegungen beliebig ist, ist
130 4 Starre Körper
b∗
e 1
Satz von Chasles Abb. 4.3 Die relative Orientierung vom Laborsystem (S, schwarz ) und kör-
perfestem System (S , rot ) wird durch die drei Euler-Winkel #, ' und
Wählt man in (4.1) x0 .t/ als den Schwerpunkt des star- beschrieben. Zur Vereinfachung wurden hier identische Ursprünge für S und S
ren Körpers, sieht man, dass die Bewegung des starren gewählt. Die Knotenlinie eO K (grün ) ist die Schnittlinie der eO 1 -Oe2 - (schwarz ) und
Körpers als Summe einer Translation, xP 0 .t/, und einer eO e
1 -O 2 -Ebenen (gelb )
Rotation um den Schwerpunkt, !.t/ .xa .t/ x0 .t//, ge-
schrieben werden kann. Diese Aussage ist auch als Satz
von Chasles (nach dem französischen Mathematiker Mi- zu überführen. Da die Euler-Winkel auf den ersten Blick we-
chel Chasles, 1793–1880) bekannt. Als Ursprung von S nig anschaulich sind, betrachten wir zunächst Abb. 4.3. Dort ist
verwendet man in der Regel den Schwerpunkt. Ist ein die sogenannte Knotenlinie eO K definiert. Sie ist die Schnittlinie
Punkt des starren Körpers fixiert, wird dieser normaler- der eO 1 -Oe2 - und der momentanen eO e
1 .t/-O 2 .t/-Ebene. Damit ist ih-
weise als Ursprung definiert. re Richtung durch eO K .t/ D eO 3 eO 3 .t/ festgelegt. Aus Gründen
der Übersichtlichkeit verzichten wir im weiteren Verlauf auf die
explizite Angabe der Zeitabhängigkeiten.
Zwar sind Situationen denkbar, in denen die Schwerpunkts- Es kann zu der Situation kommen, dass eO 3 und eO 3 parallel
bewegung und Rotation gekoppelt sind. Solche Situationen sind. Dann ist die Knotenlinie nicht eindeutig definiert. Diese
werden hier nicht besprochen, und wir betrachten die Rotati- mathematische Singularität wird in praktischen Anwendungen
on unabhängig von der Schwerpunktsbewegung. Insbesondere umgangen, indem nicht die Euler’schen Winkel, sondern die
ist wegen (3.10) und (3.20) die Änderung des Gesamtimpul- sogenannten Quaternionen zur Darstellung verwendet werden,
ses gleich der Summe aller äußeren Kräfte, und die Änderung auf die wir hier jedoch nicht weiter eingehen.
des Gesamtdrehimpulses ist die Summe aller äußeren Drehmo-
mente. Zur Erinnerung sei an die entsprechenden Ergebnisse in Die drei Euler-Winkel sind folgendermaßen definiert (in der
Abschn. 3.1 verwiesen. Literatur sind – je nach Konvention – allerdings abweichende
Definitionen zu finden):
Winkel zwischen eO K und eO 1 : '
Winkel zwischen eO 3 und eO
3:#
Euler’sche Winkel als Rotationsfreiheitsgrade Winkel zwischen eO K und eO
1:
Wir sind bisher davon ausgegangen, dass es irgendein körper- Mathematisch lassen sich die beiden Koordinatensysteme fol-
festes Bezugssystem S gibt, das durch eine Drehmatrix R.t/ gendermaßen ineinander überführen (siehe Abschn. 2.1):
aus dem raumfesten System S hervorgeht (von einer mögli- 1. Im ersten Schritt wird eine Drehung um eO 3 um den Winkel
chen Verschiebung der Ursprünge einmal abgesehen). S wurde ' durchgeführt. Die damit verbundene Drehmatrix lautet
allerdings nicht näher spezifiziert. Zur Beschreibung der La- 0 1
ge im Raum haben sich die drei Euler-Winkel (#.t/, '.t/ und cos ' sin ' 0
.t/) besonders bewährt. Sie werden verwendet, um S (defi- R3 .'/ D @ sin ' cos ' 0A (4.5)
niert durch eO i ) in drei Schritten in S (definiert durch eO
i .t/) 0 0 1
4.2 Kinetische Energie und Drehimpuls 131
und führt auf ein Zwischensystem mit den Basisvektoren 4.2 Kinetische Energie
eO .'/ .
i
und Drehimpuls
Teil I
2. Im Anschluss wird um den Winkel # um eO .'/
1 gedreht. Die
Drehmatrix
0 1 Es werden die innere kinetische Energie und der innere Drehim-
1 0 0 puls des starren Körpers berechnet. Dies führt auf die Definition
R1 .#/ D @0 cos # sin # A (4.6) des Trägheitstensors, der die charakteristische Größe eines ro-
0 sin # cos # tierenden starren Körpers ist. Der Trägheitstensor wird physika-
lisch interpretiert. Seine mathematischen Eigenschaften werden
führt auf ein weiteres Zwischensystem mit den Basisvekto- anschließend in Abschn. 4.3 untersucht.
ren eO .#/
i .
3. Im letzten Schritt erhält man das körperfeste Koordinaten-
system mit den Basisvektoren eO O .#/
i , indem um die Achse e
um den Winkel gedreht wird. Die zugehörige Drehmatrix
3 Kinetische Energie und Trägheitstensor
lautet 0 1
cos sin 0 Um die kinetische Energie des starren Körpers anzugeben, be-
R3 . / D @ sin cos 0A : (4.7) ginnen wir mit (3.34):
0 0 1
M P 2 X ma 02
T D TS C TR0 D X C xP : (4.13)
2 a
2 a
Selbstverständlich lassen sich die drei Einzeldrehungen zu einer
einzigen Operation Der erste Term ist die kinetische Energie der Schwerpunktsbe-
wegung im Inertialsystem S, der zweite die innere kinetische
R D R3 . /R1 .#/R3 .'/ (4.8) Energie im Schwerpunktsystem S0 , die als Rotationsenergie de-
finiert wird. An dieser Stelle können wir wegen (4.3)
zusammenfassen. Man kann mit etwas Aufwand, aber simpler
Rechenarbeit zeigen, dass xP 0a D !0 x0a (4.14)
cos ' cos sin ' cos # sin sin ' cos C cos ' cos # sin sin # sin
schreiben, wobei der Vektor x0a vom Schwerpunkt X zur be-
R D sin ' cos # cos cos ' sin cos ' cos # cos sin ' sin sin # cos (4.9) trachteten Punktmasse ma zeigt. Man beachte, dass sich S und
sin ' sin # cos ' sin # cos #
Frage 4
Physikalische Eigenschaften Führen Sie die Rechnung, die auf (4.20) führt, explizit aus.
des Trägheitstensors
In Abschn. 4.5 werden noch andere konkrete Berechnungen des
Betrachtet man die Struktur von (4.19), so sieht man, dass sie Trägheitstensors vorgeführt.
Ähnlichkeiten mit der kinetischen Energie mPx2 =2 D mPxi xP i =2
einer Punktmasse hat. Die Geschwindigkeit xP wird durch die
Winkelgeschwindigkeit !0 und die Masse m durch die Kom-
ponenten ij0 des Trägheitstensors ersetzt. Der Trägheitstensor Drehimpuls und Trägheitstensor
übernimmt die Rolle der trägen Masse bei Drehbewegungen.
Wir werden allerdings noch sehen, dass die Bewegungsglei-
chungen des starren Körpers schwieriger zu lösen sind als die Genau wie die kinetische Energie lässt sich auch der Dreh-
einer Punktmasse. impuls des starren Körpers mittels des Trägheitstensors aus-
drücken. Gleichung (3.22),
Was bedeutet der Trägheitstensor anschaulich? Ähnlich wie die
X
Masse verknüpft er die kinetische Energie mit der Geschwindig- L D LS C L0R D X M XP C x0a ma xP 0a ; (4.21)
keit (in diesem Fall: Rotations- oder Winkelgeschwindigkeit). a
Dabei spielt es allerdings eine Rolle, wie weit die Elemente des
starren Körpers von der Drehachse entfernt sind. Der Trägheits- besagt, dass die Drehimpulsanteile von Schwerpunkt und der
tensor ist eine Größe, welche die Massenverteilung des starren inneren Bewegung relativ zum Schwerpunkt separat betrachtet
4.3 Tensoren 133
Teil I
Zwischen kinetischer Energie und Drehimpuls gilt schließlich
der Zusammenhang
1 0
L TR0 D L !0 ; (4.25)
! 2 R
wie man schnell anhand von (4.19) überprüft. Da TR0 immer po-
O sitiv ist, muss der Winkel zwischen L0R und !0 stets kleiner als
90ı sein. Man beachte die Ähnlichkeit mit T D p v =2 für die
kinetische Energie einer Punktmasse.
4.3 Tensoren
In diesem Abschnitt werden Tensoren als mathematische Ob-
jekte eingeführt. Sie spielen in der Physik eine grundlegende
Abb. 4.4 Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit eines starren Körpers sind in Rolle; der Trägheitstensor ist eines der wichtigsten Beispiele
der Regel nicht parallel. Hier sind die Vektoren L0 und !0 im Schwerpunktsystem
S0 dargestellt
in der Mechanik. Tensoren lassen sich als multidimensiona-
le Zahlenschemata darstellen. Wir kommen vor allem auf das
Transformationsverhalten, das Produkt und die Kontraktion von
Tensoren zu sprechen.
werden können. Der Anteil der inneren Bewegung lässt sich we-
gen (4.14) in der Form
X X 0
L0R D ma x0a !0 x0a D ma x02 0 0
a ! xa xa !
0
Tensoren in der Physik
a a
(4.22)
schreiben. Dies führt schließlich auf Tensoren werden im „Mathematischen Hintergrund“ 4.1 defi-
niert. In diesem Abschnitt soll erläutert werden, wie Tensoren
L0R D 0 !0 : (4.23) gewöhnlicherweise in der Physik eingesetzt werden und wie
man praktisch mit ihnen rechnet. Wir beschränken uns dabei auf
Tensoren, die auf Vektoren im N-dimensionalen euklidischen
Frage 5 Raum RN wirken.
Zeigen Sie mithilfe der Indexschreibweise die Gültigkeit von Bei Tensoren der Stufe p bzw. vom Rang p handelt es sich um
(4.23). multilineare Abbildungen, die sich – nach Wahl einer Basis –
als ein N : : : N-Zahlenschema darstellen lassen. Wie wir
in Kürze sehen werden, lassen sich Tensoren erster Stufe als
Um die Bedeutung dieser Gleichung hervorzuheben, schreiben Vektoren mit N Komponenten, Tensoren zweiter Stufe als N
wir sie in Komponentenform aus: N-Matrizen darstellen usw. Wir beschränken uns im Folgenden
zur besseren Anschaulichkeit auf Tensoren zweiter Stufe. Die
L0R;1 D 11
0
!10 C 12
0
!20 C 13
0
!30 ; Ergebnisse sind jedoch für Tensoren jeder Stufe gültig.
L0R;2 D 21
0
!10 C 22
0
!20 C 23
0
!30 ; (4.24)
Wie findet man nun die Darstellung eines Tensors als N N-
L0R;3 D 31
0
!10 C 32
0
!20 C 33
0
!30 : Matrix in der gegebenen Basis? Hierzu reicht es zu wissen, wie
der Tensor auf die entsprechenden Basisvektoren eO i wirkt. Für
einen Tensor T.a; b/ ! R definieren wir
Achtung Gleichung (4.24) besagt, dass Drehimpuls und
Winkelgeschwindigkeit im Allgemeinen nicht parallel sind Tij WD T.Oei ; eOj / .1 i; j N/ (4.26)
(Abb. 4.4), da 0 eine matrixwertige Größe ist und jede Kom-
ponente von L0R im Allgemeinen von allen Komponenten von und nennen diese N 2 Größen die Komponenten des Tensors be-
!0 abhängt. J züglich der gewählten Basis. Da Tensoren multilinear sind, kann
man die Wirkung des Tensors auf beliebige Vektoren dann in der
Es stellt sich hier die Frage, ob es ein Koordinatensystem
Form
gibt, in dem der Trägheitstensor diagonal ist, d. h. in dem al- T.a; b/ D Tij ai bj (4.27)
le Deviationsmomente verschwinden. In diesem Fall würden
die Gleichungen in (4.24) stark vereinfacht werden. Man kann schreiben.
134 4 Starre Körper
Wir wollen uns nun mit Tensoren, einem für die Physik nur Tensoren untersuchen, bei denen die Vektorräume Vi alle
wichtigen Konzept, beschäftigen. Dabei werden wir jedoch identisch sind.
Tensoren nicht (wie vielerorts üblich) als Größen mit be-
Seien dafür die N-dimensionalen Vektorräume V1 ; : : : ; Vp
stimmtem Transformationsverhalten definieren, sondern die
mathematische Definition über Multilinearformen nehmen, gegeben und seien fe1i ; : : : ; eNi g und fe01i ; : : : ; e0Ni g jeweils
Basen von Vi . Dann lässt sich jeder Basisvektor einer Basis
aus der das Transformationsverhalten folgt.
als Linearkombination der Basisvektoren der anderen Basis
Multilinearformen Ist K ein Körper und sind V1 ; : : : ; Vp K- darstellen, es gelte also
Vektorräume, so nennen wir eine Abbildung W V1 : : : X
N
Vp ! K Multilinearform oder Tensor, wenn sie in jedem e0il D ril ;jl ejl .1 l p/: (1)
Argument linear ist. Wir sind hier nur an dem Spezialfall jl D1
K D R mit lauter identischen Vi interessiert. In diesem
Fall schreibt man für den Raum der Multilinearformen auch Für jeden einzelnen der p Vektorräume Vl wird also über die
˝p V , und man nennt solche Tensoren p-Tensoren. ˝p V N Basisvektoren ejl summiert.
ist selbst wieder ein reeller Vektorraum. Wenden wir nun einen Tensor an, so erhalten wir mit dieser
Man kann zeigen, dass der Raum ˝p V die Dimension N p Transformation und aufgrund der Multilinearität von
hat, wenn V die Dimension N hat. Es gilt sogar noch mehr: X X
0
˝p V ist isomorph (d. h., es existiert eine bijektive Abbil- i1 ;:::;ip D ri1 ;j1 rip ;jp j1 ;:::;jp : (2)
p
dung, die mit der Vektorraumstrukur verträglich ist) zu RN . j1 jp
Dies gibt uns die Möglichkeit, nach Wahl von Basen von V Eine Herleitung dieser Gleichung für p D 2 (die sich auch
p-Tensoren als „p-dimensionale Matrizen“ darzustellen. auf höhere p verallgemeinern lässt) ist im Haupttext zu fin-
den.
Beispiele Die einfachsten und geläufigsten Beispiele sind
die Fälle p D 1 und p D 2. Im ersten Fall haben wir es Beispiele Ist p D 0, so ist die Transformation in (1) von der
mit einer aus der Mathematik bekannten Linearform zu tun, Form 7! r für alle 2 R und r D ˙1. Die Transfor-
im zweiten mit einer Bilinearform. Skalarprodukte sind z. B. mation eines 0-Tensors ist nach (2) dann 0 D r , d. h., der
Bilinearformen. Außerdem ist das Levi-Civita-Symbol "ijk Tensor transformiert sich genauso wie ein Skalar. Für p D 1
die Darstellung eines 3-Tensors und die Determinante von erhalten wir aus (2)
N N-Matrizen (wenn man diese als Multilinearform auf X
0
den Spalten auffasst) ein N-Tensor. i D ri;j j :
j
Darstellung Wählt man nun für den Vektorraum V p-mal
eine Basis (wobei wir den i-ten Basisvektor des j-ten Vek- 1-Tensoren transformieren sich also wie Vektoren.
torraumes mit eij bezeichnen), so entspricht die Komponente Tensorprodukt Sind und Elemente von ˝p V bzw.
i1 ;:::;ip genau dem Wert .ei1 ; : : : ; eip /. Ist V N-dimensional, q
˝ V , so definiert man das Tensorprodukt ˝ durch
so hat ein p-Tensor also N p Komponenten. Ist ein Tensor,
so bezeichnen wir seine Komponenten mit i1 ;:::;ip , wobei . ˝ /.v 1 ; : : : ; v p ; w 1 ; : : : ; w q /
1 ij N für jedes 1 j p. WD .v 1 ; : : : ; v p / .w 1 ; : : : ; w q /:
Am wichtigsten ist dies für 2-Tensoren (d. h. Bilinearfor- Das Tensorprodukt hat folgende Eigenschaften (dabei seien
men). Ist ein 2-Tensor und wählt man für den Vektorraum ; und Tensoren und 1 ; 2 2 R):
V eine Basis, so gibt es eine eindeutige Matrix M, sodass für
alle x; y 2 V gilt: Das Tensorprodukt ist distributiv, d. h., es gilt
.x; y/ D x> My: .1 1 C 2 2 / ˝ D 1 1 ˝ C 2 2 ˝ ;
˝ .1 1 C 2 2 / D 1 ˝ 1 C 2 ˝ 2 :
Für p D 0 haben wir dann 0-dimensionale Matrizen, also
Skalare; für p D 1 erhalten wir 1-dimensionale Matrizen, Das Tensorprodukt ist assoziativ, d. h., es gilt
also Vektoren.
. ˝ /˝ D ˝. ˝ /:
Transformationsverhalten Wie schon bei den Vektoren un- Das Tensorprodukt ist im Allgemeinen nicht kommutativ.
tersucht, sind wir auch hier daran interessiert, wie sich die
Darstellung eines Tensors ändert, wenn eine andere Basis ge- Für den Fall p D q D 1 nennt man das Produkt auch dyadi-
wählt wird. Dabei erinnern wir nochmals daran, dass wir hier sches Produkt. Dieses wird im Haupttext näher besprochen.
4.3 Tensoren 135
Frage 6
Zeigen Sie die Gültigkeit von (4.27).
Teil I
Allgemein kann man einen p-Tensor T im euklidischen Raum
in der folgenden Form darstellen:
Matrizen als Darstellung von Tensoren 3-Tensoren lassen sich nicht als Matrizen darstellen, aber man
Wir halten fest, dass man wegen (4.26) und (4.27) Ten- kann, wie in Abb. 4.5 gezeigt, ihre Komponenten in einem drei-
soren zweiter Stufe als Matrizen darstellen kann. Analog dimensionalen Schema anordnen.
können Tensoren erster Stufe als Vektoren dargestellt wer- Wir sehen nun, dass (4.18) die Darstellung eines Tensors ist.
den. Der Trägheitstensor 0 ordnet der Winkelgeschwindigkeit !0
(neben einem Faktor 12 ) die kinetische Energie TR0 zu:
schreiben, wobei ıij das Kronecker-Symbol ist und über T 0 .v 0 ; w 0 / D T 0 .Rv ; Rw /: (4.33)
i und j summiert wird. Somit ist das Kronecker-Symbol In Darstellungsform lautet dies
die Darstellung des Skalarprodukt-Tensors S im gewähl-
ten Koordinatensystem. Tij0 vi0 wj0 D Tij0 rik vk rjl wl D Tkl vk wl (4.34)
Man transformiert einen Tensor daher, indem man jede seiner Darstellungen von Tensoren erster Stufe. Allgemein gilt, dass
Komponenten wie einen Vektor transformiert. Dies lässt sich die Kontraktion eines p-Tensors ebenfalls ein Tensor ist, aller-
Teil I
ui D Tijj oder vi D Tjij oder wi D Tjji (4.41) Sp.T/ D Sp.T/ D Tii : (4.49)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 137
Sie ist eine Kontraktion und entspricht der Summe der Diago- lässt sich der Trägheitstensor in jedem Koordinatensystem wie
nalelemente. in (4.19) berechnen, wenn die x0a entsprechend durch die Orts-
Teil I
vektoren in dem gewählten Koordinatensystem ersetzt werden.
Matrixmultiplikation und Kontraktion Dies gilt auch für beschleunigte Bezugssysteme, auch wenn der
Schwerpunkt und der Koordinatenursprung nicht zusammenfal-
Das Matrixprodukt C D AB D .aij bjk / D .cik / lässt sich len. Es ist leicht einzusehen, dass dabei die Tensorelemente im
auch anders ausdrücken. Dazu bildet man zunächst das Allgemeinen andere Werte annehmen.
Produkt der beiden Matrizen: Die Komponenten der Trägheitsmatrix eines starren Körpers
können zeitabhängig sein. Dies ist dann der Fall, wenn sich der
D D A ı B D .aij bkl / D .dijkl /: (4.50) starre Körper im gewählten Bezugssystem dreht. Beispielswei-
se kann der Winkel ' in (4.20) von der Zeit abhängen. Dies ist
Dies ist die Darstellung eines Tensors vierter Stufe. Im ein entscheidender Unterschied zur Masse eines Körpers, die –
Anschluss kontrahiert man die beiden mittleren Indizes: in der nichtrelativistischen Mechanik – nicht von der Wahl des
Bezugssystems abhängt und zeitunabhängig ist.
.dijjl / D .aij bjl / D .cil / D C: (4.51)
Frage 8
J Machen Sie sich klar, dass die Komponenten der Trägheitsma-
trix zeitabhängig sein können.
Forminvarianz
Tensor- und Vektorgleichungen wie (4.41), (4.49) oder Trägheitsmoment für Drehung um eine Achse
(4.51) sind forminvariant unter orthogonalen Transforma-
tionen. So gilt beispielsweise die Form von (4.19) in allen
Inertialsystemen. Wie wir bereits in Kap. 2 gesehen ha- Für viele Anwendungen ist die Orientierung der Drehachse re-
ben, spielt Forminvarianz bzw. Kovarianz eine zentrale lativ zum starren Körper fest. Dies gilt z. B. für einen Autoreifen
Rolle in der theoretischen Physik. oder ein Windrad. Es stellt sich die Frage, ob zur Beschreibung
solcher Objekte der gesamte Trägheitstensor bekannt sein muss.
Um dies zu beantworten, nehmen wir an, dass die Drehung um
eine Achse mit Einheitsnormalenvektor nO D const stattfindet.
Wir führen die Untersuchung im raumfesten System S durch,
4.4 Trägheitstensor könnten dies aber genauso gut im körperfesten S tun. Den Ur-
sprung O legen wir auf die Drehachse. Es gilt ! D ! n. O In
und Trägheitsmomente diesem Fall lautet die kinetische Energie der Drehung aus (4.19)
1 1
Für viele praktische Anwendungen (z. B. Rad auf Achse) benö- TR D nO i ij nOj ! 2 DW n ! 2 : (4.52)
2 2
tigt man das Trägheitsmoment eines Körpers bezüglich einer
gegebenen Drehachse. Der Steiner’sche Satz setzt die Träg- Hier ist
heitstensoren eines starren Körpers in zueinander verschobenen X h i
Koordinatensystemen in Relation. Der Trägheitstensor kann n nO i ij nOj D nO > nO D O 2
ma x2a .xa n/ (4.53)
durch eine geeignete Koordinatentransformation, die sogenann- a
te Hauptachsentransformation, in Diagonalform gebracht wer-
den. Es zeigt sich, dass in solch einem Koordinatensystem O
das Trägheitsmoment bezüglich der Drehachse n.
die Gleichungen für die kinetische Energie und den Drehim- Frage 9
puls besonders einfach werden. Die für die Diagonalisierung Rechnen Sie die Projektion des Trägheitstensors auf die Dreh-
notwendigen mathematischen Konzepte der Eigenwerte und Ei- achse nach.
genvektoren werden erläutert und an Beispielen vertieft.
a b
Teil I
b
n la
S l
ma
xa b
n
O X
Abb. 4.6 a Ein Massenelement ma am Ort xa hat einen Abstandsvektor la zur Drehachse nO . b Der Steiner’sche Satz beschreibt, wie sich der Trägheitstensor ändert,
wenn der Koordinatenursprung verschoben wird. Hier ist S der Schwerpunkt und O der gewählte Ursprung des raumfesten Systems
geschrieben werden. Verfährt man so mit dem Drehimpuls in nehmen wir an, dass der Schwerpunkt S sich am Ort X befindet.
(4.23), findet man analog Der Trägheitstensor bezüglich des Ursprungs O ist dann
X
LR;n D n !; (4.56) ij D ma x2a ıij xa;i xa;j
a
wobei LR;n D LR nO die Projektion des Drehimpulses auf die X h 2 i
Drehachse ist. D ma X C x0a ıij Xi C x0a;i Xj C x0a;j ;
a
Frage 10 (4.58)
wobei die Schwerpunktskoordinaten wieder durch einen Strich
Überprüfen Sie, dass die Diagonalelemente des Trägheitsten-
bezeichnet werden. Es ist leicht zu sehen,
Pdass beim Aus-
sors ij die Trägheitsmomente bezüglich der Koordinatenach-
multiplizieren sämtliche Terme der Form a x0a;i wegen der
sen .Oei / sind.
Definition des Schwerpunktes verschwinden.
Frage 11
Überprüfen Sie diese Aussage.
Trägheitsmoment für die Drehung um eine Achse
Für die Drehung um eine feste Achse nO reicht es, das Träg-
heitsmoment Es bleibt daher nur der folgende Ausdruck übrig:
X X X 2
n D ma x2a .xa n/
O 2 D ma l2a (4.57) ij D ma x02 0 0
a ıij xa;i xa;j C M X ıij Xi Xj : (4.59)
a a a
zu kennen, wobei la der Abstand von ma zur Drehachse Der erste Term liefert gerade den Trägheitstensor
P 0 im
ist. Ist die Drehachse bezüglich des starren Körpers eine Schwerpunktsystem. Im zweiten Term wurde a ma D M
Funktion der Zeit, kann das Trägheitsmoment ebenfalls ausgenutzt. Gleichung (4.59) ist die Transformationsgleichung
zeitabhängig sein. für den Trägheitstensor bei Verschiebung des Koordinatenur-
sprungs. Wir definieren weiterhin
O 2
l2 D X2 .X n/ (4.60)
Steiner’scher Satz als den quadratischen Abstand des Schwerpunktes von der
O Dann ist das Gesamtdrehmoment bezüglich die-
Drehachse n.
Bisher haben wir stillschweigend ignoriert, welche Konsequen- ser Drehachse (Abb. 4.6)
zen sich ergeben, wenn der Schwerpunkt eines starren Körpers
nicht im Koordinatenursprung liegt. Um dies zu untersuchen, n D n0 C Ml2 : (4.61)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 139
Teil I
Trägheitstensor durch eine Ähnlichkeitstransformation in
Der Steiner’sche Satz (nach dem Schweizer Mathematiker Diagonalform, d. h.
Jakob Steiner, 1796–1863) besagt: Das Trägheitsmoment
eines starren Körpers mit der Masse M um eine beliebi- D R> R oder ij D rki rlj kl ; (4.63)
ge Drehachse im Abstand l von seinem Schwerpunkt ist
gleich dem Trägheitsmoment um die parallele Drehachse,
wobei R eine geeignete orthogonale Matrix ist. Letztlich han-
die durch den Schwerpunkt verläuft, plus Ml2 .
delt es sich bei (4.63) um eine durch R vermittelte Drehung des
Koordinatensystems.
Der Steiner’sche Satz erlaubt eine Zerlegung des Trägheitsmo- Achtung Eine allgemeine Ähnlichkeitstransformation erfor-
ments. Dies ist insbesondere bei der Berechnung von Trägheits- dert keine orthogonale, sondern nur eine invertierbare Matrix.
momenten aus einfachen Formen zusammengesetzter Objekte Da wir aber in der Physik in der Regel an längen- und winkel-
hilfreich. Hierbei ist zu betonen, dass die Definition des Träg- treuen Koordinatentransformationen interessiert sind, beschrän-
heitstensors additiv ist. Der Trägheitstensor eines starren Kör- ken wir uns auf orthogonale Matrizen. J
pers ist somit die Summe der Trägheitstensoren seiner Teile
bezüglich des gleichen Ursprungs. Die Koordinatenachsen, bezüglich derer die Matrix diagonal
ist, bezeichnet man als Hauptträgheitsachsen oder Hauptach-
Achtung Für einen freien starren Körper verwendet man in sen. Die Trägheitsmomente bezüglich der Hauptachsen, also
der Regel den Schwerpunkt als Koordinatenursprung, da dann die Eigenwerte des Trägheitstensors, bezeichnet man als Haupt-
die kinetische Energie und der Drehimpuls in jeweils zwei sepa- trägheitsmomente.
rate Anteile zerfallen (Schwerpunktsbeitrag und Beitrag relativ
zum Schwerpunkt; siehe (4.13) und (4.21)). Ist der starre Kör-
per in einem Punkt fixiert (d. h., darf sich der starre Körper Diagonalform des Trägheitstensors
nur so bewegen, dass der besagte Punkt ortsfest ist), so dient Da der Trägheitstensor als reellwertige, symmetrische
dieser Punkt normalerweise als Koordinatenursprung, und der Matrix zweiter Ordnung dargestellt werden kann, hat der
Steiner’sche Satz findet Verwendung. J Trägheitstensor stets drei reelle Eigenwerte, die Haupt-
trägheitsmomente. Es gibt ein Koordinatensystem, in dem
Frage 12
der Trägheitstensor diagonal ist. Man nennt diejenige
Überlegen Sie sich, dass das Trägheitsmoment n bezüglich ei- Transformation, die auf das Diagonalsystem führt, Haupt-
ner Achse nO minimal wird, wenn diese durch den Schwerpunkt achsentransformation.
läuft.
Einführung Wir wissen, dass lineare Abbildungen bezüg- hat die Matrix
lich verschiedener Basen unterschiedliche Matrixdarstellun- 0 1
1 1 0
gen haben. Nun stellen wir uns die Frage, ob wir eine Basis A D @0 1 0A
finden können, für die diese Form möglichst einfach ist. Die 0 0 2
einfachste Gestalt ist die einer Diagonalmatrix, denn dann
können wir das Ergebnis der linearen Abbildung (d. h. der die Eigenwerte 1 und 2, ist aber nicht diagonalisierbar.
Matrix-Vektor-Multiplikation) sofort hinschreiben:
0 1 0 1 0 1 Hat eine N N-Matrix N verschiedene Eigenvektoren, so ist
a1 0 v1 a1 v1 sie auf jeden Fall diagonalisierbar. Dieses Kriterium ist aber
B :: C B :: C B :: C nur hinreichend und nicht notwendig. Zum Beispiel hat die
@ : A @ : A D @ : A:
Einheitsmatrix nur den Eigenwert 1, ist aber diagonalisierbar
0 aN vN aN vN (denn sie ist ja in Diagonalform).
Wir identifizieren hier lineare Abbildungen mit ihren zuge-
Ein wichtiges Resultat ist, dass jede symmetrische Matrix A
hörigen Matrizen und umgekehrt.
mit reellen Einträgen diagonalisierbar ist. In diesem Fall ist
die Matrix S orthogonal, und die Eigenwerte von A sind alle
Eigenwerte und Eigenvektoren Ist eine lineare Abbil- reell.
dung eines K-Vektorraumes V in sich selbst, dann heißt
2 K Eigenwert von , wenn es ein v 2 Vnf0g gibt Charakteristisches Polynom Es ist im Allgemeinen recht
mit .v / D v . Jedes v 2 Vnf0g, für das die Gleichung mühsam, die Eigenwerte einer Matrix zu bestimmen. Dafür
.v / D v gilt, heißt Eigenvektor von zum Eigenwert verwendet man üblicherweise das charakteristische Poly-
. Für Matrizen A lautet die entsprechende Gleichung dann nom.
Av D v . Anschaulich bedeutet dies, dass nur die Länge,
nicht aber die Richtung eines Eigenvektors ändert. Ist A eine N N-Matrix, so nennen wir
Nicht jede lineare Abbildung hat Eigenvektoren. Betrach- PA ./ D det.I A/
ten wir z. B. eine Drehung im R2 um 90ı . Es gibt keinen das charakteristische Polynom von A. Betrachtet man eine
Vektor, bei dem sich nur die Länge ändert, also hat diese Matrix bezüglich einer anderen Basis, so erhält man dassel-
Abbildung keine Eigenvektoren. Hier muss man jedoch auf- be charakteristische Polynom.
passen: Betrachtet man dieselbe Abbildung im C 2 , so gibt es
Eigenvektoren. Für eine Matrix ist nun genau dann ein Eigenwert, wenn
es Nullstelle des charakteristischen Polynoms ist.
Zu einem Eigenwert kann es mehrere linear unabhängige Ei-
genvektoren geben (Beispiel: Einheitsmatrix). Gibt es genau Beispiel: Drehungen im R2 Wir betrachten als Beispiel eine
m linear unabhängige Eigenvektoren zu einem Eigenwert, so Drehung um den Winkel ' 2 Œ0; 2 / im R2 :
heißt dieser Eigenwert m-fach entartet.
cos ' sin '
A' D :
Diagonalisierbarkeit Eine lineare Abbildung eines K- sin ' cos '
Vektorraumes V in sich selbst heißt diagonalisierbar, wenn Anschaulich kann es nur Eigenvektoren für ' D 0 (identi-
es eine Basis von V gibt, die aus lauter Eigenvektoren von sche Abbildung) oder ' D (jedem Vektor v wird gerade
besteht. v zugeordnet) geben. Das charakteristische Polynom ist
Eine Matrix A ist genau dann diagonalisierbar, wenn es eine PA' ./ D . cos '/2 C sin ' 2 D 2 2 cos ' C 1
invertierbare Matrix S gibt, sodass p
und besitzt die Nullstellen 1;2 D cos ' ˙ cos2 ' 1.
S1 AS D D Das Polynom hat also nur dann reelle Nullstellen, wenn
gilt, wobei D eine Diagonalmatrix ist. In diesem Fall stehen cos ' D ˙1. Dies gilt wie erwartet dann, wenn ' D 0 oder
in der Diagonale von D genau die Eigenwerte von A, und ' D . In dem Fall liegt Ax' bereits in Diagonalform mit
in den Spalten der Matrix S stehen die zugehörigen Eigen- zweifach entarteten Eigenwerten vor.
vektoren von A zum jeweiligen Eigenwert. Man spricht hier
von einer Ähnlichkeitstransformation und sagt, dass A und D
Literatur
zueinander ähnliche Matrizen sind.
Da nicht jede Matrix Eigenvektoren hat, ist auch nicht jede Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
Matrix diagonalisierbar. Auch wenn eine Matrix Eigenwerte Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
hat, so ist sie nicht zwingend diagonalisierbar. Zum Beispiel Fischer, G: Lineare Algebra. 15. Aufl., Vieweg (2005)
4.4 Trägheitstensor und Trägheitsmomente 141
Teil I
Ausdrücken in (4.19) und (4.23) ausgehen und den diagonalen Fundamentalsatz der Algebra hat ein charakteristisches Poly-
Trägheitstensor aus (4.62) verwenden. nom der Ordnung N stets N Lösungen, die jedoch komplex
sein können (komplexe Zahlen werden in Kap. 6 diskutiert).
Jedoch sind die Eigenwerte symmetrischer Matrizen stets re-
Das Rechnen mit dem diagonalisierten Trägheitstensor bietet ell. Aufgrund seiner Symmetrie hat also immer drei reelle
in erster Linie Rechenvereinfachungen im Vergleich zu einem Eigenwerte i (wie es für alle physikalischen Beobachtungs-
nichtdiagonalen Trägheitstensor. Physikalisch sind beide We- größen gefordert wird).
ge aber völlig äquivalent, da man dieselben Gleichungen nur Die Eigenwerte von können entartet sein. Entweder sind al-
in verschiedenen Koordinatensystemen betrachtet. Dies wurde le Eigenwerte i unterschiedlich (keine Entartung), oder zwei
bereits in Kap. 2 im Zusammenhang mit den passiven Koordi- oder sogar drei Eigenwerte sind identisch (Entartung). Dies
natentransformationen erläutert. wird durch ein Beispiel klar:
Doch wie findet man nun das Koordinatensystem S , in dem der
Trägheitstensor diagonal ist? Dazu greift man auf Methoden aus Trägheitsmomente zweier Punktmassen
der linearen Algebra zurück. Im „Mathematischen Hintergrund“
4.2 werden Eigenwerte und Eigenvektoren einer quadratischen In (4.20) haben wir bereits einen nichtdiagonalen Träg-
Matrix eingeführt: Man nennt einen Eigenwert und v den zu- heitstensor gefunden. Nach einer kurzen Rechnung findet
gehörigen Eigenvektor einer diagonalisierbaren Matrix A, wenn man das charakteristische Polynom
Av D v () .A I/ v D 0 (4.66) det .I / D Ml2 2 Ml2 (4.69)
erfüllt ist. Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass die Diago- als Bestimmungsgleichung für die drei Hauptträgheits-
nalelemente einer diagonalen Matrix den Eigenwerten entspre- momente i .
chen. Kennt man daher alle Eigenwerte einer diagonalisierbaren
N N-Matrix A, so kann man direkt
Überprüfen Sie (4.69).
A D diag.1 ; : : : ; N / (4.67)
Es müssen nun alle drei Lösungen der Gleichung
aufschreiben. Die Spalten der zugehörigen Transformations- 2
matrix R, die mittels A D R> AR die Matrix A in ihre Ml2 D 0 (4.70)
Diagonalform A überführt, sind gerade die den Eigenwerten
i zugehörigen Eigenvektoren v i . Die Diagonalform des bestimmt werden. Offensichtlich sind die Eigenwerte
Trägheitstensors lässt sich also direkt aufschreiben, wenn die 1 D 2 D Ml2 und 3 D 0. Somit lautet der diago-
drei Eigenwerte (d. h. Hauptträgheitsmomente i ) bekannt sind. nalisierte Trägheitstensor
Ist man zusätzlich an dem speziellen Koordinatensystem in- 0 1
teressiert, in dem der Trägheitstensor diagonal ist, muss man 1 0 0
außerdem die Eigenvektoren (d. h. die Hauptachsen) kennen. D Ml2 @0 1 0A : (4.71)
0 0 0
Dies führt uns nun auf die wichtige Frage, wie man zum einen
die Eigenwerte und zum anderen die Eigenvektoren konkret
erhält. Offenbar ist der Nullvektor 0 D .0; 0; 0/> stets Eigen- Der Eigenwert Ml2 ist zweifach entartet. Dies liegt daran,
vektor, da A0 D 0 immer erfüllt ist. Wir suchen daher nach dass es eine Symmetrieachse gibt. Dies ist die Ach-
nichttrivialen Eigenvektoren, also solchen, die nicht null sind. se, auf der beide Punktmassen liegen. Die Existenz von
Die Eigenwerte lassen sich dann ausgehend von der sogenann- Symmetrieachsen ist stets ein Indikator für entartete Ei-
ten Eigenwertgleichung (gelegentlich auch Säkulargleichung genwerte des Trägheitstensors. Weiterhin ist einer der
genannt) bestimmen: Eigenwerte null, da alle Massenelemente bezüglich der
Symmetrieachse den Abstand null besitzen und das ent-
det .I A/ D 0: (4.68) sprechende Trägheitsmoment verschwindet. Dies kann
bei realen dreidimensional ausgedehnten Objekten nie-
Hier wird ausgenutzt, dass (4.66) nur dann nichttriviale Lö- mals der Fall sein. J
sungen für v haben kann, wenn die Determinante der Matrix
.A I/ verschwindet.
Ist ein Eigenwert bekannt, lässt sich der entsprechende Eigen-
Jeder Eigenwert einer diagonalisierbaren Matrix A erfüllt vektor v ausgehend von
(4.68) und ist somit Nullstelle des charakteristischen Polynoms
det .A I/ (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 4.2). Der .A I/ v D 0 (4.72)
142 4 Starre Körper
Die Eigenvektoren zu unterschiedlichen Eigenwerten sind paar- Der verbleibende Vektor muss senkrecht auf den bei-
weise orthogonal (Aufgabe 4.2). Sind Eigenwerte jedoch entar- den ersten stehen. Man findet ihn beispielsweise über das
tet, sind die entsprechenden Eigenvektoren nicht automatisch Kreuzprodukt
paarweise orthogonal. Allerdings können Eigenvektoren stets 0 1
paarweise orthogonal gewählt werden, wie das folgende Bei- sin '
spiel zeigt. Dies wird in Kap. 23 wieder aufgegriffen. v 2 D v 3 v 1 D @ cos ' A : (4.78)
0
Hauptachsen zweier Punktmassen
Insgesamt sind nun alle Forderungen erfüllt. Genauso gut
Wir führen das Auffinden der Eigenvektoren anhand von hätte man auch mit einem anderen Vektor v 2 beginnen
(4.20) und den bekannten Eigenwerten aus (4.71) vor. Wir können, der senkrecht auf v 3 steht. J
beginnen mit dem nichtentarteten Eigenwert: Für 3 D 0
folgt
2 Man kann starre Körper anhand der Entartung ihrer Haupt-
sin ' 0 vx sin ' cos ' vy D 0; trägheitsmomente unterscheiden. Hat der Trägheitstensor drei
sin ' cos ' vx C cos2 ' 0 vy D 0; (4.74) gleiche Eigenwerte, spricht man von einem Kugelkreisel, da
diese Eigenschaft auch für eine Kugel gilt (Abschn. 4.5). Sind
.1 0/vz D 0:
nur zwei Eigenwerte identisch, nennt man den starren Körper
einen symmetrischen Kreisel. Im Gegensatz dazu hat man es
Die ersten beiden Gleichungen sind für sin ' 6D 0 und mit einem unsymmetrischen Kreisel zu tun, wenn alle Haupt-
cos ' 6D 0 identisch und lauten vx sin ' vy cos ' D 0. trägheitsmomente unterschiedlich sind.
Die dritte besagt, dass vz D 0 sein muss. Offensichtlich
erfüllt der Vektor
0 1 Vorgehen zum Auffinden des diagonalisierten Träg-
cos ' heitstensors
v 3 D @ sin ' A (4.75)
1. Berechnen Sie den Trägheitstensor mit (4.19).
0
2. Stellen Sie die Eigenwertgleichung (4.68) auf und lö-
alle Anforderungen. Der zum Eigenwert 3 gehörige Ei- sen Sie diese.
genvektor v 3 entspricht somit erwartungsgemäß gerade 3. Falls benötigt oder erwünscht, können die Hauptach-
derjenigen Achse, die durch die Lage der beiden Punkt- sen mittels (4.73) bestimmt werden. Sind Eigenwerte
massen definiert ist. entartet, müssen die entsprechenden Eigenvektoren so
gewählt werden, dass alle drei paarweise orthogonal
Für den entarteten Eigenwert 1 D 2 D Ml2 ergibt sich sind.
die folgende Situation:
2
sin ' 1 v1 sin ' cos ' v2 D 0; Achtung Für viele einfache starre Körper sind bereits am
sin ' cos ' v1 C cos2 ' 1 v2 D 0; (4.76) Anfang die Symmetrieachsen offensichtlich. Diese Achsen soll-
ten als Koordinatenachsen definiert werden. Der Trägheitsten-
.1 1/v3 D 0: sor ist dann automatisch diagonal, wie wir noch am Beispiel
eines Quaders in (4.90) sehen werden. J
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen 143
Der Trägheitstensor ist immer diagonal, wenn alle drei Eigenwer- hier am Beispiel der Gesamtmasse verdeutlicht:
te identisch sind. Zum einen ist dann jede Achse eine Symme- • Z
X
Teil I
trieachse. Zum anderen ist der Trägheitstensor ein Vielfaches der
MD ma ! dx1 dx2 dx3 .x/ DW dV .x/: (4.81)
Einheitsmatrix, die unter orthogonalen Transformationen immer
diagonal bleibt, R> IR D I. Somit gibt es kein Koordinatensys-
a
tem, in dem solch ein Trägheitstensor nicht diagonal ist. Die Integrationsgrenzen sind dabei so zu wählen, dass sie
Sind die drei Eigenwerte k und normierten Eigenvektoren vO k dem Rand des Körpers entsprechen. Wie solch eine Integrati-
(k D 1; 2; 3) des Trägheitstensors in einem Koordinatensystem on konkret durchgeführt werden kann, werden wir in Kürze an
bekannt, kann er in der Form einem Beispiel vorführen. Vorher notieren wir jedoch noch die
Definition des Trägheitstensors für eine kontinuierliche Mas-
X
3
senverteilung.
ij D vOk;i k vOk;j (4.79)
kD1
Trägheitstensor einer kontinuierlichen
dargestellt werden. Ist das gewählte Koordinatensystem gerade Massenverteilung
das Hauptachsensystem (d. h. gilt vO k D eO k ), so folgt hieraus
(4.62). Die Komponenten des Trägheitstensors für eine kontinu-
ierliche Massenverteilung .x/ lauten
Z
4.5 Kontinuierliche ij D dV .x/ x2 ıij xi xj : (4.82)
Massenverteilungen
Für kontinuierliche Massenverteilungen wird die Summation
über Punktmassen durch eine Integration über Massenelemente Frage 15
ersetzt. Die dazu benötigten Volumenintegrale werden einge- Überlegen Sie sich, dass (4.82) aus (4.18) folgt, wenn man den
führt. Um solche Integrationen in krummlinigen Koordinaten- in (4.81) dargestellten Übergang als Vorlage verwendet. Der
systemen durchführen zu können, benötigt man die sogenannte Ortsvektor x mit den drei Komponenten xi ist dabei die Inte-
Jacobi-Determinante. Es werden die Trägheitstensoren einiger grationsvariable.
einfacher Massenverteilungen berechnet.
und analog für die beiden übrigen Achsen. Das Volumen erhält x3
man für f .x/ D 1 innerhalb des Quaders:
Teil I
Z Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2
Z
Cc=2
dx3 D c: (4.85)
c=2
x1
Die beiden übrigen Integrationen ergeben b und a, und das Vo- Abb. 4.7 Zur Integration des Kugelvolumens in kartesischen Koordinaten. Für
einen festgehaltenen Wert x3 (gelbe Ebene ) erhält man einen Kreis (rot ) als
lumen ist – wenig überraschend – V D abc. Schnittkurve von Ebene und Kugel (zur besseren Übersicht nicht dargestellt ).
Für den Trägheitstensor eines homogenen Quaders setzt man Man erkennt, dass die Grenzen für die x1 -Integration (blaue Striche ) vom ge-
wählten Wert x2 (blaue Ebene und parallele graue Linien ) abhängen. Der Radius
f .x/ D .x/.x2 ıij xi xj /, wobei .x/ D D const ist. Wir
des Schnittkreises wiederum hängt von der Wahl von x3 ab. Somit sind die Inte-
beginnen mit der Komponente 11 des Trägheitstensors und grationsgrenzen nicht unabhängig und müssen parametrisiert werden
schreiben wegen x2 D x21 C x22 C x23 :
Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2
dass alle anderen Deviationsmomente ebenfalls verschwinden.
11 D dx1 dx2 dx3 x22 C x23 : (4.86) Der gesamte Trägheitstensor des Quaders lautet damit
a=2 b=2 c=2
0 2 1
M @b C c
2
0 0
Die x1 -Integration ist trivial und ergibt einen Faktor a. Die x2 - .ij / D 0 a2 C c2 0 A: (4.90)
Integration liefert den Faktor .b3 =12 C x23 b/. Dieser Faktor wird 12 0 0 a C b2
2
durch die noch fehlende x3 -Integration zu .b3 c=12 C bc3 =12/.
Verwendet man das Volumen V D abc und die Gesamtmasse
M D V, ergibt sich somit Achtung Gleichung (4.90) gilt nur für das gewählte Achsen-
system. Ist der Quader nicht parallel zu den Koordinatenachsen
1 2
11 D M b C c2 : (4.87) ausgerichtet oder liegt der Schwerpunkt nicht im Ursprung, ist
12 der Trägheitstensor verschieden. Die Deviationsmomente sind
dann nicht zwangsläufig null (sie sind sogar in den meisten Fäl-
Frage 16
len ungleich null). J
Machen Sie sich klar, dass wegen Symmetrieüberlegungen die
beiden restlichen Diagonalelemente
1 2 1 2
22 D M a C c2 ; 33 D M a C b2 (4.88) Volumen einer Kugel in kartesischen
12 12
Koordinaten
lauten müssen.
Schwieriger wird es, wenn das Volumen einer Kugel mit Radius
Wir berechnen noch das Deviationsmoment R und Mittelpunkt M im Ursprung O bestimmt werden soll. In
diesem Fall sind die Integrationsgrenzen nämlich voneinander
Z
Ca=2 Z
Cb=2 Z
Cc=2
abhängig, da der Innenbereich der Kugel durch
12 D dx1 dx2 dx3 x1 x2 : (4.89)
q
a=2 b=2 c=2
x21 C x22 C x23 R (4.91)
Man sieht schnell, dass sowohl die x1 - als auch die x2 -Inte-
gration auf einen Faktor null führen, da x1 bzw. x2 ungerade definiert ist (Abb. 4.7). Angenommen, x1 und x2 sind bereits
Funktionen sind. Somit ist 12 D 0. Eine ähnliche Argumen- gegeben, dann kann x3 nur zwischen .R2 x21 x22 /1=2 und
tation wie bei den Trägheitsmomenten führt auf das Ergebnis, C.R2 x21 x22 /1=2 liegen. Ist x1 vorgegeben, muss x2 aus dem
4.5 Kontinuierliche Massenverteilungen 145
Intervall Œ.R2 x21 /1=2 ; C.R2 x21 /1=2 stammen. Wir berechnen nicht auch bei der Volumenintegration hilfreich ist. Und tatsäch-
zunächst das x3 -Integral: lich ist dies der Fall.
Teil I
p Betrachten wir wie in Abschn. 2.5 einen Satz allgemeiner
C R2 x21 x22
Z q Koordinaten qi .xj /, die von den kartesischen Koordinaten xj ab-
dx3 D 2 R2 x21 x22 : (4.92) hängen. Ihre totale Ableitung lautet
p @qi
R2 x21 x22
dqi D dxj D @xj qi dxj : (4.95)
@xj
Bei der x2 -Integration muss dieses Ergebnis berücksichtigt wer-
den: Es gilt die Einstein’sche Summenkonvention, und die Terme
@xj qi bilden die Komponenten der Matrix JN D .JN ij / D .@xj qi /,
p sodass
C ZR2 x21
q dq D JN dx (4.96)
2 R2 x21 x22 dx2
p N 6D 0, folgt mit
gilt. Ist diese Matrix invertierbar, d. h., gilt det.J/
R2 x21 1
p (4.93) J WD JN D .Jij / D .@qj xi /
q C R02
02 x2 dx D J dq: (4.97)
D x2 R02 x2 C R arcsin p
2
p
R02 R02
D R02 D R2 x21 : Jacobi-Matrix
Im zweiten Schritt wurde zur Vereinfachung R02 WD R2 x21 als Die durch
Abkürzung verwendet. Dies ist kein Problem, da x2 die Integra- Jij WD @qj xi (4.98)
tionsvariable ist und R und x1 diesbezüglich Konstanten sind.
definierte Matrix einer Koordinatentransformation qi .xj /
Frage 17 mit Umkehrung xi .qj / heißt Jacobi-Matrix der Koordina-
Rechnen Sie (4.93) nach. Suchen Sie dazu gegebenenfalls nach tentransformation. Häufig schreibt man auch
einer geeigneten Stammfunktion in der mathematischen Litera- @.x1 ; x2 ; x3 /
tur. JD : (4.99)
@.q1 ; q2 ; q3 /
Es hat sich bereits in Abschn. 2.5 herausgestellt, dass an Beim Übergang von kartesischen Koordinaten xi zu allge-
das gegebene Problem angepasste Koordinaten Berechnungen meinen Koordinaten qj erfüllt das Volumenelement
erheblich vereinfachen können. Beispielsweise sollten für ku-
gelsymmetrische Systeme in der Regel Kugelkoordinaten ver- dV D dx1 dx2 dx3 D det.J/ dq1 dq2 dq3 ; (4.101)
wendet werden. Es stellt sich die Frage, ob dieses Vorgehen
146 4 Starre Körper
wobei J die zugehörige Jacobi-Matrix ist. Die Größe Jacobi-Determinanten für Zylinder-
Teil I
Aus (4.101) folgt sofort für das Volumenintegral einer Funktion für Zylinderkoordinaten und
f .x/:
det.J/ D r2 sin # (4.108)
Z •
f .x/ dV D f .x/ dx1 dx2 dx3 für Kugelkoordinaten kann man dann für alle entsprechen-
den Rechnungen direkt verwenden.
• (4.103)
D f Œx.q/ det.J.q// dq1 dq2 dq3 :
Die Stammfunktion von cos ' sin ' ist .sin2 '/=2. Da sin.0/ D
Frage 19 sin.2 / D 0 gilt, verschwindet der gesamte Ausdruck für 12 .
Zeigen Sie ausgehend von (4.100), dass die Jacobi-Determinan- Eine ähnliche Rechnung gilt für die restlichen Deviationsmo-
te für Zylinderkoordinaten det.J/ D % lautet. Veranschaulichen mente.
Sie sich dies grafisch und berechnen Sie damit auch das Volu-
men eines Zylinders. Es verbleibt nur noch die Berechnung für eines der Diago-
nalelemente des Trägheitstensors. Da der Ausdruck für x3 am
4.6 Bewegungsgleichungen des starren Körpers 147
Teil I
man eine kleinere Kugel bzw. einen kleineren Zylinder im Innenraum abzieht
(Additivität von Trägheitsmomenten)
Objekt Trägheitsmoment Ausgehend von der Drehmomentgleichung werden die allge-
Kugel (Radius R) 2MR2 =5 meinen Bewegungsgleichungen für die Rotation des starren
Kugelschale (Radien R1 < R2 ) 2M.R22 R21 /=5 Körpers abgeleitet. Im körperfesten System nehmen diese Glei-
Hohlkugel (Radius R) 2MR2 =3 chungen die einfachste Form an, da dort der Trägheitstensor
Zylinder (Radius R) MR2 =2 konstant ist. Dies führt auf die Euler-Gleichungen. Anschlie-
Zylinderschale (Radien R1 < R2 ) M.R22 R21 /=2 ßend wird die Winkelgeschwindigkeit durch die Zeitableitung
Hohlzylinder (Radius R) MR2 der Euler-Winkel ausgedrückt.
Quader entlang a-Achse (Seiten a, b, c) M.b2 C c2 /=12
Kegel (Basisradius R) 3MR2 =10
d
Frage 20 MD .!/ : (4.116)
dt
Überprüfen Sie die Rechnung in (4.113), indem Sie u D cos #
substituieren (was ein häufiger Trick ist). Als Zwischenergebnis Dies sind die Bewegungsgleichungen für die Rotation eines
findet man, dass d cos # D du D sin # d# gilt. starren Körpers in kompakter (aber für viele konkrete Rechnun-
gen unpraktischer) Form.
Frage 21
Fügt man alle Zwischenergebnisse zusammen, erhält man das Machen Sie sich klar, dass der Trägheitstensor in (4.116) wie
wichtige Ergebnis M und L ebenfalls bezüglich eines möglichen Stützpunktes de-
finiert sein muss.
0 1
2 1 0 0 2
2@
.ij / D MR 0 1 0A D MR2 I (4.114) Gleichung (4.116) nimmt in S ausgeschrieben eine eher un-
5 0 0 1 5
günstige Form an, da der Trägheitstensor dort allgemein eine
Funktion der Zeit ist. Stattdessen nutzt man aus, dass der
für den Trägheitstensor einer Kugel. Hier wurde die Gesamt- Trägheitstensor im körperfesten System S konstant ist. Die
masse der Kugel aus (4.109) verwendet. Zeitableitung wirkt dann nur auf die Winkelgeschwindigkeit.
Wir wollen (4.116) daher in S formulieren, wobei wir an-
In Aufgabe 4.3 werden einige weitere Trägheitstensoren einfa- nehmen, dass beide Ursprünge zusammenfallen (ansonsten lässt
cher Objekte berechnet. In Tab. 4.1 sind die Trägheitsmomente sich der Steiner’sche Satz anwenden). Es gilt dann wegen (2.74)
einiger wichtiger Objekte bezüglich ihrer Hauptsymmetrieach-
se zusammengefasst. R> M D R> LP C ! L : (4.117)
148 4 Starre Körper
Hier ist R die Drehmatrix (4.9), die S in S überführt. Multipli- die instantane Winkelgeschwindigkeit die Superposition dieser
kation mit R von links führt auf Einzeldrehungen um diese Achsen, also
Teil I
M D LP C ! L (4.118) P eO 3 C #.t/
w.t/ D '.t/ P eO K .t/ C P .t/ eO .t/:
3 (4.121)
Es ist zu beachten, dass L auch für M D 0 im Allgemeinen Es sei daran erinnert, dass w der abstrakte (physikalische) Vek-
nicht erhalten ist, da S kein Inertialsystem ist. tor der Winkelgeschwindigkeit ist und dass es sich bei w dt
um eine infinitesimale Drehung handelt. Wir erinnern uns an
Abschn. 2.3, wo betont wurde, dass infinitesimale Drehungen
Euler-Gleichungen für die Rotation eines starren Kör- aufgrund ihrer Linearisierung stets superponiert werden kön-
pers nen, endliche Drehungen jedoch nicht.
Die Bewegungsgleichungen für die Rotation eines starren Um die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit in S bzw. S
Körpers im körperfesten System lauten zu erhalten, muss w auf die entsprechenden Koordinatenachsen
projiziert werden. Wir beginnen mit S . Dazu müssen wir
M D !
P C ! ! : (4.119)
!i D w eO
i (4.122)
Sie entsprechen den Newton’schen Bewegungsgleichun-
gen für die Translation einer Punktmasse.
berechnen, wobei w durch (4.121) gegeben ist. Hierzu müssen
wir die Vektoren eO 3 und eO K als Linearkombination der eO
i schrei-
ben. Aus Abb. 4.3 sieht man zunächst, dass die Knotenlinie
Die Komponentenform von (4.119) erfüllt im Hauptachsensys-
tem eO K D cos eO
1 sin eO (4.123)
M1 D 1 !P 1 C !2 !3 .3 2 /; 2
besitzt.
Setzt man (4.125) in (4.120) ein, erhält man die Bewegungs-
Bewegungsgleichungen mit Euler-Winkeln gleichungen des starren Körpers ausgedrückt durch die Euler-
Winkel. Es handelt sich dabei um drei gewöhnliche Differenzi-
algleichungen zweiter Ordnung für die drei Winkelkoordinaten
Die Winkelgeschwindigkeit lässt sich durch die Euler-Winkel ', # und .
ausdrücken. Dazu überlegen wir uns, welche Rolle die Euler-
Winkel bei der Drehung des starren Körpers spielen. So haben Frage 23
wir in Abschn. 4.1 gesehen, dass ' für eine Drehung um eO 3 , # Wir benötigen diese Bewegungsgleichungen nicht, aber sie kön-
für eine Drehung um eO K (Knotenlinie) und für eine Drehung nen als Übung abgeleitet werden.
um eO
3 zuständig ist. Die drei Euler-Winkel sind unabhängige
Koordinaten, d. h., eine beliebige infinitesimale Drehung lässt
sich eindeutig durch eine Hintereinanderausführung von Ein- Die kinetische Energie der Rotation eines starren Körpers er-
zeldrehungen eO 3 d', eO K d# und eO
3 d ausdrücken. Somit ist gibt sich durch Einsetzen von (4.125) in (4.64). Für den für
4.7 Rotation des Kreisels 149
uns wichtigen Spezialfall eines symmetrischen Kreisels ( D Wir werden nun sehen, dass eine dieser Lösungen instabil sein
1 D 2 ) erhält man kann. Stellvertretend für die beiden anderen Lösungen betrach-
ten wir eine Rotation, die näherungsweise um eO
Teil I
1 erfolgt. Die
P2
3 P 2 Winkelgeschwindigkeit lautet also .!1 ; !2 ; !3 /> mit !2
TR D # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos # : (4.127)
2 2 !1 und !3 !1 . Aus der ersten Gleichung in (4.120) folgt
dann, dass die Änderung von !1 klein ist, da sie proportional
Frage 24 zu !2 und !3 ist, die beide kleine Größen sind. Wir vernach-
Überprüfen Sie die Gültigkeit von (4.127). lässigen alle Terme, die quadratisch in einer kleinen Größe
sind. Dies entspricht einer Linearisierung der Bewegungsglei-
chungen, d. h. einer Taylor-Entwicklung, die nach der linearen
Das Herunterrollen eines Zylinders auf einer schiefen Ebene Ordnung abgebrochen wird. Man kann daher davon ausge-
(was ebenfalls die Kenntnis der Trägheitsmomente erfordert) hen, dass die Drehachse für eine gewisse Zeit fast parallel zur
wird in Aufgabe 4.4 behandelt. ersten Hauptachse ausgerichtet bleibt. Ob die durch !2 und
!3 definierte „Störung“ der Drehachse klein bleibt oder an-
wächst, entscheidet schließlich darüber, was mit der Drehachse
geschehen wird. Dies kann man an den übrigen beiden Bewe-
4.7 Rotation des Kreisels gungsgleichungen erkennen.
Man kann für M D 0 die zweite und dritte Gleichung in
Das Lösen der Bewegungsgleichungen eines Kreisels ist im All- (4.120) durch einmaliges Ableiten zu
gemeinen sehr aufwendig. Es gibt allerdings einige verhältnis-
mäßig einfache Fälle, die in diesem Abschnitt diskutiert werden. !R 2 D 2 !2 (4.129)
Dies sind die freien Rotationen um jeweils eine der Hauptach-
sen einschließlich einer Stabilitätsanalyse und die freie Rotation kombinieren (analog ist auch ein Ausdruck für !3 möglich).
eines symmetrischen Kreisels. An diesen Beispielen lassen sich
bereits die wesentlichen Eigenschaften der Kreiselbewegung Frage 25
verdeutlichen, ohne die Mathematik zu sehr zu strapazieren. Zeigen Sie (4.129). Nehmen Sie dabei an, dass !P 1 vernachläs-
Dazu gehört die Präzession, die in der Astronomie eine Rolle sigbar klein ist, was anfangs der Fall ist. Es gilt dabei
spielt.
.1 3 /.1 2 / 2
Weiterhin wird die Rotation eines schweren symmetrischen 2 D !1 : (4.130)
Kreisels im homogenen Gravitationsfeld angesprochen. Auf ei- 2 3
ne allgemeine Diskussion unsymmetrischer Kreisel verzichten
wir an dieser Stelle. Sie ist für eine Einführung nicht geeignet
und wird in Fachbüchern oder -artikeln behandelt (z. B. Klein & Die Lösung von (4.129) ist eine Oszillation, wenn 2 positiv
Sommerfeld 1965; Gebelein 1932). ist (siehe (1.102)). In diesem Fall ist die Störung periodisch
und die Bewegung des starren Körpers stabil. Man kann sich
leicht davon überzeugen, dass 2 > 0 erfüllt ist, falls 1
das größte oder das kleinste Trägheitsmoment ist. Ist hinge-
Stabilität der Rotation des kräftefreien Kreisels gen 1 das mittlere Trägheitsmoment, so ist 2 < 0, und
um seine Hauptachsen die Lösung von (4.129) ist eine Exponentialfunktion der Form
!2 D AC eCjjt C A ejjt . Dies wird im Allgemeinen zu
einer exponentiell wachsenden Störung führen, sodass die Be-
Hier und im Folgenden konzentrieren wir uns auf die Untersu- wegung letztlich instabil ist. Man kann dies leicht mit einem
chung der Rotation. Wir nehmen an, dass die Translationsbe- Buch (besser nicht mit diesem!) ausprobieren, das man mit ei-
wegung entweder entkoppelt oder der Kreisel an einem Punkt nem Drall in die Luft wirft.
unterstützt ist. Beide Fälle führen auf die gleichen Bewegungs-
gleichungen.
Es gibt drei triviale Lösungen für die Rotation eines kräftefreien Stabilität der Rotation eines kräftefreien Kreisels
Kreisels (M D 0). Offensichtlich erlauben die Bewegungsglei-
Die Rotation eines kräftefreien Kreisels ist stabil, wenn
chungen in (4.120) die drei Lösungen
sie um die Hauptachse mit dem kleinsten oder größten
!1 D const; !2 D !3 D 0 (4.128) Trägheitsmoment erfolgt. Im anderen Fall ist die Bewe-
gung instabil.
und zyklisch permutiert. Dies entspricht jeweils einer reinen
Drehung um eine der Hauptachsen. In der Realität wird eine
Kreiselrotation niemals exakt um eine der Hauptachsen erfol- Stabilitätsanalysen dieser Art sind sehr wichtig; man findet sie
gen. häufig in der Physik. Dabei werden die Bewegungsgleichungen
150 4 Starre Körper
!∗
Der kräftefreie symmetrische Kreisel ϑ θPK
!P 1 D !2 !3 . 3 /;
!P 2 D !1 !3 .3 /; (4.131)
3 !P 3 D 0:
Abb. 4.8 Im körperfesten System des kräftefreien symmetrischen Kreisels prä-
zedieren sowohl der Drehimpuls L als auch die Winkelgeschwindigkeit ! um
Man nennt die Symmetrieachse eO
3 auch die Figurenachse eines die Figurenachse eO
3 . Der durch ! gebildete Kegel ist der Polkegel, der durch
symmetrischen Kreisels. L gebildete Kegel der Präzessionskegel. Beide haben in der Regel verschiedene
Öffnungswinkel
Zunächst stellen wir fest, dass !3 eine Konstante ist. Ähnlich
wie bei der Argumentation, die auf (4.129) geführt hat, findet
man hier
3 2 Allerdings präzediert der Vektor der Winkelgeschwindigkeit
!R 1 D !3 !1 (4.132) ! in S mit der Frequenz um eO
3 (Abb. 4.8), d. h., ! dreht
sich auf einem Kegel, dem sogenannten Polkegel oder auch
und einen analogen Ausdruck für !2 . Dies führt offensichtlich Gangpolkegel, um die Figurenachse. Hier ist !? der konstan-
auf eine harmonische Schwingung mit Kreisfrequenz te Betrag des Anteils der Winkelgeschwindigkeit, der senkrecht
auf der Figurenachse steht. Wir wählen nun S so, dass 0 D 0
3 ist. Dies ist aufgrund der Symmetrie des Kreisels (Invarianz un-
D !3 : (4.133) ter Drehungen in der eO e
1 -O 2 -Ebene) stets möglich.
L D L 2 2
2 2 2 2 2 2
Es folgt direkt, dass die Winkelgeschwindigkeit dem Betrag 1 C L2 C L3 D !? C 3 !3 : (4.138)
nach konstant ist:
Der Winkel # ist gerade der Winkel zwischen Drehimpuls und
! D !1 C !2 C !3 D !?
C !3 D const: (4.136) der Figurenachse. Wir wissen, dass der Drehimpuls in S um eO
2 2 2 2 2 2
3
4.7 Rotation des Kreisels 151
Teil I
L !?
# D arctan ? D arctan ; (4.139) Ein kräftefreier symmetrischer Kreisel erlaubt die Lösung
L3 3 !3
wobei L #.t/ D #0 ; .t/ D t C 0; '.t/ D 0 t C '0
? der Anteil des Drehimpulses ist, der senkrecht auf
der Figurenachse steht. Der Euler-Winkel # definiert somit den (4.145)
Öffnungswinkel des sogenannten Präzessionskegels. Die Win- für die Euler-Winkel.
kel, die ! und L jeweils mit der eO
3 -Achse einschließen ( PK
und #), sind nicht identisch, was man an einem Vergleich von
In Aufgabe 4.6 wird außerdem gezeigt, dass
(4.137) und (4.139) erkennt.
Bis zu diesem Punkt haben wir untersucht, wie sich die Dreh- L
0 D (4.146)
achse in S verhält. Doch wie sieht die Kreiselbewegung vom
raumfesten System S aus gesehen aus? In S ist der Drehimpuls
L eine Erhaltungsgröße, nicht jedoch die Winkelgeschwindig- ist, wobei L D jLj der Betrag des Drehimpulses ist.
keit !. Wir beginnen zunächst mit der willkürlichen Festlegung, Aus Abb. 4.3 erkennt man, dass sich die Knotenlinie eO K mit
dass der Drehimpulsvektor des Kreisels entlang eO 3 zeigt, also einer festen Frequenz 'P D 0 in der durch eO 1 und eO 2 auf-
L D L eO 3 D const. gespannten Ebene und damit um eO 3 dreht. Wegen eO K .t/ D
eO 3 eO O
3 .t/ muss sich daher e
0
3 mit derselben Frequenz um
Frage 28
eO 3 auf dem Präzessionskegel bewegen.
Machen Sie sich klar, dass aus L D const wegen L D ! im
Allgemeinen ! 6D const folgt.
Präzession der Figurenachse im raumfesten System
Es bleibt noch die Zeitabhängigkeit der beiden übrigen Eu- Die Figurenachse (Symmetrieachse) des kräftefreien
ler’schen Winkel zu bestimmen. Ausgehend von (4.125) und Kreisels präzediert im raumfesten System S mit der Fre-
#P D 0 sieht man zunächst quenz
0 1 0 1 0 1 0 1 3 !3 L
!1 sin sin # 0 !? sin .t/ 0 D D (4.147)
cos #
@!2 A D 'P @cos sin # A C P @0A D @! cos .t/A :
?
!3 cos # 1 const um die Drehimpulsachse.
(4.140)
Dies ist scheinbar ein Widerspruch zu dem vorherigen Ergebnis,
Die ersten beiden Komponenten dieser Gleichung können we- dass sich der Drehimpuls in S (parallel zu eO 3 ) mit der Frequenz
gen der Konstanz von # nur dann zu jedem Zeitpunkt erfüllt (und nicht 0 !) um die Figurenachse (parallel zu eO 3 ) dreht.
sein, wenn Tatsächlich sind beide Ergebnisse korrekt. Dies wird in Aufgabe
P D D const 4.6 noch genauer betrachtet.
D t H) (4.141)
Abschließend stellen wir fest, dass in S der Vektor der Winkel-
und geschwindigkeit um die Drehimpulsachse (Oe3 -Achse) präzediert
!?
'P D D const (4.142) und sich dabei auf dem Spurkegel (auch Rastpolkegel genannt)
sin # bewegt. Aus (4.126) kann man ablesen, dass diese Präzession
sind. Damit ist auch die Gleichung für die dritte Komponente mit der Frequenz 'P D 0 erfolgt und dass der Öffnungswinkel
automatisch erfüllt.
P sin # sin #
Frage 29 D arctan D arctan 0 (4.148)
'P C P cos #
SK
C cos #
Zeigen Sie mithilfe von (4.139), dass man (4.142) in der Form
ist. Die gefundenen Präzessionensbewegungen sind in Tab. 4.2
'.t/ D 0 t C '0 (4.143) zusammengefasst und in Abb. 4.9 grafisch dargestellt.
schreiben kann, wobei
Erde als Kreisel: Polbewegung
3 !3
0 D (4.144)
cos # Die Erde kann in erster Näherung als ein leicht ab-
geplatteter, kräftefreier symmetrischer Kreisel betrachtet
gilt. Nutzen Sie dabei tan # D sin #= cos # aus.
152 4 Starre Körper
einem Kegel mit gegebenem Öffnungswinkel um eine andere Achse mit einer
festen Frequenz. Der Drehimpuls zeigt in Richtung von eO 3 , die Figurenachse in
oder geologische Aktivität).
Richtung von eO
3 . Das Koordinatensystem (S oder S ) gibt an, in welchem Sys- Tatsächlich ist die Erde jedoch kein kräftefreier Kreisel.
tem diese Präzession beobachtet wird
Letztlich üben Sonne und Mond auf die Erde Drehmo-
Beschreibung Winkel Achsen Frequenz System mente aus. Dies führt zu einer seit der Antike bekannten
Präzessionskegel # eO
3 um eO3 0 S Präzession der Erdachse, die wesentlich stärker als die
Präzessionskegel # eO3 um eO
3 S hier beschriebene Polbewegung ist, aber eine deutlich
Polkegel PK ! um eO 3 S längere Periode besitzt. Dies wird in Aufgabe 4.7 vertieft.
Spurkegel SK ! um eO 3 0 S J
b3 , L
e
!∗
Präzessionskegel b∗
e 3
Der schwere symmetrische Kreisel
b3
e ist nicht der Fall, da die kinetische Energie, die in der Rotation
steckt, bezüglich des ruhenden Unterstützungspunktes angege-
Teil I
ben wurde. Offensichtlich kann dies nur korrekt sein, wenn der
b∗
e 3 Trägheitstensor bezüglich dieses Punktes verwendet wird. Ge-
nau das hatten wir am Anfang allerdings verlangt. J
Wir geben nun die drei gefundenen Erhaltungsgrößen als Funk-
tion der Euler-Winkel an. Gleichung (4.125) führt direkt auf
L
3 D 3 !3 D 3 ' P cos # C P D const: (4.155)
M
X Für die Komponente L3 des Drehimpulses in S findet man zu-
nächst wegen (4.12)
L3 D eO 3 L D eO 3 eO
i Li D ri3 Li : (4.156)
FG
Dies lässt sich umschreiben in
O, O ∗
L3 D r13 !1 C r23 !2 C 3 r33 !3
Abb. 4.10 Schwerer Kreisel betrachtet im Laborsystem S. Der schwere Krei-
sel ist an einem Punkt unterstützt, der sowohl dem Ursprung O von S als auch D .r13 !1 C r23 !2 C r33 !3 / C .3 /r33 !3
dem Ursprung O des körperfesten Systems S entspricht. Der Schwerpunkt D !3 C .3 /r33 !3 D !3 C .3 /!3 cos #:
befindet sich am Ort X. Auf ihn wirkt die Gravitationskraft FG entlang der ne- (4.157)
gativen eO 3 -Achse. Dies führt zu einem Drehmoment M, das aus der Papierebene In der dritten Zeile wurde rij ! 1
hinauszeigt. Die Figurenachse des Kreisels ist eO i D !j , d. h. R ! D !, und im
3
letzten Schritt r33 D cos # ausgenutzt. Es lassen sich schließlich
noch !3 und !3 mit (4.125), (4.126) und (4.155) ersetzen:
Daraus ergibt sich das Drehmoment L3 D 'P sin2 # C L
3 cos # D const: (4.158)
M D X F D mgR eO
3 e
O3: (4.151)
Frage 31
Das Drehmoment steht somit senkrecht auf der Figurenachse Rechnen Sie alle Schritte nach, die auf (4.158) führen.
und der Wirkungsrichtung der Gravitationskraft. Offensichtlich
sind dann die Projektionen
Die Energie ist wegen (4.127) und eO 3 eO
3 D cos #
L3 D L eO 3 L DL eO
P2
und 3 3 (4.152) 2
3 P
ED # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos # C mgR cos #
konstant, wobei L der abstrakte Drehimpulsvektor ist. Wir ha- 2 2
ben also zwei Konstanten der Bewegung gefunden. Da das D const:
homogene Gravitationsfeld konservativ ist, ist auch die Ge- (4.159)
samtenergie E des Kreisels konstant. Sie ist die Summe aus P
Man kann sowohl 'P als auch aus der Energie eliminieren und
kinetischer und potenzieller Energie. Die potenzielle Energie ist durch die konstanten Drehimpulse ersetzen. Dies führt auf die
V D mg eO 3 X D mgR eO 3 eO Differenzialgleichung
3: (4.153)
Veff (u) die potenzielle Energie der Variablen u auffassen und die mög-
lichen Bewegungen von u qualitativ bzw. grafisch untersuchen.
Teil I
Frage 32
Schauen Sie sich die grafische Diskussion der Bewegung im ef-
fektiven Potenzial in Abschn. 3.2 erneut an. Wie kann man die
dortigen Ergebnisse auf das Problem hier anwenden?
−1 u1 u2 1 u
a b3
e b b3
e c b3
e
ϑ1 ϑ1 ϑ1
ϑ2 ϑ2 ϑ2
b∗
e 3
Abb. 4.12 Nutation des schweren symmetrischen Kreisels. Der Schnittpunkt der Figurenachse eO 3 (blau ) mit der Einheitskugel um den Unterstützungspunkt (gelb )
bewegt sich im Laufe der Zeit und bildet den Locus (rot ). Je nach Wahl der Anfangsbedingungen sind verschiedene Bewegungsformen möglich. Die Winkelgeschwin-
digkeit 'P ändert ihr Vorzeichen in a nicht. In b verschwindet 'P für # D #1 . In c ändert 'P das Vorzeichen während der Nutation
4.7 Rotation des Kreisels 155
Teil I
L auf die Erdachse haben.
'P D 3
.cos L cos /: (4.166)
sin2 # Man könnte naiv erwarten, dass der Kreisel aufgrund der Gravi-
tation umfällt. Dies kann aber wegen der Drehimpulserhaltung
Nun unterscheiden wir drei Fälle: nicht geschehen. Ein schwerer Kreisel, der im Idealfall keinen
Reibungskräften ausgesetzt ist, fällt niemals um. Stattdessen
1. #L < #1 < #2 oder #1 < #2 < #L : Hier ändert sich das Vor- weicht die Figurenachse seitlich aus, und es kommt zur Präzes-
zeichen von 'P niemals, und der Locus bewegt sich gemäß sion.
Abb. 4.12a.
2. #L D #1 oder #L D #2 : Dies führt auf eine Bewegung wie Die Dynamik von ist weniger wichtig, da sie nur die Rota-
in Abb. 4.12b, bei der periodisch #P und 'P gleichzeitig ver- tion des Kreisels um seine eigene Achse beschreibt und keinen
schwinden. Einfluss auf den Locus nimmt. Falls gewünscht, folgt die Bewe-
3. #1 < #L < #2 : In diesem Fall ändert 'P während der Nutation gung von aus (4.155) und (4.158).
das Vorzeichen. Der Locus hat dann eine ähnliche Gestalt Frage 33
wir in Abb. 4.12c.
Man hätte statt des hier vorgestellten Lösungsweges direkt die
Euler-Gleichungen aufintegrieren können. Warum ist dies nicht
Die Anfangsbedingungen lassen sich so wählen, dass u1 D u2 zu empfehlen?
gilt. Dann sind # und 'P beide konstant, und man spricht von
156 4 Starre Körper
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
4.1 Eigenschaften des Trägheitstensors Man (c) einen Hohlzylinder mit Höhe H und Radius R (Masse M ver-
zeige, dass ein beliebiger Trägheitstensor folgende Eigenschaf- teilt auf der unendlich dünnen Mantelfäche),
ten besitzt: (d) einen Kreiskegel mit Höhe H und Basisradius R.
(a) Alle Trägheitsmomente (Diagonalelemente) sind nichtnega- Für welches Verhältnis H=R handelt es sich bei den letzten drei
tiv. Beispielen um Kugelkreisel?
(b) Kein Trägheitsmoment ist größer als die Summe der übrigen
beiden. Lösungshinweis: Verwenden Sie jeweils das auf das Problem
angepasste Koordinatensystem. Zur Behandlung der Kugel-
Lösungshinweis: Am besten verwendet man zur Lösung der schale und des Hohlzylinders ist es ratsam, die Massendichte
Aufgabe entweder (4.18) oder (4.82). durch eine Oberflächenmassendichte .x/ D const zu ersetzen.
4.2 Orthogonalität der Eigenvektoren Zeigen In der Integration ist dann statt des Volumenintegrals ein Ober-
Sie, dass die Eigenvektoren zu nichtentarteten (ungleichen) Ei- flächenintegral bei konstantem Radius R zu berechnen. Legen
genwerten einer symmetrischen Matrix A orthogonal sind. Sie für die Berechnung des Kegels den Ursprung zunächst in
die Spitze des Kegels. Sie dürfen weiterhin verwenden, dass der
Lösungshinweis: Zeigen Sie zunächst, dass für zwei Eigen- Schwerpunkt des Kegels von der Spitze (z D 0) aus gesehen bei
vektoren v 1 und v 2 immer .Av 1 / v 2 D .Av 2 / v 1 gilt. Weitere z D 3H=4 liegt.
Eigenschaften von symmetrischen Matrizen werden in Kap. 23
besprochen. 4.4 Rollender Zylinder Ein anfänglich ruhender
Zylinder rolle eine schiefe Ebene hinunter (Abb. 4.13). Seine
4.3 Berechnung von Trägheitstensoren Um die
Drehachse sei dabei exakt quer zur Neigung ausgerichtet. Der
Anwendung von Volumenintegralen zu vertiefen, bietet es sich
Neigungswinkel der Ebene ist ˛. Der Zylinder hat eine homo-
an, die Trägheitstensoren einiger einfacher Objekte mit homo-
gene Dichte, Masse M und Radius R.
gener Massendichte zu bestimmen. Berechnen Sie den Träg-
heitstensor bezüglich des Schwerpunktes für (a) Wenn man annimmt, dass der Zylinder rollt und nicht glei-
(a) eine Kugelschale mit Radius R (Masse M verteilt auf der un- tet, welche Relation gilt dann zwischen der Geschwindigkeit
endlich dünnen Kugeloberfläche), V, mit der sich der Schwerpunkt bewegt, und der Winkelge-
(b) einen Zylinder mit Höhe H und Radius R, schwindigkeit ! des Zylinders um den Schwerpunkt?
(b) Bestimmen Sie die kinetische Energie des Zylinders, die
sich aus der Translations- und Rotationsenergie ergibt.
M (c) Wie groß ist die Komponente der nach unten zeigenden Gra-
vitationskraft jFG j D Mg entlang der schiefen Ebene?
(d) Wie stark wird der Schwerpunkt des Zylinders entlang der
ω R V
schiefen Ebene beschleunigt? Nutzen Sie dazu die Energie-
erhaltung aus. Interpretieren Sie Ihr Ergebnis.
bezüglich seines Schwerpunktes vor. Der Fixpunkt liege im (d) Scheinbar kann die Frequenz 0 beliebig groß werden, wenn
Ursprung O des raumfesten Systems S, und der Schwerpunkt cos # ! 0. Zeigen Sie, dass 0 D L= ist, und begründen
Sie damit, warum 0 stets endlich bleibt.
Teil I
befinde sich am Ort X.t/. Die Drehachse sei eO 2 in S. Es wir-
ke die Schwerkraft FG D Mg eO 3 , wobei M die Gesamtmasse (e) Mit den erhaltenen Zwischenergebnissen ist es relativ leicht,
des starren Körpers ist. Der Winkel zwischen Oe3 und X ist ˛, die Gültigkeit von (4.126) zu zeigen: Berechnen Sie die
sodass ˛ D 0 der Ruhelage entspricht. Komponenten der Winkelgeschwindigkeit ! in S. Gehen Sie
dabei von (4.121) aus.
b3
e
4.7 Erde als schwerer Kreisel Hätte die Erde ei-
ne perfekt kugelförmige (d. h. isotrope) Massenverteilung, so
könnten weder Mond noch Sonne ein Drehmoment auf die Erde
ausüben. Allerdings ist die Erde ein abgeflachtes Ellipsoid mit
O b1
e 1
α D 3 > 0; : (4.167)
300
Die Erde erfährt daher Drehmomente aufgrund der Gravitati-
X
onskräfte von Sonne und Mond. Diese lassen sich näherungs-
weise durch
3GMi
Mi D cos #0 .Oe
3 e
O 3/ (4.168)
2di3
beschreiben. Das ungestrichene Inertialsystem sei das des Son-
FG
nensystems. Der Index i steht für „Sonne“ oder „Mond“. Der
Winkel #0 D 23; 5ı ist die Neigung der Erdachse bezüglich
ihrer Umlaufebene um die Sonne, in welcher sich in guter Nä-
Abb. 4.14 Physikalisches Pendel aus dem Laborsystem S beobachtet. Das herung auch der Mond befindet. Die restlichen Größen sind die
Pendel ist an einem Punkt O (Ursprung von S) aufgehängt, der Schwerpunkt Gravitationskonstante G, die Abstände di zu Sonne bzw. Mond
befindet sich am Ort X. Durch die Gravitationskraft FG kommt es zu einer sowie die Massen Mi von Sonne bzw. Mond. Wir nehmen hier
Schwingung in der eO 1 -Oe3 -Ebene an, dass die Figurenachse der Erde mit der Drehimpulsachse zu-
(a) Wie groß ist das Trägheitsmoment des starren Körpers be- sammenfällt, d. h.
züglich der Drehachse und des Fixpunktes? L D LOe
3: (4.169)
(b) Wie lautet die Drehmomentgleichung in diesem Fall? Der Richtungsvektor eO 3 steht senkrecht auf der Umlaufebene;
(c) Lösen Sie die Bewegungsgleichung unter der Annahme, somit ist #0 auch der Winkel zwischen eO 3 und eO
3.
dass der Winkel ˛ klein ist und deshalb die auftretende tri-
gonometrische Funktion linearisiert werden kann. (a) Zeigen Sie, dass die beiden Drehmomente (4.168) den Be-
(d) Würde es die Schwingungsdauer beeinflussen, wenn der trag des Drehimpulses der Erde nicht beeinflussen.
starre Körper durch einen anderen starren Körper aus ei- (b) Zeigen Sie
nem anderen Material ersetzt wird, der jedoch exakt dieselbe
L3 D L eO 3 D L cos #0 D const: (4.170)
Form besitzt? Nehmen Sie dabei an, dass die jeweiligen Kör-
per homogen sind. Da aus der ersten Teilaufgabe L D const folgt, muss der
Neigungswinkel #0 ebenfalls konstant sein.
4.6 Kräftefreier symmetrischer Kreisel Die Ro- (c) Wir wollen nun untersuchen, wie schnell die Figurenachse
tation des kräftefreien symmetrischen Kreisels soll genauer der Erde im Raum (d. h. im ungestrichenen Inertialsystem)
untersucht werden. präzediert. Finden Sie dazu einen Ausdruck für dOe
3 =dt und
bringen Sie ihn in die Form
(a) Entwickeln Sie die Figurenachse eO 3 nach den Basisvektoren dOe
eO i im raumfesten System S und die Drehimpulsachse eO 3 nach 3
D !P eO
3: (4.171)
den Basisvektoren eO
i im körperfesten System S . Verwen-
dt
den Sie dazu die Transformationsmatrix R in (4.9). Hier ist !P gerade die gesuchte Präzessionsfrequenz der
(b) Zeigen Sie, dass sowohl eO O 3 in S präzediert,
3 in S als auch e Erdachse aufgrund der Drehmomente, die von Sonne und
und geben Sie jeweils die Präzessionsfrequenz an. Beachten Mond erzeugt werden. Bestimmen Sie den funktionalen
Sie dabei die Lösung der Euler-Winkel in (4.145). Ausdruck für !P . Ermitteln Sie die Beiträge von Sonne und
(c) Begründen Sie anhand der Struktur der Matrix R, dass beide Mond einzeln. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse qualitativ mit
Frequenzen nicht identisch sind. Wie groß ist ihr Verhältnis? den Gezeitenkräften in Abschn. 3.6.
Wie lautet die Bedingung, dass beide Frequenzen identisch (d) Welcher numerische Wert von !P D j!P j ergibt sich da-
sind? durch?
158 4 Starre Körper
4.1 Für die Lösung benutzen wir (4.82), was die Gültigkeit eine Kugelschale mit Radius R konzentriert ist, lautet das
nicht einschränkt. Integral in Kugelkoordinaten
Z Z2
(a) Wir berechnen
Z 33 D d# d' 1 cos2 # R4 sin #: (4.177)
11 D dV .x/ x21 C x22 C x23 x21 0 0
Z Wie bereits im Text gesehen ist das Integral für die #-Inte-
D dV .x/ x22 C x23 ; gration
Z (4.172)
Z
22 D dV .x/ x21 C x23 ;
d# 1 cos2 # sin #
Z
0
33 D dV .x/ x21 C x22 : (4.178)
ZC1
4
D d cos # 1 cos2 # D :
Offensichtlich müssen die Trägheitsmomente positiv sein, 3
da alle x2i und .x/ stets positiv sind. 1
(b) Mit dem Teilergebnis aus der ersten Aufgabe findet man Die '-Integration liefert einen Faktor 2 . Somit lautet das
Z Ergebnis
8 2
11 C 22 D dV .x/ x21 C x22 C 2x23 33 : (4.173) 33 D R4 D MR2 : (4.179)
3 3
Dieses Ergebnis ist ohne Einschränkung auf die anderen Im letzten Schritt wurde ausgenutzt, dass die Gesamtmasse
Trägheitsmomente übertragbar. M auf einer Kugelschale mit Oberfläche 4 R2 verteilt ist:
M D 4 R2 : (4.180)
4.2 Wir betrachten eine symmetrische Matrix A und zwei ihrer
Die Trägheitsmomente einer Kugelschale sind also um einen
Eigenwerte (1 6D 2 ) und dazugehörigen Eigenvektoren (v 1 ,
Faktor 5=3 größer als die einer Vollkugel mit gleichen M
v 2 ). Es gilt
und R. Der Grund ist, dass bei der Kugelschale die Massen-
Av 1 D 1 v 1 ;
(4.174) elemente im Mittel weiter vom Mittelpunkt entfernt sind.
Av 2 D 2 v 2 : (b) Für einen Zylinder bieten sich Zylinderkoordinaten an. Legt
Wir multiplizieren nun die erste Gleichung mit v 2 und die man den Ursprung in den Schwerpunkt und die z- bzw. x3 -
zweite mit v 1 und berechnen die Differenz der resultierenden Achse entlang der Zylinderachse, verschwinden alle Devia-
Gleichungen. Dabei nutzen wir aus, dass die Matrix symme- tionsmomente. Dies liegt daran, dass diese Koordinatenwahl
trisch ist, d. h. bereits den Hauptachsen angepasst ist. Wir verzichten daher
auf eine Berechnung der Deviationsmomente; der interes-
.Av 1 / v 2 D A˛ˇ v1;ˇ v2;˛ D Aˇ˛ v2;˛ v1;ˇ D .Av 2 / v 1 : sierte Leser kann dies aber gerne überprüfen. Aufgrund der
(4.175) Symmetrie sind zwei Trägheitsmomente identisch, 11 D
Es folgt 22 . Das dritte, 33 , wird sich im Allgemeinen davon unter-
scheiden. Wir beginnen mit der Berechnung von 11 :
0 D 1 v 1 v 2 2 v 2 v 1 D .1 2 /v 1 v 2 : (4.176) ZR Z2 ZH=2
11 D d% d' dz % %2 sin2 ' C z2 : (4.181)
Da die Eigenwerte nicht entartet sind, müssen die Eigenvekto-
ren orthogonal sein. 0 0 H=2
Teil I
wir kein Koordinatensystem kennengelernt, das der Kegel-
1 4 1 2 3
11 D d' R H sin ' C R H :
2
(4.183) form direkt angepasst ist. Allerdings kann man mit relativ
4 24 wenig Aufwand und Zylinderkoordinaten das Problem lö-
0
sen. Hierzu legt man den Ursprung zunächst in die Spitze des
Eine Stammfunktion von sin2 ' ist .' sin ' cos '/=2. Der Kegels und denkt ihn sich sozusagen auf den Kopf gestellt.
zweite Term darin trägt nicht zum Integral bei, da er sowohl Dann ist die Höhe eine Funktion des Radius bzw. umgekehrt.
für ' D 0 als auch für ' D 2 verschwindet. Daher ist In diesem Fall parametrisieren wir den Radius als
R
11 D R4 H C R2 H 3 R.z/ D z: (4.190)
H
4 12
(4.184)
1 2 1 2
DM R C H ; Man sieht daran sofort, dass am Boden des Zylinders (z D
4 12 H) der Radius % D R erreicht wird. Ansonsten ist die Be-
rechnung ähnlich wie beim Zylinder, allerdings sind die
wobei M D R2 H für die Zylindermasse eingesetzt wur-
Grenzen der z-Integration andere:
de. Für das dritte Trägheitsmoment gilt
ZH ZR.z/ Z2
ZR Z2 ZH=2
11 D dz d% d' % %2 sin2 ' C z2 : (4.191)
33 D d% d' dz %3
(4.185) 0 0 0
0 0 H=2
1 Wir führen wie gewohnt die %- und '-Integrationen durch:
D R4 H D MR2 :
2 2
ZH
Offensichtlich ist ein Zylinder ein Kugelkreisel (11 D
11 D dz R4 .z/ C z2 R2 .z/ : (4.192)
33 ), wenn H 2 D 3R2 erfüllt ist. 4
(c) Die Berechnung für einen Hohlzylinder erfordert erneut eine 0
33 D d' dz R D 2 R H D MR :
3 3 2
(4.189) Dies führt auf
0 H=2
ZH
R4 4 3
Ein Hohlzylinder mit H 2 D 6R2 ist demnach ein Kugelkrei- 33 D dz z D R4 H D MR2 : (4.197)
2 H4 10 10
sel. 0
160 4 Starre Körper
Man beachte, dass der Trägheitstensor bezüglich der Spit- (d) Unter Vernachlässigung von Reibungskräften entspricht die
ze und nicht des Schwerpunktes berechnet wurde. Mit dem Abnahme der potenziellen Energie beim Herabrollen gerade
Teil I
Steiner’schen Satz lässt sich der Trägheitstensor bezüglich der Zunahme der kinetischen Energie. Der Potenzialnull-
des Schwerpunktes angeben. Da der Schwerpunkt genau punkt kann beliebig verschoben werden, sodass wir
wie die Spitze ebenfalls auf der x3 -Achse liegt, ändert sich
das Trägheitsmoment 33 dabei nicht. Der Schwerpunkt ei- 3
0DED MV 2 C Mgh (4.205)
nes Kegels liegt von der Spitze (z D 0) aus gesehen bei 4
z D 3H=4. Daher muss 11 um den Term 9MH 2 =16 ver- für die Energie E schreiben können, wobei h < 0 die Höhe
kleinert werden. Dies führt auf des Schwerpunktes bezüglich der Anfangslage ist. Aufgrund
der Geometrie ist die zurückgelegte Strecke entlang der Ebe-
3 1
11 D M R2 C H 2 : (4.198) ne
20 4 h
sD : (4.206)
sin ˛
Für H D 2R ist ein Kreiskegel ein Kugelkreisel.
Dabei gilt außerdem
und somit
(a) Der Zylinderschwerpunkt legt in einem infinitesimalen Zeit- 3 2
intervall die Strecke ds D V dt zurück. Dies muss gleichzei- sP C gs sin ˛ D 0: (4.208)
4
tig der abgerollten Bogenlänge entsprechen. In der gleichen
Einmaliges Ableiten nach der Zeit ergibt
Zeit muss er sich um einen Winkel d' D ! dt drehen. Win-
kel und Bogenlänge sind über ds D R d' verknüpft. Daher 3
folgt sPsR D gPs sin ˛ (4.209)
2
V D R!: (4.199)
und schließlich
(b) Die kinetische Energie der Translation ist
2
sR D sin ˛g < 0: (4.210)
1 3
TS D MV 2 : (4.200)
2 Die Beschleunigung ist dem Betrage nach aus zwei Gründen
geringer als die beim freien Fall: Zum einen wirkt auf-
Für die Rotation gilt grund der schiefen Ebene nur ein Teil der Gewichtskraft
entlang der Ebene. Andererseits beansprucht die Drehbe-
1 wegung einen Teil der kinetischen Energie, welcher der
TR D ! 2 ; (4.201)
2 Schwerpunktsbewegung fehlt.
wobei das Trägheitsmoment bezüglich des Schwerpunk-
tes für eine Drehung um die Symmetrieachse ist. Aus der 4.5
vorherigen Aufgabe bzw. aus der Literatur wissen wir, dass
(a) Zunächst berechnen wir das Trägheitsmoment bezüglich der
1 Drehachse eO 2 . Offensichtlich ist
D MR2 (4.202)
2 Oe2 D eO >
2 e
O2: (4.211)
ist. Insgesamt gilt also Der Steiner’sche Satz erlaubt die Berechnung des Trägheits-
moments bezüglich des Fixpunktes,
1 1 3
TD MV 2 C MR2 ! 2 D MV 2 : (4.203)
2 4 4 F D Oe2 C MR2 ; (4.212)
Der Zylinder hat daher eine um den Faktor 3=2 höhere ki- wobei R D jXj ist. Das Trägheitsmoment F ist in S kon-
netische Energie als eine Punktmasse M mit der gleichen stant, da R2 konstant ist.
Geschwindigkeit V. (b) Das wirkende Drehmoment ist
(c) Die auf den Zylinder wirkende Kraft lässt sich in zwei An-
teile zerlegen. Eine Komponente wirkt senkrecht auf die M D R FG D MgR eO 3 D MgR sin ˛ eO 2 : (4.213)
schiefe Ebene und trägt nicht zur Beschleunigung bei. Die
andere wirkt parallel zur schiefen Ebene. Dies führt auf eine Die relevante Komponente der Drehmomentgleichung lautet
Kraft dann
d
F D Mg sin ˛: (4.204) MgR sin ˛ D .F !2 / : (4.214)
dt
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 161
Wir nutzen aus, dass F konstant ist, und identifizieren !P 2 D (c) Offensichtlich unterscheiden sich die beiden Oszillationsfre-
˛.
R Damit folgt schließlich quenzen P und 'P dem Betrag nach. Dies liegt daran, dass die
Teil I
Matrix R nicht symmetrisch ist. Im einen Fall wird die drit-
MgR sin ˛ D F ˛:
R (4.215) te Zeile, im anderen die dritte Spalte für die Transformation
(c) Für kleine Winkel ˛ ist verwendet. Das Verhältnis der beiden Frequenzen lautet
sin ˛ ˛ (4.216) P 3
D cos #: (4.224)
eine gute Näherung. Damit erhält man die Bewegungsglei- 'P 3
chung eines harmonischen Oszillators,
Je nach der Art des Kreisels (oblat, < 3 , oder prolat,
˛R D 2 ˛ (4.217) > 3 ) und der Neigung # der Figurenachse zur Drehim-
mit pulsachse kann der Quotient beliebige positive oder negative
MgR Werte annehmen. Beide Frequenzen sind dem Betrag nach
2 D : (4.218) identisch, wenn
F
3
Die Lösung ist cos # D (4.225)
3
˛.t/ D ˛O sin .t C 0/ : (4.219)
gilt.
Die Integrationskonstanten (maximale Auslenkung ˛O und (d) Die Frequenz 0 lässt sich in der Form
Phasenwinkel 0 ) sind aus den Anfangsbedingungen zu be-
stimmen. L
(d) (und damit auch die Schwingungsdauer) würde unver- 0 D 3
(4.226)
ändert bleiben, da das Trägheitsmoment proportional zur cos #
Gesamtmasse ist, F / M.
schreiben. Der Drehimpuls ist entlang eO 3 ausgerichtet, L D
L eO 3 . Der Grenzfall cos # ! 0 entspricht # ! 90ı . Ande-
4.6 rerseits folgt aus (4.221), dass die Projektion von L auf die
(a) Wir beginnen mit (4.12), was auf unser Problem angewandt Figurenachse eO 3 ebenfalls cos # ist:
eO
i e
O 3 D ri3 und eO
3 e
Oj D r3j L O
3 DLe3 D L cos #
(4.220) (4.227)
ergibt. Dies bedeutet, dass die Entwicklungskoeffizienten
von eO 3 in der Basis von S gerade durch die drei Matrixele- Somit ist
L
mente ri3 gegeben sind. Daher kann man die Entwicklung 0 D (4.228)
eO 3 D sin # sin eO
1 C sin # cos eO
2 C cos # eO
3 (4.221)
völlig unabhängig vom Winkel # zwischen Figurenachse
direkt aus der Matrix R ablesen. Analog findet man und Drehimpuls.
eO
3 D sin ' sin # e
O 1 cos ' sin # eO 2 C cos # eO 3 : (4.222) (e) Die Winkelgeschwindigkeit erfüllt
Diese Gleichungen sind für Kreisel aller Art gültig, da bisher w D 'P eO 3 C #P eO K C P eO
3: (4.229)
keinerlei Annahmen gemacht wurden.
(b) Für den kräftefreien symmetrischen Kreisel ist insbesondere
Um ihre Komponenten in S zu berechnen, muss sie auf die
# eine Konstante. Dies bedeutet, dass die Zeitabhängigkeit
Vektoren eO i projiziert werden. Der erste Term in (4.229) ist
von eO 3 in S und von eO
3 in S nur in bzw. ' enthalten ist.
trivial. Der letzte wurde bereits in (4.222) bestimmt. Die
Hier wissen wir, dass P und 'P Konstanten sind. Wir hatten Knotenlinie lässt sich direkt aus Abb. 4.3 zu
im Text
3 !3
P D D 3 !3 ; 'P D 0 D (4.223)
eO K D cos ' eO 1 C sin ' eO 2 (4.230)
cos #
gefunden. Anhand von (4.221) und (4.222) sieht man somit, ablesen. Nach einer kurzen Sortierung folgt das Endergebnis
dass die Projektionen von eO 3 auf e O 3 und von eO 3 auf eO
3 kon- 0 1 0 1 0 1 0 1
stant sind. Doch eO 3 führt in der O
e 1 e2 -Ebene eine Oszillation
-O !1 0 cos ' sin ' sin #
mit Frequenz 'P D 0 aus, denn es gilt ' D 0 tC'0 . Gleich- @!2 A D 'P @0A C #P @ sin ' A C P @ cos ' sin # A :
zeitig oszilliert eO 3 in der eO e
1 -O 2 -Ebene mit Frequenz
P D , !3 1 0 cos #
da überdies D t C 0 erfüllt ist. Es ist dabei allerdings (4.231)
zu beachten, dass beide Oszillationen gegenläufig sind, da in
(4.222) ein Minuszeichen auftritt.
162 4 Starre Körper
(a) Die Änderung des Drehimpulses aufgrund des Drehmo- (d) Mit den bekannten bzw. in der Literatur zu findenden Werten
ments von Sonne oder Mond lautet
1
dL D ;
D M Sonne C M Mond : (4.232) 300
dt cos #0 D 0;917;
Multipliziert man diese Gleichung mit L, so erhalten wir G D 6;67 1011 m3 kg1 s2 ;
MSonne D 1;99 1030 kg;
1 d.L L/ (4.238)
D L.M Sonne C M Mond / eO
3 D 0; (4.233) MMond D 7;35 1022 kg;
2 dt
dSonne D 1;50 1011 m;
denn das Kreuzprodukt im Drehmoment steht senkrecht auf
eO
3 . Es kann sich also nur die Richtung von L ändern.
dMond D 3;84 108 m;
(b) Multiplikation von (4.232) mit eO 3 ergibt 2
!D
86400 s
d.L eO 3 /
D .MSonne C M Mond / eO 3 D 0: (4.234)
dt berechnet man, dass die durch Sonne und Mond verursach-
ten Präzessionsfrequenzen
Der Richtungsvektor eO 3 lässt sich in die Zeitableitung zie-
hen, da er konstant ist (das ungestrichene System ist in guter !P;Sonne D 2;48 1012 s1 ;
Näherung ein Inertialsystem). Das Skalarprodukt mit den (4.239)
Drehmomenten verschwindet, da diese senkrecht auf eO 3 ste- !P;Mond D 5;46 1012 s1
hen. Somit muss L3 D L eO 3 konstant sein.
(c) Ausgehend von (4.232) findet man zunächst mithilfe von sind. Der Beitrag des Mondes zur Präzession ist etwa dop-
(4.169): pelt so groß wie derjenige der Sonne.
Dies ist übrigens qualitativ dasselbe Ergebnis, das wir be-
d.LOe X 3GMi reits bei der Abschätzung der Gezeitenkräfte in Abschn. 3.6
3/
D 3
cos #0 .Oe3 eO
3 /; (4.235) gefunden haben. Der Grund ist, dass sowohl die Gezeiten-
dt i
2d i kräfte als auch die Drehmomente auf die Erde proportional
zu Mi =di3 sind und .MMond =dMond
3
/=.MSonne=dSonne
3
/ 2;2
wobei über die Beiträge von Sonne und Mond summiert gilt.
wird. Es ist nun leicht, die Präzessionsfrequenz durch einen Insgesamt ergibt sich
Vergleich aufzuschreiben:
!P D 7;94 1012 s1 (4.240)
1 X 3GMi
!P D cos #0 Oe3
L i 2di3 und damit eine Präzessionsperiode
X 3GMi (4.236)
D cos #0 eO 3 : 2
2d 3 ! TP D D 25:100 Jahre: (4.241)
i i !P
Im letzten Schritt wurde Dieses Ergebnis liegt sehr nahe an dem durch astronomische
Beobachtungen ermittelten Wert von 25:800 Jahren.
L D ! (4.237)
Antworten zu den Selbstfragen 163
Teil I
Antwort 30 3 bleibt unverändert, und 1 und 2 (mit 1 D
2 ) sind im Schwerpunktsystem jeweils um mR2 kleiner.
Literatur
Teil I
Arens, T., Hettlich, F., Karpfinger, C., Kockelkorn, U., Lich- Weiterführende Literatur
tenegger, K., Stachel H.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum
Akademischer Verlag, Heidelberg (2012)
Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-
sellschaft, Wiesbaden (1981)
Lagrange-Formalismus und
5
Teil I
Variationsrechnung
Was sind Zwangskräfte?
Was sind
Variationsprinzipien, und
welche Bedeutung haben
sie für die Mechanik?
Welcher Zusammenhang
besteht zwischen
Symmetrien und
Erhaltungsgrößen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_5, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 165
166 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Wir verlangen, dass die holonomen Zwangsbedingungen min- Beispielsweise wird die Bewegung einer Punktmasse im Inne-
destens zweimal differenzierbare Funktionen der N Koordi- ren einer Hohlkugel durch die nichtholonome Zwangsbedin-
Teil I
natenvektoren xi sind. Die Anzahl der Freiheitsgrade bei r gung
Zwangsbedingungen ist x2 R2 0 (5.7)
beschrieben. Im Folgenden werden überwiegend holonome
F D 3N r: (5.3) Zwangsbedingungen diskutiert.
Achtung Durch die Zwangsbedingungen sind nicht nur die
Frage 1 Koordinaten eingeschränkt. Auch die Anfangsbedingungen, die
Zeigen Sie, dass die zuvor erwähnte Zwangsbedingung eines zur Lösung mechanischer Probleme nötig sind, müssen mit den
festen Abstands zweier Punktmassen als Zwangsbedingungen vereinbar sein. Dies wird in Kürze an ei-
nem Beispiel verdeutlicht. J
f D .x1 x2 /2 l212 D 0 (5.4)
notiert werden kann. Diese Funktion ist problemlos differen- Verallgemeinerte Koordinaten
zierbar.
Im weiteren Verlauf dieses Kapitels soll überwiegend auf die
Vektorschreibweise xi verzichtet werden. Anstatt über N Vekto-
Bewegung auf Ebene und Kugel ren xi zu sprechen, schreiben wir vorzugsweise xi (1 i 3N).
Dies ändert nichts am physikalischen Inhalt, reduziert aber die
Ist die Bewegung einer Punktmasse auf eine Ebene mit Anzahl der Indizes, die verwendet werden müssen.
Normalenvektor nO eingeschränkt, so lautet die Zwangs-
bedingung Die 3N Koordinaten xi eines Systems von Punktmassen spannen
f D x nO D 0: (5.5) einen 3N-dimensionalen Parameterraum auf. Zwangsbedingun-
gen verhindern, dass alle Punkte dieses Raumes erreicht werden
Hier wurde angenommen, dass der Koordinatenursprung können. Der Konfigurationsraum ist jener Teil des 3N-dimen-
in der Ebene liegt. Kann sich eine Punktmasse nur auf der sionalen Raumes, der von den Koordinaten der N Punktmassen
Oberfläche einer Kugel mit Radius R bewegen, kann die erreicht werden kann. Man spricht hier von einer .3N r/-
Zwangsbedingung als dimensionalen Untermannigfaltigkeit (Forster 2012), die durch
die r Zwangsbedingungen definiert wird.
f D x2 R2 D 0 (5.6) Mannigfaltigkeiten werden im „Mathematischen Hintergrund“
5.1 erläutert. Das komplette Verständnis des Konzepts ist an
formuliert werden, wenn der Ursprung im Kugelmittel- dieser Stelle nicht erforderlich, wird aber in vielen anderen Be-
punkt liegt. J reichen der Physik (insbesondere bei der Behandlung von Lie-
Gruppen im „Mathematischen Hintergrund“ 27.1 und in der all-
gemeinen Relativitätstheorie) benötigt.
Frage 2
Machen Sie sich klar, dass keine Freiheitsgrade mehr übrig blei- Kugelschale und Torus
ben, wenn r D 3N ist. In diesem Fall ist das System vollständig
durch die Zwangsbedingungen bestimmt, und es findet keine Der Konfigurationsraum einer einzelnen freien Punkt-
Dynamik mehr statt. masse ist der dreidimensionale reelle Raum R3 . Durch
die Zwangsbedingung x2 R2 D 0 wird eine Kugelscha-
le als zweidimensionale Untermannigfaltigkeit definiert.
Ein weiteres Beispiel ist eine Torusoberfläche im dreidi-
Nichtholonome, rheonome und skleronome Zwangsbe-
mensionalen Raum wie in Abb. 5.2 gezeigt.
dingungen
Man kann die Torusoberfläche durch die holonome Be-
Alle Zwangsbedingungen, die sich nicht in der Form (5.2)
dingung
schreiben lassen, heißen nichtholonom. Dazu gehören
insbesondere (aber nicht ausschließlich) Zwangsbedin- 2
gungen, die sich nur als Ungleichung formulieren lassen. f D R2 r2 C 2R2 x23 x21 x22
2
2r2 x21 C x22 C x23 C x21 C x22 C x23 (5.8)
Man unterscheidet außerdem zeitabhängige bzw. rheono-
me und zeitunabhängige bzw. skleronome Zwangsbedin- D0
gungen. Diese Begriffe stammen aus dem Griechischen
(rheos: fließend, skleros: starr). ausdrücken.
168 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Mannigfaltigkeiten treten in der Physik meistens dann auf, U zu. Er wird als Karte bezeichnet und definiert ein lokales
wenn in irgendeiner Weise gekrümmte Flächen oder ge- Koordinatensystem auf der offenen Teilmenge D.
krümmte Räume betrachtet werden. Insbesondere in der all-
Eine Menge von Karten fhi g bildet einen Atlas der Man-
gemeinen Relativitätstheorie treten Mannigfaltigkeiten ganz
nigfaltigkeit, wenn die Definitionsbereiche Di der Karten
natürlich auf und sind dort auch unumgänglich. Lose gespro-
chen, handelt es sich bei einer n-dimensionalen Mannigfal- die Mannigfaltigkeit vollständig überdecken. Sei ein solcher
Atlas gegeben und seien ferner zwei teilweise überlappen-
tigkeit M um einen Raum, der nur lokal so aussieht wie ein
n-dimensionaler euklidischer Raum, global aber gekrümmt de Definitionsbereiche Di und Dj herausgegriffen, die von
sein kann. den Karten hi und hj auf offene Teilmengen Ui und Uj des
Rn abgebildet werden. Dann heißt die Abbildung hj ı h1 i
Um mit Mannigfaltigkeiten physikalisch umgehen zu kön- Kartenwechsel auf der Schnittmenge der Definitionsbereiche
nen, müssen sie genügend zusammenhängend und glatt sein. Di \ Dj . Er entspricht einem Wechsel des Koordinatensys-
Mathematisch präzisiert man diese Eigenschaften auf die fol- tems. Da es sich bei einem Kartenwechsel um eine Abbil-
gende Weise. dung aus dem Rn in den Rn handelt, ist aus der reellen
Analysis bekannt, was Differenzierbarkeit bedeutet. Wenn
Zunächst fordert man, dass die Mannigfaltigkeit ein topo-
alle Kartenwechsel eines Atlas differenzierbar sind, heißt
logischer Raum mit einer höchstens abzählbaren Basis sein
der Atlas selbst differenzierbar. Eine Mannigfaltigkeit heißt
soll. Das bedeutet, dass eine Mannigfaltigkeit M mit einem
differenzierbar, wenn sie mit einem differenzierbaren Atlas
System aus höchstens abzählbar vielen offenen Teilmengen
ausgestattet ist.
Ti M ausgestattet ist, deren Durchschnitte und Vereini-
gungen selbst alle wieder offene Teilmengen von M sind. Das vielleicht nächstliegende Beispiel einer zweidimensio-
Entscheidend ist hier, dass die Teilmengen offen sind. Durch nalen Mannigfaltigkeit ist die Oberfläche einer Kugel, die
diese zunächst sehr abstrakt wirkende Forderung erreicht 2-Sphäre S2 . In einer hinreichend kleinen Umgebung jedes
man, dass Abbildungen von M in den Rn stetig sind. Punktes kann sie homöomorph in den R2 abgebildet werden,
wie jede Landkarte der Erdoberfläche belegt. Auf einer Halb-
Weiterhin verlangt man, dass sich zwei beliebige Punk-
kugel lässt sich beispielsweise eine Karte dadurch einfüh-
te in M mit offenen Teilmengen von M umgeben lassen,
ren, dass alle Punkte der Halbkugel längs ihrer Polachse auf
die nicht überlappen. Damit erfüllt ein solcher topologi-
die Tangentialebene an den Pol projiziert werden (Abb. 5.1).
scher Raum das Hausdorff’sche Trennungsaxiom und wird
Sechs solcher Karten, salopp gesprochen je eine für die obe-
auch topologischer Hausdorff-Raum genannt. Damit ist die
re, untere, vordere, hintere, rechte und linke Halbkugel, bilden
Mannigfaltigkeit für physikalische Anwendungen genügend
zusammen einen differenzierbaren Atlas der 2-Sphäre.
zusammenhängend.
Nun bleibt noch zu klären, was es bedeuten soll, dass eine
Mannigfaltigkeit lokal wie ein n-dimensionaler euklidischer
Raum „aussehen“ soll. Dazu wird festgelegt, dass es zu je-
dem Punkt der Mannigfaltigkeit eine offene Umgebung gibt,
die durch eine bijektive, stetige Abbildung mit ebenfalls ste-
tiger Umkehrabbildung in eine offene Teilmenge des Rn
abgebildet werden kann. Eine solche Abbildung heißt Ho-
möomorphismus.
Zusammenfassend definiert man eine n-dimensionale Man-
nigfaltigkeit also als einen topologischen Hausdorff-Raum
mit endlicher Basis der Topologie, der lokal homöomorph
zum Rn ist.
Sei nun D M und h ein Homöomorphismus, der D in
U Rn abbildet,
e3
e3
Teil I
r
O R
e1 e2 F G = −mge3
R
Abb. 5.2 Eine Torusoberfläche ist ein Beispiel für eine zweidimen-
sionale Untermannigfaltigkeit im dreidimensionalen Raum. Die beiden Abb. 5.3 Das sphärische Pendel kann man sich als eine Punktmasse vorstellen,
Radien r und R definieren die Gestalt des Torus J die zu einem Aufhängepunkt (Ursprung O) den konstanten Abstand R besitzt.
Das Pendel kann unter dem Einfluss der Schwerkraft schwingen
Verallgemeinerte Koordinaten
Achtung In der Regel lassen sich die generalisierten Koor-
Anstelle der 3N abhängigen Parameter xi kann man F D dinaten nicht zu Vektoren wie xi zusammenfassen. Man behan-
3N r unabhängige Parameter qj (1 j F) definieren, delt dann die 3N r generalisierten Koordinaten wie skalare
die nicht durch die Zwangsbedingungen eingeschränkt Größen. J
werden. Diese werden als neue, verallgemeinerte Koor-
dinaten verwendet. Man spricht auch von generalisierten Wir führen die symbolische Abkürzung x für die Menge aller
Koordinaten. Parameter xi sowie q für die Menge aller Parameter qj ein. Wir
schreiben daher in Kurzform x D x.q/. Die verallgemeinerten
Koordinaten werden noch eine wichtige Rolle spielen.
Sind die r Zwangsbedingungen holonom, lassen sich die Punkte
in Konfigurationen wie folgt
Da R konstant ist, gilt xi D xi .#; '/, und die beiden Hier wurde berücksichtigt, dass die Bahnkurve x.t/ eine Funk-
unabhängigen Parameter können als q1 D # 2 Œ0; / tion der Zeit ist. Da die Zeitabhängigkeit nur implizit über die
und q2 D ' 2 Œ0; 2 / repräsentiert werden. Offensicht- Bahnkurve x.t/ in (5.11) eingeht, handelt es sich um eine skle-
lich werden q1 und q2 nicht durch die Zwangsbedingung ronome Zwangsbedingung. Eine rheonome Zwangsbedingung
eingeschränkt. Sie eignen sich daher als generalisierte läge beispielsweise vor, wenn der Kugelradius bzw. die Stan-
Koordinaten für das Problem. J genlänge selbst eine Funktion der Zeit wäre, also R D R.t/.
Dies wird in Aufgabe 5.4 aufgegriffen.
170 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Einige nichtholonome Zwangsbedingungen können in der den kann. Dies führt wieder auf die Form fa .t; x/ D 0 in
differenziellen Form (5.2). Ansonsten ist eine Integration erst nach Lösung des
Problems möglich, und es handelt sich um eine nichtinte-
X
3N
Aa;i dxi D Aa;0 dt .1 a r/ grierbare Zwangsbedingung.
iD1
Ein Beispiel für eine nichtholonome Zwangsbedingung ist
angegeben werden. Dies schließt allerdings holonome die Bewegung eines Schlittschuhs auf einer ebenen Eis-
Zwangsbedingungen mit ein, indem man fläche. Der Schlittschuh kann sich nur in Kufenrichtung
@fa @fa bewegen, d. h. v l D 0, wobei v die momentane Ge-
Aa;i D ; Aa;0 D schwindigkeit und l der Vektor entlang des Schlittschuhs ist.
@xi @t
Dies ist eine Zwangsbedingung an die Geschwindigkeit und
schreibt. Im Fall holonomer Zwangsbedingungen handelt es nicht die Position des Schlittschuhs. Man kann zeigen, dass
sich um ein totales Differenzial, das direkt aufintegriert wer- sie nichtintegrierbar und damit nichtholonom ist.
Im Folgenden schreiben wir die Zeitabhängigkeiten nicht mehr Stange wirken. Da wir allerdings noch nicht wissen, welchen
explizit an. Die ersten beiden Zeitableitungen der Zwangsbedin- Betrag die Zwangskraft hat, notieren wir
gung lauten
Z D 2x: (5.16)
fP .x/ D 2x xP D 0; fR .x/ D 2Px2 C 2x xR D 0: (5.12)
Man nennt den Proportionalitätsfaktor einen Lagrange-Mul-
Da die Zwangsbedingungen zu allen Zeiten gelten, erfüllen die tiplikator. Der Grund für den zusätzlichen Faktor 2 wird später
Anfangsbedingungen erläutert. Wir werden nun sehen, dass D .t; x; xP / eine unbe-
kannte Funktion ist, die so zu bestimmen ist, dass (5.15), also
x20 R2 D 0; x0 v 0 D 0; (5.13)
mRx D mg C 2x; (5.17)
wobei v D xP die Geschwindigkeit ist. Wir wissen, dass die
Bewegung einer freien Punktmasse durch drei Differenzialglei- mit den Zwangsbedingungen vereinbar ist.
chungen zweiter Ordnung beschrieben wird, deren vollständige
Integration sechs Parameter (z. B. in Form von Anfangsbedin- Frage 4
gungen) benötigt. Wegen (5.13) bleiben davon allerdings nur An dieser Stelle kann man sich bereits überlegen, dass ne-
vier unabhängige übrig. gativ sein muss. Fragen Sie sich dazu, in welche Richtung die
Zwangskraft zeigen muss, um die Punktmasse auf der Kugel-
Frage 3 oberfläche zu halten.
Überlegen Sie sich anhand von (5.13), dass die Anfangsge-
schwindigkeit v 0 tangential zur Kugeloberfläche verläuft.
Um den Lagrange-Multiplikator zu finden, multiplizieren wir
die Bewegungsgleichung skalar mit x:
Offensichtlich steht die Zwangsbedingung (5.11) im Wider-
mx xR D mx g C 2x2 : (5.18)
spruch zur Lösung der Newton’schen Bewegungsgleichung ei-
ner Punktmasse im Schwerefeld:
Wegen (5.12) und x2 D R2 können wir
1 2
x.t/ D gt C v 0 t C x0 : (5.14) mPx2 D mx g C 2R2 (5.19)
2
Wir müssen daher eine Zwangskraft Z einführen, um die Be- schreiben. Schließlich erhält man
wegungsgleichung mit der Zwangsbedingung kompatibel zu m 2
machen; wir schreiben 2 D 2
xP C x g ; (5.20)
R
mRx D mg C Z: (5.15) weswegen die Zwangskraft
Diese Zwangskraft kann nur von der Stange bzw. von der Schüs- m 2
ZD 2
xP C x g x (5.21)
sel auf die Punktmasse ausgeübt werden und muss entlang der R
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art 171
lautet. Wie ist dies zu interpretieren? Die Zwangskraft kompen- Zwangskraft berechnen können. Wir wollen uns nun überle-
siert zum einen die Komponente m.g eO r /Oer der Schwerkraft gen, wie dies bei allgemeinen Problemen bewerkstelligt werden
Teil I
in Stangenrichtung. Außerdem wirkt sie der Zentrifugalkraft kann.
mPx2 rO =R entgegen. Selbstverständlich ist genau dies notwendig,
um die Punktmasse auf der Kugeloberfläche zu halten. Eine Zwangsbedingung für eine Punktmasse in der Form
f .t; x/ D 0 lässt sich geometrisch interpretieren: Sie definiert
eine (zeitabhängige) Fläche im Raum, auf der sich die Punkt-
Zwangskräfte masse bewegen kann. Entlang dieser Fläche ist f identisch null
und somit konstant. Darum muss der Gradient r f .t; x/ senk-
Wir sehen, dass hier die Zwangskraft, wie auch in all- recht auf der Fläche stehen. Andererseits kann die Zwangskraft
gemeineren Fällen, vom momentanen Bewegungszustand Z nur senkrecht zu f .t; x/ D 0 sein, da sie die Tangentialbewe-
(z. B. der Geschwindigkeit) abhängt. Da dieser bei der gung nicht beeinflussen darf. Allgemein können wir also
Formulierung des Problems in der Regel unbekannt ist,
lassen sich die Newton’schen Bewegungsgleichungen in
Z D r f (5.24)
Anwesenheit von Zwangsbedingungen nicht direkt in her-
kömmlicher Weise lösen.
schreiben. Dies ist der zentrale Punkt, der die Berücksichti-
gung von Zwangsbedingungen in den Bewegungsgleichungen
Wir wollen noch untersuchen, ob die Zwangskraft Arbeit am ermöglicht. Im Falle des sphärischen Pendels erhalten wir we-
System verrichtet. Offenbar zeigt die Zwangskraft immer in gen (5.11)
radialer Richtung, während eine Bewegung, dx D v dt, nur tan- Z D r f D 2x; (5.25)
gential zur Kugeloberfläche möglich ist, d. h.
was identisch mit (5.16) ist. Dies erklärt auch, warum zuvor
noch ein Faktor 2 eingeführt wurde.
AZ D Z dx D 0: (5.22)
Tatsächlich ist es eine Eigenschaft der skleronomen Zwangs- Lagrange-Gleichungen erster Art für eine Punktmasse
kräfte, dass sie keine Arbeit am System verrichten. Wir werden unter dem Einfluss einer Zwangsbedingung
in Kürze wieder darauf zurückkommen.
Gibt es eine holonome Zwangsbedingung
Abschließend können wir noch die resultierende Bewegungs-
gleichung ohne Lagrange-Multiplikator angeben: f .t; x/ D 0; (5.26)
mRx D F C r f (5.28)
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art mit der angewandten Kraft F aus den Newton’schen Be-
wegungsgleichungen.
Es wird im Folgenden ein allgemeiner Formalismus hergeleitet,
mit dem sich mechanische Systeme in Anwesenheit von holono-
men Zwangskräften beschreiben lassen. Das Ergebnis sind die Die Lagrange-Gleichungen erster Ordnung sind eine Erweite-
Lagrange-Gleichungen erster Art. Diese Formulierung erlaubt rung der Newton’schen Bewegungsgleichungen. Sie ermögli-
eine Berechnung der Zwangskräfte, die dann physikalisch inter- chen die Berücksichtigung von a priori unbekannten Zwangs-
pretiert werden können. Es wird weiterhin die Energieerhaltung kräften, die aus geometrischen Zwangsbedingungen hervor-
in Anwesenheit von Zwangskräften untersucht. gehen. Gibt es N Punktmassen und r < 3N unabhängige
Zwangsbedingungen fa .t; x/, wird jede einzelne durch einen ei-
genen Lagrange-Multiplikator a beschrieben. Die einzelnen
Zwangskräfte können superponiert werden, sodass die Menge
Zwangskräfte und Lagrange-Multiplikatoren aller Zwangskräfte
X
r
Im vorherigen Abschnitt haben wir anhand eines Spezialfalls Zi D a r i fa .1 i N/ (5.29)
gesehen, wie wir mithilfe eines Lagrange-Multiplikators die aD1
172 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
lauten. Hier ist r i der Gradient bezüglich der Koordinaten der Fi aus einem Potenzial abgeleitet werden können:
i-ten Punktmasse. Gehen wir wieder zur komponentenweisen
Teil I
X
N X
r X
N
bzw. Zi xP i D a .r i fa / xP i (5.35)
X
r
@fa
iD1 aD1 iD1
mi xR i D Fi C a .1 i 3N/ (5.32)
aD1
@xi auf. Die Nebenbedingungen erfüllen fa D 0, daher muss auch
ihre totale Zeitableitung verschwinden:
in der komponentenweisen Darstellung.
dfa X N
@fa
0D D .r i fa / xP i C : (5.36)
Es handelt sich bei den Lagrange-Gleichungen erster Art um dt iD1
@t
3N Bewegungsgleichungen zweiter Ordnung sowie r Zwangs-
bedingungen in Form von algebraischen Gleichungen. Sind An dieser Stelle erlauben wir auch rheonome holonome
die entsprechenden Anfangsbedingungen und die angewandten Zwangsbedingungen. Dies wird an einem Beispiel in Aufgabe
Kräfte Fi bekannt, können damit im Prinzip die r Lagrange- 5.4 verdeutlicht. Gleichung (5.35) und (5.36) führen schließlich
Multiplikatoren a und die N Bahnkurven xi berechnet werden. auf den Energiesatz unter Berücksichtigung von Zwangsbedin-
gungen.
Man unterscheidet äußere und innere Zwangsbedingungen. Äu-
ßere führen auf Zwangskräfte, die nur auf einzelne Punktmassen
wirken. Innere hingegen führen Zwangskräfte zwischen Paaren
Energiesatz unter Berücksichtigung von Zwangsbedin-
von Punktmassen ein. Beispiele sind x21 R2 D 0 für eine äußere
gungen
und .x1 x2 /2 l212 D 0 für eine innere Zwangsbedingung. Letz-
tere entspricht zwei Punktmassen an einer Stange. Als weiteres Sind die angewandten Kräfte Fi konservativ, lautet der
Beispiel kann wieder der starre Körper herangezogen werden, Energiesatz in Anwesenheit von holonomen Zwangsbe-
für den alle Punktmassen paarweise konstante Abstände besit- dingungen
zen. Aufgrund der normalerweise großen Zahl der Punktmassen
im starren Körper wird anstelle der Lagrange-Gleichungen ers- d Xr
@fa
ter Art jedoch der Formalismus aus Kap. 4 bevorzugt. .T C V/ D a : (5.37)
dt aD1
@t
Teil I
Historisch spielten die von d’Alembert eingeführten vir- Die Zwangskräfte treten in dieser Formulierung nicht mehr
tuellen Verrückungen eine wichtige Rolle. Diesen Zugang explizit auf; sie sind allerdings indirekt enthalten, da die vir-
verfolgen wir hier zwar nicht, er soll aber der Vollständig- tuellen Verrückungen nicht unabhängig voneinander sind.
keit halber kurz vorgestellt werden. Wir sehen, dass die Summe der angewandten Kräfte Fi
Eine virtuelle Verrückung ıxi der Punktmasse mi ist eine und der Trägheitskräfte mi xR i unter virtuellen Verrückun-
nichtreale Verschiebung bei fester Zeit t, die mit den Zwangs- gen keine Arbeit leisten. Dies trifft wegen (5.37) bei realen
bedingungen fa zur Zeit t verträglich ist. So kann beispiels- Verrückungen dxi nur auf skleronome Zwangsbedingungen
weise eine virtuelle Verrückung beim sphärischen Pendel nur zu.
tangential zur Kugeloberfläche erfolgen. Wir schreiben
Als Beispiel betrachten wir zwei Massen, die durch einen
0 D fa .x1 C ıx1 ; : : : ; xN C ıxN / starren Stab miteinander verbunden sind. Es gibt daher eine
X
N Zwangsbedingung .x1 x2 /2 l212 D 0 mit einem Lagrange-
D fa .x1 ; : : : ; xN / C .r i fa / ıxi : Multiplikator . Die beiden Massen können offenbar belie-
iD1 big mit ıx1 und ıx2 verrückt werden, solange die Differenz
P ıx1 ıx2 keine Komponente entlang des Stabes hat, denn der
Wegen fa .x1 ; : : : ; xN / D 0 folgt zunächst i .r i fa / ıxi D 0.
Die virtuellen Verrückungen stehen also senkrecht auf den Stab muss auch unter virtuellen Verrückungen gleich lang
durch fa festgelegten Oberflächen. Wir multiplizieren mit a , bleiben. Also ist
summieren über alle r Zwangsbedingungen und schreiben
wegen (5.29) .x1 x2 / .ıx1 ıx2 / D 0:
X
r X
N X
N
a .r i fa / ıxi D Zi ıxi D 0: Andererseits erfüllen die Zwangskräfte das dritte New-
aD1 iD1 iD1
ton’sche Axiom, Z1 D Z2 , und sie wirken entlang des
Die Zwangskräfte leisten also keine Arbeit bei virtuellen Stabes. Damit muss
Verrückungen. Dies wird als das d’Alembert’sche Prinzip be-
zeichnet. Aus mi xR i D Fi C Zi folgt dann direkt
Z1 .ıx1 ıx2 / D Z1 ıx1 C Z2 ıx2 D 0
X
N
.Fi mi xR i / ıxi D 0:
iD1 gelten.
X3N
1 @fa X
r
fb X3N
1 @fa
b D ga Fi : (5.40)
iD1
mi @xi bD1 @xi iD1
mi @xi
m2
Dies ist ein lineares, inhomogenes Gleichungssystem mit r Glei-
chungen für die r Lagrange-Multiplikatoren. Die Koeffizienten L
der b hängen dabei nicht mehr von den Beschleunigungen xR i FG
ab. Die Lösung dieses Gleichungssystems sind die Lagrange- m1
Multiplikatoren in der Gestalt
x
a D a .t; x; xP / .1 a r/: (5.41)
X
r
@fa
mi xR i D Fi C a .t; x; xP / .1 i 3N/: (5.42)
aD1
@xi
Diese Gleichungen werden mit den üblichen Methoden ge- Abb. 5.4 Zwei Punktmassen können sich zusammen auf einer Kreuzschiene
löst, denen wir im Verlauf des Buches bereits begegnet sind. bewegen. Ihr Abstand L wird dabei festgehalten. Zusätzlich wirkt die Gravitati-
Insbesondere wird dieses Vorgehen durch das Auffinden von onskraft FG
Erhaltungsgrößen (z. B. der Energie oder des Drehimpulses)
vereinfacht. Es muss allerdings beachtet werden, dass die An-
fangsbedingungen zur Zeit t0 mit den Zwangsbedingungen Insgesamt gibt es die fünf Zwangsbedingungen
verträglich sein müssen:
f1 D x21 C z22 L2 D 0;
ˇ
0 D fa .t; x/j tDt0 ; 0 D fPa .t; x; xP /ˇ tDt0 : (5.43) f2 D x2 D 0; f3 D z1 D 0; (5.44)
f4 D y1 D 0; f5 D y2 D 0:
Sind die Bewegungsgleichungen gelöst, d. h. alle Bahnkurven
Dies würde auf fünf Lagrange-Multiplikatoren und ein lineares
bekannt, lassen sich die Lagrange-Multiplikatoren (5.41) in ex-
Gleichungssystem mit fünf Unbekannten führen. Offensichtlich
pliziter Form angeben. Falls gewünscht, können weiterhin die
ist die Bewegung auf die x-z-Ebene eingeschränkt. Man kann
Zwangskräfte mithilfe von (5.29) berechnet und anschließend
das System daher von vornherein in zwei Dimensionen formu-
physikalisch interpretiert werden.
lieren und benötigt dann nur noch drei Zwangsbedingungen.
Frage 7 Die beiden Zwangsbedingungen f4 und f5 führen auf
Nachdem nun das allgemeine Lösungsverfahren bekannt ist,
schauen Sie sich das sphärische Pendel in Abschn. 5.1 unter fP4 D yP 1 D 0; fR4 D yR 1 D 0;
(5.45)
diesen Gesichtspunkten erneut an. fP5 D yP 2 D 0; fR5 D yR 2 D 0:
Es gibt daher keine Dynamik entlang der y-Achse. Etwaige
Kräfte in y-Richtung werden vollständig durch die entsprechen-
den Zwangskräfte kompensiert.
Beispiel: Punktmassen auf einer Kreuzschiene
Einschränkung der Bewegung auf eine Koordinaten-
Zum Abschluss der Lagrange-Gleichungen erster Art betrach- ebene
ten wir ein konkretes Beispiel mit vollständigem Lösungsweg.
Wird die Bewegung des gesamten Systems auf eine Koor-
Ein weiteres Beispiel ist in Aufgabe 5.1 zu finden.
dinatenebene beschränkt, so lässt sich das System direkt
Wir stellen uns zwei sich kreuzende Schienen wie in Abb. 5.4 im zweidimensionalen Raum formulieren. Dies reduziert
vor. Die Punktmasse m1 kann sich nur entlang der x-Achse, die die Anzahl der Zwangsbedingungen und Lagrange-Mul-
Punktmasse m2 nur entlang der z-Achse bewegen. Beide Massen tiplikatoren. Dies gilt entsprechend auch, wenn die Be-
sind durch einen masselosen starren Stab der Länge L verbun- wegung auf eine einzige Koordinatenachse eingeschränkt
den. Es wirkt weiterhin die Schwerebeschleunigung g entlang wird.
der negativen z-Achse.
5.2 Lagrange-Gleichungen erster Art 175
Teil I
Abb. 5.5 Löst man die Bewegungsgleichungen für die Kreuzschiene ohne Gravitation und für zwei gleiche Massen, findet man eine einfache Bewegungsform:
Beide Massen schwingen um den Mittelpunkt, die eine waagerecht, die andere senkrecht. Die Bildsequenz entspricht dem zeitlichen Verlauf. Beide Schwingungen
sind um 90ı phasenverschoben, und der Abstand der Punktmassen bleibt stets konstant
Wir fahren daher nur mit den Zwangsbedingungen f1 bis f3 fort Die beiden übrigen Gleichungen lösen wir nur für den Spezi-
und beschränken uns auf die vier Koordinaten x1 , z1 sowie x2 alfall m1 D m2 D m und g D 0 (d. h. in Abwesenheit von
und z2 . Nur ein Freiheitsgrad kann übrig bleiben. Gravitation):
Die Ableitungen der Zwangsbedingungen nach den Koordina- 2E 2E
mRx1 D x1 ; mRz2 D z2 : (5.52)
ten, die nicht identisch verschwinden, lauten L2 L2
Hier wurde f1 D 0, also x21 C z22 D L2 ausgenutzt. Weiterhin
@f1 @f1 @f2 @f3
D 2x1 ; D 2z2 ; D 1; D 1: (5.46) wurde berücksichtigt, dass die Energie
@x1 @z2 @x2 @z1
m 2
ED xP C zP 22 (5.53)
Wir erhalten die vier Bewegungsgleichungen (5.32) 2 1
erhalten ist, da die Zwangsbedingungen skleronom sind. Die
m1 xR 1 D 21 x1 ; m1 zR 1 D m1 g C 3 ; Bewegungsgleichungen führen beide auf harmonische Schwin-
(5.47)
m2 xR 2 D 2 ; m2 zR 2 D m2 g C 21 z2 : gungen
x1 D A1 cos .!t 1/ ; z2 D A2 cos .!t 2/ (5.54)
Hier wurde die Gravitationskraft berücksichtigt. Die zweiten
Zeitableitungen der Zwangsbedingungen lauten mit der Frequenz
2E
!2 D
: (5.55)
0 D fR1 D 2 xP 21 C x1 xR 1 C zP 22 C z2 zR 2 ; mL2
0 D fR2 D xR 2 ; (5.48) Die Zwangsbedingung f1 verlangt
0 D fR3 D zR 1 ; A21 cos2 .!t 1/ C A22 cos2 .!t 2/ D L2 D const; (5.56)
die linke Seite der Gleichung muss also konstant sein. Dies kann
in die wir die Bewegungsgleichungen (5.47) einsetzen. Das re-
nur für A21 D A22 D L2 und 2 D 1 ˙ 90ı erfüllt werden, da
sultierende Gleichungssystem ist diagonal, und man kann jede
Gleichung direkt nach einem der Lagrange-Multiplikatoren auf- cos2 .!t 1 / C cos2 !t 1 ˙ 90ı
lösen: (5.57)
D cos2 .!t 1 / C sin2 .!t 1 / D 1
xP 2 C zP 22 z2 g
1 D 21 ; 2 D 0; 3 D m1 g: (5.49) gilt. Beide Punktmassen schwingen daher mit einer gegenseiti-
2 x1 =m1 C z22 =m2 gen Phasenverscheibung von 90ı und einer Amplitude L um den
Ursprung. Dies ist in Abb. 5.5 dargestellt. Für diesen Spezialfall
Einsetzen der Lagrange-Multiplikatoren in (5.47) führt auf ist nur ein Lagrange-Multiplikator ungleich null:
E
xP 21 C zP 22 z2 g 1 D : (5.58)
m1 xR 1 D x1 ; m1 zR 1 D 0; L2
x21 =m1 C z22 =m2
(5.50) Dies führt auf die Zwangskräfte
xP 21 C zP 22 z2 g
m2 xR 2 D 0; m2 zR 2 D z2 m2 g: 2E 2E
x21 =m1 C z22 =m2 Zx;1 D x1 ; Zz;2 D 2 z2 ; (5.59)
L2 L
Die Gleichungen für z1 und x2 führen mit den Anfangsbedin- die man auch direkt aus (5.52) ablesen kann, da keine an-
gungen auf die bereits bekannten Ergebnisse gewandten Kräfte auf die beiden Punktmassen wirken. Die
Zwangskräfte sind gerade die für die Schwingung verantwort-
z1 D 0; x2 D 0: (5.51) lichen Rückstellkräfte.
176 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
5.3 Lagrange-Gleichungen Der letzte Term verschwindet aber wegen (5.62). Die F resul-
tierenden Gleichungen
zweiter Art
Teil I
X
3N
@xi X @xi
3N
mi xR i D Fi (5.64)
@qj @qj
Die Lagrange-Gleichungen erster Art umfassen einen Satz von iD1 iD1
3N Gleichungen für die Koordinaten xi sowie r algebraische hängen nun nicht mehr explizit von den Zwangsbedingungen
Gleichungen für die Zwangsbedingungen. Dies führt auf ins- ab. Man nennt die Terme
gesamt 3N r Freiheitsgrade. Es stellt sich nun die Frage, ob es
nicht eine einfachere Möglichkeit gibt, nur die Bewegungsglei- X
3N
@xi
chungen der unabhängigen Freiheitsgrade direkt aufzustellen. Qj WD Fi (5.65)
iD1
@qj
Dies ist insbesondere dann von Vorteil, wenn man an den
Lagrange-Multiplikatoren und Zwangskräften gar nicht interes- die generalisierten Kräfte, da sie für die generalisierten Koor-
siert ist. Tatsächlich kann man dies erreichen, indem man von dinaten qj eine ähnliche Rolle spielen wie die Kräfte Fi für die
vornherein generalisierte (und damit unabhängige) Koordinaten kartesischen Koordinaten xi .
einführt, was schließlich auf die Lagrange-Gleichungen zweiter
Art führt. Achtung An dieser Stelle wurden die holonomen Zwangs-
bedingungen bereits verwertet: Obwohl sie nicht direkt in den
Rechnungen auftreten, sind sie durch eine geeignete Wahl der
generalisierten Koordinaten berücksichtigt worden. Als Ergeb-
Einführung der generalisierten Koordinaten nis erhält man nun F (anstatt 3N) Gleichungen der Form (5.64)
für F unabhängige Koordinaten. Die Zwangskräfte treten also
und Eliminierung der Zwangsbedingungen überhaupt nicht mehr auf. Die eigentliche problemabhängige
Aufgabe besteht darin, F geeignete, generalisierte (d. h. unab-
Die F generalisierten Koordinaten und die 3N kartesischen Ko- hängige) Koordinaten qj zu finden. J
ordinaten erfüllen den Zusammenhang
Teil I
mi xR i
@xi
D
d
mi xP i
@Pxi @Pxi
mi xP i : (5.70) xP 1 D R#P cos # cos ' R'P sin # sin ';
@qj dt @Pqj @qj
xP 2 D R#P cos # sin ' C R'P sin # cos '; (5.75)
Nun verwenden wir die kinetische Energie xP 3 D R#P sin #:
1X
3N
TD mi xP 2i (5.71) Durch Einsetzen und eine einfache Rechnung überzeugt
2 iD1 man sich davon, dass
1 X 2 mR2 P 2
3
und schreiben damit
TD mi xP i D # C 'P 2 sin2 # (5.76)
X
3N 2 iD1 2
@xi d @T @T
mi xR i D : (5.72)
iD1
@qj dt @P
q j @qj gilt.
In (5.10) wurden bereits generalisierte Koordinaten für Die konservativen Kräfte lassen sich aus einem Potenzial ablei-
die Bewegung einer Punktmasse auf einer Kugeloberflä- ten:
che angegeben. Da der Kugelradius R konstant und keine @V.t; x/
Fi.k/ D : (5.79)
@xi
178 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Wir finden somit Wie später noch erarbeitet wird, ergeben sich aus dem La-
grange-Formalismus die Erhaltungsgrößen eines Systems in
Teil I
X
3N
@V.t; x/ @xi @V.t; x.t; q// natürlicher Weise. Ein weiterer Vorteil ist, dass es sich bei der
Qj.k/ D D : (5.80) Lagrange-Funktion um eine skalare Größe handelt, die in der
iD1
@xi @qj @qj
Regel leichter als die vektoriellen Kraftgleichungen aufgestellt
werden kann.
Dies verdeutlicht, warum wir die Qj anfangs als generalisierte
Kräfte bezeichnet haben.
Newton’sche Bewegungsgleichungen
Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art lassen sich nun umfor-
mulieren. Wir definieren die Lagrange-Funktion Generalisierte Koordinaten können natürlich auch für
Systeme ohne Zwangsbedingungen verwendet werden. In
L WD T V D T.t; q; qP / V.t; q/ (5.81) diesem Fall entspricht die Anzahl der generalisierten Ko-
ordinaten qj der Anzahl der ursprünglichen kartesischen
und schreiben Koordinaten xi .
d @L @L
D Qj.d/ : (5.82) Als einfachstes Beispiel betrachten wir die kartesischen
dt @Pqj @qj
Koordinaten qj D xj einer Punktmasse m. Die kinetische
Dies ist möglich, da das Potenzial V nicht von den generali- Energie und das Potenzial lauten
sierten Geschwindigkeiten qP abhängt. Beschränkt man sich auf
1 X 2
3
konservative Systeme, findet man die wichtigen Lagrange-Glei-
chungen zweiter Art für konservative Systeme. TD m xP ; V D V.x/: (5.85)
2 iD1 i
Lagrange-Gleichungen zweiter Art für konservative Dies führt wegen (5.81) und (5.83) direkt auf die bekann-
Systeme ten Newton’schen Bewegungsgleichungen
Teil I
den kanonisch konjugierten Impuls. Der Name „Impuls“
ist gerechtfertigt, wie sich später noch zeigen wird.
Dieser erlaubt oft eine rasche Identifizierung von Erhal- Energieerhaltung
tungsgrößen des betrachteten Systems: Eine Koordinate
qj heißt zyklisch, wenn die Lagrange-Funktion nicht von
ihr abhängt. In diesem Fall lautet die entsprechende Be- Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt, dass erhaltene kon-
wegungsgleichung (5.83) einfach jugierte Impulse direkt von der Lagrange-Funktion abgelesen
werden können. Gilt dies auch für die Energie? In der Tat kann
d @L man der Lagrange-Funktion direkt ansehen, ob die Energie er-
D pPj D 0: (5.88) halten ist. Dies soll im Folgenden gezeigt werden. Wir werden
dt @Pqj
sehen, dass die Energieerhaltung eng mit der Invarianz unter
Dies bedeutet, dass der kanonische Impuls pj eine Erhal- Zeitverschiebungen verknüpft ist.
tungsgröße ist. Wir untersuchen zunächst die Zeitableitung der Lagrange-Funk-
Ist eine generalisierte Koordinate qj zyklisch, so ist ihr tion:
konjugierter Impuls pj eine Erhaltungsgröße. Jede zykli- dL X @L dqi @L dPqi
@L
sche Koordinate führt daher auf einen Erhaltungssatz, D C C : (5.90)
dt @qi dt @Pqi dt @t
was einer ersten Integration der Bewegungsgleichung ent- i
spricht.
Sind nun alle Kräfte im System konservativ, d. h. kann man
alle Kräfte aus einem Potenzial V ableiten, so gelten die Be-
wegungsgleichungen (5.83):
Unabhängigkeit von einer Koordinate bedeutet Symmetrie be-
züglich Verschiebungen, Drehungen usw.; also deutet sich hier @L d @L
ein Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungssät- D : (5.91)
@qi dt @Pqi
zen an. Dies vereinfacht die mathematische Behandlung der
Bewegungsgleichungen wesentlich. Man kann daher
Die generalisierten Koordinaten sollten nach Möglichkeit so ge- dL X d @L @L dPqi
@L
wählt werden, dass möglichst viele von ihnen zyklisch sind. D qP i C C
dt dt @Pqi @Pqi dt @t
Verallgemeinerte Koordinaten werden daher geschickterweise i
(5.92)
so gewählt, dass sie der Symmetrie des Problems angepasst d X @L @L
D qP i C
sind. dt i @Pqi @t
Die Lagrange-Gleichungen nehmen eine anschauliche Form an,
falls die kinetische Energie nicht von qi abhängt. Dann ist oder auch !
@L d X @L
@L=@qi die Ableitung der potenziellen Energie nach der ge- D L qP i (5.93)
neralisierten Koordinate qi , d. h. die generalisierte Kraft Qi . Da @t dt i
@Pqi
@L=@Pqi weiterhin der generalisierte Impuls pi ist, drücken die
Lagrange-Gleichungen letztlich „nur“ das zweite Newton’sche schreiben.
Axiom in verallgemeinerten Koordinaten aus: pP i D Qi . Wir beschränken uns nun auf Systeme, deren Lagrange-Funk-
tion nicht explizit von der Zeit abhängt, @L=@t D 0. Dies sind
Frage 9 Systeme, deren holonome Zwangsbedingungen skleronom sind.
Überlegen Sie sich die Form der Lagrange-Funktion einer freien Eine Zeitverschiebung t ! t C t0 lässt die Lagrange-Funkti-
Punktmasse in kartesischen Koordinaten. Sind die Koordinaten on dann invariant. Solche Systeme heißen zeitlich homogen (ein
xi zyklisch? Welche Konsequenz hat dies für die verbundenen Fadenpendel mit variabler Fadenlänge beispielsweise würde auf
Impulse einen nichtverschwindenden Term @L=@t führen; Aufgabe 5.3).
@L
pi D D mPxi ‹ (5.89) Offensichtlich folgt dann
@Pxi
!
d X @L
qP i L D 0; (5.94)
Ohne Beweis halten wir noch einen nützlichen Zusammenhang dt i
@Pqi
fest. Handelt es sich bei qj um eine Winkelkoordinate, die eine
Drehung um die Achse nO beschreibt, so ist der dazu konju- und die Größe
X @L
gierte Impuls pj gerade der Drehimpuls um diese Achse. Ist H WD qP i L (5.95)
also eine Winkelkoordinate zyklisch, ist der damit verbundene i
@Pqi
180 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
ausführlicher auf sie zu sprechen. Nun soll aber noch gezeigt V ableiten.
werden, dass H der Gesamtenergie des Systems entspricht. Das Potenzial V ist geschwindigkeitsunabhängig.
Für geschwindigkeitsunabhängige Systeme, also Systeme mit Alle Zwangsbedingungen sind skleronom.
@V=@Pqi D 0, die wir hier betrachten, ist
@L @T
pi D D : (5.96)
@Pqi @Pqi
Schwerer symmetrischer Kreisel
An dieser Stelle müssen wir einen kleinen Exkurs vorneh-
men und uns die Struktur der kinetischen Energie T genauer Der schwere symmetrische Kreisel ist ein Beispiel für
anschauen. Wir hatten bereits gesehen, dass die Zwangsbedin- ein System, dessen Bewegung unter Verwendung des La-
gungen in der Gestalt (5.60) formuliert werden können. Dies grange-Formalismus einfacher studiert werden kann als
führte auf die Geschwindigkeiten (5.68). Die partielle Zeit- der Zugang, der in Abschn. 4.7 verfolgt wurde.
ableitung @xi =@t verschwindet dort nur dann nicht, wenn die
Zwangsbedingungen rheonom sind, also explizit von der Zeit Wir erinnern uns, dass ein Kreisel mit einem festen Unter-
abhängen. Wir beschränken uns nun auf skleronome Zwangs- stützungspunkt noch drei Rotationsfreiheitsgrade besitzt.
bedingungen, für die dann Die Euler-Winkel eignen sich in diesem Fall für die be-
nötigten generalisierten Koordinaten, d. h., wir schreiben
XF
@xi .q1 ; q2 ; q3 / D .#; '; /.
xP i D qPj (5.97)
jD1
@qj Die Energie des schweren symmetrischen Kreisels wurde
bereits in (4.159) als Funktion der Euler-Winkel angege-
erfüllt ist. Die kinetische Energie lautet damit ben. Man kann also direkt die Lagrange-Funktion L D
0 12 T V hinschreiben:
1X X XF
@x
P2
1 2
mi @
i A
TD mi xP 2i D qPj : (5.98) 3 P
2 i 2 i @qj LD # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos #
jD1 2 2
MgR cos #:
Die kinetische Energie ist somit eine homogene quadratische
(5.102)
Funktion der generalisierten Geschwindigkeiten qPj , wenn alle
Hierbei sind und 3 die Hauptträgheitsmomente be-
Zwangsbedingungen skleronom sind. Hier kann man das Euler-
züglich des Stützpunktes, und R ist der Abstand des
Theorem über homogene Funktion (3.181) anwenden. Es führt
Schwerpunktes vom Stützpunkt. Man sieht sofort, dass
auf die Identität
X @T sowohl ' als auch zyklische Koordinaten sind. Ihre
qP i D 2T: (5.99) konjugierten Impulse,
i
@Pqi
p' D 'P sin2 # C 3 cos #. P C 'P cos #/;
Frage 10 (5.103)
Frischen Sie Ihre Erinnerungen an das Euler-Theorem auf und p D 3 . P C 'P cos #/;
überlegen Sie sich, wie es auf (5.99) führt.
sind somit erhalten. Wegen (4.155) und (4.158) können
wir p als L3 und p' als L3 identifizieren. Die erhaltenen
Die Hamilton-Funktion erfüllt somit konjugierten Impulse entsprechen daher den Projektionen
des Drehimpulses auf die Figurenachse und auf die Wir-
H D 2T L D 2T .T V/ D T C V D EI (5.100)
kungsachse der Gravitationskraft. Weiterhin sehen wir,
sie entspricht der Gesamtenergie des Systems. dass die Lagrange-Funktion nicht explizit von der Zeit
abhängt, weswegen die Energie E D T C V erhalten ist:
Hamilton-Funktion und Gesamtenergie
Die Hamilton-Funktion P2
3 P 2
ED # C 'P 2 sin2 # C C 'P cos #
X 2 2
@L
HD qP i L (5.101) C MgR cos # D const:
i
@Pqi (5.104)
Die drei Erhaltungsgrößen des schweren symmetrischen
ist gleich der erhaltenen Gesamtenergie des Systems, Kreisels lassen sich also direkt an der Lagrange-Funktion
wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: ablesen.
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus 181
Teil I
Kreisels wurden hier gar nicht benötigt, da die drei Er- LD xP C d mgd sin ˛: (5.109)
2 2
haltungsgrößen (E, p und p' ) auf drei einfachere Glei-
chungen geführt haben. Es bleibt dem interessierten Leser Frage 11
überlassen, die entsprechenden Lagrange-Gleichungen
als Übung abzuleiten. J Überprüfen Sie diese Überlegungen und Rechenschritte.
Übersicht: Lagrange-Formalismus
Teil I
Im Lagrange-Formalismus kann der typische Lösungsweg 4. Suchen Sie nach zyklischen Koordinaten. Für sie sind die
für ein Problem mit konservativen Kräften folgendermaßen damit verbundenen generalisierten Impulse
zusammengefasst werden:
@L
1. Überlegen Sie sich für ein gegebenes System mit N pj D
@Pqj
Punktmassen, dass die r holonomen Zwangsbedingungen
holonom sind. Dies führt auf F D 3N r Freiheitsgra-
de. Die funktionale Form fa .x/ der Zwangsbedingungen erhalten.
muss dabei gar nicht bekannt sein. 5. Verwenden Sie für die nichtzyklischen Koordinaten die
2. Suchen Sie F generalisierte Koordinaten qj , die nicht Lagrange-Gleichungen
durch die Zwangsbedingungen eingeschränkt sind. Die
ursprünglichen kartesischen Koordinaten erfüllen dabei d @L @L
D 0;
dt @Pqj @qj
xi .t; q1 ; : : : ; qF / .1 i 3N/:
auf.
FG p1 m2
x1 .t/ x1 .0/ D t R Œsin '.t/ sin '.0/ : (5.121)
M M
Offensichtlich muss noch eine Aussage über die Zeitabhängig-
Abb. 5.6 Beim Rollpendel kann die Masse m1 reibungsfrei auf einer Schiene keit '.t/ getroffen werden. Dazu schreiben wir die entsprechen-
rollen. Eine zweite Masse m2 ist daran mit einem masselosen Stab der Länge R de Lagrange-Gleichung auf. Nach kurzer Rechnung findet man
befestigt und kann unter dem Einfluss der Schwerkraft schwingen
R'R C xR 1 cos ' C g sin ' D 0: (5.122)
und damit z
R'R C xR 1 C g' D 0 (5.124)
Teil I
schreibt. Wir eliminieren xR 1 aus der Bewegungsgleichung für ',
indem wir (5.120) einmal nach der Zeit ableiten, nachdem wir
die Näherung (5.123) verwendet haben. Dies führt wegen ψ
m2 R
xR 1 R'R (5.125) g
Θ, M
M r
auf
g M
'R ': (5.126)
R m1
Bei (5.126) handelt es sich um eine harmonische Schwingungs-
gleichung, die zu
g M m
'.t/ D A sin .!t 0/ ; !2 D (5.127)
R m1
Frage 13
Überlegen Sie sich, dass die zwei Freiheitsgrade des Problems Aufhängepunkt des oberen Fadens. Die x3 -Achse zeigt nach
mit vier Anfangsbedingungen für p1 und x.0/ sowie A und 0 oben; die Gravitationsbeschleunigung erfüllt demnach g D
versehen sind. gOe3 . Alle linearen Bewegungen können nur entlang der x3 -
Achse stattfinden. Wir verwenden daher jeweils die Koordinaten
z und Z sowie die Geschwindigkeiten zP und ZP für die Punktmas-
Sind alle vier Anfangsbedingungen bekannt, sind die beiden Be-
se und das Jo-Jo. Weiterhin befindet sich die Punktmasse m in
wegungsgleichungen vollständig gelöst, jedenfalls solange die
einem Behälter mit Wasser, sodass m eine dissipative Reibungs-
Näherung (5.123) erfüllt ist. Andernfalls ist das Problem nicht
kraft
analytisch, wohl aber mit numerischen Methoden lösbar.
F .d/ D KPz (5.128)
Mit der zusätzlichen Zwangsbedingung x1 D const reduziert
sich das Rollpendelproblem auf das einfache Stangenpendel. In erfährt (siehe (1.31)) beim Fall mit Stokes’scher Reibung).
diesem Fall gibt es mit ' nur eine generalisierte Koordinate und
Achtung Man beachte, dass (5.128) keine Zwangsbedingung
keine zyklische Koordinate. Interessierte Leser können diesen
darstellt, da sie nicht die Unabhängigkeit der Koordinaten ein-
Spezialfall schnell ableiten, indem x1 in der Lagrange-Funktion
schränkt. J
als konstant behandelt wird.
Zunächst überlegt man sich, wie viele Freiheitsgrade das Sys-
tem ohne Zwangsbedingungen hätte und wie viele Zwangsbe-
dingungen zu berücksichtigen sind. Das Jo-Jo als starrer Körper
Doppeltes Jo-Jo mit Reibung hat ursprünglich sechs, die Punktmasse drei Freiheitsgrade.
Die folgenden Zwangsbedingungen sind zu berücksichtigen (in
Wie in Abb. 5.7 dargestellt, stellen wir uns ein Jo-Jo (Masse M Klammern steht die Anzahl der damit verbundenen unabhängi-
und Trägheitsmoment bezüglich der Drehachse) vor, das an gen Zwangsbedingungen):
einem Faden abrollt. Der Faden ist an einem Punkt oberhalb des
Jo-Jos befestigt und mit einem Radius R um das Jo-Jo gewickelt. Schwerpunktsbewegung des Jo-Jos entlang einer Achse (2),
Das Jo-Jo ist so gebaut, dass ein zweiter Faden an ihm befestigt feste Rotationsachse des Jo-Jos (2),
ist, an welchem eine Punktmasse m hängt. Dieser zweite Faden Abrollbedingung für das Jo-Jo (1),
ist mit einem Radius r um das Jo-Jo gewickelt. Rollt das Jo- Bewegung der Punktmasse entlang einer Achse (2),
Jo vom oberen Faden ab, so wickelt sich gleichzeitig der untere Abrollbedingung für Punktmasse (1).
Faden ab.
Der Drehwinkel des Jo-Jos ist so definiert, dass er beim Ab- Es gibt acht Zwangsbedingungen und damit nur einen Freiheits-
rollen anwächst. Wir legen den Koordinatenursprung in den grad.
184 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
@z
gilt, denn es bewegt sich beim Abrollen nach unten. Hier ist Z0 Q.d/ D Fz.d/ D K.R C r/2 P : (5.138)
eine konstante Referenzhöhe, die in den Bewegungsgleichun- @
gen nicht auftreten wird. Es ist zu beachten, dass beliebige
reelle Werte annehmen kann und nicht auf das Intervall Œ0; 2 / Schließlich lautet die Bewegungsgleichung
eingeschränkt ist.
1 R 2 g D 3 K P ; (5.139)
Für die Punktmasse gilt
wobei 3 D .R C r/2 als weitere Abkürzung eingeführt
z D z0 R r ; (5.132) wurde. Gleichung (5.139) ist mit dem Ausdruck (1.32) der Sto-
kes’schen Reibung zu vergleichen. Ist (5.139) gelöst, können
denn die Bewegung der Punktmasse wird durch das Abrollen die Bewegungen von z und Z aus (5.131) und (5.132) gewonnen
beider Fäden beeinflusst. Analog verwenden wir eine konstante werden. Es handelt sich bei (5.139) um eine lineare, inhomoge-
Referenzhöhe z0 . Da die Radien R und r konstant sind, folgt ne Differenzialgleichung erster Ordnung in P . Hier bietet sich
der Ansatz h i
ZP D R P ; zP D .R C r/ P : (5.133) P D !1 1 e .tt0 / (5.140)
5.4 Beispiele zur Anwendung des Lagrange-Formalismus 185
an. !1 D P j t!1 ist die Endwinkelgeschwindigkeit, und ist Im Inertialsystem formuliert lautet die Lagrange-Funktion
ein Parameter, der vom Reibungskoeffizienten K abhängt. Die-
1 2
Teil I
ser Ansatz beruht auf den beiden Annahmen, dass zu Beginn L.x; xP / D mPx V.x/: (5.147)
(t D t0 ) das System in Ruhe ist und der Endzustand P D !1 2
asymptotisch erreicht wird. Wir wollen allerdings die Bewegungsgleichungen für die gestri-
chenen Koordinaten aufstellen. Dazu müssen x und xP durch Ort
Frage 16 und Geschwindigkeit im gestrichenen System (x0 und xP 0 ) ersetzt
Zeigen Sie, dass der Ansatz (5.140) auf die Gleichung werden. Die Lagrange-Funktion lautet dann (Striche bezeichnen
hier keine Ableitungen, sondern lediglich das gewählte Koordi-
.3 K!1 2 g/ C !1 .1 3 K/ e .tt0 /
D 0 (5.141) natensystem)
1 2
führt. L0 .x0 ; xP 0 / Dm xP 0 C !0 x0 b0 V.x0 /
2
m
D xP 02 C mPx0 !0 x0 b0 (5.148)
Damit diese Gleichung zu allen Zeiten t erfüllt ist, müssen 2
m 0 0 2
C ! x b0 V 0 .x0 /:
3 K!1 2 g D 0 (5.142) 2
Es ist wieder zu beachten, dass die Lagrange-Funktionen L.x; xP /
und und L0 .x0 ; xP 0 / sowie die Potenziale V.x/ und V 0 .x0 / zwar jeweils
1 3 K D 0 (5.143) dieselbe Größe beschreiben, aber im Allgemeinen unterschied-
liche Funktionen ihrer Argumente sind. Die genaue Form des
separat gelten. Die erste Gleichung führt auf die Endwinkelge- Potenzials spielt hier keine Rolle. Die Winkelgeschwindigkeit
schwindigkeit !0 und die Verschiebung b0 sind vorgegeben und verhalten sich
bei der Differenziation nach x0 und xP 0 wie Konstanten.
2 g .MR C mR C mr/g
!1 D D ; (5.144) Die Ableitung nach den Koordinaten lautet
3 K .R C r/2 K
dL0 dV 0 .x0 /
0
D mPx0 !0 C m !0 .x0 b0 / !0 : (5.149)
die zweite auf den noch fehlenden Parameter dx dx0
3 K .R C r/2 K Frage 18
D D : (5.145)
1 MR C C .R C r/2
2
Überprüfen Sie dies mithilfe der Komponentenschreibweise.
Es ist trivial, (5.140) noch einmal aufzuintegrieren. Dies erfor-
dert noch eine Anfangsbedingung für den Winkel. Somit ist das Weiterhin ist
Problem des doppelten Jo-Jos mit Reibung exakt und vollstän- @L0
dig gelöst. D mPx0 C m!0 x0 b0 : (5.150)
@Px0
Wir berechnen noch
d @L0
Rotierende Bezugssysteme x0 C m!
0 D mR P 0 x0 b0 C m!0 xP 0 ; (5.151)
dt @Px
0
In Kap. 2 wurden die Bewegungsgleichungen einer Punktmasse wobei wir bP D 0 angenommen haben (Ausschluss einer relati-
in rotierenden Bezugssystemen aufgestellt. Wir können dies je- ven linearen Geschwindigkeit zwischen den Bezugssystemen).
doch mithilfe des Lagrange-Formalismus mit weniger Aufwand Die Bewegungsgleichung (5.83) lautet dann
durchführen. Man erinnere sich dabei an (2.74): dV 0 .x0 /
D mRx0 C m!
P 0 x0 b0 C 2m!0 xP 0
dx 0 (5.152)
xP D R> xP 0 C !0 x0 b0 : (5.146)
C m!0 !0 .x0 b0 /
Diese Gleichung verknüpft die Geschwindigkeit xP in einem In- und entspricht somit genau der Lösung (2.79), die wir bereits
ertialsystem (ungestrichen) mit der Geschwindigkeit xP 0 in einem gefunden haben.
dazu mit !0 rotierenden System (gestrichen).
Dieses Beispiel zeigt die Mächtigkeit des Lagrange-Forma-
Frage 17 lismus. Auch bei Problemen ohne Zwangsbedingungen ist er
Rufen Sie sich die Bedeutung der restlichen Symbole in Erin- extrem nützlich, wie hier bei Koordinatentransformationen. Der
nerung. Übergang von kartesischen Koordinaten zu Kugelkoordinaten
wird in Aufgabe 5.3 durchgeführt.
186 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
5.5 Variationsrechnung
y
Teil I
x
Mathematische Grundlagen und physikalische
Abb. 5.8 Zur Lichtbrechung: Das Licht wählt denjenigen Weg, der die
Bedeutung gesamte Laufzeit zwischen zwei Punkten minimiert. Dies führt auf das
Brechungsgesetz
Die Newton’schen Bewegungsgleichungen und die Lagrange-
Gleichungen sind Differenzialgleichungen. Ist der Zustand ei- Der Lichtstrahl laufe von einem Punkt x1 im linken zu
nes Systems zu einer gegebenen Zeit t bekannt, so kann man einem Punkt x2 im rechten Halbraum, wobei wir zur Ver-
daraus den Zustand zur Zeit t C dt berechnen. Im Idealfall lässt einfachung z D 0 setzen. In beiden Halbräumen folgt das
sich die gesamte Bahnkurve des Systems durch Integration der Licht jeweils einer Geraden. Der Übergang zwischen den
Bewegungsgleichungen in geschlossener Form angeben. Dieser Halbräumen findet per Definition im Punkt .0; y; 0/ statt.
Zugang kann als Differenzialprinzip bezeichnet werden. Die gesamte Lichtlaufzeit ist
q q
Es ist allerdings möglich, die Bewegungsgleichungen aus einem n1 n2
D x21 C .y y1 /2 C x22 C .y2 y/2 : (5.153)
Prinzip abzuleiten, das die gesamte Bahnkurve – und nicht einen c c
infinitesimalen Abschnitt – als Grundlage nimmt. Hier spricht
man auch von dem Integralprinzip. Was hat es mit dieser Aus- Die Vakuumlichtgeschwindigkeit c ist in den Halbräumen
sage auf sich? jeweils um den Faktor n1 bzw. n2 vermindert. Das Fer-
mat’sche Prinzip lautet
Um dies genauer zu verstehen, müssen wir ein wenig aus-
holen und einige mathematische Grundlagen bereitstellen. Im ı D 0; (5.154)
Rahmen der Differenzialrechnung ist es eine leichte Übung,
stationäre Punkte einer Funktion y.x/ zu finden: Diese Punkte denn die Lichtlaufzeit soll extremal (in diesem Fall mi-
erfüllen dy=dxjxDa D 0. Dabei kann es sich um ein Maximum, nimal) sein. Eine Störung von entspricht einer kleinen
Minimum oder einen Sattelpunkt handeln. Die Variationsrech- Verschiebung ıy. Die Anfangs- und Endpunkte x1 und x2
nung hingegen macht es sich zur Aufgabe, Funktionen y.x/ zu bleiben unverändert. Es folgt
finden, die ein bestimmtes Integral über eine Funktion dieser
Funktion extremal machen. Funktionen von Funktionen nennt d
ı D ıy D 0 (5.155)
man Funktionale (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 5.2). dy
Dies führt auf die Extremalprinzipien, die in der Physik eine
wichtige Rolle spielen. und somit
n1 y y1 n2 y2 y
q D q : (5.156)
Fermat’sches Prinzip c x2 C .y y /2 c x2 C .y y/2
1 1 1 2
Ein eingängiges Beispiel für ein Extremalprinzip kommt Dies lässt sich durch die Winkel der Lichtstrahlen darstel-
aus der geometrischen Optik: Das Fermat’sche Prinzip len (Abb. 5.8). Man findet mit
besagt, dass längs eines tatsächlich realisierten Licht-
strahles die Lichtlaufzeit extremal wird. Betrachten wir n1 sin ˛1 D n2 sin ˛2 (5.157)
zwei Halbräume mit unterschiedlichen Brechungsindizes
n1 (links) und n2 (rechts), wie in Abb. 5.8 dargestellt. das Brechungsgesetz. J
5.5 Variationsrechnung 187
Teil I
Die Variationsrechnung verallgemeinert die Extremwertbe- Ein weiteres Beispiel sind die bestimmten Integrale
stimmung von „gewöhnlichen“ Funktionen: Sie fragt näm- der auf dem Intervall Œa; b 2 R stetigen Funktionen
lich nach stationären Punkten (Maximum, Minimum, Sat- C 0 .Œa; b; R/. Betrachten wir konkret die bekannten In-
telpunkt) von sogenannten Funktionalen. Wir müssen daher tegralregeln
zunächst verstehen, was Funktionale sind. Ein Funktional ist
grob gesprochen eine Funktion auf Funktionen. Zb Zb Zb
f1 .x/ dx C f2 .x/ dx D .f1 .x/ C f2 .x// dx
Definition Genauer sei V ein K-Vektorraum (K 2 fR; Cg).
Dann ist ein Funktional T eine Abbildung a a a
T W V ! K: und
ein lineares Funktional, d. h., der Funktion f wird ihr Wert Literatur
an der Stelle 0 zugewiesen. Von der Dirac-Distribution
wird in der theoretischen Physik reger Gebrauch gemacht. Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
Sie wird in Kap. 11 gründlich diskutiert. mischer Verlag, 2012
In diesem Abschnitt wird das folgende von Euler aufgeworfe- gen Parameters x. Die Endpunkte x0 und x1 sind vorgegeben,
ne Problem sehr wichtig werden: Man finde diejenige Funktion ebenso die Werte y.x0 / und y.x1 /.
y.x/, für die das Integral
Man kann sich leicht vorstellen, dass das Integral F von der
Zx1 Gestalt von y.x/ abhängt. Wir nehmen nun an, dass F für eine
FŒy D f .x; y; y0 / dx (5.158) Funktion y.x/ extremal ist. Wodurch unterscheiden sich jedoch
x0
alle anderen möglichen Funktionen yQ .x/ von y.x/?
y
das Funktional
Teil I
Z1 Z1 P1 (x1 , y1 )
2 y1
FŒy D y.x/ y0 .x/x dx D x 2x2 dx
0 0
ˇ
3 ˇ1
ỹ(x)
x 1
D ˇˇ D (5.159) δy(x)
3 0 3 y(x)
Abb. 5.9 Eine kleine Störung ıy.x/ führt von y.x/ auf eine alternative Funkti-
Historisch wurde die Variationsrechnung im Jahre 1696 durch on. Die beiden Endpunkte P0 .x0 ; y0 / und P1 .x1 ; y1 / bleiben dabei fest
den Schweizer Mathematiker Johann Bernoulli (1667–1748)
begründet, der das Problem der Brachistochrone löste. Dabei
ging es darum, diejenige Kurve zu finden, auf der sich eine Näherung gleich demjenigen längs yQ .x/ D y.x/ C ıy.x/ ist. Ma-
Punktmasse reibungsfrei am schnellsten von einem Punkt zu ei- thematisch schreiben wir
nem anderen bewegt (Aufgabe 5.5).
Zx1 Zx1
So wie man bei Funktionen extremale Punkte durch die Be- @f @f d.ıy/
trachtung von Tangenten diskutieren kann, betrachten wir nun 0 D ıF D ıf dx D ıy C 0 dx; (5.164)
@y @y dx
eine infinitesimale Störung um die gesuchte Funktion y. Da- x0 x0
zu führen wir eine weitere Funktion yQ ein, die sich für alle
x 2 Œx0 ; x1 nur um eine infinitesimale Funktion ıy von y un- wobei (5.162) verwendet wurde. Mithilfe einer partiellen Inte-
terscheidet (Abb. 5.9): gration lässt sich der zweite Summand umformen. Man schreibt
Euler-Gleichung der Variationsrechnung einführen. Offensichtlich lässt sich dann die Euler-Glei-
Teil I
chung (5.168) anwenden:
Das Integral
Zx1
d @f @f
FŒy D f .x; y; y0 / dx (5.167) D 0: (5.172)
dx @y0 @y
x0
wird bei festgehaltenen Randpunkten y.x0 / und y.x1 / ex- Da f nicht von y, sondern nur von y0 abhängt, folgt
tremal, wenn die Funktion y.x/ die Euler-Gleichung
d y0 y0
p D0 H) p D const:
d @f @f dx 1 C y02 1 C y02
D0 (5.168) (5.173)
dx @y0 @y
Diese Gleichung ist nur für y0 D m D const erfüllbar und
erfüllt. Diese Gleichung ist also die notwendige Bedin- führt auf die Lösung
gung an y.x/. Eine Funktion y.x/, die (5.168) erfüllt, heißt
Extremale. y D mx C c: (5.174)
Vertiefung: Variationsrechnung
Teil I
In (5.160) wurde die Variation der Funktion y.x/ eingeführt. und kann mit den üblichen Methoden der Differenzialrech-
Im Allgemeinen ist die Variationsrechnung mit Funktiona- nung behandelt werden. Dies soll im Folgenden ausgenutzt
len schwieriger zu handhaben als die Kurvendiskussion einer werden.
Funktion. Der Grund ist, dass das Argument eines Funktio-
Unter der Variation von F versteht man nun den Ausdruck
nals eine Funktion ist – und keine einfache Zahl.
ˇ
Hier werden im Prinzip dieselben Rechnungen wie im dF ˇˇ
ıF D d:
Haupttext durchgeführt, allerdings mathematisch stringenter d ˇ D0
als dort.
Analog ist
Für unsere Zwecke lässt sich eine formale Vereinfachung
ˇ
anwenden, bei der das Funktional in eine Funktion umge- @y ˇˇ
ıy D d
wandelt werden kann. Betrachten wir dazu ein Funktional @ ˇ D0
Zx1
die Variation von y.
FŒy D f .x; y; y0 / dx:
x0
Kommen wir nun zurück zum Problem der unbekannten
Funktion y.x/. Zunächst ist
Gesucht ist diejenige Funktion y.x/, die FŒy für feste End-
ˇ Zx1
punkte y.x0 / und y.x1 / stationär macht. Der Strich steht hier dF ˇˇ @f @y @f @y0
0D D C 0 dx:
und im Folgenden für die Ableitung nach x. d ˇ D0 @y @ @y @
x0
Nun schreiben wir, ausgehend von (5.160):
Mithilfe der üblichen partiellen Integration und der Bedin-
y.x; / WD y.x/ C ıy.x; / D y.x; 0/ C .x/: gung, dass die Variation von y an den Rändern verschwindet,
folgt
Wir parametrisieren die Variation von y.x/ also mit einem
Parameter und führen eine beliebige Funktion .x/ ein, ˇ Zx1
dF ˇˇ @f d @f @y
deren Gestalt hier keine Rolle spielt. Es wird lediglich ver- 0D D dx:
langt, dass sie bei x0 und x1 verschwindet. Die Funktion d ˇ D0 @y dx @y0 @
x0
y.x/ D y.x; 0/ ist noch unbekannt; wir wissen allerdings,
dass sie sich für D 0 aus y.x; / ergibt. Wir halten in Ge- Multipliziert man beide Seiten mit d und betrachtet den
danken y.x/ und .x/ fest und definieren nun die Funktion Grenzfall D 0, erhalten wir offensichtlich die Gleichung
oder in Kurzform wieder wobei wir y und y0 stellvertretend für alle yi und y0i schreiben.
Wir nehmen hier nun schon vorweg, dass in der Mechanik die yi
Zx1 und y0i später durch die voneinander unabhängigen, generalisier-
FŒy D f .x; y; y0 / dx; (5.176) ten Koordinaten qi und ihre Zeitableitungen qP i sowie x durch die
x0 Zeit t ersetzt werden. Die Anzahl N der von x bzw. t abhängigen
5.5 Variationsrechnung 191
Parametern entspricht dann gerade der Anzahl der Freiheitsgra- nannt wird. Jeder mögliche Systemzustand q entspricht genau
de des Systems. einem Punkt in diesem Konfigurationsraum, der als RF darge-
Teil I
stellt werden kann. Der Konfigurationsraum ist in der Regel kein
Gesucht ist nun der Satz von Funktionen yi .x/ (1 i N),
Vektorraum, wie man sich am Beispiel der Euler-Winkel schnell
für die das Funktional FŒy mit den festen Randbedingungen
klarmachen kann.
yi .x0 / D yi;0 und yi .x1 / D yi;1 stationär wird. Die Variation ıf
lautet in diesem Fall
Kreisel im Konfigurationsraum
@f @f @f @f
ıf D ıy1 C : : : C ıyN C 0 ıy01 C : : : C 0 ıy0N
@y1 @yN @y1 @yN Ein freier Kreisel hat sechs Freiheitsgrade, z. B. drei
X @f @f 0
Schwerpunkts- und drei Orientierungskoordinaten, X und
D ıyi C 0 ıyi : #, ', . Man kann diese sechs Koordinaten als die gene-
@yi @yi
i ralisierten Koordinaten verwenden: q D .q1 ; : : : ; q6 / D
(5.177) .X1 ; X2 ; X3 ; #; '; /. Alle erdenklichen Konfigurationen
Sie muss erneut dieses Kreisels werden durch genau einen Punkt q in
Zx1
einem sechsdimensionalen Konfigurationsraum beschrie-
0 D ıF D ıf dx (5.178)
ben. J
x0
Es sind also N partielle Differenzialgleichungen zweiter ein. Sie ist nichts weiter als das Zeitintegral der Lagrange-
Ordnung unter Berücksichtigung der 2N Randbedingun- Funktion entlang der tatsächlichen Bahn q.t/. Die physikalische
gen yi .x0 / D yi;0 und yi .x1 / D yi;1 zu lösen. Einheit der Wirkung ist Energie mal Zeit. Man erkennt sofort
die Äquivalenz mit (5.176). Mithilfe der Wirkung lässt sich nun
ein Integralprinzip postulieren.
Vertiefung: Variationsrechnung
Teil I
Bei bestimmten Problemen nimmt das zu variierende Inte- Was passiert, wenn man n unabhängige Parameter xj zu be-
gral die Gestalt rücksichtigen hat? In diesem Fall ist
Zx1
Zx1;1 Zxn;1
FŒy D f .x; y; y0 ; y00 / dx @y @y
FŒy D dx1 : : : dxn f x1 ; : : : ; xn ; y; ;:::; :
x0 @x1 @xn
x1;0 xn;0
an (beispielsweise bei der Balkenbiegung, die wir hier aller-
dings nicht besprechen). Auch hier sollen an den Rand- Wieder werden festgehaltene Randpunkte y.x0;1 ; : : : ; x0;n /
punkten die Werte von y, aber auch die von y0 festgehalten und y.x1;1 ; : : : ; x1;n / betrachtet. Die resultierenden Euler-
werden. Man kann dann durch zweifache partielle Integrati- Gleichungen lauten
on zeigen, dass die entsprechenden Euler-Gleichungen
d2 @f d @f @f Xn
@ @f @f
00 0 C D0 .1 i N/ D0 .1 i N/:
dx @yi
2 dx @yi @yi @xj @.@yi =@xj / @yi
jD1
lauten und somit Differenzialgleichungen vierter Ordnung
sind. Es sind also weitere Randbedingungen zu spezifizieren, Anwendungen mit mehreren unabhängigen Parametern fin-
um die Gleichungen lösen zu können. det man vor allem in Feldtheorien.
und Endpunkte der Bahn, also q.t0 / und q.t1 /, wieder festgehal-
für eine infinitesimale Variation der Wirkung. Diese Aus- ten werden. Das Ergebnis lautet also
sage wird auch als das Wirkungsprinzip oder Prinzip der
stationären Wirkung bezeichnet. d @L @L
D0 .1 i F/ (5.183)
dt @Pqi @qi
Das Wirkungsprinzip ist sehr abstrakt und hat auf den ersten für die F generalisierten Koordinaten qi .t/. Diese Gleichungen
Blick mit den Bewegungsgleichungen der Mechanik nichts zu nennt man daher auch die Euler-Lagrange-Gleichungen.
tun. Tatsächlich aber ist die Wichtigkeit des Wirkungsprinzips
für die theoretische Physik nicht hoch genug einzustufen. So
wird im Anschluss gezeigt, wie sich die Lagrange-Gleichungen Äquivalenz von Hamilton’schem Prinzip und Lagrange-
zweiter Art aus (5.182) herleiten lassen. Gleichungen
Achtung Da in den meisten mechanischen Problemen die Alle Rechenschritte, die vom Hamilton’schen Prinzip auf
Wirkung entlang der tatsächlichen Bahn minimal wird, spricht (5.183) führen, sind umkehrbar. Daher sind das Hamil-
man auch vom Prinzip der kleinsten Wirkung. Da aber nicht in ton’sche Prinzip (5.182) und die Euler-Lagrange-Glei-
allen Fällen die Wirkung minimal ist, handelt es sich um eine chungen (5.183) äquivalent.
sprachliche Ungenauigkeit, und man sollte besser vom Prinzip
der extremalen Wirkung sprechen. J
Warum ist das Hamilton’sche Prinzip nun so wichtig? In Ab-
schn. 5.3 wurden die Lagrange-Gleichungen aus den New-
ton’schen Axiomen hergeleitet. Die Newton’schen Axiome
Herleitung der Lagrange-Gleichungen haben allerdings den großen Nachteil, dass sie nicht invari-
aus dem Hamilton’schen Prinzip ant unter Koordinatentransformationen sind, die keine Galilei-
Transformationen sind. So gelten die Newton’schen Axiome
in ihrer ursprünglichen Form beispielsweise nicht in Kugelko-
Im Grunde wurde mit der Bereitstellung von (5.180) bereits
ordinaten oder beschleunigten Bezugssystemen; die Lagrange-
alles gesagt, was nötig ist, um die Lagrange-Gleichungen zwei-
Gleichungen sind von dieser Einschränkung nicht betroffen.
ter Art aus dem Hamilton’schen Prinzip abzuleiten. Dazu muss
Das Hamilton’sche Prinzip stellt die Bewegungsgleichungen
man lediglich erkennen, dass die Funktion f .x; y; y0 / durch die
und damit die Dynamik auf ein tieferes Fundament.
Lagrange-Funktion L.t; q; qP / ersetzt wird. Die Wirkung SŒq
übernimmt die Rolle des Funktionals FŒy. Der unabhängige Pa- Wir werden weiterhin in Kap. 20 sehen, dass das Wirkungsprin-
rameter x wird zur Zeit t. Es ist zu beachten, dass die Anfangs- zip äußerst fruchtbar für die Formulierung von Feldtheorien ist.
5.5 Variationsrechnung 193
Tatsächlich lässt sich das Variationsprinzip in fast allen Berei- (5.176) extremal machen, wobei aber gleichzeitig r Nebenbe-
chen der theoretischen Physik anwenden, um verallgemeinerte dingungen
Teil I
Bewegungsgleichungen zu erhalten. Dies zeigt letztlich, dass Zx1
viele Gebiete der Physik in ihrer zugrunde liegenden Struktur Fj D fj .x; y; y0 / dx D Cj D const .1 j r/ (5.184)
sehr ähnlich sind, selbst wenn völlig unterschiedliche Systeme
x0
betrachtet werden (wie z. B. Punktmassen, elektromagnetische
Felder und Kosmologie). Die Wirkung S spielt insbesondere ei- erfüllt sein sollen. Hier ist darauf zu achten, dass für das
ne wichtige Rolle in der Quantenmechanik. Dies kommt bei der Funktional F als auch für alle Nebenbedingungen Fj dieselben
Pfadintegralquantisierung eines physikalischen Systems (Ab- Integrationsgrenzen (x0 und x1 ) zu verwenden sind. Man kann
schn. 25.5) besonders klar zum Ausdruck. dann zeigen, dass das Funktional
Das Hamilton’sche Prinzip führt im Gegensatz zum Lagrange- X
r
F WD F j Fj (5.185)
Formalismus nicht zu einer weiteren Vereinfachung von kon-
jD1
kreten Berechnungen der Bewegungsgleichungen. Vielmehr ist
es ein fundamentales Prinzip, das koordinatenunabhängig ist. ebenfalls stationär ist, wobei r konstante Lagrange-Multipli-
Es bietet eine äußerst elegante und kompakte Formulierung der katoren eingeführt wurden. Daraus lassen sich die Euler-Glei-
mechanischen Gesetze. chungen für isoperimetrische Nebenbedingungen ableiten.
y2
was auf die Euler-Gleichung
Teil I
f1 (y1 , y2 ) = 0
d r0 r
p C r p D0 (5.191)
d' r2 C r02 r2 C r02
1 r2 2r02 r00 r
D D const: (5.192) F = C1
.r2 C r02 /3=2
F = C2
F = C3
Diese Differenzialgleichung wird unter anderem von r D
D const gelöst, wie man durch Einsetzen schnell sieht. F = C4
Es handelt sich also um einen Kreis mit Radius . Man F = C5
kann mithilfe von (1.123) und ein wenig Geduld auch di- F = C6
rekt zeigen, dass der linke Ausdruck in (5.192) die (hier
konstante) Krümmung der Kurve r.'/ in Polarkoordina- y1
ten beschreibt. J
Abb. 5.10 In diesem Beispiel soll F.y1 ; y2 / unter der Nebenbedingung
f1 .y1 ; y2 / D 0 minimiert werden (holonome Nebenbedingung). Das absolute
Minimum von F ist als blauer Punkt markiert. Die schwarzen Linien entspre-
Im Gegensatz zu isoperimetrischen Nebenbedingungen lassen chen „Höhenlinien“ mit konstanten Werten für F, wobei C1 < C2 < : : : < C6
sich holonome Nebenbedingungen (Abb. 5.10) folgendermaßen ist. Die Nebenbedingung f1 entspricht einer Kurve in der y1 -y2 -Ebene. Der rote
berücksichtigen: Erneut soll das Funktional (5.176) extremal Punkt ist dann das Minimum von F auf der Kurve f1
werden. Diesmal sollen allerdings r < N holonome Nebenbe-
dingungen
Im Grunde lassen sich die holonomen Nebenbedingungen von
fj .x; y/ D 0 .1 j r/ (5.193) Anfang an umgehen, indem man unabhängige Koordinaten
wählt, die an das Problem angepasst sind (siehe dazu auch Auf-
vorliegen. Für diese Situation lassen sich die Euler-Gleichungen gabe 5.3 und 5.6). Isoperimetrische Nebenbedingungen können
für holonome Nebenbedingungen herleiten. allerdings nicht als holonome Nebenbedingungen geschrieben
werden; sie lassen sich also nicht durch geschickte Koordina-
tenwahl absorbieren, denn die Lagrange-Gleichungen zweiter
Euler-Gleichungen für holonome Nebenbedingungen Art sind nur mit holonomen Nebenbedingungen kompatibel.
Die N Funktionen yi .x/ lassen sich aus Aus (5.194) folgen unmittelbar die Lagrange-Gleichungen ers-
ter Art (5.32), wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:
Xr Die abhängigen Parameter yi beschreiben kartesische Koordi-
d @f @f @fj
0 D j .x/ .1 i N/ (5.194) naten xi , der unabhängige Parameter x ist die Zeit t, und die
dx @yi @yi jD1
@y i Lagrange-Funktion lautet
X mi
bestimmen. LD xP 2i V.t; x/: (5.195)
i
2
Beispiel dafür. Diese Überlegungen führen auf das wesent- Wir werden in Kap. 7 außerdem noch sehen, dass die Lagrange-
lich allgemeinere Noether-Theorem, das jeder kontinuierlichen Gleichungen ihre Form (5.83) behalten, wenn man von einem
Teil I
Symmetrie einen Erhaltungssatz zuordnet. Dabei kommen wir Satz generalisierter Koordinaten zu einem anderen wechselt,
wieder auf die Galilei-Transformationen zu sprechen; es wird qi ! Qi .t; q/.
gezeigt, dass sie eng mit der Homogenität von Raum und Zeit
sowie der Isotropie des Raumes verflochten sind. In Abschn. 2.2 wurden die Galilei-Transformationen diskutiert.
Sie beschreiben den Übergang zwischen beliebigen Inertial-
systemen, in denen dasselbe physikalische System beobachtet
wird. Es handelt sich also um passive Koordinatentransforma-
Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion tionen. Wir wissen bereits, dass unter Galilei-Transformationen
und Galilei-Invarianz die Newton’schen Bewegungsgleichungen invariant bleiben.
Dies führt auf die Frage, was mit der Lagrange-Funktion ge-
Die Lagrange-Funktion ist nicht eindeutig: Es können beliebig schieht, wenn die Koordinaten einer solchen Transformation
viele Lagrange-Funktionen angegeben werden, die auf diesel- unterworfen werden.
ben Bewegungsgleichungen führen. Hier beschränken wir uns Dazu betrachten wir ein System mit N Punktmassen, de-
allerdings auf den Spezialfall, dass zur Lagrange-Funktion ei- ren Bewegungsgleichungen sich aus einer Lagrange-Funktion
ne totale Zeitableitung addiert wird. Man betrachte dazu eine L.t; x; xP / ableiten lassen. Wir haben bereits gesehen, dass eine
beliebige Funktion f .t; q/ und die Transformation allgemeine Galilei-Transformation von einem ungestrichenen
df .t; q/ zu einem gestrichenen Inertialsystem durch (2.36) und (2.37),
L ! L0 D L C : (5.196)
dt
x0 D R.x b/; t0 D t t0 ; (5.198)
Am schnellsten sieht man, dass der Zusatzterm keinen Einfluss
auf die Bewegungsgleichungen hat, indem man das Hamil-
beschrieben wird. Sie enthält eine Verschiebung des Zeitnull-
ton’sche Prinzip (5.182) anwendet. Die Wirkung wird nur durch
punktes um t0 D const sowie des Koordinatenursprungs um b
eine Konstante geändert,
(mit bP D const) und eine Drehung der Koordinatenachsen (mit
S ! S0 D S C f .q.t1/; t1 / f .q.t0/; t0 /; (5.197) Drehmatrix R D const). Eine zeitabhängige Drehmatrix würde
auf Scheinkräfte und damit modifizierte Bewegungsgleichun-
welche bei der Variation keine Rolle spielt. Die Lagrange- gen führen. Aus dem gleichen Grund muss bP konstant sein. Eine
Funktionen L und L0 führen daher auf ununterscheidbare Be- konstante Verschiebung des Zeitnullpunktes wirkt sich nicht auf
wegungsgleichungen. Zeitableitungen aus.
Die Lagrange-Funktion im gestrichenen Inertialsystem lautet,
Freiheit in der Wahl der Lagrange-Funktion ausgedrückt durch die ungestrichenen Koordinaten:
Die Bewegungsgleichungen bleiben invariant, wenn zu
1X
der Lagrange-Funktion die totale Zeitableitung einer L.t0 ; x0 ; xP 0 / D mi xP 02 0 0
i V .x /
Funktion f .t; q/ addiert wird. 2 i
1X
D mi xP 2i V x.x0 /
2 i
Die Invarianz der Bewegungsgleichungen unter der Transfor-
X (5.199)
bP X
mation (5.196) lässt sich auch direkt, aber mit ein wenig mehr 2
Aufwand zeigen (Aufgabe 5.7). C bP mi xP i C mi
i
2 i
Achtung Diese Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion wird
gelegentlich als Eichinvarianz der klassischen Mechanik be- X bP X
2
D L.t; x; xP / C bP mi xP i C mi :
zeichnet, ist aber von der Eichinvarianz, wie sie in Feldtheorien 2 i
i
eine bedeutende Rolle spielt (siehe Kap. 11 und 20) zu unter-
scheiden. Im Falle der Eichinvarianz von Feldtheorien geht es
Hier ist V 0 .x0 / eine anderen Funktion als V.x/, die aber dasselbe
um eine Redundanz der dynamischen Variablen, während auch
Potenzial beschreibt.
in Feldtheorien ohne Eichinvarianz eine analoge Unbestimmt-
heit der Lagrange-Funktion vorliegt. J Frage 24
Frage 23 Führen Sie diese Rechnung explizit durch. Arbeiten Sie dazu
Zeigen Sie, dass die Bewegungsgleichungen auch invariant am besten mit der Indexschreibweise.
bleiben, wenn man die gesamte Lagrange-Funktion mit einer
Konstanten multipliziert. Diese Art von Invarianz interessiert
uns im Folgenden jedoch nicht. Man sieht, dass die Transformation Zusatzterme in L erzeugt.
Wir zeigen nun, dass es eine Funktion f gibt, deren totale Zeit-
196 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
diese Gleichung, wobei benutzt wurde, dass bP konstant ist. Der Ansatz in (5.202) wird nun verallgemeinert. Betrachten wir
eine infinitesimale Transformation
Frage 25
qi ! q0i D qi C qQ i .t; q; qP /; t ! t0 D t C Qt.t; q; qP /: (5.203)
Überprüfen Sie dies.
Hier ist erneut ein kontinuierlicher, aber infinitesimaler Para-
meter. Die endlichen Größen qQ i und Qt dürfen selbst Funktionen
Für bP D 0 sind sowohl die Bewegungsgleichungen als auch der Koordinaten, Geschwindigkeiten und der Zeit sein. Die Pro-
die Lagrange-Funktion selbst invariant unter Galilei-Transfor- dukte qQ i und Qt sind insgesamt wieder infinitesimale Größen.
mationen. Ist bP 6D 0, d. h. sind beide Inertialsysteme relativ Höhere Terme in können vernachlässigt werden. Für D 0 ist
zueinander bewegt, bleibt die Lagrange-Funktion nicht invari- die Transformation die Identität.
ant. Allerdings können die Zusatzterme als totale Zeitableitung
geschrieben werden. Wir kommen am Ende dieses Kapitels Die Bewegungsgleichungen bleiben dann invariant, wenn sich
nochmals auf diesen Punkt zurück. die Wirkung S unter dieser Transformation höchstens um eine
Konstante ändert:
0
Zt1 Zt1 Zt1
dq0 df
Das Noether-Theorem dt0 L t0 ; q0 ; 0 D dt L.t; q; qP / C dt : (5.204)
dt dt
t00 t0 t0
Wir kommen nun zu einer allgemeineren Betrachtung von Da die Transformation (5.203) infinitesimal ist, muss auch der
Symmetrien und Erhaltungsgrößen. Dieser Abschnitt ist kon- zweite Term auf der rechten Seite von (5.204) infinitesimal sein.
zeptionell und technisch anspruchsvoller als die vorherigen. Er Genau wie qQ i und Qt ist f endlich, das Produkt f aber infinite-
kann beim ersten Lesen übersprungen werden. simal. Hier und im Folgenden bedeuten Punkte die Ableitung
Es wurde bereits in Abschn. 5.3 gefunden, dass zyklische Ko- nach t; die Ableitung nach t0 wird explizit aufgeschrieben, um
ordinaten auf erhaltene konjugierte Impulse führen. Anders Verwechslungen zu vermeiden.
formuliert bedeutet diese Aussage: Ist die Lagrange-Funktion Unser Ziel ist es nun, die Invarianzbedingung (5.204) so umzu-
(und damit die Wirkung) eines mechanischen Systems unter der formen, dass wir eine klare Aussage daraus herleiten können.
Verschiebung einer Koordinate qi invariant, so ist der zugehöri- Zunächst lässt sich das erste Integral in (5.204) umformen:
ge konjugierte Impuls pi erhalten. In diesem Fall ist qi zyklisch,
0
tritt also in der Lagrange-Funktion überhaupt nicht auf. Dies Zt1 Zt1
dq0 dq0 dt0
kann auch durch dt0 L t0 ; q0 ; 0 D dt L t0 ; q0 ; 0 : (5.205)
dL dt dt dt
qi ! q0i D qi C H) D0 (5.202) t00 t0
d
Die Invarianzbedingung (5.204) verlangt dann für die Integran-
ausgedrückt werden. Dabei ist ein kontinuierlicher Parameter.
Ist qi zyklisch, muss die Lagrange-Funktion auch unabhängig
den 0
df 0 0 dq
von sein; daher muss die Ableitung in (5.202) verschwinden. D L t ; q ; 0 Pt0 L.t; q; qP /; (5.206)
dt dt
In anderen Worten: Die Lagrange-Funktion ist invariant unter
der Transformation (5.202), egal welchen Wert auch annimmt. da die Zeitpunkte t0 und t1 beliebig sind.
Man spricht hier von einer kontinuierlichen Symmetrie der La- Man kann die transformierte Lagrange-Funktion mit als Ent-
grange-Funktion. wicklungsparameter um D 0 entwickeln:
Im Alltag wird der Begriff „Symmetrie“ meist in Bezug auf 0
0 0 dq
Spiegelungen verwendet. Physikalisch und mathematisch be- L t ; q ; 0 Pt0
dt
deutet er, dass ein System unter einer bestimmten Transfor- ˇ (5.207)
d dq0 ˇ
mation (Spiegelung, Drehung, Verschiebung, Vertauschung von D L .t; q; qP / C L t0 ; q0 ; 0 Pt0 ˇˇ :
Variablen usw.) sich nicht ändert. d dt D0
5.6 Symmetrien und Erhaltungssätze 197
Es wurde dabei ausgenutzt, dass L .t0 ; q0 ; dq0 =dt0 / Pt0 j D0 D Hier wurden bisher nur die Kettenregel und die Produktregel
L.t; q; qP / ist. Setzt man (5.207) in (5.206) ein, findet man die verwendet. Weiterhin ist
Teil I
neue Invarianzbedingung.
df X @L X @L @L
D qQ i C qPQ i qP iPQt C Qt C LPQt
dt i
@qi i
@Pqi @t
Invarianzbedingung !
X @L @L P
X @L @L
Die Bewegungsgleichungen sind dann unter einer infini- D qQ i C qQ i C L qP i PQt C Qt:
tesimalen Transformation (5.203) invariant, wenn i
@qi @Pqi i
@Pqi @t
ˇ (5.212)
d dq0 ˇ df Im ersten Schritt wurde D 0 ausgeführt, im zweiten wur-
L t0 ; q0 ; 0 Pt0 ˇˇ D (5.208)
d dt D0 dt den die Terme sortiert. Es ist zu beachten, dass die Lagrange-
Funktion nun wieder eine Funktion L.t; q; qP / ist und somit
für eine beliebige Funktion f gilt. das ursprüngliche, nichttransformierte System beschreibt. Ins-
besondere bedeutet dies, dass die Lagrange-Gleichungen (5.83)
und das damit hergeleitete Ergebnis (5.93) verwendet werden
Praktisch bedeutet dies, dass für eine gegebene Lagrange- können, um mit der Umformung fortzufahren:
Funktion und eine gegebene Transformation (5.203) überprüft !
werden muss, ob der Term auf der linken Seite von (5.208) als df d X @L X @L @L
totale Zeitableitung einer Funktion f geschrieben werden kann. D qQ i C L qP i PQt C Qt
dt dt i @Pqi i
@P
q i @t
Ist dies nicht der Fall, sind die Bewegungsgleichungen nicht in- " ! # (5.213)
variant. Verschwindet die rechte Seite von (5.208), so ist die d X @L X @L
Wirkung selbst invariant. D qQ i C L qP i Qt :
dt i
@Pqi i
@Pqi
Es fehlt noch ein wichtiger Zusammenhang: Da zyklische Ko-
ordinaten auf erhaltene Impulse führen, stellt sich die Frage, ob
eine Symmetrie der Form (5.208) nicht auch mit einer entspre- Frage 27
chenden Erhaltungsgröße zusammenhängt. Dies ist tatsächlich Rechnen Sie (5.213) nach, indem Sie alle Zwischenschritte
der Fall, und es wird im Folgenden hergeleitet, wie diese Erhal- überprüfen.
tungsgröße direkt berechnet werden kann.
Um (5.208) weiter umzuformen, benötigen wir einige Hilfsglei- Wir haben nun das Ziel erreicht: Die linke und die rechte Seite
chungen. Zum einen gilt von (5.213) sind totale Zeitableitungen. Ihre Differenz hat daher
eine verschwindende totale Zeitableitung und stellt somit eine
qP 0i D qP i C qPQ i ; Pt0 D Pt C PQt D 1 C PQt: (5.209) erhaltene Größe dar.
Daraus folgt
Noether-Theorem
dq0i dt qP i C qPQ i
D 0 qP 0i D D 1 PQt qP i C qPQ i Sind die Bewegungsgleichungen unter der infinitesima-
dt0 dt 1 C QPt (5.210) len Koordinatentransformation (5.203) invariant, d. h. gilt
D qP i C qQ i qP i PQt:
P (5.208), so ist die Größe
!
X @L X @L
Die letzten beiden Umformungen sind zulässig, da infinitesi- I.t; q; qP / D qQ i C L qP i Qt f (5.214)
mal ist. Wir schreiben (5.208) als i
@Pqi i
@Pqi
df d h iˇ
ˇ
L t C Qt; q C qQ ; qP C qPQ qP PQt 1 C PQt ˇ
eine Erhaltungsgröße. Dies bedeutet: Zu jeder infinitesi-
D
dt d D0 malen Transformation, welche die Wirkung höchstens um
ˇ
X @L ˇ eine Konstante ändert, gibt es eine Erhaltungsgröße.
ˇ
D qQ i 1 C PQt ˇ
@ .q i C Q
q i / ˇ
i D0
ˇ
X ˇ Man verwendet zunächst (5.208), um zu überprüfen, ob eine
@L ˇ
C qQP i qP iPQt 1 C PQt ˇˇ kontinuierliche Symmetrie vorliegt. Dabei erhält man automa-
i @ q P i C qPQ i qP i PQt ˇ tisch die Funktion f . Die damit verbundene Erhaltungsgröße
D0
ˇˇ ˇ lässt sich dann mithilfe von (5.214) bestimmen.
@L ˇ
C Qt 1 C PQt ˇˇ C LPQtˇ :
@ .t C Qt/ D0 D0 Achtung Diskrete Symmetrien wie Spiegelungen können
(5.211) mit dieser Methode nicht erfasst werden. J
198 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Energieerhaltung aus Symmetrie Betrachten wir beispielsweise eine Masse, die mit einem Faden
an einem Nagel an der Zimmerdecke befestigt ist. Dies ist nichts
Teil I
weiter als das sphärische Pendel (Abschn. 5.1). Wir haben ge-
Welche Erhaltungsgröße folgt aus einer Invarianz unter
lernt, wie man die Lagrange-Funktion für die unter dem Einfluss
konstanter Verschiebung des Zeitnullpunktes? Hierzu be-
der Schwerkraft schwingende Masse aufstellen und die Bewe-
trachtet man eine infinitesimale Transformation (5.203)
gungsgleichungen ableiten kann. Doch wird dabei der Nagel,
mit qQ i D 0. Eine infinitesimale Verschiebung der Zeit-
die Wand, ja alles andere im Universum ignoriert.
koordinate ist durch Qt D const gegeben. Es gilt zunächst
dL=d D 0 und dPt0 =d D PQt D 0. Aus (5.208) folgt dann Durch die Position des Nagels und die Richtung der Gravitati-
df =dt D 0, d. h., f ist eine Konstante, die keine Rolle onskraft sind ein Punkt und eine Richtung ausgezeichnet. Man
spielt und gleich null gesetzt werden kann. Das Noether- findet schnell, dass keine Komponente des Impulses der Masse
Theorem (5.214) besagt dann, dass erhalten ist. Allerdings sind der Drehimpuls um die senkrechte
Achse (Richtung der Gravitationskraft) und die Energie erhal-
X @L
HD qP i L (5.215) ten. Dies hängt mit den Symmetrieeigenschaften der Lagrange-
i
@Pqi Funktion zusammen.
erhalten ist. Dies ist gerade die Gesamtenergie des Sys- Stellen wir uns nun ein abgeschlossenes System von N Punkt-
tems, siehe (5.95). J massen vor, auf das keine äußeren Kräfte irgendeiner Art
wirken. Alle inneren Kräfte sollen durch nicht näher bestimmte
Paarwechselwirkungen beschrieben werden können. Dies soll
ebenfalls für mögliche Zwangskräfte gelten. Die Lagrange-
Zeittranslationsinvarianz und Energieerhaltung Funktion lautet dann, in kartesischen Koordinaten formuliert:
1X 1X
Ist die Wirkung invariant unter einer konstanten Verschie- L.x; xP / D mi xP 2i Vij .jxi xj j/: (5.217)
bung des Zeitnullpunktes, so ist die Gesamtenergie des 2 i 2
j6Di
Systems erhalten.
Welche allgemeinen Erhaltungsgrößen ergeben sich daraus?
Zunächst sieht man, dass L nicht explizit von der Zeit t abhängt.
Frage 28 Die Lagrange-Funktion beschreibt also ein System, das inva-
Eine zyklische Koordinate qi ist ein Spezialfall mit der Trans- riant unter Zeitverschiebungen ist. In diesem Zusammenhang
formation q0i D qi C ; t0 D t; d. h. qQ i D const und Qt D 0. Alle spricht man von der Homogenität der Zeit: Es spielt keine Rolle,
anderen Koordinaten qj bleiben unverändert, qQj D 0 (j 6D i). wann das System betrachtet wird. Es ergibt sich immer die glei-
Zeigen Sie, dass die entsprechende Invariante dann der zu qi che Dynamik, unabhängig davon ob diese gestern, heute oder
konjugierte Impuls ist: morgen studiert wird. Wir haben bereits gesehen, dass dies auf
die Energieerhaltung führt.
@L
I.t; q; qP / D D pi : (5.216) Eine Verschiebung aller N Punktmassen um einen Vektor b,
@Pqi
d. h. xi ! xi C b mit b D const, ändert weder die Geschwin-
Verfahren Sie dabei ähnlich wie im vorherigen Beispiel. digkeiten xP i noch die relativen Abstände jxi xj j. Daher ist L
unter solch einer Verschiebung invariant. Das Noether-Theorem
(5.214) besagt dann, dass die Größe
In Aufgabe 5.8 wird der Zusammenhang zwischen der Isotropie X @L X
des Raumes und der Drehimpulserhaltung hergeleitet. ID bD pi b D P b (5.218)
i
@Px i i
beschrieben werden. Wir wissen bereits, dass Beträge und Ab- Wirkung, wohl aber die Bewegungsgleichungen invariant blei-
stände unter Drehungen invariant sind, d. h., Drehungen haben ben. Verwendet man die Gesamtmasse M und die Lage des
Teil I
auf die Terme xP 2i und jxi xj j keinen Einfluss. Es muss also ei- Schwerpunktes X, so hat man zunächst
ne Erhaltungsgröße mit solch einer Drehung verbunden sein. In
P
f D MX b: (5.221)
Aufgabe 5.8 wird gezeigt, dass dann der Gesamtdrehimpuls L
erhalten ist. Diese Invarianz unter Drehungen ist die Isotropie Wir berechnen die damit verbundene Erhaltungsgröße aus dem
des Raumes. Für ein abgeschlossenes System spielt also seine Noether-Theorem (5.214). Dazu benötigen wir noch den Term
Orientierung keine Rolle. Für Fallexperimente gilt dies nicht,
X @L X
da mit der Gravitationskraft eine Richtung ausgezeichnet ist. P D
bt P D M XP bt:
mi xP i bt (5.222)
@Pxi
Achtung Ist ein System nur invariant unter Verschiebung in i i
eine bestimmte Richtung b0 , so ist nur der Impuls in ebendie- Demnach muss
ser Richtung erhalten. Genauso ist nur der Drehimpuls um eine
bestimmte Achse nO 0 erhalten, falls das System nur invariant ge- I D M XP bt
P MX bP D M Xt
P X bP (5.223)
genüber Drehungen um ebendiese Achse ist. Dies entspricht
jeweils dem Fall, dass nur eine generalisierte Koordinate (und die gesuchte Erhaltungsgröße sein. Da bP beliebig gewählt wer-
nicht drei) zyklisch ist. J den kann, besagt dieser Erhaltungssatz nichts anderes, als dass
sich der Schwerpunkt geradlinig-gleichförmig bewegt. Dies ent-
Frage 29 spricht dem bekannten Äquivalenzprinzip: Die Bewegungsglei-
Ein Elektron befinde sich in einem (unendlich ausgedehnten) chungen der Mechanik sind invariant unter Transformationen
Plattenkondensator. Die elektrischen Feldlinien stehen dabei zwischen Inertialsystemen, die konstante Relativgeschwindig-
senkrecht auf den Platten. Welche Erhaltungsgröße ergibt sich keiten mit einschließen.
hieraus für das Elektron?
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
5.1 Perle auf rotierendem Stab Eine Perle gleite an m1 befestigt. Die zweite Punktmasse kann in der x-z-Ebene
reibungsfrei und ohne angewandte Kräfte auf einem Stab, der unter dem Einfluss der homogenen Schwerkraft FG D m2 gOez
sich in der x-y-Ebene mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ! schwingen. Der Auslenkungswinkel des Pendels ist '.
um den Ursprung dreht.
(a) Wählen Sie geeignete verallgemeinerte Koordinaten und
(a) Stellen Sie die Bewegungsgleichung mithilfe der Lagrange- stellen Sie die Lagrange-Funktion auf.
Gleichungen erster Art auf. Lösen Sie die Bewegungsglei- (b) Leiten Sie die Bewegungsgleichungen ab.
chung. Führen Sie die Rechnungen in Zylinderkoordinaten (c) Nehmen Sie nun an, dass der Auslenkungswinkel ' klein ist.
durch. Wie lautet die Zwangskraft? Welche Bedeutung hat Zeigen Sie, dass sich beide Bewegungsgleichungen jeweils
sie? Ist die Energie erhalten? in der Form
(b) Verwenden Sie die Lagrange-Gleichungen zweiter Art für aRq C bq D f .q0 ; qP 0 ; qR 0 / (5.224)
dasselbe Problem, um die Bewegungsgleichungen aufzustel-
schreiben lassen. Hier sind a und b konstante Koeffizienten,
len. Wie sieht es mit der Energieerhaltung aus?
q ist die eine und q0 die andere verallgemeinerte Koordinate.
Beide Bewegungsgleichungen beschreiben eine erzwungene
x
Schwingung. Dies wird in Kap. 6 genauer diskutiert.
m1
Lösungshinweis: Die gesuchten Lagrange-Gleichungen lau- gelöst werden kann, wobei ˛ der Bahnparameter und C eine
ten geeignet zu wählende Konstante ist. Die damit beschriebene
Teil I
Kurve ist eine Zykloide (Abb. 5.12a). Überlegen Sie sich, wie
d @V
.mPr/ mr #P 2 C 'P 2 sin2 # D ; Sie den Parameter C für gegebene Anfangs- und Endpunkte be-
dt @r stimmen können.
d 2 P @V
mr # mr 'P sin # cos # D ;
2 2
(5.226) 5.6 Kürzeste Verbindung auf Kugeloberfläche
dt @#
d 2 @V Was ist die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf
mr 'P sin2 # D : einer Kugeloberfläche mit Radius R? Hier könnte man das Ver-
dt @'
fahren der holonomen Nebenbedingungen in Kugelkoordinaten
verwenden, um die gesuchte Kurve auf r R D 0 einzu-
5.4 Pendel mit variabler Fadenlänge Erweitern schränken. Dies führt allerdings zu aufwendigen Rechnungen.
Sie das Problem des sphärischen Pendels in Abb. 5.3 in folgen- Einfacher ist es, direkt eine Parametrisierung auf der Kugelober-
der Weise: Die Fadenlänge sei eine vorgegebener Funktion der fläche zu verwenden.
Zeit, R D R.t/.
(a) Wie lautet das Linienelement ds auf der Kugeloberfläche?
(a) Wie lautet die Lagrange-Funktion in Kugelkoordinaten? (b) Stellen Sie die Euler-Gleichung für die gesuchte Funktion
Nutzen Sie dazu die Ergebnisse aus Aufgabe 5.3. Was ist '.#/ auf. Zeigen Sie, dass
bei der Aufstellung der Bewegungsgleichungen zu beachten
(denken Sie dabei an die Anzahl der Freiheitsgrade)? Wie
' D C1 arcsin.C2 cot #/ (5.229)
lauten die Bewegungsgleichungen?
(b) Zeigen Sie, dass die Hamilton-Funktion nicht der Energie
entspricht. Was ist die Ursache? Zeigen Sie, dass die Energie diese Differenzialgleichung löst (C1 und C2 sind Integrati-
erhalten ist, wenn R.t/ konstant ist. Wie lautet die Änderung onskonstanten).
der Energie mit der Zeit? (c) Schreiben Sie die Lösung (5.229) in kartesischen Koordi-
naten. Verwenden Sie dazu das trigonometrische Additions-
theorem sin.˛ˇ/ D sin ˛ cos ˇcos ˛ sin ˇ. Interpretieren
5.5 Brachistochrone Finden Sie die Kurve y.x/, Sie das Ergebnis.
entlang der eine Punktmasse im homogenen Gravitationsfeld
reibungsfrei am schnellsten von einem Punkt .x0 ; 0/ zu einem
Punkt .x1 ; y1 / mit x1 6D x0 und y1 > 0 gleitet. Dabei stellt y.x/ 5.7 Unbestimmtheit der Lagrange-Funktion
eine Zwangsbedingung dar. Die y-Achse zeigt hier ebenso wie Zeigen Sie durch Einsetzen in die Euler-Lagrange-Gleichung,
die Gravitationskraft nach unten. dass eine Eichtransformation
Die Punktmasse soll zu Beginn bei y D 0 ruhen. Die resul-
df .t; q/
tierende Kurve nennt man Brachistochrone. Gehen Sie von der L0 .t; q; qP / D L.t; q; qP / C (5.230)
Energieerhaltung aus: Die Zunahme der kinetischen Energie dt
entspricht der durchfallenen Potenzialdifferenz:
keinen Einfluss auf die Bewegungsgleichungen hat. Hier reicht
m m 2 es aus, nur eine generalisierte Koordinate q zu berücksichtigen.
mgy D v 2 D xP C yP 2 : (5.227)
2 2 Das Ergebnis lässt sich direkt auf mehrere generalisierte Koor-
dinaten verallgemeinern.
Stellen Sie zunächst einen Ausdruck für die benötigte Zeit auf
und formen Sie ihn so um, dass er die Gestalt (5.158) annimmt. 5.8 Isotropie des Raumes und Drehimpulserhal-
Stellen Sie die Differenzialgleichung für y.x/ auf. tung Im Text wurde gezeigt, dass die Lagrange-Funktion
(5.217) invariant ist, wenn alle Punktmassen mit derselben
Lösungshinweis: Die umständlich lange Rechnung ausgehend
beliebigen Drehmatrix R um den Ursprung gedreht werden.
von der Euler-Gleichung lässt sich umgehen, wenn man nach
Schreiben Sie diese Drehung in Form einer infinitesimalen
Erhaltungsgrößen Ausschau hält.
Transformation (5.203) auf. Verwenden Sie dazu infinitesimale
Überprüfen Sie anschließend, dass die Differenzialgleichung Drehungen, wie sie in Abschn. 2.3 eingeführt wurden. Benut-
durch die Parametrisierung zen Sie die Indexschreibweise, anstatt mit Vektoren zu arbeiten.
Welches Ergebnis liefert (5.208)? Wie lautet die damit verbun-
x.˛/ D x0 C C.˛ sin ˛/; y.˛/ D C.1 cos ˛/ (5.228) dene Erhaltungsgröße?
202 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
(a) Die Perle kann sich nur entlang des Stabes bewegen; sie m%R m%'P 2 D 0; m%'R D 0: (5.239)
besitzt also nur einen Freiheitsgrad. Die beiden Zwangsbe-
dingungen lauten Hier sind wir einen kleinen Umweg gegangen, um das
Schema zum allgemeinen Lösen der Lagrange-Gleichungen
f1 D ' !t D 0; f2 D z D 0: (5.231) erster Art einzuhalten. Wegen ' D !t mit konstantem !
hätte man aber auch direkt 'R D 0 hinschreiben können. Die
Hier ist ' der Polarwinkel in der x-y-Ebene. Es ist für das Zeitableitung 'P D ! ist also konstant. Dies liefert die end-
Endergebnis unerheblich, ob die Rechnungen in Zylinder- gültige Form der Bewegungsgleichung für %:
oder kartesischen Koordinaten durchgeführt werden; Zylin-
derkoordinaten sind aber aufgrund der Rotationssymmetrie %R D ! 2 %: (5.240)
einfacher. Da die Bewegung vollständig in einer Ebene
stattfindet, kann das äquivalente zweidimensionale Problem Nehmen wir an, dass % 6D 0 erfüllt ist, so lautet die allge-
behandelt werden. Es ist daher nur eine Zwangsbedingung meine Lösung
mit einem Lagrange-Multiplikator nötig:
%.t/ D %C eC!t C % e!t : (5.241)
mRx D r f ; z D 0: (5.232)
Wie zu erwarten gibt es für die Bewegung von % zwei
Der Gradient in Zylinderkoodinaten lautet wegen der Unab- Integrationskonstanten, die durch die Anfangsbedingungen
hängigkeit von z und (2.113): gegeben sind. Die Perle wird sich langfristig immer nach
außen bewegen, wenn nicht gerade %C D 0 gilt.
@f 1 @f Die Zwangskraft lautet
r f D eO % C eO ' : (5.233)
@% % @'
P eO ' :
Z D r f D 2m%! (5.242)
Der Ortsvektor liegt in der x-y-Ebene und zeigt in radiale
Richtung. Daher kann er als Dies ist die Kraft, welche die Perle auf dem Stab hält; sie
entspricht nicht der Zentrifugalkraft. Da sich die Perle frei in
radialer Richtung bewegen kann, wird die Zentrifugalkraft
x D %Oe% (5.234)
durch keine Zwangskraft kompensiert.
Die Energiegleichung (5.37) führt wegen V D 0 auf
geschrieben werden. Glücklicherweise wurde die Beschleu-
nigung in Zylinderkoordinaten bereits in (2.123) angegeben. dT @f
Wegen z D 0 ist zunächst D D 2m%%P '!
P D 2m%%!
P 2: (5.243)
dt @t
xR D %R %'P 2 eO % C .%'R C 2%P '/
P eO ' : (5.235) Die Energie nimmt daher stark zu, wenn sich die Perle radial
nach außen bewegt.
Die Koeffizienten der Basisvektoren eO % und eO ' müssen die (b) Die Lagrange-Funktion lautet wegen V D 0 in Zylinderko-
Bewegungsgleichung erfüllen. Dies führt auf das Zwischen- ordinaten
ergebnis m 2
LDTD %P C %2 ! 2 : (5.244)
2
@f @f Es gibt nur einen Freiheitsgrad und mit % nur eine verallge-
m%R m%'P 2 D ; m%'R C 2m%P 'P D : (5.236)
@% % @' meinerte Koordinate. Die Bewegungsgleichung kann direkt
hingeschrieben werden:
Offensichtlich ist @f =@% D 0 und @f =@' D 1. Die zweite
Zeitableitung der Zwangsbedingung lautet m%R D m%! 2 : (5.245)
fR D 'R D 0 (5.237) Dies entspricht bereits (5.240) aus dem ersten Aufgabenteil.
Die Lösung der Bewegungsgleichung muss selbstverständ-
und führt nach Einsetzen in (5.236) auf lich nicht wiederholt werden.
Wie sieht es aber mit der Energieerhaltung im Formalis-
D 2m%%P ':
P (5.238) mus der Lagrange-Gleichungen zweiter Art aus? Hier soll
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 203
an (5.101) erinnert werden. Da die Zwangsbedingung f D Nach Ausführung der Zeitableitung verbleiben die Glei-
' !t D 0 nicht skleronom ist, chungen
Teil I
@f .m1 C m2 /Rx C m2 l'R cos ' m2 l'P 2 sin ' C 2kx D 0 (5.255)
D ! 6D 0; (5.246)
@t
und
entspricht die Hamilton-Funktion nicht der Energie. Den- l'R C xR cos ' C g sin ' D 0: (5.256)
noch ist die Hamilton-Funktion (5.101) eine Erhaltungsgrö-
ße, da die Lagrange-Funktion nicht explizit von der Zeit t (c) Kleine Winkel bedeuten, dass die trigonometrischen Funk-
abhängt. Wir haben im ersten Aufgabenteil schon gesehen, tionen entwickelt werden können:
dass die Energie nicht erhalten wird, da die Zwangskraft Ar-
beit am System leistet. sin ' '; cos ' 1: (5.257)
Es ergibt sich die Lagrange-Funktion xP 1 D rP sin # cos ' C r#P cos # cos ' r'P sin # sin ';
m1 C m2 2 m2 2 2 xP 2 D rP sin # sin ' C r#P cos # sin ' C r'P sin # cos ';
LD xP C l 'P C m2 l.Px'P C g/ cos ' kx2 :
2 2
(5.252) xP 3 D rP cos # r#P sin #:
(b) Aus der Lagrange-Funktion (5.252) folgen die Bewegungs- (5.261)
gleichungen Die kinetische Energie lautet
m 2
d TD xP C xP 22 C xP 23
Œ.m1 C m2 /Px C m2 l'P cos ' C 2kx D 0 (5.253) 2h1
dt m 2 i (5.262)
D rP C r2 #P 2 C 'P 2 sin2 # :
und 2
sin2 x C cos2 x D 1, bereitet aber keine konzeptionellen (c) Für die Zwangsbedingung
Schwierigkeiten. Man erkennt, dass keine gemischten Ter-
Teil I
Für #0 D 90ı reduzieren sich die Gleichungen genau auf (a) Es kann zunächst direkt die Lagrange-Funktion in Kugelko-
diejenigen in Abschn. 3.2. Die Bewegungsgleichungen sind ordinaten aufgeschrieben werden:
bis auf konstante Vorfaktoren identisch zu denen, die in Ab-
schn. 3.2 diskutiert wurden. Daher unterscheiden sich die LDTV
Lösungsverfahren nicht von denen, die in Kap. 3 besprochen mh 2 i (5.277)
wurden. D RP C R2 #P 2 C 'P 2 sin2 # mgr cos #:
2
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 205
Bei der Aufstellung der Bewegungsgleichung ist zu beach- wobei s der Bahnparameter ist. Er erfüllt
ten, dass nur # und ' Freiheitsgrade sind. Es gibt daher nur p p
Teil I
zwei Lagrange-Gleichungen. Obwohl der Radius und seine ds D dx2 C dy2 D dx 1 C y02 : (5.285)
Zeitableitung in der Lagrange-Funktion auftreten, handelt es
sich dabei um eine vorgegebene Funktion ohne Freiheit. Die Die Bahngeschwindigkeit ist
Bewegungsgleichungen lauten
p
vD 2gy: (5.286)
mR2 #R C2mRRP #P D mR2 'P 2 sin # cos # CmgR sin # (5.278)
Folglich lautet das zu minimierende Integral
und
Zx1 s
mR 'R sin # C 2mR 'P #P sin # cos #
2 2 2 1 C y02
D dx : (5.287)
(5.279) 2gy
C 2mRRP 'P sin2 # D 0: x0
Zs1 Man kann nun durch eine kurze Umformung (auf einen Bruch-
ds
D ; (5.284) strich bringen, dann mit 1cos ˛ erweitern) zeigen, dass (5.293)
v
s0 und (5.294) äquivalent sind.
206 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
a b
Teil I
P0 F (α)
0,5 1 x
2
0,5
(α1 , 1)
1
1
P1
y
0 1 2 3 α
Abb. 5.12 Die Brachistochrone in a ist die Kurve, auf der eine Punktmasse reibungsfrei am schnellsten vom Punkt P0 nach P1 gleitet. Hier wurde der Endpunkt
.1; 1/> willkürlich gewählt. Die Funktion F.˛/ in b wird benötigt, um die Gestalt der Brachistochrone festzulegen. Für einen gegebenen Wert F.˛1 / (die gewählten
Punkte P0 und P1 führen auf F.˛1 / D 1) lässt sich der Parameter ˛1 ablesen oder numerisch berechnen
Um die Zykloide für zwei gegebene Punkte .x0 ; 0/ und .x1 ; y1 / Demnach muss
zu bestimmen, muss C so gewählt werden, dass die Kurve durch
beide Punkte läuft. Man sieht direkt, dass der Anfangspunkt ' 0 sin2 #
1=2 D K (5.300)
˛ D 0 entspricht. Der Endpunkt erfüllt wegen (5.228) 1 C ' 02 sin2 #
Beschränkt man sich auf die Kugeloberfläche, so ist dr D 0. Eine weitere kurze Rechnung führt auf
Außerdem ist unser Ziel, eine Parametrisierung '.#/ mit
' 0 D d'=d# zu erhalten: C2
KD q : (5.304)
q 1 C C22
ds D R 1 C ' 02 sin2 # d#: (5.298)
Da sowohl K als auch C2 Konstanten sind, löst (5.229) tat-
(b) Die resultierende Euler-Gleichung ist
sächlich die Euler-Gleichung.
d ' 0 sin2 # (c) Die Lösung (5.229) schreiben wir als
D 0: (5.299)
d# 1 C ' 02 sin2 # 1=2
RC2 cot # D R sin.C1 '/ (5.305)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 207
bzw. Die Transformation x0a;i D rij xa;j muss zunächst in die Form
RC2 cos # D R sin.C1 '/ sin # x0a;i D xa;i C xQ a;i gebracht werden. Für eine infinitesimale Dre-
Teil I
hung gilt
D R sin # .sin C1 cos ' cos C1 sin '/ :
(5.306) rij D ıij C "ijk d D ıij C "ijk nk : (5.313)
k
In kartesischen Koordinaten lautet dies
0 1 0 1
sin C1 R sin # cos ' Dabei ist d k ein infinitesimaler Drehwinkel, und zeigt in
@ cos C1 A @ R sin # sin ' A D 0: (5.307) Richtung der Drehachse n. O Alternativ können wir dafür nk
C2 0 schreiben, wobei infinitesimal und der konstante Winkel
endlich ist. Das Levi-Civita-Symbol "ijk und der infinitesima-
Es handelt sich dabei um die Schnittgleichung einer Ebene le Parameter sind dabei streng voneinander zu unterscheiden.
mit Normalenvektor n D .sin C1 ; cos C1 ; C2 /> mit einer Ein Vergleich zeigt
Kugel mit Radius R und Mittelpunkt im Ursprung. Die Ebe-
ne n x D 0 läuft durch den Ursprung. Daher handelt es sich xQ a;i D "ijk nk xa;j ; (5.314)
bei den Schnitten um Großkreise. Die kürzeste Verbindung
zweier Punkte auf der Kugeloberfläche ist also ein Segment d. h., die Änderung von xa;i hängt von xa;j ab. Dies ist bei Dre-
desjenigen Großkreises, auf dem die Punkte liegen. hungen nicht anders zu erwarten. Wegen Qt D 0 und t0 D t folgt
zunächst
5.7 Die Euler-Lagrange-Gleichung lautet
xPQ a;i D "ijk nk xP a;j : (5.315)
d @L @L
D 0: (5.308)
dt @Pq @q Die folgende Rechnung dient lediglich der Übung, liefert aber
keine neuen Erkenntnisse: Wir berechnen nun
Durch die Funktion f .t; q/ werden die Beiträge
xP 0a;i xP 0a;i D xP a;i xP a;i C 2"ijk xP a;i xP a;j nk ; (5.316)
d @ df .t; q/ @ df .t; q/ ‹
D0 (5.309)
dt @Pq dt @q dt wobei die Einstein’sche Summenkonvention die Summation
über i; j; k impliziert und der 2 -Term vernachlässigt wur-
hinzugefügt. Es ist zu untersuchen, ob sie tatsächlich verschwin- de. Wegen der Eigenschaften des Levi-Civita-Symbols ist
den. Zunächst ist "ijk xP a;i xP a;j D 0 und somit xP 02
a Dx
P 2a .
df .t; q/ @f .t; q/ @f .t; q/ Ganz analog findet man, dass jxa xb j invariant ist. Somit tritt
D qP C : (5.310) in der Lagrange-Funktion überhaupt nicht auf:
dt @q @t
ˇ
Der erste Beitrag in (5.309) lautet damit d dq0 ˇ
L t0 ; q0 ; 0 Pt0 ˇˇ D 0: (5.317)
d dt D0
d @ df .t; q/ d @f .t; q/ @2 f .t; q/ @2 f .t; q/
D D qP C ; (5.311)
dt @Pq dt dt @q @q 2 @t@q Wir haben eine Symmetrie gefunden.
der zweite ist Mit dem Noether-Theorem (5.214) lässt sich die zugehörige Er-
haltungsgröße bestimmen. Wegen Qt D 0 und f D 0 folgt
@ df .t; q/ @2 f .t; q/ @2 f .t; q/
D P
q C : (5.312) X @L X
@q dt @q2 @q@t ID xQ a;i D pa;i "ijk nk xa;j
a
@Pxa;i a
Sind die Ableitungen vertauschbar, heben sich die Terme paar- X (5.318)
weise auf, und die Bewegungsgleichungen sind tatsächlich D "ijk nk pa;i xa;j D nO L:
invariant. a
5.8 Um Verwechslungen zu vermeiden, verwenden wir die In- Es ist also die Projektion des Gesamtdrehimpulses L auf die
dizes i; j; k für die Koordinaten und a; b für Punktmassen. Die Achse nO erhalten. Da nO aber beliebig ist, ist der Drehimpuls L
i-te Komponente des Ortsvektors der Punktmasse a ist xa;i . selbst eine Erhaltungsgröße.
208 5 Lagrange-Formalismus und Variationsrechnung
Literatur
Teil I
Fließbach, T.: Mechanik: Lehrbuch zur Theoretischen Physik I. Weiterführende Literatur
SpringerSpektrum, Wiesbaden (2015)
Forster, O.: Analysis 3: Maß- und Integrationstheorie, Integral- Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-
sätze im IRn und Anwendungen (Aufbaukurs Mathematik). sellschaft, Wiesbaden (1981)
SpringerSpektrum, Wiesbaden (2012)
Schwingungen
6
Teil I
Was sind kleine
Schwingungen, und warum
sind sie so wichtig?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_6, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 211
212 6 Schwingungen
Dieses Kapitel beschäftigt sich genauer mit den für die Physik ex- Ob die Bewegungsgleichung
trem wichtigen harmonischen Schwingungen. Sie sind deshalb von
Teil I
a b c d
V
Teil I
q0
q0 q0
q0
q q q q
Abb. 6.1 Mögliche stationäre Punkte eines Potenzials V.q/. a Ein Minimum bei q0 bildet ein stabiles Gleichgewicht , bei dem Auslenkungen auf Rückstellkräfte
führen. b Das Gleichgewicht ist instabil, wenn es sich um ein Maximum handelt, da Auslenkungen in jede Richtung auf Kräfte führen, welche die Auslenkung
vergrößern. c Sattelpunkte führen ebenfalls auf instabile Gleichgewichte. Nicht alle Auslenkungen führen auf Rückstellkräfte. d Hängt das Potenzial gar nicht von q
ab, ist das Gleichgewicht indifferent . Es treten keine Kräfte beim Auslenken auf
einer harmonischen Schwingung führt, die wesentlich leichter sind bereits von höherer Ordnung und können vernachlässigt
zu handhaben ist als die allgemeine Bewegungsgleichung (6.3). werden. Die Voraussetzung hier ist, dass xP und x beide von der-
Man spricht deshalb auch von kleinen Schwingungen, da die selben Ordnung sind.
vereinfachte Bewegungsgleichung nur für kleine Auslenkungen
x gültig ist. Frage 3
Wir entwickeln das Potenzial um das Minimum bei x D 0 und Überlegen Sie sich, dass xP und x von der gleichen Ordnung
schreiben: sind. Dazu betrachte man die Lösung (1.102) der harmonischen
ˇ ˇ Schwingung und berechne die erste Zeitableitung: Die maxima-
dV.x/ ˇˇ 1 d2 V.x/ ˇˇ le Geschwindigkeit ist proportional zur Auslenkung, xP / x.
V.x/ D V.0/ C x C x2
dx ˇxD0 2 dx2 ˇxD0
1 ˇ (6.5)
X 1 dn V.x/ ˇˇ
C xn
: Im Grenzfall kleiner Schwingungen lautet die Lagrange-Funk-
nŠ dxn ˇ
nD3 xD0 tion also
1 2 1 2
L D T.Px/ V.x/ D mPQ x Vx Q ; (6.7)
Der erste Term auf der rechten Seite ist der konstante Wert 2 2
des Potenzials im Minimum. Er spielt in den Bewegungsglei- ˇ
chungen keine Rolle. Der zweite Term ist der lineare Beitrag wobei die Konstanten mQ WD mh.0/ und VQ WD d2 V.x/=dx2 ˇxD0
der Entwicklung und verschwindet per Konstruktion, da das zur Abkürzung eingeführt wurden.
Potenzial um sein Minimum entwickelt wird. Beschränkt man
sich auf kleine Schwingungen, ist x klein, und Terme höherer Frage 4
Ordnung in x können vernachlässigt werden. In vielen Anwen- Überlegen Sie sich, dass VQ positiv sein muss, wenn das Poten-
dungen spielt nur der quadratische Term eine wichtige Rolle, zial bei q0 ein Minimum besitzt.
und alle Terme xn mit n 3 werden ignoriert. Dies führt offen-
sichtlich auf das Potenzial einer harmonischen Schwingung.
Achtung Selbstverständlich kann nicht in allen Situationen
davon ausgegangen werden, dass die Auslenkungen klein sind. Eigenfrequenz der freien kleinen Schwingung
Dann muss man entweder das Potenzial V.q/ vollständig be-
rücksichtigen oder aber weitere Terme der Entwicklung mitneh-
men. Schwingungen, bei denen höhere Terme von x eingehen, Aus (6.7) folgt die Bewegungsgleichung für die freie kleine
sind anharmonisch, da sie nicht durch einfache Sinus- oder Ko- Schwingung eines einzelnen Freiheitsgrads:
sinusfunktionen beschrieben werden können. J
Es ist noch die kinetische Energie zu entwickeln. Hier ist xR C !02 x D 0: (6.8)
" 1 ˇ #
mPx2 X 1 dn h.x/ ˇˇ Wir haben dabei s
T.x; xP / D h.0/ C x :
n
(6.6)
2 nŠ dxn ˇ VQ
nD1 xD0
!0 WD (6.9)
mQ
Da der Vorfaktor bereits von zweiter Ordnung in xP ist, muss
aus der Reihenentwicklung in der Klammer nur der konstan- definiert. Man kann ohne Einschränkung der Allgemeinheit for-
te Beitrag h.0/ berücksichtigt werden. Kombinationen wie xP 2 x dern, dass !0 > 0 ist.
214 6 Schwingungen
Wir haben bereits im „Mathematischen Hintergrund“ 1.4 sind, so kann man dies mit der Wronski-Determinante über-
gelernt, was man allgemein unter einer (gewöhnlichen) Dif- prüfen. Diese ist definiert als
ferenzialgleichung (DGL) versteht. Wir wollen uns hier 0 1
genauer mit einer speziellen Art, nämlich den linearen Dif- y1 .x/ y2 .x/ yn .x/
ferenzialgleichungen, beschäftigen. B y1.1/ .x/ y2.1/ .x/ yn.1/ .x/ C
B C
W.x/ WD det B :: :: : :: C:
@ : : :: : A
Lineare Differenzialgleichung Eine DGL für die Funktion y1.n1/ .x/ y2.n1/ .x/ yn.n1/ .x/
y.x/ heißt linear, wenn y.x/ und all ihre Ableitungen höchs-
tens linear vorkommen: Gilt nun W.x/ ¤ 0 für ein x 2 I, so sind die Funktionen
yi .x/ linear unabhängig. Die Umkehrung gilt jedoch nicht,
Cn .x/y.n/ .x/ C C C1 .x/y.1/ .x/ C C0 .x/y.x/ D f .x/: d. h., aus W.x/ D 0 für alle x 2 I folgt nicht die lineare
Abhängigkeit.
y.n/ .x/ bezeichnet die n-te Ableitung von y.x/ nach x. Alle
Ci .x/; y.x/ und f .x/ sind reellwertige Funktionen. Ist y.n/ .x/ Im Falle einer linearen DGL zweiter Ordnung ist also der
die höchste auftretende Ableitung, so ist die DGL von n-ter Term W.x/ D y1 .x/y02 .x/ y2 .x/y01 .x/ zu überprüfen.
Ordnung. Die Gleichung heißt homogen, falls f .x/ D 0, und
ansonsten inhomogen. Man spricht von einer DGL mit kon- Lösung der inhomogenen Gleichung Die allgemeine Lö-
stanten Koeffizienten, wenn alle Ci nicht von x abhängen und sung einer inhomogenen linearen DGL erhält man durch
somit Konstanten sind. Addition der allgemeinen Lösung der dazugehörigen homo-
genen Gleichung zu einer speziellen Lösung der inhomoge-
Betrachtet man vektorwertige Funktionen y.x/ und f .x/ mit nen Gleichung (auch partikuläre Lösung yp .x/ genannt). Die
Werten in Rk , so hat die Gleichung die Form allgemeine Lösung hat also die Form
jedes x ist Ci .x/ eine quadratische k k-Matrix). Diese Glei- wobei ai reelle Zahlen sind und die yi .x/ ein Fundamental-
chung kann man auch als ein System von k reellwertigen system der homogenen Gleichung bilden.
eindimensionalen Gleichungen ansehen. Deswegen spricht
man hier auch von einem Differenzialgleichungssystem. Eindeutigkeit von Lösungen DGL der Ordnung n haben
n linear unabhängige Lösungen; es gibt also insbesonde-
Die Lösung y.x/ einer DGL muss nicht auf ganz R definiert re keine eindeutige Lösung. Will man eine eindeutige Lö-
sein, selbst wenn die vorkommenden Funktionen Ci .x/ und sung erhalten, so muss man weitere Bedingungen an die
f .x/ auf ganz R definiert sind. Wir bezeichnen im Folgen- DGL stellen. Dies wird üblicherweise in der Form von An-
den mit I das Intervall (das auch ganz R sein kann), auf dem fangs(wert)bedingungen getan. Dabei gibt man beispielswei-
Lösungen der DGL definiert sind. se für einen Wert x0 im Lösungsintervall I die Anfangswerte
y.k/ .x0 / für k D 0; : : : ; n 1 vor. Durch Vorgabe dieser n un-
Lösungsraum im homogenen Fall Ist eine DGL n-ter Ord- abhängigen Bedingungen erhält man eine eindeutige Lösung
nung homogen und sind y1 .x/ und y2 .x/ zwei ihrer Lösun- im n-dimensionalen Lösungsraum. Diese kann man berech-
gen, so ist für alle a1 ; a2 2 R auch die Linearkombination nen, indem man die Anfangswerte in die allgemeine Lösung
a1 y1 .x/ C a2 y2 .x/ eine Lösung, d. h., die Lösungen bilden der DGL einsetzt und das entstehende Gleichungssystem löst.
einen reellen Vektorraum. Dieser hat die Dimension n, es
Ein einfaches Beispiel ist die Schwingungsgleichung
gibt also n linear unabhängige Lösungen. P Dabei sind Funk-
tionen gi .x/ linear unabhängig, wenn aus niD1 ai gi .x/ D 0 C2 y00 .x/ C C0 y.x/ D 0:
für alle x 2 I schon ai D 0 für alle i folgt. Eine Basis
des Lösungsraumes, d. h. n linear unabhängige Lösungen, Da dies eine homogene lineare DGL zweiter Ordnung ist,
bezeichnet man auch als Fundamentalsystem. Jede der n Lö- gibt es ein Fundamentalsystem mit zwei p unabhängigen Lö-
sungen ist dann eine Fundamentallösung. sungen.
p Diese sind z. B. y1 .x/ D sin. C0 =C2 x/ und y2 .x/ D
cos. C0 =C2 x/. Die allgemeine Lösung hat die Form y.x/ D
Wronski-Determinante Wenn man herausfinden möchte, a1 y1 .x/ C a2 y2 .x/. Erst durch Angabe zweier Anfangswerte
ob n Lösungen yi .x/ einer linearen DGL linear unabhängig werden a1 und a2 festgelegt; die Lösung wird dann eindeutig.
6.1 Freie Schwingungen 215
Teil I
(Masse und Form des Potenzials), nicht aber durch die Anfangs-
Betrachten wir erneut das mathematische Fadenpendel
bedingungen bestimmt ist. (Streng genommen ist die Eigenfre-
der Masse m und Länge l, das sich nur in der x-z-Ebene
quenz zwar f0 D !0 =.2 /, doch wird diese Unterscheidung im
bewegen kann. Die Gravitationskraft zeigt in die negative
physikalischen Sprachgebrauch häufig unterschlagen.)
z-Richtung. Der einzige Freiheitsgrad ist der Auslen-
kungswinkel aus der Ruhelage (Gleichgewicht). Für die
kinetische und die potenzielle Energie gilt
TD
1 2 P2
ml ; V D mgl cos : (6.10)
Kepler-Problem
2
Die kinetische Energie muss nicht entwickelt werden, da Zur Anwendung betrachten wir nochmals das Kepler-Problem
T nicht von abhängt. Wegen cos 1 2 =2 folgt aus Abschn. 3.3. Wir wissen bereits, dass die radiale Bewegung
jedoch für das Potenzial durch (3.66) und (3.67) beschrieben wird. Man kann dies so in-
terpretieren: Der Freiheitsgrad r hat eine kinetische Energie
1
V mgl 2
: (6.11)
2 2
T.Pr/ D rP (6.16)
2
Der konstante Term wurde dabei bereits ignoriert. Mit
Q D ml2 und VQ D mgl folgt das bekannte Ergebnis
m und bewegt sich in einem Potenzial
s
r
VQ g L2 ˛
!0 D D : (6.12) V.r/ D ; (6.17)
mQ l 2r2 r
Analog kann man das physikalische Pendel diskutieren, wobei L der Drehimpuls der Punktmasse (und nicht die La-
das bereits in Aufgabe 4.5 untersucht wurde. J grange-Funktion) ist.
Durch die Einführung von negativen Zahlen wurde es ermög- Dieses Betragsquadrat von z lässt sich ausnutzen, um die
licht, Lösungen für beliebige lineare Gleichungen angeben Division zweier komplexer Zahlen zu definieren, indem man
zu können. Quadratische Gleichungen wie x2 D 1 haben sie auf die Division durch eine reelle Zahl reduziert:
dagegen keine Lösung über den reellen Zahlen. Die komple-
xen Zahlen wurden im 16. Jahrhundert von dem italienischen z1 z1 z .x1 C i y1 /.x2 i y2 /
D D
2
:
Mathematiker Gerolamo Cardano (1501–1576) eingeführt, z2 z2 z2 x22 C y22
als er merkte, dass er kubische Gleichungen lösen konnte,
indem er mit fiktiven Lösungen von über den reellen Zah-
len unlösbaren quadratischen Gleichungen weiterrechnete. Darstellungen Jede komplexe Zahl lässt sich eindeutig als
Leonhard Euler führte dazu im 18. Jahrhundert die imagi- Punkt in einer zweidimensionalen Zahlenebene (Gauß’sche
näre Einheit i ein, dessen Quadrat 1 ist, also i2 D 1. Zahlenebene; Abb. 6.2) mit Koordinaten .x; y/ interpretie-
ren. Man nennt x den Realteil und y den Imaginärteil. Die
Addition zweier komplexer Zahlen entspricht dann der Vek-
Definition Eine komplexe Zahl wird definiert als eine Zahl
toraddition in der Gauß’schen Zahlenebene. Dabei ist der
der Form z D x C i y 2 C mit x; y 2 R. Zwei komplexe
Betrag einer komplexen Zahl der Abstand r D jzj dieses
Zahlen z1;2 D x1;2 C i y1;2 lassen sich dann folgendermaßen
Punktes vom Ursprung.
addieren und multiplizieren:
In Aufgabe 6.1 wird gezeigt, dass man die komplexe Expo-
z1 C z2 D .x1 C x2 / C i .y1 C y2 /; nentialfunktion als
z1 z2 D x1 x2 C i .x1 y2 C x2 y1 / C i2 y1 y2
ei ' D cos ' C i sin '; '2R
D .x1 x2 y1 y2 / C i .x1 y2 C x2 y1 /:
schreiben kann. Diese sogenannte Euler’sche Formel ist ex-
trem hilfreich und wird in der Physik häufig eingesetzt.
Algebraische Abgeschlossenheit Die große Bedeutung der Daraus ergibt sich der wichtige, in Abb. 6.2 illustrierte Zu-
komplexen Zahlen liegt nun unter anderem darin begründet, sammenhang
dass jede algebraische Gleichung vom Grad größer null über
den komplexen Zahlen eine Lösung besitzt (Fundamental- z D x C i y D r.cos ' C i sin '/ D rei ' :
satz der Algebra).
Hier ist ' eine reelle Phase, die tan ' D y=x erfüllt.
Körpereigenschaften C ist mit den obigen Operationen ein
Körper mit null 0 C i 0 und eins 1 C i 0: Im z
.x C i y/ C .0 C i 0/ D .x C 0/ C i .y C 0/ D x C i y;
.x C i y/ .1 C i 0/ D .x 1 y 0/ C i .x 0 C y 1/ z = a + ib = reiφ
D x C i y: b
Teil I
Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akade-
Diese Identitäten erlauben es, häufig verwendete Beziehun- mischer Verlag (2012)
gen der trigonometrischen Funktionen bequem abzuleiten Freitag, E., Busam, R.: Funktionentheorie 1. 4. Aufl.,
(Aufgabe 6.1). Springer Verlag (2006)
Was bedeutet dies? Ist die Schwingung für die radiale Bewe-
gung klein, dauert sie genauso lang wie ein Umlauf (Abb. 6.3).
Abb. 6.3 Gebundene Kepler-Bahnen, die nur geringfügig von der Kreisbahn
(blau ) abweichen, lassen sich wegen (6.22) als radiale Schwingung (rot ) um
Dies ist in Übereinstimmung mit der allgemeinen Lösung des
die Kreisbahn auffassen. Dabei ist die Oszillationsperiode exakt identisch mit Kepler-Problems, die auch gültig ist, wenn die radiale Bewe-
der Umlaufdauer, und die Bahn ist nach einem Umlauf geschlossen. Die roten gung keine kleine Schwingung mehr ist: Im Allgemeinen sind
Punkte markieren die Orte, an denen das Argument des Kosinus die Werte 0, die gebundenen Bahnen Ellipsenbahnen. Pro Umlauf gibt es ge-
=2, und 3 =2 annimmt nau ein Perihel und ein Aphel, und das Perihel ist fest. Dies
entspricht exakt einer radialen Schwingung pro Umlauf.
In Aufgabe 6.2 wird dies auf beliebige Potenzpotenziale verall-
Damit ist es möglich, V.x/ zu formulieren. Wir berechnen die gemeinert.
zweite Ableitung
ˇ
d2 V.x/ ˇˇ
x2 Darstellung harmonischer Schwingungen
dx2 ˇxD0
2 ˇ mit komplexen Zahlen
L ˛ ˇ
D 3 4 2 3 ˇ x2
r r ˇ
xD0 (6.20)
2 3 Schwingungen lassen sich mithilfe der komplexen Zahlen
2 ˛ 3 („Mathematischer Hintergrund“ 6.2) elegant beschreiben. Dazu
6 3L 2˛ 7
D 4 4 3 5 x2 D ˛ x2 : multiplizieren wir (6.8) mit 2Px und schreiben
L2 L2 L2
˛ ˛
dPx2 dx2
2PxxR C 2!02 xP x D 0 H) C !02 D 0: (6.25)
dt dt
Damit finden wir für die radiale Schwingung die Frequenz
Eine erste Integration führt auf
s s
VQ ˛ ˛ 3 ˛ 2 xP
!0 D D D 3 : (6.21) xP 2 D !02 x2 H) D ˙i!0 ; (6.26)
mQ L 2 L x
218 6 Schwingungen
Lösungsstrategien
Im „Mathematischen Hintergrund“ 6.1 wurden lineare Dif- Diese Methode hat ihren Namen daher, dass die Lösung
ferenzialgleichungen (DGL) definiert. Hier beschäftigen wir der homogenen Gleichung f D 0) gegeben ist
R (d. h. für
uns damit, wie man einige Klassen solcher Gleichungen lö- x
durch y.x/ D K exp x0 c.s/ ds mit einer Konstanten
sen kann.
K. Im inhomogenen Fall variiert man nun diese Konstan-
Lösungsansätze Es gibt kein Lösungsverfahren, das man te K, d. h., man erlaubt eine x-Abhängigkeit und schreibt
für jede lineare DGL anwenden kann. Für relativ einfache K.x/. Dies führt auf die obige Lösung.
Formen gibt es aber Lösungsverfahren, von denen wir hier
zwei vorstellen wollen:
Beispiel Wir wollen mithilfe des Exponentialansatzes eine
Exponentialansatz: (Euler-Ansatz) Haben wir es mit ei- spezielle Lösung der DGL
ner linearen DGL mit konstanten Koeffizienten und einer
exponentiellen Inhomogenität, d. h. einer DGL der Form y00 .x/ 2y0 .x/ C 2y.x/ D x2 e.1Ci/x
y.n/ .x/ C cn1 y.n1/ .x/ C C c0 y.x/
mit l D 2 bestimmen. Das charakteristische Polynom ist
D e.aCib/x al xl C C a1 x C a0 p.t/ D t2 2t C 2, und 1 C i ist einfache Nullstelle von p
(d. h. m D 1). Also gibt es eine partikuläre Lösung der Form
mit ci ; ai 2 C und a; b 2 R, zu tun, so kann man den
Exponentialansatz benutzen, der auf Euler zurückgeht.
Wir betrachten das sogenannte charakteristische Polynom yp .x/ D e.1Ci/x b1 x C b2 x2 C b3 x3 :
der DGL, das durch
Es gilt dann
p.t/ WD tn C cn1 tn1 C C c0
y0p .x/ D e.1Ci/x b1 C 2b2 x C 3b3 x2
gegeben ist. Bezeichnet dann m die Nullstellenordnung
von p in a C ib, d. h. C .1 C i/ b1 x C b2 x2 C b3 x3
n o
m D min k 2 N0 W p.k/ .a C ib/ ¤ 0 ; und
so gibt es eine partikuläre Lösung der Form y00p .x/ D e.1Ci/x 2b2 C 6b3 x C 2.1 C i/ b1 C 2b2 x C 3b3 x2
C .1 C i/2 b1 x C b2 x2 C b3 x3 :
X
mCl
yp .x/ D e.aCbi/x bj xj
jDm Setzt man nun yp .x/ und die beiden Ableitungen in die ur-
sprüngliche DGL ein, so erhält man die Gleichung
mit bj 2 C. Dieser Ansatz funktioniert auch, wenn a C i b
keine Nullstelle von p ist; in diesem Fall ist m D 0. e.1Ci/x .2b2 C 2b1 i/ C .6b3 C 4b2 i/x C .6b3 i/x2
Die Koeffizienten bj lassen sich berechnen, indem man
die partikuläre Lösung in die DGL einsetzt, Koeffizienten D x2 e.1Ci/x :
vergleicht und das resultierende lineare Gleichungssys-
tem löst. Durch Koeffizientenvergleich ergibt sich das lineare Glei-
Variation der Konstanten: Hat die DGL die Form chungssystem
wobei die imaginäre Einheit i (mit i2 D 1) verwendet wur- Lineare Reibungskraft
de. Wir ignorieren hier Integrationskonstanten, um die einfachst
Teil I
mögliche Lösung zu finden.
Die Bewegung des Freiheitsgrades q soll gedämpft sein. Die
Man kann nun eine zweite Integration durchführen. Mit dabei auftretende Reibungskraft lässt sich wie in (5.82) in der
Lagrange-Gleichung für q berücksichtigen. Wir nehmen an,
xP d ln x dass die generalisierte dissipative Kraft linear in qP ist (siehe
D D ˙i!0 (6.27) auch Stokes’sche Reibung in Abschn. 1.3). Anstatt jedoch wie-
x dt
der beim Lagrange-Formalismus für q zu starten, gehen wir von
der Näherung (6.8) aus und addieren eine in xP lineare Reibungs-
folgt
kraft:
x.t/ D e˙i!0 t ; (6.28) xR C 2Px C !02 x D 0: (6.31)
Der Reibungskoeffizient > 0 ist vorgegeben.
wobei wir erneut eine mögliche Integrationskonstante ignoriert
haben. Die allgemeine Lösung lautet Reibungsterme, die quadratisch in xP sind, machen die mathema-
tische Behandlung wesentlich komplizierter, da die Bewegungs-
x.t/ D Ae˙i.!0 t /
(6.29) gleichung dann nichtlinear ist. Wir beschränken uns auf den
einfacheren, linearen Fall, der oftmals eine gute Beschreibung
der Realität darstellt (beispielsweise die Reibung eines Pendels
mit den reellen Konstanten A (Amplitude) und (Phasenver- in einem Wassergefäß).
schiebung).
Es ist zu beachten, dass dieselbe Einheit besitzt wie !0 ,
Achtung Da physikalische Größen stets reell sind, kann die nämlich s1 . Damit kann 1= als die Zeitspanne interpretiert
komplexe Lösung in der Form (6.28) nicht die physikalische werden, nach der die Oszillation stark abgedämpft ist.
Lösung sein. Allerdings sind sowohl der Real- als auch der
Imaginärteil von (6.28) reelle Größen, welche die beiden Fun-
damentallösungen ergeben. J
Lösung mit komplexen Zahlen
Es gilt
Genau wie bei (6.8) handelt es sich bei (6.31) um eine gewöhnli-
x1 D Im x D Im e˙i!0 t D sin .˙!0 t/ ; che lineare homogene DGL zweiter Ordnung. Es werden wieder
(6.30) zwei linear unabhängige Lösungen benötigt, deren Linearkom-
x2 D Re x D Re e˙i!0 t D cos .˙!0 t/ : bination die vollständige Lösung bildet. Für derartige Probleme
kann man stets den auf Euler zurückgehenden Exponentialan-
satz
Die verschiedenen Vorzeichen ergeben keine neuen Lösungen:
z.t/ D ei!t 2 C; ! 2 C (6.32)
Beim Kosinus führen beide wegen cos.C / D cos. / auf
dasselbe Ergebnis, beim Sinus wegen sin.C / D sin. / machen („Mathematischer Hintergrund“ 6.3). Mithilfe der kom-
lediglich auf einen Vorfaktor, der sowieso frei wählbar ist. Für plexen Zahlen kann die allgemeine Lösung schnell erhalten
die Rechnungen bieten sich wegen (6.30) komplexe Zahlen an; werden. Dazu schreiben wir zunächst
bei der Interpretation der Lösung müssen Real- und Imaginärteil
allerdings separat untersucht werden. In Aufgabe 6.1 wird das zR C 2Pz C !02 z D 0; z 2 C; (6.33)
Rechnen mit komplexen Zahlen vertieft.
da bei einer komplexen Lösung z auch Real- x1 .t/ D Re z und
Imaginärteil x2 .t/ D Im z jeweils Lösungen sind.
Die komplexe Bewegungsgleichung lautet
2
6.2 Gedämpfte Schwingungen ! C 2i! C !02 ei!t D 0: (6.34)
x(t)
λ= 0
Allgemeine Lösung des schwach gedämpften Oszilla-
Teil I
λ = ω0 /4
tors
x(0) λ = ω0 /2
λ = ω0 Die Auslenkung des schwach gedämpften Oszillators
λ = 2ω0 ( < !0 ) ist
λ = 4ω0
x.t/ D e t Œa1 sin.!t/
Q C a2 cos.!t/
Q
(6.40)
0
Q
D Ae t
Q ıQ
cos !t
1 2 3 ω0 /(2π)t
q
mit !Q D !02 2 .
Man nennt die Dämpfung schwach, wenn < !0 ist. Das Argu-
ment der Wurzel in (6.37) ist dann positiv, und !Q ist reell. Ohne Kritische Dämpfung
Beschränkung der Allgemeinheit können wir !Q > 0 annehmen.
Dies führt auf die Lösung
Der Spezialfall D !0 trennt die schwache und die starke
z˙ .t/ D e t e˙i!t
Q
: (6.38) Dämpfung. Dies bedeutet, dass wir nur noch eine Fundamen-
tallösung
Aus dem Real- und Imaginärteil ergeben sich zwei linear unab- x1 .t/ D e t (6.43)
hängige, reelle Lösungen:
kennen, da !Q D 0 ist. Wir benötigen allerdings eine zwei-
x1 .t/ D e t cos.!t/;
Q x2 .t/ D e t sin.!t/:
Q (6.39) te Fundamentallösung, um die DGL (6.31) allgemein zu lösen
(siehe „Mathematischen Hintergrund“ 6.1). In solchen Situa-
Die allgemeine Lösung ist eine Linearkombination. tionen lässt sich die d’Alembert-Reduktion anwenden: Hat man
6.2 Gedämpfte Schwingungen 221
Teil I
y verwenden). Hier ist
x2 .t/ D f .t/x1 .t/ (6.44) r
geff
!0 D (6.50)
das Problem auf eine DGL .n 1/-ter Ordnung reduzieren. In l
unserem Fall führt dies zunächst auf
die Eigenfrequenz des Pendels mit Fadenlänge l im ho-
mogenen Schwerefeld mit effektiver Beschleunigung geff .
fR x1 C 2fP xP 1 C f xR 1 C 2 fP x1 C f xP 1 C !02 fx1 D 0: (6.45)
Zur Abkürzung wurde 0 D sin # eingeführt. Für die
Winkelgeschwindigkeit der Erde schreiben wir hier
(anstatt ! wie in Abschn. 2.4), und # ist die geografische
Frage 7
Breite. Wir kombinieren beide Gleichungen in (6.49), in-
Überprüfen Sie die Gültigkeit dieser Gleichung. dem die zweite mit i multipliziert und zur ersten addiert
wird:
xR 1 C 2Px1 C !02 x1 D 0 (6.46) Gleichung (6.51) hat die Form einer gedämpften Schwin-
gung mit imaginärer Dämpfung D i0 .
gilt und außerdem aus (6.43) folgt, dass xP D x ist, bleibt fR D
0. Dies wird durch f D t gelöst. Die zweite Fundamentallösung Überlegen Sie sich, dass die „Dämpfung“ schwach ist.
lautet also Dazu vergleicht man die typische Schwingungsdauer ei-
x2 D te t : (6.47) nes Pendels (einige Sekunden) mit der Rotationsperiode
der Erde (fast 105 Sekunden). Also ist 0 !0 und
!Q !0 .
Tatsächlich kann man immer einen Ansatz der Art (6.44) pro-
bieren. Ob man damit auf eine handhabbare Bestimmungsglei- Die Lösung der Bewegungsgleichung (6.49) ist bereits
chung für f .t/ stößt, ist eine ganz andere Frage. In diesem Fall bekannt:
führt dieser Ansatz jedenfalls zum Erfolg. 0
z.t/ D ei t e˙i!0 t : (6.52)
Frage 8 Hier ist allerdings zu beachten, dass der Term exp.i0 t/
Überprüfen Sie mithilfe der Wronski-Determinante, dass x1 und wegen des imaginären Exponenten keine Dämpfung be-
x2 linear unabhängig sind. schreibt, sondern eine weitere Oszillation mit der Fre-
quenz 0 , denn jexp.i0 t/j D 1. Wir schreiben (6.52)
um:
Der sogenannte aperiodische Grenzfall hat dann die allgemeine 0
Lösung x.t/ C iy.t/ D ei t .x0 .t/ C iy0 .t// : (6.53)
x.t/ D .a1 C a2 t/ e t (6.48) Dabei wurden mit x0 .t/ und y0 .t/ die Lösungen, die man
für 0 D 0 erhalten würde, verwendet.
mit den Integrationskonstanten a1 und a2 (Abb. 6.4). In Aufgabe
6.4 wird gezeigt, wie man dies auch durch den Grenzfall !Q ! 0
aus (6.40) erhalten kann. Zeigen Sie, dass man (6.53) in der Matrixform
x.t/ cos .0 t/ sin .0 t/ x0 .t/
D (6.54)
Foucault’sches Pendel y.t/ sin .0 t/ cos .0 t/ y0 .t/
In Abschn. 2.4 wurden die Bewegungsgleichungen des schreiben kann. Berechnen Sie dazu jeweils den Real-
Foucault’schen Pendels abgeleitet, aber noch nicht gelöst. und Imaginärteil von (6.53).
Dies wollen wir an dieser Stelle nachholen. Gleichung
(2.91) und (2.92) können in der Form Die Matrix in (6.54) beschreibt offensichtlich eine Dre-
hung in der x-y-Ebene. Die Drehfrequenz 0 D sin #
xR 20 yP C !02 x D 0; hängt dabei von der geografischen Breite # ab. Am
(6.49) Äquator verschwindet sie vollständig, und die Schwin-
yR C 20 xP C !02 y D 0 gungsebene des Pendels ist für einen erdgebundenen
Beobachter fest. J
222 6 Schwingungen
zu erhalten.
Allgemeine Lösung für periodischen Antrieb Frage 9
Zeigen Sie, dass sich
Sei x die Koordinate eines Freiheitsgrades. Dieser soll nun eine
äußere periodische Kraft c !02 ! 2
Re z0 D 2 ;
Fe .t/ D mc
Q cos.!t/ (6.55) !02 ! 2 C 42 ! 2
(6.64)
2c!
erfahren, sodass die Bewegungsgleichung Im z0 D 2
!0 ! 2 C 42 ! 2
2
zR C 2Pz C !02 z D cei!t : (6.57) Es ist nun eine arithmetische Übung, die Amplitude A und die
Phase ı zu bestimmen:
Aus z.t/ 2 C ist später die reelle Lösung x.t/ D Re z.t/ q
zu bestimmen. Im Gegensatz zu (6.31) handelt es sich bei c
A.!/ D Re 2 z0 C Im 2 z0 D q 2 ;
(6.57) um eine gewöhnliche inhomogene lineare DGL zweiter
!02 ! 2 C 42 ! 2
Ordnung. Zu ihrer vollständigen Lösung benötigt man die allge-
meine Lösung der zugehörigen homogenen Gleichung und eine Im z0 2!
tan ı.!/ D D 2 :
partikuläre Lösung der inhomogenen Gleichung (siehe „Ma- Re z0 !0 ! 2
thematischen Hintergrund“ 6.1). Die homogene Lösung ist mit (6.65)
(6.38) bereits bekannt: Wir haben mit
zh .t/ D e t e˙i!t
Q
: (6.58) xp .t/ D Re zp .t/ D A.!/ cos.!t ı.!// (6.66)
Wie erhalten wir nun eine partikuläre Lösung? Erneut versuchen eine partikuläre Lösung von (6.56) gefunden. Die allgemeine
wir den Euler-Ansatz (siehe „Mathematischen Hintergrund“ Lösung von (6.56) für < !0 ist also
6.3)
zp .t/ D z0 ei!t ; z0 D const: (6.59) Q t cos.!t
x.t/ D A.!/ cos.!t ı.!// C Ae Q
Q ı/: (6.67)
6.3 Erzwungene Schwingungen und Resonanz 223
a b
ω02
Teil I
A λ = ω0 /1 δ/π
c
λ = ω0 /2 1
λ = ω0 /5
λ = ω0 /10
4
0,5
2 λ = ω0 /1
λ = ω0 /2
λ = ω0 /5
λ = ω0 /10
0 0
0 0,5 1 1,5 ω/ω0 0 0,5 1 1,5 ω/ω0
Abb. 6.5 Amplitude (a) und Phasenverschiebung (b) der Schwingung mit periodischem Antrieb. Für schwache Dämpfung, !0 , besitzt die Amplitude ein
ausgeprägtes Maximum mit Breite 2 nahe der Eigenfrequenz !0 . Die Phasenverschiebung ı gibt an, wie stark die Schwingung relativ zur Anregung verzögert
ist. Für ! D !0 schwingt der Oszillator genau mit 90ı Phasenverschiebung, unabhängig von der Dämpfung
Während des Einschwingens kann es zu einer Schwebung kom- Nach kurzer Rechnung findet man
men, da (6.67) für t 1= aus zwei Schwingungsanteilen mit q
Frequenzen !Q und ! besteht. Wir kommen in Aufgabe 6.3 auf !˙
2
D !max
2
˙ 2 !02 2 : (6.72)
Schwebungen zurück.
Zwei Halbwertsbreiten sind ebenfalls in Abb. 6.5 eingezeich-
net. In (6.70) verwendet man das Quadrat der Amplitude, da
die Intensität einer Schwingung (d. h. die mit der Schwingung
Resonanz und Halbwertsbreite verbundenen Energie) proportional zum Amplitudenquadrat ist.
Frage 11
Für gegebene Eigenfrequenz !0 und Dämpfung ist die Ampli- Rechnen Sie (6.72) nach.
tude A.!/ in (6.65) eine Funktion der Anregungsfrequenz !. In
Abb. 6.5 sind einige Funktionen A.!/ dargestellt. Man erkennt
das typische Resonanzverhalten: Die Kurvenschar A.!/ besitzt Für sehr große Anregungsfrequenzen, ! ! 1, wird wegen
ein Maximum A ! 0 die Schwingungsanregung sehr klein. Dies liegt an
c der Trägheit des Oszillators, der auf die hohe Anregungsfre-
Amax D q (6.68) quenz nicht mehr reagieren kann. Außerdem sehen wir, dass für
2 !02 2 ! ! 0 gerade A ! c=!02 D mc= Q VQ D Fmax =VQ folgt. Die Am-
plitude des schwingenden Systems wird dann also direkt durch
bei der Anregungsfrequenz die Amplitude der Kraft bestimmt.
q Genau wie die Amplitude A.!/ ist auch die Phasenverschie-
!max D !02 22 ; (6.69) bung ı.!/ für gegebene Eigenfrequenz !0 und Dämpfung
eine Funktion der Anregungsfrequenz !. In Abb. 6.5 sind ei-
der sogenannten Resonanzfrequenz. nige Kurven der Schar ı.!/ gezeigt. Die Phasenverschiebung
224 6 Schwingungen
ist eine monoton ansteigende Funktion von ! und nähert sich Man kann den Ausdruck (6.72) für die Halbwertsbreite ent-
in den Grenzfällen ! ! 0 und ! ! 1 jeweils den Werten wickeln und findet nach kurzer Rechnung
ı ! 0 und ı ! an. Wird das System gerade mit der Eigen-
frequenz !0 angeregt, ist die Phasenverschiebung stets =2 und !˙ !max ˙ (6.74)
damit unabhängig von .
und somit
Eine positive Phasenverschiebung bedeutet, dass die Schwin- 2: (6.75)
gung der Anregung „hinterher läuft“. Bei sehr kleinen Anre-
gungsfrequenzen ! ! 0 ist die Phasenverschiebung ı klein,
und die Schwingung folgt der Anregung fast instantan. Bei ho- Frage 12
hen Anregungsfrequenzen ist die Phasenverschiebung ı , Entwickeln Sie !˙ in (6.72), indem Sie ausnutzen, dass =!0
und die Schwingung ist gegenphasig zur Anregung. eine kleine Größe ist.
Es ist noch erwähnenswert, dass es auch parametrische Reso-
nanz gibt, bei der nicht ein inhomogener Term (d. h. eine Kraft) Somit wird der Resonanzbereich des Oszillators bei schwacher
in der Gleichung auftaucht, sondern ein Systemparameter zeit- Dämpfung sehr schmal.
abhängig gemacht wird (z. B. eine Oszillation der Länge eines
Fadenpendels). Achtung Man darf nicht vergessen, dass wir im Allgemein-
fall noch immer kleine Schwingungen betrachten, bei denen nur
die führende Ordnung in x bzw. xP mitgenommen wird. Resonan-
zen bei schwacher Dämpfung führen allerdings auf sehr große
Amplituden, bei denen die Näherung einer kleinen Schwingung
Schwache Dämpfung unter Umständen nicht mehr gültig ist. Eine exakte Lösung ist
daher stark problemspezifisch und kann wesentlich aufwendiger
Im Grenzfall schwacher Dämpfung, !0 , vereinfachen sich sein als das hier vorgestellte Vorgehen. J
die Resonanzgleichungen. Zunächst gilt
c 2
Amax ; !max !0 !0 ; (6.73) Energieumsatz
2!0 !0
d. h., die Resonanzfrequenz ist nur geringfügig kleiner als die Aufgrund der Reibungskraft
Eigenfrequenz !0 . Wegen !0 ist Amax c=!02 D A.! D
0/. FR D 2mP
Qx (6.76)
6.4 Kleine Schwingungen gekoppelter Systeme 225
geht dem mechanischen System Energie in Form von Wärme (1 i F). In Anwesenheit von r holonomen Zwangsbedin-
verloren. Es soll nun bestimmt werden, wie viel Energie im gungen ist F D 3N r. Dämpfungseffekte berücksichtigen wir
Teil I
eingeschwungenen Zustand pro Periode dissipiert wird und ent- nicht, da sie im Allgemeinen zu sehr aufwendigen Rechnun-
sprechend auch wieder von außen zugeführt werden muss. Dazu gen führen. Äußere Kräfte, die nicht im betrachteten Potenzial
muss die Verlustleistung P D FR xP über eine Periode gemittelt enthalten sind, werden zunächst ignoriert, aber in Aufgabe 6.7
werden, indem zuvor für xP die Zeitableitung der partikulären hinzugefügt. Ein einfaches Beispiel sind die sechs Freiheitsgra-
Lösung (6.66) eingesetzt wird: de zweier Punktmassen m1 und m2 , die durch eine elastische
˝ ˛ ˝ ˛ Feder miteinander verbunden sind.
hPi D 2mP Q x2 D 2mAQ 2 .!/! 2 sin2 .!t ı/
(6.77) Alle Kräfte sollen aus einem Potenzial V.q/ ableitbar sein,
D mAQ 2 .!/! 2:
wobei wieder q stellvertretend für alle F generalisierten Koor-
Es wurde dabei ausgenutzt, dass der über eine Periode gemit- dinaten qi geschrieben wird.
telte Wert von sin2 .!t/ gerade 12 ergibt. Wegen A.!/ ist die Das Potenzial V.q/ ist nun eine mehrdimensionale Abbildung
dissipierte Leistung stark von der Anregungsfrequenz ! abhän- RF ! R. Das System ist dann im Gleichgewicht am Punkt
gig. q0 D .q1;0 ; : : : ; qF;0 /, wenn alle F generalisierten Kräfte ver-
Frage 13 schwinden:
˝ ˛ ˇ
Zeigen Sie, dass sin2 .!t/ D 12 ist, wenn über eine Periode @V ˇˇ
Qi D D 0 .1 i F/: (6.78)
@qi ˇqDq0
gemittelt wird.
In der Praxis können Resonanzeffekte vor allem bei schwacher Genau wie in (6.5) wird das Potenzial um dieses Gleichgewicht
Dämpfung verheerende Auswirkungen haben. So sind in der entwickelt und nur der in den Koordinaten i WD qi qi;0 qua-
Vergangenheit mehrere Brücken durch Resonanzkatastrophen dratische Term mitgenommen:
(verursacht durch Wind oder im Gleichschritt marschierende
ˇ
1 X @2 V ˇˇ 1 X
Soldaten) eingestürzt. Einigen Menschen wird nachgesagt, dass F F
V./ D Vij i j : (6.79)
sie ein Weinglas durch ihre Stimme zum Zerspringen bringen 2 i;jD1 @i @j ˇD0
i j
2 i;jD1
können. Dies ist jedoch schon aufgrund der geringen Anre-
gungsleistung der menschlichen Stimme nicht möglich. Eine
wichtige Maßnahme gegen Resonanzkatastrophen ist die Ver- Man beachte, dass Pi D qP i wegen qi;0 D const gilt.
größerung der Dämpfung .
Das Potenzial V wird in der Regel Terme beinhalten, die
der Kopplung zweier Freiheitsgrade entsprechen. Eine häufige
Form ist / .i j /2 (elastische Kopplung). Wirken äußere Kräf-
6.4 Kleine Schwingungen te, kommen auch Terme / i2 vor. Dies werden wir später noch
sehen.
gekoppelter Systeme
Frage 14
Häufig hat man es in realistischen Anwendungen mit Systemen Schauen Sie sich erneut die allgemeine Taylor-Entwicklung für
F gekoppelter Freiheitsgrade zu tun. Es sind dann die Bewe- mehrdimensionale Funktionen V./ D V.1 ; : : : ; F / an und
gungsgleichungen der Freiheitsgrade simultan zu lösen. Dies vergewissern Sie sich, dass (6.79) die Verallgemeinerung des
erfordert im Allgemeinen ein stark vom Problem abhängiges quadratischen Terms in (6.5) ist.
Vorgehen. Befindet sich das System allerdings in einem Zu-
stand nahe des Gleichgewichts, lässt sich ein relativ einfacher
Formalismus ableiten, mit dem sich die Bewegungsgleichungen Auch die kinetische Energie wird wie in (6.6) entwickelt. Man
dieser Systeme lösen lassen. In diesem Abschnitt wird gezeigt, findet
1 X PP
F
wie sich die Bewegungsgleichungen entkoppeln lassen, indem
T Tij i j : (6.80)
geeignete Koordinaten (Normalkoordinaten) eingeführt werden. 2 i;jD1
Als Ergebnis erhält man F einfache Schwingungsgleichungen,
eine für jede Normalkoordinate. Die Lösungen der entkoppelten Die Elemente Tij ergeben sich aus der kinetischen Energie. Hat
Gleichungen sind aus Abschn. 6.1 bereits bekannt. man es insgesamt mit N Punktmassen mit kartesischen Koordi-
naten xk zu tun, dann ist wegen (5.98):
X ˇ
@xk @xk ˇˇ
N
Bewegungsgleichungen Tij WD mk : (6.81)
kD1
@qi @qj ˇD0
Als Verallgemeinerung von (6.1) betrachten wir nun ein ge-
koppeltes System von F Freiheitsgraden mit Koordinaten qi Die F 2 Größen Tij sind konstant.
226 6 Schwingungen
Anwendung: Spektrallinien
Teil I
Elektronen in der Atomhülle, die von einer einfallenden dieser Strahlung. Es entsteht eine Absorptionslinie mit einem
elektromagnetischen Welle angeregt werden, können als Profil A2 .!/. Dieses wird als Lorentz-Profil bezeichnet. We-
schwingende Dipole beschrieben werden. Das anregende gen !0 ist die Dämpfung schwach, und die natürliche
elektrische Feld soll eine ebene, monochromatische Welle Linienbreite ist
sein:
2q2 !02
E.t/ D E0 cos.!t/: D 2 D :
3mc3
Die auf das Elektron mit Ladung q und Masse m wirkende
Typische Breiten von Spektrallinien sind 108 s1 . Dies
Lorentz-Kraft ist
ist mit dem Frequenzbereich des sichtbaren Lichtes zu ver-
gleichen, der sich von 3;7 1013 s1 (rot) bis 7;5 1013 s1
Fe .t/ D mRx D qE.t/ D qE0 cos.!t/:
(blau) erstreckt. Eine Spektrallinie ist also etwa eine Million
Zusätzlich führt das Elektron eine durch den Atomkern be- mal schmaler als der sichtbare elektromagnetische Spektral-
dingte harmonische Schwingung mit der Eigenfrequenz !0 bereich. Abbildung 6.6 zeigt das Emissionsspektrum einer
aus. Leuchtstofflampe.
q2 !02
D
3mc3
ist, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist. Die Elektronen-
ladung wird hier in cgs-Einheiten angegeben: q D 4;8
1010 g1=2 cm3=2 s1 . Demzufolge ist die Resonanzkurve
qE0 =m
A.!/ D q 2 :
!02 ! 2 C 42 ! 2 Abb. 6.6 Emissionsspektrum des Lichtes einer Leuchtstofflampe. Ein Emis-
sionsspektrum entsteht dadurch, dass eine Lichtquelle nur Licht bestimmter
Frequenzen emittiert. Im Gegensatz dazu wird ein Absorptionssprektrum er-
Wird das Elektron durch elektromagnetische Strahlung mit zeugt, indem Licht mit einer kontinuierlichen Frequenzverteilung durch ein
kontinuierlichem Spektrum beleuchtet, absorbiert es Anteile optisches Medium läuft, das bestimmte Frequenzen absorbiert (© Sheevar)
Teil I
gen, dass
!2
XN XF
@xk Frage 16
P > T P D mk qP i (6.85)
@qi Überlegen Sie sich, dass
kD1 iD1
ist (dies gilt jedenfalls dann, wenn .det/R D C1 erfüllt ist, wor-
Die Matrix T muss also positiv-semidefinit sein. Im Rahmen auf wir uns hier beschränken wollen).
der quadratischen Näherung muss die kinetische Energie T > 0
erfüllen, wenn mindestens eine Geschwindigkeit Pi 6D 0 ist.
Wir werden bald ausnutzen, dass die Matrix B0 nur bis auf eine
Wenn wir den trivialen Fall ignorieren, in dem alle Pi null sind, orthogonale Transformation S festgelegt ist, denn die Matrix
muss die Matrix T daher sogar positiv-definit sein.
B SB0 (6.90)
erfüllt ebenfalls
Einführung von Normalkoordinaten T D B> B; (6.91)
und Diagonalisierung der Matrizen
wie man schnell nachrechnet. Wir führen nun die Normalkoor-
dinaten 0 als Linearkombination der ursprünglichen Koordina-
Die Gestalt der Matrizen T und V hängt von der Problemstel- ten ein:
lung ab. Im Allgemeinen werden die Bewegungsgleichungen 0 WD B: (6.92)
verschiedener Freiheitsgrade allerdings gekoppelt sein, d. h., die
Bewegungsgleichung für i enthält generell andere j und Rj . Wegen .det/B 6D 0 ist die Koordinatentransformation invertier-
Dies ist dann der Fall, wenn T und V nicht diagonal sind. bar:
D A 0 ; A D B1 : (6.93)
Wir werden in Kürze sehen, dass sich die Bewegungsgleichun-
gen dank ihrer Linearität entkoppeln lassen. Dazu müssen F
Frage 17
sogenannte Normalkoordinaten i0 .1 ; : : : ; F / eingeführt wer-
>
den; es ist also eine Koordinatentransformation notwendig. Als Zeigen Sie, dass sich die kinetische Energie T D P T =2
P in
Ergebnis erhält man F Bewegungsgleichungen für jeweils eine der Form
Normalkoordinate, die nicht von den F 1 anderen Normalko- 1 0> 0
T D P P (6.94)
ordinaten abhängen. Normalkoordinaten beschreiben somit die 2
Eigenschwingungen bzw. Eigenmoden des Systems. Solch ein schreiben lässt.
Gleichungssystem ist wesentlich einfacher zu untersuchen und
zu interpretieren als ein gekoppeltes System.
Die potenzielle Energie lautet, ausgedrückt durch die Normal-
Das Ziel ist es, die beiden Matrizen T und V simultan zu dia-
koordinaten 0 :
gonalisieren, denn dann sind die Bewegungsgleichungen (6.84)
entkoppelt. Wir werden nun zunächst T diagonalisieren und 1 > 1
anschließend zeigen, dass durch eine geschickte Wahl der Ko- VD V D 0> A> VA 0 : (6.95)
2 2
ordinatentransformation gleichzeitig V diagonalisiert werden
kann. Für die folgenden Rechnungen werden einige Ergebnis- Bisher wurde die Freiheit der Wahl von S nicht ausgenutzt. Mit
se der linearen Algebra benötigt.
B SB0 H) A D B1 D B01 S1 DW A0 S> (6.96)
Auch in der Quantenmechanik spielt die simultane Diagonali-
sierung von Matrizen eine entscheidende Rolle, wie in Teil III lässt sich daher (wegen S1 D S> ) die Matrix A0 definieren
noch deutlich werden wird. und es gilt:
Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass sich jede symme- A> VA D S A0> VA0 S> : (6.97)
trische reelle Matrix diagonalisieren lässt und alle Eigenwerte
reell sind. Daher gilt Der eingeklammerte Term ist eine symmetrische und daher dia-
T D R> DR (6.86) gonalisierbare Matrix. Man kann nun die Transformation S so
wählen, dass sie den eingeklammerten Term in (6.97) diagona-
mit einer orthogonalen Matrix R und der diagonalen Matrix lisiert und somit
D D diag.t1 ; : : : ; tF /. Aufgrund der Positiv-Definitheit von T
sind alle F Zahlen ti positiv. Wir definieren nun die Matrix A> VA D diag.1 ; : : : ; F / (6.98)
p p
B0 WD diag t1 ; : : : ; tF R (6.87) ist.
228 6 Schwingungen
p
Da alle Eigenwerte ti positiv sind, sind alle ti reell. Daher sind wobei die aij die Matrixelemente von A sind. Es folgt mit
0 0
auch die Matrizen A, A , B und B reell. Weiterhin ist die Matrix (6.102) und (6.103) die Eigenwertgleichung
Teil I
Teil I
Zusammenfassend geht man folgendermaßen vor: 3. Bestimmen Sie die F Eigenvektoren ai , die Vai D i Tai
erfüllen und der Orthonormalitätsrelation a>
i Taj D ıij
1. Stellen Sie für das vorliegende Problem die Matrizen T genügen. Dies führt auf die Transformationsmatrix A.
und V auf. 4. Falls gewünscht, lassen sich die Normalkoordinaten über
2. Finden Sie die Lösungen der charakteristischen Glei- D A 0 bestimmen.
chung det.V T/ D 0. Somit sind die F Eigenwerte
i bekannt.
a V b V
S(q1,0 , q2,0 )
Pmin (q1,0 , q2,0 )
q1 q2 q1 q2
Abb. 6.7 Stabilität von Gleichgewichten am Beispiel F D 2. (a) Der Punkt Pmin .q1;0 ; q2;0 / ist ein lokales Minimum der Potenziallandschaft V.q1 ; q2 /. Das
Gleichgewicht ist sowohl für q1 als auch für q2 stabil. (b) Der Punkt S.q1;0 ; q2;0 / ist ein Sattelpunkt, der für q1 ein lokales Minimum, für q2 aber ein lokales
Maximum darstellt. So ist zwar das Gleichgewicht von q1 stabil, nicht aber das für q2
Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichungen für das Kraft verbunden ist. Wir werden in Abschn. 6.5 noch sehen,
Gesamtsystem ist dann die lineare Überlagerung dass dieser Fall typisch für Systeme ist, die keinen äuße-
ren Kräften unterworfen sind und deren Schwerpunkt sich
X
F X
F mit konstanter Geschwindigkeit bewegen kann (Impulser-
.t/ D ai i0 .t/ D ai Ci cos.!i;0 t ıi /: (6.108) haltung des Schwerpunktes).
iD1 iD1
Man nennt die Eigenfrequenzen !i;0 auch Normalfrequen- Die Integrationskonstanten Ci und ıi lassen sich folgenderma-
zen. ßen bestimmen: Zur Zeit t D 0 ist
2. Ist mindestens ein Eigenwert i 0, dann kann i0 im
Rahmen der harmonischen Näherung unbegrenzt wachsen. X
F X
F
Insbesondere kann es für i < 0 zum exponentiellen Wachs- 0 D ai Ci cos ıi ; P 0 D ai Ci !i;0 sin ıi : (6.111)
tum von i0 kommen: iD1 iD1
ai / .1; 1; : : : ; 1/> , dass die Amplituden aller Punktmassen für den muss. Dazu haben wir den Mischterm / '1 '2 durch
die i-te Eigenmode gleich sind. zwei dividiert und ihn auf die beiden Nebendiagonalele-
In Aufgabe 6.7 wird gezeigt, wie sich äußere Kräfte, die nicht mente verteilt.
in V enthalten sind, in den Formalismus der Normalkoordinaten Die charakteristische Gleichung det.V T/ D 0 lautet
einbinden lassen.
l2 .mg C Dl ml/2 D2 l2 D 0; (6.118)
Frage 19
Überlegen Sie sich, dass die Bahnkurve .t/ im F-dimensiona- und die beiden Lösungen sind
len Parameterraum periodisch ist, wenn alle F Eigenfrequenzen
!i;0 in einem rationalen Verhältnis zueinander stehen. Ansons- g g D
1 D > 0; 2 D C 2 > 0: (6.119)
ten ist die Bahnkurve .t/ nicht geschlossen und kehrt niemals l l m
in ihren Anfangszustand zurück.
In jedem Fall handelt es sich also um stabile Schwingun-
gen beider Freiheitsgrade. Es sind nun die Eigenvektoren
Zwei elastisch gekoppelte Punktmassen zu bestimmen:
Der in diesem Abschnitt vorgestellte Formalismus soll mgl C Dl2 i ml2 Dl2
a D 0:
hier an einem einfachen Beispiel verdeutlicht werden: Dl2 mgl C Dl2 i ml2 i
Zwei Punktmassen der Masse m hängen jeweils an ebe- (6.120)
nen Pendeln der Länge l. Die beiden Aufhängepunkte Für den ersten Eigenwert folgt
haben einen Abstand x0 . Die Pendel seien durch eine 2
Dl Dl2 1
Feder mit der Federkonstanten D und der Ruhelänge x0 a1 D 0 H) a1 / :
miteinander gekoppelt. Beide Pendel sollen nur in der ge- Dl 2
Dl 2 1
meinsamen Ebene schwingen können. Somit gibt es mit (6.121)
den beiden Auslenkungswinkeln '1 und '2 nur zwei Frei-
heitsgrade. Die kinetische Energie ist Der zweite Eigenwert führt auf
ml2 2 Dl2 Dl2 1
TD 'P 1 C 'P 22 : (6.114) 2 a2 D 0 H) a2 / :
2 Dl Dl
2 1
Beiträge zur potenziellen Energie kommen vom homoge- (6.122)
nen Schwerefeld und der Feder:
V D mgl.cos '1 C cos '2 / Es sollen noch beide Eigenvektoren bezüglich T nor-
miert werden, d. h., wir fordern a>i Taj D ıij . Zunächst
D hp i2 (6.115)
C .x1 x2 /2 C .y1 y2 /2 x0 : sieht man schnell, dass a1 und a2 bezüglich T orthogonal
2 zueinander sind. Dies muss so sein, da die beiden Eigen-
werte nicht entartet sind. Die noch fehlende Normierung
Sind die Auslenkungen klein, können die Auslenkungen
führt auf
y1 und y2 gegenüber x1 und x2 vernachlässigt werden.
Weiterhin verwenden wir die Näherungen x1 D l sin '1 1 1 1 1
x0 C l'2 und cos '1;2 1 '1;2
2
=2. Ignoriert a1 D p ; a2 D p : (6.123)
l'1 , x2
2ml 2 1 2ml 2 1
man den konstanten Term, lautet die potenzielle Energie
Dies entspricht im Wesentlichen (bis auf Vorfaktoren) ei-
mgl 2 Dl2
ner Zerlegung in Schwerpunkts- und Relativkoordinaten
V '1 C '22 C .'1 '2 /2 : (6.116)
2 2 der beiden Punktmassen. Die beiden Normalschwingun-
Der Gravitationsbeitrag entspricht einem äußeren Poten- gen haben die folgenden Bedeutungen:
zial, der Federbeitrag einer Kopplung der Freiheitsgrade
(Wechselwirkung, innere Kräfte). Wir notieren die beiden 1. Die beiden Punktmassen schwingen gleichphasig
Matrizen (a1 ), d. h. xP 1 D xP 2 .
2. Die beiden Punktmassen schwingen gegenphasig (a2 ),
T D ml2
1 0
; d. h. xP 1 D Px2 .
0 1
(6.117) p
1 0 1 1 Beide Normalschwingungen haben mit !1;0 D 1
V D mgl C Dl2 : p
0 1 1 1 und !2;0 D 2 verschiedene Eigenfrequenzen. Dies
6.5 Anwendungen gekoppelter Oszillatoren 231
m D M D m
liegt daran, dass die Feder bei der gleichphasigen Nor-
Teil I
malschwingung keine Rolle spielt und die Rückstellkraft
(d. h. diejenige Kraft, die der Auslenkung entgegenwirkt)
nur aufgrund der Gravitation zustande kommt. Bei der
Abb. 6.8 Modell des hier betrachteten linearen dreiatomigen Moleküls
gegenphasigen Normalschwingung wird die Feder ge-
dehnt und gestaucht, und die Federkonstante D geht in
die Schwingungsfrequenz ein. Die allgemeine Lösung
x.t/ D .x1 .t/; x2 .t//> ist eine lineare Überlagerung die- m 2 M
ser Schwingungen, TD xP 1 C xP 23 C xP 22 ;
2 2 (6.125)
D
x.t/ D a1 C1 cos.!1;0 t ı1 / VD .x2 x1 `/2 C .x3 x2 `/2 :
2
C a2 C2 cos.!2;0 t ı2 /; (6.124)
Alle Terme sind bereits höchstens quadratisch in den Koor-
und die Amplituden und Phasenverschiebungen der bei- dinaten und ihren Ableitungen; T und V müssen also nicht
den Normalschwingungen sind durch die (hier nicht ge- entwickelt werden.
gebenen) Anfangsbedingungen festgelegt. In Aufgabe 6.3 Für x2 x1 D ` und x3 x2 D ` besteht Gleichgewicht.
wird gezeigt, dass bei gekoppelten Pendeln Schwebungen Offensichtlich ist das Problem translationsinvariant: Wird das
auftreten können. J gesamte Molekül entlang der x-Achse verschoben, ändert sich
die Lagrange-Funktion L D T V nicht. Das Noether-Theo-
rem besagt hier demnach, dass der Gesamtimpuls entlang der x-
Achse erhalten ist. Dies wird uns später bei der Diskussion der
Eigenwerte wieder begegnen. Außerdem ist wegen der Zeitun-
6.5 Anwendungen gekoppelter abhängigkeit von L die Energie erhalten.
Oszillatoren Frage 20
Vergewissern Sie sich, dass für x2 x1 D ` und x3 x2 D `
Abschnitt 6.4 ist recht theoretisch, liefert aber wesentliche Ein- Gleichgewicht besteht.
blicke in die mathematischen Methoden der Physik. Um diese
Erfahrung auf praktische Probleme anzuwenden, betrachten wir Es bietet sich an, auf einen anderen Koordinatensatz i zu
zwei Beispielsysteme, die für die Physik und Technik sehr wechseln, der die Auslenkung aus den Gleichgewichtslagen be-
wichtig sind: die Schwingungen eines linearen dreiatomigen schreibt:
Moleküls und die lineare Kette als Modell eines eindimensiona-
len Kristalls. Die hier erarbeiteten Ergebnisse spielen eine große 1 D x1 C `; 2 D x2 ; 3 D x3 `: (6.126)
Rolle in der Spektroskopie und der Festkörperphysik.
Daraus ergeben sich die Energieterme
1 P2
TD m1 C M P22 C mP32 ;
Schwingungen eines linearen, 2 (6.127)
D
dreiatomigen Moleküls VD .2 1 /2 C .3 2 /2 :
2
Die Matrizen T und V können direkt abgelesen werden:
Eine wichtige Anwendung gekoppelter Oszillatoren ist das 0 1 0 1
lineare, dreiatomige Molekül (Abb. 6.8). Das Molekül sei sym- m 0 0 D D 0
metrisch: Ein zentrales Atom der Masse M befinde sich am Ort T D @ 0 M 0 A ; V D @D 2D DA : (6.128)
x2 zwischen zwei Atomen der Masse m an den Orten x1 und x3 . 0 0 m 0 D D
Beide äußeren Atome sollen mit dem zentralen Atom wechsel-
wirken. Dieses Modell ist beispielsweise eine Näherung für das Die Nebendiagonalelemente von V beschreiben die Potenzial-
Kohlendioxidmolekül, nicht jedoch für das nichtlineare Wasser- kopplung der Koordinaten. Zum Beispiel erkennt man an der
molekül. Matrix, dass 1 und 3 nicht miteinander gekoppelt sind, da die
13- und 31-Komponenten null sind.
Die Wechselwirkung kann durch eine harmonische Kraft mit
Federkonstante D und Gleichgewichtslänge ` approximiert wer- Der zweite Schritt ist die Bestimmung der drei Eigenwerte i .
den. Zur Vereinfachung erlauben wir nur Schwingungen entlang Die charakteristische Gleichung det.V T/ D 0 lautet
der Molekülachse (x-Achse). 0 1
D m D 0
Zunächst sind die dynamischen Matrizen T und V aufzustellen. det @ D 2D M D A D 0 (6.129)
Dazu bestimmen wir die kinetische und potenzielle Energie: 0 D D m
232 6 Schwingungen
Teil I
a
Wir beginnen mit dem Ansatz
Abb. 6.10 Die lineare Kette besteht aus lauter identischen Punktmassen mit
Masse m und Gleichgewichtsabstand a. Alle Punktmassen sind über jeweils eine j D Re Aj ei!t ; (6.147)
Feder der Stärke D mit den beiden nächsten Nachbarn verbunden
wobei ! identisch für alle Oszillatoren ist. Über die komple-
xen Amplituden Aj der individuellen Oszillatoren wird an dieser
Frage 23 Stelle noch nichts gesagt. Wir erlauben jedoch, dass sie für
Zeigen Sie, dass jede der drei Normalschwingungen (und damit jeden Oszillator verschieden sein können. Daraus ergibt sich
auch jede beliebige Überlagerung) die Impulserhaltung erfüllt. folgendes System von zeitunabhängigen komplexen Gleichun-
Berechnen Sie dazu den Impuls gen:
m! 2 Aj D D 2Aj AjC1 Aj1 : (6.148)
px D mPx1 C M xP 2 C mPx3 ; (6.143)
Sind die Aj erst bestimmt, liefert der Realteil (6.147) die Bahn-
der sich durch Einsetzen der jeweiligen Lösungen ai (1 i 3) kurven der Oszillatoren.
ergibt.
Offensichtlich sind die Gleichungen (6.148) noch gekoppelt.
Der nächste Schritt besteht also darin, zu „raten“, wie Aj mit
Weitere Beispiele gekoppelter Oszillatoren werden in Aufgabe Aj˙1 zusammenhängt. Der einfachste Ansatz lautet
6.5 und 6.6 behandelt.
AjC1 D cAj H) Aj D cj A0 ; (6.149)
Frage 25
Die Wellenzahl kann wegen n 2 Z nur diskrete Werte und k nur Zeigen Sie (6.159), indem Sie die Identitäten cos x D .eix C
Werte zwischen ˙ =a annehmen. Gleichung (6.154) beschreibt eix /=2 und 1 cos x D 2 sin2 .x=2/ verwenden.
eine Welle (siehe unten) entlang der Kette. Sie hat die Wellen-
länge
2 Wegen n 2 Z erlaubt man hier negative und positive k. Je
D H) c D e2 ia= : (6.155) nach Vorzeichen läuft die Welle entweder nach rechts oder nach
k
links. Für jkaj 1 (d. h. a) lässt sich die Dispersionsrela-
Aus (6.153) folgt, dass die „Kettenlänge“ aN ein ganzzahliges tion linearisieren: r
Vielfaches der Wellenlänge ist: D
! jkaj : (6.160)
aN m
D : (6.156)
n In diesem Grenzfall „sieht“ die Welle das Gitter nicht, da der
Dies ist eine direkte Folge der angesetzten Periodizität. Abstand benachbarter Punktmassen sehr viel kleiner als die
Wellenlänge ist, und die Frequenz ! ist proportional zur Wel-
Insgesamt erhalten wir als Lösung lenzahl k. Je größer k wird (d. h., je kleiner wird), desto mehr
weicht die Dispersionsrelation von einem linearen Verhalten ab.
j D Re Aei.kaj!t/ ; (6.157)
Frage 26
wobei willkürlich A D A0 verwendet wurde. (Man könnte auch Überlegen Sie sich, dass es eine kleinste sinnvolle Wellenlänge
jede andere Punktmasse als Referenz verwenden und die j- gibt. Sie werden finden, dass die kleinste Wellenlänge 2a ist.
Verschiebung durch eine Phase in der Exponentialfunktion be- Dies entspricht genau dem Fall, dass alle geraden Punktmassen
rücksichtigen.) gegenphasig zu allen ungeraden Punktmassen schwingen.
Die Exponentialfunktion beschreibt eine Welle. Für eine festge-
haltene Punktmasse j bedeutet eine Welle eine Oszillation in der
Wellen, die – wie in diesem Beispiel – entlang ihrer Ausbrei-
Zeit mit Frequenz !. Betrachtet man im Gegensatz dazu das Ge-
tungsrichtung schwingen, nennt man Longitudinalschwingun-
samtsystem zu einer festen Zeit t, hat man es mit einer räumlich
gen. Beispiele dafür sind Schallwellen in Luft und Wasser. Für
ausgedehnten Welle mit Wellenzahl k zu tun.
elastische Materialien (im Wesentlichen Festkörper) sind auch
Aufgrund der Linearität der Bewegungsgleichung (6.146) sind Transversalwellen möglich, bei der die Oszillationen recht-
Linearkombinationen von Lösungen (6.157) mit verschiede- winklig zur Ausbreitungsrichtung stattfinden. Wir kommen in
nen k und ! wieder Lösungen. Man kann eine allgemeine Kap. 8 darauf zurück.
Aufgaben 235
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
6.1 Die Euler’sche Formel Es soll das Rechnen mit (c) Wie lautet die Oszillationsfrequenz der Punktmasse in dem
den komplexen Zahlen geübt werden. Potenzial (6.165)? Drücken Sie die Umlauffrequenz eben-
falls durch L, und r0 aus. Bestimmen Sie das Verhältnis
(a) Schreiben Sie die Taylor-Reihe (siehe „Mathematischen dieser Frequenzen und zeigen Sie, dass es lediglich von ˇ
Hintergrund“ 1.8) der Exponentialfunktion ex (x 2 R) um abhängt. Was bedeutet das Ergebnis für das Potenzial eines
x D 0 auf und ersetzen Sie danach x durch das komplexe harmonischen Oszillators (ˇ D 2)?
Argument ix. Sortieren Sie die Reihe nach reellen und ima-
ginären Termen. Zeigen Sie damit, dass
6.3 Schwebung Gleichung (6.124) beschreibt die
eix D cos x C i sin x (6.161) Bewegung eines Doppelpendels.
gilt und damit
(a) Betrachten Sie die Anfangsbedingungen, bei denen das ers-
e Ce
ix ix
e e
ix ix te Pendel maximal ausgelenkt ist und das zweite sich am
cos x D ; sin x D : (6.162) tiefsten Punkt befindet. Die Anfangsgeschwindigkeiten bei-
2 2i der Pendel seien null. Wie lauten dann die Bahnkurven für
(b) Zeigen Sie die Identität die beiden Pendel?
(b) Die Bahnkurven liegen noch als Überlagerung zweier Ko-
cos.x C y/ C cos.x y/ sinusfunktionen vor. Formen Sie jeweils die Summe in ein
cos x cos y D (6.163)
2 Produkt von trigonometrischen Funktionen um.
mithilfe der komplexen Exponentialfunktion. (c) Die resultierenden Gleichungen beschreiben eine Schwe-
bung. Setzen Sie dazu die Oszillationsfrequenzen ein und
gehen Sie vom Fall einer schwachen Kopplung der Oszilla-
6.2 Potenzpotenziale Das radiale Schwingungs- toren aus (D=m g=l). Skizzieren Sie die Bewegungen der
verhalten einer Punktmasse im Kepler-Potenzial (siehe (6.17)) beiden Massen.
wird hier auf beliebige Potenzpotenziale verallgemeinert. Gege- (d) Was bedeutet diese Bewegung für die Energiebilanz?
ben sei das kugelsymmetrische Potenzial
Wählen Sie die Anfangsbedingungen x.0/ D 0 und xP .0/ D v0 . Lösungshinweis: Entwicklen Sie bei der potenziellen Ener-
Wie lautet die Bahnkurve? Führen Sie den Grenzfall !Q ! 0 gie zuerst die Terme innerhalb der Wurzeln, dann die Wurzeln
Teil I
Abb. 6.12 Gekoppelte Oszillatoren. Zwei Punktmassen m sind über eine mas- Aj D cj AC C cj A .AC ; A 6D 0/ (6.171)
selose Stange der Länge L verbunden. Die beiden Punktmassen sind über Federn
der Stärke D an den Wänden befestigt. Das Pendel hat einen Rotationsfreiheits-
grad ' (in der x-y-Ebene) und einen Translationsfreiheitsgrad x bezüglich des mit Konstanten AC und A und schreiben Sie c in der Form
Ursprungs O eika .
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 237
Teil I
6.1 6.2
wobei die erste Summe reell, die zweite imaginär ist. Ein Aus U 0 .r0 / D 0 folgt die Lage möglicher Extrema:
Vergleich mit Aufgabe 1.7 zeigt, dass diese beiden Summen
L2
gerade den Entwicklungen von Kosinus und Sinus entspre- r0ˇC2 D : (6.180)
chen: ˛ˇ
1
X 1
X Wir fordern also neben ˛ 6D 0 und ˇ 6D 0 (was auf ver-
.ix/2j .1/j x2j
D D cos x; schwindende oder konstante Potenziale führen würde) noch
jD0
.2j/Š jD0
.2j/Š ˛ˇ > 0, da r0 positiv sein soll. Die zweite Ableitung lautet
1 1
(6.174)
X .ix/2jC1 X i.1/j x2jC1 3L2
D D i sin x: U 00 .r/ D ˛ˇ.ˇ 1/rˇ2 C : (6.181)
jD0
.2j C 1/Š jD0
.2j C 1/Š r4
Existiert ein lokales Minimum, so muss U 00 .r0 / > 0 gelten:
Daraus folgt (6.161). Um (6.162) zu zeigen, nutzen wir
aus, dass cos x symmetrisch, sin x antisymmetrisch unter der 3L2
Spiegelung x ! x ist. Wir schreiben zunächst ˛ˇ.ˇ 1/r0ˇC2 C >0 H) ˇ > 2: (6.182)
eix D cos x i sin x (6.175) Im letzten Schritt wurde (6.180) verwendet. Sowohl für das
Kepler- bzw. Coulomb-Potenzial (ˇ D 1) als auch das
und sehen dann unmittelbar: harmonische Oszillatorpotenzial (ˇ D 2) findet man also
stabile Gleichgewichte (jedenfalls dann, wenn ˛ˇ > 0 er-
füllt ist).
eix C eix D 2 cos x; eix eix D 2i sin x: (6.176)
(b) Die Entwicklung bis zur zweiten Ordnung lautet
Auflösen nach cos x bzw. sin x führt auf (6.162). 1
(b) Um (6.163) abzuleiten, schreibt man den Kosinus zunächst U.r0 C r/ D U.r0 / C U 0 .r0 /x C U 00 .r0 /x2 : (6.183)
2
mithilfe der komplexen Exponentialfunktion (6.162):
Den konstanten Term unterschlagen wir, da er die Dynamik
ix iy nicht beeinflusst. Die erste Ordnung verschwindet, da r0 die
e Ce e Ce
ix iy
cos x cos y D Gleichgewichtslage ist. Es verbleibt
2 2
ei.xCy/ C ei.xCy/ ei.xy/ C ei.xy/ 1 .ˇ C 2/L2 2
D C U.x/ D x : (6.184)
4 4 2 r04
cos.x C y/ C cos.x y/
D : Aus Gründen der Übersicht ersetzen wir nicht den Term r04
2
(6.177) im Nenner. Dies wäre mithilfe von (6.180) aber problemlos
Durch einfaches Umsortieren folgt also die Behauptung. möglich.
238 6 Schwingungen
(c) Wir wissen, dass für ein quadratisches Potenzial der Form (b) Die Bahnkurven der beiden Massen lauten
V.x/ D Dx2 =2 die Oszillationsfrequenz gerade durch ! 2 D
Teil I
D=m gegeben ist, wobei m die Masse des Oszillators ist. Auf A
x1 D Œcos.!1 t/ C cos.!2 t/
das vorliegende Problem angewandt erhält man analog 2
! ! !2 C !1
2 1
p L D A cos t cos t ;
!D ˇC2 : (6.185) 2 2
r02 (6.193)
A
x2 D Œcos.!1 t/ cos.!2 t/
2
Die Umlauffrequenz ist ! ! !2 C !1
2 1
D A sin t sin t :
2 v 2 2
!U D D ; (6.186)
T r0 Für die Umformungen wurden
wobei wir in guter Näherung annehmen können, dass die xCy xy
Bahngeschwindigkeit v konstant ist, wenn x klein ist. Es ist cos x C cos y D 2 cos cos (6.194)
2 2
L und
vD I (6.187)
r0
xCy xy
cos x cos y D 2 sin sin (6.195)
also gilt 2 2
L
!U D : (6.188) verwendet. Man sieht bereits, dass sowohl die Summe als
r02 auch die Differenz der Oszillationsfrequenzen wichtige Rol-
len spielen.
Somit ist das Verhältnis der Frequenzen
(c) Die Oszillationsfrequenzen (6.119) sind
! p r
D ˇ C 2: (6.189) g
!U !1 D ;
l
r r (6.196)
Für ˇ D 1 hatten wir in (6.24) bereits !=!U D 1 gefun- g D g Dl
den. Der harmonische Oszillator führt mit ˇ D 2 stattdessen !2 D C2 1C ;
l m l mg
auf !=!U D 2, d. h., man beobachtet zwei radiale Schwin-
gungen pro Umlauf. wenn Dl mg ist. Somit ist die Differenz
s
6.3 lD
!2 !1 (6.197)
gm
(a) Aus (6.124) folgen die Geschwindigkeiten
sehr viel kleiner als die Summe
xP D a1 !1 C1 sin.!1 tı1 /a2 !2 C2 sin.!2 tı2 /; (6.190) r
g
!2 C !1 2 : (6.198)
wobei wir zur Abkürzung !1 D !1;0 und !2 D !2;0 schrei- l
ben. Der Vektor x fasst dabei die beiden Freiheitsgrade x1
Die Bewegungen von x1 und x2 sind folgendermaßen cha-
und x2 zusammen, die in diesem Fall den Auslenkungswin-
rakterisiert: Die Pendel schwingen mit einer Frequenz !2 C
keln der beiden Pendel entspricht. Damit die Geschwindig-
!1 , wobei die Schwingungsamplitude durch eine langsame
keiten bei t D 0 verschwinden, muss zunächst ı1 D 0 und
Oszillation mit !2 !1 moduliert ist. Dies ist in Abb. 6.13
ı2 D 0 gelten. Weiterhin soll die Anfangsposition der ersten
an einem Beispiel dargestellt.
Masse A, die der zweiten Masse 0 sein. Mithilfe von (6.123)
(d) Die beiden Pendel tauschen im Laufe der Zeit Energie mit-
ist
1 1 einander aus. Zu Beginn ist die Schwingungsamplitude des
x1 .0/ D p C1 C p C2 D A; ersten Pendels maximal, die des zweiten null. Der Energie-
l 2m l 2m austausch ist periodisch. Nach der Zeit =Œ2.!2 !1 / ist die
(6.191)
1 1 Energie vollständig auf das zweite Pendel übergegangen.
x2 .0/ D p C1 p C2 D 0:
l 2m l 2m
Es muss also C1 D C2 gelten und schließlich 6.4 Mit den Anfangsbedingungen x.0/ D 0 und xP .0/ D v0
folgen aus (6.167) die Konstanten C1 und C2 :
r
m
C1 D lA: (6.192) v0
2 C1 D ; C2 D 0: (6.199)
!Q
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 239
Teil I
A D
VD .jx1 x j l/2 C .jx2 xC j l/2 : (6.204)
2
Wir müssen nun die Wurzeln entwickeln. Zur Abkürzung (c) Das Gleichgewicht ist nur dann stabil, wenn der Punkt
schreiben wir .x; '/ D .0; 0/ ein lokales Minimum des Potenzials ist. Dies
Teil I
s ist wegen 2 > 0 für die x-Koordinate der Fall. Für ' ist dies
H L 2 LH 2 nur erfüllt, wenn
˛D xC C ' ;
2 4 1 l
s (6.210) LH >0 (6.217)
2 HL
L H 2 LH 2
ˇD xC C ' :
2 4 gilt. Dies führt direkt auf l < .H L/=2. Anschaulich be-
deutet dies, dass die Gleichgewichtslänge der Federn kürzer
Zunächst ist sein muss als der Abstand der Punktmassen zu den Wänden.
So ziehen sich die Federn zusammen und die Massen mit
D 2
V ˛ C ˇ 2 C 2l2 2l.˛ C ˇ/ (6.211) sich, also in Richtung der Wände. Damit bevorzugt der Stab
2 ' D 0. Ist l größer, dehnen sich die Federn aus. Eine kleine
D .H L/2 LH 2 Störung würde dann dazu führen, dass sich der Stab dreht
D 2x2 C C ' C 2l2 2l.˛ C ˇ/ :
2 2 2 und eine Gleichgewichtskonfiguration mit ' 0 6D 0 anstrebt.
Davon gibt es aufgrund der Symmetrie allerdings zwei, d. h.,
Hier sind – mit Ausnahme von ˛ und ˇ – bereits alle Ter- C' 0 und ' 0 sind möglich.
me entweder konstant oder quadratisch in den Koordinaten. (d) Die Matrizen lauten
Wir müssen daher noch ˛ und ˇ entwickeln. Da sich beide
nur durch ein Vorzeichen unterscheiden, betrachten wir im 2 0 2 0
TDm 2 ; V D D :
Folgenden erst nur ˛. Um die zweiten Ableitungen zu be- 0 L2 0 LH 12 HL l
Zur Vereinfachung definieren wir A WD 2D mR2 und berech- überprüft leicht, dass a2 D .1; 1; 2/> sowohl die Eigenwert-
nen die Determinante (mit einer Entwicklung nach der ersten gleichung erfüllt als auch orthogonal auf a1 steht.
Teil I
Spalte bzw. Zeile)
Die Mode a1 entspricht einer ruhenden dritten Punktmasse,
ˇ ˇ
ˇ A D Dˇ während die beiden übrigen mit identischer Amplitude gegen-
ˇ ˇ
det.V T/ D ˇˇD A Dˇˇ einander schwingen. Dagegen schwingen in der Mode a2 die
ˇD D A ˇ beiden ersten Punktmassen zusammen gegen die dritte, deren
Amplitude doppelt so groß ist. Die Lösungen sind symmetrisch
D A.A2 D2 / C D.AD D2 / D.D2 C AD/ unter paarweiser Vertauschung beliebiger Punktmassen.
D .A C D/ A.A D/ 2D2 : (6.223) 6.7 Wir schreiben zur besseren Übersicht zunächst die Aus-
gangsgleichungen (6.84)
Alternativ hätte man die Regel von Sarrus (siehe „Mathemati-
schen Hintergrund“ 2.2) verwenden können. Im letzten Schritt T R C V D Q (6.229)
wurde die dritte binomische Formel A2 D2 D .A C D/.A D/
ausgenutzt und der gemeinsame Faktor .ACD/ ausgeklammert. mit Q D .Q1 ; : : : ; QF /> und die Zielgleichungen (6.100)
Die erste Lösung von det.V T/ D 0 sieht man sofort:
Ri0 C i i0 D Q0i .1 i F/; (6.230)
A1 D D: (6.224)
Die beiden anderen folgen nach kurzer Rechnung aus der ver- wobei die Q0i zu identifizieren sind. Multiplikation von (6.229)
bleibenden quadratischen Gleichung: mit A> von links führt wegen T D B> B und A D B1 auf
Es muss nun noch die Lösung für die Eigenwerte gefunden Wir ersetzen nun die alten Koordinaten durch die Normalkoor-
werden. Sie erhält man aus A D 2D mR2 : dinaten und verwenden dafür D A 0 :
0
1;2 D
3D
; 3 D 0: (6.226) R C A> VA 0 D A> Q: (6.232)
mR2
Wegen A> VA D diag.1 ; : : : ; F / folgt sofort
Wir haben es also mit zwei entarteten und einem verschwinden-
den Eigenwert zu tun.
X
f
Beginnen wir mit 3 . Die Eigenwertgleichung ist dann Ri0 C i i0 D Aji Qj .1 i F/: (6.233)
0 10 1 0 1 jD1
2 1 1 a31 0
D @1 2 1A @a32 A D @0A : (6.227) Damit haben wir den Zusammenhang zwischen Q und Q0 ge-
1 1 2 a33 0 funden:
Q0 D A> Q; Q D B> Q0 : (6.234)
Diese Vektorgleichung wird durch Vielfache von a3 D
.1; 1; 1/> gelöst, was der gleichförmigen Drehung aller Punkt- Die Kräfte, die auf die Normalkoordinaten 0 wirken, sind Li-
massen entlang des Kreisrings entspricht. Dabei drehen sich nearkombinationen (vermittelt durch A) der Kräfte, die auf die
alle Punktmassen mit derselben Geschwindigkeit in dieselbe Freiheitsgrade ausgeübt werden. Die F entkoppelten Glei-
Richtung. Es handelt sich um eine Translationsmode und kei- chungen (6.233) können mit den bekannten Methoden gelöst
ne Schwingungsmode. werden.
Für 1;2 ergibt sich die Situation 6.8 Zunächst wendet man den Ansatz (6.171) auf A0 und ANC1
an:
0 10 1 0 1
1 1 1 a11 0
D @1 1 1A @a12 A D @0A (6.228) A0 D AC C A D 0; ANC1 D cNC1 AC C c.NC1/ A D 0:
1 1 1 a13 0 (6.235)
Hieraus folgt neben A D AC D A die Bedingung
und entsprechend für a2 . Aufgrund der Entartung sind nun zwei
bezüglich T orthogonale Vektoren a1 und a2 zu konstruieren. c2.NC1/ D 1 H) cDe in=.NC1/
.n 2 Z/: (6.236)
Wir beginnen willkürlich mit a1 D .1; 1; 0/> , was offensicht-
lich der Eigenwertgleichung genügt. Die Wellenzahl ist in diesem Fall
Da T ein Vielfaches der Einheitsmatrix ist, entspricht die Ortho- n
kD .n 2 Z/: (6.237)
gonalitätsbedingung der üblichen im kartesischen Raum. Man .N C 1/a
242 6 Schwingungen
Teil I
Welche Bedeutung hat die
Hamilton-Funktion in der
Physik?
Welche Eigenschaften
haben kanonische
Transformationen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_7, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 243
244 7 Hamilton-Formalismus
Bereits in Abschn. 5.3 wurde die Hamilton-Funktion eingeführt; sie beschreiben lassen, wobei die f Parameter qi geeignete gene-
spielte bisher aber keine zentrale Rolle in der Mechanik. Dies än- ralisierte Koordinaten sind, mit deren Hilfe alle holonomen
Teil I
dert sich hier nun grundlegend. Es wird in Abschn. 7.1 gezeigt, Zwangsbedingungen eliminiert wurden. Die Gleichungen in
dass man – auf der Hamilton-Funktion aufbauend – einen wei- (7.1) sind f Differenzialgleichungen zweiter Ordnung, deren
teren Zugang zu mechanischen Problemen einschlagen kann, der vollständige Lösung 2f Integrationsvariablen (z. B. in Form von
sich vom Aufstellen der Newton’schen Bewegungsgleichungen und Anfangsbedingungen) erfordert. Im Lagrange-Formalismus be-
auch vom Lagrange-Formalismus unterscheidet. Als Ergebnis finden trachtet man den f -dimensionalen Konfigurationsraum, der von
wir die kanonischen Bewegungsgleichungen. den f verallgemeinerten Koordinaten qi aufgespannt wird, so-
wie die f verallgemeinerten Geschwindigkeiten qP i .
Wir werden in Abschn. 7.2 sehen, dass Koordinaten und Impulse in
der Hamilton’schen Mechanik gleichberechtigt sind und sogar inein- Die verallgemeinerten Impulse, generalisierten Impulse oder
ander transformiert werden können. Die sogenannten kanonischen kanonisch konjugierten Impulse sind bei gegebener Lagrange-
Transformationen erlauben eine Vereinfachung der Bewegungsglei- Funktion L definiert als (Gleichung (5.87))
chungen.
Obwohl die hier vorgeführten Methoden keine wesentlichen rech- @L
pi WD : (7.2)
nerischen Vereinfachungen für das Lösen mechanischer Probleme @Pqi
mit sich bringen, so ist dieses Kapitel doch von entscheidender
Bedeutung für die weiteren Teile dieses Buches. Insbesondere die Man beachte, dass pi im Allgemeinen nicht die Dimension ei-
Quantenmechanik baut auf der Hamilton-Jacobi-Theorie auf, die in nes Impulses besitzt. Allerdings hat das Produkt qi pi stets die
Abschn. 7.3 angesprochen wird. Auch die statistische Physik und Dimension einer Wirkung (Energie mal Zeit), was sich unmit-
die Theorie chaotischer Systeme profitieren von einer Formulierung telbar an (7.2) ablesen lässt.
ausgehend vom Hamilton-Formalismus.
Wie die Hamilton-Funktion die Entwicklung physikalischer Systeme
im sogenannten Phasenraum bestimmt, wird im Kasten „Vertie-
fung: Phasenfluss und Liouville’scher Satz“ in Abschn. 34.1 wieder
aufgegriffen. Die kanonischen Gleichungen
X
f
Teil I
Die Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators mit H.t; q; p/ D qP i pi L.t; q; qP /; qP i D qP i .t; q; p/: (7.7)
einem kartesischen Freiheitsgrad lautet iD1
Die allgemeine Lösung der Bewegungsgleichung des Aufgrund ihrer Abhängigkeit von t, q und p ist das totale Diffe-
harmonischen Oszillators ist bereits bekannt. Zusammen- renzial der Hamilton-Funktion H
gefasst für Koordinate und Impuls lautet sie X @H @H
@H
dH D dqi C dpi C dt: (7.8)
x cos.!0 t 0 / i
@q i @p i @t
DA ; (7.6)
p m!0 sin.!0 t 0 /
Andererseits folgt aus (7.7) zunächst
X
wobei der Phasenwinkel 0 wie auch die Amplitude A
durch die Anfangsbedingungen festgelegt wird. Das Er- @L @L @L
dH D pi dPqi C qP i dpi dqi dPqi dt: (7.9)
gebnis ist eine Ellipse im Phasenraum (Abb. 7.1). i
@q i @P
q i @t
Machen Sie sich klar, dass (7.6) tatsächlich eine Ellipse An dieser Stelle kann der konjugierte Impuls (7.2) verwendet
mit Halbachsen A und m!0 A beschreibt. werden, und die beiden Terme mit dPqi heben sich gegenseitig
auf. Übrig bleibt
X @L
@L
p dH D qP i dpi dqi dt: (7.10)
i
@qi @t
mω0 A
Vergleicht man (7.10) mit (7.8), folgen die Ableitungen
@H @H @L @H @L
D qP i ; D ; D : (7.11)
@pi @qi @qi @t @t
A x
Frage 1
Machen Sie sich mithilfe der Lagrange-Gleichungen in (7.1)
klar, dass
d @L @L
pP i D D (7.12)
dt @Pqi @qi
gilt.
Abb. 7.1 Phasenraumtrajektorie des ungedämpften, freien harmoni-
schen Oszillators mit Schwingungsamplitude A und Impulsamplitude
m!0 A. Die Trajektorie ist geschlossen und läuft – je nach Anfangsbe- Schließlich erhält man die Hamilton’schen kanonischen Glei-
dingung – im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn J chungen.
Die Legendre-Transformation ist ein grundlegendes Werk- Legendre-Transformation und Tangentensteigung Die Le-
zeug zur Funktionentransformation und findet zahlreiche gendre-Transformierte ordnet der Steigung einer jeden
Anwendungen in der Theorie der Differenzialgleichungen Tangente an f .x/ deren (negativen) y-Achsenabschnitt zu
und der Variationsrechnung. (Abb. 7.2): Die Funktionsvorschrift einer Tangente t.x/ an
eine Funktion f .x/ im Punkt .x0 ; f .x0 // mit Steigung m D
Idee und anschauliche Interpretation Betrachten wir ei- f 0 .x0 / und y-Achsenabschnitt b ist
ne strikt konvexe und stetig differenzierbare Funktion f W
I R ! R in einer Variablen (eine strikt konvexe Funk-
tion zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Ableitung streng t.x/ D mx C b H) t.x0 / D f .x0 / D mx0 C b:
monoton wachsend ist). Der Graph von f .x/ ist als Menge
von Punkten .x; f .x// gegeben. Alternativ kann man sich den Andererseits lautet die Legendre-Transformierte von f .x/ ge-
Graphen einer konvexen Funktion als die Einhüllende aller rade gŒf 0 .x/ D f 0 .x/x f .x/ und speziell bei x D x0 :
ihrer Tangenten vorstellen, wie es in Abb. 7.2 angedeutet ist. g.m/ D mx0 f .x0 /. Durch Elimination von f .x0 / (erreicht
durch die Kombination der Gleichungen für g.m/ und t.x0 /)
Ziel der Legendre-Transformation ist es nun, f .x/ durch die
folgt sofort die Behauptung g.m/ D gŒf 0 .x0 / D b.
einhüllenden Tangenten – und nicht durch f .x/ selbst – zu
beschreiben. Dazu führt man eine Funktion g.y/ ein, wobei
y.x/ WD f 0 .x/ gerade die Steigung von f .x/ bei x und g.y/ f (x)
noch zu bestimmen ist. Letztlich eliminiert man also die Va- f (x)
riable x zugunsten von y, d. h. durch die Ableitung von f
nach x.
In der Physik erlaubt dies wegen p D @L=@Pq die Erset- ∂f (x)
zung der Geschwindigkeit qP in der Lagrange-Funktion L.Pq/ ∂x
durch den entsprechenden konjugierten Impuls p in der Ha- ∂ f (x)
milton-Funktion H.p/. In Abschn. 35.1 wird die Legendre- −g[f (x1 )] ∂x
Transformation außerdem ausgenutzt, um verschiedene ther- x1 x2
−g[f (x2 )] x
modynamische Potenziale zu definieren. Allerdings besitzen
die in der Thermodynamik auftretenden Funktionen häufig
keine strikt monoton steigenden Ableitungen mehr, und man Abb. 7.2 Zur anschaulichen Bedeutung der Legendre-Transformation
muss das Konzept der Legendre-Transformation erweitern,
während die kinetische Energie T.Pq/ in der Mechanik prak-
tisch immer eine konvexe Funktion ist. Herleitung mit vollständigem Differenzial Wir setzen y D
df =dx und schreiben das vollständige Differenzial von f .x/:
Durchführung Die Legendre-Transformierte der Funktion
f .x/ ist eine Funktion g.y/, die gegeben ist durch
df
df D dx D y dx:
g.y/ WD yx.y/ f .x.y// dx
mit y.x/ D f 0 .x/. Die Rücktransformierte ist wieder Für das vollständige Differenzial der Transformierten g.y/
fordern wir nun
f .x/ D xy.x/ g.y.x//
mit x.y/ D g0 .y/, wie in Aufgabe 7.2 gezeigt wird. dg D
dg Š
dy D x dy:
dy
Beispiel Wir betrachten die Funktion f .x/ D x2 . Wegen
y.x/ D f 0 .x/ D 2x ist x.y/ D y=2. Somit lautet die Legendre-
Weiterhin ist d.xy/ D y dx C x dy, und ein Vergleich liefert
Transformierte von f .x/
sofort dg D d.xy f /, was nach einer Integration dann die
y y2 y2 y2 Legendre-Transformation g.y/ D yx.y/ f .x.y// liefert.
g.y/ D y f .x.y// D D :
2 2 4 4 Je nach Zweckmäßigkeit kann man auch dg D x dy ver-
In diesem Spezialfall ist auch die Legendre-Transformierte langen, was auf die Transformation g.y/ D f .x.y// yx.y/
eine Parabel. Weiterhin ist dann bei der Rücktransformation führt. Die Rücktransformierte lautet dann trotzdem wieder
x.y/ D g0 .y/ D y=2 und somit y.x/ D 2x. Man findet also f .x/. Mathematisch spielt das Vorzeichen bei der Legendre-
sofort die ursprüngliche Funktion f .x/ D 2x2 x2 D x2 . Transformation keine Rolle.
7.1 Hamilton-Funktion und kanonische Gleichungen 247
Teil I
einzelnen Parameter xi durch @f =@xi ersetzen, indem man
jeweils eine Legendre-Transformation mit partiellen Ablei- Zia, R.K.P. et al.: Making sense of the Legendre trans-
tungen durchführt. form. Am. J. Phys. 77, 614 (2009)
ändert sich nur das Vorzeichen. Wir werden noch sehen, dass lautet und somit mit der Energie übereinstimmt. Die kanoni-
die Unterscheidung zwischen Ort und Impuls im Hamilton-For- schen Gleichungen lauten erwartungsgemäß
malismus verschwimmt. J p
xP D ; pP D r V.x/: (7.17)
Das in nur der Hälfte der Gleichungen auftretende Minuszei- m
chen führt zu einer sogenannten symplektischen Struktur der
Hamilton’schen Gleichungen auf dem Phasenraum. Dies ist für
die Liouville’sche Gleichung in der statistischen Physik von In Aufgabe 7.1 werden die kanonischen Gleichungen für eine
großer Bedeutung (Abschn. 34.1). Punktmasse in Kugelkoordinaten für ein Zentralkraftfeld aufge-
stellt. Die Hamilton-Funktion und die kanonischen Gleichungen
Bei den kanonischen Gleichungen handelt es sich im Gegensatz einer Punktladung im elektromagnetischen Feld werden erst in
zu den Lagrange-Gleichungen um 2f Differenzialgleichungen Kap. 20 diskutiert.
erster Ordnung. Beide Gleichungssysteme sind jedoch äquiva-
lent. Eine vollständige Lösung der kanonischen Gleichungen
ist möglich, wenn zu einer Zeit sämtliche Orte und Impulse
bekannt sind; dies sind gerade 2f Anfangsbedingungen und ent- Vorteile des Hamilton-Formalismus
spricht einem wohldefinierten Punkt im Phasenraum. Ist also ein
Punkt im Phasenraum gegeben, folgt daraus die Bewegung im Warum ist es sinnvoll, statt f Differenzialgleichungen zweiter
Phasenraum zu allen Zeiten. Ordnung 2f Differenzialgleichungen erster Ordnung zu betrach-
ten? Wie bereits erwähnt, ist der Hamilton-Formalismus eine
fruchtbare Grundlage für die Untersuchung chaotischer Syste-
Harmonischer Oszillator
me (wie im Abschnitt „So geht’s weiter“ am Ende des Kapitels
beleuchtet) und die Quantenmechanik direkt im Hamilton-For-
Aus der Lagrange-Funktion des harmonischen Oszillators
malismus verwurzelt.
(7.4) und dem kanonisch konjugierten Impuls (7.5) folgt
die Hamilton-Funktion Es gibt noch einen weiteren Vorteil. Wegen (7.11) vereinfa-
chen zyklische Variablen (Abschn. 5.3) nicht nur im Lagrange-,
p2 m sondern auch im Hamilton-Formalismus das Lösen der Bewe-
H.x; p/ D xP p L.x; xP / D C !02 x2 : (7.14)
2m 2 gungsgleichungen. Zunächst erkennt man, dass eine Koordinate
genau dann in H zyklisch ist, wenn sie in L zyklisch ist. Die
Für H D E D const ist dies genau eine Ellipse im Pha- Vereinfachung ist im Hamilton-Formalismus allerdings noch
senraum. weitreichender, denn jede zyklische Koordinate qi eliminiert ei-
Die Hamilton’schen Gleichungen sind ne der 2f Gleichungen in (7.13), nämlich
p @H
xP D ; pP D m!02 x: (7.15) D Ppi D 0: (7.18)
m @qi
Da pi somit erhalten ist (d. h. keine Veränderliche mehr ist) und
Während die erste Gleichung nichts anderes ist als die
H nicht mehr von qi abhängt, kann H als eine Funktion der
Definition des Impulses, ist die zweite die Bewegungs-
restlichen f 2 Koordinaten und Impulse angesehen werden,
gleichung. Dieses Beispiel mag hier trivial erscheinen, ist
was die weitere Diskussion vereinfacht. Im Idealfall sind alle
aber für das weitere Verständnis hilfreich. J
Koordinaten zyklisch. Dann sind wegen pP i D 0 alle konjugier-
ten Impulse erhalten, und H ist (wenn überhaupt) nur noch eine
Funktion der Zeit t.
Frage 2
Nehmen Sie die Lagrange-Funktion einer Punktmasse im drei-
dimensionalen kartesischen Raum unter Einfluss konservativer
Kräfte. Zeigen Sie, dass die Hamilton-Funktion Bedeutung der Hamilton-Funktion
vollzogen. Wir wissen, dass die Hamilton-Funktion H der Ener- Wir fragen nun: Was kann man über die Zeitentwicklung einer
gie E entspricht (oder genauer: dass die Hamilton-Funktion, Observablen sagen, wenn die Hamilton-Funktion des Systems
Teil I
ausgewertet am Ort und mit dem Impuls einer Punktmasse, bekannt ist? Diese Fragestellung wird später in der Quantenme-
der Energie der Punktmasse entspricht), wenn alle herrschenden chanik von grundlegender Wichtigkeit sein. Dazu schreiben wir
Zwangsbedingungen skleronom sind. Ein Gegenbeispiel hatten die totale Zeitableitung
wir in Aufgabe 5.4 gesehen: Dort wurde explizit gezeigt, dass
die rheonome Zwangsbedingung auf H 6D E führt. dF X @F @F
@F
D qP i C pP i C
Wegen (7.11) ist die Hamilton-Funktion H genau dann explizit dt i
@q i @p i @t
zeitabhängig, wenn dies auch für die Lagrange-Funktion gilt –
X @F @H (7.21)
@F @H @F
unabhängig davon, ob H der Energie entspricht oder nicht. Au- D C ;
ßerdem gilt wegen der kanonischen Gleichungen i
@qi @pi @pi @qi @t
dH X @H @H
@H @H
D qP i C pP i C D : (7.19) wobei die kanonischen Gleichungen in (7.13) ausgenutzt wur-
dt i
@q i @p i @t @t den. Zur Abkürzung führt man die Poisson-Klammer ein.
Wir definieren eine Observable F als eine physikalische Größe Wegen der offensichtlichen Identität fH; Hg D 0 ist für
eines Systems, die vollständig durch die Koordinaten, Impulse FDH
und die Zeit bestimmt ist: dH @H
D ; (7.24)
dt @t
F D F.t; q; p/: (7.20)
was wir schon vorher gesehen haben. Ist H nun nicht ex-
Die einfachsten Beispiele für Observablen sind die Orte qi und plizit zeitabhängig, muss H eine Erhaltungsgröße sein.
Impulse pi oder die Energie in der Form H.t; q; p/ sowie der J
Drehimpuls.
7.2 Kanonische Transformationen 249
Teil I
Für die Poisson-Klammern gelten die unten aufgeführten Re- fA; B C Cg D fA; Bg C fA; Cg (Distributivgesetz)
chenregeln. Dazu betrachten wir die Observablen A, B und C fA; Bg D fA; Bg D fA; Bg
sowie eine reelle Zahl : fA; BCg D BfA; Cg C CfA; Bg (Produktregel)
ffA; Bg; Cg C ffB; Cg; Ag C ffC; Ag; Bg D 0 (Jacobi-Iden-
fA; Bg D fB; Ag H) fA; Ag D 0 (Antikommutativität) tität)
Achtung In der Quantenmechanik werden die Poisson-Klam- Ihre Variation bei festgehaltener Zeit ist
mern durch die wichtigen Kommutatoren ersetzt (Kap. 23). Sie
XZ
t1
geben an, ob zwei quantenmechanische Operatoren vertauschbar @H @H
sind (d. h. ob die Reihenfolge ihrer Anwendung auf einen quan- ıS D pi ı qP i C qP i ıpi ıqi ıpi dt: (7.29)
tenmechanischen Zustand eine Rolle spielt). J i
@qi @pi
t0
die Variation in folgender Form schreiben: Dies ist in der Tat immer der Fall; sie sind sogar gleichwertig,
wenn wir fordern, dass die Abbildung auch umkehrbar ist, was
X Z
t1
Teil I
Teil I
mit neuen Koordinaten Q und Impulsen P zuzulassen. Man nennt die Funktion F Erzeugende der kanonischen Trans-
formation (meist nur kurz Erzeugende) und bezeichnet sie, je
Man kann berechtigterweise fragen, ob dies nur eine theoreti- nach der Wahl der unabhängigen Parameter, als
sche Spielerei oder eine praktische Vereinfachung zu erwarten
ist. Tatsächlich können Transformationen der Art (7.39) aus-
genutzt werden, um möglichst viele zyklische Koordinaten zu F1 .t; q; Q/; F2 .t; q; P/; F3 .t; p; Q/;
(7.43)
erhalten, was wiederum das Lösen der Bewegungsgleichungen F4 .t; p; P/; F5 .t; q; p/; F6 .t; Q; P/:
wesentlich erleichtern kann. Dies ist die Hauptmotivation für
die Diskussion der kanonischen Transformationen. Wir kom- Die Indexreihenfolge kann sich in anderen Mechanikbüchern
men in Aufgabe 7.7 darauf zurück. davon unterscheiden, was allerdings nichts am physikalischen
Wir schränken alle möglichen Transformationen (7.39) jedoch Inhalt ändert. Zunächst einmal erkennen wir, dass die Funktion
durch die Forderung ein, dass die Form der kanonischen Glei- F beliebig ist, solange sie differenzierbar ist, denn wir setzen
chungen erhalten sein soll, d. h., es soll nur voraus, dass die vollständige Zeitableitung dF=dt existiert.
Dies garantiert automatisch die Invarianz der Bewegungsglei-
0
P j D @H ; @H 0 chungen.
Q PP j D (7.40)
@Pj @Qj
Frage 7
gelten, wobei H 0 .t; Q; P/ eine noch zu bestimmende Funktion Überlegen Sie sich, dass Punkttransformationen Q.t; q/ nicht
ist, welche die Rolle der Hamilton-Funktion H.t; q; p/ über- durch F1 .t; q; Q/ vermittelt werden können. Denken Sie dabei
nimmt. daran, welche der 4f Parameter .q; p/ und .Q; P/ voneinander
abhängig sind. Punkttransformationen werden in Aufgabe 7.4
noch genauer behandelt.
Kanonische Transformationen
Unter kanonischen Transformationen versteht man Trans-
formationen in (7.39), welche die Form der kanonischen Bis zu diesem Punkt ist nichts Physikalisches geschehen, und
Gleichungen invariant lassen und somit (7.40) erfüllen, es stellen sich sofort mehrere Fragen: Wie hängt die Erzeugen-
wobei H 0 .t; Q; P/ eine geeignete Funktion ist. de F mit der gewünschten Transformation (7.39) zusammen?
Wie lautet, für eine gegebene Funktion F, die neue Funkti-
on H 0 .t; Q; P/, welche die Rolle der Hamilton-Funktion über-
Da die Bewegungsgleichungen invariant bleiben sollen, kann nimmt? Dazu betrachten wir zunächst eine Transformation mit
sich die Wirkung S beim Übergang .q; p/ ! .Q; P/ nur um F1 .t; q; Q/.
eine Konstante ändern:
Zt1 Das Differenzial der Wirkung (7.42) lässt sich schreiben als
0 dF
SDS C dt D S0 C ŒF.t1 / F.t0 /: (7.41) X
t0
dt .pi dqi Pi dQi / C H 0 H dt D dF1 .t; q; Q/: (7.44)
i
Diese Argumentation ist uns bereits in Kap. 5 mehrfach begeg-
net. Hier bedeutet dies Da wir hier q und Q als die unabhängigen Parameter der Trans-
X formation wählen, ist zunächst
pi qP i H.t; q; p/
i X @F1 @F1
@F1
X dF.t; q; p; Q; P/ (7.42) dF1 .t; q; Q/ D dqi C dQi C dt: (7.45)
D P i H 0 .t; Q; P/ C
Pi Q ; @qi @Qi @t
i
i
dt
wobei F zunächst eine Funktion von allen alten und neuen Koor- Vergleicht man die Koeffizienten in (7.44) und (7.45), folgen die
dinaten und Impulsen sowie der Zeit sein kann. Es ist dabei aber drei Identitäten
zu beachten, dass wegen der Transformationsvorschrift (7.39)
@F1 @F1 @F1
die alten und neuen Koordinaten und Impulse nicht unabhängig pi D ; Pi D ; H0 D H C : (7.46)
sind. Von den 4f Größen .q; p/ und .Q; P/ sind nur 2f un- @qi @Qi @t
abhängig. Es ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche der
Parameter man als unabhängige Größen wählt. Beispielsweise Die neue Hamilton-Funktion H 0 muss noch als Funktion der
kann man sich für die alten .q; p/ oder die neuen Parameter neuen Parameter .Q; P/ ausgedrückt werden. Dazu müssen die
.Q; P/ oder aber für Mischungen davon, wie .q; P/ oder .Q; p/, Transformationsgleichungen in (7.39) bekannt sein. Sie folgen
entscheiden. aus den ersten beiden Gleichungen in (7.46).
252 7 Hamilton-Formalismus
Nun wird auch klar, warum die Funktion F Erzeugende heißt: Bestimmung der Transformationsgleichungen
Durch ihre Wahl werden die Transformationsgleichungen in
Teil I
@F2 P
Vertauschung von Orten und Impulsen pD D : (7.53)
@q q
Eines der einfachsten konkreten Beispiele ist die Wahl Hier kann man das bekannte Ergebnis für q einsetzen und
X bekommt die zweite Transformationsgleichung
F1 D qi Qi : (7.48)
i p.Q/ D eQ : (7.54)
und entspricht somit (bis auf ein Vorzeichen) einer Ver- Da F2 zeitunabhängig ist, kann man
tauschung der Koordinaten und Impulse! Es wird hier
einmal mehr deutlich, dass Orte und Impulse im Hamil- H 0 .Q; P/ D HŒq.Q; P/; p.Q/ (7.56)
ton-Formalismus gleichwertig sind. Die neue Hamilton-
Funktion H 0 lässt sich bei bekanntem H direkt angeben, bei bekannter Hamilton-Funktion H.q; p/ direkt hin-
indem die Transformationsgleichungen in (7.49) ausge- schreiben. Ob dies letztlich auf Bewegungsgleichungen
nutzt werden und die partielle Ableitung @F1 =@t addiert führt, die einfacher zu lösen sind, hängt von den expli-
wird (solange sie – wie in diesem Beispiel – nicht ver- ziten funktionalen Formen von H 0 .Q; P/ sowie H.q; p/
schwindet). J ab. J
In Wirklichkeit ist das Auffinden einer Erzeugenden generell Invarianz der Poisson-Klammern
nicht einfacher als das direkte Lösen des Problems in den
Teil I
ursprünglichen Koordinaten; es wird also lediglich der Re-
chenaufwand verschoben. Daher bieten sich die kanonischen Wir wissen nun, wie man eine kanonische Transformation
Transformationen nicht für Alltagsprobleme an. durchführt, wenn die Erzeugende bekannt ist. Wie kann man
nun aber entscheiden, ob bereits definierte Transformationsglei-
Die Bedeutung der kanonischen Transformationen ist vielmehr, chungen eine kanonische Transformation beschreiben?
das theoretische Verständnis der Mechanik zu erweitern und auf
die Hamilton-Jacobi-Theorie vorzubereiten, die in Abschn. 7.3 In den vorhergehenden Abschnitten wurde über kanonische
kurz vorgestellt wird. Dort sprechen wir auch die sogenannten Transformationen gesprochen. Dabei wird von einem generali-
Winkel- und Wirkungsvariablen an, die eine wichtige An- sierten Koordinatensatz .q; p/ auf einen anderen .Q; P/ gewech-
wendung der kanonischen Transformationen sind und in der selt. Wie verhalten sich dabei die Poisson-Klammern? Zunächst
Geschichte der theoretischen Physik eine nicht unwichtige Rol- schreiben wir (7.22) explizit als
le gespielt haben.
X @F @G @F @G
fF; Ggq;p D ;
Schwerpunktskoordinaten i
@qi @pi @pi @qi
X @F @G @F @G
(7.62)
Um zu illustrieren, dass eine bekannte Erzeugende ein fF; GgQ;P D ;
Problem vereinfachen kann, betrachten wir zwei Punkt- i
@Qi @Pi @Pi @Qi
massen m1 und m2 in einer Dimension mit Gesamtmasse
M D m1 C m2 und die Erzeugende um zwischen beiden Koordinatensätzen unterscheiden zu kön-
nen; F und G sind dabei, je nach Wahl der Koordinaten, Funk-
m1 x1 C m2 x2 tionen F.t; q; p/ und G.t; q; p/ bzw. F.t; Q; P/ und G.t; Q; P/.
F2 .x1 ; x2 ; P1 ; P2 / D P1 C .x1 x2 /P2 ;
M F.t; q; p/ und F.t; Q; P/ sind – genau wie G.t; q; p/ und
(7.58) G.t; Q; P/ – unterschiedliche Funktionen ihrer Argumente; man
wobei wir mit xi D qi verdeutlichen, dass kartesische Ko- müsste streng genommen zwischen ihnen unterscheiden, was
ordinaten verwendet werden. wir aus Übersichtsgründen unterschlagen.
Wie lauten nun die neuen Koordinaten Xi und die Impulse Man kann nun zeigen, dass die folgenden Zusammenhänge und
Pi ? Zunächst ist Aussagen gelten:
@F2 m1 x1 C m2 x2 @F2
X1 D D ; X2 D
D x1 x2 : 1. Eine Transformation ist genau dann kanonisch, wenn die
@P1 M @P2 fundamentalen Poisson-Klammern invariant sind. Dies ist
(7.59)
Dies sind gerade die Schwerpunkts- und Relativkoordi- eine sehr praktische Aussage: Für eine vorgegebene, von
naten. Außerdem ist den kanonischen Variablen .q; p/ ausgehende Transforma-
tion Q.q; p/, P.q; p/ genügt es also zu überprüfen, ob die
@F2 m1 @F2 m2 Relationen
p1 D D P1 C P2 ; p2 D
D P1 P2 :
@x1 M @x2 M
(7.60) fQi ; Qj gq;p D 0; fPi ; Pj gq;p D 0;
fQi ; Pj gq;p D ıij
Aus diesen Gleichungen lassen sich sofort die neuen Im- (7.63)
pulse bestimmen: erfüllt sind. Dies wird in Aufgabe 7.6 an einem Beispiel vor-
geführt.
m2 p1 m1 p2 2. Die Poisson-Klammern sind invariant unter kanonischen
P1 D p1 C p2 ; P2 D : (7.61)
M Transformationen, d. h., das Ergebnis hängt nicht davon ab,
welcher Satz kanonischer Variablen zur Auswertung ver-
Wir haben es hier mit Schwerpunkts- und „Relativim-
wendet wird:
puls“ zu tun.
Dies vereinfacht offensichtlich die Beschreibung für iso- fF; Ggq;p D fF; GgQ;P : (7.64)
lierte Systeme, da dort der Gesamtimpuls P1 erhalten und
X1 zyklisch ist (Kap. 3 und 5). Insbesondere sind die fundamentalen Poisson-Klammern in
(7.26) invariant.
Der aufmerksame Leser erkennt, dass es sich hier „nur“
um eine Punkttransformation handelt. Dieses Beispiel
erfordert also gar nicht die volle Mächtigkeit der ka- Es soll an dieser Stelle auf einen Beweis der beiden obigen
nonischen Transformationen und zeigt, dass kanonische Aussagen verzichtet werden. Interessierte Leser finden im Me-
Transformationen vielmehr dem theoretischen Verständ- chanik-Lehrbuch von Goldstein (1981) eine sorgfältige und
nis dienen. J umfassende Darstellung, die für unsere Zwecke jedoch zu ein-
gehend und ausführlich ist.
254 7 Hamilton-Formalismus
In Aufgabe 7.5 wird folgender Zusammenhang gezeigt: Er- Ohne Beweis halten wir weiterhin fest, dass sich analog auch
zeugen F1 .t; q; Q/ und F2 .t; q; P/ dieselbe kanonische Trans- F3 .t; p; Q/ und F4 .t; p; P/ als Legendre-Transformierte von
formation, d. h. führen beide auf dieselben Beziehungen F1 .t; q; Q/ schreiben lassen, solange sie dieselbe kanonische
Qi .t; q; p/ und Pi .t; q; p/, so gilt Transformation erzeugen:
X
F2 .t; q; P/ D F1 .t; q; Q/ C Qi Pi .t; q; Q/ X
F3 .t; p; Q/ D F1 .t; q; Q/ qi pi ;
i
X @F1 .t; q; Q/
i
D F1 .t; q; Q/ Qi : X @F1
@Qi D F1 .t; q; Q/ qi ;
i
i
@qi
X
Wir stellen also fest, dass die Erzeugende F2 die Legend- F4 .t; p; P/ D F1 .t; q; Q/ .qi pi Qi Pi /
re-Transformierte von F1 ist, wobei auf der rechten Seite i
noch Qi .t; q; P/ eingesetzt werden muss. Dies zeigt, wie die X @F1 @F1
.q; Q/-Abhängigkeit durch eine .q; P/-Abhängigkeit ersetzt D F1 .t; q; Q/ qi C Qi :
@qi @Qi
werden kann. i
Frage 9
Beim Übergang F1 ! F4 muss eine doppelte Legendre-
Als konkretes Beispiel können Sie sich davon überzeugen,
Transformation verwendet werden, um sowohl den Über-
dass
gang q ! p als auch Q ! P vorzunehmen.
F1 .q; Q/ D qeQ
Welche Implikation hat dies? Man kann sich – je
und nach praktischem Nutzen – aussuchen, welche Erzeugen-
de man für eine kanonische Transformation verwendet.
F2 .q; P/ D P Œln.P=q/ 1 Kennt man F1 für eine gegebene Transformation, lassen
sich alle anderen Erzeugenden berechnen. Durch Auflö-
auf dieselben Transformationsgleichungen führen und sen kann man (mit einigen Ausnahmen) von jeder Er-
gleichzeitig die obige Gleichung für F2 .t; q; P/ erfüllt ist. zeugenden zu jeder anderen wechseln. Dies funktioniert
Nutzen Sie dazu die Ergebnisse aus, die wir bereits aus (7.50) nicht immer, da beispielsweise Punkttransformationen nicht
abgeleitet haben. durch die Erzeugende F1 .t; q; Q/ beschrieben werden kön-
nen.
Abschließend soll nochmals betont werden, dass alle Transfor- trischen Optik und der Quantenmechanik erlaubt (Abschn. 17.3
mationen, die sich aus Erzeugenden ableiten lassen, automa- und 31.3). In letzterer ist die Prinzipalfunktion eng mit der
tisch kanonisch sind. Für eine gegebene Erzeugende lassen sich Wellenfunktion verknüpft. Dieser Abschnitt enthält eine kurze
also die neuen kanonischen Koordinaten bestimmen. Einführung, ohne zu sehr in mathematische Details abzugleiten.
Die Hamilton-Jacobi-Theorie ist wohl einer der Höhepunkte Wir haben gesehen, dass man mithilfe von kanonischen Trans-
der Erkenntnisse, die aus der klassischen Mechanik abgeleitet formationen die alten Koordinaten und Impulse durch neue
wurden. Die Grundidee dieser Theorie ist es, eine Erzeugende ersetzen kann. Dabei wird auch die Hamilton-Funktion trans-
zu finden, welche die Hamilton-Funktion auf null transfor- formiert.
miert. Aus dieser Erzeugenden, die auch Wirkungsfunktion
oder Prinzipalfunktion genannt wird, lassen sich dann die Be- Im Folgenden beschränken wir uns auf die Erzeugende
wegungsgleichungen ableiten, die zu den kanonischen Glei- F2 .t; q; P/ mit
chungen äquivalent sind. Der entscheidende Punkt ist, dass @F2 @F2
pj D ; Qj D : (7.65)
diese Betrachtungsweise einen direkten Übergang zur geome- @qj @Pj
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie 255
Teil I
Bedeutung für die Physik
Zur Beschreibung periodischer Systeme (d. h., die qi sollen Historisch waren Winkel- und Wirkungsvariablen wichtig
periodische Funktionen bzw. die Bahnkurven wie in Abb. 7.1 für die Entwicklung der Quantenmechanik. Beispielsweise
geschlossen sein) haben sich die sogenannten Winkelvaria- lässt sich das Bohr’sche Atommodell
H mithilfe dieses An-
blen i WD Qi und ihr kanonisch konjugierten Impulse, die satzes lösen, indem das Integral pi dqi quantisiert wird
Wirkungsvariablen Ji WD Pi , als sehr nützlich erwiesen. (Abschn. 31.3).
Der Name „Winkelvariable“ zeigt bereits die geometrische
Bedeutung dieser Variable in periodischen Systemen: Dort Existiert ein Satz von Winkel- und Wirkungsvariablen, so
handelt es sich bei den i um Winkel. Der Begriff „Wir- lassen sich die entsprechenden Bewegungsgleichungen di-
kungsvariable“ ist gerechtfertigt, da ihre Definition rekt integrieren, da sie linear sind. Solche Systeme heißen
dann integrabel bzw. lösbar.
I
Ji D pi dqi Integrable Systeme nehmen in der physikalischen Literatur
einen breiten Raum ein; sie sind aber insofern sehr spezi-
ell, als sie eine maximale Zahl an Erhaltungsgrößen besitzen,
starke Ähnlichkeit mit der Wirkung hat (Goldstein 1981). nämlich die Wirkungsvariablen. Insbesondere bei Systemen
mit vielen Freiheitsgraden ist dies aber eine recht wirklich-
Ausgehend von der Definition von Ji zeigt sich, dass die
keitsferne Situation.
transformierte Hamilton-Funktion nur noch eine Funktion
der Wirkungsvariablen ist: H 0 D H 0 .J/. Die Winkelvariablen Nichtintegrable Systeme (wie beispielsweise das allgemei-
sind dann alle zyklisch und alle Wirkungsvariablen erhalten ne Dreikörperproblem) zeichnen sich dadurch aus, dass man
nicht global (d. h. entlang der gesamten Bahnkurve) auf
Ji D const: Winkel- und Wirkungsvariablen transformieren kann, da
es weniger als f Erhaltungsgrößen gibt. Allerdings kann
In diesem Fall sind die Bewegungsgleichungen für die i tri- man immer lokal, also in einer Umgebung eines Punktes
vial zu lösen: im Phasenraum, auf Variablen analog zu den Winkel- und
Wirkungsvariablen transformieren. Nichtintegrable Systeme
i .t/ D !i t C i .0/: neigen zu chaotischem Verhalten, d. h., eine kleine Variati-
on der Anfangsbedingungen führt zu stark unterschiedlichen
Hier wurde Phasenraumtrajektorien bzw. Bahnkurven (z. B. ein Billard-
spiel). Die Untersuchung solcher nichtintegrabler Systeme
!i WD Pi D const ist Gegenstand der Chaosforschung.
gesetzt.
Literatur
Die charakteristische Funktion W aus (7.76) ist gerade die
für die Transformation benötigte Erzeugende. In Aufgabe Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Ver-
7.7 wird ein Beispiel gezeigt. lagsgesellschaft, 1981
Bei (7.67) handelt es sich um eine Differenzialgleichung erster Wirkungsfunktion und Wirkung
Ordnung in den f Koordinaten qi und der Zeit t. Man bezeich-
Teil I
dS.t; q; a/ X
erfüllt ist. D pi qP i H D L: (7.72)
dt i
Was hat man durch solch eine Transformation auf Ruhe ge-
wonnen? Warum ist sie interessant? Tatsächlich lassen sich die Die Zeitableitung von S entspricht also gerade der Lagrange-
Bewegungsgleichungen der Mechanik lösen, indem man die Funktion des Systems. Eine formale Integration ist trivial:
Hamilton-Jacobi-Gleichung löst. Z
S.t; q; a/ D L dt C const: (7.73)
Wir wollen an dieser Stelle nicht im Detail erläutern, wie man
aus (7.67) die Dynamik des Systems erhält; dies würde zu weit
Bis auf eine unbedeutende Konstante ist die Prinzipalfunktion
führen. Das Vorgehen soll aber kurz umrissen werden. Der erste
S (entlang der Bahnkurve q.t/ integriert) also die Wirkung des
Schritt besteht darin, aus (7.67) die Funktion S.t; q; P/ zu ermit-
Systems. Dies rechtfertigt die alternative Bezeichung Wirkungs-
teln. Dabei kann man die f erhaltenen Impulse ai WD Pi D const
funktion. Die Prinzipalfunktion darf allerdings nicht direkt mit
als unbeteiligte Parameter ausnutzen. Man erhält somit zunächst
der Wirkung des Systems gleichgesetzt werden.
eine Funktion S.t; q; a/, zu der außerdem eine beliebige Kon-
stante hinzuaddiert werden kann. Frage 11
Rufen Sie sich die Definition der Wirkung in Kap. 5 in Erinne-
Frage 10 rung.
Überlegen Sie sich, dass solch eine Konstante nicht in (7.67)
auftreten kann.
Achtung Man könnte meinen, dass man bloß die Lagrange-
Funktion L nach der Zeit integrieren müsste, um die gesuchte
Wirkungsfunktion S.t; q; P/ zu erhalten. Damit wäre die Dyna-
Die Impulse pi ergeben sich dann aus (7.65). Anschließend nutzt
mik des Systems also praktisch bekannt und das Problem gelöst.
man
Dies funktioniert allerdings nicht, da die Integration entlang der
@S.t; q; a/
bi WD Qi D D const (7.69) tatsächlichen Bahnkurve zu erfolgen hat. Diese ist jedoch zu Be-
@ai ginn gar nicht bekannt. Tatsächlich sind in der Wirkung, wie sie
in Kap. 5 definiert wurde, die beiden Endpunkte der Bahn fest,
aus. Als Ergebnis hat man ein System von f Gleichungen für während in der Prinzipalfunktion die Endpunkte variabel sind.
die f Koordinaten qi mit 2f Konstanten ai und bi . Dies lässt sich Man beachte vor allem die Gleichungen
formal nach
qi D qi .t; b; a/ .1 i f / (7.70) @S.t; q; P/ @S.t; q; P/
D pi ; D H.t; q; P/; (7.74)
@qi @t
auflösen, was schließlich die Lösung der Bewegungsgleichun-
welche die partiellen Ableitungen der Wirkung mit den Im-
gen darstellt. Die Konstanten ai und bi sind dann gerade die
pulsen und der Energie des Systems verknüpfen. Dies wird
benötigten 2f Anfangsbedingungen des Problems.
insbesondere von Landau und Lifshitz (1969, Abschnitt 43)
Anschaulich sorgt die Transformation Q.t; q; p/, P.t; q; p/ dafür, deutlich herausgearbeitet. J
dass die Koordinaten und Impulse zu einer Zeit t > t0 auf ihre
Werte zur Zeit t0 transformiert werden, da die Qi D bi und Pi D
ai konstant sind und damit zu allen Zeiten ihren Anfangswerten
entsprechen. In der Quantenmechanik spielt beispielsweise das
Zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung
sogenannte Heisenberg-Bild (Kap. 25) eine wichtige Rolle, in
dem die Zeitabhängigkeit vollständig von den quantenmechani- Die Prinzipalfunktion S.t; q; a/ ist generell explizit zeitabhän-
schen Zuständen auf die Operatoren abgewälzt wird. gig. In vielen Fällen ist die Hamilton-Funktion jedoch erhalten
7.3 Grundlagen der Hamilton-Jacobi-Theorie 257
Teil I
(7.75) " #
1 @W 2 @W 2 @W 2
Dann ist es möglich, eine Separation durchzuführen, bei der die C C DE (7.81)
Zeitabhängigkeit abgespalten wird: 2m @x1 @x2 @x3
Hier ist a0 eine noch näher zu spezifizierende Größe. Dies führt Anstatt diese Gleichung direkt zu lösen, probieren wir
den Ansatz
auf eine vereinfachte Hamilton-Jacobi-Gleichung, die nicht
mehr von der Zeit abhängt. W.x; a/ D x a (7.82)
für die charakteristische Funktion. Durch Einsetzen fin-
Zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung den wir, dass
a2
Die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung lautet ED (7.83)
2m
H.q; @W=@q/ D a0 : (7.77) erfüllt sein muss. Die Prinzipalfunktion lautet also
a2
S.t; x; a/ D x a t: (7.84)
2m
Frage 12 Die konjugierten Impulse erfüllen
Zeigen Sie, wie (7.77) mit dem gewählten Ansatz (7.76) aus
(7.67) folgt. @S
pi D D ai D Pi D const: (7.85)
@xi
Wir sehen also, dass a0 gerade der konstante Wert der Hamil- Durch die kanonische Transformation werden die Impul-
ton-Funktion ist. Entspricht die Hamilton-Funktion der Energie se also nicht verändert.
(dies muss nicht zwangsläufig der Fall sein), so ist offensichtlich Von Interesse sind die Bahnkurven. Dazu berechnen wir
zunächst die konstanten Terme
a0 D E (7.78)
@S ai
die erhaltene Gesamtenergie des Systems. bi D D xi t D const: (7.86)
@ai m
Die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung ist nun eine Man erhält durch Auflösen sofort die Bahnkurven
Bestimmungsgleichung für die konstante Funktion W.q; a/. Sie
wird charakteristische Funktion genannt und spielt in der Quan- a
x.t; b; a/ D b C t: (7.87)
tenmechanik (22.3) eine gewisse Rolle. m
Es ist stark problemabhängig, wie aufwendig das Lösen von Hier ist b der Anfangsort, d. h. x.t D 0/, und a D p der
(7.77), d. h. das Auffinden von W.q; a/, ist. Man kann kein erhaltene Impuls. Die sechs Konstanten b und a sind also
Standardverfahren dafür angeben. Hier wollen wir lediglich ein die benötigten Anfangsbedingungen. J
einfaches Beispiel zeigen.
Freie Punktmasse Allgemein kann man sagen, dass nur solche Probleme mit ver-
tretbarem Aufwand durch den hier vorgestellten Formalismus
Eine freie Punktmasse in drei Dimensionen besitzt die zu lösen sind, die „entkoppelt“ werden können. Entkoppeln be-
Lagrange- und Hamilton-Funktionen deutet hier, dass man die Koordinaten des Problems so wählen
kann, dass die Hamilton-Funktion die Gestalt
m 2 1 2
LD xP ; HD p; (7.79) X
2 2m
H.q; p/ D Hi .qi ; pi / (7.88)
wenn wir von kartesischen Koordinaten x ausgehen. Der i
Impuls ist
p D mPx: (7.80) annimmt, wobei i über alle Freiheitsgrade läuft. Sie ist dann die
Summe lauter Funktionen, die jeweils nur von einer Koordina-
Da H zeitunabhängig ist und der Energie entspricht, kann te und ihrem konjugierten Impuls abhängen. Dann ist auch ein
die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung (7.77) analoger Separationsansatz für die charakteristische Funktion
möglich, der das Lösungsverfahren entscheidend vereinfacht.
258 7 Hamilton-Formalismus
Anwendung: Wellenmechanik
Teil I
Wir beschränken uns hier auf eine einzelne Punktmasse m in Quantenmechanik (und zwar derjenige, den man durch die
kartesischen Koordinaten x. Dann lautet die Hamilton-Jaco- Grenzbetrachtung S=h ! 1 findet, wobei h die Planck’sche
bi-Gleichung (7.67) Konstante ist).
So geht’s weiter
Teil I
Determinismus und Chaos Dort hat man es dann wie im Falle der schwingenden Atwood’
schen Maschine oder des Doppelpendels mit komplexen, ge-
Lässt sich das Verhalten der Natur eindeutig aus einer univer- koppelten, nichtlinearen Bewegungsgleichungen zu tun, welche
sellen, fundamentalen Theorie herleiten? Der von dieser Frage nur noch numerisch lösbar sind. Das Verhalten der chaotischen
implizierte Determinismus in der klassischen Physik wurde Systeme erscheint auf lange Zeiten gesehen als irregulär und
schon vom französischen Wissenschaftler Pierre-Simon Laplace ungeordnet. Dennoch können sich nach einiger Zeit bestimmte
mathematisch untersucht. Für Laplace war die Welt vollstän- Muster bilden, die durch universelle Konstanten gegeben sind.
dig determiniert: Würde man nur die Anfangsbedingungen und Ein typisches Verhalten von chaotischen Systemen ist die Bifur-
die Bewegungsgesetze der klassischen Physik genau kennen, kation zusammen mit der Selbstreproduktion von bestimmten
so ließe sich jeder zukünftige Zustand des Universums aus den Formen, die allein gesehen nicht regulär sind, sich aber im-
mathematischen Differenzialgleichungen genau berechnen. Auf mer wiederholen. Ein schönes Beispiel hierfür ist der Baum des
diese Weise wäre es nach Laplace also zumindest im Prinzip Pythagoras (Abb. 7.3), dessen kleiner werdende Verästelungen
möglich, ein in diesem Zusammenhang oft als Laplace’scher immer wieder die Form der vorherigen Struktur reproduzieren.
Dämon bezeichnetes Wesen zu postulieren, das alles vorhersagt, Wie genau können wir uns diesem Begriff des Chaos nä-
was geschehen wird und alles erklärt, was jemals geschehen ist. hern? Schon bei der alltäglichen Beobachtung der vielfältigen
Dass es in der Praxis jedoch unmöglich sein könnte, diese so Vorgänge in der Natur sehen wir, dass bereits die klassische
determinierte Zukunft eindeutig vorherzusagen, war auch schon Physik eine immense Fülle von Möglichkeiten für uns be-
Laplace bewusst, da es beispielsweise in einem System von reithält. Auch hier können wir unter Umständen nicht alles
vielen Freiheitsgraden empirisch nicht möglich ist, alle An- berechnen – was sich allein daraus ergibt, dass man es oft mit
fangsbedingungen genau zu bestimmen. Diese Einsicht zeigt komplexen Systemen zu tun hat, die aus sehr vielen einzelnen
sich auch in den Ergebnissen der Chaosforschung: Schlägt ein Teilchen bestehen. Diese Feststellung mag zunächst trivial klin-
Schmetterling in China mit den Flügeln, kann man daraus nicht gen, sie ist jedoch sehr wichtig im Hinblick auf das bessere
das Wetter in Europa berechnen, wenngleich ein Zusammen- Verständnis der fundamentalen Gesetze der Natur und deren Be-
hang zwischen beiden Ereignissen bestehen kann. deutung.
Ein Spiel, das sehr gut die Problematik verdeutlicht, ist Mikado,
welches aus einer großen Anzahl gleichartiger, lediglich ver-
schieden markierter Stäbchen besteht. Diese werden, nachdem
sie gebündelt und mit der Hand festgehalten werden, plötzlich
losgelassen und verteilen sich dann in großer Unordnung über
die Tischoberfläche. Die Ausgangslage ist dabei offensichtlich
immer die gleiche: Vor dem Loslassen sind alle Mikadostäbchen
parallel und gleich ausgerichtet. Es ist aber praktisch unmöglich,
dass sie sich, nachdem sie die Hand verlassen haben, immer
gleich über den Tisch verteilen. Trotz scheinbar gleicher An-
fangsbedingungen sieht jedes Spiel vollkommen anders aus,
und dabei gibt es eine immense Anzahl von Mustern, welche
die Mikadostäbchen auf dem Tisch bilden können. Obwohl es
sich um klassische Physik handelt, durch welche die Stäbchen
beschreibbar sind, sind diese Muster schwer von uns vorher-
zusagen und auch schwer zu berechnen, obwohl die zugrunde
liegenden Gleichungen sehr einfach sind und wir im Prinzip alle
Informationen besitzen, um die Lage der einzelnen Mikadostäb-
chen berechnen zu können.
Betrachten wir im Gegensatz dazu beim Billard den Lauf der
Billardkugel, dann können wir mit etwas Geschick und Übung
Abb. 7.3 Der Baum des Pythagoras
sehr gut vorausbestimmen und auch berechnen, wie sich die Ku-
gel verhalten wird. Stößt eine Billardkugel an den Rand des
Die Chaosforschung befasst sich mit dynamischen, nichtlinea- Billardtisches, so ist der Ausfallswinkel (in Abwesenheit eines
ren Systemen, deren jeweiliges Verhalten sehr empfindlich von Spins der Kugel) immer gleich dem Einfallswinkel, und der Stoß
den gewählten Anfangsbedingungen abhängt. Dies mag einer- der Billardkugeln untereinander folgt ähnlich einfachen Gesetz-
seits in Systemen mit vielen Freiheitsgraden der Fall sein, an- mäßigkeiten, nämlich des elastischen Stoßes mit Impuls- und
dererseits jedoch auch in solchen mit wenigen Freiheitsgraden. Energierhaltung.
260 7 Hamilton-Formalismus
Was unterscheidet nun Mikadostäbchen von Billardkugeln? lardkugel sehr geordnet und gleichmäßig aus. Hier liegt also
Teil I
Warum verhalten sich nun die einen und die andern au- kein chaotisches System vor. Dies ändert sich, wenn wir einen
genscheinlich ganz unterschiedlich, obwohl beide doch den stadionförmigen Billardtisch betrachten. Dies ist das sogenann-
gleichen physikalischen Gesetzen folgen? Ein Grund für die te chaotische Billard oder auch, benannt nach dem russischen
Unvorhersagbarkeit beim Mikadospiel ist die große Zahl der Mathematiker Yakov Sinai ( 1935), das Sinai-Billard. Hier
Stäbchen. Es ist deshalb nämlich nicht möglich, vor dem Fallen- verlaufen die Trajektorien der Billardkugeln nicht mehr gleich-
lassen der Stäbchen immer die gleichen Anfangsbedingungen mäßig, sondern ungeordnet, oder wie man sagt, chaotisch. Man
herzustellen. Schon das leichteste Zittern in der Hand oder kann dabei die Länge der geraden Seiten im stadionförmigen
ein geringfügiges Abweichen in der Ausgangskonfiguration hat Billardtisch als den Parameter ansehen, der das Chaos bestimmt.
einen dramatischen Effekt auf die Endkonfiguration: Alle diese Ist dieser Parameter gleich null, dann gibt es kein Chaos. Ist der
Fluktuationen am Anfang werden durch die Vielzahl der Stäb- Parameter allerdings nur um einen kleinen Betrag von Null ver-
chen enorm verstärkt. Trotz grundsätzlicher Beschreibung durch schieden, dann setzt das chaotische Verhalten ein.
eine deterministische Theorie kann man daher keine eindeutige
Vorhersage treffen.
Im Gegensatz dazu folgt die Bahn einer einzelnen Billardkugel
immer einem eindeutigen und vorhersagbaren Weg, wenn wir
die Billardkugel immer gleich anstoßen und somit in diesem
Fall keine Fluktuation besteht. Solche physikalischen Systeme
mit einer großen Anzahl von beteiligten Körpern und eventu-
ell auch mit fluktuierenden Anfangsbedingungen lassen sich am
besten mit den Methoden der Statistik behandeln.
Wir sehen nun, wie leicht deterministische Theorien übergehen
in eine statistische Beschreibung. So ist die klassische Mecha-
nik zusammen mit der Gravitationstheorie von Newton eine
vollkommen deterministische Theorie, die bei vorgegebenen
Anfangsbedingungen eindeutige Vorhersagen über die Bahn von
Planeten oder anderen Körpern ermöglicht. Die Reproduzierbar-
keit der Anfangsbedingungen ist jedoch bei einem Experiment
in Rahmen der klassischen Physik eine wichtige Voraussetzung,
um ein eindeutiges Ergebnis zu erhalten.
Wenn allerdings ein physikalisches System aus einer großen
Anzahl von Körpern besteht, dann wird es immer schwieriger,
gleiche Anfangsbedingungen für alle beteiligten Teilchen her-
zustellen und die Berechnungen konkret und analytisch durch-
zuführen. In diesem Fall kann man statistische Aussagen über
den Endzustand treffen, wobei oft auch die analytischen Berech-
nungen durch aufwendige Simulationen an Computern ersetzt
werden müssen. Es gibt auch Vielteilchensysteme, die nunmehr
ein ungeordnetes Verhalten aufweisen und Gegenstand der so-
genannten Chaosforschung sind.
Nehmen wir nun an, dass die Billardkugeln nicht abgebremst
werden, sondern idealerweise unendlich lange rollen können,
und verfolgen wir ferner die Bahnen der Billardkugeln über
einen sehr großen Zeitraum hinweg. Dann sehen wir, dass,
obwohl die Bahnen der Billardkugeln deterministisch vorherbe-
stimmt sind, wir doch ein Vielteilchensystem dadurch simulie-
Abb. 7.4 Drei verschiedene Billardtische
ren können, indem wir die Anfangsbedingungen, mit der wir die
Billardkugel anstoßen, immer wieder verändern. Das ungeord- Ein weiteres konkretes System, das ein interessantes chaotisches
nete, chaotische Verhalten von bestimmten Systemen kann man Verhalten an den Tag legt, ist das demografische Modell der Po-
sich daher auch anhand des Billardspiels verdeutlichen. pulation einer bestimmten Tierart. Das Anwachsen bzw. das Ab-
Schauen wir uns dies noch einmal etwas genauer an: Wir be- sterben der betrachteten Population hängt von zwei Faktoren ab:
trachten dafür einen rechteckigen oder auch einen kreisförmigen Durch die Fortpflanzung der Tiere vermehrt sich die Population
Billardtisch (Abb. 7.4). Wie wir wissen, wird die Billardkugel proportional zur Anzahl der schon vorhandenen Tiere im Folge-
am Rand des Tisches so reflektiert, dass Einfalls- und Aus- jahr um einen bestimmten Faktor. Andererseits verringert sich
fallswinkel genau übereinstimmen. Auf dem rechteckigen oder die Population der Tiere durch Verhungern, und zwar jährlich in
auf dem kreisförmigen Tisch sehen die Trajektorien der Bil- Abhängigkeit von der Differenz zwischen ihrer aktuelle Größe
So geht’s weiter 261
und einer maximal möglichen Größe. (Die maximale Anzahl ist Die mathematischen Berechnungen in diesem Modell führen zu
Teil I
durch das verfügbare Nahrungsangebot begrenzt.) einem sehr interessanten Ergebnis: Mit r zwischen 0 und 1 stirbt
Ohne auf die genauen Details einzugehen, lässt sich nun das An- die Population auf jeden Fall, alle Tiere verhungern schließlich,
wachsen oder auch das Abnehmen der Population in Abhängig- und man erhält also x D 0. Ab dem Wert r D 1 steigt die
keit von einem bestimmten Parameter r berechnen, der sowohl die asymptotische Population kontinuierlich an, und, egal ob man
Fortpflanzungsrate als auch die Verhungerungsrate berücksich- am Anfang viele oder wenige Tiere hat, ist der asymptotische
tigt. Wir können uns jetzt fragen, wie der asymptotische Populati- Populationswert x unabhängig von der gewählten Anfangspopu-
onswert x (x misst die Anzahl der Tiere nach vielen Jahren im Ver- lation. Hier liegt also genau ein Häufungspunkt vor. Ab einem
hältnis zum maximal möglichen Wert, liegt also immer zwischen bestimmten Parameterwert r ändert sich aber dieses Verhalten
0 und 1) von einer bestimmten, vorgegebenen Anfangspopulati- (Abb. 7.5). Nun beobachtet man, dass sich für den wachsenden
on abhängt. Strebt die Population immer gegen einen einzigen Parameter r die Anzahl der Häufungspunkte in der asymptoti-
Häufungspunkt x, oder gibt es mehrere solche Häufungspunkte, schen Populationsanzahl x immer bei einem bestimmten r-Wert
je nachdem wie viele Tiere am Anfang vorhanden sind? verdoppelt.
Dies ist die sogenannte Periodenverdopplung oder auch Bifurka-
tion; der Abstand zwischen den Werten für r, bei denen sich die
Anzahl der Häufungspunkte in der asymptotischen Population
1,0 ändert, heißt Bifurkationsintervall. Für kleine r-Werte bewirken
kleine Änderungen der Anfangswerte dabei normalerweise kei-
0,8 ne Änderung der Endpopulation. So führt im Falle von zwei
Häufungspunkten eine relativ kleine Anfangspopulation auf den
0,6 kleineren der beiden x-Werte und eine große Anfangspopulati-
on auf den größeren x-Wert. In diesem Bereich ist das Verhalten
x
der Population also noch regelmäßig.
0,4 Ab einem Wert r ' 3;57 stellt sich aber schlagartig das
Chaos ein: Die Folge springt zwischen nun instabilen Häu-
0,2 fungspunkten hin und her, schon winzige Änderungen der An-
fangspopulation resultieren in unterschiedlichsten Werten für x,
0,0 eine Eigenschaft des Chaos. Es gibt aber eine interessante Ei-
2,4 2,6 2,8 3,0 3,2 3,4 3,6 3,8 4,0 genschaft in diesem Populationsmodell: Das Längenverhältnis
r zweier aufeinanderfolgender Bifurkationsintervalle nähert sich
einer fundamentalen Konstante, der Feigenbaum-Konstante ı,
Abb. 7.5 Das Populationsdiagramm, das die asymptotische (relative) An- die den Wert ı ' 4;669 annimmt. Dieser Zahlenwert von ı wur-
zahl x einer bestimmten Tierpopulation nach vielen Jahren darstellt. Auf der de zuerst im Jahre 1977 von den Physikern Siegfried Großmann
x-Achse ist der Parameter r aufgetragen, der das Verhältnis der Fortpflan-
und Stefan Thomae publiziert. Mitchell Feigenbaum entdeckte
zungsrate zur Verhungerungsrate der Tiere bestimmt. Für größer werdendes
r verdoppelt sich die Anzahl der möglichen, asymptotischen Häufungswerte, dann im Jahre 1978 die Universalität dieser Konstante, denn sie
wobei ab r ' 3; 57 das chaotische Verhalten einsetzt: Die Werte der ver- bestimmt das chaotische Verhalten in vielen dynamischen Sys-
schiedenen Häufungspunkte variieren vollkommen unregelmäßig temen mit Bifurkation, wie z. B. auch beim Wetter.
262 7 Hamilton-Formalismus
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
7.1 Zentralpotenzial Betrachten Sie eine Punkt- (a) Warum kann eine Punkttransformation nicht durch
masse m im Zentralpotenzial V.r/. F1 .t; q; Q/ erzeugt werden?
(b) Gehen Sie im Folgenden von F2 .t; q; P/ aus, d. h., (7.93)
(a) Wie lautet die zugehörige Hamilton-Funktion in Kugelko- wird in der Form
ordinaten? Verwenden Sie dazu gegebenenfalls bekannte pi D hi .t; q; P/ (7.94)
Teilergebnisse aus Kap. 5.
(b) Gibt es zyklische Koordinaten? Wie lauten die kanonischen geschrieben. Wie lautet die allgemeine Form der Erzeugen-
Gleichungen? den F2 .t; q; P/, die auf die Punkttransformation (7.93) und
(c) Lösen Sie die Bewegungsgleichungen für # und '. Benut- (7.94) führt? Zeigen Sie, dass hi .t; q; P/ nur höchstens linear
zen Sie die Anfangsbedingung # D =2 (dies entspricht von den Impulsen Pi abhängen kann, wenn die Transforma-
einer geeigneten Wahl der Kugelkoordinaten). tion kanonisch ist. Zeigen Sie weiterhin, dass die Funktionen
(d) Zeigen Sie, dass die verbleibende Gleichung für r der Radi- fi .t; q/ und hi .t; q; P/ nicht eindeutig miteinander verknüpft
algleichung des Zentralkraftproblems entspricht. sind.
(c) Begründen Sie, warum alle Punkttransformationen mit dif-
ferenzierbaren fi .t; q/ kanonisch sind.
7.2 Inverse der Legendre-Transformation Die
Legendre-Transformierte einer konvexen Funktion f .x/ lautet
(siehe „Mathematischen Hintergrund“ 7.1) 7.5 Erzeugende Es soll die Erzeugende F2 .t; q; P/
genauer untersucht werden.
g.y/ D yx.y/ f .x.y//; (7.89)
(a) Leiten Sie die Transformationsgleichung (7.47) für
wobei F2 .t; q; P/ ab. Gehen Sie dabei von
y.x/ D f 0 .x/ (7.90)
X
ist. Zeigen Sie, dass die Rücktransformation auf die Variable .pi dqi Pi dQi / C H 0 H dt D dF20 .t; q; P/ (7.95)
x wieder auf die Funktion f .x/ führt. Somit ist auch bewiesen, i
dass bei Legendre-Transformationen keine Information der ur- aus, wobei F20 .t; q; P/ wie F2 von den unabhängigen Größen
sprünglichen Funktion f .x/ verloren geht. .q; P/ abhängt. Drücken Sie die dQi durch die Differenziale
7.3 Poisson-Klammern und Drehimpuls Berech- dqj und dPj aus. Zeigen Sie, dass die Relation
nen Sie für den Drehimpuls einer Punktmasse in kartesischen X
Koordinaten F20 .t; q; P/ C Qj .t; q; P/Pj D F2 .t; q; P/ (7.96)
Li D "ijk xj pk (7.91) j
die Poisson-Klammern (in den konjugierten Variablen x und p) zwischen F20 und F2 bestehen muss. Wie lautet die neue Ha-
fLj ; Lk g (was auf (7.27) führt) und fL2 ; Lk g. milton-Funktion H 0 ?
7.4 Punkttransformation Eine Punkttransformati- (b) Zeigen Sie damit, dass F1 .t; q; Q/ und F2 .t; q; P/ durch ei-
on wird durch ne Legendre-Transformation ineinander überführt werden
Qi D fi .t; q/ (7.92) können, wenn beide dieselbe kanonische Transformation er-
zeugen.
beschrieben. Über die Transformation der Impulse wird dabei
keine Aussage getroffen; man kann aber davon ausgehen, dass
sie allgemein 7.6 Ebene Polarkoordinaten Die ebenen Polarko-
ordinaten sind definiert durch
Pi D gi .t; q; p/ (7.93)
lautet. x D r cos '; y D r sin ': (7.97)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 263
(a) Zeigen Sie mithilfe der Lagrange-Gleichungen, dass die zu und Kraftkonstante k. Im Text wurde bereits gezeigt, dass die
den Koordinaten .r; '/ konjugierten Impulse für eine freie Hamilton-Funktion
Teil I
Punktmasse
pr D mPr; p' D mr2 'P (7.98) p2 k p2 m! 2 2
HD C q2 D C q (7.100)
2m 2 2m 2
sind. Wie lauten die Hamilton’schen Gleichungen?
(b) Wie lauten die kartesischen Impulse px D mPx und py D mPy, lautet.
ausgedrückt durch .r; '/ und .pr ; p' /?
(c) Berechnen Sie alle fundamentalen Poisson-Klammern (a) Verwenden Sie die Erzeugende
fA; Bgr;';pr ;p' , wobei für A und B die kartesischen Koor-
dinaten und Impulse einzusetzen sind. Zeigen Sie, dass die m! 2
F1 .q; Q/ D q cot Q (7.101)
Transformation von kartesischen zu Polarkoordinaten kano- 2
nisch ist (man könnte auch die Poisson-Klammern bezüglich
der kartesischen Koordinaten berechnen, dies ist jedoch und bestimmen Sie die Transformationsgleichungen für den
schwieriger). Warum kann man auch direkt ohne die Berech- Übergang zu den neuen Koordinaten .Q; P/, d. h. q.Q; P/,
nung der fundamentalen Poisson-Klammern sagen, dass die p.Q; P/ und Q.q; p/, P.q; p/. Verwenden Sie dazu die Rela-
Transformation kanonisch ist? tion
(d) Überprüfen Sie, dass die Erzeugende 1
sin.arccot x/ D cos.arctan x/ D p : (7.102)
F3 .r; '; px ; py / D r.px cos ' C py sin '/ (7.99) 1 C x2
Teil I
fLj ; Lk g D "jrm "knr pm xn "jln "knr xl pr
y = f (x)
y D "rmj "rkn pm xn "njl "nrk xl pr
x = g (y)
D .ıkm ıjn ımn ıjk /pm xn .ıjr ıkl ıjk ılr /xl pr (7.123)
g(y) + c
D pk xj xk pj
D "jkl Ll :
f (x) − c Den letzten Schritt überprüft man mithilfe der Definition des
Drehimpulses (7.91).
Für die zweite zu bestimmende Poisson-Klammer sieht man zu-
x
nächst
Abb. 7.6 Geometrischer Beweis dafür, dass die Legendre-Transformation ihr
fL2 ; Lk g D fLj Lj ; Lk g; (7.124)
eigenes Inverses ist (Skarke 2013)
wobei über j summiert wird. Hier kann man die Produktregel
das Potenzial aus einem konservativen Kraftfeld in kartesi- Wir benennen nun die Summationsindizes im zweiten Term
schen Koordinaten zu berechnen: Dort muss über alle drei auf der rechten Seite folgendermaßen um: i wird in j und
Teil I
kartesische Koordinaten integriert werden (Abschn. 1.6). Da gleichzeitig j in i umbenannt. Dies ist möglich, da über beide
die Funktionen fi nicht von den Pi abhängen, kann die Inte- Indizes summiert wird. Es folgt also
gration direkt ausgeführt werden. Dabei tritt im Allgemeinen
eine von Pi unabhängige „Integrationskonstante“ auf, die X @F 0 X X X @Qj
2
dqi D pi dqi Pj dqi : (7.136)
jedoch von allen qi und der Zeit abhängen kann: C.t; q/.
i
@qi i j i
@qi
Schließlich muss noch
0 1
Da alle dqi unabhängig sind, kann man den Vergleich auf
@F2 @ @X
pi .t; q; P/ D D fj .t; q/Pj C C.t; q/A
@qi @qi @F20 X @Qj
j
pi D C Pj (7.137)
@qi @qi
D hi .t; q; P/ j
(7.131)
gelten. Da die Impulse Pi in F2 nur höchstens linear auf- reduzieren. Nun sind aber die Pj nach Voraussetzung von den
treten, gilt dies auch für hi . Die Funktionen fi .t; q/ und qi unabhängig; man kann also
hi .t; q; P/ sind also eng, aber nicht eindeutig miteinander 0 1
verknüpft: Die Wahl von C.t; q/ ist beliebig (die Funktion @ X @F2
muss jedoch differenzierbar sein). pi D @F20 C Qj Pj A D (7.138)
@qi j
@qi
(c) Es sind genau dann alle Punkttransformationen kanonisch,
wenn alle Funktionen fi .t; q/ mit kanonischen Transforma-
tionen vereinbar sind. Allerdings wird die Wahl von fi nur schreiben, was die erste zu zeigende Gleichung ist.
dadurch eingeschränkt, dass fi .t; q/ differenzierbar ist, da- Der Vergleich der Koeffizienten der dPi führt auf
mit die pi berechnet werden können. Ansonsten ist fi .t; q/ X @Qj
@F20
beliebig. D Pj : (7.139)
@Pi j
@Pi
7.5
Dies kann wegen @Pj =@Pi D ıij umgeschrieben werden in
(a) Das Differenzial von F20 ist
0 1
X @F 0 @F20
@F 0 @ @ 0 X
0
dF2 .t; q; P/ D 2
dqi C dPi C 2 dt: (7.132) 0D F2 C Qj Pj A Qi (7.140)
i
@qi @Pi @t @Pi j
Andererseits kennen wir das Differenzial (7.95). Offen-
sichtlich können die Differenziale noch nicht miteinander und schließlich in die gewünschte Form
verglichen werden, da in (7.132) dPi , in (7.95) aber dQi auf-
@F2
tritt. Da die qi und Pi die unabhängigen Größen sind, können Qi D : (7.141)
wir allerdings @Pi
X @Qi @Qi
@Qi Es ist nur noch der Zusammenhang für die Hamilton-Funk-
dQi .t; q; P/ D dqj C dPj C dt (7.133)
@qj @Pj @t tionen H und H 0 zu zeigen. Ein Vergleich des Zeitdifferen-
j
zials führt auf
schreiben. Setzt man (7.133) in (7.95) ein, folgt X @Qi
0 1 @F20
D Pi C H0 H (7.142)
X X @Qi @t @t
dF20 .t; q; P/ D @pi dqi Pi dqj A i
i j
@qj
oder, da die Pi und t unabhängig sind,
X X @Qi
Pi dPj (7.134) !
@Pj @ X @F2
0 0
i j H DHC F2 C Qi Pi D H C : (7.143)
X @t @t
@Qi i
Pi dt C H 0 H dt:
i
@t (b) Wir haben gesehen, dass
Dies ist mit (7.132) zu vergleichen. Aufgrund der Unabhän- X
gigkeit der Differenziale gilt zunächst F2 .t; q; P/ D F20 .t; q; P/ C Qj Pj (7.144)
0 1 j
X @F 0 X X @Qi
2
dqi D @pi dqi Pi dqj A : (7.135) gilt. Vergleicht man (7.44) und (7.95) und verlangt, dass man
i
@qi i j
@qj es mit derselben kanonischen Transformation zu tun hat, so
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 267
sieht man, dass F1 .t; q; Q/ und F20 .t; q; P/ identische Größen (c) Man erkennt bereits, dass es sich um eine Punkttransfor-
sind, allerdings ausgedrückt durch verschiedene unabhängi- mation handelt, da x und y nur von r und ' abhängen.
Teil I
ge Koordinaten. Somit ist Wir erwarten also, dass die Transformation kanonisch ist.
X Außerdem sind deswegen alle Ableitungen von x und y
F2 .t; q; P/ D F1 .t; q; Q/ C Qi Pi .t; q; Q/ nach pr und p' null, was die Berechnung der fundamenta-
i len Poisson-Klammern beschleunigt. Tatsächlich findet man
X @F1 .t; q; Q/ (7.145) dadurch schnell, dass die Poisson-Klammer fx; ygr;';pr ;p'
D F1 .t; q; Q/ Qi ; identisch verschwindet. Wegen der Definition der Poisson-
@Qi
i Klammern sind auch fx; xgr;';pr ;p' und fy; ygr;';pr ;p' sowie
fpx ; px gr;';pr ;p' und fpy ; py gr;';pr ;p' null. Wir verzichten im
d. h., die Erzeugenden F1 und F2 , welche dieselbe kanoni- Folgenden zur besseren Übersicht auf den Index der Pois-
sche Transformation erzeugen, gehen durch eine Legendre- son-Klammern. Es ist noch
Transformation ineinander über (wobei eine noch mögliche
Konstante ignoriert wurde). @px @py @px @py @px @py @px @py
fpx ; py g D C
@r @pr @' @p' @pr @r @p' @'
p' p' cos '
7.6 D 2 sin2 ' C pr sin ' cos '
r r r
p' 1 p
'
(a) Die Geschwindigkeiten sind C 2 cos2 ' C sin ' pr cos ' sin '
r r r
xP D rP cos ' r'P sin '; yP D rP sin ' C r'P cos ': (7.146) D 0:
(7.152)
Daraus folgt die kinetische Energie bzw. Lagrange-Funktion Wir berechnen die verbleibenden Poisson-Klammern,
Die Hamilton-Funktion ist Damit ist gezeigt, dass die Transformation tatsächlich kano-
! nisch ist.
1 p2r p2' (d) Aus der Erzeugenden F3 (7.99) lassen sich die folgenden
H D rP pr C 'p
P ' LD C 2 : (7.149) Gleichungen ableiten:
2 m mr
@F3
Aus ihr folgen die Hamilton’schen Gleichungen pr D D px cos ' C py sin ';
@r
@F3
@H pr @H p' p' D D px r sin ' C py r cos ';
rP D D ; 'P D D ; @'
@pr m @p' mr2 (7.155)
(7.150) @F3
@H p2' @H xD D r cos ';
pP r D D pP ' D D 0: @px
@r mr3 @'
@F3
yD D r sin ':
Da ' zyklisch ist, ist p' erhalten. Diese Gleichungen kön- @py
nen mit den Gleichungen des Zentralkraftproblems in Ab-
Die letzten beiden Gleichungen sind offensichtlich die be-
schn. 3.2 verglichen werden.
reits bekannten Transformationsgleichungen für die Orte.
(b) Durch Einsetzen von (7.148) in (7.146) folgt
Die ersten beiden lassen sich nach px und py auflösen, was
p' unmittelbar auf (7.151) führt.
px D mPx D pr cos ' sin ';
r (7.151)
p' 7.7
py D mPy D pr sin ' C cos ':
r
(a) Zunächst ist
Somit sind die kartesischen Koordinaten .x; y/ und Impul-
se .px ; py / als Funktion der Polarkoordinaten .r; '/ und der @F1 .q; Q/
pD D m!q cot Q: (7.156)
entsprechenden Impulse .pr ; p' / bekannt. @q
268 7 Hamilton-Formalismus
Der transformierte Impuls lautet wegen d cot x=dx D (b) Die neue Koordinate Q ist zyklisch und der generalisierte
1= sin2 x Impuls P erhalten. Da P bis auf einen konstanten Vorfak-
Teil I
tor der Energie entspricht, ist auch die Energie erhalten. Die
@F1 .q; Q/ m! q2 Bewegungsgleichung für Q lautet
PD D : (7.157)
@Q 2 sin2 Q
0
Man kann sofort die folgenden Transformationsgleichungen P D @H .Q; P/ D ! D const:
Q (7.164)
@P
ablesen:
1 p
Q.q; p/ D arccot (7.158) Die Lösung ist daher
m! q
und r Q D !t C Q0 (7.165)
2P
jq.Q; P/j D jsin Qj: (7.159) mit einer geeignet zu wählenden Konstanten Q0 . Dieses Er-
m!
gebnis wird in (7.159) eingesetzt, wobei wir noch Q0 in
Durch Einsetzen von (7.159) in (7.156) findet man die dritte umbenennen. Das Ergebnis ist die wohlbekannte Lösung
Gleichung: p
p.Q; P/ D 2m!P cos Q: (7.160) r
2E
q.t/ D sin.!t /: (7.166)
Es verbleibt noch die Relation für P.q; p/. Sie folgt aus m! 2
(7.157) und (7.158). Mithilfe von (7.102) bekommt man
Der Term vor dem Sinus ist gerade die Amplitude und die
m! 2 p2 Phasenverschiebung der Schwingung.
P.q; p/ D q C : (7.161)
2 2m!
Man erkennt bereits, dass Obwohl die Bewegungsgleichung des harmonischen Oszilla-
tors einfacher bestimmt werden kann, ist dieses Beispiel doch
E sehr instruktiv. Insbesondere erkennt man, dass durch eine ge-
PD (7.162)
! eignete kanonische Transformation die Anzahl der zyklischen
ist. Wir wollen allerdings formal die Hamilton-Funktion Koordinaten erhöht werden kann. In diesem Fall gibt es so-
H 0 .Q; P/ berechnen, um dies zu zeigen. Setzt man in H.q; p/ gar keine nichtzyklische Koordinate mehr; man hat es also mit
die Transformationsgleichungen q.Q; P/ und p.Q; P/ ein, Winkel- und Wirkungsvariablen zu tun. Es wird weiterhin deut-
folgt lich, dass die generalisierten Koordinaten und Impulse mit den
kartesischen Koordinaten und Newton’schen Impulsen im All-
H 0 .Q; P/ D !P cos2 Q C !P sin2 Q D !P: (7.163) gemeinen nichts mehr zu tun haben.
Literatur 269
Literatur
Teil I
Goldstein, H.: Klassische Mechanik. Akademische Verlagsge-
sellschaft, Wiesbaden (1981)
Landau, L.D., Lifshitz, E.M.: Mechanics. Pergamon Press, Ox-
ford (1969)
Skarke, H.: Why is the Legendre transformation its own inver-
se? Am. J. Phys. 81, 554–555 (2013)
Kontinuumsmechanik
8
Teil I
Was ist ein elastisches
Kontinuum?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_8, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 271
272 8 Kontinuumsmechanik
Bisher haben wir uns entweder mit der Dynamik von Punktmassen Beim starren Körper wurde angenommen, dass die paarwei-
oder von starren Körpern beschäftigt. Die dabei gelernten Metho- sen Abstände der elementaren Punktmassen alle konstant sind.
Teil I
den und Verfahren reichen für viele physikalische Anwendungen Dies führte schließlich auf die Definition des Trägheitstensors
aus. In sehr vielen Problemen hat man es allerdings mit Systemen zu und auf die Euler’schen Bewegungsgleichungen für starre Kör-
tun, die sich am zweckmäßigsten durch ein nichtstarres Kontinuum per. Hier erlauben wir nun eine relative Bewegung benachbarter
beschreiben lassen. Beispiele sind Flüssigkeiten und Gase (zusam- Punktmassen im Rahmen einer elastischen Wechselwirkung.
mengefasst auch als Fluide bezeichnet) oder elastische Festkörper
Zunächst werden die resultierenden kontinuierlichen Bewe-
wie Gummibänder oder Gitarrensaiten.
gungsgleichungen für ein eindimensionales System abgeleitet.
Wir werden hier untersuchen, wie sich verformbare Kontinua ma- Dazu wird der Young’sche Elastizitätsmodul als Materialeigen-
thematisch beschreiben lassen und welche physikalischen Konse- schaft eingeführt. Außerdem finden wir Wellenlösungen für das
quenzen sich daraus ergeben. Zunächst wird der Kontinuumslimes elastische Band.
durchgeführt. Dies erfordert die Einführung von sogenannten Fel-
dern, die in der Elektrodynamik (Teil II) eine fundamentale Rolle
spielen werden. Die einfachsten Beispiele sind die lineare Kette und
die schwingende Saite in Abschn. 8.1 und 8.2.
Lineare Kette
Als mathematischer Exkurs werden die sogenannten Fourier-Reihen Wir beginnen mit einem der einfachsten elastischen Systeme
in Abschn. 8.3 diskutiert. Sie stellen ein wichtiges Hilfsmittel für in einer Dimension: die lineare Kette, die uns bereits in Ab-
viele Probleme in der Physik dar, z. B. für schwingende Kontinua. schn. 6.5 begegnet ist. Dazu betrachten wir N C 1 Punktmassen
Nach einer kurzer Einführung in den Lagrange-Formalismus für Fel- m, die sich im Gleichgewichtszustand an den Orten
der in Abschn. 8.4 beschäftigen wir uns mit den Grundlagen der
xi D ia0 .0 i N/ (8.1)
Elastizitätstheorie (Abschn. 8.5). Dabei taucht auch der sogenann-
te Spannungstensor auf, der in Feldtheorien eine bedeutende Rolle befinden (Abb. 6.10). Hier ist a0 der Gleichgewichtsabstand
spielt. benachbarter Punktmassen. Alle Punktmassen sollen sich nur
Abschließend werden die Grundlagen der Fluiddynamik vorgestellt. entlang der x-Achse bewegen dürfen; ihre Auslenkungen aus
Wir beginnen mit einer Einführung in die Physik idealer Fluide (Ab- der Gleichgewichtslage seien qi . Zwischen benachbarten Punkt-
schn. 8.6), deren innere Reibung vernachlässigt wird. In Abschn. 8.7 massen sollen lineare (d. h. harmonische) Kräfte wirken.
wird diese Vereinfachung wieder aufgehoben und die sogenannte Wir können uns also lauter identische Federn mit Kraftkon-
Viskosität eingeführt. Dies führt auf die wichtigen Navier-Stokes- stanten D zwischen benachbarten Punktmassen vorstellen. Dies
Gleichungen. schränkt die Gültigkeit auf kleine Auslenkungen ein, wie be-
reits in Kap. 6 diskutiert. Allerdings lassen sich damit bereits
Das vorliegende Kapitel behandelt Probleme, die von einigen
eine Vielzahl von physikalischen Effekten erklären. Nichtlinea-
Dozenten in Vorlesungen der theoretischen Mechanik behandelt
re Wechselwirkungen würden den Umfang dieser Einführung
werden. Doch wohl keine einführende Mechanik-Vorlesung ist so
sprengen.
umfangreich, dass sie all diese Punkte abdecken kann. Dieses
Kapitel richtet sich vor allem an neugierige und fortgeschrittene Frage 1
Studenten. Da viele weiterführende Themen wie Elastizitätstheo- Schauen Sie sich erneut den Abschnitt über die lineare Kette in
rie oder Fluiddynamik ihre Wurzeln in der Mechanik haben, bietet Kap. 6 an.
es sich an, die Grundideen und Ansätze dieser Themen hier den
Lesern vorzustellen. Dabei werden teilweise Begriffe und Hilfsmit-
tel verwendet, die später vor allem in der Elektrodynamik wieder Die Kettenenden seien offen, d. h., die Punktmassen 0 und N
auftauchen (z. B. Felder, Oberflächenintegrale, die Kontinuitätsglei- haben nur einen Nachbarn. Die kinetische und die potenzielle
chung, der Spannungstensor). Eine Lektüre dieses Kapitels ist daher Energie lauten dann
nicht nur eine Ergänzung der Mechanik, sondern vereinfacht auch
mX 2 DX
N N
das Verständnis des Stoffes in späteren Semestern. TD qP ; VD .qi qi1 /2 : (8.2)
2 iD0 i 2 iD1
Teil I
Körper.
Elastischer Körper
Einen Körper, dessen Punktmassen durch konservative
Kräfte wechselwirken, nennt man elastisch. Die Gesamt-
energie ergibt sich aus der kinetischen und der Wechsel-
wirkungsenergie. Wird ein elastischer Körper verformt, so
wird die zur Verformung benötigte Arbeit als elastische
(potenzielle) Energie gespeichert und kann wieder voll-
Abb. 8.1 Ohne äußere Kräfte beträgt der Gleichgewichtsabstand benachbarter
ständig in kinetische Energie umgewandelt werden (wobei
Punktmassen der Kette a0 (oben ). Ziehen Kräfte, die nur an den beiden äußeren
der Körper in seine Ursprungsgestalt zurückkehrt). Rei- Punktmassen angreifen, die Kette auseinander, verlängern sich alle Federn im
bungskräfte treten in einem idealen elastischen Körper Gleichgewicht um denselben Betrag (Mitte ). Dasselbe gilt für eine Kompression
nicht auf. (unten )
Die Bewegungsgleichungen für alle Punktmassen lassen sich Wir fragen nun nach der Gleichgewichtsbedingung unter dem
aus der Lagrange-Funktion ableiten: Einfluss der Kraft F. Das System ist vollständig im Gleichge-
mRq0 D.q1 q0 / D 0; wicht, wenn alle Beschleunigungen verschwinden, d. h., wenn
qR i D 0 für alle i gilt. Da unter dem Einfluss von Kräften die Or-
mRqi C D.qi qi1 / D.qiC1 qi / D 0 .0 < i < N/; te, an denen sich die Punktmassen im Gleichgewicht befinden,
mRqN C D.qN qN1 / D 0: verändern können (man denke an eine Masse an einer Feder,
(8.4) die unter dem Einfluss der Schwerpunkt tiefer hängt), hat man
Wie bereits erwähnt, spielen die Punktmassen mit i D 0 und es folglich mit neuen Gleichgewichtslagen zu tun. Es folgt zum
i D N eine Sonderrolle, da sie an den Enden der Kette liegen. einen
F F
q1 q0 D ; qN qN1 D (8.6)
D D
und zum anderen
Äußere Kräfte
qi qi1 D qiC1 qi .0 < i < N/: (8.7)
Wir gehen nun einen Schritt weiter und lassen noch eine kon-
stante äußere Kraft F auf die linke Punktmasse (i D 0) und Man kann sich nun leicht davon überzeugen, dass (8.6) und (8.7)
eine entgegengesetzt wirkende Kraft CF auf die rechte Punkt- die Bedingungen
masse (i D N) wirken. Dadurch bleibt das System insgesamt
F
unbeschleunigt, doch die Dynamik der Punktmassen verändert qi qi1 D .0 < i N/ (8.8)
sich, wie wir in Kürze sehen werden. Ist F > 0, ziehen die D
Kräfte das System auseinander. Man sagt, es wirkt eine Zug- verlangen. Dies bedeutet, dass alle Federn sich um den gleichen
spannung. Ist dagegen F < 0, so wird das System komprimiert, Betrag F=D verlängern bzw. verkürzen (Abb. 8.1). Unter dem
und man spricht von einer Druckspannung.
Einfluss der Kraft F wird also der Gleichgewichtsabstand jeder
Durch die Anwesenheit der Kraft F bleiben fast alle Bewe- einzelnen Feder der Kette zu
gungsgleichungen unverändert, nur die für die Punktmassen 0
F
und N müssen modifiziert werden: a D a0 C : (8.9)
D
mRq0 D.q1 q0 / C F D 0;
(8.5)
mRqN C D.qN qN1 / F D 0: Achtung Der aufmerksame Leser könnte hier fragen, ob das
Ergebnis nicht um einen Faktor 2 daneben liegt. Da nämlich
Frage 2 die Kräfte ˙F links und rechts angreifen, wirkt auf jede Feder
Vergewissern Sie sich, dass die Bewegungsgleichungen in (8.5) die Gesamtkraft 2F, und somit müsste die Feder um den Betrag
korrekt sind. Modifizieren Sie dazu die Lagrange-Funktion, 2F=D gestreckt bzw. gestaucht werden. Dies ist allerdings eine
indem Sie dort Terme proportional zu Fq0 bzw. FqN berücksich- falsche Schlussfolgerung, die man sich leicht anhand des fol-
tigen. Es gibt also zwei zusätzliche Potenzialanteile, die gerade genden Beispiels überlegen kann. Wir stellen uns vor, dass eine
der Bewegung von der linken und der rechten Masse in einem Masse m an einer Feder mit Federkonstante D hängt, die an der
konstanten äußeren Kraftfeld entsprechen. Zimmerdecke befestigt ist. Auf m wirkt dann die Gravitations-
kraft F D mg, was auf eine Federverlängerung um den Betrag
274 8 Kontinuumsmechanik
F=D führt. Allerdings wirkt nun auf den Fixpunkt der Feder sehr kurz im Vergleich zur Kette ist. Man führt also den Über-
an der Decke eine entgegengesetzte Kraft F. Warum? Dies ist gang a0 ! 0 derart durch, dass die Gesamtlänge ` D Na0 ,
Teil I
gerade die Zwangskraft, welche die Feder an der Decke hält; der Elastizitätsmodul Y D Da0 und die Kettenmasse M D Nm
ansonsten würde die Feder abreißen und nach unten beschleu- konstant bleiben. Dies ist möglich, indem man die lineare Mas-
nigt werden. Da es der Feder aber völlig egal ist, ob es sich um sendichte
eine Zwangskraft oder um eine andere äußere Kraft handelt, ist M m
WD D (8.14)
die Feder an der Zimmerdecke äquivalent zu der linearen Kette ` a0
(mit einer einzigen Feder), und die Verlängerung wird durch F und den Elastizitätsmodul Y festhält (weswegen auch m ! 0
(und nicht durch 2F) bestimmt. J geht).
Frage 3 Dies führt auf eine wichtige Änderung in der mathematischen
Dieser Abschnitt ist leichter zu verstehen, wenn man sich den Beschreibung: Die bisher diskreten Auslenkungen qi .t/ werden
Fall N D 2 mit einer einzigen Feder vorstellt. Dann wirken zu einer kontinuierlichen Feldfunktion q.t; x/ (in vielen Lehrbü-
die beiden Kräfte ˙F direkt auf die alleinigen beiden Massen. chern wird eine andere Reihenfolge der Argumente verwendet;
Schauen Sie sich die obigen Rechnungen unter diesem Ge- wir schreiben aus Gründen der Konsistenz mit späteren Kapiteln
sichtspunkt erneut an. zuerst das Zeitargument). Man ordnet also jedem Raumpunkt x
entlang der Kette eine kontinuierliche Auslenkung zu.
Feld
Young’scher Elastizitätsmodul und Übergang In der Physik versteht man unter einem Feld eine Größe,
zum Kontinuum die eine Funktion des Ortes ist (z. B. eine Funktion von r
in drei Dimensionen). Zusätzlich kann ein Feld zeitabhän-
gig sein. Felder können skalar-, vektor- oder tensorwertig
Durch die äußere Kraft F wird die Gesamtlänge der Kette ` um sein. So ist beispielsweise die Temperaturkarte der Wetter-
einen Betrag vorhersage ein Skalarfeld, da die Temperatur eine skalare
F
` D N (8.10) Größe ist: T.r/. Ein Geschwindigkeitsfeld u.r/ hingegen
D ist eine vektorwertige Größe und wird beispielsweise ver-
verändert. Die Ruhelänge der Kette ist wendet, um die Strömung einer Flüssigkeit am Ort r zu
beschreiben.
` D Na0 : (8.11)
Tensorfelder sind weniger anschaulich, spielen aber in der theo-
Somit ist die relative Längenänderung retischen Physik eine große Rolle. Der Spannungstensor eines
elastischen Körpers oder einer Flüssigkeit ist ein Beispiel. Wir
` NF F F
D D D ; (8.12) kommen später im Kapitel darauf zurück.
` NDa0 Da0 Y
Wie kann man sich nun eine kontinuierliche Verformung q.t; x/
wobei wir mit vorstellen? Hierzu denke man sich zunächst die nichtdeformier-
Y WD Da0 (8.13) te Kette als kontinuierliches Material. Man ordnet nun jedem
Raumpunkt eine Markierung zu, die sich – von einem raum-
den Elastizitätsmodul Y definiert haben. Er bestimmt in der festen Koordinatensystem aus betrachtet – lokal mit der Kette
linearen Näherung die Dehnung bzw. Stauchung der Kette be- mitbewegt, wenn diese deformiert wird. Eine Markierung, die
dingt durch die äußere Kraft F. Der Elastizitätsmodul ist eine sich im unverformten Zustand am Ort x befunden hat, verschiebt
reine Materialeigenschaft der Kette. Je größer Y ist, desto stei- sich bei einer Verformung im Allgemeinen an einen anderen Ort
fer ist die Kette, und desto weniger wird sie durch eine äußere x0 . Die Differenz q D x0 x ordnet man dann dem ursprüng-
Kraft beeinflusst. Im Grenzfall Y ! 1 hat man es wieder mit lichen Referenzort x zu. Da die Verformung zeitabhängig sein
einem starren Körper zu tun. kann, schreiben wir letztlich also q.t; x/, was bedeutet, dass sich
die Markierung zur Zeit t am Ort x0 .t/ D x C q.t; x/ befindet.
Frage 4
Setzt man nun voraus, dass die Verformung q.x/ eine hinrei-
Der Elastizitätsmodul hat die Dimension einer Kraft. Er ent-
chend glatte Funktion ist, so kann man die Auslenkungen der
spricht derjenigen Kraft, bei der die Feder um ihre eigene Länge
benachbarten Punktmassen durch eine Taylor-Entwicklung be-
gedehnt bzw. gestaucht werden würde. Überlegen Sie sich,
schreiben:
warum wir deswegen stets F Y verlangen.
qi˙1 .t/ ! q.t; x ˙ a0 /
ˇ ˇ
@q ˇˇ a20 @2 q ˇˇ (8.15)
An dieser Stelle soll der Übergang zum Kontinuum vorgenom- D q.t; x/ ˙ a0 C C ::::
men werden. Praktisch bedeutet dies, dass eine einzelne Feder @x ˇ.t;x/ 2 @x2 ˇ.t;x/
8.1 Lineare Kette und Übergang zum Kontinuum 275
Teil I
namik interessiert. Dazu muss man sich ansehen, was mit renzialgleichung zweiter Ordnung für die Funktion q.t; x/,
den Bewegungsgleichungen geschieht, wenn der Kontinuums- die auf dem Intervall Œ0; ` definiert ist.
limes durchgeführt wird. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten:
Zum einen können wir die für das diskrete System bekannten
Bewegungsgleichungen direkt kontinuierlich formulieren. Der Frage 5
elegantere Weg ist allerdings ein anderer: Zunächst kann man Zeigen Sie (8.19), indem Sie die Definitionen der Massendichte
die Lagrange-Funktion in ein Lagrange-Funktional der Ver- und des Elastizitätsmoduls Y ausnutzen.
schiebungsfunktion q.t; x/ umwandeln und anschließend daraus
die Bewegungsgleichungen ableiten.
In der Kontinuumsmechanik werden also die Bewegungsglei-
Wir wollen hier zunächst den ersten Weg bestreiten, da er chungen für Punktmassen durch partielle Differenzialgleichun-
einfacher ist. In Abschn. 8.4 holen wir schließlich den Kontinu- gen für Felder ersetzt. Wie in vielen anderen Bereichen der
umsübergang der Lagrange-Funktion nach. Es wird dort unter Physik ist diese Feldgleichung linear und erlaubt Wellenlösun-
anderem gezeigt, dass sich daraus dieselben Bewegungsglei- gen. Feldgleichungen werden uns in diesem Buch noch häufig
chungen ergeben. begegnen. Zu den besonders wichtigen Beispielen gehören die
Wir konzentrieren uns zunächst auf denjenigen Fall, bei dem Maxwell-Gleichungen der Elektrodynamik (Teil II) und die
keine äußeren Kräfte wirken (Kräfte werden in Abschn. 8.2 und Schrödinger-Gleichung der Quantenmechanik (Teil III).
Aufgabe 8.1 berücksichtigt). Für die Punktmassen, die nicht am Zum Lösen von (8.19) sind im Allgemeinen Randbedingungen
Rand liegen, gilt wegen (8.4) erforderlich, d. h., es sind Bedingungen an q.t; x/ an den Or-
ten x D 0 und x D ` zu stellen. Dies wird in Abschn. 8.2
mRqi D.qiC1 2qi C qi1 / D 0 .0 < i < N/: (8.16) und Aufgabe 8.1 ausgeführt. Nun wollen wir allerdings erst das
unendliche Band betrachten, das ohne Randbedingungen aus-
Mithilfe der Kontinuumsnotation erhalten wir kommt.
qiC1 2qi C qi1
a20
(8.17)
Œq.x C a0 / q.x/ Œq.x/ q.x a0 / Die d’Alembert’sche Gleichung
! ;
a20
Wir beginnen mit einer mathematischen Untersuchung der
wobei wir nun die diskreten Punktmassen durch eine kontinu- Schwingungsgleichung (8.19). Dazu schreiben wir sie zunächst
ierliche Verteilung ersetzt haben. Der Term auf der rechten Seite in der Gestalt
kann im Kontinuumslimes a0 ! 0 als Differenzenquotient der 2 2
ersten Ableitungen angesehen werden: @ 2 @
v q.t; x/ D 0: (8.20)
@t2 @x2
q.xCa0 /q.x/ q.x/q.xa0 /
a0
a0
Zur Abkürzung wurde
a0
ˇ ˇ (8.18) s
@q ˇ @q ˇ ˇ
@x ˇ
@x ˇ
Y
@ qˇ
2
v WD (8.21)
D 2 ˇˇ :
x xa0
D
a0 @x x
mit der Dimension einer Geschwindigkeit eingeführt. Die phy-
Wir haben es also mit der zweiten Ableitung von q nach x zu
sikalische Bedeutung von v wird in Kürze deutlich werden. Der
tun. Ersetzt man nun die linke Seite von (8.17) durch die zweite
Term in der Klammer ist ein Differenzialoperator, der auf die
Ableitung, so ergeben sich die Bewegungsgleichungen im Kon-
Funktion q.t; x/ wirkt. Offenbar sind all diejenigen Funktionen
tinuumslimes.
Lösungen der Schwingungsgleichung, die der Differenzialope-
rator auf null abbildet. Wir fragen nun nach der allgemeinen
Kräftefreie Bewegungsgleichung Klasse von Lösungen q.t; x/.
des elastischen Bandes D’Alembert schlug 1747 einen eleganten Lösungsweg vor. Da-
Die Bewegungsgleichung des Bandes (d. h. der konti- zu werden der Ort x und die Zeit t durch zwei neue Variablen
nuierlichen Kette) lautet in Abwesenheit von äußeren und ersetzt:
Kräften
@2 q.t; x/ @2 q.t; x/ WD x C v t; WD x v t
Y D 0: (8.19) C (8.22)
@t2 @x2 H) x D ; tD :
2 2v
276 8 Kontinuumsmechanik
Frage 6 t
Zeigen Sie, dass die Orts- und Zeitableitungen dann als
Teil I
@ @ @ @ @ @ x
D C ; Dv (8.23)
@x @ @ @t @ @ h(x−vt) g(x+vt)
2 2
@2 2 @
2
@ @ @ @
v D v2 v 2
C x
@t2 @x2 @ @ @ @
(8.25)
@ @
D 4v 2 :
@ @ Abb. 8.2 Die beiden Wellen h.x v t/ (rot ) und g.x C v t/ (blau ) propagie-
ren mit der Zeit nach rechts bzw. links, ohne ihre Gestalt zu verändern (oben
und Mitte ). Überlappen sie (unten ), so ist die resultierende Auslenkung (grün )
d’Alembert’sche Schwingungsgleichung einfach die Summe von h und g
Teil I
die zweite Gleichung in (8.30):
Die Bewegungsgleichung für das lineare Band wird nun auf den
Zx Fall einer dreidimensional schwingenden Saite verallgemeinert.
v Œg.x/ h.x/ D qP 0 .x0 / dx0 C C; (8.31) Wir lösen die Bewegungsgleichung für eine eingespannte Sai-
x0
te, d. h. eine Saite mit festgehaltenen Enden. Wir werden sehen,
dass sich transversale und longitudinale Schwingungen in der
wobei C eine Integrationskonstante ist. Dieses Zwischen- Saite mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausbreiten. Die Er-
ergebnis lässt sich durch eine Addition bzw. Subtraktion gebnisse bieten auch einen Einblick in die Funktionsweise von
mit der ersten Gleichung in (8.30) kombinieren: Musikinstrumenten.
2 x 3
Z
q0 .x/ 1 4
g.x/ D C qP 0 .x0 / dx0 C C5 ;
2 2v Aufstellung der Bewegungsgleichung
x0
2 x 3 (8.32)
Z
q0 .x/ 1 4
h.x/ D qP 0 .x0 / dx0 C C5 : Kommen wir nun zu einem interessanten Beispiel aus dem All-
2 2v tag: die Saite mit fest eingespannten Enden. Der Unterschied
x0
zum linearen Band ist, dass die Elemente der Saite in alle drei
Somit ist der Anfangszustand, ausgedrückt durch g und Raumrichtungen schwingen können. Wir verlangen allerdings,
h, bekannt. Da wir aber wissen, dass die Zeitentwicklung dass die ruhende Saite entlang der x-Achse verläuft. Erneut be-
von g und h lediglich darin besteht, dass die Funktionen ginnen wir mit einer diskreten Formulierung; den Übergang
entlang der x-Achse laufen, können wir direkt das Ergeb- zum Kontinuum führen wir durch, nachdem wir die diskreten
nis q.t; x/ zu allen Zeiten notieren. Dazu muss bloß das Bewegungsgleichungen aufgestellt haben.
Argument von g durch x C v t und das von h durch x v t Die N C 1 Punktmassen m der Saite befinden sich im Gleichge-
ersetzt werden: wicht an den Orten
q.t; x/ D g.x C v t/ C h.x v t/ xi D aiOex .0 1 N/: (8.34)
1
D Œq0 .x C v t/ C q0 .x v t/ Hier ist a der Gleichgewichtsabstand benachbarter Punkte unter
2
0 xCv t 1 dem Einfluss der Einspannung, d. h. a > a0 . Die eingespannte
Z
1 @ Saite ist also länger als das freie Band:
C qP 0 .x0 / dx0 C CA
2v
x0 `0 WD Na > Na0 D `: (8.35)
0 xv t 1
Z Die Auslenkungen qi .t/ definieren wir nun bezüglich der einge-
1 @ (8.33)
qP 0 .x0 / dx0 C CA spannten Ruhelagen in (8.34). Wie bereits erwähnt, können die
2v
x0 qi .t/ in eine beliebige Richtung zeigen; sie sind nicht auf die x-
1 Achse beschränkt (Abb. 8.3).
D Œq0 .x C v t/ C q0 .x v t/
2 Aufgrund der eingespannten Enden sind die folgenden beiden
Z vt
xC Bedingungen zu allen Zeiten erfüllt:
1
C qP 0 .x0 / dx0 :
2v q0 .t/ D qN .t/ D 0: (8.36)
xv t
In Abschn. 8.1 wurde erläutert, dass sich eine Vorspannung
Man erkennt, dass ein Raumpunkt x zur Zeit t nur durch durch eine äußere Kraft F auf die beiden äußeren Punktmassen
anfängliche (t D 0) Störungen im Raumbereich Œx erreichen lässt. In diesem Fall ist diese Kraft eine unbekannte
v t; x C v t beeinflusst wird. Daran sieht man erneut, dass Zwangskraft; wir wissen nur, dass sie die Randbedingungen in
sich die Wellen mit der Geschwindigkeit v ausbreiten. (8.36) erzeugt.
Es wird außerdem deutlich, dass man zu Beginn sowohl Die potenzielle Energie soll nur aus harmonischen Termen be-
den Auslenkungszustand q0 .x/ als auch seine Änderungs- stehen:
geschwindigkeit qP 0 .x/ kennen muss, um die Lösung in
DX
N
(8.33) eindeutig festzulegen. Der Grund ist, dass die
Schwingungsgleichung (8.20) eine partielle Differenzi- VD .j.xi C qi / .xi1 C qi1 /j a0 /2 : (8.37)
2 iD1
algleichung zweiter Ordnung in der Zeit ist. Wir haben
somit ein Anfangswertproblem gelöst. J Hier ist zu beachten, dass das globale Minimum der potenziel-
len Energie nur erreicht wird, wenn alle Federn die Länge a0
278 8 Kontinuumsmechanik
q = 0,q⊥ = 0 Nimmt man nun an, dass die relativen transversalen Auslen-
kungen zwischen zwei benachbarten Punktmassen klein sind
Teil I
Wir sehen, dass die longitudinalen und transversalen Terme Transversal schwingende Saite
nicht gemischt sind, d. h., sie enthalten keine Produkte der Art
Teil I
qi;k qi;? . Die Bewegungsgleichungen für die qi;k und die qi;?
sind also entkoppelt. Dies ist eine Folge der vorgenomme- Es soll nun untersucht werden, wie eine eingespannte, trans-
nen Vereinfachungen. Höhere, hier vernachlässigte Terme der versal ausgelenkte Saite schwingt. Wir beschränken uns zur
potenziellen Energie sind gemischt, sodass die Bewegungsglei- Vereinfachung auf eine Schwingung entlang der y-Achse, was
chungen eigentlich gekoppelt sind. Allerdings ist diese Kopp- wegen der Symmetrie in der y-z-Ebene keine Einschränkung ist.
lung so schwach, dass wir sie hier getrost unterschlagen können. Es ist also die partielle Differenzialgleichung
Die Bewegungsgleichungen für die Punktmassen 0 < i < N @2 q.t; x/ 2 @ q.t; x/
2
sind analog zu (8.16). Sie folgen direkt aus der Lagrange-Funk- v? D0 (8.49)
@t2 @x2
tion (8.45) und lauten
Y mit den Randbedingungen
mRqi;k qiC1;k 2qi;k C qi1;k D 0;
a0 q.t; 0/ D q.t; `0 / D 0 (8.50)
(8.46)
F
mRqi;? q 2qi;? C qi1;? D 0:
a0 iC1;? zu lösen, wobei wir zur Vereinfachung q.t; x/ statt qy .t; x/
Was bedeutet dies? Der Elastizitätsmodul Y ist für die Rück- schreiben.
stellkraft in x-Richtung verantwortlich. Dies haben wir bereits Randbedingungen der Art (8.50), bei denen die Funktion an ei-
in Abschn. 8.1 gesehen. Zusätzlich haben wir hier einen Term nem bestimmten Ort einen bestimmten Wert annehmen muss,
gefunden, der die Rückstellkraft in der y-z-Ebene beschreibt und nennt man Dirichlet’sche Randbedingungen. Weiterhin gibt es
durch die Vorspannung F erzeugt wird. Eine lose eingespannte Neumann’sche Randbedingungen, die eine Forderung an die
Saite mit F D 0 kann also nicht in der y-z-Ebene schwingen, da Ableitung der Funktion stellen. In Aufgabe 8.1 werden wir ei-
es (in erster Näherung) keine entsprechende Rückstellkraft gibt. ner Neumann’schen Randbedingung begegnen. Weiterhin wird
Frage 10 in Kap. 12 und 26 noch mehr über diese Randbedingungen ge-
sagt.
Vergewissern Sie sich, dass die Bewegungsgleichungen der dis-
kreten linearen Kette in Abschn. 8.1 aus (8.46) folgen, wenn Wir werden hier nicht den Ansatz von d’Alembert verfolgen.
man nur Auslenkungen entlang der x-Achse gestattet. Die li- Stattdessen schlagen wir einen anderen Weg ein, der auf die
neare Kette ist also nichts weiter als ein Spezialfall der (noch Fourier-Reihen führt, was in Kürze deutlich werden wird.
diskreten) Saite.
Für die lineare Kette in (6.147) wurden die Orts- und Zeitab-
hängigkeiten abgespalten, indem für alle Oszillatoren dieselbe
Es fehlt noch der Kontinuumslimes. Hier ist nichts Neues zu sa- Zeitabhängigkeit angesetzt wurde. Analog schreiben wir hier
gen. Man erhält ihn analog zu dem in Abschn. 8.1 vorgestellten
Verfahren. q.t; x/ D f .x/g.t/: (8.51)
@2 qk .t; x/ @2 qk .t; x/ Die linke Seite hängt nur noch von der Zeit t, die rechte nur
Y D 0; noch vom Ort x ab. Damit die Gleichung zu allen Zeiten und an
@t2 @x2 (8.47)
@ q? .t; x/
2
@ q? .t; x/
2 allen Orten im Intervall .0; `0 / erfüllt ist, müssen beide Seiten
F D 0: der Gleichung einer Konstanten c entsprechen (das Minuszei-
@t 2 @x2 chen dient nur der Zweckmäßigkeit). Dies führt auf die zwei
Sie ist auf dem Intervall .0; `0 / definiert. Bestimmungsgleichungen
d2 g d2 f cf
D cg; D 2 : (8.53)
Wir sehen, dass mit dt2 dx2 v?
s s
Y F
vk WD ; v? WD (8.48) Frage 11
Überlegen Sie sich, dass c > 0 sein muss, damit die Lö-
die Ausbreitungsgeschwindigkeiten der longitudinalen und sung nicht exponentiell anwächst. Man hat es also mit zwei
transversalen Wellen im Allgemeinen unterschiedlich sind. Schwingungsgleichungen zu tun. Zeigen Sie weiterhin, dass die
280 8 Kontinuumsmechanik
p
Führt man ! WD c ein, so lauten die Lösungen von (8.53)
n=3
!
g.t/ D Ag cos.!t g /; f .x/ D Af sin x f : (8.54)
v?
Dies ist in Abb. 8.4 illustriert. Damit verbunden ist die soge-
nannte Wellenzahl
bzw.
mit Amplituden Cn und Phasen n . Es handelt sich um stehende 1
X
Wellen mit Knoten bei x D 0 und x D `0 , also Punkten, bei qP .0; x/ D cn !n sin n sin.kn x/: (8.63)
denen die Auslenkung zu allen Zeiten verschwindet. nD1
Die Differenzialgleichung (8.49) ist linear und homogen. Man Fourier-Reihen und das Vorgehen zur Bestimmung der cn und
kann daher Lösungen beliebig superponieren. n werden in Abschn. 8.3 diskutiert.
8.3 Fourier-Reihen 281
Frage 12 Die Menge der Koeffizienten faj ; bj g (bzw. ihre Beträge, also
die Amplituden der Teilschwingungen) nennt man das Fourier-
Überlegen Sie sich, dass man ganz analoge Aussagen für die
Teil I
Spektrum der Funktion. Die Berechnung des Spektrums wird
longitudinal schwingende Saite erhält, wenn man lediglich F
oft auch als Fourier-Analyse der Funktion bezeichnet, das Zu-
durch Y und damit v? durch vk ersetzt.
sammensetzen der Funktion aus den einzelnen harmonischen
Schwingungen als Fourier-Synthese. Einige mathematische Ei-
genschaften von Funktionenfolgen und -reihen werden im „Ma-
thematischen Hintergrund“ 8.1 besprochen.
8.3 Fourier-Reihen In Anwendungen physikalischer Systeme verwendet man natür-
lich nicht die komplette unendliche Summe (8.65), sondern nur
Nach den ersten beiden überwiegend physikalisch geprägten einige Summanden, also eine Partialsumme der Reihe mit den
Abschnitten machen wir hier einen mathematischen Exkurs. ersten n Summanden:
Bisher wurden nur harmonische Schwingungen untersucht,
d. h. Schwingungen, deren Zeitentwicklung durch eine einfa- a0 X n
che Sinusfunktion darstellbar sind. Die meisten periodischen fn .t/ D p C aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/ : (8.66)
2 jD1
Vorgänge in Natur und Technik sind aber keine harmoni-
schen Schwingungen (z. B. Töne von Musikinstrumenten oder
das Anschieben einer Schaukel). Es wird gezeigt, dass sich Um die bisher unbekannten Koeffizienten aj und bj zu be-
periodische Vorgänge allgemein als lineare Überlagerung har- stimmen, benutzt man folgende Beziehungen zwischen den
monischer Schwingungen darstellen lassen. Dies führt auf die Funktionen, die für alle i; j 2 N gelten und die man leicht nach-
Fourier-Reihen, die gründlich diskutiert werden. rechnen kann:
Z
cCT
T
gi .t/gj .t/ dt D ıij ;
2
Allgemeiner Formalismus c
Z
cCT
T
Wir beginnen diesen Abschnitt mit der Beobachtung, dass sich hi .t/hj .t/ dt D ıij ; (8.67)
nicht nur die Funktionen g.t/ D cos.!t/ und h.t/ D sin.!t/ 2
c
jeweils nach der Periode T D 2 =! wiederholen, sondern auch
Z
cCT
alle Sinus- und Kosinusfunktionen, deren Frequenzen ganzzah-
lige Vielfache davon sind, also allgemein gi .t/hj .t/ dt D 0:
gj .t/ WD cos.j!t/ und hj .t/ WD sin.j!t/ .j 2 N/: (8.64) c
Außerdem gilt dies auch für die konstanten Funktionen. Da die Der Wert für c ist aufgrund der Periodizität beliebig und wird
konstanten Funktionen wie die Kosinusfunktionen gerade sind in der Regel so gewählt, dass die Rechnung möglichst einfach
und man sie auch als Funktionen betrachten kann, deren Fre- wird. Man sagt auch, dass die Funktionen gj und hj ein bi-or-
quenz das Nullfache von ! ist, schreibt man für sie
p g0 . Weiter thogonales Funktionensystem bilden. Dieses Konzept wird in
unten werden wir sehen, dass die Wahl g0 .t/ D 1= 2 am güns- Kap. 13 ausführlich diskutiert.
tigsten für die weiteren Rechnungen ist. Außerdem wählen wir
Mithilfe der Beziehungen (8.67) lassen sich die Koeffizienten aj
h0 .t/ D 0.
und bj bestimmen.
Die Feldgleichung für die schwingende Saite (8.47) ist – wie
die meisten Feldgleichungen in der Physik – linear. Daher liegt
es nahe, einen beliebigen periodischen Vorgang als (unendliche) Fourier-Koeffizienten
Linearkombination der Funktionen gj .t/ und hj .t/ darzustellen. Die Fourier-Koeffizienten einer periodischen Funktion
f .t/ können über
Fourier-Reihe
Z
cCT
Funktionen der Periode T D 2 =! lassen sich durch eine 2
Fourier-Reihe darstellen: aj D f .t/gj .t/ dt;
T
1 c
X (8.68)
f .t/ D aj gj .t/ C bj hj .t/ Z
cCT
2
jD0 bj D f .t/hj .t/ dt
1
(8.65) T
a0 X c
D p C aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/ :
2 jD1 berechnet werden.
282 8 Kontinuumsmechanik
Definition Eine Folge von Funktionen nennen wir Funktio- dem Intervall Œ0; 1 definierte Funktionenfolge .fn /n2N . Sie
nenfolge. Wir schreiben .fn /n2N , wobei fn Funktionen sind. konvergiert punktweise gegen 0, falls x 2 Œ0; 1/, und gegen
1, falls x D 1, denn 1n ! 1 und xn ! 0 für 0 x < 1.
Beispiel Ein einfaches Beispiel einer Funktionenfolge ist Diese Grenzfunktion ist aber nicht mehr stetig.
fn W x 7! xn , wobei n die natürlichen Zahlen durchläuft. Die
Folgenglieder lauten demnach f1 D x, f2 D x2 , f3 D x3 usw. Funktionenreihen Betrachtet man die Partialsumme
Konvergenz Wir unterscheiden zwischen punktweiser und X
n
jf .t/ fn .t/j2 dt ! 0:
Konvergiert eine Funktionenfolge .fn /n2N stetiger Funk- c
tionen gleichmäßig gegen eine Funktion f , so ist diese
wieder stetig. Man spricht von der Konvergenz im quadratischen Mittel.
Wenn die Folge differenzierbarer Funktionen .fn /n2N Dies ist der Satz von Carleson.
gleichmäßig gegen f konvergiert und die Ableitungen fn0
gleichmäßig konvergieren, so gilt lim fn0 D f 0 .
n!1 Wir halten fest:
Der gleichmäßige Grenzwert Riemann-integrierbarer
Funktionen ist Riemann-integrierbar, und es gilt: Gleichmäßige Konvergenz impliziert Konvergenz im qua-
dratischen Mittel.
Zb Zb Zb Aus der Konvergenz im quadratischen Mittel folgt nicht
lim fn .x/ dx D lim fn .x/ dx D f .x/ dx: die punktweise Konvergenz.
n!1 n!1
a a a
Literatur
Beispiel Im Gegensatz zum gleichmäßigen Limes stetiger
Funktionen muss der punktweise Limes nicht unbedingt wie- Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
der stetig sein. Wir betrachten dazu die durch fn W x 7! xn auf Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
8.3 Fourier-Reihen 283
Teil I
Die ersten Fourier-Reihen wurden schon im 18. Jahrhun- im Haupttext sehen). Erst 1966 fand der schwedische Ma-
dert von Euler, Lagrange und anderen aufgestellt. Doch erst thematiker Lennart Carleson ( 1928) durch eine geeignete
1822 behauptete Jean Baptiste Joseph Fourier (französischer Erweiterung des Konvergenzbegriffs einen Beweis dafür,
Mathematiker und Physiker, 1768–1830) in seinem Werk dass die Fourier-Reihe in gewissem Sinne tatsächlich für
Théorie analytique de la chaleur (Analytische Theorie der alle periodischen Funktionen konvergiert (siehe „Mathema-
Wärme), dass eine solche Reihenentwicklung für alle peri- tischen Hintergrund“ 8.1).
odischen Funktionen möglich wäre, ohne dies allerdings zu
beweisen. Die Behauptung wurde von den führenden Mathe-
matikern damals dementsprechend zunächst abgelehnt. Literatur
In den folgenden Jahrzehnten wurden dann auch Gegen-
beispiele gefunden, bei denen die Fourier-Reihe nicht im Fourier, J.B.J.: Théorie analytique de la chaleur. Firmin
üblichen Sinne konvergiert (ein Beispiel dafür werden wir Didot, 1822
Frage 13
p beschrieben und periodisch fortgesetzt, also I.t C2 n/ D
Zeigen Sie, dass die obige Wahl g0 .t/ D 1= 2 es ermöglicht,
in (8.67) und (8.68) einheitliche Formeln für alle j anzugeben, I.t/ für alle n 2 Z.
statt den Fall j D 0 getrennt zu behandeln. Diese Funktion ist ungerade; deshalb verschwinden al-
le Koeffizienten aj , da die Kosinusfunktionen alle gerade
sind (wähle hier c D 0):
Achtung Bei den Vorfaktoren sind auch verschiedene andere
Konventionen üblich: Manche Autoren p definieren p die Funktio- Z2
nen beispielsweise
p als g .t/ D 1= T, g .t/ D 2=T cos.j!t/ 1
0 j
aj D I.t/ cos.jt/ dt D 0: (8.70)
und hj .t/ D 2=T sin.j!t/, da die Funktionen dadurch nicht
0
nur orthogonal, sondern zusätzlich normiert sind (weshalb sie
insbesondere in der Quantenmechanik gerne benutzt werden). Zur Berechnung der Koeffizienten bj ist die Wahl c D
Die Gleichungen in (8.68) für die Berechnung der Koeffizienten =2 günstiger:
und die Orthogonalitätsgleichungen in (8.67) ändern sich dann
entsprechend. J Z =2 3Z =2
1
Mit (8.68) ist auch das Anfangswertproblem in (8.62) und (8.63) bj D t sin.jt/ dt C . t/ sin.jt/ dt: (8.71)
lösbar. Dazu muss man erkennen, dass wir es hier mit einer =2 =2
Fourier-Reihe in der Zeit t, in Abschn. 8.2 aber mit einer Fou-
rier-Reihe im Ort x zu tun haben. Mathematisch sind beide Beide Integrale sind mittels partieller Integration leicht
Fälle aber äquivalent. Man muss die Fourier-Analyse sowohl auszuwerten. Daraus ergibt sich
für q.0; x/ als auch für qP .0; x/ durchführen und erhält so Aus- (
drücke für cn cos n und cn !n sin n . Daraus lassen sich die 4 j 0 .j gerade/
bj D 2 sin D 4 .j1/=2 :
konstanten Phasen n bestimmen. Aufgrund der Randbedingun- j 2 j2 .1/ .j ungerade/
gen der eingespannten Saite verschwinden alle Kosinusbeiträge (8.72)
der Fourier-Reihe.
Damit hat man als Näherungen für I.t/ folgende Partial-
summen der Fourier-Reihe:
Dreiecksschwingung
4
Bei Streichinstrumenten hat die Intensität I eines Tones I1 .t/ D sin.t/;
näherungsweise den in Abb. 8.5 gezeigten zeitlichen Ver- 4 4
lauf. Beschränken wir uns zunächst auf den einfachen I3 .t/ D sin.t/
sin.3t/; (8.73)
9
Fall, dass die Periode genau T D 2 ist und die Am- 4 4 4
plitude =2, so wird die Intensität durch den Term I5 .t/ D sin.t/ sin.3t/ C sin.5t/:
9 25
(
t t<C2
I.t/ D 2 (8.69) Diese drei Näherungsfunktionen sind in Abb. 8.5 zusam-
t C 2 t < C 32 men mit I.t/ dargestellt.
284 8 Kontinuumsmechanik
I I
I I1 0 t T gilt also
1 1 ( T
FO t T2
F.t/ D 4 (8.74)
0 .sonst/
π 2π t π 2π t
c d
Da diese Funktion weder gerade noch ungerade ist, ergeben sich
I I hier für beide Sorten von Fourier-Koeffizienten im Allgemeinen
I3 I5 Werte ungleich null:
1 1 ZT p ZT=2
2 1 2 FO
a0 D F.t/ p dt D FO dt D p ; (8.75)
π 2π t π 2π t T 2 T 2 2
0 T=4
ZT ZT=2
2 2FO
aj D F.t/ cos.j!t/ dt D cos.j!t/ dt
T T
Abb. 8.5 Die periodische Dreiecksschwingung (rot ) aus (8.69) lässt 0 T=4
sich bereits durch die ersten Partialsummen in (8.73) ihrer Fourier-Rei-
he (gezeigt sind I1 , I3 und I5 ) gut annähern FO h i
D sin.j / sin j (8.76)
j 2
Wie man sieht, konvergiert die Fourier-Reihe hier schnell, 8
<0 .j gerade/
und schon niedrige Partialsummen stellen eine gute Nä-
D FO ;
herung dar. In Abb. 8.6 ist das zugehörige Spektrum zu : .1/.j1/=2 .j ungerade/
sehen. j
ZT ZT=2
aj 2 2FO
bj D F.t/ sin.j!t/ dt D sin.j!t/ dt
bj T T
1 0 T=4
FO h i
D cos.j / cos j (8.77)
0,5 j 2
8
ˆ O
ˆ F .1 .1/j=2 / .j gerade/
<
D Oj :
0 ˆF
0 1 2 3 4 5 6 7 j :̂ .j ungerade/
j
Abb. 8.6 Fourier-Spektrum der Dreiecksschwingung (8.69). Gezeigt Die ersten Partialsummen lauten also
sind die Koeffizienten der ersten sieben Teilschwingungen (Kosinus-
schwingungen in Rot, Sinusschwingungen in Orange ). In diesem Beispiel FO
sind alle Kosinusbeiträge null F0 .t/ D ;
4
J
1 1 1
F1 .t/ D FO cos.!t/ C sin.!t/ ;
4
1 1 1 1
F2 .t/ D FO cos.!t/ C sin.!t/ sin.2!t/ ;
4
Schaukel anschieben
1 1 1 1
F3 .t/ D FO cos.!t/ C sin.!t/ sin.2!t/
4
Eine Schaukel schiebt man normalerweise nur in der Viertelpe- 1 1
C cos.3!t/ C sin.3!t/ :
riode an, in der sie sich auf einer der beiden Seiten gerade nach 3 3
unten bewegt. Beschreibt man die Schaukelbewegung durch (8.78)
8.3 Fourier-Reihen 285
Anwendung: Musikinstrumente
Teil I
Realistische Intensitätsverteilungen und ihre Fourier-Spektren
Die Dreiecksschwingung wurde als stark vereinfachte In- Dies liegt einerseits daran, dass reale Töne nie streng peri-
tensitätsverteilung eines Musikinstruments verwendet. Im odisch sind, andererseits aber auch an numerischen Fehlern
Folgenden werden einige reale Beispiele der Schallintensi- der verwendeten Algorithmen zur Fourier-Analyse.
täten von Musikinstrumenten gezeigt. Es ergeben sich hier
nicht nur einzelne Spitzen bei festen Frequenzen, sondern Die hier gezeigten Beispiele (Abb. 8.7 bis 8.10) wurden von
leicht verbreiterte Intensitätsverteilungen. Schülern der 10. bis 12. Klasse im Rahmen einer Sommer-
schule der Humboldt-Universität Berlin erstellt (Kramer &
Warmuth 2010).
Signal- |I|
starke
¨
0
0 0,005 0,01 0,015 0,02 Zeit [s] 0 500 1000 1500 2000 Frequenz [Hz]
Abb. 8.7 Signalstärke einer Flöte Abb. 8.9 Fourier-Spektrum der Flöte
Signal- |I|
starke
¨
0
0 0,005 0,01 0,015 0,02 Zeit [s] 0 500 1000 1500 2000 Frequenz [Hz]
Abb. 8.8 Signalstärke einer Violine Abb. 8.10 Fourier-Spektrum der Violine
Die Näherungskurven für die Partialsummen bis zu j D 10 bzw. Fourier-Reihe dennoch gegen F.t/ konvergiert, wird im „Ma-
20 bzw. 30 sind in Abb. 8.11 zusammen mit F.t/ dargestellt. thematischen Hintergrund“ 8.1 erläutert. Dieses Verhalten der
Abbildung 8.12 zeigt das Spektrum. Fourier-Reihe ist typisch bei Funktionen mit Sprungstellen und
wird als Gibbs’sches Phänomen bezeichnet.
Wie man anhand des zweiten Beispiels sieht, konvergieren hier
die Partialsummen deutlich schlechter als für die Dreiecks-
schwingung. Vor allem an den Stellen t D T=4 und t D T=2, Die oben erhaltene Fourier-Darstellung der Kraft kann man nun
an denen F.t/ unstetig ist, ergeben sich deutliche Abweichun- schließlich verwenden, um die Auslenkung der Schaukel zu
gen der Partialsummen zur Funktion, gegen die sie konvergieren bestimmen. Die Amplitude eines mit ! harmonisch angetrie-
sollen. Man spricht hier auch von Über- bzw. Unterschwingern. benen schwingenden Systems (was eine Schaukel für nicht zu
Es zeigt sich, dass diese Abweichungen auch für beliebige ho- große Auslenkungen in guter Näherung ist) haben wir in (6.65)
he Partialsummen nicht verschwinden. In welchem Sinne die berechnet. Übertragen auf das vorliegende System mit Auslen-
286 8 Kontinuumsmechanik
a I aj
Teil I
I 0,5 bj
−4 −2 2 4 6 8 t
0
−0,5
0 1 2 3 4 5 6 7 j
−1 −0,5
−4 −2 2 4 6 8 t
falls die anregende Kraft sinusförmig mit Kreisfrequenz ! und
Amplitude FO ist. Das schwingende System ist neben der Masse
−0,5 noch durch seine Eigenfrequenz !0 und einen Dämpfungskoef-
fizienten charakterisiert.
−1 Frage 14
Zeigen Sie, dass (6.65) für das vorliegende Problem in der Ge-
stalt (8.79) geschrieben werden kann.
c I
I20 Will man die gesamte Auswirkung der hier Fourier-analysierten
Kraft F.t/ auf die Schwingung wissen, so muss man die (un-
−4 −2 2 4 6 8 t endliche) Summe aus allen Teilschwingungen bilden, wobei die
Amplituden jeweils durch das Produkt aus den Fourier-Koeffi-
−0,5 zienten aj bzw. bj und dem Ausdruck (8.79) gegeben sind und !
je nach Summenglied durch das jeweilige j! zu ersetzen ist.
Man sieht hier also, wie man mithilfe der Fourier-Analyse all-
−1 gemein die Auswirkungen einer periodischen Anregung auf
ein harmonisch schwingendes System bestimmen kann. Das ist
natürlich nicht nur bei Schaukeln wichtig, sondern auch bei-
d I spielsweise in der Architektur, wenn es um die Stabilität von
Hochhäusern oder Brücken geht.
I30
−4 −2 2 4 6 8 t
Eine weitere Möglichkeit ist es, Sinus und Kosinus mittels äußere Kräfte und führen zunächst dafür den Kontinuumslimes
komplexer Exponentialfunktionen auszudrücken (siehe „Ma- durch. Im diskreten Fall haben wir (8.3):
Teil I
thematischen Hintergrund“ 6.2):
mX 2 DX
N N
LD qP .qi qi1 /2 : (8.85)
eij!t C eij!t 2 iD0 i 2 iD1
cos.j!t/ D ;
2 (8.82) Die Summe läuft über alle Punktmassen in der Kette.
eij!t eij!t
sin.j!t/ D : Der Grenzfall kann genauso einfach durchgeführt werden wie
2i
für die Bewegungsgleichung in Abschn. 8.1: Es ist qi .t/ durch
Dies führt auf die sogenannte Exponentialdarstellung der Fou- q.t; x/ zu ersetzen; weiterhin führen wir die Massendichte D
rier-Reihe, m=a0 und den Elastizitätsmodul Y D Da0 ein. Der Differenzen-
C1
X quotient wird wieder zur ersten Ortsableitung:
f .t/ D cj eij!t ; (8.83)
qi .t/ qi1 .t/ @q.t; x/
jD1 ! : (8.86)
a0 @x
in der wegen der obigen Zusammenhänge nun auch negative Da wir nun über unendlich viele infinitesimale Massenelemente
Frequenzen auftreten. Die Koeffizienten berechnet man dann summieren, ersetzen wir die Summe durch ein Integral:
folgendermaßen: Z
X
a0 ! dx: (8.87)
Z
cCT
1 i
f .t/eij!t dt:
I
cj D (8.84)
T Hier ist I das Ortsintervall, das der Kettenausdehnung ent-
c
spricht, also beispielsweise I D Œ0; `. Es folgt
Diese Darstellung ist häufig einfacher, da Integrale mit Expo- Z " #
nentialfunktionen oft leichter zu berechnen sind als Integrale @q.t; x/ 2 Y @q.t; x/ 2
LŒq D dx : (8.88)
mit trigonometrischen Funktionen (siehe hierzu auch Kap. 13). 2 @t 2 @x
I
Frage 15
Vollziehen Sie den Übergang zum Kontinuum nach und über-
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder prüfen Sie damit (8.88).
Dieser Abschnitt liefert eine kurze Einführung in den Lagrange- Achtung Offensichtlich haben wir es nun nicht mehr mit
Formalismus für Felder. Durch den Übergang zum Kontinuum einer Lagrange-Funktion, sondern mit einem Lagrange-Funk-
wird die Lagrange-Funktion eines diskreten Systems zu einem tional zu tun (siehe „Mathematischen Hintergrund“ 5.2). J
Lagrange-Funktional der betrachteten Felder. Dieses Funktio-
nal kann als Integral einer Lagrange-Dichte aufgefasst werden. Den Integranden in (8.88) nennt man Lagrange-Dichte L. Die-
Ausgehend vom Hamilton’schen Prinzip lassen sich daraus La- ser Name ist plausibel, da sich das Lagrange-Funktional über
grange-Gleichungen als Bewegungsgleichungen für die Felder Z
ableiten. Dabei lassen sich auch äußere Kräfte berücksichti- L D dx L.x/ (8.89)
gen. Abschließend werden die abgeleiteten Gleichungen auf I
drei Raumdimensionen verallgemeinert.
berechnen lässt. Im Gegensatz zu LŒq ist die Lagrange-Dichte
eine Funktion. Zur Erinnerung soll gesagt werden, dass Funk-
tionale Funktionen auf Zahlen abbilden, während Funktionen
von Funktionen wieder Funktionen sind.
Lagrange-Funktional und Lagrange-Dichte
Die Lagrange-Dichte selbst ist (wie die Lagrange-Funktion)
keine eindeutig bestimmte, messbare Größe, doch ist sie meist
In Abschn. 8.1 wurde bereits erwähnt, dass sich die Bewegungs- der Ausgangspunkt für Feldtheorien. Dies wird vor allem mit
gleichungen des Kontinuums ebenfalls aus einer geeigneten der Lagrange-Dichte des elektrodynamischen Feldes in Kap. 20
Lagrange-Funktion ableiten lassen. Aus Übersichtsgründen ha- deutlich werden.
ben wir uns bisher nicht mit dem Lagrange-Formalismus für
Felder beschäftigt. Dies soll nun in Grundzügen nachgeholt Wir sehen, dass sowohl die Zeit- als auch die Ortsableitung von
werden. q.t; x/ in das Lagrange-Funktional eingehen. An dieser Stelle
ist es nicht mehr direkt offensichtlich, wie sich die Bewegungs-
Wir beginnen der Einfachheit halber in einer räumlichen Di- gleichungen aus dem Lagrange-Funktional bzw. der Lagrange-
mension mit der Lagrange-Funktion der linearen Kette ohne Dichte ableiten lassen. Dies soll nun untersucht werden.
288 8 Kontinuumsmechanik
Ableitung der Bewegungsgleichungen Offensichtlich sind diese Ausdrücke wieder Funktionen von x
und t.
aus dem Lagrange-Funktional
Teil I
t0 und t1 verschwinden soll; wir gehen also vom Hamilton’schen Auch hier trägt der Oberflächenterm (in diesem Fall besteht er
Prinzip aus. Dazu ist es nötig zu fordern, dass die Variation von nur aus den beiden Randpunkten des Intervalls) nicht bei, da
q.t; x/ zu den Zeiten t0 und t1 an jedem Ort x 2 I null ist. die Variation ıq.t; x/ am Rand des betrachteten Ortsintervalls I
Weiterhin soll die Variation zu allen Zeiten an den räumlichen ebenfalls verschwinden soll.
Endpunkten verschwinden (hier: bei x D 0 und x D `).
Bringen wir nun alle Teilergebnisse zusammen, folgt für die Va-
Es sei ıq.t; x/ die Variation von q.t; x/. Dann sind die Variatio- riation der Wirkung schließlich
nen der Ableitungen durch
Zt1 Z
@.ıq/ @.ıq/ @L @ @L @ @L
ı qP D und ıq0 D (8.91) ıS D dt dx ıq: (8.97)
@t @x @q @t @Pq @x @q0
t0 I
gegeben (siehe (5.162)). Für die Variation der Wirkung folgt Frage 16
Zt1 Z Rechnen Sie die Schritte nach, die auf (8.97) führen.
@L @L @L
ıS D dt dx ıq C ı qP C 0 ıq0 ; (8.92)
@q @Pq @q
t0 I Nun nutzen wir noch aus, dass die Variation ıq.t; x/ beliebig ist
(außer dass sie am zeitlichen und örtlichen Rand verschwinden
wobei wir aus Platzgründen die Zeit- und Ortsabhängigkeiten soll). Somit muss die eckige Klammer selbst verschwinden, und
von q.t; x/ nicht explizit aufgeschrieben haben. es folgt die Lagrange-Gleichung für das Feld q.t; x/.
Wie sind nun die Terme @L=@q usw. zu verstehen? Dazu be-
trachten wir q, qP und q0 als unabhängige Variablen. Konkret
Lagrange-Gleichung für eindimensionales Feld
bedeutet dies, dass speziell die Lagrange-Dichte in (8.88) die
folgenden Zusammenhänge erfüllt: Die Lagrange-Gleichung für das eindimensionale Feld
q.t; x/ lautet
@L
D 0; @L @ @L @ @L
@q.t; x/ D 0; (8.98)
@L @q @t @Pq @x @q0
D qP .t; x/; (8.93)
@Pq.t; x/ wobei die Lagrange-Dichte L neben q.t; x/ noch von den
@L beiden Ableitungen qP .t; x/ und q0 .t; x/ abhängen darf.
D Yq0 .t; x/:
@q0 .t; x/
8.4 Lagrange-Formalismus für Felder 289
Achtung Wir sehen, dass wir nur eine einzige Lagrange- Materials offensichtlich wenig geeignet. Wir geben daher noch
Gleichung erhalten, obwohl wir mit q.t; x/ unendlich viele Frei- die Erweiterungen der linearen Kette auf ein dreidimensionales
Teil I
heitsgrade betrachten (da x kontinuierlich ist). Wie ist dies zu elastisches System an. Dazu gehen wir von einem vektorwerti-
verstehen? Gleichung (8.98) ist eine partielle Differenzialglei- gen Feld q.t; r/ aus, da ein dreidimensionaler elastischer Körper
chung in t und x und liefert daher sozusagen für jedes x eine in der Regel in alle Richtungen deformiert werden kann. Die
Bewegungsgleichung. J Koordinaten r und die Verformung q sollen kartesische Größen
sein. Das Lagrange-Funktional lautet dann
Frage 17
Z h i
Zeigen Sie, dass die bereits bekannte Bewegungsgleichung
(8.19) mithilfe der Lagrange-Gleichung (8.98) aus der La- L D d3 r qP 2 .t; r/ V .q; r ı q/ ; (8.102)
2
grange-Dichte in (8.88) folgt. V
Der Gradient eines Vektors q ist also nichts anderes als das
Verallgemeinerung auf drei räumliche Tensorprodukt des Nabla-Operators r und q (hier explizit als
Dimensionen dyadisches Produkt geschrieben; Abschn. 4.3) und entspricht
somit der Jacobi-Matrix von q.
Für die meisten realistischen Anwendungen ist eine eindi- Achtung Der Gradient eines Vektors ist unbedingt von der
mensionale Feldfunktion für die Verformung eines elastischen Divergenz zu unterscheiden. Beim ersten handelt es sich um
290 8 Kontinuumsmechanik
einen Tensor zweiter Stufe, beim zweiten um einen Skalar, da Innere potenzielle Energie
in div q D r q D @i qi über den Index summiert wird. Wir
und Elastizitätstensor
Teil I
Die Größe Cijkl ist vollständig durch die (unter Umständen orts-
Frage 20 abhängigen) Materialeigenschaften festgelegt, die wir hier – wie
Überlegen Sie sich, analog zum Vorgehen, das auf die eindi- beispielsweise eine Federkonstante – als gegeben ansehen kön-
mensionale Lagrange-Gleichung geführt hat, wie man (8.107) nen. Man nennt sie den Elastizitätstensor. Er wird im Kasten
erhalten kann. „Vertiefung: Elastizitätstensor“ näher charakterisiert.
Verzerrungstensor
8.5 Grundlagen
Wir betrachten die möglichen Verformungen eines elastischen
der Elastizitätstheorie Körpers noch etwas genauer. Häufig wird der Gradient der Ver-
formung in zwei Anteile zerlegt:
In diesem Abschnitt wird eine kurze Einführung in die linea-
@i qj D ij D ij C !ij : (8.110)
re Elastizitätstheorie gegeben. Dazu wird der Elastizitätstensor
eingeführt, der die elastischen Eigenschaften des betrachteten Man unterscheidet den symmetrischen Verzerrungstensor (häu-
Materials vollständig beschreibt. Weiterhin wird neben dem fig auch Scherungstensor genannt)
Verzerrungstensor noch der Spannungstensor definiert, der ei-
ne wichtige Größe in Feldtheorien ist und in seiner allgemeinen 1
ij WD ij C ji D ji (8.111)
Gestalt in vielen Bereichen der Physik auftritt. 2
8.5 Grundlagen der Elastizitätstheorie 291
Vertiefung: Elastizitätstensor
Teil I
Vereinfachung durch Symmetriebeziehungen
Die elastischen Konstanten Cijkl bilden den Elastizitätsten- komprimiert wird. Die zweite, , wird auch häufig als Scher-
sor vierter Stufe mit insgesamt 34 D 81 Komponenten. Man modul oder Schubmodul G bezeichnet und charakterisiert das
hat es hier mit einem Tensor vierter Stufe zu tun, da er aus Verhalten des Materials unter Scherung. Der Elastizitätsmo-
dem quadratischen Entwicklungsterm bezüglich des Gradi- dul aus (8.13), der dort nur für ein eindimensionales Medium
enten der Verformungen stammt, der wiederum durch einen definiert wurde, wird für dreidimensionale Materialien durch
Tensor zweiter Stufe beschrieben wird. den Young’schen Elastizitätsmodul
Der Elastizitätstensor erfüllt allerdings eine Reihe von Sym-
.3 C 2/
metriebeziehungen, welche die Anzahl der unabhängigen ED
Komponenten stark reduzieren. In Einführungsbüchern der C
Elastizitätstheorie (Sadd 2009) wird gezeigt, dass die Bedin-
ersetzt, der die Dimension eines Drucks besitzt. Die beiden
gungen
Lamé-Konstanten lassen sich bestimmen, indem Material-
Cijkl D Cjikl ; Cijkl D Cijlk ; Cijkl D Cklij proben verformt und die dabei benötigten Kräfte gemessen
werden.
gelten, die „nur“ 21 unabhängige Komponenten übrig lassen.
Außerdem kann man in vielen Fällen in guter Näherung Es ist zu beachten, dass der Elastizitätstensor nur linea-
Materialien als homogen und isotrop betrachten. Die Ho- re, also kleine Verformungsgradienten beschreibt. Außerdem
mogenität hat zur Folge, dass der Elastizitätstensor nicht berücksichtigt diese einfache Theorie nicht die Plastizität.
vom Ort abhängt, was das Lösen der Bewegungsgleichungen Dabei handelt es sich um irreversible Verformungen, die
stark vereinfacht. Durch die Isotropie bleiben schließlich nur durch Umwandlung von mechanischer Energie in Wärme
noch zwei unabhängige Parameter übrig. Man schreibt den entstehen. Ganze Wissenschaftszweige, vor allem im Inge-
Elastizitätstensor dann häufig in der einfachen Form nieurswesen, beschäftigen sich mit nichtlinearen, nichtho-
mogenen oder plastischen Materialeigenschaften. Die Auto-
Cijkl D ıij ıkl C ıik ıjl C ıil ıjk :
mobilindustrie – um nur ein Anwendungsfeld zu nennen –
Man nennt und die erste und zweite Lamé-Konstante. Die ist bestrebt, leichtere, festere und günstigere Materialien für
erste, , beschreibt, wie sich das Material verhält, wenn es Karosserien zu entwickeln.
x x x Scherung
! = 0, ² = 0 ! = 0, ² = 0 ! = 0, ² = 0
Eine der einfachsten Verformungen ist eine Scherung:
Abb. 8.13 Durch die Zerlegung (8.110) werden Drehungen und Verzerrun- Ein elastischer Quader sei in der x-z-Ebene geschert
gen voneinander getrennt. Allgemeine Verformungen (rechts ) lassen sich als (Abb. 8.14). Dabei werden die Massenelemente entlang
Überlagerung einer reinen Drehung (links ) und einer reinen Verzerrung (Mitte ) der x-Achse verschoben, und man kann zunächst
darstellen
q.t; x/ D qx .z/Oex (8.113)
und den antisymmetrischen Drehungstensor schreiben, d. h., die Verformung hängt von der Lage z
der Massenelemente ab, nicht jedoch von x oder y; au-
1
!ij WD ij ji D !ji : (8.112) ßerdem sei die Verformung statisch, also zeitunabhängig.
2 Die Scherung soll linear in z sein:
Während !.t; r/ die Drehung eines lokalen Elements des Kör-
pers beschreibt, die Winkel und Längen invariant lässt (Auf- L
qx .z/ D z: (8.114)
gabe 8.6), erfasst .t; r/ eine tatsächliche Verzerrung am Ort r H
(Abb. 8.13).
292 8 Kontinuumsmechanik
z Es folgt
Teil I
@L @L @L
D fm ; D qP m ; D Cmnkl kl :
@qm @Pqm @mn
(8.118)
Die letzte Gleichung gilt wegen
ΔL
H @kl
D ımk ınl ; (8.119)
@mn
y
x da alle Elemente von unabhängig sind.
B
L
Die Bewegungsgleichungen des linearen elastischen Me-
diums lauten also
Abb. 8.14 Zur Scherung eines Quaders in der x-z-Ebene. Die Scherung
wird durch das Verhältnis L=H D const definiert qR m D @n .Cmnkl kl / C fm ; (8.120)
Teil I
nungstensor für die Dynamik. An dieser Stelle sind einige
Erklärungen notwendig. dA
V
Interpretation des Spannungstensors
eines Körpers verlaufen. Hier ist v D .vj / ein Vektorfeld und dA D .dAj / das orientierte
Stellen wir uns einen unbeschleunigten, aber deformierten elas- Flächenelement derjenigen Oberfläche @V, die das Volumen V
tischen Körper vor. Dieser wird wegen qR D 0 also durch die einschließt (Abb. 8.15). Die Richtung nO von dA D dA nO zeigt
Gleichung dabei senkrecht zur lokalen Oberfläche nach außen (d. h. fort
0 D div C f (8.125) vom eingeschlossenen Volumen); nO hängt also vom Ort ab.
beschrieben. Man spricht dann auch von der Statik. Aus Gleichung (8.127) lässt sich auf Tensorfelder beliebiger Stufe
der Newton’schen Mechanik wissen wir, dass unbeschleunig- verallgemeinern, hier dargestellt für einen Tensor zweiter Ord-
te Punktmassen insgesamt keine Kraft erfahren. Dies muss hier nung: • —
genauso für jedes beliebige Volumenelement gelten. Somit sieht .@j ij / dV D ij dAj : (8.128)
man bereits, dass es sich bei div um eine innere Kraft han-
deln muss, die vom Verzerrungszustand abhängt und gerade V @V
Oberflächenkräfte durch das elastische Material selbst erzeugt tionsgrenzen konstant, und das gesamte Oberflächeninte-
(genauer gesagt: durch seine Verzerrung). Es handelt sich dabei gral lautet einfach
sozusagen um die elastischen Rückstellkräfte, welche die Verzer- a a a a
rung auszugleichen versuchen. Wie bereits erwähnt, muss sich in ID C C C a a A D 0; (8.136)
2 2 2 2
der Statik die Verzerrung gerade so einstellen, dass die damit
verbundene Spannung überall die Volumenkraft kompensiert. wobei A D a2 die Fläche jeder Seite ist – in Übereinstim-
mung mit dem Gauß’schen Satz und der verschwinden-
Zur Veranschaulichung der Oberflächenintegration betrachten
den Divergenz. J
wir ein Beispiel.
+e
by
Diese Gleichungen kann man direkt aufintegrieren:
Teil I
σ +y
xz D Cxz ; yz D Cyz ; zz D Czz C gz: (8.141)
dF +y Hier sind die Cij Konstanten, die in der Bewegungsglei-
σ −x f dV dF +x
chung keine Rolle spielen. Über die anderen Kompo-
nenten des Spannungstensors können wir keine Aussage
−b
ex ex
+b
treffen. Entscheidend ist jedoch der zweite Term von zz :
dF −x
Die Größe gz beschreibt gerade die Inhomogenität der
σ +x Spannung, die nötig ist, um die Gravitationskraft zu kom-
pensieren.
Um besser zu verstehen, wie nun die Divergenz der
Spannung die Rolle einer Kraft übernimmt, legen wir in
dF −y σ −y Gedanken zwei Ebenen durch den Faden: die erste, A0 ,
bei z0 , die zweite, A00 , bei z00 D z0 C dz. Diese beiden Flä-
−ey chen grenzen ein kleines Fadenvolumen dV D A dz ein.
Es zeigen sowohl A0 als auch A00 von dem eingeschlosse-
Abb. 8.16 Ein Volumenelement (hier zur besseren Übersicht nur in zwei nen Volumenelement fort, wie in Abb. 8.17 gezeigt.
Dimensionen dargestellt) kann eine Volumenkraft f dV (rot ) und Oberflächen-
kräfte (blau ) erfahren. Auf jeder Seite sei eine konstante Spannung definiert, z
die über den Normalenvektor auf eine entsprechende Flächenkraft führt, die all-
gemein nicht parallel zum Normalenvektor ist. In diesem Fall ist die Summe aller
Kräfte gerade null, sodass (8.125) gilt
n
Es muss noch erläutert werden, warum nur Inhomogenitäten des
Spannungstensors (ausgedrückt durch seine Divergenz) in die σzz
z
A
Bewegungsgleichung eingehen und nicht selbst. Dies soll am
Beispiel der Spannung in einem hängenden Faden veranschau- dV dz
licht werden. Der Spannungstensor für die Scherung in (8.116)
σzz
wird in Aufgabe 8.7 bestimmt. A z
g n
Faden im Gravitationsfeld
A
Stellen wir uns einen statischen Faden mit Querschnitts-
fläche A vor, der von der Decke herabhängt (Abb. 8.17).
Durch die Gravitation g D gOez wirkt eine äußere Kraft Abb. 8.17 Faden im Gravitationsfeld. Wegen der Gravitationsbe-
schleunigung g sind die Spannungen zz0 und zz00 auf den Querschnitts-
auf den Faden, und es wird sich ein Spannungszustand flächen A0 und A00 nicht gleich
einstellen, sodass (8.125) gilt. Die Spannungen im Fa-
den müssen also
A0 D A nO 0 D AOez ; A00 D A nO 00 D CAOez : (8.142)
@j xj D 0; @j yj D 0; @j zj D g (8.139)
Die Gravitationskraft, die auf das Volumen dV wirkt, ist
erfüllen. Für den Faden heißt dies, dass er trotz der Gra-
vitationskraft nicht beschleunigt wird, da an jedem Punkt Fz D g dV D gA dz: (8.143)
des Fadens die Gravitation durch die Divergenz des Span-
nungstensors genau ausgeglichen wird. Nun soll untersucht werden, welche Kraft durch die
Spannung auf dieses Volumenelement wirkt und ob sie
Wir können hier in guter Näherung annehmen, dass die die Gravitationskraft tatsächlich genau kompensiert. Die
Spannung sich über die Querschnittsfläche des Fadens Spannungen am Ort der beiden imaginären Flächen sind
nicht ändert. Dies bedeutet, dass Ableitungen von nach
x und y alle verschwinden. Es verbleibt zz0 D gz0 ; zz00 D gz00 > zz0 ; (8.144)
@z xz D 0; @z yz D 0; @z zz D g: (8.140) wobei wir die Konstante Czz gleich null gesetzt haben.
296 8 Kontinuumsmechanik
durch die Spannungen an den Flächen A0 und A00 erzeugt werden viele neue Begriffe eingeführt. Aufgrund ihrer Wichtig-
werden. Diese Kräfte müssen entlang der z-Achse wirken. keit in vielen physikalischen und ingenieurswissenschaftlichen
Auf die Ebene A0 wirkt die Kraft Bereichen und wegen ihrer direkten Abstammung von der New-
ton’schen Mechanik soll hier aber nicht auf eine kompakte
Fz0 D zz0 A0z D zz0 A; (8.145) Einführung in die Fluiddynamik verzichtet werden.
Teil I
schn. 8.5 gesehen haben. Hier ist allerdings zu beachten, dass
eine Fläche im Inneren eines Materials zwei Seiten hat (eine
in Richtung von n, O eine in Richtung von n). O Daher wirken
im Allgemeinen Kräfte von beiden Seiten auf die Fläche. Ist
ri der Druck auf beiden Seiten identisch, so heben sich die beiden
Kräfte, die auf jeweils eine Seite der Fläche wirken, gegensei-
tig auf, und die Fläche erfährt keine Gesamtkraft. Wir erkennen
d also, dass wir nur dann eine Nettokraft erwarten können, wenn
der Druck nicht konstant ist, wie wir später noch sehen werden.
Tatsächlich ist der Druck P Teil des Spannungstensors und wird
in Fluiden leicht abweichend definiert: Es handelt sich dort um
den (negativen) isotropen Anteil des Spannungstensors , der
folgendermaßen über die Spur definiert ist:
L Sp . / ii
PD D : (8.150)
Abb. 8.18 Für den Kontinuumslimes wird ein Volumen mit Kantenlänge L in 3 3
Untervolumina mit Kantenlänge ` aufgeteilt, wobei ` noch groß gegenüber dem Somit lässt sich der Spannungstensor auch als
mittleren Abstand der Moleküle sein soll. Die diskreten Koordinaten ri dieser
0
Untervolumina werden dann durch eine kontinuierliche Variable r ersetzt, was D PI C (8.151)
im Fall ` L möglich ist 0
schreiben, wobei I die Einheitsmatrix und der spurfreie An-
teil des Spannungstensors ist.
über viele Moleküle in einem Würfel mitteln kann), zum anderen
Der mechanische Druck Pm und der auf dem Spannungstensor
aber klein gegenüber der Größe L des zu betrachtenden Systems
basierende Druck P sind nur identisch, wenn man Pm in (8.149)
(wie z. B. ein Eimer mit Wasser). Dies ist in Abb. 8.18 illustriert.
über alle Orientierungen nO mittelt. Um das zu sehen, setzen wir
Frage 24 (8.151) in (8.138) ein und finden
Es hat sich gezeigt, dass für die oben angedeutete Mittelung be- dF D PdA C 0
dA: (8.152)
reits kleine „Würfelchen“ mit etwa 103 Molekülen hinreichend
groß sind. Schätzen Sie ab, wie groß die Seitenlänge dieses Multiplikation mit dA=dA2 führt unmittelbar auf
Würfels dann für Wasser wäre. ˇ ˇ
Pm D ˇP C . 0 n/
O nO ˇ : (8.153)
In diesem Fall können wir jedem dieser Würfel eine mittlere Ge- Frage 25
N ri /
N ri /, Massendichte N.t; ri / und Druck P.t;
schwindigkeit u.t;
Überprüfen Sie diese Rechnung.
zuordnen. Im Grenzfall L=` ! 1 und unter der Zusatzbedin-
gung `=d 1 kann man dann u.t; r/, .t; r/ und P.t; r/ als
kontinuierliche Felder einführen. Offensichtlich sind Pm und P im Allgemeinen nicht identisch,
Die statistische Physik beschäftigt sich beispielsweise mit der da der Term ij0 nO i nOj nicht zwangsläufig verschwindet. Mittelt
Frage, wie sich der Druck in solch einer Situation aus den mo- man allerdings über alle Orientierungen von n, O so gilt
lekularen Eigenschaften des Fluids ergibt. Wir wollen hier nicht “
˝ ˛ 1 ıij
im Detail darauf eingehen, werden den Druck aber nun mecha- nO i nOj D d nO i .#; '/Onj .#; '/ D ; (8.154)
nisch genauer definieren. 4 3
und man erhält (im Mittel) ij0 ıij D ii0 D 0, da 0 laut Konstruk-
tion spurfrei ist.
Mechanische Definition des Drucks Frage 26
Das Ergebnis in (8.154) kann man zeigen, indem die Integration
Mechanisch ist der Druck Pm auf eine kleine Fläche dA D dA nO in Kugelkoordinaten durchgeführt wird, wobei
nichts weiter als der Betrag der Komponente einer Kraft dF, die 0 1
senkrecht auf der Fläche steht (und damit parallel zu nO ist): sin # cos '
nO D @ sin # sin ' A (8.155)
jdF? j j.dF n/
O nj
O cos #
Pm WD D : (8.149)
dA dA
zu verwenden ist. Fleißige Leser können dies explizit nachrech-
Dabei muss es sich bei dA nicht um einen Teil der Begren- nen.
zung eines Gefäßes handeln; man kann auch die Kraft auf eine
298 8 Kontinuumsmechanik
Kontinuitätsgleichung
Teil I
Abb. 8.19 Ein in einem Behälter eingeschlossenes Fluid übt einen Druck auf Massenstrom
das Gefäß aus. Der Druck ist der mittlere Impulsübertrag pro Zeit und Fläche,
wenn Moleküle an der Wand reflektiert werden (die Geschwindigkeitsvektoren
der Moleküle sind als Pfeile dargestellt) Stellen wir uns eine Flüssigkeitsströmung mit homoge-
ner Geschwindigkeit u und konstanter Dichte vor. Eine
Flüssigkeitsmenge legt dann in einer infinitesimalen Zeit
Die Drücke Pm und P sind also gleichwertig in dem Sinne, dt die Strecke ds D u dt D unO dt zurück. Betrachten
dass P der orientierungsgemittelte mechanische Druck an einem wir eine gedachte infinitesimale Fläche, die so orien-
Punkt im Fluid ist. Insbesondere ist der Druck P in einem oben tiert ist, dass die Flüssigkeit senkrecht hindurchströmt
erwähnten Würfel mit Kantenlänge ` dann der Mittelwert der (Abb. 8.20): dA D dA n. O
Drücke, die auf jede der sechs Würfelseiten wirken.
dA
Es gibt verschiedene Ursachen von Drücken in der Physik. In
Fluiden wird der Druck durch die Eigenbewegung der Mole-
küle erzeugt, die sich ständig mit endlichen Geschwindigkeiten
bewegen und dabei gegen die Gefäßwände stoßen, selbst wenn n u
das Fluid augenscheinlich ruht (Abb. 8.19).
An dieser Stelle reicht es zu sagen, dass dieser thermody- dV
namische Druck proportional zum Quadrat der mittleren Ge-
schwindigkeit hv 2 i der Moleküle und somit proportional zur
Temperatur T des Fluids ist. Dies hängt mit dem sogenannten
Gleichverteilungssatz zusammen, der in der statischen Physik
u dt
besprochen wird (Abschn. 36.2). Hier fragen wir nicht weiter
nach den mikroskopischen Ursachen, sondern sehen den Druck Abb. 8.20 Zur Veranschaulichung des Massenflusses j
als zusätzliches Skalarfeld P.t; r/ an, das bei der makrosko-
pischen Beschreibung nicht vernachlässigt werden darf. Dann ist in dieser Zeit durch diese Fläche ein Flüssig-
keitsvolumen
Luftdruck
dV D ds dA D dt dA u nO D dt dA u (8.156)
An der Erdoberfläche herrscht ein Luftdruck von durch-
schnittlich rund 105 Pa (Pascal bzw. Newton pro Qua- geströmt. Die damit verbundene Masse ist
dratmeter). Dies entspricht der Gewichtskraft von 104 kg,
also 10 t, auf 1 m2 ! Wir spüren davon nichts, da in unse- dm D dV D dt dA u; (8.157)
rem Körper derselbe Druck herrscht und dem Luftdruck
entgegenwirkt. Allerdings nimmt beim Tauchen der Was- und die Masse, die pro Zeit durch diese Fläche fließt, ist
serdruck etwa alle 10 m um weitere 105 Pa zu, was man
vor allem in den Ohren spürt. dm
j WD D u; (8.158)
dt dA
Dieser Druckanstieg wird durch die nach unten zuneh-
mende Gewichtskraft erzeugt, mit der die Luft- bzw. was wir als Massenstrom oder Massenfluss definieren. Da
Wassersäule auf dem darunterliegenden Wasser lastet. der Massenstrom aber eine gerichtete Größe ist, schreibt
Dies wird später in einem Beispiel vorgerechnet. man allgemein
j WD u: (8.159)
In Abschn. 33.5 wird mehr über den Druck und seine phy-
sikalischen Einheiten gesagt. J J
8.6 Ideale Fluiddynamik 299
Teil I
n n
∂V
Massenstromdichte dA j
V V
Die Massenstromdichte lässt sich an jedem Ort allgemein j
∂V
als
j.t; r/ D .t; r/u.t; r/ (8.160)
schreiben. Sie gibt an, wie viel Masse sich pro Zeiteinheit
durch eine bestimmte Querschnittsfläche in eine bestimm-
Abb. 8.21 Die Divergenz eines Vektorfeldes gibt an, wie viel Fluss aus einem
te Richtung bewegt.
H Im linken Beispiel ist die Divergenz im Volumen V positiv, da
Punkt heraustritt.
ein Nettofluss @V j dA > 0 vorliegt. Im rechten Beispiel verschwindet die
Divergenz, da der einlaufende vom auslaufenden Fluss kompensiert wird
Wir betrachten ein beliebiges, aber zeitlich konstantes Volumen
V mit geschlossener Oberfläche ” @V. Die Masse, die sich in die-
sem Volumen befindet, ist M D V dV. Sie kann sich zeitlich
ändern, genau dann, wenn gleichzeitig ein entsprechender Mas- Kontinuitätsgleichung
senbeitrag in Form von j entweder durch die Oberfläche @V ab-
oder einfließt. Angenommen, die Masse ändert sich in der Zeit Die Massenerhaltung von Fluiden lässt sich durch die lo-
dt um dM, so muss kale Bilanzgleichung
• —
dM @ @ @
MP D D dV D j nO dA (8.161) D div j bzw: D div . u/ (8.164)
dt @t @t @t
V @V
ausdrücken, die an jedem Ort r und zu jeder Zeit t gilt.
sein, wobei dA D dA nO das nach außen zeigende Flächen- Es handelt sich also um eine in und u lineare partielle
element ist. Die Zeitableitung kann in das Integral gezogen Differenzialgleichung erster Ordnung.
werden, da die Integrationsgrenzen als konstant gefordert wur-
den.
Frage 27 Bilanzgleichungen der Form (8.164) sind sehr wichtig in der
Physik und kommen in Feldtheorien häufig vor: Auf der linken
Vergewissern Sie sich, dass das Vorzeichen in (8.161) korrekt
Seite steht die partielle Zeitableitung der Dichte einer erhalte-
ist. Stellen Sie sich dazu eine Situation vor, in welcher der Strom
nen Größe und auf der rechten die Divergenz des zugehörigen
j überall nach außen zeigt, und fragen Sie nach den Vorzeichen
P Stromes. Gleichung (8.164) ist also ein Beispiel für einen dif-
von j nO und M.
ferenziellen Erhaltungssatz. Dies wird in Teil II und III noch
deutlicher herausgearbeitet. Anschaulich bedeutet (8.164), dass
Wie in Abschn. 8.5 brauchen wir nun wieder den Satz von alles, was nicht an einem Ort bleibt, von diesem Ort wegfließen
Gauß, um Oberflächen- und Volumenintegrale ineinander zu muss.
überführen. Diesmal soll allerdings das Oberflächenintegral in Wir haben mit der Kontinuitätsgleichung (8.164) als Bilanzglei-
(8.161) in ein Volumenintegral einer Divergenz umgeformt wer- chung die erste Feldgleichung gefunden, welche die Dynamik
den. Hier lautet der Satz von Fluiden beschreibt. In Aufgabe 8.8 wird sie anhand eines
— • Beispiels vertieft.
j dA D div j dV: (8.162)
@V
Kommen wir zurück zum bereits vorgestellten Beispiel Wir sind fast am Ziel, doch muss nun noch der Druck P be-
einer homogenen Strömung mit u D const: Nehmen rücksichtigt werden. Es wurde bereits diskutiert, dass der Druck
den isotropen Anteil des Spannungstensors ausmacht. In der
8.6 Ideale Fluiddynamik 301
idealen Fluiddynamik gibt es keinen spurfreien Anteil der Span- Tab. 8.1 Vergleich von erhaltenen Größen in der Fluiddynamik sowie ihren
nung, d. h., der in (8.151) definierte Anteil 0 verschwindet hier, Dichten, Strömen und Erhaltungssätzen. Der Gesamtimpuls ist nur erhalten,
wenn keine äußere Kräfte wirken
Teil I
und man kann zunächst
Größe Dichte Strom Erhaltungssatz
D PI (8.171) Masse jD u Kontinuitätsgleichung (8.164)
Impuls u M D uıu Euler-Gleichung (8.173)
schreiben.
Wir wissen, dass nicht der Spannungstensor selbst, sondern nur Zustandsgleichung
seine Divergenz in die Bewegungsgleichung eingeht. Es ist
div D div .PI/ D grad P: (8.172) Es fehlt an dieser Stelle noch eine Gleichung für die Dichte .
Gase ändern beispielsweise ihre Dichte mit dem Druck, dem
sie ausgesetzt sind. Ein ideales Gas, das in einem Volumen V
Es tritt also der Druckgradient in der Impulsgleichung auf.
eingesperrt ist, erfüllt bei konstanter Temperatur
Frage 30
PV D const: (8.174)
Zeigen Sie diese Identität mithilfe der Indexschreibweise.
Es ist also / P, da / 1=V gilt. Ideale Gase werden im
Rahmen der statischen Physik in Teil IV gründlich behandelt
Somit finden wir schließlich die Euler-Gleichung für ideale (Abschn. 35.3). Gase sind kompressible Fluide, deren Dichte
Fluide, bei denen innere Reibungseffekte und somit die Visko- vom Druck abhängt. Im Allgemeinen muss man also eine Zu-
sität vernachlässigt werden. standsgleichung .P/ angeben, welche die letzte verbleibende
Gleichung ist, die wir zur Beschreibung von idealen Fluiden be-
nötigen.
Euler-Gleichung für ideale Fluide
Wasser ist ein Beispiel für eine praktisch inkompressible Flüs-
Die Impulsdichte u genügt der Euler-Gleichung sigkeit, d. h., die Dichte von Wasser ist in sehr guter Näherung
und für alle praktischen Anwendungen stets konstant, auch
@. u/ wenn sich der Druck stark ändert: D const. Die Dichte ist
D div . u ı u/ grad P C f (8.173)
@t also zeit- und ortsunabhängig und kann vor alle Ableitungen
gezogen werden.
an jedem Ort r und zu jeder Zeit t. Dies sind drei
nichtlineare partielle Differenzialgleichungen. Wir sehen, dass es verschiedene Fluide gibt, die sich stark in
ihrer Zustandsgleichung unterscheiden. Die funktionale Form
.P/ wird durch die mikroskopische Natur der Fluide festgelegt;
Diese drei Gleichungen (eine für jede Komponente von u) bil- dies zu untersuchen, ist Aufgabe der statistischen Physik, auf
den zusätzlich zur Kontinuitätsgleichung (8.164) weitere Feld- die wir hier nicht näher eingehen wollen.
gleichungen zur Beschreibung von idealen Fluiden. Da wir mit Für inkompressible Fluide vereinfachen sich die bisher gefun-
, u und P aber fünf Felder haben, benötigen wir auch noch eine denen Feldgleichungen.
fünfte Feldgleichung, um Fluide vollständig charakterisieren zu
können. Wir kommen in Kürze darauf zurück.
Dynamik idealer, inkompressibler Fluide
Achtung Eigentlich müssen auch noch die Energieerhaltung
und der Wärmetransport in den Fluiden berücksichtigt werden. Die Feldgleichungen idealer, inkompressibler Fluide lau-
Dies führt mit der Energiedichte auf ein weiteres Feld und mit ten
der Energiegleichung auf eine weitere partielle Differenzialglei-
0 D div u;
chung. Die Diskussion der Energieerhaltung in Fluiden ist aber
erst dann sinnvoll, wenn die Grundlagen der Thermodynamik @u (8.175)
D div .u ı u/ grad P C f ;
bereits behandelt und die Begriffe „Temperatur“ und „Entropie“ @t
definiert wurden. Dies wird erst in Teil IV geschehen. Es lässt
sich allerdings bereits sehr viel über Fluiddynamik sagen, oh- wobei D const die Zustandsgleichung ist.
ne die Energieerhaltung zu berücksichtigen (tatsächlich sind für
ideale Fluide die Impulsgleichung und die Energiegleichung bis
auf einen Faktor identisch und damit redundant). J Frage 31
Leiten Sie (8.175) aus (8.164) und (8.173) ab. Zeigen Sie wei-
Tabelle 8.1 fasst die beiden erhaltenen Größen Masse und terhin die Äquivalenz
Impuls mit ihren Dichten, Strömen und Erhaltungssätzen zu-
sammen. div .u ı u/ D .u r /u; (8.176)
302 8 Kontinuumsmechanik
die für inkompressible Flüssigkeiten gilt. Dazu betrachtet man auch kompakter als
am besten die Gleichung in Komponentenschreibweise und
Teil I
zeigt dann du
D grad P C f (8.182)
@j .ui uj / D uj @j ui : (8.177) dt
formuliert werden.
Man nennt die vollständige Ableitung du=dt auch die konvekti-
Man nennt die erste Gleichung in (8.175) auch die Divergenz- ve oder substanzielle Ableitung der Geschwindigkeit. Ihr erster
freiheit des Geschwindigkeitsfeldes, die sich als inkompressi- Beitrag, @u=@t, erfasst nur die zeitliche Änderung an einem fes-
bler Spezialfall aus der Kontinuitätsgleichung ergibt. Sie ist ten Punkt im Raum. Aber .u r /u beschreibt die Änderung,
wesentlich einfacher als die Kontinuitätsgleichung, da sie kei- die sich aufgrund der Bewegung zusammen mit der Flüssigkeit
ne Zeitableitung mehr enthält. ergibt, da die Geschwindigkeit in der Regel an verschiedenen
Orten verschiedene Werte hat.
Wassersäule im Gravitationsfeld
Wasserfall
Wir betrachten ein sehr einfaches Beispiel: eine ruhen-
de Wassersäule (Dichte w ) im Gravitationsfeld. Dann ist Wir betrachten dazu als Beispiel einen Wasserfall, von
u D 0 und f D w g. Bei u D 0 spricht man auch von der dem wir zur Vereinfachung annehmen, dass sein Strö-
Hydrostatik. Die Kontinuitätsgleichung ist trivial erfüllt, mungsfeld stationär, also nur eine Funktion des Ortes,
und die Euler-Gleichung wird zu ist: u.r/. Dies bedeutet, dass das Wasser an einem festen
Punkt stets mit derselben Geschwindigkeit strömt. Dies
grad P D w g; (8.178) impliziert sofort @u=@t D 0. Lässt man jedoch ein klei-
nes Boot auf dem Wasser treiben (Abb. 8.22), so wird
d. h., der Druck nimmt nach unten (also in Richtung von dieses beim Sturz im Wasserfall seine Geschwindigkeit
g) zu, um die Gravitationskraft auszugleichen. Wählen vergrößern; es wird also zusammen mit dem Wasser be-
wir das Koordinatensystem so, dass g D gOez gilt, dann schleunigt. Diese Geschwindigkeitsänderung wird gerade
ist die Lösung für den Druck einfach durch .u r /u beschrieben.
P D P0 w gz; (8.179)
@u Frage 32
C .u r /u D grad P C f : (8.180)
@t Unter welchen Umständen gilt @u=@t 6D 0 und gleichzeitig
.u r /u D 0?
Dies kann wegen u D u.t; r/ mithilfe der Kettenregel
du @u dr @u In ihrer Form (8.182) erkennt man am besten, dass die Euler-
D C r uD C .u r /u (8.181)
dt @t dt @t Gleichung eine Verallgemeinerung des zweiten Newton’schen
8.7 Viskosität und Navier-Stokes-Gleichung 303
Axioms pP D F ist. Dabei wird der Impuls p durch seine Dichte Wärme umgewandelt wird. In diesem Abschnitt soll eine Erwei-
j D u und die Kraft F durch ihre Dichte f ersetzt. Der Druck- terung der Euler-Gleichung (8.173) diskutiert werden, welche
Teil I
gradient kann als zusätzlicher Kraftbeitrag angesehen werden, die sogenannte Viskosität eines Fluids berücksichtigt.
der mit den Methoden der Thermodynamik begründet werden
kann. Man hätte die inkompressible Euler-Gleichung auch di- Viskosität ist jedem aus dem Alltag geläufig: Man kann in Was-
rekt ausgehend vom zweiten Newton’schen Axiom aufstellen ser nicht so schnell laufen wie in der Luft, und Honig tropft nur
können; wir sind jedoch einen anderen Weg gegangen, um an sehr langsam von einem Löffel auf das Brötchen. Beide Effek-
die Spannungen der Kontinua anzuschließen. te rühren daher, dass Fluide eine innere Reibung erfahren, wenn
sie fließen. Für Honig ist sie sehr viel größer als für Wasser oder
gar für Luft.
Aufgrund eines zusätzlichen Impulstransportmechanismus (der
Cauchy-Gleichung durch die endliche freie Weglänge der Moleküle verursacht
wird) kommt es zu Viskosität. Dies bedeutet, dass man die vis-
Die allgemeinste Impulsgleichung, die man für ein nichtrelati- kosen Effekte durch einen additiven Zusatzterm in der Euler-
vistisches Kontinuum angeben kann, ist die Cauchy-Gleichung. Gleichung (8.173) bzw. einen Beitrag zum Spannungstensor der
Sie lautet Flüssigkeit berücksichtigen muss.
dj
D div C f : (8.183)
dt
Hier wird nicht näher spezifiziert, welche Form der Spannungs- Ableitung des viskosen Reibungsterms
tensor hat; es wird lediglich verlangt, dass die Impulsdichte
sich durch äußere Kräfte oder Inhomogenitäten der Spannungen
ändert – unabhängig davon, welche funktionale Form der Span- Um die viskose Reibung in die Euler-Gleichung einzubauen,
nungstensor besitzt. Für elastische Stoffe beinhaltet er einen müssen wir uns überlegen, welche Eigenschaften sie erfüllt. Es
elastischen Term (z. B. Cijkl kl ). Ideale Fluide erfüllen dagegen gibt zwar rigorose Methoden, um den Reibungsterm aus den
D PI. Für viskose Flüssigkeiten, die nun besprochen wer- mikroskopischen Eigenschaften der Fluide abzuleiten, doch ist
den, ergibt sich noch ein Zusatzterm. dies an dieser Stelle zu aufwendig – solche Ableitungen werden
in Büchern über die kinetische Theorie der Gase durchgeführt,
was wiederum ein gutes Verständnis der statistischen Physik
voraussetzt (Hänel 2004). Tatsächlich lässt sich aber der visko-
8.7 Viskosität und Navier-Stokes- se Zusatzterm relativ leicht durch physikalische Überlegungen
Gleichung konstruieren, was für unsere Zwecke völlig ausreicht und in
vielen Büchern über Fluiddynamik ähnlich gehandhabt wird
(Landau & Lifshitz 1991).
In realen Fluiden finden innere Reibungsprozesse statt. Dieser
Effekt bildet – neben dem advektiven Transport – einen zu- Aus Kap. 1 wissen wir, dass Reibungskräfte mit Relativge-
sätzlichen Mechanismus für den Impulstransport. Die Euler- schwindigkeiten zusammenhängen: Bewegt sich beispielsweise
Gleichung muss daher um einen entsprechenden Term erweitert eine Masse in einem Wasserbehälter, so ist die Stokes’sche Rei-
werden, der die sogenannte Viskosität (d. h. die Zähigkeit eines bungskraft proportional zur Geschwindigkeit der Masse relativ
Fluids) beinhaltet. Die sich daraus ergebenden Navier-Stokes- zum umgebenden Wasser. Wir wollen also auch hier verlan-
Gleichungen sind von entscheidender Bedeutung in vielen Be- gen, dass die viskose Reibung ebenfalls proportional zu einer
reichen der Physik sowie des Ingenieurswesens. Geschwindigkeitsdifferenz ist. Doch was bedeutet Geschwin-
digkeitsdifferenz in einer Flüssigkeit?
Dieser Abschnitt kann nur eine grundlegende Einführung in
der Physik nichtidealer Fluide liefern. Es wird die funktiona- Wir stellen uns zunächst zwei Flüssigkeitsschichten vor, die sich
le Form des Viskositätsterms des Spannungstensors bzw. der parallel zueinander bewegen (Abb. 8.23). Die obere habe die
Navier-Stokes-Gleichung abgeleitet und mit dem sogenannten Geschwindigkeit uC , die untere u 6D uC . Beide Schichten
Poiseuille-Fluss eine analytische Lösung der Navier-Stokes- haben die Dicke h, sodass man sagen kann, dass die Geschwin-
Gleichungen bestimmt. digkeitsdifferenz ıu WD uC u über einen Abstand h auftritt.
Wir nehmen nun an, dass eine in ıu lineare Reibungskraft
Aıu
FC D D F (8.184)
Viskosität h
Teil I
Nun wollen wir noch zum dreidimensionalen Fall überge-
hen und die entsprechenden Feldgleichungen formulieren. In
(8.187) ist u durch u zu ersetzen und die Ableitung nach h Die Navier-Stokes-Gleichung ist wesentlich realistischer für all-
durch den Gradienten r . Wir wissen, dass der Spannungsten- tägliche Probleme als die Euler-Gleichung, da alle Flüssigkeiten
sor ein Tensor zweiter Stufe ist. Dies führt auf den viskosen viskos sind.
Spannungstensor für ein beliebiges Geschwindigkeitsfeld, den
man zusätzlich noch symmetrisiert: Der antisymmetrische An- Zur Veranschaulichung berechnen wir eine der einfachsten Lö-
teil .@i uj @j ui / spielt keine Rolle, da er wie in (8.112) nur eine sungen, welche die Navier-Stokes-Gleichung erlaubt.
reibungsfreie Drehung beschreibt; er tritt in den Feldgleichun-
gen nicht auf.
Poiseuille-Fluss
Viskoser Spannungstensor
Wir betrachten zwei unendlich ausgedehnte Platten paral-
Für ein beliebiges Strömungsfeld u.t; r/ lautet der Beitrag lel zur x-y-Ebene mit Abstand 2D (Abb. 8.24). Wir den-
der viskosen Reibung zum Spannungstensor ken uns den Zwischenraum mit einer viskosen Flüssigkeit
(Viskosität , Dichte ) gefüllt. Durch einen konstanten
D grad u C .grad u/> (8.189) Druckgradienten entlang der (negativen) x-Achse wird
eine Strömung erzeugt. Gravitation wird vernachlässigt.
Diese Konfiguration nennt man ebenen Poiseuille-Fluss
bzw. (nach dem französischen Physiker Jean Louis Léonard
;ij D @i uj C @j ui : (8.190) Marie Poiseuille, 1797–1869). Er lässt sich analytisch lö-
sen, wie nun gezeigt wird.
Navier-Stokes-Gleichung D
für inkompressible Flüssigkeit
∇P
Für eine inkompressible Flüssigkeit ( D const) lautet die x
Impulsgleichung statt (8.182) ux (z)
D
du
D grad P C u C f : (8.191)
dt
Sie wird auch inkompressible Navier-Stokes-Gleichung Abb. 8.24 Der ebene Poiseuille-Fluss ist die Strömung, die sich durch
einen konstanten Druckgradienten zwischen zwei parallelen Platten er-
genannt (nach dem französischen Mathematiker und Phy- gibt
siker Claude Louis Marie Henri Navier, 1785–1836, und
dem irischen Mathematiker und Physiker Sir George Ga- Um die Navier-Stokes-Gleichungen lösen zu können,
briel Stokes, 1819–1903). brauchen wir im Allgemeinen Rand- und Anfangsbe-
dingungen. Die Randbedingungen sind derart, dass die
Flüssigkeit an den Platten ruht, also u.z D ˙D/ D 0.
Frage 34 Diese Randbedingung (auch Haftbedingung genannt) gilt
Zeigen Sie mithilfe der Inkompressibilität der Flüssigkeit, dass an fast allen Kontaktflächen und ist experimentell sehr gut
div D u (8.192) bestätigt.
Für den Poiseuille-Fluss sind die Anfangsbedingungen
gilt (wenn man annimmt, dass nicht vom Ort abhängt, was für
nicht wichtig, da sich nach einer gewissen Zeit (für nicht
homogene Fluide der Fall ist). Gehen Sie dafür von der Kompo-
zu schnelle Strömungen; siehe Abschnitt „So geht’s wei-
nentenschreibweise aus und verwenden Sie die Definition des
ter“ am Ende dieses Kapitels) ein stationärer Zustand
Laplace-Operators
einstellt, der durch @u=@t D 0 ausgezeichnet ist. Wir fra-
@2 u @2 u @2 u gen hier nur nach diesem stationären Zustand.
u D C C D @i @i u; (8.193)
@x2 @y2 @z2
306 8 Kontinuumsmechanik
Es verbleibt die stationäre Navier-Stokes-Gleichung zu Die allgemeine Lösung dieser Gleichung ist nach zwei-
Teil I
So geht’s weiter
Teil I
Fluiddynamik in Physik und Technik wobei uc und `c eine typische Geschwindigkeit und Länge des
betrachteten Systems sind und sich die Differenzialoperatoren
Die Navier-Stokes-Gleichungen spielen fast überall dort eine entsprechend wie rQ D `c r und Q D `2c verhalten. Außer-
wichtige Rolle, wo die Beschreibung von Fluiden berücksichtigt dem wurde die dimensionslose Reynolds-Zahl (benannt nach
werden muss. Dazu gehören Wettervorhersage, Blutfluss, che- dem britischen Physiker Osborne Reynolds, 1842–1912, der die-
mische Industrie, Luft- und Raumfahrt oder Sternentwicklung – se bereits durch Stokes eingeführte Zahl populär machte)
um nur einige wenige Beispiele zu nennen. uc `c
Aufgrund ihrer Nichtlinearität (die Geschwindigkeit kommt Re WD (8.201)
quadratisch vor) und da es sich bei ihnen um partielle Differen-
zialgleichungen handelt, sind die Navier-Stokes-Gleichungen definiert.
generell nur sehr schwer zu lösen. Hinzu kommen die benö- Für das bereits angesprochene Beispiel wählt man typischer-
tigten Rand- und Anfangsbedingungen, die bei realistischen weise den Durchmesser der Kaffeetasse für `c und die Ge-
Problemen beliebig kompliziert werden können. Je komplexer schwindigkeit des Löffels für uc . Man kann sich sehr leicht
die betrachtete Geometrie ist, desto aufwendiger wird die Lö- vorstellen, dass verschiedene physikalische Systeme auf völlig
sung des Problems. Beispiele sind Ozeanströmungen entlang unterschiedliche Reynolds-Zahlen führen. Die folgende Tabelle
einer Küste oder die Strömung in veränderlichen Geometrien gibt einen kurzen Überblick:
(z. B. Suspensionen, d. h. Flüssigkeiten mit suspendierten Teil- System `c uc Re
chen, deren Oberflächen sowohl komplexe Randbedingungen schwimmende Bakterien 1 m 10 m=s 105
für die Flüssigkeit darstellen, die aber auch durch die umgeben- Blutfluss in Kapillargefäßen 10 m 1 mm=s 102
de Flüssigkeit mitbewegt werden). In vielen Fluiden kommt es Blutfluss in Aorta 1 cm 10 cm=s 103
zudem zu chemischen Reaktionen (reaktiven Strömungen), die schwimmender Mensch 1m 1 m=s 106
sowohl durch die Strömung beeinflusst werden als auch auf die- Passagierflugzeug 10 m 200 m=s 108
se zurückwirken.
Häufig kommen noch weitere Komplikationen hinzu: Beispiels- Eine physikalisch wichtige Folgerung der dimensionslosen
weise gibt es kompressible Fluide (die weitere Terme in der Gleichung (8.199) ist das Ähnlichkeitsgesetz der Navier-Stokes-
Navier-Stokes-Gleichung erfordern) oder Fluide mit veränder- Gleichung. Es besagt, dass sich alle Strömungen mit gleicher
licher bzw. inhomogener Viskosität. Geometrie (d. h. gleichen Anfangs- und Randbedingungen) und
In diesem Ausblick soll nur auf drei Punkte eingegangen gleicher Reynolds-Zahl ähnlich verhalten, egal welche physika-
werden: Turbulenz, Oberflächenspannung und numerische Lö- lischen Werte , uc , `c und im Detail annehmen. Beispielswei-
sungsansätze. Das Gebiet der Fluiddynamik ist jedoch viel se lässt sich die in Abb. 8.25 gezeigte Wirbelstraße (die dort auf
umfangreicher und hat in der aktuellen Forschung nichts von der Skala von vielen Kilometern existiert) auch im Labor auf
seiner ursprünglichen Faszination verloren. der Zentimeterskala erzeugen. Dies ist für das Testen der Aero-
dynamik von Fahr- und Flugzeugen wichtig, die im Windkanal
anhand von Miniaturmodellen untersucht werden kann.
Turbulenz
Die Navier-Stokes-Gleichungen gestatten turbulente Lösungen.
Turbulenz bedeutet, dass im Strömungsfeld scheinbar willkür-
liche und stark zeitabhängige Strukturen auftreten, die sich
analytisch nur sehr schwer beschreiben lassen. Prominente All-
tagsbeispiele sind das Mischen von Kaffee und Milch oder
Luftwirbel, die durch Wind erzeugt werden.
Um zu verstehen, wann Turbulenz auftritt, schreiben wir (8.191)
in dimensionsloser Form:
@uQ 1 Q
C .uQ rQ /uQ D rQ PQ C uQ C fQ : (8.199)
@Qt Re
Dies lässt sich durch die folgenden Ersetzungen erreichen Abb. 8.25 Eine Kármán’sche Wirbelstraße (nach dem österreichischem
(sämtliche mit einer Tilde versehenen Größen sind dimensions- Physiker Theodore von Kármán , 1881–1963) in der Nähe der Insel Robinsón
los): Crusoe (Chile), aufgenommen von Landsat 7 am 15. September 1999. Die
Wirbelstraße wird durch einen Berg verursacht, der die Luftströmung stört.
u r t P f
uQ D ; rQ D ; Qt D ; PQ D 2 ; fQ D 2 ; Die Wirbelstraße selbst ist noch nicht turbulent, da das Wirbelmuster regel-
uc `c `c =uc uc uc =`c mäßig ist. Wirbelstraßen können schon ab Re 50 entstehen, wohingegen
(8.200) „echte“ Turbulenz erst ab Re 1000 auftritt
308 8 Kontinuumsmechanik
Turbulenz tritt auf, wenn die Reynolds-Zahl hinreichend groß mit einem Durchmesser von bis zu wenigen Millimetern ku-
Teil I
(und damit die viskose Reibung relativ unwichtig) ist. Da die gelförmig sind. Größere Tropfen unterliegen dem Einfluss der
kinetische Energie der Strömung so nur langsam in Wärme um- Schwerkraft und werden daher verformt. Dies kann man bei-
gewandelt wird, verbleibt sie lange in der Strömung; es bilden spielsweise bei einem tropfenden Wasserhahn beobachten.
sich dann häufig Wirbel wie in Abb. 8.25 gezeigt. Mechanisch kann man die Oberflächenspannung folgenderma-
Der Grenzbereich zwischen laminarer (d. h. nichtturbulenter) ßen verstehen: Stoßen sich zwei Fluide aufgrund ihrer mo-
und turbulenter Strömung liegt im Bereich um Re 103 , ist lekularen Eigenschaften ab (z. B. Öl und Wasser), so ist es
aber stark problemspezifisch. energetisch ungünstig, die Grenzfläche zwischen diesen beiden
Turbulente Strömungen haben die Eigenschaft, dass größere Phasen zu vergrößern. Es kostet also eine Energie E, um die
Wirbel nach und nach in kleinere zerfallen. Dieser Prozess fin- Grenzfläche um eine Fläche A zu erhöhen. Die Oberflächen-
det so lange statt, bis die kleinsten Wirbel aufgrund von viskoser spannung ist gerade das Verhältnis
Dissipation verschwinden, d. h., ihre kinetische Energie wird
letztlich in Wärme umgewandelt. Dass dies nur in den klei- E
D (8.202)
neren Wirbeln geschieht, erkennt man an der Definition der A
Reynolds-Zahl: Die lokale Reynolds-Zahl (definiert durch die
Wirbelgröße und -geschwindigkeit) ist bei kleineren Wirbeln und damit eine Art Grenzflächenenergiedichte. Umgekehrt be-
wesentlich kleiner, sodass dort die viskose Reibung wichtig deutet dies, dass eine existierende Grenzfläche einer äußeren
wird. Die Längenskala, unterhalb der Wirbel durch Dissipation (nicht zu großen) Kraft entgegenwirken kann, indem sich die
zerfallen, nennt man Mikroskala von Kolmogorow (der russische Grenzfläche verformt und eine zusätzliche Gegenspannung er-
Mathematiker Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow, 1903–1987, zeugt. Dies erlaubt es einem Wasserläufer, auf einer Wassero-
leistete wegweisende Beiträge zur Theorie der Turbulenz). berfläche zu laufen, ohne diese zu durchdringen (Abb. 8.26).
Da Turbulenz vor allem bei der Wettervorhersage und in in-
dustriellen Produktionsprozessen eine große Rolle spielt, ist
ihr Verständnis von großer Wichtigkeit. Ausgesprochen schwie-
rig wird die Beschreibung turbulenter Systeme aufgrund der
großen Spanne der relevanten Längenskalen. Die größte Ska-
la ist selbstverständlich die Systemgröße selbst. Die kleinste
relevante Skala ist gerade die Kolmogorow-Länge. In vielen
Systemen trennen diese beiden Skalen viele Größenordnungen.
Oberflächenspannung
Die Navier-Stokes-Gleichungen (8.191) beschreiben zunächst
nur eine einzelne Fluidphase (verschiedene Fluidphasen sind
beispielsweise Wasser und Luft oder Wasser und Öl). Hat man
es mit mehreren Phasen zu tun, so müssen zusätzliche Gleichun-
gen bzw. Terme berücksichtigt werden, die das Verhalten der
Grenzflächen zwischen diesen Phasen beschreiben.
Ist Wasser (oder ein anderes Fluid) in Kontakt mit einem zwei-
ten Fluid, so spielt die molekulare Wechselwirkung zwischen
diesen Phasen eine wichtige Rolle. Beispielsweise wechselwir-
ken zwei Wassermoleküle ganz anders miteinander als zwei Abb. 8.26 Ein Wasserläufer kann aufgrund der Oberflächenspannung auf
Stickstoffmoleküle der Luft oder ein Wasser- und ein Stickstoff- einer Wasseroberfläche (Grenzfläche zwischen Wasser und Luft) laufen, oh-
ne dabei unterzugehen
molekül. Je nach Art dieser Wechselwirkungen kann sich eine
sogenannte Oberflächenspannung zwischen den beiden Phasen Es ist wichtig zu betonen, dass die Oberflächenspannung keine
ergeben. Eigenschaft eines Fluids ist, sondern stets zwei nicht misch-
Wassermoleküle ziehen sich aufgrund ihrer Dipolwechselwir- bare Fluide charakterisiert. Mischbare Fluide (z. B. Alkohol
kung gegenseitig stark an. Es ist daher energetisch günstiger, und Wasser) bilden keine Grenzfläche, da ihre molekularen
wenn ein gegebenes Wasservolumen (z. B. ein Tropfen in Luft) Wechselwirkungen ähnlich sind und keine makroskopische Ab-
eine minimale Oberfläche hat, sodass eine möglichst gerin- stoßung resultiert. Folglich gibt es keine Oberflächenspannung
ge Anzahl von Wassermolekülen weniger Nachbarn vorfindet zwischen mischbaren Fluiden. Diese Effekte sind temperaturab-
als diejenigen Moleküle, die sich im Inneren des Volumens hängig; so gibt es Fluide, die in bestimmten Temperaturinterval-
befinden. Dies ist der Grund, warum kleinere Wassertropfen len mischbar und in anderen nicht mischbar sind.
So geht’s weiter 309
Die Oberflächenspannung zwischen Luft und Wasser beträgt bei hydrophilen und bei > 90ı von hydrophoben Oberflächen.
Teil I
20 ı C etwa 0;073 J=m2. Damit lässt sich abschätzen, für wel- Von besonderem Interesse sind superhydrophobe Materialien
che Ausdehnungen Wassertropfen durch Oberflächenspannung mit einem Kontaktwinkel > 150ı (Lotuseffekt; Abb. 8.28). An
(und nicht durch Gravitation) dominiert werden. Hierzu betrach- diesen perlt Wasser ab und transportiert mögliche Verschmut-
tet man einen Wassertropfen mit Radius r, Oberfläche A und zungen fort; solche Materialien sind also potenziell selbstreini-
Volumen V. Die Kraft, mit der die Oberflächenspannung den gend.
Wassertropfen zusammenhält, ist von der Ordnung
F D A D 4 r: (8.203)
r
Dagegen wirkt insgesamt eine Gravitationskraft
4
Fg D gV D gr3 (8.204)
3
auf den Tropfen. Also haben wir
r
gr2
F > Fg H) > H) r < 3 mm:
3 g
p (8.205)
Im letzten Schritt wurde der numerische Faktor 3 1
ignoriert. Man nennt r die Kapillarlänge von Wasser. Wir se- Abb. 8.28 Der Kontaktwinkel von Wassertropfen auf einem Lotusblatt ist
hen, dass Oberflächenspannungen nur für kleine Ausdehnungen mit etwa 150ı sehr groß. Das Wasser perlt daher ab und kann das Blatt
(kleiner als wenige Millimeter) wichtig sind und demnach nur nicht benetzen
Insekten, nicht aber Säugetiere, über Wasser laufen können.
Noch interessanter wird es, wenn zwei nicht mischbare Fluide
mit einem Festkörper in Kontakt kommen (Abb. 8.27). Dort hat
Numerische Lösungsansätze
man es dann mit drei verschiedenen Oberflächenspannungen zu
tun (1f zwischen Fluid 1 und Festkörper, 2f zwischen Fluid
In den meisten Fällen werden die Navier-Stokes-Gleichungen
2 und Festkörper sowie 12 zwischen Fluid 1 und Fluid 2). Je
numerisch, also mithilfe von Computeralgorithmen, gelöst.
nach Verhältnis dieser drei Oberflächenspannungen ergibt sich
Es gibt eine Vielzahl klassischer CFD-Werkzeuge (Computatio-
ein anderer Kontaktwinkel der Fluid-Fluid-Grenzfläche an der
nal Fluid Dynamics), die mittlerweile extrem ausgereift sind.
Oberfläche des Festkörpers.
Dazu gehören die Finite-Differenzen- und Finite-Volumen-Me-
1 thoden, aber auch Finite-Elemente- und Spektralmethoden. In
γ12
den vergangenen 20 Jahren wurden allerdings eine ganze Rei-
he weitere Methoden entwickelt, die als Navier-Stokes-Löser
2 verwendet werden können, obwohl sie nicht direkt auf einer
γ2f γ1f Diskretisierung der Navier-Stokes-Gleichungen aufbauen. Bei-
◦ ◦ ◦
spiele sind die Lattice-Boltzmann- oder Dissipative-Particle-
θ < 90 θ = 90 θ >90
Dynamics-Methode.
Abb. 8.27 Der Kontaktwinkel wird durch die Steigung der Tangente an
Eine Gemeinsamkeit der meisten dieser Methoden ist die not-
die Fluid-Fluid-Oberfläche am gemeinsamen Kontaktpunkt aller drei Phasen wendige Diskretisierung des Raumes und der Zeit. Der einfachs-
definiert und ist eine Funktion der drei Oberflächenspannungen 12 , 1f und te (aber nicht immer der sinnvollste und effizienteste) Zugang ist
2f es, den Raum durch ein orthogonales und regelmäßiges Gitter
Der Kontaktwinkel ist über die Young-Laplace-Gleichung (nach mit Gitterkonstante x zu beschreiben sowie die Zeit in äquidi-
dem englischen Physiker Thomas Young, 1773–1829, und Pier- stante Zeitschritte der Länge t zu unterteilen. Die Gleichungen
re-Simon Laplace) festgelegt: werden dann nur an diskreten Orten und zu diskreten Zeiten ge-
löst.
1f 2f Dies soll kurz anhand der Finite-Differenzen-Methode illustriert
cos D : (8.206)
12 werden. Um die Ableitung von u.x/ an einem Gitterpunkt xi mit
Nachbarn xi˙1 im Abstand x zu bestimmen, berechnet man in
Diese Gleichung lässt sich unmittelbar aus der Forderung eines erster Näherung
mechanischen Kräftegleichgewichts ableiten.
Am häufigsten findet man die Situation, dass die beiden Fluide u.xiC1 / u.xi1 /
gerade Wasser und Luft sind. Dann spricht man bei < 90ı von u0 .xi / : (8.207)
2x
310 8 Kontinuumsmechanik
Entsprechend kann die zweite Ableitung folgendermaßen ange- te verfeinerter Algorithmen wie die sogenannten Runge-Kutta-
Teil I
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
8.1 Randbedingungen für das elastische Band eingespannter Einheitslänge wirkt die Kraft auf den Rand der
Am Beispiel der eingespannten Saite wurde in Abschn. 8.2 Membran. Die Gesamtkraft, die bei x D 0 bzw. x D `x die
gezeigt, wie sich Dirichlet’sche Randbedingungen, also z. B. Membran einspannt, ist also `y bzw. C`y . Entsprechend
q.t; 0/ D q.t; `/ D 0, berücksichtigen lassen. In dieser Auf- wird bei y D 0 bzw. y D `y die Membran gerade mit `x
gabe sollen die Neumann’schen Randbedingungen betrachtet bzw. C`x festgehalten. Ansonsten sei die Membran kräftefrei.
werden. Wir verlangen hier, dass das Band aus Abschn. 8.1 am Zeigen Sie, dass die Funktion
Rand einer Kraft F ausgesetzt ist. Es ist aber im Vorfeld nicht
klar, wie die Verformung q.t; x/ bei x D 0 und x D ` aussieht. qz .t; x; y/ D f .t/g.x/h.y/ (8.213)
nicht zu Verformungsenergie des elastischen Körpers beiträgt. konstanter Winkelgeschwindigkeit ! D ! eO z um seine Symme-
Zur Vereinfachung betrachten wir ein infinitesimales Flächen- trieachse gedreht, die durch den Ursprung verläuft. Gravitation
Teil I
element in zwei Dimensionen, das von zwei (nicht notwendiger- soll vernachlässigt werden. Es kann angenommen werden, dass
weise orthogonalen) Vektoren da und db aufgespannt wird. Nun sich die Flüssigkeit mit dem Zylinder dreht und sich in einem
betrachten wir dasselbe Flächenelement im verformten Zustand stationären Zustand befindet.
mit
da0i D dai C ij daj D .ıij C ij / daj ;
(8.215) (a) Wie lautet das stationäre Geschwindigkeitsfeld u.%; '/ für
db0i D dbi C ij dbj D .ıij C ij / dbj ;
% D x2 C y2 < R (' ist der Polarwinkel)?
wobei D .ij / D .@i qj / den Verformungszustand des Flächen- (b) Zeigen Sie, dass die Kontinuitätsgleichung erfüllt ist.
elements charakterisiert. (c) Bestimmen Sie den Druck P.%/ so, dass die Euler-Gleichung
erfüllt wird. Welche anschauliche Rolle spielt der Druck
Zeigen Sie, dass das Flächenelement lediglich gedreht (und
hier?
nicht verzerrt) wird, genau dann, wenn ij D !ij ist.
Lösungshinweis: Überprüfen Sie dazu, unter welchen Um-
Lösungshinweis: Aufgrund der Symmetrie entlang der z-
ständen die Bedingung da0i db0i D dai dbi erfüllt ist, d. h., wann
Achse kann das äquivalente zweidimensionale Problem in der
Längen- und Winkelinvarianz vorherrschen (Invarianz des Ska-
x-y-Ebene behandelt werden. Verwenden Sie die Zylinderkoor-
larprodukts).
dinaten aus Abschn. 2.5. Die Divergenz in Zylinderkoordinaten
8.7 Spannungstensor für elastisches Medium lautet
(a) Bestimmen Sie den Spannungstensor (8.122) für das elasti- 1 @.%u% / 1 @u' @uz
sche Medium mit dem Elastizitätstensor div u D C C (8.219)
% @% % @' @z
Cijkl D ıij ıkl C ıik ıjl C ıil ıjk : (8.216)
mit
Das Ergebnis ist das isotrope Hooke’sche Gesetz als kontinu-
ierliche Erweiterung der eindimensionalen Federgleichung 0 1 0 1 0 1
cos ' sin ' 0
F D Dq.x/ D D.x x0 /: (8.217) u D u% @ sin ' A C u' @ cos ' A C uz @0A : (8.220)
0 0 1
(b) Wie lautet der Spannungstensor für die Verzerrung
0 1 Achten Sie darauf, dass sowohl die radiale Koordinate % als
1 @ 0 0 zx A auch die Dichte in den Rechnungen auftreten.
D 0 0 0 ; (8.218)
2 0 0
zx
8.10 Poiseuille-Fluss in Rohr Betrachten Sie ein
die in (8.116) gefunden wurde? Rohr mit kreisförmigem Querschnitt (Radius R) entlang der
(c) Berechnen Sie die äußere Kraft F, die an der Oberseite des z-Achse. Ein Druckgradient grad P D .0; 0; P0 /> D const
in Abb. 8.14 gezeigten Quaders angreifen muss, damit sich treibt eine imkompressible Strömung an, von der angenommen
im statischen Fall der in Teilaufgabe (b) gefundene Span- werden kann, dass sie stationär ist. Leiten Sie ausgehend von
nungstensor ergibt. In welche Richtung wirkt die Kraft? den Navier-Stokes-Gleichungen und unter der Annahme, dass
Dies erlaubt die Bestimmung des Schermoduls , wenn bei die Geschwindigkeit an der Oberfläche des Rohres verschwin-
bekannter Kraft F die resultierende Scherung zx gemessen det, das Geschwindigkeitsfeld u.%/ ab.
wird.
Berechnen Sie außerdem den Volumenstrom durch eine Quer-
8.8 Fluss im Rohr mit variabler Querschnittsflä-
schnittsfläche des Rohres.
che Eine inkompressible Flüssigkeit (d. h. D const und
div u D 0) fließe durch ein Rohr mit einer variablen Quer- Lösungshinweis: Verwenden Sie Zylinderkoordinaten und
schnittsfläche. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der den entsprechenden Laplace-Operator
mittleren Geschwindigkeit der Flüssigkeit auf einer beliebigen
ebenen Querschnittsfläche und dem Flächeninhalt dieser Quer-
schnittsfläche? Gehen Sie dabei vom Gauß’schen Satz aus. 1 @ @f 1 @2 f @2 f
f .%; '; z/ D % C 2 2 C 2: (8.221)
% @% @% % @' @z
Lösungshinweis: Die genaue Gestalt des Geschwindigkeits-
feldes ist unerheblich. Es ist nur wichtig anzunehmen, dass an
der Rohrinnenwand die Geschwindigkeit der Flüssigkeit überall Nutzen Sie außerdem die Symmetrieüberlegungen aus, die be-
verschwindet. reits in Abschn. 8.7 für den planaren Poiseuille-Fluss verwendet
wurden.
8.9 Rotierende Flüssigkeit Betrachten Sie einen
unendlich langen Zylinder mit Radius R, der mit einer in- Fordern Sie bei der Integration, dass u für % ! 0 nicht diver-
kompressiblen Flüssigkeit gefüllt ist. Dieser Zylinder wird mit gieren soll.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 313
Teil I
8.1 Somit lautet eine Lösung
erfüllt ist.
ZT=2
2
Nun erfordern die Randbedingungen, dass g.0/ D g.`x / D 0 bj D f .t0 / sin.j!t0 / dt0 (8.235)
und h.0/ D h.`y / D 0 ist. Dies wird durch g D h D 0 erfüllt T
T=2
sowie durch die Bedingungen
nx ny und deswegen bj D bj und folglich bj D 0. Völlig äquivalent
kx D ; ky D .nx ; ny 2 N/: (8.230)
`x `y zeigt man die andere Behauptung.
314 8 Kontinuumsmechanik
1
1 1 X sin.2 jt/
f .t/ D : (8.237)
2 jD1
j
aj cos.j!t/ C bj sin.j!t/
y aj bj aj bj (8.238)
D C eij!t C eij!t
x 2 2i 2 2i
8.6 Wir berechnen das Skalarprodukt der Vektoren da0 und db0 :
nx = 7, ny = 5
g(x)h(y) da0 db0 D da0i db0i D .ıij C ij /.ıik C ik / daj dbk
(8.242)
D .ıkj C kj C jk C ij ik / daj dbk :
Abb. 8.29 Einige Eigenmoden der rechteckigen Membran (von oben nach un- erfüllt ist, d. h. wenn antisymmetrisch und somit ij D !ij ist.
ten : nx D 1 und ny D 1, nx D 3 und nx D 2, nx D 7 und nx D 5) Damit ist gezeigt, dass die Transformation D ! das Flächen-
element lediglich dreht und nicht verzerrt.
8.7
8.4 Die Funktion fN .t/ D t 1=2 (und periodisch fortgesetzt)
ist ungerade, also hat man sofort aNj D 0 für alle j und damit (a) Der Spannungstensor ist definiert als
p
a0 = 2 D 1=2 und aj D 0 für j > 0. Die restlichen Koeffizienten
ij D Cijkl kl : (8.245)
sind
Wir multiplizieren also (8.216) mit kl und vereinfachen. Der
Z1 erste Term ergibt
2
bj D t sin.2 jt/ dt: (8.236)
1
0 ıij ıkl kl D ıij kk : (8.246)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 315
Dies ist also proportional zur Spur kk des Verzerrungsten- Mit der Projektion un D u nO der Geschwindigkeit auf die Flä-
sors. Der zweite Term lautet chennormale nO gilt in kompakter Form
Teil I
“ “
ıik ıjl C ıil ıjk kl D ij C ji : (8.247) un dA D un dA: (8.255)
A1 A2
Zusammengefasst und wegen der Symmetrie des Verzer-
rungstensors erhalten wir Nun ist aber ’
un dA
uN n.1/
A1
ij D kk ıij C 2ij : (8.248) D (8.256)
A1
Diese Gleichung erlaubt es, direkt die Spannung für einen die mittlere (projizierte)’Geschwindigkeit der Flüssigkeit auf
gegebenen Verzerrungszustand auszurechnen. der ersten Fläche A1 D A1 dA (eine analoge Aussage gilt für
(b) Zunächst sehen wir, dass die Spur der Verzerrung (8.218) die zweite Fläche), und wir schreiben demnach
verschwindet (kk D 0); daher ist der Spannungstensor ein-
fach A1 uN n.1/ D A2 uN n.2/ : (8.257)
ij D 2ij D zx .ıiz ıjx C ıix ıjz / (8.249)
Dies bedeutet, dass das Produkt aus Querschnittsfläche und
bzw. mittlerer Geschwindigkeit für alle gleichzeitig betrachteten
0 1 Querschnittsflächen identisch ist, denn die Wahl der beiden Flä-
0 0 1
D zx @0 0 0A : (8.250) chen war beliebig. Die Flüssigkeit muss also in einem engeren
1 0 0 Abschnitt schneller fließen.
8.9
(c) Die Oberflächenkraft, die notwendig ist, um die Verzerrung
(8.218) bzw. Spannung (8.250) zu erreichen, ergibt sich aus (a) Der Geschwindigkeitsvektor muss überall in der x-y-Ebene
liegen. Bei einer Rotation ! D ! eO z lautet das rotierende
F D A; (8.251) Geschwindigkeitsfeld
0 1
wobei A D AOez die orientierte Fläche der Oberseite des Qua- sin '
ders ist. Wegen eO z D .0; 0; 1/> findet man sofort u.%; '/ D !% @ cos ' A D !%Oe' : (8.258)
0
0 1
Azx
F D @ 0 A: (8.252) (b) Die Kontinuitätsgleichung für eine inkompressible Flüssig-
0 keit lautet einfach div u D 0, wobei hier die Divergenz
in Zylinderkoordinaten verwendet werden muss. Da nur
u' D !% als Funktion von % auftritt, folgt direkt, dass die
8.8 Eine inkompressible Flüssigkeit erfüllt div j D div u D 0. Divergenz verschwindet. Die Kontinuitätsgleichung ist also
Der Satz von Gauß in (8.162) besagt dann: erfüllt.
(c) Da keine Volumenkraft vorliegt und das Problem statisch ist,
— • bleibt von der inkompressiblen Euler-Gleichung (8.175) le-
u dA D div u dV D 0: (8.253) diglich
@V div.u ı u/ D grad P (8.259)
Als Integrationsvolumen wählen wir den Innenraum des Roh- übrig. Dies kann wegen der Divergenzfreiheit in folgender
res (einschließlich seiner inneren Oberfläche), begrenzt durch Form in Koordinatendarstellung geschrieben werden:
zwei ebene und zueinander parallele Flächen. Wir zerlegen die
ui @i uj D @j P: (8.260)
dadurch definierte geschlossene Integrationsoberfläche nun in
drei Teile: die beiden ebenen Querschnittsflächen (A1 und A2 ) Es ist also zunächst der Gradient der Geschwindigkeit,
und die Rohrinnenwand. Entsprechend der Annahme trägt die grad u, zu berechnen. Mithilfe von (2.113) lässt sich dies
Rohrinnenwand nicht zum Integral bei, da dort überall u D 0 in Zylinderkoordinaten leicht durchführen:
gilt. Die beiden betrachteten ebenen Flächen sind antiparallel
zueinander, da das Flächenelement dA überall nach außen zeigt. @u 1 @u @u
Die erste Fläche hat demnach einen Normalenvektor nO D const, grad u D eO % ı C eO ' ı C eO z ı : (8.261)
@% % @' @z
die zweite entsprechend nO D const. Es verbleibt
“ “ Hier bleibt wegen (8.258) lediglich
u nO dA D u nO dA: (8.254) @.!%/ @Oe'
grad u D eO % ı eO ' C ! eO ' ı (8.262)
A1 A2 @% @'
316 8 Kontinuumsmechanik
übrig, wobei noch @Oe' =@' D Oe% gilt. Wir erhalten also Nun dividieren wir diese Gleichung durch % und integrieren er-
neut:
P0
Teil I
Wir multiplizieren mit % und integrieren: Dieses letzte Ergebnis wird auch als Hagen-Poiseuille-Gesetz
bezeichnet (nach dem deutschen Ingenieur Gotthilf Heinrich
@uz P0 Ludwig Hagen, 1797–1884). Es ist von großer Bedeutung für
% D %2 C C1 : (8.270)
@% 2 die Hydraulik und technische Anwendungen.
Antworten zu den Selbstfragen 317
Teil I
Antwort 19 Ist q im gesamten Körper identisch, so ist er per Antwort 24 Der typische Molekülabstand ist von der Grö-
Definition nicht verformt, sondern nur verschoben; eine bloße ßenordnung 109 m; mit einer linearen Ausdehnung von zehn
Verschiebung des Körpers in Abwesenheit äußerer Kräfte än- Molekülen ergibt dies eine Kantenlänge von etwa 10 nm.
dert aber nicht seine potenzielle Energie.
Antwort 32 Jedes Strömungsfeld mit u D u.t/ erfüllt diese
Antwort 23 Die Kraft ist null. Forderung. Dies ist aber wesentlich schwieriger zu realisieren
als ein stationäres Feld u.r/.
318 8 Kontinuumsmechanik
Literatur
Teil I
Hänel, D.: Molekulare Gasdynamik: Einführung in die kine- Sadd, M.H.: Elasticity: Theory, Applications, and Numerics.
tische Theorie der Gase und Lattice-Boltzmann-Methoden. Academic Press, Amsterdam (2009)
Springer, Berlin (2004)
Stephani, H., Kluge, G.: Theoretische Mechanik: Grundlagen
Kramer, J., Warmuth, E.: Sommerschule „Lust auf Mathema- und Übungen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg
tik“ (2010), http://didaktik.mathematik.hu-_berlin.de/files/ (1995)
bericht_1_11.pdf. Zugegriffen: 5. September 2013
Landau, L., Lifschitz, E.: Lehrbuch der theoretischen Physik,
10 Bde., Bd. 6, Hydrodynamik. Harri Deutsch, Frankfurt
(1991)
Spezielle Relativitätstheorie
9
Teil I
Warum verlangt die
Konstanz der
Lichtgeschwindigkeit die
Relativität der Zeit?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_9, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 319
320 9 Spezielle Relativitätstheorie
Teil I
Insbesondere die Wellentheorie des Lichtes, die von dem nie-
derländischen Astronomen, Mathematiker und Physiker Chris-
Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit tiaan Huygens (1629–1695) begründet wurde, legte die Exis-
tenz eines Mediums nahe, das sowohl feste Materie wie den
ansonsten leeren Raum des Weltalls durchdringt, den Äther
Ob sich Licht mit endlicher oder unendlicher Geschwindigkeit
(nach dem griechischen Wort für den blauen Himmel), in dem
ausbreitet, war von der Antike bis ins 16. Jahrhundert eine um-
sich Licht so ausbreitet wie Schall in Luft. Aristoteles hatte den
strittene Frage. Die aristotelische Naturphilosophie ging von
ursprünglich rein mythologisch verstandenen Äther als fünftes
einer unendlichen Geschwindigkeit aus, und dies wurde auch
Element (Quintessenz) den klassischen Elementen Platons hin-
von Johannes Kepler (1571–1630) und René Descartes (1596–
zugefügt, das unveränderlich und ohne die Eigenschaften der
1650) für wahr gehalten. Galileo Galilei (1564–1641) war
übrigen Materie die sich ewig drehenden himmlischen Sphären
vermutlich der Erste, der diese Frage experimentell entschei-
ausfüllt.
den wollte, und stellte dazu Versuche mit Signallaternen an,
die auf weit entfernten Hügeln von Gehilfen bedient wurden. Während Huygens sich das Licht noch als Longitudinalwelle
Unter Einrechnung der menschlichen Reaktionszeit konnte er im Äther vorstellte, ging der französische Physiker Augustin
damit immerhin nachweisen, dass die Lichtgeschwindigkeit zu- Jean Fresnel (1788–1827), der viel zur Entwicklung der Wellen-
mindest höher als ein paar Kilometer pro Sekunde sein müsse. theorie und Optik beitrug, von der Vorstellung eines elastischen
Festkörpers aus, in dem sich Licht als Transversalwelle isotrop
Ein klarer Beleg für die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit
ausbreitet. Fresnel leitete 1818 aus der Vorstellung eines Äthers
wurde 1676 vom dänischen Astronomen Ole Rømer (1644–
und der Notwendigkeit, diesen mit der veränderten Lichtge-
1710) durch Beobachtung des Jupitermondes Io geliefert. Io
schwindigkeit c=n in transparenten Medien mit Brechungsindex
umkreist den Jupiter in einer annähernd kreisförmigen Bahn mit
n > 1 in Einklang zu bringen, sogar eine Vorhersage für die teil-
einer Umlaufzeit von ungefähr 42,5 Stunden, und Bedeckungen
weise Mitführung des Äthers in bewegter Materie her, aufgrund
von Io durch Jupiter lassen sich präzise vorhersagen. Abhän-
dessen die Lichtgeschwindigkeit dann
gig davon, ob sich die Erde bei ihrem Umlauf um die Sonne
auf derselben Seite wie Jupiter oder entgegengesetzt befindet,
c 1 c
kommt es aber zu Unterschieden im Zeitplan im Ausmaß von C 1 2 v Cv
etwa 20 Minuten, die Rømer als zusätzliche Lichtlaufzeit durch n n n
den Durchmesser der Erdbahn identifizierte. Damit konnte die
betragen solle, wobei v die Geschwindigkeit des Mediums
Lichtgeschwindigkeit in der richtigen Größenordnung geschätzt
ist. Der dabei auftretende Fresnel’sche Mitführungskoeffizient
werden.
< 1 wurde 1851 von Fizeau tatsächlich experimentell nach-
Eine schon recht genaue Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit gewiesen, blieb aber rätselhaft, nicht zuletzt weil der Bre-
lieferte der englische Geistliche und Astronom James Bradley chungsindex frequenzabhängig ist. Damit müsste für jede Farbe
(1693–1762) im Jahre 1728 durch die richtige Interpretation der des Lichtes eine separate Komponente des Äthers existieren, die
von ihm entdeckten Aberration des Sternenlichtes. Fixsterne, unterschiedlich stark von bewegter Materie mitgeführt werden
die sich im Zenit befinden, beschreiben während eines Jahres sollte, was der Vorstellung eines universellen Äthers überhaupt
kreisförmige Bewegungen im Bogensekundenbereich, die daher nicht entsprach. (Die endgültige Erklärung dieses Phänomens
kommen, dass sich die Erde mit etwa vE 30 km/s senkrecht liefert die relativistischen Elektrodynamik, wie in Abschn. 18.6
zur Lichtausbreitung bewegt, sodass das Licht nicht mehr genau gezeigt werden wird.)
senkrecht von oben zu kommen scheint. Dies ist insbesondere
Mangels Alternativen hielten die Physiker des 19. Jahrhun-
in der Newton’schen Korpuskeltheorie der Lichtausbreitung na-
derts an der Vorstellung eines Äthers fest, und es wurde in
heliegend. So wie Regen schräg von vorne zu kommen scheint,
verschiedenen Experimenten versucht, den Äther und das von
wenn man sich darin vorwärts bewegt, erhalten Lichtstrahlen
ihm ausgezeichnete Inertialsystem aufzuspüren. Apparaturen,
eine Neigung mit einem kleinen Winkel tan ˛ D vE =c. Da Brad-
die sich gegenüber dem Äther bewegen, sollten eine gewis-
ley die Bahngeschwindigkeit der Erde hinreichend gut kannte,
se Richtungsabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit feststellen.
konnte er die Lichtgeschwindigkeit schon mit Prozentgenauig-
Da sich die Erde mit etwa 104 c um die Sonne bewegt, sollte
keit berechnen.
es entsprechende Abweichungen für erdgebundene Experimen-
Die erste terrestrische Messung der Lichtgeschwindigkeit ge- te geben, sofern der Äther nicht in der Umgebung der Erde von
lang 1849 dem französischen Physiker Hippolyte Fizeau (1819– dieser mitgeführt wird. Gegen diese Möglichkeit spricht aller-
1896) mit einer stark verbesserten Version der frühen Experi- dings die erwähnte Aberration des Sternenlichtes. Licht, das in
mente Galileis. Der entfernte Gehilfe wurde dabei durch einen Richtung der Erdbewegung ausgesandt wird, sollte sich somit
Spiegel ersetzt und der Signalgeber durch ein sich schnell dre- aufgrund des Gegenwindes, den der Äther liefert, ein wenig
hendes Zahnrad, mit dem sowohl das Licht gepulst ausgesandt verlangsamt, in der anderen Richtung entsprechend schneller
als auch das reflektierte Licht selektiv detektiert wurde. ausbreiten.
322 9 Spezielle Relativitätstheorie
S2
Teil I
l2 S1
L
S0 l1
Abb. 9.3 Aufbau des Michelson-Morley-Experiments aus dem Jahr 1887, bei
Abb. 9.2 Prinzipieller Aufbau eines Michelson-Interferometers dem jeder Strahlengang dreifach gespiegelt wurde. In der Mitte befindet sich
neben dem halbversilberten Spiegel noch ein Glaselement, das dafür sorgt,
dass beide Strahlengänge durch dieselbe Menge an Glas geführt werden. Die
Apparatur ist auf flüssigem Quecksilber drehbar gelagert, um möglichst erschüt-
Michelson-Morley-Experiment terungsfrei gedreht werden zu können
Teil I
diese Laufzeitänderung noch etwas weiter reduziert. Die Seit- 0,00
wärtsbewegung verlängert den Weg des Lichtes aus Sicht des
Äthersystems, weil es die Hypothenuse eines rechtwinkligen
Dreiecks mit Katheten l2 und l2hin D v t2hin bildet, sodass 0,05
q
1 l2
t2hin D l22 C .l2hin /2 ; t2hin D p D t2rück (9.4) 0,00
c c2 v2 N O S
S W N
und daher
2l2 1 Abb. 9.5 Die von Michelson und Morley 1887 gemessenen Verschiebungen
t2 D t2hin C t2rück D p (9.5) der Interferenzmuster in Einheiten der Wellenlänge bei einer Drehung des
c 1 v 2 =c2
Interferometers (rote Linie ) um 180ı im Vergleich zu einem Achtel der zu er-
wartenden Werte (gestrichelte Linie ), wenn v durch die Orbitalgeschwindigkeit
ist. der Erde um die Sonne gegeben ist. Das obere Ergebnis gehört zu Beobachtun-
Wegen gen zur Mittagszeit, das untere zur Abendzeit
4
1 v2 v
D1C C O ; (9.6) Längenkontraktions-
1 v 2 =c2 c2 c4
und Zeitdilatationshypothesen
1 1 v2 v4
p D1C C O (9.7)
1 v 2 =c2 2 c2 c4
Als Erklärung für den negativen Ausgang des Michelson-Mor-
halbiert sich für l D l1 l2 der Laufzeitunterschied auf den ley-Experiments schlugen 1889 der irische Physiker George
beiden Strahlengängen, bleibt aber von der Ordnung v 2 =c2 . Fitzgerald (1851–1901) und 1892 der niederländische Physiker
Hendrik Lorentz (1853–1923) vor, dass jeder Körper p bei einer
Beim Michelson-Morley-Experiment wurden diese Laufzeit-
unterschiede auf Veränderungen bei geänderter Orientierung Bewegung gegenüber dem Äther um einen Faktor 1 v 2 =c2
bezüglich der Bewegung der Erde untersucht. Bei einer kom- verkürzt würde. Eine Motivation für diese Längenkontrakti-
pletten Drehung des Interferometers sollte v zwischendurch onshypothese war das 1888 von dem britischen Physiker und
einmal entlang Arm 1 und einmal entlang Arm 2 orientiert sein. Mathematiker Oliver Heaviside gefundene Ergebnis, dass in
Im ersteren Fall müsste der Laufzeitunterschied der Elektrodynamik bewegte Ladungen entsprechend gestauch-
te Ellipsoide als Äquipotenzialflächen haben (wie wir in Kap. 18
2l1 1 2l2 1 noch sehen werden). Wenn alle Materie durch elektrodynami-
t1 t2 D p (9.8)
c 1 v 2 =c2 c 1 v 2 =c2 sche Kräfte zusammengehalten wird, ist diese Hypothese also
gar nicht so weit hergeholt.
betragen und nach einer Drehung, die Arm 2 in die Richtung Mit der Längenkontraktionshypothese ist (9.8) folgendermaßen
von v zeigen lässt: zu modifizieren:
2l1 1 2l2 1 p
Nt1 Nt2 D p ; (9.9) 2Œl Ruhe 1 v 2 =c2 1 2l Ruhe 1
c 1 v 2 =c2 c 1 v 2 =c2 t1 t2 D 1 2 p
c 1 v =c
2 2 c 1 v 2 =c2
sodass mit l D l1 l2 und v c ein Effekt von 2Œl1Ruhe l2Ruhe 1
D p D Nt1 Nt2 :
c 1 v 2 =c2
2l v 2 (9.11)
t D j.t1 t2 / .Nt1 Nt2 /j (9.10)
c c2 Damit wird die Ätherdrift im Michelson-Morley-Experiment
praktisch unbeobachtbar, da eine Drehung der Apparatur zu kei-
erzielbar sein sollte. Die von Michelson und Morley gemesse-
nen Laufzeitunterschieden führt. Effekte könnten sich nur durch
nen Laufzeitunterschiede waren aber innerhalb der Messgenau-
eine Änderung des Betrags von v ergeben, wenn beispielsweise
igkeiten mit null verträglich, obwohl die Empfindlichkeit der
das Sonnensystem als Ganzes gegenüber dem Äther in Bewe-
Apparatur mehr als ausreichend war. In Abb. 9.5 sind die Mess-
gung ist und sich die Bahngeschwindigkeit der Erde im Lauf
ergebnisse mit einem Achtel des erwarteten Wertes verglichen,
des Jahres einmal zur Geschwindigkeit der Sonne addiert und
der sich ergibt, wenn für v die Orbitalgeschwindigkeit der Er-
ein halbes Jahr später entgegengerichtet ist.
de (etwa 30 km/s) um die Sonne eingesetzt wird. (Ein fast 100-
mal so großer Effekt wäre übrigens zu erwarten, wenn die Ge- Lorentz, der irische Physiker Joseph Larmor (1857–1942) und
schwindigkeit eingesetzt wird, mit der das Sonnensystem um der französische Mathematiker Henri Poincaré (1854–1912)
das Zentrum der Milchstraße läuft.) stießen aber in der Folge auf die von Poincaré nach Ersterem
324 9 Spezielle Relativitätstheorie
Mit der Invarianz aller elektrodynamischen Phänomene unter Der radikale Schritt Einsteins bestand darin, die Konstanz der
der von Lorentz und Larmor gefundenen Transformation, die Vakuumlichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen zu einem
1905 von Poincaré nachgewiesen wurde, war der Äther unbeob- Axiom zu erheben, sodass es nicht mehr nur um elektromagneti-
achtbar geworden. Poincaré formulierte dies noch vor Einstein sche Phänomene ging, sondern um die Grundlage der gesamten
sogar als Prinzip der Relativität und der Unmöglichkeit, ei- Physik. Insbesondere musste die bisherige Vorstellung einer
9.2 Lorentz-Transformationen 325
A A y y y y
Teil I
v −v
B C B C
v
vt vt
Abb. 9.7 Wird in der Mitte einer Rakete ein Licht eingeschaltet (Ereignis A), so
werden die gegenüberliegenden Wände für einen Beobachter, der in demselben x x x x
Inertialsystem ruht, gleichzeitig erhellt (Ereignisse B und C). Bewegt sich die
Rakete gegenüber dem Beobachter, dann können B und C für diesen wegen der
z z z z
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit nicht mehr gleichzeitig sein, da das Licht für
ihn unterschiedliche Strecken zurückzulegen hat. (Wegen der Lorentz-Kontrak-
tion ist die bewegte Rakete auch noch kürzer für diesen Beobachter, was aber Abb. 9.8 Standardkoordinatenwahl für die Transformation zwischen zwei In-
keinen Unterschied für die Asymmetrie macht, die die Gleichzeitigkeit von B und ertialsystemen, die sich mit Geschwindigkeit v zueinander bewegen. Bei t D
C aufhebt.) t0 D 0 sollen sie ihren gemeinsamen Koordinatenursprung haben, die x- und x0 -
Achsen sollen parallel zu v sein, und es soll keine Drehung um letztere im Spiel
sein
absoluten Zeit aufgegeben werden, die in der Newton’schen
Mechanik unabhängig vom Bezugssystem für jeden Beobach-
ter gleich verrinnt und deshalb in den Galilei-Transformationen
(2.40) bis auf eine mögliche Verschiebung des Zeitnullpunktes 9.2 Lorentz-Transformationen
unverändert bleibt.
Das Relativitätsprinzip und die Konstanz der Lichtgeschwindig- Wir wollen nun unter Aufgabe einer absoluten Zeit die Transfor-
keit sind aber mit einer absoluten Zeit unvereinbar, wie leicht mationsgleichungen zwischen zwei Inertialsystemen S und S0
einzusehen ist. Nehmen wir als ein Beispiel eine gleichför- herleiten, die sich mit einer Geschwindigkeit v < c zueinander
mig bewegte Rakete, in der exakt in der Mitte eine Lichtquelle bewegen, und zwar so, dass das Postulat der Konstanz der Licht-
eingeschaltet wird. Für alle Beobachter im Inertialsystem der geschwindigkeit respektiert wird. Als Standardkoordinatenwahl
Rakete wird die vordere und hintere Wand der Rakete gleich- werden wir in beiden Systemen kartesische Koordinaten ver-
zeitig erhellt (Abb. 9.7). Wird dies aber aus dem Inertialsystem wenden, die zum Zeitpunkt t D t0 D 0 einen gemeinsamen
einer anderen Rakete, die sich mit großer Geschwindigkeit ge- Koordinatenursprung haben und die so orientiert sind, dass sich
genüber der ersten bewegt, beobachtet, ergibt sich ein anderes das System S0 entlang der positiven x-Achse von S bewegt.
Bild. Auch in diesem Inertialsystem breitet sich das Licht in alle Es soll auch keine Drehung im Spiel sein, sodass die Ebenen
Richtungen mit der gleichen Geschwindigkeit aus, aber die vor- y D 0 und z D 0 den Ebenen y0 D 0 und z0 D 0 entsprechen
dere und hintere Wand der ersten Rakete bewegt sich nun vom (Abb. 9.8).
Punkt, wo das Licht seinen Ursprung hat, weg bzw. auf ihn zu. Mit Galilei-Transformationen entspräche dies (2.40) mit R D I,
Das Licht muss daher in der einen Richtung eine längere und b0 D 0 und t0 D 0, nämlich x0 D x v t, y0 D y, z0 D z,
in der anderen eine kürzere Strecke durchlaufen, sodass für das t0 D t, und dies sollte im Grenzfall c ! 1 auch bei den relati-
bewegte Inertialsystem die vordere und die hintere Wand in der vistischen Transformationsgleichungen wieder herauskommen.
ersten Rakete nicht mehr gleichzeitig erhellt werden. Wenn sich (Für Galilei-Transformationen hatte man übrigens vor Einstein
die Rakete gegenüber dem zweiten Inertialsystem nach vorne keinen eigenen Namen. Diese erschienen einfach zu selbstver-
bewegt, wird die hintere Wand zuerst erhellt, ansonsten ist die ständlich. Erst 1909 führte der österreichische Physiker und
zeitliche Reihenfolge gerade vertauscht. Philosoph Philipp Frank, 1884–1966, diese Bezeichnung ein.)
Es ist nicht verwunderlich, dass vor Einstein kein Physiker an Für die Suche nach verallgemeinerten, relativistischen Transfor-
der absoluten Zeit rütteln wollte, schon gar nicht an Begriffen mationsgleichungen können wir uns auf lineare Transformatio-
wie „Gleichzeitigkeit“ und „zeitliche Abfolgen“, denn eine sau- nen beschränken, denn ansonsten würden gerade gleichförmig
bere Trennung von Vergangenheit und Zukunft ist unabdingbar durchlaufene (und damit kräftefreie) Teilchenbahnen in S nicht
für Kausalität und Berechenbarkeit. Es wird auch nur dann zu auf solche in S0 abgebildet werden. Mit den Forderungen
keinem Problem, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Lichtge-
schwindigkeit zu überschreiten (was in der Newton’schen Me- x0 D 0 () x D v t;
chanik mit den Galilei-Transformationen aber möglich wäre). xD0 () x0 D v t0 ;
(9.14)
Frage 1 y0 D 0 () y D 0;
Erweitern Sie das Gedankenexperiment mit den zueinander be- z0 D 0 () z D 0;
wegten Raketen um ein mit Überlichtgeschwindigkeit von einer
Wand zur anderen fliegendes Insekt, und überlegen Sie sich, die jeweils für alle nicht beteiligten Koordinaten zu erfüllen
dass es zugleich in einem Inertialsystem vorwärts in der Zeit sind, ist diese lineare Transformation weiter eingeschränkt auf
und im anderen rückwärts in der Zeit reisend erscheinen könnte.
Q
x0 D A.x v t/; y0 D Cy; z0 D Cz: (9.15)
326 9 Spezielle Relativitätstheorie
Zeit
t0 D Bt Dx: (9.16) In Matrixform geschrieben lautet die Lorentz-Transfor-
mation von einem Inertialsystem S auf ein Inertialsystem
Da x D 0 nun x0 D v t0 verlangt und für x D 0 einerseits S0 , das sich gegenüber S mit Geschwindigkeit v D ˇ c in
x0 D Av t und weiter t0 D Bt ist, können wir B D A setzen. positiver x-Richtung bewegt:
0 01 0 1 0 1
Die Koeffizienten C und CQ können aufgrund der Isotropie des ct ˇ 0 0 ct
0
Raumes nur vom Betrag von v abhängen, treten also unverän- B x C Bˇ 0 0C B x C
dert bei der inversen Transformation auf, sodass auch y D Cy0 , @ y0 A D @ 0 0 1 0A @ y A
; (9.21)
Q 0 und damit C2 D CQ 2 D 1 sein muss. Wenn wir C D 1
z D Cz z0 0 0 0 1 z
und CQ D 1 ausschließen, was einer bloßen Spiegelung von y „ ƒ‚ …
ƒ.v /
bzw. z entsprechen würde, können wir schon einmal
mit den gebräuchlichen Abkürzungen
y0 D y; z0 D z (9.17)
v 1
ˇ WD ; WD p : (9.22)
setzen. c 1 ˇ2
Aufgrund der postulierten Konstanz der Lichtgeschwindigkeit
müssen die restlichen Koeffizienten nun so beschaffen sein, dass Die inverse Transformation zu dieser „Standard-Lorentz-Trans-
eine (notwendigerweise isotrope) Lichtausbreitung in S einer formation“ ist durch v ! v bzw. ˇ ! ˇ gegeben,
solchen in S0 entspricht. Betrachten wir dazu eine Kugelwel- ƒ1 .v / D ƒ.v /, also
le, die im Koordinatenursprung bei t D t0 D 0 emittiert wird. In 0 1 0 1 0 01
ct ˇ 0 0 ct
S ist diese durch
B x C Bˇ 0 0C B x0 C
x2 C y2 C z2 D c2 t2 (9.18) @yA D @ 0 0 1 0A @ y0 A
: (9.23)
Teil I
Geschwindigkeit und Rapidität
Wie Poincaré schon 1905 bemerkte, geht die Lorentz-Trans- verwendet, wo Geschwindigkeiten sehr nahe bei c vorkom-
formation in eine gewöhnliche Drehung über, wenn die Zeit men und daher ˇ eine unpraktische Größe darstellt. Beson-
rein imaginär gewählt wird, ct D ix4 . Eine Drehung in der ders nützlich ist darüber hinaus, dass im Gegensatz zu ˇ die
x-x4 -Ebene kann durch eine Matrix Rapidität eine additive Größe ist. So wie sich Drehwinkel
0 einfach addieren, wenn immer um die gleiche Achse gedreht
x cos ' sin ' x wird, so addieren sich bei Geschwindigkeitstransformatio-
0 D
x4 sin ' cos ' x4 nen in ein und derselben Richtung die entsprechenden Werte
von . Das relativistische Additionstheorem für gleichge-
dargestellt werden. Mit D i', cos ' D cosh , i sin ' D richtete Geschwindigkeiten (9.31) wird mit ˇ D tanh 1 ,
sinh erhält man ˇw 0 D tanh 2 und ˇw D tanh 3 schlicht (Aufgabe 9.5):
0
ct cosh sinh ct ˇ ct 1 C 2 D 3 :
D D
x0 sinh cosh x ˇ x
v tanh ξ
ˇ D tanh ; D cosh : 1
c
Die neue Variable (Abb. 9.9)
ξ
1 1Cˇ
D artanh ˇ ln
2 1ˇ −1
jv j < c zusammen mit den räumlichen Drehungen eine mathe- invariant bleiben. Sie sind also durch Matrizen
matische Gruppe bilden. Die Lorentz-Transformationen unter
Ausschluss von Drehungen werden im Folgenden gelegent- 1 0>
ƒ.R/ D (9.26)
lich als „reine Geschwindigkeitstransformationen“ bezeichnet 0 R
(in der englischsprachigen Literatur wird dafür der Ausdruck
Lorentz boost verwendet). Die gesamte Lorentz-Gruppe ver- dargestellt, wobei R eine orthogonale Matrix (R> D R1 ) ist.
allgemeinert die orthogonale Gruppe der dreidimensionalen
Drehungen auf vierdimensionale Transformationen, welche die Die räumlichen Drehungen bilden eine Untergruppe: Zwei be-
quadratische Form liebige Drehungen hintereinander ausgeführt ergeben wieder
eine Drehung. Für beliebige Geschwindigkeitstransformationen
s2 WD c2 t2 x2 y2 z2 (9.25) gilt dies nicht unbedingt, das Resultat kann eine Kombination
einer Geschwindigkeitstransformation mit einer Drehung sein
invariant lassen. In obiger Herleitung der Lorentz-Transforma- (siehe hierzu den Abschnitt „So geht’s weiter“ am Ende dieses
tionen haben wir bei dem Vergleich von (9.18) und (9.19) Kapitels).
primär gefordert, dass s2 D 0 auf s02 D 0 führt. Da wir aber
mit y0 D y und z0 D z dafür gesorgt haben, dass eine zu- Werden zwei Geschwindigkeitstransformationen mit gleichge-
sätzliche Reskalierung aller Koordinaten ausgeschlossen wurde, richteten Relativgeschwindigkeiten hintereinander ausgeführt,
haben wir tatsächlich die Invarianz von s2 verwendet. (Verlangt ist das Ergebnis wieder eine reine Geschwindigkeitstransforma-
man nur die Invarianz von s2 D 0, so führt dies auf die größere tion. Allerdings addieren sich Geschwindigkeiten nicht länger
Gruppe der konformen Transformationen; die Physik ist darun- einfach.
ter aber nur in Ausnahmefällen invariant.)
Betrachten wir dazu drei Inertialsysteme, S, S0 und S00 . S0 soll
Die dreidimensionalen Drehungen sind diejenigen Lorentz- sich wieder mit Geschwindigkeit v in positive x-Richtung be-
Transformationen, bei denen separat x2 C y2 C z2 und die Zeit t züglich S bewegen. Bezüglich S0 soll sich das dritte System S00
328 9 Spezielle Relativitätstheorie
mit Geschwindigkeit w 0 bewegen, ebenfalls in positive x-Rich- und die drei Parameter, die eine zusätzliche Drehung festlegen
tung: (z. B. die drei Euler-Winkel). Eine allgemeine Lorentz-Trans-
Teil I
ƒ.w 0 / ƒ.v / D ƒ.w /: (9.27) wobei die erste Drehmatrix das Koordinatensystem von S so
dreht, dass der Geschwindigkeitsvektor v , mit dem sich S0 be-
züglich S bewegt, in positive x-Richtung zeigt. Ist v D 0, so
Frage 4 kombinieren sich die beiden Drehungen natürlich auf eine ein-
Begründen Sie, warum hier ƒ.v / rechts von ƒ.w 0 / steht (auch zige Drehmatrix.
wenn das für die folgende Rechnung nicht wichtig ist). Eine reine Geschwindigkeitstransformation ergibt sich für R2 D
R1 >
1 D R1 . Diese hat dann die Form
!
Wir betrachten also v >=c
0 1 0 1 > (9.33)
w 0 ˇw 0 w 0 0 0 v ˇv v 0 0 v =c I C . 1/ v vv2
Bˇw 0 w 0 w 0 0 0C Bˇv v v 0 0C
@ 0 0 1 0A @ 0 0 1 0A
und ist im Gegensatz zur allgemeinsten Lorentz-Transforma-
tionsmatrix symmetrisch. Um das Ergebnis (9.33) einzusehen,
0 0 0 1 0 0 0 1
0 1 genügt es, sich davon zu überzeugen, dass dies für v D
w 0 v .1 C ˇw 0 ˇv / w 0 v .ˇw 0 C ˇv / 0 0 .v ; 0; 0/> gerade die Standard-Lorentz-Transformation (9.21)
Bw 0 v .ˇw 0 C ˇv / w 0 v .1 C ˇw 0 ˇv / 0 0C gibt und dass Drehmatrizen R1 und R2 D R> 1 die Spalten- und
D@
0 0 1 0A Zeilenvektoren v > und v in eine beliebige Richtung drehen.
0 0 0 1
0 1 Frage 5
w ˇw w 0 0
Zeigen Sie anhand von (9.33), dass zwei reine Geschwin-
Š Bˇw w w 0 0C
D@ :
1 0A
digkeitstransformationen hintereinander ausgeführt im Allge-
0 0
meinen keine reine Geschwindigkeitstransformation ergeben
0 0 0 1
können, weil die resultierende Matrix nicht mehr symmetrisch
(9.28)
ist, wenn die Geschwindigkeitsvektoren v 1 und v 2 in unter-
Ein Vergleich der letzten beiden Matrizen ergibt
schiedliche Richtungen zeigen.
w 0 v .1 C ˇw 0 ˇv / D w ; w 0 v .ˇw 0 C ˇv / D ˇw w ;
(9.29) Zwei reine Geschwindigkeitstransformationen hintereinander
woraus bei Division dieser beiden Gleichungen ausgeführt ergeben eine reine Geschwindigkeitstransformation
in einer Richtung, die in der von v 1 und v 2 aufgespannten Ebe-
ˇw 0 C ˇv ne liegt, kombiniert mit einer Drehung, wobei die Drehachse
ˇw D (9.30)
1 C ˇw 0 ˇv sowie die Größe der Drehung durch den axialen Vektor v 1 v 2
bestimmt sind. Explizite allgemeine Formeln dafür sind etwas
bzw. unübersichtlich (Sexl & Urbantke 1992); in Aufgabe 9.7 wird
w0 C v
wD (9.31) der Fall, dass eine der beiden Geschwindigkeiten klein ist, be-
1 C w 0 v =c2 handelt, was ausreicht, um den in der Atomphysik wichtigen
folgt. Wir sehen, dass es unmöglich ist, durch die Addition Effekt der Thomas-Präzession herzuleiten, der am Ende des Ka-
von zwei Geschwindigkeiten, die beide kleiner als c sind, die pitels im Abschnitt „So geht’s weiter“ diskutiert wird.
Lichtgeschwindigkeit zu überschreiten. So ergibt im Extremfall Zusätzlich zu diesen Transformationen gibt es noch drei dis-
w 0 D v D c ebenfalls w D .c C c/=2 D c. (Das Additionstheo- krete Operationen, die (9.25) unverändert lassen: Zeitspiegelung
rem für beliebige, nicht gleichgerichtete Geschwindigkeiten .T/, räumliche Spiegelung .P/, auch Paritätstransformation
werden wir in Abschn. 9.4 herleiten.) genannt, und die Kombination von beiden .PT/ mit Transfor-
Die gesamte Gruppe der Lorentz-Transformationen, die Dre- mationsmatrizen:
hungen und Geschwindigkeitstransformationen beinhaltet, ist 1 0> 1 0>
ƒ.T/ D ; ƒ.P/ D ; ƒ.PT/ D I4 :
durch sechs kontinuierlich veränderliche Größen parametri- 0 I 0 I
siert: die drei Komponenten eines Geschwindigkeitsvektors v (9.34)
9.2 Lorentz-Transformationen 329
Teil I
Diskrete Symmetrien und deren Verletzung in der Teilchenphysik
Wären alle Vorzeichen in der quadratischen Form s2 in die mit der sogenannten schwachen Kernkraft zusammen-
(9.25) gleich, hätten wir einfach orthogonale Transformatio- hängen, gefunden. (Die Verletzung der Zeitspiegelungsin-
nen in vier Dimensionen vorliegen, was gruppentheoretisch varianz ergibt sich dabei indirekt aus einer Verletzung der
als O(4) notiert würde (siehe auch den „Mathematischen kombinierten Symmetrie von Raumspiegelung (P) und Aus-
Hintergrund“ 27.1). Weil s2 nicht mehr positiv definit ist, tausch von Teilchen mit ihren Antiteilchen (C für charge
spricht man von pseudoorthogonalen Transformationen. Die conjuction oder Ladungskonjugationssymmetrie), was als
Lorentz-Gruppe ist speziell die pseudoorthogonale Gruppe CP-Verletzung bezeichnet wird.)
O(3,1), wobei das Zahlenpaar die Vorzeichenstruktur in s2
Die Paritätsverletzung der schwachen Kernkraft war 1956
angibt und ein globaler Vorzeichenwechsel keinen Unter-
von den chinesisch-stämmigen amerikanischen theoreti-
schied macht: O(1,3) und O(3,1) sind identische Gruppen.
schen Physikern Tsung-Dao Lee (*1926) und Chen-Ning
Die Lorentz-Transformationen, bei denen keine zeitlichen Yang (*1922) postuliert und 1957 von der chinesisch-ameri-
oder räumlichen Spiegelungen inkludiert sind, heißen eigent- kanischen Physikerin Chien-Shiung Wu (1912–1997) expe-
liche orthochrone (zeitrichtige) Lorentz-Transformationen. rimentell nachgewiesen worden. Die CP-Verletzung ist im
Vergleich zur Paritätsverletzung ein noch subtilerer Effekt.
Die Bezeichnung „eigentlich“ bezieht sich dabei auf die Ei-
Entdeckt wurde sie (völlig überraschend) 1964 von den ame-
genschaft det ƒ D 1 (siehe „Mathematischen Hintergrund“
rikanischen Physikern James Cronin (*1931) und Val Fitch
2.2), was auch von ƒ.PT/ erfüllt wird. Gruppentheoretisch
(*1923) im Zerfall von neutralen K-Mesonen (auch Kao-
wird dies SO(3,1) notiert, wobei „S“ für „speziell“, in diesem
nen genannt). Erst viel später, 2001, wurde sie auch bei
Zusammenhang ein Synonym für „eigentlich“, steht.
weiteren Elementarteilchen, den sogenannten B-Mesonen,
Bezeichnen wir orthochrone und nichtorthochrone Trans- durch das amerikanische BaBar- und das japanische BELLE-
formationen mit einem oberen Index " bzw. # und die Experiment (Abb. 9.10) nachgewiesen. Die CP-Verletzung
möglichen Werte der Determinante ˙1 mit einem unteren In- hängt eng mit der noch völlig ungeklärten Frage zusammen,
dex ˙, so können wir zusammenfassend die Lorentz-Gruppe warum unser Universum so viel mehr Materie als Antimate-
in vier disjunkte Komponenten zerlegen: rie enthält.
" #
L O.3;1/ D LC [ LC [ L" #
[ L :
„ ƒ‚ …
SO.3;1/
Jede dieser Transformationen ergibt nur Sinn als passive Trans- (a) (b)
formation der Koordinaten, d. h., sie können im Gegensatz zu ct
Teil I
ct ct ct
Teil I
ct ct
ct
βγ 1
γ
x x
1 1
1 1 1
1
1
βγ
x
α
α 1
1 γ x
1 x
Abb. 9.12 Geometrische Darstellung der Lorentz-Transformation in einem 1
Minkowski-Diagramm (gezeichnet für den Wert ˇ D 3=5 D 0;6, bei dem auch
eine rationale Zahl ist, nämlich D 5=4 D 1;25) x
a b
ct ct ct ct
Teil I
1 1
x x
1 1
1 1
1 /γ
1/γ
1 x 1 x
Abb. 9.14 Lorentz-Kontraktion. Vergleichen zwei Inertialsysteme ihre Maßstäbe, so erweist sich in jedem der Maßstab des anderen verkürzt. Im linken Diagramm
(a) wird der sich nach rechts bewegende Maßstab (rot ), der in S0 ruht und dort die Länge 1 hat, in S zum Zeitpunkt t D 0 durch Vergleich mit dem dort ruhenden
(grün ) gemessen und hat die Länge 1=. Im rechten Diagramm (b) wird der in S ruhende Maßstab analog in S0 gemessen. Hier findet die Messung bei t0 D 0 statt,
und er ist wiederum verkürzt. Wie man sieht, sind die Ereignispunkte, zu denen die jeweiligen Messungen stattfinden, nicht identisch
werden. Dazu benötigt man im Prinzip mehrere Beobachter, die vom Koordinatenursprung bis 1 bzw. 10 ausfüllen und vom je-
über den Raum verteilt sind und synchronisierte Uhren besit- weils anderen System aus gemessen werden. Die Weltlinien von
zen, es sei denn, ein einzelner Beobachter sorgt dafür, dass er Anfang und Ende der Maßstäbe sind jeweils die Koordinaten-
bei visuellen Beobachtungen präzise die Laufzeit des Lichtes achsen ct und ct0 und dazu parallele Linien durch 1 bzw. 10 . Bei
herausrechnet. einer vergleichenden Messung in S wird bei t D 0 und bei einer
in S0 bei t0 D 0 gemessen. Die Enden der Maßstäbe werden also
Ruht ein Maßstab der Länge L0 in S0 , dann füllt er dort das Inter- in diesen beiden Fällen bei unterschiedlichen Raumzeitpunkten
vall x0 D L0 für beliebige t0 aus. Bei der Messung in S muss betrachtet (Abb. 9.14). In beiden Fällen ergibt sich, dass be-
aber t D 0 verlangt werden, denn dort ist er in Bewegung. Die züglich des jeweils ruhenden Maßstabes der bewegte Maßstab
linke Relation in (9.39) ergibt damit verkürzt ist.
ˇ
ˇ
L D xˇ D x0 = D L0 = < L0 : (9.40)
tD0
Zeitdilatation
Der bewegte Maßstab erweist sich daher um den Faktor 1= D
p
1 ˇ 2 verkürzt.
Betrachten wir nun Zeitmessungen mit zueinander bewegten
Dasselbe ergibt sich bei vertauschten Rollen. Ruht der Maßstab Uhren. In jedem Inertialsystem sollen über den Raum verteilt
in S, gilt dort x D L0 für beliebige t. Die Messung vom Uhren vorliegen, die in diesem System ruhen und bezüglich die-
bewegten System S0 aus verlangt nun t0 D 0. Jetzt kann die ses Systems synchronisiert sind.
rechte Relation in (9.39) verwendet werden, und diese führt auf
Ruht eine Uhr in S0 und bewegt sich daher gegenüber S, so muss
ˇ ihre Zeitangabe T0 D t0 entlang ihrer Flugbahn (gegeben
ˇ
L D x0 ˇ 0 D x= D L0 = < L0 : (9.41) durch x0 D 0) mit den Uhren von S verglichen werden. Die
t D0
rechte Relation in (9.38) ergibt damit
Beim Vergleich ihrer Maßstäbe kommen Beobachter in S und S0 ˇ
ˇ
also jeweils zu dem Schluss, dass der des anderen verkürzt ist. T D tˇ D T0 > T0 : (9.42)
x0 D0
Es liegt hier aber überhaupt kein Widerspruch vor, denn wegen
der Relativität der Zeit gehören zu den jeweiligen Messungen Die bewegte Uhr geht also langsamer als die Uhren von S.
unterschiedliche Ereignispaare, wie man sich am besten anhand
eines Minkowski-Diagramms vor Augen führt. Frage 7
Rechnen Sie nach, dass dieselbe Schlussfolgerung für in S ru-
Betrachten wir dazu zwei Einheitsmaßstäbe, die jeweils in S hende Uhren gilt, wenn sie mit denen von S0 verglichen werden!
und S0 ruhen und entlang der x- bzw. x0 -Achse die Strecke
9.3 Minkowski-Raum 333
a b
ct ct ct ct
Teil I
1:15
1:00
1:15
1 1:15 1:15 1
1:15 x 1:15 1:00 x
1:00
1:00 1:00
1
1
1:00
0:00
1 1
0:00
Abb. 9.15 Zeitdilatation. (a) Eine in S0 ruhende Uhr (rot ) wird mit den Uhren (grün ) von S verglichen. (b) Die umgekehrte Situation
Beispiel: Paradoxon von der bewegten Leiter und dem zu kleinen Abstellraum
Teil I
Die spezielle Relativitätstheorie ist voll von scheinbaren die Tür hinter dem Gesellen schließt, denn die physikalische
Widersprüchen, deren Auflösung aber wertvolle Einsichten Auswirkung davon, dass das vordere Ende gestoppt wurde,
liefern kann. Ein populäres Paradoxon zur Längenkontrakti- kann sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, in
on, das in verschiedenen Varianten formuliert werden kann, Form einer Stoßwelle. Erst später kommt die Stoßwelle am
lautet wie folgt: Ein Malermeister hat eine 10 m lange Lei- hinteren Ende an, die dabei womöglich die Leiter komplett
ter, aber sein Abstellraum misst nur 8 m. Er verlangt daher zerstört hat. Wenn sie elastisch genug ist, kann die Leiter
von seinem Gesellen, mit geschulterter Leiter und einer Ge- auch einfach Richtung Tür expandieren und dann vielleicht
schwindigkeit 35 c in den Abstellraum zu rennen. Die Leiter diese zerstören.
ist dank Lorentz-Kontraktion mit D 54 auf 10= D 8 m Jedenfalls passiert all das erst eine Weile, nachdem die Tür
verkürzt. Der Malermeister will in dem Augenblick die Tür geschlossen wurde und das hintere Ende sogar ein Stück weit
schließen, in dem die Leiter gerade in den Abstellraum passt. in den Abstellraum vorgedrungen ist. Seine Bahnkurve ist bis
Aus der Sicht des Gesellen sieht die Sache aber bedenklich zum Eintreffen der Stoßwelle gegeben durch
anders aus. Für ihn ist nun der Abstellraum auf 8= D 6;4 m
geschrumpft, während er in seinem Bezugssytem eine 10 m 3
xE D ct;
lange Leiter transportiert (Abb. 9.16). Kann der Malermeis- 5
ter wirklich die Tür hinter ihm schließen?
wenn im Bezugssystem des Abstellraumes die Tür bei x D 0
angenommen ist und t D 0 als der Zeitpunkt, zu dem die Tür
a b c geschlossen werden konnte. Die Stoßwelle läuft ab t D 0
von x D 8 m zu kleineren Werten von x. Mit Lichtgeschwin-
10 m v 8m 10 m digkeit gibt das
8m 8m
v
6,4 m xS D 8 m ct:
Die Stoßwelle trifft auf das hintere Ende bei xE D xS , woraus
Abb. 9.16 (a) Eine 10 m lange Leiter und ein Abstellraum mit einer Länge ct D 5m und xE D 3m folgt. Das heißt, dass der Maler-
von 8 m. (b) Die mit 1 D 45 Lorentz-kontrahierte Leiter scheint im Be- meister auch noch die Tür schließen hätte können, wenn der
zugssystem des Abstellraumes in diesen zu passen. (c) Im Bezugssystem der Abstellraum bloß 5 m groß gewesen wäre!
Leiter ist ein mit 1 D 45 Lorentz-kontrahierter Abstellraum erst recht zu
klein Frage 8
Zeichnen Sie ein Minkowski-Diagramm, das die Gescheh-
Vom Standpunkt des Malermeisters und dem Ruhesystem nisse wiedergibt! (Die Werte von ˇ und sind hier genauso
des Abstellraumes ist tatsächlich klar, dass die Leiter hin- gewählt wie in Abb. 9.12.)
einpasst. Gleichzeitiges Messen des vorderen und hinteren
Endes ergibt eine Lorentz-kontrahierte Länge. Die Frage ist
vielmehr, was passiert, nachdem er die Tür geschlossen hat. Was dieses Paradoxon und seine Auflösung lehrt, ist, dass
Das vordere Ende der Leiter stößt hier an die Wand des Ab- es in der speziellen Relativitätstheorie keine starren Körper
stellraumes und kommt abrupt zum Stillstand. Das hintere geben kann. Wird ein Körper an einem Ende beschleunigt,
Ende läuft aber unvermindert weiter, während der Meister dann folgt der Rest nie instantan.
Gibt es umgekehrt ein Inertialsystem, in dem A und B am selben finiert dies gleichsam eine ausgedehnte Gegenwart (oder auch
Ort stattfinden, aber tB > tA ist, dann sind sich alle Beobachter absolutes Anderswo, da es im umgekehrten Fall einer zeitartigen
darüber einig, dass s2 > 0 ist, und das bedeutet weiter, dass Trennung immer ein System gibt, in dem die zwei Ereignisse am
auch für alle anderen Beobachter Ereignis B in der Zukunft von gleichen Ort stattfinden).
A liegt.
s2 D 0 charakterisiert Ereignisse, die mit A durch Austausch
Wir können demnach Vergangenheit und Zukunft eines Ereig- von Signalen mit Lichtgeschwindigkeit verbunden werden kön-
nisses A dadurch charakterisieren, dass s2 > 0 ist, und t < 0 nen, und definiert damit den Lichtkegel über A. Diese Ereignisse
bzw. t > 0. Man nennt dann die Ereignisse zeitartig getrennt. sind dann lichtartig zueinander. Je nach Vorzeichen von t liegt
Ist s2 < 0, spricht man von raumartiger Trennung. In diesem B auf dem Vorwärts- oder Rückwärtslichtkegel. In Abb. 9.19 ist
Fall gibt es immer ein Inertialsystem, in dem das Ereignispaar dies für den Fall dargestellt, dass Ereignis A mit dem Koordina-
gleichzeitig ist. Für den Beobachter am Referenzereignis A de- tenursprung zusammenfällt.
9.3 Minkowski-Raum 335
Teil I
Wie wirklich ist die Lorentz-Kontraktion?
ct A(lice)
ct B(ob)
Zukunft ct
Teil I
s2 > 0, t>0
E1 E2
s2 < 0 E3
x
Gegenwart x
s2 = 0 x
s2 > 0, t<0 Lichtkegel
Vergangenheit
Abb. 9.20 Könnten Signale mit Überlichtgeschwindigkeit übertragen werden
Abb. 9.19 Lichtkegel, Vergangenheit und Zukunft bezüglich des Koordina- (hier der Einfachheit mit unendlicher Geschwindigkeit dargestellt), dann wäre
tenursprungs eine Signalübertragung in die Vergangenheit möglich
Anhand von Minkowski-Diagrammen kann man sich ds2 D c2 dt2 dx2 dy2 dz2 D ds02 (9.44)
sofort davon überzeugen, dass man seine eigene Ver-
immer eine positive Größe ist. Betrachten wir ein Inertialsys-
gangenheit beeinflussen könnte, wenn es möglich wäre,
tem S0 , das zu einem gegebenen Zeitpunkt relativ zu S dieselbe
physikalische Wirkungen mit Überlichtgeschwindigkeit
Geschwindigkeit wie das Teilchen hat, sodass das Teilchen in
auszuüben. (Hypothetische Teilchen, die sich mit Über-
diesem System gerade ruht, so gilt ds2 D c2 dt02 , und das in-
lichtgeschwindigkeit bewegen, werden oft als Tachyonen
finitesimale Zeitintervall dt0 stimmt mit dem infinitesimalen
bezeichnet.)
Zeitintervall d der mitgeführten „inneren“ Uhr des Teilchens
Nehmen wir der Einfachheit halber an, dass es möglich überein. Dies definiert die Eigenzeit eines Punktteilchens, die
wäre, in einem Inertialsystem tachyonische Signale mit bei allgemeiner, nicht gleichförmiger Bewegung mit keiner Ko-
so großer Überlichtgeschwindigkeit auszusenden, dass ordinatenzeit eines Inertialsystems übereinstimmen wird. Weil
sie im Minkowski-Diagramm als Linien erscheinen, die ds2 aber in jedem Inertialsystem gleich ist, können wir das Ei-
annähernd parallel zur zugehörigen x-Achse sind. genzeitintervall in den Koordinaten eines Inertialsystems als
Eine in System S ruhende Physikerin A(lice) braucht für
dx2 C dy2 C dz2
die Kausalitätsverletzung nur einen Partner B(ob) in ei- d 2 D ds2 =c2 D dt2 1
c2 dt2
nem sich mit großer Geschwindigkeit weg bewegenden (9.45)
System S0 , dem sie zum Zeitpunkt von Ereignis E1 ein v 2 .t/
D dt2 1 2
solches Signal übermittelt. Wenn der Partner B zum Er- c
eignis E2 daraufhin ein ebensolches Signal, das sich nun
bezüglich S0 praktisch instantan ausbreitet, zurücksendet, angeben. Dies ist gerade die schon diskutierte Zeitdilatation, nur
kommt es bei Alice zu einem früheren Zeitpunkt an (Er- jetzt für infinitesimale Zeitintervalle und mit einer Geschwin-
eignis E3 ), als sie das Signal absetzte (Abb. 9.20). J digkeit, die nicht notwendigerweise konstant sein muss. Damit
können wir nun endliche Eigenzeitintervalle entlang einer be-
liebigen Weltlinie berechnen.
Teil I
B
weil sich die beiden Atomuhren in unterschiedlichen Gravitati-
onspotenzialen befinden, die allgemeine Relativitätstheorie mit
der Gravitationsrotverschiebung einen entgegengesetzten und
zehnmal größeren Effekt bei. Die Zeitdilation, die sich auf dem
τB − τA < tB − tA
15 Stunden währenden Flug auf 5,7 ns aufaddierte, konnte dabei
aber dank der erzielten Genauigkeit exakt bestätigt werden.
tB − tA
9.4 Viererformalismus
Betrachten wir eine Weltlinie, die A und B durch eine gleichför-
mige Bewegung verbindet, dann definiert dies ein Inertialsys- Wir werden nun den Formalismus, den wir in Kap. 2 für Dre-
tem. In diesem ist v D 0 und das Eigenzeitintervall durch die hungen im dreidimensionalen euklidischen Raum entwickelt
Koordinatenzeitdifferenz gegeben. Jede andere Weltlinie, die haben, auf den nichteuklidischen Minkowski-Raum verallge-
von A nach B führt, hat also eine kleinere Eigenzeit (Abb. 9.21). meinern. Wie wir gesehen haben, sind Lorentz-Transformatio-
Die zeitlich längste Verbindung zwischen zwei Ereignissen nen pseudoorthogonale Transformationen der Inertialsysteme,
ist also die gerade Weltlinie im Minkowski-Raum! Die anfal- von denen aus Ereignisse, d. h. die Raumzeitpunkte des Min-
lende Eigenzeit wird dagegen beliebig klein, wenn Umwege kowski-Raumes, durch vierdimensionale Koordinaten parame-
mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit gemacht trisiert werden.
werden. Wenn wir für alle Inertialsysteme den Koordinatenursprung
gleich wählen, können wir einem Ereignis einen physikalischen
Dies führt auf das viel zitierte sogenannte Zwillingsparado-
Viererortsvektor x zuordnen, der aber in verschiedenen Inerti-
xon der speziellen Relativitätstheorie: Unternimmt von einem
alsystemen durch verschiedene Koordinaten x , D 0; : : : ; 3,
Zwillingspaar einer eine Reise durch den Weltraum mit Ge-
beschrieben wird, weil in den verschiedenen Inertialsystemen
schwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit, so kann er bei
verschiedene Basisvektoren ausgezeichnet wurden:
seiner Rückkehr den auf der Erde zurückgebliebenen Zwil-
ling um ein Vielfaches gealtert vorfinden (oder schon längst
X
3
nicht mehr am Leben). Ein Experiment dazu wurde tatsäch- x D x e x e : (9.47)
lich mit Atomuhren von J. Hafele und R. Keating im Jahr D0
1971 mit einem gewöhnlichen Verkehrsflugzeug durchgeführt
und 1975 von Physikern der University of Maryland wieder- In diesem Ausdruck haben wir die Einstein’sche Summenkon-
holt. Der gemessene Gangunterschied der reisenden und der auf vention auf den vierdimensionalen Fall erweitert, wobei wir
338 9 Spezielle Relativitätstheorie
Vertiefung: Zwillingsparadoxon
Teil I
zusätzlich vereinbaren, dass beim Indexpaar immer ein Index die Minkowski-Metrik genannt wird:
unten und einer oben zu stehen hat.
0 1
Teil I
1 0 0 0
Dementsprechend schreiben wir Lorentz-Transformationen als
B0 1 0 0C
. / D @ :
0A
(9.55)
x0 D ƒ x ; (9.48) 0 0 1
0 0 0 1
wobei der untere Index bei ƒ nach rechts gerückt ist, damit
klar ist, welcher der erste und welcher der zweite Index der Ma-
trix ist. Da nur die Koordinaten andere sind, der physikalische Achtung Die Minkowski-Metrik wird in der Literatur etwa
Vektor aber eine invariante Bedeutung hat, gleich häufig auch als Diagonalmatrix mit Einträgen ; C; C; C
definiert. In der Teilchenphysik wird meist (aber nicht immer)
x D x e D x0 e0 D ƒ x e0 ; (9.49) die Metriksignatur (9.55) bevorzugt, in der allgemeinen Rela-
tivitätstheorie meist (aber auch nicht immer) die Signatur mit
folgt für die Basisvektoren überwiegend positiven Vorzeichen. J
ds2 D dx dx D dx0 dx0 D ƒ ƒ dx dx
Lassen wir zusätzlich Verschiebungen des Koordinatenur-
(9.56)
sprungs zu, so haben wir es mit den allgemeineren Poincaré-
charakterisiert damit Lorentz-Transformationen durch die Rela-
Transformationen zu tun:
tion
x0 D ƒ .x b /; (9.51) ƒ ƒ D : (9.57)
x0 D ƒ x ; dx0 D ƒ dx : (9.52) Der Minkowski-Raum ist damit ein metrischer Raum (siehe den
„Mathematischen Hintergrund“ 1.2), allerdings mit der Verall-
Dieses Transformationsverhalten stellt den Prototyp für Vierer- gemeinerung, dass die metrische Fundamentalform nicht positiv
vektoren dar. definit ist. Der mit dieser Metrik definierte „Abstand“ kann null
sein, auch wenn die Raumzeitpunkte getrennt sind, nämlich
wenn diese durch Lichtstrahlen miteinander verbunden werden
Transformationsverhalten eines Vierervektors
können.
a D a e ist ein Vierervektor mit kontravarianten
Durch diese Metrik haben wir eine (nicht positiv definite) Norm
Komponenten a , wenn letztere bei einer Poincaré-Trans-
für Vierervektoren eingeführt, speziell für Ortsdifferenzenvek-
formation (9.51) gemäß
toren,
a0 D ƒ a (9.53)
s2 D hx; xi D x x he ; e i; (9.58)
„ ƒ‚ …
transformieren.
Bei der Betrachtung von Vektorräumen sind immer wieder Betrachten wir den Vektorraum K n zusammen mit der Stan-
Abbildungen wichtig, die linear sind. Eine besondere Rolle dardbasis .e1 ; : : : ; en /, so ist die duale Basis gegeben durch
spielen solche lineare Abbildungen, die in den Grundkörper .e
1 ; : : : ; en /, wobei
abbilden. Damit wollen wir uns hier kurz beschäftigen.
e
i D .0; : : : ; 0; 1; 0; : : : ; 0/
Definition Sei K ein Körper (z. B. K D R) und V ein endlich
und die 1 jeweils an der i-ten Stelle steht.
dimensionaler K-Vektorraum (z. B. V D Rn /. Dann nennen
wir eine lineare Abbildung ' W V ! K eine Linearform. Die
Menge aller Linearformen bezeichnen wir mit V . Dualität bei Skalarprodukträumen Gibt es auf dem Vek-
torraum V ein Skalarprodukt, so ist für jedes feste w 2 V die
Eine Linearform ist also eine Abbildung der Form Abbildung
.x1 ; x2 ; : : : ; xn / 7! a1 x1 C a2 x2 C : : : C an xn v 7! hw ; v i
für gewisse Konstanten a1 ; a2 ; : : : ; an 2 K. Der Dualraum
linear, also ein Element des Dualraumes V . Ist nun um-
.K n / kann also mit dem Raum aller .1 n/-Matrizen, d. h.
gekehrt ' eine Linearform, so gibt es immer einen Vektor
Zeilenvektoren der Länge n, identifiziert werden. Die zu
w 2 V (dessen Komponenten von den Komponenten der Li-
a WD .a1 ; : : : ; an / gehörige Linearform 'a ist
nearform ' abhängen), sodass '.v / D hw ; v i für alle v 2 V
X
n
gilt. Mit anderen Worten: Jede Linearform lässt sich durch
'a .x/ D ax D ak xk 8x 2 V: ein Skalarprodukt darstellen.
kD1
Zum Beispiel ist ' W R3 ! R; '.x; y; z/ WD 3x C y C 4z eine In diesem Fall lässt sich eine Isomorphie zwischen Vektor-
Linearform, der dazugehörige Zeilenvektor ist .3; 1; 4/. Der raum und Dualraum sehr einfach darstellen, nämlich durch
Dualraum .R3 / besteht nun aus der Menge aller solcher Li- f W V ! V ; v 7! h; v i:
nearformen ' W R3 ! R.
Dualraum als Vektorraum Sind '; zwei Linearformen Der Dualraum im Unendlichdimensionalen In den späteren
und ˛ 2 K, so kann man die Summe ' C sowie das skalare Kapiteln werden unendlichdimensionale Vektorräume (z. B.
Produkt ˛' durch Funktionenräume) öfters eine wichtige Rolle spielen, insbe-
sondere in Teil III.
.' C /.x/ WD '.x/ C .x/; .˛'/.x/ D ˛'.x/ 8x 2 V
definieren. Mit diesen Verknüpfungen wird der Dualraum V Ist V ein unendlichdimensionaler Vektorraum, so verlangt
selbst zu einem Vektorraum. Dieser Vektorraum hat wieder man für Elemente des Dualraumes zusätzlich die Stetigkeit
dieselbe Dimension wie V und ist deswegen isomorph zu V. und schreibt dann für den Dualraum V 0 . Zum Beispiel ist in
einem Hilbert-Raum H (definiert in Abschn. 23.1) für jedes
Duale Basis Wir hatten weiter oben bereits Linearformen feste y 2 H die Abbildung
mit Vektoren identifiziert. Dies wollen wir nun kurz präzi-
sieren. x 7! hx; yi
Da der Dualraum ein Vektorraum ist, können wir dort natür- eine stetige lineare Abbildung, also ein Element von H 0 .
lich eine Basis finden. Hierfür gibt es eine besonders güns- Für allgemeine unendlich dimensionale Vektorräume ist der
tige Wahl. Ist im Vektorraum V eine Basis .v1 ; v2 ; : : : ; vn / Dualraum V 0 nun nicht mehr unbedingt isomorph zum zu-
gewählt, so definieren wir vi 2 V durch grunde liegenden Vektorraum V. Für Hilbert-Räume gilt die
Isomorphie jedoch. Genauer sagt der Darstellungssatz von
1; iDj Fréchet-Riesz, dass es zu jedem Element f 2 H 0 (also zu je-
vi .vj / D :
0; i¤j der stetigen, linearen Abbildung f W H ! R bzw. f W H !
Dann ist .v1 ; v2 ; : : : ; vn / eine Basis von V . Wir nennen C) genau ein y 2 H gibt, sodass für alle x 2 H gilt:
diese die duale Basis. f .x/ D hx; yi:
Damit wird nun auch die Identifikation von Linearformen als
Vektoren klar: Bezüglich der dualen Basis sind die Vektor-
komponenten 'j der Linearform ' gerade die Werte '.vj /. Literatur
Schreibt
Pn man nämlich ' in der dualen Basis als ' D
iD1 ' i vi , so ist Modler, F., Kreh, M.: Tutorium Analysis 1 und Lineare
X
n Algebra 1. 3. Aufl., SpringerSpektrum (2014)
'.vj / D 'i vi .vj / D 'j : Arens et. al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akademi-
iD1 scher Verlag (2012)
9.4 Viererformalismus 341
definieren, wobei die e mit oberem Index diese duale Basis Frage 10
darstellen und ı das vierdimensionale Kronecker-Symbol ist: Verifizieren Sie diese Aussage, indem Sie (9.57) auf beiden Sei-
Teil I
ten mit einer inversen Metrik multiplizieren.
1 D
ı D : (9.61)
0 6D
Die zweifach unterschiedliche Indexposition hat zur Folge, dass
Die Metrik erlaubt es nun aber, die dualen Basisvektoren mit es zu einem Vorzeichenwechsel kommt, wenn davon ein Index
den ursprünglichen in Beziehung zu setzen. Multiplizieren wir zeitlich und einer räumlich ist. Für die Lorentz-Transformation,
(9.60) mit , so ergibt sich die zu einer reinen Geschwindigkeitstransformation in x-Rich-
tung gehört, bedeutet dies
e .e / D ; (9.62)
0 1
ˇ 0 0
was dasselbe liefert wie das Skalarprodukt he ; e i. Wir können Bˇ 0 0C
.ƒ / D @ ;
also 0 0 1 0A
e D e (9.63) 0 0 0 1
0 1 (9.71)
identifizieren. Cˇ 0 0
Definieren wir die inverse Metrik durch BCˇ 0 0C
.ƒ / D @ :
0 0 1 0A
D ı ; (9.64) 0 0 0 1
können wir (9.63) auch nach den dualen Größen auflösen: Wie es sein muss, erhält man die inverse Matrix durch Änderung
des Vorzeichens bei der Geschwindigkeit ˇ. Bei einer reinen
e D e : (9.65) Drehung
1 0>
Die inverse Metrik ist hier zwar numerisch mit (9.55) identisch, .ƒ .R// D
0 R
0 1
1 0 0 0
B0 1 0 0C ändert sich dagegen nichts; hier gibt ja auch schon die transpo-
. / D @ ;
0 0 1 0 A
(9.66) nierte Matrix das Inverse (man beachte die Transposition, die in
0 0 0 1 (9.70) im Spiel ist!).
Neben Vierervektoren können wir nun ganz analog auch Vierer-
ist aber konzeptionell von zu unterscheiden. Hätten wir tensoren beliebiger Stufe definieren. Zum Beispiel transformie-
nämlich krummlinige Koordinaten verwendet, was im räumli- ren die Komponenten eines Tensors zweiter Stufe entsprechend
chen Teil nicht ungewöhnlich wäre, hätte die Metrik nicht zu der Indexposition:
sich selbst invers sein können.
0
Mit den dualen Basisvektoren (9.65) können wir nun allgemein t D ƒ ƒ t ; t0 D ƒ ƒ t ; (9.72)
Vierervektoren alternativ in dualer Basis und damit mit kovari-
wobei Indizes mit der Minkowski-Metrik von ko- zu kontra-
anten Komponenten schreiben:
variant verändert werden können: t D t . Als
a D a e D a e ; (9.67) Spezialfall haben wir bereits die Minkowski-Metrik kennenge-
lernt, die sich dadurch auszeichnet, ein invarianter Tensor zu
wobei die kovarianten Komponenten durch einen unteren Index sein:
notiert werden, der, wie man sagt, mit der Metrik nach unten 0 D ƒ ƒ D : (9.73)
gezogen wird:
a D a ; (9.68) Frage 11
wodurch sich ein Unterschied im Vorzeichen in den räumlichen Überzeugen Sie sich anhand der Definition der invarianten Me-
Komponenten ergibt: a0 D a0 , a1 D a1 , a2 D a2 , a3 D a3 . trik, dass auch die Indizes der Minkowski-Metrik durch die
Metrik von ko- zu kontravariant umgewandelt werden können,
Die kovarianten Komponenten haben das entgegengesetzte
wobei das Kronecker-Symbol ı als gemischt ko- und kontra-
Transformationsverhalten zu den kontravarianten, weil sie wie
variante Darstellung der Minkowski-Metrik aufgefasst werden
die Basisvektoren e in (9.50) transformieren. Dieses lässt sich
kann.
mit Indexziehen auch in folgende Form bringen:
ist dagegen ein Lorentz-Skalar, d. h. eine Invariante unter Lo- in Übereinstimmung mit der Tatsache, dass in der Relativitäts-
rentz-Transformationen. Genauso gut lässt sich dies als a b D theorie c invariant unter Lorentz-Transformationen ist.
Teil I
Das einzige konkrete Beispiel für einen Vierervektor in der obi- u a D 0; (9.79)
gen Darlegung war der Viererortsvektor bzw. Differenzen davon
und die infinitesimalen Differenziale dx . (Ein weiteres wichti- d. h., die Viererbeschleunigung ist im Sinne der Minkowski-
ges Beispiel wird in Aufgabe 9.8 vorgestellt: der Vierergradient, Geometrie überall orthogonal auf die Vierergeschwindigkeit.
der ab Kap. 18 sehr wichtig werden wird.) Im Gegensatz zu letzterer ist die Viererbeschleunigung ein
raumartiger Vierervektor. Das Viererquadrat von a ist wieder
Ist eine Weltlinie eines Punktteilchens gegeben, können wir
eine Lorentz-invariante Größe. Um sie zu berechnen, genügt es,
weitere Vierervektoren betrachten. Eine solche Weltlinie ist ge- dies in einem Inertialsystem zu tun; die Lorentz-Invarianz stellt
geben durch eine Linie x D x .t/, wobei t ein geeigneter sicher, dass das Ergebnis für alle Inertialsysteme gilt. Betrachten
Kurvenparameter ist. Weil eine physikalisch realisierbare Welt-
wir ein Inertialsystem, in dem zu einem gegebenen Zeitpunkt
linie aber überall zeitartig ist, d. h. ds2 D dx dx > 0, ist v .t/ D 0 ist. Berechnen wir nun in diesem System
in jedem Inertialsystem die jeweilige Koordinatenzeit ein geeig-
neter Parameter.
du du d c
In einem gegebenen Inertialsystem ist dx.t/=dt D v .t/ die Ge- a D D D .v / ; (9.80)
d dt dt v
schwindigkeit des Punktteilchens zum Zeitpunkt t. Weil die Zeit
nichttrivial transformiert, ist allerdings dx .t/=dt kein Vierer- dann ist D 1 und wegen
vektor. Dieses Manko lässt sichpaber beheben, indem dt durch
das Eigenzeitdifferenzial d D ds2 =c ersetzt wird, denn letz- d 1 dv
teres ist ein Lorentz-Skalar. D 2 3 v a; a (9.81)
dt c dt
Teil I
wx D ;
tiver x-Richtung mit Geschwindigkeit v , dann können wir die 1 C vwx0 =c2
0 (9.87)
transformierte Geschwindigkeit einfach aus 1 wy;z
wy;z D ;
.v / 1 C vwx0 =c2
u0 .w 0 / D ƒ.v / u .w / (9.82)
in Verallgemeinerung von (9.31), wo w und w 0 nur Komponen-
extrahieren. Komponentenweise angeschrieben lautet dies ten in x-Richtung hatten.
v vwx Frage 13
u00 D .v / u0 u1 H) .w 0 / D .v /.w / 1 2 ;
c c Betrachten Sie den Fall wx0
D 0 und machen Sie sich das Ergeb-
(9.83) nis als Effekt der Zeitdilatation plausibel. (Denken Sie daran,
v
u01 D .v / u1 u0 H) .w 0 /wx0 D .v /.w /.wx v /; dass Distanzen in transversaler Richtung nicht Lorentz-kontra-
c hiert werden.)
(9.84)
u02;3 D u2;3 H) .w 0 /wy;z
0
D .w /wy;z : (9.85)
Für die Beträge der Geschwindigkeiten gilt nun, wie man nach-
rechnen kann:
Division der letzten beiden Gleichungen jeweils durch die erste
liefert w2 .1 w 02 =c2 / .1 v 2 =c2 /
wx v D1 : (9.88)
wx0 D ; c2 .1 C v w 0 =c2 /2
1 vwx =c2
(9.86)
0 1 wy;z Daraus geht wieder hervor, dass die Lichtgeschwindigkeit nicht
wy;z D
.v / 1 vwx =c2 erreicht werden kann, wenn w 0 und v kleiner als c sind.
344 9 Spezielle Relativitätstheorie
So geht’s weiter
Teil I
Thomas-Präzession: hat das Objekt aus Sicht des Laborsystems die Geschwindigkeit
v C dv , aber B.t/ hat nun eine andere räumliche Orientierung
Die Relativität von Richtungen
als das System S00 , das durch ƒ.v C dv / mit dem Laborsys-
tem rotationsfrei verknüpft ist. Die Systeme B.t/ und B.t C dt/
Das Produkt von zwei Lorentz-Transformationen, die reine Ge-
unterscheiden sich definitionsgemäß um eine reine Geschwin-
schwindigkeitstransformationen sind, ist nur dann wieder eine
digkeitstransformation ƒ.dv 0 /, während S0 und S00 durch
reine Geschwindigkeitstransformation, wenn die dabei invol-
vierten Geschwindigkeiten v 1 und v 2 parallel sind. Andernfalls
ƒ.v C dv / ƒ1 .v / D ƒ.R/ ƒ.dv 0 / (9.89)
ist immer auch eine Drehung des räumlichen Koordinatensys-
tems im Spiel.
verknüpft sind, wie das Diagramm in Abb. 9.22 zeigt.
Betrachtet man von einem Inertialsystem aus eine allgemeine,
nicht gleichförmige Bewegung eines Objekts, das in seinem S
Eigensystem eine Richtung auszeichnet, wie z. B. einen Krei- B(t + dt)
selkompass oder ein Elementarteilchen mit Spin (Abschn. 21.6),
dann ändert sich diese Richtung vom Inertialsystem aus betrach- Λ(R)
tet, auch wenn im Eigensystem des Objekts keine Drehmomente Λ(dv )
im Spiel sind.
Λ(R)· Λ(dv )
Betrachten wir beispielsweise zwei Raketen, die Kreiselkom-
B(t) = S S
passe mitführen und die anfangs in einem gemeinsamen Iner-
tialsystem sind. Beschleunigt eine dieser Raketen zuerst auf
Geschwindigkeit v 1 und danach auf eine zusätzliche Geschwin- Λ(v) Λ(v + dv)
digkeit v 2 ¬ v 1 , dann hat sich ihr Kreiselkompass gegenüber
S
der zweiten Rakete verdreht, wenn diese durch eine einzige li-
neare Beschleunigung in das neue Inertialsystem überwechselt.
Das ist ein rein relativistischer Effekt, der in der Newton’schen Abb. 9.22 Ein Objekt, das dadurch beschleunigt wird, dass Kräfte nur auf
Mechanik keine Entsprechung hat. den Schwerpunkt wirken, wird durch ein Bezugssystem B.t/ beschrieben,
Wird nun ein Objekt auf einer ständig beschleunigten Bahn- das über eine kontinuierliche Abfolge von reinen Geschwindigkeitstransfor-
kurve bewegt, z. B. auf einer Kreisbahn, dann ändert sich, von mationen definiert ist. In diesem ändern sich durch mitgeführte Kreiselkom-
passe oder Spins definierte Richtungen nicht. Von einem festen Laborsystem
einem Inertialsystem aus betrachtet, das mitgeführte räumli-
S aus betrachtet sind momentane Inertialsysteme S und S00 des beschleunigt
che Koordinatensystem (definiert durch Kreiselkompass oder bewegten Objekts, die dieselbe räumliche Orientierung wie das Laborsys-
Spin) kontinuierlich. Dieser ausschließlich kinematische Effekt tem haben, mit diesem durch reine Geschwindigkeitstransformationen (hier
heißt Thomas-Präzession nach dem englischen Physiker Lle- ƒ.v / bzw. ƒ.v C dv /) verknüpft. Wird B.t/ D S0 gewählt, so unter-
wellyn Hilleth Thomas (1903–1992). Die Bedingung an das scheidet sich zu einem infinitesimal späteren Zeitpunkt B.t C dt/ von S00 im
mitgeführte Koordinatensystem eines beschleunigten Objekts, Allgemeinen um eine infinitesimale Drehung
nämlich dass dieses aus seiner Perspektive rotationsfrei gehalten Hierbei ist
wird und aus einer kontinuierlichen Abfolge von reinen Ge-
schwindigkeitstransformationen besteht, heißt Fermi-Walker- v dv
dv 0 D dv C . 1/ v; (9.90)
Transport, benannt nach dem italienischen Physiker Enrico v2
Fermi (1901–1954) und dem britischen Mathematiker und Kos-
mologen Arthur Geoffrey Walker (1909–2001). in Übereinstimmung mit dem allgemeinen relativistischen Ad-
Betrachten wir nun von einem Laborsystem S aus die Flug- ditionstheorem für Geschwindigkeiten, während die (infinitesi-
bahn eines Objekts mit Spin (Elektron oder Kreiselkompass), male) Drehmatrix durch
dann können wir zu jedem Zeitpunkt t, zu dem sich das Objekt
mit Geschwindigkeit v .t/ bewegt, mit einer reinen Geschwin- . 1/
R D I C dR D I C .v d v > d v v > / (9.91)
digkeitstransformation ƒ.v .t// in das momentane Ruhesystem v2
des Objekts übergehen und dadurch das räumliche Koordina-
gegeben ist, wie in Aufgabe 9.7 gezeigt wird. Schreibt man
tensystem des vom Objekt mitgeführten Systems mit dem des
Laborsystems vergleichen. Bezeichnen wir mit B.t/ das aus
x00 D Rx0 D x0 C x0 d; (9.92)
der Sicht des beschleunigten Objekts rotationsfrei gehaltene
Koordinatensystem, dann können wir es zu einem Zeitpunkt t
dann ist der infinitesimale Drehvektor
gleich ausrichten wie ein Inertialsystem S0 , das mit dem Labor-
system durch eine reine Geschwindigkeitstransformation ƒ.v / . 1/
verknüpft ist. Zu einem infinitesimal späteren Zeitpunkt t C dt d D v dv : (9.93)
v2
So geht’s weiter 345
Vom mitgeführten System aus betrachtet unterscheidet sich S00 Atomkern bewegt, wird durch die Kraft ma D V 0 .r/er D
Teil I
von B.t C dt/ nur durch eine passive Koordinatentransforma- rV 0 .r/=r auf seiner Bahn gehalten. Der Spin des Elektrons, das
tion ƒ.dR/. Aus der Sicht des Laborsystems S hat sich das sich in guter Näherung nichtrelativistisch bewegt, erfährt damit
mitgeführte System B zusammen mit einem damit verbundenen eine Präzession der Gestalt
Spinvektor S aber um ƒ1 .dR/ aktiv gedreht:
1 v r 0 1 V 0 .r/
D V .r/ D 2 2 L ; (9.98)
dS D S d D d S: (9.94) 2
2c mr 2m c r
Dieser präzediert also gemäß wobei L D r .mv / der Bahndrehimpuls des Elektrons ist. Dies
gibt eine Korrektur zur Spin-Bahn-Wechselwirkungsenergie des
dS d Elektrons, die sich aus der magnetischen Wechselwirkung von
D S DS (9.95)
dt dt Bahndrehimpuls und Spin in der nichtrelativistischen Quanten-
mechanik ergibt (wie in Abschn. 29.3 hergeleitet werden wird).
mit einer Winkelgeschwindigkeit
Bemerkenswerterweise haben dieser dynamische Beitrag und
. 1/ dv . 1/ der rein kinematische der Thomas-Präzession dieselbe Form,
D v D v a; (9.96) wobei letzterer den Effekt um einen Faktor 12 vermindert. Dieser
v2 dt v2
Korrekturfaktor 12 wird in der Quantenmechanik auch Thomas-
die durch die momentane Geschwindigkeit und Beschleunigung Faktor genannt.
1 v2
bestimmt ist. Ist v c, dann ist dies wegen 1 2 c2
näherungsweise
1
2 v a: (9.97) Geodätische Präzession
2c
Man beachte, dass abhängig von der Relativgeschwindigkeit
und Lense-Thirring-Effekt
des Beobachters in S ist. In einem momentanen Ruhesystem ist
Ein analoger Effekt existiert auch im Gravitationsfeld, zu dessen
insbesondere die Geschwindigkeit v D 0, und der Spinvektor
Berechnung aber die allgemeine Relativitätstheorie herangezo-
präzediert gerade nicht. Durchläuft ein Objekt eine geschlossene
gen werden muss. Dieser Effekt, der geodätische Präzession
Bahn und kommt in das Ausgangssystem zurück, dann kommt
genannt wird, wurde schon 1916 von dem niederländischen
es aber zu einer eindeutig definierten Verdrehung des Spinvek-
Astronomen Willem de Sitter (1872–1934) berechnet, also elf
tors, die davon abhängt, wie groß die Beschleunigung entlang
Jahre vor dem speziell-relativistischen der Thomas-Präzession
der Bahnkurve war.
(und weniger als ein Jahr nach Aufstellung der allgemeinen Re-
lativitätstheorie). Der allgemein-relativistische Effekt hat wie-
der die Form (9.98), wobei nun V.r/ das Gravitationspotenzial
darstellt, ist aber sogar um einen Faktor 3 größer, denn er setzt
sich aus einer „gravi-magnetischen“ Spin-Bahn-Kopplung zu-
sammen, die exakt analog zur Thomas-Präzession ist, und einem
doppelt so großen weiteren Beitrag von der Raumkrümmung.
Für Satelliten auf einem erdnahen Orbit beträgt diese geodäti-
sche Präzession einige Bogensekunden pro Jahr.
Zusätzlich dazu gibt es den noch subtileren, 1918 von Josef
Lense (österreichischer Mathematiker, 1890–1985) und Hans
Thirring (österreichischer Physiker, 1888–1976) gefundenen
und nach ihnen benannten Effekt des frame dragging, der von
der Rotation der Erde selbst hervorgerufen wird. Ein massiver
rotierender Körper krümmt demnach nicht nur die Raumzeit,
Abb. 9.23 Der 2004 gestartete NASA-Satellit Gravity Probe B, der 2011 die sondern verdrillt sie auch etwas, was zu einer weiteren Prä-
allgemein-relativistischen Effekte der geodätischen Präzession (6,6 Bogen- zession führt, die als „gravi-magnetische“ Spin-Spin-Wechsel-
sekunden pro Jahr) sowie den Lense-Thirring-Effekt (39 Millibogensekunden wirkung angesehen werden kann. Für Erdsatelliten macht der
pro Jahr) mit einer Genauigkeit von 0,01 % bzw. 1 % bestätigen konnte. Da- Lense-Thirring-Effekt nur etwa 40 Millibogensekunden pro Jahr
zu führte dieser Satellit vier aus schnell rotierenden supraleitenden Kugeln aus, kann von der geodätischen Präzession aber unterschieden
bestehende Gyroskope mit (© NASA/MSFC)
werden, weil er im Allgemeinen eine andere räumliche Dreh-
Mit diesem relativistischen Effekt der Thomas-Präzession konn- achse hat. Beide Effekte konnten 2011 von dem 2004 gestarteten
te 1927 Thomas einen Widerspruch beseitigen, der sich in der Satelliten Gravity Probe B (Abb. 9.23) mit hoher Genauigkeit
nichtrelativistischen Quantenmechanik bei der Berechnung der bestätigt werden. (Für eine hervorragende Diskussion dieser Ef-
Feinstruktur von Atomen ergeben hatte: Ein Elektron, das sich fekte und ihre Bedeutung für die allgemeine Relativitätstheorie
in einem radialsymmetrischen Potenzial V.r/ D Ze=r um den siehe Overduin 2008.)
346 9 Spezielle Relativitätstheorie
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
9.1 Vorbeiflug von Teilchen an Stab In einem In- Faden miteinander verbunden sind. Zum Zeitpunkt t D 0 sol-
ertialsystem S bewege sich ein Stab der Ruhelänge L0 mit der len sie exakt gleichzeitig starten und durch einen identischen
Geschwindigkeit v in seiner Längsrichtung. Mit entgegenge- Beschleunigungsvorgang in x-Richtung auf eine bestimmte Ge-
setzt gleicher Geschwindigkeit fliege ein Punktteilchen auf den schwindigkeit v gebracht werden. Vom Inertialsystem S, in dem
Stab zu und an ihm vorbei. sie gestartet sind, aus betrachtet, halten die beiden Raketen im-
mer den gleichen Abstand, während der mitgeführte Faden, der
(a) Wie lange dauert der Vorbeiflug im Inertialsystem S? die Raketen verbindet, auf eine Länge L D L0 =.v / Lorentz-
(b) Wie lange im Ruhesystem S0 des Stabes? kontrahiert wird. Wenn der Faden nicht dehnbar ist, sollte er
(c) Wie lange im Ruhesystem S00 des Punktteilchens? reißen. Kann das sein? Im Bezugssystem der beiden Raketen ist
Für welchen Fall ist das Ergebnis maximal bzw. minimal? natürlich keine Lorentz-Kontraktion vorhanden. Reißt nun der
Faden, oder reißt er nicht?
Empfehlenswerte Zusatzaufgabe: Fertigen Sie Minkowski-Dia-
gramme dazu an. Lösungshinweis: Stellen Sie die Ereignisse in einem Minkow-
ski-Diagramm dar. Nehmen Sie an, dass die Beschleunigungs-
Lösungshinweis: Definieren Sie sorgfältig die zwei Ereignis- phase selbst vernachlässigbar kurz ist und sich danach beide Ra-
se, die zum Zusammentreffen von Teilchen und Anfangs- bzw. keten mit gleicher Geschwindigkeit in positive x-Richtung bewe-
Endpunkt des Stabes gehören, und führen Sie die notwendi- gen. Die Frage kann dann ohne Rechnung beantwortet werden.
gen Lorentz-Transformationenen durch. Kontrollieren Sie Ihr
Ergebnis durch eine alternative Berechnung mit der Formel für 9.4 Relativistischer Zaubertrick mit Stab und
relativistische Geschwindigkeitsaddition. Lochplatte Ein zerbrechlicher Stab und eine massive Loch-
platte werden im Laborsystem S eines Trickkünstlers wie in
9.2 Zeitdilatation durch Erdrotation „Man Abb. 9.24 skizziert auf zueinander rechtwinkligen Bahnen mit
schließt daraus, daß eine am Erdäquator befindliche Unruh- relativistischer Geschwindigkeit aufeinander geschossen. Die
uhr um einen sehr kleinen Betrag langsamer laufen muß als Länge des Stabes und der Durchmesser des Loches sind in Ruhe
eine genau gleich beschaffene, sonst gleichen Bedingungen un- gleich, sodass der Stab gerade nicht durch das runde Loch ge-
terworfene, an einem Erdpole befindliche Uhr“ schrieb Einstein schoben werden kann, wenn er parallel zur Platte liegt (solange
(1905) in seiner Arbeit „Zur Elektrodynamik bewegter Körper“. seine Enden nicht zum Loch passend abgerundet werden). Bei
Schätzen Sie den Effekt ab, wenn vernachlässigt wird, dass relativistischer Bewegung des Stabes in seiner Längsrichtung p
die Erdoberfläche am Pol und am Äquator unterschiedliches wird der Stab aber Lorentz-kontrahiert (bei z. B. vx =c D 3=4
Gravitationspotenzial hat und man eigentlich die Gravitations- und .vx / D 2 gerade auf die Hälfte) und sollte bequem und
rotverschiebung in die Rechnung einbeziehen müsste. Wie groß unbeschadet durch die Lochplatte durchgehen, die bei ihrer Be-
ist der Effekt nach einem Tag? wegung in Richtung senkrecht zur Platte (mit Geschwindigkeit
9.3 Bell’sches Raumschiffparadoxon Der nordiri- vy , die nicht unbedingt relativistisch sein muss) nur in ihrer Di-
sche Physiker John S. Bell (1928–1990), bekannt durch die cke Lorentz-kontrahiert wird und sonst ihre Form beibehält.
nach ihm benannten Ungleichungen, die in der Interpretation Aus der Sicht des Ruhesystems des Stabes sieht dies aber un-
der Quantenmechanik eine bedeutende Rolle spielen (Kap. 24), möglich aus, denn hier sollte die Lochplatte, die sich nun auf
berichtet in seinem Buch (Bell 1987), dass er mit folgendem schräger Bahn auf den Stab zu bewegt, in der Längsrichtung
Paradoxon sogar seine Physikerkollegen am CERN verblüffen Lorentz-kontrahiert sein, sodass der Stab schon gar nicht durch-
konnte und dass eine Mehrheit davon zunächst spontan für die passt. Eine Kollision scheint zu drohen, bei der die Enden des
falsche Lösung votierte. Stabes massiv geköpft werden.
Man betrachte zwei identische Raketen, die entlang der x- Lösen Sie dieses Paradoxon auf, indem Sie die Trajektorien der
Achse in ihrem gemeinsamen Ruhesystem S einen Abstand Endpunkte des Stabes und der Randpunktes des Loches in der
L0 haben, über den sie durch einen fragilen, nicht dehnbaren xy-Ebene in beiden Inertialsystemen analysieren.
Aufgaben 347
Teil I
y unterschiedlichen Zeitpunkten verglichen werden, zu denen das
Ruhelänge Teilchen bezüglich eines Laborsystems S die Geschwindigkeit
2a v (System S0 ) bzw. v C dv (System S00 ) hat. Vom Laborsystem
S sollen sich S0 und S00 nur um reine Geschwindigkeitstrans-
formationen ƒ.v / bzw. ƒ.v C dv / unterscheiden und somit
dieselbe räumliche Orientierung wie das Laborsystems haben.
Vom rotationsfrei mitgeführten Eigensystem des Teilchens aus
x betrachtet, unterscheiden sich aber S0 und S00 um eine zusätzli-
a che Drehung von einer reinen Geschwindigkeitstransformation
ƒ.dv 0 /.
Um diese zu bestimmen, berechne man das Produkt
Abb. 9.24 Ein Stab mit Ruhelänge 2a sei im Laborsystem S entlang der x-
ƒ.v C dv / ƒ1 .v /; (9.101)
Richtung positioniert, eine Platte mit einem Loch mit Radius a senkrecht zur y-
Achse. Dann werden beide in Bewegung versetzt, sodass sie sich zum Zeitpunkt um das sich aus der Perspektive des Laborsystems die Koor-
t D 0 im Koordinatenursprung überlappen. Wenn beide in Ruhe sind, soll der dinatensysteme S0 und S00 von einer reinen Geschwindigkeits-
Stab gerade nicht in das Loch passen, da der Stab eckig und das Loch rund ist. transformation unterscheiden (siehe Abb. 9.22). Man zeige, dass
Mit relativistischer Geschwindigkeit, z. B. mit D 2, aufeinander geschossen, zusätzlich zur reinen Geschwindigkeitstransformation ƒ.dv 0 /
ist aber der Stab im Laborsystem Lorentz-kontrahiert und das Loch nicht, er soll-
mit
te also bequem durch das Loch passen. Im Ruhesystem des Stabes kommt die v dv
Lochplatte auf schräger Bahn auf den Stab zu, wobei das Loch nun in der Längs- dv 0 D dv C . 1/ 2 v (9.102)
richtung Lorentz-kontrahiert sein und damit der Stab nicht mehr durchpassen v
können sollte. Was passiert wirklich? eine infinitesimale räumlichen Drehung mit Drehmatrix
9.5 Additivität von Rapidität Im Kasten „Vertie- . 1/
fung: Lorentz-Transformation als imaginäre Drehung“ wurde R D I C dR D I C .v dv > dv v > / (9.103)
v2
als alternatives Maß für Geschwindigkeit die Rapidität ein-
geführt, auftritt.
v
ˇ D tanh ; D cosh : (9.99)
c Lösungshinweis: Überlegen Sie sich dafür, welche Struktur
die Transformationsmatrix bei einer Zusammensetzung von ei-
Während der Wertebereich von ˇ in Lorentz-Transformationen
ner infinitesimalen Geschwindigkeitstransformation und einer
durch 1 < ˇ < 1 beschränkt ist, hat man 1 < < 1.
infinitesimalen Drehung hat.
Zeigen Sie, dass bei der Kombination von Lorentz-Transfor-
mationen mit gleichgerichteten Geschwindigkeiten v 1 k v 2 die 9.8 Vierergradient Ein Beispiel für einen Vierer-
zugehörigen Rapiditäten 1 , 2 einfach addiert werden: vektor, der natürlicherweise mit kovarianten Komponenten de-
finiert wird, ist der später (ab Kap. 18) noch sehr wichtig
3 D 2 C 1 : (9.100) werdende Vierergradient
1
@ @
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Darstellung der hyper- @ WD D c t : (9.104)
bolischen Funktionen durch Exponentialfunktionen, um deren @x r
Additionstheoreme herzuleiten.
(a) Zeigen Sie, dass dieser unter einer Lorentz-Transformation
9.6 Zusammenhang Dreier- und Viererbeschleu- entsprechend
nigung Berechnen Sie die Dreierkomponenten der Viererbe- @0 D ƒ @ (9.105)
schleunigung (9.78).
transformiert, also entgegengesetzt zu x0 D ƒ x .
9.7 Thomas-Präzession Da sich das Produkt von
(b) Berechnen Sie damit
zwei nicht gleichgerichteten reinen Geschwindigkeitstransfor-
@ x (9.106)
mationen von einer reinen Geschwindigkeitsaddition mit rela-
tivistisch addierten Geschwindigkeiten dadurch unterscheidet, und
dass noch eine räumliche Drehung im Spiel ist, erfährt das räum- @ s2 D @ x x (9.107)
liche Koordinatensystem, das von einem beschleunigt bewegten
Teilchen mitgeführt wird, bezüglich eines festen Inertialsystems und zeigen Sie, dass die Ergebnisse unter homogenen
eine kontinuierliche Drehung, die am Ende dieses Kapitels im Lorentz-Transformationen entsprechend ihrer Indexstellung
Abschnitt „So geht’s weiter“ besprochene Thomas-Präzession. transformieren.
348 9 Spezielle Relativitätstheorie
p
9.1 (a) t D 2Lv0 1 ˇ 2 ; (b) t0 D 2Lv0 .1 C ˇ 2 /; (c) t00 D
L0
2v
.1 ˇ 2 /. Somit ist t0 > t > t00 .
9.2 1 1;2 1012. Pro Tag etwa 0,1 µs.
>
9.6 .a / D 2 .v / 2 .v / vca ; a C 2 .v / .v ca/
2
v
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 349
Teil I
9.1 Nehmen wir an, dass sich der Stab entlang der x-Achse (c) Für das Ruhesystem des Teilchens S00 ist eine Lorentz-
nach rechts bewegt und sich zum Zeitpunkt t D 0 das linke Transformation analog zu (9.112), aber mit umgekehrter Ge-
Ende des Stabes bei x D 0 und das rechte bei x D L befindet. schwindigkeit durchzuführen, mit dem Ergebnis
(L ist damit definiert als die Länge des bewegten Stabes in S.)
Bezeichnen wir die x-Koordinate des rechten bzw. linken Endes ct00 D ct C ˇx
mit x˙ , dann wird die Bewegung des Stabes in S durch L L0 (9.115)
D .c v ˇ/ D c 1 ˇ2 :
x D v t; xC D L C v t (9.108) 2v 2v
beschrieben. Das Punktteilchen bewege sich in negative x-Rich- Für die direkte Berechnung über Geschwindigkeit und Län-
tung und treffe zum Zeitpunkt t D 0 gerade auf das vordere ge des Stabes ist die nun unterschiedliche Lorentz-Kontrak-
(rechte) Ende bei x D L. Seine Bewegung wird dann beschrie- tion des Stabes zu berücksichtigen. Die Geschwindigkeit des
ben durch Stabes in S00 hat analog zu Teilaufgabe (b) den Betrag
xP D L v t: (9.109)
2v
Die Ereignisse E1 und E2 , die dadurch definiert sind, dass das v 00 D : (9.116)
1 C ˇ2
Teilchen gerade mit dem vorderen bzw. hinteren Ende gleichauf
ist, sind in S somit parametrisiert durch Damit ist
E1 .xC D xP / W t D 0; x D LI s s
(9.110) 00 v 002 4ˇ 2
L L D L0 1 2 D L0 1
E2 .x D xP / W tD ; x D L=2: c .1 C ˇ 2 /2
2v s (9.117)
Davon ausgehend betrachten wir nun die Situation in den drei .1 C ˇ 2 /2 4ˇ 2 1 ˇ2
D L0 D L0 :
Bezugssystemen: .1 C ˇ / 2 2 1 C ˇ2
(a) In S ist das Zeitintervall einfach von der Koordinatenzeit t Daraus folgt
abzulesen.
p Wegen der Lorentz-Kontraktion ist L D L0 = D
L0 1 ˇ ; die Zeit für den Vorbeiflug ist also
2
L00 L0
t00 D D 1 ˇ2 ; (9.118)
L L0 p v 00 2v
t D D 1 ˇ2 : (9.111)
2v 2v
in Übereinstimmung mit (9.115).
(b) Das Bezugssystem S0 , in dem der Stab ruht, bewegt sich in
positive x-Richtung. Lorentz-Transformation der Intervalle
t D L=.2v /, x D L=2 (Koordinaten von E2 minus Ko- Der Vorbeiflug dauert also in allen drei Bezugssystemen un-
ordinaten von E1 ) ergibt terschiedlich lang; am kürzesten ist er im Bezugssystem des
Teilchens, am längsten im Bezugssystem des Stabes, t0 >
ct0 D ct ˇx t > t00 .
L L0 (9.112) 9.2 Der Äquatorumfang beträgt ziemlich genau 40.000 km, der
D .c C v ˇ/ D c 1 C ˇ2 :
2v 2v Tag hat 86.400 s, damit bewegt man sich am Äquator mit etwa
Betrachten wir alternativ die Geschwindigkeit des Teilchens 460 m/s, und die Abweichung des -Faktors von 1 ist
im Ruhesystem des Stabes, so ist diese durch die relativis-
1 1 v2
tische Addition von zwei gleich großen Geschwindigkeiten 1D p 1 1;2 1012 : (9.119)
mit Betrag v gegeben, mit dem Ergebnis 1 v 2 =c2 2 c2
v Cv
v0 D : (9.113) Pro Tag kämen etwa 0;1 s zusammen, also ein mit heutigen
1 C v 2 =c2 Atomuhren sehr leicht messbarer Effekt.
In S0 dauert der Vorbeiflug entlang der Ruhelänge des Stabes Was Einstein 1905 verständlicherweise nicht in Rechnung stell-
damit te, ist aber, dass wegen der Erdabplattung das reine Gravitati-
L0 L0
t0 D 0 D 1 C ˇ2 ; (9.114) onspotenzial der Erde (d. h. ohne Zentrifugalpotenzial) an den
v 2v Polen der Erde stärker negativ ist als am Äquator, sodass hier die
in Übereinstimmung mit (9.112). Gravitationsrotverschiebung nicht vernachlässigt werden kann,
350 9 Spezielle Relativitätstheorie
ct ct y
Teil I
vy
vx
(t = 0)
S:
x −a a x
a a
L0 −γ γ
Abb. 9.26 Zusammentreffen von Stab und Lochplatte aus Abb. 9.24 aus der
Sicht des Laborsystems S. Mit D 2 ist der Stab in Längsrichtung auf die Hälfte
reduziert und passt bequem durch das Loch der mit vy senkrecht dazu bewegten
Platte
L0 x
die mit umgekehrten Vorzeichen beiträgt. Die Erdabplattung ist Im Ruhesystem S0 des Stabes sind die Trajektorien der rechten
nun gerade so, dass sich Unterschiede im Gravitationspotenzial und linken Randpunkte des Loches entscheidend. Schreiben wir
und dem Zentrifugalpotenzial die Waage halten, was zur Fol- diese im Laborsystem S als
ge hat, dass sich Gravitationsrotverschiebung und Zeitdilatation >
in der betrachteten Ordnung kompensieren (Cocke 1966). Um x
˙
.t/ D .ct; l˙ .t//> D ct; ˙a; vy t; 0 ; (9.120)
am Pol auf gleichem Gravitationspotenzial wie am Äquator auf
Meeresniveau zu sein, sodass obiges Resultat doch herauskäme, wobei der Index ˙ den rechten bzw. linken Randpunkt des Lo-
müsste man sich dort etwa 10 km oberhalb des Meeresspiegel ches bezeichnet, dann ergeben sich die Trajektorien im System
befinden. (Zum Vergleich: Die Erdabplattung macht etwa 20 km S0 durch eine Standard-Lorentz-Transformation mit Geschwin-
Unterschied im Radius aus.) digkeit v vx :
9.3 Der Faden muss reißen, denn die Lorentz-Kontraktion in 0 0 >
S ist ein objektives Phänomen. Die Frage ist also, wie sich das x0
˙
.t0 / D ct˙ ; l˙
Reißen des Fadens im Bezugssystem der bewegten Raketen dar- h v i > (9.121)
stellt. D c t 2 .˙a/ ; .˙a v t/; vy t; 0 :
c
Wie bei eigentlich allen Paradoxa der speziellen Relativitäts-
Um die Trajektorien in S0 darzustellen, muss in diesem Ergebnis
theorie liegt der Schlüssel im Begriff der Gleichzeitigkeit.
noch t zugunsten von t0 D Œt cv2 .˙a/ eliminiert werden:
Gleichzeitigkeit im System des Startsystems S ist eine klar defi-
nierte und intuitiv einsichtige Angelegenheit. Dass die Raketen
gleichzeitig starten, braucht entweder perfekt synchronisierte 1 0 va
tD t ˙ 2: (9.122)
Uhren, oder das Startsignal wird von einem Punkt aus den Ra- c
keten übermittelt, der sich im gleichen Abstand von den beiden
Raketen befindet. Damit bekommen wir für die räumlichen Koordinaten
Teil I
gen ch1;2 WD cosh 1;2 und sh1;2 WD sinh 1;2 :
ch2 sh2 ch1 sh1
sh2 ch2 sh1 ch1
−a
S :
ch2 ch1 C sh2 sh1 .ch2 sh1 C sh2 ch1 /
D (9.128)
a a γa x .ch2 sh1 C sh2 ch1 / ch2 ch1 C sh2 sh1
γ
ch3 sh3
D :
t = γva sh3 ch3
c2
t = 0 t = − γva
c2
Mit der expliziten Darstellung durch e-Funktionen
e C e e e
Abb. 9.27 Zusammentreffen von Stab und Lochplatte aus Abb. 9.24 aus der cosh D ; sinh D (9.129)
Sicht des Stabes. Hier bewegt sich die Platte mit vx0 D v auf den Stab zu, 2 2
mit etwas reduzierter vertikaler Geschwindigkeit vy0 D vy = aufgrund der Zeit-
dilatation. Die horizontale Ausdehnung des Loches ist nun auf 2 a Lorentz-
zeigt man leicht die Additionstheoreme für die Hyperbelfunk-
kontrahiert, aber es kommt zu keiner Kollision, weil die Platte nicht mehr paral-
tionen
lel zum Stab ist, sondern gerade so gedreht, dass das vordere und hintere Ende
die horizontale Achse bei ˙a kreuzen, in Übereinstimmung mit den relativen cosh.2 C 1 / D cosh 2 cosh 1 C sinh 2 sinh 1 ; (9.130)
Abständen im Laborsystem (aber nun nicht mehr zu gleichen Zeiten) sinh.2 C 1 / D cosh 2 sinh 1 C sinh 2 cosh 1 ; (9.131)
und somit 3 D 2 C 1 .
Zum Zeitpunkt t0 D 0, an dem die Mittelpunkte von Loch und
9.6 Mit a D dv =dt ist
Stab zusammenfallen, ist
> d d
0 a vy v a D u D u
l˙ .0/ D ˙ ; ˙a 2 ; 0 : (9.124) d dt
c (9.132)
d c d c 0
D D C 2 :
Die x0 -Koordinaten der Randpunkte des Loches sind also tat- dt v dt v a
sächlich auf ihren durch die Lorentz-Kontraktion zu erwar-
tenden Positionen, aber gleichzeitig sind die zugehörigen y0 - Die Ableitung des -Faktors gibt dabei
Komponenten ungleich null – eine Kollision findet nicht statt, 1=2
weil die Platte in S0 gedreht ist! d d v2
D 1 2
Die beiden Randpunkte kreuzen die x0 -Achse zu unterschiedli- dt dt c
3=2 (9.133)
chen Zeiten, 1 v2 2v a 3v a
D 1 2 D :
va 2 c c2 c2
.l0˙ /y D 0 ) t˙
0
D ; (9.125)
c2
an den Stellen Damit ist
1 v2 v a .v a/v >
.l0˙ /x .t˙
0
/ D ˙a C 2 D ˙a: (9.126) .a / D 2 .v / 2 .v / ; a C 2 .v / : (9.134)
c c c2
Damit sind die Verhältnisse der x0 -Abstände bei y0 D 0 wieder
dieselben wie schon im Laborsystem festgestellt: Die Rand- 9.7 Eine infinitesimale Geschwindigkeitstransformation hat die
punkte des Loches kreuzen die x0 -Achse um einen Faktor Form
von den Stabenden entfernt. Dass sie dies zu unterschiedlichen
0 dv 0> =c
0
Zeiten t˙ tun, hängt mit der Drehung zusammen, die somit ƒ.dv 0 / D I C ; (9.135)
dv 0 =c 0
als Konsequenz des veränderten Gleichzeitigkeitsbegriffs in S0
verstanden werden kann. (Zur Relativität von Richtungen siehe da D 1 C O.dv 02 / ist, und eine infinitesimale Drehung
auch den Abschnitt „So geht’s weiter“ in diesem Kapitel.)
9.5 Schreiben wir die Lorentz-Transformation nur in den betei- 0 0>
ƒ.R/ D I C ; (9.136)
ligten Koordinaten als 0 dR
ˇ cosh sinh wobei die räumliche Matrix dR antisymmetrisch ist (siehe Ab-
D ; (9.127)
ˇ sinh cosh schn. 2.1).
352 9 Spezielle Relativitätstheorie
0 dv 0> =c ˇ2
ƒ.R/ƒ.dv 0 / D I C 0 ; (9.137)
dv =c dR
Der Vergleich mit (9.137) gibt die Resultate (9.102) und (9.103)
wobei es in dieser Ordnung nicht auf die Reihenfolge ankommt; 9.8
die beiden infinitesimalen Matrizen werden einfach addiert.
Um keine Faktoren c schreiben zu müssen, definieren wir im (a) Mit der Kettenregel gilt
Folgenden neben ˇ D v =c ein infinitesimales ı WD dv =c.
@ @x0 @ @
Zu berechnen ist bis zur Ordnung ı @ D D ƒ 0 D ƒ @0 : (9.144)
@x @x @x0 @x
@ Gemäß (9.70) ist ƒ mit invertierter Indexstellung die inverse
ƒ.ˇ C ı/ ƒ1 .ˇ/ D I C ı ƒ.ˇ/ ƒ1 .ˇ/: (9.138)
@ˇ Matrix, mit der @0 extrahiert werden kann:
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Teil I
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de.wikisource.org/wiki/Raum_und_Zeit_(Minkowski) ne http://de.wikisource.org/wiki/Ueber_das_Doppler’_sche_
Princip
Relativistische Mechanik
10
Teil I
Was wird in der
relativistischen Mechanik
aus den Newton’schen
Axiomen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_10, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 355
356 10 Relativistische Mechanik
Wie wir in Kap. 9 gesehen haben, wird in der speziellen Relativitäts- Betrachten wir den einfachsten Fall eines strukturlosen freien
theorie der dreidimensionale euklidische Raum der Newton’schen Punktteilchens (ohne den bei Elementarteilchen noch mögli-
Teil I
Mechanik mit einer unabhängig definierten absoluten Zeit durch chen Spin, den intrinsischen Drehimpuls), dann ist sein Be-
den vierdimensionalen Minkowski-Raum ersetzt. Die Zeit spielt wegungszustand vollständig durch eine Weltlinie x .t/ be-
zwar weiterhin eine besondere Rolle, aber Gleichzeitigkeit ist nun schrieben, welche die gesamte Geschichte dieses Teilchens
ähnlich relativ wie schon vor der Relativitätstheorie die Aussage, wiedergibt. Dieser Weltlinie ist in Lorentz-invarianter Weise
zwei separate Ereignisse fänden am selben Ort statt. Dem Ein- eine Eigenzeit zugeordnet, über die die Vierervektoren der
stein’schen Relativitätsprinzip und der Geometrie des Minkowski- Vierergeschwindigkeit u D dx =d und der Viererbeschleu-
Raumes wird man am besten durch die Verwendung von Vierergrö- nigung a D du =d definiert werden können.
ßen anstelle der gewohnten dreidimensionalen Vektoren gerecht.
Frage 1
In diesem Kapitel, in dem die relativistische Mechanik begründet Rufen Sie sich (ohne gleich nachzuschlagen) den Zusammen-
werden soll, werden wir daher in Abschn. 10.1 zuerst den Im- hang von Koordinaten- und Eigenzeit und damit von Vierer- und
puls eines Punktteilchens zu einer Vierergröße machen und damit Dreiergeschwindigkeit in Erinnerung.
in Abschn. 10.2 das zweite Newton’sche Axiom (Kraft als zeit-
liche Änderung des Impulses) neu formulieren. Dabei wird sich
herausstellen, dass Energie und Impuls ähnlich zu kombinieren sind
wie Zeit- und Raumkoordinaten. Als besonders folgenreicher neu- Ein elementares Punktteilchen ist durch seine invariante Mas-
er Aspekt stellt sich dabei heraus, dass die Masse nicht länger se charakterisiert, die dadurch definiert ist, dass man sie im
eine erhaltene Größe ist, sondern Energie in Masse und umge- (momentanen) Ruhesystem des Teilchens misst. Man nennt
kehrt umgewandelt werden kann. Ohne auf die dafür notwendigen diese so definierte Masse deshalb auch Ruhemasse. Für zu-
Wechselwirkungen eingehen zu müssen, werden in Abschn. 10.3 sammengesetzte Objekte wie Raketen macht es natürlich auch
zunächst relativistische Streuprozesse diskutiert, bei denen Mas- Sinn, eine zeitlich veränderliche Ruhemasse zu betrachten (sie-
sen erhalten bleiben, und danach solche, bei denen Materie erzeugt he Aufgabe 10.2). Die auf diese Weise definierte Masse ist
oder vernichtet wird. offensichtlich ein Lorentz-Skalar, d. h. eine Größe, die für je-
des Bezugssystem dieselbe Bedeutung hat: Jeder Beobachter
Das Eröffnungsbild dieses Kapitels zeigt die Produktion von zahlrei- übernimmt einfach den im Ruhesystem bestimmten Wert. Weil
chen Elementarteilchen bei einer hochenergetischen Kollision von das Produkt aus einem Vierervektor mit einer invarianten Größe
zwei Protonen im Large Hadron Collider des CERN (der im Eröff- wieder einen Vierervektor darstellt, kann ein Lorentz-kovarian-
nungsbild von Kap. 9 zu sehen ist), wobei in diesem konkreten ter Viererimpuls einfach durch das Produkt von Ruhemasse und
Ereignis aus den Zerfallsprodukten auf das lange gesuchte Higgs- Vierergeschwindigkeit definiert werden.
Teilchen geschlossen werden konnte. (Das Higgs-Teilchen, dessen
Entdeckung im Juli 2012 bekannt gegeben wurde, ist gemäß dem
Standardmodell der Teilchenphysik verantwortlich dafür, dass Ele- Viererimpuls
mentarteilchen wie Elektronen oder Quarks überhaupt eine Masse
Der Viererimpuls eines Punktteilchens mit Ruhemasse m
tragen.)
ist definiert durch
p WD m u : (10.1)
Teil I
puls
p p D .p0 /2 p2 D m2 c2 : (10.4) Bezeichnet in einem gegebenen Inertialsystem F weiter-
p hin die gewöhnliche Zeitableitung des (relativistischen)
Die Nullkomponente ist damit durch p0 D C m2 c2 C p2 ge- Impulses p, dann gilt
geben (positiv, weil in (10.2) m, und c alles positive Größen 0
sind). Ihre physikalische Bedeutung wird im Folgenden klar F0 F
F D m D : (10.7)
werden, wenn wir die relativistische Verallgemeinerung der F F
Newton’schen Bewegungsgleichung betrachten.
Hyperbolische Bewegung
Diese Gleichung beschreibt eine Hyperbel mit einer licht-
Teil I
Betrachten wir nun den Fall, dass ein Teilchen durch eine artigen Asymptote, die bei c2 =Qa die ct-Achse schneidet
konstante Kraft beschleunigt wird, (Abb. 10.1).
dp
FD D const; (10.10)
dt
ct
was zumindest für beschränkte Raumbereiche durch ein
konstantes elektrisches Feld oder ein Gravitationsfeld lichtartige
physikalisch realisierbar ist. Asymptote
Relativistische Energie
gelassen wird. Masselose Teilchen haben jv j D c und
Teil I
jpj D E=c; sie werden durch einen lichtartigen Vierer-
Wie wir in (9.79) gefunden haben, ist die Viererbeschleuni- vektor (p p D 0) charakterisiert.
gung im Sinne der Minkowski-Metrik orthogonal zur Vierer-
geschwindigkeit. Für ein Punktteilchen folgt aus (10.8) daher
Das wichtigste Beispiel für masselose Teilchen sind die in der
0 D m a u D F u D cF 0 F v ; (10.17)
Quantenmechanik definierten Lichtquanten, die Photonen. Wie
in Kap. 21 begründet wird, sind Energie und Impuls von Photo-
woraus sich die Bedeutung von F 0 dp0 =d ablesen lässt: nen durch das Planck’sche Wirkungsquantum h mit Frequenz
und Wellenlänge von Licht verknüpft:
dx F dx dW d W
F0 D Fv D F D D D ;
c c dt c dt c dt d c hc
(10.18) E D jpj c D h D : (10.22)
wobei dW die Arbeit ist, die bei einer infinitesimalen Ver-
schiebung dx von der Kraft F geleistet wird. Da gemäß (10.2)
p0 mc ist, gilt Für massive Punktteilchen haben wir dagegen den Zusammen-
hang
d d d
WD .cp0 / D .v / mc2 : (10.19) s
d d d p p2
E D m2 c4 C p2 c2 D m c2 1C ; (10.23)
Wir können also abgesehen von einer beliebigen additiven Kon- m2 c2
stanten cp0 als relativistische Energie identifizieren: Wurde ein
anfänglich freies Teilchen eine Zeit lang durch äußere Kräfte der für v c nach Potenzen von p2 =.m2 c2 / entwickelt werden
beschleunigt, dann hat sich die Größe cp0 um die geleistete Ar- kann:
beit verändert.
1 p2 1 .p 2 /2
E D m c2 1C C : : :
Relativistische Energie 2 m2 c2 8 m4 c4
(10.24)
p2 .p2 /2
Die relativistische Energie eines (freien) Punktteilchens D m c2 C C :::
2 m 8 m3 c2
ist definiert durch
Der zweite Term in dieser Entwicklung ist gerade die nicht-
E D .v / mc2 : (10.20) relativistische kinetische Energie, die weiteren Terme sind die
relativistische Korrekturen dazu:
Auch einer ruhenden Masse wird somit eine Energie zuge-
ordnet; man spricht daher von einer Äquivalenz von Masse E D m c2 C T: (10.25)
und Energie.
Mit dW D d. mc2 / folgt, dass die Kombination zeitabhängig werden. Die Erhaltung von Gesamtenergie und
Gesamtimpuls eines abgeschlossenen Systems von wechselwir-
Teil I
m c2 C V D m c2 C T C V D E (10.27) kenden Teilchen ist, wie wir in Kap. 5 gesehen haben, eine
Konsequenz der Homogenität von Zeit und Raum.
in einem konservativen Kraftfeld eine Konstante der Bewegung
ist. Da V selbst nur bis auf eine Konstante bestimmt ist, ist Wechselwirkungen zwischen Teilchen sind typischerweise kon-
E nicht eindeutig bestimmt. Ist das Kraftfeld allerdings räum- zentriert auf kleine Raumzeitgebiete, nämlich wenn sich die
lich konzentriert und verschwindet für große Abstände, kann Teilchen hinreichend nahe kommen.
man V asymptotisch als null vereinbaren, sodass E dort mit der
Achtung Dies ist insbesondere für Kernkräfte der Fall. Bei
Definition der relativistischen Energie für freie Teilchen über-
langreichweitigen Kräften wie der Coulomb-Kraft ist die An-
einstimmt.
nahme, dass Wechselwirkungen räumlich begrenzt sind, streng
genommen nicht richtig, wie in Abschn. 32.4 noch diskutiert
Elektronenvolt als Einheit für Energie und Masse werden wird. Wir werden hier daher einfach annehmen, dass auf
größeren Abständen Coulomb-Kräfte abgeschirmt werden. J
Eine in der nichtrelativistischen Quantenmechanik ge-
legentlich verwendete Einheit für die Energie ist die Für eine überschaubare Zahl von Teilchen kann man diese Pro-
Änderung der potenziellen Energie, die ein Elektron beim zesse dadurch beschreiben, dass vor einem Wechselwirkungser-
Durchqueren einer Potenzialdifferenz von 1 V erfährt. eignis ein Satz fAg von Teilchen mit Impulsen pA vorliegt und
Diese Energieeinheit wird Elektronenvolt oder Elektron- nachher ein eventuell unterschiedlicher Satz fA0 g mit Impulsen
volt genannt; die Umrechnung in die SI-Einheit Joule ist pA0 . In Abwesenheit äußerer Kräfte gilt dann
dabei X X
1 eV 1;602 1019 J: (10.28) p
vorher D pnachher D p D pA D pA0 : (10.32)
A A0
Photonen des sichtbaren Lichtes haben Energien zwi-
schen 1,6 und 3,3 eV. Bleiben die Teilchen bei einem solchen Stoß als solche erhalten,
Aufgrund der Äquivalenz von Energie und Masse kann ohne dass sich abgesehen vom Viererimpuls etwas an ihnen än-
man das Elektronenvolt auch zur Angabe von Ruhemas- dert (wie die Masse bei Elementarteilchen oder der innere Auf-
sen verwenden. Die Masse eines Elektrons ist z. B. bau bei zusammengesetzten Objekten), dann spricht man von
einem elastischen Stoß oder einer elastischer Streuung. In allen
mElektron 0;511 MeV=c2 ; (10.29) anderen Fällen hat man es mit einem inelastischen Stoß zu tun.
Wir haben elastische Stöße und Streuung bereits in Abschn. 3.4
die Masse eines Protons in der nichtrelativistischen Mechanik behandelt, sogar unter
Einbeziehung von Gravitations- oder Coulomb-Potenzialen.
mProton 0;938 272 GeV=c2 : (10.30) Ebenso wie im nichtrelativistischen Fall lassen sich aber auch
ohne die detaillierte Kenntnis der speziellen Wechselwirkungen
Das Giga-Elektronenvolt (GeV, also 109 eV) hat sich in allgemeine Aussagen über die mögliche Kinematik von Streu-
der modernen Teilchenphysik als gängige Einheit für die prozessen treffen, nämlich durch die Analyse der Konsequenzen
Angabe von Energien durchgesetzt. Für Massen und Im- der Energie-Impuls-Erhaltung. Ein wesentlicher Unterschied
pulse wird GeV=c2 bzw. GeV=c verwendet. J von relativistischen Teilchenstößen zum nichtrelativistischen
Fall ist nun, dass Masse im Allgemeinen keine weitere Er-
haltungsgröße ist; in der Relativitätstheorie ist dies nur bei
elastischen Stoßprozessen gegeben.
10.3 Relativistische Teilchenstöße Beispiele für elastische Stöße sind Kollisionen von Billardku-
geln, wenn die geringfügige Erwärmung beim Stoß vernach-
lässigt wird. Wird bei einem Stoß in nicht vernachlässigbarem
In Abwesenheit von Kräften ist der Viererimpuls eines Teil- Ausmaß kinetische Energie in Wärme umgewandelt, so gilt wei-
chens erhalten. Für mehrere nicht wechselwirkende Teilchen terhin die Erhaltung des Gesamtviererimpulses, aber die Teil-
kann man den Gesamtviererimpuls chen haben dann wegen der Äquivalenz von Energie und Masse
X ein klein wenig unterschiedliche Ruhemassen. Ein drastische-
p D pA (10.31) res Beispiel für einen inelastischen Stoß ist, wenn Billardkugeln
A auseinanderbrechen oder wenn Objekte bei einem Stoß anei-
nanderkleben bleiben und somit ein neues zusammengesetztes
definieren, der ebenso erhalten ist, wobei der Index A die Teil-
Objekt bilden. In der nichtrelativistischen Mechanik wären auch
chen durchnummeriert.
hier die Summen der Ruhemassen erhalten. Bei Kollisionen von
Wirken Kräfte nur zwischen den einzelnen Teilchen, dann bleibt Elementarteilchen können dagegen überhaupt neue Teilchen
der Gesamtviererimpuls erhalten, auch wenn die einzelnen pA entstehen oder auch einlaufende komplett vernichtet werden;
10.3 Relativistische Teilchenstöße 361
dabei kann Energie in Masse oder umgekehrt umgewandelt wer- Elastischer Stoß zweier Teilchen
den.
im Schwerpunktsystem
Teil I
Wie schon in Abschn. 3.4 kann die Analyse von Streuprozessen
oft stark vereinfacht werden, wenn diese in speziellen Bezugs-
systemen betrachtet werden. Im nichtrelativistischen Fall erge- Betrachten wir den elastischen Stoß zweier Teilchen mit Ruhe-
ben sich die dafür notwendigen Transformationen von Energie massen mA und mB im Schwerpunktsystem, so können wir vor
und Impuls aus dem einfachen Additionsgesetz von Geschwin- dem Stoß schreiben
digkeiten. In der Relativitätstheorie sind Energie und Impuls
E =c EB =c
aber Komponenten eines Vierervektors, die dabei einer Lorentz- pA D A ; pB D (10.37)
Transformation unterworfen sind. pA pA
y y
Teil I
p A
p A
A B
ϑ ϑA
pA pB = −pA pA ϑB
A B
pB = −pA
pB
x x
Abb. 10.2 Elastischer Stoß von zwei Teilchen im Schwerpunktsystem Abb. 10.3 Elastischer Stoß von zwei Teilchen im Laborsystem
Elastischer Stoß zweier Teilchen mit EA2 =c2 pA2 D mA2 c2 vorliegen. Der Gesamtviererimpuls ist
allgemein und im Laborsystem >
EA C mB c2
p D pA C pB D ; pA ; 0; 0 D pA0 C pB0 :
c
Obige Ergebnisse für die Viererimpulse im Schwerpunktsystem (10.48)
können durch Lorentz-Transformationen in beliebige Inerti- Wählen wir das Koordinatensystem so, dass der Streuprozess
alsysteme übersetzt werden. Da Lorentz-Skalare aber dabei in der xy-Ebene stattfindet, so können wir die Viererimpulse
unverändert bleiben, ist es rechnerisch vorteilhaft, wann immer der beiden Teilchen nach dem Stoß durch Einführen zweier
möglich die Ergebnisse durch solche auszudrücken. Das zen- unterschiedlicher Winkel bezüglich der Kollisionsachse para-
trale Ergebnis des elastischen Stoßes zweier Teilchen ist (im metrisieren (Abb. 10.3):
Schwerpunktsystem) die Erhaltung der individuellen Energien >
EA0
pA0 D ; pA0 cos #A ; pA0 sin #A ; 0 ;
c
EASPS D EASPS
0 ; EBSPS D EBSPS
0 :
> (10.49)
EB0
pB0 D ; pB cos #B ; pB sin #B ; 0
0 0
Dies sind die Nullkomponenten der Vierervektoren, aber im c
Schwerpunktsystem ergeben sich diese Relationen bis auf einen
mit
gemeinsamen Faktor M auch durch Kontraktion der Vierervek-
toren mit dem Schwerpunktimpuls (10.36): EA20 EB20
mA2 c2 D pA20 ; mB2 c2 D pB2 0 : (10.50)
c2 c2
pA p D pA0 p ; pB p D pB0 p : (10.46)
Aus der invarianten Relation pA p D pA0 p folgt damit
Die Größen in diesen Gleichungen sind Lorentz-invariante Ska-
lare. In dieser Form kann das Ergebnis, das im Schwerpunktsys- EA EA C mB c2 c2 pA2
(10.51)
tem gewonnen wurde, direkt in einem beliebigen Inertialsystem D EA0 EA C mB c2 c2 pA pA0 cos #A ;
verwertet werden. q
woraus sich mit pA0 D EA20 =c2 mA2 c2 die Energie EA0 bzw.
Als ein wichtiges Beispiel betrachten wir den elastischen Stoß,
bei dem ein gegenüber S bewegtes Teilchen A auf ein in S der Impuls pA0 als Funktion von #A bestimmen lässt. Analog
ruhendes Teilchen B (das „Target“) trifft. Das zugehörige In- gibt pB p D pB0 p im Laborsystem
ertialsystem S wird oft als Laborsystem bezeichnet, weil dies
mB c2 EA C mB c2
vor der Entwicklung von modernen Teilchenbeschleunigern, die (10.52)
zwei Strahlen von Teilchen aufeinander schießen können, die D EB0 EA C mB c2 c2 pA pB0 cos #B
typische Situation bei Streuexperimenten darstellte.
und damit EB0 als Funktion von #B . Der Zusammenhang von #B
Vor dem Stoß haben wir somit die Viererimpulsvektoren nun in und #A kann schließlich aus der y-Komponente von pA C pB D
der Form pA0 C pB0 gewonnen werden, was auf die Relation
> pA0 .#A / sin #A D pB0 .#B / sin #B (10.53)
EA
pA D ; pA ; 0; 0 ; pB D .mB c; 0/ >
(10.47)
c führt.
10.3 Relativistische Teilchenstöße 363
Speziallfall Compton-Streuung muss aber wegen der Impulserhaltung in Ruhe sein, und seine
Energie ist dabei wegen Energieerhaltung
Teil I
Die obigen Formeln vereinfachen sich, wenn das einfal- 2m
lende Teilchen A masselos ist, sodass in (10.51) cpA D EA E D M c2 D 2.v / m c2 D p c2 > .2m/ c2 :
1 v 2 =c2
und cpA0 D EA0 gesetzt werden kann: (10.57)
In diesem Fall wird also kinetische Energie in Ruhemasse um-
EA mB c2 D EA0 EA C mB c2 EA EA0 cos #A : (10.54) gewandelt. Sind diese Teilchen Materieklumpen, dann wurde
die kinetische Energie in innere, z. B. thermische, Energie um-
Division durch EA EA0 mB c2 ergibt gewandelt, die gemäß der Relativitätstheorie zur Ruhemasse
gerechnet werden muss und tatsächlich ebenso der Gravitation
1 1 1 unterworfen ist wie schwere Masse. Diese Effekte sind aber für
D C .1 cos #A /; (10.55)
EA0 EA mB c2 makroskopische Körper, für die die Lichtgeschwindigkeit prak-
tisch unerreichbar ist, vollkommen vernachlässigbar, da sie von
wobei alternativ 1 cos #A D 2 sin2 .#A =2/ geschrieben der Ordnung .v =c/2 sind. Findet eine Umwandlung von Mas-
werden kann. se in Energie in nennenswertem Ausmaß statt, spricht man von
einem Massendefekt (siehe hierzu Kasten „Anwendung: Mas-
Eine wichtige Anwendung dieses Falles ist die Compton-
Streuung von Photonen an Elektronen, die in Kap. 21 nä- sendefekt und Umwandlung von Masse in Energie“).
her besprochen werden wird (siehe Abb. 21.7). Da wie Für Elementarteilchen sind Umwandlungen von Energie in
erwähnt die Energie von Photonen proportional zur Fre- Masse und umgekehrt aber von zentraler Bedeutung. Die meis-
quenz und damit die inverse Energie proportional zur ten Elementarteilchen sind instabil und zerfallen unter Um-
Wellenlänge ist, beschreibt die Gleichung (10.55) die Zu- wandlung von Ruhemasse in kinetische Energie in andere
nahme der Wellenlänge von an Elektronen gestreuten Teilchen. Deren Masse muss in Summe kleiner sein als die Aus-
Photonen. J gangsmasse, andernfalls könnten mangels kinetischer Energie
die Zerfallsprodukte nicht auseinanderstreben, und der Zerfall
würde gar nicht stattfinden.
Hat das einlaufende Teilchen A mehr Masse als das ursprüng-
Betrachten wir dazu ein konkretes Beispiel, in dem ein insta-
lich ruhende Teilchen B, dann hat es auch nach dem Stoß eine
biles Elementarteilchen in zwei andere zerfällt (oft sind auch
Impulskomponente in Vorwärtsrichtung und daher einen Streu-
mehr als zwei Zerfallsprodukte im Spiel wie beim Zerfall des
winkel #A < =2. Dieser Umstand ist qualitativ der gleiche wie
Neutrons, das in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino
in der nichtrelativistischen Mechanik (Abb. 3.12; mit #1 anstel-
zerfällt).
le von #A ), allerdings ist der Zusammenhang der Streuwinkel
in Schwerpunkt- und Laborsystem, der nichtrelativistisch durch
Zerfall eines Pions
(3.110) gegeben ist, nun etwas komplizierter. Der maximale
Winkel, um den das schwerere Teilchen A gestreut werden kann, Das in der Kernphysik eine zentrale Rolle spielende
ist, wie in Aufgabe 10.3 gezeigt wird, gegeben durch
positiv oder negativ geladene Pion ˙ zerfällt in ein
mB (ebenfalls instabiles, aber deutlich langlebigeres) leichte-
sin #Amax D für mA > mB : (10.56) res Myon ˙ mit etwa 34 der Masse eines Pions und ein
mA
fast masseloses Myon-Neutrino bzw. Myon-Antineu-
Bemerkenswerterweise hängt dieses Ergebnis nur von den Mas- trino N . (Lange Zeit nahm man sogar an, dass Neutrinos
sen ab, und nicht davon, wie hoch die Energie des einlaufenden exakt masselos sind. Wie man inzwischen weiß, haben
Teilchens ist. Es stimmt daher mit dem Ergebnis überein, das sie eine extrem kleine, aber nicht verschwindende Mas-
sich in der nichtrelativistischen Mechanik für den maximalen se.) Welche Energie und welche Geschwindigkeit hat ein
Streuwinkel ergibt. beim Zerfall eines ruhenden Pions entstehendes Myon?
Bezeichnen wir Energien, Impulse und Massen von Pio-
nen, Myonen und Neutrinos mit Indizes ; ; (die nun
Inelastische Prozesse nicht mit Lorentz-Indizes verwechselt werden dürfen),
dann lautet die Energieerhaltung
Wie schon betont, ist in der Relativitätstheorie die Ruhemas- Evorher D m c2 D Enachher D E C E : (10.58)
se im Allgemeinen keine erhaltene Größe. Betrachten wir z. B. Das praktisch masselose Neutrino hat E D jp j c. Auf-
im Schwerpunktsystem zwei identische massive Teilchen die je- grund der Impulserhaltung ist
weils mit einer Geschwindigkeit v aufeinander zu fliegen und q
ein einziges Teilchen bilden, weil sie irgendwie aneinanderkle- jp j c D jp j c D E 2 m2 c4 : (10.59)
ben bleiben. Die einlaufenden Teilchen haben dann jeweils die
Energie E D .v / m c2 , das einzelne dabei entstehende Teilchen
364 10 Relativistische Mechanik
Mit der Einstein’schen Äquivalenz von Energie und Mas- on dafür verantwortlich, dass ein Stern über Milliarden von
se ist das Ganze eines gebundenen Systems leichter als die Jahren am Leuchten gehalten werden kann, auch wenn dabei
Summe seiner Teile. nur noch einige Promille der Masse in Energie umgesetzt
werden.
Wird bei einer chemischen Reaktion Energie bei der Bil-
dung eines Bindungszustands frei, dann ist dieser sogenannte Die maximale Umwandlung von Masse in Energie geschieht
Massendefekt vernachlässigbar klein. Zum Beispiel hat er natürlich bei der vollständigen Zerstrahlung von Materie
bei der Bildung von Wasserstoff durch durch Annihilation mit Antimaterie, nur ist Antimaterie sehr
rar.
p C e ! H C 13;6 eV
Ein in vieler Hinsicht interessanter Fall wäre hier der hypo-
die Größenordnung 10 eV=1 GeV D 108; bei schwe- thetische Zerfall eines Protons
reren Molekülen und geringerer Bindungsenergie ist das
Verhältnis noch geringer. pC ! 0
C eC C 846;8 MeV;
Bedeutendere Massendefekte bis fast 1 % treten bei den Bin-
dungsenergien in Atomkernen auf, mit einem Maximum von wie er von gewissen Theorien jenseits des Standardmodells
etwa 8,8 MeV pro Nukleon bei Eisen und Nickel. Bei der der Teilchenphysik vorhergesagt wird und nach dem – bis-
Kernspaltung werden die Unterschiede in den Bindungs- her allerdings vergeblich – gefahndet wird (Abb. 10.5). Falls
energien bei schwereren Elementen ausgenützt und somit solche Prozesse tatsächlich möglich sind, dann nur mit Halb-
typischerweise nur 0,01–0,1 % der Masse in Energie umge- wertszeiten jenseits von 1034 Jahren, d. h. um Faktoren 1024
setzt; bei der Kernfusion, z. B. oder mehr über dem Alter des Universums von etwa 14 Mil-
liarden Jahren. Solche Theorien sagen aber auch die Exis-
2
H C 3 H ! 4 He C n C 17;6 MeV; tenz von magnetischen Monopolen vorher, die als Katalysator
für den Protonzerfall wirken können. Sollten jemals magneti-
erreicht man etwas bessere Verhältnisse von etwa 0,5 %. Im sche Monopole gefunden werden, könnte dies im Prinzip auch
Vergleich zu chemischen Reaktionen sind die freigesetzten Energiegewinnung in unvorstellbarem Ausmaß ermöglichen.
Energien pro Masse auf alle Fälle gewaltig (Abb. 10.4).
Abb. 10.4 Explosion der ersten Wasserstoffbombe mit 10,4 Megatonnen Abb. 10.5 Das unterirdische Experiment Superkamiokande in Japan in ei-
TNT-Äquivalent am 1. November 1952 auf der pazifischen Insel Elugelab, die ner Mine unter dem Berg Kamioka. Abgeschirmt von kosmischer Strahlung
dabei vollständig zerstört wurde (© NNSA) wurde in einem Detektor mit 50.000 t ultrareinem Wasser mithilfe von über
11.000 Photodetektoren und dem Tscherenkow-Effekt Ausschau nach Pro-
tonzerfällen gehalten und die aktuelle untere Schranke für die Lebensdauer
Die größten Bindungsenergien und damit die größten Mas- von Protonen bestimmt. Dieses Experiment entdeckte stattdessen 1998 das
Phänomen der Neutrinooszillation, bei der die von der Sonne in Kernreak-
sendefekte treten aber durch die gravitative Wechselwirkung
tionen ausgestrahlten Neutrinos ihre Identität ändern. Das Bild zeigt die
in der Astrophysik auf. Bei der Bildung von Sternen wer- Befüllung des mit Photomultipliern ausgekleideten Detektortanks mit Was-
den so bis zu 40 % der Ruhemasse in Energie umgewandelt ser und Wissenschaftler in einem Boot darin (© Kamioka Observatory, ICRR
und abgestrahlt. Einmal gebildet ist allerdings die Kernfusi- (Institute for Cosmic Ray Research), The University of Tokyo)
10.3 Relativistische Teilchenstöße 365
Teil I
q E2 EA20 EB20
m c2 E D E D jp j c D 2 m2 c4 : (10.60)
E p2 D 0; pA
2
0 D m c D
2 2
pB2 0 : (10.65)
c2 c2 c2
Daraus folgt Die erste Relation, welche die Masselosigkeit des Pho-
m C
2
m2 2 tons ausdrückt, führt auf
E D c (10.61)
2m 0 D .EA0 C EB0 /2 c2 .pA0 C pB0 /2
und mit p D mv und E D mc2 D 2 m2 c4 C 2 c2
q q
jp j m2 m2 7 pA20 C m2 c2 pB2 0 C m2 c2 pA0 pB0 :
v D D c c 0;28c (10.62)
E =c2 m2 C m2 25 (10.66)
Wegen pA0 pB0 pA0 pB0 ist aber der Ausdruck in der
für m 3
m . letzten Klammer größer als null, diese Gleichung hat also
4
keine Lösung. J
Es ist auch interessant, sich anzusehen, wie sich die
verfügbaren Energien aufteilen. Die in kinetische Ener-
gie umgewandelte Ruhemasse ist durch T D m c2 Kinematisch möglich sind dagegen Prozesse wie e C eC !
1
m c2 4
m c2 gegeben. Der Anteil, der auf das Neu- 2” (Elektron-Positron-Paarvernichtung in zwei Photonen), aber
trino entfällt, ist auch die Erzeugung von Elektron-Positron-Paaren durch ein
hochenergetisches Photon (”-Quant) in Materie, wo die Anwe-
m2 m2 2 7 1 senheit von Materie die Gesamtviererimpulserhaltung ermög-
T D jp j c D c m c2 I (10.63)
2m 8 4 licht (”CX ! XCe CeC , auch Gamma-Konversion genannt).
Aus dem gleichen Grund ist es nicht möglich, dass ein freies
dieses trägt also den Großteil der kinetischen Energie Elektron spontan ein Photon emittiert (e ! e C ”), wäh-
davon. Da aber auf das Myon die restliche Ruhemasse rend dieser Prozess in Anwesenheit von Materie durchaus vor-
3
4
m c2 entfällt, ist dessen Gesamtenergie insgesamt kommt, z. B. bei der Tscherenkow-Strahlung (oft der englischen
höher. J Transliteration folgend Cherenkov-Strahlung geschrieben, be-
nannt nach dem russischen Physiker Pawel A. Tscherenkow,
1904–1990). Diese tritt immer auf, wenn sich Teilchen mit ei-
Der geringfügig kompliziertere Fall, wo ein massives Teilchen
ner Geschwindigkeit durch ein Medium bewegen, welche die
in zwei massive Teilchen zerfällt, wird in Aufgabe 10.8 behan-
reduzierte Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium übersteigt
delt.
(siehe Kasten „Anwendung: Tscherenkow-Strahlung“).
Da Energie und Masse in vielfältiger Weise ineinander umge-
wandelt werden können, kann man sich auch fragen, ob ein mas-
seloses Teilchen wie das Photon bei hinreichend hoher Energie Teilchenerzeugung durch inelastische Stöße
in andere, massebehaftete Teilchen zerfallen kann, z. B. in ein
Elektron-Positron-Paar. Diese Frage kann man sofort negativ
beantworten, da dann ja auch umgekehrt die Paarvernichtung Eine notwendige Bedingung für die Paarerzeugung von mas-
eines Elektron-Positron-Paares in ein einzelnes Photon möglich siven Teilchen ist, dass genügend kinetische Energie dafür zur
sein müsste. Im Schwerpunktsystem ist das aber offenbar nicht Verfügung steht. Im Schwerpunktsystem steht die gesamte ki-
möglich, denn dies würde einen verschwindenden Gesamtdrei- netische Energie zur Disposition. Wird tatsächlich die gesamte
erimpuls verlangen, der auf das einzelne Photon entfiele. kinetische Energie in Masse umgewandelt, dann ruht die auf
diese Weise erzeugte Masse. Im Laborsystem ist dies nicht
Kann ein hochenergetisches Photon zerfallen? möglich, weil aufgrund der Gesamtdreierimpulserhaltung nach
dem Stoß der Schwerpunkt weiterhin in Bewegung sein muss,
Man kann dies auch durch direkte Rechnung in einem In- wenn auch mit verringerter Geschwindigkeit, da ja zusätzli-
ertialsystem entscheiden, in dem ein hochenergetisches che Masse erzeugt wurde. Ein historisch bedeutsames Problem
Photon den Impuls p und damit die Energie E D jpj c ist beispielsweise die Erzeugung von Antiprotonen durch die
trägt. Der hypothetische Zerfall eines Photons in zwei Kollision von Protonen im Laborsystem. Die Physiker Emilio
gleich schwere Teilchen A0 und B0 hat die Viererimpuls- Segrè (1905–1989) und Owen Chamberlain (1920–2006) wie-
bilanz sen 1955 die Existenz von Antiprotonen nach, indem sie am
E=c E 0 =c E 0 =c Lawrence Berkeley National Laboratory Materie mit Protonen
D A C B (10.64) beschossen, die gerade energiereich genug für die Erzeugung
p pA0 pB0
von Proton-Antiproton-Paaren waren.
366 10 Relativistische Mechanik
2!2-Prozesse
Für elastische und inelastische relativistische Kollisions- Elastische Streuung liegt für m3 D m1 und m4 D m2 vor; im
prozesse in der Teilchenphysik, bei der zwei einlaufende Fall von inelastischer 2!2-Streuung spricht man auch von
Teilchen in zwei (eventuell andere) auslaufende Teilchen quasielastischer Streuung.
übergehen, werden die Lorentz-invarianten Mandelstam-Va-
riablen Die Größe s ist durch die Schwerpunktsenergie gegeben:
s WD .p1 C p2 /2 D .p3 C p4 /2 s D .ESPS =c/2 ;
D m21 c2 C 2E1 E2 =c 2p1 p2 C
2
m22 c2 ; p
und es hat sich in der Hochenergiephysik inzwischen s als
t WD .p1 p3 / D .p2 p4 /
2 2
Synonym für die Schwerpunktsenergie etabliert, sodass viele
D m21 c2 2E1 E3 =c2 C 2p1 p3 C m23 c2 ; experimentelle Teilchenphysikpublikationen
p schon im Titel
angeben, bei welchem Wert s Daten genommen wurden.
u WD .p1 p4 /2 D .p2 p3 /2 (In der Teilchenphysik werden üblicherweise Einheiten ver-
D m21 c2 2E1 E4 =c2 C 2p1 p4 C m24 c2 wendet, bei denen c D 1 ist.)
definiert (benannt nach dem theoretischen Physiker Stanley
Die zweite unabhängige Größe t (oder auch u) charakteri-
Mandelstam, *1928), wobei die zwei einlaufenden Teilchen
siert den Impulsübertrag und damit den Streuwinkel zwi-
mit 1 und 2 und die auslaufenden mit 3 und 4 indiziert sind.
schen einlaufendem Teilchen 1 und auslaufendem Teilchen
Neben den Massenparametern sind dies die bezugssystem-
3 (bzw. 4).
unabhängigen Größen, mit denen 2!2-Prozesse beschrie-
ben werden können, wobei nur zwei davon unabhängig sind: In Aufgabe 10.7 werden Formeln hergeleitet, mit denen die
Wie man mit der Impulserhaltung p
1 Cp2 D p3 Cp4 leicht Parameter von Schwerpunkt- und Laborsystemen durch die
nachrechnen kann (Aufgabe 10.6), gilt Mandelstam-Variablen ausgedrückt werden und damit auch
s C t C u D .m21 C m22 C m23 C m24 / c2 : bequem ineinander umgerechnet werden können.
Anwendung: Tscherenkow-Strahlung
Teil I
Wenn geladene Teilchen schneller als das Licht sind
Durch rein kinematische Überlegungen, d. h., ohne Näheres Für n D 1 kann diese Gleichung wegen jpA j < EA =c nie
über die dahinter stehenden Wechselwirkungen (die Dyna- erfüllt werden – ein freies Teilchen kann kein masseloses
mik) zu wissen, lassen sich oft schon prinzipielle Aussagen Photon emittieren.
über die Möglichkeit von gewissen Prozessen treffen. Ein
Für n > 1 rückt dies aber in den Bereich des Möglichen. Hier
solches Beispiel war die Schlussfolgerung aus (10.66), dass
kann der letzte Term in der Klammer vernachlässigt werden,
ein noch so energiereiches Photon nicht spontan in massive
denn damit n 6D 1 ist, darf die Photonenenergie nicht viel
Teilchen zerfallen kann. Ganz ähnlich folgt, dass ein frei-
größer als einige Elektronenvolt sein, während schon die Ru-
es geladenes Teilchen nicht spontan ein masseloses Photon
hemasse der leichtesten geladenen Teilchen, der Elektronen,
emittieren kann.
511 keV=c2 beträgt. Es gilt also h EA für alle n 6D 1. Wir
Dies ist allerdings nicht mehr gegeben, wenn der Viererim- bekommen damit das einfache Kriterium
puls des Photons paradoxerweise nicht mehr lichtartig ist, EA =c 1 1
d. h. ein Viererquadrat ungleich null hat. Während auf fun- cos # D D :
jpA j n ˇA n
damentaler Ebene Photonen immer masselos sind und einen
lichtartigen Viererimpuls haben, führt, wie in Kap. 16 ge- Abstrahlung ist kinematisch erlaubt, wenn ˇA 1n oder
zeigt wird, die Lichtausbreitung in transparenter Materie vA nc D c0 ist, wobei c0 die Lichtgeschwindigkeit im Me-
auf Wellenlängen, die gegenüber dem Vakuum durch Divi- dium ist. In diesem Fall können Photonen auf einem nach
sion durch einen Brechungsindex n > 1 verkleinert sind vorwärts gerichteten Kegel mit dem Öffnungswinkel # emit-
( D nc 1 ). Auf Lichtquanten umgemünzt, ergibt dies ef- tiert werden.
fektiv raumartige Viererimpulse (siehe (10.22))
Dies ist ganz analog zum Überschallkegel, der auftritt, wenn
0 h 1 sich ein Flugobjekt schneller als der Schall bewegt. Bewe-
gen sich geladene Teilchen in einem Medium schneller als
B c C h 1
p
Ph D @ AD ; die Lichtgeschwindigkeit in diesem Medium, kommt es zur
h c n eO
eO Tscherenkow-Strahlung. Diese tritt z. B. in Abklingbecken
von Kernreaktoren auf, wo sie durch schnelle Elektronen im
wobei eO die Ausbreitungsrichtung des Lichtquants ist und der Wasser hervorgerufen wird. In der Teilchenphysik kann der
Brechungsindex n von der Frequenz abhängt. Insbesondere Tscherenkow-Effekt zum Nachweis von hochenergetischen
geht n für große Werte von und damit für Photonenenergi- Teilchen genutzt werden. In der Astroteilchenphysik wer-
en E D h jenseits des optischen Spektrums gegen 1. den sogenannte Tscherenkow-Teleskope dafür eingesetzt,
die von hochenergetischer kosmischer Strahlung in der At-
Mit dieser Information kann die Emission eines Lichtquants mosphäre hervorgerufenen Teilchenschauer und damit ver-
in transparenter Materie über die relativistische Energie-Im- bundenen Tscherenkow-Blitze zu beobachten.
puls-Erhaltung diskutiert werden. Ist pA D .EA =c; pA /> der
Viererimpuls eines massiven hochenergetischen Teilchens
mit pA2 D m2 c2 , das nach Emission eines Photons den Vierer-
impuls pA0 D pA p Ph mit unveränderter Masse pA0 D m c
2 2 2
pPh
Abb. 10.6 Das Tscherenkow-Teleskop MAGIC (Major Atmospheric Gam-
ma-Ray Imaging Cherenkov) in über 2200 m Höhe auf der Kanarischen
ϑ Insel La Palma, das extrem hochenergetische kosmische Gammastrahlung
pA indirekt über die in der Atmosphäre entstehenden Tscherenkow-Lichtblitze
p A der ausgelösten elektromagnetischen Elektron-Positron-Schauer detektiert
(Max-Planck-Institut für Physik – MAGIC, © R. Wagner)
368 10 Relativistische Mechanik
Das Energiespektrum der primären kosmischen Strahlung, gegeben. Bei einer Frontalkollision ist der Protonenimpuls
die hauptsächlich aus Protonen und Heliumkernen besteht, dem Photonenimpuls entgegengerichtet, pp p” D jpp jjp” j
wurde seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit immer mit jp” j D E” =c und, weil das Proton ultrarelativistisch ist,
ausgedehnteren Detektoren vermessen. Bei den höchsten ist jpp j Ep =c. Damit ergibt sich die Schwellenergie Ep aus
Energien müssen hier indirekte Methoden eingesetzt wer-
den wie die Vermessung der Teilchenschauer, die in der m2 c2 D m2p c2 C 4Ep E” =c2 ) Ep 2;5 1020 eV:
Atmosphäre erzeugt werden, oder die Beobachtung des
von solchen Schauern erzeugten Fluoreszenzlichtes (an den (Eine genauere Rechnung, welche die thermische Verteilung
Stickstoffmolekülen der Atmosphäre). der Photonenenergie berücksichtigt, sowie die Tatsache, dass
die -Resonanz keine scharfe Masse, sondern eine Massen-
Man nimmt an, dass der ultrahochenergetische Teil des
verteilung hat, führt auf eine etwas niedrigere Schwelle von
Spektrums, oberhalb von 1017 eV D 105 TeV, extragalak-
0;6 1020 eV.)
tischen Ursprungs ist und damit Distanzen im Bereich von
Millionen bis Milliarden Lichtjahren zu überbrücken hat. Dieser GZK-Cutoff wurde erstmals 2008 durch das High Re-
Schon 1962 wurden Ereignisse beobachtet, die zu einer Pri- solution Fly’s Eye Experiment (HiRes) in der Wüste von
märenergie von 1020 eV (108 TeV) gehören sollten, wobei Utah nachgewiesen, nachdem ein früheres Experiment kei-
bei diesen Energien der Fluss der kosmischen Strahlung nen Cutoff zu sehen schien. Inzwischen hat aber das Pierre-
schon extrem niedrig ist: ein Teilchen pro Quadratkilometer Auger-Observatorium in Argentinien die Ergebnisse von Hi-
pro Jahrhundert, d. h., man muss entsprechend große Aus- Res bestätigen können.
schnitte der Erdatmosphäre beobachten, um zu quantitativen
Aussagen zu kommen.
Fluss
1966 stellten der amerikanische Physiker Kenneth Greisen ·E 3
(1908–2007) und unabhängig davon die russischen Physiker
HiRes-II
Georgi T. Sazepin (englische Transliteration Zatsepin, 1917– HiRes-I
2010) und Wadim A. Kuzmin (*1937) die Vermutung auf,
dass es praktisch keine kosmische Strahlung mit Energien
jenseits von 1020 eV gäbe. Der kosmische Mikrowellen-
hintergrund, der das Nachleuchten des Urknalles darstellt
(siehe Kasten „Anwendung: Kosmische Hintergrundstrah-
lung“ in Abschn. 21.2) und ein Photonengas mit einer Dichte
von etwa 400 Photonen pro Kubikzentimeter bildet, sollte
nämlich für Protonen mit Energien oberhalb von 1020 eV un-
durchdringlich werden, wenn diese kosmische Distanzen zu 1017 1018 1019 1020 E [eV]
durchqueren haben. Dieser sogenannte GZK-Cutoff ergibt
sich aus einer inelastischen Kollision von Protonen mit Pho- Abb. 10.7 Das Energiespektrum des Flusses an ultrahochenergetischer
tonen, bei denen ein sogenanntes -Baryon erzeugt wird, kosmischer Strahlung bei Energien oberhalb von 1017 eV in einem doppelt
das danach in ein Proton und ein neutrales Pion zerfällt, logarithmischen Plot, wobei die stark abfallende Verteilung mit E 3 multipli-
ziert wurde (absolute Größe hier nicht näher spezifiziert)
pC C ” ! C ! pC C 0
:
Bei dieser Reaktion verliert ein Proton einen Teil seiner ki-
netischen Energie (durchschnittlich 20 %; siehe Aufgabe Literatur
10.9). Hat es danach noch immer hinreichend viel Ener-
gie, kann sich dieser Prozess wiederholen, bis es unter die
Greisen, K.: End to the Cosmic-Ray Spectrum? Physical
Schwellenenergie für diesen Prozess fällt. Diese Schwel-
Review Letters 16, 748–750 (1966)
lenenergie kann überschlagsmäßig leicht berechnet werden,
Zatsepin, G. T., Kuz’min, V. A.: Upper Limit of the Spec-
wenn man weiß, dass die Photonen eine mittlere Energie von
trum of Cosmic Rays. In: Journal of Experimental and
E” 0;6 meV haben und die Masse des C -Baryons (auch
Theoretical Physics Letters. 4, 78–80 (1966) online (frei):
-Resonanz genannt) bei 1;232 GeV=c2 liegt, während
http://www.jetpletters.ac.ru/ps/1624/article_24846.pdf
die Protonmasse laut (10.30) mp 0;938 GeV=c2 beträgt.
Nagano, M.: Search for the end of the energy spectrum
Die Schwerpunktsenergie für die Kollision eines Protons mit
of primary cosmic rays. New J. Phys. 11 065012 (2009)
einem Photon ist durch
http://iopscience.iop.org/1367-2630/11/6/065012/fulltext/
2
ESPS =c2 D .p 2 2
p C p” /.pp C p” / D mp c C 2pp p” (open access)
10.3 Relativistische Teilchenstöße 369
Teil I
Hier werden ultrarelativistische Energien erreicht, bei denen
die Energie E D m c2 m c2 ist, mit Gammafaktoren von
mehreren Tausend am Large Hadron Collider (LHC) des Euro-
päischen Teilchenphysiklabors CERN bei Genf (Abb. 10.8). Bei
diesen Energien wird die Energie, die zur Ruhemasse eines Pro-
tons gehört, vernachlässigbar. Berechnen wir zum Vergleich die
Energie, die man im Laborsystem für ultrarelativistische Ener-
gien aufzuwenden hätte, so ergibt sich aus (10.71)
2
ESPS =c2 D p p D 2EA m C 2m2 c2 2EA m; (10.73)
p
d. h., die Schwerpunktsenergie nimmt nur wie 2EA mc2 mit
der Strahlenergie EA zu, während bei einem Collider 2EA be-
reitgestellt werden. Für die Maximalenergie von 14 TeV (
15:000 m c2 ), für die das LHC ausgerichtet wurde, wäre bei ei-
nem festen Target die mit Beschleunigern unerreichbar hohe
Energie von etwa 105 TeV erforderlich.
Abb. 10.8 Fotomontage aus LHC-Beschleuniger und seiner unterirdischen Aus- Dermaßen hohe und noch höhere Energien kommen aber in der
dehnung bei Genf (© 2005 CERN, Fabienne Marcastel) kosmischen Strahlung (hauptsächlich in Form von Protonen)
vor, die uns von Quellen außerhalb unserer Galaxie erreichen.
Deren Entstehungsmechanismus ist noch weitgehend ungeklärt;
man nimmt an, dass sie z. B. von der Umgebung von ultramassi-
Moderne Teilchenbeschleuniger arbeiten in der Hochenergie- ven Schwarzen Löchern im Zentrum von aktiven Galaxien wie
physik, wo man nach neuen immer schwereren Teilchen sucht, Quasaren stammen (siehe Kasten „Anwendung: Ultrahochener-
daher mit Collidern, bei denen zwei Strahlen aufeinander ge- getische kosmische Strahlung“).
370 10 Relativistische Mechanik
Aufgaben
Teil I
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
10.1 Eigenzeit der hyperbolischen Bewegung und erhaltenen Beziehungen ins ursprüngliche Ruhesystem zu trans-
interstellare Reisen formieren.
(a) Leiten Sie für die hyperbolische Bewegung, d. h. eine Weltli- 10.3 Maximaler Ablenkungswinkel im Laborsys-
nie mit konstanter Eigenbeschleunigung aQ , den Zusammen- tem, wenn ein schweres Teilchen auf ein leichteres stößt
hang (10.16) zwischen Eigen- und Koordinatenzeit sowie Berechnen Sie den maximalen Streuwinkel #A , den eine Masse
geschlossene Ausdrücke für den Zusammenhang von zu- mA nach Kollision mit einer ursprünglich ruhenden leichteren
rückgelegter Strecke x und Eigenzeit her. Masse mB im Laborsystem annehmen kann. Bestimmen Sie
(b) Berechnen Sie damit, wie viel Zeit eine Reise zum nächst- dafür über eine explizite Lorentz-Transformation wie #A mit
gelegenen Stern (Alpha Centauri, 4,2 Lichtjahre Entfernung) dem Streuwinkel im Schwerpunktsystem, #, der ja nicht ein-
bzw. zum Zentrum der Milchstraße (etwa 27.000 Lichtjah- geschränkt ist, zusammenhängt, und bestimmen Sie daraus den
re) brauchen würde, wenn man eine Rakete zur Verfügung maximalen Wert.
hat, die eine komfortable konstante Beschleunigung in der
Höhe der Erdbeschleunigung von 1 g 9;81m=s2 bereit- 10.4 Inelastische Kollision von Protonen und Kup-
stellt. Nach halber Strecke soll die Rakete um 180ı drehen, ferkernen Im Text wurde gezeigt, dass im Laborsystem bei
sodass die Abbremsung ebenfalls mit konstanter negativer der inelastischen Streuung von Protonen an Protonen das ein-
Beschleunigung von 1 g erfolgt. Vergleichen Sie die Eigen- laufende Proton eine Energie von über 7 m c2 haben muss,
zeit des Reisenden mit der Zeit der Startrampe. damit Antiprotonen erzeugt werden können. Bei der Entde-
ckung des Antiprotons wurde ein Protonenstrahl mit 6;7 m c2 D
6;3 GeV auf ein Kupfertarget (Atommasse ca. 63 Proton-
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Ergebnisse (10.14) und massen) geschossen. Berechnen Sie die Schwellenenergie für
(10.15). Antiprotonenerzeugung unter der Annahme, dass die Nukleo-
10.2 Relativistische Raketengleichung Eine Ra- nen im Target fest gebunden sind (was sie bezüglich der hier
kete werde dadurch angetrieben, dass bezüglich ihres momen- eingesetzten Energien aber nicht sind).
tanen Ruhesystems kontinuierlich Masse mit einer konstanten
10.5 Energievorrat und Lebensdauer der Sonne
Geschwindigkeit w ausgestoßen wird.
Wie im Kasten „Anwendung: Massendefekt und Umwandlung
von Masse in Energie“ vermerkt, wird bei der Kernfusion etwa
(a) Welche Endgeschwindigkeit erreicht sie im Inertialsystem
0,5 % der Masse in Energie umgewandelt. Schätzen Sie damit
S der Startrampe, wenn sie ihren Vorrat an Brennstoff auf-
ab, wie viel Energie unsere Sonne, die eine Masse von etwa
gebraucht und ihre Ruhemasse von anfänglich m0 auf m
2 1030 kg besitzt, im Laufe ihrer Existenz abstrahlen kann, und
abgenommen hat?
daraus die maximale Lebensdauer, wenn Sie verwenden, dass
(b) Mit welcher Rate muss Masse ausgestoßen werden, damit
auf der Erde etwa 1500 W=m2 an Energie empfangen wird, wo-
die Beschleunigung im momentanen Ruhesystem konstant
bei die Erde ungefähr 150 Millionen km von der Sonne entfernt
ist? Wie nimmt in diesem Fall die Masse als Funktion der
ist.
Eigenzeit der Rakete ab?
10.6 Mandelstam-Variable Man zeige, dass die im
Lösungshinweis: Betrachten Sie zunächst ein Objekt mit Ru- Kasten „Vertiefung: Die Mandelstam-Variablen“ besprochenen
hemasse m, das sich in zwei Objekte mit Ruhemassen m1 und Größen
m2 teilt, die sich bezüglich des Schwerpunktsystems mit den s D .p1 C p2 /2 D .p3 C p4 /2 ;
Geschwindigkeiten v1 und v2 voneinander weg bewegen, und
spezialisieren Sie dann auf ein infinitesimales m2 D jdmj t D .p1 p3 /2 D .p2 p4 /2 ; (10.74)
mit v2 D w . Zur Aufstellung der Raketengleichung sind die u D .p1 p4 / D .p2 p3 /
2 2
Aufgaben 371
für einen elastischen oder inelastischen 2!2-Prozess mit Vie- Insbesondere folgt aus dem Vergleich von (10.78) und (10.84)
rerimpulsen die einfache Umrechnungsformel
p
Teil I
1 C p2 D p3 C p4 (10.75) p
m2 c jp1 jLS D s jp1 jSPS : (10.89)
linear abhängig sind und
Man beachte auch, dass die Streuwinkel in der Variablen t bzw.
s C t C u D .m21 C m22 C m23 C m24 / c2 (10.76) u enthalten sind. Die Energien im Schwerpunktsystem sind da-
her unabhängig von Streuwinkeln, wohingegen im Laborsystem
erfüllen. Die durch die Viererimpulse p i beschriebenen Teil-
E3 und E4 von diesen abhängen.
chen i D 1; : : : ; 4 sollen dabei beliebige Ruhemassen mi haben. 10.8 Zerfall eines massiven Teilchens in zwei mas-
sive Tochterteilchen Berechnen Sie, wie sich im Schwer-
10.7 Umrechnung zwischen Schwerpunkt- und La-
punktsystem beim Zerfall eines massiven Teilchens mit Masse
borsystem mit Mandelstam-Variablen Zeigen Sie folgen-
M die verfügbare Energie auf zwei Teilchen aufteilt, wenn diese
de Beziehungen zwischen den in (10.74) definierten Mandel-
die Massen mA bzw. mB besitzen.
stam-Variablen für relativistische 2!2-Prozesse und den Wer-
ten von Energie und Impuls, wobei Lösungshinweis: Lösen Sie nicht wie beim Zerfall des Pions
die Energieerhaltungsgleichung direkt, sondern betrachten Sie
.a; b; c/ WD a2 C b2 C c2 2ab 2ac 2bc dafür die Lorentz-Invarianten pA2 WD pA pA und pB2 WD pB pB
und setzen Sie in diese die Energie-Impuls-Erhaltung ein. Dies
a2 2a.b C c/ C .b c/2
p vereinfacht die Rechnung merklich.
p 2 p p 2
a bC c a b c 10.9 Energieverlust von ultrahochenergetischen
(10.77) Protonen bei Kollision mit Photonen des kosmischen
die sogenannte Dreiecks- oder Källén-Funktion (benannt nach Mikrowellenhintergrunds Im Kasten „Anwendung: Ultra-
dem schwedischen theoretischen Physiker Gunnar Källén, hochenergetische kosmische Strahlung“ wurde diskutiert, dass
1926–1968) ist: der inelastische Prozess pC C ” ! C ! pC C 0 für
Protonen mit Energien & 108 TeV und Photonen aus der kos-
mischen Hintergrundstrahlung dazu führt, dass die Protonen so
(a) im Schwerpunktsystem:
lange Energie verlieren, bis sie unter die zugehörige Schwellen-
1 energie fallen.
p21 D p22 D .s; m21 c2 ; m22 c2 /; (10.78)
4s Schätzen Sie den durchschnittlichen Energieverlust eines sol-
1 chen Protons bei einer derartigen Kollision ab, indem Sie den
p23 D p24 D .s; m23 c2 ; m24 c2 /; (10.79) minimalen und den maximalen Energieverlust berechnen, der
4s
s C .m21 m22 /c2 auftritt, wenn das C -Baryon im Schwerpunktsystem das se-
E1 =c D p ; (10.80) kundäre Proton in bzw. gegen die Richtung des einlaufenden
2 s Protons emittiert. Für den Prozess pC C ” ! C soll ange-
s C .m22 m21 /c2 nommen werden, dass die Energie gerade zur Entstehung eines
E2 =c D p ; (10.81)
2 s C -Baryons ausreicht.
s C .m23 m24 /c2 Berechnen Sie dazu die Energieaufteilungen für die Prozesse
E3 =c D p ; (10.82)
2 s pC C ” ! C und C ! pC C 0 mit den Formeln aus
Aufgabe 10.8 (mC D 1;232 GeV=c2 , mp D 0;938 GeV=c2 ,
s C .m24 m23 /c2
E4 =c D p I (10.83) m 0 D 0;135 GeV=c2 ) und transformieren Sie diese in das
2 s ursprüngliche Inertialsystem, in dem das Proton anfangs eine
Energie von etwa 1011 GeV hatte.
(b) im Laborsystem (p2 D 0):
Lösungshinweis: Nutzen Sie aus, dass sich die in (9.99) einge-
1 führte Rapidität D arcosh .v / bei Lorentz-Transformationen
p21 D .s; m21 c2 ; m22 c2 /; (10.84) in einer festen Richtung additiv verhält.
4m22 c2
s .m21 C m22 /c2 10.10 Rapidität und Pseudorapidität in der Teil-
E1 D ; (10.85) chenphysik In Teilchenkollisionen ist eine direkt zugängli-
2m2
che Observable der Winkel #, unter dem ein gestreutes oder
E2 D m2 c2 ; (10.86) neu erzeugtes Teilchen gegenüber der Strahlachse in den Detek-
.m22 C m23 /c2
u tor fliegt. In der Teilchenphysik wird dieser üblicherweise durch
E3 D ; (10.87) die äquivalente Größe der Pseudorapidität, definiert durch
2m2
.m2 C m24 /c2 t
E4 D 2 : (10.88) #
2m2 WD ln tan ; (10.90)
2
372 10 Relativistische Mechanik
η = 0.5
in (9.99) eingeführte Rapidität artanh .v =c/, aber eingeschränkt
60◦
auf die longitudinale Komponente der Geschwindigkeit vk =c D
pk c=E:
pk c 45◦ η = 1
y WD artanh : (10.91)
E
Zeigen Sie, dass 30◦
η = 1.5
(a) im Hochenergielimes 1 die Pseudorapidität in die lon-
gitudinale Rapidität y übergeht;
η=2
(b) sich die Rapidität y unter Lorentz-Transformationen mit Ge-
15◦
schwindigkeit v D ˇc in longitudinaler Richtung gemäß η = 2.5
η=3
y0 D y artanh ˇ (10.92) η=4
transformiert. ϑ = 0, η = ∞ (Strahlachse)
Lösungshinweis: Drücken Sie zuerst durch Impulskompo- Abb. 10.9 Zusammenhang von Streuwinkel und Pseudorapidität
nenten pk D jpj cos # und p? D jpj sin # aus. Verwenden Sie
dazu die Identität
s
# 1 cos #
tan D : (10.93)
2 1 C cos #
Lösungen zu den Aufgaben 373
Teil I
10.1 (b) Rakete: 3,5 bzw. 19,8 Jahre; Erde: 5,8 bzw 27.002 10.5 Ungefähr 67 109 Jahre.
Jahre
10.8
10.2 M 2 C mA2 mB2
v 1 .m=m0 / 2w =c EA =c2 D ;
D (10.94) 2M (10.95)
c 1 C .m=m0 /2w =c M 2 C mB2 mA2
EB =c2 D :
2M
Bei konstanter Beschleunigung a ist m./ D m0 ea=w .
10.3 sin #Amax D mB =mA . 10.9 Der minimale und maximale Energieverlust beträgt 3 %
bzw. 40 %.
10.4 EA 3;06 m c2 .
374 10 Relativistische Mechanik
Teil I
tem bewegt, gegeben durch ˇ D p c=EB . Ist die Kollisionsachse Wären Kupferkerne bei diesen Energien unzerstörbar, würden
die x-Achse, so führt eine Standard-Lorentz-Transformation in demnach nur 3 % der kinetischen Energie mehr nötig sein, als
negativer x-Richtung auf das Laborsystem, in dem Teilchen B die Ruheenergie eines Proton-Antiproton-Paares darstellt.
ruht. Der Viererimpuls von Teilchen A nach dem Stoß transfor-
miert sich vom Schwerpunkt- ins Laborsystem gemäß 10.5 Ein Massendefekt von 0,5 % der Masse der Sonne ent-
spricht einer Energiemenge von
0 10 1
ˇ 0 0 EA =c
Bˇ 0 0C Bp cos # C 0;5 102 2 1030 kg c2 9 1044 Ws: (10.118)
.pA0 /LS D@
0 0 1 0A @ p sin # A
0 0 0 1 0 Dies ist der geschätzte Energievorrat, der nach Entstehung der
0 1 (10.111) Sonne zur Abstrahlung zur Verfügung steht.
:::
B.EA C EB cos #/p=mB c2 C Die Leistung der Sonne ist gegeben durch die Oberfläche ei-
D@ A
p sin # ner Kugel mit Radius 150 Millionen Kilometer multipliziert mit
0 1500 W=m2 :
mit D EB =mB c2 , ˇ D p=mB c. Das Verhältnis von y- und x- 4 .1;5 1011 m/2 1500 W=m2 4 1026 W: (10.119)
Komponente gibt
Dies reicht für etwa 2;1 1018 s oder etwa 67 109 Jahre,
mB c2 sin # wenn sie gleichmäßig strahlt. Die von Astrophysikern errech-
tan #A D : (10.112) nete Brenndauer unserer Sonne, bis sie das Endstadium eines
EA C EB cos #
weißen Zwerges erreicht, liegt tatsächlich unter diesem Wert –
Für mB < mA ist EB < EA , und der Nenner hat keine Nullstelle, bei etwa 12,5 Milliarden Jahren.
wenn # zwischen 0 und variiert, sodass #A < =2 bleibt 10.6 Mit p2i D m2 c2 ergibt Ausmultiplikation der definierenden
und auch für # ! wieder auf null geht. Dies bedeutet, dass Gleichungen
das einlaufende Teilchen A nicht zurückgestreut werden kann,
sondern immer einen Impuls in positiver x-Richtung behält. Der s C t C u D m21 c2 C 2p1 p2 C m22 c2
maximale Winkel #A ergibt sich aus
C m21 c2 2p1 p3 C m23 c2
d mB c .EB C EA cos #/
2
C m21 c2 2p1 p4 C m24 c2
tan #A D D0 (10.113)
d# .EA C EB cos #/2
X
4
D m2i c2 C 2m21 c2 C 2p1 .p2 p3 p4 /
für cos # D EB =EA . In (10.112) eingesetzt ergibt dies „ ƒ‚ …
iD1
p1
mB c 2
mB =mA X
4
tan #Amax D q D q (10.114) D m2i c2 :
EA2 EB2 1 mB2 =mA2
iD1
(10.120)
bzw. sin #Amax D mB =mA .
10.7
10.4 Aus
(a) Im Schwerpunktsystem ist p1 D p2 und p3 D p4 . Damit
EA =c 63 m c
p D C ; ist
LS;vorher pA 0 s D .p1 C p2 /2 D .E1 =c C E2 =c/2
(10.115) (10.121)
.3 C 63/ m c D .E12 C E22 C 2E1 E2 /=c2 ;
p
SPS;nachher D
0 q
und mit Ei =c D p2i C m2i c2 folgt
folgt nach Gleichsetzen der vom Bezugssystem unabhängigen
Viererquadrate
s 2p21 .m21 C m22 /c2 D 2E1 E2 =c2 : (10.122)
2
EA
C 63mc pA2 Nach dem Quadrieren dieser Gleichung fallen die Terme
c proportional zu .p21 /2 heraus, und man erhält
D 2 63EA m C .632 C 1/m2 c2 D 662 m2 c2 (10.116)
193 s2 4sp21 2s.m21 C m22 /c2 C .m21 C m22 /2 c4 4m21 m22 c4 D 0
) EA D m c2 3;06 m c2 (10.123)
63
376 10 Relativistische Mechanik
Œs .m21 C m22 /c2 2 4m22 c2 .m21 c2 / Die berechneten Verschiebungen von bedeuten eine Multi-
p21 D plikation mit den Faktoren
4m22 c2
(10.127)
1 e1 0;97; e2 0;60 (10.134)
D .s; m21 c2 ; m22 c2 /:
4m22 c2
und somit Energieverluste zwischen 3 % und 40 %. (Hier ist
der genaue Wert von nicht wesentlich, solange 1 ist. Für
10.8 Im Schwerpunktsystem ist p D .Mc; 0/ D pA C pB . Die Ep 1011 GeV ist 26 und daher mehr als hinreichend
Energie-Impuls-Relation pB2 D mB2 c2 kann damit geschrieben groß.)
werden als
10.10
mB2 c2 D .p pA /2 D p2 2p pA C pA2
(10.128) (a) Mit
D M 2 c2 2MEA C mA2 c2 ;
s s
woraus # 1 cos # jpj pk
M C 2
mA2 mB2 tan D D (10.135)
EA =c D 2
(10.129) 2 1 C cos # jpj C pk
2M
folgt. Analog erhält man ist
# 1 jpj C pk pk
M 2 C mB2 mA2 D ln tan D ln D artanh :
EB =c D 2
: (10.130) 2 2 jpj pk jpj
2M (10.136)
p
Für D E=.mc2 / D p2 C m2 c2 =.mc/ 1 ist p2 m2 c2
Die Summe davon ist offensichtlich .EA C EB /=c2 D M, was und E jpjc. Die longitudinale Rapidität wird daher
gerade die Energieerhaltungsgleichung darstellt. Deren direkte
Lösung würde aber die Berechnung von pA2 D pB2 aus einer Glei- pk c pk
y D artanh artanh D . 1/: (10.137)
chung mit Wurzelausdrücken erfordern. E jpj
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 377
Teil I
Impuls als Vierervektor entsprechend
y0 D ln 0 0 D ln
2 E pk c 2 E ˇ pk c pk c C ˇ E
E0 D E ˇ pk c;
1 .1 ˇ/.E C pk c/ 1 .1 C ˇ/
p0k D pk ˇ E=c; (10.138) D ln D y ln
2 .1 C ˇ/.E pk c/ 2 .1 ˇ/
p0? D p? : D y artanh ˇ:
(10.139)
378 10 Relativistische Mechanik
Literatur
Teil I
Weiterführende Literatur
Teil II
Inhaltsverzeichnis
379
Die Maxwell-Gleichungen
11
Was unterscheidet
magnetische von
elektrischen Feldern?
Teil II
Was beinhaltet der
Feldbegriff?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_11, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 381
382 11 Die Maxwell-Gleichungen
Teil II
Abb. 11.1 Michael Faraday (1791–1867), © nickolae – Fotolia.com Abb. 11.2 James Clerk Maxwell (1831–1879), © nickolae – Fotolia.com
Die Elektrodynamik, die fundamentale Theorie, die elektrische und sen, was denn der praktische Wert dieser ganzen Forschung sei,
magnetische Felder miteinander untrennbar verknüpft, ist mit ihren worauf Faraday schlagfertig und mit nicht zu überbietendem pro-
vielfältigen Anwendungen aus unserer Zivilisation heutzutage nicht phetischen Weitblick antwortete: „One day, Sir, you may tax it.“
mehr wegzudenken. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts kannte
die Physik aber nur eine qualitative Phänomenologie von nicht mit- Als für die theoretische Physik besonders bedeutsam erwies sich
einander in Beziehung gebrachten Erscheinungen von Elektrizität in der Folge der Begriff raumfüllender Felder, der langsam, aber si-
und Magnetismus. Dieses Gebiet war bis dahin wenig entwickelt cher zu einem Paradigmenwechsel führte, auch wenn die Mechanik
und entsprechend wenig attraktiv für die theoretische Physik, je- noch lange das Weltbild der Physiker prägte und man zunächst noch
denfalls im Vergleich zur klassischen Mechanik, die zu dieser Zeit nach mechanischen Modellen für die Maxwell’sche Theorie suchte.
bereits weitgehend ihre mathematische Vollendung erfuhr. Letztlich stellten sich aber die früheren Begriffe wie starre Körper,
Fernwirkungen, und auch die absolute Zeit der Newton’schen Me-
Ein entscheidender Entwicklungsschub fand in der ersten Hälfte des chanik als unhaltbar für die Fundamente der Physik heraus.
19. Jahrhunderts statt, nachdem 1820 der dänische Physiker Hans
Christian Oersted (1777–1851) entdeckt hatte, dass elektrische In diesem Kapitel werden wir die Aufstellung der fundamen-
Ströme Magnetfelder hervorrufen. Michael Faraday (1791–1867, talen Maxwell-Gleichungen induktiv, d. h. von den empirischen,
Abb. 11.1) suchte und fand 1831 die umgekehrte Verbindung, experimentellen Grundtatsachen ausgehend, nachvollziehen. So-
nämlich dass veränderliche Magnetfelder Ströme verursachen kön- bald die Maxwell-Gleichungen und die Kräfte auf Ladungsträger
nen. Das von Faraday geprägte intuitive Bild von raumfüllenden als fundamentale Naturgesetze niedergeschrieben sind, wobei als
Kraftlinien wurde vom schottischen Physiker James Clerk Maxwell technisches Detail die dabei eingesetzten Maßsysteme zu disku-
(1831–1879, Abb. 11.2) aufgegriffen und 1855 in eine mathe- tieren sind (Abschn. 11.3), werden wir bereits in Abschn. 11.4
matisch konsistente Formulierung gebracht, die er in mehreren zu den Energie- und Impulserhaltungssätzen der Elektrodynamik
Veröffentlichungen ausarbeitete (Maxwell 1873). Darin wurde ins- vordringen, in denen die Felder neben den Trägern elektrischer
besondere eine Wellentheorie entwickelt, die eine Vereinigung von Ladung als fundamentale und weitgehend gleichberechtigte Enti-
Optik und Elektrodynamik nahelegte. Der experimentelle Beweis täten in Erscheinung treten. Die Lösungsmethoden und vielfältigen
wurde 1886 von Heinrich Hertz (1857–1894) durch die Entdeckung Anwendungen der Elektrodynamik werden dann Gegenstand der
der elektromagnetischen Wellen geliefert. folgenden Kapitel sein. Dafür werden neben den elektrischen und
magnetischen Feldern am Ende dieses Kapitel in Abschn. 11.5 be-
Dies führte zu ungeahnten technischen Entwicklungen, insbeson- reits die elektrodynamischen Potenziale eingeführt, die zunächst
dere der elektrischen Energieversorgung und der Nachrichtenüber- als rein mathematische Hilfsfelder auftreten, aber letztlich eine
tragung durch Radiowellen. Noch 1850 hatte sich Faraday vom wesentliche Grundlage für die modernere Physik bis hin zur Quan-
damaligen britischen Schatzkanzler die Frage gefallen lassen müs- tenfeldtheorie bilden.
11.1 Aufstellung der fundamentalen Maxwell-Gleichungen 383
Teil II
17. Dies führt uns wieder zum fundamentalen Charakter der Elek-
trodynamik zurück: Sie ist eine Feldtheorie, die den Gesetzen der
speziellen Relativitätstheorie unterworfen ist. Mithilfe des Vierer- x y
formalismus des Minkowski-Raumes bringen wir in Kap. 18 die
Grundgleichungen in eine Form, die den relativistischen Charakter Abb. 11.3 Coulomb-Kraft: Zwei gleichartige Ladungen stoßen sich ab, mit ge-
manifest macht. Dieser ist eng mit der kausalen Struktur verknüpft, gengleichen Kräften (F21 D F12 ), die invers proportional zum Quadrat der
die in Kap. 19 über die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen ei- Entfernung sind
ne zentrale Rolle spielt. Schließlich wird in Kap. 20 der elegante
Lagrange-Formalismus der Mechanik aus Abschn. 5.3 so erweitert,
dass die relativistische Elektrodynamik darin Platz findet. sind, hatte Joseph Priestley (1733–1804) bereits 1767 aus Expe-
rimenten mit geladenen Hohlkugeln geschlossen (in der Folge
von Henry Cavendish, 1731–1810, verfeinert), was schließlich
Charles-Augustin de Coulomb (1736–1806) um 1785 direkt
mittels einer Drehwaage verifizierte. Dieses nun nach Coulomb
11.1 Aufstellung der fundamentalen benannte Gesetz wurde in der neueren Physik experimentell auf
allen Längenskalen von der Atomphysik bis zur Astrophysik be-
Maxwell-Gleichungen stätigt.
Analog zur Gravitationskraft zwischen zwei Punktmassen, (sie-
In dem vorliegenden Kapitel geht es zunächst darum, die fun- he (1.14)), aber mit einem anderen Vorzeichen, ergibt sich mit
damentalen Maxwell-Gleichungen aufzustellen und zu disku- einer positiven Proportionalitätskonstanten k die Kraft F12 auf
tieren, was sie auf der Ebene von Ladungsträgern im Vakuum eine Punktladung q1 am Ort r1 , hervorgerufen durch eine Punkt-
besagen – vorerst ohne die Komplikation von den in der Pra- ladung q2 , die am Ort r2 fixiert ist, durch (Abb. 11.3)
xis fast immer präsenten Eigenschaften von elektrisch neutraler
q1 q2 r1 r2
Materie wie Polarisierbarkeit, Para- und Diamagnetismus. F12 D k eO 12 ; eO 12 D : (11.1)
jr1 r2 j2 jr1 r2 j
Der Historie folgend beginnen wir mit der Elektrostatik und ent-
wickeln den Feldbegriff, den wir in Teil I schon kurz in Form Die Konstante k hängt vom verwendeten Maßsystem ab und
des Gravitationsfeldes kennengelernt hatten, weiter, wobei die legt implizit die Einheiten fest, in denen Ladungen q angege-
Verallgemeinerung auf den zeitabhängigen (dynamischen) Fall ben werden. Wir werden in der Folge noch weitere, zunächst
zur Erkenntnis führt, dass magnetische und elektrische Felder unbestimmte Proportionalitätskonstanten einführen und in Ab-
untrennbar zusammenhängen. schn. 11.3 die verschiedenen in der Physik und Technik ge-
bräuchlichen Maßsysteme vergleichen.
Eine weitere experimentelle Grundtatsache, die zum Coulomb-
Vom Coulomb’schen Gesetz Gesetz gehört, ist das Superpositionsprinzip: Wenn weitere La-
dungen q3 ; : : : ; qN vorhanden sind, ergibt sich die Kraft auf die
zur elektrischen Feldstärke Ladung q1 durch die (vektorielle) Summe der Zweikörperkräfte:
r0 dar. Gleichung (11.4) ist somit nichts anderes als das Cou-
lomb’sche Gesetz in einer Integraldarstellung.
Die Darstellung mit einer kontinuierlichen Ladungsverteilung
.r/ beinhaltet das Resultat (11.3) für den Fall von Punktla-
dungen als den Grenzfall, wo diese Punktladungen qi in kleinen
Bereichen um die Punkte ri konzentriert sind und dann die Aus-
dehnung dieser Bereiche verschwindend klein gemacht wird,
während qi unverändert bleibt. Weil in diesem Grenzfall die
+ Ladungsdichte .r/ an den Stellen ri unendlich wird, während
sie überall sonst verschwindet, ist diese nicht mehr durch ei-
ne gewöhnliche Funktion zu beschreiben, sondern durch eine
verallgemeinerte Funktion oder Distribution (siehe den „Mathe-
Teil II
Dirac-Deltafunktion
Abb. 11.4 Elektrisches Feld einer positiven Ladung
Eine verallgemeinerte Funktion, die überall verschwindet, außer
an einem Punkt, und die an diesem so singulär ist, dass das Inte-
gral darüber eins ergibt, ist von Paul Dirac (1902–1984) in die
lischen Körper ist, mit dem es vermessen wird (siehe (1.17)), physikalische Literatur als „Deltafunktion“ eingeführt worden,
können wir die elektrische Feldstärke E.r/ definieren als die mit der Definition (in einer Variablen)
Kraft pro Ladung, die auf eine punktförmige Testladung wirkt, Z
wenn sie an die Stelle r gebracht wird und dabei die bereits vor-
ı.x/ D 0 8 x 6D 0; ı.x/ dx D 1: (11.5)
handenen Ladungen ortsfest bleiben (Abb. 11.4).
Das Integral stellt hier einfach die Aufsummation von allen Bei- Man kann aber auch unstetige Funktionen heranziehen, über die
trägen der infinitesimalen Ladungen dV 0 .r0 / an den Stellen ja problemlos integriert werden kann. Insbesondere hat man mit
11.1 Aufstellung der fundamentalen Maxwell-Gleichungen 385
Das Superpositionsprinzip des Coulomb’schen Kraftgeset- sogenannte Delbrück-Streuung, die Streuung von Photonen
zes (11.2) ist ganz analog zu dem der Newton’schen Gra- am Coulomb-Feld von Atomkernen mit großer Kernladungs-
vitationstheorie. Allerdings gilt dieses in der Einstein’schen zahl. Photonen, die Quanten des elektromagnetischen Fel-
Gravitationstheorie nicht mehr, sobald Gravitationseffekte des, werden also durch starke elektrische Felder beeinflusst;
so stark werden, dass die Newton’sche Theorie keine gute das Superpositionsprinzip für die Felder ist damit verletzt.
Näherung mehr darstellt, z. B. bei Schwarzen Löchern. In
der klassischen Elektrodynamik, in der das Coulomb’sche Dass die klassische Elektrodynamik bei vorgegebenen Quel-
Gesetz eingebettet ist, gilt das Superpositionsprinzip da- len eine lineare Theorie ist, in der das Superpositionsprin-
zip exakt gültig ist, stellt übrigens eine Ausnahme unter
gegen aufgrund der Linearität der Maxwell-Gleichungen
Teil II
exakt. den bekannten Grundkräften dar. Neben der gravitationellen
Wechselwirkung werden auch die starke und die schwa-
Erst beim Übergang zu einer Quanten(feld)theorie der Max- che Kernkraft durch nichtlineare Feldtheorien beschrieben.
well-Theorie, in der Quantenelektrodynamik, kommen hier Nichtlinearität in den fundamentalen Wechselwirkungen be-
im Prinzip Nichtlinearitäten ins Spiel. Es erfordert aber deutet, dass es zu Mehrkörperkräften kommt, die man in
extrem starke elektromagnetische Felder, um diese direkt der klassischen Mechanik üblicherweise ausschließt. Insbe-
nachweisen zu können (implizit sind sie natürlich über die sondere in der starken Kernkraft spielen Mehrkörperkräfte
vielfältigen Effekte der Quantenelektrodynamik präsent). aufgrund der Stärke dieser Wechselwirkung eine wichtige
Ein bereits experimentell verifiziertes Beispiel ist hier die Rolle.
8
<1 wenn x > 0 10 10
.x/ D (11.10)
:0 wenn x < 0
5 5
folgende Darstellung:
1
ı.cx/ D ı.x/; (11.13)
jcj
Abbildung 11.5 zeigt die zwei Beispiele (11.8) und (11.11)
für ı-Folgen. Es gibt auch Darstellungen der Deltafunktion als
Grenzwert einer Folge von Funktionen, die für x 6D 0 nicht ge- die sich für eine Funktion g.x/, die mehrere einfache Nullstellen
gen null konvergiert, wo aber das Integral über jedes Intervall, bei x D xk hat, auf
das x D 0 nicht enthält, verschwindet. Ein solches in der theo-
retischen Physik öfters auftretendes Beispiel ist X 1
ı.g.x// D ı.x xk / (11.14)
k
jg0 .xk /j
1 sin.x=/
lim D ı.x/: (11.12)
!0 x verallgemeinert.
386 11 Die Maxwell-Gleichungen
Distributionen sind ein wichtiger Begriff der Funktional- Ein wichtiges Beispiel für eine nichtreguläre Distribution ist
analysis, da sie eine besondere Art eines Funktionals (Ab- die Deltadistribution ıx0 , die einfach dadurch definiert ist,
schn. 5.5) definieren und Funktionen verallgemeinern (sie dass jeder Testfunktion ihr Funktionswert am Ort x0 2
werden daher auch als verallgemeinerte Funktionen bezeich- zugewiesen wird:
net). Die Theorie der Distributionen erlaubt es insbesondere,
Funktionen abzuleiten, die im klassischen Sinn nicht dif- ıx0 W D ! C; ıx0 .'/ D '.x0 /:
ferenzierbar sind. Dazu betrachtet man zuerst Funktionen-
räume, die von besonders „gutartigen“ Funktionen gebildet Dies ist offenbar eine stetige Abbildung auf dem Testfunktio-
werden: nenraum D. Sie ist auch genau das, was die Physiker Dirac-
Teil II
Um eine Ladungsdichte .r/ für Punktladungen anschreiben zu gegeben. Das elektrische Feld (11.3) für eine Zahl von Punkt-
können, benötigen wir die Verallgemeinerung der Dirac-Delta- ladungen qi , ergibt sich aus der Integraldarstellung (11.4) damit
funktion auf mehrere Variablen. In kartesischen Koordinaten ist durch
diese einfach durch X
.r0 / D qi ı.r0 ri /:
ı.r ri / D ı.x xi / ı.y yi / ı.z zi / (11.15) i
11.1 Aufstellung der fundamentalen Maxwell-Gleichungen 387
Wir wollen hier die wichtigsten Rechenregeln für Distribu- Nun sei f eine nichtreguläre Distribution. Dann definieren
tionen darstellen und erinnern daran, dass der Testfunktio- wir für die Skalierung mit c 2 R n f0g
nenraum D mengentheoretisch durch C01 .Rn /, den Raum
der unendlich oft differenzierbaren Funktionen mit kom- 1 D E
h f .c/; 'i WD f;' ;
paktem Träger, gegeben ist, und Distributionen die stetigen jcj c
linearen Funktionale darauf sind (siehe den „Mathemati-
schen Hintergrund“ 11.1). Im Folgenden betrachten wir nur wobei der Punkt ein Platzhalter für das Argument darstellt.
den Fall n D 1, wobei ähnliche Aussagen auch allgemein für Für die Translation mit a 2 R gilt
Rn gelten.
Teil II
h f . a/; 'i WD h f ; '. C a/i :
0
Linearität Es seien f ; g 2 D zwei Distributionen und
'; 2 C01 .R/. Dann gilt für alle 2 R Ableitung Die Ableitung im distributionellen Sinne ist für
f 2 D0 durch
h f C g; 'i D h f ; 'i C hg; 'i ;
˝ ˛ ˝ ˛
h f ; ' C i D h f ; 'i C h f ; i ; f 0; ' D f ; ' 0
hf ; 'i D h f ; 'i D h f ; 'i :
gegeben. Da ' unendlich oft differenzierbar ist, sind damit
auch beliebig hohe Ableitungen einer Distribution definiert.
Skalierung und Translation Distributionen können skaliert
und translatiert werden. Dazu betrachten wir zuerst regulä- Multiplikation mit einer Funktion Es sei f 2 D0 eine
re Distributionen f , die durch lokal integrierbare Funktionen Distribution und g 2 C 1 .R/ eine unendlich oft stetig dif-
gegeben sind: ferenzierbare Funktion. Dann ist auch g f 2 D0 , definiert
durch
Z
h f ; 'i D f .t/ '.t/ dt: hg f ; 'i D h f ; g'i ' 2 C01 .R/:
R
Für die Ableitung im distributionellen Sinn gilt weiterhin die
Produktregel
Dann gilt für c 2 R n f0g
Z Z .g f /0 D g f 0 C g0 f :
1 t
f .cs/ '.s/ ds D f .t/ ' dt;
jcj c Zu beachten ist allerdings, dass Produkte von Distributionen
R R nicht immer definiert sind.
Mit dem Gauß’schen Integralsatz Dazu definieren wir den Fluss eines Vektorfeldes X.r/ durch ei-
zum Gauß’schen Gesetz ne Fläche F als das Flächenintegral
Z
˚ D df X.r/: (11.16)
In der Formulierung des Coulomb’schen Gesetzes ist die we- F
sentliche Einschränkung enthalten, dass die Ladungsverteilung
.r0 / zeitlich unveränderlich ist. Ein zunächst äquivalentes, Hierbei ist das Flächenelement df D n df das Produkt aus dem
aber, wie sich herausstellt, allgemeiner gültiges Gesetz lässt sich Betrag des Flächenelements mit seinem Einheitsnormalenvek-
mithilfe des Gauß’schen Satzes der Vektoranalysis auffinden. tor, der die Richtung vorgibt, bezüglich der der Fluss betrachtet
388 11 Die Maxwell-Gleichungen
Alternative Definition der Divergenz eines Vektorfeldes werden über die Grenzwerte von geschlossenen Wegintegra-
und der Satz von Gauß Die lokale Quellstärke oder Di- len:
vergenz eines stetig differenzierbaren Vektorfeldes X kann I
ohne Bezug auf Koordinaten auch definiert werden durch 1
n rot X.r/ D lim dr X;
den Grenzwert eines Flussintegrals F!0 F
@F
I
1
div X.r/ D lim df X; wobei F eine Fläche mit geschlossener Randkurve @F ist, die
V
Teil II
2 3
I N I I Die Beiträge von Randkurven @Fn , die im Inneren der Flä-
X X
N
61 7 che verlaufen, heben sich hierbei weg, weil benachbarte drn
df X D df n X D Vn 4 df n X5 ;
Vn entgegengesetzt orientiert sind und X als stetig differenzier-
nD1 nD1
@V @Vn @Vn bar vorausgesetzt ist (Abb. 11.6b). Im Limes N ! 1 und
Fn ! 0 rechtfertigt der Mittelwertsatz der Integralrechnung
und der Limes N ! 1, Vn ! 0 durchgeführt wird. den Satz von Stokes:
Wegen der geforderten stetigen Differenzierbarkeit von X I Z
heben sich dabei alle Beiträge der Randflächen im Inne- dr X D df rot X:
ren des Volumens weg, da dort zu jedem Flächenelement
einer Randfläche ein benachbartes mit entgegengesetztem @F F
Tatsächlich ist aber der Satz von Stokes der allgemeinere Élie Joseph Cartan (1869–1951) zurückgeht, auf das Kon-
und enthält den Satz von Gauß als Spezialfall. Dazu muss zept der äußeren Ableitung von Differenzialformen, die im
allerdings der Differenzialoperator rot durch eine antisym- Wesentlichen antisymmetrische Tensorfelder darstellen. (Ei-
metrisierte Ableitung ohne Verwendung des Levi-Civita- ne pädagogische Einführung in diesen sehr mächtigen und
Symbols ersetzt werden. Dies führt in der modernen Formu- eleganten, wenn auch gewöhnungsbedürftigen Formalismus
lierung der Differenzialgeometrie, die auf den Mathematiker findet sich z. B. in Misner et al. 1973.)
a X b X
df 1
Teil II
df 2 df dr
V1
V2
X
X F3
F1
dr 1
dr 2
F4
V3 F2
V4
Abb. 11.6 Der Fluss durch die Oberfläche eines Volumens (a) und die Zirkulation eines Vektorfeldes um den Rand einer Fläche (b) kann zerlegt werden in die Bei-
träge von Teilvolumina Vi bzw. Teilflächen Fi . Die Beiträge von den Rändern im Inneren heben sich in beiden Fällen weg. Im Fall des Flusses eines Vektorfeldes haben
die benachbarten vektoriellen Oberflächenelemente df i , und im Fall der Zirkulation die aneinandergrenzenden vektoriellen Wegelemente dri entgegengesetztes
Vorzeichen
Hierbei ist V das von der Randfläche @V eingeschlossene Abb. 11.7 Der Gauß’sche Integralsatz erlaubt es, den Fluss eines Vektorfeldes
Volumen. durch die Oberfläche @V eines Volumens V durch Aufintegration der lokalen
Quellstärke (Divergenz) des Vektorfeldes zu berechnen
∂V
df
Teil II
r
Abb. 11.9 Bei einem Vektorfeld kann man die Feldlinien als Linien eines Flus-
ses ansehen, wenn man keine Feldlinien an Punkten entspringen lässt, wo die
Divergenz des Vektorfeldes null ist (hier überall außer bei r0 ). Die Dichte der
Feldlinien gibt dann die Feldstärke wieder, und das Verschwinden des totalen
Flusses durch eine geschlossenen Fläche wird damit anschaulich gemacht, wie
in dieser Abbildung für .r r0 /=jr r0 j3 mit r0 außerhalb von V. (Um das Bild
nicht zu unübersichtlich zu machen, sind nur die Feldlinien in einer (Halb-)Ebene
durch r0 dargestellt)
Abb. 11.8 Carl Friedrich Gauß (1777–1855), © nickolae – Fotolia.com
Der Gauß’sche Satz impliziert daher, dass der Fluss dieses Vek-
torfeldes durch den Rand eines Volumens V, das den Punkt r0
nicht enthält, verschwindet (Abb. 11.9):
I Abb. 11.10 Der Fluss des Vektorfeldes .rr0 /=jrr0 j3 durch eine geschlosse-
r r0
df D 0; r0 62 V: (11.20) ne Oberfläche kann, wenn der singuläre Punkt r0 im eingeschlossenen Volumen
jr r0 j3 enthalten ist, auf den durch eine Kugel mit Mittelpunkt r0 zurückgeführt werden
@V
Wenn r0 in V enthalten ist, kann man, ohne den Fluss durch die
Oberfläche @V zu verändern, das Volumen zunächst so weit ver- Frage 2
formen, dass es eine perfekte Kugel mit r0 als Mittelpunkt bildet Vollziehen Sie diese Rechnung nach! Falls nötig, rekapitulieren
(Abb. 11.10) – wegen (11.20) verschwinden die Beiträge der Sie die Definition des Raumwinkelelements in (3.127) (siehe
dabei entfernten Volumina. Auf der resultierenden Kugelober- auch Aufgabe 11.4).
fläche zeigt das betrachtete Vektorfeld dann strikt radial nach
außen. Nach einer Ersetzung von r r0 ! r ergibt sich für den
Fluss des betrachteten Vektorfeldes in diesem Fall Zusammengefasst:
I Z Z
eO r eO r I
df 2 D r2 d eO r 2 D d D 4 : r r0 4 wenn r0 2 V,
jrj jrj df D (11.22)
jrjDconst jrjDconst jr r0 j3 0 wenn r0 62 V.
(11.21) @V
11.1 Aufstellung der fundamentalen Maxwell-Gleichungen 391
Diese Formel kann nun dazu verwendet werden, den Fluss des dem statischen Coulomb-Gesetz hergeleitet haben, das aber
elektrischen Feldes, das durch (11.4) gegeben ist, durch eine allgemeinere Gültigkeit hat: Es ist dies eine erste Maxwell-Glei-
beliebige geschlossene Fläche @V zu berechnen: chung, die unverändert auch in dynamischen, zeitabhängigen
I I Z Situationen gilt. Dass dem so ist, wird erst bestätigt werden,
r r0 wenn wir die Maxwell-Gleichungen in ihrer Gesamtheit be-
df E.r/ D k df dV 0 .r0 /
jr r0 j3 trachten und ihre Konsistenz überprüfen können.
@V @V
Z I Ein wesentlicher Unterschied von (11.24) gegenüber dem
r r0
D k dV 0 .r0 / df (11.23) Coulomb’schen Gesetz ist der lokale Charakter. Das Cou-
jr r0 j3
@V lomb’sche Gesetz stellt eine Fernbeziehung zwischen Ursache
Z (der Ladungsverteilung) und Wirkung (dem Kraftfeld) dar; das
D 4 k dV .r0 / DW 4 k QV :
0
Gauß’sche Gesetz verknüpft dagegen die lokal bestimmbaren
Ableitungen des Feldes mit ihrer Quelle.
Teil II
V
Mittels des Gauß’schen Satzes kann nun auch Das Gauß’sche Gesetz setzt den elektrischen Fluss durch
H die linke Sei-
eine geschlossene Oberfläche mit der eingeschlossenen
te
R als Volumenintegral geschrieben werden, @V df E.r/ D
dV div E.r/, und weil die Gleichung für beliebige Volumina Ladung in Beziehung und lautet in differenzieller Form
V
gilt, können wir auf die Gleichheit der Integranden schließen:
div E.t; r/ D 4 k .t; r/: (11.28)
div E.r/ D 4 k .r/: (11.24)
Dies ist eine Maxwell-Gleichung, d. h. eine Feldglei-
Wir haben damit gezeigt, dass (11.19) inklusive des singulären chung der Elektrodynamik und im Gegensatz zum Cou-
Punktes geschrieben werden kann als lomb’schen Gesetz nicht auf die Elektrostatik beschränkt.
Das heißt, (11.23) gilt auch, wenn alle Größen zusätzlich
r r0 von der Zeit t abhängen:
div D 4 ı.r r0 /: (11.25)
jr r0 j3 I Z
df E.t; r/ D 4 k dV 0 .t; r0 /
Frage 3 @V V (11.29)
Schließen Sie mithilfe von (11.25) direkt von (11.4) auf (11.24)!
4 k QV .t/:
B0 B0
B0
Bm
Teil II
Abb. 11.12 Gauß’sche Methode zur Ausmessung von Magnetfeldern: Mit ei-
ner Magnetnadel kann zunächst die Richtung des Magnetfeldes B0 bestimmt
Abb. 11.11 Magnetfeldlinien, sichtbar gemacht durch Eisenfeilspäne, die ma- und dann durch Überlagerung des Feldes Bm einer zweiten identischen Magnet-
gnetische Dipole bilden und sich entlang der Feldlinien ausrichten nadel auf den Betrag jB0 j geschlossen werden
Die Integralversion dazu lautet, dass der magnetische Fluss wobei k2b eine weitere maßsystemabhängige Konstante ist. (Ge-
durch jede geschlossene Oberfläche verschwindet: nau genommen gilt dies nur für Abstände, die hinreichend groß
I im Vergleich zur Ausdehnung der Magnetnadel sind.)
df B.t; r/ D 0 8 V: (11.31) Hat man nun mit einer Magnetnadel mit Stärke m die Richtung
@V des zu bestimmenden Feldes B0 ermittelt, dann kann man die
Stärke von B0 bestimmen, indem man senkrecht dazu in einem
Das Fehlen von magnetischen Testladungen (also Monopolen)
Abstand r eine zweite Magnetnadel anbringt und damit ein ge-
macht das Ausmessen von Magnetfeldern nun wesentlich um-
störtes Magnetfeld B0 C Bm erzeugt, das um einen Winkel ˛
ständlicher als das von elektrischen Feldern.
gedreht ist (angezeigt durch die erste Magnetnadel; Abb. 11.12).
Die Richtung von Magnetfeldern kann noch leicht dadurch Dieser Winkel ist gegeben durch
bestimmt werden, dass in einem Magnetfeld auf Dipole ein
Drehmoment wirkt, das diese parallel zum Feld ausrichtet jBm j 2 jmj
tan ˛ D D k2b 3 ; (11.34)
(Abb. 11.11). Wenn m Stärke und Richtung eines magnetischen jB0 j r jB0 j
Dipols angibt, dann ist das Drehmoment in einem äußeren Ma-
gnetfeld B0 durch wo im Gegensatz zu vorher der Quotient der Beträge von m
N D k2a m B0 (11.32) und B0 eingeht. Die Kombination der beiden Messungen erlaubt
dann beide Beträge zu bestimmen.
gegeben (hier und in späteren Kapiteln alternativ als N notiert,
da M auch Magnetisierung bedeuten kann). Die Proportionali-
tätskonstante k2a hängt wieder vom gewählten Maßsystem ab.
Über die leicht messbare Stärke des Drehmoments (z. B. durch Magnetfelder und stationäre elektrische
das Schwingungsverhalten eines drehbaren Dipols mit bekann- Ströme
tem Trägheitsmoment) erfährt man offenbar nur etwas über
das Produkt der Beträge von m und B0 . Gauß, der sich auch
mit der Vermessung des Erdmagnetfeldes beschäftigte, ersann Der Zusammenhang von magnetischen mit elektrischen Phä-
eine Methode zur Vermessung von Magnetfeldern, wo dieses nomenen wurde erst im 19. Jahrhundert entdeckt, nachdem
Problem durch die Verwendung eines zweiten, identischen ma- es 1794 Alessandro Volta (1745–1827) mit seinen Volta’schen
gnetischen Dipols gelöst wird, wobei das Superpositionsprinzip Säulen ermöglichte, stationäre elektrische Ströme herzustellen
11.1 Aufstellung der fundamentalen Maxwell-Gleichungen 393
Etliche Theorien jenseits des Standardmodells der Ele- well-Gleichungen zu verallgemeinern – die zweite Maxwell-
mentarteilchenphysik sagen die Existenz von magnetischen Gleichung (11.30) einfach durch Einführen einer magneti-
Monopolen voraus, die aber so massereich sein sollen schen Ladungsdichte und das Faraday’sche Induktionsgesetz
( 1014:::18 fach schwerer als Protonen), dass sie in irdi- (11.50) durch einen magnetischen Verschiebungsstrom.
schen Teilchenbeschleunigern nicht produziert werden kön-
Dirac zeigte bereits 1931, dass die Existenz von magneti-
nen, aber eventuell als Relikte des Urknalls im Universum
vorkommen könnten. Mit supraleitenden Spulen kann nach schen Monopolen in der Quantentheorie nur möglich ist,
ihnen Ausschau gehalten werden, und einmal wurde auch wenn die elektrische Ladung in der Natur quantisiert vor-
kommt, letztere Tatsache also elegant erklären würde. Elek-
schon angeblich auf diese Weise ein magnetischer Monopol
Teil II
gesichtet (Cabrera 1982). Das fragliche Ereignis fand am Va- trische und magnetische Ladungen zusammen müssen näm-
lentinstag 1982, den 14. Februar (um 14 Uhr lokaler Zeit) lich die Dirac’sche Quantisierungsbedingung
statt und wiederholte sich seither nicht. „c
qe qm D n; n2Z
Sollte jemals die Existenz von magnetischen Monopolen ex- 2
perimentell nachgewiesen werden können, wären die Max- erfüllen (siehe dazu auch Aufgabe 11.14).
Weil r .r A/ D div rot A 0 gilt, ist damit gezeigt, dass Zeitabhängigkeit, Kontinuitätsgleichung
das Biot-Savart-Gesetz mit div B D 0 konsistent ist.
und Maxwell’scher Verschiebungsstrom
Für stationäre Ströme, bei denen keine zeitlich veränderli-
chen Ladungsverteilungen im Spiel sind, müssen sich in jedem Wenn sich die elektrische Ladung in einem gegebenen Volumen
HRaumgebiet V Zufluss und Abfluss aufheben, d. h., es muss V als Funktion der Zeit verändert, fließt wegen der Ladungser-
R@V df j D 0 gelten. Der Gauß’sche Satz impliziert daher haltung ein Nettostrom durch den Rand @V, und dies impliziert
V dV div j D 0, und weil dies für beliebige V gilt, folgt dar- wegen des Gauß’schen Satzes eine nicht verschwindende Diver-
aus genz der Stromdichte:
div j D 0 für stationäre Verhältnisse. (11.39) Z
d d
I@V D QV D dV
dt dt
Aus (11.37) lässt sich unter der Voraussetzung von div j D 0 der
Teil II
V
differenzielle Zusammenhang I Z (11.43)
D df j D dV div j:
rot B.r/ D 4 k3 j.r/ (11.40) @V V
Teil II
des Induktionsgesetzes
@
rot E.t; r/ D k4 B.t; r/ (11.50)
@t
Von Biot und Savart und in der Folge von André-Marie Ampère
Faraday’sches Induktionsgesetz (1775–1836) wurden die Kräfte, die Magnetfelder auf elek-
trische Ströme ausüben, systematisch untersucht und das Am-
père’sche Kraftgesetz (auch erstes Ampère’sches Gesetz) aufge-
Das Faraday’sche Induktionsgesetz verbindet umgekehrt Ände- stellt: In einem statischen äußeren Magnetfeld B wirkt auf ein
rungen des magnetischen Flusses durch eine Leiterschleife mit von einem Strom I durchflossenes Leiterelement dl die Kraft
der in dieser induzierten elektrischen Ringspannung (und einem
dadurch hervorgerufenen elektrischen Strom): dF D k4 Idl B: (11.51)
I Z Die hier auftretende Proportionalitätskonstante ist dieselbe wie
d d
dr E D k4 ˚m k4 df B: (11.48) im Faraday’schen Induktionsgesetz (11.48), wie wir im Folgen-
dt dt
LD@F F den bestätigen werden.
396 11 Die Maxwell-Gleichungen
vorliegen, die kombiniert mit der elektrischen Kraft auf eventu- Abb. 11.15 Wegen div B D 0 ist der gesamte magnetische Fluss durch eine
ell vorhandenen Raumladungsdichten die sogenannte Lorentz- geschlossene Oberfläche immer null. Dadurch lässt sich die infinitesimale Än-
Kraftdichte definiert: derung des magnetischen Flusses durch eine Leiterschleife L t gemäß (11.60)
mit dem Fluss durch die bei der Verschiebung der Leiterschleife überstrichene
f L .t; r/ D E.t; r/ C k4 j.t; r/ B.t; r/: (11.54) infinitesimale Mantelfläche dM in Beziehung setzen
q ı.x x.t// ı.y y.t// ı.z z.t//; Wegen der Divergenzfreiheit von B ist aber der gesamte ma-
j.t; r/ D q v .t/ı.r x.t// (11.56) gnetische Fluss durch die geschlossene Fläche, die von den
infinitesimal verschobenen Flächen des Drahtringes zusammen
mit Momentangeschwindigkeit v .t/ D dx.t/=dt. Die Integrati- mit der infinitesimalen Mantelfläche aufgespannt wird, null:
on über einen Raumbereich, der (nur) dieses Punktteilchen zu Z
einem gegebenen Zeitpunkt enthält, liefert die Lorentz-Kraft df B C ˚m .F tCdt / ˚m .F t / D 0 (11.60)
Z dM
F.t/ D dV 0 f L .t; r0 /
(11.57) mit @F t D L t , und wir erhalten
V3fx.t/g R
D q ŒE.t; x.t// C k4 v .t/ B.t; x.t// : dM df B d
D ˚m .F t /: (11.61)
dt dt
Hier werden die elektromagnetischen Felder am Ort des Punkt-
teilchens ausgewertet, was nur dann sinnvoll ist, wenn das dort Frage 6
singuläre Eigenfeld ignoriert wird. Überzeugen Sie sich von der Richtigkeit der Vorzeichen im
Wie schon angedeutet, hängt das Faraday’sche Induktionsgesetz Ausdruck (11.60).
mit der Lorentz-Kraft zusammen, auch wenn es als rein feld-
theoretische Gleichung, für die keine Ladungsträger involviert Dies ergibt schließlich
sein müssen, eine eigenständige Gültigkeit hat. I
d
Betrachten wir dazu einen Ring aus einem Metalldraht, der Eind dr D k4 ˚m .F t / (11.62)
sich in einem reinen Magnetfeld bewegt, dann wirkt auf die dt
L
Leitungselektronen die Kraft q k4 v B. Vom Standpunkt der
Leitungselektronen, die in ihrem jeweiligen Ruhesystem natür- als Induktionsgesetz für bewegte Leiter in einem gegebenen (rei-
lich v D 0 haben, kann diese Kraft aber nur als eine elektrische nen) Magnetfeld.
erscheinen, mit Eind D k4 v B, und für den gesamten Drahtring Dieser Effekt sollte aber nicht davon abhängen, ob sich der
gilt I I Leiter in einem inhomogenen Magnetfeld bewegt oder ob sich
Eind dr D k4 .v B/ dr: (11.58) die dieses Feld erzeugenden Quellen bewegen. Für ruhende
Leiterschleifen und veränderliche Magnetfelder bekommen wir
L L
diesen Effekt aber nur, wenn wir annehmen, dass veränder-
Im Laborsystem, in dem B gegeben ist, bewegt sich dieser liche Magnetfelder ein elektrisches Feld bedingen, das nicht
Drahtring und überstreicht in der Zeit dt eine infinitesima- wirbelfrei ist und für beliebige geschlossene Kurven durch die
le Mantelfläche dM mit Oberflächenelement df D dr v dt Integralrelation (11.48) gegeben ist.
11.3 Maßsysteme 397
Teil II
div E D 0; div B D 0; (11.63) Vakuum wird in modernen metrischen Maßsystemen sogar dazu
ausgenützt, die Längeneinheit Meter aus der Sekunde abzulei-
@ k3 @ ten, indem c der genormte Wert 299 792 458 m/s zugewiesen
rot E D k4 B; rot B D E; (11.64)
@t k @t wird. Die Beziehung (11.67) hat zur Folge, dass bei der Festle-
gung von Maßsystemen in der Elektrodynamik noch über zwei
dann können wir diese Differenzialgleichungen für E und B ent- der drei Konstanten k; k3 ; k4 unabhängig verfügt werden kann.
koppeln, indem wir von den letzten beiden Gleichungen noch
einmal die Rotation bilden und die rechten Seiten mit der je- Bei der Diskussion von magnetischen Dipolen haben wir zwei
weils anderen Gleichung auswerten. Das führt auf den rechten weitere Konstanten eingeführt, k2a und k2b , da auch Einheiten
Seiten zu Zeitableitungen zweiter Ordnung, während auf der für magnetische Dipole festzulegen sind. Tatsächlich ist nur eine
linken Seite die Beziehung von diesen beiden Konstanten frei wählbar. Es lässt sich nämlich
zeigen (Aufgabe 11.9), dass die Kombination
rot rot D grad div (11.65)
k k2b
D c2 (11.68)
verwendet werden kann (siehe hierzu auch Abschn. 11.5). Da k32 k2a
im Vakuum die Divergenz beider Felder verschwindet, bleibt
nur der Laplace-Operator übrig, und wir finden für E (und ist. (Die übrigen Faktoren in (11.32) und (11.33) wurden gerade
gleichermaßen für B) die Gleichung so gewählt, dass hier keine zusätzlichen numerischen Faktoren
auftreten.)
k3 k4 @2
E D E: (11.66)
k @t2
Diese Gleichung ist eine Wellengleichung, und k3 k4 =k hat of- 11.3 Maßsysteme
fenbar die physikalische Dimension eines inversen Quadrats
einer Geschwindigkeit, nämlich der Lichtgeschwindigkeit, mit
der sich alle elektromagnetischen Wellen im Vakuum ausbrei- Um nicht weiter drei der fünf Proportionalitätskonstanten
ten: k; k2a ; k2b ; k3 und k4 mitschleppen zu müssen, werden wir ab
k3 k4 1 dem nächsten Abschnitt ein spezielles Maßsystem verwen-
D 2: (11.67) den und alle diese Konstanten geeignet fixieren. Zuvor sollen
k c
allerdings die in der physikalischen und technischen Literatur
Dass in der Kombination dieser in den Gleichungen des Elek- gebräuchlichen Maßsysteme kurz diskutiert werden.
tromagnetismus auftretenden Konstanten unabhängig vom ver-
wendeten Maßsystem gerade die Lichtgeschwindigkeit steckt, Die verschiedenen historisch bedingten Maßsysteme unter-
war schon 1857 Wilhelm Weber (1804–1891) und Rudolf Kohl- scheiden sich in der Elektrodynamik leider stärker voneinander
rausch (1809–1858) aufgefallen, bevor Maxwell erkannte, dass als die diversen Einheitensysteme in Geometrie und Mechanik.
in seinen Gleichungen die Wellenausbreitung von elektroma- Zum Beispiel kann eine Masse in Gramm, Kilogramm oder Un-
gnetischen Feldern im Vakuum enthalten ist. Experimentell zen angegeben werden, sie bleibt ein und dieselbe physikalische
bestätigt wurde dies 1886, einige Jahre nach Maxwells frühem Größe; die Umrechnung der jeweiligen Maßzahl ist einfach eine
Tod, durch Heinrich Hertz (1857–1894). Die Ausbreitung elek- dimensionslose Zahl.
tromagnetischer Wellen und die Optik, die damit als Teilgebiet
In der Elektrodynamik werden in den unterschiedlichen Maß-
der Elektrodynamik erkannt wurde, werden wir in Kap. 16 und
systemen mit unterschiedlichen ki aber die elektromagneti-
17 weiter betrachten.
schen Größen unterschiedlich definiert und sollten eigentlich
Das Auftreten der Lichtgeschwindigkeit in den Konstanten der durch verschiedene Symbole unterschieden werden. So haben
Maxwell-Gleichungen bedeutet einen offensichtlichen Konflikt in manchen Systemen elektrische und magnetische Felder glei-
mit der üblichen Invarianz der Naturgesetze unter Galilei’schen che Dimension, während in anderen noch dimensionsbehaftete
398 11 Die Maxwell-Gleichungen
magnetischen Größen in den unterschiedlichen Maßsystemen keine neuen Grundeinheiten für elektrische Ladung oder Strom-
daher mit einem Etikett versehen, ŒMS ; EŒMS : : : ; wobei [MS] stärke oder auch die Feldstärken definiert, da alles durch die
das jeweilige durch die Gesamtheit der ki festgelegte Maßsys- Einheiten der Mechanik bereits festgelegt werden kann. Das
tem bezeichnet. Coulomb’sche Gesetz bedingt, dass das Quadrat einer elektri-
schen Ladung die Dimension von Kraft mal Längenquadrat hat:
Teil II
ŒH
niert
0 div B D0 (11.86)
k3ŒSI D 107 N=A2 ; (11.77) 1 @ ŒH
4 rot EŒH D B (11.87)
wobei 0 die Permeabilitätskonstante des Vakuums genannt c @t
1 1 @ ŒH
wird. Offensichtlich handelt es sich dabei aber um keine Na- rot BŒH D jŒH C E (11.88)
turkonstante, sondern um eine reine Konvention. c c @t
1
Wegen (11.67) ist k damit auf k D c2 k3 fixiert, und man definiert f L D ŒH EŒH C jŒH BŒH (11.89)
c
1 1
kŒSI D ; 0 I (11.78)
4 0 c2 0 In der Teilchenphysik werden darüber hinaus gern natürli-
0 ist die sogenannte Dielektrizitätskonstante des Vakuums. che anstelle der CGS-Einheiten verwendet. Hierbei wird c D
1 gesetzt, wodurch Längeneinheiten durch Zeiteinheiten de-
finiert werden (ganz ähnlich wie in der Astronomie, wo das
Grundgleichungen im SI-System Lichtjahr eine gebräuchliche Längeneinheit ist). Allerdings
kann man dies weitertreiben, und auch die Naturkonstante des
1 Planck’schen Wirkungsquantums (siehe hierzu Kap. 21) „ D 1
div EŒSI D ŒSI
(11.79) setzen, womit Zeit- und Längeneinheiten durch inverse Energie-
0
einheiten gegeben werden. In der Hochenergiephysik hat sich
div BŒSI D 0 (11.80) hierbei das Gigaelektronenvolt (GeV) als geläufige Einheit ein-
@ gebürgert. 1 eV ist die Energie, die eine Elementarladung beim
rot EŒSI D BŒSI (11.81) Durchqueren einer Potenzialdifferenz von 1 Volt gewinnt oder
@t
@ ŒSI verliert; 1 GeV ist näherungsweise die Ruheenergie bzw. Ru-
rot BŒSI D 0 jŒSI C 0 0 E (11.82) hemasse eines Protons (wegen c D 1 sind auch Energie- und
@t
Masseneinheiten gleichgesetzt), und 1 GeV1 entspricht nähe-
f L D ŒSI EŒSI C jŒSI BŒSI (11.83) rungsweise 0;2 fm (0;2 1015 m).
Umrechnungsvorschriften
Diese Gleichungen lassen sich etwas übersichtlicher schreiben,
wenn man bereits auf der Ebene der fundamentalen Maxwell-
Um Formeln aus dem Gauß’schen System in das SI-System
Gleichungen in den zwei Gleichungen, in denen die Quellen
oder das Heaviside-Lorentz-System umzuschreiben, genügt es,
eingehen, die magnetische Feldstärke als HŒSI D 1
0 B
ŒSI
und folgende Identifikationen zu machen (während Größen aus der
ŒSI
das sogenannte dielektrische Verschiebungsfeld D D 0 EŒSI Mechanik unberührt bleiben):
einführt. (Im Gauß’schen System werden die Felder D und H
p p
dagegen erst in der phänomenologischen Beschreibung von Ma- E D 4 0 EŒSI D 4 EŒH ; (11.90)
terie, in Kap. 14 und 15, eingeführt.) s
4 p
Die Definition des magnetischen Moments wird im SI-System BD BŒSI D 4 BŒH ; (11.91)
schließlich durch 0
1 ŒSI 1 ŒH
ŒSI 1 ŒSI 1 D p D p ; (11.92)
k2a D ; k2b D (11.84) 4 0 4
0 4
1 1
jD p jŒSI D p jŒH ; (11.93)
fixiert. 4 0 4
400 11 Die Maxwell-Gleichungen
Die aus theoretischer Sicht etwas willkürliche Definition sogenannte „internationale Ampere“ über eine bestimmte
einer Grundeinheit Ampere rührt historisch daher, dass es ur- Menge an elektrolytischer Abscheidung von Silber aus einer
sprünglich (1881) als ein Zehntel des Abampere (abA) oder Silbernitratlösung festlegte, aber mit der Zeit nicht mehr mit
auch Biot (Bi), der Einheit der Stromstärke im emE-System, hinreichender Genauigkeit mit der ursprünglichen Definiti-
definiert worden war. In diesem System ist k3 k4 D 1, und on übereinstimmte. Mit der SI-Definition des sogenannten
das Abampere ist die Stromstärke, die gemäß (11.76) zu der absoluten Ampere kehrte man 1948 zur ursprünglichen De-
Kraft von 2 dyn pro Zentimeter Leiterlänge bei 1 cm Abstand finition zurück.
der parallelen Leiter gehört. (Während 1 abA D 10 A eine
Aktuell wird allerdings eine neue SI-Definition diskutiert,
etwas große Stromeinheit darstellt, ist im Gauß’schen Sys-
Teil II
tem das Statampere, für dessen Definition k3 k4 D 1=c2 die die Amperesekunde als ein bestimmtes Vielfaches der
1021 .cm=s/2 ins Spiel kommt, die extrem winzige Strom- Elementarladung festschreibt. Damit wird im SI-System die
Elementarladung den Status einer Naturkonstante verlieren
menge von etwa 1=3 Nanoampere, die zur Kraft von
2 1021 dyn gehört.) und dieser Status stattdessen auf 0 bzw. 0 übergehen. Letz-
tere werden dann nur mehr näherungsweise durch (11.77)
Aus praktischen Gründen hatte sich später eine Definition und (11.78) gegeben und mit einem gewissen experimentel-
von Stromstärken und Ladungsmengen eingebürgert, die das len Fehler behaftet sein.
r r
mD
0 ŒSI
m D
1 ŒH
m : (11.94) 11.4 Energie- und Impulsbilanz
4 4
Umgekehrt können damit leicht Formeln aus anderen Lehrbü- In einem dynamischen System beschrieben durch Bewegungs-
chern, die das SI-System oder das Heaviside-Lorentz-System gleichungen für geladene Teilchen und Maxwell-Gleichungen
benutzen, in das hier verwendete Gauß’sche System umge- für die elektromagnetischen Felder, die letztlich wieder von ge-
rechnet werden. (Für die Umrechnung der diversen Einheiten ladenen Teilchen herrühren, kann es zu einem regen Austausch
zwischen Gauß’schem und SI-System siehe Kasten „Übersicht: von Energie und Impuls kommen. Wir werden nun zeigen, dass
Umrechnungstabelle“.) diese Erhaltungssätzen unterworfen sind und dass den Feldern
dabei eine weitgehend eigenständige Rolle als Träger von Ener-
Im Folgenden werden wir uns auf das Gauß’sche Maßsystem gie und Impuls zukommt.
beschränken. In diesem lauten die Maxwell-Gleichungen, noch-
mals alternativ mit r angeschrieben,
Übersicht: Umrechnungstabelle
Umrechnung zwischen Gauß’schem und SI-System
Teil II
Energiedichte w 1 Joule=m3 10 erg=cm3
Leistung P 1 Watt (W) 107 erg=s
Drehmoment M; N 1 Nm 107 dyn cm
Größe Symbol 1 SI Einheit entspricht x Gauß-Einheiten
1
elektrische Ladung Q; q 1 Coulomb (C) (D As) 3Q 109 statC ( g1=2 cm3=2 s )
elektrische Ladungsdichte 1 Coulomb=m3 3Q 103 statC=cm 3
1
elektrisches Potenzial ;U 1 Volt (V) (D W=A) 1
3Q00
statV ( g1=2 cm1=2 s )
elektrische Feldstärke E 1 Volt=m 1
3Q
104 statV=cm
elektrische Verschiebung D 1 Coulomb=m 2
3Q 4 105 statV=cm
elektrische Polarisation P 1 Coulomb=m2 3Q 105 statC=cm2
elektrisches Dipolmoment p 1 Coulomb m 3Q 1011 statC cm
elektrischer Fluss ˚e 1 As 3Q 4 109 statC
Größe Symbol 1 SI Einheit entspricht x Gauß-Einheiten
2
elektrischer Strom I 1 Ampere (A) 3Q 109 statA ( g1=2 cm3=2 s )
elektrische Stromdichte j 1 Ampere=m2 3Q 105 statA=cm 2
3Q WD 2;99792458, 9Q WD 3Q 2
sofern im Volumen V gerade dieses eine Punktteilchen zum Umformungen zu erkennen, worin die elektromagnetische Feld-
betrachteten Zeitpunkt enthalten ist. Dank des Superpositions- energie besteht, die hier in mechanische Energie umgewandelt
prinzips ist der Ausdruck auf der rechten Seite aber allgemeiner wird. (Da wir hier auf mikroskopischer Ebene arbeiten, haben
gültig. Für beliebige Ladungs- und Stromverteilungen und j wir nur mechanische Energie zu betrachten; auf makrosko-
lautet die Leistungsdichte pischer Ebene erscheint diese oft in Form von thermischer
Energie.)
@ t wmech .t; r/ D j.t; r/ E.t; r/; (11.103)
Die inhomogene Maxwell-Gleichung (11.96) kann rückwärts
gelesen werden als Gleichung für j,
wobei wir mit wmech eine Dichte für die mit den Ladungs-
und Stromverteilungen verbundene Energie eingeführt haben. c 1
(Arbeit bzw. Energie bezeichnen wir hier mit dem Symbol W jD r B @ t E; (11.104)
4 4
anstatt mit A oder E, um Verwechslungen mit Vektorpotenzial
und elektrischer Feldstärke zu vermeiden.) und liefert multipliziert mit E einen Term, der wie die Leis-
tungsdichte eine totale Zeitableitung darstellt:
Mithilfe der Maxwell-Gleichungen lässt sich diese Leistungs-
dichte rein durch elektromagnetische Feldgrößen ausdrücken. 1 1
Dies erlaubt, wie wir gleich sehen werden, nach geeigneten E @ t E D @ t .E2 /: (11.105)
4 8
402 11 Die Maxwell-Gleichungen
Im letzten Term lässt sich aber die homogene Maxwell-Glei- Vorausgesetzt wird hierbei, dass das Volumen V so gewählt
chung (11.98) verwenden, und dies liefert eine weitere totale ist, dass zum betrachteten Zeitpunkt keine Ladungsträger die-
Zeitableitung: ses verlassen oder in dieses eintreten.
1 1 1
B .r E/ D B .@ t B/ D @ t .B2 /: (11.108)
c c 2
Impulssatz der Elektrodynamik
Mit allen Vorfaktoren bekommen wir damit j E dargestellt als
totale Raum- und Zeitableitungen von Größen, die nur aus den Ganz analog zum Energieerhaltungssatz kann man auch einen
Feldstärken gebildet sind Impulssatz für die Elektrodynamik aufstellen. Die zeitliche
Änderung des mechanischen Impulses Pmech
V aller in einem Vo-
@ t wmech D j E (11.109) lumen V vorhandenen Ladungsträger und Ströme ist durch das
c
1 2 Volumenintegral über die Lorentz-Kraftdichte (11.54) gegeben:
D r E B @t .E C B2 / : Z
4 8 d mech 1
PV D FmechV D dV E C j B : (11.114)
dt c
Diese Gleichung hat die Form einer Kontinuitätsgleichung V
(ganz analog zu (11.44)),
Wieder können die inhomogenen Maxwell-Gleichungen zu-
erst dazu verwendet werden, die Quellterme (diesmal sowohl
@t w C r S D 0 mit w D wmech C wem : (11.110)
j als auch ) durch die elektromagnetischen Feldstärken aus-
zudrücken. In einem zweiten Schritt können die entstehenden
Diese legt nahe, neben der mechanischen Energiedichte wmech Ausdrücke dann als totale räumliche und zeitliche Ableitungen
eine Energiedichte und eine Energiestromdichte des elektroma- dargestellt werden. Das Resultat ist (siehe Aufgabe 11.11 für
gnetischen Feldes zu definieren. die zugehörige Rechnung)
1 1
Energiedichte des elektromagnetischen Feldes E C j B D @ t .E B/k
c k 4 c
(11.115)
1 2 1 1
wem D E C B2 (11.111) C @i Ei Ek C Bi Bk ıik .E2 C B2 / :
8 4 2
Die Größe, die unter der Zeitableitung steht, repräsentiert die
Impulsdichte des elektromagnetischen Feldes und gleicht bis auf
einen Vorfaktor dem Poynting-Vektorfeld.
Energiestromdichte des elektromagnetischen Feldes
c
SD .E B/ ; (11.112)
4 Impulsdichte des elektromagnetischen Feldes
auch als Poynting-Vektorfeld bezeichnet (benannt nach 1 1
gem D .E B/ D 2 S (11.116)
dem britischen Physiker John Henry Poynting, 1852– 4 c c
1914).
Über das Volumen integriert ergibt dies den darin enthaltenen
Feldimpuls: Z
Die Integration über ein Volumen V mit Rand @V unter Ver-
wendung des Gauß’schen Satzes liefert eine Beziehung, die die Pem D dV gem : (11.117)
Energiebilanz für dieses Volumen beschreibt. V
11.4 Energie- und Impulsbilanz 403
Der Term, der sich als totale räumliche Ableitung schreiben die von Poynting-Vektor und Maxwell’schem Spannungstensor
ließ, ist nun die Divergenz eines symmetrischen Tensors zwei- geliefert werden, im Allgemeinen nicht vernachlässigbar wer-
ter Stufe, der die Impulsstromdichte darstellt und Maxwell’scher den können.
Spannungstensor genannt wird:
Achtung Dafür, dass im elektromagnetischen Feld Impuls
und Energieströme vorliegen, ist es nicht notwendig, dass dieses
1 1 wie bei Strahlungsfeldern zeitlich veränderlich ist. Impuls- und
Tik D Ei Ek C Bi Bk ıik .E2 C B2 / : (11.118)
4 2 Energiestromdichte sind beide proportional zu E B und kom-
men ins Spiel, sobald gleichzeitig E- und B-Felder vorhanden
(Der Begriff „Spannung“ ist hier in einem mechanischen und sind, die nicht überall parallel sind. J
nicht elektrischen Sinn zu verstehen.) Die Integration von @i Tik
über ein Volumen V lässt sich mit dem Gauß’schen Satz, bei Feynman’sches Scheibenparadoxon
dem der zusätzliche Index k überhaupt keine Rolle spielt, wieder
Teil II
als ein Oberflächenintegral darstellen. Dies führt auf eine Bi- Auf einer drehbaren isolierenden Scheibe seien posi-
lanzgleichung für den gesamten in V enthaltenen Impuls, wenn tiv geladene Partikel kreisförmig um eine supraleitende
wiederum angenommen wird, dass zum betrachteten Zeitpunkt Spule angeordnet, in der ein konstanter Strom fließt
keine Ladungsträger den Rand @V durchqueren. (Abb. 11.16). Diese Anordnung hat keinen mechanischen
Drehimpuls, zumindest wenn man sich für die Zwecke
dieses Gedankenexperiments vorstellt, dass der Strom
Impuls(erhaltungs)satz der Elektrodynamik aus gegenläufigen Strömen von gleich schweren positiven
I
d mech und negativen Ladungsträgern gebildet wird. Wird nun
P C Pem
V k D dfi Tik (11.119) der Stromfluss unterbrochen, weil z. B. eine Erhöhung
dt V
@V der Umgebungstemperatur die Supraleitfähigkeit zerstört
hat, dann folgt aus dem Faraday’schen Induktionsgesetz,
dass entlang des Kreises, auf dem die Ladungen sitzen,
ein tangentiales elektrisches Feld induziert wird. Dieses
Der Impulserhaltungssatz (11.119) stellt die zeitliche Änderung sollte die drehbare Scheibe zum Rotieren bringen kön-
des Impulses in einem Volumen über den „Impulsfluss“ durch nen. Aber wie kann das mit der Drehimpulserhaltung in
den Rand dieses Volumens dar. Er erlaubt es, die gesamte auf Einklang sein, wenn doch der anfängliche mechanische
ein Volumen V einwirkende Kraft als ein Integral über die Span- Drehimpuls null war (Feynman et al. 2005)?
nung (Kraft pro Fläche) auf dessen Oberfläche darzustellen. Je
nach Richtung dieser Kraft bezüglich der Flächennormale (die
immer nach außen zeigt) gibt es Beiträge, die Druck, Zug oder
Scherspannungen entsprechen. Druck und Zug sind hier Kräf-
te, die entgegen bzw. in Richtung der Flächennormale wirken;
Scherspannungen sind Kräfte orthogonal dazu, also tangential supraleitende
zur betrachteten Fläche (siehe hierzu auch Abschn. 8.5). Spule
Frage 8
positiv geladene
Lesen Sie aus (11.118) die Tatsache ab, dass eine (elektri- Kugeln
sche oder magnetische) Feldstärke entlang oder entgegen der
Flächennormale immer Zug bedeutet, während tangentiale Fel-
der immer zu Druck führen. (Das heißt, Feldlinien kann man I
sich gleichsam wie gespannte Gummibänder mit einer gewissen
Dicke vorstellen, die bei seitlicher Kompression Gegendruck
entwickeln.)
1
r E C @ t A D 0: (11.127)
c
r B D 0; (11.122) Betrachtet man die beiden Terme auf der rechten Seite von
(11.128), so erkennt man, dass die Potenziale und A gleiche
1 physikalische Dimension haben, da sowohl r als auch @=@.ct/
r E C @t B D 0 (11.123)
c die Dimension einer inversen Länge haben.
sind jeweils eine skalare und eine vektorielle Gleichung. Kom-
ponentenweise betrachtet sind dies acht Gleichungen für sechs
zu bestimmende Felder. Diese Gleichungen sind offenbar teil- Feldgleichungen der elektromagnetischen
weise redundant. In der Tat sind sie auch nicht für beliebige
Quellterme lösbar, sondern nur wenn diese die Kontinuitätsglei- Potenziale
chung (11.44) erfüllen:
Durch Einsetzen von (11.125) und (11.128) in die Maxwell-
r j C @ t D 0: (11.124) Gleichungen ergeben sich partielle Differenzialgleichungen
zweiter Ordnung. Gleichung (11.120) führt auf
Diese wurde ja bei der Einführung des Maxwell’schen Verschie-
bungsstromes verwendet. 1
C @ t r A D 4 : (11.130)
Die homogenen Maxwell-Gleichungen können ganz allgemein c
dadurch gelöst werden, dass neue Felder, die Potenziale, einge-
führt werden. Gleichung r B D 0 kann erfüllt werden, indem B Für (11.121) benötigen wir die schon früher verwendete Bezie-
als Rotation eines anderen Vektorfeldes, des Vektorpotenzials A, hung (11.65), die wir nun etwas näher besprechen werden. In
geschrieben wird, Indexnotation berechnet sich rot rot A D r .r A/ wie folgt:
11.5 Elektrodynamische Potenziale 405
Mit freiem (äußeren) Index i haben wir "ijk @j ."klm @l Am / auszu- Frage 10
werten. Dabei können wir Rechnen Sie explizit nach, dass die Feldstärken E und B unter
"ijk "klm D ıil ıjm ıim ıjl Eichtransformationen invariant sind.
Teil II
angegeben, wäre das nicht der Fall. Wenn z. B. in Kugelkoordi-
naten gerechnet wird, ist es daher ratsam, weiterhin Ax ; Ay ; Az
zu verwenden und diese kartesischen Komponenten von Ku- Lorenz-Eichung
gelkoordinaten abhängen zu lassen. Nur dann ist der Laplace-
Operator der übliche skalare Operator, mit seiner bekannten In der sogenannten Lorenz-Eichung, die auf den dänischen Phy-
Form in Kugelkoordinaten (2.134). Andernfalls müssten wir siker Ludvig Lorenz (1829–1891) zurückgeht, verlangt man als
einen sogenannten Vektor-Laplace-Operator einführen, der die zusätzliche Bedingung
Komponenten von Ar ; A# ; A' mischt. J
1
Gleichung (11.121) liefert somit r A C @t D 0 (11.136)
c
1 1 4 und erreicht damit, dass die Differenzialgleichungen für die Po-
2 @2t A r r A C @ t D j: (11.132)
c c c tenziale, (11.132) und (11.133), voneinander entkoppeln. Diese
vereinfachen sich damit zu separaten inhomogenen Wellenglei-
Mittels trivialer Addition und Subtraktion einer zweiten Zeitab- chungen,
leitung von kann auch (11.130) in eine recht ähnliche Form
gebracht werden: .t; r/ D 4 .t; r/; (11.137)
4
1 1 1 A.t; r/ D j.t; r/; (11.138)
2 @2t C @t r A C @t D 4 : (11.133) c
c c c
mit dem sogenannten d’Alembert-Operator (auch Wellenopera-
tor oder Quabla-Operator)
Eichinvarianz 1 2
WD @ ; (11.139)
c2 t
Durch den Übergang zu den Potenzialen , A haben wir nur der in Kap. 16 und 19 noch eingehender betrachtet werden wird.
noch vier Feldkomponenten zu bestimmen, was der Anzahl
Gleichung (11.136) eliminiert übrigens die Möglichkeit zu
an Komponenten in den verbleibenden inhomogenen Max-
Eichtransformationen nicht vollständig; es bleibt eine Rest-
well-Gleichungen entspricht. Dies ist für viele Anwendungen
Eichfreiheit mit Eichfunktionen , die D 0 erfüllen (siehe
eine bedeutende Vereinfachung, und wir werden in den folgen-
Aufgabe 11.15).
den Kapiteln davon oft Gebrauch machen. Allerdings sind die
vier Differenzialgleichungen (11.132) und (11.133) nicht ganz Die Eichbedingung (11.136) wird oft als Lorentz-Eichung be-
unabhängig. Wir haben ja noch die Kontinuitätsgleichung gege- zeichnet und damit fälschlicherweise dem bekannteren hollän-
ben, und die entsprechende Kombination der linken Seiten von dischen Physiker Hendrik Lorentz (1853–1928) zugeschrieben.
(11.132) und (11.133) verschwindet. Das bedeutet einerseits, Wie wir in Kap. 18 sehen werden, ist die Lorenz-Eichung zu-
dass ohne Erfüllung der Kontinuitätsgleichung diese Differen- fälligerweise invariant unter Lorentz-Transformationen, sodass
zialgleichungen nicht konsistent sind, und andererseits, dass die zumindest diesbezüglich die Bezeichnung als Lorentz-Eichung
vier Feldkomponenten , A eine gewisse Redundanz haben. gerechtfertigt ist.
Tatsächlich ändern sich die elektromagnetischen Felder E und B
nicht, wenn die Potenziale durch folgende Eichtransformation
verändert werden: Coulomb-Eichung
0 1
.t; r/ D .t; r/ C @ t .t; r/; (11.134)
c Eine andere nützliche Eichung ist die sogenannte Coulomb-
A0 .t; r/ D A.t; r/ r .t; r/; (11.135) oder Strahlungseichung
wobei die Eichfunktion .t; r/ beliebig ist. r A D 0: (11.140)
406 11 Die Maxwell-Gleichungen
Zum Abschluss dieses Abschnitts fassen wir die Grundglei- entsprechenden elektrischen Strom durch die Oberfläche @V
chungen der Elektrodynamik nochmals zusammen: ändern:
Z
In dem in diesem Buch verwendeten Gauß’schen Maßsystem d d
lauten die Maxwell-Gleichungen im Vakuum in differenziel- I@V D QV D dV
dt dt
ler Form V
I Z (11.150)
div E D 4 ; (11.141) D df j D dV div j:
div B D 0; (11.142) @V V
Teil II
1 @
rot E D B; (11.143) In äußeren elektromagnetischen Feldern wirkt auf die La-
c @t
4 1@ dungs- und Stromverteilungen die Lorentz-Kraftdichte
rot B D jC E (11.144)
c c @t 1
fL D E C j B: (11.151)
und in Integralversion c
I Z Auf materielle Körper mit Volumen V, in denen Ladungsträ-
df E D 4 dV ; (11.145) ger gebunden sind, wirkt die Lorentz-Kraft
@V V Z
I
F D dV f L : (11.152)
df B D 0; (11.146)
V
@V
I Z
1 d 1d
dr E D ˚m df B; (11.147) Speziell für Punktteilchen mit Ladung q, Bahnkurve x.t/ und
c dt c dt
@F F Geschwindigkeit v .t/ lautet die Lorentz-Kraft
I Z Z
4 1d
dr B D df j C df E: (11.148) v .t/
c c dt F.t/ D q E.t; x.t// C B.t; x.t// : (11.153)
@F F F c
Damit die Maxwell-Gleichungen lösbar sind, müssen die Die Bewegungsgleichung für ein Punktteilchen ist per Defi-
Ladungs- und Stromdichten bzw. j als „Integrabilitätsbe- nition gegeben durch
dingung“ die Kontinuitätsgleichung
d
@ p.t/ D F.t/; (11.154)
div j C D0 (11.149) dt
@t
wobei p im Allgemeinen der relativistische Impuls (10.3) ist,
erfüllen, die ein Ausdruck der Ladungserhaltung ist: Die der sich in der nichtrelativistischen Näherung auf mv redu-
Ladung Q in einem Volumen V kann sich nur bei einem ziert.
Damit entkoppelt zumindest die Gleichung für von der für A , die über (11.155) bestimmt wurden, auf die rechte Seite, so
und in ersterer treten zudem nur räumliche Ableitungen auf: erhält man eine inhomogene Wellengleichung mit modifizierter
Stromdichte, die als transversale Stromdichte bezeichnet wird:
.t; r/ D 4 .t; r/: (11.155)
4 1 4
Das heißt, man kann auch in zeitabhängigen Situationen A.t; r/ D j.t; r/ r @t DW j .t; r/: (11.156)
c 4 c T
durch die instantane Ladungsverteilung bestimmen und dabei
auf die (noch zu besprechenden) Methoden der Elektrostatik
zurückgreifen. Allerdings gibt dies nur einen Beitrag zum elek- Frage 11
trischen Feld E, den sogenannten Coulomb-Anteil. Für das Überzeugen Sie sich, dass in Übereinstimmung mit r A D 0
gesamte E-Feld wird gemäß (11.128) auch noch das Vektorpo- auch r jT D 0 gilt, sofern j die Kontinuitätsgleichung (11.44)
tenzial A benötigt, für das eine partielle Differenzialgleichung erfüllt.
inklusive Zeitableitungen zu lösen ist. Bringt man die Terme mit
11.5 Elektrodynamische Potenziale 407
Neben Lorenz- und Coulomb-Eichung gibt es noch zahlreiche mit einem konstanten Vektor n oder die temporale Eichung
weitere Möglichkeiten, die Eichfreiheit zu fixieren; dies wird D 0 (auch Weyl-Eichung genannt). Lorenz- und Coulomb-
gelegentlich ausgenutzt, um konkrete Probleme geschickt zu Eichung stellen aber die mit Abstand wichtigsten Eichungen
vereinfachen. Beispiele sind die axiale Eichung n A D 0 dar.
Teil II
408 11 Die Maxwell-Gleichungen
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
11.1 Elektrische Ladungseinheiten Im Gauß’schen einem leitenden Faden der Länge L aufgehängt sind und die
Maßsystem ist die Einheit der Ladung, das Statcoulomb sich eine zentral aufgebrachte Gesamtladung Q symmetrisch
(statC oder auch esu) definiert als die Ladungsmenge, die teilen (Abb. 11.18). Leiten Sie eine Bestimmungsgleichung für
zwischen zwei gleichen Punktladungen dieser Stärke im Ab- den Winkel # ab, bei dem sich eine Gleichgewichtslage ergibt.
stand von 1 cm auf eine Kraft von 1 dyn D 105 N führt. Welche Ladung führt bei L D 10 cm, m D 10 g und Erdbe-
Welche Kraft üben zwei Ladungen von jeweils 1 Coulomb schleunigung g D 9;81 m/s2 auf einen Ausschlag von 45ı (in
(1 Amperesekunde), der Ladungseinheit im SI-System, in ei- CGS und in SI-Einheiten)?
nem Abstand von 1 m aufeinander aus? Wie vergleicht sich das
mit dem Schub eines Spaceshuttles beim Start, der 34.677 kN
beträgt? ϑ
FC
m, q
mg
und verifizieren Sie, dass das Resultat in allen drei Fällen 4 ist.
Teil II
beliebigem Ort Legen wir das Koordinatensystem so, dass Abb. 11.19 Messung von Magnetfeldern durch die in einer rotierenden Spule
die z-Achse durch die beliebige Position einer Punktladung der induzierte Wechselspannung
Stärke 1 geht, sodass sie sich bei z D d befindet, und berech-
nen wir den Fluss durch eine Kugeloberfläche um den Ursprung Lösungshinweis: 1 statV 300 V.
mit Radius R, so sollte das Ergebnis konstant 4 sein, solange
d < R ist, und für alle d > R verschwinden. Verifizieren Sie 11.9 Fundamentale Geschwindigkeit in den
dies durch direkte Rechnung! Grundgleichungen Bestimmen Sie in einem Maßsystem
mit noch nicht festgelegten ki die physikalische Dimension
Lösungshinweis: Verwenden Sie bei Bedarf eine For- von Ladung ŒQ, Stromstärke ŒI, magnetischem Moment ŒM,
melsammlung für das auftretende Integral und achten Sie auf elektrischer Feldstärke ŒE und magnetischer Feldstärke ŒB aus-
Vorzeichen beim Vereinfachen von Wurzeln von quadratischen gedrückt durch die Dimensionen der ki und die mechanischen
Ausdrücken. Grundgrößen Masse, Länge und Zeit. Zeigen Sie damit, dass
k k2b =.k32 k2a / die Dimension einer Geschwindigkeit zum Qua-
11.6 Deltafunktion mit reskaliertem Argument drat hat.
Zeigen Sie, dass für die Dirac’sche Deltafunktion
Lösungshinweis: Verwenden Sie neben dem Coulomb-Kraft-
1 gesetz und den Gleichungen, in denen k2a und k2b eingeführt
ı.cx/ D ı.x/ (11.157) wurden, das Durchflutungsgesetz (11.42).
jcj
11.10 Induktionsgesetz mit magnetischen Mono-
gilt. polen Wie wäre das Induktionsgesetz (11.143) abzuän-
R1 dern, wenn es magnetische Monopolladungsdichten gäbe, d. h.
Lösungshinweis: Betrachten Sie 1 dx f .x/ ı.cx/. div B D 4 m 6D 0?
11.7 Kraft zwischen parallelen Stromleitern Be- 11.11 Impulserhaltungssatz der Elektrodynamik
rechnen Sie die Kraft pro Längeneinheit, die zwei parallele Leiten Sie den Impulserhaltungssatz der Elektrodynamik
unendlich lange stromführende Leiter mit vernachlässigbarem (11.115) unter Verwendung der Indexschreibweise her.
Querschnitt aufeinander ausüben (für beliebige Maßsysteme).
11.12 Spur des Maxwell’schen Spannungstensors
Lösungshinweis: Berechnen Sie zuerst das Magnetfeld eines Wie wir in Abschn. 11.4 gesehen haben, ist die Impulsdichte
einzelnen unendlich langen Drahtes und verwenden Sie dazu die des elektromagnetischen Feldes direkt proportional zur Ener-
Integralversion des Oersted’schen Gesetzes (11.42) und Rotati- gieflussdichte (Poynting-Vektor). Außerdem gibt es noch einen
onssymmetrie im Falle eines einzelnen Drahtes. weiteren engen Zusammenhang zwischen Energie und Impuls:
Für den Maxwell’schen Spannungstensor (der ja die Impuls-
11.8 Generator als Magnetometer Eine Methode, flussdichte beschreibt) gilt:
Magnetfelder auszumessen, ist über das Faraday’sche Induk-
tionsgesetz (11.143) mithilfe von rotierenden
H Leiterschleifen Sp T Tii D wem : (11.158)
(Abb. 11.19). Die induzierte Ringspannung dr E verschwin-
det, wenn die Rotationsachse in Richtung des Magnetfeldes Beweisen Sie diese Beziehung.
zeigt, und wird maximal senkrecht dazu. Welche Amplitude er-
reicht die Wechselspannung maximal für eine Spule mit N D 11.13 Coulomb-Kraft und Maxwell’scher Span-
1000 Windungen und Querschnitt F D 10 cm2 bei 10 Umdre- nungstensor Bestätigen Sie die Richtigkeit des Impulserhal-
hungen in der Sekunde im Erdmagnetfeld, wenn dieses 0,5 G tungssatzes, indem Sie ihn dazu verwenden, die wohlbekannte
stark ist? Kontrollieren Sie Ihre Rechnung, indem Sie einmal Coulomb-Kraft, die zwei gleich große Ladungen bei z D ˙a=2
das SI-System und einmal das Gauß’sche Maßsystem verwen- aufeinander ausüben, über das Oberflächenintegral des Max-
den. well’schen Spannungstensors entlang der Symmetrieebene
410 11 Die Maxwell-Gleichungen
z D 0 zu berechnen. Nehmen Sie einmal gleichnamige und wenn darin die Eichfunktion so gewählt wird, dass
einmal entgegengesetzte Ladungen an.
11.14 Ruhende elektrische Ladungen zusammen 1
mit ruhenden magnetischen Monopolen besitzen Dreh- D r A C @ t (11.160)
c
impuls! Gegeben sei eine elektrische Ladung qe im Ursprung
und eine (hypothetische) magnetische Monopolladung qm auf
der z-Achse bei z D d. Das kombinierte elektrische und ma- gilt. Dies zeigt im Übrigen, dass die Eichfreiheit noch nicht
gnetische Feld hat eine nichttrivale Impulsdichte gem sowie eine komplett fixiert ist. Wenn die Lorenz-Eichbedingung erfüllt ist,
Drehimpulsdichte r gem . Zeigen Sie, dass wie zu erwarten ist, kann man noch weitere Eichtransformationen durchführen mit
der Gesamtimpuls des Feldes verschwindet, aber überraschen- Eichfunktionen , die D 0 erfüllen.
derweise ein Gesamtdrehimpuls vorliegt, der darüber hinaus
vom Abstand d komplett unabhängig ist. (In der Quantenmecha- Wie lauten die analogen Aussagen für die Coulomb-Eichung?
Teil II
Daraus ergibt sich # D =4 bei Q D 0;934 µC oder 2801 statC. 11.14 Der gesamte Drehimpuls dieser Konfiguration ist
Teil II
11.7 Das Magnetfeld eines einzelnen unendlich langen Drahtes qe qm
entlang der z-Achse, durch den ein Strom der Stärke I1 fließt, ist LD zO :
c
in Zylinderkoordinaten gegeben durch
11.1 Im SI-System lautet das Coulomb-Kraftgesetz (a) In Kugelkoordinaten ist auf der Kugel mit Radius R
ˇ
1 q1 q2 ˇ eO r r ˇˇ 1
FD : (11.166) df D r2 dˇrDR eO r ; D 2 (11.172)
4 0 r 2 r3 ˇrDR R
Mit (11.77) und (11.78) ergibt sich: und
I Z2 Z
c2 0 R2 d
Teil II
1 N
D D c2 107 2 D d' sin # d#
4 0 4 A R2
(11.167) rDR 0 0
2
m N m2 N (11.173)
9 1016 2 107 2 D 9 109 2 : Z1
s A C
D2 d.cos #/ D 4 :
Während 1 Amperesekunde für einen Akku eine sehr geringe
1
Ladungsmenge darstellt, ist also 1 Coulomb als isolierte Ladung
eine extrem große Ladungsmenge. (b) In kartesischen Koordinaten ist
11.2 Die gesamte Kraft F D T setzt sich vektoriell aus auf- .x; y; z/>
einander senkrecht stehender Schwerkraft und Coulomb-Kraft XD : (11.174)
.x2 C y2 C z2 /3=2
zusammen, deren Beträge gegeben sind durch
Weil das Feld symmetrisch um den Ursprung und der Mit-
.Q=2/2 telpunkt des Würfels ebenfalls im Ursprung ist, genügt es,
FG D mg D F cos #; FC D k D F sin #:
.2L sin #/2 den Beitrag einer Seitenfläche zu berechnen und dann mit
(11.168) 6 zu multiplizieren. Nehmen wir die obere Seitenfläche bei
Der Quotient FC =FG führt unmittelbar auf (11.163). z D 1, dann ist
Bei einem Winkel von # D =4pist die linke Seite von (11.163) 1
df D dxdy eO z ; eO z XjzD1 D (11.175)
gleich 1=2, und damit Q D 8mgL2 =k. In CGS-Einheiten, .x2 C y2 C 1/3=2
p k D 1 ist, ist g D 981 cm=s einzusetzen, sodass Q D
2
wo und
7:848:000 2801 in statC resultiert. In SI-Einheiten ist (sie-
he (11.167)) numerisch k 9 109 . Die Zahlenwerte für die Z1 Z1 Z1
1 1 2
übrigen
p Größen sind m D 0;01, g D 9;81, L D 0;1, somit dx dy 2 D dy p
.x C y C 1/3=2
2 y2 C 1 2 C y2
Q 8;72 1013 0;934 106 C. 1 1 1
ˇ1
11.3 Wegen @=@xi D @=@.xi x0i / genügt es, @i .xi =r3 / D 0 für ˇ
p y ˇ 1 2
r 6D 0 zu überprüfen. Mit r D xj xj haben wir D 2 arctan p ˇ D 4 arctan p D :
2Cy ˇ
2
yD1
3 3
2xj ıji xi (11.176)
@i r D D ; (11.169) Mit 6 multipliziert ergibt dies wieder 4 .
2r r
(c) Beim Zylinder müssen zwei unterschiedliche Beiträge be-
in Vektornotation also rechnet werden: die zwei Deckflächen und die p Mantelfläche.
r r D eO r : (11.170) Verwenden wir hier Zylinderkoordinaten % D x2 C y2 und
Differenziation gemäß der Produktregel gibt damit z, dann tritt auf der oberen Deckfläche bei z D 1 der gleiche
Integrand wie in (11.176) auf, nur dass jetzt über einen Ein-
xi ıii 1 xi heitskreis zu integrieren ist:
@i D 3 3 4 xi : “
r3 r r r dx dy
Zu beachten ist, dass in ıii D 3 implizit eine Summation steckt. .x C y2 C 1/3=2
2
Damit heben sich die beiden Beiträge auf der rechten Seite auf, x2 Cy2 1
jedenfalls solange der singuläre Punkt r D 0 ausgespart bleibt. Z1
1 (11.177)
11.4 Zu berechnen ist jeweils das Oberflächenintegral D2 % d%
.%2 C 1/3=2
I I
df r 0
ˇ1
df X D : (11.171) 1 ˇ p
r3 D 2 ˇ D .2 2/:
@V @V .%2 C 1/1=2 ˇ0
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 413
Bei der unteren Deckfläche zeigt df in Richtung Oez , aber entlang der z-Achse, durch den ein Strom mit der Stärke I1
auch die z-Komponente von X hat ein anderes Vorzeichen, fließt, liefert
sodass wieder dasselbe Ergebnis entsteht. pDie beiden Deck- 2 %B' D 4 k3 I1 ; (11.183)
flächen ergeben also zusammen 2 .2 2/.
Auf der Mantelfläche ist df D d'dz eO % . Die %-Komponente wobei wir aufgrund der Symmetrie annehmen können, dass B'
von X ist entlang des Kreises konstant ist. Daraus folgt (11.164).
%
eO % X D 2 ; (11.178) Die infinitesimale Version des Ampère’schen Kraftgesetzes
.% C z2 /3=2
(11.51) liefert damit für Leiterelemente dl / eO z mit Stromstärke
was nun bei % D 1 auszuwerten und zu integrieren ist: I2 und Abstand % D d
Z2 Z1 p 2k3 2I1 I2
1 dF D k4 I2 I1 dl .Oez eO ' / D k3 k4 .Oe% / dl: (11.184)
d' dz D 2 2: (11.179) d d
Teil II
.1 C z2 /3=2
0 1
Wegen der Konstanz in der z-Richtung folgt daraus eine anzie-
Deckflächen hende Kraft mit der Stärke (11.76) pro Längeneinheit.
p und Mantelflächen
p zusammen ergeben wieder
2 .2 2/ C 2 2D4 . 11.8 Wenn die Fläche so rotiert, dass sie immer wieder senk-
recht zum Magnetfeld orientiert ist und damit maximal wird, ist
11.5 Das Feld der Punktladung mit Stärke 1 ist nun gegeben der magnetische Fluss gegeben durch ˚m D NFB cos.2 t/ mit
durch D 10 s1 . InH SI-Einheiten ist B D 0;5 104 Tesla und die
r dOez Ringspannung dr E D @ t ˚m D NFB 2 sin.2 t/. Im
: (11.180) SI-System ist F D 0;001 m2 und damit die Amplitude in Volt
jr dOez j3
gleich NFB 2 D 103 .
Der Fluss durch die Kugeloberfläche mit Radius R ist damit in
Kugelkoordinaten (mit z D r cos #) In Gauß’schen Einheiten ist B D 0;5 G und F D 10 cm2
einzusetzen und zusätzlich mit k4 D 1=c 1=.3 1010 / in
I I
r dOez r dOez CGS-Einheiten zu multiplizieren. Zur Umrechnung in V ist mit
df D R2 d eO r 300 zu multiplizieren. Um das Ergebnis gleich in V und nicht
jr dOez j3 jr dOez j3
rDR rDR in statV zu bekommen, kann also k4 D 108 gesetzt werden.
Z1 11.9 Aus dem Coulomb-Gesetz (11.1) und (11.3) folgt
R d cos #
D 2 R2 d.cos #/
.R2
2dR cos # C d 2 /3=2
1 (11.181) ŒF D ŒkQ2 L2 D ŒQŒE; (11.185)
!
1 1
D .R d / p
2 2
p also
d .R d/2 .R C d/2 ŒQ2 D Œk1 FL2 D Œk1 ML3 T 2 (11.186)
p p
.R d/2 C .R C d/2 : und damit
ŒQ D Œk1=2 M 1=2 L3=2 T 1 ; (11.187)
p
Mit .R2 d 2 / D .R C d/.R d/ und .R d/2 D jR dj ergibt ŒI D ŒQT 1 ; (11.188)
dies
ŒE D ŒFQ1 D ŒQ1 MLT 2
Œ.R C d/ sgn.R d/ .R d/ jR dj C .R C d/ ; (11.189)
d D Œk1=2 M 1=2 L1=2 T 1 :
(11.182)
wobei sgn.x/ das Vorzeichen von x gibt. Für d < R ist das Er- Das Durchflutungsgesetz (11.42) setzt ŒB mit ŒI bzw. ŒQ in
gebnis damit d 4d D 4 ; für d > R heben sich alle Terme weg. Beziehung:
11.6 Bei einer Variablensubstitution cx D x0 , dx D dx0 =c ist ŒBL D Œk3 I D Œk3 QT 1
zu beachten, dass die Integrationsgrenzen zu vertauschen sind, (11.190)
wenn c < 0 ist, sodass gilt: D Œk1=2 k3 M 1=2 L3=2 T 2 ;
Z1 Z1 also
dx0 f .0/ ŒB D Œk1=2 k3 M 1=2 L1=2 T 2 :
dx f .x/ ı.cx/ D f .x0 =c/ ı.x0 / D : (11.191)
jcj jcj
1 1
Andererseits legt die Form eines magnetischen Dipolfeldes
(11.33) ŒB durch ŒM fest:
11.7 Die Integralversion des Oersted’schen Gesetzes (11.42)
mit C ein Kreis mit Radius % um einen unendlich langen Draht ŒB D Œk2b ML3 ; (11.192)
414 11 Die Maxwell-Gleichungen
und das Drehmoment (11.32) stellt eine weitere Beziehung zur Unter Verwendung von
Mechanik her:
ŒN D ŒFL D Œk2a MB: (11.193) "kij "imn D ıim ıjn ıin ıjm
Aus (11.192) folgt eine Möglichkeit, ŒM darzustellen: haben wir damit
ŒM D Œk1=2 k2b
1
k3 M 1=2 L7=2 T 2 ; (11.194) 1
E C j B D @ t
1
.E B/k
c k 4 c
während bei der Bildung des Quotienten von (11.192) und 1
(11.193) diese Größe herausfällt: C Œ.@m Em /Ek C Em .@m Ek / .@k Em /Em
4
1
Œk2b L3 =.k2a B/ D ŒBF 1 L1 D ŒBM 1 L2 T 2 : (11.195) C ŒCBm .@m Bk / .@k Bm /Bm :
4
Teil II
zum Oberflächenintegral im Unendlichen verschwinden, und es mit x D r sin #; z D r cos #. Die Impulsdichte ist damit
bleibt ein Integral über die Ebene z D 0 mit df D dx dy eO 3 . 0 1
Die Kraft auf die Ladung im oberen Halbraum ergibt sich durch 0
1 qe qm
dasselbe Integral, aber mit df D dx dy .Oe3 /. gem D .E B/ D @xd A :
4 c 4 cr3 ..z d/2 C x2 /3=2 0
Vom Maxwell’schen Spannungstensor (11.118) werden nur die
Komponenten T3k benötigt: (11.211)
1 1 Für positive x zeigt gem in positive y-Richtung; symmetrisch da-
T3k D E3 Ek ı3k E2 : (11.205)
4 2 zu für negative x in negative y-Richtung. Das Vektorfeld gem
verläuft also im ganzen Raum im selben Rotationssinn um die
Im Fall von (11.202) ist E3 D 0, und wir haben nur einen Bei- z-Achse. Dies macht schon klar, dass der Gesamtimpuls des
trag vom zweiten Term elektromagnetischen Feldes null ist, der Gesamtdrehimpuls aber
Teil II
nicht verschwindet.
CC 1 CC
T3k .x; 0; 0/ D ŒE .x; 0; 0/2 ı3k ; (11.206) Die Drehimpulsdichte des Feldes um einen Referenzpunkt r0 ist
8
durch .r r0 / gem gegeben. Diese Dichte hängt offenbar von
während im Fall von (11.203) Ek D jEjık3 gilt und der erste r0 ab, aber weil der Gesamtimpuls verschwindet, ist das Integral
Beitrag zu T3k durch den zweiten halbiert wird: darüber, der Gesamtdrehimpuls, unabhängig von r0 . Wir kön-
nen ihn daher ohne Beschränkung der Allgemeinheit bei r D 0
C 1 C belassen. Die entsprechende Drehimpulsdichte lautet
T3k .x; 0; 0/ D C ŒE .x; 0; 0/2 ı3k : (11.207)
8 0 1
qe qm d xz
Damit haben wir schon verifiziert, dass die Kraft auf die La- @ 0 A:
r gem D (11.212)
dung im unteren Halbraum bei gleichnamigen Ladungen in die 4 cr3 ..z d/2 C x2 /3=2 x2
negative z-Richtung und bei entgegengesetzten Ladungen in die
positive zeigt. Die Integrale über T33 können wir wegen der In-
varianz bei Drehungen um die z-Achse in Polarkoordinaten auf Wegen der Antisymmetrie der x-Komponente unter x ! x ist
der Ebene z D 0 unmittelbar schreiben als nach Integration über den gesamten Raum Lx D 0, und nur die
z-Komponente kann beitragen. Diese ist durch folgendes Inte-
“
CC
gral gegeben:
dx dy T33 .x; y; 0/
Z1 Z1
Z1 (11.208) qe qm dx2
q 4r2 q2 Lz D 2 d.cos #/ r2 dr ;
D 2 r dr D ; 4 cr3 ..z d/2 C x2 /3=2
8 .r2 C a2 =4/3 a2 1 0
0 (11.213)
wiederum mit x D r sin #; z D r cos #. Mit Variablen rN D r=d
wobei das Integral nach Substitution r2 ! s elementar ist, und und cos # D lässt sich dies umschreiben auf
“
C
dx dy T33 .x; y; 0/ Z1 Z1
qe qm rN
Lz D d .1 2 / dNr ; (11.214)
Z1 (11.209) 2c .Nr2 2 rN C 1/3=2
q a2 q2 1 0
D 2 r dr 2 D C :
8 .r C a2 =4/3 a2
0 womit gezeigt ist, dass L unabhängig von d ist. Es bleibt noch,
die Integrale auszuwerten. Die rN -Integration ergibt 1=.1 /,
Das ist, wie zu zeigen war, der jeweils richtige Ausdruck für die und die -Integration damit
Coulomb-Kraft.
11.14 Wegen der Drehsymmetrie um die z-Achse können wir Z1 Z1
1 2
uns auf ' D 0, also y D 0 beschränken, da die Integration d D d .1 C / D 2;
1
über ' nur einen Faktor 2 besteuern wird. Für die Berechnung 1 1
der äußeren Produkte ist es bequem, alle Vektoren in kartesi-
schen Komponenten anzugeben und erst die Integrationen in also insgesamt Lz D qe qm =c.
Kugelkoordinaten durchzuführen. Die Felder der elektrischen
und magnetischen Monopolladungen lauten in der xz-Ebene 11.15 Nach einer Eichtransformation
0 1 0 1 0 1
qe @ x A qm x .t; r/ D .t; r/ C @ t .t; r/; (11.215)
ED 3 0 ; BD @ 0 A (11.210) c
r z ..z d/2 C x2 /3=2 z d A0 .t; r/ D A.t; r/ r .t; r/ (11.216)
416 11 Die Maxwell-Gleichungen
1 1
0 D r A C @ t r 2 C 2 @2t
c c (11.217)
1
D r A C @ t C ;
c
während im Fall der Coulomb-Eichung die zeitlichen Ablei-
tungsterme fehlen und ! zu ersetzen ist.
11.16 EC ist ein Gradientenfeld, daher verschwindet die Rotati-
Teil II
Literatur
Arens, T., et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akademischer Ma, T.-Z.E.: Field angular momentum in Feynman’s disk para-
Verlag (2012) dox. Am. J. Phys. 54, 949–950 (1986)
Cabrera, B.: First results from a superconductive detector for Maxwell, J.C.: A Treatise on Electricity and Magnetism. Mac-
moving magnetic monopoles. Phys. Rev. Lett. 48, 1378–1381 millan, New York (1873). Online: https://en.wikisource.
(1982) org/wiki/A_Treatise_on_Electricity_and_Magnetism Zuge-
griffen: 22. Juli 2014
Feynman, R., Leighton, R.B., Sands, M.: The Feynman Lectures
Teil II
on Physics, Bd. II, Benjamin Cummings, Pearson Education, Misner, C.W., Thorne, K.S., Wheeler, J.A.: Gravitation. Free-
Inc, USA (2005) man, New York (1973)
Griffiths, D.J.: Elektrodynamik. Pearson, München (2011)
Elektrostatik
12
Wie löst man
elektrostatische
Problemstellungen?
Teil II
Wozu sind Green’sche
Funktionen gut?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 419
420 12 Elektrostatik
Es war eine entscheidende intellektuelle Leistung der Physiker und Die Kontinuitätsgleichung r j D @ t verlangt bei zeit-
Mathematiker des 19. Jahrhunderts, die elektrischen und magne- unabhängigen Raumladungsdichten , dass j divergenzfrei ist;
tischen Phänomene in einer gemeinsamen Theorie, der Elektrody- entsprechende elektrische Ströme mit geschlossenen Stromli-
namik, zu vereinigen und dabei dem Begriff von physikalischen nien sind also mathematisch möglich. Physikalisch stellt dies
Feldern zu einem Durchbruch zu verhelfen. Im Folgenden werden natürlich eine Idealisierung dar, denn auf atomarer Ebene
wir diese Vereinigung aber vorerst wieder aufheben, indem wir sind punktförmig konzentrierte Ladungsverteilungen im Spiel,
uns auf zeitunabhängige Probleme beschränken. Wenn Ladungen und elektrische Ströme werden durch Bewegungen dieser La-
und Ströme zeitlich unveränderlich sind, zerfallen die Maxwell-Glei- dungsverteilungen gegeneinander gebildet. Auf makroskopi-
chungen in separate Gleichungen für elektrische und magnetische scher Ebene können diese Ladungsverteilungen aber gut durch
Felder, die unabhängig voneinander gelöst (und superponiert) wer- kontinuierliche approximiert werden, und solange der Fluss
den können. dieser Ladungsverteilungen stationär ist, sind die Raumladungs-
dichten zeitunabhängig (oder überhaupt null, wenn exakt entge-
Die Gleichungen der Elektrostatik im Vakuum führen auf Pro-
Teil II
Sind elektrische und magnetische Felder zeitunabhängig, weil Da E die Kraft pro Ladung auf eine Testladung darstellt, haben
alle elektrische Ladungen und eventuell stromführende Lei- wir es in der Elektrostatik mit einem konservativen Kraftfeld
ter räumlich festgehalten werden, sodass sie nicht unter dem zu tun, und stellt auch im Sinne der Mechanik ein Potenzial
Einfluss der Lorentz-Kraft zu dynamischen Problemstellun- dar, nämlich die potenzielle Energie einer Einheitsladung. Völ-
gen führen, dann reduzieren sich die Maxwell-Gleichungen lig analog zu (1.165) bekommen wir Potenzialdifferenzen als
(11.141) bis (11.144) auf zwei Paare von rein räumlichen parti-
ellen Differenzialgleichungen. Zr
.r/ .r0 / D U D E.r0 / dr0 : (12.6)
r0
Feldgleichungen der Elektrostatik
Die Potenzialdifferenz zwischen den Punkten r und r0 wird auch
als elektrische Spannung U bezeichnet. Die Arbeit, die geleistet
r E.r/ D 4 .r/ (12.1)
werden muss, um eine Ladung q von r0 nach r zu verschieben,
r E.r/ D 0 (12.2) ist durch qU gegeben.
Abbildung 12.1 und 12.2 zeigen als Beispiel die elektrischen
Feldlinien eines elektrischen Feldes, das von drei stationären
Ladungen der Stärke q, 2q und 3q (q > 0) hervorgerufen wird,
Feldgleichungen der Magnetostatik sowie das zugehörige elektrostatische Potenzial.
Die verschwindende Rotation (12.2) stellt dabei sicher, dass das
4
r B.r/ D j.r/ (12.3) Wegintegral unabhängig vom Weg von r0 nach r ist. Insbeson-
c dere gilt, dass Ringspannungen, also elektrische Spannungen
r B.r/ D 0 (12.4) entlang von geschlossenen Pfaden, verschwinden:
I
E dr D 0: (12.7)
Frage 1
Elektrische Ströme werden durch elektrische Ladungen gebil- Frage 2
det, die sich bewegen. Warum ist dies kein Widerspruch zu der Erinnern Sie sich: Wie lässt sich dieses Integral mit rot E an-
Annahme von statischen Quellen? schreiben?
12.1 Das elektrostatische Potenzial 421
Die Poisson-Gleichung
Poisson-Gleichung
.r/ D 4 .r/ (12.8)
Teil II
Eine quellenfreie Poisson-Gleichung mit 0, die homoge-
ne Poisson-Gleichung, wird auch kurz als Laplace-Gleichung
Abb. 12.1 Elektrisches Feld bei einer Konfiguration von drei elektrischen La-
dungen, von denen zwei positiv und eine negativ ist, mit Stärken (von oben nach bezeichnet; Lösungen der Laplace-Gleichung werden in der
unten ) q, 2q und 3q sowie die Äquipotenziallinien des zugehörigen elektro- Mathematik als harmonische Funktionen bezeichnet.
statischen Potenzials (alles nur in der Ebene, in der die drei Ladungen liegen).
Dieses mit der M ATHEMATICA-Routine StreamPlot erzeugte Bild gibt aller- Mit dem Coulomb’schen Gesetz, das uns das elektrische Feld
dings nur lokal die Feldlinienverteilung richtig wieder, denn strenggenommen von Punktladungen angibt, haben wir in (11.4) auch schon die
sollten Feldlinien nur an Quellen entspringen oder enden, damit aus ihrer Dichte allgemeine Lösung für eine kontinuierliche Ladungsverteilung
die Feldstärke abgelesen werden kann
(bestehend aus einem Kontinuum von infinitesimalen Punktla-
dungen dV) angegeben:
Z
Umgekehrt ist klar, dass diese Aussage nur in der Elektrosta- r r0
tik allgemein gültig ist. Gleichung (12.2) ist ja die statische E.r/ D dV 0 .r0 / : (12.9)
jr r0 j3
Version des Induktionsgesetzes; bei zeitlich veränderlichen Ma-
gnetfeldern wird U wegabhängig und kann in diesem Fall nicht
(Die Konstante k in (11.4) ist für das von uns verwendete
mehr als Potenzialdifferenz dargestellt werden. Die linke Sei-
Gauß’sche Maßsystem nun eins gesetzt.)
te von (12.7) kann dann ungleich null sein und wird auch
(leicht irreführend) elektromotorische Kraft (EMK) genannt. In Wie wir bereits für Magnetfelder in (11.37)–(11.38) ausgenutzt
diesen Ausdruck für die Arbeit für eine Einheitsladung bei Ver- haben, lässt sich das Vektorfeld .r r0 /=jr r0 j3 gemäß (11.26)
schiebung entlang eines geschlossenen Weges geht, wie wir in als Gradientenfeld darstellen,
(11.101) gesehen haben, nur das elektrische Feld ein.
r r0 1
0
D r ; (12.10)
jr r j 3 jr r0 j
12.2 Green’sche Funktionen gilt. Diese Forderung stellt für alle hier betrachteten Randbe-
dingungen keine wesentliche Einschränkung dar, wie man im
und Randwertprobleme Einzelnen beweisen kann (siehe Kasten „Vertiefung: Symme-
trie der Green-Funktionen des Laplace-Operators“).
Wir haben damit ein Beispiel für eine sogenannte Green’sche Neumann-Randwertprobleme (nach dem deutschen Mathe-
Funktion des Laplace-Operators vorliegen, die allgemeiner matiker Carl Gottfried Neumann, 1832–1925): Auf dem
durch Rand @V eines Volumens V ist die Normalableitung vorge-
geben:
G.r; r0 / D 4 ı.r r0 / (12.13)
ˇ ˇ
@ ˇ ˇ
definiert ist. Die Funktion 1=jr r0 j ist eine Partikulärlösung .r/ˇˇ D n.r/ r .r/ˇˇ ; (12.20)
@n r2@V
dieser Gleichung, mit der die Lösung (12.11) der Poisson-Glei- r2@V
chung für natürliche Randbedingungen als
wobei n.r/ die Flächennormale ist (df D n.r/df ).
Z
.r/ D dV 0 G.r; r0 / .r0 / (12.14)
Randwertprobleme in der Elektrostatik sind meistens Dirichlet-
Randwertprobleme; Neumann-Randbedingungen sind eher sel-
geschrieben werden kann. Lösungen der Poisson-Gleichung, ten.
die (bei gleichen Quellen) anderen Randbedingungen genügen,
unterscheiden sich davon durch homogene Lösungen, d. h. Lö-
sungen ohne Quellterm, mit anderen Worten also Lösungen der
Laplace-Gleichung Eindeutigkeit der Lösung
hom .r/ D 0: (12.15)
Wir werden nun zeigen, dass das Dirichlet-Randwertproblem
Ganz analog kann man die allgemeinste Green’sche Funktion eine eindeutige Lösung hat und dass das Neumann-Randwert-
als problem bis auf eine physikalisch irrelevante Konstante eben-
1 falls eindeutig lösbar ist.
G.r; r0 / D C Ghom .r; r0 / (12.16)
jr r0 j Dazu nehmen wir an, wir hätten zwei Lösungen 1 und 2 , die
beide die Poisson-Gleichung erfüllen und beide der vorgegebe-
schreiben, wobei Ghom .r; r0 / eine Lösung der Laplace-Glei- nen Dirichlet- oder Neumann-Randbedingung genügen:
chung bezüglich des ersten Arguments ist:
1;2 .r/ D 4 .r/: (12.21)
Ghom .r; r0 / D 0: (12.17)
Die Differenz D 1 2 erfüllt dann in V die Laplace-Glei-
Wir werden im Folgenden zusätzlich verlangen, dass Ghom .r; r /0 chung
wie die Partikulärlösung 1=jr r0 j symmetrisch in r und r0 ist, .r/ D 0 (12.22)
sodass
und am Rand @V entweder D 0 (bei Dirichlet-Randbedingun-
G.r; r0 / D G.r0 ; r/ (12.18) gen) oder @n D 0 (bei Neumann-Randbedingungen).
12.2 Green’sche Funktionen und Randwertprobleme 423
In der Elektrostatik sind die Green-Funktionen des Laplace- erreicht werden kann, ohne dass Randterme übrig bleiben,
Operators für gewöhnlich symmetrisch unter Austausch ih- d. h., das Analogon zur rechten Seite von (12.26) verschwin-
rer Argumente, und wir haben uns in (12.18) für das Weitere det. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Funktionen am Rand @V
auf solche beschränkt. null sind, woraus geschlossen werden kann, dass die Dirich-
In Abschn. 19.1 werden wir auch Green’sche Funktio- let-Green-Funktion, welche die homogene Randbedingung
nen für den Wellenoperator einführen, wo gerade die phy- (12.29) erfüllt, symmetrisch ist.
sikalisch interessanten Randbedingungen auf asymmetri-
sche Green’sche Funktionen führen werden. Die Symmetrie Auf diese Weise kann man auch zeigen, dass Green-Funktio-
nen des Laplace-Operators symmetrisch bleiben, wenn etwas
Teil II
(12.18) ist also keine von vornherein notwendige Eigen-
schaft einer Green-Funktion. kompliziertere Randbedingungen gefordert werden wie im
Fall von Robin-Randbedingungen, wo am Rand .a C b@n /
Im nächsten Kapitel (siehe (13.94)) und dann ausführlicher mit Konstanten a und b vorgegeben wird (benannt nach dem
in Teil III werden wir das Konzept von selbstadjungier- französischen Mathematiker V. Gustave Robin, 1855–1897),
ten Operatoren kennenlernen. Wie sich dort zeigt, haben oder abwechselnd Dirichlet- und Neumann-Randbedingun-
selbstadjungierte Operatoren immer symmetrische Green- gen auf komplementären Teilen des Randes. In all diesen
Funktionen. Ob nun ein Differenzialoperator selbstadjun- Fällen kann man das entsprechende Randwertproblem durch
giert ist, hängt entscheidend von den Randbedingungen ab. (12.28) lösen, wofür eine symmetrische Green-Funktion ge-
Um zu überprüfen, ob der Laplace-Operator bei gegebe- braucht wird, die zudem die homogenen Randbedingungen
nen Randbedingungen auf @V selbstadjungiert ist, hat man erfüllt, damit im Oberflächenintegral nur bekannte (weil vor-
zu prüfen, ob für alle Funktionen f und g, welche die be- gegebene) Randbedingungen an eingehen.
trachteten Randbedingungen an GD erfüllen, durch partielle
Integration Hat man nur irgendeine symmetrische Green-Funktion, dann
Z Z ist zwar (12.28) weiterhin eine streng gültige Identität, aber
dV f g D dV g f sie ist unbrauchbar für das Auffinden einer Lösung des Rand-
V V wertproblems.
Diese Identität wenden wir nun auf den Fall an, dass '.r0 / die r 2 V mit (12.13) und (12.18)
Lösung der Poisson-Gleichung (12.8) ist, '.r0 / D .r0 /; und I Z
für die zweite Funktion wählen wir .r0 / D G.r; r0 /, sodass df 0 r 0 G.r; r0 / D dV 0 0 G.r; r0 / D 4 : (12.31)
nur über das zweite Argument integriert wird. Die linke Seite
@V V
von (12.26) wird dann zu
Z Die Definition der Neumann-Green-Funktion ist daher statt-
0 0 0 0 0 0 0 dessen, dass die Normalableitung eine Konstante ist, die mit
dV .r / G.r; r / G.r; r / .r /
(12.31) verträglich ist:
V
Z I
@ 0 4
D dV 0 4 .r0 / ı.r r0 / C 4 G.r; r0 / .r0 / GN .r; r / D mit A D df 0 ; (12.32)
(12.27) @n0 A
V @V
Z
Teil II
D 4 .r/ C 4 dV 0 G.r; r0 / .r0 /; worin A also der Flächeninhalt von @V ist. Das Oberflächen-
integral über .r0 /@n GN .r; r0 / liefert dann nur eine von r un-
V
abhängige Größe, den Mittelwert von auf dem Rand @V.
wobei wir die Symmetrie (12.18) und die definierende Glei- Da Neumann-Randwertaufgaben nur bis auf eine Konstante
chung (12.13) für die Green’sche Funktion verwendet haben. eindeutig lösbar sind, ist diese Konstante ohne Belang. Wir be-
Damit bekommen wir eine Gleichung, die .r/ mit r 2 V durch kommen somit, sofern eine Neumann-Green-Funktion vorliegt,
ein Volumenintegral und ein Oberflächenintegral darstellt: wiederum eine Integraldarstellung der Lösung des Randwert-
problems.
Z
.r/ D dV 0 G.r; r0 / .r0 /
Lösung der Neumann-Randwertaufgabe mit Neumann-
V
I Green-Funktion
1 Z
C df 0 G.r; r0 /r 0 .r0 / .r0 /r 0 G.r; r0 / :
4 .r/ D dV 0 GN .r; r0 / .r0 / C h i@V
@V
V
(12.28) I (12.33)
1 @
In einer Dirichlet-Randwertaufgabe sind die Werte von auf @V C df 0 GN .r; r0 / .r0 /;
4 @n0
vorgegeben, während die Normalableitung von erst nach dem @V
Lösen dieser Aufgabe bekannt sein wird. Gleichung (12.28)
wobei h i@V der frei wählbare Mittelwert von auf dem
kann daher nur dann zum Auffinden dieser Lösung verwendet
Rand @V ist.
werden, wenn eine Green’sche Funktion G.r; r0 / vorliegt, die
verschwindet, wenn r0 auf @V liegt. Dies definiert die Dirichlet-
Green-Funktion als Green’sche Funktion mit der Randbedin- Die Lösungen für die Dirichlet- und Neumann-Randwertaufga-
gung ben mithilfe von zugehörigen Green-Funktionen setzen natür-
GD .r; r0 / D 0 für r0 2 @V: (12.29) lich voraus, dass letztere zur Verfügung stehen. Leider können
diese nur für spezielle, besonders symmetrische Situationen
Damit bekommen wir bei gegebener Dirichlet-Green-Funktion analytisch konstruiert werden. Hat man aber z. B. eine Dirichlet-
eine Integraldarstellung der gesuchten Lösung. Randwertaufgabe auf einem Rand @V für die spezielle Randbe-
dingung .r0 / D 0, r0 2 @V, für eine Punktladung q am Ort r00
für alle r00 2 V einmal gelöst, kennt man damit aufgrund von
Lösung der Dirichlet-Randwertaufgabe mit Dirichlet-
(12.30) die zu @V gehörende Dirichlet-Greenfunktion:
Green-Funktion
Z 1
.r/ D dV 0 GD .r; r0 / .r0 / GD .r; rq / D .r/; (12.34)
q
V
I (12.30) wobei .r/ die gefundene Lösung mit q am Ort rq ist.
1 @
df 0 .r0 / GD .r; r0 /
4 @n0 Frage 5
@V
Leiten Sie diese Bedeutung von GD aus (12.30) ab, indem Sie
in dieser Gleichung für eine Punktladung spezialisieren und
dabei die gegebene Randbedingung an beachten.
Für Neumann-Randwertaufgaben benötigt man umgekehrt eine
Formel, in der am Rand noch nicht bekannt sein muss. Nun
kann man aber nicht erreichen, dass eine Green’sche Funktion Gleichung (12.30) liefert dann sofort die Verallgemeinerung
auf einer geschlossenen Fläche verschwindende Normalablei- dieser speziellen Lösung für verschwindende Randwerte auf be-
tung hat, denn mit dem Gauß’schen Satz ergibt sich wegen liebige Dirichlet-Randwertaufgaben mit gleicher Geometrie @V.
12.3 Randbedingungen auf Leiteroberflächen 425
Teil II
Für praktische Zwecke muss die Leiteroberfläche nicht ein-
mal perfekt geschlossen sein, solange man es mit zeitlich
nicht zu schnell veränderlichen Feldern zu tun hat. Ein Käfig
aus Draht reicht oft aus. Auch in einem Auto aus metal-
lischem Blech ist man (trotz der Öffnungen in Form von
Fenstern) sicher, wenn ein Blitz einschlagen sollte. Felder
mit hinreichend großen Frequenzen und kleinen Wellenlän-
gen können aber eindringen, sonst könnte man ja aus einem Abb. 12.3 Um empfindliche Geräte von elektrischen Streufeldern abzu-
Drahtkäfig oder einem Auto nicht nach außen schauen. schirmen, werden Faraday’sche Käfige eingesetzt
12.3 Randbedingungen wird, dass sein Potenzial null ist, spricht man von einer Erdung,
die sich physikalisch durch eine leitende Verbindung mit der
auf Leiteroberflächen ferneren Umgebung realisieren lässt, über die elektrische La-
dung zu- oder abfließen kann. Das dazu nötige Erdungskabel
Eine einfache und in der Praxis besonders wichtige Randbe- selbst wird dabei meistens als vernachlässigbar für das elek-
dingung an elektrische Felder wird durch elektrische Leiter ins trostatische Randwertproblem betrachtet. Das Potenzial eines
Spiel gebracht. In einem elektrischen Leiter sind elektrische isolierten Leiters ist dagegen frei veränderlich. Mehrere von-
Ladungen (konkret die Leitungselektronen) weitgehend frei be- einander separierte Leiter können aber z. B. durch elektrische
weglich, sodass elektrische Felder im Inneren eines Leiters Batterien auf vorgegebenen Potenzialen gehalten werden.
sofort zu Bewegungen von diesen führen. Statische Verhältnis-
se liegen nur dann vor, wenn sich die Ladungsträger so weit Konstanz von auf einer Leiteroberfläche impliziert natürlich,
umgruppiert haben, dass im Inneren eines Leiters keine elek- dass die Tangentialableitungen davon verschwinden, und daher
trischen Felder mehr existieren, denn diese würden zu weiteren die Tangentialkomponenten der elektrischen Felder null sind.
Ladungsverschiebungen führen. Diese würden ja ansonsten wieder Ströme im Leiter hervorru-
fen. Normalkomponenten von elektrischen Feldern sind aber
möglich, weil man in der Elektrostatik annimmt, dass die La-
Elektrostatik in Anwesenheit von Leitern dungsträger nur im Bereich des Leiters frei beweglich sind,
dessen Oberfläche aber nicht verlassen können. (Wenn die Feld-
Im Inneren eines elektrischen Leiters mit (zusammenhän-
stärken so stark werden, dass tatsächlich Elektronen aus Leitern
gendem) Volumen VL gilt bei zeitunabhängigen Situatio-
herausgerissen werden können, hat man es offenbar nicht mehr
nen
mit zeitunabhängigen Verhältnissen zu tun.)
E.r/ 0 ) .r/ D const: für r 2 VL : (12.35)
Normalkomponenten der elektrischen Felder auf einer Leiter-
oberfläche (En D n E) geben direkt die dort vorhandene
Feldfreiheit im Inneren eines Leiters bedeutet wegen der
Oberflächenladung wieder, denn aus der Integralversion der ers-
ersten Maxwell-Gleichung div E D 4 , dass auch
ten Maxwell-Gleichung (11.145) bekommen wir für ein kleines
.r/ 0 im Inneren des Leiters ist, d. h., die elektrische
Volumen um einen Oberflächenbereich F (Abb. 12.4)
Ladung eines Leiters ist auf der Leiteroberfläche verteilt.
Z Z
df En D 4 dV
Leiteroberflächen sind damit Äquipotenzialflächen. Das Po-
F V
(12.36)
tenzial im Unendlichen kann normalerweise auf null gesetzt
werden. Wenn dann für einen Leiter im Endlichen verlangt ) F En D 4 Q
426 12 Elektrostatik
E ΔF
ρ ρ
ΔV
Leiter
ρ Bild
Abb. 12.4 Randbedingung an der Grenzfläche eines elektrischen Leiters: Die
elektrische Feldstärke steht senkrecht auf die Oberfläche, während im Inneren Leiter ∂V
des Leiters das elektrische Feld verschwindet. Anwendung des Gauß’schen In-
tegralsatzes setzt den Fluss durch das infinitesimale Oberflächenelement F
Abb. 12.5 Bildladungsmethode schematisch: Die Randwertaufgabe einer ge-
Teil II
Teil II
ze vom Leiter ausgefüllt sein. Der physikalisch interessierende
Raum V ist daher der Halbraum z > 0, und in diesem ist die
Poisson-Gleichung
q2
FD : (12.46)
4d 2
(0, R sin ϑ, R cos ϑ)
Frage 7
r
Begründen Sie dieses Ergebnis!
ϑ d
Dass diese Kraft für d ! 0 divergiert, ist allerdings eine Folge d ,q q z
der in diesem Limes unphysikalischen Idealisierung. Bei Ab-
ständen, die in den Bereich atomarer Abmessungen kommen,
Teil II
R2 C d 2 R2 C d 02 q q0
D ; p D p (12.48) Für große Abstände d R der Punktladung nähert sich die
d d0 d d0 Bildladung dem Mittelpunkt der Kugel, wobei ihre Stärke mit
12.4 Bildladungsmethode 429
Erdung
Teil II
Abb. 12.9 Lösung der Randwertaufgabe einer Punktladung vor einer geerde- Abb. 12.10 Wie Abb. 12.9, aber für eine ungeladene isolierte Kugel
ten leitenden Kugel mit Bildladungsmethode, wobei der Abstand der Punktla-
dung beim Dreifachen des Kugelradius liegt. In Wirklichkeit ist der Raum im
Inneren der Kugel feldfrei. Die Bildladungsmethode ersetzt die Ladungen auf der
Oberfläche der Kugel durch eine fiktive Ladung im Inneren Allerdings kann ausgehend von der Lösung mit Potenzial null
auf der Kugeloberfläche leicht eine mit konstantem Potenzial
ungleich null konstruiert werden. Dazu müssen wir lediglich ei-
dem Kehrwert von d abnimmt. Dementsprechend fällt die an- ne weitere fiktive Ladung q00 in den Ursprung der Kugel setzen,
ziehende Kraft der geerdeten Kugel auf die Punktladung gemäß denn diese addiert dann eine Konstante V0 D q00 =R zum Poten-
zial auf der Kugeloberfläche bei jrj D R.
q2 R Mit dieser allgemeineren Lösung können wir auch Aufga-
F für d R (12.53)
d3 benstellungen lösen, bei denen das Potenzial der Kugel nicht
vorgegeben ist, sondern nur die Tatsache, dass die Kugel-
ab.
oberfläche eine Äquipotenzialfläche ist. Wenn die Kugel nicht
Frage 8 geerdet, sondern ursprünglich ungeladen und isoliert ist, wenn
Vollziehen Sie diese beiden Ergebnisse nach! die Punktladung in ihre Nähe gebracht wird, dann muss V0
bzw. q00 so gewählt werden, dass die Gesamtladung der Kugel
null bleibt. Das wird einfach durch q00 D q0 erreicht. Ab-
Zusammenfassend können wir das elektrostatische Potenzial im bildung 12.10 zeigt die entsprechende Modifikation für den in
Außenraum einer geerdeten leitenden Kugel mit Radius R in Abb. 12.9 gezeigten Fall. (Ganz analog ist der Fall zu lösen,
Anwesenheit einer Punktladung q bei rq allgemein schreiben wenn die isolierte leitende Kugel eine Ladung Q trägt. Dann
als muss q00 D Q q0 gewählt werden.)
q q R Frage 9
.r/ D ; : (12.54)
jr rq j jr 2 rq j jrq j Lesen Sie aus obigen Feldlinienbildern ab, wo auf der Kugel-
oberfläche positive und wo negative Ladungen sitzen.
Äquipotenziallinien und elektrische Feldlinien sind in Abb. 12.9
für D 1=3 illustriert.
Aufgrund des Superpositionsprinzips können wir auch leicht
auf beliebige Ladungskonfigurationen vor der leitenden Kugel Dirichlet-Green-Funktion für Ebene und Kugel
verallgemeinern. Dazu müssen wir nur für jede reelle Ladung
eine nach dem selben Muster konstruierte Bildladung einfüh-
ren. In (12.34) haben wir festgehalten, wie aus der allgemeinen
Lösung für das Potenzial einer Punktladung unter der Randbe-
Hätten wir aber in obigem Beispiel nicht vorgegeben, dass das dingung D 0 auf der geschlossenen Fläche @V die zu @V
Potenzial der Kugel null ist, sondern einen anderen Wert vor- gehörende Dirichlet-Green-Funktion abgelesen werden kann:
gegeben (physikalisch realisierbar durch eine Batterie, die in GD .r; rq / D .r/=q, wobei rq die Position von q ist.
den Erdungsdraht eingeschaltet wird), so wäre unser Ansatz mit
einer Bildladung pro reeller Punktladung gescheitert – (12.47) Mithilfe der Bildladungsmethode haben wir derartige Lösungen
wäre nicht für alle # erfüllbar gewesen. für den Fall einer unendlich ausgedehnten Ebene in (12.44) und
430 12 Elektrostatik
den einer Kugeloberfläche in (12.54) konstruiert. Die zugehöri- Im Fall der Kugel bei r0 D R müssen wir ganz analog für die
gen Dirichlet-Green-Funktionen sind somit Normalableitung von (12.58) im Fall von r > R nach @=@r0
und für r < R nach C@=@r0 ableiten. Dies ergibt
für die Ebene z D 0
@ 0 jr2 R2 j
1 1 GD .r; r /j r 0 DR D jr0 DR : (12.60)
GD .r; rq / D ; r0q D rq jz!z ; (12.55) @n0 R.r2 C R2 2r r0 /3=2
jr rq j jr r0q j
1 z
GD .r; r0 / D p (12.57)
.x x / C .y y0 /2 C .z z0 /2
0 2
1
p ; +φ0
.x x / C .y y0 /2 C .z C z0 /2
0 2
1
GD .r; r0 / D p
r2 C r02 2r r0
1
p : (12.58) x y
r r =R C R2 2r r0
2 02 2
−φ0
Teil II
Z Betrachten wir den speziellen, aber oft vorkommenden Fall,
2
.A C B /3=2 d D p : (12.65) dass alle elektrischen Ladungen auf einer Anzahl voneinander
B AC B getrennter Leiteroberflächen @Vj , j D 1; : : : ; N, eingesperrt sind
und keine Raumladungsdichten vorhanden sind. Auch wenn wir
Damit bekommen wir entlang der z-Achse
das zugehörige Dirichlet-Randwertproblem
2
0 jz R j
2
1 1 2
.z/ D C p : .r/ D j D const für r 2 @Vj (12.67)
2z jz Rj jz C Rj z2 C R2
(12.66) nur für die einfachsten Konfigurationen explizit lösen werden
Für die anderen Richtungen von r kann das Integral können, so erlaubt uns das Superpositionsprinzip einige wich-
(12.64) nicht in geschlossener Form ausgewertet wer- tige Schlussfolgerungen bezüglich des Zusammenhangs von
den. Mit Mathematiksoftwarepaketen wie Mathematica elektrostatischem Potenzial und den elektrischen Ladungen in
oder Maple ist die numerische Auswertung aber problem- einem derartigen System. Die Lösung zu (12.67) ist wegen des
los. Der folgende Plot (produziert mit Mathematica) zeigt Superpositionsprinzips jedenfalls eine Linearkombination der
das Potenzial in der xz-Ebene. Das Potenzial ist extre- Form X
mal auf den Halbkugeln (hier Halbkreise). Im Innenraum .r/ D j Fj .r/; (12.68)
der Hohlkugel interpoliert das Potenzial stetig bis auf die j
Punkte, wo die Halbkugeln mit unterschiedlichem Poten-
wobei Fj .r/ die Lösung der Laplace-Gleichung ist, bei der das
zial aufeinander stoßen; im Außenraum fällt das Potenzial
Feld Fj auf @j V den Wert 1 und auf allen anderen Leiterober-
für große Abstände wie 1=r2 ab.
flächen den Wert 0 annimmt. Damit können wir die Ladung
2
Qi auf der Leiteroberfläche @Vi ebenfalls als Linearkombination
schreiben:
x/R 1
I I
0 1 1
Qi D df En D df @n
−1 4 4
−2 @Vi @Vi
1
2 3
X6 1 I 7
φ/φ0
D 4 df @n Fj 5 j
j
4
0 @Vi
X
DW Cij j ; (12.69)
j
−1
2 wobei wir verwendet haben, dass gemäß (12.37) die Oberflä-
1
0 chenladungsdichte durch die Normalableitung von ausge-
z/R −1 drückt werden kann. Die hier auftretenden Koeffizienten Cij
2 werden Kapazitätskoeffizienten genannt. Diese sind symme-
trisch, Cij D Cji , wie in Aufgabe 12.7 gezeigt wird. Der
Auch wenn hier das Problem letztlich durch numerische Kapazitätskoeffizient Cij gibt dabei an, wie viel Ladung der Lei-
Integration gelöst werden musste, ist zu betonen, dass das ter i trägt, wenn Leiter j eine Einheit an Potenzial trägt und alle
Auffinden einer Integraldarstellung nahezu so gut ist wie anderen Leiter geerdet und daher auf Potenzial 0 sind.
eine Lösung in geschlossener Form. Integrale können mit Kapazitätskoeffizienten haben demnach die physikalische Di-
mension Ladung/Potenzial, was im Gauß’schen System gleich
432 12 Elektrostatik
Zur Lösung der Laplace-Gleichung mit Dirichlet-Rand- plexen Variable eine harmonische Funktion darstellen
bedingungen gibt es weitere analytische und numerische (siehe den „Mathematischen Hintergrund“ 13.1).
Methoden, die spezielle Eigenschaften von harmonischen Zum Beispiel ist das Potenzial .x; y/ eines zweidimen-
Funktionen ausnützen (hier ohne die zugehörigen Beweise sionalen Plattenkondensators mit .x; ˙b/ D ˙ 0 für
angeführt). jyj b einfach durch D 0 y=b D . 0 =b/ Im z
gegeben. Die Geraden senkrecht dazu, gegeben durch
(a) Variationsrechnung: Harmonische Funktionen (Lösun- konstantes D . 0 =b/ Re z, stellen die elektrischen
gen der Laplace-Gleichung) können dadurch charakteri- Feldlinien dar. Mit komplexen Variablen z D x C iy
siert werden,R dass sie bei gegebenen Randbedingungen und u D C i ist die zugrunde liegende analytische
Teil II
das Integral V dV.r /2 minimieren. Wegen E D r Funktion einfach die lineare Funktion u D b0 z. Ana-
und (12.81) bedeutet dies physikalisch, dass die Lösung lytische Funktionen f .u/ stellen sogenannte konforme
die Feldenergie minimiert. Man kann dies ausnützen, um Abbildungen dar und liefern die Lösungen von Dirich-
Näherungslösungen zu finden, indem man eine hinrei- let-Randwertaufgaben für Probleme, wo die Randwerte
chend große Schar von Funktionen betrachtet, die alle die jetzt an anderen, geometrisch komplizierteren Orten an-
geforderten Randbedingungen erfüllen. Durch Variation genommen werden. Abbildung 12.12 wurde auf diese
der Parameter, von denen diese Funktionen abhängen, Weise berechnet. Die Transformation, die aus einem un-
sucht man dann nach einer, mit der obiges Energie-In- endlichen zweidimensionalen Plattenkondensator einen
tegral minimiert wird. macht, der bei x D Re z D 0 endet, ist
(b) Relaxationsmethode: Harmonische Funktionen können
auch durch ihre Mittelwerteigenschaft charakterisiert
0 0
werden. Sie sind gerade die Funktionen, für die gilt, zD uC e u= 0
C1 :
b
dass der Funktionswert im Mittelpunkt einer Kugel gleich
dem räumlichen Mittel über die Kugel ist. Dies kann Bei festgehaltenem Im u D gibt z. / eine Para-
zur Konstruktion von numerischen Näherungslösungen meterstellung der Äquipotenzialflächen, während eine
auf einem räumlichen Gitter verwendet werden, indem Variation von bei festem Re u D die dazu überall
man eine grobe Interpolation der Randwerte sukzessiv normalen elektrischen Feldlinien gibt. Beides lässt sich
dadurch verbessert, dass man bei jeder Iteration den Mit- leicht mit moderner Mathematiksoftware plotten.
telwert über die Nachbarn eines Gitterpunktes bildet und
diesen Wert als neuen Potenzialwert abspeichert. Diese
Methode wird Relaxationsmethode genannt. Literatur
(c) Viele Potenzialprobleme, die nur von zwei Koordinaten
abhängen, weil sie bezüglich der dritten translationsinva- Lehner, G.: Elektromagnetische Feldtheorie für Ingenieu-
riant sind, können mit Methoden der komplexen Funk- re und Physiker. 7. Aufl., Springer (2010)
tionentheorie extrem elegant gelöst werden, da Real- und Pollack, G.L., Stump, D.: Electromagnetism. Cummings
Imaginärteil jeder analytischen Funktion von einer kom- (2002)
Kapazität von zwei Leitern Das System aus zwei Leitern wird dann als Kondensator be-
Q zeichnet.
CD (12.70)
U Aus (12.70) lässt sich unmittelbar folgern, wie sich Kapazitäten
von Kondensatoren kombinieren, wenn sie wie in Abb. 12.11
12.5 Elektrische Kapazität 433
Teil II
Cparallel D D C1 C C2 : (12.72) und die Ladung auf den Platten
U
A
Wenn das lineare Gleichungssystem (12.69) invertierbar ist, Q1 D . 1 2/ D Q2 : (12.76)
4 d
kann man die Kapazität C eines einzelnen Kondensators aus den
Cij des Systems von zwei Leitern durch Inversion dieser Matrix Die Kapazitätskoeffizienten sind damit alle ˙A=.4 d/,
ausrechnen: und auch die Kapazität des Plattenkondensators kann di-
rekt als
C11 C22 C12 C21 A
CD : (12.73) CD (12.77)
C11 C C12 C C21 C C22 4 d
abgelesen werden. Diese Größen haben in unserem
Ist (wie in den folgenden zwei Beispielen) dieses Gleichungs-
Gauß’schen Einheitensystem alle offensichtlich die Di-
system entartet, weil z. B. für beliebige 1;2 immer Q1 D Q2
mension einer Länge. Die Kapazität ist direkt proportio-
gilt, dann vereinfacht sich das Problem sogar, und man kann C
nal zur Plattenfläche des Plattenkondensators und nimmt
schon aus einer der beiden Gleichungen ablesen.
mit kleiner werdendem Abstand der Platten rapide zu.
(Bei zu kleinem d erreicht die Feldstärke schließlich
Plattenkondensator einen Wert, der die Ladungsträger aus dem Leiter heraus-
reißt; der Kondensator „schlägt durch“.) J
Betrachten wir einen Plattenkondensator mit Plattenab-
stand d und einer so großen Fläche A pro Platte, dass
Randeffekte vernachlässigt werden können. Eine Platte Kugelkondensator
sei bei z D z1 , die andere bei z D z2 D z1 C d posi-
tioniert. Ein Kugelkondensator besteht aus konzentrischen leiten-
den Kugelschalen, die bei r D R1 für die innere und
z r D R2 für die äußere Schale liegen sollen.
φ2 Leiter − Q1
z2
+ Q1
− Q1
d Vakuum R1
+ Q1 R2
z1 φ1
φ1
Vakuum
φ2
Die allgemeine Lösung setzt sich gemäß (12.67) aus Lö- Leiter
sungen der Laplace-Gleichung zusammen, die jeweils 1
auf der einen und 0 auf der anderen Platte ergeben. Weil Für diesen können wir ebenso leicht die Kapazität aus-
die Laplace-Gleichung zwei Differenziationen enthält, rechnen, weil wir schon kugelsymmetrische Lösungen
434 12 Elektrostatik
ist dann explizit durch die Ladungsverteilung ausgedrückt: Schon in Kap. 11 waren wir mit einer solchen Schwierigkeit
konfrontiert: Bei der Lorentz-Kraft auf Punktladungen muss-
Z Z
1 1 .r/ .r0 / ten wir das Eigenfeld ausklammern, um keine Unendlichkeiten
WD dV .r/ .r/ D dVdV 0 : (12.83) zu bekommen, während es für die Lorentz-Kraftdichte von
2 2 jr r0 j
kontinuierlichen Ladungsverteilungen keine Probleme gab. Für
letztere muss auch bei den Energieausdrücken nichts abge-
Im ersten Ausdruck verwundert vielleicht der Faktor 1=2, denn
zogen werden, denn solange die Integrale regulär sind, sind
die potenzielle Energie einer Ladung q am Ort r in einem ge-
die Selbstenergiebeiträge von infinitesimalen Volumenelemen-
gebenen Potenzial .r/ ist einfach q .r/. Um dies besser zu
ten eben infinitesimal, d. h., sie verschwinden völlig, wenn sie
verstehen, zerlegen wir .r/ in Bestandteile i .r/ und schreiben
punktuell betrachtet werden.
X Wirkliche Punktladungen machen aber offenbar Probleme, wie
.r/ D i .r/: (12.84) im dynamischen Fall am Ende von Abschn. 18.4 nochmals dis-
Teil II
i
kutiert werden wird. Letzten Endes weisen diese Probleme über
die klassische Elektrodynamik hinaus und können erst in der
Aufgrund des Superpositionsprinzips können wir auch Quantenfeldtheorie beherrscht werden.
X
.r/ D i .r/; i .r/ D 4 i .r/ (12.85) Selbstenergie einer dünnen Kugelschale
i
Betrachten wir die Energie, die in einer homogen gelade-
aufspalten. Damit bekommen wir für (12.83) eine Doppelsum- nen infinitesimal dünnen Kugelschale mit Radius R und
me: Gesamtladung Q steckt. Die Ladungsverteilung ist dann
durch die Distribution
Z
1 XX
WD dV i .r/ j .r/ Q
2 i j .r; #; '/ D ı.r R/ (12.89)
4 R2
Z XZ (12.86)
1X
D dV i .r/ i .r/ C dV i .r/ j .r/: gegeben. Obwohl diese Ladungsverteilung nicht kontinu-
2 i i<j ierlich, sondern singulär ist, existiert damit das doppelte
Volumenintegral in (12.83) und kann ohne Weiteres di-
Hierbei stellt der erste Beitrag in der zweiten Zeile die Selbst- rekt ausgewertet werden (Aufgabe 12.8).
energien und der zweite Beitrag die Wechselwirkungsenergien Am einfachsten berechnet sich die Feldenergie aber über
der verschiedenen Teile der Ladungsverteilung dar. Wegen der die zugehörige Feldstärke und die Formel (12.81). Inner-
Symmetrie in letzterem, halb der Kugelschale ist das elektrische Feld null und
außerhalb durch
Z Z 0
i .r/ j .r /
dV i .r/ j .r/ D dVdV 0 ; (12.87) Q
jr r0 j Er .r/ D ; r>R (12.90)
r2
P P P gegeben. Damit ergibt sich
konnten wir statt 12 i6Dj D 12 i<j C 12 i>j im Wechsel-
P
wirkungsanteil i<j schreiben, und den Faktor 12 weglassen. Z1
Damit sehen wir, dass der Vorfaktor 12 in (12.83) gerade notwen- 1 Q2 2 Q2
WD 4 4
r dr D : (12.91)
dig war, um die Wechselwirkung von einem j mit den übrigen 8 r 2R
R
Ladungen nicht doppelt zu zählen.
Wenn die Ladungsverteilung nicht kontinuierlich ist, sondern Dieser Ausdruck divergiert, wenn R ! 0 geht und die
eine Anzahl von Punktladungen durch eine Summe von Dirac- Ladungsverteilung diejenige einer Punktladung wird. Mit
Delta-Funktionen darstellt, verliert der Selbstenergiebeitrag sei- der Einstein’schen Äquivalenz von Energie und Masse
nen Sinn – er wird schlicht unendlich. In diesem Fall behält man (Kap. 10) sollte eine solche Ladungsverteilung unend-
für die elektrostatische Energie nur den Wechselwirkungsanteil liche Masse bedingen. Der Wert von R, bei dem die
und ignoriert die unendliche Selbstenergie: Selbstenergie einer Elementarladung Q D e mit der Ru-
heenergie me c2 eines Elektrons übereinstimmt, sodass die
X qi qj 1 X qi qj Masse eines Elektrons durch die elektrische Feldenergie
W ww D D : (12.88) erklärt werden könnte, ist
jri rj j 2 jri rj j
i<j i6Dj
e2
RD : (12.92)
Im Gegensatz zum positiv definiten Ausdruck (12.81) kann 2me c2
W ww sowohl positiv als auch negativ sein.
436 12 Elektrostatik
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
12.1 Symmetrie der Dirichlet-Green-Funktion kosmische Strahlung
Zeigen Sie, dass eine Green’sche Funktion des Laplace-Ope- Ionosphare
¨ + + +
rators, die (12.13) und zusätzlich G.r; r0 / D 0 für r 2 @V + + + +
+ +
+ +
für ein Volumen V erfüllt, notwendigerweise symmetrisch ist + +
12.2 Atmosphärische Elektrizität In der Erdatmo- Abb. 12.13 Globaler atmosphärisch-elektrischer Stromkreis
sphäre gibt es neben starken und stark veränderlichen elektri-
Außerdem: Warum spüren wir die doch stattliche Schönwetter-
schen Feldern bei Gewittern auch ein permanentes atmosphä-
feldstärke von etwa 130 V=m nicht, obwohl auf eine Körper-
risches elektrisches Feld bei Schönwetter, das senkrecht zur
größe von 170 cm die bedrohlich hohe Spannung von 220 V
Erdoberfläche steht (nach unten gerichtet), mit einer mittleren
kommen sollte? (Bei besonders ionenarmer Luft und damit be-
Feldstärke von durchschnittlich etwa 130 V/m in SI-Einhei-
sonders hohem spezifischen Widerstand derselben erreicht die
ten. Entdeckt wurde dieses schon 1752 von Louis Guillaume
Feldstärke sogar oft ein Vielfaches davon.)
Le Monnier (1717–1799) und seither von Meteorologen und
Physikern ausgiebig studiert, aber erst um 1920 von dem No- Lösungshinweis: Um durchgehend in SI-Einheiten rechnen zu
belpreisträger und Erfinder der Nebelkammer C. R. T. Wilson können, übersetzen Sie am besten (12.37) zuerst in dieses Maß-
(1869–1959) als zu einem globalen elektrischen Stromkreis ge- system!
hörig verstanden, der von der beständigen Gewittertätigkeit auf
12.3 Geladene Halbkugelschale Eine dünne halb-
der Erde gespeist wird. Gewitter entladen Gewitterwolken, la-
kugelförmige Schale mit Radius R trage eine homogene Ober-
den aber dabei die Erdoberfläche negativ und die leitenden
flächenladungsdichte . Berechnen Sie das Potenzial entlang
Schichten der oberen Atmosphäre positiv auf (Abb. 12.13).
der Symmetrieachse! Überprüfen Sie Ihr Ergebnis, indem Sie
Außerhalb von Gewittern fließt ein beständiger winziger Entla-
das Potenzial im Kugelmittelpunkt ausrechnen, wofür keine In-
dungsstrom von einigen pA/m2 , der der andauernden Aufladung
tegrale zu lösen sind!
durch die Gewitter das Gleichgewicht hält. (Eine lesenswer-
te Diskussion der komplexen zugrunde liegenden Physik – die 12.4 Elektrische Influenz auf einer Ebene Berech-
immer noch nicht vollständig verstanden ist – findet sich bei nen Sie die Oberflächenladungsdichte (12.45), die eine Punkt-
Feynman et al. 2005, und eine aktuellere Diskussion z. B. bei ladung q im Abstand d vor einer Leiterhalbebene auf dieser
Harrison 2004.) influenziert, und verifizieren Sie, dass die Gesamtladung der
Leiteroberfläche den Wert q hat.
Die Erdoberfläche kann in guter Näherung als Leiteroberfläche
Lösungshinweis: Das Integral für die Gesamtladung wird am
betrachtet werden. Welche Oberflächenladungsdichte herrscht
besten in Polarkoordinaten ausgeführt.
demnach (bei Schönwetter) auf dieser (in SI-Einheiten)? Wie-
vielen Elektronen pro Quadratmillimeter entspricht dies? Wie 12.5 Elektrische Influenz auf geerdeter Kugel
groß ist die gesamte Ladung der Erdoberfläche (gegengleich der Berechnen Sie die Ladungsverteilung auf der geerdeten lei-
in der Atmosphäre vorhandenen)? tenden Kugel mit Radius R im Feld einer Punktladung q im
438 12 Elektrostatik
Abstand d vom Mittelpunkt der Kugel. (Plotten Sie das Ergebnis Lösungshinweis: Lösen Sie dieses Problem mithilfe der Di-
auch mit Mathematiksoftware, wenn Sie solche zur Verfügung richlet-Green-Funktion für die Ebene und werten Sie die (ele-
haben.) Überprüfen Sie das Ergebnis durch Integration über die mentare) Integration in radialer Richtung aus.
Kugeloberfläche, das mit dem Wert der Bildladung übereinstim-
men muss. 12.7 Kapazitätskoeffizienten und Dirichlet-Green-
Funktion Es sei GD die Dirichlet-Green-Funktion zu einer
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Bildladungslösung aus Konfiguration von N elektrischen Leitern mit voneinander ge-
Abschn. 12.4. trennten Oberflächen @Vj . Leiten Sie damit einen expliziten
12.6 Potenzial über einer Metallscheibe mit elek- Ausdruck für die Kapazitätskoeffizienten Cij in (12.69) her, der
trischer Spannung in geerdeter Ebene Bestimmen Sie das zeigt, dass diese symmetrisch sind, Cij D Cji , da GD immer
elektrostatische Potenzial oberhalb einer unendlich ausgedehn- symmetrisch ist, wie explizit in Aufgabe 12.1 bewiesen wurde.
ten leitenden geerdeten Ebene bei z D 0, in welche eine 12.8 Selbstenergie einer geladenen Kugelschale
Teil II
Metallscheibe mit Radius a eingefügt ist, die auf Potenzial Berechnen Sie die Selbstenergie einer homogen geladenen in-
CU gehalten wird. Der notwendige isolierende Spalt zwischen finitesimal dünnen Kugelschale mit Ladungsverteilung (12.89)
Scheibe und geerdeter Ebene soll dabei vernachlässigbar klein direkt über das doppelte Volumenintegral in (12.83).
sein. Das Potenzial senkrecht über dem Mittelpunkt der Schei-
be soll dabei in geschlossener Form ausgewertet werden; für Lösungshinweis: Verwenden Sie für die zwei Volumeninte-
den übrigen Raum ist eine Integraldarstellung aufzustellen, die grale Kugelkoordinaten und legen Sie die Polarachsen so, dass
optional numerisch ausgewertet und geplottet werden kann. eines der Integrale ein triviales Raumwinkelintegral hat.
Lösungen zu den Aufgaben 439
12.2 D 0 En 8;854 1012 .130/ C/m2 D 1;15 109 jzj
12.6 .0; 0; z/ D U 1 p
C/m2 , entspricht etwa 7000 Elektronen pro Quadratmillimeter. a 2 C z2
QErdoberfl: 590:000 C.
12.7
12.3 I I
1
p Cij D df r df 0 r 0 GD .r; r0 / (12.98)
R2 C z2 jR zj .4 /2
.z/ D 2 R ; .0/ D 2 R:
Teil II
@Vi @Vj
z
(12.96)
12.4 D qd=.2 r3/, wobei r die Distanz der Punktladung 12.8 (12.91)
vom betrachteten Punkt auf der Leiteroberfläche ist.
12.5
q .1 2 /
D (12.97)
4 R .1 C 2 2 cos #/3=2
2
12.1 Mit '.r0 / D G.r0 ; r1 / und .r0 / D G.r0 ; r2 / verschwindet Entlang der z-Achse ist der Integrand '-unabhängig, und man
mit der Voraussetzung G.r; r0 / D 0 für r 2 @V die rechte Seite bekommt
von (12.26), und man bekommt mit (12.13)
Z1
1
Z .z/ D 2 R 2
d.cos # 0 / p
dV 0 G.r0 ; r1 /0 G.r0 ; r2 / G.r0 ; r2 /0 G.r0 ; r1 / R C z 2R z cos # 0
2 2
0
1 p 2 ˇ1
Teil II
V
Z ˇ
D 2 R2 R C z2 2R z ˇ
D 4 dV 0 G.r0 ; r1 /ı.r0 r2 / G.r0 ; r2 /ı.r0 r1 / D 0 Rz D0
p p
R2 C z2 .R z/2
V D 2 R
z
p
und daher G.r2 ; r1 / G.r1 ; r2 / D 0. G ist also symmetrisch R2 C z2 jR zj
D 2 R : (12.101)
in den Argumenten und erfüllt damit neben der vorausgesetzten z
Eigenschaft G.r; r0 / D 0 für r 2 @V auch G.r0 ; r/ D 0 für r0 2
@V, was gemäß (12.29) die Dirichlet-Green-Funktion definiert. Vom Kugelmittelpunkt bei z D 0 haben alle Ladungsbeiträge
die Distanz R. Das Potenzial bei z D 0 ist daher .0/ D Q=R
(Neumann-Green-Funktionen sind nicht notwendigerweise mit Q D .4 R2 /=2. Dies stimmt mit dem Limes z ! 0 von
symmetrisch, aber auch nicht eindeutig definiert. Es ist aller- (12.101) überein: .0/ D 2 R.
dings immer möglich, aus einer unsymmetrischen eine symme- 12.4 Das in (12.44) erhaltene Potenzial lautet in kartesischen
trische zu machen. Für einen expliziten, konstruktiven Beweis Koordinaten
siehe Kim & Jackson 1993.)
q q
.r/ D p p :
12.2 Wegen (11.90) und (11.92) wird aus (12.37) beim Über- x2 C y2 C .z d/2 x C y C .z C d/2
2 2
Menschen, aber auch die meisten anderen Objekte auf der Erde Die Gesamtladung ergibt sich durch Integration über die Ebene
sind (insbesondere im Vergleich zur Luft) relativ gute Leiter. z D 0:
Ihre Oberfläche bildet zusammen mit der Erdoberfläche eine
Äquipotenzialfläche, sodass zwischen Scheitel und Sohle eines Z Z2 Z1
q d
Menschen keine nennenswerten elektrischen Spannungen auf- QD dxdy D d' d% %
treten (Abb. 12.14). 2 .%2 C d 2 /3=2
0 0 (12.104)
ˇ1
ˇ
12.3 Das Problem kann durch Integration von (12.11) gelöst qd ˇ
D p ˇ D q:
werden, wobei das Integral nur über eine Hemisphäre (cos # 0 > % Cd ˇ
2 2
0
0) bei r0 D R geht:
12.5 Auf der Kugeloberfläche ist
Z2 Z1
1 ˇ
.r/ D R2 d' 0 d.cos # 0 / : (12.100) 1 @ ˇˇ
jr r0 j D : (12.105)
0 0 4 @r ˇrDR
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 441
+300 V
+300 V
+200 V
+200 V − −
−
− −
+100 V −
E = 130 V/m −
+100 V −
−
− −
− −
0 − − − − − − − − − − − − − 0 − − − − − − − − − − −
Teil II
Abb. 12.14 Die Erdoberfläche bildet zusammen mit Objekten darauf eine Äquipotenzialfläche. Das permanente atmosphärische elektrische Feld bei Schönwetter
wird dadurch deformiert
Das Potenzial, das von Ladung und Bildladung zusammen (12.59) folgt
erzeugt wird, ist in der Parametrisierung aus (12.47) für allge-
meine r Z2 Za
d' RdR
.x; y; z/ D Ujzj
q q 0 2 .R2 C 2 2R cos ' C z2 /3=2
D p Cp : 0 0
r2 C d2 2dr cos # r2 C d 02 2d 0 r cos # Z2 "
(12.106) d' 1 p
D Ujzj 2 C z2
Daraus ergibt sich 2 z2 C 2 sin '
2
0
#
ˇ ˇ 2
C z2 a cos '
ˇ @ ˇˇ p
Er ˇ D ˇ a2 C 2 C z2 2a cos '
rDR @r rDR
p (12.109)
R d cos #
Dq C .q ! q0 ; d ! d 0 /: mit D x2 C y2 . Dieses Integral kann nicht in geschlossener
ŒR2 C d 2 2dR cos #3=2 Form ausgewertet werden; eine numerische Auswertung ist in
Abb. 12.15 wiedergegeben. Für D 0 wird aber das '-Integral
Nach Einsetzen von q0 D qR=d und d 0 D R2 =d findet man, trivial, und wir erhalten
dass sich der Kosinus im Zähler weghebt und sich das Ergebnis
als jzj
.0; 0; z/ D U 1 p : (12.110)
a 2 C z2
1 1 qR d2
D Er D 1
4 4 ŒR2 C d 2 2dR cos #3=2 R2
(12.107) φ/U
schreiben lässt bzw. mit D R=d wie oben angegeben. 1,0
0,6
Z1
Q D 2 R2 d.cos #/
0,4
1
Z1
q 1 0,2
D .1 2 / d.cos #/
2 .1 C 2 2 cos #/3=2
1
D q D q0 : 0 0,5 1 1,5 2 ρ/a
(12.108)
Abb. 12.15 Numerische Auswertung von in (12.109) als Funktion von für
zunehmende vertikale Abstände z D 0 : : : 2 in 0,1-Schritten. Bei z D 0 ist
12.6 Aus der allgemeinen Lösung (12.30) mit D 0 und dem das Potenzial stufenförmig, bei höheren Abständen dagegen glatt, wobei es für
Resultat für die Normalableitung der Dirichlet-Green-Funktion > a nichtmonotones Verhalten als Funktion von z aufweist
442 12 Elektrostatik
12.7 Die Lösung der Dirichlet-Randwertaufgabe ist formal 12.8 Auszuwerten ist
durch (12.30) gegeben, wobei die Raumladungsdichte D 0
ist, da alle Ladungen auf dem Z1 Z Z1 Z
P Rand des Volumen V lokalisiert 1
sind, das durch V D Rn. Vj / gegeben ist. Zu beachten ist WD r dr d r02 dr0 d0
2
2
dabei, dass die vektoriellen Oberflächendifferenziale df ins Äu- 0 0
ßere von V zeigen, während die Oberflächendifferenziale df i 2
Q ı.r R/ ı.r0 R/ (12.113)
der einzelnen Leitervolumina Vi in p
4 R2 r2 C r02 2r r0
I 2 Z Z 0
1 Q d d 1
Qi D df r (12.111) D p ;
4 2 4 4 2R .1 cos /
2
@Vi
von den Leitern weg orientiert sind. Unter Berücksichtigung des wobei der Winkel zwischen den Richtungen und 0 ist.
Teil II
Vorzeichenwechsels bei der Einschränkung df ! df i auf @Vi Da über alle Richtungen integriert wird, können wir für 0 aber
können wir mithilfe von (12.30) das Potenzial angegeben als die Winkel # 0 und ' 0 so einführen, dass die zweite Einheitsku-
gel ihren Nordpol bei # D 0 hat. Damit können wir durch
I # 0 ersetzen, das erste Raumwinkelintegral wird trivial, und wir
1 X
.r/ D C i df 0 r GD .r; r0 /; (12.112) bekommen
4 i
@Vi
Z1
Q2 1 Q2
wobei wir .r0 / D i auf @Vi verwendet und vor das Integral WD p d.cos # 0 / p D : (12.114)
gezogen haben, da es auf einer Leiteroberfläche eine Konstante 4 2R 1 cos # 0 2R
1
ist. Einsetzen
P von (12.112) in (12.111) erlaubt es, die Cij gemäß
Qi D j Cij j abzulesen. Wir sehen, dass in dieser Rechnung – im Gegensatz zu (12.91) –
der Integrand für die Selbstenergie zwar singulär, aber integra-
bel ist.
Literatur 443
Literatur
Teil II
Kim, K.-J., Jackson, J.D.: Proof that the Neumann Green’s func-
tion in electrostatics can be symmetrized. Am. J. Phys. 61,
1144–1146 (1993)
Vollständige
Funktionensysteme:
13
Fourier-Transformation und
Multipolentwicklung
Teil II
Wie kann das Konzept der
Fourier-Reihen auch auf
nicht periodische
Funktionen erweitert
werden?
Welche mathematischen
Hintergründe stecken
hinter einer Fourier-Reihe?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_13, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 445
446 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
Nach der Betrachtung der Grundgleichungen der Elektrodynamik hier speziell mit c D T=2 gewählt. In der ersten Gleichung er-
und elektrostatischer Probleme in Kap. 11 und 12 werden wir nun weitern wir zunächst die Summanden mit !:
einige mathematische Methoden kennenlernen, die nicht nur für die 1
X cj ij!t
Elektrodynamik, sondern auch für viele andere Gebiete der theore- f .t/ D ! e : (13.2)
tischen Physik große Bedeutung haben. jD1
!
Wir bauen dafür zunächst auf den Fourier-Reihen auf, die wir in Ab- Die Summe läuft hier über unendlich viele Frequenzen !j D j!.
schn. 8.3 kennengelernt haben. Die Idee der Fourier-Reihen kann Der Abstand der einzelnen Frequenzen ist dabei !jC1 !j D
man auf mehrere Weisen verallgemeinern. Einerseits gelangt man ! DW !. Es ergibt sich also
so zum Fourier-Integral, das in Abschn. 13.1 diskutiert wird. Zur
eigentlichen Berechnung dieser Integrale benötigt man häufig eini- 1
X
ges Grundwissen aus der komplexen Funktionentheorie, die auch in f .t/ D ! fQ .!j /ei!j t
Teil II
Z1
1
Allgemeiner Formalismus f .t/ D p d! fQ .!/ei!t
2
1
(13.5)
Z1
1
Wir gehen aus von der Exponentialdarstellung (8.83) und (8.84) mit fQ .!/ D p dt f .t/ei!t :
der Fourier-Reihe einer periodischen Funktion f .t/ mit Periode 2
1
T und Kreisfrequenz ! D 2 =T:
1
X Die Funktion fQ .!/ heißt die (kontinuierliche) Fourier-Trans-
f .t/ D cj eij!t
formierte der Funktion f .t/ – und entsprechend f die Fourier-
jD1
Rücktransformierte von fQ . Auch hier spricht man oft von einer
(13.1) Fourier-Analyse der Funktion f . Einige wichtige Eigenschaf-
ZT=2
1 ten der Fourier-Transformation sind im Kasten „Übersicht:
mit cj D dt f .t/eij!t ; Wichtige Eigenschaften der Fourier-Transformation“ zusam-
T
T=2 mengestellt.
13.1 Das Fourier-Integral 447
a b
I I˜
1
1
0,5
0,5
Teil II
−4 −2 0 2 4 t −4 −2 0 2 4 ω
Abb. 13.1 Die Fourier-Transformierte QI .!/ einer Gauß’schen Glockenkurve I.t/ D I0 et
2 = 2
(a) ist wieder eine Gauß’sche Glockenkurve (b). Hier dargestellt sind
speziell die Kurven für D 2 und I0 D 1
Ausgehend von der allgemeinen Definition (13.5) kann man Für quadratintegrable Funktionen (also Funktionen, bei
viele allgemeine Aussagen über Fourier-Transformierte tref- denen das Integral über ihr (Betrags-)Quadrat endlich ist),
fen: gilt der Satz von Plancherel:
B
Linearität: ˛f C ˇg D ˛ fQ C ˇ gQ
Verschiebung: wenn g.t/ D f .t C a/ ist, dann ist gQ .!/ D Z1 Z1
ei!a fQ .!/ dt jf .t/j2 D d! jfQ .!/j2
Komplexe Konjugation: fe .!/ D fQ .!/; Fourier-Trans- 1 1
formierte von reellen Funktionen (f D f ) sind also
immer gerade Funktionen (fQ .!/ D fQ .!/)
Ableitung entspricht Multiplikation mit Frequenz: (siehe dazu auch Kap. 22). Da die Energiedichte einer
e
f 0 .!/ D i! fQ .!/ Welle ja im Allgemeinen durch das Quadrat der Ampli-
Eine Multiplikation zweier Funktionen entspricht einem tude gegeben ist, bedeutet dies anschaulich: Die gesamte
„Faltungsintegral“: Energie in einer Welle ist dieselbe, gleichgültig, ob man
A
.f g/.!/ D p
1 R1
1 d! g
0
Q .! 0 / fQ .! ! 0 /
diese als Integral über die Zeit oder über die Frequenz-
komponenten berechnet.
2
Gauß-Kurve
Zunächst werden die beiden Exponenten zusammenge-
Eine Gauß’sche Glockenkurve (Abb. 13.1a) ist ein be- fasst, und der Vorfaktor wird ausgeklammert:
sonders einfaches Signal. Für die Intensität gilt dabei in
Z1
Abhängigkeit von der Zeit: I0 1 2
IQ .!/ D p dt exp 2 .t C i! t/ : (13.8)
2
2
I.t/ D I0 et
2 = 2
: (13.6) 1
Die Kurve hat also die „zeitliche Breite“ t D . Quadratische Ergänzung im Exponenten führt auf
Die Fourier-Transformierte ist dann IQ .!/ (13.9)
Z1 Z1 2
!!
1 I0 1 i! 2 !2 4
IQ.!/ D p dt I0 et
2 = 2
ei!t : (13.7) D p dt exp tC C :
2 2 2 2 4
1 1
448 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
a V b
Ṽ
0 0
2 4 r
2 4 k
−10
−2
−20
−4 −30
Teil II
Abb. 13.2 Für einen sphärischen Potenzialtopf (a) (siehe (13.20)) ergibt sich die in (b) dargestellte Fourier-Transformierte. Dargestellt ist jeweils der Radialanteil,
hier speziell für die Parameter V0 D 5 und R D 3
Z1 Q Q
I0 02 pspeziell für t0 D 0 die konstante Funktion ı0 .!/ D ı.!/ D
also
IQ .!/ D p e ! =4 dt0 et :
2 2
(13.11) 1= 2 . Dieses Ergebnis erhält man auch durch einen geeigne-
2 ten Grenzübergang: Die Fourier-Transformierte von
1
p
Das übrige Integral ergibt einen Faktor (siehe For- 1
p et =
2 2
f .t/ D (13.15)
melsammlungen; eine Herleitung findet sich im Kas-
ten „Vertiefung: Das uneigentliche Integral über die
Gauß’sche Glockenkurve“). (Da t0 komplex ist, müsste ist laut dem Ergebnis (13.12)
man hier eigentlich noch genauer argumentieren, dass das 1
fQ .!/ D p e ! =4 :
2 2
Integral überhaupt konvergiert. Dafür werden aber Me- (13.16)
2
thoden der komplexen Funktionentheorie benötigt, die an
dieser Stelle nicht diskutiert werden sollen.) Für ! 0 gilt f .t/ ! ı.t/, also folgt wieder
Die Fourier-Transformierte einer Gauß-Kurve ist damit Q 1
ı.!/ D p : (13.17)
I0 2
IQ.!/ D p e ! =4 ;
2 2
(13.12)
2 Mit (13.5) ergibt sich daraus schließlich der wichtige Zusam-
also wieder eine Gauß-Kurve (Abb. 13.1b)! Die Breite die- menhang
Z1
ser Kurve im „Frequenzraum“ ist allerdings ! D 2=, 1
ı.t t0 / D ei!.tt0 / d!: (13.18)
d. h., je schmäler das ursprüngliche Signal ist, desto breiter 2
ist die Kurve seiner Fourier-Transformierten. J 1
Man kann zeigen, dass ein ähnlicher Zusammenhang wie hier bei
der Gauß-Kurve allgemein zwischen jedem zeitlichen Signal und Räumliche Fourier-Transformierte
seiner Fourier-Transformierten besteht. Insbesondere ergibt sich
t ! D 2I (13.13) Eine weitere mögliche Verallgemeinerung ist es, auch für Funk-
tionen des Raumes die Fourier-Transformierte zu berechnen.
dies wird auch in der Quantenmechanik noch eine große Rolle
spielen (wo dann auch genau definiert wird, was man im allge- Frage 1
meinen Fall unter der Breite einer Kurve zu verstehen hat).
Überlegen Sie sich, wie die entsprechende Darstellung für eine
Wie in Kap. 11 besprochen wurde, kann man insbesondere die Funktion der drei Raumkoordinaten aussehen muss.
Deltafunktion als eine unendlich schmale, aber auch unendlich
13.1 Das Fourier-Integral 449
Teil II
und y in dieser Ebene kann man aber genauso gut auch Po-
0 12 0 10 1
Z1 Z1 Z1 larkoordinaten r und ' verwenden. Man kann also schreiben:
@ ex2
dxA D @ x2
e dxA @ ex2
dxA :
Z2 Z1
1 1 1
d' rdr er :
2
D
0 0
Die beiden Integrale sind unabhängig voneinander, also kann
man im zweiten Integral die Integrationsvariable auch umbe-
Das Integral über ' ergibt sofort 2 , das Integral über r ist
nennen:
auch leicht auszuwerten (beispielsweise mittels der Substitu-
0 10 1 tion z D r2 ) und ergibt 1=2. Insgesamt ist also
Z1 Z1
D@ ex2
dxA @ y2
e dyA : 0 12
Z1
1 1 @ ex2
dxA D :
1
Diese beiden Integrale kann man nun wiederum zu einem
doppelten Integral zusammenfassen, außerdem kann man die Damit ist die im Text verwendete Formel bewiesen.
Im z
Auch das Integral über den Radius ist nun leicht auszu-
werten; das Endergebnis ist Weg II
z2
2V0 kR cos.kR/ sin.kR/
Q
V.k/ Q
D V.k/ D p : (13.24)
2 k3
z1
Abb. 13.3 Jeden Weg I zwischen zwei Punkten z1 und z2 der komplexen Ebene
Zur Berechnung von Fourier-Transformierten wird über kom- kann man auch darstellen als einen anderen Weg II plus einen geschlossenen
plexwertige Funktionen integriert; die Integrationsvariable ist Weg III
aber immer noch reell. In vielen Fällen kann die Integration er-
leichtert (oder sogar erst ermöglicht) werden, indem man auch Abschnitt beschäftigen, für erstere gilt zunächst der Integralsatz
für die Integrationsvariable komplexe Zahlen zulässt. Im Fol- von Cauchy (nach dem französischen Mathematiker Augustin
genden wird zunächst diskutiert, worauf bei Integrationen in Louis Cauchy, 1789–1857, der viele zentrale Beiträge zur Theo-
der komplexen Zahlenebene zu achten ist. Anschließend wird rie der komplexen Funktionen leistete).
an einem Beispiel gezeigt, wie diese Methoden bei der Fourier-
Transformation anwendbar sind.
Cauchy’scher Integralsatz
Für jeden geschlossenen Weg, der ein Gebiet der komple-
Cauchy’scher Integralsatz xen Ebene einschließt, in dem eine Funktion f analytisch
ist, gilt I
Ist die Integrationsvariable in einem Integral komplex, so ist zu- f .z/ dz D 0: (13.25)
nächst zu beachten, dass von einem Punkt in der komplexen
Ebene zu einem anderen integriert wird. Von einem Punkt zu
einem anderen gibt es aber in der Ebene unendlich viele verschie-
dene Wege. Das Integral ist somit nur dann eindeutig definiert, Das bedeutet aber, dass für Integrale über solche Funktionen
wenn sein Wert vom gewählten Weg unabhängig ist. Hier soll zu- der Wert vom gewählten Weg unabhängig ist, denn man kann
nächst untersucht werden, unter welchen Voraussetzungen dies jedes Integral entlang eines Weges in ein Integral über einen
der Fall ist. Dafür müssen wir aber erst einige wichtige Begriffe anderen Weg plus ein geschlossenes Wegintegral umschreiben
der (komplexen) Funktionentheorie kennenlernen. (Abb. 13.3):
Das Integral
Z1 Das Residuum eines Pols ist in gewissem Sinne ein Maß für sei-
z2 dz (13.27) ne „Stärke“: Betrachtet man speziell eine einfache gebrochen-
1
rationale Funktion wie
Teil II
a
soll berechnet werden. f .z/ D ; (13.32)
z z0
Einerseits kann man die direkte Verbindungsstrecke
zwischen den beiden Punkten der komplexen Ebene so ist
auf der reellen Achse als Integrationsweg verwenden a
(Abb. 13.4a): Resz0 f .z/ D lim .z z0 / D a: (13.33)
z!z0 z z0
Z1 Z1 1 (Allgemeiner ist das Residuum der Koeffizient des Summanden
1 3 2 1=.z z0 / in einer Laurent-Reihenentwicklung an der Polstelle;
z dz D
2
x dx D
2
x D ; (13.28)
3 1 3 siehe „Mathematischen Hintergrund“ 13.3.)
1 1
Der Residuensatz macht analog zum Cauchy’schen Integralsatz
wobei x für den Realteil von z geschrieben wurde. Ande- eine Aussage über das Ergebnis eines geschlossenen Weginte-
rerseits könnte man aber auch entlang eines Halbkreises grals in der komplexen Ebene.
integrieren (Abb. 13.4b):
Z1 Z0 0 Residuensatz
1 3i' 2
z2 dz D e2i' iei' d' D ie D ; (13.29)
3i 3 Für jeden geschlossenen Weg, der ein Gebiet der komple-
1 xen Ebene einschließt, in dem eine meromorphe Funktion
f nur isolierte Polstellen z1 ; : : : ; zn hat, gilt
wobei die Substitution z D ei' verwendet wurde.
I X n
Da die Funktion f .z/ D z2 im betrachteten Gebiet (und f .z/ dz D 2 i Reszj f .z/: (13.34)
sogar in ganz C) analytisch ist, ergibt sich für beide Wege jD1
(und auch alle anderen) derselbe Wert des Integrals. J
Bisher haben wir fast ausschließlich reellwertige Funktionen der Definition her sind holomorphe Funktionen zunächst nur
betrachtet. Wir werden uns jetzt fragen, wann wir Abbildun- differenzierbar und nicht glatt. Eine schöne Eigenschaft ist
gen der Form f W G C ! C (komplex) differenzierbar aber, dass einmal differenzierbar bei holomorphen Funktio-
nennen, und sehen, dass die komplexe Differenzierbarkeit nen automatisch unendlich oft differenzierbar bedeutet.
zwar genauso definiert ist wie im Reellen, aber dass die
holomorphen Funktionen (das sind Funktionen, die überall Betrachten wir die reelle Auffassung einer komplexen Funk-
tion, so erhalten wir die Jacobi-Matrix (das Differenzial) von
komplex differenzierbar sind) schöne Eigenschaften besit-
zen, die für reelle Funktionen nicht gelten. f gerade durch
Teil II
Gebiet und komplexe Funktionen Eine offene Teilmenge ux .z0 / uy .z0 /
.Df /jz0 D :
G C heißt ein Gebiet, wenn G zusammenhängend ist, vx .z0 / vy .z0 /
d. h. sind U; V G zwei offene, disjunkte Teilmengen mit
U [ V D G, so gilt entweder U D ; oder V D ;. Insbesondere existieren also die ersten partiellen Ableitun-
gen der Komponentenfunktionen u und v . Sind umgekehrt u
Ein Beispiel für ein Gebiet ist die offene Kreisscheibe D D und v partiell differenzierbar und sind die Ableitungen ste-
fz 2 C W jzj < Rg. tig, so ist auch f reell-differenzierbar, und es gilt
Eine komplexe Funktion ist einfach eine Funktion der Form
f W G C ! C. ux uy
Df D : (1)
vx vy
Eine komplexe Funktion bildet also eine Teilmenge G C
in die komplexen Zahlen C ab. Somit ist für eine komple-
xe Zahl z 2 G C auch der Funktionswert f .z/ 2 C eine Komplexe Struktur und Cauchy-Riemann’sche-Differenzi-
komplexe Zahl. Wir können daher mit z D x C i y auch f .z/ algleichungen Die lineare Abbildung J, gegeben durch
in Real- und Imaginärteil zerlegen. Wir erhalten dann zwei
Funktionen u; v W G R2 ! R2 (da C R2 ) mit 0 1
J WD ;
1 0
f D u C i v ; f .z/ D f .x C i y/ D u.x; y/ C i v .x; y/:
die der Multiplikation mit i entspricht, heißt komplexe Struk-
Zusammenfassend: Zu einer komplexen Funktion f : G ! tur.
C gibt es immer eine reelle Darstellung f .x; y/ D
Multiplizieren wir die Matrix aus (1) mit der komplexen
.u.x; y/; v .x; y// und eine komplexe Auffassung f .z/ D f .xC
Struktur J und nutzen aus, dass dies sowohl von links als
i y/ D u.x; y/ C i v .x; y/. Dies entspricht auch unserer Vor-
auch von rechts auf dasselbe Ergebnis führen sollte (da (1)
stellung einer komplexen Zahl z, die wir in kartesischer Form
eine komplexe Zahl darstellen soll), so erhalten wir ge-
z D xCiy oder als Zahlenpaar z D .x; y/ auf der Gauß’schen
rade die sogenannten Cauchy-Riemann’schen-Differenzial-
Zahlenebene schreiben können.
gleichungen
Holomorphe Funktionen Sei G C ein Gebiet. Eine Funk-
tion f W G ! C heißt in z0 2 G komplex differenzierbar, uy ux ux uy 0 1
D
wenn vy vx vx vy 1 0
f .z/ f .z0 / 0 1 ux uy vx vy
D D ;
f 0 .z0 / WD lim 1 0 vx vy ux uy
z!z0 z z0
und so
existiert. f heißt in G holomorph, wenn f 0 .z/ für alle z 2 G
existiert.
ux D vy und uy D vx :
Die holomorphen Funktionen im Komplexen sind quasi die
glatten Funktionen im Reellen. Deshalb ist die komplexe Daraus folgt sofort, dass Real- und Imaginärteil analytischer
Differenzierbarkeit auch gerade so definiert wie die reelle Funktionen jeweils die Laplace-Gleichung erfüllen:
Differenzierbarkeit, und zwar mithilfe des Differenzenquo-
tienten, wie man dies aus der Analysis kennt. Genauer: Von u D uxx C uyy D 0 und v D vxx C vyy D 0:
13.2 Integrale in der komplexen Ebene 453
a Im z b Im z
1 1
−1 1 Re z −1 1 Re z
Teil II
−1 −1
R1
Abb. 13.4 Zur Berechnung des Integrals 1 z2 dz können verschiedene Integrationswege in der komplexen Ebene benutzt werden, z. B. (a) entlang der reellen
Achse oder (b) auf einem Halbkreis in der oberen Halbebene
Für ein Gebiet G C und eine komplexe Funktion f W G ! weise die Formel von Cauchy-Hadamard
C kann gezeigt werden, dass folgende Aussagen äquivalent
sind: 1
rD p
lim supn!1 n
jan j
f ist in G holomorph.
f ist in G unendlich oft komplex differenzierbar. bzw. die Formel
f ist in jedem Punkt z0 2 G in eine Potenzreihe der Form
jan j
r D lim ;
Teil II
1
X n!1 janC1j
f .z/ D an .z z0 /n
immer unter der Voraussetzung, dass die Grenzwerte über-
nD0
haupt existieren.
.n/
mit an D f nŠ.z0 / entwickelbar.
f ist in G reell-differenzierbar, und es gelten in G die Beispiele
Cauchy-Riemann’schen Differenzialgleichungen.
Jeder Punkt in G besitzt eine offene Umgebung, in der f Wir betrachten die Funktion f .z/ D z3 . Dann ist natür-
eine Stammfunktion besitzt. lich f 0 .z/ D 3z2 . Weiter errechnet man, dass u.x; y/ D
x3 3xy2 und v .x; y/ D 3x2 y y3 und folglich
Die Cauchy-Riemann’schen Differenzialgleichungen liefern
ux .x; y/ D 3x2 3y2 D vy .x; y/;
also ein gutes Kriterium, um zu entscheiden, ob eine Funkti-
on komplex differenzierbar ist oder nicht. uy .x; y/ D 6xy D vx .x; y/:
Da die partiellen Ableitungen stetig sind, ist f reell-diffe-
Potenzreihen
P im Komplexen Gegeben sei eine Potenzreihe
renzierbar. Die Cauchy-Riemann’schen Differenzialglei-
f .z/ D 1nD0 an .z a/ . Dann tritt genau einer der drei Fälle
n
chungen sind ebenfalls erfüllt, und daher ist f holomorph.
auf:
Betrachte die Funktion f .z/ D z, die jeder komple-
f konvergiert in nur einem Punkt z0 D a. xen Zahl ihr komplex Konjugiertes zuordnet. Dann gilt
f konvergiert auf ganz C. f .z/ D f .x C i y/ D x i y und somit u.x; y/ D x und
Es existiert ein eindeutig bestimmtes r 0 mit der v .x; y/ D y. Folglich erhalten wir
Eigenschaft, dass f in einem Kreis um a mit Radius r kon-
vergiert und außerhalb divergiert. ux .x; y/ D vy .x; y/ und uy .x; y/ D vx .x; y/:
Auch die Formeln zur Berechnung von r sind genauso wie Freitag, E., Busam, R.: Funktionentheorie 1. 4. Aufl.,
die in Analysis-Vorlesungen behandelten. Es gilt beispiels- Springer (2006)
13.2 Integrale in der komplexen Ebene 455
Wir haben bereits erfahren, wann man komplexe Funktionen Laurent-Reihen Da Funktionen mit isolierten Singularitäten
differenzierbar nennt. Wir wollen nun Funktionen betrach- „fast“ überall holomorph sind, lassen sie sich auch „fast“ als
ten, die noch „fast“ überall holomorph sind. Dazu sei G C Potenzreihe darstellen.
ein Gebiet.
Eine Laurent-Reihe ist eine Reihe der Form
Definition isolierte Singularitäten Ist f : G ! C eine 1
holomorphe Funktion und z0 2 C, so heißt z0 isolierte Sin- X
L.z/ D an .z z0 /n
gularität von f , wenn es ein r > 0 gibt, sodass
Teil II
nD1
fz 2 C W jz z0 j < rgnfz0 g G; 1
X X1
an
WD C an .z z0 /n :
d. h., wenn es eine Umgebung von z0 gibt, die ganz in G liegt, nD1
.z z 0 / n
nD0
sodass f dort überall bis auf Ausnahme von z0 holomorph
ist. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von isolier- Die erste Summe auf der rechten Seite nennt man Hauptteil,
ten Singularitäten: die zweite nennt man Nebenteil der Laurent-Reihe. a1 ist
genau das im Text besprochene Residuum der Funktion bei
Eine isolierte Singularität heißt hebbar, wenn es eine ho- z0 .
lomorphe Funktion g W G [ fz0 g ! C gibt, sodass g
eingeschränkt auf G wieder f ist. Eine Laurent-Reihe ist zunächst einmal einfach die formale
Eine isolierte Singularität heißt Pol, wenn lim jf .z/j ! Summe von zwei unendlichen Reihen, im Prinzip also eine
z!z0
1. Potenzreihe, die sowohl positive als auch negative Potenzen
Eine isolierte Singularität heißt wesentlich, wenn sie we- hat. In dem Fall, dass Haupt- und Nebenteil konvergieren,
der hebbar noch Pol ist. ist die Laurent-Reihe auch als Funktion definiert als Sum-
me der Teile. Das Konvergenzgebiet ist in diesem Falle ein
Kreisring.
Eine hebbare Singularität ist also eine Singularität, die ei-
gentlich gar keine ist, und ein Pol ist eine Singularität, bei Ist f : G ! C eine holomorphe Funktion mit einer isolier-
der die Funktion betragsmäßig gegen 1 geht. Wichtig ist ten Singularität in z0 , so ist f um z0 in eine Laurent-Reihe
jedoch, dass die Singularitäten isoliert liegen müssen, d. h. entwickelbar.
weder am Rand des Definitionsbereichs noch gehäuft auftre- Mit Laurent-Reihen kann man nun die Art der isolierten Sin-
ten dürfen. gularität klassifizieren:
Hat f an der Stelle z0 einen Pol, so ist die Funktion 1=f in
einer Umgebung von z0 definiert, und es gilt .1=f /.z0/ D 0. z0 ist genau dann hebbar, wenn der Hauptteil verschwin-
Die Ordnung des Pols von f ist definiert als die Ordnung der det.
Nullstelle von 1=f . Dabei hat eine Funktion g an der Stelle z0 ist genau dann Pol n-ter Ordnung, wenn an ¤ 0 und
z0 genau dann eine Nullstelle der Ordnung n, wenn am D 0 für alle m > n.
z0 ist genau dann wesentlich, wenn der Hauptteil eine un-
g.z0 / D g0 .z0 / D D g.n1/ .z0 / D 0; g.n/ .z0 / ¤ 0: endliche Summe ist.
Die Funktion f .z/ D z=z hat bei z0 D 0 eine durch Meromorphe Funktionen Dies sind Funktionen, die bis
f .0/ D 1 hebbare Singularität. auf isolierte Singularitäten überall holomorph sind. Genau-
Die Funktion f .z/ D 1=zn hat bei z0 D 0 einen Pol n-ter er nennt man eine Funktion f meromorph in G, wenn es eine
Ordnung. Teilmenge P.f / G gibt, sodass gilt:
Die Funktion f .z/ D exp.1=z/ hat bei z0 D 0 eine
wesentliche Singularität. Dabei ist die komplexe Expo- Die Menge P.f / besitzt keinen Häufungspunkt in G.
nentialfunktion exp wie im Reellen durch die Potenzrei- f ist in GnP.f / holomorph, und jeder Punkt von P.f / ist
henentwicklung erklärt. entweder hebbar oder ein Pol.
456 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
Beispiele Literatur
Sind p und q Polynome, so ist f .z/ D p.z/=q.z/ eine me-
Freitag, E., Busam, R.: Funktionentheorie 1. 4. Aufl.,
romorphe Funktion.
Springer (2006)
Ist f ¤ 0 holomorph, so ist 1=f meromorph. Auch für
meromorphes f ¤ 0 ist 1=f meromorph.
Die Funktion exp.1=z/ ist nicht meromorph.
ZR Z
Geschlossener Integrationsweg im Unendlichen 1 iRei'
dzrA D d' C : (13.46)
1 C z2 1 C R2 e2i'
R 0
Um diese Methode zu verdeutlichen, betrachten wir als
einfaches Beispiel das Integral
Im z
Z1
1
dx: (13.42) R
1 C x2 Hk
1
Polstelle
ZR Abb. 13.6 Die Funktion f .z/ D 1=.1 C z2 / kann entlang der re-
1 ellen Achse (rA) oder entlang eines Halbkreises (Hk) mit Radius R in
dz: (13.43) der oberen Halbebene integriert werden. Außerdem ist hier die Polstelle
1 C z2
R der Funktion bei z D i gezeigt, und ein geschlossener Integrationsweg
(gW), sodass für die Wege rA = Hk + gW gilt
Als Integrationsweg in der komplexen Ebene wählen wir
dann einen Halbkreis (Hk) mit Radius R > 1 um den Schließlich führen wir den Limes R ! 1 aus, betrach-
Ursprung, der oberhalb der reellen Achse verläuft. Die- ten also letztlich einen geschlossenen Integrationsweg,
ser Integrationsweg hängt mit dem ursprünglichen Weg der aus der kompletten reellen Achse und einem Halb-
entlang der reellen Achse (rA) durch Addition eines ge- kreis „im Unendlichen“ besteht. Der erste Summand geht
schlossenen Weges (gW) zusammen, der von R nach R in diesem Limes gegen null, und wir erhalten wieder das
und dann entlang des Halbkreises von R nach R zurück- Ergebnis
läuft (Abb. 13.6):
Z1 Z1
1 1
ZR Z I dx D dzrA D : (13.47)
1 1 1 1 C x2 1 C z2
dzrA D dzHk C dzgW : 1 1
1 C z2 1 C z2 1 C z2
R
(13.44) Statt eines Halbkreises oberhalb der reellen Achse hät-
Der geschlossene Weg enthält die Polstelle z1 D i; für das te man hier auch einen unterhalb verwenden können.
Residuum ergibt sich Der geschlossene Integrationsweg wäre dann allerdings
im mathematisch negativen Sinn verlaufen, sodass man
1 1 im Residuensatz ein zusätzliches Minuszeichen hätte ver-
Resi D : (13.45)
1 C z2 2i wenden müssen. Außerdem hätte das Residuum des Pols
bei z2 D i zum Integral beigetragen statt das des Pols
Nach dem Residuensatz liefert das geschlossene Wegin- bei z1 D i. Insgesamt würde sich dadurch auch bei dieser
tegral somit den Wert . Im Halbkreisintegral kann man Rechnung derselbe Wert ergeben. J
13.2 Integrale in der komplexen Ebene 457
Anwendung: Die Green’sche Funktion zu berechnen, wobei zur Abkürzung rN D jr r0 j gesetzt wurde.
Die Winkelintegrationen sind leicht ausführbar:
zum Laplace-Operator
Z1 ikNr
0 1 e eikNr
Mithilfe der Fourier-Transformation und des Residuensatzes G.r r / D k 2 dk: (13.54)
kann die Green’sche Funktion zum Laplace-Operator berech-
iNr k C k02
0
net werden. Dies wurde zwar bereits im vorhergehenden Kapitel
durchgeführt, jedoch werden wir hier Methoden kennenlernen, Das Integral kann man nun zunächst aufteilen in
die auch in anderen Zusammenhängen nützlich sind. Insbeson- Z1 Z1
dere betrachten wir zunächst die allgemeinere Differenzialglei- eikNr eikNr
k 2 dk k dk: (13.55)
chung k C k02 k2 C k02
. k02 / .r/ D 4 .r/: (13.48) 0 0
Teil II
Dies ist die Differenzialgleichung für ein sogenanntes Yukawa- man beide Integrale wieder zusammenfassen und hat
Potenzial, das in der Teilchenphysik eine große Rolle spielt.
Für k0 D ik ist dies außerdem eine (inhomogene) Form der Z1
01 zeiz
sogenannten Helmholtz-Gleichung, die beispielsweise bei Ab- G.r r / D dz; (13.56)
strahlvorgängen (Abschn. 19.3) und in der Quantenmechanik iNr z2 C .k0 rN /2
1
(Kap. 32) wichtig ist.
wobei außerdem z D kNr substitutiert wurde.
Die Differenzialgleichung für die zugehörige Green’sche Funk-
Der Integrand hat Pole in der komplexen Ebene bei ˙ik0 rN , al-
tion ist entsprechend
so kann das Integral ähnlich wie im Beispiel oben mithilfe des
. k02 /G.r r0 / D 4 ı.r r0 /: (13.49) Residuensatzes ausgewertet werden. Wir schließen den Integra-
tionsweg wieder durch einen Halbkreis „im Unendlichen“. Im
Im Limes k0 ! 0 erhalten wir daraus die Green’sche Funktion Beispiel oben ging der Beitrag dieses Halbkreises für R ! 1
zum Laplace-Operator. gegen null, egal, ob der Halbkreis ober- oder unterhalb der k-
Achse geschlossen wurde. Dies ist hier anders: Im Zähler der
Zunächst setzen wir in (13.48) auf beiden Seiten die Fourier-
Integranden steht die Exponentialfunktion eiz D eiRe zIm z , für
Transformierten ein und benutzen dabei das Ergebnis (13.18),
Im z ! 1 (Halbkreis „im Unendlichen“ in der unteren Halb-
auf drei Dimensionen verallgemeinert:
ebene) würde der Integrand also divergieren.
Z Z
d3 k Q ik.rr0 / 4 0 Deshalb muss der Halbkreis hier in der oberen Halbebene ge-
. k02 / p 3 G.k/e D d3 k eik.rr / :
.2 / 3 schlossen werden. Für R ! 1 gilt dann auch Im z ! 1;
2
die Exponentialfunktion und damit der komplette Integrand ge-
(13.50) hen also gegen null, und das Integral über den Halbkreis liefert
Der Differenzialoperator wirkt nur auf den Exponentialfaktor, wieder keinen Beitrag. Es bleibt wieder nur das geschlossene
also kann die Ableitung sofort berechnet werden und ergibt ein- Wegintegral (entlang der reellen Achse und über den Halbkreis
fach einen Faktor k2 . Da die Integranden auf beiden Seiten „im Unendlichen“ zurück; siehe Abb. 13.6) übrig:
gleich sein müssen, folgt: I
1 zeiz
4 1 G.r r0 / D dz; (13.57)
Q
G.k/ D p 3 2 : (13.51) iNr z C .k0 rN /2
2
k C k02
2 das nun mittels des Residuensatzes berechnet werden kann:
2 zeiz
G.r r0 / D Resik0 Nr 2 (13.58)
Frage 3 rN z C .k0 rN /2
Zeigen Sie dies. mit dem Residuum
zeiz ek0Nr
Daraus erhalten wir nun durch Rücktransformation die lim .z ik0 rN / D : (13.59)
z!ik0 Nr z2 C .k0 rN / 2 2
Green’sche Funktion:
Z Frage 4
0 4 1 0
G.r r / D d3 k 2 eik.rr / : (13.52) Rechnen Sie dies nach; faktorisieren Sie dafür zunächst den
.2 /3 k C k02
Nenner.
Geht man zu Kugelkoordinaten im k-Raum über, so hat man
was sich für k0 ! 0 auf das bekannte Ergebnis die nur in einer Periode überhaupt definiert sind; die Darstellung
stimmt dann allerdings nur innerhalb dieses Intervalls.)
1
G.r r0 / D (13.61) Aus der Vektorrechnung kennen wir bereits eine Analogie zu
jr r0 j einer solchen Darstellung einer Funktion – die Darstellung ei-
nes Vektors v bezüglich der Basisvektoren eOj sieht prinzipiell
reduziert, wobei wieder rN D jr r0 j eingesetzt wurde.
genauso aus: X
vD aj eOj : (13.64)
j
13.3 Vollständige Verwendet man dabei speziell eine orthonormale Basis,
Funktionensysteme X
eOj eO k D hOej ; eO k i D .ej /i .ek /i D ıjk ; (13.65)
Teil II
i
In Abschn. 13.1 haben wir eine Möglichkeit kennengelernt, das
so kann man die Koeffizienten folgendermaßen berechnen:
Konzept der Fourier-Reihen zu verallgemeinern: die Fourier- X
Integrale. Hier wird nun eine zweite Verallgemeinerung in eine aj D v eOj D hv ; eOj i D vk .ej /k ; (13.66)
andere Richtung betrachtet: Die Fourier-Reihe ist ein spezi- k
elles Beispiel für eine Entwicklung nach einem sogenannten
vollständigen Funktionensystem. Dieser mathematische Hin- wobei der Summationsindex k die Komponenten der Vekto-
tergrund soll hier erläutert und die Idee an einem zweiten ren durchnummeriert und wir die in der Mathematik übliche
wichtigen Beispiel, den Legendre-Polynomen, nochmals de- Schreibweise h ; i für ein Skalarprodukt verwendet haben.
monstriert werden. Vergleichen wir damit die Beziehungen zwischen Sinusfunktio-
nen zu unterschiedlichen Werten von j und die Berechnung der
Koeffizienten bj :
Die Fourier-Reihe als Entwicklung nach einem ZT=2
T
vollständigen Funktionensystem sin.j!t/ sin.k!t/ dt D ıjk (13.67)
2
T=2
Beginnen wir direkt mit der Definition des zentralen Begriffs. und
ZT=2
2
bj D f .t/ sin.j!t/ dt: (13.68)
Entwicklung nach einem vollständigen Funktionen- T
system T=2
Ein System (im mathematischen Sinne eine Familie) fk Die Beziehungen für die Funktionen sehen denen für die Vek-
von Funktionen heißt vollständig auf einem Intervall I, toren sehr ähnlich (bis auf Vorfaktoren T=2 bzw. 2=T, die man
wenn man alle Funktionen f , die auf I definiert (und aber durch Umskalieren der Funktionen hj .t/ leicht loswerden
quadratintegrabel; siehe unten) sind, danach entwickeln, könnte); im Prinzip werden nur Summen über Produkte von
d. h. als (unendliche) Linearkombination dieser Funktio- Vektorkomponenten durch Integrale über Produkte von Funk-
nen schreiben kann: tionswerten ersetzt.
X Frage 5
f .x/ D aj fj .x/: (13.62)
Wie könnte man dementsprechend ein Skalarprodukt für Funk-
j
tionen definieren?
Als Beispiel dafür kennen wir schon die Fourier-Reihe, hier der Es liegt deshalb nahe, das Konzept des Skalarprodukts auf
Einfachheit halber zunächst nur für ungerade Funktionen: Funktionen zu erweitern.
1
X
f .t/ D bj sin.j!t/: (13.63) Skalarprodukt für Funktionen
jD0
Für Funktionen f und g, die auf einem Intervall I definiert
Die Funktionen hj .t/ D sin.j!t/ stellen also z. B. auf dem In- sind, definieren wir
tervall I D ŒT=2; T=2 (mit T D 2 =!) ein vollständiges
Z
System dar, nach dem man alle ungeraden Funktionen entwi-
ckeln kann, die bei t D ˙T=2 verschwinden. (Anmerkung: hf ; gi WD f .x/g.x/ dx: (13.69)
Bisher wurden Fourier-Reihen nur für periodische Funktionen I
benutzt, aber man kann prinzipiell auch Funktionen darstellen,
13.3 Vollständige Funktionensysteme 459
Dabei ist zu beachten, dass dieses Skalarprodukt sinnvoll nur Achtung Da das Skalarprodukt nur für quadratintegrable
für sogenannte quadratintegrable Funktionen definiert ist, also Funktionen definiert ist, folgt, dass auch nur solche Funktionen
Funktionen, für die das Integral nach einem vollständigen System entwickelt werden können –
Z wie oben bereits vorausgesetzt. Insbesondere für Deltafunk-
jf .x/j2 dx < 1 (13.70) tionen und harmonische Funktionen (mit I D R) sollte dies
eigentlich nicht möglich sein. Allerdings sind diese Funktionen
I
temperierte Distributionen, für die ebenfalls ein Skalarprodukt
ist; der Vektorraum dieser Funktionen wird mit L2 .C/ bezeich- sinnvoll definierbar ist (siehe den „Mathematischen Hinter-
net. Im Interesse der Allgemeinheit haben wir die Beziehungen grund“ 11.1). Man gelangt so zum sogenannten Gelfand’schen
hier direkt für komplexe Funktionen hingeschrieben; bei reellen Raumtripel (siehe dazu die mathematische Literatur). J
Funktionen entfällt die komplexe Konjugation bzw. der Betrag.
(Anmerkung: Außerdem kann das Skalarprodukt noch verallge- Die Vollständigkeitseigenschaft eines Funktionensystems wird
Teil II
meinert werden, beispielsweise durch eine „Gewichtsfunktion“; oft auch anders dargestellt (dies ist beispielsweise in der Quan-
siehe dazu Aufgabe 13.6.) tenmechanik wichtig; man spricht dann auch von einer Zerle-
gung der Eins).
Mithilfe dieses Skalarprodukts kann man für die Koeffizienten
nun kurz schreiben:
2
bj D hhj ; f i; (13.71) Vollständigkeit eines Funktionensystems
T
Ein Funktionensystem fj ist vollständig, wenn gilt:
und die Beziehung zwischen verschiedenen Sinusfunktionen
wird X
T fj .x0 /fj .x/ D ı.x0 x/: (13.76)
hhj ; hk i D ıjk : (13.72)
2 j
Die Legendre-Polynome
sen Anteil von f1 ab, so bleibt eine Funktion übrig, die
orthogonal zu p0 ist. Die konkrete Auswertung der Ska-
Betrachten wir als zweites konkretes Beispiel neben der larprodukte ergibt
Fourier-Reihe die Entwicklung nach einem in der Physik
oft benutzten orthogonalen Funktionensystem, den soge-
Z1 Z1
nannten Legendre-Polynomen (nach dem französischen
Mathematiker Adrien-Marie Legendre, 1752–1833, der hp0 ; f1 i D p0 .x/f1 .x/ dx D x dx D 0 (13.81)
sie aber ursprünglich in einem anderen Zusammenhang 1 1
einführte; siehe Abschn. 13.6).
und
Systeme von Polynomen zu verwenden, liegt nahe, da
diese besonders einfache Funktionen sind. So ist bei-
Teil II
Z1 Z1
spielsweise auch die Taylor-Reihe letztlich eine Entwick-
lung nach einem System von Polynomen, in diesem Fall hp0 ; p0 i D p0 .x/p0 .x/ dx D dx D 2; (13.82)
den einfachen Polynomen (bzw. eigentlich Monomen) 1 1
xk . Um die oben gefundene Beziehung (13.74) für die
Berechnung der Koeffizienten verwenden zu können, be- also hat man hier einfach
nötigen wir aber speziell ein orthogonales System.
p1 .x/ D f1 .x/ D x1 D x: (13.83)
Für die Orthogonalitätsbeziehung zwischen Polynomen
definieren wir zunächst ein passendes Skalarprodukt.
Die allgemeine Form (13.69) wurde oben angegeben; es
bleibt, das Intervall I zu wählen. Bei den Legendre-Poly- Bei der Berechnung des nächsten Polynoms p2 muss man
nomen ist I D Œ1I 1, außerdem sind sie reell. Man hat nun die Anteile, die parallel zu p0 und zu p1 sind, subtra-
also hieren:
Z1
hp0 ; f2 i hp1 ; f2 i
hf ; gi D f .x/g.x/ dx: (13.78) p2 .x/ D f2 .x/ p0 .x/ p1 .x/; (13.84)
hp0 ; p0 i hp1 ; p1 i
1
Unser Ziel ist nun, das System xk von Polynomen mithilfe wobei sich für die noch fehlenden Skalarprodukte Fol-
dieses Skalarprodukts in ein orthogonales System umzu- gendes ergibt:
wandeln. 2
hp0 ; f2 i D ;
3
hp1 ; f2 i D 0; (13.85)
Erinnern Sie sich, wie man ein System von Vektoren
orthogonalisiert, und überlegen Sie, wie man dies auf 2
hp1 ; p1 i D :
Funktionen anwenden kann. 3
Will man nicht nur ein orthogonales, sondern sogar ein Mit der hier benutzten Normierung folgt (Aufgabe 32.3)
orthonormales System pNj von Polynomen, so muss man
zusätzlich noch jede Funktion durch ihre Norm, also die Z1
2
Wurzel aus dem Skalarprodukt mit sich selbst, teilen: Pj .x/Pk .x/ dx D ıjk : (13.91)
2j C 1
pj .x/ 1
pNj .x/ D p : (13.88)
hpj ; pj i
Die Legendre-Polynome kann man übrigens auch direkt
berechnen; es gilt die Formel von Rodrigues (nach dem
Bei den Legendre-Polynomen Pj wird stattdessen übli-
französischer Mathematiker, Bankier und Sozialreformer
cherweise die Bedingung gewählt, dass Pj .1/ D 1 sein
Olinde Rodrigues, 1795–1851):
soll. Die ersten beiden Polynome p0 und p1 erfüllen die-
Teil II
se Bedingung bereits, das dritte Polynom p2 muss man
1 dj 2
aber umskalieren (wodurch sich an der Orthogonalität na- Pj .x/ D .x 1/j ; (13.92)
türlich nichts ändert). Schließlich ergibt sich folgendes 2j jŠ dx j
vollständige orthogonale System von Funktionen:
die wir in Abschn. 27.6 beweisen werden. J
P0 .x/ D 1;
P1 .x/ D x;
1
P2 .x/ D .3x2 1/;
2 Orthogonale Funktionensysteme
1 3 (13.89)
P3 .x/ D .5x 3x/; als Eigenfunktionen selbstadjungierter
2
1 Differenzialoperatoren
P4 .x/ D .35x4 30x2 C 3/;
8
::: D ::: Am Beispiel der Legendre-Polynome wurde gezeigt, wie man
ein vollständiges orthogonales (oder orthonormales) Funktio-
Die Graphen dieser Funktionen sind in Abb. 13.7 darge- nensystem erhalten kann: Man definiert ein Skalarprodukt auf
stellt. dem gewünschten Intervall, wählt dann ein beliebiges vollstän-
diges Funktionensystem und führt dafür eine Gram-Schmidt-
Pn(x)
Orthogonalisierung durch (bzw. normiert die Funktionen an-
1 schließend noch).
Neben diesem Verfahren gibt es eine weitere Methode, die man
wieder durch eine Analogie zur Vektorrechnung erhält: Aus
0,5 der linearen Algebra ist bekannt, dass die Eigenvektoren einer
symmetrischen bzw. hermiteschen Matrix A (also die Vekto-
ren v , für die Av D v gilt, wobei eine konstante Zahl
ist) eine orthogonale Basis bilden. Die Symmetrie bzw. Her-
−1 1 mitezität der Matrix kann man direkt sehen (A> D A bzw.
A D A), üblicherweise wird sie aber in der Mathematik über
x
−0,5
das Skalarprodukt definiert: Eine Matrix A heißt symmetrisch
P0 P1
bzw. hermitesch, wenn für alle Vektoren u und v
P2 P3
−1 hu; Av i D hAu; v i (13.93)
P4
gilt, wobei das Skalarprodukt jeweils auf reellen bzw. komple-
Abb. 13.7 Die Graphen der ersten fünf Legendre-Polynome (13.89). xen Vektoren definiert ist.
Die Normierungsbedingung Pj .1/ D 1 und die Beziehung (13.90) sind
deutlich erkennbar Frage 7
Überlegen Sie sich, wie man diese Konzepte auf Differenzial-
Wie man an den Graphen sieht und auch allgemein be- operatoren und Funktionen verallgemeinern kann.
weisen kann, gilt
Pj .1/ D .1/j : (13.90) Ein analoges Konzept gibt es auch beim Skalarprodukt zwi-
schen Funktionen.
462 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
13.4 Multipolentwicklung
Selbstadjungierte Differenzialoperatoren
in kartesischen Koordinaten
Ein Differenzialoperator D heißt selbstadjungiert bezüg-
lich eines Skalarprodukts, wenn für alle Funktionen f und
g, für die das Skalarprodukt definiert ist, gilt: Eine sehr wichtige Anwendung des Konzepts der Entwicklung
nach einem vollständigen orthogonalen Funktionensystem ist
hf ; Dgi D hDf ; gi: (13.94) die Multipolentwicklung. Die dabei auftretenden sogenannten
Kugelflächenfunktionen sind beispielsweise auch in der Quan-
Eine Funktion f heißt Eigenfunktion zu einem Diffenzial- tenmechanik unverzichtbar, wie wir in Kap. 27 sehen werden.
operator D zum Eigenwert , wenn Physikalisch motiviert ist die Multipolentwicklung letztlich da-
durch, dass man für eine beliebige Ladungsverteilung wissen
Df D f (13.95)
Teil II
Frage 8 Zu beachten ist hier noch, dass man bei der Berechnung des
Vollziehen Sie diese Rechnung nach. Quadrupolmoments scheinbar neun Volumenintegrale auszu-
werten hat. Aus der Definition (13.108) sieht man aber leicht,
dass Q eine symmetrische Matrix mit Spur 0 ist; letztlich sind
Den Zähler im dritten Bruch schreibt man nun folgendermaßen also nur fünf der Matrixelemente zu berechnen.
um: Achtung Abschließend sei darauf hingewiesen, dass manche
2 Autoren das Quadrupolmoment anders definieren:
3.r0 r/2 r02 r2 D 3 x0i xi r02 xi xi
Z
D 3x0i xi xj0 xj r02 ıij xi xj (13.104) 1
Qij WD .r0 / x0i xj0 r02 ıij dV 0 ; (13.111)
D .3x0i xj0 02
r ıij /xi xj : 3
also im Vergleich mit unserer Definition noch einen Faktor 1=3
Damit wird die Green’sche Funktion
Teil II
hinein multiplizieren, und manchmal auch eine etwas andere
1 1 1 .Or/i .3x0i xj0 r02 ıij /.Or/j Darstellung des Potenzials wählen: Da
G.r r0 / D C 2 rO r0 C C :::
r r 2 r3 1
(13.105) x0i xj0 r02 ıij r2 ıij D 0 (13.112)
mit dem Einheitsvektor rO in radialer Richtung. 3
gilt, wie man leicht nachrechnet, kann der Quadrupolanteil des
Potenzials auch geschrieben werden als
Dipol- und Quadrupolmomente 1 1 3xi xj r2 ıij
Q .r/ D 3
Qij : (13.113)
2r r2
Den Ausdruck (13.105) setzen wir nun in (13.99) für das Poten- J
zial ein. Es ergibt sich:
Z Z Frage 9
1 1
.r/ D .r0 / dV 0 C 2 rO .r0 /r0 dV 0 Zeigen Sie dies.
r r
Z
1 1
C .Or/i .r0 /.3x0i xj0 r02 ıij / dV 0 .Or/j
2 r3 Homogen geladenes Rotationsellipsoid
C::: (13.106)
Atomkerne kann man oft in guter Näherung als homo-
Das erste Integral erkennt man als die Gesamtladung q wieder. gen geladene Rotationsellipsoide ansehen. Will man das
Für die anderen beiden Integrale führt man folgende Abkürzun- elektrische Potenzial eines Atomkerns näherungsweise
gen ein: Z berechnen, so muss man die Multipolmomente eines sol-
p WD .r0 /r0 dV 0 (13.107) chen Rotationsellipsoids kennen.
z
heißt das (elektrische) Dipolmoment der Ladungsverteilung; der
Tensor zweiter Stufe Q mit den Komponenten
Z
Qij WD .r0 /.3x0i xj0 r02 ıij / dV 0 ; (13.108)
also Z
z0
QD .r0 /.3r0 r0> r02 I/ dV 0 ; (13.109)
q rO p 1 rO > QOr x
.r/ D C 2 C C ::: (13.110)
r r 2 r3 0
Den ersten Term erkennt man als das Potenzial einer Punkt-
ladung (im Ursprung) wieder. Jeder der folgenden Terme fällt Abb. 13.8 Ein homogen geladenes Rotationsellipsoid (Radius %0 , Hö-
dann jeweils schneller mit dem Abstand zur Ladungsverteilung he z0 ) kann als gutes Modell für einen Atomkern dienen
ab.
464 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
Legen wir das Koordinatensystem so, dass die Rotations- ergibt sich schließlich
achse die z-Achse ist, wird solch ein Ellipsoid (Halbach-
4 1
sen %0 und z0 ; Abb. 13.8) beschrieben durch Q11 D Q22 D z0 %20 .%20 z20 / D
q.%20 z20 /;
0
2 2 15 5
% z 8 2
C 1; (13.114) Q33 D z0 %20 .z20 %20 /
0 D q.%0 z0 /:
2 2
%0 z0 15 5
(13.120)
wobei wir wegen der Symmetrie des Problems Zylinder- Man hat also Q11 D Q22 D Q33 =2, und die Spur von Q
koordinaten %, ' und z verwenden. ist in der Tat null: Q11 C Q22 C Q33 D 0. Dies hätte man
Man hat dann zunächst für die Gesamtladung: natürlich auch von vornherein verwenden können, um die
p Rechnung zu vereinfachen.
Z%0 z0 Z
1.%=%0/
2
Z2
Teil II
Teil II
Die potenzielle Energie W einer einzelnen (Punkt-)Ladung q am Wechselwirkung zweier Dipole
Ort r in einem gegebenen äußeren elektrischen Feld mit Poten-
zial ist bekanntlich Für das Potenzial eines Dipols p1 gilt laut Abschn. 13.4
W D q .r/: (13.123) rO p1
.r/ D : (13.130)
r2
Möchte man die potenzielle Energie einer vollständigen La-
dungsverteilung angeben, so kann man diese in infinitesimale Daraus berechnet man leicht das elektrische Feld zu
Stücke unterteilen und für jedes die potenzielle Energie einzeln
3.p1 rO /Or p1
berechnen: E.r/ D ; (13.131)
r3
dW D dq .r/ D .r/ dV .r/: (13.124)
und die Wechselwirkungsenergie mit einem zweiten Di-
pol p2 ist
Insgesamt ergibt sich
Z p1 p2 3.p1 rO/.p2 rO/
WD dV .r/ .r/: (13.125) W D p2 E D : (13.132)
r3
Dieses Integral wird im Allgemeinen nur schwierig auszuwer- Rechnen Sie die Ausdrücke für das elektrische Feld und
ten sein; es bietet sich somit wieder an, für das Potenzial eine die Wechselwirkungsenergie explizit nach.
Näherung zu verwenden. Wir werden sehen, dass auch hier
letztlich die Multipolentwicklung nützlich sein wird. Die Wechselwirkungsenergie zweier Dipole hängt also
nicht nur von ihrem Abstand ab, sondern auch davon, wie
Im Folgenden nehmen wir an, dass sich die Ladungsverteilung sie zueinander ausgerichtet sind. Außerdem fällt sie mit
um den Ursprung befindet und sich das Potenzial im Bereich der der dritten Potenz des Abstands ab (bei Monopolen ist es
Ladungsverteilung nur schwach ändert. Dann können wir eine bekanntlich die erste Potenz). J
Taylor-Entwicklung um den Ursprung durchführen:
ˇ
1 @2 ˇˇ
.r/ D .0/ C r r j0 C xi xj C ::: Außerdem kann man allgemein die Kraft betrachten, die auf ei-
2 @xi @xj ˇ0 ne Ladungsverteilung wirkt:
ˇ (13.126)
1 @Ei ˇˇ
D .0/ r E.0/ xi xj C::: Z
2 @x ˇ j 0 FD dV .r/E.r/: (13.133)
Da es sich bei um ein äußeres Feld handeln soll, befinden
sich seine Quellen nicht im Bereich der Ladungsverteilung; wir Auch für das elektrische Feld kann man eine Taylor-Entwick-
haben dort also sicher r E D 0. Deshalb können wir einen lung um den Ursprung ansetzen:
Term
r2 r2 @Ei ˇ
r ED ıij (13.127) 1 @2 E ˇˇ
E.r/ D E.0/ C .r r / Ej0 C xi xj C :::
6 6 @xj 2 @xi @xj ˇ0
addieren und erhalten D E.0/ C .r r / Ej0 (13.134)
ˇ ˇ
@Ei ˇˇ 1 @E ˇ2
1 C 3xi xj r ıij
2 ˇ C :::;
.r/ D .0/ r E.0/ .3xi xj r ıij / C : : : (13.128) @xi @xj ˇ0
2
6 @x ˇ
j 0
6
466 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
wobei benutzt wurde, dass für das äußere Feld im Bereich der Die Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten
Ladungsverteilung
E D grad ˆ D grad ˆ D 0 (13.135) Statt von (13.99) auszugehen und diesen Ausdruck in eine Reihe
für r r0 zu entwickeln, starten wir direkt von der Laplace-
gilt. Eingesetzt in (13.133) hat man dann Gleichung
ˇ .r/ D 0; (13.144)
1 @2 E ˇˇ
F D qE.0/ C .p r / Ej0 C Qij C ::: (13.136)
6 @xi @xj ˇ0
die außerhalb der Ladungsverteilung gilt, und lösen diese
Insbesondere folgt, dass auf Dipol- und Quadrupolmomente in Gleichung in Kugelkoordinaten (der Laplace-Operator in Ku-
homogenen elektrischen Feldern keine Kräfte wirken. gelkoordinaten wurde bereits in (2.133) gegeben):
Teil II
1 @Ej 1
.r .r r / E/l D "ijl 3xi xk r2 ıik : (13.141) .r R.r// Y.#; '/ C R.r/ . Y.#; '// D 0: (13.148)
3 @xk r2
Damit ist Nun bringt man alle Terme, die nur von r abhängen, auf eine
ˇ Seite und alle anderen Terme auf die andere:
1 @Ej ˇˇ
MQuadrupol;l D "ijl Qik ; (13.142)
3 @xk ˇ0 r2 r R.r/ Y.#; '/
D : (13.149)
also R.r/ Y.#; '/
1
M Quadrupol D .Qr / Ej0 : (13.143)
3 Beide Seiten können aber nur dann für alle Werte der Variablen
gleich sein, wenn sie gleich einer Konstanten C sind:
In Abschn. 13.4 haben wir gesehen, dass man das Potenzial au- also
ßerhalb einer Ladungsverteilung in eine Reihe entwickeln kann,
wobei die aufeinanderfolgenden Summanden immer stärker mit @ 2@
r R.r/ D C R.r/ und Y.#; '/ D C Y.#; '/:
dem Abstand r zur Ladungsverteilung abfallen. Es liegt also na- @r @r
he, von vornherein mit Kugelkoordinaten zu arbeiten. (13.151)
13.5 Die Kugelflächenfunktionen 467
Für lineare Differenzialgleichungen der Form Dx u.x; t/ D die mit Standardmethoden gelöst werden können.
D t u.x; t/, wobei Dx und D t Differenzialoperatoren sind, die Wir betrachten die Differenzialgleichung
nur auf die Variablen x bzw. t wirken, gibt es einen speziel-
len Lösungsansatz, der in der Literatur als Separationsansatz uP C xu0 D 0 , uP D xu0 :
bzw. Bernoulli’scher Ansatz bekannt ist.
Separationsansatz Dabei wird der Ansatz u.x; t/ D Setzen wir wieder mit u.x; t/ D X.x/T.t/ an, so erhalten
X.x/T.t/ gemacht, und es ergibt sich insgesamt wir sofort
Teil II
Dx X.x/ D t T.t/
.Dx X/T D X.D t T/ , D : X TP C xX 0 T D 0;
X.x/ T.t/
Hier muss natürlich u ¤ 0 gelten. Jetzt sehen wir, dass beide wobei jetzt eine Division durch u D XT
Quotienten konstant sind und wir daher die Variablen x und
t separieren können. Dies führt mit Trennung der Variablen TP xX 0
auf eine Berechnung von Eigenwerten, genauer auf D
T X
Dx X D X und D t T D T;
ergibt. Dies liefert die beiden Eigenwertprobleme
wobei die Separationskonstante bezeichnet.
TP D T und X 0 D X;
Beispiele x
Wir betrachten die Wellengleichung die mit Standardmethoden gelöst werden können.
uR .x; t/ c2 u00 .x; t/ D 0 , uR .x; t/ D c2 u00 .x; t/
und verwenden den Separationsansatz u.x; t/ D X.x/T.t/. Literatur
Dies liefert die beiden gewöhnlichen Differenzialglei-
chungen
Arens et al.: Mathematik. 2. Aufl., Spektrum Akademi-
TR D T und c2 X 00 D X; scher Verlag (2012)
Frage 10 Frage 11
Vollziehen Sie diese Rechnung nach und leiten Sie die Lösun- Überlegen Sie sich, wie ein entsprechendes Skalarprodukt für
gen her. (komplexe) Funktionen, die auf der Kugeloberfläche definiert
sind, aussehen muss.
so kann man leicht zeigen, dass dieser Differenzialoperator Tab. 13.1 Die ersten neun Kugelflächenfunktionen
selbstadjungiert ist. Seine Eigenfunktionen Yl .#; '/ bilden des-
lD0 lD1 lD2
halb ein vollständiges orthogonales System, nach dem man alle q
diese Funktionen entwickeln kann. Man bezeichnet die Funktio- m D 2 15
32
sin2 # e2i'
nen Yl .#; '/ als Kugelflächenfunktionen (spherical harmonics). q q
m D 1 8
3
sin # ei' 15
8
sin # cos # ei'
Um die Funktionen zu bestimmen, kann man einen weiteren q q q
Separationsansatz machen. Der Differenzialoperator für ' legt mD0 4
1
4
3
cos # 16 .3 cos # 1/
5 2
q q
dabei den Exponentialansatz
mD1 83 sin # ei' 815 sin # cos # ei'
q
Ylm .#; '/ D Xlm .#/e im'
(13.155) mD2 15
32
sin2 # e2i'
Teil II
Speziell für m D 0 ist dies aber gerade die Legendre-Differen- Die Kugelflächenfunktionen findet man in der mathematischen
zialgleichung (13.97): Literatur tabelliert; in Tab. 13.1 sind die ersten neun beispielhaft
angegeben.
2
2 d d
.1 x / 2 2x C l.l C 1/ P0l .x/ D 0: (13.160) In Abb. 13.10 sind einige der Kugelflächenfunktionen grafisch
dx dx
dargestellt (siehe auch das Eröffnungsbild dieses Kapitels).
Die Funktionen P0l sind also genau die Legendre-Polynome. Abschließend seien nochmals die grundlegenden Eigenschaften
Die Lösungen der allgemeinen Gleichung mit m ¤ 0 werden der Kugelflächenfunktionen zusammengestellt.
13.6 Multipolentwicklung in Kugelkoordinaten 469
Man kann also jede Funktion, die von # und ' abhängt,
nach ihnen entwickeln:
1 X
X l
f .#; '/ D alm Ylm .#; '/ (13.166)
lD0 mDl
l = 0, m = 0 l = 1, m = 0 l = 1, m = 1 mit
Z
alm D d0 Ylm
.# 0 ; ' 0 /f .# 0 ; ' 0 /: (13.167)
Teil II
Weitere oft benötigte Eigenschaften finden sich im Kasten „Ver-
tiefung: Weitere Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen“.
Nun können wir allgemein angeben, wie Lösungen der Laplace-
Gleichung in Kugelkoordinaten aussehen.
l = 2, m = 0 l = 2, m = 1 l = 2, m = 2
Lösungen der Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten
Jede Lösung der Laplace-Gleichung (13.144) kann in Ku-
gelkoordinaten folgendermaßen geschrieben werden:
X1 X l
1
.r; #; '/ D Alm rl C Blm lC1 Ylm .#; '/
lD0 mDl
r
(13.168)
mit im Allgemeinen komplexen Konstanten Alm und Blm ,
die von den Randbedingungen abhängen.
Handelt es sich um zylindersymmetrische, d. h. von ' un-
l = 3, m = 0 l = 3, m = 1 l = 3, m = 2 abhängige Probleme, so vereinfacht sich dies zu
1
X 1
0 π 2π
.r; #/ D Al rl C Bl Pl .cos #/: (13.169)
lD0
rlC1
Abb. 13.10 Einige Kugelflächenfunktionen. Hier wurde wie in Abb. 13.9 eine
Polardarstellung gewählt: Der Abstand eines Punktes P auf der Oberfläche zum
Ursprung gibt jeweils den Betrag jYlm .#; '/j an. Die Ylm sind (für m ¤ 0) im
Gegensatz zu in Abb. 13.9 aber komplexe Funktionen; ihre jeweilige Phase
argYlm .#; '/ an einem Punkt P ist farblich codiert dargestellt
13.6 Multipolentwicklung
in Kugelkoordinaten
Die Kugelflächenfunktionen als ein vollständiges Nach dem im vorhergehenden Abschnitt Erarbeiteten können
orthonormales Funktionensystem wir nun sagen, dass jede Lösung der Laplace-Gleichung, also
Wie bereits erwähnt, sind die Kugelflächenfunktionen or- das Potenzial im Außenraum einer Ladungsverteilung, folgen-
thonormal, dermaßen darstellbar ist (siehe (13.168) mit Alm D 0):
Z
d Ylm .#; '/Yl0 m0 .#; '/ D ıll0 ımm0 ; (13.164) 1 X
X l
1
.r; #; '/ D B Y .#; '/:
lC1 lm lm
(13.170)
und bilden ein vollständiges System: lD0 mDl
r
1 X
X l
Es bleibt, die Koeffizienten Blm in Abhängigkeit von der La-
Ylm .# 0 ; ' 0 /Ylm .#; '/
(13.165) dungsverteilung .r/ zu bestimmen. Wie schon bei der Mul-
lD0 mDl
tipolentwicklung in kartesischen Koordinaten gehen wir auch
D ı.cos # 0 cos #/ı.' 0 '/: hier von der Green’schen Funktion aus, da wir damit das Poten-
zial für jede beliebige Ladungsverteilung berechnen können.
470 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
Der Zusammenhang zwischen einer Kugelflächenfunk- wobei ˛ der Winkel zwischen den beiden Vektoren r und
tion und ihrer komplex konjugierten ist durch r0 ist, deren Richtung jeweils durch die Winkel # und '
bzw. # 0 und ' 0 beschrieben wird.
Ylm D .1/m Yl;m (1) Wegen der Normierung Pk .1/ D 1 der Legendre-Polyno-
me hat man immer
gegeben. r
Bei einer Punktspiegelung am Ursprung (Paritätstransfor- 2l C 1
Yl0 .0; '/ D ; (4)
mation r ! r) gilt # ! # und ' ! C ' und 4
Teil II
Ylm . #; C '/ D .1/l Ylm .#; '/: (2) wegen der Beziehung Pk .1/ D .1/k außerdem immer
r
Führt man nur die Summe über m aus statt auch über l, so 2l C 1
erhält man statt der Deltafunktionen in (13.165) wieder Yl0 . ; '/ D .1/l (5)
4
ein Legendre-Polynom:
und wegen (13.161)
4 Xl
Pl .cos ˛/ D Y .# 0 ; ' 0 /Ylm .#; '/; (3) Ylm .0; '/ D Ylm . ; '/ D 0 für m ¤ 0: (6)
2l C 1 mDl lm
ı.r r0 /
Gesucht ist nun zunächst die Multipolentwicklung der ı.r r0 / D ı.cos # cos # 0 /ı.' ' 0 /: (13.174)
Green’schen Funktion in Kugelkoordinaten: r02
X1 X l
1 Benutzt man die Vollständigkeit (13.165) der Kugelflächen-
D Glm .r; r0 ; # 0 ; ' 0 /Ylm .#; '/: (13.171) funktionen, erhält man daraus
jr r0 j lD0 mDl
1
Wir sind letztlich nur an der Abhängigkeit von den Koordina- ı.r r0 / X X 0 0
l
ten r; #; ' interessiert, führen die Entwicklung also für diese ı.r r0 / D Ylm .# ; ' /Ylm .#; '/: (13.175)
ungestrichenen Koordinaten durch. Die Entwicklungskoeffizi- r2 lD0 mDl
enten Glm hängen deswegen nicht nur von r, sondern auch von
allen gestrichenen Koordinaten ab. Hier wurde außerdem noch ausgenutzt, dass man wegen der
Diese Koeffizienten Glm nach der allgemeinen Gleichung Deltafunktion r0 durch r ersetzen kann.
(13.167) zu berechnen, wäre sehr schwierig. Wir wählen statt-
Setzt man dies und (13.171) in die Differenzialgleichung
dessen einen anderen Weg: Die Green’sche Funktion erfüllt
(13.172) ein und betrachtet jedes Summenglied einzeln, so folgt
bekanntlich die Differenzialgleichung
1
D 4 ı.r r0 /: (13.172) Glm .r; r0 ; # 0 ; ' 0 /Ylm .#; '/
jr r0 j
ı.r r0 / 0 0 (13.176)
Kennt man die Multipolentwicklung der Deltafunktion, so kann D 4 Ylm .# ; ' /Ylm .#; '/:
r2
man die Multipolentwickung der Green’schen Funktion im We-
sentlichen durch Lösen dieser Differenzialgleichung erhalten. Spaltet man den Laplace-Operator wieder in den Radial- und
Die Multipolentwicklung der Deltafunktion kann man aber den Winkelanteil auf und benutzt, dass die Kugelflächenfunk-
leicht bestimmen: Für eine beliebige Funktion f muss immer tionen Eigenfunktionen zum Winkelanteil sind, so reduziert sich
Z dies schließlich auf
f .r/ D dV 0 ı.r r0 /f .r0 /
Z Z l.l C 1/
r Glm .r; r0 ; # 0 ; ' 0 /
D dr0 ı.r r0 / d cos # 0 ı.cos # cos # 0 / r2
(13.177)
Z ı.r r0 / 0 0
d' 0 ı.' ' 0 / f .r0 ; # 0 ; ' 0 / (13.173) D 4 Ylm .# ; ' /:
r2
13.6 Multipolentwicklung in Kugelkoordinaten 471
Das heißt, man kann schreiben Al .r0 /r0l D Bl .r0 /r0l1 : (13.185)
Teil II
r (13.179) inversen Länge haben müssen, so folgt, dass die Cl Konstanten
dr dr sind, die weder von r noch von r0 abhängen.
D 4 ı.r r0 /:
Damit hat man die symmetrische Darstellung
Wir setzen voraus, dass die Funktionen gl stetig sind. Die Delta- 8
ˆ rl
funktion auf der rechten Seite der Differenzialgleichung führt < für r < r0
0
gl .r; r / D Cl r0lC1 : (13.187)
aber dazu, dass sie bei r D r0 nicht differenzierbar sind, wie r 0l
:̂ für r > r0
man folgendermaßen sieht: Zunächst integriert man die Diffe- rlC1
renzialgleichung (13.179) um r D r0 :
0C
rZ Frage 15
d 2d Zeigen Sie dies.
r l.l C 1/ gl .r; r0 / dr D 4 : (13.180)
dr dr
r0
mit den bereits bekannten Lösungen (13.152) Führt man außerdem noch die Abkürzungen r< D min.r; r0 /
und r> D max.r; r0 / ein, hat man letztlich
1
gl .r; r0 / D rl und gl .r; r0 / D : (13.183)
rlC1 4 l
r<
gl .r; r0 / D (13.191)
Die erste Gruppe von Lösungen divergiert für r ! 1, die zwei- 2l C 1 r>
lC1
Green’sche Funktion, der besonders bei zylindersymmetrischen Achtung Auch hier gibt es wieder unterschiedliche Kon-
Problemen oft einfacher sein kann: ventionen: Manche Autoren verwenden in der Definition der
Multipolmomente die Kugelflächenfunktionen selbst statt ihrer
X rl 1
1 <
komplex konjugierten, manche ziehen den Faktor 4 =.2l C 1/
D P .cos ˛/:
lC1 l
(13.193) aus der Definition heraus usw. J
jr r j
0
lD0 r>
Wir haben nun das Ziel erreicht: Das Potenzial im Außenraum
Dabei ist ˛ wieder der Winkel zwischen den beiden Vektoren r einer Ladungsverteilung wurde nach Potenzen des Abstands
und r0 . entwickelt. Zur Berechnung des Summengliedes mit der Potenz
.lC1/ werden dabei jeweils 2lC1 Multipolmomente benötigt.
(Historische Anmerkung: Als Legendre die Gravitationskraft Analog zur Multipolentwicklung in kartesischen Koordinaten
von Ellipsoiden untersuchte, fand er für das Newton’sche Gra- nennt man das Multipolmoment für l D 0 das Monopolmoment,
vitationspotenzial genau solch eine Entwicklung – und führte die drei für l D 1 die Dipolmomente und die fünf für l D 2 die
Teil II
Die Anzahl der Komponenten ist hier jeweils gleich wie bei der
kartesischen Multipolentwicklung, und man kann auch Formeln
Sphärische Multipolmomente aufstellen, mit denen man die einen in der anderen umrech-
nen kann (Aufgabe 13.13). Allerdings ist bei der Abzählung
der Komponenten zu beachten, dass die sphärischen Multipol-
Wir setzen nun den Ausdruck (13.192) in die Gleichung für das momente eigentlich komplexe Größen sind. Aus der Definition
Potenzial ein: (13.196) und den Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen
folgt aber, dass immer q lm D .1/ ql;m ist; deshalb hat man
m
1 X
X l
4 für jedes l letztlich doch nur 2l C 1 unabhängige reelle Größen.
.r/ D Ylm .#; '/
lD0 mDl
2l C1
Z (13.194)
l
r< Punktladungen auf der z -Achse
0 0
dV .r / lC1 Ylm .# 0 ; ' 0 /:
r> Wir betrachten drei Punktladungen auf der z-Achse, wo-
bei zwei der Größe q sich bei z D ˙a befinden, die dritte
Im Allgemeinen hat man endliche Ladungsverteilungen, d. h., der Größe 2q im Ursprung (Abb. 13.11).
es wird einen Radius r0 geben, sodass .r0 / D 0 für r0 > r0 ist.
Betrachtet man das Potenzial im Außenraum dieser Ladungs- z
verteilung, so ist r > r0 r0 , also r< D r0 und r> D r, und
damit
X 4 Z
Ylm .#; '/
.r/ D dV 0 .r0 /r0l Ylm
.# 0 ; ' 0 /: q
l;m
2l C 1 r lC1 a
(13.195)
Dies ist die gesuchte Multipolentwicklung des Potenzials in Ku-
gelkoordinaten.
−2q
Sphärische Multipolentwicklung 0
Definiert man durch
Z x y
4
qlm D dV 0 .r0 /r0l Ylm
.# 0 ; ' 0 / (13.196)
2l C 1
−a
q
die sphärischen Multipolmomente der Ladungsverteilung
, so ist die Multipolentwicklung des Potenzials gege-
ben durch
1 X
X l
1 Abb. 13.11 Eine Ladungsverteilung aus drei Punktladungen auf der z-
.r/ D qlm Ylm .#; '/: (13.197) Achse: Im Ursprung befindet sich eine Punktladung der Stärke 2q, im
rlC1
lD0 mDl Abstand a darüber und darunter jeweils eine der Stärke q
13.6 Multipolentwicklung in Kugelkoordinaten 473
Die Multipolmomente zum Index l sind jeweils nach der Po- Es gibt kein Koordinatensystem, in dem dieses Multipolmo-
tenz 2l benannt: ment gleich null wäre. Hat man weniger Punktladungen, so
können bei ungünstiger Wahl des Koordinatensystems zwar
l D 0: Monopol, 20 D 1 auch höhere Momente auftreten, es existiert dann jedoch
l D 1: Dipol, 21 D 2 immer mindestens ein Koordinatensystem, in dem sie ver-
l D 2: Quadrupol, 22 D 4 schwinden (siehe Aufgabe 13.7).
l D 3: 23 D 8, deshalb spricht man hier vom Oktupol
Das erste nicht verschwindende Multipolmoment ist immer
usw. von der Wahl des Koordinatensystems unabhängig, die höhe-
Teil II
ren dagegen sind davon abhängig. Dies sieht man bereits am
Diese Bezeichnungen haben folgenden Grund: Man braucht einfachen Beispiel einer Punktladung: Ihr Monopolmoment,
mindestens 2l Punktladungen gleichen Betrags, um ein nicht- also die Gesamtladung, ist unabhängig vom Koordinatensys-
triviales Multipolmoment der Ordnung l zu erhalten (siehe tem; ihr Dipolmoment hängt dagegen offensichtlich von der
z. B. Wangsness 1986, S. 133ff). Nicht trivial bedeutet hier: Wahl des Ursprungs ab.
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
13.1 Sphärisch symmetrische Fourier-Transforma- (a) indem Sie als Weg ein Quadrat der Seitenlänge 2a wählen,
tion Beweisen Sie: Wenn eine Funktion f .r/ sphärisch sym- das symmetrisch zum Ursprung liegt und dessen Seiten pa-
metrisch ist, dann gilt dies auch für ihre Fourier-Transformierte rallel zu den Achsen liegen, und
fQ .k/. (b) mittels des Cauchy’schen Integralsatzes.
13.2 Diskrete Fourier-Transformation Die Funkti-
on fn .x/ (n eine natürliche Zahl) habe den Wert 1 in 2n C 1 13.4 Residuensatz Berechnen Sie das Integral
Intervallen der Breite x0 und dem Abstand d und ansonsten den I
Wert 0, wobei der Funktionsgraph symmetrisch zur y-Achse sei 1
dz; (13.208)
(die Abbildung stellt diese Funktion speziell für n D 3 dar). z
f(x) (a) indem Sie als Weg ein Quadrat der Seitenlänge 2a wählen,
das symmetrisch zum Ursprung liegt und dessen Seiten pa-
1 rallel zu den Achsen liegen, und
(b) mittels des Residuensatzes.
Mit .x/ D ex sind dann die Polynome gesucht, die bezüglich
2
Ermitteln Sie die (kartesischen) Multipolmomente dieser La-
dieses Skalarprodukts orthonormal sind („Hermite-Polynome“; dungsverteilung bis einschließlich des Quadrupolmoments. Was
diese sind in der Quantenmechanik wichtig). ergibt sich speziell für a D b D c?
13.7 Multipolmomente und Wahl des Koordina- 13.11 Sphärische Multipolmomente und Potenzial
tensystems Beweisen Sie: Beweisen Sie: Das elektrische Potenzial hat genau dann die
Winkelabhängigkeit einer der Kugelflächenfunktionen, wenn
(a) Ist die Gesamtladung einer Ladungsverteilung null, so ist ihr dies auch für die Ladungsverteilung (mit derselben Kugelflä-
(kartesisches) Dipolmoment unabhängig von einer Verschie- chenfunktion) gilt.
bung des Koordinatensystems. Lösungshinweis: „Genau dann“ bedeutet Äquivalenz beider
(b) Sind die Gesamtladung und das Dipolmoment einer La- Aussagen, es sind also beide Richtungen der Behauptung zu zei-
dungsverteilung null, so ist ihr (kartesisches) Quadrupolmo- gen.
Teil II
ment unabhängig von einer Verschiebung des Koordinaten-
systems. 13.12 Vektorwertiges Oberflächenintegral Bewei-
sen Sie folgende Formel, bei der über die Oberfläche einer
Kugel mit Radius R um den Ursprung integriert wird, wobei der
13.8 Kartesische Multipolmomente: Ladungen im bei der Integration festgehaltene Ort r0 innerhalb oder außerhalb
Quadrat Gegeben sei eine Ladungsverteilung aus vier Punkt- der Kugel liegen kann:
ladungen vom Betrag q0 , die sich an den Ecken eines Quadrates I
der Seitenlänge 2a befinden, dessen Mittelpunkt der Ursprung 3 1 r0
df 0
D : (13.213)
ist und dessen Seiten parallel zu den Koordinatenachsen liegen. 4 R3 jr r j Œmax.r0 ; R/3
Das Vorzeichen der Punktladung sei positiv am Punkt .a; a/ rDR
und wechsle von Ecke zu Ecke ab. Ermitteln Sie das elektri-
sche Potenzial dieser Ladungsverteilung bis einschließlich des Lösungshinweis: Verwenden Sie Kugelkoordinaten, bei denen
(kartesischen) Quadrupolmoments. die z-Achse in die Richtung von r0 zeigt, und die Entwicklung
von 1=jr r0 j nach Kugelflächenfunktionen oder Legendre-Po-
13.9 Kartesische Multipolmomente: Quader In
lynomen.
einem Quader mit Seitenlängen 2a, 2b und 2c, dessen Mit-
telpunkt der Ursprung ist und dessen Kanten parallel zu den 13.13 Sphärische und kartesische Multipolmomen-
Achsen liegen, sei die Ladungsdichte proportional zu zn (n te Ermitteln Sie die Zusammenhänge zwischen den kartesi-
sei eine nicht negative ganze Zahl) und habe bei z D c den schen und den sphärischen Multipolmomenten bis einschließ-
Wert 0 , sei aber unabhängig von x und y. Ermitteln Sie die lich des Quadrupolmoments.
(kartesischen) Multipolmomente dieser Ladungsverteilung bis
einschließlich des Quadrupolmoments. Lösungshinweis: Benutzen Sie die expliziten Ausdrücke für
die Kugelflächenfunktionen Ylm bis zu l D 2.
Lösungshinweis: Unterscheiden Sie die beiden Fälle, dass n
eine gerade bzw. eine ungerade Zahl ist. 13.14 Sphärische Multipolmomente: Kreisscheibe
Bei einer Ladungsverteilung sei die Ladungsdichte nur ungleich
13.10 Kartesische Multipolmomente: Pyramide null in einer Kreisscheibe mit Radius r0 in der x-y-Ebene um den
Eine homogene Ladungsverteilung (Ladungsdichte 0 ) habe Ursprung. In dieser Kreisscheibe habe die Flächenladungsdich-
die Form einer dreiseitigen Pyramide mit den Eckpunkten te den Wert 0 . Ermitteln Sie die sphärischen Multipolmomente
O.0I 0I 0/, A.aI 0I 0/, B.0I bI 0/ und C.0I 0I c/ (siehe Abbil- dieser Ladungsverteilung.
dung).
Lösungshinweis: Benutzen Sie Eigenschaften der Kugelflä-
chenfunktionen bzw. der (zugeordneten) Legendre-Funktionen
z aus diesem Kapitel und der mathematischen Literatur.
13.15 Sphärische Multipolmomente: Kreislinie Ei-
ne Ladungsverteilung sei nur ungleich null auf einer Kreislinie
mit Radius r0 in der x-z-Ebene um den Ursprung. Die Kreis-
c linie habe die Linienladungsdichte 0 . Begründen Sie: Die
sphärischen Multipolmomente dieser Ladungsverteilung ver-
schwinden nur dann nicht, wenn l und m beide gerade Zahlen
sind.
Lösungshinweis: Benutzen Sie Eigenschaften der Kugelflä-
b
a chenfunktionen bzw. der (zugeordneten) Legendre-Funktionen
x y aus diesem Kapitel und der mathematischen Literatur.
476 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
13.1 Die räumliche Fourier-Transformierte ist Mithilfe der Regel für die Fourier-Transformierte einer ver-
Z schobenen Funktion erhält man
Qf .k/ D 1 d3 x f .r/eikr n r
p 3 X 2 sin kx20 ij.x0 Cd/k
2 fQn .k/ D e : (13.220)
Z (13.214) jDn
k
1
D p 3 d3 x f .r/eikr cos ˛ Den konstanten Faktor kann man vor die Summe ziehen und
Teil II
Teil II
Za Za (13.233)
Summe über die diskreten Werte 2 m übrig bleibt. Also gilt
2ia 2ia
D dx C dy
1
X 1
X x2 C a2 y2 C a2
ijk0
e D2 ı k0 2 m : (13.229) a a
jD1 mD1 Z1
du
D 4i ;
Dies war zu zeigen. u2 C 1
1
Das Integral über den geschlossenen Weg wird mit dem Residu- also ist s
ensatz ausgewertet. Der Integrand hat die Polstellen 1
p ex =2 :
2
h0 .x/ D (13.245)
1
z1 D e i=4
D p .1 C i/;
2 Um h1 zu erhalten, wird von f1 zunächst wieder der Teil abge-
1 zogen, der parallel zu h0 ist:
z2 D e 3 i=4
D p .1 C i/;
2
(13.238) hh0 ; f1 i
1 fN1 .x/ D f1 .x/ h0 .x/ D f1 .x/ hh0 ; f1 ih0 .x/; (13.246)
z3 D e 5 i=4
D p .1 i/; hh0 ; h0 i
2
1 da h0 bereits normiert ist. Mit
z4 D e7 i=4
D p .1 i/
2 Z1
Teil II
xex dx D 0
2
und lässt sich damit schreiben als hh0 ; f1 i / (13.247)
1 1 1
D : (13.239)
1 C z4 .z z1 /.z z2 /.z z3 /.z z4 / ergibt sich
fN1 .x/ D f1 .x/ D xex =2 :
2
Die Residuen der beiden Pole in der oberen Halbebene sind (13.248)
dann
Auch diese Funktion wird normiert:
1 z z1
Resz1 D lim Z1 p
1 C z4 z!z1 .z z1 /.z z2 /.z z3 /.z z4 /
hfN1 ; fN1 i D x2 ex dx D
2
; (13.249)
1 2
D 1
.z1 z2 /.z1 z3 /.z1 z4 /
p
2 also s
D ; 2
4i.1 C i/ h1 .x/ D p xex =2 :
2
(13.250)
1 1
Resz2 D
1Cz 4 .z2 z1 /.z2 z3 /.z2 z4 / Mit
p
2 p p
4
D : 1
4i.1 i/ hh0 ; f2 i D p
4
D und hh1 ; f2 i D 0 (13.251)
2 2
(13.240)
Damit hat man erhält man
Z1 Nf2 .x/ D x2 1 ex2 =2 (13.252)
1 1 1 2
dx D 2 i Res z1 C Res z2
1 C x4 1 C z4 1 C z4
1 und mit
p p
2 1 1 2 Z1 p
D C D : 1 x2
2 1Ci 1i 2 hfN2 ; fN2 i D x x C
4 2
e dx D (13.253)
(13.241) 4 2
1
13.6 Für die Berechnung der Integrale benötigt man die allge-
meinen Formeln
dann s
2 1 x2 =2
Z1 h2 .x/ D p x2 e : (13.254)
2
x2nC1 ex dx D 0
2
(13.242)
1 Schließlich ergibt sich aus
(wegen Symmetrie) und fN3 .x/ D f3 .x/ hh0 ; f3 ih0 .x/
(13.255)
Z1 hh1 ; f3 ih1 .x/ hh2 ; f3 ih2 .x/
.2n 1/ŠŠ p
x2n ex dx D
2
; (13.243)
2n zunächst
1 3
fN3 .x/ D x3 x ex =2
2
(13.256)
die man leicht in Formelsammlungen findet. Zunächst wird die 2
Funktion f0 normiert: und dann
Z1
p 2 3
x x ex =2 :
2
hf0 ; f0 i D ex2
dx D ; (13.244) h3 .x/ D p p 3
(13.257)
3 2
1
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 479
Teil II
Q22 D 2y x2 z2 .r/ dV;
p0 D dV r 0 .r/ D dV r .r r0 /
Z
Z (13.260) 2
Q33 D 2z x2 y2 .r/ dV:
D dV 0 .r0 C r0 / .r0 /;
Wir berechnen zunächst
wobei r0 D r r0 gesetzt und dV D dV 0 ausgenutzt wurde. Z Z Z
Dies ergibt aber x2 .r/ dV D y2 .r/ dV D z2 .r/ dV D 0 (13.269)
Z Z
(das letzte Integral ergibt sich wieder sofort wegen der Delta-
p0 D dV 0 r0 .r0 / C r0 dV 0 .r0 / D p C qr0 : (13.261)
funktion in z) und damit
Ist die Gesamtladung q D 0, so ist damit in der Tat p D p0 . Q11 D Q22 D Q33 D 0: (13.270)
(b) Die Komponenten des Quadrupolmoments sind Aus dem gleichen Grund erhält man außerdem sofort
Z
Q13 D Q23 D 0: (13.271)
Qij D .r/ 3xi xj r2 ıij dV: (13.262)
Letztlich bleiben als einzige nicht verschwindende Komponen-
Unter einer Verschiebung des Koordinatensystems erhält ten
Z
man wie eben
Q12 D Q21 D 3xy .r/ dV D 12a2 q0 : (13.272)
Z
Q0ij D .r0 / 3.x0i C x0;i /.xj0 C x0;j / Damit ist das elektrische Potenzial bis einschließlich des Qua-
(13.263) drupolanteils
.r0 C r0 /2 ıij dV 0 : 0 10 1
1 0 12a2q0 0 x
Löst man die Klammern auf und integriert die Summanden .r/ D 5 .x; y; z/> @ 12a2q0 0 0 A@ y A
2r 0 0 0 z
einzeln, führt dies auf
xy sin2 # sin.2'/
Q0ij D Qij C .3x0;i pj C 3pi x0;j 2p r0 ıij / D 12a2 q0 D 6a 2
q 0 : (13.273)
(13.264) r5 r3
C .3x0;i x0;j r20 ıij /q:
13.9 Die Ladungsdichte ist
Verschwinden Gesamtladung q und Dipolmoment p, so ist 8 n
ˆ z
< 0 c für a x a; b y b;
damit in der Tat Q0 D Q.
.r/ D c z c : (13.274)
:̂0 sonst
13.8 Die Ladungsdichte ist
Für die Gesamtladung erhält man zunächst
.r/ D q0 ı.z/ Œı.x a/ı.y a/ ı.x C a/ı.y a/ Z Zc
(13.265) 1
C ı.x C a/ı.y C a/ ı.x a/ı.y C a/ : qD .r/ dV D 2a 2b 0 n zn dz
c
c (13.275)
Für das Monopolmoment, also die Gesamtladung, ergibt sich (
damit sofort das offensichtliche Ergebnis
8abc0
D nC1 für gerade n
V0
D nC1 ;
Z 0 für ungerade n
qD .r/ dV D q0 q0 C q0 q0 D 0: (13.266) wobei V das Volumen des Quaders ist.
480 13 Vollständige Funktionensysteme: Fourier-Transformation und Multipolentwicklung
Wegen der Unabhängigkeit der Ladungsdichte von x und y sind 13.10 Die hier auftretenden Integrale können alle folgenderma-
bei p1 und p2 die Integranden jeweils ungerade Funktionen in x ßen geschrieben werden:
bzw. y, und man erhält sofort
b ba x c ac x bc y
Z Za Z Z
p1 D p2 D 0: (13.276) dV D dx dy dz
0 0 0
Bei p3 ist wieder eine Fallunterscheidung nötig: Z1 Z 0
1x 0
Z y
1x 0
c
( (13.277) D abc dy0 dz0 dx0
0 für gerade n
D 8abc2 0 : 0 0 0
nC2
D V0 c
nC2
für ungerade n Z1 Z 0
1z Z 0 x0
1z
Z1 Z 0
1x
Für den Quadrupoltensor berechnen wir wieder erst so gilt dies auch für die Ladungsverteilung. Dies folgt direkt aus
der Poisson-Gleichung und daraus, dass die Kugelflächenfunk-
Z
qa2 tionen Eigenfunktionen zum Laplace-Operator sind:
x2 .r/ dV D ;
10
Z
qb2 .r/ D .r/
y2 .r/ dV D ; (13.286) 4
Z
10 r N .r/ Ylm .#; '/ N
qc2 D Ylm .#; '/ .r/
z2 .r/ dV D 4 4 r2 (13.292)
10 r2 r N .r/ C l.l C 1/ N .r/
D Ylm .#; '/
und damit 4 r2
q.2a2 b2 c2 / D N.r/Ylm .#; '/:
Q11 D ;
Teil II
10
q.2b2 c2 a2 / Nun zeigen wir die andere Richtung: Hat die Ladungsverteilung
Q22 D ; (13.287) die Winkelabhängigkeit einer der Kugelflächenfunktionen,
10
q.2c2 a2 b2 /
Q33 D : .r/ D N.r/Ylm .#; '/; (13.293)
10
Die Nicht-Diagonalelemente sind etwas aufwendiger zu berech- so gilt dies auch für das Potenzial. Dies folgt aus der Multi-
nen, hier beispielhaft polentwicklung und der Orthogonalität der Kugelflächenfunk-
tionen:
Z1 Z 0
1x Z1
0 0 4
dy0 y0 .1 x0 y0 /
0
Q12 D 3a b c
2 2
0 dx x ql0 m0 D r02 dr0 N .r0 /r0l
2l0 C 1
0 0 0
Z
Z1
1 d Ylm .# 0 ; ' 0 /Yl0 m0 .# 0 ; ' 0 /
0
(13.294)
D 3a2 b2 c 0 dx0 x0 .1 x0 / .1 x0 /2
2
0 Z1
4 0
1 (13.288) D dr0 N .r0 /r0l C2 ıll0 ımm0 ;
.1 x0 /3 2l0 C 1
3 0
Z1
a2 b2 c 0 also
D dx0 x0 .1 x0 /3
2 1 0
0 X 1 X
l
4
.r/ D ıll0 ımm0 Yl0 m0 .#; '/
a2 b2 c 0 1 3qab rl0 C1 2l0C1
D D Z
l0 D0 m0 Dl0
2 20 20 0
dr0 N.r0 /r0l C2 (13.295)
und aus Symmetriegründen R 0
4 dr N .r0 /r0lC2
qac qbc D Ylm .#; '/
Q13 D ; Q23 D : (13.289) 2l C 1 rlC1
20 20 D N .r/Ylm .#; '/:
(13.91) 15
r
1 q22 D .Q11 Q22 2iQ13 /;
X l
r< 2 4 2 r< 30
2 R2 eO z ıl1 D R eO z 2 ; (13.299) r
lC1
lD0 r>
2l C 1 3 r>
q2;2 D .Q11 Q22 C 2iQ13 /:
30
wobei r< D min.R; r0 / und r> D max.R; r0 / ist. Wird eO z wieder
allgemeiner als r0 =r0 geschrieben, so erhalten wir 13.14 Die Ladungsdichte ist
8
I ˆR
0 < für r0 > R ı.cos #/
1 4 2r 02 .r/ D 0 (13.306)
df 0
D R 0 rr0 : (13.300) r
jr r j 3 r :̂ 0
für r < R
rDR
R2 für r r0 und ansonsten null. Damit hat man
Damit hat man das angegebene Ergebnis (13.213).
Zr0 Z2 Z1
4 0
13.13 Zunächst hat man für das Monopolmoment qlm D 2
r dr r l1
d' d cos #
2l C 1
Z 0 0 1
4
q0 0 D dV 0 .r0 /r00 Y00
.# 0 ; ' 0 / ı.cos #/Ylm .#; '/: (13.307)
20C1
Z r (13.301)
0 0 1 p Die Integrale über r und # können sofort ausgeführt werden:
D4 dV .r / D 4 q:
4
Z2
4 0 r0lC2
Bei den Dipolmomenten ist qlm D d' Ylm . =2; '/: (13.308)
.2l C 1/.l C 2/
Z 0
4
q1 0 D dV 0 .r0 /r01 Y10
.# 0 ; ' 0 /
21C1 Für das Integral über ' beachte, dass die '-Abhängigkeit von
Z r
4 3 Ylm allein in dem Faktor eim' steckt. Wegen
D dV 0 .r0 /r0 cos # 0 (13.302)
3 4
r Z r Z2
4 4
D dV 0 .r0 /z0 D p3 eim' d' D 2 ım 0 (13.309)
3 3
0
und
folgt sofort, dass qlm D 0 ist für alle m ¤ 0 und
Z r
4 3 0
q1 1 D dV 0 .r0 /r0 sin # 0 ei' 8 2 0 r0lC2
r
3 8 ql0 D Y . =2; 0/
Z .2l C 1/.l C 2/ l0
2 (13.310)
D dV 0 .r0 /r0 sin # 0 .cos ' 0 i sin ' 0 / r
3 2 0 r0lC2 4
r Z D Pl .0/:
2 lC2 2l C 1
D dV 0 .r0 /.x0 iy0 /
3
r Für die weitere Auswertung benutzt man zunächst, dass für
2 ungerade l die Legendre-Funktionen Pl ungerade Funktionen
D .p1 ip2 /I (13.303)
3 sind, also Pl .0/ D 0 gilt. Für gerade l kann man dagegen
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 483
beispielsweise folgende Formel benutzen, die man in der ma- gilt, folgt sofort, dass qlm D 0 für alle ungeraden m und dass
thematischen Literatur findet: man für gerade m die Summe Ylm .#; 0/ C Ylm .#; / durch
s
1 X
l=2
l 2l 2k 2l C 1 .l m/Š m
Pl .x/ D .1/ k
xl2k : (13.311)
2l kD0 k l 2Ylm .#; 0/ D2 P .cos #/ (13.318)
4 .l C m/Š l
Teil II
2l C 1 .l C m/Š sin # l
1
r
2 0 r0lC2 4 .1/l=2 l s Z1
ql0 D : (13.313) 4 .l m/Š P m .x/
lC2 2l C 1 2l l=2 D 20 r0lC1 dx p l :
2l C 1 .l C m/Š 1 x2
1
Alle anderen Multipolmomente verschwinden.
(13.319)
13.15 Die Ladungsdichte ist
Für ungerade l sind die Legendre-Polynome Pl ungerade Funk-
ı.r r0 / .ı.'/ C ı.' // tionen. Wegen (13.161) gilt dies bei geradem m auch für die
.r/ D 0 : (13.314) zugeordneten Legendre-Funktionen. Für ungerade l verschwin-
r sin #
det also das Integral und damit qlm .
Eingesetzt in die allgemeine Gleichung für die sphärischen Mul-
Anmerkung: Zumindest für m D 0 kann man das Integral auch
tipolmomente (13.196) ist zunächst
exakt auswerten; es gilt nämlich (Gradshteyn & Ryzhik 1994):
Z1 Z2
4 0 Z1 2
qlm D r2 dr rl1 ı.r r0 / d' .1=2 C n/
2l C 1 .1 x2 /1=2 P2n .x/dx D (13.320)
0 0 nŠ
(13.315)
Z1 1
d cos #
.ı.'/ C ı.' // Ylm .#; '/:
sin # für alle natürlichen Zahlen n. (Die Gammafunktion .x/ wird
1
im „Mathematischen Hintergrund“ 32.1 ausführlicher disku-
Die Integrale über r und ' können sofort ausgeführt werden: tiert.) Benutzt man außerdem noch, dass für die Gammafunktion
Literatur
Teil II
atomarer Ebene bei?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_14, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 485
486 14 Elektrische Felder in Materie
Die Maxwell-Gleichungen, wie wir sie bis jetzt diskutiert haben, Damit erfüllen die gemittelten Größen dieselben Maxwell-
sind fundamentale, auf mikroskopischem Niveau gültige Grundglei- Gleichungen wie die mikroskopisch vorhandenen.
chungen. Sobald man es mit makroskopischen Körpern zu tun hat,
In diesem Kapitel werden wir ausschließlich Fälle betrachten,
sind die tatsächlichen auf atomarer oder molekularer Ebene vor-
in denen abgesehen von thermischen und Quantenfluktuatio-
liegenden Ladungsverteilungen natürlich viel zu komplex, als dass
nen keine Zeitabhängigkeit im Spiel ist, und damit die auf
man direkt mit ihnen Berechnungen anstellen könnte. Zudem sind
mikroskopischer Ebene vorhandene Zeitabhängigkeit nach der
alle mikroskopischen Ladungsträger in permanenter thermischer
Mittelung verschwindet und so auf den linken Seiten von (14.1)
Bewegung. Eine Beschreibung mit den Methoden der Elektrostatik
bis (14.3) das Argument t wegfällt. Später werden wir aber
kann also nur im Mittel gültig sein.
die Verallgemeinerung auf eine zeitabhängige makroskopische
In Abschn. 14.1 werden wir eine entsprechende Mittelungsproze- Elektrodynamik betrachten, bei der die gemittelten Größen auch
dur einführen und dabei finden, dass das Verhalten von Materie in zeitabhängig sein dürfen, allerdings ebenfalls in geglätteter
Anwesenheit von elektrischen Feldern phänomenologisch durch Po- Form, ohne die mikroskopischen Zeitskalen.
Teil II
1 1
14.1 Makroskopische Elektrostatik .j/
.r/ D q.j/ C p .j/ r .j/ C :::
jr rj j jr rj j
(14.4)
1 1
Ausmittelung der atomaren Strukturen D q.j/ p .j/ r C :::
jr rj j jr rj j
Um die atomaren Strukturen in den Ladungsverteilungen und Die mikroskopische Monopol- und Dipolladungsverteilung er-
den von ihnen erzeugten Feldern auszumitteln und durch ma- gibt sich durch Summation über alle Moleküle, die wir mit
kroskopisch glatte Funktionen darstellen zu können, führen wir X X
eine Mittelungsfunktion
R f .r0 / ein, die um r0 D 0 konzen- mol .r/ D q.j/ ı.rrj /; mol .r/ D p .j/ ı.rrj / (14.5)
triert ist, sodass dV f .r0 / D 1 gilt, während f verschwindet
0
j j
oder vernachlässigbar klein wird, sobald jr0 j einige Hundert
Atomabstände erreicht. Wichtig ist hierbei nur, dass die auf bezeichnen.
atomarer Größenordnung wild fluktuierenden Ladungsvertei- Das zum aufsummierten Potenzial gehörige elektrische Feld
lungen hinreichend geglättet werden, aber alle makroskopisch schreibt sich damit auf molekularer Ebene als
interessanten Variationen erhalten bleiben.
Z 00
mol .r / 1
Wir definieren damit für alle betrachteten Felder gemittelte Grö- Emol .r/ D r dV 00 00
mol .r00 / r
ßen wie folgt: jr r j jr r00 j
(14.6)
Z und gemittelt
h .t; r/i D dV 0 f .r0 / .t; r C r0 /; (14.1) Z Z 00
Z mol .r /
hEmol .r/i D dV 0 f .r0 / .r / dV 00
h .t; r/i D dV 0 f .r0 / .t; r C r0 /; (14.2) jr C r0 r00 j
(14.7)
Z 1
mol .r00 / r :
hE.t; r/i D dV 0 f .r0 / E.t; r C r0 /: (14.3) jr C r0 r00 j
Diese lineare Mitteilungsvorschrift ist offensichtlich mit Diffe- Wenn wir davon die Divergenz bilden, so können wir r .r / D
renziationen vertauschbar, also z. B. hr E.t; r/i D r hE.t; r/i. auf 1=jr C r0 r00 j wirken lassen und unter Verwendung
14.1 Makroskopische Elektrostatik 487
Wir haben damit h i für alle Moleküle durch eine Monopol- und −+
− + −+
−+ −+
− + −+
− + −+
− + ^
− +
=
eine Dipolladungsdichte repräsentiert. −+
−+ −+
−+ −+
−+ −+
−+ −+
−+ − +
−+
−+ −+
−+ −+
−+ −+
−+ −+
−+ − +
Teil II
Falls außerhalb der betrachteten Materie noch weitere La-
dungsverteilungen im Spiel sind, dann können wir wegen des Abb. 14.1 Ein elektrisch polarisierter Körper, bei dem mikroskopische elek-
Superpositionsprinzips deren Maxwell-Gleichung trische Dipole alle in einer Richtung ausgerichtet sind, hat ein im Inneren
konstantes P-Feld und eine an den Rändern konzentrierte Polarisationsladungs-
r Eext .r/ D 4 ext .r/ (14.9) dichte P . Im Limes vernachlässigbar kleiner atomarer Längenskalen wird
letztere durch Deltafunktionen beschrieben
separat lösen und einfach addieren:
r hE.r/i D 4 h .r/i D 4 Œh frei .r/i Ch mat .r/i ; (14.10) Da P nur in Anwesenheit von Materie auftritt, ist trivialerwei-
se der Fluss dieses Vektorfeldes durch eine geschlossene Fläche
wobei wir folgende Notationen eingeführt haben: @V, die im Vakuum verläuft und ein Materiestück komplett um-
schließt, null. Dies impliziert mit dem Gauß’schen Integralsatz
h frei .r/iD h mol .r/i C ext .r/; (14.11) I Z Z
h mat .r/i D r h mol .r/i: (14.12) df P D dV r P D dV P D 0; (14.15)
@V V V
Die Bezeichnung „mat“ soll dabei daran erinnern, dass h mat .r/i
die in der Materie gebundene Ladungsverteilung repräsentiert, d. h., dass sich über das gesamte Material gerechnet positive und
während die Ladungsüberschüsse h mol .r/i sowie die externen negative Beiträge zur Polarisationsladungsdichte P die Waage
Ladungsverteilungen h ext .r/i nicht in dieser Weise gebunden halten – etwaige Überschussladung ist immer Teil der freien La-
sind. dungsdichte f .
Ist ein Körper durch eine konstante elektrische Polarisation cha-
rakterisiert, so verschwindet im Inneren P identisch und bildet
Phänomenologische Grundgleichungen eine deltafunktionsförmig auf der Oberfläche konzentrierte Po-
der Elektrostatik larisationsflächenladungsdichte als näherungsweise Beschrei-
bung der mikroskopischen Ladungsverteilungen (Abb. 14.1).
In der makroskopischen Formulierung werden wir im Folgen- Das gemittelte elektrische Feld erfüllt nun
den die Mittelungssymbole einfach weglassen und
div E D 4 . f C P/ D4 f 4 div P; (14.16)
hEi ! E; h frei i ! f
wobei P im Gegensatz zu den freien Ladungsdichten f nor-
malerweise nicht direkt vorgegeben werden kann, sondern sich
ersetzen, weil wir die auf mikroskopischer Ebene vorhandenen
unter dem Einfluss elektrischer Felder erst einstellt. Da P die
und dort stark fluktuierenden elektrischen Felder E und La-
Divergenz des Vektorfeldes P ist, kann es aber mit E kombiniert
dungsdichten nicht wirklich betrachten können.
werden.
Für die gemittelte Dipolladungsdichte führen wir die Bezeich-
nung
Phänomenologische Maxwell-Gleichungen
P.r/ WD h mol .r/i (14.13)
in der Elektrostatik
ein, wobei das Feld P elektrische Polarisation genannt wird. Durch Einführen des sogenannten dielektrischen Ver-
Die Größe h mat .r/i D r h mol .r/i wird ab nun Polarisa- schiebungsfeldes
tionsladungsdichte heißen und mit P bezeichnet, sodass gilt:
D D E C 4 P; (14.17)
P D r P: (14.14)
488 14 Elektrische Felder in Materie
div D D 4 f; (14.18) In linearen Medien und bei statischen Verhältnissen ist e im-
mer positiv und dementsprechend 1. Materalien mit > 1
rot E D 0: (14.19)
nennt man Dielektrika. Sind in einem Medium innere Dipol-
Wie wir in Abschn. 15.7 noch diskutieren werden, bleibt momente bereits vorhanden, die ohne äußere Felder ungeordnet
(14.18) analog zu (11.28) auch im dynamischen, zeitab- sind und durch äußere Felder zunehmend ausgerichtet werden,
hängigen Fall gültig. (rot E D 0 ist dagegen der statische hat man es mit Orientierungspolarisation zu tun. Ein Beispiel
Teil II
Grenzfall des Faraday’schen Induktionsgesetzes und im hierfür ist Wasser – H2 O-Moleküle haben ein permanentes elek-
dynamischen Fall natürlich wieder durch (11.143) zu er- trisches Dipolmoment.
setzen.)
Wenn 1 ist und D; P als Funktionen von E nichtlineares
Verhalten zeigen, weil es zu spontanen kollektiven Ausrich-
In SI-Einheiten definiert man dagegen (siehe Aufgabe 14.1 für tungen der permanenten elektrischen Dipole kommen kann,
die Herleitung) spricht man von ferroelektrischen Medien, in Anlehnung an das
Phänomen des Ferromagnetismus (Kap. 15), wo sich magne-
DŒSI D 0 EŒSI C PŒSI ; (14.20) tische Dipole unterhalb einer kritischen Temperatur kollektiv
ausrichten können (auch wenn Eisen kein Beispiel für ein Ferro-
und die Maxwell-Gleichung für DŒSI lautet elektrikum ist). Ferroelektrizität wurde erst im 20. Jahrhundert
entdeckt, erstmals bei Seignettesalz, einem Salz der Weinsäure.
div DŒSI D f
ŒSI
: (14.21)
Ein anderer und allgemeiner möglicher Mechanismus zur Aus-
Die Grundgleichungen der makroskopischen Elektrostatik ha- bildung von elektrischer Polarisation ist die Deformationspo-
ben damit dieselbe Form wie in Kap. 12, nur haben wir nun larisation. Hierbei werden Dipolmomente durch Ladungsver-
doppelt so viele Felder (E und P bzw. E und D). Damit diese schiebungen auf atomarer oder molekularer Ebene generiert,
lösbar werden, brauchen wir weitere Gleichungen, phänomeno- entweder zusätzlich zu schon vorhandenen permanenten Dipol-
logische Materialgleichungen (auch konstitutive Gleichungen momenten oder auch wenn ohne äußere Felder die Moleküle
genannt), die P in elektrisch polarisierbarer Materie durch E unpolar sind. Während die Orientierungspolarisation stark tem-
(bzw. D durch E) bestimmen: peraturabhängig ist, da thermische Bewegung die Ausrichtung
von molekularen Dipolen durch äußere Felder stört, ist die
P D PŒE: (14.22) Deformationspolarisation weitgehend unabhängig von der Tem-
peratur.
Manchmal werden zur Unterscheidung von Deformations- und
Materialgleichungen für Dielektrika Orientierungspolarisation die Begriffe eigentlich dielektrisch
und paraelektrisch verwendet. Eigentlich dielektrische Substan-
Für die meisten Materialien gilt bei hinreichend schwachen und zen haben typischerweise sehr nahe bei 1, während es Wasser
schwach veränderlichen äußeren elektrischen Feldern, dass die mit seinen polaren Molekülen bei Raumtemperatur auf den
Polarisation P linear mit E zunimmt. Für derartige lineare Me- vergleichsweise hohen Wert von 80 bringt. Der Begriff Pa-
dien definiert man die elektrische Suszeptibilität e durch raelektrikum ist aber üblicherweise reserviert für Substanzen,
in denen 1 ist und bei denen es bereits zu nicht linea-
P.r/ D e E.r/: (14.23) rem Verhalten kommt, aber noch ohne spontane Ausrichtung
der permanenten elektrischen Dipole. Ein Beispiel für eine sol-
Bei inhomogener Materie, wenn etwa die Dichte variiert, kann che Substanz ist Strontiumtitanat SrTiO3 mit 300.
e selbst eine Funktion von r sein, und bei anisotroper Materie
mit ausgezeichneten Raumrichtungen wie bei Kristallen kann
e ein Tensor sein, sodass Pi D .e /ij Ej gilt. Wir werden aller-
dings im Folgenden immer annehmen, dass e eine einfache Formel von Clausius-Mossotti
Materialkonstante ist.
Wenn P linear von E abhängt, dann gilt dies auch für die dielek- Eine Verbindung zwischen makroskopischer Polarisierbarkeit,
trische Verschiebung D: charakterisiert durch e , und einer mikroskopischen Polarisier-
D D .1 C 4 e /E E; (14.24) barkeit ˛, definiert durch
wobei Eloc das lokal auf ein Molekül wirkendes Feld ist, ergibt
sich dadurch, dass P D Nhpi mit N der Anzahl der Moleküle +++
++++++++++
pro Einheitsvolumen ist. Für das lokal wirksame Feld Eloc müs- +
+++ ++
++ +++
sen wir aber berücksichtigen, dass die induzierte Polarisation + +
eines Moleküls durch alle anderen Objekte mit Ausnahme des + +
+ +
betrachteten Moleküls verursacht wird. Wir werden dies nähe-
rungsweise berücksichtigen, indem wir eine kleine Kugel mit +
Radius R um das herausgegriffene Molekül bilden und dort die d
−
ansonsten homogen angenommene Polarisation P null setzen.
Wegen des Superpositionsprinzips können wir die zugehörige − −
− −
Feldstärke dadurch ausrechnen, dass wir das elektrische Feld − −
−− −−
einer homogen polarisierten Kugel in derem Ursprung ausrech- − − −−−
−−−− − −−−
−−−− −
nen und dies dann vom mittleren Feld E D P=e subtrahieren.
Teil II
−−
Feld in einer homogen polarisierten Kugel Abb. 14.2 Die Polarisationsladungsdichte einer homogen polarisierten
Kugel entspricht der Überlagerung von zwei homogen geladenen Ku-
Eine homogen polarisierte Kugel mit Radius R um den geln, deren Mittelpunkte leicht gegeneinander verschoben sind
Ursprung ist in Kugelkoordinaten gegeben durch
Wir brauchen also nur das Feld im Inneren einer homogen
P0 für r < R geladenen Kugel berechnen und zwei entgegengesetzt ge-
P D P0 .R r/ D (14.26) ladene Konfigurationen entsprechend superponieren. Das
0 für r > R.
elektrische Feld einer kugelsymmetrischen Ladungsver-
Dies geht einher mit einer Polarisationsladungsdichte teilung ist radial gerichtet und im Abstand r durch die
eingeschlossene Ladung Q.r/ D .4 r3 =3/ 0 gegeben:
@
P D r P D P0 rO .R r/ r 4
@r (14.27) E˙ .r/ D ˙Q.r/ D˙ 0 r; r < R: (14.29)
D CP0 rO ı.r R/: r3 3
Das zugehörige E-Feld könnte man im Prinzip direkt über Das Feld von zwei verschobenen Kugeln ist im Überlap-
(12.9) ausrechnen, was aber einigermaßen mühsam wird. pungsbereich
In Abschn. 14.3 werden wir den mathematischen Apparat 4
aus Kap. 13 dazu verwenden, um solche Probleme syste- EC .r d=2/ C E .r C d=2/ D d (14.30)
3
matisch anzugehen.
also völlig konstant. Mit P0 D 0 d bekommen wir dem-
Der Fall einer homogen polarisierten Kugel kann unter nach für das Feld im Inneren einer homogen polarisierten
Ausnutzung des Superpositionsprinzips aber auch direkt Kugel das bemerkenswerte Resultat, dass dieses dort kon-
und zudem physikalisch sehr anschaulich dadurch ge- stant ist, mit der Stärke
löst werden, dass wir zwei homogen geladene Kugeln
betrachten, die übereinanderliegen und entgegengesetzt 4
ED P: (14.31)
geladen, aber ein wenig gegeneinander verschoben sind. 3
Dann heben sich im Überlappungsbereich ihre Ladungen
(Ein ähnliches Ergebnis gilt auch für Ellipsoide, wie in
auf, aber an den Rändern bekommen wir eine Ladungs-
der relativ anspruchsvollen Aufgabe 14.8 gezeigt wird.)
verteilung, die im Grenzfall infinitesimaler Verschiebung
und gleichzeitig divergierender Ladungsdichte die dis- Der Wert des D-Feldes ist damit D D E C 4 P D
tributionelle Polarisationsladungsdichte (14.27) ergibt. C.8 =3/P. Obwohl ein permanent polarisierter Körper
(Abb. 14.2) (ein Elektret) ein stark nichtlineares Medium darstellt,
bei dem P, E und D nicht von vornherein parallel sein
Mit ˙ .r/ D ˙ 0 .R r/ für die Ladungsverteilungen
müssen, ist dies beim Kugelelektreten (jedenfalls in Ab-
der noch unverschobenen Kugeln erhalten wir nämlich
wesenheit äußerer Felder) der Fall. J
für eine (infinitesimale) Verschiebung ihrer Mittelpunk-
te um ˙d=2
Frage 1
D C .r d=2/ C .r C d=2/
(14.28) Um zu würdigen, wie bemerkenswert das Ergebnis (14.31)
D 0 d r .R r/: ist, überlegen Sie qualitativ, wie die Felder E und D bei ei-
nem permanent polarisierten Quader oder Zylinder (wird als
Wir können somit P0 D 0d identifizieren. Stabelektret bezeichnet) in etwa aussehen, wenn P im Inneren
konstant ist. Denken Sie dabei daran, dass das E-Feld dem eines
490 14 Elektrische Felder in Materie
2
Mit dem Ergebnis (14.31) können wir unsere Betrachtungen zur Höhe
mikroskopischen Polarisierbarkeit fortsetzen. Um das am Ort Δh
eines Moleküls lokal wirksame Feld Eloc zu bestimmen, set-
zen wir dort das Polarisationsfeld null, indem wir das Feld einer 1
kleinen homogen polarisierten Kugel subtrahieren. Wir bekom-
men damit
4
Eloc D E C P (14.32) Abb. 14.3 Zur Herleitung der Anschlussbedingung für D
3
Teil II
und folglich
In Dielektrika dagegen sind Ladungsverschiebungen auf ato-
4
P D N˛Eloc D N˛ E C P ; (14.33) mare Abstände beschränkt, sie sind daher Isolatoren. (Eine
3 eventuell vorhandene schwache Leitfähigkeit werden wir in die-
sem Kapitel vernachlässigen.) Elektrische Felder werden nicht
woraus wir komplett abgeschirmt, und demnach besteht kein Grund dafür,
N˛
PD E e E (14.34) dass ihre Oberflächen Äquipotenzialflächen darstellen sollten.
1 4 N˛=3
erhalten. Mit D 1C4 e liefert dies die sogenannte Clausius- Um die Anschluss- oder Übergangsbedingungen von Feldern an
Mossotti-Formel der Grenzfläche von Dielektrika zu bestimmen, gehen wir von
3 1 der Integralversion der Grundgleichungen der makroskopischen
˛D : (14.35) Elektrostatik aus.
4 N C2
Das Gauß’sche Gesetz für die freie Ladungsdichte lautet
Frage 2
Rechnen Sie diese nach! I Z
df D D 4 dV f ; (14.36)
@V V
Wir haben in dieser Rechnung ignoriert, dass auf mikroskopi-
scher Ebene die Felder von benachbarten Molekülen ebenfalls und dies liefert eine Anschlussbedingung für das Feld D wie
Abweichungen vom mittleren Feld ergeben könnten. Tatsäch- folgt.
lich ging in obiger Rechnung nicht ein, wie groß nun der Radius
R der Kugel war, die wir aus dem Dielektrikum herausgeschnit- Wenn wir einen Punkt an einer Grenzfläche zweier Dielektrika
ten haben. Die Clausius-Mossotti-Formel ist daher auch nur betrachten (oder auch zwischen einem Dielektrikum und dem
gültig, wenn dies mikroskopisch deshalb zutrifft, weil entwe- leeren Raum), dann können wir ein infinitesimales Volumen um
der die Moleküle äußerst symmetrisch angeordnet sind und sich diesen Punkt legen, das, wie in Abb. 14.3 gezeigt, eine infinite-
diese Beiträge aus Symmetriegründen kompensieren, oder weil simale Fläche a aus der Grenzfläche beinhaltet und mit einer
die übrigen Moleküle so regellos verteilt sind, dass sich ihre infinitesimalen Höhe ˙h=2 beidseitig umschließt. Wenn n der
Beiträge wegmitteln. Normalenvektor auf der Grenzfläche ist, der von Medium 1 zu
Medium 2 zeigt, dann ist der Fluss von D durch die Oberfläche
durch n .D2 D1 /a gegeben, weil auf der Seite von Medium
2 das vektorielle Flächenelement df proportional zu n und auf
14.2 Anschlussbedingungen der Seite von Medium 1 proportional zu n ist. D1 und D2 sind
hierbei die Grenzwerte von D, wenn man sich der Grenzfläche
an Grenzflächen von Medium 1 bzw. Medium 2 annähert (und keine Komponen-
ten!).
Wenn Materie vorhanden ist, haben wir es normalerweise mit
begrenzter Ausdehnung derselben und daher mit Grenzflächen Frage 3
zwischen Gebieten mit unterschiedlichen Materialkonstanten zu Überlegen Sie sich, dass nur die Deckflächen zum Nettofluss
tun. beitragen, wenn D innerhalb eines Mediums stetig und daher
Im Fall von elektrischen Leitern konnten wir das von ihnen ein- näherungsweise konstant ist.
geschlossene Volumen vom gesamten Raum subtrahieren, wo-
bei an den entstehenden Rändern die einfache Randbedingung
von Äquipotenzialflächen für das elektrostatische Potenzial zu Auf der rechten Seite von (14.36) bekommen wir 4 mal die
fordern war. infinitesimale Ladung Q D f ah. Im Limes a ! 0,
14.2 Anschlussbedingungen an Grenzflächen 491
h ! 0 ergibt dies n
Länge Δl
Z
h=2
2
n .D2 D1 / D 4 lim f dh DW 4 f : (14.37)
h!0 Höhe Δh
h=2
t
Falls f eine kontinuierliche Ladungsverteilung ist, verschwin- 1
det im Limes h ! 0 die rechte Seite. Falls aber eine ı-förmig
auf der Grenzfläche lokalisierte freie Ladung vorliegt, gibt f
die entsprechende freie Flächenladungsdichte an.
Die Anschlussbedingung (14.37) besagt somit, dass die Nor- Abb. 14.4 Zur Herleitung der Anschlussbedingung für E
malkomponente von D stetig ist, falls keine freie Flächenla-
Teil II
dungsdichte f vorliegt. In Anwesenheit einer freien Flächenla-
dungsdichte wird die Diskontinuität in der Normalkomponente Die Anschlussbedingung, die wir aus rot E D 0 gefolgert
durch 4 f festgelegt. (In Analogie zur räumlichen Divergenz haben, gilt auch im allgemeinen dynamischen Fall mit Zeitab-
(14.18) wird dies gelegentlich als Flächendivergenz bezeichnet hängigkeiten. Wir hätten dann auf der rechten Seite von (14.39)
und DivD DW n .D2 D1 / D 4 f geschrieben.) eigentlich die Zeitableitung des magnetischen Flusses durch die
infinitesimale Fläche F anschreiben müssen. Da wir aber die
An einer Grenzfläche von zwei Gebieten mit 1 6D 2 kommt es Situation betrachtet haben, wo @F entlang der Grenzfläche im
im Allgemeinen, auch wenn f D 0 ist, zu einer Diskontinuität Limes h ! 0 geführt wird und dabei die Fläche F ver-
in nE und nP, die mit einer Polarisationsflächenladungsdichte schwindet, bleibt es bei der Anschlussbedingung (14.41). Die
Anschlussbedingung für D hingegen hatten wir ohnehin aus der
P DW n .P2 P1 / (14.38) (wie wir noch diskutieren werden) allgemeingültigen Gleichung
div D D 4 f und ihrer Integralversion (14.36) gefolgert. Beide
einhergeht (siehe (14.14)). Ein Beispiel dafür haben wir bereits Anschlussbedingungen gelten somit ganz allgemein an Grenz-
in Abb. 14.1 gesehen. flächen von Medien.
Eine weitere Anschlussbedingung, diesmal für das E-Feld, folgt
aus rot E D 0 und der entsprechenden Integralgleichung
I Anschlussbedingungen von D- und E-Feldern
dr E D 0; (14.39) in der makroskopischen Elektrodynamik
n .E2 E1 / D 0; (14.41)
wobei n die Flächennormale ist. (Mit n von Medium 1 zu Medi- Feldlinienverlauf an Grenzflächen
um 2 zeigend wird diese Differenz der Tangentialkomponenten
von E an der Grenzfläche gelegentlich als Flächenrotation be-
zeichnet und Rot E D n .E2 E1 / geschrieben. Um keine Betrachten wir die Grenzfläche von zwei isotropen Medien mit
Verwechslung mit gewöhnlicher Rotation und Divergenz, die Dielektrizitätskonstanten 1 und 2 , dann gilt auf den beiden
klein rot und div geschrieben werden, zu riskieren, werden wir Seiten der Grenzfläche jeweils
im Folgenden die Operatoren Flächenrotation und Flächendi-
vergenz aber nicht in dieser Form verwenden.) D1 .r/ D 1 E1 .r/; D2 .r/ D 2 E2 .r/: (14.44)
492 14 Elektrische Felder in Materie
tan ˛1 tan ˛2
D : (14.47) Abb. 14.5 Brechung der Feldlinien: E (rot ), D (blau ), beim Übergang von ei-
1 2 nem Dielektrikum mit 1 D 1;5 zu einem mit 2 D 2. Da angenommen wurde,
dass keine freien Flächenladungsdichten vorliegen, ist beim Übergang zwischen
Das bedeutet, dass beim Übergang von einem Medium mit 1 zu den zwei Medien die Normalkomponente von D stetig. Die Tangentialkompo-
einem mit 2 > 1 , also zu einem elektrisch dichteren Medium, nente von E ist generell stetig
die Feldlinie von der Flächennormale weg gebrochen wird und
vice versa. Dies ist, wie wir in Abschn. 17.2 noch sehen werden,
qualitativ entgegengesetzt den Verhältnissen bei der Brechung Frage 4
von Licht beim Übergang von einem optisch dünneren zu einem
Machen Sie sich anhand von Abb. 14.5 klar, dass im Allge-
optisch dichteren Medium. (Zudem tritt beim Brechungsgesetz
der Optik jeweils der Sinus anstelle des Tangens des Brechungs- Hmeinen das D-Feld auf eine nichtverschwindende Zirkulation
winkels auf.) @F dr D führt, wenn @F wie in (14.39) gewählt wird.
und damit
Punktladung vor dielektrischem Halbraum
Teil II
8
ˆ r dOez r C dOez
In Kap. 12 konnten wir das Beispiel einer Punktladung ˆ
<q C q0 z>0
jr dOez j3 jr C dOez j3
vor einem leitenden Halbraum erfolgreich und einfach E.r/ D
ˆ r dOez
mittels Bildladungsansatz lösen. Nun betrachten wir das :̂ q00 z < 0:
analoge Problem mit einem Dielektrikum, das den Halb- jr dOez j3
raum z < 0 komplett ausfüllt. Die Punktladung befinde (14.53)
sich bei x D y D 0 und z D d. Die Bedingung (14.43), dass E an der Grenzfläche stetige
Tangentialkomponenten haben muss, ergibt
r r
q C q0 2
.r2
Cd / 2 3=2 .r C d 2 /3=2
r (14.54)
d D q00 2
.r C d 2 /3=2
q z
q C q0 D q00 (14.55)
Da wir nun die Felder für zwei Raumbereiche zu bestim- erreicht wird.
men haben, für das Vakuum im Halbraum z > 0 und auch
Die weitere Bedingung (14.42), dass D an der Grenzflä-
im Inneren des Dielektrikums, machen wir jeweils einen
che stetige Normalkomponenten haben muss, verlangt für
Bildladungsansatz, bei dem fiktive Ladungen außerhalb
alle r D .x; y; 0/
des gerade betrachteten Volumens positioniert werden.
Für die Rechnung in Halbraum z > 0 nehmen wir wie im
dOez dOez
Fall des leitenden Mediums eine zu bestimmende Bildla- q C q0 2
dung q0 bei x D y D 0 und z D d an. Für das Innere .r2 C d 2 /3=2 .r C d 2 /3=2
(14.56)
des Dielektrikums dürfen wir natürlich keine (freie) La- dOez
dung bei z < 0 haben, also setzen wir eine Bildladung D q00 2 ;
.r C d 2 /3=2
bei positiven z an. Wir versuchen es der Symmetrie we-
gen mit einer Ladung q00 bei x D y D 0 und z D d, also was hingegen
der Position der wirklich in diesem Gebiet vorhandenen
q C q0 D q00 (14.57)
Ladung:
erfordert.
Berechnung für z < 0: Berechnung für z > 0:
Die Anschlussbedingungen reduzieren sich also auf zwei
algebraische Gleichungen für die zwei Unbekannten q0
und q00 mit der Lösung
d d d
1 2
z q0 D q ; q00 D q : (14.58)
q q q C1 C1
Feld Feld von Das resultierende elektrische Feld (14.53) ist in Abb. 14.6
von q q und q dargestellt.
494 14 Elektrische Felder in Materie
Verwendung von vollständigen Letzteres ist bis auf eine additive winkelunabhängige Konstante
Funktionensystemen anhand des Beispiels einer äquivalent zu
dielektrischen Kugel in einem ursprünglich
i .r D R; #; '/ D a .r D R; #; '/: (14.63)
homogenen Feld
Aber es dürfen sich diese Randwerte auch nicht um eine Kon-
Hat eine Randwertaufgabe ein hinreichendes Maß an Symme- stante unterscheiden. Dies würde eine divergente radiale Ab-
trie, kann man mit Entwicklungen des Potenzials nach entspre- leitung @r D Er ergeben; die Anschlussbedingung (14.61)
chenden vollständigen Funktionensystemen ans Ziel kommen. verlangt aber nur einen endlichen Sprung von Er .
Als ein instruktives Beispiel betrachten wir dafür eine dielektri- Wenn nicht gleichzeitig l D 1 und m D 0 ist, bekommen wir
sche Kugel mit Dielektrizitätskonstante und Radius R in einem somit das Gleichungssystem
äußeren, ursprünglich homogenen elektrischen Feld der Stärke
lC1
E0 . Alm l Rl1 D Blm ;
RlC2 (14.64)
Für dieses Problem bieten sich die Kugelkoordinaten an, wobei 1
die durch das elektrische Feld ausgezeichnete Richtung am bes- Alm Rl D Blm lC1 ;
R
14.4 Elektrostatische Energie in linearen Medien 495
Teil II
r r
3 4 1 3 4
A10 D E0 ; B10 D R E0 :
C2 3 C2 3
(14.67) Abb. 14.7 Dielektrische Kugel in einem ursprünglich homogenen elektrischen
Feld: Die Abschwächung des E-Feldes im Inneren kommt von negativen Polarisa-
Damit ist die gesamte Lösung für das elektrostatische Potenzial tionsflächenladungsdichten am unteren Rand der Kugel, an denen E-Feldlinine
gegeben durch enden und die bei ihren positiven Gegenstücken am oberen Rand wieder ent-
springen; für die dielektrische Verschiebung D ist dies nicht der Fall, solange
3 keine freien Flächenladungsdichten vorliegen
i .r/ D E0 r cos #;
C2
rp 1 3
a .r/ D E0 r cos # C mit p D R E0 :
r3 C2 Abschließend halten wir noch fest, dass wir anstelle der allge-
(14.68) meinsten regulären Lösung in Kugelkoordinaten auch mit einem
einfacheren Ansatz mit Legendre-Polynomen (13.169) hätten
Frage 6
arbeiten können, da das Problem offenbar Rotationssymmetrie
Vollziehen Sie das nach! um die z-Achse besitzt. (Auch ein Ansatz ausschließlich mit
dem .l D 1/-Anteil wäre zielführend gewesen – und nicht
Im Außenraum ist also dem asymptotischen Feld ein elektri- weiter bedenklich, solange überprüft wird, dass auch alle An-
sches Dipolfeld mit Dipolmoment p / E0 überlagert, während schluss- und Randbedingungen erfüllt werden konnten.)
im Innenraum ein homogenes elektrisches Feld vorliegt, das ge-
genüber dem asymptotisch vorhandenen abgeschwächt ist (da
> 1): 14.4 Elektrostatische Energie
3
Ei D E0 : (14.69)
C2 in linearen Medien
Diese von der Geometrie des Dielektrikums bestimmte Ab-
schwächung wird auch als Entelektrisierung bezeichnet. In In (12.81) hatten wir die elektrostatische Feldenergie durch In-
Aufgabe 14.7 und 14.8 wird sie für die Fälle einer dünnen Plat- tegration über die Energiedichte wem D E2 =.8 / erhalten. Dies
te, eines dünnen Stabes und eines Ellipsoids berechnet. ist in der makroskopischen Elektrostatik aus mehreren Grün-
Die dielektrische Verschiebung ist dagegen im Innenraum der den nicht mehr anwendbar. Das Feld E ist nun ein gemitteltes,
Kugel größer als E0 (Abb. 14.7): E D hEmikr i, und das Quadrat eines Mittelwertes ist nicht das-
selbe wie der Mittelwert eines quadratischen Ausdrucks:
3 Z Z
Di D E0 : (14.70)
C2 dV hE2mikr i 6D dV hEmikr i2 :
bei einer infinitesimalen Veränderung der freien Ladungsdich- f C P enthält auch die Polarisationsflächenladungsdichte, die
te, f .r/ ! f .r/ C ı f .r/. Diese Energieänderung ist gegeben im Dielektrikum induziert wird und ein entgegengesetztes Vor-
durch die Arbeit, die geleistet werden muss, um die infini- zeichen trägt. Gleichung (12.69) verallgemeinert sich damit zu
tesimale Ladungsmenge ı f aus dem Unendlichen an ihren I I
Bestimmungsort r zu bringen, und dies ist durch das aktuelle 1
Qi D df Dn D df @n
elektrische Feld bestimmt. Weil ı f als infinitesimal angenom- 4 4
@Vi @Vi
men ist, brauchen wir uns dabei nicht um die Rückwirkungen 2 3
auf E oder den Polarisationszustand zu kümmern. Im statischen
X6 I
Fall ist E weiterhin einfach der negative Gradient des Potenzials 7
D 4 df @n Fj 5 j
. Die Energieänderung ist damit durch j
4
@Vi
Z X X
ıW D dV .r/ ı f .r/ (14.72) Cij. / j D Cijvac j : (14.77)
Teil II
j j
gegeben, wobei .r/ das ursprünglich von f verursachte elek- Die Kapazitätskoeffizienten erhöhen sich also alle einfach um
trostatische Potenzial ist. Wegen r D D 4 f haben wir einen Faktor > 1.
Die Konstanz des E-Feldes impliziert, dass entlang der Platten
−Q die totalen Flächenladungsdichten ebenfalls konstant sind:
ges jEz j U
ξ
b ˙ D ˙ D˙ : (14.81)
4 4 d
l
Dies stimmt aber nur in dem Bereich, in dem der Kondensator
Abb. 14.8 Plattenkondensator mit teilweise eingeschobenem Dielektrikum kein Dielektrikum aufweist, mit der freien, auf den leiten-
den Platten vorhandenen Flächenladungsdichten überein. In den
ges
Bereichen mit Dielektrikum inkludiert ˙ auch die Polarisa-
Teil II
tionsflächenladungsdichte, die im Dielektrikum gebunden ist.
Als ein Beispiel, wo diese Kräfte in guter Näherung durch ein- Die freie Ladungsdichte ist dort um die Dielektrizitätskonstante
fache Energiebetrachtungen berechnet werden können, soll im erhöht:
Folgenden ein ausgedehnter Plattenkondensator betrachtet wer- jDz j U
den, in den ein Dielektrikum nur teilweise eingeschoben ist f ˙ D ˙ D ˙ ; (14.82)
4 4 d
(Abb. 14.8).
während die Differenz durch die entgegengesetzte Polarisa-
Wenn wir Randeffekte vernachlässigen, kann das Feld in einem tionsflächenladungsdichte aufgebracht wird:
Plattenkondensator, in dem ein exakt senkrecht zu den Platten
abgeschnittenes Dielektrikum vorliegt, ohne komplizierte Rech- U
P ˙ D . 1/ : (14.83)
nung angegeben werden: Im Raum zwischen den parallelen 4 d
Platten, die beide Äquipotenzialflächen darstellen, ist offenbar
Ist das Dielektrikum wie in Abb. 14.8 gezeichnet um eine Stre-
eine linear interpolierende Funktion eine Lösung der Laplace-
cke , 0 l, in einen Plattenkondensator mit Länge
Gleichung D 0. Liegen die Platten bei z D 0 und z D d
l und Breite b eingeschoben, dann verteilt sich die freie Ge-
und sind die Potenziale gegeben durch .z D 0/ D und
samtladung ˙Q auf den Kondensatorplatten so, dass sie beim
.z D d/ D C , so ist diese Lösung
Dielektrikum eine um den Faktor erhöhte Flächendichte an-
.z/ D C Uz=d; U nimmt. Es gilt dann
C : (14.79)
U
Da wir aber ein Dielektrikum vorliegen haben, das den Zwi- Q D ŒAD C AV D CU;
schenraum nur teilweise ausfüllt, ist noch nicht sichergestellt, 4 d (14.84)
dass dies weiterhin eine gültige Lösung ist, denn das Dielektri- AD D b; AV D .l /b;
kum unterteilt den Zwischenraum in zwei Teilräume, in denen
wobei AD und AV die Fläche des Bereichs einer Platte mit und
jeweils die Laplace-Gleichung gilt, aber mit Vorgabe der An-
ohne Dielektrikum bezeichnet und C die (-abhängige) Kapazi-
schlussbedingungen (14.42) und (14.43). Zu (14.79) gehört nun
tät ist.
eine konstante Feldstärke
Je nach physikalischer Realisierung kann entweder die Ladung
U
E D r .z/ D eO z : (14.80) Q oder die Spannung U des Kondensators fest vorgegeben sein.
d Die Spannung U kann konstant gehalten werden, wenn er an
Dies erfüllt bereits die Forderung, dass die Tangentialkompo- eine stabile Batterie angeschlossen bleibt. Wenn er dagegen
nenten von E an den Grenzflächen stetig sein müssen, einfach von der Batterie getrennt wurde, nachdem er einmal aufgeladen
dadurch, dass E dort konstant ist. Des Weiteren muss die Nor- wurde, ist Q konstant.
malkomponente von D an der Grenze zwischen Dielektrikum Im Fall einer konstanten Ladung Q hängt gemäß (14.84) U bzw.
und Vakuum stetig sein, wenn dort keine freien Ladungen sein die Feldstärke jEj D U=d davon ab, wie weit das Dielektrikum
sollen. Dies ist aber einfach dadurch erfüllt, dass D proportional eingeschoben ist:
zu E ist und letzteres keine Normalkomponente hat.
4 Q
Frage 7 jEj D E./ D : (14.85)
AD C AV
Welche der Anschlussbedingungen (14.42) und (14.43) wird
durch (14.79) verletzt, wenn die Grenzfläche zwischen Dielek- Die elektrostatische Feldenergie ist gemäß (14.76) im Bereich
trikum und Vakuum nicht senkrecht zu den Platten verläuft? des Dielektrikums um einen Faktor gegenüber der Energie-
dichte im Vakuum erhöht und ergibt sich, da jEj im Inneren des
Kondensators konstant ist, zu
An den Grenzflächen des Dielektrikums, wo dieses an die
Kondensatorplatten anstößt, sowie auf den Kondensatorplatten E2
selbst müssen die Tangentialkomponenten von E verschwinden, WD ŒAD C AV d: (14.86)
8
498 14 Elektrische Felder in Materie
2 Q2 d 1
W D W./ D ; (14.87)
b l C . 1/
@W 2 Q2 d . 1/
Teil II
Fx D D (14.88)
@ b Œl C . 1/2
An dieser Stelle sollte man sich fragen, wo diese Kraft über- Abb. 14.9 Kraft auf Dielektrikum in einem Plattenkondensator: Das elektri-
haupt angreifen kann, wenn alle Ladungen (freie und gebunde- sche Feld greift an Polarisationsladungen auf der Oberfläche des Dielektrikums
ne) als Oberflächenladungsdichten entlang der Platten konzen- an. Aber nur die Teile, die außerhalb des Kondensators liegen, tragen zur Kraft
(grün ) bei, die das Dielektrikum in den Kondensator hineinzieht, denn im Inne-
triert sind und dort die elektrische Feldstärke exakt senkrecht zu
ren des Kondensators stehen die elektrischen Feldlinen (rot ) auf der Oberfläche
den Platten steht. Die Lösung dieses Rätsels liegt gerade in den der Dielektrikums alle exakt senkrecht
Randeffekten, die wir in der analytischen Behandlung vernach-
lässigt haben. Etwas außerhalb des Plattenkondensators gibt es
auch noch Polarisationsflächenladungsdichten am Dielektrikum
und elektrische Randfelder, die dort nicht mehr senkrecht ste- hin durch die rechte Seite von (14.88) gegeben. Umgeschrieben
hen, sondern eine horizontale Komponente haben, mit der sie auf U ergibt dies
an den Polarisationsladungen angreifen und diese in den Kon- U2 b
Fx D . 1/: (14.91)
densator hineinziehen können (Abb. 14.9). 8 d
Eine Berechnung der Kraft anhand der Feld- und Ladungs- Dies ist nun nicht mehr gleich @W
@
, sondern gerade C @W
@
! Der
verteilungen außerhalb des Plattenkondensators wäre allerdings Grund dafür ist, dass der Kondensator mit seinem Dielektrikum
ungemein schwierig. Im Grenzfall eines Plattenkondensators, kein abgeschlossenes System mehr darstellt – in die Energie-
dessen transversale Ausdehnung groß im Vergleich zum Plat- bilanz müssen nun auch die Beiträge der Batterie einbezogen
tenabstand ist, ist aber die -abhängige Feldenergie, die wir in werden. Bei konstanter Spannung wird Energie zugeführt, in-
einer vergleichsweise äußerst einfachen Rechnung bestimmt ha- dem zusätzliche Ladung auf die Potenzialdifferenz U gebracht
ben, eine sehr gute Näherung. Damit ist auch die Kraft auf das wird, wenn das Dielektrikum um ein Stück ı weiter in den
Dielektrikum mit gleich guter Genauigkeit bestimmt. Kondensator vorrückt und die Kapazität anwächst:
Betrachten wir abschließend den Fall, dass nicht die Ladung Q Ub
sondern die Kondensatorspannung U fest vorgegeben ist, weil ıWB D U ıQ D U . 1/ı: (14.92)
4 d
der Kondensator an der Batterie, mit der er aufgeladen wurde,
angeschlossen bleibt. Dann ändert sich an den vorhergehenden Dabei wächst die Feldenergie gemäß (14.90) um den Betrag
Ergebnissen nur, dass jetzt Q von abhängt und mit diesem
anwächst, während E D U=d konstant bleibt: U2 b 1
ıW D . 1/ı D ıWB ; (14.93)
8 d 2
Ub
Q D Q./ D Œl C . 1/: (14.89)
4 d während eine zweite Hälfte der von der Batterie gelieferten
Energie der am Dielektrikum geleisteten Arbeit entspricht: Mit
Die Feldenergie ist nun durch (14.91) ergibt dies ebenso
U2 b U2 b 1
W D W./ D Œl C . 1/ .U D const/ (14.90) Fx ı D . 1/ı D ıWB : (14.94)
8 d 8 d 2
gegeben und wächst ebenfalls mit an. Die Kraft auf das Damit erklärt sich das scheinbar verkehrte Vorzeichen in
Dielektrikum wird aber von den Ladungsverteilungen und Feld- Fx ı D CıW. Der Beitrag der Batterie ist gerade doppelt
stärken im Kondensator realisiert und hängt nicht davon ab, ob so groß wie die Änderung der Feldenergie, sodass Fx ı
die Batterie gerade an- oder abgeklemmt ist. Sie ist also weiter- ıWmech D ıW C ıWB D CıW resultiert.
Aufgaben 499
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
14.1 Die phänomenologischen Maxwell-Gleichun- Ein Separationsansatz .%; '/ D R.%/˚.'/ (siehe den „Mathe-
gen im SI-System Wiederholen Sie die Herleitung der phä- matischen Hintergrund“ 13.4) führt auf das benötigte vollstän-
nomenologischen Maxwell-Gleichungen der Elektrostatik im dige Funktionensystem für z-unabhängige Probleme.
SI-System.
14.4 Ladung vor dielektrischer Kugel Eine Punkt-
14.2 Polarisationsflächenladungsdichte Zeigen ladung q befinde sich vor einer dielektrischen Kugel mit Radius
Sie, dass, auch wenn (bzw. gerade wenn) an einer Grenzfläche R und Dielektrizitätskonstante . Der Abstand vom Mittel-
von zwei Dielektrika mit 1 6D 2 keine freie Oberflächenla- punkt der Kugel sei d > R. Man berechne das Potenzial
dungsdichte verliegt, die Polarisationsflächenladungsdichte im und die Felder E und P im ganzen Raum sowie die Polarisa-
Allgemeinen nicht verschwindet, und drücken Sie diese durch tionsraumladungsdichte und Polarisationsflächenladungsdichte
den Wert von D auf der Grenzfläche aus. mit zugehörigen Gesamtladungen. Betrachten Sie den Grenz-
14.3 Dielektrischer Zylinder im elektrischen Feld fall ! 1, der das Problem auf das einer Punktladung vor
und vollständige Funktionensysteme in der Ebene In einem idealen Leiter reduziert.
Abschn. 14.3 wurde eine dielektrische Kugel in einem ur-
sprünglich homogenen Feld behandelt, indem die allgemeine Lösungshinweis: Die Methode der Bildladungen ist in diesem
Lösung der Laplace-Gleichung in Kugelkoordinaten herangezo- Beispiel nicht zielführend. Verwenden Sie daher eine Entwick-
gen wurde. Lösen Sie das analoge Problem für einen unendlich lung nach Kugelfunktionen (13.169), mit der die Zylindersym-
langen dielektrischen Zylinder mit der z-Achse als Symmetrie- metrie ausgenutzt werden kann, wenn die Punktladung auf die
achse und Radius a, der sich in einem ursprünglich homogenen z-Achse gesetzt wird. Die Reihenentwicklung für das Potenzial
Feld E D E0 xO befindet, und berechnen Sie das elektrostatische einer Punktladung wurde bereits in (13.193) hergeleitet.
Potenzial im Innen- und Außenraum des Zylinders.
14.5 Teilweise gefüllter Kugelkondensator Be-
Zeigen Sie zunächst, dass die allgemeinste Lösung der Laplace- trachten Sie den Kugelkondensator aus Abschn. 12.5 mit inne-
Gleichung in Zylinderkoordinaten (2.109), wenn keine z-Ab- rem und äußeren Radius R1 bzw. R2 , dessen Kapazität in (12.80)
hängigkeit vorliegt, durch angegeben ist. Nehmen Sie an, dass gerade halb so viel Dielek-
trikum zur Verfügung steht, wie nötig wäre, um ihn ganz zu
.%; '/ D A0 C B0 ln % füllen. Berechnen Sie die Kapazität für die Fälle, dass das Di-
X1 elektrikum (Abb. 14.10)
1
C Am %m C Bm m cos.m'/
mD1
% (14.95)
X1
1
C A0m %m C B0m m sin.m'/ R2
mD1
%
R1
gegeben ist.
Lösungshinweis: Der Laplace-Operator in Zylinderkoordina-
ten %; '; z lautet Leiter Leiter Leiter
(a) (b) (c)
1 @ @ 1 @ @ 2 2
D % C 2 2 C 2: (14.96) Abb. 14.10 Drei Möglichkeiten, das Innere eines Kugelkondensators zur Hälfte
% @% @% % @' @z mit Dielektrikum zu füllen, die unterschiedliche Kapazität ergeben
500 14 Elektrische Felder in Materie
(a) den Kugelkondensator bis zum Äquator der beiden Kugeln vergleichen Sie mit dem Ergebnis (14.69) für eine dielektrische
ausfüllt, Kugel im äußeren Feld.
(b) symmetrisch die innere Kugeloberfläche umschließt,
(c) symmetrisch die äußere Kugeloberfläche auskleidet. 14.8 Homogen polarisiertes Ellipsoid Ein ge-
strecktes Rotationsellipsoid, d. h. ein Körper, der durch eine um
ihre längere Achse rotierte Ellipse gebildet wird, sei perma-
Diskutieren Sie, welche Konfiguration die größte Kapazität er- nent polarisiert mit konstantem Polarisationsvektorfeld P, das
zielt. in Richtung der Rotationsachse zeigt.
14.6 Flüssigkeit hebender Zylinderkondensator
Ein Kondensator, der aus zwei langen, koaxialen zylindrischen z/a
Leitern mit Radien a und b, b > a, besteht und durch eine Batte-
rie auf einer Spannung U gehalten wird, taucht senkrecht in eine
Teil II
U v= 3
8π
5
v= 8π
3
v= 4π
a 1,5 7
v= 8π
b v=π
Dazu separiere man die Laplace-Gleichung unter Ausnützen der Argument des Logarithmus definiert; die hier verwendete Defi-
'-Unabhängigkeit des Problems in den Variablen nition ist so gewählt, dass die Ql für > 1 reell sind.)
WD cosh u 2 Œ1; 1/; WD cos v 2 Œ1; 1 (14.98) Lösungshinweis: In den prolat-sphäroidalen Koordinaten stel-
len Flächen mit konstantem u oder alternativ Ellipsoide mit
und zeige, dass die allgemeine '-unabhängige Lösung gegeben Halbachsen a sinh u (senkrecht zur z-Achse) und a cosh u (ent-
ist durch lang der z-Achse) dar. Das Verhältnis R=Z < 1 bestimmt daher
den Wert der Variablen D 0 cosh u0 , bei der sich die
1
X Oberfläche des Ellipsoids befindet:
.; / D ŒAl Pl ./ C Bl Ql ./ Pl ./; (14.99)
lD0 q
sinh u0 20 1 R
wobei die Funktionen Pl Legendre-Polynome und die Ql Le- tanh u0 D D : (14.103)
cosh u0 0 Z
Teil II
gendre-Funktionen zweiter Art sind. Letztere sind ebenfalls Lö-
sungen der Legendre’schen Differenzialgleichung, verschwin- p
den aber im Gegensatz zu den Legendre-Polynomen für ! 1 (0 ist gerade die inverse Exzentrizität, 1
0 D 1 R2 =Z 2 .)
(während die Legendre-Polynome mit l > 0 divergieren). Die Konstante a in den angepassten Koordinaten (14.97) ist da-
mit so zu wählen, dass
Die niedrigsten Legendre-Funktionen zweiter Art lauten
q
1 C1 Z D a0 D a cosh u0 ; R D a 20 1 D a sinh u0 (14.104)
Q0 ./ D ln ; (14.100)
2 1
C1 ist.
Q1 ./ D ln 1; (14.101)
2 1
Der niedrigstmögliche Wert D 1 gehört dann zum Intervall
1 C1 3
Q2 ./ D P2 ./ ln ; (14.102) a z a auf der z-Achse, das ein entartetes Ellipsoid
2 1 2 darstellt, während für Ellipsoide mit nichtverschwindendem Vo-
lumen a < Z ist.
wobei die Ql ./ für große bis auf Vorfaktoren wie .lC1/
abfallen. (Anmerkung: die Legendre-Funktionen zweiter Art Beginnen Sie damit, den Laplace-Operator mit den Formeln aus
werden in der Literatur oft mit einem anderen Vorzeichen im Abschn. 2.5 in die Koordinaten und umzurechnen.
502 14 Elektrische Felder in Materie
14.2 14.6
1 1 1
P D nD (14.105)
4 2 1 1 gh.b2 a2 / ln.b=a/
e D D (14.106)
4 U2
1
14.3 Für % < a ist Ei D 2
E,
C1 0
PD 2
1
E.
C1 0
14.4 Die Felder können nicht durch elementare Funktionen, 14.7 Für die Platte ist Ei D 1 E0 , für den Stab Ei D E0 . Das
Teil II
sondern nur in Form einer Reihenentwicklung angegeben wer- analoge Ergebnis für die Kugel liegt zwischen diesen Werten.
den.
H Für die Polarisationsladungen erhält man P 0, QP D
df P D 0.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 503
14.1 Im SI-System steht auf den rechten Seiten von (14.4) und setzen wir an:
(14.8) gemäß (11.90) und (11.92) ein Vorfaktor 1=.4 0/. Da-
1
X
mit ist
i .%; '/ D A0 C Am %m cos.m'/ C A0m %m sin.m'/ :
r h0 EŒSI
mol .r/i Dh ŒSI
mol .r/i r h ŒSI
mol .r/i: (14.107) mD1
(14.112)
Mit den gleichen Identifikationen wie (14.11) und (14.13), näm- Im Außenraum liegt asymptotisch ein homogenes elektrisches
Teil II
lich Feld vor, das die Randbedingung
ŒSI
Dh ŒSI ŒSI
PŒSI D h ŒSI ! E0 x D E0 % cos ' (14.113)
f mol i C ext ; mol i; (14.108)
wird nun DŒSI D 0 EŒSI C PŒSI definiert, was auf vorgibt (eine noch mögliche Konstante kann null gesetzt wer-
den). Damit ist die allgemeine Lösung im Außenraum
div DŒSI D f
ŒSI
(14.109)
a .%; '/ D E0 % cos ' (14.114)
führt. Die homogenen Maxwell-Gleichungen sind weiterhin X1
1 1
durch (11.81) gegeben, nur sind die Felder nun einer Mittelung C Bm m cos.m'/ C B0m m sin.m'/ :
% %
über atomare Skalen unterworfen. mD1
14.2 In Abwesenheit einer freien Flächenladungsdichte f gilt Die Anschlussbedingungen (14.42) (mit f D 0) und (14.43)
gemäß (14.42) n D2 D n D1 . Wegen P D .D E/=.4 / und implizieren
(14.38) ist P D n .P2 P1 / D Cn .E2 E1 /=.4 /, was
ˇ ˇ ˇ ˇ
durch E1;2 D D1;2 =1;2 auf D umgeschrieben (14.105) ergibt, @ i ˇˇ @ a ˇˇ @ i ˇˇ @ a ˇˇ
D ; D : (14.115)
wobei wegen der Stetigkeit von nD für diese Komponente nicht @% ˇ%Da @% ˇ%Da @' ˇ%Da @' ˇ%Da
mehr zwischen Medium 1 und 2 unterschieden werden muss.
14.3 Separation der Variablen der effektiv zweidimensionalen Für alle Koeffizienten mit m 6D 1 und auch für A01 und B01 lie-
Laplace-Gleichung .%; '/ D 0 führt auf die Gleichungen fert dies ein homogenes Gleichungssystem, das nur die triviale
Lösung besitzt. Die Koeffizienten ungleich null folgen aus
˚ 00 .'/ C ˚.'/ D 0; (14.110)
1 1 1
R00 .%/ C R0 .%/ 2 R.%/ D 0: (14.111) A1 D E0 B1 ; A1 D E0 C B1 (14.116)
% % a2 a2
und lauten
Verlangt man Periodizität .%; '/ D .%; ' C 2 /, wird p die
erste Gleichung
p durch
p trigonometrische Funktionen sin. '/ 2 1
und cos. '/ mit D m 2 Z und die zweite Gleichung A1 D E0 ; B1 D E0 a2 : (14.117)
C1 C1
durch %˙m gelöst. Für den Fall m D 0 hat die zweite Gleichung
neben der Konstanten %0 auch noch die Lösung ln %. Damit er- Im Innenraum liegt damit wieder ein homogenes elektrisches
gibt sich die allgemeine Lösung der Laplace-Gleichung für das Feld vor,
effektiv zweidimensionale Problem mit Periodizität in ' durch 2
Ei D E0 ; (14.118)
die Reihenentwicklung (14.95). C1
Wird ein endliches Gebiet betrachtet und Regularität im Ur- das gegenüber dem ursprünglich vorhandenen reduziert ist. Im
sprung gefordert, dann sind die Koeffizienten B0 , Bm und B0m Zylinder liegt eine homogene Polarisation vor:
null zu setzen. Bei natürlichen Randbedingungen in einem un-
endlichen Gebiet, das den Ursprung nicht enthält, werden nur 1 1 1 1
PD .D E/ D Ei D E0 : (14.119)
die Terme mit den Koeffizienten Bm und B0m behalten. Der lo- 4 4 2 C1
garithmische Term mit Koeffizient B0 ist nur relevant, wenn ein
endliches Gebiet betrachtet wird, in dem der Ursprung nicht ent- Im Außenraum % > a wird dem ursprünglich homogenen Feld
halten ist (z. B. ein Kreisring). ein Feld überlagert, das zu einem Potenzial der Form
gehört. (Zum Vergleich: Ein Dipolfeld, wie es bei der homogen und ergeben
polarisierten Kugel auftrat, fällt invers proportional zum Qua-
drat der radialen Koordinate ab.) In kartesischen Koordinaten 2l C 1 q . 1/l q R2lC1
Al D ; Bl D :
lautet das zusätzliche E-Feld . C 1/l C 1 d lC1 . C 1/l C 1 d lC1
0 2 1 (14.128)
2 a2 jPj @x y A
2 Das Potenzial im Innen- und Außenraum der Kugel ist damit be-
Ea D 2
P
2xy : (14.121) stimmt. Wäre die homogene Lösung im Außenraum, die durch
.x C y2 /2 0 die Reihe mit den Koeffizienten Bl beigesteuert wird, dort äqui-
valent zu einer fiktiven Punktladung auf der Symmetrieachse im
Inneren der Kugel bei z D d 0 , so müsste Bl / d 0l ohne weitere
14.4 Im Außenraum der Kugel erfüllt das Potenzial die Pois- l-Abhängigkeit sein. Offenbar ist hier die Bildladungsmethode
son-Gleichung nicht zielführend, auch nicht mit mehreren solchen diskreten
D 4 qı.r dOz/; (14.122)
Teil II
Bildladungen.
wobei wir die Punktladung auf der z-Achse bei z D d angenom- Die Felder E, P lassen sich mit
men haben. Da das Problem dann rotationsinvariant um die z-
@ 1@
Achse ist, können wir in Kugelkoordinaten '-unabhängige Lö- Er D ; E# D ; E' D 0;
sungsansätze machen. Die allgemeine Lösung für r > R ist @r r @# (14.129)
somit gegeben durch 1
PD E
4
X 1
q 1 durch ähnliche Reihendarstellungen angeben.
a .r; #/ D C Bl lC1 Pl .cos #/; (14.123)
jr dOzj lD0 r Die Polarisationsraumladungsdichte verschwindet,
1 1
wobei der erste Term das Potenzial der Punktladung bei natür- P D div P D div E D D 0; (14.130)
lichen Randbedingungen ist und die unendliche Summe der im 4 4
Unendlichen reguläre Anteil der allgemeinen Lösung der homo- weil im Innenraum die homogene Laplace-Gleichung erfüllt
genen Laplace-Gleichung bei Zylindersymmetrie von (13.169). ist. An der Oberfläche der Kugel ist die Polarisationsflächen-
ladungsdichte P gegeben durch
Im Inneren der Kugel erfüllt das Potenzial die homogene La-
place-Gleichung, da dort keine freien Ladungen vorliegen und P D Oer .Pa Pi /jrDR (14.131)
konstant ist. Deshalb kann dort der im Ursprung reguläre An- 1 lC1
1 X .2l C 1/l R
teil von (13.169) angesetzt werden: D q Pl .cos #/:
4 R2 lD1 . C 1/l C 1 d
1
X
i .r; #/ D Al rl Pl .cos #/ (14.124) Wegen des bei der Differenziation entstandenen Faktors l haben
lD0 wir die untere Summationsgrenze auf l D 1 gesetzt. Das Feh-
len des Monopolanteils l D 0 hat zur Folge, dass die gesamte
für r < R. auf der Kugeloberfläche induzierte Polarisationsladung null ist,
Die Anschlussbedingungen an der Kugeloberfläche sind diesel- denn
ben wie in (14.61) bis (14.63). Um daraus die Koeffizienten Al , I Z1
Bl zu bestimmen, muss auch der erste Term in (14.123) nach Le- QP D df P D 2 R2 d.cos #/ P .#/
gendre-Polynomen entwickelt werden. Die Lösung dazu wurde
1
bereits in (13.193) angegeben und lautet: (14.132)
Z1
1
1
X rl 2 R2 d.cos #/ P0 .cos #/ P .#/ D 0
<
D P .cos #/;
lC1 l
(14.125)
jr dOzj lD0 r >
1
wegen
wobei r< D min.r; d/ und r> D max.r; d/ ist. Für die An- Z1
schlussbedingungen ist r D R zu setzen, daher r< D R und 2
r> D d. Diese implizieren dx P0 .x/Pl .x/ D ı0l : (14.133)
.2l C 1/
1
1
X X1
qRl Bl
Al R Pl D
l
lC1
C lC1 Pl ; (14.126) Betrachten wir schließlich ! 1 als Grenzfall, der der leiten-
lD0 lD0
d R den Kugel entspricht, dann verschwinden alle Al für l > 0, und
X1 X1 es bleibt nur die von unabhängige Konstante A0 , sodass
lqRl1 .l C 1/Bl
lAl Rl1 Pl D Pl (14.127) q
lD0 lD0
d lC1 RlC2 i ! A0 D : (14.134)
d
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 505
Bei den Bl müssen wir ebenfalls l D 0 und l > 0 im Limes Kehrwerte. Ohne Dielektrikum gilt
! 1 separat berechnen. Für l > 0 erhalten wir
1 1 1 1
l C1 D CI1 C CII1 WD C (14.138)
qR R2 R1 R R R2
Bl ! ; (14.135)
d d
in Übereinstimmung mit C1 D .1=R1 1=R2 /. Durch ein Di-
aber B0 D 0. Die Außenraumlösung hat damit die Form elektrikum in einem der beiden Teilkondensatoren wird in den
(14.125) mit d ! d 0 D R2 =d und Ladung q0 D qR=d, aller- Fällen (b) und (c) die Teilkapazität CI bzw. CII um einen Faktor
dings abzüglich des Terms mit l D 0. Dies entspricht genau der erhöht. Dies ergibt
Lösung einer ungeladenen leitenden Kugel im Feld einer Punkt-
CI CII CI CII
ladung, die wir in Abschn. 12.4 diskutiert haben, wo zusätzlich C.b/ D ; C.c/ D : (14.139)
zur Bildladung q0 bei z D d 0 eine weitere mit q00 D q0 bei CI C CII CI C CII
Teil II
z D 0 einzuführen war.
Daraus kann man ablesen, dass es für den Zweck einer Maxi-
14.5 Im Fall (a) liegt die Grenzfläche zwischen Dielektrikum mierung der Gesamtkapazität am günstigsten ist, den kleineren
und Vakuum parallel zur radialen Richtung, in die auch das der beiden Werte CI und CII durch einen Faktor > 1 zu ver-
elektrische Feld zeigt. Das elektrische Feld ist also bei gege- größern. Mit obigem Wert für R stellt sich heraus, dass immer
bener Potenzialdifferenz dasselbe wie ohne Dielektrikum, aber CII > CI und daher immer C.b/ > C.c/ ist.
wegen f D Dr =.4 / erhöht sich die freie Flächenladungsdich- Ob C.a/ größer oder kleiner als C.b/ ist, hängt dagegen sowohl
te auf den bedeckten Halbkugelschalen um einen Faktor : von als auch vom Verhältnis R2 =R1 ab. Es ist leicht einzuse-
hen, dass für hinreichend große immer Fall (a) gewinnt, denn
1C
C.a/ D C (14.136) C.a/ wächst für große linear und unbeschränkt, während C.b/
2 für ! 1 gegen CII konvergiert, denn in diesem Limes wird
der Kugelkondensator effektiv auf die zwei Radien R2 und R
mit C D .1=R1 1=R2 /1 aus dem Ergebnis für den Vakuumfall verkleinert. Für hinreichend kleines 1 gewinnt dagegen im-
(12.80). mer C.b/ , wie man durch eine Taylor-Entwicklung nachweisen
In den beiden anderen Fällen interpoliert das Potenzial nicht kann:
glatt mit einem 1=r-Verhalten zwischen den Kugelschalen, die 1
weiterhin Äquipotenzialflächen mit 1;2 bilden, sondern mit ei- C.a/ =C D 1 C . 1/; (14.140)
nem Knick, erzwungen durch die Stetigkeit von Dr D Er D 2
@r bei r D R , wo die Dielektrizitätskonstante von 1 auf .b/ R2
C =C D 1 C f . 1/ C O.. 1/2 / (14.141)
springt. Die Bedingung, dass R das Innere des Kugelkonden- R1
sators durch eine weitere Kugeloberfläche in gleiche Volumina
teilt, ergibt mit der Funktion
" 1=3 #
4 14 x 2
.R3 R31 / D .R3 R31 / f .x/ D 1 : (14.142)
3 2 3 2 x1 1Cx
3 1=3 (14.137)
R1 C R32
)R D : Diese interpoliert für x 2 .1; 1/ zwischen 1
2
und 1.
2
14.6 Das elektrische Feld ist in einem Zylinderkondensator
Das Potenzial .R / kann durch die Anschlussbedingung durch radial orientiert. Mit dem Gauß’schen Integralsatz findet man
eine einfache, wenn auch etwas längliche Rechnung bestimmt leicht, dass es invers proportional zum Abstand % von der Zylin-
werden, wodurch die Feldstärken und die freien Flächenla- derachse geht und daher das Potenzial proportional zu ln % ist
dungsdichten und somit die Ladung des Kugelkondensators in (siehe die allgemeine Lösung der Laplace-Gleichung für effek-
Abhängigkeit der Potenzialdifferenz 1 2 bestimmt werden tiv zweidimensionale Probleme, (14.95), wonach die allgemeine
können. Weiterhin gilt Q2 D Q1 , und die Kapazität kann aus Lösung bei '-Unabhängigkeit D A0 C B0 ln % lautet). Mit
Q1 =. 1 2 / abgelesen werden. .% D a/ .% D b/ D U ist bis auf eine irrelevante Konstan-
te
Diese Rechnung kann aber durch folgende Überlegung etwas
abgekürzt werden: Die Fälle (b) und (c) stellen gleichsam eine U U 1
.%/ D ln %; ED eO % : (14.143)
serielle Schaltung von zwei Kondensatoren dar, denn die Trenn- ln.b=a/ ln.b=a/ %
fläche bei r D R ist eine Äquipotenzialfläche, und man kann
sich vorstellen, dass für die nach innen gewandte Seite eine La- Im Bereich des Kondensators mit dielektrischer Flüssigkeit ist
dung Q1 und für die nach außen gewandte Seite CQ1 D Q2 D D E. An der Grenzfläche ist die Anschlussbedingung, dass
vorliegt, sodass in Summe null Ladung vorhanden ist. Bei ei- das E-Feld stetige Tangentialkomponenten haben muss, durch
ner seriellen Schaltung von zwei Kapazitäten addieren sich die obige Lösung erfüllt; die anderen Komponenten sind alle null.
506 14 Elektrische Felder in Materie
Wie wir in Abschn. 14.4 gesehen haben, wird ein Dielektrikum 14.7 Für die Platte folgt aus der Stetigkeit der Normalkompo-
in den Kondensator gezogen, wobei bei konstanter Ladung die nente von D:
Feldenergie vermindert wird, während bei konstant gehaltenem
Potenzial die notwendige mechanische Energie von der Batterie Di D Da H) Ei D Ea D E0 ; (14.150)
geliefert und die Feldenergie weiter erhöht wird.
Die Steighöhe der dielektrischen Flüssigkeit lässt sich durch die da die Felder senkrecht zur Oberfläche stehen.
Energiebilanz Für den dünnen Stab ist nur dessen Mantelfläche von Bedeu-
ıWB D ıW C ıWmech (14.144) tung, die parallel zu E0 orientiert ist. Stetigkeit der Tangential-
ermitteln, wobei ıWB die von der Batterie geleistete Arbeit, ıW komponente von E führt nun auf
die Änderung der Feldenergie und ıWmech die mechanische Ar-
beit im Schwerefeld ist, wenn die Flüssigkeit um den Betrag ıh Ei D Ea D E0 : (14.151)
Teil II
steigt.
Hier ist wie bei der Kugel Di > Da .
Wegen des konstanten Potenzials und der konstanten Stärke des
E-Feldes nimmt die Ladung im Kondensator zu, wenn h um Für die Kugel gilt gemäß (14.69) Ei D C2 3
E0 . Wegen > 1
ıh erhöht wird. Die freie Oberflächenladungsdichte ist durch liegt dieses Ergebnis zwischen den extremalen Werten von dün-
f D D% =4 D E% =4 gegeben. Ohne die Flüssigkeit ist ner Platte und dünnem Stab:
D 1, nach Aufsteigen der Flüssigkeit kommt auf der Strecke
ıh der Faktor > 1 des Dielektrikums hinzu, daher nimmt am 1 3 3
D < < 1: (14.152)
inneren Leiter, der gegenüber dem äußeren das Potenzial U hat, 3 C2
die Ladung um
1 1 In Aufgabe 14.3 wurde überdies der merklich aufwendigere Fall
ıQ D E% .a/2 aıh D Uıh (14.145) eines dünnen Stabes quer zu den Feldlinien gelöst. Der Faktor
4 2 ln.b=a/
2=. C 1/, der sich dort ergab, liegt zwischen den Werten von
zu (und die Ladung am äußeren Leiter gegengleich ab). Es wird dünner Platte und Kugel.
also die Ladungsmenge ıQ auf die Potenzialdifferenz U geho-
14.8 Der Laplace-Operator ist in allgemeinen orthogonalen Ko-
ben, und es ist
ordinaten durch (2.131) gegeben, wofür die Metrikkoeffizienten
1 hi gemäß (2.106) zu berechnen sind. In den prolat-sphäroidalen
ıWB D U ıQ D U 2 ıh: (14.146) Koordinaten (14.97) mit den alternativen Variablen (14.98),
2 ln.b=a/
p p
Wieder ist diese EnergieR das Doppelte des Betrags, um den x D a 2 1 1 2 cos ';
sich die Feldenergie 81 E D dV im Kondensator erhöht: Die p p
y D a 2 1 1 2 sin '; (14.153)
Energiedichte erhöht sich im infinitesimal dünnen Kreisring mit
z 2 .h; h C ıh/ um 81 . 1/E2 , und Integration über diesen z D a ;
ergibt
erhält man
Zb 2 2
1 h2 D a2 ;
ıW D ıh 2 % d% E 2
2 1
8
a 2 2 (14.154)
h2 D a2 ;
Zb 1 2
1 U 2 ıh d% 1
D D U 2 ıh: h2' D a2 .2 1/.1 2 /
4 Œln.b=a/2 % 4 ln.b=a/
a
(14.147) und damit
Damit steht wegen ıWB ıW D ıW der gleiche Betrag zur
Verfügung, um Arbeit gegen das Gravitationsfeld zu leisten. Um 1 @ 2 @ @ @
D 2 2 . 1/ C .1 2 /
eine weitere Kreisringscheibe an Flüssigkeit der Dicke ıh auf a . 2 / @ @ @ @
die Höhe h zu heben, braucht es die Arbeit (14.155)
2 2 @2
C 2 :
ıWmech D gh.b2 a2 / ıh; (14.148) . 1/.1 2 / @' 2
4 gh.b2 a2 / ln.b=a/ @ 2 @ @ @
1D : (14.149) . 1/ C .1 2 / D 0: (14.156)
U2 @ @ @ @
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 507
Zur Auffindung eines vollständigen Funktionensystems macht Die Anschlussbedingungen erfordern Stetigkeit der Tangential-
man den Separationsansatz komponenten von E D r an der Oberfläche bei D 0
sowie Stetigkeit der Normalkomponenten von D.
D f ./ g./; (14.157)
Die einzige Tangentialkomponente, die E bei '-Unabhängigkeit
was auf des Problems haben kann, ist durch @ gegeben. Es muss
also auf der gesamten Oberfläche
1 1
@ .1 2 / @ g./ D @ .1 2 / @ f ./ D (14.158)
g f @ @
i .0 ; / D a .0 ; / (14.165)
@ @
führt. Für beide Funktionen ergibt sich hier die gleiche Legend-
re’sche Differenzialgleichung: gelten. Bis auf eine additive -unabhängige Konstante ist damit
Teil II
00 0
.1 / g 2g g D 0;
2
(14.159)
i .0 ; / D a .0 ; /; (14.166)
00 0
.1 /f 2f f D 0;
2
(14.160)
aber es ist auch keine additive Konstante möglich, weil sonst die
allerdings ist der Wertebereich von und unterschiedlich. In Ableitung in Normalenrichtung singulär wäre. Letztere geht in
der ersten hat man 2 Œ1; 1, wobei D ˙1 der z-Achse die Berechnung der Komponente D D eO D ein. Im Außen-
entspricht, sodass g./ dort regulär sein muss. Dies verlangt raum ist D D E, im Innenraum D D E C 4 P mit P D jPj zO .
D l.l C 1/ mit l 2 N0 und die bekannten Legendre-Po- Stetigkeit der Normalkomponente von D verlangt nun
lynome als zugehörige reguläre Lösungen:
ˇ ˇ
ˇ ˇ
g./ D Pl ./: (14.161) eO r aˇ D Oe r i ˇ C 4 jPj eO zO: (14.167)
D 0 D 0
Damit ist auch eine mögliche Lösung für f ./ mit 1 < 1 Der Einheitsvektor eO ist gegeben durch
durch Pl gegeben, die bei D 1 regulär ist, aber für ! 1
ˇ ˇ
divergiert, wenn l > 0 ist. Eine zweite Klasse von Lösungen ist 1 @r ˇ @r ˇ
durch die Legendre-Funktionen zweiter Art gegeben, Ql , die für eO D ; N ˇˇ ˇˇ : (14.168)
N @ @
! 1 verschwinden, aber bei D 1 singulär sind. Dies ist
ganz ähnlich der allgemeinen Lösung in Kugelkoordinaten, wo Der Faktor 1=N fällt aus der Anschlussbedingung für D her-
positive und negative Potenzen der Radialkoordinate vorkamen, aus, sodass wir diese unter Verwendung von
die entweder im Ursprung oder im Unendlichen divergierten.
Den Funktionen rl und r.lC1/ entsprechen nun die Funktionen @r @ @r @z
Pl ./ bzw. Ql ./, wobei für große Abstände r a gilt. r D ; zO D D a (14.169)
@ @ @ @
Das Analogon zur allgemeinen Lösung der Laplace-Gleichung
in Kugelkoordinaten, bei der auf '-Unabhängigkeit einge- schreiben können als
schränkt wird, ˇ
@ ˇ @ ˇˇ
1 aˇ D iˇ C 4 jPj a; (14.170)
X 1 @ D 0 @ D 0
.r; cos #/ D Al rl C Bl lC1 Pl .cos #/; (14.162)
r
lD0 wobei im letzten Term D P1 ./ identifiziert werden kann.
lautet in den gestreckt-sphäroidalen Koordinaten somit Damit ist klar, dass nur die Koeffizienten A1 und B1 ungleich
null sein werden. Die Anschlussbedingung (14.166) gibt
1
X
.; cos v / D ŒAl Pl ./ C Bl Ql ./ Pl .cos v /: B1 Q1 .0 / D A1 P1 .0 / D A1 0 ; (14.171)
lD0
(14.163) die Bedingung (14.170)
Für den Außenraum des Ellipsoids sind nun die Al null zu
setzen, für den Innenraum die Bl , damit die Lösung im Unend- B1 Q01 .0 / D A1 C 4 ajPj: (14.172)
lichen bzw. im Inneren regulär ist:
Dies führt auf
1
X
i .; / D Al Pl ./ Pl ./; B1 D 4 a jPj .20 1/0 ;
lD0
(14.164) 1 0 C 1 1 (14.173)
1
X A1 D B1 ln :
2 0 1 0
a .; / D Bl Ql ./ Pl ./:
lD0
508 14 Elektrische Felder in Materie
Damit ist das Potenzial überall bestimmt. Im Inneren des Ellip- verschwindet N. (Für gestauchte Ellipsoide, die eine separate
soids ist Rechnung erfordern, wird übrigens N > 13 und erreicht im Ex-
tremfall einer dünnen Scheibe den Wert N D 1; Letzteres wird
A1 in Aufgabe 14.7 gezeigt.)
i D A1 P1 ./ P1 ./ D A1 D z (14.174)
a
Der Koeffizient B1 im Ergebnis für das Potenzial im Außenraum
und daher Ei D Aa1 zO konstant. Mit (14.173) ist kann mit dem gesamten Dipolmoment p D jPjV des Ellipsoids
in Verbindung gebracht werden, wenn verwendet wird, dass das
Volumen des Ellipsoids gegeben ist durch
Ei D 4 PN.0 /;
0 0 C 1 (14.175) 4 2 4 4 3 2
N.0 / D .0 1/
2
ln 1 ; VD RZD .a sinh u0 /2 a cosh u0 D a .0 1/0 :
2 0 1 3 3 3
(14.176)
Teil II
Literatur
Teil II
Magnetismus und elektrische
Ströme
15
Wie lassen sich die
Methoden der Elektrostatik
auf die Magnetostatik
Teil II
übertragen?
Was unterscheidet
magnetische Dipole von
elektrischen?
Warum schweben
Supraleiter über
Magneten?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_15, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 511
512 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Obwohl bei elektrischen Strömen elektrische Ladungsträger in Be- Magnetostatik. Letztere lauten:
wegung sind, ergeben sich oft stationäre Situationen, bei denen die
Phänomene des Magnetismus mit zeitunabhängigen Feldgleichun- 4
r B.r/ D j.r/; (15.1)
gen beschrieben werden können. Dabei ist es natürlich wichtig, c
dass nicht die Bewegung der einzelnen Elementarladungen verfolgt r B.r/ D 0: (15.2)
wird, sondern Ströme durch Verschiebungen von kontinuierlichen
Ladungsverteilungen auf makroskopischem Niveau beschrieben Hierbei ist j.r/ eine stationäre Stromverteilung, d. h., weder
werden. Ändern sich diese Ströme nicht in der Zeit – weder in die Stromstärke noch die räumliche Anordnung der elektrischen
ihrer Stärke noch in ihrer Lage –, dann können magnetische Phäno- Ströme darf sich verändern.
mene komplett unabhängig von elektrischen beschrieben werden,
nämlich durch die Magnetostatik. Da hier die Quellen allerdings Frage 1
vektoriellen Charakter haben – Ströme haben ja eine Richtung –, Warum ist die Stromdichte, die mit einer einzelnen gleichförmig
Teil II
ist die Magnetostatik gelegentlich etwas mühsamer als die Elektro- bewegten Punktladung verbunden ist, keine stationäre Strom-
statik, aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten in der Methodik. verteilung?
Wie schon in der Elektrostatik sind in vielen Anwendungen Polari- (Hinweis: Die Antwort steckt in der expliziten Darstellung
sationseffekte der Materie zu berücksichtigen, die sich als Magneti- (11.56).)
sierung manifestieren. Diese kann – im Gegensatz zur Elektrostatik,
wo Polarisation immer zu einer Abschwächung des elektrischen Fel-
des führt – sowohl abschwächend als auch verstärkend wirken. Für stationäre Stromverteilungen reduziert sich die Kontinui-
Extreme Verstärkungen treten durch das Phänomen des Ferro- tätsgleichung (11.44) auf
magnetismus auf, der entscheidenden Anteil an der technischen
Bedeutung von Magnetismus hat. (Das Eröffnungsbild dieses Kapi- r j.r/ D 0; (15.3)
tels zeigt den gigantischen Magneten, der den ALICE-Detektor am
Large Hadron Collider des CERN umschließt – mit geöffneten „Tü- d. h., die Ströme haben keine Quellen oder Senken – Abfluss
ren“ und vor Einbau des Detektors.) und Zufluss von elektrischen Strömen addieren sich für jedes
beliebige Volumen auf null.
Einen anderen Extremfall stellen Supraleiter dar, die Magnetfelder
komplett aus ihrem Inneren verdrängen und deren wichtigste Ei-
genschaften wir mit den Methoden der klassischen Elektrodynamik
beschreiben werden, obwohl das Phänomen der Supraleitung selbst Vektorpotenzialgleichung
jenseits der klassischen Physik liegt.
Schrittweise werden wir in diesem Kapitel dann auch inhärent dyna- Wiederum können wir in einem ersten Schritt die homogene
mische Situationen betrachten. Neben den Feldgleichungen werden Gleichung r B D 0 durch Übergang zu den elektrodynami-
wir insbesondere die Bewegungsgleichungen von geladenen Teil- schen Potenzialen, die wir in Abschn. 11.5 eingeführt haben,
chen in gegebenen Magnetfeldern studieren, die sich wegen der lösen:
Lorentz-Kraft völlig anders verhalten, als man es von konservativen B D r A; (15.4)
Kraftfeldern gewohnt ist. wobei zu A ein beliebiges Gradientenfeld addiert werden kann,
Zum Schluss dieses Kapitels werden wir die makroskopische Be- weil dies das Magnetfeld unverändert lässt:
schreibung des Zusammenspiels von Materie und elektromagneti-
schen Feldern auf den uneingeschränkt zeitabhängigen Fall erwei- A ! A0 D A r : (15.5)
tern. Elektrische und magnetische Phänomene können dann nicht
mehr getrennt behandelt werden, aber die Struktur der phänome- Diese (schon in Abschn. 11.5 diskutierte) Eichfreiheit können
nologischen Maxwell-Gleichungen ist von gleicher Eleganz wie auf wir durch die Coulomb-Eichbedingung (11.140),
fundamentaler Ebene, auch wenn diese durch Materialgleichungen
zu ergänzen sind, damit die Feldgleichungen gelöst werden können. r A D 0; (15.6)
fixieren.
Einsetzen von (15.4) in die inhomogene Gleichung (15.1) liefert
15.1 Magnetostatik im Vakuum mit (11.131) die (Vektor-)Poisson-Gleichung
4
Wie wir zu Beginn von Kap. 12 festgestellt haben, zerfallen A.r/ D j.r/; (15.7)
c
die Maxwell-Gleichungen bei Zeitunabhängigkeit von Feldern
und deren Quellen in zwei voneinander entkoppelte Gleichungs- was natürlich mit dem statischen Grenzfall der allgemeineren
systeme: die Grundgleichungen der Elektrostatik und die der Gleichung (11.132) übereinstimmt.
15.1 Magnetostatik im Vakuum 513
Teil II
z1 z
In kartesischen Komponenten haben wir also einfach drei sepa-
rate Poisson-Gleichungen, anstelle von bloß einer wie im Fall I p ˇz2 z
ˇ
D ln zN C 2 C zN2 ˇ :
der Elektrostatik. Wir können daher von dort unmittelbar die c NzDz1 z
allgemeine Lösung übernehmen, sofern natürliche Randbedin-
gungen vorliegen (d. h., es werden keine Randbedingungen im Für ein Leiterstück von z1 D L bis z2 D L ergibt dies
Endlichen auferlegt, und Felder und Quellen fallen im Unendli- p
chen hinreichend schnell ab): I .L z/2 C %2 C L z
Az .%; z/ D ln p : (15.14)
Z c .L C z/2 C %2 .L C z/
0
1 j.r /
A.r/ D dV 0 (15.9)
c jr r0 j Für einen langen Leiter bzw. hinreichend nahe am Leiter-
stück, L % und L z, haben wir nach einer Taylor-
mit A D .Ax ; Ay ; Az /> und j D . jx ; jy ; jz /> . Diese Lösung er- Entwicklung des Arguments des Logarithmus
füllt die Coulomb-Eichbedingung, wenn r j D 0 erfüllt ist und
die Quellen so beschaffen sind, dass das Integral (15.9) auch I 2L C : : : 2I 2L
Az D ln D ln
existiert (Aufgabe 15.1). c 12 %2 =L C : : : c % (15.15)
Eingesetzt in (15.4) ergibt sich mithilfe von (11.26) die Integral- CO .%=L/ C O .z=L/ :
2 2
bei hinreichend großem R, dann können wir die allgemeine Lö- Stärke I fließt, hat mit j.r0 /dV 0 ! I dr0 das magnetische
sung für natürliche Randbedingungen (15.9) ganz ähnlich wie Dipolmoment
das elektrostatische Potenzial in Abschn. 13.4 nach inversen I
Potenzen von r D jrj entwickeln. Mit I
mD r dr: (15.24)
2c
1 1 r r0 L
0
D C 3 C ::: für r > r0 (15.17)
jr r j r r
Dieser Ausdruck kann mithilfe des Stokes’schen Sat-
bekommen wir zes (siehe den „Mathematischen Hintergrund“ 11.3) noch
Z Z vereinfacht werden. In Indexschreibweise lautet dieser
1 xj
Ai .r/ D dV 0 ji .r0 / C 3 dV 0 xj0 ji .r0 / C : : : (15.18) für L D @F, wobei F eine von L eingeschlossene Flä-
cr cr che bezeichnet,
I Z
Der erste Beitrag würde einem Monopolbeitrag entsprechen und
ist tatsächlich null. Wegen r 0 j.r0 / D @0k jk .r0 / D 0 kann näm- dxk .: : :/ D dfi "ijk @j .: : :/; (15.25)
lich ji als totale Ableitung geschrieben werden: @F F
Frage 2
Rechnen Sie diese Identität nach. Vektorpotenzial und Magnetfeld eines reinen magnetischen Di-
pols (Punktdipol) lauten
Unter einem Integral über ein Volumen, das die Stromverteilung mr
ADipol .r/ D ; (15.28)
vollständig einschließt, verschwindet wiederum der letzte Term r3
in (15.21) und wir können damit (15.18) alternativ schreiben als 3 .m r/ r r2 m
Z BDipol .r/ D r ADipol D : (15.29)
r r5
A.r/ D dV 0 r0 j.r0 / C : : : (15.22)
2cr 3 Frage 3
Rechnen Sie (15.29) in Indexschreibweise nach.
Dieser führende Term stellt den Dipolbeitrag dar.
15.2 Makroskopische Magnetostatik 515
Phänomenologische Grundgleichungen
der Magnetostatik
Teil II
Um die Effekte von Magnetfeldern in Materie rein phäno-
menologisch zu beschreiben, ist es zunächst, genauso wie in
der makroskopischen Elektrostatik in Abschn. 14.1, notwendig,
über die atomaren Strukturen zu mitteln. Mit der dort eingeführ-
ten Mittelungsprozedur definieren wir
Z
hj.r/i D dV 0 f .r0 / j.t; r C r0 /; (15.30)
Z
hA.r/i D dV 0 f .r0 / A.t; r C r0 /; (15.31)
Z
hB.r/i D dV 0 f .r0 / B.t; r C r0 /
In der Elektro- und Magnetostatik lassen sich bei natürli- Berechnet man andererseits direkt den Mittelwert der elek-
chen Randbedingungen folgende Ausdrücke für elektrische trischen bzw. magnetischen Felder, die zu einem reinen
und magnetische Felder herleiten, die über eine Vollkugel Dipolfeld gehören, so findet man bei der Integration für jede
mit Radius R gemittelt werden: Kugelschale mit festem Abstand r null:
Z Z Z
hEiR WD
3 3 .p r/ r r2 p 3 .m r/ r r2 m
4 R3
dV E.r/ d D0D d ;
r5 r5
Teil II
r<R
Z Z
r0 1 da mit p bzw. m in z-Richtung diese Integrale nur Beiträge
D dV 0 .r0 / 3 dV 0 .r0 / r0 proportional zu eO z geben können, in Kugelkoordinaten die
r 0 3 R
r0 >R r0 <R entsprechende Komponente aber auf
1 <
DW E.0/> p ; Z1
R3
d.cos #/Œ3 cos2 # 1 D 0
wobei E.0/> der Anteil des elektrischen Feldes im Mittel- 1
punkt der Kugel ist, der von den Quellen außerhalb der Kugel
erzeugt wird, und p< das Dipolmoment der Ladungsvertei- führt.
lung innerhalb der Kugel ist; analog:
Das heißt, die elektrischen und magnetischen Dipolfelder
Z 0 0 Z können nicht einschließlich des Ursprungs des Dipols gültig
1 r j.r / 2 1
hBiR D dV 0 C 3 dV 0 r0 j.r0 / sein. Die Mittelwertsätze zeigen, dass sie dort um folgende
c r03 R 2c Kontaktterme zu modifzieren sind:
r0 >R r0 <R
2 < 3 .p r/ r r2 p 4
DW B.0/> C m : EPktdipol .r/ D p ı.r/;
R3 r5 3
3 .m r/ r r2 m 8
(Der Beweis dieser Mittelwertsätze der Elektro- und Magne- BPktdipol .r/ D C m ı.r/:
r5 3
tostatik wird in Aufgabe 15.3 erbracht.)
Betrachtet man nun Dipole mit verschwindender räumlicher Die Vorzeichen dieser Kontaktterme passen zu der Tatsache,
Ausdehnung (Punktdipole) im Inneren der Mittelungskugel dass das elektrische Feld zwischen zwei Punktladungen, die
und keine weiteren Quellen außerhalb dieser, dann besagen einen Dipol bilden, entgegengesetzt zur Richtung des Di-
die Mittelwertsätze, dass der Mittelwert des elektrischen und pols zeigt, während das magnetische Feld im Zentrum einer
des magnetischen Feldes durch p=R3 bzw. C2m=R3 gege- Leiterschleife dieselbe Richtung wie das zugehörige magne-
ben ist. tische Moment hat (siehe Abb. 15.1).
00 1 1
mol .r /r : (15.36) D 4 ı.r C r0 r00 /; (15.37)
jr C r0 r00 j jr C r0 r00 j
15.2 Makroskopische Magnetostatik 517
sodass das Integral über r00 trivial ausgewertet werden kann, was
auf Phänomenologische Grundgleichungen
in der Magnetostatik
4
hA.r/i D r hB.r/i D hj .r/i C 4 r h mol .r/i Durch Einführen der makroskopischen magnetischen
c leit
4 Feldstärke H
DW hj .r/i H DB4 M (15.44)
c ges
(15.38)
führt. können wir neue inhomogene Grundgleichungen aufstel-
len, in denen nur noch die freie Leitungsstromdichte jf als
Für die gemittelte magnetische Dipoldichte in der Materie füh- Quelle aufscheint, während die homogene Maxwell-Glei-
ren wir die Bezeichnung Magnetisierung M.r/ ein: chung weiterhin von B (nicht aber im Allgemeinen von
H) erfüllt wird:
Teil II
M.r/ WD h mol .r/i: (15.39)
4
Die Rotation dieses Feldes liefert gemäß (15.38) einen Teil der rot H D j; (15.45)
c f
gesamten Stromdichte, der als Magnetisierungsstromdichte div B D 0: (15.46)
jM WD c r M (15.40) Die inhomogene Gleichung (15.45) verlangt, dass
bezeichnet wird. Da M definitionsgemäß im Vakuum null div jf D 0 (15.47)
ist, verschwindet ein geschlossenes Wegintegral, welches im
Vakuum verläuft und ein Materiestück umschließt. Mit dem ist, kann also nicht in der vollen, zeitabhängigen Elek-
Stokes’schen Satz ergibt dies für eine von einem solchen Weg trodynamik gültig bleiben, da im Allgemeinen div jf D
begrenzte Fläche F, die das Materiestück vollständig durch- @ t f gilt.
trennt, die Aussage
I Z Z
1
dr M D df .r M/ D df jM D 0: (15.41) (Die vollen makroskopischen Maxwell-Gleichungen werden in
c
@F F F Abschn. 15.7 diskutiert werden.)
Die Magnetisierungsstromdichte liefert also keinen Beitrag In SI-Einheiten definiert man dagegen
zum Gesamtstrom durch beliebige Schnittflächen, die Materie
1 ŒSI
komplett durchschneiden; dieser wird wenig überraschend aus- HŒSI D B MŒSI ; (15.48)
schließlich von hjleit i geliefert. 0
Verwendungen des Wortes „Induktion“ in der Elektrodyna- Bevorzugung von H zusammen. In dem aus (15.51) folgenden
mik führt. (Im Vakuum fallen H und B natürlich zusammen.) linearen Zusammenhang von B und H wird die Permeabilitäts-
Diese Bezeichnungen dürfen außerdem nicht darüber hinweg konstante definiert durch
täuschen, dass das B-Feld das tatsächliche (gemittelte) Magnet-
feld in der Materie darstellt. Die Reservierung des Begriffs der B D H C 4 M D .1 C 4 m /H DW H: (15.52)
magnetischen Feldstärke für H ist daher, wie der bedeutende
theoretische Physiker Arnold Sommerfeld (1868–1951) formu- Achtung Im SI-System, in dem auch dem Vakuum eine Per-
lierte, „unglücklich gewählt“ und „sollte soweit als möglich meabilitätskonstante zugeordnet wird, entspricht obiges der
vermieden werden“ (Sommerfeld 1988). Da die Bezeichnun- relativen Permeabilitätskonstanten r D ŒSI =0 . Zu beachten
gen mit den Symbolen B und H universell und unstrittig sind, ist außerdem, dass sich in diesen zwei Maßsystemen die ma-
kann man jedenfalls einfach von B- und H-Feldern sprechen, gnetischen Suszeptibilitäten wegen ŒSI
m D 4 m um gut eine
um Missverständnisse zu vermeiden. Größenordnung unterscheiden. J
Teil II
Von einem praktischen Gesichtspunkt gesehen, ist das H-Feld Ähnlich wie im Fall von elektrisch polarisierbarer Materie
im Inneren von Materie allerdings experimentell leichter fest- macht es einen Unterschied, ob auf molekularer Ebene perma-
zulegen als das fundamentale B-Feld. Die Integralversion von nente magnetische Dipole vorhanden sind, die durch Magnet-
(15.45) lautet felder ausgerichtet werden können, oder nicht. Ohne diese hat
I Z man es generell mit Diamagnetismus zu tun. Das Einschalten
4 4 äußerer Magnetfelder induziert hier mikroskopische Ringströ-
dr H.r/ D I df jf .r/: (15.50)
c c me, deren magnetisches Moment gemäß der Lenz’schen Regel
@F F dem äußeren Feld entgegengerichtet ist, sodass m negativ ist.
Die Beträge von m sind hierbei aber typischerweise sehr klein
Da Leitungsströme für gewöhnlich von außen durch Anschlie- gegen eins; Wasser und Kupfer haben beispielsweise m
ßen an Batterien und andere Stromquellen zugeführt werden, 7 107 bzw. 8 107 .
sind sie direkt messbar, und damit ist die Zirkulation des H-Fel-
des gegeben. Wenn gewisse Symmetrien in der Anordnung der Wenn molekulare permanente magnetische Dipolmomente vor-
Materie vorhanden sind, lässt sich damit oft schon H komplett handen sind, die ohne äußere Magnetfelder ungeordnet sind,
bestimmen. Das B-Feld hängt dagegen von der nicht so direkt kommt es dagegen zu Paramagnetismus. Hier ist m positiv;
kontrollierbaren Magnetisierbarkeit der Materie ab, wo oft so- die Ausrichtung der magnetischen Dipolmomente durch äußere
gar die Vorgeschichte der Magnetisierung eine Rolle spielt. In Felder verstärkt hier das Feld. Der Grund für das anders gear-
der Elektrostatik hatten wir dagegen bei den Beispielen von tete Verhalten im Vergleich zu Orientierungspolarisation in der
Kondensatoren, die mit polarisierbarem Material gefüllt wur- Elektrostatik liegt darin, dass magnetische Dipolmomente nicht
den, deren Potenziale als experimentell direkt messbare Größen. aus entgegengesetzten magnetischen Monopolladungen aufge-
Aus den Potenzialen lassen sich (wieder bei hinreichender Sym- baut sind, an denen Feldlinien entspringen und enden könnten.
metrie) die E-Felder direkt bestimmen, während die D-Felder Während im Inneren eines elektrischen Dipols, der aus zwei
davon abhängen, wie sich die Ladungen auf den Platten ei- entgegengesetzten, voneinander separierten Ladungen besteht,
nes Kondensators verteilen. Dies erklärt zumindest teilweise, das von ihm erzeugte elektrische Feld umgekehrt orientiert ist,
warum historisch den H- und E-Feldern eine primäre Rolle zu- ist dies im Inneren eines magnetischen Dipols, der von einem
geschrieben wurde. Ringstrom gebildet wird, eben nicht der Fall (siehe Abb. 15.1).
Paramagnetismus ist wie die elektrische Orientierungspolari-
sation ein Phänomen, das mit der Temperatur abnimmt, denn
höhere Temperatur erhöht die Unordnung. Für lineare Medi-
Materialgleichungen für magnetische Medien en verhält sich m typischerweise umgekehrt proportional zur
absoluten Temperatur, während Diamagnetismus ebenso wie
Um die phänomologischen Grundgleichungen für die B- und H- elektrische Deformationspolarisation weitgehend temperatur-
Felder lösen zu können, bedarf es wieder zusätzlicher („konsti- unabhängig ist. Ein Beispiel für ein paramagnetisches Material
tutiver“) Gleichungen, die z. B. M als Funktion der Felder E und ist Aluminium mit m C1;7 106 bei Raumtemperatur.
H bestimmen. Beim Ferromagnetismus kommt es unterhalb einer kritischen
In linearen Medien sind Polarisation und Magnetisierung direkt Temperatur, der sogenannten Curie-Temperatur (benannt nach
proportional zu den elektrischen und magnetischen Feldstärken. Pierre Curie, 1859–1906), zur spontanen Ausrichtung von ma-
Analog zur elektrischen Suszeptibilität definiert ein linearer Zu- gnetischen Momenten innerhalb von räumlich mehr oder weni-
sammenhang ger ausgedehnten Domänen oder Weiss’schen Bezirken (benannt
M D m H (15.51) nach dem französischen Physiker Pierre-Ernest Weiss, 1865–
1940). Verantwortlich für diese kollektive Ausrichtung sind
die magnetische Suszeptibilität m . Dass hier H und nicht übrigens nicht allein die magnetischen Wechselwirkungen zwi-
das fundamentalere B-Feld verwendet wird, hängt mit der oben schen den elementaren Dipolmomenten, sondern die Gesetze
angesprochenen historisch und auch experimentell bedingten der Quantenmechanik, wie in Abschn. 36.6 diskutiert wird.
15.2 Makroskopische Magnetostatik 519
MR
Abb. 15.2 Vergrößerung von Weiss’schen Bezirken bei Anlegen eines äußeren −HC H
Magnetfeldes
Teil II
ist das namensgebende Eisen (lateinisch ferrum), wo es im In-
Abb. 15.3 Magnetisierungskurve eines Ferromagneten. Die blaue Kurve stellt
neren einer isolierten Domäne zu einem Magnetfeld von etwas die Neukurve dar, wenn ursprünglich keine Magnetisierung vorhanden war; die
über 2 Tesla (20.000 Gauß) kommt. Makroskopische Objekte rote Kurve gibt die Hysterese wieder, die sich ergibt, wenn das Feld nach der
aus Eisen bestehen aber aus sehr vielen Domänen, die norma- Sättigung wieder verringert wird und in der Folge mit wechselnder Polarität auf
lerweise Ausdehnungen im Bereich von wenigen Mikrometern Sättigungsstärke gebracht wird. Die Magnetisierung bei H D 0 definiert die
haben, und die Magnetisierung mittelt sich weitgehend zu null. Remanenzfeldstärke BR D 4 MR ; der Wert von H, bei dem M wieder auf
Wird aber ein äußeres Magnetfeld angelegt, verschieben sich null gebracht werden kann, heißt Koerzitivfeldstärke HC . (Wie später in diesem
Kapitel noch ausgeführt wird, beziehen sich die Werte MR und HC auf den Fall
die Grenzen zwischen den Domänen zugunsten von Domänen eines idealen, unendlich langen Stabmagneten; für andere Geometrien ist die
mit Magnetisierung in Richtung des äußeren Feldes (Abb. 15.2), tatsächliche Remanenzfeldstärke geringer)
und es kommt zu einer großen Verstärkung des Magnetfeldes
innerhalb des Ferromagneten durch die zunehmend geordnete
n
Magnetisierung. Die Magnetisierung nimmt zunächst in etwa
Fläche Δa
linear zu, bis schließlich Sättigung eintritt. Wird das äußere
Magnetfeld wieder abgeschaltet, geht auch die Magnetisierung 2
wieder zurück, verschwindet aber nicht mehr ganz (Remanenz). Höhe
Zur Entmagnetisierung braucht es dann ein gewisses entge- Δh
gengesetztes Feld. Der Zusammenhang von äußeren Feldern
und Magnetisierung, MŒH, ist damit nicht nur nichtlinear, son-
1
dern auch von der Vorgeschichte abhängig (Abb. 15.3), was als
Hysterese bezeichnet wird (abgeleitet vom griechischen Wort
hysteros für „hinterher“, „später“).
Abb. 15.4 Zur Herleitung der Anschlussbedingung für B
n
Anschlussbedingungen an Grenzflächen Länge Δl
2
Da jede Materie von begrenzter Ausdehnung ist, müssen wir uns
wie in Abschn. 14.2 überlegen, welche Anschlussbedingungen
die phänomenologischen Felder an den Grenzflächen zu erfül- t
len haben. Dazu betrachten wir wieder die Integralversionen der 1
relevanten Gleichungen. kf
Teil II
Stromdichte jf verschwindet das Flussintegral über a jf , wenn
die Fläche hl gegen null geht. Ist aber ein Dirac-ı-förmig Die Tangentialkomponenten der H-Felder sind dann und
auf der Oberfläche lokalisierter Strom vorhanden, dann gibt kf nur dann unstetig, wenn sich auf der Grenzfläche eine
die entsprechende freie Oberflächenstromdichte an, und wir er- freie Flächenstromdichte kf befindet:
halten
4 4
t .H2 H1 / D a kf : (15.57) n .H2 H 1 / D k: (15.61)
c c f
.a b/ c D .b c/ a D .c a/ b;
Feldlinienverlauf an Grenzflächen
indem Sie dies in Indexschreibweise mittels "-Symbol anschrei-
ben und dessen Eigenschaften in Erinnerung rufen.
An einer Grenzfläche von zwei isotropen magnetischen Medien
mit Permeabilitätskonstanten 1 und 2 haben wir
Nun ist t bzw. a eine beliebige tangentiale Richtung senkrecht B1 .r/ D 1 H1 .r/; B2 .r/ D 2 H2 .r/: (15.63)
zu n, und kf liegt voraussetzungsgemäß auch in dieser Tan-
gentialebene. Wir können damit a in dieser Gleichung einfach B- und H-Felder zeigen also in gleiche Richtungen, haben aber
weglassen und auf unterschiedliche Beträge. Wenn ˛1 und ˛2 die Winkel sind, die
die gemeinsamen Feldlinien von B und H mit der Flächen-
normalen in den Medien 1 und 2 einschließen, dann folgt aus
4
n .H2 H1 / D k (15.59) n B1 D n B2 :
c f
1 jH1 j cos ˛1 D 2 jH2 j cos ˛2 ; (15.64)
schließen.
während die Stetigkeit der Tangentialkomponenten von H (in
Obwohl (15.55), aus der wir (15.59) gewonnen haben, nur im Abwesenheit von freien Oberflächenstromdichten)
statischen Fall gültig ist, behält diese Anschlussbedingung ihre
Gültigkeit auch in der vollen makroskopischen Elektrodyna- jH1 j sin ˛1 D jH2 j sin ˛2 (15.65)
mik, die wir in Abschn. 15.7 aufstellen werden. Wie schon
verlangt (Abb. 15.8). Division dieser Gleichung durch die vori-
im Vakuum wird die inhomogene Gleichung (15.45) um einen
ge ergibt
Maxwell’schen Verschiebungsstrom zu modifizieren sein. Die- tan ˛1 tan ˛2
ser wird aber aus Feldgrößen gebildet, die im Gegensatz zu D ; (15.66)
1 2
den Quelltermen keine Dirac-ı-förmig auf den Oberflächen
lokalisierten Singularitäten aufweisen dürfen. Die gefundenen ganz in Entsprechung zu (14.47) in der makroskopischen Elek-
Anschlussbedingungen gelten somit ganz allgemein. trostatik, wenn durch ausgetauscht wird.
522 15 Magnetismus und elektrische Ströme
μ1 n μ2 Abschn. 14.3 ersetzt man dabei das Problem für das jeweils be-
trachtete Volumen Vi mit den dort vorhandenen tatsächlichen
B2 Stromdichten durch eines, das den ganzen Raum einnimmt,
in dem im komplementären Volumen R3 nV zusätzlich fiktive
Stromdichten jBild angesetzt werden. Dies ist für jedes Teilvolu-
H2 H2tg men durchzuführen, und die verschiedenen Bildströme sind so
α2 zu bestimmen, dass die Anschlussbedingungen erfüllt werden.
=
B1
H1 H1tg
α1
Strom vor dia- oder paramagnetischem Halbraum
n · B1 = n · B2
Gegeben sei ein linienförmiger Strom der Stärke I in z-
Teil II
μ
15.3 Lösungsmethoden
der Magnetostatik d
x
Da auch in der makroskopischen Elektrodynamik r B D 0 gilt, I
kann diese homogene Maxwell-Gleichung im gesamten Raum
durch ein Vektorpotenzial A mit B D r A gelöst und die
Eichfreiheit durch r A D 0 fixiert werden.
Sind im Raum stückweise homogene und isotrope lineare Medi-
en mit Materialkonstanten i vorhanden, die jeweils Volumina Ganz analog zum Beispiel einer Punktladung vor einem
Vi einnehmen, dann haben wir B.r/ D i H.r/ für r 2 Vi , und dielektrischen Halbraum aus Abschn. 14.3 ersetzen wir
es gilt eine Vektor-Poisson-Gleichung analog zu (15.7) für die die physikalische Situation durch zwei Ersatzprobleme.
einzelnen Bereiche Für den Halbraum x > 0 nehmen wir an, dass neben dem
4 Strom I bei x D d ein paralleler Bildstrom I 0 bei x D d
A.r/ D i jf .r/; r 2 Vi : (15.67) vorliegt; für den Halbraum x < 0 nehmen wir an, dass
c zusätzlich zum Strom I bei x D d ein Bildstrom auftritt,
Die allgemeine Lösung dieser Gleichung lautet für kartesische den wir zu einem Strom I 00 bei x D d zusammenfassen:
Komponenten (A D .Ax ; Ay ; Az /> , jf D . jf x ; jf y ; jf z /> )
Berechnung für x < 0: Berechnung für x > 0:
Z
j .r0 / y y
A.r/ D i dV 0 f 0 C Ahom .r/; r 2 Vi (15.68)
c jr r j
Vi
a y/d b y/d
μ1 μ=0
1
−1
0
x/d x/d
Teil II
1
−1
Abb. 15.9 B-Felder für einen linienförmigen Strom parallel zu einem Halbraum mit (a) 1 (ferromagnetisches Medium) und (b) einem mit D 0 (Supraleiter).
a Im Falle des ferromagnetischen Mediums ist das Feld vor dem Medium gleich dem von zwei parallelen Strömen annähernd gleicher Stärke, während im Inneren
des Ferromagneten das Feld die Form eines einzelnen Linienstromes bei x D d mit näherungsweise doppelter Stärke des freien Stromes hat. Die Feldlinien haben
dementsprechend dort die Form von Kreisen mit Mittelpunkten bei x D d. b Im Falle des Supraleiters ist das supraleitende Medium feldfrei. Im Halbraum vor dem
Supraleiter ist das Feld gleich dem von zwei parallelen Strömen mit exakt entgegengesetzter Stärke. Die resultierenden Feldlinien haben hier die Form von Kreisen
mit unterschiedlichen Mittelpunkten bei x > d
Ansatz für die beiden Halbräume Die Kraft pro Längeneinheit des Stromleiters ergibt sich
0 1 durch das zu I 0 gehörige Magnetfeld an der Stelle des
y
2I 1
@x d A Stromleiters bei x D d und y D 0 als
Bjx>0 D (15.69)
c .x d/ C y
2 2
0 0 1
0 1 1 I 2I 0 1 @ 0 A
y F D eO z 2d
2I 0 1 @x C d A ; l c c .2d/2 0
C
c .x C d/2 C y2 0 (15.73)
0 1 I I0 1 I2
D Oex D O
e :
2I 00 1 y c2 d x
C 1 c2 d
Bjx<0 D @x d A : (15.70)
c .x d/2 C y2 0 Der Stromleiter wird also vom Medium angezogen, wenn
Die Anschlussbedingungen fordern nun Stetigkeit der dieses paramagnetisch ( > 1) ist; in diesem Fall
Normalkomponente Bx und Stetigkeit der Tangentialkom- hat der Bildstrom bzw. der auf der Oberfläche lokali-
ponente Hy auf der Grenzfläche x D 0, wobei für Hy D sierte Magnetisierungsstrom dieselbe Richtung wie der
physikalische Linienstrom. Im Fall eines diamagneti-
1
y
B im linken und Hy D By im rechten Halbraum gilt.
schen Mediums wird dagegen ein entgegengerichteter
Daraus ergibt sich
Strom induziert, der zu Abstoßung führt (siehe hierzu
1 00 den Kasten „Vertiefung: Supraleiter als idealer Diama-
I C I 0 D I 00 ; I I0 D I (15.71)
gnet“).
und somit Im Fall eines ferromagnetischen Mediums 1 sowie
1 2 im Fall eines Supraleiters ( D 0) wird der Bildstrom I 0
I0 D I; I 00 D I; (15.72) betragsmäßig gleich stark wie I. Für diese beiden Felder
C1 C1
sind die Feldlinienbilder des B-Feldes in Abb. 15.9 dar-
womit die B-Felder im ganzen Raum bestimmt sind. gestellt. J
524 15 Magnetismus und elektrische Ströme
und
1
X
Ein instruktives Gegenbeispiel liefert der einfache Fall eines un- 1
m .r; #/ D ˇl Pl .cos #/ für r > R: (15.80)
a
endlich langen linienförmigen Stromes I entlang der z-Achse. rlC1
Ist V der gesamte Raum ohne die Punkte auf der z-Achse, kön- lD0
nen wir in Zylinderkoordinaten . ; '; z/ die bekannte Lösung
15.3 Lösungsmethoden der Magnetostatik 525
Teil II
B H
m .R; #/ D m .R; #/:
i a
(15.81)
Abb. 15.11 Magnetisierte Kugel. Die Feldlinien des B-Feldes (grün ) bilden hier
Außerdem muss die Normalkomponente von B stetig geschlossene Kurven, die zwar auf der Grenzfläche einen Knick haben, aber dort
sein, also Br D Hr C 4 Mr . Die Radialkomponente von weder enden noch entspringen. Die Feldlinien des H-Feldes (blau ) haben dage-
M ist nun unstetig: gen Quellen auf der Oberfläche, gegeben durch den Magnetisierungsstrom. Im
Gegensatz zu den B-Feldern ist aber in Abwesenheit von freien Oberflächenströ-
M cos # r<R men die Tangentialkomponente auf der Oberfläche stetig
Mr D rO zO M D ; (15.82)
0 r>R
M
Außenraum überlagert sich ein Dipolfeld dem ursprüng-
lich homogenen Feld.
Diese Lösung können wir nun aber auch aus der obigen
Lösung für eine homogen magnetisierte Kugel ableiten,
indem wir einfach ein im gesamten Raum konstantes Feld
B0 D H0 D B0 zO superponieren und erst nachträglich
die Magnetisierung M abhängig vom Feld im Inneren H
machen. Dies ist auch deshalb vorteilhaft, weil magneti-
sierbare Materie oft nichtlineare Materialgleichungen hat. H + 4πM/3 = 0
4 8
H i D B0 M; Bi D B0 C M: (15.90)
3 3
Da im Außenraum B und H zusammenfallen und wir Abb. 15.12 Magnetisierung einer ferromagnetischen Kugel nach dem Ab-
schalten äußerer Felder: Die Remanenzmagnetisierung ergibt sich durch Schnei-
auch hier B0 addiert haben, sind offensichtlich weiterhin
den der Hysteresekurve mit der Geraden H C 4 NM D 0, wobei der
die Anschlussbedingungen (stetige Normalkomponenten Entmagnetisierungsfaktor N D 13 für die Kugelgeometrie beträgt. Für prolate,
für B und stetige Tangentialkomponenten für H) erfüllt. zigarrenförmige Geometrien ist N niedriger und die Gerade steiler; für abge-
flachte (oblate) Geometrien ist N größer und die Gerade flacher
Ist die Materialgleichung, die M bestimmt, ein linearer
Zusammenhang Bi D Hi , dann folgt
8 4
B0 C M D B0 M : (15.91) Problem für ein Ellipsoid anstatt einer Kugel, ergeben
3 3
sich andere Steigungen für die Gerade: flacher für oblate,
Daraus ergibt sich scheibenartige Gebilde, steiler für prolate, zigarrenför-
mige. (Die in Abb. 15.3 eingezeichnete Remanenzma-
3 1
MD B ; (15.92) gnetisierung bezieht sich auf den Grenzfall eines dün-
4 C2 0 nen Stabes, der zu einer senkrechten Gerade gehört.)
Dementsprechend lassen sich bei Stabmagneten generell
in kompletter Analogie zum Ergebnis (14.71) für die Po-
höhere Magnetisierungen erreichen als bei scheibenför-
larisation einer dielektrischen Kugel im äußeren Feld.
migen Magneten.
Allerdings kann im Gegensatz zur Dielektrizitätskonstan-
ten die Permeabilitätskonstante größer oder kleiner Der Faktor N in H D B0 4 NM, der für die Kugel
als 1 sein. Im paramagnetischen Fall > 1 ist M paral- N D 13 ist und allgemein zwischen 0 und 1 liegen kann,
lel zu B0 , im diamagnetischen dagegen entgegengesetzt. heißt Entmagnetisierungsfaktor. Er stimmt mit dem Ent-
Entsprechend wird das Magnetfeld im Inneren der Kugel, elektrifizierungsfaktor (14.175) überein, der in Aufgabe
14.8 für ein elektrisch polarisiertes prolates Ellipsoid be-
3
Bi D B0 ; (15.93) rechnet wurde. J
1C 2
Teil II
8
V
Z Z Frage 9
1 1
D dV r .A B/ C dVA .r B/ Begründen Sie, dass in dem Fall, dass der gesamte Raum durch
8 8 ein homogenes Medium mit Permeabilitätskonstante ausge-
V V
I Z füllt ist, obiger Ausdruck einfach mit zu multiplizieren ist
1 1 und alle j durch jf zu ersetzen sind.
D df .A B/ C dVA j : (15.95)
8 2c
@V V
P
Bei einer Aufteilung von j in Subsysteme j.r/ D n jn .r/ führt
Wenn V der gesamte Raum ist und natürliche Randbedingungen dies auf
vorliegen, sodass die Felder im Unendlichen abfallen, ist die ZZ
1 X j .r0 / jm .r/
magnetische Feldenergie durch WD 2 dVdV 0 n
2c n;m jr r0 j
Z ZZ
WD
1
dVA j 1 X j .r0 / jn .r/
2c
(15.96) D 2 dVdV 0 n
2c n jr r0 j
V
Z Z
1 X j .r0 / jm .r/
C 2 dVdV 0 n ; (15.99)
gegeben. c n<m jr r0 j
In der makroskopischen Magnetostatik ist ganz analog zur
wobei wir in Selbstenergien (n D m) und Wechselwirkungs-
Situation in der makroskopischen Elektrostatik und wie in Ab-
energien (n 6D m) aufgeteilt und bei letzteren die Summation
schn. 14.4 diskutiert der Ausdruck (15.94) nicht mehr gültig.
auf unterschiedliche Paarungen erstreckt haben, was den Faktor
Die notwendige Verallgemeinerung lässt sich allerdings im 1
kürzen ließ.
Gegensatz zur Situation in der Elektrostatik nicht allein aus 2
der Magnetostatik begründen, da für Energiebetrachtungen die Oft hat man es mit einem System von separaten linienförmigen
Gleichungen der makroskopischen Elektrodynamik gebraucht Stromkreisen Cn zu tun, in denen jeweils ein konstanter Strom
werden; magnetische Feldenergie ist wie erwähnt ohne das dy- In fließt. Dann reduziert sich in den Integralen dV jn .r/ ! In dr,
namische Induktionsgesetz nicht erklärbar. und wir bekommen Linien- statt Volumenintegrale:
I I
Wie wir in Abschn. 15.7 sehen werden, behält aber der Aus- 1X 1 drn drm
druck (15.96) in der makroskopischen Magnetostatik für lineare WD I I
2 n;m n m c2 jrn rm j
Medien seine Gültigkeit, wenn dort j durch die freie Stromdich- Cm Cn
te jf ersetzt wird. Mit jf D 4c r H kann dies nach einer 1 X
partiellen Integration auch wieder mit Feldgrößen allein ge- DW L I I : (15.100)
2 n;m nm n m
schrieben werden.
Die Koeffizienten Lnm D Lmn hängen offenbar nur von der
Magnetische Feldenergie in linearen Medien Geometrie der Anordnung der Stromkreise ab und werden
Z Induktionskoeffizienten genannt. Die für die Selbstenergie ver-
1 antwortlichen Koeffizienten mit n D m heißen Selbstinduktions-
WD dVB H (15.97)
8 koeffizienten, die für die Wechselwirkungsenergie verantwortli-
chen mit n 6D m Gegeninduktionskoeffizienten.
528 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Diese Koeffizienten geben auch unmittelbar den linearen Zu- beispielsweise logarithmisch von diesem Querschnitt ab (Be-
.n/
sammenhang des magnetischen Flusses ˚n WD ˆm durch die cker & Sauter 1964).
n-te Leiterschleife mit den einzelnen Stromstärken an:
Als ein wichtiges Beispiel, wo die Selbstinduktivität ausge-
Z Z
rechnet werden kann, ohne auf unendliche Beiträge von der
˚n D df n B D df n rot A Selbstenergie zu stoßen, soll die Selbstinduktion einer langen
Fn Fn Spule berechnet werden, bei der die Stromverteilung, wie wir
I sehen werden, als ein Flächenstrom idealisiert werden kann.
D drn A.rn / (15.101) Außerdem können wir hier den Selbstinduktionskoeffizienten
Cn einfach aus der Abhängigkeit der direkt berechneten Feldener-
X I I gie vom Quadrat der Stromstärke ablesen.
1 drn drm
D Im ;
m
c jrn rm j
Teil II
1 X 1 X
1 C3 NI C1 l
W el D C Q Q ; D Cmn Qn (15.105)
2 m;n mn m n m
n
Teil II
dungen vorhanden sind. Die Spule selbst können wir A.r/ D A.0/ C .r r /Aˇ C : : : (15.112)
als N Ringströme auffassen, wobei jede der N Flächen 0
über Verzweigungsschnitte mit der nächsten verbunden
ist. Der gesamte magnetische Fluss durch die Spule ist Dies gibt
daher ˆm D NBjFj, wobei jFj der Flächeninhalt des Z
Querschnittes ist. 1
W ww
D dV j.r/ A.0/ (15.113)
c
Die Selbstinduktion L ergibt sich dann aus Z ˇ
1 ˇ
C dV j.r/ r r R A.R/ˇ C :::
1 4 NIjFj 4 N 2V c RD0
LD ˆm =I D N =I D (15.109)
c c2 ` c2 `2 R
Wie wir schon in (15.20) gezeigt haben, ist dV j D 0, und
mit V jFj`. Dasselbe Ergebnis finden wir, wenn wir der erste Term verschwindet daher. Für den zweiten Term kön-
stattdessen die im Volumen V enthaltene Feldenergie nen wir wieder die Umformung (15.21) verwenden (hier ohne
WV D 81 B2 V durch I 2 =2 dividieren: gestrichene Variablen). Dies ergibt
2 Z ˇ
1 B2 V 1 4 N 1 ˇ
LD D V: (15.110) W ww D dV .r j.r// r R A.R/ˇ C:::
4 I 2 4 c` 2c
Z
RD0
1 ˇˇ
D dV .r j.r// r R A.R/ ˇ C :::
Ist im Inneren der Spule nicht Vakuum, sondern ein ma- 2c RD0
gnetisches Material mit Permeabilitätskonstante vor- D m B.0/ C : : : (15.114)
handen, dann erhöht sich die Feldenergie und damit L um
diesen Faktor: Es gilt dann H D 4c NI=` und B D H in
WV D 81 BHV. J
Frage 10
Verifizieren Sie diese Herleitung mit (15.20) in Indexschreib-
weise.
Lokalisierte Stromverteilung
Verschieben wir die fest vorgegebene Stromverteilung, ohne ih-
in einem äußeren Feld re Form und Stärke zu verändern an einen anderen Punkt R 6D 0,
dann bekommen wir die nun R-abhängige Wechselwirkungs-
Betrachten wir nun eine lokalisierte Stromverteilung in einem energie
äußeren Magnetfeld und die dazu gehörende Wechselwirkungs- W ww .R/ D m B.R/ C : : : (15.115)
energie. Diese ist durch
Z Dieses Ergebnis unterscheidet sich überraschenderweise von
1 der Wechselwirkungsenergie eines elektrischen Dipols in einem
W ww
D dV A j (15.111)
c äußeren elektrischen Feld im Vorzeichen ((13.129) beinhaltet
p E). Dies scheint nicht zur empirischen Tatsache zu pas-
gegeben, ohne den Faktor 12 , der in (15.98) auftaucht, denn A ist sen, dass sich magnetische Dipole in äußeren Magnetfeldern
hier nicht das zu j gehörende Gesamtfeld. Das Feld wird hier ganz analog zu elektrischen Dipolen in elektrischen Feldern ver-
stattdessen von irgendwelchen nicht explizit angeführten exter- halten. Wir können Letzteres auch direkt nachrechnen, indem
nen Stromverteilungen j ext erzeugt, und W ww entspricht daher wir die Lorentz-Kraft auf eine lokalisierte Stromverteilung be-
dem letzten Term in (15.99) in einer Aufteilung von j ges in zwei trachten.
530 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Eine ganz analoge Rechnung wie zuvor zur Wechselwirkungs- durch eine äußere Batterie konstant gehalten wird. Wie wir in
energie liefert (14.94) gesehen haben, trägt auch dort die äußere Batterie gera-
Z de die doppelte Feldenergie bei.
1
FD dV j.r/ B.r/
c Zum Abschluss soll der Vollständigkeit halber auch noch das
Z mechanische Drehmoment N auf eine lokalisierte Stromver-
1
D dV j.r/ .r r R / B.R/ RD0 C : : : teilung im äußeren Magnetfeld berechnet werden. (Da M in
c
Z ˇ diesem Abschnitt für die Magnetisierung vergeben ist, verwen-
1 ˇ
D dV j.r/ .r r R / B.R/ˇ C ::: (15.116) den wir als Formelzeichen für das Drehmoment nun N.) Analog
c RD0 zu (15.117) entwickeln wir
Wieder können wir (15.21) verwenden, um dies umzuformen Z
auf 1
ND dVr .j B/ (15.121)
Teil II
Z ˇ c
Z Z
1 ˇ 1 1
FD dV .r j.r// r R B.R/ˇ C ::: D dV .r B.0// j.r/ B.0/ dV .r j.r// C : : :
2c RD0
c c
ˇ
ˇ
D m r R B.R/ˇ C :::
ˇ RD0 mit dem Unterschied, dass hier schon der niedrigste Term der
ˇ
D r R .m B.R// ˇ C :::; (15.117) Taylor-Entwicklung von B den führenden Beitrag liefern wird.
RD0 Das letzte Integral verschwindet, weil es wegen
wobei im letzten Schritt r B D 0 verwendet wurde.
1
Dieser Ausdruck stimmt in Form und Vorzeichen mit der Kraft xi ji D @i xx j (15.122)
2 j j i
überein, die ein elektrischer Dipol in einem elektrischen Feld
erfährt. Letztere hatten wir in (13.136) als .p r / Ej0 bestimmt.
Wegen r E D 0 gilt @i Ej D @j Ei , und es ist daher mit dem Gauß’schen Satz als Oberflächenintegral geschrieben
werden kann, die Stromverteilung aber voraussetzungsgemäß
Œ.p r / Ej D pi @i Ej D pi @j Ei D Œr .p E/j : (15.118) lokalisiert ist. Das andere Integral kann wieder mittels (15.21)
umgeschrieben werden und ergibt
(Analoges gilt auch für den magnetischen Dipol, denn die Quel- Z
len des äußeren Magnetfeldes sind voraussetzungsgemäß weiter 1
ND dV Œr j.r/ B.0/ C : : :
weg, sodass am Ort des Dipols r B D 0 gilt.) Wir sehen al- 2
so, dass für die Kräfte auf elektrische und magnetische Dipole D m B.0/ C : : : (15.123)
die Vorzeichen übereinstimmen, nicht aber für die zugehörigen
Wechselwirkungsenergien.
Dies ist ganz analog zum Drehmoment p E auf einen elek-
Die Kraft auf elektrische Dipole ist der negative Gradient von trischen Dipol in (13.138). Beide stellen sich im mechanischen
.p E/, und damit ist diese Wechselwirkungsenergie zugleich Gleichgewicht parallel zu den zugehörigen äußeren Feldern ein.
das mechanische Potenzial für elektrische Dipole. Bei magneti-
schen Dipolen hat aber die Wechselwirkungsenergie gerade das
umgekehrte Vorzeichen:
W ww D Cm B; W mech D m B: (15.119)
15.5 Bewegung von geladenen
Teilchen in Magnetfeldern
Dies wird gelegentlich als magnetostatisches Paradoxon be-
zeichnet. Die Auflösung dieses Paradoxons ist, dass man Strom-
kreise in einem inhomogenen Magnetfeld nicht verschieben Die Bewegung geladener Teilchen im konservativen Kraftfeld
kann, ohne Induktionsspannungen zu generieren, die die Ströme elektrostatischer Felder ist ganz analog zu der von Punktmassen
verändern würden, wenn nicht Energie von außen so nachgelie- im Gravitationsfeld, wie wir sie in Teil I studiert haben, zumin-
fert wird, dass sie dennoch konstant bleiben. Bei starren und dest solange man von Abstrahlungseffekten absehen kann, die
konstant gehaltenen Strömen wird die Feldenergie nun maxi- wir in Kap. 19 betrachten werden.
miert. Eine externe Stromquelle, die für die Aufrechterhaltung
der Ströme sorgt, muss offenbar gerade das Doppelte der Feld- Magnetfelder üben die Lorentz-Kraft qc v B auf Punktladungen
energie beitragen: mit Ladung q aus und führen zu qualitativ sehr unterschiedli-
chen Effekten. Insbesondere tragen sie nicht zur Arbeit bei, wie
W ww D W mech C W ext D W ww C W ext ) W ext D 2W ww : wir schon in (11.101) gesehen haben. Sind nur Magnetfelder
(15.120) vorhanden, ändert sich daher nie der Betrag von v , wohl aber
Die Situation ist also ganz ähnlich der eines Dielektrikums, dessen Richtung (außer v ist exakt parallel zu B, denn dann
das in einen Kondensator hineingezogen wird, dessen Potenzial verschwindet die Lorentz-Kraft).
15.5 Bewegung von geladenen Teilchen in Magnetfeldern 531
d q
mv .t/ D v B.x.t//: (15.124)
dt c
Ist das Magnetfeld räumlich und zeitlich konstant und wählen
wir in kartesischen Koordinaten die z-Richtung in Richtung von
B, so haben wir die folgenden gekoppelten Differenzialglei-
chungen für die Komponenten von v :
Teil II
0 1 0 1 x y
v
d @ x A @
!B vy
qB
vy D !B vx A ; !B D : (15.125) Abb. 15.14 Ein positiv geladenes Teilchen in einem homogenen Magnetfeld
dt vz 0 mc mit generischer Anfangsgeschwindigkeit rotiert im Uhrzeigersinn in der xy-Ebe-
ne, wenn das Magnetfeld in die positive z-Richtung zeigt, und bewegt sich
(Diese Form bleibt sogar bei gleichförmig entlang der z-Achse. Die Bahnkurve ist somit eine Schraubenlinie
p relativistischer Bewegung erhalten, mit konstanter Steigung
wenn m durch m D m= 1 .v =c/2 ersetzt wird, da jv j und
damit nicht von der Zeit abhängt.)
Diese Gleichungen können durch nochmaliges Ableiten entkop- Liegt zusätzlich zu einem homogenen Magnetfeld ein homoge-
pelt werden und führen auf Schwingungsgleichungen nes elektrisches Feld vor, können die Bewegungsgleichungen
ebenfalls leicht gelöst werden (Aufgabe 15.10). Bemerkens-
vRx D !B2 vx ; vRy D !B2 vy : (15.126) werterweise können nur E-Feldkomponenten in Richtung des
homogenen B-Feldes ein Teilchen unbeschränkt beschleunigen.
Nehmen wir z. B. an, dass die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt Ein E-Feld senkrecht zum B-Feld führt dagegen zu einer pe-
t D 0 keine Komponente in y-Richtung hat, was durch geeignete riodischen Bewegung in Richtung des E-Feldes und zu einer
Koordinatenwahl immer möglich ist, dann ist die Lösung für gleichförmigen Bewegung senkrecht zu E und B.
v .t/ gegeben durch
0 1
vx .0/ cos !B t
v .t/ D @ vx .0/ sin !B t A : (15.127) Magnetischer Spiegel und magnetische Flasche
vz .0/
Integration über t gibt die Bahnkurve Betrachten wir wieder den Fall, dass sich ein Teilchen in einem
reinen Magnetfeld bewegt, das weitgehend homogen ist, sodass
0 1
a sin !B t vx .0/
es sich in Schraubenbewegung entlang der Richtung von B fort-
x.t/ D x.0/ C @ a Œcos !B t 1 A ; aD : bewegt. Was passiert, wenn es dabei in eine Region kommt, in
vz .0/ t !B der das Magnetfeld an Stärke zunimmt?
(15.128) Diese Frage lässt sich näherungsweise durch folgende Überle-
Frage 11 gung beantworten. Wenn das Magnetfeld bezüglich der Schrau-
Wie würde die Lösung aussehen, wenn vx .0/ null sein soll und benlinie in etwa zylindersymmetrisch bleibt, dann liegt nähe-
stattdessen vy .0/ vorgegeben wird? rungsweise eine Rotationssymmetrie vor, die sicherstellt, dass
der Drehimpuls des Teilchens während seiner Driftbewegung
erhalten bleibt. Der Drehimpuls ist proportional zum Produkt
Das geladene Teilchen rotiert also in der xy-Ebene mit Kreisfre- aus Larmor-Radius und Geschwindigkeit um die Rotationsach-
quenz !B , während es sich gleichförmig in z-Richtung bewegt se, av? , wobei
(Abb. 15.14). Es folgt somit einer Schraubenlinie mit konstan-
ter Steigung. Der Radius a D v? =!B wird als Larmor-Radius v? D a!B D aqBz =.mc/ (15.129)
bezeichnet; die Kreisfrequenz !B wird manchmal Zyklotronfre-
quenz genannt, nach dem ersten modernen Teilchenbeschleuni- ist. Aus der Konstanz von av? folgt damit a2 Bz D const, was
ger, wo geladene Teilchen durch elektrische Felder mit dieser bedeutet, dass der magnetische Fluss innerhalb der Schrauben-
Frequenz bei ihrer Kreisbewegung beschleunigt werden (und linie ebenfalls konstant bleibt. In anderen Worten, das Teilchen
dabei Geschwindigkeit aufnehmen, wodurch sich a vergrößert, folgt auf seiner Spiralbahn den magnetischen Flussröhren, die
wenn nicht gleichzeitig das B-Feld erhöht wird). von den Magnetfeldlinien gebildet werden (Abb. 15.19).
532 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Der Umstand, dass geladene Teilchen in einem Magnet- m zu ersetzen, sodass bei der Beschleunigung das Ma-
feld auf eine Kreisbahn gezwungen werden, wird in Teil- gnetfeld erhöht werden muss, damit die Zyklotronfrequenz
chenbeschleunigern ausgenützt, um Teilchen immer wie- konstant bleibt. Dies wird in sogenannten Synchrotronbe-
der dieselbe Beschleunigungsstrecke durchlaufen zu lassen schleunigern gemacht, die in der Hochenergieteilchenphysik
(Abb. 15.15). eingesetzt werden.
Die Zyklotronbewegung hat aber weitere Anwendungen
jenseits der namensgebenden Teilchenbeschleuniger. In
der Elementarteilchenphysik wird die Abhängigkeit des
Teil II
schwere
Magnetfeld Ionen
leichte
Ionen
Detektor
Abb. 15.15 Das 88-Zoll-Zyklotron des Lawrence Berkeley National Labora-
Ionenquelle
tory (© 2010 The Regents of the University of California, Lawrence Berkeley
National Laboratory)
Abb. 15.17 Funktionsweise eines Massenspektrometers
Das erste Zyklotron zur Teilchenbeschleunigung wurde
von dem amerikanischen Physiker Ernest Lawrence (1901– In der Kernfusionsforschung werden die geladenen Ionen
1958, Nobelpreis 1939) an der University of California eines Plasmas im sogenannten Tokamak magnetisch ein-
in Berkeley im Jahr 1932 gebaut, in dem Teilchen durch geschlossen, indem das Magnetfeld in der Form eines
elektromagnetische Felder mit einer Frequenz, die durch Torus in sich geschlossen wird. („Tokamak“ ist ein russi-
die Zyklotronfrequenz !B gegeben ist, beschleunigt wer- sches Akronym für „toroidale Kammer mit Magnetspulen“;
den. Abb. 15.18.)
Teil II
feld (hier für ein negativ geladenes Teilchen): Näherungsweise ist die Bewegung
so, dass der eingeschlossene magnetische Fluss konstant bleibt Abb. 15.20 Eine Visualisierung der Van-Allen-Gürtel, die von den Van-Allen-
Probes-Satelliten der NASA vermessen werden. Die Strahlungsgürtel sind hier
in Gelb dargestellt, die Zwischenräume in Grün. Zusätzlich zu den bereits 1958
entdeckten zwei Strahlungsgürteln wurde 2012 gefunden, dass zeitweilig ein
Frage 12 dritter Gürtel erscheinen kann. Gezeigt sind hier die Verhältnisse in der Ebene
Wie ändert sich daher a und v? in Abhängigkeit von Bz ? quer zum Sonnenwind; in Richtung des Sonnenwindes führt dieser zu Deforma-
tionen des Magnetfeldes und damit auch der Van-Allen-Gürtel (© NASA, Van
Allen Probes, Goddard Space Flight Center)
Wenn die Stärke des Magnetfeldes zunimmt, rücken diese Feld-
linien näher aneinander, und die Kreisbewegung verändert sich
dabei gemäß
1 p
a / p ; v? / Bz : (15.130)
Bz
Nun ist aber die Energie eines Teilchens in einem reinen Ma-
gnetfeld erhalten, sodass
m 2 m
TD vz C v?
2
D vz2 C jmjBz .z/ (15.131)
2 2
gilt, wobei jmj das magnetische Moment ist, das zur Rotati-
on des Teilchens um die z-Achse gehört, wie in Aufgabe 15.8
gezeigt wird. Offenbar ist eine Bewegung in z-Richtung nur
in Bereichen möglich, in denen Bz < T=jmj ist, da nur dann
vz2 > 0 sein kann. Bezüglich der Bewegung in z-Richtung
verhält sich Bz .z/ wie ein Potenzial, das eine Kraft jmj@z Bz
Abb. 15.21 Das Erdmagnetfeld bildet eine natürliche magnetische Flasche, da
verursacht, durch die ein Teilchen, das sich in Richtung zuneh- die Feldstärke in Richtung der Pole zunimmt. Energiereiche geladene Teilchen
mender Magnetfeldstärke bewegt, abgebremst und schließlich aus dem Sonnenwind und der kosmischen Strahlung werden darin eingefangen
elastisch in die entgegengesetzte Richtung reflektiert wird. Das und bewegen sich in verschiedenen Strahlungsgürteln, die nach dem Astrophysi-
Vorzeichen der Ladung spielt hierbei keine Rolle; nur der Um- ker James Van Allen benannt sind. In einem inneren Gürtel sind dabei Protonen,
laufsinn um die z-Achse hängt davon ab. in einem äußeren Elektronen eingefangen
bedarf es im Allgemeinen elektrischer Felder. Die zahlreichen jf D r . Setzt man dies in die hier zeitunabhängige Konti-
Stöße, die die Ladungsträger dabei erfahren, führen in vielen nuitätsgleichung
Fällen zu einer effektiven Reibungskraft, die linear zur Ge-
schwindigkeit und damit proportional zur Stromdichte jf ist @ f
(eine Ausnahme bilden hier Supraleiter; siehe Kasten „Ver- r jf C D r jf D 0 (15.134)
@t
tiefung: Supraleiter als idealer Diamagnet“). Ein stationärer
Zustand stellt sich offenbar dann ein, wenn die einwirkende ein, folgt
Kraft der Reibungskraft die Waage hält. Da äußere elektroma- r .r / D 0: (15.135)
gnetische Felder auf Ladungsträger die Lorentz-Kraft ausüben,
wird diese Situation durch eine Proportionalität Ist ferner eine Konstante, so erfüllt die Laplace-Glei-
chung, und das Innere des Leiters muss ladungsfrei sein: f D
1 41 D 0. Eventuelle elektrische Ladungen können dann
jf D E C v B (15.132)
Teil II
c wie bei perfekten Leitern nur auf der Oberfläche lokalisiert sein.
Für eine perfekt leitende Flüssigkeit gilt der in der Magne- Die Annahme einer unendlichen Leitfähigkeit ist tatsäch-
tohydrodynamik sehr wichtige, vom schwedischen Plasma- lich eine gute Näherung für die meisten in der Astrophy-
physiker und Nobelpreisträger Hannes Alfvén (1908–1995) sik auftretenden Plasmen und auch in Anwendungen in
aufgestellte Satz, dass der magnetische Fluss durch eine der Kernfusionsforschung. Diese Näherung wird auch idea-
Schleife, die sich mit der Flüssigkeit bewegt, zeitlich kon- le Magnetohydrodynamik genannt, im Gegensatz zur noch
stant ist. schwierigeren resistiven Magnetohydrodynamik.
Dieser Satz folgt direkt aus den Überlegungen, mit denen
Magnetfeld und Plasma sind in der idealen Magnetohydro-
Teil II
wir das Induktionsgesetz (11.62) für bewegte Leiterschlei-
namik so stark aneinandergekoppelt sind, dass man davon
fen in Abschn. 11.1 hergeleitet haben. Dazu müssen wir statt
spricht, dass die Magnetfeldlinien „eingefroren“ sind. Dies
einer Leiterschleife bloß einen Ring aus Ladungsträgern be-
bedeutet, dass nicht nur das Plasma das Magnetfeld in sei-
trachten und der Eigenbewegung dieser Plasmabestandteile
ner Bewegung mitnimmt, sondern dass auch umgekehrt die
folgen, anstatt die Bewegung vorzugeben. Wenn wir außer-
Bewegung des Plasmas durch das Magnetfeld bestimmt sein
dem zulassen, dass das äußere Magnetfeld explizit von der
kann, wenn dessen Druck dominiert (neben dem Druck
Zeit abhängt, bekommen wir für die Änderung des Flusses
geht zudem die Krümmung der Magnetfeldlinien in die
durch eine mitbewegte Schleife L D @F mit den Bezeich-
magnetohydrodynamischen Gleichungen ein). So wird in
nungen von Abb. 11.15 anstelle von (11.60)
der dichten Photosphäre der Sonne das Magnetfeld durch
Z Z die Konvektion des Plasmas bestimmt, in der dünnen Son-
ˆm .F tCdt / ˆm .F t / D dt df @ t B df B: (1) nenkorona aber bestimmt das Magnetfeld dessen Struktur
Ft dM (Abb. 15.22).
Mit (11.59) und dem Satz von Stokes lässt sich das umfor-
men auf:
Z I
ˆm .F tCdt / ˆm .F t / D dt df @ t B dt .v B/ dr
Ft Lt
Z
D dt df @ t B r .v B/ : (2)
Ft
@ t B D r .v B/: (4) Abb. 15.22 Eine extrem massive Sonneneruption, die vom Solar Dynamics
Observatory (SDO) der NASA am 31. August 2012 beobachtet wurde (http://
Damit verschwindet aber die rechte Seite von (2). svs.gsfc.nasa.gov/vis/a010000/a011000/a011095/index.html)
verteilungen, in Einklang damit, dass sich parallele Stromfäden In der Elektrotechnik wird das Ohm’sche Gesetz normalerweise
anziehen, sowie nicht triviale Ladungsverteilungen (Gabuzda nicht für Stromdichten, sondern für aufintegrierte Ströme for-
1993). Diese Effekte sind normalerweise vernachlässigbar, kön- muliert:
nen aber in der Plasmaphysik bedeutsam werden (Pinch- oder U D R I; (15.138)
Einschnüreffekt). Bei hochfrequenten Wechselströmen ist die
Situation allerdings wesentlich anders. Durch den sogenannten wobei U die Potenzialdifferenz und I der damit einhergehende
Skin-Effekt (siehe hierzu Aufgabe 16.5) konzentriert sich dann Strom in einem Stromkreis sind. Die Proportionalitätskonstante
der Stromfluss an der Oberfläche eines Leiters. J R wird als Widerstand bezeichnet. Dieser hängt von der Geo-
536 15 Magnetismus und elektrische Ströme
metrie und der Leitfähigkeit ab, wie wir im obigen Beispiel Faraday’sche Induktion
gesehen haben, in dem er für einen Körper mit konstantem
Querschnitt F und Länge ` als R D `=.F/ bestimmt wurde.
Wenn irgendwo in der von Stromkreisen eingeschlossenen Flä-
In SI-Einheiten wird Widerstand in Ohm () angegeben; 1 che zeitabhängige Magnetfelder vorhanden sind, kann eine
1 V=1 A. Der Kehrwert, die Leitfähigkeit G D 1=R wird in der elektromotorische Kraft auch dadurch realisiert werden. Dann
weniger gebräuchlichen SI-Einheit Siemens (S), benannt nach existiert eine elektrische Ringspannung
Werner von Siemens (1816–1892), angegeben, und ist einfach
1 , was in der englischsprachigen Literatur gelegentlich in- I
formell als mho (Ã) bezeichnet wird. (Die entsprechenden U Ring D dr E.ind/
CGS-Einheiten sind so wie das Statampere technisch sehr
@F
unhandliche Größen. Das Statohm ist einfach eine inverse
Z (15.142)
Geschwindigkeit, 1 stat D 1 s cm1 , und entspricht etwa
Teil II
1d 1 d
1012 .) D df B D ˆ .F/;
c dt c dt m
In elektrischen Widerständen wird gegen die Reibungskräfte F
Arbeit geleistet, die in Wärme umgewandelt wird. Die pro Zeit-
einheit durch jf geleistete Arbeit in einem Volumen V ist analog für die ebenfalls die Bezeichnung EMK verwendet wird. Die
zu (11.103) durch Z Veränderung des magnetischen Flusses ˆm kann dabei entwe-
P D dV jf E (15.139) der dadurch zustande kommen, dass sich eine Leiterschleife
L D @F in einem Magnetfeld bewegt oder dass sich bei un-
V veränderlichem Rand @F das Magnetfeld ändert (Kap. 11).
mit jf D E gegeben. Für einen Widerstand mit konstanter
Stromdichte senkrecht auf eine Querschnittsfläche A ist I D Ein Beispiel für Ersteres haben wir bereits in Aufgabe 11.8,
Ajjf j und damit der Ausmessung von Magnetfeldern durch rotierende Spulen,
ˇZ ˇ betrachtet. Viel wichtiger ist allerdings die Anwendung als
ˇ ˇ U2 Stromgenerator. Ist im Stromkreis @F ein elektrischer Verbrau-
P D I ˇˇ d` .r /ˇˇ D I U D I 2 R D : (15.140)
R cher (d. h. Widerstand R) vorhanden, wird auf der einen Seite
Mit SI-Einheiten Volt, Ampere und Ohm erhält man P in Watt mechanische Energie in elektrische umgewandelt, die über elek-
(Joule/Sekunde). trische Leitungen zum Verbraucher R weitergeleitet wird. In
diesem Fall erfordert das mechanische Drehen einer Spule so
In einem stationären Stromkreis muss diese dissipierte Energie
viel Energie, wie durch den resultierenden Strom durch Wider-
beständig nachgeliefert werden. Falls die (makroskopischen)
stände in Wärme umgewandelt wird.
Felder überall zeitunabhängig sind, gilt rot E D 0 und daher
I
dr E D 0 (15.141)
Einfacher Generator
entlang einer Stromschleife. Damit auf Teilstrecken der Strom-
schleife der Strom gemäß jf D E ( > 0) in Richtung der Betrachten wir ein noch einfacheres Beispiel für einen
elektrischen Feldstärke fließen kann, muss es Bereiche geben, Stromgenerator: eine rechteckige Leiterschleife mit Wi-
in denen Ladungsträger entgegengesetzt zur elektrostatischen derstand R, die sich zum Teil in einem Gebiet mit kon-
Kraft bewegt werden. Diese äußeren Kräfte werden als elek- stantem Magnetfeld senkrecht zur Schleife befindet und
tromotorische Kräfte bezeichnet und können auf verschiedenste aus dieser mit einer Geschwindigkeit v herausgezogen
Weise realisiert sein. In Batterien sind es chemische Kräfte wird.
durch Konzentrationsgefälle von geladenen Ionen, und in einem
Van-de-Graaff-Generator werden Elektronen mechanisch trans-
portiert. Die Festkörperphysik liefert darüber hinaus die Mög-
lichkeit zu Elektronentransport aufgrund von mechanischem C1
Druck (Piezoelektrizität), Temperaturunterschieden (Thermo-
elektrizität), Licht (photoelektrischer Effekt), und dergleichen. I
Die Potenzialdifferenz U, die durch diese äußeren Kräfte auf- FL
gebaut wird, wird als elektromotorische Kraft des Stromkreises l h R
(kurz EMK) bezeichnet, obwohl ein Potenzial vielmehr Kraft
...
C2 v v
mal Weg pro Ladung ist.
Spannungsquellen haben oft einen nicht vernachlässigbaren in- C3
neren Widerstand Ri , sodass die von ihnen gelieferte Spannung B
...
beim Einschalten eines Stromes I um den Betrag Ri I absinkt.
Hat der Stromkreis selbst einen Widerstand R, gilt U Ri I D
RI.
15.6 Elektromotorische Kräfte 537
Eisenkern
Zeigt das Magnetfeld aus der gezeichneten Ebene heraus,
dann ist der magnetische Fluss durch die Leiterschlei-
fe (mit Flächennormale ebenfalls aus der Zeichenebene
heraus zeigend) ˆm D B l h und die im mathematisch
positiven Sinn (entgegen dem Uhrzeigersinn) berechne-
te Ringspannung, die zu einem Strom in selber Richtung Primärspule
führt, durch N1 Sekundärspule
N2
1d 1 dl Bv h
U Ring
D ˆ D B hD (15.143)
c dt m c dt c
Teil II
gegeben. Wie man sieht, ist der hervorgerufene Strom
so gerichtet, dass das von ihm dabei erzeugte Magnet- magnetische
rFluss Φ Kern
m
feld den abnehmenden Fluss durch die Leiterschleife zu
vergrößern sucht, in Übereinstimmung mit der bekann-
Abb. 15.23 In einem Transformator wird über einen gemeinsamen Eisenkern
ten Lenz’schen Regel, nach der sich das Vorzeichen von der magnetische Fluss von zwei Spulen gekoppelt. Der Fluss in den Spulen ist
induzierten Strömen gerade so einstellt, dass einer Fluss- durch das Produkt von Windungszahl (N1 bzw. N2 ) und Fluss im Eisenkern ˆKern
m
änderung (wenn auch unvollkommen) entgegengewirkt gegeben
wird. Wir werden im Weiteren annehmen, dass diese zu-
sätzliche Flussänderung in unserem Fall vernachlässigbar
ist. gleichzeitig unveränderter Geometrie (diese legt ja die Lnm fest)
Bei einem Widerstand R im Stromkreis gibt dies nach induzieren Ringspannungen in den verschiedenen Stromkreisen
dem Ohm’schen Gesetz (15.138) den Strom I D U Ring =R demnach gemäß
und damit eine Leistung P D U Ring I. Diese Leistung X dIm
muss von demjenigen erbracht werden, der die Leiter- UnRing D Lnm : (15.146)
schleife aus dem Magnetfeld herauszieht. Tatsächlich ist m
dt
dies exakt gleich der Arbeit pro Zeiteinheit, die gegen
die Lorentz-Kraft geleistet werden muss, die sich durch Man spricht hier von induktiver Kopplung von Stromkreisen.
die erzwungene Bewegung des elektrischen Stromes im Eine wichtige Anwendung ist der Transformator (Abb. 15.23).
magnetischen Feld ergibt. Die Lorentz-Kraft ist, wie man Hier wird der magnetische Fluss in einer Spule in einem Strom-
mithilfe der Rechte-Hand-Regel sieht, entlang der Leiter- kreis über einen gemeinsamen Eisenkern mit einer weiteren
schleife nach außen gerichtet. Die Teilstücke C1 und C3 Spule in einem anderen Stromkreis verknüpft. Der Fluss in einer
kompensieren sich dabei, und auf C2 mit der Länge h Spule mit N Windungen ist nun das N-fache des Flusses ˆKern
wirkt für B D B eO z und v D v eO x die Kraft m
im Eisenkern. Die elektromotorischen Kräfte in beiden Spulen
sind damit proportional zueinander:
IB
F D Oex h: (15.144)
c .1/ .2/
ˆm D N1 ˆKern
m ; ˆm D N2 ˆKern
m
Die zugehörige Leistung ist durch dW=dt D .F eO x dx/=dt (15.147)
Ring N Ring
gegeben, hat also den Betrag ) U2 D 2 U1 :
N1
IB
PD h v; (15.145) Wechselspannungen lassen sich damit mit dem Faktor N2 =N1 ,
c
dem sogenannten Übersetzungsverhältnis, erhöhen oder ernied-
was exakt mit P D UI übereinstimmt. J rigen.
Über die Selbstinduktivität Lnn führen Stromänderungen in ei-
nem Stromkreis auch zu Rückwirkungen auf ihn selbst. Wird
Ströme können natürlich auch generiert werden, wenn die
in einer Spule der Stromfluss plötzlich unterbrochen, können
Schleife nicht bewegt wird und sich stattdessen der magnetische
enorme elektrische Spannungen entstehen, da auch bei mä-
Fluss ändert, entweder weil der Magnet weggezogen wird oder
ßigen Stromstärken I die abrupte Änderung dI=dt sehr groß
wenn das Magnetfeld durch einen anderen Stromkreis erzeugt
werden kann. Deshalb kommt es beim Ausstecken von elektri-
wurde und sich dessen Strom ändert.
schen Geräten leicht zu Funken. Dies wird auch in technischen
Wenn mehrere Stromkreise vorhanden sind, sind die magne- Anwendungen wie Zündkerzen und dergleichen ausgenutzt.
tischen Flüsse durch sie, wie wir in (15.102) gesehen haben, Umgekehrt kann der Strom in einem Stromkreis, der eine
über die Induktionskoeffizienten Lnm mit den individuellen Selbstinduktivität L und einen Widerstand R enthält, nicht
Stromstärken verknüpft. Zeitliche Änderungen der Ströme bei diskontinuierlich eingeschaltet werden. Beim Anlegen einer
538 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Sind in einem (einfachen) Stromkreis ein Widerstand R, eine (ist am Ende einer Rechnung eine nichtlineare Operation wie
Induktivität L und eine Kapazität C hintereinander geschal- Quadrieren des Stromes nötig, ist allerdings vorher der Real-
tet, dann ist die äußere Spannung U die Summe aus dem teil zu nehmen). Obige Differenzialgleichung wird dann zur
Spannungsabfall UR D I R am Widerstand, der induktiven algebraischen komplexen Gleichung
Spannung UL D L dI=dt und der Potenzialdifferenz UC an
den Anschlüssen des Kondensators (Abb. 15.24): 1
U D i!L C R C I DW Z.!/ I DW .R C iX/I:
i!C
dI
Teil II
U D RI C L C UC :
dt Z wird dabei komplexer Wechselstromwiderstand genannt. R
wird als Wirkwiderstand oder Resistanz,
p X als Blindwider-
Die induktive Spannung UL wurde hier mit einem umgekehr-
stand oder Reaktanz und jZj D R2 C X 2 als Scheinwider-
ten (nämlich positiven) Vorzeichen definiert, um sie auf der
stand oder Impedanz bezeichnet. Die Bedeutung der Phase
rechten Seite zu den Potenzialdifferenzen der anderen Bau-
der komplexen Größe Z, ' D arctan.X=R/, liegt in einer
elemente addieren zu können, anstatt sie wie in (15.148) zur
Phasenverschiebung von Spannung gegenüber Strom: Wenn
angelegten Spannung hinzuzuzählen.
die Amplitude I0 reell ist und daher Re I D I0 cos.!t/, dann
ist Re U D U0 cos.!t C '/.
I
R L C Eine nichttriviale Phasenverschiebung führt dazu, dass die
Leistung P.t/ D .Re U/.Re I/ nicht mehr ausschließlich po-
sitiv ist:
∼U UR UL UC
P.t/ D I0 U0 cos ' cos2 !t I0 U0 sin ' sin !t cos !t:
Der erste Term oszilliert zwischen null und I0 U0 cos ', ist
also über eine Periodendauer gemittelt 12 I0 U0 cos '. Dieses
Abb. 15.24 Einfacher Stromkreis mit serieller Schaltung eines Widerstands Zeitmittel wird Wirkleistung genannt,
R, einer Spule mit Induktivität L und eines Kondensators mit Kapazität C
1 1
Pwirk D I U cos ' D RI02 D R Ieff 2
;
Die Potenzialdifferenz am Kondensator hängt gemäß (12.70) 2 0 0 2
linear mit seiner Ladung zusammen, und die zeitliche Ver- p
änderung dieser Ladung mit dem Strom, der in den Kon- wobei Ieff D I0 = 2 den zeitlichen Mittelwert von
p
densator hinein fließt, da wir einen einfachen Stromkreis ŒRe I.t/2 darstellt und als effektive Stromstärke bezeich-
angenommen haben: net wird. Der zweite Term oszilliert wegen sin !t cos !t D
1
sin 2!t um null und definiert die Blindleistung
Zt 2
Q d
UC D ; I D Q; QD dt0 I.t0 /; 1 1
C dt Pblind D I0 U0 sin ' D XI02 D XIeff
2
:
t0 2 2
wobei angenommen wurde, dass der Kondensator zum Zeit- Dieser Anteil der Leistung wird nicht im Stromkreis ver-
punkt t0 ungeladen ist. Differenziation nach t liefert braucht, sondern nur zwischen Quelle und Stromkreis hin-
und herbewegt. In der Praxis kann dies allerdings trotzdem
1 zu Verlusten führen, nämlich im Wirkwiderstand von Zulei-
P
U.t/ D L IR C R IP C I:
C tungen.
Hat man es mit einer Wechselspannung mit fester Frequenz Für kompliziertere Zusammenschaltungen von Widerstän-
zu tun, ist es bequem, eine komplexe Notation I.t/ D I0 ei!t den, Induktivitäten und Kapazitäten in sogenannten passi-
zu verwenden (in der Elektrotechnik wird leider nicht die ven linearen Netzwerken gelten die Kirchhoff’schen Gesetze
Physikerkonvention ei!t geteilt) und erst am Ende einer (benannt nach dem deutschen Physiker Gustav Robert Kirch-
Rechnung zu reellen Größen durch I ! Re I überzugehen hoff, 1824–1887):
540 15 Magnetismus und elektrische Ströme
1. Stromerhaltung bei Verzweigungen (Knotenregel): 2. In jeder geschlossenen Stromschleife ist die Summe der
Teilspannungen null (Maschensatz):
X
In D 0; X
Ui D 0;
n
i
wobei die Ströme In alle entweder zu- oder abfließend ge- wobei der Umlaufsinn das Vorzeichen der Ui vorgibt.
nommen werden.
Diese zwei Gesetze folgen unmittelbar aus div jf D 0 bzw.
rot E D 0 oder (15.141).
Teil II
Teil II
Energiefluss in Stromkreis mit Widerstand
c c U 2U S I
SD EH D : (15.172) Widerstand
4 4 ` acR
Abb. 15.26 Der Energiefluss, beschrieben durch das Poynting-Vektor-
Die Oberfläche des Zylinders ist 2 a`, wodurch der Ener-
feld S, in einem Stromkreis bestehend aus einer zylindrischen Batterie,
giefluss durch die Oberfläche, wie es sein muss, obigem die über annähernd perfekt leitende Drähte mit einem zylindrischen Wi-
Ergebnis für P gleicht: derstand verbunden ist
I
U2
P D df S D 2 a`S D ; (15.173)
R Betrachten wir nun einen geschlossenen Stromkreis, in
@V dem eine zylindrische Batterie mit einem zylindrischen
wobei S und df entgegengesetzt gerichtet sind. Widerstand durch annähernd perfekt leitende Drähte ver-
bunden ist. Entlang der Drähte herrscht ebenfalls ein
Die im Widerstand verbrauchte Energie strömt also über diese umkreisendes Magnetfeld, aber da es vorausset-
die elektromagnetischen Felder auf der Oberfläche zu und zungsgemäß zu keinem Spannungsabfall kommt, ist das
542 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
15.1 Coulomb-Eichung in der Magnetostatik Zei- Lösungshinweis: Verwenden Sie die allgemeinen Lösungen
gen Sie, dass die in (15.9) angegebene Lösung der Vektor- der Potenziale bei natürlichen Randbedingungen.
Poisson-Gleichung bei natürlichen Randbedingungen die Cou-
lomb-Eichbedingung erfüllt, wenn r j D 0 gilt. 15.4 Induktion von Magnetisierungs-Flächenströ-
men In (15.69) bis (15.72) wurde das Magnetfeld bestimmt,
15.2 Kreisförmige Leiterschleife Berechnen Sie das ein linienförmiger Strom parallel zu einem dia- oder pa-
das Vektorpotenzial und das Magnetfeld einer kreisförmigen ramagnetischen Halbraum hervorruft. Berechnen Sie die dabei
Leiterschleife mit Radius a und Stromstärke I in der Umgebung induzierte Magnetisierungsflächenstromdichte und daraus den
der Symmetrieachse (Abb. 15.27). zugehörigen Gesamtmagnetisierungsstrom. Vergleichen Sie das
Ergebnis mit dem Bildstrom in (15.72).
z
15.5 Abschirmung von Magnetfeldern Berechnen
er
^
Sie den Faktor, um den ein äußeres homogenes Magnetfeld
im Inneren einer Kugelschale (innerer Radius R1 , äußerer
eϕ
^
R2 ) mit hoher Permeabilitätskonstante abgeschwächt wird
r (Abb. 15.28). Welche Reduktion wird für D 106 bei einer
dünnen Schale mit R2 D 1;01R1 erreicht?
^
eϑ
ϑ
I
ϕ
r y
ϕ e ϕ
^
h a
Was ändert sich, wenn der innere Leiter ebenfalls durch einen
Hohlzylinder mit vernachlässigbarer Wanddicke ersetzt wird?
r1
Und was ändert sich, wenn der isolierende Zwischenraum durch ϕ2
ein Material mit Permeabilitätskonstante ausgefüllt wird? ϕ1
y
x
Lösungshinweis: Berechnen Sie den Selbstinduktionskoeffi- r2
Teil II
Abb. 15.30 Zwei parallele kreisförmige Stromleiter mit Radius a und Abstand
2h
15.4 15.9 B% .%; z/ D %B0z .z/=2. Die Feldlinien dazu sind durch
1 I d p
kM D eO (15.182) %.z/ D C= Bz .z/ mit verschiedenen Konstanten C gegeben.
C 1 d C y2 z
2
15.8 T D m B
Teil II
546 15 Magnetismus und elektrische Ströme
15.1 Differenziation unter dem Integral führt auf mit 'N D ' ' 0 und
Z
1 1 2ar
r A.r/ D dV 0 j.r0 / r WD sin # 2 Œ0; 1: (15.189)
c jr r0 j r2 C a2
Z
1 1
D dV 0 j.r0 / r 0 (15.183)
c jr r0 j (Die dazu orthogonale Projektion cos ' eO x C sin ' eOy A führt
Z
j.r0 /
Teil II
1 auf ein Integral mit sin 'N im Zähler des Integranden, das aus
D dV 0 r 0 ;
c jr r0 j Symmetriegründen null ist.)
wobei im letzten Schritt r 0 j.r0 / D 0 ausgenutzt wurde. Be- Der Integrand hat eine Singularität, wenn D 1 ist, was aber
trachten wir zunächst ein endlich großes Volumen, dann kann nur auf dem Kreisstrom selbst (r D a und # D =2) der Fall
mit dem Gauß’schen Satz das letzte Integral in ein Oberflächen- ist. Insbesondere für kleine Werte von r sin # a, also in der
integral umgewandelt werden: Nähe der Symmetrieachse, ist ein kleiner Parameter, nach dem
Z I der Integrand entwickelt werden kann. 1 deckt übrigens
j.r0 / j.r0 / nicht nur die Umgebung der z-Achse, sondern auch das Fernfeld
dV 0 r 0 D df 0
: (15.184)
jr r0 j jr r0 j r a ab.
V @V
Ohne diese Entwicklung ist das Integral nicht durch elementare
Für die Existenz des Integrals in (15.9) ist es notwendig, dass Funktionen darstellbar, sondern führt auf spezielle Funktionen,
der Integrand j.r0 /=jr r0 j im Unendlichen abfällt, nämlich die vollständigen elliptischen Integrale (siehe hierzu die Lösung
gerade so, dass Integrale über Kugelschalen für divergierende zu Aufgabe 15.7).
Radien gegen null gehen. Damit verschwindet das Oberflächen-
integral im Limes V ! R3 . Die Wurzel im Nenner des Integranden kann für < 1 in eine
Taylor-Reihe entwickelt werden:
15.2 Das Vektorpotenzial ist für einen Kreisstrom um den Ur-
sprung gegeben durch 1 1 3
p D 1 C cos 'N C 2 cos2 'N C : : : ; (15.190)
Z I 1 cos 'N 2 8
1 j.r0 / I dr0
AD dV 0 D ; (15.185)
c jr r0 j c jr r0 j wobei nach der Integration nur ungerade Potenzen in auftre-
r0 Da
ten:
wobei A und j in kartesischen Komponenten aufzufassen sind.
Für die Koordinaten sind Kugel- oder Zylinderkoordinaten ei- Z2
cos 'N
ne angepasste Wahl. Mit der z-Achse als Symmetrieachse ist in d'N p D C O.3 /: (15.191)
Kugelkoordinaten für r0 D a 1 cos 'N 2
0
0 2 0 0
.r r / D r C a 2ar sin # .cos ' cos ' C sin ' sin ' /
2 2
Damit ergibt sich für 1
D r2 C a2 2ar sin # cos.' ' 0 /
(15.186) I a2 r sin #
A' ; (15.192)
und c .r2C a2 /3=2
dr0 D a eO ' 0 d' 0 D a sin ' 0 eO x C cos ' 0 eOy d' 0 : (15.187) woraus das B-Feld über B D rot A berechnet werden kann.
Letzteres macht klar, dass A nur x- und y-Komponenten hat. Die In Kugelkoordinaten ist
einzige nicht verschwindende Komponente ist dabei
1 @
A' D eO ' A D sin ' eO x C cos ' eOy A Br D sin # A'
r sin # @#
Z2 I a2 2 cos #
Ia cos 'N ; (15.193)
D d'N p ; c .r2 C a2 /3=2
c r2 C a2 2ar sin # cos 'N
0 (15.188) 1 @
B# D r A'
Z2 r @r
Ia cos 'N
D p d'N p I a2 .r2 2a2 / sin #
c r 2 C a2 1 cos 'N ; (15.194)
0 c .r2 C a2 /5=2
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 547
B' D 0: (15.195) 15.4 Mit der Definition (15.62) und der Stetigkeit der Tangen-
tialkomponenten von H aufgrund der Abwesenheit von freien
Auf der z-Achse verschwindet sin #, während Br auf der po- Flächenstromdichten folgt
sitiven z-Achse positives Vorzeichen und auf der negativen z- c
Achse negatives Vorzeichen hat. B zeigt also in positive z-Rich- kM D c eO x .M> M < /jxD0 D eO .B> B< /jxD0
4 x
tung, mit c 1 I d
D eO ŒB> By< jxD0 D eO :
4 z y C 1 d 2 C y2 z
I a2 2 (15.201)
Bjz-Achse D eO : (15.196)
c .z2 C a2 /3=2 z Aufintegriert über y ergibt dies den Gesamtmagnetisierungs-
strom auf der Grenzfläche, der in z-Richtung fließt, wegen
Dieses Ergebnis ist auf der z-Achse exakt, da dort der Entwick-
lungsparameter verschwindet. Der Vorfaktor ist dabei genau Z1
dy
Teil II
das magnetische Moment entsprechend (15.27): D (15.202)
d 2 C y2 d
1
I a2 zu
jmj D : (15.197) 1
c IM D I I0: (15.203)
C1
15.3 Unter Verwendung der allgemeinen Lösung für die Poten- 15.5 Da keine freien Ströme vorhanden sind, kann mit einem
ziale bei natürlichen Randbedingungen kann die Mittelung über skalaren magnetischen Potenzial (15.74) gearbeitet werden,
eine Vollkugel wie folgt umgeformt werden: H D r m , für das in den drei Raumbereichen (Außen-
Z Z raum (a) und Innenraum (i) der Kugelschale sowie der Bereich
3 3
hEiR D dV E.r/ D dV r .r/ der Kugelschale (s) selbst) jeweils die Laplace-Gleichung gilt,
4 R3 4 R3 m D 0.
r<R r<R
I
3 Die Randbedingung im Unendlichen ist durch ein homoge-
D df .r/ nes B-Feld gegeben, das in Kugelkoordinaten mit z-Achse in
4 R3
rDR Richtung des asymptotischen Magnetfeldes durch einen Beitrag
I Z
3 .r0 / m D B0 z D B0 r cos # beschrieben wird, wobei B0 die Stär-
D df dV 0 ke des Feldes ohne die Hohlkugel darstellt.
4 R 3 jr r0 j
rDR
Z I Da cos # D P1 .cos #/ ist, machen wir einen Ansatz, der von
3 1
D dV 0 .r0 / df ; der allgemeinen zylindersymmetrischen Lösung der Laplace-
4 R3 jr r0 j Gleichung (13.169) nur die Terme mit l D 1 beibehält. Im Au-
rDR
(15.198) ßenraum können wir nur einen im Unendlichen regulären Term
Z Z hinzugeben, damit die Randbedingung im Unendlichen aufrecht
3 3
hBiR D dV B.r/ D dV r A.r/ bleibt:
4 R3 4 R3
r<R
I
r<R ˛
m D B0 r cos # C 2 cos #; r > R2 :
a
3 (15.204)
D df A.r/ r
4 R3 Für den Bereich der Kugelschale gibt es zwei mögliche Terme:
rDR
I Z 0
3 1 j.r / s
D ˇ C cos #; R1 < r < R2 ;
D df dV 0 m r
r2
(15.205)
4 R3 c jr r0 j
rDR
Z I während im Innenraum der im Ursprung singuläre Term weg-
1 0 0 3 1 zulassen ist:
D dV j.r / df :
c 4 R3 jr r0 j m D ı r cos #;
i
r < R1 : (15.206)
rDR
(15.199) Die Forderungen der Stetigkeit von bei R2 und R1 , aber Un-
m
Mit (15.179) zerfallen beide Ergebnisse in zwei Anteile, einen stetigkeiten in @r m gemäß
über den Außenraum der Kugel, wo die Quellen mit
@r m .R2 /
a
D @r m .R2 /;
s
@r m .R1 /
s
D m .R1 /
i
(15.207)
ˇ
r0
r r ˇˇ 0
D (15.200) liefern
r03 jr r0 j3 ˇrD0
˛ R32 ˇ D R32 B0 ;
so kombiniert werden, dass das Integral das im Ursprung er- R31 ˇ C R31 ı D 0;
zeugte Feld darstellt, während für den Innenraum der Ausdruck (15.208)
für das elektrische bzw. magnetische Dipolmoment bezüglich 2˛ C R32 ˇ 2 D R32 B0 ;
des Ursprungs entsteht. R31 ˇ 2 R31 ı D 0:
548 15 Magnetismus und elektrische Ströme
Auflösen dieses linearen Gleichungssystems liefert für den Ko- In Kugelkoordinaten oder auch Zylinderkoordinaten ist
effizienten der Lösung im Inneren der Kugelschale
.r1 r2 /2 D a2 .cos '1 cos '2 /2 C a2 .sin '1 sin '2 /2 C 4h2
9
ı DB D i
B : D 2a2 1 cos.'1 '2 / C 4h2 ;
.2 C 1/. C 2/ 2.R1 =R2 /3 . 1/2 0
(15.209) (15.217)
Im Limes 1 vereinfacht sich das Verhältnis vom Feld im dr1 dr2 D a2 cos.'1 '2 / d'1 d'2 ; (15.218)
Inneren der Kugelschale zu B0 : und die Linienintegrale reduzieren sich auf zwei Integrationen
9 über '1 und '2 , jeweils von 0 bis 2 . Durch die Variablensub-
Bi =B0 ! : (15.210) stitution ' D '1 '2 entkoppeln diese. Die Integration über '2
2Œ1 .R1 =R2 /3
ergibt einen Vorfaktor 2 , und es bleibt das nicht durch elemen-
Für D 106 bei R2 D 1;01R1 ist Bi 0;000 15 B0 . tare Funktionen lösbare Integral (15.180).
Teil II
15.6 Wegen der Zylindersymmetrie hat das B-Feld nur eine Symbolische Mathematiksoftware wie M APLE oder M ATHE -
Komponente B' , die durch das Oersted’sche Gesetz bei Inte- MATICA weiß, dass dieses Integral durch die speziellen Funktio-
gration entlang eines Kreises mit Radius r um die Zylinderachse nen der vollständigen elliptischen Integrale erster und zweiter
durch Art, K.x/ und E.x/, dargestellt werden kann, für die diverse
I Reihendarstellungen angegeben werden können. Das Resultat
4 (15.180) lautet damit
B dr D 2 % B' .%/ D I.%/ (15.211)
c
%Dconst 4 a
L12 D f .h=a/; (15.219)
gegeben ist, wobei I.%/ der eingeschlossene Strom ist. Ist der c2
gesamte Strom in einer Richtung durch I gegeben, dann ist 1 a2
f .h=a/ D .2 k2 /K.k2 / 2E.k2 / ; k2 WD
8 k a2 C h2
< %2 =a2 für 0 % a
I.%/ D I 1 für a % b (15.212) mit
: 0 für % > b:
Z =2
Integration der magnetischen Feldenergie auf einer Länge l ent- K.m/ D .1 m sin2 /1=2 d ; (15.220)
lang der Zylinderachse gibt
0
Z Zb Zb 2 Z =2
1 l l 2I.%/
WD dV B2 D d% % B2' .%/ D d% % E.m/ D .1 m sin2 /C1=2 d : (15.221)
8 4 4 c%
V 0 0 0
2 3
2 Z a Zb
l 2I 4 d% %3
1 Š 1 (Die Bezeichnung „vollständig“ für diese elliptischen Integra-
D C d% 5 D LI 2 : (15.213)
4 c a4 % 2 le bezieht sich dabei auf die obere Integrationsgrenze =2; für
0 a allgemeine obere Integrationsgrenzen spricht man von unvoll-
Ausführen der elementaren Integrale ergibt ständigen elliptischen Integralen.) Damit lassen sich folgende
asymptotische Ausdrücke angeben:
1 1 b 8
L=l D 2 C 2 ln : (15.214) ˆ 4a
c 2 a <ln 2 h a
f .h=a/ h 3 (15.222)
:̂ a
Wird der innere Vollzylinder durch einen dünnen Hohlzylinder h a:
ersetzt, dann ist das Feld für % < a null, und L reduziert sich auf 16 h3
2 b In Abb. 15.31 werden diese mit der vollen Funktion f .h=a/ ver-
L=l D 2
ln : (15.215)
c a glichen.
Ist der Raum zwischen a und b mit einem Medium mit Per- 15.8 Ein Teilchen, das sich mit einer Geschwindigkeit v? senk-
meabilitätskonstante ausgefüllt, ist der Beitrag proportional recht zu B bewegt, wird gemäß (15.128) auf eine Kreisbahn
zu ln.b=a/ mit zu multiplizieren. x.t/ mit Radius a D v? Mc=.qB/ gezwungen. Die zugehörige
15.7 Die Definition der Gegeninduktionskoeffizienten in Stromdichte ist
(15.100) führt auf das doppelte Linienintegral j.r/ D qv ı.r x.t//: (15.223)
I I Das magnetische Moment lässt sich am einfachsten berechnen,
1 dr1 dr2
L12 D 2 : (15.216) wenn als Koordinatenursprung der Kreismittelpunkt gewählt
c jr1 r2 j
L1 L2 wird. Dann steht v senkrecht zum Ortsvektor im Integral von
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 549
10
0,1 z
0,01
Teil II
0,001
0 1 2 3 4 5 h/a
Abb. 15.31 Gegeninduktionskoeffizient von zwei parallelen kreisförmigen Lei- Abb. 15.32 Teilchen in einer magnetischen Flasche. Das Magnetfeld ist rotati-
tern: f .h=a/ D L12 =.4 a=c2 / als Funktion von h=a zusammen mit den onssymmetrisch um die z-Achse; das Teilchen bewegt sich auf einer Spiralbahn
asymptotischen Ausdrücken (15.222) um diese und wird gestoppt und dann reflektiert, wenn es in den Bereich höherer
Feldstärke kommt
B C (15.234)
@ qE A und E-Felder in der Ebene senkrecht zum Magnetfeld. Ist die Geschwindigkeit in
t C vz .0/t
z 2 dieser Ebene anfänglich null, entsteht eine Zykloide (Radlaufkurve; grün ). Ist die
2m Anfangsgeschwindigkeit ungleich null in Richtung oder entgegen der Richtung
der Driftbewegung, entsteht eine verkürzte (blau ) oder verlängerte (rot ) Zykloi-
mit a D vx .0/=!B, wobei wieder angenommen wurde, dass de (auch Trochoiden genannt). Die Anfangswerte von y sind hier so gewählt,
zum Zeitpunkt t D 0 keine Geschwindigkeitskomponente in dass die verschiedenen Radlaufkurven zu einem auf der x-Achse rollenden Rad
y-Richtung vorliegt (was durch Wahl des Zeitnullpunktes im- gehören
mer erreicht werden kann). Die Form der Bewegung hängt
nun nur vom Anfangswert vx .0/ ab. Ist dieser null, also das
Teilchen anfangs komplett in Ruhe bezüglich der xy-Ebene, laufkurve) bildet. Das ist die Bahn, die ein Punkt auf dem Rand
dann beschleunigt Ey das Teilchen in y-Richtung, woraufhin eines Rades durchläuft, wenn das Rad auf einer Geraden abge-
die Lorentz-Kraft zu einer Ablenkung in x-Richtung führt, die rollt wird. Ist vx .0/ kleiner als null, dann entsteht eine verkürzte
schließlich die Oberhand bekommt und das Teilchen auf den Zykloide, die einem Punkt innerhalb des Rades entspricht; ist
Ausgangswert der y-Koordinate zurückwirft. Es entsteht dabei vx .0/ größer als null, dann liegt ein analog mitgeführter Punkt
aber eine Driftbewegung in x-Richtung, also senkrecht auf B außerhalb des Abrollradius (Abb. 15.33). Diese modifizierten
und E, wobei die Bahnkurve eine sogenannte Zykloide (Rad- Zykloiden werden auch Trochoiden genannt.
Literatur 551
Literatur
Becker B., Sauter, F.: Theorie der Elektrizität. Teubner, Stuttgart Gabuzda D.C.: The charge densities in a current-carrying wire.
(1964) Am. J. Phys. 61, 360 (1993)
de Groot, S.R.: The Maxwell Equations. Non-relativistic and Sommerfeld, A.: Vorlesungen über die theoretische Physik,
relativistic derivations from electron theory. North-Holland, Bd. 3: Elektrodynamik, 4. Aufl. Verlag Harri Deutsch, Frank-
Amsterdam (1969) furt (1988)
Teil II
Ausbreitung
elektromagnetischer Wellen
16
Welche grundlegenden
Eigenschaften haben
elektromagnetische
Teil II
Wellen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_16, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 553
554 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Das Licht der Sterne erreicht uns aus großen Entfernungen durch Oben eingesetzt ergibt dies
das Vakuum des Weltalls; sehr lange war aber nicht klar, was
Licht überhaupt ist und wie es sich durch das Vakuum ausbrei- 1 2
.grad div / E D @ E: (16.5)
ten kann. Maxwell äußerte bereits kurz nach Aufstellen seiner c2 t
Gleichungen die Vermutung, dass es „elektromagnetische Wellen“
Verwendet man nun noch, dass im Vakuum div E D 0 gilt, und
gäbe und Licht eine solche sei. Im Jahre 1886 bestätigte dann der
bringt alles auf eine Seite, so hat man
deutsche Physiker Heinrich Hertz experimentell, dass elektromagne-
tische Wellen in der Tat existieren und sich auch genauso verhalten
1 2
wie Lichtwellen (siehe auch Kap. 19). @ E.t; r/ D 0: (16.6)
c2 t
Zunächst wurde jedoch noch davon ausgegangen, dass elektroma-
gnetische Wellen (wie die schon bekannten mechanischen Wellen) Den Differenzialoperator in Klammern nennt man den
ein Medium benötigen, um sich auszubreiten, dass also das ge- d’Alembert-Operator oder auch Wellenoperator und schreibt oft
Teil II
samte Weltall mit einem „Äther“ ausgefüllt ist. In den folgenden kurz für ihn ein Quadrat (deswegen spricht man manchmal auch
Jahrzehnten ergaben sich aber zunehmend experimentelle Befunde vom Quabla-Operator):
gegen diese Annahme, und Einsteins spezielle Relativitätstheorie
zeigte dann endgültig, dass ein Äther nicht nötig ist: Licht kann sich E.t; r/ D 0: (16.7)
auch durch ein reines Vakuum ausbreiten.
Licht hat aber zahlreiche Wirkungen auf Materie. Eine besonders Achtung Manche Autoren verwenden hier genau die umge-
eindrucksvolle wird beim Eröffnungsbild dieses Kapitels sichtbar: kehrte Vorzeichenkonvention und definieren
Der Strahlungsdruck des Sonnenlichtes sorgt dafür, dass ein Komet 1 2
nicht nur einen Schweif hat (der durch den Sonnenwind, also ge- D @ : (16.8)
c2 t
ladene Teilchen, die von der Sonne abgegeben werden, entsteht),
sondern auch noch einen zweiten sogenannten Strahlungsschweif. J
Sowohl die Ausbreitung von elektromagnetischen Wellen im Vaku- Mit völlig äquivalenten Schritten erhält man, beginnend mit
um als auch einige ihrer Wechselwirkungen mit Materie werden in
diesem Kapitel genauer beleuchtet. 1
rot B.t; r/ D @ t E; (16.9)
c
dann auch die äquivalente Gleichung für die magnetische Fluss-
16.1 Ausbreitung im Vakuum dichte:
B.t; r/ D 0: (16.10)
rot B D
1
@t E (16.3)
Spezialfall: Ebene monochromatische Wellen
c
und die allgemein gültige Beziehung Die beiden Wellengleichungen haben eine Vielzahl von Lösun-
gen; im Folgenden beschränken wir uns zunächst auf einen sehr
rot rot D grad div : (16.4) einfachen Spezialfall.
16.1 Ausbreitung im Vakuum 555
Betrachten wir vorerst nur das elektrische Feld. Um die parti- so würde sich die Welle entgegengesetzt zu k ausbreiten). Da
elle Differenzialgleichung (16.7) zu lösen, versuchen wir einen zu einer festen Zeit t jeweils für alle Punkte der Welle, für die
Separationsansatz (wie bereits bei der schwingenden Saite in kr konstant ist, die Phase gleich ist, sind die Wellenfronten hier
Abschn. 8.2). Dabei setzen wir zunächst an, dass das elektrische Ebenen senkrecht zu k. Deshalb spricht man von einer ebenen
Feld überall in dieselbe Richtung zeigt: Welle.
E.t; r/ D E0 R.r/T.t/ (16.11) Ebenso erhält man für die magnetische Flussdichte die einfache
Lösung
0 0
mit konstantem Vektor E0 und Funktionen R bzw. T, die nur von B.t; r/ D B0 ei.k r! t/ (16.18)
den räumlichen Koordinaten bzw. nur von der Zeit abhängen. mit konstanten Vektoren B0 (welcher wiederum komplex sein
Eingesetzt in die Differenzialgleichung erhält man
kann) und k0 ; außerdem muss ! 0 D k0 c gelten.
1 2
Teil II
Wie eingangs erwähnt, sind die beiden Lösungen (16.17) und
E0 R.r/ @ T.t/ D E0 T.t/R.r/ (16.12)
c2 t (16.18) aber nicht unabhängig voneinander, sondern über die
Maxwell-Gleichungen miteinander verknüpft. Wir setzen diese
bzw. nach Separation der Variablen Lösungen also zunächst in die beiden Rotations-Maxwell-Glei-
chungen ein. Das führt auf
@2t T.t/ R.r/
D : (16.13) 0 0
2
c T.t/ R.r/ k E0 ei.kr!t/ D k0 B0 ei.k r! t/ ;
0 0
(16.19)
Beide Seiten müssen nun gleich einer Konstante sein; aus Grün- k0 B0 ei.k r! t/ D kE0 ei.kr!t/ :
den, die gleich klar werden, schreiben wir für diese k2 . Wir
haben somit Die beiden Gleichungen können offenbar nur dann für alle Orte
und Zeiten erfüllt sein, wenn
@2t T.t/ D k2 c2 T.t/ und R.r/ D k2 R.r/: (16.14)
k0 D k (16.20)
Es ist vorteilhaft, diese Differenzialgleichungen im Komplexen
zu lösen. Da die zugrunde liegenden Wellengleichungen (16.7) (und offensichtlich damit auch ! 0 D !) gilt und
und (16.10) linear sind und auch keine komplexen Koeffizienten
enthalten, sind Real- und Imaginärteil separat jeweils Lösun- B0 D kO E0 ;
(16.21)
gen; man erhält also zwei reelle Lösungen auf einmal. Auch der E0 D kO B0 ;
konstante Vektor E0 kann deshalb im Allgemeinen komplex ge-
wählt werden. wobei kO ein Einheitsvektor in Richtung von k ist. Zunächst sieht
Die erste der beiden Gleichungen hat offensichtlich die einfache man hieran, dass
Lösung kO E0 D kO B0 D 0 (16.22)
T.t/ D eikct (16.15) gilt. Dasselbe Ergebnis erhält man auch, wenn man die Lö-
(die Wahl des Vorzeichens hier wird weiter unten klar werden), sungen (16.17) und (16.18) in die beiden Divergenz-Maxwell-
also letztlich schlicht eine harmonische Schwingung mit der Gleichungen einsetzt.
Kreisfrequenz ! D kc. Die Gleichung für die Funktion R kann Frage 3
mit einem weiteren Separationsansatz für die einzelnen (karte- Führen Sie dies durch.
sischen) Koordinaten gelöst werden. Man erhält
R.r/ D eikr (16.16) Daraus folgt dann auch, dass die Beträge der Amplitudenvekto-
ren gleich groß sein müssen:
mit einem Vektor k, für den k D k gilt.
2 2
bilden in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem. den Amplitudenvektor immer als eine Linearkombination fol-
Elektrisches und magnetisches Feld haben immer den- gender Form schreiben (der Grund dafür wird weiter unten klar
selben Betrag (jEj D jBj) und dieselbe Phase. werden):
Teil II
z
Abb. 16.1 Die elektrische (rot ) und magnetische (blau ) Feldstärke bei einer monochromatischen ebenen linear polarisierten elektromagnetischen Welle, die sich in
z-Richtung ausbreitet, zu einem festen Zeitpunkt. E zeigt dabei in x-Richtung, B in y-Richtung; auf allen Ebenen parallel zur x-y-Ebene ist die Phase jeweils gleich.
Für den Ausschnitt der Welle, der sich direkt entlang der z-Achse bewegt, sind zusätzlich die entsprechenden Sinuskurven eingezeichnet
x2 y
E20
Δϕ/2
x1 E
E10 x
z
Abb. 16.3 Eine linkszirkular polarisierte ebene Welle, die sich in z-Richtung
ausbreitet. Dargestellt ist nur das elektrische Feld und nur der Ausschnitt der
Welle, der sich direkt entlang der z-Achse ausbreitet; auf jeder Geraden parallel
zur z-Achse hat E denselben Verlauf (vgl. mit der ebenen Welle in Abb. 16.1)
Abb. 16.2 Bei allgemeiner elliptischer Polarisation bewegt sich der elektrische
Feldvektor auf einer Ellipse mit großen Halbachsen E10 D EC0 C E0 und
E20 D EC0 E0 , die um den Winkel '=2 gegen die x1 -Achse gedreht ist,
wobei ' die Phasenverschiebung zwischen den Komponenten EC und E ist oft auch von positiver bzw. negativer Helizität). Abbildung 16.3
zeigt beispielhaft eine linkszirkular polarisierte Welle.
Einige Kristalle lassen jeweils nur elektromagnetische Wel- Das Himmelsblau ist teilweise polarisiertes Licht; mit
len (insbesondere Licht) durch, die in einer bestimmten geeigneten Polarisationsfiltern kann man in der Fo-
Richtung linear polarisiert sind. Von Wellen, die in anderen tografie diese Hintergrundfarbe unterdrücken und da-
Richtungen linear polarisiert sind, wird nur der Anteil durch- durch beispielsweise Wolken deutlicher hervortreten las-
gelassen, der zu dieser Richtung parallel ist; insbesondere sen.
werden also Wellen, deren Polarisationsrichtung senkrecht In Flüssigkristall-(LCD-)Bildschirmen werden alle Pixel
zur Vorzugsrichtung steht, vollständig absorbiert. ständig von hinten mit polarisiertem Licht beleuchtet.
Vor den Pixeln befindet sich eine Schicht aus Flüs-
Solche Polarisationsfilter haben vielfältige technische An- sigkristallen. Legt man eine elektrische Spannung an,
Teil II
Die allgemeine Lösung der Wellengleichung Nimmt man auch noch Wellen hinzu, die sich in der entge-
gengesetzten Richtung ausbreiten, so erhält man schließlich die
allgemeine Lösung.
Die oben angegebenen Lösungen (16.17) und (16.18) sind na-
türlich nur Spezialfälle. Da die Wellengleichung (16.7) linear
ist, sind aber auch beliebige Linearkombinationen dieser Lö-
sungen selbst wieder Lösungen. Beschränken wir uns dabei Allgemeine Lösung der Wellengleichung
zunächst auf Linearkombinationen von Wellen, die sich alle in für vorgegebene Richtung
derselben Richtung kO ausbreiten, also von Termen der Form Felder der Form
O
E0 .k/eik.krct/ ; (16.31) E.t; r/ D E1 .xk ct/ C E2 .xk C ct/ (16.33)
wobei E0 nun von der Wellenzahl k D jkj abhängt. Eine belie-
sind die allgemeinen Lösungen der Wellengleichung für
bige Linearkombination dieser Wellen ist ein Integral über diese
einzelnen Terme: Wellen, die transversal zur Richtung kO sind, wobei xk D
Z kO r ist.
E.t; r/ D E0 .k/eik.xk ct/ dk; (16.32)
Teil II
1 @2
Für eine Funktion der Form ‰.t; r/ D r ‰.t; r/ D 0: (16.42)
c2 @t2
f .; / D g./ C h./ D g.xk ct/ C h.xk C ct/ (16.37) Betrachtet man wieder eine monochromatische Welle mit ! D
kc, also
mit beliebigen Funktionen g und h folgt
‰.t; r/ D R.r/ei!t ; (16.43)
@2
f D 4 .g./ C h.// D 0: (16.38) und schreibt den Radialanteil des Laplace-Operators aus, so
@@ wird dies
1 d2
(Dies ist die bereits in Abschn. 8.1 erwähnte d’Alembert’sche k2 r R.r/ D 0: (16.44)
Schwingungsgleichung.) Das heißt aber gerade wieder, dass r dr2
die allgemeinen Lösungen der Wellengleichung für Wellen, die Mit dem Ansatz
transversal zu kO (und damit eben) sind, Felder der Form R.r/ D
u.r/
(16.45)
r
E.t; r/ D E1 .xk ct/ C E2 .xk C ct/ (16.39)
vereinfacht sich dies zu
sind.
u00 .r/ D k2 u.r/; (16.46)
Abschließend lassen wir die Bedingung, dass alle Teilwel-
len sich in derselben Richtung ausbreiten sollen, fallen. Die was offensichtlich die Lösungen
allgemeinsten Lösungen der Wellengleichung kann man dann
u.r/ D e˙ikr (16.47)
folgendermaßen schreiben:
Z hat. Insgesamt ergibt sich damit
Q
E.t; r/ D d3 k E.k/ei.krjkjct/
; (16.40)
ei.˙kr!t/
‰.t; r/ D : (16.48)
Q
entsprechend für B.t; r/, wobei die Vektoren k, E.k/ Q
und B.k/ r
jeweils ein Rechtssystem bilden. Bei diesen allgemeinen Lösun- Wie man leicht einsieht, ergibt sich bei der Wahl des negativen
gen ist aber keine Richtung mehr ausgezeichnet; deshalb kann Vorzeichens eine Welle, die entgegengesetzt zu r, also nach in-
man hier nicht mehr sinnvoll davon sprechen, dass die dadurch nen, läuft. Physikalisch sinnvoll sind aber für gewöhnlich nur
beschriebenen Wellen transversal sind. Wellen, die sich nach außen ausbreiten, also beschränkt man
Zu beachten ist außerdem noch, dass die Formel hier zwar sehr sich meist auf die Lösungen mit positivem Vorzeichen.
ähnlich aussieht wie eine Fourier-Transformation der Funktion Allerdings ist zu beachten, dass dies nur für r ¤ 0 eine Lösung
Q
E.k/, wegen der zusätzlichen Zeitabhängigkeit im Integranden, der Wellengleichung ist. Einerseits ist für r D 0 die Funktion ‰
welche den Betrag von k enthält, aber keine ist. singulär, was physikalisch wenig Sinn ergibt. Andererseits kann
man zeigen, dass
Frage 6
Z
Wie könnte man dieses Ergebnis dennoch als Fourier-Integral eikr
dV C k2 D 4 (16.49)
schreiben? (Tipp: Verwenden Sie ein zusätzliches Integral über r
! und eine Deltafunktion.)
gilt; also ist
eikr
Mittels einer passenden Deltafunktion kann man die allgemeine C k2 D 4 ı.r/: (16.50)
r
Lösung der Wellengleichung aber als vierdimensionales Fou-
rier-Integral schreiben: Abschließend sei noch bemerkt, dass hier nur die kugelsym-
Z metrische Lösung der Wellengleichung in Kugelkoordinaten
E.t; r/ D d3 kd! E.k;Q !/ei.kr!t/ ı.! jkjc/: (16.41) berechnet wurde; allgemein lösen werden wir diese Gleichung
in Kap. 19.
560 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Viele zylindersymmetrische Probleme führen auf die Bes- Die Lösungen dieser Differenzialgleichung sind die Bessel-
sel’sche Differenzialgleichung, deren Lösungen entsprechend Funktionen, zu denen es eine reichhaltige mathematische Lite-
Bessel-Funktionen genannt werden. Beispielhaft seien hier die ratur gibt (siehe auch den „Mathematischen Hintergrund“ 16.1).
Lösungen der Wellengleichung in Zylinderkoordinaten bespro- Benannt sind sie nach dem deutschen Mathematiker Friedrich
chen; weitere wichtige Anwendungen finden die Funktionen Wilhelm Bessel (1784–1846), der auch viele wichtige Beiträge
beispielsweise beim Skineffekt (Aufgabe 16.5) und in der Optik zur Geodäsie und Astronomie lieferte (so maß er etwa erstmals
(Beugung an einer Kreisscheibe, Abschn. 17.4). eine Fixsternparallaxe).
Wie bereits bei den Kugelwellen betrachten wir hier der Ein- Da es sich um eine Differenzialgleichung zweiter Ordnung han-
Teil II
fachheit halber nur eine skalare Funktion ‰ und eine mono- delt, ergeben sich zwei Klassen von Lösungen: die Bessel-
chromatische Welle mit ! D kc. Wir machen dann für den Funktionen erster Art (oder „Gattung“) Jm .x/ und zweiter Art
räumlichen Anteil von ‰ einen Separationsansatz: Ym .x/. Letztere werden nach dem deutschen Mathematiker Carl
Gottfried Neumann (1832–1925) oft auch als Neumann-Funk-
‰.%; ; z/ D R.%/e˙im eikz z : (16.51) tionen bezeichnet und mit Nm abgekürzt. Beide Klassen von
Funktionen sind (für ganzzahlige Indizes) nicht in geschlosse-
Frage 7 ner Form durch elementare Funktionen darstellbar.
Warum muss m eine natürliche Zahl sein? Die Lösungen der Wellengleichung in Zylinderkoordinaten sind
damit schließlich
Da q
‰.%; 2 ; z/ D ‰.%; 0; z/ (16.52) ‰.t; %; ; z/ D A Jm k2 kz2 %
q (16.59)
gelten muss, ist m eine natürliche Zahl. Der Laplace-Operator
in Zylinderkoordinaten ist CB Ym k2 kz2 % ei.kz zkct˙m /
Teil II
Differenzialgleichung
1 gilt
x2 y00 C xy0 C .x2 n2 /y D 0: r
2 n
Jn .x/ cos x ;
x 4 2
Hierbei kann man n auch als komplexen Parameter betrach- r
ten. 2 n
Yn .x/ sin x :
x 4 2
Eine Lösung dieser Differenzialgleichung ist die Bessel-
Funktion erster Art:
Sphärische Bessel-Funktionen Betrachtet man statt der
x n X
1
.1/ k x 2k Wellengleichung die Helmholtz-Gleichung, so erhält man in
Jn .x/ D : Kugelkoordinaten
2 kD0
.k C 1/.n C k C 1/ 2
x2 u00 C 2xu0 C .x2 n.n C 1//u D 0:
Dabei ist die Gammafunktion eine Verallgemeinerung der
p
Fakultät (siehe auch den „Mathematischen Hintergrund“ Nach der Substitution u.x/ D y.x/= x wird hieraus
32.1): Es gilt .n C 1/ D nŠ für alle natürlichen Zahlen n.
!
Da die Bessel’sche Differenzialgleichung eine Gleichung 2 00 0 1 2
x y C xy C x n C y D 0;
2
zweiter Ordnung ist, gibt es ein Fundamentalsystem aus zwei 2
linear unabhängigen Lösungen. Eine zweite, linear unabhän-
gige, Lösung dieser Gleichung ist d. h. die Bessel’sche Differenzialgleichung mit Parameter
k D n C 1=2. Hierbei betrachten wir nur ganzzahlige n. Man
cos.n /Jn .x/ Jn .x/ definiert deshalb für n 2 Z
Yn .x/ D ;
sin.n / r
jn .x/ D JnC1=2 .x/;
wobei für ganzzahlige Parameter k der Limes n ! k zu 2x
nehmen ist. Diese Funktionen nennt man Bessel-Funktionen r
zweiter Art. Mit den Funktionen J und Y definiert man yn .x/ D YnC1=2 .x/;
2x
r
Hn.1/ .x/ D Jn .x/ C iYn .x/; Hn.2/ .x/ D Jn .x/ iYn .x/ hn.1;2/ .x/ D H .1;2/ .x/
2x nC1=2
und nennt diese Hankel-Funktionen.
und nennt dies die sphärischen Bessel-Funktionen bzw.
Integraldarstellungen und asymptotisches Verhalten Es sphärischen Hankel-Funktionen. Diese Funktionen werden
gibt viele alternative Darstellungen für Bessel-Funktionen, in Kap. 19 wichtig werden.
z. B. als Summe oder Integral. Eine davon wollen wir hier
angeben. Es gilt Literatur
Z
1 Cohen, H.: Number Theory, Bd. II: Analytic and Modern
Jn .x/ D cos.x sin t nt/ dt
Tools. Springer (2007) (behandelt bei Bessel-Funktionen
0
nur die Grundzüge)
Z1 Watson, G.N.: A Treatise on the Theory of Bessel Func-
sin. n/
ex sinh tnt dt; tions. Cambridge University Press (1922) (schönes Buch
0 mit viel Stoff, am Anfang nicht ganz leicht zu lesen)
562 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Die Maxwell’schen Gleichungen lauten dann Speziell in nicht leitfähigen Medien (Isolatoren) ist D 0, und
die Telegrafengleichungen reduzieren sich auf simple Wellen-
div E D 0; gleichungen,
div H D 0; 0 E D 0 H D 0 (16.70)
rot E D @ t H; (16.62) mit den bereits bekannten Lösungen
c
4 E.t; r/ D E0 ei.kr!t/ ;
rot H D E C @ t E: (16.71)
c c
H.t; r/ D H0 ei.kr!t/ ;
Diese beiden Gleichungen werden die Telegrafengleichungen ergibt sich die Dispersionsrelation
genannt. Der Name stammt daher, dass die Gleichungen ur-
sprünglich aufgestellt wurden, um die Fortpflanzung von Tele- !2 c
k2 D bzw. ! D jkj p : (16.77)
grafensignalen entlang von Kabeln zu beschreiben. c2
16.2 Ausbreitung in homogenen, linearen Medien 563
Vergleicht man mit (16.72), so sieht man, dass in leiten- Statt des reellen Brechungsindex in (16.73) setzen wir nun
den Medien die Rolle von in Nichtleitern übernimmt; diese r
Größe wird deshalb auch als verallgemeinerte Dielektrizitäts- p p 4
konstante bezeichnet. ist aber komplex, sodass sich nun durch n C i D D 1 C i (16.85)
!
die Dispersionsrelation für reelle Wellenvektoren eine komple-
xe Kreisfrequenz ergibt (bzw. umgekehrt). Die Konsequenzen an. Da wegen der Dispersionrelation (16.77)
daraus werden wir im Folgenden näher betrachten.
k2 .kr C iki /2
Hier sei abschließend nur noch bemerkt, dass wegen der ers- .n C i/2 D 2
D (16.86)
ten beiden Maxwell-Gleichungen die Wellen im Medium immer k0 k02
noch transversal sind; aus der dritten Gleichung kann man aber
folgern, dass die Beträge der Amplitudenvektoren nicht mehr gelten muss, haben wir
gleich groß sind, sondern stattdessen
Teil II
kr ki
! nD und D : (16.87)
jEj D jHj (16.78) k0 k0
kc
ist also ein Maß dafür, wie stark die Welle absorbiert wird;
gilt, woraus für Leiter bzw. Nichtleiter
daher wird diese Größe als Extinktionskoeffizient bezeichnet.
p p p p Dafür soll nun noch ein expliziter Ausdruck hergeleitet werden.
jEj D jHj bzw. jEj D jHj (16.79)
Quadrieren von (16.85) ergibt
folgt.
Frage 12 4
n2 2 C 2in D C i : (16.88)
Zeigen Sie, dass (16.79) in der Tat gilt. !
Der Realteil hiervon ist
n2 2 D : (16.89)
Eindringtiefe
Andererseits führt das Betragsquadrat von (16.85) auf
Wie bereits bemerkt, ist k nun für eine vorgegebene reelle Kreis- s
2
frequenz ! komplex. Wir betrachten hier nur den einfachen Fall, 4
n2 C 2 D 1 C : (16.90)
dass Real- und Imaginärteil von k zueinander parallel sind (ein !
Beispiel, bei dem das nicht so ist, wird uns bei der Totalreflexion
in Abschn. 17.2 begegnen). Dann kann man schreiben: Subtrahiert man (16.89) von (16.90), so ergibt sich nun sofort
4 s
k D .kr C iki /kO und D r C ii D C i : (16.80) 2
! 4
2 D 1 C
2
; (16.91)
!
Zunächst ergibt sich für das elektrische Feld damit
Tab. 16.1 Typische Werte für Eindringtiefen elektromagnetischer Wellen in schmalen Bereich um eine Wellenzahl k0 von null verschieden
Materie ist, was bei den meisten physikalisch relevanten Wellenpaketen
Material 50 Hz 1 MHz 3 GHz erfüllt ist. Dann können wir für ! eine Taylor-Entwicklung an-
Aluminium 1,1 cm 85 µm 1,6 µm setzen:
ˇ
Kupfer 0,9 cm 66 µm 1,2 µm
@! ˇˇ
Meerwasser 30 m 20 cm kein guter Leiter !.k/ D !.k0 / C .k k0 / C : : : (16.98)
@k ˇ k0
(16.93) (16.99)
! ˇ ! ˇ !
@! ˇˇ @! ˇˇ
und für die Eindringtiefe gilt damit näherungsweise D k0 !.k0 / t C k xk t ;
@k ˇk0 @k ˇk0
c
dD p : (16.94) und für das Feld folgt
2 !
ˇ ! !
Typische Werte sind in Tab. 16.1 zusammengefasst. 1 @! ˇˇ
E.t; xk / D p exp i k0 !.k0 / t
2 @k ˇk0
Z ˇ !!
@! ˇ
Q
dk E.k/ exp ik xk ˇ t (16.100)
Wellenpakete und Dispersion @k ˇk0
ˇ !
@! ˇˇ
Von einem Wellenpaket spricht man bei einem Wellenzug, der Dei'.t/
E 0; xk t :
räumlich und zeitlich begrenzt ist (z. B. eine Gauß’sche Glo- @k ˇk0
ckenkurve; man spricht dann von einem Gauß’schen Wellenpa- Das Feld zu einer späteren Zeit t ergibt sich also durch Verschie-
ket). Wie alle anderen Wellen auch lässt sich ein Wellenpaket, ben des Feldes zur Zeit t D 0 um
das sich in einer bestimmten Richtung kO ausbreitet, als Fourier- ˇ
Integral darstellen: @! ˇˇ
xk D t (16.101)
Z @k ˇ k0
1 Q
E.t; xk / D p dk E.k/ ei.kxk !t/ ; (16.95) (und Multiplikation mit einer zeitabhängigen Phase). Mit an-
2
deren Worten: Das Wellenpaket als Ganzes breitet sich mit der
O gesetzt wurde. In einem (nicht leitenden) Gruppengeschwindigkeit
wobei wieder xk D kr
ˇ
Medium hat man die Dispersionsrelation @! ˇˇ
cgr .k0 / D (16.102)
c @k ˇk0
! D kc0 D k p : (16.96)
aus.
Die Gruppengeschwindigkeit wird oft als die Geschwin- das lichtschnelle Paket früher empfangen als das scheinbar
digkeit betrachtet, mit der ein Wellenpaket Energie bzw. überlichtschnelle.
Informationen überträgt. Dies stimmt zwar in vielen Fällen,
jedoch kann die Gruppengeschwindigkeit unter bestimm- I
ten Umständen auch größer als die Lichtgeschwindigkeit im
Vakuum sein. Ein Kriterium dafür erhält man, wenn man zu-
nächst die Dispersionsrelation als
! !
kD D n.!/
Teil II
c0 c
schreibt. Man erhält dann
c
cgr .!0 / D ˇ :
@n ˇ Is
n.!0/ C !0 @! ˇ!
0
Ist x
ˇ
@n ˇˇ Abb. 16.4 Ein Gauß’sches Wellenpaket, das sich im Vakuum ausbreitet
<0
@! ˇ!0 (rot ), und eines, das sich in einem Medium mit cgr > c ausbreitet (blau ),
nach derselben Zeit. Das „überlichtschnelle“ Wellenpaket ist weiter vorn,
aber auch kleiner, und liegt vollständig innerhalb des „lichtschnellen“. Jede
(man spricht dann von anomaler Dispersion), so kann der vorgegebene Schwellenintensität Is wird vom scheinbar überlichtschnellen
Nenner des Bruches kleiner als 1 werden, also cgr > c. deshalb erst später erreicht
Allerdings können dennoch keine Signale mit Überlichtge-
schwindigkeit übertragen werden: Man kann zeigen, dass Außerdem gilt in Bereichen anomaler Dispersion meist, dass
in Bereichen anomaler Dispersion immer auch Absorption sich das Wellenpaket sehr stark verformt und der Begriff
stattfindet. Das Maximum des Wellenpakets hat zwar nach der Gruppengeschwindigkeit deshalb sowieso nicht mehr
derselben Zeit einen weiteren Weg zurückgelegt als dassel- sinnvoll ist. Im Allgemeinen ist also zwischen der Gruppen-
be Wellenpaket im Vakuum (Geschwindigkeit c), allerdings geschwindigkeit und der sogenannten Signalgeschwindigkeit
ist es auch kleiner geworden, sodass das „überlichtschnelle“ bzw. Frontgeschwindigkeit zu unterscheiden. Letztere gibt,
Wellenpaket nun vollständig innerhalb des „lichtschnellen“ wie der Name schon sagt, an, wie schnell sich die Front ei-
Pakets liegt (in Abb. 16.4 für Gauß’sche Wellenpakete skiz- nes Signals ausbreitet. Berechnen kann man sie mit
ziert).
!.k/
Insbesondere gilt deswegen: Jeder vorgegebene Schwellen- cfr D lim cph .k/ D lim :
k!1 k!1 k
wert Is wird vom scheinbar überlichtschnellen Wellenpaket
erst später erreicht als vom lichtschnellen Paket. Das ist we- Man kann zeigen, dass die Frontgeschwindigkeit nie größer
sentlich für die Informationsübertragung. Jeder Empfänger als die (Vakuum-)Lichtgeschwindigkeit sein kann. Genauer
spricht erst ab einem gewissen Schwellenwert an; also wird diskutiert wird dies zum Beispiel in Sexl & Urbantke 1992.
Bei monochromatischen elektromagnetischen Wellen in linea- schreiben. Da E und D parallel sind, haben wir
ren, homogenen, nicht leitenden Medien kann man dies explizit
sehen: Da die Feldstärken E und H und der Wellenvektor k ein
c c0
Rechtssystem bilden, ergibt sich zunächst für das Kreuzprodukt SD p .E D/ kO D O
.E D/ k; (16.106)
c 4 4
SD jEjjHjkO (16.104)
4
mit einem Einheitsvektor kO in Ausbreitungsrichtung. Mit wobei noch der Zusammenhang aus (16.72) für die Lichtge-
(16.78) kann man für den Betrag der magnetischen Feldstärke schwindigkeit im Medium eingesetzt wurde. Außerdem folgt
dann aus (16.78), dass
1
jHj D p jDj (16.105)
EDD BH (16.107)
566 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Die Übertragung von Impuls von elektromagnetischen Wel- der dunklen Seite stärker als vor der reflektierenden, und übt
len auf Materie kann experimentell gezeigt werden, bei- deswegen auf die dunklere Seite auch einen stärkeren Druck
spielsweise durch sogenannte Lichtmühlen. Diese bestehen aus. Wenn der Versuch nicht im Vakuum durchgeführt wird,
aus einem oder mehreren drehbaren Armen, die an ihren dreht sich das Rad also mit der reflektierenden Seite voraus
Enden je ein Plättchen mit je einer dunklen und einer spie- (vgl. auch Tipler & Mosca 2009, Aufgabe 29.51).
gelnden Seite haben (Abb. 16.5). An der dunklen Seite wird
das Licht absorbiert, an der anderen reflektiert; der Impuls- Ein zweites (sehr hübsches) Beispiel für den Strahlungs-
übertrag ist also an der spiegelnden Seite doppelt so hoch wie druck sind die Kometenschweife: Durch den Impulsfluss der
an der dunklen, und die Mühle dreht sich mit der dunklen Sonnenstrahlung wird eine Kraft auf Staubteilchen ausgeübt.
Teil II
Seite voraus. Also bilden sich, wenn sich der Komet der Sonne annähert
und Staub und Gas von ihm abdampft, von der Sonne weg
gerichtete Strahlungsschweife, die viele Millionen Kilome-
ter lang werden (siehe das Eröffnungsbild dieses Kapitels).
Der zweite dort sichtbare Schweif entsteht durch den soge-
nannten Sonnenwind: geladene Teilchen, die von der Sonne
abgegeben werden. Wegen des Magnetfeldes der Sonne be-
wegen sich diese Teilchen nicht radial nach außen von der
Sonne weg, sondern in gekrümmten Bahnen – daher haben
die beiden Schweife unterschiedliche Richtungen.
Als drittes Beispiel seien Sonnensegel genannt: Das von der
Sonne abgegebene Licht übt in Erdnähe zwar nur einen
Druck von 9,1 µN/m2 aus. Benutzt man sehr große Flä-
chen, auf welche die Sonnenstrahlung einwirkt (mehrere
10 bis mehrere 100 m2 ) und plant genügend Zeit für die
Beschleunigung ein, so kann dies dennoch als Antrieb für
Raumsonden dienen. Das Konzept wurde bei der japanischen
Sonde IKAROS bereits erfolgreich getestet (Abb. 16.6).
Abb. 16.5 Lichtmühle: Auf die hellen Seiten der Plättchen wirkt der Licht-
druck stärker als auf die dunklen, sodass sich die Arme (im Vakuum) mit der
dunklen Seite voraus drehen. In handelsüblichen Lichtmühlen herrscht aller-
dings kein Vakuum, deshalb drehen sich diese anders herum, da die Luft vor
der dunklen Seite stärker aufgeheizt wird. (© Buntbarsch – Fotolia.com)
gilt. Damit ist Hohlleiter; das sind einfach Metallrohre mit im Allgemeinen
rechteckigem oder rundem Querschnitt.
c0
SD O
.E D C B H/ kO D c0 wem k; (16.108) Im Folgenden betrachten wir solche (unendlich langen) geraden
8 Rohre, die entlang der z-Achse verlaufen.
wobei noch die Definition (11.111) der elektromagnetischen Frage 14
Energiedichte eingesetzt wurde. Der Poynting-Vektor ist al- Warum können sich in solchen Rohren keine üblichen ebenen
so das Produkt aus der Ausbreitungsgeschwindigkeit und der Wellen ausbreiten?
Energiedichte und zeigt in Richtung des Wellenvektors. Dies
stimmt mit der Interpretation dieses Vektors als Energiefluss-
dichte überein. Ebene Wellen der Form
Teil II
(16.111)
Kap. 11 wurde hergeleitet, dass für die zeitliche Änderung des H.t; r/ D H0 ei.kz z!t/
Gesamtimpulses (elektromagnetischer plus mechanischer Im-
puls) gilt: mit konstanten Vektoren E0 und H 0 senkrecht zur z-Richtung
können hier keine Lösungen sein, weil im Leiter E D 0 gelten
Z
d und wegen der Randbedingungen für elektrische Felder daher
.p C pmech / D Tn dA; (16.109) auch E senkrecht auf allen Seitenflächen stehen muss.
dt em
Strahlungsdruck
Elektromagnetische Strahlung übt auf eine Fläche mit a
Normalenvektor n also den Strahlungsdruck
X b
PStrahlung D n> Tn D Tij ni nj (16.110)
i;j
x
z
aus.
Abb. 16.7 Ein rechteckiger, unendlich langer Hohlleiter entlang der z-
Achse mit Seitenlängen a und b
Insbesondere bei Licht gibt es dafür mehrere anschauliche
Beispiele, von denen im Kasten „Anwendung: Beispiele für
Wir versuchen nun einen Ansatz in der Form
Lichtdruck“ einige beschrieben sind.
0 1
E0x .x; y/
E.t; r/ D @ E0y .x; y/ A ei.kz z!t/ : (16.112)
0
16.3 Ausbreitung in Hohlleitern
Dies beschreibt immer noch eine transversale Welle, die
Elektromagnetische Wellen mit Frequenzen von einigen Gi- sich in z-Richtung, also entlang des Rohres, ausbreitet;
gahertz können in Kabeln nur mit relativ hohen Verlusten nun hängt die Amplitude aber von x und y ab. Die Rand-
übertragen werden: Sie breiten sich in den Kabeln nur in ei- bedingungen legen insbesondere fest:
ner dünnen Oberflächenschicht aus (Skineffekt; Aufgabe 16.5);
deshalb haben Kabel für hochfrequente Wellen einen relativ E0x .x; 0/ D E0x .x; b/ D E0y .0; y/ D E0y .a; y/ D 0:
hohen Widerstand. Aus diesem Grund benutzt man zur Übertra- (16.113)
gung von hochfrequenten Wellen stattdessen meist sogenannte
568 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Setzt man den Ansatz (16.112) in die Wellengleichung Dies kann nur dann für alle x und y gelten, wenn
ein, so erhält man zunächst die beiden Gleichungen m x n y
fx0 .x/ D C sin und gy0 .y/ D C sin
!2 a b
2 C kz2 @2x @y2 E0x .x; y/ D 0;
c (16.122)
(16.114)
!2
2 C kz2 @2x @y2 E0y .x; y/ D 0: ist. Durch Aufintegrieren erhält man sofort
c
aC m x bC n y
Überlegen Sie sich, wie man diese Differenzialgleichun- fx .x/ D cos und gy .y/ D cos :
m a n b
gen lösen könnte. (16.123)
Teil II
Zum Lösen dieser Gleichungen machen wir Separations- Die Integrationskonstanten werden hier gleich null ge-
ansätze, setzt, da wir sonst im Fall n D m D 0 konstante Felder
erhalten würden, die ja bereits anfangs ausgeschlossen
E0x .x; y/ D fx .x/gx .y/ und E0y .x; y/ D fy .x/gy .y/;
wurden.
(16.115)
Damit sind die gesamten Lösungen
wobei die Randbedingungen
m x n y
gx .0/ D gx .b/ D fy .0/ D fy .a/ D 0 (16.116) Ex .t; r/ D EO x cos sin ei.kz z!t/ ;
m xa n yb
gelten müssen. Die Separationsansätze führen auf Ey .t; r/ D EO y sin cos ei.kz z!t/ ;
a b
fx00 g00 !2 Ez .t; r/ D 0 (16.124)
C x C 2 kz2 D 0;
fx gx c
00 00 (16.117) mit natürlichen Zahlen m und n; man spricht von ver-
fy gy !2 schiedenen (Schwingungs-)Moden des Hohlleiters.
C C 2 kz2 D 0:
fy gy c
In den Amplitudenfaktoren EO x und EO y wurden hier alle
Aus den Gleichungen folgt wie üblich, dass fx00 =fx , g00x =gx , konstanten Faktoren zusammengefasst. Aus der Rech-
fy00 =fy und gy00 =gy jeweils konstant sein müssen. Betrachten nung oben sieht man, dass für sie
wir zunächst die Funktionen, für die wir Randbedingun-
gen vorgegeben haben. Aus b m EO x D a n EO y (16.125)
g00x .y/ D c1 gx .y/ und fy00 .x/ D c2 fy .x/ (16.118) gelten muss. Durch Einsetzen der Lösungen in die Wel-
lengleichung erhält man außerdem die Dispersionsrelati-
folgt sofort, dass die Lösungen (komplexe) Exponential- on für diesen rechteckigen Hohlleiter:
funktionen bzw. Linearkombinationen davon sind. Man
sieht leicht ein, dass die Randbedingungen nur für fol- ! 2 m c 2 n c 2
gende Funktionen erfüllt sind: kz2 D : (16.126)
c2 a b
n y m x
gx .y/ D sin und fy .x/ D sin Da kz2 > 0 sein muss, ist im Hohlleiter also für jede vor-
b a
(16.119) gegebene Kreisfrequenz ! nur eine endliche Anzahl an
diskreten Werten für kz und damit für die Wellenlänge
mit c1 D .n =b/2 und c2 D .m =a/2 und natürli- möglich. Andersherum gibt es für jede Mode mit vorge-
chen Zahlen n und m. gebenem m und n eine Grenzfrequenz. Für
ckz m x n y
Hx .t; r/ D EO y sin cos ei.kz z!t/ ; E D Et C Ez eO z : (16.131)
! a b
m x n y
ckz Genauso verfahren wir mit B und mit r . Nun zeigen wir, dass
Hy .t; r/ D EO x cos sin ei.kz z!t/ ;
! a b die transversalen Komponenten der Felder bei Kenntnis der z-
c h m n i Komponenten schon vollständig bestimmt sind.
Hz .t; r/ D EO y C EO x (16.129)
! a b Wir beginnen mit der Maxwell-Gleichung
m x n y
Teil II
cos cos iei.kz z!t/ :
a b 1
rot E D @ t B: (16.132)
c
Rechnen Sie (16.129) mittels (16.128) explizit aus.
Diese wird zu
Es ergibt sich also das überraschende Ergebnis, dass H
(im Gegensatz zu E) nicht transversal ist! !
.rt C eO z @z / .Et C Ez eO z / D i .Bt C Bz eO z /; (16.133)
Die hier gefundene Klasse von Moden nennt man deshalb c
transversal elektrisch, kurz TE-Moden. Berechnet man
stattdessen zunächst das magnetische Feld mit den Rand- also
bedingungen, dass H parallel zum Leiter ist und Hz D 0
(also H transversal), so erhält man entsprechend TM-Mo- !
rt Et C rt .Ez eO z / C ikz .Oez Et / D i .Bt C Bz eO z /: (16.134)
den, bei denen dann E longitudinale Komponenten hat. c
Physikalisch kann man dieses Ergebnis folgendermaßen Von dieser Gleichung nehmen wir nun von links das Kreuzpro-
interpretieren: Der Hohlleiter wird durch die durchlau- dukt mit eO z und benutzen
fende elektromagnetische Welle zu Eigenschwingungen
angeregt. Diese Eigenschwingungen können auch Feld-
komponenten parallel zur Ausbreitungsrichtung der Wel- eO z .rt Et / D 0;
le haben; deshalb ergibt sich hier eine (scheinbar) longi- eO z .rt .Ez eO z // D rt Ez ; (16.135)
tudinale Welle. J eO z .Oez Et / D Et :
Frage 15
Allgemeiner Zusammenhang zwischen Rechnen Sie diese Zwischenschritte nach.
transversalen und longitudinalen Komponenten
Nach diesem speziellen Beispiel betrachten wir nun ein Me- Damit bleibt also
tallrohr mit beliebig geformtem (aber konstantem) Querschnitt,
!
das sich entlang der z-Achse erstreckt. Im Allgemeinen wird rt Ez ikz Et D i .Oez Bt /: (16.136)
die Wellengleichung dann nur schwierig zu lösen sein; insbe- c
sondere bei Verwendung von krummlinigen Koordinaten ist die
Wirkung des Laplace-Operators auf ein Vektorfeld bereits nicht Ebenso zeigt man
einfach zu berechnen. Hier soll deshalb ein allgemeines Verfah-
ren hergeleitet werden, das diese Schwierigkeiten weitgehend !
rt Bz ikz Bt D i .Oez Et /: (16.137)
vereinfacht. c
Die Welle soll sich in z-Richtung ausbreiten, also machen wir
einen Ansatz der Form Nun nehmen wir das Kreuzprodukt von (16.136) von links mit
eO z und multiplizieren mit i!=c. Das ergibt zunächst
E.t; r/ D E0 .x; y/ei.kz z!t/ (16.130)
! ! !2
und ebenso für B. i .Oez rt Ez / C kz .Oez Et / D 2 Bt : (16.138)
c c c
570 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
! !2 ikz
i .Oez rt Ez / C ikz .rt Bz ikz Bt / D 2 Bt : (16.139) Et D rt Ez ;
c c ! 2 =c2 kz2
(16.143)
i!=c !
Also ergibt sich letztlich Bt D 2 2 .Oez rt Ez / D .Oez Et /:
! =c kz2 kz c
i !
Bt D .Oez rt Ez / C kz rt Bz : (16.140) Die z-Komponenten kann man wiederum berechnen aus der
! 2 =c2 kz2 c Wellengleichung
Ebenso zeigt man !2
t kz2 C 2 ‰ D 0; (16.144)
! c
Teil II
i
Et D 2 2 .Oez rt Bz / C kz rt Ez : (16.141)
! =c kz
2 c wobei jeweils ‰ D Bz bzw. ‰ D Ez ist. Damit reduziert sich das
Problem, die möglichen TE-Moden bzw. TM-Moden in einem
Hohlleiter zu finden, auf das Lösen einer einzigen (skalaren)
Frage 16 Wellengleichung und die anschließende Berücksichtigung der
Zeigen Sie dies. Randbedingungen.
Insbesondere ergibt sich hier das allgemeine Ergebnis, dass für
Damit sind die Transversalkomponenten der Felder eindeutig kz2 ! 2 =c2 ¤ 0, also t ‰ ¤ 0, keine TEM-Moden (Ez D Bz D
durch Ez und Bz bestimmt; dies war zu zeigen. Insbesondere 0) möglich sind. Im Gegensatz zur Ausbreitung im Vakuum sind
hat man bei TE-Moden bzw. TM-Moden jeweils die einfachen elektromagnetische Wellen in Hohlleitern also im Allgemeinen
Ergebnisse nicht rein transversal.
Allgemein kann man zeigen, dass es keine TEM-Moden geben
i!=c !
Et D .Oez rt Bz / D .Oez Bt /; kann, wenn der Leiterquerschnitt einfach zusammenhängend
! 2 =c2 kz2 kz c ist. In Koaxialkabeln dagegen besteht der Hohlleiter aus zwei
(16.142) konzentrischen zylindrischen Leitern; der Hohlleiterquerschnitt
ikz
Bt D 2 2 rt Bz ist dann nicht einfach zusammenhängend, und TEM-Moden
! =c kz2 sind möglich.
So geht’s weiter 571
So geht’s weiter
Wie in Abschn. 16.2 erwähnt wurde, hängen in Medien sowohl womit wir für die Stromdichte
die Dielektrizitätszahl als auch die Permeabilitätszahl im
Allgemeinen von der Frequenz ! ab; daraus ergibt sich eine Fre- ne e2 1
quenzabhängigkeit des Brechungsindexes. jD E (16.149)
m i!
Einige Gründe dafür sollen hier diskutiert werden, wobei wir
uns allerdings auf beschränken, da in optischen Anwendungen erhalten (die physikalisch relevante Stromdichte ist natürlich
meist in guter Näherung 1 gilt. Die beiden hier vorge- wie üblich der Realteil hiervon). Für die Leitfähigkeit folgt dar-
stellten Modelle sind relativ grob, stimmen aber trotzdem in aus
vielen Fällen recht gut mit realen Phänomenen überein. (Für ei-
Teil II
ne e2 1
ne tiefergehende Diskussion sei auf Werke zur Festkörperphysik .!/ D : (16.150)
verwiesen.) m i!
Außerdem werden wir allgemeine Zusammenhänge zwischen
Dispersion und Absorption herleiten, die sogenannten Disper- Insbesondere für ! ! 0 ist
sionsrelationen von Kramers und Kronig.
ne e2
0 WD .0/ D ; (16.151)
m
Freie Elektronen in einem Leiter
die Leitfähigkeit 0 für stationäre Ströme ist also proportional
und die Plasmafrequenz zum Inversen des Reibungskoeffizienten .
Eingesetzt in (16.76) haben wir nun
Nach (16.76) hängt die (verallgemeinerte) Dielektrizitätszahl
bereits direkt von ! ab. Hinzu kommt allerdings, dass die Leit-
4 i 0
fähigkeit im Allgemeinen ihrerseits auch von ! abhängt. D 1C
Um dies zu verstehen, betrachten wir als einfaches Modell ein ! i!
(16.152)
Medium, in dem sich Elektronen relativ frei bewegen können; es i
D 1 C !p2 :
soll nur eine zur Geschwindigkeit proportionale Reibungskraft !. i!/
auftreten (Drude-Modell, 1900, nach dem deutschen Physiker
Paul Karl Ludwig Drude, 1863–1906). Dies gilt beispielsweise Die hier zur Abkürzung geschriebene Plasmafrequenz
in einem Plasma, aber auch für Metalle ist das bei hohen Fre-
quenzen eine brauchbare Näherung. r
4 0
In einem Volumen V befinden sich Ne Elektronen mit den Ge- !p D (16.153)
schwindigkeiten v i , auf welche jeweils das elektrische Feld E
wirke. Dann gelten die Bewegungsgleichungen
ist dabei die Frequenz der Eigenschwingungen der Elektronen.
e Typische Werte sind beispielsweise 3;8 1015 Hz für Aluminium
vP i D E v i (16.145)
m und 1;6 1016 Hz für Kupfer.
mit dem Reibungskoeffizienten . Die Stromdichte ist Interessant ist vor allem der Grenzfall hoher Frequenzen, !
. Dann ergibt sich einfach
1X
jD .ev i / ; (16.146)
V i !
!p2
also folgt D 1 : (16.154)
!2
Ne e2 ne e2
@t j D E j D E j; (16.147)
mV m Insbesondere für ! > !p ist die verallgemeinerte Dielektrizi-
wobei ne die Elektronendichte ist. tätszahl positiv und damit der Brechungsindex rein reell. Da die
Schwingt das elektrische Feld harmonisch mit der Frequenz !, Absorption von elektromagnetischen Wellen durch den Imagi-
so wird die Stromdichte sicher mit derselben Frequenz harmo- närteil des Brechungsindexes beschrieben wird, folgt, dass Wel-
nisch schwingen. Also ist len mit hohen Frequenzen nicht absorbiert werden. Physikalisch
bedeutet dies, dass Metalle bei genügend hohen Frequenzen
@ t j D i!j; (16.148) (beispielsweise Röntgenstrahlung) durchsichtig sind.
572 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Harmonisch gebundene Elektronen Summand klein ist verglichen mit 1, also 1 gilt; dies ist
beispielsweise in vielen Gasen eine gute Näherung. Für den
in einem Isolator
komplexen Brechungsindex gilt
Auch in Isolatoren ( ! 0) wie beispielsweise Ionenkristal- p
len oder (neutralen) Gasen hängt die Dielektrizitätszahl von n C i D : (16.161)
der Frequenz ab. Dies rührt daher, dass selbst gebundene Elek- p
tronen von einer einfallenden elektromagnetischen Welle zu Mit der Näherung 1Cx 1 C x=2 für x 1 folgt
Schwingungen angeregt werden können, wodurch das Medi-
um (veränderlich) polarisiert wird – und in Kap. 14 haben wir 1 4 ne e2 1
gesehen, dass es einen engen Zusammenhang zwischen der n D 1 C Re
2 m !02 ! 2 i!
Polarisation eines Mediums und seiner Dielektrizitätszahl gibt
Teil II
e2 1 κ
pD E: (16.157)
m !02 ! 2 i! ω0 ω
n−1
Hat man im betrachteten Material wieder die Elektronendichte
ne , so folgt
ne e2 1
PD E D e E (16.158) Abb. 16.8 Die Frequenzabhängigkeit von Brechungsindex n und Extinkti-
m !02 ! 2 i!
onskoeffizient im Lorentz-Oszillator-Modell (für !0 D 10 und D 1). Bei
der Eigenfrequenz !0 der Oszillatoren hat ein Maximum, n fällt dagegen
mit D 1 C 4 e , also
monoton ab (anomale Dispersion). Auf der Achse sind außerdem !0 ˙
markiert. Man erkennt, dass ein Maß für die Breite des Maximums bzw.
4 ne e2 1 des Bereichs anomaler Dispersion ist
.!/ D 1 C : (16.159)
m !02 ! 2 i!
Diese Ergebnisse sind in Abb. 16.8 grafisch dargestellt. Man
Verallgemeinert man dies auf mehrere Arten von Oszillatoren sieht zunächst, dass bei !0 ein Maximum hat. Die physika-
mit Eigenfrequenzen !k , Dämpfungskonstanten k und Dich- lische Interpretation ist naheliegend: bei der Resonanzfrequenz
ten nk (beispielsweise unterschiedlich stark gebundene bzw. der Oszillatoren wird am meisten absorbiert.
gedämpfte Elektronen oder unterschiedliche Ionen in einem Io- Außerdem ist zu erkennen, dass für die meisten Werte von !
nenkristall), so ergibt sich der Brechungsindex monoton ansteigt; man spricht von norma-
ler Dispersion. Nur in einem engen Bereich in der Nähe des
4 e2 X nk Maximums von nimmt n mit wachsendem ! ab (anomale Di-
.!/ D 1 C : (16.160)
m k
!k
2
! 2 i !
k spersion).
Diese engen Zusammenhänge zwischen n und sind letztlich
Außerdem ist anzumerken, dass in Leitern neben diesen Beitrag auf Beziehungen zwischen dem Real- und dem Imaginärteil von
auch der im vorherigen hergeleitete von den Leitungselektronen zurückzuführen. Im folgenden Abschnitt werden wir zeigen,
tritt. Dieser ist im Allgemeinen aber bei deutlich anderen Fre- dass sich solche Beziehungen aus sehr wenigen allgemeinen
quenzen wichtig und wird deshalb im Folgenden ignoriert. Grundannahmen ergeben. Zwischen Dispersion und Absorpti-
Wir beschränken uns nun wieder auf den Fall nur einer Sorte on bestehen also allgemein enge Zusammenhänge, nicht nur in
von Oszillatoren. Außerdem nehmen wir an, dass der zweite diesem einfachen Modell.
So geht’s weiter 573
Teil II
hängt auch nur von der elektrischen Feldstärke an dieser Stelle endlichen Leitfähigkeit stammt; bei Nichtleitern ( 0) kann
an. dieser meist vernachlässigt werden.
Der allgemeinste lineare, isotrope, räumlich lokale Ansatz ist Wir definieren nun durch
also
Z1
D.t; r/ D E.t; r/ C 4 P.t; r/
g./ D f . /ei d (16.170)
Z1
(16.163) 0
D E.t; r/ C f . /E.t ; r/d:
1 eine analytische Fortsetzung von .!/ 1 in die gesamte kom-
Eine Polarisation kann aber nicht auftreten, bevor die Teilchen plexe Ebene; für die komplexe Verallgemeinerung der Frequenz
des Körpers das elektrische Feld spüren (Kausalität!). Also muss ! schreiben wir also (mit den Real- und Imaginärteilen r und
i ).
f . / D 0 gelten für < 0.
Außerdem setzen wir für die Funktion f . / noch voraus, dass sie Für i > 0 ist diese Funktion sicher definiert und analytisch, da
für ! 1 nicht stärker als eine positive Potenz von wächst. dann der Integrand exponentiell gedämpft ist (hier wird die Vor-
aussetzung benutzt, dass f . / höchstens wie eine positive Potenz
Auch diese Forderung ist sicher physikalisch sinnvoll: Im All-
gemeinen wird sogar eher f . / ! 0 gelten für ! 1, da von wächst). Auf der reellen Achse hat g./ dagegen wegen
(16.169) bei D 0 einen Pol erster Ordnung.
die Polarisation des Mediums nicht vom Wert des elektrischen
Außerdem gilt in der oberen Halbebene g./ ! 0 für jj ! 1:
Feldes zu beliebig fernen Zeiten in der Vergangenheit abhängen
sollte. Für i ! 1 folgt das aus dem exponentiellen Abfall des Ex-
ponenten, für r ! 1 daraus, dass dann (für festes i ) der
Eine Fourier-Transformation überführt das obige Faltungsinte-
Integrand unendlich schnell oszilliert.
gral in ein Produkt:
Aus dem oben Gesagten können wir folgern, dass die Funktion
Q
D.!; Q
r/ D E.!; Q
r/ C fQ .!/E.!; r/: (16.164)
g./
Definiert man die frequenzabhängige Dielektrizitätszahl durch (16.171)
!
Q
D.!; Q
r/ D .!/E.!; r/; (16.165)
für jedes feste ! in der oberen Halbebene analytisch ist, für
so folgt jj ! 1 gegen null geht und auf der reellen Achse Polstel-
len erster Ordnung bei D 0 und D ! hat. Integrieren wir
Z1 diese Funktion über einen beliebigen geschlossenen Weg in der
.!/ D 1 C fQ .!/ D 1 C f . /ei! d; (16.166) oberen Halbebene, so muss sich wegen der Analytizität null er-
0 geben (Cauchy’scher Integralsatz):
.!/ D .!/ (16.167) Wir wählen nun als Integrationsweg einen Halbkreisbogen in
der oberen Halbebene „im Unendlichen“ und schließen diesen
gilt; damit kann man die Funktion analytisch zu negativen entlang der reellen Achse. Die beiden Polstellen werden dabei
Frequenzen fortsetzen. Daraus folgt auch für die Real- und Ima- durch kleine Halbkreisbögen (Radius r) umgangen. Der gesam-
ginärteile r bzw. i , dass sie gerade bzw. ungerade Funktionen te Integrationsweg ist in Abb. 16.9 dargestellt.
574 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
g./
ResD! D lim g./ D g.!/: (16.176)
! !!
1
Abb. 16.9 Der für den Beweis der Kramers-Kronig-Relationen gewählte
Nimmt man davon den Real- und Imaginärteil, so hat man die
Integrationsweg: entlang der reellen Achse, wobei die Polstellen des Inte-
granden g./=. !/ bei D 0 und D ! durch kleine Halbkreise mit Dispersionsrelationen von Kramers und Kronig (nach dem nie-
Radius r umgangen werden, und zurück entlang eines Halbkreises in der derländischen Physiker Hendrik Anthony Kramers, 1894–1952,
oberen Halbebene „im Unendlichen“ und dem deutsch/US-amerikanischen Physiker Ralph de Laer
Kronig, 1904–1995):
Nach dem eben Gesagten liefert der Halbkreis „im Unendli-
chen“ keinen Beitrag; also muss die Integration entlang der
Z1
reellen Achse plus der beiden Halbkreise um die Pole ihrerseits 1 i ./
r .!/ D 1 C P d;
bereits null ergeben. Die Integration entlang der reellen Achse !
muss damit das Negative der Integrale über die beiden Halbkrei- 1
se ergeben: Z1
4 1 r ./
0 1 i .!/ D P d: (16.178)
! !
Zr !rZ Z1 1
B C g./
@ C C A d
! Für Anwendungen in der Physik ist es sinnvoll, diese Ergebnisse
1 r !Cr
Z Z noch auf Integrale über nur positive Frequenzen umzuschreiben.
g./ g./ Hierfür kann man die Symmetrien (16.168) von r und i unter
D d d: (16.173)
! ! ! ! ! ausnutzen.
HkI HkII
Das Endresultat ist
Letztere kann man aber (für r ! 0) analog zum Residuensatz
Z1
auswerten. Beide Polstellen werden hier zwar nur halb umlau- 2 i ./
fen, außerdem im mathematisch negativen Sinn. Für r ! 0 r .!/ D 1 C P d;
2 !2
verhält sich der Integrand an den Polstellen aber wie const= 0
bzw. wie const=. !/; mit einer Rechnung völlig analog zu Z1
4 2! r ./
(13.37) bis (13.39) folgt deshalb, dass die Halbkreise das jeweils i .!/ D P d: (16.179)
i -fache der Residuen liefern: ! 2 !2
0
0 1
Zr Z
!r Z1
B C g./ Dies sind allgemeingültige Beziehungen zwischen dem Real-
@ C C A d und Imaginärteil der Dielektrizitätszahl. Vorausgesetzt wurden
!
1 r !Cr letztlich nur wenige physikalisch sinnvolle Forderungen an f . /
und das Verhalten von für ! ! 0. Ähnlich kann man auch
g./ g./
Di ResD0 C ResD! : (16.174) allgemeine Beziehungen zwischen n und herleiten. Daraus er-
! !
gibt sich, dass die beim Lorentz-Oszillator-Modell gefundenen
Die Residuen sind Zusammenhänge allgemein gelten:
g./ g./ 1
ResD0 D lim D lim ../ 1/ (a) Für Frequenzen, bei denen ein Material transparent ist (
! !0 ! ! !0
1), ist die Dispersion normal (dn=d! > 0).
i 4 i (b) Tritt Absorption auf ( 1), so ist die Dispersion anomal
D lim i ./ D ; (16.175)
! !0 ! (dn=d! < 0).
Aufgaben 575
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
16.1 Elliptische und zirkulare Polarisation Zei- ren Hauptachsenverhältnis gegeben ist durch
gen Sie: Für 0 < 2 beschreibt v
u q
u
x D Œa cos C b cos. C '/ eO 1 b u I I 2 4Ex0
2 2
Ey0 sin2 '
(16.180) Du
t q (16.183)
Œa sin b sin. C '/ eO 2 a I C I 2 4Ex0
2 2
Ey0 sin2 '
(a) Begründen Sie, dass Lösungshinweis: Betrachten Sie das Volumenintegral der lin-
ken Seite über eine Kugel um den Ursprung und benutzen Sie
M D Ex0
2
Ey0
2
; den Gauß’schen Satz.
C D 2Ex0 Ey0 cos '; (16.186)
16.5 Skineffekt Im Folgenden soll gezeigt werden,
S D 2Ex0 Ey0 sin ' dass Wechselstrom hoher Frequenzen in metallischen Leitern
bevorzugt nur in einer relativ dünnen Oberflächenschicht fließt
gilt, wobei Ex0 und Ey0 jeweils für die Amplituden der elek- (Skineffekt). Wir betrachten dafür einen einfachen Spezialfall:
trischen Feldstärken in x- bzw. y-Richtung stehen und ' für Ein unendlich langer, homogener, gerader Leiter (Leitfähigkeit
die Phasenverschiebung zwischen Ex und Ey . Zeigen Sie au- ), der entlang der z-Achse liegt und den Radius %0 hat, werde
ßerdem, dass von einem harmonischen Wechselstrom I.t/ D I0 ei!t durch-
M 2 C C 2 C S2 D I 2 (16.187) flossen.
Teil II
!0 ab, so muss die Amplitude dieser Welle zeitlich abnehmen abgestrahlte Energie pro infinitesimalem Frequenzintervall von
(warum?). Im Allgemeinen ergibt sich deshalb für die elektri- ! abhängt. Interpretieren Sie Ihr Ergebnis.
sche Feldstärke dieser Welle am Ort des Atoms eine exponen-
tiell gedämpfte Schwingung (Anfangsamplitude E0 , Frequenz Lösungshinweis: Überlegen Sie sich, wie der Poynting-Vek-
!0 , Dämpfungskonstante ). Berechnen Sie die Fourier-Trans- tor einer ebenen monochromatischen Welle im Vakuum von der
Q
formierte E.!/ der elektrischen Feldstärke und daraus, wie die elektrischen Feldstärke abhängt.
Teil II
578 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Teil II
2 2
Ausmultiplizieren und Vereinfachen führt auf eine quadrati- (16.215)
sche Gleichung mit den Lösungen wobei eO x bzw. eOy Einheitsvektoren in x- bzw. y- Richtung
q und eO 45ı bzw. eO 135ı entsprechend gedrehte Einheitsvektoren
I ˙ I 2 4Ex0 Ey0 sin2 '
2 2 sind, so ergibt sich zunächst
1;2 D : (16.208)
2
1 ˇˇ ˇ2
Zunächst sehen wir, dass beide Eigenwerte positiv sind, also I45ı D Ex0 C Ey0 ei' ˇ
handelt es sich hier in der Tat um eine Ellipse. Deren Halb- 2
1 2 1 2
achsen ergeben sich direkt aus den Eigenwerten: D Ex0 C Ey0 C Ex0 Ey0 cos ';
2 2 (16.216)
1 1 1ˇ ˇ2
aD p und b D p ; (16.209) I135ı D ˇEx0 Ey0 ei' ˇ
1 2 2
1 2 1 2
wobei 1 bzw. 2 die Lösung mit dem negativen bzw. D Ex0 C Ey0 Ex0 Ey0 cos ';
2 2
dem positiven Vorzeichen der Wurzel ist. Aus diesen Zu-
sammenhängen erhält man die obige Behauptung über das
Achsenverhältnis. also C D 2Ex0 Ey0 cos '. Schreibt man dagegen den elek-
Den Drehwinkel erhalten wir aus den Eigenvektoren, da ja trischen Feldvektor wie in Abschn. 16.1 als Summe eines
die Drehmatrix, mit der die Matrix B in Diagonalgestalt links- und rechtszirkular polarisierten Anteils, d. h.
gebracht wird, aus den Eigenvektoren aufgebaut ist. Der Ei-
genvektor v 1 zu 1 entspricht der ersten Spalte der Matrix. 1 1
Somit kann man schreiben E D ELZ p eO x C iOey C ERZ p eO x iOey ; (16.217)
2 2
cos ˛
v1 D ; (16.210)
sin ˛ so ist zunächst ILZ D jELZ j2 und IRZ D jERZ j2 . Da aber
andererseits
und man erhält den Tangens des Winkels als
v1y Ex0 iEy0 ei' Ex0 C iEy0 ei'
tan ˛ D : (16.211) ELZ D p und ERZ D p
v1x
2 2
Es bleibt noch v 1 zu bestimmen. Diesen Eigenvektor erhält (16.218)
man aus gilt, ergibt sich
.B 1 E2 /v 1 D 0: (16.212)
1 2 1 2
Es muss also jELZ j2 D E C E C Ex0 Ey0 sin ';
2 x0 2 y0 (16.219)
.b11 1 /v1x C b12 v1y D 0 (16.213) 1 2 1 2
jERZ j2 D Ex0 C E Ex0 Ey0 sin '
2 2 y0
gelten (und eine weitere Gleichung, die sich aus der zweiten
Zeile der Matrix ergibt, aber zu demselben Ergebnis führt). und damit S D 2Ex0 Ey0 sin '.
Somit hat man Dass M 2 CC2 CS2 D I 2 ist, zeigt man einfach durch direktes
1 b11
tan ˛ D ; (16.214) Nachrechnen.
b12
(b) Zunächst ist aus S D ILZ IRZ klar, dass das Vorzeichen von
woraus man sofort das oben angegebene Ergebnis erhält. S die Richtung der elliptischen Polarisation angibt.
580 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Die Ergebnisse aus Aufgabe 16.2 kann man mittels der For- ist hier einfach
meln in Teilaufgabe (a) auch kürzer schreiben: 0 1
T 0 0 0
s p B 0 T 0 0 C
@ 0 :
0 A
b I I 2 S2 (16.223)
tan ! D D p (16.220) 0 T
a I C I 2 S2 0 0 0 T
s p
I M 2 C C2 (2) Nach dem Polarisator muss sowohl die gesamte Intensi-
D p ;
I C M 2 C C2 tät also auch diejenige in x-Richtung gleich derjenigen
p p sein, die man vorher in x-Richtung hatte, die Intensität in
M C I 2 S2 M C M 2 C C2
tan ˛ D D : y-Richtung muss dagegen verschwinden. Also hat man
C C
I 0 D M 0 D I0ı und C0 D S0 D 0:
Teil II
(16.224)
Außerdem gelten die trigonometrischen Beziehungen
Da aber offensichtlich
2 tan !
sin.2!/ D 2 sin ! cos ! D ; ICM
1 C tan2 ! I0ı D (16.225)
(16.221)
1 tan2 ! 2
cos.2!/ D cos2 ! sin2 ! D
1 C tan2 ! gilt, folgt sofort die Matrix
und entsprechend für ˛. Setzt man die obigen Ausdrücke für 0 1
0;5 0;5 0 0
tan ! und tan ˛ ein, so erhält man nach einigen Umformun- B 0;5 0;5 0 0 C
@ 0 :
0 A
gen (16.226)
0 0
S 0 0 0 0
sin.2!/ D ;
I
p
M 2 C C2 (3) Das =4-Plättchen vermindert die Phasenverschiebung
cos.2!/ D ; der y-Komponente gegenüber der x-Komponente um
I
C
(16.222) =2; die Amplituden ändern sich nicht. Also ändern sich
sin.2˛/ D p ; I und M nicht, aber mit den Formeln in Teilaufgabe (a)
M 2 C C2 folgt sofort
M
cos.2˛/ D p ;
M C C2
2 C0 D S und S0 D C: (16.227)
woraus sofort die angegebenen Ergebnisse für M, C und S Damit ist die Matrix
folgen.
0 1
Interpretiert man .MI CI S/ als kartesische Koordinaten in 1 0 0 0
einem dreidimensionalen Raum, so entspricht jeder Polari- B 0 1 0 0 C
@ 0 :
1 A
(16.228)
sationszustand einem Punkt auf der Oberfläche einer Kugel 0 0
mit Radius I, der sogenannten PoincarKe-Kugel. Die Winkel 0 0 1 0
2! bzw. 2˛ entsprechen dabei jeweils der Breite bzw. Länge
auf dieser Kugel, und das Vorzeichen von !, d. h., der Um-
laufsinn der Polarisation gibt an, ob der Punkt auf der oberen 16.4 Zunächst ist die Funktion eikr =r eine Lösung der Wellen-
oder unteren Halbkugel liegt. gleichung, d. h., es gilt
(c) Alle Ergebnisse erhält man leicht direkt oder nach kurzer
eikr
Rechnung aus den Formeln in Teilaufgabe (b): . C k2 / D0 (16.229)
(1) .II II 0I 0/ r
(2) .II II 0I 0/
überall dort, wo die Funktion überhaupt differenzierbar ist. Pro-
(3) .II 0I II 0/
bleme macht also nur der Ursprung selbst. Dort hat die Funktion
(4) .II 0I II 0/
eine Polstelle, die Ableitung wird somit auch unendlich groß.
(5) .II 0I 0I I/
Dieses Verhalten passt zu dem der Deltafunktion, die sich erge-
(6) .II 0I 0I I/
ben soll.
(7) .II 0;6II 0I 0;8I/
(8) .II 0;6II
p 0Ip 0;8I/ p Außerdem muss das Volumenintegral über eine Deltafunktion 1
(9) .II I= 3I I= 3I I= 3/ ergeben, d. h., es muss hier
(d) (1) Ein isotroper Absorber absorbiert in allen Richtungen Z
denselben Anteil der Intensität, also ändern sich alle Sto- eikr
kes-Parameter um denselben Faktor T, d. h., die Matrix dV. C k2 / D 4 (16.230)
r
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 581
gelten. Dieses Volumenintegral ist noch zu berechnen: Da aber ! vorausgesetzt wurde, kann der erste Term
Z ikr Z Z gegenüber dem auf der rechten Seite vernachlässigt werden,
2 e eikr eikr und es bleibt
dV. C k / D dV Ck 2
dV : (16.231) 4 i!
r r r j C j D 0: (16.239)
c2
Wir integrieren über eine Kugel mit Radius R um den Ursprung.
Das erste Integral kann man dann mit dem Gauß’schen Satz (b) Der Strom fließt in z-Richtung. Wegen der Symmetrie des
umschreiben, beim zweiten Integral kann man die Winkelinte- Systems ist j außerdem sicher von z und ' unabhängig. Es
grationen ausführen: gilt also:
j.r/ D jz .%/Oez : (16.240)
I ZR
eikr Setzt man dies in die Differenzialgleichung ein und benutzt
D R d eO r r
2
C4 k 2
reikr dr: (16.232) die explizite Gestalt des Laplace-Operators in Zylinderkoor-
r rDR
dinaten, so ergibt sich für jz die Differenzialgleichung
Teil II
@V 0
Für die Ableitung ergibt sich 1 4 i!
@% %@% C jz .%/ D 0: (16.241)
% c2
eikr 1 eikR
eO r r D ik : (16.233)
r rDR R R Nach Umschreiben des Differenzialoperators und Multipli-
zieren mit %2 bleibt
Damit erhält man für das Volumenintegral zunächst
4 i! 2
ZR %2 @2% C %@% C % jz .%/ D 0: (16.242)
c2
D 4 .ikR 1/ e ikR
C4 k 2
reikr dr: (16.234)
0
Nun schreibt man noch zur Abkürzung
r
Nun führt man das Integral über r aus: c2 p p
dD ; i x D %=d; Qj. i x/ D jz .%/:
ZR ZR 4 !
1 @ (16.243)
reikr dr D eikr dr Dann hat man schlussendlich
i @k
0 0 2 p
2 d d 2 Q
1 @ eikR 1 (16.235) x 2 C x C x j. i x/ D 0: (16.244)
D dx dx
i @k ik
ikReikR .eikR 1/ Dies ist aber einfach die Bessel’sche Differenzialgleichung
D : mit m D 0. Die allgemeinen Lösungen sind also
k2
p p
Damit bleibt für das Volumenintegral jz .%/ D AJ0 i %=d C BY0 i %=d (16.245)
D 4 .ikR 1/ eikR 4 ikReikR .eikR 1/ ; mit den Bessel-Funktionen erster und zweiter Art und nullter
(16.236)
D 4 ; Ordnung J0 und Y0 .
(c) Für x ! 0 gilt Y0 .x/ ! 1. Eine physikalisch sinnvolle
was zu zeigen war. Lösung haben wir deshalb nur für B D 0. Die Konstante A
Anmerkung: Dieses Resultat kennen wir übrigens bereits. Die können wir aus der Bedingung
hier betrachtete Funktion ist letztlich nichts anderes als die Lö- Z
sung der Helmholtz-Gleichung, die in Abschn. 13.2 berechnet j df D I (16.246)
wurde; man muss nur in der dort gefundenen Lösung (13.60) k0 A
durch ik ersetzen.
bestimmen. Hier wird über eine Kreisscheibe integriert:
16.5
Z2 Z%0
(a) Aus der Telegrafengleichung (16.69) folgt mit j D E sofort
d' % jz .%/ d% D I0 : (16.247)
4
0 j D 2 @ t j:
0 0
(16.237)
c
Die Winkelintegration ist sofort ausführbar. Für die radiale
Da j sicher dieselbe harmonische Zeitabhängigkeit hat wie Integration beachte
I, kann man die Zeitableitungen gleich ausführen und erhält
Zx0
!2 4 i! xJ0 .x/ dx D x0 J1 .x0 /: (16.248)
02 j D j: (16.238)
c c2 0
582 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
c2
!.kz / D c kz2 C C : (16.251)
a b und für das elektrische Feld in z-Richtung ergibt sich jeweils
Damit ist also einfach
xmn
s Ez .t; %; '; z/ D E0z Jm % ei.kz z!t˙m'/ (16.261)
2 2 %0
!.kz / m c n c
cph .kz / D Dc 1C C : (16.252)
kz kz a kz b mit m D 0; 1; 2; : : : und n D 1; 2; 3; : : : Außerdem gilt natürlich
Die Gruppengeschwindigkeit ist dagegen Bz D 0; (16.262)
@!.kz / kz
cgr .kz / D D cq 2 2 da wir ja die TM-Moden betrachten.
@kz
kz2 C ma c C n b c
(16.253) Die restlichen Feldkomponenten in den transversalen Richtun-
c gen erhält man mithilfe von (16.143). Im Folgenden sind jeweils
D r 2 2 : nur die Abhängigkeiten von % explizit angegeben; die Abhän-
1 C mkz ac C nkz bc gigkeiten von t, ' und z sind wie bei Ez .
Also gilt hier immer cph > c und cgr < c, genauer sogar ikz
E% .%/ D @% Ez
! 2 =c2 kz2
cph cgr D c2 : (16.254)
ikz xmn E0z 0 xmn
D 2 2 J % ;
Die Frontgeschwindigkeit, die letztlich die Geschwindigkeit an- ! =c kz2 %0 m
%0
gibt, mit der Informationen übertragen werden, ist dagegen 1 ikz
exakt gleich der Vakuumgeschwindigkeit: E' .%/ D @' Ez
% ! =c2 kz2
2
cfr D lim cph .kz / D c: (16.255) Jm x%mn0 %
kz !1 mkz
D E0z ;
! 2 =c2 kz2 % (16.263)
16.7 Die Wellengleichung für Ez führt in Zylinderkoordinaten !
B% .%/ D E'
auf eine Bessel’sche Differenzialgleichung. Die Lösungen für kz c
Ez sind daher zunächst (mit ! D kc):
m !=c J xmn
%
q m %0
D˙ 2 2 E0z ;
Ez .t; %; '; z/ D A Jm k2 kz2 % ! =c kz2 %
q !
B' .%/ D E%
CB Ym k2 kz2 % ei.kz z!t˙m'/ : kz c
i!=c xmn E0z 0 xmn
(16.256) D 2 2 J % :
Die Funktionen Ym .x/ sind für x ! 0 aber alle divergent, sodass ! =c kz2 %0 m
%0
sich physikalisch sinnvolle Lösungen nur für B D 0 ergeben.
Für A schreiben wir im Folgenden einfach E0z . Für die Ableitungen der Bessel-Funktionen könnte man außer-
dem noch den allgemeinen Zusammenhang
Außerdem ist wieder die Randbedingung zu erfüllen, dass die
Tangentialkomponente von E auf der Oberfläche des Leiters 1
Jm0 .x/ D ŒJm1 .x/ JmC1 .x/ (16.264)
verschwinden muss, d. h. 2
Ez .t; %0 ; '; z/ D 0: (16.257) verwenden.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 583
16.8 Die abgestrahlte Energie pro Zeiteinheit und damit auch Vakuum die Amplituden des elektrischen und magnetischen
die elektrische Feldstärke muss zeitlich abnehmen, weil insge- Feldes gleich sind, ist die abgestrahlte Energie (pro Frequenz-
samt ja nur eine endliche gesamte Energiemenge abgestrahlt intervall) letztlich einfach proportional zum (Betrags-)Quadrat
wird. Speziell bei einer exponentiell gedämpften Schwingung der elektrischen Feldstärke, also proportional zu
gilt für die elektrische Feldstärke in Abhängigkeit von der Zeit:
0 für t < 0 2 C !2
E.t/ D : (16.265) : (16.267)
E0 cos.!0 t/e t
für t 0 .! 2 !02 2 /2 C 4 2 ! 2
Die Fourier-Transformierte ist also
Z1 Dies beschreibt eine typische
q Resonanzkurve mit dem Maxi-
QE.!/ D pE0 eŒi.!0 !/ t C eŒi.!0 !/ t mum bei der Frequenz !0 C 2 und der Breite 2 . Obwohl
2
d!
2 2 die Energie eigentlich bei der festen Frequenz !0 abgestrahlt
Teil II
0
E0 1 1 q scharfe Linie bei !0 ,
wird, ergibt sich im Spektrum also keine
D p C sondern eine verbreiterte Linie bei !02 C 2 . Diese Verbrei-
2 2 i.!0 !/ i.!0 !/
E0 C i! terung (und Verschiebung) der Linie rührt nur daher, dass die
D p : (16.266) Abstrahlung zeitlich abnehmen muss, geschieht also völlig ohne
2 !02 ! 2 C 2 C 2i! äußere Einflüsse (wobei die Linie umso schmäler ist, je länger
Da der Poynting-Vektor proportional zur elektromagnetischen die Abstrahlung dauert). Deshalb spricht man hier von der na-
Energiedichte ist und in einer elektromagnetischen Welle im türlichen Linienbreite.
584 16 Ausbreitung elektromagnetischer Wellen
Literatur
Teil II
Medien?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_17, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 585
586 17 Optik
Die Optik beschäftigt sich speziell mit der Ausbreitung von Licht (die (a) In homogenen Medien sind die grundlegenden Lösungen der
meisten ihrer Ergebnisse sind aber auch auf andere elektromagne- Wellengleichung ebene Wellen; bei diesen gibt die Richtung
tische Wellen übertragbar). In vielen Fällen genügt es dabei, davon des Wellenvektors direkt die Strahlrichtung an.
auszugehen, dass Licht sich in Strahlen ausbreitet; der Wellencha- (b) Für jede ebene Welle ergibt die Ersetzung k ! k wieder
rakter des Lichtes kann vernachlässigt werden. eine Lösung der Wellengleichung.
(c) Diese Gesetze werden im nächsten Abschnitt aus der Wel-
Dies ist insbesondere der Fall, wenn die charakteristischen Längen lenoptik hergeleitet.
des betrachteten Problems (beispielsweise Durchmesser einer Blen- (d) In der Wellenoptik addieren sich zwar die Amplituden E,
de oder Dicke einer Linse) sehr groß gegenüber der Wellenlänge nicht die Intensitäten jEj2 , man hat also jE1 C E2 j2 D
des Lichtes sind: Dann sind typische Welleneffekte wie Beugung, jE1 j2 CjE2 j2 C2 Re .E1 E2 /. Der dritte Term beschreibt aber
Interferenz und Polarisation vernachlässigbar (Abschn. 17.1). Die Interferenzeffekte und kann sowohl positive als auch nega-
Funktionsweise von typischen optischen Geräten wie beispielswei- tive Beiträge liefern; im zeitlichen Mittel verschwindet er
se Teleskopen und Mikroskopen kann deshalb im Rahmen des
Teil II
h 00 00
ϕ1 E0 ei.kr!t/ C E000 ei.k r! t/
0 0
i (17.5)
y
E00 ei.k r! t/ eO z D 0:
ϕ2
Die Gleichungen (17.4) und (17.5) können nur dann für alle
Teil II
Zeiten t gelten, wenn die zeitabhängigen Argumente der Ex-
ponentialfunktionen gleich sind, wenn also gilt:
! D ! 0 D ! 00 : (17.6)
k
2 , μ2
Man erhält somit zunächst:
Abb. 17.1 Elektromagnetische ebene Wellen an der Grenzfläche zweier Me-
dien: einfallend (rot ), durchgehend (blau ) und reflektiert (gelb ). Gezeigt sind Einfallende, durchgehende und reflektierte Welle haben
jeweils beispielhaft einige Strahlen bzw. die zugehörigen Wellenvektoren
alle dieselbe Frequenz.
Wir setzen nun an, dass man im oberen Halbraum (z > 0) zwei Außerdem gilt bei monochromatischen elektromagnetischen
ebene Wellen hat – die einfallende und die reflektierte – im unte- Wellen, dass man die magnetische Flussdichte einfach aus dem
ren eine – die durchgehende (transmittierte), gebrochene Welle. elektrischen Feld berechnen kann mittels
Die Amplituden des elektrischen Feldes seien für die einfallen-
de Welle E0 , für die durchgehende E00 und für die reflektierte BD
c
.k E/: (17.7)
E000 ; die Wellenvektoren entsprechend k, k0 und k00 (Abb. 17.1) !
und die Frequenzen !, ! 0 und ! 00 . Damit haben wir:
Frage 2
E D E0 ei.kr!t/ ; Was folgt dann aus der Stetigkeit der magnetischen Feldstärke
0 0 bzw. Flussdichte?
E0 D E00 ei.k r! t/ ; (17.1)
i.k00 r! 00 t/
E00 D E000 e :
Nutzt man außerdem noch die bekannten Stetigkeitsbedingun-
gen für das magnetische Feld (Abschn. 15.2)
Um Beziehungen zwischen den Amplituden und den Wellen-
vektoren zu finden, betrachtet man die Stetigkeitsbedingungen B? C B00? D B0? I Hk C H 00k D H0k (17.8)
an der Grenzfläche. Diese hat den Normalenvektor eO z ; die Nor-
mal- und Tangentialkomponente eines gegebenen Vektors a aus, erhält man schließlich zusätzlich (die zeitlichen Exponen-
erhält man mittels tialfunktionen wurden bereits gekürzt):
0
i
Frage 1 k0 E00 eik r eO z D 0;
Erinnern Sie sich: Welche Komponenten der elektrischen Feld-
stärke bzw. Verschiebungsdichte sind jeweils stetig? 1 1 00 00
k E0 eikr C k E000 eik r (17.10)
1 1
1 0
Wie in Abschn. 14.2 gezeigt wurde, sind die Normalkomponen- k0 E00 eik r eO z D 0:
2
ten der Verschiebungsdichte und die Tangentialkomponenten
der Feldstärke stetig: Die Beziehungen (17.4), (17.5), (17.9) und (17.10) werden wir
erst im nächsten Abschnitt voll ausnutzen. Hier sollen zunächst
D? C D00? D D0? I Ek C E00k D E0k : (17.3) Beziehungen zwischen den Wellenvektoren hergeleitet werden.
588 17 Optik
Normale Teleskope für sichtbares Licht arbeiten mit Lin- sen. Um Strahlen in verschiedenen Abständen zur optischen
sen oder Parabolspiegeln, um das einfallende Licht in ei- Achse alle im selben Punkt zu bündeln, müssen mehrere
nem Brennpunkt zu bündeln. Bei Röntgenstrahlen ist beides solcher Anordnungen mit verschiedenen Radien ineinander-
kaum möglich: Der Brechungsindex für Röntgenstrahlung geschachtelt werden. Es entsteht ein sogenanntes Wolter-
ist sehr nahe an 1, sodass sie mit Linsen kaum zu bündeln Teleskop (nach seinem Erfinder, dem deutschen Physiker
ist. Andererseits durchdringt sie Materie sehr leicht und wird Hans Wolter, 1911–1978, benannt; Abb. 17.2).
kaum reflektiert, sodass auch eine Bündelung mit Parabol-
spiegeln nicht möglich erscheint.
Teil II
Abhilfe schafft hier die Totalreflexion. Der Brechungsindex
für Röntgenstrahlung in Materie ist knapp kleiner als 1 (die
Phasengeschwindigkeit in Materie ist also größer als die
Vakuumlichtgeschwindigkeit!), wohingegen der Brechungs-
index im Vakuum natürlich 1 ist. Der Übergang vom Vakuum
in Materie ist für Röntgenstrahlung damit ein Übergang in
ein optisch dünneres Medium – also ist dabei Totalreflexion
möglich.
Der Winkel zur Oberfläche muss dafür bei üblichen Me-
tallen kleiner als etwa 3ı sein, die Röntgenstrahlung muss
somit sehr flach streifend einfallen. Für die Bündelung al-
ler Strahlen in einem festen Abstand zu optischen Achse
sind deshalb Kombinationen aus Rotationsparaboloiden (wie
bei optischen Teleskopen) und -hyperboloiden nötig, die Abb. 17.2 Schematische Darstellung des Strahlengangs im Wolter-Tele-
wegen des flachen Einfalls sehr lang gezogen sein müs- skop des Chandra-Röntgenobservatoriums (© NASA/CXC/D. Berry 2009)
unveröffentlicht, sodass das Gesetz erst 1637 von Descartes Damit ist der Vektor k0 zwar komplex, aber dennoch ist k02 re-
erstmals publik gemacht wurde. Entsprechend ist es im engli- ell (was es wegen der Dispersionsrelation ja auch sein muss);
schen Sprachraum teilweise auch als das Snell-Descartes law dies ist möglich, weil der Real- und der Imaginärteil des Vek-
bekannt. tors senkrecht zueinander stehen: k0 D ky0 eOy C kz0 eO z mit reellem
ky0 und imaginärem kz0 . Im optisch dünneren Medium erfolgt so-
Eine schöne Anwendung findet das Brechungsgesetz bei der mit zwar eine Ausbreitung der Welle in y-Richtung, parallel zur
Entstehung eines Regenbogens (Aufgabe 17.1). Grenzfläche; in z-Richtung, senkrecht zur Grenzfläche, gibt es
Schließlich kann man auch noch kz0 ausrechnen: aber nur eine exponentiell mit dem Abstand zur Grenzfläche ab-
nehmende Schwingung. Es folgt also:
c21 2 n2
.kz0 /2 C k2 sin2 '1 D jk0 j D 2
k D 22 k2 ; (17.26) Ab einem Grenzwinkel
c2 n1
n2
sin '1;gr D (17.28)
also n1
s
n22
kz0 D k sin2 '1 D k0 cos '2 : (17.27) gibt es keine durchgehende Welle mehr, sondern nur noch
n21 eine reflektierte. Man spricht dementsprechend von Total-
reflexion.
(kz0 muss negativ sein, da die durchgehende Welle nach unten
weiterläuft.) Falls n2 < n1 ist (Übergang vom optisch dich-
teren ins optisch dünnere Medium), kann es aber passieren, dass Im Kasten „Anwendung in der Technik: Röntgenteleskope“
sin '1 > n2 =n1 ist – der Ausdruck unter der Wurzel würde dann wird beschrieben, warum die Totalreflexion in der Röntgen-
negativ werden, kz0 also rein imaginär. astronomie eine wichtige Rolle spielt.
Frage 4 Die geometrischen Verhältnisse sind nun geklärt; über die Am-
Wie verhält sich dann die Welle in diesem Bereich? plituden E0 , E00 und E000 haben wir bis jetzt aber noch überhaupt
nichts ausgesagt. Dies soll im nächsten Abschnitt geschehen.
590 17 Optik
a z b z
1, μ1 1, μ1
k k k k
E0 E0
y y
Teil II
k k
2, μ2 2, μ2
Abb. 17.3 Zum Einfluss der Polarisation bei der Brechung: Die Richtung der elektrischen Feldstärke kann (a) senkrecht zur Einfallsebene oder (b) parallel zur
Einfallsebene sein
Ein Spezialfall tritt auf, wenn '1 C'2 D 90ı ist, denn dann folgt Der Reflexionskoeffizient R ist definiert als das Verhältnis der
für parallel zur Einfallsebene polarisiertes Licht aus (17.37): reflektierten Leistung zur auf die Grenzfläche einfallenden Leis-
tung. Die Leistung ist proportional zur Energieflussdichte in der
E000 D 0: (17.39) elektromagnetischen Welle und diese wiederum zum Quadrat
der elektrischen Feldstärke. Somit hat man einfach
Es gibt also keinen reflektierten Strahl, der parallel zur Ein- 2
fallsebene polarisiert ist! Mithilfe des Brechungsgesetzes kann E000
RD : (17.42)
man den Einfallswinkel '1 , bei dem dies geschieht, bestimmen: E0
sin '2 D sin.90ı '1 / D cos '1 , und damit
Entsprechend ist der Transmissionskoeffizient T definiert als
n2 sin '1 das Verhältnis der Leistung im gebrochenen Strahl zur auf
D D tan '1 : (17.40)
n1 sin '2 die Grenzfläche einfallenden Leistung. Hier ist allerdings ei-
nerseits noch zu berücksichtigen, dass die Energieflussdichte
Dies definiert den Brewster-Winkel. proportional zum Brechungsindex ist, und andererseits, dass der
einfallende und der gebrochene Strahl einen unterschiedlichen
Winkel zur Grenzfläche haben.
Brewster-Winkel
Bei Einfall unter dem Winkel Frage 7
Wie muss man den Transmissionskoeffizienten also definieren?
n2
tan '1;Br D (17.41)
n1
Daraus ergibt sich ein unterschiedlicher Energiefluss senkrecht
zum Lot wird Licht, das parallel zur Einfallsebene polari- zur Grenzfläche, der durch einen zusätzlichen Kosinusfaktor be-
siert ist, nicht reflektiert. rücksichtigt werden muss. Insgesamt hat man dann
2 2
n2 cos '2 E00 tan '1 E00
(Benannt ist dieser Winkel nach dem schottischen Physiker Sir TD D : (17.43)
David Brewster, 1781–1868). n1 cos '1 E0 tan '2 E0
a b
R R
1 1
n1 /n2 = 1/1,33 n1 /n2 = 1,33/1
0,8 0,8
0,6 0,6
0,4 0,4
Teil II
0,2 R⊥ 0,2 R⊥
R R
ϕ1,gr
0 0
0◦ 20◦ 40◦ ϕ1,Br 80◦ ϕ1 0◦ 20◦ ϕ1,Br 60◦ 80◦ ϕ1
Abb. 17.4 Reflexionskoeffizenten für Polarisation senkrecht (R? , rot ) bzw. parallel (Rk , blau ) zur Einfallsebene beim Übergang vom optisch dünneren ins optisch
dichtere Medium (a) bzw. beim Übergang vom optisch dichteren ins optisch dünnere Medium (b)
In Abb. 17.4 sind die Reflexionskoeffizienten jeweils für Po- In vielen interessanten Fällen erfolgt die Änderung des Bre-
larisation senkrecht (R? ) und parallel zur Einfallsebene (Rk ) chungsindexes aber langsam verglichen mit der Wellenlänge.
dargestellt, in Abb. 17.4a für n1 < n2 (speziell n2 D 1; 33n1, Für diese Fälle kann man mithilfe der Eikonalgleichung die
dies entspricht z. B. einem Übergang von Luft in Wasser an ei- Ausbreitung der Wellen und damit auch die Form der Licht-
ner Seeoberfläche), in Abb. 17.4b für n2 > n1 (speziell n1 D strahlen berechnen.
1; 33n2 , also Übergang von Wasser in Luft).
In beiden Abbildungen sieht man zunächst, dass Rk beim
Brewster-Winkel '1;Br verschwindet. In Abb. 17.4b ist außer- Herleitung der Eikonalgleichung
dem die Totalreflexion zu erkennen: Für Winkel größer als '1;gr
sind beide Reflexionskoeffizienten gleich 1. Dies bedeutet an- Zunächst ist zu bemerken, dass in inhomogenen Medien im
schaulich, dass man nur eine Spiegelung des Seegrundes sieht, Allgemeinen sowohl als auch vom Ort abhängen. Dies ist
wenn man von unter Wasser aus unter solchen großen Winkeln eigentlich bei den Maxwell-Gleichungen zu berücksichtigen; es
(zum Lot) auf eine Seeoberfläche schaut; nur für kleinere Win- gilt beispielsweise
kel (zum Lot) kann man aus dem Wasser heraus die Umgebung
sehen. div D D div .E/ D E grad C div E: (17.45)
Sieht man von außen auf die Seeoberfläche, so ist für kleine
Da wir aber voraussetzen, dass sich der Brechungsindex nur
Winkel zum Lot, also wenn man nahezu senkrecht auf die Ober-
langsam ändert, können Ableitungen von und vernachläs-
fläche schaut, die Reflexion klein; in diesem Fall kann man den
sigt werden.
Seegrund gut erkennen. Für große Winkel zum Lot, also flachen
Blick auf die Seeoberfläche, ist dagegen die Reflexion groß, und Im Folgenden betrachten wir der Einfachheit halber nur eine
man sieht fast nur ein Spiegelbild der Umgebung. skalare Funktion ‰.r/; die Zeitabhängigkeit sei durch ei!t
gegeben. Außerdem verwenden wir die bekannte Dispersions-
relation
! !
kD 0 D n.r/ DW n.r/k0 ; (17.46)
17.3 Die Eikonalgleichung c .r/ c
wobei c0 die Lichtgeschwindigkeit im Medium ist, die nun
wegen des ortsabhängigen Brechungsindexes n ihrerseits orts-
Neben der Ausbreitung in homogenen Medien und dem Über-
abhängig ist.
gang zwischen zwei solchen Medien betrachtet man oft auch die
Lichtausbreitung in inhomogenen Medien wie beispielsweise Aus der Wellengleichung in nichtleitenden Medien
der Atmosphäre. Die Lichtstrahlen werden dann im Allgemei-
nen keine Geraden mehr sein, sondern gekrümmte Kurven. 0 ‰.r/ei!t D 0 (17.47)
17.3 Die Eikonalgleichung 593
folgt
C k02 n2 .r/ ‰.r/ D 0: (17.48) Eikonalgleichung
Zwischen dem Eikonal S und dem (ortsabhängigen) Bre-
Frage 8 chungsindex n besteht der Zusammenhang
Zeigen Sie dies.
.grad S.r//2 D n2 .r/; (17.55)
Zum Lösen dieser Gleichung schreiben wir die komplexe Funk-
sofern sich n nur langsam ändert.
tion ‰ als
‰.r/ D ‰0 .r/eik0 S.r/ (17.49)
mit reellen Funktionen ‰0 und S. Wie üblich ist dabei ‰0 die
Teil II
(nun ortsabhängige) Amplitude; die Phasenfunktion S heißt das
Eikonal. Die Bedeutung des Eikonals
Zunächst bemerken wir, dass für konstantes n die Lösungen von
(17.48) einfach wieder ebene Wellen wären, also
Zur Interpretation des Eikonals S entwickeln wir die Wel-
‰0 .r/e ik0 S.r/
D ‰0 e ikr
; (17.50) lenfunktion ‰ lokal in eine Taylor-Reihe, wobei wir wieder
verwenden, dass Ableitungen von ‰0 und von grad S vernach-
und damit lässigt werden können:
kr
S.r/ D ; (17.51)
k0 ‰.r0 C r0 / ‰0 .r0 / exp ik0 S.r0 / C grad Sjr0 r0 :
(17.56)
also
Wir definieren nun
k
‰0 D const und grad S D D const: (17.52) O 0 D ‰0 .r0 / exp Œik0 S.r0 /
k0 ‰ (17.57)
D .grad ‰0 .r// eik0 S.r/ (17.53) Lokal sieht die Welle also genauso aus wie eine ebene Welle
C ‰0 .r/ ik0 eik0 S.r/ grad S.r/ mit Amplitude ‰ O 0 , Wellenzahl k D k0 n und Ausbreitungsrich-
O
tung k.
ik0 ‰.r/grad S.r/;
ik0 grad S.r/ Œik0 ‰.r/grad S.r/ wobei jeweils entlang eines Weges bzw. Lichtstrahles von P zu
D k02 ‰.r/ .grad S.r//2 : Q zu integrieren ist.
Nach (17.58) ist die Richtung eines Lichtstrahles lokal jeweils
Frage 9 durch den Gradienten des Eikonals gegeben. Für die Länge ei-
Vollziehen Sie dies nach. nes infinitesimalen Wegstückes entlang eines Lichtstrahles kann
man also schreiben
Aus der Wellengleichung (17.48) folgt damit die Eikonalglei- grad S
O D dr kO D dr
ds D jdrj D jdrjjkj ; (17.61)
chung. n
594 17 Optik
Abb. 17.5 Verhalten einer ebene Welle bzw. von Lichtstrahlen beim Eindrin- französischen Mathematiker und Juristen Pierre de Fermat, et-
gen in ein inhomogenes Medium (rechte Hälfte ; die Stärke der Einfärbung stellt wa 1607–1665; siehe auch Abschn. 5.5).
die optische Dichte dar): Die Wellenfronten werden verzerrt, die Lichtstrahlen in
Richtung der zunehmenden optischen Dichte gebrochen
Fermat’sches Prinzip
Licht nimmt zwischen zwei Punkten stets den Weg, auf
wobei dr der Vektor von einem Punkt auf dem Lichtstrahl zu
dem es am wenigsten oder am meisten Zeit benötigt, oder,
einem infinitesimal benachbarten ist und ausgenutzt wurde, dass
äquivalent, auf dem die optische Weglänge extremal ist.
dr parallel zu kO ist. Damit ergibt sich für die optische Weglänge
ZQ
Dieses Prinzip kann also statt der Eikonalgleichung für die Be-
lopt D dr grad S D S.Q/ S.P/: (17.62)
rechnung von S benutzt werden. Auch das Reflexions- und das
P Brechungsgesetz können daraus hergeleitet werden; dies wird
dem Leser in Aufgabe 17.5 überlassen. Eine weitere Anwen-
Bedeutung des Eikonals dung zur Lichtausbreitung in inhomogenen Medien findet sich
in Aufgabe 17.6.
Das Eikonal ist ein Maß für die optische Weglänge.
Flächen gleicher Phase, also Wellenfronten, sind durch Dass die beiden Formulierungen des Prinzips äquivalent sind,
S D const festgelegt. lässt sich leicht zeigen: Den Ausdruck (17.60) für die optische
grad S gibt lokal die Ausbreitungsrichtung der Wel- Weglänge kann man mit der lokalen Lichtgeschwindigkeit
le, also die Strahlrichtung, an. Das heißt, Lichtstrahlen
ds c
folgen Kurven, zu denen an jedem Punkt der Vektor D c0 .r/ D (17.63)
grad S jeweils tangential ist, die also jeweils senkrecht dt n.r/
auf den Wellenfronten stehen.
einfach umschreiben:
Anzumerken ist noch, dass auch zwischen dem Eikonal und der ZtQ
Prinzipalfunktion, die bereits in Abschn. 7.3 diskutiert wurde, lopt D c dt D c tQ tP ; (17.64)
ein Zusammenhang besteht. Im Rahmen der semiklassischen tP
Näherung in der Quantenmechanik (Kap. 31) werden wir da-
rauf noch näher eingehen. woran man sofort sieht, dass eine extremale Laufzeit des Lichtes
Damit kann man die Lichtausbreitung in einem inhomogenen dasselbe bedeutet wie eine extremale optische Weglänge.
Medium nun qualitativ verstehen. In Abb. 17.5 fällt eine ebene
Begründen kann man das Fermat’sche Prinzip mithilfe der Inter-
Welle aus dem Vakuum auf ein Medium, in dem der Bre-
ferenz: Unterscheiden sich benachbarte Wege von einem Punkt
chungsindex von oben nach unten zunimmt (dargestellt durch
P zu einem Punkt Q stark in der optischen Weglänge, so treten
die zunehmende Einfärbung).
große Phasenverschiebungen auf, und die Wellen interferieren
In Bereichen mit größerem Brechungsindex (höherer optischer destruktiv. Unterscheiden sich die Weglängen benachbarter We-
Dichte) ist die Lichtgeschwindigkeit kleiner, die Welle kommt ge dagegen kaum, so interferieren die Wellen konstruktiv. Also
langsamer vorwärts; alternativ ausgedrückt: Für jeweils gleiche führt nur ein Weg, dessen Weglänge sich kaum von der be-
optische Weglänge ist der tatsächlich zurückgelegte Weg jeweils nachbarter Wege unterscheidet (und damit also extremal ist),
kleiner. Die Wellenfronten werden also wie in der Abbildung dazu, dass am Ende tatsächlich noch eine von null verschiede-
gezeigt verformt. Da die Lichtstrahlen immer senkrecht zu den ne Intensität und damit ein sichtbares Bild übrig bleibt. (Daher
Wellenfronten stehen, werden die Strahlen somit nach unten, zu stammt wohl letztlich auch der Name „Eikonal“: Das altgriechi-
den Bereichen größerer optischer Dichte hin, gekrümmt. Dies sche Wort eikon heißt „Bild“.)
17.3 Die Eikonalgleichung 595
Teil II
α
Deswegen kann man die Sonne selbst dann noch (direkt)
über dem Horizont sehen, wenn sie eigentlich schon unter-
gegangen ist (d. h., dass eine Gerade vom Beobachter zur Erde
Sonne den Erdboden schneiden würde). Da dieser Effekt von
der Höhe des beobachteten Gegenstands über dem Horizont
Abb. 17.6 Astronomische Refraktion: Da der Lichtweg in der Atmosphäre
abhängt, wirkt er außerdem auf den Teil der Sonne, der wei-
gekrümmt ist, scheinen die Sterne höher über dem Horizont zu sein, als sie
ter unten steht, stärker als auf die Teile weiter oben, sodass es eigentlich sind (der „Zenitwinkel“ ˛ 0 wird um ˇ auf ˛ verkleinert). Hier
die Sonne insgesamt „abgeplattet“ erscheinen kann (siehe ist der Effekt zur Verdeutlichung stark übertrieben dargestellt; in der Realität
das Eröffnungsbild dieses Kapitels). macht dies weniger als 1ı aus
Die Strahlengleichung (17.55) rein aus der obigen Identität (17.65) herleiten können –
dann wäre uns aber der Zusammenhang mit der Wellenoptik
entgangen.
In der oben angegebenen Form (17.55) ist die Eikonalgleichung
nur für sehr einfache Geometrien lösbar (Aufgabe 17.4). Man
schreibt sie deswegen zunächst noch etwas um. Benutzt man
(17.58), so ergibt sich die offensichtliche Identität Luftspiegelung über einer heißen Oberfläche
2
nkO D n2 : (17.65) Der Brechungsindex von Luft hängt von ihrer Dichte und
damit von ihrer Temperatur ab: Luft höherer Temperatur
Dann betrachtet man zwei infinitesimal benachbarte Punkte auf hat eine geringere Dichte und damit einen kleineren Bre-
einem Lichtstrahl mit Ortsvektoren r und r0 und schreibt damit chungsindex als kalte Luft. Somit führt eine Schichtung
O
dr D ds k; (17.66) von unterschiedlich warmen Luftmassen übereinander zu
einer gekrümmten Fortpflanzung von Lichtstrahlen. Dies
wobei ds die Länge des infinitesimalen Wegstückes entlang des
kann sogar dazu führen, dass ein Lichtstrahl, der aus-
Strahles vom einen Punkt zum anderen ist. Damit haben wir
gehend von einem Gegenstand ursprünglich nach unten
dann
dr dr 2 zeigte, so weit gekrümmt wird, dass er stattdessen nun
O
D k H) n D n2 : (17.67) nach oben verläuft. Für den Beobachter, den dieser Licht-
ds ds strahl erreicht, sieht es aus, als ob sich der Gegenstand am
Von der letzten Gleichung nehmen wir nun den Gradienten. Es Boden oder dicht darüber spiegelt – es entsteht also eine
ergibt sich Luftspiegelung (Fata Morgana).
dr dr
2n r n D 2n grad n: (17.68) Dies soll im Folgenden mithilfe der Strahlengleichung für
ds ds ein einfaches Beispiel vorgerechnet werden. Wir betrach-
ten zwei Luftschichten, die durch die x-Achse getrennt
Frage 10 seien (Abb. 17.7). In der oberen Schicht (Bereich I) sei
Rechnen Sie dies nach. der Brechungsindex konstant, in der unteren (die sich di-
rekt über dem Boden befinde; Bereich II) nehme er in
Abhängigkeit von y quadratisch ab:
Das kann man auch kurz schreiben als
d dr n0 für y > 0
n.r/ D grad n.r/: (17.69) n.y/ D (17.70)
ds ds n0 n1 y2 für y 0
Dies wird manchmal als die Strahlengleichung bezeichnet. Wir mit n0 & 1 und n1 > 0.
hätten sie natürlich auch ohne Kenntnis der Eikonalgleichung
596 17 Optik
r s !
Außerdem nehmen wir im Folgenden an, dass die Licht- n0 2n1
y.x/ D m sin x ; (17.78)
Teil II
x=0 x
17.4 Beugung
Bereich II
heiße Oberfläche Bisher wurde nur die Ausbreitung von Wellen bzw. Strahlen in
transparenten Medien oder an deren Grenzflächen untersucht.
Abb. 17.7 Der Strahlenverlauf bei einer Luftspiegelung über einer Nichttransparente Materie absorbiert (und reflektiert) elektro-
heißen Oberfläche: Luft höherer Temperatur (durch den Farbverlauf an- magnetische Wellen jedoch. Steht den Wellen ein Hindernis
gedeutet ) hat einen kleineren Brechungsindex, deshalb werden die entgegen, so ist deshalb zu erwarten, dass es Bereiche gibt,
Strahlen nach oben gebogen in die sie nicht gelangen können. Offensichtlich ist das beim
Schattenwurf beleuchteter Gegenstände. Unter gewissen Vor-
Betrachtet man nun die y-Komponente der Strahlenglei-
aussetzungen können die Wellen jedoch auch in die Bereiche
chung (der Gradient von n in x-Richtung ist natürlich
gelangen, die eigentlich abgeschirmt sind; man sagt hier, die
null), so hat man
Wellen werden um ein Hindernis herum gebeugt.
d dy.x/ dn
n.y/ D (17.76) Grundlage dafür ist das Huygens’sche Prinzip, das besagt, dass
dx dx dy man sich jeden Punkt einer Wellenfront als Ausgangspunkt ei-
ner Kugelwelle vorstellen kann. Der niederländische Astronom,
17.4 Beugung 597
Teil II
rP
r r
Abkürzung r? 0
D n r 0 eingeführt wurde (der Normalenvek- Frage 12
tor n zeigt dabei wie üblich nach außen). Dieser Ausdruck wird Vollziehen Sie die Zwischenschritte nach.
auch als Kirchhoff’sches Integral bezeichnet.
Kirchhoff traf nun einige Annahmen.
Ebenso folgt
Annahmen der Kirchhoff’schen Beugungstheorie 0 eikRP 1 eikRP
r? D cos ˚P ik (17.91)
Auf der Blende A1 gilt: RP RP RP
Abwesenheit des Schirmes, also Öffnungen angenommen wurden, hat man sicher
eikjrrP j 2 1 1
‰.r/jÖffnungen D C (17.88) kD und k : (17.92)
jr rP j R RP
mit einer Konstanten C. Damit bleibt
Z
C eikRP eikR
Beide Annahmen sind eigentlich mathematisch inkonsistent: ‰.r/ D df 0 .cos ˚P C cos ˚/ : (17.93)
4 RP R
Ö
(a) Man kann zeigen, dass ‰ überall verschwinden muss, wenn
auf einem endlichen Flächenstück sowohl ‰ selbst als auch
die Normalableitung von ‰ verschwindet. Im Folgenden betrachten wir nur kleine Winkel, also senkrech-
(b) Berechnet man ‰ in den Öffnungen mit (17.87), so ergeben ter Einfall und nahezu senkrechter Ausfall der Wellen. Letzteres
sich nicht dieselben Werte wie bei Abwesenheit des Schir- ist erfüllt, wenn die Abmessungen der Öffnung groß verglichen
mes. mit der Wellenlänge sind, wie wir im nächsten Unterabschnitt
sehen werden. Dann haben wir
Zur Behebung dieser Probleme müsste man eine andere
eikRP
Green’sche Funktion verwenden, die sinnvolle Dirichlet’sche const und cos ˚P C cos ˚ 2; (17.94)
oder Neumann’sche Randbedingungen auf A1 berücksichtigt. RP
Aber Kirchhoffs Ansatz liefert trotz dieser Inkonsistenzen in
den meisten praktischen Fällen sinnvolle Ergebnisse; wir wer- und es ergibt sich schließlich einfach
den hier deshalb weiter damit arbeiten. Eine genauere Diskus- Z
sion dieser Thematik findet sich ebenfalls in Jackson (2006); eikR
‰.r/ C0 df 0 ; (17.95)
weiter unten wird noch kurz darauf eingegangen, wie sich die R
notwendigen Änderungen auswirken. Ö
Berücksichtigt man die Kirchhoff’schen Annahmen und setzt wobei die Konstanten zu C0 zusammengefasst wurden. Damit
die expliziten Ausdrücke für ‰ und G ein, so hat man ist das Huygens’sches Prinzip gezeigt.
Z
C eikR 0 eikRP eikRP 0 eikR
‰.r/ D df 0 r? r ; (17.89) Huygens’sches Prinzip
4 R RP RP ? R
Ö
Von jedem Punkt der Öffnung geht eine Kugelwelle aus,
0 0 deren Stärke von der einfallenden Welle bestimmt wird;
wobei zur Abkürzung RP D r rP und R D r r geschrieben
das gesamte Feld ergibt sich durch Addition all dieser Ku-
wurde und nur über die Öffnungen (Ö) zu integrieren ist. Wir
gelwellen.
berechnen nun die Ableitungen:
Schatten Dieses Bild ist natürlich nur sehr qualitativ zu verstehen; in rea-
len Fällen hat man meist keine klar gegeneinander abgegrenzten
Beugung Bereiche von „geometrischem Bild“, „Beugungsbereich“ und
θ
„Schatten“, sondern die einzelnen Bereiche gehen kontinuier-
lich ineinander über. Außerdem gibt es im Allgemeinen nicht
nur jeweils einen Bereich mit konstruktiver und destruktiver In-
terferenz, sondern die Bereiche wechseln sich ab. Dennoch ist
geometrische es in dem Bereich, in dem laut geometrischer Optik das meiste
Lichtausbreitung Licht sein sollte, auch in praktisch allen realistischen Beispielen
tatsächlich am hellsten, und der Bereich, in dem laut geometri-
scher Optik Schatten sein sollte, ist dunkler.
Die Größe des Beugungswinkels kann man qualitativ abschät-
Teil II
θ zen: Durch die Blende wird aus der ebenen Welle ein Teil der
Beugung
Breite a „ausgeschnitten“. Der Breite a im „normalen“ Raum
entspricht laut der Theorie der Fourier-Transformation aber ei-
ne Breite k im „Wellenzahlraum“, wobei
einfallende Blende Kugelwellenfronten
ebene Welle
k a 2 (17.96)
Abb. 17.9 Beugung an einer rechteckigen Öffnung bzw. einem Spalt: einfal-
gilt (vgl. die Breiten der Gauß-Kurven im Beispiel in Ab-
lende ebene Welle, auslaufende Kugelwellen, Verlauf der Strahlen laut geome-
trischer Optik und laut Beugungstheorie schn. 13.1); die „Unschärfe“ k gilt dabei für die Komponente
des Wellenzahlvektors parallel zur Öffnung. Für den Winkel (im
Bogenmaß) gilt andererseits aber auch
Beugung, qualitativ erklärt k
: (17.97)
k
Eine anschauliche Vorstellung von den Vorgängen an einer Öff- Insgesamt ergibt sich
nung in einer Blende erhält man, wenn man sich zunächst eine
rechteckige Öffnung der Breite a anschaut. Dies ist in 2
Abb. 17.9 qualitativ dargestellt. Wir betrachten dabei nur die D ; (17.98)
ak a
Vorgänge in einer Ebene, die Ausdehnung der Öffnung senk-
recht dazu wird ignoriert bzw. als unendlich groß betrachtet der Beugungswinkel ist also grob von der Größenordnung der
(„Spalt“). Wellenlänge geteilt durch die Breite der Öffnung. Damit ist
nun auch gezeigt, dass die Kleinwinkelnäherung tatsächlich
Da die Quelle als weit entfernt angenommen wird, können wir gerechtfertigt ist, wenn die Öffnung sehr viel größer als die
die einfallende Welle als (nahezu) eben betrachten. Laut dem Wellenlänge ist. Speziell für sichtbares Licht ergibt sich bei ei-
Huygens’schen Prinzip kann man dann jeden Punkt der Öff- ner Spaltbreite von 5 mm (z. B. Türspalt) ein Winkel von der
nung als Quelle einer Kugelwelle betrachten. Für einige Punkte Größenordnung weniger Bogenminuten – mit bloßem Auge al-
in der Öffnung sind jeweils zwei Wellenfronten dieser Kugel- so nicht zu erkennen.
wellen (zu zwei unterschiedlichen Radien) dargestellt.
Dort, wo sich die Wellenfronten alle überlagern, hat man
konstruktive Interferenz, d. h. die Wellen verstärken sich ge-
genseitig – man sieht dort also Licht. In Abb. 17.9 ist dieser Fraunhofer’sche Beugung
Bereich jeweils durch eine gelbe Linie markiert. Er ist parallel
zur Öffnung und hat etwa dieselbe Größe; dies entspricht dem In vielen Fällen ist die Ausdehnung d der Öffnung klein vergli-
Strahlenverlauf in der geometrischen Optik: Das Bild des Spal- chen mit dem Abstand des Schirmes. Gilt insbesondere
tes (bei senkrechtem Lichteinfall auf die Blende) ist eine helle
Fläche von derselben Größe wie der Spalt. d d2
; also 1; (17.99)
R d R
Allerdings erstreckt sich dieser Bereich bei genauerer Betrach-
tung doch etwas über die eigentliche Spaltbreite hinaus. Selbst so spricht man von Fraunhofer-Beugung (nach dem deutschen
bei parallelem Einfall der Lichtstrahlen können diese auch Physiker Joseph von Fraunhofer, 1787–1826). Ist diese Nähe-
in Bereiche gelangen, die laut geometrischer Optik eigentlich rung nicht brauchbar, gilt aber immer noch .d=R/2 =d,
nicht zugänglich sein sollten. Dies ist die Beugung der Licht- so hat man Fresnel-Beugung. Im Rahmen der Kirchhoff’schen
strahlen. In Bereiche noch weiter außen gelangt kein Licht, dort Beugungstheorie wurde außerdem bereits vorausgesetzt, dass
hat man also Schatten (genauer: destruktive Interferenz – die =d 1 ist. Dennoch ist in vielen realen Sitationen der Ab-
Kugelwellen löschen sich dort gegenseitig aus). stand R so groß, dass auch (17.99) erfüllt ist.
600 17 Optik
Fraunhofer-Beugung
Die Amplitude ‰ am Ort r ergibt sich mittels des folgen-
RO den Integrals über die Öffnung(en) in der Blende:
Z
eikRO
O ‰.r/ C0 d2 x eikx ; (17.105)
R RO
Ö
x
wobei O ein beliebig gewählter Punkt in der Öffnung ist,
RO der Vektor von diesem Punkt zum Beobachter und x
ein Vektor, der von O aus die anderen Punkte der Öffnung
Teil II
r rO RO
Abb. 17.10 Vektoren zur Berechnung der Fraunhofer-Beugung an einer belie- kDk Dk : (17.106)
bigen Öffnung: O ist ein beliebiger fester Punkt in der Öffnung, der Vektor x jr rO j RO
überstreicht die anderen Punkte der Öffnung, RO geht von O zum Beobachter
Teil II
RO d' eiz cos ' D 2 J0 .z/; (17.117)
Ö
0
Das Integral ist nun aber (bis auf Vorfaktoren) nichts anderes
als die (zweidimensionale) Fourier-Transformierte von C0 .x/. wobei J0 die Bessel-Funktion erster Art und nullter Ord-
Deshalb rechnet man die Fraunhofer-Beugung zur sogenannten nung ist (siehe Abschn. 16.1). Damit haben wir zunächst
Fourier-Optik.
k%Z0 sin
Beugung an einer kreisförmigen Öffnung 2
A. / D z J0 .z/ dz: (17.118)
k2 sin2
In optischen Anwendungen hat man oft den Fall, dass 0
Wir benutzen Gleichung (17.110), die sich aus der Fraun- aus der mathematischen Literatur leicht ausführbar, wo-
hofer-Näherung ergibt. Das Integral über die Öffnung ist bei J1 nun die Bessel-Funktion erster Art und erster
nun einfach ein Integral über eine Kreisscheibe mit Ra- Ordnung ist, und man erhält
dius %0 , die in der x-y-Ebene liegt und deren Mittelpunkt
der Ursprung ist. 2 k%0 sin 2J1 .k%0 sin /
A. / D J1 .k%0 sin / D A
k2 sin2 k%0 sin
Welche Koordinatenwahl liegt nun nahe? (17.120)
mit dem Flächeninhalt A D %20 der Kreisöffnung.
Dementsprechend verwenden wir Polarkoordinaten % und
' für den Vektor x; der Vektor rO habe die Winkel 'r und Speziell in geometrischer Strahlrichtung hat man damit
(letzteren zur z-Achse). Dann hat man zunächst das konsistente Ergebnis
rO x D % sin .cos ' cos 'r C sin ' sin 'r / 2J1 .z/
(17.113) A.0/ D A lim D A: (17.121)
D % sin cos.' 'r / z!0 z
und damit Die Intensität I auf dem Schirm ergibt sich also zu
Z%0 Z2 2
I. / 2J1 .k%0 sin /
A. ; 'r / D % d% d' eik% sin cos.''r / : (17.114) D : (17.122)
I.0/ k%0 sin
0 0
Macht man die Variablentransformation ' 'r ! ' und Diese Größe ist in Abb. 17.11 für k%0 D 10 in Abhän-
nutzt die Periodizität des Kosinus aus, vereinfacht sich gigkeit des Winkels dargestellt. Abbildung 17.12 zeigt
das zunächst zu das sich ergebende Beugungsbild direkt. Dieses Bild
wird auch als Beugungsscheibchen oder Airy-Scheib-
Z%0 Z2
chen bezeichnet (nach dem englischen Mathematiker und
A. / D % d% d' eik% sin cos ' (17.115) Astronomen Sir George Biddell Airy, 1801–1892). Insbe-
0 0 sondere sieht man, dass auf der z-Achse, also direkt in
602 17 Optik
Blickrichtung zur Quelle, die Intensität immer am höchs- und für die Intensität auf der z-Achse gilt
ten ist.
ˇ ˇ
ˇZ 2 ˇ2
1 ˇ ikx ˇ
I(θ)/I(0)
I0 / 2 ˇ d2 x exp ˇ
ˇ 2RO ˇˇ
1 RO ˇ
Ö
ˇ% ˇ (17.124)
ˇZ 0 2 ˇ2
0,8 4 2 ˇˇ ik% ˇˇ
D 2 ˇ % d% exp ;
RO ˇ 2RO ˇˇ
0
0,6
Abb. 17.12 Das Beugungsbild, das bei Fraunhofer-Beugung an einer Abschließend sei noch ein allgemeines Resultat zur Beugung
kreisförmigen Öffnung entsteht. Das erste Maximum ist im Vergleich mit genannt, das vom französischen Physiker Jacques Babinet
den folgenden sehr groß; damit man die weiteren Maxima noch erkennt, (1794–1872) im Jahre 1837 aufgestellt wurde.
ist hier ein „überbelichtetes“ Bild gezeigt: Alle Intensitäten, die größer
als 20 % der Intensität des Hauptmaximums sind, sind weiß dargestellt
(siehe die angegebene Farbskala) Babinet’sches Prinzip
Beschränkt man sich auf einen Beobachter auf der z-Ach- Die Beugungsbilder einer Blende und der dazu komple-
se, so kann die Rechnung aber auch für Fresnel-Beugung mentären Blende sind gleich.
durchgeführt werden. Man hat dann k x D 0. Damit
bleibt vom Exponentialfaktor in (17.102) nur
2 „Komplementäre Blende“ heißt dabei, dass in der ursprüng-
eikR eikRO ikx
exp ; (17.123) lichen Blende jeweils Öffnungen durch undurchlässige Teile
R RO 2RO ersetzt werden, und umgekehrt (Abb. 17.14). Unter dem Beu-
gungsbild versteht man hier den Anteil des Bildes auf dem
17.4 Beugung 603
Beugung an (kreisförmigen) Öffnungen stellt für optische von derselben Größenordnung wie die Begrenzung des Auf-
Instrumente wie Mikroskope und Teleskope, aber auch für lösungsvermögens, die durch Luftunruhen entsteht. Auch
das Auge, ein Problem dar: Sie begrenzt die Auflösung. durch Verwendung größerer Teleskope ist die Auflösung also
Unter dem Auflösungsvermögen eines optischen Instruments kaum noch zu steigern.
versteht man dabei anschaulich den kleinsten noch wahr-
Das menschliche Auge erreicht dagegen selbst unter idealen
nehmbaren Abstand zweier punktförmiger Objekte.
Bedingungen nur ein Auflösungsvermögen von etwa einer
Als Kriterium dafür benutzt man, dass sich die Beugungs- halben bis zu einer Bogenminute; dies entspricht etwa einem
scheibchen zweier benachbarter Punktquellen überlappen, Punktabstand von 1 mm in einer Entfernung von 3–6 m.
Teil II
genauer: dass das erste Minimum des Beugungsbildes einer
Punktquelle gerade mit dem mittleren Maximum einer dane-
benliegenden Punktquelle zusammenfällt (Abb. 17.13). Bei
Teleskopen spricht man hier vom Rayleigh-Kriterium, bei
Mikroskopen von der Abbe’schen Auflösungsgrenze (nach
dem deutschen Physiker Ernst Abbe, 1840–1905); beide be-
deuten letztlich genau dasselbe.
Allgemein wird das erste Minimum der Intensität durch die
erste Nullstelle z1 3;8317 der Funktion J1 .z/ bestimmt,
befindet sich also beim Winkel
3;8317
sin 1 1;22 ;
k%0 d
und ebenso für das Feld ‰ c , das sich bei der komplementären
Blende ergeben würde:
‰ c D ‰geo
c
C ‰beug
c
: (17.128)
‰geo C ‰geo
c
D ‰0 : (17.129)
Blende komplementäre Blende
Andererseits ist nach Kirchhoffs Annahmen das Feld in den Öff-
nungen jeweils gleich dem ungestörten Feld. Damit gilt in der Abb. 17.14 Eine Blende und die dazu komplementäre Blende
604 17 Optik
Ebene der Blende (und deshalb auch im gesamten Raum) eben- Die Feldstärke des gebeugten Anteils ist also bei der komple-
falls mentären Blende gleich groß, aber um 180ı phasenverschoben
gegenüber der ursprünglichen Blende. Da aber die Intensität I
‰ C ‰ c D ‰0 : (17.130)
proportional zum (Betrags-)Quadrat der Feldstärke ist, folgt
Insgesamt folgt aus diesen beiden Gleichungen leicht I c D I; (17.132)
‰beug
c
D ‰beug : (17.131) was zu zeigen war.
Aufgaben 605
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
17.1 Regenbogen Die Abbildung illustriert, wie gesuchten Ergebnisse zu erhalten, ist an mehreren Stellen die
Sonnenlicht in einem Regentropfen gebrochen wird. Anwendung der trigonometrischen Additionstheoreme nötig.
17.1 Zunächst überlegt man sich, dass der Lichtstrahl bei Ein- mit eO z den Winkel 90ı '1 einschließt und E00 mit eO z den Winkel
und Austritt in den Regentropfen jeweils um den Winkel '1 '2 90ı '2 , aber E000 mit eO z den Winkel .90ı '1 /. Aus (17.5)
nach rechts gedreht wird und bei der Reflexion um 180ı 2'2 , folgt dann mit
insgesamt also um ' D 180ı C 2'1 4'2 . Damit ergibt sich
E0 eO z D E0 sin.90ı '1 /Oex D E0 cos '1 eO x (17.146)
ı
'3 D 180 ' D 4'2 2'1 ; (17.137)
und ebenso für die anderen beiden Summanden, dass
Teil II
und mit dem Brechungsgesetz folgt
E0 cos '1 E000 cos '1 E00 cos '2 D 0 (17.147)
n1
'3 D 4 arcsin sin '1 2'1 : (17.138)
n2 gelten muss und deshalb
'3 ist unabhängig von kleinen Änderungen in '1 , wenn cos '1
E00 D .E0 E000 /: (17.148)
cos '2
d'3
D0 (17.139)
d'1 Ähnlich liefern (17.4) und (17.10) die beiden Bedingungen
p
Benutzt man das Brechungsgesetz und n D , so folgt aus
Daraus erhält man zunächst leicht
beiden Gleichungen
2 2
n1 n1
16 cos '1 D 4 4
2
sin2 '1 : (17.141) sin '1 0
n2 n2 E0 C E000 E D 0: (17.150)
sin '2 0
Verwendet man dann sin2 '1 D 1 cos2 '1 und führt einige
Setzen wir darin das Ergebnis für E00 von oben ein und teilen
algebraische Umformungen durch, so hat man schließlich
noch durch E0 , so bleibt
v !
u
u 1 n2 2 E000 sin '1 cos '1 E000
cos '1 D t 1 : (17.142) 1C 1 D0 (17.151)
3 n1 E0 sin '2 cos '2 E0
Verfährt man im Nenner ebenso, bleibt (b) Bei Polarisation parallel zur Einfallsebene hat man
E000 sin.'1 '2 / cos.'1 C '2 / tan.'1 '2 /
D D : (17.154) tan.'1 '2 / 2
E0 sin.'1 C '2 / cos.'1 '2 / tan.'1 C '2 / Rk D ;
tan.'1 C '2 /
Aus dem Ergebnis, das wir oben aus (17.5) gewonnen hatten, 2 (17.163)
tan '1 2 sin '2 cos '1
folgt außerdem Tk D :
tan '2 sin.'1 C '2 / cos.'1 '2 /
E00 cos '1 E00
D 1 0 : (17.155) Den Reflexionskoeffizienten kann man zunächst umschrei-
E0 cos '2 E0
ben als
Setzen wir nun das Ergebnis für E000 =E0 (vor den letzten Umfor- 2
mungen) darin ein, so haben wir sin.'1 '2 / cos.'1 C '2 /
Rk D : (17.164)
Teil II
E00 cos '1 sin '1 cos '1 sin '2 cos '2 sin.'1 C '2 / cos.'1 '2 /
D 1
E0 cos '2 sin '1 cos '1 C sin '2 cos '2 Damit haben beide Brüche wieder einen gemeinsamen Fak-
(17.156)
2 sin '2 cos '1 tor im Nenner, und es genügt, die restlichen Terme zu
D :
sin '1 cos '1 C sin '2 cos '2 betrachten. Beim Transmissionskoeffizienten ergibt sich ge-
nau wie oben zunächst
Den Nenner kann man wie eben umschreiben, sodass sich
schließlich ergibt: tan '1
.2 sin '2 cos '1 /2 D 4 sin '1 sin '2 cos '1 cos '2 :
E00 2 sin '2 cos '1 tan '2
D : (17.157) (17.165)
E0 sin.'1 C '2 / cos.'1 '2 / Beim Reflexionskoeffizienten haben wir zu berechnen:
In der Summe ergibt sich somit wieder genau der gemeinsa- Die Quotienten links und rechts sind aber nun nichts anderes
me Nenner, und es gilt tatsächlich als der jeweilige Sinus des zugehörigen Winkels. Wir haben
also
Rk C Tk D 1: (17.169) sin ˛ D sin ˇ; (17.181)
und da ˛ und ˇ beide offensichtlich zwischen 0ı und 90ı
17.4 liegen müssen, folgt sofort
(a) Bei einer ebenen Welle ist ˛ D ˇ; (17.182)
‰.r/ D ‰0 e ikr
(17.170) was zu zeigen war.
mit konstanten ‰0 und k. Vergleicht man mit dem allgemei- (b) Die optische Weglänge ist in Abhängigkeit von x:
p p
Teil II
nen Ansatz zur Lösung von (17.48), so ist
lopt .x/ D n1 x2 C h2 C n2 .a x/2 C b2 : (17.183)
k r D k0 S.r/: (17.171)
Dies soll extremal sein:
Es gilt also
kr dlopt .x/
S.r/ D D nkO r: (17.172) D 0: (17.184)
k0 dx
Aus dieser Bedingung ergibt sich leicht Das führt zunächst auf
x ax d n.y/y0 p
p D p : (17.180) p n0 .y/ 1 C y02 D 0 (17.190)
x2 C h2 .a x/2 C b2 dx 1 C y02
610 17 Optik
Da sicher n > 0 ist, folgt, dass die Vorzeichen von y00 und n0 Aus der Randbedingung y.0/ D 0 folgt k D 0 und damit
Teil II
gleich sind. Nimmt n0 nach oben zu, also n0 > 0, gilt deshalb letztlich
auch y00 > 0. Das bedeutet aber, dass der Lichtstrahl links- n0 n1
gekrümmt ist, d. h. in die Richtung der größeren optischen y.x/ D cosh x 1 : (17.204)
n1 n0
Dichte. Entsprechend argumentiert man für n0 < 0.
(c) Wir bringen alle Terme mit Ableitungen von y auf eine Seite, 17.7 Wir benutzen das Ergebnis (17.110) mit
alle Terme mit n und Ableitungen davon auf die andere Seite Z
und multiplizieren mit y0 : 0
A.x; y/ D d2 x0 eikOrx (17.205)
0 00 0 0
yy ny Ö
D : (17.193)
1 C y02 n und Z
Berücksichtigt man, dass AD d2 x0 : (17.206)
Ö
dn dy dn.y.x//
n0 y0 D D (17.194) Für den Einheitsvektor können wir schreiben:
dy dx dx 0 1 0 1
1 x x=D
ist, so kann man dies auch schreiben als rO D p @ y A @y=DA (17.207)
D2 C x2 C y2 D 1
1 d d
ln.1 C y02 / D ln n: (17.195)
2 dx dx Hier wurde x D und y D genähert, da die Fraunhofer’sche
Näherung ja nur für kleine Winkel gilt. Damit haben wir dann
Aufintegrieren ergibt
xx0 yy0
p rO x0 D C : (17.208)
ln 1C y02 D ln n C k: (17.196) D D
Außerdem definieren wir die Abkürzungen
Die Integrationskonstante kann aus den Randbedingungen
y.x0 / D y0 .x0 / D 0 zu k D ln n.0/ bestimmt werden. ka kb
˛D und ˇ D : (17.209)
Damit folgt das angegebene Ergebnis. D D
(d) Für y D a.x x0 /2 hat man y0 D 2a.x x0 /, also gilt
(a) Beschreibt man die vier Öffnungen mit Deltafunktionen, al-
y.x0 / D y0 .x0 / D 0, und das Ergebnis aus (c) kann ver-
so ı.x0 a/ı.y0 b/ usw., so ergeben die Integrale über die
wendet werden:
Blendenöffnung(en) hier insgesamt
p p
n.y/ D n.0/ 1 C y02 D n.0/ 1 C 4a2 .x x0 /2 : A.x; y/ D ei.xa=DCyb=D/ C ei.xa=DCyb=D/
(17.197)
Für a.xx0 /2 kann man hier aber einfach wieder y einsetzen; C ei.xa=Dyb=D/ C ei.xa=Dyb=D/
es ergibt sich p D eikxa=D C eikxa=D eikyb=D C eikyb=D
n.y/ D n.0/ 1 C 4ay: (17.198)
D 4 cos.˛x/ cos.ˇy/
(e) Aus Teilaufgabe (c) erhalten wir (17.210)
p und
n0 C n1 y D n0 1 C y02 (17.199) A D 4: (17.211)
Damit haben wir einfach
und damit s
n1 2 I
D cos2 .˛x/ cos2 .ˇy/:
y0 D 1 C y 1: (17.200) I0
(17.212)
n0
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 611
(b) Wir integrieren entlang der Kanten; bei den Kanten in x0 - Damit haben wir
Richtung hat man Deltafunktionen ı.y0 b/ bzw. ı.y0 C b/,
I a sin.˛x/ b sin.ˇy/ 2
bei den Kanten in y0 -Richtung entsprechend Deltafunktio- D cos.ˇy/ C cos.˛x/ :
nen für x0 . Damit ergibt sich I0 a C b ˛x aCb ˇy
(17.215)
Za
0
A.x; y/ D dx0 eikxx =D eikyb=D C eikyb=D (c) Hier muss über das ganze Rechteck integriert werden:
a Za Zb
0 0
Zb A.x; y/ D dx0 eikxx =D dy0 eikyy =D
ikyy0 =D
C eikxa=D C eikxa=D dy0 e a b
b eikxa=D eikxa=D eikyb=D eikyb=D (17.216)
(17.213) D
Teil II
ikxa=D
eikxa=D
e ikx=D iky=D
D 2 cos.kyb=D/
ikx=D sin.˛x/ sin.ˇy/
D4 :
eikyb=D eikyb=D ˛x=a ˇy=b
C 2 cos.kxa=D/
iky=D Außerdem ist offensichtlich
sin.˛x/ sin.ˇy/
D4 cos.ˇy/ C 4 cos.˛x/ : A D 4ab: (17.217)
˛x=a ˇy=b
Damit haben wir
Außerdem erhält man
I sin.˛x/ 2 sin.ˇy/ 2
D : (17.218)
A D 4a C 4b: (17.214) I0 ˛x ˇy
612 17 Optik
Literatur
Teil II
gegeneinander bewegte
Beobachter zu
transformieren?
Welche Material-
18.1 Repetitorium: Spezielle Relativitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 614 gleichungen haben
18.2 Manifest Lorentz-kovariante Maxwell-Gleichungen . . . . . . . . . . . 617 bewegte Medien?
18.3 Lorentz-Transformation von Feldstärken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
18.4 Elektromagnetische Viererkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625
18.5 Relativistische Effekte in der Wellenausbreitung . . . . . . . . . . . . . 627
18.6 Relativistische Elektrodynamik in Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . 629
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 636
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 639
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_18, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 613
614 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Schon vor der Formulierung der speziellen Relativitätstheorie durch Die solchermaßen definierten Koordinaten werden durch
Einstein hatten Lorentz und Poincaré das Transformationsverhalten 0 01
elektromagnetischer Felder unter einem Wechsel des Inertialsys- x
tems herausgefunden und waren dabei auf die Effekte der Lorentz- Bx1 C ct
B C
.x / D @ 2 A WD ; 2 f0; 1; 2; 3g (18.1)
Kontraktion und sogar der Zeitdilatation gestoßen. Einsteins spezi- x r
elle Relativitätstheorie und insbesondere der „Viererformalismus“ 3
x
des Minkowski-Raumes, in dem das Newton’sche Konzept der ab-
soluten Zeit aufgegeben wird, erlaubt es, die Maxwell-Gleichungen in einen Viererortsvektor zusammengefasst. Hierbei wird durch
in eine elegante und auch praktische Lorentz-kovariante Form zu Multiplikation mit der Lichtgeschwindigkeit c aus der Zeitkoor-
bringen, in der elektrische und magnetische Felder endgültig ver- dinate eine Koordinate mit der physikalischen Dimension einer
einheitlicht werden. Länge gemacht und als nullte den drei räumlichen hinzugefügt.
Räumliche Indizes werden weiter mit lateinischen Buchstaben
Zu diesem Zweck werden wir in Abschn. 18.1 zunächst die Viererno-
Teil II
In Vierernotation schreiben wir eine solche Lorentz-Transfor- Für endliche Differenzen von Koordinaten x D x .E1 /
mation als x .E2 /, also für nicht nur infinitesimal separierte Ereignisse
x0 D x ; (18.4) E1;2 , definiert
s2 D x x (18.13)
wobei wir die Einstein’sche Summenkonvention auf Viererin-
dizes ausdehnen, mit der zusätzlichen Vereinbarung, dass bei einen Lorentz-invarianten (für alle Inertialsysteme gleichen)
Summationen immer ein Index unten und einer oben zu schrei- „Abstand“, der positiv, null oder negativ sein kann.
ben ist. Die allgemeineren Poincaré-Transformationen unter-
scheiden sich davon nur durch die mögliche Verschiebung der Der Wert s2 D 0 bedeutet, dass die beiden Ereignisse durch
vier Koordinatenursprünge durch einen konstanten Vierervektor Lichtsignale miteinander verbunden werden können. Dieser Ab-
b : stand heißt dann lichtartig. Ist s2 > 0, heißt der Abstand
x0 D .x b /: (18.5) zeitartig, da x0 D ct dominiert. Dann reicht eine Geschwin-
digkeit kleiner als die Lichtgeschwindigkeit, um E1 und E2
Teil II
Bei Koordinatendifferenzen und -differenzialen fallen die Kon- miteinander zu verbinden. In diesen beiden Fällen ist das Ereig-
stanten b heraus, sodass diese immer homogen transformie- nis mit der größeren Koordinatenzeit kausal durch das andere
ren: beeinflussbar und liegt somit in der Zukunft des letzteren. Man
dx0 D dx : (18.6) sagt dazu auch, es liegt im Vorwärtslichtkegel. Wenn s2 < 0
ist, heißt der Abstand raumartig, und die Ereignisse sind kausal
Unter Verwendung der Einstein’schen Summenkonvention entkoppelt. Es lässt sich dann sogar immer ein Inertialsystem
schreiben wir ds2 als finden, in dem x0 D 0 ist, sodass für dieses System die Er-
eignisse gleichzeitig sind. Die nicht positiv definite Metrik
ds2 D dx dx (18.7) legt also die Kausalstruktur des Raumes fest.
Die Komponenten x bzw. dx heißen kontravariante Kompo-
mit der Minkowski-Metrik nenten, weil sie sich unter Lorentz-Transformation entgegen-
0 1 gesetzt zu einem System von (abstrakten) Basisvektoren e
1 0 0 0
transformieren, mit denen analog zu (2.1) ein physikalischer
B0 1 0 0C
. / D @ : Vektor als x D x e zu verstehen ist.
0A
(18.8)
0 0 1
0 0 0 1 Wegen der Invarianz von ds2 transformieren die Größen
ds2 D dx dx D dx0 dx0 ebenfalls entgegengesetzt zu dx und somit gleich wie die Ba-
(18.9)
D dx dx : sisvektoren. Sie heißen deshalb kovariante Komponenten.
Der Zusammenhang a D a für die Komponenten eines
Lorentz-Transformationen sind also charakterisiert durch (nach
allgemeinen Vierervektors a lässt sich auch invertieren und als
Umbenennen von Summationsindizes)
a D a (18.15)
D : (18.10)
schreiben, wobei . / die inverse Matrix von . / ist, für
Als Matrizen angeschrieben, wo der erste Index immer die Zei-
die
len und der zweite die Spalten durchnummeriert, lautet dies
D ı (18.16)
> D : (18.11) gilt, wobei ı das übliche Kronecker-Symbol darstellt,
Für die Standard-Lorentz-Transformation (18.3) hat die Trans-
1 D
position der ersten Matrix keinen Effekt, da dort eine ı D ; (18.17)
0 6D
symmetrische Matrix ist. Dies zeichnet ganz allgemein rei-
ne Geschwindigkeitstransformationen (Lorentz boosts) aus. Zu
das in dieser speziellen Indexstellung ebenfalls ein invarianter
der Gruppe der Lorentz-Transformationen zählen aber auch die
Tensor ist.
räumlichen Drehungen mit unbeteiligter Zeitkoordinate. Diese
Transformationen haben die Form Achtung Als Matrizen sind . / und . / numerisch
identisch; ein direktes Gleichsetzen ist aber wegen der unter-
1 0> schiedlichen Indexstellung nicht zulässig. (Metrik und inverse
. / D ; (18.12)
0 R Metrik fallen auch nicht mehr zusammen, wenn zu krummlini-
gen Koordinaten oder den gekrümmten Räumen der allgemei-
wobei R eine orthogonale Matrix ist, R> D R1 . nen Relativitätstheorie übergegangen wird.) J
616 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Vierergeschwindigkeit, definiert durch entfernt. Poincaré hatte zwar schon erkannt, dass diese Trans-
formationsgleichungen Drehungen in einem vierdimensionalen
dx dt dx c Raum mit imaginärer Zeit entsprechen, verfolgte diesen Zugang
u D D D .v .t// ; (18.29)
d d dt v .t/ aber nicht weiter. Eine konsequent vierdimensionale Formu-
lierung der Elektrodynamik wurde von Hermann Minkowski
unter Lorentz-Transformationen entsprechend der Indexstel- (1908) aufgestellt und nach dessen frühem Tod (1909 an ei-
lung, d. h., u0 D u . ner damals unbehandelbaren Blinddarmentzündung) von dem
deutschen Physiker Arnold Sommerfeld (1868–1951) weiterent-
Frage 4 wickelt.
Rechnen Sie nach, dass das Viererquadrat u u , wie es sein
muss, eine Lorentz-Invariante ist, nämlich c2 .
Viererstromdichte
Teil II
Multiplikation mit der Ruhemasse m eines Teilchens definiert
den Viererimpuls
Für die Potenziale und A ist zunächst nicht klar, ob sie
p D mu ; p0 D E=c D mc; p D mv : (18.30) zusammengefasst ko- oder kontravariant unter Lorentz-Trans-
formationen transformieren. Diese Frage ist am leichtesten
Hierbei ist E die relativistische Energie, die in Ruhe gleich mc2 über die Quellterme zu beantworten, denn und j müssen für
ist und bei nichtrelativistischen Geschwindigkeiten ˇ D v =c die Konsistenz der Maxwell-Gleichungen die Kontinuitätsglei-
1 die gewohnte nichtrelativistische kinetische Energie als chung (11.5), nämlich
Term zweiter Ordnung in ˇ enthält:
@
r jC D 0; (18.33)
2 1=2 mv 2 @t
E D cp D mc 1 v =c
0 2 2
D mc C
2
C O.ˇ 4 /:
2
(18.31) erfüllen. Diese Gleichung muss für jedes Inertialsystem Gültig-
keit haben und sollte daher Lorentz-invariant sein. Von den dar-
Das Viererquadrat von p ist
in auftretenden raumzeitlichen Ableitungen wissen wir schon,
p p D E2 =c2 p2 D m2 c2 ; (18.32) dass sie den Vierergradienten
was die relativistische Energie-Impuls-Beziehung E2 D m2 c4 C .1=c/ @=@t
@ D (18.34)
c2 p2 beinhaltet. r
y
Transformation von Linienladungen und -strömen = 0, jx
v +
0
Wie zu erwarten, liegt in S nun ein elektrischer Strom
j0x D v 0 vor, da sich von S0 aus gesehen alle Ladungs- x
träger mit Geschwindigkeit v nach links bewegen. Die v −
Ladungsdichte ist gegenüber dem System, in dem die Li-
nienladung ruht, allerdings um einen Faktor erhöht. z
Dies ist eine direkte Konsequenz der Lorentz-Kontrakti-
Abb. 18.1 Neutraler Strom als gegeneinander bewegte Linienladungen in S
on, denn diese führt dazu, dass die gleiche Ladung auf wird zu Strom plus Nettolinienladung in S0
eine um den Faktor verkürzte Strecke kommt.
Betrachten wir nun den umgekehrten Fall, dass in S eine
reine Linienstromdichte vorliegt, gegengesetzter Richtung bewegen (Abb. 18.1). Die Ladung, die
in S0 auftritt, erklärt sich dann als die unterschiedliche Lorentz-
jx D Iı.y/ı.z/; (18.40) Kontraktion, die diese ursprünglich kompensierenden Dichten
in diesem System erfahren, da sich die Geschwindigkeit für die
aber D 0. Dann ergibt dieselbe Lorentz-Transformation eine verringert und für die andere erhöht.
0
c D ˇ Iı.y0 /ı.z0 /; j0x D jx : (18.41)
Nun ist der Strom erhöht, aber viel bemerkenswerter ist, Viererpotenzial
dass in S0 auch eine Ladungsdichte auftritt.
Die Notwendigkeit dafür erhellt sich, wenn wir zusätzlich In (11.132) und (11.133) haben wir die Feldgleichungen für die
eine Punktladung betrachten, die sich im ursprünglichen Potenziale und A bereits in eine sehr symmetrische Form ge-
System S in einem gewissen Abstand von der Linien- bracht:
stromdichte befindet. Für einen Beobachter in S wirken
keine Kräfte auf das Punktteilchen, solange sich die 1 1
C @ t r A C @ t D 4 ;
Ladung dort in Ruhe befindet. Für Beobachter in S0 be- c c
(18.42)
wegt sich die Ladung aber entlang der Linienstromdichte. 1 4
Da das Magnetfeld des Stromes diesen kreisförmig um- A r r A C @ t D j:
c c
schließt, gibt es hier eine Kraft / qv 0 B0 , die je nach
Vorzeichen der Ladung in Richtung der x0 -Achse oder
von dieser weg zeigt. Da aber in S0 auch eine elektri- Nachdem wir erkannt haben, dass .c ; j/ den Vierervektor j
sche Ladungsdichte 0 vorliegt, gibt es zusätzlich eine bilden und gemäß (18.24) D @2 eine Lorentz-Invariante ist,
Coulomb-Kraft senkrecht zur x0 -Achse, die gerade der ist klar, dass die Kombination . ; A/ wie j die kontravarianten
magnetischen die Waage hält. J Komponenten eines Vierervektorfeldes bildet:
A D : (18.43)
Dieses Beispiel macht deutlich, dass elektrische und magneti- A
sche Felder nur verschiedene Seiten einer Medaille sind. Die
Existenz magnetischer Felder und der zugehörigen Lorentz-
Kraft ist ein rein relativistischer Effekt! Der Term .r A C 1c @ t / in (18.42) ist dementsprechend ein
Lorentz-Skalar,
Man kann dies noch klarer machen, indem man den Fall, wo in
S nur ein Strom vorliegt, physikalisch dadurch realisiert, dass 1
sich zwei Linienladungen mit kompensierender Stärke in ent- @ A D @ t C r A; (18.44)
c
18.2 Manifest Lorentz-kovariante Maxwell-Gleichungen 619
während die Ableitungsoperatoren davor, . 1c @ t ; r /, passender- Damit ist explizit gezeigt, dass die Differenzialoperatoren in den
weise die kontravarianten Komponenten des Vierergradienten inhomogenen Maxwell-Gleichungen zusammengenommen die
sind: 1 Viererdivergenz des Feldstärketensors bilden. Diese können al-
@ so elegant in einer Gleichung zusammengefasst werden.
@ D @ D c t : (18.45)
r
Teil II
oder, mit umbenannten Indizes und einem Vierergradienten aus- Integrabilitätsbedingung (Konsistenzforderung) dieses Systems
geklammert: von partiellen Differenzialgleichungen, nämlich aus der Tatsa-
che, dass F ein antisymmetrischer Tensor ist, während @ @
4 symmetrisch ist.
@ @ A @ A D j : (18.47)
c
Der antisymmetrische Lorentz-Tensor Sofern nicht wie oben die homogenen Maxwell-Gleichungen
schon durch Verwendung der Potenziale erfüllt sind, brauchen
F WD @ A @ A ; (18.48) wir auch noch eine Lorentz-kovariante Formulierung für die
homogenen Maxwell-Gleichungen. Dafür führen wir folgende
der in der Zusammenfassung der inhomogenen Maxwell-Glei- Verallgemeinerung des dreidimensionalen Levi-Civita-Symbols
chungen in (18.47) auftritt, heißt Feldstärketensor. Er enthält auf vier Indizes ein:
die elektrischen und magnetischen Feldstärken verteilt auf die
sechs unabhängigen Einträge, die eine antisymmetrische Matrix 8
< C1 wenn gerade Permutation von 0123,
bietet, gemäß " WD 1 wenn ungerade Permutation von 0123,
: 0 sonst.
0 1
0 Ex Ey Ez
(18.53)
BEx 0 Bz By C
F D@ D F :
Bx A
(18.49)
Ey Bz 0 Achtung Mit dieser Definition ist "0123 D C1, aber "0123 D
Ez By Bx 0 00 11 22 33 "0123 D 1. Das könnte genau andersherum auch
definiert werden, und tatsächlich finden sich diese nur durch ein
Frage 5 globales Vorzeichen unterschiedlichen Definitionen etwa gleich
häufig in den Lehrbüchern. J
Verifizieren Sie die Übereinstimmung mit den Definitionen der
Potenziale (11.128) und (11.125). Beachten Sie dabei das Vor- Ganz ähnlich wie in drei Dimensionen stellt " einen
zeichen in (18.45)! numerisch invarianten Tensor dar, wenn man sich auf Trans-
formationen beschränkt, deren Determinante eins ist. Dies wird
von den Lorentz-Transformationen erfüllt, die entweder reine
Wird der Feldstärketensor mit unteren Indizes geschrieben, dre-
Geschwindigkeitstransformationen oder Drehungen sind, ohne
hen sich nur die Vorzeichen der gemischt räumlich-zeitlichen
zusätzlich eine Raumspiegelung oder Zeitumkehr zu beinhalten.
Komponenten, also der elektrischen Feldstärken, um. Es gilt
Mit diesem "-Tensor wird der duale Feldstärketensor definiert
als
Ei D F0i D @0 Ai @i A0 D Fi0 D F i0 D F 0i ;
1 1 (18.50) 0 1
Bi D "ijk Fjk D "ijk F jk ; Fij D "ijk Bk : 0 Bx By
Bz
2 2 1 BBx 0 Ey C
Ez
FQ WD " F D @ :
2 By Ez 0Ex A
Gleichung (18.47) enthält nun auf der linken Seite Bz Ey Ex0
(18.54)
0 C @i F i0 r E Im Vergleich zu F ist hier E ! B und B ! E aus-
.@ F / D D :
@0 F 0n C @i F in c @t E C r B
1
getauscht. Genau derselbe Austausch passiert beim Wechsel
(18.51) zwischen inhomogenen und homogenen Maxwell-Gleichungen.
620 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Damit können wir die homogenen Maxwell-Gleichungen Lo- ist), dann sind diese, wie schon in Abschn. 11.5 besprochen,
rentz-kovariant anschreiben als nicht eindeutig, sondern können durch die Eichtransformatio-
nen (11.134) und (11.135) verändert werden, ohne dass sich die
@ FQ D 0: (18.55) Feldstärken ändern. Diese Eichtransformationen lauten auf Ebe-
ne der Viererpotenziale einfach
Frage 6
Brechen Sie diese Gleichungen auf Dreiernotation herunter und A .x/ ! A .x/ C @ .x/; (18.59)
überzeugen Sie sich, dass dies auf die gewohnten homogenen
Maxwell-Gleichungen führt. was in F D @ A @ A wegen .@ @ @ @ / D 0
herausfällt. (Offensichtlich muss .x/ dafür so beschaffen sein,
dass die Voraussetzungen des Schwarz’schen Satzes nicht ver-
letzt werden.)
Teil II
Teil II
für die kartesischen Komponenten der elektrischen und magne-
tischen Feldstärken:
Orientieren wir den Plattenkondensator dagegen senk-
Ex0 D Ex ; Ey0 D .Ey ˇBz /; Ez0 D .Ez C ˇBy /; recht zur Bewegungsrichtung, sodass das E-Feld in x-
B0x D Bx ; By0 D .By C ˇEz /; B0z D .Bz ˇEy /: Richtung zeigt, ändert sich die Flächenladungsdichte
(18.65) nicht, und dazu passend ist Ex0 D Ex , denn die Nor-
Für eine beliebige Richtung der Relativgeschwindigkeit der In- malkomponente des elektrischen Feldes ist unmittelbar
ertialsysteme kann dies etwas allgemeiner geschrieben werden durch 4 gegeben. Obwohl in dieser Situation offen-
als sichtlich eine nichttriviale Stromdichte j0x vorliegt, gibt
E0k D Ek ; E0? D .E? C ˇ B? / ; es in S0 gemäß (18.65) kein Magnetfeld. Der Grund ist
(18.66)
B0k D Bk ; B0? D .B? ˇ E? / ; die Symmetrie des Problems – die Magnetfeldbeiträge
(schon von einer Kondensatorplatte für sich) heben sich
wobei die Bezeichnungen k und ? die Anteile der Dreierfeld- in der Superposition auf (siehe hierzu auch den Kasten
stärken parallel bzw. senkrecht zum Geschwindigkeitsvektor „Vertiefung: Magnetfelder in anderen als drei Raumdi-
ˇ D v =c bedeuten. (Man beachte hier den Unterschied zum mensionen“). Die Lorentz-Transformation liefert dieses
Transformationsverhalten von Vierervektoren, bei denen sich Ergebnis frei Haus.
gerade die Dreiervektoren parallel zu v verändern, während da-
zu senkrechte gleich bleiben.) z E z
Frage 8
v
Überzeugen Sie sich, dass (18.66) für v D v eO x wieder (18.65)
+σ −σ
ergibt und dass durch die Isotropie (Drehinvarianz) des Raumes
damit die allgemeinere Form schon bewiesen ist. x x
Als einfache Beispiele, in denen die Transformationsge- Betrachten wir nun eine unendlich ausgedehnte zylin-
setze für die Feldstärkekomponenten, die so ganz anders derförmige Spule, deren Achse in x-Richtung zeigt. In
strukturiert sind als die von anderen Dreiergrößen, ver- diesem Fall fließt bei einer idealen, infinitesimal fein ge-
ständlich werden, sollen einmal ein unendlich ausgedehn- wickelten Spule der Strom in der Ebene senkrecht zur
ter Plattenkondensator und einmal eine unendlich lange x-Achse und erzeugt ein Magnetfeld in x-Richtung. Wird
Spule betrachtet werden. Beide liefern einfachste phy- die Spule in x-Richtung bewegt, bleibt gemäß (18.65)
sikalische Realisierungen von homogenen Feldstärken, B0x D Bx . Dies passt dazu, dass jy;z unter einer Lor-
die wir in Inertialsystemen vergleichen wollen, die sich entz-Transformation in x-Richtung unverändert bleiben.
um eine Standard-Lorentz-Transformation in x-Richtung Letzteres überrascht vielleicht, wenn man sich eine Spu-
voneinander unterscheiden. le mit N Windungen pro Längeneinheit vor Augen hält,
denn die Lorentz-Kontraktion in x-Richtung erhöht na-
Ist in S ein Plattenkondensator vorhanden, dessen Plat- türlich die Zahl der Windungen in S0 auf N 0 D N
ten bei z D ˙a positioniert sind, dann haben wir ein pro neuer Längeneinheit. Warum kommt dieser Umstand
homogenes elektrisches Feld in z-Richtung vorliegen. In in den Transformationsgesetzen für jy;z nicht zum Vor-
S0 ist gemäß (18.65) Ez0 D Ez um den -Faktor erhöht. schein? Die Antwort ist, dass Strom durch transportierte
Die Ursache dafür liegt offenbar in der Lorentz-Kontrak- Ladung pro Zeiteinheit gegeben ist. Während die Ladung
tion der Oberflächenladung des Kondensators, wenn sich invariant ist, ist es die Zeit nicht. Die Zeitdilatation lässt
622 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Frage 9
x x Rechnen Sie (18.67) bis (18.69) nach.
Teil II
N
Die Lorentz-Invarianz von (18.67) und (18.68) bedeutet, dass
J bei einem Wechsel des Inertialsystems von S auf S0 die entspre-
chenden Kombinationen der elektromagnetischen Feldstärken
unverändert bleiben:
Um einen Lorentz-Skalar zu bekommen, müssen die Indizes Ist jEj kleiner, größer oder gleich jBj in einem Inertialsystem
„abgesättigt“ werden. Das einfachste wäre eine Kontraktion mit S, so gilt dies in jedem.
der Metrik , aber F verschwindet identisch, weil Ist der Winkel #, den E und B in einem System einschließen,
F antisymmetrisch und symmetrisch ist. Wir brauchen kleiner als 90ı (größer als 90ı ), dann ist E B > 0 (< 0),
also einen weiteren antisymmetrischen Tensor, und davon haben und dasselbe gilt in allen anderen Systemen.
wir bereits zwei zur Verfügung: F selbst sowie den dualen Ist E in einem System null, dann ist in allen anderen Sys-
Feldstärketensor FQ . Dies führt auf die beiden Invarianten des temen E0 senkrecht auf B0 und jE0 j < jB0 j. Ist umgekehrt
Feldstärketensors B in einem System null, dann ist in allen anderen Systemen
E0 senkrecht auf B0 und jE0 j > jB0 j. (Ohne Beweis sei an-
F F D 2 .E2 B2 /; (18.67) gemerkt, dass auch die Umkehrung dieser Schlussfolgerung
gilt.)
F FQ D 4 E B: (18.68)
Ist E senkrecht zu B und jEj D jBj in einem System, dann
stehen auch in allen anderen Systemen die Felder senkrecht
Dabei ist F F ein echter Lorentz-Skalar; F FQ ist aufeinander und sind betragsgleich.
dagegen ein Lorentz-Pseudoskalar, der unter allen Lorentz-
Transformationen mit det. / D 1 invariant bleibt, aber sein
Vorzeichen ändert, wenn eine Spiegelung der räumlichen Koor-
dinaten oder eine Zeitumkehrtransformation gemacht wird. Die Feld einer gleichförmig bewegten Punktladung
weitere Möglichkeit, den dualen Feldstärketensor mit sich selbst
zu multiplizieren, liefert nichts Neues mehr:
Als ein für das Weitere sehr instruktives Beispiel werden wir
F Q FQ F
F : (18.69) nun das Feld einer gleichförmig bewegten Punktladung durch
Lorentz-Transformation des Coulomb-Feldes einer ruhenden
Punktladung berechnen. Im Ruhesystem S liegt nur ein E-Feld
Man kann sich auch leicht davon überzeugen, dass es nicht vor,
mehr unabhängige Invarianten des Feldstärketensors als die eO r .x; y; z/>
EDq 2 Dq 2 ; (18.71)
quadratischen Formen (18.67) und (18.68) gibt und dass sich r .x C y2 C z2 /3=2
18.3 Lorentz-Transformation von Feldstärken 623
a y b y c y
E(r) E (r) E (r )
x x x
Teil II
Abb. 18.2 Lorentz-Transformation des elektrischen Feldes einer Punktladung. (a) Im Ruhesystem des Teilchens zeigt das E.r/-Feld radial nach außen und fällt mit
dem Quadrat der Entfernung isotrop ab, hier gezeigt für zwei Radien und acht Richtungen. (b) Im System S0 , zu einem Zeitpunkt, in dem sich das Teilchen im Ursprung
befindet, messen die bewegten Beobachter veränderte Felder E0 an denselben Punkten. Werden diese Ergebnisse in den Koordinaten des Ruheystems dargestellt
(weil z. B. die bewegten Beobachter diese Ergebnisse an die ruhenden kommuniziert haben), dann ergibt sich ein Feldlinienbild, in dem die Feldstärken nicht mehr zur
momentanen Position der Punktladung zeigen, weil alle transversalen Komponenten um einen Faktor (hier D 2) vergrößert sind, nicht aber Ex . (Die Feldlinien
wären hier durch Kurven y D Cx dargestellt.) (c) Im System S0 sind aber die Messpunkte nicht mehr kreisförmig angeordnet, sondern Lorentz-kontrahiert. Dadurch
rücken diese um einen Faktor 1= in x0 -Richtung zusammen, und die Feldstärken zeigen allesamt wieder auf den momentanen Aufenthaltspunkt der Punktladung.
Die Feldstärken sind in transversaler Richtung um einen Faktor verstärkt. Messen die bewegten Beobachter die Feldstärke in allen Richtungen in gleichem Abstand
von der Punktladung, ergibt sich wegen der Lorentz-Kontraktion außerdem eine Reduktion von Ex0 , weil dieses nun bei größeren Werten x betrachtet wird. Da
das Feld mit dem Quadrat der Entfernung abfällt, erweist es sich für die Beobachter als um 1= 2 in Richtung der Geschwindigkeit reduziert. Das Verhältnis von
maximalen zu minimalen Werten des E0 -Feldes bei konstantem jx0 j beträgt daher 3
anhand von einigen repräsentativen Feldstärke-Vektoren dar- gegeben ist, wobei wir R0 D r0 C v t0 als Abstandsvektor von
gestellt in Abb. 18.2a. Im entlang der positiven x-Achse mit r0 zum momentanen Ort des Punktteilchens bei v t0 eingeführt
Geschwindigkeit v bewegten System S0 , aus dessen Warte sich haben. Durch diese Umrechnung bekommt nun auch Ex0 einen
die Punktladung nach links mit der Bahnkurve x0 .t0 / D v t0 Faktor , und E0 stellt sich als proportional zu R0 heraus:
bewegt, können wir die Feldstärken unmittelbar aus (18.65) ge-
winnen: q R0
E0 .t0 ; r0 / D : (18.74)
. 2 R02
x C Ry C Rz /
02 02 3=2
Ex0 D Ex ; Ey0 D Ey ; Ez0 D Ez ;
0
B D ˇ E D ˇ E ; 0
ˇ D ˇ eO x ;
(18.72) Im System S0 zeigen die elektrischen Feldstärken also weiterhin
radial vom momentanen Ort des Punktteilchens weg. Aller-
wobei die Felder am selben Raumzeitpunkt umzurechnen sind. dings ist ihre Stärke nicht mehr isotrop, sondern in transversalen
Richtungen (R0x D 0) um einen Faktor größer als im Ruhesys-
Frage 10 tem. In longitudinaler Richtung ist dagegen die Feldstärke um
Warum vereinfacht sich ˇ E auf ˇ E0 ? =. 2/3=2 D 1= 2 vermindert (Abb. 18.2c).
Bezeichnen wir mit # den Winkel zwischen R0 und der x0 -Ach-
se, auf der sich die Punktladung bewegt, so kann das elektrische
Wenn ein Team von synchronisierten Beobachtern in S0 ihre Feld alternativ geschrieben werden als
Messwerte an Physiker im Ruhesystem S übermitteln und letz-
tere aufgrund dieser Informationen ein Feldlinienbild in ihrem q R0
E0 .t0 ; r0 / D
Koordinatensystem zeichnen, werden sie finden, dass die Feld- . 2 R02 cos2 # C R02 sin2 #/3=2
linien E0 keine geraden Linien mehr sind und dass abseits der (18.75)
q.1 ˇ 2 / R0
x-Achse die Vektoren E0 nicht mehr radial nach außen gerichtet D :
sind (Abb. 18.2b). .1 ˇ 2 sin #/3=2 R03
2
Die Beobachter in S0 haben allerdings ihr eigenes Koordinaten- Das Magnetfeld ist durch B0 D ˇ E0 D ˇ eO 0x E0 gege-
system, das durch die Rücktransformation ben mit Stärke jB0 j D ˇjE0 sin #j. Die magnetischen Feldlinien
bilden dabei Kreise um die x0 -Achse, die im Uhrzeigersinn ver-
x D .x0 C v t0 / R0x ; y D y0 Ry0 ; z D z0 R0z laufen, wenn man einer sich entfernenden positiven Ladung q
(18.73) hinterherblickt.
624 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
E
B
D
B
A
v θ
cΔt
vΔt
Teil II
Abb. 18.4 Elektrisches Feld einer plötzlich abgestoppten Punktladung, die sich
zuvor gleichförmig nach links bewegte. Außerhalb einer Kugel mit Radius ct,
wobei t die Zeit ist, die seit der Abbremsung vergangen ist, zeigen die elek-
trischen Feldlinien auf die Position (grauer Punkt ), wo sich die Punktladung bei
fortgesetzter gleichförmiger Bewegung befinden würde. Die Information, dass
Abb. 18.3 Elektrische Feldlinien einer bewegten Punktladung die Punktladung gestoppt wurde, breitet sich mit Lichtgeschwindigkeit in Form
einer Schockfront aus. Die Feldlinien innerhalb und außerhalb dieser Schock-
front sind so miteinander verbunden, dass der Nettofluss durch die Oberfläche
des blau markierten Volumens verschwindet, was auf die Beziehung (18.76) für
Frage 11 die Winkel und 0 führt
Betrachten Sie die Zirkulation des elektrischen Feldes entlang
der Kontur ABCD in Abb. 18.3 und schließen Sie daraus, dass
zu diesem Feld ein zeitlich veränderliches magnetisches Feld lich momentanen Aufenthaltsort des Teilchens bei x0 D v t0
gehören muss. zeigen. Für Abstände r0 < ct0 können wir dagegen die Lösung
für eine ruhende Punktladung annehmen, ohne gegen die Prin-
zipien der Relativitätstheorie zu verstoßen.
gegengleich ist, kann nun der Zusammenhang zwischen den Bewegungsgleichung für ein geladenes
Feldlinien berechnet werden. Wie in Aufgabe 18.3 gezeigt wird,
Punktteilchen in einem äußeren Feld
ergibt sich damit folgende Beziehung zwischen den Winkeln
bzw. 0 , die die Feldlinien auf beiden Seiten der Schockfront
mit der x-Achse einschließen: Ein Punktteilchen mit Ladung q und Bahnkurve x.t/ bezüglich
eines Inertialsystems S hat als Viererstromdichte
0
tan D tan : (18.76) ! !
c c d
j D Dq ı.rx.t//; v .t/ D x.t/; (18.80)
j v .t/ dt
Frage 13
Verifizieren Sie, dass diese Winkeländerung genau dieselbe ist, während sein Viererimpuls durch
die ein Stab aufgrund der Lorentz-Kontraktion erfährt, wenn er !
Teil II
in seinem Ruhesystem den Winkel mit der Achse der Lorentz- c
Transformation einschließt. Damit ist die Feldlinienverteilung p D mu D m (18.81)
v
einer gleichförmig bewegten Punktladung (siehe Abb. 18.3)
exakt dieselbe wie eine, die man erhält, wenn man diese im Ru- gegeben ist.
hesystem durch ein Bündel von gleichmäßig verteilten starren
Speichen darstellt und dieses Lorentz-transformiert. Die Bewegungsgleichung ist damit bestimmt durch
Z Z
d 1 q
p D dV f D dV F j D F .t; x.t// u =:
dt c c
(18.82)
In Dreierkomponenten ausgeschrieben ist dies
18.4 Elektromagnetische
d 0 d q
Viererkräfte p D E=c D E v ; (18.83)
dt dt c
d v .t/
p D F.t/ D q E.t; x.t// C B.t; x.t// ; (18.84)
dt c
Viererkraftdichte
also die gewohnten Ausdrücke für Leistung und Lorentz-Kraft
auf der rechten Seite, während auf der linken Seite die relati-
Die (Dreier-)Lorentz-Kraftdichte (11.5) kann mit F D Ei ,
i0
vistischen Ausdrücke für Energie und Impuls einzusetzen sind,
F ij D "ijk Bk und j D .c ; j/ unmittelbar in eine aufschluss-
E D .v / m c2 und p D .v / mv .
reiche Form gebracht werden:
Mit dem -Faktor auf die linke Seite gebracht, kann (18.82)
1 1 auch als Lorentz-kovariante Gleichung angeschrieben werden,
f L D E C j B D .j0 E C j B/ die die Eigenzeit anstelle der Koordinatenzeit t beinhaltet:
c
0 10 0 c 1
F
1 @ 20 0 j F 12 2
j F 13 j3
d d q
D F j F 21 j1 F 23 j3 A p D mu D F .x.// u ; (18.85)
c F 30 j0 F 31 j1 F 32 j2 d d c
1 i 1 i wobei wir d=dt D d=d verwendet haben.
D F j D F j : (18.77)
c c Eine nicht unbedeutende Einschränkung ist hier übrigens die
Betonung auf Bewegung in einem äußeren Feld. Normalerweise
Offenbar ist alles, was f L zu einem Vierervektor fehlt, die Null- kann man das Eigenfeld ignorieren, weil die Unendlichkeiten,
komponente die für ein Punktteilchen damit verbunden sind, keine dynami-
1 1 sche Rolle spielen sollten. Bei beschleunigter Bewegung ist es
fL0 D F 0 j D E j: (18.78)
c c aber nicht ausgeschlossen, dass sich das Eigenfeld des Teilchens
bzw. endliche Anteile davon ändern, und es kommt zur Frage
Dies ist bis auf den Faktor 1=c genau die in (11.103) definierte nach der korrekten Berücksichtung von Strahlungsrückwirkun-
Leistungsdichte, womit wir eine Viererkraftdichte gen, die wir in obigen Bewegungsgleichungen vernachlässigt
haben. Auch im Kap. 19 zu Abstrahlungsproblemen werden wir
1 diese vernachlässigen, da hier die klassische Elektrodynamik
f D F j (18.79)
c an ihre Grenzen stößt und eine vollständige Behandlung erst
im Rahmen der Quantenelektrodynamik möglich wird (für eine
identifizieren können, die sich aus Lorentz-Kraftdichte und Diskussion der Strahlungsrückwirkung im Rahmen der klassi-
Leistungsdichte dividiert durch c zusammensetzt. schen Elektrodynamik vgl. z. B. Griffiths 2011, Jackson 2006).
626 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Oft erschließen sich tiefere Einblicke durch den Versuch, Dimensionen ist, dass wir eine zweidimensionale Ebene
einen Sachverhalt zu verallgemeinern und damit seine Gren- durch einen einzigen Normalenvektor charakterisieren kön-
zen auszuloten. Mit dem Lorentz-kovarianten Viererforma- nen.
lismus haben wir das Werkzeug in der Hand, um diskutieren
zu können, wie Elektromagnetismus in anderen als drei Physikalisch machen sich Magnetfelder durch die Lorentz-
Raumdimensionen aussieht. Weniger als drei Raumdimen- Kraft bemerkbar, die, wie in (18.77) gezeigt, durch
sionen können tatsächlich ohne Weiteres realisiert werden:
1 i 1
Effektiv zwei- oder eindimensionale Situationen entstehen fi D F j D F i0 F ij jj
schon dadurch, dass alle Felder und Quellen von einer oder c c
Teil II
zwei kartesischen Koordinaten unabhängig sind. Höhere Di- gebildet wird. Coulomb-Kräfte sind Produkte aus skalaren
mensionen kommen erst ins Spiel, wenn mit der Möglichkeit Ladungsdichten und elektrischen Feldstärken, letztere haben
spekuliert wird, dass auf fundamentalster Ebene noch mehr daher gleich viele Komponenten wie Raumdimensionen vor-
als drei Raumdimensionen existieren, wie das in der Super- handen sind; der magnetische Teil der Lorentz-Kraft (die
stringtheorie tatsächlich gemacht wird. Lorentz-Kraft im engeren Sinn) ist dagegen eine tensoriel-
Dass in der Elektrodynamik die elektrischen und magneti- le Kraft: Der antisymmetrische Tensor Fij enthält für jede
schen Felder beide durch Dreiervektoren gegeben sind, stellt Ebene, die f i und jj aufspannen, ein zugehöriges Kraftfeld,
sich dabei als Spezifikum der vierdimensionalen Minkowski- nämlich die entsprechende Magnetfeldkomponente.
Welt heraus. Die elektromagnetischen Felder werden hier Eine unmittelbare Konsequenz ist, dass für d D 1 überhaupt
ja in den antisymmetrischen Tensor F zusammengefasst, kein Platz für Magnetfelder ist. Die einzige Komponente von
und dieser bietet Platz für zwei Dreiervektoren: Die elektri- F ist dann F01 D F10 D Ex . Aus diesem Grund gab es
schen Felder werden in Ei D F0i untergebracht, und die drei auch für den effektiv eindimensionalen Fall eines unendlich
Komponenten des B-Feldes haben in den antisymmetrischen ausgedehnten Plattenkondensators, der sich quer zu seinen
räumlichen Komponenten Fij D "ijk Bk Platz. Platten bewegt (wobei die Situation eindimensional bleibt),
kein Magnetfeld, obwohl elektrische Ströme jx vorliegen.
Hätten wir nicht drei, sondern d Raumdimensionen, gäbe es
weiterhin ein Vektorfeld Ei D F0i , nur eben mit d Kompo- Ist ein physikalisches System effektiv zweidimensional (weil
nenten, aber beim Magnetfeld sieht die Sache ganz anders wie bei der unendlich ausgehnten Spule alles translationsin-
aus: Fij hat im Allgemeinen d.d 1/=2 Komponenten, das variant entlang ihrer Achse ist), dann kann es nur eine Ma-
ist nur in d D 3 dasselbe wie d. Dass wir mit Fij D "ijk Bk gnetfeldkomponente geben, F12 , die aus dreidimensionaler
wieder auf einen Vektor mit d Komponenten kommen, funk- Sicht ein B-Feld in z-Richtung ist. Für einen zweidimen-
tioniert offenbar auch nur in d D 3 Dimensionen, denn die sionalen Flachländler, der die dritte Dimension nicht kennt,
Anzahl der Indizes des räumlichen Levi-Civita-Symbols ist würde sich dieses einfach als ein skalares Feld wie Druck
an d gebunden. oder Temperatur darstellen.
Die Struktur des Feldstärketensors zeigt aber unmittelbar, Umgekehrt sieht man für den Fall von höheren Dimensio-
was Magnetfelder eigentlich sind: Felder, deren Kompo- nen, dass die Zahl der Magnetfeldkomponenten quadratisch
nenten zu einem Paar von Indizes gehören, so wie zweidi- mit der Zahl der Raumdimensionen zunimmt. Mit den neun
mensionale Ebenen primär durch ein Paar von Richtungen räumlichen Dimensionen, die die Superstringtheorie fordert,
charakterisiert werden und es auch eine Spezialität von drei kommt man bereits auf 36 Stück.
Ziel ist es nun, die rechte Seite als totale Ableitung darzustellen. Dass sich die räumlichen Komponenten von T vom Max-
Mit der Umformung well’schen Spannungstensor T um ein Vorzeichen unterschei-
den, hat nichts mit den Vorzeichen in der Minkowski-Metrik zu
1 1 tun, sondern liegt an der Vorzeichenwahl in (18.92), die rein
f D @ F F F @ F (18.88)
4 4 historisch bedingt ist. Der Maxwell’sche Spannungstensor wur-
de so eingeführt, dass er Flächenkräfte auf ein geschlossenes
ist der erste Term eine totale Ableitung, während im zwei- Volumen wiedergibt, während Energie- und Impulsströme so
ten Term der Vierergradient nicht mehr mit dem abzuleitenden definiert sind, dass sie aus einem geschlossenen Volumen heraus
Feldstärketensor kontrahiert ist. In letzterem können nun die ho- zeigen.
mogenen Maxwell-Gleichungen in der Form (18.57) verwendet
werden, um nachzuweisen, dass auch der zweite Term eine to- Sind keine Ladungsträger vorhanden, an denen die elektroma-
tale Ableitung ist: gnetischen Felder Kräfte ausüben und Arbeit verrichten können,
ist
Teil II
F @ F D F @ F D F @ F (18.89) @ T D 0 .f D 0/: (18.94)
1 Man sagt dazu auch, dass in diesem Fall T kovariant erhalten
D F .@ F C @ F /
2 sei. Für jeden Wert des Index hat man nämlich eine Kontinui-
1 1 tätsgleichung vorliegen. So wie die Kontinuitätsgleichung für
D F @ F D @ .F F /: den Viererstrom, @ j D 0, die Erhaltung von elektrischer La-
2 4 R
dung Q D dV bedeutet, impliziert dies die Erhaltung von
Hierbei wurden im ersten Schritt die Summationsindizes ; vier weiteren Größen, nämlich Energie und Dreierimpuls des
einfach ausgetauscht (da über beide summiert wird, ist es egal, Feldes. Diese können ebenfalls wieder in eine Vierergröße zu-
wie sie heißen), im zweiten Schritt wurde F D F zusam- sammengefasst werden:
men mit F D F verwendet, und im dritten Schritt wurde Z
die damit gezeigte Gleichheit von F @ F mit F @ F 1
PFeld D dV T 0 : (18.95)
ausgenutzt, um ersteres als die Hälfte der Summe dieser Aus- c
drücke zu schreiben. Damit kann (18.57) eingesetzt werden, um
den freien (äußeren) Index auf die Viererableitung zu übertra- In Anwesenheit von Ladungsträgern (geladenen Elementarteil-
gen. Im letzten Schritt wurde dann nochmals die Antisymmetrie chen) gilt für den Viererimpuls, den diese gemeinsam tragen,
F D F verwendet und die Viererableitung vor den qua- die Kraftgleichung
dratischen Ausdruck geschrieben. Insgesamt ergibt dies Z
d
PTeilchen D dVf : (18.96)
1 1 dt
f D @ F F C F F DW @ T ;
4 4 Die lokale Bilanzgleichung
(18.90)
wobei auch der erste Term aus (18.88) unter Ausnutzung der f C @ T D 0
Antisymmetrie des Feldstärketensors etwas umgestellt wurde.
Der Ausdruck in der Klammer von (18.90) definiert den sym- lässt sich damit nach Integration über den ganzen Raum als glo-
metrischen elektromagnetischen Energie-Impuls-Tensor T . bale Bilanzgleichung für Viererimpulse schreiben:
Vergleichen wir mit Energie- und Impulssatz aus Abschn. 11.4, Z
d d
PTeilchen C P D dV @i T i : (18.97)
@ dt dt Feld
cf 0 D E j D wem r S; (18.91)
@t
@ em
fL D g C r T; (18.92)
@t
18.5 Relativistische Effekte
wobei wem die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes, S
der Poynting-Vektor, gem die Feldimpulsdichte und T der Max- in der Wellenausbreitung
well’sche Spannungstensor sind, so können wir im Vierertensor
T folgenden Inhalt identifizieren: Im Vakuum, d. h. ohne Quellen, reduzieren sich die inhomoge-
nen Maxwell-Gleichungen (18.52) auf
1 2
T 00 D wem D E C B2 ; (18.93)
8 @ F D 0: (18.98)
1 1
T 0i D c.gem /i D T i0 D .S/i D .E B/i ; Kontrahieren wir die homogenen Maxwell-Gleichungen in der
c 4
1 1 Form (18.57) mit einem weiteren Vierergradienten @ ,
T ij D .T/ij D Ei Ej C Bi Bj ıij .E2 C B2 / :
4 2 @ @ F C @ F C @ F D 0; (18.99)
628 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
dann folgt mit der vorhergehenden Gleichung unmittelbar dann ergibt sich für den Lorentz-transformierten Wellenvektor
@ @ F F D 0: 0 1 0 10 1
(18.100) k0 ˇ 0 0 k
0 0
Bk cos ˛ C Bˇ 0 0C Bk cos ˛ C
k0 D@ 0 D
Jede Komponente von F erfüllt also (wie wir schon wissen) k sin ˛ 0 A @ 0 0 1 0A @ k sin ˛ A
eine Wellengleichung. 0 0 0 0 1 0
0 1
k.1 C ˇ cos ˛/
B k.ˇ C cos ˛/ C
D@ A: (18.106)
Ebene Wellen k sin ˛
0
Ebene elektromagnetische Wellen ergeben sich durch den An-
Vergleichen wir die nullten Komponenten, so sehen wir, dass
Teil II
satz gilt:
F .x/ D Re f eik x (18.101)
k0 !0
D D .1 C ˇ cos ˛/: (18.107)
mit einem (im Allgemeinen komplexen) konstanten Tensor f k !
und einem reellen konstanten Vierervektor k . Damit reduziert
sich die Wellengleichung (18.100) auf die algebraische Glei- Ein maximaler Effekt tritt auf, wenn ˛ D 0 oder ist. Dann
chung läuft der Beobachter in S0 der Welle entgegen bzw. davon. Für
k k D 0: (18.102) kleine Geschwindigkeiten ˇ D v =c 1 ist
Der Vergleich mit den ebenen Wellen, wie wir sie in Kap. 16 2
diskutiert haben, !0 v cos ˛ v
D1C CO 2 ; (18.108)
! c c
i!tCikx ik x i x
e De De k
; (18.103)
was dem klassischen Doppler-Effekt entspricht (benannt nach
zeigt, dass der Viererwellenvektor k folgende Komponenten dem österreichischen Physiker Christian Doppler, 1803–1853):
hat: ! ! ! Frequenzen erhöhen oder erniedrigen sich gemäß dem Verhält-
k0 !=c jkj nis von der Geschwindigkeit, mit dem sich ein Beobachter auf
k D D D : (18.104)
k k k eine Quelle zu oder von einer Quelle weg bewegt, mit der Aus-
breitungsgeschwindigkeit der Wellen.
Die Dispersionsrelation ! D cjkj ck ist dabei eine Konse-
quenz von (18.102). Die Relativitätstheorie liefert einen zusätzlichen -Faktor, der
sogar für ˛ D ˙ =2 zu einer Frequenzänderung führt, also
Frage 14 zu einem transversalen Doppler-Effekt. Dieser Effekt ist offen-
Überzeugen Sie sich, dass in den darüber hinaus zu fordernden kundig eine Konsequenz der Zeitdilatation und wurde erstmals
Gleichungen k f D 0 und k fQ D 0 gerade die Bedingun- 1938 von H. E. Ives und G. R. Stilwell experimentell nachge-
gen stecken, dass in ebenen Wellen E- und B-Felder und k ein wiesen.
orthogonales Dreibein bilden, wobei jEj D jBj ist.
Zusätzlich zur Frequenzänderung kommt es auch zu einer Än-
derung der Ausbreitungsrichtung. Dieser Effekt wird in der
Astronomie, wo er eine wichtige Rolle spielt und 1725 vom
englischen Astronomen James Bradley (1693–1762) entdeckt
Doppler-Effekt und Aberration wurde, Aberration des Lichtes genannt.
Bradley wollte eigentlich die jährliche Parallaxe von nahen Ster-
Betrachten wir nun eine Standard-Lorentz-Transformation von nen bestimmen, d. h. die kleine Winkeländerung, die sich ergibt,
einem Inertialsystem S auf ein System S0 , das sich mit Ge- wenn diese von entgegengesetzten Punkten auf der Umlauf-
schwindigkeit v in positiver x-Richtung bewegt. Die Feldstärke- bahn der Erde um die Sonne beobachtet werden. Da sogar die
amplituden f transformieren wie in Abschn. 18.3 diskutiert, nächsten Sterne so weit entfernt sind, dass jährliche Parallaxen
und k transformiert als kontravarianter Vierervektor. Parame- deutlich unter einer Bogensekunde liegen, gelang es erst Fried-
trisieren wir die Richtung von k mit einem Winkel ˛ bezüglich rich Wilhelm Bessel (1784–1846) im Jahr 1838, entsprechend
der x-Achse so, dass k in der xy-Ebene liegt und für spitze Win- genaue Beobachtungen durchzuführen. (1 Parallaxensekunde,
kel ˛ der Geschwindigkeit v entgegengesetzt ist, kurz 1 Parsec (pc), entspricht einer Entfernung von 3,26 Licht-
0 1 jahren; der sonnennächste Stern Proxima Centauri ist aber schon
1 4,2 Lichtjahre entfernt.)
B cos ˛ C
k D k @ ;
sin ˛ A
(18.105)
Die scheinbare Bewegung eines Sternes aufgrund dieser Par-
0 allaxe hat zudem eine Phase, die nicht zu der von Bradley
18.6 Relativistische Elektrodynamik in Materie 629
Teil II
metrischen Tensor definieren, der auf die gleiche Weise D und
Abb. 18.5 Die Aberration des Sternenlichtes ist analog zum Laufen im Regen: H kombiniert:
Für den Laufenden kommt der Regen nicht mehr senkrecht von oben
0 1
0 Dx Dy Dz
BDx 0 Hz Hy C
D D@ :
Hx A
(18.111)
Dy Hz 0
beobachteten Aberration passt. Bradley erkannte, dass es die Dz Hy Hx 0
Geschwindigkeit der Erde sein muss, die mit etwa einem Zehn-
tausendstel der Lichtgeschwindigkeit zu Richtungsänderungen Die homogenen Maxwell-Gleichungen sind hingegen unverän-
von bis zu 104 rad ( 20 Bogensekunden) führt. Der Effekt dert gültig (allerdings mit Feldern E und B, die durch Mittelung
ist dabei ganz ähnlich dem, den man erfährt, wenn man sich im von der atomistischen Feinstruktur befreit wurden).
Regen, der senkrecht auf die Erde fällt, vorwärts bewegt. Dann
scheint der Regen nicht mehr exakt von oben, sondern etwas von Phänomenologische Maxwell-Gleichungen in Viererno-
vorn zu kommen (Abb. 18.5). Dies erklärte auch die verschobe- tation
ne Phase, denn die Bahngeschwindigkeit steht immer senkrecht
4
zum Bahnvektor der Umlaufbahn der Erde. @ D D j ;
c f (18.112)
Bradley hatte bei seiner Erklärung der Aberration die New- @ FQ D0
ton’sche Korpuskeltheorie des Lichtes angenommen, die eine
natürliche Erklärung über die Geschwindigkeitsaddition liefer- mit jf D .c f ; jf /.
te. Die Maxwell’sche Theorie mit der Vorstellung eines Äthers
konnte dies nicht mehr so leicht erklären. Wenn das Ruhesystem
des Äthers das der Fixsterne ist, sollte es auch zu keiner Aber- Die Differenz zwischen den phänomenologischen Feldern D; H
ration kommen, so wie es in der Akustik keine Aberration gibt und den fundamentalen (aber gemittelten) Feldern E; B sind die
und die Ausbreitungsrichtung durch das Ruhesystem der Luft Felder der elektrischen Polarisation und Magnetisierung,
fixiert wird.
.D; H/ D .E; B/ C 4 .P; M/; (18.113)
Mit der Relativitätstheorie ist diese Schwierigkeit aber wieder
beseitigt. Aus der Gleichung für k01 bzw. k02 in (18.106) ergibt wodurch klar wird, wie P und M in einen Vierertensor zu
sich mit (18.107) kombinieren sind. Wir können einen antisymmetrischen vierdi-
mensionalen Polarisationsfeldtensor analog zu F und D
definieren, aber mit einem unterschiedlichen Vorzeichen in den
cos ˛ C ˇ
cos ˛ 0 D ; (18.109) magnetischen Einträgen:
1 C ˇ cos ˛
0 1
1 sin ˛ 0 Px Py Pz
0
sin ˛ D : (18.110) BPx 0 Mz My C
1 C ˇ cos ˛ P D@ :
Mx A
(18.114)
Py Mz 0
Pz My Mx 0
Frage 15
Es reicht hier natürlich eine der beiden Gleichungen aus, um ˛ 0 Achtung Dieser wird manchmal Momententensor genannt,
zu bestimmen. Überprüfen Sie, dass, wie es sein muss, sin2 ˛ 0 C weil P und M die in Materie gebundenen elektrischen und
cos2 ˛ 0 D 1 ist. magnetischen Dipolmomente repräsentieren, und manchmal
auch Polarisationstensor. Der Begriff „Polarisationstensor“ ist
630 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Von Roger Penrose (*1931) stammt folgende alternative Beide hier involvierten Operationen, die stereografische Pro-
Darstellung der Formeln für die relativistische Aberration jektion und die Skalierung auf der Projektionsebene sind
(Penrose 1959). Ersetzt man im Ergebnis (18.109) jeden Ko- konforme Abbildungen, d. h., sie sind winkeltreu. Insbe-
sinus durch sondere werden Kreise auf Kreise abgebildet, sodass weit
entfernte Kugeln trotz der Lorentz-Kontraktion immer noch
1 tan2 .x=2/ als Kugeln erscheinen. Es ist dies ein Spezialfall des schon
cos x D ;
1 C tan2 .x=2/ in Kap. 9 besprochenen Phänomens, dass die Lorentz-Kon-
traktion bei Parallelstrahlenprojektion unsichtbar bleibt.
Teil II
˛0 ˛
˛
1 tan2 1 tan2 Cˇ 1C tan2
2
D 2
2
P̄
tan2 ˛2 C ˇ 1 tan2 ˛2
0
1C tan2 ˛2 1C P
1 1ˇ
1Cˇ
tan2 ˛2
D ; P P¯
1C 1ˇ
1Cˇ
tan2 ˛2 tan α
2
tan α2
woraus man ablesen kann, dass α/2
α
α
α /2
s
˛0 1ˇ ˛ B, B
tan D tan
2 1Cˇ 2
wie in Abb. 18.6 gezeigt, bezüglich des Ursprungs in der Pro- die sich mit sin ˛ D 2 sin ˛2 cos ˛2 und 1 C cos ˛ D
jektionsebene auf PN 0 skaliert und mit umgekehrter stereogra- 2 cos2 ˛2 leicht verifizieren lassen.
fischer Projektion auf die Himmelssphäre von S0 übersetzt.
allerdings in der Quantenelektrodynamik mit einer anderen unmittelbar deren Transformationsverhalten bei einem Wechsel
Bedeutung belegt, weshalb wir P etwas präziser als Polarisa- des Bezugssystems. Für D und H ist dieses identisch mit dem
tionsfeldtensor bezeichnen werden. In der Literatur wird dieser von E und B in (18.66), während für P und M ein zusätzliches
Tensor auch oft mit einem anderen globalen Vorzeichen de- Vorzeichen ins Spiel kommt:
finiert, sodass dann P statt M die von der Struktur von F
abweichenden Vorzeichen erhält. J
P0k D Pk ; P0? D .P? ˇ M ? / ;
Die Zusammenfassung der phänomenologischen Dreiervektor- (18.115)
felder D, H, P, M in Vierertensoren D und P liefert M 0k D M k ; M 0? D .M ? C ˇ P? / :
18.6 Relativistische Elektrodynamik in Materie 631
Eine Aufteilung der Quellen j in freie und in gebundene, In Dreiernotation haben wir damit folgende Neuaufteilungen
durchgeführt:
j D j
f C jmat
(
(eventuelle Mittelungsprozeduren hier nicht extra notiert), D D Ef C rot V
ED D4 P mit
ist wegen der Linearität der Maxwell-Gleichungen unpro- 4 P D Emat rot V;
blematisch. Wir könnten im Prinzip die resultierenden Teil- ( 1 @
probleme separat lösen und danach die Lösungen einfach H D Bf C r V 0 C c @t
V
BDHC4 M
Teil II
mit
superponieren, F D Ff C Fmat
mit 4 M D Bf r V 0 1 @
c @t
V:
4
@ Ff D j ; @ FO f D 0; Für die elektrischen Feldgrößen ist dies am einfachsten zu
c f
verstehen: Außerhalb der Materie ist Emat divergenzfrei,
4
@ Fmat D j ; @ FO mat
D 0: kann dort also als Rotation eines Vektorfeldes angesetzt wer-
c mat den. Dies kann dann zu Ef hinzugeschlagen werden, ohne
Da die in Materie gebundenen Quellen aber nicht unabhän- dessen inhomogene Gleichung zu verändern. In Abb. 18.7 ist
gig von den äußeren Feldern vorgebbar sind, hat dies keinen dies am Beispiel einer dielektrischen Kugel im homogenen
praktischen Wert. Stattdessen macht man eine Neuaufteilung Feld eines Plattenkondensators illustriert. Bei den inhomoge-
in einen Feldstärketensor D und einen Polarisationsfeld- nen Maxwell-Gleichungen für die magnetischen Feldgrößen
tensor P , wobei letzterer nur im Inneren von Materie sind zusätzlich Verschiebungsströme im Spiel, wie in Ab-
ungleich null ist (im Gegensatz zu den von jmat hervorge- schn. 15.7 diskutiert. Deren konsistente Berücksichtigung ist
durch die Zusammenfassung in Vierertensoren manifest ge-
rufenen Feldern Fmat !):
macht.
F D Ff C Fmat
D D C .4 /P ;
Ef + rot V = D
und zwar so, dass D weiterhin die inhomogenen Max- +++++++
Q ;
D D Ff C W
.4 /P D Fmat Q ;
W −−−−−−−
Q D 0:
@ W −−
− −
Ruht die Materie im System S0 , das sich mit Geschwindigkeit ˇ hang in der Praxis auf 2
gegenüber S bewegt, kann man durch die inverse Transforma- v v
tion P und M durch die entsprechenden Größen im Ruhesystem P D P0 C M0 C O 2 ;
c c
S0 ausdrücken. Da man es meist mit nichtrelativistischen Ge- 2 (18.116)
v v
schwindigkeiten zu tun hat, vereinfacht sich dieser Zusammen- M D M 0 P0 C O 2 :
c c
632 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Hat man in S0 Materie vorliegen, die entweder ausschließlich Achtung Es wird nicht vorausgesetzt, dass die Materie in
elektrische Polarisation oder Magnetisierung aufweist, so gilt einem Inertialsystem ruht. Die gewöhnlichen Materialgleichun-
für die bewegte Materie, dass sie sowohl elektrisch als auch gen können zu einem gegebenen Zeitpunkt in jenem Inertialsys-
magnetisch polarisiert erscheint (siehe Kasten „Anwendung: tem formuliert werden, das mit dem momentanen Ruhesystem
Unipolarinduktion“). der Materie (oder eines Ausschnitts davon) zusammenfällt.
Die kovariante Formulierung (18.119) beinhaltet dann einfach
In Abschn. 15.7 wurden die Energie-Impuls-Sätze der Elek- einen zeitabhängigen Vektor u , der die Weltlinie eines Ma-
trodynamik auf den makroskopischen Fall mit linearen und teriestückes verfolgt. (Eventuell muss u sogar ortsabhängig
nichtdissipativen Medien verallgemeinert. Wie in Aufgabe 18.6 gemacht werden, wenn die Materie nicht durch eine einzige
gezeigt wird, können diese bei einem linearen und konstanten Weltlinie beschrieben werden kann, weil sie beispielsweise ro-
Zusammenhang der Feldstärketensoren D und F kovari- tiert.) J
ant geschrieben werden als
Teil II
Materialgleichungen
für bewegte lineare Medien Für v c können wir (18.121) näherungsweise nach D und
B auflösen, indem wir Terme der Ordnung vc2 vernachlässigen
2
Die Anwesenheit von Materie zeichnet ein Bezugssystem aus, (siehe Aufgabe 18.9 für die vollständige Lösung):
nämlich das, in dem sie ruht. In diesem Bezugssystem kön-
nen wir Materialgleichungen wie D D E und B D H mit 2
v v
der üblichen Bedeutung formulieren. Dies lässt sich auf be- D D E C . 1/ HCO 2 ;
c c
liebige Inertialsysteme verallgemeinern, wenn wir als weitere 2 (18.123)
Vierergröße die Vierergeschwindigkeit u der Materie ins Spiel v v
B D H . 1/ E C O 2 :
bringen, die im Ruhesystem durch uRuhe D .c; 0/> gegeben ist. c c
Damit lauten obige Materialgleichungen
Damit liegen wieder Materialgleichungen in einer brauchbaren
D u D F u ; FQ u D D
Q u ; (18.119) Form vor, um die phänomenologischen Maxwell-Gleichungen
lösen zu können. Wie man sieht, werden aber in bewegter Ma-
Q ganz analog zu FQ die
wobei der duale Feldstärketensor D terie die elektrischen und magnetischen Felder nicht nur durch
D- und H-Felder gemäß D ! H, H ! D vertauscht: die Maxwell-Gleichungen, sondern auch durch die Material-
0 1 gleichungen gekoppelt.
0 Hx Hy Hz
Q D
1 BHx 0 Dz Dy C Ist die betrachtete Materie leitfähig, wird auch eine relativis-
" D@ :
Dx A
D D
2 Hy Dz 0 tische Verallgemeinerung des Ohm’schen Gesetzes (15.133)
Hz Dy Dx 0 benötigt. Diese wird im Kasten „Vertiefung: Relativistische
(18.120) Form des Ohm’schen Gesetzes“ besprochen.
18.6 Relativistische Elektrodynamik in Materie 633
Anwendung: Unipolarinduktion
Relativistische Erklärung durch Lorentz-Transformation von Magnetisierung
Wird magnetisierte Materie mit Magnetisierung M mit ei- Wie die Herleitung zeigt, ist sie ein relativistischer Effekt,
ner (nichtrelativistischen) Geschwindigkeit v bewegt, so ist gerade so wie auch die Lorentz-Kraft ein relativistischer
die Änderung der Magnetisierung ein normalerweise ver- Effekt ist. In der Tat kann das induzierte elektrische Feld
nachlässigbarer Effekt der Ordnung vc2 , während die neu
2
E D ˇ B, das wegen E D 4 P und B D C4 M
entstandene elektrische Polarisation von der Ordnung vc ist, mit P D ˇ M verbunden ist, einfach dadurch verstanden
werden, dass sich Ladungsträger bei einer Bewegung im Ma-
v
PD M; (18.124) gnetfeld so weit verschieben, dass sich in einem stationären
c Zustand der Lorentz-Kraft-Beitrag q ˇ B mit qE die Waage
Teil II
und als führender Term auftritt. In Abwesenheit von freien hält.
Ladungen bedeutet dies wegen D D 0 das Auftreten eines
elektrischen Feldes E D 4 P, was mit elektrisch leitfähi- Frage 18
gem Material zu elektrischen Strömen führt. Zeigen Sie, dass die Potenzialdifferenz zwischen den
Dieses Phänomen wird Unipolarinduktion genannt und kann Schleifkontakten in Abb. 18.8 durch
technisch z. B. realisiert werden, indem ein zylindrischer
magnetisierter Eisenkörper um seine Achse rotiert wird ZRB
1
(Abb. 18.8). Durch Schleifkontakte kann die entstehende Po- UD E% d% D !B.RB2 RA2 / (18.125)
tenzialdifferenz abgegriffen bzw. Strom entnommen werden. 2c
RA
Wegen des dabei erzielbaren niedrigen inneren Widerstands
lassen sich damit sehr hohe Stromstärken im Kilo- und
Megaamperebereich erzielen, wenn auch eher geringe Span- gegeben ist (wenn kein Strom abgenommen wird und daher
nungen. Rückwirkungen auf das Magnetfeld entfallen).
U
Der erste induktive Stromgenerator basierte ebenfalls auf
Unipolarinduktion. In der Faraday’schen Scheibe erzeugte
Faraday bereits 1831 einen elektrischen Strom, indem er ei-
RB ne leitfähige Scheibe in einem Magnetfeld rotieren ließ. Das
RA B = 4πM Lorentz-Kraftgesetz, mit dem es sich erklären lässt, wurde
übrigens erst über ein halbes Jahrhundert später formuliert.
ω Der Erste, der es explizit und auch richtig postulierte, war
Oliver Heaviside (englischer Physiker und als solcher Au-
todidakt, 1850–1925) im Jahr 1889. Mit dem Coulomb-
Abb. 18.8 Unipolarmaschine (auch homopolarer Generator ), basierend Kraftgesetz zusammengefasst wurde es 1895 von Lorentz
auf der Rotation eines in Längsrichtung magnetisierten Zylinders. (Für einen formuliert, der die Geschwindigkeit darin als Relativge-
langen Zylinder gilt in guter Näherung B D 4 M wie in Abschn. 15.3 ge- schwindigkeit zum Äther interpretierte.
zeigt wurde.)
Die Umkehrung des Unipolargenerators ist der Homopolar-
Die Unipolarinduktion stellt ein bemerkenswertes Beispiel
motor, den Faraday schon 1821 realisiert hatte und bei dem
für eine Induktion dar, die nicht auf der Faraday’schen In-
er einen in Quecksilber getauchten stromführenden Draht in
duktion
Z einem Magnetfeld rotieren ließ.
1 d 1 d
U@F D ˆm D df B
c dt c dt Unipolargenerator und Homopolarmotor spielen heutzutage
F
eine eher untergeordnete Rolle in technischen Anwendun-
beruht, denn der magnetische Fluss ˆm ist in der Konfigu- gen. Die Unipolarinduktion tritt aber vielfach in der Astro-
ration von Abb. 18.8 für jede infrage kommende Fläche F physik auf, nämlich bei großräumigen Bewegungen von
konstant. ionisiertem Gas in ausgedehnten Magnetfeldern.
634 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Im Ruhesystem der Materie lautet das Ohm’sche Gesetz der Leitungsstrom damit durch
jf D E: j
L D jf jK :
Als relativistische Verallgemeinerung bietet sich j f D Die korrekte Verallgemeinerung des Ohm’schen Gesetzes
lautet daher
1
c
F u an, da sich das im Ruhesystem wegen u Ruhe D
>
.c; 0/ auf obige Gleichung reduziert. Es gibt hier allerdings
j
L D F u ;
Teil II
Wellenausbreitung in bewegten Dielektrika Nochmalige Bildung der Rotation dieser Gleichungen entkop-
pelt diese, und wir bekommen
In Abwesenheit von freien Ladungen und Strömen lauten die 1@ 1 v 2
Maxwell-Gleichungen in Materie D D C r D;
c @t c
(18.129)
1@ 1@ 1 v 2
div D D 0; rot E D B; B D C r B:
c @t c @t c
(18.126)
1 @
div B D 0; rot H D D: Streng genommen sollten wir hier keine Beiträge der Ordnung
c @t v 2 =c2 mitnehmen; wir werden sie aber im Folgenden auch nicht
Wir wollen nun Wellengleichungen für ein als Ganzes gleich- brauchen.
förmig bewegtes Dielektrikum herleiten, das sich mit konstanter Frage 19
Geschwindigkeit v bewegt. Dazu können wir wegen der Diver-
Überlegen Sie sich, dass bis auf Beiträge der Ordnung vc2 auch
2
genzfreiheit von D und B
die Felder E und H dieselben Wellengleichungen erfüllen, in-
rot rot D D D; rot rot B D B (18.127) dem Sie die Materialgleichungen (18.123) heranziehen
2 und wie
oben ausnutzen, dass ˇ H D 1 ˇ B C O vc2 und ˇ E D
verwenden. Wir berechnen dafür zunächst rot D und rot B über 2
die Materialgleichungen (18.123). Bilden wir von diesen die
1
ˇ D C O vc2 ist.
Rotation unter Vernachlässigung von Termen der Ordnung vc2 ,
2
Teil II
In der speziellen Relativitätstheorie kann der Mitführungskoef-
fizient in der Tat einfach als Ergebnis der relativistischen Ge-
Abb. 18.9 Schematischer Aufbau des Fizeau’schen Experiments zur Mes- schwindigkeitsaddition verstanden werden: Bei gleichgerichte-
sung des Mitführungskoeffizienten. Über einen halbversilberten Spiegel wird ein
Lichtstrahl in zwei Teilstrahlen zerlegt, die durch Röhren geführt werden, in de-
ten Geschwindigkeiten nc und v addieren sich diese relativistisch
nen Wasser mit entgegengesetzter Geschwindigkeit strömt (die Zuleitungen sind gemäß
hier nicht eingezeichnet). Die Laufzeitunterschiede werden durch Interferenzen
c
in einem Beobachtungsfernrohr gemessen Cv c v
2
v
n D Cv 1 CO 2
1v n nc c
1C (18.134)
nc
Da wir aber nur bis Ordnung v =c gerechnet haben, ist es kor- 2
c 1 v
rekter, diese in linearer Form anzuschreiben: D Cv 1 2 CO 2 :
n n c
c n2 1
!D kC v k: (18.132) Bei einer nicht vernachlässigbaren Frequenzabhängigkeit von
n n2
n kommt es übrigens zu einer Korrektur des Wertes von , da
Wenn ˛ den Winkel zwischen Wellenvektor und Geschwin- die Frequenz des Lichtes im Ruhesystem der Materie durch
digkeit der Materie bezeichnet, erhalten wir für die Wellenge- den Doppler-Effekt eine andere als im Laborsystem ist. Die-
schwindigkeit ser Zusatzterm wurde 1895 von Lorentz postuliert, womit der
Mitführungskoeffizient insgesamt
! c 1
cbew.Mat. D D C 1 2 v cos ˛ 1 ! dn
k n n (18.133) D1 C (18.135)
n 2 n d!
cruh.Mat. C v cos ˛:
lautet.
Der Koeffizient wird Fresnel’scher Mitführungskoeffizient ge-
nannt. Er gibt an, dass sich abhängig vom Brechungsindex die Frage 20
Geschwindigkeit eines Mediums, in dem sich Licht ausbreitet, Leiten Sie diesen Zusatzterm aus dem Doppler-Effekt her!
nur teilweise zur Ausbreitungsgeschwindigkeit im Medium ad-
636 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
dass die relativistische Verallgemeinerung nur einen inversen - Betrag Bestimmen Sie die Bahnkurve eines geladenen Teil-
Faktor für die Zyklotronfrequenz bedeutet. Werden elektrische chens für den Fall betragsgleicher zueinander senkrechter
Felder hinzugenommen, wird die Bewegung komplizierter. In homogener E- und B-Felder mit der Anfangsbedingung, dass
Aufgabe 15.10 wurde nur der nichtrelativistische Fall betrach- das Teilchen ursprünglich im Ursprung des Koordinatensystems
tet, der gegeben ist, wenn die E-Feldkomponente senkrecht ruhte. (Sind homogene E- und B-Felder in einem Inertialsystem
zum Magnetfeld sehr viel kleiner als der Betrag des Magnet- betragsgleich und zueinander senkrecht, dann sind sie das in je-
feldes ist. In diesem Fall ergab sich eine Bahnkurve, die in der dem. Wir können daher ohne Beschränkung der Allgemeinheit
Ebene senkrecht zum Magnetfeld die Form einer oszillierenden annehmen, dass das Teilchen zu einem vorgegebenen Zeitpunkt
Radlaufkurve (Trochoide) hat. in Ruhe war.)
Zeigen Sie (ohne Rechnung), dass keine oszillierenden Be-
wegungen mehr möglich sind, wenn ein E-Feld vorliegt, das Lösungshinweis: Identifizieren Sie zunächst anhand von
senkrecht auf B steht und dessen Betrag größer als der des B- (18.83) eine Konstante der Bewegung. Um die Bahnkurve
Teil II
Feldes ist, während für den umgekehrten Fall immer Oszillatio- aufzufinden, muss sie zudem nicht unbedingt durch die Koor-
nen auftreten. dinatenzeit parametrisiert werden. Es kann auch eine andere
Zusatzfrage: Was bedeutet das hier im Gauß’schen Maßsystem monoton anwachsende Größe dafür verwendet werden.
formulierte Kriterium, dass das E-Feld größer oder kleiner als
das B-Feld ist, im SI-System? 18.9 Materialgleichungen eines linearen Medi-
Lösungshinweis: Verwenden Sie die Invarianten des Feldstär- ums Lösen Sie die Materialgleichungen in bewegter Materie
ketensors für die Argumentation. (18.121) nach D, B als Funktionen von E, H auf!
18.8 Relativistische Bewegung in zueinander
senkrechten homogenen E- und B-Feldern mit gleichem Lösungshinweis: Nutzen Sie dabei (18.122) aus.
638 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
18.4
s
x 1ˇ
Ey0 .t0 ; x0 / D b E0 cos b ! t mit b D
c 1Cˇ
(18.137)
18.6 Gleichungen (18.117) und (18.118)
Teil II
18.9
1
DD
1 ˇ 2
˚
E.1 ˇ 2 / C . 1/ Œˇ H ˇ .ˇ E/
1
BD (18.138)
1 ˇ 2
˚
H.1 ˇ 2 / . 1/ Œˇ E C ˇ .ˇ H/
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 639
18.1 Im relativ zum Ruhesystem des Kondensators bewegten Für die bewegte Punktladung ergibt sich mit (18.75)
System ist 0 D D Ex, sodass tatsächlich das Potenzial
0
auf den Platten erhöht ist. Um die Feldstärke E0 auszurech- Z 0
sin # d#
nen, ist aber zu berücksichtigen, dass es im bewegten System ˆ0e D 2 q.1 ˇ / 2
auch ein Vektorpotenzial gibt, obwohl gar kein Magnetfeld ins .1 ˇ 2 sin2 #/3=2
0
Spiel kommen kann:
Z1
dx
Teil II
D 2 q.1 ˇ / 2 (18.145)
A0x D ˇ D ˇEx: (18.139) .1 ˇ 2 .1 x2 //3=2
cos 0
!
Dieses muss aber in den neuen Koordinaten angeschrieben wer- 0
cos
den, x D .x0 C ˇct0 /, und in diesen Koordinaten ist A0 D2 q 1 p ;
1 ˇ 2 sin2 0
zeitabhängig, sodass auch das Vektorpotenzial zu E0 beiträgt:
wobei im Integral x D cos # substituiert wurde. Aus ˆe D ˆ0e
1
Ex0 D @0x 0
@0t A0x D . 2 ˇ 2 2 /E D E: (18.140) ergibt sich damit
c
0
cos
0 0 0 p D cos : (18.146)
Das Magnetfeld verschwindet wegen B D r A 0 auch 1 ˇ 2 sin2 0
in S0 .
p
18.2 Die Identität E.x/ B.x/ D E0 .x0 / B0 .x0 / ist erfüllt, weil Berechnet man damit sin D 1 cos 2 , so findet man
in S das Magnetfeld B 0 ist und in S0 das Magnetfeld B0 p
orthogonal zu E0 steht. 1 ˇ 2 sin 0
sin D p (18.147)
02 0 02 0
1 ˇ 2 sin2 0
Es bleibt zu zeigen, dass E .x / B .x / D E .x/ erfüllt ist. 2
E2 .x/ D q2 =r4 lautet in den gestrichenen Koordinaten (18.73) und nach Division dieser Gleichungen
p
0
0 q2 tan D 1 ˇ 2 tan ; (18.148)
E .x.x // D 2 02
2
: (18.141)
. Rx C Ry02 C R02
z /
2
also (18.76).
02 02 0
Mit B D ˇ 2 E sin # und E aus (18.74) ergibt sich
2 18.4 Eine linear polarisierte ebene Welle, die sich in positiver
x-Richtung mit elektrischem Feld E D Ey yO ausbreitet, hat ein
q2 2 R02 Magnetfeld Bz D Ey . Mit (18.65) folgt
E 02 .x0 / B 02 .x0 / D .1 ˇ 2 sin2 #/;
. 2 R02
C Ry02 C R02
x z / 3
Ey0 D .Ey ˇBz /
(18.142) s
wobei # der Winkel zwischen R0 und ˇ ist. Wegen ˇ 2 2 D 1ˇ 1ˇ
2 1 und 1 sin2 # D cos2 # ist (wie schon in (18.75) ver- D Ey .1 ˇ/ D Ey p D Ey :
„ ƒ‚ … 1 ˇ2 1Cˇ
wendet) b
(18.149)
0
2 R02 .1 ˇ 2 sin2 #/ D 2 R02 cos2 # C R02 sin2 # Mit der (inversen) Lorentz-Transformation t D .t0 C ˇ xc /,
0
(18.143) x
D .ˇt0 C xc / ergibt sich für das Argument der Felder
D 2 R02 02 02
x C Ry C Rz :
c
x x0
! t D !.1 ˇ/ t0 : (18.150)
c c
18.3 Für die ruhende Punktladung ist der elektrische Fluss
durch eine Kugelkappe mit Öffnungswinkel
Damit ist die Frequenz in S0 in Übereinstimmung mit dem
Ergebnis für den relativistischen Doppler-Effekt (18.107) für
Z cos ˛ D 1 gegeben durch
q
ˆe D 2 2 r2 sin # d# D 2 q.1 cos /: (18.144)
r
0 ! 0 D .1 ˇ/ ! D b !: (18.151)
640 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
Im Limes ˇ D vc ! 1 gehen also sowohl die Frequenz als auch gegeben. Betrachten wir z. B. den Zeitpunkt t0 D 0, dann liegt
die Amplitude der elektromagnetischen Felder gegen null. eine Grenze bei x0 D 0, während die andere durch
18.5 Für die ebene Welle ist wegen E ? B und jEj D jBj
x0 D L C ˇx0 (18.159)
1 2
T 00 D wem D T 01 D cjgem j D E ; (18.152) gegeben ist. Dieser Wert von x0 definiert nun L0 und ist offenbar
4
nicht durch L= , sondern durch
und bei zirkularer Polarisation sind diese Felder homogen im
gesamten Raum. Energie und Impuls in einem in S ruhenden 1
L0 D L C ˇL0 ) L0 D L (18.160)
Volumen V sind damit einfach .1 ˇ/
V 2
EV D cPV D E : (18.153) gegeben. Damit ist der fehlende Faktor .1 ˇ/1 gefunden, der
4
notwendig ist, damit Energie und Impuls des betrachteten Volu-
Teil II
Gemäß der Lösung von Aufgabe 18.4 ist im System S0 mens wie Komponenten eines Vierervektors transformieren:
jE0 j D .1 ˇ/ jEj: (18.154) EV0N D VN 0 wem
0
D .1 ˇ/EVN D b EVN : (18.161)
Weil dies in den Energie- und Impulsdichten quadratisch auf-
Das Volumen muss dafür offenbar ein mit Lichtgeschwindigkeit
tritt, haben wir
mitgeführtes sein.
1 2
T 000 D wem
0
D T 001 D cjg0em j D 2 .1 ˇ/2 E : (18.155) Diese Überlegung findet sich übrigens im Wesentlichen genau
4 so in Einsteins berühmter Veröffentlichung aus dem Jahr 1905,
Das Volumen V bewegt sich nun bezüglich S0 mit Geschwin- in dem er die spezielle Relativitätstheorie begründete (Einstein
digkeit v in x-Richtung. Es wird also in dieser einen Richtung 1905, §8). Er kommentiert dies dann mit der Feststellung: „Es
Lorentz-kontrahiert, sodass V 0 D V= gilt. Damit bekommen ist bemerkenswert, dass die Energie und die Frequenz eines
wir Lichtkomplexes sich nach demselben Gesetze mit dem Bewe-
EV0 D V 0 wem
0
D .1 ˇ/2 EV (18.156) gungszustande des Beobachters ändern.“ Unter Lichtkomplex
versteht er hierbei gerade den mit Lichtgeschwindigkeit mitge-
und denselben Zusammenhang für P0V und PV . Ein Viererim- führten Ausschnitt einer ebenen Welle. Ohne dieses Ergebnis
puls mit Komponenten . 1c EV ; PV ; 0; 0/ würde bei einer Lorentz- wäre Einsteins unmittelbar zuvor veröffentlichte Lichtquanten-
Transformation aber einen Faktor .1ˇ/ für jede Komponente hypothese, die ja E D „! setzt und mit der wir uns in Teil III
bekommen, und nicht .1 ˇ/2 . auseinandersetzen werden, nicht mit seiner speziellen Relativi-
Was haben wir hier falsch gemacht? Nun, wir haben ein Volu- tätstheorie in Einklang gewesen (für weitere Diskussionen von
men betrachtet, in das elektromagnetische Wellen auf der einen Subtilitäten im Zusammenhang mit der Lorentz-Transformation
Seite ein- und auf der anderen Seite wieder austreten, jeweils von elektromagnetischer Feldenergie vgl. Avron 1999).
mit Lichtgeschwindigkeit. In einem bewegten Volumen ist das 18.6 In die Viererkraftdichte für die freien Quellen
zwar weiterhin der Fall, aber wir haben bei der Lorentz-Trans-
formation nicht in Rechnung gestellt, dass die Ränder dieses 1
Volumens in den beiden Systemen zu unterschiedlichen Zeiten ff D F jf (18.162)
c
betrachtet werden.
wird jf D 4
c
@ D eingesetzt:
In der Definition des Viererfeldimpulses in (18.95) war wesent-
lich, dass über den gesamten Raum integriert werden kann und 1
dass Beiträge vom Unendlichen verschwinden. Dies ist bei einer ff D F @ D
ebenen Welle nicht mehr der Fall. Wenn wir die Energie eines 4 (18.163)
1 1
endlichen Bereichs betrachten wollen, bei dem sichergestellt D @ F D D @ F ;
ist, dass bei der Transformation nichts an den Rändern verlo- 4 4
ren geht, sollten wir diesen mit der ebenen Welle mitbewegen. und der letzte Term wird wie in (18.89) umgeformt:
Da es nur um ein Volumen zum Zweck der Rechnung geht und
um keinen realen Behälter, ist dies kein Problem. Betrachten D @ F D D @ F D D @ F
wir also ein Volumen V, N das sich in S mit Lichtgeschwindig-
1
keit in positive x-Richtung bewegt und von Flächen bei x D ct D D .@ F C @ F / (18.164)
und x D L C ct begrenzt wird. Sind die Flächen in transversaler 2
1
Richtung F, so ist das Volumen zu einem beliebigen Zeitpunkt D D @ F :
VN D LF. Im System S0 sind die Grenzflächen durch 2
x D ct ) ˇct0 C x0 D ct0 C ˇx0 ; (18.157) Hierbei konnte im letzten Schritt wieder die homogene Max-
0 0
0 0
well-Gleichung (18.57) eingesetzt werden, um den freien (äu-
x D L C ct ) ˇct C x D L C ct C ˇx (18.158) ßeren) Index auf die Viererableitung zu übertragen. In (18.89)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 641
konnte an dieser Stelle aber @ vor den ganzen Ausdruck gezo- die Abkürzung F D qEy D qBz ein, dann lauten die Bewe-
gen und dafür mit 12 multipliziert werden. Im Allgemeinen gilt gungsgleichungen (18.84)
also nur
d q 1
px D vy Bz D F vy ; (18.169)
1 1 dt c c
ff D @ F D C D @ F 6 @ TM
:
4 2 d q vx
(18.165) py D qEy vx Bz D F 1 ; (18.170)
dt c c
Ist aber etwa komponentenweise D D const F , wobei die d
Konstante nicht einheitlich sein muss, dann kann wieder pz D 0; (18.171)
dt
1 während (18.83)
D @ F D @ D F (18.166)
2
d 0 d d
p c E D qEy vy D F vy D c px
Teil II
(18.172)
geschrieben werden, sodass (18.117) mit (18.118) gilt. Dies ist dt dt dt
erfüllt, wenn in einem Inertialsystem D D E und H D 1 B mit
ergibt, wobei im letzten Schritt (18.169) verwendet wurde. Dar-
konstanten und gilt.
aus folgt, dass E cpx eine Konstante der Bewegung ist. Zum
Die Herleitung zeigt auch, dass es wesentlich für eine Bilanz- Zeitpunkt null, zu dem das Teilchen ruht, ist E D mc2 und
gleichung für ff mit einem bestimmten Index ist, dass @ px D 0, also gilt für die gesamte Bewegung
mit eben diesem Index mit den Materialkonstanten vertauscht
werden kann. Hat man z. B. Inhomogenitäten in einer räumli- E c px D m c2 : (18.173)
chen Richtung, dann wird nur der Impulssatz bezüglich dieser q
Richtung verletzt. Hat man dagegen räumliche Homogenität, Da pz D 0 bleibt, ist E D m2 c4 C c2 .p2x C py2 /, und wir kön-
aber frequenzabhängige Materialkonstanten, dann scheitert die nen px durch py ausdrücken. Eine kurze Rechnung ergibt
Ableitung nur für @0 , d. h., der Energiesatz gilt nicht mehr, in
Übereinstimmung damit, dass in diesem Fall Dissipation von py2 py2
px D ; E D m c2 C c px D m c2 C : (18.174)
Energie im Medium auftreten kann. 2m c 2m
18.7 Die Invarianten des Feldstärketensors sind bis auf Vor- Damit können die Bewegungsgleichungen (18.169) und
faktoren durch die Ausdrücke E2 B2 und E B gegeben. Ist (18.170) entkoppelt werden. Insbesondere finden wir
E B D 0 und sind die Beträge von E und B ungleich, dann gibt
es immer ein Inertialsystem, in dem ein reines E- oder ein rei- d vx
py D F 1
nes B-Feld vorliegt. Ist E betragsmäßig das größere, dann gibt dt c
(18.175)
es ein Bezugssystem, in dem das Teilchen einem reinen E-Feld px c E px c mc2
ausgesetzt ist, sodass eine konstante Kraft in einer Richtung DF 1 DF DF
E E E
vorliegt. Die Bewegung hat dann offensichtlich keinen oszil-
lierenden Anteil, und das gilt auch für alle dazu gleichförmig und damit
bewegten Bezugssysteme. Ist B betragsmäßig das größere Feld, !
py2
dann gibt es ein Bezugssystem, in dem ein reines Magnetfeld E dpy D m c C 2
dpy D F m c2 dt: (18.176)
vorliegt, für das die Bewegung eine Schraubenlinie ist. In da- 2m
zu gleichförmig bewegten Bezugssystemen hat die Bewegung
weiterhin oszillierende Anteile. Integration mit der Anfangsbedinung py .0/ D 0 führt auf
18.8 Legen wir das Koordinatensystem so, dass das B-Feld in dx dx dt px c2 dt py2
D D D : (18.179)
z-Richtung und das E-Feld in y-Richtung zeigt, und führen wir dpy dt dpy E dpy 2Fm2 c
642 18 Relativistische Formulierung der Elektrodynamik
dy/dt
18.9 Die erste Gleichung in (18.121) ergibt nach Bildung eines
ct
äußeren Produkts mit ˇ D 1c v unter Verwendung von a .b
c/ D b.a c/ c.a b/
Abb. 18.10 Relativistische Bewegung in homogenen E- und B-Feldern mit
Ey D Bz . Ein geladenes Teilchen wird in die Richtung senkrecht auf die bei- ˇD D ˇ.ˇH/Cˇ 2 HCˇECˇ.ˇB/ˇ 2 B: (18.182)
den Felder auf annähernd Lichtgeschwindigkeit beschleunigt; x.t/ (blaue Kurve )
nähert sich asymptotisch const C c t. In Richtung des E-Feldes (y.t/; rote Kur- Ersetzt man darin gemäß (18.122) auf der rechten Seite .ˇB/ D
ve ) nimmt die Geschwindigkeit dagegen zuerst zu und dann wieder ab (hellrote .ˇ H/, dann kann dies in der zweiten Gleichung in (18.121)
Kurve )
dazu verwendet werden, B durch E und H auszudrücken.
Analog kann aus der zweiten Gleichung in (18.121) ˇ B be-
Eine einfache Integration liefert dann unter Berücksichtigung rechnet und mit .ˇ D/ D .ˇ E/ über die erste Gleichung D
der Anfangsbedingung durch E und H dargestellt werden.
py3 py2
x.py / D ; y.py / D : (18.180)
6Fm2 c 2Fm
Literatur 643
Literatur
Avron, J.E., Berg, E., Goldsmith, D., Gordon, A.: Is the number Minkowski H.: Die Grundgleichungen für die elektromagne-
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Purcell, E.M.: Elektrizität und Magnetismus. Vieweg, Wiesba-
den (1989)
Abstrahlung
elektromagnetischer Wellen
19
Wie kann man allgemein
die Potenziale einer
vorgegebenen Ladungs-
Teil II
und Stromverteilung
berechnen?
Welche Besonderheiten
ergeben sich bei der
Abstrahlung durch
relativistisch bewegte
Punktladungen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_19, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 645
646 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Q 1 1
Wir suchen hier nun die Felder, die sich für eine beliebige G.!; k/ D !2
: (19.6)
zeitabhängige Ladungs- und Stromverteilung ergeben. Daher k
2
c2
müssen wir jetzt die Maxwell-Gleichungen in voller Allge-
meinheit lösen. Wie in Kap. 11 bereits gezeigt wurde, können Frage 2
diese aber durch Einführung des skalaren Potenzials und des Zeigen Sie dies.
Vektorpotenzials A und der Wahl einer geeigneten Eichung ent-
koppelt werden. Am einfachsten werden die Gleichungen in der
Lorenz-Eichung: Es bleibt dann „nur“ noch, die Rücktransformation dieser Fou-
rier-Transformierten zu berechnen. Wir haben also folgendes
.t; r/ D 4 .t; r/; Mehrfachintegral auszuwerten:
4 (19.1) Z
A.t; r/ D j.t; r/; c2 1 ei.kR! /
c G.; R/ D p d3 k d! : (19.7)
. 2 / 4 c2 k2 ! 2
wobei
1
divA C @ t D 0 (19.2) Der Wert dieses Integrals ist wegen der Polstellen allerdings
c nicht eindeutig definiert; dies werden wir im Folgenden noch
gilt. genauer diskutieren.
19.1 Retardierte Potenziale 647
Z1 Z1 rA Re ω
c2 ei!
k dk eikR eikR d! 2 2 : (19.8)
2 2 iR c k !2
0 1
Hk
Frage 3
Zeigen Sie dies und überlegen Sie sich, mithilfe welchen ma- gW
Teil II
thematischen Satzes man die !-Integration ausführen könnte.
Abb. 19.1 Integrationsweg für das im Text besprochene !-Integral: entlang
Der Integrand hat Polstellen bei ! D ˙ck. Um die Integration der reellen Achse (rA) oder über einen geschlossenen Integrationsweg (gW). Das
Integral entlang des Halbkreis (Hk) im Unendlichen trägt dabei nichts bei. Au-
über ! auszuführen, bietet es sich also an, den Residuensatz mit ßerdem sind die Polstellen des Integranden bei ! D ˙ck gezeigt; diese werden
einem „im Unendlichen“ geschlossenen Integrationsweg gW zu durch den Integrationsweg gW umgangen, sodass sie innerhalb des vom Weg
verwenden (Abschn. 13.2). Dabei müssen wir wieder darauf umschlossenen Gebiets liegen
achten, dass der Beitrag des Integranden auf dem Halbkreis „im
Unendlichen“ verschwindet.
Beginnen wir mit dem Exponentialfaktor: ei! soll ver- Lösung der homogenen Gleichung plus eine spezielle Lösung
schwinden, wenn der Imaginärteil von ! gegen unendlich der inhomogenen Gleichung). Die physikalische Interpretati-
(Halbkreis oben geschlossen) oder minus unendlich (Halbkreis on ist dagegen letztlich, dass die Green’sche Funktion von
unten geschlossen) geht. Dies ist offensichtlich dann der Fall, den Randbedingungen (hier: sowohl räumlich als auch zeitlich)
wenn < 0 bzw. > 0, also t < t0 bzw. t > t0 gilt. Da in abhängt (siehe die Diskussion der Dirichlet’schen und Neu-
(19.4) über alle t0 zu integrieren ist und daher positiv oder mann’schen Randbedingungen in Kap. 12).
negativ sein kann, müssen wir beide Fälle durchrechnen und je- Wir betrachten nun eine Wahl des Integrationsweges, bei dem
weils den Integrationsweg so schließen, dass der schließende beide Pole in der oberen Halbebene umgangen werden (z. B.
Halbkreis nichts beiträgt. durch zwei kleine Halbkreise; da der Integrand abseits der re-
Bei der Anwendung des Residuensatzes haben wir aber nun das ellen Achse analytisch ist, kommt es nicht darauf an, wie der
Problem, dass die beiden Pole des Integranden gerade auf dem Integrationsweg genau verläuft, solange er oben herumgeht).
Integrationsweg entlang der reellen Achse liegen. Dies bedeu- Beginnen wir mit der Auswertung für > 0, so ist der Integra-
tet, dass das Integral (19.7) nicht wohldefiniert ist. Man kann es tionsweg, wie oben diskutiert, unten zu schließen. Der gesamte
eindeutig machen, indem man den Integrationsweg ins Komple- nun verwendete Integrationsweg einschließlich der Pole ist in
xe verformt und die Pole auf einer Seite umgeht. Das Ergebnis Abb. 19.1 dargestellt.
des Integrals hängt aber nun natürlich davon ab, wie der Inte- Da dieser Integrationsweg die Pole einschließt, sind nun die Re-
grationsweg gewählt wird (da der Integrand bei den Polstellen siduen der beiden Pole zu berechnen:
ja nicht analytisch ist).
ei! 1 ick
Dies ist allerdings nicht wirklich ein Problem, sondern im lim .! .˙ck// D e : (19.10)
!!˙ck c2 k2 !2 2kc
Gegenteil sogar zu erwarten: Wir suchen ja eine Lösung der
Differenzialgleichung (19.3). Wendet man den Differenzialope- Damit ist das !-Integral:
rator auf die Fourier-Darstellung (19.7) an, so ergibt sich Z1
ei! 2 i ick
Z Z d! D e eick
c2 1 c2 k2! 2 2kc
G.; R/ D p d3 k d! ei.kR! / : (19.9) 1 (19.11)
. 2 /4
gW i
D eick eick :
kc
Der Integrand ist nun analytisch, und damit ändert das Verfor-
men des Weges nichts am Ergebnis dieses Integrals – es ergibt (Das zusätzliche Minuszeichen stammt daher, dass der ge-
sich immer die gewünschte Deltafunktion. schlossene Integrationsweg im mathematisch negativen Sinn
durchlaufen wird.) Es bleibt also für die Green’sche Funktion
Je nach Wahl des Integrationsweges entlang der Achse erhält
man also unterschiedliche Green’sche Funktionen, die aber al- Z1
c
le die Differenzialgleichung (19.3) erfüllen. Dies entspricht G.; R/ D dk eikR eikR eick eick :
2 R
mathematisch der Tatsache, dass eine inhomogene Differen- 0
zialgleichung stets unendlich viele Lösungen hat (allgemeine (19.12)
648 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Nun multiplizieren wir die Klammern aus und fassen jeweils Diese verschwindet für > 0; auch hier kann aber wegen der
zwei der Summanden nach einem Übergang k ! k zusam- Deltafunktion auf ein explizites Anschreiben des Faktors .t0
men: t/ verzichtet werden.
Z1 Frage 4
c
G.; R/ D dk eik.Rc / eik.RCc / : (19.13) Leiten Sie diese avancierte Green’sche Funktion her.
2 R
1
Hat man dagegen < 0, so muss der Halbkreis in der oberen nicht verschwindet. Seit dem Zeitpunkt t0 , zu der die Punktla-
Halbebene geschlossen werden, damit sein Beitrag zum Integral dung erschien, ist also die Zeitspanne
verschwindet. Den Integrationsweg gW entlang der Achse be-
hält man aber bei, umgeht die Pole also weiterhin durch kleine jr r0 j
t D (19.19)
Halbkreise in der oberen Halbebene. Damit schließt der gesam- c
te Integrationsweg die Pole nicht ein, das Integral verschwindet
also für < 0 für den gewählten Weg gW entlang der Achse. vergangen. Dies ist aber natürlich genau die Zeit, die ein Si-
gnal braucht, um sich mit Lichtgeschwindigkeit vom Ort r0 ,
Setzt man die Abkürzungen von oben wieder ein, hat man an dem sich die Punktladung befand, zum Ort r, an dem das
schließlich die sogenannte retardierte Green’sche Funktion. Feld beobachtet wird, auszubreiten. Die retardierte Green’sche
Funktion beschreibt also die Ausbreitung eines Signals mit
Retardierte Green’sche Funktion Lichtgeschwindigkeit bzw. die zukünftigen Auswirkungen einer
Änderung in der Ladungs- bzw. Stromverteilung.
Eine Green’sche Funktion zum d’Alembert-Operator ist
Setzt man die retardierte Green’sche Funktion in (19.4) für die
ı t t0 jrr0 j Potenziale ein und führt die Integrationen über t0 aus, so erhält
c
Gret .t; t0 ; r; r0 / D : (19.16) man entsprechend die retardierten Potenziale.
jr r0 j
Retardierte Potenziale
Eigentlich ist hier noch ein Faktor .t t0 / zu ergänzen, da die Die Potenziale zu einer vorgegebenen orts- und zeitsab-
Funktion für < 0 ja verschwindet. Durch die Deltafunktion hängigen Ladungsverteilung .t; r/ und Stromverteilung
wird dies aber bereits gewährleistet. j.t; r/ kann man folgendermaßen berechnen:
Alternativ kann man den Integrationsweg entlang der reellen
Achse natürlich auch so wählen, dass die Polstellen in der un- Z t jrr0 j 0
;r
c
teren Halbebene umgangen werden. Dann erhält man mit völlig .t; r/ D dV 0 ;
analogen Rechenschritten schließlich die sogenannte avancierte jr r0 j
(19.20)
Green’sche Funktion
Z j t jrr
0j
; r 0
1 c
ı t t0 C jrr
0j A.t; r/ D dV 0 :
c c jr r0 j
Gav .t; t0 ; r; r0 / D : (19.17)
jr r0 j
19.2 Bewegte Punktladung: Liénard-Wiechert-Potenziale 649
Teil II
Zeit, zu der beobachtet wird, vor der Zeit, zu der die Punkt-
ladung auftaucht. Entsprechend werden durch die zugehörigen
avancierten Potenziale Felder zu einer Zeit vor der entsprechen- Abb. 19.2 Eine Punktladung der Stärke q bewegt sich auf einer Bahnkurve
den Änderung der Ladungs- und Stromverteilung beschrieben. x.t/. Gezeigt sind außerdem der Vektor xP .t/ der Momentangeschwindigkeit, der
Dies kann man physikalisch so interpretieren, dass man daran Ortsvektor r des Beobachters und der Vektor R von der Punktladung zum Beob-
achter
interessiert ist, welche Felder für eine vorgegebene Änderung
der Ladungs- und Stromverteilung nötig sind.
Anders gesagt: Die retardierten Potenziale beschreiben die Ab- Zur Berechnung der Potenziale ist es hier günstiger, statt der
strahlung elektromagnetischer Wellen durch eine Ladungs- und Ausdrücke (19.20) für die retardierten Potenziale die allge-
Stromverteilung, die avancierten Potenziale dagegen den Emp- meinen Zusammenhänge in (19.4) zu verwenden und statt der
fang der Wellen. Meist ist man an der Abstrahlung interessiert, zeitlichen zunächst die räumlichen Integrale auszuführen. Es
verwendet also die retardierte Green’sche Funktion. bleibt dann
Abschließend sei noch angemerkt, dass man die Pole auch an-
Z ı t0 t jrx.t0 /j
ders hätte umgehen können – beispielsweise den linken in der c
unteren, den rechten in der oberen Halbebene. Dies führt auf .t; r/ D q dt0 ;
jr x.t0 /j
wieder eine andere Green’sche Funktion, oft Feynman-Green- (19.23)
Z ı t0 t jrx.t0 /j xP .t0 /
Funktion oder auch Feynman-Propagator genannt (nach dem q c
Nobelpreisträger Richard Feynman, 1918–1988), die insbeson- A.t; r/ D dt0 :
c jr x.t0 /j
dere in der Quantenfeldtheorie wichtig ist.
Frage 5
Zeigen Sie dies unter Verwendung von (19.16) und (19.22).
19.2 Bewegte Punktladung:
Liénard-Wiechert-Potenziale Das Argument der Deltafunktionen ist hier eine komplizierte
Funktion von t0 , daher können die zeitlichen Integrationen nicht
In vielen physikalischen Situationen ist man daran interes- direkt ausgeführt werden. Stattdessen ist zunächst die Glei-
siert, welche elektromagnetischen Wellen eine einzelne bewegte chung
X 1
Punktladung abgibt. Dies ist beispielsweise wesentlich für die ı.f .t// D ı.t ti / (19.24)
Brems- und die Synchrotronstrahlung, kann aber theoretisch i
jf 0 .ti /j
auch für die Berechnung der Abstrahlung einer beliebigen
Ladungs- und Stromverteilung benutzt werden. Solche Vertei- (siehe (11.14)) anzuwenden, wobei ti die einfachen Nullstellen
lungen kann man sich ja letztlich immer aus bewegten Punktla- der Funktion f sind. Hier haben wir
dungen zusammengesetzt denken.
jr x.t0 /j R.t0 /
f .t0 / D t0 t C D t0 t C ; (19.25)
c c
Allgemeine Berechnung der Potenziale wobei zur Abkürzung der Vektor R.t0 / WD r x.t0 / vom mo-
mentanen Ort der Punktladung zum Beobachtungsort eingeführt
wurde. Nach kurzer Rechnung ergibt sich
Wir betrachten eine Punktladung der Stärke q, die sich entlang
einer vorgegebenen Bahnkurve x.t/ bewege (Abb. 19.2). Dann f 0 .t0 / D 1 ˇ.t0 / eO R .t0 / (19.26)
hat man
.t; r/ D qı.r x.t//; mit einem Einheitsvektor eO R .t0 / in Richtung von R.t0 / und der
(19.22)
j.t; r/ D qPx.t/ı.r x.t//: bekannten Abkürzung ˇ D xP =c.
650 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Zunächst sehen wir, dass die Bedingung (19.28) für die Zeitre-
Da sicher jˇj < 1 ist und außerdem für beliebige Vektoren im-
tardierung auch geschrieben werden kann als
mer a b jajjbj gilt, ist das Produkt in diesem Ausdruck sicher
< 1, der gesamte Ausdruck also immer positiv, und die Betrags- 2
striche in (19.24) sind hier unnötig. c2 .t t0 /2 D R2 .t0 / D r x.t0 / (19.29)
Da sich die Punktladung sicher unterlichtschnell bewegt, kann oder mit dem Vierervektor
zum Potenzial an jedem festen Ort r zu jedem Zeitpunkt t au-
ßerdem immer nur ihre Bewegung zu einem einzigen Zeitpunkt R .t0 / D r x .t0 / D .ct; r/ .ct0 ; x.t0 // (19.30)
Teil II
Frage 7
Dabei ist ˇ WD xP =c, R ein Vektor vom momentanen Ort
der Ladung zum Beobachter und eO R ein Einheitsvektor in Wie sieht somit die kovariante Formulierung aus?
dessen Richtung.
Damit können wir die Liénard-Wiechert-Potenziale nun kovari-
ant schreiben.
Benannt sind diese Potenziale nach dem französischen Physi-
ker und Ingenieur Alfred-Marie Liénard (1869–1958), der sie
1898 das erste Mal herleitete, und dem deutschen Physiker und Liénard-Wiechert-Potenziale in kovarianter Formulie-
Seismologen Emil Wiechert (1861–1928), der unabhängig von rung
Liénard zwei Jahre später ebenfalls auf diese Ausdrücke kam. Die Potenziale aus (19.27) kann man kovariant einfach
darstellen als
Natürlich sind die Lösungen nur in impliziter Form angegeben;
ˇ
um die Potenziale konkret zu berechnen, ist jeweils noch die qu .t0 / ˇˇ
A D : (19.33)
Gleichung u .t0 /R ˇR R D0
R.t0 /
t0 D t (19.28)
c
Betrachten wir insbesondere ein Bezugssystem, das sich mit
zu lösen (die entsprechende Zeit t0 wird oft als retardierte Zeit derselben Geschwindigkeit wie die Punktladung bewegt. Dann
bezeichnet). Dies ist allerdings für praktisch alle physikalisch ist
sinnvollen Situationen nur näherungsweise möglich. Ein kon- u D .c; 0/; (19.34)
kretes Beispiel dazu wird im Folgenden ausführlich diskutiert
werden; der exakt lösbare Fall einer gleichförmig bewegten und die Potenziale (19.33) sind einfach
Punktladung wird dagegen als Aufgabe 19.3 gestellt. Zunächst
q
sollen die Ergebnisse (19.27) aber noch kovariant geschrieben D und A D 0; (19.35)
werden, was es möglich macht, sie genauer zu interpretieren. R.t0 /
19.2 Bewegte Punktladung: Liénard-Wiechert-Potenziale 651
Teil II
ˇ
q eO r x.t0 / ˇ
.t; r/ D 1C C eO r ˇ.t / ˇˇ
0
0
;
Harmonisch schwingende Punktladung r r t0 Dt R.tc /
q ˇ
A.t; r/ D ˇ.t0 /ˇ t0 Dt R.t0 / : (19.40)
Kommen wir nun zu einem konkreten Beispiel, wie man die r c
Im Folgenden berechnen wir die Potenziale und die wobei wie üblich die Wellenzahl k D !=c ist. Damit sind
Felder, die durch diese bewegte Punktladung erzeugt wer- schließlich die Potenziale in führender Ordnung
q
den, unter Voraussetzung einiger Näherungen:
eO r x0
.t; r/ D 1C sin.!t kr/
Der Abstand des Beobachters ist groß im Vergleich zur r r
Amplitude der Schwingung: r jx0 j. C kOer x0 cos.!t kr/ ;
Die Punktladung bewegt sich langsam verglichen mit
q
der Lichtgeschwindigkeit: jˇj 1. A.t; r/ D kx0 cos.!t kr/: (19.44)
r
Die zweite Bedingung kann umformuliert werden zu Daraus erhält man durch Ableiten die Feldstärken
!jx0 j c, was wiederum gleichbedeutend mit jx0 j
q q
ist, d. h., die Amplitude der Schwingung ist klein vergli- E.t; r/ D eO r C k2 x0 sin.!t kr/ (19.45)
chen mit der Wellenlänge der abgegebenen Strahlung. r2 r
q
3 x0 sin.!t kr/ C kr cos.!t kr/
Wir entwickeln nun die Liénard-Wiechert-Potenziale r
nach jx0 j=r und jˇj bis zur jeweils ersten Ordnung; auch q
C 3 eO r .Oer x0 / 3 sin.!t kr/
Terme, die beide Ausdrücke gleichzeitig in erster Ord- r
nung enthalten, werden vernachlässigt.
C 3kr cos.!t kr/ .kr/2 sin.!t kr/ ;
Zunächst hat man
kr sin.!t kr/ cos.!t kr/
B.t; r/ D qk eO r x0 :
1 1 r x.t0 / r2
C (19.38)
R.t0 / r r3 J
652 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Abb. 19.3 Felder eines harmonisch schwingenden Dipols. Dargestellt sind jeweils die elektrischen (rot ) und magnetischen (blau ) Felder für t D T=4, T=2, 3T=4
Teil II
Im Rahmen der betrachteten Näherungen (großer Abstand des Das elektrische Feld ist hier also genau dasselbe wie bei ei-
Beobachters und langsame Bewegung der Punktladung) sind ner ruhenden Punktladung plus einem statischen Dipol, nur die
dies vollständige Ergebnisse. Die dadurch beschriebenen Felder Stärke des Dipolmoments hängt nun von der Zeit ab. Wie man
sind in Abb. 19.3 für verschiedene Zeiten dargestellt. außerdem leicht nachrechnet, steht das magnetische Feld hier
senkrecht zum elektrischen Feld und zur Schwingungsrichtung
Um nähere Einsicht in das Verhalten der Felder zu gewinnen,
der Ladung.
betrachtet man nun noch zwei Spezialfälle, in denen weitere
Vereinfachungen möglich sind. Im Fernfeld ergeben sich dagegen deutlich andere Aussagen.
Hier haben wir kr 1; bei den Feldern bleibt somit nur
In den bisherigen Voraussetzungen wurden nur Aussagen über
die relative Größe der Quelle und der Wellenlänge bzw. der Grö- qk2 sin.!t kr/
ße der Quelle und den Abstand des Beobachters gemacht, über E.t; r/ D x0 eO r ŒOer x0 ;
r (19.49)
das Verhältnis zwischen Wellenlänge und Abstand des Beob-
achters wurde nichts gesagt. Man unterscheidet hier: k2 sin.!t kr/
B.t; r/ D qOer x0 :
r
Nahfeld r , also insgesamt für die drei relevanten Grö-
Berücksichtigt man, dass
ßen jx0 j r ,
Fernfeld r , also insgesamt jx0 j r. pR .t r=c/ D q k2 c2 x0 sin.!t kr/ (19.50)
Betrachten wir zunächst das Nahfeld. Hier hat man kr 1, also ist, so kann man auch dies wieder kürzer schreiben.
bleibt nur
q q q Fernfeld einer harmonisch schwingenden Punktladung
E.t; r/ D 2 eO r 3 x0 sin.!t/ C 3 eO r .Oer x0 /3 sin.!t/;
r r r
kx0 cos.!t/ Für eine Punktladung, die harmonisch um den Ursprung
B.t; r/ D q eO r : (19.46) schwingt (elektrisches Dipolmoment p), sind die Feldstär-
r2 ken fern der Ladung
Berücksichtigt man, dass die schwingende Punktladung das Di-
polmoment eO r ŒOer pR .t r=c/ pR .t r=c/
E.t; r/ D ;
p.t/ D qx.t/ D q x0 sin.!t/ (19.47) rc2 (19.51)
pR .t r=c/
hat, so kann man dies auch kürzer schreiben. B.t; r/ D eO r :
rc2
z Frage 8
Üerprüfen Sie, dass die entstehenden Wellen transversal sind
und die Felder senkrecht aufeinander stehen.
x y erhält man
I
Teil II
2Rp2 .t r=c/ 2! 4 p20
P.t; r/ D df S D D sin2 .!t kr/:
3c3 3c3
Abb. 19.4 Abstrahlungscharakteristik eines harmonisch schwingenden Dipols (19.55)
(hier: Punktladung, die entlang der z-Achse um den Ursprung schwingt). Darge-
Meist ist man am zeitlichen Mittelwert der abgestrahlten Leis-
stellt ist der abgestrahlte Energiefluss in Abhängigkeit vom Winkel zur z-Achse
(Polardarstellung: der Abstand eines Punktes auf der Oberfläche zum Ursprung tung interessiert.
ist proportional zum Betrag von S in dieser Richtung). Man sieht, dass insbeson-
dere in Schwingungsrichtung nichts abgestrahlt wird
Von einer harmonisch schwingenden Punktladung
abgestrahlte Leistung
Des Weiteren ergibt sich zwar dieselbe Winkelabhängigkeit wie Eine Punktladung, die mit der Kreisfrequenz ! und der
bei einem statischen Dipolfeld, die Radialabhängigkeit ist aber Amplitude x0 harmonisch um den Ursprung schwingt,
anders: Die Feldstärke ist nun proportional zu r1 statt zu r3 . strahlt im zeitlichen Mittel die Leistung
Das Fernfeld fällt mit zunehmendem Radius also viel langsamer
ab als das Nahfeld – und genau deswegen ist das Nahfeld nur ! 4 p20 ! 4 q2 x20
hPi D D (19.56)
nahe dem Dipol wesentlich. 3c3 3c3
Ist man an der gesamten abgestrahlten Energie interessiert, so ab.
benötigt man noch den Poynting-Vektor im Fernfeld. Dieser er-
gibt sich nach kurzer Rechnung aus der Definition (11.112) und
(19.51) zu Für Dipolstrahlung ist diese Abhängigkeit von der Amplitude
pR 2 .Oer pR /2 (proportional zu p20 ) und der Frequenz (proportional zu ! 4 ) ty-
S.t; r/ D eO r : (19.52) pisch, wie wir im Folgenden ebenfalls noch sehen werden.
4 c3 r2
Der Ausdruck im Zähler kann dann noch mittels des Winkels Andererseits kann man für r D 0 auch schreiben:
zwischen eO r und p ausgedrückt werden. 2q2 xR 2 .t/
P.t/ D : (19.57)
3c3
Abstrahlung einer harmonisch schwingenden Punkt-
Streng genommen gehört dies natürlich nicht zum Fernfeld –
ladung
dies ist aber zulässig, wenn man nur an der Abstrahlung inter-
Für eine Punktladung, die harmonisch um den Ursprung essiert ist. Die abgestrahlte Leistung ist also proportional zum
schwingt, ist der Poynting-Vektor fern der Ladung Quadrat der Beschleunigung der Punktladung. Dieser Zusam-
menhang gilt nicht nur bei einer harmonischen Schwingung,
pR 2 .t r=c/ sin2 # sondern allgemein, und ist als die (nichtrelativistische) Larmor-
S.t; r/ D eO r ; (19.53) Formel bekannt. In Abschn. 19.5 werden wir nochmals näher
4 c3 r2
darauf eingehen. Hier sollen zunächst noch zwei Folgerungen
wobei # der Winkel zwischen der Schwingungsrichtung aus der Abstrahlung einer schwingenden Punktladung bespro-
der Punktladung und der Beobachtungsrichtung ist. chen werden.
so regt sie diese zu einer harmonischen Schwingung an. Wie Andererseits gilt im zeitlichen Mittel für den Betrag des Ener-
wir gerade gesehen haben, wird die Punktladung dann ihrerseits giestromes der einfallenden elektromagnetischen Welle
wieder Strahlung abgeben – und zwar nicht nur in die Rich-
tung, in die sich die einfallende Welle bewegt, sondern laut der c 2
hSi D E : (19.65)
Abstrahlungscharakteristik (19.53) in alle Richtungen außer der 8 0
Schwingungsrichtung. Die einfallende Welle wird also (teilwei-
se) gestreut. Der Streuwirkungsquerschnitt ist definiert als der Quotient
aus gestreuter Leistung und einfallendem Energiestrom. Somit
Betrachten wir solch eine einfallende Welle und ihre Wirkung ergibt sich
auf eine Punktladung q, die sich ursprünglich im Ursprung be-
findet. Dort hat man die Felder 8 q4 !4
.!/ D : (19.66)
3m2 c4 .!02 ! 2 /2
E.t/ D E0 cos .!t/ ;
Teil II
(19.58)
B.t/ D B0 cos .!t/ Oft interessiert nur der Grenzfall ! !0 (dies entspricht
der Streuung an einem freien oder nur sehr schwach gebunde-
mit reellen, konstanten Amplitudenvektoren E0 und B0 . Auf die nen Teilchen, ist also beispielsweise in Plasmen wichtig). Man
Punktladung wirkt dann die Kraft spricht dann von Thomson-Streuung (nach dem britischen Phy-
siker Sir Joseph John Thomson, 1856–1940, dem Entdecker des
F.t/ D mRx.t/ D qE.t/ C qˇ B.t/ m!02 x.t/; (19.59) Elektrons).
wobei wir noch berücksichtigt haben, dass ein gebundenes
Teilchen im Allgemeinen auch Eigenschwingungen mit der Fre- Thomson-Streuquerschnitt
quenz !0 ausführen wird.
Der Wirkungsquerschnitt für die Streuung einer elektro-
Betrachten wir wieder nur langsame Bewegungen der Punktla- magnetischen Welle an einem harmonisch gebundenen
dung (jPxj c), so kann der zweite Summand gegenüber dem Teilchen ist
ersten vernachlässigt werden (da bei einer ebenen Welle im Va- 8 q4
kuum E und B ja denselben Betrag haben), und es bleibt T D ; (19.67)
3m2 c4
q
xR .t/ D E.t/ !02 x.t/: (19.60) wenn die Frequenz der Welle sehr viel größer ist als die
m
Eigenfrequenz des Teilchens.
Die Punktladung führt also erzwungene Schwingungen aus.
Frage 9
Speziell für Elektronen erhält man den konkreten Zahlenwert
Erinnern Sie sich an die Mechanik: Welcher Zusammenhang
T D 6;64 1025 cm2 (D 0;664 barn).
ergibt sich bei einer erzwungenen Schwingung zwischen einer
äußeren periodischen Kraft und der Auslenkung? Zur Veranschaulichung kann man hier auch den sogenann-
ten klassischen Elektronenradius einführen (siehe auch Ab-
schn. 12.6): Setzt man an, dass die Ruheenergie me c2 des
Mit dem Wissen aus der Mechanik (Kap. 6) folgt, dass bei der
Elektrons gleich seiner potenziellen Energie e2 =re im eigenen
periodischen äußeren Anregung (19.58)
Feld ist, so ergibt sich
1 q
x.t/ D E.t/ (19.61) e2
!02 ! m
2
re D .D 2:8 1015 m/: (19.68)
me c2
gilt, also
!2 q (Es ist aber anzumerken, dass nach heutigem Wissen der tat-
xR .t/ D E.t/: (19.62)
!02 ! m
2 sächliche Elektronenradius kleiner als 1019 m ist; nach dem
gegenwärtigen Standardmodell der Teilchenphysik sind Elek-
Setzen wir dies in (19.57) ein, so erhalten wir für die von der tronen sogar punktförmig.) Damit kann der Thomson-Streu-
Punktladung abgestrahlte Leistung sofort querschnitt einfach geschrieben werden als
2q4 E2 .t/ !4 8 2
P.t/ D (19.63) T D r : (19.69)
3c m .!0 ! 2 /2
3 2 2 3 e
bzw. nach zeitlicher Mittelung Die Querschnittsfläche, die ein Elektron einer einfallenden elek-
tromagnetischen Welle hoher Frequenz entgegensetzt, ist also
q4 E20 !4 um den Faktor 83 größer als die nach der obigen Abschätzung zu
hPi D : (19.64)
3c3 m2 .!0 ! 2 /2
2 erwartende Querschnittsfläche.
19.2 Bewegte Punktladung: Liénard-Wiechert-Potenziale 655
Teil II
!4
R .!/ D T :
!04
Wir haben gesehen, dass eine harmonisch schwingende Punkt- 2q2 hvP 2 i
D hFStr v i: (19.72)
ladung elektromagnetische Wellen abstrahlt, also ständig Ener- 3c3
gie verliert. Dies kann man sich auch so vorstellen, dass die
abgegebenen elektromagnetischen Wellen ihrerseits wieder eine Die zeitliche Mittelung erfolgt über eine Periode der Schwin-
(abbremsende) Kraft auf die Punktladung ausüben; man nennt gung. Ausführlich geschrieben gilt
diesen Effekt Strahlungsdämpfung. Im Folgenden soll ein expli-
ziter Ausdruck für diese Kraft hergeleitet werden. ZT
1
hvP 2 i D vP 2 dt: (19.73)
Die Bewegungsgleichung der Punktladung sei insgesamt T
0
mvP D F C FStr ; (19.70) Hier kann man nun partiell integrieren; die Randterme fallen
wegen der vorausgesetzten periodischen Bewegung weg. Es er-
gibt sich
wobei FStr für die Strahlungsdämpfungskraft steht und F für
alle anderen Kräfte, die auf die Punktladung wirken (z. B. die ZT
Rückstellkraft der harmonischen Schwingung und/oder Kräfte 1
hvP i D
2
v vR dt D hv vR i: (19.74)
einer einfallenden elektromagnetischen Welle). Die durch die T
Strahlungsdämpfungskraft der Punktladung entzogene Leistung 0
ist dann
Ein Vergleich mit dem Ansatz (19.71) führt dann auf das ge-
PStr D FStr v : (19.71) suchte Ergebnis.
656 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Allgemeiner betrachten wir hier nun eine (räumlich begrenzte) Zunächst folgt aus r0 r:
Ladungs- und Stromverteilung mit harmonischer Zeitabhängig-
eO r r0 2
keit: kjr r0 j D kr 1 C O r0 =r
r
i!t 0
.t; r/ D 0 .r/e und j.t; r/ D j0 .r/ei!t : (19.77) D kr k r C : : : (19.83)
Teil II
nachlässigt werden, und es bleibt (19.97)
r 0
Z
eikr
0 .r/ D dV 0 0 .r0 / 1 ik r0 ;
r
Z (19.88) Dipolstrahlung
eikr j .r0 /
A0 .r/ D dV 0 0 1 ik r0 :
r c
Die elektrischen und magnetischen Felder erhält man wiederum
Hier sieht man bereits, dass sich für die Potenziale radial aus- durch Ableiten der Potenziale, wobei die harmonische Zeitab-
laufende Wellen ergeben. Außerdem können beim skalaren hängigkeit natürlich mit berücksichtigt werden muss.
Potenzial die Definitionen der Gesamtladung und des Dipolmo-
Betrachten wir nur die physikalisch relevanten Realteile, so er-
ments verwendet werden; damit kann man kurz schreiben:
gibt sich
eikr
0 .r/ D .q0 ik p0 / : (19.89) kq0 sin.kr !t/
r E.t; r/ D
r
k2 Œp0 .p0 eO r /Oer cos.kr !t/
Beim Vektorpotenzial beachte man zunächst, dass aus der C ;
Kontinuitätsgleichung für die hier angenommene harmonische r
Zeitabhängigkeit k p0 cos.kr !t/
2
j B.t; r/ D eO r : (19.98)
div 0 D ik 0 (19.90) r
c
folgt. Die Divergenz von j0 ist aber sicher von derselben Grö- Frage 12
ßenordnung wie j0 =r0 , also ist j0 =c selbst bereits von derselben Berechnen Sie diese Feldstärken.
Größenordnung wie ikr0 0 . In der Entwicklung oben genügt es
somit bei A0 , nur die erste Ordnung mitzunehmen: Berücksichtigt man, dass
Z
eikr j0 .r0 / Re .Rp.t r=c// D Re ! 2 p.t r=c/
A0 .r/ D dV 0 : (19.91) (19.99)
r c D k2 c2 p0 cos.kr !t/
Dieses Integral kann man nun noch weiter umschreiben. Hierfür
gilt, so kann man dies auch kürzer schreiben als (den Realteil
benutzt man die Beziehung
von)
@0i ri0 j0 j D rj0 divj0 C j0 j ; (19.92) kq0 sin.kr !t/
E.t; r/ D
also r
.r 0 /> r0 j> D r0 divj0 C j0 : (19.93) eO r ŒOer pR .t r=c/ pR .t r=c/
0 C ;
rc2
Mithilfe der Kontinuitätsgleichung führt dies auf pR .t r=c/
B.t; r/ D eO r : (19.100)
rc2
j0 1
D .r 0 /> r0 j>
0 ikr0 0 : (19.94) Für den Dipolanteil erhält man also genau dieselben Felder wie
c c
bereits bei der harmonisch schwingenden Punktladung in Ab-
Damit erhält man für das Integral: schn. 19.2.
Z Z Z
j 1 Hier haben wir allerdings auch noch einen Anteil mit der Ge-
dV 0 0 D dV 0 .r 0 /> r0 j>
0 ik dV 0 r0 0 : (19.95) samtladung. Betrachten wir dessen Beitrag Sq zum Poynting-
c c
658 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Vektor; dieser ergibt sich aus dem ersten Summanden beim Multipolentwicklung der Green’schen Funktion
elektrischen Feld und dem magnetischen Feld in (19.100). Nach
zur Helmholtz-Gleichung
einer kurzen Rechnung hat man
.p0 eO r /Oer p0 eO r D 0; (19.102) an und benutzen für die Deltafunktion wieder die Entwicklung
Teil II
1
ı.r r0 / X X 0 0
l
also
Sq eO r D 0: (19.103) ı.r r0 / D Ylm .# ; ' /Ylm .#; '/: (19.107)
r02 lD0 mDl
Außerdem verschwindet das zeitliche Mittel über Sq . Die har-
monisch veränderliche Gesamtladung trägt also nichts zur Ab- Setzt man beides in die Helmholtz-Gleichung
strahlung bei. 0
eikjrr j
C k2 D 4 ı.r r0 / (19.108)
jr r0 j
Es gibt keine elektromagnetische Monopolstrahlung.
ein und benutzt die Darstellung (2.133) des Laplace-Operators
in Kugelkoordinaten, so kommt man zu
Dies wird in Aufgabe 19.5 nochmals näher diskutiert.
l.l C 1/
Für die Dipolstrahlung ergeben sich dagegen, da ja die Felder r C k 2
Glm .r; r0 ; # 0 ; ' 0 /
r2
dieselben sind, wieder genau dieselben Ergebnisse wie in Ab- (19.109)
ı.r r0 / 0 0
schn. 19.2. D 4 Ylm .# ; ' /:
r2
Wieder folgt, dass man
Abstrahlungscharakteristik und mittlere abgestrahlte
Leistung eines harmonisch schwingenden Dipols Glm .r; r0 ; # 0 ; ' 0 / D gl .r; r0 /Ylm
.# 0 ; ' 0 / (19.110)
Für einen harmonisch schwingenden elektrischen Dipol p schreiben kann; die Funktionen gl erfüllen hier aber nun die Dif-
ist der Poynting-Vektor im Fernfeld ferenzialgleichung
2
pR 2 .t r=c/ sin2 # r r l.l C 1/ C k2 r2 gl .r; r0 / D 4 ı.r r0 /: (19.111)
S.t; r/ D eO r ; (19.104)
4 c3 r2
Frage 13
und im Mittel wird die Leistung Vollziehen Sie die Rechenschritte bis zu diesem Ergebnis im
Einzelnen nach.
! 4 p20
hPi D (19.105)
3c3
Außerdem setzen wir erneut voraus, dass die Funktionen
abgegeben. gl .r; r0 / stetig sind. Wieder folgt, dass sie bei r D r0 nicht diffe-
renzierbar sind, sondern dass
r0 C
d 4
lim gl .r; r0 / D 02 (19.112)
!0 dr r0 r
19.4 Multipolstrahlung gilt.
Zunächst ist aber noch die Differenzialgleichung für den Fall
Wie wir in Abschn. 19.3 gesehen haben, ergeben sich auch im
r ¤ r0 zu lösen, also
dynamischen Fall, wie bereits in der Elektrostatik, im Fernfeld
2
ein Monopol- und ein Dipolanteil. Es liegt also nahe, wie in r r l.l C 1/ C k2 r2 gl .r/
Abschn. 13.6 eine allgemeine sphärische Multipolentwicklung
d2 d
der Potenziale durchzuführen. Wir betrachten auch hier wieder D r2 2 C 2r l.l C 1/ C k2 r2 gl .r/
nur räumlich begrenzte, harmonisch schwingende Ladungs- und dr dr
Stromverteilungen. D 0; (19.113)
19.4 Multipolstrahlung 659
Teil II
Letztere werden später genauer diskutiert werden; hier soll
nur kurz auf die Erzeugung von UKW-Radiowellen ein-
gegangen werden. Hierzu verwendet man im Wesentlichen
einfach einen geraden Metallstab (Abb. 19.6), dessen Länge
gerade die Hälfte der Wellenlänge beträgt. Schließt man in
der Mitte eine Wechselspannung an, so bildet sich in dem
Metallstab eine stehende harmonische elektromagnetische
Welle aus. Man hat dann einen Hertz’schen Dipol, der elek-
tromagnetische Strahlung abgibt.
(19.117)
Dies sieht nun aber einer Bessel’schen Differenzialgleichung
(siehe (16.58)) sehr ähnlich. Durch eine weitere Transformation
erhält man daraus tatsächlich eine Bessel’sche Differenzialglei- Wie bereits bei den gewohnten („zylindrischen“) Bessel-Funk-
chung: Setzt man tionen (mit ganzzahligem Index) werden die Funktionen zweiter
r
Art yl oft auch Neumann-Funktionen genannt und mit nl be-
fl .x/ D ul .x/ (19.115) zeichnet. Außerdem definiert man noch die sogenannten sphä-
2x
rischen Hankel-Funktionen erster und zweiter Art durch die
p komplexen Linearkombinationen (nach dem deutschen Mathe-
(wobei der konstante Faktor =2 nur Konvention und für die matiker Hermann Hankel, 1839–1873)
Rechnung eigentlich nicht nötig ist), dann gilt für ul die Diffe-
renzialgleichung
hl.1/ .x/ D jl .x/ C iyl .x/ und hl.2/ .x/ D jl .x/ iyl .x/:
! (19.118)
d2 d 1 2
x 2 Cx Cx lC
2 2
ul .x/ D 0: (19.116)
dx dx 2
Zu den sphärischen Bessel-Funktionen gibt es wie auch zu den
zylindrischen eine reichhaltige mathematische Literatur (vgl.
Lösungen sind hier also die Bessel-Funktionen JlC1=2 .x/ (ers- z. B. Boas 2005 und für einige grundlegende Eigenschaften
ter Art) und YlC1=2 .x/ (zweiter Art) zu halbzahligen Indizes. den Kasten „Übersicht: Wichtige Eigenschaften der sphärischen
Insgesamt spricht man nun von sphärischen Bessel-Funktionen Bessel-Funktionen“). Abbildung 19.7 stellt jeweils die ersten
(siehe auch den „Mathematischen Hintergrund“ 16.1). drei sphärischen Bessel-Funktionen erster bzw. zweiter Art dar.
660 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
a b
jl (x) yl (x)
1 1
j0
j1
y0
y1
j2
y2
π 3π 4π x π 3π 4π x
Teil II
−1 −1
Abb. 19.7 Die jeweils ersten drei sphärischen Bessel-Funktionen erster (a) bzw. zweiter (b) Art
xl eix
jl .x/ ! hl.1/ .x/ ! .i/lC1
.2l C 1/ŠŠ x
.2l 1/ŠŠ
yl .x/ ! Wronski-Determinante:
xlC1
Dabei bedeutet die Doppelfakultät .2n C 1/ŠŠ einer unge- 1
raden Zahl 2nC1 das Produkt aller ungeraden Zahlen von jl .x/y0l .x/ j0l .x/yl .x/ D
x2
1 bis 2n C 1.
Für x ! 0 divergieren die Funktionen yl , die Funktionen jl sind wobei wieder r< D min.r; r0 / und r> D max.r; r0 / gesetzt
dagegen proportional zu xl ; außerdem verhalten sich für x ! 1 wurde. Die Normierungskonstanten Cl kann man mithilfe der
die Hankel-Funktionen erster Art wie auslaufende Kugelwellen. Wronski-Determinante aus der Bedingung (19.112) berechnen;
man erhält
Frage 14
Cl D 4 ik: (19.120)
Wie sollten also die Funktionen gl hier allgemein aussehen? Er-
innern Sie sich an den Ansatz im statischen Fall!
Frage 15
Da die Funktionen gl für kleine r nicht divergieren sollten und Rechnen Sie dies nach.
für große r auslaufende Wellen beschreiben sollen, liegt analog
zum statischen Fall folgender Ansatz nahe:
Setzt man alle Ergebnisse zusammen, so ergibt sich schluss-
gl .r; r0 / D Cl jl .kr< / hl.1/ .kr> /; (19.119) endlich als sphärische Multipolentwicklung für die Green’sche
19.5 Abstrahlung durch relativistisch bewegte Teilchen 661
Funktion zur Helmholtz-Gleichung: Somit ergibt sich genau dieselbe Beziehung wie bei den sta-
0
tischen Multipolmomenten (13.196). Dies erklärt unsere Wahl
eikjrr j der Vorfaktoren oben.
(19.121)
jr r0 j Abschließend können wir nochmals das skalare Potenzial für
1 X
X l die Dipolstrahlung berechnen. In den Multipolentwicklungen
D 4 ik jl .kr< /hl.1/ .kr> /Ylm .#; '/Ylm
.# 0 ; ' 0 /: sind dafür nur die Terme bis zu l D 1 mitzunehmen. Der Zusam-
lD0 mDl menhang zu den kartesischen Multipolmomenten ist (Aufgabe
13.13)
p
q00 D 4 q;
Dynamische sphärische Multipolmomente r
4
q10 D p3 ;
Teil II
Auch das weitere Vorgehen ist völlig analog zu Abschn. 13.6: 3
r
Wir setzen die Green’sche Funktion in die Beziehungen (19.4) 2
für die Potenziale ein und betrachten nur den Fall, dass man sich q11 D .p1 ip2 /;
3
außerhalb der Ladungs- und Stromverteilung befindet (r > r0 ). r
2
Für das skalare Potenzial hat man dann q1;1 D .p1 C ip2 /: (19.127)
3
1 X
X l
hl.1/ .kr/Ylm .#; '/ Daraus erhält man zunächst
0 .r/ D 4 ik
Z
lD0 mDl (19.122) q00 Y00 .#; '/ D q0 ;
0 0 0 X
dV 0 .r /jl .kr /Ylm .# 0 ; ' 0 /: q1m Y1m .#; '/ D p0 eO r (19.128)
m
Definiert man die dynamischen sphärischen Multipolmomente
und damit
durch eikr
Z 0 .r/ D.q0 ik p0 / ; (19.129)
4 .2l 1/ŠŠ r
qlm D dV 0 0 .r0 /jl .kr0 /Ylm
.# 0 ; ' 0 /; (19.123)
kl was genau mit dem Ergebnis in Abschn. 19.3 übereinstimmt.
so hat man für die sphärische Multipolentwicklung des skalaren
Potenzials
1 X
X l
19.5 Abstrahlung durch
iklC1 qlm
0 .r/ D hl.1/ .kr/ Ylm .#; '/: (19.124) relativistisch bewegte Teilchen
lD0 mDl
.2l 1/ŠŠ
Zwischen einer „retardierten“ Zeitspanne t0 , die für die be- Mit (19.132) und (19.135) sowie der Kettenregel können wir
wegte Punktladung vergeht, und der vom Beobachter gemesse- nun die Ableitungen einer beliebigen Funktion f .t; r/ berech-
nen Zeitspanne t hat man somit denselben Lorentz-Umrech- nen:
nungsfaktor, der bereits bei den Liénard-Wiechert-Potenzialen @f 1 @f
auftritt. D ;
@t 1 eO R .t0 / ˇ.t0 / @t0
(19.136)
Ebenso hat man bei der Abhängigkeit von der räumlichen Koor- 1 eO R .t0 / @f
r f D r 0f ;
dinate r˛ (bei konstantem t und konstanten anderen räumlichen c 1 eO R .t / ˇ.t / @t0
0 0
19.5 Abstrahlung durch relativistisch bewegte Teilchen 663
wobei r 0 f die Änderung von f mit den räumlichen Koordinaten Außerdem benötigen wir den Gradienten des skalaren Potenzi-
zur festen Zeit t0 bezeichnet. als
q eO R 1 q
Ermitteln wir damit zunächst die Zeitableitung des Vektorpo- r D r0 @ t0
R ˇ R 1 eO R ˇ c R ˇ R
tenzials: q
D r 0 .R ˇ R/
.R ˇ R/2
1 @A q 1 ˇ
D @ t0 (19.137) qOeR 1
c @t 1 eO R ˇ c R ˇ R C @ t0 .R ˇ R/ : (19.140)
! .1 eO R ˇ/ .R ˇ R/2 c
q P̌ ˇ 1c @ t0 .R ˇ R/
D Mit
1 eO R ˇ Rc .1 ˇ eO R / R2 .1 ˇ eO R /2 r 0 .R ˇ R/ D eO R ˇ (19.141)
q P̌ qˇ eO R ˇ C 1c P̌ R ˇ 2
Teil II
D C ; und der bereits beim Vektorpotenzial verwendeten Zeitableitung
Rc .1 ˇ eO R /2 R2 .1 ˇ eO R /3 wird dies zu
q .OeR ˇ/ qOeR eO R ˇ C 1c P̌ R ˇ 2
P D ˇ und R=c
P D OeR ˇ und damit r D
wobei R=c R2 .1 ˇ eO R /2 R2 .1 ˇ eO R /3
qOeR P̌ eO R
1 1 ; (19.142)
@ t0 .R ˇ R/ D OeR ˇ P̌ R C ˇ 2 (19.138) Rc .1 ˇ eO R /3
c c
wobei im letzten Schritt wieder nur große Abstände R c=ˇP
verwendet wurden. betrachtet wurden.
Insgesamt erhält man damit für das elektrische Feld in großem
Frage 16 Abstand
Vollziehen Sie die Berechnung der Zeitableitung des Vektorpo- 1 @A
tenzials in allen Zwischenschritten nach. E D r (19.143)
c @t
q
D P̌ .1 ˇ eO R / .OeR ˇ/ P̌ eO R :
Rc .1 ˇ eO R /3
Hier treten nun einerseits Terme auf, die proportional zu 1=R2 Mithilfe der bekannten Vektoridentität a .b c/ D b .a c/
P
sind, und andererseits Terme proportional zu ˇ=.Rc/. Erstere c .a b/ kann man dies schließlich umschreiben zu
hängen außerdem nur von der Geschwindigkeit der Punktla- q
dung ab, treten also auch bei einer gleichförmig bewegten ED 3
eO R .OeR ˇ/ P̌ : (19.144)
Punktladung auf; die anderen Terme sind dagegen proportional Rc .1 ˇ eO R /
zur Beschleunigung. Dementsprechend spricht man manchmal
auch von Geschwindigkeits- bzw. Beschleunigungsfeldern. Es bleibt noch das Magnetfeld aus B D r A zu berechnen:
qˇ eO R 1 qˇ
Die Beschleunigungsfelder haben die typische 1=R-Abhängig- B D r0 @ t0
R ˇ R 1 eO R ˇ c R ˇ R
keit von Strahlungsfeldern. Wie wir weiter unten sehen werden, q qOeR 1 ˇ
bilden für diese auch das elektrische und magnetische Feld (E D r0 ˇ @ t0
und B) sowie die radiale Richtung von der Punktladung weg RˇR 1 eO R ˇ c R ˇ R
(OeR ) ein Rechtssystem. Die Beschleunigungsfelder beschreiben q .OeR ˇ/ ˇ q eO R P̌
also von der Punktladung auslaufende elektromagnetische Wel- D
R2 .1 ˇ eO R /2 Rc .1 ˇ eO R /2
len.
q .OeR ˇ/ eO R ˇ C 1c P̌ R ˇ 2
; (19.145)
Für große Abstände des Beobachters zur bewegten Punktladung R2 .1 ˇ eO R /3
(R P können die Geschwindigkeitsfelder vernachlässigt
c=ˇ) wobei für die räumlichen und zeitlichen Ableitungen die Zwi-
werden, und es bleibt schenergebnisse aus den Rechnungen oben verwendet wurden.
Betrachtet man wieder nur große Abstände, so bleibt hier
1
1 @A q P̌ qˇ P̌ R
C c q eO R P̌ q .OeR ˇ/ P̌ eO R
c @t Rc .1 ˇ eO R /2 R2 .1 ˇ eO R /3 BD
(19.139) Rc .1 ˇ eO R /2 Rc .1 ˇ eO R /3
(19.146)
P̌ .1 ˇ eO R / C ˇ P̌ eO R P̌ .1 ˇ eO R / C ˇ P̌ eO R
Dq : D q eO R :
Rc .1 ˇ eO R /3 Rc .1 ˇ eO R /3
664 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Nutzt man aus, dass eO R eO R D 0 ist, kann man den Zähler auch
schreiben als Larmor-Formel
Eine nichtrelativistisch bewegte Punktladung gibt, wenn
P̌ .1 ˇ eO R / .OeR ˇ/ P̌ eO R (19.147)
sie beschleunigt wird, die Leistung
und wie beim elektrischen Feld diesen Ausdruck wieder mithil-
2q2 ˇP 2 2q2 xR 2
fe der Vektoridentität umschreiben. Es bleibt schließlich PD D (19.153)
3c 3c3
q
BD eO R eO R .OeR ˇ/ P̌ durch elektromagnetische Strahlung ab.
Rc .1 ˇ eO R /3
D eO R E: (19.148)
Dieses Ergebnis hatten wir bereits in (19.57) für eine harmo-
Teil II
Will man die gesamte abgegebene Leistung berechnen, so ist Damit können die Terme der ersten und zweiten Zeile zu-
dieser Ausdruck noch über den Raumwinkel zu integrieren. Die- sammengefasst werden, und es bleibt
se Integration ist wegen der komplizierten Winkelabhängigkeit
2
sehr aufwendig. Hier sei nur das Ergebnis angegeben: 1 C ˇ 2 C .1 eO R ˇ/2 ˇP 2
eO R P̌
2 2 1 2 (19.156)
2q2 ˇP 2 ˇ P̌ 2q2 6 ˇP 2 ˇ P̌ D .1 eO R ˇ/2 ˇP 2 2 eO R P̌ :
PD D :
3c.1 ˇ 2 /3 3c
(19.152) Schließlich wird (19.151) zu
2 !
Im nichtrelativistischen Grenzfall ˇ 1 bleibt nur das als dP q2 eO R P̌
Larmor-Formel bekannte Ergebnis (nach dem irischen Physi- D ˇP 2 :
ker und Mathematiker Sir Joseph Larmor, 1857–1942, der diese d 4 c .1 eO R ˇ/4 2 .1 eO R ˇ/2
Formel 1897 fand), wovon (19.152) die relativistische Verallge- (19.157)
meinerung ist.
19.5 Abstrahlung durch relativistisch bewegte Teilchen 665
Teil II
Man spricht dementsprechend von Bremsstrahlung – ein Abb. 19.9 Eine Röntgenröhre: Links werden die Elektronen aus der Ka-
deutscher Begriff, der auch ins Englische übernommen wur- thode emittiert und dann zur drehbaren Anode rechts hin beschleunigt (©
de. Die Anode wird dabei im Allgemeinen gedreht, sodass Rschiedon)
der Elektronenstrahl nicht ständig auf dieselbe Stelle auf-
trifft, was schnell zu einer Überhitzung führen würde.
Abb. 19.10 Die Abstrahlungscharakteristik einer auf einer Kreisbahn (gelb ) umlaufenden Punktladung in dem Augenblick, in dem sie durch den Ursprung läuft, in
Abhängigkeit vom Winkel. a Abstrahlung für ˇ D 0;1, b Abstrahlung für ˇ D 0;6; der jeweilige Geschwindigkeitsvektor ist in Rot eingezeichnet. Die abgestrahlte
Leistung ist hier so normiert, dass die Intensität in z-Richtung genau 1 ist, da sonst eine vergleichende Darstellung für die beiden Werte von ˇ kaum möglich wäre:
Die insgesamt abgestrahlte Leistung wächst für ˇ ! 1 sehr stark an (siehe (19.164))
Bei vielen Experimenten der Elementarteilchenphysik wer- Eigenschaften wie hoher Intensität, breitem Spektrum, ho-
den Teilchen wie Protonen oder Elektronen mit hohen her Bündelung und Polarisation viele Anwendungen zur
Geschwindigkeiten aufeinandergeschossen und dann die Er- Materialuntersuchung von der Oberflächenphysik bis zur
gebnisse der Kollision untersucht. Zur Beschleunigung der Biochemie und Medizin. Inzwischen werden sogar Syn-
Teilchen wird meist ein Ringbeschleuniger (Synchrotron) chrotronstrahlungsquellen eigens für solche Anwendungen
verwendet, den die Teilchen vielfach durchlaufen, um eine gebaut; das neueste Konzept dabei ist der sogenannte Freie-
möglichst lange Beschleunigungsstrecke zu erreichen. Die Elektronen-Laser, bei dem durch die spezielle Bauweise
Teilchen laufen also (näherungsweise) auf einer Kreisbahn erreicht wird, dass eine große Anzahl von Elektronen gleich-
um und geben damit Synchrotronstrahlung ab. zeitig kohärente Strahlung abgibt.
Teil II
Die Teilchen haben in diesen Beschleunigern nahezu Licht- Außerdem tritt Synchrotronstrahlung auch in der Astrophy-
geschwindigkeit (im Large Hadron Collider sind beispiels- sik auf: Beispielsweise Neutronensterne haben sehr starke
weise 99,9999991% geplant); wir können in (19.166) also in Magnetfelder, in denen geladene Teilchen auf Kreis- oder
sehr guter Näherung ˇ D 1 setzen. Wir sehen dann, dass der Spiralbahnen umlaufen können. Neutronensterne rotieren
Energieverlust pro Umlauf bei vorgegebener Gesamtenergie schnell um ihre eigene Achse. Die abgegebene Synchrotron-
umgekehrt proportional zur Masse der Teilchen hoch vier strahlung wird in einem engen Kegel emittiert, sodass ein
und zum Radius des Beschleunigers ist. Deshalb ist es güns- „Leuchtturmeffekt“ entsteht: Der Strahl kann nur einmal pro
tig, schwerere Teilchen statt Elektronen zu verwenden und Umlauf die Erde treffen. Man empfängt von dem Neutro-
den Beschleuniger möglichst groß zu bauen. Beides wurde nenstern also periodisch elektromagnetische Pulse; deshalb
beim Large Hadron Collider berücksichtigt. Der unterirdi- spricht man von einem Pulsar (Abb. 19.12).
sche Ring, in dem Protonen beschleunigt werden, hat einen
Radius von etwa 4,25 km (Abb. 19.11).
Abb. 19.11 Ein Luftbild der Umgebung von Genf (Schweiz), auf dem unter
anderem der unterirdische Ring des Large Hadron Collider eingetragen ist
(gelb ). (© 2008 CERN, Maximilien Brice)
Abb. 19.12 Im Krebsnebel befindet sich ein Pulsar. Aber auch im weiteren
Umkreis dieses Neutronensterns ist das Magnetfeld immer noch so stark,
Früher wurde die Synchrotronstrahlung nur als Ärgernis be- dass Synchrotronstrahlung entsteht; so kommt das blaue Leuchten zustande
trachtet. Inzwischen findet sie jedoch dank ihrer besonderer (© NASA, ESA, J. Hester & A. Loll, Arizona State University 2005)
668 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
19.1 Retardierte und avancierte Green’sche Funk- (c) Berechnen Sie daraus die tatsächlichen elektrischen und ma-
tion Zeigen Sie, dass die retardierte und die avancierte gnetischen Felder und diskutieren Sie das Ergebnis.
Green’sche Funktion (19.16) und (19.17) tatsächlich die Dif-
ferenzialgleichung
Lösungshinweis: Verwenden Sie (19.20) für Teilaufgabe (b).
G.t; t0 ; r; r0 / D 4 ı.t t0 /ı.r r0 / (19.169)
19.3 Gleichförmig bewegte Punktladung
lösen, dass also
0 0
(a) G.t; t ; r; r / D 0 (19.170)
(a) Begründen Sie ohne Rechnung, dass eine gleichförmig be-
für r ¤ r0 gilt und dass wegte Punktladung keine Energie abstrahlen sollte.
Z
(b) Berechnen Sie für eine gleichförmig bewegte Punktladung
(b) G.t; t0 ; r; r0 / dV 0 D 4 ı.t t0 / (19.171) (Geschwindigkeitsvektor v ), die sich zur Zeit t D 0 im Ur-
ist, wenn über ein Volumen integriert wird, das den Punkt mit sprung befindet, explizit die retardierte Zeit (19.28).
(c) Zeigen Sie, dass die zugehörigen Liénard-Wiechert-Poten-
dem Ortsvektor r0 enthält.
ziale gegeben sind durch
Lösungshinweis: Führen Sie die Rechnungen zunächst nur für
die retardierte Green’sche Funktion durch und überlegen Sie q
.t; r/ D p ;
anschließend, wie sie sich für die avancierte Funktion ändert. R.t/ 1 ˇ 2 sin2 #
(b) Verwenden Sie bei der räumlichen Ableitung von G den (19.174)
qˇ
Gauß’schen Satz. Bei der zeitlichen Ableitung führen Sie zu- A.t; r/ D p D ˇ .t; r/;
nächst das Integral aus und berechnen danach die Ableitungen. R.t/ 1 ˇ 2 sin2 #
19.2 Ampère’sches Gesetz ungültig? Betrachten wobei
Sie folgende physikalische Situation: Entlang der z-Achse be- R.t/ D r v t (19.175)
finde sich ein unendlich langer und unendlich dünner, idealer
Leiter, in dem zur Zeit t D 0 plötzlich ein Strom der Stärke I nun der Vektor vom momentanen Ort der Punktladung zum
eingeschaltet wird. Nach dem Ampère’schen Gesetz gilt dann Beobachter und # der Winkel zwischen diesem Vektor und
für die magnetische Feldstärke im Abstand % zur z-Achse v ist.
2I (d) Begründen Sie, dass hier B D ˇ E ist.
B.%/ D ; (19.172) (e) Berechnen Sie daraus die elektrische und die magnetische
c%
Feldstärke sowie den Poynting-Vektor. Bestätigen Sie damit,
und zwar zu jeder beliebig kleinen Zeit t > 0. Im Widerspruch
dass keine Energieabstrahlung erfolgt.
zur lichtschnellen Ausbreitung elektromagnetischer Felder hat
sich die Änderung der magnetischen Feldstärke hier also schein-
bar instantan bis in unendliche Entfernung ausgebreitet. (Anmerkung: Die elektrische und magnetische Feldstärke einer
gleichförmig bewegten Punktladung wurde bereits in Kap. 18
(a) Erklären Sie, welcher Fehler bei der Herleitung dieses Er-
mittels einer Lorentz-Transformation berechnet.)
gebnisses gemacht wurde.
(b) Zeigen Sie, dass sich für die Potenziale Lösungshinweis:
.t; r/ D 0;
0s 1 (a) Verwenden Sie das Relativitätsprinzip.
2I c2 t2 (19.173) (b) Beachten Sie insbesondere auch den Grenzfall ˇ ! 0.
A.t; r/ D eO z .ct %/ arsinh @ 1A (c) Verwenden Sie im Nenner, dass R.t0 / D c.t t0 / gilt, setzen
c %2
Sie das Ergebnis aus Teilaufgabe (b) ein und verwenden Sie
ergibt. anschließend für r den Zusammenhang mit R.t/.
Aufgaben 669
19.4 Strahlungsdämpfung Betrachten Sie eine har- Lösungshinweis: Verwenden Sie (19.105) für Teilaufgabe (b).
monisch schwingende Punktladung (Stärke q, Eigenfrequenz
!0 , Masse m), auf die zusätzlich eine Strahlungsdämpfungskraft 19.8 Magnetische Dipolstrahlung Wir betrachten
(19.75) wirkt, deren Stärke klein verglichen mit der Rückstell- einen kreisförmigen, unendlich dünnen Leiter in der x-y-Ebene
kraft ist. Zeigen Sie, dass unter der Annahme, dass sich die mit Radius %0 , dessen Mittelpunkt der Ursprung ist. Der Lei-
Schwingungsfrequenz der Punktladung durch diese Kraft kaum ter werde von einem Strom der Amplitude I0 mit harmonischer
ändert, Zeitabhängigkeit in mathematisch positiver Richtung durchflos-
x.t/ D x0 ei!0 t t (19.176) sen; wir haben also in Zylinderkoordinaten
Teil II
3mc3
gilt.
(a) Zeigen Sie, dass die Ladungsdichte zeitlich konstant ist,
19.5 Keine Monopolstrahlung Begründen Sie mit- und berechnen Sie das magnetische Dipolmoment m dieser
tels der Kontinuitätsgleichung rechnerisch, dass es keine end- Stromverteilung.
lich ausgedehnte, harmonisch veränderliche Ladungs- und (b) Berechnen Sie das retardierte Vektorpotenzial in großem
Stromverteilung geben kann, die ein nichtverschwindendes Mo- Abstand (Fernfeld) in Abhängigkeit der Amplitude des ma-
nopolmoment hat. Geben Sie auch eine anschauliche Begrün- gnetischen Dipolmoments.
dung an. (c) Berechnen Sie daraus die elektromagnetischen Feldstärken
und den Poynting-Vektor in Abhängigkeit des magnetischen
19.6 Larmor-Formel aus Dimensionsbetrachtung
Dipolmoments. Vergleichen Sie mit dem Ergebnis (19.53)
Geht man davon aus, dass die gesamte abgestrahlte Leistung
bei der elektrischen Dipolstrahlung.
einer beschleunigten Punktladung durch ein Potenzgesetz be-
schreibbar ist, so kann man die Abhängigkeiten der Leistung
von den relevanten Größen auch ohne explizite Herleitung der
Larmor-Formel (19.57) bestimmen. Es ist davon auszugehen, Lösungshinweis: Das magnetische Dipolmoment wurde in
dass die Leistung nur von der Stärke der Beschleunigung und (15.23) definiert. Gehen Sie bei Teilaufgabe (b) analog zu Ab-
der Größe der Ladung abhängt; außerdem kann die Lichtge- schn. 19.3 vor. Begründen Sie, dass bei der Entwicklung des
schwindigkeit als konstanter Faktor auftreten. Also liegt ein Vektorpotenzials nun auch die nächsthöhere Ordnung nötig ist,
Ansatz der Form und berechnen Sie diese.
P D const xR k ql cm (19.178)
19.9 Sendeantenne: Sphärische Multipole Als
mit unbekannten Exponenten k, l und m und einer dimensions- Modell für eine Sendeantenne betrachten wir einen unendlich
losen Konstante nahe. Diese Exponenten können nun aber durch dünnen, geraden Leiter entlang der z-Achse, für dessen Aus-
reine Dimensionsbetrachtungen bestimmt werden: Die rechte dehnung =2 z =2 gilt, wobei die Wellenlänge der
Seite muss dieselbe Dimension haben wie die linke. ausgesandten Strahlung ist. In diesem Leiter fließt ein räumlich
konstanter Strom mit harmonischer Zeitabhängigkeit und Am-
(a) Benutzen Sie dies, um ein lineares Gleichungssystem für k, plitude I0 .
l und m aufzustellen.
(b) Lösen Sie das Gleichungssystem und vergleichen Sie Ihr Er-
gebnis mit (19.57). (a) Geben Sie die Stromdichte j.t; r/ für diesen Strom an und er-
mitteln Sie aus der Kontinuitätsgleichung die Ladungsdichte
.t; r/.
19.7 Sendeantenne: Dipolstrahlung Als Modell (b) Zeigen Sie, dass die dynamischen sphärischen Multipolmo-
für eine Sendeantenne betrachten wir einen unendlich dünnen, mente nur für m D 0 und ungerade l nicht verschwinden.
geraden Leiter entlang der z-Achse, für dessen Ausdehnung (c) Berechnen Sie das niedrigste nichtverschwindende Multi-
L=2 z L=2 gilt. In diesem Leiter fließt ein Strom mit polmoment.
harmonischer Zeitabhängigkeit, dessen Amplitude in der Mitte
I0 ist und zu den Enden hin linear auf null abfällt.
(a) Geben Sie die Stromdichte j.t; r/ für diesen Strom an und er- Lösungshinweis: Schreiben Sie für Teilaufgabe (b) die La-
mitteln Sie aus der Kontinuitätsgleichung die Ladungsdichte dungsdichte in Kugelkoordinaten und verwenden Sie die Ergeb-
.t; r/. nisse aus Abschn. 19.4; außerdem benötigt man Eigenschaften
(b) Berechnen Sie das elektrische Dipolmoment der Antenne der Kugelflächenfunktionen aus Kap. 13. Verwenden Sie in
und daraus die gesamte im Mittel abgestrahlte Leistung in Teilaufgabe (c) Eigenschaften der sphärischen Bessel-Funktio-
Abhängigkeit von L und I0 . nen aus Abschn. 19.4.
670 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
19.1 Die retardierte Green’sche Funktion kann man kurz Das zweite Integral kann man mit dem Gauß’schen Satz in
schreiben als ein Oberflächenintegral umwandeln:
ı Rc I
G.; R/ D : (19.181)
R df R r R G.; R/jRDR0
(a) Die zweifache zeitliche Ableitung ist zunächst I !
ıP Rc0 ı Rc0
D dfR R O RO
ıR Rc R20
Teil II
R0 c
@ t G D @ G D
2 2
: (19.182)
R R0 R0 R0
D4 P
ı ı : (19.187)
Bildet man dagegen den Gradienten, so hat man c c c
ıP Rc 1O ı Rc Für das erste Integral verwendet man, dass
grad G D r R G D R O
R;
R c R2
R
(19.183) ı D cı.R c/ (19.188)
also ist c
ist. Dann kann man die Volumenintegration direkt ausfüh-
G D div grad G
! ren:
ıP Rc 1O Z ZR0
D rR R cı.R c/
R c G.; R/ dVR D 4 R2 dR
R
ıP c R
1 0
C r R RO
R c D 4 c .R0 c/ .c/;
2
(19.189)
!
ı c R
ı Rc da die Deltafunktion nur dann einen Beitrag zum Integral
rR RO rR RO
R2 R2 liefert, wenn 0 < c < R0 ist. Die erste zeitliche Ableitung
des Integrals ist
ıR Rc 1 O 2 ıP Rc O 1O
D R R R @ 4 c2 .R0 c/ .c/ (19.190)
R c R2 c h
Pı R 2 Pı R 1 D 4 c2 .R0 c/ .c/ cı.R0 c/ .c/
c
c
R O R O
R Rc R2 c i
C c .R0 c/ı.c/
2ı Rc 2 ı Rc 2 h i
C O
R : (19.184)
R3 R2 R D 4 c2 .R0 c/ .c/ R0 ı.R0 c/ :
Alle Summanden bis auf den ersten heben sich nun gegen-
Dabei wurde im zweiten Term verwendet, dass wegen der
seitig weg. Es bleibt also
Deltafunktion c D R0 gilt und sicher .R0 / D 1 ist, und im
1 2 dritten Term, dass ı.c/ D 0 ist. Für die zweite zeitliche
G D @ G Ableitung berechnet man entsprechend
c2 t
1 ıR Rc ıR Rc 1 @2 4 c2 .R0 c/ .c/ (19.191)
D 2 D 0; (19.185) h i
c R R c2 0
D 4 c cı.R0 c/ C cı.c/ C cR0 ı .R0 c/ ;
2
Im letzten Schritt wurde hier noch verwendet, dass die Damit man die Wurzel ziehen kann, muss c2 t2 %2 0 sein.
Ableitung der Deltafunktion eine ungerade Funktion ist. Ins- Zusammen mit der Bedingung t 0 führt das auf ct% 0.
gesamt bleibt schließlich Wir haben nun also
Z p
G.; R/ dVR D 4 ı./;
zC Zc2 t2 %2
(19.193) I dz0
A.t; r/ D eO z .ct %/ : (19.201)
c p
jr z0 eO z j
was zu zeigen war. z c2 t2 %2
die Ladungsdichte ist hier identisch null. Damit sind die Po-
tenziale (c) Daraus kann man nun die Feldstärken berechnen; nach eini-
D0 (19.196) gen Zwischenschritten erhält man
und 2I %
E.%; t/ D eO z .ct %/ p ;
c% c2 t2 %2
Z ı.x0 /ı.y0 / t jrr0 j (19.204)
I 0 c 2I ct
A.t; r/ D eO z dV B.%; t/ D eO ' .ct %/ p :
c jr r0 j c% c2 t2 %2
(19.197)
Z1 t jrz0 eOz j
I 0 c Man erkennt, dass für ct < % die Feldstärken identisch null
D eO z dz :
c jr z0 eO z j sind, im Einklang mit der Erwartung, dass das elektroma-
1 gnetische Feld, das durch Einschalten des Stromes entsteht,
die Zeit %=c braucht, um die Entfernung % vom Leiter zu
Wegen der -Funktion tragen zum Integral nur die z0 -Werte erreichen. Für ct ! % divergieren beide Feldstärken; dies
bei, für die kommt daher, dass ein instantanes Einschalten des Stromes
jr z0 eO z j
t 0 (19.198) natürlich unphysikalisch ist.
c Außerdem ist der Grenzfall großer Zeiten interessant; dann
gilt. Einerseits ist das natürlich nur für t 0 möglich, ande- sollte man vom Einschalten des Stromes im Endlichen nichts
rerseits führt dies auf eine quadratische Ungleichung für z0 mehr merken und die Ergebnisse der Magnetostatik erhalten.
mit der Lösung Tatsächlich ergibt sich im Einklang mit der Erwartung für
ct % bei festem %
p p
z z2 r2 C c2 t2 z0 z C z2 r2 C c2 t2 ; (19.199)
2I 1
E.t; %/ D eO z ! 0;
also c ct
(19.205)
2I
p p B.t; %/ D eO ' :
z c2 t2 %2 z0 z C c2 t2 %2 : (19.200) c%
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 673
Teil II
und damit B D ˇ E.
rˇ r2
t02 .1 ˇ 2 / 2t0 t C t2 2 D 0 (19.207) (e) Der Gradient des skalaren Potenzials ist
c c
p
mit den Lösungen qr R.t/ 1 ˇ 2 sin2 #
2 s 3 r D
2
c2 t2 r 2 R2 .t/ 1 ˇ 2 sin2 #
0
t1;2 D 4.ct r ˇ/ ˙ .ct r ˇ/2 5: q
c 2
qr R2 .t/ .ˇ R.t//2
D
(19.208) R2 .t/ 1 ˇ 2 sin2 #
h i
Für ˇ ! 0 reduziert sich dies auf qr R2 .t/ .ˇ R.t//2
0 1h p i r D h i3=2 : (19.217)
t1;2 D ct ˙ c2 t2 .c2 t2 r2 / D t ˙ : (19.209) 2 R2 .t/ .ˇ R.t//2
c c
Da t0 < t gelten muss, ist nur das negative Vorzeichen phy-
Dann hat man zunächst
sikalisch sinnvoll.
(c) Im Nenner der Potenziale haben wir r R2 .t/ D r R R2 .t/ D 2R.t/ (19.218)
0 O D R.t0 / ˇ R.t0 /
R.t /.1 ˇ R/
und wegen
D c.t t0 / ˇ r cˇt0
D c.t t0 / C cˇ 2 t0 ˇ r .ˇ R.t//2 D ˇ 2 R2 .t/ .ˇ R.t//2 (19.219)
c
D 2 t0 C ct ˇ r: (19.210) noch
Setzt man die Lösung aus Teilaufgabe (b) ein, so bleibt für r .ˇ R.t//2 D 2ˇ 2 R 2 .ˇ R.t// ˇ: (19.220)
den Nenner
s Insgesamt folgt also
c2 t2 r2
.ct r ˇ/2 : (19.211) q R.t/ ˇ 2 R.t/ C .ˇ R.t// ˇ
2 r D 3=2
R3 .t/ 1 ˇ 2 sin2 #
Nun setzt man außerdem h i
r D R.t/ C v t (19.212) q 12 R.t/ C .ˇ R.t// ˇ
D 3=2 : (19.221)
ein; der Ausdruck unter der Wurzel ist dann R3 .t/ 1 ˇ 2 sin2 #
2 c2 t2 .R C cˇt/2 Genauso berechnet man
ct R ˇ ctˇ 2
2
1 1
D ct 1 ˇ 2 R ˇ
2 @t A D ˇ @t
c c h i
1 ˇ 2 c2 t2 1 ˇ 2 R2 2ctR ˇ q@ t R2 .t/ .ˇ R.t//2
D h
D .R ˇ/2 C 1 ˇ 2 R2 i3=2
2 2c R2 .t/ .ˇ R.t//2
D R2 1 ˇ 2 1 R O ˇO
q .ˇ R.t// ˇ
D 3=2 ; (19.222)
D R2 1 ˇ 2 sin2 # : (19.213) R3 1 ˇ 2 sin2 #
674 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
wobei verwendet wurde, dass wegen ˇ R D ˇ r die Es wurde aber vorausgesetzt, dass die Strahlungsdämpfungs-
zeitliche Ableitung des zweiten Summanden verschwindet. kraft klein im Vergleich zur Rückstellkraft ist; also gilt
Insgesamt ergibt sich damit für das elektrische Feld
2q2 3
1 ! m!02 (19.232)
E.t; r/ D r @ t A 3c3
c
q (19.223) und damit, da ! !0 ist,
D O
3=2 R:
R 1 ˇ 2 sin2 #
2 2
2q2 !0
1: (19.233)
Der elektrische Feldstärkevektor zeigt also immer vom mo- 3mc3
mentanen Ort der Punktladung zum Beobachter (wie es für
Damit kann der zweite Summand in der Klammer oben ver-
das elektrische Feld einer Punktladung zu erwarten ist). Für
nachlässigt werden, und es bleibt
Teil II
c q2
O ˇ RO : (19.225) Für das Monopolmoment, also die Gesamtladung, ergibt sich
SD R
4 4 R4 1 ˇ 2 sin2 # 3 dann ebenfalls eine harmonische Zeitabhängigkeit mit
Z Z
1
Da dieser Vektor aber offensichtlich senkrecht zu RO steht, q0 D 0 dV D div j0 dV: (19.236)
wird in Richtung eines Beobachters (an jeder beliebigen i!
Stelle) nichts abgestrahlt – was zu zeigen war. Das Volumen, über das integriert wird, sei dabei so gewählt,
dass die Ladungs- und Stromverteilung vollständig eingeschlos-
19.4 Die Bewegungsgleichung lautet sen ist; dies ist immer möglich, da die Verteilung als endlich
ausgedehnt vorausgesetzt wurde. Das Integral kann mittels des
2q2«x Gauß’schen Satzes in ein Oberflächenintegral umgewandelt
mRx C m!02 D : (19.226)
3c3 werden: I
1
Da dies eine lineare Differenzialgleichung ist, deren ungestörte q0 D df j0 : (19.237)
i!
Lösungen harmonische Schwingungen sind, liegt der Ansatz
Da sich die Stromverteilung aber nach Voraussetzung vollstän-
x.t/ D x0 ei!t (19.227) dig im Inneren des Volumens befindet, ist auf der Oberfläche
j0 D 0 und damit
nahe. Einsetzen führt auf q0 D 0; (19.238)
2q2 3 was zu zeigen war.
! 2 C !02 D i ! : (19.228)
3mc3
Dieses Ergebnis kann man auch ohne Rechnung anschaulich
Die Schwingungsfrequenz soll sich durch die Dämpfung kaum verstehen: Nehmen wir an, wir könnten eine zeitlich veränder-
ändern, es soll also liche Ladungs- und Stromverteilung für alle Zeiten vollständig
! D !0 C ! (19.229) innerhalb eines bestimmten Gebiets einschließen. Die Gesamt-
ladung in diesem Gebiet kann sich aber natürlich nur ändern,
mit j!j !0 gelten. Dies ergibt
indem Ströme durch die Oberfläche fließen, da Ladungen we-
!2 !02 C 2! !0 und ! 3 !03 C 3! !02 : (19.230) der erzeugt noch vernichtet werden können. Damit ist die
Stromverteilung aber nicht vollständig innerhalb des Gebiets
Setzt man dies ein, so kommt man auf eingeschlossen – im Widerspruch zur Voraussetzung. Außer-
dem befindet sich, nachdem Ströme nach außen geflossen sind,
q 2 !0 q2 !02 nun auch außerhalb des vorherigen Volumens eine Ladungsver-
1 C i 3 ! D i : (19.231)
mc 3mc3 teilung – ebenfalls im Widerspruch zur Voraussetzung.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 675
ML2
; (19.239) Wegen der beiden Deltafunktionen hat p nur eine z-Kompo-
T3 nente; für diese gilt wegen der Thetafunktionen
wobei M, L und T jeweils für die Grunddimensionen Masse,
ZL=2
Länge und Zeit stehen. Das Produkt rechts hat dagegen die 2iI0 i!t
Dimension pz .t/ D e z sgn z dz
!L
L=2
k !l (19.247)
L M 1=2 L3=2 L m ZL=2
Teil II
: (19.240) 2iI0 i!t iI0 L i!t
T2 T T D e 2 z dz D e :
!L 2!
0
Vergleicht man die Dimensionen auf beiden Seiten, so ergibt
sich Setzt man dies in (19.105) ein, folgt schließlich
3 ! 2 I02 L2
k C l C m D 2; hPi D : (19.248)
2 12c3
2k l m D 3;
1 19.8
l D 1: (19.241)
2
(a) Die Divergenz von j ist
(b) Aus der dritten Gleichung erhält man sofort l D 2, aus den
anderen beiden dann k D 2 und m D 3. Damit folgt 1 @j'
D 0; (19.249)
% @'
xR 2 q2
P D const : (19.242) also ist nach der Kontinuitätsgleichung P D 0 und damit
c3
.t/ D const.
Dies stimmt mit der nichtrelativistischen Larmor-Formel Das magnetische Dipolmoment ist nach Definition
überein; die unbekannte dimensionslose Konstante ist 23 . Z
1
m.t/ D dV r j
2c
Z
19.7 I0
D ei!t ı.% %0 /ı.z/ Œ.%Oe% C zOez / eO ' dV
2c
Z
(a) Die Beschränkung auf die z-Achse erreicht man mit zwei I0
Deltafunktionen, die Einschränkung in z-Richtung mit zwei D ei!t ı.% %0 /ı.z/ .%Oez zOe% / % d% d' dz
2c
Thetafunktionen und die lineare Abhängigkeit in bei- I0
de Richtungen schließlich mit einer Betragsfunktion. Die D ei!t 2 %20 eO z DW m0 ei!t : (19.250)
Stromdichte ist also j.t; r/ D jz .t; r/Oez mit 2c
2iI0 sgn z i!t Wir müssen deshalb auch die nächsthöhere Ordnung in der
.t; r/ D ı.x/ı.y/ .L=2 z/ .z C L=2/ e : Entwicklung nach kr0 berücksichtigen (die höheren Terme
!L
(19.245) der Entwicklung in r0 =r können weiterhin vernachlässigt
676 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
werden, da wir ja das Fernfeld betrachten), wir haben also da im Fernfeld k 1=r ist. Im zweiten Summanden stehen
(Abschn. 19.3) dagegen nur Ableitungen von eO r . Diese liefern jeweils einen
Z Faktor 1=r, aber keinen Faktor k; deshalb ist der zweite Sum-
ei.kr!t/ j .r0 / mand im Fernfeld komplett vernachlässigbar. Es bleibt
A.t; r/ D dV 0 0 1 ik r0 : (19.253)
r c
k2 ei.kr!t/
Das Integral über den ersten Summanden verschwindet, wie BD .Oer .Oer m0 //
eben gezeigt; es bleibt noch das Integral über den zweiten r (19.259)
Summanden zu berechnen. Dies ist k2 ei.kr!t/
D .m0 .Oer m0 /Oer / ;
Z r
j .r0 /
dV 0 0 k r0
c wobei im letzten Schritt noch das doppelte Vektorprodukt
Z
I0 aufgelöst wurde. Für das Magnetfeld ergibt sich also die ty-
Teil II
Teil II
naten:
Das Quadrat davon ist
iI0 ı.#/ ı.# /
0 .r/ D ı.'/ı.r =2/ : (19.265)
! r2 sin # ˇP 2 cos2 # 2 cos # eO r eO z C 1 D ˇP 2 sin2 #: (19.274)
Damit haben wir Insgesamt ist die in eine bestimmte Richtung abgestrahlte
Z
4 .2l 1/ŠŠ iI0 Leistung pro infinitesimalem Raumwinkelelement
qlm D dV 0 ı.' 0 /ı.r0 =2/ (19.266)
kl !
ı.# 0 / ı.# 0 / dP q2 ˇP 2 sin2 #
jl .kr0 /Ylm
.# 0 ; ' 0 / D : (19.275)
r02 sin # 0 d 4 c .1 ˇ cos #/6
4 .2l 1/ŠŠ h i
D lC1
iI0 jl .k=2/ Ylm .0; 0/ Ylm . ; 0/ ; Im nichtrelativistischen Grenzfall ˇ ! 0 erhält man al-
ck so genau dasselbe Ergebnis (19.53) wie bei der harmonisch
wobei jl die sphärische Bessel-Funktion der Ordnung l ist. schwingenden Punktladung.
Benutzt man die Eigenschaften der Kugelflächenfunktionen (b) Für die gesamte abgestrahlte Leistung betrachten wir zu-
aus Kap. 13, so sieht man zunächst, dass dieser Ausdruck nächst den Zähler von (19.152). Wieder verschwindet der
nur für m D 0 nicht verschwindet; man hat dann zweite Summand wegen der Parallelität von Geschwindig-
r keit und Beschleunigung; es bleibt also nur
4 .2l 1/ŠŠ 2l C 1 h i
ql0 D iI j .k=2/ P .1/ P .1/
2q2 6 ˇP 2
0 l l l
cklC1 4
(19.267) PD : (19.276)
3c
mit den Legendre-Polynomen Pl . Da außerdem auch
Pl .1/ D 1 und Pl .1/ D .1/l gilt, folgt sofort, dass al- Für den Zusammenhang zwischen Beschleunigung und
le Multipolmomente mit geradem l verschwinden. Kraft erhält man hier nun
(c) Das niedrigste nichtverschwindende Multipolmoment ist
r d. mv / P 3 mcˇ C mc P̌
FD D P mcˇ C mc P̌ D ˇ ˇ
4 .2 1/ŠŠ 2C1 dt
q10 D iI j . =2/ .1 .1//
D 3 ˇ 2 mc P̌ C 3 .1 ˇ 2 /mc P̌ D c 3 m P̌ :
0 1
ck1C1 4 (19.277)
p
4 3 iI0
D j1 . =2/; (19.268) Daraus folgt
ck2
2q2 2
wobei noch k D 2 = eingesetzt wurde. Die sphärische PD F : (19.278)
3m2 c3
Bessel-Funktion erster Ordnung kann man auch noch expli-
zit auswerten. Es ist Ein Vergleich mit (19.168) zeigt, dass bei einer Beschleu-
nigung in Bewegungsrichtung die abgegebene Leistung bei
1 d sin x sin x x cos x gleicher Kraft um einen Faktor 2 kleiner ist als bei einer
j1 .x/ D x D ; (19.269)
x dx x x2 Beschleunigung senkrecht zur Bewegungsrichtung.
(c) Gesucht ist das Maximum der Funktion
also 2
2
j1 . =2/ D : (19.270) sin2 #
f .#/ D : (19.279)
.1 ˇ cos #/6
Damit haben wir schließlich
p Ableiten und gleich null setzen führt auf die Gleichung
16i 3 I0
q10 D : (19.271)
3=2 ck2 2 sin # cos #.1 ˇ cos #/ 6ˇ sin3 # D 0: (19.280)
678 19 Abstrahlung elektromagnetischer Wellen
Hier kann man zunächst 2 sin # ausklammern, was auf die tung abgestrahlt. Genauer: Drücken wir ˇ durch aus, so
Lösungen # D 0 und # D 180ı führt. Für beide Werte haben wir zunächst
ist die abgestrahlte Leistung aber gleich null, dies sind also p
absolute Minima. Es bleibt die Gleichung 1 C 1 C 24 .1 1= 2 /
cos #max D p : (19.283)
4 1 1= 2
cos #.1 ˇ cos #/ 3ˇ sin2 # D 0: (19.281)
Für ˇ ! 1 gilt ! 1 und #max ! 0, wir können also
Mit sin2 # D 1 cos2 # erhält man dann eine quadratische beide Seiten entwickeln. Dies führt nach einigen Zwischen-
Gleichung in cos #, die leicht lösbar ist. Schließlich ergibt schritten auf
sich p 1 2 1
1 C 1 C 24ˇ 2 1 #max D1 ; (19.284)
cos #max D : (19.282) 2 10 2
4ˇ
Teil II
Literatur
Teil II
Lagrange- und Hamilton-
Formalismus in der
20
Elektrodynamik
Wie behandelt man eine
Teil II
relativistische Punktladung
im Lagrange- und
Hamilton-Formalismus?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_20, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 681
682 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
In der Mechanik (Kap. 5 und 7) wurden zwei relativ abstrakte, Freie relativistische Bewegung
aber auch sehr allgemeine Formalismen hergeleitet, mittels derer
die Bewegungsgleichungen für ein gegebenes mechanisches Sys-
tem bestimmt werden können: der Lagrange- und der Hamilton- Zunächst soll der Fall ohne elektromagnetische Felder betrach-
Formalismus. Diese sollen nun auch auf die Elektrodynamik erwei- tet werden. Wir suchen also die Lagrange- und Hamilton-
tert werden. Funktion für ein freies Teilchen der Ruhemasse m. Mit unse-
ren Kenntnissen über die spezielle Relativitätstheorie kann das
Der Sinn ist nicht sofort einsichtig – in der Elektrodynamik sind aus der nichtrelativistischen Mechanik Bekannte nun auf eine
die Bewegungsgleichungen ja immer dieselben und folgen direkt relativistische Bewegung verallgemeinert werden. Ausgangs-
aus der Lorentz-Kraft. Die allgemeinen Formalismen haben dennoch punkt soll hierbei die Hamilton-Funktion sein. Diese ist ja im
mehrere Vorteile. Zunächst können alle physikalischen Gesetze der Allgemeinen (bei Abwesenheit von Zwangskräften bzw. wenn
Elektrodynamik in einem Ausdruck zusammengefasst werden: Aus diese zeitunabhängig sind) identisch mit der Gesamtenergie
der Lagrange-Funktion erhält man mittels der Euler-Lagrange-Glei- (Abschn. 7.1), und für ein relativistisches Teilchen ist sie durch
Teil II
L.x; xP / D p xP H.x; p/
q
20.1 Bewegtes Punktteilchen – D mPx2 2 m2 xP 2 c2 C m2 c4
auch relativistisch s
xP 2
D mPx2 mc2 2 2 C 1
c
Wie schon in der Mechanik wollen wir die Bewegungsglei- v
u
chung für ein Punktteilchen finden. Neu hinzu kommt jedoch, u 1
D mPx2 mc2 t D m.Px2 c2 /
dass wir nun auch relativistische Effekte berücksichtigen und 2
1 xPc2
dass außerdem die Kräfte von elektromagnetischen Feldern her-
!
stammen. Es treten deshalb auch (durch die Lorentz-Kraft) xP 2 1
geschwindigkeitsabhängige Kräfte auf – bei denen nicht von D mc 1 2 D mc2 2 :
2
(20.4)
c
vornherein klar ist, wie man mit ihnen umzugehen hat.
20.1 Bewegtes Punktteilchen – auch relativistisch 683
Teil II
Vektorpotenzials enthalten, wiederum im Gegensatz zum
Term mit dem skalaren Potenzial. (Außerdem würde dieser
Im Limes jPxj=c 1 ergibt dies Term in der Coulomb-Eichung identisch verschwinden.)
(c) x A: Hier fehlt, dass die daraus abgeleitete Kraft von der
1 2 Geschwindigkeit abhängt; außerdem steht keine sinnvolle
L.x; xP / mPx mc2 ; (20.6)
2 Konstante zur Verfügung, mit der man diesen Term auf die
richtige Einheit bringen könnte.
also gerade die nichtrelativistische kinetische Energie abzüglich
(d) xP A: Dies scheint recht vielversprechend zu sein: Die Ge-
der Ruheenergie. Der letztere Beitrag ist dabei eine reine Kon-
schwindigkeit kommt in dem Term vor, und die richtige
stante, welche die Dynamik nicht beeinflusst.
Einheit erhält man, wenn man (wie üblich) noch einen Fak-
tor 1c einbaut.
Nichtrelativistisch bewegte Punktladung Fügt man die Ladung hinzu, hat man also den Ansatz
im elektromagnetischen Feld 1 2 xP
LD mPx q C k q A (20.9)
2 c
Im nächsten Schritt sollen nun elektromagnetische Kräfte auf mit einer noch festzulegenden Konstanten k. Dieser Ansatz wur-
das Teilchen wirken – zunächst betrachten wir allerdings der de rein aus physikalischen Plausibilitätsbetrachtungen gefun-
Einfachheit halber nur nichtrelativistische Bewegungen. Auf den; mathematisch wären alle vier angeführten Möglichkeiten
bewegte Punktladungen wirkt in elektromagnetischen Feldern akzeptabel, physikalisch gesehen ergibt aber nur die letzte wirk-
die Lorentz-Kraft; diese ist von der Geschwindigkeit abhängig. lich Sinn.
Prinzipiell kann man zwar auch dafür ein Potenzial angeben
(siehe (1.142)), es ist aber nicht klar, wie der entsprechende Die Ableitungen der Lagrange-Funktion sind
Term in der Lagrange-Funktion auszusehen hat. Andererseits
@L q
gilt nun auch nicht mehr unbedingt, dass die Hamilton-Funkti- D mPxi C k Ai ; (20.10)
on identisch mit der Gesamtenergie ist. Damit können wir nun @Pxi c
weder Lagrange- noch Hamilton-Funktion direkt angeben. @L @ xP @A
D q i C k q i : (20.11)
@xi @x c @x
Wir gehen deshalb einen anderen Weg: Zunächst fordern wir,
dass die Euler-Lagrange-Gleichungen Bei der Berechnung der totalen Zeitableitung muss darauf ge-
achtet werden, dass A nicht nur explizit von der Zeit abhängt,
d @L @L sondern auch implizit über die Bahnkoordinaten:
D0 (20.7)
dt @Pxi @xi
d i @Ai X @Ai @xj
A .t; x.t// D C D AP i C xP r Ai : (20.12)
weiterhin gültig sein sollen. Die Lagrange-Funktion L muss dt @t j
@xj @t
Frage 3 Frage 4
Zeigen Sie die Richtigkeit der Beziehung (20.14). Vergewissern Sie sich, dass Sie alle Zwischenschritte verstan-
den haben, die auf (20.19) führen.
mit die gesuchte Lagrange-Funktion nun eindeutig bestimmt also nötig, um den korrekten Ausdruck für den kanonisch kon-
ist. (Dies hätte man übrigens auch aus der Forderung erhalten jugierten Impuls zu finden.
können, dass die Wirkung eichinvariant sein soll; siehe hierzu
Aufgabe 20.3.)
Wir haben hier das überraschende Ergebnis, dass der gewohnte Hamilton-Funktion für eine relativistische Punktladung
kinetische Impuls pkin D mPx bei Anwesenheit des elektrody- im elektromagnetischen Feld
namischen Vektorpotenzials nicht mehr identisch ist mit dem r
kanonisch konjugierten Impuls, der in die Hamilton-Gleichun- q 2
H.x; p/ D p A c2 C m2 c4 C q (20.20)
gen eingeht. Dies ist auch insbesondere für die Quantenmecha- c
nik wichtig, da, wie wir dort sehen werden, der Impulsoperator
zum kanonisch konjugierten und nicht zum kinetischen Impuls
gehört. Die Konsequenzen daraus werden wir in Kap. 29 disku- Die Geschwindigkeit bekommt man aus einer der beiden Ha-
tieren. milton-Gleichungen:
Durch eine Legendre-Transformation gewinnt man nun die Ha-
p qc A c2
milton-Funktion: xP D q 2 : (20.21)
p qc A c2 C m2 c4
H D p xP L
2 Auflösen dieser Gleichung nach dem Ausdruck in der Klammer
p qc A 1 p qc A p qc A q
D p m C q A liefert wie erwartet
m 2 m2 m c
q 2
1 p cA p 2 q
p AD q
mPx
D mPx D pkin : (20.22)
D C q D kin C q : (20.19) c
2 m 2m 1 xP 2 =c2
20.1 Bewegtes Punktteilchen – auch relativistisch 685
Die Legendre-Transformation führt dann auf die Lagrange- Die Zeit t, nach der integriert wird, ist vom Bezugssystem ab-
Funktion: hängig. Es wäre deshalb naheliegend, stattdessen die Eigenzeit
q zu verwenden. Für diese gilt bekanntlich dt D d. Definie-
q ren wir
L D mPx C A xP 2 m2 xP 2 c2 C m2 c4 q q
c
q LQ WD L D mc2 u A ; (20.27)
q c
D mPx 2 m2 xP 2 c2 C m2 c4 q C A xP
2
so wird die Wirkung zu
c
mc2 xP Z
D q C q A: (20.23) S D LQ d: (20.28)
.Px/ c
Teil II
Vollziehen Sie die Zwischenschritte nach, aus denen sich
(20.23) ergibt. dieser relativistischen Lagrange-Funktion über die (ebenfalls in-
variante) Eigenzeit ist, ergibt sich, dass auch die Wirkung ein
Lorentz-Skalar ist. Letzteres kann man auch daraus folgern,
Fassen wir abschließend noch einmal zusammen: dass die Bedingung ıS D 0 Lorentz-invariant sein muss, da sich
daraus ja die Bewegungsgleichungen ergeben.
Der kinetische Term in der Lagrange-Funktion ändert sich Insbesondere für ein freies Teilchen folgt nun
durch die Wechselwirkung mit einem elektromagnetischen Z
Feld nicht; er ist im nichtrelativistischen Fall gegeben durch
S D mc2 d D mc2 : (20.29)
1
2
mPx2 , im relativistischen Fall durch mc2 = . Der Wech-
selwirkungsterm mit dem Feld ist in beiden Fällen gegeben
durch q C qc xP A. Die Wirkung für jede vorgegebene Bahnkurve ist also propor-
In der Hamilton-Funktion ist der kinetische Term gegeben tional zu der Eigenzeit , die auf dieser Bahnkurve für das
q Teilchen vergeht. Damit ist in diesem Spezialfall das Hamil-
durch 2m pkin (nichtrelativistisch) bzw. p2kin c2 C m2 c4 (re-
1 2
ton’sche Prinzip äquivalent zum Fermat’schen Prinzip (siehe
lativistisch). auch Abschn. 5.5 und 17.3): Das Teilchen bewegt sich auf der
Im Falle einer Wechselwirkung mit einem elektromagneti- Bahn, auf welcher die (Eigen-)Zeit extremal wird.
schen Feld ist für den kinetischen Impuls der kanonische
Impuls minus die Wechselwirkung mit dem Vektorpotenzi- Auf den ersten Blick scheint das Ziel erreicht, die Lagrange-
al einzusetzen: pkin D p qc A; zum kinetischen Term ist die Funktion für eine relativistische Punktladung kovariant aus-
potenzielle Energie q im skalaren Potenzial zu addieren. zudrücken. Allerdings ergibt sich beim ersten Summanden in
(20.27) ein Problem: Dieser ist konstant und würde deshalb bei
einer Variation der Wirkung einfach verschwinden, statt auf die
gewünschte Bewegungsgleichung zu führen. Die Abhängigkeit
Kovariante Formulierung der Wirkung eines freien Teilchens von der Bahn steckt letzt-
lich in den Integrationsgrenzen 1 und 2 , die in (20.29) nicht
explizit angeschrieben wurden, bzw. ihrer Differenz : For-
Da wir nun ein relativistisch bewegtes Teilchen betrachten, bie- dert man wie bei der Variation üblich, dass die Endpunkte der
tet es sich natürlich an, die Lagrange- und Hamilton-Funktion Bahnkurve zu festen Zeiten t1 und t2 festgehalten werden, so ist
jeweils mit Vierervektoren zu formulieren. Hierfür betrachten ein Funktional der Bahnkurve.
wir die Lagrange-Funktion (20.23). Mit den Vierervektoren u
für die Geschwindigkeit und A für das Potenzial kann der Die Wirkung muss also noch umgeschrieben werden. Dazu
Wechselwirkungsterm geschrieben werden als bemerken wir zunächst, dass wir für das infinitesimale Eigen-
zeitintervall schreiben können:
xP q r
q C q A D u A : (20.24) 1p
1 dx dx 1p
c c d D dx dx D d D u u d:
c c d d c
(20.30)
Insgesamt ergibt sich damit zunächst Damit ist allerdings noch nicht viel gewonnen; wegen u u D
c2 ist dies eine reine Identität.
1 2 q
L.x ; u / D mc C u A : (20.25) Statt durch können wir die Weltlinie aber auch durch einen an-
c
deren Parameter , der streng monoton und differenzierbar mit
zunimmt, parametrisieren. Führen wir die zugehörige „Vierer-
Betrachten wir die zugehörige Wirkung: geschwindigkeit“
Z
dx d
S D L dt: (20.26) uQ WD D u (20.31)
d d
686 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
ein, so folgt Erst nach Ausführen der Variation wird dann d D d ersetzt.
p p (Diese Nebenbedingung könnte formal durch Hinzufügen eines
cd D u u d D uQ uQ d: (20.32) passenden Summanden mit einem Lagrange’schen Multiplika-
tor zu LQ erzwungen werden.) Für die konkrete Rechnung sei auf
(Wählt man insbesondere für die Koordinatenzeit t, so erhält Aufgabe 20.1 verwiesen.
man wieder (20.23).)
Schließlich kann man auch bei der Hamilton-Funktion relati-
Die Wirkung für ein freies Teilchen kann damit geschrieben vistische Argumente verwenden, da die Gesamtenergie propor-
werden als Z p tional zur Nullkomponente des Viererimpulses ist, H D cp0 .
S D mc uQ uQ d: (20.33) Verwendet man die Hamilton-Funktion für ein freies relativisti-
sches Teilchen, so gilt
Da uQ uQ im Gegensatz zu u u nicht konstant sein muss, führt v
u 3
eine Variation mit der neuen „Vierergeschwindigkeit“ uQ nun uX
Teil II
auf ein nicht verschwindendes Ergebnis. Andererseits wurde im cp0 D t .pi /2 c2 C m2 c4 : (20.38)
Wirkungsintegral nur eine Variablensubstitution vorgenommen, iD1
am Ergebnis (20.29) ändert sich dadurch also nichts. Macht man nun die Ersetzung
Auch im Wechselwirkungsterm kann man u durch uQ er- q
setzen; damit folgt die gesuchte kovariante Formulierung der p ! p A ; (20.39)
Lagrange-Funktion. c
so wird daraus
v
Wirkung und Lagrange-Funktion für eine relativistische u 3
uX q 2
Punktladung im elektromagnetischen Feld, kovariant cp q D t
0
pi Ai c2 C m2 c4 : (20.40)
formuliert iD1
c
Für die Wirkung gilt
Damit erhält man wieder das schon bekannte Ergebnis (20.20).
Z Die Relativitätstheorie hilft hier also zu verstehen, warum nicht
SD LQ d (20.34) nur die Energie selbst durch den zusätzlichen Term q geändert
wird, sondern auch der Impuls durch den zusätzlichen Term qc A
mit einem Parameter , der die Bahnkurve beschreibt und ergänzt werden muss.
monoton mit der Eigenzeit zunimmt. Die Lagrange- Die Regel (20.39), die angibt, wie der Viererimpuls geändert
Funktion ist gegeben durch werden muss, wenn man eine Wechselwirkung mit einem elek-
tromagnetischen Feld berücksichtigen will, wird oft als mini-
p q
Q ; uQ / D mc uQ uQ uQ A
L.x (20.35) male Ersetzung/Erweiterung bezeichnet. Minimal bedeutet hier,
c dass für die Wechselwirkung nur die Ladung des betrachteten
Teilchens wichtig ist; alle anderen Eigenschaften wie beispiels-
mit
dx weise sein Dipolmoment werden vernachlässigt. Deshalb gilt
uQ : (20.36) die Regel streng nur für Punktteilchen ohne innere Struktur, da
d
diese kein (elektrisches) Dipolmoment oder höhere Momente
haben können. Für Elektronen ist dieser Ansatz gerechtfertigt
Frage 7 (und experimentell gut überprüft); schon bei Protonen ergeben
sich (zumindest bei hohen Energien) deutliche Abweichungen.
Vollziehen Sie die Zwischenschritte, die hierauf geführt haben,
nach.
Felder. Dieser ist im Wesentlichen völlig analog zu dem für sich allerdings später herausstellen, dass die Herleitung der La-
Punktteilchen; im Folgenden werden die grundlegenden Be- grange-Dichte rein aus Symmetrieargumenten (Lorentz- und
griffe kurz zusammengestellt. Dieser wurde in der Mechanik Eichinvarianz) deutlich einfacher ist.
(Abschn. 8.4) schon kurz angesprochen, soll hier aber nochmals
Wir betrachten der Einfachheit halber zunächst nur elektrosta-
wiederholt und vertieft werden.
tische Probleme im Vakuum. In Analogie zur üblichen Gestalt
L D T V der Lagrange-Funktion setzen wir für die Lagrange-
Dichte
Allgemeiner Formalismus 1 2 1
LES D E D .r /2 (20.45)
8 8
Die relevanten generalisierten Koordinaten sind nun nicht mehr
die (endlich vielen) Koordinaten qi von Punktteilchen, sondern an, wobei der erste Term die elektrostatische Energiedichte ist
Teil II
die (unendlich vielen) Feldamplituden k .t; r/ an jedem Ort r und der zweite die Wechselwirkung mit einer äußeren Ladungs-
und zu jeder Zeit t, wobei direkt berücksichtigt wird, dass man verteilung beschreibt.
auch mehrere Felder k gleichzeitig haben kann (hier: elek- Die Ableitungen dieser Lagrange-Dichte sind
trisches und magnetisches Feld). Wir müssen also folgende
Ersetzungen vornehmen: @LES
D ;
qi ! k .t; r/;
@
(20.46)
P @LES 1 1
qP i ! r k .t; r/; k .t; r/; D @i D Ei :
@ .@i / 4 4
L.qi ; qP i / ! L. k .t; r/; r k .t; r/; P k .t; r//;
@L @L (20.41) Die Euler-Lagrange-Gleichung
! ;
@qi @ k X @LES @LES LES
d @L X @L @L @i C @t D0 (20.47)
! @i C @t : @ .@i / @P @
@ Pk
i
dt @Pqi i
@ .@i k /
führt dann sofort auf
Die Funktion L wird dabei als Lagrange-Dichte bezeichnet.
Die generalisierten Impulse werden definiert als div E D 4 ; (20.48)
beiden Summanden, welche die Wechselwirkung mit dem ska- Dies stimmt aber nun offensichtlich nicht mit der bekannten
laren bzw. dem Vektorpotenzial beschreiben, ja unterschiedliche Energiedichte der Elektrodynamik überein. Im Folgenden wer-
Vorzeichen (was aus der kovarianten Formulierung (20.35) so- den wir untersuchen, wie man diese Diskrepanz auflöst.
fort einsichtig ist).
Mit
Dies legt es nahe, die beiden Beiträge stattdessen zu subtrahie- 1
AP D r C E (20.55)
ren – ein anderes Vorzeichen von (20.49) ändert ja nichts an c
(20.50). Damit erhält man tatsächlich die korrekte Lagrange-
Dichte. kann das Ergebnis zunächst umgeschrieben werden zu
1 1 2 1 2
Lagrange-Dichte des elektromagnetischen Feldes im H D .r E/ C E E B2
4 4 8 (20.56)
Vakuum 1 1 2
Teil II
1 2 1 D .r E/ C E C B2 :
LD E B2 C jA (20.51) 4 8
8 c
Aus der Produktregel und der Quellenfreiheit (div E D 0) ergibt
sich
Dass die richtigen Gleichungen für die Potenziale aus dieser La-
grange-Dichte folgen, soll hier nicht explizit gezeigt werden. div . E/ D r E C div E D r E; (20.57)
In Aufgabe 20.2 kann sich der Leser (in kovarianter Formu-
lierung) selbst davon überzeugen. Setzt man die bekannten also folgt
Zusammenhänge zwischen den Feldstärken und den Potenzia-
len ein, so ergeben sich daraus die inhomogenen Maxwell- 1 1 2
Gleichungen. Aus der Darstellung der Feldstärken mittels der H D div . E/ C E C B2 : (20.58)
4 8
Potenziale folgen außerdem automatisch die homogenen Max-
well-Gleichungen.
Der zweite Summand ist nun der übliche Ausdruck für die
Betrachten wir schließlich noch die Hamilton-Dichte, der Ein- Energiedichte. Beim ersten berücksichtigen wir, dass die Ge-
fachheit halber nur für den quellenfreien Fall. Dafür schreiben samtenergie gegeben ist durch das Integral über H :
wir die Lagrange-Dichte zunächst komplett mit den Potenzialen
Z Z
! 1 1 2
ED div . E/ d4 x C E C B2 d 4 x
1 1P 2 4 8
LD r C A .rot A/2
(20.52) Z I Z (20.59)
8 c 1 1 2
D . E/ d f dt C
2
E C B2 d4 x;
4 8
und ermitteln daraus die generalisierten Impulse. Bezeichnen
wir den generalisierten Impuls zu mit ˘0 und denjenigen zu wobei im ersten Term der Gauß’sche Satz benutzt wurde.
A mit …, so sind diese gegeben durch
Frage 10
@L Wie kann man begründen, dass das Oberflächenintegral nichts
˘0 .t; r/ D D 0;
P
@ .t; r/ zur Energie beiträgt?
@L
….t; r/ D (20.53)
P r/
@A.t;
Damit das Volumenintegral definiert ist, müssen die elektri-
1 1 1 schen und magnetischen Feldstärken für r ! 1 stärker als mit
D r C AP D E:
4 c c 4 c r3=2 abfallen; der Beitrag des Oberflächenintegrals geht dann
gegen null. Der erste Summand der Hamilton-Dichte trägt zur
Energie somit nichts bei; d. h., wir können für die Hamilton-
Frage 9
Dichte auch einfach
Führen Sie die Berechnung der generalisierten Impulse (20.53)
selbst durch. 1 2
H D E C B2 (20.60)
8
Die Hamilton-Dichte erhält man durch die Legendre-Transfor- verwenden.
mation
In Abschn. 20.3 werden wir dem Problem, dass die Energie-
P …L
H D P ˘0 C A dichte bzw. sogar der komplette Energie-Impuls-Tensor nicht
1 P 1 2 (20.54) eindeutig definiert ist, nochmals begegnen und dann genauer be-
D AE E B2 : sprechen.
4 c 8
20.2 Das elektromagnetische Feld 689
Felder und Punktladungen Zu bemerken wäre außerdem noch, dass diese Lagrange-Funkti-
on streng genommen eigentlich keine Funktion der Feldstärken
bzw. der Potenziale ist, sondern ein Funktional (siehe den „Ma-
Aus der Lagrange-Funktion (20.23) folgt die Bewegungsglei- thematischen Hintergrund“ 5.2), und dass man nun sogenannte
chung für eine Punktladung, aus der Lagrange-Dichte (20.51) Funktionalableitungen benutzen müsste, um die Maxwell-Glei-
folgen die Maxwell-Gleichungen. Will man alle Bewegungs- chungen daraus zu erhalten. Dies soll hier aber nicht weiter
gleichungen zugleich haben, so muss man beide kombinieren. vertieft werden.
Dafür kann man ausnutzen, dass jede Ladungs- und Stromver-
teilung letztlich aus bewegten Punktladungen zusammengesetzt
gedacht werden kann, d. h., wir können
Kovariante Formulierung
X
.t; r/ D qa ı.r xa .t// ;
Teil II
a Schauen wir uns die Lagrange-Dichte (20.51) noch einmal ge-
X (20.61)
j.t; r/ D qa xP a .t/ ı.r xa .t// nauer an. Die Terme C 1c j A kann man zum einfachen
a Ausdruck c j A zusammenfassen.
1
gesetzt wurde, und L die Lagrange-Dichte (20.51) ist. Setzen Lagrange-Dichte des elektromagnetischen Feldes im
wir dann die Ladungs- und Stromdichten ein, erhalten wir Vakuum mit Quellen, kovariant formuliert
X ma c2 Z 1 1
1 LD F F j A (20.67)
LD C E .t; r/ B .t; r/ dV
2 2
16 c
a
a 8
X Z
qa ı .r xa .t// .t; r/ dV (20.64) Das Verhalten dieser Lagrange-Dichte unter einer Eichtransfor-
a
Z mation wird ebenfalls in Aufgabe 20.3 diskutiert.
X xP a .t/
C qa ı .r xa .t// A.t; r/ dV: Stattdessen kann man auch anders argumentieren, um L herzu-
a
c leiten, ohne den Ausdruck (20.51) bereits zu kennen: Zunächst
beachten wir, dass die Wirkung S wieder ein Lorentz-Skalar sein
Die letzten beiden Integrale kann man mittels der Deltafunktio- sollte. Um das Verhalten von L unter Lorentz-Transformationen
nen ausführen. Es ergibt sich dann zu bestimmen, müssen wir deshalb untersuchen, wie sich das
Z Integrationsmaß d4 x verhält. Für die Umrechnung auf andere
X ma c2 1 2 Koordinaten benutzt man wie üblich die Jacobi-Determinante:
LD C E .t; r/ B2 .t; r/ dV ˇ 0 ˇ
a 8 ˇ ˇ 4
a @x
X X xP a .t/ d4 x0 D ˇˇdet
ˇ d x:
ˇ (20.68)
qa .t; xa .t// C qa A.t; xa .t//: (20.65) @x
a a
c
Da aber bei Lorentz-Transformationen
@x0
Aus dieser Lagrange-Funktion kann man mittels der Euler- D (20.69)
Lagrange-Gleichungen sowohl die Bewegungsgleichungen für @x
die Felder (die Maxwell-Gleichungen) als auch die für die ist, wobei für die Determinante der Transformationsmatrix
Punktladungen (die Lorentz-Kräfte) ableiten; dabei muss man det D ˙1 gilt, folgt
allerdings im ersten Fall die Form (20.64) verwenden, im zwei-
ten Fall die Form (20.65). d4 x0 D d4 x: (20.70)
690 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
Das vierdimensionale Integrationsmaß ist also Lorentz-invari- Ausmultiplizieren und Umbenennen einiger Indizes führt dann
ant. Damit folgt, dass auch die Lagrange-Dichte L ein Lorentz- zu der gewünschten Darstellung
Skalar sein muss.
1 1
Der Wechselwirkungsterm kann analog zur Lagrange-Funkti- LD .@ A /.@ A / .@ A /.@ A / j A :
8 c
on für eine Punktladung sofort mit j A =c angesetzt werden. (20.76)
Setzt man außerdem voraus, dass der „kinetische“ Term in der
Lagrange-Dichte proportional zum Quadrat der Feldstärken sein Frage 13
sollte, wie von der Energiedichte her bekannt, so können nur die Rechnen Sie den letzten Schritt explizit nach.
beiden Invarianten
aus (18.67) und (18.68) in der Lagrange-Dichte auftreten. Den 20.3 Das kovariante Noether-
zweiten Term kann man aber als eine totale Ableitung schrei-
ben; er kann deshalb zur Wirkung nur einen konstanten Beitrag
Theorem für Felder
liefern. (Außerdem ist er ein Pseudoskalar, ändert also unter
Raumspiegelungen sein Vorzeichen; die Maxwell-Gleichungen Aus der Mechanik (Abschn. 5.6) ist das Noether-Theorem be-
sind dagegen unter Raumspiegelungen invariant.) Für die La- kannt: Zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung gehört
grange-Dichte liegt somit folgender Ansatz nahe: jeweils eine Erhaltungsgröße. Man spricht von einer Symmetrie
der Wirkung, wenn die Bewegungsgleichungen unter einer Än-
1 derung der generalisierten Koordinaten invariant bleiben.
L D k F F j A : (20.72)
c
Hier soll nun gezeigt werden, wie man das Theorem auch für
Es bleibt dann nur noch die Konstante k zu bestimmen, z. B. aus Felder formulieren kann, und zwar direkt allgemein in kovari-
der Bedingung, dass die Euler-Lagrange-Gleichungen auf die anter Form. Als spezielle Anwendung wird dann die Energie-
Maxwell-Gleichungen führen müssen. und Impulserhaltung untersucht.
Frage 12 Frage 14
Wie sollte die kovariante Formulierung der Euler-Lagrange- Wie formuliert man allgemein die Erhaltung einer Größe, wenn
Gleichungen für Felder aussehen? auch ein Fluss dieser Größe berücksichtigt wird?
1 1 L ! L C ı L D L C @ J (20.78)
LD .@ A @ A / @ A @ A j A :
16 c
(20.75) mit einer Funktion J .
20.3 Das kovariante Noether-Theorem für Felder 691
Andererseits kann man für die Änderung von L bei einer Ände-
rung der Felder auch schreiben: Die Änderung der Lagrange-Dichte kann man als
X @L X @L
ıL D ı C ı.@ ı L D @ L ıx (20.89)
k k /: (20.79)
k
@ k k
@.@ k /
schreiben. Somit ist
Zunächst gilt nun
J D L ıx D L ıx : (20.90)
ı.@ k / D @ .ı k /: (20.80)
Das Noether-Theorem (20.84) sagt daher aus, dass der
Außerdem kann man den ersten Term mit der Euler-Lagrange- folgende Strom erhalten ist:
Gleichung (20.73) ersetzen. Damit bekommt man insgesamt
Teil II
X @L
X @L
@L X @ k ıx L ıx : (20.91)
ıL D @ ı
k C @ .ı k /: @.@ k /
k
@.@ k / k
@.@ k / k
@ j D 0: (20.85)
Energie- und Impulserhaltung
in der Elektrodynamik
Das ist eine Kontinuitätsgleichung für den Strom j ; die zuge-
hörige Ladung ist also eine erhaltene Größe. Benutzen wir nun die Definition (20.92), um aus der Lagrange-
Dichte der Elektrodynamik die Energie-Impuls-Erhaltung her-
Der Energie-Impuls-Tensor zuleiten. Wir beschränken uns dabei auf den Fall ohne Quellen,
da sonst Energie und Impuls in den Feldern ja nicht erhalten
Aus der Mechanik (Abschn. 5.6) ist bekannt, dass die wären. Die inhomogenen Maxwell-Gleichungen ergeben hier
Energie- und Impulserhaltung aus der Invarianz der Wir-
kung bei zeitlichen bzw. räumlichen Verschiebungen @ F D 0: (20.93)
folgen. Betrachten wir solch eine infinitesimale Verschie-
bung:
Zunächst benötigen wir die Ableitungen der Lagrange-Dichte
x ! x C ıx : (20.86)
nach den Ableitungen der Potenziale. Wie in Aufgabe 20.2 ge-
Die Änderung der Felder ergibt sich aus zeigt wird, ist
@L 1
D F : (20.94)
k .x / ! k .x C ıx / D
k .x / C @
k .x /ıx ; @.@ A / 4
(20.87)
also Der erste Summand in (20.92) ist also
ı k D@ k ıx : (20.88) 1
F @ A : (20.95)
4
692 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
Für die Lagrange-Dichte selbst verwenden wir nun die Darstel- Da sich die beiden Tensoren nur um eine Ableitung unter-
lung (20.67), wobei j D 0 gesetzt wird. Insgesamt erhalten scheiden, folgt außerdem, dass die Volumenintegrale über die
wir Tensorelemente (d. h. die gesamte Energie und der gesamte
Impuls in den Feldern und die zugehörigen Flüsse) jeweils den-
T D
1
F @ A C
1
F F : (20.96) selben Wert ergeben. Man kann somit statt T genauso gut
4 16 den Tensor TQ verwenden.
Stellt man allerdings die naheliegende Forderung, dass der
Dieses Ergebnis stimmt aber nicht mit dem Energie-Impuls- Energie-Impuls-Tensor symmetrisch in den Indizes sein soll
Tensor überein, den wir bereits in Abschn. 18.4 hergeleitet ha- (dies ist unter anderem auch für die Drehimpulserhaltung wich-
ben! Einerseits erkennt man das sofort daran, dass der Tensor tig; Jackson 2006), so erhält man ein eindeutiges Ergebnis.
T hier nicht symmetrisch bezüglich der beiden Indizes ist; Speziell für die Elektrodynamik kann man zeigen (Aufgabe
andererseits kann man auch eine Komponente des Tensors ex- 20.5), dass die Wahl
Teil II
So geht’s weiter
Eichfeldtheorien Felder führt, komplexwertig ist, werden ganz allgemein Quan-
tenfelder, die elektrisch geladene Materie beschreiben, durch
Wie wir gesehen haben, erlaubt es die Lagrange’sche For- komplexwertige Felder .x/ dargestellt. Deren Phase bleibt da-
mulierung der Elektrodynamik, über ein Wirkungsprinzip die bei aber lokal unbeobachtbar, sodass beispielsweise nur das
zugrunde liegenden Symmetrien manifest zu machen und über Betragsquadrat physikalische Bedeutung hat und in der
das Noether-Theorem die damit verbundenen Erhaltungsgrößen Lagrange-Dichte auftritt. Ein invarianter kinetischer Term kann
zu bestimmen. (für skalare komplexwertige Felder) mithilfe der kovarianten
Eine weitere Symmetrie, die allerdings nicht zu weiteren Erhal- Ableitung z. B. durch
tungsgrößen führt, ist dabei die Eichinvarianz der elektroma-
Teil II
gnetischen Potenziale, die merkwürdigerweise unumgänglich ŒD .A/ D .A/ (20.106)
waren, um eine Lagrange-Dichte, die Ankopplung von Vierer-
aufgestellt werden, wobei unter einer Eichtransformation nun
stromdichten und die zugehörigen Euler-Lagrange-Gleichungen
gleichzeitig
zu formulieren. Immerhin sind in der Maxwell-Theorie die
elektromagnetischen Potenziale zunächst reine Hilfsgrößen, die A .x/ ! A .x/ C @ .x/; (20.107)
noch dazu uneindeutig sind, da sie nur bis auf Eichtransforma- q
i „c .x/
tionen .x/ ! e .x/ (20.108)
A ! A C @ (20.103)
transformiert wird.
festgelegt sind. Zu dieser Transformation gibt es nun allerdings eine nichttrivia-
Die Invarianz der Wirkung le globale Form, denn wenn .x/ D const gesetzt wird, wird
.x/ einer globalen Phasentransformation unterworfen (wäh-
Z
rend die A -Felder untransformiert bleiben). Dazu gehört auch
S D L.A ; @ A / d4 x (20.104)
eine Erhaltungsgröße gemäß dem Noether-Theorem: die elek-
trische Ladung! Diese stellt sich also als verbunden mit der
unter Eichtransformationen stellt eine lokale Symmetrietrans- Invarianz unter einer Transformation mit einer Phase, d. h. einer
formation dar – der Transformationsparameter ist hier ein Feld, unimodularen Zahl, heraus. Die damit verbundene Symmetrie-
nämlich .x/. Das Noether-Theorem verknüpft allerdings glo- gruppe kann damit mathematisch als U(1), die Gruppe der
bale Symmetrien mit Erhaltungsgrößen, nicht lokale. Die Be- unitären eindimensionalen Matrizen, identifiziert werden. Die
deutung der lokalen Symmetrie ist zunächst nur, dass hier eine Quantenelektrodynamik ist damit eine Eichtheorie, die eine glo-
Redundanz der dynamischen Variablen, der Eichpotenziale A , bale U(1)-Symmetrie zu einer lokalen Symmetrie erweitert. (Im
vorliegt. Rahmen der nichtrelativistischen Quantenmechanik wird diese
Diese lokale Symmetrie stellt sich aber als unverzichtbar her- Symmetrie in Kap. 29 noch ausführlich diskutiert werden.)
aus, um lokale Feldgleichungen aufstellen zu können, wenn das Bemerkenswerterweise folgen alle bisher bekannten fundamen-
elektromagnetische Feld über ein Wirkungsprinzip an geladene talen Wechselwirkungen von Elementarteilchen diesem Schema
Punktteilchen in minimaler Weise entsprechend (20.39) gekop- einer Eichfeldtheorie, allerdings mit komplizierteren, nämlich
pelt werden soll. nichtabelschen Symmetriegruppen, bei denen Transformationen
In der Quantenfeldtheorie werden Elementarteilchen durch in ihrer Reihenfolge nicht vertauschbar sind. Diese 1954 ent-
Quantenfelder beschrieben, denen ebenfalls eine Beschreibung deckten Yang-Mills-Theorien (benannt nach Chen-Ning Yang,
durch eine Lagrange’sche Feldtheorie zugrunde liegt. Das elek- *1922, und Robert Mills, 1927–1999) blieben zunächst unbe-
tromagnetische Feld wird dabei zu einem Quantenfeld der achtet und unverstanden, bis sie in den 1960er-Jahren eine Rolle
Photonen. Materieteilchen wie die Elektronen werden durch so- bei der Aufstellung des Standardmodells der Teilchenphysik
genannte Dirac-Felder beschrieben, manche Elementarteilchen zu spielen begannen, und erlangten insbesondere nach grund-
wie Pionen, die keinen Spin haben, durch einfachere Skalarfel- legenden Arbeiten von Gerard ’t Hooft (*1946) und Martinus
der. Die minimale Ersetzung p ! p qc A für geladene Veltman (*1931), für die sie 1999 den Nobelpreis erhielten, ihre
Teilchen (20.39) wird dabei durch den Übergang von gewöhnli- zentrale Rolle.
chen Ableitungen zu (eich-)kovarianten Ableitungen Wir haben in der bisherigen klassischen Physik schon zwei
q Beispiele für nichtabelsche Symmetriegruppen kennengelernt:
@ ! D .A/ D @ C i A (20.105) die Drehgruppe in drei Dimensionen, SO(3), und die Lorentz-
„c
Gruppe, SO(3,1). In der Teilchenphysik treten zwei weitere
realisiert, was damit zusammenhängt, dass in der Quantenme- nichtabelsche Gruppen auf: die auch in der nichtrelativistischen
chanik Impulse durch Ableitungsoperatoren dargestellt werden: Quantenmechanik wichtige Gruppe der unitären zweidimensio-
p ! i„@ , wie in Teil III gezeigt wird. Da die kovariante nalen Matrizen, SU(2), und die der unitären dreidimensionalen
Ableitung, die zur minimalen Kopplung an elektromagnetische Matrizen, SU(3).
694 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
Letztere bilden die Symmetriegruppe der Quantenchromodyna- schen Ausdruck des (ebenfalls matrixwertigen) Tensors F
mik, die die Theorie der starken Kernkraft darstellt, während die gebildet wird, nämlich
Gruppe SU(2) bei der schwachen Kernkraft eine grundlegende
Rolle spielt, allerdings in etwas kompliziertem Wechselspiel mit L / Sp.F F /; (20.110)
der Elektrodynamik und einem durch das 2012 entdeckte Higgs-
Teilchen verursachten spontanen Symmetriebrechung. ist dann nicht mehr bilinear in den Eichpotenzialen, sondern ent-
Das Prinzip einer nichtabelschen Eichfeldtheorie lässt sich da- hält auch tri- und quadrilineare Terme, die zu entsprechenden
her etwas übersichtlicher anhand der Quantenchromodynamik Selbstwechselwirkungen der Eichquanten gehören.
darstellen. Deren fundamentale Ladungsträger sind dabei die Die Nichtlinearität der Feldgleichungen (nichtabelsche Max-
sogenannten Quarks, die nun drei Arten von Ladungen tragen well-Gleichungen) macht Yang-Mills-Theorien extrem schwie-
können, entsprechend der Dimensionalität der SU(3)-Matrizen. rig zu behandeln. Sie sind auch Gegenstand eines der vom Clay
Teil II
Diese Ladungen werden Farbladungen genannt und z. B. mit Mathematics Institute formulierten Millennium Prize Problems,
den Bezeichnungen rot, grün und blau durchgezählt. Durch die für die jeweils 1 Million US-Dollar ausgelobt sind. Eine bis-
lokale Eichinvarianz haben diese Farben aber keine unabhängi- lang nur mit Computersimulationen bestätigte Eigenschaft ist
ge Bedeutung, sondern können durch SU(3)-Transformationen die des Confinement von Farbladungen in Bindungszuständen
weitgehend beliebig ineinander übergeführt werden, wobei aber von Quarks und Gluonen, die immer farbneutral sind. Es stellt
matrixwertige Eichfelder mitzutransformieren sind. sich dabei heraus, dass es unmöglich ist, ein einzelnes Quark aus
Es gibt nun so viele Eichfelder, wie es unabhängige Eich- einem solchen Bindungszustand (Hadron) herauszureißen. Die
parameter gibt. Bei der Drehgruppe waren das etwa die drei dafür notwendige Energie produziert immer Quark-Antiquark-
Drehwinkel. Bei der Gruppe SU(3) gibt es dagegen acht solche Paare, die sofort neue Bindungszustände ergeben. Tatsächlich
Parameter und dementsprechend acht nichtabelsche Eichpoten- konnten noch keine Quarks isoliert werden, die übrigens neben
ziale. Statt eines Photons gibt es nun acht Gluonen, welche die ihrer Farbladung elektrische Ladungen tragen, die 1=3 und 2=3
Wechselwirkungen zwischen den Quarks vermitteln. der Elementarladung e ausmachen.
Eine Besonderheit von nichtabelschen Eichfeldern ist nun, dass Das Konzept der Eichtheorien hat sich als ungemein fruchtbar
sie selbst Ladungen tragen und daher untereinander wechsel- in der theoretischen Teilchenphysik erwiesen, und alle Grund-
wirken können. Dies lässt sich folgendermaßen verstehen: So kräfte können soweit bekannt darauf zurückgeführt werden.
wie in der Elektrodynamik wird die Lagrange-Dichte der nicht- Man vermutet außerdem, dass die Eichgruppe des gegenwärti-
abelschen Eichfelder durch das Quadrat des Feldstärketensors gen Standardmodells der Teilchenphysik, U(1)SU(2)SU(3),
gebildet. In der Elektrodynamik kann dieser abgesehen von in wesentlich größere Symmetriegruppen wie z. B. SU(5) oder
einem Vorfaktor als Kommutator von zwei (eich-)kovarianten SO(10) eingebettet werden kann (Grand Unified Theories).
Ableitungen dargestellt werden: Auch die Gravitation, wie sie durch Einsteins allgemeine Relati-
vitätstheorie beschrieben wird, kann in einem gewissen Sinn als
ŒD .A/; D .A/ D .A/D .A/ D .A/D .A/ (20.109) eine Eichtheorie verstanden werden, nämlich als eine Theorie
q q mit lokaler Invarianz unter Koordinatentransformationen (Dif-
D i .@ A @ A / D i F : feomorphismen). Das Eichfeld ist hier durch die Metrik des
„c „c
gekrümmten Raumes bzw. durch die zugehörigen Christoffel-
In nichtabelschen Eichtheorien sind aber die Eichpotenziale Ma- Symbole gegeben; der zugehörige Feldstärketensor ist ebenfalls
trizen, und es gibt einen zusätzlichen Term ŒA ; A , der in F darstellbar über den Kommutator von kovarianten Ableitungen,
enthalten ist. Die Lagrange-Dichte, die durch einen quadrati- was auf den Riemann’sche Krümmungstensor führt.
Aufgaben 695
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil II
20.1 Lagrange-Funktion(en) für Punktladung 20.4 Noether-Theorem für relativistische Punkt-
teilchen
(a) Leiten Sie aus der Lagrange-Funktion (20.35) in kovarianter
Formulierung die Bewegungsgleichung für eine Punktla-
(a) Leiten Sie das Noether-Theorem für relativistische Punkt-
dung her (also die Lorentz-Kraft).
teilchen her: Ändert sich unter einer infinitesimalen Ver-
(b) Wie ändert sich die Wirkung (20.34) unter einer differenzier-
schiebung der Raum-Zeit-Koordinaten ıx die Lagrange-
baren Reparametrisierung ! 0 , wobei 0 streng monoton
Funktion (20.27) nur um eine totale Ableitung nach dem
mit zunimmt?
Bahnparameter,
(c) Es wäre naheliegend, im kinetischen Term in (20.27) das
d Q
c2 durch u u zu ersetzen, sodass nach der Ersetzung von ı LQ D Q; (20.111)
u durch uQ in der Lagrange-Funktion (20.35) schließlich d
mQu uQ stehen würde. Welche Auswirkung hätte dies auf so ist
die Bewegungsgleichung? Wie ändert sich die Wirkung nun @LQ Q
unter einer Reparametrisierung ! 0 ? QD ıx Q (20.112)
@Qu
Lösungshinweis: (a), (c) Verwenden Sie die Euler-Lagrange- eine Erhaltungsgröße, d. h., die Ableitung dieser Größe nach
Gleichung (20.37); nach Berechnen der Ableitungen von LQ set- verschwindet.
zen Sie, wie im Kapiteltext beschrieben, d D d. (b) Begründen Sie damit für die Lagrange-Funktion (20.35)
20.2 Lagrange-Dichte(n) für elektromagnetisches einer Punktladung im elektromagnetischen Feld: Sind die
Feld Potenziale A invariant unter der Verschiebung ıx D b
mit einem konstanten Vierervektor b (sind sie also räum-
(a) Leiten Sie die Maxwell-Gleichungen aus der Lagrange- lich und zeitlich konstant), so bleibt der Viererimpuls der
Dichte (20.76) her. Punktladung erhalten.
(b) Ersetzen Sie den „kinetischen“ Term F F =.16 / in
der Lagrange-Dichte (20.67) durch .@ A /.@ A /=.8 /.
(1) Unter welchen Voraussetzungen ergeben sich dennoch Lösungshinweis:
die Maxwell-Gleichungen?
(2) Unter welchen Voraussetzungen ändert sich die Lagran- (a) Die Rechnung läuft analog zur Herleitung des Noether-
ge-Dichte nur um eine totale Ableitung? Theorems für relativistische Felder.
Q D 0 wählen kann.
(b) Begründen Sie zunächst, dass man hier Q
Lösungshinweis: (a) Verwenden Sie (20.73).
20.3 Eichinvariant? 20.5 Kanonischer und symmetrischer Energie-Im-
(a) Die Lagrange-Funktion (20.35) und puls-Tensor Zeigen Sie: Durch Addition von @ t mit
(b) die Lagrange-Dichte (20.67)
1
sind zwar offensichtlich kovariant, aber nicht invariant unter t
D F A (20.113)
4
Eichtransformationen. Zeigen Sie dies und begründen Sie je-
weils, dass Eichtransformationen dennoch keinen Einfluss auf gewinnt man aus dem kanonischen Energie-Impuls-Tensor
die Bewegungsgleichungen haben. (20.96) den symmetrischen Tensor (20.102).
696 20 Lagrange- und Hamilton-Formalismus in der Elektrodynamik
Teil II
muss man, wie bei der Ableitung von u u in Aufgabe 20.1, (20.141)
8
die Produktregel beachten. Dabei schreibt man die Produkte
wieder zunächst mithilfe der Metrik und benutzt geschrieben werden. Der erste Summand ist eine tota-
le Ableitung; sein Beitrag zur Wirkung kann mithilfe
@.@ A / des Gauß’schen Satzes in ein Oberflächenintegral umge-
D ı ı : (20.132)
@.@ A / schrieben werden. Er verschwindet also, wenn die Felder
hinreichend rasch abfallen. Der zweite Summand ver-
Man erhält dann insgesamt schwindet genau dann, wenn @ @ A = 0 ist; man erhält
somit dieselbe Bedingung wie in (1).
@L 1
D .2@ A 2@ A /
@.@ A / 8
20.3 Eine allgemeine Eichtransformation hat bekanntlich die
1 1 Form
D .@ A @ A / D F :
4 4 A ! A C @ (20.142)
(20.133)
Eingesetzt in die Euler-Lagrange-Gleichung (20.73) ergibt mit einer beliebigen skalaren Funktion .
dies sofort die inhomogenen Maxwell-Gleichungen in kova-
rianter Form (a) Der kinetische Term ändert sich unter der Eichtransformati-
4
@ F D j : (20.134) on offensichtlich nicht. Der potenzielle Term dagegen ändert
c sich:
Definiert man außerdem wie üblich q q q
uQ A ! uQ A uQ @ x ./ ; (20.143)
1 c c c
FQ D
F ; (20.135)
2 also ändert sich die Lagrange-Funktion um den zweiten
Summanden.
so folgen auch die homogenen Maxwell-Gleichungen sofort Dieser kann aber auch geschrieben werden als
aus der Antisymmetrie von :
q d
@ FQ D 0: (20.136) x ./ : (20.144)
c d
(b) (1) Mit denselben Rechenschritten wie in Teilaufgabe (a) er- Die Wirkung ändert sich damit um
hält man nun
Z 2
@L 1 1 1 q d q
D @ A D F @ A ; .x .//d D .x .// 2
; (20.145)
@.@ A / 4 4 4 c d c 1
(20.137) 1
ist der erste Summand in der Lagrange-Dichte invariant un- (b) Zunächst folgt für ıx D b mit einem konstanten Vektor
ter Eichtransformationen. b sofort, dass ı uQ D 0 ist. Damit haben wir also
Der Wechselwirkungsterm dagegen ändert sich:
@LQ @LQ @LQ
ı LQ D
ıx C ı uQ D ıx : (20.157)
1 1 1
j A ! j A j @ ; (20.147) @x @Qu @x
c c c p
Da der kinetische Term mc uQ uQ von x unabhängig ist
also ändert sich die Lagrange-Dichte unter einer Eichtrans- und nach Voraussetzung A räumlich und zeitlich konstant
formation. Die Wirkung ändert sich dadurch um ist, folgt
Z ı LQ D 0: (20.158)
1
j @ d4 x: (20.148) Die Lagrange-Funktion ändert sich unter dieser Transforma-
c
Q D 0 wählen. Andererseits ist
tion nicht; also können wir Q
Teil II
Literatur
Teil II
Quantenmechanik Teil III
Teil III
Inhaltsverzeichnis
701
Die Entstehung der
Quantenphysik
21
Warum ändert glühendes
Eisen die Farbe bei
Temperaturänderung?
Teil III
21.1 Probleme der klassischen Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704
21.2 Hohlraumstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706
21.3 Lichtquanten und Materiewellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708
21.4 Quantisierungsregeln von Bohr und Sommerfeld . . . . . . . . . . . . 716
21.5 Emission, Absorption und Einstein-Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . 719
21.6 Der Spin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 720
Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723
Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 726
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_21, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 703
704 21 Die Entstehung der Quantenphysik
Ein Verständnis der modernen Naturwissenschaften ist ohne Kennt- sind dann durch die deterministischen Newton’schen Gleichun-
nis der Quantenmechanik, deren Grundgleichungen das Verhalten gen vollständig bestimmt.
mikroskopischer Objekte beschreibt, unmöglich. Ohne Quantenme-
Die Korpuskulartheorie der Materie wurde zunächst auf die
chanik gäbe es kein Verständnis der Eigenschaften von Molekülen,
Mechanik der Himmelskörper und auf makroskopische feste
Atomen und Atomkernen, Halbleitern, Lasern oder Elementarteil-
Körper angewandt. Nach der Atomhypothese der Chemiker An-
chen, und ohne Quantenmechanik könnten wir auch nicht begrei-
toine de Lavoisier, Joseph Proust, Joseph Gay-Lussac und John
fen, warum die Sonne schon mehrere Milliarden Jahre Energie
Dalton wurde sie auch zur grundlegenden Theorie der Materie
ausstrahlt. Die Quantentheorie darf wohl zu Recht als eine der größ-
im mikroskopischen Bereich. Inspiriert von dem Gesetz über die
ten naturwissenschaftlichen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts
Volumenverhältnisse reagierender Gase stellte Amedeo Avoga-
angesehen werden – revolutionär und von großem praktischen Nut-
dro (1776–1856) im Jahre 1811 seine berühmte Hypothese auf,
zen.
dass bei fester Temperatur T und festem Druck p gleiche Volu-
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ergaben sich in der Physik grund- mina von Gasen jeweils die gleiche Anzahl Moleküle enthalten,
legende Umwälzungen, die schließlich zur Relativitätstheorie und unabhängig von deren chemischer Zusammensetzung. Bezeich-
Quantenmechanik führten. Auf der atomaren bzw. subatomaren net v das molare Volumen, dann ist pv =kB T gegeben durch die
Skala werden die klassischen Gesetze durch die Gesetze der Avogadro-Konstante
Quantenmechanik abgelöst, und von diesen Gesetzen und ihren
Anwendungen handelt der dritte Teil des Buches. Viele atomare NA D 6;022 141 29.27/ 1023 Mol1 : (21.1)
und molekulare Vorgänge werden bereits durch die nichtrelativis-
tische Quantenmechanik erklärt, und auf diese werden wir uns Diese Konstante spielt in Kap. 33 eine wichtige Rolle.
im Folgenden beschränken. Dieses Kapitel beschreibt die Entste- Ende des 19. Jahrhunderts brachten James Clerk Maxwell und
hung der Quantenmechanik. Besondere Beachtung findet dabei das Ludwig Boltzmann (1844–1906) die kinetische Theorie der Ga-
Planck’sche Gesetz für die Hohlraumstrahlung, der Welle-Teilchen-
Teil III
se, nach der die Temperatur mit der Bewegung der Atome
Dualismus und einige wichtige Experimente, die schon früh Proble- korreliert ist, zu einem gewissen Abschluss. Darin berech-
me der klassischen Physik offenbarten. nen sich makroskopische Größen wie Temperatur und Druck
als Mittelwerte von etwa NA mikroskopischen Freiheitsgraden.
Die entstehende statistische Mechanik beschränkt sich auf die
Berechnung von Mittelwerten und versucht nicht, die mikro-
21.1 Probleme der klassischen skopische Dynamik analytisch zu lösen. Diese Theorie wird in
Physik Teil IV ausführlich behandelt. Aufgrund der Untersuchung der
Brown’schen Bewegung von feinen Teilchen in Flüssigkeiten
oder Gasen wurde die reale Existenz von Atomen und Mole-
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts schien die Physik zu einem külen dann endgültig akzeptiert. Albert Einstein (1879–1955,
gewissen Abschluss gekommen zu sein. Dies geht aus dem Nobelpreis 1921 für die Deutung des Photoeffekts mithilfe
folgenden Zitat von Albert Michelson (1851–1931, Nobelpreis der Lichtquantenhypothese) und Marian Smoluchowski (1872–
1907 für seine optischen Präzisionsinstrumente) hervor: 1917) zeigten 1905, wie die Brown’sche Bewegung mithilfe
Die wichtigsten Grundgesetze und Grundtatsachen der statistischer Bewegungsgesetze Rückschlüsse auf die Moleküle
Physik sind alle schon entdeckt, und diese haben sich bis erlaubt. Zum Beispiel konnte auf diese Art die Avogadro’sche
jetzt so fest bewährt, dass die Möglichkeit, sie wegen neu- Zahl bestimmt werden.
er Entdeckungen beiseite zu schieben, außerordentlich
fern zu liegen scheint [. . .] Unsere künftigen Entdeckun-
gen müssen wir in den 6. Dezimalen suchen (Michelson
1903).
Strahlung
Am Ende der klassischen Periode bestand das Universum aus Isaac Newton versuchte, die Eigenschaften des Lichtes durch
Materie und Strahlung, wie sie durch die in den ersten bei- eine Korpuskulartheorie zu erklären. Die etwa zur selben Zeit
den Teilen des Buches vorgestellten Gesetze von Isaac Newton entwickelte Huygens’sche Wellentheorie des Lichtes fand an-
(1642–1727) und James Clerk Maxwell (1831–1879) beschrie- fänglich wenig Anhänger, da nur Schatten mit scharfen Kanten
ben werden. beobachtet wurden. Erst nach den Interferenzversuchen an en-
gen Schlitzen von Thomas Young (1773–1829) und insbeson-
dere Augustin Jean Fresnel (1788–1827) am Anfang des 19.
Materie Jahrhunderts änderte sich die Situation grundlegend. Als dann
Mitte des Jahrhunderts Léon Foucault (1819–1868) demons-
trierte, dass sich im Widerspruch zur Korpuskulartheorie Licht
Der Zustand der Materie ist durch Angabe der Positionen und in Wasser langsamer als in der Luft fortpflanzt, war dies keine
Impulse aller Materieteilchen zu einem festen Zeitpunkt ein- sonderliche Überraschung mehr, da sich die Wellentheorie des
deutig gegeben, und Zukunft sowie Vergangenheit des Systems Lichtes schon durchgesetzt hatte.
21.1 Probleme der klassischen Physik 705
Die Theorie des Lichtes kam mit der Maxwell’schen Theorie Elementarladung gelang dann Robert Millikan (1868–1953, No-
des Elektromagnetismus von 1864 zu einem gewissen Ab- belpreis 1923 für seine Beiträge zur Elementarladung und den
schluss (Teil II). In der Maxwell’schen Theorie für das elek- Photoeffekt) im Jahre 1911 in seinem berühmten Öltröpfchen-
trische und magnetische Feld hat die Strahlung unendlich viele versuch.
Freiheitsgrade, nämlich die Komponenten der Felder an jedem
Raumpunkt. Das Strahlungsfeld kann dabei nicht in lokalisierte Parallel dazu wurden mit der Entdeckung der Radioaktivität
Teilchen zerlegt werden. durch Henri Becquerel (1852–1908) im Jahre 1896 und den fol-
genden Experimenten von Marie Curie (1867–1934) und Pierre
Curie (1859–1906) die Eigenschaften von Atomkernen erkenn-
Der Zustand der Physik am Ende des 20. Jahrhundert bar. Im Jahre 1903 erhielten sie gemeinsam den Nobelpreis für
ihre Entdeckungen bzw. Untersuchungen von Strahlungsphäno-
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnten alle physi-
menen (Marie Curie erhielt 1911 einen zweiten Nobelpreis, und
kalischen Phänomene mit den klassischen Theorien von
zwar für Chemie). Hans Geiger (1882–1945), Ernest Marsden
Newton und Maxwell für Materie und Strahlung erklärt
(1889–1970) und Ernest Rutherford (1871–1937, Nobelpreis
werden. Es bestand ein hoher Grad an Vereinheitlichung,
1908 für seine Beiträge über den Zerfall von Elementen) un-
und die Physik stellte sich als abgeschlossenes und schein-
tersuchten systematisch die Streuung von Heliumkernen (˛-
bar widerspruchsfreies Gebäude dar.
Teilchen) an Atomen in dünnen Substanzschichten. In der Wil-
son’schen Nebelkammer war es möglich, die Bahnen der positiv
geladenen ˛-Teilchen direkt sichtbar zu machen und auszumes-
Der Wunsch nach einer Vereinheitlichung der physikalischen
sen. Erstaunlicherweise wurden diese nur selten mehr als 3ı von
Theorien im Rahmen einer mechanistischen Weltauffassung be-
ihrer Richtung abgelenkt – nur in einem von 8000 Fällen gab es
reitete allerdings Probleme bei der mechanistischen Erklärung
Ablenkwinkel von mehr als 90ı .
der elektromagnetischen Erscheinungen. Die Wellenausbrei-
Teil III
tung war schon durch die akustischen Vorgänge bekannt, wo Der Streuversuch zeigte somit, dass die positive Ladung und
sie eine makroskopische Erscheinung ist, die sich aus der ein Großteil der Masse der streuenden Atome in einem Atom-
mikroskopischen Bewegung von Atomen oder Molekülen ab- kern vereinigt sind. Aufgrund dieser Beobachtung entwickelten
leiten lässt. In Analogie suchte man nach einem Träger der Ernest Rutherford und Philipp Lenard (1862–1947, Nobelpreis
elektromagnetischen Wellen, dem sogenannten Äther. Auf die- 1905 für seine Arbeiten über die Kathodenstrahlen) das ers-
se Weise wollte man die Wellenausbreitung ebenfalls auf die te moderne Bild von Atomen. Danach besteht ein Atom aus
Kraftgesetze der Newton’schen Mechanik, angewandt auf einen einem kompakten positiv geladenen Kern der Ladung Ze, um
geeigneten Träger, zurückführen. Der negative Ausgang des Mi- den Z Elektronen kreisen. Dabei vereinigt der Atomkern fast
chelson-Morley-Experiments machte aber deutlich, dass eine die gesamte Atommasse in sich. Das Modell ähnelt einem Son-
derartige Erklärung des Elektromagnetismus unmöglich war. nensystem im Kleinen, bei dem die Gravitationskraft durch
Das augenscheinliche Paradoxon wurde endgültig im Rahmen die elektrische Kraft ersetzt wird. Die Coulomb-Anziehung des
der speziellen Relativitätstheorie gelöst (siehe auch das „Repe- Kernes, die Zentrifugalkräfte und die gegenseitige Abstoßung
titorium: Spezielle Relativitätstheorie“ in Kap. 18). der Elektronen sollten bewirken, dass die Elektronen stabile
Bahnen mit Radien von etwa 108 cm um den Kern vollführen
(Hantaro Nagaoka entwickelte bereits 1904 ein ähnliches Mo-
dell). Das Modell hatte aber ein großes Problem: Um nicht in
Erste Probleme mit der klassischen Physik den Atomkern zu fallen, müssen die Elektronen um den anzie-
henden Kern kreisen. Nach den Gesetzen der Elektrodynamik
Etwa um 1900 ermöglichte die fortschreitende Verbesserung der strahlen aber beschleunigte Ladungen Energie ab; somit müss-
experimentellen Techniken die Beobachtung einzelner mikro- ten die kreisenden Elektronen in den Kern stürzen.
skopischer Vorgänge und das Zählen mikroskopischer Teilchen.
Frage 1
Die Physiker konzentrierten sich im Wesentlichen auf
Zeigen Sie mithilfe der Resultate aus Kap. 19, dass das Elektron
die genaue Untersuchung der mikroskopischen Struktur der im Wasserstoffatom aufgrund dieser Abstrahlung nach etwa
Materie, 108 s in den Kern stürzen würde.
die Wechselwirkung der Teilchen untereinander und mit dem
elektromagnetischen Feld.
Bereits einige Monate vor Entdeckung der Radioaktivität fand
Wilhelm Conrad Röntgen (1845–1923, er erhielt 1901 den ers-
Bei diesen Untersuchungen traten in zunehmendem Maße Pro- ten vergebenen Nobelpreis für die Entdeckung der Röntgen-
bleme der klassischen Physik zutage. Joseph John Thomson strahlen) durch Zufall die nach ihm benannte Strahlung. Deren
(1856–1940, Nobelpreis 1906 für seine Beiträge zur Leitfä- Wellencharakter wurde 1912 von Max von Laue (1879–1960,
higkeit von Gasen) entdeckte 1897 das Elektron als Teilchen Nobelpreis 1914 für seine Entdeckung der Beugung von Rönt-
der Kathodenstrahlung und bestimmte das Verhältnis der Ele- genstrahlen beim Durchgang durch Kristalle) mit Beugungsex-
mentarladung zur Elektronenmasse e=me . Die Messung der perimenten an Kristallen nachgewiesen.
706 21 Die Entstehung der Quantenphysik
8 2
Im isotropen thermischen Gleichgewicht ist die mittlere Energie W .T; / D h eh=kB T : (21.7)
je Oszillator unabhängig von der Polarisation und der Richtung c3
von k. Gemäß dem Gleichverteilungssatz der klassischen Sta- Die hier aus Dimensionsgründen auftretende neue Naturkon-
tistik entfällt auf jeden harmonisch schwingenden Freiheitsgrad
Teil III
stante h ist das Planck’sche Wirkungsquantum. Oft führt man
die mittlere Energie kB T – unabhängig von seiner Frequenz. das reduzierte Wirkungsquantum
Der genaue Wert der Boltzmann-Konstanten kB findet sich in
(21.13). Der Gleichverteilungssatz wird in Kap. 36.1 behandelt. h
„D (21.8)
Durch Multiplikation mit (21.4) kam Lord Rayleigh (1842– 2
1919, Nobelpreis 1904 für die Bestimmung der Dichte der
wichtigsten Gase) im Juni 1900 zu der Formel für die spektrale ein, sodass h D „! gilt. Das Wien’sche Gesetz (21.7) repro-
Energiedichte: duziert die oben erwähnten Messungen der Hohlraumstrahlung
8 2 für kurze Wellenlängen hervorragend, versagt aber bei großen
R .T; / D kB T : (21.5) Wellenlängen. Im Gegensatz zur Rayleigh-Jeans-Formel ist sei-
c3 ne theoretische Begründung unbefriedigend.
Hier erscheint die Temperatur nur als Faktor, was bedeutet,
dass die Strahlungsintensität mit der Temperatur zunimmt. Die
Hohlraumfarbe wird aber durch die Frequenzverteilung der
Strahlung bestimmt und wäre nach (21.5) temperaturunabhän- Planck’sches Strahlungsgesetz
gig – im krassen Widerspruch zur Erfahrung. Übrigens irrte
Rayleigh um einen Faktor 8 bei der Abzählung der Wellenzahl- Im Geburtsjahr der Quantenmechanik stellte sich die Situation
vektoren. Sein Fehler wurde erst fünf Jahre später von James in Bezug auf die schwarze Strahlung wie folgt dar: Es exis-
Jeans korrigiert. tierten zwei Gesetze, das Wien’sche Stahlungsgesetz und das
Für große Wellenlängen oder kleine Frequenzen hat sich die- Rayleigh-Jeans-Gesetz. Ersteres stimmt nur bei kurzen Wellen-
se Formel als korrekt erwiesen. Allerdings stand sie bei hohen längen, und seine theoretische Begründung ist problematisch.
Frequenzen in Konflikt zu den Messungen von Otto Lummer, Das zweite stimmt nur bei großen Wellenlängen, obwohl es
Ernst Pringsheim, Heinrich Rubens und Ferdinand Kurlbaum. zwingend aus den Gesetzen der klassischen Physik folgt. Um
Dass das klassische Ergebnis (21.5) nicht in Ordnung sein kann, die beiden Gesetze zu kombinieren, hat Max Planck zwischen
erkennt man auch, wenn man damit die Energiedichte der elek- R und W interpoliert (tatsächlich hat er die zweiten Ab-
tromagnetischen Strahlung im Hohlraum berechnet: leitungen der Entropie nach der Energie auf einfache Weise
miteinander verbunden), was zum Planck’schen Strahlungsge-
Z Z1 setz
8 8 2 h
uD R d D kB T 2 d D 1 : (21.6) .T; / D 3 h=k T (21.9)
c3 c e B 1
0
führte (Planck 1900). Bei der Herleitung des Strahlungsgesetzes
Der divergente Beitrag zur unendlichen Energie rührt von den musste Max Planck annehmen, dass der Energieaustausch zwi-
Moden mit sehr hohen Frequenzen her. Deshalb sprach Paul schen den Atomen in der Umrandung (die er als harmonische
Ehrenfest (1880–1933) auch von einer Ultraviolettkatastro- Oszillatoren modellierte) und dem elektromagnetischen Strah-
phe. Diese Katastrophe wie auch die Diskrepanz zwischen lungsfeld nicht kontinuierlich, sondern nur in Form kleinster
708 21 Die Entstehung der Quantenphysik
T3
21.3 Lichtquanten
und Materiewellen
Rayleigh- hνmax ∝ T Wien hν
Jeans Zahlreiche in ihrer Beweiskraft zwingende Versuche zeigen,
dass das Licht ein Wellenvorgang ist. Es gibt jedoch eine Rei-
Abb. 21.3 Frequenzverteilung der Wärmestrahlungsintensität für drei ver- he genauso überzeugender Versuche, die sich mit einer solchen
schiedene Temperaturen T1 > T2 > T3 Vorstellung nicht erklären lassen. Man versteht sie aber sofort
mit der Annahme, dass das Licht aus Lichtteilchen – den Pho-
tonen – besteht.
Energiepakete stattfindet. Das physikalische Problem .T; / zu
erklären, war mitverantwortlich für die Geburt der Quantentheo-
rie.
Einsteins Lichtquantenhypothese
Teil III
Die Hintergrundstrahlung wurde 1964 von Robert Wilson erhalten, allerdings mit sinkender Temperatur. Nach einer
(*1936) und Arno Penzias (*1933) von den Bell Laboratories Abschätzung von Alpher, Hermann und Georges Edouard
entdeckt. Im Jahr 1978 erhielten sie dafür den Nobelpreis. Lemaître (1894–1966) sollte die Hintergrundstrahlung ge-
Die Strahlung entpuppte sich als der erste direkte Beleg genwärtig eine Temperatur zwischen 1 und 5 K haben. Die
für die von George Gamov (1904–1968), Ralph Alpher Ausdehnung ihrer Wellenlänge zwischen der Entkopplung
(1921–2007), Robert Hermann (1914–1997) und Hans Be- von der Materie bis zur Gegenwart bewirkte eine extreme
the (1906–2005, Nobelpreis 1967 für seine Entdeckungen Rotverschiebung um den Faktor von etwa 1000, sodass die
über die Energieerzeugung in Sternen) vorgeschlagene Ur- Strahlung heute nur mit Radioantennen messbar ist.
knalltheorie.
Die Materie- und die Energiedichte der Strahlung im Univer- Mit Beobachtungen von der Erde, aus Ballonen und insbe-
sum wachsen mit abnehmendem Skalenparameter a wie sondere Satelliten, gelang es, das Spektrum der Hintergrund-
strahlung in verschiedenen Frequenzbändern zu bestimmen.
1 1 Die nahezu perfekte Schwarzkörperstrahlung hat gegenwär-
/ und u / 4 ;
a 3 a tig die Temperatur von .2;7255˙0;0006/ K. Jeder Kubikzen-
wobei der Skalenparameter die relativen Abstände zwischen timeter des Weltraumes enthält davon etwa 400 Photonen.
weit voneinander entfernten Galaxien bestimmt. Im frühen
dichten Universum war der Skalenparameter sehr viel klei-
ner, als er gegenwärtig ist. George Gamov folgerte, dass das
frühe Universum sehr heiß gewesen sein musste. Die Expan-
Teil III
sion führte zur Abkühlung, und bei Temperaturen von etwa
3000 K kombinierten Elektronen und Protonen zu durchsich-
tigen Wasserstoffatomen, und die Strahlung entkoppelte von
der Materie. Als Folge des thermischen Gleichgewichts vor
der Rekombination hat die kosmische Hintergrundstrahlung
(genauer: deren Monopolanteil) heute das perfekte Intensi-
tätsspektrum eines Schwarzen Körpers. Die aus dem COBE-
Satelliten (COBE: Cosmic Background Explorer) gewon-
nenen Datenpunkte folgen genau dem Planck’schen Gesetz
(Abb. 21.4).
Die Beobachtungsergebnisse flossen in ein Standardmo- Dunklen Energie (etwa 69 %), etwa 26 % trägt die Dunkle
dell für die Zusammensetzung des Universums ein: Danach Materie bei, und nur etwa 5 % besteht aus uns bekannter
wird die Energiedichte des Universums dominiert von der Strahlung und Materie.
Nach Einführung der Naturkonstanten „ erkannte Planck die die Boltzmann-Konstante kB zu 1 gesetzt, wodurch nur eine
Möglichkeit, damit ein universell gültiges System von Ein- Maßeinheit übrig bleibt. Durch die entsprechende Umrech-
heiten zu definieren und erwähnte diese bereits im Mai 1899 nung lassen sich dann Längen, Zeiten, Energien und Massen
(Planck 1899). Zu dieser Zeit war die Quantenmechanik sämtlich z. B. in Elektronenvolt (eV) ausdrücken. Überhaupt
noch gar nicht entdeckt. Die Planck-Einheiten ergeben sich ist die Boltzmann-Konstante eine verzichtbare „Naturkon-
aus einer Dimensionsbetrachtung, d. h. einer Suche nach ei- stante“, weil man anstelle der Temperatur ja direkt Energien
nem Ausdruck von der Dimension einer Masse, Länge, Zeit messen kann.
und Ladung, der nur Produkte und Quotienten von geeigne-
ten Potenzen der Naturkonstanten G; c und „ enthält. Man In der allgemeinen Relativitätstheorie hingegen vereinfachen
findet die Planck-Masse, die Planck-Länge, die Planck-Zeit sich die Formeln, wenn Lichtgeschwindigkeit und Gravita-
und die Planck-Ladung: tionskonstante zu 1 gesetzt werden; das ist das sogenannte
geometrische Einheitensystem.
1=2
„c Die Planck-Einheiten vereinigen diese Ansätze und stellen
mpl D D 2;1765 108 kg ;
G damit das natürliche Einheitensystem der Quantengravitati-
Teil III
Einstein war sich der Radikalität seiner Lichtquantenhypothe- Gegenspannung gemessene Energie der Elektronen nicht von
se bewusst und suchte nach Möglichkeiten der experimentellen der Intensität des Lichtes abhängt, sondern nur von der Fre-
Bestätigung. Eine solche fand er im lichtelektrischen Effekt quenz oder Wellenlänge. Wichtig ist außerdem – sofern das
(Photoeffekt). Experiment mit sehr schwachem Licht durchgeführt wird –,
dass Elektronen emittiert werden, sobald die Lichtquelle an-
Allgemein löst hinreichend kurzwelliges Licht aus Metallober- geschaltet ist, und nicht erst dann, wenn die Lichtwelle einem
flächen negative Ladungsträger, nämlich die von J. J. Thomson bestimmten Atom über eine gewisse Zeit hinweg genügend
entdeckten Elektronen, aus. Die Stärke des Stromes ist dabei Energie zugeführt hat.
proportional zur Intensität der Strahlung, vorausgesetzt, die Fre-
quenz des Lichtes ist größer als eine für das bestrahlte Metall Nach der Lichtquantenhypothese besteht die einfallende mo-
charakteristische Schwellfrequenz s . Philipp Lenard beobach- nochromatische Strahlung aus Photonen der Energie h. Ein
tete 1902 den klassisch unerklärlichen Effekt, dass die mit einer Elektron im Metall kann nun ein Photon absorbieren und ge-
21.3 Lichtquanten und Materiewellen 711
mc2 1
ED p mc2 C mv 2 C : : : ; (21.18)
1 v 2 =c2 2
E2 c2 p2 D .mc2 /2 ; (21.19)
Teil III
E h
jpj D D D „jkj : (21.20)
c c
Abb. 21.6 Albert Einstein (1879–1955), © akg-images
Für eine monochromatische Welle zeigt die Impulsdichte, ge-
geben durch den Poynting-Vektor, in Richtung des Wellenzahl-
vektors, und wir folgern p D „k.
winnt dabei nach dem als gültig vorausgesetzten Energiesatz
die Energie h. Nach Abzug der Austrittsarbeit W bleibt dem
austretenden Elektron noch die kinetische Energie: De-Broglie-Beziehung
1 W Energie und Impuls der Lichtteilchen stehen mit Frequenz
me v 2 D h W H) s D : (21.17) und Wellenzahlvektor der ebenen Welle wie folgt in Be-
2 h
ziehung:
Offensichtlich hängt diese nur von der Frequenz des einge-
strahlten Lichtes oder der Energie der auftreffenden Photonen E D h D „! und p D „k : (21.21)
ab. Die klassische Wellentheorie ist nicht in der Lage, diesen
Photoeffekt zu erklären: Nach der Maxwell’schen Theorie ist
die Energie einer elektromagnetischen Welle nämlich proportio- Glaubt man an die unbeschränkte Gültigkeit des Energie-Im-
nal zur Intensität der Quelle, und die Frequenz hat damit nichts puls-Erhaltungssatzes, so kann man diese Gleichungen bei Stö-
zu tun. ßen von Lichtquanten an Teilchen, z. B. Elektronen, testen.
Das Gesetz (21.17) wurde von Robert Millikan 1916 bestätigt, Tatsächlich hat die Photonenvorstellung folgenden zunächst
und die Konstante h hat genau denselben Wert wie die Konstan- rätselhaften Effekt aufgeklärt: Monochromatisches Röntgen-
te im Planck’schen Gesetz. Das Experiment von Millikan und licht wird durch Materie gestreut, wobei die Wellenlänge der
nachfolgende Experimente zeigen, dass für Metalle die Aus- gestreuten Strahlung größer ist als die der einfallenden Strah-
trittsarbeit in der Größenordnung von einigen Elektronenvolt lung. Mit zunehmendem Streuwinkel nimmt die Wellenlänge
(eV) liegt. Albert Einstein erhielt 1921 für seine Erklärung des der gestreuten Strahlung stetig zu und für Rückwärtsstreu-
Photoeffekts den Nobelpreis und nicht, wie häufig vermutet, für ung an Elektronen findet man eine Zunahme um 4;85 pm D
die Entdeckung der Relativitätstheorie. 0;00485 nm, unabhängig von der eingestrahlten Wellenlänge.
Die Beobachtungen waren mit der Vorstellung, eine elektro-
magnetische Welle werde an freien Elektronen gestreut, schwer
verträglich. Die Elektronen würden dann nämlich mit der Fre-
Compton-Effekt quenz der einfallenden Welle schwingen und eine Welle mit
unveränderter Frequenz aussenden. Dagegen ist im Teilchenbild
Wenn wir die Energie E D h der mit Materie wechselwirken- eine Zunahme der Wellenlänge gleichbedeutend mit einer Ener-
den Photonen allmählich steigern, wird zuerst das Stadium der gieabnahme. Die Lösung ist, dass die fehlende Energie von den
712 21 Die Entstehung der Quantenphysik
Materiewellen
hν /c
Bringen wir den letzten Term in der Energiebilanz nach links, zugeordnet.
dividieren durch c, quadrieren und benutzen dann die Impuls-
erhaltung, so ergibt sich nach Ausmultiplikation der folgende Wie sieht diese nun in einem Inertialsystem aus, in dem sich
Ausdruck für die Wellenlängenzunahme: das Teilchen mit der Geschwindigkeit v in die x-Richtung be-
wegt? Bezeichnet man die Koordinaten in diesem System mit
2h .t; x; y; z/, dann lautet die Lorentz-Transformation zwischen den
0 D D sin2 : (21.24)
me c 2 beiden Inertialsystemen
Das Experiment bestätigt diese Gleichung glänzend. vx
Qt D t 2 ; xQ D .x v t/ : (21.28)
Frage 3 c
Führen Sie diese kurze Rechnung einmal selbst durch. Die Materiewelle sei ein Lorentz-Skalar. Dann hat sie im neuen
System die Form
Der Faktor 2h=.me c/ ist der bei einer Rückstreuung gefundene i!Q
Qt t v x=c2 /
experimentelle Wert. Die Hälfte davon, D 0e D 0 ei!.
Q
: (21.29)
Teil III
ve Interferenz der reflektierten Wellen. Dabei ist d der Abstand
zwischen zwei parallelen Gitterebenen, # der Winkel zwischen
Die Auflösung nach ergibt für die De-Broglie-Wellenlänge dem einfallendem Röntgenstrahl und der Gitterebene und n die
nach Durchlaufen der Strecke Ordnung des Interferenzmaximums. Nickelkristalle haben ei-
ne Gitterkonstante a D 0;352 nm, und der Abstand zwischen
h 1;226
D p p nm : (21.33) den relevanten Gitterebenen ist d D 0;094 nm. Das erste Inter-
2meU UŒVolt ferenzmaximum erschien bei einem Streuwinkel von 50ı bzw.
einem Bragg-Winkel von # D 65ı . In guter Übereinstimmung
Bei einer Spannung in der Größenordnung von 10 V besitzen mit dem obigen Wert für die De-Broglie-Wellenlänge ergibt die
Elektronen dann eine Wellenlänge im Nanometerbereich, in Bragg-Bedingung den Wert D 0;170 nm.
dem auch der Atomabstand in Festkörpern liegt.
Im selben Jahr konnte George Paget Thomson (1892–1975)
beim Durchgang von interferierenden Elektronen durch dünne
Thermische De-Broglie-Wellenlänge Metallfolien die de Broglie’sche Beziehung D h=mv eben-
falls bestätigen. Zusammen mit Clinton Davisson erhielt er im
In der Bose-Einstein-Kondensation (Abschn. 37.5) kühlt Jahr 1937 den Nobelpreis für den Nachweis, dass Elektronen
man das atomare Kondensat bis zu Temperaturen von auch Welleneigenschaften haben. Dies war übrigens 31 Jahre
etwa 10 nK ab. Für ein ideales Gas ist die mittlere kineti- nachdem sein Vater J. J. Thomson den Preis für den Nachweis
sche Energie der Atome hEi / kB T. Wählt man, motiviert erhielt, dass Elektronen Teilchen sind.
durch Resultate der statistischen Physik, den Proportiona-
litätsfaktor gleich , dann findet man mit der Beziehung Auch bei Atomstrahlen wurden 1929 Andeutungen von In-
D h=p die thermische De-Broglie-Wellenlänge terferenzen gefunden, nämlich von Otto Stern (1888–1969,
Nobelpreis 1943 für seine Beiträge zur Entwicklung der Mo-
h 1;74 nm lekularstrahlmethode) bei der Streuung von He-Strahlen an
dB D p D p ; (21.34) Steinsalzkristallen und deutlichere von Immanuel Estermann
2 mkB T m=mp TŒK
(1900–1973) und Otto Stern mit He- und H2 -Strahlen an LiF-
Kristallen.
worin mp die Masse des Protons bezeichnet. Sie be-
schreibt die mittlere De-Broglie-Wellenlänge von Teil- Ein schönes Experiment, das die Welleneigenschaften von Ma-
chen im Wärmebad der Temperatur T und charakterisiert terie offenbart, ist die Streuung von Elektronen an einem langen,
deren räumliche „Ausdehnung“. Atomare Gase aus Bo- geraden und positiv geladenen Metallfaden. Das Biprisma von
sonen kondensieren bei sehr tiefen Temperaturen, wenn Heinrich Düker (1923–1985) und Gottfried Möllenstedt (1912–
dB größer als der mittlere Abstand zwischen den Teil- 1997), die ihr Experiment 1956 durchführten, trennt zwei
chen wird. Für Rubidiumatome bei 10 nK ist dB 2 µm. Strahlen freier Elektronen, die aus einem elektronenoptisch auf
J 50 nm verkleinerten Bild einer Elektronenquelle kommen, und
lässt sie dann fast parallel wieder zusammenlaufen (Abb. 21.8).
714 21 Die Entstehung der Quantenphysik
Elektronen
Beugungsmuster
Interferenzmuster
langsamen Folge von einzelnen Teilchen erscheint das Interfe-
renzbild dann nach und nach. Nach dem Detektieren von immer
Abb. 21.8 Im Experiment von Düker und Möllenstedt werden Elektronen aus mehr Teilchen entsteht wieder das bekannte Muster. Dies wur-
einer nahezu punktförmigen Quelle auf einen Quarzfaden gelenkt und dahinter de in einer Neuauflage des Biprismaexperiments von Physikern
das Beugungsmuster betrachtet. (a) Bei geerdetem Faden sind an der Schatten- der Firma Hitachi mit modernen ortsauflösenden Halbleiterde-
grenze des Fadens die Beugungsmuster erkennbar. (b) Bei positiv geladenem tektoren demonstriert, die das Auftreten einzelner Elektronen
Faden werden die Elektronen zum Faden hin abgelenkt und interferieren hinter registrieren können (Endo et al. 1989).
dem Faden
Das Ergebnis der Experimente in Abb. 21.10 zeigt ganz klar das
unerwartete und anschaulich nicht zu verstehende Verhalten der
Elektronen bei ihrer Ausbreitung (Propagation) im Raum.
Obwohl jedes einzelne Elektron die früher oder später kom-
menden Elektronen nicht „sieht“, entsteht das bekannte Interfe-
renzmuster auf dem Detektor. Dies zwingt uns zu dem Schluss,
Abb. 21.9 Aufnahme der Elektroneninterferenz im Versuch von Düker und dass Interferenz nicht durch Wechselwirkung von verschiede-
Möllenstedt. Die Beschleunigungsspannung betrug 19,4 kV und die Fadenspan- nen Teilchen untereinander verursacht wird.
nung 5,8 V
Versucht man nun jedoch mit irgendeiner noch so raffinierten
Messung herauszufinden, auf welcher Seite des Metallfadens
die Elektronen zum Schirm gelangen, dann verschwindet das
Die Elektronen fliegen am Faden vorbei und werden von ihm Interferenzmuster. Das durch den Messprozess verursachte Ver-
zur Mitte hin abgelenkt. Aus dem beobachteten Interferenz- schwinden der Interferenz wird nach der Kopenhagener Deu-
muster kann man die Wellenlänge der Elektronen bestimmen. tung der Quantenmechanik durch den sogenannten Kollaps der
Abbildung 21.9 zeigt eines der von Düker und Möllenstedt auf- Wellenfunktion erklärt. Bei Interferenz benutzt das Teilchen al-
genommenen Interferenzmuster. le möglichen Wege zwischen Quelle und Schirm gleichzeitig
Für die Beschleunigungsspannung 19;4 kV und eine Fadenspan- und „entscheidet“ sich nicht für einen festen Weg. Es befindet
nung von 5;8 V findet man D 8;72 pm. Dies ist in guter sich in einer Superposition aller Möglichkeiten. Eine Messung
Übereinstimmung mit der Beziehung von de Broglie, nach der des Weges führt dann dazu, dass nur noch der gemessene Weg
D 8;70 pm ist. „durchlaufen“ wird und die Interferenz verschwindet. Man darf
also keinen der eingezeichneten Wege in Abb. 21.8 als tatsäch-
Die Interferenz kommt aber nicht, wie man erwarten könn-
lichen Weg des Elektrons ansehen.
te, durch die Wechselwirkung vieler gleichzeitig einfallender
Elektronen zustande, sondern man erhält das gleiche Interfe- Das erste Doppelspaltexperiment mit Elektronen wurde von
renzmuster auch bei minimaler Intensität der Quelle. Bei einer Claus Jönsson (*1930) erst im Jahre 1960 in Tübingen durch-
21.3 Lichtquanten und Materiewellen 715
Z
k0 Ck=2
Teil III
gistriert ein ortsauflösender Teilchendetektor die ankommenden Teilchen mit Amplitudenfunktion
Z
k=2
2 sin.kz=2/
geführt. In einer Umfrage des Organs der englischen phy- A.z/ D d eiz D : (21.39)
z
sikalischen Gesellschaft Physics World nach dem schönsten k=2
Experiment aller Zeiten kam der Versuch von Jönsson auf den
ersten Platz. Abbildung 21.11 zeigt den schematischen Aufbau Frage 4
eines idealisierten Doppelspaltexperiments, bei dem Elektronen Überprüfen Sie das Ergebnis in (21.38) mit der in (21.39)
(bzw. Neutronen, Atome oder sogar Fullerenmoleküle) auf eine angegebenen Amplitudenfunktion A.z/. Es darf angenommen
Blende mit Doppelspalt fallen. Eine Photoplatte in der Schirm- werden, dass die k-Abhängigkeit von a.k/ vernachlässigbar ist.
ebene hinter dem Doppelspalt gibt dabei Informationen über
das von den auftreffenden Elektronen erzeugte Bild. Ähnlich
wie beim Young’schen Experiment zeigt sich auch in diesem In Abb. 21.12 ist die, verglichen mit der Exponentialfunktion in
Fall ein Interferenzmuster, in Einklang mit dem Welle-Teilchen- (21.38), langsam variierende Amplitudenfunktion gezeigt. Sie
Dualismus der Quantenmechanik. Wiederum verschwindet das nimmt ihren maximalen Wert k am Ursprung an und ver-
Interferenzmuster, wenn wir nachsehen, durch welchen Spalt schwindet an den Stellen zn D 2 n=k mit n D ˙1; ˙2,
die Elektronen propagieren. ˙3 : : : Der Abstand z D 4 =k der dem Maximum be-
nachbarten Knoten charakterisiert in etwa die Ausdehnung des
Wellenpakets. Damit ist die Unschärfe z umgekehrt proportio-
nal zur Unschärfe des Wellenzahlvektors k.
Grenzen der Auflösbarkeit Zu einer festen Zeit ist z D x, und wir finden
Die Wellennatur von Licht und Materie ist durch die Erfahrung x k 4 : (21.40)
zweifelsfrei belegt. Eine Welle ist aber niemals in einem Raum- Dagegen ist an einem festen Ort zk D !00 t k !t,
oder Zeitpunkt lokalisiert, und deshalb treten bei Wellenphäno- und wir erhalten
menen immer Unschärferelationen auf. Um eine Welle u.t; x/ t ! 4 : (21.41)
zu lokalisieren, braucht es Wellenpakete, und je lokalisierter das
Wellenpaket in Raum und Zeit ist, desto breitbandiger werden Eine vergleichbare Beziehung wurde am Anfang von Kap. 13
Wellenzahlvektor und Frequenz. In Gleichungen ausgedrückt: für ein Gauß’sches Wellenpaket abgeleitet.
Mit den De-Broglie-Relationen (21.31) folgen dann Unschär-
! t 4 und xi ki 4 ; i D 1; 2; 3 : (21.36) ferelationen zwischen Zeit und Energie bzw. zwischen Ort und
Impuls:
Diese Beziehungen folgen bereits aus den Eigenschaften der
Fourier-Transformation und werden oft prinzipielle Unschärfen t E 2h und xi pi 2h : (21.42)
716 21 Die Entstehung der Quantenphysik
A
len beschrieben, dann gehorchen ihre Energie und ihr
sin Δk1 z k1 = 2 k2 Impuls Unschärferelationen der Form in (21.42).
z
p2 m! 2 2
HD C x (21.44)
2m 2
an. Die Lösungen der Bewegungsgleichung lauten
Teil III
x.t/ D ˛ cos !t C ˇ sin !t ;
(21.45)
p.t/ D m!.ˇ cos !t ˛ sin !t/
Abb. 21.14 Niels Bohr (1885–1962), © IAM/akg-images
und haben die Energie E D m! 2 .˛ 2 C ˇ 2 /=2. Das Wir-
kungsintegral ist
kB T ist die mittlere Energie einer Strahlungsmode sehr viel I
2
größer als die Photonenenergie, und das Planck’sche Strah- S D p xP dt D m! ˛ 2 C ˇ 2 D E: (21.46)
lungsgesetz geht in das klassische Gesetz von Rayleigh und !
Jeans über.
Für periodische Systeme führt das Korrespondenzprinzip zu der Überprüfen Sie, dass die periodische Lösung in (21.45)
Bohr-Sommerfeld’schen Quantisierungsregel: die angegebene Energie und Wirkung hat.
I
Nach der Quantisierungsregel S D nh sind die erlaubten
S D p dq D nh; n D 1; 2; 3; : : : (21.43) Energien des Oszillators also Vielfache von „!:
E
E D En D n„! : (21.47)
Dabei wird über eine volle Periode der Bewegung mit fester
Energie E integriert. Das Integral ist die von der periodischen Bis auf eine additive Konstante sind dies die korrekten
Bahn im Phasenraum eingeschlossene Fläche, und es hat die
Energien des harmonischen Oszillators, der ausführlich
Einheit von (Impuls mal Länge) oder auch von (Energie mal
in Kap. 26 behandelt wird. J
Zeit). Dies ist gerade die Einheit der in Kap. 7 eingeführ-
ten klassischen Wirkung. Tatsächlich ist das Integral gerade
der zeitunabhängige Teil der Wirkung. Dies und die Bohr-
Sommerfeld’sche Quantisierungsregel werden im Rahmen der
halbklassischen Näherung in Abschn. 31.3 beprochen. Das so-
genannte Wirkungsintegral S in der Quantisierungsregel (21.43)
ist also immer ein Vielfaches einer kleinsten Wirkung h. Dies
Bohr’sches Modell des Wasserstoffatoms
erklärt den Namen Wirkungsquantum für die Naturkonstante h.
Es ist die im Planck’schen Gesetz und in den de Broglie’schen
Im Rutherford’schen Atommodell für das Wasserstoffatom und
Relationen auftretende Konstante.
wasserstoffähnliche Atome kreist das Elektron um den winzigen
Die Bohr-Sommerfeld’sche Quantisierungsbedingung und sei- Kern mit positiver Ladung Ze, wobei Z die Anzahl der posi-
ne Verallgemeinerungen wurden von den Mitbegründern der tiv geladenen Protonen angibt. Am Elektron greift infolge der
718 21 Die Entstehung der Quantenphysik
Dann ist die Materiewelle des Elektrons, wie in Abb. 21.15 skiz-
Mit zunehmender Quantenzahl wird das Atom größer, und die ziert, eine stehende Welle und interferiert sich nicht weg.
Energien En liegen dichter.
E ; N = A e−E /kT
Elektron
Bk B k A k
Ek ; Nk = A e−Ek /kT
induziert spontan
Proton
Abb. 21.16 Übergangsraten zwischen zwei atomaren Zuständen mit den ent-
sprechenden Einstein-Koeffizienten
Teil III
Nach diesen Postulaten kann ein Wasserstoffatom nur Strahlung Unter Berücksichtigung der induzierten Emission konnte Ein-
mit den Frequenzen stein das Planck’sche Gesetz herleiten. Bohr folgend nahm er
dabei an, dass die Atome nur Zustände mit diskreten Energien
1 1 Ry
.n; m > n/ D R; R D (21.63)
n2 m2 h E1 < E2 < < Ek < < E` < : : : (21.64)
emittieren oder absorbieren. Die auftretende Rydberg-Frequenz
hat den Wert R D 3;289 842 1015 Hz. Für jede Quantenzahl annehmen. Durch Absorption von Lichtquanten der Energie
n findet man eine Serie von möglichen Frequenzen oder Wel- h D E` Ek kann das Atom im Zustand k mit Energie Ek in
lenlängen, und diejenigen mit n D 1; 2; : : : ; 5 sind in Tab. 21.1 einen Zustand ` mit größerer Energie E` angeregt werden. Um-
gelistet. kehrt kann durch Emission von Licht derselben Frequenz der
Zustand ` dann wieder in den Zustand k „zerfallen“. Im ther-
Tab. 21.1 Die Spektralserien für das Wasserstoffatom. Die Balmer-Serie ist die mischen Gleichgewicht ist die mittlere Anzahl der Atome mit
einzige, die größtenteils im sichtbaren Bereich liegt Energie Ek – man nennt diese auch mittlere Besetzungszahl –
n Serie entdeckt Farbe n;nC1 [nm] n;1 [nm] gleich
1 Lyman 1906 Ultraviolett 121 91 1
2 Balmer 1885 Sichtbar 656 365
Nk D AeˇEk ; ˇ D : (21.65)
kB T
3 Paschen 1908 Infrarot 1875 820
4 Brackett 1922 Infrarot 4050 1458 Diese nach Boltzmann benannte Verteilung der Atome auf die
5 Pfund 1924 fernes Infrarot 7456 2278 Zustände wird in Kap. 36.1 begründet. Je kleiner die Energie,
desto größer ist die Besetzungszahl. Dagegen sind Zustände
mit hohen Energien E kB T kaum besetzt. Der Faktor A
ist festgelegt durch die Bedingung, dass die Summe der Beset-
21.5 Emission, Absorption und zungszahlen Nk gleich der Anzahl der Atome ist.
Induzierte Emission Das Strahlungsfeld induziert Übergän- Im thermischen Gleichgewicht sind die Energieniveaus gemäß
ge aus dem Zustand ` in den Zustand k mit weniger Energie. der Boltzmann-Verteilung Nk / eˇEk bevölkert, und das Ver-
Die Rate ist proportional zu N` und : hältnis von induzierter Emission zur Absorption ist
NP `k
ind
D B`k .T; / N` : (21.67) NP `k
ind
N`
D D eh=kB T < 1 : (21.75)
Spontane Emission Auch in Abwesenheit des Strahlungs- NP k`
abs Nk
feldes zerfallen angeregte Atome spontan. Die Emissionsrate
von ` in k ist proportional zu N` : Im Gleichgewicht ist der Photonenverlust durch Absorption al-
so größer als der Photonengewinn durch induzierte Emission.
NP `k
spontan
D A`k N` : (21.68) Will man den Prozess der induzierten Emission zur Licht-
verstärkung ausnutzen, dann muss man zunächst einen Nicht-
Sind die Übergänge zwischen zwei Energieniveaus im Gleich- gleichgewichtszustand mit N` > Nk herstellen, eine sogenannte
gewicht, dann ist die Absorptionsrate gleich der Summe der Besetzungszahlinversion. Diese ist zur Lichtverstärkung mithil-
Emissionsraten, d. h. fe der induzierten Emission, wie sie in Lasern realisiert ist,
notwendig. Allerdings ist in einem Zweiniveausystem die Wahr-
.T; / Bk` Nk D .T; / B`k N` C A`k N` : (21.69) scheinlichkeit, dass ein Photon durch Absorption ein Elektron
auf ein höheres Niveau anhebt, genauso hoch wie die Wahr-
Wegen Nk / eˇEk ergibt sich mit E` Ek D h die Beziehung scheinlichkeit, dass es eine stimulierte Emission auslöst. Aus
diesem Grund ist eine Realisierung eines Lasers mit Zweinive-
.T; / Bk` eˇh D .T; / B`k C A`k ; (21.70) ausystemen nicht möglich. Deshalb werden Laser mittels Drei-
oder Mehrniveausystemen konstruiert. Dies sind Systeme, bei
bzw.
denen drei oder mehr atomare Eigenzustände mit verschiedenen
Teil III
A`k
.T; / D ˇh
: (21.71) Energien an den Austauschprozessen beteiligt sind.
Bk` e B`k
Die Einstein-Koeffizienten A`k ; B`k und Bk` hängen nur von der
Atomsorte ab, jedoch nicht von der Temperatur. Für hohe Tem-
peraturen kB T h muss nach dem Korrespondenzprinzip das
Rayleigh-Jeans-Gesetz gelten, also
21.6 Der Spin
A`k 8
.T; / D 3 2 kB T : (21.72) Im Bohr-Sommerfeld’schen Atommodell werden die Zustände
.Bk` B`k / C ˇhBk` c mit derselben Energie durch die Quantenzahlen des Bahndreh-
Entwickelt man den mittleren Ausdruck in Potenzen von impulses charakterisiert. Der Drehimpuls in irgendeine Rich-
ˇh 1 und vergleicht mit der rechten Seite, dann folgen die tung ist ein ganzzahliges Vielfaches m von „, und es existiert
Relationen zwischen den Einstein-Koeffizienten. immer eine ungerade Anzahl von Zuständen mit derselben
Energie, wie wir in Kap. 28 sehen werden. Deshalb wurde er-
wartet, dass bei Anlegen eines Magnetfeldes jedes Niveau in
Relationen zwischen Einstein-Koeffizienten eine ungerade Anzahl von Niveaus aufspalten sollte. Wegen
dieser Aufspaltung im Magnetfeld heißt m auch magnetische
Die Koeffizienten für Emission und Absorption erfüllen
Quantenzahl. Aber die Spektraldaten von Alkalimetallen – die-
die Beziehungen
se besitzen ein schwach gebundenes Leuchtelektron – zeigen
A`k 3 eine Energieaufspaltung in allein zwei Niveaus.
Bk` D B`k ; D8 h 3 ; (21.73)
B`k c Alfred Landé (1888–1976) führte 1921 zur Beschreibung dieser
worin h gleich der Energiedifferenz E` Ek ist. unerwarteten Dublettstruktur halbzahlige magnetische Quan-
tenzahlen ein. Wolfgang Pauli (1900–1958, Mitbegründer der
Quantenmechanik, Nobelpreis 1945 für die Formulierung des
Die Einstein-Koeffizienten für Absorption, induzierte Emission nach ihm benannten Ausschließungsprinzip; Abb. 21.17) ver-
oder spontane Emission sind gleich bzw. proportional. allgemeinerte 1924 die Termanalyse von Landé für das Pa-
schen-Back-Gebiet starker Magnetfelder. Dieser Effekt wird in
Frage 7
Kap. 29 behandelt, in dem auch der Spin ausführlich diskutiert
Zeigen Sie, dass durch Einsetzen in (21.71) sich das Planck’sche wird. In Paulis Worten:
Strahlungsgesetz
Die Dublettstruktur der Alkalispektren, sowie die Durch-
8 2 h
.T; / D (21.74) brechung der Larmor-Theorems kommt durch eine eigen-
c3 eˇh 1 tümliche, klassisch nicht beschreibbare Art von Zwei-
ergibt. deutigkeit der quantentheoretischen Eigenschaften des
Leuchtelektrons zustande. (Pauli 1925)
21.6 Der Spin 721
Teil III
überraschende Aufspaltung des Strahles in genau zwei Teil-
strahlen verdeutlicht.
Der Versuch zeigt, dass das magnetische Moment nur zwei
Abb. 21.17 Wolfgang Pauli (1900–1958), © akg/Science Photo Library mögliche Orientierungen relativ zum Magnetfeld annehmen
kann, entsprechend zweier Einstellmöglichkeiten des Drehim-
pulses in dieser Richtung.
Zur Modellierung von Paulis zweiwertigem Freiheitsgrad schlu- Die anfängliche Erklärung von Stern und Gerlach, nach der
gen die jungen Mitarbeiter von Paul Ehrenfest, Samuel Gouds- das vom Bahndrehimpuls induzierte magnetische Moment der
mit (1902–1978) und George Uhlenbeck (1900–1988), im Jahre Silberatome für die Aufspaltung der entarteten Energieniveaus
1925 vor, dem Elektron einen Eigendrehimpuls, Spin genannt, verantwortlich sei, ist allerdings nicht korrekt. Tatsächlich rührt
zuzuordnen. Der Elektronenspin sollte die Drehimpulsquanten- das magnetische Moment des Silberatoms im Grundzustand nur
zahl 1=2 haben, um die beobachtete Dublettstruktur zu erklären. vom Spin des Leuchtelektrons her, da alle anderen Elektronen
volle Schalen bilden und nach den Hund’schen Regeln nicht
zum Drehimpuls beitragen (das Schalenmodell für Atome wird
in Kap. 28 besprochen). Also ist nur das 5s-Leuchtelektron mit
Stern-Gerlach-Versuch
verschwindendem Bahndrehimpuls für den Gesamtdrehimpuls
verantwortlich.
Atome, deren Elektronenkonfigurationen einen Bahndrehim-
puls aufweisen, haben ein magnetisches Moment m propor-
tional zum Drehimpuls. Existiert entlang der z-Richtung ein Spin im Magnetfeld
inhomogenes Magnetfeld, dann wirkt auf ein Atom eine Kraft Das Silberatom verhält sich im Magnetfeld wie ein neu-
in z-Richtung: trales Teilchen mit Spin 1=2. Der zweiwertige Elektronen-
spin ist verantwortlich für die Aufspaltung des Atomstrah-
@ dB
Fz D .m B/ mz : (21.76) les in zwei Teilstrahlen.
@z dz
Deshalb wird ein Atomstrahl bestehend aus Atomen mit magne-
Klassisch würden wir erwarten, dass die Drehimpulsrichtungen
tischem Moment im inhomogenen Magnetfeld abgelenkt. Sind
der einzelnen Teilchen im Strahl statistisch verteilt sind. Dann
der Drehimpuls und das entsprechende magnetische Moment mz
sollte der Strahl im inhomogenen Magnetfeld in z-Richtung
quantisiert, dann sollte der Strahl in diskreter statt kontinuierli-
kontinuierlich verbreitert werden, im Gegensatz zur beobachte-
cher Weise abgelenkt werden.
ten Aufspaltung in zwei getrennte Teilstrahlen. Wollte man das
Otto Stern und Walther Gerlach (1889–1979) gelang 1922 der Resultat im Stern-Gerlach-Versuch also klassisch interpretie-
Nachweis dieser Richtungsquantelung für einen Atomstrahl von ren, so müsste man schließen, dass die magnetischen Momente
722 21 Die Entstehung der Quantenphysik
(bzw. die Drehimpulse) der Strahlteilchen nicht statistisch ver- mit Spinkomponente sz D 1=2. Der in z-Richtung abgelenkte
teilt sind, sondern es zwei Teilchengruppen gibt, die den zwei Teilstrahl wird durch eine weitere Stern-Gerlach-Apparatur mit
Richtungen von m entsprechen. Man müsste schließen, dass Feld wieder in z-Richtung geschickt. Auf dem Schirm hinter
es in der Teilchenquelle einen Mechanismus gibt, der eine dem Magnetfeld sieht man nun nur eine Komponente, nämlich
Richtung für den Drehimpuls bzw. das magnetische Moment die sz D 1=2-Komponente. Da die anderen Atome ausgeblendet
auszeichnet. Ein Problem dieser Interpretation ist aber, dass das wurden, ist dies das erwartete Resultat.
Versuchsergebnis völlig unabhängig von der Richtung des Ma-
gnetfeldes relativ zum Strahl ist. Verändert man die Ausrichtung Wenn man nun in z-Richtung misst, die Komponente mit sz D
1=2 ausblendet und den verbleibenden Teilstrahl durch eine
des Magnetfeldes B relativ zum Strahl, so erhält man wieder ge-
Stern-Gerlach-Apparatur mit Magnetfeld in y-Richtung schickt,
nau zwei Strahlkomponenten.
so findet man auf dem Schirm zwei gleich starke Komponen-
Eine korrekte Beschreibung des experimentellen Befunds muss ten, die den beiden Spinkomponenten sy D ˙1=2 entsprechen.
berücksichtigen, dass die Richtung der Aufspaltung durch den Offensichtlich enthält die Komponente mit sz D 1=2 beide sy -
Magneten bestimmt wird und nicht durch die Richtung des ma- Komponenten mit gleicher Wahrscheinlichkeit.
gnetischen Moments eines Teilchens im Strahl. Offenbar dürfen
In einem weiteren Versuch geht man zuerst vor wie vorhin: Man
wir dem magnetischen Moment oder Spin eines einzelnen Teil-
misst in z-Richtung und schickt den Teilstrahl mit sz D 1=2
chens keine bestimmte Richtung zuschreiben. Der Magnet im
Experiment ist ein Analysator, der den Atomstrahl in zwei Teil- durch eine Apparatur in y-Richtung. Nun blendet man den
Strahl mit sy D 1=2 aus. Der verbleibende Strahl wird er-
strahlen aufspaltet und ein Zweizustandssystem erzeugt.
neut in eine Apparatur mit Magnetfeld in z-Richtung geleitet.
Da man bereits die Komponente mit sz D 1=2 ausgeblen-
det hatte, würde man nun erwarten, nur eine Komponente mit
Aufeinanderfolgende Stern-Gerlach-Versuche sz D 1=2 zu finden. Im Experiment werden aber beide Kompo-
Teil III
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
Teil III
(c) Wie groß ist die Wellenlänge für ein Elektron mit der Ener-
gie 200 MeV?
θ
Vergleichen Sie die Größe der Objekte mit ihren Wellenlängen.
df Lösungshinweis: Eine weitere nützliche Konstante ist hc D
1;986 446 1025 J m D 1;239 842 106 eV m. Ein Elektron
Abb. 21.19 Die im Gebiet dV enthaltene Energie der Hohlraumstrahlung brei-
tet sich isotrop mit Lichtgeschwindigkeit aus. Ein Teil der Strahlung verlässt den
ist innerhalb der experimentellen Genauigkeit von weniger als
Hohlraum durch das kleine Flächenstück df in der Berandung. Die Strahlung 1018 m ein punktförmiges Teilchen.
braucht zum Erreichen der Öffnung die Zeit t D r=c
21.3 Streuprozesse Ein Photon mit der Energie 1
21.1 Schwarzkörperstrahlung Es sei .; T/ die GeV trifft auf ein Proton in Ruhe. Wie groß ist der maximale
spektrale Energiedichte der Hohlraumstrahlung. Energieverlust?
Lösungshinweis: Das Photon erfährt bei einem frontalen Zu-
(a) Beweisen Sie, dass die pro Flächenelement der Berandung
sammenstoß den maximalen Impulsübertrag.
abgegebene spektrale Strahlungsleistung gegeben ist durch
c 21.4 Elementarteilchen als Schwarze Löcher?
w .; T/ D .; T/ : (21.77) Die Compton-Wellenlänge eines Teilchens erhält man durch
4
Gleichsetzen von h und mc2 . Versucht man nun, ein Teilchen
Wie lautet die Formel für die gesamte Strahlungsleistung ei- genauer als seine Compton-Wellenlänge zu lokalisieren, dann
nes Schwarzen Körpers der Temperatur T? wird aufgrund der Unschärferelation seine kinetische Energie
(b) Die Intensitätsverteilung an der Sonnenoberfläche entspricht derart groß, dass diese in Paare von Teilchen und Antiteilchen
in guter Näherung der eines Schwarzen Körpers mit Tem- umgewandelt wird. Als Folge kann ein Teilchen höchstens bis
peratur T 5770 K. Bekannt sind der Sonneradius rS auf seine Compton-Wellenlänge lokalisiert werden.
6;963 108 m und der Abstand zwischen Sonne und Erde,
d 1;496 1011 m. Welche Energie pro Flächeneinheit trifft (a) Berechnen Sie zuerst den Radius R eines kugelsymmetri-
dann auf ein der Sonne senkrecht gegenüberliegendes Flä- schen „Sterns“ der Masse M, für den die Fluchtgeschwindig-
chenstück auf der Erde? keit im Newton’schen Gravitationsfeld die Lichtgeschwin-
digkeit ist. Gravierende Objekte mit diesem Schwarzschild-
Lösungshinweis: Zur Berechnung der pro Zeitintervall durch Radius nennt man Schwarze Löcher. Bestimmen Sie den
das Flächenelement df in der Berandung transportierten Strah- Schwarzschildradius für ein Elektron und ein Proton.
lungsenergie betrachte man Abb. 21.19. (b) Was sind die Compton-Wellenlängen dieser Teilchen. Ver-
gleichen Sie die Schwarzschild-Radien mit der Compton-
21.2 De-Broglie-Wellenlänge Teilchen werden Ma- Wellenlängen und erklären Sie, warum man Elektron und
teriewellen mit Wellenzahlvektor k D p=„ oder De-Broglie- Proton nicht als Schwarze Löcher annehmen kann.
724 21 Die Entstehung der Quantenphysik
(c) Ab welcher Masse kann man daher frühestens von „Ele- wobei hier ausnahmsweise nicht über den doppelt vorkommen-
mentarteilchen als Schwarzen Löchern“ reden? Welcher den Index i summiert wird. Wenden Sie die Quantisierungsregel
Compton-Wellenlänge entspricht das? auf das Wasserstoffatom an. Dabei können Sie die klassische
Bewegung des Elektrons auf eine Ebene einschränken. Rechnen
Lösungshinweis: Zur Lösung der Teilaufgabe (a) benötigen Sie dazu die Radien der Umkehrpunkte aus, bei denen der Ra-
Sie nur die Newton’sche Mechanik und das Newton’sche Gra- dius maximal bzw. minimal ist. Welche Energien als Funktion
vitationspotenzial. der Quantenzahlen nr und n' ` sind erlaubt?
Es ist ratsam, zur Beantwortung von Teilaufgabe (c) unter dem
Lösungshinweis: Das bei der Lösung auftretende Integral ist
Stichwort „Planck’sche Einheiten“ in Büchern oder dem Inter-
net zu recherchieren.
Zb
dx p p
21.5 Bohr-Sommerfeld-Quantisierung des H- .x a/.b x/ D .a C b/ ab ; (21.79)
Atoms Die Bohr-Sommerfeld-Quantisierungsregeln sind an- x 2
a
wendbar auf periodische Systeme mit f Freiheitsgraden. Dabei
muss sich jeder kanonische Impuls als Funktion seiner kon- wobei 0 a < b sein soll.
jugierten Koordinate und der anderen kanonischen Impulse
schreiben lassen. Dann besagt die Quantisierungsregel
I
pi dqi D hni ; ni D 0; 1; 2; : : : ; i D 1; : : : ; f ; (21.78)
C
Teil III
Lösungen zu den Aufgaben 725
21.1
W Watt
D 1362 2 (21.80)
A m
21.2
e2 p
r˙ D 1 ˙ 1 2jEjL2 =me4 ; (21.81)
2jEj
Teil III
und für die Energie findet man
me4
ED : (21.82)
2„2 .nr C n' /2
726 21 Die Entstehung der Quantenphysik
21.1 (c) Die Energie des Elektron ist sehr viel größer als seine Ruhe-
energie E0 D 0;51 MeV, und deshalb ist das Elektron stark
(a) Die im gezeigten Volumenelement dV D r2 sin # dr d# d' relativistisch, E2 D E02 C .pc/2 .pc/2 D .200 MeV/2 . Für
enthaltene Energie dV wird mit Lichtgeschwindigkeit iso- seine Wellenlänge erhält man D hc=pc D 6;2 1015 m.
trop in alle Richtungen abgestrahlt. Der entsprechende Bei- Die De-Broglie-Wellenlänge des Elektrons ist also mindes-
trag zu der aus dem Flächenstück df am Ursprung austreten- tens 104 -mal größer als sein Radius.
den Energie ist df cos #=4 r2 , multipliziert mit der Energie
dV. Um die im Zeitintervall t austretende Energie zu be-
rechnen, integrieren wir über die Halbkugel mit Radius c t, 21.3 Der frontale Zusammenstoß kann als eindimensionales
aus der die Strahlung das Flächenstück erreichen kann. Da- Problem behandelt werden. Der Impuls des Photons vor dem
mit ist die pro Flächenelement in der Zeit t austretende Stoß sei q > 0 und sein Impuls nach dem Stoß q0 . Wir kennen
Strahlung das Vorzeichen von q0 noch nicht. Da sich das Proton anfänglich
Z in Ruhe befindet, muss sein Impuls nach dem Stoß q q0 sein.
.; T/ cos # c .; T/ Aus der Energieerhaltung folgt
w .; T/ t D dV 2
D t ;
4 r 4 q
Halbkugel
(21.83) qc C mp c2 D jq0 jc C .mp c2 /2 C .q q0 /2 c2 : (21.87)
Teil III
was zu beweisen war. Mit (21.10) findet man für die gesamte
Strahlungsleistung pro Flächenelement Bringen wir den ersten Term auf der rechten Seite nach links
und quadrieren, dann ergibt sich
W ca Watt
D T 4 ; D 5;370 108 : (21.84)
A 4 m2 K4 2mp c .q jq0 j/ D .q q0 /2 .q jq0 j/2 : (21.88)
(b) Die auf der Erde pro Flächeneinheit ankommende Strah-
Für positive q0 verschwindet die rechte Seite, und es folgt
lungsleistung ist
q0 D q. Das Proton bleibt in Ruhe, und es gibt keinen Energie-
W r 2 Watt übertrag. Für negative q0 ist
S
D T 4 1362 : (21.85)
A d m2 q
q0 D : (21.89)
Der beobachtete Wert dieser sogenannten Solarkonstante ist 1 C 2q=mpc
1;367 103 Watt=m2 .
Der Energieverlust des Photons ist
21.2 2E2 1
E D .q jq0 j/c D ; (21.90)
mp c2 1 C 2E =mp c2
(a) Die kinetische Energie eines thermischen Neutrons ist sehr
viel kleiner als seine Ruheenergie E0 D mn c2 D 939
worin E D qc die Energie des einlaufenden Photons ist. Für
MeV, und deshalb dürfen wir die nichtrelativistische Ener-
E D 1 GeV und mp c2 D 936 MeV erhalten wir E D
gie-Impuls-Beziehung Ekin D p2 =2mn D 25 MeV benutzen.
681 MeV.
Deshalb können wir schreiben:
21.4
.pc/2 D 2mn c2 Ekin D .6;85 keV/2 : (21.86)
(a) Für die Fluchtgeschwindigkeit sind die potenzielle Energie
Damit ist die De-Broglie-Wellenlänge D hc=pc D 1;81
und die kinetische Energie mit v D c gleich, d. h.
1010 m. Die Wellenlänge des thermischen Neutrons ist also
sehr viel größer als sein Durchmesser d D 1;7 1015 m.
(b) Die Langstreckenläuferin hat die kinetische Energie Ekin D mc2 GMm 2MG
D bzw. R D : (21.91)
mv 2 =2 D 294;44 J, die verglichen mit ihrer Ruheenergie 2 R c2
E0 D 4;76 1018 J verschwindend klein ist. Entsprechend ist
pc D 5;30 1010 J. Deshalb ist D hc=pc D 3;8 1036 m. Die Schwarzschild-Radien des Elektrons und Protons sind
Die Langstreckenläuferin wird somit ihre Wellennatur nie
zeigen können. Re 1;353 1057 m ; Rp 2;484 1054 m : (21.92)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 727
(b) Ihre Compton-Wellenlängen sind dagegen führt sofort auf die Quantisierung des Drehimpulses, L D n' „.
Zur Auswertung der zweiten Quantisierungsbedingung
e 2;426 1012 m; p 1;321 1015 m : (21.93) I
pr dr D nr h (21.97)
Dies bedeutet, dass es nicht möglich ist, die Elementarteil-
chen auf ihren Schwarzschild-Radius zu lokalisieren, um C
Teil III
21.5 Wir führen Polarkoordinaten r; ' in der Bahnebene ein. nr h D 2 pr .r/ dr
Dann lautet die Lagrange-Funktion für das Elektron im Cou- r
lomb-Feld (21.100)
m 2 e2 p Z p rC
LD rP C r2 'P 2 C : (21.94) dr
2 r D 2 2mjEj .r r /.rC r/ :
r
r
Der zu ' konjugierte Impuls p' D mr2 'P ist der erhaltene Dreh-
impuls L des Elektrons. Für gebundene Bahnen ist die erhaltene Zur Berechnung des Integrals benutzen wir (21.79) und erhalten
Energie negativ:
s
! 2me4
1 p2' e 2 nr h D 2 L: (21.101)
HD p2 C D E < 0: (21.95) jEj
2m r r2 r
Mit L D n' „ führt die Auflösung nach der (negativen) Energie
Die erste Quantisierungsbedingung auf folgende Energieniveaus im Wasserstoffatom:
I
p' d' D 2 p' D n' h (21.96) me4
En D mit n D nr C n' : (21.102)
C 2„2 n2
728 21 Die Entstehung der Quantenphysik
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Teil III
Teil III
Für welche Hamilton-
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730 22 Wellenmechanik
Messungen und ist nicht nur dadurch bedingt, dass wir nicht
Objektlinse in der Lage sind, eine genauere Messung vorzunehmen. Eine
des Mikroskops ausführliche Begründung dieser Tatsache findet sich in Kap. 24.
Zeitmessung
y
ϑ/2
Gamma-
strahl λ Der Zeitpunkt der Streuung ist bis auf einen Fehler der Größe
Elektron 1 0
t 0
D (22.4)
c
x
bestimmbar. Daraus folgt, dass der Zeitpunkt der Ortsmessung
Abb. 22.2 Mithilfe des Heisenberg’schen Gammastrahlenmikroskops wird
scharf bestimmbar wird im Grenzfall 0 ! 1 oder 0 ! 0.
festgestellt, wo sich das Elektron befindet. Die Position eines Elektrons wird ge-
messen, indem man es mit Licht bestrahlt und die von dem Teilchen abgelenkten Nun kann die Wellenlänge des gestreuten Lichtes aber nicht
Photonen registriert. Die Ortsbestimmung wird umso präziser, je kürzer die Wel- beliebig klein sein. Nach der Theorie des Compton-Effekts ist
lenlänge des verwendeten Lichtes ist. Weil damit jedoch der Rückstoß größer diese größer als die Wellenlänge der einlaufenden Photonen:
Teil III
wird, den ein abgelenktes Photon dem Elektron erteilt, ändert sich entsprechend
auch dessen Impuls
# h
0 D C 2c sin2 mit c D : (22.5)
2 mc
gegeben ist. Für eine genaue Ortsbestimmung sind also eine
kurze Wellenlänge 0 und ein großer Öffnungswinkel # wün- Bei einer Ortsmessung mit # =2 ist 0 größer oder gleich
schenswert. der Compton-Wellenlänge c des streuenden Teilchens. Des-
halb ist die Zeitauflösung der Ortsmessung an einem ruhenden
Teilchen durch die Compton-Zeit des Teilchens beschränkt:
Impulsmessung
c h
t tc D D : (22.6)
Die Richtung des Streulichtes ist innerhalb des Öffnungswin- c mc2
kels # unbestimmt. Die Unschärfe von px;Photon ist demnach
px;Photon D „kx0 h sin #=0 . Wegen der Impulserhal- Die Compton-Zeit des Elektrons ist etwa 0;008 Attosekunden.
tung ist die Impulskomponente px;Teilchen nach dem Streuprozess Will man den Zeitpunkt der Ortsmessung bis auf die Comp-
auch nur bis auf einen Fehler der Größe ton-Zeit und den Teilchenort bis auf die Compton-Wellenlänge
h bestimmen, muss die Wellenlänge der einlaufenden Photonen
px;Teilchen D px;Photon sin # (22.2) kleiner als die Compton-Wellenlänge des Teilchens sein. Für
0
diese kurzen Wellenlängen übersteigt die Photonenenergie E
bekannt. Für eine genaue Impulsmessung sind eine große Wel- aber die Ruheenergie des streuenden Teilchens (siehe die Dis-
lenlänge 0 und ein kleiner Öffnungswinkel # erforderlich. kussion in Abschn. 21.3). Wird E aber größer als die doppelte
Ruheenergie, dann werden Paare von Teilchen und Antiteilchen
Für das Produkt von Orts- und Impulsunschärfe finden wir erzeugt. Diese spontane Paarproduktion ist ein relativistischer
Quanteneffekt, der im Rahmen der quantisierten Elektrody-
pTeilchen xTeilchen & h: (22.3) namik sehr genau berechnet werden kann. Der Effekt setzt
einer genauen Orts- und Zeitbestimmung also eine prinzipielle
Schranke, die aber in nichtrelativistischen Systemen mit nieder-
Man könnte meinen, die Unbestimmtheitsrelation habe ihre Ur- energetischen Teilchen keine Rolle spielt.
sache in der Störung des Elektrons durch die Messung. Könnte
es sein, dass ohne diese Störung das Elektron einen wohl- Wir dürfen in einer nichtrelativistischen Quantentheorie anneh-
definierten Ort und Impuls hätte? Nach dem gegenwärtigen men, dass der Teilchenort und der Zeitpunkt der Ortsmessung
Verständnis der Quantenmechanik gilt die Unbestimmtheits- beliebig genau messbar sind. Deswegen ist Grundannahme I na-
relation aber für alle Quantenobjekte auch unabhängig von türlich.
732 22 Wellenmechanik
Allgemeiner berechnen sich die Mittelwerte von Funktionen des wobei Q .t; p/ D eiEt=„ Q .0; p/
Ortes oder Impulses zur Zeit t gemäß
Z die impulsabhängige Energie (22.14) enthält.
hf .x/i t D f .x/ w .t; x/ d3 x; (22.11) Frage 1
Z Zeigen Sie den Schritt von (22.16) zu (22.17) unter Verwendung
hf .p/i t D f .p/ wQ .t; p/ d3 p: (22.12) von (22.14).
Diese Beziehungen gelten nicht nur in drei, sondern auch in d Diese auf Max Born (1882–1970, Nobelpreis 1954 für seine
Dimensionen, wobei dann 0 D .2 „/d gilt. Wir wählen die statistische Interpretation der Wellenfunktion) zurückgehende
Konstanten und 0 symmetrisch: Identifikation kann durch folgende Betrachtungen weiter plau-
sibel gemacht werden. Falls (22.23) gilt, findet man mit j j2 D
1 für den mittleren Aufenthaltsort eines Teilchens zur Zeit t
D 0 D : (22.19)
.2 „/d=2 Z Z
hxi t D x j .t; x/j2 d3 x D .t; x/ x .t; x/ d3 x; (22.24)
Die Fourier-Transformation und ihre wesentlichen Eigenschaf- R3 R3
ten wurden bereits in Abschn. 13.1 diskutiert. Dort findet man
auch die Formel von Plancherel: wobei die Wellenfunktion auf eins normiert sein muss. Bei der
Z Z Fourier-Transformation geht die Multiplikation mit dem Argu-
f .x/g.x/ dd x D fQ .p/Qg.p/ dd p; (22.20) ment (hier x) in die Ableitung über:
Z
Rd Rd
f
x .t; p/ D x .t; x/ eipx=„ d3 x (22.25)
für den Spezialfall f D g. Der Beweis für f ¤ g ist einfach: R3
Z
0 1 D i„r p .t; x/ eipx=„ d3 x D i„r p Q .t; p/:
Z Z Z
f .x/g.x/ dd x D f .x/ @ gQ .p/ eipx=„ dd pA dd x R3
Rd Rd Rd
Z Z Frage 2
D f .x/eipx=„ dd x gQ .p/ dd p Was heißt das für den Spezialfall einer ebenen Welle .x/ /
Teil III
Rd Rd
exp.iq x=„/?
Z
D fQ .p/Qg.p/ dd p: (22.21)
Nun benutzt man den Satz von Plancherel mit f D und g D
Rd
x in (22.24) und erhält für den mittleren Aufenthaltsort
Setzt man in dieser Gleichung f .x/ D g.x/ D .t; x/ und be- Z
rücksichtigt noch (22.17), dann folgt hxi t D i„ Q .t; p/ r p Q .t; p/ d3 p: (22.26)
Z Z R3
j .t; x/j d x D
2 3
j Q .t; p/j2 d3 p Für die in (22.17) gegebene Zeitabhängigkeit der Wellenfunkti-
R3 R3 on im Impulsraum ist
Z
D j Q .p/j2 d3 p:
(22.22) i„r p Q .t; p/ D eiEp t=„ i„r p C t r p E Q .0; p/: (22.27)
R3
Für ein freies Teilchen ist r p E D p=m; dies führt auf ein einfa-
Man sieht hier, dass die Integrale der nichtnegativen und zeit- ches Gesetz zur Beschreibung der Bewegung freier Teilchen.
abhängigen Dichten j .t; x/j2 im Ortsraum und j Q .t; p/j2 im
Impulsraum nicht von der Zeit abhängen. Man kann sie eins
Mittlere Bewegung eines freien Teilchens
wählen und diese Normierung auf eins bleibt dann zu allen
Zeiten erhalten. Diese Eigenschaften führen zu einer Annahme Im Mittel bewegt sich das freie Teilchen gleichförmig und
bezüglich der Wahrscheinlichkeitsdichten im Orts- und Impuls- geradlinig mit der mittleren Geschwindigkeit hpi0 =m:
raum.
Z
p hpi0
hxi t D hxi0 C t wQ .0; p/ d3 p D hxi0 C t:
m m
Wahrscheinlichkeitsdichten im Orts- und Impulsraum R3
(22.28)
Das Betragsquadrat der auf eins normierten Wellenfunk- Auf der rechten Seite stehen die Mittelwerte zur Anfangs-
tion im Ortsraum ist die Wahrscheinlichkeitsdichte im zeit.
Ortsraum und das Betragsquadrat ihrer Fouriertransfor-
mierten ist die Wahrscheinlichkeitsdichte im Impulsraum:
Der Erwartungswert des Ortes hxi genügt damit den Gesetzen
w .t; x/ D j .t; x/j2 und wQ .t; p/ D j Q .t; p/j2 : der klassischen Newton’schen Mechanik. Aus den Annahmen
(22.23) (22.23) folgen auch die Unbestimmtheitsrelationen zwischen
Ort und Impuls, wie bereits in Abschn. 21.3 gezeigt wurde.
734 22 Wellenmechanik
Frage 3
Für eine Welle mit allgemeiner Dispersionsrelation !.k/ defi- Zeitumkehr
niert man die in Abschn. 16.2 eingeführte Gruppengeschwin- Die zeitliche Entwicklung der Wahrscheinlichkeitsvertei-
digkeit v gr D r k !. Mit den Beziehungen von de Broglie ist lung für eine Lösung der Schrödinger-Gleichung zeichnet
v gr D r p E. Überzeugen Sie sich davon, dass im allgemeinen keine Richtung der Zeit aus. Daraus folgt die Zeitumkehr-
Fall (22.28) durch die Beziehung invarianz der quantenmechanischen Gesetze.
hxi t D hxi0 C hv gr i0 t (22.29)
ersetzt wird. Gehen Sie dabei von (22.27) aus. Nach dem Relativitätsprinzip darf eine physikalische Theorie
kein Inertialsystem auszeichnen. Sind die typischen Geschwin-
digkeiten sehr viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit, dann
Nun kehren wir zur Fourier-Darstellung (22.17) der Wellen- sollten die Gesetze einer mikroskopischen Quantenmechanik al-
funktion zurück. Die auf beiden Seiten von (22.17) durchge- so kovariant unter den Symmetrietransformationen der nichtre-
führte Ableitung von .t; x/ nach der Zeit oder den Ortskoor- lativistischen Physik, d. h. den Galilei-Transformationen, sein.
dinaten führt unter dem Impulsintegral zu einer Multiplikation Bewegt sich das Inertialsystem I 0 relativ zum Inertialsystem I
mit der Energie oder den Impulskoordinaten: mit der Geschwindigkeit v , dann ist
Z
@
i„ .t; x/ D E Q .t; p/ eipx=„ d3 p; x D x0 C v t; t D t0 ; (22.33)
@t
R3
Z (22.30) wobei .t; x/ die kartesische Koordinaten von I und .t0 ; x0 / die-
„2 .t; x/ D p2 Q .t; p/ eipx=„ d3 p: jenigen von I 0 sind. In Aufgabe 22.1 am Ende des Kapitels
beweisen wir die Kovarianz der Schrödinger-Gleichung unter
Teil III
R3
Galilei-Transformationen.
Da Energie und Impuls über E D p2 =2m verknüpft sind, erfüllt
die Wellenfunktion somit eine lineare partielle Differenzialglei-
Galilei-Transformationen
chung mit erster Zeitableitung und zweiten Ableitungen nach
den Raumkoordinaten. Ohne äußere Felder transformiert eine Lösung 0 .t0 ; x0 /
der Schrödinger-Gleichung in I 0 unter einer Galilei-
Transformation in die Lösung
Schrödinger-Gleichung für ein freies Teilchen
Die Materiewelle für ein freies Teilchen erfüllt die zeitab- mv 2
hängige Schrödinger-Gleichung .t; x/ D ei.Etmv x/=„ .t0 ; x0 /; ED (22.34)
2
Die relativistisch korrekte Beziehung zwischen Energie und dann lautet die allgemeine Lösung
Impuls lautet bekanntlich Z
.t; x/ D d3 p ei.pxEt/ . 0 .p/ C i„ 0 .p/=E/
E2 D p2 c2 C .mc2 /2 : 2
Z
C d3 p ei.pxCEt/ . 0 .p/ i„ 0 .p/=E/ :
Ordnet man dem relativistischen freien Teilchen eine Wel- 2
lenfunktion .t; x/ zu, dann erwartet man folgende Disper- Für eine zeitsymmetrische Lösung verschwindet 0 , und die
sionsrelation zwischen Kreisfrequenz und Wellenzahlvektor: Lösungen mit positiver und negativer Energie tragen mit
q gleichem Gewicht zur Lösung .t; x/ bei.
!D k2 c2 C .mc2 =„/2 : In der Quantentheorie können die Lösungen mit negativer
Energie nicht weggelassen werden, ohne in Widersprüche
Dabei identifiziert man die Teilchengeschwindigkeit mit der zu geraten. Andererseits sind diese Lösungen mit negativen
Gruppengeschwindigkeit des Wellenpakets: Energien katastrophal, da mit zunehmender Geschwindigkeit
die Energie des Teilchens abnimmt. Das ist physikalisch un-
pc
kc sinnig. Für eine Überlagerung von Lösungen mit positiver
v gr D r k ! D cD c D r p E: und negativer Energie ist das Raumintegral von j .t; x/j2
! E
nicht mehr zeitunabhängig. Das Betragsquadrat der Wellen-
Diese ist für massive Teilchen kleiner als die Lichtgeschwin- funktion kann also nicht mehr als Aufenthaltswahrschein-
Teil III
digkeit. Dagegen bewegt sich die Phase einer ebenen Welle lichkeit für den Teilchenort interpretiert werden. Hier sieht
mit Überlichtgeschwindigkeit: man nochmals, dass die Annahmen der nichtrelativistischen
Quantenphysik (22.23) in einer relativistischen Quantenphy-
sik nicht mehr haltbar sind.
! c2
jv ph j D D > c:
jkj jv j Tatsächlich existiert keine konsistente relativistische Ein-
teilchenbeschreibung – eine relativistische Quantentheorie
Auch im relativistischen Fall hat die Wellenfunktion die Fou- ist notwendigerweise immer eine Mehrteilchentheorie, in
rier-Entwicklung (22.17). Da Energie und Impuls aber wie der Teilchen-Antiteilchen-Paare erzeugt werden können. Mit
wie oben angegeben verknüpft sind, erfüllt die Wellenglei- derartigen Effekten ist immer dann zu rechnen, wenn die
chung nun eine lineare Differenzialgleichung mit zweiter Energie des durch die relativistische Gleichung beschriebe-
Zeitableitung und zweiten Ableitungen nach den Raumko- nen Einzelteilchens die der Ruhemasse eines (geeigneten)
ordinaten: anderen Teilchens oder Teilchenpaares äquivalente Energie
übersteigt.
mc 2
1 @2
.t; x/ D .t; x/: Die relativistische Klein-Gordon-Gleichung wurde bereits
c2 @t2 „ 1925 von Schrödinger aufgestellt, um das Spektrum des
Wasserstoffs zu erklären. Er glaubte anfänglich, dass sie das
Dies ist die nach dem schwedischen Physiker Oskar Benja- Elektron im Wasserstoffatom beschreibt. Aber schnell zeig-
min Klein (1894–1977) und dem deutschen Physiker Walter te sich, dass sie die Feinstruktur des Wasserstoffspektrums
Gordon (1893–1939) genannte Klein-Gordon-Gleichung: nicht erklären kann (die Feinstruktur des Wasserstoffatoms
wird in Kap. 30 behandelt). Schrödinger hat seine Resulta-
m2 c2 te nicht publiziert, und dies mag erklären, warum die Klein-
C 2 .t; x/ D 0:
„ Gordon-Gleichung nicht seinen Namen trägt.
Unabhängig von Klein und Gordon fand auch Wladimir Fock
Neben den ebenen Wellen mit positiver Energie hat die Glei-
(1898–1974) die Gleichung, die deshalb auch Klein-Fock-
chung nun auch Lösungen mit negativer Energie:
Gordon Gleichung heißt. Heute wissen wir aber, dass sie nicht
p Elektronen beschreibt, sondern Teilchen ohne Spin, zum Bei-
E D p2 c2 C .mc2 /2 : spiel Pionen oder Kaonen. Pionische und kaonische Atome,
dies sind Atome, bei denen ein Hüllenelektron durch ein nega-
Im Gegensatz zur Schrödinger-Gleichung enthält die Klein- tiv geladenes Pion oder Kaon ersetzt wurde, werden durch die
Gordon-Gleichung die zweite Ableitung nach der Zeit, und Klein-Gordon-Gleichung richtig beschrieben. Relativistische
jede Lösung ist eindeutig durch Angabe von 0 .x/ D Elektronen werden dagegen durch die wichtige Dirac-Glei-
.0; x/ und 0 .x/ D @ t .0; x/ bestimmt. Sind 0 .p/ und chung beschrieben. Mehr dazu findet man im Kasten „Vertie-
0 .p/ die Fourier-Transformierten von 0 .x/ und 0 .x/, fung: Die Dirac-Gleichung und der Spin“ in Kap. 29.
736 22 Wellenmechanik
2
K0 .t; x y/ D 2 ei.p.xy/p t=2m/=„ d3 p: (22.38)
Für allgemeinere Systeme wird der Propagator jeweils von x
R3 und y einzeln abhängen und nicht nur von ihrer Differenz. Dann
Im Klammerausdruck im Exponenten ergänzen wir quadratisch hat die Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-Gleichung die
(wobei wir vorübergehend x y D setzen): Form Z
.t; x/ D K.t; x; y/ 0 .y/ d3 y: (22.44)
p2 t m m 2 t
p D 2 p : (22.39) R3
2m 2t t 2m
Man interpretiert dieses Ergebnis wie folgt: Der Propagator
Setzt man noch p m=t D q, dann erhält man
K.t; x; y/ ist die Wahrscheinlichkeitsamplitude dafür, dass das
Z
2 Teilchen in der Zeit t von y nach x propagiert. In (22.44) wird
K0 .t; / D 2 eim =2t„ eitq =2m„ d3 q:
2
(22.40) der Propagator von y nach x mit der Wahrscheinlichkeitsampli-
R3 tude, das Teilchen anfänglich am Ort y zu finden, multipliziert.
Nach dem Superpositionsprinzip wird dieses Produkt über alle
Der Integrand fällt im Unendlichen nicht ab, und das Integral
Anfangspunkte integriert.
ist nicht wohldefiniert. Deshalb führt man zuerst einen konver-
genzerzeugenden Faktor ein, indem man im Exponent q durch Der Übergang von y nach x in der Zeit t Ct0 kann in zwei Schrit-
q D .1i"/` ersetzt. Für jedes positive " existiert das Gauß’sche ten geschehen. Entsprechend ist der Propagator K.t C t0 ; x; y/
Integral, und man erhält für " ! 0 das Resultat gleich dem Produkt der Propagatoren K.t; x; z/ und K.t0 ; z; y/
m 3=2 integriert über alle Zwischenorte z.
eim.xy/ =2„t :
2
K0 .t; x y/ D (22.41)
2 i„t
Propagation in zwei Schritten
Frage 5
Der Propagator erfüllt die Konvolutionseigenschaft
Rechnen Sie nach, dass dieser Kern K0 tatsächlich die freie
Schrödinger-Gleichung (22.35) erfüllt. Z
K.t C t0 ; x; y/ D K.t; x; z/K.t0 ; z; y/ d3 z: (22.45)
Aus der Fourier-Darstellung (22.38) folgt auch, dass der Kern
K0 die geforderte Anfangsbedingung erfüllt:
In Aufgabe 22.3 wird die Konvolutionseigenschaft für den Pro-
lim K0 .t; x y/ D ı.x y/: (22.42) pagator K0 des freien Teilchens auf der reellen Achse bewiesen.
t!0
Zerfließen von Wellenpaketen und die De-Broglie-Relationen führen dann, ähnlich wie in drei
Dimensionen, auf die freie Schrödinger-Gleichung in d Dimen-
sionen:
Ein anfänglich lokalisiertes Wellenpaket 0 .x/ zerfließt mit
fortschreitender Zeit. Dies folgt für eine anfängliche Wellen- @ .t; x/ „2 Xd
@2
funktion 0 , deren Betrag integrabel ist, sofort aus der Unglei- i„ D .t; x/; D : (22.50)
chung @t 2m iD1
@x2i
ˇZ ˇ Z
ˇ ˇ Um die partikuläre Lösung für die spezielle Anfangsbedingung
ˇ f .x/g.x/ d3 x ˇ jf .x/j jg.x/j d3 x; (22.46)
ˇ ˇ 0 .x/ D ı.x y/ zu finden, bemerken wir, dass der Propagator
in drei Dimensionen faktorisiert:
angewandt auf die allgemeine Lösung der freien Schrödin-
ger-Gleichung (22.43): Der Betrag des Propagators der freien Y
3
Teil III
Wahrscheinlichkeitsdichte mit der dritten Potenz der Zeit ab:
nalen freien Propagatoren:
C2
w .t; x/ D j .t; x/j2 : (22.48)
t3 Y
d
K0 .t; x y/ D K0 .t; xi yi /
Die Breite .t/ eines Wellenpakets muss jedoch linear mit der iD1 (22.53)
Zeit zunehmen, damit die Wahrscheinlichkeit dafür, das freie m d=2
eim.xy/ =2„t :
2
Teilchen irgendwo anzutreffen, stets eins ist: D
2 i„t
Z
C2 3
1D w .t; x/ d3 x / .t/ H) .t/ t: (22.49) Frage 7
t3
R3 Überzeugen Sie sich davon, dass dieser Propagator die freie
Schrödinger-Gleichung mit Anfangsbedingung 0 .x/ D ı.x
Das Zerfließen der Wahrscheinlichkeitsdichte (22.48) ist in y/ in d Dimensionen löst, wenn K0 .t; x y/ die eindimensionale
Übereinstimmung mit der Geometrie des euklidischen Raumes Schrödinger-Gleichung mit Anfangsbedingung ı.x y/ löst.
R3 : Für ein freies Teilchen wächst die Ausdehnung des Gebiets,
in dem es sich aufhält, linear mit der Zeit .t/ / t. Das Volu-
men des Gebiets wächst entsprechend mit t3 , und wegen der Die allgemeine Lösung des Anfangswertproblems erhält man
Wahrscheinlichkeitserhaltung muss dann die (typische) Wahr- wieder durch eine Faltung des Propagators mit der anfänglichen
scheinlichkeitsdichte mit t3 abnehmen. In d Dimensionen Wellenfunktion:
wächst das Volumen mit td , und wir erwarten, dass w .t; x/
C2 =td gilt. m d=2 Z
eim.xy/ =2„t 0 .y/ dd y: (22.54)
2
.t; x/ D
2 i„t
Rd
C C2
Schränken wir die Teilchenbewegung auf eine Ebene oder auf j .t; x/j ; w .t; x/ : (22.55)
t d=2 td
eine Gerade ein, dann wird die Wahrscheinlichkeitsamplitude
durch eine Wellenfunktion .t; x/ mit x 2 R2 oder .t; x/ mit Mit zunehmender Raumdimension hat das freie Teilchen mehr
x 2 R beschrieben. Wir betrachten hier etwas allgemeiner die Richtungen, in die es entweichen kann, und entsprechend
Materiewelle .t; x/ für ein freies Teilchen im d-dimensionalen schneller zerfließt die Wahrscheinlichkeitsdichte w .t; x/. We-
euklidischen Raum mit Koordinaten x 2 Rd . Die nichtrelati- gen der Zeitumkehrinvarianz der Wellenmechanik zerfließt das
vistische Beziehung zwischen Energie und Impuls E D p2 =2m Wellenpaket auch, wenn die Zeit (in Gedanken) rückwärts läuft.
738 22 Wellenmechanik
Gauß’sche Wellenpakete
|ψ(x, t)|2
Für ˇ D 0 wurde das Integral in Abschn. 13.1 bestimmt. Ein anfänglich im Bereich 0 lokalisiertes (Gauß’sches) Wel-
Überzeugen Sie sich mithilfe einer quadratischen Ergän- lenpaket verdoppelt nach der Zeit T D 6m02 =„ seine Größe.
zung davon, dass die Formel auch für ˇ ¤ 0 gilt. Überzeugen Sie sich davon, dass für ein 1 g schweres Mar-
morkügelchen, lokalisiert innerhalb von 0;1 mm, diese Verdop-
pelungszeit etwa 1;8 1016 Jahre, also das 1:300:000-fache
Das Resultat (22.54) führt auf das Gauß’sche Integral, Alter des Universums, ist. Dagegen ist für ein freies Elek-
tron, anfänglich lokalisiert innerhalb eines Atomdurchmessers
.t; x/ von etwa 0;1 nm, die Verdoppelungszeit mikroskopisch klein,
1=2 Z T 5;2 1016 s.
1 m 2 =2„ty2 =2 2
D eim.xy/ 0 dy;
.2 /3=4 i„t0
R
Mit dem Satz von Plancherel finden wir dann für den mittleren berechnet werden, wobei auf eins normiert ist. Die Schreib-
Impuls in der Ortsdarstellung: weise hOiO t betont, dass Observablen in der Quantenmechanik
Z Operatoren zugeordnet sind. Die explizite Form der linearen
„
hpi t D .t; x/Op .t; x/ d3 x mit pO D r : (22.65) Operatoren hängt davon ab, ob man mit Wellenfunktionen
i im Orts- oder Impulsraum arbeitet. Man spricht in diesem
R3
Zusammenhang von der Orts- und Impulsdarstellung der Quan-
Wir erhalten somit im Ortsraum den wichtigen Zusammenhang tenmechanik. Später werden uns noch weitere Darstellungen
begegnen. Die obigen Betrachtungen führen uns ganz natürlich
auf die linearen Operatoren.
„
pO D r x: (22.66)
i
Lineare Operatoren
Die klassischen Observablen für ein Teilchen sind Funk-
Ähnlich findet man für den Erwartungswert einer Funktion f .p/
tionen f .x; p/ seiner Orts- und Impulskoordinaten. Der
des Impulses
Übergang zur Quantenmechanik erfolgt, indem den Ko-
Z
ordinaten x; p die Operatoren xO ; pO zugeordnet werden,
hf .p/i t D .t; x/f .Op/ .t; x/ d3 x: (22.67) wodurch aus f .x; p/ ein linearer Operator f .Ox; pO / wird.
Teil III
vablen reell sein müssen. Dies führt zur Bedingung, dass die
auch Erwartungswerte von Funktionen des Impulses im Orts- zugeordneten linearen Operatoren hermitesch sein müssen. Dies
raum zu charakterisieren, ohne die Impulsverteilungsfunktion wird weiter unten noch ausführlich besprochen. J
wQ zu bemühen. Abschließend bestimmen wir den Erwartungswert der impuls-
abhängigen Energie. Mit der Zeitabhängigkeit von Q .t; p/ in
Bei der Berechnung des Erwartungswertes von f .x/ multipli-
(22.17) gilt im Impulsraum
ziert man die Wellenfunktion .t; x/ mit f .x/, multipliziert mit
Z
der komplex konjugierten Wellenfunktion und integriert über
den Raum. Bei der Berechnung des Erwartungswertes von f .p/ hEi t D E wQ .t; p/ d3 p
ersetzt man p durch den Impulsoperator pO in (22.66), wirkt dann R3
Z (22.73)
mit dem Differenzialoperator f .Op/ auf .t; x/, multipliziert mit
D Q .t; p/ i„@ t Q .t; p/ d3 p:
.t; x/ und integriert über den Raum.
R3
Die Erwartungswerte können auch mit der auf eins normierten
Wellenfunktion im Impulsraum berechnet werden. Im Impuls- Die Fourier-Rücktransformation geschieht bei fester Zeit, so-
raum ergeben sich dass die Zeitableitung im Impulsraum in die Zeitableitung im
Z Ortsraum übergeht. Mit dem Satz von Plancherel folgt
hf .p/i t D Q .t; p/ f .p/ Q .t; p/ d3 p; (22.69) Z
Z hEi t D .t; x/ i„@ t .t; x/ d3 x: (22.74)
hf .x/i t D
.t; p/ f .Ox/ Q .t; p/ d3 p (22.70) R3
Neben Ort und Impuls wird also auch die Energie durch einen
mit Ortsoperator xO D i„r p . Wir erhalten also im Impulsraum auf die Wellenfunktionen wirkenden linearen Operator darge-
den wichtigen Zusammenhang stellt.
Q .t; p/ D eitp2 =2m„ Q 0 .p/: Der Idee von de Broglie folgend ordnet man dem Teilchen eine
(22.77)
quasiebene Welle zu,
Bei der Fourier-Transformation in den Ortsraum geht das Pro-
dukt auf der rechten Seite in eine Faltung über und man gewinnt .t; x/ D ei.p.x/xEt/=„ ; (22.80)
wieder die Lösung (22.43).
wobei E und p über die Dispersionsrelation (22.78) verbunden
sind. Vernachlässigt man nun die Ortsabhängigkeit des langsam
variierenden Impulses, so ist
22.3 Wellenmechanik mit Kräften i„@ t .t; x/ D E .t; x/; „2 .t; x/p2 .x/ .t; x/:
(22.81)
Nach dem Studium der Materiewellen für freie Teilchen un- Ersetzt man durch ein Gleichheitszeichen, dann impliziert
tersuchen wir nun allgemeinere Systeme mit Wechselwirkung. (22.78) die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung für ein Teil-
Deren Wellenmechanik kann man nicht deduktiv ableiten. Ihre chen im Potenzial:
Rechtfertigung besteht in der Übereinstimmung ihrer Vorher-
sagen mit den experimentell gewonnenen Ergebnissen. Nichts- @ .t; x/ „2
i„ D .t; x/ C V.x/ .t; x/: (22.82)
destoweniger wird die Wahl der Wellengleichung durch die @t 2m
22.3 Wellenmechanik mit Kräften 741
Anwendung: COW-Experiment
Roberto Colella, Albert Overhauser und Samuel Werner de- Abschätzung zeigt
monstrierten 1975 in einem viel beachteten Experiment, dass
pO 2z mgx 2
2
pO x pO 2x
Neutronen, die im Gravitationsfeld der Erde auf verschie- 1C ;
denen Wegen zwischen zwei Punkten propagieren, im All- 2m 2E 2 x 2m 2m
gemeinen mit einer relativen Phasenverschiebung den End-
punkt erreichen. Die Phasendifferenz kann mit der Schrödin- worin die De-Broglie-Wellenlänge der Neutronen bezeich-
ger-Gleichung bestimmt und mit einem Interferenzexperi- net. Deshalb können wir die Ableitung nach z in (1) vernach-
ment gemessen werden. Das Potenzial auf der Erdoberfläche lässigen, was bedeutet, dass in (2) in sehr guter Näherung
wird in guter Näherung durch V.z/ D mgz modelliert, wobei eine Lösung der Schrödinger-Gleichung ist. Die Phasendif-
z die Höhe über dem Erdboden misst. Die zeitunabhängige ferenz zwischen der Propagation längs AC und längs BD ist
Schrödinger-Gleichung für das Neutron lautet damit in guter Näherung
! x 2 gm2
pO 2 AC BD D .p.0/ p.z// A;
C mgz DE : (1) „ h2
2m
worin A D xz die von den beiden Abschnitten einge-
schlossene Fläche bezeichnet. Da die Gesamtenergie und das
Für Neutronen ist das Produkt aus Masse und Erdbeschleu- Potenzial zwischen den Abschnitten AB und CD identisch
nigung mg 1;03 neV=cm. Das Experiment wurde mit ther-
sind, fallen die Änderungen der Phase auf diesen Abschnit-
mischen Neutronen der kinetischen Energie Ekin 20 meV ten in der gesamten Phasendifferenz D ABD ACD der
Teil III
durchgeführt. Beim Interferenzversuch bewegen sich die beiden Wege heraus. Am Endpunkt D interferieren die bei-
Neutronen von Punkt A zu Punkt D entweder über Punkt B
den Wellen, und es entsteht ein Interferenzmuster:
oder über Punkt C in Abb. 22.4.
2 gm2
D / cos A :
Interferenz h2
B D
Die Phasendifferenz der beiden Strahlen an Punkt D kann va-
riiert werden, wenn man das Interferometer mit dem Winkel
Δz
' um die Achse AC dreht. Die relative Phasendifferenz am
Ort D ist dann
A C
Neutronen- 2 gm2
strahl AC BD D A sin ':
h2
Δx
Der von Colella, Overhauser und Werner eingesetzte Neu-
Abb. 22.4 Schematische Darstellung eines Interferometers zur Messung troneninterferometer hatte eine Fläche A 9;948 cm2 und
der Interferenz zweier Neutronenstrahlen, die auf verschiedenen Wegen im die thermischen Neutronen eine Wellenlänge D 1;445
Gravitationsfeld propagieren 108 cm. Für diese Werte findet man
Wir betrachten eine von A nach C oder eine von B nach D in AC BD 56;6 sin ':
x-Richtung propagierende ebene Welle
Berücksichtigt man noch die endliche Dicke der Interfero-
.x; z/ D ip.z/x=„
e (2) meterplatten, dann erhöht sich der Koeffizient auf 59;6. Der
0
aus dem Experiment gewonnene Wert stimmt mit der Vor-
mit einem höhenabhängigen Impuls in x-Richtung. Vernach- hersage der Schrödinger-Gleichung im Rahmen der Mess-
lässigen wir zunächst die Ableitung der Wellenfunktion nach genauigkeit überein. Die Genauigkeit der Experimente ist
z, dann ist sie eine Lösung der eindimensionalen zeitunab- heute besser als 1%. Die Übereinstimmung zwischen Theo-
hängigen Schrödinger-Gleichung mit einem z abhängigen rie und Experiment demonstriert eindrücklich, dass auch ein
Impuls: Gravitationspotenzial die Phase der Materiewellen kohärent
ändert.
p
p.z/ D 2m.E mgz/:
Literatur
Die typischen Abmessungen des Interferometers betragen ei-
nige Zentimeter. Damit ist sowohl mgx als auch mgz sehr Colella, R., Overhauser, A.W., Werner, S.A.: Observati-
viel kleiner als die kinetische Energie der thermischen Neu- on of gravitationally induced quantum interference. Phys.
tronen, sodass in guter Näherung E Ekin gilt. Eine kurze Rev. Lett. 34 (1975)
742 22 Wellenmechanik
Von dieser wollen wir annehmen, dass sie auch für allgemeinere Die Lösungen der klassischen Bewegungsgleichungen können
Potenziale Gültigkeit hat. aus der Prinzipalfunktion rekonstruiert werden. Dazu löst man
das zweite Gleichungssystem in (22.86) zuesrt nach der Lage
des Systems q D q.t; t0 I q0 ; p; p0 / auf. Anschließerend wird q
Teilchen im Potenzialfeld
in das erste Gleichungssystem eingesetzt, um die Impulse p D
Damit hat die Schrödinger-Gleichung für ein Teilchen im p.t; t0 I q0 ; p0 / zu gewinnen.
Potenzialfeld die Form
Halten wir nun die Anfangswerte fest und variieren nur die End-
@ .t; x/ daten .t; q/, dann ergibt sich die nichtlineare Hamilton-Jacobi-
i„ O p; xO / .t; x/
D H.O (22.83) Gleichung für die Prinzipalfunktion:
@t
Von der klassischen Mechanik Betrachten wir als einfaches Beispiel ein Teilchen der
zur Wellenmechanik Masse m in einem harmonischen Potenzial. Lagrange-
und Hamilton-Funktion haben die Form
Trajektorie
und durch Auflösung nach x und p gewinnt man die Tra-
jektorien im Phasenraum:
p0
x.t/ D x0 cos !t C sin !t;
m! (22.93)
p.t/ D p0 cos !t m!x0 sin !t:
J
t5
Teil III
Wenn wir der Anschaulichkeit halber nur einen einzelnen Mas-
senpunkt mit kartesischen Koordinaten x betrachten, so gilt Phasenfunktion eng mit der Prinzipalfunktion der klassischen
Mechanik verbunden ist: Für eine verglichen mit den typischen
S.t; x/ D W.x/ Et: (22.96) Wellenlängen langsam variierende Phasenfunktion sollte diese
gegen die Prinzipalfunktion streben. Die Konstante „ hat die
Die Gleichung W D const definiert eine Fläche im dreidimen- Dimension einer Wirkung, und ein Vergleich von (22.98) mit
sionalen Raum. Gibt man der Konstanten verschiedene Werte, den Lösungen der freien Schrödinger-Gleichung zeigt, dass „
so erhält man eine Flächenschar (Abb. 22.5). Die Gleichung gerade die (reduzierte) Planck’sche Konstante ist.
S D const stellt eine bewegte Fläche dar, die in jedem Zeitpunkt Alle wichtigen Schrödinger-Gleichungen sind partielle Diffe-
mit einer Fläche der Schar W D const zusammenfällt. Die Flä- renzialgleichungen mit höchstens zweiten Ableitungen nach
chen S D const wandern mit der Zeit also über die Flächen den (verallgemeinerten) Koordinaten qk . Es genügt deshalb, nur
W D const hinweg. Dieser Vorgang erinnert an eine Wellenbe- Wellengleichungen mit ersten und zweiten Ableitungen nach
wegung, wobei die Flächen S D const eine Fortpflanzung von den Ortskoordinaten zu betrachten. Sind die Terme mit zweiten
Wellenflächen beschreibt. Dabei sind die Bahnkurven orthogo- Ableitungen der Phasenfunktion in
nal zu den Wellenflächen S D const oder W D const, ähnlich
wie die Lichtstrahlen der geometrischen Optik orthogonal zu „ @ @˚
D
den optischen Wellenflächen sind. i @qi @qi
(22.99)
Nach diesen Vorbereitungen wollen wir den Anschluss zur „ @ „ @ @˚ @˚ @2 ˚
D i„
Schrödinger’schen Wellenmechanik herstellen. Eine allgemeine i @qi i @qj @qi @qj @qi @qj
lineare Wellengleichung für die Materiewellen .t; q1 ; : : : ; qf /,
welche erster Ordnung in der Zeitableitung ist, hat die Form vernachlässigbar, dann ist
„ @ @˚
@ „ @ H t; q; H t; q; ; (22.100)
i„ D H t; q; (22.97) i @q @q
@t i @q
und die Wellengleichung (22.97) geht näherungsweise über in
mit einer noch unbestimmten Funktion H. Nun schreiben wir die Hamilton-Jacobi-Gleichung für die Phasenfunktion,
die Wellenfunktion als
@˚ @˚
D ei˚.t;q/=„ ; (22.98) C H t; q; 0; (22.101)
@t @q
wobei die Phasenfunktion ˚ die Dimension einer Wirkung ha- vorausgesetzt, wir wählen für H in der Wellengleichung (22.97)
ben soll. Die Niveauflächen dieser Funktion sind gerade die die klassische Hamilton-Funktion. Damit die Wellengleichung
Wellenflächen der Materiewelle . In Analogie zur Strahlen- für in die klassische Hamilton-Jacobi-Gleichung für ˚ über-
optik als Grenzfall der Wellenoptik erwarten wir, dass die geht, muss H die klassische Hamiltonfunkton sein.
744 22 Wellenmechanik
Teil III
Nach Einsetzen von (22.113) in die zeitabhängige Schrödinger-
Gleichung (22.104) ergibt sich die zeitunabhängige Schrödin- Schrödinger-Gleichung im elektromagnetischen Feld
ger-Gleichung. Nach den allgemeinen Korrespondenzregeln lautet die
zeitabhängige Schrödinger-Gleichung für ein geladenes
Teilchen im elektromagnetischen Feld
Zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung
Für stationäre Systeme führt der Produktansatz (22.113) @
i„ O .t; x/;
.t; x/ D H
auf die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung für die @t
zeitunabhängige Wellenfunktion .q/: 2
1 „ q
HO D r A.t; x/ C q .t; x/:
„ @ 2m i c
O q; pO / .q/ D E .q/;
H.O pO k D : (22.114) (22.118)
i @qk
Darin ist E die Energie des Quantensystems. Die Schrödinger-Gleichung ergibt sich aus der Gleichung für
das ungeladene (freie) Teilchen durch die Ersetzungen
In der klassischen Mechanik wird die Bewegung eines ge- Die minimale Kopplung an das elektromagnetische Feld lässt
ladenen Punktteilchens mit Masse m und Ladung q durch sich auf ein System von n geladenen Teilchen verallgemeinern.
die Newton’schen Bewegungsgleichungen beschrieben. Auf ein
Teilchen am Ort x mit der Geschwindigkeit xP wirkt dabei die Schrödinger-Gleichung für Mehrteilchensysteme
bekannte Lorentz-Kraft:
Für spinlose Punktteilchen mit Massen mk und Ladungen
1 qk in einem äußeren Feld hat der Hamilton-Operator im
F D q E.t; x/ C xP B.t; x/ : (22.115)
c
746 22 Wellenmechanik
Wahrscheinlichkeitserhaltung für ein Teilchen ist gleich dem Fluss der Stromdichte j durch die Oberflä-
che @ des Gebiets,
I
Für jede Lösung der Schrödinger-Gleichung ist d
w .t; / D j.t; x/ df : (22.126)
dt
@w @ @ 1 1 @
D
C D
.H HO
O / :
@t @t @t i„ i„
(22.122) Das Vektorfeld j.t; x/ bestimmt den Fluss der Wahrschein-
Wir betrachten zuerst ein Teilchen im R3 mit kartesischen Ko- lichkeit und heißt Wahrscheinlichkeitsstromdichte.
ordinaten und Hamilton-Operator (22.84). Das reelle Potenzial
O hebt sich in der Differenz auf der rechten Seite weg:
in H
Die Wahrscheinlichkeit verhält sich also wie eine inkompressi-
@w i„
i„
ble Flüssigkeit: Sie kann weder vernichtet noch erzeugt werden.
D D r r r : w .t; / kann sich nur ändern, wenn Wahrscheinlichkeit aus
@t 2m 2m
(22.123) dem Gebiet oder in das Gebiet fließt, wie in Abb. 22.6 skizziert.
22.4 Erhaltung der Wahrscheinlichkeit 747
Für reelle Wellenfunktionen (oder allgemeiner bei konstanter Die Wahrscheinlichkeitsdichte w D j j2 und die Komponenten
Phase) verschwindet die Wahrscheinlichkeitsstromdichte, und der Wahrscheinlichkeitsstromdichte
die Wahrscheinlichkeitsdichte ist zeitunabhängig. Die Wahr-
scheinlichkeitsdichte ist auch zeitunabhängig für Lösungen der X „
jD Im Dk (22.132)
Schrödinger-Gleichung mit fester Enegie (22.113). Die zugehö- mk
k
rige Stromdichte hat dann weder Quellen noch Senken.
Die Stromdichte einer ebenen Welle D ˛ exp.ip x=„/ ist hängen nun von den Koordinaten aller Teilchen ab. Es sind
ortsunabhängig: Funktionen auf dem 3n-dimensionalen Konfigurationsraum des
p Mehrteilchensystems.
j D j˛j2 : (22.127)
m
Frage 9
Die Wahrscheinlichkeit fließt in Richtung des Teilchenimpulses Beweisen Sie die Kontinuitätsgleichung (22.131) für n Teilchen
und ist proportional zur Intensität der Welle. Etwas allgemei- mit Massen mk und Ladungen qk im elektromagnetischen Feld.
ner findet man für den Erwartungswert des Impulses nach einer
partiellen Integration
Z Z Für eine auf eins normierte Wellenfunktion legt die Kontinui-
hOpi t D „ Im . r / d3 x D m j.t; x/ d3 x: (22.128) tätsgleichung für n Teilchen nahe, das Integral
Z
Auch die Schrödinger-Gleichung (22.120) für ein geladenes w .t; / D j .t; x1 ; : : : ; xn /j2 d3 x1 d3 xn (22.133)
Teilchen im elektrischen und magnetischen Feld führt auf ei-
ne Kontinuitätsgleichung. Dies zeigt man mühelos mit der in
Aufgabe 22.9 gezeigte Produktregel über ein Gebiet D 1 2 n im Konfigurationsraum
Teil III
als Wahrscheinlichkeit zu interpretieren, das erste Teilchen im
.D / C
D D r.
/ (22.129) Gebiet 1 R3 zu finden, das zweite Teilchen im Gebiet 2
R3 , usw. Wegen der Bilanzgleichung
für die kovariante Ableitung. I
d
w .t; / D j.t; x1 ; : : : ; xn / df (22.134)
Wahrscheinlichkeitserhaltung im E und B-Feld dt
@
„
jD Im . D / (22.130)
m
Die Norm einer Wellenfunktion
die Kontinuitätsgleichung @ t w C r j D 0.
Der Ausdruck für die Wahrscheinlichkeit, ein Teilchen irgend-
wo zu finden, definiert eine Norm auf dem Raum der Wellen-
Von dieser Sichtweise ausgehend nimmt man in der in den
funktionen. Das Quadrat der Norm ist
1950er Jahren formulierten unkonventionellen Deutung der
Quantenmechanik von David Bohm an, dass tatsächlich ein Z
Feld sei, auf dem ein allzeit im Raum wohldefiniertes Punktteil- k k2 D .x/ .x/ d3 x: (22.135)
chen „reitet“ (mehr dazu z. B. in Holland 1993). R3
Das Skalarpodukt von Wellenfunktionen wird im nächsten Ka- Deshalb ist z. B. für ein Teilchen im R3 der Hamilton-Operator
pitel eine wichtige Rolle spielen. nur hermitesch auf einem Raum von Wellenfunktionen, die für
jxj ! 1 so schnell abfallen, dass das Flussintegral verschwin-
Die Wahrscheinlichkeit, das System irgendwo im Konfigurati-
det. Ob ein Operator hermitesch ist, hängt also auch von den
onsraum zu finden, ist nur zeitunabhängig, wenn
gewählten Randbedingungen an die -Funktionen ab.
d
i„ O i hH
h ; i D h ;H O ; iD0 (22.138)
dt Wahrscheinlichkeitserhaltung und Hermitizität
es ergibt sich
h ;HO i D hH O ; i: (22.141) Wir betrachten ein freies Teilchen mit Hamilton-Operator
„2 d 2
Hermitesche Operatoren O D
H (22.144)
2m dx2
O mit der Eigenschaft (22.141) hei-
Lineare Operatoren H
ßen hermitesch. auf dem Intervall Œa; a der Länge L D 2a. Der Operator
ist hermitesch, wenn
auch die Randbedingungen für die Wellenfunktionen ein. Am Fordern wir, dass alle Wellenfunktionen oder deren Ab-
Rand müssen wir lineare, d. h. mit dem Superpositionsprinzip leitungen an den Randpunkten des Intervalls verschwin-
verträgliche Bedingungen, an die Wellenfunktionen fordern, da- den, dann ist HO hermitesch. Die Forderung .a/ D
mit im Mittel keine Wahrscheinlichkeit durch den Rand des .a/ D 1 ist dagegen nicht erlaubt. Erstens erfüllt ei-
Konfigurationsraumes fließt. Ein Vergleich von (22.139) und ne Superposition von Wellenfunktionen diese Bedingung
(22.142) führt auf nicht mehr, und zweitens verschwindet für diesen Fall
I (22.145) im Allgemeinen nicht. J
„
O i hH
h ;H O ; iD j df : (22.143)
i
@C
So geht’s weiter 749
So geht’s weiter
Allgemeine Potenzialprobleme Am Ende des Kapitels hatten wir gesehen, dass die mit der
Wahrscheinlichkeitsinterpretation verträgliche Wahl für den Ha-
Wir beschreiben die Lagen eines Systems mit verallgemeiner- milton-Operator die folgende ist:
ten Koordinaten q D fq1 ; : : : ; qf g im Konfigurationsraum C . Für
1 1 p ij
ein Teilchen im R3 können dies Kugelkoordinaten sein oder im O D
H p pO i gg pOj C V.Oq/: (22.151)
Konfigurationsraum des Kreisels, dem reell-projektiven Raum 2 g
RP3 , die Euler-Winkel (der Kreisel wird in Kap. 4 behandelt).
Die kinetische Energie des Systems sei eine quadratische Funk- In der Ortsdarstellung ist iOpi D „@=@qi , und
tion der Geschwindigkeiten:
„2
O D
H g C V.q/ (22.152)
1X 2
TD gij .q/ qP i qPj : (22.146)
2 i;j enthält den Laplace-Beltrami-Operator
1 p ij
Die symmetrische Matrixfunktion .gij / enthält die Abhängig- g D p @i gg @j : (22.153)
g
keit von Systemgrößen wie Massen oder Trägheitsmomente. Für
ein freies Teilchen ist gij proportional zum metrischen Tensor, Die zugehörige Schrödinger-Gleichung bestimmt die Zeitent-
der den Abstand zwischen zwei Punkten im Konfigurationsraum wicklung von allgemeinen Hamilton’schen Systemen mit Poten-
festlegt. Wir werden deshalb .gij / auch im allgemeineren Falle zialkräften.
Teil III
metrischen Tensor nennen. Die Lagrange-Funktion für ein Sys- Frage 10
tem mit Potenzialkräften ist dann Wie lautet der Hamilton-Operator für ein Teilchen in Kugel-
koordinaten?
1X
LD gij .q/ qP i qPj V.q/: (22.147)
2 ij Mit Kugelkoordianten .q1 ; q2 ; q3 / D .r; #; '/ ist das Quadrat
der Geschwindigkeit
P X
Der zu qi kanonisch konjugierte Impuls ist pi D gij qPj , und
j v2 D gij qP i qPj D rP 2 C r2 #P 2 C r2 sin2 # 'P 2 ; (22.154)
die zu L gehörige Hamilton-Funktion lautet
i;j
Achtung Die Dichte w .t; q/ D g j .t; q/j2 enthält neben tenwahl ist. Unter einer Koordinatentransformation q ! q0 D
dem Betragsquadrat der Wellenfunktion auch die ortsabhän- q0 .q/ transformieren die Komponenten der Metrik gemäß
gige Determinante g von .gij /. J
X @qp0 @q0q
0
Kontinuitätsgleichung gij .q/ D gpq .q0 / : (22.162)
@qi @qj
Für nichtkartesische Koordinaten lautet die Kontinuitäts- p;q
gleichung
@ p
Die Erhaltung der Wahrscheinlichkeit für allgemeine Systeme,
w C @i j i D 0; j i D „ g gij Im @j : (22.159)
@t deren Lagrange-Funktionen quadratisch in den Geschwindig-
keiten sind, ist Gegenstand von Aufgabe (22.10).
Aufgaben 751
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
22.1 Galilei-Kovarianz der Schrödinger-Gleichung (a) Berechnen Sie die Korrektur zur Kontinuitätsgleichung für
Hier beweisen wir die Kovarianz der Schrödinger-Gleichung die Wahrscheinlichkeitsdichte w D und Wahrschein-
unter Galilei-Transformationen. Das Inertialsystem I 0 habe re- lichkeitstromdichte j D „ Im . r /=m.
lativ zu I die konstante Geschwindigkeit v . Zur Zeit t D 0 (b) Wie ändert sich mit der Zeit die Wahrscheinlichkeit dafür,
seien die Ursprünge der beiden Systeme identisch. Die Bezie- das Teilchen irgendwo in R3 zu finden?
hung zwischen den Raumzeitkoordinaten in I und I 0 sind dann
gegeben durch 22.3 Faltung des freien Propagators Beweisen die
Faltungseigenschaft
x D x0 C v t; t D t0 :
Teil III
(22.163)
Z
(a) Es erfülle nun 0 .t0 ; x0 / die freie Schrödinger-Gleichung im K0 .t C t0 ; x; y/ D K0 .t; x; z/K0 .t0 ; z; y/ dz (22.167)
Inertialsystem I 0 . Zeigen Sie, dass
für den Propagator (22.52) des freien Teilchens auf der reellen
i .t;x/=„ 0 0 0 mv 2 Achse.
.t; x/ D e .t ; x /; D t mv x
2
(22.164) Lösungshinweis: Beim Beweis werden Sie das Gauß’sche In-
eine Lösung der freien Schrödinger-Gleichung im Inertial- tegral (22.58) benötigen, das auch für imaginäre ˛ gilt.
system I ist.
(b) Wie transformiert die Wellenfunktion für n freie Teilchen? 22.4 Anfangswertproblem für den Oszillator mit
(c) Welche Bedingung muss die Potenzialfunktion V in einer anfänglich Gauß’schen Wellenfunktion Wir be-
trachten den d-dimensionalen harmonischen Oszillator mit
Xn
„2 Masse m und Kreisfrequenz !. Zur Zeit t D 0 sei die auf eins
HO D k C V.x1 ; : : : ; xn / (22.165) normierte Wellenfunktion des Oszillators eine Gauß’sche Funk-
2mk
kD1 tion:
erfüllen, damit die Schrödinger-Gleichung kovariant unter d=4
m!ˇ
em!ˇx
2 =2„
Galilei-Transformationen transformiert? .x; 0/ D 0 .x/ D (22.168)
„
22.2 Komplexe Potenziale Wir wollen ein instabi- mit dimensionslosem Parameter ˇ.
les Quantensystem modellieren, z. B. ein Teilchen, das zerfallen
kann. In diesem Fall sollte die Gesamtwahrscheinlichkeit, das (a) Suchen Sie die Lösung der zeitabhängigen Schrödinger-
System irgendwo zu finden, mit der Zeit abnehmen: Gleichung mit dieser Anfangsbedingung.
(b) Bestimmen Sie für diese Lösung die Wahrscheinlichkeits-
Z
t!1 verteilung w .t; x/ für den Ort des Oszillators.
P.t/ D w .t; q/ df q ! 0: (22.166) (c) Für welchen Wert des Parameters ˇ ist w zeitunabhängig?
Zeigen Sie, dass für diesen Wert .t; x/ D eiEt=„ 0 .x/
Ein Zerfall ist möglich, wenn man komplexe Potenziale in der gilt. Bestimmen Sie den Wert der Energie E.
Schrödinger-Gleichung zulässt. Dann ist der Hamilton-Opera- (d) Zeigen Sie durch explizites Nachrechnen, dass 0 .x/ aus (c)
tor nicht mehr hermitesch, und die Wahrscheinlichkeit braucht die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung mit Energie E
nicht mehr erhalten zu sein. Was passiert, wenn wir in der erfüllt.
Schrödinger-Gleichung für ein Teilchen in R3 ein komplexes
Potenzial V.x/ D V0 .x/ i mit reellem V0 .x/ und positiver Lösungshinweis: Zur Lösung der zeitabhängigen Schrödin-
Konstante zulassen? ger-Gleichung darf man den Kern (22.112) einsetzen. Die
752 22 Wellenmechanik
auftretende Faltung des Kerns mit 0 kann mit der Formel Lösungshinweis: In Teilaufgabe (c) genügt es, Wellenfunk-
tionen zu betrachten, für die j j r˛ für große oder kleine
Z
1 .2 /d=2 1 .j;A1 j/ Radien gilt.
e 2 .y;Ay/C.j;y/ dd y D e2 (22.169)
.det A/1=2
22.8 Semiklassische Näherung für Potenzialpro-
berechnet werden. Darin sollte der Realteil der Matrix A positiv blem Wir betrachten ein Teilchen im Potenzial V.x/ und
sein. schreiben die Wellenfunktion gemäß
1=2 i˚ =„
22.5 Lösung der Hamilton-Jacobi-Gleichung für D e (22.173)
das freie Teilchen Die Lösung der zeitabhängigen Hamilton-
mit reellen Funktionen und ˚.
Jacobi-Gleichung (22.87) und der zeitunabhängigen Gleichung
(22.95) soll hier geübt werden. (a) Zeigen Sie, dass die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung
(a) Bestimmen Sie die Prinzipalfunktion S für ein freies Teil- @ „2
chen der Masse m und diskutieren Sie deren Niveauflächen. i„ D CV (22.174)
@t 2m
(b) Finden Sie die allgemeine Lösung W der zeitunabhängigen
Hamilton-Jacobi-Gleichung für das freie Teilchen und dis- äquivalent zu den beiden Gleichungen
kutiere deren Niveauflächen. !
(c) Warum ist @˚ 1 „2 1=2
C .r ˚/2 C V.x/ D (22.175)
eiEt=„ eiW=„ (22.170) @t 2m 2m 1=2
@
22.6 Beispiele von Schrödinger-Gleichungen Wie Cr jD0 mit j D r˚ (22.176)
@t m
lautet die Schrödinger-Gleichung für
ist. Was lernen Sie über die semiklassische Entwicklung,
(a) das Wasserstoffatom? wenn Sie mögliche Konvergenzprobleme nicht berücksich-
(b) das Heliumatom? tigen?
(b) Vernachlässigen Sie den Term der Ordnung „2 in (22.175).
Lösungshinweis: Sie dürfen annehmen, der Kern ruhe im Ur- Dann erhalten Sie die Hamilton-Jacobi-Gleichung. Die vom
sprung des Koordinatensystems. Ein ruhender Kern ist eine gute Anfangspunkt y und vom Endpunkt x der Bahn abhängige
Näherung, da er sehr viel schwerer als die Elektronen ist und Prinzipalfunktion S.t; x; y/ ist eine Lösung dieser Gleichung.
sich deshalb kaum bewegt. Zeigen Sie, dass
@˚.t; x; y/
22.7 Hamilton-Operatoren für verallgemeinerte sc D det (22.177)
Koordinaten Geben Sie die Hamilton-Operatoren im Orts- @xi @yj
raum explizit an für folgende Systeme: eine Lösung der Kontinuitätsgleichung (22.176) ist, wenn
wir darin ˚ durch S nähern.
(a) Ein freies Teilchen im R2 , parametrisiert durch Polarkoordi-
naten r 2 Œ0; 1/ und ' 2 Œ0; 2 / mit Metrik Lösungshinweis: In Teilaufgabe (a) zerlege man die Schrödin-
ger-Gleichung in Real- und Imaginärteil. Zur Lösung der Teil-
ds D gij dqi dqj D dr C r d' :
2 2 2 2
(22.171) aufgabe (b) differenziere man die Hamilton-Jacobi-Gleichung
für S nach xi und yj und benutze dann die für jede invertier-
(b) Für den kräftefreien symmetrischen Kreisel mit Hauptträg- bare Matrix M mit det M > 0 gültige Identität ı det M D
heitsmomenten .A; A; C/. Seine kinetische Energie ist Tr.M 1 ıM/ det M. Diese folgt aus der Identität log.det M/ D
Tr.log M/ für Matrizen und der daraus folgenden Beziehung
A P2 C
TD # C sin2 # 'P 2 C P C cos # 'P 2 ; (22.172) ı log det M D Tr.M 1 ıM/.
2 2
22.9 Der Schrödinger’sche Erhaltungssatz für ein
wobei C das Trägheitsmoment um die Symmetrieachse ist. geladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld Zeigen
Die Koordinaten .q1 ; q2 ; q3 / D .#; ; '/ sind die aus der Sie, dass für jede Lösung der Schrödinger-Gleichung für ein ge-
klassischen Mechanik bekannten Euler-Winkel, die in Ab- ladenes Teilchen im elektromagnetischen Feld (22.120), die wir
schn. 4.1 diskutiert werden. hier nochmals in Erinnerung rufen,
(c) Wie müssen sich die Wellenfunktionen .t; x/ mit x 2 Rd
für r D jxj ! 0 und r ! 1 verhalten, damit sie auf eins @ „2 2 iq
normiert werden können? i„ D D Cq ; DDr A; (22.178)
@t 2m „c
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 753
Teil III
„2 p ij
C HO D p Di gg Dj C V.q/: (22.184)
2 g
wobei g die ortsabhängige Determinante der symmetrischen
Matrixfunktion .gij / bezeichnet. Zeigen Sie, dass mit der O
Benutzen Sie diese Ortsdarstellung für H.
754 22 Wellenmechanik
22.1 22.2
(a) Zum Beweis benutzen wir die Kettenregel, um die Ablei- (a) Die Schrödinger-Gleichung und ihre komplex konjugierten
tungen nach den Koordinaten von I und I 0 in Beziehung zu Gleichungen lauten
bringen. Mit r D r 0 und
„2
d dt0 d dx0 0 d i„@ t D 4 C V i ;
D 0
C r D 0 v r0 (22.185) 2m (22.192)
dt dt dt dt dt „2
i„@ t D C 4 V i
:
folgt nun 2m
@ @ @ Multipliziert man die erste Gleichung mit , die zweite
i„ D ei =„
i„C i„ v r 0 0
@t @t0 @t mit und addiert die resultierenden Ausdrücke, dann erhält
man
„2 „2 i„ .r /2
D ei =„
0 C C
2m 2m 2m 2m „2
i„@ t .
/D r.
r r 0
/ 2i
i„ 2m
C r r0 0
:
m
Teil III
bzw.
Erfüllt nun 0 die freie Schrödinger-Gleichung in I 0 , dann
erfüllt die freie Schrödinger-Gleichung in I , falls gilt @ t w .t; x/ C r j D 2 w .t; x/: (22.193)
@ i„ .r /2 Nun integrieren wir über R3 und nehmen dabei an, dass die
r D mv ; D C : (22.186) Wellenfunktion und zugehörige Wahrscheinlichkeitsdichte
@t 2m 2m
w im räumlich-Unendlichen schnell abfallen. Dann ver-
Die erste Gleichung bedeutet, dass linear von den Ortsko- schwindet das Integral über r j wegen des Gauß’schen
ordinaten abhängt, sodass sich die zweite Gleichung verein- Satzes, und wir erhalten
facht: Z Z
@ .r /2 d 2
D : (22.187) d3 x w .t; x/ D d3 x w .t; x/:
@t 2m dt „
Die Phasenfunktion in (22.164) erfüllt diese Gleichungen.
(b) Die Differenzialgleichung für das Integral hat die einfache
(b) Für n freie Teilchen finden wir ganz analog die Bedingungen
Lösung
@ X .r k /2
r k D mk v ; D ; (22.188) „
@t 2mk P.t/ D e2t=„ P.0/ et= P.0/ mit D :
k 2
und entsprechend hat die Phasenfunktion in Wir finden ein exponentielles Zerfallsgesetz mit Halbwerts-
i =„ 0 0
zeit .
.t; x1 ; : : : ; xn / D e .t ; x01 ; : : : ; x0n / (22.189)
abhängiges Potenzial Galilei-invariant ist. R D eim.tCt /z =.2„tt / eimz.x=tCy=t /=„ dz: (22.195)
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 755
Die ist gerade das Integral (22.58) mit den Konstanten Dies führt auf folgende explizite Lösung der zeitabhängigen
Schrödinger-Gleichung:
m.t C t0 / m x y
˛D und ˇ D C : (22.196) d=2
i„tt0 i„ t t0 m!ˇ d=4 1
Zur Auswertung benötigen wir .t; x/ D (22.204)
„ cos !t C iˇ sin !t
r s
2 2 i„tt0 m!ˇ cos !t C iˇ 1 sin !t 2
D (22.197) exp x :
˛ m.t C t0 / 2„ cos !t C iˇ sin !t
und das Verhältnis Wollen wir dies mit der Lösung (22.59) für das freie Teil-
chen vergleichen, dann sollten wir zuerst mithilfe von
ˇ2 im x y 2 tt0
D C 0
2˛ 2„ t t t C t0 „
0 (22.198) 2m!ˇ D (22.205)
im t 2 t 2 02
D x C 0 y C 2xy :
2„.t C t0 / t t
Damit lautet das Faltungsintegral in (22.194) die Konstante ˇ eliminieren, damit die beiden Anfangsbe-
r dingungen (22.56) und (22.168) übereinstimmen, und erst
r r
m m im.x2 =tCy2 =t0 /=2„ 2 ˇ2 =2˛ danach ! gegen null streben lassen. Im Grenzfall ! ! 0
0
e e trägt ˇ sin.!t/ / t=02 bei, während ˇ 1 sin !t / .!=0 /2 t
2 i„t 2 i„t ˛
r (22.199) nicht beiträgt. Berücksichtigt man dies, dann strebt die all-
m 0
eim.xy/ =.2„.tCt // :
2
D gemeine Lösung (22.204) für ! ! 0 tatsächlich gegen die
2 i„m.t C t0 / Lösung für das freie Teilchen.
Teil III
Der letzte Ausdruck ist gerade der Propagator K0 .t C t0 ; x; y/. (b) Die Wahrscheinlichkeitsverteilung zu dieser Lösung ist eine
Gauß’sche Glockenkurve,
22.4
d=2
1
ex
2 =2 2
(a) Mithilfe des Kerns K.t; x; y/ in (22.112) finden wir folgende w .t; x/ D j .t; x/j2 D t ; (22.206)
Integraldarstellung für die Lösung des Anfangsproblems: 2 t2
Z
.t; x/ D K.t; x; y/ 0 .y/ dd y mit zeitabhängiger Breite,
1=2
m!ˇ d=4 m! d=2 „ 1=2
D (22.200) t D cos2 !t C ˇ 2 sin2 !t : (22.207)
„ 2 i„ sin !t 2m!ˇ
Z
im! 2 1
exp x cot !t e 2 .y;Ay/C.j;y/ dd y: Die Verteilung ist eine periodische Funktion der Zeit mit der
2„
Periode =!. Ist die Zeit ein Vielfaches dieser Periode, dann
Der Exponent des Integranden enthält folgende Matrix und ist die Breite der Glockenkurve minimal.
folgenden Vektor: (c) Für den Wert ˇ D 1 ist t und damit auch die Verteilung
zeitunabhängig. Für diesen Wert ist
m! im!
AD .ˇ i cot !t/ I; jD x: (22.201)
„ „ sin !t .t; x/ D ei!t d=2 0 .x/
Zur Berechnung des Gauß’schen Integrals benutzen wir nun m! d=4 (22.208)
em!x =2„ :
2
(22.169) und erhalten für das letzte Integral in (22.200) mit 0 .x/ D
„
Z d=2
2 „ sin !t
: : : dd y D Die entsprechende Energie ist
m!.ˇ sin !t i cos !t/
(22.202)
im! x2 1 d
exp : ED „!: (22.209)
2„ sin !t cos !t C iˇ sin !t 2
Setzt man dies in (22.200) ein, dann ergibt das Produkt der Insbesondere ist die Energie für den eindimensionalen Os-
Exponentialfunktionen eine Exponentialfunktion mit Expo- zillator gleich „!=2.
nenten: (d) Für die Wellenfunktion (22.208) ist
im! x2 1
Exp D cos !t r D
m!
2„ sin !t cos !t C iˇ sin !t 0
„
x 0
im! iˇ cos !t sin !t 2 (22.210)
D x : (22.203) „2 d m! 2 2
2„ cos !t C iˇ sin !t 0 D „! x 0;
2m 2 2
756 22 Wellenmechanik
und damit erfüllt sie die zeitunabhängige Schrödinger-Glei- p durch den Impulsoperator pO und x durch den Ortsoperator.
chung für den harmonischen Oszillator, Im Ortsraum ist dann
„2 e2
„2 m! 2 2 O D
H : (22.216)
C x 0 DE 0; (22.211) 2me r
2m 2
Die Schrödinger-Gleichung für die Wellenfunktion des
zur Energie E in (22.209). Elektrons .t; x/ lautet
@ „2 e2
22.5 i„ D : (22.217)
@t 2me r
(a) Ein freies Teilchen bewegt sich geradlinig und mit konstan- (b) Das Heliumatom besteht aus einem Kern mit zwei Protonen
ter Geschwindigkeit .x x0 /=t während der Zeit t von x0 und zwei Neutronen, umgeben von zwei Elektronen. Je-
nach x, und deshalb ist seine Prinzipalfunktion des Elektron bewegt sich im anziehenden Coulomb-Feld des
Kerns mit Kernladung Z D 2. Zusätzlich erfahren die Elek-
Zt tronen die gegenseitigen Coulomb-Abstoßung. Sind x1 ; p1
m 2 m
SD v ds D .x x0 /2 : (22.212) Ort und Impuls des ersten Elektrons und x2 ; p2 Ort und
2 2t Impuls des zweiten Elektrons, dann lautet die klassische Ha-
0
milton-Funktion für das Heliumatom
Die Niveauflächen sind konzentrische Kugelflächen um x0 , 2
p21 p22 2e 2e2 e2
und die zugehörigen Trajektorien beschreiben Teilchen, die HD C C C : (22.218)
sich mit konstanter Geschwindigkeit von x0 wegbewegen. 2me 2me r1 r2 r12
Teil III
(b) Die zeitunabhängige Hamilton-Jacobi-Gleichung für das Hier bezeichnen rk D jxk j die Abstände der Elektronen vom
freie Teilchen lautet 2mE D .r W/2 . Es folgt, dass W eine li- Atomkern am Ursprung, und r12 D jx1 x2 j ist der Abstand
neare Funktion der Teilchenkoordinaten ist. Die allgemeine zwischen den Elektronen. Die Elektronen werden durch eine
Lösung hat die Form Materiewelle .t; x1 ; x2 / beschrieben. Nach den Korrespon-
denzregeln im Ortsraum wird pk zum Ableitungsoperator
p20 „=i r k , der auf die Koordinaten des k-ten Elektrons wirkt.
W.x/ D p0 .x x0 / mit D E: (22.213)
2m Mit dieser Regel lautet der Hamilton-Operator für das Heli-
umatom
Die Niveauflächen von W sind Ebenen senkrecht zu p0 , und 2
die zugehörigen Trajektorien gehören zu Teilchen, die sich „2 2e 2e2 e2
HO D .1 C 2 / C C ; (22.219)
mit einem festen Impuls p0 bewegen. 2me r1 r2 r12
(c) Die ebenen Wellen
und die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung lautet
e iW=„iEt=„
/e ip0 x=„iEt=„
(22.214) @ „2
i„ D .1 C 2 /
@t 2me
lösen die Schrödinger-Gleichung, weil die zweiten und hö- 2 (22.220)
heren Ableitungen der Lösung W Et der Hamilton-Jacobi- 2e 2e2 e2
C C :
Gleichung verschwinden. Die Funktion exp.iS=„/ ist dage- r1 r2 r12
gen keine exakte Lösung, aber sie ist bis auf einen zeitab-
hängigen Faktor gleich dem Propagator (22.41). Achtung Die beiden Elektronen im Heliumatom sind nicht
unterscheidbar, und deshalb sind nicht alle Wellenfunktionen
zugelassen (Abschn. 31.1). J
22.6
22.7
(a) Das Wasserstoffatom besteht aus einem Proton und einem
Elektron. Ruht das Proton am Ursprung, dann ist die Energie (a) Der Hamilton-Operator für ein freies Teilchen in krummli-
des Atoms nigen Koordinaten ist
p2 e2
HD ; (22.215) „2
2me r O D
H g (22.221)
2m
wobei me die Elektronenmasse bezeichnet (für das H-Atom
mit Laplace-Beltrami-Operator (22.153). Für Polarkoordi-
könnten wir die Kernbewegung berücksichtigen, indem wir
naten sind der metrische Tensor, seine Determinante und der
me durch die reduzierte Masse von Proton und Elektron
inverse metrische Tensor
ersetzen würden) und e die Elementarladung und r der
Abstand zwischen dem Elektron und dem am Ursprung ru- 1 0 1 0
gij D 2 ; gij D 2 ; g D r2 : (22.222)
henden Proton. Nach den Korrespondenzregeln ersetzen wir 0 r 0 r
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 757
Für den Laplace-Operator in Polarkoordinaten findet man Für Polarkoordinaten in der Ebene ist d D 2, und die
Wellenfunktionen müssen schneller als 1=r im Unendlichen
1 r 0 @r 1 1 abfallen und am Ursprung weniger singulär als 1=r sein.
D @r @' D @2r C @r C 2 @2' :
r 0 r1 @' r r
(22.223)
(b) Mit der Konvention .q1 ; q2 ; q3 / D .#; ; '/ führt ein Ver- 22.8
gleich der kinetischen Energie in (22.172) mit der allgemei-
nen Form (22.146) auf die symmetrische Matrix (a) Man findet
0 1
A 0 0 @ @˚ i„ @
.gij / D @ 0 C cos # A D C
:
C i„ (22.230)
@t @t 2 @t
0 C cos # A sin2 # C C cos2 #
(22.224) und
Gemäß der allgemeinen Vorschrift (22.151) benötigen wir
!
die Determinante „2 .r ˚/2 „2 1=2 i„
D r . r ˚/ :
g D det.gij / D CA2 sin2 #; (22.225) 2m 2m 2m 1=2 2m
p
und g multipliziert mit dem inversen Tensor: Der Realteil der Schrödinger-Gleichung ist von der Ordnung
p O.1/ und identisch zu (22.175). Der Imaginärteil ist von der
g .gij / Ordnung O.„/ und identisch zu (22.176). Diese Gleichung
0 1
p sin # 0 0 enthält kein „ und ist die bekannte Kontinuitätsgleichung für
D C@ 0 A
sin # C cos # cot # cot # A : die Wahrscheinlichkeit.
Teil III
C
0 cot # 1= sin # Nachdem ˚ in Einheiten von „ geschrieben wurde, enthält
die Kontinuitätsgleichung kein „ mehr. Die zweite Glei-
Der Laplace-Beltrami-Operator hat nun die explizite Form chung (22.175) enthält nur das Quadrat von „. Man erwartet
also eine Entwicklung der Lösungen in Potenzen von „2 .
1 @ @
g D sin # (b) Für „ D 0 ist (22.175) die klassische Hamilton-Jacobi-
A sin # @# @# Gleichung mit der Prinzipalfunktion S.t; x; y/ als Lösung.
2
A @ Diese hängt ab von der Zeit, dem Anfangspunkt y und dem
C sin # C cos # cot # (22.226) Endpunkt x der klassischen Bahn. Differenzieren wir die
C @ 2
Hamilton-Jacobi-Gleichung für S nach xi und nach yj , dann
1 @2 @2
C 2 cot # ; folgt
sin # @' 2 @ @'
oder, nach einer einfachen Umformung: @ @2 S 1 @2 S @2 S 1 @S @3 S
0D C C
@t @xi @yj m @xi @xk @xk @yj m @xk @xk @xi @yj
1 @ @ 1 @2 @ 1 1
g D sin # C D Mij C Nik Mkj C r Sr Mij ; (22.231)
A sin # @# @# C@ 2 @t m m
(22.227)
1 1 @ @ 2
C cot # : wobei die Matrixelemente der Matrizen M und N durch die
A sin # @' @
Gleichung definiert sind. Wir multiplizieren mit dem Ma-
Der Hamilton-Operator des kräftefreien symmetrischen trixelement .M 1 /`i der Inversen von M und summieren
Kreisels ist dann „2 g =2. über i und `. Dann ergibt sich mit Tr.M 1 NM/ D Tr N die
(c) Da wir das Verhalten der Wellenfunktionen für kleine und Gleichung
große Radien untersuchen wollen, benutzen wir Kugelko-
ordinaten. Das Volumenelement ist dann poroportional zu @M 1 1
Tr M 1 C Tr N C r S Tr M 1 r M : (22.232)
rd1 drd. Für eine Wellenfunktion, die für große oder klei- @t m m
ne Radien ein Potenzverhalten j j r˛ zeigt, gilt
Z Z An dieser Stelle benutzen wir die im Hinweis angegebene
2p 1 Identität
k k / j j g dq / rd12˛ dr / rd2˛ 0 :
2
(22.228)
ı det M D Tr M 1 ıM det M (22.233)
Für d 2˛ divergiert das Integral im Unendlichen und für
d 2˛ am Ursprung, sodass wir fordern
und folgern
(
O rd=2 für r ! 1 @
j jD d=2C (22.229) 1 1
O r für r ! 0: det M C .Tr N/ det M C r Sr .det M/ D 0: (22.234)
@t m m
758 22 Wellenmechanik
Da Tr N D S ist, können die beiden letzten Terme mittels Die Geschwindigkeiten sind Linearkombinationen der kine-
der Produktregel kombiniert werden, und das führt auf die tischen Impulse i D pi Ai . Die Hamilton-Funktion ist
Identität X 1 X ij
HD pi qP i L D g i j C V.q/: (22.241)
@ 1 2 ij
det M C r .det M r S/ D 0: (22.235)
@t m
(b) Der angegebene Operator HO ist hermitesch, wenn
Setzen wir sc D det.M/ wie in (22.177), dann erfüllt
O i hHO ; i
h ;H
dieses sc die Kontinuitätsgleichung (22.176). Das Minus-
Z
vorzeichen unter der Determinante berücksichtigt, dass im „2
p ij p
generischen Fall M negativ definit ist. Zum Bespiel ist für D Di gg Dj Di ggij Dj dq
2
das freie Teilchen und den harmonischen Oszillator (22.242)
verschwindet. Im Integral heben sich die inverse Wurzel von
m m!
MD I und M D I: (22.236) g in (22.184) und die Wurzel von g im Integrationsmaß weg.
t sin !t Um die Notation zu vereinfachen, setzen wir vorübergehend
Ai =„ D Bi , sodass Di D @i iBi ist. Dann schreibt sich der
22.9 Die Produktregel (22.129) beweisen wir durch Ausschrei- Integrand wie folgt:
ben der linken Seite dieser Regel: p ij p
.: : : / D @i gg Dj @i ggij Dj
.D / C p p
D i Bi ggij Dj iBi ggij .Dj / :
iq iq
D .r / C A
C
r A (22.237) In den beiden ersten Termen wälzen wir die Ableitung @i
„c „c über, wobei eine totale Ableitung entsteht:
Teil III
D .r /
C r D r.
/: p p
.: : : / D @i ggij Dj ggij .Dj /
p ij
Daraus folgt nun ähnlich wie in (22.123) für Lösungen der @i C iBi gg Dj (22.243)
Schrödinger-Gleichung die Kontinuitätsgleichung im äußeren p ij
Feld: C gg .Dj / .@i iBi / :
Die beiden Zeilen sind bis auf das Vorzeichen identisch und
@w 1 i„ 2
D O .H
H O / D D .D2 / heben sich weg. Wir erhalten
@t i„ 2m
i„ O i hH
h ;H O ; i
D r D .D / D r j: Z
p ij
2m „
(22.244)
(22.238) D @i gg . Dj .Dj / / :
2
22.10 Daraus folgt nun unmittelbar
d 1
(a) Der zu qi kanonisch konjugierte Impuls ist h ; i D h ;HO i hHO ; i
dt i„Z
@L X (22.245)
pi D D gij qP j C Ai ; (22.239) D div j dq;
@Pqi j C
und die Auflösung nach den Geschwindigkeiten führt auf wobei unter dem Integral die Wahrscheinlichkeitsstromdich-
te erscheint:
X X p
qP i D gij .pj Aj /; gik gkj D ı ij : (22.240) ji D „ ggij Im Dj : (22.246)
j k
Literatur 759
Literatur
Teil III
Formalismus der
Quantenmechanik
23
Warum sollen
Wellenfunktionen quadrat
integrabel sein?
Teil III
der Quantenmechanik von
besonderem Interesse?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_23, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 761
762 23 Formalismus der Quantenmechanik
In der Quantentheorie gilt das Superpositionsprinzip exakt für ab- seien nun und die Wellenfunktionen, welche die Elektronen
geschlossene Systeme. Das bedeutet erstens, dass sich beliebige bei geöffnetem Spalt 1 oder bei geöffnetem Spalt 2 beschreiben.
Zustände – in der Wellenmechanik dargestellt durch Wellenfunk- Nach dem Born’schen Postulat sind die Wahrscheinlichkeits-
tionen – zu einer bestimmten Zeit mit beliebigen komplexen Koeffi- verteilungen für die Detektion der Elektronen am Ort x des
zienten superponieren lassen und dadurch einen neuen möglichen Schirmes proportional zu
Zustand definieren, und zweitens, dass jede Superposition von Lö-
sungen der Schrödinger-Gleichung ebenfalls eine Lösung ist. Die w1 .x/ D j .x/j2 oder w2 .x/ D j .x/j2 : (23.1)
zweite Eigenschaft ist gleichbedeutend mit der Forderung, dass die Öffnet man nun beide Spalte, so entsteht ein Interferenzbild auf
Schrödinger-Gleichung linear ist. In der Quantenphysik kann man dem Schirm. Bei monochromatischen Wellen findet man eine
Zustände überlagern, die in der klassischen Physik als vollkommen Verstärkung dort, wo die Wegdifferenz von beiden Spalten ein
getrennt behandelt würden. Ein Elektron kann in einem Zustand ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge ist. Wegen der Inter-
sein, der eine Mischung aus „hier“ und „dort“ darstellt, in dem ferenz ist die Wahrscheinlichkeit dann nicht mehr einfach die
es also keinen eindeutig definierten Ort hat. Der Raum der Wellen- Summe der obigen Wahrscheinlichkeiten.
funktionen bildet also einen linearen Raum, einen Vektorraum. Man
spricht in diesem Zusammenhang vom Raum der Zustandsvektoren
in der Ortsdarstellung.
Die Wellenfunktionen definieren einen
Die Wellenfunktion selbst hat in der in Abschn. 24.1 vorgestellten
Standardinterpretation der Quantenmechanik keine physikalische Vektorraum
Bedeutung, aber ihr Betragsquadrat ist proportional zu einer Wahr-
scheinlichkeitsdichte. Diese Interpretation verlangt, dass das Be- Wie aus der Wellenoptik bekannt ist, überlagern sich die bei-
tragsquadrat integrierbar sein muss, und diese Bedingung versieht den Wellen: Sind Spalt 1 und Spalt 2 geöffnet, dann ist die
den linearen Raum der Zustandsvektoren mit einem Skalarprodukt. entsprechende Wellenfunktion c C d eine Linearkombina-
Teil III
Wir werden annehmen, dass der Vektorraum eine Basis besitzt und tion der Wellenfunktionen mit jeweils einem geöffneten Spalt,
unendlich-dimensional sein kann. Vektorräume mit dieser Eigen- wobei die komplexen Koeffizienten c und d die Amplituden
schaft nennt man Hilbert-Räume. Jeder endlich-dimensionale reelle der beiden Wellen charakterisieren. Ihre Werte hängen von der
oder komplexe Vektorraum mit Skalarprodukt ist ein Hilbert-Raum. experimentellen Anordnung ab. Nun ergibt sich eine Wahr-
scheinlichkeitsverteilung proportional zu
Nach dem Korrespondenzprinzip werden klassische Observablen bei
der „Quantisierung“ einer klassischen Theorie zu linearen Opera- jc C d j2 D jcj2 j j2 C jdj2j j2 C c d
C cd :
toren auf dem Raum der Zustandsvektoren. Die Eigenwerte des (23.2)
Operators sind dann die messbaren Werte der zugeordneten Ob- Die beiden letzten Interferenzterme sind verantwortlich für die
servablen, und die diskrete Struktur in der Mikrophysik ist Ausdruck Welleneigenschaften von Teilchen. Wegen des Superpositions-
der Tatsache, dass diese Eigenwerte in vielen Fällen diskrete Werte prinzips bilden die Wellenfunktionen also einen Vektorraum.
annehmen. Das Verständnis der Quantisierung von physikalischen
Größen im Kontext eines Eigenwertproblems gelingt mit den Me-
VektorenP 1 ; 2 ; : : : heißen linear unabhängig, wenn die Glei-
chung cn n D 0 nur die triviale Lösung c1 D c2 D
thoden der linearen Algebra.
D 0 hat; andernfalls heißen die Vektoren linear abhängig.
Für Quantensysteme mit einer endlichen Anzahl von Freiheits- Die maximale Anzahl der linear unabhängigen Vektoren in H
graden ist das Eigenwertproblem äquivalent zur Bestimmung der ist gleich der Dimension von H . Weitere Eigenschaften von
Eigenvektoren und Eigenwerte von gewissen Matrizen. Beispiele Vektoren und Vektorräumen finden Sie im „Mathematischen
von endlich-dimensionalen Systemen sind der Spin des Elektrons Hintergrund“ 1.1.
(wenn wir von der Bewegung im Raum absehen) oder Zwei-Ni-
veau bzw. Drei-Niveau-Systeme in der Atomphysik. Solche Systeme
Vektorraum
sind für Laser und Quantencomputer wichtig. Für ein System mit
unendlich vielen Freiheitsgraden werden Observablen zu linearen Die Menge der Wellenfunktionen bilden einen komplexen
Operatoren in einem unendlich-dimensionalen Hilbert-Raum. Nach Vektorraum H . Sind ; beliebige Vektoren in H und
Einführung einer Basis im Hilbert-Raum können Observablen durch c eine komplexe Zahl, dann sind auch
unendlich-dimensionale Matrizen dargestellt werden, und neben
der linearen Algebra braucht es einige Resultate der Analysis, um C D C und c (23.3)
die auftretenden Konvergenzfragen zu beantworten.
in H . Es existiert ein Nullvektor 0 2 H mit 0 C D ,
und es gilt
23.1 Hilbert-Räume c. C / D c C c ;
.c C d/ D c C d ;
In dem in Abschn. 21.3 vorgestellten Doppelspaltexperiment c.d / D .cd/ : (23.4)
bleibe zunächst jeweils einer der beiden Spalte geschlossen. Es
23.1 Hilbert-Räume 763
Abb. 23.1 Im Dreieck ist die Summe der Längen von zwei Dreiecksseiten im-
das Quadrat einer Norm auf dem Raum der Wellenfunktionen. mer größer oder gleich der Länge der dritten Seite
Mehr über Vektorräume mit einer Norm, sogenannte normierte
Räume, finden Sie im „Mathematischen Hintergrund“ 1.2.
Hat eine endliche Norm – derartige Wellenfunktionen hei- Achtung In welchem Argument das Skalarprodukt anti-line-
ßen quadratintegrabel – dann kann man durch Multiplikation ar ist, ist Konvention und wird in der mathematischen Literatur
von mit einer komplexen Zahl erreichen, dass die reskalierte oft anders herum gehandhabt. J
Wellenfunktion die Norm eins hat. Die reskalierte Wellenfunk-
tion mit k k D 1 nennt man auf eins normiert oder einfach nur Zwei Vektoren heißen orthogonal, wenn h ; i D 0 ist.
normiert. Ein Skalarprodukt erfüllt die wichtige und aus der euklidischen
Für die Summe zweier Zustandsvektoren findet man Geometrie schon bekannte Schwarz’sche Ungleichung.
Teil III
k C k2 D k k2 C k k2 C h ; i C h ; i ; (23.6) Schwarz’sche Ungleichung
wobei auf der rechten Seite das innere Produkt zweier Wellen- Das Skalarprodukt von zwei Vektoren ist durch das Pro-
funktionen auftritt: dukt ihrer Normen nach oben beschränkt:
Z
jh ; ij k k k k : (23.11)
h ; i D d3 x .x/ .x/ : (23.7)
Daraus folgt unmittelbar die Dreiecksungleichung
Insbesondere ist
h ; i D k k2 : (23.8) k C k k kCk k: (23.12)
Derartige Projektoren werden später eine wichtige Rolle spie- k m nk < für alle m; n N : (23.23)
len. Normieren wir die orthogonalen Vektoren gn , so erhalten
wir die orthonormierten Vektoren en . Man verlangt nun, dass auch im allgemeinen Fall die quanten-
mechanischen Zustandsvektoren Elemente in einem vollständi-
Frage 1 gen Vektorraum mit Skalarprodukt sind.
Überlegen Sie sich, welche orthogonale Basis Sie erhalten,
wenn das Verfahren auf die Monome f1; x; x2 ; : : : g im Vektor- Hilbert-Raum
raum der reellen Funktionen auf Œ1; 1 mit Skalarprodukt
Ein Prä-Hilbert-Raum (Vektorraum mit Skalarprodukt),
Z1 in dem jede Cauchy-Folge einen Grenzwert besitzt, heißt
hf ; gi D dx f .x/g.x/ (23.18) vollständig. Ein vollständiger Prä-Hilbert-Raum heißt
Hilbert-Raum.
1
Skaliert man diese, sodass sie bei x D 1 den Wert 1 annehmen, als sogenannte Matrizenmechanik formulieren. Zum Bei-
dann erhält man in der Tat die Legendre-Polynome spiel sind die Folgen mit den Gliedern
gn .x/ 1 dn 2 n
Pn .x/ D D n x 1 : (23.20) 1 1
gn .1/ 2 nŠ dxn ck D ; ˛> (23.25)
k˛ 2
Elemente des Hilbert’schen Folgenraumes. Das Quadrat
Hilbert-Räume ihrer Norm ist gegeben durch die Riemann’sche Zeta-
funktion,
X1
1
Die in der Quantenmechanik auftretenden Vektorräume haben kck2 D D .2˛/ ; (23.26)
kD1
k2˛
oft eine unendliche Dimension, und es treten neben den al-
gebraischen auch analytische Methoden in den Vordergrund,
23.1 Hilbert-Räume 765
ψn
die in der Zahlentheorie eine bedeutende Rolle spielt. Der
Folgenraum ist ein Prä-Hilbert-Raum mit Skalarprodukt
X
hc; di D c dk : (23.27)
k k
Teil III
(23.29)
ck.n/ dieser Folgen. Dies sind die rot markierten Glieder in In L2 hat neben der Nullfunktion jede Funktion, die sich nur auf
einer Menge vom Maß null von der Nullfunktion unterscheidet,
c.1/ D fc1.1/ ; c2.1/ ; : : : ; ck.1/ ; : : : g eine verschwindende Norm.
c.2/ D fc1.2/ ; c2.2/ ; : : : ; ck.2/ ; : : : g Frage 3
(23.28)
c .3/
D fc1.3/ ; c2.3/ ; : : : ; ck.3/ ; : : : g Überlegen Sie sich, dass die messbare Dirichlet-Funktion, wel-
:: che die rationalen Zahlen auf 1 und die irrationalen Zahlen auf
: 0 abbildet, eine verschwindende Norm hat.
n
nD1
Teil III
der Fourier-Rücktransformation 2
Der Hilbert-Raum L2 R, e−x dx
Z
1
cn D h n ; i D p dx e2 inx=L .x/ : (23.40) Bei der Behandlung des harmonischen Oszillators in Ab-
L
schn. 26.3 werden wir auf den gewichteten Hilbert-Raum
In Aufgabe 23.3 betrachten wir die Vollständigkeitsre- der Funktionen auf R mit Skalarprodukt
lation für die periodische Dreiecksschwingung. Fourier- Z
h ; i D dx .x/ .x/ ex
2
Reihen werden ausführlicher in Abschn. 8.3 behandelt. (23.44)
J R
Achtung Für nichtunterscheidbare Teilchen ist H ein Un- Weitere Eigenschaften der Hermite-Polynome findet man
terraum von L2 .R3N /. Dies wird in Abschn. 31.1 ausführlich in Abschn. 26.3 und in Aufgabe 13.6. J
diskutiert. J
768 23 Formalismus der Quantenmechanik
um Übergänge von einem N-Teilchen-System im HN zu einem Die Dimension des Tensorprodukts ist demzufolge gleich
N C 1-Teilchen-System im HNC1 oder N 1-Teilchen-System
im HN1 in einem Raum beschreiben zu können. dim .U ˝ V / D dim U dim V : (23.59)
23.2 Lineare Operatoren 769
P
Das Tensorprodukt eines beliebigen Vektors
P D cm m in
U mit einem beliebigen Vektor D dn n in V ergibt sich Dann enthält L2 .R/ ˝ L2 .R/ alle quadratintegrablen
dann aus der Bilinearität des Tensorprodukts: Funktionen über der Ebene R2 mit dem Skalarprodukt
X Z
˝ D cm dn m ˝ n : (23.60)
h; 0 i D dx dy .x; y/0 .x; y/ : (23.65)
m;n
Hat ein Vektor in U ˝ V die Zerlegung ˝ , dann nennt man Dies ist gerade der Hilbert-Raum L2 .R2 /. Bilden die
ihn separabel. Nichtseparable Vektoren heißen verschränkt. Funktionen n .x/ eine Basis von L2 .R/, dann bilden
Frage 6 die Funktionen m .x/ n .y/ eine Basis im Produkt-
raum. Die Produktfunktionen .x; y/ D .x/ .y/ sind
Was kann man bei verschränkten Zuständen über den Rang
separabel. J
der Koeffizientenmatrix aussagen? (Hinweis: Die Lösung findet
man in der folgenden Definition über „Verschränkte Zustände“.)
Teil III
diese Darstellung. Separable und verschränkte Zustände werden
sodass man oft nur von Operatoren spricht, obwohl man lineare
in Aufgabe 23.4 näher untersucht.
Operatoren meint. Wichige Beispiele von linearen Operatoren
sind der Ortsoperator, Impulsoperator und Hamilton-Operator.
Verschränkte Zustände
P
Ein Zustand D m;n cQ mn m ˝ n im Produktraum Lineare Operatoren
U ˝ V ist genau dann verschränkt, wenn der Rang der
Ein Operator AO heißt linear, wenn für beliebige komplexe
Koeffizientenmatrix cQ D .Qcmn / größer ist als 1.
Zahlen c; d und Vektoren ; in einem Definitionsbe-
reich DA H für den Operator gilt
Wir benötigen noch ein Skalarprodukt auf dem Produktraum.
Für separable Vektoren definiert man AO .c C d / D cAO C d AO : (23.66)
˝ ˛ ˝ ˛ ˝ ˛
˝ ; 0 ˝ 0 U˝V D ; 0 U ; 0 V : (23.62)
Differenzial- und Integraloperatoren sind genauso linear wie die
Dieses Produkt ist linear im zweiten und anti-linear im ersten Multiplikation mit einer Konstanten oder einer Funktion.
Argument und damit für beliebige Vektoren im Tensorprodukt
erklärt, da jeder Vektor die Entwicklung (23.58) hat. Ist f m g
eine Orthonormalbasis in U und f n g eine Orthonormalbasis in Lineare Operatoren und zugeordnete Matrizen
V , dann ist f m ˝ n g eine Orthonormalbasis im Produktraum.
dann führt der Koeffizientenvergleich auf folgende lineare Be- Im Folgenden seien die Definitionsbereiche der Operatoren ent-
ziehung zwischen den Entwicklungskoeffizienten von Vektor weder geeignet gewählt, oder die Operatoren seien beschränkt
und Bildvektor: X und somit auf dem ganzen Hilbert-Raum definiert. Dann kann
c0m D amn cn : (23.69) man lineare Operatoren addieren oder mit einer komplexen Zahl
n multiplizieren,
Fassen wir die Entwicklungskoeffizienten fcn g zu einem Spal-
tenvektor c zusammen, dann ist (23.69) gerade die Multiplikati- .AO C B/
O D AO C BO ; O
.˛ A/ D ˛.AO / ; (23.74)
on der Matrix A D .amn / mit diesen Spaltenvektor, d. h.
und erhält wieder einen linearen Operator. Somit ist der Raum
0 1 0 1
c1 a11 a12 : : : der (beschränkten) linearen Operatoren selbst ein Vektorraum.
B C B C
c0 D Ac; c D @c2 A ; A D @a21 a22 : : :A : (23.70) Führt man lineare Abbildungen hintereinander aus, dann erhält
:: :: :: ::
: : : : man wieder eine lineare Abbildung. Dies definiert ein Produkt
von linearen beschränkten Operatoren:
Unglücklicherweise konvergieren die unendlichen Summen
nicht für alle unendlich-dimensionalen Matrizen und Koeffizi- .AO B/
O O BO / :
D A. (23.75)
entenvektoren.
Dieses Operatorprodukt ist bilinear:
Unbeschränkte und beschränkte Operatoren AO C BO CO D AO CO C BO CO ;
AO BO C CO D AO BO C AO CO ; (23.76)
Teil III
O D kAO k
kAk sup D sup kAO k : (23.72)
0¤ 2H k k k kD1
Projektionsoperatoren
Frage 7
Es sei 2 H ein Einheitsvektor, d. h. k k D 1. Dann
Überzeugen Sie sich davon, dass (23.72) eine Norm definiert projiziert der Operator
und insbesondere die Dreiecksungleichung im Hilbert-Raum
(23.12) die Dreiecksungleichung PO W !h ; i (23.79)
kAO C Bk O C kBk
O kAk O (23.73) auf den eindimensionalen Unterraum definiert durch
wie in Abb. 23.4 gezeigt. Mihilfe des Verfahrens von
für beschränkte Operatoren bedingt.
23.2 Lineare Operatoren 771
Kommutator charakterisiert:
Gram-Schmidt ergänzen wir zu einer Orthonormalba-
O B
ŒA; O WD AO BO BO AO D ŒB; O :
O A (23.81)
sis f ; 2 ; 3 ; : : : g und entwickeln den beliebigen Vektor
nach dieser Basis, D c C c2 2 C : : : Dann ist
Der Kommutator definiert eine Bilinearform
PO Dc und
O ˇ BO C C
ŒA; O D ˇŒA;
O B O C
O C ŒA; O ; (23.82)
kPO k jc j
D ; (23.80) welche die Jacobi-Identität (nach Carl Jacobi, 1804–1851) er-
k k kck
füllt:
wobei kck die Norm der Koeffizientenfolge im Hil- O ŒB; O C ŒB;
O C O A
O ŒC; O C ŒC;
O ŒA;
O B
O D 0:
ŒA; (23.83)
bert’schen Folgenraum ist. Das Maximum der rechten
Seite ist eins für die Folge fc ; 0; 0; : : : g, und deshalb ist Die Menge der beschränkten linearen Operatoren bildet also
kPO k D 1. Die Projektionsoperatoren sind beschränkt nicht nur eine normierte Algebra, sondern gleichzeitig eine
mit Norm eins. nichtabel’sche Lie-Algebra (siehe den „Mathematischen Hinter-
grund“ 27.1).
Bei der Berechnung der Kommutatoren von zusammengesetz-
ten Operatoren ist die Derivations- oder Produktregel sehr
hilfreich:
φ O BO C
ŒA; O D BŒ O C
O A; O C ŒA;
O B
O CO ;
(23.84)
ŒAO B; O D AŒ
O C O B; O C ŒA;
O C O C
O BO :
Teil III
Frage 9
ψ Überprüfen Sie die Jacobi-Identität und Produktregel explizit
durch Anwendung auf Elemente im Hilbert-Raum.
P̂ψ (φ)
Abb. 23.4 Der orthogonale Projektor PO projiziert jeden Vektor im Achtung Die Linearität der Operatoren impliziert nicht au-
Hilbert-Raum auf den linearen Unterraum definiert von . Die Norm tomatisch die Jacobi-Identität. Für singuläre und unbeschränkte
jedes zu nichtparallelen Vektors nimmt bei der Projektion ab, und Operatoren kann die Identität verletzt sein. Ein bekanntes Ge-
wegen PO . / D ist die Norm von PO gleich eins. Man sieht hier
genbeispiel ist die Bewegung eines geladenen Teilchens im Feld
auch, dass die nochmalige Anwendung von PO auf einen projizierten
eines magnetischen Monopols (Jackiw 1985). J
Zustand diesen nicht mehr verändert, sodass PO 2 D PO
J Zum Beispiel findet man für die Kommutatoren der Orts- und
Impulsoperatoren eines Teilchens, angewandt auf eine Wellen-
funktion im Ortsraum:
„ @ „ @
Die normierte Algebra der linearen Operatoren ŒOxi ; pOj D xO i .xi / D i„ıij : (23.85)
i @xj i @xj
Die Menge der beschränkten linearen Operatoren bilden
eine normierte Algebra über C. Die Addition und Mul- Dagegen kommutieren zwei Ortsoperatoren oder zwei Impuls-
tiplikation in der Algebra sind durch die Addition und operatoren miteinander, da im Ortsraum gilt:
Hintereinanderausführung der den Operatoren entspre-
chenden linearen Abbildungen erklärt. Die Norm (23.72) ŒOxi ; xOj D .xi xj xj xi / D 0 ;
erfüllt neben den üblichen Eigenschaften die Ungleichung „ @ „ @ „ @ „ @ (23.86)
ŒOpi ; pOj D D 0:
(23.77). i @xi i @xj i @xj i @xi
Die Wellenfunktion ist hier beliebig, und wir erhalten die Kom-
mutationsregeln für Orts- und Impulsoperatoren.
h i O x; pO /
@A.O kann. In diesem Abschnitt werden wir eine darstellungsunab-
O
pO i ; A.Ox; pO / D i„ : hängige Formulierung der Quantenmechanik einführen, die auf
@Oxi
Paul Dirac (1902–1984, Nobelpreis 1933 zusammen mit Erwin
Schrödinger für seine wichtigen Beiträge zur Quantentheorie
Bei der Berechnung der Ableitungen nach den Operatoren auf und Atomphysik; Abb. 23.5) zurückgeht.
den rechten Seiten betrachtet man diese als gewöhnliche kom- Die einhergehende Dirac’sche Notation offenbart die intrinsi-
mutierende Variablen. Zum Beispiel ist sche Struktur der Quantentheorie und ist gerade beim Übergang
O x; pO / zwischen verschiedenen Darstellungen sehr hilfreich. Die Be-
@A.O @A.x; p/ ˇˇ
D xDOx;pDOp
: (23.90) deutung der Dirac’schen Notation liegt in ihrer hervorragenden
@Opi @pi Mnemotechnik, die es gestattet, auch umfangreichere formale
Rechnungen wenig fehlerträchtig auszuführen. Die Situation ist
Achtung Hier darf man die Reihenfolge der Variablen vergleichbar mit derjenigen in der linearen Algebra. Auch hier
nicht ändern. Nach dieser Vorschrift ist dann ŒOxi ; pO a xO b pO c D repräsentiert ein n-Tupel einen abstrakten Vektor bezüglich ei-
i„ıia xO b pO c C i„ıic pO a xO b . J ner Basis. Wechselt man die Basis, dann wird derselbe abstrakte
Vektor durch ein anderes n-Tupel dargestellt.
Für Systeme mit verallgemeinerten Koordinaten q D
.q1 ; : : : ; qf / und kanonisch konjugierten Impulsen p D Die grundlegenden Größen in der Dirac’schen Formulierung
.p1 ; : : : ; pf / lauten die entsprechenden Kommutationsregeln sind die Bras und Kets. Das Ket j i ist identisch mit dem Zu-
standsvektor , und die Menge der Kets bilden den Hilbert-
h i O
O q; pO / D i„ @A.Oq; pO / ;
qO k ; A.O
Raum H . Für das Skalarprodukt schreibt man
@Opk
(23.91)
h i O h ; i h j i: (23.94)
O q; pO / D i„ A.Oq; pO / :
pO k ; A.O
@
@Oqk
Dagegen ist das Bra h j ein lineares beschränktes Funktio-
Die Ähnlichkeit zu den in Kap. 7 eingeführten Poisson-Klam- nal auf dem Hilbert-Raum. Lineare Funktionale sind lineare
mern der Orts- und Impulskoordinaten mit Funktionen auf dem Abbildungen H 7! C, und sie bilden den zu H dualen Vek-
Phasenraum, torraum H 0 . Nun existiert ein anti-linearer Isomorphismus von
@f .q; p/ H 7! H 0 , gegeben durch
fqi ; f .q; p/g D ;
@pi
(23.92) j i 7! F mit F . / D h j i 8 j i 2 H : (23.95)
@f .q; p/
fpi ; f .q; p/g D ;
@qi Die inverse Abbildung ist
springt sofort ins Auge. Die Poisson-Klammer von zwei Funk-
tionen auf dem Phasenraum und der Kommutator von zwei F 7! j Fi mit h F j i D F. / 8 j i 2 H : (23.96)
23.2 Lineare Operatoren 773
Tab. 23.1 Vergleich der bisherigen Notation und der Dirac’schen Notation. (Der
adjungierte Operator AO wird im folgenden Abschnitt eingeführt.)
bisherige Schreibweise Dirac’sche Schreibweise
H D f ; ; : : : g Hilbert-Raum H D fj i ; j i ; : : : g Ket-Raum
2H j i2H
C j iCj i
˛ ˛j i
h ; i h j i
F C DF CF h C j Dh jCh j
H 0 D fF ; F ; : : : g H 0 D fh j ; h j ; : : : g Bra-Raum
D AO ) F D FAO j i D AO j i ) h j D h j AO
Teil III
Ket j i D c1 j 1 i C c2 j 2 i C : : : als Spaltenvektor mit
Komponenten fcn g und das Bra h j als Zeilenvektor mit
den konjugierten Komponenten fc n g auffassen:
0 1
c1
Bc2 C
B C
Abb. 23.5 Paul Dirac (1902–1984), © akg/Science Photo Library j i 7! B : C ; h j 7! c
1 ; c2 ; : : : ; cd : (23.100)
@ :: A
cd
In der Dirac’schen Notation bezeichnet man das j i zugeordne-
te Funktional F mit dem Bra h j. Von Dirac stammen sowohl Hat die Koeffizienten fdn g, dann sieht man sofort, dass
die Schreibweise als auch die Benennung. Letztere soll auf die X
spitze Klammer (angle bracket) im Skalarprodukt h ; i an- h j iD dn cn (23.101)
spielen. n
In der Dirac’schen Notation schreibt sich z. B. die Eigenwert- Ordnung der Basisvektoren im Produktraum. Wählt man die
gleichung zum Eigenwert an gemäß Ordnung
AO j ni D an j ni : (23.104) j 1i ˝ j mi ; j 2i ˝ j mi ; j 3i ˝ j mi ; : : : (23.110)
Ist der Eigenwert an von AO nicht entartet, dann charakterisiert er dann entspricht dem Tensorprodukt AO ˝ BO die Matrix
den Eigenvektor, und man schreibt auch 0 1
a11 B a12 B a13 B : : :
O n i D an jan i :
Aja (23.105) Ba21 B a22 B a13 B : : :C
B C
Ba31 B a32 B a33 B : : :C : (23.111)
@ A
Der Index n kennzeichnet dann ebenfalls Eigenwert und Eigen- :: :: :: ::
: : : :
funktion eindeutig, und man kann die abstraktere Schreibweise
Adjungierter Operator
Tensorprodukt von Operatoren
Der zu AO adjungierte Operator AO ist definiert durch
Es sei H D U ˝ V das Tensorprodukt von zwei Hilbert-
h ; AO i D hAO ; i :
Teil III
(23.112)
Räumen und AO und BO lineare Operatoren auf U und V . Man
definiert nun das Tensorprodukt der beiden Operatoren zuerst
In der Dirac’schen Notation lautet diese Bedingung
auf separablen Vektoren in H durch die Beziehung
h j AO j i D h j AO j i : (23.113)
.AO ˝ B/
O .j i ˝ j i/ D AO j i ˝ BO j i : (23.107)
Mithilfe der Linearität ist das Tensorprodukt AO ˝ BO dann für Fragen nach dem Definitionsbereich von AO relativ zum Defi-
beliebige Vektoren in U ˝ V erklärt.
nitionsbereich von AO werden kurz im „Mathematischen Hin-
Zum Beispiel kann man die Summe eines Operators auf U und tergrund“ 23.1 behandelt. Im Folgenden wollen wir wieder
eines Operators auf V auf dem Tensorprodukt definieren, indem annehmen, die Definitionsbereiche seien geeignet gewählt oder
man ihre trivialen Fortsetzungen addiert: die Operatoren seien beschränkt.
Frage 13
AO ˝ IV C IU ˝ BO : (23.108)
Was bedeuten diese Bedingungen für die Matrixelemente von AO
Man schreibt dann kurz AO C B,
O obwohl die beiden Operatoren bezüglich einer Basis im Hilbert-Raum?
auf verschiedenen Hilbert-Räumen wirken.
Frage 12 Für die Matrixelemente bezüglich einer Orthonormalbasis j ni
Nach Einführung von Orthonormalbasen j m i und j n i in U impliziert (23.112)
und V werden den Operatoren mithilfe von (23.67) Matrizen A
und B zugeordnet. Welche Matrix wird dann AO ˝ BO zugeordnet? Amn D h O
m; A ni D hAO m; ni D .A /
nm : (23.114)
Dies ist eine aus der linearen Algebra bekannte Eigenschaft: Die
Das Tensorprodukt wirkt auf die Basisvektoren j mi ˝j ni im Matrix des adjungierten Operators AO ist die transponierte und
Tensorprodukt wie folgt: komplex konjugierte der Matrix des Operators A. O
AO ˝ BO .j ˝j D AO j m i ˝ BO j n i Wir wollen noch die Frage beantworten, was das dem Ket AO j i
mi n i/
X zugeordnete Bra ist. Das j i zugeordnete Bra h j wirkt gemäß
ˇ ˛ ˇ ˛
D apm bqn ˇ p ˝ ˇ q : (23.109)
pq j i 7! h j i h j i (23.115)
Damit die apm bqn leicht als Matrixelemente interpretiert wer- auf Vektoren und das zu AO j i gehörige Bra gemäß
den können, nummeriert man die Indexpaare .m; n/ mit einem
einzelnen Index k durch. Dies entspricht einer Wahl für die j i 7! h j AO j i D h j AO j i : (23.116)
23.2 Lineare Operatoren 775
Im letzten Schritt wurde die Eigenschaft (23.113) benutzt. Dies Hermitesche Operatoren
bedeutet, dass
AO j i ! h j AO : (23.117)
Diese Eigenschaft wurde als letzte Zeile in die Tab. 23.1 aufge- Der mittlere Ort und der mittlere Impuls sind messbare Größen;
nommen. daher sollten die Erwartungswerte
Teil III
dass im Mittel keine Wahrscheinlichkeit ab- oder zufließt (siehe
Zeigen Sie, dass die &-Operation involutiv und anti-linear ist: das Resultat (22.143)). Für eindimensionale Hamilton-Operato-
ren wird das sehr ausführlich in Abschn. 26.1 diskutiert.
.AO / D A;
O .AO C B/
O D AO C BO ; O D ˛ AO :
.˛ A/
(23.121) Man nennt einen linearen Operator hermitesch oder selbstadjun-
giert, wenn er gleich seinem adjungierten Operator ist. Genau
genommen ist nicht jeder hermitesche Operator selbstadjungiert
Eine involutive Abbildung (eine Involution) ist eine selbstinver- (siehe den „Mathematischen Hintergrund“ 23.1). Aber jeder be-
se Abbildung: Wendet man sie zweimal an, dann erhält man die schränkte hermitesche Operator ist selbstadjungiert.
Identität. Aus der Involutionseigenschaft und (23.120) folgt nun
sofort, dass die beiden Operatoren
Selbstadjungierte Operatoren
AO AO und AO AO (23.122)
Ein Operator mit AO D AO heißt selbstadjungiert. Dann gilt
ihre eigenen Adjungierten sind, z. B. .AO AO / D AO AO .
Frage 15 h ; AO i D hAO ; i bzw. h j AO j i D h j AO j i :
(23.125)
Ein Operator BO heißt nichtnegativ, wenn h ; BO i 0 ist für
Transponiert und komplex konjugiert man die Matrix ei-
alle ¤ 0. Überzeugen Sie sich davon, dass AO AO und AO AO nes selbstadjungierten Operators, dann geht diese in sich
nichtnegative Operatoren sind. über:
Amn D .A /mn A nm (23.126)
Zum Beispiel gilt
Orts- und Impulsoperator sind hermitesch an entartet, so sind die Eigenfunktionen nicht automatisch or-
thogonal. In diesem Fall kann man sich mit dem Gram-Schmidt-
Verfahren Linearkombinationen der Eigenfunktionen zum sel-
Die Komponenten des Ortsoperators für ein Teilchen im
ben Eigenwert beschaffen, die orthogonal zueinander sind.
R3 sind auf dem Raum der schnell abfallenden differen-
zierbaren Funktionen hermitesch:
Z Eigenvektoren und Eigenwerte
h jOx i D d3 x x Die Eigenwerte eines selbstadjungierten Operators sind
Z (23.128) reell, und die Eigenfunktionen mit diskreten Eigenwerten
D d3 x .x / D hx ; i ; können orthonormal gewählt werden:
ren können zu selbstadjungierten Operatoren erweitert Schreiben wir dieses Ergebnis in der Form
werden. J X
j iD .jan i han j/ j i ; (23.133)
n
An dieser Stelle braucht man ein Ergebnis der Funktionalanaly-
sis (siehe den „Mathematischen Hintergrund“ 23.1). folgt unmittelbar die Zerlegung der Eins.
Jeder selbstadjungierte Operator AO kann diagonalisiert Die (orthonormierte) Eigenbasis eines selbstadjungierten
werden, und seine Eigenfunktionen bilden eine vollstän- Operators definiert eine Zerlegung der Eins:
dige Basis im Hilbert-Raum. X
ID jan i han j : (23.134)
n
Die selbstadjungierten Operatoren sind die wichtigsten Ope- Für Eigenwerte im diskreten Teil des Spektrums sind die zu-
ratoren in der Quantenmechanik. Wir wollen hier kurz auf gehörigen Eigenvektoren in
ihre grundlegende Eigenschaften eingehen.
AO jan i D an jan i ; an 2 R
Hermitesche und selbstadjungierte Operatoren Ein linea-
rer Operator mit dichtem Definitionsbereich DA H besitzt
normierbar. Eigenvektoren mit Eigenwert im kontinuierli-
einen adjungierten Operator AO . Dessen Definitionsbereich chen Spektrum,
DA ist die Menge aller Vektoren 2 H , für die ein Vektor
0
2 H existiert mit
AO jai D a jai ; a 2 R;
h jAO i D h 0
; i für alle 2 DA :
sind dagegen nicht normierbar, liegen also nicht in H .
Es ist dann AO D 0
, bzw.
Orthogonalität und Normierung der Eigenfunktio-
O D hAO ; i :
h ; Ai (1) nen
Ein Operator mit dichtem Definitionsbereich DA heißt: Man kann die Eigenfunktionen immer so wählen, dass
folgende Relationen gelten:
Teil III
(a) hermitesch, wenn DA DA ist und für alle ; im De-
finitionsbereich DA gilt: ham jan i D ımn ; haj bi D ı.a b/; han jai D 0 : (3)
2001). J
Die erste Eigenschaft in (3) ist bereits bekannt. RUm die bei-
Vollständigkeit der Eigenvektoren Im allgemeinen Fall hat den anderen Relationen zu zeigen, sei j i D da c.a/ jai
das Spektrum eines selbstadjungierten Operators einen dis- ein Überlagerung der uneigentlichen Eigenvektoren. Dann
kreten und einen kontinuierlichen Anteil, wie in Abb. 23.6 ist
skizziert. Z Z
O DA
O
han j AO j i D da c.a/ ahan jai D an da c.a/han jai :
A
a1 a2
diskret kontinuierlich Spektrum Wir nehmen an, die Mengen fan g und fag seien disjunkt.
Dann impliziert diese Gleichung, da sie ja für beliebige
Abb. 23.6 Das Spektrum eines selbstadjungierten Operators enthält im Koeffizientenfunktionen c.a/ gilt, die Orthogonalität han j ai
Allgemeinen einen diskreten und kontinuierlichen Anteil D 0.
778 23 Formalismus der Quantenmechanik
h Frage 17
pO n D pn n; pn D .n C / : (23.138)
L Überzeugen Sie sich von der Umkehrung der gezeigten Eigen-
Für jedes bilden die Eigenfunktionen eine Orthonor- schaft: Zwei gleichzeitig diagonalisierbare Operatoren vertau-
malbasis von H D L2 .S/. J schen miteinander.
bisherigen Notation werden nun die Eigenwerte und nicht die |a2
Eigenvektoren durchnummeriert. Dann gehören zu verschiede-
nen n verschiedene Eigenwerte an . Existieren mehrere orthonor-
male Eigenvektoren zum selben Eigenwert, so berücksichtigen
wir diese Entartung durch eine zusätzliche Quantenzahl in P̂a2 H
jan ; i. Der orthogonale Projektor auf den von den Eigenvek- P̂a1 H
toren mit Eigenwert an aufgespannten Unterraum ist |a1 , 2
X
PO an D jan ; i han ; j : (23.141)
Ist an nicht entartet, dann entfällt die Summe. Der Projektor pro-
|a1 , 1
jiziert auf den Eigenraum PO an H zum Eigenwert an ,
X
PO an j i D cn; jan ; i ; cn; D han ; j i; (23.142) Abb. 23.7 Die Spektralprojektoren PO an projizieren auf orthogonale Eigenräu-
me PO an H H zu den Eigenwerten an von A O
Teil III
gilt. Multipliziert man nun die Zerlegung der Eins in (23.144)
Da die Eigenvektoren zu verschiedenen Eigenwerten senkrecht O dann ergibt sich die Spektralzerlegung.
mit f .A/,
zueinander stehen, sind die Eigenräume Pan H und Pam H zu
verschiedenen Eigenwerten orthogonal. Projizieren wir also
einen Vektor auf den Eigenraum zum Eigenwert an und den Spektralzerlegung (diskretes Spektrum)
resultierenden Vektor auf den Eigenraum zu einem anderen Ei- O eines selbstadjungierten Operators mit
Eine Funktion f .A/
genwert am , so erhalten wir den Nullvektor. diskretem Spektrum hat die spektrale Zerlegung
X
Spektralprojektoren O D
f .A/ f .an /PO an (23.147)
an
Die Spektralprojektoren sind hermitesch und orthogonal:
mit den Projektoren PO an auf die Eigenräume.
PO an D PO an ; PO am PO an D ıam an PO an : (23.143)
Die Zerlegung der Eins (23.134) schreibt sich mithilfe der In Aufgabe 23.7 illustrieren wir die Spektralzerlegung für das
Spektralprojektoren gemäß Beispiel einer einfachen Matrix und berechnen damit die Wur-
X zel der Matrix.
PO an D I : (23.144)
an
Die Elemente in PO an H sind Eigenvektoren von AO mit Eigenwert Das Standardbeispiel eines hermiteschen Operators mit
an . Wendet man nun eine Operatorfunktion f .A/O auf einen Ei- kontinuierlichem Spektrum ist der Impulsoperator pO für
genvektor in diesem Unterraum an, dann erhält man das f .an/-
780 23 Formalismus der Quantenmechanik
Auf der rechten Seite steht das L2 -Skalarprodukt der Ei- ham jan i D ımn ; haj bi D ı.a b/ ; han jai D 0 : (23.156)
genfunktion p und . Eingesetzt in (23.149) erhält man
Genauso wie im diskreten Fall gewinnt man mit diesen Relatio-
Z
Teil III
h pj qi D ı.p q/ : (23.153) Wirkt man nun mit dem zu j i in (23.155) dualen Bra (siehe
den „Mathematischen Hintergrund“ 23.1) auf j i in (23.155)
und benutzt die Orthogonalitätsrelationen für die Eigenvekto-
Für einen beliebigen selbstadjungierter Operator AO mit kontinu- ren, dann findet man für die Parseval-Gleichung
ierlichem Spektrum sind die Eigenwerte a in
X Z
h j i D jc j 2
C da jc.a/j2 : (23.160)
AO jai D a jai (23.154) n
n
In der Zerlegung der Eins in (23.159) treten auf der rechten Seite
nur Eigenvektoren von AO auf, sodass Genauso führt man die Eigenzustände der kommutieren-
X Z den Komponenten des Impulsoperators ein,
O
f .A/ D f .an / jan i han j C da f .a/ jai haj : (23.161) Z
n pO jpi D p jpi mit d3 p jpi hpj D I ; (23.169)
O findet man
Für den Erwartungswert einer Operatorfunktion f .A/
somit den Ausdruck und entwickelt ein Ket nach diesen Eigenzuständen:
X Z Z Z
O j iD
h j f .A/ f .an / jcn j2 C da f .a/ jc.a/j2 (23.162) j i D d3 p hpj ijpi D d3 p Q .p/ jpi : (23.170)
n
mit den Entwicklungskoeffizienten (23.157). Für den Eins-Ope- Die Entwicklungskoeffizienten Q .p/ definieren die Wel-
rator ist dies gerade die Beziehung (23.160). lenfunktion im Impulsraum, und
Z
Orts- und Impulsoperator in Ortsdarstellung hxj i D d3 p hxj pihp j i (23.171)
Teil III
Die entsprechende Zerlegung der Eins lautet Der Vergleich mit der Fourier-Transformation (23.149)
Z zeigt, dass
d3 x jxi hxj D I : (23.164)
hxj pi D p .x/ D eipx=„ (23.173)
Man kann nun einen beliebigen Zustandsvektor j i nach gelten muss. J
den Eigenzuständen des Ortsoperators entwickeln:
Z Z
j i D d3 x hx j i jxi d3 x .x/ jxi : (23.165)
Eine allgemeine Zerlegung der Eins (23.159) hat im Ortsraum
die Form
In der Ortsdarstellung ist der Ortsoperator diagonal und
X Z
j i wird durch die Entwicklungskoeffizienten .x/,
also die Wellenfunktion, charakterisiert. Die Relation hxj I jyi D hxj an i han j yi C da hxj ai haj yi : (23.174)
(23.160) reduziert sich auf folgende Identität der Wellen- n
mechanik:
Z Auf der linken Seite steht die Eins im Ortsraum, d. h. die
h j i D d3 x j .x/j2 : (23.166) Deltadistribution ı 3 .x y/. Auf der rechten Seite stehen die
eigentlichen und uneigentlichen Eigenfunktionen von AO im
Ortsraum:
Ersetzen wir die Eins in .x/ D hxj I j i durch die Zerle-
gung (23.164) (wobei wir x durch y ersetzen), dann finden
wir hxj an i D n .x/ und hxj ai D a .x/ : (23.175)
Z Z
.x/ D d3 y hxj yi hyj i D d3 y hxj yi .y/
Zerlegung der Eins im Ortsraum
(23.167)
und somit folgende Darstellung der Eins im Ortsraum: Im Ortsraum R3 lautet die Vollständigkeitsrelation für die
Eigenfunktionen eines selbstadjungierten Operators
hxj yi D hxj I jyi D ı 3 .x y/ : (23.168) Z
X
ı 3 .x y/ D n .x/ n .y/ C da a .x/ a .y/ :
Dies ist gerade die Orthogonalitätsrelation für die unei- n
gentlichen Eigenfunktionen in (23.156). (23.176)
782 23 Formalismus der Quantenmechanik
Ein Operator AO wirkt wie folgt auf Wellenfunktionen im Orts- In der Quantenmechanik bilden die unitären Operatoren die
raum: wichtigste Klasse von invertierbaren Operatoren.
Z
O hyj i
.AO /.x/ hxj AO j i D d3 y hxj Ajyi Achtung Nicht jeder isometrische Operator ist unitär. Die
Schiebeoperatoren in Aufgabe 23.9 sind Gegenbeispiele. J
Z (23.177)
O
D d3 y hxj Ajyi .y/ : Eindimensionale hermitesche Matrizen sind reelle Zahlen, und
eindimensionale unitäre Matrizen sind unimodulare komplexe
Auf der rechten Seite erkennen wir die Faltung der Wellen- Zahlen. Jede unimodulare Zahl hat die Darstellung u D exp.ia/
funktion im Ortsraum mit den AO zugeordneten Matrixelementen mit einer reellen Phase a. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht
O
hxj Ajyi A.x; y/. In diesem Zusammenhang nennt man A.x; y/ zwischen unitären und selbstadjungierten Operatoren.
auch den Kern des Operators A.O
Selbstadjungierte und unitäre Operatoren
Jeder unitäre Operator hat die Darstellung
23.4 Inverse und unitäre Operatoren
O D eiAO ;
U AO D AO : (23.182)
Neben den selbstadjungierten Operatoren spielen auch die Umgekehrt ist für jeden selbstadjungierten Operator AO der
unitären Operatoren eine herausragende Rolle in der Quan- O unitär.
Operator exp.iA/
tenphysik. Unitäre Operatoren erweitern das Konzept der or-
thogonalen Transformationen in endlich-dimensionalen reellen
Vektorräumen. Zum Beispiel wird die Zeitentwicklung der Zu- Die Unitarität von U O ist mit der Spektralzerlegung schnell be-
standsvektoren durch einen zeitabhängigen unitären Operator wiesen: Für ein AO mit diskretem Spektrum folgt aus (23.147)
Teil III
beschrieben. X X
UOU
O D eian eiam PO an PO am D PO an D I ; (23.183)
Ein linearer Operator heißt invertierbar, wenn er bijektiv ist, so-
an ;am
dass der inverse Operator AO 1 existiert. Es gilt
n
Spektralprojektoren Für einen s.a. Operator AO definiert die Spektralbereiche und 0 disjunkt, d. h. ist \
man für jedes (offene) Intervall R den Projektor 0 D ;, dann sind die zugehörigen Projektoren orthogonal,
Z PO PO 0 D 0. Für D 0 ist
X
PO D jan i han j C da jai haj : (1)
PO
2
D PO : (4)
nWan 2 a2
Die Projektoren haben also nur die Eigenwerte 0 und 1.
In der Literatur, z. B. dem zitierten Klassiker von J.M. Jauch
(1968), wird der Spektralprojektor PO oft mit E bezeich- Die Eigenvektoren mit Eigenwert 1 liegen im Unterraum
net. PO H und die Eigenvektoren mit Eigenwert 0 liegen im or-
thogonalen Komplement von PO H .
Achtung Wie in (23.156) verzichten wir aus Gründen der
Lesbarkeit auf eine zusätzliche Quantenzahl bei entarteten Spektralprojektoren des Ortsoperators Wie wirken nun
Eigenwerten an . Deshalb brauchen die Eigenwerte an zu ver- die Spektralprojektoren
schiedenen n nicht verschieden zu sein. J
Z
Der Operator PO projiziert senkrecht auf den von den Ei- PO D d3 x jxi hxj ; R3 (5)
genvektoren mit Eigenwerten in aufgespannten Unterraum
PO H . Enthält nur einen Eigenwert an im diskreten Spek-
trum, dann projiziert von xO auf Wellenfunktionen im Ortsraum? Es gilt
Teil III
PO D PO an (2) Z
.PO /.x/ D hxj PO j i D d3 y hxj yihy j i
auf den Eigenraum zu diesem Eigenwert. Diese Operatoren
wurden bereits früher in (23.141) eingeführt. ( (6)
hx j i D .x/ falls x 2
Diese orthogonalen Projektoren haben ähnliche Eigenschaf- D
0 falls x 62 ;
ten wie die Projektoren in (23.141): Sie sind hermitesch und
erfüllen
wobei im letzten Schritt hxj yi D ı.xy/ benutzt wurde. Die
PO R D I; PO PO 0 D PO 0 PO D PO \0 : (3) Projektion einer Gauß’schen Wellenfunktion für ein Intervall
um den Ursprung ist in Abb. 23.8 gezeigt.
Die Eigenschaft PO D PO ist leicht einzusehen, da PO eine
Überlagerung von hermiteschen Operatoren ist. Die erste Ei-
genschaft in (3) ist gerade die Zerlegung der Eins in (23.159).
PΔ ψ(x)
Man braucht also nur die letzte Eigenschaft zu beweisen. Mit
ψ(x)
den Orthogonalitätsrelationen (23.156) folgt
0 1
X Z
PO 0 PO D @ jbm i hbm j C db jbi hbjA
bm 20 0
0 1 Δ x
X Z
@ jan i han j C da jai hajA Abb. 23.8 Die Projektion einer Wellenfunktion .x/ D hxj i auf den
an 2 Unterraum aufgespannt von den Eigenvektoren jxi mit Eigenwert x im In-
0 1 tervall R
X Z
D@ jan i han j C da jai hajA
Diese Spektralprojektoren von xO werden uns bei der Diskus-
an 20 \ 0 \ sion des Messprozesses im Abschn. 24.1 wieder begegnen.
D PO 0 \ ;
Wir fassen zusammen: Die selbstadjungierten Spektralpro- Jauch, J.M.: Foundations of Quantum Mechanics. Addi-
O Sind
jektoren PO kommutieren alle miteinander und mit A. son-Wesley (1968)
784 23 Formalismus der Quantenmechanik
den Eigenwerten auf der Diagonalen. Der Wechsel von der be-
liebigen Basis in die Eigenbasis von AO geschieht mit einem von der Impulsoperator auf der Kreislinie S mit Umfang L ist.
AO abhängigen unitären Operator VOA . Für reell-analytische Wellenfunktionen führt die Taylor-
Entwicklung von exp.iaOp=„/ in Potenzen von a auf die
Frage 23 Taylor-Reihe
Warum wird der Wechsel zwischen zwei Orthonormalbasen
fjnig und fjQnig durch einen unitären Operator VO geleistet? a2
UOa .x/ D .x/ C a 0
.x/ C 00
.x/ C : : :
2Š
D .x C a/; a 2 R:
(23.188)
Diagonalisierung von unitären Operatoren
Die exponierten Impulse verschieben das Argument der
Zu jedem selbstadjungierten Operator AO und zugehörigem Wellenfunktion um a. Aus der letzten Darstellung entneh-
O existiert ein unitärer Ope-
O D exp.iA/ men wir, dass die Verschiebungsoperatoren U O a auf dem
unitären Operator U
rator VOA , sodass die den transformierten Operatoren ganzen Hilbert-Raum, im Beispiel L2 .S/, definiert sind.
Wie nach der allgemeinen Theorie erwartet sind sie uni-
O A D VOA1 AO VOA
D O U D VOA1 U
und D O VOA (23.186) tär:
Z
zugeordneten Matrizen DA und DU diagonal sind, mit den O O
hUa ; Ua i D dx .x C a/ .x C a/ D h ; i :
reellen bzw. unimodularen Eigenwerten von AO und U
O auf S
der Diagonalen. (23.189)
Translationsoperatoren können natürlich auch auf dem
Hilbert-Raum L2 .R3 / definiert werden:
Teil III
Unitäre Translationsoperatoren Oa
U .x/ D eiaOp=„ .x/ D .x C a/ : (23.190)
Wir illustrieren nun die allgemeine Theorie anhand der
einparametrigen Schar von unitären Operatoren Wir werden dieses Resultat später noch brauchen. J
„ d
O a D eiaOp=„ ;
U wobei pO D (23.187)
i dx Weitere interessante Beispiele von unitären Operatoren werden
in Aufgabe 23.8 besprochen.
Aufgaben 785
Aufgaben
Gelegentlich enthalten die Aufgaben mehr Angaben, als für die Lösung erforderlich sind. Bei einigen anderen dagegen werden
Daten aus dem Allgemeinwissen, aus anderen Quellen oder sinnvolle Schätzungen benötigt.
leichte Aufgaben mit wenigen Rechenschritten
mittelschwere Aufgaben, die etwas Denkarbeit und unter Umständen die Kombination verschiedener Konzepte erfordern
anspruchsvolle Aufgaben, die fortgeschrittene Konzepte (unter Umständen auch aus späteren Kapiteln) oder eigene mathe-
matische Modellbildung benötigen
23.1 Optimale Entwicklungskoeffizienten Die (c) Berechnen Sie nun k k2 und überprüfen Sie die Parseval-
endliche Summe Gleichung X
.n/ k k2 D jck j2 : (23.195)
D c1 1 C C cn n (23.191)
k
Lösungshinweis: Diese Aufgabe ist ähnlich zu Aufgabe 8.4.
soll den Vektor 2 H möglichst genau approximieren, d. h.,
In Teilaufgabe (c) werden Sie auf ein Reihe geführt, die Sie bei
die Entwicklungskoeffizienten ck sollen so gewählt werden,
Gradshteyn und Ryzhik (2007) finden.
dass der Abstand D k .n/ k minimal wird.
Teil III
(a) Überzeugen Sie sich davon, dass für orthonormierte k die 23.4 Verschränkung Gegeben sei ein zusammenge-
optimalen Koeffizienten ck D h k ; i sind. setztes System mit Zustandsraum H D H1 ˝ H2 . Betrachten
(b) Wie müssen die Koeffizienten gewählt werden, wenn die k Sie nun zwei sogenannte Qbits. Dies bedeutet H1 D H2 D
nicht orthonormiert sind? C 2 . Die Basis von C 2 sei j1i und j2i, und die Produktzustände
jai ˝ jbi werden mit jabi bezeichnet.
23.2 Der Raum der stetigen Funktionen ist unvoll-
(a) Für welche komplexen Koeffizienten ˛; ˇ; und ı ist
ständig Zeigen Sie, dass der unendlich-dimensionale Vektor-
raum der stetigen Funktionen Œa; b ! C mit Skalarprodukt j i D ˛ j11i C ˇ j12i C j21i C ı j22i (23.196)
Zb separabel?
(b) Welcher der beiden Zustände j ˙ i D j11i C j12i C j21i ˙
h ; iD .x/ .x/ dx (23.192)
a
j22i ist verschränkt? Schreiben Sie den separablen Zustand
als Tensorprodukt von zwei Vektoren.
nicht vollständig ist. Es ist also nur ein Prä-Hilbert-Raum und
kein Hilbert-Raum. Lösungshinweis: Die Koeffizienten ˛; ˇ; und ı definieren
Lösungshinweis: Man konstruiere eine Cauchy-Folge ähnlich eine Matrix. Im Kapiteltext wurde die Eigenschaft dieser Ma-
wie in Abbbildung 23.2 skizziert, die in der L2 -Norm gegen eine trix für separable Zustände diskutiert.
unstetige Funktion konvergiert.
23.5 Zerlegung eines Operators Zeigen Sie, dass
23.3 Approximation der Dreiecksschwingung ein linearer Operator AO die Darstellung AO D H O 2 mit zwei
O 1 C iH
Gegeben sei die stetige und periodische Dreiecksschwingung hermiteschen Operatoren H O 2 hat.
O 1 und H
mit der Periode 1. Im Intervall Œ0; 1 ist sie definiert durch Lösungshinweis: Vergleichen Sie mit dem Real- und Imagi-
( närteil einer komplexen Zahl.
x für 0 x < 12
.x/ D (23.193)
1 x für 12 x < 1 : 23.6 Orts- und Impulsoperator sind unbeschränkt
Wir wollen uns in dieser Aufgabe davon überzeugen, dass Orts-
(a) Berechnen Sie die Fourier-Koeffizienten cn mithilfe der und Impulsoperatoren unbeschränkt sind. Im Falle des Ortsope-
Fourier-Rücktransformation und gewinnen Sie damit die rators fehlt es einigen L2 -Funktionen an Abfalleigenschaften
Fourier-Reihe für .x/. und im Falle des Impulsoperators an Differenzierbarkeitseigen-
(b) Plotten Sie die approximierenden Funktionen schaften. Betrachten Sie die Wellenfunktionen
X r
.n/
.x/ D ck cos.2 ikx/ (23.194) a 1 p
.x/ D ; .x/ D a sign.x/ eajxj (23.197)
kD0;:::;n 1 C iax
auf dem Intervall Œ0; 2 für n D 1; 3 und 15. mit a > 0. Zeigen Sie, dass
786 23 Formalismus der Quantenmechanik
(a) und normierte Funktionen in L2 .R/ sind, (a) Zeigen Sie, dass RO eine Isometrie (d. h. längenerhaltend) ist.
(b) die Funktion x n nicht quadratintegrabel ist, Was ist die Norm von R?O
(c) die Funktion pO n nicht quadratintegrabel ist. (b) Argumentieren Sie, dass RO nicht surjektiv ist. Warum ist RO
nicht unitär?
23.7 Spektralzerlegung für eine Matrix Hier üben (c) Zeigen Sie, dass der zum Rechtsschiebeoperator adjungierte
wir die Spektralzerlegung anhand eines einfachen Beispiels. Operator der Linksschiebeoperator ist:
Dazu betrachten wir die symmetrische Matrix
0 1 LO W .b1 ; b2 ; b3 ; : : : / ! .b2 ; b3 ; b4 ; : : : / : (23.202)
1 @ 27 12 24A
AD 12 59 8 : (23.198) (d) Bestimmen Sie die Operatoren RO LO und LO R.
O
7 24 8 47 (e) Untersuchen Sie die Eigenwertgleichungen LO RO D und
RO LO D . Warum sind die Eigenwerte reell und nichtne-
(a) Berechnen Sie die Eigenwerte und die Eigenvektoren der
gativ?
Matrix .
(b) Wie lauten die Spektralprojektoren?
(c) Überzeugen Sie sich, dass diese alle Eigenschaften von Lösungshinweis: Unitäre Abbildungen müssen isometrisch
Spektralprojektoren
p erfüllen. und bijektiv sein.
(d) Berechnen Sie A mithilfe der Spektralzerlegung.
23.10 Nichthermitesche Hamilton-Operatoren Ei-
Lösungshinweis: Sie dürfen hier ein algebraisches Programm
ne antilineare Involution JO ist eine antilineare und selbstinverse
einsetzen.
Abbildung, d. h. JO JO D I. Ein linearer Operator HO sei invariant
unter einer antilinearen Involution (Symmetrie) JO , d. h.
23.8 Unitäre Operatoren Für quadratintegrable
Teil III
FO PO D PO F;
O FO 2 D PO und FO TO a D EO a FO ; (23.200) Achtung Es wurde vorausgesetzt, dass JO und HO gleichzeitig
diagonalisiert werden können. Obwohl die Operatoren vertau-
indem Sie die verschiedenen Operatoren auf Wellenfunktio- schen, braucht das nicht wahr zu sein, da JO nichtlinear ist. J
nen im Ortsraum wirken lassen. Der Paritätsoperator wirkt
im k-Raum gemäß .PO Q /.k/ D Q .k/. Der Operator EO a ist (a) Beweisen Sie, dass die Eigenwerte einer antilinearen Involu-
definiert durch .EO a /.x/ D eiax .x/. tion unimodulare komplexe Zahlen (komplexe Zahlen vom
(c) Begründen Sie, warum diese Operatoren unitär sind. Betrag 1) sind.
(d) Was kann man aus FO 4 D 1 für die Eigenwerte von FO schlie- (b) Zeigen Sie dann, dass zu jedem Eigenvektor j i von JO im-
ßen? mer ein Eigenvektor proportional zu j i mit Eigenwert 1
existiert.
Lösungshinweis: Bei der Lösung der Aufgabe braucht man
(c) Beweisen Sie das Theorem von Kramer und Wigner.
Eigenschaften der Fourier-Transformation, wie man sie im
Kasten „Vertiefung: Wichtige Eigenschaften der Fourier-Trans-
formation“ in Abschn. 13.1 findet. Lösungshinweis: Beim Beweis des Theorems in Teilaufga-
be (a) wirke man mit JO auf die Eigenwertgleichung für j i
23.9 Schiebeoperatoren Wir betrachten den und vergleiche mit der Eigenwertgleichung für JO j i. In Teil-
O
Rechtsschiebeoperator R auf dem Hilbert’schen Folgenraum: aufgabe (b) sollten Sie zunächst allgemein überlegen, welchen
Eigenwert der Vektor ˛ j i hat, wenn j i den Eigenwert hat;
RO W .c1 ; c2 ; c3 ; : : : / ! .0; c1 ; c2 ; : : : / (23.201) beachten Sie dabei die Antilinearität.
Aufgaben 787
23.11 PT-symmetrische Quantenmechanik Übli- die Länge 1 hat, also eine Phase ist. Die Umkehrtransformation
cherweise verlangt man in der Quantenmechanik die Bedingung lautet
HO D H O , damit der Hamilton-Operator ein reelles Spektrum 1u
aDi : (23.208)
hat. Wenn man dagegen verlangt, dass HO mit der Zeitumkehr in 1Cu
Kombination mit der Raumspiegelung vertauscht, dann erhält
man eine große Klasse von nichthermiteschen Hamilton-Opera- Sie existiert nur, wenn 1 C u nicht verschwindet.
toren, die ebenfalls ein reelles Spektrum aufweisen.
In der Quantenmechanik sind die Spiegelung und Zeitumkehr (a) Zeigen Sie, dass für einen selbstadjungierten Operator AO die
im Ortsraum durch folgende lineare und antilineare Abbildun- Cayley-Transformierte
gen implementiert: 1
O D iI AO iI C AO
U (23.209)
.PO /.t; x/ D .t; x/; .TO /.t; x/ D
.t; x/ : (23.204)
Teil III
nichthermitesche Hamilton-Operator für ein Teilchen auf
der reellen Achse selbstadjungierten Operators AO D a pO =„ mit a 2 Rn auf ei-
ne Wellenfunktion .x/.
1 2 (d) Entwickeln Sie die transformierte Wellenfunktion bis zur
O D
H pO C xO 2 .iOx/˛ (23.206)
2m zweiten Ordnung in a.
finden.
23.8 Die Fourier-Transformation ist eine lineare Abbildung
L2 .R3 / 7! L2 .R3 /, welche Funktionen im Ortsraum in Funk-
tionen im Impulsraum abbildet. Deshalb ist a priori nicht klar,
was man mit Eigenfunktion der Fourier-Transformation meint.
In dieser Aufgabe meinen wir mit einer Eigenfunktion von FO
eine Funktion , für die .FO /.x/ ein Vielfaches von .x/ ist.
Teil III
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 789
23.1 gegen welche die n zwar nicht punktweise, aber bezüglich der
L2 -Norm konvergieren.
(a) Nach Voraussetzung
P sind die k orthonormiert, und deshalb
ist k .n/ k2 D jck j2 . Somit gilt Wir wollen zeigen, dass dies unmöglich ist. Dazu nehmen wir
an, die f n g konvergieren in der L2 -Norm gegen ein stetiges .
X X X Es seien ‰n und ‰ diejenigen Stammfunktionen von n und ,
2 D k k2 ck h ; ki c
kh k; iC c
k ck : die am Ursprung verschwinden. Aus der Schwarz’schen Unglei-
k k
chung (23.11), angewandt auf die konstante Funktion 1 und die
Die Differenz wird minimal für Funktion j n j, folgt
Zx
@2 ˇ ˇ
0D D c
k h ; ki ; (23.212) j‰.x/ ‰n .x/j D ˇ dt . .t/ n .t//
ˇ (23.217)
@ck
0
d. h. für die Wahl ck D h k ; i. Z2 p
(b) Sind die k nicht orthonormal,
P dann ist der letzte Term im dt j .t/ n .t/j 2k nk :
Ausdruck für 2 gleich k;l c k l h k ; l i. Die Extremalbe-
c
0
dingung führt dann auf das lineare Gleichungssystem
!
Teil III
X Strebt nunn in der L2 -Norm, dann gilt also punktweise
h k ; l icl D h k ; i : (23.213) (
0 für 0 x < 1
l ‰.x/ D lim ‰n .x/ D (23.218)
n!1 x 1 für 1 x 2 :
Um die Entwicklungskoeffizienten zu berechnen, muss man
die Matrix mit den Matrixelementen h k ; l i invertieren. Da die Stammfunktion ‰ im Punkt x D 1 nicht differenzierbar
ist, kann im Widerspruch zur Annahme nicht stetig sein.
23.2 Zum Beweis betrachte man folgende Folge von stetigen
Funktionen auf dem Intervall Œ0; 2: 23.3
( (a) Die Fourier-Koeffizienten ck sind
xn für 0 x < 1
n .x/ D (23.214)
1 für 1 x < 2 : Z2
1
c0 D dx .x/ D
Es ist eine Cauchy-Folge, weil das Abstandsquadrat zweier Ele- 4
0
mente der Folge
Z1=2 Z1
Z1 ck¤0 D dx x e2 ikx
C dx .1 x/ e2 ikx (23.219)
k m nk
2
D dx .x x /
m n 2
0 1=2
(
0
1=. k/2 k ungerade
1 1 2 (23.215) D
D C 0 k gerade.
2m C 1 2n C 1 m C n C 1
P
2.m n/2 In der Fourier-Reihe ck Œcos.2 kx/ i sin.2 kx/ tragen
D
.2m C 1/.2n C 1/.m C n C 1/ nur die Kosinusfunktionen bei, da ck D ck ist. Fasst man
noch die Terme mit den Indizes k und k zusammen, dann
für alle m; n N mit zunehmendem N gegen null strebt: ergibt sich
1 1 2 X 1
k m nk
2
< : (23.216) .x/ D 2 cos.2 kx/ : (23.220)
2N C 1 4 k2
kD1;3;5;:::
Diese Cauchy-Folge von stetigen Funktionen konvergiert punkt-
(b) Die approximierenden Funktionen
weise gegen die unstetige Stufenfunktion, die auf dem Intervall
Œ0; 1/ den Wert 0 annimmt und auf dem Intervall Œ1; 2 den X
n
.n/ 1 2 1
Wert 1. Wir können diese Eigenschaft aber nicht direkt aus- .x/ D 2 2
cos.2 kx/ (23.221)
nutzen, da immer noch eine stetige Funktion existieren könnte, 4 kD1;3;5;:::
k
790 23 Formalismus der Quantenmechanik
ψ 23.5 Ähnlich wie man eine komplexe Zahl in Real- und Imagi-
närteil zerlegen kann, schreibt man
AO C AO AO AO
O1 D
H O2 D
und H : (23.229)
2 2i
O Aber die beiden Operatoren
O 1 C iHO 2 D A.
Offensichtlich ist H
x
sind auch hermitesch. Berücksichtigt man die Antilinearität der
&-Operation und .AO / D A,O dann folgt z. B.
Abb. 23.9 Approximation der Dreiecksschwingung durch die periodischen Ba-
sisfunktionen e2 ikx mit jkj n. Die rote Kurve ist die Approximation mit AO AO
O 2 D
H O2:
DH (23.230)
n D 1, die orangefarbene Kurve mit n D 3 und die blaue Kurve mit n D 15 2i
23.6
für n D 1; 3 und 15 sind in Abb. 23.9 dargestellt. Man sieht,
dass sich die Approximierende mit n D 15 der Dreiecks- (a) Diese Funktionen sind für a > 0 normiert:
schwingung schon sehr gut nähert. Z
a= 1 ˇ1
(c) Die quadrierte Norm der Dreiecksschwingung ist k k2 D dx D arctan.ax/ˇ1 D 1 :
1Ca x 2 2
R
Z1=2 Z1 (23.231)
1
k k D
2
dx x C
2
dx .1 x/2 D : (23.222) Weiterhin gilt
12
0 1=2
Z1
Teil III
den Rang 1 hat. Dies ist der Fall, wenn die beiden Spalten- 23.7
vektoren linear abhängig sind oder wenn die Determinante (a) Die Wurzeln des charakteristischen Polynoms
det.c/ D ˛ı ˇ (23.226) det.I A/ D 3 192 C 99 81 (23.235)
verschwindet. sind die Eigenwerte. Man findet die Werte
(b) Für die angegebenen Zustände ist
1 D 2 D 9; 3 D 1 : (23.236)
1 1
c˙ D : (23.227)
1 ˙1 Der erste Eigenwert ist entartet, und somit ist die Wahl der
orthonormierten Eigenbasis nicht eindeutig. Durch Lösung
Die Determinante verschwindet für das positive Vorzeichen. der linearen Gleichungssysteme Ac.n/ D n c.n/ , z. B. mit-
Somit ist C separabel und verschränkt. Man findet hilfe eines algebraischen Computerprogramms, findet man
problemlos die im Hinweis angegebenen orthonormierten
j Ci D .j1i C j2i/ ˝ .j1i C j2i/ : (23.228) Eigenvektoren.
Ausführliche Lösungen zu den Aufgaben 791
(b) Der Spektralprojektor auf den Eigenraum von D 9 ist wobei wir im letzten Schritt x durch x ersetzten. Bei der
0 1 Wirkung von PO FO müssen wir beachten, dass bei einer Spie-
1 5 3 6 gelung k das Vorzeichen wechselt, sodass
P9 D c.1/ c> > @ 3 13 2 A ;
.1/ C c.2/ c.2/ D Z
14 6 2 10
.PO FO /.k/ D PO d3 x eikx .x/
(23.237)
und der Projektor auf den Eigenraum von D 1 ist Z (23.247)
0 1 D d xe
3 ikx
.x/ :
1 9 3 6
>
P1 D c.3/ c.3/ D @3 1 2A :
14 6 2 4
(23.238) Somit sind FO PO und PO FO identische Operatoren.
Die zweite Relation FO 2 D PO folgt aus
(c) Die Spektralprojektoren sind offensichtlich hermitesch und Z Z
haben die Eigenschaften .FO FO /.y/ D 2 d3 k eiky d3 x eikx .x/
Z (23.248)
P21;9 D P1;9 ; P1 P9 D P9 P1 D 0;P1 C P9 D I : D d3 x ı.x C y/ .x/ D .PO /.y/ :
(23.239)
(d) Mit den Eigenwerten und Spektralprojektoren können wir
eine beliebige Funktion der Matrix berechnen: Die dritte Relation FO TO a D EO a FO erhält man gemäß
Z
f .A/ D f .9/P D9 C f .1/P D1 : (23.240) .FO TO a /.k/ D d3 x eikx .x a/
(23.249)
Zum Beispiel ist D eika .FO /.k/ D .EO a FO /.k/ :
Teil III
0 1
p 1 @ 12 3 6 (c) Die Unitarität von TO a beweist man z. B. wie folgt:
A D 3P9 C P1 D 3 20 2A: (23.241)
7 6 Z
2 17
hTO a ; TO a i D d3 x .x a/ .x a/ D h ; i ;
23.8 (23.250)
wobei im letzten Schritt die Integrationsvariable verschoben
(a) Ohne weitere Rechnung ist klar, dass gilt: wurde. Die Unitarität von PO beweist man genauso. Der Di-
latationsoperator ist unitär, weil
PO 1 D P;
O .TO a /1 D TO a ; O /1 D D
.D O 1= : (23.242) Z
O ;D
hD O i D d3 x 3 .x/ .x/
Die inverse Fouriertransformation lautet Z (23.251)
Z
D d3 y .y/ .y/ D h ; i ;
.x/ D .FO 1 /.x/ D d3 k eikx Q .k/ ; (23.243)
(b) Die Folge c D .˛; 0; 0; : : : / ist nicht im Bild von RO und 23.11
deshalb ist RO nicht surjektiv. Somit ist RO nicht bijektiv und
damit nicht unitär. (a) Der Spiegelungsoperator ist linear und die Zeitumkehr anti-
(c) Für alle Folgen b; c in `2 gilt linear. Insbesondere gelten
1
X
O D
hb; Rci b O O
.P.˛ //.t; x/ D ˛ .t; x/ D ˛.PO /.t; x/ ;
kC1 ck D hLb; ci ; (23.254)
(23.260)
kD1 O
.T.˛ //.t; x/ D ˛ .t; x/ D ˛ .TO /.t; x/ :
wie man leicht durch Einsetzen von (23.201) und (23.202)
nachprüft. Dann ist auch die Kombination JO D PO TO antilinear. JO wirkt
(d) Es gelten auf Wellenfunktionen im Ortsraum gemäß
O
L O
R
.c1 ; c2 ; c3 ; : : : / ! .c2 ; c3 ; c4 ; : : : / ! .0; c2 ; c3 ; : : : /; .JO /.t; x/ D
.t; x/ : (23.261)
O
R LO
.c1 ; c2 ; c3 ; : : : / ! .0; c1 ; c2 ; : : : / ! .c1 ; c2 ; c3 ; : : : / ; Wendet man die Abbildung zweimal auf .t; x/ an, dann
erhält man wieder die ursprüngliche Wellenfunktion zurück,
sodass LO RO (zuerst RO anwenden und danach L)
O der Eins-Ope-
sodass JO JO D I gilt.
rator ist. Dagegen ist 1
(b) Wegen JO D JO ist
RO LO D diag .0; 1; 1; 1; : : : / (23.255)
1
nicht der Eins-Operator. JO f .Ox/JO .t; x/ D f .x/ .t; x/ ;
(e) Die beiden Operatoren haben beinahe dieselben Eigenwer- 1
(23.262)
Teil III
te. Als Eins-Operator hat RO LO nur den unendlich entarteten JO f .Op/JO .t; x/ D f .Op/ .t; x/ :
Eigenwert 1. Dagegen hat LO RO den einfachen Eigenwert 0
und den unendlich entarteten Eigenwert 1. Die Eigenwer- Hier wurde berücksichtigt, dass es für pO / ir x zwei Vorzei-
te müssen reell und nichtnegativ sein, weil LO RO D RO RO und chenwechsel gibt: Unter einer Zeitumkehr geht i in i über,
RO LO D LO LO selbstadjungierte und nichtnegative Operatoren und bei einer Spiegelung wechselt r x das Vorzeichen.
sind. (c) Offensichtlich gilt nun
1
23.10 JO pO 2 JO D .Op/2 D pO 2 ;
1
(23.263)
(a) Wirkt man mit JO auf die Eigenwertgleichung JO j i D j i JO xO 2 .iOx/˛ JO D .Ox/2 .iOx/˛ D xO 2 .iOx/˛ ;
und benutzt dabei die Eigenschaften von JO , dann folgt
O sind
d. h., die beiden Operatoren pO 2 und xO 2 .iOx/˛ und damit H
JO JO j i D j i D JO j i D jj2 j i ; (23.256)
jeweils PT-symmetrisch.
was bedeutet, dass D ei unimodular ist.
(b) Es sei j i ein Eigenvektor von JO , d. h. JO j i D ei j i. Wir
definieren j 0 i D ei=2 j i / j i. Dann gilt 23.12
ˇ ˛ ˇ ˛
JO ˇ 0 D ei=2 JO j i D ei=2 j i D ˇ 0 : (23.257)
(a) Die Operationen Inversion und Adjungation vertauschen.
Somit ist j 0 i / j i Eigenvektor zum Eigenwert 1. Dies folgt für einen invertierbaren Operator BO aus
(c) Es sei j i Eigenvektor von HO zum Eigenwert E,
O j i D Ej i ;
H (23.258) BO 1 BO D .BO BO 1 / D I D I ; (23.264)
(b) Um die Adjungierte von AO in (23.210) zu finden, gebraucht Im letzten Schritt wurde partiell integriert. Die Darstellung
O D UO 1 , sodass
man U macht deutlich, dass die unitären Operatoren U O a auf ganz
L2 .R / definiert sind.
n
1 (d) Wir entwickeln das Ergebnis (23.267) bis zur zweiten Ord-
AO D i I C UO 1 IUO 1
nung in a und erinnern uns daran, dass die Multiplikation
1 mit dem Argument bei einer Fourier-Transformation in eine
D i U O C I/
O 1 .U O 1 .U
U O I/ (23.266)
Ableitung übergeht. Dann findet man
1
O CI OU O 1 UO I D AO : Z
D i U U
UOa .x/ D dn k 1 C 2i.a k/ 2.a k/2 C : : :
(c) Wir berechnen die Wirkung der Cayley-Transformierten von eikx Q .k/
a pO =„ auf eine Wellenfunktion im Ortsraum mithilfe der
Fourier-Darstellung: D .x/ C 2 .a r / C .a r /2 C : : : .x/:
Z
1 C ia k ikx Q Aus dieser Entwickung entnimmt man, dass die Cayley-
UOa .x/ D dn k e .k/ : (23.267)
1 ia k Transformierte mit a=2 mit der Exponentialfunktion eiaOp=„
bis zur Ordnung a2 übereinstimmt.
Mithilfe des Integrals im Hinweis erhält man
Z1 Z
d
Oa
U .x/ D d e 1 C dn k eik.xCa/ Q .k/
d
0
Teil III
Z1
d
D d e 1C .x C a/
d
0
Z1
D .x/ C 2 d e .x C a/ : (23.268)
0
794 23 Formalismus der Quantenmechanik
Literatur
Bender, C., Boettcher, S.: Real spectra in non-Hermitian Ha- Jackiw, R.: Three-cocycle in Mathematics and Physics. Phys.
miltonians having PT symmetry. Phys. Rev. Lett. 80, 5243 Rev. Lett. 54, 159 (1985)
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Fischer, H., Kaul, H.: Mathematik für Physiker 2. Teubner,
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Weiterführende Literatur
Gradshteyn, I.S., Ryzhik, I.M.: Table of integrals, series, and Triebel, H.: Höhere Analysis. 2. Aufl., Harri Deutsch, Frankfurt
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Teil III
Observablen, Zustände
und Unbestimmtheit
24
Was sind die möglichen
Messresultate für eine
Observable?
Teil III
stimmtheitsrelation für
zwei nichtverträgliche
Observablen?
M. Bartelmann et al., Theoretische Physik, DOI 10.1007/978-3-642-54618-1_24, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 795
796 24 Observablen, Zustände und Unbestimmtheit
Wegen ihres beispiellosen und überwältigenden empirischen Er- Variablen hat. Dem irischen Physiker John Bell (1928–1990) ge-
folgs ist die Quantenmechanik eine der am besten gesicherten lang es, spezielle Fälle auszumachen, in denen sich quantitative
physikalischen Theorien überhaupt. Gleichzeitig wirft sie aber vie- Unterschiede zwischen Voraussagen von Theorien mit verborgenen
le tiefgründige konzeptionelle Probleme auf. Die Frage, wie sie zu Variablen und der Quantenmechanik ergeben. Theorien mit verbor-
interpretieren sei, wird seit Beginn kontrovers diskutiert – es gibt genen Variablen müssen die Bell’sche Ungleichung erfüllen, die wir
bis heute keine universell akzeptierte Interpretation der Quanten- besprechen werden. Im letzten Abschnitt führen wir eine allgemei-
mechanik. Viele fundamentale Fragen wie z. B. nach der Rolle des ne Klasse von Zuständen ein, die nicht durch Vektoren im Hilbert-
Beobachters beim Messprozess, der Überlagerung von makrosko- Raum dargestellt werden können. Sie beschreiben klassische Ge-
pisch unterscheidbaren Zuständen, der Nichtlokalität von Korre- mische von Ensembles von Quantensystemen in wohldefinierten
lationen oder des Indeterminismus der Quantenmechanik werden Zuständen. Der dabei entwickelte Dichtematrixformalismus wird in
nach wie vor lebhaft diskutiert. Die Formulierung einer konsisten- Abschn. 37.1 eine wichtige Rolle spielen.
ten Interpretation des mathematischen Formalismus oder sogar
einer alternativen Theorie der mikroskopischen Erscheinungen kann
deshalb durchaus als sinnvoller, wenn nicht notwendiger Bestand-
teil einer Quantentheorie angesehen werden, obwohl sich unter 24.1 Die Kopenhagener
Umständen Fragen nach „der korrekten Interpretation“ weder mit
experimentellen noch mit theoretischen Methoden der Physik be- Interpretation
antworten lassen. In Lehrbüchern findet man beinahe ausnahmslos
die von vielen Physikern bevorzugte Kopenhagener Interpretation Die weit verbreitete und von vielen Physikern akzeptierte In-
(auch orthodoxe oder Standardinterpretation genannt) – trotz des terpretation der Quantenmechanik und insbesondere des Mess-
darin enthaltenen schwierigen Komplementaritätsprinzips. Aber es prozesses – die ursprünglich von Bohr und Heisenberg während
sollte an dieser Stelle betont werden, dass uns bis zum heutigen ihrer Zusammenarbeit in Kopenhagen formulierte Kopenhage-
Teil III
Tage keine Tatsache bekannt ist, nach der die Kopenhagener Inter- ner Interpretation – hat sich über mehrere Jahrzehnte entwickelt.
pretation überholt wäre. Ihre wichtigsten Proponenten waren Werner Heisenberg (Hei-
Neben der in Abschn. 24.1 ausführlich vorgestellten Kopenhagener senberg 1958) und Niels Bohr (Bohr 1960). Ein entscheidender
Interpretation der Quantenmechanik entstanden im Laufe der Zeit Beitrag zur Interpretation wurde von Max Born geleistet – in
zahlreiche alternative Interpretationen oder sogar alternative Theo- seiner wichtigen Arbeit über die Quantenmechanik der Stoß-
rien für die mikroskopischen Erscheinungen. Bekanntere Beispiele vorgänge (Born 1928) ordnete er dem Betragsquadrat der
sind die Bohm’sche Mechanik, die Viele-Welten-Interpretation, das Wellenfunktion j j2 eine Wahrscheinlichkeit zu. Obwohl die
Dekohärenzprogramm oder Theorien mit konsistenten Historien. Ei- Kopenhagener Interpretation intern konsistent ist, wird sie nicht
nige dieser Alternativen werden im Folgenden kurz vorgestellt. von allen Physikern in vollem Umfang akzeptiert. Durch die
in den Postulaten vorgenommene strikte Trennung in einen
Im vorliegenden Kapitel steht der wichtige Messprozess in der quantenmechanischen und einen klassischen Bereich wird die
Quantenmechanik im Vordergrund. Dabei sollte man zwischen zwei Möglichkeit verneint, klassische Aspekte von Quantensystemen
Klassen von Größen unterscheiden: den direkt beobachtbaren und als Grenzfälle einer mikroskopischen Theorie herzuleiten.
den mittelbaren. Zur ersten Klasse gehören die messbaren Eigen-
werte von hermiteschen Operatoren oder Wahrscheinlichkeiten, Einige der unten vorgestellten Postulate der Kopenhagener
zur zweiten Klasse die Zustandsvektoren oder linearen hermite- Deutung haben wir in den vorangehenden Kapiteln schon dis-
schen Operatoren. Die in Abschn. 24.1 vorgestellte Kopenhagener kutiert. Andere sind intuitiv einsichtig und wurden implizit
Deutung, an deren mathematischer Ausformulierung Johann von bereits vorausgesetzt. Die ersten zwei Axiome über Zustände
Neumann (1903–1957, österreichisch-ungarischer Mathematiker, und Observablen geben an, wie ein physikalisches System in
mit wichtigen Beiträgen zur Quantenmechanik, Informationstheo- den mathematischen Formalismus übertragen wird. Die folgen-
rie, Funktionalanalysis und Gruppentheorie) wesentlich beteiligt den zwei Axiome über Messresultate und Wahrscheinlichkeiten
war, dient als Brücke zwischen Theorie und Experiment. Einige der sagen aus, wie bestimmte Resultate im mathematischen Forma-
Postulate sind naheliegend, und wir haben sie in unseren bisheri- lismus physikalisch gedeutet werden. Die letzten zwei Axiome
gen Betrachtungen auch schon benutzt. Anschließend werden wir über die ungestörte Zeitentwicklung und den Kollaps der Wel-
im Lichte der Kopenhagener Interpretation den Messprozess und lenfunktion zerlegen die Zustandsänderung in einen stetig-
die Präparation von reinen Zuständen mithilfe von Messungen dis- deterministischen Anteil einerseits sowie einen sprunghaft-zu-
kutieren. fallsbestimmten Anteil andererseits.
det. Die Vektoren zu demselben Zustand definieren einen eindi- weitere Observablen, die klassisch nicht existieren, z. B. der
mensionalen Teilraum oder einen Strahl in H : Spin eines Teilchens.
Achtung Die manchmal geforderte Bedingung, wonach die
R D f j i ; 2 C n f0gg : (24.1) klassischen Poisson-Klammern
fF.q; p/; G.q; p/g D K.q; p/ (24.3)
Reine Zustände eines Quantensystems
durch die Kommutatoren
Reine Zustände eines physikalischen Systems werden
durch komplex-eindimensionale Teilräume in einem se- ŒF.Op/; G.Op/ D i„ K.Oq; pO / (24.4)
parablen komplexen Hilbert-Raum H dargestellt. zu ersetzen sind, lässt sich nach einem Theorem von Groene-
wold und van Hove (Groenewold 1946; van Hove 1951) nicht
konsistent durchführen (siehe auch Aufgabe 24.8). Man kann
Als Repräsentanten eines reinen Zustands wählt man oft einen lediglich die Bedingung
normierten Vektor j i des zugehörigen Teilraumes. Später
werden wir noch gemischte Zustände, dargestellt durch Dichte- ŒF.Op/; G.Op/ D i„ K.Oq; pO / Œ1 C O.„/ (24.5)
operatoren bzw. ihre Dichtematrizen, kennenlernen. Im Rahmen
der Dichtematrixtheorie lässt sich ein reiner Zustand durch den fordern. Verglichen mit typischen Wirkungen sind „ und die
Projektionsoperator auf den entsprechenden Teilraum darstel- höheren Ordnungen verschwindend klein, und man kann nähe-
len. rungsweise die Ersetzung von (24.3) durch (24.4) annehmen. J
In dieser allgemeinen Formulierung unterscheidet das Obser-
Nur wenige Physiker zweifeln an diesem vom Superposi-
vablenaxiom allerdings kaum zwischen unterschiedlichen phy-
tionsprinzip nahegelegten Postulat, gemäß dem die Summe
sikalischen Systemen. Zur genaueren Charakterisierung des-
Teil III
zweier Zustandsvektoren und das Vielfache eines Zustandsvek-
selben braucht es noch die Auszeichnung eines Hamilton-
tors wieder einen Zustand repräsentieren, analog zur Addition
Operators.
und skalaren Multiplikation z. B. bei Lichtwellen. Auch die
Separabilität des komplexen Hilbert-Raumes, d. h. die Exis- Es stellt sich die Frage, wenn es zu jeder messbaren Größe
tenz einer abzählbaren Basis, ist wenig umstritten. Dagegen einen selbstadjungierten Operator gibt, ob es dann umgekehrt
ist die physikalische Bedeutung eines „Zustands“ Gegenstand zu jedem selbstadjungierten Operator auch eine messbare Grö-
von Diskussionen. Die Kopenhagener Deutung lässt diese Fra- ße gibt. So ist die Summe und das symmetrisierte Produkt von
ge offen. Interpretiert werden lediglich Absolutquadrate von beschränkten selbstadjungierten Operatoren wieder beschränkt
Produkten von Zuständen, z. B. j .x/j2 als Wahrscheinlich- und selbstadjungiert. Gibt es dann immer eine Messvorschrift
keitsdichte. Alternative Interpretationen der Quantenmechanik für die durch die Summe und das symmetrisierte Produkt darge-
setzen an dieser Stelle an. stellten Observablen, wenn Messvorschriften für die einzelnen
Observablen bekannt sind? Insbesondere für nichtverträgliche
Observablen folgt aus der Messvorschrift für die einzelnen Ob-
servablen keine Messvorschrift für ihre Summe.
Zweites Postulat: Observablen Achtung In vielen Büchern spricht man von hermiteschen
Operatoren, obwohl selbstadjungierte Operatoren gemeint sind,
Eine messbare Größe oder Observable eines physikalischen da der genaue Definitionsbereich oft irrelevant ist. J
Systems ist ein Objekt, das eine Messvorschrift repräsentiert.
Die Bestimmung der möglichen Messresultate für eine Obser- Diese Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Entwicklungskoef-
vable führt somit auf die Lösung des Eigenwertproblems für den fizienten fcn g in der Entwicklung von j i nach der orthonor-
zugeordneten Operator AO auf dem Hilbert-Raum der Zustands- mierten Eigenbasis von AO führt zu folgendem Erwartungswert
vektoren: für die Observable:
AO jan i D an jan i ; AO D AO : (24.6) X
O
hAi D an jcn j2 D h j AO j i : (24.9)
Bilden die Eigenwerte an 2 R eine diskrete Menge, dann spricht
man von der Quantisierung der erlaubten Messwerte. Die zu-
gehörigen Eigenfunktionen jan i sind Elemente des Hilbert- Achtung Dieser Ausdruck für den Erwartungswert ist nur
Raumes. Die Eigenfunktionen mit Eigenwerten im Kontinu- korrekt, wenn j i auf eins normiert ist. Andernfalls muss man
um – man nennt sie uneigentliche Eigenfunktionen – liegen auf der rechten Seite noch durch h j i dividieren. J
dagegen mangels Normierbarkeit nicht im Hilbert-Raum. Nur
mithilfe von Superpositionen der uneigentlichen Eigenfunktio- Das Axiom kann auch für Observablen formuliert werden, de-
nen kann man Elemente des Hilbert-Raumes, dies sind dann ren Operatoren entartete Eigenwerte oder ein kontinuierliches
Wellenpakete, konstruieren. Spektrum haben. Für entartete Eigenwerte findet man die Ant-
wort in Aufgabe 24.1. Bei Messungen im Kontinuum sollte
man allerdings beachten, dass jede reale Messapparatur nur ein
begrenztes Auflösungsvermögen hat. Im allgemeinen Fall defi-
Viertes Postulat: Wahrscheinlichkeiten niert man deshalb die Wahrscheinlichkeit, ein Messresultat in
von Messresultaten R zu finden, als
X Z
Mit welcher Wahrscheinlichkeit der reelle Eigenwert an einer wA; ./ D h j PO j i D jcn j2 C da jc.a/j2 : (24.10)
Observablen mit Operator AO gemessen wird, hängt vom Zustand
Teil III
an 2
des physikalischen Systems, repräsentiert durch einen normier-
ten Vektor j i 2 H , ab. Wir wollen vorerst annehmen, die
Eigenwerte an seien diskret und die zugehörigen Eigenvektoren Die spektralen Projektoren PO wurden in Abschn. 23.3 ein-
jan i orthonormiert. Gemäß den Ausführungen in Abschn. 23.3 geführt (siehe auch den „Mathematischen Hintergrund“ 23.2).
kann jeder Vektor in H nach dieser Eigenbasis entwickelt PO projiziert orthogonal auf den Unterraum PO H des Hilbert-
werden. Raumes, aufgespannt von den Eigenvektoren mit Eigenwerten
im Intervall .
Wahrscheinlichkeit für Messresultate Sind die Eigenfunktionen gemäß (23.156) normiert, so sind die
Entwicklungskoeffizienten in (24.10) gegeben durch
Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Messung der Observab-
len mit Operator AO im Zustand mit normiertem Zustands- cn D han j i und c.a/ D ha j i : (24.11)
vektor
X Wegen PO R D I ist für jeden Zustand des Systems die Wahr-
j iD cn jan i ; AO jan i D an jan i (24.7) scheinlichkeit, irgendein Messresultat zu finden, gleich eins.
Frage 3
den nichtentarteten diskreten Eigenwert an zu messen, ist
In Abschn. 23.3 wurde P PO D PO gezeigt, sodass PO nur
O
wA; .an / D jcn j2 ; cn D han j i : (24.8) die Eigenwerte 0 und 1 haben kann. Zu welchen Observablen
gehören die spektralen Projektoren PO ?
Frage 1
Da PO nur die beiden Eigenwerte p D 0; 1 besitzt, findet man
Überlegen Sie sich, dass für alle Vektoren im Strahl R die bei Messung der zugehörigen Observablen nur einen dieser bei-
Wahrscheinlichkeiten jcn j2 gleich sind. den Werte. Wegen
Für die Observable Energie nannte Max Born (1928) die Wahr- Sechstes Postulat: Messprozess
scheinlichkeit jcn j2 die Häufigkeit dafür, dass in einem Haufen
gleicher, nichtgekoppelter Systeme der (nichtentartete) Energie-
wert En vorkommt. Ein Ensemble oder eine Gesamtheit ist eine Im Gegensatz zur klassischen Physik, wo man (zumindest im
derart große Menge von Systemen, dass es auf deren genaue Prinzip) mit Testteilchen störungsfreie Messungen vornehmen
Anzahl nicht mehr ankommt. Der Erwartungswert h j PO j i ei- kann, wird die Messung von Observablen eines Quantensystems
ner Ja-nein-Observablen ist dann die Häufigkeit, mit der bei dessen Zustand in der Regel ändern, sodass eine anschließen-
einer Messung mithilfe einer Ja-nein-Apparatur der Ja-Effekt de zweite Messung das System in einem anderen reduzierten
an der durch j i charakterisierten Gesamtheit auftritt. Die Zustand antreffen wird. Dies nennt man den Kollaps der Wel-
Schwankung der Häufigkeiten bei mehrfacher Wiederholung lenfunktion. Verschiedene Messapparaturen, die verschiedenen
des Experiments an identischen Systemen wird mit wachsender Observablen entsprechen, ändern den Zustand auf verschiedene
Anzahl Experimente kleiner. Weise.
Teil III
Messung einer Observablen in einem Zustand beschrieben
durch den Vektor j i. Misst man nun für die Observable den
Eigenwert an , dann befindet sich das System nach der Messung
Dieses Postulat beschreibt die Dynamik eines abgeschlosse- in dem Zustand beschrieben durch
nen Quantensystems, das nicht mit der Umgebung (z. B. einem
Messgerät) in Wechselwirkung steht. Für ein abgeschlossenes PO an j i D han j i jan i / jan i : (24.14)
System ist die Zeitentwicklung durch eine lineare und deter-
ministische Evolutionsgleichung bestimmt. Ähnlich wie in der Der Messprozess führt im Allgemeinen also zu einer unsteti-
klassischen Physik spielt dabei die Energie, in der Quantenme- gen und nichtdeterministischen Änderung des Zustandsvektors
chanik in Form des Hamilton-Operators, eine besondere Rolle. von j i zu jan i. Während der Messung von AO kollabiert der
Zustandsvektor j i auf jan i. Bei einer anschließenden zweiten
Zeitentwicklung ohne äußere Einflüsse Messung von AO findet man dann mit Sicherheit wieder den Wert
an .
Die Zeitentwicklung eines abgeschlossenen Systems wird
im bisher benutzten Schrödinger-Bild (siehe Abschn. 25.3 Das Axiom konkretisiert, was nach der Wechselwirkung des zu
für andere Bilder) durch die Schrödinger-Gleichung untersuchenden Systems mit der makroskopischen Messappa-
ratur (oder allgemeiner einem klassischen System) geschehen
d ist. Es macht auch klar, dass die Kopenhagener Deutung ganz
i„ Oj i
j iDH (24.13) wesentlich auf der Trennung zwischen Quantensystem und klas-
dt
sischer Umgebung beruht. Es stellt sich hier natürlich die Frage,
O der selbstadjungierte Energieopera-
beschrieben, wobei H ob sich dieses Axiom aus dem vorigen Axiom über die freie
tor (Hamilton-Operator) des Systems ist. Zeitentwicklung ableiten lässt, wenn man das Messgerät als Teil
des Quantensystems auffasst (siehe Kasten „Vertiefung: Kollaps
der Wellenfunktion“).
Ohne Störung des Quantensystems, z. B. durch eine Messung, Die Verallgemeinerung des Postulats für Messungen von entar-
ändert sich der Zustand somit stetig und nicht etwa sprung- teten Eigenwerten oder Eigenwerten im kontinuierlichen Spek-
haft. Für einen selbstadjungierten Hamilton-Operator ist diese trum ist naheliegend. Bei einer derartigen Messung wird der
Zeitentwicklung unitär: Den Zustandsvektor zum Zeitpunkt t Ausgangszustand j i in folgender Weise verändert: Findet man
erhält man durch Anwendung eines unitären Zeitentwicklungs- einen Wert in , dann filtert die Messung die Komponente
operators auf den Zustandsvektor zum Zeitpunkt t0 in der Form
O t0 / j .t0 /i D j .t/i. Die unitäre Zeitentwicklung sorgt
U.t; PO j i 2 PO H (24.15)
dafür, dass die Wahrscheinlichkeit dafür, ein abgeschlossenes
Quantensystem in irgendeinem Zustand anzutreffen, zu allen von j i heraus. Das Postulat verallgemeinert unsere früheren
Zeiten eins ist. Dies werden wir in Kap. 25 noch ausführlicher Ergebnisse über die Wahrscheinlichkeiten von Orts- und Im-
besprechen. pulsmessungen in Abschn. 22.1.
800 24 Observablen, Zustände und Unbestimmtheit
Abb. 24.1 Die Wellenfunktion eines Teilchens vor und nach der Mes-
sung der Ortskoordinate. Findet man bei der Ortsmessung, dass sich das Verträgliche Observablen
Teilchen irgendwo im Gebiet aufhält, dann kollabiert gemäß der Ko-
penhagener Interpretation die Wellenfunktion bei der Messung sofort.
Die Wellenfunktion bleibt in unverändert und kollabiert ausserhalb Was folgt nun aus den Postulaten für das sequenzielle Messen
von sprunghaft auf null von mehreren Observablen? Das System sei vor dem Mess-
J prozess in dem Zustand mit Zustandsvektor j i. Zur Verein-
fachung der Sprache werden wir im Folgenden oft vom Zustand
24.1 Die Kopenhagener Interpretation 801
Die Kopenhagener Interpretation ist intern konsistent. Aber Frage, warum denn eine quantenmechanische Messung kei-
man zahlt einen Preis für diese Konsistenz, weil man die ne Superposition von Zuständen liefert. Bei neueren Er-
Quantenmechanik im Wesentlichen auf einen Satz von Algo- klärungsversuchen dieses Rätsels spielt möglicherweise die
rithmen, wie es in den genannten Postulaten zum Ausdruck sogenannte Dekohärenz eine wichtige Rolle. Diese tritt bei
kommt, reduziert. Aber wegen der Trennung in ein quan- der Wechselwirkung eines Quantensystems mit seiner Um-
tenmechanisches Objekt und einen klassische Messapparat gebung immer auf – jede Art von Rauschen oder Verlusten
(bzw. einen Beobachter) ist es nicht mehr möglich, klas- führt zu einer raschen Zerstörung der Kohärenz. Dekohä-
sische Eigenschaften von Quantensystemen als Grenzfälle renzeffekte gelten als Bestandteil einer Erklärung des „klas-
einer mikroskopischen Theorie abzuleiten. Weiter stellt sich sischen“ Verhaltens makroskopischer Objekte. Dekohärenz
die Frage, was praktisch als geschlossenes System angese- führt zu einer irreversiblen Auslöschung von Interferenzter-
hen werden kann. Ist es beim Schrödinger’schen Katzenex- men in der Wellenfunktion und macht verständlich, warum
periment das radioaktive Element alleine, ist es der Inhalt bei makroskopischen Systemen keine Superpositionszustän-
des Kastens, ist es das gesamte Laboratorium oder doch erst de beobachtet werden. Durch die Dekohärenz werden Zu-
das gesamte Universum? Wo ist die Grenze zwischen Ob- stände zerstört, und es kommt zu einer selektiven Auswahl
jekt und Beobachter? Warum kann die Katze nicht schon als von robusten Zuständen, die gewissen Stabilitätskriterien
Beobachter angesehen werden? genügen. Nach der Theorie der Dekohärenz kollabiert die
Wellenfunktion nicht erst durch den Beobachtungsprozess,
Zu den frühen Kritikern der Kopenhagener Interpretation sondern durch die Wechselwirkungen mit der Umgebung.
gehörte Johann von Neumann, der sich mit seinen bedeu- Dieser Prozess kann quantenmechanisch beschrieben wer-
Teil III
tenden Beiträgen zu den mathematischen Grundlagen der den. Die Dekohärenzzeit, also die Zeit, die das System
Quantenmechanik (von Neumann 1932) verdient machte. Er zum Kollabieren benötigt, ist dabei umso kürzer, je größer
versuchte erfolglos, die Trennung in ein quantenmechani- die Masse des Systems ist. Schrödingers Katze muss nur
sches Objekt und einen klassischen Messapparat aufzuhe- noch unmerklich kurz in einem Überlagerungszustand aus
ben. Von Neumann nimmt an, dass das System eine gewisse lebendig und tot verharren. Je wohlgenährter sie ist, desto
Zeit mit dem Messapparat wechselwirkt, dessen Zeigerstel- schneller fällt die Entscheidung. Sie braucht keinen Beob-
lung das Messresultat anzeigt. Die Zeigerstellung nach der achter mehr, der nach ihr sieht. Es ist sogar möglich, die
Wechselwirkung hängt vom anfänglichen Zustand des Sys- theoretisch abgeleiteten Dekohärenzzeiten für gewisse Ver-
tems ab. Eine sorgfältige Analyse zeigt aber, dass, solange suchsanordnungen experimentell zu verifizieren (Haroche
der Messprozess quantenmechanisch beschrieben wird, kei- 1998).
ne Zustandsreduktion stattfinden kann. Nach der Messung
liegt dann eine Superposition von Zeigerstellungen vor. Allerdings löst die Dekohärenz das Messproblem auch nicht
vollständig, da sie nicht beschreibt, wie es zum Auftreten ei-
nes konkreten Ereignisses kommt.
Die Rolle der Dekohärenz
j i und der Observablen AO sprechen, obwohl streng genommen Liefert die folgende Messung von BO den Eigenwert bn , dann ist
j i einen Vektor und AO einen Operator bezeichnet. der Zustandsvektor des Systems nach dieser zweiten Messung
O
gleich dem entsprechenden B-Eigenvektor
Frage 5
Bei einer Messung der Observablen AO zum Zeitpunkt Zeigen Sie die letzte Gleichung in (24.28). Benutzen Sie dazu
findet man mit Wahrscheinlichkeit p0 ./ den Eigen- die Beziehung (24.27).
wert a0 , und gemäß der Kopenhagener Interpretation
kollabiert dabei der Zustand j .t/i zu diesem Zeitpunkt
O also den
augenblicklich in den Eigenzustand j 0 i von A, Die Unschärfe verschwindet genau dann, wenn
Ausgangszustand. Nach der Messung wird die Zeitent-
wicklung dann wieder mit dem detektierten Zustand j 0 i ˝ ˛
AO jAO D 0 (24.29)
von vorn beginnen. Bei einer weiteren Messung von AO
zum späteren Zeitpunkt 2 kollabiert dann der Zustand
wieder mit derselben Wahrscheinlichkeit in den Anfangs- gilt, was gleichbedeutend mit AO j i D 0 ist.
zustand. Wir wiederholen den Messprozess nun n-mal,
sodass die Wahrscheinlichkeit, das System nach der n’ten
Messung zum Zeitpunkt t D n immer noch im Anfangs- Scharfe Observable
zustand zu finden, durch
Die Observable AO ist im Zustand j i genau dann scharf,
n wenn j i ein Eigenvektor von AO ist, d. h. wenn gilt:
p0 .t/ D pn0 ./ O 2
1 2 .H/ O 2
1 t .H/
(24.25) AO j i D a j i ; O :
a D hAi (24.30)
gegeben ist. Dieser Ausdruck zeigt, dass die Wahrschein-
lichkeit nicht mehr quadratisch mit der Zeit t abfällt,
sondern linear. Machen wir eine sehr große Anzahl von
Es seien nun AO und BO zwei nicht notwendigerweise verträgliche
Teil III
Messungen in einem gegebenen Zeitintervall t, dann
Observablen. Wir werden für das Produkt ihrer Schwankungs-
lim p0 .t/ D lim Œp0 .t=n/n 7! 1 : (24.26) quadrate
n!1 n!1
O 2 j i h j .B/
h j .A/ O 2j i (24.31)
Dies bedeutet, dass für eine große Anzahl von Messun-
gen der anfänglich präparierte Zustand für eine gewisse eine untere Schranke gewinnen. Dazu führen wir einen Hilfs-
Zeit eingefroren bleibt. Bei der Beobachtung des Zer- operator und seinen adjungierten Operator
falls von kalten instabilen Natriumatomen, gefangen in
einer stehenden Lichtwelle, wurde der Quanten-Zeno-Ef- O ˛ D AO C i˛BO ; O ˛ D AO i˛BO
Q Q (24.32)
fekt beobachtet. Man sah, dass für eine gewisse Zeit der
Zerfall nicht einem exponentiellen Gesetz gehorcht (Fi-
scher et al. 2001). J ein, die von dem reellen Parameter ˛ abhängen. Für jeden Wert
des Parameters gilt
O ˛ Q
h jQ O ˛ j i D kQ
O ˛ k2 0 : (24.33)