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Die Schweiz von 1874-1914

Innenpolitische Entwicklungen
Obwohl die Verfassung von 1874 bis 1999 gültig blieb, so gab es im Nationalstaat zwei wichtige
Veränderungen in dieser Zeit: Sowohl die Macht der Stimmbürger sowohl als auch der Einfluss des
Bundesstaates auf Wirtschaft und Sozialpolitik stiegen. Die liberale Partei FDP verlor an Macht, da die
konservativen Bürger durch ein fakultatives Referendum nach dem anderen viele Gesetzte
ablehnten. Die führende Partei musste nachgeben und
so kam es, dass 1891 Josef Zemp, der erste konservative
Bundesrat gewählt wurde, um sich mit dem Volk zu
verständigen. 1891 wurde ebenfalls die Volksinitiative
eingeführt: nun konnten Bürger erstmals
Verfassungsänderungen vorschlagen. Bis 1919 wurden
alle Nationalräte im Majorzverfahren gewählt. Dadurch
wurden kleinere Parteien wie die Sozialdemokraten (SP,
1888 gegründet) stark benachteiligt, was viele Bürger
unglücklich stimmte. Abb. 2 Karikatur Proporzwahlrecht
Für das Majorzwahlrecht (=Mehrheitswahl) braucht
man als Kandidat in der ersten Wahlrunde mindestens 50% der Stimmen um weiterzukommen, also
die Mehrheit. Dies bevorzugte alteingesessene Machsysteme und sorgte dafür, dass die Kandidaten
mehr mit ihrer Persönlichkeit als mit den Werten ihrer Partei punkten mussten . Während des ersten
Weltkriegs wurde durch eine Volksinitiative das Proporzwahlrecht eingeführt, was jeden Kanton zu
einem separaten Wahlkreis machte und die Parteistimmen im Ständerat proportional bestimmte.
Dadurch verlor die FDP ihre klare Mehrheit und an ihre Stelle trat eine Koalitionsregierung mit
kleineren Parteien ohne Mehrheit.

Während des Krieges spalteten sich die Deutschschweiz und die Romandie, denn die Deutschschweiz
stand tendenziell auf der Seite der Mittelmächte, während die Romandie Frankreich sympathisierte.
Diese Spannung löste sich aber mit Ende des Krieges langsam, aber sicher wieder auf.

Die Aussenpolitik
Seit dem Wiener Kongress wird die Schweiz offiziell als neutral anerkannt. Die Neutralität war auch in
der Zeit von 1874-1918 ein sehr wichtiger Faktor im Aussenpolitischen Handeln. Zahlreiche
internationale Abkommen, wie beispielsweise das internationale Rote Kreuz haben ihren Sitz in der
Schweiz.

Soziale Verhältnisse
Wie auch in den umliegenden Ländern nahm die soziale Unzufriedenheit während des Krieges immer
mehr zu. Die Männer waren im Kriegsdienst und die Frauen auf sich allein gestellt. Der Staat griff
stark in die Wirtschaft ein. Ein grosses Problem war die Abhängigkeit vom Aussland im Bezug auf
Lebensmittelimport. Dies führte dazu, dass die Bauern und Exporteure vom Krieg profitierten und die
Lohnabhängigen waren die grossen Verlierer, denn ein Erwerbsersatz wurde erst 1940 eingeführt.
Wirtschaft
Die politischen Entwicklungen begünstigten die Entstehung von Industrien wie dem Eisenbahnbau,
dem Maschinen und Metallbau, der Chemie- und Pharmaindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und
das Bankwesen, welche noch heute die Eckpfeiler der
Schweizer Wirtschaft sind. Trotz dem
Wirtschaftsaufschwung war das 19. Jahrhundert für viele
Menschen eine schwierige Zeit. Armut, Hunger und keine
Arbeit liessen viele Schweizer und Schweizerinnen
auswandern, vor allem nach Nord- und Südamerika. In den
Städten entstand durch Zuwanderung aus ländlichen
Gebieten und zusehends auch aus dem Ausland eine
Abb. 1 Massenauswanderung Arbeiterklasse (=Proletariat), die oft in sehr schlechten
Verhältnissen lebte. Diese sollten die Politik der
kommenden Jahre deutlich beeinflussen.
Eine wichtige Frage war auch, wie mit der Eisenbahn verfahren werden sollte. Das Schienennetz
wuchs zwischen 1854 und 1864 von 38 km auf 1300 km und erreichte
1900 3789 km und war wichtig für den Verkehr und den Transport von Gütern.
Die verschiedenen Privatbahngesellschaften, die unter sich konkurrierten und wenig koordinierten,
gerieten jedoch zunehmend in finanzielle Schwierigkeiten. In der Folge kaufte der Bund nach der
Volksabstimmung von 1898 die fünf grossen Gesellschaften auf und bildete daraus 1902 die
Schweizer Bundesbahnen, auch SBB genannt.
Die Notenbanken
Je länger der Krieg dauerte, desto stärker griff der Bund auf die Notenpresse zurück – wie in anderen
neutralen Kleinstaaten (Niederlande, Skandinavien).

Bürgertum und Arbeiterschaft


In der Schweiz entstand 1888, wie in auch in den umliegenden Ländern eine Arbeiterschaft
(Sozialdemokratsche Partei). Sie war jedoch nicht so stark, was dazu führte, dass sich diese
schleichend entwickelte. Sie war erst von grosser Bedeutung, als die Arbeiterbewegung zu einer
internationalen Bewegung wurde. Dann kam es zu immer mehr Streiks. Ausserdem wurde 1890 der
1. Mai zum Tag der Arbeiter deklariert. Die Streiks wurden nicht gerne gesehen: Nach Freisinnigen
und katholisch-konservativen (Bürgertum) stellten die Sozialdemokraten den Nationalstaat in Frage.
Demnach standen das Bürgertum und die Arbeiterschaft immer mehr im Konflikt. Die wichtigsten
Streitpunkte waren die Streiks in Bezug auf höhere Löhne und eine kürzere Arbeitszeit und das
Wahlrecht, denn im vorherrschenden Majorzwahlrecht wurden sie benachteiligt. Sie forderten den
Wandel zum Proporzwahlrecht.
Während des Krieges versuchte man die internen Konflikte durch Burgfrieden zu stoppen. Die
Arbeiterschaft verarmte jedoch aufgrund extremer Teuerung. Diese soziale Unruhe führte schliesslich
1918 zum Landesstreik.

Während des 1. Weltkrieges:


Die Aufgabe des schweizerischen Militärs war es, Durchbruchsversuche anderer Kriegsparteien über
schweizerisches Gebiet zu verhindern, also die Pufferfunktion, die die Schweiz am Wiener Kongress
erhalten hat, durchzusetzen.
Allein die Neutralität sorgte jedoch nicht dafür, dass die Schweiz nicht angegriffen wurde. Es hätte
sich auch einfach für den Angreifer sowohl kriegswirtschaftlich als auch militärisch nicht gelohnt.
Anzumerken ist, dass die Bürger eines neutralen Staates nicht neutral gesinnt sein müssen.
Begriffe
- Fakultatives Referendum = Volksinitiative gegen einen Gesetzesvorschlag, mindestens 50'000
Unterschriften
- Proporzwahlrecht = Eine Verhältniswahl (in der Schweiz auch Proporzwahl oder kurz Proporz
genannt) ist eine Wahl unter einem Wahlsystem, bei dem die Sitze möglichst genau in dem
Verhältnis zugeteilt werden, in dem abgestimmt wurde.
- Landesstreik von 1918 = Am 12. November 1918 streikten über 250’000 Arbeiterinnen und
Arbeiter in der ganzen Schweiz. Sie forderten die 48-
Stunden-Woche, eine Altersvorsorge oder das
Frauenstimmrecht. Ihnen gegenüber standen 95’000
Soldaten.
- Burgfrieden = Vereinbarung zwischen (zwei) Parteien,
sich (eine bestimmte Zeit lang) nicht zu bekämpfen

Abb. 3 Landesstreik

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