VORSCHULE
DER
ÄSTHETIK
Teil II
VON
GUSTAV THEODOR FECHNER.
LEIPZIG
DRUCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL.1876
Inhalt.
XIX. Die Kunst aus begrifflichem GesichtspunkteXX. Bemerkungen über Analyse und Kritik der KunstwerkeXXI. Über den Streit der Form-Ästhetiker und Gehalts-Ästhetiker in Bezug auf die bildenden KünsteXXII. Über die Frage, wiefern die Kunst von der Natur abzuweichen habe. Idealistische und realistische RichtungXXIII. Schönheit und Charakteristik XXIV.Über einige Haupt-Abweichungen der Kunst von der Natur 1) Verletzungen der Einheit des Raumes, der Zeit und der Person 2) Absichtliche Beschränkung der Detailausführung. Weglassung von Nebendingen 3) Vermeidung handgreiflich scheinenden Reliefs in Gemälden 4) Übersetzungen ins Antike und ModerneXXV. Vorbetrachtung zu den drei folgenden AbschnittenXXVI. Stil, StilisierenXXVII.IdealisierenXXVIII. SymbolisierenXXIX. Kommentar zu einem Aussprudle K. RahlsXXX. Vorzugsstreit zwischen Kunst und Natur
XXXI. Phantasie-Ansicht der Schönheit und KunstXXXII. Vom Begriffe der Erhabenheit XXXIII. Über die Größe von Kunstwerken, insbesondere Gemälden, aus ästhetischem GesichtspunkteXXXIV. Über die Frage der farbigen (polychromen) Skulptur und Architektur 1) Skulptur 2) Architektur XXXV. Beitrag zur ästhetischen Farbenlehre1) Vom direkten Eindrucke der Farben 2) Vom direkten und assoziativen Eindrucke des Weiß und SchwarzXXXVI. Vorbemerkung zu einer zweiten Reihe ästhetischer Gesetze oder PrinzipeXXXVII. Prinzip des ästhetischen Kontrastes, der ästhetischen Folge und Versöhnung1) Prinzip des ästhetischen Kontrastes 2) Prinzip der ästhetischen Folge 3) Prinzip der ästhetischen VersöhnungXXXVIII. Prinzips der Summierung, Übung, Abstumpfung, Gewöhnung, ÜbersättigungXXXIX. Prinzips der Beharrung, des Wechsels und Maßes der Beschäftigung1) Prinzip der Beharrung und des Wechsels in der Art der Beschäftigung 2) Prinzip des Maßes und Wechsels im Grade der BeschäftigungXL. Prinzip der Äußerung von Lust und UnlustXLI. Prinzip der sekundären Vorstellungs-Lust und UnlustXLII. Prinzip der ästhetischen MitteXLIII. Prinzip der ökonomischen Verwendung der Mittel oder des kleinsten Kraftmaßes. Frage nach dem allgemeinsten Grunde der Lust und Unlust. Prinzip von Zöllner. Prinzip der Tendenz zur Stabilität. Herbartsches PrinzipXLIV. Anhangsabschnitt über die gesetzlichen Maßverhältnisse der Galleriebilder 1) Vorbemerkung 2) Verteilungstafeln und Bestimmungsstücke der Galleriebilder 3) Asymmetrie- und Abweichungsverhältnisse, Extreme 4) Bestimmungen über das Verhältnis zwischen Höhe h und Breite b 5) Maßbestimmungen für den Flächenraum hb 6) Verteilungsgesetze und Bewahrung derselben 7) Nähere Bestimmungen über die Sachlage der UntersuchungZusatz zu Th. I Über den Farbeneindruck der VokaleBenutzte Kataloge
XIX. Die Kunst aus begrifflichem Gesichtspunkte.
Die Kunst in dem engeren Sinne, in dem wir uns hier damit beschäftigen werden, gehört zu den im höheren Sinne bedeutungsvollsten Faktoren des menschlichen Lebens, und ihre Werke bieten die höchsten und verwickeltsten Anwendungen ästhetischer Gesetze. Also bildet ihre Betrachtung eine Hauptaufgabe der höheren Ästhetik. Inzwischen ordnet sich die Kunst in diesem engeren Sinne einem viel weiter gefaßten Begriffe der Kunst unter, und so wird Einiges über ihre begriffliche Stellung innerhalb dieses weiteren Kreises vorauszuschicken sein.
Im weitsten, hiermit aber weit über das ästhetische Gebiet hinausgreifenden, Sinne versteht man nämlich unter Kunst überhaupt die methodische, d. h. mit bewußter Absicht nach mehr oder weniger bestimmten Regeln und erlangter Geschicklichkeit geschehende, Schöpfung von Werken oder Einrichtungen, welche Zwecken des Menschen dienen. Handelt es sich nun dabei um die unmittelbare Erreichung von Lustzwecken durch sinnliche Mittel, so hat man die angenehmen und schönen Künste, die sich von einander bloß durch die Höhe ihrer Leistung unterscheiden, hingegen, wenn es sich um Zwecke handelt, die nur mittelbar zur Erhaltung und Förderung des menschlichen Wohles oder zur Hebung oder Verhütung von Nachteilen dienen, die nützlichen Künste, wozu die Handwerke, als wie Schuhmacherkunst, Töpferkunst, Tischlerei u. s. w. aus dem Gesichtspunkte einer niederen, die Staatskunst, Erziehungskunst, Heilkunst u. s. w., aus dem Gesichtspunkte einer höheren Utilität gehören. Zwar pflegt man nur selten auf ersteredas Wort Kunst anzuwenden, weil man eben das Wort Handwerk dafür hat, indes sie doch dem allgemeinsten Begriffe der Kunst immer untergeordnet bleiben. Eine strenge Unterscheidung der angenehmen und schönen von den nützlichen Künsten oder reine Koordination derselben findet freilich nicht statt; nur der vorwiegende Gesichtspunkt läßt sie trennen. Denn auch von den Werken der schönen Künste, als wie einem Drama, einer Musik, einem Gemälde, wird man verlangen oder wünschen,daß sie außer dem nächsten und vorwiegenden Zweck, unmittelbar ein höheres als bloß sinnliches Wohlgefallen zu erwecken, bildend auf den Geist wirken, also durch ihre Folgen nutzen; umgekehrt von den Werken der nützlichen Künste, als wie einem Schuh, einem Gefäße, einem Tische, daß sie außer dem Nutzen, auf den es in der Hauptsache und zunächst bei ihnen abgesehen ist, unmittelbar wohlgefällig erscheinen. Auch können manche Künste sich bald mehr nach der einen, bald mehr nach der anderen Seite wenden, oder beiden Seiten gleichmäßig gerecht zu werden suchen. So namentlich die Rhetorik, die Architektur und die unter dem Ausdruck Kunstindustrie vereinigten sog. kleinen oder technischen Künste, welche sich mit der Verfertigung von Geräten, Gefäßen, Möbeln, Waffen, Kleidern, Teppichen u. dgl. beschäftigen, überhaupt einen großen Teil der nützlichen Künste unter dem Anspruche vereinigen, zugleich angenehme oder schöne Künste zu sein. Wogegen beianderen nützlichen Künsten, als wie dem Handwerk eines Fleischers, des Essenkehrers, der Kunst des Zahnarztes u. s. w. jene Voraussetzung deshalb nicht
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