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Themenschwerpunkt Abb.

Frühe Herzkirschen sind kaum von Maden als – dort spät reifende – Sorten selbstver-
ständlich ebenfalls mit Insektiziden behan-
befallen. Z. B. Landele (Syn. Schwarzer Falter,
Verkehrte Mohrenkirsche, Freinsheimer Schwarzkirsche, delt. Sollten diese Mittel ihre Zulassung
Kirschenwelt Westhofener Schwarze, Zipfelbachperle),  verlieren (was zwischenzeitlich der Fall
Foto: H.-J. Bannier schien), bekommt auch der konventionelle
Über die Sortenentwicklung und Erwerbs-Kirschenanbau Probleme mit der
die fatale „Außerwertsetzung“ waren die weicheren Frühkirschen jedoch Beherrschung dieses lästigsten Schädlings
alter Süßkirschsorten bald dem Konkurrenzdruck der zeitgleich im Kirschanbau. Der Biologische Anbau, der
im Supermarkt angebotenen festeren chemisch-synthetische Spritzmittel nicht
Knorpelkirschen aus Südeuropa ausgesetzt. verwenden darf, krankt daran, dass er bis
Hans-Joachim Bannier Die Handelsketten zogen schnell die Im- heute noch keine „hundertprozentig“ wirk-
portkirschen mit ihrer geringeren Druck­ same Methode gegen die Kirschfrucht­
anfälligkeit vor. fliege entwickelt hat. Daher wären früh­
So hat der Obstbau sich – bis auf wenige reifende Kirschsorten für den Bio-Anbau
Ausnahmen – aus dem Anbau von Früh­ (zumindest für die Direktvermarktung) ein
kirschen in Deutschland heute fast gänzlich Ausweg – umso mehr, als einige der früh-
zurückgezogen. Auch die Züchtung hat sich reifenden „weichen“ Sorten ganz nebenbei
in den letzten Jahren vornehmlich auf spät- auch weniger platzanfällig sind als die
reifende und transportfeste Knorpelkirschen späteren Knorpelkirschen.
konzentriert, mit denen die deutschen Obst- Auch der private Selbstversorger hätte mit
bauern den „späten“ Kirschmarkt besetzen den frühreifenden und madenfreien Kirsch-
wollen. An Frühkirschen wird heute mit sorten erheblich mehr Freude, zumal es hier
Es ist eine Tragik Ausgerechnet die robus- Frühreifende Kirschen – Burlat fast nur noch eine einzige Sorte einst zahlreiche geschmacklich hochwertige
testen, wohlschmeckendsten, bekömmlichs- vom Markt verschwunden angebaut. Sorten gab.
ten, platzfestesten und am wenigsten von Eine Entwicklung mit gravierenden Folgen
Maden befallenen alten Süßkirschsorten Nahezu unbemerkt sind in Deutschland in für Konsumenten und Umwelt: Denn wäh- Das Problem Auch die Baumschulen bieten
früherer Zeiten sind heute nicht nur aus dem den letzten Jahrzehnten fast alle einst hier rend die Frühkirschen kaum von den Maden heute landauf landab fast nur noch die
Erwerbsobstbau komplett verschwunden, angebauten Frühkirschen vom Markt, d.h. der Kirschfruchtfliege befallen werden, sind Sorten an, die auch im Obstbau gängig sind
sondern sind auch in den Baumschulen nicht aus dem Handel, verschwunden. Früher gerade die späten Knorpelkirschen am bzw. für die Züchter kräftig die Werbetrom-
mehr zu kaufen und spielen in der Züchtung hatte jeder Kirschanbauer zahlreiche Sorten stärksten heimgesucht (in Norddeutschland mel rühren. Die vielen einst geschätzten
kaum eine Rolle. Warum das so ist, versucht mit verschiedenen Reifezeiten (gestaffelt ab der 4.-5. KW, in Süddeutschland teils Frühsorten sind fast alle aus den Sortimen-
der folgende Beitrag zu skizzieren. von der ersten bis zur sechsten der sog. schon ab der 3. KW). ten verschwunden und den Obstbauern
„Kirschwochen“). So konnte er seinen Kun- kaum noch bekannt. Die Sorten Burlat und
In den letzten 40 bis 50 Jahren hat es im den über einen längeren Zeitraum Kirschen Die Folge „Kirschen aus deutschen Landen“ Teickners sind heute beinahe die einzigen
Erwerbsobstbau gewaltige Veränderungen anbieten. Die Kunden wussten, dass die werden im konventionellen Anbau regelmä- noch im Baumschulhandel angebotenen
im Süßkirsch-Sortiment gegeben, diktiert frühreifenden sog. Herzkirschen meist ßig mit Insektiziden gegen die Kirschfrucht- Frühsorten.
von betriebswirtschaftlichen Faktoren der etwas weicher waren als die spätreifenden fliege behandelt – die letzte Spritzung oft Hier wäre ein dringendes Umsteuern im
Obstbau-Betriebe, von den immer stärker Knorpelkirschen, die etwa ab der 4. Kirsch- noch bis vor der Ernte (Perfekthion aktuell Sinne einer Ökologisierung des Anbaus
zentralisierten Strukturen im Lebensmittel- woche (KW) reifen. bis drei Wochen, Mospilan bis eine Woche nötig. In der Beratung müssten die Früh­
Einzelhandel, von der Konkurrenz südländi- Mit dem in den 1960er Jahren aufkommen- vor der Ernte!). Und die Kirschen, die aus sorten – sowohl für Direktvermarkter als
scher Fruchtimporte und veränderten Ver- den Trend zum Selbstbedienungsladen und südlichen Ländern in unserer „Frühkirschen- auch für Selbstversorger – wieder den
brauchergewohnheiten. dem wachsenden Einfluss der Handelsketten zeit“ bei uns auf den Markt kommen, sind ­ihnen gebührenden Platz einnehmen.

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Wertvolle (schwarzrote) frühe und mittel- Nach Angaben des Obstbauberaters beim Geschmack bzw. sehr gute Bekömmlichkeit hatte sie sich in dem kleinen Anbaugebiet
frühe Sorten (Auswahl) Kaiserstühler Obstgroßmarkt Vogtsburg- auszeichnen. Alle Helfer, die bei unseren Hagen a.T.W. bis in die 1970er Jahre noch als
◗ Werdersche Braune (3. KW) Oberrotweil (Baden), Hubert Schneider, Kirschsorten-Erfassungen im Streuobst Hauptsorte im Anbau behauptet. Auch
◗ Bernhard Nette (2.-3. KW) wurden in Baden noch in den 1970er Jahren (in Hagen a.T.W. und Witzenhausen) dabei Garrns Bunte und Kunzes Kirsche sind
◗ Zum Feldes Frühe Schwarze (2. KW) helle Sorten zum Anbau empfohlen. Diese waren, kamen zu der überraschenden Er- wenig platzanfällig.
◗ Frühe Spanische (3. KW) hätten auf dem Markt eine Zukunft, da kenntnis, dass man von den meisten hellen
◗ Schubacks Frühe Schwarze (3. KW) man sich mit ihnen die Kleidung nicht Sorten eine große Menge (bis zu mehreren Gerade der Biologische Anbau müsste hier
◗ Landele (Syn. Schwarzer Falter, schmutzig mache (durchaus ein Argument Kilogramm!) essen könne, ohne Bauch- – statt fraglos dem „Diktat des Marktes“ zu
­Mohrenkirsche, Freinsheimer Schwarze, in unseren naturfernen Zeiten). Dass die schmerzen zu bekommen. Bei vielen dunk- folgen – mit mehr Phantasie und z. B. einer
Zipfelbachperle) (3. KW) Kirsche entgegen dieser Prognose heute len Kirschen dagegen (wie z. B. Hedelfinger großangelegten Werbekampagne den
◗ Rivers Frühe (2. KW) dennoch dunkelrot sein muss, dafür haben oder Regina) stellte sich spätestens nach „hellen“ Kirschen zu einer neuen Renais-
◗ Spitze Braune und Moserkirsche (Baden- „Mon Cheri“ und „Eckes-Edelkirsch“ ganze einem halben Kilo körperliches Unwohlsein sance verhelfen. Dasselbe gilt natürlich
Württemberg) (2. KW, 3. KW) Arbeit geleistet! ein. auch für die gesamte Gartenbau-Beratung,
◗ Souvenir de Charmes (Südwestdeutsch- Spätreifende „bunte“ Knorpelkirschen wie Auch im Anbau haben die „Rotbunten“ die heute – leider – immer nur den Entwick-
land)(2. KW) Weisse Spanische, Büttners Rote Knorpel durchaus einige Vorteile. So werden die lungen des Erwerbsanbaus hinterher trot-
oder Grosse Prinzessin (Syn. Napoleon), Frühsorten unter ihnen nicht ganz so stark tet und den Selbstversorger mit den daraus
Bunt oder Schwarz? einst im Massenanbau vorhanden, sind von Vogelfraß heimgesucht wie die Schwarz- resultierenden Problemen allein lässt.
Noch eine weitere Sortengruppe an Süß­ heute ebenso aus dem Erwerbsanbau ver- roten der gleichen Reifezeit. Auch von der
kirschen ist heute fast gänzlich vom Markt schwunden wie die früh reifenden Herzkir- Made der Kirschfruchtfliege sind die rotbun- Empfehlenswerte rotbunte Sorten:
verschwunden: die hellen, sog. „rotbunten“ schen Flamentiner (= Türkine), Kunzes ten Sorten i. d. R. nicht ganz so stark befal- Frühe und mittelfrühe:
Süßkirschen. Sie werden allenfalls in man- Kirsche oder Lucienkirsche, welche einst in len wie zeitgleich reifende dunkle Sorten. ◗ Köbles Schecken (1.-2. KW)
chen Obstbauregionen noch im örtlichen bestimmten Regionen im Massenanbau Und überdies haben wir bei den rotbunten ◗ Kunzes Kirsche (2.-3. KW)
Straßenverkauf angeboten. Der Handel standen, ganz zu schweigen von den zahl- Sorten einige, die sich durch eine exzellente ◗ Garrns Bunte (2.-3. KW)
pocht auf die rot-schwarzen Sorten, weil reichen regionalen Sorten wie z. B. Garrns Baumgesundheit auszeichnen. Sorten wie ◗ Maibigarreau (2.-3. KW)
die Konsumenten die hellen Sorten nicht Bunte, Stechmanns Bunte (Altes Land), Kunzes Kirsche, Weisse Spanische, Tilgeners ◗ Kronprinz von Hannover (3. KW)
kaufen würden. Die Kirsche wird heute Geisepitter (Mittel­rhein), Kronprinz von Rote Herzkirsche oder Garrns Bunte zeigen ◗ Tilgeners Rote Herzkirsche (3.-4. KW)
ausschließlich mit rot/schwarz und herz­ Hannover (Niedersachsen), Grossrote – bei sehr gutem Geschmack – eine hervor- ◗ Lucienkirsche (3.-4. KW)
förmig assoziiert. (Mittelfranken, Mittelhessen) oder den ragende Baumgesundheit und eine schnitt- Mittelspäte und späte:
Dabei war das keineswegs immer so und zahlreichen schwäbischen sog. „Schecken“ technisch leicht handhabbare breite Kronen- ◗ Weisse Spanische (4. KW)
auch nicht immer voraussehbar: (z. B. Esslinger Schecken, Köbles Schecken, form. Garrns Bunte ist nach bisherigen ◗ Grosse Prinzessin (5. KW, regional
Besigheimer Schecken). Beobachtungen obendrein resistent gegen ­anfällig für Monilia)
Mit Geschmack und Qualität hat diese Ent- den Schrotschuss-Pilz. ◗ Büttners Späte Rote Knorpelkirsche (5.KW)
wicklung ebenso wenig zu tun wie mit ihren ◗ Grolls Bunte (5. KW)
Eigenschaften im Anbau. Im Gegenteil: Und zu guter Letzt: Noch ausgeprägter als ◗ Merton Late (5.-6. KW)
Gerade bei den rotbunten Sorten gibt es bei den dunklen Frühsorten zeichnen sich ◗ Grevenbroicher Knorpelkirsche (6.-7. KW)
zahlreiche, die sich durch hervorragenden einige der hellen Frühkirschen durch eine
relativ große Platzfestigkeit aus. Hier ist Das Maß der Dinge: Die Fruchtgröße
Abb. Haben rotbunte Sorten noch eine Chance? besonders die Lucienkirsche zu nennen, die Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten
Z. B. Garrns Bunte (Regionalsorte aus dem Alten zwar geschmacklich nicht ganz an andere ist vor allem die Fruchtgröße eines der wich-
Land): Relativ platzfest, madenfrei, resistent Sorten heranreicht, aber kaum platzt und tigsten Ziele der Kirschenzüchtung gewor-
gegen Schrotschuss und für kühle Lagen geeignet; meist über einen Zeitraum von zwei Wo- den. Hier spielen vor allem die Erntekosten
Foto: H.-J. Bannier chen beerntbar bleibt. Aus diesem Grund im heutigen Lohngefüge die Hauptrolle.

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Sorten wie Regina, Kordia und Sunburst Der neueste Schrei: Kaiserstuhl, äußert die Vermutung, dass
sind heute durchweg ein paar Millimeter Selbstfruchtbare Süßkirschen die eine oder andere alte Süßkirschsorte
größer im Durchmesser als das Gros der Nach dem Stand des obstbaulichen Wis- im Streuobstbestand selbstfruchtbar sei,
alten Sorten. War die Schneiders Späte sens sind Süßkirschen Fremdbefruchter – da man immer wieder sehr gut tragende
Knorpel früher bezüglich ihrer Fruchtgröße und noch relativ komplizierte obendrein. ­Bäume in Alleinlage beobachten könne.
schon eine Ausnahme und die „Königin der Denn bei ihnen kann nicht jede mit jeder.
Süßkirschen“, ist sie im Kreise neugezüchte- Darum werden sie in sog. Intersterilitäts- Die Versprechen der Züchter und
ter Sorten heute nur noch Durchschnitt gruppen eingeteilt, d. h. Kirschen ein und Berater
(bzw. die einzige alte Sorte, die in Sachen derselben Sterilitätsgruppe können sich Anscheinend will es der Lauf der Zeit, dass
Fruchtgröße im Erwerbsanbau noch mit­ gegenseitig nicht befruchten. immer nur das Brandneue und Moderne Abb. Von der Beratung lange Zeit empfohlen, im
halten kann). Die Züchter arbeiten daher schon länger an den Gefallen der Obstbauberater findet, Streuobst ein Totalausfall: Die Sorte Van –
der Entwicklung selbstfruchtbarer Sorten. auch wenn manch’ neue Sorten noch kei- ­extrem platzend und hoch anfällig für Monilia;
Was dem Obstbauern hier Erntekosten Die kanadische Sorte Stella war die erste neswegs in anderen Regionen oder Ländern Foto: H.-J. Bannier
erspart, bedeutet für den Konsumenten dieser Züchtungen, inzwischen folgten bzw. über längere Zeiträume im Feldanbau
jedoch allzu oft auch eine gewisse Einbuße Sorten wie Lapins, Sweetheart, Sunburst, getestet worden sind. Ein prägnantes Bei- anfällig ist für Monilia. Auch in Punkto
im Geschmack. Im Vergleich zu mancher Skeena, Gracestar, Earlystar, Lalastar, spiel im Kirschanbau ist die kanadische Platzanfälligkeit bei feuchter Witterung
alten Kirschsorte (z. B. Grolls Schwarze, Newstar, Sumpace/Celeste und andere. Züchtung Van, die in den 1970er Jahren gehört Van zu den „Weltmeistern“. Wer sie
Schneiders Späte Knorpel, Grosse Schwarze auch in Deutschland für den Anbau propa- im Garten hat (ohne Dach über dem Baum)
Knorpel, Werdersche Braune), die wir in Das klingt verlockend: Muss man doch als giert wurde und sich zeitweise auch im und nicht gerade im Weinbaugebiet lebt,
den Sortenerfassungsprojekten der letzten Gartenbesitzer nicht mehr darauf achten, Erwerbsanbau durchgesetzt hatte (diese dem platzen und faulen die Früchte oft
Jahre gefunden haben, schmeckt beispiels- ob ein passender Befruchter in der Nähe Sorte findet sich bis heute in den Sortimen- komplett, noch bevor sie überhaupt reif
weise die Regina keineswegs so königlich steht. Viele Baumschulen setzen daher auf ten der Baumschulen und wird noch immer sind. Manche Baumbesitzer in Nord-
wie ihr Name und ihre Fruchtgröße verspre- diesen Trend und die Privatkunden sind mit viel an private Gartenbesitzer verkauft). deutschland haben in 15-20 Jahren keine
chen. Aber sie wurde von ihren Züchtern dem Argument schnell überzeugt. Nur: einzige Ernte einfahren können und sägten
stark propagiert und hat angeblich in Publi- viele dieser Neuzüchtungen sind äußerst So schrieb Götz („Süß- und Sauerkirschen“, deshalb entnervt ihre Bäume ab.
kums-Verkostungen am besten abgeschnit- platzanfällig oder auch anfällig für Monilia 1970) von der „überzeugenden Neueinfüh-
ten. Fragt sich nur, mit welchen anderen oder Pseudomonas und daher für den Streu- rung aus Canada“, deren „überwiegend Dass ausgerechnet eine solche Sorte wie
Sorten sie bei den Verkostungen verglichen obstanbau keineswegs pauschal zu emp- gute Eigenschaften … ihr eine stärkere Van heute in der Kirschenzüchtung welt-
wurde. fehlen. Sie gehen züchterisch meist auf die Verbreitung im Spezialbetrieb sichern (wer- weit eine große Rolle bei der Entwicklung
– ebenfalls krankheitsanfälligen – Sorten den)“. Bei Silbereisen (Obstsortenatlas, moderner Sorten spielt, kann – ökologisch
Empfehlenswerte dunkle Knorpelkirschen Stella, Lapins oder Van zurück. 1986) heißt es: „Van ist eine beachtenswer- gesehen – nur als Fehlentwicklung im Obst-
(alte Sorten) te, neuere Sorte, die wegen ihres frühen bau bezeichnet werden.
◗ Grolls Schwarze (5. KW) Dass möglicherweise auch die ein oder Ertragsbeginns, ihrer Ertragstreue und ihrer Noch tragischer bei dieser Geschichte ist
◗ Schneiders Späte Knorpel (4.-5. KW) andere alte Süßkirschsorte selbstfruchtbar Fruchtgröße Aufsehen erregte. … Aller der Umstand, dass es eine alte Süßkirsch­
◗ Leipziger Lotkirsche (5. KW) ist – ohne dass dies bisher jemals wissen- Wahrscheinlichkeit nach gehört sie zu den sorte gibt, die zeitgleich mit Van reift und
◗ Badeborner (5.-6. KW) schaftlich untersucht wurde – geht in die- wenigen Sorten, die sich von den Neuhei- die nicht nur ebenso aussieht und ebenso
◗ Hedelfinger (5.-6. KW) sem ‚Trend’ völlig unter. Meines Erachtens ten im Erwerbsanbau und in der Liebhaber- groß ist wie diese, sondern auch ebenso
◗ Steinknorpel (Lokalsorte Witzenhausen) könnte auch eine Sorte wie Garrns Bunte, kultur durchsetzen werden“. gut schmeckt: Grolls Schwarze, um 1860 in
(4.-5. KW) deren Baum in Hagen a.T.W. in Alleinlage Tatsächlich ist die Sorte bis heute in vielen Guben (Neiße) entstanden und in ganz
◗ Haumüller (4.-5. KW) steht und dennoch jedes Jahr voll hängt, Baumschulen zu haben. Heute wissen wir Deutschland noch im Streuobst verbreitet.
◗ Adlerkirsche von Bärtschi (5. KW) durchaus auch selbstfruchtbar sein. Auch aus den Streuobstbeständen jedoch, dass es So sehr sich beide Sorten zum Verwechseln
Hubert Schneider, Obstbauberater am kaum eine Süßkirschsorte gibt, die stärker ähneln, so sehr unterscheidet sie eines: Der

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Baum der Grolls Schwarzen wächst – im Am besten vielleicht: ich verkaufe statt der Alte Sorten und Ökologischer Süß- Sollte es nicht einmal einen Versuch wert
Gegensatz zur Van – gesund, wenig anfällig Van künftig die Grolls Schwarze und kirschanbau – zwei Königskinder? sein, eine zwar nur mittelgroße und hell-
für Monilia und ihre Früchte sind nicht so schreibe weiterhin den Namen Van auf’s Auch der Biologische Anbau läuft bislang früchtige, dafür platzfeste, madenfreie und
platzanfällig. Dennoch kennt heute kein Etikett“. lediglich den Sortenentwicklungen im schrotschussresistente Frühsorte (wie z. B.
Obstbauer mehr Grolls Schwarze und kaum Erwerbsanbau hinterher. Die gesamte For- Garrns Bunte) oder eine (ebenfalls nur
eine Baumschule hat sie im Programm. Andere haben so etwas auch schon ge- schung im ökologischen Kirschanbau ist mittelgroße) hocharomatische und pech-
Auch die heute in den Baumschulsortimen- macht. So fand schon vor Jahren ein deut- fast ausschließlich auf Bekämpfungsstrate- schwarze, madenfreie Frühkirsche wie die
ten allgegenwärtige großfrüchtige Sorte scher Obstbauer eine alte, unbekannte gien der Kirschfruchtfliege gerichtet. Und Landele ganz ohne Pflanzenschutzmaßnah-
Regina wird von ihren Züchtern allgemein schwarzrote Frühkirschsorte im Streuobst, was die Gefahr des Platzens betrifft, wird men auszutesten? Und überhaupt wieder
als „platzfest“ tituliert und entsprechend die seines Erachtens das Zeug zur Markts- auch im Bioanbau inzwischen immer stär- mehr Frühsorten anzubauen, wo es im Bio-
propagiert. Im Streuobst lässt sich diese orte hatte. Kurzerhand gab er ihr einen ker auf die – Fauna und Landschaft beein- handel bisher – aufgrund der Probleme mit
Charakterisierung jedoch keineswegs be- modernen Namen und meldete er sie zum trächtigenden – Regendächer gesetzt. der Kirschfruchtfliege im Ökologischen
stätigen – Regina platzt stärker als manch Sortenschutz an. Nur: in Wirklichkeit han- Eine eigene Strategie für eine ökologisch Anbau – noch längst kein Überangebot gibt?
andere Kirschsorte. delt es sich – wie wir bei Fruchtvergleichen geschickte Sortenwahl, differenziert nach
festgestellt haben – um die Sorte Werder- Großhandels- oder Direktvermarktung, Dringend benötigt:
Hauptsache neu und modern? sche Braune (als Frühsorte im Übrigen sehr fehlt ebenso wie eine eigene Züchtung Obstbauberatung für Privatleute
Als ich die Geschichte von Van und Grolls empfehlenswert). Verkehrte Kirschenwelt! ökologisch angepasster Sorten oder eine Dasselbe gilt auch für die Obstbauberatung
Schwarze kürzlich einem österreichischen [Indes: die „neue“ Sorte hat – als Frühkir- Werbestrategie zur „Popularisierung“ sol- für Privatleute, sofern eine solche in Deutsch-
Baumschüler erzählte, der mich nach robus- sche – letztlich keine Marktbedeutung cher Sorten, die sich auch im Ökologischen land überhaupt noch nennenswert existiert.
ten historischen Kirschsorten fragte (die erlangt und wir wollen dem Züchter nicht Anbau ohne große Pflanzenschutzproble- Hier ist dringend eine praktisch orientierte
Sorte Van führt er bereits im Sortiment), übelnehmen, dass er einer robusten alten me anbauen lassen würden. Und natürlich Sortenempfehlung erforderlich, die sich
reagierte er so: „Aber den Namen Grolls Sorte zu neuer Marktbedeutung verhelfen fehlt es generell an Kenntnissen über alte völlig abkoppelt von den Vorgaben des
Schwarze kennt doch niemand! wollte. Daher bleibt der „neue“ Name der Sorten und Sortenvielfalt. Erwerbsobstbaus und die stattdessen be-
Kirsche hier ungenannt]. rücksichtigt, dass die meisten Privatleute
ihre Kirschen heute nicht mehr spritzen
Tragischer ist dagegen, dass wollen. Eine solche Beratung würde bei der
manche Kirschenzüchter beim Süßkirschen-Sortenwahl für den Gartenlieb-
Thema alte Sorten ohne nähere haber zu völlig anderen Ergebnissen kom-
Prüfung gleich abwinken: „Das men als das, was heute im Sortiment der
ist eine schöne Sammelarbeit, Baumschulen vorherrscht. Vielleicht müsste
aber alles nur für’s Museum“, auch eine Organisation wie der Pomologen-
bekamen wir von einem Obst- Verein e.V. eine eigene „Sortenstrategie“
züchter zu hören, als Annette (womöglich mit eigenem Markenzeichen)
Braun-Lüllemann (Pomologen- entwerfen (ähnlich wie Pro-Specie-Rara
Verein) im Juli 2008 auf der dies in der Schweiz praktiziert) und diese
Tagung der „Fachgruppe Stein- gegenüber Baumschulen sowie in gärtneri-
obst“ in Witzenhausen versuch- schen Publikationen offensiv vertreten. Als
te, anhand konkreter Beispiele Empfehlungskriterium für die Sortenwahl
Abb. Manche wertvolle alte Sorte ist heute (u. a. Werdersche Braune) für den Wert Abb. Bunte Kirschenvielfalt, in alten Streuobstbe- der Süßkirsche stünde hier Baumgesund-
nahezu verschollen: z. B. Grolls Schwarze einzelner alter Sorten insbesondere für den ständen entdeckt – in Baumschulen sind heute heit, geringer Befall durch die Kirschfrucht-
(­Knorpelkirsche der 5. Kirschwoche),  Ökologischen Anbau, die Direktvermark- nur noch wenige dieser alten Sorten erhältlich; fliege, geringe Platzanfälligkeit sowie gerin-
Foto: A. Braun-Lüllemann tung oder die Züchtung zu werben. Foto: H-J. Bannier ger Schnittaufwand an erster Stelle. ◗

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Themenschwerpunkt Doch auch bei dieser Obstart war einst
eine große Sortenvielfalt vorhanden. Diese
Biodiversität alter in zwei kleinen, traditionellen Anbaugebie-
Süßkirschsorten ten aufzuspüren, zu identifizieren und zu

in den traditionellen bewahren war Ziel eines Kooperations­


projektes, das – von der Bundesanstalt für
Kirschanbaugebieten Landwirtschaft und Ernährung (BLE) als
Hagen a.T.W. und „Modell- und Demonstrationsvorhaben
im Bereich der biologischen Vielfalt“
Witzenhausen ­gefördert – von 2007 bis 2010 durchgeführt
wurde.
A. Braun-Lüllemann, H.-J. Bannier
Kirschanbau in
In diesem Jahr ist das Jahresheft den Kir- Hagen und ­Witzenhausen –
schen gewidmet und so bildet nach den gestern und heute
Pflaumen im Jahr 2009 zum zweiten Mal in Geografisch liegen beide Untersuchungs­ Die lange Tradition des Kirschanbaus, in Die Auswirkungen dieser Entwicklung waren
der 20-jährigen Geschichte dieser Reihe gebiete in der Nordhälfte Deutschlands, Witzenhausen in den Anfängen noch als jedoch in den beiden Projektgebieten unter-
eine Steinobstart das Schwerpunktthema. Hagen a.T.W. im südwestlichen Niedersach- Parallelkultur zum Weinbau, ist für beide schiedlich: In Hagen wurde die Nutzung der
Doch während bei den Pflaumen im Allge- sen bei Osnabrück, Witzenhausen nördlich An­­baugebiete bereits seit dem 16. Jahrhun- Kirschbäume zunehmend aufgegeben, die
meinen zumindest noch ansatzweise be- von Kassel im Werra-Meißner-Kreis. dert nachgewiesen. Nach einer Blütezeit im alten Hochstämme blieben aber anfänglich
kannt ist, dass es, wenn auch nicht ver- ­Während Witzenhausen als Schwerpunkt 19. Jahrhundert ging der Kirschanbau Anfang größtenteils in der Landschaft erhalten. In
schiedene Sorten, so doch verschiedene des hessischen Süßkirschanbaus galt des 20. Jahrhunderts aufgrund der schwie- Witzenhausen dagegen erfolgte als Reakti-
Gruppen gibt – Zwetschgen für Kuchen, ( Strohkark 1993), ist Hagen mit „nur“ rigen wirtschaftlichen Verhältnisse (Kriegs- on auf die veränderten Rahmenbedingun-
Mirabellen fürs Einmachen, Reneclauden ­einigen Tausend Kirschbäumen traditionell ereignisse, Inflation) sowie verheerender gen ein Sortimentsumbau: Die Vielfalt der
zum frisch Essen – ist dies bei Kirschen ein kleineres Anbaugebiet (Abb. 1). Frostwinter, in denen in Witzenhausen die vorhandenen Süßkirschsorten wurde „be-
deutlich anders: „Rote Kirschen ess’ ich Hälfte aller Kirschbäume vernichtet wurde, reinigt“, der Großteil der weichfleischigen
gern, schwarze noch viel lieber“, der alte zurück. Ab den 1960er Jahren erfolgten und rotbunten Sorten – geschmacklich zwar
Kinderheim ist i. d. R. alles, was dem nicht Abb. 1a links: Landschaft mit traditionellen zunehmend Einfuhren von Kirschen aus oft hervorragend, aber für den Markt zu
pomologisch Versierten zu Sortenunter- Kirschhochstämmen in Hagen a.T.W.; 1b unten: Südeuropa, die zu starker Konkurrenz mit klein und zu wenig transportfest – wurde
schieden einfällt, Sortennamen sind hier Witzenhausen, Fotos 1a: H.-J. Bannier, sonstige:  dem einheimischen Obst und in der Folge durch eine Handvoll dunkler, großfrüchtiger
kaum gebräuchlich. A. Braun-Lüllemann; zu hohem Preisdruck führten. und transportfester Sorten ersetzt. Der
traditionelle Anbau auf hochstämmigen
Kirschbäumen wich zunehmend intensiven
Niederstammkulturen auf schwachwach-
senden Unterlagen (Abb. 2 ).

Abb. 2a oben: Historische Hochstammanlagen


werden in Witzenhausen zunehmend durch
Niederstamm-Plantagen auf schwachwachsen-
den Unterlagen abgelöst (2b links)

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In den letzten Jahren ist in beiden Anbau- Zeitzeugen und historische Frucht- Zur Identifizierung der übrigen Sorten waren beeinflusst. So ist hier ein Großteil des
gebieten ein zunehmender Rückgang der steine: Wichtige Referenzen für die die Referenzen nicht ausreichend. Denn nicht sogenannten engeren „Diemitzer Sorti-
alten Kirschhochstämme zu verzeichnen. Sortenidentifizierung jede im Streuobst einst vorhandene Sorte ments“ vorhanden, das als eine Art „deut-
Von den 1993 in Witzenhausen noch vor- Aus diesen Gründen wurde bei den Erfas- ist in Referenzsammlungen dokumentiert sches Nationalsortiment“ Anfang des 20.
handenen 160.000 Süßkirschhochstämmen sungen der alten Sorten in Hagen a.T.W. oder in der Literatur beschrieben, auch sind Jahrhunderts verbreitet wurde. Da in Wit-
dürfte heute ein größerer Teil verschwun- und Witzenhausen im ersten Schritt ver- Beschreibungen z. T. so ungenau, dass eine zenhausen die Vermarktungsfähigkeit zu
den sein, der Intensivanbau hat sich da­ sucht, noch Zeitzeugen aufzufinden, um eindeutige Zuordnung nicht möglich ist. allen Zeiten das wesentliche Kriterium der
gegen seitdem auf 90 ha ausgeweitet deren Wissen rund um den Kirschanbau Sortenauswahl darstellte, wurden immer
(­Walther 2008). Auch in Hagen wurden und die Sortenkenntnisse zu dokumentie- Jedem Anbaugebiet sein wieder Sortenbereinigungen durchgeführt,
und werden die nutzlos gewordenen Hoch- ren. Denn Publikationen über traditionell ­Kirschsortiment nur wirtschaftlich lohnende Sorten verblie-
stämme zunehmend gerodet oder sterben angebaute Süßkirschsorten gibt es nur Bei der Erfassung in den Anbaugebieten ben im Anbau. Zudem sind hier viele Sorten
ab. Nachgepflanzt wird wenig, in Witzen- vereinzelt für das Anbaugebiet Witzenhau- wurden in Hagen a. T.W. ca. 400, in Witzen- des ehemaligen mitteldeutschen Kirsch­
hausen zudem fast ausschließlich auf Nie- sen, und diese (Thalheim 1952, Künzel o. J.) hausen ca. 600 Bäume untersucht. Neben anbaugebietes (Teile Thüringens und
derstämmen. Das Landschaftsbild beider beschränken sich im Wesentlichen auf einigen modernen (heute im Erwerbsobst- ­Sachsen-Anhalts) verbreitet, die aber offen-
Regionen, geprägt durch die traditionellen Aufzählungen, ohne die einzelnen Sorten bau und von Baumschulen verbreiteten) sichtlich nicht sehr viel weiter nach Westen
Hochstammpflanzungen, ändert sich zu- genauer zu beschreiben. Kirschsorten wurden im Untersuchungsge- vorgedrungen und daher in Hagen a.T.W.
nehmend und es ist fraglich, ob die Kirsch- Die Sortenidentifizierung von Süßkirschen biet Hagen a.T.W. 41, in Witzenhausen 51 unbekannt sind. Hier sind insbesondere die
blüte in einigen Jahren noch wie heute erfolgt in erster Linie nach Frucht- und verschiedene alte Süßkirschsorten aufge- rotbunte Sorte Kunzes sowie die dunklen
Touristenströme anlocken wird. Mit den insbesondere Steinmerkmalen, wobei auch funden. Da einige Sorten in beiden Regio- Sorten Bernhard Nette, Braunauer und
alten Bäumen gehen aber auch die alten die Reifezeit eine wichtige Rolle spielt (Süß- nen nachgewiesen wurden, ergibt sich für Werdersche Braune zu nennen. Ergänzt
Kirschsorten verloren. Die Tendenz zur kirschsorten reifen über sechs bis acht beide Untersuchungsgebiete zusammen wird das Witzenhäuser Sortiment durch
Sortenreduktion zeigt sich auch im heuti- Wochen). Neben diesen liefern jedoch auch eine Gesamtzahl von 68 alten Süßkirsch­ einige Lokalsorten (Frühe Spanische, Ober-
gen Sortiment der Baumschulen: Von den die Baumform und die Blüte bzw. der Blüte- sorten. Es ist dabei überraschend, dass rieder Pampel, Steinknorpel), welche bisher
einst ca. 400-600 alten Süßkirschsorten, zeitpunkt eine Vielzahl von Merkmalen, die nur ca. ein Drittel (24 Sorten) in beiden nur in dieser Anbauregion aufgefunden
die es im 19. Jahrhundert deutschlandweit eine Sorte von der anderen unterscheiden. Untersuchungsgebieten zugleich vor- wurden.
gegeben haben dürfte, waren zu Beginn Wichtig bei der Identifizierung sind Refe- kommt. 17 Sorten sind dagegen nur in Das Hagener Kirschanbaugebiet war seit
der Untersuchungen noch ca. 40 in Reiser- renzen, die aus historischen Sortenpflan- ­Hagen, 27 Sorten nur in Witzenhausen jeher viel kleiner und isolierter als das Wit-
muttergärten verfügbar, gerade mal sechs zungen, aber auch Fruchtsteinsammlungen vertreten. Zu den detaillierten Ergebnissen zenhäuser Gebiet. Infolge der immer gerin-
Sorten werden im gängigen Baumschul­ (die z. B. im Bundessortenamt Marquardt siehe die bei der BLE vorliegenden Berichte ger werdenden wirtschaftlichen Bedeutung
sortiment angeboten. Doch nicht nur der und in verschiedenen Obstinstituten lagern) ( Braun-Lüllemann et al. 2009, Dierend et al. der Kirschen nach dem 2. Weltkrieg fand
vorhandene Genpool, auch das Wissen um sowie historischer Literatur stammen 2011). keine stetige Sortenbereinigung statt wie
traditionelle Anbau- und Verwertungs­ ­können. Die Ursachen dieser stark unterschiedli- dies in Witzenhausen bis zum heutigen
methoden wie auch um die speziellen Von den aufgefundenen alten Sorten konn- chen Sortenspektren liegen vermutlich in Tage der Fall ist. Zudem unterhielt die lokale
­Sortenkenntnisse droht auszusterben, da ten über 80 % identifiziert werden. Dieses der unterschiedlichen Geschichte und geo- Baumschule vor Ort gute Beziehungen zum
die Generation, die sich mit diesen Bäumen Ergebnis ist für Kirschsorten sehr hoch und grafischen Lage der beiden Anbaugebiete: Alten Land. Daher sind hier typische Alt-
und Sorten beschäftigt hat, wenn nicht in umfangreichen Recherchearbeiten in Im Gegensatz zum Hagener Gebiet ist das länder bzw. norddeutsche Sorten wie Schu-
bereits gestorben, überwiegend im hoch- historischen Sortimentspflanzungen sowie Witzenhäuser Sortiment seit jeher stark backs Frühe Schwarze, Späte Spanische und
betagten Alter ist. Fruchtsteinsammlungen begründet. durch die offiziellen Sortenempfehlungen besonders die Lucienkirsche stark verbreitet.

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Insgesamt ist das Hagener Sortiment nach dem gleichnamigen Ort an der Werra ­ irsche, die anscheinend bereits vor dem
K für innovative Produkte und für die zukünf-
durch viele weichfleischige, rotbunte benannt, die sich als pomologische Sorte 2. Weltkrieg kaum noch verbreitet wurde. tige Züchtung dar. Neben Frucht-, Frucht-
­Sorten geprägt. Darunter sind auch einige Kunzes Kirsche entpuppte. Diese wiederum Oder die bisher nur in Witzenhausen aufge- stein-, Baum- und Blütenfotos wurden die
noch nicht identifizierte Raritäten, die stammt ursprünglich aus dem Ort Wallhau- fundene Frühe Spanische, eine sehr aroma- Sorten durch detaillierte Sortenbeschrei-
bisher nur in Hagen gefunden wurden und sen im Kreis Sangerhausen und wird auf- tische Frühkirsche, die im 19. Jahrhundert bungen dokumentiert. Diese Sortendoku-
die vermutlich in Witzenhausen in Folge grund ihrer Herkunft dort als Wallhäuser bis nach England verkauft wurde (Abb. 3b ). mentationen des Projektteils Witzenhausen
des veränderten Marktes zum Großteil bezeichnet, zur „Wahlhäuser“ war es dann sind anlässlich des Internationalen Jahres
ausgestorben z. B. Elton, Flamentiner, nur noch ein kleiner Sprung. Auch in Hagen Auch einige der heute vom Handel so ge- der Biologischen Vielfalt vorab in einer
(syn. ­Türkine) bzw. nur noch in Einzel­ ist von höchstens zwei bis drei Lokalsorten schmähten rotbunten Kirschsorten wurden Broschüre vom Bundesministerium für
bäumen vorhanden sind (z. B. Kronprinz auszugehen, Lokalbezeichnungen für über- wieder entdeckt, wobei die meisten dieser Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
von Hannover, Lucien). Daneben haben regional verbreitete Sorten waren z. B. das seltenen Sorten im Untersuchungsgebiet schutz herausgegeben worden ( Braun-Lülle­
sich in Hagen spezielle Sortenraritäten wie plattdeutsche „Leggeske“ für die Sorte Hagen a.T.W. aufgefunden wurden: Tilgeners mann & Bannier 2010a).
Grafenburger Frühkirsche und Schwarze Flamentiner. Rote Herzkirsche (Abb. 3a), schon seit Ende Aktuell ist ein Sortenwerk des gesamten
Tartarische erhalten, die vermutlich in des 19. Jahrhunderts anscheinend aus dem Projektes – also der Hagener und Witzen-
anderen Teilen Deutschlands nie oder nur Fünf vor zwölf: Blickfeld von Pomologen und Anbauern häuser Sorten – erschienen, das neben den
wenig verbreitet waren. Viele Sorten vom Aussterben bedroht verschwunden, Wils Frühe, die nur in Nord- Sortenbeschreibungen auch eine detail-
Alarmierend ist die akute Gefährdung des und Osteuropa in der Literatur beschrieben lierte Anleitung zur Sortenbestimmung,
Großteils der aufgefundenen Sorten: Über wird oder die echte englische Sorte Elton, eine Zusammenfassung der Projektergeb-
70 % (Hagen a.T.W.) bzw. sogar 80 % (Wit- die in den Sammlungen häufig mit anderen nisse sowie einen kurzen geschichtlichen
zenhausen) sind maximal nur noch vereinzelt Sorten verwechselt wurde. In Witzenhau- Abriss der Kirschpomologie enthält ( Braun-
auf Altbäumen vorhanden und somit ge- sen wurde Grolls Bunte wieder entdeckt, Lüllemann & Bannier 2010b).
fährdet, über die Hälfte existieren nur noch die nur dank einer tschechischen
auf bis zu drei Bäumen und sind damit stark Referenzherkunft identifiziert
gefährdet. Je zwei Sorten sind in den beiden werden konnte. Ihr Name war in
Untersuchungsgebieten im Untersuchungs- Deutschland anscheinend schon
zeitraum bereits ausgestorben. Sieben um 1900 verloren gegangen. Sie
(Hagen a.T.W.) bzw. zehn Sorten (Witzen- wurde in der Folgezeit unter dem
hausen) sind bisher deutschlandweit nur in Namen „Gestreifte Spanische
dieser Region aufgefunden worden, zehn Knorpel“ verbreitet und ist in den
(Hagen a. T.W.) bzw. sieben (Witzenhausen) offiziellen Sortimentspflanzun-
Nicht jeder Regionalname eine weitere Sorten sind nach bisherigen gen der Obstinstitute z. T. auch
Regionalsorte ­Erkenntnissen deutschlandweit selten. mit der Grossen Prinzessin ver-
Überraschend waren auch die Ergebnisse wechselt worden.
zu den vermeintlichen Lokalsorten: Wiederentdeckte Sortenschätzchen Viele der aufgefundenen Sorten
Insgesamt sind in der Region Witzenhausen Bei den Untersuchungen wurden viele besitzen interessante Eigen-
zwar für 17 Sorten Lokalnamen verbreitet, seltene, z. T. sogar als verschollen betrach- schaften wie Robustheit,
tatsächlich sind davon aber höchstens drei tete Sorten wieder aufgefunden, die zum ­Widerstandsfähigkeit gegen
Sorten nur lokal verbreitet, die übrigen Lokal­ Zeitpunkt der Erfassungen in keiner offizi- Krankheiten oder besondere
bezeichnungen stellen nur Synonyme für ellen Sammlung mehr existierten: z. B. die Geschmacks- bzw. Verwertungseigen­ Abb. 3a links: Sortenraritäten Tilgeners Rote
pomologische Sortennamen meist überre- bisher nur in Hagen a.T.W. aufgefundene schaften. Somit stellen die alten Kirsch­ Herzkirsche in Hagen a.T.W., 3b oben: Frühe
gional verbreiteter Sorten dar. Wie z. B. die Sorte Grafenburger, eine frühreifende, sorten ein großes Potential für zukünftige Spanische in Witzenhausen;
Sorte „Wahlhäuser“, von den Witzenhäusern dunkle, große und wohlschmeckende Nutzungen, z. B. im Selbstversorgeranbau, Foto 3a: H.-J. Bannier, 3b: A. Braun-Lüllemann

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Sortensicherung und Neben beschilderten Rad- und Wanderwe- Braun-Lüllemann, A.; Bannier, H.-J. (2010b):
Öffentlichkeitsarbeit gen wurde ein Kirscheninformationszent- Obstsortenwerk – Alte Süßkirschsorten.
Ein zentrales Ziel des Projektes war die rum (Abb. 5) und ein Lehrpfad in der Sorten- ­Gesamtwerk des Hagener und Witzenhäuser
nachhaltige Sortensicherung. Die erfassten sammlung am Jägerberg eingerichtet, in Sortimentes. Resultierend aus dem o. g.
Sorten wurden an drei verschiedenen Stand- denen über verschiedene Themen rund um ­Modellprojekt
orten gesichert: In Pflanzungen der Gemein- die Hagener Kirschschatztruhe informiert Dierend, W.; Schacht, H.; Bannier, H.-J.;
de Hagen a. T. W., der Stadt Witzenhausen wird. Weitere Aktionen wie die Ausrufung Braun-Lüllemann, A. (2005): Erarbeitung
sowie des Landesbetriebes Landwirtschaft der „Kirsche des Jahres“ (in Zusammenar- eines Modells zur Bestimmung und langfristi-
Hessen. Alle drei Sammlungen sind Teil der beit mit einer lokalen Baumschule), das alle gen Erhaltung alter Süßkirschsorten. Ab-
im Jahr 2007 gegründeten Deutschen Gen- zwei Jahre stattfindene Hagener Kirschen- schlussbericht eines durch die AG Innovative
bank Kirsche, die derzeit als Netzwerk aus fest sowie Veranstaltungen mit Schulen Projekte beim Ministerium für Wissenschaf-
sieben sammlungshaltenden Partnern und Kindergärten ergänzen das „kirschige“ ten und Kultur des Landes Niedersachsen
besteht. Die Hagener Sammlung beinhaltet Programm. Falls Sie jetzt Lust auf einen geförderten Projektes; erstellt an der FH
neben den in Hagen und Witzenhausen im Besuch bekommen haben, können Sie auch Osnabrück
Streuobst aufgefundenen Sorten noch in den Hagener Inernetseiten stöbern unter Dierend, W.; Schacht, H.; Oetmann-Mennen,
zusätzliche Sorten des von Dr. Norbert www.hagen-kirschenseiten.de. A.; Bannier, H.J.; Klinger, E.(2011): Erhaltung
Clement (Pomologen-Verein) zusammenge- der Süßkirschensortenbestände in Hagen a.T.W.
tragenen Sortiments. Sie stellt mit derzeit Abb. 4: Zeit zum Träumen: Baumhaus des und Witzenhausen. Abschlußbericht eines
über 250 Sorten die größte Süßkirschsorten- ­ irschenerlebnispfades in Witzenhausen;
K Modell- und Demonstrationsvorhabens im
sammlung in Deutschland dar. Darüber Foto: V. Kulessa Bereich der biologischen Vielfalt, Teil Hagen
hinaus wurden Reiser seltener und gefähr- Künzel , A. (o. J., ca. 1979): Kirschenanbau in der
deter Sorten zur Sortensicherung auch an mit den Sortenunterschieden ein, wobei als Umgebung von Witzenhausen. Stadtarchiv
andere Einrichtungen weitergegeben. Belohnung für die richtigen Antworten eine Witzenhausen, Akte Kirschen
Kirschschatztruhe geöffnet werden kann. Strohkark, Ch. (1993): Die ökonomische Bedeu-
Um die Bedeutung der Sortenvielfalt wie- Erschöpft von diesen geistigen Anstrengun- tung des Kirschenanbaus für die Stadt Witzen-
der mehr in den Fokus der Öffentlichkeit zu gen kann man in bequeme Liegen sinken Abb. 5: Viele Informationen im Hagener Kirsch- hausen. Diplomarbeit, Gesamthochschule
rücken und die lokale Bevölkerung ebenso und den Ausblick auf die Witzenhäuser Informationszentrum; Foto: H.-J. Bannier Kassel
wie die Werratal-Touristen anzusprechen, Landschaft genießen oder im Kirschen- Thalheim , F. (1952): Der Kirschenanbau im Kreise
war auch die Konzeption und Umsetzung baumhaus träumen (Abb. 4). Literatur Witzenhausen. Der hess. Ostbau 6: 87-88
eines Kirschenerlebnispfades in Witzen- Nieder- und Hochstämme alter Witzen­ Braun-Lüllemann, A.; Hammer, K.; Kulessa , Walther ; E. (2008): Entwicklung des Süß­
hausen Teil des Projektes. Hier wurden auf häuser Kirschensorten flankieren den V.; Ploeger, A. (2009): Erhaltung der Süßkir- kirschanbaus in der Region Witzenhausen.
4,5 km Länge in einer Stadt- und Land- ­Erlebnispfad und dienen gleichzeitig als schensortenbestände in Hagen a. T. W. und Vortrag anläßl. der 47. Tagung des AK Stein-
schaftsroute insgesamt 17 Erlebnisstatio- Sicherungsstandorte. Witzenhausen. Abschlussbericht eines Mo- obst 7.-8.7.08, FG Obstbau im Bundesfachaus-
nen eingerichtet. Diese vermitteln auf Daneben finden regelmäßige Aktivitäten dell- und Demonstrationsvorhabens im Be- schuss Obst und Gemüse
interaktive Weise Wissen zu den alten statt, wie z. B. der Witzenhäuser Kirschen- reich der biologischen Vielfalt, Teil Witzen- Das hier beschriebene Demonstrationsvorhaben
Kirschensorten und der Bedeutung der tag mit Sorten- und Posterschau sowie hausen „Erhaltung der Süßkirschsortenbestände in
Sortenvielfalt, zur Geschichte der Süß­ einem vielfältigen Angebot regionaler Braun-Lüllemann, A.; Bannier, H.-J. (2010a): Hagen a. T.W. und Witzenhausen“ (Nr.
kirsche und zu Themen rund um den Kirsch- Produkte. Pomologische Beschreibungen – Alte Süß- 05BM008/2) wurde mit Mitteln des Bundes-
anbau: Auf einem Baumstamm kann man Auch in Hagen wurden verschiedene Maß- kirschsorten. Nur Teil Witzenhausen des o. g. ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
z. B. ausprobieren, welches Ereignis der nahmen umgesetzt, um der Bevölkerung Modellprojektes. Hrsg.: Bundesministerium und Verbraucherschutz (BMELV) über die
Kirschengeschichte einen „umschmeißt“ sowie den Besuchern das Thema der loka- für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh-
und ein Sortenquiz läd zur Beschäftigung len Süßkirschenvielfalt nahe zu bringen: cherschutz (BMELV), Bonn rung (BLE) gefördert. ◗

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Themenschwerpunkt Verbreitung 30er Jahre des 20. Jahrhunderts deutlich Fruchtmerkmale
Die hier beschriebene Sorte ist in Deutsch- ( Gross 1940). In Kurhessen wird die Quali- Reifezeit 1.-2. Kirschwoche, hängt sehr
Coburger Maiherz, land weit verbreitet. Sie findet sich in vielen tät der „Coburger Maiherzkirsche“ als gut, lange am Baum, bis über die 3. Kirschwoche
Typ Sahlis-Kohren Regionen Deutschlands, aber unter ver- in Thüringen als genügend und in Schlesien hinaus. Bei geringem Fruchtbehang stark
schiedenen Regionalnamen. Wir erhielten als ungenügend bewertet. Dies ist vermut- durch Vogelfraß gefährdet.
Braunrote Herzkirsche sie bisher aus dem Alten Land (als Altländer lich nicht auf klimatische oder standörtliche Größe Mittelgroß; L 20, B 19, Dicke 17 mm
der 1. bis 2. Kirschwoche Hedelfinger), aus der Bremer Region, aus Ursachen sondern darauf zurückzuführen, Farbe Dunkelrot, später dunkelbraun, nicht
Südniedersachsen, Westfalen, Nordthürin- dass in den verschiedenen Regionen jeweils ganz schwarz, glänzend. In Halbreife rosa-
A. Braun-Lüllemann, H.-J. Bannier gen, der Anbauregion Witzenhausen (als andere Sorten unter diesem Namen ver- farben mit heller Strichelung.
Witzenhäuser Frühe), Mittel- und Südhes- breitet waren. In den Sortenempfehlungen Fruchtform Länglich-oval bis länglich-
Synonyme: Witzenhäuser Frühe, Altländer sen, Südwestdeutschland (als Murgtalperle wurde eine Coburger Maiherz 1936 noch herzförmig, z. T. auch fassförmig, ähnlich
Hedelfinger, Murgtalperle, Braune aus und Braune aus Buhlbronn bezeichnet) durch vier Landwirtschaftskammern emp- Hedelfinger. In manchen Jahren (z. B. 2008)
Buhlbronn, Harlemer, Frühe Hedelfinger, sowie dem Mittelrheingebiet (als Lahn­ fohlen. 15 Jahre später, 1951, ist der Name mit kleinem stempelseitigem Spitzchen.
Falsche Hedelfinger steiner). In der Anbauregion Witzenhausen Coburger Maiherz aus den Empfehlungslis- Stielseite: Stielgrube eng, mitteltief, mit
scheint die Sorte vor dem 2. Weltkrieg die ten verschwunden, die Sorte taucht jedoch steilen Rändern; zur Bauch- und Rückenseite
Herkunft beherrschende Frühsorte gewesen zu sein als Altländer Hedelfinger in der Empfeh- wenig eingesenkt (flache Schultern). Stiel-
Die hier beschriebene Kirsche ist nach bis- (Thalheim 1952), sie wird auch im Marktan- lung der Landwirtschaftskammer Hamburg seite schräg zur Bauchseite hin abfallend;
herigem Kenntnisstand identisch mit der in gebot Ende der 1930er Jahre für Kurhessen wieder auf ( Kemmer 1952). Auch in den Bauchseite: Ebenmäßig, mäßig gerundet;
dem Sortenwerk „Deutschlands Obstsorten“ erwähnt ( Gross 1940). Ab den 50er Jahren Empfehlungen der Fachgruppe Obstbau Rückenseite: Gerundet, selten ganz flache
( Müller et al. 1905-1934) beschriebenen wurde sie im Anbau durch die größere und (1965) ist eine Coburger Maiherz nur noch Rückenfurche;
Sorte Coburger Maiherzkirsche, Typ Sahlis- transportfestere Sorte Kassins Frühe ver- eingeschränkt auf der Gebietsliste für Bay- Stempelseite: Stempelpunkt meist groß,
Kohren. Wann und wo sie einst entstanden drängt und ist heute nur noch auf sehr ern aufgeführt. Daneben ist die Sorte als hell, auffallend; auf oder kurz hinter
ist, ist unklar. Jedoch dürfte es sich um eine alten Bäumen zu finden. Murgtalperle nur noch für Württemberg Fruchtspitze aufsitzend, seltener in flachem
sehr alte Sorte handeln, da sie bereits zu Zur Historie der Murgtalperle berichtet empfohlen, auch Götz nennt sie 1962 noch Grübchen. In manchen Jahren auch kleines
Beginn des 20. Jahrhunderts in der Region Dähne (1964), die Sorte sei Anfang des 20. für das südbadische Rheingebiet ( Götz 1962). Spitzchen vorhanden;
Sahlis-Kohren auf Altbäumen verbreitet Jahrhunderts aus der Schweiz (Bischweier) Aufgrund der auch heute noch recht großen Seitenansicht: Relativ schmal, stielbauchig.
war ( Müller et al. 1905-1934). ins Murgtal eingeführt worden. Solche An- Verbreitung der Sorte ist in jedem Fall davon Stiel Mittellang, 3,5-4 cm, z. T. auch kurz
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde ihr von gaben – sollten sie zutreffen – würden bele- auszugehen, dass der „Typ Sahlis-Kohren“ (2,5-3 cm), mitteldick, fruchtseitiger Stiel­
der Diemitzer Kirschenkommission der gen, welche große Verbreitung die Sorte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ansatz groß.
Name Coburger Maiherz zugeschrieben. einst bereits hatte (bei Kobel , der 1937 über durch Baumschulen vermehrt und verbrei- Fleisch Rosarot bis dunkelrot, in Halbreife
Nähere Erläuterungen sind in dem eben- 260 Sorten der deutschsprachigen Schweiz tet wurde, vermutlich aber oft unter regio- ziemlich fest, vollreif weich, erst mäßig
falls in diesem Heft publizierten Artikel beschrieb, findet sich die Sorte jedoch nicht). nalen Namensbezeichnungen. Heute ist die aromatisch, vollreif recht wohlschmeckend.
über die Geschichte der Sorte gegeben. Die Coburger Maiherzkirsche war schon in Sorte weder in Reisermuttergärten noch im Platzfestigkeit Hoch
der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts regelmäßig Baumschulsortiment vertreten. Als Witzen- Fruchtstein Mittelgroß; L 12, B 7, Dicke 9 mm
auf den Empfehlungslisten des Deutschen häuser Frühe ist sie jedoch noch in den Seitenansicht: Länglich-oval, fast ohne
Pomologen-Vereins aufgeführt. Da jedoch Sortimentspflanzungen des Bundessorten- stielseitiges Häkchen, Stielseite gebogen,
Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Sor- amtes Marquardt und der Genbankstand- zur Bauch- und Rückenseite abfallend.
ten unter dem Namen Coburger Maiherz ortes Pillnitz vorhanden, als Murgtalperle Vorderansicht: Stielbauchig, relativ schmal.
verbreitet waren, ist schwierig abzuschätzen, und Braune aus Buhlbronn in den histori- Stielseite zur Bauchseite abfallend, der
in welchem Maße der „Typ Sahlis-Kohren“ schen Kirschsortenpflanzungen Esslingen Bauchwulst beginnt stielseitig etwas nach
dabei eine Rolle spielte. Dies macht auch eine und Mössingen (Bad.-Württ.) sowie dem unten versetzt, verbreitert sich stempelsei-
Bewertung der Süßkirschqualitäten Ende der Genbankstandort Hagen a.T.W.. tig deutlich (sackförmig).

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Abb. 1 (vorige S.), 2-5: Frucht, Stein, Baum in Baummerkmale Anbaueignung Müller, J.; Bissmann, O.; Poenecke, W.;
Blüte und im Laub, Abb. 6-7 (rechts): Laub, Baumgesundheit Gut, werden sehr alt. Die Coburger Maiherz, Typ Sahlis-Kohren Schindler, O.; Rosenthal , H.: (1905-1934):
Blüte; Fotos 1-3: Fotostudio Fischer, Frankfurt,  Wuchs Stark, Leitäste schräg, Wuchs spar- ist eine robuste, regelmäßig tragende Sor- Deutschlands Obstsorten. Fortsetzungswerk:
6: H.-J. Bannier, 4-5, 7: A. Braun-Lüllemann rig. Bildet breitkugelige (seltener hochku- te, die für Streuobstpflanzungen empfoh- 17. Lieferung. Eckstein und Stähle, Stuttgart
gelige) Kronen, im Alter oft schirmartig. len werden kann. Die Fruchtqualität kann Trenkle, R. (1962): Obstsortenwerk Bd. II Anbau-
Belaubung Klein, hellgrün. auch auf Altbäumen noch sehr anspre- würdige Steinobstsorten. Obst- und Garten-
Veredlungsstelle Edelsorte meist etwas chend sein, in guten Jahren ist sie ein Mas- bauverlag, München
stärker als Unterlage senträger. Vorteilhaft ist laut Götz (1962) Witzenhäuser Frühe:
Blütezeit Mittlere Blütezeit, zu Blühbeginn auch der frühe Ertragsbeginn. In Regionen Fachgruppe Obstbau (im Bundesfachausschuss
gemeinsam mit etwas (leicht rötlichem) mit wenig Frühkirschen wird sie allerdings Obst und Gemüse) (1965): Richtlinien für den
Blattaustrieb. stark unter Vogelfraß zu leiden haben. Für Anbau von Süßkirschen. Obst- und Garten-
Blüte Mittelgroß bis groß, kelchförmig, heutige Handelsansprüche sind die Früchte bauverlag, München
Blütenblätter länglich-oval, wellig, zu klein und nicht genügend transportfest. Groh, W. (1960): 30 Jahre deutsches Kirschen-
­einander berührend. Versuchsanbau wäre bei Selbstvermark- sortiment in Blankenburg/Harz, Nossen.
tung eventuell aufgrund der Frühreife Arbeiten der Zentralstelle für Sortenwesen,
Verwechslersorten denkbar. Heft 9. Hrsg.: Regierung der DDR, Ministerium
Ähnlich in Fruchtform und Reifezeit ist die für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirt-
Frühe Maiherzkirsche, die in Deutschland Verwendung schaft. Gross, P. (1940): Der Obst- und Gemü-
aber wesentlich seltener vorkommt. Eine Als frühreifende Tafelfrucht, sowie zur semarkt, Verlag Niemann & Moschinski,
eindeutige Unterscheidung ist an den Konservierung geeignet Hamburg/Berlin
Fruchtsteinen möglich. Thalheim , F. (1952): Der Kirschenanbau im Kreise
Nach Literaturangaben ähnlich in Reifezeit Literatur Witzenhausen. Der hessische Ostbau 6: 87-88
und Fruchtform, könnte auch die Sorte Coburger Maiherz, Typ Sahlis-Kohren: Murgtalperle:
D’ Annonay zu den Verwechslern zählen. Dähne, D. (1964): Kritische Untersuchungen zur Dähne, D. (1964): (s. o.)
Früchte dieser Sorte lagen den Verfassern Sortenbenennung und Sortenbereinigung bei Götz, G. (1962): Der Süßkirschenanbau in Baden-
jedoch bisher nicht vor. Süßkirschen unter besonderer Berücksichti- Württemberg. Hrsg: Ministerium für Land-
Sehr ähnlich in der Fruchtform ist auch die gung des westdeutschen Marktsortiments. wirtschaft, Weinbau und Forsten Baden-
Hedelfinger, die aber wesentlich später Dissertation der TH Hannover, Fakultät Gar- Württemberg, Stuttgart
reift. Letztere unterscheidet sich außerdem tenbau und Landeskultur Altländer Hedelfinger:
durch das festere Fruchtfleisch, einen an- Götz, G. (1970): Süß- und Sauerkirschen. Grund- Kemmer E. (1952): Sortenstand und Sortenbewe-
ders geformten Stein, sowie Bäume mit lagen und Fortschritte im Garten- und Wein- gung im deutschen Obstbau. Techn. Universi-
stark hängenden Fruchtästen. bau, Heft 122. Ulmer-Verlag, Stuttgart tät Berlin-Charlottenburg ◗

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