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Hörbarkeit von tieffrequenten Geräuschen einschließlich Infraschall

Die Prüfung, ob man tieffrequente Geräusche bzw. Infraschall hören kann, erfolgt vielfach durch den
Vergleich festgestellter Frequenzpegel mit den dazu korrespondierenden frequenzabhängigen
Hörschwellen- bzw. Wahrnehmungsschwellenpegeln. Im sehr tiefen Hörschall- insbesondere aber im
Infraschallbereich (< 20 Hz) sind diese Hör- bzw. Wahrnehmungsschwellenpegel so hoch, dass daraus
regelmäßig abgeleitet wird, solche Frequenzanteile seien nicht hörbar.

Das Nachfolgende zeigt dementgegen, dass reale tieffrequente Geräusche einschließlich Infraschall
weitaus besser hörbar sind, als immer wieder kolportiert wird.

Der scheinbare Widerspruch ist keiner. Denn die empirisch ermittelten Hör- bzw. Wahrnehmungs-
schwellenpegel sind regelmäßig Ergebnis von Hörtests auf Grundlage synthetisch erzeugter Tonsignale
(vielfach Sinus). Diese Ergebnisse wurden und werden unzulässig auf reale Geräusche verallgemeinert.
Das zeigt sich auch sprachlich daran, dass nur noch verkürzt von Hörschwellen und nicht mehr korrekt
beispielsweise von Hörschwellen bei Sinussignalen gesprochen wird.
Die unzureichende theoretische Durchdringung und Interpretation von diskreten Fouriertrans-
formationen leistet der Situation zusätzlich Vorschub.

Hörschwellenprüfung mit synthetischen Tonsignalen:

Typischerweise wird bei Hörschwellenprüfungen ein synthetisches Signal (oftmals Sinuston) mit einer
definierten Frequenz erzeugt und akustisch ausgegeben. Die Lautstärke wird dabei solange variiert, bis
der Punkt erreicht ist, bei der der Proband die Schwelle zur Hörbarkeit erkennt.

Das Ergebnis solcher Hörtests ist, dass die Wahrnehmungsschwelle eines Sinustones von dessen
Frequenz und dessen Lautstärke, vielfach ausgedrückt als Schallpegel, abhängt. Bei gleichbleibender
Lautstärke vermindert sich die Wahrnehmbarkeit mit abnehmender Frequenz. Anders ausgedrückt,
steigt der Wahrnehmungsschwellenpegel mit fallender Frequenz.

Zur akustischen Verdeutlichung dessen sei auf youtube-Video mit folgender Adresse verwiesen.
https://youtu.be/gNWCfThTm_4

Zu hören ist hierbei ein kontinuierlicher Sinus-Sweep von 100 Hz abfallend bis 1 Hz mit konstanter
Maximalamplitude (Videolänge: 1 Minute). Irgendwann ist das Sinussignal kaum noch bzw. überhaupt
nicht mehr zu hören. Denn, während der Schallpegel mit abnehmender Sinusfrequenz konstant bleibt,
erhöht sich die Wahrnehmungsschwelle. Irgendwann liegt der Pegel des Sinustones unterhalb der
Wahrnehmungsschwelle (bitte Kopfhörer verwenden).

Diskrete Fouriertransformation:

Ein reales akustisches Geräusch ist durch den zeitlichen Verlauf des Schalldruckes gekennzeichnet.
Man spricht dabei vom Zeitbereich.

Für bestimmte Fragestellungen erfolgt eine Transformation vom Zeitbereich in den Frequenzraum
mittels einer diskreten Fouriertransformation. Dadurch erhält man ein scheinbar übersichtlicheres
Frequenzspektrum von diskret transformierten harmonischen Signalen.
Sehr vereinfach ausgedrückt, lässt sich damit ein diskret abgetastetes reales Geräusch in eine diskrete
Reihe von Sinus- und Cosinusschwingungen transformieren. Als stilisiert-vereinfachte Gleichung kann
man schreiben:
𝑛

𝑥(𝑡𝑖 ) = ∑(𝐴𝑘 sin(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓𝑘 ∗ 𝑡𝑖 ) + 𝐵𝑘 cos(𝑘 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓𝑘 ∗ 𝑡𝑖 ))


𝑘=1

Dabei sind x(ti) als Abtastwerte mit einer zeitkonstanten Abtastung (ausgedrückt als ti) zu verstehen.

Mathematisch nicht korrekt, zur besseren Veranschaulichung aber sinnvoll, wird die obige Gleichung
nun auf den Sinusanteil verkürzt. Folglich wird nachfolgend auch von Sinustransformationen
gesprochen, obwohl der Begriff einer harmonischen Frequenztransformation zutreffender ist.
𝑛

𝑥(𝑡𝑖 ) = ∑ 𝐴𝑘 sin(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓𝑘 ∗ 𝑡𝑖 )
𝑘=1

Ak stellt dabei den jeweiligen Amplitudenspitzenwert der entsprechenden Sinusschwingung mit der
Frequenz fk dar. Dabei soll hier Ak vereinfacht bereits als Pegel in dB verstanden werden.

Trägt man nun in einem Diagramm fk als Abszissen- und Ak als Ordinatenwerte ein, entsteht ein
Frequenzspektrum. Auch Terz- und Oktavspektren stellen im Grunde genommen solche diskreten
Fouriertransformationen dar.

Diese spektralen Anteile der diskreten Sinustransformierten sind praktisch Ergebnis eines
mathematischen Prozesses. Das kann man nicht genug wiederholen. Es ist fatal, zu denken, ein reales
Geräusch wäre aural nichts weiter als das voneinander unbeeinflusste Vorhandensein dieser
transformierten Einzelsinusschwingungen.

(Fehl)interpretation der diskreten Fouriertransformation im Kontext der Hörbarkeitsprüfung:

Wie weiter unten gezeigt wird, hängt die Wahrnehmbarkeit von Geräuschen davon ab, wie schnell sich
der Schalldruck in Abhängigkeit von der Zeit ändert. Deshalb ist eine Prüfung der Wahrnehmbarkeit
von Geräuschen streng genommen nur im Zeitbereich möglich. Nur hier sind Angaben zum Zeitverlauf
des Schalldruckes vorhanden.

Die Informationen im Zeitbereich gehen bei der Transformation in den Frequenzraum auf den ersten
Blick verloren. Tatsächlich verbergen sich aber im Frequenzraum nach wie vor Aussagen zur
Schnelligkeit der Veränderungen des Schalldruckes und damit zur Wahrnehmbarkeit des
ursprünglichen Geräusches. Dies aber nur, wenn man die Gesamtheit also alle Sinusglieder der
Frequenztransformation (auch bis in den kHz-Bereich) berücksichtigt. Denn wenn man die Gesamtheit
aller Sinusglieder wieder in den Zeitbereich zurücktransformiert, erhält man das ursprüngliche
Zeitsignal.

Fehlerhaft ist es, einzelne Sinusanteile oder bandbegrenzte Sinusfrequenzbereiche (Terzen oder
Oktaven) des Frequenzraumes isoliert zu bewerten. Denn, würde man diese isolierten Bereiche des
Frequenzraumes wieder in den Zeitbereich zurücktransformieren, zeigt sich, dass man ein ganz
anderes Geräusch als das ursprüngliche geprüft hat.
Ein solcher Isolationsfehler nimmt in dem Maße zu, je größer der Unterschied zwischen dem realen
Geräusch und einem reinen (synthetischen) Sinuston ist.

Zur akustischen Verdeutlichung dessen sei auf youtube-Video mit folgender Adresse verwiesen.
https://youtu.be/xMAdqwZoZ-s

Es handelt sich hierbei ebenfalls um einen Sweep, beginnend mit 100 Hz und endend mit 1 Hz. Der
Maximalamplitudenpegel ist ebenfalls nahezu gleich hoch wie im ersten Geräuschbeispiel. Die sehr
geringen Pegelabweichungen im Vergleich zum ersten Geräuschbeispiel sind nur der
Geräuschgenerierung geschuldet.
Sofern das Schallwiedergabegerät gut genug ist, wird man das Geräusch bis hinunter von 1 Hz deutlich
hören. Man kann jetzt einwenden, dass das Geräusch im untersten Frequenzbereich eher einem
Impuls ähnelt. Das mag so sein. Ändert aber nichts an der Tatsache, dass es Tonsignale in diesem
entsprechenden tiefen Frequenzbereich sind. Nebenbei wird erkennbar, dass die TA Lärm mit ihrem
Impulszuschlag bereits lange schon Teilaspekte des Infraschalls implementiert hat.

Was ist nun der Unterschied zwischen beiden Dateien? Ganz einfach! Während das erste
Geräuschbeispiel reine Sinustöne offeriert, ist das zweite Geräuschbeispiel komplexer.

Ausschnitt des Druck-Zeitverlaufes des ersten Geräuschbeispiels (reiner Sinus)

Ausschnitt des Druck-Zeitverlaufes des zweiten Geräuschbeispiels

Man erkennt natürlich, dass das zweite Geräuschbeispiel ein Sägezahnsignal als Ursprung hat. Um
Knackeffekte zu vermeiden, wurde dieses Signal zusätzlich tiefpassgefiltert. Daraus resultiert die
sichtbare Welligkeit und ein Tongeräusch, dass nicht mehr die akustische Schärfe einer Sägezahnwelle
hat.
Im Vergleich ist die zeitbezogene Steilheit des zweiten Geräusches (komplexeres Signal) zeitweise
deutlich höher als beim ersten Beispielgeräusch (reiner Sinuston). Die Hörbarkeit eines Geräusches ist
folglich von dieser zeitbezogenen Steilheit abhängig. Das Ohr reagiert damit eher auf schnelle
Druckveränderungen als auf behäbige.
Mathematisch entspricht dies dem Anstieg einer Funktion, was als erste Ableitung der
Ursprungsfunktion definiert und bestimmbar ist.

Ein reiner Sinuston (mit dem die Wahrnehmungsschwellenbestimmungen regelmäßig durchgeführt


werden) kann mit folgender Formel beschrieben werden.

𝑥(𝑡𝑖 ) = 𝐴 ∗ sin(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓 ∗ 𝑡𝑖 )

Dessen erste Ableitung hat folgende Formel.

𝑥´(𝑡𝑖 ) = 𝐴 ∗ 2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓 ∗ cos(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓 ∗ 𝑡𝑖 )

Der Maximalwert der ersten Ableitung (also der Maximalanstieg) ist immer dort zu verorten, wo der
Cosinusteil den Wert 1 ergibt. Der Maximalanstieg (beste Hörbarkeit) beträgt folglich

A * 2 * 𝜋 * f.

Weil das Produkt 2*π einen konstanten Wert liefert, hängt die maximale Schnelligkeit der
Druckveränderungen und damit die Hörbarkeit eines Sinustones allein von dessen Frequenz f und der
Maximalamplitude A (also dem Lautstärkepegel) ab. Genau das korrespondiert mit den oben
erläuterten Ergebnissen von Hörschwellenprüfungen synthetisch erzeugte Töne. Das weiterhin
Erläuterte macht deutlich, dass dies aber nur einen Spezialfall darstellt.

Für komplexere Geräusche, ist das Ergebnis ein Anderes. Zur Veranschaulichung dessen sei folgende
stilisierte Fourierschreibweise eines Zeitsignals gewählt.
𝑛

𝑥(𝑡𝑖 ) = ∑ 𝐴𝑘 sin(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓𝑘 ∗ 𝑡𝑖 )
𝑘=1

Das Zeitsignal ist danach die Summe aller n fouriertransformierten Einzelsinusanteile.

Die erste Ableitung davon lautet:


𝑛 𝑛

𝑥´(𝑡𝑖 ) = (∑ 𝐴𝑘 ∗ 2 ∗ π ∗ 𝑓𝑘 ) ∗ (∑ cos(2 ∗ 𝜋 ∗ 𝑓𝑘 ∗ 𝑡𝑖 ))
𝑘=1 𝑘=1

Lässt man hier ebenfalls den Cosinusteil unbeachtet, berechnet sich der Maximalanstieg folglich zu

∑ 𝐴𝑘 ∗ 2 ∗ π ∗ 𝑓𝑘 .
𝑘=1

Die Prüfung der Hörbarkeit im Frequenzraum hängt somit bei komplexen (realen) Geräuschen von der
Summe aller Maximalamplituden (Pegel) sämtlicher harmonisch transformierter Frequenzbe-
standteile ohne Einschränkung ab. Weder eine Frequenzbeschränkung noch die Einführung eines
Relevanzschwellenpegels ist sachgerecht.
Mit diesem Hintergrund kann postuliert werden, dass ein reales tieffrequentes Geräusch höhere
Druckveränderungen je Zeiteinheit generiert als vergleichbare synthetische Sinustöne. Daraus ist
ableitbar, dass im Vergleich zu Sinustönen reale Geräusche bei gleicher oder ähnlicher
Maximalpegelhöhe besser bzw. überhaupt hörbar sind. Anders ausgedrückt, sind reale Geräusche
besser wahrnehmbar, als dies sinusbasierte „Hörschwellen“ suggerieren. Das ist eine fundamentale
Abkehr von populären Sicht- und Beurteilungsweisen. Insbesondere Infraschall realer Geräusche ist
besser hörbar, als vielfach kundgetan.

Dipl. Ing. Jürgen Kurtz

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