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NET-Journal

Grösse des Gehirns für kognitive Leistungsfähigkeit nicht entscheidend!

Das Undenkbare ist möglich: Denken


ohne Gehirn!
In vorwiegend männlichen Krei- blieben waren. "Wir hielten dies
sen hat man auch schon die süffi- jedoch", so der Anatomie-Professor
sante Bemerkung gehört, das Patrick Wall vom Londoner Universi-
Gehirn der Frau weise 10% weni- ty College, "für rätselhafte Einzelfäl-
ger Volumen auf - ergo sei sie le." Erst Lorber begann, Gehirngröße
auch weniger intelligent. Dabei und -funktion von Hydrozephalus-
beweisen neuste Forschungen, Patienten systematisch zu untersu-
dass die Grösse des Gehirns nicht chen. Seine Beobachtungen bewie-
adäquat ist mit seiner Leistungsfä- sen, so der britische Neuroanatom
higkeit. Noch viel verrückter ist Adrian Bower, "daß unser Gehirn
jedoch die Tatsache, dass Denken auch unter schlechtesten Bedingun-
auch ohne Gehirn möglich ist - wie gen zu arbeiten vermag".
folgender Bericht zeigt. Bislang waren die Neurologen
davon ausgegangen, daß schon
Wir brauchen unser Gehirn geringe Gewebsverluste im Bereich
gar nicht! der Großhirnrinde stets schlimme
Welches Geheimnis birgt das menschli-
Folgen haben. Denn in dieser maxi-
che Gehirn?
Eher aus Neugierde schickten die mal fünf Millimeter starken Schicht
Amtsärzte der englischen Sheffield grauer Nervenzellen, die beide Hirn- hatten einen Intelligenzquotienten
University ihren Patienten zur Schä- hälften ummantelt, haben unter von über 100 (Bevölkerungsdurch-
deluntersuchung. Der Kopf des Stu- anderem Psyche, Gedächtnis und schnitt: zwischen 85 und 115). "Brau-
denten, den seine Kommilitonen als bewußte Motorik ihren Sitz. chen wir denn", fragte Lorber mit
Super-Mathematiker bewunderten, Getragen wird die Großhirnrinde insularem Sarkasmus auf einer
schien ein wenig zu groß geraten. von dem sogenannten Gehirnmark - Fachkonferenz, "überhaupt ein
Als die Mediziner wenige Tage einer weißen Substanz, deren Ner- Gehirn?"
später die Computer-Röntgenbilder venfasern verschiedene Gehirnregio- Dr. Lorbers umfassende Studie ist
ansahen, waren sie entsetzt: Der nen miteinander verbinden. nicht die erste ihrer Art. Dr. Wilder
junge Mann mit einem Intelligenz- Bei vielen seiner Patienten, so Penfield, Direktor des Neurologi-
quotienten von 126 besaß so gut wie fand Lorber nun heraus, war das schen Instituts der McGill-Universität
kein Gehirn. Verwirrt zogen die Ärzte Gehirnmark vollkommen verschwun- in Montreal und einer der führenden
den Spezialisten der Universität, Pro- den; und auch von der Hirnrinde war Gehirnchirurgen der Welt, hat sich
fessor John Lorber, zu Rate. "Der mitunter, wie etwa bei dem putzmun- der Erforschung dieses irritierenden
Patient", diagnostizierte der Neurolo- teren Mathematik-Studenten, nur Rätsels jahrzehntelang verschrieben.
ge, "hat einen Wasserkopf" (Hydro- eine einen Millimeter dünne Schicht Auslösendes Moment dafür war eine
zephalus) - eine Krankheit, bei der übriggeblieben. Anatom Wall meinte Arbeit von Dr. Walter Dandy aus dem
sich im Schädelinneren Nervenwas- dazu: "Einfach rätselhaft!" Jahr 1922 über Menschen, die mit
ser ansammelt und so allmählich das Klar scheint nur die Ursache des bescheidensten Überresten ihres
Gehirn förmlich erdrückt. Hirnverlustes: Bei Hydrozephalus- Gehirns ein absolut normales Dasein
Rund 600 solcher Fälle hatte Lor- Kranken ist der Fluß der Hirn- und führten.
ber während der letzten Jahre unter- Rückenmarkflüssigkeit gestört, die Dr. Penfield machte eine Reihe
sucht; das Ergebnis, jüngst im US- zwischen einem Kammersystem im von Experimenten, in denen er das
Wissenschaftsmagazin "Science" Gehirn (den sogenannten Ventri- Gehirn mittels Strom und anderer
veröffentlicht, erstaunte die Fachleu- keln), der Gehirnoberfläche und dem Methoden teilweise gezielt ausschal-
te: Trotz teilweise erheblich verklei- Wirbelkanal zirkuliert. Dadurch sam- tete. In über fünfhundert Versuchen
nerten Gehirnvolumens waren viele meln sich große Mengen des Ner- konnte er den Schleier des Geheim-
seiner Patienten vollkommen ge- venwassers in den Ventrikeln, die nisses zwar nicht lüften, wohl aber
sund, andere wiederum litten an ver- sich allmählich ballonartig aufblasen die Existenz des Phänomens zwei-
gleichsweise geringen Störungen. und so das Gehirn gegen die Schä- felsfrei belegen.
Zwar wußten die Neurologen aus delwand pressen - Zelle für Zelle wird Im Mai 1950 kommentierte der
der medizinischen Literatur von Hy- totgedrückt. Dafür jedoch sind die berühmte New Yorker Neuropsychia-
drozephalus-Kranken, bei denen die überlebenden Nervenzellen offenbar ter Dr. Russel G. MacRobert die
nach bisheriger Lehrmeinung um so aktiver: Viele jener Lorber- monumentale Penfield-Studie wie
zwangsläufig zu erwartenden Funk- Patienten, deren Hirnräume bis zu 95 auch das Mysterium selbst im Maga-
tionsstörungen des Gehirns ausge- Prozent mit Wasser gefüllt waren, zin Tomorrow so:

56 Jahrgang Nr. 15, Heft Nr. 1/2 Januar/Februar 2010


NET-Journal

„Der Chirurg, der große Hirnteile sten Neurologen nach wie vor an der
wegoperiert, zerstört damit nicht nur Vorstellung festhalten, Bewußtsein
Gewebe, sondern unvermeidlicher- sei eine Folge der Anatomie und der
weise auch unsere gegenwärtige Struktur der Großhirnrinde, so müs-
Vorstellung von Geist und Bewußt- sen sie dennoch zähneknirschend
sein." zugeben, daß niemand eine wirkliche
All das konnte irgendwann einmal Vorstellung davon hat, wie Bewußt-
nicht mehr ignoriert werden und sein hervorgebracht wird bezie-
mußte zu diversen Erklärungsversu- hungsweise wie das Gehirn diesen
chen führen. Manche Fachleute strei- Prozeß bewerkstelligt, für den es ja
ten die Ergebnisse mit dem Hinweis verantwortlich sein soll.1
auf die Schwierigkeiten bei Gehirn-
messungen schlichtweg ab. Andere Wie sich unser Gehirn sel- Gehirn einer Honigbienen-Arbeiterin.
sprechen philosophisch vom Über- ber repariert
flußprinzip der Natur, das sich in Ge- sie verweisen darauf, dass auch bei
hirnstrukturen besonders manifestie- Am 16. Dezember 2009 brachte Computern niemand erwarten würde,
ren könne. Letzterer Gruppe hielt “Arte” eine Verfilmung des Buches dass die grösseren Rechner unbe-
Anatomieprofessor Patrick Wall von “Neustart im Kopf - Wie sich unser dingt auch die besseren sein müs-
der Londoner Universität entgegen: Gehirn selbst repariert” des kanadi- sen.
„Von einem Überfluß im Gehirnbe- schen Psychiaters und Psychoanaly- Die Gehirngrösse lässt sich von
reich zu sprechen, ist eine Ausflucht, tikers Norman Doidge. Er schildert der Körpergrösse ableiten. Je grös-
um nicht zugeben zu müssen, daß anhand einiger erstaunlicher klini- ser ein Tier ist, desto grösser ist nor-
man etwas nicht verstehen kann." scher Fälle die Erforschung der malerweise auch sein Gehirn. Das
Anpassungsfähigkeit des mensch- Gehirn eines Wals kann bis zu 9 kg
Gehirn und Geist existieren lichen Gehirns. Die Dokumentation wiegen und 200 Milliarden Neuronen
getrennt! zeigte die Fähigkeit des menschli- enthalten. Menschliche Gehirne wie-
chen Gehirns, sich strukturell und gen zwischen 1250 und 1450 g und
Einen ähnlichen Standpunkt ver- funktional umzuorganisieren. Ärzte haben um die 85 Milliarden Neuro-
trat auch der Neurologe Norman und Wissenschaftler, die mit ihren nen. Ein Honigbienengehirn ist gera-
Geschwind vom Beth-Israel-Hospital kreativen Ansätzen zur Erweiterung de einen Kubikmillimeter gross, wiegt
in Boston mit den Worten: „Natürlich des neurologischen und neurobiolo- 1 mg und enthält weniger als eine
weist das Gehirn eine bemerkens- gischen Wissens beigetragen haben, Million Neuronen. Nach den Wissen-
werte Kapazität bei der Neuvertei- gaben Einblick in ihre Arbeit. Das schaftlern können Honigbienen
lung von Fähigkeiten nach einem Buch von Prof. Doidge wurde 2007 in neben zahlreichen komplexen ange-
Trauma auf, aber irgendein Defizit Kanada veröffentlicht und ein Best- borenen Verhaltensweisen zählen,
bleibt gewöhnlich sogar bei schein- seller (2008 in deutscher Überserset- ähnliche Objekte in Kategorien ein-
bar völliger Wiederherstellung. Tests zung). Es landete auf der Bestseller- teilen, Regeln erlernen usw.
beweisen das immer wieder." Zer- Liste der New York Times. Lars Chittka vom Research Centre
trümmert, zerstört, entfernt, und doch Im Buch wird eine Frau vorgestellt, for Psychology der Queen Mary Uni-
voll funktionsfähig! Dieser Erfahrung die seit ihrer Geburt nur eine Hälfte versity of London und Jeremy Niven
zuwider läuft die Tatsache, daß viele des Gehirns besitzt, aber trotzdem vom Department of Zoology der Uni-
Menschen radikalste Eingriffe normal sprechen gelernt hat. Ihr Ge- versity of Cambridge demonstrieren
(Durchtrennung der Hirnhemisphä- dächtnis ist phänomenal, erinnert sie ihre These mit der erstaunlichen
ren, Entfernung einer Hirnhälfte usw.) sich doch an Ereignisse mit Daten. Intelligenz der stecknadelkopfgroßen
völlig unbeschadet überstehen, wäh- Diese Lernfähigkeit des Gehirns wird Gehirne der Insekten. Die Fähigkeit,
rend andere durch einen Schlag auf “Plastizität” genannt. Eine fehlende zählen oder Kategorien bilden zu
den Kopf schwere Schäden davon- Gehirnhälfte scheint somit auf die können, hängt nicht entscheidend
tragen. Nimmt man die Medizinge- Funktion des Gehirns keinen Einfluss von der Größe, sondern von der Art
schichte unter die Lupe, so strotzt sie zu haben.2 der neuronalen Verschaltung ab,
von solchen Absonderlichkeiten. wozu offenbar nur wenige Neuronen
Quintessenz aus den Studien: Klein, aber oho: das Gehirn notwendig sind, schreiben sie in der
Gehirn und Geist existieren getrennt einer Honigbiene Studie, die in der Zeitschrift “Current
voneinander. Was läßt sich aus all- Biology” erschienen ist.3
dem schließen? Der nackte Materia- Britische Wissenschaftler bestäti-
lismus erweist sich jedenfalls als gen, dass bei Tieren die Grösse des Quellenhinweise:
ungenügend. Das Bewußtsein treibt Gehirns nicht die Intelligenz be- 1 http://unglaublichkeiten.com/
sich als reiner Geist in der Gegend stimmt. So können auch Insekten wie unglaublichkeiten/htmlphp/u0568Ohne
Gehirn1.html
herum oder entfaltet sich selbst Bienen so intelligent wie grössere 2 www.rolf-keppler.de/rundbrief2009-9.htm
dann, wenn es keinen Sitz (Gehirn) Tiere sein, auch wenn ihr Gehirn um 3 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/
im Körper hat. Auch wenn die mei- Grössenordnungen kleiner ist. Und 31601/1.html

Januar/Februar 2010 Jahrgang Nr. 15, Heft Nr. 1/2 57

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