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Fortbildung

KONSENSUS EMPFEHLUNGEN ZUR


BEHANDLUNG VON HARNWEGSINFEK-
TIONEN BEI KINDERN UND JUGENDLICHEN
IN DER SCHWEIZ – 2020
Michael Buettcher, Johannes Trueck, Anita Niederer-Loher, Ulrich Heininger, Philipp Agyeman, Sandra Asner, Christoph Berger,
Julia Bielicki, Christian Kahlert, Lisa Kottanattu, Patrick M. Meyer Sauteur, Paolo Paioni, Klara Posfay-Barbe, Christa Relly,
Nicole Ritz, Petra Zimmermann, Franziska Zucol, Rita Gobet, Sandra Shavit, Christoph Rudin, Guido Laube, Rodo von Vigier,
Thomas J. Neuhaus

Übersetzung basierend auf: Risikofaktoren für die Entwicklung einer HWI:


Buettcher M, Trueck J, Niederer-Loher A, et al. Swiss
consensus recommendations on urinary tract in- • Prä- oder postnatal diagnostizierte angeborene Fehl-
fections in children. Eur J Pediatr. (2020). https:// bildungen der Nieren und/oder Harnwege (CAKUT).
doi.org/10.1007/s00431-020-03714-4
• Positive Familienanamnese für höhergradigen ve-
sikoureteralen Reflux (VUR) oder Nierenkrank-
heiten
Michael Büttcher
• Männliche Säuglinge ohne Zirkumzision
• Pathologischer Urinfluss oder gestörte Blasenent-
leerung

• Verstopfung
Ziel
Diese Empfehlungen richten sich an Fachleute im Ge- • Vorgeschichte mit Hinweisen auf frühere HWI oder
sundheitswesen, die im ambulanten und stationären rezidivierende HWI
Setting Kinder (0-16 Jahre) behandeln. Die Empfeh-
lungen gelten für Harnwegsinfektionen (HWI) bei Kin- Empfehlung Nr. 2 – Differenzierung
dern mit und ohne vorbestehende Risikofaktoren ein- zwischen oberer und unterer HWI
schliesslich Kinder mit angeborenen Fehlbildungen Die Differenzierung zwischen oberer (Pyelonephri-
der Nieren und Harnwege (CAKUT; Congenital anoma- tis) und unterer (Zystitis) HWI ist entscheidend für
lies of the kidney and urinary tract). Die Empfehlun- eine korrekte Behandlung
gen gelten nicht für Kinder mit bekannter primärer
oder sekundärer Immunschwäche oder nosokomialen Die klassischen klinischen Zeichen und Symptome
HWI. der HWI sind Pollakisurie, Dysurie, Flankenschmerzen
und Fieber. Säuglinge und Kinder mit signifikanter
Hintergrund Bakteriurie (siehe unten) und Fieber haben eine akute
Eine akute Pyelonephritis (PN) kann zu erheblicher PN und nicht eine Cystitis. Bei Kindern <2 Jahren kann
Morbidität führen.1-3) HWI per se sind jedoch nur in ge- das Fieber auch fehlen, während andere unspezifische
ringem Umfang verantwortlich für zukünftige Morbi- Zeichen und Symptome (reduziertes Trinkverhalten,
dität, z.B. arterielle Hypertonie oder chronische Nie- Gedeihstörung, Lethargie oder Irritabilität) auftreten
renerkrankungen.4) Der Hauptrisikofaktor für diese können. Daher sollte bei Kindern <2 Jahren im Zwei-
Folgen sind angeborene Fehlbildungen der Nieren und felsfall eine PN gesucht und ausgeschlossen werden.
Harnwege (CAKUT).5) Untere HWI (Zystitiden) sind bei Mädchen >2 Jahren
häufig. Die Diagnose einer Zystitis kann bei Kindern
Empfehlung Nr. 1 – Klinischer Verdacht mit Dysurie, Pollakisurie und Bakteriurie, jedoch ohne
auf Harnwegsinfektion (HWI) Fieber und Flankenschmerzen in Betracht gezogen
HWI sollten immer in Betracht gezogen werden bei werden (siehe Empfehlung Nr. 4). Die Bestimmung der
Kindern mit Fieber ohne Fokus Entzündungsmarker alleine hilft nicht, initial eine PN
sicher ein- oder auszuschliessen. 23) Wiederholt tiefe
Für die Diagnosestellung einer HWI ist eine syste- Entzündungsmarker wie z.B. C-reaktives Protein (CRP
matische Untersuchung bei Neugeborenen sowie Kin- <20 mg/l) oder Procalcitonin (PCT < 0.5 ug/l) spre-
Korrespondenz: dern unter 2 Jahren, die sich mit Fieber vorstellen, chen jedoch eher gegen die Diagnose einer PN. 24) Mit-
michael.buettcher wichtig. In dieser Altersgruppe fehlen üblicherweise tels Ultraschall kann eine PN weder bestätigt noch
@luks.ch die typischen klinischen Zeichen. ausgeschlossen werden.

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Empfehlung Nr. 3 – Methoden lyse dar. In diesem Setting rechtfertigt der zusätzli-
der Urinsammlung che geringe Sensitivitätsgewinn der mikroskopischen
Bei Säuglingen und Kleinkindern wird zur Urinab- Analyse nicht den zusätzlichen Kosten- und Zeitauf-
nahme die Blasenkatheterisierung oder eine su- wand. Es ist zu beachten, dass der Urinstreifentest in
prapubische Punktion und Aspiration empfohlen. einigen wenigen Situationen falsch negativ sein kann
Diese beiden Methoden sind der «Goldstandard» (z.B. negative Leukozyten-Esterase und negatives
für eine verlässliche Diagnostik einer HWI. Eine Nitrit bei Kindern unter 3 Monaten, die eine hohe Ent-
«clean-catch» Urinprobe bietet eine gute Alterna- leerungsfrequenz haben oder bei Infektionen mit
tive bei Säuglingen und Kleinkindern ohne Blasen- Enterococcus spp.). 27) Demgegenüber kann der Urin-
kontrolle. Eine Beutel-Probe («Säckliurin») sollte streifentest im Zusammenhang mit anderen Situatio-
nur zum Ausschluss einer HWI angewandt werden. nen falsch positiv sein (z.B. Kontamination, Fieber auf-
Eine Beutel-Probe sollte nicht zur Urinkultur ein- grund einer anderen Ursache, Entzündungspro-
gesandt werden. zesse). 28) Im Kliniklabor kann der Streifentest mit der
mikroskopischen Untersuchung kombiniert werden,
Die Blasenkatheterisierung wird öfters praktiziert um die Sensitivität leicht zu verbessern. Im Vorder-
als die suprapubische Blasenpunktion. Sie gilt als si- grund stehen hier jedoch der Gewinn an Spezifität,
cher und das Infektionsrisiko ist tief. Weil die Kathe- insbesondere bei jungen Säuglingen, sowie die erwei-
terisierung bei Knaben schwierig sein kann, sollte terte mikroskopische Beurteilung des Urins bei unkla-
diese von einer erfahrenen Person durchgeführt oder ren Befunden im Urinstreifentest. Selbst wenn beide
überwacht werden. Wenn eine dieser Methoden ge- Tests angewandt werden, liegt die Sensitivität nicht
plant wird, kann eine vorausgehende sonographische bei 100%, so dass eine Urinkultur für eine sichere Dia-
Kontrolle hilfreich sein, um festzustellen, ob sich ge- gnose unerlässlich ist.
nügend Urin in der Blase befindet. Die Gewinnung ei-
nes Mittelstrahlurins (MSU) ist die bevorzugte Me- Indikationen für eine Urinkultur:
thode bei kooperativen Kindern mit etablierter Bla-
senkontrolle, die den entsprechenden Anweisungen • immer bei Kindern im Alter von <90 Tagen mit Ver-
folgen können. Eine «clean-catch» Urinprobe bietet dacht auf Harnwegsinfektion oder Fieber ohne
eine gute Alternative bei Säuglingen und Kleinkindern Fokus
ohne Blasenkontrolle. Hierzu wird, nach der Reinigung
des Genitales mit sterilem Wasser oder Kochsalzlö- • bei Kindern >90 Tage, bei denen klinisch der Ver-
sung, der Mittelstrahlurin von den Eltern oder dem dacht auf eine akute PN besteht und die einen po-
Pflege-/Hilfspersonal aufgefangen. Eine nicht-invasive sitiven Teststreifen (Leukozyten-Esterase/Nitrit)
Stimulation (Blasen «tapping» mit oder ohne Massage und/oder ein positives Ergebnis der Urinmikrosko-
des Sakralbereichs) ermöglicht eine schnellere Mik- pie (Pyurie) haben
tion. 25,26) Die Methode der Urinentnahme spielt eine
wichtige Rolle zur Interpretation der Urinanalyse, da
• bei allen Kindern in einem reduzierten Allgemeinzu-
stand oder mit hohem Verdacht auf eine invasive
Mittelstrahlurin und clean-catch Urin eine grössere bakterielle Erkrankung
Kontaminationsrate haben im Vergleich zur Kathete-
risierung und suprapubischen Blasenpunktion. Eine • bei allen Kindern mit rezidivierenden HWI und uro-
Beutel-Probe («Säckliurin») sollte nur zum Ausschluss genitalen oder nephrologischen Grunderkrankun-
einer HWI angewandt werden. Eine Beutel-Probe sollte gen (CAKUT, hochgradiger VUR (WHO Grad IV-V)
nicht zur Urinkultur eingesandt werden, da dieser Urin • bei allen Kindern, wenn die klinischen Symptome
mit Perinealflora kontaminiert ist. Wird ein Sammel- und Anzeichen nicht mit der Urinstix-Mikrosko-
beutel benützt, ist es wichtig, diesen nur kurz anzu- pie-Analyse korrelieren
bringen (15-30 min), ihn nach Auffangen des Urins so-
fort zu entfernen und die Urinanalyse unverzüglich vor- Zusätzliche Laboruntersuchungen: Eine empirische
zunehmen. Im Falle eines pathologischen Befundes antibakterielle Therapie sollte erst nach Entnahme ei-
sollte eine zweite Probe mittels Katheterisierung, cle- ner Urinprobe zur Analyse und Kultur eingeleitet wer-
an-catch oder suprapubischer Blasenpunktion entnom- den. Bei Kindern <60 Tage und bei Kindern, bei de-
men werden und zur Urinkultur eingesandt werden, be- nen das Risiko einer schweren Erkrankung besteht
vor man eine empirische antibiotische Therapie initi- oder die wahrscheinlich nicht in der Lage sind, orale
iert. Eine Übersicht der altersspezifischen Empfehlungen Medikamente einzunehmen (schlechter Allgemeinzu-
der Uringewinnung ist in Tabelle 1A dargestellt. stand, Erbrechen, reduziertes Trinkverhalten), sollte
vor Beginn der parenteralen Therapie zusätzlich zu ei-
Empfehlung Nr. 4 – Urinanalyse und -kultur; ner Urinkultur immer eine Blutkultur entnommen wer-
zusätzliche Labortests den. Insbesondere bei Neugeborenen und bei Säug-
Die Diagnose einer HWI erfordert eine Urinanalyse lingen in reduziertem Allgemeinzustand sollte mög-
und -kultur. Urinstix (Leukozyten-Esterase und lichst vor Beginn einer Therapie eine Sepsis-Abklärung
Nitrit) oder die mikroskopische Untersuchung al- (Blut-, Urin- und Liquoruntersuchung und -kultur)
lein sind nicht ausreichend, um eine HWI definitiv durchgeführt werden.
zu bestätigen.
Eine Übersicht der altersspezifischen Empfehlun-
In der Grundversorgung stellt der Urinstreifentest gen für Urinanalysen und zusätzliche Laboruntersu-
eine schnelle und praktische Methode für die Urinana- chungen ist in Tabelle 1A dargestellt.

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A – Verfahren und Untersuchungen


Urin Entnahme
Alter Auswahl Alternative
≤90 d Katheterisierung/ Clean catch Suprapubische Aspiration
>90 d Clean catch / Katheterisierung Suprapubische Aspiration, Sammelbeutel (nur zum Ausschluss von HWI )
Urintest und Kultur
≤90 d Urin Analyse UND Kultur
>90 d Urin Analyse Kultur bei positivem Urinstix (Leukozyten-Esterase und/oder Nitrit) oder mikroskopischer
Pyurie
Altersunabhängig:
Septischer Patient Urin Analyse UND Kultur
Rezidivierende HWI Urin Analyse UND Kultur
erwägen
Klinische Anzeichen und Symptome, die nicht mit den Resultaten der Urinanalyse korrelieren: zusätzlich Kultur
Zusätzliche Labortests (zu erwägen)
≤90 d CRP und/oder PCT, differenziertes Blutbild, Blutkultur, Plasmakreatinin, Natrium, Kalium
>90 d CRP und/oder PCT
Altersunabhängig:
Septischer Patient; Vollständige Sepsis-Abklärung (Blut-, Urin- und Liquor Analyse inkl. Kultur)
Neugeborene
B – Empirische Therapie HWI
≤30 d 31-60 d Ab 61 d (>2 Monate) Ab 180 d (6 Monate)
Fieber (>38 °C) Amoxicillin + Aminoglycosid IV Amoxicillin + Ceftriaxon IV oral: Amoxicillin-Clavulan-
Pyelonephritis säure oder 3. Generation-
Cephalosporin
Behandlungsdauer, 7-10 d 7-10 d 7-10 d
Verlauf
IV Start IV und Wechsel auf oral Oral
Die Umstellung auf ein orales An- Bei gutem klinischen Ansprechen Start IV (Ceftriaxon) wenn
tibiotikum kann nach Kontrolle auf ein orales Antibiotikum (nach der Allgemeinzustand
des Antibiogramm in Betracht Antibiogramm) wechseln; schlecht ist oder orale Auf-
gezogen werden: Bei Sepsis 7-10d i.v.-Therapie er- nahme nicht gewährleistet
- bei gutem klinischen Anspre- wägen, allenfalls kann nach 3d-i.v. ist
chen und orale Aufnahme mit verbessertem Allgemeinzu-
gewährleistet stand und gutem Trinkverhalten
- keine Meningitis auf oral umgestellt werden
- keine Sepsis bei Vorstellung
- nach mind. 3 d i.v.
Afebrile Cystitis oral: Trimethoprim-
Sulfamethoxazol oder
Amoxicillin-Clavulansäure
Behandlungsdauer 3d
Weg oral
C –Neubeurteilung nach Beginn der Behandlung
Alle Kinder sollen am 3. bis 5. Tag nach der HWI Diagnose erneut untersucht werden: (I) Überprüfung des klinischen Ansprechens (und möglicherweise
das Ansprechen im Laborverlauf) auf die Behandlung, (II) Bestätigung der Diagnose und (III) möglicherweise Anpassung der Therapie gemäß dem
Antibiogramm (Ziel: Eingrenzung des antimikrobiellen Spektrums).
Die Behandlung soll abgebrochen werden, wenn die Diagnose der Harnwegsinfektion nicht bestätigt wird (im Falle einer negativen Urinkultur).
Eine wiederholte Urinuntersuchung ist nur dann erforderlich, wenn kein adäquates Ansprechen auf die Behandlung zu beobachten ist (denken Sie
an Komplikationen oder andere Differentialdiagnosen).
D – Nachsorgeuntersuchungen
Bei allen Kindern, bei denen eine erste Episode einer Pyelonephritis (febrile HWI) aufgetreten ist (ausgenommen afebrile HWI bei Kindern >180 d),
sollen innerhalb von 6 Wochen nach der Diagnose mittels Ultraschall die Nieren und Harnwege untersucht werden.
MCUG soll nur bei Kindern mit einem der folgenden Risikofaktoren durchgeführt werden: CAKUT, auffälliger Ultraschall, der auf eine anatomische
Pathologie hindeutet, Harnwegsinfektionen mit non- E. coli, Sepsis, unzureichendes Ansprechen auf die Behandlung innerhalb von 48 Stunden,
Anzeichen einer chronischen Nierenerkrankung (erhöhtes Kreatinin oder Dyselektrolytämie (Natrium, Kalium) oder erhöhter Blutdruck),
pathologischer Urinfluss, wiederkehrende (fieberhafte) Harnwegsinfektionen
E – Antibakterielle Prophylaxe
Generell nicht empfohlen. Prophylaxe ist nur bei VUR (Grad IV und V) zu erwägen. Wenn eine MCUG indiziert ist, kann die Antibiotikaprophylaxe begon-
nen und bis zur Untersuchung fortgesetzt werden.

Tabelle 1: Zusammenfassung der HWI-Behandlung


(Antibiogramm: antimikrobielle Empfindlichkeitsprüfung)

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Empfehlung Nr. 5 – Definition Empfehlung Nr. 6 – Behandlung einer HWI
einer positiven Urinkultur Die Behandlung von Harnwegsinfektionen (Wahl
Das Wachstum eines einzelnen Keimes in der Urin- des Antibiotikums, Verabreichungsweg) soll auf
kultur nach Katheterisierung ≥10’000 [≥104] KBE/ dem Alter, der klinischen Präsentation sowie Risi-
ml bzw. Mittelstrahlurin ≥100’000 [≥105] KBE/ml kofaktoren aus der medizinischen Vorgeschichte
ist suggestiv für eine HWI. des Patienten basieren. Bei Kindern < 60 Tage
sollte immer erwogen werden, mit einer parente-
Bei jungen Säuglingen (< 3 Monate) mit häufiger ralen Behandlung zu beginnen. Bei Kindern > 60
Miktion kann nach Katheterisierung bereits ein Wachs- Tage in gutem Allgemeinzustand ist eine orale The-
tum von 1’000-10’000 (103 – 104) KBE (Kolonie bil- rapie einer parenteralen Therapie gleichwertig. Die
dende Einheiten) /ml auf eine HWI hindeuten. Im Urin, lokalen Resistenzprofile (falls verfügbar) sollten
der durch suprapubische Aspiration gewonnen wurde, bei der Auswahl der empirischen Therapie berück-
deutet jegliches Bakterienwachstum auf eine HWI hin. sichtigt werden. Es sollte, wenn immer möglich
Im Allgemeinen spricht das Wachstum von ≥2 ver- eine Anpassung der Therapie nach Erhalt des An-
schiedenen Bakterienarten für eine Kontamination.8, tibiogramms des isolierten Keimes erfolgen. Eine
29,30)
Insbesondere bei jungen Säuglingen kann jedoch Pyelonephritis soll gesamt für 7 bis 10 Tage the-
das Wachstum von zwei Bakterienarten (insbesondere rapiert werden.
E. coli und Enterokokken) einen relevanten Befund dar-
stellen und soll als HWI betrachtet werden, wenn die Im Allgemeinen hängt die empirische Behandlung
Anzeichen und Symptome sowie zusätzliche Laborun- von Kindern mit Verdacht auf eine HWI vom Alter des
tersuchungen mit dieser Diagnose übereinstim- Kindes, der Schwere der Erkrankung, dem Vorliegen
men.31,32) Ein signifikantes Wachstum sogenannter von begleitenden gastrointestinalen Symptomen (z.B.
Nicht-E.coli-Bakterien ist häufig mit dem Vorliegen ei- Erbrechen), von zugrunde liegenden medizinischen
ner anatomischen Fehlbildung (CAKUT) assoziiert, und/oder urologischen Komorbiditäten und lokalen
weshalb Kleinkinder bis zum Alter von 3 Jahren beim antimikrobiellen Resistenzmustern ab. Da bei Neuge-
Vorliegen einer non-E.coli Infektion mit bildgebenden borenen und Kleinkindern im Alter von < 2 Monaten
Verfahren untersucht werden sollen. CAKUT sollte ein erhöhtes Risiko für eine Urosepsis besteht, wird
auch bei älteren Kindern mit Inkontinenz oder dys- empfohlen, in dieser Altersgruppe mit einer parente-
funktionaler Blasenentleerung in Betracht gezogen ralen Therapie zu beginnen. Gegenwärtig gibt es nur
werden, falls eine Obstipation ausgeschlossen wurde15) wenige wissenschaftliche Untersuchungen für die op-
(siehe auch Empfehlung Nr. 1 und 8). In einer kürzlich timale Gesamtdauer einer antimikrobiellen Therapie
von Coulthard33) durchgeführten Metaanalyse, in der bei Kindern mit febrilen Harnwegsinfekten. Eine Be-
die optimale Schwelle der Bakterienkoloniezahl (KBE) handlung über einen Zeitraum von 7-10 Tagen gilt auch
im Urin untersucht wurde, welcher mit unterschiedli- bei Kleinkindern < 90 Tage als wirksam und ausrei-
chen Methoden gewonnen wurde, hatte das Wachs- chend.10-12,39) Diese Dauer gilt nach neueren Daten auch
tum eines einzelnen Uropathogens bei ≥100’000 KBE/ bei parenteral behandelten Säuglingen < 60 Tage mit
ml (≥105) die höchste Sensitivität (0.99) für die kor- bakteriämischer HWI als wirksam und ausreichend,
rekte Diagnose einer Harnwegsinfektion, unabhängig sofern eine begleitende Meningitis ausgeschlossen
vom Alter und der verwendeten Methode. wurde.11)

Dennoch sollte die Urinkultur nicht als einziges Bei Kindern mit einem schweren Verlauf einer HWI
Kriterium für die Diagnose einer HWI verwendet wer- und zugrundeliegenden medizinischen und/oder uro-
den, sondern immer im Zusammenhang mit der klini- logischen Komorbiditäten kann eine Behandlung über
schen Situation (Vortestwahrscheinlichkeit, Vorge- längere Zeiträume individuell in Betracht gezogen
schichte, Risikofaktoren, klinische Befunde, Ergeb- werden.
nisse von Urinanalyse und Blutuntersuchungen (siehe
auch Empfehlung 1, 2 und 4)) betrachtet werden, um Umstellung auf orale Behandlung
die korrekte Diagnose zu stellen.34) Es gibt nur begrenzte Daten zur Bioverfügbarkeit der
meisten oral verabreichten Antibiotika bei Säuglingen
In seltenen Fällen kann eine PN ohne Pyurie und/ < 3 Monaten. Klinische und Sicherheitsdaten in der
oder Bakteriurie vorliegen. Bei Kindern mit Fieber ohne Altersgruppe < 6 Monate sind jedoch ermutigend. Eine
Fokus, mit erhöhten Entzündungsmarkern, Flanken- große retrospektive Studie an Kleinkindern unter 6
schmerzen oder Erbrechen und normaler Urinanalyse Monaten (68% < 3 Monate; 19% Neugeborene) ergab
und Bakteriologie, kann in ausgewählten Fällen ein keinen Unterschied im Therapieversagen zwischen in-
Uro-MR oder eine Nierenszintigraphie helfen, eine (fo- travenös verabreichten Antibiotika für 3 Tage oder we-
kale) Nephritis zu diagnostizieren.35,36) niger und 4 Tage oder mehr.40) Ein Cochrane-Review
(Einschluss von Kindern ab Geburt bis 18 Jahre) und
Es wird nicht empfohlen, bei Säuglingen und Kin- eine weitere Studie (Einschluss von Kindern 1 bis 36
dern eine asymptomatische Bakteriurie zu suchen Monate) zur akuten PN bei Kindern, die 10-14 Tage
oder zu behandeln, da diese auf eine Besiedlung der lang mit Antibiotika behandelt wurden, ergaben kei-
Blase mit Bakterien hindeutet, die oft nicht virulent nen Unterschied in Bezug auf Fieberdauer oder Nie-
sind. In der Regel haben diese Kinder keine klinischen renfolgeschäden im Vergleich der 3 Therapieformen:
Symptome einer HWI und eine normale Urinana- Durchgehend intravenös behandelt versus 3 Tage in-
lyse.37,38) travenös, gefolgt von oraler Therapie versus durch-

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gehend oraler Therapie.14,41) In einer retrospektiven sind, sofern verfügbar, in Übereinstimmung mit Swiss-
Studie bei Neugeborenen mit Harnwegsinfektionen PedDose (www.swisspeddose.ch) aufgeführt.
(mit oder ohne Bakteriämie), jedoch ohne Meningitis,
wurde bei einer durchschnittlichen Dauer von 4 Ta- Empfehlung Nr. 7 – Überwachung
gen parenteraler Antibiotikagabe mit anschliessender und Kontrollen während der HWI
oraler Behandlung keine Therapieversagen oder Re- Am Tag 3 (bis 5) nach der Erstdiagnose und dem
zidive beobachtet.42) Beginn der empirischen Antibiotikatherapie sollen
die Kinder klinisch untersucht werden, um das An-
Zusammenfassung der Behandlungsempfehlungen sprechen auf die Behandlung zu beurteilen und die
aller Altersgruppen Diagnose (nach Erhalt der Befunde der Urinkultur)
1. Beginn mit parenteraler Verabreichung der Anti- zu bestätigen. Die Ergebnisse der Urinkultur sol-
biotika bei Kindern < 60 Tage und bei Kindern, bei len überprüft und die Medikation nach Antibio-
denen das Risiko einer schweren Erkrankung be- gramm angepasst werden. Wenn kein signifikan-
steht oder die wahrscheinlich nicht in der Lage tes Wachstum in der Urinkultur zu verzeichnen ist,
sind, Medikamente oral einzunehmen (reduzierter soll die empirische antimikrobielle Therapie ge-
Allgemeinzustand, Erbrechen, schlechtes Trinkver- stoppt und nach einer alternativen Diagnose ge-
halten). sucht werden.

2. Nach Erhalt des Erregers mit Antibiogramm der Anschliessend ist eine erneute Untersuchung des
Urinkultur, Anpassung der Therapie, am besten ge- Kindes nur dann notwendig, wenn Anzeichen einer
zielte Monotherapie (Antibiotika-Optionen und Do- persistierenden oder sich verschlechternden Infektion
sierung sind in Tabelle 1B und 2 aufgeführt). vorliegen, d.h. wenn das Kind noch febril ist oder sich
der klinische Zustand nicht verbessert hat. In diesen
3. Im Falle des Nachweises eines multiresistenten Er- Fällen muss unter Umständen die anfängliche Arbeits-
regers (z.B. ESBL) sollten Hygienemassnahmen diagnose überdacht und weitere Differentialdiagno-
und Therapie mit einem Spezialisten für pädiatri- sen oder Komplikationen wie eine Pyonephrose oder
sche Infektionskrankheiten besprochen werden. ein (peri)renaler Abszess evaluiert werden. In dieser
Situation ist die Durchführung einer Sonographie der
4. Bei unzureichendem Ansprechen auf die parente- Nieren und Harnwege erforderlich (Tabelle 1C). Bei adä-
rale Therapie, Erbrechen oder schlechtem Trink- quatem Ansprechen und gesicherter Diagnose soll
verhalten soll nicht auf eine orale Therapie umge- keine erneute Urinanalyse, Urinkultur oder Entzün-
stellt werden. dungslabor während oder am Ende der Therapie
durchgeführt werden.
5. Die Behandlung soll mit einem Spezialisten für pä-
diatrische Infektionskrankheiten besprochen wer- Empfehlung Nr. 8 – Die Rolle und Zeitpunkt
den, falls kein orales Standard-Antibiotikum auf der Bildgebung der Nieren und Harnwege
Grundlage des Erregers und Antibiogramms in der bei HWI
Urinkultur identifiziert werden kann. Bei allen Kindern, unabhängig vom Alter, soll nach
der ersten Episode einer Pyelonephritis eine Ultra-
6. Bei Kindern mit akuten und/oder chronischen Nie- schalluntersuchung durchgeführt werden. Eine
renerkrankungen, mit schweren renalen/urologi- MCUG wird nur unter bestimmten Umständen
schen Fehlbildungen, neurogener Blase oder geplant.
Fremdmaterial soll initial eine parenterale Thera-
pie erwogen werden; der Wechsel auf eine orale Eine Ultraschalluntersuchung (US) der Nieren und
Therapie soll nach einem interdisziplinären Konsi- Harnwege kann eine PN oder einen vesikoureteralen
lium (päd. Nephrologie, Urologie und Infektiologie) Reflux (VUR) weder bestätigen noch ausschließen. Bei
festgelegt werden. allen Kindern, unabhängig vom Alter, soll diese jedoch
nach der ersten Episode einer Pyelonephritis durch-
7. Im Falle einer Sepsis mit Bakteriämie kann es er- geführt werden.
forderlich sein, die Dauer der parenteralen Behand-
lung zu verlängern. In folgenden Situationen ist bereits in der Akutphase
eine US empfohlen:43-46)
Altersspezifische Empfehlungen für die empirische
Antibiotikatherapie und die Dauer sind in Tabelle 1B und • Kinder mit atypischer PN (Sepsis oder septischer
2 aufgeführt. Optionen für die orale empirische Anti- Schock; pathologischer Urinfluss; palpatorisch ab-
biotikatherapie in der Schweiz sind derzeit Amoxicil- dominelle oder vesikale Resistenzen; erhöhtes Krea-
lin-Clavulansäure oder Cephalosporine der 3. Genera- tinin; Nichtansprechen auf die Behandlung mit re-
tion. Die Entscheidung, welche dieser beiden Optionen sistenzgerechten Antibiotika innerhalb von 48
verwendet wird, soll aufgrund der lokalen Resistenz- Stunden)
profile (falls verfügbar) getroffen werden. Antibio-
gramme nach Erreger, Alter, stationär versus ambulant • Kinder mit rezidivierenden HWI
und Region in der Schweiz sind online publiziert (www.
anresis.ch) und können bei der Entscheidung helfen. Anatomische Fehlbildungen oder die seltene Situa-
Antibiotika-Dosierungen und maximale Tagesdosen tion einer Pyonephrose (Eiter im Nierenbecken und/

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Substanz Dosierung Maximale Kommentar


Tagesdosis

A – Pyelonephritis - oral

Amoxicillin-Clavulansäure 40mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 3g Basierend auf Amoxicillin-Komponente


Cefpodoxim 4 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 400mg Alter: ≥ 30d
Cefuroxim 15 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 1g
Amoxicillin 40mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 3g

B – Pyelonephritis – i.v.

Amoxicillin 25-50 mg/kg/Dosis 3-4 x tägl. i.v. 12g


Gentamicin 7.5 mg/kg/Dosis 1 x tägl. i.v. / i.m. Für Neugeborene und Frühgeborene
konsultieren Sie auch die antimikrobiellen
Richtlinien für Neugeborene.
Amikacin 15 mg/kg/Dosis 1 x tägl. i.v. / i.m. 1.5g Für Neugeborene und Frühgeborene
konsultieren Sie auch die antimikrobiellen
Richtlinien für Neugeborene.
Tobramycin 4–6 mg/kg/Dosis 1 x tägl. i.v. / i.m. 7.5mg/kg Für Neugeborene und Frühgeborene
konsultieren Sie auch die antimikrobiellen
Richtlinien für Neugeborene.
Ceftriaxon 50 mg/kg/Dosis 1 x tägl. i.v. / i.m. 2g Für Neugeborene und Frühgeborene
konsultieren Sie auch die antimikrobiellen
Richtlinien für Neugeborene.
Cefuroxim 33 mg/kg/Dosis 3 x tägl. i.v. / i.m. 4.5g
Amoxicillin-Clavulansäure 25- 50 mg/kg/Dosis 3- 4 x tägl. i.v. 12g Basierend auf Amoxicillin-Komponente

C – Cystitis (afebrile / untere HWI) – oral

Trimethoprim-Sulfamethoxazol 3 – 5 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 320mg Basierend auf Trimethoprim; Alter: > 30d;
kontraindiziert bei Hyperbilirubinämie
Amoxicillin 25 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 4g
Amoxicillin-Clavulansäure 25 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. 4g Basierend auf Amoxicillin
Cefuroxim 10 – 15 mg/kg/Dosis 2x tägl. p.o. 1g

D – Antibiotika-Prophylaxe

Trimethoprim 1.5 mg/kg/Dosis 2 x tägl. oder 320mg Neugeborene und Kinder:


2 mg/kg/Dosis 1 x tägl. Zweimal täglich für Kinder, die noch Windeln
(abends) p.o. tragen; Infectotrimet® Suspension kann
in den Nachbarländern über die örtliche
Apotheke bestellt werden. Kein Swiss-
medic-Antrag erforderlich
Trimethoprim-Sulfamethoxazol 1 mg/kg/Dosis 2 x tägl. oder 320mg Alter: > 30d Dosis basierend auf Trimetho-
2 mg/kg/Dosis 1 x tägl. (abends) p.o. prim (TMP); zweimal täglich für Kinder,
die noch Windeln tragen
Nitrofurantoin 1 mg/kg/Dosis 2 x tägl. oder 100mg/ Alter: ≥ 30d
2 mg/kg/Dosis 1 x tägl. (abends) p.o. Dosis
Verwendung zur Prophylaxe nur bei
Amoxicillin 10 mg/kg/Dosis 2 x tägl. p.o. Neugeborenen (wenn Trimethoprim nicht
verfügbar ist)

Tabelle 2: Therapeutische- und prophylaktische antimikrobielle Optionen für HWI

oder Harnleiter) mit sekundärer Obstruktion können weisen, kann der US ebenfalls nach Abheilung der In-
mit dieser Methode erkannt werden. fektion durchgeführt werden. (Tabelle 1D).

Bei Kindern mit typischer PN, die auf die Behand- Miktionszystourethrographie (MCUG)
lung anspricht, kann die Ultraschalluntersuchung zu Das Ziel des MCUG ist die Aufdeckung von:
einem späteren Zeitpunkt nach Abheilung der Infek-
tion durchgeführt werden. • hochgradiger VUR (Grad IV und V)
Bei Kindern mit nicht-E.coli-HWI, die gut auf Anti-
• posteriore Urethralklappen (PUK) bei Knaben
biotika ansprechen und keine anderen Merkmale ei- • Blasen- und Ureteranomalien
ner atypischen Infektion (wie oben angegeben) auf- (zum Beispiel Ureterozele)

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Wir empfehlen, die MCUG nur unter den folgenden thodik posteriore Urethralklappen (PUK) jedoch nicht
Umständen durchzuführen: ausschliessen. Je nach Ultraschall- und MCUG-Befund
und nach interdisziplinärer (pädiatrische Nephrolo-
• CAKUT und/oder Dilatation der Harnwege nach Ul- gie/Urologie) Diskussion kann, je nach lokaler Exper-
traschall Untersuchung (eine isolierte leichte Dila- tise der Radiologen und Verfügbarkeit pädiatrischer
tation des Nierenbeckens (≤ 10 mm) ist keine Indi- anästhesiologischer Unterstützung, eine funktionelle
kation für die Durchführung einer MCUG) Bildgebung (MR-Urographie, Szintigraphie) durchge-
führt werden.
• pathologischer Urinfluss (z.B. durch PUK bei Kna-
ben), nicht durch Dehydratation bedingte Oligurie, Empfehlung Nr. 9 – Indikationen
Harnverhalt zur Antibiotikaprophylaxe
Im Allgemeinen wird von einer Antibiotikapro-
• Infektion mit non- E. coli Erregern phylaxe abgeraten.

• Nichtansprechen auf die Behandlung mit geeigne- Unter den folgenden Umständen kann eine Antibioti-
ten Antibiotika innerhalb von 48 Stunden kaprophylaxe angezeigt sein (die geplante Dauer soll
dokumentiert werden):
• erhöhtes Kreatinin (je nach Alter) oder Dyselek-
trolytämie (zum Beispiel Hyponatriämie und Hyper- • Kinder mit komplexer CAKUT oder mit zugrundelie-
kaliämie bei Verdacht auf sekundären transienten gender Blasenfunktionsstörung (nach interdiszipli-
Pseudohypoaldosteronismus) oder arterielle Hyper- närem – pädiatrische Nephrologie/Urologie/Infek-
tonie tiologie -Konsilium)

• rezidivierende PN (2 oder mehr Episoden) • Kinder mit hochgradigem VUR (WHO Grad IV und V)*
Das MCUG soll nicht nach einer ersten Episode einer • Wenn eine MCUG indiziert ist, kann eine Antibioti-
Harnwegsinfektion bei einem Neugeborenen oder jun- kaprophylaxe begonnen und bis zum Zeitpunkt der
gen Säugling als Routineuntersuchung durchgeführt Untersuchung fortgesetzt werden
werden, wenn die oben aufgeführten Umstände nicht
vorliegen.15,47) Wenn eine Familienanamnese mit hö- * Bei Kindern mit VUR Grad III kann die Prophylaxe
hergradigem VUR (Grad IV und V) vorliegt, kann eine individuell mit den Eltern besprochen werden. Die für
MCUG auf individueller Basis in Betracht gezogen wer- die Prophylaxe erforderliche Behandlungszahl (num-
den. Eine MCUG ist vor allem bei Kindern bis zum Al- ber needed to treat – NNT) zur Verhinderung einer
ter von 3 Jahren indiziert, da es selten ist, dass ein Harnwegsinfektion beträgt circa 5500 Antibiotikado-
Kind erst im höheren Alter Anzeichen und klinisch re- sen.49) Es konnte nicht gezeigt werden, dass eine An-
levante Symptome oder Komplikationen eines VUR, tibiotikaprophylaxe die Narbenbildung in den Nieren
PUK oder Blasenanomalien aufweist.7) Bei älteren Kin- reduziert.17,50,51) Nebenwirkungen von Antibiotika, Re-
dern sind Blasen-Darm-Fehlfunktionen und Obstipa- sistenzentstehung49) und Einfluss auf das intestinale
tion wahrscheinlicher für (rezidivierende) HWI verant- Mikrobiom sollen bei der Diskussion ebenfalls berück-
wortlich und sollen daher auf diese untersucht und sichtigt werden52).
grosszügig behandelt werden (siehe Empfehlung 10).
Es gibt keine evidenzbasierten Leitlinien zur Dauer
Zeitpunkt der MCUG der Antibiotikaprophylaxe. Falls eine Prophylaxe er-
Falls die Indikation für eine MCUG vorliegt, soll es folgt, soll die Indikation nach 6-12 Monaten (oder auch
durchgeführt werden, sobald es seitens der lokalen früher) in Korrelation mit dem klinischen Verlauf und
Radiologieabteilung terminlich möglich ist. Ein zeitli- der bildgebenden Nachsorge überprüft werden. Eine
cher Mindestabstand nach Beginn der antimikrobiel- zweite MCUG wird im Allgemeinen nicht empfohlen,
len Therapie für die akute PN bis zur MCUG ist nicht und es soll immer eine interdisziplinäre Diskussion
nötig und hat keinen Einfluss auf die Detektion eines durch die beteiligten Spezialisten vorausgehen.
VUR, wie aus einer kürzlich erschienenen Studie
hervorgeht.48) Wahl des Antibiotikums zur Prophylaxe
Trimethoprim (falls als Einzelsubstanz verfügbar) ist
Antibiotika-Prophylaxe und MCUG eine geeignete prophylaktische Option bei Neugebo-
Wenn ein MCUG indiziert ist, soll eine Antibiotikapro- renen. Um die Entwicklung von Resistenzen zu verhin-
phylaxe begonnen und bis zum Zeitpunkt der Unter- dern, sollten Beta-Laktam- und Chinolon-Antibiotika
suchung fortgesetzt werden (Optionen siehe Ta- nicht verwendet werden. Eine Ausnahme bilden Neu-
belle 2). geborene, bei denen Amoxicillin als Prophylaktikum
akzeptiert ist. Die Prophylaxe soll nicht auf der Grund-
Weitere Bildgebungsmodalitäten lage des Antibiogramms der Urinkultur ausgewählt
Wenn eine pädiatrische Radiologieabteilung Erfahrung werden. Wenn sich unter laufender Prophylaxe eine
mit kontrastverstärktem Ultraschall hat, kann diese oder mehrere Harnwegsinfektionen entwickeln, soll in
Methode vor allem bei Mädchen als Alternative (ohne Betracht gezogen werden, die Prophylaxe auf eine an-
das Kind ionisierender Strahlung auszusetzen) zur dere Substanz umzustellen. Optionen und Dosierun-
MCUG eingesetzt werden. Bei Knaben kann diese Me- gen sind in Tabelle 2 aufgeführt.

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Fortbildung
Antimikrobielle Dosierungen und maximale Tages- Empfehlung 11 – Chirurgische und
dosen entsprechen, sofern verfügbar, den SwissPed- endoskopische Eingriffe sollen in
Dose-Empfehlungen (www.swisspeddose.ch). ausgewählten Fällen auf individueller Basis
in Betracht gezogen werden
Empfehlung 10 – Blasen-Darm-Fehlfunktion Bei Kindern mit hochgradigem VUR (Grad IV und V)
ist ein relevanter Risikofaktor für und rezidivierenden HWI trotz prophylaktischer Anti-
rezidivierende Harnwegsinfektionen und biotikaeinnahme oder elterlicher Zurückhaltung bei
sollte in der Anamnese und klinischen der Verwendung von Antibiotika, kann ein chirurgi-
Untersuchung vor allem bei Kindern scher Eingriff (z.B. endoskopische Injektionen von Füll-
nach Entwicklung der Kontinenz immer material oder Ureterreimplantation) vor allem nach
kontrolliert werden. dem ersten Lebensjahr eine Alternative sein. Es be-
Dysfunktion der unteren Harnwege, z.B. gestörte Bla- steht kein Konsens über den Zeitpunkt und die Art der
senentleerung am Tage und fehlende vollständige Bla- chirurgischen Korrektur.55)
senentleerung (Restharn) in Kombination mit einer
Darmentleerungsstörung, z.B. Verstopfung, werden Danksagung
als Blasen-Darm-Störung (bowel and bladder dysfunc- Wir danken herzlich pädiatrie schweiz, Pädiatrische
tion – BBD) bezeichnet. BBD ist ein relevanter Risiko- Infektiologie Gruppe Schweiz (PIGS), Schweizerische
faktor für rezidivierende HWI. Zur Aufarbeitung die- Gesellschaft für Kinderchirurgie, Kinderspital Luzern
ser Risikofaktoren gehören Blasen-/Darmfunktion-Ta- sowie Prof. T.J. Neuhaus für die grosszügige finanzi-
gebücher, Fragebögen oder Verhaltensuntersuchun- elle Unterstützung zur Ermöglichung der Open-Ac-
gen. Darüber hinaus ist es ratsam, bei Verdacht auf cess Publikation des Artikels im European Journal of
eine gestörte Blasenentleerung eine Uroflowmetrie Pediatrics.
durchzuführen. Sie kann mit der transkutanen Elek-
tromyographie (EMG) der Damm-Muskulatur kombi- Einzelreferenzen siehe Publikation
niert werden, um die zugrundeliegende Ursache ge- (open access)
nauer zu differenzieren – insbesondere, wenn die Buettcher M, Trueck J, Niederer-Loher A, et al. Swiss
Uroflowmetrie eine Stakkato-artige Entleerung zeigt.53) consensus recommendations on urinary tract infec-
Der Vorteil der Kombination von EMG und Uroflowme- tions in children. Eur J Pediatr. (2020). https://doi.
trie ist die Möglichkeit, intermittierende Kontraktio- org/10.1007/s00431-020-03714-4
nen der periurethralen quergestreiften Muskeln oder
der levator ani Muskeln während der Blasenentlee-
rung aufzuzeigen. Dies kann bei der Vorbereitung ei-
nes Beckenbodentrainings (Biofeedback) oder einer
Neuromodulation mit Hilfe der Uro-Physiotherapie hilf-
reich sein.54) Dysfunktionelle Blasenentleerung kann
zu hohem intravesikalen Druck und fehlender vollstän-
diger Blasenentleerung mit Restharn führen. Ein wei-
terer und häufiger Risikofaktor ist die chronische Ob-
stipation, die bei Kindern mit rezidivierender HWI mit
oder ohne VUR immer in Betracht gezogen werden
muss und behandelt werden soll.45)

Autoren
Michael Büttcher1, Johannes Trueck1, Anita Niederer-Loher1, Ulrich Heininger1, Philipp Agyeman1,
Sandra Asner1, Christoph Berger1, Julia Bielicki1, Christian Kahlert1, Lisa Kottanattu1,
Patrick M. Meyer Sauteur1, Paolo Paioni1, Klara Posfay-Barbe1, Christa Relly1, Nicole Ritz1,
Petra Zimmermann1, Franziska Zucol1, Rita Gobet2+4, Sandra Shavit2+4, Christoph Rudin1+3,
Guido Laube3, Rodo von Vigier3, Thomas J. Neuhaus 3
1
Pädiatrische Infektiologiegruppe Schweiz PIGS, www.pigs.ch
2
Schweizerischen Gesellschaft für Kinderurologie (SwissPU), www.swisspu.ch
3 Schweizerische Arbeitsgruppe für pädiatrische Nephrologie (SAPN)
4 Schweizerische Gesellschaft für Kinderchirurgie www.swiss-pediatricsurgery.org

Die Affiliation der einzehen Autoren ist der open acces Publikation zu entnehmen.

Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang


mit diesem Beitrag deklariert.

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