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Diplomarbeit

Zur Erlangung des akademischen Grades eines

Magisters der Pharmazie

an der Naturwissenschaftlichen Fakultät der

Karl-Franzens-Universität Graz

Methamphetamin - Wirkung

und Pharmazie-historischer Einsatz

im 20. Jahrhundert

vorgelegt von

Michael Sölle

Graz, August 2021


S e i t e | II

Die vorliegende Diplomarbeit wurde im Zeitraum von März 2021 bis August 2021 in der

Arbeitsgruppe für Wirkstoffentwicklung und Genderpharmazie im Bereich Pharmazeutische

Chemie am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Karl-Franzens-Universität Graz

unter der Betreuung von Ao. Univ.-Profin. Maga. pharm. Drin. rer.nat. Edith Gößnitzer verfasst.

Danksagung

In erster Linie möchte ich mich hiermit bei Frau Ao. Univ.-Profin. Maga. pharm. Drin. rer.nat. Edith

Gößnitzer für ihre freundliche und kompetente Unterstützung während des Entstehens dieser

Arbeit, sowie die Zeit, die sie sich für mich genommen hat, bedanken.

Meiner Familie möchte ich dafür danken, dass sie mich während der gesamten Studienzeit in

jeder erdenklichen Art unterstützt. und mir den erfolgreichen Abschluss des Studiums erleichtert
hat.

Ein weiterer Dank gilt auch allen Freund*innen, die mich während meines Studiums begleiteten,

für diese unvergessliche Zeit in Graz.


S e i t e | III

Kurzfassung

Methamphetamin ist ein Phenylethylamin-Derivat und greift als Psychostimulanz in den

Neurotransmitterstoffwechsel des Zentralnervensystems ein. Als indirektes

Symphatomimetikum entfaltet Methamphetamin seine Wirkungen hauptsächlich über eine

Erhöhung der Dopamin, Noradrenalin sowie Serotonin Konzentrationen in dem jeweiligen

synaptischen Spalt. Die Wirkungen selbst sind dabei vielfältig und reichen von verminderten

körperlichen Müdigkeitserscheinungen, Euphorie, Zunahme des Blutdrucks und Herzschlags bis

hin zu Halluzinationen und Angstzuständen.

Methamphetamin wird hauptsächlich aus Phenylaceton, Ephedrin oder Pseudoephedrin

hergestellt und ist unter verschiedensten Namen wie Crystal Meth, Ice oder auch Pervitin

bekannt.

Als Arzneimittel wurde Methamphetamin gegen Ende der 1920er Jahre erstmals eingesetzt und

in den kommenden Jahren immer öfter für Indikationen wie Übergewicht und Depressionen

verordnet. Speziell im zweiten Weltkrieg sowie der Nachkriegszeit nahm der Konsum stark zu,

weshalb Methamphetamin 1971 in die Psychotropenkonvention aufgenommen wurde, wodurch

der legale Einsatz als Arzneimittel zusehends an Bedeutung verlor. Heutzutage ist es nur mehr

in den USA als Fertigarzneimittel zugelassen und findet etwa bei der Behandlung von

Übergewicht oder ADHS Verwendung. Der erschwerte Zugang durch die Reglementierung

führte jedoch zu einer Zunahme der missbräuchlichen Verwendung, wodurch der illegale Markt

für Methamphetamin sukzessive wächst.


S e i t e | IV

Abstract

Methamphetamine is a phenylethylamine derivative and interferes as a psychostimulant with the

neurotransmitter metabolism of the central nervous system. As an indirect symphatomimetic,

methamphetamine exerts its effects mainly by increasing dopamine, norepinephrine and

serotonin concentrations in the synaptic cleft. The effects themselves are manifold and range from

reduced physical fatigue, euphoria, increase in blood pressure and heart rate to hallucinations
and anxiety.

Methamphetamine is primarily made from phenylacetone, ephedrine or pseudoephedrine and is

known by a wide variety of names such as crystal meth, ice, or pervitin.

Methamphetamine was first used as a drug towards the end of the 1920s and in the following

years was increasingly prescribed for indications such as obesity and depression. Especially

during the Second World War and the post-war period its use increased sharply. Therefore

methamphetamine was included in the Psychotropic Convention in 1971 and that’s the reason

why its legal use as a medicine visibly lost importance. Nowadays it is only approved as a drug

in the USA and is used, for example, in the treatment of obesity or ADHD. However, the

decreased access due to regulation has led to a rise in misuse, resulting in a successively growing

illicit market for methamphetamine.


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Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG ................................................................................................................................................... 1

2 ENTDECKUNG VON METHAMPHETAMIN ....................................................................................................... 2

3 CHARAKTERISTIKA UND HERSTELLUNG VON METHAMPHETAMIN ................................................................ 4

PHYSIKALISCHE UND CHEMISCHE EIGENSCHAFTEN VON METHAMPHETAMIN ..............................................................................4


3.1 SYNTHESEWEGE FÜR DIE HERSTELLUNG VON METHAMPHETAMIN ...............................................................................5
3.1.1 Darstellung von Methamphetamin aus Phenylaceton .............................................................................5
3.1.2 Darstellung Methamphetamin aus Ephedrin und Pseudoephedrin .........................................................7

4 PHARMAKOKINETIK VON METHAMPHETAMIN ............................................................................................. 9

4.1 APPLIKATIONSARTEN FÜR METHAMPHETAMIN-HYDROCHLORID .................................................................................9


4.2 METABOLISMUS VON METHAMPHETAMIN-HYDROCHLORID ....................................................................................11
4.3 DOSIERUNG VON METHAMPHETAMIN-HYDROCHLORID ..........................................................................................12

5 PHARMAKODYNAMIK UND WIRKUNGEN VON METHAMPHETAMIN ........................................................... 13

5.1 WIRKUNG VON METHAMPHETAMIN IN DOPAMINERGEN NEURONEN.........................................................................13


5.1.1 Dopamin-Transporter (DAT) ..................................................................................................................14
5.1.2 Vesikulärer Monoamintransporter 2 (VMAT2) ......................................................................................15
5.1.3 Hemmung Monoaminooxidase (MAO) ..................................................................................................16
5.2 AUSWIRKUNGEN ERHÖHTER DOPAMINSPIEGEL .....................................................................................................17
5.3 WIRKUNG VON METHAMPHETAMIN IN NORADRENERGEN UND SEROTONERGEN NEURONEN ..........................................19
5.3.1 Durch Noradrenalin vermittelte Wirkungen ..........................................................................................19
5.3.2 Durch Serotonin vermittelte Wirkungen ................................................................................................20
5.3.3 Weitere durch Methamphetamin verursachte Wirkungen ....................................................................20
5.4 DURCH METHAMPHETAMIN VERMITTELTE NEUROTOXIZITÄT ...................................................................................21
5.4.1 Oxidativer Stress ....................................................................................................................................22
5.4.2 Excitotoxizität ........................................................................................................................................23
5.4.3 Neuroinflammation................................................................................................................................24
5.5 DURCH METHAMPHETAMIN INDUZIERTE ORGANISCHE VERÄNDERUNGEN...................................................................25

6 ANWENDUNGSENTWICKLUNG UND EINSATZ VON METHAMPHETAMIN ..................................................... 28

6.1 ERSTE INDIKATIONEN FÜR METHAMPHETAMIN .....................................................................................................28


6.2 METHAMPHETAMIN EINSATZ IM ZWEITEN WELTKRIEG ...........................................................................................30
S e i t e | VI

6.3 METHAMPHETAMIN ANWENDUNG NACH KRIEGSENDE ...........................................................................................32


6.4 VERWENDUNG VON METHAMPHETAMIN IM ALPINISMUS DER 1950ER JAHRE ............................................................32
6.4.1 Hermann Buhls Erstbesteigung des Nanga Parbat 1953 .......................................................................33
6.5 DIE METHAMPHETAMIN-EPIDEMIE DER 1960ER JAHRE..........................................................................................35
6.6 AKTUELLE VERWENDUNG VON METHAMPHETAMIN ...............................................................................................36

7 ILLEGALE VERWENDUNG VON METHAMPHETAMIN .................................................................................... 37

7.1 ENTWICKLUNG DES METHAMPHETAMIN DROGENMARKTES IN AMERIKA ....................................................................37


7.2 DIE SITUATION DES METHAMPHETAMIN MISSBRAUCHS IN EUROPA ...........................................................................39
AKTUELLE ZAHLEN ZUM METHAMPHETAMIN MISSBRAUCH ..................................................................................................40
7.3 METHAMPHETAMIN ABHÄNGIGKEIT UND ENTZUGSERSCHEINUNGEN .........................................................................41

ZUSAMMENFASSUNG .......................................................................................................................................... 43

ABBILDUNGSVERZEICHNIS ................................................................................................................................... 45

TABELLENVERZEICHNIS ........................................................................................................................................ 45

LITERATUR ........................................................................................................................................................... 46
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1 Einleitung

Im Laufe der Menschheitsgeschichte wurden in zahlreichen Kulturen bewusstseinsverändernde

Substanzen konsumiert. Der Mensch lernte sich an den unterschiedlichen Wirkungen bestimmter

Pflanzen zu berauschen. Ausgrabungen legen nahe, dass Alkohol oder auch diverse Pilze bereits

in der Steinzeit zu diesem Zweck konsumiert wurden. Oftmals fanden Rauschmittel im Zuge von

religiösen Ritualen Verwendung, und sogar die Tierwelt ist manch berauschenden Naturstoffen
nicht abgeneigt.

Durch das wachsende Wissen über den Aufbau und die Wirkung, sowie die Zunahme an

Möglichkeiten zur synthetischen Herstellung dieser Substanzen, ist es nicht weiter überraschend,

dass bald Derivate dieser Naturstoffe entwickelt wurden. So kamen seit Anfang des 20.

Jahrhunderts zu den bereits bekannten Rauschmitteln eine Vielzahl neuer Substanzen hinzu, die

eine psychoaktive Wirkung entfalten. Dabei verlangt die moderne rastlose Gesellschaft bald nach

auch leistungssteigernden Mitteln. Sowohl in der Arbeitswelt als auch unter Student*innen,

Schüler*innen oder in der Partyszene wird immer häufiger auf unterschiedlichste aufputschende

Substanzen zurückgegriffen, welche die Produktivität erhöhen oder die Müdigkeit

unterdrücken. Legale Genussmittel wie etwa Koffein wurden dabei zu einem festen Bestandteil

unserer Kultur, wohingegen andere, mittlerweile hauptsächlich illegale Drogen wie

Amphetamine zusehends ein immer größer werdendes Problem für unsere Gesellschaft

darstellen.

In den letzten Jahren nahm dabei vor allem die gesundheitspolitische Bedeutung von

Methamphetamin überproportional zu. Neben Hotspots wie den USA, Australien oder Teile des

asiatischen Raums wird auch in Europa eine stetig wachsende Zahl an

Methamphetaminkonsument*innen beobachtet. Im Zeitraum von 2015 bis 2019 wurden weltweit

fast 24000 illegale Produktionsstätten für amphetaminartige Stimulanzien ausgeforscht. Weiters

erreichte die beschlagnahmte Menge Methamphetamin im Jahr 2019 mit 325 Tonnen einen

Höchstwert und lag um 30 % über jenem des Vorjahres (United Nations Office on Drugs and

Crime 2021).
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2 Entdeckung von Methamphetamin

Die ersten dokumentierten Verwendungen von Stimulanzien des Amphetamin-Typs gehen auf

die traditionelle chinesische Medizin zurück. So wurde bereits im ersten Jahrhundert nach

Christus in einem chinesischen Pharmakognosiebuch der Einsatz von Ephedra sinica zur

Abbildung 1: Ephedra sinica (Plants of the World)

Behandlung von Asthma und Erkrankungen der oberen Atemwege beschrieben. Der

Hauptwirkstoff der in Asien beheimateten Pflanze wurde 1887 von Nagajoshi Nagai, einem

japanischen Chemiker, als Ephedrin [(1R,2S)-2-Methylamino-1-phenylpropan-1-ol, Abbildung 2]

identifiziert und isoliert. Zusätzlich gelang Nagai auch die Isolierung von Pseudoephedrin

[(1S,2S)-2-Methylamino-1-phenyl-propan-1-ol, Abbildung 2]. Nagai absolvierte einen Teil seiner

Abbildung 2: (-)-Ephedrin und (+)-Pseudoephedrin


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Ausbildung auch in Deutschland, wodurch seine Arbeit ebenfalls in Europa verfolgt wurde

(Sulzer et al. 2005; Rasmussen 2015).

Um einen möglichen Einsatz für Ephedrin zu finden, wurden von K Muira, einem Kollegen

Nagais, erste pharmakologische Studien durchgeführt. Allerdings kam dieser zu dem Entschluss,

dass Ephedrin für die orale Einnahme zu toxisch sei, eine Vermutung, die sich später nicht

bestätigte. Deshalb empfahl er die topische Anwendung von Ephedrin als Mydriatikum. In den

nächsten Jahren wurde Ephedrin jedoch nicht vermarktet und auch kaum beforscht.

Erst in den 1910er Jahren rückte Ephedrin wieder vermehrt in das Interesse der Wissenschaft,

was schließlich dazu führte, dass 1919 der Japaner Akira Ogata im Zuge der Strukturaufklärung

von Ephedrin erstmals Methamphetamin in Reinform synthetisierte. Jedoch wurde auch

Methamphetamin am Anfang kaum Beachtung geschenkt, und die Forschung konzentrierte sich

weiter auf Ephedrin.

In den 1920er Jahren wurde Ephedrin als Asthmamittel vor allem in Europa und Amerika häufig

verwendet. Der Amerikaner Gordon Alles synthetisierte schließlich 1927 bei seiner Forschung an

Adrenalin-artigen Wirkstoffen Amphetamin, welches er sich auch gleich patentieren ließ. Dieser

Patentschutz führte letztlich dazu, dass in den 1930er Jahren die Aufmerksamkeit verstärkt auf

Methamphetamin gerichtet war, weil es vor 1920 synthetisiert wurde und deshalb keinem

Patenschutz unterlag, aber sehr ähnliche pharmakologische Eigenschaften besaß (Rasmussen

2015).
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3 Charakteristika und Herstellung von Methamphetamin

Physikalische und chemische Eigenschaften von Methamphetamin

Methamphetamin ist ein Phenylethylamin-Derivat und besitzt, abgesehen von den fehlenden

Hydroxygruppen, eine strukturelle Ähnlichkeit mit den Katecholaminen wie Adrenalin oder

Dopamin. Die offizielle IUPAC-Bezeichnung für Methamphetamin lautet N-Methyl-1-

phenylpropan-2-amin, wobei noch eine Vielzahl an Synonymen und Trivialnamen, wie

Desoxyephedrin, Desoxyn, Crystal Meth, Ice, Glass oder auch Pervitin existieren (National

Center for Biotechnology Information 2021).

Abbildung 3: (S)-(+)-Methamphetamin (R)-(-)-Methamphetamin

Methamphetamin besitzt ein Stereozentrum, wobei (S)-Methamphetamin verglichen mit (R)-

Methamphetamin, bei gleicher Dosierung und Applikationsart, eine um den Faktor 4 erhöhte

biologische Wirkung auf das zentrale Nervensystem besitzt.

Als freie Base ist Methamphetamin ein flüssiges, flüchtiges, nicht mit Wasser mischbares

farbloses bis gelbliches Öl, mit einem pKs-Wert von 9,9 und einem Molekulargewicht von

149,24 g/mol. Illegal hergestellte Methamphetamin-Base ist wie in Abbildung 4 dargestellt,

oftmals stark verunreinigt und erscheint eher als ein dunkelgelb bis bräunlich klebriges Granulat.

Als Salz wird am häufigsten (S)-Methamphetamin-Hydrochlorid mit einem Molekulargewicht

von 185,69 g/mol verwendet. Es löst sich gut in Wasser und Ethanol, allerdings nicht in anderen

organischen Lösungsmitteln. Optisch ist es ein cremefarben bis transparent-weiß erscheinendes


Pulver, mit einem Schmelzpunkt von 170-175 °C.
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Abbildung 4: Methamphetamin als freie Base und Methamphetamin-HCl in Kristallform(Ice) (McKetin et al. 2005)

Spricht man bei der Verwendung von Methamphetamin von Ice, so ist laut der amerikanischen

Drug Enforcement Administration (S)-Methamphetamin mit einem Reinheitsgrad von über 80 %

gemeint. Bei der Herstellung wird (S)-Methamphetamin-Hydrochlorid dazu in einem erhitzten

Lösungsmittel wie etwa Ethanol gelöst, wobei sich beim Abkühlen transparente Kristalle mit bis

zu mehreren Zentimetern Länge bilden. Durch diesen zusätzlichen Kristallisationsschritt, bei

dem eventuell vorhandene Verunreinigungen zu einem großen Teil im Lösungsmittel zurück

bleiben, besitzt Ice auch bei illegaler Produktion eine hohe Reinheit (Cho 1990; Logan 2002; Scott

et al. 2015; United States Drug Enforcement Administration 2021).

3.1 Synthesewege für die Herstellung von Methamphetamin

Abhängig von den verwendeten Reduktionsmitteln lässt sich Methamphetamin grundsätzlich

auf viele verschiedene Arten synthetisieren, wobei entweder Phenylaceton oder Ephedrin bzw.

Pseudoephedrin als Edukt benutzt wird.

3.1.1 Darstellung von Methamphetamin aus Phenylaceton

Bei Verwendung von Phenylaceton zur Darstellung von Methamphetamin (Abbildung 5)

entsteht ohne chirale Auxiliare, ein racemisches Gemisch. Dabei macht es keinen Unterschied, ob

die Synthese über eine Leukart-Wallach analoge Reaktion mit Methylformamid oder eine

katalytische reduktive Aminierung mittels Methylamin zustande kommt.


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Phenylaceton wird großtechnisch meist aus Phenylessigsäure und Essigsäureanhydrid

hergestellt, wobei die Herstellung und der Handel von Phenylaceton als auch Phenylessigsäure

einer Genehmigung bedürfen und andernfalls eine strafbare Handlung darstellen.

Abbildung 5: Synthese Methamphetamin aus Phenylaceton

Bei der Leukart-Wallach analogen Reaktion (Abbildung 5) reagiert im ersten Schritt Phenylaceton

(1) mit 2 Teilen N-Methylformamid (2) zu N-Formylmethamphetamin (3) sowie jeweils einem

Molekül Kohlenstoffdioxid und Methylamin. Dabei wird N-Methylformamid (2) unter Rühren

langsam zugegeben. Danach wird die Temperatur auf rund 170 °C erhöht und für ungefähr 24

Stunden beibehalten. Nach dem Abkühlen wird Natronlauge zugegeben und unter Rückfluss für

2 Stunden erhitzt, wobei im Anschluss die Wasserphase verworfen wird.

Im zweiten Schritt wird nun die organische Phase mit Salzsäure versetzt und wieder 2 Stunden

unter Rückfluss erhitzt, wodurch sich durch Hydrolyse des N-Formylmethamphetamin (3) die

freie Methamphetamin-Base 5 als braunes Öl bildet. Nach dem Abkühlen lässt sich die Base mit

Toluol extrahieren (Crossley und Moore 1944; Kunalan et al. 2009; Maas et al. 2018)
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Bei der reduktiven Aminierung wird die Carbonylgruppe von Phenylaceton (1) über eine Imin-

Zwischenstufe 4 in ein Amin, in diesem Fall Methamphetamin 5 umgesetzt (Abbildung 5). Zuerst

werden kleine Stücke Aluminiumfolie mit Quecksilberchlorid versetztem destillierten Wasser

übergossen. Die durch Amalgamation entstehende Aluminium-Quecksilberlegierung dient in

weiterer Folge als Reduktionsmittel. Nach etwa 15 Minuten wird das Wasser abgegossen und die

Aluminiumfolie gewaschen. Separat wird Methylamin-Hydrochlorid zu einer Mischung aus

Natronlauge und Methanol zugegeben, welcher nach Abkühlen auf -10 °C noch Phenylaceton

beigemengt wird. Anschließend wird diese Mischung unter Rühren auf die Aluminiumfolie

aufgetragen. Die Temperatur sollte 0 °C nicht übersteigen, weshalb die Reaktion auf einem

Eisbad gekühlt wird. Dann wird das Reaktionsgemisch für etwa 90 Minuten auf 50 °C erwärmt.

Die erhaltene grobe, braune Methamphetamin-Base wird nach Zugabe von Kieselgur gefiltert

und mehrmals mit Methanol nachgewaschen.

Die aus beiden Reaktionen erhaltene freie Methamphetamin-Base lässt sich durch Trocknen der

organischen Phase über Magnesiumsulfat und anschließender Vakuumdestillation weiter

aufreinigen, wodurch ein klares, leicht gelbliches Öl erhalten wird.

Will man die freie Base in das Hydrochlorid-Salz überführen, so löst man diese in Toluol und

begast die Lösung mit wasserfreiem Chlorwasserstoffgas. Der dadurch entstehende weiße

Niederschlag kann anschließend gewaschen und getrocknet werden (Kunalan et al. 2009; Maas

et al. 2018).

3.1.2 Darstellung Methamphetamin aus Ephedrin und Pseudoephedrin

Für die Synthese von Methamphetamin aus Ephedrin bzw. Pseudoephedrin stehen eine Vielzahl

unterschiedlicher Reduktionsmittel zur Verfügung (Abbildung 6), wobei in diesem Fall die

Reaktion, aufgrund der Verwendung der chiralen Edukte, stereoselektiv verläuft. Für die

Reduktion wird beispielsweise metallisches Lithium mit Ammoniak oder Iodwasserstoffsäure in

Verbindung mit rotem Phosphor eingesetzt (Abbruscato und Trippier 2018; Maas et al. 2018).
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Ephedrin oder auch Pseudoephedrin kann aus verschiedenen Pflanzen der Gattung Meerträubel

(Ephedra) gewonnen werden. Auch sie unterliegen im Handel als Drogenausgangstoffe einer

strengen Überwachung.

Abbildung 6: Synthese Methamphetamin aus Ephedrin oder Pseudoephedrin

Eine mögliche Synthese für die Herstellung von (S)-(+)-Methamphetamin (4) ist wie bereits

erwähnt die Reduktion von (-)-Ephedrin (1) oder (+)-Pseudoephedrin (2) mit Iodwasserstoffsäure

und rotem Phosphor (Abbildung 6). Die Reaktion selbst ist ein einfacher Prozess, weshalb er oft

bei der illegalen Herstellung zur Anwendung kommt. Dabei wird Ephedrin zusammen mit rotem

Phosphor und Iodwasserstoffsäure (HI) erhitzt. Ephedrin reagiert mit HI zu Iodephedrin 3,

welches vorwiegend zu (S)-(+)-Methamphetamin (4) reduziert wird. Iodwasserstoffsäure wird

durch Oxidation des roten Phosphors während der Reaktion in situ direkt aus Iod gebildet, wobei
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auch Phosphinsäure entsteht. Bei weiterer Oxidation entstehen daraus Phosphonsäure und

schließlich die stabile Phosphorsäure.

Zusätzlich kann sich durch Ringschluss 1,2-Dimethyl-3-phenylaziridin (5) bilden, welches

ebenfalls zu (S)-(+)-Methamphetamin (4) weiterreagiert oder über Phenylaceton (6) als

Zwischenstufe verschiedene Verunreinigungen bilden kann. So kommt es durch eine Aldol-

Kondensation zur Bildung von 1,3-Dimethyl-2-phenylnaphthalen (7) sowie 1-Benzyl-3-

methylnaphthalin (8) als Nebenprodukte (Abbildung 5).

Nach dem Erhitzen wird filtriert und anschließend Natronlauge zugegeben. Nachfolgende

Reinigungs- und Extraktionsschritte können, wie bereits bei der Herstellung von

Methamphetamin aus Phenylaceton beschrieben, durchgeführt werden. Die theoretische

Ausbeute dieser Reaktion beträgt bei Verwendung von Ephedrin bis zu 92 % (Skinner 1990; Lee

et al. 2006).

Wie bereits erwähnt erhält man durch die Verwendung der beiden Diastereoisomere

(-)-Ephedrin und (+)-Pseudoephedrin das biologisch wirksamere (S)-(+)-Methamphetamin. Bei

der Reaktion wird von den anfänglichen zwei chiralen Zentren das erste eliminiert. Würde man

als Ausgangstoff ein Racemat verwenden, wäre auch das Produkt ein racemisches Gemisch
(Skinner 1990).

4 Pharmakokinetik von Methamphetamin

4.1 Applikationsarten für Methamphetamin-Hydrochlorid

Methamphetamin wird als Hydrochlorid eingesetzt und kann sowohl intravenös, inhalativ, nasal

sowie oral appliziert werden. Pharmazeutisch relevant ist jedoch nur die orale Einnahme,

typischerweise in 5 mg Tabletten oder Kapseln. Bei der nicht medizinischen Verwendung von

Methamphetamin-Hydrochlorid wird aufgrund des schnelleren Wirkungseintritts, wie in Tabelle

1 gezeigt, die inhalative oder intranasale Applikation bevorzugt.


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Tabelle 1: Pharmakokinetik von Methamphetamin-Hydrochlorid (Cruickshank und Dyer 2009)

Applikation Dosis Bioverfügbarkeit Maximalkonzentration Maximaleffekt (min)


Plasma (min)
intravenös 30 mg 100 % 6 < 15

inhalativ 30 mg 90 % 150 18

intranasal 50 mg 80 % 170 15

oral 30 mg 65 % 220 180

Bei oraler Verabreichung von Methamphetamin-Hydrochlorid wird der Großteil der Substanz

über den Dünndarm aufgenommen, wobei etwa 65 % der applizierten Dosis biologisch verfügbar

werden. Durch die hohe Lipophilie ist Methamphetamin-Base in der Lage, rasch durch

Körperkompartimente, insbesondere auch die Blut-Hirn-Schranke, zu diffundieren. So werden

die Wirkorte, die sich hauptsächlich im zentralen Nervensystem befinden, schnell erreicht.

Allerdings stellt sich der Maximaleffekt nach oraler Einnahme erst nach etwa 3 Stunden ein, und

auch die höchsten Plasmawerte wurden erst nach 220 Minuten gemessen.

Wird Methamphetamin-Hydrochlorid inhalativ appliziert, also zum Beispiel geraucht, da es

thermisch stabil ist, so erreicht man eine Bioverfügbarkeit von bis zu 90 %. Da der Maximaleffekt

bereits nach 15 Minuten auftritt, muss der Transport aus den Alveolen in die Blutbahn sehr

schnell erfolgen. Allerdings erreichen die Plasmawerte ihr Maximum erst nach 150 Minuten,

weshalb vermutet wird, dass ein Teil des Methamphetamins über den oberen Respirationstrakts,

in dem die Resorption langsamer stattfindet, aufgenommen wird.

Bei der intranasalen Anwendung sind die pharmakokinetischen Parameter, wie aus Tabelle 1

ersichtlich, vergleichbar mit der inhalativen Applikation. Intravenös appliziert wirkt

Methamphetamin-Hydrochlorid am schnellsten, wobei sich erste Auswirkungen auf das Herz-


Kreislaufsystem bereits nach 2 Minuten messen lassen (Logan 2002; Cruickshank und Dyer 2009).
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4.2 Metabolismus von Methamphetamin-Hydrochlorid

Im physiologischen pH von 7,4 liegt Methamphetamin-Hydrochlorid weitgehend als freie Base

vor und wird zu einem Großteil in der Leber durch Cytochrom P450 2D6 abgebaut, wobei drei

wichtige Stoffwechselwege bekannt sind (Abbildung 7). Durch Demethylierung kommt es zur

Bildung von Amphetamin (2). Die Hydroxylierung am Aromaten führt hauptsächlich zu

p-Hydroxymethamphetamin (3), und eine Hydroxylierung am β-Kohlenstoff ergibt Norephedrin

(4). Weiters wird in Phase-2-Reaktionen ein Großteil von p-Hydroxymethamphetamin (3) und

Norephedrin (4) an Glucuronsäure gebunden. Die Plasmahalbwertszeit von Methamphetamin

beträgt etwa 10 Stunden (Schepers et al. 2003).

Abbildung 7: Metabolismus Methamphetamin

In den ersten 24 Stunden nach der Aufnahme werden bereits 70 % des Methamphetamins über

den Harn wieder ausgeschieden. Allerdings unterliegt etwa nur die Hälfte einer

Biotransformation durch Cytochrom Enzyme und 50 % werden als Methamphetamin

unmetabolisiert ausgeschieden. 4-Hydroxymethamphetamin entsteht etwa zu 15% und

Amphetamin zu 10 %. Obwohl Amphetamin ein Abbauprodukt bei der Verstoffwechselung von

Methamphetamin darstellt, scheint es nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil an der Wirkung

beteiligt zu sein. Denn die Plasmaspiegel von Amphetamin, mit einem Maximum nach 12

Stunden, bleiben immer deutlich unter jenen von Methamphetamin. Außerdem können nach
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dieser Zeit fast keine klinischen Effekte mehr beobachtet werden. Auch die anderen entstehenden

Stoffwechselprodukte zeigen keine Anzeichen für signifikante Wirkungen (Cho 1990; Lin et al.

1997; Cruickshank und Dyer 2009).

Wie bereits erwähnt, werden Methamphetamin und sämtliche Abbauprodukte zu über 90 % über

die Niere mit dem Harn ausgeschieden. Die renale Ausscheidung ist jedoch stark vom pH-Wert

des Harns abhängig. Bei basischem Harn liegt das Gleichgewicht von Methamphetamin auf der

Seite der unpolaren freien Base, weshalb diese durch die Membranen in das Blut

zurückdiffundiert. Ein niedrigerer pH-Wert sorgt also für eine erhöhte Ausscheidung von

Methamphetamin als nicht rückresorbierbares polares Salz. Die Verminderung das pH-Werts des

Harns ist etwa bei Überdosierung eine wichtige therapeutische Maßnahme, um die

Eliminationsrate zu erhöhen (Oyler et al. 2002; Schepers et al. 2003; Courtney und Ray 2014) .

4.3 Dosierung von Methamphetamin-Hydrochlorid

Bei der Dosierung von Methamphetamin-Hydrochlorid muss man zwischen dem klinischen und

illegalen Gebrauch unterscheiden. Klinisch werden 5 mg Tabletten eingesetzt, wobei immer die

niedrigste wirksame Dosierung angestrebt wird. Man beginnt meist mit einer Anfangsdosis von

10 mg täglich und erhöht die Dosierung um 5 mg wöchentlich, bis ein optimaler Effekt erreicht

wird. Je nach Indikation sind meist 20 mg täglich ausreichend. Aufgrund der Halbwertszeit von

10 Stunden wird weiters empfohlen, diese Menge auf 2 Einzeldosen aufzuteilen, was einer

typischen Einnahme von zweimal täglich 2 Tabletten entspricht.

Im Gegensatz dazu wurde bei unkontrollierter illegaler Einnahme von über 4 g

Methamphetamin pro Tag berichtet. Allerdings sind diese Daten nicht zuverlässig, und auch der

Reinheitsgrad der illegal hergestellten Substanz variiert sehr stark. Im Zuge von Testungen

wurden jedoch Plasmawerte von über 1600 µg/l gemessen, was einer intravenösen Applikation

von 436 mg Methamphetamin-Hydrochlorid entspricht. Denn 30 mg intravenös verabreichtes

Methamphetamin-Hydrochlorid führt zu Spitzenplasmaspiegeln von 110 µg/l (Food and Drug


Administration 05.2017; Cruickshank und Dyer 2009).
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5 Pharmakodynamik und Wirkungen von Methamphetamin

Methamphetamin ist ein Psychostimulanz, welches als indirektes Symphatomimetikum in den

Neurotransmitterstoffwechsel des Zentralnervensystems eingreift. Vor allem der

Dopaminstoffwechsel wird beeinflusst, etwas geringer der des Noradrenalins und am wenigsten

der des Serotonins. Die Einnahme von Methamphetamin führt anfangs zu unterschiedlichsten

euphorischen Effekten. So wird bei einer Einnahme von 5 mg Methamphetamin-Hydrochlorid

von Erregungszuständen, erhöhter körperlicher Leistungsfähigkeit, Antriebssteigerung sowie

einem allgemeinen Glücksgefühl berichtet. Auslöser dieser Wirkungen ist der Neurotransmitter

Dopamin. Dopamin ist unter anderem im Zentralnervensystem für die Motivation sowie

Antriebssteigerung zuständig und sorgt mit einem Belohnungsgefühl für verbesserte


Lernprozesse.

Die längerfristige Einnahme von Methamphetamin sorgt jedoch für Veränderungen des

dopaminergen Systems mit Schädigung der Synapsen sowie einem starken Abfall der anfänglich

erhöhten kognitiven Fähigkeiten. Weiters kommt es zu einer Zunahme von Halluzinationen,

Psychosen, Angstzuständen sowie einer erhöhten Gewaltbereitschaft. Nach Absetzen von

Methamphetamin dauert es teilweise noch Jahre, bis sich diese Veränderungen wieder

normalisiert haben (Cruickshank und Dyer 2009; Prakash et al. 2017).

5.1 Wirkung von Methamphetamin in dopaminergen Neuronen

Methamphetamin ist nicht in der Lage zentrale Dopamin-Rezeptoren direkt zu aktivieren.

Vielmehr sorgt Methamphetamin für eine erhöhte Freisetzung von Dopamin in den synaptischen

Spalt, sowie einer verminderten Wiederaufnahme aus diesem. Außerdem wird der Abbau von

Dopamin durch Methamphetamin gehemmt, wodurch es insgesamt zu einer erhöhten


Dopaminkonzentration im Zentralnervensystem kommt.
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5.1.1 Dopamin-Transporter (DAT)

Die erhöhte Freisetzung von Dopamin aus der Synapse beruht auf der Phosphorylierung von

Dopamin-Transportern (DAT). Der normalerweise in die Zelle gerichtete Transport kommt zum

Erliegen oder wird sogar umgekehrt. Die Phosphorylierung findet dabei an einem Serin Rest des

N-terminalen Endes der Transporter statt und scheint auf der Aktivierung von Proteinkinase C

(PKC) und der Calcium(II)/Calmodulin abhängigen Proteinkinase (CaMK) zu beruhen.

Methamphetamin sorgt für eine erhöhte intrazelluläre Calcium(II)-Konzentration, wodurch

CaMK aktiviert wird. Die aktivierte CaMK katalysiert die Phosphorylierung der DAT, wobei

noch nicht bekannt ist, ob PKC für die Phosphorylierung durch CaMK benötigt wird. In vitro

Studien haben jedenfalls gezeigt, dass sowohl PKC als auch CaMK zur Phosphorylierung der

Transporter in der Lage sind (Vaughan und Foster 2013).

Die verringerte Wiederaufnahme von Dopamin scheint auf einer verminderten Anzahl an

membranständigen Transportproteinen zu beruhen. Es konnte gezeigt werden, dass der trace

amine-associated receptor 1 (TAAR1) eine entscheidende Rolle in diesem Prozess einnimmt,

wobei Methamphetamin einen potenten Agonisten an TAAR1 darstellt. TAAR1 ist dabei ein

Abbildung 8: Schematische Darstellung der Wirkung von Methamphetamin auf Transportproteine (Underhill et al. 2021)
S e i t e | 15

intrazellulärer Rezeptor, und damit Methamphetamin an TAAR1 binden kann, muss dieses

zuerst in die Präsynapse gelangen. Wie bereits erwähnt, kommt es durch die hohe Lipophilie

von Methamphetamin dabei zu einer passiven Diffusion sowie zu einer aktiven Aufnahme durch

den Dopamin-Transporter selbst.

Nach der Aufnahme in das präsynaptische Neuron kann Methamphetamin, sowie alle anderen

Amphetamin-Derivate, wie in Abbildung 8 dargestellt, an den Gαs- sowie Gα1,3-gekoppelten

TAAR1 binden. Bei der Bindung an den Gα1,3-gekoppelten TAAR1, welcher bevorzugt in der

Nähe des Endoplasmatischen Retikulums lokalisiert ist, kommt es durch Übertragung eines

Phosphatrestes durch den Guanosin triphosphat exchange factor (GTEF) zur Aktivierung des

RhoA-Signalwegs. Dies führt zur Endozytose der Dopamin-Transporter, wodurch diese aus der

Zellmembran entfernt werden. Durch die verminderte Anzahl an Transportproteinen nimmt

auch die Transportkapazität ab. Dadurch erhöht sich die Konzentration von Dopamin im

synaptischen Spalt und es kommt zu einer vermehrten Aktivierung von Dopamin-Rezeptoren.

Aktuelle Studien haben weiters gezeigt, dass es durch Bindung von Methamphetamin an den

Gαs-gekoppelten TAAR1 zur Aktivierung der Adenylatcyclase kommt. Dadurch erhöht sich die

cAMP Konzentration, welche mit einer vermehrten Expression von PKA einhergeht. PKA führt

in weiterer Folge zu einer Inaktivierung des RhoA-Signalwegs, wodurch die Translokation der

Dopamin-Transporter in das Zellinnere gestoppt wird. Allerdings ist die genaue physiologische

Bedeutung dieses Mechanismus noch nicht vollständig geklärt und Gegenstand aktueller

Forschung (Prakash et al. 2017; Liu et al. 2020; Underhill et al. 2021).

5.1.2 Vesikulärer Monoamintransporter 2 (VMAT2)

Methamphetamin hat auch einen Effekt auf den vesikulären Monoamintransporter 2 (VMAT2).

Dieser Transporter ist ein in der Vesikelmembran von Nervenzellen befindliches Protein

(Abbildung 9) und sogt für die Aufnahme verschiedener Neurotransmitter in ihre

entsprechenden Vesikel. VMAT2 wird in allen monoaminergen Neuronen exprimiert, wobei jene

für Dopamin, Noradrenalin, Serotonin sowie Histamin die größte Bedeutung haben.

Methamphetamin sorgt für eine Phosphorylierung des VMAT2, wodurch dieser gehemmt wird,
S e i t e | 16

wobei der genaue Ablauf dieses Mechanismus noch nicht geklärt ist. Die verminderten

Aufnahme von Dopamin in die Vesikel sorgt somit für eine erhöhten Konzentration von

Dopamin im Zytosol des präsynaptischen Neurons. Die erhöhte Konzentration führt in weiterer

Folge zu einer verstärkten Freisetzung von Dopamin, durch die zuvor beschriebene Wirkung von

Methamphetamin auf die DAT, in den synaptischen Spalt (Eiden und Weihe 2011).

Abbildung 9: Schematische Darstellung einer dopaminergen Synapse (Cenci 2014)

5.1.3 Hemmung Monoaminooxidase (MAO)

Neben den zuvor beschriebenen Auswirkungen von Methamphetamin auf die verschiedenen

Transportproteine der endogenen Monoamine kommt es zusätzlich zu einer kompetitiven

Hemmung der an den äußeren mitochondrialen Membranen befindlichen Monoaminooxidasen

(MAO). Es gibt zwei Typen der Oxidasen, wobei Dopamin von Typ A und Typ B gleichermaßen
S e i t e | 17

abgebaut wird. Durch den verminderten Abbau ist eine größere Menge an Dopamin für eine

Freisetzung verfügbar.

Die MAO katalysiert die oxidative Abspaltung der primären Aminogruppe von Dopamin 1,

wodurch 3,4-Dihydroxyphenylacetaldehyd (2) entsteht. Im Anschluss die Aldehyd-

Dehydrogenase für eine Oxidation zur 3,4-Dihydroxyphenylessigsäure (3) (Sulzer et al. 2005;
Mayer 2019).

Abbildung 10: Abbau Dopamin durch MAO

5.2 Auswirkungen erhöhter Dopaminspiegel

Obwohl insgesamt 5 Dopamin-Rezeptoren existieren, scheinen die durch Methamphetamin

hervorgerufenen Wirkungen hauptsächlich durch eine verstärkte Aktivierung von Dopamin-1-

und Dopamin-2-Rezeptoren zustande zu kommen. Der D1-Rezeptor ist dabei, wie in Abbildung

9 dargestellt, Gαs-gekoppelt, wodurch es über Bildung von cAMP zur Aktivierung der PKA

kommt. Im Gegensatz dazu ist der D2-Rezeptor Gαi-gekoppelt und hemmt die Bildung von cAMP
und somit PKA.

Auch wenn die durch Methamphetamin hervorgerufenen Wirkungen gut untersucht und auch

durch Studien belegt sind, so bedarf es für die Aufklärung der genauen molekularen

Mechanismen noch weiterer Forschungsarbeit. Als sehr wahrscheinlich gilt, dass die

euphorischen Effekte, welche bereits ab einer Einnahme von 5 mg Methamphetamin auftreten,

durch die erhöhte Dopaminfreisetzung im Nucleus accumbens, welcher im ventralen Teil der

Basalganglien im Vorderhirn lokalisiert ist, verursacht werden (Abbildung 11). Weiters dürften

Dopamin-Rezeptoren ebenfalls an der Entstehung eines Erregungszustand, der mit einem

vermindertem Erschöpfungsgefühl einhergeht, beteiligt sein. Eine stark erhöhte

Dopaminfreisetzung im Striatum dürfte auch für das vermehrte Auftreten von Halluzinationen
S e i t e | 18

sowie Paranoia, welche bei Methamphetamin Einnahmen von über 55 mg beobachtet werden,

verantwortlich zu sein.

Abbildung 11: Struktur und Bildungsort der Monoamine

Weiters werden auch kognitive Effekte, wie die Verbesserung des logischen Denkvermögens

sowie der Mustererkennung durch erhöhte Stimulierung von D1-Rezeptoren im präfrontalen

Cortex, der den vorderen Teil des Frontallappens der Großhirnrinde ausmacht, hervorgerufen,

wobei die verbesserten motorischen Fähigkeiten abermals durch vermehrte Dopamin-

Freisetzung im Striatum verursacht werden. Diese Wirkungen lassen sich bei Einnahmen von

etwa 30 mg Methamphetamin beobachten, wobei die anfängliche Verbesserung kognitiver

Eigenschaften bei wiederholter Methamphetamin Einnahme schnell nachlässt (Cruickshank und

Dyer 2009; Mayer 2019).


S e i t e | 19

5.3 Wirkung von Methamphetamin in noradrenergen und serotonergen Neuronen

Die Einnahme von Methamphetamin führt ebenfalls zu einer erhöhten Freisetzung von

Noradrenalin und Serotonin im Zentralnervensystem. Die Wirkung von Methamphetamin auf

die Serotonin- (SERT) und Noradrenalintransporter (NET), ist analog zu jener auf die

Dopamintransporter.

Auch werden der vesikuläre Monoamintransporter 2 und die Monoaminooxidase in

noradrenergen und serotonergen Nervenzellen genauso wie in dopaminergen Neuronen

exprimiert, weshalb die zuvor beschriebenen Effekte von Methamphetamin auch hier auftreten.

5.3.1 Durch Noradrenalin vermittelte Wirkungen

Durch Methamphetamin vermittelte physiologische Wirkungen, werden großteils durch

Noradrenalin vermittelte vermehrte Aktivierung von α1- und β-Adrenorezeptoren, ausgelöst.

α1-Rezeptoren sind Gαq-gekoppelt, wodurch Phospholipase C für eine vermehrte Bildung von

Inositoltriphosphat (IP3) und Diacylglycerin (DAG) sorgt. IP3 führt in weiterer Folge zu einer

vermehrten intrazellularen Calcium(II)-Freisetzung aus dem Endoplasmatischen Retikulum.

Dadurch kann mehr Calcium(II) an Calmodulin im glatten Muskel oder an Troponin im Herz

und Skelettmuskel gebunden werden, und es kommt zu einer verstärkten Kontraktion.

β1-Rezeptoren sind dagegen Gαs- und β2-Rezeptoren Gαi-gekoppelt.

Sowohl eine beschleunigte Herzfrequenz als auch ein erhöhter Blutdruck lässt sich bereits ab

einer Dosis von 10 mg Methamphetamin messen. Dabei führt die vermehrte Stimulation von

β1-Rezeptoren im Herzmuskel zu der positiv chronotropen, dromotropen und inotropen

Wirkung. Die Zunahme des Blutdrucks erfolgt durch Gefäßkontraktion, wobei dafür vor allem

in den Blutgefäßen befindliche α1-Rezeptoren verantwortlich sind. Ab einer Einnahme von 30 mg

Methamphetamin weiten sich die Pupillen durch α1-Rezeptor vermittelte Kontraktion des

Musculus dilatator pupillae. Weiters kann Methamphetamin ab einer Dosierung von 30 mg

Angstzustände auslösen, wobei eine erhöhte Stimulierung von α1-Rezeptoren im präfrontalen


S e i t e | 20

Cortex dafür mitverantwortlich zu sein scheint (Cruickshank und Dyer 2009; Mutschler et al.

2012).

5.3.2 Durch Serotonin vermittelte Wirkungen

Die 14 bekannten Serotonin-Rezeptoren werden in sieben Familien eingeteilt, wobei

Methamphetamin induzierte Wirkungen zum größten Teil durch Rezeptoren der Familien 1-3

ausgelöst werden. 5-HT1-Rezeptoren sind dabei wieder Gαi- und 5-HT2-Rezeptoren sind Gαq-

gekoppelt. Die 5-HT3-Rezeptoren sind ligandengesteuerte für Natrium und Kaliumionen

durchlässige Ionenkanäle, wobei eine Rezeptoraktivierung für eine Öffnung der Kanäle und eine

schnelle Depolarisation des betreffenden Neurons sorgt.

Methamphetamin wirkt ab einer Dosierung von etwa 10 mg entspannend, wobei sich zusätzlich

das Selbstbewusstseins sowie die Kontaktfreudigkeit erhöht. Diese Wirkungen scheinen auf

jeden Fall durch Serotonin ausgelöst zu werden, wobei eine verstärkte Aktivierung des 5-HT2B-

Rezeptors im Cerebellum (Kleinhirn) und Hypothalamus für angstlösende Effekte

verantwortlich ist. Höhere Dosierungen von über 30 mg Methamphetamin verstärken unter

Beteiligung von 5-HT3-Rezeptoren jedoch die Ausprägung von Angstzuständen (Filip et al. 2005;

Cruickshank und Dyer 2009; Mutschler et al. 2012).

5.3.3 Weitere durch Methamphetamin verursachte Wirkungen

Die zuvor beschriebenen Wirkungen scheinen hauptsächlich durch die erhöhte Stimulierung der

jeweils angeführten Rezeptoren zustande zu kommen, wobei manche Effekte auch auf einem

komplexen Zusammenwirken der unterschiedlichen Rezeptoren beruhen.

Methamphetamin kam in einer seiner ersten Indikationen als Appetitzügler zum Einsatz. Bereits

Dosierungen von 5 mg Methamphetamin sind dabei ausreichend, um den Appetit spürbar zu

reduzieren. An der Regulierung des Appetits sind jedoch sowohl mesolimbische D1-, D2-,

5-HT1-, 5-HT2-Rezeptoren sowie β2-Rezeptoren des Hypothalamus beteiligt. Auch weitere

Wirkungen wie die ab einer Einnahme von 30 mg Methamphetamin beobachtete Erhöhung der
S e i t e | 21

Atemfrequenz sowie Zunahme der Körpertemperatur, kommen durch komplexes

Zusammenwirken der verschiedenen Rezeptoren zustande. Das gleiche gilt weiters für die bei

Einnahme hoher Dosen beobachtete Zunahme der Gesprächsbereitschaft.

Die subjektiv empfundenen Wirkungen von Methamphetamin, zu denen man die allgemeine

Erregung, Euphorie, Entspannung sowie Angst, Paranoia und Depressionen zählen kann,

nehmen über eine Dauer von vier Stunden langsam wieder ab. Hingegen lassen sich die

physiologischen, insbesondere die kardiovaskulären Effekte deutlich länger beobachten. Dieser

Umstand ist besonders bei der missbräuchlichen Verwendung von Methamphetamin relevant,

weil sich bei nachlassender Wirkung, durch erneute Applikation, die Risiken für eine

kardiovaskuläre Erkrankung erhöhen (Cho 1990; Cruickshank und Dyer 2009) .

5.4 Durch Methamphetamin vermittelte Neurotoxizität

Wird Methamphetamin über einen längeren Zeitraum regelmäßig konsumiert, treten zusätzlich

zu den bereits beschriebenen akuten Wirkungen auch eine Reihe an langfristigen Veränderungen

mit teils irreversiblen organischen und physischen Schäden auf.

Methamphetamin führt zu Schäden an den dopaminergen und serotonergen Synapsen sowie zu

einer Steigerung der apoptotischen Prozesse im Nervengewebe. Zusätzlich werden Gliazellen

verstärkt aktiviert, wodurch vermehrt Entzündungsprozesse im Gehirn und peripheren


Nervensystem ausgelöst werden.

Viele durch Methamphetamin hervorgerufene neurotoxische Effekte sind noch nicht vollständig

aufgeklärt und Gegenstand aktueller Forschung.

Regelmäßiger Methamphetaminkonsum führt zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für einen

Ausbruch von Morbus Parkinson, Depressionen, Psychosen, Schizophrenie sowie anderen

neuropsychiatrischen Erkrankungen. Die Entstehung dieser Krankheiten wird dabei den

neurotoxischen Wirkungen von Methamphetamin zugeschrieben. Selten sind diese Effekte

reversibel, und es kommt meistens zum permanenten Untergang von Nervengewebe (Yang et al.
2018).
S e i t e | 22

5.4.1 Oxidativer Stress

Unter den verschiedenen für die Neurotoxizität verantwortlichen Faktoren nimmt der Oxidative

Stress eine wichtige Rolle ein. Seine Beteiligung am Untergang verschiedener Zelltypen gilt als

unbestritten. Hauptsächlich verantwortlich dafür sind Hydroxyl-Radikale (OH·),

Wasserstoffperoxid (H2O2) sowie Superoxide (O2ˉ), allgemein als reaktive Sauerstoffspezies

(ROS) bezeichnet.

Abbildung 12: Mechanismen der Methamphetamin induzierten Neurotoxizität (Yang et al. 2018)

Wird überschüssiges Dopamin durch Oxidation zu Chinonen oder Semichinonen abgebaut, so

kommt es auch unter physiologischen Bedingungen zu einer Bildung von ROS. Zu

pathologischen Wirkungen führen allerdings erst die hohen Konzentration an ROS, welche durch

den Abbau des vermehrten Dopamins entstehen, das durch Methamphetamin freigesetzt wird.

Wie in Abbildung 12 schematisch dargestellt, entstehen weiters durch Reaktion von Superoxiden
S e i t e | 23

mit Stickstoffmonoxid auch reaktive Stickstoffverbindungen (RNS) wie das Peroxinitrit-Ion

(ONO2−). Erhöhte Konzentrationen von ROS als auch RNS führen zu Schäden an Proteinen,

Phospholipiden und Nukleinsäuren, sowie zu Lipidperoxidationen, was vor allem die

Permeabilität von Zellmembranen beeinträchtigt, wodurch ein erhöhter Energieaufwand

benötigt wird, um das Membranpotential zu erhalten.

Den größten Einfluss haben reaktive Spezies allerdings auf die Mitochondrien. Durch

Methamphetamin entstehende pathologische Mengen von ROS und RNS führen zu einer

Hemmung verschiedener Schlüsselenzyme der Mitochondrien mit direktem Einfluss auf die vier

Komplexe der Atmungskette. Die Funktionsstörung der Mitochondrien führt, neben

Beeinträchtigung des Energiestoffwechsels, zu einer Freisetzung von Cytochrom c in das Zytosol

der Nervenzelle, wo es über eine weitere Signalkaskade an der Auslösung der Apoptose beteiligt

ist. Die Hemmung der Atmungskette ist an der Pathogenese psychischer Erkrankungen, wie

Depressionen oder bipolaren Störungen, wesentlich beteiligt (Yang et al. 2018).

5.4.2 Excitotoxizität

Eine fortwährende Reizüberflutung von Nervenzellen führt zu deren Untergang und wird als

Excitotoxizität bezeichnet.

Wie bereits aus Abbildung 8 (Seite 14) ersichtlich, beeinflusst Methamphetamin analog zur

Wirkung auf Dopamin-Transporter auch die Lokalisation des excitatory amino acid transporter

3 (EAAT3). Dieses Protein wird auch als Glutamat-Transporter bezeichnet und ist für den

Großteil der Aufnahme des erregenden Neurotransmitters Glutamat aus dem synaptischen Spalt
zuständig.

Wie weiters auch in Abbildung 12 dargestellt, führen die durch Methamphetamin erhöhten

Glutamatkonzentrationen im synaptischen Spalt zu einer verstärkten Aktivierung von N-Methyl-

D-Aspartat (NMDA)-Rezeptoren. NMDA-Rezeptoren sind ligandengesteuerte Ionenkanäle und

eine Aktivierung führt zu einem stärkeren Calcium(II)-Einstrom und somit zu einer Erhöhung

der intrazellularen Calciumionenkonzentration. Calcium(II) sorgt als second messenger für eine
S e i t e | 24

erhöhte Aktivierung von Proteinkinasen, Phosphatasen und Stickstoffmonoxid-Synthasen.

Stickstoffmonoxid führt in diesem Zusammenhang zu vermehrten apoptotischen Prozessen und

einer erhöhten Belastung des endoplasmatischen Retikulums, wodurch dessen Fähigkeit zur

Faltung von Proteinen vermindert wird, oder auch vermehrt fehlgefaltete Proteine gebildet

werden. (Courtney und Ray 2014; Yang et al. 2018; Underhill et al. 2021).

5.4.3 Neuroinflammation

Auch chronische Entzündungen führen zu einem Untergang von Neuronen, wobei entzündliche

Prozesse in Nervengewebe allgemein unter dem Begriff Neuroinflammation zusammengefasst

werden. Es wurde beobachtet, dass die durch Methamphetamin Einnahme hervorgerufenen

Entzündungsprozesse in Korrelation mit der Aktivität von Mikrogliazellen stehen. Weil durch

verminderte Dopamin-Chinon Konzentrationen Gliazellen zumindest teilweise gehemmt

wurden, geht man davon aus, dass Dopamin-Chinon sowie ROS zu einer Aktivierung der

Gliazellen beitragen. Dopaminerge Neuronen scheinen von diesen Prozessen besonders stark
betroffen zu sein.

Abbildung 13: Durch Methamphetamin ausgelöste Neuroinflammation (Yang et al. 2018)


S e i t e | 25

Gliazellen selbst erfüllen im Gehirn verschiedenen Aufgaben. Sie sorgen für den Abtransport von

Zellresten und anderen Abbauprodukten, wirken positiv auf die neuronale Plastizität und sind

vor allem, durch Regulierung der Entzündungsreaktionen, an der Immunabwehr beteiligt.

Zusätzlich dürfte Methamphetamin direkt an den toll like receptor 4 (TLR4) der Gliazellen

binden, wodurch diese ebenfalls aktiviert werden. Wie in Abbildung 13 dargestellt, setzen

aktivierte Gliazellen in weiterer Folge verschiedene Entzündungsmediatoren wie den

Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), Nuklearfaktor-κB (NF- κB) sowie Interleukine frei. Die durch

Entzündungen geschädigten Neuronen produzieren damage associated molecular patterns

(DAMPs), welche wiederum zu einer zusätzlichen Aktivierung der Gliazellen führen, wodurch

sich die Entzündung weiter fortsetzt (Aguzzi et al. 2013; Yang et al. 2018).

5.5 Durch Methamphetamin induzierte organische Veränderungen

Methamphetamin führt über die Erhöhung der Körpertemperatur, den vermehrten oxidativen

Stress sowie eine Zunahme von Entzündungsreaktionen, zu Gefäßveränderungen und in weitere

Folge zu Organschäden. Besonders betroffen sind das Gehirn, sowie Niere, Leber, Herz und

Darm.

Unter den oben genannten Einflüssen kommt es zu einer indirekten Schädigung der Blut-Hirn-

Schranke (BHS). Weiters konnte gezeigt werden, dass Methamphetamin auch direkt zu

strukturellen Veränderungen sowie einer gestörten Regulierung verschiedener Tight-Junction

Proteine, wie Occludin und Claudin, beiträgt. Dadurch wird die Permeabilität der BHS für
normalerweise nicht membrangängige Substanzen deutlich erhöht und das Gehirn geschädigt.

Außerdem führt ein regelmäßiger Methamphetaminkonsum zu einer Schädigung von Nieren

und Leber. Die Leber kann ihrer Stoffwechsel- und Entgiftungsfunktion nicht mehr gerecht

werden, wodurch pathologische Ammoniakkonzentrationen über das Blut ins Gehirn gelangen

können, wobei die Endothelschicht der Blut-Hirn-Schranke weiter gestört wird.

Durch Gefäßschäden an der Niere, unter anderem durch Blutdruckerhöhung, aber auch

Entzündungsreaktionen, wird ihre Ausscheidungsfunktion beeinträchtigt, was die


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harnpflichtigen Substanzen im Blut ansteigen lässt, die dann durch die gestörte BHS wiederum

ins Gehirn gelangen. Bei einer Untersuchung von Rhabdomyolyse Patient*innen konnte bei 43 %

ein Methamphetaminkonsum nachgewiesen werden, wobei die dadurch erhöhten Myoglobin-

konzentrationen ebenfalls für eine Schädigung der Nieren verantwortlich sind.

Eine gesteigerte psychomotorische Erregbarkeit zusammen mit eventuell auftretenden


Krampfanfällen, dürfte zu diesem vermehrten Untergang von Muskelgewebe führen.

Die durch Methamphetamin erhöhte Anfälligkeit für Infektionskrankheiten scheint zumindest

teilweise auch durch die erhöhte Permeabilität der BHS hervorgerufen zu werden. Hepatitis C

und HIV-Patient*innen, die Methamphetaminkonsumieren, weisen im Gehirn höhere

Viruskonzentrationen auf als Personen ohne Methamphetaminkonsum. Weiters lässt sich bereits

2 Stunden nach der Einnahme durch Schweißdrüsen abgegebenes Methamphetamin auf der

Hautoberfläche nachweisen. Es wird vermutet, dass es zu negativen Veränderungen des

Mikrobioms der Haut, und damit zur Herabsetzung der natürlichen Barrierefunktion kommt.

Außerdem verspüren Methamphetaminkonsument*innen oft den starken Drang sich zu kratzen,

wodurch die Hautbarriere auch physisch zerstört wird (Salamanca et al. 2014; Northrop und

Yamamoto 2015; Prakash et al. 2017)

Der durch Noradrenalin induzierte erhöhte Blutdruck sowie die Zunahme der Herzfrequenz

führen häufig zu Symptomen des akuten Koronarsyndroms, was ungefähr ein Drittel der

Einlieferungen in die Notaufnahme nach Methamphetaminkonsum ausmacht. Methamphetamin

begünstigt die Entstehung von Atherosklerose, wodurch sich auch die Gefahr für einen

Herzinfarkt deutlich erhöht. Untersuchungen haben gezeigt, dass

Methamphetaminkonsument*innen ein deutlich höheres Risiko für Erkrankungen der

Koronararterien besitzen als die Normalbevölkerung. Außerdem werden unter

Methamphetaminkonsument*innen spontane Koronarspasmen, die auch zu einem Herzinfarkt

und kardiogenen Schock führen können, weitaus häufiger beobachtet. Der Einfluss von

Methamphetamin auf die Erregungsleitung des Herzens führt meist zu einer Tachykardie, wobei

auch Rhythmusstörungen und Kammerflimmern die Folge sein können. Eine Überstimulierung

der adrenergen Rezeptoren führt letztlich zur Hypertrophie des Herzmuskels und kann
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schließlich in eine Herzinsuffizienz übergehen. Bei intravenöser Applikation von

Methamphetamin wird häufig das Auftreten einer Endokarditis beobachtet.

Erhöhte Noradrenalin-Spiegel führen weiters durch Vasokonstriktion der Mesenterialgefäße zu

Durchblutungsstörungen des Darms, mit heftigen Bauch und Magenkrämpfen sowie

Verdauungsstörungen. In schweren Fällen kann die Minderdurchblutung der Darmmuskulatur

zu einem paralytischen Ileus (Darmverschluss durch Lähmung) führen. Elektrolytstörungen mit

schweren Infektionen sowie die Perforation der Darmwand sind die Folge. Durch die geschädigte

Darmwand gelangen toxische Abbauprodukte aus dem Darmlumen in den Blutkreislauf, wobei

sich in schweren Fällen auch ein septischer Schock mit Multiorganversagen entwickeln kann.

Zusätzlich gelangen diese Substanzen über die beeinträchtigte BHS bis in das Gehirn, wo sie an

der Entstehung oder Verschlimmerung von Entzündungsreaktionen beteiligt sind (Prakash et al.

2017).

Weiters führt Methamphetaminkonsum häufig zu einer starken Zunahme von Karies. Dieser

Meth-Mund wird bereits nach kurzer Zeit beobachtet und führt zu verfärbten, verfaulten Zähnen.

Neben einer vernachlässigten Mundhygiene, zweifellos einer der Hauptgründe für die

Entstehung von Zahnerkrankungen, dürften jedoch auch andere Mechanismen an dem rapiden

Verfall der Zähne beteiligt sein. Wahrscheinlich werden durch Vasokonstriktion die

Blutversorgung und der Speichelfluss gehemmt, wodurch Säuren weniger effektiv neutralisiert

werden und diese die Zähne und das Zahnfleisch stärker angreifen (Salamanca et al. 2014).
S e i t e | 28

6 Anwendungsentwicklung und Einsatz von Methamphetamin

6.1 Erste Indikationen für Methamphetamin

Die Erforschung von Anwendungsmöglichkeiten für Methamphetamin hängt stark mit jenen von

Amphetamin zusammen, da sich die beiden Substanzen, wie bereits beschrieben,

pharmakologisch kaum unterscheiden. So führte Gordon Alles 1929 erste menschliche Versuche

mit dem zuvor synthetisierten Amphetamin durch. Er beschreibt die Wirkung als aufputschend,

stimmungsaufhellend und berichtet weiters von Problemen beim Einschlafen. Zusätzlich machte

sich noch Herzklopfen bemerkbar, wobei die erhoffte Wirkung gegen Asthma ausblieb. So suchte

man nach anderen Einsatzgebieten und 1935 wurde Amphetamin, erstmals unter der Marke

Benzedrin, bei der Behandlung der Narkolepsie eingesetzt.

Der Pharmakonzern Smith, Kline, and French, welcher 1934 das Amphetamin-Patent von Gordon

Alles übernahm, finanzierte weitere Studien, wodurch Amphetamin 1937 erstmals gegen

Depressionen angewendet wurde. Der stark wachsende Markt für Amphetamin führte

schließlich dazu, dass 1938 in den Temmler Werken in Berlin, unter der Leitung des Chemikers

und Pharmakologen Fritz Hauschild Methamphetamin produziert wurde. Heuschild, der

Methamphetamin auch an sich selbst testete, war von der Wirkung beeindruckt und wollte der

Markteinführung der amerikanischen Amphetaminderivate zuvorkommen. Deshalb wurde

Methamphetamin noch 1938 unter dem Produktnamen Pervitin (Abbildung 14) ebenfalls gegen

Abbildung 14: Pervitin (St. Galler Tagblatt)


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Depressionen vermarktet. Wie auch aus Tabelle 2 (Seite 38)ersichtlich, wurde Pervitin in 15 mg

Ampullen sowie 3 mg Tabletten rezeptfrei über Apotheken verkauft.

In den USA wurden die ersten Methamphetamintabletten 1940 von der Burroughs Wellcome

Company unter dem Markennamen Methedrin auf den Markt gebracht (Meyer 2005; Vearrier et

al. 2012; Rasmussen 2015).

Abbildung 15: Werbung Methamphetamin (News Australia) Abbildung 16: Werbung Pervitin (Süddeutsche Zeitung)

Auch die Wirkung von Amphetaminen auf den Appetit wurde bereits in den ersten Studien

beobachtet und so wurde Amphetamin ab 1937 immer öfter zur Gewichtsreduktion verschrieben.

Allerdings erfolgte die offizielle Zulassung durch die American Medical Association für diese

Indikation erst 1947, nachdem nachgewiesen wurde, dass der Gewichtsverlust durch

verminderten Appetit und nicht etwa metabolische Effekte erreicht wird. Auch hier führte die

starke Nachfrage zu einer Zunahme teils dubioser Produzent*innen, die nach Patentklagen
seitens Smith, Kline, and French, ebenfalls auf die Produktion von Methamphetamin umstiegen.
S e i t e | 30

6.2 Methamphetamin Einsatz im zweiten Weltkrieg

Nach der Markteinführung von Pervitin erkannten die Temmler Werke das große

Absatzpotential für ihr Produkt in der deutschen Armee. Allerdings weigerte sich Anfang 1939

der damalige zuständige Militärarzt Waldmann, Stimulanzien offiziell für die Armee zuzulassen.

Jedoch beauftragt er den Leiter der Militärärztlichen Akademie in Berlin Ranke weitere Studien

über Methamphetamin zu erstellen. Ranke konnte jedoch aufgrund von Nebenwirkungen, wie

Herzrhythmusstörungen, keine seiner Studien beenden. Allerdings gewann er einige

Erkenntnisse, wonach Pervitin in Dosierungen von 3-6 mg die Wachsamkeit und motorischen

Fähigkeiten für bis zu acht Stunden aufrechterhielt. Aber er warnte weiters davor, dass die

durchgehende Einnahme über 24-36 Stunden zu einem physischen Kollaps führen kann, und

nach der Anwendung ein erholsamer Schlaf notwendig sei. Weiters empfahl er die Einnahme von

Pervitin nur unter medizinischer Aufsicht. Auf Basis dieser Ergebnisse wurde Methamphetamin

an Sanitätsoffiziere der motorisierten Truppen ausgegeben, um bei Bedarf Erschöpfungszustände

zu unterdrücken (Defalque und Wright 2011).

Methamphetamin wurde gut angenommen, und der Verbrauch während der ersten Blitzkriege

lag bei etwa 10 Millionen Pervitin Tabletten pro Monat, bei ungefähr einer Million Soldaten. Weil

es keinerlei Befehle für den Einsatz von Pervitin gab, ging die starke Nachfrage von den Soldaten

selbst aus. Offensichtlich glaubten die Soldaten durch Methamphetamin wachsamer und

leistungsfähiger zu sein.

Der Einsatz von Pervitin ging jedoch stark zurück als sowohl deutsche Ärzte als auch

Militärbeamte zu dem Schluss kamen, dass der langfristige Methamphetaminkonsum einen

negativen Effekt auf die Leistungsfähigkeit und das Urteilsvermögen ausübt. Der damalige

Reichsgesundheitsführer Conti, war einer der ersten Ärzte, der schon frühzeitig vor

Methamphetamin warnte. Allerdings lehnte er im Sinne der Volksgesundheit Drogen generell ab

und auch Ranke, welcher weitere Studien und Befragungen unter deutschen Soldaten

durchgeführt hatte, erkannte langsam das Suchtpotential von Pervitin und empfahl dessen

Einsatz nur in lebensgefährlichen Situationen.


S e i t e | 31

Contis Bemühungen führten schließlich dazu, dass Pervitin bereits gegen Ende 1939

rezeptpflichtig wurde. Obwohl viele Armeeärzte Pervitin weiterhin leichtfertig verschrieben und

ausgaben, ging der Konsum 1940, im Vergleich zu den Blitzkriegen, um 90% auf eine Million

Tabletten pro Monat zurück.

Conti erkannte allerdings recht schnell, dass die Rezeptpflicht allein nicht ausreicht, um den

Methamphetaminkonsum effektiv einzudämmen. So beharrte er schließlich darauf, dass Mitte

1941 sowohl Methamphetamin als auch andere Amphetamin-Derivate in das damalige

Opiumgesetz aufgenommen wurden. Dies war sicher einer der Gründe, der zu einem weiteren

Rückgang des Methamphetaminkonsums beitrug. Der Hauptgrund lag jedoch darin, dass die

Einnahme von Pervitin, im Gegensatz zu den Blitzkriegen, in den Stellungkriegen des

Russlandfeldzuges im Sommer 1941 keinen militärischen Vorteil brachte und die Soldaten nur

zusätzlich belastete, wodurch die Nachfrage in der Armee von selbst zurück ging. Trotzdem

wurde Pervitin bis zum Ende des zweiten Weltkrieges in Notsituationen verwendet, wobei es vor

allem bei den langen Rückzügen zum Einsatz kam (Defalque und Wright 2011; Vearrier et al.

2012; Rasmussen 2015)

Pervitin wurde während des zweiten Weltkrieges von allen Truppen der deutschen Wehrmacht

mit Ausnahme der Luftwaffe eingesetzt. Dort sah man keinen Nutzen in der Verwendung von

Methamphetamin, und man setzte bei langen Flügen auf die Wirkung von Koffein. Außerhalb

Deutschlands wurde Pervitin im Zuge klein angelegter Studien von der Schweiz, Schweden und

Italien eingesetzt.

In Japan wurde Methamphetamin unter dem Markennamen Philopon während des zweiten

Weltkriegs neben Fabriksarbeitern hauptsächlich an Kamikazepiloten ausgegeben. Die alliierten

Truppen hingegen verwendeten ausschließlich Amphetamin, wobei es unter dem Markennamen

Benzedrine sowohl als Tabletten wie auch als Inhalator Anwendung fand (Rasmussen 2015).
S e i t e | 32

6.3 Methamphetamin Anwendung nach Kriegsende

Nach dem Kriegsende 1945 ging die militärische Nutzung von Methamphetamin natürlich stark

zurück, allerdings war die Nachfrage in der Zivilbevölkerung ungebrochen. Durch den

massenhaften Einsatz während des Krieges waren auch viele Soldaten mittlerweile abhängig,

und es entwickelte sich vor allem in den USA, Deutschland und Japan ein starker

Methamphetamin Missbrauch, der sich schnell auch auf andere Bevölkerungsgruppen

ausbreitete. Dazu kam die weiterhin unreflektierte ärztliche Verschreibungspraktik, wodurch in

den 1950er Jahren Methamphetamin quer durch die Bevölkerung ohne zwingende Indikation

konsumiert wurde. In den 1950er Jahren gab es auch erstmals Berichte darüber, wie

Methamphetamin aus den Fertigarzneimitteln extrahiert und wegen des schnelleren


Wirkungseintritts intravenös appliziert wurde (Vearrier et al. 2012).

Tabelle 2: Verschiedene Methamphetamin-haltige Arzneispezialitäten (Japanese Medical Material 1946; Rasmussen 2015)

Land Handelsname Arzneiform Hersteller

Deutschland Pervitin 3 mg Tabletten Temmler Werke, Berlin

15 mg Ampullen

USA Desoxyn 5 mg Tabletten Abbott Pharmaceuticals, Illinois

USA Methedrine 5 mg Tabletten Burroughs Wellcome Company,

New York

USA Norodin 2,5 und 5 mg Tabletten Endo Products Inc., New York

Japan Philopon 1 mg Tabletten Dainippon Pharm. Company,

3mg Ampullen Osaka

6.4 Verwendung von Methamphetamin im Alpinismus der 1950er Jahre

Wenn es um diverse Erstbesteigungen und Expeditionen im Himalaya in den 1950-1980er Jahren

geht, muss man unweigerlich den Arzt Karl Herrligkoffer erwähnen. Nachdem 1934 sein

Halbbruder Willy Merkls am Nanga Parbat sein Leben verlor, organisierte und leitete er eine
S e i t e | 33

Vielzahl an weiteren Expeditionen, wobei er selbst nie an der Gipfelbesteigung teilnahm. Zur

Grundausstattung aller seiner Expeditionsteilnehmer*innen gehörte auch Pervitin, welches im

Notfall eingenommen werden sollte.

Auch wenn es ungewiss ist, wie viele Alpinist*innen tatsächlich auf leistungssteigernde

Substanzen zurückgegriffen haben und ob man bei einem Kampf ums Überleben von Doping

sprechen sollte, so ist die Pervitineinnahme von Hermann Buhl bei der Erstbesteigung des Nanga

Parbat unbestritten.

6.4.1 Hermann Buhls Erstbesteigung des Nanga Parbat 1953

Der Nanga Parbat ist der neunthöchste Berg der Erde und misst 8126 Meter. Bereits 1895 wurde

der erste Besteigungsversuch unternommen, wobei erst 1953 der Tiroler Hermann Buhl

erfolgreich auf dem Gipfel stand. Er beschreibt die Route seiner Erstbesteigung, welche in

Abbildung 17 dargestellt ist, ausführlich in seinem Tagebuch. Hermann Buhl startete seinen

Alleingang am 3. Juli 1953 um 2 Uhr früh auf 6900 Meter Seehöhe im Lager 5 und hatte 1200

Höhenmeter sowie eine Luftlinie von 6 Kilometern zu bewältigen. Dabei hatte er neben der

damaligen einfachen Ausrüstung und etwas Verpflegung eine Feldflasche Koka-Tee sowie einige

Tabletten Pervitin. Gegen 8 Uhr erreicht er den Silbersattel und kann über das große Hochplateau

Abbildung 17: Route der Erstbesteigung des Nanga Parbat (F.A.Z 2003)
S e i t e | 34

erstmals den Vorgipfel sehen. Um 14 Uhr auf 7820 Meter Seehöhe, zwischen Vor- und

Hauptgipfel, nahm er das erste Mal zwei Tabletten Pervitin ein, wobei er nach eigenen Angaben

keine unmittelbare Wirkung verspürte.

Gegen 18 Uhr auf über 8000 Meter Seehöhe nimmt er den letzten Schluck aus seiner Feldflasche

zu sich und erreicht schließlich um 19 Uhr, teilweise kriechend, den Gipfel. Beim Abstieg

übersieht Buhl jedoch die Zeit, und durch die schnell eintretende Dunkelheit muss er die Nacht

bei etwa -20 °C stehend auf einem kleinen Felsvorsprung verbringen.

In den Morgenstunden des 4. Juli 1953 setzt er seinen Abstieg fort und schreibt erstmals von

einem Gefährten, der ihn zu begleiten scheint. Gegen Abend, als er für einen Schritt teilweise 20

Atemzüge benötigt, nimmt er die 3 übrigen Tabletten Pervitin, wissend, dass er eine weitere

Nacht im Freien nicht überleben kann. So erreicht er schließlich um 19 Uhr, nach 41 Stunden

wieder das Zeltlager 5, wo er von seinen Kameraden empfangen wurde (Buhl 1954).

Die von Buhl beschriebenen Halluzinationen lassen sich eher auf die Höhe, totale körperliche

Erschöpfung und den Schlafentzug zurückführen. Denn die Dosierung von 2 Tabletten Pervitin,

welche 6 mg Methamphetamin-Hydrochlorid entsprechen, ist für die Entstehung von

Halluzinationen zu gering und weiters würde die Wirkung keine 15 Stunden anhalten,
beziehungsweise erst nach 15 Stunden auftreten.

Die 3 Tabletten Pervitin, welche er gegen Abend kurz vor dem Zusammenbruch geschluckt hat,

können allerdings durchaus für sein Überleben verantwortlich sein. Die Dosierung von 9 mg

Methamphetamin-Hydrochlorid ist ausreichend hoch, um kurzzeitig eine Steigerung der

körperlichen Leistungsfähigkeit zu erreichen und letzte Kraftreserven zu mobilisieren.

Außerdem schreibt Buhl weiters, dass er bei seiner Rückkehr nach 41 Stunden trotzdem Probleme

mit dem Einschlafen hatte sowie das starke Bedürfnis, seinen Kameraden alles von dem Aufstieg

zu erzählen. So blieb er fast die ganze Nacht wach und redete auch noch weiter, nachdem die

anderen im Zelt bereits eingeschlafen waren. Diese ungewöhnlichen Reaktionen lassen sich wohl

unweigerlich auf die Einnahme von Methamphetamin zurückführen.


S e i t e | 35

6.5 Die Methamphetamin-Epidemie der 1960er Jahre

Mit der Entwicklung trizyklischer Antidepressiva sowie Monoaminooxidase-Hemmern, wurden

Amphetamine immer weniger gegen Depressionen verordnet. Deshalb ging der Konsum jedoch

nicht zurück. Ärzt*innen gingen lediglich dazu über, Methamphetamin vermehrt zur

Gewichtsreduktion zu verschreiben.

Unter den Patient*innen die damals Methamphetamin verordnet bekamen, waren auch bekannte

Personen. Einer davon war der ehemalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-

1967). Nach Veröffentlichung der Tagebücher seines Sohnes wurde 2017 bekannt, dass Adenauer

gelegentlich zur Leistungssteigerung Pervitin konsumierte und auch wie er anschließend

mehrere Schlafmittel benötigte, um zur Ruhe zu kommen. Der Tagebucheintrag selbst war dabei

von 1964, also nachdem sich Adenauer aus der Politik zurückgezogen hatte, wobei es nahe liegt,

dass er auch während seiner Amtszeit (1949-1963) Pervitin einnahm. Zweifellos gibt es noch

andere ähnliche Fälle, wobei keiner davon eindeutig belegt wurde (Koerfer 30.10.2020).

Gegen Ende der 1960er Jahre erreichte der Methamphetaminkonsum epidemische Ausmaße,

weshalb Methamphetamin 1971 bei der Konferenz der Vereinten Nationen in Wien in die Anlage

II der Psychotropenkonvention aufgenommen wurde. Man kam zu dem Schluss, dass der

therapeutische Nutzen von Methamphetamin zu gering ist, um eine uneingeschränkte

Verkehrsfähigkeit zu rechtfertigen. Weiters geht von Methamphetamin ein hohes

Missbrauchspotential aus, weshalb es, wenn möglich, durch weniger schädliche Substanzen
ersetzt werden soll (United Nations Office on Drugs and Crime 1971).

Bis ins Jahr 1990 traten etwa 180 Staaten der Verordnung bei, wobei diese teilweise

unterschiedlich umgesetzt wurde. Dadurch nahm der legale Vertrieb und die Verwendung von

Methamphetamin durch die stärkere Reglementierung in allen beigetretenen Staaten deutlich ab.

Trotzdem wurde Pervitin erst 1988 vollständig vom Markt genommen und war bis dahin Teil

des Sanitätsbestands der Nationalen Volksarmee in der deutschen demokratischen Republik.

Heute ist in vielen Ländern, darunter auch Deutschland, Methamphetamin weder verkehrs- noch

verschreibungsfähig. Lediglich die Weiterverarbeitung, etwa zu Arzneimittel ist mit


S e i t e | 36

entsprechender Genehmigung möglich. In Österreich, welches der Psychotropenkonvention 1978

beitrat, gibt es zwar keine Fertigarzneimittel, die Methamphetamin enthalten, allerdings wird die

Substanz im Anhang 4 der Suchtgiftverordnung gelistet und ist nach Paragraph 20, etwa als

magistrale Rezeptur, noch immer verschreibungsfähig (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit

und Soziales 2021).

In den USA wurde Methamphetamin durch die Drug Enforcement Administration als Klasse II-

Droge, mit teilweisem Nutzen eingestuft und ist somit auch noch immer verschreibungsfähig.

Als Fertigarzneimittel wird Methamphetamin weiterhin unter dem Markennamen Desoxyn

vertrieben (United States Drug Enforcement Administration 2021).

6.6 Aktuelle Verwendung von Methamphetamin

Das hohe Suchtpotential von Methamphetamin führte unter anderem dazu, dass die

medizinische Verwendung immer mehr an Bedeutung verloren hat. Selbst wenn der Einsatz von

Amphetamin-Derivaten angezeigt ist, wird oftmals Amphetamin verwendet. Im Gegensatz zu

Methamphetamin ist Amphetamin noch in mehreren Fertigarzneimitteln enthalten, von denen

auch verschiedenen Dosierungen sowie retardierte Arzneiformen erhältlich sind.

Methamphetamin wird heutzutage für die Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-

Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt. ADHS ist eine neurobiologische Erkrankung, der in

den meisten Fällen eine genetische Ursache zugrunde liegt. Allerdings ist die Erstellung einer

Diagnose oftmals schwierig und sollte nur durch Fachärzt*innen nach den gültigen Leitlinien

erfolgen. Die Behandlung von ADHS kann vielfältig sein, wobei eine Pharmakotherapie nur in

schweren Fällen angezeigt ist.

Die medikamentöse Behandlung zielt darauf ab, die Signalübertragung durch Dopamin und

Serotonin zu verbessern, wobei Methylphenidat als reiner Monoamin-Wiederaufnahmehemmer

die erste Wahl darstellt. Erst bei unzureichendem Therapieerfolg wird die Behandlung mit

Methamphetamin oder Amphetamin empfohlen.


S e i t e | 37

Desoxyn ist das einzige verbliebene Fertigarzneimittel, welches Methamphetamin enthält. Dabei

sind Desoxyn-Tabletten für die Behandlung von ADHS für Kinder ab 6 Jahren zugelassen, und

die Dosierung sollte möglichst niedrig mit 5 mg täglich beginnen und bei Bedarf bis zu dem

gewünschten Therapiererfolg langsam erhöht werden.

Weiters ist Desoxyn noch immer für die Behandlung starker Adipositas zugelassen. In diesem

Fall beträgt die Dosierung eine Tablette jeweils eine halbe Stunde vor jeder Mahlzeit. Die

Behandlung sollte dabei nicht länger als ein paar Wochen dauern und wird erst ab 12 Jahren

empfohlen (Food and Drug Administration 05.2017).

In begründeten Fällen kann Methamphetamin auch noch zur Behandlung der Narkolepsie

eingesetzt werden. Allerdings besitzt Desoxyn dafür keine Zulassung, und es handelt sich um
eine Off-Label Anwendung.

7 Illegale Verwendung von Methamphetamin

7.1 Entwicklung des Methamphetamin Drogenmarktes in Amerika

Durch das hohe Suchtpotential von Methamphetamin gibt es zahlreiche Berichte über eine

missbräuchliche Verwendung der Substanz. Wie bereits erwähnt, wurde bereits in den 1950er

Jahren damit begonnen, Methamphetamin aus Fertigarzneimitteln zu extrahieren und aufgrund

der berauschenderen Wirkung intravenös zu applizieren. Auch erste Berichte über Gewalttaten

und Raubüberfälle zur Beschaffung wurden bald mit dem Missbrauch von Methamphetamin in

Verbindung gebracht. Auch die Kombination von Methamphetamin mit anderen Drogen wie

Heroin wurde vermehrt beobachtet. In den 1960er Jahre führte die massive Überproduktion von

Methamphetamin auch dazu, dass ein beträchtlicher Teil der Produktion über die

Pharmaunternehmen selbst, aber auch über Apotheken und Ordinationen auf den Schwarzmarkt

gelangte. In Amerika erreichten die Verschreibungen 1967 ihren Höhepunkt, doch die legale
Produktion von Amphetamin-Derivaten stieg noch bis 1970 weiter an.
S e i t e | 38

Die stetigen Bemühungen der Behörden, den Umgang mit Methamphetamin zu kontrollieren

und einzudämmen, führten dazu, dass es immer schwieriger wurde, legal produziertes

Methamphetamin abzuzweigen, wodurch die illegale Produktion von Methamphetamin

erstmals an Bedeutung gewann. In San Francisco wurde 1962 der erste Fall einer illegalen

Methamphetaminproduktion dokumentiert, wobei die Qualität der illegal hergestellten Substanz

mit jener aus der pharmazeutischen Produktion natürlich nicht vergleichbar war. Spätestens die

Aufnahme Methamphetamins in die Anlage II der Verordnung über psychotrope Stoffe 1971

führte zu einer starken Zunahme der illegalen Produktion. Man geht davon aus, dass Mitte der

1980er Jahre bereits das komplette auf den Straßen erhältliche Methamphetamin illegal

hergestellt wurde (Vearrier et al. 2012; Rasmussen 2015).

In Amerika waren Motorradbanden, wie zum Beispiel die Hells Angels, stark an der illegalen

Herstellung und Verbreitung beteiligt, bis sich gegen Ende der 80er Jahre die Produktion von

Methamphetamin zusehends in Länder wie Mexiko verschob, und die Drogenbanden sich

vielmehr auf die Distribution konzentrierten. Das war auch ungefähr der Zeitpunkt, als

Methamphetamin erstmals als Ice oder auch Crystal Meth auf den Straßen auftauchte. Diese

kristalline Form des Methamphetamin-Hydrochlorids, wurde bereits in Kapitel 3 beschrieben

und verflüchtigt sich bereits bei 300-305 °C, eine Temperatur, die mit handelsüblichen

Butanfeuerzeugen leicht erreicht wird. Durch den niedrigen Siedepunkt in Kombination mit der

hohen Reinheit, kommt es beim Verdampfen zu keiner nennenswerten Pyrolyse, weshalb es

möglich ist, die Kristalle in einer Pfeife zu rauchen. Der schnelle Wirkungseintritt führte zu einer

steigenden Beliebtheit unter den Methamphetaminkonsument*innen (Cho 1990; Logan 2002).

Als weitere Maßnahme zur Eindämmung des Methamphetamin-Missbrauchs verabschiedete die

USA 1988 den Chemical Diversion and Trafficking Act, sowie 2005 den Combat

Methamphetamine Epidemic Act, wodurch der Handel mit Drogenausgangsstoffen geregelt

wurde. So darf die Abgabe von Ephedrin haltigen Produkten nur durch eine Apotheke erfolgen.

und es besteht weiters eine Ausweispflicht sowie eine Grenzmenge von 3,6 g Pseudoephedrin

pro Tag. Ein Großteil der Produktion findet aber noch immer in Mexiko statt. und die

Drogenkartelle beziehen ihre Chemikalien direkt aus Ländern mit weniger strengen Gesetzen,
S e i t e | 39

weshalb sich der Methamphetamin Missbrauch nicht wesentlich reduzieren ließ und die Menge

an illegal hergestelltem Methamphetamin stetig zunimmt (Vearrier et al. 2012).

7.2 Die Situation des Methamphetamin Missbrauchs in Europa

Trotz des häufigen Einsatzes während des zweiten Weltkrieges, wurde Methamphetamin in der

Nachkriegszeit in Europa deutlich weniger oft verordnet als in Amerika. Erste missbräuchliche

Verwendungen dürften jedoch in den 1950er Jahren in England aufgetreten sein. Dabei landeten

die zur Substitutionsbehandlung von Kokainabhängigen verschriebenen Methedrin Ampullen

auf dem Schwarzmarkt, und 1968 wurde von Psychosen und anderen Vorfällen durch intravenös

verabreichtes Methamphetamin berichtet. Es wird geschätzt, dass 1961 bis zu 2,5 % aller

Verschreibungen in London Amphetamin-Derivate betrafen. Nach Empfehlungen der britischen

Gesundheitsbehörde, die Verschreibungen auf alternativlose Fälle zu begrenzen, gingen diese in

den nächsten Jahren ebenfalls stark zurück. Im Gegensatz zu Amerika wurde Methamphetamin

jedoch kaum illegal hergestellt, und die erhältlichen Mengen waren meist etwa aus

Krankenhäusern gestohlen.

Durch Zunahme von illegal hergestelltem Amphetamin, war man nicht mehr auf das

unzureichend verfügbare Methamphetamin angewiesen, weshalb dieses Anfang der 1980er fast

komplett vom illegalem Markt verschwand. Auch wenn England größere Drogenprobleme als

andere europäische Staaten hatte, konnte man diese Entwicklung in den meisten europäischen

Länder beobachten.

Eine Ausnahme stellt jedoch Tschechien dar, wo in den 1970er Jahren die Produktion von

illegalem Methamphetamin zunahm. Das in Tschechien angesiedelte Foundation of Research

Institute of Antibiotics and Biotransformation (VUAB), war der größte Ephedrinproduzent

Europas, weshalb Ephedrin in Tschechien leicht erhältlich war. Weiters wurde bis zum Ende der

kommunistischen Ära 1989 der Handel und Konsum von Methamphetamin weitgehend toleriert,

wobei die Probleme, welche sich aus einer Methamphetamin Abhängigkeit ergeben, durchaus

bekannt waren. Nach 1990 entwickelte sich ein typischer Drogenmarkt, wobei bis etwa 2005
S e i t e | 40

Tschechien und die Slowakei die einzigen europäischen Länder waren, wo der Methamphetamin

Missbrauch eine signifikante Rolle spielte (Griffiths et al. 2008).

Aktuelle Zahlen zum Methamphetamin Missbrauch

In den letzten Jahren nahm die Anzahl der Methamphetaminkonsument*innen rund um den

Globus immer weiter zu. Es ist unmöglich, exakte Zahlen über die illegal produzierten Mengen

zu erhalten, jedoch zeigt die Abbildung 17 die eindeutige Zunahme an beschlagnahmtem

Metamphetamin über die letzten Jahre. Interessanterweise verzeichnet Methamphetamin in der

Gruppe der amphetamin type stimulants dabei einen überproportional hohen Anstieg,
wohingegen die Menge an beschlagnahmtem Amphetamin deutlich weniger stark zunahm.

Abbildung 18: Globale Menge an beschlagnahmten Amphetamin-Derivaten von 1998-2019


(United Nations Office on Drugs and Crime 2021)

2019 lag die höchste Prävalenz an Amphetaminkonsument*innen mit 2,3 % der 15-64-Jährigen,

in Nordamerika. In Europa haben Amphetamin Derivate mit einer Prävalenz von 0,5 % unter den

illegal konsumierten Substanzen noch immer einen geringen Stellenwert (United Nations Office

on Drugs and Crime 2021).


S e i t e | 41

7.3 Methamphetamin Abhängigkeit und Entzugserscheinungen

Laut WHO-Definition ist eine Sucht oder auch Abhängigkeit das wiederholte Verlangen nach

einem Gefühl beziehungsweise Zustand und sorgt für eine starke Beeinträchtigung der

betroffenen Person, die ihr ganzes Leben danach ausrichtet, dieses Gefühl erneut zu erleben.

Dabei spricht man beim Konsum von Psychostimulanzien wie Methamphetamin von einer

substanzgebundenen Abhängigkeit.

Wie in Abbildung 17 zu sehen, ist der Methamphetamin Missbrauch in den letzten Jahren wieder

deutlich angestiegen, und das Suchtpotential stellt ein unverändert großes Problem für die

Gesellschaft dar. Deshalb sind die Mechanismen, denen eine Abhängigkeit zugrunde liegt, auch

Gegenstand aktueller Forschung, wobei man davon ausgeht, dass der Untergang dopaminerger

Neurone durch die neurotoxischen Wirkungen von Methamphetamin an der Entstehung des

Suchtverhaltens beteiligt ist. Trotzdem sind die genauen Mechanismen, die zu einer Entwicklung

der Suchtproblematik führen, weitgehend unbekannt (Krasnova et al. 2016).

Unter einer ärztlich verordneten und kontrollierten Behandlung, die üblicherweise eine

Dosierung von 25 mg Methamphetamin-Hydrochlorid täglich nicht übersteigt, ist die Entstehung

einer Abhängigkeit deutlich geringer als bei einer illegalen unkontrollierten Einnahme von

Methamphetamin. Neben der ärztlichen Kontrolle führt die orale Einnahme, wie in Abschnitt 4.1

beschrieben, zu einem deutlich langsameren Anstieg der Plasmaspiegel, als es etwa beim

Rauchen von Methamphetamin der Fall ist. Lässt sich das High-Gefühl direkt mit der

Applikation der Droge assoziieren, ist das Verlangen nach der jeweiligen Substanz deutlich

größer als bei einem langsamen Wirkungseintritt, wobei dieser Effekt auf alle Drogen zutrifft und

nicht auf Methamphetamin beschränkt ist.

Methamphetaminkonsument*innen leiden bei plötzlichem Absetzen der Droge unter erheblichen

Entzugssymptomen, wobei das craving, das erneute Verlangen nach der Droge besonders stark

ausgeprägt ist. Die Entzugssymptome scheinen durch vermehrte down-Regulation der

Monoaminrezeptoren sowie die stark entleerten Monoaminspeicher ausgelöst zu werden.


S e i t e | 42

Das Absetzen von Methamphetamin führt oftmals zu langen Schlafphasen, wobei der Schlaf

meist sehr unruhig verläuft und wenig Erholung bietet. Weiters kommt es häufig zu

Angstzuständen und Depressionen, die im Extremfall im Suizid enden können, sowie

verschiedensten motorischen und kognitiven Störungen. Depressionen sind nach zwei bis drei

Tagen am schwersten ausgeprägt und bessern sich bei einem Großteil der Abhängigen in der

darauffolgenden Woche. Meist ist die Entzugssymptomatik von der Häufigkeit und Dauer des

vorangegangenen Methamphetamin Missbrauchs abhängig und kann in manchen Fällen

wochenlang anhalten, wobei kognitive Defizite oftmals über ein halbes Jahr bestehen

(Cruickshank und Dyer 2009).

Die Anzahl an Methamphetamin Abhängigen dürfte in der nächsten Zeit weiter zunehmen,

weshalb es auch zu vermehrten Entzugstherapien kommen wird. Um die Erfolgschancen einer

solchen Therapie zu erhöhen, ist man natürlich versucht, die Entzugssymptomatik zu reduzieren.

Derzeit ist die Behandlung hauptsächlich auf psychosoziale Therapien begrenzt, wobei man

damit durchaus Erfolge erzielen konnte.

Trotzdem konzentriert sich ein Großteil der Forschung auf die pharmakologische Behandlung

der Entzugssymptome. Zurzeit besitzt noch kein Medikament eine Zulassung für die

Anwendung bei einer Methamphetamin Abhängigkeit. Dennoch gibt es verschiedene Leitlinien

für eine symptomatische Therapie, die bei starken Unruhen den Einsatz von Benzodiazepinen

sowie bei Auftreten von Psychosen, atypische Neuroleptika empfehlen. In beiden Fällen sollte

der Einsatz so kurz wie möglich erfolgen.

Es gibt mehrere Studien die sich mit Substanzen, welche das dopaminerge, serotonerge und

glutamaterge, sowie neuerlich auch das endogene Opioidsystem beeinflussen, beschäftigten.

Dabei konnten für Methylphenidat, Naltrexon, Mirtazapin und Bupropion positive Effekte auf

die Konsumhäufigkeit von Methamphetamin beobachtet werden. Dennoch sind für eindeutige

Therapieempfehlung weitere Studien nötig (Courtney und Ray 2014; Betzler und Köhler 2017).
S e i t e | 43

Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit handelt von Methamphetamin, wobei anfangs auf die unterschiedlichen

Wirkungen und pharmakologischen Mechanismen eingegangen wird. Anschließend folgen

Ausführungen über den Einsatz der Substanz, beginnend bei der Erforschung erster
Indikationen, bis zur heutzutage mehrheitlich illegalen Verwendung.

Der erste Kapitel gibt einen kurzen Einblick in die Entdeckungsgeschichte von

Methamphetamin, sowie den daran beteiligten Personen. Weiters wird auch die Verbindung zu

Amphetamin, welches für die spätere Verbreitung von Methamphetamin mitverantwortlich war,

erläutert.

Im zweiten Kapitel befasst sich die Arbeit mit den chemischen und physikalischen

Eigenschaften, sowie der Herstellung von Methamphetamin, wobei die am häufigsten


verwendeten Synthesewege, sowie benötigten Ausgangssubstanzen behandelt werden.

Im dritten Kapitel wird auf die pharmakokinetischen Parameter, insbesondere den

unterschiedlichen Applikationsmöglichkeiten für Methamphetamin eingegangen. Anschließend

wird noch der Metabolismus von Methamphetamin sowie die dabei entstehenden

Abbauprodukte behandelt.

Das darauffolgende vierte Kapitel befasst sich mit den pharmakologischen Mechanismen, auf

denen die Wirkungen von Methamphetamin beruhen. Zugleich werden auch die Wirkungen

selbst erläutert und versucht mit den jeweiligen Wirkmechanismen in Verbindung zu bringen.

Zuerst werden dabei unmittelbar auftretende Effekte behandelt und anschließend die

Langzeitfolgen, welche meist durch neurotoxische Effekte ausgelöst werden.

Das fünfte Kapitel handelt vom historischen Einsatz von Methamphetamin, beginnend bei der

Erforschung erster Anwendungsmöglichkeiten. Danach folgt der massenhafte Einsatz von

Methamphetamin im 2 Weltkrieg sowie dessen Folgen in der Nachkriegszeit. Weiters wird die

starke Zunahme des Methamphetaminkonsums, bis zu den ersten gesetzlichen


S e i t e | 44

Reglementierungen behandelt, sowie auf die noch heute mögliche medizinische Anwendung von

Methamphetamin eingegangen.

Den Abschluss bildet das sechste Kapitel mit einer Übersicht der Entwicklung des illegalen

Marktes für Methamphetamin in Amerika und Europa, sowie ein kurzer Ausblick und aktuelle

Zahlen zur Häufigkeit des Missbrauchs. Weiters wird kurz auf Entzugserscheinungen und
mögliche Therapien eingegangen.

(Plants of the World; Süddeutsche; News Australia; Frankfurter Allgemeine Zeitung 2003;

Tagblatt; Cenci 2014; McKetin et al. 2005)


S e i t e | 45

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Ephedra sinica (Bing 2021) .......................................................................................................................2


Abbildung 2: (-)-Ephedrin und (+)-Pseudoephedrin .......................................................................................................2
Abbildung 3: (S)-(+)-Methamphetamin (R)-(-)-Methamphetamin .................................................................................4
Abbildung 4: Methamphetamin als freie Base und Methamphetamin-HCl in Kristallform (McKetin et al. 2005) ........5
Abbildung 5: Synthese Methamphetamin aus Phenylaceton ........................................................................................6
Abbildung 6: Synthese Methamphetamin aus Ephedrin oder Pseudoephedrin .............................................................8
Abbildung 7: Metabolismus Methamphetamin ...........................................................................................................11
Abbildung 8: Schematische Darstellung der Wirkung von Methamphetamin auf Transportproteine (Underhill et
al. 2021) .................................................................................................................................................14
Abbildung 9: Schematische Darstellung einer dopaminergen Synapse (Cenci 2014) ..................................................16
Abbildung 10: Abbau Dopamin durch MAO.................................................................................................................17
Abbildung 11: Struktur und Bildungsort der Monoamine ............................................................................................18
Abbildung 12: Mechanismen der Methamphetamin induzierten Neurotoxizität (Yang et al. 2018) ...........................22
Abbildung 13: Durch Methamphetamin ausgelöste Neuroinflammation (Yang et al. 2018) ......................................24
Abbildung 14: Pervitin (Tagblatt 2017)........................................................................................................................28
Abbildung 15: Werbung Methamphetamin (Burroughs 1940) ....................................................................................29
Abbildung 16: Werbung Pervitin (Kiepenheuer & Witsch GmbH) ................................................................................29
Abbildung 17: Route der Erstbesteigung des Nanga Parbat (F.A.Z 2003) ...................................................................33
Abbildung 18: Globale Menge an beschlagnahmten Amphetamin-Derivaten von 1998-2019 (United Nations
Office on Drugs and Crime 2021) .........................................................................................................40

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Pharmakokinetik von Methamphetamin-Hydrochlorid (Cruickshank und Dyer 2009) ................................10


Tabelle 2: Verschiedene Methamphetamin-haltige Arzneispezialitäten (Japanese Medical Material 1946;
Rasmussen 2015) .........................................................................................................................................32
S e i t e | 46

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